Vergaberecht: Kommentar [4. neu bearbeitete Auflage] 9783504385576

GWB-Vergaberecht für alle Fälle: Im Beratungsmandat, z.B. bei Erstellung oder Vorabprüfung der Ausschreibungsunterlagen,

243 48 8MB

German Pages 1692 [1696] Year 2017

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Vergaberecht: Kommentar [4. neu bearbeitete Auflage]
 9783504385576

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Reidt • Stickler • Glahs Vergaberecht

Vergaberecht Kommentar Herausgegeben von

RA Prof. Dr. Olaf Reidt, RA Dr. Thomas Stickler und RAin Dr. Heike Glahs Bearbeitet von

Johannes Bosselmann Rechtsanwalt (Syndikusrechtsanwalt), Berlin

Dr. Matthias Ganske Rechtsanwalt, Bonn

Dr. Heike Glahs Rechtsanwältin, Bonn

Dr. Andreas Hövelberndt Rechtsanwalt, Gelsenkirchen

Wiltrud Kadenbach Regierungsoberrätin, Leipzig

Julian Ley Rechtsanwalt, Bonn

Dr. Tobias Masing Rechtsanwalt, Berlin

Hans-Peter Müller Dipl. Verwaltungswirt, Bonn

Dr. Michael Rafii Rechtsanwalt, Bonn

Prof. Dr. Olaf Reidt Rechtsanwalt, Berlin

Dr. Thomas Stickler Rechtsanwalt, Leipzig 4., neu bearbeitete Auflage

2018

Zitierempfehlung: Bearbeiter in Reidt/Stickler/Glahs, Vergaberecht Kommentar, 4. Aufl. 2018, § ... GWB

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet u¨ber http://dnb.d-nb.de abrufbar. Verlag Dr. Otto Schmidt KG Gustav-Heinemann-Ufer 58, 50968 Ko¨ln Tel. 02 21/9 37 38-01, Fax 02 21/9 37 38-9 43 [email protected] www.otto-schmidt.de ISBN 978-3-504-40074-3 ª 2018 by Verlag Dr. Otto Schmidt KG, Ko¨ln Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschu¨tzt. Jede Verwertung, die nicht ausdru¨cklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlags. Das gilt insbesondere fu¨r Vervielfa¨ltigungen, Bearbeitungen, ¨ bersetzungen, Mikroverfilmungen und die EinspeicheU rung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das verwendete Papier ist aus chlorfrei gebleichten Rohstoffen hergestellt, holz- und sa¨urefrei, alterungsbesta¨ndig und umweltfreundlich. Einbandgestaltung: Lichtenford, Mettmann Satz: Scha¨per, Bonn Druck und Verarbeitung: Ko¨sel, Krugzell Printed in Germany

Vorwort „Das Vergaberecht befindet sich im Umbruch.“ Seit Inkrafttreten des 4. Teils des GWB durch das Vergaberechtsänderungsgesetz zum 1.1.1999 ist dieser Satz (leider) stets aktuell geblieben. In den Jahren seit 1999 wurden nicht nur die unionsrechtlichen Grundlagen des Vergaberechts zweimal tiefgreifend überarbeitet (Vergaberechtsreformen von 2004 und 2014). Vielmehr waren auch der 4. Teil des GWB selbst sowie die Vergabeordnungen, die die Vergabe öffentlicher Aufträge im Detail regeln, stetiger Gegenstand von größeren und kleineren Novellierungen. Der vorliegende Kommentar führt seit der 1. Auflage aus dem Jahr 2000 durch die sich ständig ändernden vergaberechtlichen Regelungen. Zahlreiche Vergabekammern und Gerichte verwenden ihn regelmäßig und zitieren die von den Autoren vertretenen Auffassungen. Die 3. Auflage datiert bereits aus dem Jahr 2011. Spätestens durch die am 18.4. 2016 in Kraft getretene Reform des gesamten deutschen Vergaberechts durch das Vergaberechtsmodernisierungsgesetz vom 17.2.2016 (BGBl. I, S. 203), mit der die Überarbeitung der Vergaberichtlinien der Europäischen Union aus dem Jahr 2014 in deutsches Recht umgesetzt wurde, ist eine Neuauflage des Kommentars unablässlich geworden. Die Herausgeber und Autoren halten dabei an dem bisherigen Konzept fest. Der Kommentar soll eine vertiefte wissenschaftliche Auseinandersetzung mit den vergaberechtlichen Vorschriften ermöglichen. Zugleich soll er einen verlässlichen Leitfaden für die vergaberechtliche Praxis darstellen. Rechtsprechung und Literatur zum Vergaberecht werden daher umfassend berücksichtigt. Wo die Autoren abweichende Meinungen vertreten, wird dies begründet, jedoch stets auch auf die „herrschende Auffassung“ hingewiesen, um den Rechtsanwendern ein vollständiges Bild über die Rechtslage zu geben. Der Umfang des 4. Teils des GWB wurde durch die Vergaberechtsreform im Jahr 2016 erheblich erweitert. Entsprechend musste der Kreis der Autoren verstärkt werden. Mit Wiltrud Kadenbach, Johannes Bosselmann, Dr. jur. Andreas Hövelberndt, Julian Ley, Dr. Tobias Masing, Hans-Peter Müller und Dr. Michael Rafii konnten erfahrene Praktiker gewonnen werden, die an den unterschiedlichsten Stellen in Vergabekammern, Unternehmen, Ministerien oder als Rechtsanwälte die Entwicklung des Vergaberechts begleiten. Die Herausgeber würden sich freuen, wenn die 4. Auflage des Werks – wie bereits die Vorauflagen – ihren festen Platz in Rechtsprechung und Praxis finden würde. Für Hinweise, Anregungen und Kritik sind wir jederzeit dankbar. Berlin, Leipzig, Bonn im September 2017 Olaf Reidt

Thomas Stickler

Heike Glahs V

Bearbeiterverzeichnis

Bosselmann Bosselmann/Ganske Ganske Glahs Hövelberndt Kadenbach Ley Masing Müller Rafii Reidt Reidt/Stickler Stickler

VI

§§ 100, 102, 136–142 GWB § 143 GWB §§ 103, 105, 107–109, 119, 132, 133 GWB Einleitung, §§ 113, 134, 135, 180–184 GWB §§ 114–118, 127–129 GWB §§ 110, 120–122 GWB §§ 123–126 GWB §§ 97–99 GWB §§ 104, 144–147, 150 GWB §§ 101, 111, 112, 130, 148, 149, 151–154 GWB Vorb. zu 97–154, Vorb. zu 155–184, §§ 155–170 GWB § 131 § 106, Vorb. zu 171–179, §§ 171–179 GWB

Inhaltsverzeichnis Seite

Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Allgemeines Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

V XIII XIX

Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1

Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) (Auszug)

Teil 4 Vergabe von öffentlichen Aufträgen und Konzessionen Kapitel 1 Vergabeverfahren Abschnitt 1 Grundsätze, Definitionen und Anwendungsbereich Vorbemerkungen zu §§ 97–154 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 97 Grundsätze der Vergabe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 98 Auftraggeber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 99 Öffentliche Auftraggeber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 100 Sektorenauftraggeber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 101 Konzessionsgeber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 102 Sektorentätigkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 103 Öffentliche Aufträge, Rahmenvereinbarungen und Wettbewerbe § 104 Verteidigungs- und sicherheitsrelevante öffentliche Aufträge . . . § 105 Konzessionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 106 Schwellenwerte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 107 Allgemeine Ausnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 108 Ausnahmen bei öffentlich-öffentlicher Zusammenarbeit . . . . . . § 109 Ausnahmen für Vergaben auf der Grundlage internationaler Verfahrensregeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

. . . . . . . . . . . . . .

__ __ __ __ __ __ _ _ 21 34 79 83 118 129 131 142 297 312 365 373 392 462

VII

Inhaltsverzeichnis Seite

§ 110 Vergabe von öffentlichen Aufträgen und Konzessionen, die verschiedene Leistungen zum Gegenstand haben . . . . . . . . . . . § 111 Vergabe von öffentlichen Aufträgen und Konzessionen, deren Teile unterschiedlichen rechtlichen Regelungen unterliegen . . . § 112 Vergabe von öffentlichen Aufträgen und Konzessionen, die verschiedene Tätigkeiten umfassen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 113 Verordnungsermächtigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 114 Monitoring und Pflicht zur Übermittlung von Vergabedaten . . .

. . . . .

_ _ __ _

469 475 484 489 490

Abschnitt 2 Vergabe von öffentlichen Aufträgen durch öffentliche Auftraggeber Unterabschnitt 1 Anwendungsbereich § 115 Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 116 Besondere Ausnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 117 Besondere Ausnahmen für Vergaben, die Verteidigungs- oder Sicherheitsaspekte umfassen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 118 Bestimmten Auftragnehmern vorbehaltene öffentliche Aufträge

. .

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. . . . . . . . . . .

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. .

Unterabschnitt 2 Verfahrensarten und Auftragsausführung § 119 § 120 § 121 § 122 § 123 § 124 § 125 § 126 § 127 § 128 § 129

VIII

Verfahrensarten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Besondere Methoden und Instrumente in Vergabeverfahren Leistungsbeschreibung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Eignung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zwingende Ausschlussgründe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fakultative Ausschlussgründe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Selbstreinigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zulässiger Zeitraum für Ausschlüsse . . . . . . . . . . . . . . . . . Zuschlag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Auftragsausführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zwingend zu berücksichtigende Ausführungsbedingungen .

. . . . . . . . . . .

. . . . . . . . . . .

. . . . . . . . . . .

499 500 531 547

559 605 621 645 673 717 790 837 854 927 946

Inhaltsverzeichnis Seite

§ 130 Vergabe von öffentlichen Aufträgen über soziale und andere besondere Dienstleistungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 131 Vergabe von öffentlichen Aufträgen über Personenverkehrsleistungen im Eisenbahnverkehr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 132 Auftragsänderungen während der Vertragslaufzeit . . . . . . . § 133 Kündigung von öffentlichen Aufträgen in besonderen Fällen § 134 Informations- und Wartepflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 135 Unwirksamkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

.... . . . . .

. . . . .

. . . . .

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950

. 963 . 984 . 1016 . 1032 . 1048

Abschnitt 3 Vergabe von öffentlichen Aufträgen in besonderen Bereichen und von Konzessionen Unterabschnitt 1 Vergabe von öffentlichen Aufträgen durch Sektorenauftraggeber § 136 Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 137 Besondere Ausnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 138 Besondere Ausnahmen für die Vergabe an verbundene Unternehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 139 Besondere Ausnahme für die Vergabe durch oder an ein Gemeinschaftsunternehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 140 Besondere Ausnahme für unmittelbar dem Wettbewerb ausgesetzte Tätigkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 141 Verfahrensarten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 142 Sonstige Anwendbare Vorschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 143 Regelung für Auftraggeber nach dem Bundesberggesetz . . . . . . .

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1063 1064 1068 1072 1073 1076 1077 1080

Unterabschnitt 2 Vergabe von verteidigungs- oder sicherheitsspezifischen öffentlichen Aufträgen § 144 Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 145 Besondere Ausnahmen für die Vergabe von verteidigungs- oder sicherheitsspezifischen öffentlichen Aufträgen . . . . . . . . . . . . . § 146 Verfahrensarten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 147 Sonstige anwendbare Vorschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

_ __ _

. 1088 . 1091 . 1101 . 1105 IX

Inhaltsverzeichnis

Unterabschnitt 3 Vergabe von Konzessionen

__ __ _ __

Seite

§ 148 Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 149 Besondere Ausnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 150 Besondere Ausnahmen für die Vergabe von Konzessionen in den Bereichen Verteidigung und Sicherheit . . . . . . . . . . . . . . § 151 Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 152 Anforderungen im Konzessionsvergabeverfahren . . . . . . . . . . § 153 Vergabe von Konzessionen über soziale und andere besondere Dienstleistungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 154 Sonstige anwendbare Vorschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

. . 1111 . . 1112 . . 1123 . . 1130 . . 1137 . . 1151 . . 1153

Kapitel 2 Nachprüfungsverfahren Abschnitt 1 Nachprüfungsverfahren Vorbemerkungen zu §§ 155–184 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 155 Grundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 156 Vergabekammern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 157 Besetzung, Unabhängigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 158 Einrichtung, Organisation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 159 Abgrenzung der Zuständigkeit der Vergabekammern

. . . . . .

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__ __ __ __

Abschnitt 2 Verfahren von der Vergabekammer § 160 § 161 § 162 § 163 § 164 § 165 § 166 § 167 X

Einleitung, Antrag . . . . . . . . . . . . . . . . Form, Inhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Verfahrensbeteiligte, Beiladung . . . . . . . Untersuchungsgrundsatz . . . . . . . . . . . Aufbewahrung vertraulicher Unterlagen Akteneinsicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Mündliche Verhandlung . . . . . . . . . . . Beschleunigung . . . . . . . . . . . . . . . . . .

. . . . . . . .

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. . . . . . . .

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. . . . . . . .

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. . . . . . . .

. . . . . . . .

1159 1164 1173 1179 1189 1196

1207 1252 1267 1277 1297 1301 1321 1329

Inhaltsverzeichnis

__ _

Seite

§ 168 Entscheidung der Vergabekammer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1341 § 169 Aussetzung des Vergabeverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1377 § 170 Ausschluss von abweichendem Landesrecht . . . . . . . . . . . . . . . . 1418 Abschnitt 3 Sofortige Beschwerde Vorbemerkung zu §§ 171–179 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 171 Zulässigkeit, Zuständigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 172 Frist, Form, Inhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 173 Wirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 174 Beteiligte am Beschwerdeverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 175 Verfahrensvorschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 176 Vorabentscheidung über den Zuschlag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 177 Ende des Vergabeverfahrens nach Entscheidung des Beschwerdegerichts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 178 Beschwerdeentscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 179 Bindungswirkung und Vorlagepflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 180 Schadensersatz bei Rechtsmissbrauch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 181 Anspruch auf Ersatz des Vertrauensschadens . . . . . . . . . . . . . . . § 182 Kosten des Verfahrens vor der Vergabekammer . . . . . . . . . . . . . § 183 Korrekturmechanismus der Kommission . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 184 Unterrichtungspflichten der Nachprüfungsinstanzen . . . . . . . . .

__ __ __ _ __ __ __ __

1421 1423 1440 1455 1474 1475 1481 1498 1505 1515 1527 1532 1554 1569 1570

Anhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1571 Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1579

XI

Abkürzungsverzeichnis a.A. ABl. Abs. Abschn. AEG AEUV a.F. AG AGVwGO AktG Alt. Anm. Art. Aufl. Az.

anderer Ansicht Amtsblatt der Europäischen Union Absatz Abschnitt Allgemeines Eisenbahngesetz Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union alte Fassung Aktiengesellschaft Gesetz zur Ausführung der Verwaltungsgerichtsordnung Aktiengesetz Alternative Anmerkung Artikel Auflage Aktenzeichen

BAG BAnz. BauR Bay, bay BayObLG BayVBl. BB BBG Bd. BFH BGB BGBl. BGH BGHZ BHO BImSchG BKartA BKR BRAO BR-Drucks. BSG BSGE BT-Drucks. BVerfG

Bundesarbeitsgericht Bundesanzeiger Baurecht (Zeitschrift) Bayern, bayerisch Bayerisches Oberstes Landesgericht Bayerische Verwaltungsblätter Der Betriebs-Berater (Zeitschrift) Bundesbeamtengesetz Band Bundesfinanzhof Bürgerliches Gesetzbuch Bundesgesetzblatt Bundesgerichtshof Entscheidungen des Bundesgerichtshofes in Zivilsachen Bundeshaushaltsordnung Bundes-Immissionsschutzgesetz Bundeskartellamt Baukoordinierungsrichtlinie Bundesrechtsanwaltsordnung Bundesratsdrucksache Bundessozialgericht Entscheidungen des Bundessozialgerichts Bundestagsdrucksache Bundesverfassungsgericht XIII

Abkürzungsverzeichnis

BVerfGE BVerwG BVerwGE

Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts Bundesverwaltungsgericht Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts

DB d.h. DLR DÖV DRiG DStR DVBl.

Der Betrieb (Zeitschrift) das heißt Dienstleistungsrichtlinie Die Öffentliche Verwaltung (Zeitschrift) Deutsches Richtergesetz Deutsches Steuerrecht (Zeitschrift) Deutsches Verwaltungsblatt (Zeitschrift)

ECLI

European Case Law Identifier (Europäischer Urteilsidentifikator) Europäische Gemeinschaften Euröpäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl Einleitung Energiewirschaftsgesetz Einkommensteuergesetz Europäische Union Gericht der Europäischen Union Europäischer Gerichtshof Kommission der Europäischen Union Gesetz über die Tätigkeit europäischer Rechtsanwälte in Deutschland Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht Europäische Wirtschaftsgemeinschaft Europäische wirtschaftliche Interessenvereinigung Europäischer Wirtschaftsraum

EG EGKS Einl. EnWG EStG EU EuG EuGH EU/KOM EuRAG EuZW EWG EWIV EWR f., ff. FamFG FS

folgende, fortfolgende Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit Festschrift

GemHVO GewArch GG ggf. GKG GmbH GmS-OGB GOBKartA

Gemeindehaushaltsverordnung Gewerbearchiv (Zeitschrift) Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland gegebenenfalls Gerichtskostengesetz Gesellschaft mit beschränkter Haftung Gemeinsamer Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes Geschäftsordnung des Bundeskartellamts

XIV

Abkürzungsverzeichnis

GPA GVG GWB

Government Procurement Agreement Gerichtsverfassungsgesetz Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen

Halbs. HGB HGrG Hrsg.

Halbsatz Handelsgesetzbuch Haushaltsgrundsätzegesetz Herausgeber

IBR insb. i.V.m.

Immobilien und Baurecht (Zeitschrift) insbesondere in Verbindung mit

JZ

Juristenzeitung (Zeitschrift)

KG KonzVgV KV

Kammergericht, Kommanditgesellschaft Konzessionsvergabeverordnung Kostenverzeichnis

LHO lit. LKR LKV LSA

Landeshaushaltsordnung litera (Buchstabe) Lieferkoordinierungsrichtlinie Landes- und Kommunalverwaltung (Zeitschrift) Land Sachsen-Anhalt

MDR m.w.N.

Monatsschrift für deutsches Recht (Zeitschrift) mit weiteren Nachweisen

NJW NJW-RR NordÖR Nr. NVwZ NVwZ-RR NW NZA NZBau

Neue Juristische Wochenschrift (Zeitschrift) NJW-Rechtsprechungs-Report-Zivilrecht (Zeitschrift) Zeitschrift für öffentliches Recht in Norddeutschland Nummer Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht NVwZ-Rechtsprechungs-Report-Verwaltungsrecht (Zeitschrift) Nordrhein-Westfalen Neue Zeitschrift für Arbeitsrecht Neue Zeitschrift für Baurecht und Vergaberecht

o.a. OHG OLG OVG

oben angeführt Offene Handelsgesellschaft Oberlandesgericht Oberverwaltungsgericht

XV

Abkürzungsverzeichnis

PartGG RiNATO RL Rn. Rs. RVG

Partnerschaftsgesellschaftsgesetz NATO-Vergaberichtlinien Richtlinie Randnummer Rechtssache Rechtsanwaltsvergütungsgesetz

s. SächsGemO SektVO SKR Slg. sog. SZR

siehe Gemeindeordnung für den Freistaat Sachsen Sektorenverordnung Sektorenkoordinierungsrichtlinie Sammlung der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs sogenannt Sonderziehungsrecht

Tz.

Textziffer

u.a. UA UIG usw. UVgO

und andere Unterabsatz Umweltinformationsgesetz und so weiter Unterschwellenvergabeordnung

v. VergabeR VergRL VermG

von, vom Vergaberecht (Zeitschrift) Vergaberichtlinien Vermögensgesetz/ Gesetz zur Regelung offener Vermögensfragen Verwaltungsarchiv (Zeitschrift) Verwaltungsgerichtshof vergleiche Vergaberechtsänderungsgesetz Vergabeverordnung Vergabekammer Vergabekoordinierungsrichtlinie Verordnung Verordnung der Europäischen Gemeinschaften Verordnung der Europäischen Union Vergabe- und Vertragsordnung für Bauleistungen Allgemeine Bestimmungen für die Vergabe von Bauleistungen Allgemeine Vertragsbedingungen für die Ausführung von Bauleistungen Vergabeordnung für freiberufliche Leistungen

VerwArch. VGH vgl. VgRÄG VgV VK VKR VO VO [EG] VO [EU] VOB VOB/A VOB/B VOF XVI

Abkürzungsverzeichnis

VOL VOL/A VOL/B Vorb. VSVgV VÜA VwGO VwKostG VwVfG

Vergabe- und Vertragsordnung für Leistungen Allgemeine Bestimmungen für die Vergabe von Leistungen Allgemeine Vertragsbedingungen für die Ausführung von Leistungen Vorbemerkung Vergabeverordnung Verteidigung und Sicherheit Vergabeüberwachungsausschuss Verwaltungsgerichtsordnung Verwaltungskostengesetz Verwaltungsverfahrensgesetz

WRV WuW WuW/E

Weimarer Reichsverfassung Wirtschaft und Wettbewerb (Zeitschrift) WuW Entscheidungssammlung zum Kartellrecht

z.B. ZfBR

zum Beispiel Zeitschrift für deutsches und internationales Bau- und Vergaberecht Zeitschrift für das gesamte Handelsrecht und Wirtschaftsrecht Zeitschrift für Wirtschaftsrecht und Insolvenzpraxis Zivilprozessordnung Zeitschrift für deutsches und internationales Vergaberecht

ZHR ZIP ZPO ZVgR

XVII

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Einleitung I. Die historische Entwicklung des Vergaberechts 1. Von den Anfängen bis zum Erlass der ersten EG-Richtlinie . 2. Von der ersten EG-Richtlinie bis zum Vergaberechtsmodernisierungsgesetz 2009 . . . . . . . . 3. Von dem Vergaberechtsmodernisierungsgesetz 2009 zur Vergaberechtsnovelle 2016 . . . . II. Überblick über das Vergaberecht oberhalb der Schwellenwerte . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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III. Überblick über das Vergaberecht unterhalb der Schwellenwerte 1. Rechtsgrundlagen . . . . . . . . . . . 2. Verweis auf VOB/A, VOL/A und UVgO . . . . . . . . . . . . . . . 3. Adressaten des Vergaberechts unterhalb der Schwellenwerte . . IV. Rechtsschutz bei Auftragsvergaben unterhalb der Schwellenwerte? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Rechtsweg . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Subjektives Recht? . . . . . . . . . . 3. Besonderheiten im Verfahren vor den Zivilgerichten . . . . . . . .

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I. Die historische Entwicklung des Vergaberechts 1. Von den Anfängen bis zum Erlass der ersten EG-Richtlinie Eine Ausschreibung von Bau-, Liefer- und Dienstleistungsaufträgen, die die öf- 1 fentliche Hand erteilt, war in Deutschland bereits zu Beginn des 17. Jahrhunderts bekannt und allgemeine Übung. Nachdem zunächst das Ausschreibungsverfahren sowie die Angebotsabgabe öffentlich – ähnlich einer Versteigerung – erfolgte, wurde Mitte des 19. Jahrhunderts die Auftragsvergabe durch Submission, d.h. im schriftlichen Verfahren eingeführt1. Die Submission, die ab Mitte des 19. Jahrhunderts galt, entsprach in Grundzügen dem heute noch geltenden Verfahren2. Anfang des 20. Jahrhunderts bestanden Bestrebungen, das bis dahin in Länderverordnungen festgelegte Verdingungswesen reichseinheitlich zu regeln. 1921 wurde im Reichstag ein Antrag auf Einbringung eines Reichsverdingungsgesetzes gestellt3. Bei den Beratungen kamen die Abgeordneten jedoch zu der Überzeugung, dass die Vergabe von Bauaufträgen durch die öffentliche Hand nicht Teil der staatlich-hoheitlichen Tätigkeit sei, sondern dass der Staat in diesem Bereich ebenso wie eine Privatperson zu behandeln sei. Damit war der Weg, das Vergabe-

1 Lampe-Helbig/Jagenburg/Baldringer/Jagenburg-Wirth, Handbuch der Bauvergabe, 3. Auflage 2014, Seite 5; vgl. allgemein: Schubert in FS Korbion, 1986, S. 389; von Jagenburg, 100 Jahre „Kölner VOB“, BauR 1989, 17. 2 Lampe-Helbig/Jagenburg/Baldringer/Jagenburg-Wirth, Handbuch der Bauvergabe, 3. Auflage 2014, Seite 5. 3 Leupertz/von Wietersheim in Ingenstau/Korbion, VOB, Einl. Rz. 7.

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Einl. | Einleitung recht als reines Innenrecht auszugestalten, geebnet.1 Die Reichsregierung wurde ersucht, einen Ausschuss zu bilden, der für die Vergabe von Leistungen und Lieferungen einheitliche Grundsätze für das Reich und die Länder schaffen sollte. Diesem Ausschuss sollten sachverständige Vertreter der beteiligten Ressorts und Vertreter der zuständigen Arbeitgeber- und Arbeitnehmerorganisationen angehören. Daraufhin wurde der Reichsverdingungsausschuss gegründet. 2 Dessen Arbeit wurde im Jahre 1947 vom deutschen Verdingungsausschuss für Bauleistungen übernommen2. Dieser Ausschuss heißt heute Deutscher Vergabeund Vertragsausschuss für Bauleistungen (DVA) bzw. Deutscher Vergabe- und Vertragsausschuss für Lieferungen und Leistungen. Ihre Zusammensetzung ist paritätisch unter Beteiligung von öffentlichen Auftraggebern einerseits und Spitzenorganisationen der Wirtschaft und der Technik andererseits. Den Ausschüssen gehören Ressorts des Bundes und der Länder, sonstige Spitzenbehörden, die kommunalen Spitzenverbände und die Spitzenorganisation der Wirtschaft und der Technik an. Die Ausschüsse haben die Aufgabe, Grundsätze für die sachgerechte Vergabe und Abwicklung von Bauaufträgen bzw. Liefer- und Dienstleistungsaufträgen zu erarbeiten und weiterzuentwickeln. Der Deutsche Vergabeund Vertragsausschuss für Bauleistungen verfasst die VOB/A und VOB/B. Der Deutsche Vergabe- und Vertragsausschuss für Lieferungen und Leistungen verfasste die VOL/A und VOL/B.3 Heute werden die Vergabeverordnung oberhalb der EU-Schwellenwerte (VgV), aber auch die Unterschwellenvergabeordnung (UVgO) nicht mehr durch diesen Ausschuss, sondern die Bundesregierung erarbeitet, wobei dies bei der UVgO in Abstimmung mit den Ländern geschieht.4 3 Folge der Einschätzung, es handele sich um Privatrecht, war, dass der Staat einerseits keine Möglichkeit mehr hatte, hoheitlich zu handeln, und dass auf der anderen Seite den Bürgern das ihnen gegen hoheitliches Handeln zustehende Einspruchs- und Klagerecht nicht zur Verfügung stand5. Die von dem Verdingungsausschuss erlassenen Verdingungsordnungen hatten keinen Rechtsnormcharakter. Sie waren reines Innenrecht und dienten dem Grundsatz sparsamer Haushaltsführung durch den öffentlichen Auftraggeber, der in § 55 BHO, § 55 LHO NW und § 25 GemHVO NW sowie den entsprechenden Landesgesetzen ausdrücklich angesprochen wird, nicht aber dem Schutz einzelner Bieter6. Um den Verdingungsordnungen widersprechende Handlungen zu unterbinden, 1 Lampe-Helbig/Jagenburg/Baldringer/Jagenburg-Wirth, Handbuch der Bauvergabe, 3. Auflage 2014, Seite 5. 2 Leupertz/von Wietersheim in Ingenstau/Korbion, VOB, Einl. Rz. 7. 3 Vgl. Arbeits- und Organisationsschema des DVAL, verabschiedet von der Hauptversammlung des DVAL am 16.9.2009. 4 Vgl. zur VgV § 113 GWB, vgl. zur UVgO BAnz AT 7.2.2017 B 1, ber. Nr. 170208, Seite 1. 5 BVerfG v. 13.6.2006 – 1 BvR 1160/03, NZBau 2006, 791 (794); BVerwG v. 2.5.2007 – 6 B 10/07, NZBau 2007, 389 (392); Kallerhoff, NZBau 2008, 97 (101). 6 BVerfG v. 13.6.2006 – 1 BvR 1160/03, NZBau 2006, 791 (794); BVerwG v. 2.5.2007 – 6 B 10/07, NZBau 2007, 389 (392); Kallerhoff, NZBau 2008, 97 (101).

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Einleitung | Einl.

blieb zunächst nur der Weg über die Fach- und Rechtsaufsicht oder die Dienstaufsichtsbeschwerde. 2. Von der ersten EG-Richtlinie bis zum Vergaberechtsmodernisierungsgesetz 2009 In der Praxis zeigte sich mehr und mehr, dass diese Lösung unbefriedigend war. 4 Es wurde einerseits von den nationalen Gerichten nach Lösungen gesucht, um Betroffenen Rechtsschutz zu gewähren, sei es über den Weg des Kartellrechts, sei es über Art. 3 GG. Hinzu kam, dass EG-rechtliche Vorgaben die Bundesrepublik zwangen, Rechtsschutzmöglichkeiten und Ähnliches einzuführen. Ausgangspunkt für das heutige Vergaberecht ist das Europarecht, und zwar einerseits die Bestimmungen des EG-Vertrages bzw. heute des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) und des Vertrages über die Europäische Union und andererseits die Vorschriften der Richtlinien über die Koordinierung der Vergabe öffentlicher Aufträge. Für das öffentliche Auftragswesen sind die primär-rechtlichen Vorschriften über 5 die Markt- oder Grundfreiheiten, insbesondere den freien Waren- und Dienstleistungsverkehr, sowie das Diskriminierungsverbot besonders bedeutsam. Diese Grundsätze sind heute in Art. 18 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) vom 1.12.2009 (Diskriminierungsverbot, ex. Art. 12 EGV) und in Art. 28 (freier Warenverkehr, ex. Art. 28 EGV) und Art. 45 ff. AEUV (freier Dienstleistungs- und Kapitalverkehr, ex. Art. 39 und 43 EGV) niedergelegt. Die Grundfreiheiten gelten oberhalb und unterhalb der Schwellenwerte. Sie ha- 6 ben aber heute für Auftragsvergaben unterhalb der Schwellenwerte die größere Bedeutung. Denn nach Ansicht des EuGH liegt ein Verstoß gegen die Grundfreiheiten vor, wenn ein Auftrag unterhalb der Schwellenwerte, jedoch mit grenzüberschreitender Bedeutung ohne Bekanntmachung der geplanten Auftragsvergabe und ohne Wettbewerbsverfahren im weiteren Sinne vergeben wird1. Der EuGH hat keine Einzelheiten dazu festgelegt, wie ein transparentes Bewerbungsverfahren durchgeführt werden kann oder muss. Hierzu liegt inzwischen die Mitteilung der EU-Kommission zur Auslegung von Fragen im Zusammenhang mit der Vergabe öffentlicher Aufträge, die nicht unter die Vergaberichtlinien fallen, vom 1.8.2006 vor2. Die Mitteilung ist nicht verbindlich. Mit der Mitteilung will die Europäische Kommission die Rechtsprechung des EuGH zur Anwendung der Grundfreiheiten auf Verträge außerhalb des Anwendungsbereichs der Vergaberichtlinien in konkrete Leitlinien für die Aus1 EuGH v. 21.7.2005 – Rs. 231/03, NZBau 2005, 592; EuGH v. 13.10.2005 – Rs. 458/03, NZBau 2005, 644. 2 ABl. EU 2006/C179/2 v. 1.8.2006.

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Einl. | Einleitung gestaltung von Bekanntmachungen, Verfahren, Rechtsschutz etc. umsetzen. Die Mitteilung der Kommission befasst sich mit der Verpflichtung zur Veröffentlichung der geplanten Vergabe, mit der Beachtung der Prinzipien der Nichtdiskriminierung sowie der Transparenz beim Ablauf eines Vergabeverfahrens und mit den Vorgaben zum Rechtsschutz unterhalb der EU-Schwellenwerte. Die Bundesrepublik hat gegen die Mitteilung der EU-Kommission eine Nichtigkeitsklage vor dem EuG mit der Begründung erhoben, die Kommission greife durch die Mitteilung in unzulässiger Weise in die Rechte der Mitgliedsstaaten ein. Das EuG hat die Klage der Bundesrepublik durch Urteil vom 20.5.2010 mit sehr ausführlicher Begründung als unzulässig abgewiesen1. Im Ausgangspunkt stellt das Gericht fest, es sei zu prüfen, ob die Mitteilung der Kommission nur die Bestimmungen über den freien Warenverkehr, die Niederlassungsfreiheit, den freien Dienstleistungsverkehr, das Diskriminierungsverbot, die Grundsätze der Gleichbehandlung und der Verhältnismäßigkeit sowie die Regeln der Transparenz und der gegenseitigen Anerkennung erläuterte oder ob sie gegenüber diesen Bestimmungen, Grundsätzen und Regeln spezifische oder neue Verpflichtungen festlegte. Diesem Ausgangspunkt folgend wird in dem Urteil der Inhalt der Mitteilung der Kommission im Einzelnen daraufhin überprüft, ob sie eine zutreffende Erläuterung der Grundfreiheiten beinhalte. Dies bejaht das Gericht. Die Mitteilung enthalte keine Regeln für die Vergabe öffentlicher Aufträge, die über die Verpflichtungen hinausgehen, die sich aus dem bestehenden Gemeinschaftsrecht ergeben. Damit steht nunmehr fest, dass auch bei der Vergabe von Dienstleistungskonzessionen oder Auftragsvergaben unterhalb der Schwellenwerte, soweit sie Binnenmarktrelevanz haben, eine vorherige europaweite Bekanntmachung erfolgen muss. Auch im Übrigen muss das Verfahren und die Entscheidung, wem der Zuschlag erteilt wird, eine nicht diskriminierende und transparente Entscheidung sein. Keine Aussage enthält das Urteil zu der Frage, ob es unterhalb der Schwellenwerte einen angemessenen Primärrechtsschutz geben muss. 7 Allerdings gingen die Verantwortlichen auf EU-Ebene schon früh davon aus,

dass die Markt- oder Grundfreiheiten für sich genommen nicht ausreichen, um das Vergaberecht hinreichend zu regeln. Die EU-Kommission hat deshalb erstmals 1971 eine Richtlinie zur Koordinierung der Vergabe öffentlicher Bauaufträge verabschiedet. Ab 1990 hat die Rechtssetzungstätigkeit der Europäischen Kommission mit dem Erlass einer Vielzahl von Richtlinien erheblich zugenommen. Zu nennen sind u.a.: die Dienstleistungsrichtlinie (92/50/EWG), die Baukoordinierungsrichtlinie (93/37/EWG), die Lieferkoordinierungsrichtlinie (93/ 36/EWG); die Sektorenrichtlinie (93/38/EWG), die Rechtsmittelrichtlinie (89/ 665/EWG) und die Rechtsmittelrichtlinie betreffend die Sektoren (92/13/EWG). Diese Richtlinien wurden später ersetzt durch die Vergabekoordinierungsrichtlinie vom 31.3.2004 (2004/18/EG) und die Sektorenvergabekoordinierungsrichtlinie vom 31.3.2004 (2004/17/EG). Diese Richtlinien führen erstmals die Bestim-

1 EuGH v. 20.5.2010 – Rs. T-258/06, zitiert nach veris.

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Einleitung | Einl.

mungen über Bauaufträge einerseits und Liefer- und Dienstleistungsaufträge andererseits in einer Richtlinie zusammen. Daneben gilt die Rechtsmittelrichtlinie vom 14.11.2007 (2007/66/EG). Die EU-Richtlinien sind grundsätzlich kein unmittelbar geltendes Recht in den Mitgliedsstaaten, sondern müssen von den Mitgliedsstaaten in nationales Recht umgesetzt werden. In Deutschland erfolgt die Umsetzung über die §§ 97 ff. GWB, die Vergabeverordnung, die Sektorenverordnung sowie die VOB/A, die VOL/A und die VOF1. So werden durch das Vergaberechtsmodernisierungsgesetz 20092, und zwar durch die Änderung der §§ 97 ff. GWB sowie der Vergabeverordnung, die Richtlinien in nationales Recht umgesetzt. Durch die EU-Richtlinien ist eine Zweiteilung des Deutschen Vergaberechts 8 entstanden, weil die vorgenannten Richtlinien allesamt nur bei Auftragsvergaben oberhalb bestimmter geschätzter Auftragswerte (Schwellenwerte) anwendbar sind. Das Vergaberecht oberhalb der Schwellenwerte ist geprägt durch die Richtlinien der EU, die in nationales Recht umgesetzt werden müssen und umgesetzt worden sind. Das Vergaberecht unterhalb der Schwellenwerte ist dagegen durch das nationale Recht, das weiterhin überwiegend haushaltsrechtlich bestimmt ist, geprägt und – sofern eine Binnenmarktrelevanz zu bejahen ist – durch die Grundfreiheiten des EG-Vertrages. 3. Von dem Vergaberechtsmodernisierungsgesetz 2009 zur Vergaberechtsnovelle 2016 Das Vergaberecht unterhalb der Schwellenwerte ist auch heute noch durch das 9 nationale Recht geprägt und – sofern eine Binnenmarktrelevanz zu bejahen ist – durch die Grundfreiheiten des AEUV. Oberhalb der EU-Schwellenwerte ist beginnend mit den Richtlinien 2014/24/ 10 EU, 2014/23/EU und 2014/25/EU eine umfassende Novelle des Vergaberechts eingeleitet worden. Die Richtlinie 2014/24/EU vom 26.2.2014 ist die klassische Vergaberichtlinie und gilt für öffentliche Aufträge und Rahmenvereinbarungen für Bau-, Liefer- und Dienstleistungsaufträge, einschließlich freiberuflicher Leistungen. Die Richtlinie 2014/25/EU gilt für öffentliche Aufträge und Rahmenvereinbarungen im im Bereich der Wasser-, Energie- und Verkehrsversorgung sowie der Postdienste, den sog. Sektoren. Die Richtlinie 2014/23/EU regelt nun erstmals das einzuhaltende Vergabeverfahren bei der Vergabe von Dienstleistungskonzessionen und gilt sowohl für Bau- als auch für Dienstleistungskonzessionen. Die drei Richtlinien wurden am 28.3.2014 im Amtsblatt der EU veröffentlicht und traten zum 17.4.2014 in Kraft3. Die Frist zur Umsetzung der Richtlinien in nationales Recht endet 24 Monate später, d.h. am 17.4.2016. 1 Siehe nachfolgend bei Rz. 9 ff. 2 BGBl. I 2009, 790 ff. 3 L 094 des Amtsblatts der EU.

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Einl. | Einleitung 11 Der deutsche Gesetzgeber hat die Richtlinie in einer umfassenden Vergabe-

rechtsnovelle in deutsches Recht umgesetzt. Die Vergaberechtsnovelle ist am 18.4.2016 in Kraft getreten. Die Richtlinien sind durch Änderung der §§ 97 ff. GWB1 und durch Änderung bzw. Erlass der folgenden Verordnungen umgesetzt worden: Vergabeverordnung (VgV), Sektorenverordnung (SektVO), Verordnung für die Bereiche Verteidigung und Sicherheit zur Umsetzung der Richtlinie 2009/81/EG (VSVgV) und der Verordnung über die Vergabe von Konzessionen (KonzVgV) in deutsches Recht umgesetzt worden.2 Zu den wesentlichen Änderungen im Aufbau der vergaberechtlichen Bestimmungen gehört, dass das Kaskadensystem – jedenfalls im Bereich der Liefer- und Dienstleistungen – verändert worden ist. Die Vergabe von Bau-, Liefer- und Dienstleistungen, einschließlich freiberuflicher Leistungen und sog. nicht-prioritärer Leistungen, ist nunmehr insgesamt in den §§ 97 ff. GWB und der VgV geregelt. Die VOF und die VOL/A Abschnitt 2 wurden abgeschafft. Im Baubereich ist die dreistufige Kaskade dagegen noch erhalten. Bauvergaben richten sich nach den §§ 97 ff. GWB, VGV und VOB/A Abschnitt 2 und Abschnitt 3. Zu den wesentlichen Änderungen im materiellen Bereich gehört, dass nun erstmals auch Regeln zur Vergabe von Dienstleistungskonzessionen eingeführt worden sind.

II. Überblick über das Vergaberecht oberhalb der Schwellenwerte 12 Das GWB regelt in §§ 155 bis 184 (Kapitel 2) unverändert den Rechtsschutz der

Bieter durch Nachprüfungsverfahren, einschließlich des Beschwerdeverfahrens und der Vorschriften zum Schadensersatz. Das Rechtsschutzsystem ist weitgehend unverändert geblieben.3

13 Anders als bis zum 17.4.2016 regelt das GWB nunmehr in weiterem Umfang

auch Fragen des materiellen Vergaberechts. Der erste Abschnitt in Kapitel 1 (§§ 97 bis 114 GWB) regelt den Anwendungsbereich des Gesetzes, die allgemeinen Grundsätze und Ziele des Vergaberechts. Von Bedeutung ist insbesondere § 97 Abs. 6 GWB. Dieser stellt klar, dass Unternehmen einen Anspruch auf Einhaltung der vergaberechtlichen Bestimmungen haben, und begründet damit ein subjektives Recht auf Einhaltung der Bestimmungen. Der zweite Abschnitt in Kapitel 1 (§§ 115 bis 135 GWB) gilt bei der Vergabe öffentlicher Aufträge, für die keine Sonderregeln (Vergabe im Sektorenbereich, Vergaben im verteidigungs- und sicherheitsspezifischen Bereich) bestehen, und enthält Regeln zu den Verfahrensarten, den Eignungsanforderungen, der Leistungsbeschreibung, den Zuschlagkriterien etc. Der dritte Abschnitt in Kapitel 1 (§§ 136 bis 154) enthält

1 Vergaberechtsmodernisierungsgesetz vom 17.2.2016, BGBl. I 2016, 203. 2 Vergaberechtsmodernisierungsverordnung vom 12.4.2016, BGBl. I 2016, 624. 3 Vergaberechtsmodernisierungsgesetz vom 17.2.2016, BGBl. I 2016, 203.

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materielle Vorgaben zur Durchführung des Vergabeverfahrens bei den Vergaben im Bereich der Sektorentätigkeit, im verteidigungs- und sicherheitsspezifischen Bereich und bei der Vergabe von Konzessionen. Das materielle Vergaberecht ist dennoch weiterhin nur mit seinen allgemeinen Grundsätzen im GWB geregelt. Die Details finden sich nicht im GWB, sondern in der VgV, der SektVO, der VSVgV und der KonzVgV sowie der VOB/A EU.1 Die SektVO gilt für alle Auftraggeber gem. §§ 100, 102 GWB, soweit sie im Sek- 14 torenbereich (Trinkwasserversorgung, Elektrizitäts- und Gasversorgung, Wärmeversorgung sowie Verkehrsbereich, d.h. Flughäfen, Häfen und Schienenverkehr) tätig sind. Sie gilt für Bau-, Liefer- und Dienstleistungsaufträge, einschließlich der Vergabe freiberuflicher Leistungen gleichermaßen, allerdings nur oberhalb der Schwellenwerte. Die VSVgV gilt für Auftraggeber i.S.v. § 98 GWB, wenn sie Aufträge im verteidigungs- und sicherheitsspezifischen Bereich gemäß § 104 GWB vergeben. Die VSVgV regelt das materielle Vergaberecht für Liefer- und Dienstleistungen, einschließlich freiberuflicher Leistungen, abschließend. Für Bauaufträge wird sie durch Abschnitt 3 der VOB/A VS ergänzt. Außerhalb der SektVO und der VSVgV gilt für die Vergabe öffentlicher Aufträge und Rahmenvereinbarungen die VgV. Die VSVgV regelt das materielle Vergaberecht für Liefer- und Dienstleistungen, einschließlich freiberuflicher Leistungen, abschließend. Für Bauaufträge wird sie durch Abschnitt 2 der VOB/ A EU ergänzt.

III. Überblick über das Vergaberecht unterhalb der Schwellenwerte 1. Rechtsgrundlagen Unterhalb der Schwellenwerte gelten die EU-Vergaberichtlinien, die §§ 97 ff. 15 GWB, die VgV, die SektVO, die VSVgV sowie die KonzVgV nicht. Regeln über Vergabeverfahren unterhalb der EU-Schwellenwerte enthalten aber die VOB/A Abschnitt 1, die VOL/A Abschnitt 1 und die Unterschwellenvergabeordnung (UVgO)2. Die VOL/A Abschnitt 1 soll insgesamt durch die Unterschwellenvergabeordnung (UVgO) ersetzt werden, so dass sie nur noch für eine Übergangszeit Bedeutung haben wird. Die UVgO ist eng an die VgV angelehnt, so dass die Vergabe von Liefer- und Dienstleistungen oberhalb der EU-Schwellenwerte und unterhalb der EU-Schwellenwerte weitgehend identisch geregelt ist. 1 Vergaberechtsmodernisierungsverordnung vom 12.4.2016, BGBl. I 2016, 624. 2 UVgO v. 2.2.2017, BAnz AT 7.2.2017 B 1, ber Nr. 1702/08, S. 1.

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Einl. | Einleitung Da die VOB/A Abschnitt 1, die VOL/A Abschnitt 1 und die UVgO keine Rechtsnormen sind, stellt sich die Frage, welche Regelungen unterhalb der Schwellenwerte überhaupt eingehalten werden müssen und ob und warum unterhalb der Schwellenwerte die VOB/A, die VOL/A und UVgO anwendbar sind. Ob und in welchem Umfang die VOB/A und VOL/A bzw. UVgO unterhalb der Schwellenwerte einzuhalten sind, ergibt sich aus dem jeweils geltenden Haushaltsrecht und den zugehörigen Erlassen.1. So bestimmt z.B. § 55 BHO, dass der Vergabe eines Auftrags grundsätzlich eine öffentliche Ausschreibung vorauszugehen hat. Einzelheiten des Vergabeverfahrens regelt § 55 BHO nicht, vielmehr erlaubt § 55 Abs. 2 BHO den Erlass von einheitlichen Richtlinien. In diesen Richtlinien wird bestimmt, ob und in welchem Umfang die VOB/A oder die VOL/A anzuwenden sind. Auf Bundesebene erlassen die zuständigen Ministerien die entsprechenden Richtlinien. Auf Ebene der Länder und Kommunen gelten die Landeshaushaltsordnungen für die Landesverwaltung und die Gemeindehaushaltsverordnungen für die Gemeinden und Gemeindeverbände. Diese sehen in allen Bundesländern inhaltlich § 55 BHO entsprechende Regelungen sowohl in den Landeshaushaltsordnungen als auch in den Gemeindehaushaltsverordnungen vor. Gestützt auf den jeweiligen Abs. 2 der Vorschriften haben auch die Länder einheitliche Richtlinien für die Durchführung der Vergabeverfahren vorgesehen. Diese Erlasse bestimmen, wie das Vergabeverfahren durchzuführen ist, ob die VOB/A und VOL/A bzw. UVgO anzuwenden sind und ggf. welche Abweichungen erlaubt sind.2 Neben dem deutschen Haushaltsrecht gilt das europäische Primärrecht, soweit der Auftrag Binnenmarktrelevanz hat3. 2. Verweis auf VOB/A, VOL/A und UVgO 16 Die Haushaltsordnungen selbst (z.B. § 55 BHO) bestimmen, dass dem Abschluss

eines Auftrags eine öffentliche Ausschreibung vorausgehen muss, sofern nicht die Natur des Geschäfts oder besondere Umstände eine Ausnahme rechtfertigen. Zur Anwendung der VOB/A, VOL/A oder UVgO verpflichten die Haushaltsordnungen also nicht. Hierzu verpflichten allenfalls die Erlasse, die gestützt auf

1 Für die UVgO ausdrücklich bestimmt: BAnz AT 7.2.2017 B 1, ber Nr. 1702/08, S. 1. 2 Z.B. NRW – § 55 LHO, § 25 GemHVO, Runderlass des Innenministeriums zu den Vergabegrundsätze für Gemeinden v. 22.3.2006 (MinBl 2006, 222), ergänzt durch den Gemeinsamen Runderlass v. 3.2.2009 (AZ: 121 – 80-20/02); Hessen – § 55 LHO, § 30 GemHVO, Gemeinsamer Runderlass v. 1.11.2007 (AZ O 1082 A-1-IV 8B/IV 82) und 18.3.2009; Rheinland-Pfalz – § 55 LHO; § 31 GemHVO, Verwaltungsvorschrift v. 29.7. 2004 (MinBl 2004, 303) sowie v. 13.2.2009 (AZ 8205-381068.1); alle anderen Bundesländer haben vergleichbare Regelungen. 3 Siehe Einleitung Rz. 6.

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das Haushaltsrecht (z.B. § 55 Abs. 2 BHO) ergehen. Alle einschlägigen Erlasse auf Bundes- und Landesebene verpflichten dabei zur Anwendung der VOB/A.1 Viele Erlasse sehen allerdings Erleichterungen bei der Verfahrensart vor, wenn bestimmte Auftragswerte nicht überschritten werden.2 Anders als bei der VOB/A ist die Rechtslage bei der Pflicht zur Anwendung der VOL/A unterschiedlich. So ist z.B. in NRW die Anwendung der VOL/A nur empfohlen; d.h., in NRW muss unterhalb der Schwellenwerte kein Vergabeverfahren gemäß VOL/A durchgeführt werden.3 Dagegen muss in der Mehrzahl der anderen Bundesländer auch die VOL/A grundsätzlich zwingend angewendet werden. Ebenso ist dies für die UVgO, die die VOL/A ersetzen wird. Es muss jeweils anhand der Erlasse zum anwendbaren Haushaltsrecht geprüft werden, ob bei einer Auftragsvergabe unterhalb der EU-Schwellenwerte die UVgO angewendet werden muss oder nicht. 3. Adressaten des Vergaberechts unterhalb der Schwellenwerte Wer durch die Haushaltsvorschriften zur Anwendung der VOB/A, VOL/A oder 17 UVgO verpflichtet wird, kann nicht allgemein beantwortet werden, sondern muss jeweils anhand des Haushaltsrechts sowie der Erlasse geprüft werden. Der Adressatenkreis entspricht nicht dem Adressatenkreis oberhalb der Schwellenwerte (§ 98 GWB). Da die Pflicht zur Durchführung eines Vergabeverfahrens aus dem Haushalts- 18 recht abgeleitet wird, ist nur derjenige gebunden, der an die entsprechende Haushaltsordnung gebunden ist. Dies ist insbesondere bei juristischen Personen des Privatrechts grundsätzlich nicht der Fall, weil das Haushaltsrecht nur Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts erfasst. Dies gilt sowohl für das Bundeshaushaltsrecht als auch für das Landeshaushalts- und das Gemeindehaushaltsrecht. So ist z.B. Ermächtigungsgrundlage zu § 25 GemHVO NW § 133 GO NW. Die GO NW verpflichtet aber kommunale Eigengesellschaft in der Rechtsform der GmbH oder AG nicht unmittelbar. Sie gilt nur für die Gemeinden, die unselbständigen Gliederungen der Gemeinden sowie die Anstalten des öffentlichen Rechts gem. § 114a GO NW. Eine juristische Person des Privatrechts ist deshalb selbst dann, wenn ihr alleiniger Gesellschafter eine Gemeinde ist, weder an die Gemeindeordnung noch an die Gemeindehaushaltsverordnung gebunden. Sie ist deshalb auch nicht verpflichtet, die Vergabebestimmungen der 1 Vgl. NRW – Ziff. 4 des Gemeinsamen Runderlasses v. 22.3.2006 und 3.2.2009 (vgl. Fn. 11); Hessen – Ziff. 1 des Gemeinsamen Runderlasses in der Fassung v. 1.11.2007 und v. 18.3. 2009; Rheinland-Pfalz – Ziff. 2.2 Verwaltungsvorschrift v. 29.7.2004 (vgl. Fn. 11). 2 Vgl. die ähnlichen Regelungen: Hessen – Gemeinsamer Runderlass Ziff. 2.1; RheinlandPfalz – Ziff. 4.1 der Verwaltungsvorschriften v. 29.7.2004 (MinBl. 2004, 303). 3 Vgl. z.B. Gemeinsamer Runderlass für NRW v. 22.3.2006, MinBl 2006, 222 und v. 3.2. 2009 – 121-80-20/02.

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Einl. | Einleitung Haushaltsordnungen i.V.m. den Erlassen i.V.m. VOB/A oder VOL/A einzuhalten.1 Selbstverständlich kann aber die Gemeinde als Gesellschafter die GmbH zur Anwendung der VOB/A verpflichten, oder die GmbH kann freiwillig Verfahren gemäß VOB/A durchführen. 19 In Niedersachsen, Baden-Württemberg und Sachsen bestehen allerdings Be-

sonderheiten. In Niedersachsen verpflichtet das Landesvergabegesetz vom 15.12.2008 (GVBl. Nr. 27/2008, ausgegeben 22.12.2008) auch unterhalb der Schwellenwerte zur Anwendung der §§ 97 ff. GWB, VgV und VOB/A. Dies gilt allerdings nur für Bauaufträge und Aufträge im Personennahverkehr (nicht im sonstigen Bereich der VOL/A). Gemäß § 2 Abs. 2 des Gesetzes sind auch juristische Personen, die unter § 98 Nr. 2 GWB fallen, gebunden. In Niedersachsen können also auch juristische Personen des Privatrechts unterhalb der Schwellenwerte gebunden sein. In Baden-Württemberg und Sachsen bestehen Regelungen, die die Gemeinde als Gesellschafter einer juristischen Person des Privatrechts verpflichten, die VOB/A einzuhalten. § 22 Abs. 7 des Mittelstandsförderungsgesetzes Baden-Württemberg2 i.V.m. § 106b GO BW verpflichten die baden-württembergischen Gemeinden, bei ihren Eigen- oder Mehrheitsgesellschaften ihre Gesellschafterrechte so auszuüben, dass diese die VOB/A anzuwenden haben. Dies gilt allerdings nur für nicht wirtschaftliche Unternehmen i.S.v. § 102 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 GO BW. Dies sind z.B. Unternehmen, die in den Bereichen Abfall, Bäder und Personennahverkehr tätig sind. Ähnliche Regelungen bestehen in Sachsen. § 5 Abs. 1 Sächsisches Vergabegesetz3 verpflichtet die Gemeinden bei Mehrheitsbeteiligungen an juristischen Personen des Privatrechts sicherzustellen, dass die vergaberechtlichen Vorgaben eingehalten werden. Danach ist von kommunalen oder kommunal beherrschten Unternehmen des privaten Rechts bei der Vergabe von Bauleistungen ab einem Auftragswert von 50 000 € die VOB/A zu beachten.

20 Durch die Gemeindeordnungen und Gemeindehaushaltsverordnungen der Län-

der können aber die Gemeinde selbst, Gemeindeverbände, Eigenbetriebe und eigenbetriebsähnliche Einrichtungen der Gemeinden sowie Kommunalunternehmen in der Rechtsform der kommunalen Anstalten des öffentlichen Rechts gebunden werden. Sie alle sind zwar an das kommunale Haushaltsrecht gebunden, so dass jedenfalls der Grundsatz der öffentlichen Ausschreibung gem. § 55 BHO bzw. den entsprechenden landesrechtlichen Bestimmungen gilt. Ob diese Einrichtungen allerdings auch verpflichtet sind, die VOB/A oder VOL/ A anzuwenden, ist eine andere Frage. Diese kann nur anhand des konkreten Inhalts der jeweiligen Vorschriften und Erlasse geklärt werden und ist von Bundesland zu Bundesland verschieden.

1 Vgl. z.B. Ziff. 1.2 des Runderlasses des Innenministeriums NRW v. 22.3.2006 (MinBl 2006, 222); übersehen von Kern, VergabeR 2008, 416 ff. 2 Gesetz vom 19.12.2000, GBl. S. 754. 3 Gesetz vom 8.7.2002, GVBl. Nr. 10/2002 und Nr. 14/2002.

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In NRW sind die Gemeinde selbst, eigenbetriebsähnliche Einrichtungen der Ge- 21 meinde gem. § 107 Abs. 2 GO NW sowie Zweckverbände, deren Hauptzweck nicht der Betrieb eines wirtschaftlichen Unternehmens ist, an die haushaltsrechtlichen Erlasse gebunden und verpflichtet, die Bestimmungen der VOB/A, nicht aber die der VOL/A einzuhalten. Dagegen sind Eigenbetriebe der Gemeinde ebenso wie Zweckverbände, deren Hauptzweck der Betrieb eines wirtschaftlichen Unternehmens ist, nicht an den Erlass und damit die Vergabevorschriften gebunden. Sie müssen deshalb bei Auftragsvergaben weder die VOL/A noch die VOB/A1 einhalten. In Thüringen gilt nach § 31 Abs. 2 Thüringer GemHVO, dass die gemeindlichen Regiebetriebe die VOB/A anwenden müssen. Gleiches gilt für Eigenbetriebe gem. § 9 der Thüringer Eigenbetriebsverordnung. Auch in Rheinland-Pfalz müssen die Gemeinden, eigenbetriebsähnlichen Einrichtungen sowie die Eigenbetriebe gem. § 29 Eigenbetriebsverordnung die VOB/A anwenden2. In Bayern müssen die Gemeinden und ihre Regiebetriebe sowie die Eigenbetriebe die VOB/A anwenden (vgl. § 31 Abs. 2 KommHV und § 39 Eigenbetriebsverordnung). Auch die Rechtslage bei Kommunalunternehmen in der Rechtsform der An- 22 stalt des öffentlichen Rechts ist in den Bundesländern, in denen diese Rechtsform eingeführt wurde, unterschiedlich geregelt. In Bayern, Sachsen-Anhalt und Bayern besteht für kommunale Unternehmen in der Rechtsform der Anstalt des öffentlichen Rechts derzeit keine Pflicht, die VOB/A anzuwenden3. In Schleswig-Holstein und Rheinland-Pfalz müssen dagegen Kommunalunternehmen in der Rechtsform der Anstalt des öffentlichen Rechts die VOB/A einhalten (vgl. Art. 3 Abs. 1, 14 Abs. 3 Mittelstandsförderungs- und Vergabegesetz Schleswig-Holstein sowie § 39 Eigenbetriebs- und Anstaltsverordnung Rheinland-Pfalz i.V.m. § 31 Gemeindehaushaltsverordnung sowie Erlasse). In Nordrhein-Westfalen gilt die Verwaltungsvorschrift des § 8 Satz 1 der Verordnung über kommunale Unternehmen und Einrichtungen als Anstalten des öffentlichen Rechts. Dort wird auf die Vergabegrundsätze nach § 25 GemHVO verwiesen, soweit die Auftragsvergabe der Erfüllung von durch Satzung übertragenen hoheitlichen Aufgaben in den Bereichen dient, die in § 107 Abs. 2 der GO NW aufgeführt sind. In Niedersachsen unterliegen die kommunalen Anstalten mangels einer ausdrücklichen Regelung generell keinen vergaberechtlichen Vorschriften. Allerdings gelten §§ 1 und 2 Abs. 1 Landesvergabegesetz bei Bauaufträgen ab 10 000 € die vergaberechtlichen Vorschriften oberhalb der Schwellenwerte (§§ 97 ff. GWB, VgV und VOB/A) kraft Anordnung des Landes auch unterhalb der Schwellenwerte und damit auch für die kommunale Anstalt. 1 Gesetz vom 19.12.2000, GBl. S. 754. 2 Neusinger/Schröder in Wurzl/Schraml/Becker, Rechtspraxis der kommunalen Unternehmen, 2005, H Rz. 51 ff. 3 Vgl. im Einzelnen Neusinger/Schröder in Wurzl/Schraml/Becker, Rechtspraxis der kommunalen Unternehmen, 2005, H Rz. 56 ff.

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Einl. | Einleitung 23 Daneben kann jeder Private und natürlich auch jede kommunale GmbH ver-

pflichtet sein, die VOB/A oder VOL/A einzuhalten. Dies ist der Fall, wenn sie durch ihre Gesellschafter zur Anwendung der VOB/A verpflichtet wird. Dies ist insbesondere und regelmäßig auch dann der Fall, wenn der Auftraggeber für das Projekt Zuwendungen erhalten hat. In (praktisch) jedem Zuwendungsbescheid ist die Verpflichtung enthalten, bei Auftragsvergaben die VOB/A und die VOL/ A einzuhalten.1 Werden die Vergabevorschriften nicht eingehalten, besteht das Risiko, dass die Zuwendung ganz oder teilweise zurückgefordert wird. Ermächtigungsgrundlage für den Widerruf eines rechtmäßig ergangenen Zuwendungsbescheides ist § 49 VwVfG, dessen Abs. 3 auch den Widerruf für die Vergangenheit ermöglicht. Ein Zuwendungsbescheid kann widerrufen werden, wenn eine nicht vergaberechtskonforme Auftragserteilung festgestellt wird. Die meisten Länder haben in Erlassen geregelt, wann bei Nichtbeachtung der VOB/A ein Widerruf regelmäßig erfolgen soll. Hat die Bewilligungsbehörde von Vergaberechtsverstößen Kenntnis erlangt, so muss sie umfassende Ermessenserwägungen über das Ob und das Wie eines Widerrufs anstellen. Kommt es zu einem Widerruf, muss stets die Möglichkeit einer betragsmäßigen Begrenzung erwogen werden. Allerdings ist es nicht so, dass der Widerruf des Zuwendungsbescheides auf den nachgewiesenen Schaden beschränkt ist, vielmehr können weitergehende Rückforderungen geltend gemacht werden. Bei schwerwiegenden Verstößen können auch dann, wenn der Schaden deutlich geringer ist, 20 bis 25 % der Zuwendungen zurückgefordert werden.

IV. Rechtsschutz bei Auftragsvergaben unterhalb der Schwellenwerte? 24 Unterhalb der Schwellenwerte gelten die §§ 97 ff. GWB nicht, so dass kein Nach-

prüfungsverfahren gem. §§ 102 ff. GWB eingeleitet werden kann. Da die Pflicht zur Durchführung eines Vergabeverfahrens aus dem Haushaltsrecht abgeleitet wird, war es bis vor kurzem nahezu allgemeine Meinung, dass Bieter unterhalb der Schwellenwerte keinen Primärrechtsschutz beanspruchen können, vielmehr allenfalls Schadensersatzansprüche als Sekundäransprüche geltend machen können. Die Frage, ob unterhalb der Schwellenwerte eine Anspruch auf Primärrechtsschutz besteht, ist unterhalb der Schwellenwerte eine der in den letzten Jahren meistdiskutierten Fragen. 1. Rechtsweg

25 Ob ein Anspruch erfolgreich geltend gemacht werden kann, ist von der Frage,

wo der Anspruch geltend gemacht werden kann, zu unterscheiden. Es war strei-

1 Vgl. OVG NW v. 2.9.2008 – 15 A 2328/06, DVBl. 2008, 1450 (1451).

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tig, ob die Zivil- oder Verwaltungsgerichte zuständig sind. Einige Oberverwaltungsgerichte bejahten ihre Zuständigkeiten1, andere verneinten sie und verwiesen den Rechtsstreit an die Zivilgerichte2. Im Ausgangspunkt bestand zwischen den Oberverwaltungsgerichten Einigkeit. Da es sich bei dem Vergaberecht nicht um ein Über-Unterordnungsverhältnis handele, sondern ein Gleichordnungsverhältnis, liege eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit nur vor, wenn die das Rechtsverhältnis beherrschenden Rechtsnormen nicht für jedermann gelten, sondern Sonderrecht des Staates oder sonstiger Träger öffentlicher Aufgaben sind, das sich zumindest auf einer Seite nur an Hoheitsträger wendet.3 Das OVG Münster und Koblenz haben gestützt auf die Zwei-Stufen-Theorie ein solches Sonderrecht bejaht, auch wenn der zu schließende Vertrag selbst dem Zivilrecht unterliegt. Dieser Ansicht ist das BVerwG nicht gefolgt und hat damit den Streit mit Beschl. vom 2.5.20074 entschieden. Das BVerwG hat festgestellt, dass grundsätzlich der Rechtsweg zu den Zivilgerichten und nicht zu den Verwaltungsgerichten eröffnet sei, weil die zu schließenden Verträge regelmäßig dem Zivilrecht unterlägen und weil traditionell das Handeln der öffentlichen Hand im Beschaffungsbereich zivilrechtlich geprägt sei. Tragend für die Entscheidung ist der Umstand, dass auch öffentliche Auftraggeber bei der Vergabe von Aufträgen unbeschadet ihrer öffentlich-rechtlichen Bindungen wie jeder andere Auftraggeber als Nachfrager am Markt auftreten. Die öffentliche Hand bewegt sich bei der Vergabe öffentlicher Aufträge in aller Regel auf dem Boden des Privatrechts, so dass für Streitigkeiten über die hierbei vorzunehmende Auswahl unter den Bietern nicht der Verwaltungsrechtsweg, sondern der Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten gegeben ist. Dies gilt selbstverständlich nur, wenn der Vertrag, der am Ende des Vergabeverfahrens geschlossen werden soll, ein privatrechtlicher Vertrag ist. Dies ist bei der großen Mehrzahl der Verträge der Fall. Es gibt aber Ausnahmen von diesem Grundsatz, so dass jeweils überprüft werden muss, welcher Rechtsnatur der zu schließende Vertrag ist. Handelt es sich um einen öffentlich-rechtlichen Vertrag, sind selbstverständlich die Verwaltungsgerichte zuständig. Würde z.B. ein Bieter eine öffentlich-rechtliche Vereinbarung zwischen zwei Gemeinden nach dem Gesetz über kommunale Zusammenarbeit wegen Verstoß gegen Vergaberecht angreifen wollen, müsste er die Verwaltungsgerichte anrufen. Gleiches gilt, wenn Dienstleistungskonzessionen u.Ä. in Rede stehen, bei denen die öffentliche Stelle anhand von öffentlich-rechtlichen Vorschriften ihre Entscheidungen trifft. Darüber hinaus sind die Verwaltungsgerichte auch weiterhin zuständig, wenn es um die Rückforderung von Zuwen1 OVG Koblenz v. 25.5.2005 – 7 B 10356/05, zitiert nach juris; OVG NW v. 11.8.2006 – 15 E 880/06, VergabeR 2006, 771-773. 2 OVG Lüneburg v. 14.7.2006 – 7 OB 105/06, NZBau 2006, 670; OVG Schleswig v. 25.8. 1999 – 2 L 153/98, NZBau 2000, 216 L. 3 GmS-OGB v. 10.7.1989 – GmS-OGB 1/88, MDR 1990, 508 = NJW 1990, 1527; BVerwG v. 30.5.2006, NJW 2006, 2568. 4 BVerwG v. 2.5.2007 – 6 B 10.07, NZBau 2007, 389.

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Einl. | Einleitung dungen wegen Verstoßes gegen Vergabegrundsätze, wenn es um kommunalaufsichtsrechtliche Streitigkeiten und sonstige Fälle geht, in denen eine Inzidentprüfung der Vergabeentscheidung erforderlich ist1. 2. Subjektives Recht? 26 Mit der Klärung der Frage, welcher Rechtsweg zulässig ist, ist nicht geklärt, ob

der Bieter sein Rechtsschutzbegehren auch erfolgreich durchsetzen kann. Voraussetzung dafür ist, dass die Bieter auch unterhalb der Schwellenwerte einen Anspruch darauf haben, dass der öffentliche Auftraggeber die Vergabevorschriften und insbesondere die ersten Abschnitte der Vergabeordnungen einhält. Ob ein solcher Anspruch besteht und in welchem Umfang, ist im Einzelnen umstritten. Oberhalb der Schwellenwerte haben die Bieter ein subjektives Recht darauf, dass die Bestimmungen über das Vergabeverfahren eingehalten werden. Dies ist in § 97 Abs. 7 GWB ausdrücklich geregelt. Dagegen ging der Bundesgesetzgeber für den Bereich unterhalb der Schwellenwerte stets davon aus, dass der Bieter keine subjektiven Rechte im Hinblick auf die Einhaltung von Vergabevorschriften hat2. Diese Ansicht ist aber erst in der Literatur und dann in der Rechtsprechung mehr und mehr auf Kritik gestoßen. Die Stimmen derer, die auch unterhalb der Schwellenwerte subjektive Rechte für gegeben halten, nehmen zu.

27 Das von der Vergabestelle einzuhaltende Haushaltsrecht ist isoliert betrachtet

nicht geeignet, subjektive Rechte der Bieter zu begründen. Es ist dem reinen Innenrecht zuzuordnen und bindet den öffentlichen Auftraggeber allein im Innenverhältnis, nicht aber im Außenverhältnis gegenüber den Bietern3.

28 Teils wird die Ansicht vertreten, ein Anspruch auf Einhaltung der Vergabevor-

schriften bzw. auf Unterlassen eines Verstoßes gegen Vergabevorschriften ergebe sich aus § 311 Abs. 2 und § 241 BGB. Denn könne ein Bieter gestützt auf § 311 Abs. 2 BGB Sekundäransprüche geltend machen, was seit langem anerkannt ist4, müsse er darauf gestützt auch Primäransprüche auf Unterlassen geltend machen können. Wird dieser Ansicht gefolgt, erübrigt sich die Frage, ob sich subjektive Rechte aus Art. 3 GG und sonstigen Grundsätzen ergeben können. Denn Anspruchsgrundlage ist dann ein auf §§ 311, 280 BGB gestützter Unterlassungsanspruch. Damit ist dann auch entschieden, dass die Überprüfung nicht auf eine bloße Überprüfung von Willkür beschränkt ist, wie es teilweise im Hinblick auf Art. 3 GG angenommen wird, sondern die Einhaltung der Vergabevorschriften umfassend überprüft werden muss. Es ist aber streitig, ob sich 1 Vgl. Kallerhoff, NZBau 2008, 97 (99 f.). 2 Vgl. Kallerhoff, NZBau 2008, 97 (101). 3 BVerfG v. 13.6.2006 – 1 BvR 1160/03, NZBau 2006, 791 (794); BVerwG v. 2.5.2007 – 6 B 10/07, NZBau 2007, 389 (392); Kallerhoff, NZBau 2008, 97 (101). 4 Vgl. nur Palandt/Grüneberg, BGB, 76. Aufl., 2016, § 311 Rz. 37 mit einer Vielzahl von Nachweisen zur Rechtsprechung auch aus der Zeit vor 1999.

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aus dem Schadensersatzanspruch wegen Verschuldens bei Vertragsverhandlungen auch ein Unterlassungsanspruch gem. §§ 311, 280 BGB ergibt. Dies wir teils verneint, weil der auf § 311 Abs. 2 BGB gestützte Anspruch nicht auf Naturalersatz im Sinne des Abschlusses des erstrebten Vertrages, sondern ausschließlich auf Ersatz des Vertrauensschadens in Geld ginge1. Richtig und inzwischen wohl auch herrschend ist die Ansicht, dass sich ein subjektives Recht bzw. ein Unterlassungsanspruch aus §§ 311 Abs. 2, 280 BGB herleiten lässt.2 Noch weitergehend wird sogar die Ansicht vertreten, eines „Umweges“ über § 280 BGB bedürfe es nicht, vielmehr ergebe sich der Unterlassungsanspruch unmittelbar aus § 311 Abs. 2 und § 241 Abs. 2 BGB3. Folge dieser Ansicht ist, dass der Unterlassungsanspruch nicht nur bei Willkür oder einem bewusst diskriminierenden Verhalten des Auftraggebers besteht, wie es bei einer Anspruchsgrundlage aus Art. 3 Abs. 1 GG teils vertreten wird, sondern dass ein weitergehender Unterlassungsanspruch unmittelbar aus dem Zivilrecht folgt. Die nachfolgenden Ausführungen zur Auslegung von Art. 3 GG4 sind dann für die Rechtspraxis ohne große Bedeutung, weil es dann auch des „Umweges“ über Art. 3 GG nicht bedarf. Häufig wird angenommen, dass der Bieter ein subjektives Recht über Art. 3 29 GG und die Grundsätze der Selbstbindung der Verwaltung erlangen kann. Unscharf bleiben aber die dogmatischen Grundlagen und der Umfang der subjektiven Rechte. So wird einerseits darauf abgestellt, es gelte Art. 3 GG und der Grundsatz der Selbstbindung der Verwaltung, andererseits wird in verschiedenen Urteilen festgehalten, es gelte „nur“ ein Willkürverbot. Die Unschärfe dürfte zum Teil darauf beruhen, dass eine alte Rechtsfrage geklärt werden müsste, von den Gerichten aber nicht eindeutig geklärt wird. In der älteren (nicht vergaberechtlichen) Rechtsprechung wurde angenommen, 30 dass Art. 3 GG im Bereich der Fiskalverwaltung nicht gilt. Daraus wurde gefolgert, dass auch der Grundsatz des Art. 3 GG i.V.m. den Grundsätzen der Selbstbindung der Verwaltung nicht gilt, sondern nur ein Willkürverbot, das aber der staatlichen Stelle einen deutlich größeren Handlungsspielraum belässt und nur greift, wenn vorsätzlich oder in grobem Maße der Gleichheitsgrundsatz verletzt wird5. Manche inzwischen ergangenen zivilgerichtlichen Entscheidungen er1 LG Kreuznach v. 6.6.2007 – 2 O 198/07, NZBau 2007, 471; LG Arnsberg v. 19.10.2007 – 8 O 134/07, NZBau 2008, 206; BGH v. 27.9.1968 – V ZR 53/65, WM 1968, 1402 (1403). 2 OLG Brandenburg v. 29.5.2008 – 12 U 235/07, NZBau 2008, 735; OLG Brandenburg, IBR 2008, 529; OLG Düsseldorf v. 15.10.2008 – 27 W 2108, IBR 2009, 100; OLG Jena v. 8.12. 2008 – 9 U 431/08, IBR 2009, 101; vgl. auch BGH v. 12.1.1995 – III ZR 136/93, MDR 1995, 706 = NJW 1995, 1284; BGH; OLG Hamburg; OLG Brandenburg v. 29.5.2008 – 12 U 235/07, NZBau 2008, 735; Bamberger/Roth, BGB, 2. Aufl., § 280 Rz. 63; Palandt/ Grüneberg, 76. Aufl. 2017, § 280 Rz. 33. 3 OLG Düsseldorf v. 13.1.2010 – 27 U 1/09, IBR 2010, 160. 4 Rz. 27 ff. 5 BGHZ 36, 91, 96; GmS-OGB v. 10.4.1986 – GmS-OGB 1/85, BGHZ 97, 312, 316 = MDR 1986, 822.

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Einl. | Einleitung wecken den Eindruck, dass sie an dieser Rechtsprechung festhalten wollen und nur bei sehr groben Verstößen Rechtsschutz gewährt werden soll, ohne dass umfassend eine Selbstbindung der Verwaltung angenommen wird. So führt das LG Landshut aus, ein Verfügungsanspruch setze voraus, dass bei der Vergabe vorsätzlich rechtswidrig oder sonst in unredlicher Absicht gehandelt worden sei, und das OLG Hamm meint, der Verfügungsanspruch sei nur zu bejahen, wenn der Auftraggeber vorsätzlich rechtswidrig oder sonst in unredlicher Absicht oder willkürlich gehandelt hat1. Andere Entscheidungen sehen dagegen im Grundsatz eine umfassende Bindung an die VOB/A oder VOL/A gegeben, und zwar über Art. 3 GG und die Grundsätze der Selbstbindung der Verwaltung2. 31 Art. 3 GG greift grundsätzlich nur, wenn die Rechtsverletzung durch die „öffent-

liche Gewalt“ erfolgt. Fraglich ist, ob es sich auch um die Ausübung öffentlicher Gewalt handelt, wenn der Auftraggeber im Fiskalbereich tätig wird3. Diese Frage ist noch immer umstritten4. Im Bereich des Vergaberechts ist die Grundrechtsbindung – auch bei fiskalischem Handeln – inzwischen aber weitgehend anerkannt. Auch das BVerfG hat in der Entscheidung zur Rechtswegzuständigkeit den Anwendungsbereich des Art. 3 GG erweitert5. Denn das BVerfG folgert aus Art. 3 GG nicht mehr nur ein allgemeines Willkürverbot, sondern führt aus, dass sich aus der tatsächlichen Vergabepraxis eine Selbstbindung der Verwaltung ergeben könne und dass damit auch den Vergabeordnungen (VOB/A und VOL/A) mittelbare Außenwirkung zukommen könne. Damit ist entschieden, dass jedenfalls im Beschaffungsbereich Art. 3 GG unmittelbare Wirkung entfaltet und subjektive Rechte begründen kann.6

32 Unabhängig von der dogmatischen Einordnung wird allgemein angenommen,

dass ein Willkürverbot bei Beschaffungsgeschäften gilt. Das Willkürverbot ist aber nicht mit dem Anwendungsbereich von Art. 3 GG identisch, sondern verbietet nur besonders grobe Ungleichbehandlungen ohne sachlichen Grund. Unseres Erachtens kann allein aus dem Willkürverbot auch keine umfassende Pflicht zur Anwendung der VOB/A abgeleitet werden, selbst wenn ein Vergabeverfahren durchgeführt wird. 1 LG Landshut v. 11.12.2007 – 73 O 2576/07, IBR 2008, 404; ebenso OLG Hamm v. 12.2. 2008 – 4 U 190/07, NZBau 2009, 344. 2 LG Frankfurt/O. v. 14.11.2007 – 13 O 360/07, VergabeR 2008, 132; LG Cottbus v. 24.10. 2007 – 5 O 99/07, VergabeR 2008, 123. 3 OLG Stuttgart v. 11.4.2002 – 2 U 240/01, IBR 2002, 266 ff.; OLG Düsseldorf v. 12.2.1980 – U (Kart) 8/79, NJW 1981, 587 – Fernmeldetürme; OLG Brandenburg, NVWZ 1999, 1142 – Flughafen Berlin; noch a.A.: BGH v. 26.10.1961 – U (kart) 8/79, BGHZ 36, 95 ff.; offen gelassen in: BGH v. 19.12.2000 – X ZB 14/00, MDR 2001, 524 = MDR 2001, 767 = NJW 2001, 1492 (1494). 4 Dürig/Scholz in Maunz/Dürig, GG, 55. Erglfg. 2009, Art. 3 Rz. 490 (Fn. 477). 5 BVerfG v. 13.6.2006 – 1 BVR 1160/03, NZBau 2006, 791. 6 Dörr in Beck’scher Vergaberechtskommentar, 3. Auflage, 2017, Einl. Rn 13.

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Einleitung | Einl.

Nur dann, wenn man der Ansicht folgt, dass auch im Fiskalbereich die Grund- 33 rechte gelten, kann sich dogmatisch ohne weiteres ein subjektives Recht aus Art. 3 GG i.V.m. den Grundsätzen der Selbstbindung der Verwaltung ergeben. Aufgrund dieser Selbstbindung kann den Vergabeordnungen (VOB/A und VOL/A) eine mittelbare Außenwirkung zukommen. Die Selbstbindung führt aber nicht immer und umfassend zu einer Anwendung aller Bestimmungen der VOB/A oder der VOL/A, maßgeblich für die Bejahung eines Gleichheitsverstoßes bleibt vielmehr allein die zur Selbstbindung führende Verwaltungspraxis1. Es fragt sich weiter, was gilt, wenn eine öffentliche Stelle durch einen Erlass zur 34 Anwendung der VOB/A verpflichtet wird, wenn sie also z.B. über § 25 GemHVO NRW und den Runderlass des Innenministeriums zur Anwendung der Vergabeordnungen verpflichtet wird. Der Einzelne kann sich – über Art. 3 Abs. 1 GG – auf eine Verwaltungsvorschrift berufen und die Einhaltung auch in seinem Fall verlangen. Dies entspricht der herrschenden Lehre und ständigen Rechtsprechung zur sog. „Selbstbindung der Verwaltung“, die Verwaltungsvorschriften über den Gleichheitssatz zu einer Art mittelbaren, „quasi-normativen“ Außenwirkung verhilft2. Daraus folgt, dass z.B. § 25 Abs. 2 Gemeindehaushaltsverordnung in Verbindung mit dem Runderlass des Innenministeriums NRW zu den Vergabegrundsätzen in Verbindung mit der VOB/A über Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz Außenwirkung entfaltet, so dass ein Bieter grundsätzlich Anspruch darauf hat, dass die Vorschriften der VOB/A eingehalten werden. Dies gilt selbstverständlich nur für die Vorschriften der VOB/A, die drittschützenden Charakter haben. Für diese Vorschriften gilt aber Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz in Verbindung mit der Selbstbindung der Verwaltung durch die entsprechenden Erlasse umfassend, so dass es auch nicht darauf ankommt, ob in besonders grobem Maße gegen die VOB/A verstoßen wurde oder nicht. Zu beachten ist allerdings, dass die Selbstbindung der Verwaltung keine starre 35 und unabänderliche Bindung ist. Auf der einen Seite sind Abweichungen von einer ständigen Praxis stets möglich, soweit sachliche, dem Ausmaß und der Bedeutung der Abweichung entsprechende Sachgründe vorgebracht werden können. Und zum anderen ist es der Verwaltung grundsätzlich unbenommen, von einer in der Vergangenheit geübten ständigen Praxis zugunsten einer neuen gleichmäßigen Vorgehensweise abzugehen3. Die Grundfreiheiten des EG-Vertrages gelten oberhalb und unterhalb der 36 Schwellenwerte, haben aber für Auftragsvergaben unterhalb der Schwellenwerte die größere Bedeutung. Es gelten also insbesondere das Diskriminierungsverbot, der Wettbewerbsgrundsatz und der Grundsatz des freien Waren- und Dienstleistungsverkehrs. Die Grundfreiheiten sind unmittelbar geltendes Recht und 1 BVerfG, NZBau 2007, 389 (392); BVerfG, NZBau 2006, 791 (794); Kallerhoff, NZBau 2008, 97 (101). 2 OVG Münster v. 20.7.2016 – 4 B 691/16, DÖV 2016, 1009. 3 Kischel in BeckOK, Grundgesetz, 33. Edition, Stand 1.6.2017, Art. 3 Rn. 113.

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Einl. | Einleitung von den nationalen Gerichten zu beachten. Sie gewähren den Bietern insbesondere subjektive Rechte.1 37 Voraussetzung ist nur, dass das Vergabeverfahren den für die Anwendung des

Gemeinschaftsrecht erforderlichen grenzüberschreitenden Bezug aufweist. Dies muss selbstverständlich im jeweiligen Einzelfall geprüft werden, zu beachten ist aber, dass auch bei Auftragswerten, die ganz erheblich unter den Schwellenwerten für die Anwendung der Richtlinien liegen, der grenzüberschreitende Bezug bejaht werden kann. Ursprünglich hatte die EU-Kommission in ihrer Mitteilung aus dem Jahre 2006 sogar als Faustregel mitgeteilt, von dem grenzüberschreitenden Bezug sei regelmäßig bei Auftragswerten auszugehen, die ca. 10 % der Schwellenwerte für die Anwendbarkeit der Richtlinie ausmachen. Dies würde z.B. bei Bauvergaben bedeuten, dass der grenzüberschreitende Bezug bei einem Auftragswert von ca. 500 000 € erreicht ist und bei Dienstleistungsaufträgen schon bei Auftragswerten um ca. 50 000 €. Allerdings ist der EuGH in neuerer Zeit bei der Bejahung des grenzüberschreitenden Bezuges zurückhaltender und stellt stets ganz auf den Einzelfall ab.2

38 Auch das LG Neuruppin hat einen Anspruch auf Unterlassung analog §§ 823

Abs. 2, 1004 Abs. 1 BGB i.V.m. dem europäischen Gemeinschaftsrecht als Schutzgesetz im Grundsatz bejaht3. Aus den Grundfreiheiten des Gemeinschaftsrechts ergeben sich aber keine so detaillierten Anforderungen an das Verfahren wie sie sich aus der VOB/A oder VOL/A ergeben.

39 Fraglich ist, ob sich aus den Grundfreiheiten dennoch subjektive Rechte auf Ein-

haltung der VOB/A oder VOL/A ergeben können, wenn der Auftraggeber bei Beginn des Vergabeverfahrens bekanntmacht, er werde die VOB/A oder VOL/A anwenden. Macht der Auftraggeber dies bekannt, so ergibt sich u.E. ein europarechtliches subjektives Recht auf Einhaltung der bieterschützenden Vorschriften der VOB/A oder VOL/A aus dem Transparenzgrundsatz. Denn dieser verlangt von dem Auftraggeber, dass er genau das Verfahren anwendet und einhält, dass er vorher auch bekannt gemacht hat. Damit muss der Auftraggeber sich dann auch an die VOB/A und VOL/A halten4.

3. Besonderheiten im Verfahren vor den Zivilgerichten 40 Will ein Bieter Primärrechtsschutz in Anspruch nehmen, muss er eine einst-

weilige Verfügung beim Zivilgericht beantragen. Die einstweilige Verfügung hat dann keine Aussicht auf Erfolg, wenn das Vergabeverfahren entweder bereits durch Zuschlagserteilung beendet worden ist oder der öffentliche Auftraggeber

1 2 3 4

Dörr in Beck’scher Vergaberechtskommentar, 3. Auflage, 2017, Einl. Rn. 28. EuGH, NZBau 2010, 261; Dehr, VergabeR 2009, 719 ff. LG Neuruppin v. 4.4.2007 – 3 O 47/07 (nicht veröffentlicht). So auch LG Neuruppin v. 4.4.2007 – 3 O 47/07.

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Einleitung | Einl.

die Ausschreibung aufgehoben hat1. Kein Primärrechtsschutz kann also erlangt werden, wenn sich das Vergabeverfahren erledigt hat, sei es durch Abschluss des Vertrages, sei es durch Aufhebung des Vergabeverfahrens. Der Erlass einer einstweiligen Verfügung setzt einen Verfügungsanspruch voraus. 41 Gegenstand und Grundlage für die Entscheidung über den Erlass einer einstweiligen Verfügung kann nur die Frage sein, ob der Verfügungskläger durch die Durchführung des Vergabeverfahrens oder die geplante Zuschlagentscheidung in seinen subjektiven Rechten verletzt ist. In den Verfahren vor den Zivilgerichten gilt kein Amtsermittlungsgrundsatz, d.h. das Gericht ermittelt den Sachverhalt nicht von Amts wegen. Die Darlegungs- und Beweis- bzw. Glaubhaftmachungslast dafür liegt bei dem Bieter bzw. Antragsteller, wobei im einstweiligen Verfügungsverfahren neben den anderen Beweismittel als Mittel der Glaubhaftmachung auch die eidesstattliche Versicherung zulässig ist. Diese Verfahrensordnung erschwert den Rechtsschutz der Bieter erheblich, weil ihnen oft die erforderlichen Mittel fehlen, an die erforderlichen Sachverhaltsinformationen zu gelangen. Macht der Bieter Ansprüche aus Art. 3 GG und der Selbstbindung der Verwal- 42 tung geltend, muss er die Selbstbindung und den Verstoß darlegen. Macht der Bieter Ansprüche aus den Grundfreiheiten des EU-Primärrechts geltend, muss er die grenzüberschreitende Bedeutung des Auftrags und den Verstoß gegen den Gleichheitssatz oder den Transparenzgrundsatz darlegen. Macht der Bieter Ansprüche aus §§ 311, 241, 280 BGB geltend, muss er das Vertrauensverhältnis, die schuldhafte Pflichtverletzung und den Nachweis, dass ihm der Zuschlag hätte erteilt werden müssen, darlegen.2 Im Zivilrecht wird zwischen Unterlassungs- und Regelungsverfügungen unter- 43 schieden. Das OLG Brandenburg3 hat in einem Fall, in dem der Auftraggeber eine Änderung an den Vergabeunterlagen geltend gemacht hatte, einen sehr strengen Standpunkt vertreten und angenommen, es handele sich um eine Regelungsverfügung. Deshalb müsse der Antragsteller glaubhaft machen, dass der Erlass der einstweiligen Verfügung zur Abwendung wesentlicher Nachteile oder zur Verhinderung drohender Gewalt nötig gewesen sei. Der Antragsteller begehre eine sog. Regelungsverfügung nach § 940 ZPO, so dass er nachvollziehbar hätte darlegen müssen, dass er bei ordnungsgemäßer Ausschreibung den Zuschlag erhalten hätte. Sollten sich andere Oberlandesgerichte und Landgerichte dieser Rechtsprechung anschließen, bliebe der einstweilige Rechtsschutz vor Zivilgerichten sehr häufig erfolglos, weil die so formulierten Anforderungen an den Verfügungsgrund so hoch sind, dass ein Bieter in der Regel nicht wird darlegen können, dass er obsiegt hätte. 1 OLG Oldenburg v. 2.9.2008 – 8 W 117/08, ZfBR 2008, 819; OLG Brandenburg v. 17.12. 2007 – 13 W 79/07, NZBau 2008, 207. 2 OLG Düsseldorf v. 13.1.2010 – 27 U 1/09, IBR 2010, 160. 3 OLG Brandenburg v. 29.5.2008 – 12 U 235/07, NZBau 2008, 735.

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Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) (Auszug)

Teil 4 Vergabe von öffentlichen Aufträgen und Konzessionen Kapitel 1 Vergabeverfahren Abschnitt 1 Grundsätze, Definitionen und Anwendungsbereich Vorbemerkungen zu §§ 97–154 I. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . II. Rechtsnatur des Vergaberechts 1. Nachfrageakzessorität . . . . . . . . 2. Zivilrechtliche Verträge . . . . . .

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3. Anwendung der Verwaltungsverfahrensgesetze des Bundes und der Länder, verfassungsrechtliche Bindungen . . . . . . . . 4. Öffentlich-rechtliche Verträge . .

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I. Überblick Das Kapitel 1 des 4. Teils des GWB (§§ 97 bis 154) regelt die Vergabe von öf- 1 fentlichen Aufträgen und Konzessionen. Im ersten Abschnitt des Kapitels (§§ 97 bis 114) werden für sämtliche Beschaffungsvorgänge allgemeine Anforderungen und Grundsätze für das Vergabeverfahren festgelegt. Diese werden bundesrechtlich insbesondere durch die Vergabeverordnung (VgV), die Sektorenverordnung (SektVO), die Vergabeverordnung Verteidigung und Sicherheit (VSVgV), die Verordnung über die Vergabe von Konzessionen (KozVgV) und die Vergabe- und Vertragsordnung für Bauleistungen, Teil A (VOB/A) weiter konkretisiert. Diese materiellen Anforderungen an die Auftragsvergabe beruhen weitestgehend auf den gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben aus den Richtlinien 2014/24/EU, 2014/25/EU und 2014/23/EU und erstrecken sich nunmehr auch auf die Konzessionsvergabe. Teilweise gehen sie allerdings auch darüber hinaus oder nutzen Regelungsspielräume aus, die durch das Unionsrecht nicht beschränkt werden (s. etwa im Hinblick auf § 97 Abs. 4 die Kommentierung zu § 97 Rz. 81). Ob und wie die Einhaltung dieser materiell-rechtlichen Anforderungen durch die verpflichteten öffentlichen Auftraggeber kontrolliert wird, ist Gegenstand des 2. Kapitels des 4. Teils (§§ 155 ff. – Nachprüfungsverfahren). Reidt

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Vor §§ 97–154 | Vorbemerkungen 2 Der erste Abschnitt des Kapitels 1 umfasst unterschiedliche Regelungsgegen-

stände, kann jedoch systematisch und inhaltlich als allgemeiner Teil angesehen werden. § 97 enthält neben der äußerst bedeutsamen Regelung in Abs. 6, dass Unternehmen einen Anspruch auf Einhaltung der Bestimmungen über das Vergabeverfahren haben, in Abs. 1 bis 5 allgemeine Grundsätze für die Vergabe von öffentlichen Aufträgen. Abs. 1 normiert als zentrale Anforderung die Geltung des Wettbewerbs- und Transparenzprinzips, sowie seit dem VergaberechtsmodernisierungsG 2016 die Grundsätze der Wirtschaftlichkeit und Verhältnismäßigkeit, Abs. 2 regelt das Benachteiligungsverbot. In den Absätzen 3, 4 und 5 werden weitere wesentliche Anforderungen des Vergaberechts genannt (Berücksichtigung von Qualität und Innovation sowie sozialer und umweltbezogener Aspekte, Wahrung mittelständischer Interessen, Grundsatz der elektronischen Kommunikation). Auch wenn § 97 Abs. 1 bis 5 unmittelbar geltendes Recht darstellen, ist ein Rückgriff auf diese Regelungen oftmals nicht erforderlich, da sie durch die untergesetzlichen Regelwerke (Rz. 1) weiter konkretisiert werden.

3 Die §§ 98 bis 114 enthalten Legaldefinitionen und weitere Anforderungen, die

bei allen Vergabeverfahren gelten, für die der 4. Teil des GWB maßgeblich ist. Dabei legt § 98 übergeordnet die Auftraggebereigenschaft im Sinne des 4. Teil des GWB fest. Er umfasst dabei die öffentlichen Auftraggeber (§ 99), die Sektorenauftraggeber (§ 100) und die Konzessionsgeber (§ 101) (persönlicher Anwendungsbereich). § 102 definiert dabei ergänzend den Begriff der Sektorentätigkeit, der sowohl für die Einordnung als Sektorenauftraggeber und die Einordnung als Sektorentätigkeit als auch für die Anwendung der Sektorenverordnung maßgeblich ist.

4 Der sachliche Anwendungsbereich wird in den §§ 103–105 näher festgelegt.

§ 103 definiert die unter den 4. Teil des GWB fallenden öffentlichen Aufträge, Rahmenvereinbarungen und Wettbewerbe. Der Begriff der öffentlichen Aufträge in Absatz 1 wurde mit dem VergaberechtsmodernisierungsG 2016 präzisiert, jedoch nicht über den früheren Anwendungsbereich hinaus erweitert1. Wegen der Differenzierung des Auftraggeberbegriffs war jedoch eine entsprechende Anpassung vorzunehmen. Die Regelung umfasst daher nunmehr ausdrücklich auch Sektorenauftraggeber. Da Auftraggeber i.S.d. § 101 (Konzessionsgeber) Konzessionen und keine öffentlichen Aufträge vergeben, bestimmt § 105 mit dem Begriff der Konzessionen den sachlichen Anwendungsbereich separat. § 104 definiert verteidigungs- oder sicherheitsspezifische öffentliche Aufträge i.S.d. Art. 2 der Richtlinie 2009/81/EG. Diese Bezeichnung dient der Klarstellung, da durch die Richtlinien 2014/24/EU und 2014/25/EU eine neue Kategorie von Aufträgen eingeführt wurde, die Verteidigungs- und Sicherheitsaspekte umfasst, ohne jedoch unter die Richtlinie 2009/81/EG zu fallen.

1 BT-Drucks. 18/6281, S. 73.

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Vorbemerkungen | Vor §§ 97–154

Der Anwendungsbereich des 4. Teils des GWB erfährt in den §§ 106 und 107 5 verschiedene Einschränkungen, durch die für die Anwendbarkeit des Kartellvergaberechts maßgeblichen Auftragswerte (Schwellenwerte, § 106), zum anderen im Hinblick auf bestimmte Arten von Verträgen, die aus unterschiedlichen Gründen vom Anwendungsbereich des Kartellvergaberechts ausgeklammert sind (§ 107). Die §§ 108 und 109 schließen Fallkonstellationen der öffentlichrechtlichen Zusammenarbeit, vor allem Inhouse-Vergaben sowie Vergaben auf der Grundlage internationaler Verfahrensregeln aus. § 110 regelt die verfahrensrechtliche Einordnung bei gemischten öffentlichen 6 Aufträgen oder gemischten Konzessionen, deren verschiedene Leistungen unterschiedlichen Vergaberechtsmodalitäten im Anwendungsbereich derselben Richtlinie unterfallen. Im Unterschied dazu behandelt § 111 den Fall, wenn gemischte öffentliche Aufträge oder Konzessionen aus mehreren Teilen bestehen und ein Teil dem Kartellvergaberecht gar nicht oder erleichterten Modalitäten einer anderen Richtlinie unterfällt. § 112 betrifft Konstellationen, in denen die Anwendbarkeit unterschiedlicher Vergabemodalitäten daraus resultiert, dass dieselbe Beschaffung im Rahmen eines Auftrages oder einer Konzession für verschiedene Tätigkeiten des Auftraggebers bestimmt ist1. Die früher in § 97 Abs. 6 a.F. und § 127 a.F. enthaltenen Verordnungsermächti- 7 gungen wurden durch das VergabemodernisierungsG 2016 in § 113 zusammengefügt. § 114 regelt das Monitoring. Der zweite Abschnitt des Kapitels 1 behandelt die Vergabe öffentlicher Aufträge 8 durch öffentliche Auftraggeber i.S.v. § 99. Dabei werden zunächst im Unterabschnitt 1 der Anwendungsbereich sowie Ausnahmen für bestimmte Bereiche, wie z.B. Rechtsdienstleistungen, Forschungs- und Entwicklungsdienstleistungen (§ 117) oder Vergaben, die Verteidigungs- oder Sicherheitsaspekte umfassen (§ 118), bestimmt. Im Unterabschnitt 2 werden das Vergabeverfahren und die Auftragsausführung weiter konkretisiert. In § 119, ergänzt um § 130 und § 131 für besondere Leistungen, sind die Vergabeverfahren geregelt, die bei der Auftragsvergabe im Sinne des zweiten Abschnitts Anwendung finden. Welches Verfahren bei der jeweiligen konkreten Ausschreibung zulässig ist, wird durch § 119 im Einzelnen nicht festgelegt. Hierfür sind vor allem die Vergabeverordnung und die VOB/A maßgeblich (s. § 119 Rz. 5 ff.). § 120 definiert verschiedene Methoden der elektronischen Auftragsvergabe und Sammelbeschaffungen. Im Rahmen der Umsetzung von Artikel 42 Absatz 1 der Richtlinie 2014/24/EU durch das VergaberechtsmodernisierungsG wurde in § 121 der Begriff der Leistungsbeschreibung auf Gesetzesebene eingeführt. Die Eignung der Unternehmen wird in § 122 mit den Begriffen der Fachkunde 9 und der Leistungsfähigkeit näher ausformuliert. Ausgefüllt werden diese Begrifft durch die in Absatz 2 genannten Kriterien. Die §§ 123 und 124 legen zwingend 1 BT-Drucks. 18/6281, S. 86.

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Vor §§ 97–154 | Vorbemerkungen bzw. fakultativ fest, wann ein Ausschluss von Unternehmen vom Vergabeverfahren zu erfolgen hat. Durch § 125 und § 126 sind auf nationaler Ebene gesetzliche Regelung geschaffen worden, die bei Selbstreinigungsmaßnahmen, z.B. Rehabilitationsmaßnahmen oder Maßnahmen zur Vermeidung weiterer Straftaten, eine weitere Teilnahme an Vergabeverfahren ermöglichen. 10 Als zentrale Vorschrift regelt § 127 den Zuschlag, der auf das wirtschaftlichste

Angebot erteilt wird. Die Anforderungen, nach denen die Auftragsausführung zu erfolgen hat, werden in den §§ 128 und 129 näher ausgestaltet. Dabei gibt es allgemeine (§ 128 Abs. 1) und vom öffentlichen Auftraggeber vorgegebene (§ 128 Abs. 2) Ausführungsregelungen. § 130 Abs. 2 und § 131 Ab. 3 regeln für die dort genannten Leistungen Besonderheiten für den Ausschreibungsinhalt sowie für Leistungsänderungen während der Vertragslaufzeit, § 132 enthält hierzu eine allgemeine Regelung. § 133 regelt ein besonderes Kündigungsrecht, während der Vertragslaufzeit, das neben die sonstigen vertragsrechtlichen Beendigungsmöglichkeiten tritt. Die §§ 134 und 135 regeln die Informationspflicht vor Zuschlagserteilung und die Rechtsfolgen bei deren Missachtung. Ebenfalls behandelt die Regelung Auftragsvergaben ohne eine an sich notwendige Ausschreibung (unzulässige Direktvergabe, de-facto-Vergabe).

11 Der dritte Abschnitt behandelt die Vergabe öffentlicher Aufträge in besonderen

Bereichen und von Konzessionen. Der Unterabschnitt 1 umfasst dabei das Sektorenvergaberecht, dessen Anwendungsbereich durch § 136 festgelegt wird. Ausgenommen sind – weitgehend parallel zu § 116 – bestimmte Bereiche, wie z.B. Rechtsdienstleistungen (§ 137), Vergaben an verbundene Unternehmen (§ 138) oder durch oder an Gemeinschaftsunternehmen (§ 139) sowie unmittelbar dem Wettbewerb ausgesetzte Tätigkeiten (§ 140). In § 141 werden die für Sektorenauftraggeber möglichen Verfahrensarten festgelegt. § 142 regelt die weitere Ausgestaltung des Verfahrens durch Verweise auf den vorhergehenden Abschnitt.

12 Der Unterabschnitt 2, dessen Anwendungsbereich in § 144 festgelegt wird, be-

fasst sich mit der Vergabe von verteidigungs- und sicherheitsspezifischen öffentlichen Aufträgen. § 145 regelt besondere Ausnahmen, bei denen die Vorschriften der §§ 97 ff. ergänzend zu der allgemeinen Ausnahmevorschrift in § 107 keine Anwendung finden1. Die Vergabe richtet sich im Übrigen nach den §§ 146 und 147 sowie der VSVgV.

13 Der Unterabschnitt 3 befasst sich mit der Vergabe von Konzessionen, die in

Umsetzung der Richtlinie 2014/23/EU mit dem VergaberechtsmodernisierungsG 2016 in das GWB integriert wurde. Hierbei sind neben den allgemeinen Ausnahmeregelungen der §§ 107 bis 109 die besonderen (Bereichs-)Ausnahmen (§ 149) sowie die Ausnahmen in Bereichen der Verteidigung und Sicherheit (§ 150) zu beachten. Das Konzessionsvergabeverfahren und einzelne Anforderungen an die Auftragsdurchführung werden durch die §§ 151 bis 154 näher ausgestaltet. 1 BT-Drucks. 18/6281, S. 126.

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Vorbemerkungen | Vor §§ 97–154

II. Rechtsnatur des Vergaberechts 1. Nachfrageakzessorität Das Vergaberecht ist grundsätzlich nachfrageakzessorisch. Die Entscheidung, ob 14 eine bestimmte Maßnahme durchgeführt werden soll, obliegt allein dem öffentlichen Auftraggeber1. Das gleiche gilt hinsichtlich der Entscheidung, ob eine Leistung, die ein öffentlicher Auftraggeber erbringen will oder aufgrund einer gesetzlichen Verpflichtung erbringen muss, fremdvergeben oder in Eigenregie, insbesondere mit eigenen Arbeitskräften, durchgeführt wird. Dies schließt die Möglichkeiten zur Wahl einer vergaberechtsfreien Form der öffentlichen Zusammenarbeit (§ 108) mit ein. Dementsprechend steht es dem Auftraggeber auch frei, von seiner Beschaffungsabsicht wieder Abstand zu nehmen oder sie nachträglich zu modifizieren. Dies kann sowohl nach einem für ihn negativ ausgegangenen Nachprüfungsverfahren der Fall sein (z.B. wenn die Verpflichtung ausgesprochen wurde, die Angebotswertung oder gar die Ausschreibung insgesamt oder ab einem bestimmten Punkt zu wiederholen; zu den Entscheidungsmöglichkeiten im Nachprüfungsverfahren s. § 168 Rz. 12 ff.), aber auch ohne eine derartige Entscheidung. Insbesondere § 63 VgV und §§ 17 EU VOB/ A regeln ausdrücklich die Möglichkeit zur Aufhebung einer Ausschreibung2. Liegen deren Voraussetzungen, resultieren aus der Aufhebung gegenüber den Bietern eines Ausschreibungsverfahrens regelmäßig keine Schadensersatz- oder Entschädigungsansprüche. Denn sie mussten in diesem Fall von vornherein damit rechnen, dass der öffentliche Auftraggeber diese Handlungsoption wahrnimmt und haben daher auch in Kenntnis sowie im Bewusststein dieser Möglichkeit ihre Angebote erstellt. Liegen die dort genannten Voraussetzungen nicht vor, darf der Auftraggeber zwar gleichwohl seinen Beschaffungsbedarf vollständig aufgeben oder durch einen anderen Beschaffungsgegenstand ersetzen und dementsprechend eine begonnene Ausschreibung beenden (vgl. § 63 Abs. 1 Satz 2 VgV), jedoch kann dies in einem solchen Fall Schadensersatzansprüche der Bieter nach sich ziehen, die sich im Vertrauen auf eine Durchführung des Ausschreibungsverfahrens bis zur Zuschlagserteilung an dem Vergabeverfahren beteiligt haben (zu der Möglichkeit, sich gegen eine Aufhebung oder sonstige Beendigung einer Ausschreibung zu wehren s. noch § 168 Rz. 25 ff.; zu den Schadensersatzmöglichkeiten s. § 168 Rz. 60). Stärker eingeschränkt ist die Nachfrageakzessorietät des Vergaberechts in den 15 Fällen, in denen es um die konkrete Festlegung des Beschaffungsgegenstandes und die Art seiner Beschaffung (zu den zulässigen Vergabeverfahren s. insbes. 1 OLG Düsseldorf v. 13.4.2016 – VII-Verg 47/15, NZBau 2016, 656; OLG Düsseldorf v. 15.6.2010 – Verg 10/10, VergabeR 2011, 84; OLG Karlsruhe v. 15.11.2013 – 15 Verg 5/13, NZBau 2014, 378; OLG Celle v. 4.5.2001 – 13 Verg 5/00, VergabeR 2001, 325. 2 Zu den diesbezüglichen Anforderungen im Einzelnen s. etwa Glahs in Kapellmann/Messerschmidt, VOB Teile A und B, § 17 VOB/A Rz. 5 ff.

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Vor §§ 97–154 | Vorbemerkungen § 119) geht. So sind öffentliche Auftraggeber ungeachtet der ihnen zustehenden Bestimmungs- und Definitionsmacht hinsichtlich des Beschaffungsgegenstandes grundsätzlich verpflichtet, ihre Ausschreibung produktneutral durchzuführen, also bestimmte Erzeugnisse oder Verfahren sowie bestimmte Ursprungsorte oder Bezugsquellen nur dann vorzuschreiben, wenn dies durch die Art der geforderten Leistung gerechtfertigt ist1. Dies ergibt sich bereits ganz allgemein aus dem Wettbewerbsgrundsatz des § 97 Abs. 1 (s. § 97 Rz. 19 ff.), konkreter allerdings etwa auch aus § 31 Abs. 6 VgV und § 7 Abs. 2 EU VOB/A. Ebenso sind öffentliche Auftraggeber verpflichtet, mittelständische Interessen bei ihrer Beschaffung durch die Bildung von Teillosen oder Fachlosen zu berücksichtigen (§ 97 Abs. 4, s. § 97 Rz. 84 ff.; s. etwa auch § 30 VgV und § 5 EU VOB/A). 2. Zivilrechtliche Verträge 16 Öffentliche Aufträge unterfallen in aller Regel dem Zivilrecht (zu öffentlich-

rechtlichen Verträgen Rz. 23 ff.)2. Es handelt sich zumeist um fiskalische Hilfsgeschäfte3, auf die die allgemeinen Grundsätze des Vertragsrechts Anwendung finden (§§ 145 ff. BGB)4. Auch wenn öffentliche Auftraggeber zur Erfüllung öffentlich-rechtlicher Vorschriften oder im Allgemeininteresse tätig werden, erfolgt die Auftragsvergabe beim Einkauf von Leistungen nicht im Verhältnis der Über- und Unterordnung. Vielmehr treten die öffentlichen Auftraggeber dem Auftragnehmer als gleichberechtigte Vertragsparteien gegenüber5. Daran ändert auch der Umstand nichts, dass öffentliche Auftraggeber bei der Vorbereitung des Vertragsabschlusses durch den 4. Teil des GWB den besonderen Bindungen des Vergaberechts unterliegen. Dies lässt den in der Regel zivilrechtlichen Charakter der abzuschließenden Verträge unberührt. Hieraus ergibt sich, dass in diesen Fällen auch das vorhergehende Verfahren keine öffentlich-rechtliche Verwaltungstätigkeit darstellt, da öffentlich-rechtliche Rechte und Pflichten gerade nicht begründet werden sollen6. Etwas anderes gilt nur dann, wenn sich die

1 S. etwa OLG Düsseldorf v. 15.6.2010 – Verg 10/10, VergabeR 2011, 84. 2 BVerwG v. 2.5.2007 – 6 B 10.07, BVerwGE 129, 9, Rz. 6; Dreher in Immenga/Mestmäcker, GWB, vor §§ 97 ff. Rz. 112; Marx in Jestaedt/Kemper/Marx/Prieß, Das Recht der Auftragsvergabe, 144; Wolff/Bachof/Stober/Kluth, Verwaltungsrecht, Band 1, § 23 Rz. 31 ff.; Pietzcker, ZHR 162 (1998), 427, 456 f.; Ennuschat/Ulrich, NJW 2007, 224; differenzierend unter Hinweis auf bestehende öffentlich-rechtliche Bindungen der öffentlichen Auftraggeber U. Stelkens in Stelkens/Bonk/Sachs, Verwaltungsverfahrensgesetz, § 35 Rz. 123 ff. 3 Dreher in Immenga/Mestmäcker, GWB, vor §§ 97 ff. Rz. 113. 4 BVerwG v. 2.5.2007 – 6 B 10.07, BVerwGE 129, 9, Rz. 9; Bauer in Heiermann/Riedl/Rusam, Handkommentar zur VOB, A § 18 Rz. 2 f.; Marx in Jestaedt/Kemper/Marx/Prieß, Das Recht der Auftragsvergabe, 144. 5 Vgl. BVerfG v. 13.6.2006 – 1 BvR 1160/03, BVerfGE 116, 135 (149 f.). 6 Gemeinsamer Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes v. 10.4.1986 – GmS-OGB 1/ 85, BGHZ 97, 312 (316); Dreher in Immenga/Mestmäcker, GWB vor §§ 97 ff. Rz. 159;

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Ausschreibung nicht auf den Abschluss eines für die Beschaffungstätigkeit der öffentlichen Hand an sich typischen privatrechtlichen Vertrages bezieht, sondern auf den Abschluss einer öffentlich-rechtlichen Vereinbarung i.S.d. §§ 54 ff. VwVfG (dazu noch Rz. 23 ff.). In der Literatur wird allerdings teilweise die Auffassung vertreten, dass das Ver- 17 gabeverfahren trotz der regelmäßig privatrechtlichen Natur öffentlicher Aufträge i.S.d. § 103 ein öffentlich-rechtliches Verfahren darstelle. Insoweit wird eine zweistufige Ausgestaltung angenommen, um den öffentlich-rechtlichen Bindungen des Auftraggebers Rechnung zu tragen. Die erste – öffentlich-rechtlich ausgestaltete – Stufe wird dabei in der Vorbereitung der Auftragsvergabe und in der Auswahl eines bestimmten Bieters gesehen. Erst die zweite Stufe, die im Wesentlichen den Vertragsabschluss selbst umfasst (Zuschlag, § 127), sei privatrechtlicher Natur. Begründet wird dies vor allem damit, dass die Auswahl des Auftragnehmers von ihrer gesamten Ausgestaltung her eher dem öffentlichen Recht als dem Privatrecht zuzuordnen sei1. Für diese Auffassung könnte mit Blick auf die Effektivität des Bieterschutzes auch Art. 2 Abs. 3 der Rechtsmittelrichtlinien (Einleitung Rz. 7, 10) sprechen, der ausdrücklich zwischen Vertragsschluss und Zuschlagserteilung differenziert. Dennoch ist eine solche Stufung mit einem dem privatrechtlichen Vertragsabschluss vorausgehenden öffentlichrechtlichen Zuschlagsakt weder verfassungs- noch unionsrechtlich geboten und auch nicht für die Effektivität des Bieterrechtsschutzes erforderlich (s. § 134 und § 169 Abs. 1). Ähnliche Fragen stellen sich im Übrigen auch beim Rechtsschutz im Hinblick auf Auftragsvergaben unterhalb der Schwellenwerte s. Einleitung Rz. 15 ff.). Dort wurde und wird teilweise nach wie vor problematisiert, ob der Rechtsschutz den Verwaltungs- oder den Zivilgerichten zugewiesen sei. Das Bundesverwaltungsgericht hat hierzu – zu Recht – entschieden, dass für die Überprüfung von Auftragsvergaben unterhalb der Schwellenwerte bei dem (geplanten) Abschluss zivilrechtlicher Verträge die Zivilgerichte anzurufen sind. Denn bei einem zivilrechtlichen Vertrag sind ungeachtet möglicherweise bestehender besonderer Verpflichtungen von öffentlichen Auftraggebern sowohl das Vertragsanbahnungsverhältnis als auch ein etwaiges Rückabwicklungsverhältnis zivilrechtlicher Natur (zum Rechtsschutz unterhalb der Schwellenwerte im Einzelnen s. Einleitung Rz. 24 ff.)2. Boesen, Vergaberecht, Einl. Rz. 4; Pietzcker, Die Zweiteilung des Vergaberechts, 17; Wolff/Bachof/Stober/Kluth, Verwaltungsrecht, Band 1, § 23 Rz. 35; Hösch, BayVBl. 1997, 193 (194). 1 Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 3 Rz. 23; Hermes, JZ 1997, 905 (915); Pernice/ Kadelbach, DVBl. 1996, 1101 (1106); Triantanfyllou, NVwZ 1994, 943 (946); ebenfalls bereits Kopp, BayVBl. 1980, 609. 2 BVerwG v. 2.5.2007 – 6 B 10.07, BVerwGE 129, 9, Rz. 6; zustimmend etwa Dreher in Immenga/Mestmäcker, GWB, vor §§ 97 ff. Rz. 78, 114; Ennuschat/Ulrich, NJW 2007, 2224; kritisch etwa Burgi, NVwZ 2007, 737.

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Vor §§ 97–154 | Vorbemerkungen 3. Anwendung der Verwaltungsverfahrensgesetze des Bundes und der Länder, verfassungsrechtliche Bindungen 18 Bei der in der Regel gebotenen Einordnung des Vergabeverfahrens in den Be-

reich des Privatrechts stellt sich die Frage, ob und gegebenenfalls inwieweit die Vorschriften des Verwaltungsverfahrensrechts dennoch auf die Tätigkeit der öffentlichen Auftraggeber zumindest entsprechende Anwendung finden. Bereits auf die öffentlich-rechtliche Verwaltungstätigkeit sind die Bestimmungen der Verwaltungsverfahrensgesetze von Bund und Ländern allerdings nur dann anwendbar, wenn nicht andere Rechtsvorschriften gleiche oder entgegenstehende Bestimmungen enthalten (§ 1 Abs. 1 VwVfG Bund). Die Verwaltungsverfahrensgesetze sind also stets nur subsidiär heranzuziehen. Soweit der 4. Teil des GWB und das dazugehörige untergesetzliche Regelwerk abschließende Regelungen enthalten, scheidet eine Anwendung der Verwaltungsverfahrensgesetze von Bund und Ländern folglich von vornherein aus. Deren Bestimmungen kommen daher allenfalls dann zur Anwendung, wenn das für öffentliche Auftraggeber geltende Vergaberecht Lücken aufweist. Selbst dann ist zu berücksichtigen, dass die Vergabe von öffentlichen Aufträgen bei den staatlichen oder staatlich beherrschten Auftraggebern i.S.v. § 99 und § 100 (zu der diesbezüglichen Eingrenzung Rz. 22) in der Regel als bloßes Hilfsgeschäft, das nur mittelbar der Erfüllung öffentlicher Aufgaben dient, eine fiskalische Tätigkeit darstellt1. Zu unterscheiden ist die fiskalische Tätigkeit der öffentlichen Hand vom so genannten Verwaltungsprivatrecht. Unter Verwaltungsprivatrecht wird die Tätigkeit des Staates verstanden, bei der Verwaltungsaufgaben in der Form des Privatrechts wahrgenommen werden. Im Unterschied zur fiskalischen Tätigkeit handelt es sich um eine unmittelbare Erfüllung öffentlicher Aufgaben2. Für das Verwaltungsprivatrecht ist allgemein anerkannt, dass dort besondere verwaltungsverfahrensrechtliche Bindungen bestehen3. Dies ändert indes nichts daran, dass gemäß § 1 Abs. 1 VwVfG das Verwaltungsverfahrensrecht grundsätzlich nur auf öffentlich-rechtliche Tätigkeiten anzuwenden ist. Andererseits soll dem Staat dadurch, dass er die von ihm wahrgenommenen Aufgaben nicht mit den Möglichkeiten des öffentlichen Rechts sondern denen des Privatrechts erfüllt, keine

1 Dreher in Immenga/Mestmäcker, GWB, vor §§ 97 ff. Rz. 113, 149; Pache, DVBl. 2001, 1781 (1787); s. zu fiskalischen Hilfsgeschäften Schmitz in Stelkens/Bonk/Sachs, Verwaltungsverfahrensgesetz, § 1 Rz. 112 ff.; kritisch zur „klassischen“ Unterscheidung zwischen fiskalischen Hilfsgeschäften und Verwaltungsprivatrecht U. Stelkens in Stelkens/ Bonk/Sachs, Verwaltungsverfahrensgesetz, § 35 Rz. 107; wohl auch ablehnend Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 3 Rz. 21 ff. 2 Schmitz in Stelkens/Bonk/Sachs, Verwaltungsverfahrensgesetz, § 1 Rz. 116; Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 3 Rz. 25 ff.; Wolff/Bachof/Stober/Kluth, Verwaltungsrecht, Band 1, § 23 Rz. 61 f.; Jarass in Jarass, Wirtschaftsverwaltungsrecht, § 2 Rz. 13. 3 Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 3 Rz. 26; Wolff/Bachof/Stober/Kluth, Verwaltungsrecht, Band 1, § 23 Rz. 67 f.; Jarass in Jarass, Wirtschaftsverwaltungsrecht, § 2 Rz. 13.

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„Flucht ins Privatrecht“ ermöglicht werden. Die öffentliche Hand darf sich zwar – sofern dem keine besonderen gesetzlichen Vorgaben entgegenstehen – zur Aufgabenerfüllung der Möglichkeiten des Privatrechts bedienen, es stehen ihr jedoch gleichwohl nicht die Freiheiten und die Möglichkeiten der Privatautonomie zu1. Diese besonderen Bindungen, die bei der unmittelbaren Erfüllung öffentlicher Aufgaben zu beachten sind, gelten grundsätzlich auch bei der mittelbaren Aufgabenerfüllung, so wie sie bei der Vergabe öffentlicher Aufträge in der Regel vorliegt. Denn Art. 1 Abs. 3 GG und die verfassungsrechtlichen Grundentscheidungen der Art. 20 und 28 Abs. 1 GG binden den Staat einschließlich der vollziehenden Gewalt in allen seinen Handlungsformen. Ihm steht niemals eine – und sei es auch eine bloß abgeschwächte – Privatautonomie zu, so dass er immer aufgrund von öffentlichem Sonderrecht tätig wird und dabei seinen verfassungsrechtlichen Bindungen als Staatsgewalt unterworfen ist2. Dies gilt auch für die Auftragsvergabe und auch unabhängig davon, ob deren Rechtmäßigkeit durch die Zivilgerichte oder die Verwaltungsgerichte zu überprüfen ist3. Damit einher gehen auch die prinzipiell uneingeschränkte Grundrechtsbindung der staatlichen Auftraggeber (Art. 1 Abs. 3 GG) sowie die gerichtliche Kontrolle, ob der betreffende Auftraggeber dieser Bindung im konkreten Fall auch tatsächlich gerecht wird. Von dieser Grundrechtsbindung zu unterscheiden ist allerdings die Frage, ob bei einer Auftragsvergabe der Schutzbereich eines bestimmten Grundrechts tatsächlich berührt ist. Dies ist im Hinblick auf Art. 12 Abs. 1 GG in aller Regel zu verneinen, hingegen beim Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG zu bejahen, d.h. jede staatliche Stelle hat unabhängig von der Handlungsform ihrer Betätigung und deren Zuordnung zum Zivilrecht oder zum öffentlichen Recht den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG zu beachten (s. Einleitung Rz. 26 ff.)4. Gleichwohl ist bei privatrechtlichen Handlungsformen der öffentlichen Hand 19 keine undifferenzierte Anwendung des gesamten Verwaltungsverfahrensrechts 1 S. etwa BVerwG v. 29.5.1990 – 7 B 30/90, NVwZ 1991, 59; Schmitz in Stelkens/Bonk/ Sachs, Verwaltungsverfahrensgesetz, § 1 Rz. 116; Wolff/Bachof/Stober/Kluth, Verwaltungsrecht, Band 1, § 23 Rz. 62. 2 Dreher in Immenga/Mestmäcker, GWB, vor §§ 97 ff., Rz. 150 ff.; Dietlein/Fandrey in Byok/Jaeger, Kommentar zum Vergaberecht, Einführung Rz. 100 f.; Ehlers, DVBl. 1983, 422, 424 f.; Ehlers in Ehlers/Pünder, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 3 Rz. 82 ff.; Dreier in Dreier, Grundgesetz, Bd. 1, Art. 1 Rz. 49; Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Rz. 347 ff.; Jarass in Jarass/Pieroth, Grundgesetz, Art. 1 Rz. 38; Höfling in Sachs, Grundgesetz, Art. 1 Rz. 103 ff.; Pache, DVBl. 2001, 1781 (1787). 3 BVerfG v. 13.6.2006 – 1 BvR 1160/03, BVerfGE 116, 135 (153); BVerwG v. 2.5.2007 – 6 B 10.07, BVerwGE 129, 9 Rz. 10; OLG Brandenburg v. 3.8.1999 – 6 Verg 1/99, NZBau 2000, 39; VK Bund v. 29.4.1999 – VK 1–7/99, NZBau 2000, 53; dazu etwa auch Pache, DVBl. 2001, 1781 (1788). 4 BVerfG v. 23.4.2009 – 1 BvR 3424/08, VergabeR 2009, 777 (778); BVerfG v. 13.6.2006 – 1 BvR 1160/03, BVerfGE 116, 134 (153); BVerwG v. 2.5.2007 – 6 B 10/07, BVerwGE 129, 9 Rz. 10; Bungenberg, WuW 2009, 503 (513).

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Vor §§ 97–154 | Vorbemerkungen geboten. Die dogmatische Herleitung der einfachgesetzlichen Bindungen bei privatrechtlichem Handeln des Staates erfolgt vielmehr über Art. 1 Abs. 3 GG einschließlich der möglicherweise in ihrem Schutzbereich berührten Grundrechte, hier also vornehmlich Art. 3 Abs. 1 GG (Rz. 18), sowie über die verfassungsrechtlichen Grundentscheidungen der Art. 20 und 28 Abs. 1 GG. Diese Anforderungen gebieten nicht die Übertragung aller in den Verwaltungsverfahrensgesetzen des Bundes und der Länder enthaltenen Bestimmungen auf die Vergabe öffentlicher Aufträge oder auf sonstiges privatrechtliches Staatshandeln. Vielmehr gilt dies nur für die Grundsätze des Verwaltungsverfahrensrechts, die sich entweder auf höherrangiges, die öffentliche Hand durchgängig bindendes Verfassungsrecht zurückführen lassen oder aber als Ausfluss allgemeiner bzw. analogiefähiger Rechtsgedanken anzusehen sind. Dies schließt die Anforderungen ein, die sich aus dem Unionsrecht einschließlich des europäischen Primärrechts ergeben (zu dessen Bedeutung insbesondere für Auftragsvergaben unterhalb der Schwellenwerte s. Einleitung Rz. 36 f.). Es geht mithin nur um die Bestimmungen des Verwaltungsverfahrensrechts, die konkretisiertes Verfassungsrecht oder konkretisiertes Unionsrecht darstellen und nicht speziell geregelt sind. Dazu zählen etwa die §§ 20 (s. dazu allerdings § 6 VgV)1, 21, 23, 24, 25, 30 und 31 VwVfG2. 20 Nach anderer, zwischenzeitlich aber wohl zumindest teilweise als überholt an-

zusehender, Auffassung werden unmittelbare verfassungsrechtliche Bindungen und folglich auch daraus resultierende besondere verwaltungsverfahrensrechtliche Anforderungen der öffentlichen Hand im fiskalischen Bereich verneint. Dies gilt insbesondere für die – allerdings ältere – Rechtsprechung des BGH3. Gleichwohl wird der öffentlichen Hand auch durch diese Stimmen in der Rechtsprechung und Literatur keine vollständige Freiheit eingeräumt. Vielmehr werden gleichfalls Schranken angenommen, die für Privatpersonen in der Regel nicht in entsprechender Weise gelten. So vertritt auch der BGH die Auffassung, dass die öffentliche Hand zumindest nicht willkürlich handeln dürfe, also immerhin das Diskriminierungsverbot eingreife4. 1 OLG Brandenburg v. 3.8.1999 – 6 Verg 1/99, NZBau 2000, 39. 2 S. etwa Schmitz in Stelkens/Bonk/Sachs, Verwaltungsverfahrensgesetz, § 1 Rz. 119; Ehlers, DVBl. 1983, 422 (425); Ehlers in Ehlers/Pünder, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 3 Rz. 86; s. auch KG v. 7.11.2001 – KartVerg 8/01, VergabeR 2002, 96. 3 BGH v. 14.12.1976 – VI ZR 251/73, NJW 1977, 628 (629 f.); BGH v. 21.11.1991 – VII ZR 203/90, BGHZ 116, 149 (152); BGH v. 21.11.1991 – VII ZR 203/90, NJW 1992, 827; ebenso Broß, VerwArch 1996, 738; Schmalz, Allgemeines Verwaltungsrecht und Grundlagen des Verwaltungsrechtsschutzes, Rz. 657; differenzierend Wolff/Bachof/Stober/ Kluth, Verwaltungsrecht, Band 1, § 23 Rz. 42, die im fiskalischen Bereich nur eine Bindung an Art. 3 und 19 Abs. 4 GG annehmen. 4 BGH v. 14.12.1976 – VI ZR 251/73, NJW 1977, 628, 629 f.; BGH v. 21.11.1991 – VII ZR 203/90, BGHZ 116, 149 (152); BGH v. 21.11.1991 – VII ZR 203/90, NJW 1992, 827; s. auch etwa OLG Düsseldorf v. 9.11.1993 – U (Kart) 2/93, NWVBl. 1994, 193.

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Auch wenn der erstgenannten Auffassung (Rz. 18) zu folgen ist, bestehen zwi- 21 schen beiden Meinungen in den Rechtsfolgen jedenfalls oberhalb der Schwellenwerte (zum Rechtsschutz unterhalb der Schwellenwerte s. Einleitung Rz. 24 ff.) eher geringe Unterschiede1. In beiden Fällen werden Bindungen der öffentlichen Hand, die über die für Privatpersonen geltenden Rechtsnormen hinausgehen, bejaht. Im Ergebnis wird man sagen müssen, dass Vorschriften der Verwaltungsverfahrensgesetze für die Tätigkeit der öffentlichen Auftraggeber analog in dem dargestellten Umfang (Rz. 19) herangezogen werden können und müssen, sofern die Bestimmungen des Vergaberechts Lücken enthalten. Aufgrund des (zwischenzeitlichen) Ausgestaltungsgrads des deutschen Vergaberechts bestehen derartige Lücken jedoch nur in besonderen Ausnahmefällen. Insbesondere die analoge Anwendung von § 20 VwVfG, die das OLG Brandenburg2 im Jahr 1999 noch zutreffenderweise noch für erforderlich gehalten hat, um Interessenkollisionen zu vermeiden („Doppelmandate“), ist u.a. durch die Regelung in § 6 VgV entbehrlich geworden. Eine analoge Anwendung des Verwaltungsverfahrensrechts in den (wenigen) 22 denkbarerweise noch verbleibenden Fällen ist zudem an sich nur für öffentliche Auftraggeber möglich, die generell öffentlich-rechtliche Bindungen zu beachten haben. Private, nicht staatlich beherrschte Auftraggeber, die durch § 99 bis § 101 in den Kreis der öffentlichen Auftraggeber einbezogen werden, unterliegen derartigen Bindungen in der Regel nicht, so dass sich eine analoge Anwendung der Verwaltungsverfahrensgesetze verbietet. Zu diesen Auftraggebern gehört insbesondere der in § 99 Nr. 4 und § 100 Abs. 2 Nr. 2, lit. a) genannte Personenkreis. Einzelne Regelungen des Verwaltungsverfahrenrechts können gleichwohl auch gegenüber diesen Auftraggebern zumindest sinngemäß Geltung beanspruchen. Hierzu zählten in der Zeit vor Inkrafttreten von § 6 VgV (§ 16 a.F. VgV) vor allem die in § 20 VwVfG enthaltenen Regelungen. Nach wie vor gilt dies für die Verpflichtungen, die sich für alle Auftraggeber bereits unmittelbar aus § 97 GWB ergeben, wenn auch mit einem eher hohen Abstraktionsgrad. Dazu gehören namentlich das Wettbewerbs- und Transparenzgebot des § 97 Abs. 1 (s. dazu § 97 Rz. 19 ff.), die durch die Einzelvorschriften des Verwaltungsverfahrensrechts (s. Rz. 19) teilweise eine ergänzende Konkretisierung erhalten3. 4. Öffentlich-rechtliche Verträge Bei Inkrafttreten des Vergaberechtsänderungsgesetzes 1998 (Einleitung Rz. 4 ff.) 23 wurde nicht selten die Auffassung vertreten, dass öffentlich-rechtliche Verträge im Sinne von § 54 VwVfG (des Bundes und der Länder) ebenso wie spezialge1 So zutreffend etwa auch Dreher in Immenga/Mestmäcker, GWB, vor §§ 97 ff. Rz. 156. 2 OLG Brandenburg v. 3.8.1999 – 6 Verg 1/99, NZBau 2000, 39 (42 f.). 3 Noch weitergehend Dreher in Immenga/Mestmäcker, GWB, vor §§ 97 ff. Rz. 159, der jedweden Rückgriff für entbehrlich hält.

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Vor §§ 97–154 | Vorbemerkungen setzlich geregelte öffentlich-rechtliche Verträge (z.B. städtebauliche Verträge nach § 11 BauGB, s. hierzu auch § 103 Rz. 190 ff.) generell nicht unter die vergaberechtlichen Bestimmungen des 4. Teils des GWB fallen, da es sich nicht um öffentliche Aufträge im Sinne von § 103 Abs. 1 handele1. Gestützt wurde diese Auffassung nicht zuletzt auf die Begründung des Regierungsentwurfs zum Vergaberechtsänderungsgesetz, nach der öffentlich-rechtliche Verträge nicht unter den Begriff des entgeltlichen Vertrages und damit auch nicht unter die Anforderungen fallen sollten, die der 4. Teil des GWB an die Vergabe öffentlicher Aufträge stellt2. Dazu ist zunächst festzustellen, dass die Abgrenzung zivilrechtlicher und öffentlich-rechtlicher Verträge im Einzelfall sehr schwierig sein kann. Dies gilt insbesondere bei gemischten Verträgen, die sowohl privatrechtliche als auch öffentlich-rechtliche Elemente enthalten3. Den damit verbundenen Problemen und rechtlichen Unsicherheiten muss hier allerdings nicht weiter nachgegangen werden, da auch öffentlich-rechtliche Verträge unter die vergaberechtlichen Anforderungen fallen (zu den vergaberechtsfreien Geschäften/ Inhouse-Geschäften innerhalb des staatlichen Bereichs s. § 108). Dies schließt grundsätzlich auch Fälle der interkommunalen Kooperationen ein (s. § 103 Rz. 53 ff.), sofern sie nicht von § 108 erfasst sind4. Die Einordnung eines Vertrages als zivil- oder öffentlich-rechtlich ist in den Mitgliedstaaten der europäischen Union unterschiedlich ausgestaltet. Für den Anwendungsbereich des Vergaberechts spielen diese nationalen Zuordnungen allerdings keine Rolle. Entscheidend ist, ob der jeweilige öffentliche Auftraggeber durch den betreffenden Vertrag Liefer-, Bau- oder Dienstleistungen gegen Entgelt oder in Form einer Konzession beschaffen möchte. Wenn dies der Fall ist, kommt es nicht zusätzlich darauf an, ob der betreffende Vertrag nach mitgliedstaatlicher Bewertung dem öffentlichen Recht oder dem Zivilrecht zuzuordnen ist5. Der Europäische Gerichtshof hat dementsprechend durch Urt. vom 12.7.20016 entschieden, dass auch Erschließungsverträge, die dem öffentlichen Recht unterliegen und die 1 So etwa OLG Celle v. 24.11.1999 – 13 Verg 7/99, NZBau 2000, 299; OLG Naumburg v. 19.10.2000 – 1 Verg 9/00, VergabeR 2001, 134; Dreher, DB 1998, 2579 (2587). 2 BT-Drucks. 13/9340, S. 15. 3 Rautenberg, ZfBR 2002, 238 (240); zu den Einzelheiten der Abgrenzung allgemein etwa Bonk/Neumann in Stelkens/Bonk/Sachs, Verwaltungsverfahrensgesetz, § 54 Rz. 73 ff.; Kopp/Ramsauer, Verwaltungsverfahrensgesetz, § 54 Rz. 27 ff.; Schmitt, Bau, Erhaltung, Betrieb und Finanzierung von Bundesfernstraßen durch Private nach dem FStrPrivFinG, 135 f. und andererseits Reidt/Stickler, BauR 1997, 241 (366). 4 Eschenbruch in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum Vergaberecht, § 103 Rz. 334 ff. 5 S. beispielsweise BGH v. 1.12.2008 – X ZB 32/08, VergabeR 2009, 156 Rz. 17; BGH v. 1.2. 2005 – X ZB 27/04, BGHZ 162, 116 (126); OLG Düsseldorf v. 11.3.2002 – Verg 43/01, VergabeR 2002, 404; Boesen, Vergaberecht, § 99 Rz. 23 ff.; Eschenbruch in Kulartz/Kus/ Portz/Prieß, Kommentar zum Vergaberecht, § 103 Rz. 273 ff.; Reidt, BauR 2008, 1541 (1546); Dreher, NZBau 2002, 245, 255; Burgi, NZBau 2002, 57 (60); Schulte, NZBau 2000, 272 (275 f.); Endler, NZBau 2002, 125 (128). 6 EuGH v. 12.7.2001 – C-399/98, Slg. 2001, S. I-5409.

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Vorbemerkungen | Vor §§ 97–154

Ausübung hoheitlicher Gewalt einschließen, dem europäischen Vergaberecht unterfallen, wenn es sich um entgeltliche Bauverträge handelt. In diesem Zusammenhang geht der EuGH unter Bezugnahme auf die unterschiedliche rechtliche Ausgestaltung in den jeweiligen Mitgliedstaaten völlig selbstverständlich davon aus, dass auch auf einen verwaltungsrechtlichen Vertrag, der als solcher dem öffentlichen Recht unterliegt, das Vergaberecht anwendbar ist. Diese Begründung ist ohne weiteres auf sämtliche öffentlich-rechtlichen Verträge und Konzessionen übertragbar, sofern sie die Erbringung von Bau-, Liefer- oder Dienstleistungen zum Gegenstand haben1. Ohne besondere Bedeutung ist es in diesem Zusammenhang in der Regel, ob der 24 Vertragspartner des öffentlichen Auftraggebers als Leistungserbringer insbesondere aufgrund einer entsprechenden Beleihung unmittelbar hoheitlich gegenüber Dritten tätig wird,2. Auch dies steht der Anwendbarkeit des Vergaberechts nicht entgegen3. Insofern muss das Außenverhältnis des Auftragnehmers zum Dritten von dem Innenverhältnis zwischen dem Auftraggeber und dem Auftragnehmer unterschieden werden. Im Innenverhältnis ist vertraglich zu regeln, welcher Auftragnehmer berechtigt wird, gegenüber Dritten in bestimmter Weise tätig zu werden, ggf. also auch auf der Grundlage einer Beleihung durch die Ausübung bestimmter öffentlich-rechtlicher Befugnisse4. In diesem Auftragsverhältnis sind zugleich auch die Konditionen einschließlich der Vergütung zu regeln, die der Auftragnehmer für seine Tätigkeit erhält. Der das Innenverhältnis zwischen Auftraggeber und Auftragnehmer ausgestaltende Auftrag kann und muss grundsätzlich wie jeder andere Auftrag ausgeschrieben werden, wenn die Schwellenwerte nach § 106 Abs. 2 i.V.m. den jeweiligen Richtlinien erreicht oder überschritten sind und keine Ausnahmetatbestände insbesondere nach den §§ 107 bis § 109 eingreifen. Besondere Anforderungen an die Zuverlässigkeit des (ggf. auch zu beleihenden) Leistungserbringers u.Ä. können ohne weiteres in den Verdingungsunterlagen Berücksichtigung finden. Es sind daher auch in tatsächlicher Hinsicht keine Gründe dafür ersichtlich, Fälle, in denen der Auftragnehmer auf der Grundlage eines mit der öffentlichen Hand abzuschließenden Vertrages gegenüber Dritten unmittelbar hoheitlich tätig wird, generell vom Anwendungsbereich des Vergaberechts auszuschließen. Es verbleibt vielmehr auch in derartigen Konstellationen dabei, dass Einschränkungen nur über die im Ver1 S. hierzu auch EuGH v. 25.3.2010 – C-451/08, NZBau 2010, 321. 2 So allerdings etwa OLG Brandenburg v. 18.9.2008 – Verg W 13/08; VG Potsdam v. 14.8. 2008 – 10 L 342/08; OLG Düsseldorf v. 5.4.2006 – VII Verg 7/06; OLG Celle v. 24.11.1999 – 13 Verg 7/99, NZBau 2000, 299; OLG Naumburg v. 19.10.2000 – 1 Verg 9/00, VergabeR 2001, 134; Burgi, NZBau 2002, 57 (61); Dreher, NZBau 2002, 245 (256), jeweils unter Hinweis auf Art. 45 Abs. 1 i.V.m. Art. 55 EG (= Art. 51 Abs. 1 i.V.m. Art. 62 AEUV). 3 EuGH v. 12.7.2001 – C-399/98, Slg. 2001, S. I-5409; s. auch die Klage der EU-Kommission gegen Deutschland v. 16.4.2007 – Rs. C-160/08; dazu VG Köln v. 29.8.2008 – 7 L 1205/08; Bungenberg, WuW 2009, 503 (509); Berger/Tönnemann, VergabeR 2009, 129. 4 Dreher, NZBau 2002, 245 (256); Reidt in Jarass, Wirtschaftsverwaltungsrecht, § 6 Rz. 26.

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§ 97 | Grundsätze der Vergabe fahrensrecht selbst geregelten Ausnahmetatbestände in Betracht kommen (zu Einzelfällen wie Rettungsdienstleistungen, städtebaulichen Verträgen oder sozialrechtlichen Verträgen § 103 Rz. 169 ff.)1.

§ 97 Grundsätze der Vergabe (1) Öffentliche Aufträge und Konzessionen werden im Wettbewerb und im Wege transparenter Verfahren vergeben. Dabei werden die Grundsätze der Wirtschaftlichkeit und der Verhältnismäßigkeit gewahrt. (2) Die Teilnehmer an einem Vergabeverfahren sind gleich zu behandeln, es sei denn, eine Ungleichbehandlung ist aufgrund dieses Gesetzes ausdrücklich geboten oder gestattet. (3) Bei der Vergabe werden Aspekte der Qualität und der Innovation sowie soziale und umweltbezogene Aspekte nach Maßgabe dieses Teils berücksichtigt. (4) Mittelständische Interessen sind bei der Vergabe öffentlicher Aufträge vornehmlich zu berücksichtigen. Leistungen sind in der Menge aufgeteilt (Teillose) und getrennt nach Art oder Fachgebiet (Fachlose) zu vergeben. Mehrere Teil- oder Fachlose dürfen zusammen vergeben werden, wenn wirtschaftliche oder technische Gründe dies erfordern. Wird ein Unternehmen, das nicht öffentlicher Auftraggeber oder Sektorenauftraggeber ist, mit der Wahrnehmung oder Durchführung einer öffentlichen Aufgabe betraut, verpflichtet der öffentliche Auftraggeber oder Sektorenauftraggeber das Unternehmen, sofern es Unteraufträge vergibt, nach den Sätzen 1 bis 3 zu verfahren. (5) Für das Senden, Empfangen, Weiterleiten und Speichern von Daten in einem Vergabeverfahren verwenden Auftraggeber und Unternehmen grundsätzlich elektronische Mittel nach Maßgabe der aufgrund des § 113 erlassenen Verordnungen. (6) Unternehmen haben Anspruch darauf, dass die Bestimmungen über das Vergabeverfahren eingehalten werden. I. 1. 2. II.

Einführung Inhaltsübersicht . . . . . . . . . . . . Entstehungsgeschichte . . . . . . . Anwendungsbereich des 4. Teils des GWB (§ 97 Abs. 1) .

__ _ 1 2 9

III. Wettbewerb und Transparenz (§ 97 Abs. 1 Satz 1) sowie Wirtschaftlichkeit und Verhältnismäßigkeit (Satz 2) . . . . . . . . 1. Funktion der Grundsätze . . . . . 2. Wettbewerbsgrundsatz . . . . . . .

__ _ 11 12 19

1 S. insbes. BGH v. 1.12.2008 – X ZB 32/08, VergabeR 2009, 156 Rz. 20 ff.; zum Verfahren bei der Ausschreibung insbesondere von Rettungsdienstleistungen im Einzelnen Wenzel, LKV 2009, 298; Berger/Tönnemann, VergabeR 2009, 129.

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3. Transparenzgrundsatz . . . . . . . a) Ermöglichung der Verfahrensbeteiligung . . . . . b) Ermöglichung der Verfahrensüberprüfung . . . 4. Wirtschaftlichkeitsgrundsatz . . 5. Verhältnismäßigkeitsgrundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Verhältnis der Grundsätze des Absatzes 1 untereinander . . . . IV. Diskriminierungsverbot (§ 97 Abs. 2) . . . . . . . . . . . . . 1. Funktion . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Geltungsbereich . . . . . . . . . . . 3. Anforderungen . . . . . . . . . . . . 4. Verhältnis zwischen Diskriminierungsverbot, Wettbewerbsund Transparenzgrundsatz . . . V. Aspekte der Qualität und Innovation sowie soziale und umweltbezogene Aspekte (§ 97 Abs. 3) 1. Hintergrund . . . . . . . . . . . . . .

_ _ __ _ _ __ __ _ 25 26 29 35 40 44 47 48 50 56 66

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Grundsätze der Vergabe | § 97

__ __ _ _ __

2. Regelungsgehalt . . . . . . . . . . . 3. Umfang . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Mittelständische Interessen (§ 97 Abs. 4) . . . . . . . . . . . . 1. Hintergrund . . . . . . . . . . . . . 2. Berücksichtigung mittelständischer Interessen (§ 97 Abs. 4 Satz 1) . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Pflicht zu Losvergabe (§ 97 Abs. 4 Sätze 2 und 3) . . 4. Losvergabe durch Private (§ 97 Abs. 4 Satz 4) . . . . . . . . 5. Rechtsschutz . . . . . . . . . . . .

72 76 78 79

. .

84

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87

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92 95

. .

___ _ __

VII. Elektronische Mittel (§ 97 Abs. 5) 1. Hintergrund . . . . . . . . . . . . . . 2. Regelungsgehalt . . . . . . . . . . . 3. Umfang . . . . . . . . . . . . . . . . . VIII. Subjektive Rechte (§ 97 Abs. 6) 1. Träger und Gegner der subjektiven Rechte . . . . . . . . . . . . . . 2. Anspruchsumfang . . . . . . . . .

96 101 103 106 107 108

I. Einführung 1. Inhaltsübersicht § 97 fasst wesentliche Grundsätze und Eckpunkte des Kartellvergaberechts zu- 1 sammen. Absatz 1 Satz 1 stellt die Geltung des Wettbewerbs- und Transparenzgrundsatzes voran, während Satz 2 die Wahrung der Wirtschaftlichkeit und der Verhältnismäßigkeit vorschreibt. In Absatz 2 ist das Diskriminierungsverbot verankert. Absatz 3 schreibt die Berücksichtigung von Aspekten der Qualität, der Innovation sowie sozialer und umweltbezogener Belange bei der Vergabe vor. Absatz 4 bestimmt, dass Leistungen im Hinblick auf mittelständische Interessen grundsätzlich in Teil- und Fachlosen zu vergeben und mittelständische Interessen auch darüber hinaus bei der Auftragsvergabe zu berücksichtigen sind. Absatz 5 beinhaltet neuerdings eine Pflicht für Auftraggeber und Unternehmen zur Verwendung elektronischer Mittel für das Senden, Empfangen, Weiterleiten und Speichern von Daten im Vergabeverfahren. Absatz 6 schließlich bestimmt, dass Unternehmen ein subjektives Recht auf Einhaltung der Vergabebestimmungen haben.

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§ 97 | Grundsätze der Vergabe 2. Entstehungsgeschichte 2 § 97 entspricht in seiner Grundkonzeption als vor die Klammer gezogene Vor-

schrift mit den wesentlichen Grundsätzen des Kartellvergaberechts der ursprünglichen Fassung nach dem Vergabeänderungsgesetz 19991. Das Vergabemodernisierungsgesetz von 2016 hat einige Änderungen mit sich gebracht.

3 So wurden in Absatz 1 sowohl der Wirtschaftlichkeitsgrundsatz neu positioniert

(vormals in Absatz 5 auf den Zuschlag bezogen) als auch der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ausdrücklich aufgenommen.

4 Absatz 2 und 6 gehen ebenso wie Absatz 1 auf § 106 (Absatz 2 bzw. 6) des Regie-

rungsentwurfes zum Vergabeänderungsgesetz von 1999 zurück2. Beide Normen sind auch nach der Vergaberechtsmodernisierung 2016 fast unverändert geblieben.

5 Absatz 3 ist mit dem Vergaberechtsmodernisierungsgesetz 2016 neu formuliert

worden3. Er geht auf den vorherigen Absatz 4 Sätze 2 und 3 zurück, die im Jahre 20094 die Möglichkeit umweltbezogener und innovativer Auftragskriterien eingeführt hatten und die Einführung zusätzlicher Anforderungen an den Auftragnehmer von einer gesetzlichen Regelung abhängig gemacht hatten.

6 Die sog. Mittelstandsklausel des Absatzes 4 wurde als Absatz 3 19995 in das Ge-

setz aufgenommen und durch das Vergaberechtsmodernisierungsgesetz von 2009 neu gefasst. Mit dem Vergaberechtsmodernisierungsgesetz 2016 wurde er nahezu wortgleich zu Absatz 4. Außer der Neunummerierung brachte sie lediglich Anpassungen im Zuge der neuen Gesetzessystematik hinsichtlich der Auftraggeber (§§ 98 ff.) mit sich6.

7 Seit dem Inkrafttreten der Vergaberechtsmodernisierung am 18. April 2016

müssen öffentliche Auftraggeber und Unternehmen im Oberschwellenbereich grundsätzlich elektronische Mittel zur Kommunikation nutzen. Dies regelt nun die Vorschrift des § 97 Abs. 57.

8 Die bislang in den Absätzen 4 und 4a und 5 enthaltenen Bestimmungen zu Eig-

nung, Präqualifikationssystemen und Zuschlag öffentlicher Aufträge befinden sich nun in § 122 und § 127 Abs. 1 Satz 18, die bislang in Absatz 6 geregelte Verordnungsermächtigung findet sich nun in § 113. 1 2 3 4 5 6 7 8

BT-Drucks. 13/9340, S. 4 ff. BT-Drucks. 13/9340, S. 4. BT-Drucks. 18/6281, S. 15. BT-Drucks. 16/10117, S. 5. BT-Drucks. 13/9340, S. 36. BT-Drucks. 18/6281, S. 15. BT-Drucks. 18/6281, S. 15. BT-Drucks. 18/6281, S. 67, 88 ff., 100 ff.

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Grundsätze der Vergabe | § 97

II. Anwendungsbereich des 4. Teils des GWB (§ 97 Abs. 1) Absatz 1 bestimmt, dass öffentliche Aufträge und Konzessionen im Wettbewerb 9 und im Wege transparenter Verfahren vergeben werden. Den in der amtlichen Überschrift angekündigten „Grundsätzen der Vergabe“ ist damit eine grundsätzliche Regelung zum Anwendungsbereich des Kartellvergaberechts und damit auch der (übrigen) allgemeinen Grundsätze vorangestellt. Ungeachtet der Frage, inwiefern die Grundsätze des § 97 Entsprechungen im primären Unionsrecht oder im Verfassungsrecht finden1, geht deren Anwendungsbereich daher nicht über den auf öffentliche Aufträge (§§ 103 f.) und Konzessionen (§ 105) beschränkten Anwendungsbereich der §§ 97 ff. im Übrigen hinaus2. Hinsichtlich der Regelung des Anwendungsbereichs des 4. Teils des GWB wird 10 Absatz 1 durch die Bestimmungen zu den Auftraggebern in den §§ 98–101 einerseits und die Bestimmungen zu öffentlichen Aufträgen sowie Konzessionen in den §§ 103-105 andererseits konkretisiert. Begrenzt wird der Anwendungsbereich der Vorschrift außerdem durch § 106, wonach der 4. Teil des GWB, und damit die §§ 97 ff. nur Anwendung finden, wenn der Auftrag die Schwellenwerte erreicht. Die §§ 107-109 enthalten spezielle Ausnahmetatbestände, welche die Anwendbarkeit der §§ 97 ff. ausschließen.

III. Wettbewerb und Transparenz (§ 97 Abs. 1 Satz 1) sowie Wirtschaftlichkeit und Verhältnismäßigkeit (Satz 2) Absatz 1 regelte auch vor der Vergaberechtsmodernisierung 2016 die Grund- 11 sätze von Wettbewerb und Transparenz im Vergabeverfahren. Die Vorschrift ist nun allerdings in 2 Sätze aufgeteilt. Satz 1 stellt wie bisher das Wettbewerbsprinzip und das eng hiermit verbundene Transparenzgebot als Leitlinien der Vergabe voran. Der bisherige Wortlaut der Norm („Öffentliche Auftraggeber beschaffen Waren, Bau- und Dienstleistungen nach Maßgabe der folgenden Vorschriften im Wettbewerb und im Wege transparenter Vergabeverfahren.“) wurde in mehrfacher Hinsicht abgeändert, wobei er keine materiellen Gesetzesänderungen erfahren hat3. Die Begriffe „Auftraggeber“ und „beschaffen“ verschwinden, statt „Vergabeverfahren“ heißt es nun nur noch „Verfahren“. Die Neuformulierung des Satzes 1 ist unter anderem auf die Neustrukturierung des Konzessionsvergaberechts zurückzuführen, sodass nun von öffentlichen Aufträgen und Konzessionen die Rede ist. Wettbewerb und Transparenz bleiben als tragende Prinzipien des gesamten Vergaberechts ihrer Bedeutung entsprechend 1 Allgemein hierzu Gaier, NZBau 2008, 289 ff. 2 Hailbronner in Byok/Jaeger, Kommentar zum Vergaberecht, 3. Aufl. 2011, § 97 Rz. 9 m.w.N. 3 S. dazu auch die Gesetzesbegründung BT-Drucks. 18/6281, S. 68.

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§ 97 | Grundsätze der Vergabe vorangestellt. In Satz 2 sind seit der Vergaberechtsmodernisierung 2016 zusätzlich („Dabei“) das Wirtschaftlichkeits- und Verhältnismäßigkeitsprinzip verankert. Die Grundsätze des Absatzes 1 sind während des gesamten Verfahrens zu beachten, d.h. spätestens ab der Absendung der Vergabebekanntmachung an das Amtsblatt der Europäischen Union bis zum Zuschlag1. 1. Funktion der Grundsätze 12 Wie zum einen die amtliche Überschrift und zum anderen die Stellung zu Be-

ginn des 4. Teils des GWB deutlich machen, stellen sowohl Wettbewerb und Transparenz als auch Wirtschaftlichkeit und Verhältnismäßigkeit grundlegende Prinzipien des Kartellvergaberechts dar. Diese Grundsätze sind gewichtige Auslegungsdirektiven für das Kartellvergaberecht2. Insbesondere soweit die Vergaberegeln unbestimmte Rechtsbegriffe beinhalten oder dem Auftraggeber Ermessen einräumen, sind diese Spielräume daher unter Berücksichtigung der Grundsätze des Absatzes 1 auszufüllen.

13 Bisher war vor allem umstritten, ob die Grundsätze des Wettbewerbs und der

Transparenz darüber hinaus einen unmittelbaren Regelungsgehalt besitzen3. Diese Frage erlangt insbesondere in den Fällen praktische Relevanz, in denen Regelungen im übrigen Vergaberecht fehlen, wie etwa hinsichtlich der Laufzeit von Dienstleistungsaufträgen4. Insofern entschied die VK Arnsberg schon im Februar 2006 bezüglich des Wettbewerbsgrundsatzes, dass eine 25- bzw. (mit Option) 30-jährige Laufzeit bei einem Abwasserbeseitigungsvertrag „wettbewerbswidrig“, die unterlegene Bieterin daher in ihren „Rechten auf die Vergabe des Auftrages im wettbewerbsgerechten Verfahren gemäß § 97 Abs. 1“ verletzt und 1 S. OLG München v. 19.7.2012 – Verg 8/12, NZBau 2012, 658 (660) zum Beginn des Verfahrens in formeller Hinsicht; ein materielles Verständnis legt beispielsweise zugrunde Dreher in Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, 5. Aufl. 2014, § 97 Rz. 16 m.w.N. 2 S. etwa hinsichtlich des Wettbewerbsgrundsatzes BGH v. 5.6.2012 – X ZR 161/11, MDR 2012, 1224 = VergabeR 2012, 842 (844) mit Verweis auf BGH v. 23.3.2011 – X ZR 161/11, MDR 2012, 1224 = VergabeR 2011, 709 (710); v. 1.2.2005 – X ZB 27/04, BGHZ 162, 116 ff. = MDR 2005, 973 (Rz. 28); hinsichtlich des Gleichbehandlungsgrundsatzes des Absatzes 2 BGH v. 26.9.2006 – X ZB 14/06, BGHZ 169, 131 ff. (Rz. 27); dies als Hauptfunktion bezeichnend Fehling in Pünder/Schellenberg, Vergaberecht, 2. Aufl. 2015, § 97 Rz. 45. 3 Für eine normative Wirkung Aicher in Müller-Wrede, Kompendium des Vergaberechts, 2008, Kap. 9 Rz. 17; Dreher in Immenga/Mestmäcker, § 97 Rz. 4; Fehling in Pünder/ Schellenberg, § 97 Rz. 45; a.A. Burgi, NZBau 2008, 29 (32 f.); Scharen, NZBau 2009, 679 (681 f.); Ziekow, VergabeR 2006, 702 (708); außerdem Ziekow in Ziekow/Völlink, Vergaberecht, 2. Aufl. 2013, § 97 Rz. 5 ff., wobei zwischen Wettbewerbsgrundsatz und Transparenzgrundsatz unterschieden wird, da letzterer methodisch eine Ausformung des Gleichbehandlungsgrundsatzes sei und daher ein unmittelbarer Regelungsgehalt beim Transparenzgrundsatz bejaht wird. 4 Ausführlich Scharen, NZBau 2009, 679 (680 f.).

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die Ausschreibung somit „wegen Verstoßes gegen § 97 Abs. 1“ aufzuheben sei1. Ebenso wies die VK Bund in mehreren Beschlüssen vom April 2015 darauf hin, dass unbefristete Verträge schon aufgrund des allgemeinen Wettbewerbsgrundsatzes unzulässig seien2. Die Vergabekammern haben den Wettbewerbsgrundsatz damit unmittelbar als Ge- bzw. Verbotsnorm angewandt. Dies ist abzulehnen. Bei den Grundsätzen des Absatzes 1 Satz 1 handelt es sich 14 um Grundsätze im Sinne der Methodenlehre, also nicht um Regeln, die anknüpfend an einen Tatbestand eine Rechtsfolge bestimmen, sondern um Normen, die lediglich eine Zielrichtung vorgeben, die ihrerseits erst durch Regeln anzustreben ist3. Den Grundsätzen des Wettbewerbs und der Transparenz fehlt es in Absatz 1 Satz 1 bereits an einem hinreichend bestimmten Tatbestand. Dementsprechend gibt Absatz 1 Satz 1 vor, die Grundsätze hinsichtlich der Vergabe von öffentlichen Aufträgen und Konzessionen zu wahren. Zwar hob der Wortlaut des Absatzes 1 in früherer Fassung die Anwendung „nach Maßgabe der folgenden Vorschriften“ hervor, mit der Streichung dieser Wörter im Rahmen der Vergaberechtsmodernisierung 2016 ist allerdings keine inhaltliche Veränderung diesbezüglich verbunden4. Eine über die Vergaberegeln hinausgehende Verpflichtung der Auftraggeber zur Herstellung von Wettbewerb und Transparenz wird durch Absatz 1 Satz 1 nicht begründet. Anders verhält es sich allerdings mit dem Gleichbehandlungsgrundsatz des Absatzes 2 (Rz. 47 f.)5. Anderes ergibt sich auch nicht aus dem Unionsrecht. Vielmehr stellte der EuGH 15 in seiner pressetext-Entscheidung6 fest, dass „die Praxis der Vergabe eines unbefristeten öffentlichen Dienstleistungsauftrags an und für sich der Systematik und den Zielen der Gemeinschaftsvorschriften über öffentliche Dienstleistungsaufträge fremd ist“. Denn eine solche Praxis könne „auf lange Sicht den Wettbewerb zwischen potenziellen Dienstleistungserbringern beeinträchtigen und die Anwendung der Vorschriften der Gemeinschaftsrichtlinien über die Öffentlichkeit der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Aufträge verhindern“7. „Trotzdem“, so der Gerichtshof weiter, „verbietet das Gemeinschaftsrecht bei seinem derzeitigen Stand nicht den Abschluss von öffentlichen Dienstleistungsaufträgen 1 VK Arnsberg v. 21.2.2006 – VK 29/05, NZBau 2006, 332 (332); im Ergebnis ebenso Frenz in Willenbruch/Wieddekind, Kompaktkommentar Vergaberecht, 3. Aufl. 2014, § 97 Rz. 27; wohl auch Roth in Müller-Wrede, VOL/A-Kommentar, 3. Aufl. 2010, § 2 EG VOL/A Rz. 23. 2 VK Bund v. 16.4.2015 – VK 2-27/15, IBRRS 2015, 1042; v. 9.4.2015 – VK 2-19/15, IBRRS 2015, 1090; v. 8.4.2015 – VK 2-21/15, IBRRS 2015, 0987. 3 Burgi, NZBau 2008, 29 (32 f.) m.w.N. 4 S. wiederum BT-Drucks. 18/6281, S. 67. 5 A.A. Burgi, 2008, 29 (34). 6 EuGH v. 19.6.2008 – Rs. C-454/06 (pressetext Nachrichtenagentur), Slg. 2008, I-4401 = NZBau 2008, 518 ff. 7 EuGH v. 19.6.2008 – Rs. C-454/06 (pressetext Nachrichtenagentur), Slg. 2008, I-4401, Rz. 73 = NZBau 2008, 518 (522).

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§ 97 | Grundsätze der Vergabe auf unbestimmte Dauer“1. Damit hat der Gerichtshof klargestellt, dass auch der in den Vergaberichtlinien verankerte Wettbewerbsgrundsatz keinen regelnden Charakter hat, sich dem Grundsatz als solchem also insbesondere keine Geoder Verbote entnehmen lassen2. 16 Zwar dient der Transparenzgrundsatz auch dem Diskriminierungsverbot. Das führt allerdings nicht dazu, dass auch dem Transparenzgrundsatz ein unmittelbarer Regelungsgehalt zu entnehmen ist3. Wenn dieser lediglich als Ausformung des Gleichbehandlungsgebotes gesehen wird, engt ein solches Verständnis den Wirkungskreis des Grundsatzes zu sehr ein. Transparenz führt zwar auch zur Kontrollierbarkeit von Gleichbehandlung, darüber hinaus aber z.B. auch zu Kontrollierbarkeit staatlichen Handelns und der Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes. Es bleibt bei einer methodischen Zielvorgabe. Daran ändert auch die Nähe zum Gleichbehandlungsgebot nichts.4 17 Mit der Einführung der Prinzipien der Wirtschaftlichkeit und Verhältnismäßigkeit in Absatz 1 Satz 2, stellt sich die Frage nach einem regelnden Charakter auch für diese Grundsätze. Der Wirtschaftlichkeitsgrundsatz hat ebenso wie das Wettbewerbs- und Transparenzprinzip keinen unmittelbaren Regelungsgehalt. Für den Charakter einer reinen Auslegungsdirektive spricht neben dem allgemeingehaltenen Wortlaut der Norm („Dabei werden die Grundsätze der Wirtschaftlichkeit und Verhältnismäßigkeit gewahrt“) auch die Gesetzesbegründung, die die Eingliederung des Wirtschaftlichkeitsprinzips in Absatz 1 Satz 2 als Hervorhebung eines allgemeinen Grundsatzes betrachtet5. Außerdem sind schon vorhandene Ausprägungen des Wirtschaftlichkeitsgebotes nicht etwa verschwunden, sondern weiterhin im 4. Teil des GWB geregelt. Letztlich hat die Verankerung des Wirtschaftlichkeitsgrundsatzes in Absatz 1 Satz 2 also nur klarstellende Funktion6. 18 Die Verankerung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes hat ebenfalls klarstellenden Charakter7. Ein regelnder Charakter widerspricht schon der Natur des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes. Auch hier handelt es sich um einen Grundsatz im Sinne der Methodenlehre und eine Zielvorgabe, an derer sich das Verhalten der Auftraggeber im Vergabeverfahren auszurichten hat, nicht mehr und nicht weniger. 1 EuGH v. 19.6.2008 – Rs. C-454/06 (pressetext Nachrichtenagentur), Slg. 2008, I-4401, Rz. 74 = NZBau 2008, 518 (522). 2 S. auch Scharen, NZBau 2009, 679 (681). 3 S. zum Verhältnis zueinander EuGH v. 13.10.2005 – Rs. C-458/03 (Parking Brixen), Slg. 2005, I-8585, Rz. 49 = VergabeR 2005, 737 (742); vgl. auch Ziekow in Ziekow/Völlink, § 97 Rz. 5. 4 Vgl. dazu auch die Wortwahl in EuGH v. 14.7.2016 – Rs. C-6/15 (Dimarso), IBRRS 2016, 2031 (Rz. 1) = VergabeR 2016, 721 (721): „im Licht des Grundsatzes der Gleichbehandlung der Bieter und der daraus hervorgehenden Transparenzpflicht“. 5 BT-Drucks. 18/6281, S. 67 f. 6 BT-Drucks. 18/6281, S. 67 f. 7 BT-Drucks. 18/6281, S. 67 f.

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Grundsätze der Vergabe | § 97

2. Wettbewerbsgrundsatz Der in der Diskussion deutlich im Vordergrund stehende Gehalt des Wett- 19 bewerbsgrundsatzes besteht in der Gewährleistung des freien Dienstleistungsverkehrs innerhalb der Europäischen Union und der Öffnung der Märkte für einen unverfälschten Wettbewerb in allen Mitgliedstaaten. Nach der Rechtsprechung des EuGH liegt hierin das „Hauptziel der Gemeinschaftsvorschriften über das öffentliche Auftragswesen“1. Die Beachtung wettbewerblicher Prinzipien bei der Vergabe öffentlicher Aufträge soll somit die Interessen der in anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union niedergelassenen Wirtschaftsteilnehmer schützen und die Gefahr einer Bevorzugung einheimischer Bieter bei einer Auftragsvergabe ausschließen2. Die Betonung des Wettbewerbsprinzips beruht dementsprechend auf unionsrechtlichen Vorgaben3, namentlich den Vergaberichtlinien, in deren Begründungen die Bedeutung dieses Grundsatzes hervorgehoben wird4. Wettbewerb ist allerdings nicht nur Ziel, sondern gewissermaßen auch Instru- 20 ment des Vergaberechts. So liegt dem Wettbewerbsgrundsatz auch die Erkenntnis zugrunde, dass die Nutzbarmachung der Kräfte des Marktes dem Ziel des wirtschaftlichen Einkaufs der öffentlichen Hand und der sparsamen Verwendung von Steuergeldern5 dient. Bereits vor Inkrafttreten des Vergaberechtsänderungsgesetzes im Jahr 1999 war der Wettbewerbsgrundsatz aus diesem Grund in den Verdingungsordnungen verankert6. Da der Wettbewerb somit wesentliche Grundlage und Ziel des Vergaberechts ist, 21 finden sich Ausprägungen dieses Grundsatzes in einer Vielzahl von Regelungen, die sämtliche Verfahrensstufen betreffen. So etwa: – in dem Gebot zur Durchführung eines Vergabeverfahrens und dem damit verbundenen Verbot von de-facto-Vergaben (§ 119 Abs. 1)7, 1 EuGH v. 19.6.2008 – Rs. C-454/06 (pressetext Nachrichtenagentur), Slg. 2008, I-4401, Rz. 31 = NZBau 2008, 518 (520) m.w.N. 2 EuGH v. 27.11.2001 – verb. Rs. C-285 und 286/99 (Lombardini), Slg. 2001, I-9233, Rz. 36 = NZBau 2002, 101 (103); zur gesetzgeberischen Intention auch BT-Drucks. 18/6281, S. 67. 3 Zur Bedeutung des Wettbewerbsprinzips im Gemeinschaftsrecht allgemein Dreher, WuW 1998, 656 ff. 4 S. etwa noch Erwägungsgründe 2 und 4 der Richtlinie 2004/18/EG; Erwägungsgrund 1 der Vergaberichtlinie; Erwägungsgrund 3 der Konzessionsvergaberichtlinie; Erwägungsgrund 2 in der Sektorenrichtlinie. 5 BT-Drucks. 16/10117, S. 16; allgemein zu den Funktionen des Wettbewerbs Kantzenbach, Die Funktionsfähigkeit des Wettbewerbs. 6 S. heute § 2 EU Abs. 1 Satz 1 VOB/A, damals § 2 Abs. 1 Nr. 2 VOB/A a.F. und § 2 Abs. 1 Satz 1 VOL/A a.F. 7 EuGH v. 11.1.2005 – Rs. C-26/03 (Stadt Halle), Slg. 2005, I-26, Rz. 31 = NZBau 2005, 111 (115).

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§ 97 | Grundsätze der Vergabe – in dem grundsätzlichen Vorrang des offenen Verfahrens und nun auch nichtoffenen Verfahrens gegenüber den anderen Verfahrensarten (§ 119 Abs. 2)1, – in dem grundsätzlichen Verbot der Verengung einer Leistungsbeschreibung auf bestimmte Hersteller- oder markenbezogene Produkte (§ 31 Abs. 6 VgV, § 28 Abs. 6 SektVO, § 15 Abs. 3 KonzVgV, § 15 Abs. 8 VSVgV, § 7 EU Abs. 2 VOB/A)2, – in dem Grundsatz der eindeutigen und erschöpfenden Leistungsbeschreibung (§ 31 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 VgV, § 28 Abs. 2 Nr. 1 SektVO, § 15 Abs. 1 Satz 2 KonzVgV i.V.m. § 152 Abs. 1 i.V.m. § 121 Abs. 1 Satz 1, § 15 Abs. 2 Satz 1 VSVgV, § 7 EU Abs. 1 Nr. 1 VOB/A)3, – in der Pflicht zur Bekanntmachung der Wertungs- bzw. Zuschlagskriterien (§ 58 Abs. 3 VgV, § 52 Abs. 3 SektVO, § 13 Abs. 1, 2 Nr. 2 KonzVgV, § 16 Abs. 1 Nr. 2 VSVgV, § 16d EU Abs. 2 Nr. 2 Satz 1 VOB/A)4, – in dem so genannten Nachverhandlungsverbot (§ 15 Abs. 5 Satz 2 VgV, § 11 Abs. 2 VSVgV, § 15 EU Abs. 3 VOB/A)5, – in der Pflicht zur vertraulichen Behandlung der abgegebenen Angebote (§ 54 VgV, § 5 SektVO, § 4 KonzVgV, § 19 Abs. 3 und § 30 Abs. 1 VSVgV, § 14 EU Abs. 1 Satz 2, Satz 3, Abs. 8 VOB/A)6 und – in der Pflicht zur Anwendung (nur) der bekanntgemachten Wertungs- bzw. Zuschlagskriterien (§ 18 Abs. 9 Satz 1 VgV, § 13 Abs. 1 KonzVgV, § 34 Abs. 2 Satz 1 VSVgV, § 3b EU Abs. 4 Nr. 8 Satz 1 VOB/A)7. 22 Der Wettbewerbsgrundsatz richtet sich an die öffentlichen Auftraggeber und

nicht, jedenfalls nicht unmittelbar, an die Bewerber bzw. Bieter8. Allerdings er-

1 Bungenberg in Loewenheim/Meessen/Riesenkampff, Kartellrecht, 2. Aufl. 2009, § 97 Rz. 8. 2 EuGH v. 3.12.2001 – Rs. C-59/00 (Vestergaard), Slg. 2001, I-9505, Rz. 22 = ZfBR 2002, 610 (611); auch VK Südbayern v. 21.7.2008 – Z3-3-3194-1-23-06/08, IBRRS 2009, 1277. 3 VK Nordbayern v. 12.5.2009 – 21.VK-3194-11/09, IBR 2009, 536; Bungenberg in Loewenheim/Meessen/Riesenkampff, § 97 Rz. 11; Opitz, VergabeR 2009, 689 (696); s. auch Quack, ZfBR 2009, 411 ff. 4 OLG München v. 19.3.2009 – Verg 2/09, NZBau 2009, 341 (342). 5 OLG Düsseldorf v. 18.10.2006 – VII Verg 30/06, NZBau 2007, 254 (255); VK Sachsen v. 16.12.2009 – 1/SVK/57-09, IBRRS 2010, 0634; s. auch Dreher in Immenga/Mestmäcker, § 97 Rz. 38; Gnittke/Hatting in Müller-Wrede, VOL/A-Kommentar, § 18 EG VOL/A Rz. 28; Planker in Kapellmann/Messerschmidt, VOB, 5. Aufl. 2015, § 15 VOB/A Rz. 18 ff. 6 OLG Naumburg v. 2.8.2012 – 2 Verg 3/12, VergabeR 2013, 123 (127); OLG Jena v. 19.4. 2004 – 6 Verg 3/04, VergabeR 2004, 520 (521); dazu Burgi, NZBau 2008, 29 (33). 7 OLG Frankfurt v. 28.2.2006 – 11 Verg 15/05, VergabeR 2006, 382 (387). 8 Bungenberg in Loewenheim/Meessen/Riesenkampff, § 97 Rz. 7; a.A. Fehling in Pünder/ Schellenberg, § 97 Rz. 54 ff.; Hailbronner in Byok/Jaeger, § 97 Rz. 14.

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Grundsätze der Vergabe | § 97

fordert der Wettbewerbsgrundsatz von den Auftraggebern nicht lediglich sich selbst wettbewerbsgerecht zu verhalten, sondern auch gegen wettbewerbswidriges Verhalten von Bewerbern bzw. Bietern einzuschreiten1. In § 2 EU Abs. 1 Nr. 2 Satz 2 VOB/A ist eine entsprechende Pflicht ausdrücklich normiert. Die Art und Weise der Erfüllung dieser Pflicht steht grundsätzlich im Ermessen des Auftraggebers2. Anderes gilt z.B. für den Angebotsausschluss nach § 123, wobei auch hier Ausnahmen möglich sind (Absatz 5). „Wettbewerbsbeschränkende und unlautere Verhaltensweisen“ sind solche Ver- 23 haltensweisen von Bietern und Auftraggebern, die den Wettbewerb generell in irgendeiner Form beeinträchtigen3. Gegen den Wettbewerbsgrundsatz verstoßen auch verengte Leistungsbeschreibungen. So entschied etwa das OLG Koblenz im April 2016 über eine Leistungsbeschreibung, in der ein Umschlagplatz für Grünabfälle in der Stadt oder in der unmittelbaren Nähe der Stadt des Auftraggebers ohne sachliche Begründung verlangt wurde. Solche Vorgaben benachteiligen stadtferne Unternehmen unsachgemäß und verstoßen damit auch gegen das Wettbewerbsgebot des Absatzes 1 Satz 14. Eine im Sinne dieser Vorschriften unzulässige wettbewerbsbeschränkende Abrede wird in der Spruchpraxis der Vergabekammern und -senate auch angenommen, wenn sich ein Unternehmen parallel als Einzelbieter und als Mitglied einer Bietergemeinschaft an einem Vergabeverfahren beteiligt5 und dabei nicht ausgeschlossen werden kann, dass die Angebote nicht unabhängig voneinander eingereicht wurden6. Teilweise wird darüber hinaus bereits der Zusammenschluss zu einer Bietergemeinschaft als Abrede angesehen, die in der Regel wettbewerbsbeschränkend sei und daher zum Ausschluss führe7. Allerdings gelte dies nur im Grundsatz und nicht, wenn 1 Aicher in Müller-Wrede, Kompendium des Vergaberechts, Kap. 9 Rz. 21; auch MüllerWrede in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, 2. Aufl. 2014, § 97 Rz. 7. 2 OLG Koblenz v. 26.10.2005 – 1 Verg 4/05, VergabeR 2006, 392 (399); Glahs in Kapellmann/Messerschmidt, § 2 VOB/A Rz. 23. 3 S. beispielhaft OLG München v. 14.3.2013 – Verg 32/12, VergabeR 2013, 917 (921); OLG Düsseldorf v. 4.2.2013 – VII-Verg 31/12, VergabeR 2014, 188 (193); VK Sachsen v. 23.5. 2014 – 1/SVK/011-14, NZBau 2014, 790 (790). 4 OLG Koblenz v. 20.4.2016 – Verg 1/16, VergabeR 2016, 497 (500). 5 OLG Celle v. 13.12.2007 – 13 Verg 10/07, OLGR Celle 2008, 253; OLG Düsseldorf v. 27.7. 2006 – Verg 23/06, VergabeR 2007, 229 (232); OLG Jena v. 19.4.2004 – 6 Verg 3/04, VergabeR 2004, 520 (521); zu Verstößen gegen den Vertraulichkeitsgrundsatz s. auch OLG Düsseldorf v. 4.2.2013 – VII-Verg 31/12, VergabeR 2014, 188 (193); VG Frankfurt v. 4.11. 2011 – 5 L 2864/11.F, IBRRS 2013, 0697; VK Westfalen v. 22.4.2015 – VK 1-12/15, IBR 2015, 563; VK Südbayern v. 16.4.2014 – Z3-3-3194-1-05-02/14, VPRRS 2014, 0645. 6 EuGH v. 23.12.2009 – Rs. C-376/08 (Serrantoni und Consorzio stabile edili), Slg. 2009, I12169, Rz. 34 ff. = VergabeR 2010, 469 (474); s. in diesem Zusammenhang auch OLG Düsseldorf v. 16.11.2010 – Verg 50/10, IBRRS 2011, 0390; s. hierzu auch Gabriel, NZBau 2010, 225 (226); Müller-Wrede in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 97 Rz. 8. 7 OLG Schleswig v. 15.4.2014 – 1 Verg 4/13, IBR 2014, 425; KG v. 21.12.2009 – 2 Verg 11/ 09, IBR 2010, 223.

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§ 97 | Grundsätze der Vergabe die auf demselben Markt tätigen Mitglieder erst durch das Eingehen der Gemeinschaft in die Lage versetzt werden, ein Angebot abzugeben, um somit am Wettbewerb teilzunehmen (1. Fallgruppe) oder wenn die Unternehmen zwar für sich leistungsfähig sind, aber Kapazitäten aktuell fehlen (2. Fallgruppe) oder wenn sie zwar für sich leistungsfähig sind, aber im Rahmen einer wirtschaftlich zweckmäßigen und kaufmännisch vernünftigen Entscheidung erst der Zusammenschluss Erfolg verspricht (3. Fallgruppe)1. 24 Zu einem Angebotsausschluss kommt es weiterhin, wenn Unternehmen etwa

gegen § 3 UWG, §§ 1, 14 GWB, Art. 101 f. AEUV oder gegen das Gesetz zur Bekämpfung der Schwarzarbeit verstoßen2. Ob Gleiches auch für Verstöße gegen Tarifverträge3 und die Bestimmungen in den Gemeindeordnungen über die wirtschaftliche Betätigung von Kommunen bzw. kommunalen Unternehmen4 gilt, ist umstritten. 3. Transparenzgrundsatz

25 Wie der Wettbewerbsgrundsatz zählt auch das ebenfalls in Absatz 1 Satz 1 ver-

ankerte Transparenzprinzip zu den tragenden Grundsätzen des Vergaberechts. Auch der Transparenzgrundsatz beruht auf unionsrechtlichen Vorgaben5 und wird durch Detailregelungen in den Verordnungen (VgV, SektVO, KonzVgV, VSVgV) sowie in der im Oberschwellenbereich anwendbaren VOB/A konkretisiert. Art. 18 Abs. 1 der Richtlinie 2014/24/EU (Vergaberichtlinie), Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2014/23/EU (Konzessionsvergaberichtlinie), Art. 36 Abs. 1 der Richtlinie 2014/25/EU (Sektorenrichtlinie) sowie Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2009/81/EG (Vergaberichtlinie Verteidigung und Sicherheit) nennen den Trans-

1 OLG Celle v. 8.7.2016 – 13 Verg 2/16, IBRRS 2016, 2218; v. 12.4.2016 – 13 Verg 1/16, VergabeR 2016, 502 (505); OLG Düsseldorf v. 8.6.2016 – Verg 3/16, IBRRS 2016, 2216; außerdem zu einer möglichen Pflicht zum Abschluss eines Kooperationsvertrags vor Zuschlagserteilung EuGH v. 14.1.2016 – C-234/14 (Ostas celtnieks), IBR 2016, 301 (Rz. 33 f.) = NZBau 2016, 227 (229); allgemein zu Bietergemeinschaften Lausen, Die Rechtsstellung von Bietergemeinschaften im Vergabeverfahren, 2010, S. 190 ff. und Ohrtmann, VergabeR 2008, 426 ff. 2 S. etwa Bauer in Heiermann/Riedl/Rusam, Handkommentar zur VOB, 13. Aufl. 2013, A § 2 Rz. 38 ff.; Dreher in Immenga/Mestmäcker, § 97 Rz. 40; Franke/Kollewe in Franke/ Kemper/Zaner/Grünhagen, VOB-Kommentar, 5. Aufl. 2013, § 2 EG VOB/A Rz. 23; Glahs in Kapellmann/Messerschmidt, § 2 VOB/A Rz. 32. 3 S. hierzu Gersterkamp/Laumann, VergabeR 2007, 477 (481 ff.); Glahs in Kapellmann/ Messerschmidt, § 2 VOB/A Rz. 33. 4 Eine gegen Vergaberecht verstoßende Wettbewerbsverfälschung bejahend: OLG Düsseldorf v. 13.8.2008 – VII-Verg 42/07, IBRRS 2009, 2531; v. 17.6.2002 – Verg 18/02, NZBau 2002, 626 (626); a.A. OVG Münster v. 1.4.2008 – 15 B 122/08, NVwZ 2008, 1031 (1032); s. auch Glahs/Külpmann, VergabeR 2002, 555 (561 ff.); Mann, NVwZ 2010, 857 (861). 5 S. etwa EuGH v. 25.4.1996 – Rs. C-87/94 (Wallonische Busse), Slg. 1996, I-2043, Rz. 53 ff. = NVwZ 1997, 374 (376); Höfler, NZBau 2010, 73 (75 ff.).

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Grundsätze der Vergabe | § 97

parenzgrundsatz als wesentlichen Teil des Vergabeverfahrens. Zwar handelt es sich beim Transparenzgrundsatz um einen eigenständigen Grundsatz, eine Verletzung stellt einen Vergabeverstoß dar1. Allerdings steht der Transparenzgrundsatz nicht selbständig neben dem Wettbewerbsgrundsatz. Vielmehr kommt dem Transparenzgrundsatz im Hinblick auf den Wettbewerbsgrundsatz und das Diskriminierungsverbot eine dienende Funktion zu2. Transparenz soll Korruption und weitere unlautere Verhaltensweisen im Vergabeverfahren verhindern3. Sie dient als Verfahrensgarantie der Information und Vorhersehbarkeit, der Nachvollziehbarkeit sowie Nachprüfung. a) Ermöglichung der Verfahrensbeteiligung Der Transparenzgrundsatz zielt zum einen darauf ab, dass potenzielle Bieter 26 ausreichende Kenntnis von dem Beschaffungsvorhaben erhalten. Denn nur wenn interessierte Unternehmen ausreichende Informationen über beabsichtigte Beschaffungsvorhaben, die genauen Anforderungen des Auftraggebers und die Vergabebedingungen erlangen können, besteht die Möglichkeit eines echten Bieterwettbewerbs4. Insofern umfasst das Transparenzgebot das Gebot, alle für potenzielle Bieter relevanten auftragsbezogenen Informationen publik zu machen. Transparenz dient also zunächst der Vorhersehbarkeit, es geht um die Transparenz der Maßstäbe der Entscheidungsfindung5. Ausfluss dieses Publizitätsgebotes ist allen voran die Verpflichtung öffentlicher 27 Auftraggeber, ihre Absicht, einen Auftrag zu vergeben, in geeigneter Art und Weise bekanntzugeben (§ 37 Abs. 1 Satz 1 VgV, § 35 Abs. 1 Satz 1 SektVO, § 19 Abs. 1 KonzVgV, § 35 Abs. 1 Satz 1 VSVgV, § 12 EU Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 VOB/ A). Diese Bekanntmachung muss alle Informationen enthalten, die potenzielle Bieter benötigen, um entscheiden zu können, ob sie sich am Verfahren beteiligen wollen. Um die Transparenz dieser Bekanntmachungen zu erhöhen, wurde zum einen mit der Verordnung (EG) 2195/20026 das sog. Gemeinsame Vokabular für öffentliche Aufträge (Common Procurement Vocabulary – CPV) geschaffen, welches bei Bekanntmachungen zur Beschreibung des Auftragsgegenstandes anzuwenden ist. Zum anderen schreibt die Verordnung (EU) 2015/ 1 OLG Düsseldorf v. 17.3.2004 – VII-Verg. 1/04, VergabeR 2004, 513 (514). 2 Hailbronner in Byok/Jaeger, § 97 Rz. 24; Marx in Beck’scher VOB-Kommentar Teil A, 1. Aufl. 2001, § 97 Rz. 16; s. auch EuGH v. 13.10.2005 – Rs. C-458/03 (Parking Brixen), Slg. 2005, I-8585, Rz. 49 = VergabeR 2005, 737 (742). 3 BT-Drucks. 18/6281, S. 67. 4 Vgl. EuGH v. 21.7.2005 – Rs. C-231/03 (Coname), Slg. 2005, I-7287, Rz. 18 = NZBau 2005, 592 (593). 5 S. Müller-Wrede in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 97 Rz. 18. 6 Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates v. 5.11.2002 über das Gemeinsame Vokabular für öffentliche Aufträge (CPV), ABl. Nr. L 340 v. 16.12.2002, S. 1, zuletzt geändert durch Verordnung (EG) 596/2009 v. 18.6.2009, ABl. Nr. L 188 v. 18.7.2009, S. 14.

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§ 97 | Grundsätze der Vergabe 19861 Standardformulare vor, die von Auftraggebern sowohl für die Vergabebekanntmachung als auch für die übrigen in den Vergaberichtlinien vorgesehenen Veröffentlichungen zu verwenden sind2. 28 Weiter erfordert das Publizitätsgebot etwa, dass der Auftraggeber bei der Prü-

fung und Wertung der Angebote nur diejenigen Zuschlagskriterien – einschließlich der jeweiligen Gewichtungsregeln und Unterkriterien3 – berücksichtigen darf, die er in der Bekanntmachung oder den Verdingungsunterlagen angegeben hat (§ 127 Abs. 5)4. Denn ohne Kenntnis des Bestehens und der Tragweite der vom Auftraggeber angewandten Zuschlagskriterien ist es potenziellen Bietern nicht möglich, ein den Anforderungen des Auftraggebers entsprechendes Angebot zu erstellen5.

b) Ermöglichung der Verfahrensüberprüfung 29 Zum anderen zielt der Transparenzgrundsatz darauf ab, die Nachprüfung zu er-

möglichen, ob die Grundsätze des Absatzes 1 und das Diskriminierungsverbot des Absatzes 2 gewahrt werden6. Insofern besteht eine deutliche Parallele zur Rechtsprechung des EuGH, wonach Richtlinien, welche Ansprüche des Einzelnen begründen sollen, von den Mitgliedstaaten derart umzusetzen sind, dass die Begünstigten in die Lage versetzt werden, „von allen ihren Rechten Kenntnis zu erlangen und diese gegebenenfalls vor den nationalen Gerichten geltend zu machen“7.

1 Durchführungsverordnung (EU) 2015/1986 der Kommission vom 11.11.2015 zur Einführung von Standardformularen für die Veröffentlichung von Vergabebekanntmachungen für öffentliche Aufträge und zur Aufhebung der Durchführungsverordnung (EU) Nr. 842/2011, ABl. Nr. L 296 v. 12.11.2015, S. 1. 2 S. beispielhaft § 23 Abs. 2 Nr. 1 VgV, § 21 Abs. 2 Nr. 1 SektVO, § 19 Abs. 2 KonzVgV, § 17 Abs. 2 Satz 2 VSVgV, § 12 EU Abs. 1 Nr. 3 VOB/A. 3 EuGH v. 12.12.2002 – Rs. C-470/99 (Universale-Bau), Slg. 2002, I-11617, Rz. 99 = NZBau 2003, 162 (168). 4 Grundlegend hierzu EuGH v. 24.1.2008 – Rs. C-532/06 (Lianakis u.a./Dimos Alexandroupolis u.a.), Slg. 2008, I-251, Rz. 33 ff. = IBR 2008, 170 (Rz. 33); BGH v. 8.9.1998 – X ZR 109/96, MDR 1998, 1407 m. Anm. Hertwig = NJW 1998, 3644 (3646). 5 S. EuGH v. 18.11.2010 – Rs. C-226/09 (Kommission/Irland), Slg. 2010, I-11824, Rz. 41 ff. = NZBau 2011, 50 (52); 24.11.2005 – Rs. C-331/04 (ATI EAC e Viaggi di Maio u.a.), Slg. 2005, I-10109, Rz. 23 = ZfBR 2006, 184 (186);v. 17.9.2002 – Rs. C-513/99 (Concordia Bus Finland), Slg. 2002, I-7213, Rz. 62 = NZBau 2002, 618 (622). 6 EuGH v. 18.6.2002 – Rs. C-92/00 (Hospital Ingenieure), Slg. 2002, I-5553, Rz. 45 = NZBau 2002, 458 (461); v. 18.10.2001 – Rs. C-19/00 (SIAC), Slg. 2001, I-7725, Rz. 41 = NZBau 2001, 693 (694); v. 7.12.2000 – Rs. C-324/98 (Teleaustria), Slg. 2000, I-10745, Rz. 61 = NZBau 2001, 184 (151); v. 18.11.1999 – Rs. C-275/98 (Unitron Scandinavia), Slg. 1999, I-8291, Rz. 31 = NZBau 2000, 91 (92). 7 EuGH v. 30.5.1991 – Rs. C-361/88 (Kommission/Deutschland), Slg. 1991, I-2567, Rz. 15 = NVwZ 1991, 866 (866); v. 28.2.1991 – Rs. C-131/88 (Kommission/Deutschland) Slg. 1991, I-825, Rz. 6 = NVwZ 1991, 973 (973).

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Grundsätze der Vergabe | § 97

Zunächst aber bedarf es nicht nur für die Ermöglichung der Verfahrensbetei- 30 ligung, sondern auch für die Ermöglichung der Verfahrensüberprüfung einer Bekanntgabe der Bewertungskriterien und eine Dokumentation der Bewertungsgründe. D.h. insbesondere, dass Zuschlagskriterien in dem Maße veröffentlicht werden müssen, dass willkürliche Zuschlagserteilungen des Auftraggebers verhindert werden. Vereinfachte Drei-Punkte-Systeme oder Schulnotensysteme ohne hinreichend klare maßstabsgebende funktionelle Anforderungen sind daher nicht genügend. Vielmehr ist ein solch allgemein gehaltener Bewertungsmaßstab intransparent, solange das Wertungssystem objektiv Raum für Manipulationen und Willkür bei der Angebotsbewertung bietet1. Es bedarf zumindest einer Abstufung und einer jeweiligen Begründung für Punktabzüge, sodass konkrete Anforderungen an die jeweilige Punktezahl bzw. Benotung nachvollziehbar sind. Für Bieter muss erkennbar sein, unter welchen Voraussetzungen welche Punkte oder Schulnoten vergeben werden2. Grundsätzlich ist die Bewertungsmethode, anhand derer der öffentliche Auftraggeber die Angebote konkret bewertet und einstuft, vor Angebotseingang zu beschließen3. Ausnahmsweise aber, wenn eine Festlegung aus nachweislichen Gründen gar nicht vor Öffnung möglich war, kann der öffentliche Auftraggeber die Bewertungsmethode auch nach Kenntnisnahme vom Inhalt der Angebote festlegen. Dies setzt jedoch voraus, dass bekanntgemachte Zuschlagskriterien und ihre Gewichtung unverändert bleiben4. Die Ermöglichung der Verfahrensüberprüfung verlangt zum einen wiederum 31 die Herstellung von Publizität, nämlich Publizität hinsichtlich des Verfahrensablaufes. Ausprägung dessen ist insbesondere neben der Informationspflicht des Auftraggebers gemäß § 134 Abs. 1 das Verbot der Zuschlagserteilung vor Ablauf der sog. Stillhaltefrist des § 134 Abs. 2 Satz 1. Der Herstellung von Publizität zum Zwecke der Überprüfbarkeit von Vergabeverfahren dienen zudem etwa die Pflicht zur Benachrichtigung der Bieter über die Aufhebung einer Ausschreibung (§ 63 Abs. 2 Satz 1 VgV, § 57 Satz 2 SektVO, § 32 Abs. 2 Satz 1 KonzVgV, § 37 Abs. 2 VSVgV, § 17 EU Abs. 2 VOB/A)5 und die Pflicht zur Be1 Vgl. dazu OLG Düsseldorf v. 1.6.2016 – VII-Verg 6/16, VergabeR 2016, 751 (760); v. 16.12.2015 – VII-Verg 25/15, VergabeR 2016, 487 (490); v. 21.10.2015 – VII-Verg 28/ 14, NZBau 2016, 235 (238); BGH v. 4.4.2017 – X ZB 3/17, NZBau 2017, 366. 2 OLG Düsseldorf v. 15.6.2016 – VII Verg 49/15, VergabeR 2016, 762 (767); großzügiger bei der Benotung aufgrund funktional beschriebener Leistungsanforderungen BGH v. 4.4.2017 – X ZB 3/17, NZBau 2017, 366 (371). 3 EuGH v. 14.7.2016 – Rs. C-6/15 (Dimarso), IBRRS 2016, 2031 (Rz. 24) = VergabeR 2016, 721 (725); v. 24.1.2008 – Rs. C-532/06 (Lianakis u.a./Dimos Alexandroupolis u.a.), Slg. 2008, I-251, Rz. 38, 42 = IBR 2008, 170 (Rz. 38, 42). 4 So EuGH v. 14.7.2016 – Rs. C-6/15 (Dimarso), IBRRS 2016, 2031 (Rz. 32) = VergabeR 2016, 721 (725). 5 S. Herig in Herig, VOB Praxiskommentar, 5. Aufl. 2013, § 17 VOB/A Rz. 33 f.; dazu auch noch Lischka in Müller-Wrede, VOL/A-Kommentar, § 20 EG VOL/A Rz. 87 ff.

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§ 97 | Grundsätze der Vergabe kanntmachung der Auftragserteilung (z.B. § 39 Abs. 1 VgV, § 38 Abs. 1 SektVO, § 21 Abs. 1 Satz 1 KonzVgV, § 35 VSVgV, § 18 EU Abs. 4 VOB/A)1. 32 Eine effektive Verfahrensüberprüfung erfordert zum anderen eine Dokumenta-

tion des Vergabeverfahrens, die gewährleistet, dass der Gang des Verfahrens und dabei insbesondere die wesentlichen Entscheidungen der Vergabestelle durch die Bieter und die Nachprüfungsinstanzen nachvollzogen werden können2.

33 Eine entsprechende Dokumentationspflicht wird in § 163 Abs. 2 Satz 3 voraus-

gesetzt und ist als Pflicht zur Fertigung von Vergabevermerken in den Regelungswerken (s. etwa § 8 VgV, § 8 SektVO, § 6 KonzVgV, § 43 VSVgV, § 20 EU VOB/A) verankert. Danach müssen die einzelnen Stufen des Verfahrens, die maßgeblichen Feststellungen und die Begründung der einzelnen Entscheidungen dokumentiert werden. Der erforderliche Detaillierungsgrad richtet sich nach dem konkreten Sachverhalt, wobei die Dokumentation umso ausführlicher sein muss, je mehr Gesichtspunkte bei einer Entscheidung zu berücksichtigen sind3. Die Dokumentation muss des Weiteren zeitnah erfolgen und laufend fortgeschrieben werden4.

34 Weil die Dokumentation der Überprüfbarkeit der Ordnungsgemäßheit des Ver-

fahrensablaufes und damit der Wahrung der Rechte der Bewerber dient, führen Mängel in der Dokumentation grundsätzlich dazu, dass das Vergabeverfahren ab der Verfahrensstufe, bei der der Dokumentationsmangel vorliegt, zu wiederholen ist5. Im Rahmen eines Nachprüfungsverfahrens kann dies freilich nur dann mit Erfolg geltend gemacht werden, wenn der Antrag zulässig ist, der Antragsteller also insbesondere geltend machen kann, dass sich der Dokumentationsmangel auf seine Rechtsstellung nachteilig ausgewirkt hat6. 4. Wirtschaftlichkeitsgrundsatz

35 Die Vergaberechtsmodernisierung 2016 ergänzte § 97 Absatz 1 um einen Satz 2

mit zwei weiteren Grundsätzen. Einer davon ist der Wirtschaftlichkeitsgrundsatz, der auch schon vor seiner ausdrücklichen Normierung im GWB als „Leit-

1 Stickler in Kapellmann/Messerschmidt, § 18 EG VOB/A Rz. 4. 2 S. OLG Celle v. 11.2.2010 – VII-Verg 10/07, VergabeR 2010, 669 (673); OLG München v. 17.1.2008 – Verg 15/07, VergabeR 2008, 574 (578); OLG Düsseldorf v. 11.7.2007 – Verg 10/07, IBR 2008, 233; vgl. auch jüngere Entscheidungen zur strengen Dokumentationspflicht: OLG Düsseldorf v. 21.10.2015 – VII-Verg 28/14, NZBau 2016, 235 (245 f.); OLG München v. 25.9.2014 – Verg 9/14, IBRRS 2014, 2616; VK Sachsen-Anhalt v. 19.3.2014 – 3 VK LSA 08/14, IBRRS 2015, 0207. 3 OLG Frankfurt v. 28.11.2006 – 11 Verg 4/06, NZBau 2007, 804 (805). 4 OLG München v. 19.12.2007 – Verg 12/07, ZfBR 2008, 210 (215). 5 S. etwa OLG Celle v. 11.2.2010 – 13 Verg 16/09, VergabeR 2010, 669 (673); OLG Frankfurt v. 28.11.2006 – 11 Verg 4/06, NZBau 2007, 804 (805). 6 OLG Frankfurt v. 28.11.2006 – 11 Verg 4/06, NZBau 2007, 804 (805).

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prinzip“1 im Vergaberecht wahrgenommen wurde2 und vormals in Absatz 5 („Der Zuschlag wird auf das wirtschaftlichste Angebot erteilt“, jetzt § 127 Abs. 1 Satz 1) seinen Platz in der Grundsatznorm des § 97 fand. Art. 67 der Vergaberichtlinie, Art. 41 der Konzessionsvergaberichtlinie und Art. 82 der Sektorenrichtlinie nennen als Ziele des Vergabeverfahrens im Rahmen der Zuschlagserteilung einen wirtschaftlichen Gesamtvorteil bzw. das wirtschaftlich günstigste Angebot. Insofern stellt die Neuformulierung auch eine Anpassung an die Richtlinienvorgaben dar. Die verfassungsrechtliche Verankerung des Wirtschaftlichkeitsgrundsatzes fin- 36 det sich in Art. 114 Abs. 2 GG, nach der der Bundesrechnungshof die Rechnung sowie die Wirtschaftlichkeit und Ordnungsmäßigkeit der Haushalts- und Wirtschaftsführung prüft, wobei der Wirtschaftlichkeitsgrundsatz „nicht nur als Kontrollmaßstab des Bundesrechnungshofs, sondern darüber hinausgehend auch als umfassend geltendes Prinzip für alle staatlichen Einrichtungen“ gilt3. Seine Wurzeln hat er im Haushaltsrecht, Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit 37 sind geregelt in § 6 Abs. 1 HGrG und § 7 BHO. Sowohl das Haushaltsgrundsätzegesetz als auch die Bundeshaushaltsordnung schreiben Mittel zur Umsetzung der Zielvorgabe von Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit vor: Neben der Pflicht für alle finanzwirksamen Maßnahmen Wirtschaftlichkeitsuntersuchungen durchzuführen (§ 6 Abs. 2 HGrG, § 7 Abs. 2 Satz 1 BHO), werden in geeigneten Bereichen Kosten- und Leistungsrechnungen (§ 6 Abs. 3 HGrG, § 7 Abs. 3 BHO), die Berücksichtigung von Risikoverteilung (§ 7 Abs. 2 Satz 2 BHO), die Prüfung von möglicher Ausgliederung und Entstaatlichung oder Privatisierung (§ 7 Abs. 1 Satz 2 BHO) und wiederum in geeigneten Fällen Interessenbekundungsverfahren (§ 7 Abs. 2 Satz 3 BHO) vorgeschrieben. Ausprägungen des Wirtschaftlichkeitsgrundsatzes sind reichlich vorhanden. So 38 etwa: – in § 127 Abs. 1 Satz 1 (vorher § 97 Abs. 5), der als Ziel des Vergabeverfahrens den Zuschlag auf das wirtschaftlichste Angebot nennt und weiterhin in diesem Zusammenhang voranzustellen ist, – in § 119 Abs. 2 und dem grundsätzlichen Vorrang von offenem bzw. nichtoffenem Verfahren gegenüber Verfahren ohne Bekanntmachung, – in § 120 Abs. 2 („wirtschaftlichste Angebot“, vorher § 101 Abs. 6) sowie – in den §§ 169 Abs. 2 Satz 2, 173 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 1 und 176 Abs. 1 Satz 2 („das Interesse der Allgemeinheit an einer wirtschaftlichen Erfüllung der Aufgaben des Auftraggebers zu berücksichtigen“, vorher §§ 115 Abs. 2 Satz 2, 118 Abs. 2 Satz 2, 121 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 1), 1 Bungenberg, Vergaberecht im Wettbewerb der Systeme, 2007, S. 135 ff., 162 ff. 2 S. auch Fehling in Pünder/Schellenberg, VergabeR, § 97 Rz. 48. 3 Kube in Maunz/Dürig, GG, 77. Ergänzungslieferung: Juli 2016, Art. 114 GG Rz. 104.

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§ 97 | Grundsätze der Vergabe – schließlich auch in den § 28 VgV, § 26 SektVO und der grundsätzlich zulässigen Markterkundung, 39 Der Wirtschaftlichkeitsgrundsatz verlangt letztlich als allgemeine Zielvorgabe

maximale Zweckerreichung durch minimalen Kostenaufwand1.

5. Verhältnismäßigkeitsgrundsatz 40 Ebenso wie der Wirtschaftlichkeitsgrundsatz wurde mit der Vergaberechts-

modernisierung 2016 auch der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz in Absatz 1 Satz 2 geregelt. Allerdings hieß es schon im Erwägungsgrund 3 der Richtlinie 2004/18/EG „Die Vergabe von Aufträgen in den Mitgliedstaaten auf Rechnung des Staates, der Gebietskörperschaften und anderer Einrichtungen des öffentlichen Rechts ist an die Einhaltung der im Vertrag niedergelegten Grundsätze gebunden, insbesondere […] des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit“, sodass – wenngleich nur als Auslegungshilfe – das Übermaßverbot nicht erst durch die ausdrückliche Normierung im GWB Bedeutung im Vergabeverfahren erfährt. Die Art. 18 Abs. 1 der Vergaberichtlinie, Art. 3 Abs. 1 der Konzessionsvergaberichtlinie sowie Art. 36 Abs. 1 der Sektorenrichtlinie schreiben nun die Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes vor, Satz 2 verankert ihn auch ausdrücklich im 4. Teil des GWB.

41 Nicht nur im deutschen Verfassungsrecht spielt der Verhältnismäßigkeitsgrund-

satz eine herausragende Rolle, auch im Unionsrecht ist er als allgemeiner und ungeschriebener Rechtsgrundsatz anerkannt2. Ausdrücklich ist er in Art. 5 Abs. 4 EUV geregelt. Danach ist eine Maßnahme dann verhältnismäßig, wenn sie erstens geeignet, zweitens erforderlich und drittens angemessen ist. Geeignet ist eine Maßnahme, wenn sie die Erreichung des angestrebten Zieles zumindest fördert. Erforderlich ist die Maßnahme dann, wenn sich das Ziel nicht durch ein anderes geeignetes und milderes sowie gleich effektives Mittel realisieren lässt. Schließlich ist die Maßnahme angemessen, sofern sie nach Abwägung sämtlicher Vor- und Nachteile ein angemessenes Verhältnis zu dem angestrebten Ziel wahrt (Art. 5 Satz 5 Subsidiaritätsprotokoll, Art. 5 Abs. 4 Unterabs. 2 EUV).

42 Die Anwendung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes durch die Auftraggeber

ist bei jeglicher Beschaffungsaktivität als Verfahrensmaßstab heranzuziehen, speziell im Rahmen von Leistungsbeschreibung, Eignung, Zuschlag und Ausführungsbedingungen. Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz muss insbesondere bei 1 S. zum Maximal- und Minimalprinzip beispielhaft Butzer in Epping/Hillgruber, GG, 30. Edition: Juni 2016, Art. 114 GG Rz. 6. 2 EuGH v. 18.2.1982 – Rs. C-77/81 (Zuckerfabrik Franken), Slg. 1982, I-681 Rz. 25 = ZfZ 1982, 174 Rz. 25; hinsichtlich der Verhältnismäßigkeit im Rahmen von Ermessensentscheidungen EuGH v. 19.6.1980 – verb. Rs. 41, 121, 796/79 (Testa/Bundesanstalt für Arbeit), Slg. 1980, II-1979 Rz. 21 = EuGRZ 1980, 493 (Rz. 21); Calliess in Calliess/Ruffert, EUV/AUEV, 5. Aufl. 2016, Art. 5 EUV Rz. 44.

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Ermessensentscheidungen der Auftraggeber beachtet werden, sodass beispielhaft keine überhöhten Anforderungen an die Qualifikationen der Bieter im Verhältnis zum Vergabegegenstand gestellt werden dürfen1. Ausformungen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes können z.B. auch innerhalb von Fristenregelungen eine Rolle spielen, dies macht schon die Wortwahl in § 20 Abs. 1 VgV deutlich: „Bei der Festlegung von Fristen […] sind die Komplexität der Leistung und die Zeit für die Ausarbeitung der Angebote angemessen zu berücksichtigen“2. Eine weitere Ausprägung des Verhältnismäßigkeitsgebotes ist die Anwendung 43 des ultima ratio-Prinzips hinsichtlich des Ausschlusses von Bietern aufgrund möglicher Wettbewerbsvorteile als Folge einer Vorauftragnehmer- oder sogar Projektantenstellung (§ 124 Rz. 118 ff.). Bevor es zum Ausschluss des betroffenen Bieters kommt, bedarf es der Prüfung, ob überhaupt Wissensvorsprünge durch die konkrete Stellung bestehen3 oder Informationsvorsprünge möglicherweise ausgeglichen werden können. Ausdruck findet dies in Bezug auf die Projektantenstellung sogar ausdrücklich in § 124 Abs. 1 (Nr. 6). Auch § 123 Abs. 5 Satz 2 ist hier anzuführen. Der EuGH hat außerdem festgestellt, dass ein Ausschluss eines Bieters wegen Nichterfüllung von Pflichten, die nicht ausdrücklich in den Verfahrensunterlagen oder den Rechtsvorschriften geregelt, sondern lediglich mittels Auslegung erkennbar sind, sowohl dem Gleichbehandlungsgrundsatz als auch dem Transparenzprinzip entgegensteht. In diesem Zusammenhang verlange auch der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz eine „zweite Chance“ und eine angemessene Fristsetzung zur Nachholung der Verpflichtung4. 6. Verhältnis der Grundsätze des Absatzes 1 untereinander Die Grundsätze des Wettbewerbs und der Transparenz stehen in einer engen 44 Wechselbeziehung zueinander5. So setzt ein echter Bieterwettbewerb einerseits die Schaffung eines bestimmten Maßes an Transparenz in Form von Publizität hinsichtlich des Beschaffungsvorhabens voraus6. Andererseits findet das Transparenzgebot im Wettbewerbsgrundsatz seine Grenze. Denn zu den unverzichtbaren Kennzeichen einer wettbewerblichen Auftragsvergabe zählt auch die Gewährleistung eines Geheimwettbewerbs zwischen den an der Ausschreibung teil1 OLG Koblenz v. 20.4.2016 – Verg 1/16, VergabeR 2016, 497 (500); s. Burgi, DVBl. 2003, 949 (957); das Beispiel ebenso nutzend Frenz in Willenbruch/Wieddekind, § 97 Rz. 26. 2 S. auch § 27 Abs. 1 KonzVgV, § 10 EU Abs. 1 VOB/A. 3 Vgl. dazu EuGH v. 3.3.2005 – verb. Rs. C21/03, 34/03 (Fabricom), Slg. 2005, I-1559, Rz. 28 ff. = NZBau 2005, 351 (353). 4 EuGH v. 2.6.2016 – C-27/15 (Pizzo), IBR 2016, 408 (Rz. 35, 51) = VergabeR 2016, 604 (608 f.). 5 S. etwa Marx in Beck’scher VOB-Kommentar Teil A, 1. Aufl. 2001, § 97 Rz. 16, der insofern von einer „äußerst komplexen Kausalitäts- und Ergänzungsbeziehung“ spricht. 6 Bungenberg in Loewenheim/Meessen/Riesenkampff, § 97 Rz. 15.

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§ 97 | Grundsätze der Vergabe nehmenden Bietern1. Praktisch kommt diese Grenzziehung insbesondere bei der Frage zum Tragen, ob und inwiefern Einsicht in die Vergabeakte nach § 165 Abs. 2 aufgrund des Geheimschutzes und von Betriebs- oder Geschäftsgeheimnissen zu versagen ist (§ 165 Rz. 23, 37). 45 Ähnlich wie der Transparenzgrundsatz hat der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz als Verfahrensmaßstab im Vergabeverfahren dienende Funktion, sowohl bezüglich des Wettbewerbs als auch der Wirtschaftlichkeit. Die Wirtschaftlichkeit eines Zuschlags (das beste Preis-Leistungs-Verhältnis) am Ende eines Vergabeverfahrens, ist letztendlich das Ergebnis der Einhaltung der anderen in Absatz 1 geregelten Grundsätze. Transparenz und Verhältnismäßigkeit dienen dem Wettbewerb – Wettbewerb führt zu Wirtschaftlichkeit. 46 Transparenz und Verhältnismäßigkeit sind also Mittel zum Zwecke des Wettbewerbs, der im Zuschlag des wirtschaftlichsten Angebotes mündet.

IV. Diskriminierungsverbot (§ 97 Abs. 2) 47 Nach § 97 Abs. 2 sind die Teilnehmer an einem Vergabeverfahren gleich zu be-

handeln, soweit eine Ungleichbehandlung nicht aufgrund des GWB ausdrücklich geboten oder gestattet ist. Statt „Benachteiligung“ heißt es seit der Vergaberechtsmodernisierung 2016 „Ungleichbehandlung“. Zwar legt die Nuancierung den Fokus vermehrt auf die Auftraggeber, eine materielle Gesetzesänderung geht jedoch nicht mit der Neuformulierung einher2. Die Vorschrift normiert damit das Gleichbehandlungs- und Diskriminierungsverbot, das zu den tragenden Pfeilern sowohl des europäischen Vergaberechts3 als auch des allgemeinen Unionsrechts (Art. 18 AEUV) und des deutschen Rechts (Art. 3 GG) zählt. Seine Beachtung ist in den Verordnungen und der VOB/A vorgeschrieben4 und näher konkretisiert. Art. 18 Abs. 1 Satz 2 der Vergaberichtlinie, Art. 3 Abs. 1 Satz 2 der

1 S. EuGH v. 14.2.2008 – Rs. C-450/06 (Varec), Slg. 2008, I-581, Rz. 35 = ZfBR 2008, 304 (307): „Um dieses Ziel [Öffnung für einen unverfälschten Wettbewerb in allen Mitgliedstaaten] zu erreichen, dürfen die öffentlichen Auftraggeber keine das Vergabeverfahren betreffenden Informationen preisgeben, deren Inhalt dazu verwendet werden könnte, den Wettbewerb entweder in einem laufenden Vergabeverfahren oder in späteren Vergabeverfahren zu verfälschen“; s. auch OLG Düsseldorf v. 4.2.2013 – VII-Verg 31/12, NZBau 2013, 321 (324); v. 16.9.2003 – Verg 52/03, VergabeR 2003, 690 (691); Dreher in Immenga/Mestmäcker, § 97 Rz. 12; allgemein zum Widerstreit zwischen Transparenzgebot und Geheimhaltungsschutz Lorsch, VergabeR 2008, 739 ff. 2 BT-Drucks. 18/6281, S. 68. 3 Grundlegend EuGH v. 22.6.1993 – Rs. C-243/89 (Kommission/Dänemark), Slg. 1993, I3393, Rz. 33 = IBR 1993, 409 (Rz. 33). 4 S. grundsätzlich § 12 Abs. 3 KonzVgV, § 2 EU Abs. 2 VOB/A und speziell z.B. § 17 Abs. 13 Satz 1 VgV hinsichtlich der Gleichbehandlung von Bietern im Verhandlungsverfahren, § 46 Abs. 2 SektVO für die Anforderungskriterien, § 9 Abs. 1 Satz 1 KonzVgV hinsichtlich elektronischer Mittel, § 13 Abs. 2 Nr. 2 Satz 3 VSVgV für die Gleichbehand-

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Konzessionsvergaberichtlinie sowie Art. 36 Abs. 1 Satz 3 der Sektorenrichtlinie definieren eine unzulässige künstliche Wettbewerbseinschränkung als absichtliche Bevorzugung oder Benachteiligung von Wirtschaftsteilnehmern. 1. Funktion Wie die Grundsätze des Wettbewerbs und der Transparenz zählt auch das Dis- 48 kriminierungsverbot zu den grundlegenden Prinzipien des Kartellvergaberechts. Ebenso wie die Grundsätze des Absatzes 1 ist daher auch das Diskriminierungsverbot Auslegungsdirektive für die Vergaberegeln1. Anders als die Grundsätze des Wettbewerbs- und der Transparenz (Rz. 19 ff., 49 25 ff.) stellt das Diskriminierungsverbot des Absatzes 2 allerdings keinen bloßen Grundsatz im Sinne der Methodenlehre, also nicht lediglich einen normativ auszufüllenden Programmsatz dar. Denn in Absatz 2 ist bereits eine Konkretisierung des Gleichbehandlungsgrundsatzes und Diskriminierungsverbots des Unionsrechts bzw. des Verfassungsrechts zu erkennen2. Dementsprechend bedarf das Diskriminierungsverbot in den weiteren Vergaberegeln keiner Umsetzung. Vielmehr sind – wie bereits der Wortlaut von Absatz 2 klarstellt – in den weiteren Vergaberegeln die Fälle erfasst, in denen „eine Ungleichbehandlung … auf Grund dieses Gesetzes ausdrücklich geboten oder gestattet [ist]“. Insofern findet damit innerhalb des Anwendungsbereiches der §§ 97 ff. eine Limitierung von Rechtfertigungsgründen für Ungleichbehandlungen statt: Während Einschränkungen sowohl des unionsrechtlichen Diskriminierungsverbotes als auch des allgemeinen Gleichheitssatzes – im Rahmen der Verhältnismäßigkeit – grundsätzlich durch jeden sachlichen Grund gerechtfertigt werden können, sind Ungleichbehandlungen im Anwendungsbereich des Kartellvergaberechts nur dann rechtmäßig, wenn und soweit diese durch Vergaberegelungen geboten oder gestattet sind3. Ein Rückgriff auf nicht geregelte Rechtfertigungsgründe scheidet somit aus. 2. Geltungsbereich In sachlicher Hinsicht umfasst das Diskriminierungsverbot jede Stufe des Ver- 50 gabeverfahrens4. Eine Diskriminierung kann daher bereits in der Entscheidung

1 2 3 4

lung von Bietern im Wettbewerblichen Dialog, § 3 EU Nr. 2 VOB/A für die Kriterien im Teilnahmewettbewerb beim nichtoffenen Verfahren. S. etwa BGH v. 1.12.2008 – X ZB 31/08, BGHZ 179, 84 ff. = MDR 2009, 370 (Rz. 22). Bungenberg in Loewenheim/Meessen/Riesenkampff, § 97 Rz. 24. S. hierzu etwa BGH v. 26.9.2006 – X ZB 14/06, BGHZ 169, 131 ff. (Rz. 27): „Außerhalb der in § 97 Abs. 2 GWB genannten Ausnahmen muss deshalb der öffentliche Auftraggeber das Gleichbehandlungsgebot einschränkungslos beachten.“ S. etwa EuGH v. 18.10.2001 – Rs. C-19/00 (SIAC Construction), Slg. 2001, I-7725, Rz. 34 = NZBau 2001, 693 (694): „Im Einzelnen müssen die Bieter sowohl zu dem Zeitpunkt, zu dem sie ihre Angebote vorbereiten, als auch zu dem Zeitpunkt, zu dem diese vom öffentlichen Auftraggeber beurteilt werden, gleichbehandelt werden.“

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§ 97 | Grundsätze der Vergabe des Auftraggebers liegen, kein offenes Verfahren oder nichtoffenes Verfahren durchzuführen1 oder eine Leistung bzw. Ware ausschließlich hersteller- oder markenbezogen auszuschreiben2. Ein Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot bleibt denkbar, bis das Vergabeverfahren abgeschlossen, also der Zuschlag wirksam erteilt oder das Verfahren anderweitig (wirksam)3 beendet ist. 51 In personeller Hinsicht erfasst Absatz 2 als Konkretisierung auch und insbeson-

dere des (allgemeinen) unionsrechtlichen Diskriminierungsverbotes zunächst Diskriminierungen aus Gründen der Staatsangehörigkeit i.S.v. Art. 18 AEUV. Insofern fallen daher alle Interessenten aus Mitgliedstaaten der EU in den Anwendungsbereich der Vorschrift4.

52 Absatz 2 schützt darüber hinaus auch Inländer. Nach der Rechtsprechung des

EuGH folgt dies bereits aus dem vergaberechtlichen Diskriminierungsverbot der Vergaberichtlinien. Denn die sich daraus ergebenden Verpflichtungen gelten unabhängig von der Staatsangehörigkeit oder vom Ort der Niederlassung der Bieter und schließen daher auch inländische Unternehmen ein5.

53 Der Gleichbehandlungsgrundsatz gilt schließlich auch für Staatsangehörige aus

Drittstaaten6. § 55 Abs. 1 Satz 1 SektVO stellt diesbezüglich eine Ausnahmeregelung im Sinne des § 97 Abs. 2 Halbs. 2 dar.

54 Entscheidend für die Eröffnung des Geltungsbereichs des vergaberechtlichen

Diskriminierungsverbotes des Absatzes 2 ist somit nicht die Herkunft bzw. der Sitz des Unternehmens, sondern die Klassifizierung als „Teilnehmer an einem Vergabeverfahren“. Nach Auffassung des OLG Jena fallen hierunter nur die „am konkreten Vergabeverfahren teilnehmenden Unternehmen“7. Auf Absatz 2 könnten sich danach weder potenzielle Bieter berufen, die – etwa im Falle einer De-facto-Vergabe – von vornherein nicht an dem Vergabeverfahren beteiligt waren, noch Bieter, die rechtmäßig von einem Vergabeverfahren ausgeschlossen worden sind.

55 Dieser Auffassung ist zu widersprechen. Denn nach gefestigter Rechtsprechung

des EuGH stellt gerade die De-facto-Vergabe, also das rechtswidrige Unterlassen

1 BGH v. 1.2.2005 – X ZB 27/04, BGHZ 162, 116 ff. = MDR 2005, 973 (Rz. 28); dazu auch Zeise in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum Vergaberecht, 4. Aufl. 2016, § 97 Rz. 61. 2 Näher hierzu Dreher in Immenga/Mestmäcker, § 97 Rz. 32 und vor allem Rz. 99 ff. 3 S. Zeise in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, § 97 Rz. 61 m.w.N. 4 Vgl. VK Bund v. 12.11.2009 – VK 3-208/09, IBR 2010, 1007. 5 EuGH v. 25.4.1996 – Rs. C-87/94 (Wallonische Busse), Slg. 1996, I-2043, Rz. 31 ff. = NVwZ 1997, 374 (375). 6 Dreher in Immenga/Mestmäcker, § 97 Rz. 76; Fehling in Pünder/Schellenberg, § 97 Rz. 76; Hailbronner in Byok/Jäger, § 97 Rz. 54; hervorgehoben in der Gesetzesbegründung BT-Drs. 18/6281, 68. 7 OLG Jena v. 20.6.2005 – 9 Verg 3/05, NZBau 2005, 476 (480).

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eines wettbewerblichen Vergabeverfahrens, „eine unterschiedliche Behandlung zum Nachteil des in dem anderen Mitgliedstaat niedergelassenen [potentiell an dem Auftrag interessierten] Unternehmens“1, also einen Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot dar. Dieser Verstoß wäre nach der Rechtsprechung des OLG Jena für die potenziellen Interessenten nicht angreifbar, so dass insofern eine Rechtsschutzlücke bliebe. Die besseren Gründe sprechen daher dafür, den Begriff der „Teilnehmer an einem Vergabeverfahren“ weit auszulegen, also hierunter auch lediglich potenzielle Bieter bzw. Bewerber zu fassen2. 3. Anforderungen Grundsätzlich untersagt das Diskriminierungsverbot nach ständiger Rechtspre- 56 chung des EuGH die Ungleichbehandlung von Gleichem bzw. die Gleichbehandlung von Ungleichem3. Der Gleichbehandlungsgrundsatz zielt darauf ab, dass alle (potenziellen) Bewerber bzw. Bieter die gleichen Chancen auf Erlangung des Auftrages (Chancengleichheit) erhalten4. Dieses Ziel kommt bereits bei der Erstellung der Vergabeunterlagen zum Tra- 57 gen. So etwa in den Verordnungen und in der VOB/A normierten Pflicht der Auftraggeber, die Leistung eindeutig und so erschöpfend zu beschreiben, dass alle Bewerber die Beschreibung im gleichen Sinne verstehen müssen5. Unklare Leistungsbeschreibungen stellen daher einen Verstoß gegen das Gleichbehandlungsgebot dar6. Für die Angebotsphase folgt aus dem Gleichbehandlungsgebot insbesondere, 58 dass allen Bietern bzw. Bewerbern die gleichen Chancen auf Abgabe eines Angebotes einzuräumen sind. In offenen Verfahren müssen daher alle interessierten Unternehmen nicht nur die Möglichkeit haben, überhaupt ein Angebot abgeben zu können; der Auftraggeber muss auch – und zwar in allen Vergabever1 EuGH v. 21.7.2005 – Rs. C-231/03 (Coname), Slg. 2005, I-7287, Rz. 17 f. = NZBau 2005, 592 (593). 2 So auch Fehling in Pünder/Schellenberg, § 97 Rz. 75; Zeise in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, § 97 Rz. 62. 3 EuGH v. 10.10.2013 – Rs. C-336/12 (Manova A/S), NZBau 2013, 783 (784); v. 3.3.2005 – verb. Rs. C-21/03, 34/03 (Fabricom), Slg. 2005, I-1559, Rz. 27 = NZBau 2005, 351 (353). 4 S. etwa KG v. 13.3.2008 – 2 Verg 18/07, NZBau 2008, 466 (469); OLG Jena v. 16.7.2007 – 9 Verg 4/07, VergabeR 2008, 269 (272); VK Brandenburg v. 19.12.2013 – VK 23/13, VPR 2014, 289; Bungenberg in Loewenheim/Meessen/Riesenkampff, § 97 Rz. 24; bezüglich des Verbots von Willkür gegen einzelne Bieter EuGH v. 12.3.2015 – Rs. C-538/13 (eVigilio), NZBau 2015, 306 (309) und Hessischer VGH v. 15.10.2014 – 9 C 1276/13.T, VPR 2015, 197. 5 § 31 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 VgV, § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SektVO, § 15 Abs. 1 Satz 2 KonzVgV i.V.m. §§ 152 Abs. 1 i.V.m. 121 Abs. 1 Satz 1, § 15 Abs. 2 Satz 1 VSVgV, § 7 EU Abs. 1 Nr. 1 VOB/A. 6 OLG Naumburg v. 16.9.2002 – 1 Verg 02/02, NZBau 2003, 628 (432).

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§ 97 | Grundsätze der Vergabe fahren im Anwendungsbereich der §§ 97 ff.1 – gewährleisten, dass die Bedingungen für die Angebotsabgabe für alle Bieter und Bewerber gleich sind. Dies gilt etwa im Hinblick auf die Angebotsfristen2 und die inhaltlichen Anforderungen an die Angebote3. Die Gewährung von Nachbesserungen von Angeboten nach Angebotsablehnung ist ebenso gleichheitswidrig4. Weiterhin verbietet sich aus diesem Grund eine Bevorzugung einzelner Bieter etwa bei der Gewährung von Informationen, die nicht in den Vergabeunterlagen enthalten sind. Werden Fragen eines Bewerbers oder Bieters beantwortet, ist es daher erforderlich, diese Antwort allen beteiligten Unternehmen zukommen zu lassen5. 59 Für die Wertungsphase folgt aus dem Gleichbehandlungsgebot insbesondere,

dass die den Bewerbern bekanntgemachten Eignungs- und Wertungskriterien anzuwenden sind, also bekanntgemachte Eignungs- und Wertungskriterien weder unangewandt bleiben noch andere, vor Angebotsabgabe nicht bekanntgemachte Eignungs- und Wertungskriterien, angewandt werden (§ 122 Rz. 68, § 127).

60 Absatz 2 erfordert grundsätzlich eine formale Gleichbehandlung6. Ein Aus-

gleich wettbewerbsrelevanter Unterschiede zwischen den Bewerbern, namentlich von Wissensvorsprüngen einzelner Bewerber, ist den Auftraggebern hingegen in der Mehrzahl der Fälle nicht möglich und wäre in der Regel auch nicht sachgerecht7. Es würde dem Wettbewerbsgrundsatz widersprechen, weil Wettbewerb auf Differenzierung und der Erarbeitung von natürlichen Vorsprüngen aufbaut. Denn gerade aus unterschiedlichen Erfahrungs- und Wissensständen ergibt sich für Auftraggeber die Chance, diese im Interesse einer wirtschaftlichen Beschaffung nutzbar zu machen. Das Gleichbehandlungsgebot beinhaltet daher keine Verpflichtung des Auftraggebers, bestehende Wettbewerbsvorteile bzw. -nach1 Vgl. etwa OLG Celle v. 16.1.2002 – 13 Verg 1/02, VergabeR 2002, 299 (301); OLG Frankfurt v. 10.4.2001 – 11 Verg 1/01, VergabeR 2001, 299 (302). 2 S. etwa OLG Dresden v. 14.4.2000 – WVerg 0001/00, BauR 2000, 1591 (Rz. 34), wonach eine Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes vorliegt, wenn nicht alle Bewerber über eine Verlängerung der Angebotsfrist informiert werden. 3 OLG München v. 8.6.2010 – Verg 08/10, IBR 2010, 467. 4 VK Bund 12.6.2015 – VK 2-31/15, ZfBR 2015, 822 (825) hinsichtlich eines Teilnehmerwettbewerbs. 5 BGH v. 26.10.1999 – X ZR 30/98, MDR 2000, 1008 = BauR 2000, 254 (255); KG v. 3.11. 1999 – Kart Verg 3/99, NZBau 2000, 209 (210); VK Bund v. 30.8.2013 – VK 2-70/13, IBR 2014, 45. 6 A.A. – allerdings ohne nähere Begründung – VK Brandenburg v. 2.10.2006 – 2 VK 38/06, ZfBR 2007, 185 (189): „Der Gleichbehandlungsgrundsatz erschöpft sich nicht in der formalen Gleichbehandlung, sondern verlangt eine materielle Gleichbehandlung der am Vergabeverfahren beteiligten Unternehmen.“ 7 OLG Koblenz v. 22.7.2014 – 1 Verg 3/14, VPR 2015, 1020; OLG Bremen v. 9.10.2012 – Verg 1/12, IBR 2013, 102; OLG Naumburg v. 5.12.2008 – 1 Verg 9/08, VergabeR 2009, 486 (494 f.); BayObLG v. 5.11.2002 – Verg 22/02, VergabeR 2003, 186 (190).

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teile zwischen den Bewerbern auszugleichen1. Vielmehr steht das Diskriminierungsverbot Ungleichbehandlungen grundsätzlich auch dann entgegen, wenn damit – etwa durch Begünstigung von Newcomern oder kleinen oder mittleren Unternehmen – der Wettbewerb gefördert werden soll. Auch bei Vorauftragnehmern ist ein Ausschluss im Rahmen von neuen Aus- 61 schreibungen nur in Ausnahmefällen notwendig. Vielmehr sind auch hier Schutzmaßnahmen vom Auftraggeber vorzunehmen, die Informationsvorsprünge ausgleichen, die auf ihn selbst zurückgehen. Ansonsten ist eine Beteiligung des Vorauftragnehmers als Bieter in einer „neuen“ Runde für gewöhnlich nicht zu beanstanden2. Anderes gilt allerdings in dem Fall, dass ein Wettbewerbsvorteil aus einem In- 62 formationsvorsprung resultiert, der aus einer vorherigen Sonderbeziehung zwischen der Vergabestelle und einem Unternehmen herrührt. Derartige Wettbewerbsvorteile sind von der Vergabestelle grundsätzlich auszuräumen3. Insbesondere muss die Vergabestelle daher, wenn sie sich bei der Erstellung der Vergabeunterlagen von einem Unternehmen beraten oder unterstützen lassen hat (sog. Projektant), sicherstellen, dass dies nicht zu einer Verfälschung des Wettbewerbs führt4. Problematisch ist der Fall eines Bieters, der im Nachprüfungsverfahren Infor- 63 mationen erhält und diese aufgrund einer Zurückversetzung des Verfahrens nutzen kann. Die VK Bund entschied hier, dass ein Informationsausgleich durch den Auftraggeber für ein gleichberechtigtes Verfahren notwendig ist5. Dies ist für die Wahrung der Chancengleichheit im Vergabeverfahren unerlässlich. Keine Diskriminierung stellt es dar, wenn der Auftraggeber Bieter zu einem Ver- 64 gabeverfahren zulässt, die rechtmäßig staatliche Beihilfen erhalten haben6. Anderenfalls könnte der Zweck, der mit der Gewährung der öffentlichen Beihilfe verbunden ist, in vielen Fällen nicht erreicht werden. Der Auftraggeber ist daher auch nicht verpflichtet, der Frage nachzugehen, ob ein Bieter eine rechtswidrige Beihilfe, also insbesondere staatliche Zuwendungen, die nicht bei der EU-Kom1 S. etwa OLG Koblenz v. 5.9.2002 – 1 Verg 2/02, VergabeR 2002, 617 (628). 2 OLG Düsseldorf v. 5.12.2012 – VII-Verg 29/12, VergabeR 2013, 614 (617) vergleichend mit der Projektantenstellung mit Verweis auf EuGH v. 3.3.2005 – verb. Rs. C21/03, 34/03 (Fabricom), Slg. 2005, I-1559, Rz. 28 ff. = NZBau 2005, 351 (353); VK Bund v. 8.4.2011 – VK 1-14/11. 3 Zur Reichweite dieser Pflicht s. etwa OLG Brandenburg v. 22.5.2007 – Verg W 13/06, IBR 2007, 390. 4 § 6 EU Abs. 3 Nr. 4 VOB/A; vgl. EuGH v. 3.3.2005 – verb. Rs. C21/03, 34/03 (Fabricom), Slg. 2005, I-1559, Rz. 28 ff. = NZBau 2005, 351 (353); OLG Celle v. 14.4.2016 – 13 Verg 11/15, IBR 2016, 353; VK Bund v. 24.5.2012 – VK3-45/12, IBR 2012, 536. 5 VK Bund v. 11.8.2014 – VK 1-54/14, IBR 2014, 748. 6 EuGH v. 7.12.2000 – Rs. C-94/99 (ARGE Gewässerschutz), Slg. 2000, I-11037, Rz. 22 ff. = NZBau 2001, 99 (100).

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§ 97 | Grundsätze der Vergabe mission notifiziert wurden, erhalten hat. Dies wird nur dann relevant, wenn ein unangemessen niedriger Preis angeboten wird (§ 16d EU Abs. 1 Nr. 1 VOB/A). Ist dieser auf eine Beihilfe zurückzuführen und gelingt es dem Bieter auf Nachfrage nicht, darzulegen, dass eine Notifizierung bei der EU-Kommission erfolgte, ist das Angebot auszuschließen1. 65 Keine Diskriminierung liegt des Weiteren vor, wenn der Auftraggeber im Ver-

handlungsverfahren die Verhandlungen nicht mit allen Bietern, die ein Angebot abgegeben haben, bis zur Unterschriftsreife führt. Vielmehr ist es im Hinblick auf die Effizienz des Verfahrens zulässig, in dessen Verlauf weniger wirtschaftliche Angebote sukzessive auszuschließen2. Des Weiteren stellte der EuGH fest, dass es grundsätzlich nicht gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz verstoße, wenn der Auftraggeber es einem Bieter einer Bietergemeinschaft nach der Auflösung der Bietergemeinschaft gestattet, an deren Stelle zu treten und in eigenem Namen am Verhandlungsverfahren teilzunehmen. Voraussetzung sei aber nicht nur, dass der Wirtschaftsteilnehmer die Anforderungen des Auftraggebers allein erfülle, vor allem dürfen die anderen Bieter nicht in der Wettbewerbssituation beeinträchtigt werden3. 4. Verhältnis zwischen Diskriminierungsverbot, Wettbewerbs- und Transparenzgrundsatz

66 Das Diskriminierungsverbot steht in enger Beziehung zu den Grundsätzen des

Wettbewerbs und der Transparenz4. So kann ein wirksamer (Bieter-)Wettbewerb nur entstehen, wenn den Bietern gleiche Chancen auf Erhalt des Auftrages eingeräumt werden. Hierzu zählt es insbesondere, dass alle potenziellen Bieter Zugang zu den für eine Angebotserstellung bzw. die Entscheidung über eine Verfahrensbeteiligung erforderlichen Informationen erlangen können. Insofern schließt daher auch der Gleichbehandlungsgrundsatz die Verpflichtung zur Transparenz ein5.

67 Teilweise stellen konkrete Vorschriften im GWB oder in den Verordnungen so-

wie in der VOB/A Ausprägungen verschiedener Grundsätze dar. Die oben schon aufgeführte, notwendige Einhaltung der publizierten Zuschlagskriterien für die Vergabeentscheidung zeigt beispielhaft, wie die Grundsätze miteinander verzahnt sein können. Die Beachtung der kommunizierten Kriterien dient letztlich der Transparenz, dem Wettbewerb und auch der Gleichbehandlung. Die Über1 OLG Düsseldorf v. 26.7.2002 – Verg 22/02, NZBau 2002, 634 (637 f.). 2 OLG Frankfurt v. 10.4.2001 – 11 Verg 1/01, VergabeR 2001, 299 (302). 3 EuGH v. 24.5.2016 – C-396/14 (Højgaard/Züblin), VergabeR 2016, 590 (594 f.) = IBR 2016, 470 (Rz. 44). 4 S. hierzu etwa Dreher in Immenga/Mestmäcker, § 97 Rz. 11. 5 Vgl. Schlussanträge GA Sharpston v. 9.7.2009 in der Rs. C-199/07 (Kommission/Griechenland), Rz. 83 m.w.N.

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schneidung von Regelungszielen zeigt die Verflochtenheit der Grundsätze untereinander, die aber nicht ihre Eigenständigkeit verlieren. Das macht schon deren separate Nennung deutlich.

V. Aspekte der Qualität und Innovation sowie soziale und umweltbezogene Aspekte (§ 97 Abs. 3) 1. Hintergrund Durch die Vergaberichtlinie, die Konzessionsvergaberichtlinie und die Sektoren- 68 richtlinie sind die Einbeziehung strategischer Ziele bei der Beschaffung umfassend gestärkt worden. Nach Absatz 3 werden für die Vergabe Anforderungen an Auftragnehmer gestellt, die Aspekte der Qualität und Innovation sowie soziale und umweltbezogene Aspekte betreffen. Die Vorschrift ähnelt in ihrem Wortlaut der vormals in Absatz 4 Satz 2 geregel- 69 ten Vorschrift zur möglichen Schaffung von zusätzlichen Anforderungen an die Auftragsausführung („Für die Auftragsausführung können zusätzliche Anforderungen an Auftragnehmer gestellt werden, die insbesondere soziale, umweltbezogene oder innovative Aspekte betreffen, wenn sie im sachlichen Zusammenhang mit dem Auftragsgegenstand stehen und sich aus der Leistungsbeschreibung ergeben“). Sie geht auf die Vergaberechtsmodernisierung aus dem Jahr 2009 zurück1 und ist nun in § 128 Abs. 2 Satz 3 verändert geregelt. Doch unterscheidet Absatz 3 sich wesentlich von ihr: Es handelt sich bei Absatz 3 nicht lediglich um Aspekte der Auftragsausführung, sondern um Aspekte der Vergabe, d.h. um eine Erweiterung des allgemeinen Grundsätzekanons in § 97. Dies bringt eine Aufwertung der genannten Aspekte mit sich, die nun als Zielvorgaben vor allem neben der Wirtschaftlichkeit des Absatzes 1 Satz 2 stehen2. Spätestens mit der Aufnahme in die „Grundsätze der Vergabe“ sind die auf- 70 geführten Aspekte nicht mehr als „vergabefremd“ zu bezeichnen, dies wäre widersprüchlich3. Vielmehr sprechen die Gesetzesbegründung4 wie auch die Richtlinien5 von strategischen Zielen, die neben der Regelung des früheren Absatzes 4 Satz 2 vorher vor allem in den untergesetzlichen Vergabe- und Vertragsordnungen und auch in den Vergabeverordnungen auftauchten6. 1 2 3 4 5

BT-Drucks. 16/10117, S. 5. Burgi, NZBau 2015, 597 (599). Burgi, NZBau 2015, 597 (599); auch Wiedemann in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, § 97 Rz. 79. BT-Drucks. 18/6281, S. 68. Vgl. beispielhaft Art. 67 Abs. 2 Satz 1 der Vergaberichtlinie; Art. 41 Abs. 2 Satz 2 der Konzessionsvergaberichtlinie, und Art. 82 Abs. 2 lit. a der Sektorenrichtlinie. 6 Ausprägungen der strategischen Ziele befinden sich z.B. noch in § 58 Abs. 2 Nr. 1 VgV oder in § 16d EU Abs. 1 Nr. 1 Satz 2, Abs. 2 Nr. 1 Satz 4 VOB/A.

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§ 97 | Grundsätze der Vergabe 71 Außerdem nutzte der Bundesgesetzgeber die Vergaberechtsmodernisierung 2016

dazu, seine konkurrierende Gesetzgebungskompetenz im Bereich des Rechts der Wirtschaft nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 weitgehender als bisher zu gebrauchen. Durch die Formulierung „nach Maßgabe dieses Teils“ macht er deutlich, dass die Regelung abschließend ist. Eine Gesetzgebungskompetenz der Länder ist hinsichtlich von Vorschriften zu strategischen Zielen im Vergabeverfahren versperrt1. 2. Regelungsgehalt

72 Der Regelungsgehalt von Absatz 3 erschließt sich nicht auf den ersten Blick.

Qualitative, innovative, soziale und ökologische Aspekte können im gesamten Vergabeverfahren eine Rolle einnehmen. Die Formulierung verhält sich nicht klar dazu, ob es sich hierbei um obligatorische, potentielle oder im Regelfall vorgegebene Aspekte der Vergabe handelt. Statt einer Soll-, Kann- oder Muss-Formulierung verwendet Absatz 3 einen schlichten Indikativ – trifft also quasi eine Feststellung oder programmatische Beschreibung: „Bei der Vergabe werden die Aspekte (…) berücksichtigt.“ Diese Aspekte können hiernach in allen Phasen des Vergabeverfahrens Beachtung verlangen. Andererseits wird durch die Wertungs- und Ausfüllungsbedürftigkeit der Begriffe „qualitativ“, „innovativ“, „sozial“ und „umweltbezogen“ und den Rückgriff auf den vagen Begriff der „Berücksichtigung“ deutlich, dass es sich um eine Vorgabe mit programmatischem Charakter handelt. Sie bedarf für die jeweilige Vergabe nach den Beschaffungszielen und Wertungen des Auftraggebers einer Konkretisierung und kann damit nicht mit einer bindenden gesetzlichen und gerichtlich vollständig durchsetzbaren Verpflichtung gleichgesetzt werden.2 Die feststellende Verankerung dieser bezeichneten Aspekte in Absatz 3 macht deutlich, dass sie in einer konkreten Vergabe gleichrangig neben eine rein monetäre Betrachtung von Kosten und Leistung treten. Eine feste Verpflichtung der Auftraggeber, derartigen Aspekten einen bestimmten Raum zu geben, ist damit grundsätzlich nicht verbunden. Dies hätte einer eindeutigeren Formulierung bedurft (z.B. „müssen berücksichtigen“). Somit hat Absatz 3 vor allem eine legitimatorische Funktion und rechtfertigt die Einbeziehung von sozial- und umweltpolitischen Maßstäben in Vergabeverfahren ebenso wie besondere qualitative und auf Innovationsförderung zielende Maßstäbe.

73 In der Gesetzesbegründung heißt es dementsprechend „In jeder Phase eines

Verfahrens (…) können qualitative, soziale, umweltbezogene oder innovative (nachhaltige) Aspekte einbezogen werden“3 und im folgenden Satz wird festgestellt, dass bei der Leistungsdefinition im Rahmen der Beschaffung energiever-

1 Burgi, NZBau 2015, 597 (599). 2 Vgl. Wiedemann in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, § 97 Rz. 100 ff. 3 BT-Drucks. 18/6281, S. 68.

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brauchsrelevanter Waren1 oder auch im Hinblick auf die Berücksichtigung der Belange von Menschen mit Behinderung2 zwingende Vorgaben vom Auftraggeber zu machen sind. Hier wird also von einem weiten Handlungsspielraum der Anwendung der Aspekte ausgegangen, im Ausnahmefall können Rechtsvorschriften aber ausdrücklich Vorgaben machen. Auch die abgelehnten Entschließungsanträge der Oppositionsfraktionen3 im Bundestag, die „ausdrücklich zwingende Regelungen zu den sozialen und ökologischen Kriterien bei den Grundsätzen der Vergabe“4 bzw. „Verbindlichkeit von ökologischen und sozialen Kriterien“5 verlangt haben, verdeutlichen den programmatischen Charakter des Absatzes 3 und seine Ausfüllungsbedürftigkeit. Letztlich spricht neben den Gesetzesmaterialien auch der zweite Satzteil des Ab- 74 satzes 3 „nach Maßgabe dieses Teils“ als Begrenzung des Umfangs der Aspekte dafür, dass es sich bei Absatz 3 lediglich um die Schaffung zusätzlicher Handlungsmöglichkeiten handelt6. Damit wird eine Aufteilung in einen allgemeinen und besonderen Teil geschaffen7. Die Adressaten des Absatzes 3, die öffentlichen Auftraggeber, dürfen die genannten Aspekte der Qualität und der Innovation sowie soziale und umweltbezogene Aspekte in Zukunft nach Maßgabe der anderen vergaberechtlichen Vorschriften in den Blick nehmen, von Beginn bis Ende des Verfahrens. Es handelt sich aber nicht um einen unmittelbaren Anwendungsbefehl. Die Frage nach dem Regelungsgehalt führt auch zur Frage, ob Absatz 3 bieter- 75 schützenden Charakter hat. Dies muss verneint werden8. Bieter können keine Änderung oder Erweiterung oder inhaltliche Bestimmung des Beschaffungsbedarfs beanspruchen, die Bedarfsermittlung ist Sache des Auftraggebers9. Zwar können Fallkonstellationen nicht ausgeschlossen werden, in denen öffentliche Auftragsvergaben im evidenten Widerspruch zu Absatz 3 stehen. In diesem Zusammenhang sind jedoch auch die Grundsätze des Absatzes 1 vom Auftraggeber zu berücksichtigen, insbesondere der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Der Ge1 Vgl. z.B. § 67 VgV, § 58 SektVO, § 8c EU VOB/A. 2 Vgl. z.B. § 58 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 VgV, § 28 Abs. 5 SektVO, § 9 Abs. 1 Satz 3 KonzVgV, § 7a EU Abs. 1 Nr. 4 VOB/A. 3 Vgl. BT-Drucks. 18/7090, S. 3 sowie 18/7092, S. 6, die zeigen, dass sich auch die Oppositionsfraktionen nicht einig waren über den Regelungsgehalt des Absatzes 3. Während die Linksfraktion von einer Sollbestimmung ausgeht in BT-Drucks. 18/7090, S. 4 verlangte die Fraktion von BÜNDNIS 90/Die Grünen gerade eine solche Soll-Vorschrift, da sie von einer lediglich fakultativen Regelung ausgeht in BT-Drucks. 18/7092, S. 2, 6; s. auch für die Bundesregierung Beckmeyer in BR-Plenarprotokoll 936 vom 25.9.2015, S. 332 (D). 4 BT-Drucks. 18/7090, S. 3. 5 BT-Drucks. 18/7092, S. 6. 6 Vgl. Wiedemann in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, § 97 Rz. 104. 7 Burgi, NZBau 2015, 597 (599). 8 Vgl. wiederum Wiedemann in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, § 97 Rz. 108. 9 OLG Düsseldorf v. 14.4.2010 – Verg 60/09, VergabeR 2011, 78 (81).

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§ 97 | Grundsätze der Vergabe setzgeber hat gerade keine Vorschrift mit zwingendem Charakter gewählt, auf die sich Bieter gemäß Absatz 6 berufen können. Die Grundsatzfrage nach Reichweite des Absatzes 3 bot im Rahmen des parlamentarischen Gesetzgebungsverfahrens den meisten politischen Zündstoff1. 3. Umfang 76 Mit Absatz 3 wird deutlich, dass das öffentliche Beschaffungswesen dem Gesetz-

geber mehr und mehr dazu dient, auch politische Ziele zu normieren. Er schafft mit der Regelung Freiräume für die Verwaltung, diese Ziele zu fokussieren. Aufgrund der nun in Absatz 3 geregelten Zielvorgaben entsteht ein Spannungsfeld2: In allen Phasen des Vergabeverfahrens sind die Aspekte des Absatzes 3 zu beachten, wenngleich die Vergabe von öffentlichen Aufträgen und Konzessionen immer auch den Grundsätzen des Absatzes 1 entsprechen muss. Folglich kann der Wirtschaftlichkeitsgrundsatz eine Begrenzung des Absatzes 3 darstellen. Die Beschaffungskosten können sich erhöhen durch die zusätzlichen Anforderungen an die Leistung, auch der Arbeitsaufwand für den Auftraggeber. Es ist nach einem Ausgleich zwischen den Zielen zu suchen. Nach Halbs. 2 sind die Aspekte nach Maßgabe des 4. Teils zu berücksichtigen (s. z.B. § 118 Rz. 20 oder § 127 Rz. 41). Insbesondere der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz (Absatz 1 Satz 2) nimmt im Rahmen einer Abwägung von Zielen im Konfliktfall eine bedeutende Rolle ein. Die konkrete Ausgestaltung der strategischen Ziele erfolgt in den Einzelvorschriften des GWB sowie in den Rechtsverordnungen, die auf der Grundlage des 4. Teils erlassen werden.

77 Die Aufzählung der Aspekte in Absatz 3 ist abschließend. Bereits die enumera-

tive Aufzählungsweise spricht dafür. Dies wird bestätigt durch Ablehnungen hinsichtlich anderer Aspekte: Die Forderung nach einem Gebot für barrierefreie Ausgestaltung im gesamten Vergabeverfahren in Absatz 3 Satz 2, das der Bundesrat forderte, fand im Bundestag keine Mehrheit3. Ebenso wenig fanden sich Mehrheiten für die Aufnahme weiterer Aspekte wie z.B. der Einhaltung von ILO-Kernarbeitsnormen oder allgemein verbindlicher Tarifverträge4. Die Richtlinien geben in ihren Erwägungsgründen auch das strategische Ziel arbeitsrechtlicher Aspekte im Rahmen des gesamten Vergabeverfahrens vor5. Diese Aspekte finden sich nicht ausdrücklich in Absatz 3 wieder.

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Vgl. nur BT-Drucks. 18/7090, S. 3 sowie 18/7092, S. 6. Vgl. Ziekow in Ziekow/Völlink, § 97 Rz. 108. BR-Drucks. 367/1/15, S. 1. S. die Forderungen in BT-Drucks. 18/7092, S. 6; vgl. dennoch beispielhaft § 16d EU Abs. 1 Nr. 1 Satz 2, der von arbeitsrechtlichen Anforderungen spricht. 5 Erwägungsgrund 37 der Vergaberichtlinie; Erwägungsgrund 55 der Konzessionsvergaberichtlinie; Erwägungsgrund 52 Sektorenrichtlinie.

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Grundsätze der Vergabe | § 97

VI. Mittelständische Interessen (§ 97 Abs. 4) § 97 Abs. 4 regelt die Berücksichtigung mittelständischer Interessen bei der Ver- 78 gabe öffentlicher Aufträge. 1. Hintergrund Der Schutz mittelständischer Interessen war bereits vor Inkrafttreten des Ver- 79 gaberechtsänderungsgesetzes von 1999 in den Verdingungs- bzw. Vergabe- und Vertragsordnungen verankert1. Die Aufteilung größerer Aufträge in Lose ist nach Abschaffung der VOF und Entfallen der VOL/A im Oberschwellenbereich neben der gesetzlichen Regelung des Absatzes 4 noch in § 5 EU Abs. 2 VOB/A vorgesehen. Anliegen dieser grundsätzlich verfassungsrechtlich nicht zu beanstandenden Regelungen2 ist es, einen Ausgleich zwischen leistungsschwächeren und leistungsstärkeren Unternehmen herzustellen, um im gesamtwirtschaftlichen Interesse eine ausgewogene Unternehmensstruktur von Klein-, Mittelund Großunternehmen zu erhalten3. In das Vergaberechtsänderungsgesetz von 1999 aufgenommen wurde die Vor- 80 gängerregelung des heutigen Absatzes 4 („Mittelständische Interessen sind vornehmlich durch Teilung der Aufträge in Fach und Teillose angemessen zu berücksichtigen“), allerdings erst aufgrund einer Stellungnahme des Bundesrats4. Hintergrund dessen war, dass der Bundesrat in der Berücksichtigung mittelständischer Interessen – zu Recht5 – einen vergabefremden Aspekt erkannte und daher befürchtete, dass dieses Ziel ohne die ausdrückliche Verankerung im GWB scheitern würde. Wörtlich heißt es insofern: „Da künftig vergabefremde Aspekte aus dem Vergabeverfahren verbannt sind, bedarf es zwingend der Klarstellung, dass mittelständische Interessen gerade nicht den vergabefremden Aspekten zuzurechnen sind und ihren bisherigen hohen Stellenwert beibehalten“6. Die Mittelstandsklausel ging damit zunächst über den Wortlaut der EG-Ver- 81 gaberichtlinien, welche einen Schutz mittelständischer Interessen nicht aus1 Vgl. § 4 Nr. 2 und 3 VOB/A a.F., § 5 Nr. 1 VOL/A a.F. 2 Als legitimes Ziel bezeichnend schon BVerfG v. 17.7.1961 – 1 BvL 44/55, BVerfGE 13, 97 (111 f.); vgl. auch BVerfG v. 19.3.1974 – 1 BvR 416/68, 1 BvR 767/68, 1 BvR 779/68, BVerfGE 37, 38 (51 f.); allgemein dazu auch Burgi, NZBau 2006, 606 (609). 3 BVerfG v. 19.3.1974 – 1 BvR 416/68, 1 BvR 767/68, 1 BvR 779/68, BVerfGE 37, 38 (52). 4 BT-Drucks. 13/9340, S. 36. 5 BGH v. 17.2.1999 – X ZR 101/97, MDR 1999, 1379 = NJW 2000, 137 (140); Antweiler in Beck’scher Vergaberechtskommentar, 2. Aufl. 2013, § 97 Abs. 3 Rz. 3; Dreher in Immenga/Mestmäcker, § 97 Rz. 126; Hailbronner in Byok/Jäger, § 97 Rz. 62; a.A. wohl Kus in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, § 97 Rz. 154; Marx in Beck’scher VOB-Kommentar Teil A, 1. Aufl. 2001, § 97 Rz. 27. 6 BT-Drucks. 13/9340, S. 36.

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§ 97 | Grundsätze der Vergabe drücklich vorsahen, hinaus1. Allerdings hatte die EU-Kommission bereits in einer Mitteilung über das öffentliche Auftragswesen vom 11.3.1998 deutlich gemacht, dass die Förderung kleiner und mittelständischer Unternehmen im Bereich der öffentlichen Auftragsvergabe ein wichtiges Ziel darstellt2. Auch das OLG Düsseldorf verneinte im Jahr 2004 einen Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot des Art. 3 Abs. 2 der Dienstleistungsrichtlinie 92/50/EWG und bescheinigte der Mittelstandsklausel damit die Europarechtskonformität3. Seit der Novellierung der Vergaberichtlinien im Jahr 2004 ist der Mittelstandsschutz in den Erwägungsgründen der Richtlinien ausdrücklich genannt4. Auch in den aktuellen Richtlinien werden der Schutz und die Förderung kleinerer und mittlerer Unternehmen hervorgehoben5. Die Regelung des Absatzes 4 geht weiter als von Art. 46 der Vergaberichtlinie gefordert, allerdings lässt Art. 46 Abs. 4 der Vergaberichtlinie dies ausdrücklich zu6. 82 Ziel der Vergaberechtsmodernisierung von 2009 in Bezug auf die Mittelstands-

klausel war es zum einen, die Regelung „in ihrer Wirkung [zu] verstärken“7. Dies sollte dadurch erreicht werden, dass – wie es in der Begründung des Gesetzesentwurfes weiter heißt – „eine Losvergabe stattzufinden hat“ und nur in begründeten und zu dokumentierenden8 Ausnahmefällen davon abgewichen werden kann. Zum anderen sollte mit der Neuregelung des Satzes 4 der Befürchtung entgegengewirkt werden, der Mittelstand würde bei der Auftragsvergabe von sog. PPP- oder ÖPP-Projekten leer ausgehen9.

83 Die Vergaberechtsmodernisierung 2016 brachte lediglich hinsichtlich des neuen

Begriffs des Auftraggebers Neuerungen mit sich: Neben dem öffentlichen Auftraggeber wurde der Sektorenauftraggeber in die Vorschrift aufgenommen. Materiell-rechtliche Änderungen der Fassung von 2009 gibt es keine.

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Vgl. zu ausländischen Regelungen Kus in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, § 97 Rz. 147 f. KOM (1998) 143. OLG Düsseldorf v. 8.9.2004 – Verg 38/04, VergabeR 2005, 107 (109). Erwägungsgrund 32 der Richtlinie 2004/18/EG und Erwägungsgrund 43 der Richtlinie 2004/17/EG. Beispielhaft und nicht abschließend in den Erwägungsgründen 2, 66, 78 der Vergaberichtlinie, in den Erwägungsgründen 1, 4, 63 in der Konzessionsvergaberichtlinie, den Erwägungsgründen 4, 75, 87 der Sektorenrichtlinie sowie den Erwägungsgründen 3, 40, 79 der Vergaberichtlinie Verteidigung und Sicherheit von 2009. S. dazu auch die Gesetzesbegründung in BT-Drucks. 18/6281, S. 68. BT-Drucks. 16/10117, S. 15. Zur Pflicht zur Dokumentation der Erwägungen zur Losaufteilung s. OLG Düsseldorf v. 17.3.2004 – Verg 1/04, NZBau 2004, 461 (463). Kus in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, § 97 Rz. 162.

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2. Berücksichtigung mittelständischer Interessen (§ 97 Abs. 4 Satz 1) Absatz 4 beinhaltet eine Art Querschnittsklausel des Vergaberechts. Dies galt be- 84 reits nach der Regelung in der Fassung des Vergaberechtsänderungsgesetzes1 von 1999. Denn bereits danach erschöpfte sich die geforderte Berücksichtigung mittelständischer Interessen nicht in der Losvergabe. Mit der Neuregelung des Vergaberechtsmodernisierungsgesetzes von 2009 wurde dies insbesondere durch die sprachliche Trennung zwischen dem Gebot der Berücksichtigung mittelständischer Interessen in Satz 1 und der Pflicht zur Losvergabe in Satz 2 nochmals unterstrichen2. Mittelständischen Interessen ist daher auch über die Losvergabe hinaus – etwa bei der Festlegung von Angebots- oder Bewerbungsfristen (§ 20 VgV, § 16 SektVO, § 27 KonzVgV, § 20 VSVgV, § 10 EU VOB/A) und bei der Bestimmung der Eignungskriterien und der von den Bewerbern vorzulegenden Eignungsnachweise (§ 122 Rz. 26 ff.) – Rechnung zu tragen. Ansonsten hätte Absatz 4 Satz 1 keine Daseinsberechtigung3. Absatz 4 Satz 1 fordert insofern also, dass Auftraggeber die nach den Vergaberegelungen verbleibenden Spielräume gewissermaßen „mittelstandsfreundlich“ ausfüllen4. Eine darüber hinausgehende Mittelstandsförderung durch öffentliche Auftrag- 85 geber wird durch Absatz 4 hingegen nicht gefordert. Insbesondere zählt der Mittelstandsschutz nicht zu den Aspekten, die im Sinne von Absatz 2 eine Benachteiligung gebieten oder gestatten können5. Denn Absatz 4 fordert eine Berücksichtigung mittelständischer Interessen lediglich insofern, als nach Möglichkeit Chancengleichheit zwischen mittelständischen Unternehmen und Großunternehmen herzustellen ist, also die aus der Größe resultierenden Vorteile der Großunternehmen auszugleichen sind6. Eine Benachteiligung von Großunternehmen fordert und erlaubt das Anliegen des Mittelstandsschutzes hingegen

1 Bungenberg in Loewenheim/Meessen/Riesenkampff, § 97 Rz. 34; Otting in Bechtold, GWB, 6. Aufl. 2010, § 97 Rz. 19. 2 Gabriel, NJW 2009, 2011 (2012). 3 Satz 1 nicht als reinen Programmsatz betrachtend OLG Düsseldorf v. 24.11.2011 – VIIVerg 62/11, VergabeR 2012, 482 (489); Michallik, VergabeR 2011, 683 (689 f.); Ortner, VergabeR 2011, 677 (679); a.A. Kus in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, § 97 Rz. 161; Kus, NZBau 2009, 21 (22). 4 S. auch die Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen – Vorfahrt für KMU in Europa – Der „Small Business Act“ für Europa v. 25.6.2008, KOM (2008) 394, S. 11 f. 5 A.A. Leinemann, Die Vergabe öffentlicher Aufträge, 5. Aufl. 2011, Rz. 15. 6 Vgl. hierzu BT-Drucks. 16/11428, S. 22: „Damit [mit der grundsätzlichen Pflicht zur Losvergabe] werden Nachteile des Mittelstandes bei der Vergabe großer Aufträge mit einem Volumen, das die Ressourcen der Mittelstandsunternehmen überfordern könnte, ausgeglichen und die Mittelstandsklausel gestärkt.“

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§ 97 | Grundsätze der Vergabe nicht1. Absatz 4 rechtfertigt es daher nicht, Großunternehmen generell von bestimmten Vergabeverfahren auszuschließen oder zugunsten mittelständischer Unternehmen von dem Grundsatz des § 127 abzuweichen, wonach der Zuschlag auf das wirtschaftlichste Angebot zu erteilen ist2. Die schon länger in der Rechtsprechung vertretene Auffassung, nach der es der Mittelstandsschutz rechtfertige, die Zahl der Lose zu limitieren, für die ein Bieter ein Angebot abgeben bzw. den Zuschlag erhalten darf3, wurde mit der ausdrücklichen Verankerung in Art. 46 der Vergaberichtlinie und Art. 65 der Sektorenrichtlinie sowie auch mit der Neuregelung des § 30 Abs. 1 Satz 1 VgV und § 27 Abs. 1 Satz 1 SektVO vom Gesetzgeber normiert4. 86 Der weder in Absatz 4 noch im sonstigen Vergaberecht definierte Begriff der

„mittelständischen Interessen“ ist angesichts des Ziels der Erhaltung bzw. Verwirklichung einer ausgewogenen Unternehmensstruktur von Klein-, Mittel- und Großunternehmen (Rz. 84) relativ, nämlich im Hinblick auf den jeweils relevanten Markt zu bestimmen5. Nicht entscheidend für die Auslegung des Begriffs des Mittelstandes ist daher die Definition des im Rahmen der Unionspolitiken und im Europäischen Wirtschaftsraum verwendeten Begriffs der kleinen und mittleren Unternehmen6. Gleiches gilt für die in Mittelstandsfördergesetzen der Bundesländer7 enthaltenen Begriffsbestimmungen8.

1 OLG Düsseldorf v. 8.9.2004 – VII Verg 38/04, VergabeR 2005, 107 (109); Müller-Wrede in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 97 Rz. 25; Schramm in Müller-Wrede, Kompendium des Vergaberechts, Kap. 11 Rz. 62; Ziekow in Ziekow/Völling, § 97 Rz. 49; auch dazu Werner, VergabeR 2009, 262 (267). 2 BGH v. 17.2.1999 – X ZR 101/97, MDR 1999, 1379 (Krankenhauswäsche), NJW 2000, 137 (140); VK Münster v. 7.10.2009 – VK 18/09, IBRRS 2009, 3455. 3 OLG Düsseldorf v. 17.1.2013 – VII-Verg 35/12, NZBau 2013, 329 (331); v. 15.6.2000 – Verg 6/00, NZBau 2000, 440 (441); LSG Baden-Württemberg v. 23.1.2009 – L 11 WB 5971/08, VergabeR 2009, 452 (462); a.A. bisher Diehr in Reidt/Stickler/Glahs, vorherige Aufl., § 97 Rz. 52; Kus in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum Vergaberecht, 2. Aufl. 2009, § 97 Rz. 70, Ziekow in Ziekow/Völlink, § 97 Rz. 61; s. auch nach ausführlicher Prüfung Otting/Tresselt, VergabeR 2009, 585 (594). 4 Vgl. dazu Hertwig, Praxis der öffentlichen Auftragsvergabe, 6. Aufl. 2016, Rz. 302. 5 OLG Düsseldorf v. 21.3.2012 – VII-Verg 92/11, NZBau 2012, 515 (516 f.); OLG Schleswig v. 25.1.2013 – 1 Verg 6/12, NZBau 2013, 395 (397); Dreher in Immenga/Mestmäcker, § 97 Rz. 133; Kus in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, § 97 Rz. 164; a.A OLG Karlsruhe v. 6.4. 2011 – 15 Verg 3/11, NZBau 2011, 567 (570 f.); Antweiler, VergabeR 2006, 637 (641). 6 S. hierzu die Empfehlung der EU-Kommission v. 6.5.2003 betreffend die Definition der Kleinstunternehmen sowie der kleinen und mittleren Unternehmen, ABl. Nr. L 124 v. 20.5.2003, S. 36. 7 S. die Übersicht bei Kus in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, § 97 Rz. 149. 8 S. etwa § 1 Abs. 2 des niedersächsischen Gesetzes zur Förderung kleiner und mittlerer Unternehmen (Unternehmen-Förderungsgesetz) v. 30.4.1978, GVBl. S. 377, zuletzt geändert durch Art. 31 Nds. Euro-AnpassungsG v. 20.11.2001, GVBl. S. 701.

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3. Pflicht zu Losvergabe (§ 97 Abs. 4 Sätze 2 und 3) In der Fassung des Vergaberechtsänderungsgesetzes von 1999 verlangte Ab- 87 satz 4, mittelständische Interessen „vornehmlich durch Teilung der Aufträge in Fach- und Teillose angemessen zu berücksichtigen“. Nach Absatz 4 Satz 2 in der heutigen Fassung sind Leistungen in der Menge aufgeteilt (Teillose) und getrennt nach Art oder Fachgebiet (Fachlose) zu vergeben, wenn nicht wirtschaftliche oder technische Gründe eine Zusammenvergabe mehrerer Lose erfordern. Mit Absatz 4 Satz 2 werden somit zum einen die Begriffe „Fach-“ und „Teillos“ 88 bestimmt. Diese Begriffsbestimmungen entsprechen den bereits bislang gängigen Definitionen. Danach liegt ein Fachlos vor, wenn die Gesamtleistung in einzelne Fachgebiete aufgeteilt wird, die sich nach gewerberechtlichen Vorschriften oder sonstigen, allgemein üblichen Abgrenzungen ergeben, wie beispielsweise Maurer-, Zimmerer- oder Elektroarbeiten1; bei Teillosen erfolgt eine mengenmäßige Unterteilung der Gesamtleistung. Eine weitergehende, also marktunübliche Aufteilung von Aufträgen erfordert Absatz 4 nicht. In der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie heißt es hierzu: „Die Aufteilung in Fachlose braucht selbstverständlich von vorneherein nur so zu erfolgen, wie dies marktüblich ist. Marktunüblich wäre es beispielsweise, Fenster in Rahmen, Scheiben, Griffe und Beschläge zu trennen. Marktüblich ist die Aufteilung von Autobahnen in Streckenabschnitte. Computer können marktüblich getrennt nach Rechner, Eingabegeräten und Monitor beschafft werden“2. Die Regelung hat zum anderen zum Entfallen des Begriffs „angemessen“ geführt. 89 Hieraus folgte nach herrschender Auffassung ein „Zweckmäßigkeitsvorbehalt“3 für die Losaufteilung. Danach war die Entscheidung für oder gegen eine Losvergabe in erster Linie anhand einer Abwägung zwischen den für eine Losvergabe sprechenden Belangen des Mittelstandschutzes und den gegen die Losvergabe sprechenden Aspekten vorzunehmen4. Zu Letzteren wurden etwa wirtschaftliche oder technische Belange5, die Gefahr der Undurchsetzbarkeit von Gewährleistungsansprüchen6 und der aus einer Losvergabe resultierende Koordinationsaufwand sowie die sich aus den Schnittstellen ergebenden Risiken7 gezählt. 1 S. OLG Schleswig v. 30.10.2012 – 1 Verg 5/12, ZfBR 2013, 69 (70); OLG Düsseldorf v. 21.3.2012 – VII-Verg 92/11, NZBau 2012, 515 (516 ); vgl. auch Boesen, Vergaberecht, 2001, § 97 Rz. 47 f.; Kus in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, § 97 Rz. 178 ff.; Schranner in Ingenstau/Korbion, VOB-Kommentar, 19. Aufl. 2015, § 5 VOB/A Rz. 27 f. 2 BT-Drucks. 16/11428, S. 33. 3 Bungenberg in Loewenheim/Meessen/Riesenkampff, § 97 Rz. 37. 4 OLG Jena v. 6.6.2007 – 9 Verg 3/07, VergabeR 2007, 677 (679). 5 OLG Düsseldorf v. 8.9.2004 – Verg 38/04, VergabeR 2005, 107 (109 f.). 6 OLG Schleswig v. 13.10.2000 – 6 Verg 4/00, IBR 2001, 38. 7 VK Bund v. 1.2.2001 – VK 1-1/01, VergabeR 2001, 143 (145).

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§ 97 | Grundsätze der Vergabe 90 Dem Wortlaut nach lässt Absatz 4 Satz 2 für eine solche Abwägung keinen

Raum mehr. Vielmehr hat eine Losvergabe (zwingend) zu erfolgen, sofern nicht eine Zusammenvergabe aus wirtschaftlichen oder technischen Gründen erforderlich ist. In der Sache allerdings ist damit lediglich das Angemessenheitskriterium durch das zwar strengere, gleichwohl aber ebenfalls wertausfüllungsbedürftige Tatbestandsmerkmal der Erforderlichkeit ersetzt worden1. So liegt eine wirtschaftliche Erforderlichkeit für eine Zusammenvergabe im Sinne von Satz 3 etwa vor, wenn und soweit die Losvergabe mit unverhältnismäßigen Kostennachteilen verbunden ist2. Nach einer umfassenden Interessenabwägung3 durch den Auftraggeber müssen die für eine Gesamtvergabe streitenden Gründe überwiegen, diese dürfen aber nicht lediglich in der Vermeidung des mit der Fachlosvergabe typischerweise verbundenen Mehraufwands liegen4. Technische Gründe im Sinne des Satzes 3 liegen vor, wenn das vom Auftraggeber angestrebte Qualitätsniveau nur mithilfe einer Bündelung von Teilleistungen zu erreichen ist5. Wirtschaftliche und technische Gründe ergänzen sich dabei regelmäßig, denn in der Regel wird die Teilung einer Leistung in Lose nicht durch die technischen Möglichkeiten, sondern vielmehr durch die hierdurch entstehenden Nachteile für den Auftraggeber begrenzt. Ob wirtschaftliche oder technische Gründe für eine Zusammenvergabe vorliegen, kann aufgrund eines Beurteilungsspielraums der Auftraggeber nur eingeschränkt nachgeprüft werden6.

91 Aufgrund der Beschaffungsfreiheit des Auftraggebers scheidet eine Losvergabe

aus, wenn die Losaufteilung zu einer Änderung des Beschaffungsgegenstandes und der mit dem Beschaffungsprojekt verfolgten Ziele und Zwecke führte7. Eine solche der Losaufteilung entgegenstehende Änderung des Beschaffungsgegenstandes liegt allerdings nur dann vor, wenn das Beschaffungsziel – ausgehend von einer funktionalen Betrachtung – bei einer Losaufteilung von vornherein

1 S. auch Kus, NZBau 2009, 21 (22). 2 OLG Düsseldorf v. 23.3.2011 – VII-Verg 63/10, NZBau 2011, 369 (370 f.); v. 8.9.2004 – VII Verg 38/04, VergabeR 2005, 107 (109 f.); Ziekow in Ziekow/Völlink, § 97 Rz. 67. 3 Vgl. dazu Boesen, VergabeR 2011, 364 (367). 4 OLG Koblenz v. 4.4.2012 – 1 Verg 2/11, NZBau 2012, 598 (599); OLG Düsseldorf v. 25.11.2009 – Verg 27/09, IBR 2010, 162; Kus in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, § 97 Rz. 188 und hinsichtlich technischer Nachteile § 97 Rz. 191. 5 OLG Koblenz v. 4.4.2012 – 1 Verg 2/11, NZBau 2012, 598 (599): „Solche liegen vor, wenn bei getrennten Ausschreibungen das – nicht durch die inhaltliche Gestaltung der Vergabeunterlagen vermeidbare – Risiko besteht, dass der Auftraggeber Teilleistungen erhält, die zwar jeweils ausschreibungskonform sind, aber nicht zusammenpassen und deshalb in ihrer Gesamtheit nicht geeignet sind, den Beschaffungsbedarf in der angestrebten Qualität zu befriedigen.“ 6 OLG Düsseldorf v. 11.1.2012 – VII-Verg 52/11, NZBau 2012, 324 (324); v. 8.9.2004 – Verg 38/04, VergabeR 2005, 107 (109); VK Münster v. 7.10.2009 – VK 18/09, IBRRS 2009, 3455; a.A. Frenz, VergabeR 2011, 13 (15). 7 OLG Celle v. 26.4.2010 – 13 Verg 4/10, NZBau 2010, 715 (715 f.); s. auch OLG Düsseldorf v. 30.11.2009 – VII-Verg 43/09, IBRRS 2013, 0789.

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nicht erreicht werden könnte. Dies ist in der Regel etwa dann der Fall, wenn ein Beschaffungsvorhaben auf die Gründung eines gemischtwirtschaftlichen Unternehmens abzielt, welches mit bestimmten Liefer-, Dienst- und/oder Bauleistungen beauftragt werden soll (zur vergaberechtlichen Beurteilung von ÖffentlichPrivaten Partnerschaften s. § 103 Rz. 169 ff.). Hingegen steht es der Losvergabe nicht grundsätzlich entgegen, wenn das Beschaffungsziel bei einer Gesamtvergabe lediglich besser zu erreichen wäre. In diesem Fall bleibt es bei der Abwägung zwischen den Belangen des Mittelstandsschutzes einerseits und den Interessen des Auftraggebers andererseits. Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen, dass etwa ein erhöhter Koordinationsaufwand beim Auftraggeber regelmäßig Folge einer Losaufteilung ist und daher nach der gesetzgeberischen Grundentscheidung des § 97 Abs. 4 Satz 2 ein Absehen von der Losaufteilung ohne Weiteres nicht rechtfertigen kann1. 4. Losvergabe durch Private (§ 97 Abs. 4 Satz 4) Nach Absatz 4 Satz 4 sind Unternehmen, die mit der Wahrnehmung oder 92 Durchführung einer öffentlichen Aufgabe betraut sind, ohne öffentlicher Auftraggeber oder Sektorenauftraggeber zu sein, vom Auftraggeber zu verpflichten, bei etwaigen Unterauftragsvergaben an Dritte nach den Sätzen 1 bis 3 zu verfahren. In der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie vom 17.12.2008, mit welcher diese Regelung in den Entwurf für das Vergaberechtsmodernisierungsgesetz von 2009 aufgenommen worden ist, heißt es hierzu: „Um mittelstandfreundliche Auftragsvergaben auch im Rahmen einer Öffentlich-Privaten-Zusammenarbeit sicherzustellen, muss, sofern das Unternehmen Unteraufträge vergibt, diese Unterauftragsvergabe mit erfasst werden. Zu diesem Zweck wird der ursprüngliche Auftraggeber verpflichtet, entsprechende vertragliche Regelungen zu treffen“2. Die Vorschrift begründet somit keine unmittelbare Verpflichtung der Unternehmen, sondern verpflichtet die Auftraggeber, im Rahmen bestimmter Auftragserteilungen entsprechende vertragliche Regelungen zu treffen. Die Verpflichtung der Auftraggeber nach Absatz 4 Satz 4 besteht lediglich bei 93 Auftragserteilungen, mit denen ein Unternehmen „mit der Wahrnehmung oder Durchführung einer öffentlichen Aufgabe betraut“ wird. Wie auch die vorstehend zitierte Begründung der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie deutlich macht, ist die Vorschrift damit nur für solche Aufträge einschlägig, mit denen Auftragnehmer über die bloße Beschaffung von Waren oder Leistungen hinaus im Rahmen einer Öffentlich-Privaten-Zusammenarbeit in die Erfüllung einer öffentlichen Aufgabe eingebunden werden. Damit trägt Satz 4 insbesondere dem Umstand Rechnung, dass bei der Beauftra1 So auch OLG Düsseldorf v. 25.11.2009 – Verg 27/09, IBR 2010, 162. 2 BT-Drucks. 16/11428, S. 33.

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§ 97 | Grundsätze der Vergabe gung gemischtwirtschaftlicher Unternehmen eine Losvergabe in der Regel ausscheidet (Rz. 91). Für sonstige Auftragsvergaben dürfte Satz 4 im Übrigen auch leerlaufen1. Denn wenn eine Aufteilung der Leistung in Lose in Betracht kommt, so hat diese nach Satz 2 bereits bei der Auftragsvergabe durch den öffentlichen Auftraggeber und nicht erst bei der Vergabe von Unteraufträgen durch das beauftragte Unternehmen zu erfolgen2. 94 Für den Auftragnehmer kann die mit Abschluss des Vertrages zu begründende

Pflicht zur entsprechenden Anwendung der Sätze 1 bis 3 nur für zukünftige Unterauftragsvergaben gelten. Auf zum Zeitpunkt der Zuschlagserteilung bereits bestehende Unteraufträge findet eine solche vertragliche Verpflichtung hingegen keine Anwendung3.

5. Rechtsschutz 95 Da Absatz 4 den Mittelstand schützt, können sich Großunternehmer nach herr-

schender Auffassung auf eine Verletzung der Pflicht zur Losaufteilung nicht berufen4. Mittelständische Unternehmen hingegen haben nach Absatz 6 einen Anspruch auf Einhaltung der Regelungen des Absatzes 45. Dieser Anspruch umfasst im Grundsatz auch die Pflicht nach Absatz 4 Satz 4. Die Durchsetzbarkeit dieses Anspruchs ist allerdings in der Regel zweifelhaft. Denn zum einen liefe ein Nachprüfungsantrag, mit dem der Dritte im Hinblick auf künftige Unterauftragsvergaben die Verpflichtung des Unternehmens durch den Auftraggeber zur Losaufteilung geltend macht, auf einen nach den §§ 155 ff. generell nicht gewährten vorbeugenden Rechtsschutz hinaus (§ 160 Rz. 20). Zum anderen ist zu berücksichtigen, dass Satz 4 den Auftraggeber lediglich zur vertraglichen Festschreibung der Losaufteilung verpflichtet (Rz. 92). Dritte müssten zur Geltendmachung einer Verletzung der Pflicht nach Satz 4 daher bereits die Beauftragung des Unternehmens angreifen. Sofern damit lediglich das Ziel der Erlangung (möglicher) Unteraufträge verfolgt wird, fehlte es hierfür jedoch an der Antragsbefugnis (§ 160 Rz. 24).

1 2 3 4

Vgl. Werner, VergabeR 2010, 328 (334 f.), der Satz 4 insgesamt als „unsinnig“ bezeichnet. Vgl. Müller-Wrede in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 97 Rz. 34 f. Kus in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, § 97 Rz. 198. VK Bund v. 6.10.2009 – VK 2-165/09; v. 29.9.2009 – VK 2-162/09; Bungenberg in Loewenheim/Meessen/Riesenkampff, § 97 Rz. 39; Hailbronner in Byok/Jaeger, § 97 Rz. 222; dagegen nicht mehr Kus in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, § 97 Rz. 202, 152. 5 OLG Düsseldorf v. 25.11.2009 – Verg 27/09, IBR 2010, 162 m.w.N.

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VII. Elektronische Mittel (§ 97 Abs. 5) 1. Hintergrund Die Nutzung elektronischer Mittel im Vergabeverfahren geht nicht erst auf die 96 Vergaberechtsmodernisierung 2016 zurück: So regelte schon Art. 42 Abs. 1 der Richtlinie 2004/18/EG „Jede Mitteilung sowie jede in diesem Titel genannte Übermittlung von Informationen kann nach Wahl des öffentlichen Auftraggebers per Post, per Fax, auf elektronischem Wege […], auf telefonischem Wege […] oder durch eine Kombination dieser Kommunikationsmittel erfolgen“1. Art. 22 der Vergaberichtlinie2, Art. 29 der Konzessionsvergaberichtlinie und 97 Art. 40 der Sektorenrichtlinie3 betonen die Bedeutung der elektronischen Kommunikation im Vergabeverfahren. Die Vergaberichtlinie und die Sektorenrichtlinie schreiben elektronische Kommunikation nun jedoch verbindlich vor4. Mit Absatz 5 setzt der Gesetzgeber die Vorgaben nun in nationales Recht um. Elektronische Mittel sind gemäß Art. 2 Abs. 1 Nr. 19 der Vergaberichtlinie 98 elektronische Geräte für die Verarbeitung (einschließlich digitaler Kompression) und Speicherung von Daten, die über Kabel, per Funk, mit optischen Verfahren oder mit anderen elektromagnetischen Verfahren übertragen, weitergeleitet und empfangen werden. Die elektronische Vergabe (e-Vergabe)5 lässt sich im weiteren Sinne dahin- 99 gehend verstehen, dass neben der Beschaffungsphase auch die Ausführungsphase einbezogen ist6. Absatz 5 erfasst die e-Vergabe im engeren Sinne, also die elektronische Durchführung des Vergabeverfahrens bis zur Bekanntmachung des Zuschlags7. Ziel der e-Vergabe ist zunächst die Einsparung von Finanzmitteln. Bürokratie- 100 abbau und die Reduzierung von Transport- und Archivbedarf und Energieverbrauch sollen dies ermöglichen. Ökologische Vorteile kommen ergänzend dazu. Zusätzlich soll die e-Vergabe Barrierefreiheit und auch mehr Rechtssicherheit schaffen. Ziel ist zudem eine Vereinfachung des Vergabeverfahrens8.

1 S. auch Art. 36 und 48 der Vergaberichtlinie Verteidigung und Sicherheit). 2 S. auch Art. 35 (Elektronische Auktionen) und 36 (Elektronische Kataloge) der Vergaberichtlinie sowie Anhang IV. 3 S. auch Art. 53 (Elektronische Auktionen) und 54 (Elektronische Kataloge) der Sektorenrichtlinie. 4 S. Art. 22 Abs. 1 Unterabs. 1 Satz 1 der Vergaberichtlinie, Art. 40 Abs. 1 Unterabs. 1 Satz 1 der Sektorenrichtlinie. 5 Allgemein dazu Schäfer, NZBau 2015, 131 ff. und Schippel, VergabeR 2016, 434 ff. 6 Schäfer, NZBau 2015, 131 (131). 7 Schäfer, NZBau 2015, 131 (131). 8 KOM (2012) 179; zu den Zielen auch Braun, VergabeR 2016, 179 (183).

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§ 97 | Grundsätze der Vergabe 2. Regelungsgehalt 101 Der Wortlaut des Absatzes 5 schreibt im Grundsatz eine verpflichtende Nutzung

elektronischer Mittel vor. In der Gesetzesbegründung heißt es außerdem „Die Umstellung auf die elektronische Kommunikation ist zwingend, und zwar unabhängig vom Liefer- oder Leistungsgegenstand, der der Vergabe zugrunde liegt. Es ist im Zusammenhang mit der Einführung der elektronischen Kommunikation unerheblich, ob im Einzelfall eine Bau- oder Dienstleistung oder eine Lieferung vergeben wird“1. Absatz 5 regelt lediglich den Grundsatz elektronischer Kommunikation, während eine Ausgestaltung durch die Verordnungen auf Grundlage des § 113 Satz 2 Nr. 4 erfolgt. Obwohl die Konzessionsvergaberichtlinie eine zwingende e-Vergabe nicht vorsieht, wurde sie einheitlich auch für die Vergabe von Konzessionen umgesetzt. Zwar besteht mit Absatz 5 neuerdings die Pflicht zur Umstellung auf den Einsatz von Informations- und Kommunikationstechnik. Allerdings ist damit keine Verpflichtung zur Nutzung von bestimmten Programmen verbunden. Hier haben die Auftraggeber eine Entscheidungsfreiheit hinsichtlich des Einsatzes spezifischer Programme oder Hilfsmittel der Informations- und Kommunikationstechnik2. Die öffentlichen Auftraggeber müssen aber mit Ausnahme von Sonderfällen3 Kommunikationsmittel nutzen, die nichtdiskriminierend, allgemein verfügbar und mit den allgemein verbreiteten Erzeugnissen der Informations- und Kommunikationstechnologien kompatibel sind sowie den Zugang der Wirtschaftsteilnehmer zum Vergabeverfahren nicht einschränken4.

102 Auch im Rahmen von Absatz 5 stellt sich die Frage nach dem Bieterschutz.

Zwar bleibt dem Auftraggeber die Wahlfreiheit über die konkrete Verwendung von elektronischen Informations- und Kommunikationsmitteln, aber seit der Vergaberechtsmodernisierung 2016 bedarf es elektronischer Kommunikation. Des Weiteren haben die Bieter einen Anspruch auf nicht diskriminierende elektronische Kommunikation, dies ergibt sich schon aus dem Gleichbehandlungsgrundsatz des Absatzes 2. 3. Umfang

103 Die e-Vergabe umfasst das gesamte Vergabeverfahren. Die Richtlinien wenden

sich jedoch lediglich an die Auftraggeber. In allen Phasen eines Vergabeverfahrens haben aber nach Absatz 5 „Auftraggeber und Unternehmen“ grundsätzlich 1 BT-Drucks. 18/6281, S. 68 f. 2 BT-Drucks. 18/6281, S. 69. 3 Vgl. Art. 22 Abs. 1 Unterabs. 2 lit. a-lit. d und Unterabs. 4, Abs. 2 Vergaberichtlinie; Art. 40 Abs. 1 Unterabs. 2 lit. a-lit. d und Unterabs. 4, Abs. 2 Sektorenrichtlinie sowie die Regelungen der § 41 Abs. 2 VgV, § 41 Abs. 3 SektVO, § 17 Abs. 2 KonzVgV, § 11b EU VOB/A. 4 BT-Drucks. 18/6281, S. 69; s. auch schon Art. 42 Abs. 2 der Richtlinie 2004/18/EG sowie die Regelungen der § 11 Abs. 1 VgV, § 11 Abs. 1 SektVO, § 9 Abs. 1 KonzVgV, § 19 Abs. 4 VSVgV, § 11a EU Abs. 1 VOB/A.

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elektronische Mittel zu nutzen. Dem Wortlaut nach sind Adressaten der Vorschrift sowohl Auftraggeber als auch Bieter, wobei dies nur bedeuten kann, dass die Unternehmen die vom Auftraggeber vorgegebenen Kommunikationsmittel zu nutzen haben1. Die e-Vergabe bedeutet letztlich die Digitalisierung des Vergabeverfahrens2. 104 Folgende Phasen des Vergabeverfahrens sind besonders von der elektronischen Kommunikation betroffen: – die elektronische Übermittlung und elektronische Bekanntmachung beim Amt für Veröffentlichungen der Europäischen Union im Amtsblatt der Europäischen Union (§ 40 Abs. 1 Satz 1 VgV, § 40 Abs. 1 SektVO, § 23 Abs. 1 KonzVgV, § 19 VSVgV, §§ 11 EU Abs. 2 Satz 1, 12 EU Abs. 3 Nr. 2 Satz 2 VOB/A), – die elektronische, unentgeltliche, uneingeschränkte und vollständige Bereitstellung der Vergabeunterlagen durch die Möglichkeit des Abrufens der Unterlagen auf einer Internetseite (§ 41 Abs.1 VgV, § 41 Abs. 1 SektVO, § 17 Abs. 1 KonzVgV, §§ 11 EU Abs. 3, 11 EU Abs. 3 VOB/A), – die elektronische Angebotsabgabe (§ 53 VgV, § 43 Abs. 1 SektVO, § 28 Abs. 1 KonzVgV, § 11 EU Abs. 4 VOB/A) sowie – die elektronische Zuschlagserteilung. Ausprägungen des Grundsatzes der Nutzung elektronischer Kommunikation 105 finden sich des Weiteren in Vorschriften des 4. Teils und in den Verordnungen. So etwa – in § 120 Abs. 1 und dem Gebot eines ausschließlich elektronischen Verfahrens zur Beschaffung marktüblicher Leistungen im Rahmen von dynamischen Beschaffungssystemen (s. auch § 22 Abs. 3 VgV, § 20 Abs. 3 SektVO, § 4b EU Abs. 1), – in den konkretisierten Vorschriften zu Grundsätzen, Beschaffenheit und Einsatz von elektronischen Mitteln (§§ 10-12 VgV, §§ 9-11 SektVO, §§ 7–9 KonzVgV, §§ 11 EU, 11a EU VOB/A), – in der Dokumentationspflicht von Gründen für die Nutzung nicht elektronischer Mittel (§ 8 Abs. 2 Nr. 9 VgV, § 8 Abs. 2 Nr. 4 SektVO, § 6 Abs. 2 Nr. 6 KonzVgV, § 11 EU Abs. 7 VOB/A), – in den Regelungen zur Durchführung elektronischer Auktionen (§§ 25, 26 VgV, §§ 23, 24 SektVO, § 4b EU Abs. 2 VOB/A) sowie – in der Möglichkeit der Angebotsanforderung in Form von elektronischen Katalogen (§ 27 VgV, § 25 SektVO, § 4b EU Abs. 3 VOB/A).

1 Ebenfalls bezüglich der Unternehmen einen deklaratorischen Charakter annehmend Müller in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, § 97 Rz. 221. 2 Schippel, VergabeR 2016, 434 (439).

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§ 97 | Grundsätze der Vergabe VIII. Subjektive Rechte (§ 97 Abs. 6) 106 Nach Absatz 6 haben Unternehmen Anspruch darauf, dass Auftraggeber die Be-

stimmungen über das Vergabeverfahren einhalten. Die Vorschrift gewährt Bewerbern und Bietern somit ein subjektives Recht auf Einhaltung der Vergabebestimmungen. Absatz 6 ist das zentrale materiell-rechtliche Pendant zu den Vorschriften des Nachprüfungsverfahrens in Kapitel 2 des 4. Teils1. Sie ist das Kernstück des vom Gesetzgeber mit dem Vergaberechtsänderungsgesetz von 1999 vollzogenen Übergangs von der sog. haushaltsrechtlichen Lösung zur sog. kartellrechtlichen Lösung, mit welchem der Rechtsprechung des EuGH zur unzureichenden Umsetzung der Vergaberichtlinien in Deutschland2 Rechnung getragen wurde3. Bei Schaffung der „haushaltsrechtlichen Lösung“ des Haushaltsgrundsätzegesetzes war der Gesetzgeber noch ausdrücklich davon ausgegangen, dass durch dieses Gesetz kein einklagbarer Rechtsanspruch der Bieter geschaffen wurde4. 1. Träger und Gegner der subjektiven Rechte

107 Träger der subjektiven Rechte aus Absatz 6 sind „Unternehmen“. Der Unter-

nehmensbegriff ist in § 160 Rz. 15 erläutert und umfasst auch Unternehmen aus außer-europäischen Staaten5. Anspruchsgegner sind öffentliche Auftraggeber i.S.v. § 98 i.V.m. §§ 99–101. 2. Anspruchsumfang

108 Absatz 6 beschränkt die subjektiven Rechte auf die Einhaltung der Bestimmun-

gen über das Vergabeverfahren. Dem Wortlaut nach sind damit alle Regelungen erfasst, die das Vergabeverfahren als solches betreffen. Regelungen, die vom Auftraggeber im Allgemeinen – also lediglich auch bei der Durchführung von Vergabeverfahren – zu berücksichtigen sind, fallen hingegen nicht unter Absatz 6. Ob solche Bestimmungen im Vergabenachprüfungsverfahren überprüft werden können, richtet sich nach § 156 Abs. 2.

109 Nach Absatz 6 ist nicht zwischen unionsrechtlich vorgegebenen und national

intendierten Bestimmungen zu differenzieren. Im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens zum Vergaberechtsänderungsgesetz hatte die Bundesregierung ein Gutachten zu dieser Frage eingeholt6. Dieses Gutachten kommt zu dem Ergeb-

1 Dicks in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, § 97 Rz. 237. 2 EuGH v. 11.8.1995 – Rs. C-433/93 (Kommission/Deutschland), Slg. 1995 I-2303, Rz. 19 = NVwZ 1996, 367 (368). 3 Vgl. BT-Drucks. 13/9340, S. 14, hier wurde das Recht der Bieter und Bewerber postuliert, die Einhaltung der vergaberechtlichen Vorschriften effektiv einfordern zu können. 4 BT-Drucks. 12/4636, S. 12. 5 OLG Düsseldorf v. 31.5.2017 – VII-Verg 36/16. 6 Hailbronner, BT-Drucks. 13/9340, S. 25 ff.

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Grundsätze der Vergabe | § 97

nis, dass eine derartige Begrenzung zwar rechtlich möglich, jedoch nicht zweckmäßig sei. Das deutsche Vergaberecht beschränkt sich nicht darauf, die unionsrechtlichen Vorgaben umzusetzen. Vielmehr werden diese um zahlreiche Vorschriften ergänzt. Eine Trennung zwischen unionsrechtlich bedingten und sonstigen Vorschriften ist in den Vergabeverordnungen und der VOB/A nicht konsequent durchgeführt. Der Gesetzgeber hat daher bewusst darauf verzichtet, Absatz 6 auf Verstöße gegen solche Vorschriften des Vergaberechts zu begrenzen, die auf die Vergaberichtlinien zurückzuführen sind1. Nach wie vor nicht abschließend geklärt ist, ob der Anwendungsbereich des Ab- 110 satzes 6 darüber hinaus auf bieterschützende Normen beschränkt ist2. Nach der Gesetzesbegründung ist dies der Fall. Danach kann der subjektive Rechtsschutz nur soweit gehen, wie eine bestimmte vergaberechtliche Vorschrift gerade auch den Schutz des potenziellen Auftragnehmers bezweckt. Auf die Einhaltung von reinen Ordnungsvorschriften könne sich der Auftragnehmer hingegen nicht berufen3. Ausgehend hiervon sind die Vorschriften des 4. Teils des GWB, der Verordnungen sowie der VOB/A daraufhin zu untersuchen, ob sie den Auftragnehmer schützen oder reine Ordnungsvorschriften darstellen. Diese Frage ist anhand der sog. Schutznormlehre zu beantworten. Danach hat eine objektivrechtliche Bestimmung, die für das öffentliche Auftragswesen relevant ist, dann Schutzcharakter, wenn sie zumindest auch den Zweck hat, den Betroffenen zu begünstigen und es ihm ermöglichen soll, sich auf diese Begünstigung zu berufen, um so einen ihm sonst drohenden Schaden oder sonstigen Nachteil zu verhindern4. Gegen diese Auffassung wird eingewandt, dass sich eine Begrenzung des Anwen- 111 dungsbereichs von Absatz 6 auf bieterschützende Bestimmungen zum einen im Gesetzgebungsverfahren – anders als bei § 181 – gerade nicht durchsetzen konnte5

1 BT-Drucks. 13/9340, S. 14 f. 2 Vgl. allgemein dazu BGH v. 18.2.2003 – X ZB 43/02, BGHZ 154, 32 = MDR 2003, 1069 (37): „Insoweit besteht Einigkeit, daß jedenfalls solche Bestimmungen § 97 Abs. 7 GWB unterfallen, die (auch) zum Schutze wohlberechtigter Interessen von am Vergabeverfahren teilnehmenden oder daran interessierten Unternehmen aufgestellt worden sind.“; bejahend etwa OLG Düsseldorf v. 8.9.2004 – Verg 35/04, NZBau 2005, 650 (652); ähnlich BayObLG v. 12.12.2001 – Verg 19/01, IBRRS 2003, 0066 (Rz. 25); a.A. etwa OLG Brandenburg v. 3.8.1999 – 6 Verg 1/99, NZBau 2000, 39 (42); Dreher in Immenga/Mestmäcker, § 97 Rz. 402 ff. 3 BT-Drucks. 13/9340, S. 14. 4 Dazu im Einzelnen Sachs in Stelkens/Bonk/Sachs, Verwaltungsverfahrensgesetz, 8. Aufl. 2014, § 40 Rz. 132 ff.; für die Anwendbarkeit der Schutznormlehre im Rahmen des § 97 Abs. 7: Boesen, § 97 Rz. 188; allgemein dazu Dicks in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, § 97 Rz. 241; Marx in Beck’scher VOB-Kommentar Teil A, 1. Aufl. 2001, § 97 Rz. 15. 5 Vgl. dazu Dreher in Immenga/Mestmäcker, § 97 Rz. 378, 403.

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§ 97 | Grundsätze der Vergabe und eine solche Begrenzung zum anderen nicht mit den Anforderungen des Unionsrechts vereinbar wäre1. 112 Die praktische Relevanz dieser Streitfrage ist häufig geringer als angenommen.

Dies zum einen deshalb, weil die Vorschriften, die den Wettbewerbs- und den Transparenzgrundsatz oder das Gleichbehandlungsgebot ausgestalten nach einhelliger Ansicht bieterschützend sind2; zum anderen weil die Zulässigkeit des Nachprüfungsantrages nach § 160 Abs. 2 Satz 2 die Darlegung eines entstandenen oder drohenden Schadens als Folge der geltend gemachten Verletzung von Vergabevorschriften voraussetzt, sodass ein auf eine bloße Ordnungsvorschrift gestützter Nachprüfungsantrag unabhängig von dem Meinungsstreit unzulässig ist.

113 Es gibt aber immer wieder Fälle, in denen im Nachprüfungsverfahren Streit über

die Einhaltung von häufig öffentlich-rechtlichen Vorschriften durch den Auftraggeber oder Bieter entbrennt, die entweder ersichtlich nicht dem Schutz des Bieters oder des Wettbewerbs zu dienen bestimmt sind oder überhaupt nicht dem Vergaberecht entstammen. Da das Vergaberecht als Sonderrecht für öffentliche Auftraggeber materiell dem öffentlichen Recht zugerechnet werden kann, liegt es nahe, die das öffentliche Recht prägende Schutznormtheorie auch im Vergaberecht zur Anwendung zu bringen und nur solche Normen für rüge- und durchsetzungsfähig anzusehen, die dem Schutz des Bieters zu dienen bestimmt sind (bieterschützende Vorschriften). Dies lässt sich als eine Konsequenz der Subjektivierung des Vergaberechts verstehen, wie sie Absatz 6 bewirken soll, aber auch aus der Anknüpfung des Rechtsschutzes an den Begriff der Rechtsverletzung etwa in § 168 Abs. 1. Zwar ist die deutsche Schutznormtheorie kein europarechtlicher Grundsatz und keineswegs allen Rechtsordnungen bekannt. Das europäische Recht lässt aber auch dort Raum für das jeweilige nationale Verfahrens- und Prozessrecht, wo das europäische Recht materiell weiten Rechtsschutz sicherstellen will.3

114 Als bieterschützende Vorschriften des Vergaberechts wurden u.a. angesehen,

das Gebot, ein ordnungsgemäßes Vergabeverfahren durchzuführen (Verbot von de-facto-Vergaben)4, die Vorgabe der Verfahrensart5, das Gebot einer eindeuti-

1 Dreher in Immenga/Mestmäcker, § 97 Rz. 405 m.w.N.; den subjektiven Rechtsschutz generell anerkennend aber EuGH v. 15.10.2015 – Rs. C-137/14 (Europäische Kommission/ Bundesrepublik Deutschland), IBRRS 2016, 1501 (Rz. 34) = NVwZ 2015, 1665 (1667); vgl. zu einem weiten Verständnis des Begriffs der nachprüfbaren Entscheidung EuGH v. 11.1.2005 – Rs. C-26/03 (Stadt Halle) Slg. 2005, I-26, Rz. 31, NZBau 2005, 111 (113). 2 Otting in Bechtold, § 97 Rz. 59. 3 Vgl. EuGH v. 15.10.2015 – Rs. C-137/14 (Europäische Kommission/Bundesrepublik Deutschland), IBRRS 2016, 1501 (Rz. 34) = NVwZ 2015, 1665 (1667) zum Rechtsschutz im europäischen Umweltrecht. 4 BGH v. 1.2.2005 – X ZB 27/04, BGHZ 162, 116 = MDR 2005, 973; v. 18.6.2012 – X ZB 9/ 11, ZfBR 2012, 721 (723). 5 OLG Celle v. 14.9.2006 – 13 Verg 2/06, NZBau 2007, 126 (127).

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Grundsätze der Vergabe | § 97

gen Leistungsbeschreibung (§ 121)1, das Gebot der Produktneutralität2, das Gebot der Teil- und Fachlosvergabe nach Abs. 43, das Gebot transparenter und eindeutiger Auswahl- und Wertungskriterien4, das Gebot, Auswahlkriterien, Unterkriterien und Gewichtung vorab mitzuteilen5, der Grundsatz des Geheimwettbewerbs und der Vertraulichkeit (§ 5 VgV, § 5 SektVO)6, das Gebot, Bieter ohne zureichenden Eignungsnachweis7 oder das Verbot, ein Vergabeverfahren ohne zureichenden Grund aufzuheben,8 die Dokumentationspflicht in bezug auf bieter- und wertungsrelevante Aspekte9. Als nicht bieterschützende Vorschriften des Vergaberechts wurden u.a. ange- 115 sehen: das Gebot, Angebote, die unangemessen niedrig sind, aufzuklären und ggf. auszuschließen (str.)10; die Berücksichtigung allgemein umweltpolitischer Ziele11, weshalb auch die bieterschützende Wirkung von Absatz 3 in Frage gestellt werden kann; die Vorgabe in § 5 EU VOB/A, Bauaufträge zusammen mit den zugehörigen Lieferungen zu vergeben12; die gesetzliche Forderung einer Tariftreueerklärung13. Noch bedeutsamer wird die Unterscheidung zwischen bieterschützenden Vor- 116 schriften, soweit es um Vorschriften geht, die überhaupt nicht dem Vergaberecht, sondern anderen Rechtsvorschriften entstammen, aber als Vorfragen für eine Vergabeentscheidung wesentliche Bedeutung haben können. Dies können etwa kommunalwirtschaftsrechtliche Vorschriften oder beihilfenrechtliche Vorgaben sein. Kann sich ein Bieter darauf berufen, dass das Kommunalwirtschaftsrecht der Betätigung eines kommunalen Unternehmens entgegensteht, dass ein Bieter möglicherweise unzulässige Beihilfen erhalten hat oder urheberrechtliche 1 OLG Brandenburg v. 16.1.2007 – Verg W 7/06, ZfBR 2007, 294 (301). 2 BayObLG v. 15.9.2004 – Verg 026/03, VergabeR 2005, 130; VK Sachsen v. 23.11.2016 – 1/SVK/025-16, juris. 3 OLG Düsseldorf v. 1.6.2016 – VII-Verg 6/16, VergabeR 2016, 751. 4 OLG Naumburg v. 16.12.2016 – 7 Verg 6/16, zit nach juris. 5 OLG München v. 17.1.2008 – Verg 15/07 VergabeR 2008, 574. 6 OLG Düsseldorf v. 13.4.2011 – VII Verg 4/11, VergabeR 2011, 731. 7 OLG Frankfurt/M v. 19.12.2006 – 11 Verg 7/06, VergabeR 2007, 376 (379). 8 BGH v. 18.2.2003 – X ZB 43/02, MDR 2003, 1069 = NZBau 2003, 293 f.; VK Nordbayern v. 29.10.2015 – 21.VK-3194-34/15. 9 OLG Celle v. 11.2.2010 – 13 Verg 16/09, VergabeR 2010, 669 (673); OLG Saarbrücken v. 15.10.2014 – 1 Verg 1/14 NZBau 2015, 45. 10 Str. gegen eine (dritt-)schützende Wirkung für andere Bieter in der Regel vgl. OLG Düsseldorf v. 17.6.2002 – VII-Verg 18/02 NZBau 2002, 626 (627 f.); OLG Karlsruhe v. 22.7.2011 – 15 Verg 8/11, juris; OLG Koblenz v. 26.10.2005 – 1 Verg 4/05, VergabeR 2006, 392; VK Thüringen v. 8.11.2016 – 250-4002-7852/2016-N-012-KYF; a.A. für bieterschützende Wirkung OLG Saarbrücken v. 29.10.2003 – 1 Verg 2/03 NZBau 2004, 117 (118), offenlassend OLG München v. 11.5.2007 – Verg 4/07 ZfBR 2007, 599. 11 VK Rheinland-Pfalz v. 13.11.2015 – VK 1-16/15 juris. 12 KG v. 7.8.2015 – Verg 1/15, VergabeR 2016, 112. 13 VK Lüneburg v. 1.2.2016 – VgK 51/2015, juris.

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§ 97 | Grundsätze der Vergabe Bedenken gegen ein konkurrierendes Angebot bestehen? Auf den ersten Blick scheiden derartige Angriffe bereits deswegen aus, weil es keine Vorschriften „über das Vergabeverfahren“ sind. Auch aus verfahrenspraktischen Gründen erscheint das auf eine zügige Entscheidung gerichtete Nachprüfungsverfahren ungeeignet für eine umfassende Rechtskontrolle in jeglicher Hinsicht. Das Nachprüfungsverfahren ist ein fokussiertes Rechtsschutzinstrument zur Durchsetzung des Vergaberechts. Auch die Rechtsmittelrichtlinie verlangt keine Sanktionierung von Vorschriften außerhalb der Normen des Vergaberechts (Art. 1 Abs. 1 UAbs. 3 RMR). Dies allein würde den deutschen Gesetzgeber zwar nicht hindern, weitergehenden Rechtsschutz zu normieren. Angesichts der klaren gesetzlichen Beschränkung des Rechtsschutzes durch die Vergabekammern auf die Beseitigung von Rechtsverletzungen (§ 168), der begrenzten Zuweisung der Nachprüfungsverfahren auf Rechte nach Absatz 6 (§ 156 Abs. 2) und der deutlichen Beschränkung des vergaberechtlichen Anspruchs nach dem Wortlaut des Absatzes 6 auf Vorschriften über das Vergabeverfahren sprechen die besseren Argumente dafür, dass Absatz 6 mit der Subjektivierung des Vergaberechts keinen umfassenden Rechtsanspruch auf umfassende Rechtstreue verleiht. Die Subjektivierung des Bieterrechtsschutzes beschränkt sich auf die auf das Verfahren bezogenen Rechtsvorschriften, die den Schutz des Bieters bezwecken. Dies umfasst keine allgemeinen Ordnungsvorschriften, kann aber auch bieterschützende Vorschriften außerhalb des eigentlichen Vergaberechts einschließen, soweit sie dem Schutz des Bieters bei Vergaben dienen und deshalb als Bestimmungen über das Vergabeverfahren angesehen werden können. Über die Vergabegrundsätze in den Absätzen 1 und 2 können auch Rechtsvorschriften aus anderen Rechtsbereichen als Vorschriften über das Vergabeverfahren angesehen werden, etwa wenn sie den Schutz des Wettbewerbs bezogen auf den Bieter und Vergaben konkretisieren. 117 Die herrschende Rechtsprechung lehnt vor diesem Hintergrund die Prüfung

und Anwendung des Verbots unzulässiger Beihilfen aus Art. 107, 108 AEUV im Rahmen von Nachprüfungsverfahren ab1, was in der Literatur immer wieder auf Kritik und weitergehende Vorschläge stößt2, aus den dargestellten Gründen aber überzeugend ist.

118 Das allgemeine Kartellrecht kann hingegen zum Prüfungsmaßstab zählen und

eine bieterschützende Vorschrift über das Vergabeverfahren darstellen, und im Wege einer Inzidentprüfung innerhalb einer vergaberechtlichen Anknüpfungsnorm. So führt ein Verstoß gegen allgemeines Kartellrecht etwa im Falle einer

1 OLG Düsseldorf v. 26.7.2002 – VII Verg 22/02, ZfBR 2003, 70 (71 f.); v. 7.11.2012 – VII Verg 11/12, NZBau 2013, 187 (189); OLG Koblenz v. 10.8.2009 – 1 Verg 8/09, NZBau 2009, 671 (672); OLG Naumburg v. 6.12.2012 – 2 Verg 5/12, VergabeR 2013, 438; OLG Düsseldorf v. 28.3.2012 – VII Verg 37/11, juris Rn. 60. 2 Vgl. etwa Koenig/Hentschel, ZfBR 2006, 758; Dippel/Zeiss, NZBau 2002, 376 (377 f.); Dreher, NZBau 2013, 665.

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Auftraggeber | § 98

wettbewerbsrechtswidrigen Absprache getroffen von Bietern zum zwingenden Ausschluss von Angeboten1. Umstritten ist die Behandlung kommunalwirtschaftlicher Vorschriften, insbe- 119 sondere kommunalwirtschaftlicher Betätigungsverbote für kommunale Wirtschaftsunternehmen. Kommunalwirtschaftliche Vorschriften dienen regelmäßig nicht dem Schutz von Konkurrenten vor der wirtschaftlichen Betätigung von Kommunen, sodass sie nach einer Ansicht außer in besonderen, offensichtlichen Fällen keine vergaberechtliche Relevanz haben2, nach der Gegenauffassung hingegen wegen ihrer Wettbewerbsbedeutung zu berücksichtigen sein sollen3. Ebenso können Vorfragen aus dem Wasser- und Kommunalabgabenrecht zwar mittelbar für die Auftragsgestaltung erhebliche Relevanz haben.4 Es scheint aber zu weitgehend, Fragen des Sozialrechts5, des Datenschutzrechts6 oder des Personenbeförderungsrechts7 in Nachprüfungsverfahren klären zu wollen.

§ 98 Auftraggeber Auftraggeber im Sinne dieses Teils sind öffentliche Auftraggeber im Sinne des § 99, Sektorenauftraggeber im Sinne des § 100 und Konzessionsgeber im Sinne des § 101. I. Inhaltsübersicht . . . . . . . . . . . . II. Unionsrechtliche Grundlagen . .

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III. Auftraggeber und Vergabestelle . IV. Regelungsgehalt . . . . . . . . . . . .

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I. Inhaltsübersicht §§ 98–101 bestimmen den subjektiven Anwendungsbereich des Kartellvergabe- 1 rechts. § 98 definiert den Begriff des Auftraggebers im Vergaberecht, der in den nachfolgenden drei Vorschriften differenziert wird. Der Begriff Auftraggeber ist 1 OLG Düsseldorf v. 29.7.2015 – VII Verg 6/15, juris; OLG Koblenz v. 26.10.2005 – 1 Verg 4/05, VergR 2006, 392. 2 OVG Münster v. 1.4.2008 – 15 B 122/08, NVwZ 2008, 1031 (1032 f.); Schneider NZBau 2009, 352. 3 OLG Düsseldorf v. 9.11.2011 – VII-Verg 35/11, NZBau 2012, 252 (254 f.); v. 7.8.2013 – VII Verg 14/13 NZBau 2014, 57 (60f). 4 Vgl. einerseits OLG Jena v. 11.12.2009 – 9 Verg 2/08, VergabeR 2010, 705; OLG Brandenburg v. 16.1.2012 – W 9/11, NZBau 2012, 326. 5 OLG München v. 8.5.2009 – Verg 6/09, ZfBR 2009, 494 (495). 6 VK Mecklenburg-Vorpommern v. 19.3.2014 – 2 VK 05/14, IBRRS 2015, 2103. 7 OLG Jena v. 23.12.2011 – 9 Verg 3/11, VergabeR 2012, 461; OLG Koblenz v. 25.3.2015 – Verg 11/14, VergabeR 2015, 568; VK Sachsen-Anhalt v. 19.12.2013 – 2 VK LSA 16/13, juris.

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§ 98 | Auftraggeber eine übergeordnete Kategorie und umfasst die öffentlichen Auftraggeber im Sinne des § 99, die Sektorenauftraggeber im Sinne des § 100 und die Konzessionsgeber im Sinne des § 101. In diesen Vorschriften werden die verschiedenen Auftraggeberarten konkretisiert, die in der Vorgängernorm noch in einer einzigen Vorschrift zusammengefasst waren. Dies bringt auch einen begrifflichen Wandel mit sich. Während zuvor alle dem Vergaberecht unterfallenden Auftraggeber häufig als „öffentliche Auftraggeber“ bezeichnet wurden, ist dieser Begriff nun den „klassischen“ Auftraggebern nach § 99 vorbehalten, die durch das Vergaberecht verpflichteten Rechtssubjekte, sind nun Auftraggeber nach § 98.

II. Unionsrechtliche Grundlagen 2 Der Begriff des Auftraggebers findet seine Grundlage in den drei EU-Vergabe-

richtlinien. Öffentliche Auftraggeber sind geregelt in Art. 2 Abs. 1 Nr. 1 und 4 der Vergaberichtlinie. Die Konzessionsvergaberichtlinie unterscheidet in Art. 6 und 7 öffentliche Auftraggeber und Auftraggeber, die Sektorenrichtlinie tut dies in Art. 3 und 4.

3 Den Vergaberichtlinien liegt ein funktionaler Auftraggeberbegriff zugrunde.

Insofern stellte der EuGH bereits zur Richtlinie 71/305/EWG (Baukoordinierungsrichtlinie1) fest, dass das Ziel der Richtlinie, nämlich die tatsächliche Verwirklichung der Niederlassungsfreiheit und des freien Dienstleistungsverkehrs auf dem Gebiet der öffentlichen Bauaufträge, gefährdet wäre, „wenn sie allein deswegen unanwendbar wäre, weil ein öffentlicher Bauauftrag von einer Einrichtung vergeben wird, die geschaffen wurde, um ihr durch Gesetz zugewiesene Aufgaben zu erfüllen, die jedoch nicht förmlich in die staatliche Verwaltung eingegliedert ist“2. Im Nachvollzug dieser Rechtsprechung wurde der Auftraggeberbegriff um „Einrichtungen des öffentlichen Rechts“ erweitert. Wie Art. 2 Abs. 1 Nr. 4 der Vergaberichtlinie zu entnehmen ist, umfasst dieser Begriff juristische Personen sowohl des öffentlichen als auch des privaten Rechts.

III. Auftraggeber und Vergabestelle 4 Während der Begriff des Auftraggebers das durch das Vergaberecht verpflichtete

Rechtssubjekt bezeichnet, wird mit dem Begriff der Vergabestelle die im Be-

1 Richtlinie des Rates v. 26.7.1971 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Bauaufträge, ABl. Nr. L 185 v. 16.8.1971, S. 5 ff. 2 EuGH v. 20.9.1988 – Rs. 31, 87 (Beentjes), Slg. 1988, 4635, Rz. 11 = IBR 1993, 1 (Rz. 31, 87); darauffolgend EuGH v. 12.9.2013 – Rs. C-526/11 (Ärztekammer Westfalen-Lippe), NZBau 2013, 717 (718 f.); v. 10.4.2008 – Rs. C-393/06 (Ing. Aigner), Slg. 2008, I-2339, Rz. 36 f.; v. 15.5.2003 – Rs. C-214/00 (Kommission/Spanien), Slg. 2003, I-4667, Rz. 52 ff. = NZBau 2003, 450 (453 f.).

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Auftraggeber | § 98

schaffungsvorgang auftretende Einheit oder Person bezeichnet, bei Gebietskörperschaften wie Bund und Länder die konkret auftretende Behörde, die für den Auftraggeber erklärungsbefugt und empfangszuständig ist. In der vergaberechtlichen Praxis ist der Sprachgebrauch hier häufig nicht präzise. Die Vergabestelle ist zumeist eine Einheit oder ein Organ des Auftraggebers, sie muss aber nicht mit diesem identisch sein. Die rechtlichen Verpflichtungen und vertraglichen Bindungen treffen den Auftraggeber als Rechtsperson.1 Auftraggeber sind verpflichtet, die wesentlichen vergaberechtlichen Verfahrens- 5 entscheidungen selbst zu treffen2. Insbesondere die Entscheidung über die Erteilung des Zuschlages kann der Auftraggeber daher nicht delegieren, die Beschränkung der eigenen Mitwirkung auf ein „Abnicken“3 ist nicht zulässig (§ 127 Rz. 105). Im Übrigen ist es vergaberechtlich nicht zu beanstanden, wenn sich Auftraggeber bei der Durchführung von Vergaben der Mithilfe Dritter bedienen. Dies stellt § 4 VgV klar. Insofern kommt die Einschaltung eines rechtsgeschäftlich bestellten Vertreters grundsätzlich ebenso in Betracht wie die Beauftragung eines Dritten mit der Beschaffung im eigenen Namen für den Auftraggeber4. Bei der Beschaffung durch einen rechtsgeschäftlich bestellten Vertreter des Auftraggebers handelt der Bevollmächtigte in fremden Namen und für Rechnung des Auftraggebers. Dagegen handelt bei der mittelbaren Stellvertretung der Bevollmächtigte in eigenem Namen, aber weiterhin für Rechnung des öffentlichen Auftraggebers5. Auch öffentlich-rechtliche Vergabestellen können für einen Auftraggeber tätig werden. Hier kann im Einzelfall fraglich sein, wer Auftraggeber im Sinne von § 98 ist6. Hiervon ist die Bildung von Einkaufskooperationen zu unterscheiden, bei denen sich mehrere Auftraggeber zur Beschaffung zusammenschließen.7 Solche Zusammenschlüsse können zwar im Einzelfall kartellrechtlich problematisch sein, sind aber vergaberechtlich nicht per se unzulässig (vgl. Art. 38 VRL, Art. 56 SRL). Soweit durch den Zusammenschluss kein eigenständiges Rechtssubjekt ge1 OLG Düsseldorf v. 2.11.2016 – Verg 23/6, ZfBR 2017, 190. 2 OLG München v. 21.8.2008 – Verg 13/08, VergabeR 2009, 65 (71); OLG Celle v. 7.6.2007 – 13 Verg 5/07, VergabeR 2007, 650 (655); OLG Dresden v. 29.5.2001 – WVerg 3/01, VergabeR 2001, 311 (312); VK Sachsen v. 1.4.2010 – 1/SVK/007/10, IBR 2010, 523. 3 VK Brandenburg v. 7.4.2006 – 2 VK 10/06, IBRRS 2006, 1581. 4 Vgl. VK Bund v. 8.6.2006 – VK 2-114/05, VergabeR 2007, 100 (105). 5 Siehe Beispiele der mittelbaren Stellvertretung in VK Baden-Württemberg v. 14.11.2013 – 1 VK 37/13, IBR 2014, 373; VK Bund v. 8.6.2006 – VK 2-114/05, VergabeR 2007, 100 (105). 6 Siehe hinsichtlich der Bundesauftragsverwaltung das Land als Auftraggeber ansehend BGH v. 20.3.2014 – X ZB 18/13, NZBau 2014, 310 (312); VK Baden-Württemberg v. 23.6.2003 – 1 VK 28/03, IBRRS 2003, 2427; a.A: VK Lüneburg v. 22.6.2007 – VgK-21/ 2007, IBRRS 2009, 2720. 7 OLG München v. 20.03.2014 – Verg 17/13, NZBau 2014, 456 (458).

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§ 98 | Auftraggeber bildet wird, bleiben die beteiligten Auftraggeber selbst als öffentliche Auftraggeber verpflichtet. Das europäische Vergaberecht kennt die Bildung eigenständiger zentraler Beschaffungsstellen (§ 120 Abs. 4 [§ 120 Rz. 38]; vgl. Art. 37 Abs. 1 VRL, Art. 55 SRL), die rechtlich verselbständigt für andere Auftraggeber Aufträge vergeben. Sie sind selbst Auftraggeber. In den Fällen, in denen Auftraggeber und Vergabestelle auseinanderfallen, bleibt für die Eröffnung des personellen Anwendungsbereichs des 4. Teils des GWB entscheidend, wer der Auftraggeber ist, welcher anhand der Umstände des Einzelfalls materiell-wirtschaftlich zu bestimmen ist. Auftraggeber ist danach, wer die Chancen und Risiken aus dem im Rahmen des konkreten Beschaffungsvorhabens abzuschließenden Vertrages endgültig tragen soll1.

IV. Regelungsgehalt 6 Es handelt sich um eine abschließende Aufzählung2. Gehören Personen nicht

den öffentlichen Auftraggebern, den Sektorenauftraggebern oder Konzessionsgebern an, sind sie nicht zur Anwendung des Vergaberechts des GWB verpflichtet. Der Kreis der Auftraggeber (§§ 99–101) und damit der Anwendungsbereich sowohl der materiell-rechtlichen Anforderungen der §§ 97 ff. als auch des Rechtsschutzsystems der §§ 155 ff. lassen sich nicht im Wege der Analogie3 erweitern. Eine Ausweitung über den Wortlaut der Norm ist auch dann nicht dankbar, wenn eine nicht von den §§ 99 ff. erfasste Einrichtung die Regelungen der §§ 97 ff. – bewusst oder in der irrtümlichen Annahme, öffentlicher Auftraggeber zu sein – anwendet4. In letzterem Fall ist zwar denkbar, dass die Einrichtung mit der Anwendung des Kartellvergaberechts einen Vertrauenstatbestand schafft, aufgrund dessen Bieter berechtigt davon ausgehen dürfen, dass die Einrichtung die vergaberechtlichen Bestimmungen insgesamt einhält5. Eine Verletzung dieses Vertrauens kann jedoch lediglich Schadensersatzansprüche nach den allgemeinen Regeln auslösen. Der Vergaberechtsweg steht den Bietern hingegen nicht offen. Denn die vom Gesetzgeber vorgesehenen Grenzen des vergaberechtlichen Rechtsschutzsystems sind nicht disponibel6.

1 Eschenbruch in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, § 98 Rz. 101, 105 m.w.N.; dem anschließend OLG Düsseldorf v. 17.12.2012 – VII-Verg 47/12, VergabeR 2013, 550 (551). 2 VK Brandenburg v. 11.3.2009 – VK 7/09, ZfBR 2009, 710 (712). 3 VK Bund v. 8.6.2006 – VK 2-114/05, VergabeR 2007, 100 (198). 4 OLG Stuttgart v. 12.8.2002 – 2 Verg 9/02, NZBau 2003, 340 (340). 5 Vgl. BGH v. 21.2.2006 – X ZR 39/03, MDR 2006, 984 = NZBau 2006, 456 (457). 6 Vgl. dazu OLG Hamburg v. 31.3.2014 – 1 Verg 4/13, NZBau 2014, 659 (660); OLG Celle v. 8.8.2013 – 13 Verg 7/13, NZBau 2013, 659 (659); v. 25.8.2011 – 13 Verg 5/11, VergabeR 2012, 182 (184); OLG Stuttgart v. 12.8.2002 – 2 Verg 9/02, NZBau 2003, 340 (340); Eschenbruch in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, § 98 Rz. 54 m.w.N.

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Öffentliche Auftraggeber | § 99

§ 99 Öffentliche Auftraggeber Öffentliche Auftraggeber sind: 1. Gebietskörperschaften sowie deren Sondervermögen, 2. andere juristische Personen des öffentlichen und des privaten Rechts, die zu dem besonderen Zweck gegründet wurden, im Allgemeininteresse liegende Aufgaben nichtgewerblicher Art zu erfüllen, sofern a) sie überwiegend von Stellen nach Nummer 1 oder 3 einzeln oder gemeinsam durch Beteiligung oder auf sonstige Weise finanziert werden, b) ihre Leitung der Aufsicht durch Stellen nach Nummer 1 oder 3 unterliegt oder c) mehr als die Hälfte der Mitglieder eines ihrer zur Geschäftsführung oder zur Aufsicht berufenen Organe durch Stellen nach Nummer 1 oder 3 bestimmt worden sind; dasselbe gilt, wenn diese juristische Person einer anderen juristischen Person des öffentlichen oder privaten Rechts einzeln oder gemeinsam mit anderen die überwiegende Finanzierung gewährt, über deren Leitung die Aufsicht ausübt oder die Mehrheit der Mitglieder eines zur Geschäftsführung oder Aufsicht berufenen Organs bestimmt hat, 3. Verbände, deren Mitglieder unter Nummer 1 oder 2 fallen, 4. natürliche oder juristische Personen des privaten Rechts sowie juristische Personen des öffentlichen Rechts, soweit sie nicht unter Nummer 2 fallen, in den Fällen, in denen sie für Tiefbaumaßnahmen, für die Errichtung von Krankenhäusern, Sport-, Erholungs- oder Freizeiteinrichtungen, Schul-, Hochschul- oder Verwaltungsgebäuden oder für damit in Verbindung stehende Dienstleistungen und Wettbewerbe von Stellen, die unter die Nummern 1, 2 oder 3 fallen, Mittel erhalten, mit denen diese Vorhaben zu mehr als 50 Prozent subventioniert werden. I. 1. 2. II. III. 1. 2. 3.

Einführung Inhaltsübersicht . . . . . . . . . . . . Entstehungsgeschichte . . . . . . . Gebietskörperschaften und deren Sondervermögen (§ 99 Nr. 1) . . Sonstige Einrichtungen des öffentlichen Rechts (§ 99 Nr. 2) Allgemeine Fragen . . . . . . . . . . Juristische Person des öffentlichen und des privaten Rechts . Gründung zu dem Zweck, im Allgemeininteresse liegende

__ _ __ _ 1 5

11 13 14 18

__ _ _ __ _

Aufgaben nichtgewerblicher Art zu erfüllen a) Einleitung . . . . . . . . . . . . . . b) Gründung . . . . . . . . . . . . . . c) Allgemeininteresse . . . . . . . . d) Aufgaben nichtgewerblicher Art . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Staatliche Einflussnahmemöglichkeit . . . . . . . . . . . . . . . a) Finanzierung (lit. a) . . . . . . . b) Aufsicht über die Leitung (lit. b) . . . . . . . . . . . . . . . . .

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22 23 32 38 44 49 55

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§ 99 | Öffentliche Auftraggeber c) Bestimmung mehr als der Hälfte der Mitglieder eines zur Geschäftsführung oder Aufsicht berufenen Organs (lit. c) d) In Nummer 2 genannte Auftraggeber als beherrschende Stelle i.S.v. lit. a–c (Nr. 2 Satz 2) . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Einzelfälle a) Sparkassen und Landesbanken b) Öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten . . . . . . . . . . . . c) Gesetzliche Krankenkassen . . d) Religionsgemeinschaften . . . . e) Deutsche Bahn AG . . . . . . . .

_ _ _ __ __ 60

67 69 74 77 80 85

f) g) h) i) j)

Deutsche Post AG . . . . . . . Lotteriegesellschaften . . . . . Wohnungsbaugesellschaften Messegesellschaften . . . . . . Kommunale Versorgungsunternehmen . . . . . . . . . . .

. . . . .

IV. Verbände (§ 99 Nr. 3) . . . . . . .

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V. Staatlich subventionierte Auftraggeber (§ 99 Nr. 4) . . . . 98 1. Natürliche und juristische Personen . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 2. Erfasste Vorhaben . . . . . . . . . . 100 3. Mehr als 50 %-ige Subventionierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103

I. Einführung 1. Inhaltsübersicht 1 § 99 bestimmt die öffentlichen Auftraggeber. Neben § 100 (Sektorenauftrag-

geber) und § 101 (Konzessionsgeber) regelt der neue § 99 den Kreis derjenigen Personen, die verpflichtet sind, den 4. Teil des GWB und die übrigen Bestimmungen des Vergaberechts, auf welche das GWB verweist, anzuwenden.

2 Entsprechend der haushaltsrechtlichen Wurzeln des Kartellvergaberechts um-

fasst dieser Kreis zunächst die Adressaten des Haushaltsrechts1, also den Bund, die Länder, die Gemeinden, die Sondervermögen von Bund und Ländern sowie bundes- und landesunmittelbare juristische Personen des öffentlichen Rechts. Diese werden daher auch unter dem Begriff der klassischen (öffentlichen) Auftraggeber zusammengefasst.

3 § 99 erfasst darüber hinaus bestimmte private Unternehmen. Diese Erweite-

rung gegenüber den klassischen Auftraggebern ist in erster Linie dem Ziel geschuldet, eine Umgehung der unionsrechtlichen Vergabevorgaben durch eine Flucht ins Privatrecht entgegen zu wirken. Dementsprechend zeichnen sich die erfassten Unternehmen im Wesentlichen dadurch aus, dass sie in besonderer Weise staatlicher Einflussnahme unterliegen2.

4 § 99 ist in Bezug auf die öffentlichen Auftraggeber abschließend. Personen, die

nicht unter die Vorschrift fallen, sind keine öffentlichen Auftraggeber. Fallen sie auch nicht unter die Sektorenauftraggeber im Sinne des § 100 oder die Konzessi-

1 S. etwa Kratzenberg, NZBau 2009, 103 (104). 2 Wieddekind in Willenbruch/Wieddekind, § 98 Rz. 5.

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onsgeber im Sinne des § 101, sind Auftraggeber nicht zur Anwendung des Vergaberechts des GWB verpflichtet (vgl. § 98 Rz. 6). 2. Entstehungsgeschichte § 99 geht auf § 57a HGrG zurück. Die Vorschrift wurde mit § 107 des Regie- 5 rungsentwurfs zum Vergaberechtsänderungsgesetz1 von 1999 inhaltlich unverändert übernommen und in sechs Ziffern zusammengefasst. Im Rahmen der Vergaberechtsmodernisierung 2016 wurde die Vorschrift der neuen Gesetzessystematik angepasst, die zwischen öffentlichen Auftraggebern, Sektorenauftraggebern und Konzessionsgebern differenziert, und entschlackt. § 99 führt sachlich den bisherigen § 98 Nr. 1 bis 3 und Nr. 5 a.F. fort. Nummer 1 entspricht im Wesentlichen dem § 57a Abs. 1 Nr. 1 HGrG a.F. („Ge- 6 bietskörperschaften sowie deren Sondervermögen und die aus ihnen bestehenden Verbände“). Auch Nummer 2 geht auf § 57a HGrG a.F. zurück. Die Vorschrift wurde im 7 Zuge der Vergaberechtsmodernisierung 2016 neu strukturiert, um sie übersichtlicher zu gestalten2. Die drei Tatbestände der Norm sind jeweils einem Buchstaben von lit. a–c zugeordnet. Der Halbsatz 2 erfasst die sog. Auftraggeberkette. Das Tatbestandsmerkmal „oder über deren Leitung die Aufsicht ausübt“ wurde hinzugefügt. In der vorherigen Fassung des § 98 Nr. 2 Satz 2 waren lediglich die Beherrschungstatbestände „überwiegende Finanzierung“ und „Bestimmung der Mehrheit der Mitglieder eines zur Geschäftsführung oder Aufsicht berufenen Organs“ geregelt. Neu aufgenommen ist die durch Aufsicht vermittelte Staatsverbundenheit3. Nummer 3 entspricht der alten Fassung des § 57a Abs. 1 Nr. 3 HGrG.

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Nummer 4 erfasst die zuvor in § 98 Nr. 5 geregelten staatlich subventionierten 9 Auftraggeber. Sie hat ihren Ursprung in § 57a Abs. 1 Nr. 6 HGrG. Mit der zweiten Vergaberechtsmodernisierung 2016 hat die Vorschrift neben kleineren Veränderungen zwei Anpassungen erfahren: Statt von „Auslobungsverfahren“ ist von „Wettbewerben“ die Rede und statt „finanziert“ heißt es nun „subventioniert“. Letzteres stellt eine Anpassung an den Wortlaut von Art. 13 der Vergaberichtlinie dar, der ein weites Verständnis von Subventionen kennt4. Die ehemals in Nummer 4 geregelten Sektorenauftraggeber sind nun verortet in 10 § 100 i.V.m. § 102. § 98 Nr. 6 a.F. regelte die Auftraggeber von Baukonzessionen, die nun vom Begriff der Konzessionsgeber gemäß § 101 erfasst werden. 1 2 3 4

BT-Drucks. 13/9340, S. 15. BT-Drucks. 18/6281, S. 70. BT-Drucks. 18/6281, S. 70. BT-Drucks. 18/6281, S. 70.

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§ 99 | Öffentliche Auftraggeber II. Gebietskörperschaften und deren Sondervermögen (§ 99 Nr. 1) 11 Nummer 1 umfasst Gebietskörperschaften sowie deren Sondervermögen. Ge-

bietskörperschaften sind Körperschaften des öffentlichen Rechts, die auf einem räumlich abgegrenzten Teil des Staatsgebietes über Gebietshoheit verfügen. Dies sind der Bund, die Länder, die Landkreise1 und die Gemeinden2. Erfasst werden hierdurch nicht nur Behörden, sondern sämtliche Organisationseinheiten und Gewalten von Bund, Ländern und Kommunen, also neben Behörden, Ministerien auch die Gesetzgebungsorgane3. Politische Parteien gehören dagegen nicht zu den öffentlichen Auftraggebern4. Die auftretenden Behörden und Organe handeln jeweils als Vergabestellen, sind als nicht selbst Auftraggeber, sondern handeln für die Gebietskörperschaft. Sie ist der öffentliche Auftraggeber, rechtlicher Adressat der vergaberechtlichen Pflichten und Vertragspartner. Sofern die Durchführung von Vergaben in mittelbarer Stellvertretung durch ein privates Unternehmen erfolgt, aber die Beschaffungsentscheidung durch die öffentliche Hand getroffen wird, bleibt die Gebietskörperschaft Auftraggeber5. Unter Sondervermögen sind rechtlich unselbständige aber als gesonderte Einheit im Rechtsverkehr auftretende Verwaltungsstellen zu verstehen6. Hierzu zählen beispielsweise Eigenbetriebe und nicht rechtsfähige Stiftungen. Soweit Sondervermögen nicht ausnahmsweise selbst rechtsfähig sind, sind sie nicht Träger von Rechten und Pflichten und können deshalb, anders als der Wortlaut von Nr. 1 nahelegt, nicht selbst Auftraggeber sein. Sie fungieren, wenn ihnen Rechtsfähigkeit fehlt, als Vergabestelle, die den hinter dem Sondervermögen stehenden Träger des Sondervermögens Auftraggeber verpflichtet.

12 Die Einordnung als öffentlicher Auftraggeber nach Nummer 1 unterliegt keinen

auftragsbezogenen Einschränkungen. Insbesondere ist daher unerheblich, ob der im Einzelfall zu vergebende Auftrag im Zusammenhang mit den hoheitlichen Aufgaben der betreffenden Gebietskörperschaft steht oder der Auftrag aus

1 OLG Düsseldorf v. 6.7.2011 – VII-Verg 39/11, NZBau 2011, 769 (770); VK Schleswig v. 13.7.2006 – VK-SH 15/06, IBRRS 2006, 2347; ebenso Otting in Bechtold, § 98 Rz. 7; a.A. Werner in Byok/Jaeger, § 98 Rz. 17, der hinsichtlich Landkreise § 99 Nr. 3 anwendet. 2 Vgl. bezüglich Kommunen EuGH v. 12.7.2001 – Rs. C-399/98 (Teatro alla Bicocca), Slg. I 2001, 5409, Rz. 57 = NZBau 2001, 512 (515). 3 Vgl. EuGH v. 17.9.1998 – C-323/96, Slg. 1998, I-5063, 5083, Rz. 27 = IBRRS 2003, 0767 (Rz. 27): „Der hier verwendete Begriff des Staates umfasst alle Organe, die die gesetzgebende, die vollziehende und die rechtsprechende Gewalt ausüben. Das gleiche gilt in einem Bundesstaat für die Organe, die diese Gewalten auf der Ebene der Einzelstaaten ausüben.“; auch Eschenbruch in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, § 99 Rz. 14 m.w.N. 4 Vgl. Erwägungsgrund 29 der Vergaberichtlinie. 5 VK Bund v. 8.6.2006 – VK 2–114/05, ZfBR 2007, 194 (198 f.); dazu auch Kratzenberg, NZBau 2009, 103 (104). 6 Bungenberg in Loewenheim/Meessen/Riesenkampff, § 98 Rz. 7; Dreher in Immenga/ Mestmäcker, § 98 Rz. 18; Otting in Bechtold, § 98 Rz. 7.

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öffentlichen Mitteln finanziert werden soll1. Für öffentliche Auftragnehmer nach Nummer 1 ist der personelle Anwendungsbereich des Kartellvergaberechts daher auch bei erwerbswirtschaftlichen Beschaffungsgeschäften eröffnet.

III. Sonstige Einrichtungen des öffentlichen Rechts (§ 99 Nr. 2) Nummer 2 erfasst juristische Personen des öffentlichen und des privaten Rechts, 13 die gegründet worden sind, um im Allgemeininteresse liegende Aufgaben nichtgewerblicher Art zu erfüllen, und die eine besondere Staatsnähe aufweisen. Die Staatsnähe ist bei einer überwiegenden Finanzierung seitens der öffentlichen Hand, bei einer staatlichen Aufsicht über die Leitung oder bei der Bestimmung von mehr als der Hälfte der Mitglieder der zur Geschäftsführung oder zur Aufsicht berufenen Organe des Auftraggebers durch den Staat bzw. seiner nachgeordneten Stellen gegeben. 1. Allgemeine Fragen Nummer 2 liegen die Regelungen der Vergaberichtlinien zu den Einrichtungen 14 des öffentlichen Rechts zugrunde. Nach Art. 2 Abs. 1 Nr. 4 der Vergaberichtlinie fallen hierunter alle Einrichtungen, die – zu dem besonderen Zweck gegründet wurden, im Allgemeininteresse liegende Aufgaben nichtgewerblicher Art zu erfüllen, – Rechtspersönlichkeit besitzen und – überwiegend vom Staat, von Gebietskörperschaften oder von anderen Einrichtungen des öffentlichen Rechts finanziert werden, hinsichtlich ihrer Leitung der Aufsicht durch Letztere unterliegen oder deren Verwaltungs-, Leitungs- oder Aufsichtsorgan mehrheitlich aus Mitgliedern bestehen, die vom Staat, von den Gebietskörperschaften oder von anderen Einrichtungen des öffentlichen Rechts ernannt worden sind. Hintergrund der Erfassung der Einrichtungen des öffentlichen Rechts als öffent- 15 liche Auftraggeber ist die vom EuGH bereits in der Beentjes-Entscheidung getroffene Feststellung, dass die Ziele der Vergaberichtlinien gefährdet wären, wenn deren Anwendbarkeit von der formalen Eingliederung des Auftraggebers in die staatliche Verwaltung abhinge2. Diese Rechtsprechung hat der Richtliniengeber mit den Regelungen zu den Einrichtungen des öffentlichen Rechts aufgegriffen und konkretisiert. Die Erfassung der Einrichtungen des öffentlichen 1 EuGH v. 18.11.2004 – Rs. C-126/03 (Kommission/Deutschland), Slg. 2004, I-11197, Rz. 18, 20 = VergabeR 2005, 57 (58). 2 EuGH v. 20.9.1988 – Rs. 31/87 (Beentjes), Slg. 1988, 4635, Rz. 11 = IBRRS 1988, 0001 (Rz. 11).

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§ 99 | Öffentliche Auftraggeber Rechts als öffentliche Auftraggeber trägt damit dem Umstand Rechnung, dass sich die öffentliche Hand zur Erledigung ihrer Aufgaben zusehends Unternehmen bedient, die privatrechtlich organisiert sind. Diese werden teilweise unmittelbar von Gebietskörperschaften oder deren Sondervermögen gehalten, teilweise bestehen indirekte und weitverzweigte Verbindungen. Die Vergaberichtlinien stehen dieser privatrechtlichen Organisation öffentlicher Aufgaben nicht entgegen, wollen jedoch sicherstellen, dass sich die öffentliche Hand nicht durch eine „Flucht in das Privatrecht“ dem Anwendungsbereich des Vergaberechts entzieht. Insbesondere in diesen Regelungen spiegelt sich daher das funktionale Verständnis des unionsrechtlichen Auftraggeberbegriffs. Dementsprechend sind auch die einzelnen Tatbestandsmerkmale der Nummer 2 zum einen funktional1 und zum anderen tendenziell weit auszulegen2. 16 Ein nicht erschöpfendes Verzeichnis der Einrichtungen und Kategorien von

Einrichtungen des öffentlichen Rechts war früher in Anhang III der Richtlinie 2004/18/EG enthalten. Die Aufnahme in dieses Verzeichnis begründete eine widerlegliche Vermutung3, dass die dort genannten Vergabestellen öffentliche Auftraggeber i.S.v. Art. 1 Abs. 9 der Richtlinie 2004/18/EG sind. Die Nachfolgerichtlinien allerdings verweisen nicht mehr auf eine solche Liste4, sodass der Frage nach ihrem umstrittenen Rechtscharakter keine Bedeutung mehr zukommt. Da sich das Richtlinienkonzept insoweit nicht geändert hat, kann dem Anhang III der Richtlinie 2004/18/EG immer noch indizielle Wirkung beigemessen werden.

17 Die Merkmale der Einrichtungen des öffentlichen Rechts und somit des Auf-

traggebers nach Nummer 2 müssen kumulativ5 vorliegen. Entscheidend ist da-

1 EuGH v. 12.9.2013 – Rs. C-526/11 (Ärztekammer Westfahlen-Lippe), NZBau 2013, 717 (718 f.); dazu auch Heyne, NVwZ 2014, 621 ff.; außerdem v. 10.4.2008 – Rs. C-393/06 (Ing. Aigner), Slg. 2008, I-2339, Rz. 37 = NZBau 2008, 393 (395); v. 13.12.2007 – Rs. C-337/06 (Bayerischer Rundfunk), Slg. 2007, I-11173, Rz. 36 ff. = IBRRS 2007, 5001 (Rz. 36 ff.); v. 12.12.2002 – Rs. C-470/99 (Universale-Bau), Slg. 2002, I-11617, Rz. 53 = NZBau 2003, 162 (165); v. 1.2.2001 – Rs. C-237/99 (Kommission/Frankreich), Slg. 2001, I-939, Rz. 42 f. = NZBau 2001, 215 (217). 2 Vgl. EuGH v. 16.10.2003 – Rs. C-283/00 (SIEPSA), Slg. 2003, I-11697, Rz. 73 = NZBau 2004, 223 (227); v. 15.5.2003 – Rs. C-214/00 (Kommission/Spanien), Slg. 2003, I-4667, Rz. 53 = NZBau 2003, 450 (454). 3 Dreher in Immenga/Mestmäcker, § 98 Rz. 27 f.; a.A. Eschenbruch in Kulartz/Kus/Portz/ Prieß, § 99 Rz. 130 m.w.N., hier ist von einer rein deklaratorischen Indizwirkung die Rede. 4 S. Art. 2 Abs. 1 Nr. 4 der Vergaberichtlinie. 5 EuGH v. 11.6.2009 – Rs. C-300/07 (Oymanns), Slg. 2009, I-4779 Rz. 48 = NJW 2009, 2427 (2429); v. 13.1.2005 – Rs. C-84/03 (Kommission/Spanien), Slg. 2005, I-139, Rz. 27 = NZBau 2005, 232 (232); v. 16.10.2003 – Rs. C-283/00 (SIEPSA), Slg. 2003, I-11697, Rz. 69 = NZBau 2004, 223 (227); v. 10.5.2001 – verb. Rs. C-223 u. 260/99 (Agorà und Excelsior/Mailänder Messe), Slg. 2001, I-3605, Rz. 26 = IBRRS 2002, 0146 (Rz. 26); EuGH v. 15.1.1998 – Rs. C-44/96 (Mannesmann Anlagenbau Austria), Slg. 1998, I-73, Rz. 21 = NJW 1998, 3261 (3262).

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bei grundsätzlich der Zeitpunkt der Vergabehandlung1, wenngleich sich die Qualifikation als Auftraggeber während eines Vergabeverfahrens verändern kann. 2. Juristische Person des öffentlichen und des privaten Rechts Nummer 2 erfasst juristische Personen des öffentlichen und des privaten Rechts. 18 Zu Ersteren zählen neben den von Nummer 1 umfassten Gebietskörperschaften die bundes-, landes- und gemeindeunmittelbaren Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts. Eigenbetriebe von Gebietskörperschaften, die keine eigene Rechtspersönlichkeit besitzen, fallen nicht unter Nummer 2, sondern sind bereits von Nummer 1 umfasst (Rz. 11). Juristische Personen des Privatrechts sind z.B. der eingetragene Verein, die Gesellschaft mit beschränkter Haftung, die Kommanditgesellschaft auf Aktien, die eingetragene Genossenschaft, die Aktiengesellschaft und der Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit. Der Begriff der juristischen Person ist nicht allein nach deutschem Gesellschafts- 19 recht zu bestimmen, sondern erfasst alle organisatorisch so verselbständigten Einheiten, die am Rechtsverkehr teilnehmen und eigene Rechte und Pflichte begründen können. Ausgehend vom deutschen Verständnis des Begriffs der juristischen Person könnten sonst nicht alle Einrichtungen von Nummer 2 erfasst werden, für die dies unionsrechtlich geboten ist2. Der Begriff der juristischen Person rekurriert auf das Merkmal der Rechtspersönlichkeit in Art. 2 Abs. 1 Nr. 4 lit. b der Vergaberichtlinie. Dabei kann es nicht darauf ankommen, ob das nationale Recht einer wirtschaftlichen Einheit auch formale Rechtspersönlichkeit zugesteht. Nach ständiger Rechtsprechung des EuGH ist der Begriff der Einrichtung des öffentlichen Rechts anhand der in den Vergaberichtlinien normierten Tatbestandsmerkmale in der gesamten Union autonom und einheitlich auszulegen3. Entscheidend ist daher, ob eine Einrichtung durch Teilnahme am Rechtsverkehr eigene Rechte und Pflichten begründen kann. Denn bereits in diesem Fall bestünde ohne die Erfassung als Einrichtung des öffentlichen Rechts die Gefahr der Umgehung des Vergaberechts durch „Flucht ins Privatrecht“4. 1 Eschenbruch in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, § 99 Rz. 27; Ziekow, VergabeR 2010, 861, 863 ff.; vgl. zum Entfallen der Auftraggeberqualifikation EuGH v. 10.11.2005 – Rs. C29/04 (Mödling), Slg. 2005, I-9705, Rz. 38 = NVwZ 2006, 70 (72); außerdem EuGH v. 3.10.2000 (University of Cambridge), Slg. 2000, I-8035, Rz. 30 = VergabeR 2001, 111 (115.); vgl. in diesem Zusammenhang auch OLG Naumburg v. 17.3.2005 – 1 Verg 3/ 05, VergabeR 2005, 635 (338). 2 So in der Tat noch VÜA Brandenburg v. 9.5.1996 – VÜA 3/96, WuW 1996, 853 (859) zur haushaltsrechtlichen Vorgängernorm § 57a Abs. 1 Nr. 2 HGrG. 3 EuGH v. 13.1.2005 – Rs. C-84/03 (Kommission/Spanien), Slg. 2005, I-139, Rz. 27 = NZBau 2005, 232 (232) m.w.N. 4 Werner in Byok/Jaeger, § 98 Rz. 38.

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§ 99 | Öffentliche Auftraggeber Die unionsrechtlich gebotene funktionale Auslegung der Nummer 2 führt somit dazu, dass das Merkmal der juristischen Person des privaten Rechts – abweichend vom allgemeinen gesellschaftsrechtlichen Verständnis – erfüllt ist, wenn die Einrichtung in der Lage ist, im Rechtsverkehr wie eine juristische Person aufzutreten und Verpflichtungen einzugehen1. 20 Für die offene Handelsgesellschaft ergibt sich dies aus § 124 Abs. 1 HGB, wo-

nach die OHG unter ihrer Firma Rechte erwerben und Verbindlichkeiten eingehen, Eigentum und andere dingliche Rechte an Grundstücken erwerben, vor Gericht klagen und verklagt werden kann. Die Vorschrift findet nach § 161 Abs. 2 HGB auf die Kommanditgesellschaft2, nach § 1 EWIV-Ausführungsgesetz3 auf die Europäische wirtschaftliche Interessenvereinigung (EWIV) und nach § 7 Abs. 2 PartGG4 auf die Partnerschaftsgesellschaft5 (entsprechende) Anwendung. Auch die Außen-Gesellschaft bürgerlichen Rechts kann nach gefestigter Rechtsprechung und herrschender Meinung durch Teilnahme am Rechtsverkehr eigene Rechte und Pflichten begründen und besitzt insofern Rechtsfähigkeit6. Obgleich sie keine juristischen Personen sind, können die OHG, die KG, die EWIV, die Partnerschaftsgesellschaft und die Außen-GbR daher öffentliche Auftraggeber nach Nummer 2 sein.

21 Entsprechendes gilt für Vorgründungs- und Vorgesellschaften von Kapitalge-

sellschaften7. So sind Vorgründungsgesellschaften, sofern sie im Vorgriff auf ihre künftige Tätigkeit Aufträge erteilen, als Außen-GbR bzw. als OHG zu klassifizieren8 und können somit nach dem Vorstehenden unter Nummer 2 fallen.

1 Boesen, § 98 Rz. 39; Dreher, DB 1998, 2579 (2580); Dreher in Immenga/Mestmäcker, § 98 Rz. 45; Otting in Bechtold, § 98 Rz. 11; s. auch OLG Celle v. 14.9.2006 – 13 Verg 3/06, ZfBR 2006, 818 (819). 2 Kindler in Koller/Kindler/Roth/Morck, Handelsgesetzbuch, 8. Aufl. 2015, § 161 HGB Rz. 23. 3 Gesetz zur Ausführung der EWG-Verordnung über die Europäische wirtschaftliche Interessenvereinigung v. 14.4.1988 – BGBl. I, S. 514. 4 Gesetz über Partnerschaftsgesellschaften Angehöriger Freier Berufe v. 25.7.1994 – BGBl. I, S. 1744. 5 Dazu Carsten/Schäfer in Münchener Kommentar zum BGB, 6. Aufl. 2013, § 7 PartGG Rz. 12; Meilicke in Meilicke/Graf v. Westphalen/Hoffmann/Lenz/Wolff, Partnerschaftsgesellschaftsgesetz, 3. Aufl. 2015, § 7 Rz. 13 ff. 6 Grundlegend hierzu BGH v. 29.1.2001 – II ZR 331/00, BGHZ 146, 341 ff.; ausführlich Ulmer/Schäfer in Münchener Kommentar zum BGB, § 705 BGB Rz. 303 ff.; nach einer Entscheidung der VK Bremen v. 20.6.2012 – 16-VK 1/12 handelt es sich bei der GbR um einen Verband nach § 98 Nr. 3. 7 Aicher in Müller-Wrede, Kompendium des Vergaberechts, Kap. 2 Rz. 29; Boesen, § 98 Rz. 37; Dreher, DB 1998, 2579 (2580); Dreher in Immenga/Mestmäcker, § 98 Rz. 43; Marx in Beck’scher VOB-Kommentar Teil A, 1. Aufl. 2001, § 98 Rz. 5; Otting in Bechtold, § 98 Rz. 11. 8 S. etwa Pentz in Münchener Kommentar zum Aktiengesetz, 4. Aufl. 2016, § 41 Rz. 18; Roth in Roth/Altmeppen, GmbHG, 8. Aufl. 2015, § 11 Rz. 71 ff.

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Vorgesellschaften sind nach herrschender Auffassung als Gesamthandsgesellschaften eigener Art (teil-)rechtsfähig1. 3. Gründung zu dem Zweck, im Allgemeininteresse liegende Aufgaben nichtgewerblicher Art zu erfüllen a) Einleitung Art. 2 Abs. 1 Nr. 4 lit. a der Vergaberichtlinie schreibt vor, dass zu den Merkma- 22 len von Einrichtungen des öffentlichen Rechts der Gründungszweck, im Allgemeininteresse liegende Aufgaben nichtgewerblicher Art zu erfüllen, gehört. Dieses Kriterium stellt das zentrale Merkmal der Nummer 2 dar, mit dem die dem Vergaberecht unterliegenden Tätigkeiten der öffentlichen Hand von deren übrigem Handeln abgegrenzt werden sollen. Hierunter fällt insbesondere die erwerbswirtschaftliche Tätigkeit2. Denn in diesem Bereich unterliegt auch die öffentliche Hand den Regeln des Wettbewerbs, so dass es nicht erforderlich ist, die Marktteilnehmer über die Anwendung des Vergaberechts vor Benachteiligungen durch die öffentliche Hand zu schützen3. b) Gründung Voraussetzung für die Anwendung von Nummer 2 ist, dass der Auftraggeber zu 23 dem besonderen Zweck gegründet worden ist, im Allgemeininteresse liegende Aufgaben zu erfüllen. Damit wird klargestellt, dass die lediglich gelegentliche Ausübung entsprechender Aufgaben die Auftraggebereigenschaft nicht begründet. Das Abstellen auf den Gründungszweck bedeutet hingegen nicht, dass spätere 24 Zweckänderungen unberücksichtigt bleiben müssten. Vielmehr ist die aktuelle, tatsächlich durchgeführte Tätigkeit maßgebend4. Hierfür spricht bereits die gebotene funktionale und weite Auslegung des Tatbestandsmerkmals (Rz. 15). Denn „wenn es darauf ankäme, welche Aufgaben zuerst wahrgenommen werden, ließe sich die Anwendung der Vorschriften über das öffentliche Auftragswesen leicht dadurch umgehen, dass man eine Einrichtung zunächst mit gewerblichen Aufgaben betraut und erst später mit nicht gewerblich wahrgenommen Aufgaben“5. Durch eine Änderung oder Neufestsetzung des Zwecks kann 1 Pentz in Münchener Kommentar zum Aktiengesetz, § 41 Rz. 52; Roth in Roth/Altmeppen, GmbHG, § 11 Rz. 39. 2 Otting in Bechtold, § 98 Rz. 13. 3 S. auch EuGH v. 10.5.2001 – verb. Rs. C-223 u. 260/99 (Agorà und Excelsior/Mailänder Messe), Slg. 2001, I-3605, Rz. 42 f. = IBRRS 2002, 0146 (Rz. 42 f.). 4 EuGH v. 12.12.2002 – Rs. C-470/99 (Universale-Bau), Slg. 2002, I-11617, Rz. 61 ff. = NZBau 2003, 162 (165). 5 Schlussanträge GA Alber v. 8.11.2001 – Rs. C-470/99 (Universale-Bau), Slg. 2002, I-11617, Rz. 48.

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§ 99 | Öffentliche Auftraggeber daher eine bestehende Einrichtung dem Anwendungsbereich der Nummer 2 entzogen werden oder erstmalig in deren Anwendungsbereich fallen1. 25 Zur Ermittlung des Unternehmenszwecks bzw. -gegenstandes2 kann auf die

Gründungsakte3 aber auch auf andere, objektiv feststellbare Grundlagen4 zurückgegriffen werden. Die Form, in der die Zweckbestimmung erfolgt, spielt dabei keine Rolle5. Im Hinblick auf den funktionalen Auftraggeberbegriff ist es daher insbesondere nicht erforderlich, dass die Zweckbestimmung in einem Gesetz, einer verwaltungsrechtlichen Vorschrift oder einem Verwaltungsakt enthalten ist6.

26 Zu berücksichtigen sind selbst nicht rechtsförmliche, sondern faktische Zweck-

bestimmungen7. Hierzu führte der EuGH in der Entscheidung „UniversaleBau“ aus: „Das gleiche Bestreben, die praktische Wirksamkeit des Artikels 1 Buchstabe b Unterabsatz 2 der Richtlinie 93/37 zu gewährleisten, steht auch einer Unterscheidung danach entgegen, ob die Satzung einer solchen Einrichtung an die tatsächlichen Änderungen ihres Tätigkeitsbereichs angepasst wurden oder nicht“8.

27 Ob sich hieraus der Umkehrschluss ziehen lässt, dass die faktische Beendigung

der Wahrnehmung im Allgemeininteresse liegender Aufgaben nichtgewerblicher Art auch dann zum Entfallen der Auftraggebereigenschaft nach Nummer 2 führt, wenn diese Zweckänderung auf keiner rechtsförmlichen Grundlage beruht, ist umstritten. Zum Teil wird dies mit der Begründung abgelehnt, dass es die Einrichtung anderenfalls in der Hand hätte, entsprechende Tätigkeiten nur vorübergehend aufzugeben, was für Dritte zur Rechtsunsicherheit hinsichtlich der Auftraggebereigenschaft dieser Einrichtung führte9. Gegen diese Auffassung spricht jedoch, dass hiermit eine Differenzierung zwischen der erstmaligen faktischen Übernahme einer entsprechenden Tätigkeit und der Wiederauf-

1 Vgl. dazu bereits VÜA Bund v. 17.11.1998 – 1 VÜ 15/98, NVwZ 1999, 1150 (1151); Dreher, DB 1998, 2579 (2580); auch Eschenbruch in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, § 99 Rz. 58 m.w.N. 2 Dreher in Immenga/Mestmäcker, § 98 Rz. 47. 3 BT-Drucks. 13/9340, S. 15. 4 EuGH v. 12.12.2002 – Rs. C-470/99 (Universale-Bau), Slg. 2002, I-11617, Rz. 60 ff. = NZBau 2003, 162 (165). 5 EuGH v. 12.12.2002 – Rs. C-470/99 (Universale-Bau), Slg. 2002, I-11617, Rz. 60 = NZBau 2003, 162 (165); EuGH v. 10.11.1998 – Rs. C-360/96 (Gemeente Arnhem), Slg. 1998, I6821, Rz. 63 = IBRRS 2002, 0186 (Rz. 63). 6 EuGH v. 10.11.1998 – Rs. C-360/96 (Gemeente Arnhem), Slg. 1998, I-6821, Rz. 59 ff. = IBRRS 2002, 0186 (Rz. 59 ff.). 7 OLG Düsseldorf v. 9.4.2003 – Verg 66/02, IBRRS 2003, 1682. 8 EuGH v. 12.12.2002 – Rs. C-470/99 (Universale-Bau), Slg. 2002, I-11617, Rz. 58 = NZBau 2003, 162 (165). 9 Boesen, § 98 Rz. 61; Dietlein, NZBau 2002, 136 (138); Dreher in Immenga/Mestmäcker, § 98 Rz. 50; Marx in Beck’scher VOB-Kommentar Teil A, 1. Aufl. 2001, § 98 Rz. 13.

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nahme einer entsprechenden Tätigkeit erfolgt, für die kein sachlicher Grund ersichtlich ist. Denn die angeführte Gefahr der Rechtsunsicherheit besteht auch und sogar insbesondere, wenn die fragliche Einheit entsprechende Tätigkeiten in der Vergangenheit nicht wahrgenommen hat. Die Anwendung von Nummer 2 setzt nicht voraus, dass die Wahrnehmung der 28 im Allgemeininteresse liegenden Aufgabe alleiniger Zweck der Einrichtung ist1. Auch kommt es nicht darauf an, ob die im Allgemeininteresse liegenden Tätigkeiten überwiegen2. Ob damit allerdings auch Stellen erfasst sind, die entsprechende Tätigkeiten le- 29 diglich in sehr geringem Umfang erfüllen, ist wiederum umstritten. So wird teilweise vertreten, dass die Sonderstellung des Unternehmens im Einzelfall geeignet sein muss, mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit eine Veränderung von Marktverhältnissen herbeizuführen3. Teilweise wird darauf abgestellt, ob die im Allgemeininteresse liegende Tätigkeit einen mehr als nur geringfügigen Anteil an der Gesamtgeschäftstätigkeit der fraglichen Einrichtung hat4. Gegen diese Auffassungen wird zum einen eingewandt, dass es gegen den unionsrechtlichen Grundsatz der Rechtssicherheit verstieße, wenn die Eröffnung des Anwendungsbereichs der Nummer 2 davon abhinge, „ob dem der Erfüllung von im Allgemeininteresse liegenden Aufgaben nicht gewerblicher Art dienenden Teil der ausgeübten Tätigkeit mehr oder weniger große Bedeutung zukommt“5. Zum anderen wäre damit die Organisationsstruktur öffentlicher Einrichtungen – entgegen dem Ziel, das hinter den unionsrechtlichen Regelungen der Einrichtungen des öffentlichen Rechts steht (Rz. 15) – mitentscheidend für die Eröffnung des Anwendungsbereichs des Vergaberechts. Denn nach dieser Auffassung wären im Allgemeininteresse liegende Aufgaben dem Vergaberecht entzogen, wenn sie von einem öffentlichen Unternehmen ausgeübt würden, das ganz überwiegend andere Aufgaben wahrnimmt. Anderes könnte hingegen gelten, wenn die im Allgemeininteresse liegenden Aufgaben auf eine andere juristische Person übertragen würden, die keine anderen Aufgaben wahrnimmt. So sind Auftraggeber bereits dann als öffentliche Auftraggeber nach Nummer 2 anzusehen, wenn sie 1 EuGH v. 12.12.2002 – Rs. C-470/99 (Universale-Bau), Slg. 2002, I-11617, Rz. 54 = NZBau 2003, 162 (165); EuGH v. 15.1.1998 – Rs. C-44/96 (Mannesmann Anlagenbau Austria), Slg. 1998, I-73, Rz. 25 f. = NJW 1998, 3261 (3262). 2 EuGH v. 10.11.1998 – Rs. C-360/96 (Gemeente Arnhem), Slg. 1998, I-6821, Rz. 58 = IBRRS 2002, 0186 (Rz. 58). 3 Eschenbruch in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, § 99 Rz. 69 m.w.N., hier ist auch vom Kriterium der Spürbarkeit die Rede. 4 Werner in Byok/Jaeger, Kommentar zum Vergaberecht, 2. Aufl. 2005, § 98 Rz. 332; in neuer Auflage nicht mehr; außerdem Eschenbruch in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, § 99 Rz. 69; Jochum, NZBau 2002, 69 (73). 5 EuGH v. 15.1.1998 – Rs. C-44/96 (Mannesmann Anlagenbau Austria), Slg. 1998, I-73, Rz. 34 = NJW 1998, 3261 (3263); s. auch EuGH v. 10.4.2008 – Rs. C-393/06 (Ing. Aigner), Slg. 2008, I-2339, Rz. 47 = NZBau 2008, 393 (396).

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§ 99 | Öffentliche Auftraggeber nur in Teilen im Allgemeininteresse liegende Aufgaben nichtgewerblicher Art erfüllen1. 30 Für Nummer 2 ist unerheblich, ob ein öffentlicher Auftrag der Erfüllung der im

Allgemeininteresse liegenden Aufgaben dient oder aber in Zusammenhang mit anderen Aufgaben steht2. Für Auftraggeber nach Nummer 2, die auch gewerblich tätig sind, finden die Bestimmungen des Vergaberechts daher auch auf die Erfüllung der gewerblichen Aufgaben Anwendung3. Insofern unterscheiden sich Auftraggeber nach Nummer 2 von den Sektorenauftraggebern nach § 1004. Denn Letztere unterliegen den Bindungen des Vergaberechts nach § 1 Abs. 1 SektVO nur bei solchen Aufträgen, die im Zusammenhang mit Sektorentätigkeiten vergeben werden (§ 102).

31 Eine Erstreckung der vergaberechtlichen Bestimmungen auf den gewerblichen

Bereich kann allerdings dadurch verhindert werden, dass für diese Tätigkeiten eine eigene Rechtspersönlichkeit gegründet wird. Denn allein der Umstand, dass ein Unternehmen einer Gruppe angehört, zu der auch Einrichtungen des öffentlichen Rechts zählen, genügt nicht, um dieses Unternehmen dem Anwendungsbereich der Nummer 2 zu unterwerfen5. c) Allgemeininteresse

32 Die zu erfüllenden Aufgaben müssen im Allgemeininteresse liegen. Ausgehend

von einer grammatischen Auslegung sind hierunter Aufgaben zu verstehen, die objektiv mehreren Personen zugutekommen und im Dienste der allgemeinen Öffentlichkeit wahrgenommen werden6.

33 Eine Definition des Begriffs existiert nicht. Allerdings lässt sich der Rechtspre-

chung ein Begriffskern7 entnehmen. Danach liegen im Allgemeininteresse sol-

1 EuGH v. 15.1.1998 – Rs. C-44/96 (Mannesmann Anlagenbau Austria), Slg. 1998, I-73, Rz. 34 = NJW 1998, 3261 (3263); OLG Düsseldorf v. 8.6.2011 – VII-Verg 49/11, NZBau 2011, 501 (504); vgl. zum maßgeblichen Referenzmarkt OLG Hamburg v. 31.3.2014 – 1 Verg 4/13, NZBau 2014, 659 (661) auch mit Bezug auf OVG Münster v. 20.4.2012 – 4 A 1055/09, NZBau 2012, 589 (592 f.). 2 EuGH v. 15.1.1998 – Rs. C-44/96 (Mannesmann Anlagenbau Austria), Slg. 1998, I-73, Rz. 32 = NJW 1998, 3261 (3263). 3 EuGH v. 10.4.2008 – Rs. C-393/06 (Ing. Aigner), Slg. 2008, I-2339, Rz. 47 = NZBau 2008, 393 (396); v. 15.1.1998 – Rs. C-44/96 (Mannesmann Anlagenbau Austria), Slg. 1998, I73, Rz. 34 = NJW 1998, 3261 (3263); Byok, NJW 1998, 2774 (2777). 4 Vgl. auch EuGH v. 10.4.2008 – Rs. C-393/06 (Ing. Aigner), Slg. 2008, I-2339, Rz. 30 = NZBau 2008, 393 (395). 5 EuGH v. 10.11.1998 – Rs. C-360/96 (Gemeente Arnhem), Slg. 1998, I-6821, Rz. 57 = IBRRS 2002, 0186 (Rz. 57); s. auch zur Auftraggebereigenschaft konzernverbundener Unternehmen Ziekow, NZBau 2004, 181 ff. 6 OLG Düsseldorf v. 6.7.2005 – VII-Verg 22/05, IBRRS 2005, 3268. 7 Dreher in Immenga/Mestmäcker, § 98 Rz. 71.

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che Aufgaben, welche hoheitliche Befugnisse, die Wahrnehmung der Belange des Staates und damit letztlich Aufgaben betreffen, welche der Staat selbst erfüllen oder bei denen er einen entscheidenden Einfluss behalten möchte1. Letzteres ist insbesondere bei solchen Aufgaben anzunehmen, die eng mit dem institutionellen Funktionieren des Staates verknüpft sind2. Ob derartige Aufgaben auch von Privatunternehmen erfüllt werden oder zumindest erfüllt werden könnten, ist hingegen unerheblich3. Außerhalb dieses Begriffskerns behilft sich die Praxis vielfach mit Vermutungs- 34 regeln. Diese knüpfen zum Teil an den Inhalt der Aufgabe an. Danach liegt im Zweifel die Erfüllung solcher Aufgaben im Allgemeininteresse, zu denen die Gebietskörperschaften gesetzlich verpflichtet sind. Ausgehend hiervon entschied der EuGH etwa, dass die Bestattung eine im Allgemeininteresse liegende Aufgabe sein kann4. Eine im Allgemeininteresse liegende Aufgabe ist zudem grundsätzlich dann indiziert, wenn durch die betreffende Tätigkeit wirtschafts-, sozialoder kulturpolitische Anliegen gefördert werden sollen5. Erforderlich ist dabei grundsätzlich eine unmittelbare Aufgabenwahrnehmung 35 durch die fragliche Stelle. Die bloße Beherrschung und Finanzierung eines anderen Unternehmens, das entsprechende Aufgaben wahrnimmt, stellt keine im Allgemeininteresse liegende Aufgabe dar6. Denn nach gefestigter Rechtsprechung des EuGH müssen die Begriffsmerkmale der Einrichtungen des öffentlichen Rechts kumulativ vorliegen (Rz. 17). Andere Vermutungsregeln knüpfen an die Organisationsform der betreffenden 36 Einrichtung an. So kann vermutet werden, dass ein öffentlich-rechtlicher Rechtsträger im Allgemeininteresse liegende Aufgaben wahrnimmt7. Gleiches gilt für private Rechtsträger, die vom Staat eine marktbezogene Sonderstellung erhalten haben8. Teilweise wird darüber hinaus vertreten, dass bei privaten Rechtsträ1 EuGH v. 10.4.2008 – Rs. C-393/06 (Ing. Aigner), Slg. 2008, I-2339, Rz. 40 = NZBau 2008, 393 (395 f.); EuGH v. 10.5.2001 – verb. Rs. C-223 u. 260/99 (Agorà und Excelsior/Mailänder Messe), Slg. 2001, I-3605, Rz. 37 ff. = IBRRS 2002, 0146 (Rz. 37 ff.); EuGH v. 10.11.1998 – Rs. C-360/96 (Gemeente Arnhem), Slg. 1998, I-6821, Rz. 52 = IBRRS 2002, 0186 (Rz. 52). 2 EuGH v. 15.1.1998 – Rs. C-44/96 (Mannesmann Anlagenbau Austria), Slg. 1998, I-73, Rz. 24 = NJW 1998, 3261 (3262). 3 EuGH v. 10.4.2008 – Rs. C-393/06 (Ing. Aigner), Slg. 2008, I-2339, Rz. 40 = NZBau 2008, 393 (395 f.). 4 EuGH v. 27.2.2003 – Rs. C-373/00 (Adolf Truley), Slg. 2003, I-1931, Rz. 50 ff. = NZBau 2003, 287 (291). 5 Eschenbruch in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, § 99 Rz. 79; Werner in Byok/Jaeger, § 98 Rz. 52; s. auch EuGH v. 11.6.2009 – Rs. C-300/07 (Oymanns), Slg. 2009, I-4779 Rz. 50 = NJW 2009, 2427 (2429). 6 Dreher in Immenga/Mestmäcker, § 98 Rz. 51; Eschenbruch in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, § 99 Rz. 92 ff. 7 Werner in Byok/Jaeger, § 98 Rz. 49. 8 Dreher in Immenga/Mestmäcker, § 98 Rz. 73 m.w.N.

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§ 99 | Öffentliche Auftraggeber gern, die nicht mit einer entsprechenden Sonderstellung ausgerüstet sind, eine Vermutung gegen die Wahrnehmung im Allgemeininteresse liegender Aufgaben spricht1. Hierbei ist jedoch zu beachten, dass Gebietskörperschaften in vielen Fällen aufgrund gesetzlicher Vorschriften nur dann berechtigt sind, wirtschaftliche Unternehmen zu gründen, wenn dies durch einen öffentlichen Zweck gerechtfertigt ist und dieser nicht besser und wirtschaftlicher durch einen Dritten erfüllt werden kann2. Prinzipiell ist zu unterstellen, dass die Gebietskörperschaften bei der Gründung wirtschaftlicher Unternehmen diese Grundsätze beachten und daher – soweit dies gesetzlich vorgesehen ist – zur Erfüllung eines öffentlichen Zwecks tätig werden. Eine Vermutung, dass eine privatrechtliche Organisation auf gewerbliches Handeln schließen lässt, ist demnach abzulehnen. 37 Insgesamt gilt, dass der Begriff des Allgemeininteresses als autonomer Begriff

des Unionsrechts losgelöst von den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten weit auszulegen ist3. Eine Korrektur erfolgt durch das zusätzliche Merkmal des nicht gewerblichen Handelns4.

d) Aufgaben nichtgewerblicher Art 38 Dem Wortlaut nach lässt sich Nummer 2 dahin verstehen, dass im Allgemein-

interesse liegende Aufgaben von Aufgaben gewerblicher Art abzugrenzen sind. Denn er spricht von im Allgemeininteresse liegenden Aufgaben nichtgewerblicher Art, worunter verstanden werden könnte, dass im Allgemeininteresse liegende Aufgaben nie in gewerblicher Form erfüllt werden können. Diese Lesart schien zudem in der früheren Rechtsprechung des EuGH, in der die Begriffsmerkmale „Allgemeininteresse“ und „nichtgewerblicher Art“ vielfach undifferenziert betrachtet worden sind, eine Stütze zu finden5. Dieser Interpretation hat der EuGH jedoch zu Recht eine Absage erteilt. Er führt aus, dass es sich bei den erstgenannten Aufgaben um einen Oberbegriff handele. Aufgaben, die im Allgemeininteresse liegen, könnten sowohl nichtgewerblicher als auch gewerblicher Art sein. Die Nennung der Aufgaben nichtgewerblicher Art grenze somit nicht die im Allgemeininteresse liegenden Aufgaben gegenüber den gewerblichen Aufgaben ab, sondern schränke die im Allgemeininteresse liegenden Auf1 Hailbronner, Forum Vergabe 95, Öffentliches Auftragswesen, S. 127 (135); Heiermann/ Ax, Rechtsschutz bei der Vergabe öffentlicher Aufträge, S. 55; Heise, LKV 1999, 210 (211); Otting in Bechtold, § 98 Rz. 17; Werner in Byok/Jaeger, § 98 Rz. 50. 2 So z.B. § 94a Abs. 1 SächsGemO. 3 EuGH v. 27.2.2003 – Rs. C-373/00 (Adolf Truley), Slg. 2003, I-1931, Rz. 40 = NZBau 2003, 287 (290). 4 Marx in Beck’scher VOB-Kommentar Teil A, 1. Aufl. 2001, § 98 Rz. 30. 5 EuGH v. 16.10.2003 – Rs. C-283/00 (SIEPSA), Slg. 2003, I-11697, Rz. 80 = NZBau 2004, 223 (228).

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gaben ein1. Darüber hinaus wäre der Zusatz „nichtgewerblicher Art“ auch überflüssig. Hinter dieser Differenzierung zwischen Aufgaben gewerblicher und nicht- 39 gewerblicher Art steht die Annahme, dass bei einer Aufgabenwahrnehmung in gewerblicher Art, also nach den Bedingungen des Marktes, bereits aufgrund dieser Bedingungen davon ausgegangen werden kann, dass die Einrichtung ihre Beschaffungstätigkeit nach wettbewerblichen und wirtschaftlichen Erwägungen ausrichtet. Anderes gilt hingegen für Einrichtungen, die bei ihrer Beschaffungstätigkeit nicht den Bedingungen des Marktes unterliegen2. Das Merkmal der Nichtgewerblichkeit betrifft dementsprechend die Art und 40 Weise der Aufgabenerfüllung3. Es bezieht sich nicht auf die fragliche Einrichtung als solche, sondern auf die im Allgemeininteresse liegenden Aufgaben der Einrichtung4. Zu fragen ist, ob sich die Einrichtung bei der Wahrnehmung dieser Aufgaben von wirtschaftlichen Überlegungen leiten lässt. Diese Frage ist anhand einer Gesamtbetrachtung unter Berücksichtigung aller erheblichen rechtlichen und tatsächlichen Umstände, unter anderem der Umstände, die zur Gründung der betreffenden Einrichtung geführt haben, und der Voraussetzungen, unter denen sie ihre Tätigkeit ausübt, zu beantworten5. Indizien für eine Nichtgewerblichkeit sind insbesondere6: – das Fehlen von Wettbewerb auf dem relevanten Markt bzw. dessen Beschränkung, – das Fehlen einer vordergründigen Gewinnerzielungsabsicht und – das Fehlen bzw. die Einschränkung der Übernahme der mit der Tätigkeit verbundenen Risiken. Die Vermutung für ein nichtgewerbliches Handeln besteht somit u.a., soweit ein 41 im Allgemeininteresse handelndes Unternehmen nicht in Wettbewerb zu ande1 EuGH v. 22.5.2003 – Rs. C-18/01 (Korhonen), Slg. 2003, I-5321, Rz. 40 = ZfBR 2003, 705 (707); v. 10.5.2001 – verb. Rs. C-223 u. 260/99 (Agorà und Excelsior/Mailänder Messe), Slg. 2001, I-3605, Rz. 32 = IBRRS 2002, 0146 (Rz. 32); v. 10.11.1998 – Rs. C-360/96 (Gemeente Arnhem), Slg. 1998, I-6821, Rz. 32 ff. = IBRRS 2002, 0186 (Rz. 32 ff.). 2 Bungenberg in Loewenheim/Meessen/Riesenkampff, § 98 Rz. 23. 3 Dreher in Immenga/Mestmäcker, § 98 Rz. 75. 4 OLG Düsseldorf v. 30.4.2003 – Verg 67/02, NZBau 2003, 400 (402). 5 EuGH v. 10.4.2008 – Rs. C-393/06 (Ing. Aigner), Slg. 2008, I-2339, Rz. 41 = NZBau 2008, 393 (396); EuGH v. 27.2.2003 – Rs. C-373/00 (Adolf Truley), Slg. 2003, I-1931, Rz. 65 = NZBau 2003, 287 (292). 6 Vgl. EuGH v. 16.10.2003 – Rs. C-283/00 (SIEPSA), Slg. 2003, I-11697, Rz. 82 = NZBau 2004, 223 (228): „… wenn die Einrichtung unter normalen Marktbedingungen tätig ist, Gewinnerzielungsabsicht hat und die mit ihrer Tätigkeit verbundenen Verluste trägt, [ist es] wenig wahrscheinlich, dass die Aufgaben, die sie erfüllen soll, nicht gewerblicher Art sind“; s. auch OLG Celle v. 14.9.2006 – 13 Verg 3/06, ZfBR 2006, 818 (819 f.); OLG Düsseldorf v. 21.7.2006 – VII-Verg 13/06, VergabeR 2006, 893 (897); OLG Naumburg v. 17.2. 2004 – 1 Verg 15/03, VergabeR 2004, 634 (637).

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§ 99 | Öffentliche Auftraggeber ren steht, bzw. kein voll ausgebildeter Wettbewerb existiert1. Umgekehrt schließt das Bestehen eines funktionierenden Wettbewerbs ein nicht gewerbliches Handeln keineswegs aus2. Denn auch in diesem Fall besteht die Möglichkeit, dass sich ein staatlich beeinflusstes Unternehmen nicht allein von wirtschaftlichen Grundsätzen leiten lässt. Allerdings rechtfertigt die Existenz eines entwickelten Wettbewerbs die Vermutung, dass auch das staatlich beeinflusste Unternehmen eine gewerbliche Tätigkeit entfaltet3. 42 Entsprechendes gilt hinsichtlich der Gewinnerzielungsabsicht: Ein nicht-

gewerbliches Handeln ist in der Regel gegeben, wenn die fragliche Einrichtung nicht mit Gewinnerzielungsabsicht handelt4. Anderes gilt, wenn die fragliche Einrichtung zwar keine Gewinnerzielung beabsichtigt, deren Geschäftsführung aber an Leistungs-, Effizienz- und Wirtschaftlichkeitskriterien auszurichten ist und sie in einem wettbewerblich geprägten Umfeld tätig wird5. Das Vorliegen einer Gewinnerzielungsabsicht hingegen steht der Annahme der Nichtgewerblichkeit nicht entgegen, sondern hat lediglich indizielle Bedeutung6. Denn eine Gewinnerzielungsabsicht entspricht der Definition der gewerblichen Tätigkeit im deutschen Handels- und Gewerberecht7. Privatrechtlich organisierte Einrichtungen handeln fast immer mit Gewinnabzielungsabsicht in diesem Sinn, so dass dieses Kriterium allein nicht ausschlaggebend sein kann8.

43 Ein nichtgewerbliches Handeln ist in der Regel auch dann gegeben, wenn die

Einrichtung die bei Erfüllung der im Allgemeininteresse liegenden Aufgaben ggf. entstehenden Verluste nicht selbst zu tragen hat und die Einrichtung insofern auch ansonsten keinem Insolvenzrisiko ausgesetzt ist9.

1 Dietlein, NZBau 2002, 136 (139 f.). 2 EuGH v. 27.2.2003 – Rs. C-373/00 (Adolf Truley), Slg. 2003, I-1931, Rz. 61 = NZBau 2003, 287 (292); 10.11.1998 – Rs. C-360/96 (Gemeente Arnhem), Slg. 1998, I-6821, Rz. 43 und 47 = IBRRS 2002, 0186 (Rz. 43 und 47); Marx in Beck’scher VOB-Kommentar Teil A, 1. Aufl. 2001, § 98 Rz. 15; Noch, NVwZ 1999, 1083 (1084). 3 EuGH v. 10.5.2001 – verb. Rs. C-223 u. 260/99 (Agorà und Excelsior/Mailänder Messe), Slg. 2001, I-3605, Rz. 38 = IBRRS 2002, 0146 (Rz. 38); v. 10.11.1998 – Rs. C-360/96 (Gemeente Arnhem), Slg. 1998, I-6821, Rz. 49 = IBRRS 2002, 0186 (Rz. 49); Marx in Beck’scher VOB-Kommentar Teil A, 1. Aufl. 2001, § 98 Rz. 15. 4 OLG Celle v. 14.9.2006 – 13 Verg 3/06, ZfBR 2006, 818 (819 f.). 5 EuGH v. 10.5.2001 – verb. Rs. C-223 u. 260/99 (Agorà und Excelsior/Mailänder Messe), Slg. 2001, I-3605, Rz. 30 f. = IBRRS 2002, 0146 (Rz. 30 f.). 6 OLG Düsseldorf v. 30.4.2003 – Verg 67/02, NZBau 2003, 400 (402). 7 BGH v. 22.4.1982 – VII ZR 191/81, BGHZ 83, 382 = MDR 1982, 842 (386); v. 10.5.1979 – VII ZR 97/78, BGHZ 74, 273 (276); v. 18.1.1968 – VII ZR 101/65, BGHZ 49, 258 (260). 8 EuGH v. 10.5.2001 – verb. Rs. C-223 u. 260/99 (Agorà und Excelsior/Mailänder Messe), Slg. 2001, I-3605, Rz. 40 = IBRRS 2002, 0146 (Rz. 40); Boesen, § 98 Rz. 54; Dietlein, NZBau 2002, 136 (139 f.). 9 EuGH v. 10.5.2001 – verb. Rs. C-223 u. 260/99 (Agorà und Excelsior/Mailänder Messe), Slg. 2001, I-3605, Rz. 40 = IBRRS 2002, 0146 (Rz. 40); OLG Hamburg v. 25.1.2007 – 1 Verg 5/06, VergabeR 2007, 358 (359 f.).

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4. Staatliche Einflussnahmemöglichkeit Nummer 2 setzt weiterhin voraus, dass Stellen, die unter Nummer 1, 2 oder 3 44 fallen – der Einschluss der in Nummer 2 genannten Stellen ergibt sich aus Nummer 2 Satz 2 (Rz. 67), – die fragliche Einrichtung einzeln oder gemeinsam durch Beteiligung oder auf sonstige Weise überwiegend finanzieren (lit. a) oder – über ihre Leitung die Aufsicht ausüben (lit. b) oder – mehr als die Hälfte der Mitglieder eines ihrer zur Geschäftsführung oder zur Aufsicht berufenen Organe bestimmt haben (lit. c). Die Auftraggebereigenschaft nach Nummer 2 knüpft somit daran an, dass die 45 öffentliche Hand die Entscheidungen der fraglichen Einrichtung in Bezug auf öffentliche Aufträge beeinflussen kann1. Die drei genannten Formen staatlicher Einflussnahme sind alternative Tat- 46 bestände2. Für die Verwirklichung des Tatbestandes ist das Vorliegen einer Alternative notwendig, aber auch hinreichend. Die Aufzählung ist abschließend; andere Arten der Einflussnahme begründen die Auftraggebereigenschaft nach Nummer 2 nicht. Die mit den aufgezählten Alternativen erfassten Einflussnahmemöglichkeiten sind abstrakt ausreichend; ob im Einzelfall eine konkrete Einflussnahme stattgefunden hat, ist unerheblich3. Bezugspunkt der Einflussnahmemöglichkeiten ist nicht die im Allgemeininte- 47 resse liegende Aufgabe nichtgewerblicher Art, sondern die Einrichtung als solche4. Einflussnahmemöglichkeiten hinsichtlich einzelner Aufgabenbereiche eines Unternehmens genügt daher nicht5. Nummer 2 setzt nicht voraus, dass eine der genannten Alternativen durch einen 48 einzelnen Auftraggeber nach Nummern 1 bis 3 verwirklicht wird. Dem insofern eindeutigen Wortlaut nach ist der Tatbestand auch dann erfüllt, wenn mehrere Auftraggeber eine Alternative „gemeinsam“ verwirklichen.

1 EuGH v. 1.2.2001 – Rs. C-237/99 (Kommission/Frankreich), Slg. 2001, I-939, Rz. 48 = NZBau 2001, 215 (217). 2 EuGH v. 1.2.2001 – Rs. C-237/99 (Kommission/Frankreich), Slg. 2001, I-939, Rz. 44 = NZBau 2001, 215 (217). 3 Vgl. Marx in Beck’scher VOB-Kommentar Teil A, 1. Aufl. 2001, § 98 Rz. 10. 4 Werner in Byok/Jaeger, § 98 Rz. 65. 5 OLG Naumburg v. 17.3.2005 – 1 Verg 3/05, VergabeR 2005, 635 (638 f.); BayOLG v. 10.9. 2002 – Verg 23/02, ZfBR 2003, 77 (77).

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§ 99 | Öffentliche Auftraggeber a) Finanzierung (lit. a) 49 Eine überwiegende Finanzierung liegt vor, wenn mehr als die Hälfte der der

Einrichtung zur Verfügung stehenden Finanzmittel von öffentlichen Auftraggebern stammt1.

50 Um bestimmen zu können, ob eine überwiegende Finanzierung durch öffent-

liche Auftraggeber vorliegt, müssen in einem ersten Schritt, wie der EuGH in der Entscheidung „Cambridge“ festgestellt hat, sämtliche Finanzmittel der betroffenen Einrichtung ermittelt werden. Hierbei handelt es sich um das Eigenkapital, stille Beteiligungen, von den Gesellschaftern zur Verfügung gestellte Sachmittel sowie die Einnahmen der Einrichtung, einschließlich solcher, die aus ihrer gewerblichen Tätigkeit stammen2. Allein anhand des Grund- oder Stammkapitals einer Gesellschaft lässt sich das Merkmal der überwiegenden Finanzierung daher nicht beurteilen3. Nichts anderes ergibt sich auch daraus, dass es in Nummer 2 – über den Wortlaut der Vergaberichtlinien hinausgehend – heißt, dass die überwiegende Finanzierung „durch Beteiligung oder auf sonstige Weise“ erfolgen kann. Denn nach der ursprünglichen Gesetzesbegründung geht die Regelung nicht über den Auftraggeberbegriff der Vergaberichtlinien hinaus4.

51 Im zweiten Schritt müssen diejenigen Finanzmittel bestimmt werden, die der

Einrichtung durch öffentliche Auftraggeber zur Verfügung gestellt werden. Ausgehend von dem weitgefassten Wortlaut könnte Nummer 2 lit. a dahingehend verstanden werden, dass zur Bestimmung der „überwiegenden Finanzierung“ sämtliche Zuflüsse durch öffentliche Auftraggeber gezählt werden müssten, unabhängig davon, ob sie auf Grundlage des Gesellschaftsverhältnisses, öffentlicher Förderrichtlinien oder eines Leistungsaustauschs gewährt werden. Nach der Rechtsprechung des EuGH5 setzt der Begriff der „Einrichtung des öffentlichen Rechts“ hingegen eine enge Verbindung mit anderen öffentlichen Auftraggebern voraus. Dies bedeutet, dass zu den Mitteln, die durch öffentliche Auftraggeber zur Verfügung gestellt werden, nicht solche zählen, denen eine Gegenleistung gegenübersteht6. Hinsichtlich solcher Leistungen treten die öffent-

1 EuGH v. 3.10.2000 (University of Cambridge), Slg. 2000, I-8035, Rz. 30 = VergabeR 2001, 111 (114). 2 EuGH v. 3.10.2000 (University of Cambridge), Slg. 2000, I-8035, Rz. 36 = VergabeR 2001, 111 (115). 3 Ebenso Eschenbruch in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, § 99 Rz. 143; a.A.: VK Baden-Württemberg v. 9.10.2001 – 1 VK 27/01; Aicher in Müller-Wrede, Kompendium des Vergaberechts, Kap. 2 Rz. 34; Dreher in Immenga/Mestmäcker, § 98 Rz. 97. 4 BT-Drucks. 13/9340, S. 15. 5 EuGH v. 1.2.2001 – Rs. C-237/99 (Kommission/Frankreich), Slg. 2001, I-939, Rz. 44 = NZBau 2001, 215 (217); v. 3.10.2000 (University of Cambridge), Slg. 2000, I-8035, Rz. 20 = VergabeR 2001, 111 (113). 6 EuGH v. 3.10.2000 (University of Cambridge), Slg. 2000, I-8035, Rz. 23 ff. = VergabeR 2001, 111 (113 f.); hierauf bezugnehmend etwa EuGH v. 11.6.2009 – Rs. C-300/07 (Oy-

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lichen Auftraggeber der Einrichtung des öffentlichen Rechts wie jedem dritten, privaten Unternehmen entgegen. Derartige wirtschaftliche Beziehungen drücken daher keine besondere Nähe der Einrichtung des öffentlichen Rechts zu anderen öffentlichen Auftraggebern aus. Zu den Zuwendungen, denen keine spezifische Gegenleistung gegenübersteht, 52 zählen das Eigenkapital und Eigenkapital ersetzende Darlehen, die von einem Nichtgesellschafter nicht zu gleichen Konditionen gewährt worden wären, sowie Beihilfen und Fördermittel1. Auch Sachleistungen oder die Bereitstellung von Grundstücken2, Material und Personal kann eine Finanzierung darstellen, soweit ihnen keine Gegenleistung gegenübersteht3. Im Ergebnis bedeutet dies, dass ein Unternehmen, das sich überwiegend durch seine eigenen Einnahmen finanziert, nicht unter lit. a der Nummer 2 fällt, selbst wenn die Einnahmen weitgehend durch eine Tätigkeit für andere öffentliche Auftraggeber erzielt werden4. Für die Erfüllung der Nummer 2 ist allerdings nicht erforderlich, dass die Finan- 53 zierung direkt durch einen Auftraggeber nach Nummern 1 bis 3 erfolgt. So stellte der EuGH in dem Urteil „Bayerischer Rundfunk“ fest, dass entscheidend für die Auslegung des Begriffs der Finanzierung sei, dass sich die fragliche Einrichtung von anderen als wirtschaftlichen Interessen leiten lasse. Auch die Finanzierung durch unmittelbar von der fraglichen Einrichtung erhobene Abgaben stelle daher eine staatliche Finanzierung dar, wenn diese Abgaben nicht das Ergebnis vertraglicher Prozesse und unabhängig von einer spezifischen Gegenleistung sind5. Maßgebliche Finanzierungsperiode ist dasjenige Geschäfts- bzw. Haushaltsjahr 54 der fraglichen Einrichtung, in dem der betreffende Auftrag vergeben wird6. Die Einstufung als öffentlicher Auftraggeber erfolgt aufgrund der Berechnung der Finanzierung der Einrichtung des öffentlichen Rechts auf Grundlage der zu Beginn des Geschäfts- oder Haushaltsjahres verfügbaren, gegebenenfalls auch nur veranschlagten Zahlen. Die Eigenschaft als öffentlicher Auftraggeber besteht für

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manns), Slg. 2009, I-4779 Rz. 53 = NJW 2009, 2427 (2429); v. 13.12.2007 – Rs. C-337/06 (Bayerischer Rundfunk), Slg. 2007, I-11173, Rz. 41 = IBRRS 2007, 5001 (Rz. 41); vgl. auch OLG Düsseldorf v. 15.7.2015 – VII-Verg 11/15, NZBau 2016, 55 (56 f.). Dietlein, NZBau 2002, 136 (140). VK Düsseldorf v. 18.6.2007 – VK-14/2007-L, IBRRS 2008, 0102. OLG Düsseldorf v. 30.4.2003 – Verg 67/02, NZBau 2003, 400 (404). In diesem Sinne auch Boesen, § 98 Rz. 66. Dazu EuGH v. 12.9.2013 – Rs. C-526/11 (Ärztekammer Westfahlen-Lippe), NZBau 2013, 717 (719); v. 11.6.2009 – Rs. C-300/07 (Oymanns), Slg. 2009, I-4779 Rz. 51 ff. = NJW 2009, 2427 (2429) zu den gesetzlichen Krankenkassen; v. 13.12.2007 – Rs. C-337/06 (Bayerischer Rundfunk), Slg. 2007, I-11173, Rz. 32 ff. = IBRRS 2007, 5001 (Rz. 32 ff.); ebenso OLG Düsseldorf v. 21.7.2006 – VII-Verg 13/06, VergabeR 2006, 893 (897). EuGH v. 3.10.2000 (University of Cambridge), Slg. 2000, I-8035, Rz. 40 = VergabeR 2001, 111 (115).

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§ 99 | Öffentliche Auftraggeber das komplette Geschäfts- oder Haushaltsjahr, selbst wenn sich die Finanzierungsgrundlagen erheblich ändern1. b) Aufsicht über die Leitung (lit. b) 55 Das Tatbestandsmerkmal der Ausübung der Aufsicht über die Leitung ist er-

füllt, wenn eine tatsächliche Einflussmöglichkeit auf die Geschäftstätigkeit, konkret die Entscheidungen der betreffenden Einrichtung im Bereich der Vergabe öffentlicher Aufträge, besteht2.

56 Nach der Rechtsprechung des EuGH ist diese Voraussetzung bei einer „bloßen

nachprüfenden Kontrolle“ nicht erfüllt3. Eine reine Rechtsaufsicht i.S.d. deutschen Rechts4 oder die Finanzkontrolle durch die Rechnungshöfe5 genügt daher zur Begründung der Aufsicht über die Leitung nicht. Vielmehr muss eine der Fachaufsicht des deutschen Rechts vergleichbare Einflussmöglichkeit vorliegen6.

57 Die praktische Bedeutung des Merkmals ist eher gering. So ist diese Variante

bei juristischen Personen des Privatrechts in der Regel nicht einschlägig, weil deren Leitung den gesetzlich vorgesehenen Organen obliegt. Jedenfalls dann, wenn öffentliche Auftraggeber Mehrheitseigner der fraglichen juristischen Person sind, ist die von Nummer 2 vorausgesetzte Einflussnahmemöglichkeit daher zumeist bereits durch eine überwiegende Finanzierung i.S.v. lit. a oder aufgrund der Bestimmung der Mehrheit der Mitglieder des gesetzlichen Aufsichtsorgans i.S.v. lit. c gegeben7.

58 Dem Merkmal der Aufsicht über die Leitung kommt allerdings eine wichtige

Funktion, gewissermaßen als Auffangtatbestand zu. Denn aufgrund des deutlich geringeren Bestimmtheitsgrades als bei den eher formalen Varianten lit. a und lit. b ist dieses Merkmal primärer Anknüpfungspunkt für die gebotene funktionale Auslegung8. Dementsprechend urteilte der EuGH mehrfach, dass zur Erfüllung des Merkmals eine Verbindung mit der öffentlichen Hand beste-

1 EuGH v. 3.10.2000 (University of Cambridge), Slg. 2000, I-8035, Rz. 39 f. = VergabeR 2001, 111 (115). 2 S. etwa OLG Düsseldorf v. 13.8.2007 – VII-Verg 16/07, NZBau 2007, 733 (734). 3 Dazu EuGH v. 12.9.2013 – Rs. C-526/11 (Ärztekammer Westfahlen-Lippe), NZBau 2013, 717 (719); v. 27.2.2003 – Rs. C-373/00 (Adolf Truley), Slg. 2003, I-1931, Rz. 70 = NZBau 2003, 287 (292). 4 Vgl. dazu OLG Düsseldorf v. 23.5.2007 – VII-Verg 50/06, NZBau 2007, 525 (527); v. 6.7. 2005 – VII-Verg 22/05, IBRRS 2005, 3268; BayObLG v. 21.10.2004 – Verg 017/04, VergabeR 2005, 67 (69 f.); VK Nordbayern v. 19.10.2015 – 21.VK-3194-38/15, IBRRS 2015, 2978; VK Bund v. 3.5.2007 – VK 3-31/07. 5 VK Hamburg v. 25.7.2007 – VK BSU-8/07, IBRRS 2007, 4267. 6 Bischoff in Willenbruch/Bischoff, § 98 Rz. 43 ff.; Dreher in Immenga/Mestmäcker, § 98 Rz. 102; Eschenbruch in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, § 99 Rz. 173 ff. 7 Dreher in Immenga/Mestmäcker, § 98 Rz. 101. 8 Vgl. hierzu auch OLG Düsseldorf v. 19.6.2013 – VII-Verg 55/12, NZBau 2013, 653 (656).

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hen muss, „die der Verbindung gleichwertig ist, die besteht, wenn eines der beiden anderen alternativen Merkmale erfüllt ist, nämlich die Finanzierung überwiegend durch die öffentliche Hand erfolgt oder mehr als die Hälfte der Mitglieder, aus denen die Leitungsorgane … bestehen, durch die öffentliche Hand ernannt werden“1. Über das Merkmal der Aufsicht über die Leitung lassen sich somit u.a. die Fälle 59 mittelbarer staatlicher Finanzierung oder Beherrschung, insbesondere in Holdingstrukturen erfassen2. So liegt bei Unternehmen, die im Allgemeininteresse liegende Aufgaben nichtgewerblicher Art erfüllen, deren Gesellschaftsanteile aber nicht unmittelbar von einem öffentlichen Auftraggeber nach Nummer 1, sondern einer Holdinggesellschaft eines öffentlichen Auftraggebers gehalten werden, ohne Weiteres eine Finanzierung i.S.v. lit a allenfalls durch die Holdinggesellschaft vor. Auch ist es ohne Weiteres nur die Holdinggesellschaft, die über die Besetzung der Geschäftsführungs- bzw. Aufsichtsorgane bestimmt. Reine Holdinggesellschaften aber sind in der Regel keine öffentlichen Auftraggeber. Denn die bloße Beherrschung und Finanzierung eines anderen Unternehmens, auch wenn dieses entsprechende Aufgaben wahrnimmt, stellt keine im Allgemeininteresse liegende Aufgabe dar (Rz. 35). In diesen Fallgestaltungen liegt eine nach Nummer 2 ausreichende Einflussnahmemöglichkeit eines öffentlichen Auftraggebers allerdings in der Regel darin, dass der öffentliche Auftraggeber, der alleiniger oder überwiegender Anteilseigner der Holdinggesellschaft ist, über die Holdinggesellschaft die Aufsicht über die Leitung der im Anteilseigentum der Holdinggesellschaft stehenden Unternehmen ausüben kann. c) Bestimmung mehr als der Hälfte der Mitglieder eines zur Geschäftsführung oder Aufsicht berufenen Organs (lit. c) Eine die Auftraggebereigenschaft nach Nummer 2 begründende staatliche Ein- 60 flussnahmemöglichkeit ist schließlich auch dann gegeben, wenn ein Auftraggeber nach Nummern 1, 2 oder 3 mehr als die Hälfte der Mitglieder eines zur 1 EuGH v. 27.2.2003 – Rs. C-373/00 (Adolf Truley), Slg. 2003, I-1931, Rz. 69 = NZBau 2003, 287 (292); vorher schon v. 1.2.2001 – Rs. C-237/99 (Kommission/Frankreich), Slg. 2001, I-939, Rz. 49 = NZBau 2001, 215 (217). 2 Dass es für die Auftraggebereigenschaft einer juristischen Person des Privatrechts keinen Unterschied machen kann, ob diese im alleinigen oder überwiegenden (unmittelbaren) Anteilseigentum eines öffentlichen Auftraggebers nach Nummer 1 oder aber einer Holdinggesellschaft steht, die sich ihrerseits im alleinigen oder überwiegenden Anteilseigentum eines öffentlichen Auftraggebers nach Nummer 1 befindet, ist unstreitig. Die Begründungen dafür, dass auch in diesen Fällen von einer ausreichenden Einflussnahme auszugehen ist, differieren allerdings. Wieddekind etwa stellt insofern auf eine extensive Auslegung von Nummer 2 Satz 2 ab, s. Willenbruch/Wieddekind, § 98 Rz. 48; Ziekow hingegen geht von einer erweiterten Auslegung von Nummer 2 insgesamt aus, NZBau 2004, 181 (185 f.).

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§ 99 | Öffentliche Auftraggeber Geschäftsführung oder zur Aufsicht über die fragliche Einrichtung berufenen Organs bestimmt hat. 61 Unter zur Geschäftsführung oder zur Aufsicht berufenen Organen – die Ver-

gaberichtlinien sprechen insofern von dem „Verwaltungs-, Leitungs- oder Aufsichtsorgan“ – sind zum einen die gesetzlich vorgeschriebenen Vertretungs- und Aufsichtsorgane (z.B. Geschäftsführung, Vorstand, Aufsichtsrat usw.) zu verstehen. Erfasst werden zudem Organe, die ohne gesetzlichen Zwang eingerichtet wurden (z.B. Beirat einer GmbH). Erforderlich ist allerdings, dass es sich um ein Organ handelt, das die Möglichkeit hat, die Geschäftsführungstätigkeit zu bestimmen oder zumindest zu beeinflussen. Die Beherrschung rein beratender Gremien genügt daher nicht1.

62 Nach dem Wortlaut der Nummer 2 genügt die mehrheitliche Besetzung „eines

… ihrer Organe“. Besteht neben dem Aufsichtsorgan auch eine Geschäftsführung – was regelmäßig der Fall ist – ist es daher ausreichend, wenn die in Nummer 1 bis 3 genannten Stellen mehr als die Hälfte der Mitglieder eines der beiden Organe bestimmt haben.

63 Ein „Bestimmen“ i.S.d. Vorschrift setzt eine Bestellung, also den körperschaftli-

chen Rechtsakt voraus, durch den die gesetzlichen bzw. satzungsmäßigen Kompetenzen übertragen werden. Denn mit der Bestellung ist das Organmitglied rechtlich in der Lage, entsprechend auf die Geschäftstätigkeit der fraglichen Einrichtung Einfluss zu nehmen. Auf einen etwaig neben die Bestellung tretenden Anstellungsakt kommt es daher nicht an2.

64 Allein die Möglichkeit, über die Entsendung von Organmitgliedern Einfluss auf

die Geschäftstätigkeit der fraglichen Einrichtung zu nehmen, genügt für die Erfüllung des Tatbestandes nicht. Vielmehr muss die Bestimmung zum Zeitpunkt der Vergabeentscheidung bereits erfolgt sein3. Dies ergibt sich schon aus dem Wortlaut der Vorschrift, wonach mehr als die Hälfte der Mitglieder eines ihrer zur Geschäftsführung oder zur Aufsicht berufenen Organe durch Stellen nach Nummer 1 oder 3 „bestimmt worden“ sein müssen. Entsprechend heißt es in den Vergaberichtlinien, dass das „Verwaltungs-, Leitungs- oder Aufsichtsorgan mehrheitlich aus Mitgliedern besteht“, die von staatlichen Stellen „ernannt worden sind“4.

65 Entscheidend ist, wer das Bestimmungsrecht tatsächlich ausgeübt hat. Es kommt

nicht darauf an, ob hierbei die im Gesetz oder Gesellschaftsvertrag vorgesehenen Regelungen eingehalten wurden5. Ebenfalls ohne Bedeutung ist, ob die bestimm-

1 Dreher in Immenga/Mestmäcker, § 98 Rz. 103; Wieddekind in Willenbruch/Wieddekind, § 98 Rz. 46. 2 Dreher in Immenga/Mestmäcker, § 98 Rz. 106. 3 Aicher in Müller-Wrede, Kompendium des Vergaberechts, Kap. 2 Rz. 41. 4 Art. 2 Abs. 1 Nr. 4 lit. c der Vergaberichtlinie. 5 Bungenberg in Loewenheim/Meessen/Riesenkampff, § 98 Rz. 33; Marx in Beck’scher VOB-Kommentar Teil A, 1. Aufl. 2001, § 98 Rz. 12.

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ten Mitglieder des Vertretungs- oder Aufsichtsorgans bei Ausübung ihrer Tätigkeit rechtlich oder faktisch gehalten sind, dem Willen der sie benennenden Stelle zu folgen. Nummer 2 stellt allein auf die abstrakte Gefahr ab, dass die Mitglieder eines Organs der Stelle, die sie berufen hat, besonders nahe stehen können1. Soweit ein Aufsichtsrat der Mitbestimmung unterliegt, zählen allein diejenigen 66 Aufsichtsratsmitglieder, die nicht durch die Arbeitnehmer bestellt werden2. d) In Nummer 2 genannte Auftraggeber als beherrschende Stelle i.S.v. lit. a–c (Nr. 2 Satz 2) Nach § 99 Nr. 2 Satz 2 sind die Voraussetzungen des Satzes 1 auch dann erfüllt, 67 wenn die Stelle, die einzeln oder gemeinsam mit anderen die überwiegende Finanzierung gewährt, über deren Leitung die Aufsicht ausübt oder die Mehrheit der Mitglieder eines zur Geschäftsführung der Aufsicht berufenen Organs bestimmt hat, unter Satz 1 fällt. Damit erfasst Nummer 2 auch mehrstufige Organisationsformen. Bisher waren als Beherrschungstatbestände nur die „überwiegende Finanzie- 68 rung“ (lit. a) sowie die „Bestimmung der Mehrheit der Mitglieder eines zur Geschäftsführung oder Aufsicht berufenen Organs“ (lit. c) geregelt. Mit der Vergaberechtsmodernisierung 2016 behob der Gesetzgeber dieses Redaktionsversehen und passte die Vorschrift an Art. 2 Abs. 1 Nr. 4 der Vergaberichtlinie an, der keine Unterscheidung der drei Varianten erkennen lässt3. 5. Einzelfälle a) Sparkassen und Landesbanken Der Gesetzgeber hatte in der Begründung zur Einführung der §§ 57a bis 57c 69 HGrG die Auffassung vertreten, dass die öffentlich-rechtlichen Kreditinstitute (Sparkassen und Landesbanken) sowie Wettbewerbsversicherer nicht unter Nummer 2 fallen. Zur Begründung wurde u.a. ausgeführt, dass deren Einbeziehung in den Kreis der zur Beachtung des Vergaberechts zählenden Personen zu einschneidenden Wettbewerbsverzerrungen führen würde4. Dieses Argument ist für die Abgrenzung der öffentlichen Auftraggeber freilich 70 nicht tauglich. Denn es ändert nichts daran, dass Sparkassen und Landesbanken im Allgemeininteresse liegende Aufgaben erfüllen. So haben Sparkassen die Aufgabe der Versorgung breiter Bevölkerungsschichten, insbesondere des Mit1 2 3 4

Marx in Beck’scher VOB-Kommentar Teil A, 1. Aufl. 2001, § 98 Rz. 12. Dreher in Immenga/Mestmäcker, § 98 Rz. 106. BT-Drucks. 18/6281, S. 70. BT-Drucks. 12/4636, S. 16.

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§ 99 | Öffentliche Auftraggeber telstandes, mit Vermögensbildungs- und Kreditangeboten1. Ähnliches gilt2 bzw. galt3 für die Landesbanken. Auch unterliegen Sparkassen und Landesbanken in der Regel einer für Nummer 2 ausreichenden staatlichen Einflussnahmemöglichkeit. 71 Die im Grundsatz entscheidende Frage für die öffentliche Auftraggebereigen-

schaft nach Nummer 2 ist aber, ob Sparkassen und Landesbank Aufgaben nichtgewerblicher Art erfüllen. Bis zum Jahr 2005 war dies nach herrschender Meinung aufgrund der Anstaltslast und der Gewährträgerhaftung und der daraus folgenden nicht gegebenen Insolvenzfähigkeit der Fall4. Gerade diese Sonderstellung der – auch im Wettbewerb mit Privaten tätigen – öffentlichen Kreditinstitute geriet gegen Mitte der 1990er Jahre allerdings unter beihilferechtlichen Gesichtspunkten in den Fokus der EU-Kommission. Die daraufhin zwischen der Kommission und dem Bund geführte Kontroverse wurde durch eine Verständigung im Jahr 2002 beigelegt. Diese Verständigung sah im Wesentlichen vor, die Gewährträgerhaftung abzuschaffen und die Anstaltslast durch eine wirtschaftliche Eigentümerbeziehung nach marktwirtschaftlichen Grundsätzen zu ersetzen. Die Umsetzung dieser Maßnahmen sollte innerhalb einer 4jährigen, am 18.7.2005 ablaufenden Übergangsfrist erfolgen5.

72 Nach der Umsetzung dieser Verständigungslösung sind die Sparkassen in der

Regel nicht mehr als öffentliche Auftraggeber nach Nummer 2 einzustufen. Denn mit dem Wegfall von Anstaltslast und Gewährträgerhaftung erbringen die Sparkassen ihre Tätigkeiten grundsätzlich in wettbewerblicher Art und Weise6.

73 Die Landesbanken hingegen fallen nach wie vor unter Nummer 2, sofern sie das

öffentliche Auftragsgeschäft wahrnehmen und somit – insbesondere als Förderbanken7 – Aufgaben nichtgewerblicher Art wahrnehmen. Dies gilt auch

1 S. etwa § 2 Abs. 1 Satz 1 Berliner Sparkassengesetz: „Der Berliner Sparkasse obliegt die Förderung des Sparens und die Befriedigung des örtlichen Kreditbedarfs, insbesondere des Mittelstandes und der wirtschaftlich schwächeren Bevölkerungskreise.“; vgl. OLG Rostock v. 15.6.2005 – 17 Verg 3/05, NZBau 2006, 593 (594). 2 S. etwa Art. 2 Abs. 1 Satz 1 des Bayerischen Landesbank-Gesetzes: „Die Bank hat insbesondere die Aufgabe, in Bayern durch ihre Geschäftstätigkeit unter Beachtung der Markt- und Wettbewerbserfordernisse den Wettbewerb zu stärken und die angemessene und ausreichende Versorgung der Wirtschaft, insbesondere des Mittelstands, und der öffentlichen Hand mit geld- und kreditwirtschaftlichen Leistungen sicherzustellen.“ 3 S. etwa § 3 Abs. 1 des zum 1.1.2006 außer Kraft getretenen Landesbankgesetzes Berlin: „Die Bank hat durch ihre Geschäftstätigkeit den Träger in der Erfüllung öffentlicher Aufgaben unter Berücksichtigung sozialer, ökologischer und strukturpolitischer Grundsätze zu unterstützen.“ 4 Wieddekind in Willenbruch/Wieddekind, 98 Rz. 52 m.w.N. 5 Ausführlich hierzu Bunte in Schimansky/Bunte/Lwowski, Bankrechts-Handbuch, 4. Aufl. 2011, § 142 Rz. 21 ff. 6 OLG Rostock v. 15.6.2005 – 17 Verg 3/05, NZBau 2006, 593 (594). 7 Dreher in Immenga/Mestmäcker, § 98 Rz. 154.

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dann, wenn die Landesbanken daneben Bankgeschäfte im Wettbewerb mit privaten Banken anbieten (Rz. 28). Anderes gilt allerdings in dem Fall, dass das wettbewerbliche Bankgeschäft – wie in Nordrhein-Westfalen auf die WestLB AG – auf eine gesonderte juristische Person übertragen worden ist. Mangels Wahrnehmung von Aufgaben nichtgewerblicher Art unterfällt eine solche Einrichtung nicht Nummer 2. b) Öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten Öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten verfügen als Anstalten des öffentlichen 74 Rechts über eigene Rechtspersönlichkeit, erfüllen mit der Grundversorgung der Bevölkerung mit umfassenden und wahrheitsgemäßen Informationen im Allgemeininteresse liegende Aufgaben und sind aufgrund der überwiegenden Finanzierung aus Beiträgen nicht in einem wettbewerblich geprägten Umfeld tätig1. Umstritten war hingegen, ob die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten einer 75 für Nummer 2 ausreichenden staatlichen Einflussnahmemöglichkeit unterliegen2. Nach der vom Bundesrat zu § 57a Abs. 1 HGrG – der Vorgängervorschrift zu § 99 – vertretenen Auffassung war dies nicht der Fall. Wörtlich heißt es hierzu in der Stellungnahme zum Gesetzesentwurf: „Öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten werden weder überwiegend von den Gebietskörperschaften, von deren Sondervermögen oder von den aus ihnen bestehenden Verbänden finanziert, noch stellen diese die Mehrheit in den Verwaltungs-, Leitungs- oder Aufsichtsorganen der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten“3. Der EuGH ist dieser Auffassung nunmehr entgegengetreten. Der Gerichtshof 76 stellte in der Entscheidung „Bayerischer Rundfunk“ fest, dass die Gebührenfinanzierung der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten in Deutschland das Merkmal der staatlichen Finanzierung i.S.d. Vergaberichtlinien erfüllt4. So setze eine staatliche Finanzierung in diesem Sinn keine Belastung öffentlicher Haushalte voraus. Entscheidend sei vielmehr, dass die Gebühr ihre Grundlage im Rundfunkstaatsvertrag, also einem staatlichen Akt, habe, deren Höhe durch eine förmliche Entscheidung der Landesparlamente und der Landesregierungen festgesetzt werde und die Zahlungen nicht das Ergebnis einer Vereinbarung zwischen den öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten und den Verbrauchern sei, also nicht von einer vertraglichen Gegenleistung abhinge.

1 2 3 4

OLG Düsseldorf v. 21.7.2006 – Verg 13/06, VergabeR 2006, 893 (897). Dreher in Immenga/Mestmäcker, § 98 Rz. 141; Werner in Byok/Jaeger, § 98 Rz. 115. BT-Drucks. 12/4636, S. 16. EuGH v. 13.12.2007 – Rs. C-337/06 (Bayerischer Rundfunk), Slg. 2007, I-11173, Rz. 32 ff. = IBRRS 2007, 5001 (Rz. 32 ff.).

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§ 99 | Öffentliche Auftraggeber c) Gesetzliche Krankenkassen 77 Die gesetzlichen Krankenkassen sind Körperschaften des öffentlichen Rechts.

Sie sind nach § 1 Satz 1 SGB V als Solidargemeinschaft zu dem besonderen Zweck gegründet, „die Gesundheit der Versicherten zu erhalten, wiederherzustellen oder ihren Gesundheitszustand zu bessern“. Dieser Zweck liegt im Allgemeininteresse1.

78 Die gesetzlichen Krankenkassen sind auch nichtgewerblich tätig. So beruht die

Finanzierung der gesetzlichen Krankenkassen im Wesentlichen auf einer solidarischen, nicht risikobezogenen Finanzierung durch an die Entlohnung der Versicherten anknüpfende Versicherungsbeiträge. Dies gilt umso mehr, als nach der seit Januar 2009 geltenden Neuorganisation der Finanzierung der gesetzlichen Krankenkassen sämtliche Beiträge in der gesetzlichen Krankenversicherung gemäß § 271 SGB V zentral durch den so genannten Gesundheitsfonds beim Bundesversicherungsamt verwaltet werden2. Nichts anderes ergibt sich auch daraus, dass ein gewisser Wettbewerb zwischen den einzelnen Krankenkassen besteht und seit 2010 mittels § 171b Abs. 1 SGB V die Insolvenzfähigkeit gesetzlicher Krankenkassen eingeführt wurde3. Denn dieser ist „dadurch stark eingeschränkt, dass der weit überwiegende Teil der Leistungen gesetzlich vorgeschrieben ist und das aus der unterschiedlichen Struktur der Versicherten resultierende Kostenrisiko durch einen Risikostrukturausgleich sehr stark begrenzt ist“4.

79 Umstritten war indes, ob die gesetzlichen Krankenkassen einer ausreichenden

staatlichen Einflussnahmemöglichkeit unterliegen. Das BayObLG hatte diese Frage verneint5. Das OLG Düsseldorf hingegen hat die Auffassung vertreten, dass die Finanzierung über Pflichtbeiträge der Versicherten eine staatliche Finanzierung i.S.d. Vergaberichtlinien darstelle und die Frage dem EuGH vorgelegt6. Mit Urteil vom 11.6.2009 hat der EuGH die Auffassung des OLG Düsseldorf bestätigt7. Anknüpfend an die Entscheidung „Bayerischer Rundfunk“8 stellte der Gerichtshof darin zunächst klar, dass eine staatliche Finanzierung i.S.d. Vergaberichtlinien auch in einer indirekten Finanzierung bestehen kann. Eine solche liege bei den gesetzlichen Krankenkassen vor, da

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OLG Düsseldorf v. 23.5.2007 – VII-Verg 50/06, NZBau 2007, 525 (526). S. etwa VK Bund v. 29.10.2009 – VK 1-185/09. Dreher in Immenga/Mestmäcker, § 98 Rz. 153. OLG Düsseldorf v. 23.5.2007 – VII-Verg 50/06, NZBau 2007, 525 (526); BayObLG v. 24.5.2004 – Verg 6/04, NZBau 2004, 623 (624); VK Schleswig v. 17.9.2008 – VK-SH 10/08, IBR 2008, 756; vgl. insgesamt dazu Heßhaus, VergabeR 2007, 333 ff. BayObLG v. 24.5.2004 – Verg 6/04, NZBau 2004, 623 (624 f.). OLG Düsseldorf v. 23.5.2007 – VII-Verg 50/06, NZBau 2007, 525 (526 f.). EuGH v. 11.6.2009 – Rs. C-300/07 (Oymanns), Slg. 2009, I-4779, Rz. 48 ff. = NJW 2009, 2427 (2429). EuGH v. 13.12.2007 – Rs. C-337/06 (Bayerischer Rundfunk), Slg. 2007, I-11173, Rz. 34 = IBRRS 2007, 5001 (Rz. 34).

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– deren Finanzierung nach den maßgeblichen nationalen Regelungen überwiegend durch die Pflichtbeiträge der Mitglieder erfolge, wobei aufgrund der Art und Weise der Erhebung der Beiträge keine „Interventionsmöglichkeit des Versicherten“ bestehe; – die Beiträge ohne spezifische Gegenleistung i.S.d. Rechtsprechung des Gerichtshofs gezahlt würden, da weder die Beitragspflicht noch die Beitragshöhe das Ergebnis einer Vereinbarung zwischen den gesetzlichen Krankenkassen und ihren Mitgliedern sei und sich die Höhe der Beiträge im Übrigen allein nach der Leistungsfähigkeit jedes Versicherten, nicht aber nach anderen Gesichtspunkten, wie etwa dem Alter des Versicherten, seinem Gesundheitszustand oder der Zahl der Mitversicherten richte; – der Beitragssatz – anders als im Urteil „Bayerischer Rundfunk“ – zwar nicht durch die Träger der öffentlichen Gewalt, sondern durch die gesetzlichen Krankenkassen selbst festgelegt würde; allerdings der Spielraum dieser Kassen hierbei äußerst begrenzt sei, da ihr Auftrag darin bestehe, die Leistungen sicherzustellen, die die Regelung auf dem Gebiet der Sozialversicherung vorsehen; – die Festsetzung des Beitragssatzes durch die gesetzlichen Krankenversicherungen der Genehmigung durch die staatliche Aufsichtsbehörde bedürfe. d) Religionsgemeinschaften Die öffentlich-rechtlich verfassten Religionsgemeinschaften und deren Einrich- 80 tungen sind nach bislang herrschender Auffassung keine öffentlichen Auftraggeber nach Nummer 2. Nach teilweise vertretener Auffassung fehlt es bereits an der Wahrnehmung im 81 Allgemeininteresse liegender Aufgaben. So erfüllten die Religionsgemeinschaften zwar namentlich im karitativen Bereich vielfach Aufgaben, die anderenfalls vom Staat wahrgenommen werden müssten; sie verfolgten hiermit jedoch in erster Linie Interessen der Glaubensgemeinschaft und nicht Interessen der Allgemeinheit1. Diese Auffassung begegnet jedoch insofern Bedenken, als die Interessen der Allgemeinheit und die Interessen der Glaubensgemeinschaften ins1 Vgl. etwa OLG Brandenburg v. 30.11.2004 – Verg W 10/04, VergabeR 2005, 230 (232): „Er [der Auftraggeber] widmet sich insbesondere der Betreuung behinderter Menschen, der Erziehung und Ausbildung von Schwestern und Mitarbeitern sowie der Erhaltung und Weiterentwicklung der Heil-, Pflege-, Erziehungs- und Ausbildungseinrichtungen für Kinder, kranke, behinderte und hilfsbedürftige Menschen. Damit setzt er ausweislich seiner Leitlinien in seinen Hilfsangeboten das christliche Gebot der Nächstenliebe um. Diese karitative Tätigkeit des Auftraggebers liegt jenseits des Wirkungskreises staatlicher Aufgabenerfüllung für weltliche Ziele i.S.d. § 98 Nr. 2 GWB.“; im Ergebnis ebenso VK Hessen v. 26.4.2006 – 69d VK – 15/2006, IBR 2006, 1546; VK Nordbayern v. 29.10.2001 – 320.VK-3194-35/01, IBRRS 2002, 1852; für eine Auftragsvergabe unterhalb der Schwellenwerte s. VG Neustadt a. d. Weinstraße v. 22.2.2006 – 4 L 245/06, IBRRS 2006, 0585.

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§ 99 | Öffentliche Auftraggeber besondere im karitativen Bereich keine Gegenbegriffe bilden, sondern in der Regel gleichgerichtet sind. Auch eine originär kirchliche Tätigkeit kann daher im Allgemeininteresse liegen. 82 Entscheidend dürfte daher vielmehr sein, dass die Religionsgemeinschaften keiner i.S.v. Nummer 2 ausreichenden staatlichen Einflussnahmemöglichkeit unterliegen1. Da weder die Mitglieder der Leitungs- und Aufsichtsorgane der öffentlich-rechtlich verfassten Religionsgemeinschaften durch den Staat (mit)bestimmt werden noch der Staat in sonstiger Weise die Aufsicht über deren Leitung ausübt, könnte sich eine ausreichende staatliche Einflussnahmemöglichkeit allein aus einer überwiegenden staatlichen Finanzierung ergeben. 83 Religionsgemeinschaften finanzieren sich grundsätzlich durch die in Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 6 WRV geregelte Kirchensteuer. Insofern scheint eine Parallele zur Beitragsfinanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks zu bestehen (Rz. 74 ff.). Mit der hierzu in der Entscheidung „Bayerischer Rundfunk“ vom EuGH getroffenen Feststellung, dass „eine Finanzierung…, die durch einen staatlichen Akt eingeführt worden ist, durch den Staat garantiert und mittels hoheitlicher Befugnisse erhoben und eingezogen wird, die Voraussetzung der ‚Finanzierung durch den Staat‘ für den Zweck der Anwendung der Unionsvorschriften auf dem Gebiet der Vergabe öffentlicher Aufträge erfüllt“2, ließe sich auf den ersten Blick auch die Kirchensteuerfinanzierung der Religionsgemeinschaften als staatliche Finanzierung ansehen3. Gegen dieses Ergebnis spricht jedoch das gebotene funktionale Verständnis sowohl des Merkmals der staatlichen Finanzierung4 als auch des Begriffs der Einrichtung des öffentlichen Rechts insgesamt. So sollen mit der Erfassung der Einrichtungen des öffentlichen Rechts diejenigen Einrichtungen als öffentliche Auftraggeber erfasst werden, die zwar formal vom Staat getrennt sind, die ihm aber funktional zuzurechnen sind (Rz. 15). Auch das Merkmal der staatlichen Finanzierung stellt daher gewissermaßen ein Indiz für die Staatlichkeit der Einrichtung dar. Diese Bedeutung kommt der Kirchensteuerfinanzierung der Religionsgemeinschaften jedoch nicht zu. Denn die Religionsgemeinschaften haben das Privileg, sich wie, nicht aber durch den Bund und die Länder zu finanzieren. Auch im Übrigen sind die Religionsgemeinschaften nicht in das staatliche Gefüge eingegliedert. Vielmehr handelt es sich bei ihren Organisationen um gesellschaftliche Einrichtungen5. 1 Boesen, § 98 Rz. 87; Schröder, NZBau 2002, 259 (260 f.). 2 EuGH v. 13.12.2007 – Rs. C-337/06 (Bayerischer Rundfunk), Slg. 2007, I-11173, Rz. 48 = IBRRS 2007, 5001 (Rz. 48). 3 So Müller-Wrede in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 98 Rz. 106, nach dem, sofern eine überwiegende Finanzierung durch die Kirchensteuer vorliegt, der Tatbestand der Nummer 2 erfüllt ist. 4 EuGH v. 13.12.2007 – Rs. C-337/06 (Bayerischer Rundfunk), Slg. 2007, I-11173, Rz. 40 = IBRRS 2007, 5001 (Rz. 40). 5 Schröder, NZBau, 2002, 259 (260); Werner in Byok/Jaeger, § 98 Rz. 140; allgemein zum Körperschaftsstatus der Religionsgemeinschaften s. Quaas, NVwZ 2009, 1400 ff.

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Soweit Religionsgemeinschaften in den Bereichen Schulwesen, Sozial- und Betreu- 84 ungswesen sowie im Krankenhausbereich tätig werden und hierfür staatliche Subventionen erhalten, können sie öffentliche Auftraggeber nach Nummer 4 sein. e) Deutsche Bahn AG Die Bahnreform und die Neuregelung der Vergabe durch Sektorenauftraggeber 85 mit der Sektorenrichtlinie beendeten eine lange Diskussion1 um die Auftraggeberqualität der Deutschen Bahn AG und seiner Tochtergesellschaften. Die DB Netz AG und die DB Station & Service sind Sektorenauftraggeber2 i.S.v. § 100. Der Beschaffungscharakter muss allerdings sektorenspezifisch sein3. Andere Unternehmen, z.B. im Schienengüterverkehr die DB Schenker Rail Deutschland AG, können allerdings auch den Tatbestand der Sektorenauftraggeber nach § 100 nicht erfüllen4. f) Deutsche Post AG Die der Deutschen Post AG nach der Privatisierung der Deutschen Bundespost 86 übertragenen Aufgaben im Bereich des Postwesens – mit Ausnahme der Telekommunikation – sind im Wesentlichen dem klassischen Bereich der Daseinsvorsorge zuzurechnen und damit als im Allgemeininteresse liegende Aufgaben zu qualifizieren5. Aufgrund der bis zum 31.12.2007 geltenden gesetzlichen Exklusivlizenz (§ 51 PostG) und der darauf basierenden Verpflichtung zur Erbringung entsprechender Universaldienstleistungen (§ 52 PostG) wurden diese Aufgaben in einem nur teilweise wettbewerblich geprägten Umfeld erbracht. In der Begründung zu § 51 des Regierungsentwurfs für ein Postgesetz6 heißt es hierzu: „Die für die Deutsche Post AG vorgesehene Exklusivlizenz verhindert für fünf Jahre den Zutritt privater Wettbewerber zum Markt für die Beförderung von Briefsendungen.“ Die Wahrnehmung dieser Aufgaben erfolgte somit in nichtgewerblicher Art7. 1 Vgl. dazu die an die neue Rechtslage angepasste Rechtsprechung: VK Bund v. 6.5.2010 – VK 2 – 26/10 mit Bezug auf VK Bund v. 21.1.2004 – VK 2-126/03, VergabeR 2004, 365 (367); auch Diehr in Reidt/Stickler/Glahs, vorherige Aufl., § 98 Rz. 206, der noch verweist auf VÜA Bund v. 8.9.1994 – 1 VÜ 7/94, WuW/E VergAB 17 und VÜA Bund v. 13.12.1995 – 1 VÜ 6/95, WuW/E VergAB 64. 2 Eschenbruch in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, § 99 Rz. 227. 3 Dazu EuGH v. 10.4.2008 – Rs. C-393/06 (Ing. Aigner), Slg. 2008, I-2339, Rz. 58 f. = NZBau 2008, 393 (397). 4 Dreher in Immenga/Mestmäcker, § 98 Rz. 122; Opitz in Eschenbruch/Opitz, SektVO 2012, § 1 Rz. 157; vgl. auch zur Sektorenauftraggebereigenschaft privater Eisenbahnverkehrsunternehmen Sitsen, VergabeR 2016, 553 ff. 5 VÜA Bund v. 24.4.1998 – 1 VÜ 15/98; s. auch Kratzenberg, NZBau 2009, 103 (105). 6 BT-Drucks. 13/7774, S. 33. 7 Dreher in Immenga/Mestmäcker, § 98 Rz. 123; Ruber/Wollenschläger, VergabeR 2006, 431 (433 ff.); Wieddekind in Willenbruch/Wieddekind, § 98 Rz. 58 f.

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§ 99 | Öffentliche Auftraggeber 87 Mit dem Ablauf der Exklusivlizenz und dem damit einhergehenden Ende der

Universaldienstleistungsverpflichtung ist der Postmarkt in Deutschland vollständig dem Wettbewerb geöffnet1. Die Deutsche Post AG ist damit gewerblich tätig und fällt schon daher nicht mehr unter Nummer 2. Da das Unternehmen seit dem Jahr 2005 nicht mehr mehrheitlich in staatlichem Anteilseigentum steht, dürfte es im Übrigen an einer für Nummer 2 ausreichenden Einflussnahmemöglichkeit des Staates fehlen. g) Lotteriegesellschaften

88 Trotz marktbezogener Sonderstellung2 wurde Veranstaltern von Lotterie-, Spiel-

und Wettgeschäften die Auftraggebereigenschaft nach Nummer 2 mehrfach abgesprochen3. Die Lottogesellschaften sorgen zwar dafür, dass ein „ausreichendes Glücksspielangebot für die Bevölkerung zur Kanalisierung des natürlichen Spieltriebs“4 sichergestellt sei. Eine solche Aufgabe diene durchaus gemeinwohlorientieren Zwecken, wenn dies auch nicht einziger Zweck einer Lotteriegesellschaft sei, stellte die VK Baden-Württemberg 2005 fest5. Es fehle den Lottogesellschaften aber an der nichtgewerblichen Art: Für eine Auftraggebereigenschaft spreche zwar eine marktbezogene Sonderstellung, schließlich existierten besondere gesetzliche Bestimmungen (damals der Staatsvertrag zum Lotteriewesen). Doch bleibe es bei einer Wettbewerbssituation gegenüber anderen legalen und auch illegalen Glücksspielbetreibern; dies werde auch am Werbeaufwand deutlich. Zusätzlich sei bei Lottogesellschaften auch eine Gewinnerzielungsabsicht vorhanden. Die staatlichen Lotteriegesellschaften seien daher keine öffentlichen Auftraggeber i.S.v. Nummer 2.6

89 Dagegen entschied das OLG Hamburg mit Beschluss vom 31.3.2014, dass zu-

mindest die Gemeinsame Klassenlotterie der Länder öffentlicher Auftraggeber i.S.v. § 99 Nr. 2 ist7. Nachvollziehbar stellt es auf das begrenzte Insolvenzrisiko der Klassenlotterie ab, § 10 Abs. 1 GKL-StV. Doch entspricht es gerade dem gesetzlichen Rahmen, auch Lotteriegesellschaften i.S.v. § 10 Abs. 2 Satz 1 GlüStV als öffentliche Auftraggeber i.S.v. § 99 Nr. 2 anzusehen: Nach § 10 Abs. 1 Satz 1 GlüStV haben die Länder die „ordnungsrechtliche Aufgabe“, für ein ausreichen-

1 S. etwa Goodarzi/Kapischke, NVwZ 2009, 80 ff. 2 VK Baden Württemberg v. 19.4.2005 – 1 VK 11/05, IBRRS 2005, 2188. 3 OLG Düsseldorf v. 2.10.2002 – Verg 35/02; vorher dagegen VK Münster v. 24.6.2001 – VK 03/02, ZfBR 2002, 724 (727 ff.); VK Baden Württemberg v. 19.4.2005 – 1 VK 11/05, IBRRS 2005, 2188; vgl. auch Dreher in Immenga/Mestmäcker, § 98 Rz. 142; Ziekow in Ziekow/Völlink, § 98 Rz. 208. 4 VK Baden Württemberg v. 19.4.2005 – 1 VK 11/05, IBRRS 2005, 2188. 5 Anders OLG Düsseldorf v. 2.10.2002 – Verg 35/02, IBR 2002, 714 m. Anm. Schneevogl. 6 So noch die VK Baden Württemberg v. 19.4.2005 – 1 VK 11/05, IBRRS 2005, 2188. 7 OLG Hamburg v. 31.3.2014 – 1 Verg 4/13, NZBau 2014, 659 (661 f.).

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des Glücksspielangebot zu sorgen1. Gerade mit dieser Allgemeinwohlaufgabe wird ein staatliches Monopol für Lotterien begründet, die nicht nach Gewinnerzielungsinteressen geleitet seien, sondern unter direkter staatlicher Steuerung an den Zielen des GlüStV ausgerichtet agieren sollen. Auch wenn sie tatsächlich gewinnorientiert handeln und deswegen das Monopol in Frage gestellt wird, kann angesichts des gesetzlichen Rahmens nicht von einer Wettbewerbssituation gesprochen werden. h) Wohnungsbaugesellschaften Die Versorgung sozial schwacher Bevölkerungsgruppen mit Wohnraum stellt 90 zweifellos eine im Allgemeininteresse liegende Aufgabe dar2. Allerdings liegt das Ziel, Wohnraum zur Verfügung zu stellen, auch dann im Allgemeininteresse, wenn sich das Angebot nicht auf sozial schwache Bevölkerungskreise bezieht. Entscheidend für die Frage, ob staatliche bzw. kommunale Wohnungsbaugesellschaften unter Nummer 2 fallen, ist daher vielmehr, ob die Unternehmen in gewerblicher Art tätig werden und einer ausreichenden staatlichen Einflussnahmemöglichkeit unterliegen. Dies zu beurteilen ist eine Frage des Einzelfalls3. i) Messegesellschaften Messegesellschaften erfüllen im Allgemeininteresse liegende Aufgaben, da sie 91 nicht nur ein Forum für gewerblich tätige Händler und Anbieter bieten, sondern auch Verbrauchern die Möglichkeit zur Information geben4. Weil die Erfüllung dieser Aufgabe bei Gründung der Gesellschaften durch die öffentliche Hand regelmäßig im Vordergrund steht und die Durchführung von Messen zudem auch traditionell eine öffentliche Aufgabe ist, wurden Messegesellschaften, die im Anteilseigentum der öffentlichen Hand stehen, nach früher wohl herrschender Auffassung zu den Auftraggebern nach Nummer 2 gezählt5. Der EuGH stellt hingegen in der Entscheidung „Mailänder Messe“ fest, dass eine 92 Einrichtung „deren Zweck in der Durchführung von Tätigkeiten besteht, die darauf gerichtet sind, Messeveranstaltungen, Ausstellungen und sonstige vergleichbare Vorhaben auszurichten, die keine Gewinnerzielungsabsicht verfolgt, deren Geschäftsführung aber an Leistungs-, Effizienz- und Wirtschaftlichkeitskriterien auszurichten ist, und die in einem wettbewerblich geprägten Umfeld tätig wird, 1 A.A. wohl bei Ziekow in Ziekow/Völlink, § 98 Rz. 208. 2 S. etwa EuGH v. 1.2.2001 – Rs. C-237/99 (Kommission/Frankreich), Slg. 2001, I-939 = NZBau 2001, 215 (216 f.); KG v. 6.2.2003 – 2 Verg 1/03, NZBau 2003, 346 (347); VG Meiningen v. 16.1.2007 – 2 E 613/06, ZfBR 2007, 389 (391). 3 VK Brandenburg v. 3.4.2009 – VK 8/09, IBRRS 2009, 1936. 4 EuGH v. 10.5.2001 – verb. Rs. C-223 u. 260/99 (Agorà und Excelsior/Mailänder Messe), Slg. 2001, I-3605, Rz. 34 = IBRRS 2002, 0146 (Rz. 34). 5 S. die Nachweise bei Otting in Bechtold, § 98 Rz. 34.

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§ 99 | Öffentliche Auftraggeber keine Einrichtung des öffentlichen Rechts i.S.d. Artikels 1 Buchstabe b Unterabsatz 2 der Richtlinie ist“1. Ob eine – einer i.S.v. Nummer 2 ausreichenden Einflussnahmemöglichkeit unterliegende – Messegesellschaft öffentlicher Auftraggeber nach Nummer 2 ist, hängt somit insbesondere von der im Einzelfall zu beurteilenden Gewerblichkeit der Tätigkeit ab. Hieran kann es etwa fehlen, wenn die Gesellschaft auf einem nicht entwickelten Markt tätig ist2 und bei der Gesellschaft etwaig eingetretene Verluste aufgrund eines Gewinnabführungsund Beherrschungsvertrages von dem staatlichen Gesellschafter getragen werden3 oder das Gewicht der wettbewerblichen Aspekte aus sonstigen Gründen „insgesamt hinter wettbewerbsuntypischen Aspekten … zurückbleibt“4. j) Kommunale Versorgungsunternehmen 93 Die Belieferung von Endkunden mit Energie, Gas, Fernwärme und Wasser so-

wie die Entsorgung von Abwasser und Abfall sind dem Bereich der Daseinsvorsorge zuzurechnen5. Dies ergibt sich teilweise bereits aus den Gemeindeordnungen der Länder6. Kommunale Versorgungsunternehmen, die entsprechende Aufgaben wahrnehmen, erfüllen daher im Allgemeininteresse liegende Aufgaben7.

94 Die für die Einordnung kommunaler Versorgungsunternehmen als öffentliche

Auftraggeber nach Nummer 2 in der Regel entscheidende Frage ist, ob ein gewerbliches Handeln vorliegt. Dies wird teilweise mit der Begründung abgelehnt, dass es aufgrund der Mitverantwortung für die Daseinsvorsorge an einer Nachfragebezogenheit und damit einer Wettbewerbsorientierung fehle8. Diese generelle Betrachtungsweise begegnet jedoch Bedenken. Sie lässt unberücksichtigt, dass insbesondere kommunale Energieversorgungsunternehmen zum einen vielfach mit Gewinnerzielungsabsicht tätig werden. So lassen sich mit der Übernahme der kommunalen Versorgung durch Stadtwerke regelmäßig Gewinne erzielen, mit denen nicht selten andere Bereiche der Daseinsvorsorge wie etwa der öffentliche Personennahverkehr mit Bussen und Straßenbahnen finanziert wer-

1 EuGH v. 10.5.2001 – verb. Rs. C-223 u. 260/99 (Agorà und Excelsior/Mailänder Messe), Slg. 2001, I-3605, Rz. 43 = IBRRS 2002, 0146 (Rz. 43). 2 VK Bremen v. 23.8.2001 – VK 3/01, NZBau 2002, 406 (407). 3 OLG Hamburg v. 19.12.2003 – 1 Verg 6/03, NZBau 2004, 519 (520). 4 KG v. 27.7.2006 – 2 Verg 5/06, NVwZ-RR 2007, 603 (605). 5 Werner in Byok/Jaeger, § 98 Rz. 148. 6 S. etwa § 116 Abs. 2 Satz 1 der Gemeindeordnung für das Land Sachsen-Anhalt: „Betätigungen in den Bereichen der Strom-, Gas- und Wärmeversorgung, der Wasserversorgung, Abfallentsorgung, Abwasserbeseitigung, Wohnungswirtschaft und des öffentlichen Verkehrs dienen einem öffentlichen Zweck …“. 7 EuGH v. 10.4.2008 – Rs. C-393/06 (Ing. Aigner), Slg. 2008, I-2339, Rz. 39 = NZBau 2008, 393 (395): „Die Beheizung eines städtischen Ballungsgebiets mittels eines umweltfreundlichen Verfahrens zu sichern, ist ein Ziel, das unzweifelhaft im Allgemeininteresse liegt.“ 8 Riese/van den Eikel, NVwZ 2005, 758 (759).

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den. Zum anderen tritt das Anliegen der Daseinsvorsorge umso stärker in den Hintergrund, je stärker der Wettbewerb ausgeprägt ist. Ob bei einem kommunalen Energieversorgungsunternehmen von einem gewerblichen Handeln ausgegangen werden kann, ist daher anhand der allgemeinen Kriterien (Rz. 38 ff.) im Einzelfall zu beurteilen1.

IV. Verbände (§ 99 Nr. 3) Die Vorschrift umfasst Verbände der Gebietskörperschaften nach Nummer 1 95 und der sonstigen Einrichtungen des öffentlichen Rechts nach Nummer 2. Sie entspricht dem früheren § 57a Abs. 1 Nr. 3 HGrG. Verbände i.S.d. Vorschrift sind Zusammenschlüsse aller Art, ungeachtet der 96 jeweiligen Rechtsform2. Die Vorschrift betrifft damit in der Praxis im Wesentlichen kommunale Zweckverbände wie z.B. Abwasserzweckverbände, Wasserverbände, Abfallwirtschaftszweckverbände oder Verkehrszweckverbände3. Erfasst werden aber etwa auch Kooperationen zwischen den Bundesländern und von Bund und Ländern4. Nummer 3 stellt einen Auffangtatbestand dar. Die Vorschrift kommt daher nur 97 zum Tragen, wenn die Verbände nicht bereits Auftraggeberqualität nach Nummer 1 oder 2 haben5.

V. Staatlich subventionierte Auftraggeber (§ 99 Nr. 4) Nach der Regelung der Nummer 4, welche auf Art. 13 der Vergaberichtlinie be- 98 ruht, findet das Vergaberecht für bestimmte Aufträge auch dann Anwendung, wenn es sich bei dem Auftraggeber um eine Einrichtung handelt, die von staatlichen Stellen unabhängig ist, die Maßnahme von diesen jedoch überwiegend fi1 S. hierzu Marx in Danner/Theobald, Energierecht, Einführung für Versorgungsunternehmen, Rz. 23: „Wichtige Kontrollfrage dürfte in diesem Zusammenhang sein, ob die zu qualifizierende juristische Person auf dem Feld, auf dem sie Anbieter ist, im Wettbewerb steht und ob die Möglichkeit besteht, dass sie bei miserablem Wirtschaften Konkurs gehen könnte.“ 2 OLG München v. 20.3.2014 – Verg 17/13, NZBau 2014, 456 (458); OLG Düsseldorf v. 6.7.2005 – Verg 22/05, IBRRS 2005, 3268. 3 VK Schleswig v. 30.8.2006 – VK-SH 20/06, IBRRS 2006, 3580; VK Düsseldorf v. 18.4. 2002 – VK-5/2002-L, ZfBR 2002, 621 (622); vgl. die Auflistung bei Eschenbruch in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, § 99 Rz. 286. 4 OLG Brandenburg v. 3.8.1999 – 6 Verg 1/99, NZBau 2000, 39 (41). 5 OLG München v. 20.3.2014 – Verg 17/13, NZBau 2014, 456 (458); VK Düsseldorf v. 18.4. 2002 – VK-5/2002-L, ZfBR 2002, 621 (623); Bungenberg in Loewenheim/Meessen/Riesenkampff, § 98 Rz. 35; Wieddekind in Willenbruch/Wieddekind, § 98 Rz. 74.

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§ 99 | Öffentliche Auftraggeber nanziert wird („Drittvergabe“). Dem liegt der Gedanke zugrunde, dass es rechtlich keinen Unterschied machen darf, ob ein öffentlicher Auftraggeber nach den Nummern 1 bis 3 Aufträge selbst vergibt und finanziert oder aber diese Mittel an Dritte weitergibt, damit diese – gewissermaßen als „verlängerter Arm“ der öffentlichen Hand – entsprechende Aufträge vergeben1. 1. Natürliche und juristische Personen 99 In der Fassung des Vergaberechtsänderungsgesetzes von 1999 erfasste die Vor-

gängervorschrift in Nummer 5 lediglich natürliche und juristische Personen des privaten Rechts. Schon mit dem Vergaberechtsmodernisierungsgesetz 2009 wurde Nummer 5 a. F. um juristische Personen des öffentlichen Rechts erweitert. Der bislang bestehende Streit über die Einbeziehung juristischer Personen des öffentlichen Rechts in der heutigen Vorschrift der Nummer 42 ist damit erledigt.

2. Erfasste Vorhaben 100 In sachlicher Hinsicht setzt Nummer 4 Tiefbaumaßnahmen, die Errichtung von

Krankenhäusern, Sport-, Erholungs- oder Freizeiteinrichtungen sowie Schul-, Hochschul- oder Verwaltungsgebäude voraus. Der Katalog ist abschließend3. Allerdings sind die genannten Vorhaben nach den allgemeinen vergaberechtlichen Auslegungsgrundsätzen weit auszulegen.

101 Der Begriff der Tiefbaumaßnahmen ist in Anhang II zur Vergaberichtlinie nä-

her definiert. „Erholungs- und Freizeiteinrichtungen“ meint Orte, die von der überwiegenden Mehrzahl der Besucher während der Freizeit aufgesucht werden4, auch Museen, Ausstellungszentren, Bibliotheken und Theater zählen dazu5. Unter „Schulen“ sind Einrichtungen für die Bildung der Jugend zu verstehen, zu denen auch die Berufsschulen in ihren unterschiedlichen Erscheinungsformen zählen6. Unter den Begriff der „Errichtung“ fällt die (erstmalige) Herstellung ei1 VK Bund v. 8.6.2006 – VK 2-114/05, IBRRS 2006, 4418. 2 S. hierzu Aicher in Müller-Wrede, Kompendium des Vergaberechts, Kap. 2 Rz. 76. 3 OLG München v. 10.11.2010 –Verg 19/10, NZBau 2011, 253 (254); BayObLG v. 29.10. 2004 – Verg 022/04, VergabeR 2005, 74 (75); VK Brandenburg v. 11.3.2009 – VK 7/09, ZfBR 2009, 710 (712). 4 VK Nordbayern v. 19.10.2015 – 21.VK-3194-38/15, IBRRS 2015, 2978; dort wird auch darauf hingewiesen, dass der Bestimmtheitsgrundsatz einer zu weiten Auslegung der Vorschrift Grenzen setzt. 5 EuGH v. 26.9.2013 – C-115/12 P (Französische Rebublik, Europäische Union), Rz. 72 ff., NZBau 2014, 116 (120 f.); dazu auch Eschenbruch in Kulartz/Kus/Portz, § 99 Rz. 333; Marx in Beck’scher VOB-Kommentar Teil A, 1. Aufl. 2001, § 98 Rz. 25. 6 OLG München v. 10.11.2010 –Verg 19/10, NZBau 2011, 253 (254); BayObLG v. 29.10. 2004 – Verg 022/04, VergabeR 2005, 74 (75); VK Nordbayern v. 30.9.2015 – 21.VK-319433/15, IBRRS 2015, 2967.

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Öffentliche Auftraggeber | § 99

ner entsprechenden baulichen Anlage ebenso wie die Modernisierung, Sanierung und Rekonstruktion einer bestehenden Anlage1. Umfasst werden neben den Bauleistungen (Art. 2 Abs. 1 Nr. 6 und 7 der Ver- 102 gaberichtlinie)2 auch hiermit in Verbindung stehende Dienstleistungen (Art. 2 Abs. 1 Nr. 9 der Vergaberichtlinie)3 und Wettbewerbe (Art. 2 Abs. 1 Nr. 21 der Vergaberichtlinie)4. Hierzu zählen beispielsweise die Vergabe von Architektenoder Ingenieurleistungen. Erforderlich ist stets, dass die Dienstleistungen in Verbindung mit einem Bauauftrag vergeben werden. Erfolgt die Vergabe des Dienstleistungsauftrags völlig isoliert von Bauarbeiten, also etwa im deutlich zeitlichen Abstand von der Errichtung der Maßnahme, findet Nummer 4 auf den Dienstleistungsauftrag keine Anwendung. Um eine Umgehung der Vorschrift zu verhindern, sind geringfügige zeitliche Abstände zwischen der Vergabe der Bauleistungen und des Dienstleistungsauftrags jedoch unbeachtlich. Die neue Nutzung des Begriffs „Wettbewerbe“ statt „Auslobungsverfahren“ liegt in einer sprachlichen Anpassung an die Vergaberichtlinie begründet. 3. Mehr als 50 %-ige Subventionierung Voraussetzung ist, dass Stellen, die unter Nummern 1 bis 3 fallen, Mittel bereit- 103 stellen, mit denen die genannten Vorhaben zu mehr als 50 % subventioniert werden5. Hierbei ist nicht auf die nach den jeweiligen Vorschriften förderfähigen Kosten, sondern auf die gesamten6 Projektkosten, die sich im Zweifel nach § 3 VgV bestimmen, abzustellen7. Nummer 4 spricht seit der Vergaberechtsmodernisierung 2016 nicht mehr von 104 der „Finanzierung“ durch die in § 99 Nr. 1 bis 3 genannten Stellen, sondern von „subventionieren“. Damit passte der Gesetzgeber die Vorschrift an die unionsrechtlichen Vorgaben des Art. 13 der Vergaberichtlinie an8. Der Anwendungs1 VK Brandenburg v. 10.9.2004 – VK 39/04, IBRRS 2005, 2844; VK Düsseldorf v. 9.4.2003 – VK-8/2003-B, IBRRS 2003, 3381; s. auch OLG Jena v. 30.5.2002 – 6 Verg 3/02, ZfBR 2002, 827 (828); zweifelnd Wirner, ZfBR 2002, 761 (762); Wieddekind in Willenbruch/ Wieddekind, § 98 Rz. 102. 2 S. dazu § 103 Abs. 3. 3 S. § 103 Abs. 4. 4 S. § 103 Abs. 6. 5 OLG München v. 10.11.2010 – Verg 19/10, NZBau 2011, 253 (255); zur Besonderheit der vorhabenspezifischen Feststellung einer überwiegenden Subventionierung auch Eschenbruch in Kulartz/Kus/Portz, § 99 Rz. 303. 6 OLG Celle v. 25.8.2011 – 13 Verg 5/11, VergabeR 2012, 182 (184); OLG München v. 10.11.2010 –Verg 19/10, NZBau 2011, 253 (255). 7 OLG Celle v. 29.11.2016 – 13 Verg 8/16, IBRRS 2017, 0176; VK Nordbayern v. 30.9.2015 – 21.VK-3194-33/15, IBRRS 2015, 2967; auch Aicher in Müller-Wrede, Kompendium des Vergaberechts, Kap. 2 Rz. 75; Boesen, § 98 Rz. 117; Dreher in Immenga/Mestmäcker, § 98 Rz. 123. 8 BT-Drucks. 18/6281, S. 70.

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§ 100 | Sektorenauftraggeber bereich der Nummer 4 ist daher nur dann eröffnet, wenn der Einrichtung zum Zeitpunkt der Ausschreibung1 mehr als 50 % der Projektkosten als Subventionen zur Verfügung gestellt werden, wobei Subventionen nicht nur direkte oder positive Leistungen umfassen2. Zur Ausfüllung des Begriffs der Subvention kann auf den Begriff der „Beihilfe“ i.S.v. Art. 107 Abs. 1 AEUV (ex-Artikel 87 Abs. 1 EGV) zurückgegriffen werden. Eine Finanzierung kann somit beispielsweise in einem verlorenen Zuschuss oder einem zinsvergünstigten Darlehen bestehen. Die Gewährung von Darlehen zu marktüblichen Bedingungen führt hingegen nicht zum Anwendungsbereich der Nummer 4, selbst wenn Darlehensgeber die öffentliche Hand, beispielsweise in Form einer Sparkasse oder Landesbank, ist.

§ 100 Sektorenauftraggeber (1) Sektorenauftraggeber sind 1. öffentliche Auftraggeber gemäß § 99 Nummer 1 bis 3, die eine Sektorentätigkeit gemäß § 102 ausüben, 2. natürliche oder juristische Personen des privaten Rechts, die eine Sektorentätigkeit gemäß § 102 ausüben, wenn a) diese Tätigkeit auf der Grundlage von besonderen oder ausschließlichen Rechten ausgeübt wird, die von einer zuständigen Behörde gewährt wurden, oder b) öffentliche Auftraggeber gemäß § 99 Nummer 1 bis 3 auf diese Personen einzeln oder gemeinsam einen beherrschenden Einfluss ausüben können. (2) Besondere oder ausschließliche Rechte im Sinne von Absatz 1 Nummer 2 Buchstabe a sind Rechte, die dazu führen, dass die Ausübung dieser Tätigkeit einem oder mehreren Unternehmen vorbehalten wird und dass die Möglichkeit anderer Unternehmen, diese Tätigkeit auszuüben, erheblich beeinträchtigt wird. Keine besonderen oder ausschließlichen Rechte in diesem Sinne sind Rechte, die aufgrund eines Verfahrens nach den Vorschriften dieses Teils oder aufgrund eines sonstigen Verfahrens gewährt wurden, das angemessen bekannt gemacht wurde und auf objektiven Kriterien beruht. (3) Die Ausübung eines beherrschenden Einflusses im Sinne von Absatz 1 Nummer 2 Buchstabe b wird vermutet, wenn ein öffentlicher Auftraggeber gemäß § 99 Nummer 1 bis 3 1. unmittelbar oder mittelbar die Mehrheit des gezeichneten Kapitals des Unternehmens besitzt, 1 OLG München v. 10.11.2010 – Verg 19/10, NZBau 2011, 253 (255). 2 EuGH v. 26.9.2013 – C-115/12 P (Französische Rebublik, Europäische Union), Rz. 46 ff., NZBau 2014, 116 (118 f.); s. auch die Gesetzesbegründung in BT-Drucks. 18/6281, S. 70.

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Sektorenauftraggeber | § 100

2. über die Mehrheit der mit den Anteilen am Unternehmen verbundenen Stimmrechte verfügt oder 3. mehr als die Hälfte der Mitglieder des Verwaltungs-, Leitungs- oder Aufsichtsorgans des Unternehmens bestellen kann. I. 1. 2. 3. II.

Allgemeines Überblick . . . . . . . . . . . . . . . Europarechtlicher Hintergrund Entstehungsgeschichte . . . . . . Sektorenauftraggeber i.S.d. § 100 Abs. 1 Nr. 1 . . . . . . . . . III. Sektorenauftraggeber i.S.d. § 100 Abs. 1 Nr. 2 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . .

. . . .

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2. Besondere oder ausschließliche Rechte a) Allgemeines . . . . . . . . . . . . b) Begriff des ausschließlichen und besonderen Rechts . . . . 3. Beherrschender Einfluss durch einen öffentlichen Auftraggeber IV. Begriff der Ausübung . . . . . .

. . . .

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_ _ __ 15 18 24 30

I. Allgemeines 1. Überblick § 100 definiert erstmalig im GWB den Begriff des Sektorenauftraggebers und be- 1 stimmt damit zugleich den persönlichen Anwendungsbereich des Sektorenvergaberechts. Sektorenauftraggeber zählen neben den „klassischen“ öffentlichen Auftraggebern i.S.d. § 99 GWB und den Konzessionsgebern i.S.d. § 101 GWB zu den Auftraggebern i.S.d. § 99 GWB. Die Neustrukturierung der Definitionen des Auftraggebers verbessert die Übersichtlichkeit und Lesbarkeit für den Rechtsanwender1. Insgesamt können drei Arten von Sektorenauftraggebern unterschieden wer- 2 den. Zum einen „klassische“ öffentliche Auftraggeber i.S.d. § 99 Nr. 1–3, die eine Sektorentätigkeit i.S.d. § 102 ausüben (§ 101 Abs. 1 Nr. 1). § 100 Abs. 1 Nr. 1 stellt damit erstmalig im GWB klar, dass auch „klassische“ öffentliche Auftraggeber dem Sektorenvergaberecht unterfallen können. Eine vergleichbare Regelung war bislang lediglich in § 1 Abs. 1 SektVO enthalten. Zum anderen natürliche und juristische Personen des Privatrechts, die von einem öffentlichen Auftraggeber i.S.d. § 99 Nr. 1-3 beherrscht werden und eine Sektorentätigkeit ausüben (§ 101 Abs. 1 Nr. 2 lit. b), sog. öffentliche Unternehmen). Schließlich natürliche und juristische Personen des Privatrechts, die allein wegen ihrer besonderen Stellung, nämlich der Ausübung der Sektorentätigkeit auf der Grundlage von besonderen oder ausschließlichen Rechten, als Sektorenauftraggeber eingestuft werden (§ 101 Abs. 1 Nr. 2 lit. a)). 1 Vgl. Gesetzesbegründung, BT-Drucks. 18/6281, S. 69.

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§ 100 | Sektorenauftraggeber 2. Europarechtlicher Hintergrund 3 Die Regelung setzt Art. 4 Richtlinie 2014/25/EU um. Die Sektorenrichtlinie

kennt dabei nicht den Begriff des Sektorenauftraggebers. Vielmehr umfasst der persönliche Anwendungsbereich der Sektorenrichtlinie die sog. öffentliche Auftraggeber (Art. 4 Abs. 1 lit. a), ohne nähere Definition), öffentliche Unternehmen (näher definiert in Art. 4 Abs. 2) und sonstige Auftraggeber, die eine Sektorentätigkeit oder mehrere dieser Tätigkeiten auf der Grundlage von besonderen oder ausschließlichen Rechten ausüben, die von einer zuständigen Behörde eines Mitgliedstaats gewährt wurden (Art. 4 Abs. 1 lit. b)). Diese Dreiteilung wird nun erstmalig vom deutschen Gesetzgeber übernommen.

4 Die Definition des Sektorenauftraggebers im deutschen Recht ist nach dem Wil-

len des Gesetzgebers auch der Umsetzung der Konzessionsrichtlinie 2014/23/ EU geschuldet. Die Richtlinie 2014/23/EU unterscheidet in ihren Artikeln 6 und 7 zwischen „öffentlichen Auftraggebern“ einerseits und „Auftraggebern“, die einer Sektorentätigkeit nachgehen und zum Zwecke dieser Tätigkeit Konzessionen vergeben, andererseits. Die Richtlinie 2014/23/EU behält diese Unterscheidung auch in den materiellen Regelungen bei. Diese Systematik erfordere auch im nationalen Recht eine klare Trennung zwischen diesen beiden Kategorien von Konzessionsgebern1. 3. Entstehungsgeschichte

5 Der persönliche Anwendungsbereich des Sektorenvergaberechts war einem ste-

ten Wandel unterworfen. Die erste Sektorenrichtlinie 90/531/EWG war nach Auffassung der h.M. nachrangig zur damaligen Dienstleistungskoordinierungsrichtlinie. Einrichtungen, die sowohl § 98 Nummer 4 a.F. als auch § 98 Nummer 1, 2 oder 3 a.F. unterfielen, unterlagen danach allein den für Auftraggeber nach Nummern 1 bis 3 geltenden Regelungen2.

6 Mit der Novellierung der Vergaberichtlinien im Jahre 2004 wurde klargestellt,

dass für das Gemeinschaftsrecht von einem umgekehrten Rangverhältnis auszugehen sei. So galt die Richtlinie 2004/17/EG nach deren Art. 2 auch für öffentliche Auftraggeber i.S.d. Richtlinie 2004/18/EG, soweit diese eine Sektorentätigkeit ausüben3. Dementsprechend hieß es auch in Erwägungsgrund 20 der Richtlinie 2004/18/EG: „Öffentliche Aufträge, die von öffentlichen Auftraggebern aus den Bereichen Wasser, Energie, Verkehr und Postdienste vergeben werden und die Tätigkeiten in diesen Bereichen betreffen, fallen unter die Richtlinie 2004/ 17/EG“. In der deutschen Umsetzung erfolgte die Abgrenzung der Vergaberegelungen, welche für Auftraggeber nach § 98 Nummer 4 a.F. einerseits und für

1 Gesetzesbegründung, BT-Drucks. 18/6281, S. 70. 2 BayObLG v. 5.11.2002 – Verg 22/02, NZBau 2003, 342. 3 EuGH v. 10.4.2008 – Rs. C-393/06 (Ing. Aigner), Slg. 2008, I-2339, Rz. 23 ff.

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Sektorenauftraggeber | § 100

Auftraggeber nach Nummern 1 bis 3 a.F. andererseits gelten, indes weit weniger scharf. So hatten die in § 98 Nummern 1 bis 3 a.F. genannten Auftraggeber nach § 7 Abs. 1 VgV a.F. in den Sektoren Trinkwasserversorgung sowie See- und Landverkehr den Abschnitt 3 der VOL/A 2006 beziehungsweise der VOB/A 2006 anzuwenden. Diese Abschnitte enthielten nicht nur die eingeschränkten Anforderungen der Richtlinie 2004/17/EG, sondern unterwarfen die Auftraggeber auch den allgemeinen Vergabebestimmungen der jeweiligen Abschnitte 1. Das deutsche Recht stellte folglich höhere Anforderungen als das Gemeinschaftsrecht, was überwiegend als rechtlich unbedenklich angesehen wurde1. Die (nur) in § 98 Nummer 4 a.F. genannten Auftraggeber hatten nach § 7 Abs. 2 VgV a.F. hingegen lediglich Abschnitt 4 der VOL/A 2006 und der VOB/A 2006 anzuwenden. Das Gleiche galt für die Tätigkeit der in Nummern 1 bis 3 genannten Auftraggeber in den Sektoren Elektrizitäts-, Gas- und Wärmeversorgung sowie Luftverkehr. Die Abschnitte 4 der VOL/A 2006 und der VOB/A 2006 beschränkten sich – anders als deren Abschnitte 3 – darauf, die Anforderungen der Richtlinie 2004/17/EG umzusetzen. Erst mit der Einführung der SektVO wurde das deutsche Recht an die Struktur 7 der Richtlinie 2004/17/EG angepasst2. So wurden die auf der Richtlinie 2004/17/ EG beruhenden Vergaberegelungen, welche bislang in der VgV a.F. und den jeweiligen Abschnitten 3 und 4 der VOL/A 2006 und der VOB/A 2006 enthaltenen waren, in der SektVO zusammengefasst. Diese Verordnung galt nach deren § 1 Abs. 1 für Auftraggeber nach § 98 Nummer 1 bis 4 GWB a.F., soweit diese Aufträge vergeben, die im Zusammenhang mit Sektorentätigkeiten stehen. Auftraggeber, die sowohl unter Nummer 4 als auch unter Nummern 1, 2 oder 3 fielen, hatten somit bei der Vergabe von im Zusammenhang mit einer Sektorentätigkeit stehenden Aufträgen die SektVO und bei der Vergabe anderer Aufträge die VgV a.F. anzuwenden. Diese Rechtslage blieb durch die Vergaberechtsnovellierung 2016 im Ergebnis 8 unverändert. Erstmalig wurde jedoch im GWB direkt der persönliche Anwendungsbereich des Sektorenvergaberechts geregelt. Dies ist aus Gründen der Systematik und Übersichtlichkeit zu begrüßen.

II. Sektorenauftraggeber i.S.d. § 100 Abs. 1 Nr. 1 § 100 Absatz 1 Nummer 1 betrifft ausschließlich öffentliche Auftraggeber gemäß 9 § 99 Nummer 1 bis 3. Vergeben diese Aufträge im Zusammenhang mit Tätigkeiten auf dem Gebiet der Trinkwasser- oder Energieversorgung oder des Verkehrs, finden die Vorschriften über die Sektorenauftragsvergabe Anwendung3. 1 VG Koblenz v. 8.7.1997 – 2 K 2971/96. KO, NVwZ 1999, 1133. 2 S. BR-Drucks. 522/09, S. 1; so auch Opitz, VergabeR 2009, 689. 3 Vgl. Gesetzesbegründung, BT-Drucks. 18/6281, S. 70.

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§ 100 | Sektorenauftraggeber 10 Das Sektorenvergaberecht findet dabei nur Anwendung, soweit der öffentliche

Auftraggeber eine Sektorentätigkeit1 ausübt2. Für den Fall, dass die Auftragsvergabe nicht im Zusammenhang einer Sektorentätigkeit erfolgt, findet das allgemeine Vergaberecht Anwendung3. Eine „Infizierung“ für alle anderen Aufträge des öffentlichen Auftraggebers durch das Sektorenvergaberecht erfolgt nicht4.

11 Für den Fall, dass ein (Gesamt-) Auftrag sowohl der Sektoren- als auch der sons-

tigen Tätigkeit dient trifft § 112 Abs. 1–5 eine Abgrenzungsregelung. Für den Fall, dass eine Konzession mehrere Tätigkeiten umfasst, von denen eine Tätigkeit eine Sektorentätigkeit im Sinne des § 102 darstellt, trifft § 112 Abs. 6 eine Abgrenzungsregelung.

III. Sektorenauftraggeber i.S.d. § 100 Abs. 1 Nr. 2 1. Allgemeines 12 § 100 Absatz 1 Nummer 2 richtet sich an Auftraggeber, die bislang unter § 98

Nummer 4 GWB fielen. Der besseren Übersicht halber wird künftig unterschieden zwischen Sektorenauftraggebern kraft Einräumung besonderer oder ausschließlicher Rechte (Buchstabe a) und Sektorenauftraggebern kraft beherrschenden Einflusses (Buchstabe b)5. Das GWB regelt zudem in eigenen Absätzen Legaldefinitionen und – erstmalig für den Fall des § 100 Abs. 1 Nr. 2 lit. b) – Vermutungsregelungen.

13 Voraussetzung ist jeweils, dass eine natürliche oder juristische Person des pri-

vaten Rechts vorliegt, die eine Sektorentätigkeit i.S.d. § 102 ausübt. Anders als § 99 Nummern 1 bis 3 bezieht die Vorschrift damit auch natürliche Personen ein. Hieraus wird zu Recht geschlossen, dass sich der Anwendungsbereich des § 100 Abs. 1 Nr. 2 auch auf Personenzusammenschlüsse erstreckt, unabhängig davon, ob diese (teil-) rechtsfähig sind6.

14 Das Verhältnis von § 100 zu § 99 Nr. 4 ist nicht ausdrücklich geregelt. Für den

Fall, dass ein Sektorenauftraggeber nach § 101 Abs. 1 Nr. 2 zugleich öffentlicher Auftraggeber nach § 99 Nr. 4 ist, ist das Sektorenvergaberecht vorrangig anwendbar7. Dies ergibt sich aus Art. 7 der Richtlinie 2014/24/EU und der Erwägung,

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Der Begriff der Sektorentätigkeit wird nun ausführlich in § 102 geregelt. Zum Begriff der Ausübung vgl. unten Rz. 30 f. Vgl. auch § 137 Abs. 2 Nr. 1 und die dortige Kommentierung. Vgl. EuGH v. 10.4.2008 – Rs. C-393/06 (Ing. Aigner), Slg. 2008 I-2339, Rz. 29 ff. Gesetzesbegründung, BT-Drucks. 18/6281, S. 70. Opitz in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum Vergaberecht, § 100 Rz. 21; Dreher in Immenga/Mestmäcker, GWB, § 98 Rz. 183. 7 So auch Opitz in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum Vergaberecht, § 100 Rz. 17; Ziekow in Ziekow/Völlink, 2. Aufl., § 98 Rz. 147; a.A. Dreher in Immenga/Mestmäcker, GWB, § 98 Rz. 239.

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Sektorenauftraggeber | § 100

dass eine wie bei § 99 Nr. 4 lediglich abgeleitete Verpflichtung, das Vergabereicht einzuhalten, nicht weiter gehen kann, als eine originäre Verpflichtung. 2. Besondere oder ausschließliche Rechte a) Allgemeines § 100 Absatz 1 Nummer 2 lit. a) entspricht der bisherigen Formulierung in § 98 15 Nummer 4 Satz 1 Halbsatz 1 Alternative 1 GWB a.F. Der Begriff der besonderen oder ausschließlichen Rechte ist insofern von besonderer Bedeutung für die Definition des Anwendungsbereichs der Richtlinie 2014/25/EU, als Auftraggeber, bei denen es sich weder um öffentliche Auftraggeber noch um von öffentlichen Auftraggebern beherrschte Unternehmen handelt, den Bestimmungen der Richtlinie 2014/25/EU nur unterliegen, insoweit sie eine aufgrund besonderer oder ausschließlicher Rechte vorbehaltene Tätigkeit ausüben1. Die Regelung des § 100 Absatz 1 Nummer 2 lit. a) betrifft die sog. „staatsfer- 16 nen“ Auftraggeber, nämlich Einrichtungen, die allein deshalb vom Vergaberecht erfasst werden, weil sie eine Sektorentätigkeit auf der Grundlage von besonderen oder ausschließlichen Rechten ausüben. Hintergrund für diese Erweiterung des Anwendungsbereichs des Vergaberechts ist, dass die Gewährung besonderer und ausschließlicher Rechte nach Auffassung des Richtliniengebers zu einer „Abschottung der Märkte“2 führen kann und damit die Gefahr besteht, dass entsprechende Einrichtungen – auch wenn sie über die Gewährung dieser Rechte hinaus keiner staatlichen Einflussnahmemöglichkeit unterliegen – bei der Vergabe entsprechender Aufträge nicht nach den Grundsätzen des Wettbewerbs und der Gleichbehandlung vorgehen3. Eine über diese Rechtsgewährung hinausgehende Abhängigkeit des Unterneh- 17 mens von öffentlichen Auftraggebern nach § 99 Nummern 1 bis 3 ist nicht erforderlich. Die Begründung für diese Ausdehnung des Anwendungsbereichs des 4. Teils des GWB liegt auch darin, dass auf dem traditionell daseinsvorsorgeorientierten Gebiet der Sektoren in den Mitgliedstaaten teils der Staat selbst, teils die Privatwirtschaft tätig wird. Ein Anknüpfen allein an die Rechtsform oder die staatliche Beherrschung hätte sich daher in den Mitgliedstaaten unterschiedlich ausgewirkt4. Daneben fehlt im Sektorenbereich aufgrund des Monopols der Auftraggeber bzw. deren monopolartiger Stellung regelmäßig ein funktionierender Wettbewerb, was durch die Regelungen über die Vergabe von Aufträgen ausgeglichen werden soll5. 1 2 3 4 5

Vgl. Gesetzesbegründung, BT-Drucks. 18/6281, S. 71. Erwägungsgrund 2 der Richtlinie 2014/25/EU. Vgl. Dreher in Immenga/Mestmäcker, GWB, § 98 Rz. 160. Marx in Beck’scher VOB-Kommentar Teil A, § 98 GWB Rz. 17. Hailbronner, Forum Vergabe 95, Öffentliches Auftragswesen, S. 127 (131).

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§ 100 | Sektorenauftraggeber b) Begriff des ausschließlichen und besonderen Rechts 18 Eine Definition der besonderen oder ausschließlichen Rechte findet sich nun-

mehr in § 100 Absatz 2. Die Vorschrift setzt Artikel 4 Absatz 3 der Richtlinie 2014/25/EU um. Danach sind besondere oder ausschließliche Rechte im Sinne von § 100 Absatz 1 1 Nummer 2 lit. a) Rechte, die dazu führen, dass die Ausübung dieser Tätigkeit einem oder mehreren Unternehmen vorbehalten wird und dass die Möglichkeit anderer Unternehmen, diese Tätigkeit auszuüben, erheblich beeinträchtigt wird. Entscheidend ist somit, dass dem betreffenden Unternehmen im Hinblick auf die von ihm ausgeübte Sektorentätigkeit eine marktbezogene Sonderstellung eingeräumt wird1.

19 Der Anwendungsbereich des § 100 Absatz 1 Nummer 2 lit. a) unterliegt einem

Wandel. Durch die Abschaffung eines bestehenden Monopols oder dessen Neuerrichtung wird der Geltungsbereich der Vorschrift ausgeschlossen bzw. begründet. Aus der Rechtsprechung des EuGH zu Art. 8 der Richtlinie 90/5312 kann allerdings gefolgert werden, dass es nicht genügt, wenn ursprünglich bestehende ausschließliche Rechte aufgehoben werden. Vielmehr muss hinzukommen, dass sich in Folge dieser Aufhebung tatsächlich ein Wettbewerb entwickelt. Erst wenn dies der Fall ist, liegen die Voraussetzungen des § 100 Absatz 1 Nummer 2 lit. b) nicht mehr vor3.

20 Das GWB enthält keine näheren Vorgaben zur Form der Gewährung. Gemäß

Art. 4 Abs. 3 Richtlinie 2014/25/EU muss die Gewährung „im Wege einer Rechts- oder Verwaltungsvorschrift“ erfolgen. Wie sich aus Erwägungsgrund 20 der Richtlinie 2014/25/EU ergibt, ist die Form der Gewährung des besonderen oder ausschließlichen Rechts durch die zuständige Behörde unerheblich4. So ist der Abschluss eines privatrechtlichen Vertrages5 oder eine Staatsvertrages6 möglich. Nach der Auffassung der VK Lüneburg kann bereits eine dauerhaft lenkende und fördernde Duldung eines bestehenden Oligopols der staatlichen Gewährung durch Rechts- oder Verwaltungsvorschrift im Einzelfall inhaltlich gleich stehen7.

21 In der Spruchpraxis der vergaberechtlichen Nachprüfungsinstanzen als aus-

schließliches oder besonderes Rechte anerkannt ist die Linienverkehrsgenehmi-

1 Dreher in Immenga/Mestmäcker, GWB, § 98 Rz. 179. 2 EuGH v. 26.3.1996 – Rs. C-392/93 (British Telecom), Slg. 1996, I-1631, Rz. 30 ff. 3 BT-Drucks. 16/10117, S. 17: „Öffentliche Unternehmen in den Sektorenbereichen bleiben solange unabhängig davon erfasst, bis in diesen Bereichen Wettbewerb herrscht. Dann kann auch für sie eine Befreiung von der Anwendungsverpflichtung erfolgen.“; im Ergebnis ebenso bereits Byok, NJW 1998, 2774 (2777). 4 So bereits Schröder, NZBau 2012, 541 (542). 5 VK Lüneburg v. 8.11.2012 – 203-VgK-24/2002, juris. 6 OLG München v. 12.5.2011 – Verg 26/10, VergabeR 2011, 762 ff. mit Anm. Dörn. 7 VK Lüneburg v. 13.5.2016 – VgK-10/2016, juris; VK Lüneburg v. 30.9.2015 – VgK-30/ 2015, juris.

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Sektorenauftraggeber | § 100

gung gemäß PBefG1, die luftverkehrsrechtliche Genehmigung gemäß § 38 Abs. 2 Nr. 1 LuftVZO2 und die Stellung als Übertragungsnetzbetreiber3. Das Planfeststellungsverfahren als solches gewährt einem Einzelnen keine Rechte ausschließlicher oder besonderer Art. Denn bei diesem handelt es sich um ein streng formalisiertes, der Standortfindung bzw. Raumnutzungsentscheidung dienendes Verwaltungsverfahren, welchem die Funktion zukommt, im Wege der Abwägung der widerstreitenden öffentlichen und privaten Belange einen möglichst schonenden Ausgleich oftmals gegenläufiger Interessen herbeizuführen und eine verbindliche Raumnutzungsentscheidung zu fällen4. Gesetzliche Enteignungs- oder Wegenutzungsrechte führen für sich genom- 22 men noch nicht zu einer entsprechenden Rechtsstellung5. Bereits in Erwägungsgrund 25 der Richtlinie 2004/17/EG hieß es, dass es – entgegen Art. 2 Abs. 3 UAbs. 2 der Richtlinie 93/38/EWG – für sich genommen noch kein besonderes und ausschließliches Recht im Sinne dieser Richtlinie darstellt, wenn ein Auftraggeber zum Bau eines Netzes oder der Einrichtung von Flughafen- bzw. Hafenanlagen Vorteil aus Enteignungsverfahren oder Nutzungsrechten ziehen kann oder Netzeinrichtungen auf, unter oder über dem öffentlichen Wegenetz anbringen darf. Keine besonderen oder ausschließlichen Rechte in diesem Sinne sind gemäß 23 § 100 Absatz 2 S. 2 Rechte, die aufgrund eines Verfahrens nach den Vorschriften dieses Teils oder aufgrund eines sonstigen Verfahrens gewährt wurden, das angemessen bekannt gemacht wurde und auf objektiven Kriterien beruht. Durch die Ausnahme wird klargestellt, dass Rechte, die im Wege eines Verfahrens gewährt wurden, das auf objektiven Kriterien beruht und bei dem eine angemessene Publizität gewährleistet wurde, keine besonderen oder ausschließlichen Rechte im Sinne des Kartellvergaberechts darstellen. Die Anwendung des Vergaberechts ist in diesen Fällen insofern entbehrlich, da schon bei der Gewährung der ausschließlichen und besonderen Rechte den Anforderungen an ein wettbewerbliches Verfahren genügt wurde6. Dies betrifft insbesondere den Fall, wenn bereits die Gewährung besonderer oder ausschließlicher Rechte in einem wettbewerblichen Verfahren nach dem Viertem Teil des GWB erfolgt ist. In Anhang II der Richtlinie 2014/25/EU werden beispielhaft weitere Genehmigungsverfahren aufgrund bestimmter EU-Rechtsakte aufgeführt, die nicht zu besonderen oder ausschließlichen Rechten im obigen Sinne führen. Darunter fallen: – Erteilung einer Genehmigung für den Betrieb von Erdgasanlagen nach Artikel 4 Richtlinie 2009/73/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 1 2 3 4 5 6

OLG Düsseldorf v. 2.3.2011 – Verg 48/10, VergabeR 2011, 471. OLG Düsseldorf v. 24.3.2010 – VII-Verg 58/09, NZBau 2010, 649. VK Lüneburg v. 30.9.2015 – VgK-30/2015, juris. Vgl. OLG Celle v. 8.8.2013 – Verg 7/13, VergabeR 2014, 24 m.w.N. aus der Literatur. Vgl. OLG Celle v. 8.8.2013 – Verg 7/13, VergabeR 2014, 24. Gesetzesbegründung, BT-Drucks. 18/6281, S. 71.

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§ 100 | Sektorenauftraggeber 13.7.2009 über gemeinsame Vorschriften für den Erdgasbinnenmarkt und zur Aufhebung der Richtlinie 2003/55/EG (ABl. Nr. L 211 S. 94). – Genehmigung oder Aufforderung zur Angebotsabgabe für den Bau neuer Stromerzeugungsanlagen gemäß der Richtlinie 2009/72/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13.7.2009 über gemeinsame Vorschriften für den Elektrizitätsbinnenmarkt und zur Aufhebung der Richtlinie 2003/54/EG (ABl. Nr. L 211 S. 55). Beide Richtlinien waren Bestandteil des 3. Energiepaketes der EU und hatten zum Ziel die Trennung des Netzbetriebes von Versorgung und Erzeugung. Sie sind umgesetzt im Energiewirtschaftsgesetz (EnWG). – Genehmigungen in Bezug auf Postdienste, die nicht reserviert sind oder nicht reserviert werden dürfen nach Artikel 9 der Richtlinie 97/67/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15.12.1997 über gemeinsame Vorschriften für die Entwicklung des Binnenmarktes der Postdienste der Gemeinschaft und die Verbesserung der Dienstqualität (ABl. 1998 Nr. L 15 S. 14, berichtigt ABl. 1998 Nr. L 23, S. 39). Die Richtlinie ist umgesetzt im Postgesetz (PostG) sowie der Postuniversaldienstleistungsverordnung (PUDLV). – Richtlinie 94/22/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 30.5. 1994 über die Erteilung und Nutzung von Genehmigungen zur Prospektion, Exploration und Gewinnung von Kohlenwasserstoffen (ABl. Nr. L 164 S. 3). Die Richtlinie ist im Bundesberggesetz (BBergG) umgesetzt. – Vergabe öffentlicher Dienstleistungsaufträge auf der Grundlage eines wettbewerblichen Vergabeverfahrens gemäß Artikel 5 Absatz 3 der Verordnung (EG) Nummer 1370/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23.10.2007 über öffentliche Personenverkehrsdienste auf Schiene und Straße (ABl. Nr. L 315 S. 1). Die Verordnung ist in Teilen im Personenbeförderungsgesetz (PBefG) umgesetzt. Ansonsten gilt sie als EU-Verordnung unmittelbar. 3. Beherrschender Einfluss durch einen öffentlichen Auftraggeber 24 Gemäß § 100 Absatz 1 Nummer 2 lit. b) sind Sektorenauftraggeber natürliche

oder juristische Personen des privaten Rechts, die eine Sektorentätigkeit gemäß § 102 ausüben, wenn öffentliche Auftraggeber gemäß § 99 Nummer 1 bis 3 auf diese Personen einzeln oder gemeinsam einen beherrschenden Einfluss ausüben können. § 100 Absatz 1 Nummer 2 lit. b) entspricht damit weitgehend der bisherigen Formulierung in § 98 Nummer 4 Satz 1 Halbsatz 1 Alt. 2 GWB. Das Innehaben von ausschließlichen oder besonderen Rechten ist nicht erforderlich.

25 Der Richtliniengeber begründet die Regelung mit der Erwägung, dass es sinnvoll

sei, an spezifischen Vorschriften für die Vergabe von Aufträgen durch Auftraggeber im Bereich der Wasser-, Energie- und Verkehrsversorgung sowie der Postdienste festzuhalten, da nationale Behörden nach wie vor Einfluss auf das Ver-

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Sektorenauftraggeber | § 100

halten dieser Auftraggeber nehmen könne, unter anderem auch durch Kapitalbeteiligungen und die Vertretung in ihren Verwaltungs-, Leitungs- oder Aufsichtsgremien1. Erstmalig enthält das GWB mit § 100 Absatz 3 eine Vermutungsregel, wann 26 der beherrschende Einfluss vorliegt. § 100 Absatz 3 dient der Umsetzung von Artikel 4 Abs. 2 UAbs. 2 der Richtlinie 2014/25/EU. Die bereits in Artikel 2 Absatz 1 lit. b) der Richtlinie 2004/17/EG enthaltene Vermutungsregel wird nunmehr im GWB umgesetzt2. Gemäß § 100 Absatz 3 wird die Ausübung eines beherrschenden Einflusses im Sinne von Absatz 1 Nummer 2 Buchstabe b vermutet, wenn ein öffentlicher Auftraggeber gemäß § 99 Nummer 1 bis 3 1. unmittelbar oder mittelbar die Mehrheit des gezeichneten Kapitals des Unternehmens besitzt, 2. über die Mehrheit der mit den Anteilen am Unternehmen verbundenen Stimmrechte verfügt oder 3. mehr als die Hälfte der Mitglieder des Verwaltungs-, Leitungs- oder Aufsichtsorgans des Unternehmens bestellen kann. Diese Vermutungstatbestände weisen deutliche Ähnlichkeiten zu den Alternati- 27 ven der Einflussnahmemöglichkeit nach § 99 Nr. 2 auf, wobei die Vermutungstatbestände allerdings eher weiter gefasst sind. So ist etwa eine Beherrschung nach § 100 Absatz 3 Nr. 1 bereits dann zu vermuten, wenn ein öffentlicher Auftraggeber nach § 99 Nummer 1, 2 oder 3 die Mehrheit des gezeichneten Kapitals des Unternehmens hält. Eine i.S.d. § 99 Nummer 2 ausreichende Einflussnahmemöglichkeit liegt damit hingegen nicht notwendig vor.3 Wie bei § 99 Nr. 2 knüpft Auftraggebereigenschaft nach Nummer § 100 Absatz 1 Nummer 2 lit. b) daran an, dass die öffentliche Hand die Entscheidungen der fraglichen Einrichtung in Bezug auf öffentliche Aufträge beeinflussen kann4. Eine Beherrschung im Sinne des Gesellschaftsrechts ist nicht zwingend erfor- 28 derlich. Auch schuldrechtliche oder sonst für das Unternehmen „geltende Bestimmungen“5 können ausreichen. Maßgeblich ist allein, dass das Beschaffungsverhalten des Unternehmens rechtlich beeinflusst werden kann. Eine rein faktische oder wirtschaftliche Abhängigkeit oder nachträgliche Kontrollrechte reichen nicht6. Die mit der Erfüllung eines der Tatbestände des § 100 Absatz 3 begründete Ver- 29 mutung kann widerlegt werden. Andererseits ist die Erfüllung eines Vermu1 2 3 4 5 6

Vgl. Erwägungsgrund 1, Richtlinie 2014/25/EU. Gesetzesbegründung, BT-Drucks. 18/6281, S. 72. Vgl. § 99 Rz. 44 ff. Vgl. EuGH v. 1.2.2001 – Rs. C-237/99 (OPAC), Slg. 2001, I-939, Rz. 48. Vgl. Art. 4 Abs. 2 Richtlinie 2014/25/EU. Opitz in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, GWB-Vergaberecht, § 100 Rz. 27 m.w.N.

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§ 100 | Sektorenauftraggeber tungstatbestandes nicht Voraussetzung für die Annahme einer Beherrschung. Eine Beherrschung kann daher auch unabhängig von den Vermutungstatbeständen bestehen. Indizielle Bedeutung kommt insofern dem Beherrschungsbegriff des § 17 AktG zu. Entscheidend ist allerdings, ob der alleinige oder gemeinsame Einfluss auf das andere Unternehmen die Möglichkeit gewährt, diesem gegenüber die eigenen Vorstellungen über das Unternehmensverhalten, insbesondere das Beschaffungsverhalten durchzusetzen1. Ob der potenziell mögliche Einfluss tatsächlich ausgeübt wird, ist dabei unerheblich2. Wegen der Frage, wann bei Holdingstrukturen eine Sektorenauftraggebereigenschaft vorliegt, gelten die Ausführungen zu § 99 Nr. 2 in Bezug auf die Beherrschung entsprechend3. Sektorenauftraggeber ist dabei im Grundsatz stets das beherrschte, nach außen handelnde und die Sektorentätigkeit ausübende Unternehmen. Etwas anderes gilt, wenn der Einsatz eines Tochterunternehmens durch einen Sektorenauftraggeber dazu führen würde, dass eine Anwendbarkeit des Vergaberechts ansonsten entfiele4.

IV. Begriff der Ausübung 30 Die Sektorenträgereigenschaft liegt nur vor, wenn die entsprechenden Personen

die Sektorentätigkeit auch ausüben. Maßgeblicher Zeitpunkt ist dabei grundsätzlich die Auftragserteilung5. Etwas anderes soll geltend, wenn die in Rede stehende Auftragsvergabe im Vorgriff auf eine künftige Ausübung der Sektorentätigkeit erfolgt6.

31 Eine Ausübung setzt die unmittelbare, operative Wahrnehmung der Sektoren-

tätigkeit voraus, insbesondere den Betrieb der Infrastruktur i.S.d. § 1027. Nach neuerer Auffassung des OLG Düsseldorf stellt aber bereits die Festlegung der Strecken, der Transportkapazitäten und der Fahrpläne durch den hoheitlichen Aufgabenträger ein Ausüben einer Sektorentätigkeit dar8.

1 2 3 4 5 6 7

VÜA Bund v. 12.4.1995 – WuW/E VergAB 34. VK Lüneburg v. 13.5.2016 – VgK-10/2016, juris. Vgl. § 99 Rz. 59. OLG Düsseldorf v. 24.3.2010 – VII-Verg 58/09, NZBau 2010, 649. Vgl. OLG Frankfurt v. 30.8.2011 – 11 Verg 3/11, VergabeR 2012, 47. Opitz in Kulartz/Kus/Portz/Pries, GWB-Vergaberecht, § 100 Rz. 32. OLG Brandenburg v. 3.8.1999 – 6 Verg 1/99, NVwZ 1999, 1142; OLG Frankfurt v. 30.8. 2011 – 11 Verg 3/11, VergabeR 2012, 47. 8 OLG Düsseldorf v. 23.12.2015 – VII-Verg 34/15, KommJur 2016, 144.

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Konzessionsgeber | § 101

§ 101 Konzessionsgeber (1) Konzessionsgeber sind 1. öffentliche Auftraggeber gemäß § 99 Nummer 1 bis 3, die eine Konzession vergeben, 2. Sektorenauftraggeber gemäß § 100 Absatz 1 Nummer 1, die eine Sektorentätigkeit gemäß § 102 Absatz 2 bis 6 ausüben und eine Konzession zum Zweck der Ausübung dieser Tätigkeit vergeben, 3. Sektorenauftraggeber gemäß § 100 Absatz 1 Nummer 2, die eine Sektorentätigkeit gemäß § 102 Absatz 2 bis 6 ausüben und eine Konzession zum Zweck der Ausübung dieser Tätigkeit vergeben. (2) § 100 Absatz 2 und 3 gilt entsprechend.

I. Inhaltsübersicht § 101 regelt die Voraussetzungen für die dritte Kategorie der in § 98 genannten 1 Auftraggeber und bestimmt zugleich den persönlichen Anwendungsbereich bei der Vergabe von Konzessionen gem. § 105 sowie §§ 148 ff. Der Begriff des Konzessionsgebers wurde im Zuge der Vergaberechtsmodernisierung 2016 neu in das GWB aufgenommen. Er beruht auf den Vorgaben der Art. 6 und 7 der Konzessionsvergaberichtlinie 2014/23/EU,1 die allerdings zwischen den Begriffen „Öffentliche Auftraggeber“ in Art. 6 und „Auftraggeber“ im Sektorenbereich in Art. 7 differenziert. Der deutsche Gesetzgeber hat sich entschieden, den einheitlichen Oberbegriff „Konzessionsgeber“ zu verwenden, greift aber die in der Richtlinie vorgesehene Differenzierung an verschiedenen Stellen des GWB auf (vgl. Rz. 4 f.). Inhaltlich knüpfen die Definitionen der einzelnen Arten von Konzessionsgebern 2 an die Bestimmungen über öffentliche Auftraggeber in § 99 sowie über Sektorenauftraggeber in § 100 an. Auf die entsprechenden Kommentierungen wird daher verwiesen. Die Abgrenzung zu den beiden anderen Kategorien von Auftraggebern erfolgt funktional anhand des Elements der Vergabe einer Konzession.2

II. § 101 Abs. 1 Gemäß § 101 Abs. 1 sind drei Arten von Konzessionsgebern zu unterscheiden: 3 Die (klassischen) öffentlichen Auftraggeber ohne Sektorenbezug i.S.d. § 99 Nr. 1 bis 3, die eine Konzession vergeben (Nr. 1), die öffentlichen Sektorenauftraggeber gem. § 100 Abs. 1 Nr. 1, die einer Sektorentätigkeit nachgehen und 1 BT-Drucks. 18/6281, S. 72. 2 Vgl. Braun in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 101 Rz. 13 ff.; kritisch gegenüber dieser Regelungstechnik Wollenschläger in Burgi/Dreher, Vergaberecht, 3. Aufl., § 101 Rz. 10.

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§ 101 | Konzessionsgeber zum Zweck dieser Tätigkeit Konzessionen vergeben (Nr. 2) sowie die privaten Sektorenauftraggeber i.S.d. § 100 Abs. 1 Nr. 2, die einer Sektorentätigkeit nachgehen und zum Zweck dieser Tätigkeit Konzessionen vergeben (Nr. 3). Der Begriff der Sektorentätigkeit ist in § 102 definiert, auf dessen Abs. 2 bis 6 in § 101 verwiesen wird (vgl. hierzu die Kommentierung zu § 102 Rz. 21 ff.). Von dem Verweis sind Sektorentätigkeiten im Bereich Wasser nach § 102 Abs. 1 nicht erfasst, da sich der Anwendungsbereich der Konzessionsvergaberichtlinie gem. Art. 12 nicht auf die Tätigkeiten im Bereich der Wasserwirtschaft erstreckt. Dementsprechend werden diese Tätigkeiten auch durch die Bereichsausnahme in § 149 Nr. 9 vom Anwendungsbereich der Regelungen zur Konzessionsvergabe im GWB ausgenommen (vgl. § 149 Rz. 18 ff.).1 4 Während die Mehrzahl der bei der Vergabe von Konzessionen zu beachtenden

Vorschriften im GWB einheitlich für alle Konzessionsgeber Geltung beanspruchen, ist für die Anwendbarkeit bestimmter Regelungen die Abgrenzung zwischen den einzelnen Konzessionsgebern erforderlich. Die Bereichsausnahme in § 149 Nr. 6 für die Vergabe von Dienstleistungskonzessionen aufgrund eines ausschließlichen Rechts gilt nur für die öffentlichen Konzessionsgeber gem. § 101 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 (vgl. § 149 Rz. 12). Auf die Bereichsausnahme in § 149 Nr. 8 für öffentliche Kommunikationsnetze und Kommunikationsdienste können sich nur die öffentlichen Auftraggeber i.S.d. § 99 Nr. 1 bis 3 berufen (vgl. § 149 Rz. 16 f.). Dagegen stehen die Ausnahmebestimmung in § 149 Nr. 11 bei Konzessionen für Tätigkeiten in einem Drittland (vgl. § 149 Rz. 24) sowie die besonderen Ausnahmen im Sektorenbereich für verbundene Unternehmen (§ 138), Gemeinschaftsunternehmen (§ 139) sowie unmittelbar dem Wettbewerb ausgesetzten Tätigkeiten (§ 140) nach den Verweisen in § 154 Nr. 5–7 nur den Sektorenauftraggebern zur Verfügung (vgl. § 154 Rz. 13 ff.).

5 Für die privaten Sektorenauftraggeber nach § 101 Abs. 1 Nr. 3 besteht weiterhin

gem. § 154 Nr. 2 lit. a) die Möglichkeit, Unternehmen trotz Vorliegens eines zwingenden Ausschlussgrundes i.S.d. § 123 zum Konzessionsvergabeverfahren zulassen zu können (vgl. § 154 Rz. 4). Außerhalb der speziellen Vorschriften in den §§ 148 ff. über die Konzessionsvergabe gelten die Ausnahmetatbestände bei In-House-Geschäften und öffentlich-öffentlicher Zusammenarbeit in § 108 Abs. 1–7 gem. § 108 Abs. 8 nur für die (öffentlichen) Konzessionsgeber gem. § 101 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 (vgl. § 108 Rz. 113).

III. § 101 Abs. 2 6 § 101 Abs. 2 stellt klar, dass die Legaldefinitionen der Begriffe der „besonderen

oder ausschließlichen Rechte“ sowie der „Ausübung eines beherrschenden Einflusses“ in § 100 Abs. 2 und 3 bei der Bestimmung des privaten Sektorenauftrag1 BT-Drucks. 18/6281, S. 72.

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Sektorentätigkeiten | § 102

gebers in § 100 Abs. 1 Nr. 2 auch bei der Auslegung des Konzessionsgeberbegriffes in § 101 Abs. 1 Nr. 3 entsprechend Anwendung finden und somit ein Gleichklang zwischen den Regelungen gewährleistet ist (vgl. § 100 Rz. 15 ff.).

§ 102 Sektorentätigkeiten (1) Sektorentätigkeiten im Bereich Wasser sind 1. die Bereitstellung oder das Betreiben fester Netze zur Versorgung der Allgemeinheit im Zusammenhang mit der Gewinnung, der Fortleitung und der Abgabe von Trinkwasser, 2. die Einspeisung von Trinkwasser in diese Netze. Als Sektorentätigkeiten gelten auch Tätigkeiten nach Satz 1, die im Zusammenhang mit Wasserbau-, Bewässerungs- oder Entwässerungsvorhaben stehen, sofern die zur Trinkwasserversorgung bestimmte Wassermenge mehr als 20 Prozent der Gesamtwassermenge ausmacht, die mit den entsprechenden Vorhaben oder Bewässerungs- oder Entwässerungsanlagen zur Verfügung gestellt wird oder die im Zusammenhang mit der Abwasserbeseitigung oder -behandlung steht. Die Einspeisung von Trinkwasser in feste Netze zur Versorgung der Allgemeinheit durch einen Sektorenauftraggeber nach § 100 Absatz 1 Nummer 2 gilt nicht als Sektorentätigkeit, sofern die Erzeugung von Trinkwasser durch den betreffenden Auftraggeber erfolgt, weil dessen Verbrauch für die Ausübung einer Tätigkeit erforderlich ist, die keine Sektorentätigkeit nach den Absätzen 1 bis 4 ist, und die Einspeisung in das öffentliche Netz nur von dem Eigenverbrauch des betreffenden Auftraggebers abhängt und bei Zugrundelegung des Durchschnitts der letzten drei Jahre einschließlich des laufenden Jahres nicht mehr als 30 Prozent der gesamten Trinkwassererzeugung des betreffenden Auftraggebers ausmacht. (2) Sektorentätigkeiten im Bereich Elektrizität sind 1. die Bereitstellung oder das Betreiben fester Netze zur Versorgung der Allgemeinheit im Zusammenhang mit der Erzeugung, der Fortleitung und der Abgabe von Elektrizität, 2. die Einspeisung von Elektrizität in diese Netze, es sei denn, a) die Elektrizität wird durch den Sektorenauftraggeber nach § 100 Absatz 1 Nummer 2 erzeugt, weil ihr Verbrauch für die Ausübung einer Tätigkeit erforderlich ist, die keine Sektorentätigkeit nach den Absätzen 1 bis 4 ist, und b) die Einspeisung hängt nur von dem Eigenverbrauch des Sektorenauftraggebers ab und macht bei Zugrundelegung des Durchschnitts der letzten drei Jahre einschließlich des laufenden Jahres nicht mehr als 30 Prozent der gesamten Energieerzeugung des Sektorenauftraggebers aus. Rafii/Bosselmann

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§ 102 | Sektorentätigkeiten (3) Sektorentätigkeiten im Bereich von Gas und Wärme sind 1. die Bereitstellung oder das Betreiben fester Netze zur Versorgung der Allgemeinheit im Zusammenhang mit der Erzeugung, der Fortleitung und der Abgabe von Gas und Wärme, 2. die Einspeisung von Gas und Wärme in diese Netze, es sei denn, a) die Erzeugung von Gas oder Wärme durch den Sektorenauftraggeber nach § 100 Absatz 1 Nummer 2 ergibt sich zwangsläufig aus der Ausübung einer Tätigkeit, die keine Sektorentätigkeit nach den Absätzen 1 bis 4 ist, und b) die Einspeisung zielt nur darauf ab, diese Erzeugung wirtschaftlich zu nutzen und macht bei Zugrundelegung des Durchschnitts der letzten drei Jahre einschließlich des laufenden Jahres nicht mehr als 20 Prozent des Umsatzes des Sektorenauftraggebers aus. (4) Sektorentätigkeiten im Bereich Verkehrsleistungen sind die Bereitstellung oder das Betreiben von Netzen zur Versorgung der Allgemeinheit mit Verkehrsleistungen per Eisenbahn, automatischen Systemen, Straßenbahn, Trolleybus, Bus oder Seilbahn; ein Netz gilt als vorhanden, wenn die Verkehrsleistung gemäß den von einer zuständigen Behörde festgelegten Bedingungen erbracht wird; dazu gehören die Festlegung der Strecken, die Transportkapazitäten und die Fahrpläne. (5) Sektorentätigkeiten im Bereich Häfen und Flughäfen sind Tätigkeiten im Zusammenhang mit der Nutzung eines geografisch abgegrenzten Gebiets mit dem Zweck, für Luft-, See- oder Binnenschifffahrtsverkehrsunternehmen Flughäfen, See- oder Binnenhäfen oder andere Terminaleinrichtungen bereitzustellen. (6) Sektorentätigkeiten im Bereich fossiler Brennstoffe sind Tätigkeiten zur Nutzung eines geografisch abgegrenzten Gebiets zum Zweck 1. der Förderung von Öl oder Gas oder 2. der Exploration oder Förderung von Kohle oder anderen festen Brennstoffen. (7) Für die Zwecke der Absätze 1 bis 3 umfasst der Begriff „Einspeisung“ die Erzeugung und Produktion sowie den Groß- und Einzelhandel. Die Erzeugung von Gas fällt unter Absatz 6. I. 1. 2. 3. II. 1.

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Einführung Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . Europarechtlicher Hintergrund Vorgängerregelungen . . . . . . . Wasser (Abs. 1) Bereitstellen oder Betreiben fester Netze zur Versorgung der Allgemeinheit . . . . . . . . . .

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2. Einspeisung von Trinkwasser . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Tätigkeit im Zusammenhang mit Wasserbau-, Bewässerungsoder Entwässerungsvorhaben bzw. Abwasserbeseitigung oder -behandlung . . . . . . . . . . . . . . 4. Beispielsfälle . . . . . . . . . . . . . .

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Sektorentätigkeiten | § 102 III. Elektrizität (Abs. 2) 1. Bereitstellen, Betreiben fester Netze zur Versorgung der Allgemeinheit . . . . . . . . . . . . . 2. Einspeisen von Elektrizität . . . . IV. Gas und Wärme (Abs. 3) 1. Bereitstellen, Betreiben fester Netze zur Versorgung der Allgemeinheit . . . . . . . . . . . . .

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2. Einspeisen von Gas und Wärme . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Verkehr (Abs. 4) . . . . . . . . . . 1. Verkehrsmittel . . . . . . . . . . . 2. Bereitstellen und Betreiben von Netzen der Allgemeinheit . . . . VI. Häfen und Flughäfen (Abs. 5) VII. Fossile Brennstoffe (Abs. 6) .

. . . . . .

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I. Einführung 1. Allgemeines § 102 GWB enthält abschließende1 Definitionen der Sektorentätigkeiten und 1 ist zusammen mit § 100 wesentlich für den Anwendungsbereich des Sektorenvergaberechts. Sektorentätigkeiten bestehen im Bereich Wasser (Absatz 1), Elektrizität (Absatz 2), Gas und Wärme (Absatz 3), Verkehrsleistungen (Absatz 4), Häfen und Flughäfen (Absatz 5) sowie fossiler Brennstoffe (Absatz 6). Das Vorliegen einer Sektorentätigkeit ist notwendige, nicht jedoch hinreichende Voraussetzung für die Annahme einer Eigenschaft eines Sektorenauftraggebers i.S.d. § 100 GWB. Das GWB geht zwar davon aus, dass Sektorentätigkeiten Gegenstand sowohl 2 von klassischen Aufträgen als auch Konzessionen sein können. Das Sektorenvergaberecht, wie es insbesondere in den §§ 136 ff. GWB und der SektVO niedergelegt ist, gilt jedoch nur im Auftragsbereich, nicht jedoch bei Konzessionen über Sektorentätigkeiten. Hier finden die spezifischen Regelungen über Konzessionen Anwendung. Auf den Begriff der Sektorentätigkeit wird daneben an weiteren Stellen Bezug 3 genommen: § 106 Absatz 2 Nummer 2 (Schwellenwerte), § 112 (Regelungen zur Abgrenzung unterschiedlicher Vergaberechtsregime) und §§ 1, 3 SektVO. 2. Europarechtlicher Hintergrund § 102 Absatz 1 bis 6 dient der Umsetzung der Artikel 8 bis 14 der Richtlinie 4 2014/25/EU sowie des Anhang II der Richtlinie 2014/23/EU2. Die Definitionen wurden vom deutschen Gesetzgeber ohne wesentliche inhaltliche Änderungen 1 EuGH v. 18.11.2004 – Rs. C-126/03, Slg. 2004 I – 11197, Rz. 21 zur alten Sektorenrichtlinie 93/38/EWG; Opitz in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum Vergaberecht, § 102 Rz 1 m.w.N. in Fn. 3. 2 BT-Drucks. 18/6281, S. 72.

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§ 102 | Sektorentätigkeiten aus der Richtlinie umgesetzt, zur besseren Übersichtlichkeit jedoch in eine Regelung konzentriert. Die Definitionen in der Richtlinie 2014/25/EU entsprechen zudem inhaltlich denjenigen der Vorgängerrichtlinie 2004/17/EG. 5 Der Bereich der Postdienste (Art. 13 Richtlinie 2014/25/EU) wurde vom deut-

schen Gesetzgeber bewusst nicht umgesetzt, da der Markt der Postdienstleistungen in Deutschland liberalisiert sei und sich in Deutschland keine Auftraggeber fänden, die im Bereich der Postdienste die Voraussetzungen der Definition der verschiedenen Auftraggeber gemäß §§ 98 ff. erfüllen1.

3. Vorgängerregelungen 6 Die Definitionen der Sektorentätigkeiten sind erstmalig in einem eigenen Para-

grafen im GWB enthalten. Trotz ihrer wichtigen Bedeutung waren diese zuvor lediglich in einer Anlage zu § 98 Nummer 4 GWB in der Fassung des Vergaberechtsmodernisierungsgesetzes 2009 geregelt. Bis zu dem Vergaberechtsmodernisierungsgesetz 2009 waren die Definitionen der Sektorentätigkeiten noch in §§ 8, 9 Abs. 1 VgV a.F. enthalten. Der Begriff der Sektorentätigkeit ist ebenfalls neu in das GWB aufgenommen und war bislang lediglich in der SektVO enthalten. Die nun vorliegende klarere Struktur dürfte die Gesetzesanwendung erleichtern.

II. Wasser (Abs. 1) 1. Bereitstellen oder Betreiben fester Netze zur Versorgung der Allgemeinheit 7 Nach § 102 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 GWB umfasst die Sektorentätigkeit im

Bereich Wasser das Bereitstellen oder das Betreiben fester Netze zur Versorgung der Allgemeinheit im Zusammenhang mit der Gewinnung, der Fortleitung und der Abgabe von Trinkwasser.

8 Die Regelung übernimmt damit den Wortlaut der Richtlinie 25/2014/EU und der

Vorgängerrichtlinie 2004/17/EG und weicht leicht von der Vorgängerregelung in der Anlage zu § 98 Nummer 4 GWB ab. Obwohl statt der Begriffe „Transport“ und „Verteilung“ nun die Begriffe der „Fortleitung“ und „Abgabe“ verwendet werden, ergeben sich jedoch inhaltlich keine Änderungen. Die ebenfalls noch in der Vorgängerregelung enthaltene „Versorgung dieser Netze“ wurde nun als „Einspeisung von Trinkwasser“ in einer eigene Nummer 2 aufgenommen2.

9 Zur Definition von Trinkwasser kann auf die Legaldefinition von § 3 Num-

mer 1 lit. a) der TrinkwV 2001 zurückgegriffen werden, d.h. alles Wasser, im ursprünglichen Zustand oder nach Aufbereitung, zum Trinken, zum Kochen, zur

1 Vgl. BT-Drucks. 18/6281, S. 73. 2 S. unten Rz. 14 ff.

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Sektorentätigkeiten | § 102

Zubereitung von Speisen und Getränken sowie anderen häuslichen Zwecken, z.B. Körperpflege und -reinigung sowie Reinigung von Gegenständen, die bestimmungsgemäß mit Lebensmitteln oder nicht nur vorübergehend mit dem menschlichen Körper in Kontakt kommen, bestimmt ist. Unter festen Netzen sind Medien zu verstehen, die mit dem Erdboden fest ver- 10 bunden sind. Hierzu zählen Leitungen unterhalb und oberhalb der Erdoberfläche1. Aufgrund des klaren Wortlautes sind Leitungen, die lediglich vorübergehend für einen bestimmten Zweck errichtet und nach Zweckerfüllung wieder beseitigt werden sollen, nicht „fest“ i.S.d. § 102 Absatz 1 Nummer 1 GWB.2 Die Gegenauffassung, die in diesen Fällen lediglich das Vorliegen der Allgemeinheit ablehnt und damit regelmäßig zu gleichen Ergebnissen kommt und in dem Begriff „fest“ lediglich eine Abgrenzung zu nicht-physischen Netzen treffen möchte,3 überzeugt nicht. Die Netze müssen weiterhin der Versorgung der Allgemeinheit dienen. Be- 11 absichtigt ein Auftraggeber lediglich die Versorgung eines bestimmten Gebäudes oder eines Unternehmens, das der Öffentlichkeit nicht zugänglich ist, greift Absatz 1 nicht ein. Die Begriffe des Bereitstellens oder Betreibens sind weit zu verstehen4. Der ge- 12 genüber der Vorgängerregelung veränderte Wortlaut „oder“ statt „und“ stellt klar, dass die Tätigkeiten alternativ vorliegen können. Bereitstellen meint die Errichtung, die Unterhaltung und die Instandsetzung der Netze. Die bloße Innehabung des Eigentums an einem Netz, etwa als Leasinggeber, stellt kein Bereitstellen dar5. Unter den Begriff des Betreibens fällt die eigentliche Versorgungsleistung6. Die Netze müssen schließlich im Zusammenhang mit der Gewinnung, der Fort- 13 leitung oder der Abgabe des Trinkwassers genutzt werden. Die Begriffe sind weit zu verstehen. 2. Einspeisung von Trinkwasser Gemäß § 102 Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 ist weitere Sektorentätigkeit im Bereich 14 Wasser die Einspeisung von Trinkwasser in diese Netze. Die Regelung nimmt auf die Nummer. 1 Bezug und ergänzt die Sektorentätigkeit um den Begriff der 1 Wiedekind in Willenbruch/Wiedekind, Kompaktkommentar Vergaberecht, 3. Aufl., § 98 Rz. 74. 2 So auch Wiedekind in Willenbruch/Wiedekind, Kompaktkommentar Vergaberecht, 3. Aufl., § 98 Rz. 79. 3 Opitz in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum Vergaberecht, § 102 Rz. 14. 4 EuGH v. 16.6.2005 – verb. Rs. C-462 u. 463/03 (Strabag und Kostmann), Slg. 2005, I5397, Rz. 34 ff.; Weiß/Sudbrock in Eschenbruch/Optiz, SektVO, § 1 Rz. 70. 5 Opitz in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum Vergaberecht, § 100 Rz. 32. 6 Vgl. auch die Ausführungen zum Begriff der Ausübung bei § 100 und die dortige Kommentierung bei Rz. 33 f.

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§ 102 | Sektorentätigkeiten Einspeisung. Die Beschaffung von Wasser selbst im Rahmen der Trinkwasserversorgung unterfällt gemäß § 137 Nummer 7 GWB nicht dem Vergaberecht. 15 Der Begriff der Einspeisung ersetzt den Begriff der „Versorgung“ aus der Vor-

gängerregelung und regelt diesen als eigene Nummer. Eine inhaltliche Veränderung ist damit nicht verbunden, weil der Begriff der „Versorgung“ bereits in Richtlinien 2004/17/EG und 2014/25/EU verwendet wird. Eine nähere Definition der Einspeisung ist geregelt in § 102 Absatz 7. Dieser Absatz dient der Umsetzung des Artikels 7 der Richtlinie 2014/25/EU. Wie sich aus Erwägungsgrund 8 der Richtlinie 2014/25/EU ergibt, hat dieser lediglich klarstellenden Charakter. Danach umfasst der Begriff „Einspeisung“ die Erzeugung bzw. Produktion von Wasser sowie den Groß- und Einzelhandel. Derzeit besteht in Deutschland vor allen Dingen wegen des Anschluss- und Benutzungszwangs der Kommunen allerdings kein Markt für den Groß- und Einzelhandel von Trinkwasser.

16 Der Begriff der Erzeugung ist so zu verstehen, dass er auch die „Entwicklung“

umfasst, d.h. die Errichtung einer angemessenen Infrastruktur für die künftige Erzeugung1.

17 § 102 Absatz 1 Satz 3 GWB enthält für den Eigenverbrauch eine Ausnahmerege-

lung. Danach gilt die Einspeisung von Trinkwasser in feste Netze zur Versorgung der Allgemeinheit durch einen Sektorenauftraggeber nach § 100 Absatz 1 Nummer 2 nicht als Sektorentätigkeit, sofern die Erzeugung von Trinkwasser durch den betreffenden Auftraggeber erfolgt, weil dessen Verbrauch für die Ausübung einer Tätigkeit erforderlich ist, die keine Sektorentätigkeit nach den Absätzen 1 bis 4 ist, und die Einspeisung in das öffentliche Netz nur von dem Eigenverbrauch des betreffenden Auftraggebers abhängt und bei Zugrundelegung des Durchschnitts der letzten drei Jahre einschließlich des laufenden Jahres nicht mehr als 30 Prozent der gesamten Trinkwassererzeugung des betreffenden Auftraggebers ausmacht. Die Ausnahmevorschrift erfasst damit die Fälle, in denen die Trinkwassergewinnung anderen Zwecken als einer Sektorentätigkeit dient und lediglich die für diese anderen Zwecke nicht erforderliche Wassermenge gewissermaßen als Nebenprodukt in das öffentliche Netz eingespeist wird2. 3. Tätigkeit im Zusammenhang mit Wasserbau-, Bewässerungs- oder Entwässerungsvorhaben bzw. Abwasserbeseitigung oder -behandlung

18 § 102 Abs. 1 Satz 2 GWB erweitert die Sektorentätigkeit im Bereich Wasser um

zwei weiteren Alternativen. Gemäß § 102 Abs. 1 Satz 2 Alt. 1 gelten auch Tätigkeiten nach Satz 1 als Sektorentätigkeiten im Bereich Wasser, die im Zusammenhang mit Wasserbau-, Bewässerungs- oder Entwässerungsvorhaben ste-

1 Erwägungsgrund 25, Richtlinie 25/2014/EU. 2 Marx in Beck’scher VOB-Kommentar Teil A, § 98 GWB Rz. 18; Kühnen in Kapellmann/ Messerschmidt, VOB, § 7 VgV Rz. 25.

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Sektorentätigkeiten | § 102

hen, sofern die zur Trinkwasserversorgung bestimmte Wassermenge mehr als 20 Prozent der Gesamtwassermenge ausmacht, die mit den entsprechenden Vorhaben oder Bewässerungs- oder Entwässerungsanlagen zur Verfügung gestellt wird. Gemäß § 102 Absatz 1 Satz 2 Alt. 2 gelten auch Tätigkeiten nach Satz 1 als Sekto- 19 rentätigkeiten im Bereich Wasser, die im Zusammenhang mit der Abwasserbeseitigung oder -behandlung steht. Abweichend von der Vorgängerregelung in der Anlage zu § 98 Nummer. 4 GWB a.F. ist nicht zusätzliche Voraussetzung, dass die die zur Trinkwasserversorgung bestimmte Wassermenge mehr als 20 Prozent der Gesamtwassermenge ausmacht. Durch diese Präzisierung wird im Vergleich zur Vorgängerregelung erstmalig eine richtlinienkonforme Umsetzung erreicht. 4. Beispielsfälle Die Sektorenrichtlinie 2014/25/EU verfügt über keine Anlage mehr, in der der 20 verschiedenen Sektoren für die einzelnen Mitgliedsstaaten aufgezählt waren. Die in der Vorgängerrichtlinie 2004/17EG enthaltenen Listen können jedoch weiter verwendet werden, weil mit der neuen Sektorenrichtlinie grds. keine Einschränkung erfolgen sollte. Art. 8 i.V.m. Anhang III nennt für Deutschland folgende Sektorenauftraggeber im Bereich Wasser: – Stellen, die gemäß den Eigenbetriebsverordnungen oder -gesetzen der Länder Wasser gewinnen oder verteilen (Kommunale Eigenbetriebe) – Stellen, die gemäß den Gesetzen über die Kommunale Gemeinschaftsarbeit oder Zusammenarbeit der Länder Wasser gewinnen oder verteilen – Stellen, die gemäß dem Gesetz über Wasser- und Bodenverbände vom 12.2. 1991, zuletzt geändert am 15.5.2002, Wasser gewinnen – Regiebetriebe, die aufgrund der Kommunalgesetze, insbesondere der Gemeindeverordnungen der Länder Wasser gewinnen oder verteilen – Unternehmen nach dem Aktiengesetz vom 6.9.1965, zuletzt geändert am 19.7.2002, oder dem GmbH-Gesetz vom 20.4.1892, zuletzt geändert am 19.7. 2002, oder mit der Rechtsstellung einer Kommanditgesellschaft, die aufgrund eines besonderen Vertrages mit regionalen oder lokalen Behörden Wasser gewinnen oder verteilen.

III. Elektrizität (Abs. 2) 1. Bereitstellen, Betreiben fester Netze zur Versorgung der Allgemeinheit Nach § 102 Absatz 2 Nummer 1 ist Sektorentätigkeit im Bereich Elektrizität die 21 Bereitstellung oder das Betreiben fester Netze zur Versorgung der Allgemeinheit im Zusammenhang mit der Erzeugung, der Fortleitung und der Abgabe von Bosselmann

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§ 102 | Sektorentätigkeiten Elektrizität. Durch die Regelung wird Artikel 9 Absatz 1 der Richtlinie 25/2014/ EU umgesetzt. Wie die Richtlinie, verwendet der deutsche Gesetzgeber nun erstmalig auch den Begriff der „Elektrizität“ anstelle von „Strom“. Eine inhaltliche Änderung ergibt sich dadurch nicht. Die Sektorentätigkeit im Bereich Gas, in der Vorgängerregelung noch zusammen mit dem Strom geregelt, wurde in einen eigenen Absatz aufgenommen. 22 Hinsichtlich der Begriffe „Bereitstellen“, „Betreiben“ und „feste Netze“ ent-

spricht die Regelung derjenigen des Absatz 1. Zur Definition des Begriffs der Elektrizität kann auf das Begriffsverständnis des Energiewirtschaftsrechts zurückgegriffen werden1. Danach ist unter „Elektrizität“ durch Umwandlung anderer Energieträger entstehende veredelte Sekundärenergie zu verstehen2. Eine Zulassung als Energieversorgungsunternehmen nach EnWG ist nicht erforderlich für die Einstufung als Sektorenauftraggeber im Bereich Elektrizität3. An dem erforderlichen Merkmal der Allgemeinheit fehlt es im Falle von geschlossenen Verteilernetzen oder von Contracting4. 2. Einspeisen von Elektrizität

23 Nach § 102 Absatz 2 Nummer 2 ist Sektorentätigkeit im Bereich Elektrizität wei-

ter die Einspeisung von Elektrizität in diese Netze. Abweichend von der Vorgängerregelung ersetzt der präzisiere Begriff der „Einspeisung“ den Begriff der „Versorgung“ und regelt diese Tätigkeit in einer eigenen Nummer. Durch die Regelung wird Artikel 9 Absatz 2 der Richtlinie 2014/25/EU umgesetzt.

24 Eine nähere Definition der Einspeisung ist geregelt in § 102 Absatz 7. Danach

umfasst der Begriff „Einspeisung“ die Erzeugungund Produktion von Wasser sowie den Groß- und Einzelhandel. Indes ist die praktische Bedeutung des Groß- und Einzelhandels begrenzt. Mit Beschluss vom 15.9.2016 hat die Europäische Kommission gestützt auf das Verfahren gemäß Art. 35 Richtlinie 2014/ 25/EU, beschlossen, dass Stromeinzelhandel mit Kunden, deren Verbrauch durch Leistungsmessung erfasst wird (registrierende Leistungsmessung – RLM), sowie mit Kunden, deren Verbrauch auf der Grundlage eines Standardlastprofils (SLP) abgerechnet wird, mit Ausnahme von SLP-Kunden, die gemäß gesetzlichen Standardlieferbedingungen beliefert werden, und dem Heizstrommarkt, im Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland nicht dem Vergaberecht unterliegen. Die Beschaffung von Energie oder von Brennstoffen zur Energieerzeugung im Rahmen der Energieversorgung fällt gemäß § 137 Absatz. 1 Nr. 8 GWB ohnehin nicht dem Vergaberecht.

1 Kühnen in Kapellmann/Messerschmidt, VOB, § 7 VgV Rz. 19. 2 Theobald in Danner/Theobald, Energierecht, § 3 EnWG Rz. 99. 3 Vgl. etwa Willenbruch in Willenbruch/Widdekind, Kompaktkommentar Vergaberecht, § 1 SektVO Rz. 6. 4 Opitz in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum Vergaberecht, § 102 Rz. 24.

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Wie beim Wasser sieht das Gesetz Ausnahmen für den Selbstversorger vor. 25 Gemäß § 102 Absatz 2 Nummer 2, 2. HS liegt keine Sektorentätigkeit vor, wenn die Elektrizität durch den Sektorenauftraggeber nach § 100 Absatz 1 Nummer 2 erzeugt wird, weil ihr Verbrauch für die Ausübung einer Tätigkeit, die keine Sektorentätigkeit nach den Absätzen 1 bis 4 ist, erforderlich ist und die Einspeisung nur von dem Eigenverbrauch des Sektorenauftraggebers abhängt und bei Zugrundelegung des Durchschnitts der letzten drei Jahre einschließlich des laufenden Jahres nicht mehr als 30 Prozent der gesamten Energieerzeugung des Sektorenauftraggebers ausmacht.

IV. Gas und Wärme (Abs. 3) 1. Bereitstellen, Betreiben fester Netze zur Versorgung der Allgemeinheit Gemäß § 102 Absatz 3 Nummer 1 stellt die Bereitstellung oder das Betreiben 26 fester Netze zur Versorgung der Allgemeinheit im Zusammenhang mit der Erzeugung, der Fortleitung und der Abgabe von Gas und Wärme eine Sektorentätigkeit dar. Die Zusammenfassung der Energieträger Gas und Wärme und der Wortlaut aus Artikel 8 Richtlinie 2014/25/EG wurde übernommen. Wegen der Definitionen wird auf die Ausführungen zum Bereich Wasser verwiesen1. An der Eigenschaft der Allgemeinheit fehlt es im Falle des Wärme-Contracting. 2. Einspeisen von Gas und Wärme Gemäß § 102 Absatz 3 Nummer 2 stellt auch die Einspeisung von Gas und 27 Wärme in diese Netze eine Sektorentätigkeit dar. Für die Definition der Einspeisung ist auch hier § 102 Absatz 7 Satz 1 maßgeblich. Danach umfasst Begriff „Einspeisung“ die Erzeugung und Produktion sowie den Groß- und Einzelhandel. § 102 Absatz 7 Satz 2 stellt jedoch klar, dass die Erzeugung von Gas ausschließlich durch § 107 Absatz 6 geregelt wird. Die Beschaffung von Energie oder von Brennstoffen zur Energieerzeugung im Rahmen der Energieversorgung fällt gemäß § 137 Absatz1 1 Nummer 8 nicht dem Vergaberecht. Auch im Bereich von Gas und Wärme sieht das Gesetz Ausnahmen im Falle 28 der Nebenproduktion vor. Gemäß § 102 Absatz 3 Satz 2 GWB ist dafür erforderlich, dass die Erzeugung von Gas oder Wärme durch den Sektorenauftraggeber nach § 100 Absatz 1 Nummer 2 sich zwangsläufig aus der Ausübung einer Tätigkeit ergibt, die keine Sektorentätigkeit nach den Absätzen 1 bis 4 ist, und die Einspeisung nur darauf abzielt, diese Erzeugung wirtschaftlich zu nutzen und bei Zugrundelegung des Durchschnitts der letzten drei Jahre einschließlich des laufenden Jahres nicht mehr als 20 Prozent des Umsatzes des Sektorenauftraggebers ausmacht. 1 Vgl. Rz. 7 ff.

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§ 102 | Sektorentätigkeiten V. Verkehr (Abs. 4) 29 Sektorentätigkeiten im Bereich Verkehrs sind gemäß § 102 Abs. 4, Halbs. 1 die

Bereitstellung oder das Betreiben von Netzen zur Versorgung der Allgemeinheit mit Verkehrsleistungen per Eisenbahn, automatischen Systemen, Straßenbahn, Trolleybus, Bus oder Seilbahn. Die Regelung dient der Umsetzung von Art. 11 Richtlinie 2014/25/EU. 1. Verkehrsmittel

30 Für die Definition der Eisenbahn kann auf § 2 Absatz 1 AEG Bezug genommen

werden. Danach sind Eisenbahnen öffentliche Einrichtungen oder privatrechtlich organisierte Unternehmen, die Eisenbahnverkehrsdienste erbringen (Eisenbahnverkehrsunternehmen) oder eine Eisenbahninfrastruktur betreiben (Eisenbahninfrastrukturunternehmen). Wegen dem Begriff der Straßenbahn kann auf die Definition in § 4 Absatz 1, 2 PBefG zurückgegriffen werden. Danach sind Straßenbahnen sind Schienenbahnen, die den Verkehrsraum öffentlicher Straßen benutzen und sich mit ihren baulichen und betrieblichen Einrichtungen sowie in ihrer Betriebsweise der Eigenart des Straßenverkehrs anpassen; als Straßenbahnen gelten auch Bahnen, die als Hoch- und Untergrundbahnen, Schwebebahnen oder ähnliche Bahnen besonderer Bauart angelegt sind oder angelegt werden, ausschließlich oder überwiegend der Beförderung von Personen im Orts- oder Nachbarschaftsbereich dienen und nicht Bergbahnen oder Seilbahnen sind. Seilbahnen sind entsprechend Artikel 1 der Richtlinie 2000/9/EG Anlagen aus mehreren Bauteilen, die geplant, gebaut, montiert und in Betrieb genommen werden, um Personen zu befördern. Auch wenn bei dem Bus gegenüber der Vorgängerregelung die Bezugnahme zum Personenbeförderungsgesetz entfallen ist, dürften die dort genannten Definitionen und der Einschluss von Oberleitungsbussen weiterhin gelten. 2. Bereitstellen und Betreiben von Netzen der Allgemeinheit

31 Wegen den Begriffen der Bereitstellung, des Betreibens und der Allgemeinheit

kann zunächst auf die Ausführungen zum Bereich Wasser verwiesen werden.1 Neben dem Betrieb einer physischen Infrastruktur (Schienennetz) kann auch das Erbringen der Verkehrsleistung selbst eine Sektorentätigkeit darstellen. Dies gilt jedoch gemäß § 102 Absatz 4, 2. HS nur, wenn die Verkehrsleistung gemäß den von einer zuständigen Behörde festgelegten Bedingungen erbracht wird; dazu gehören die Festlegung der Strecken, die Transportkapazitäten und die Fahrpläne. Die Aufzählung ist nicht abschließend. Nach Auffassung des

1 S. Rz. 8 f.

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Sektorentätigkeiten | § 102

OLG Düsseldorf soll zudem bereits die Festlegung der Strecken, der Transportkapazitäten und der Fahrpläne durch den hoheitlichen Aufgabenträger ein Ausüben einer Sektorentätigkeit darstellen1. Ausgehend von diesen Voraussetzungen ist im Bereich der Eisenbahnen die bloße Innehabung der Genehmigung als Eisenbahnverkehrsunternehmen nicht ausreichend. Hinzukommen muss vielmehr eine Festlegung der Betriebsbedingungen durch die Behörde. Dies ist regelmäßig bei Schienenpersonennahverkehr auf Grundlage von Verkehrsverträgen der Fall, nicht jedoch beim Schienenpersonenfern- oder Güterverkehr. Der Betrieb von Bussen im Nahverkehr ist aufgrund der Vorgaben zu Tarifen, Fahrplänen sowie Beförderungs- und Betriebspflichten ebenfalls eine Sektorentätigkeit; dies gilt nicht im zwischenzeitlichen liberalisierten Bereich des Fernbusverkehrs.

VI. Häfen und Flughäfen (Abs. 5) Gemäß § 102 Absatz 5 GWB sind Sektorentätigkeiten im Bereich Häfen und 32 Flughäfen Tätigkeiten im Zusammenhang mit der Nutzung eines geografisch abgegrenzten Gebiets mit dem Zweck, für Luft-, See- oder Binnenschifffahrtsverkehrsunternehmen Flughäfen, See- oder Binnenhäfen oder andere Terminaleinrichtungen bereitzustellen. Im Vergleich zur Vorgängerregelung kommt es nicht mehr darauf an, ob Flughäfen über eine Genehmigung nach § 38 Absatz 2 Nummer 1 LuftVZO verfügen oder eine solche benötigen. Maßgeblich ist allein, ob der Flughafen dazu dient, Luftverkehrsunternehmen zu bedienen. Bloße Sportflugplätze fallen nicht darunter. Für die Vergabe von Konzessionen über Bodenabfertigungsdienste an private Betreiber hat die Verordnung über Bodenabfertigungsdienste (BADV)2 Vorrang. Dienstleistungen an Flughäfen, die zum reibungslosen Funktionieren des Flughafenbetriebs beitragen, stellen ebenfalls eine Sektorentätigkeit dar. Dazu zählen regelmäßig Einzelhandel sowie der Gaststätten- und Parkplatzbetrieb3. Unter Hafen ist eine Infrastruktur zur Ein- und Ausschiffung von Personen und 33 zum Be- und Entladen auf dem Seeweg beförderter Güter zu verstehen4. Binnenwasserstraßen, Schleusen und Schiffshebewerke stellen keinen Hafen in diesem Sinne dar5.

1 OLG Düsseldorf v. 23.12.2015 – VII-Verg 34/15, KommJur 2016, 144. 2 Bodenabfertigungsdienst-Verordnung vom 10.12.1997 (BGBl. I, 2885), zuletzt geändert durch Verordnung vom 31.8.2015 (BGBl. I, 1474). 3 Vgl. Opitz in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum Vergaberecht, § 102 Rz. 49. 4 Vgl. EuGH v. 9.3.2006 – Rs. C-323/03, NZBau 2006, 386. 5 Vgl. OLG Düsseldorf v. 21.4.2010 – VII Verg 55/09, VergabeR 2011, 122 unter Bezugnahme auf Anhang IX zur Richtlinie 2004/17/EG.

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§ 103 | Öffentliche Aufträge, Rahmenvereinbarungen und Wettbewerbe VII. Fossile Brennstoffe (Abs. 6) 34 Gemäß § 102 Absatz 6 sind Sektorentätigkeiten im Bereich fossiler Brennstoffe

Tätigkeiten zur Nutzung eines geografisch abgegrenzten Gebiets zum Zweck der Förderung von Öl oder Gas (Nummer 1) oder der Exploration oder Förderung von Kohle oder anderen festen Brennstoffen (Nummer 2). Die Regelung dient der Umsetzung von Artikel 14 der Richtlinie 2014/25/EU.

35 Exploration umfasst die Tätigkeiten, die durchgeführt werden, um festzustellen,

ob Erdöl und Erdgas in einem bestimmten Gebiet vorhanden ist, und wenn dies der Fall ist, ob es gewerblich nutzbar ist1. Lediglich die Exploration von Kohle und anderen festen Brennstoffen ist Sektorentätigkeit, nicht jedoch die Exploration von Öl und Gas.

36 Demgegenüber bedeutet der Begriff der Förderung die Erzeugung, einschließ-

lich der Entwicklung, d.h. die Errichtung einer angemessenen Infrastruktur für die künftige Erzeugung (Ölplattformen, Rohrleitungen, Terminalanlagen usw.)2.

37 Zu beachten ist jedoch, dass gemäß Art. 33 Richtlinie 2014/25/EU i.V.m. Ent-

scheidung der Europäischen Kommission vom 15.1.2004 für Deutsche und Österreichische Auftraggeber das Vergaberecht lediglich eingeschränkt zur Anwendung kommt. Danach sind die Grundsätze der Nichtdiskriminierung und der wettbewerblichen Beschaffung hinsichtlich der Vergabe von Liefer-, Bauund Dienstleistungsaufträgen zu beachten, insbesondere hinsichtlich der Informationen, die die Stellen den Wirtschaftsteilnehmern bezüglich ihrer Beschaffungsabsichten zur Verfügung stellen. Zudem ist der Europäischen Kommission unter den in der Entscheidung 93/327/EWG der Kommission festgelegten Bedingungen Auskunft über die von ihnen vergebenen Aufträge erteilen.

§ 103 Öffentliche Aufträge, Rahmenvereinbarungen und Wettbewerbe (1) Öffentliche Aufträge sind entgeltliche Verträge zwischen öffentlichen Auftraggebern oder Sektorenauftraggebern und Unternehmen über die Beschaffung von Leistungen, die die Lieferung von Waren, die Ausführung von Bauleistungen oder die Erbringung von Dienstleistungen zum Gegenstand haben. (2) Lieferaufträge sind Verträge zur Beschaffung von Waren, die insbesondere Kauf oder Ratenkauf oder Leasing, Mietverhältnisse oder Pachtverhältnisse mit oder ohne Kaufoption betreffen. Die Verträge können auch Nebenleistungen umfassen. 1 Erwägungsgrund 25 Richtlinie 2014/25/EU. 2 Erwägungsgrund 25 Richtlinie 2014/25/EU.

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Öffentliche Aufträge, Rahmenvereinbarungen und Wettbewerbe | § 103

(3) Bauaufträge sind Verträge über die Ausführung oder die gleichzeitige Planung und Ausführung 1. von Bauleistungen im Zusammenhang mit einer der Tätigkeiten, die in Anhang II der Richtlinie 2014/24/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Februar 2014 über die öffentliche Auftragsvergabe und zur Aufhebung der Richtlinie 2004/18/EG (ABl. L 94 vom 28.3.2014, S. 65) und Anhang I der Richtlinie 2014/25/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Februar 2014 über die Vergabe von Aufträgen durch Auftraggeber im Bereich der Wasser-, Energie- und Verkehrsversorgung sowie der Postdienste und zur Aufhebung der Richtlinie 2004/17/EG (ABl. L 94 vom 28.3.2014, S. 243) genannt sind, oder 2. eines Bauwerkes für den öffentlichen Auftraggeber oder Sektorenauftraggeber, das Ergebnis von Tief- oder Hochbauarbeiten ist und eine wirtschaftliche oder technische Funktion erfüllen soll. Ein Bauauftrag liegt auch vor, wenn ein Dritter eine Bauleistung gemäß den vom öffentlichen Auftraggeber oder Sektorenauftraggeber genannten Erfordernissen erbringt, die Bauleistung dem Auftraggeber unmittelbar wirtschaftlich zugutekommt und dieser einen entscheidenden Einfluss auf Art und Planung der Bauleistung hat. (4) Als Dienstleistungsaufträge gelten die Verträge über die Erbringung von Leistungen, die nicht unter die Absatz 2 und 3 fallen. (5) Rahmenvereinbarungen sind Vereinbarungen zwischen einem oder mehreren öffentlichen Auftraggebern oder Sektorenauftraggebern und einem oder mehreren Unternehmen, die dazu dienen, die Bedingungen für die öffentlichen Aufträge, die während eines bestimmten Zeitraums vergeben werden sollen, festzulegen, insbesondere in Bezug auf den Preis. Für die Vergabe von Rahmenvereinbarungen gelten, soweit nichts anderes bestimmt ist, dieselben Vorschriften wie für die Vergabe entsprechender öffentlicher Aufträge. (6) Wettbewerbe sind Auslobungsverfahren, die dem Auftraggeber aufgrund vergleichender Beurteilung durch ein Preisgericht mit oder ohne Verteilung von Preisen zu einem Plan oder einer Planung verhelfen sollen. I. 1. 2. II.

Einführung Inhaltsübersicht . . . . . . . . . Entstehungsgeschichte . . . . Öffentlicher Auftrag (§ 103 Abs. 1) . . . . . . . . . . 1. Verträge a) Vertragscharakter . . . . . b) Rechtsnatur des Vertrages c) Gegenseitige vertragliche Bindung . . . . . . . . . . . .

... ... ... ... ... ...

__ _ __ _ 1 2 8

9 14 15

d) Beschaffungscharakter . . . . . e) Eigener Beschaffungsbedarf . f) Interimsbeauftragungen . . . . g) Vertragsänderungen . . . . . . . 2. Entgelt . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Vertragspartner (öffentliche Auftraggeber/Sektorenauftraggeber/ Unternehmen) . . . . . . . . . . . . . a) Funktionaler Unternehmensbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . .

__ __ _ _ _

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Ganske

18 25 27 31 33 45 46

§ 103 | Öffentliche Aufträge, Rahmenvereinbarungen und Wettbewerbe

4.

5. 6. III. IV. 1. 2.

3.

4.

5.

144

b) Organisationseinheiten der öffentlichen Hand auf Auftragnehmerseite . . . . . . . . . In-house-Geschäfte/sonstige Formen der Zusammenarbeit zwischen öffentlichen Auftraggebern (interkommunale Kooperation)/Rekommunalisierung a) In-house-Geschäft . . . . . . . . b) Sonstige Formen der Zusammenarbeit zwischen öffentlichen Auftraggebern (interkommunale Kooperation) . . c) Reverstaatlichung/Rekommunalisierung/Rückverlagerung von öffentlichen Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . Schriftform . . . . . . . . . . . . . . . Auswahl unter Bietern . . . . . . . Lieferaufträge (§ 103 Abs. 2) . . Bauaufträge (§ 103 Abs. 3) Die drei Varianten des § 103 Abs. 3 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gemeinsame Voraussetzungen der drei Varianten des § 103 Abs. 3 a) Verträge über die Ausführung oder die gleichzeitige Planung und Ausführung . . . b) Einklagbare Bau- oder Realisierungsverpflichtung . . Bauleistungen im Zusammenhang mit einer der Tätigkeiten gemäß Anhang II der Richtlinie 2014/24/EU und Anhang I der Richtlinie 2014/25/EU (§ 103 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1) . . . . . . . . . Bauwerk, das Ergebnis von Tief- oder Hochbauarbeiten ist und eine wirtschaftliche oder technische Funktion erfüllen soll (§ 103 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bauleistungen durch Dritte (§ 103 Abs. 3 Satz 2) . . . . . . . . a) Erbringung einer Bauleistung durch Dritte . . . . . . . . . . . .

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Ganske

_ 48

_ _ __ __ _ 53

55

56 61 63 64

70

_ _ 76 81

_

V. VI. 1. 2.

3. VII. VIII. 1. 2. IX. 1. 2. 3.

85

4.

_ _ _ 88

100 104

5. X. 1.

b) Vom Auftraggeber genannte Erfordernisse . . . . . . . . . . . c) Bauleistung, die dem öffentlichen Auftraggeber unmittelbar wirtschaftlich zugutekommt . . . . . . . . . . . . . . . . d) Einflussnahme des öffentlichen Auftraggebers auf Art und Planung der Bauleistung e) Einklagbare Bauverpflichtung Dienstleistungsaufträge (§ 103 Abs. 4) . . . . . . . . . . . . . Rahmenvereinbarungen (§ 103 Abs. 5) Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . Definition und Grundlagen der Rahmenvereinbarung a) Definition (§ 103 Abs. 5 Satz 1) . . . . . . . . . . . . . . . . b) Beteiligte . . . . . . . . . . . . . . c) Festzulegende Vertragsparameter . . . . . . . . . . . . . . . . . Verfahren für die Vergabe von Rahmenvereinbarungen (§ 103 Abs. 5 Satz 2) . . . . . . . . Wettbewerbe (§ 103 Abs. 6) . . Bau- und Dienstleistungskonzessionen Baukonzessionen . . . . . . . . . . . Dienstleistungskonzession . . . . Abgrenzungsfragen Abgrenzung zwischen den Auftragsarten . . . . . . . . . . . . . Typengemischte Aufträge . . . . . Öffentliche Aufträge, deren Teile unterschiedlichen rechtlichen Regelungen unterliegen . . . . . . Öffentliche Aufträge, die verschiedene Tätigkeiten umfassen Kombination von ausschreibungspflichtigen und nicht vergaberechtsrelevanten Aufträgen Einzelprobleme Privatisierung a) (Grund-)Formen der Privatisierung . . . . . . . . . . . . . . . .

_ _ __ _ _ __ _ __ __ __ _ _ _ _

109

120 126 128 129 134

136 139 144 149 150 159 160 162 163 166 167 168

169

Öffentliche Aufträge, Rahmenvereinbarungen und Wettbewerbe | § 103 b) Vergaberechtliche Einordnung einzelner Formen der Privatisierung . . . . . . . . . . . c) Reverstaatlichung/Rekommunalisierung . . . . . . . . . . . d) Beihilferechtliche Implikationen . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Grundstücksgeschäfte/städtebauliche Verträge . . . . . . . . . . a) Reine Grundstücksverträge . b) Grundstücksbezogene Verträge unter Begründung städtebaulicher Pflichten . . . aa) Historische Entwicklung der nationalen Rechtsprechung . . . . . . . . . . bb) EuGH-Urteil vom 25.3. 2010 in der Rechtssache „Helmut Müller GmbH“ c) Erschließungsverträge . . . . . d) Verträge im Zusammenhang mit Business Improvement Districts (BIDs) . . . . . . . . . . e) Ausschließlichkeitsrechte . . .

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174 183 184 190 191 192 193 197 204 209 213

3. Sozialrechtliche Verträge . . . . . a) Leistungsvereinbarungen gemäß §§ 75 ff. SGB XII . . . . b) Verträge im Bereich der Kinder- und Jugendhilfe gemäß §§ 78a ff. SGB VIII . . c) Verträge gemäß SGB II und SGB III . . . . . . . . . . . . . . . d) Verträge gemäß SGB V . . . . aa) Arzneimittelrabattverträge . . . . . . . . . . . . bb) Hilfsmittelversorgungsverträge . . . . . . . . . . . . cc) Verträge zur integrierten Versorgung . . . . . . . . . dd) Verträge über die hausarztzentrierte Versorgung . . . . . . . . . . . . . . ee) Verträge mit Vereinbarungsanspruch geeigneter Leistungserbringer . . e) Verfahrensregeln für die Vergabe von sozialen Dienstleistungen . . . . . . . . . . . . . . . .

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214 215 220 223 225 226 235 238 240 243 248

I. Einführung 1. Inhaltsübersicht § 103 definiert die Begriffe „öffentliche Aufträge“, „Rahmenvereinbarungen“ 1 und „Wettbewerbe“ und damit – neben § 104 (Verteidigungs- oder sicherheitsspezifische öffentliche Aufträge) und § 105 (Konzessionen) – einen wesentlichen Teil des sachlichen Anwendungsbereichs des 4. Teils des GWB. Die Vorschrift enthält insbesondere eine Übersicht der einzelnen Arten von öffentlichen Aufträgen, namentlich Lieferaufträge, Bauaufträge und Dienstleistungsaufträge. Der Auftragsbegriff ist dabei autonom nach dem Zweck des europäischen Vergaberechts, potentiellen Bietern den Zugang zu öffentlichen Aufträgen zu garantieren, die für sie von Interesse sind, auszulegen und daher funktional zu verstehen1. Die in § 103 Abs. 2–4 enthaltene Aufgliederung des in § 103 Abs. 1 niedergelegten Oberbegriffs „öffentlicher Auftrag“ hat, insbesondere im Hinblick auf die Differenzierung zwischen Liefer- und Dienstleistungsaufträgen einerseits sowie Bauaufträgen andererseits, zum einen erhebliche praktische Bedeutung, weil 1 EuGH v. 18.1.2007 – Rs. C-220/05, Slg. I-00385, NZBau 2007, 185 (188) – Rz. 40 – Stadt Roanne; OLG Karlsruhe v. 12.11.2008 – 15 Verg 4/08, VergabeR 2009, 200 (202).

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§ 103 | Öffentliche Aufträge, Rahmenvereinbarungen und Wettbewerbe infolge dieser Differenzierung nach Maßgabe der Vergabeverordnung eine Zuordnung zu unterschiedlichen Verfahrensordnungen (VgV bzw. VOB/A 2. Abschnitt) erfolgt. Zum anderen ist diese Unterscheidung und Abgrenzung der einzelnen öffentlichen Auftragsarten auch mit Blick auf die erheblich voneinander abweichenden Schwellenwerte sowie bestehende Ausnahmevorschriften von Bedeutung. 2. Entstehungsgeschichte 2 § 103 geht zurück auf den bisherigen § 99 GWB a.F., welcher seinerseits seinen

Ursprung in der Neuregelung des deutschen Vergaberechts durch das Vergaberechtsänderungsgesetz vom 26.8.19981 hatte. Bis dahin gab es – abgesehen vom europäischen Gemeinschaftsrecht – keine gesetzliche Definition des Begriffs des öffentlichen Auftrags. Die seinerzeit in § 99 Abs. 2–5 GWB a.F. getroffene thematische Unterteilung sowie die verwendeten Begriffsbestimmungen entsprachen weitgehend und zum großen Teil sogar wörtlich den Vorgaben der seinerzeitigen EU-Vergaberichtlinien2. Durch das sog. ÖPP-Beschleunigungsgesetz vom 1.9.20053 wurde § 99 GWB a.F. – zwecks Umsetzung der Bestimmung von Art. 1 Abs. 2 lit. d) der Vergabekoordinierungsrichtlinie 2004/18/EG – um einen 6. Absatz ergänzt. Durch das Gesetz zur Modernisierung des Vergaberechts vom 20.4.20094 wurden der Gesetzestext in § 99 Abs. 1, 3 und 4 GWB a.F. neu gefasst und durch zusätzliche Abs. 6 und 8 ergänzt; der schon bestehende § 99 Abs. 6 GWB a.F. wurde dadurch zu § 99 Abs. 7 GWB a.F. Dabei wurden in § 99 Abs. 1 und 4 GWB a.F. die Definitionen des öffentlichen Auftrags bzw. Dienstleistungsauftrags hinsichtlich des Beschaffungsmerkmals konzentriert. § 99 Abs. 3 GWB a.F. wurde – aufgrund des in Anbetracht der sog. „Ahlhorn“-Rechtsprechung des OLG Düsseldorf5 gefassten gesetzgeberischen Willens, die kommunalen, auf eine städtebauliche Entwicklung abzielenden Grundstücksgeschäfte weitgehend vom Vergaberecht auszunehmen – dahingehend ergänzt, dass es sich bei den ersten beiden Alternativen des öffentlichen Bauauftrags um Bauleistungen „für den öffentlichen Auftraggeber“ handeln,

1 BGBl. I 1998, 2512 ff. 2 Vgl. BT-Drucks. 13/9340, 15 und BR-Drucks. 646/97, S. 24; Art. 1 lit. a) Richtlinie 92/50/ EWG, Richtlinie 93/39/EWG und Richtlinie 93/37/EWG sowie Art. 1 Nr. 4 Richtlinie 93/ 38/EWG, nunmehr aufgegangen in Art. 1 Abs. 2 und 3 der Vergabekoordinierungsrichtlinie 2004/18/EG und Art. 1 Abs. 2 und 3 der (neuen) Sektorenrichtlinie 2004/17/EG. 3 Gesetz zur Beschleunigung der Umsetzung von Öffentlich Privaten Partnerschaften und zur Verbesserung gesetzlicher Rahmenbedingungen für Öffentlich Private Partnerschaften vom 1.9.2005, BGBl. I 2005, 2676 ff. 4 BGBl. I 2009, 790 ff. 5 Vgl. OLG Düsseldorf v. 30.4.2008 – VII-Verg 23/08, NZBau 2008, 461 ff.; sowie im Weiteren auch OLG Düsseldorf v. 14.5.2008 – VII-Verg 27/08, VergabeR 2008, 661 ff.; OLG Düsseldorf v. 2.10.2008 – VII-Verg 25/08, NZBau 2008, 727 ff.

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und die Bauleistung des Dritten in der dritten Alternative dem Auftraggeber „unmittelbar wirtschaftlich zugutekommen“ musste1. In der seinerzeit umstrittenen Frage nach der Gemeinschaftsrechtskonformität dieser Einschränkung wurde der deutsche Gesetzgeber durch die Entscheidung des EuGH in der Rechtssache „Helmut Müller GmbH“ vom 25.3.2010 bestätigt2. Des Weiteren wurde durch das Gesetz zur Modernisierung des Vergaberechts vom 20.4.20093 in § 99 Abs. 6 GWB a.F. erstmals – klarstellend – auch die Baukonzession als dem Anwendungsbereich des 4. Teils des GWB unterfallende Vertragsart genannt4. Schließlich wurde in Form von § 99 Abs. 8 GWB a.F. die Vorschrift des Art. 9 der Vergabekoordinierungsrichtlinie 2004/18/EG umgesetzt, die dazu dienen sollte, bei Aufträgen, die die Durchführung mehrerer Tätigkeiten zum Inhalt haben, eine Abgrenzung hinsichtlich der anzuwendenden Vergabebestimmungen vorzunehmen5. Sowohl die Entwürfe zur nicht in Kraft gesetzten GWB-Vergaberechtsnovelle (2005) als auch die ersten Entwürfe des Gesetzes zur Modernisierung des Vergaberechts (2009) enthielten darüber hinaus noch Vorschläge zur Konkretisierung der In-house-Rechtsprechung in § 99 GWB a.F. Die Vorschriften sind seinerzeit jedoch nicht Gesetz geworden6. Durch das Vergaberechtsmodernisierungsgesetz vom 17.2.20167 wird die Vor- 3 gängerbestimmung des § 99 GWB a.F. in weiten Teilen übernommen, erfährt aber auch erhebliche Modifizierungen. § 103 Abs. 1 definiert den Begriff des öffentlichen Auftrags und entspricht insofern inhaltlich weitgehend dem bisherigen § 99 Abs. 1 GWB a.F. Die Gesetzesbegründung8 führt diesbezüglich aus: „Kern der Definition des öffentlichen Auftrags ist, dass es sich um die Beschaffung von Leistungen durch öffentliche Auftraggeber oder Sektorenauftraggeber handeln 1 Vgl. hierzu insb. die Begründung des Regierungsentwurfs, BT-Drucks. 16/10117, S. 14, wo es heißt: „Die Ergänzung sagt, dass die Bauleistung dem öffentlichen Auftraggeber unmittelbar wirtschaftlich zugutekommen muss. Denn ein Bauauftrag setzt einen eigenen Beschaffungsbedarf des Auftraggebers voraus, wobei allein die Verwirklichung einer von dem Planungsträger angestrebten städtebaulichen Entwicklung nicht als einzukaufende Leistung ausreicht.“ 2 Vgl. EuGH v. 25.3.2010 – Rs. C-451/08, NZBau 2010, 321 ff., Rz. 45–58 – Helmut Müller GmbH. 3 BGBl. I 2009, 790 ff. 4 In der Begründung des Regierungsentwurfs, BT-Drucks. 16/10117, 17, heißt es dazu: „Die Definition des öffentlichen Auftrags […] wird um die Baukonzession ergänzt, denn auch Baukonzessionen sind öffentliche Aufträge. Damit wird zugleich klar, dass Dienstleistungskonzessionen – wie auch in den EG-Richtlinien 2004/17EG und 2004/ 18/EG nicht vom Anwendungsbereich des vierten Teils des GWB erfasst sind.“ 5 Vgl. BT-Drucks. 16/10117, S. 15. 6 Vgl. zur Gesetzgebungsgeschichte anlässlich der Vergaberechtsnovelle 2009 auch die Darstellung bei Prieß/Hölzl, NZBau 2009, 159 ff. 7 BGBl. I 2016, 203 ff. 8 BT-Drucks. 18/6281, S. 73.

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§ 103 | Öffentliche Aufträge, Rahmenvereinbarungen und Wettbewerbe muss. Der Unionsgesetzgeber hat in Erwägungsgrund 4 der Richtlinie 2014/24/EU darauf hingewiesen, dass die zunehmende Vielfalt öffentlicher Tätigkeiten es erforderlich mache, den Begriff der Auftragsvergabe selbst klarer zu definieren. Diese Präzisierung als solche sollte jedoch den Anwendungsbereich der neuen EU-Vergaberichtlinie im Verhältnis zu dem der Richtlinie 2004/18/EG nicht erweitern. Nicht alle Formen öffentlicher Ausgaben sollten abgedeckt werden, sondern nur diejenigen, die für den Erwerb von Bauleistungen, Lieferungen oder Dienstleistungen im Wege eines öffentlichen Auftrags getätigt werden. Fälle, in denen alle Wirtschaftsteilnehmer, die bestimmte Voraussetzungen erfüllen, zur Wahrnehmung einer bestimmten Aufgabe – ohne Selektivität – berechtigt sind, sollten nicht als Auftragsvergabe verstanden werden, sondern als einfache Zulassungssysteme (z.B. Zulassungen für Arzneimittel oder ärztliche Dienstleistungen). Daraus lässt sich schließen, dass die Zulassung von Dienstleistungserbringern im sozialhilferechtlichen Dreiecksverhältnis nicht der Richtlinie 2014/24/EU unterfällt. Gleiches gilt für die Zulassung von Pflegeeinrichtungen sowie die Feststellung der fachlichen Eignung im Rahmen der Zulassung besonderer Dienste oder besonderer Einrichtungen. Weiterhin hat der Unionsgesetzgeber in Erwägungsgrund 6 hervorgehoben, dass es den Mitgliedstaaten freistehe, die Erbringung von sozialen oder anderen Dienstleistungen entweder als Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse oder als nichtwirtschaftliche Dienstleistungen von allgemeinem Interesse oder als eine Mischung davon zu organisieren. Der Unionsgesetzgeber stellt in diesem Zusammenhang klar, dass nichtwirtschaftliche Dienstleistungen von allgemeinem Interesse nicht in den Geltungsbereich der Richtlinie 2014/24/EU fallen.“ Da das aktuelle Vergaberecht zwischen öffentlichen Auftraggebern i.S.v. § 99, Sektorenauftraggebern i.S.v. § 100 und Konzessionsgebern i.S.v. § 101 unterscheidet, wurde die bisherige Definition des öffentlichen Auftragsbegriffs zudem entsprechend angepasst. Öffentliche Aufträge sind demgemäß Verträge sowohl von öffentlichen Auftraggebern gem. § 99 als auch von Sektorenauftraggebern gem. § 100. § 103 Abs. 1 verweist hingegen nicht auf § 101, da Auftraggeber gem. § 101 keine öffentlichen Aufträge i.S.d. § 103 Abs. 1, sondern Konzessionen i.S.d. § 105 vergeben. Im Unterschied zur bisherigen Definition fallen Baukonzessionen künftig nicht mehr unter den Begriff des öffentlichen Auftrags. Vielmehr wird künftig zwischen der Vergabe von öffentlichen Aufträgen und der Vergabe von Konzessionen unterschieden. Konzessionen, einschließlich der Baukonzessionen, werden nunmehr abschließend in § 105 definiert. Im Gegensatz zur Formulierung des bisherigen § 99 Abs. 1 GWB unterfallen zudem auch Auslobungsverfahren, die zu Dienstleistungsaufträgen führen sollen, nicht mehr dem öffentlichen Auftragsbegriff. Damit wird im Einklang mit den Vergaberichtlinien klargestellt, dass es sich bei „Wettbewerben“, die im Sinne des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) Auslobungsverfahren darstellen, um eigene Verfahren handelt, welche dazu dienen, dem öffentlichen Auftraggeber einen Plan oder eine Planung zu verschaffen (vgl. Art. 2 Abs. 1 148

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Öffentliche Aufträge, Rahmenvereinbarungen und Wettbewerbe | § 103

Nr. 21 der Richtlinie 2014/24/EU). Solche Wettbewerbe sind nunmehr in § 103 Abs. 6 definiert1. § 103 Abs. 2 definiert den Begriff des Lieferauftrags und entspricht dem bisheri- 4 gen § 99 Abs. 2 GWB; § 103 Abs. 4, der den Begriff des Dienstleistungsauftrags definiert, dem bisherigen § 99 Abs. 4 GWB2. § 103 Abs. 3 definiert den Begriff des Bauauftrags und passt den bisherigen § 99 5 Abs. 3 GWB an den neuen Richtlinientext in Art. 2 Abs. 1 Nr. 6 der Richtlinie 2014/24/EU an. § 103 Abs. 3 sieht für die Definition des Bauauftrags entsprechend dem Richtlinientext wie bislang drei Alternativen vor. Alternative 1 betrifft Bauleistungen, die in Anlage II der Richtlinie 2014/24/EU abschließend aufgenommen werden. Anlage II der Richtlinie 2014/24/EU, die direkt in Bezug genommen wird, entspricht dem bisherigen Anhang I der Vergabekoordinierungsrichtlinie 2004/18/EG, der von der Rechtsprechung bereits in der Vergangenheit vielfach zur Abgrenzung zwischen Bau- und Lieferaufträgen herangezogen wurde3. Gemäß der Alternative 2 liegt ein Bauauftrag vor, wenn die Verträge auf die Ausführung oder gleichzeitige Planung und Ausführung eines Bauwerks für einen öffentlichen Auftraggeber oder Sektorenauftraggeber, das Ergebnis von Tief- oder Hochbauarbeiten ist und eine wirtschaftliche oder technische Funktion erfüllen soll. Dies steht im Einklang mit dem bisherigen Verständnis. In der Alternative 3 (Erbringung der Bauleistung durch Dritte) wird nunmehr entsprechend Art. 2 Abs. 1 Nr. 6 lit. c) der Richtlinie 2014/24/EU klargestellt, dass die Erbringung der Bauleistung gemäß den von einem öffentlichen Auftraggeber oder Sektorenauftraggeber genannten Erfordernissen voraussetzt, dass der betreffende Auftraggeber Maßnahmen getroffen hat, um die Art des Vorhabens festzulegen, oder zumindest einen entscheidenden Einfluss auf dessen Planung haben musste. Ob der Auftragnehmer das Bauvorhaben ganz oder zum Teil mit eigenen Mitteln durchführt oder dessen Durchführung mit anderen Mitteln sicherstellt, ist – wie in Erwägungsgrund 9 der Richtlinie 2014/24/ EU klargestellt wird – unerheblich für die Einstufung der entsprechenden Bauleistung als Bauauftrag, solange der Auftragnehmer eine direkte oder indirekte rechtswirksame Verpflichtung zur Gewährleistung der Erbringung der Bauleistungen übernimmt4. § 103 Abs. 5 dient der Umsetzung der Definition der Rahmenvereinbarung 6 gem. Art. 33 Abs. 1 UA 2 der Richtlinie 2014/24/EU und Art. 51 Abs. 1 UA 2 der Richtlinie 2014/25/EU. Die Rahmenvereinbarung stellt selbst zwar keinen Beschaffungsprozess dar. Die Vergabe einer Rahmenvereinbarung im Wege eines Vergabeverfahrens hat jedoch zur Folge, dass die auf ihrer Grundlage erteil1 2 3 4

Vgl. BT-Drucks. 18/6281, S. 74. Vgl. BT-Drucks. 18/6281, S. 74. Vgl. OLG Düsseldorf v. 30.4.2014 – VII-Verg 35/13, NZBau 2014, 589 ff. Vgl. BT-Drucks. 18/6281, S. 74.

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§ 103 | Öffentliche Aufträge, Rahmenvereinbarungen und Wettbewerbe ten Einzelaufträge einem vereinfachten Vergabeverfahren unterliegen können. Wie ein öffentlicher Auftrag unterliegt die Rahmenvereinbarung also wettbewerblichen Verfahrensregeln1, so dass es sich nach Ansicht des Gesetzgebers aus systematischen Gründen empfahl, die Rahmenvereinbarung im Zusammenhang mit dem Begriff des öffentlichen Auftrags zu regeln2. 7 § 103 Abs. 6 entspricht dem bisherigen § 99 Abs. 5 GWB. Im Einklang mit den

neuen Vergaberichtlinien findet nun aber der Begriff „Wettbewerbe“ Verwendung. Die Einzelheiten für das Verfahren zur Ausrichtung von Wettbewerben gem. Art. 78–82 der Richtlinie 2014/24/EU sowie Art. 95–99 der Richtlinie 2014/25/EU werden durch die aufgrund von § 113 erlassenen Verordnung der Bundesregierung mit Zustimmung des Bundesrates umgesetzt3.

II. Öffentlicher Auftrag (§ 103 Abs. 1) 8 Nach der Legaldefinition des § 103 Abs. 1 sind öffentliche Aufträge entgeltliche

Verträge zwischen öffentlichen Auftraggebern oder Sektorenauftraggebern und Unternehmen über die Beschaffung von Leistungen, die die Lieferung von Waren, die Ausführung von Bauleistungen oder die Erbringung von Dienstleistungen zum Gegenstand haben. Dem liegen – im Kern – die europarechtlichen Begriffsdefinitionen in Art. 2 Abs. 1 Nr. 5 der Richtlinie 2014/24/EU4 und in Art. 2 Nr. 1 der Richtlinie 2014/25/EU5 zugrunde. Letztere sind, soweit das nationale Recht hiervon abweicht, vorrangig, so dass sich im Zweifelsfall das Unionsrecht durchsetzt6.

1 Vgl. Art. 33 Abs. 1 UA 1 der Richtlinie 2014/24/EU, wo es heißt „Die öffentlichen Auftraggeber können Rahmenvereinbarungen abschließen, sofern sie die in dieser Richtlinie genannten Verfahren anwenden.“, sowie die Regelung der Einzelheiten eines Verzichts auf den Teilnahmewettbewerb in Art. 33 Abs. 4 lit. a) – c) der Richtlinie 2014/24/EU. 2 Vgl. BT-Drucks. 18/6281, S. 74. 3 Vgl. BT-Drucks. 18/6281, S. 74. 4 Art. 2 Abs. 1 Nr. 5 der Richtlinie 2014/24/EU lautet: „Für die Zwecke dieser Richtlinie bezeichnet der Ausdruck […] ‚öffentliche Aufträge‘ zwischen einem oder mehreren Wirtschaftsteilnehmern und einem oder mehreren öffentlichen Auftraggebern schriftlich geschlossene entgeltliche Verträge über die Ausführung von Bauleistungen, die Lieferung von Waren oder die Erbringung von Dienstleistungen […]“. 5 Art. 2 Nr. 1 der Richtlinie 2014/25/EU lautet: „Im Sinne dieser Richtlinie bezeichnet der Ausdruck […] ‚Liefer-, Bau- und Dienstleistungsaufträge‘ zwischen einem oder mehreren in Art. 4 Abs. 1 genannten Auftraggebern und einem oder mehreren Wirtschaftsteilnehmern schriftlich geschlossene entgeltliche Verträge über das Erbringen von Bauleistungen, die Lieferung von Waren oder die Erbringung von Dienstleistungen […]“. 6 Vgl. EuGH v. 18.1.2007 – Rs. C-220/05, Slg. I-00385, NZBau 2007, 185 (188) – Rz. 40 – Stadt Roanne; Eschenbruch in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 103 Rz. 2.

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Öffentliche Aufträge, Rahmenvereinbarungen und Wettbewerbe | § 103

1. Verträge a) Vertragscharakter Nach dem Gesetzeswortlaut muss ein Vertrag vorliegen. Ein Vertrag ist die von 9 zwei oder mehreren Personen erklärte Willensübereinstimmung über die Herbeiführung eines rechtlichen Erfolges und setzt übereinstimmende Willenserklärungen der betroffenen Rechtssubjekte voraus1. Aber selbst wenn der Vertragsbegriff auf Grund seiner Verankerung im Unionsrecht nicht in diesem – den §§ 145 ff. BGB entsprechenden – Sinne auszulegen sein sollte, so setzt er doch zumindest das Einvernehmen zweier Personen über die Erbringung von Leistungen voraus2. Charakteristisch für einen Vertrag ist die grundsätzliche rechtliche Gleichordnung der Vertragsparteien und der Grundsatz der Vertragsfreiheit3. Anhaltspunkte hierfür finden sich insbesondere auch in der höchstrichterlichen Rechtsprechung. So hatte der EuGH bereits im Jahr 2001 festgestellt, dass kein vergaberelevanter Vorgang vorliegt, wenn die Auftragsbedingungen nicht ausgehandelt werden können4. Mit einer ähnlichen Argumentation hat der EuGH – im Sinne einer Negativabgrenzung – in der Entscheidung „AP“ aus dem Jahre 2007 darauf abgestellt, dass eine Vereinbarung dann keinen Vertrag im Sinne der Vergaberichtlinien darstellt, wenn in Wirklichkeit ein einseitiger Verwaltungsakt gegeben ist, der Verpflichtungen allein für den Auftragnehmer vorsieht und der deutlich von den normalen Bedingungen eines kommerziellen Angebots abweicht. Ein weiteres wesentliches Kriterium für das Vorliegen eines Vertrages ist – so der EuGH – die Existenz eines gewissen Maßes an Spielraum für den Auftragnehmer bei der Ausgestaltung der Auftragsbedingungen5. Ferner hat auch das BVerwG festgestellt, dass bei der Konkretisierung einer gesetzlich bestehenden Leistungspflicht durch Verwaltungsakt der Anwendungsbereich des Vergaberechts nicht eröffnet ist6. 1 Heinrichs in Palandt, BGB, Einf. v. § 145 Rz. 1; Eschenbruch in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 103 Rz. 48. 2 OLG Düsseldorf v. 4.3.2009 – VII-Verg 67/08, VergabeR 2009, 799, 801. 3 Hailbronner in Byok/Jaeger, Kommentar zum Vergaberecht, § 99 Rz. 31. 4 Vgl. jedoch EuGH v. 12.7.2001 – Rs. C-399/98, Slg. 2001, I-5409, NZBau 2001, 512 (515 f.) – Rz. 71 – Teatro alla Bicocca. Ähnlich Frenz, Handbuch Europarecht, Band 3, Beihilfe- und Vergaberecht, S. 637, Rz. 2078, nach dem Verwaltungsakte dem Vergaberecht dann nicht unterliegen, wenn (1.) eine hoheitliche Befugnisübertragung im Vordergrund steht oder wenn (2.) es sich um eine einseitige Behandlung der Adressaten in Form eines Über-/Unterordnungsverhältnisses handelt, so dass die Bedingungen nicht ausgehandelt werden und kaum Einfluss auf den Inhalt des Verwaltungsaktes besteht. 5 Vgl. EuGH v. 18.12.2007 – Rs. C-220/06, Slg. I-12175, NZBau 2008, 189 ff., Rz. 51 und 54 – AP; OVG Magdeburg v. 22.2.2012 – 3 L 259/10, BeckRS 2012, 51428. 6 Vgl. BVerwG v. 18.10.2007 – 7 B 33.07, NVwZ 2008, 694 ff.; sowie ferner OVG Magdeburg v. 22.2.2012 – 3 L 259/10, BeckRS 2012, 51428.

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§ 103 | Öffentliche Aufträge, Rahmenvereinbarungen und Wettbewerbe 10 Dies schließt die Anwendung des Vergaberechts auf Leistungen aus, die ihren

Rechtsgrund unmittelbar in Gesetzen, Verordnungen oder einseitigen Verwaltungsakten haben, denn dann handelt es sich um einen einseitigen Hoheitsakt und es fehlt sowohl an einer Gleichordnung der Vertragsparteien als auch an der Vertragsfreiheit1. Daher ist insbesondere auch der Erlass eines Bebauungsplans, welcher als Satzung ergeht (§ 10 Abs. 1 BauGB) und dessen Inhalt nicht Gegenstand eines Vertrages oder sonstiger Abreden sein kann (§ 1 Abs. 3 BauGB), kein Vertrag, und zwar auch dann nicht, wenn er den Rahmen für einen möglicherweise abzuschließenden Erschließungsvertrag (§ 124 BauGB) setzt2.

11 Problematisch erweist sich in diesem Zusammenhang u.a. auch der Fall der Be-

leihung allein durch Verwaltungsakt ohne begleitende vertragliche Regelungen. Nach überwiegendem nationalem Verständnis liegt insoweit schon mangels Vertragsschluss kein öffentlicher Auftrag vor3. Allerdings vertreten die EUKommission und Stimmen in der Literatur die Ansicht, dass ausnahmsweise auch einseitige (Verwaltungs-)Akte vergaberechtlich relevant sein können, wenn unter funktionaler Sichtweise das Vorgehen als Vertrag einzustufen ist. Denn handeln die Beteiligten den Verwaltungsaktinhalt vertragsähnlich aus, soll kein Grund bestehen, das Vergaberecht nicht anzuwenden. Daher sei für jeden Beschaffungsverwaltungsakt zu prüfen, ob nicht ein verdeckter Vertrag vorliege4. Der EuGH hat zu dieser Frage noch nicht Stellung genommen5.

1 Hailbronner in Byok/Jaeger, Kommentar zum Vergaberecht, § 99 Rz. 31; Boesen, Vergaberecht, § 99 Rz. 5. 2 OLG Düsseldorf v. 4.3.2009 – VII-Verg 67/08, VergabeR 2009, 799 (801 f.). 3 BGH v. 12.6.2001 – X ZB 10/01, DÖV 2001, 1006 f.; BGH v. 12.6.2001 – X ZB 10/01, WuW/E Verg. 481 (2001); ebenso Zeiss, DVBl. 2003, 435 (436); Endler, NZBau 2002, 125 (129); Burgi, NZBau 2002, 57 (62); Eschenbruch in Kulartz/Kus/Portz/Prieß/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 103 Rz. 62; vgl. auch Frenz, Handbuch Europarecht, Band 3, Beihilfe- und Vergaberecht, S. 636, Rz. 2077 ff. A.A. Gabriel, LKV 2005, 285 (287); Koenig/Haratsch, NJW 2003, 2637 (2639); Wilke, ZfBR 2004, 141 (142). 4 Vgl. Grünbuch zu öffentlich-privaten Partnerschaften und den gemeinschaftlichen Rechtsvorschriften für öffentliche Aufträge und Konzessionen v. 30.4.2004, KOM (2004) 327 endg., Rz. 57; Koenig/Harratsch, NJW 2003, 2637 (2639); Wilke, ZfBR 2004, 141 (142); Ruhland/Burgi, VergabeR 2005, 1 ff. Entsprechendes kam in der bisherigen Rechtspraxis insbesondere im Rahmen von § 16 Abs. 2 KrW-/AbfG in Betracht, wo der (Beleihungs-)Verwaltungsakt nur auf Antrag des Privaten und mit Zustimmung der Entsorgungsträger erlassen wurde. In der Neuregelung des am 1.6.2012 in Kraft getretenen Kreislaufwirtschaftsgesetzes (KrWG) wurde § 16 Abs. 2 KrW-/AbfG indes ersatzlos gestrichen. Übernommen wurde in § 22 KrWG lediglich die Bestimmung des § 16 Abs. 1 KrW-/AbfG. Vgl. hierzu Schink in Schink/Versteyl, Kommentar zum Kreislaufwirtschaftsgesetz, 2016, § 22 Rz. 1 und 3. 5 Vgl. jedoch EuGH v. 12.7.2001 – Rs. C-399/98, Slg. 2001, I-5409, NZBau 2001, 512 (515 f.) – Rz. 71 – Teatro alla Bicocca, wonach jedenfalls dann kein vergaberelevanter Vorgang vorliegt, wenn die Auftragsbedingungen nicht ausgehandelt werden können. Ähnlich Frenz, Handbuch Europarecht, Band 3, Beihilfe- und Vergaberecht, S. 637,

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Öffentliche Aufträge, Rahmenvereinbarungen und Wettbewerbe | § 103

Wird die Beleihung indes im Innenverhältnis zwischen dem Auftraggeber und 12 dem Auftragnehmer von vertraglichen Regelungen begleitet, muss der entsprechende Vertrag grundsätzlich auch wie jeder andere Auftrag ausgeschrieben werden, wenn die Schwellenwerte gem. § 106 erreicht oder überschritten sind und keine Ausnahmetatbestände1 eingreifen (s. hierzu auch Vorb. zu §§ 97–154 Rz. 24). Besondere Anforderungen an die Zuverlässigkeit des zu beleihenden Leistungserbringers u.Ä. können ohne weiteres in den Verdingungsunterlagen Berücksichtigung finden, so dass auch in tatsächlicher Hinsicht keine Gründe ersichtlich sind, die dafür sprechen, Fälle, in denen der Auftragnehmer auf der Grundlage eines mit der öffentlichen Hand abzuschließenden Vertrages gegenüber Dritten unmittelbar hoheitlich tätig wird, generell vom Anwendungsbereich des Vergaberechts auszuschließen. Hiervon geht offensichtlich auch der BGH aus, der ausdrücklich zwischen der Beleihung durch Verwaltungsakt und dem Abschluss des Dienstleistungsvertrags unterscheidet2. In diesem Zusammenhang wurde in früherer Zeit teilweise darauf hingewiesen, 13 dass zumindest in den Fällen der Beleihung, die mit der Ausübung öffentlicher Gewalt i.S.d. Art. 51, 62 AEUV verbunden sind, eine Ausschreibungspflicht nicht bestehe3. Dem wurde entgegengehalten, dass das primäre Gemeinschaftsrecht den Mitgliedstaaten zwar die Möglichkeit einräumt, diesen Bereich von den Anforderungen der Vergaberichtlinien auszunehmen, jedoch dies zumindest im deutschen Vergaberecht, so wie es im 4. Teil des GWB geregelt ist, keinen Niederschlag gefunden hat. Es sei daher nicht ersichtlich, warum die Mitgliedstaaten nicht auch diesen Bereich dem Vergaberecht unterstellen, also die gemeinschaftsrechtlichen Anforderungen überobligatorisch erfüllen dürfen4. Im

1 2

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Rz. 2078, nach dem Verwaltungsakte dem Vergaberecht dann nicht unterliegen, wenn (1.) eine hoheitliche Befugnisübertragung im Vordergrund steht oder wenn (2.) es sich um eine einseitige Behandlung der Adressaten in Form eines Über-/Unterordnungsverhältnisses handelt, so dass die Bedingungen nicht ausgehandelt werden und kaum Einfluss auf den Inhalt des Verwaltungsaktes besteht. Vgl. die Übersicht über die allgemeinen und besonderen Ausnahmetatbestände bei § 107 Rz. 5. BGH v. 1.12.2008 – X ZB 31/08, BGHZ 179, 84, 87 ff. = MDR 2009, 370; BGH v. 12.6.2001 – X ZB 10/01, DÖV 2001, 1006 f. Soweit der BGH in letzterem Fall dennoch zu dem Ergebnis gelangt, dass eine Ausschreibung nicht erforderlich war, beruht dies offenkundig nicht darauf, dass der Beschaffungsvorgang mit einer Beleihung verknüpft war, sondern allein darauf, dass der konkrete Vertrag ein sog. In-house-Geschäft war. So insb. Dreher, NZBau 2002, 245 (256); Burgi, NZBau 2002, 57 (61). Vgl. in diesem Zusammenhang etwa Reidt, ZVgR 2000, 289 (290); ähnlich Behr, VergabeR 2009, 136 (139), der im Ergebnis schon mit Blick auf die gem. Art. 33 Abs. 4 GG für die Erfüllungsprivatisierung bestehenden Grenzen kein Bedürfnis für eine vergaberechtliche Bereichsausnahme sieht. Vgl. ferner Burgi, NZBau 2002, 57 (62), der allerdings davon ausgeht, dass der deutsche Gesetzgeber keine überobligatorischen Regelungen treffen wollte und daher aufgrund gemeinschaftskonformer Auslegung des § 99 Abs. 1 GWB a.F. Beleihungsverträge vom Anwendungsbereich des Vergaberechts aus-

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§ 103 | Öffentliche Aufträge, Rahmenvereinbarungen und Wettbewerbe letztgenannten Sinne hat auch der BGH entschieden, welcher die seinerzeit zwischen dem OLG Düsseldorf und dem OLG Dresden streitige Frage, ob die Übertragung von Rettungsdienstleistungen mit Blick auf die dabei zu übertragenen Hoheitsrechte aufgrund von Art. 51 AEUV nicht dem Vergaberecht unterfalle1, mit der Begründung als nicht streitentscheidend hat dahinstehen lassen, dass Art. 51 AEUV für den nationalen Gesetzgeber keinen Zwang entfalte, sondern dieser entsprechenden Dienstleistungsverkehr durch das nationale Recht gleichwohl dem Anwendungsbereich des Vergaberechts unterstellen könne, was durch die §§ 97 ff. bewirkt werde. Die Reichweite des § 99 Abs. 1 GWB a.F. werde durch Art. 51, 62 AEUV nicht eingeschränkt; insoweit sei allein deutsches Recht maßgeblich2. b) Rechtsnatur des Vertrages 14 § 103 Abs. 1 unterscheidet nicht nach der Rechtsnatur des Vertrages3 (s. hierzu

auch Vorb. zu §§ 97–154 Rz. 23). So steht insbesondere der Charakter eines Vertrages als öffentlich-rechtlicher Vertrag i.S.v. § 54 VwVfG (des Bundes und der Länder) oder eines spezialgesetzlich geregelten öffentlich-rechtlichen Vertrags (z.B. städtebaulicher Vertrag gem. § 11 BauGB oder öffentlich-rechtliche Zweckvereinbarung) der Qualifizierung als öffentlicher Auftrag i.S.d. § 103 Abs. 1 nicht entgegen. Der Gesetzgeber hatte zwar ursprünglich beabsichtigt, öffentlich-rechtliche Verträge vom Anwendungsbereich des Vergaberechts auszunehmen4, und dem sind auch Literatur und Rechtsprechung teilweise gefolgt5. Nach heute allgemeiner Ansicht ist die Rechtsnatur des Vertrags allerdings ohne Bedeutung, zumal die Unterscheidung in „privatrechtliche“ und „öffentlich-rechtliche“ Verträge in anderen EU-Mitgliedstaaten ohnehin unbekannt ist6. Vielmehr ist allein auf eine wirtschaftliche Gesamtbetrachtung abzustellen: Fließt für eine Tätigkeit ein Entgelt, ist grundsätzlich von einem „entgeltlichen Vertrag“ i.S.d. § 103

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nimmt, ohne jedoch zu erläutern, warum trotz des eindeutigen und dem Gemeinschaftsrecht nicht widersprechenden Gesetzeswortlauts überhaupt die Notwendigkeit zur gemeinschaftsrechtskonformen Auslegung bestehen soll. I.d.S. OLG Düsseldorf v. 5.4.2006 – VII-Verg 7/06, VergabeR 2006, 787 (789 f.); a.A. OLG Dresden v. 4.7.2008 – WVerg 3/08, VergabeR 2008, 809 (816). BGH v. 1.12.2008 – X ZB 31/08, MDR 2009, 370 = VergabeR 2009, 156 ff., mit Anm. Berger/Tönnemann, VergabeR 2009, 129 ff. BGH v. 1.12.2008 – X ZB 31/08, MDR 2009, 370 = VergabeR 2009, 156 ff. Vgl. BT-Drucks. 13/9340, S. 15. So beispielsweise OLG Celle v. 24.11.1999 – 13 Verg 7/99, NZBau 2000, 299 (300); Dreher, DB 1998, 2579 (2587); ausdrücklich offen gelassen in BGH v. 12.6.2001 – X ZB 10/ 01, BGHZ 148, 55, 65. Vgl. zum Ganzen m.w.N. Burgi, NZBau 2002, 57 ff.; Althaus, NZBau 2000, 277 ff.; Würfel/Butt, NVwZ 2003, 153 (155 f.). M.w.N. OLG Düsseldorf v. 13.6.2007 – VII-Verg 2/07, NZBau 2007, 530 (532); Althaus, NZBau 2000, 277 (279).

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Abs. 1 auszugehen1. Der EuGH hat insoweit bereits im Jahr 2001 entschieden, dass Erschließungsverträge, die dem öffentlichen Recht unterliegen und die Ausübung hoheitlicher Gewalt einschließen, der Baukoordinierungsrichtlinie2 unterfallen, wenn es sich um entgeltliche Bauverträge handelt3. In diesem Zusammenhang geht der EuGH unter Bezugnahme auf die rechtliche Ausgestaltung in den jeweiligen Mitgliedstaaten völlig selbstverständlich davon aus, dass auch auf einen verwaltungsrechtlichen Vertrag, der als solcher dem öffentlichen Recht unterliegt, das Vergaberecht anwendbar ist. Diese Begründung ist ohne weiteres auf sämtliche öffentlich-rechtliche Verträge übertragbar, sofern der betreffende Vertrag die Erbringung von Bau-, Liefer- oder Dienstleistungen gegen Entgelt zum Gegenstand hat. In Konsequenz dieser EuGH-Rechtsprechung ist der Begriff des Vertrages in § 103 Abs. 1 dahingehend auszulegen, dass er grundsätzlich sowohl privatrechtliche als auch öffentlich-rechtliche Verträge umfasst4. c) Gegenseitige vertragliche Bindung Der Begriff des öffentlichen Auftrages setzt mindestens eine gegenseitige, nicht 15 notwendigerweise wechselseitig abhängige (synallagmatische) vertragliche Bindung voraus5. Erfasst sind demnach auch solche Formen der Verknüpfung durch die Vereinbarung einer Bedingung oder durch die Abrede, dass die eine Leistung den Rechtsgrund für die andere darstellt6. Im Falle einer synallagmatischen Verknüpfung erstreckt sich das Gegenseitigkeitsverhältnis auf alle Hauptleistungspflichten und grundsätzlich nicht auf Nebenleistungs- oder Schutzpflichten7. 1 BGH v. 12.6.2001 – X ZB 10/01, WuW/E Verg 481; BGH v. 1.12.2008 – X ZB 31/08, MDR 2009, 370 = VergabeR 2009, 156 (158); Zeiss, DVBl. 2003, 435 (436). 2 Richtlinie 93/37/EWG des Rates vom 14.6.1993 zur Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Bauaufträge. 3 EuGH v. 12.7.2001 – Rs. C-399/98, Slg. I-05409, NZBau 2001, 512 (516) – Rz. 76 ff. – Teatro alla Bicocca. 4 BayObLG v. 28.5.2003 – Verg 7/03, NZBau 2005, 238; OLG Frankfurt v. 7.9.2004 – 11 Verg 11/04 und 12/04, NZBau 2004, 692 (694 f.); OLG Dresden v. 4.7.2008 – WVerg 3/ 08, VergabeR 2008, 809 (812); OLG Düsseldorf v. 12.12.2007 – VII-Verg 30/07, NZBau 2008, 138 (140); OLG Düsseldorf v. 13.6.2007 – VII-Verg 2/07, NZBau 2007, 530 (532); OLG Düsseldorf v. 22.9.2005 – VII-Verg 44/04, NZBau 2005, 652; OLG Naumburg v. 15.7.2008 – 1 Verg 5/08, VergabeR 2008, 821 (822); OLG Naumburg v. 3.11.2005 – 1 Verg 9/05, NZBau 2006, 58 (60); VG Frankfurt/O. v. 20.2.2009 – 4 L 186/08; VK Brandenburg v. 24.9.2004 – VK 47/04; VK Mecklenburg-Vorpommern v. 7.1.2008 – 2 VK 5/ 07; VK Münster v. 28.5.2004 – VK 10/04; VK Sachsen v. 29.8.2008 – 1/SVK/042-08; VK Sachsen v. 29.8.2008 – 1/SVK/041-08; VK Sachsen v. 26.3.2008 – 1/SVK/005-08. 5 BayObLG v. 27.2.2003 – Verg 1/03, VergabeR 2003, 329 (331). 6 OLG Düsseldorf v. 22.9.2005 – VII-Verg 44/04, NZBau 2005, 652 (653); OLG Düsseldorf v. 8.9.2005 – VII-Verg 35/04, NZBau 2005, 650 f.; a.A. VK Hessen v. 5.3.2008 – 69d-VK6/2008. 7 OLG Düsseldorf v. 22.9.2005 – VII-Verg 44/04, NZBau 2005, 652 (653); OLG Düsseldorf v. 8.9.2005 – VII-Verg 35/04, NZBau 2005, 650 f.

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§ 103 | Öffentliche Aufträge, Rahmenvereinbarungen und Wettbewerbe 16 Demnach erfüllen Andienungsverfahren, auch wenn sie aus Bietersicht die ein-

zige Möglichkeit darstellen, um überhaupt in Vertragsverhandlungen mit einem öffentlichen Auftraggeber treten zu können, nicht die Voraussetzungen eines wettbewerblich ausgerichteten Vergabeverfahrens und eines Vertrages. Entsprechende, auf Wunsch von Bietern geführte Gespräche, zu denen der Nachfrager ohne eine entsprechende Bedarfsmeldungen auch keinen Anlass gegeben hat, lassen keine vertragliche Bindung und mithin kein konkretes Vergabeverfahren i.S.v. § 156 Abs. 2 entstehen1.

17 Gleiches gilt für eine Markterkundung oder Marktbeobachtung durch den öf-

fentlichen Auftraggeber. Zwar sind nach Rechtsprechung des EuGH auch bereits die dem Vertragsabschluss vorausgehenden Entscheidungen eines öffentlichen Auftraggebers darüber, welchem Marktteilnehmer er einen Auftrag erteilen will, für das Vergaberecht relevant und nachprüfbar. Allerdings zählen hierzu noch nicht solche Handlungen, die eine bloße Vorstudie des Marktes darstellen oder die rein vorbereitend sind und sich – ohne konkrete Beschaffungsinitiative – im Rahmen der internen Überlegungen des öffentlichen Auftraggebers im Hinblick auf die Vergabe eines öffentlichen Auftrags abspielen2. Die Abgrenzung zu diesen Markterkundungen und -beobachtungen ist danach vorzunehmen, ob und inwieweit der öffentliche Auftraggeber einen Beschaffungsvorgang organisatorisch und planerisch bereits eingeleitet und Kontakte zu potentiellen Anbietern mit dem Ziel aufgenommen hat, das Beschaffungsvorhaben mit einer verbindlich rechtsgeschäftlichen Einigung abzuschließen3. d) Beschaffungscharakter

18 Der Wortlaut des § 103 Abs. 1 spricht zwar von der „Beschaffung“, unterscheidet

aber auch in der novellierten Fassung – ebenso wie § 99 Abs. 1 GWB a.F. – nicht mit hinreichender Klarheit danach, ob der öffentliche Auftraggeber als Lieferant/ Leistender oder als Lieferungs-/Leistungsempfänger auftritt. Um einen öffentlichen Auftrag handelt es sich nach einhelliger und gefestigter Ansicht aber nur dann, wenn ein Beschaffungsvorgang der öffentlichen Hand vorliegt, bei dem der öffentliche Auftraggeber auf Seiten der Güternachfrage am Markt auftritt4. 1 So (noch zu § 104 Abs. 2 Satz 1 GWB a.F.) VK Bund v. 1.2.2001 – VK 2-44/00, VergabeR 2001, 147 ff., mit Anm. Stolz. 2 So EuGH v. 11.1.2005 – Rs. C-26/03, Slg. I-00001, NZBau 2005, 111 (113 f.) – Stadt Halle. Siehe ferner auch OLG Düsseldorf v. 20.6.2001 – VII-Verg 3/01, NZBau 2001, 696 (699); OLG Jena v. 22.11.2000 – 6 Verg 8/00, VergabeR 2001, 52 (54). 3 OLG Düsseldorf v. 22.5.2002 – VII-Verg 6/02, NZBau 2002, 583 (584); Eschenbruch in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 103 Rz. 54. 4 OLG Düsseldorf v. 28.4.2004 – VII-Verg 2/04, NZBau 2004, 400 (401 f.); BayObLG v. 4.2. 2002 – Verg 1/02, VergabeR 2002, 305 (306); BayObLG v. 27.2.2003 – Verg 1/03, VergabeR 2003, 329 (331); Boesen, Vergaberecht, § 99 Rz. 11; Eschenbruch in Kulartz/Kus/ Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 103 Rz. 11.

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Auf die formale Bezeichnung der Vertragspartner als Auftraggeber und Auftragnehmer kommt es dabei nicht an1. Dass der öffentliche Auftraggeber als Vertragspartner des Lieferanten/Leistenden, und damit also auf der Nachfragerseite am Markt handeln muss, ist nunmehr auch aus Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie 2014/24/EU und Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie 2014/25/EU ersichtlich. Danach gilt als Auftragsvergabe im Sinne dieser Richtlinien (nur) der „Erwerb von Bauleistungen, Lieferungen oder Dienstleistungen […] durch einen oder mehrere öffentliche Auftraggeber von Wirtschaftsteilnehmern, die von diesen öffentlichen Auftraggebern ausgewählt werden […]“. Ein solcher Beschaffungsbezug liegt grundsätzlich nicht vor bei der Veräuße- 19 rung von Verwaltungsvermögen, z.B. dem Verkauf von Grundstücken, Dienstfahrzeugen o.Ä.2. Keinen Beschaffungsvorgang stellen danach grundsätzlich auch der Abschluss von Gesellschaftsverträgen sowie die bloße Veräußerung von Gesellschaftsanteilen dar3. Denn der bloße Eintritt in ein zum Teil von einem öffentlichen Auftraggeber gehaltenes Unternehmen stellt für sich noch keine Leistungserbringung für Letzteren dar. Überdies vermittelt der Anteilserwerb auch noch keinen konkreten entgeltlichen Gegenwert, sondern lediglich eine künftige Gewinnchance4. Etwas anders kann jedoch gelten, wenn die Veräußerung oder Überlassung Ele- 20 ment eines einheitlichen Vorgangs ist, der einen beschaffungsrechtlichen Bezug hat – mithin also eine sog. eingekapselte Beschaffung vorliegt5. In Betracht kommt dies beispielsweise, wenn ein Grundstücksverkauf mit der Erbringung von Bauleistungen, die dem öffentlichen Auftraggeber unmittelbar wirtschaftlich zugutekommen, einhergeht (vgl. hierzu inbs. auch Rz. 120 ff.) oder wenn die Beteiligung eines Privatunternehmens6 an einem gemischt-wirtschaftlichen Unter1 VK Berlin v. 9.2.2009 – VK-B 1-28/08. 2 VK Brandenburg v. 15.2.2008 – VK 2/08; VK Bund v. 24.7.2007 – VK 2-69/07; VK Baden-Württemberg v. 2.2.2015 – 1 VK 65/14, VPR 2015, 111. 3 OLG Brandenburg v. 3.8.2001 – Verg 3/01, VergabeR 2002, 45 ff., mit Anm. Stickler; VK Sachsen v. 29.12.2004 – 1/SVK/123-04; VK Lüneburg v. 5.11.2004 – 203-VgK-48/2004; VK Lüneburg v. 26.4.2002 – 203-VgK-06/2002; VK Brandenburg v. 30.8.2004 – VK 34/ 04; Eschenbruch in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 103 Rz. 40; Otting, VergabeR 2002, 11 (12); Krutisch, NZBau 2003, 650 ff. m.w.N.; Endler, NZBau 2002, 125 (132). 4 VK Brandenburg v. 30.8.2004 – VK 34/04; VK Brandenburg v. 17.9.2002 – VK 50/02. 5 Vgl. OLG Düsseldorf v. 13.6.2007 – VII-Verg 2/07, NZBau 2007, 530 (531); BayObLG v. 27.2.2003 – Verg 1/03, VergabeR 2003, 329 (331); Eschenbruch in Kulartz/Kus/Portz/ Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 103 Rz. 136; von Engelhardt/Kaelble in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 103 Rz. 54 f. 6 Die bloße Gründung einer gemischtwirtschaftlichen Gesellschaft im Rahmen einer ÖPP stellt für sich betrachtet grundsätzlich (noch) keinen vergaberechtlichen Sachverhalt dar; vgl. EuGH v. 22.12.2010 – Rs. C-215/09, NZBau 2011, 312 (313) – Oulon Kau punki; EuGH v. 6.5.2010 – Rs. C-145/08 und Rs. C-149/08, NZBau 2010, 506 ff. – Loutraki;

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§ 103 | Öffentliche Aufträge, Rahmenvereinbarungen und Wettbewerbe nehmen einen Bezug zur Beschaffung von Leistungen durch einen an diesem Unternehmen beteiligten öffentlichen Auftraggeber aufweist. Letzteres ist immer dann der Fall, wenn sich die Beteiligung nicht nur in einer Kapitaleinlage des künftigen privaten Gesellschafters erschöpft, sondern zugleich mit einer Vergabe von Liefer-, Dienst- und/oder Bauleistungen an diesen einhergeht1 (vgl. zu den unterschiedlichen Formen einer ausschreibungspflichtigen Privatisierung auch unter Rz. 169 ff.). Denn nach Auffassung von EuGH und BGH führt die „Einkapselung“ grundsätzlich nicht dazu, dass der Beschaffungsvorgang von der Anwendung des Kartellvergaberechts und damit auch des § 103 ausgeschlossen wird2. Zwar kann ein Veräußerungsgeschäft lediglich als solches die Anwendbarkeit dieser Vorschriften nicht begründen. Ist es hingegen Mittel zur Beschaffung einer Leistung, ist der kaufrechtliche Aspekt des öffentlichen Auftrags ohne Bedeutung. Dies entspricht auch dem Zweck der §§ 97 ff. Denn auf diese Weise wird eine vollständige Erfassung aller Beschaffungsvorgänge erreicht, die für den öffentlichen Auftraggeber mit geldwertem Aufwand verbunden sind3. Dabei ist es insbesondere auch nicht erforderlich, dass das Beschaffungselement den Schwerpunkt des Vorgangs bildet. Vielmehr genügt es, wenn der beschaffungsrechtliche Aspekt nicht von völlig untergeordneter Bedeutung ist4. So hat der EuGH in der Entscheidung „Loutraki“ herausgestellt, dass Beschaffungen, die bloße Nebensächlichkeiten betreffen, die Unterstellung des gesamten Rechtsgeschäfts unter das Regime des Vergaberechts nicht rechtfertigen5. Dem wird jedoch eine Grenze dadurch gezogen, dass die verschiedenen Teile des Vertrages ein untrennbares Ganzes bilden6. Hierzu hat der EuGH in der Rechtssache „Ou-

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VK Thüringen v. 23.2.2007 – 360-4003.20-62/2007-001-G; Eschenbruch in Kulartz/Kus/ Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 103 Rz. 129. Vgl. von Engelhardt/Kaelble in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 103 Rz. 54 f. Vgl. EuGH v. 22.12.2010 – Rs. C-215/09, NZBau 2011, 312 (313) – Oulon Kau punki; EuGH v. 6.5.2010 – Rs. C-145/08 und Rs. C-149/08, NZBau 2010, 506 ff. – Loutraki; BGH v. 1.2.2005 – X ZB 27/04, BGHZ 162, 116, 130 = MDR 2005, 973; sowie Eschenbruch in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 103 Rz. 47; von Engelhardt/Kaelble in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 103 Rz. 55. So (noch zu § 99 GWB a.F.) BGH v. 1.2.2005 – X ZB 27/04, BGHZ 162, 116, 130 = MDR 2005, 973; s.a. VK Brandenburg v. 15.2.2008 – VK 2/08, BeckRS 2008, 05519. Vgl. EuGH v. 6.5.2010 – Rs. C-145/08 und Rs. C-149/08, NZBau 2010, 506 ff. – Loutraki; BGH v. 1.2.2005 – X ZB 27/04, BGHZ 162, 116, 130 = MDR 2005, 973; VK Bund v. 24.7. 2007 – VK 2-69/07; von Engelhardt/Kaelble in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 103 Rz. 56. Vgl. EuGH v. 6.5.2010 – Rs. C-145/08 und Rs. C-149/08, NZBau 2010, 506 ff. – Loutraki; sowie dazu auch Eschenbruch in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 103 Rz. 48; von Engelhardt/Kaelble in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 103 Rz. 56. Vgl. EuGH v. 22.12.2010 – Rs. C-215/09, NZBau 2011, 312, 313, Rz. 45 f. – Oulon Kau punki; EuGH v. 6.5.2010 – Rs. C-145/08 und Rs. C-149/08, NZBau 2010, 506 ff., Rz. 62 – Loutraki; Scharf/Dierkes, VergabeR 2011, 543 (546 ff.); von Engelhardt/Kaelble in MüllerWrede, GWB-Vergaberecht, § 103 Rz. 56.

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lon Kau punki“ darauf hingewiesen, dass eine solche Untrennbarkeit nicht ohne weiteres angenommen werden könne. Insbesondere genüge hierfür nicht die subjektive Absicht der Vertragsparteien, die verschiedenen Teile eines gemischten Vertrages als untrennbar zu betrachten. Vielmehr müsse sich die Absicht auf objektive Gesichtspunkte stützen lassen, die sie rechtfertigen und die Notwendigkeit begründen können, einen einheitlichen Vertrag abzuschließen. Lassen sich danach einzelne Teile abtrennen, müsse insoweit eine Ausschreibung erfolgen1. Vor diesem Hintergrund kann insbesondere bei öffentlich-rechtlichen Partnerschaften die vertragliche Ausgestaltung eine wesentliche Rolle spielen2. Dabei ist allerdings auch zu berücksichtigen, dass der EuGH in der Entscheidung „Acoset“ festgestellt hat, dass gerade bei der Umsetzung von öffentlichrechtlichen Partnerschaften nicht notwendigerweise eine formale Trennung gesellschaftsrechtlicher Vereinbarungen von Beschaffungsvorgängen herbeigeführt werden müsse, sofern die Auswahl unter Berücksichtigung des Gleichbehandlungsgebotes und des Diskriminierungsverbotes erfolge3. Als problematisch erweisen sich in diesem Zusammenhang auch die sozial- 21 rechtlichen Verträge, beispielsweise im Bereich der Kinder- und Jugendhilfe gem. §§ 78a ff. SGB VIII, der sozialhilferechtlichen Leistungsvereinbarungen gem. §§ 75 ff. SGB XII, der Arzneimittelrabattverträge gem. § 130a Abs. 8 SGB V, der Hilfsmittelversorgungsverträge gem. § 33 Abs. 6 SGB V oder der Verträge zur integrierten Versorgung gem. §§ 140a ff. SGB V. Denn hier erfolgt grundsätzlich keine unmittelbare Beschaffung der in Rede stehenden Dienst- oder Lieferleistungen durch den jeweiligen öffentlichen Auftraggeber. Vielmehr wird die Leistung regelmäßig im sog. sozialrechtlichen Dreiecksverhältnis erbracht, und zwar direkt an den Berechtigten/Versicherten. Bei der Beurteilung, ob dennoch von einer Beschaffung des jeweils beteiligten öffentlichen Auftraggebers auszugehen ist, war – zumindest bislang – stets eine funktionale Betrachtungsweise zugrunde zu legen4. Dabei war immer das gesamte in Rede stehende Konstrukt mit all seinen Rechtsbeziehungen zu betrachten. Ergab eine solche Gesamtbetrachtung – was die Regel war –, dass die beim Auftragnehmer 1 Vgl. EuGH v. 22.12.2010 – Rs. C-215/09, NZBau 2011, 312 (313) – Rz. 45 f. – Oulon Kau punki; von Donat, NZBau 2011, 472 f.; Eschenbruch in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 103 Rz. 49; von Engelhardt/Kaelble in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 103 Rz. 56. 2 So auch von Donat, NZBau 2011, 472 f.; Eschenbruch in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 103 Rz. 49. 3 EuGH v. 15.10.2009 – Rs. C-196/08, NZBau 2009, 804 (808) – Rz. 61 ff. – Acoset; sowie Eschenbruch in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 103 Rz. 50 f. 4 So für den Bereich der Arzneimittelrabattverträge, der Hilfsmittelversorgungsverträge und der Verträge zur integrierten Versorgung Dreher/Hoffmann, NZBau 2009, 273 (276) m.w.N.; Gabriel, NZS 2007, 344 (348); Stolz/Kraus, VergabeR 2008, 1 (7); Burgi, NZBau 2008, 480 (484).

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§ 103 | Öffentliche Aufträge, Rahmenvereinbarungen und Wettbewerbe nachgefragte Leistung sich als Leistung des öffentlichen Auftraggebers gegenüber dem Berechtigten/Versicherten darstellt, so war letztlich auch der öffentliche Auftraggeber als Abnehmer der Leistung anzusehen und ein Beschaffungsbezug zu bejahen1. 22 Fraglich ist, ob bzw. inwieweit durch das Vergaberechtsmodernisierungsgesetz

vom 17.2.20162 insoweit eine modifizierte Betrachtungsweise geboten ist. Denn die Gesetzesbegründung zu § 103 Abs. 1 führt aus3: „Kern der Definition des öffentlichen Auftrags ist, dass es sich um die Beschaffung von Leistungen durch öffentliche Auftraggeber oder Sektorenauftraggeber handeln muss. Der Unionsgesetzgeber hat in Erwägungsgrund 4 der Richtlinie 2014/24/EU darauf hingewiesen, dass die zunehmende Vielfalt öffentlicher Tätigkeiten es erforderlich mache, den Begriff der Auftragsvergabe selbst klarer zu definieren. Diese Präzisierung als solche sollte jedoch den Anwendungsbereich der neuen EU-Vergaberichtlinie im Verhältnis zu dem der Richtlinie 2004/18/EG nicht erweitern. Nicht alle Formen öffentlicher Ausgaben sollten abgedeckt werden, sondern nur diejenigen, die für den Erwerb von Bauleistungen, Lieferungen oder Dienstleistungen im Wege eines öffentlichen Auftrags getätigt werden. Fälle, in denen alle Wirtschaftsteilnehmer, die bestimmte Voraussetzungen erfüllen, zur Wahrnehmung einer bestimmten Aufgabe – ohne Selektivität – berechtigt sind, sollten nicht als Auftragsvergabe verstanden werden, sondern als einfache Zulassungssysteme (z. B. Zulassungen für Arzneimittel oder ärztliche Dienstleistungen). Daraus lässt sich schließen, dass die Zulassung von Dienstleistungserbringern im sozialhilferechtlichen Dreiecksverhältnis nicht der Richtlinie 2014/24/EU unterfällt. Gleiches gilt für die Zulassung von Pflegeeinrichtungen sowie die Feststellung der fachlichen Eignung im Rahmen der Zulassung besonderer Dienste oder besonderer Einrichtungen. Weiterhin hat der Unionsgesetzgeber in Erwägungsgrund 6 hervorgehoben, dass es den Mitgliedstaaten freistehe, die Erbringung von sozialen oder anderen Dienstleistungen entweder als Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse oder als nichtwirtschaftliche Dienstleistungen von allgemeinem Interesse oder als eine Mischung davon zu organisieren. Der Unionsgesetzgeber stellt in diesem Zusammenhang klar, dass nichtwirtschaftliche Dienstleistungen von allgemeinem Interesse nicht in den Geltungsbereich der Richtlinie 2014/24/EU fallen.“

1 Vgl. für die Arzneimittelrabattverträge, die Hilfsmittelversorgungsverträge und die Verträge zur integrierten Versorgung Dreher/Hoffmann, NZBau 2009, 273 (276, 278 und 280 m.w.N.). Im Ergebnis ebenso für den Bereich der Kinder- und Jugendhilfe OLG Düsseldorf v. 22.9.2004 – VII-Verg 44/04, NZBau 2005, 652 (653 f.), das die Anwendbarkeit des Vergaberechts letztlich aber aufgrund des Vorliegens einer Dienstleistungskonzession verneint. 2 BGBl. I 2016, 203 ff. 3 BT-Drucks. 18/6281, S. 73.

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Dies birgt Potential für Missverständnisse dahingehend, dass die Anwendung des Vergaberechts auf Leistungen im sog. sozialrechtlichen Dreiecksverhältnis per se ausgeschlossen sei. Dem ist jedoch nicht so. Vielmehr ist – nach wie vor – eine sorgfältige Einzelfallprüfung geboten, weil trotz des Vorliegens eines sozialrechtlichen Dreiecksverhältnisses entweder ein ausschreibungspflichtiger öffentlicher Auftrag1 oder eine ausschreibungspflichtige Dienstleistungskonzession oder ein vergaberechtsfreier Vorgang (z.B. infolge einseitiger Zuwendungen durch Verwaltungsakt)2, der u.U. sogar die Anwendung des Vergaberechts verbietet3, vorliegen können. Dementsprechend hat auch die Bundesregierung in ihrer Antwort auf eine dahingehende Kleine Anfrage klargestellt4: „Die Anwendung des Vergaberechts auf die Leistungserbringung im sogenannten sozialrechtlichen Dreiecksverhältnis kann unter Beachtung der genannten Voraussetzungen nicht einheitlich beantwortet werden, sondern hängt von der Ausgestaltung der konkreten Rechtsbeziehungen zwischen Leistungsträger, Leistungserbringer und Leistungsempfänger im jeweils anzuwendenden Leistungserbringungsrecht ab. Eine pauschale Ausnahme für Leistungen im sozialrechtlichen Dreiecksverhältnis vom Vergaberecht ist europarechtlich weder möglich noch in der Sache gerechtfertigt.“ Ausführlich zu den sozialrechtlichen Verträgen und den damit verbundenen 23 Querschnittsproblemen Rz. 214 ff. Verneint wurde ein Beschaffungscharakter auch für die Entsorgung von Abfäl- 24 len zur Verwertung aus gewerblicher Herkunft, die von einem Zweckverband als Dienstleistung in Konkurrenz zu anderen Wettbewerbern angeboten wird und damit vor allem den privaten Dienstleistungsauftraggebern des Zweckverbandes zugutekommen soll, nicht hingegen dem öffentlichen Auftraggeber/Entsorgungsträger, der insoweit allenfalls mittelbar über die wirtschaftlichen Erträge des Zweckverbandes von diesen Dienstleistungen profitieren könnte5. e) Eigener Beschaffungsbedarf Die Deckung eines eigenen Beschaffungsbedarfs des öffentlichen Auftrag- 25 gebers ist keine Tatbestandsvoraussetzung des öffentlichen Auftrags i.S.v. § 103. Zwar ist die Rechtsprechung in früheren Entscheidungen davon aus1 Vgl. OLG Hamburg v. 7.12.2007 – 1 Verg 4/07, NDV-RD 2008, 30 ff. (für den Fall der Schuldnerberatung mit einem exklusiven Kreis von Leistungserbringern). 2 Vgl. OLG München v. 25.3.2011 – Verg 4/11, NZBau 2011, 380 ff.; VK Nordbayern v. 19.1.2011 – 21. VK-3194–48/10. 3 So für Leistungsvereinbarungen gem. §§ 75 ff. SGB XII OVG NW v. 27.9.2004 – 12 B 1390/04 und 12 B 1397/04; sowie auch VG Münster v. 22.6.2004 – 5 L 728/04, ZFSH/ SGB 2004, 601 ff. 4 Vgl. BT-Drucks. 18/6492, S. 2 f. 5 VK Lüneburg v. 4.5.2012 – VgK-14/2012, BeckRS 2012, 24292.

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§ 103 | Öffentliche Aufträge, Rahmenvereinbarungen und Wettbewerbe gegangen, dass es im Wesen des öffentlichen Auftrags liege, dass der öffentliche Auftraggeber mit der Vergabe einem in seinem Verantwortungsbereich auftretenden eigenen Beschaffungsbedarf Rechnung trägt1. Allerdings wurde dieses Erfordernis im Anschluss an die Klarstellung des EuGH, dass die EU-Vergaberichtlinien nicht zwischen Aufträgen, die ein öffentlicher Auftraggeber vergibt, um seine im Allgemeininteresse liegenden Aufgaben zu erfüllen, und Aufträgen, die in keinem Zusammenhang mit derartigen Aufgaben stehen, unterscheidet2, aufgegeben. Es reicht mithin aus, dass der öffentliche Auftraggeber überhaupt Aufträge vergibt, zu welchen Zwecken auch immer3. Denn schon dann besteht das Risiko einer Wettbewerbsverzerrung infolge der Bevorzugung einzelner Marktteilnehmer4. 26 Klarstellend wird in der Rechtsprechung in diesem Zusammenhang zuweilen

darauf hingewiesen, dass die Nichterforderlichkeit eines eigenen Beschaffungsbedarfs keinen Verzicht auf das Element der Beschaffung durch den öffentlichen Auftraggeber als solches bedeute5. Allerdings sei der Begriff des öffentlichen Beschaffungswesens so zu verstehen, dass hierunter nicht nur solche Maßnahmen eines öffentlichen Auftraggebers fallen, die unmittelbar der Deckung seines eigenen Bedarfs dienen, sondern auch solche, mit denen er konkrete eigene Zielsetzungen bzw. mittelbare Eigeninteressen verfolgt. Das OLG Düsseldorf hat im Rahmen seiner sog. „Ahlhorn“-Rechtsprechung in Interpretation der bis dato vorliegenden Rechtsprechung des EuGH sogar die Auffassung vertreten, dass in diesem Zusammenhang bereits allgemeine wirtschafts- und gesellschaftspolitische Zwecksetzungen, wie beispielsweise die gesicherte städtebauliche Entwicklung oder die strukturelle Aufwertung und Belebung bestimmter, der kom-

1 OLG Düsseldorf v. 28.4.2004 – VII-Verg 2/04, NZBau 2004, 400 (401); VK Südbayern v. 15.12.2003 – 120.3-3194.1-56-11/03. 2 EuGH v. 18.11.2004 – Rs. C-126/03, Slg. I-11197, VergabeR 2005, 57 (58) – Rz. 18 – Kommission/Bundesrepublik Deutschland. 3 OLG Karlsruhe v. 13.6.2008 – 15 Verg 3/08, NZBau 2008, 537 (538 f.); OLG Düsseldorf v. 2.10.2008 – VII-Verg 25/08, NZBau 2008, 727 (730); OLG Düsseldorf v. 6.2.2008 – VIIVerg 37/07, NZBau 2008, 271 (274); OLG Düsseldorf v. 12.12.2007 – VII-Verg 30/07, NZBau 2008, 138 (140); OLG Düsseldorf v. 13.6.2007 – VII- Verg 2/07, NZBau 2007, 530 (531); OLG Düsseldorf v. 23.5.2007 – VII-Verg 50/06, NZBau 2007, 525 (529); OLG Bremen v. 13.3.2008 – Verg 5/07, VergabeR 2008, 558 (561); VK Bund v. 15.11. 2007 – VK 2-123/07; VK Bund v. 15.11.2007 – VK 2-120/07; VK Bund v. 15.11.2007 – VK 2-117/07; VK Bund v. 15.11.2007 – VK 2-114/07; VK Bund v. 15.11.2007 – VK 2108/07; VK Bund v. 15.11.2007 – VK 2-105/07; VK Bund v. 15.11.2007 – VK 2-102/07; VK Düsseldorf v. 31.10.2007 – VK-31/2007-L; VK Düsseldorf v. 2.8.2007 – VK-23/2007B; VK Mecklenburg-Vorpommern v. 7.1.2008 – 2 VK 5/07. 4 OLG Karlsruhe v. 13.6.2008 – 15 Verg 3/08, NZBau 2008, 537 (538); Schlussanträge der Generalanwältin Kokott v. 15.6.2006 in der Rs. C-220/05, Slg. I-00385, Rz. 43 – Stadt Roanne. 5 So insb. OLG Düsseldorf v. 2.10.2008 – VII-Verg 25/08, NZBau 2008, 727 (730).

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munalen Planungshoheit unterliegender Zonen, ausreichen sollen1. Infolgedessen sei die Anwendung des Vergaberechts von der Deckung eines gegenständlichen, körperlich greifbaren Beschaffungsbedarfs für den öffentlichen Auftraggeber unabhängig. Es reiche vielmehr aus, dass der öffentliche Auftraggeber die rechtliche Befugnis erlangt, sicherzustellen, dass der mit der Beschaffung verfolgte öffentliche Zweck erreicht wird2 (vgl. hierzu auch Rz. 74). Dieser weiten Interpretation ist der EuGH in der Entscheidung „Helmut Müller GmbH“ vom 25.3.20103 jedoch nicht gefolgt. Ausgehend von der Entgeltlichkeit des öffentlichen Auftrags und dem daraus folgenden Erfordernis, dass der öffentliche Auftraggeber stets eine Gegenleistung erhalten müsse, hat der EuGH festgestellt, dass eine Gegenleistung zwar nicht immer in einer physischen Nutzung des Bauwerks durch den öffentlichen Auftraggeber bestehen müsse. Voraussetzung sei aber ein „wirtschaftliches Interesse“ des Auftraggebers an der Bauleistung. Dieses könne in der rechtlichen Sicherstellung der Verfügbarkeit des Bauwerks für öffentliche Zwecke zum Ausdruck kommen, sich aber auch in einer finanziellen Beteiligung oder einer Risikoübernahme durch den Auftraggeber manifestieren. Die bloße Ausübung städtebaulicher Regelungszuständigkeiten im Hinblick auf die Verwirklichung eines allgemeinen Interesses genügt hierfür nach Auffassung des EuGH jedoch nicht4. Eine Beschaffung liegt daher nur dann vor, wenn die Leistung unmittelbar dem Auftraggeber zugutekommt, was aber bereits der Fall ist, wenn der Auftraggeber ein unmittelbares wirtschaftliches Interesse an der Auftragserledigung hat5. f) Interimsbeauftragungen Häufig können Vergabeverfahren nicht zeitgerecht begonnen oder abgeschlos- 27 sen werden. Dies kommt beispielsweise dann vor, wenn Nachprüfungsverfahren lange andauern bzw. das Vergabeverfahren durch die Nachprüfungsinstanzen in einen früheren Stand zurückversetzt wird. In solchen Fällen kann ein Auftrag1 OLG Düsseldorf v. 2.10.2008 – VII-Verg 25/08, NZBau 2008, 727 (730 f.); OLG Düsseldorf v. 12.12.2007 – VII-Verg 30/07, NZBau 2008, 138 (140 f.); OLG Düssledorf v. 13.6. 2007 – VII-Verg 2/07, NZBau 2007, 530 (533). Ebenso OLG Karlsruhe v. 13.6.2008 – 15 Verg 3/08, NZBau 2008, 537 (538 f.); OLG Bremen v. 13.3.2008 – Verg 5/07, VergabeR 2008, 558 (561). 2 So m.w.N. OLG Düsseldorf v. 2.10.2008 – VII-Verg 25/08, NZBau 2008, 727 (730), das mit dieser Entscheidung dem EuGH u.a. die Frage vorgelegt hat, ob ein öffentlicher Bauauftrag nach Art. 1 Abs. 2 b) der Richtlinie 2004/18/EG konstitutiv voraussetzt, dass die Bauleistung in einem gegenständlich oder körperlich zu verstehenden Sinn für den öffentlichen Auftraggeber beschafft wird und ihm unmittelbar wirtschaftlich zugutekommt. 3 EuGH v. 25.3.2010 – Rs. C-451/08, NZBau 2010, 321 ff. – Helmut Müller GmbH. 4 EuGH v. 25.3.2010 – Rs. C-451/08, NZBau 2010, 321 ff., Rz. 45–58 – Helmut Müller GmbH. 5 EuGH v. 25.3.2010 – Rs. C-451/08, NZBau 2010, 321 ff., Rz. 45–58 – Helmut Müller GmbH; OLG Düsseldorf v. 9.6.2010 – VII-Verg 9/10, NZBau 2010, 580 ff.

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§ 103 | Öffentliche Aufträge, Rahmenvereinbarungen und Wettbewerbe geber dazu gezwungen sein, seinen Bedarf interimsweise zu decken. Auch solche sog. Interimsaufträge sind grundsätzlich als öffentliche Aufträge i.S.v. § 103 Abs. 1 zu qualifizieren1. Insbesondere stellt ein Interimsauftrag keinen – wie auch immer gearteten – Teil des ursprünglich ausgeschriebenen Auftrags dar, sondern einen zusätzlichen Auftrag, der auch hinsichtlich des Auftragswertes selbständig und losgelöst vom Hauptauftrag zu betrachten ist2. 28 Dementsprechend unterfallen entsprechende Interimsvergaben auch nur der

vergaberechtlichen Nachprüfung gem. §§ 155, wenn der Auftragswert den maßgeblichen Schwellenwert überschreitet3. Letzterer hängt u.a. maßgeblich von der Laufzeit des Interimsauftrages ab. Insoweit gibt es indes keine absoluten und festen Grenzen4. Maßgeblich sind die konkreten Einzelfallumstände. So hat es beispielsweise das OLG Koblenz in der Entscheidung „Regiopost“ – mit Rücksicht auf die durchschnittliche Dauer eines Vorabentscheidungsverfahrens beim EuGH von ca. 16 Monaten – als nicht zu beanstanden angesehen, dass der öffentliche Auftraggeber einen vorzeitig kündbaren Interimsvertrag mit einer Laufzeit von 12 Monaten vorgesehen hat5.

29 Von großer praktischer Relevanz ist zudem die Frage, ob die Interimsvergabe

aufgrund einer Dringlichkeit i.S.v. § 14 Abs. 4 Nr. 3 VgV bzw. § 3a EU Abs. 3 Nr. 4 VOB/A im Wege der „Direktvergabe“ erfolgen kann. Dies scheidet grundsätzlich aus, wenn die Dringlichkeit „hausgemacht“, d.h. vom Auftraggeber selbst verursacht ist, z.B. weil dieser Vergabefehler gemacht oder das Vergabeverfahren nicht rechtzeitig eingeleitet hat. Etwas anderes gilt insoweit lediglich für den Bereich der Daseinsvorsorge6.

30 Wird als Folge einer Aufhebung eines Vergabeverfahrens durch die Vergabe-

kammer bzw. den Vergabesenat eine auf eine mehrjährige Leistungserbringung angelegte Vergabe neu ausgeschrieben, so sind – nach der Auffassung von OLG

1 Vgl. OLG Hamburg v. 8.7.2008 – 1 Verg 1/08, VergabeR 2009, 97 (98); OLG Dresden v. 25.1.2008 – WVerg 10/07, VergabeR 2008, 567 (570); OLG Brandenburg v. 6.10.2006 – Verg W 6/06, NZBau 2007, 329 (332); VK Arnsberg v. 25.8.2008 – VK 14/08; Eschenbruch in Kulartzt/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 103 Rz. 179 ff. 2 Vgl. OLG Koblenz v. 24.3.2015 – Verg 1/15, MDR 2015, 1026 = VergabeR 2015, 620; Eschenbruch in Kulartzt/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 103 Rz. 179 f. 3 Vgl. zur Frage der Notwendigkeit, Interimsaufträge ggf. ohne Primärrechtsschutz erteilen zu können, Marx/Hölz, NZBau 2010, 535 ff. 4 Vgl. Marx/Hölz, NZBau 2010, 535 (538); Eschenbruch in Kulartzt/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 103 Rz. 183. 5 Vgl. OLG Koblenz v. 24.3.2015 – Verg 1/15, MDR 2015, 1026 = VergabeR 2015, 620 ff. 6 Vgl. OLG Jena v. 25.6.2014 – 2 Verg 1/14, ZfBR 2015, 404 ff.; OLG Frankfurt v. 30.1.2014 – 11 Verg 15/13, VergabeR 2014, 547 ff.; VG Halle v. 31.5.2011 – B 74/11 HAL, BeckRS 2011, 51060; Eschenbruch in Kulartzt/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 103 Rz. 184.

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Hamburg und OLG Dresden – die Verhandlungen über eine Zwischenlösung bis zum Abschluss dieses Vertrages und seiner Umsetzung mit allen Unternehmen zu führen, die sich an der aufgehobenen Ausschreibung mit einem Angebot beteiligt haben, das keine oder jedenfalls keine unter Gleichheitsgesichtspunkten beachtlichen Mängel aufgewiesen hat. Ein im Ergebnis von Verhandlungen mit nur einem der Bieter geschlossener Vertrag über eine Zwischenlösung ist danach gem. § 135 Abs. 1 (analog) unwirksam1. Differenzierter hat dagegen die VK Rheinland-Pfalz entschieden2. Danach orientiere sich die Frage der Dringlichkeit einer Interimsvergabe an dem Zeitraum, den der Auftraggeber für die Vorbereitung der Ausschreibung, die Prüfung und Wertung der Angebote sowie die Vorabinformation der beteiligten Bieter benötigt und an der Frist, die den Bietern für die Bearbeitung ihrer Angebote einzuräumen ist. Dem Auftraggeber sei regelmäßig ein Zeitraum von drei Monaten zuzubilligen. Der Auftraggeber habe dem Wettbewerbsprinzip bei Interimsvergaben stufenweise Geltung zu verschaffen. Bei Vergaben bis zu drei Monaten könne der Bieterkreis auf ein Unternehmen beschränkt werden, bei Zeiträumen bis zu einem Jahr seien grundsätzlich mindestens drei Unternehmen zur Angebotsabgabe aufzufordern und bei Zwischenvergaben von mehr als einem Jahr sei die Durchführung eines förmliches Vergabeverfahrens erforderlich. Durch die stufenweise Erhöhung des Wettbewerbsprinzips soll den Belangen des Auftraggebers einerseits und den Belangen des Wettbewerbs andererseits adäquat Rechnung getragen werden. Der Auftraggeber habe sich bei der Wahl seiner Interimsbeauftragung am notwendigerweise zu überbrückenden Zeitraum zum Zeitpunkt des Eintritts der Dringlichkeit zu orientieren. Es handele sich um eine Prognoseentscheidung, die hinreichend zu dokumentieren sei3. g) Vertragsänderungen Die (wesentliche) Änderung von ausschreibungspflichtigen Verträgen kann 31 ebenfalls einen öffentlichen Auftrag i.S.v. § 103 darstellen. Dies gilt insbesondere dann, wenn sie in ihren wirtschaftlichen Auswirkungen dem Neuabschluss eines entsprechenden Vertrages gleichsteht4 und aufgrund zweier Willenserklärungen zustande kommt, also nicht bereits Folge der Ausübung eines kraft Vertrages (z.B. [qualitativ oder quantitativ hinreichend definiertes oder begrenztes] Leistungsbestimmungsrecht im Ursprungsvertrag5) oder Gesetzes (z.B. gem. § 313 1 Vgl. OLG Hamburg v. 8.7.2008 – 1 Verg 1/08, VergabeR 2009, 97 (98); OLG Dresden v. 25.1.2008 – WVerg 10/07, VergabeR 2008, 567 (570). 2 Vgl. VK Rheinland-Pfalz v. 22.5.2014 – VK 1-7/14, BeckRS 2015, 15353. 3 Vgl. VK Rheinland-Pfalz v. 22.5.2014 – VK 1-7/14, BeckRS 2015, 15353. 4 OLG Düsseldorf v. 14.2.2001 – VII-Verg 13/01, NZBau 2002, 53 (54); Marx, NZBau 2002, 311 (312). 5 OLG Düsseldorf v. 28.7.2011 – VII-Verg 20/11, NZBau 2012, 50 ff.; OLG Schleswig v. 28.8.2015 – 1 Verg 1/15.

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§ 103 | Öffentliche Aufträge, Rahmenvereinbarungen und Wettbewerbe BGB wegen Störung der Geschäftsgrundlage) bestehenden einseitigen Gestaltungsrechts ist. 32 Der EuGH hatte in seinem grundlegenden „Pressetext“-Urteil entschieden, dass

wesentliche Änderungen eines öffentlichen Auftrags zu einer Neuausschreibungspflicht führen und seine Rechtsprechung in der Folgezeit stetig weiterentwickelt. Mit der am 18.4.2016 in Kraft getretenen Vergaberechtsreform wurde diese Rechtsprechung – in Umsetzung von Art. 43 der Richtlinie 2014/23/EU, Art. 72 der Richtlinie 2014/24/EU sowie Art. 89 der Richtlinie 2014/25/EU – erstmals im 4. Teil des GWB im neu geschaffenen § 132 kodifiziert. Zu diesbezüglichen Einzelheiten sei daher an dieser Stelle auf die Kommentierung zu § 132 verwiesen. 2. Entgelt

33 Ein öffentlicher Auftrag setzt nach dem Wortlaut von § 103 einen entgeltlichen

Vertrag voraus. Hiermit soll klargestellt werden, dass der öffentliche Auftraggeber eine Gegenleistung im Sinne einer Zuwendung erbringen muss. Ein entgeltlicher Vertrag besteht grundsätzlich aus einer vereinbarten Leistung des vertraglich gebundenen Auftragnehmers für den Auftraggeber und einer geldwerten Gegenleistung des vertraglich gebundenen öffentlichen Auftraggebers1. Der Begriff des Entgelts ist weit auszulegen. Das Entgelt muss nicht in einer Übergabe von Geldmitteln bestehen; hiervon umfasst ist vielmehr jede Art von Vergütung, die einen geldwerten Vorteil bedeutet2. Ein Entgelt kann mithin auch in der Gewährung von Zuwendungen (z.B. bei nicht kostendeckenden Verkehrsdienstleistungen)3 oder in der Verpflichtung des Verlegers, ein ihm überlassenes Werk zu vervielfältigen und zu verbreiten4, liegen. 1 BGH v. 1.12.2008 – X ZB 31/08, BGHZ 179, 84, 89 = MDR 2009, 370; VK Lüneburg v. 14.6.2005 – VgK-22/2005; VK Lüneburg v. 18.3.2004 – 203-VgK-06/2004; Hailbronner in Byok/Jaeger, Kommentar zum Vergaberecht, § 99 Rz. 6. 2 BGH v. 1.12.2008 – X ZB 31/08, BGHZ 179, 84, 89 = MDR 2009, 370; OLG Celle v. 8.9. 2014 – 13 Verg 7/14, VergabeR 2015, 50 ff.; OLG Celle v. 5.2.2004 – 13 Verg 26/03, NZBau 2005, 51 f.; OLG Naumburg v. 3.11.2005 – 1 Verg 9/05, NZBau 2006, 58, 62; OLG Düsseldorf v. 8.9.2005 – VII-Verg 35/04, NZBau 2005, 650; OLG Düsseldorf v. 27.10.2004 – VII-Verg 41/04, VergabeR 2005, 90 (95); OLG Düsseldorf v. 12.1.2004 – VII-Verg 71/03, NZBau 2004, 343 (344); OLG Frankfurt v. 7.9.2004 – 11 Verg 11/04, NZBau 2004, 692 (694); BayObLG v. 27.2.2003 – Verg 1/03, VergabeR 2003, 329 (330); VK Südbayern v. 16.12.2014 – Z3-3-3194-1-43-09/14. 3 VK Düsseldorf v. 18.4.2002 – VK-5/2002-L. 4 VK Bund v. 26.5.2000 – VK 2-8/00, WuW/E Verg 354; die Entscheidung ist allerdings insoweit missverständlich, als es dort heißt, das Entgelt könne auch in der Einräumung einer Umsatzbeteiligung liegen. Würde lediglich eine Umsatzbeteiligung gewährt werden, würde entgegen der Auffassung der VK Bund jedoch eine Dienstleistungskonzession vorliegen. Die Entscheidung ist im Ergebnis gleichwohl zutreffend, da das Entgelt

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Eine Gewinnerzielung ist nicht erforderlich1. Ein Vertrag ist daher insbeson- 34 dere auch dann entgeltlich, wenn sich die vorgesehene Vergütung auf den Ersatz der Kosten beschränkt, die durch die Erbringung der vereinbarten Dienstleistung entstehen2. Aus (allein schon) diesem Grund kann auch die Bezeichnung in einem Vertrag als „Selbstkostenerstattung“ der Einordnung der in Rede stehenden Mittel als „Entgelt“ nicht entgegenstehen3. Das weite Verständnis von der Entgeltlichkeit soll die vergaberechtspflichtigen Aufträge nur von vergabefreien Gefälligkeitsverhältnissen oder außerrechtlichen Beziehungen abgrenzen4. Auch setzt die Entgeltlichkeit weder eine synallagmatische Verknüpfung der Gegenleistung mit der Leistung des Auftragnehmers, noch eine Leistungsgewährung unmittelbar aus eigenen (Haushalts-)Mitteln des öffentlichen Auftraggebers voraus. Dementsprechend unterfällt dem Vergaberecht grundsätzlich jede Art von zweiseitig verpflichtendem Vertrag5. Das Entgelt kann daher insbesondere auch in dem Verzicht auf Zahlungs- 35 ansprüche, insbesondere dem Verzicht des öffentlichen Auftraggebers auf einen auf gesetzlicher Grundlage bestehenden Gebührenanspruch liegen6. So kann das Entgelt bei einem Erschließungsvertrag7 beispielsweise darin zu sehen sein, dass die Kommune im Hinblick darauf, dass die Eigentümer als Erschließungsträger auftreten, auf eine eigene Erschließung verzichtet und damit das Nichtentstehen der Beitragsschuld bewirkt8. Gleich bedeutend ist die Überlassung von geldwerten Mobilien oder Immobi- 36 lien zu einem reduzierten Preis9. In diesem Zusammenhang ist es daher z.B. auch bei der Entsorgung von Elektro- und Elektronikgeräten wesentlich, dass die Leistung, die der Unternehmer erbringt, um eine ordnungsgemäße Abfall-

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im zugrunde liegenden Fall in den Verpflichtungen des Verlegers zur Vervielfältigung und Verbreitung des Werks zu sehen war. EuGH v. 11.12.2014 – Rs. C-113/13; EuGH v. 13.6.2013 – Rs. C-386/11, NZBau 2013, 522 ff. – Piepenbrock; EuGH v. 19.12.2012 – Rs. C-159/11; OLG Koblenz v. 3.12.2014 – Verg 8/14, VergabeR 2015, 192 ff.; OLG Naumburg v. 3.11.2005 – 1 Verg 9/05, NZBau 2006, 58 (62); BayObLG v. 27.2.2003 – Verg 1/03, VergabeR 2003, 329 (330); ähnlich OLG Frankfurt v. 7.9.2004 – 11 Verg 11/04, NZBau 2004, 692 (694). EuGH v. 11.12.2014 – Rs. C-113/13; EuGH v. 13.6.2013 – Rs. C-386/11, NZBau 2013, 522 ff. – Piepenbrock; OLG Celle v. 17.12.2014 – 13 Verg 3/13, NZBau 2015, 178 ff. Vgl. OLG Frankfurt v. 7.9.2004 – 11 Verg 11/04, NZBau 2004, 692 (694). OLG Naumburg v. 3.11.2005 – 1 Verg 9/05, NZBau 2006, 58 (62); BayObLG v. 27.2.2003 – Verg 1/03, VergabeR 2003, 329 (330). BayObLG v. 27.2.2003 – Verg 1/03, VergabeR 2003, 329 ff.; VK Südbayern v. 28.12.2001 – 47-11/01. EuGH v. 12.7.2001 – Rs. C-399/98, Slg. I-05409, NZBau 2001, 512 (514) – Rz. 48 f. – Teatro alla Bicocca. Ausführlich zu diesen unter Rz. 204 ff. VK Baden-Württemberg v. 20.6.2002 – 1 VK 27/02. VK Schleswig-Holstein v. 17.8.2012 – VK-SH 17/12, BeckRS 2014, 22318.

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§ 103 | Öffentliche Aufträge, Rahmenvereinbarungen und Wettbewerbe entsorgung zu gewährleisten, untrennbar mit der Überlassung der werthaltigen Alt-Elektrogeräte verbunden ist. Aus vergaberechtlicher Sicht ist die Überlassung werthaltiger Alt-Elektrogeräte das rechtliche Gewand, in dem sich die Vergabestelle die Leistungen beschafft, die die ihr obliegende geordnete Verwertung dieser Geräte sicherstellen oder zumindest fördern sollen1. Des Weiteren wurde etwa in dem Fall, dass eine Kommune, die sich einen möglichst großen Anteil an Abfallmengen zur höheren Auslastung einer Deponieanlage sichern will und dem Unternehmen zu diesem Zweck ein Grundstück zu einem reduzierten Pachtzins überlässt, ausnahmsweise auch die als solche grundsätzlich vergaberechtsfreie Grundstücksüberlassung als den entgeltlichen Vertragscharakter begründend angesehen2. Zwischen dem OLG Celle und dem OLG Düsseldorf umstritten war in diesem Zusammenhang der Fall der Verwertung von Altpapier, in welchem der Preis, den der Auftragnehmer an den Auftraggeber zahlt, deutlich unter dem Marktwert des geldwerten Nutzens liegt, den der Auftragnehmer zieht. Das OLG Celle hat hier die Entgeltlichkeit mit dem Argument verneint, dass die Wertschöpfung zwischen den Verwertungsstufen nicht dem Ausgangsmaterial, sondern der Tätigkeit des Bearbeiters zuzurechnen sei. Ein Entgelt für die stoffliche Verwertung könne allenfalls dann angenommen werden, wenn der öffentliche Auftraggeber dem Entsorgungsunternehmen über den Verkauf des Altpapiers gegen einen angemessenen Preis hinaus etwas zuwende3. Das OLG Düsseldorf ist dem mit der Begründung entgegengetreten, dass zur Feststellung der Entgeltlichkeit maßgeblich auf die Verkehrssitte abzustellen sei mit der Folge, dass, wenn und soweit Leistungen zum Beruf des Auftragnehmers gehören, im Allgemeinen nicht von einer unentgeltlichen Dienst- oder Werkleistung ausgegangen werden könne4. Der BGH hat diese Streitfrage auf die Divergenzvorlage durch das OLG Düsseldorf hin im Sinne Letzteren entschieden. Danach erfordert § 103 GWB nicht, in Fällen, in denen die von dem Unternehmen übernommene (Dienst-)Leistung in der weiteren Behandlung eines Gutes von Wert liegt und der öffentliche Auftraggeber – wegen dieser Eigenschaft – eine Bezahlung durch das Unternehmen erreichen kann, Entgeltlichkeit erst dann anzunehmen, wenn feststeht, dass und gegebenenfalls inwieweit bei der Höhe des von dem Unternehmen zu zahlenden Preises die Pflicht zur Erbringung der übernommenen (Dienst-)Leistung preismindernd berücksichtigt worden ist5.

1 VK Südbayern v. 16.12.2014 – Z3-3-3194-1-43-09/14, ZfBR 2015, 413. 2 BayObLG v. 27.2.2003 – Verg 1/03, VergabeR 2003, 329 (331); Eschenbruch in Kulartz/ Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 103 Rz. 78. 3 OLG Celle v. 1.7.2004 – 13 Verg 8/04, OLGReport Celle 2004, 593 (594). 4 OLG Düsseldorf v. 12.1.2004 – VII-Verg 71/03, NZBau 2004, 343 (344); OLG Düsseldorf v. 27.10.2004 – VII-Verg 41/04, VergabeR 2005, 90 (92 f.), mit Anm. Zirbes. 5 BGH v. 1.2.2005 – X ZB 27/04, BGHZ 162, 116, 129 = MDR 2005, 973 (noch für § 99 GWB a.F.).

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Nicht entscheidend ist grundsätzlich auch, von wem der Leistende die Ver- 37 gütung erhält. Auch wenn er diese von Dritten einzieht, kann daher – sofern nicht eine Konzessionsgestaltung vorliegt – ein entgeltlicher öffentlicher Auftrag vorliegen. Entsprechend hat der EuGH im Fall „Stadt Roanne“ die Entgeltlichkeit damit begründet, dass dem Auftragnehmer der Erlös aus der Veräußerung der zu errichtenden Bauwerke an Dritte zustehen sollte (und vorgesehen war, dass die Stadt sich an den Ausgaben für alle zu errichtenden baulichen Anlagen beteiligt)1. Weiter hat die Rechtsprechung den Entgeltcharakter auch für die Eröffnung der Möglichkeit, Gebühren bei Dritten einzuziehen, bejaht2. Gleiches gilt für Betriebskosten im Rahmen der Bewirtschaftung von Wohnungen3. Diskutiert wurde die Frage der Entgeltlichkeit in jüngerer Zeit insbesondere 38 auch bei den Arzneimittelrabattverträgen. An diesen erscheint zunächst problematisch, dass sie weder eine Zahlungs- noch eine Sachleistungspflicht der Krankenkasse begründen. Vielmehr wird – umgekehrt – der pharmazeutische Unternehmer verpflichtet, den Rabatt an die Krankenkasse auszuzahlen und die Arzneimittel zu liefern. Allerdings bestehen eine ganze Reihe gesetzlicher Regelungen, die den Absatz rabattierter Arzneimittel fördern und somit deren Hersteller privilegieren. Diese mit den Rabattvereinbarungen einhergehenden Privilegien wirken faktisch wie eine Absatzgarantie und stellen daher eine erhebliche geldwerte Leistung dar, so dass die Entgeltlichkeit zu bejahen ist4. Ausführlich zu den Arzneimittelrabattverträgen unter Rz. 226 ff. Schließlich ist in diesem Zusammenhang auch Art. 1 Abs. 6 der Richtlinie 39 2014/24/EU zu beachten. Danach werden Vereinbarungen, Beschlüsse oder andere Rechtsinstrumente, die die Übertragung von Befugnissen und Zuständigkeiten für die Ausführung öffentlicher Aufgaben zwischen öffentlichen Auftraggebern oder Gruppen von öffentlichen Auftraggebern regeln und die keine Vergütung für vertragliche Leistungen vorsehen, als Angelegenheit der internen Organisation des betreffenden Mitgliedstaats betrachtet und als solche nicht von dieser Richtlinie berührt. Angesprochen sind damit insbesondere die Gründung von Zweckverbänden und die sog. delegierenden öffentlich-rechtlichen Vereinbarungen (z.B. i.S.v. § 23 Abs. 2 Alt. 1 GkG NRW). Diese sind nach Art. 1 Abs. 6 der Richtlinie 2014/24/EU indes nicht per se, sondern nur dann von der Anwendung der Richtlinie 2014/24/EU ausgenommen, wenn – nicht nur die Aufgabenerfüllung, sondern Befugnisse und Zuständigkeiten übertragen werden; 1 EuGH v. 18.1.2007 – Rs. C-220/05, Slg. I-00385, NZBau 2007, 185 (188) – Rz. 45 – Stadt Roanne, mit Anm. Boesen, EuZW 2007, 121 ff.; zustimmend OLG Düsseldorf v. 13.6. 2007 – VII-Verg 2/07, NZBau 2007, 530 (532). 2 OLG Naumburg v. 3.11.2005 – 1 Verg 9/05, NZBau 2005, 58 (62). 3 VK Berlin v. 26.8.2004 – VK-B 1-26/04. 4 Ausführlich dazu und m.w.N. Dreher/Hoffmann, NZBau 2009, 273 (276); sowie Byok, GesR 2007, 553 (556).

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§ 103 | Öffentliche Aufträge, Rahmenvereinbarungen und Wettbewerbe – dies durch eine Vereinbarung, einen Beschluss oder ein anderes Rechtsinstrument erfolgt – und keine Vergütung für vertragliche Leistungen vorgesehen ist1. 40 Fraglich und umstritten ist/war in diesem Zusammenhang zum einen, ob es

schädlich ist, wenn sich der ursprüngliche Aufgabenträger gewisse Überwachungs- und/oder Kontrollrechte oder ggf. auch ein Kündigungs- oder sonstiges Rückholrecht zurückbehält2. Zum anderen war/ist umstritten, wie streng/restriktiv das Kriterium, dass keine Vergütung für die vertraglichen Leistungen vorgesehen sein darf, auszulegen ist. Teilweise wird/wurde insoweit angenommen, dass, wenn auch nur eine Entschädigung oder ein sonstiger Ausgleich für die Kompetenzübertragung gewährt wird, die Ausnahmeregelung des Art. 1 Abs. 6 der Richtlinie 2014/24/EU nicht einschlägig sei3. Teilweise wird/ wurde dies als zu weitgehend abgelehnt, da Kompetenzverschiebungen auch mit der Übertragung von Finanzmitteln einhergehen können müssen, wenn und soweit es sich um eine echte Kompetenzübertragung handelt4.

41 Eine Klärung dieser Fragen ist zwischenzeitlich durch die auf den Vorlage-

beschluss des OLG Celle vom 17.12.20145 hin ergangene EuGH-Entscheidung vom 21.12.2016 in der Rechtssache „Remondis“6 erfolgt. Hierdurch dürfte in diesem praxisrelevanten Bereich ein erhebliches Mehr an Rechtssicherheit eingetreten sein und zukünftig wieder mehr Anreize für reine interkommunale Kooperationenen bestehen.

42 Der EuGH erinnert in seiner Entscheidung zunächst daran, dass die Aufteilung

der Zuständigkeiten innerhalb eines Mitgliedstaats unter dem Schutz von Art. 4 Abs. 2 EUV steht, nach dem die Union verpflichtet ist, die jeweilige nationale Identität der Mitgliedstaaten zu achten, die in ihren grundlegenden politischen und verfassungsmäßigen Strukturen einschließlich der lokalen und regionalen Selbstverwaltung zum Ausdruck kommt7. Außerdem bezieht sich dieser Schutz nach Art. 4 Abs. 2 EUV auch auf die innerstaatliche Neuordnung der Kompetenzen, da diese Kompetenzaufteilung nicht starr ist. Solche Neuordnungen,

1 Vgl. hierzu auch von Engelhardt/Kaelble in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 108 Rz. 10. 2 In diesem Sinne beispielsweise von Engelhardt/Kaelble in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 108 Rz. 10 m.w.N. 3 I.d.S. insb. OLG Celle v. 17.12.2014 – 13 Verg 3/13, NZBau 2015, 178 ff.; OLG Koblenz v. 3.12.2014 – Verg 8/14, VergabeR 2015, 192 ff.; Brockhoff, VergabeR 2014, 625 (633); Gruneberg/Wilden-Beck, VergabeR 2014, 99 (105). 4 So insb. von Engelhardt/Kaelble in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 108 Rz. 10. 5 OLG Celle v. 17.12.2014 – 13 Verg 3/13, NZBau 2015, 178 ff. 6 EuGH v. 21.12.2016 – Rs. C-51/15, ECLI:EU:C:2016:985 – Remondis. Siehe hierzu auch die Besprechungen von Frenz, GewArch 2017, 97 ff. und Siederer/Viezens, AbfallR 2017, 138 (141 ff.). 7 EuGH v. 21.12.2016 – Rs. C-51/15, ECLI:EU:C:2016:985, Rz. 40 – Remondis.

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etwa in Form von durch eine ranghöhere Behörde angeordnete Kompetenzverlagerungen von einer öffentlichen Stelle auf eine andere oder von freiwilligen Kompetenzübertragungen zwischen öffentlichen Stellen, haben zur Folge, dass eine zuvor zuständige Stelle von ihrer Pflicht zur Erfüllung einer bestimmten öffentlichen Aufgabe entlastet wird bzw. ihr Recht darauf verliert oder sich selbst davon entlastet bzw. darauf verzichtet, während fortan einer anderen Stelle diese Pflicht obliegt und dieses Recht zusteht1. Darüber hinaus betont der EuGH, dass eine solche Kompetenzverlagerung oder -übertragung nicht alle Voraussetzungen erfüllt, die gemäß der Definition des Begriffs „öffentlicher Auftrag“ erforderlich sind. Denn nur ein entgeltlicher Vertrag kann einen öffentlichen Auftrag darstellen, wobei dieser entgeltliche Charakter impliziert, dass der öffentliche Auftraggeber, der einen öffentlichen Auftrag vergibt, gemäß diesem Auftrag gegen eine Gegenleistung eine Leistung erhält, die für den öffentlichen Auftraggeber von unmittelbarem wirtschaftlichen Interesse ist. Insoweit ist das Synallagma des Vertrages ein wesentliches Merkmal eines öffentlichen Auftrags2. Vor diesem Hintergrund stellt der EuGH sodann fest, dass unabhängig davon, dass eine Entscheidung über die Zuweisung öffentlicher Befugnisse nicht in den Bereich wirtschaftlicher Vorgänge fällt, durch die bloße Tatsache, dass einer öffentlichen Stelle die ihr zuvor eingeräumte Befugnis entzogen wird, jegliches wirtschaftliche Interesse an der Erfüllung der dieser Befugnis entsprechenden Aufgaben entfällt3. Die Umverteilung der für die Ausübung der Befugnis verwendeten Mittel, die von der bisher zuständigen auf die nunmehr zuständige Stelle übertragen werden, kann nicht als Entrichtung eines Entgelts beurteilt werden, sondern stellt vielmehr eine logische – ja sogar notwendige – Folge der freiwilligen Übertragung oder der angeordneten Kompetenzverlagerung von der einen auf die andere Stelle dar4. Ebenso wenig stellt die Verpflichtung der Stelle, von der die Kompetenzübertragung ausgeht oder die die Kompetenzverlagerung beschließt, bei der Ausübung dieser Befugnis etwa entstehende und die Einnahmen übersteigende Mehrkosten zu übernehmen, ein Entgelt dar. Es handelt sich dabei um eine an Dritte gerichtete Garantie, die im vorliegenden Fall wegen des Grundsatzes, dass über das Vermögen einer öffentlichen Stelle kein Insolvenzverfahren eröffnet werden kann, erforderlich ist. Das Bestehen eines solchen Grundsatzes fällt als solches unter die interne Organisation eines Mitgliedstaats5. Darüber hinaus weist der EuGH aber auch darauf hin, dass eine Kompetenz- 43 übertragung zwischen öffentlichen Stellen bestimmte Voraussetzungen erfüllen muss, um als eine Maßnahme der internen Organisation angesehen werden zu 1 2 3 4 5

EuGH v. 21.12.2016 EuGH v. 21.12.2016 EuGH v. 21.12.2016 EuGH v. 21.12.2016 EuGH v. 21.12.2016

– Rs. – Rs. – Rs. – Rs. – Rs.

C-51/15, ECLI:EU:C:2016:985, Rz. 41 – Remondis. C-51/15, ECLI:EU:C:2016:985, Rz. 42 f. – Remondis. C-51/15, ECLI:EU:C:2016:985, Rz. 44 – Remondis. C-51/15, ECLI:EU:C:2016:985, Rz. 45 – Remondis. C-51/15, ECLI:EU:C:2016:985, Rz. 46 – Remondis.

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§ 103 | Öffentliche Aufträge, Rahmenvereinbarungen und Wettbewerbe können und damit unter die den Mitgliedstaaten durch Art. 4 Abs. 2 EUV garantierte Freiheit zu fallen1. Eine Kompetenzübertragung muss danach, damit sie als solche angesehen werden kann, nicht nur die mit der übertragenen Kompetenz verbundenen Zuständigkeiten, u.a. die Verpflichtung, den mit dieser Kompetenz verbundenen Aufgaben nachzukommen, sondern auch die damit einhergehenden Befugnisse umfassen. Hierfür ist es erforderlich, dass die öffentliche Stelle, der eine Kompetenz übertragen wird, befugt ist, die Erfüllung der sich aus dieser Kompetenz ergebenden Aufgaben zu organisieren und den diese Aufgaben betreffenden rechtlichen Rahmen zu schaffen. Weiter muss sie über eine finanzielle Unabhängigkeit verfügen, die es erlaubt, die Finanzierung dieser Aufgaben sicherzustellen. Dies ist dagegen nicht der Fall, wenn die ursprünglich zuständige Stelle die Hauptverantwortung für diese Aufgaben behält, sich die finanzielle Kontrolle über diese vorbehält oder den Entscheidungen, die die von ihr hinzugezogene Einrichtung treffen möchte, vorab zustimmen muss2. Demzufolge kann keine Kompetenzübertragung vorliegen, wenn die neuerdings zuständige öffentliche Stelle von der betreffenden Befugnis nicht selbständig und eigenverantwortlich Gebrauch macht3. Allerdings bedeutet eine solche Handlungsfreiheit – so der EuGH – nicht, dass die neuerdings zuständige Einrichtung jeglicher Einflussnahme durch eine andere öffentliche Einrichtung entzogen sein müsste. Eine Einrichtung, die eine Kompetenz überträgt, kann ein gewisses Überwachungsrecht für die mit dieser öffentlich-rechtlichen Dienstleistung verbundenen Aufgaben behalten. Ein solcher Einfluss schließt jedoch grundsätzlich jede Einmischung in konkrete Modalitäten der Durchführung der Aufgaben, die unter die übertragene Kompetenz fallen, aus4. Handlungsfreiheit bedeutet – so der EuGH weiter – auch nicht, dass eine angeordnete Kompetenzverlagerung oder eine freiwillige Kompetenzübertragung unumkehrbar sein muss. Die Kompetenzaufteilung innerhalb eines Mitgliedstaats ist nicht als starr anzusehen, so dass aufeinanderfolgende Neuordnungen denkbar sind. Es ist daher nicht ausgeschlossen, dass eine Kompetenzübertragung oder -verlagerung im Rahmen einer Neuordnung öffentlich-rechtlicher Dienstleistungen später bei einer nachfolgenden Neuordnung Gegenstand einer erneuten Übertragung oder Verlagerung wird5. 44 Liegen diese – vom EuGH in der Rechtssache „Remondis“ konkretisierten – Vo-

raussetzungen des Art. 1 Abs. 6 der Richtlinie 2014/24/EU vor, namentlich – eine vollständige (aber nicht zwingend unumkehrbare) Kompetenzübertragung, bei der keine Restverantwortung beim übertragenden Hoheitsträger verbleibt sowie

1 2 3 4 5

EuGH v. 21.12.2016 EuGH v. 21.12.2016 EuGH v. 21.12.2016 EuGH v. 21.12.2016 EuGH v. 21.12.2016

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C-51/15, C-51/15, C-51/15, C-51/15, C-51/15,

ECLI:EU:C:2016:985, Rz. 47 ECLI:EU:C:2016:985, Rz. 49 ECLI:EU:C:2016:985, Rz. 51 ECLI:EU:C:2016:985, Rz. 52 ECLI:EU:C:2016:985, Rz. 53

– Remondis. – Remondis. – Remondis. – Remondis. – Remondis.

Öffentliche Aufträge, Rahmenvereinbarungen und Wettbewerbe | § 103

– eine rechtliche und tatsächliche Handlungs- und Finanzautonomie des neuen Kompetenzträgers (auch wenn sie nur vorübergehend ist oder sich auf eine Tätigkeit am Markt bezieht)1, so ist schon kein als entgeltlicher öffentlicher Auftrag zu charakterisierender Vorgang gegeben, sondern ein – dem Vergaberecht vorgelagerter – rein staatsinterner Akt der Verwaltungsorganisation. Die in Rede stehende Leistungserbringung unterfällt dann als Eigenleistung bzw. „Erledigung mit eigenen Mitteln“ von vornherein nicht dem Anwendungsbereich des (Kartell-)Vergaberechts2. Auch gilt dann insoweit kein Vergaberecht „light“ oder eine wie auch immer geartete Bekanntmachungspflicht3. Insbesondere kommt es auch nicht auf die Voraussetzungen für ein In-house-Geschäft gem. § 108 Abs. 1–5 oder eine horizontale öffentlich-öffentliche Zusammenarbeit gem. § 108 Abs. 6 an. Vielmehr handelt es sich um eine eigenständige Ausnahmekategorie. Aus diesem Grund spielen auch der Drittumsatz des neuen Kompetenzträgers oder Veränderungen seiner Tätigkeiten in diesem Zusammenhang (grundsätzlich) keine Rolle4. Maßgeblich ist allein eine materiell-inhaltliche Betrachtung des fraglichen Organisationsaktes anhand der oben dargestellten Voraussetzungen. Eine – in der nationalen Rechtsprechung5 bislang beispielsweise im Hinblick auf delegierende und mandatierende öffentlich-rechtliche Zweckvereinbarungen vorgenommene6 – rein formale Unterscheidung würde hingegen zu kurz grei1 Vgl. hierzu auch Frenz, GewArch 2017, 97 (98), nach dem das Bestehen einer Fachaufsicht der notwendigen Handlungsautonomie entgegensteht. Eine Rechtsaufsicht sei hingegen unbedenklich. 2 So auch von Engelhardt/Kaelble in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 108 Rz. 11; Geitel, Vergabeblog.de vom 22.1.2017, Nr. 28823. Siehe hierzu ferner auch Leinemann, Die Vergabe öffentlicher Aufträge, Rz. 162. 3 Ebenso Greb, Vergaberecht 2015, 289 (292); von Engelhardt/Kaelble in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 108 Rz. 11. A.A. Dabringhausen, VergabeR 2014, 512 (515 ff.). 4 So auch Geitel, Vergabeblog.de vom 22.1.2017, Nr. 28823. 5 Vgl. OLG Düsseldorf v. 21.6.2006 – VII-Verg 17/06, NZBau 2006, 662 ff.; OLG Frankfurt v. 7.9.2004 – 11 Verg 11/04, NZBau 2004, 692 ff.; sowie auch den Überblick über die einschlägige nationale Rechtsprechung bei Bauer, ZfBR 2006, 446 (447 ff.) und Bergmann/ Vetter, NVwZ 2006, 497 (498 f.). Es war allerdings bereits in Anbetracht der jüngeren EuGH-Rechtsprechung fraglich, ob diese Praxis so weiterhin Bestand haben könnte; vgl. u.a. Kunde, NZBau 2013, 555 ff.; Kunde, NZBau 2011, 734 ff. 6 Für den Abschluss einer öffentlich-rechtlichen Zweckvereinbarung wurde vergaberechtlich bislang – mehr oder weniger rein formal – zwischen der sog. delegierenden Zweckvereinbarung, bei der die Aufgabe als solche übertragen wird, und der sog. mandatierenden Zweckvereinbarung, bei der nicht die Aufgabe als solche übertragen wird, sondern nur die Pflicht zur Aufgabenerfüllung, unterschieden (vgl. z.B. § 23 Abs. 2 GkG NRW). Der Rechtsprechung des OLG Düsseldorf folgend, wonach das Vergaberecht dann nicht eingreift, wenn sich die interkommunale Zusammenarbeit als ein rein innerstaatlicher Organisationsakt darstellt, bei dem es zu einer Aufgabenübertragung kommt (vgl. OLG Düsseldorf v. 21.6.2006 – VII-Verg 17/06, NZBau 2006, 662, 664), unterfiel konsequen-

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§ 103 | Öffentliche Aufträge, Rahmenvereinbarungen und Wettbewerbe fen1. Es ist daher für jeden Einzelfall gesondert zu prüfen, ob der Umfang der übertragenden Kompetenzen und Entscheidungsbefugnisse sowie die finanzielle Unabhängigkeit hinreichend gegeben sind. Sollten hieran Zweifel bestehen, müssten, will man die vom EuGH aufgestellten Kriterien erfüllen, ggf. weitere Befugnisse vorgesehen oder übertragen sowie für eine weitergehende finanzielle Ausstattung des neuen Kompetenzträgers Sorge getragen werden2. Vor diesem Hintergrund erscheint in den Fällen der Gründung eines Zweckverbandes, dem Abschluss einer delegierenden öffentlich-rechtlichen Vereinbarung oder auch dem Zusammenschluss zu einer Arbeitsgemeinschaft eine Vergaberechtsfreiheit grundsätzlich möglich und potentiell darstellbar3. Etwas anderes gilt dagegen für terweise auch die delegierende Zweckvereinbarung nicht dem Vergaberecht. Dem stand indes die Ansicht des OLG Naumburg entgegen, das die delegierende Zweckvereinbarung – in Anlehnung an Ziekow/Siegel, VerwArch 2005, 119 ff.; Ziekow/Siegel, VergabeR 2005, 145 ff. – dem Vergaberecht mit der Begründung unterstellt, dass der Anwendungsbereich des Vergaberechts schon immer dann eröffnet sei, wenn sich die Kooperationspartner auf einem Markt bewegen, auf dem auch andere gewerbliche Unternehmen ihre Leistung erbringen, es sei denn, es handele sich ausnahmsweise um die Erfüllung öffentlicher Aufgaben im Sinne eines Verwaltungsmonopols (vgl. OLG Naumburg v. 3.11.2005 – 1 Verg 9/05, NZBau 2006, 58 (60); bestätigt durch OLG Naumburg v. 2.3.2006 – 1 Verg 1/06, VergabeR 2006, 406, 410). Der Auffassung des OLG Naumburg wurde entgegen gehalten, dass sie de facto zu einer Privatisierungspflicht führe und damit in einem Widerspruch zur Rechtsprechung des EuGH in den Rechtssachen „Stadt Halle“ (EuGH v. 11.1.2005 – Rs. C-26/03, Slg. I-00001, NZBau 2005, 111 ff.) und „Coditel Brabant“ (EuGH v. 13.11. 2008 – Rs. C-324/07, Slg. I-00000) stehe (vgl. Bergmann/Vetter, NVwZ 2006, 497, 499). Darüber hinaus stand die Auffassung auch in einem Widerspruch zur Auffassung der EUKommission. Diese hatte in ihrem Beschluss vom 15.7.2005 das Vertragsverletzungsverfahren gegen die Bundesrepublik Deutschland betreffend den Anschluss der Gemeinde Hinte an den Oldenburgisch-Ostfriesischen Wasserverband (OOWV) mit der Begründung eingestellt, dass es sich insoweit um eine rein „interne Neuordnung öffentlicher Befugnisse“ und nicht um einen öffentlichen Auftrag handele (vgl. Pressemitteilung der EUKommission v. 15.7.2005 [IP/05/949]; sowie Bergmann/Vetter, NVwZ 2006, 497 [500]). Für die mandatierende Zweckvereinbarung, bei der nicht die Aufgabe als solche übertragen wird, sondern nur die Pflicht zur Aufgabenerfüllung, mithin also auch kein innerstaatlicher Organisationsakt gegeben ist und sich die Beteiligten wie Marktteilnehmer im Wettbewerb gegenüberstehen, war in der nationalen Rechtsprechung und Literatur hingegen die Anwendbarkeit des Vergaberechts einhellig anerkannt (vgl. OLG Düsseldorf v. 15.10.2003 – VII-Verg 50/03, NZBau 2004, 58 ff.; OLG Naumburg v. 3.11.2005 – 1 Verg 9/ 05, NZBau 2006, 58 (60); wohl auch OLG Frankfurt v. 7.9.2004 – 11 Verg 11/04, NZBau 2004, 692 ff.) Siehe zum Ganzen auch Greb, VergabeR 2008, 409 ff. m.w.N. 1 Ähnlich und im Ergebnis ebenso von Engelhardt/Kaelble in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 108 Rz. 10; Frenz, GewArch 2017, 97 (99 f.); Geitel, Vergabeblog.de vom 22.1.2017, Nr. 28823; Portz in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 108 Rz. 220. 2 Geitel, Vergabeblog.de vom 22.1.2017, Nr. 28823. 3 So auch Frenz, GewArch 2017, 97 (99). Im Ergebnis ebenso Leinemann, Die Vergabe öffentlicher Aufträge, Rz. 163.

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Öffentliche Aufträge, Rahmenvereinbarungen und Wettbewerbe | § 103

den Abschluss einer mandatierenden öffentlich-rechtlichen Vereinbarung, bei der regelmäßig keine Übertragung wesentlicher Kompetenzen auf die aufgabenerfüllende Kommune erfolgt1. Ausführlich zu den (horizontalen) öffentlich-öffentlichen Kooperationen unter § 108 Rz. 72 ff. 3. Vertragspartner (öffentliche Auftraggeber/Sektorenauftraggeber/ Unternehmen) Ein öffentlicher Auftrag liegt nur dann vor, wenn auf der Nachfrageseite ein öf- 45 fentlicher Auftraggeber oder ein Sektorenauftraggeber und auf der Anbieterseite ein Unternehmen beteiligt ist. Der Begriff des öffentlichen Auftraggebers wird durch § 99, der des Sektorenauftraggers durch § 100 definiert2. Als problematischer bzw. mehr Fragen aufwerfend erweist sich dagegen der Unternehmensbegriff. a) Funktionaler Unternehmensbegriff Der vergaberechtliche Begriff des Unternehmens ist nicht deckungsgleich mit 46 dem i.S.v. § 14 BGB. Vielmehr gilt – nach langjährig gefestigter nationaler Rechtsprechung – ein grundsätzlich weit auszulegender, sog. funktionaler Unternehmensbegriff. Hierunter fallen alle Rechtsträger, gleichgültig welcher Rechtsform, die sich wirtschaftlich betätigen3. Für die Unternehmenseigenschaft kommt es nicht auf eine Gewinnerzielungsabsicht an4. Maßgeblich ist vielmehr allein die Marktbezogenheit der Tätigkeit. D.h., dass die Betätigung auf einem Markt erfolgt, auf dem andere gewerbliche Unternehmen typischerweise ihre Leistung anzubieten pflegen und damit zu diesen ein Wettbewerbsverhältnis entsteht5. An der Marktbezogenheit fehlt es in der Regel nur dann, wenn ein Wettbewerb am 1 So auch Frenz, GewArch 2017, 97 (99 f.), nach dem insoweit der mit der Auftragsdurchführung verbundene Beschaffungscharakter durchschlägt. Im Ergebnis ebenso Leinemann, Die Vergabe öffentlicher Aufträge, Rz. 164. 2 Vgl. in diesem Zusammenhang auch die Gesetzesbegründung in BT-Drucks. 18/6281, S. 73. Diese stellt klar, dass § 103 Abs. 1 nicht auf Konzessionsgeber i.S.v. § 101 verweist, da diese keine öffentlichen Aufträge i.S.d. § 103 Abs. 1, sondern Konzessionen i.S.d. § 105 vergeben. 3 OLG Celle v. 14.1.2014 – 13 Verg 11/13, VergabeR 2014, 592 ff.; OLG Frankfurt v. 7.9. 2004 – 11 Verg 11/04, VergabeR 2005, 80 (85); OLG Düsseldorf v. 5.5.2004 – VII-Verg 78/03, NZBau 2004, 398 (399); OLG Naumburg v. 3.11.2005 – 1 Verg 9/05, NZBau 2006, 58 (60); Eschenbruch in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 103 Rz. 127 ff. 4 BGH v. 3.7.2008 – I ZR 145/05, BGHZ 177, 150, 159 = MDR 2008, 1289. 5 BGH v. 3.7.2008 – I ZR 145/05, BGHZ 177, 150, 159 = MDR 2008, 1289; OLG Frankfurt v. 7.9.2004 – 11 Verg 11/04, VergabeR 2005, 80 (85); OLG Düsseldorf v. 5.5.2004 – VIIVerg 78/03, NZBau 2004, 398 (399); OLG Naumburg v. 3.11.2005 – 1 Verg 9/05, NZBau 2006, 58 (60).

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§ 103 | Öffentliche Aufträge, Rahmenvereinbarungen und Wettbewerbe Markt aufgrund der rechtlichen Rahmenbedingungen schlichtweg ausgeschlossen ist, also nur bei sog. genuinen öffentlichen Aufgaben im Sinne eines Verwaltungsmonopols bzw. im Falle eines sog. In-house-Geschäfts (vgl. dazu Rz. 53 f.)1. 47 Auch der EuGH hat in seiner jüngeren Rechtsprechung ausdrücklich festgestellt,

dass der Begriff des Unternehmens im Sinne des Wettbewerbsrechts der Gemeinschaft jede eine wirtschaftliche Tätigkeit ausübende Einrichtung unabhängig von ihrer Rechtsform und der Art ihrer Finanzierung umfasst. Kennzeichnend für den Begriff der wirtschaftlichen Tätigkeit ist das Anbieten von Gütern oder Dienstleistungen auf einem bestimmten Markt2. Dagegen haben Tätigkeiten, die in Ausübung hoheitlicher Befugnisse erfolgen, keinen wirtschaftlichen Charakter, der die Anwendung der im Vertrag vorgesehenen Wettbewerbsregeln rechtfertigen würde3. Zur Begründung weist der EuGH darauf hin, dass der Gemeinschaftsgesetzgeber den Begriff des Wirtschaftsteilnehmers, der Leistungen auf dem Markt anbietet, nicht auf unternehmerisch strukturierte Wirtschaftsteilnehmer beschränken oder besondere Bedingungen einführen wollte, die geeignet sind, den Zugang zu Ausschreibungen von vornherein auf der Grundlage der Rechtsform und der internen Organisation der Wirtschaftsteilnehmer zu beschränken. Sowohl aus den Vorschriften des Unionsrechts als auch aus der Rechtsprechung des EuGH ergibt sich, dass jede Person oder Einrichtung als Bieter oder Bewerber auftreten darf, die in Anbetracht der in der Auftragsausschreibung festgelegten Bedingungen meint, dass sie den betreffenden Auftrag ausführen kann, selbst oder unter Rückgriff auf Subunternehmer, unabhängig von ihrem – privatrechtlichen oder öffentlich-rechtlichen – Status und der Frage, ob sie auf dem Markt systematisch tätig ist oder nur gelegentlich auftritt oder ob sie aus öffentlichen Mitteln subventioniert wird oder nicht. Auch hätte eine restriktive Auslegung des Begriffs „Wirtschaftsteilnehmer“ zur Folge, dass Verträge zwischen öffentlichen Auftraggebern und Einrichtungen, die nicht in erster Linie Gewinnerzielung anstreben, nicht als öffentliche Aufträge gälten, freihändig vergeben werden könnten und damit – anders als bezweckt – nicht unter die Gemeinschaftsvorschriften auf dem Gebiet der Gleichbehandlung und der Transparenz fallen würden. Darüber hinaus würde eine solche Auslegung der Zusammenarbeit zwischen öffentlichen und privaten Einrichtungen sowie zwischen Forschern und Unternehmern schaden und eine Wettbewerbsbeschränkung darstellen4.

1 OLG Frankfurt v. 7.9.2004 – 11 Verg 11/04, VergabeR 2005, 80 (85); OLG Naumburg v. 3.11.2005 – 1 Verg 9/05, NZBau 2006, 58 (60); Ganske, VergabeR 2008, 15 (21). 2 EuGH v. 18.12.2014 – Rs. C-568/13, NZBau 2015, 173 ff.; EuGH v. 12.12.2013 – Rs. C327/12, EuZW 2014, 356 ff.; ähnlich bereits EuGH v. 11.7.2006 – Rs. C-205/03, ECLI:EU: C:2006:453; EuGH v. 9.6.2009 – Rs. C-480/06, EuZW 2009, 529 ff. – Stadtreinigung Hamburg; dem folgend VK Westfalen v. 1.6.2015 – VK 2-7/15. 3 EuGH v. 12.12.2013 – Rs. C-327/12, EuZW 2014, 356 ff. 4 EuGH v. 18.12.2014 – Rs. C-568/13, NZBau 2015, 173 ff.; EuGH v. 11.12.2014 – Rs. C113/13, NZBau 2015, 377 ff.; EuGH v. 23.1.2009 – Rs. C-305/08, NZBau 2010, 188 ff.; im Ergebnis ebenso EuGH v. 19.12.2012 – Rs. C-159/11, NZBau 2013, 114 ff.; sowie ferner

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b) Organisationseinheiten der öffentlichen Hand auf Auftragnehmerseite In Ansehung des funktionalen Unternehmensbegriffes ist es zwischenzeitlich 48 unstreitig, dass grundsätzlich auch solche Rechtsträger den Unternehmensbegriff erfüllen, die ihrerseits zwar als öffentliche Auftraggeber i.S.v. § 99 anzusehen sind, sich jedoch im konkreten Fall (gewerbsmäßig) mit der Erstellung einer marktbezogenen Leistung befassen1. Denn nach der Rechtsprechung des EuGH hat der Unionsgesetzgeber – wie gesagt (s.o. Rz. 47) – die Teilnahme an Vergabeverfahren nicht auf unternehmerisch strukturierte Wirtschaftsteilnehmer eingrenzen oder besondere Bedingungen einführen wollen, die geeignet sind, den Zugang zu Ausschreibungen von vornherein auf der Grundlage der Rechtsform und der internen Organisation der Wirtschaftsteilnehmer zu beschränken2. Im Einzelfall können sich jedoch weitere Problemstellungen ergeben, die aus der Sonderstellung der Organisationseinheiten der öffentlichen Hand resultieren. Regelmäßig in Frage gestellt wird insoweit die Wettbewerbsteilnahme von mit 49 öffentlichen Mitteln oder Beihilfen finanzierten Unternehmen unter dem Blickwinkel der Gleichbehandlung der Bieter. Der EuGH hat jedoch bereits im Jahr 2000 in der Entscheidung „ARGE Gewässerschutz“ klargestellt, dass der Gleichbehandlungsgrundsatz nicht bereits dadurch verletzt werde, dass ein öffentlicher Auftraggeber in einem Vergabeverfahren Einrichtungen zulässt, die entweder von ihm selbst oder von anderen öffentlichen Auftraggebern Zuwendungen gleich welcher Art erhalten, die es ihnen ermöglichen, zu Preisen anzubieten, die erheblich unter denen ihrer Mitbewerber liegen, die keine solche Zuwendungen erhalten3. Der EuGH trennt mithin klar zwischen dem Vergaberecht einerseits und dem Beihilferecht andererseits und verweist die privaten Wettbewerber darauf, sich unmittelbar gegen eine ggf. unzulässige Subventioauch OLG Düsseldorf v. 7.8.2013 – VII-Verg 14/13, NZBau 2014, 57 ff.; VK Westfalen v. 1.6.2015 – VK 2-7/15. 1 EuGH v. 7.12.2000 – Rs. C-94/99, Slg. I-11037, VergabeR 2001, 28, 31 – ARGE Gewässerschutz; EuGH v. 12.7.2001 – Rs. C-399/98, Slg. I-05409, NZBau 2001, 512 (516) – Rz. 73 – Teatro alla Bicocca; OLG Celle v. 14.1.2014 – 13 Verg 11/13, VergabeR 2014, 592 ff.; OLG Frankfurt v. 7.9.2004 – 11 Verg 11/04, VergabeR 2005, 80 (85); OLG Naumburg v. 3.11.2005 – 1 Verg 9/05, NZBau 2006, 58 (60); OLG Düsseldorf v. 5.5.2004 – VII-Verg 78/03, NZBau 2004, 398 (399); sowie OLG Frankfurt v. 7.9.2004 – 11 Verg 11/04, VergabeR 2005, 80, 85, das zutreffend darauf hinweist, dass auch wenn die Aufgabenwahrnehmung zwischen zwei Gebietskörperschaften im kommunalen Bereich und damit innerhalb der „Verwaltung“ erfolgen soll, es sich grundsätzlich und zunächst um eine Betätigung auf einem sonst auch privaten Unternehmen zugänglichen Markt handelt. 2 EuGH v. 18.12.2014 – Rs. C-568/13, NZBau 2015, 173 ff.; EuGH v. 11.12.2014 – Rs. C113/13, NZBau 2015, 377 ff.; EuGH v. 23.1.2009 – Rs. C-305/08, NZBau 2010, 188 ff.; im Ergebnis ebenso EuGH v. 19.12.2012 – Rs. C-159/11, NZBau 2013, 114 ff.; sowie ferner auch OLG Düsseldorf v. 7.8.2013 – VII-Verg 14/13, NZBau 2014, 57 ff. 3 EuGH v. 7.12.2000 – Rs. C-94/99, Slg. I-11037, VergabeR 2001, 28 ff. – ARGE Gewässerschutz.

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§ 103 | Öffentliche Aufträge, Rahmenvereinbarungen und Wettbewerbe nierung zu wenden1. Dem ist frühzeitig auch das OLG Düsseldorf gefolgt, das ebenfalls darauf hingewiesen hat, dass die Zulässigkeit der Beihilfegewährung allein nach den Vorschriften des EG-Vertrags zu beurteilen sei. Eine Verpflichtung der Vergabestelle, nicht notifizierte Beihilfen durch eine Erhöhung des Angebotspreises zu neutralisieren, bestehe nicht2. Insbesondere sind auch die nationalen Regelungen in § 6 Abs. 3 VOB/A3 und § 6 Abs. 7 VOL/A4, die bestimmte Betriebe der öffentlichen Hand vom Wettbewerb ausschließen, restriktiv zu interpretieren; sie erfassen grundsätzlich weder Eigenbetriebe noch sonstige kommunale Unternehmen5. Zu beachten ist in diesem Zusammenhang – worauf Eschenbruch zu Recht hinweist6 – schließlich, dass nach der Rechtsprechung des EuGH im Fall „Altmark Trans“7 eine nicht notifizierungspflichtige öffentliche Infrastrukturförderung in der Regel nur noch in Betracht kommt, wenn die Umsetzung mit förmlicher Ausschreibung erfolgt. 50 Auch in seiner jüngeren Rechtsprechung hat der EuGH bestätigt, dass staatliche

Einrichtungen – gemessen am Unionsrecht – grundsätzlich an Verfahren zur Vergabe öffentlicher Aufträge teilnehmen können. Die Mitgliedstaaten sind zwar befugt, bestimmten Kategorien von Wirtschaftsteilnehmern die Erbringung bestimmter Leistungen zu gestatten oder zu verwehren. Sie können auch die Tätigkeiten von Einrichtungen wie Universitäten und Forschungsinstituten regeln, die keine Gewinnerzielung anstreben und deren Zweck hauptsächlich auf Forschung und Lehre gerichtet ist. Insbesondere können sie solchen Einrichtungen gestatten oder verwehren, auf dem Markt tätig zu sein, je nachdem, ob diese Tätigkeit mit ihren institutionellen und satzungsmäßigen Zielen vereinbar ist oder nicht. Wenn und soweit diese Einrichtungen jedoch berechtigt sind, bestimmte Leistungen auf dem Markt gegen Entgelt dauernd oder zeitweise anzubieten, können ihnen die Mitgliedstaaten nicht untersagen, an Verfahren zur Vergabe öffentlicher Aufträge teilzunehmen, die die Erbringung eben dieser Leistungen betreffen8.

1 Schabel, VergabeR 2001, 31 f.; Eschenbruch in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 103 Rz. 316. 2 OLG Düsseldorf v. 26.6.2002 – VII-Verg 22/02, ZfBR 2003, 70 f. 3 Vormals § 6 Abs. 1 Nr. 3 VOB/A 2009 bzw. § 8 Nr. 6 VOB/A 2006. 4 Vormals § 7 Nr. 6 VOL/A 2006. 5 VK Lüneburg v. 14.5.2001 – 203 VgK-04a/01; VK Lüneburg v. 1.10.2003 – 203 VgK-19/ 03; VK Brandenburg v. 8.12.2003 – VK 75/03; VK Münster v. 4.10.2004 – VK 21/04. Vgl. ferner auch zum Ausschluss eines Jugendaufbauwerkes vom Vergabeverfahren OLG Düsseldorf v. 23.12.2003 – VII-Verg 58/03, VergabeR 2004, 379 f. 6 Eschenbruch in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 103 Rz. 323. 7 EuGH v. 24.7.2003 – Rs. C-280/00, Slg. I-07747, NZBau 2003, 503 ff. – Altmark Trans; sowie dazu Dörr, NZBau 2005, 617 ff. 8 Vgl. EuGH v. 18.12.2014 – Rs. C-568/13, VergabeR 2015, 158 ff.; sowie auch bereits EuGH v. 23.12.2009 – Rs. C-305/08, NZBau 2010, 188 – CoNISMa, wonach Art. 1 Abs. 8 der Vergabekoordinierungsrichtlinie 2004/18/EG und insbesondere der Begriff „Wirtschafts-

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Subventionierte Unternehmen sind daher nicht von vornherein von einem Vergabeverfahren ausgeschlossen. Allerdings hat – und hierauf weist der EuGH ebenfalls explizit hin – der öffentliche Auftraggeber zu prüfen, ob das Angebot ungewöhnlich niedrig ist und dies auf einer unzulässigen Beihilfe beruht1. Im Einklang mit dem vorstehend Gesagten hat auch das OLG Düsseldorf fest- 51 gestellt, dass die nationale Vorschrift des § 6 EG Abs. 1 Nr. 3 VOB/A, die eine Teilnahme der öffentlichen Hand und ihrer Einrichtungen oder Betriebe an Vergabeverfahren generell untersagt, aus unionsrechtlichen Gründen in Vergabenachprüfungsverfahren nicht anzuwenden ist und eine Kommune als Bieter an einer öffentlichen Ausschreibung teilnehmen kann, sofern sie nach nationalem Recht dazu berechtigt ist, die ausgeschriebenen Leistungen zu erbringen2. Fraglich ist in diesem Zusammenhang auch, ob die Bestimmungen des kom- 52 munalen Wirtschaftsrechts für die wirtschaftliche Betätigung von Kommunen (z.B. § 107 GO NRW) im Rahmen eines Vergabeverfahrens zu prüfen sind. Es entspricht inzwischen der überwiegenden Auffassung in der Judikatur, dass kommunalwirtschaftliche Betätigungsverbote im Rahmen des Vergaberechts überprüft werden müssen. Meinungsverschiedenheiten bestehen lediglich hinsichtlich des Umfangs der Nachprüfungsmöglichkeiten. Das OLG Düsseldorf hatte am 17.6.2002 insoweit entschieden, dass es eine gegen § 97 Abs. 1 verstoßende Wettbewerbsverfälschung darstelle, wenn ein Unternehmen der öffentlichen Hand eine wirtschaftliche Tätigkeit aufnimmt, obwohl ihm dies gesetzlich verwehrt ist und hierbei durch eine öffentliche Auftragsvergabe unterstützt wird. § 107 GO NRW komme eine den Wettbewerb zwischen kommunal-wirtschaftlichen und privatwirtschaftlichen Unternehmen regelnde Funktion zu und beziehe die Interessen der privatwirtschaftlichen Unternehmen in den Schutzbereich der Norm mit ein. Ein privatwirtschaftlicher Bieter könne daher im Vergabenachprüfungsverfahren die gegen § 107 GO NRW verstoßende Berücksichtigung eines kommunalen Unternehmens rügen und dessen Ausschluss von dem Verfahren verlangen3. Diese Auffassung bestätigte das OLG Düsseldorf in seinem Beschluss vom 29.3.2006, in dem es aber auch klarstellte, dass das Gericht keine Einzelheiten zu den kommunalverfassungsrechtlichen Vorschriften analysieren müsse. In der Entscheidung wies der Vergabesenat zuteilnehmer“ dahingehend auszulegen sind, dass sie der Auslegung einer nationalen Regelung entgegenstehen, die es Einrichtungen wie Universitäten und Forschungsinstituten, die nicht in erster Linie Gewinnerzielung anstreben, untersagt, sich an einem Verfahren zur Vergabe eines öffentlichen Auftrags zu beteiligen, obwohl sie nach nationalem Recht berechtigt sind, die auftragsgegenständlichen Leistungen zu erbringen. Siehe hierzu auch die Schlussanträge des Generalanwalts Mazák v. 3.9.2009 – Rs. C-305/08. 1 Vgl. EuGH v. 18.12.2014 – Rs. C-568/13, VergabeR 2015, 158 (164) – Rz. 51; sowie dazu Hübner, VergabeR 2015, 154 (156); Eschenbruch in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 103 Rz. 319 ff. 2 OLG Düsseldorf v. 7.8.2013 – VII-Verg 14/13, NZBau 2014, 57 ff. 3 OLG Düsseldorf v. 17.6.2002 – VII-Verg 18/02, NZBau 2002, 626 f.

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§ 103 | Öffentliche Aufträge, Rahmenvereinbarungen und Wettbewerbe dem darauf hin, dass sich eine Kommunalversicherung als freiwilliger Zusammenschluss von Kommunen in einem Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit im Rahmen von Vergabeverfahren als Bieter beteiligen darf1. In einem weiteren Beschluss vom 4.5.2009 bestätigte und präzisierte der Senat seine Rechtsprechung insofern, dass die vergaberechtlichen Ansatzpunkte, aus denen heraus die Nachprüfungsinstanzen gehalten seien, die Einhaltung der §§ 107 und 108 GO NRW zu prüfen, das vergaberechtliche Wettbewerbsprinzip und die rechtliche Leistungsfähigkeit eines Bieters seien. Diese Aspekte müssten von den Nachprüfungsinstanzen vollumfänglich überprüft werden2. In dem Beschluss vom 9.11. 2011 wies das OLG Düsseldorf hingegen darauf hin, dass einzelne Merkmale des kommunalwirtschaftlichen Betätigungsverbots nicht im Detail zu prüfen seien. Der Begriff des öffentlichen Zwecks (§ 107 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 GO NRW) sei weit gefasst und den Kommunen insofern ein Beurteilungsspielraum zuzuerkennen, der von den Nachprüfungsinstanzen nur auf grobe Fehleinschätzungen und Vertretbarkeit überprüft werden könne3. Auch das OVG Münster hat dem Grunde nach einen sich aus den kommunalverfassungsrechtlichen Vorschriften zur wirtschaftlichen Betätigung von Kommunen ergebenden, öffentlich-rechtlichen Unterlassungsanspruch bejaht. Mit Blick auf die Zuständigkeit der Nachprüfungsinstanzen soll nach Ansicht des OVG Münster – entgegen der Praxis des OLG Düsseldorf – die Einschätzungsprärogative der Behörde ihre Grenze erst in „groben und einigermaßen offensichtlichen Missgriffen“ finden4. Dagegen hat der BGH in einer wettbewerbsrechtlichen Entscheidung festgestellt, dass den kommunalverfassungsrechtlichen Vorschriften zur wirtschaftlichen Betätigung von Kommunen jedenfalls kein drittschützender Charakter im Sinne des Wettbewerbsrechts zukomme und diese auch keine Schutzgesetze i.S.v. § 823 Abs. 2 BGB seien5. Die Vergabekammern sind teilweise gleichwohl dem OLG Düsseldorf gefolgt; so beispielsweise die VK Lüneburg6, die VK Thüringen7 und die VK Münster8. Letztere argumentiert dabei wie folgt: In der Entscheidung des BGH gehe es lediglich darum, ob der Verstoß gegen § 107 GO 1 OLG Düsseldorf v. 29.3.2006 – VII-Verg 77/05, VergabeR 2006, 509, Rz. 54 ff. 2 OLG Düsseldorf v. 4.5.2009 – VII-Verg 68/08, VergabeR 2009, 905, Rz. 109 f. 3 OLG Düsseldorf v. 9.11.2011 – VII-Verg 35/11, NZBau 2012, 252 ff., Rz. 28. Ferner beschäftigte sich das OLG Celle mit der Einhaltung kommunalverfassungsrechtlicher Betätigungsverbote im Vergabeverfahren, konnte die Frage allerdings offen lassen, da ein Verstoß gegen § 108 der Niedersächsischen Gemeindeordnung nicht vorlag, vgl. OLG Celle v. 9.4.2009 – 13 Verg 7/08, NZBau 2009, 397, Rz. 74 ff. 4 OVG Münster v. 1.4.2008 – 15 B 122/08, NVwZ 2008, 1031 ff., Rz. 76; zuvor bereits OVG Münster v. 12.10.2004 – 15 B 1889/04 und 15 B 1873/04, NZBau 2005, 167 ff. 5 BGH v. 25.4.2002 – I ZR 250/00, VergabeR 2002, 467 ff.; bestätigt durch BGH v. 26.9. 2002 – I ZR 293/99, WM 2003, 1182 (1184 f.). A.A. wohl LG München v. 1.9.1995 – 1 HKO 3922/99 (zu Art. 87 BayGO). 6 VK Lüneburg v. 7.10.2003 – 203 VgK 19/2003. 7 VK Thüringen v. 7.5.2009 – 250-4003.20-2304, VPRRS 2009, 0384. 8 Vgl. VK Münster v. 4.10.2004 – VK 21/04.

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NRW zu einer Sittenwidrigkeit i.S.v. § 1 UWG führe und von den Kommunen verlangt werden könne, dass sie dies unterlassen. Diese Schutzfunktion verneint der BGH. Wenn eine Gemeinde gegen § 107 GO NRW verstößt, dann sei das wettbewerblich nicht automatisch ein unlauteres Verhalten i.S.v. § 1 UWG. Denn es solle keine allgemeine Kontrolle der Lauterkeit des Marktverhaltens der Gemeinden erreicht werden. Demzufolge haben andere Unternehmer keinen Anspruch aus § 1 UWG auf Unterlassung. Wenn die Gemeinde aber in den Markt eintritt und sich konkret in einen Wettbewerb mit anderen Unternehmen begibt, dann habe § 107 GO NRW eine den Wettbewerb regelnde Funktion1. Demgegenüber wird im Schrifttum betont, dass einerseits die kommunalverfassungsrechtlichen Vorschriften nur den Zugang zum Wettbewerb regeln und nicht die Frage, wie dieser auszuüben ist. Andererseits sei auch der Schutznormcharakter im Hinblick auf jeden einzelnen Wettbewerber zweifelhaft2. Zudem diene der Vergaberechtsschutz nicht der Durchsetzung kommunalverfassungsrechtlicher Vorgaben3. Schließlich spreche auch die Entscheidung des EuGH im Fall „ARGE Gewässerschutz“4 (vgl. Rz. 49) dafür, dass nicht jede Ungleichbehandlung von Wettbewerbern, die aus anderen Rechtsbereichen herrührt, zu einem vergaberechtlichen Ausschluss führen müsse5. 4. In-house-Geschäfte/sonstige Formen der Zusammenarbeit zwischen öffentlichen Auftraggebern (interkommunale Kooperation)/ Rekommunalisierung a) In-house-Geschäft Keinen – jedenfalls keinen ausschreibungspflichtigen – öffentlichen Auftrag 53 i.S.v. § 103 stellen die sog. In-house-Geschäfte dar6. Hintergrund ist, dass ein öffentlicher Auftrag i.S.v. § 103 stets die Teilnahme eines öffentlichen Auftraggebers am Markt voraussetzt. Dies ist in der Regel der Fall, wenn der öffentliche 1 VK Münster v. 4.10.2004 – VK 21/04. 2 So Potthast, NZBau 2000, 181 (182). 3 So Schmidt-Wottrich/Harms, VergabeR 2004, 691 (701); Antweiler, VergabeR 2001, 259 (269 f.). 4 EuGH v. 7.12.2000 – Rs. C-94/99, Slg. I-11037, VergabeR 2001, 28 ff. – ARGE Gewässerschutz. 5 So Eschenbruch in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 103 Rz. 140. In eine ähnliche Richtung weist die Entscheidung der VK Lüneburg v. 11.1.2001 – 203 VgK-19/00, die unter Anwendung von § 108 NdsGO davon ausgeht, dass eine exterritoriale Tätigkeit kommunaler Unternehmen die gesetzlichen Betätigungsgrenzen nicht in jedem Einzelfall überschreiten müsse. Dies gelte insbesondere dann, wenn die Abfallentsorgung in einem Nachbarkreis nur untergeordnete Bedeutung habe. Entsprechendes soll bei der Betätigung einer Kommune auf dem Gebiet des ÖPNV gelten, vgl. VK Lüneburg v. 31.8.2005 – VgK-35/2005. 6 Vgl. zum Ganzen auch den Rechtsprechungsüberblick bei Just, EuZW 2009, 879 ff.

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§ 103 | Öffentliche Aufträge, Rahmenvereinbarungen und Wettbewerbe Auftraggeber seine interne Aufgabenorganisation verlässt, um Verträge mit außenstehenden Dritten abzuschließen1. Überträgt er die Erfüllung eines öffentlichen Auftrags jedoch auf eine andere Landes- oder Bundesbehörde innerhalb derselben Körperschaft, eine eigene Verwaltungsabteilung oder einen Eigenbetrieb, so bleibt der öffentliche Auftraggeber in seiner eigenen Sphäre mit der Folge, dass in materieller Hinsicht kein anderer mit der Leistungserbringung beauftragt wird, sondern die Leistung von einer Stelle erbracht wird, die der öffentlichen Verwaltung bzw. dem Geschäftsbetrieb des öffentlichen Auftraggebers zuzurechnen ist (sog. In-house-Geschäft)2. 54 Durch das Vergaberechtsmodernisierungsgesetz vom 17.2.20163 wurde das

Rechtsinstitut des In-house-Geschäftes, bei dem es sich bislang um reines Richterrecht handelte, erstmals im Kartellvergaberecht der §§ 97 ff. kodifiziert, und zwar in § 108 Abs. 1–5 sowie 7 und 8. Zu diesbezüglichen Einzelheiten wird daher an dieser Stelle auf die Kommentierung zu § 108, dort insbesondere Rz. 5 ff. und 112 f., sowie auf das oben unter Rz. 39–44 Gesagte verwiesen.

b) Sonstige Formen der Zusammenarbeit zwischen öffentlichen Auftraggebern (interkommunale Kooperation) 55 Für (sonstige) Kooperationen zwischen öffentlichen Auftraggebern, insbesondere

im kommunalen Bereich (sog. interkommunale Zusammenarbeit), gilt, dass diese weder generell dem Vergaberecht unterfallen noch alle in Betracht kommenden Formen vom Anwendungsbereich des Vergaberechts ausgenommen sind, sondern vielmehr eine differenzierende Betrachtungsweise unter Berücksichtigung aller Einzelfallumstände erforderlich ist4. Was diesbezügliche Einzelheiten betrifft, wird auf die Kommentierung zu § 108 Rz. 72 ff. verwiesen. c) Reverstaatlichung/Rekommunalisierung/Rückverlagerung von öffentlichen Aufgaben

56 In engem Zusammenhang mit dem Rechtsinstitut der interkommunalen Koope-

ration stehen auch die Themen Rekommunalisierung bzw. Rückverlagerung von öffentlich-rechtlichen Aufgaben und Kompetenzen. So kann sich beispielsweise

1 OLG Naumburg v. 8.1.2003 – 1 Verg 7/02, NZBau 2003, 224 (228); OLG Brandenburg v. 9.12.2002 – Verg W 9/02, NZBau 2003, 229 (231); OLG Koblenz v. 20.12.2001 – 1 Verg 4/ 01, NZBau 2002, 346 f.; VK Hessen v. 24.3.2004 – 69d-VK-03/2004; Hailbronner in Byok/ Jaeger, Kommentar zum Vergaberecht, § 99 Rz. 9; Boesen, Vergaberecht, § 99 Rz. 9 und 19 f. 2 BGH v. 12.6.2001 – X ZB 10/01, BGHZ 148, 55, 61 f.; OLG Naumburg v. 8.1.2003 – 1 Verg 7/02, NZBau 2003, 224 (228); OLG Koblenz v. 20.12.2001 – 1 Verg 4/01, NZBau 2002, 346 f.; Hailbronner in Byok/Jaeger, Kommentar zum Vergaberecht, § 99 Rz. 9. 3 BGBl. I 2016, 203 ff. 4 Ebenso Bergmann/Vetter, NVwZ 2006, 497 ff.

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nach Ablauf eines Vertrages zur Aufgabenprivatisierung seitens des öffentlichen Auftraggebers ein Interesse ergeben, die Aufgabe künftig wieder durch eine eigene Dienststelle oder durch eine eigene Tochtergesellschaft zu erledigen. Eine solche Rückverlagerung bei der Aufgabenwahrnehmung wird als Reverstaatlichung bzw. Rekommunalisierung bezeichnet1. Sie stellt das spiegelbildliche Gegenstück zur funktionalen Privatisierung dar und unterliegt deshalb – als Akt der Verwaltungsorganisation – nicht dem Vergaberecht2. Dies gilt jedenfalls dann, wenn bei einer erstmaligen Aufgabenübertragung an die eigene Dienststelle oder die Tochtergesellschaft die Voraussetzungen eines In-house-Geschäftes vorlägen3. Denn auch die Rückverlagerung entsprechender Aufgaben mittels Verträgen kann einen Beschaffungsvorgang darstellen, der an den Grundsätzen der In-house-Vergabe zu messen ist4. Wenn hingegen die Aufgabenerledigung zwar in den kommunalen Bereich zu- 57 rückverlagert wird, aber nicht auf eine eigene Dienststelle oder Tochtergesellschaft der Kommune, sondern auf eine andere (Gebiets-)Körperschaft, so kann es an den Voraussetzungen einer vergaberechtsfreien Rekommunalisierung fehlen5. Die Verlagerung oder Rückverlagerung von öffentlich-rechtlichen Kompeten- 58 zen von einer kommunalen oder staatlichen Stelle zu einer anderen, z.B. im Rahmen einer öffentlich-rechtlichen Vereinbarung, unterfällt mangels Beschaffungscharakter und damit in Ermangelung einer funktionalen und gewerbsmäßigen Teilnahme am Markt ebenfalls nicht dem Begriff des öffentlichen Auftrags i.S.v. § 1036; jedenfalls dann nicht, wenn die (Rück-)Verlagerung auf einer gesetzlichen Ermächtigung beruht7. Dies hat die VK Saarland unter Berufung auf die Rechtsprechung des OLG Düsseldorf zur Gründung eines Zweckverban1 Vgl. OLG Düsseldorf v. 15.10.2003 – VII-Verg 50/03; OLG Naumburg v. 3.11.2005 – 1 Verg 9/05; von Engelhardt/Kaelble in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 103 Rz. 59. 2 Ganske in Landmann/Rohmer, Umweltrecht, Stand: Februar 2012, § 56 WHG Rz. 69; Queitsch in Wellmann/Queitsch/Fröhlich, Wasserhaushaltsgesetz, 1. Aufl. 2016, § 56 Rz. 29. 3 Vgl. OLG Düsseldorf v. 5.5.2004 – VII-Verg 78/03, NZBau 2004, 398, 399 f.; OLG Frankfurt v. 7.9.2004 – 11 Verg 11/04, NZBau 2004, 692 ff.; OLG Naumburg v. 3.11.2005 – 1 Verg 9/05, NZBau 2006, 58, 60; OLG Naumburg v. 2.3.2006 – 1 Verg 1/06, VergabeR 2006, 406 (410); Eschenbruch in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 103 Rz. 131; von Engelhardt/Kaelble in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 103 Rz. 60. 4 Vgl. OLG Frankfurt v. 30.8.2011 – XI Verg 3/11, VergabeR 2012, 47 ff.; OLG Hamburg v. 14.12.2010 – I Verg 5/10, NZBau 2011, 185 f.; Eschenbruch in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 103 Rz. 363 ff. 5 OLG Naumburg v. 3.11.2005 – 1 Verg 9/05, NZBau 2006, 58 (61); Eschenbruch in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 103 Rz. 362. 6 Ähnlich Engelhardt/Kaelble in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 103 Rz. 62. 7 So VK Saarland v. 24.10.2008 – 3 VK 1/2008, IBRRS 2008, 3091; VK Saarland v. 24.10. 2008 – 3 VK 2/2008, IBRRS 2008, 3092.

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§ 103 | Öffentliche Aufträge, Rahmenvereinbarungen und Wettbewerbe des1 entschieden und insoweit argumentiert: Die Rückgängigmachung, d.h. die Rückverlagerung von übertragenen Aufgaben auf die kraft Selbstverwaltungshoheit originär zuständige Kommune, müsse rechtlich entsprechend der zugrunde liegenden (Hin-)Verlagerung (actus contrarius) eingeordnet und behandelt werden, so dass es sich hierbei ebenfalls um einen dem Vergaberecht entzogenen Akt der Verwaltungsorganisation handele. Die vom Gesetzgeber zugelassene Bildung von Zweckverbänden stelle eine Ausformung des kommunalen Selbstverwaltungsrechts und der Organisationshoheit der Gemeinden dar. Von dem gleichen Selbstverwaltungsrecht und der gleichen Organisationshoheit sei es auch gedeckt, wenn die Gemeinden wieder aus diesem Zweckverband ausscheiden oder einzelne Aufgaben (zurück-)übertragen erhalten, dieser Rückübertragungsakt auf einer gesetzlichen Ermächtigung beruht und private Dritte an dieser Übertragung nicht beteiligt sind2. 59 Etwas anderes gilt dann, wenn in eine Reverstaatlichung eine Beschaffung ein-

gekapselt ist. Dies kommt beispielsweise dann in Betracht, wenn der öffentliche Auftraggeber den Auftrag nicht an sich selbst, sondern auf einen Dritten (etwa eine andere Gebietskörperschaft) überträgt. Eine Vergaberechtsfreiheit ist dann nur gegeben, sofern auch die (engen) Voraussetzungen eines In-house-Geschäfts oder einer horizontalen öffentlich-öffentlichen Zusammenarbeit i.S.v. § 108 vorliegen und der Vorgang unter Beachtung der vergaberechtlichen Bestimmungen vollzogen werden kann3.

60 Erwirbt der öffentliche Auftraggeber im Zuge der Rekommunalisierung bzw.

Reverstaatlichung Unternehmen oder Unternehmensanteile, so sind ferner auch die Grundsätze der Vergabepflichtigkeit öffentlicher Akquisition (Kauf von Unternehmensanteilen) zu beachten4. Maßgeblich ist letztlich, ob der Vorgang einen Beschaffungsbezug aufweist, weil mit dem Erwerb bei wirtschaftlicher Betrachtung Leistungen beschafft werden – mithin also eine Beschaffung „eingekapselt“ ist5 (s. in diesem Zusammenhang auch Rz. 179 ff.).

5. Schriftform 61 In den Anwendungsbereich der Vergaberichtlinien fallen gem. Art. 2 Abs. 1

Nr. 5 der Richtlinie 2014/24/EU und Art. 2 Nr. 1 der Richtlinie 2014/25/EU lediglich „schriftlich geschlossene […] Verträge“. Der Begriff „schriftlich“ umfasst gem. Art. 1 Abs. 1 Nr. 18 der Richtlinie 2014/24/EU bzw. Art. 2 Nr. 14 der

1 OLG Düsseldorf v. 21.6.2006 – VII-Verg 17/06, NZBau 2006, 662 ff. 2 So VK Saarland v. 24.10.2008 – 3 VK 1/2008, IBRRS 2008, 3091; VK Saarland v. 24.10. 2008 – 3 VK 2/2008, IBRRS 2008, 3092. 3 Vgl. von Engelhardt/Kaelble in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 103 Rz. 61; OLG Frankfurt v. 30.8.2011 – 11 Verg 3/11, VergabeR 2012, 47 ff.; OLG Naumburg v. 3.11. 2005 – 1 Verg 9/05, NZBau 2006, 58 ff. 4 So von Engelhardt/Kaelble in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 103 Rz. 61 und 63 ff. 5 Vgl. von Engelhardt/Kaelble in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 103 Rz. 63 ff.

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Richtlinie 2014/25/EU jede aus Wörtern oder Ziffern bestehende Darstellung, die gelesen, reproduziert und mitgeteilt werden kann, einschließlich anhand elektronischer Mittel übertragener und gespeicherter Informationen. § 103 Abs. 1 nennt dieses Kriterium nicht. In dem Regierungsentwurf findet sich lediglich der Hinweis, dass Formerfordernisse auf Verordnungsebene geregelt würden1. Der nationale Gesetzgeber bezieht somit in zulässiger Weise über die gemeinschaftsrechtlichen Anforderungen hinaus auch mündlich abgeschlossene Verträge ein2. Der Unterschied zwischen dem Gemeinschaftsrecht und dem nationalen Recht beruht darauf, dass nach deutschem Recht ein wirksamer Vertrag auch im Vergaberecht grundsätzlich durch schriftliche und mündliche Vereinbarung zustande kommen kann3. Die Einhaltung des Schriftformerfordernisses ist daher unter dem Gesichtspunkt des effektiven Bieterschutzes nicht erforderlich4. Unberührt bleiben jedoch die gesetzlichen Formvorschriften, soweit diese auf den Vertragsgegenstand Anwendung finden5. Da die Schriftform im Sinne der EU-Vergaberichtlinien aber lediglich die Text- 62 form i.S.v. § 126b BGB bedingt (vgl. Art. 1 Abs. 1 Nr. 18 der Richtlinie 2014/24/ EU und Art. 2 Nr. 14 der Richtlinie 2014/25/EU sowie Rz. 61), dürfte es – ein vergaberechtskonformes Vergabeverfahren unterstellt – faktisch indes zu keinen Unterschieden kommen. Denn der öffentliche Auftraggeber hat das Vergabeverfahren gem. § 8 VgV vollständig in der Textform des § 126b BGB zu dokumentieren, was auch die Angebote der Bieter und die Zuschlagserteilung mit umfasst6. 6. Auswahl unter Bietern Eine Auswahl unter Bietern als Voraussetzung für das Vorliegen eines öffent- 63 lichen Auftrags enthält § 103 Abs. 1 nicht7.

III. Lieferaufträge (§ 103 Abs. 2) § 103 Abs. 2 Satz 1 definiert Lieferaufträge als Verträge zur Beschaffung von 64 Waren, die insbesondere Kauf, Ratenkauf, Leasing, Miet- oder Pachtverhältnisse (mit oder ohne Kaufoption) betreffen. Dies entspricht der aktuellen Definition 1 Vgl. BT-Drucks. 18/6281, S. 74. 2 Ziekow in Ziekow/Völlink, Vergaberecht, 2. Aufl. 2013, § 99 GWB Rz. 33. 3 BayObLG v. 10.10.2000 – Verg 5/00, VergabeR 2001, 55 (58); Eschenbruch in Kulartz/ Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 103 Rz. 67; Hailbronner in Byok/Jaeger, Kommentar zum Vergaberecht, § 99 Rz. 60 f. 4 Vgl. OLG Düsseldorf v. 28.7.2011 – VII-Verg 20/11, VergabeR 2012, 35 (39); OLG Naumburg v. 22.12.2011 – 2 Verg 10/11, NZBau 2012, 258 (259). 5 Ebenso Hailbronner in Byok/Jaeger, Kommentar zum Vergaberecht, § 99 Rz. 60 f. 6 Hierauf weist (für den Bereich der Konzessionsvergabe) insbesondere auch Braun in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 105 Rz. 28 f. hin. 7 VK Bund v. 17.12.2010 – VK 1-121/10.

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§ 103 | Öffentliche Aufträge, Rahmenvereinbarungen und Wettbewerbe in Art. 2 Abs. 1 Nr. 8 der Richtlinie 2014/24/EU sowie auch bereits den Definitionen in § 99 Abs. 2 Satz 1 GWB a.F. und Art. 1 Abs. 2 lit. c) UA 1 der Vergabekoordinierungsrichtlinie 2004/18/EG. 65 § 103 Abs. 2 Satz 1 nennt beispielhaft Kauf, Ratenkauf, Leasing, Miete oder

Pacht mit und ohne Kaufoption. Diese Aufzählung ist nicht abschließend1. Auch andere Vertragsformen können daher einen Lieferauftrag darstellen. Maßgeblich ist allein, dass sich der Auftraggeber für einen – wenn auch nur vorübergehenden – Zeitraum die tatsächliche Verfügungsgewalt über eine Ware gegen Zahlung eines Entgelts verschafft, sei es durch Erwerb oder durch Gebrauchsüberlassung2. Es ist also auch nicht notwendig, dass der Auftraggeber Eigentümer des gelieferten Gegenstandes wird.

66 Unter „Waren“, die in Art. 28 AEUV erwähnt werden, sind alle beweglichen Sa-

chen zu verstehen, die einen Geldwert haben und Gegenstand eines Handelsgeschäfts sein können3. Auch unkörperliche Gegenstände wie Strom und Gas oder Softwareprogramme4 sind als Waren anzusehen5. Der Warenbegriff unterscheidet auch nicht danach, ob die fraglichen Waren standardmäßig oder für den Einzelfall, d.h., nach den konkreten Wünschen und Bedürfnissen des Kunden, hergestellt wurden. Der Warenbegriff schließt folglich auch ein Anfertigungsverfahren ein, unabhängig davon, ob die betreffende Ware den Verbrauchern bereits in fertigem Zustand zur Verfügung gestellt oder nach deren Anforderungen hergestellt worden ist. Diese Betrachtungsweise wird durch Art. 1 Abs. 4 der Richtlinie 1999/44/EG6 bestätigt, der als „Kaufverträge“ allgemein und ohne Unterscheidung „Verträge über die Lieferung herzustellender oder zu erzeugender Verbrauchsgüter“ einstuft7. Auch der sog. Werklieferungsvertrag i.S.d. § 651 BGB stellt daher einen Lieferauftrag dar8, soweit es sich nicht um einen Bauvertrag (Rz. 70 ff.) handelt.

67 Unbewegliche Gegenstände unterfallen nicht dem Anwendungsbereich des

§ 103 Abs. 2. Dies wird in § 107 Abs. 1 Nr. 2 klargestellt. Aus dem gemeinschaftsrechtlichen Kontext wird deutlich, dass der Warenbegriff insbesondere

1 2 3 4 5 6 7 8

So bereits Boesen, Vergaberecht, § 99 Rz. 73. VK Südbayern v. 8.10.2001 – 28-08/01. EuGH v. 10.12.1968 – Rs. C-7/68, Slg. 1968, 634 (642) – Kunstschätze. Nicht jedoch die Aufrüstung eines bestehenden EDV-Abrechnungsprogramms mit wesentlichen Implementierungsleistungen, vgl. VK Baden-Württemberg v. 3.6.2002 – 1 VK 20/02. Eschenbruch in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 103 Rz. 162. Richtlinie 1999/44/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25.5.1999 zu bestimmten Aspekten des Verbrauchsgüterkaufs und der Garantien für Verbrauchsgüter, ABl. Nr. L 171 v. 7.7.1999, S. 12 ff. EuGH v. 11.6.2009 – Rs. C-300/07, NJW 2009, 2427 (2430) – Rz. 64 f. – Oymanns. VÜA Bund v. 2.8.1994 – 1 VÜ 1/94; Boesen, Vergaberecht, § 99 Rz. 75.

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abzugrenzen ist von dem Begriff des „Bauwerks“, der gem. Art. 2 Abs. 1 Nr. 7 der Richtlinie 2014/24/EU definiert ist als das Ergebnis einer Gesamtheit von Hoch- oder Tiefbaumaßnahmen, das seinem Wesen nach eine wirtschaftliche oder technische Funktion erfüllen soll. Alles was funktional auf die Erstellung eines Bauwerks ausgerichtet ist, unterfällt daher nicht den Lieferverträgen1. Hingegen weisen Aufträge, die nicht über den reinen Austausch einer Ware gegen Vergütung hinausgehen, die insbesondere die bloße Lieferung von Baustoffen oder Bauteilen ohne individuelle, auf das Bauvorhaben bezogene Be- oder Verarbeitung zum Gegenstand haben, keinen hinreichend engen funktionalen Zusammenhang mit der Erstellung des Bauwerks auf. Sie zählen nicht zu den Bau-, sondern zu den Lieferaufträgen2. Umstritten ist, ob Immobilien ausnahmsweise Warencharakter haben können3. 68 Die Frage stellt sich insbesondere für Immobilien-Leasing- oder Mietkaufverträge. Soweit die Voraussetzungen des § 103 Abs. 3 Satz 2, der Art. 2 Abs. 1 Nr. 6 lit. c) der Richtlinie 2014/24/EU entspricht, vorliegen, stellt der Immobilien-Leasing- oder Mietkaufvertrag einen Bauauftrag dar (vgl. Rz. 100 ff.). Im Übrigen ist er nach § 107 Abs. 1 Nr. 2 dem Anwendungsbereich des Vergaberechts entzogen. Eine Ausnahme gilt lediglich für die im Zusammenhang mit einem solchen Vertrag erbrachten Finanzierungsdienstleistungen, die § 103 Abs. 4 unterfallen (vgl. § 107 Abs. 1 Nr. 2 a.E.). Nach § 103 Abs. 2 Satz 2 können Lieferaufträge auch Nebenleistungen umfas- 69 sen. Art. 2 Abs. 1 Nr. 8 der Richtlinie 2014/24/EU nennt beispielhaft Verlegeund Installationsarbeiten. Isoliert gesehen handelt es sich hierbei um Dienstleistungen. § 103 Abs. 2 Satz 2 spricht folglich gemischte Verträge an. Zu deren Einordnung als Liefer- bzw. Dienstleistungsauftrag vgl. Rz. 131 ff. Eine Nebenleistung i.S.d. § 103 Abs. 2 Satz 2 liegt grundsätzlich nur dann vor, wenn sie funktional auf die Erbringung der Lieferleistung bezogen ist, also deren Erbringung ermöglichen oder erleichtern soll, und ihr lediglich eine untergeordnete Rolle zukommt, d.h. der Schwerpunkt eindeutig in der Lieferung liegt. Sind diese Voraussetzungen nicht erfüllt, so ist die fragliche Leistung regelmäßig als eigenständiger Dienstleistungsauftrag auszuschreiben4.

1 Eschenbruch in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 103 Rz. 161. 2 OLG München v. 28.9.2005 – Verg 19/05, VergabeR 2006, 238 ff., mit Anm. Diercks. 3 Hailbronner in Byok/Jaeger, Kommentar zum Vergaberecht, § 99 Rz. 67 und 120 f. 4 Ziekow in Ziekow/Völlink, Vergaberecht, 2. Aufl. 2013, § 99 GWB Rz. 155; Eschenbruch in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 103 Rz. 164; Boesen, Vergaberecht, § 99 Rz. 79.

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§ 103 | Öffentliche Aufträge, Rahmenvereinbarungen und Wettbewerbe IV. Bauaufträge (§ 103 Abs. 3) 1. Die drei Varianten des § 103 Abs. 3 70 § 103 Abs. 3 definiert den Begriff des Bauauftrags und passt den bisherigen § 99

Abs. 3 GWB a.F. an den neuen Richtlinientext an. Die Bestimmung sieht für die Definition des Bauauftrags – entsprechend dem Richtlinientext (vgl. Art. 2 Abs. 1 Nr. 6 der Richtlinie 2014/24/EU) – nach wie vor drei Varianten vor1. Hierbei handelt es sich um – Verträge über die Ausführung oder die gleichzeitige Planung und Ausführung von Bauleistungen im Zusammenhang mit einer der Tätigkeiten, die in Anhang II der Richtlinie 2014/24/EU und Anhang I der Richtlinie 2014/25/ EU genannt sind (§ 103 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1), – Verträge über die Ausführung oder die gleichzeitige Planung und Ausführung eines Bauwerkes für den öffentlichen Auftraggeber oder Sektorenauftraggeber, das Ergebnis von Tief- oder Hochbauarbeiten ist und eine wirtschaftliche oder technische Funktion erfüllen soll (§ 103 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2), und – Verträge über die Ausführung oder die gleichzeitige Planung und Ausführung einer Bauleistung durch Dritte, die dieser gemäß den vom öffentlichen Auftraggeber oder Sektorenauftraggeber genannten Erfordernissen erbringt, die dem Auftraggeber unmittelbar wirtschaftlich zugutekommt und bei der der Auftraggeber einen entscheidenden Einfluss auf Art und Planung der Bauleistung hat (§ 103 Abs. 3 Satz 2).

71 Der § 103 Abs. 3 zugrunde liegende Art. 2 Abs. 1 Nr. 6 der Richtlinie 2014/24/

EU definiert „öffentliche Bauaufträge“ als „öffentliche Aufträge mit einem der folgenden Ziele: a) Ausführung oder sowohl die Planung als auch die Ausführung von Bauleistungen im Zusammenhang mit einer der in Anhang II genannten Tätigkeiten; b) Ausführung oder sowohl die Planung als auch die Ausführung eines Bauvorhabens; c) Erbringung einer Bauleistung durch Dritte – gleichgültig mit welchen Mitteln – gemäß den vom öffentlichen Auftraggeber, der einen entscheidenden Einfluss auf die Art und die Planung des Vorhabens hat, genannten Erfordernissen“.

72 Ein „Bauwerk“ wird gem. Art. 2 Abs. 1 Nr. 7 der Richtlinie 2014/24/EU de-

finiert als „das Ergebnis einer Gesamtheit von Tief- und Hochbauarbeiten, das seinem Wesen nach eine wirtschaftliche oder technische Funktion erfüllen soll“.

73 Da Art. 2 Abs. 1 Nr. 6 und Nr. 7 der Richtlinie 2014/24/EU für die Bestimmung

ihrer Bedeutung und ihrer Reichweite keinerlei ausdrücklichen Verweis auf das

1 Vgl. BT-Drucks. 18/6281, S. 74.

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Recht der Mitgliedstaaten enthalten, kommt es für das Vorliegen eines Bauauftrags maßgebend auf die Definition des § 103 Abs. 3 im Lichte einer unionsrechtskonformen Auslegung an1. Nicht maßgeblich sind daher grundsätzlich auch die Definitionen der in § 1 VOB/A genannten Bauleistung und dem in § 634a Abs. 1 Nr. 2 BGB verwendeten Begriff des „Bauwerks“. Allerdings kann auf die zu § 1 VOB/A in Rechtsprechung und Literatur entwickelte Kasuistik insoweit zurückgegriffen werden, wie sich kein Widerspruch zum unionsrechtlich geprägten Begriff in § 103 Abs. 3 ergibt2. Mit Blick auf das Gebot der am Unionsrecht orientierten Auslegung des Begriffs 74 des Bauauftrags gem. § 103 Abs. 3 erscheinen insbesondere die – in Art. 2 Abs. 1 Nr. 6 der Richtlinie 2014/24/EU nicht enthaltenen – Tatbestandsmerkmale „für den öffentlichen Auftraggeber oder Sektorenauftraggeber“ (vgl. § 103 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2) und „unmittelbar wirtschaftlich zugutekommt“ (vgl. § 103 Abs. 3 Satz 2) erläuterungsbedürftig. Diese wurden so bzw. so ähnlich bereits in § 99 Abs. 3 GWB a.F. durch das Gesetz zur Modernisierung des Vergaberechts vom 20.4.20093 zum Zwecke der Klarstellung des erforderlichen Beschaffungscharakters4 eingefügt. Die Erläuterungsbedürftigkeit ergibt sich zum einen daraus, dass das Erfordernis des Beschaffungscharakters in gleicher Weise für alle öffentlichen Aufträge und daher lediglich einer allgemeinen, „vor die Klammer gezogenen“ Regelung in § 103 Abs. 1 (bzw. § 99 Abs. 1 GWB a.F.) bedarf (bzw. bedurfte)5. Zum anderen ist zu berücksichtigen, dass der (älteren) Rechtsprechung des EuGH6, insbesondere vom OLG Düsseldorf im Rahmen der sog. „Ahlhorn“Rechtsprechung, entnommen wurde, dass die Anwendung des Vergaberechts vom künftigen Verwendungszweck des Bauwerks und von der Deckung eines gegenständlichen, körperlich greifbaren Beschaffungsbedarfs unabhängig sei7 (s. 1 Vgl. insoweit bereits EuGH v. 18.1.2007 – Rs. C-220/05, Slg. I-00385, Rz. 40 – Stadt Roanne; EuGH v. 20.10.2005 – Rs. C-264/03, Slg. I-08831, VergabeR 2006, 54 (58) – Rz. 36. 2 BayObLG v. 23.7.2002 – Verg 17/02, NZBau 2003, 340 (341); OLG München v. 28.9.2005 – Verg 19/05, VergabeR 2006, 238 (240); VK Südbayern v. 17.2.2006 – 01-01/06; VK Bund v. 31.7.2006 – VK 2-65/06; VK Bund v. 2.5.2003 – VK 1-25/03; VK Brandenburg v. 26.11.2003 – VK 72/03. 3 BGBl. I 2009, 790 ff. 4 Vgl. hierzu auch den seinerzeitigen Hinweis des Bundesrats in BT-Drucks. 16/10117, S. 40. 5 Vgl. BT-Drucks. 16/10117, S. 40. 6 Vgl. insb. EuGH v. 18.1.2007 – Rs. C-220/05, Slg. I-00385 – Stadt Roanne, NZBau 2007, 185 (188) – Rz. 47; sowie ferner auch EuGH v. 15.1.1998 – Rs. C-44/96, Slg. I-00073, EuZW 1998, 120 (123) – Rz. 33; EuGH v. 12.7.2001 – Rs. C-399/98 – Teatro alla Bicocca, NZBau 2001, 512 f.; EuGH v. 18.11.2004 – Rs. C-126/03, Slg. I-11197, NZBau 2005, 49 (50) – Rz. 18 – Kommission/Bundesrepublik Deutschland; Schlussanträge der Generalanwältin Kokott v. 15.6.2006 in der Rs. C-220/05, Slg. I-00385, Rz. 42; OLG Düsseldorf v. 2.10.2008 – VII-Verg 25/08, NZBau 2008, 727 (730); Burgi, NVwZ 2008, 929 (932). 7 Vgl. OLG Düsseldorf v. 2.10.2008 – VII-Verg 25/08, NZBau 2008, 727 (730); ebenso Burgi, NVwZ 2008, 929 (932).

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§ 103 | Öffentliche Aufträge, Rahmenvereinbarungen und Wettbewerbe hierzu insb. auch Rz. 194 ff.). Der Begriff des öffentlichen Beschaffungswesens sollte danach vielmehr so zu verstehen sein, dass hierunter nicht nur solche Maßnahmen eines öffentlichen Auftraggebers fallen, die unmittelbar der Deckung seines eigenen Bedarfs dienen, sondern auch solche, mit denen er konkrete eigene Zielsetzungen bzw. mittelbare Eigeninteressen verfolgt. Ausreichen sollen bereits allgemeine wirtschafts- und gesellschaftspolitische Zwecksetzungen, wie beispielsweise die gesicherte städtebauliche Entwicklung oder die strukturelle Aufwertung und Belebung bestimmter, der kommunalen Planungshoheit unterliegender Zonen1. Es sollte daher genügen, dass der öffentliche Auftraggeber die rechtliche Befugnis erlangt, sicherzustellen, dass der mit der Beschaffung verfolgte öffentliche Zweck erreicht wird2. Zur abschließenden Klärung dieser Problematik hatte das OLG Düsseldorf dem EuGH u.a. die Fragen vorgelegt3: – Setzt ein öffentlicher Bauauftrag nach Art. 1 Abs. 2 lit. b) der Vergabekoordinierungsrichtlinie 2004/18/EG konstitutiv voraus, dass die Bauleistung in einem gegenständlich oder körperlich zu verstehenden Sinn für den öffentlichen Auftraggeber beschafft wird und ihm unmittelbar wirtschaftlich zugutekommt? – Sofern nach der Begriffsbestimmung des öffentlichen Bauauftrags in Art. 1 Abs. 2 lit. b) der Vergabekoordinierungsrichtlinie 2004/18/EG auf das Element der Beschaffung nicht verzichtet werden kann: Ist nach der zweiten Variante der Vorschrift eine Beschaffung anzunehmen, wenn das Bauvorhaben für den öffentlichen Auftraggeber eine bestimmte öffentliche Zweckbestimmung erfüllen (z.B. der städtebaulichen Entwicklung eines kommunalen Ortsteils dienen) soll und der öffentliche Auftraggeber kraft des Auftrags mit der rechtlichen Befugnis ausgestattet ist sicherzustellen, dass der öffentliche Zweck erreicht wird und das Bauwerk dafür künftig zur Verfügung steht? – Unterfallen Aufträge, durch die mittels der vom öffentlichen Auftraggeber genannten Erfordernisse gewährleistet werden soll, dass das herzustellende Bauwerk für einen bestimmten öffentlichen Zweck zur Verfügung steht, und durch die dem Auftraggeber (kraft vertraglicher Abrede) zugleich die rechtliche Befugnis gegeben wird, (im mittelbaren Eigeninteresse) die Verfügbarkeit des Bauwerks für die Öffentliche Zweckbestimmung sicherzustellen, dem Begriff des öffentlichen Bauauftrags nach der dritten Variante des Art. 1 Abs. 2 lit. b) der Vergabekoordinierungsrichtlinie 2004/18/EG? 1 OLG Düsseldorf v. 2.10.2008 – VII-Verg 25/08, NZBau 2008, 727 (730 f.); OLG Düsseldorf v. 12.12.2007 – VII-Verg 30/07, NZBau 2008, 138 (140); OLG Düsseldorf v. 13.6. 2007 – VII-Verg 2/07, NZBau 2007, 530 (533); OLG Karlsruhe v. 13.6.2008 – 15 Verg 3/08, NZBau 2008, 537 (538 f.); OLG Bremen v. 13.3.2008 – Verg 5/07, NZBau 2008, 336 (337 f.). 2 So m.w.N. OLG Düsseldorf v. 2.10.2008 – VII-Verg 25/08, NZBau 2008, 727 (730). 3 OLG Düsseldorf v. 2.10.2008 – VII-Verg 25/08, NZBau 2008, 727 (734).

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Vor diesem Hintergrund war die Gemeinschaftsrechtskonformität der seinerzeit neu in § 99 Abs. 3 GWB a.F. eingefügten Voraussetzungen fraglich. In der Entscheidung über den Vorlagebeschluss in der Rechtssache „Helmut Müller GmbH“ vom 25.3.2010 hat der EuGH die vom deutschen Gesetzgeber gewählte Formulierung jedoch ausdrücklich als gemeinschaftsrechtskonform bestätigt1 (s. hierzu auch Rz. 82 und 197 ff.). Demzufolge begegnen diese, nunmehr auch in § 103 Abs. 3 übernommenen Tatbestandsmerkmale keinen europarechtlichen Bedenken, auch wenn diese keinen Eingang in den Wortlaut von Art. 2 Abs. 1 Nr. 6 der Richtlinie 2014/24/EU gefunden haben. Die Bestimmungen, die öffentliche Auftraggeber bei Vergabe eines Bauauftrags 75 zu beachten haben, ergeben sich aus § 2 VgV. Danach sind Abschnitt 1 und Abschnitt 2, Unterabschnitt 2 der Vergabeverordnung (VgV) und im Übrigen Teil A Abschnitt 2 der Vergabe- und Vertragsordnung für Bauleistungen (VOB/ A) in der Fassung der Bekanntmachung vom 19.1.2016 anzuwenden. 2. Gemeinsame Voraussetzungen der drei Varianten des § 103 Abs. 3 a) Verträge über die Ausführung oder die gleichzeitige Planung und Ausführung Den drei in § 103 Abs. 3 genannten Varianten ist gemeinsam, dass sie sich je- 76 weils sowohl auf die Ausführung von Bauleistungen oder auch – wie § 103 Abs. 3 Satz 1 klarstellt – die gleichzeitige Planung und Ausführung von Bauleistungen beziehen. Damit wird die Gesamtheit aller möglichen Bauleistungen erfasst, die in einem funktionalen Zusammenhang stehen2. Planungsleistungen, die mit den Bauleistungen eine Einheit bilden können, können dabei alle Architekten- und Ingenieurleistungen im Zusammenhang mit der Errichtung einer Immobilie sein. In Betracht kommen insoweit zum einen sämtliche Objekt- und Fachplanungsleistungen (insbesondere nach der HOAI), zum anderen aber auch 1 Vgl. EuGH v. 25.3.2010 – Rs. C-451/08, NZBau 2010, 321 ff. – Rz. 58 – Helmut Müller GmbH, wo es heißt: „Folglich ist auf die erste und zweite Frage zu antworten, dass der Begriff ‚öffentliche Bauaufträge‘ i.S.v. Art. 1 Abs. 2 Buchst. b der Vergabekoordinierungsrichtlinie 2004/18/EG nicht voraussetzt, dass die Bauleistung, die Gegenstand des Auftrags ist, in einem gegenständlichen oder körperlich zu verstehenden Sinn für den öffentlichen Auftraggeber beschafft wird, wenn sie diesem unmittelbar wirtschaftlich zugutekommt.“ Ähnlich auch bereits die Schlussanträge des Generalanwalts Mengozzi v. 17.11.2009 in der Rs. C-451/08, Rz. 52 ff. – Helmut Müller GmbH. 2 Vgl. Eschenbruch in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 103 Rz. 432. Ein solcher funktionaler oder technisch-funktionaler Gesamtzusammenhang ist nicht mehr gegeben, wenn einzelne Maßnahmen eigenständige Zwecke in baulicher Hinsicht erfüllen und zeitlich getrennt voneinader realisiert werden. Vgl. VK Brandenburg v. 21.8.2009 – VK 31/09.

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§ 103 | Öffentliche Aufträge, Rahmenvereinbarungen und Wettbewerbe darüber hinausgehende Leistungen wie z.B. eine Fassadenplanung, ein projektspezifisches Facilitymanagement oder Projektmanagementaufgaben1. Ob derartige Leistungen als zusammengefasste Leistungen den Regelungen über die Bauvergabe unterfallen, ist letztlich aber stets einzelfall- bzw. auftragsbezogen zu bestimmen2. Wie Erwägungsgrund 8 der Richtlinie 2014/24/EU klarstellt, bezweckt diese insbesondere nicht, eine gemeinsame oder eine getrennte Vergabe vorzuschreiben. Angesichts der für die öffentlichen Bauaufträge kennzeichnenden Vielfalt der Aufgaben sollten die öffentlichen Auftraggeber jedoch sowohl die getrennte als auch die gemeinsame Vergabe von Aufträgen für die Planung und die Ausführung von Bauleistungen vorsehen können. Der öffentliche Auftraggeber kann daher insoweit grundsätzlich allein nach Zweckmäßigkeitsgesichtspunkten entscheiden, muss in Deutschland aber gem. § 97 Abs. 4 auch mittelständische Interessen hinreichend mit berücksichtigen3. 77 Beabsichtigt der öffentliche Auftraggeber die Planung und Errichtung eines Bau-

vorhabens an einen einzigen Auftragnehmer, etwa einen Generalübernehmer4, zu vergeben, ist folglich unter vergaberechtlichen Gesichtspunkten eine Trennung in die Ausschreibung der Bauarbeiten nach VgV und VOB/A und der Planungsleistungen nach der VgV (früher der VOF) nicht erforderlich. Vielmehr hat eine gemeinsame Vergabe zu erfolgen, auf die einheitlich die Vorschriften für die Vergabe von Bauleistungen (vgl. Rz. 75) Anwendung finden5. Wird die Planung getrennt vergeben, liegt jedoch ein Dienstleistungsauftrag i.S.v. § 103 Abs. 4 bzw. – konkreter – ein Auftrag über (andere) besondere Dienstleistungen i.S.v. § 130 GWB vor, der regelmäßig zur Anwendung der Bestimmungen der VgV unter Berücksichtigung der Besonderheiten gem. §§ 64 ff. VgV führt. Abzuheben ist darauf, ob die Vergabe von Ausführungs- und Planungsleistungen nach der Intention des Auftraggebers gemeinsam erfolgt, wobei auf den Text der Bekanntmachung bzw. der Ausschreibungsunterlagen abzustellen ist. Werden Ausführungs- und Planungsleistungen für ein einheitliches Bauvorhaben getrennt voneinander ausgeschrieben, verbleibt es bei dieser Trennung, selbst wenn an beiden Ausschreibungen die gleichen Bieter teilnehmen bzw. der Zuschlag an den gleichen Auftragnehmer erteilt wird.

78 § 103 Abs. 3 Satz 1 setzt voraus, dass Ausführungs- und Planungsleistungen

gleichzeitig vergeben werden. Im Regelfall wird sich die auszuschreibende Pla-

1 Vgl. Eschenbruch in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 103 Rz. 433 und 435. 2 Ebenso Eschenbruch in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 103 Rz. 433. 3 Ähnlich Eschenbruch in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 103 Rz. 433 f. 4 Allgemein zur Beteiligungsfähigkeit eines Generalübernehmers Noch, Vergaberecht kompakt, 7. Aufl. 2016, Rz. 298 ff. 5 Boesen, Vergaberecht, § 99 Rz. 99.

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nung auf das gesamte Bauvorhaben beziehen. Möglich ist jedoch, dass die Ausführungsleistungen umfangreicher als die Planungsleistungen sind. Dies ist etwa dann der Fall, wenn für das beabsichtigte Bauvorhaben bereits eine Vor- oder Entwurfsplanung vorliegt, d.h. sich die zu vergebenden Planungsleistungen auf die Genehmigungs- und/oder Ausführungsplanung beschränken. Daneben sind Fälle denkbar, in denen für einen Teil der beabsichtigten Ausführungsleistungen bereits eine Ausführungsplanung vorliegt, während die Planung für weitere Teilbereiche noch zu erstellen ist und gemeinsam mit den Ausführungsleistungen vergeben werden soll. In beiden Fällen greift § 103 Abs. 3 ein. Es liegt folglich ein einheitlicher Bauauftrag vor, der den Regeln des in § 2 VgV festgelegten Rechtsregimes (vgl. Rz. 75) folgt. Schwierigkeiten können im umgekehrten Fall entstehen, wenn eine komplette 79 Planungsleistung (Vor- bis einschließlich Ausführungsplanung) lediglich mit einem Teil der Ausführungsleistungen (etwa den Rohbauarbeiten) vergeben wird oder wenn die Beplanung eines Gesamtbauvorhabens gemeinsam mit der Ausführung lediglich eines Teilgebäudes vergeben werden soll. In beiden Fällen geht der Umfang der Planungsleistungen über die zu vergebenden Ausführungsleistungen hinaus. Nach dem Wortlaut des § 103 Abs. 3 ist grundsätzlich auch in diesen Fällen von dem Vorliegen eines Bauauftrags auszugehen. Dies kann – mit Blick auf § 110 Abs. 1 Satz 1 – nur dann nicht gelten, wenn die zu vergebenden Ausführungsleistungen nicht mehr den Hauptgegenstand des Vertrages ausmachen (vgl. Rz. 164) oder gar gegenüber den Planungsleistungen in ihrer Bedeutung soweit zurücktreten, dass die Planungsleistungen eindeutig überwiegen und sich die Ausführungsleistungen lediglich als Nebenarbeiten darstellen. In diesen Fällen ist es gerechtfertigt, den Gesamtauftrag als Dienstleistungsvertrag i.S.d. § 103 Abs. 4 einzustufen1. Die Zusammenfassung sämtlicher Planungsleistungen mit den Bauleistungen in 80 § 103 Abs. 3 belegt schließlich auch die Irrelevanz der Rechtsnatur des Vertrages (s.u. Rz. 99). Danach spielt es aus vergaberechtlicher Sicht keine Rolle, ob der jeweilige Bauauftrag zivilrechtlich einen Werkvertrag (§ 631 BGB) darstellt. Vielmehr können auch sog. Werklieferungsverträge (§ 651 BGB) und selbst Dienstleistungs- (§ 611 BGB) und Kaufverträge (§ 433 BGB) infolge eines funktionsbedingten Zusammenhangs der zu beschaffenden Gegenstände mit dem Gebäude als Bauauftrag i.S.v. § 103 Abs. 3 anzusehen sein2.

1 Ähnlich für die Kombination eines Bauauftrags mit einem Dienstleistungsauftrag, der nicht Planungsleistungen zum Gegenstand hatte, EuGH v. 19.4.1994 – Rs. C-331/92, Slg. 1994 I, 1329, 1351 – Gestión Hotelera Internacional SA, unter Berufung auf die 16. Begründungserwägung zur Richtlinie 92/50/EWG. 2 OLG Dresden v. 2.11.2004 – WVerg 11/04, VergabeR 2005, 258; OLG Düsseldorf v. 5.7. 2000 – VII-Verg 5/99, NZBau 2001, 106 (107 f.); Eschenbruch in Kulartz/Kus/Portz/ Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 103 Rz. 409.

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§ 103 | Öffentliche Aufträge, Rahmenvereinbarungen und Wettbewerbe b) Einklagbare Bau- oder Realisierungsverpflichtung 81 Das Vorliegen eines Bauauftrages i.S.v. § 103 Abs. 3 erfordert hinsichtlich aller

drei Varianten die Eingehung einer einklagbaren Bau- oder Realisierungsverpflichtung1. Bloße Absichtsbekundungen und nicht durchsetzbare Zusagen sind dagegen nicht relevant2.

82 Die Frage war indes – jedenfalls für die dritte Variante von § 103 Abs. 3 bzw. des-

sen Vorgängerbestimmung § 99 Abs. 3 GWB a.F. – bis zur Entscheidung des EuGH in der Rechtssache „Helmut Müller GmbH“ vom 25.3.2010 umstritten. Das OLG Düsseldorf hatte in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen, dass dem Wortlaut des Art. 1 Abs. 2 der Vergabekoordinierungsrichtlinie 2004/18/EG zwar weder in der deutsch-, englisch- noch französischsprachigen Fassung Etwaiges zu entnehmen sei, und dem englischen Privatrecht beispielsweise eine Einklagbarkeit vertraglich verabredeter Bauleistungen in der Regel fremd sei. Gleichwohl wollte das OLG Düsseldorf zumindest für die zweite (und wohl auch die erste) Variante des § 99 Abs. 3 GWB a.F. an dem Erfordernis einer Realisierungsverpflichtung des Auftragnehmers, die über die Einhaltung ohnehin zu beachtender öffentlich-rechtlicher Bauvorschriften und bestehender Bebauungspläne hinausgeht, festhalten. Hinsichtlich der dritten Variante des § 99 Abs. 3 GWB a.F. hatte es hingegen mit Blick auf deren Auffangcharakter festgestellt, dass es dem Sinn und Zweck von § 99 Abs. 3 Alt. 3 GWB a.F., die Wirksamkeit der Vergaberichtlinien auch in Umgehungsfällen sicherzustellen, zuwiderlaufen würde, wenn man eine unmittelbare Verpflichtung des Auftragnehmers zur Herstellung des Bauwerks fordern würde3. Zur abschließenden Klärung dieser Problematik hatte das OLG Düsseldorf die Frage dem EuGH vorgelegt4. Der EuGH hat in seiner diesbezüglichen Entscheidung in der Rechtssache „Helmut Müller GmbH“ vom 25.3.2010 daraufhin ausdrücklich klargestellt, dass der Begriff des öffentlichen Bauauftrags es erfordert, dass der Auftragnehmer direkt oder indirekt die Verpflichtung zur Erbringung der Bauleistungen, die Gegenstand des Auftrags sind, übernimmt und dass es sich um eine nach den im nationalen Recht geregelten Modalitäten einklagbare Verpflichtung handelt5. 1 Vgl. EuGH v. 25.3.2010 – Rs. C-451/08, NZBau 2010, 321 ff., Rz. 59–63 – Helmut Müller GmbH. Ähnlich auch bereits die Schlussanträge des Generalanwalts Mengozzi v. 17.11. 2009 in der Rs. C-451/08, Rz. 80. Ebenso VK Darmstadt v. 4.9.2008 – 69d-VK-30/08, NZBau 2008, 795; VK Darmstadt v. 19.12.2007 – 69d-VK-06/2008, NZBau 2008, 339 f.; Eschenbruch in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 103 Rz. 466. 2 Eschenbruch in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 103 Rz. 466. 3 OLG Düsseldorf v. 2.10.2008 – VII-Verg 25/08, NZBau 2008, 727 (731). 4 OLG Düsseldorf v. 2.10.2008 – VII-Verg 25/08, NZBau 2008, 727 (734). 5 Vgl. EuGH v. 25.3.2010 – Rs. C-451/08, NZBau 2010, 321 ff., Rz. 59-63 – Helmut Müller GmbH. Ähnlich auch bereits die Schlussanträge des Generalanwalts Mengozzi v. 17.11. 2009 in der Rs. C-451/08, Rz. 80.

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Demzufolge ist also eine vollstreckbare Bauverpflichtung erforderlich. Im Hin- 83 blick hierauf sind schlichte Rücktritts- oder Wiederverkaufsrechte nicht ausreichend, um eine einklagbare Bauverpflichtung im Sinne der EuGH-Rechtsprechung zu begründen1. Solche Rücktrittsrechte werden in der Praxis häufig für den Fall vereinbart, dass der Grundstückskäufer das Grundstück nicht innerhalb einer bestimmten Zeit bestimmungsgemäß nutzt. In der Vereinbarung eines solchen Rücktrittsrechts könnte allenfalls eine „mittelbare“ Bauverpflichtung gesehen werden, da der Käufer das Grundstück zurückgeben muss, wenn er den Bau nicht durchführt. Eine solche Abrede stellt aber schon deshalb keinen öffentlichen Bauauftrag i.S.v. § 103 Abs. 3 dar, weil der Käufer keine über den Kauf und seine mögliche Rückabwicklung hinausgehende Verpflichtung eingeht. Die Folge einer etwaigen Untätigkeit wäre nur, dass der ursprünglich von ihm angestrebte Verkauf des Grundstücks rückabgewickelt wird. Hierin kann indes keine eigenständige Verpflichtung zur Durchführung eines Bauauftrags gesehen werden2. Problematisch erweisen sich in diesem Kontext jedoch solche Rückabwicklungsregelungen, die den Käufer (zusätzlich) belasten, sei es in Form einer ausdrücklich vereinbarten Vertragsstrafenregelung, oder sei es in Form einer für den Käufer unvollständigen Rückabwicklung, weil er nur Teile des von ihm bezahlten Kaufpreises zurückbekommt3. In derartigen Fällen liegt es nahe, von einer faktischen Bauverpflichtung zu sprechen4, so dass insoweit – zumindest aus Gründen der Vorsorge – empfohlen wird, von der Anwendbarkeit des Vergaberechts auszugehen5. Ebenfalls problematisch ist in diesem Zusammenhang die Behandlung von 84 Durchführungsverträgen mit Durchführungspflicht gem. § 12 Abs. 1 und 6 BauGB. Das OLG Schleswig hat insoweit eine einklagbare Bauverpflichtung mit der Begründung verneint, dass es zwar möglich sei, im Falle von Leistungsstörungen eine Ersatzvornahme vertraglich zu vereinbaren. Bei „lebensnaher Betrachtung“ sei allerdings davon auszugehen, dass es zur Ersatzvornahme nicht komme, da die Kommune entsprechend der „Soll-Vorschrift“ des § 12 Abs. 6 BauGB eher den Bebauungsplan aufheben werde. Eine Einklagbarkeit sei somit 1 Vgl. VK Mecklenburg-Vorpommern v. 27.10.2011 – 3 VK 4/11, IBR 2012 2582; VK Baden-Württemberg v. 12.1.2011 – 1 VK 67/10, IBR 2011, 1404; VK Darmstadt v. 5.3.2008 – 69d-VK-06/2008, NZBau 2008, 339 ff.; Gartz, NZBau 2010, 293 (296); Hertwig, NZBau 2011, 9 (14); Düsterdiek in Ingenstau/Korbion, VOB – Teile A und B – Kommentar, § 23 VOB/A Rz. 19 und 25. 2 So Hertwig, NZBau 2011, 9, 14; zustimmend Düsterdiek in Ingenstau/Korbion, VOB – Teile A und B – Kommentar, § 23 VOB/A Rz. 19. 3 Hertwig, NZBau 2011, 9 (14). 4 Vgl. Terwiesche, Der Bauverwaltungsprozess, 2012, Rz. 449; Hertwig, NZBau 2011, 9 (14); Düsterdiek in Ingenstau/Korbion, VOB – Teile A und B – Kommentar, § 23 VOB/A Rz. 19. 5 So Düsterdiek in Ingenstau/Korbion, VOB – Teile A und B – Kommentar, § 23 VOB/A Rz. 19.

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§ 103 | Öffentliche Aufträge, Rahmenvereinbarungen und Wettbewerbe nicht gegeben. Dies solle auch dann gelten, wenn für den Fall von Leistungsstörungen die Ersatzvornahme vertraglich vereinbart und zur Absicherung der Durchführung eine (hohe) Sicherheit zu leisten ist1. Die Entscheidung des OLG Schleswig ist jedoch, insbesondere hinsichtlich ihrer Verallgemeinerungsfähigkeit mit einer gewissen Vorsicht zu genießen. Grundsätzlich ist es nämlich durchaus kritisch zu bewerten, wenn im Rahmen eines Grundstücksgeschäfts eine nicht in § 12 BauGB vorgesehene Berechtigung zur Ersatzvornahme vereinbart wird. Wenn der Auftraggeber das Bauprojekt tatsächlich realisiert sehen möchte, wird er bei Leistungsstörungen nämlich regelmäßig nichts anderes als die Berechtigung zur Ersatzvornahme einklagen (vgl. § 887 ZPO). Vertraglich vorgesehene Ersatzvornahmerechte können daher eine starke Indizwirkung dahingehend haben, dass die Parteien im Ergebnis eine einklagbare Bauverpflichtung im Sinne der EuGH-Rechtsprechung vereinbaren wollen2. Wenn zur Realisierung des Vorhabens ferner auf eine sehr hohe Sicherheit zurückgegriffen werden kann, erscheint es zudem keineswegs „lebensfremd“, dass eine Kommune im Zweifelsfall – sei es ganz oder teilweise – den Weg der Ersatzvornahme wählt3. 3. Bauleistungen im Zusammenhang mit einer der Tätigkeiten gemäß Anhang II der Richtlinie 2014/24/EU und Anhang I der Richtlinie 2014/25/EU (§ 103 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1) 85 Die erste in § 103 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 geregelte Variante betrifft Bauleistungen,

die in Anlage II der Richtlinie 2014/24/EU (und Anhang I der Richtlinie 2014/ 25/EU) abschließend aufgenommen worden sind. Die in Anhang II der Richtlinie 2014/24/EU (der insoweit Anhang I der alten Vergabekoordinierungsrichtlinie 2004/18/EG entspricht) aufgeführten Bauleistungen wurden – wie die Gesetzesbegründung anmerkt4 – bereits in der bisherigen Praxis für die Abgrenzung von Bau- und Lieferaufträgen herangezogen5. Vor diesem Hintergrund nimmt die Neuregelung nunmehr – im Einklang mit Art. 2 Abs. 1 Nr. 6 lit. a) der Richtlinie 2014/24/EU (vgl. oben unter Rz. 71) – eine direkte Verknüpfung zum Anhang II der Richtlinie 2014/24/EU bzw. zum Anhang I der Richtlinie 2014/25/EU vor. Werden mithin Leistungen beauftragt, die im Zusammenhang mit den dort aufgeführten Tätigkeiten erbracht werden, liegt ein Bauauftrag i.S.v. § 103 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 vor6.

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OLG Schleswig v. 15.3.2013 – 1 Verg 4/12, NZBau 2013, 453 ff. Vgl. hierzu auch OLG Köln v. 4.10.2011 – 16 W 29/11, BeckRS 2012, 09191. So Hahn, IBR 2013, 1143. Vgl. BT-Drucks. 18/6281, S. 74. Vgl. beispielsweise OLG Düsseldorf v. 30.4.2014 – VII-Verg 35/13. Vgl. hierzu auch Eschenbruch in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 103 Rz. 394.

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Anhang II der Richtlinie 2014/24/EU und Anhang I der Richtlinie 2014/25/EU 86 stellen das Verzeichnis der Berufstätigkeiten im Baugewerbe entsprechend dem allgemeinen Verzeichnis der wirtschaftlichen Tätigkeiten in der Europäischen Gemeinschaft (NACE) dar. Dieses umfasst alle Tätigkeiten, die für ein Bauwerk oder an einem Bauwerk erbracht werden. Die Auflistung des NACE-Verzeichnisses ist nicht abschließend. Die in Anhang II der Richtlinie 2014/24/EU bzw. Anhang I der Richtlinie 2014/25/EU nicht aufgeführten Leistungen, die zur Erstellung eines Bauwerks erforderlich sind, sind jeweils der Untergruppe „Allgemeines“ der im Anhang genannten Tätigkeitsgruppen zuzuordnen. Aus Anhang II der Richtlinie 2014/24/EU und Anhang I der Richtlinie 2014/25/ 87 EU wird zudem deutlich, dass sich die Bauleistung nicht notwendigerweise auf einen Neubau beziehen muss. Vielmehr kommen alle Varianten von Bauleistungen in Betracht. Dazu gehören insbesondere die Erneuerung und Ergänzung bestehender Anlagen. Dementsprechend sind auch Leistungen der Modernisierung, Rekonstruktion und Sanierung den Bauaufträgen zuzurechnen1. Erfasst werden weiterhin auch Abbrucharbeiten. Es ist auch nicht erforderlich, dass sich die Bauleistungen auf ein Bauwerk als Ganzes beziehen. Vielmehr fällt auch die Herstellung einzelner Bauteile und Bauglieder unter § 103 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1, ohne dass es darauf ankommt, ob sie einen äußerlich hervortretenden, körperlich abgesetzten Teil des ganzen Baus darstellen2. Unerheblich ist grundsätzlich auch, ob und in welchem Umfang ggf. auftraggeberseitig Materialbeistellungen erfolgen3. 4. Bauwerk, das Ergebnis von Tief- oder Hochbauarbeiten ist und eine wirtschaftliche oder technische Funktion erfüllen soll (§ 103 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2) Gemäß § 103 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 liegt ein Bauauftrag vor im Falle eines Vertra- 88 ges über die Ausführung oder die gleichzeitige Planung und Ausführung eines Bauwerkes für den öffentlichen Auftraggeber oder Sektorenauftraggeber, das Ergebnis von Tief- oder Hochbauarbeiten ist und eine wirtschaftliche oder technische Funktion erfüllen soll. Diese zweite Variante des § 103 Abs. 3 geht auf die Art. 2 Abs. 1 Nr. 6 lit. b) der Richtlinie 2014/24/EU in Verbindung mit der Definition des „Bauwerks“ in Art. 2 Abs. 1 Nr. 7 der Richtlinie 2014/24/EU zurück (vgl. oben unter Rz. 72 f.). Zu der in Art. 2 Abs. 1 Nr. 6 lit. b) der Richtlinie 2014/24/EU nicht enthaltenen Formulierungen „für den öffentlichen Auftraggeber oder Sektorenauftraggeber“ s. bereits oben unter Rz. 74. 1 BayObLG v. 23.7.2002 – Verg 17/02, NZBau 2003, 340 (341); VK Thüringen v. 17.4.2002 – 216-4002.20-008/02-SHL-S. 2 Korbion in Ingenstau/Korbion, VOB – Teile A und B – Kommentar, § 1 VOB/A Rz. 23 m.w.N. 3 OLG Düsseldorf v. 31.1.2001 – U (Kart.) 9/00, VergabeR 2001, 345 ff., mit Anm. Schwenker; Eschenbruch in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 103 Rz. 408.

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§ 103 | Öffentliche Aufträge, Rahmenvereinbarungen und Wettbewerbe 89 Aus der – in § 103 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 wiedergegebenen bzw. wiederholten – De-

finition des „Bauwerks“ gem. Art. 2 Abs. 1 Nr. 7 der Richtlinie 2014/24/EU als „das Ergebnis einer Gesamtheit von Tief- und Hochbauarbeiten, das seinem Wesen nach eine wirtschaftliche oder technische Funktion erfüllen soll“, geht hervor, dass insoweit von einer Zusammenfassung von Einzelleistungen ausgegangen wird1. Die Begriffe Tief- und Hochbauarbeiten sollen dabei keinerlei Abgrenzungsfunktion zu anderen Bauleistungen schaffen; ihnen kommt lediglich eine eher deklaratorische Bedeutung zu2. Insbesondere kann das Bauwerk auch aus einer Kombination von Tief- und Hochbauarbeiten bestehen. Dementsprechend fällt alles, was zur Ausführung eines Bauwerks an Bauleistungen notwendig ist, unter den Begriff des Bauauftrags3. Umfasst werden also Verträge über die Erstellung eines Gesamtbauwerks. Insoweit kommt jede unbewegliche, durch Verwendung von Arbeit und Material in Verbindung mit dem Erdboden hergestellte Sache in Betracht4, soweit diese eine funktionsfähige Anlage darstellt. Wesensmerkmal des Bauwerks ist die feste und innige Verbindung mit dem Boden5. Diese Voraussetzung liegt stets vor, wenn das Ergebnis der Arbeiten nach § 94 BGB wesentlicher Bestandteil des Grund und Bodens wird6.

90 In der Rechtsprechung und der Literatur besteht Einigkeit, dass eine weite Aus-

legung dessen, was als Bauwerk bzw. als zum Bauwerk gehörig gelten soll, geboten ist7. Es sollen alle Arten von Bauleistungen umfassend einbezogen werden8. Insbesondere bei Neubauvorhaben wird – in Abgrenzung zu Lieferaufträgen – der Kreis der Leistungen, die unter Bauleistungen subsumiert werden können, regelmäßig weit gezogen und alles, was der Herstellung und späteren bestimmungsgemäßen Nutzung (Funktion) einer baulichen Anlage dient, als Bauleistung angesehen. Entscheidend für die Beurteilung der Frage, ob ein öf-

1 Vgl. Eschenbruch in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 103 Rz. 413. 2 Vgl. Eschenbruch in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 103 Rz. 413. 3 Eschenbruch in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 103 Rz. 397. 4 BGH v. 22.6.1964 – VII ZR 44/63, BB 1964, 820; VK Brandenburg v. 5.4.2002 – VK 7/02; VK Brandenburg v. 12.2.2002 – 2 VK 123/01. Siehe auch bereits RG v. 20.11.2903 – VII 285/03, RGZ 56, 41, 43. 5 Bauer in Heiermann/Riedl/Rusam, Handkommentar zur VOB, § 1 VOB/A Rz. 9. 6 Bauer in Heiermann/Riedl/Rusam, Handkommentar zur VOB, § 1 VOB/A Rz. 9. 7 OLG Dresden v. 2.11.2004 – WVerg 11/04, VergabeR 2005, 258 (259); OLG Jena v. 22.8. 2002 – 6 Verg 5/01, VergabeR 2003, 97 (99); VK Brandenburg v. 18.11.2009 – VK 41/09; VK Düsseldorf v. 10.4.2008 – VK-05/2008-B; VK Sachsen v. 12.7.2007 – 1/SVK/049-07; VK Baden-Württemberg v. 15.3.2007 – 1 VK 3/07; VK Südbayern v. 29.11.2005 – Z3-33194-1-46-09/05; VK Bund v. 2.5.2003 – VK 1-25/03. 8 VK Brandenburg v. 18.11.2009 – VK 41/09; OLG Dresden v. 2.11.2004 – WVerg 11/04; Noch, BauR 1998, 941 (947); Eschenbruch in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 103 Rz. 397.

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fentlicher Bauauftrag vorliegt, ist daher die Erreichung des im Vertrag geregelten Vertragsziels. Zu den Bauleistungen zählen insbesondere auch die Lieferung und Montage der für eine bauliche Anlage erforderlichen maschinellen und elektrotechnischen Anlagen und Anlagenteile sowie von Kommunikations- und fernmeldetechnischen Vermittlungs- und Übertragungseinrichtungen. Entscheidend ist, dass das Bauwerk ohne diese Anlagen noch nicht als vollständig fertig gestellt anzusehen ist. Unerheblich ist dagegen, ob sie wesentliche Bestandteile des Bauwerkes werden1. Selbst die Beschaffung bloßer Zubehörteile i.S.d. §§ 90 ff. BGB kann vergaberechtlich zur Ausführung eines Bauwerks gehören, sofern sie nur zur Herbeiführung von dessen Funktionsfähigkeit erforderlich ist. Einbaumaßnahmen, mit denen eine feste Verbindung zwischen Ausstattungsgegenständen und Gebäude geschaffen wird, sind zur Bejahung einer Bauleistung mithin nicht zwingend erforderlich. Der Gesichtspunkt des – notwendigen – Funktionszusammenhangs kann daher auch solche Beschaffungen, die sich bei isolierter Betrachtung als Lieferauftrag darstellen, zum Bestandteil einer Bauleistung machen2. Die Abgrenzung nach dem Kriterium des Funktionszusammenhangs kann sich im Einzelfall indes als schwierig erweisen3. Grundsätzlich sind zu den Bauleistungen alle zu montierenden Bauteile zu rechnen, insbesondere die Lieferung und die Montage maschineller und elektrotechnischer Einrichtungen. Hingegen sind solche Einrichtungen, die überwiegend unabhängig von der Baumaßnahme beschafft werden und mit dieser nicht in einem engen funktionellen Zusammenhang stehen, nicht den Bauleistungen zuzuordnen4. Letzteres soll insbesondere für die Fälle gelten, dass Einrichtungsgegenstände als Massenware bestellt werden können, ohne dass spezielle bauliche Anpassungen notwendig sind5, aber auch für die Beschaffung von Zweitausstattungen mit 1 VK Brandenburg v. 18.11.2009 – VK 41/09; VK Sachsen v. 12.7.2007 – 1/SVK/049-07; VK Baden-Württemberg v. 15.3.2007 – 1 VK 3/07; VK Düsseldorf v. 11.9.2001 – VK-19/ 2001-B; Eschenbruch in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 103 Rz. 397. 2 So OLG Dresden v. 2.11.2004 – WVerg 11/04, VergabeR 2005, 258 ff. (für die Erstausstattung eines Werkstatt- und Laborgebäudes eines Schulzentrums); vgl. ferner OLG Jena v. 31.7.2002 – 6 Verg 5/01, VergabeR 2003, 97 ff. (für die Geräteausstattung einer Klinik); VK Brandenburg v. 28.6.2005 – VK 20/05 (für die Lieferung und Montage von Küchengeräten einer Mensa); VÜA Bund v. 1.7.1997 – 1 VÜ 9/97 (für ein Regalsystem für die Deutsche Bibliothek in Frankfurt/M.). A.A. VK Schleswig-Holstein v. 15.7. 2002 – VK-SH-08/02 (für die Lieferung und den Einbau von Labormöbeln in ein Universitätsgebäude unter Hinweis darauf, dass diese der Lieferung und Installation von EDV-Endgeräten in ein Verwaltungsgebäude vergleichbar sei). 3 Vgl. hierzu insb. die Darstellung der Kasuistik bei Eschenbruch in Kulartz/Kus/Portz/ Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 103 Rz. 427. 4 Eschenbruch in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 103 Rz. 426 f. 5 Eschenbruch in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 103 Rz. 428. Die VK Brandenburg v. 30.5.2007 – 1 VK 15/07, IBRRS 2007, 3682, hat die Be-

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§ 103 | Öffentliche Aufträge, Rahmenvereinbarungen und Wettbewerbe standardisierten Gegenständen, die einer individuellen baulichen Einpassung nicht bedürfen1. Darüber hinaus fällt auch die Lieferung und Montage maschineller Einrichtungen unter § 103 Abs. 3, soweit diese Einrichtungen nicht von der baulichen Anlage ohne Beeinträchtigung der Vollständigkeit oder Benutzbarkeit abgetrennt werden und einem selbständigen Nutzzweck dienen können2. 91 In Abgrenzung dazu stellt die (reine) Lieferung und Montage von (elektrotech-

nischen und elektronischen) Anlagen nur dann keine Bauleistung dar, wenn die technische Anlage lediglich in dem Bauwerk untergebracht ist, das Bauwerk aber auch ohne sie nach seiner Zweckbestimmung funktionsfähig ist3. Insoweit mangelt es an der notwendigen wirtschaftlichen oder technischen Funktionserfüllung (s. dazu unter Rz. 97). Derartige Verträge fallen unter § 103 Abs. 2. Gleiches gilt auch für das bloße Bereitstellen von Baugeräten in Form eines Mietvertrags4.

92 Gemeinsam umfassen die beiden Varianten des § 103 Abs. 3 Satz 1 somit sämtli-

che Arbeiten, die die Errichtung, Instandhaltung, Änderung oder Beseitigung eines Bauwerks oder eines Teils hiervon zum Gegenstand haben. Eine exakte Abgrenzung zwischen beiden Varianten ist in der Praxis nicht erforderlich, da das Gesetz an sie keine unterschiedlichen Rechtsfolgen knüpft.

93 Der Begriff „Bauwerk“ ist zudem mit dem Begriff der „baulichen Anlage“, wie er

beispielsweise in § 1 VOB/A verwendet wird, identisch. Im Hochbau wird dieser Begriff im Wesentlichen gleichgesetzt mit „Gebäude“5.

94 Im Tiefbau ist die Begriffsbestimmung oft schwieriger und meist mit Blick auf

die Definition „Erfüllung einer wirtschaftlichen oder technischen Funktion“ vorzunehmen6. Der Begriff der Tiefbauarbeiten wird im Anhang II der Richtlinie 2014/24/EU näher definiert. Zu den dort aufgeführten Arbeiten zählen z.B. auch die Abfallumlagerung, die Oberflächenabdichtung, das Verlegen von Rohrleitungen, das Anlegen von Schlammauffangbecken und Versickerungsmulden sowie die Herstellung von Betriebswegen7. Weiter kommen als Tiefbaumaßnahmen beispielsweise auch Bauwerke in Gestalt einzelner in sich abgeschlossener

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schaffung von Möbeln und Textilien für einen Neubau, mit der gleichzeitig aber auch Montagearbeiten nachgefragt wurden, als Bauleistung qualifiziert. Hailbronner in Byok/Jaeger, Kommentar zum Vergaberecht, § 99 Rz. 82. BGH v. 3.12.1998 – VII ZR 109/97, MDR 1999, 737 = NJW 1999, 2434 ff.; Korbion in Ingenstau/Korbion, VOB – Teile A und B – Kommentar, § 1 VOB/A Rz. 64. So insb. VK Brandenburg v. 18.11.2009 – VK 41/09 unter Hinweis auf BayObLG v. 23.7. 2002 – Verg 17/02, NZBau 2003, 340 ff. und VK Bund v. 2.5.2003 – VK 1-25/03. Korbion in Ingenstau/Korbion, VOB – Teile A und B – Kommentar, § 1 VOB/A Rz. 88. VK Thüringen v. 10.6.2008 – 250-4002.20-1323/2008-020-EF; VK Rheinland-Pfalz v. 10.6.2003 – VK 10/03; VK Münster v. 6.6.2001 – VK 12/01. VK Rheinland-Pfalz v. 10.6.2003 – VK 10/03. Vgl. VK Brandenburg v. 21.12.2004 – VK 64/04 (noch zu Anhang I der Vergabekoordinierungsrichtlinie 2004/18/EG).

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verkehrswirksamer Straßenbauabschnitte in Betracht1. Maßgeblich ist insoweit, ob das zu erstellende Projekt eine eigene Funktion erfüllt. Dies ist bereits bei der Fertigstellung eines Streckenabschnittes einer geplanten Autobahn der Fall, oder auch bei der Errichtung einer Brücke oder einer Unterführung. Entscheidend ist die vorgesehene Ausführung der einzelnen, in sich geschlossenen Bauabschnitte2. Erfüllt daher nur einer von mehreren Bauabschnitten (zwei Straßen, eine Brücke) eine eigene wirtschaftliche und technische Funktion, stellen die Bauabschnitte ein einheitliches Bauwerk dar3. Dementsprechend bilden ein Brückenkopf und eine Brücke eine verkehrlich-funktionale Einheit und stellen damit ein einheitliches Bauwerk dar4. Auch Teile von Verkehrsanlagen, die für sich genommen keine funktionale und wirtschaftliche Einheit darstellen, können nicht als eigenständige und von anderen Maßnahmen unabhängige Einzelbaumaßnahmen bezeichnet werden. So ist beispielsweise eine Straßenbeleuchtung mit entsprechender Elektroinstallation ohne eine dazugehörige Straße für sich allein wirtschaftlich unvernünftig und daher als notwendiger Bestandteil des Bauwerks „Straße“ anzusehen5. Dagegen soll die Verbundfähigkeit von Kanalsystemen für sich allein grundsätzlich noch nicht die Bewertung rechtfertigen, dass Erneuerungsarbeiten an unterschiedlichen Kanalabschnitten des Systems immer bereits als Teil einer Gesamtbaumaßnahme anzusehen sind. Vielmehr müssten weitere gewichtige Besonderheiten des jeweiligen Vergabeverfahrens hinzukommen, die eine solche Einschätzung zulassen. So spricht es z.B. für die Bewertung von Bauarbeiten als Gesamtbaumaßnahme, die eine wirtschaftliche und technische Funktion erfüllt, dass die einzelnen, in einem räumlich engen Zusammenhang stehenden Bauabschnitte gezielt durch den Auftraggeber gebündelt ausgeschrieben werden, die Durchführung nach zeitlich sukzessiv vorgegebenen Zeitabschnitten erfolgen soll und gemeinsam für alle Bauabschnitte übergreifende Leistungen koordiniert durch die Bieter erbracht werden sollen6. Dem steht auch eine lange Bauzeit nicht zwingend entgegen. Zwar kann die vorgesehene Bauzeit ein Entscheidungskriterium sein, jedoch ist auch eine lange Zeitspanne unschädlich, wenn sie sich im Hinblick auf den Umfang und die Art der Arbeiten in einem überschaubaren Rahmen hält7 – mithin also angemessen ist. Wird bei der Errichtung einer Straßenbahntrasse die Gesamtbaumaßnahme in einzelnen Bauabschnitten ausgeschrieben, so kann die gesamte Trasse einer Straßenbahn mit Benennung der Trasse und mit definiertem Anfangs1 VK Brandenburg v. 25.4.2003 – VK 21/03; VK Baden-Württemberg v. 22.10.2002 – 1 VK 51/02. 2 VK Münster v. 6.6.2001 – VK 12/01. 3 VK Düsseldorf v. 14.8.2006 – VK-32/2006-B. 4 VK Schleswig-Holstein v. 19.1.2005 – VK-SH 37/04. 5 VK Südbayern v. 14.1.2004 – 62-12/03. 6 VK Düsseldorf v. 28.9.2007 – VK-27/2007-B. 7 VK Düsseldorf v. 28.9.2007 – VK-27/2007-B; ähnlich VK Baden-Württemberg v. 22.10. 2002 – 1 VK 51/02.

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§ 103 | Öffentliche Aufträge, Rahmenvereinbarungen und Wettbewerbe und Endpunkt als ein einheitliches Bauwerk betrachtet werden, wenn der erste Bauabschnitt der Trasse in einem bestimmten Bereich mit Provisorien endet, deren Beseitigung und endgültige Fertigstellung Gegenstand des zweiten und dritten Bauabschnitts ist, wodurch die unmittelbare Verknüpfung der Leistungen des ersten Bauabschnitts und des zweiten und dritten Bauabschnitts deutlich wird und der Auftraggeber alle Bauabschnitte europaweit ausschreibt1. 95 Auch ein Gewässer (zweiter Ordnung) stellt ein Bauwerk dar, weil es sich hierbei um eine unbewegliche, durch die Verwendung von Arbeit und Material in Verbindung mit dem Erdboden, hergestellte Sache handelt2. Das das Gewässer durchfließende Wasser bildet eine funktionale Einheit mit dem Gesamtbauwerk. Folglich stellen Arbeiten, die die Funktionsfähigkeit solcher Gewässer (ausgebaute Gräben und Flüsse) sicherstellen sollen und direkt auf das Bauwerk einwirken, wie beispielsweise die Krautung der Sohle, Mahd und Krautung der Böschungen, Holzungen etc. unterhalb der Wasseroberfläche, Bauleistungen dar, da sie gleichsam wie Instandsetzungsarbeiten für die Funktionsfähigkeit des Bauwerks von wesentlicher Bedeutung sind. Dies gilt auch für solche Tätigkeiten, die keine unmittelbare Berührung zu dem Gewässer aufweisen, soweit ihnen aber jedenfalls für die Funktionsfähigkeit des Bauwerks eine wesentliche Bedeutung zukommt. Entsprechende Arbeiten sollen dabei insbesondere auch nicht mit Reinigungsarbeiten bzw. Gartenpflegearbeiten in und um Gebäude (vgl. dazu sogleich Rz. 96) verglichen werden können3. 96 Grundstücksbezogene Arbeiten können ebenfalls als Bauwerk anzusehen sein. Es ist jedoch eine differenzierende Betrachtungsweise geboten. Baugeländevorarbeiten sind grundsätzlich als Bauauftrag anzusehen4. Strittig ist, ob dies auch für Arbeiten zur Kampfmittelräumung gilt, die – obwohl erdbaubezogen – der Herstellung der öffentlichen Sicherheit dienen und hinsichtlich ggf. nachfolgender Bauaufträge lediglich vorbereitenden Charakter haben5. Dies soll zumindest dann der Fall sein, wenn konkrete Bauvorhaben vorliegen, bezüglich deren Ausführung oder Planung die ausgeschriebenen Kampfmittelräumungsmaßnahmen gleichzeitig erfolgen sollen6. Gartenpflegearbeiten, die lediglich der Erhaltung des status quo, d.h. der Pflege bereits vorhandener Gartenanlagen dienen, mithin also nicht oder allenfalls unwesentlich in die Substanz der Gartenanlage eingreifen und umfangreiche Erdbewegungsarbeiten nicht erforderlich machen, stellen keine Bauleistung dar7. Auch Leistungen des Winterdienstes und der 1 VK Thüringen v. 10.6.2008 – 250-4002.20-1323/2008-020-EF. 2 VK Sachsen-Anhalt v. 21.2.2008 – VK 2 LVwA LSA 1/08, IBRRS 2008, 1078. 3 VK Sachsen-Anhalt v. 21.2.2008 – VK 2 LVwA LSA 1/08, IBRRS 2008, 1078. Vgl. hierzu auch Blatt, IBR 2008, 289. 4 VK Düsseldorf v. 11.9.2001 – VK-19/2001-B. 5 Dies bejahend VK Bund v. 8.8.2001 – VK 2-22/01. A.A. VK Arnsberg v. 29.11.2005 – VK 23/05. 6 OLG Düsseldorf v. 2.1.2006 – VII-Verg 93/05. 7 VK Bund v. 29.3.2006 – VK 3-15/05.

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Störungsbeseitigung auf Bundes- und Landesstraßen stellen, da sie lediglich der Aufrechterhaltung und der störungsfreien Nutzbarkeit des existenten Straßennetzes dienen, keine Bauleistung dar1. Nach § 103 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 – und ebenso nach Art. 2 Abs. 1 Nr. 6 lit. b) der 97 Richtlinie 2014/24/EU – ist Voraussetzung, dass das Bauwerk eine wirtschaftliche oder technische Funktion erfüllen soll. Maßgeblich ist insoweit die endgültige Nutzung des hergestellten Bauwerks. Nicht von dem Begriff des Bauauftrags umfasst ist daher die Beschaffung von Kunstwerken, selbst wenn zu ihrer Herstellung Bauleistungen notwendig sind. Allerdings kann ein noch so künstlerisch geprägter Bauentwurf eines Architekten – unabhängig davon, ob urheberrechtlich geschützt oder nicht – als solcher die Freistellung vom Kartellvergaberecht nicht begründen2. Nach dem EuGH ist es für den Begriff des Bauwerks indes nicht entscheidend, 98 im Rahmen welcher Einsatzform die Bauleistung erbracht wird, insbesondere ob der öffentliche Auftraggeber Bauaufgaben an ein oder mehrere Unternehmen überträgt. Es ist auch nicht erforderlich, dass der Bauauftrag lediglich von einem Auftraggeber stammt3. Irrelevant ist zudem die Rechtsnatur des Vertrages, also insbesondere die Fra- 99 ge, ob der jeweilige Bauleistungsauftrag zivilrechtlich als Werkleistung (§ 631 BGB) einzustufen ist. Dementsprechend können auch sog. Werklieferungsverträge (§ 651 BGB) und selbst Dienstleistungs- (§ 611 BGB) und Kaufverträge (§ 433 BGB) infolge eines funktionsbedingten Zusammenhangs der zu beschaffenden Gegenstände mit dem Gebäude als Ausführung eines Bauvorhabens anzusehen sein4 (s.o. Rz. 80). 5. Bauleistungen durch Dritte (§ 103 Abs. 3 Satz 2) § 103 Abs. 3 Satz 2 behandelt die insgesamt dritte Variante des § 103 Abs. 3. 100 Danach liegt ein Bauauftrag auch vor, wenn ein Dritter eine Bauleistung gemäß den vom öffentlichen Auftraggeber oder Sektorenauftraggeber genannten Erfordernissen erbringt, die Bauleistung dem Auftraggeber unmittelbar wirtschaftlich zugutekommt und dieser einen entscheidenden Einfluss auf Art und Planung 1 VK Thüringen v. 30.8.2006 – 360-4003.20-009/06-HBN, 360-4003.20-015-MGN, 3604003.20-004/06-SON und 360-4003.20-009/06-ESA-S. 2 Eschenbruch in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 103 Rz. 414. 3 EuGH v. 5.10.2000 – Rs. C-16/98, Slg. I-08315, NZBau 2001, 275 (277 f.), Rz. 42 – Sydev; s.a. Eschenbruch in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 103 Rz. 173. 4 OLG Dresden v. 2.11.2004 – WVerg 11/04, VergabeR 2005, 258; OLG Düsseldorf v. 5.7. 2000 – VII-Verg 5/99, NZBau 2001, 106 (107 f.); Eschenbruch in Kulartz/Kus/Portz/ Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 103 Rz. 409.

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§ 103 | Öffentliche Aufträge, Rahmenvereinbarungen und Wettbewerbe der Bauleistung hat. Die Regelung lehnt sich an Art. 2 Abs. 1 Nr. 6 lit. c) der Richtlinie 2014/24/EU an (vgl. oben unter Rz. 70 f.). Zu der in Art. 1 Abs. 2 lit. b) der Vergabekoordinierungsrichtlinie 2004/18/EG nicht enthaltenen Formulierungen „unmittelbar wirtschaftlich zugutekommen“ s. bereits oben unter Rz. 74 sowie unten Rz. 103. 101 Ausweislich der Gesetzesbegründung soll – entsprechend Art. 2 Abs. 1 Nr. 6

lit. c) der Richtlinie 2014/24/EU – hiermit klargestellt werden, dass die Erbringung der Bauleistung gemäß den von einem öffentlichen Auftraggeber oder Sektorenauftraggeber genannten Erfordernissen voraussetzt, dass der betreffende Auftraggeber Maßnahmen getroffen hat, um die Art des Vorhabens festzulegen, oder zumindest einen entscheidenden Einfluss auf dessen Planung haben musste. Ob der Auftragnehmer das Bauvorhaben ganz oder zum Teil mit eigenen Mitteln durchführt oder dessen Durchführung mit anderen Mitteln sicherstellt, ist – wie in Erwägungsgrund 9 der Richtlinie 2014/24/EU klargestellt wird – unerheblich für die Einstufung der entsprechenden Bauleistung als Bauauftrag, solange der Auftragnehmer eine direkte oder indirekte rechtswirksame Verpflichtung zur Gewährleistung der Erbringung der Bauleistungen übernimmt1.

102 Die Norm fungiert – wie auch schon § 99 Abs. 3 Alt. 3 GWB a.F. – als Auffang-

tatbestand2. Sinn und Zweck ist es, zu verhindern, dass der öffentliche Auftraggeber durch das Ausweichen auf Vertragsgestaltungen, bei denen ein Dritter – letztlich im eigenen Namen – für ihn ein Bauvorhaben errichtet, das für Bauvergaben strenge Vergaberechtsregime umgeht3. Die Vorschrift umfasst insbesondere die klassischen Fälle der Bauträger-, Mietkauf- und Leasingverträge, aber auch ähnliche Gestaltungen wie etwa Kommunalfonds, die für öffentliche Auftraggeber Vorhaben realisieren, PPP-Vertragsgestaltungen, in deren Rahmen Bauvorhaben realisiert werden, oder sog. Generalübernehmerverträge als Unterfälle von Bauträgergestaltungen, in deren Rahmen eine Projektgesellschaft für einen öffentlichen Auftraggeber ein Bauvorhaben errichtet4. Hierbei wird die öffentliche Hand nicht als Auftraggeber einer Werkleistung tätig. Klassischerweise kauft (Bauträgervertrag) oder mietet (Leasing- oder Mietkaufvertrag) der öffentliche Auftraggeber vielmehr ein bereits durch einen Dritten fertiggestelltes Bauvorhaben an. § 103 Abs. 3 Satz 2 ist in engem Zusammenhang mit dem Ausnahmetatbestand des § 107 Abs. 1 Nr. 2 zu sehen (vgl. dazu § 107 Rz. 8 ff.). Anders als im Rahmen des § 107 Abs. 1 Nr. 2 liegt gem. § 103 Abs. 3 Satz 2 jedoch ein dem Vergaberechtsregime unterfallender Bauauftrag vor, weil und wenn die Bauausführung gemäß den vom Auftraggeber genannten Erfor1 Vgl. BT-Drucks. 18/6281, S. 74. 2 OLG Düsseldorf v. 2.10.2008 – VII-Verg 25/08, NZBau 2008, 727 (731). 3 Eschenbruch in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 103 Rz. 439. 4 Boesen, Vergaberecht, § 99 Rz. 142; sowie insb. Eschenbruch in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 103 Rz. 442 m.w.N.

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dernissen erfolgt, d.h. der Auftraggeber auf die Bauausführung einen erheblichen Einfluss ausübt. Wirtschaftlich führt dies nämlich zu dem gleichen Ergebnis wie die Vergabe eines Werkvertrags über Bauleistungen. Der Auftraggeber erhält ein Bauwerk, das nach seinen Wünschen errichtet und auf seine Nutzungsabsichten zugeschnitten ist. Lediglich aus finanziellen oder steuerrechtlichen Gründen wird nicht der Abschluss eines Werkvertrags, sondern eine hiervon abweichenden Gestaltung gewählt. Zu Recht werden diese Verträge den Werkverträgen über Bauleistungen daher vergaberechtlich gleichgesetzt. 103 § 103 Abs. 3 Satz 2 hat dem Wortlaut nach folgenden vier Voraussetzungen: – Erbringung einer Bauleistung durch Dritte – gemäß den vom öffentlichen Auftraggeber genannten Erfordernissen – die Bauleistung muss dem öffentlichen Auftraggeber unmittelbar wirtschaftlich zugutekommen – der Auftraggeber muss entscheidenden Einfluss auf Art und Planung der Bauleistung genommen haben

a) Erbringung einer Bauleistung durch Dritte Den Begriff „Bauleistung“ umfasst sämtliche Arbeiten, die unter die erste oder 104 zweite Variante des § 103 Abs. 3, d.h. unter § 103 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 und 2 fallen1. Dritter kann jede von dem öffentlichen Auftraggeber unabhängige private oder 105 öffentliche Einrichtung sein2. Irrelevant ist es im Rahmen des § 103 Abs. 3 Satz 2, ob der Dritte die Bauleistun- 106 gen auf Grund und Boden des öffentlichen Auftraggebers oder bereits vorhandenen eigenen Grundstücken ausführt. Der Norm unterfallen insbesondere sowohl die Fallgestaltungen, bei denen der Dritte zunächst vom öffentlichen Auftraggeber das Baugrundstück erwirbt, als auch die Fälle, bei denen der Dritte seit jeher (oder seit längerer Zeit) Eigentümer des betroffenen Grundstücks ist. In dem zuletzt genannten Fall ist in verfahrenstechnischer Hinsicht jedoch zu berücksichtigen, dass mit dem entsprechenden Eigentümer – in Ansehung seines aus dem Grundeigentum erwachsenden Ausschließlichkeitsrechts – ggf. gem. § 3a EU Abs. 3 Nr. 3 lit. c) VOB/A ein Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb (und ohne Vergabebekanntmachung) durchgeführt werden kann3 (s. hierzu auch Rz. 213). 1 von Engelhardt/Kaelble in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 103 Rz. 109. 2 Eschenbruch in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 103 Rz. 440. 3 Otting, NZBau 2004, 469 (470); Eschenbruch in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 103 Rz. 445; Stolz in Ingenstau/Korbion, VOB – Teile A und B – Kommentar, § 3a EU VOB/A Rz. 49 f.; Stickler in Kapellmann/Messerschmidt, VOB Teile A und B, 6. Aufl. 2017, § 3a EU Rz. 49.

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§ 103 | Öffentliche Aufträge, Rahmenvereinbarungen und Wettbewerbe 107 Wird der Dritte als Bauträger oder auch Projektentwickler indes zwar im eigenen

Namen tätig, aber für Rechnung des Auftraggebers – so wie dies beispielsweise in EuGH-Rechtssache „Stadt Roanne“ der Fall war1 – liegt kein Fall von § 103 Abs. 3 Satz 2, sondern bereits von § 103 Abs. 3 Satz 1 vor. Dies gilt auch dann, wenn einzelne Bauabschnitte später an Dritte weiterveräußert werden sollen2.

108 Der Wortlaut des § 103 Abs. 3 Satz 2 könnte dahingehend verstanden werden,

dass die Vorschrift auch Verträge zwischen dem „Dritten“ (beispielsweise einem Bauträger) und seinen Auftragnehmern umfasst. Dies trifft jedoch nicht zu. Bauträger-, Leasing- und Mietkaufverträge werden in § 103 Abs. 3 erwähnt, soweit sie im Ergebnis dem Abschluss eines Werkvertrags über Bauleistungen gleichkommen. Genauso wie bei Abschluss eines Werkvertrags der Auftragnehmer des öffentlichen Auftraggebers grundsätzlich nicht dem Vergaberecht unterliegt, findet dieses auch auf einen privaten Dritten, der im Auftrag eines öffentlichen Auftraggebers als Bauträger oder zukünftiger Leasinggeber Bauverträge an Subunternehmer vergibt, keine Anwendung. § 57a Abs. 1 Nr. 8 HGrG hatte zwar vorgesehen, dass auch natürliche und juristische Personen des Privatrechts, die mit der öffentlichen Hand einen der in § 103 Abs. 3 Satz 2 genannten Verträge abgeschlossen hatten, bezüglich der Erteilung von Bauaufträgen an Dritte dem Vergaberecht unterlagen. Diese Vorschrift war jedoch gegenstandslos, da die in ihr genannten Auftraggeber durch § 3 Abs. 1 Satz 2 VgV 1994 von dem Anwendungsbereich des Vergaberechts ausgeschlossen wurden. § 57a Abs. 1 Nr. 8 HGrG wurde daher folgerichtig durch eine entsprechende Klarstellung in § 99 Abs. 3 Halbs. 2 GWB a.F. ersetzt3. Damit erwies sich insbesondere auch der frühere Meinungsstreit darüber, ob das Vergaberecht bereits auf der ersten Stufe zwischen öffentlichem Auftraggeber und Bauträger oder auf der zweiten Stufe zwischen Bauträger und etwaigen Nachunternehmern zum Tragen kommt4, als überholt5. b) Vom Auftraggeber genannte Erfordernisse

109 Die zentrale und praktisch bedeutsamste Voraussetzung für die Anwendung des

§ 103 Abs. 3 Satz 2 ist, dass die Bauleistungen gemäß den vom Auftraggeber genannten Erfordernissen durchgeführt werden6. Entscheidend ist insoweit, ob

1 Vgl. EuGH v. 18.1.2007 – Rs. C-220/05, Slg. I-00385, NZBau 2007, 185 ff. – Stadt Roanne. 2 Eschenbruch in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 103 Rz. 441. 3 Boesen, Vergaberecht, § 99 Rz. 149; Eschenbruch in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 103 Rz. 438. 4 Vgl. dazu Otting, NZBau 2004, 469 (471, 472 f.); Eschenbruch/Niebuhr, BB 1996, 2417 (2425). 5 Ebenso bereits Eschenbruch in Kulartz/Kus/Portz, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, 2. Aufl. 2009, § 99 Rz. 198. 6 Ähnlich Eschenbruch in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 103 Rz. 447.

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und inwieweit die Realisierung auf einer Beschaffungsinitiative des öffentlichen Auftraggebers oder einer eigenständigen privaten Projektentwicklung beruht, wobei die Übergänge in der Praxis fließend sind. Fraglich ist daher, welche Anforderungen sich aus dem Merkmal der „vom Auftraggeber genannten Erfordernisse“ sowohl hinsichtlich des Grades der Beschaffungsinitiative des öffentlichen Auftraggebers als auch hinsichtlich des Grades der Einflussnahme (Konkretisierungsdichte) konkret ergeben. Nach dem Wortlaut von § 103 Abs. 3 Satz 2 müssen die Erfordernisse des öf- 110 fentlichen Auftraggebers von diesem „genannt“ werden. Erforderlich ist daher in jedem Fall eine – wie auch immer geartete – unmittelbare oder mittelbare Einwirkungsmöglichkeit des Auftraggebers1. § 107 Abs. 1 Nr. 2 bestimmt zudem, dass der Erwerb oder die Miete von vorhandenen Gebäuden vom Anwendungsbereich des Vergaberechts ausgenommen ist. Hiernach scheiden zunächst alle Verträge aus, bei denen der öffentliche Auftraggeber ein ohne seine Mitwirkung errichtetes Gebäude kauft, mietet oder least. Dies ist stets dann der Fall, wenn Kauf-, Miet- oder Leasinggegenstand ein Gebäude ist, das bereits von Dritten benutzt wurde, soweit nicht umfangreiche Umbauarbeiten für den öffentlichen Auftraggeber stattfanden. Auch der Erstbezug eines neu errichteten Gebäudes fällt nicht unter § 103 Abs. 3 Satz 2, wenn der Auftraggeber in der Errichtungsphase keinerlei Einfluss auf die Bauausführung genommen hatte. In diesen Fällen handelt es sich um einen Lieferauftrag nach § 103 Abs. 2, der über § 107 Abs. 1 Nr. 2 jedoch von dem Anwendungsbereich des Vergaberechts ausgenommen ist. Gleiches gilt auch für den Fall, dass der Bauherr die voraussichtlichen Bedürfnisse eines öffentlichen Auftraggebers antizipiert und hierauf basierend ein Gebäude errichtet, das auf den Auftraggeber zugeschnitten ist, in der Hoffnung, dass der Auftraggeber das Gebäude im Anschluss an seine Fertigstellung kaufen oder leasen würde, ohne dass ihm eine konkrete Möglichkeit der Einflussnahme eingeräumt wurde. Für die Bejahung des Merkmals der „vom Auftraggeber genannten Erfordernis- 111 se“ ist es also zunächst einmal erforderlich, dass der öffentliche Auftraggeber überhaupt mit einem bestimmten immobilienspezifischen Beschaffungsbedarf am Markt aufgetreten ist. Der Einhaltung einer besonderen Handlungsform bedarf es hierbei nicht. Allein ausreichend ist, dass der Auftraggeber mit einem von ihm entwickelten Anforderungsprofil für eine zu erbringende Bauleistung – in einer wie auch immer gearteten Art und Weise – an den Beschaffungsmarkt herangetreten ist. Fraglich ist insoweit jedoch, welchen Intensitätsgrad die Einflussnahme haben 112 muss. Denn will ein öffentlicher Auftraggeber Räumlichkeiten in einer noch zu errichtenden Immobilie anmieten, wird er hinsichtlich der Ausbauverpflichtung regelmäßig und zwangsläufig bereits eine eigene Vorstellung entwickelt haben. 1 VK Düsseldorf v. 2.8.2007 – VK-23/2007-B; Boesen, Vergaberecht, § 99 Rz. 141.

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§ 103 | Öffentliche Aufträge, Rahmenvereinbarungen und Wettbewerbe In diesem Zusammenhang wird ein öffentlicher Auftraggeber auch bauliche Anforderungen definieren1. 113 Das OLG Düsseldorf hat(te) insoweit die Ansicht vertreten, dass die Erforder-

nisse auf die Ausführung des individuellen Bauwerks bezogen sein und darauf einen inhaltlichen Einfluss nehmen müssen (z.B. durch Vorgaben betreffend die Art und Weise der Bebauung und ihrer Anbindung an die Umgebung oder an die Gestaltung der Fassaden)2. Dabei soll es – so das OLG Düsseldorf – jedoch nicht darauf ankommen, ob elementare oder weniger wichtige Erfordernisse gestellt werden3. Auch soll eine Herstellung nach vom Auftraggeber gebilligten Plänen genügen, wenn der Auftraggeber diese zuvor geprüft und sich zu eigen gemacht hat4. An den Konkretisierungsgrad der Vorgaben des öffentlichen Auftraggebers seien dabei keine hohen Anforderungen zu richten5.

114 Der EuGH hat in der Entscheidung „Helmut Müller GmbH“ vom 25.3.2010 al-

lerdings eine wesentlich restriktivere Auffassung vertreten. Ein öffentlicher Auftraggeber hat danach seine Erfordernisse nur dann genannt, wenn er Maßnahmen ergriffen hat, um die Merkmale der Bauleistung zu definieren oder zumindest einen entscheidenden Einfluss auf ihre Konzeption auszuüben. Der bloße Umstand, dass eine Behörde in Ausübung ihrer städtebaulichen Regelungszuständigkeiten bestimmte, ihr vorgelegte Baupläne prüft oder eine Entscheidung in Anwendung von Zuständigkeiten in diesem Bereich trifft, genügt insoweit nicht6.

115 Ähnlich hat der EuGH auch in der Entscheidung „Pizzarotti“ vom 10.7.2014 –

unter Bezugnahme auf den Fall „Helmut Müller GmbH“ – formuliert und ausgeführt, dass das Merkmal der „vom Auftraggeber genannten Erfordernisse“ erfüllt sei, „wenn der öffentliche Auftraggeber Maßnahmen ergriffen hat, um die Merkmale der Bauleistung festzulegen oder zumindest entscheidenden Einfluss 1 Vgl. Eschenbruch in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 103 Rz. 460. 2 OLG Düsseldorf v. 2.10.2008 – VII-Verg 25/08, NZBau 2008, 727 (731); OLG Düsseldorf v. 6.2.2008 – VII-Verg 37/07, NZBau 2008, 271 (275 f.); sowie dazu Hertwig/Öynhausen, KommJur 2008, 121 (122). 3 OLG Düsseldorf v. 2.10.2008 – VII-Verg 25/08, NZBau 2008, 727 (731); OLG Düsseldorf v. 12.12.2007 – VII-Verg 30/07, NZBau 2008, 271 (275 f.). 4 Vgl. OLG Düsseldorf v. 12.12.2007 – VII-Verg 30/07, NZBau 2008, 138 (140 f.); OLG Düsseldorf v. 6.2.2008 – VII-Verg 37/07, NZBau 2008, 271 (276); sowie insb. OLG Düsseldorf v. 2.10.2008 – VII-Verg 25/08, NZBau 2008, 727 (731), das die Frage, ob der Begriff der „vom öffentlichen Auftraggeber genannten Erfordernisse“ nach Art. 1 Abs. 2 lit. b) der Vergabekoordinierungsrichtlinie 2004/18/EG erfüllt ist, wenn die Bauleistungen nach vom öffentlichen Auftraggeber geprüften und gebilligten Plänen erbracht werden sollen, dem EuGH zur Entscheidung vorgelegt hat. 5 OLG Düsseldorf v. 2.10.2008 – VII-Verg 25/08, NZBau 2008, 727 (731); OLG Düsseldorf v. 13.6.2007 – VII-Verg 2/07, NZBau 2007, 530 (532 f.). 6 EuGH v. 25.3.2010 – Rs. C-451/08, NZBau 2010, 321 ff., Rz. 67 ff. – Helmut Müller GmbH.

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auf die Planung der Bauleistung zu nehmen“1. Im konkreten Fall standen Anforderungen im Sinne einer funktionalen Leistungsbeschreibung für einen Mietvertrag über ein Gerichtsgebäude in Rede. Auch wenn dementsprechend keine gegenständlichen Details definiert waren, sah der EuGH es als ausreichend an, dass mittels einer derartigen Beschreibung auf die Planung des zu errichtenden Gebäudes Einfluss genommen wurde2. Eine hinreichend intensive Einflussnahme hat der EuGH auch im Fall „Köln 116 Messe“ bejaht und zur Begründung darauf hingewiesen, dass „die betreffenden Bauwerke gemäß den sehr detaillierten und von der Stadt Köln im Hauptvertrag deutlich formulierten Spezifikationen errichtet [wurden]. Aus diesem Vertrag und seinen Anlagen geht hervor, dass die betreffenden Spezifikationen in Form einer genauen Beschreibung der zu errichtenden Gebäude, ihrer Beschaffenheit und ihrer Ausstattung weit über die üblichen Vorgaben eines Mieters für eine neue Immobilie einer gewissen Größe hinausgehen“3. Demzufolge muss ein öffentlicher Auftraggeber – zum einen – also Maßnahmen 117 ergriffen haben, d.h. aktiv eigene Anforderungen an die Bauleistung definiert haben. Folglich dürfte es nicht ausreichen, wenn – aufgrund von Markt- und Nutzeranforderungen – ein Investor von ihm entwickelte Pläne zur Genehmigung vorstellt und der öffentliche Auftraggeber diese lediglich billigt bzw. sich zu eigen macht4. Zum anderen müssen die Vorgaben, wie sich aus der Entscheidung „Köln Messe“ ergibt, (weit) über den Vergleichsmaßstab der üblichen Vorgaben eines Mieters für eine neue Immobilie einer gewissen Größe hinausgehen5. Das OLG Düsseldorf hat Entsprechendes im Beschluss vom 7.8.2013 hinsichtlich der geplanten Errichtung einer Polizeiwache präzisiert und festgestellt, dass eine gemäß den vom Auftraggeber genannten Erfordernissen zu erbringende Bauleistung vorliegt, wenn z.B. in der Leistungsbeschreibung sowie im Raumbuch, also in den Vergabeunterlagen, detaillierte sowie qualifizierte Forderungen an das Objekt gestellt werden, etwa in Bezug auf die zu errichtenden Räume, deren Ausgestaltung, Lage, Beschaffenheit und die technsiche Gebäudeausrüstung sowie geforderte Zufahrten und Zugänge6. Im Einklang hiermit liegt ein öffentlicher Bauauftrag nach Ansicht der VK 118 Darmstadt daher nicht vor, wenn der öffentliche Auftraggeber ein Gebäude anmieten will, das von einem Dritten projektiert worden ist (und noch nicht fertig1 EuGH v. 10.7.2014 – Rs. C-213/13, Rz. 44, VergabeR 2014, 766 ff. – Pizzarotti. 2 Vgl. hierzu auch Eschenbruch in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 103 Rz. 454 sowie VK Sachsen v. 19.6.2015 – 1/SVK/009-15, IBR 2015, 620. 3 EuGH v. 29.10.2009 – Rs. C-536/07, NZBau 2009, 792 (796) – Rz. 58 – Köln Messe. 4 Ebenso Eschenbruch in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 103 Rz. 457 und 462. 5 Ebenso Eschenbruch in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 103 Rz. 460. 6 OLG Düsseldorf v. 7.8.2013 – VII-Verg 14/13, NZBau 2014, 57 ff.

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§ 103 | Öffentliche Aufträge, Rahmenvereinbarungen und Wettbewerbe gestellt wurde), das aber allgemein dem Markt zur Verfügung gestellt werden soll und nicht ausschließlich auf die Bedürfnisse des öffentlichen Auftraggebers zugeschnitten wurde1. Ebenso scheidet – so die VK Baden-Württemberg – ein Bauauftrag i.S.v. § 103 Abs. 3 Satz 2 aus, wenn die Anforderungen des Auftraggebers nicht spezifisch genug sind, weil z.B. allein die Geschossflächenzahl festgelegt wurde. Dies gilt insbesondere dann, wenn diese Festlegung auf Betreiben des Investors aufgenommen wurde und sich damit als Ausdruck eines Zugeständnisses des öffentlichen Auftraggebers im Hinblick auf die erweiterte Bebaubarkeit des Grundstücks darstellt2. 119 Unzweifelhaft nicht erfasst werden zum einen auch nicht bauwerks-, sondern

rein nutzungsbezogene (oder sozialpolitisch motivierte) Erfordernisse3. Beschränkt sich der öffentliche Auftraggeber daher darauf, lediglich nutzerspezifische Belange zu benennen, wie sie für einen Mieter üblich sind, reicht dies nicht aus, um von einem Bauauftrag auszugehen. Etwas anderes kann jedoch – wie gesagt – gelten, wenn die genannten Erfordernisse im Sinne einer Mieterbaubeschreibung über die rein funktionalen Anforderungen für den Mietergebrauch auch auf die bauliche Ausgestaltung, insbesondere die Architektur einen nicht unerheblichen Einfluss nehmen (vgl. Rz. 117). Zum anderen nicht erfasst werden solche Erfordernisse, die lediglich auf einer Anwendung öffentlich-rechtlicher Bauvorschriften4 beruhen oder dem Auftraggeber die Einhaltung und Festsetzung eines bestehenden Bebauungsplans aufgeben5. Dementsprechend ist es insbesondere auch unschädlich, wenn eine Behörde in Ausübung ihrer städtebaulichen Regelungszuständigkeiten bestimmte, ihr vorgelegte Baupläne prüft oder eine Entscheidung in Anwendung von Zuständigkeiten in diesem Bereich trifft. Dies gilt sowohl für bauordnungs- als auch bauplanungsrechtliche Zuständigkeiten6.

1 Vgl. VK Darmstadt v. 5.3.2008 – 69d-VK-06/2008, NZBau 2008, 340 (342); sowie Eschenbruch in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 103 Rz. 463. 2 Vgl. VK Baden-Württemberg v. 5.6.2008 – 1 VK 16/08; sowie Eschenbruch in Kulartz/ Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 103 Rz. 465. 3 OLG Düsseldorf v. 2.10.2008 – VII-Verg 25/08, NZBau 2008, 727 (731). 4 Vgl. in diesem Zusammenhang auch VK Brandenburg v. 15.2.2008 – VK 2/08, wonach die Befugnisse einer Gemeinde im Rahmen der Baugenehmigung nach § 34 BauGB bei der Veräußerung eines Entwicklungsgrundstücks keine hinreichende Einflussmöglichkeit zur Absicherung der gemeindlichen Vorgaben begründen, weil die Bauerlaubnis nach § 34 BauGB eine gebundene Entscheidung ist und nicht im Ermessen der Gemeinde steht. Im Ergebnis ebenso VK Baden-Württemberg v. 15.8.2008 – 1 VK 27/08. 5 EuGH v. 25.3.2010 – Rs. C-451/08, NZBau 2010, 321 ff., Rz. 67 ff. – Helmut Müller GmbH; ebenso bereits OLG Düsseldorf v. 2.10.2008 – VII-Verg 25/08, NZBau 2008, 727 (731). 6 EuGH v. 25.3.2010 – Rs. C-451/08, NZBau 2010, 321 ff., Rz. 57 – Helmut Müller GmbH; Düsterdiek in Ingenstau/Korbion, VOB – Teile A und B – Kommentar, § 23 VOB/A Rz. 24.

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c) Bauleistung, die dem öffentlichen Auftraggeber unmittelbar wirtschaftlich zugutekommt Das Tatbestandsmerkmal des § 103 Abs. 3 Satz 2, wonach die Bauleistung dem 120 öffentlichen Auftraggeber unmittelbar wirtschaftlich zugutekommen muss, dient – wie oben unter Rz. 74 dargelegt – der Klarstellung des erforderlichen Beschaffungscharakters und begegnet vor diesem Hintergrund – auch wenn es sich in Art. 2 Abs. 1 Nr. 6 lit. c) der Richtlinie 2014/24/EU nicht wiederfindet – mit Rücksicht auf die Entscheidung des EuGH in der Rechtssache „Helmut Müller GmbH“ vom 25.3.20101 keinen europarechtlichen Bedenken (s.o. Rz. 74). In der Entscheidung „Helmut Müller GmbH“ hat der EuGH festgestellt, dass der 121 Begriff des öffentlichen Bauauftrags zwar nicht voraussetze, dass die Bauleistung, die Gegenstand des Auftrags ist, in einem gegenständlichen oder körperlich zu verstehenden Sinn für den öffentlichen Auftraggeber beschafft wird, es indes erforderlich ist, dass sie diesem unmittelbar wirtschaftlich zugutekommt. Die Ausübung von städtebaulichen Regelungszuständigkeiten durch den öffentlichen Auftraggeber genügt indes nicht, um diese letztgenannte Voraussetzung zu erfüllen2. Maßgeblich ist insoweit die Überlegung, dass der entgeltliche Charakter des öffentlichen Bauauftrags impliziere, dass der öffentliche Auftraggeber, der einen öffentlichen Bauauftrag vergeben hat, gemäß diesem Auftrag eine Leistung gegen eine Gegenleistung erhält. Die Leistung besteht in der Erbringung der Bauleistungen, die der öffentliche Auftraggeber erhalten möchte. Eine solche Leistung muss nach ihrer Natur sowie nach dem System und den Zielen der EU-Vergaberichtlinien ein unmittelbares wirtschaftliches Interesse für den öffentlichen Auftraggeber bedeuten. Dieses unmittelbare wirtschaftliche Interesse ist eindeutig gegeben, wenn vorgesehen ist, dass der öffentliche Auftraggeber Eigentümer der Bauleistung oder des Bauwerks wird, die bzw. das Gegenstand des Auftrags ist. Ein solches wirtschaftliches Interesse lässt sich ebenfalls feststellen, wenn vorgesehen ist, dass der öffentliche Auftraggeber über einen Rechtstitel verfügen soll, der ihm die Verfügbarkeit der Bauwerke, die Gegenstand des Auftrags sind, im Hinblick auf ihre öffentliche Zweckbestimmung sicherstellt. Das wirtschaftliche Interesse kann ferner in wirtschaftlichen Vorteilen, die der öffentliche Auftraggeber aus der zukünftigen Nutzung oder Veräußerung des Bauwerks ziehen kann, in seiner finanziellen Beteiligung an der Erstellung des Bauwerks oder in den Risiken, die er im Fall eines wirtschaftlichen Fehlschlags des Bauwerks trägt, bestehen. Die bloße Ausübung von städtebaulichen Regelungszuständigkeiten im Hinblick auf die Verwirklichung des allgemeinen Interesses ist jedoch weder auf den Erhalt einer vertraglichen Leistung noch auf die Befriedigung des unmittelbaren wirtschaftlichen Interesses des öffentlichen Auftraggebers gerichtet und genügt daher als solches nicht3. 1 EuGH v. 25.3.2010 – Rs. C-451/08, NZBau 2010, 321 ff. – Helmut Müller GmbH. 2 EuGH v. 25.3.2010 – Rs. C-451/08, NZBau 2010, 321 ff., Rz. 58 – Helmut Müller GmbH. 3 EuGH v. 25.3.2010 – Rs. C-451/08, NZBau 2010, 321 ff., Rz. 40–58 – Helmut Müller GmbH.

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§ 103 | Öffentliche Aufträge, Rahmenvereinbarungen und Wettbewerbe 122 Hieraus lässt sich – bezogen auf § 103 Abs. 3 Satz 2 – folgern, dass die Bauleis-

tung dem öffentlichen Auftraggeber insbesondere dann unmittelbar wirtschaftlich zugutekommt, wenn dieser über einen vertraglichen Anspruch verfügt, der ihm die Nutzung sichert, oder er in sonstiger Weise wirtschaftliche Vorteile aus der Nutzung des Bauvorhabens ziehen kann1. In Betracht kommt dies insbesondere dann, wenn der öffentliche Auftraggeber – selber Eigentümer des zu errichtenden Bauvorhabens werden soll, – über einen vertraglichen Anspruch verfügt, der ihm die Nutzung sichert, – sich an dem Bauvorhaben finanziell bei der Erstellung beteiligt, – Risiken eines Fehlschlags übernimmt oder – wirtschaftliche Vorteile aus der Nutzung oder Veräußerung des Vorhabens ziehen kann2.

123 Einen solchen unmittelbaren wirtschaftlichen Vorteil verneint hat die VK

Schleswig-Holstein für den Fall eines Investorenprojektes auf teilweise eigenen Grundstücken, bei dem die betroffene Kommune keinerlei Investitionsrisiko trug und der gezogene Nutzen sich allein auf die Bereitstellung öffentlicher Parkflächen erschöpfte, wobei – nach Ansicht der Vergabekammer – zusätzlich ins Gewicht fiel, dass die Parkplätze nicht gebührenpflichtig waren und die Kommune dadurch auch keine Einnahmen generieren konnte3. Im Einklang hiermit haben auch das OLG Düsseldorf4 und das OLG Schleswig5 festgestellt, dass Parkplätze nur dann ein unmittelbares wirtschaftliches Interesse auslösen, sofern sie der Allgemeinheit oder dem öffentlichen Auftraggeber selbst dienen. Erforderlich ist also, dass ein Bauwerk (Parkplatz) entweder vom öffentlichen Auftraggeber selbst oder aufgrund eines Rechtstitels von der Öffentlichkeit, z.B. als öffentlich gewidmetes Parkhaus, genutzt wird. Sind Parkplätze dagegen zu einem rein privaten Gebrauch durch die Nutzer des zu errichtenden Bauwerks bestimmt, liegt keine öffentliche Zweckbestimmung vor. Eine rein faktische Nutzung durch private Dritte oder die Vermietung an Private begründet hingegen keine öffentliche Zweckbestimmung der Parkplätze6. Darüber hinaus hat das OLG Düsseldorf darauf hingewiesen, dass auch die Begründung von Gehrech-

1 Vgl. hierzu auch Bank, BauR 2012, 174 (176 f.); von Engelhardt/Kaelble in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 103 Rz. 117; Röwekamp in Kulartz/Kus/Portz, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 107 Rz. 13 ff. 2 Vgl. hierzu auch Bank, BauR 2012, 174 (176 f.); von Engelhardt/Kaelble in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 103 Rz. 117; Eschenbruch in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 107 Rz. 13 ff.; sowie mit einer ausführlichen Prüfung VK Baden-Württemberg v. 2.2.2015 – 1 VK 65/14, VPR 2015, 111. 3 VK Schleswig-Holstein v. 17.8.2012 – SH-17/12, BeckRS 2014, 22318. 4 OLG Düsseldorf v. 9.6.2010 – VII-Verg 9/10, NZBau 2010, 580 ff. 5 OLG Schleswig v. 15.3.2013 – 1 Verg 4/12, NZBau 2013, 453 ff. 6 OLG Düsseldorf v. 9.6.2010 – VII-Verg 9/10, NZBau 2010, 580 ff.; sowie Düsterdiek in Ingenstau/Korbion, VOB – Teile A und B – Kommentar, § 23 VOB/A Rz. 18.

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ten zugunsten der Öffentlichkeit grundsätzlich nicht in den Anwendungsbereich von § 103 Abs. 3 fällt, weil es diesbezüglich regelmäßig bereits an der Errichtung eines Bauwerks fehlt1. Von großer Praxisrelevanz ist zudem die Frage, wann von einer finanziellen Be- 124 teiligung des öffentlichen Auftraggebers an der Erstellung eines Bauwerks auszugehen ist. Unzweifelhaft ist dies dann der Fall, wenn sich der öffentliche Auftraggeber vollständig oder jedenfalls zum Teil finanziell an der Erstellung des Bauwerks beteiligt2. Darüber hinaus wird man dies insbesondere aber auch in den Fällen annehmen müssen, in denen der öffentliche Auftraggeber bei der Veräußerung des Grundstücks einen Kaufpreisnachlass gewährt oder das betroffene Grundstück unter Marktwert veräußert. Denn eine Reduzierung des – dem Marktwert entsprechenden – Kaufpreises stellt faktisch einen Zuschuss zur baulichen Realisierung einer Maßnahme dar und muss damit im Ergebnis als finanzielle Beteiligung an der Realisierung des Bauwerks betrachtet werden3. Hierauf haben insbesondere auch das OLG Düsseldorf4 und das OLG Schleswig5 hingewiesen, wobei das OLG Schleswig einen Grundstücksverkauf zu einem Preis von ca. 3 % unter dem von einem Gutachterausschuss festgestellten Verkehrswert noch als Verkauf zum Marktwert angesehen hat6. Grundsätzlich kein unmittelbares wirtschaftliches Eigeninteresse der jeweils be- 125 troffenen Kommune begründet nach Ansicht des OLG München und des OLG Brandenburg auch die Veräußerung von Grundstücken im Rahmen der Wohnraumförderung ohne weitergehende Verpflichtung des Erwerbers. In der verbilligten Veräußerung von Grundstücken im Rahmen der kommunalen Wohnraumförderung kann keine finanzielle Beteiligung der Kommunen bei der Erstellung der Bauwerke gesehen werden. In Fällen, in denen mit der Veräußerung eines Grundstücks zu einem günstigen Preis für den Erwerber keine weitere Verpflichtung verbunden ist, die dem öffentlichen Auftraggeber ein Zugriff auf das Bauwerk oder dessen Entstehung ermöglicht, oder in denen der öffentliche Auftraggeber von einer ihn selbst treffenden Aufgabe entlastet wird, liegt keine wirtschaftliche Beteiligung7. 1 OLG Düsseldorf v. 9.6.2010 – VII-Verg 9/10, NZBau 2010, 580 ff.; sowie Düsterdiek in Ingenstau/Korbion, VOB – Teile A und B – Kommentar, § 23 VOB/A Rz. 18. 2 Düsterdiek in Ingenstau/Korbion, VOB – Teile A und B – Kommentar, § 23 VOB/A Rz. 20. 3 Vgl. Greim, ZfBR 2011, 126 (128); Haak, VergabeR 2011, 315 (355); Hertwig, NZBau 2011, 9 (10); Düsterdiek in Ingenstau/Korbion, VOB – Teile A und B – Kommentar, § 23 VOB/A Rz. 20. 4 OLG Düsseldorf v. 9.6.2010 – VII-Verg 9/10, NZBau 2010, 580 ff. 5 OLG Schleswig v. 15.3.2013 – 1 Verg 4/12, NZBau 2013, 453 ff. 6 Vgl. OLG Schleswig v. 15.3.2013 – 1 Verg 4/12, NZBau 2013, 453 ff.; sowie Düsterdiek in Ingenstau/Korbion, VOB – Teile A und B – Kommentar, § 23 VOB/A Rz. 21. 7 Vgl. OLG Brandenburg v. 24.4.2012 – 6 W 149/11, VergabeR 2012, 922 ff.; OLG München v. 27.9.2011 – Verg 15/11, NZBau 2012, 134 ff.; sowie Düsterdiek in Ingenstau/Korbion, VOB – Teile A und B – Kommentar, § 23 VOB/A Rz. 22.

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§ 103 | Öffentliche Aufträge, Rahmenvereinbarungen und Wettbewerbe d) Einflussnahme des öffentlichen Auftraggebers auf Art und Planung der Bauleistung 126 Nach dem Wortlaut von § 103 Abs. 3 Satz 2 muss der öffentliche Auftraggeber

einen entscheidenden Einfluss auf Art und Planung der Bauleistung haben. Insoweit besteht ein enger Zusammenhang mit dem Tatbestandsmerkmal der „vom Auftraggeber genannten Erfordernisse“ (s. dazu oben unter Rz. 109 ff.).

127 Eschenbruch hat insoweit zu Recht darauf hingewiesen, dass es an dieser Voraus-

setzung fehlen kann, wenn der Auftraggeber seine Befugnisse auf einen Dritten, etwa eine Sachverständigenorganisation, überträgt1. In derartigen Fällen dürfte es – worauf Eschenbruch ebenfalls zutreffend hinweist – wohl stets vom jeweiligen Einzelfall abhängen, ob mit der Bestellung entsprechender Dritter gleichwohl noch ein entsprechender Einfluss ausgeübt werden kann, beispielsweise weil das Verhalten des Dritten dem öffentlichen Auftraggeber infolge einer Weisungsabhängigkeit o.Ä. zugerechnet werden kann. e) Einklagbare Bauverpflichtung

128 Schließlich sind auch im Rahmen von § 103 Abs. 3 Satz 2 nur rechtlich einklag-

bare Bauverpflichtungen relevant2 (s. dazu oben unter Rz. 81 ff.).

V. Dienstleistungsaufträge (§ 103 Abs. 4) 129 § 103 Abs. 4 definiert Dienstleistungsaufträge als Verträge über die Erbringung

von Leistungen, die nicht unter Abs. 2 oder 3 fallen, d.h. keine Liefer- oder Bauaufträge sind. Das Gesetz verzichtet auf eine ausdrückliche Definition und beschränkt sich darauf, Dienstleistungsaufträge in Abgrenzung zu sonstigen Aufträgen zu beschreiben. § 103 Abs. 4 erhält damit die Funktion eines Auffangtatbestandes. Erfasst werden alle Formen von Aufträgen, die nicht bereits unter eine der in § 103 Abs. 2 und Abs. 3 genannten Auftragsarten fallen und nicht vom Anwendungsbereich des Vergaberechts ausgenommen sind3. Sinn und Zweck ist es also, dass im Grundsatz alle Einkäufe der öffentlichen Hand dem Binnenmarkt zur Verfügung stehen4. 1 Vgl. Eschenbruch in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 103 Rz. 469. 2 Vgl. EuGH v. 25.3.2010 – Rs. C-451/08, NZBau 2010, 321 ff., Rz. 59–63 – Helmut Müller GmbH. Ähnlich auch bereits die Schlussanträge des Generalanwalts Mengozzi v. 17.11. 2009 in der Rs. C-451/08, Rz. 80. 3 OLG Brandenburg v. 15.5.2007 – Verg W 2/07, VergabeR 2008, 242 (244); OLG Stuttgart v. 4.11.2002 – 2 Verg 4/02, NZBau 2003, 296; OLG Düsseldorf v. 12.1.2004 – VII-Verg 71/03, NZBau 2004, 343 (344); VK Lüneburg v. 14.6.2005 – VgK-22/2005; VK Sachsen v. 11.2.2005 – 1/SVK/128-04. 4 BayObLG v. 11.12.2001 – Verg 15/01, NZBau 2002, 233 (234).

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Nach der Rechtsprechung des EuGH fällt die Definition eines öffentlichen 130 Dienstleistungsauftrags zwar in den Bereich des Gemeinschaftsrechts und nicht des nationalen Rechts1, so dass das Gemeinschaftsrecht im Zweifel Vorrang genießt bzw. für die Auslegung des nationalen Rechts maßgeblich ist. Allerdings kennt auch die Richtlinie 2014/24/EU keine positive Definition des Dienstleistungsauftrags, vgl. Art. 2 Abs. 1 Nr. 9 der Richtlinie 2014/24/EU. Die Erweiterung des in Art. 2 Abs. 1 Nr. 9 der Richtlinie 2014/24/EU verwendeten Begriffs „Dienstleistung“ in § 103 Abs. 4 auf „Leistungen“ stellt jedoch keine inhaltliche Ausdehnung dar. Im Sprachgebrauch werden sämtliche Leistungen in Abgrenzung zu Lieferungen als Dienstleistungen bezeichnet. Bei Prüfung der Frage, ob ein Dienstleistungsauftrag vorliegt, ist zunächst – 131 auch unter Berücksichtigung der Abgrenzungsregelungen in § 110 für sog. typen- bzw. leistungsgemischte Verträge (s. hierzu auch sogleich Rz. 132 sowie unten Rz. 163 ff.) – zu untersuchen, ob § 103 Abs. 2 oder 3 eingreift. Soweit dies der Fall ist, liegt kein Dienstleistungsauftrag vor. Anderenfalls ist der Anwendungsbereich des § 103 Abs. 4 grundsätzlich eröffnet. Das Gesetz bestimmt hierzu jedoch zahlreiche Ausnahmen, die sich insbesondere aus den §§ 107, 116 und 117 ergeben. Der Dienstleistungsauftrag ist daher in doppelter Hinsicht negativ abzugrenzen: Zum einen von den Liefer- und Bauaufträgen, zum anderen von den in §§ 107, 116 und 117 genannten Tätigkeiten2. Bei sog. typen- bzw. leistungsgemischten Verträgen kommt es auf den Schwer- 132 punkt der Leistung an. Die Bestimmung des Leistungsschwerpunktes kann im Einzelfall schwierig sein, insbesondere wenn, wie z.B. beim sog. Wärmecontracting regelmäßig der Fall, Bauleistungen, Finanzierungsdienstleistungen, Betriebsführungsdienstleistungen (einschließlich Wartung) sowie Lieferleistungen miteinander verbunden sind3. Siehe hierzu noch Rz. 163 ff. sowie die Kommentierung zu § 110 Rz. 4 ff. Die Bestimmungen, die öffentliche Auftraggeber bei der Vergabe von Dienstleis- 133 tungsaufträgen anzuwenden haben, ergeben sich nach neuer Rechtslage grundsätzlich einheitlich aus der Vergabeverordnung (VgV). Infolge der Integration von VOL/A Abschnitt 2 und VOF in die neue VgV ist insoweit nicht mehr zwischen gewerblichen Dienstleistungen, die dem Anwendungsbereich der VOL/A unterfallen, und freiberuflichen Tätigkeiten, auf welche die VOF Anwendung findet, zu unterscheiden. Ebenso obsolet ist die noch in der Vergabekoordinierungsrichtlinie 2004/18/EG vorgenommene Unterscheidung zwischen den sog. „vorrangigen“ (Anhang II Teil A) und „nachrangigen“ Dienstleistungen (An1 EuGH v. 18.12.2007 – Rs. C-220/06, Slg. I-12175, NZBau 2008, 189 (191) – Rz. 50 – AP. 2 Otting in Bechtold, GWB Kommentar, 6. Aufl. 2010, § 99 Rz. 42; Noch, BauR 1998, 941 (945). 3 Vgl. hierzu auch Eschenbruch in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 103 Rz. 474 f.

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§ 103 | Öffentliche Aufträge, Rahmenvereinbarungen und Wettbewerbe hang II Teil B)1. Nach neuer Rechtslage ist im Einzelnen nunmehr jedoch zu unterscheiden zwischen „normalen“ Dienstleistungen und „besonderen“ Dienstleistungen i.S.v. § 130. Für Letztere gelten die Bestimmungen der VgV (nur) unter Berücksichtigung der Besonderheiten gem. §§ 64 ff. VgV.

VI. Rahmenvereinbarungen (§ 103 Abs. 5) 1. Einleitung 134 Mit § 103 Abs. 5 wird kraft der Vergaberechtsreform 2016 erstmals eine Rege-

lung für Rahmenvereinbarungen auf der formalgesetzlichen Ebene geschaffen. § 103 Abs. 5 dient der Umsetzung der Definition der Rahmenvereinbarung gem. Art. 33 Abs. 1 UA 2 der Richtlinie 2014/24/EU, Art. 51 Abs. 1 UA 2 der Richtlinie 2014/25/EU und Art. 29 der Richtlinie 2009/81/EG. Die Rahmenvereinbarung stellt selbst zwar keinen Beschaffungsprozess dar. Die Vergabe einer Rahmenvereinbarung im Wege eines Vergabeverfahrens hat jedoch zur Folge, dass die auf ihrer Grundlage erteilten Einzelaufträge einem vereinfachten Vergabeverfahren unterliegen können. Wie ein öffentlicher Auftrag unterliegt die Rahmenvereinbarung also wettbewerblichen Verfahrensregeln2, so dass es sich nach Ansicht des Gesetzgebers aus systematischen Gründen empfahl, die Rahmenvereinbarung im Zusammenhang mit dem Begriff des öffentlichen Auftrags zu regeln3.

135 Auf nationaler Ebene waren Rahmenvereinbarungen bisher nur für den Bereich

der Liefer- und Dienstleistungen (vgl. §§ 4 und 4 EG VOL/A), im Sektorenbereich (vgl. § 9 SektVO a.F.) sowie im Sicherheits- und Verteidigungsbereich (vgl. § 14 VSVgV a.F.) geregelt. Hingegen enthielten sowohl die VOB/A als auch die VOF keine Bestimmungen hierzu. Vor diesem Hintergrund war es in der Vergangenheit umstritten, ob Rahmenvereinbarungen (oberhalb der Schwellenwerte) auch im Bereich der VOB/A oder VOF zulässig sind. Teile der Rechtsprechung und Literatur lehnten dies mit der Argumentation ab, dass Art. 32 i.V.m. Art. 1 Abs. 5 der Vergabekoordinierungsrichtlinie 2004/18/EG für die Bereiche außerhalb der Sektoren regelt, dass Rahmenvereinbarungen zugelassen werden 1 Hinsichtlich der nachrangigen Dienstleistungen beschränkten sich die Verpflichtungen des öffentlichen Auftraggebers in der Vergangenheit entsprechend der Vorgaben in den Art. 20 und 21 der Vergabekoordinierungsrichtlinie 2004/18/EG im Wesentlichen auf die technische Auftragsbeschreibung und die Bekanntmachung über die Auftragserteilung (vgl. § 1 EG Abs. 3 VOL/A i.V.m. § 4 Abs. 4 VgV a.F. bzw. § 1 Abs. 3 VOF; die Vorschriften der VOL/A EG und der VOF sind inzwischen außer Kraft). 2 Vgl. Art. 33 Abs. 1 UA 1 der Richtlinie 2014/24/EU, wo es heißt „Die öffentlichen Auftraggeber können Rahmenvereinbarungen abschließen, sofern sie die in dieser Richtlinie genannten Verfahren anwenden.“, sowie die Regelung der Einzelheiten eines Verzichts auf den Teilnahmewettbewerb in Art. 33 Abs. 4 lit. a) – c) der Richtlinie 2014/24/EU. 3 Vgl. BT-Drucks. 18/6281, S. 74.

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können, und zwar sowohl für den Bau- als auch den Dienstleistungs- und Lieferbereich. Das deutsche Recht hat die Regelungen über Rahmenvereinbarungen aber nur im Bereich der VOL/A, nicht hingegen im Bereich von VOB/A und VOF übernommen, woraus geschlossen werden könne, dass Rahmenvereinbarungen im Bereich der VOB/A und VOF unzulässig seien1. Dieser Umkehrschluss ist so jedoch keineswegs zwingend. Denn hierbei wird verkannt, dass die VOL/A und die VOB/A nicht von ein und demselben Verordnungsgeber erlassen werden, so dass nicht ohne weiteres eine bewusste Regelungslücke unterstellt werden kann. Die herrschende Meinung in Rechtsprechung und Literatur ging dementsprechend auch von einer versehentlichen, planwidrigen Regelungslücke und mithin davon aus, dass Rahmenvereinbarungen auch in den Bereichen der VOB/A und VOF bzw. sogar der VOL/A (Abschnitt 1), die keine ausdrückliche Regelung der Rahmenvereinbarung vorsehen, zulässig seien2. Bereits im Vorfeld der Vergabekoordinierungsrichtlinie 2004/18/EG wurden Rahmenvereinbarungen überwiegend für grundsätzlich zulässig erachtet, und zwar sowohl für den Baubereich (VOB/A), den Dienstleistungsbereich (VOL/A) als auch den Bereich der freiberuflichen Leistungen (VOF)3. Hieran wurde auch unter dem Rechtsregime der Vergabekoordinierungsrichtlinie 2004/18/EG festgehalten. Aufgrund der nunmehrigen Regelung der Rahmenvereinbarungen in § 103 Abs. 5, welcher als „vor die Klammer gezogene“ Regelung nicht auf bestimmte Auftragsarten beschränkt ist, kann der vorstehend dargestellte Meinungsstreit als obsolet betrachtet werden. Mit Rücksicht auf § 103 Abs. 5 trifft daher nunmehr auch § 4a EU VOB/A Verfahrensregelungen für Rahmenvereinbarungen. Im Anwendungsbereich der VgV erfolgt dies in § 21 VgV, für die Sektorenbereiche in § 19 SektVO und für den Bereich Sicherheit und Verteidigung in § 14 VSVgV. 2. Definition und Grundlagen der Rahmenvereinbarung a) Definition (§ 103 Abs. 5 Satz 1) § 103 Abs. 5 Satz 1 definiert insoweit den Begriff der Rahmenvereinbarungen 136 als Vereinbarungen zwischen einem oder mehreren öffentlichen Auftraggebern oder Sektorenauftraggebern und einem oder mehreren Unternehmen, die dazu dienen, die Bedingungen für die öffentlichen Aufträge, die während eines bestimmten Zeitraums vergeben werden sollen, festzulegen, insbesondere in Bezug auf den Preis. 1 VK Sachsen v. 25.1.2008 – 1/SVK/088-07; Korthals in Kulartz/Marx/Portz/Prieß, Kommentar zur VOL/A, 3. Aufl. 2014, § 4 Rz. 2. 2 Vgl. etwa VK Bund v. 29.7.2009 – VK 2-87/09 m.w.N.; VK Bund v. 15.5.2009 – VK 3127/09; VK Bund v. 29.4.2009 – VK 3-76/09. 3 Vgl. KG Berlin v. 15.4.2004 – 2 Verg 22/03, VergabeR 2004, 762 ff., mit Anm. Jakoby; OLG Celle v. 10.7.2003 – 14 U 263/02, BauR 2004, 885; VK Bund v. 20.4.2006 – VK 1-19/06, IBRRS 2013, 4592.

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§ 103 | Öffentliche Aufträge, Rahmenvereinbarungen und Wettbewerbe 137 Rahmenvereinbarungen geben dem öffentlichen Auftraggeber die Möglichkeit,

mehrere Einzelaufträge, die während eines bestimmten Zeitraums (potentiell) vergeben werden sollen, in einem einzigen Vergabeverfahren dergestalt zu bündeln, dass bereits bestimmte Bedingungen für die späteren Einzelaufträge festgelegt werden1. Ein Vergabeverfahren betreffend eine Rahmenvereinbarung endet also nicht mit dem Zuschlag für eine konkrete Einzelleistung, sondern (nur) mit dem Zuschlag für die Rahmenvereinbarung, während der Zuschlag/Vertrag für die Einzelaufträge erst später erteilt wird. Rahmenvereinbarungen sind somit zum einen effizienter als die Durchführung einer Vielzahl separater Vergabeverfahren für alle einzelnen Aufträge. Zum anderen sind sie auch flexibler, weil das konkrete Auftragsvolumen nicht festgelegt werden muss2. Auf Basis der Rahmenvereinbarung ruft der öffentliche Auftraggeber – im Bedarfsfall – zu einem späteren Zeitpunkt Einzelaufträge ab. Zulässigkeitsvoraussetzung für den Abruf der Einzelaufträge ist dabei jedoch, dass die Rahmenvereinbarung zuvor in einem ordnungsgemäßen Vergabeverfahren, d.h. nach den maßgeblichen Bestimmungen (s. hierzu Rz. 149) vergeben wurde. Fehlt es hieran, entbehren die Einzelabrufe einer tauglichen rechtlichen Grundlage und müssen entweder einzeln oder als neue Rahmenvereinbarung ausgeschrieben werden. Das Gleiche gilt, wenn der geplante Einzelauftrag vom ursprünglich vereinbarten Leistungsgegenstand abweicht oder die Rahmenvereinbarung bereits abgelaufen ist3.

138 Aufgrund dieser Zweistufigkeit sind Rahmenvereinbarungen, wenn bestimmte,

wesentliche Vertragsbestandteile nicht endgültig festgelegt sind und sie daher nicht unmittelbar aus sich selbst heraus Grundlage für eine Auftragsvergabe sein können, rechtsdogmatisch betrachtet auch keine öffentlichen Aufträge i.S.v. § 103. Dies wird insbesondere auch aus der Überschrift von § 103 deutlich, in der zwischen öffentlichen Aufträgen und Rahmenvereinbarungen (und Wettbewerben) unterschieden wird4. Als besonderes Beschaffungsinstrument werden

1 Ähnlich Knauff, VergabeR 2006, 24 (26); Franke, ZfBR 2006, 546; Zeise in Kulartz/Kus/ Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 103 Rz. 477. 2 VK Bund v. 20.4.2006 – VK 1-19/06, IBRRS 2013, 4592; VK Hessen v. 5.11.2009 – 69d VK-39/2009, IBRRS 2010, 0408; Zeise in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 103 Rz. 477. 3 Zeise in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 103 Rz. 478. 4 So auch Zeise in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 103 Rz. 480. A.A. OLG Düsseldorf v. 13.8.2014 – VII-Verg 13/14, NZBau 2014, 654, das in seinem Vorlagebeschluss zur Frage der unionsrechtlichen Zulässigkeit einer Rahmenrabattvereinbarung für die Beschaffung von Arzneimitteln die Rahmenvereinbarung selbst unter den Begriff des öffentlichen Auftrags subsumierte. Der Senat argumentierte, dass die Einzelbeschaffungen dogmatisch betrachtet öffentliche Aufträge seien, die durch die Rahmenvereinbarung lediglich verklammert würden. Nicht ganz eindeutig, die Entscheidung des OLG Düsseldorf in diesem Punkt aber (wohl) nicht stützend EuGH v. 2.6.2016 – Rs. C-410/14, EuZW 2016, 705 ff., Rz. 32 ff. – Dr. Falk Pharma GmbH, mit Anm. Schabel, EuZW 2016, 708 f.

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die Rahmenvereinbarungen jedoch gem. § 103 Abs. 5 Satz 2 den öffentlichen Aufträgen gleichgestellt und denselben verfahrensrechtlichen Vorschriften unterworfen (vgl. Rz. 149)1. b) Beteiligte Nach dem Wortlaut des § 103 Abs. 5 Satz 1 können Rahmenvereinbarungen 139 zwischen einem oder mehreren öffentlichen Auftraggebern oder Sektorenauftraggebern und einem oder mehreren Unternehmen geschlossen werden. Sowohl auf der Auftraggeberseite als auch auf der Auftragnehmerseite können daher mehrere Vertragsparteien beteiligt sein. Die Zulässigkeit mehrerer öffentlicher Auftraggeber oder Sektorenauftraggeber 140 ermöglicht es, Rahmenvereinbarungen zur Angebotsbündelung auf Auftraggeberseite zu nutzen, z.B. über zentrale Beschaffungsstellen, in denen einerseits Auftragsvolumina – im Interesse der Reduzierung von Verwaltungskosten und der Erzielung von Preisvorteilen – gebündelt werden und andererseits zugleich auch vergaberechtlicher Sachverstand zentralisiert wird2. Dabei ist jedoch zum einen zu beachten, dass die beteiligten Auftraggeber 141 grundsätzlich von vornherein feststehen müssen und bei der späteren Durchführung der Rahmenvereinbarung nicht beliebig erweitert oder ausgetauscht werden können3. Zum anderen ist zu berücksichtigen, dass einer Bündelung des Beschaffungs- 142 bedarfs im Einzelfall auch kartellrechtliche Schranken entgegenstehen können4. In der Nachfragebündelung von Gemeinden kann eine nach § 1 GWB unzulässige horizontale Wettbewerbsbeschränkung liegen, weil die Gemeinden als Nachfrager untereinander im Wettbewerb um die günstigsten Konditionen stehen. Die Beschränkung des Nachfragewettbewerbs besteht in der Koordination der Beschaffung durch die zentrale Beschaffungsstelle. Als Folge des gemeinsamen Einkaufs wird die Anzahl der potentiellen Nachfrager verringert, also der Nachfragewettbewerb durch Verzicht auf wettbewerbliche Handlungsfreiheit eingeschränkt. So hat der BGH bereits im Jahr 2002 betreffend die Beschaffung 1 Zeise in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 103 Rz. 480 unter Hinweis auf BT-Drucks. 18/6281, 90, wo der Gesetzgeber von einer Regelung der Rahmenvereinbarung im Zusammenhang mit den öffentlichen Aufträgen spricht. 2 Vgl. OLG Schleswig-Holstein v. 20.11.2012 – 1 Verg 7/12, juris Rz. 16; vgl. insoweit auch Zeise in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 103 Rz. 484; sowie speziell zu den zentralen Beschaffungsstellen Opitz, NZBau 2003, 183 (192). 3 Zeise in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 103 Rz. 484; Hetmann/Hattig in Hattig/Maibaum, Praxiskommentar Kartellvergaberecht, 2. Aufl. 2014, Einleitung Rz. 65. 4 Vgl. Zeise in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 103 Rz. 484; Gröning, VergabeR 2005, 156 (157 f.).

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§ 103 | Öffentliche Aufträge, Rahmenvereinbarungen und Wettbewerbe von Feuerlöschzügen durch eine von einem kommunalen Spitzenverband gegründete Gesellschaft entschieden, dass solche Nachfragebündelungen der öffentlichen Hand dem Kartellverbot nach § 1 GWB unterfallen1. Allerdings führte dies nicht zur Unzulässigkeit des Verhaltens, da die öffentlichen Auftraggeber eine nach § 4 Abs. 2 GWB a.F. erlaubte Einkaufskooperation gebildet hatten2. Diese Vorschrift erlaubte kleinen und mittleren Unternehmen die Zusammenarbeit in solchen Einkaufskooperationen, damit sie vergleichbare Einkaufskonditionen wie Großunternehmen erzielen konnten. Die Privilegierung fand auch zugunsten kleiner und mittlerer Gemeinden Anwendung3. Allerdings durfte die Einkaufskooperation ihrerseits keine so hohe Nachfragemacht erreichen, dass sie den Wettbewerb wesentlich beeinträchtigt. Dies verneinte der BGH jedoch mit der Begründung, dass der Markt für die Lieferung von Ausrüstungsgegenständen von Löschfahrzeugen nicht regional begrenzt, sondern deutschlandweit bestehe. Zudem lägen die Umsatzanteile der Einkaufskooperation bezogen auf den gesamten Nachfragebedarf in Deutschland unter 10 % und damit im Bereich der unwesentlichen Beeinträchtigung4. Inzwischen ist die Vorschrift des § 4 GWB a.F. entfallen5. Eine Nachfragebündelung, die eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs bezweckt oder bewirkt, kann jedoch auch nach neuem Recht erlaubt sein, wenn die Voraussetzungen der §§ 2 und 3 vorliegen. Der unveränderte Maßstab für Einkaufskooperationen findet sich jetzt in § 3 Abs. 1 Nr. 2. 1 BGH v. 12.11.2002 – KZR 11/01, BGHZ 152, 347 ff., mit der Begründung, dass das Risiko einer unzulässigen Nachfragebündelung durch Gemeinden insbesondere dann bestehe, wenn es sich um Beschaffungsgegenstände handelt, die letztlich nur von der öffentlichen Hand nachgefragt würden, wie z.B. Feuerwehrfahrzeugen, bei Rettungsdienstleistungen und ähnlichen Geschäften. 2 Einkaufskooperationen sind im Übrigen auch kommunalrechtlich zulässig. Kommunen können im Rahmen der ihnen garantierten Selbstverwaltung gem. Art. 28 Abs. 2 GG sowie der parallelen Garantien der Landesverfassungen die Erfüllung ihrer Aufgaben selbst organisieren (vgl. BVerfG v. 28.10.1958 – 2 BvR 5/56, BVerfGE 8, 256, 258; BVerfG v. 23.11.1988 – 2 BvR 1619/83, 2 BvR 1628/83, BVerfGE 79, 127, 143 ff.; Kämper/Heßhaus, NZBau 2003, 303 [304]). Zu der Organisationshoheit der Gemeinden gehört auch das Recht zur gemeinsamen Aufgabenwahrnehmung mit anderen Kommunen als sog. Kooperationshoheit, die das Bundesverfassungsgericht ausdrücklich anerkannt hat (BVerfG v. 27.11.1986 – 2 BvR 1241/82, NVwZ 1987, 123 [124]; Kämper/Heßhaus, NZBau 2003, 303 [304]). 3 BGH v. 12.11.2002 – KZR 11/01, BGHZ 152, 347 ff., Ls. 2. Nach dem kartellrechtlichen Unternehmensbegriff gelten auch Gemeinden als Träger hoheitlicher Gewalt als Unternehmen, wenn sie sich wirtschaftlich beteiligen. Die wirtschaftliche Betätigung der Gemeinden liegt in der Beschaffung der Bedarfsgegenstände auf dem jeweiligen Beschaffungsmarkt, ungeachtet der damit letztendlich verfolgten hoheitlichen Aufgabe. Vgl. hierzu auch Schindler, KommJur 2004, 121 (122). 4 BGH v. 12.11.2002 – KZR 11/01, BGHZ 152, 347 ff. 5 Gemäß der Bekanntmachung der Neufassung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen vom 15.7.2005 (BGBl. I Nr. 44 v. 20.7.2005, S. 2114).

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Umstritten und bislang – soweit ersichtlich – noch nicht abschließend geklärt ist 143 die Frage, ob ein solcher Kartellrechtsverstoß im Rahmen eines vergaberechtlichen Nachprüfungsverfahrens überprüft werden kann1. c) Festzulegende Vertragsparameter Aus der Definition der Rahmenvereinbarungen in § 103 Abs. 5 Satz 1 („während 144 eines bestimmten Zeitraums“) lässt sich entnehmen, dass jedenfalls der Vertragszeitraum „bestimmt“, d.h. festgelegt werden muss2. Die Festlegung des Vertragszeitraums ist dabei vergaberechtlich in dreierlei Hinsicht von Bedeutung: Zum Ersten erweist sich ein Einzelabruf als vergaberechtswidriger Vertragsschluss, wenn die Rahmenvereinbarung bereits abgelaufen ist3. Zum Zweiten stellt der Vertragszeitraum aus Bietersicht eine zentrale Kalkulationsgrundlage dar, und zwar insbesondere dann, wenn in nicht unerheblichem Maße Vorhaltekosten anfallen4. Zum Dritten gibt der Vertragszeitraum bzw. geben insbesondere die Vorschriften betreffend die maximale Dauer einer Rahmenvereinbarung5 Auskunft darüber, wann der öffentliche Auftraggeber spätestens wieder einen Wettbewerb eröffnen muss6. 1 Bejahend (und wohl h.M.) OLG Düsseldorf v. 19.12.2007 – VII-Verg 51/07, NZBau 2008, 194; OLG Düsseldorf v. 9.11.2011 – VII-Verg 35/11, VergabeR 2012, 628; OLG Düsseldorf v. 11.11.2011 – VII-Verg 92/11, VergabeR 2012, 632; OLG Düsseldorf v. 4.2.2013 – VII-Verg 31/12, EnWZ 2013, 187; OLG Düsseldorf v. 21.2.2005 – VII-Verg 91/04, WuW/E Verg 1055. Danach kann und muss die Prüfungskompetenz der Vergabenachprüfungsinstanzen auch schwierige Rechtsfragen aus sehr speziellen Rechtsmaterien umfassen, sofern ein vergaberechtlicher Bezug besteht. Verneinend hingegen VK Bund v. 1.2.2011 – VK 3-135/10; VK Bund v. 27.7.2016 – VK 2-63/16; OLG Schleswig-Holstein v. 20.11.2012 – 1 Verg 7/12, Rz. 16; OLG Düsseldorf v. 22.5.2002 – VII-Verg 6/02, NZBau 2002, 583, Ls. 1. Danach handele es sich bei den §§ 1 ff. GWB um keine „Bestimmungen über das Vergabeverfahren“ i.S.v. § 97 Abs. 6. 2 Ebenso Zeise in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 103 Rz. 490. 3 S. o. unter Rz. 137; sowie ferner auch Zeise in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 103 Rz. 478. 4 Vgl. Zeise in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 103 Rz. 490. 5 Im Anwendungsbereich der VgV und der VOB/A darf die Laufzeit einer Rahmenvereinbarung höchstens vier Jahre betragen, es sei denn, es liegt ein im Gegenstand der Rahmenvereinbarung begründeter Sonderfall vor (vgl. § 21 Abs. 6 VgV und § 4a EU VOB/ A). Gemäß § 14 Abs. 6 Satz 1 VSVgV beträgt die maximale Regellaufzeit sieben Jahre und gem. § 19 Abs. 3 Satz 1 SektVO acht Jahre. Hierdurch soll einer missbräuchlichen Verwendung in Form eines mittel- bis langfristigen Ausschlusses von Wettbewerb entgegen gewirkt und die Marktmacht der öffentlichen Hand begrenzt werden. Vgl. m.w.N. Zeise in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 103 Rz. 490. 6 Vgl. Zeise in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 103 Rz. 490.

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§ 103 | Öffentliche Aufträge, Rahmenvereinbarungen und Wettbewerbe 145 Über den Vertragszeitraum hinaus benennt § 103 Abs. 5 keine weiteren Ver-

tragselemente, die in der Rahmenvereinbarung bereits zwingend abschließend geregelt sein müssen. Demzufolge können grundsätzlich sämtliche übrigen vertraglichen Parameter Gegenstand von weiteren ergänzenden Verhandlungen zwischen den Vertragspartnern bzw. im Falle mehrerer Beteiligter auf Auftragnehmerseite Gegenstand eines weiteren wettbewerblichen Verfahrens sein1. Grenzen ergeben sich dabei jedoch insoweit, als das hierdurch die Bedingungen der Rahmenvereinbarung nicht grundlegend verändert werden dürfen. Die Parteien sind somit also nicht völlig frei und es steht der Vergabestelle nicht offen, bestimmte wesentliche Vertragsinhalte in das Belieben einer Partei zu stellen. Insbesondere muss auch der Leistungsgegenstand in der Rahmenvereinbarung eindeutig identifizierbar und jedenfalls in einem solchen Maße präzisiert sein, dass vergleichbare Angebote für den Abschluss der Rahmenvereinbarung möglich sind. Hingegen muss die Konkretisierung nicht so weit gehen, dass die Bieter in die Lage versetzt werden, zuschlagsfähige Angebote schon in Bezug auf die späteren Einzelangebote zu legen. Letzteres wäre auch der mit den Rahmenvereinbarungen beabsichtigten Flexibilität gerade bei langjährigen Vereinbarungen abträglich2.

146 Dies gilt – trotz der Formulierung in § 103 Abs. 5 Satz 1 a.E. („[…] insbesondere

in Bezug auf den Preis.“) – vor allem auch für den Vertragsparameter Preis. Denn häufig ist es gerade der Preis, der in einer Rahmenvereinbarung noch keine abschließende Regelung findet, sondern abhängig von Bedarfs- und Marktentwicklungen erst bei Abruf der konkreten Leistung durch die jeweiligen Einzelverträge konkretisiert wird3. Dies gilt insbesondere für den Fall, dass die Rahmenvereinbarung mit mehreren Auftragnehmern geschlossen wird.

147 Umgekehrt verlangt § 103 Abs. 5 aber auch nicht, dass die Rahmenvereinbarung

zwingend bestimmte Vertragsparameter offen lässt. Mithin ist es auch möglich, bereits alle Bedingungen für die späteren Einzelaufträge in der Rahmenvereinbarung festzulegen, so dass die Einzelaufträge nur noch im Bedarfsfall abgerufen werden müssen. Die EU-Kommission verwendet für eine solche Vereinbarung bereits seit jeher den Begriff „Rahmenvertrag“ und schlägt diesen auch weiterhin vor – im Gegensatz zu den „Rahmenvereinbarungen“, die die Rechte und Pflichten der Vertragsparteien noch nicht abschließend festlegen4. 1 Ebenso Zeise in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 103 Rz. 485. Siehe hierzu auch Kommission, Explanatory Note on Framework Agreements, Ziff. 2.2. 2 Vgl. zum Ganzen und m.w.N. auch Zeise in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 103 Rz. 487. 3 Vgl. Zeise in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 103 Rz. 480. 4 Vgl. Kommission, Explanatory Note on Framework Agreements, S. 3; sowie Zeise in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 103 Rz. 486.

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Ein weiteres typisches – und sie wesentlich von anderen Vertragsarten unter- 148 scheidendes – Merkmal von Rahmenvereinbarungen ist schließlich auch, dass sie in der Regel keine Abnahmeverpflichtung enthalten müssen1, sondern dem bzw. den öffentlichen Auftraggeber(n) eine Option einräumen, die im Bedarfsfall gezogen werden kann, aber – soweit ein solcher ausbleibt – nicht gezogen werden muss2. Dies gilt auch dann, wenn die Rahmenvereinbarung bzw. der Rahmenvertrag mit nur einem Wirtschaftsteilnehmer abgeschlossen wurde3. Hiermit gehen naturgemäß nicht unerhebliche Kalkulationsrisiken auf Bieterseite einher. Dem kann von Auftraggeberseite entgegen gewirkt werden, indem dieser beispielsweise eine Mindestabnahmemenge garantiert oder eine Vergütung von Vorhaltekosten gewährt. Auf diese Weise lassen sich – worauf Zeise zutreffend hinweist – nicht nur wirtschaftlichere Angebote erzielen, weil die Bieter weniger Risikozuschläge einpreisen4. Vielmehr kann dies im Einzelfall sogar auch im Interesse der Vermeidung von ungewöhnlichen Wagnissen bzw. unzumutbaren Kalkulationsrisiken geboten sein. Vor dem Hintergrund Letzteren kann es sich – u.U. und gerade wenn Mehr-Partner-Rahmenvereinbarungsmodelle in Rede stehen – auch anbieten, den Bietern die Kalkulation in Form von Staffelpreisen (je nach zu erwartender Absatzmenge) zu ermöglichen. Die konkrete Einteilung der Staffelbandbreiten unterliegt dabei dem Beurteilungsspielraum des öffentlichen Auftraggebers5. 3. Verfahren für die Vergabe von Rahmenvereinbarungen (§ 103 Abs. 5 Satz 2) Gemäß § 103 Abs. 5 Satz 2 gelten für die Vergabe von Rahmenvereinbarungen, 149 soweit nichts anderes bestimmt ist, dieselben Vorschriften wie für die Vergabe entsprechender öffentlicher Aufträge. Zu beachten sind mithin die Vorgaben des GWB in Verbindung mit den Bestimmungen der jeweils einschlägigen Vergabeverordnung bzw. der VOB/A (vgl. insoweit § 21 VgV, § 19 SektVO, § 14 VSVgV bzw. § 4a EU VOB/A).

1 Zweifelnd dagegen KG Berlin v. 15.4.2004 – 2 Verg 22/03, VergabeR 2004, 762 ff. m.w.N. 2 Vgl. Zeise in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 103 Rz. 481. 3 Vgl. OLG Celle v. 10.7.2003 – 14 U 263/02; VK Düsseldorf v. 23.5.2008 – VK-7/2008-L; VK Bund v. 20.4.2006 – VK 1 – 19/06; VK Bund v. 28.1.2005 – VK 3 – 221/04. 4 Vgl. Zeise in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 103 Rz. 481. 5 Vgl. VK Bund v. 24.4.2011 – VK 2 – 58/11; VK Bund v. 1.2.2011 – VK 3 – 135/10 und VK 3 – 126/10; sowie Zeise in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 103 Rz. 489.

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§ 103 | Öffentliche Aufträge, Rahmenvereinbarungen und Wettbewerbe VII. Wettbewerbe (§ 103 Abs. 6) 150 Ebenso wie § 103 Abs. 5 die Rahmenvereinbarungen aus dem Begriff des öffent-

lichen Auftrags herausnimmt, klammert auch § 103 Abs. 6 die Wettbewerbe aus dem öffentlichen Auftragsbegriff aus und führt diese einer gesonderten Regelung zu.

151 § 103 Abs. 6 entspricht im Wesentlichen dem bisherigen § 99 Abs. 5 GWB a.F.

Im Einklang mit den neuen Vergaberichtlinien findet nun aber der Begriff „Wettbewerbe“ (anstatt Auslobungsverfahren) Verwendung. Die Einzelheiten für das Verfahren zur Ausrichtung von Wettbewerben gem. Art. 78–82 der Richtlinie 2014/24/EU sowie Art. 95–99 der Richtlinie 2014/25/EU werden durch die aufgrund von § 113 erlassene Verordnung der Bundesregierung mit Zustimmung des Bundesrates umgesetzt1.

152 § 103 Abs. 6 definiert den Begriff „Wettbewerbe“ als Auslobungsverfahren,

die dem Auftraggeber aufgrund vergleichender Beurteilung durch ein Preisgericht mit oder ohne Verteilung von Preisen zu einem Plan oder einer Planung verhelfen sollen.

153 Wettbewerbe dienen der Vorbereitung der Vergabe von Dienstleistungsaufträ-

gen2. Ziel des Auftraggebers ist es, die bestgeeignete Projektlösung und denjenigen Bewerber zu ermitteln, der in der Lage ist, diese im Falle einer sich anschließenden Beauftragung zu verwirklichen3. Die Auswahl erfolgt hierbei nicht direkt durch den Auftraggeber, sondern durch ein von ihm eingesetztes Preisgericht, wobei es nach § 103 Abs. 6 keine Rolle spielt, ob beabsichtigt ist, einen Preis für die bestplatzierte Bewerbung zu erteilen. Der Entscheidung eines Preisgerichts im Rahmen eines Wettbewerbs kommt keine dem Zuschlag gleichkommende, verfahrensbeendigende Wirkung zu. Die Entscheidung eines Preisgerichts ist zwar nach Maßgabe von § 661 Abs. 2 Satz 2 BGB verbindlich; diese Vorschrift statuiert jedoch lediglich, dass eine Entscheidung darüber erfolgt, ob eine fristgerecht erfolgte Bewerbung der Auslobung entspricht oder welche von mehreren Bewerbungen den Vorzug erhalten soll. Lediglich insoweit kann der Entscheidung verbindlicher Charakter zukommen. Eine Vergabestelle bzw. ein Auslober ist jedoch nicht grundsätzlich verpflichtet, den Planungsauftrag an den ersten Preisträger eines Architektenwettbewerbs zu erteilen, selbst dann nicht, wenn die Empfehlung des Preisgerichts dahin geht, eine bestimmte Wettbewerbsarbeit zur Grundlage der weiteren Bearbeitung zu machen4.

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Vgl. BT-Drucks. 18/6281, S. 74. Boesen, Vergaberecht, § 99 Rz. 213. Kaufhold/Mayerhofer/Reichl, Die VOF im Vergaberecht, § 20 Rz. 1. Vgl. OLG Saarbrücken v. 15.10.2014 – 1 Verg 1/14, Vergabe 2015, 250 ff.; OLG Koblenz v. 26.5.2010 – 1 Verg 2/10, IBR 2010, 521; OLG Düsseldorf v. 2.12.2009 – VII-Verg 39/09, NZBau 2010, 393 (396); VK Rheinland-Pfalz v. 27.4.2010 – VK 1-4/10; VK Saarland v. 20.2.2008 – 1 VK 07/2007, IBR 2008, 29. A.A. noch OLG Düssledorf v. 31.3.2005 – VII-

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Irrelevant ist dabei die vom öffentlichen Auftraggeber verwendete Terminologie. 154 So liegt ein Wettbewerb beispielsweise auch dann vor, wenn der Auftraggeber in einem „Kooperativen Workshopverfahren“ nicht die Bezeichnung eines „Preisgerichtes“, sondern einer „Empfehlungskommission“ wählt und keine „Preise“, sondern eine pauschale Summe für die Teilnehmer festsetzt. Eine im Kooperativen Workshopverfahren installierte „Empfehlungskommission“ ist daher als ein Preisgericht i.S.v. § 103 Abs. 6 anzusehen. Maßgeblich ist nämlich allein die Funktion der „Empfehlungskommission“, für den Auftraggeber eine vergleichende Beurteilung vorzunehmen und die Absicht des Auftraggebers, falls es zur Realisierung des Vorhabens kommt, der Empfehlung der Kommission hinsichtlich der weiteren Beauftragung mit Planungsleistungen folgen zu wollen1. Die praktisch wichtigsten Beispiele sind Planungswettbewerbe auf dem Gebiet 155 der Raumplanung, des Städtebaus und des Bauwesens (vgl. insoweit auch § 69 Abs. 1 VgV) sowie Auslobungen im IT-Bereich. Daneben kommen Auslobungsverfahren u.a. auch im Bereich der Werbung einschließlich Industrie- und Kommunikationsdesign in Betracht2. Die Planungswettbewerbe auf dem Gebiet der Raumplanung, des Städtebaus und des Bauwesens werden in der Praxis häufig bzw. regelmäßig auf der Basis der Richtlinie für Planungswettbewerbe (RPW 2013) durchgeführt3. Derartige Wettbewerbe sind sowohl als Ideen- als auch als Realisierungswettbewerbe statthaft4. Die RPW 2013 sind ihrer Rechtsnatur nach Verwaltungsvorschriften, die für öf- 156 fentliche Auslober von Bundesbaumaßnahmen verbindlich sind. Eine Außenwirkung entfalten sie erst dann, wenn die Behörden in der Auslobung ausdrücklich auf sie Bezug nehmen5. Die RPW 2013 umfassen nach § 3 RPW 2013 vier Wettbewerbsarten, namentlich den offenen Wettbewerb, den nicht offenen Wettbewerb, das zweiphasige Verfahren sowie das kooperative Verfahren. Letzteres ist gem. § 3 Abs. 4 Satz 4 RPW 2013 allerdings nicht mehr für Auslobungsverfahren oberhalb der Schwellenwerte anzuwenden. Hintergrund der Bestimmung ist, dass die mit diesem Verfahren zwangsläufig einhergehende Durchbre-

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Verg 4/04. Vgl. zum Ganzen auch Eschenbruch in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 103 Rz. 499. So (noch zu § 20 VOF 2006) VK Düsseldorf v. 13.10.2005 – VK-23/2005-F. Kaufhold/Mayerhofer/Reichl, Die VOF im Vergaberecht, § 20 Rz. 1. Allerdings kann auch ein im Rahmen eines VOF-Verfahrens – bzw. nunmehr der §§ 69 ff. VgV – durchgeführtes Wettbewerbsverfahren, das nicht auf die RPW 2013 Bezug nimmt, ein Auslobungsverfahren bzw. einen Wettbewerb i.S.v. § 103 Abs. 6 darstellen. Vgl. in diesem Zusammenhang BGH v. 27.6.2007 – X ZR 34/04, MDR 2007, 1409 = VergabeR 2007, 752 ff.; VK Saarland v. 20.2.2008 – 1 VK 07/2007, IBR 2008, 29; Eschenbruch in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 103 Rz. 497. Vgl. VK Saarland v. 20.2.2008 – 1 VK 07/2007, IBR 2008, 29; Eschenbruch in Kulartz/ Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 103 Rz. 493. Eschenbruch in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 103 Rz. 493 f.; Wachendorf, VergabeR 2009, 869 (870).

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§ 103 | Öffentliche Aufträge, Rahmenvereinbarungen und Wettbewerbe chung des Anonymitätsgrundsatzes nicht mit dem vergaberechtlichen Grundsatz des Geheimwettbewerbs im Einklang steht1. 157 Eine Überprüfung der Einhaltung der Wettbewerbsregeln durch die vergabe-

rechtlichen Nachprüfungsinstanzen gem. §§ 155 ff. kann stattfinden, wenn auf die Wettbewerbsregeln in den Wettbewerbsbedingungen verwiesen wird2. Da der Entscheidung eines Preisgerichts im Rahmen eines Teilnahmewettbewerbs jedoch keine dem Zuschlag gleichkommende Wirkung zukommt und eine Vergabestelle bzw. ein Auslober insbesondere auch nicht dazu verpflichtet ist, den Planungsauftrag an den ersten Preisträger eines vorangegangenen Wettbewerbs zu erteilen3 (s.o. Rz. 153), ist jedoch die Entscheidung eines Preisgerichts inhaltlich nur begrenzt nachprüfbar. Geltend gemacht werden kann aber beispielsweise, dass ein unzulässiger Wettbewerbsbeitrag zugelassen wurde oder gegen bindende Vorgaben des Auslobers verstoßen wurde4. Jedenfalls dieser letztgenannte Grundsatz ist – wie die VK Sachsen5 ausdrücklich festgestellt hat – durch die Vergabenachprüfungsinstanzen überprüfbar. Zwar handelt es sich bei der Entscheidung des Preisgerichts dem Grunde nach um eine wertende Entscheidung, die von den Nachprüfungsinstanzen nicht auf ihre sachliche Richtigkeit überprüft werden kann. Allerdings ist auch das Preisgericht in seiner Entscheidung nicht vollkommen frei, sondern muss sich vielmehr an die aufgestellten Verfahrensregeln halten. Insoweit ist auch der Beurteilungsspielraum des Preisgerichtes eingeschränkt. Überprüfbar sind somit die formalen Bedingungen und bindenden Vorgaben des Auslobers, die vom Preisgericht zwingend einzuhalten sind. Die Vorgaben der Auslobung sind Ausdruck der Beschaffungshoheit des Auftraggebers. Dieser bestimmt, ob und unter welchen Randbedingungen er eine Leistung beschaffen will. Dieser Grundsatz gilt auch im Rahmen eines Realisierungswettbewerbes. Je mehr er dabei die Planungsaufgabe durch eigene Vorgaben reglementiert, desto weniger Raum lässt er den Teilnehmern naturgemäß für eigene, schöpferische Leistungen bzw. Konzepte. Diese Abwägung obliegt aber dem Auftraggeber und nicht den Teilnehmern oder dem Preisgericht. Vor diesem Hintergrund ist es insbesondere auch unzulässig, wenn ein Preisgericht in Ansehung von Übertretungen der Aus-

1 Vgl. hierzu auch Eschenbruch in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 103 Rz. 494 f. 2 OLG Koblenz v. 26.5.2010 – 1 Verg 2/10, IBR 2010, 521. 3 Vgl. OLG Saarbrücken v. 15.10.2014 – 1 Verg 1/14, Vergabe 2015, 250 ff.; OLG Koblenz v. 26.5.2010 – 1 Verg 2/10, IBR 2010, 521; OLG Düsseldorf v. 2.12.2009 – VII-Verg 39/09, NZBau 2010, 393, 396; VK Rheinland-Pfalz v. 27.4.2010 – VK 1-4/10; VK Saarland v. 20.2.2008 – 1 VK 07/2007, IBR 2008, 29. A.A. noch OLG Düssledorf v. 31.3.2005 – VII-Verg 4/04. 4 Vgl. VK Rheinland-Pfalz v. 27.4.2010 – VK 1-4/10; VK Sachsen v. 22.2.2013 – 1/SVK/ 047/12, IBR 2013, 565; sowie Eschenbruch in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 103 Rz. 500. 5 Vgl. VK Sachsen v. 22.2.2013 – 1/SVK/047/12, IBR 2013, 565.

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lobungsvorgaben ausdrücklich beschließt, die betroffenen Arbeiten gleichwohl weiter im Wettbewerb zu belassen1. Die Bestimmungen, die öffentliche Auftraggeber bei der Durchführung von 158 (Planungs-)Wettbewerben i.S.v. § 103 Abs. 6 anzuwenden haben, ergeben sich aus den §§ 69 ff. VgV bzw. §§ 60 ff. SektVO.

VIII. Bau- und Dienstleistungskonzessionen 1. Baukonzessionen Die Baukonzessionen, welche von den Bauaufträgen i.S.v. § 103 Abs. 3 ab- 159 zugrenzen sind und bislang in § 99 Abs. 6 GWB a.F. geregelt waren, fallen aktuell nicht mehr unter den Begriff des öffentlichen Auftrags. Vielmehr wird nunmehr zwischen der Vergabe von öffentlichen Aufträgen und der Vergabe von Konzessionen unterschieden. Konzessionen, einschließlich der Baukonzessionen, werden nunmehr abschließend in § 105 definiert (s.o. Rz. 3 sowie § 105 Abs. 1 Nr. 1), so dass an dieser Stelle auf die diesbezügliche Kommentierung verwiesen wird (vgl. § 105 Rz. 6 ff.). 2. Dienstleistungskonzession Ebenso wie die Bauaufträge i.S.v. § 103 Abs. 3 von den Baukonzessionen ab- 160 zugrenzen sind, sind auch die Dienstleistungsaufträge i.S.v. § 103 Abs. 4 von den sog. Dienstleistungskonzessionen zu unterscheiden. Die Dienstleistungskonzessionen unterfielen – anders als die Baukonzessionen – nach früherem Recht indes nicht dem Anwendungsbereich des Vergaberechts (i.e.S.). Dies folgte aus Art. 17 der Vergabekoordinierungsrichtlinie 2004/18/EG, wonach die Vergabekoordinierungsrichtlinie nicht für Dienstleistungskonzessionen gem. Art. 1 Abs. 4 der Vergabekoordinierungsrichtlinie 2004/18/EG galt2. Gleichwohl verlangte der EuGH – ebenso wie für Auftragsvergaben unterhalb der Schwellenwerte – auch für den Abschluss von Dienstleistungskonzessionen, dass die Grundfreiheiten des EGVertrags sowie das Diskriminierungsverbot (Art. 18 AEUV) beachtet werden. Welche grundlegenden Anforderungen sich hieraus im Einzelnen ergeben, hat der EuGH insbesondere in den Entscheidungen „Telaustria“3, „Coname“4 und 1 Vgl. VK Sachsen v. 22.2.2013 – 1/SVK/047/12, IBR 2013, 565. 2 Art. 1 Abs. 4 der Vergabekoordinierungsrichtlinie 2004/18/EG enthielt eine Legaldefinition des Begriffs der Dienstleistungskonzession. Danach waren Dienstleistungskonzessionen Verträge, die von öffentlichen Dienstleistungsaufträgen nur insoweit abweichen, als die Gegenleistung für die Erbringung der Dienstleistungen ausschließlich in dem Recht zur Nutzung der Dienstleistung oder in diesem Recht zzgl. der Zahlung eines Preises besteht. 3 EuGH v. 7.12.2000 – Rs. C-324/98, Slg. I-10745, NZBau 2001, 148 ff. – Telaustria. 4 EuGH v. 21.7.2005 – Rs. C-231/03, Slg. I-07287, NZBau 2005, 592 ff. – Coname.

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§ 103 | Öffentliche Aufträge, Rahmenvereinbarungen und Wettbewerbe „Parking Brixen“1 herausgearbeitet. Nach dem „Telaustria“-Urteil schließt das Diskriminierungsverbot insbesondere eine Verpflichtung zur Transparenz ein, damit festgestellt werden kann, ob es beachtet worden ist. Kraft dieser Verpflichtung zur Transparenz muss ein öffentlicher Auftraggeber zugunsten der potentiellen Auftragnehmer einen angemessenen Grad an Öffentlichkeit sicherstellen, der den Dienstleistungsmarkt dem Wettbewerb öffnet und die Nachprüfung ermöglicht, ob die Vergabeverfahren unparteiisch durchgeführt wurden. In den Urteilen „Coname“ und „Parking Brixen“ hat der EuGH weiter festgestellt, dass ein Mangel an Transparenz darüber hinaus einen Verstoß gegen die Dienstleistungs- (Art. 56 AEUV) bzw. Niederlassungsfreiheit (Art. 49 AEUV) begründen kann. Zur Frage der öffentlichen Ausschreibung stellte der EuGH zudem klar, dass jedenfalls das völlige Fehlen einer Ausschreibung weder mit den Anforderungen der Art. 49 und 56 AEUV noch mit den Grundsätzen der Gleichbehandlung, der Nichtdiskriminierung und der Transparenz in Einklang steht2. Der EuGH hatte allerdings offen gelassen, wie das von ihm geforderte transparente Vergabe- bzw. Bewerbungsverfahren konkret auszugestalten ist. Anhaltspunkte hierfür lassen sich jedoch der „Mitteilung der Kommission zu Auslegungsfragen in Bezug auf das Gemeinschaftsrecht, das für die Vergabe öffentlicher Aufträge gilt, die nicht oder nur teilweise unter die Vergaberichtlinien fallen“ vom 24.7.20063 entnehmen. Mit dieser Mitteilung fasste die EU-Kommission die Rechtsprechung des EuGH zur Anwendung des EG-Vertrags auf Verträge außerhalb des Anwendungsbereichs der EU-Vergaberichtlinien in konkrete Leitlinien, insbesondere im Hinblick auf die Ausgestaltung von Bekanntmachungen, Verfahren und Rechtsschutz. Vor diesem Hintergrund kommt der Mitteilung der EU-Kommission – trotz der starken Kritik aus Politik, Wirtschaft und Literatur4 – für die Vergaberechtspraxis eine erhebliche Bedeutung zu. Dies gilt umso mehr in Ansehung der durch das EuG erfolgten Bestätigung5. Da davon ausgegangen werden kann, dass die EU-Kommission die Beachtung der von ihr vorgegebenen Standards mit Hilfe des Instruments des Vertragsverletzungsverfahrens (Art. 258 AEUV) gegen die Mitgliedsstaaten durchsetzen wird, dürfte die Mitteilung daher im faktischen Ergebnis sogar die Qualität einer EU-Richtlinie für die Ausgestaltung des nationalen Vergaberechts für alle Fälle außerhalb des Anwendungsbereichs der EU-Vergaberichtlinien entfalten. 161 Durch die neue Richtlinie 2014/23/EU über die Konzessionsvergabe vom 26.2.

2014 sind nunmehr jedoch auch die Dienstleistungskonzessionen – ebenso wie

1 EuGH v. 13.10.2005 – Rs. C-485/03, Slg. I-08585, NZBau 2005, 644 ff. – Parking Brixen. 2 EuGH v. 13.10.2005 – Rs. C-485/03, Slg. I-08585, NZBau 2005, 644 (648), Rz. 50 – Parking Brixen. 3 ABl. C 179/2 v. 1.8.2006, S. 2. 4 Ausführlich hierzu und m.w.N. Braun, EuZW 2006, 683 ff. 5 Vgl. EuGH v. 20.5.2010 – Rs. T-258/06, NZBau 2010, 510 ff.

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die Baukonzessionen – dem Anwendungsbereich des Vergaberechts (i.e.S.) unterstellt. Infolge dessen unterscheidet auch das GWB nunmehr ausdrücklich zwischen der Vergabe von öffentlichen Aufträgen und der Vergabe von Konzessionen und definiert Letztere abschließend in § 105 (s.o. Rz. 3). Die Begriffsdefinition der Dienstleistungskonzession findet sich in § 105 Abs. 1 Nr. 2. Mit Blick hierauf wird an dieser Stelle auf die diesbezügliche Kommentierung verwiesen (vgl. § 105 Rz. 9 ff.).

IX. Abgrenzungsfragen 1. Abgrenzung zwischen den Auftragsarten Die Abgrenzung der in § 103 Abs. 2–4 genannten Auftragsarten wurde vor- 162 stehend bereits behandelt. Bezüglich der Abgrenzung zwischen Bau- und Lieferaufträgen wird auf Rz. 67 ff. und 90 f. verwiesen. Dienstleistungsaufträge werden gegenüber Bau- und Lieferaufträgen gem. § 103 Abs. 4 negativ abgegrenzt (vgl. Rz. 131). Die Einordnung unter § 103 Abs. 2–4 (bzw. 6) erfolgt nach objektiven Gesichtspunkten und unterliegt nicht der Disposition des Auftraggebers1. 2. Typengemischte Aufträge Für sog. typengemischte Aufträge, d.h. Aufträge, die verschiedene Leistungen 163 wie Liefer-, Bau- und/oder Dienstleistungen zum Gegenstand haben, bestimmte § 99 Abs. 10 GWB a.F. bislang, dass ein öffentlicher Auftrag, der sowohl den Einkauf von Waren als auch die Beschaffung von Dienstleistungen zum Gegenstand hatte, als Dienstleistungsauftrag galt, wenn der Wert der Dienstleistungen den Wert der Waren überstieg (§ 99 Abs. 10 Satz 1 GWB a.F.). Ein öffentlicher Auftrag, der neben Dienstleistungen Bauleistungen umfasste, die im Verhältnis zum Hauptgegenstand Nebenarbeiten waren, galt als Dienstleistungsauftrag (§ 99 Abs. 10 Satz 2 GWB). Diese – erst durch das Gesetz zur Modernisierung des Vergaberechts vom 20.4.20092 zunächst als § 99 Abs. 7 GWB a.F. eingeführte – Bestimmung des § 99 Abs. 10 GWB a.F. wurde nicht in § 103 übernommen. Das neue GWB regelt die Einordnung von öffentlichen Aufträgen (und Konzes- 164 sionen), die verschiedene Leistungen zum Gegenstand haben, nunmehr in § 110. Gemäß § 110 Abs. 1 Satz 1 werden öffentliche Aufträge, die verschiedene Leistungen wie Liefer-, Bau- oder Dienstleistungen zum Gegenstand haben, nach den Vorschriften vergeben, denen der Hauptgegenstand des Auftrags zuzuordnen ist. Dies entspricht der sog. Schwerpunkttheorie und steht im Einklang mit der Rechtsprechung des EuGH, beispielsweise in der Rechtssache „Köln Messe“, 1 VÜA Bayern v. 28.8.1998 – VÜA 16/97, WuW/E Verg 178, 180. 2 BGBl. I 2009, 790 ff.

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§ 103 | Öffentliche Aufträge, Rahmenvereinbarungen und Wettbewerbe in welcher der EuGH festgestellt hat, dass es auf den „Hauptgegenstand“ des Vertrags ankommt, wenn dieser zugleich Elemente eines öffentlichen Bauauftrags und Elemente eines Auftrags anderer Art aufweist1. 165 Hinsichtlich weiterer Einzelheiten wird auf die Kommentierung zu § 110 ver-

wiesen.

3. Öffentliche Aufträge, deren Teile unterschiedlichen rechtlichen Regelungen unterliegen 166 Der Umgang mit öffentlichen Aufträgen, deren Teile unterschiedlichen recht-

lichen Regelungen unterliegen, regelt § 111, so dass an dieser Stelle auf die entsprechende Kommentierung verwiesen wird. 4. Öffentliche Aufträge, die verschiedene Tätigkeiten umfassen

167 Für öffentliche Aufträge, die der Durchführung mehrerer Tätigkeiten dienen,

enthielt das GWB bisher eine Abgrenzungsbestimmung in § 99 Abs. 12 GWB a.F. Diese – erst durch das Gesetz zur Modernisierung des Vergaberechts vom 20.4.20092 zunächst als § 99 Abs. 8 GWB a.F. eingeführte3 – Regelung wurde nicht im Rahmen von § 103 übernommen. Vielmehr ist eine eigenständige Regelung in § 112 erfolgt; auf die entsprechende Kommentierung wird an dieser Stelle verwiesen. 5. Kombination von ausschreibungspflichtigen und nicht vergaberechtsrelevanten Aufträgen

168 Besteht ein Vertrag aus einer Kombination von ausschreibungspflichtigen und

nicht vergaberechtsrelevanten Teilen, unterliegt er insgesamt dem Anwendungsbereich des 4. Teils des GWB4. Dies gilt auch dann, wenn der vergaberechtsrelevante Teil nicht den Schwerpunkt des Vorgangs bildet. Vielmehr genügt es, wenn der vergaberechtsrelevante Aspekt nicht von völlig untergeordneter Bedeutung ist5 (s. hierzu auch bereits oben unter Rz. 18 ff., insb. Rz. 20).

1 EuGH v. 29.10.2009 – Rs. C-536/07, NZBau 2009, 792 (796) – Rz. 57 – Köln Messe. Ebenso EuGH v. 26.5.2011 – Rs. C-306/08, NZBau 2011, 431 f. – PAI und LARAU Valencia. 2 BGBl. I 2009, 790 ff. 3 Vgl. hierzu auch BT-Drucks. 16/10117, S. 15 f. 4 OLG Düsseldorf v. 20.6.2001 – VII-Verg 3/01, VergabeR 2001, 329 (332). 5 BGH v. 1.2.2005 – X ZB 27/04, BGHZ 162, 116, 130 = MDR 2005, 973; VK Bund v. 24.7. 2007 – VK 2-69/07.

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X. Einzelprobleme 1. Privatisierung a) (Grund-)Formen der Privatisierung Eine allgemein anerkannte Definition des Begriffs der „Privatisierung“ fehlt. Es 169 handelt sich hierbei um einen Oberbegriff für die unterschiedlichsten Maßnahmen, denen gemein ist, dass Aufgaben, die staatlichen Stellen obliegen, durch oder unter Beteiligung Privater bzw. in privater Rechtsform erbracht werden. Die Privatisierung erfolgt regelmäßig auch nicht nach einem bestimmten Schema, sondern entsprechend den jeweiligen verwaltungspolitischen Zielsetzungen und Bedürfnissen der Praxis. Dementsprechend haben sich mehrere Formen der Ab- bzw. Rückgabe staatlich verwalteter Bereiche an die freie, in den Bahnen des Privatrechts organisierte Gesellschaft herausgebildet. Grundlegend wird dabei zwischen der formellen, der materiellen, der funktionalen Privatisierung sowie der Vermögensprivatisierung unterschieden, wobei auch Mischformen ohne weiteres möglich sind1. Bei der formellen Privatisierung (oder auch Organisationsprivatisierung) wird 170 eine Aufgabe, die bis dahin von der öffentlichen Hand in einer Organisationsform des öffentlichen Rechts ausgeübt wurde, auf eine privatrechtliche Organisation übertragen, ohne dass sich der öffentlich-rechtliche Rechtsrahmen, der auf die Erfüllung der öffentlichen Aufgabe Anwendung findet, ändert2. Der Staat bleibt hier verantwortlicher Träger der öffentlichen Aufgabe, bedient sich zu ihrer Wahrnehmung jedoch der Organisations- und Rechtsformen des Privatrechts. Dies kann in Form einer 100%igen Eigengesellschaft oder eines gemischtwirtschaftlichen Unternehmens mit öffentlicher Mehrheitsbeteiligung erfolgen3. Die materielle Privatisierung (auch Aufgabenprivatisierung genannt) be- 171 schreibt den hoheitlichen Verzicht auf eine öffentliche Aufgabe als Verwaltungsmaterie und die grundsätzliche Überlassung des betroffenen Sachgegenstandes an die privatrechtlich organisierte Gesellschaft. Die öffentliche Hand verzichtet also auf die eigene Erfüllung einer (bisher) öffentlichen Aufgabe und überträgt diese auf einen Privaten4. Bei der funktionalen Privatisierung (oder auch Erfüllungsprivatisierung) 172 überträgt die öffentliche Hand – in der Regel auf vertraglicher Basis („contracting out“) – die Aufgabenerfüllung nicht komplett auf einen Privaten, sondern 1 Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 23 Rz. 61 ff.; Kämmerer, Privatisierung, S. 16 ff. 2 Ein Beispiel hierfür ist die Umwandlung einer öffentlich-rechtlichen Anstalt in eine GmbH (wie z.B. der Bundesanstalt für Flugsicherung in die DFS Deutsche Flugsicherung GmbH). Vgl. Behr, VergabeR 2009, 136; Scharf/Dierkes, VergabeR 2011, 543 (544); Eschenbruch in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 103 Rz. 127. 3 di Fabio, JZ 1999, 585 (588). 4 di Fabio, JZ 1999, 585 (586).

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§ 103 | Öffentliche Aufträge, Rahmenvereinbarungen und Wettbewerbe bedient sich seiner lediglich als „Erfüllungsgehilfen“1. Typische Beispiele hierfür sind die Beleihung und die Verwaltungshilfe. Werden öffentliche Aufgaben von staatlichen Stellen in Zusammenarbeit mit Privaten erfüllt, spricht man von Public Private Partnership (PPP). Hierbei handelt es sich um einen unscharfen Begriff, der sowohl Fälle der teilweisen materiellen Privatisierung (beispielsweise die teilweise Übertragung der Geschäftsanteile einer kommunalen Gesellschaft) als auch der funktionalen Privatisierung umfasst. Zur Einordnung der funktionalen Privatisierung werden regelmäßig verschiedene Unterkategorien gebildet, ohne dass hiervon jedoch alle möglichen Fallgestaltungen umfasst wären. In der Praxis werden insbesondere folgende Grundbegriffe/Grundmodelle verwendet2: – Betreibermodell. Bei diesem Modell verbleibt die Aufgabe in der Kontrolle der öffentlichen Hand, wird jedoch von einem Privaten ausgeführt, der sich in der Regel durch die Erhebung von Gebühren oder von privatrechtlichen Benutzungsentgelten finanziert. Betreibermodelle werden beispielsweise im Bereich der Abwasserbeseitigung und der Privatfinanzierung von Fernstraßen eingesetzt3. Einen Unterfall bildet das BOT-Modell („build-operatetransfer“). Hierbei übernimmt der Betreiber auch die Errichtung und gegebenenfalls Planung des von ihm betriebenen Objekts. Materiell-rechtlich liegt in diesen Fällen oftmals, aber nicht zwingend, eine Baukonzession vor. Für den Bereich Fernstraßen wurde durch das Gesetz über den Bau und die Finanzierung von Bundesfernstraßen durch Private (Fernstraßenbauprivatfinanzierungsgesetz bzw. FstrPrivFinG)4 für private Investoren die Möglichkeit geschaffen, zur Finanzierung der Investitionskosten Mautgebühren zu erheben. Durch dieses Gesetz sollten Brücken-, Tunnel-, und Gebirgspassprojekte privat finanziert werden. Dabei geht die Tendenz der öffentlichen Hand dahin, anstelle der Einbringung öffentlicher Mittel (sog. F-Modell) andere Modelle zu entwickeln, in denen keine öffentlichen Gelder zur Verfügung gestellt werden müssen. Durch die Einführung der Lkw-Maut eröffnet sich z.B. die Möglichkeit, die Sanierung und Erweiterung des Bundesfernstraßennetzes dergestalt zu realisieren, dass der Vertragspartner den notwendigen Ausbau zweispuriger Autobahnen auf dreispurige komplett auf eigene Kosten vornimmt und im Gegenzug auf dem betroffenen Teilstück insgesamt die Mautgebühren erhält (sog. A-Modell)5. Basierend auf der 1 Vertiefend Behr, VergabeR 2009, 136 (138 ff.). 2 Vgl. zu den vielgestaltigen Varianten und Unterfällen die Darstellung bei Eschenbruch in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 103 Rz. 514 ff. 3 Vgl. etwa Ganske in Kapellmann/Messerschmidt, VOB Teile A und B, 6. Aufl. 2017, § 23 VOB/A Rz. 12; Roth, NVwZ 2003, 1056; Reidt/Stickler in Dreher/Motzke, Beck’scher Vergaberechtskommentar, 2. Aufl. 2013, § 22 Rz. 69. 4 BGBl. I 1994, 2243, neugefasst durch Bekanntmachung vom 6.1.2006, BGBl. I 2006, 49. 5 Siehe hierzu auch Wieddekind in Willenbruch/Wieddekind, Vergaberecht, 3. Aufl. 2014, § 22 VOB/A Rz. 5; Byok/Jansen, NZBau 2005, 241 ff.

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Struktur des A-Modells werden aktuell zudem diverse Projekte als sog. Verfügbarkeitsmodelle konzipiert (V-Modell). Hierbei nimmt der private Betreiber für einen bestimmten Streckenabschnitt Planungs-, Bau-, Betriebs- und Erhaltungsaufgaben wahr. Er trägt dabei die Investitions- und Betreiberrisiken und erhält als Gegenleistung ein feststehendes regelmäßiges Entgelt (etwa 85 %). Der restliche Teil der Vergütung wird in Abhängigkeit der Verfügbarkeit und der Vermeidung von Beeinträchtigungen durch Qualitätsmängel geleistet. Beim V-Modell trägt der Auftragnehmer also nicht mehr unmittelbar das Verkehrsmengenrisiko. Vielmehr erhält er eine verkehrsmengenunabhängige Vergütung. Während der Bauphase kann zusätzlich eine Anschubfinanzierung geleistet werden. Bei dem sog. V-Modell handelt es sich um einen Bauvertrag mit einem verfügbarkeitsabhängigen Entgelt. Die Laufzeit beträgt in der Regel 20 bis 30 Jahre1. – Konzessionsmodell. Hierunter wird in der Regel die private Vorfinanzierung einer öffentlichen Aufgabe, beispielsweise eines Bauvorhabens, verstanden. Der Private erhält für die Durchführung der Aufgabe von dem öffentlichen Auftraggeber ein Entgelt, das – wenn auch zeitlich gestreckt – seine Investitionen refinanziert2. – Betriebsführungsmodell. Hierbei überträgt der öffentliche Auftraggeber – anders als bei den Betreiber- und Konzessionsmodell – lediglich die Betriebsführung einem Privaten, der hierfür ein Entgelt erhält. Im Kern stellt dieses Modell daher einen Dienstleistungsauftrag dar, kann im Einzelfall aber auch weitere Leistungen, wie beispielsweise eine Personalübernahme beinhalten3. Die Vermögensprivatisierung liegt dann vor, wenn der Staat Vermögensgegen- 173 stände, insbesondere Grundstücke und Beteiligungen an Wirtschaftsunternehmen (Aktien, GmbH-Anteile) an Private veräußert4. Darüber hinaus existieren – wie gesagt – zahlreiche Mischformen. b) Vergaberechtliche Einordnung einzelner Formen der Privatisierung Hinsichtlich der vergaberechtlichen Einordnung von Privatisierungsvorgän- 174 gen verbietet sich eine schematische Beurteilung. Es ist vielmehr auf den jeweiligen Einzelfall abzustellen. Folgende Grundsätze lassen sich jedoch festhalten: 1 Näher zum Ganzen Hermann in Ziekow/Völlink, Vergaberecht, 2. Aufl. 2013, Vor § 22 VOB/A Rz. 12a, der als Beispiele die Ausschreibungen der DEGES betreffend die BAB 9 und die BAB 7 Nord nennt. 2 Reidt/Stickler in Dreher/Motzke, Beck’scher Vergaberechtskommentar, 2. Aufl. 2013, § 22 VOB/A Rz. 67. 3 Vgl. Eschenbruch in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 103 Rz. 529. 4 Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 23 Rz. 64.

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§ 103 | Öffentliche Aufträge, Rahmenvereinbarungen und Wettbewerbe 175 Wird bei der formellen bzw. Organisationsprivatisierung lediglich ein Teil des

Aufgabenträgers organisationsrechtlich privatisiert, so ist dies – isoliert betrachtet – mangels eines Leistungsaustausches zwischen dem Aufgabenträger und seinem privatisierten Teil vergaberechtsneutral1. In diesem (Grund-)Fall handelt es sich vielmehr nur um einen Gesellschaftsformwechsel, der keine Beschaffung beinhaltet2. Eine vergaberechtliche Bedeutung ergibt sich erst dann, wenn – wie oftmals der Fall – dem privatisierten Teil zugleich eine bis dahin von dem Aufgabenträger wahrgenommene Aufgabe zugewiesen oder der privatisierte Teil in die Erfüllung einer beim Aufgabenträger verbleibenden Aufgabe eingebunden wird – mithin also eine Mischform bzw. sog. eingekapselte Beschaffung (vgl. hierzu auch Rz. 19 ff.) vorliegt3. Im Weiteren ist zu unterscheiden: Bleibt der privatisierte Teil vollständig in der Hand des oder der privatisierenden Aufgabenträger (sog. öffentlich-rechtliches Unternehmen), ist der damit einhergehende Leistungsaustausch dann vergaberechtsfrei, wenn es sich um ein sog. In-houseGeschäft i.S.v. § 108 Abs. 1–4 (vgl. Rz. 53 f.) handelt, d.h. der bzw. die privatisierende(n) Aufgabenträger über den privatisierten Teil eine ähnliche Kontrolle wie über ihre eigenen Dienststellen ausübt und der privatisierte Teil zugleich seine Tätigkeit im Wesentlichen für den bzw. die privatisierenden Aufgabenträger verrichtet. Wird an dem privatisierten Teil indes ein Privater beteiligt (sog. gemischt-wirtschaftliches Unternehmen) und erschöpft sich die Beteiligung nicht nur in einer Kapitaleinlage, sondern geht zugleich mit einer Vergabe von Liefer-, Dienst- und/oder Bauleistungen einher, so ist der Anwendungsbereich des Vergaberechts eröffnet (vgl. Rz. 20 und 169 f.). Bei Gründung einer neuen Gesellschaft und der Übertragung von Geschäftsanteilen ist überdies stets zu überprüfen, ob die Gesellschaft auch nach der Privatisierung die Voraussetzungen des § 99 erfüllt. In diesem Fall hat sie selbst bei der Vergabe von Aufträgen selbstverständlich auch die Vorschriften des 4. Teils des GWB zu beachten.

176 Entledigt sich der öffentliche Aufgabenträger bei der materiellen bzw. Auf-

gabenprivatisierung der Aufgabe als solcher vollständig, fehlt es ebenfalls an dem für einen öffentlichen Auftrag erforderlichen Leistungsaustausch4. Denn die Wahrnehmung einer ehemals öffentlichen Aufgabe ist keine Leistung des Privaten an den privatisierenden Aufgabenträger. Vielmehr erbringt der Private die Leistung infolge der Aufgabenentledigung auf Seiten des privatisierenden Aufgabenträgers nicht an diesen, sondern an die Aufgabenbetroffenen. Dies gilt selbst dann noch, wenn sich der bisherige Aufgabenträger die Aufsicht über die

1 Dreher in Immenga/Mestmäcker, GWB, 5. Aufl. 2014, § 99 Rz. 157; Behr, VergabeR 20009, 136 f. m.w.N.; Eschenbruch in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 103 Rz. 127. 2 Behr, VergabeR 2009, 136; Scharf/Dierkes, VergabeR 2011, 543 (544); Eschenbruch in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 103 Rz. 127. 3 Behr, VergabeR 20009, 136 (137). 4 Behr, VergabeR 2009, 136 (137); Scharf/Dierkes, VergabeR 2011, 543 (544); Eschenbruch in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 103 Rz. 128.

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Wahrnehmung der ehemals öffentlichen Aufgabe in dem Sinne vorbehält, dass er zugunsten der Aufgabenbetroffenen die ordnungsgemäße Aufgabenerfüllung kontrolliert1. Etwas anderes gilt jedoch dann, wenn dem Privaten die öffentliche Aufgabe nicht vollständig eröffnet wird, sondern ihm nur die Wahrnehmung der Aufgabe übertragen wird, für deren Erfüllung beim öffentlichen Aufgabenträger zumindest noch eine Restverantwortung, die über eine bloße Kontrolle der ordnungsgemäßen Erfüllung hinausgeht, verblieben ist. In diesen Fällen liegt tatsächlich auch keine Aufgabenprivatisierung, sondern lediglich eine funktionale bzw. Erfüllungsprivatisierung vor. Letzteres kann insbesondere im kommunalen Bereich in Betracht kommen, weil sich die Kommunen – nach der Rechtsprechung des – mit Blick auf die verfassungsrechtliche Garantie der kommunalen Selbstverantwortung (Art. 28 Abs. 2 GG) im Interesse einer wirksamen Wahrnehmung der Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft ihrer Aufgabenverantwortung nicht vollständig entziehen dürfen2. Die funktionale bzw. Erfüllungsprivatisierung, d.h. die Verfolgung öffentlicher 177 Aufgaben unter Einschaltung privater „Erfüllungsgehilfen“, stellt, wenn und soweit Gegenstand die entgeltliche Erbringung von Liefer-, Bau- oder Dienstleistungen auf vertraglicher Grundlage ist – was regelmäßig der Fall ist –, einen öffentlichen Auftrag i.S.d. § 103 Abs. 1 dar und unterliegt den vergaberechtlichen Vorschriften3. Zu dem problematischen Fall der Beleihung allein durch Verwaltungsakt ohne begleitende vertragliche Regelungen s. bereits oben Rz. 11. Zu der insbesondere im Zusammenhang mit der Ausschreibung von Rettungsdienstleistungen streitig gewordenen Frage, ob in den Fällen der Beleihung, die mit der Ausübung öffentlicher Gewalt i.S.d. Art. 51, 62 AEUV verbunden sind, eine Ausschreibungspflicht besteht4, s. Rz. 13. Die (reine) Vermögensprivatisierung, bei der der Staat lediglich Vermögens- 178 gegenstände veräußert, stellt keinen öffentlichen Auftrag i.S.d. § 103 Abs. 1 dar, weil der öffentliche Auftraggeber insoweit nur als „Lieferant“ und nicht als Beschaffender auftritt (vgl. hierzu auch Rz. 19 ff.). Allerdings folgt daraus nicht, 1 Behr, VergabeR 20009, 136 (137). 2 Vgl. BVerwG v. 27.5.2009 – 8 C 10.08, DVBl. 2009, 1382 (1383); sowie ferner auch Ganske in Landmann/Rohmer, Umweltrecht, Stand: Februar 2012, § 56 WHG Rz. 43. 3 Behr, VergabeR 20009, 136 (138); Burgi, NVwZ 2001, 601 (604); Eschenbruch in Kulartz/ Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 103 Rz. 130. 4 Dies verneinend BGH v. 1.12.2008 – X ZB 31/08, BGHZ 179, 84, 89 = MDR 2009, 370, der argumentiert, dass der Anwendungsbereich des § 99 Abs. 1 GWB a.F. nicht durch Art. 51, 62 AEUV (ex-Art. 45, 55 EGV) eingeschränkt werde, weil insoweit allein das deutsche Recht, insbesondere in Form der abschließenden Bestimmung des § 100 Abs. 2, maßgeblich sei. Im Ergebnis ebenso OLG Dresden v. 4.7.2008 – WVerg 3/08, VergabeR 2008, 809 (813 f.); a.A. OLG Düsseldorf v. 5.4.2006 – VII-Verg 7/06, VergabeR 2006, 787 ff., mit Anm. Weber. Vgl. auch Behr, VergabeR 2009, 136 (139), der mit Blick auf die gem. Art. 33 Abs. 4 GG für die Erfüllungsprivatisierung bestehenden Grenzen schon kein Bedürfnis für eine vergaberechtliche Bereichsausnahme sieht.

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§ 103 | Öffentliche Aufträge, Rahmenvereinbarungen und Wettbewerbe dass ein öffentlicher Auftraggeber stets auf jede Form von Wettbewerb verzichten darf, wenn kein öffentlicher Auftrag i.S.v. § 103 Abs. 1 vorliegt. Vielmehr kann die öffentliche Hand auch bei reinen Veräußerungen von Vermögenswerten verpflichtet sein, ein strukturiertes Bieterverfahren durchzuführen1 (s. hierzu auch noch Rz. 184 ff.). 179 In der Praxis treten die einzelnen Formen der Privatisierung jedoch – wie gesagt

– selten in ihrer Reinform, sondern in Mischformen auf. Diese Mischformen sind regelmäßig durch die Gründung einer neuen juristischen Person oder durch die Übertragung von Vermögensgegenständen, insbesondere von Geschäftsanteilen, charakterisiert. Die Gründung einer neuen Gesellschaft stellt – auch bei Gründung eines Gemeinschaftsunternehmens – grundsätzlich keinen Beschaffungsvorgang dar2 (vgl. Rz. 20). Das Gleiche gilt für die Auswahl eines künftigen Mitgesellschafters und die Veräußerung von Vermögensgegenständen, da der öffentliche Auftraggeber in diesem Fall als „Lieferant“ und nicht als Beschaffender auftritt. All diese Fälle unterliegen isoliert betrachtet nicht dem Vergaberecht3. Dass die Abgabe eines Teils einer Gesellschafterstellung gleichzeitig zu einer dauerhaften Verbundenheit der Gesellschafter und damit zu einer gewissen „Nähe“ der Beteiligten führt, ändert hieran (noch) nichts4, und zwar auch dann nicht, wenn die veräußerten Gesellschaftsanteile der Gemeinwohlbindung unterliegen5.

180 Etwas anderes gilt jedoch dann, wenn der Verkauf von Geschäftsanteilen durch

einen öffentlichen Auftraggeber an einen Privaten einen Bezug zur Beschaffung von Leistungen aufweist; sich – ungeachtet der bestehenden gesellschaftsrechtlichen Beziehung – die Verbundenheit zu einem beschaffungsrelevanten Rechtsgeschäft verdichtet6. Dies ist immer dann der Fall, wenn sich die Beteiligung nicht nur in einer Kapitaleinlage des künftigen privaten Gesellschafters erschöpft, sondern zugleich mit dem Neuabschluss, der Verlängerung oder der

1 BGH v. 8.4.2003 – KZR 39/99, NJW 2003, 2684 (2685); Byok, NJW 2004, 198 (203) m.w.N. 2 EuGH v. 22.12.2010 – Rs. C-215/09, NZBau 2011, 312 (313) – Oulon Kau punki; EuGH v. 6.5.2010 – Rs. C-145/08 und Rs. C-149/08, NZBau 2010, 506 ff. – Loutraki; OLG Brandenburg v. 3.8.2001 – Verg 3/01, VergabeR 2002, 45, 47; VK Sachsen v. 29.12.2004 – 1/ SVK/123-04; VK Lüneburg v. 5.11.2004 – 203-VgK-48/2004; VK Lüneburg v. 26.4.2002 – 203-VgK-06/2002; VK Brandenburg v. 30.8.2004 – VK 34/04; Otting, VergabeR 2002, 11 (12); Krutisch, NZBau 2003, 650 ff. m.w.N.; Endler, NZBau 2002, 125 (132); Eschenbruch in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 103 Rz. 129. 3 Burgi, NVwZ 2001, 601 (605); Otting, VergabeR 2002, 11 (15). 4 Vgl. Braun, VergabeR 2006, 657 (659); Eschenbruch in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 103 Rz. 108. A.A. wohl Kessenbrock, WuW 2001, 122 (123 f.); Opitz, ZVgR 2000, 97 (116). 5 Frenz, WRP 2006, 1216 (1218); Eschenbruch in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 103 Rz. 108. 6 Eschenbruch in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 103 Rz. 109.

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wesentlichen Änderung eines Vertrags über Liefer-, Bau-, oder Dienstleistungen einhergeht1. Denn dann tritt der staatliche Anteilsverkäufer – im Wege einer funktionellen Gesamtbetrachtung beider Vorgänge – als Nachfrager am Markt auf2. Dem kann auch nicht der Einwand entgegen gehalten werden, dass die Suche nach privaten Mitgesellschaftern grundsätzlich mit Rücksicht auf den privaten bzw. persönlichen und zwischenmenschlichen Einschlag einer Gesellschafterstellung erfolgt. Denn es kommt dem öffentlichen Auftraggeber bei der Auswahl des privaten Bieters in aller Regel nicht – zumindest nicht vordergründig – auf die persönliche Zuverlässigkeit und das individuelle Engagement der auf Bieterseite handelnden natürlichen Personen an, die im Laufe der Zeit ausgewechselt werden können, sondern auf die nach objektiven Kriterien zu beurteilende Eignung des Bieters, also insbesondere auf seine finanzielle Potenz sowie sein Know-how im Hinblick auf den vereinbarten Gesellschaftszweck. Über die Auswahl eines privaten Investors als Mitgesellschafter wird also in der Regel nach den gleichen Kriterien wie über die Auswahl eines Vertragspartners für Beschaffungsverträge entschieden werden3. Unter dem Gesichtspunkt, dass die EU-Vergaberichtlinien derart auszulegen sind, dass sie die größtmögliche Wirkung entfalten sollen, sowie dem Umgehungsverbot erscheint es daher geboten, diese Vertragsgestaltungen in den Anwendungsbereich des Vergaberechts einzubeziehen4. Über dieses Ergebnis besteht – soweit ersichtlich – weitgehend Einigkeit. Auch besteht Übereinstimmung, dass das Vergaberecht nicht nur eingreift, 181 wenn die Übertragung von Leistungen zeitgleich mit der Anteilsveräußerung erfolgt. Vielmehr erfüllt auch ein gestuftes bzw. sukzessives Vorgehen die Anforderungen an einen öffentlichen Auftrag gem. § 103 Abs. 1. Unproblematisch ist dies immer dann, wenn die Vergabe des öffentlichen Auftrags und die Veräußerung von Geschäftsanteilen in einem engen sachlich-zeitlichen Zusammenhang stehen, insbesondere, wenn die Auftragsvergabe im Hinblick auf die anstehende Veräußerung der Geschäftsanteile erfolgte5. So hat der EuGH in der 1 Vgl. OLG Düsseldorf v. 21.11.2007 – VII-Verg 32/07; OLG Brandenburg v. 3.8.2001 – Verg 3/01, VergabeR 2002, 45 (47); VK Düsseldorf v. 24.8.2007 – VK-24/2007-L; VK Düsseldorf v. 14.5.2004 – VK-7/2004-L und VK-8/2004/L; VK Sachsen v. 29.12.2004 – 1/SVK/123-04; VK Sachsen v. 29.2.2004 – 1/SVK/157-03; VK Lüneburg v. 5.11.2004 – 203-VgK-48/2004; VK Lüneburg v. 26.4.2002 – 203-VgK-06/2002; VK Brandenburg v. 30.8.2004 – VK 34/04; sowie jeweils m.w.N. Eschenbruch in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 103 Rz. 108 ff. und 129. 2 von Engelhardt/Kaelble in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 103 Rz. 55. 3 OLG Brandenburg v. 3.8.2001 – Verg 3/01, VergabeR 2002, 45 (46). 4 Jaeger, NZBau 2001, 6 (10). 5 Vgl. EuGH v. 10.11.2005 – Rs. C-29/04, Slg. I-09705, NZBau 2005, 704 ff. – Stadt Mödling; sowie ferner auch VK Stuttgart v. 24.1.2002 – 1 VK 34/00 und 1 VK 1/01, NZBau 2001, 340 ff.; VK Düsseldorf v. 7.7.2000 – VK-12/2000-L, NZBau 2001, 46 (47); sowie Burgi, NVwZ 2001, 601 (605); Krutisch, NZBau 2003, 650 f.; von Engelhardt/Kaelble in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 103 Rz. 58.

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§ 103 | Öffentliche Aufträge, Rahmenvereinbarungen und Wettbewerbe Rechtssache „Stadt Mödling“ den Beschaffungs-/Auftragscharakter in einem Fall bejaht, in dem eine Kommune zunächst eine 100%ige Tochtergesellschaft mit einem langfristigen Dienstleistungsvertrag beauftragt und ca. vier Wochen später 49 % der Geschäftsanteile an einen privaten Investor veräußert hat1. Ob im Einzelfall ein hinreichender inhaltlicher oder zeitlicher Zusammenhang besteht, ist unter Berücksichtigung aller Fallumstände zu beurteilen. Dabei müssen – so der EuGH – insbesondere auch nachträglich bekannt werdende Ereignisse, die ein umfassendes Gesamtvorhaben indizieren, berücksichtigt werden2. Anhaltspunkte hierfür können insbesondere die Beschlüsse der kommunalen Gremien sowie die Verlautbarungen der einzelnen Entscheidungsträger bieten3. Der wohl denkbar engste sachlich-zeitliche Zusammenhang liegt vor, wenn bereits bei der Gründung einer Gesellschaft die Auftragserteilung durch den öffentlichen Auftraggeber vorhersehbar und inhaltlich konkretisiert ist4. Allerdings kommt es nach der Entscheidung des EuGH im Fall „ANAV“ nicht darauf an, ob mit der Aufgabenübertragung bereits eine feststehende Veräußerung von Gesellschaftsanteilen verbunden ist. Vielmehr soll es ausreichen, dass die theoretische Möglichkeit besteht, dass ein privater Dritter entsprechend einem Vorhaben des öffentlichen Auftraggebers am Kapital des öffentlichen Unternehmens beteiligt wird5. Im Fall „Augusta“ hat der EuGH überdies entschieden, dass allein der Umstand, dass die betroffene Gesellschaft zum Teil für privates Kapital offen steht, einer In-house-Fähigkeit entgegensteht6. Grundsätzlich kommt es daher auf das Vorliegen eines engen sachlich-zeitlichen Zusammenhangs anhand der vorstehend aufgezeigten Maßstäbe an, wobei alle (ggf. auch erst nachträglich bekannt werdenden) Einzelfallumstände zu berücksichtigen sind. Zumindest in Ausnahmefällen kann ein vergaberechtspflichtiger Vorgang aber auch dann vorliegen, wenn kein enger sachlich-zeitlicher Zusammenhang besteht, die Anteilsveräußerung sich bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise aber gleichwohl als Auftragsneuerteilung darstellt7. Dies kann zum einen unter Um1 Vgl. EuGH v. 10.11.2005 – Rs. C-29/04, Slg. I-09705, NZBau 2005, 704 ff. – Stadt Mödling. 2 Vgl. EuGH v. 10.11.2005 – Rs. C-29/04, Slg. I-09705, NZBau 2005, 704 ff., Rz. 38 – Stadt Mödling; sowie auch Eschenbruch in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWBVergaberecht, § 103 Rz. 129 und 135. 3 Frenz, NZBau 2008, 673 (679); Eschenbruch in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 103 Rz. 114. 4 Säcker/Wolf, WRP 2007, 282 (291); Eschenbruch in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 103 Rz. 115. 5 Vgl. EuGH v. 6.4.2006 – Rs. C-410/04, Slg. I-03303, NZBau 2006, 326 (328) – Rz. 29 f. – ANAV; Eschenbruch in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 103 Rz. 113. 6 EuGH v. 8.4.2008 – Rs. C-337/05, NZBau 2008, 401 ff., Rz. 38-40 – Augusta; Eschenbruch in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 103 Rz. 113. 7 So von Engelhardt/Kaelble in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 103 Rz. 58; ähnlich auch Braun, VergabeR 2006, 657 (661); Endler, NZBau 2002, 125 (133); Jaeger, NZBau 2001, 6 (11).

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gehungsgesichtspunkten der Fall sein1, zum anderen aber beispielsweise auch dann, wenn das bisher beauftragte, staatlich beherrschte Unternehmen ohne Aufnahme eines privaten Gesellschafters nicht mehr in der Lage wäre, den Auftrag zu erfüllen und ihn anderenfalls neu ausschreiben müsste2 (s. hierzu Rz. 182). Noch nicht ganz abschließend geklärt ist, inwieweit bzw. unter welchen konkre- 182 ten Voraussetzungen ein vergabepflichtiges Rechtsgeschäft vorliegt, wenn ein Unternehmen veräußert wird, das in der Vergangenheit öffentliche Aufträge erhalten hatte, der Auftrag also „eingekapselt“ ist3. Teilweise wird angenommen, dass auch diese Fälle dem Vergaberecht unterworfen werden müssten, da der neue Gesellschafter mittelbar an dem bereits bestehenden öffentlichen Auftrag beteiligt werde und die Klärung, wann ein „enger zeitlicher Zusammenhang“ besteht, zur Rechtsunsicherheit führen würde4. Andererseits ist zu bedenken, dass auch die Veräußerung von Geschäftsanteilen an einem Unternehmen, das ausschließlich private Gesellschafter hat, jedoch in der Vergangenheit einen öffentlichen Auftrag erhielt, wirtschaftlich gesehen dazu führt, dass die neuen Gesellschafter in den öffentlichen Auftrag „einsteigen“. Daneben ist zu beachten, dass eine Vertragsübernahme grundsätzlich zwar einen öffentlichen Auftrag darstellt5. Die Ausdehnung des Vergaberechts auf jede Anteilsveräußerung durch die öffentliche Hand, soweit mit der Übertragung auch öffentliche Aufträge mittelbar übergehen, würde indes zu weit führen6. Ausnahmen sind nur dort nötig, wo – so das OLG Brandenburg bereits im Jahre 2001 – der Eintritt des neuen Gesellschafters unter Zugrundelegung einer wirtschaftlichen Betrachtungsweise einer Auftragsneuerteilung gleichkommt7. Dies soll insbesondere 1 So von Engelhardt/Kaelble in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 103 Rz. 58 unter Hinweis auf Drügmöller/Conrad, ZfBR 2008, 651 (657); Braun, VergabeR 2006, 657 (661). 2 So von Engelhardt/Kaelble in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 103 Rz. 58 unter Hinweis auf OLG Brandenburg v. 3.8.2001 – Verg 3/01, VergabeR 2002, 45 ff. 3 Vgl. vertiefend etwa Drügemöller/Conrad, ZfBR 2008, 651 ff.; Braun, VergabeR 2006, 657 ff.; Klein, VergabeR 2005, 22 ff. 4 Endler, NZBau 2002, 125 (133); Otting, VergabeR 2002, 11 (15 f.); sowie ebenfalls in diese Richtung tendierend Jaeger, NZBau 2001, 6 (11.) In der Rechtssache OLG Brandenburg v. 3.8.2001 – Verg 3/01, VergabeR 2002, 45 hielt der erkennende Senat beispielsweise einen Zeitraum von sechs Jahren zwischen Auftragsvergabe und Anteilsveräußerung für unerheblich. 5 Vgl. § 132 sowie EuGH v. 19.6.2008 – Rs. C-454/06, Slg. I-04401, VergabeR 2008, 758 (763) – Rz. 40; bestätigt durch EuGH v. 13.4.2010 – Rs. C-91/08, NZBau 2010, 382 ff. – Wall, wonach selbst der Wechsel eines Subunternehmers als wesentliche Änderung des ursprünglichen Vertrages ausschreibungspflichtig sein soll, wenn die Einbindung des Subunternehmers ein ausschlaggebendes Element für den Vertragsabschluss war. 6 Ebenso Dietlein, NZBau 2004, 472 (477). 7 OLG Brandenburg v. 3.8.2001 – Verg 3/01, VergabeR 2002, 45 (47;) vgl. vertiefend Dietlein, NZBau 2004, 472 (477 ff.).

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§ 103 | Öffentliche Aufträge, Rahmenvereinbarungen und Wettbewerbe dann der Fall sein, wenn das bisher beauftragte, staatlich beherrschte Unternehmen ohne Aufnahme eines privaten Gesellschafters nicht mehr in der Lage wäre, den Auftrag zu erfüllen und die Anteilsveräußerung eine Kündigung des bestehenden öffentlichen Auftrags mit der Folge einer neuen Auftragsvergabe verhindern soll1. Im Anschluss an die Rechtsprechung des OLG Brandenburg wurde in der Literatur insbesondere auch für folgende Fallgestaltung das Vorliegen eines öffentlichen Auftrags i.S.v. § 103 Abs. 1 bejaht: Eine Gemeinde hatte mit einer Stadtwerke GmbH, deren Anteile sie zu 100 % hält, einen längerfristigen Energieliefervertrag geschlossen. Bevor der Vertrag ausläuft, beabsichtigt die Gemeinde Geschäftsanteile dieser GmbH an einen Dritten zu veräußern2. Insgesamt ist in diesem Zusammenhang zum einen zu beachten, dass eine Anteilsveräußerung unter Zugrundelegung einer wirtschaftlichen Betrachtungsweise nur dann einer Auftragsneuerteilung gleichkommen kann, wenn das noch in Rede stehende „Rest-Auftragsvolumen“ den jeweils maßgeblichen Schwellenwert erreicht oder überschreitet. Zum anderen ist zu berücksichtigen, dass der EuGH in der Entscheidung „Loutraki“ festgetellt hat, dass Beschaffungen, die bloße Nebensächlichkeiten berteffen, die Unterstellung des gesamten Rechtsgeschäfts unter das Regime des Vergaberechts nicht rechtfertigen3. Ferner hat der EuGH in der Entscheidung „Acoset“ darauf hingewiesen, dass gerade bei der Umsetzung von öffentlich-rechtlichen Partnerschaften nicht notwendigerweise eine formale Trennung gesellschaftsrechtlicher Vereinbarungen von Beschaffungsvorgängen herbeigeführt werden müsse, sofern die Auswahl unter Be1 OLG Brandenburg v. 3.8.2001 – Verg 3/01, VergabeR 2002, 45 (47;) zustimmend von Engelhardt/Kaelble in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 103 Rz. 58. Ähnlich äußerte sich auch die VK Düsseldorf, die die vergaberechtliche Relevanz des Veräußerungsgeschäfts mit der in der Ausschreibung ausdrücklich formulierten Zielsetzung des Veräußerers begründete, die Durchführung des Dienstleistungsauftrags auf eine neue geschäftliche und finanzielle Grundlage stellen zu wollen; VK Düsseldorf v. 14.5.2004 – VK-7/2004-L und VK-8/2004-L. 2 So Jaeger, Verträge kommunaler Körperschaften sowie ihrer eigenen und gemischtwirtschaftlichen Gesellschaften über Energiebezug und Kartellvergaberecht, in Büdenbender/ Kühne, Das neue Energierecht in Bewährung, 2002, S. 455, 471, der zur Begründung ausführt: „Denn mit der Veräußerung eines Anteils an der zuvor z.B. zu 100 % im Anteilsbesitz der Kommune befindlichen Stadtwerke GmbH an einen privaten Partner verlagert sich wirtschaftliche Leistungskapazität dieser GmbH, die zuvor noch voll von der Kommune stammte, ihrer Herkunft nach im Umfang der veräußerten Anteilsquote auf den privaten Partner. […] Der Energiebezug der Kommune, der vor der Anteilsveräußerung, als die Stadtwerke GmbH noch eine 100%ige Eigengesellschaft der Kommune war, ist nach der Anteilsveräußerung im Umfang der veräußerten Anteilsquote (also teilweise) ein Fremdgeschäft geworden.“ Ähnlich Dreher, NZBau 2002, 245 (258); Faber, DVBl. 2001, 248 (256). 3 Vgl. EuGH v. 6.5.2010 – Rs. C-145/08 und Rs. C-149/08, NZBau 2010, 506 ff. – Loutraki; sowie dazu auch Eschenbruch in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 103 Rz. 48; von Engelhardt/Kaelble in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 103 Rz. 56.

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rücksichtigung des Gleichbehandlungsgebotes und des Diskriminierungsverbotes erfolge1 (s. hierzu auch Rz. 20). c) Reverstaatlichung/Rekommunalisierung Nach Ablauf eines Vertrages zur Privatisierung kann sich seitens des öffentlich- 183 rechtlichen Aufgabenträgers ein Interesse ergeben, die Aufgabe künftig wieder durch eine eigene Dienststelle zu erledigen. Eine solche Rückverlagerung bei der Aufgabenwahrnehmung wird als Reverstaatlichung bzw. Rekommunalisierung bezeichnet. Bei der reinen Rückverlagerung der Aufgabenerfüllung auf den originär zuständigen Aufgabenträger handelt es sich grundsätzlich um einen dem vergaberechtsfreien Akt der Verwaltungsorganisation2. Siehe ausführlich zum Ganzen oben unter Rz. 56 ff. d) Beihilferechtliche Implikationen Unabhängig vom Vergaberecht können sich bei der Veräußerung von Unter- 184 nehmensanteilen – wie auch allgemein bei der Veräußerung sonstigen staatlichen Vermögens (wie z.B. Grundstücke)3 – gewisse Ausschreibungspflichten aufgrund beihilferechtlicher Implikationen ergeben bzw. zumindest empfehlen4. Hintergrund der Anwendbarkeit des EU-Beihilferechts ist in sachlicher Hinsicht, dass der Verkauf unter dem Marktwert eine unzulässige Beihilfe i.S.v. Art. 107 Abs. 1 AEUV zugunsten des Erwerbers/Unternehmers darstellt. Deshalb muss verfahrensrechtlich belegt werden, dass die Veräußerung zum Markt1 EuGH v. 15.10.2009 – Rs. C-196/08, NZBau 2009, 804 (808) – Rz. 61 ff. – Acoset; sowie Eschenbruch in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 103 Rz. 50 f. 2 Eschenbruch in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 103 Rz. 131; von Engelhardt/Kaelble in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 103 Rz. 60; Ganske in Landmann/Rohmer, Umweltrecht, Stand: Februar 2012, § 56 WHG Rz. 69; Queitsch in Wellmann/Queitsch/Fröhlich, Wasserhaushaltsgesetz, 2016, § 56 Rz. 29. 3 Vgl. zur parallel gelagerten Problematik bei Grundstücksgeschäften die Mitteilung der EU-Kommission vom 10.7.1997 betreffend Elemente staatlicher Beihilfe bei Verkäufen von Bauten oder Grundstücken durch die öffentliche Hand, ABl. EU C 209, S. 3 ff.; sowie Rz. 191. Formal betrachtet wurde die sog. Grundstücksmitteilung aus 1997 im Jahr 2016 durch die insoweit komprimierte Bekanntmachung der EU-Kommission zum Begriff der staatlichen Beihilfe ersetzt (vgl. ABl. EU 2016 C 262/1). Es ist gleichwohl davon auszugehen, dass die Kommission ihre Entscheidungspraxis weiterhin an den ausführlicheren Darstellungen der Grundstücksmitteilung ausrichten wird, soweit diese nicht in Widerspruch zu der neuen Bekanntmachung stehen. 4 Vgl. Eschenbruch in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 103 Rz. 120 ff.; von Engelhardt/Kaelble in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 103 Rz. 54; Kristoferitsch, EuZW 2006, 428 ff.; EG-Kommission v. 11.4.2000 – 2000/628/EG – Centrale del Latte di Roma, ABl. Nr. L 265/15 v. 19.10.2000.

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§ 103 | Öffentliche Aufträge, Rahmenvereinbarungen und Wettbewerbe wert erfolgt. Anderenfalls droht die Gefahr einer nachträglichen Überprüfung durch die Europäische Kommission. Rechtsfolge einer unzulässigen Beihilfe ist die Unwirksamkeit bzw. zumindest die Teilunwirksamkeit des Vertrages mit der Folge, dass die Differenz zwischen Marktpreis und Kaufpreis vom Erwerber zusätzlich gezahlt werden muss1. 185 Das EU-Beihilfenrecht verlangt daher die Führung des Nachweises, dass der

Verkauf zum Marktwert erfolgt. Entsprechendes fordert – wenn auch aus anderen Motiven heraus – auch das nationale Haushaltsrecht, nach dem staatliches Vermögen im Regelfall ebenfalls nur zum vollen Wert veräußert werden darf (vgl. z.B. § 63 Abs. 3 BHO, § 63 Abs. 3 LHO und § 90 Abs. 3 GO NRW).

186 Der Nachweis der Marktkonformität kann – primär – durch die Durchführung

eines wettbewerblichen, transparenten, diskriminierungs- und bedingungsfreien Ausschreibungsverfahrens erbracht werden. Nach der Rechtsprechung des EuGH kann grundsätzlich vermutet werden, dass das höchste Gebot des Bieterverfahrens den Marktpreis widerspiegelt, wenn dieses Verfahren mit den vergaberechtlichen EU-Vorschriften in Einklang steht2. Etwas anderes kann ausnahmsweise gelten, wenn nur ein einziges Angebot abgegeben wurde3 oder wenn das im Rahmen einer Ausschreibung abgegebene Höchstgebot aus spekulativen Motiven des Bieters weit oberhalb des tatsächlichen Wertes des zu veräußernden Vermögenswertes liegt4. Die Durchführung eines marktgerechten Ausschreibungsverfahrens ist daher im Regelfall ein geeignetes und regelmäßig auch das am besten geeignete Mittel zum Nachweis der Marktkonformität5. Allerdings gibt es keine Vorschrift, die die Durchführung eines strukturierten Bieterverfahrens zur Ermittlung eines marktüblichen Preises zwingend vorschreibt. Die Marktkonformität des Verkaufs von Vermögenswerten kann daher – sekun-

1 Vgl. BGH v. 5.12.2012 – I ZR 92/11, MDR 2013, 897 = EuZW 2013, 753 ff. mit Anm. Bartosch; Cremer in Calliess/Ruffert, EUV/AEUV-Kommentar, 4. Aufl. 2011, Art. 108 Rz. 26 ff.; Otting, VPR 2013, 8. 2 Vgl. Kommission, Bekanntmachung zum Begriff der staatlichen Beihilfe, ABl. EU 2016 C 262/1, Rz. 89 ff. Mit der von der Kommission im Sommer 2016 angenommenen Bekanntmachung zum Beihilfebegriff ist zudem eine Angleichung des Beihilfenrechts an das Vergaberecht derart erfolgt, dass die Kommission nunmehr grundsätzlich alle in den EU-Vergaberichtlinien vorgesehenen Verfahren als zum Ausschluss einer Begünstigung geeignet ansieht (z.B. auch das sog. Verhandlungsverfahren mit Teilnahmewettbewerb), sofern alle Voraussetzungen für die Anwendung der jeweiligen Verfahrensart erfüllt sind. 3 Kommission, Bekanntmachung zum Begriff der staatlichen Beihilfe, ABl. EU 2016 C 262/1, Rz. 93. 4 EuGH v. 16.7.2015 – Rs. C-39/14, ECLI:EU:C:2015:470 – BVVG Bodenverwertungs- und -verwaltungs GmbH. 5 Ähnlich Eschenbruch in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 103 Rz. 122; Braun, VergabeR 2006, 657 (659); hiervon ausgehend wohl auch von Engelhardt/Kaelble in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 103 Rz. 54.

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där – auch außerhalb eines Ausschreibungsverfahrens auf der Grundlage eines Benchmarkings oder anderer Bewertungsmethoden erfolgen. Für den Verkauf von Grundstücken sieht die EU-Kommission als alternative Möglichkeit zur Ermittlung des Marktwerts beispielsweise ausdrücklich ein vor den Verkaufsverhandlungen eingeholtes Gutachten eines unabhängigen Sachverständigen auf der Grundlage anerkannter Marktindikatoren und Bewertungsstandards vor1. Es ist indes allgemein anerkannt, dass diese Möglichkeit nicht auf Grundstücksgeschäfte beschränkt ist, sondern in gleicher Weise bei sonstigen Transaktionen der öffentlichen Hand besteht2. Im Einklang hiermit hat auch der BGH festgestellt: „Wird bei der Veräußerung eines nur einmal vorhandenen Gegenstandes (Unikats) durch die öffentliche Hand auf ein bedingungsfreies Bieterverfahren verzichtet, kann nicht davon ausgegangen werden, dass ein für das Kaufobjekt tatsächlich gebotener Preis beihilfefrei ist. Vielmehr muss dann eine objektive Wertermittlung erfolgen.“3 Welche Bewertungsmethode für die gutachterliche Ermittlung des Marktpreises im Einzelfall am besten geeignet ist, hängt von der Marktsituation, der Verfügbarkeit von Daten oder der Art der Transaktion ab4. Vor diesem Hintergrund – und um komplizierte Rückabwicklungen zu vermei- 187 den – hat die Europäische Kommission bereits im Jahre 1991 in ihrem XXIII. Wettbewerbsbericht Leitlinien zur Privatisierung herausgegeben5. Die Leitlinien sind für die Mitgliedstaaten rechtlich indes nicht bindend, sondern entfalten lediglich eine Selbstbindungswirkung für die Kommission als solche6. Sie nennen jene Verfahren, die aus Sicht der Kommission zur Ermittlung eines objektiven Marktpreises führen7: „(1) Verkauf über die Börse: Für die Kommission führt eine Privatisierung über die Börse zur Ermittlung eines objektiven Preises. (2) Verkauf im Rahmen eines Bietverfahrens: Ein Verkauf im Rahmen eines offenen, transparenten und bedingungsfreien Bietverfahrens führt ebenso zur Er1 Mitteilung der EU-Kommission vom 10.7.1997 betreffend Elemente staatlicher Beihilfe bei Verkäufen von Bauten oder Grundstücken durch die öffentliche Hand, ABl. EU C 209, S. 3 ff. 2 Vgl. hierzu jeweils m.w.N. Núñez Müller in MünchKomm zum Beihilfen- und Vergaberecht, Kapitel D, Rz. 302 m.w.N.; Wollenschläger in Birnstiel/Bungenberg/Heinrich, Kommentar zum Beihilfenrecht, Kapitel I, Rz. 479. 3 BGH v. 5.12.2012 – I ZR 92/11, MDR 2013, 897 = EuZW 2013, 753 ff., Rz. 25. 4 Kommission, Bekanntmachung zum Begriff der staatlichen Beihilfe, ABl. EU 2016 C 262/1, Rz. 103. 5 Vgl. Kommission, XXI. Wettbewerbsbericht (1991), Rz. 248. 6 Kristoferitsch, EuZW 2006, 428 (429). 7 Vgl. zum Ganzen auch Kristoferitsch, EuZW 2006, 428 (429); sowie auch Eschenbruch in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 103 Rz. 121.

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§ 103 | Öffentliche Aufträge, Rahmenvereinbarungen und Wettbewerbe mittlung eines objektiven Marktpreises. Es besteht keine Notifikationspflicht, wenn an den Höchstbieter verkauft wird. (3) Unabhängiges Wertgutachten: Dieses Verfahren wurde noch nicht im XXIII. Wettbewerbsbericht genannt und zunächst nur bei Grundstücksverkäufen angewandt.“ 188 Hierauf wird auch in der (neueren) Arbeitsunterlage der Kommissionsdienst-

stellen vom 10.2.2012, dem sog. „Leitfaden zur beihilfenkonformen Finanzierung, Umstrukturierung und Privatisierung staatseigener Unternehmen“1 Bezug genommen und ergänzend ausgeführt:

„Im XXIII. Wettbewerbsbericht der Kommission wird erläutert, wie die Kommission die Voraussetzungen auslegt, die erfüllt sein müssen, damit im Falle einer Privatisierung das Vorgehen eines Staates als Verhalten eines marktwirtschaftlich handelnden Verkäufers betrachtet werden kann. Erfolgt die Privatisierung über einen Börsengang oder einen Verkauf von Aktien an der Börse wird in der Regel davon ausgegangen, dass dies zu marktüblichen Bedingungen erfolgt (da der Preis der Marktpreis ist) und keine staatliche Beihilfe vorliegt. Das Vorhaben muss deshalb nicht vorab bei der Kommission angemeldet werden. Dies trifft jedoch nicht in allen Fällen zu. Insbesondere in Zeiten finanzieller oder wirtschaftlicher Instabilität wie der derzeitigen Krise könnte dies zu einer niedrigen Bewertung des zu privatisierenden Unternehmens führen. Erfolgt die Privatisierung hingegen im Zuge einer Veräußerung, d.h. wird das betreffende Unternehmen als Ganzes oder in Teilen außerbörslich an andere Unternehmen verkauft, müssen alle folgenden Kriterien erfüllt sein, damit ohne weitere Prüfung das Vorliegen einer staatlichen Beihilfe und somit eine Anmeldepflicht ausgeschlossen werden können. – Es muss eine Ausschreibung durchgeführt werden, die allen Interessenten offensteht, die transparent ist und an keine weiteren Bedingungen geknüpft ist wie den Erwerb von Vermögenswerten, für die im Rahmen der Ausschreibung nicht geboten wird, oder die Weiterführung bestimmter Geschäftstätigkeiten. – Das Unternehmen/die Vermögenswerte muss/müssen an den Meistbietenden veräußert werden und – die Bieter müssen genug Zeit und ausreichende Informationen erhalten, um eine genaue Bewertung der Vermögenswerte vornehmen zu können, die sie ihrem Angebot zugrunde legen. Wenn diese Voraussetzungen nicht erfüllt sind, müssen per Veräußerung erfolgende Privatisierungen bei der Kommission angemeldet werden. Dies trifft ins1 Kommission, Leitfaden zur beihilfenkonformen Finanzierung, Umstrukturierung und Privatisierung staatseigener Unternehmen v. 10.2.2012, swd (2012) 14, abrufbar unter http://ec.europa.eu/competition/state_aid/studies_reports/swd_guidance_paper_de.pdf.

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besondere zu für 1.) Veräußerungen im Anschluss an eine Verhandlung mit einem einzigen Interessenten oder einer Reihe ausgewählter Bieter; 2.) jede Veräußerung, der eine Schuldentilgung durch den Staat, sonstige öffentliche Unternehmen oder eine öffentliche Körperschaft vorausging, sowie jede Veräußerung, der eine Umwandlung der Verbindlichkeiten in eine Kapitalbeteiligung bzw. eine Kapitalaufstockung vorausging (siehe Abschnitt über vorbereitende Maßnahmen) und 3.) Veräußerungen zu Bedingungen, die bei vergleichbaren Transaktionen zwischen Privatparteien nicht üblich sind.“ Darüber hinaus hat auch das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie im 189 sog. „Sensibilisierungspapier: Unternehmensprivatisierungen“1 in diesem Zusammenhang auf Folgendes hingewiesen: – „Zweck des Vergaberechts ist nämlich nicht nur die Sicherstellung eines wirtschaftlichen Umgangs mit Haushaltsmitteln, sondern auch der Schutz des Wettbewerbs. – Eine (ungewollte) Beihilfe kann vermieden werden, indem ein öffentliches Ausschreibungsverfahren mit der vergaberechtlich gebotenen Offenheit, Transparenz, Diskriminierungsfreiheit und relative Unbedingtheit durchgeführt wird. – Bei der Verwendung von Bedingungen besteht allgemein das Risiko, dass diese potentielle Interessenten von der Angebotsabgabe abschrecken und dadurch eine unangemessene Reduktion des Preises entsteht, der mit dem Wert des Objektes nicht mehr in Verhältnis steht. Handelt es sich bei dem Objekt um ein zu privatisierendes staatliches Unternehmen und ist die Bedingung für dieses Unternehmen von begünstigender Natur, kann darin eine im Grundsatz unzulässige Beihilfe liegen. – Zur Offenheit des Verfahrens gehört, dass potentielle Anbieter im Vorfeld oder während des Vergabeverfahrens nicht diskriminiert werden, sodass diese nicht von einer Angebotsabgabe abgeschreckt werden. Eine solche Diskriminierung könnte das letztlich den Zuschlag erhaltende Unternehmen vom grundsätzlich erwünschten Wettbewerbsdruck befreien, wodurch dieses entsprechend schlechtere Angebote machen kann – worin bei Erteilung des Zuschlags zu diesen schlechten Bedingungen wieder eine unzulässige Beihilfe läge. – Grundsätzlich gilt: Die Gefahr einer Beihilfengewährung nimmt ab, je strenger sich an den Vorgaben des Vergaberechts orientiert wird.“

1 Bundesministerium für Wirtschaft und Energie, Sensibilisierungspapier: Unternehmensprivatisierungen, Februar 2016, Az.: BMWi-EA6, abrufbar unter http://www.bmwi.de/ BMWi/Redaktion/PDF/B/beihilfenkontrollpolitik-sensibilisierungspapier-3-unternehmens privatisierungen,property=pdf,bereich=bmwi2012,sprache=de,rwb=true.pdf.

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§ 103 | Öffentliche Aufträge, Rahmenvereinbarungen und Wettbewerbe 2. Grundstücksgeschäfte/städtebauliche Verträge 190 Das Städtebaurecht gilt heute als ein Paradebeispiel des kooperativen Verwal-

tungshandelns. Die verstärkte Einbeziehung Privater in die Verwirklichung öffentlicher Zwecke wirft jedoch zugleich die Frage nach der Eröffnung des Anwendungsbereichs des Vergaberechts auf1. Die Frage, ob und wenn ja, unter welchen konkreten Voraussetzungen Verträge mit städtebaulichen Bezügen als öffentliche Aufträge anzusehen sind, ist eine der in den letzten Jahren meist diskutierten Fragen des Vergaberechts. Bei den insoweit in Rede stehenden Vertragswerken handelt es sich insbesondere um „richtige“ städtebauliche Verträge gem. §§ 11, 12 BauGB, um Erschließungsverträge gem. §§ 124 ff. BauGB sowie Verträge im Zusammenhang mit sog. Business Improvement Districts (BIDs). Ob derartige Verträge – insbesondere in Abgrenzung zu den reinen, nicht dem Vergaberecht unterfallenden Grundstücksveräußerungsverträgen – einen ausschreibungspflichtigen öffentlichen Auftrag i.S.v. § 103 Abs. 1, insbesondere einen öffentlichen Bauauftrag gem. § 103 Abs. 3, bzw. ggf. auch eine öffentliche Baukonzession gem. § 105 Abs. 1 Nr. 1 darstellen, muss letztlich für jeden Einzelfall gesondert beurteilt werden2. Dabei ist insbesondere auf die oben unter Rz. 70 ff. dargestellten Grundsätze zurückzugreifen. Verallgemeinernd und typisierend lässt sich – ergänzend zu dem oben unter Rz. 70 ff. Ausgeführten – jedoch Folgendes festhalten: a) Reine Grundstücksverträge

191 Verträge über die bloße Überlassung von Grundstücken an Private, z.B. im Wege

der Veräußerung oder Verpachtung, bzw. die Einräumung eines Erbbaurechts3 zugunsten eines Privaten, aus denen sich keine städtebaulichen Verpflichtungen ergeben, die über die ohnehin zu beachtenden öffentlich-rechtlichen Bauvorschriften und Bebauungspläne hinausgehen, stellen mangels eines Beschaffungsbezugs keinen öffentlichen Auftrag dar4. Fraglich ist jedoch, ob für solche Grund-

1 Burgi, NVwZ 2008, 929 (930). 2 Ebenso Burgi, NVwZ 2008, 929. 3 Die Einräumung eines zeitlich befristeten Erbbaurechts – als Alternative zur Grundstücksveräußerung – ist in der städtebaulichen Praxis von nicht unerheblicher Relevanz. Die vergaberechtliche Einordnung kann dabei im Einzelfall schwierig sein. In Betracht kommen grundsätzlich eine Baukonzession i.S.v. § 105 Abs. 1 Nr. 1, ein öffentlicher Bauauftrag i.S.v. § 103 Abs. 3 oder ggf. auch eine vergaberechtsfreie Gestaltung. Siehe vertiefend zum Ganzen die Kommentierung zu § 105 Rz. 51; Ganske in Kapellmann/Messerschmidt, VOB Teile A und B, 6. Aufl. 2017, § 22 VOB/A Rz. 30; sowie Düsterdiek in Ingenstau/Korbion, VOB – Teile A und B – Kommentar, § 23 VOB/A Rz. 15 und 39. 4 EuGH v. 25.3.2010 – Rs. C-451/08, NZBau 2010, 321 ff., Rz. 58 – Helmut Müller GmbH; OLG Düsseldorf v. 2.10.2008 – VII-Verg 25/08, NZBau 2008, 727 (731); OLG Düsseldorf v. 12.12.2007 – VII-Verg 30/07, NZBau 2008, 138, 140; OLG Bremen v. 13.3.2008 – Verg 5/07, NZBau 2008, 336 (337 f.); VK Brandenburg v. 15.2.2008 – VK 2/08, NZBau 2008,

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stücksgeschäfte allein das EU-Beihilferecht1 sowie das nationale Haushaltsrecht den rechtlichen Rahmen bilden2, oder ob die Grundfreiheiten des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV), insbesondere die Dienstleistungsfreiheit des Art. 56 AEUV sowie das Diskriminierungsverbot des Art. 18 AEUV es erfordern, dass auch die Veräußerung von Grundstücken in einem transparenten und strukturierten Wettbewerbsverfahren erfolgen muss3. Hintergrund für die letztgenannte Ansicht ist, dass der EuGH in ständiger Rechtsprechung für Auftragsvergaben, die, wie die Vergabe unterhalb der Schwellenwerte und früher, d.h. bis zur Vergaberechtsreform 2016, auch die Vergabe von Dienstleitungskonzessionen, nicht dem Vergaberecht (i.e.S.) unterliegen, gleichwohl die Durchführung eines strukturierten Bieterverfahrens bzw. Wettbewerbsverfahrens (i.w.S.) verlangt (s. hierzu Rz. 160). Dies ist nicht fernliegend, da Sinn und Zweck dieser Verpflichtung auf Grundstücksverkäufe zu gewerblichen Zwecken im Grundsatz ebenso zutrifft wie auf die Vergabe von Dienstleistungskonzessionen, die nunmehr sogar dem Regime des Vergaberechts (i.e.S.) unterstellt sind und daher für die Übertragbarkeit der EuGH-Rechtsprechung ins Feld geführt werden könnten. Dagegen spricht allerdings, dass die EU-Kommission in der sog. Grundstücksmitteilung4 eine derartige Verpflichtung gerade nicht angenommen

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344; VK Hessen v. 5.3.2008 – 69d-VK-06/2008, NZBau 2008, 339 (343 f.); Kulartz/Schilder/Duikers in Deutscher Städte- und Gemeindebund (Hrsg.), Kommunale Immobiliengeschäfte und Ausschreibungspflicht, DStGB Dokumentation Nr. 79, Ausgabe 4/2008, S. 14; Burgi, NVwZ 2008, 929, 934; Reidt, BauR 2007, 1664 (1672). A.A. VK Münster v. 26.9.2007 – VK 17/07, NZBau 2007, 736, die die Anwendbarkeit des Vergaberechts mit der Begründung bejaht hat, dass die Gemeinde im unbeplanten Innenbereich gem. § 34 BauGB Einflussmöglichkeiten besitze, mit denen sie die Erteilung der Baugenehmigung so lange hinauszögern könne, bis der Bauherr ihren Vorgaben gemäß umgeplant habe. Die Ansicht der VK Münster ist jedoch abzulehnen. Es wird verkannt, dass der Gemeinde bei der Erteilung der Baugenehmigung nach § 34 BauGB kein Ermessen zukommt, vgl. VK Brandenburg v. 15.2.2008 – VK 2/08, NZBau 2008, 344. Zu Recht kritisch daher Schröer/Rosenkötter, NZBau 2007, 770 (771). Vgl. in diesem Zusammenhang insbesondere auch die Mitteilung der EU-Kommission vom 10.7.1997 betreffend Elemente staatlicher Beihilfe bei Verkäufen von Bauten oder Grundstücken durch die öffentliche Hand, ABl. C 209, S. 3 ff. So Kallmayer/Diekamp in Deutscher Städte- und Gemeindebund (Hrsg.), Kommunale Immobiliengeschäfte und Ausschreibungspflicht, DStGB Dokumentation Nr. 79, Ausgabe 4/2008, S. 27 f.; Burgi, NVwZ 2008, 929 (934). In diesem Sinne – zumindest für Grundstücksverkäufe zu gewerblichen Zwecken – Jasper/Seidel, NZBau 2008, 427 (428 f.); sowie auch Hertwig, NZBau 2011, 9 (10), der insoweit von einer „materiellen Ausschreibungspflicht“ spricht. Weniger eindeutig bzw. eine Ausschreibungspflicht mittelbar (wohl) sogar verneinend dagegen Jasper/Biemann, Bundesbaublatt 09/2011, S. 34, 35. Mitteilung der EU-Kommission vom 10.7.1997 betreffend Elemente staatlicher Beihilfe bei Verkäufen von Bauten oder Grundstücken durch die öffentliche Hand, ABl. C 209, S. 3 ff. Formal betrachtet wurde die sog. Grundstücksmitteilung aus 1997 im Jahr 2016 durch die insoweit komprimierte Bekanntmachung der EU-Kommission zum Begriff der

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§ 103 | Öffentliche Aufträge, Rahmenvereinbarungen und Wettbewerbe hat. Der darin enthaltene Hinweis, dass ein Beihilfeverstoß u.a. durch die Durchführung eines Wettbewerbsverfahrens vermieden werden kann, aber eben auch durch ein Wertgutachten eines unabhängigen Sachverständigen, wäre überflüssig bzw. sogar falsch, wenn unabhängig vom und außerhalb des Beihilferechts jeder Grundstücksverkauf in einem Wettbewerbsverfahren erfolgen müsste. Weiter ist zu berücksichtigen, dass es auch nach Ansicht des BGH einem Hoheitsträger frei steht, zu bestimmen, auf welchem Weg er einen Grundstückskäufer sucht1. Schließlich ist – einschränkend – auch zu beachten, dass die Anwendung der Vorschriften des AEUV bzw. der unionsrechtlichen Prinzipien stets auch eine sog. Binnenmarktrelevanz des in Rede stehenden Einzelfalls voraussetzt2. Mit anderen Worten: Die in Rede stehende „Vergabe“ muss einen hinreichenden Zusammenhang mit dem Funktionieren des Binnenmarkts aufweisen, d.h. umgekehrt, dass die zu erwartende wirtschaftliche Bedeutung nicht derart geringfügig sein darf, dass Unternehmen aus anderen EU-Mitgliedstaaten kein Interesse daran haben dürften, so dass die Auswirkungen auf die betreffenden Grundfreiheiten daher letztlich zu zufällig und zu mittelbar wären, als dass auf eine Verletzung dieser Freiheiten geschlossen werden könnte3. Diesbezüglich besteht eine Prüfungskompetenz des öffentlichen Auftraggebers4. Dieser hat zu prognostizieren, ob in Anbetracht der konkreten Marktverhältnisse, der wirtschaftlichen Bedeutung des Vertrages, der Art des Auftragsgegenstands, den Gepflogenheiten der angesprochenen Branchenkreise und etwaiger Besonderheiten des betroffenen Sektors sowie der geographischen Lage des Orts der Leistungserbringung ein Interesse von Wirtschaftsteilnehmern aus anderen Mitgliedsstaaten der Europäischen Union bestehen könnte5.

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staatlichen Beihilfe ersetzt (vgl. ABl. EU 2016 C 262/1). Es ist gleichwohl davon auszugehen, dass die Kommission ihre Entscheidungspraxis weiterhin an den ausführlicheren Darstellungen der Grundstücksmitteilung ausrichten wird, soweit diese nicht in Widerspruch zu der neuen Bekanntmachung stehen. BGH v. 22.2.2008 – V ZR 56/07, MDR 2008, 736 = VergabeR 2008, 649 ff. Einschränkend ist allerdings darauf hinzuweisen, dass die (apodiktische) Entscheidung des BGH wohl nur von begrenzter Bedeutung ist, weil ihr nicht zu entnehmen ist, ob bzw. dass der BGH die unionsrechtliche Problematik überhaupt gesehen hat. Vgl. zum Begriff der Binnenmarktrelevanz EuGH v. 6.10.2016 – Rs. C-318/15, NZBau 2016, 781 ff. – Tecnoedi Construzioni; EuGH v. 16.4.2015 – Rs. C-278/14, NZBau 2015, 383 ff. – SC Enterprise Focused Solutions; EuGH v. 15.5.2008 – Rs. C-147/06, ZfBR 2008, 511 ff. – SECAP; Deling, NZBau 2011, 725 ff.; Deling, NZBau 2012, 17 ff.; Diehr, VergabeR 2009, 719 ff.; Vavra, VergabeR 2013, 384 ff. Vgl. hierzu beispielsweise EuGH v. 21.7.2005 – Rs. C-231/03, Rz. 20 – Coname; Deling, NZBau 2011, 725 ff. EuGH v. 15.5.2008 – Rs. C-147/06, ZfBR 2008, 511 ff., Rz. 30 f. – SECAP. Vgl. EuGH v. 16.4.2015 – Rs. C-278/14, NZBau 2015, 383 ff., Rz. 20 – SC Enterprise Focused Solutions; EuGH v. 15.5.2008 – Rs. C-147/06, ZfBR 2008, 511 ff., Rz. 30 f. – SECAP; EuGH v. 21.7.2005 – Rs. C-231/03, Rz. 20 – Coname; Deling, NZBau 2011, 725 ff.; Deling, NZBau 2012, 17 ff.; Diehr, VergabeR 2009, 719 ff.; Vavra, VergabeR 2013, 384 ff.

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b) Grundstücksbezogene Verträge unter Begründung städtebaulicher Pflichten Im Mittelpunkt der bisherigen Diskussion stehen die Fälle der Begründung städ- 192 tebaulicher Pflichten in einem grundstücksbezogenen Vertrag oder der Kombination von grundstücksbezogenem Vertrag und städtebaulichem Vertrag gem. § 11 BauGB bzw. § 12 BauGB1. aa) Historische Entwicklung der nationalen Rechtsprechung Der diesbezügliche Stand der nationalen Rechtsprechung wurde bis zum Jahr 193 2007 durch die Entscheidungen des BayObLG vom 19.10.2000 („Parkgarage“)2 sowie des VGH Kassel vom 20.12.2005 („Investorenauswahlverfahren“)3 wiedergegeben. Das BayObLG hat das Vorliegen eines öffentlichen Auftrags bzw. einer öffentlichen Baukonzession für einen Grundstücksvertrag (Erbbaurecht) sowie einen Durchführungsvertrag gem. § 12 BauGB mit der Begründung verneint, dass der Durchführungsvertrag auf die Realisierung des Vorhabens an sich und nicht auf die Erbringung einer Bauleistung an die betroffenen Kommune gerichtet sei4. Der VGH Kassel entschied, dass ein Investorenauswahlverfahren, in dem ein Erwerber für ein Treuhandgrundstück ausgewählt werden sollte, der das Grundstück nach den Vorstellungen des öffentlichen Auftraggebers bebauen sollte, nicht dem Vergaberecht unterfällt, da mit diesem keine Leistung an den öffentlichen Auftraggeber, sondern nur die Umsetzung städtebaulicher Gestaltungsvorstellungen verbunden sei5. Dies entsprach der bis dato allgemeinen Einschätzung und Praxis6. Im Gegensatz dazu hat das OLG Düsseldorf mit Beschluss vom 13.6.2007 194 („Fliegerhorst Alhorn“) auf der Grundlage der Rechtsprechung des EuGH im Fall „Stadt Roanne“7 entschieden, dass ein Grundstücksveräußerungsvertrag 1 2 3 4 5 6 7

Burgi, NVwZ 2008, 929 (934). BayObLG v. 19.10.2000 – Verg 9/00, NZBau 2002, 108 f. VGH Kassel v. 20.12.2005 – 3 TG 3055/05, ZfBR 2006, 806 ff. BayObLG v. 19.10.2000 – Verg 9/00, NZBau 2002, 108 f. VGH Kassel v. 20.12.2005 – 3 TG 3055/05, ZfBR 2006, 806 (807). Burgi, NVwZ 2008, 929 (930). Vgl. EuGH v. 18.1.2007 – Rs. C-220/05, Slg. I-00385, NZBau 2007, 185 ff. – Stadt Roanne. Der EuGH hat in dieser Entscheidung den Abschluss eines öffentlich-rechtlichen Raumordnungsvertrags als öffentlichen Bauauftrag, und zwar (zumindest) sowohl i.S.v. Art. 1 lit. a) Alt. 2 der Baukoordinierungsrichtlinie 93/37/EWG (entspricht Art. 1 Abs. 2 lit. b) Alt. 2 der Vergabekoordinierungsrichtlinie 2004/18/EG und Art. 2 Abs. 1 Nr. 6 lit. b) der Richtlinie 2014/24/EU) als auch i.S.v. Art. 1 lit. a) 3. Alt der Baukoordinierungsrichtlinie 93/37/EWG (entspricht Art. 1 Abs. 2 lit. b) Alt. 2 der Vergabekoordinierungsrichtlinie 2004/18/EG und Art. 2 Abs. 1 Nr. 6 lit. c) der Richtlinie 2014/24/EU) qualifiziert. Die zweite Variante war gegeben, da das Bauwerk wirtschaftlichen Tätigkeiten offenstehen und dadurch die städtische Infrastruktur verbessern sollte. Die dritte Variante lag vor,

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§ 103 | Öffentliche Aufträge, Rahmenvereinbarungen und Wettbewerbe nebst separatem Durchführungsvertrag gem. § 12 BauGB als öffentliche Baukonzession zu qualifizieren sei. Begründet hat das OLG Düsseldorf dies damit, dass ein öffentlicher Bauauftrag nicht voraussetze, dass die Bauleistung in einem gegenständlich oder körperlich zu verstehenden Sinn für den öffentlichen Auftraggeber beschafft wird und ihm unmittelbar wirtschaftlich zugutekommt1. Überdies sei der Grundstücksvertrag als eine Einheit mit dem Durchführungsvertrag, dessen Gegenstand eine Bauverpflichtung mit dem Ziel einer den Wirtschaftsstandort voranbringenden gewerblich-fliegerischen Nutzung des vormaligen Militärareals war, anzusehen2. Seine Rechtsprechung hat das OLG Düsseldorf in einer Reihe weiterer Entscheidungen bestätigt und konkretisiert. So hat es insbesondere im sog. Fall „Wuppertal-Vohwinkel“ einen Grundstücksveräußerungsvertrag mit einer darin im Interesse der Aufwertung eines Stadtteils enthaltenen Bebauungsverpflichtung, die über die Festsetzungen des vorhandenen Bebauungsplans hinausging, als öffentliche Baukonzession angesehen3. Hervorzuheben ist in diesem Zusammenhang insbesondere die Aussage des OLG Düsseldorf, dass die dritte Variante des § 99 Abs. 3 GWB a.F. – so sie denn zur Erfassung möglicher Umgehungen einen Sinn haben soll – nicht von der Ausweil die Stadt Roanne in der Vereinbarung detaillierte Erfordernisse für die Errichtung der baulichen Anlage aufgestellt hatte (Multiplex-Kino, Räumlichkeiten, Dienstleistungen bei Freizeitaktivitäten, Parkplatz), mit denen in ihrer Gesamtheit versucht werden sollte, das Bahnhofsviertel aufzuwerten und zu beleben (vgl. EuGH v. 18.1.2007 – Rs. C-220/05, Slg. I-00385, NZBau 2007, 185 [188] – Rz. 41 f.; Schlussanträge der Generalanwältin Kokott v. 15.6.2006 in der Rs. C-220/05, Slg. 2007, I-00385, Rz. 33). Dabei hat der EuGH zum einen die nationale Rechtsnatur des Vertrages für die vergaberechtliche Beurteilung für unmaßgeblich erklärt (vgl. EuGH v. 18.1.2007 – Rs. C-220/05, Slg. I00385, NZBau 2007, 185 [188] – Rz. 40 unter Hinweis auf EuGH v. 20.10.2005 – Rs. C-264/03, Slg. 2005, I-8831, Rz. 36; so bereits auch EuGH v. 12.7.2001 – Rs. C-399/98, Slg. I-05409, NZBau 2001, 512 [515] – Rz. 66 – Teatro alla Bicocca). Zum anderen hat der EuGH festgestellt, dass ein öffentlicher Bauauftrag unabhängig davon gegeben sei, ob der öffentliche Auftraggeber Eigentümer des gesamten Bauwerks oder eines Teils davon ist oder wird (vgl. EuGH v. 18.1.2007 – Rs. C-220/05, Slg. I-00385, NZBau 2007, 185 [188] – Rz. 47). Der öffentliche Auftraggeber kann das zu errichtende Bauwerk mithin selbst nutzen oder es der Allgemeinheit oder einzelnen (auch privaten) Dritten zur Verfügung stellen. Vgl. hierzu auch Dicks in Deutscher Städte- und Gemeindebund (Hrsg.), Kommunale Immobiliengeschäfte und Ausschreibungspflicht, DStGB Dokumentation Nr. 79, Ausgabe 4/2008, S. 7. 1 Vgl. hierzu auch Dicks in Deutscher Städte- und Gemeindebund (Hrsg.), Kommunale Immobiliengeschäfte und Ausschreibungspflicht, DStGB Dokumentation Nr. 79, Ausgabe 4/2008, S. 8, der ausdrücklich klarstellt, dass das OLG Düsseldorf – entgegen zuweilen vorgenommener Deutungen – nicht grundsätzlich und vollständig auf das Beschaffungselement verzichtet. Siehe insoweit auch OLG Düsseldorf v. 2.10.2008 – VII-Verg 25/08, NZBau 2008, 727 ff. 2 OLG Düsseldorf v. 13.6.2007 – VII-Verg 2/07, NZBau 2007, 530 ff. 3 OLG Düsseldorf v. 12.12.2007 – VII-Verg 30/07, NZBau 2008, 138 ff., mit Anm. Schabel, VergabeR 2008, 103 ff.

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Öffentliche Aufträge, Rahmenvereinbarungen und Wettbewerbe | § 103

gestaltung als Bauauftrag und erst recht nicht von einer Verpflichtung des Auftragnehmers zur Herstellung des Bauwerks abhängig zu machen sei1. Im sog. Fall „Oer-Erkenschwick“ wurde ein Grundstücksveräußerungsvertrag mit darin enthaltenen städtebaulichen Pflichten bei Fehlen eines Bebauungsplans als öffentliche Baukonzession qualifiziert2. Dabei hat sich das OLG Düsseldorf insbesondere mit der Definition der öffentlichen Baukonzession auseinandergesetzt und hierzu festgestellt: Die Definition der Baukonzession enthält kein Tatbestandsmerkmal, wonach der Konzessionär kein Eigentum am Bauwerk erwerben darf oder das Eigentum nach Ablauf eines Konzessionszeitraums auf den öffentlichen Auftraggeber übergehen muss. Soll der Konzessionär Eigentümer werden, kann auch nicht so getan werden, als beruhe seine Befugnis, das Bauwerk zu nutzen und zu verwerten, auf einem von der Erteilung des Bauauftrags völlig unabhängigen Übertragungsakt des öffentlichen Auftraggebers. Die Gegenauffassung verkennt, dass die Eigentümerstellung vom Auftraggeber abgeleitet ist und der Konzessionär mit der Eigentumsübertragung auch erst das Recht zur Nutzung des späteren Bauwerks erhält. Der Grundstückskaufvertrag und der Bauauftrag hängen zusammen. Die Verträge sind deshalb auch rechtlich in einer Zusammenschau zu betrachten. Bei jeder anderen Sichtweise sind unerwünschte Umgehungen des Vergaberechts zu erwarten, die seiner Zielsetzung widersprechen. Dass der Konzessionär im Gegenzug einen Kaufpreis an den öffentlichen Auftraggeber zahlt, rechtfertigt keine andere rechtliche Beurteilung. Denn es stellt kein gesetzliches Merkmal der Baukonzession dar, dass sie unentgeltlich zu gewähren ist3. Die insoweit gefestigte sog. „Ahlhorn-Linie“ hat das OLG Düsseldorf bislang konsequent fortgeführt4. Die Rechtsprechung des OLG Düsseldorf hat seinerzeit sowohl im Ergebnis als 195 auch in der Begründung keineswegs ungeteilte Zustimmung gefunden; insbesondere in der Literatur hat sie sogar heftige Kritik erfahren5. In der Recht1 2 3 4

OLG Düsseldorf v. 12.12.2007 – VII-Verg 30/07, NZBau 2008, 138 ff. OLG Düsseldorf v. 6.2.2008 – VII-Verg 37/07, NZBau 2008, 271 ff. OLG Düsseldorf v. 6.2.2008 – VII-Verg 37/07, NZBau 2008, 271 ff. Vgl. OLG Düsseldorf v. 30.4.2008 – VII-Verg 23/08, NZBau 2008, 461 ff.; OLG Düsseldorf v. 14.5.2008 – VII-Verg 27/08, VergabeR 2008, 661 ff.; OLG Düsseldorf v. 2.10.2008 – VII-Verg 25/08, NZBau 2008, 727 ff. In allen Fällen ging es stets um die „Revitalisierung“ der betroffenen Standorte. Vgl. hierzu auch Burgi, NVwZ 2008, 929 (930 f.). 5 Amelung, Anm. zu OLG Düsseldorf v. 14.5.2008 – VII-Verg 27/08, VergabeR 2008, 664 f.; Amelung/Dörn, Anm. zu OLG Düsseldorf v. 13.6.2007 – VII-Verg 2/07, VergabeR 2007, 644 ff.; Bambring/Vogt, NJW 2008, 1855 ff.; Boesen, Anm. zu EuGH v. 18.1.2007 – Rs. C220/05, EuZW 2007, 121, 122 f. (Stadt Roanne); Burgi, NVwZ 2008, 929 ff.; Eisenreich/ Barth, NVwZ 2008, 635 ff.; Greb/Rolshoven, NZBau 2008, 163 ff.; Grotelüschen/Lübben, VergabeR 2008, 169 ff.; Hertwig/Öynhausen, KommJur 2008, 121 ff.; Horn, VergabeR 2008, 158 ff.; Losch, Anm. zu OLG Düsseldorf v. 6.2.2008 – VII-Verg 37/07, VergabeR 2008, 239 ff.; Jasper/Seidel, NZBau 2008, 427 ff.; Pietzcker, NZBau 2008, 293 ff.; Reidt, VergabeR 2008, 11 ff.; Reidt, BauR 2007, 1664 ff.; Rosenkötter/Fritz, NZBau 2007, 559 ff.;

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§ 103 | Öffentliche Aufträge, Rahmenvereinbarungen und Wettbewerbe sprechung haben sich das OLG Bremen1, das OLG Karlsruhe2 sowie die VK Brandenburg3 dem OLG Düsseldorf im Wesentlichen angeschlossen. Das OLG München hat mit Blick auf Art. 28 Abs. 2 GG erhebliche Zweifel geäußert4. Die VK Baden-Württemberg5 sowie die VK Hessen6 haben dem OLG Düsseldorf dezidiert widersprochen. Die Ablehnung betrifft vor allem die Fragen, ob auf das Element einer körperlichen Beschaffung der Bauleistung für den öffentlichen Auftraggeber verzichtet werden darf und nicht stattdessen zu fordern ist, dass die Bauleistung dem öffentlichen Auftraggeber unmittelbar wirtschaftlich zugutekommen muss (vgl. insoweit auch Rz. 26, 74 und 120 ff.), und ob einer öffentlichen Baukonzession nicht das (bis dahin ungeschriebene) Merkmal einer Befristung des Nutzungsrechts innewohnt. Darüber hinaus hat der BGH darauf hingewiesen, dass die auf der Grundlage des Vergaberechts zu den Pflichten eines Ausschreibenden entwickelten Grundsätze auf ein für den Verkauf des Grundstücks von einem Träger der öffentlichen Verwaltung gewähltes „Bieterverfahren“ nicht ohne weiteres übertragen werden können7. Schließlich kritisierte auch die Bundesregierung in Form des Entwurfs für ein Gesetz zur Modernisierung des Vergaberechts die Rechtsprechung des OLG Düsseldorf8. 196 Den seinerzeitigen Streitstand hatte das OLG Düsseldorf in seinem – instrukti-

ven – Vorlagebeschluss vom 2.10.20089 zusammengefasst und zum Anlass genommen, dem EuGH folgende neun Fragen, die den gesamten damaligen Diskussionsstand im Wesentlichen abbildeten, zur Vorabentscheidung vorzulegen: – Setzt ein öffentlicher Bauauftrag nach Art. 1 Abs. 2 b) der Richtlinie 2004/18/ EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 31.3.2004 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Bauaufträge, Lieferaufträge und Dienstleistungsaufträge konstitutiv voraus, dass die Bauleistung in einem gegenständlich oder körperlich zu verstehenden Sinn für den öffentlichen Auftraggeber beschafft wird und ihm unmittelbar wirtschaftlich zugutekommt?10

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10

Schabel, Anm. zu OLG Düsseldorf v. 12.12.2007 – VII-Verg 30/07, VergabeR 2008, 103 ff.; Sieben, BauR 2008, 1233 ff.; Vetter/Bergmann, NVwZ 2008, 133 ff.; Wagner, NJW-Spezial 2008, 12 ff.; Wagner/Görs, NVwZ 2007, 900 ff.; Ziekow, VergabeR 2008, 151 ff.; Ziekow, DVBl. 2008, 137 ff. OLG Bremen v. 13.3.2008 – Verg 5/07, NZBau 2008, 336 ff. OLG Karlsruhe v. 13.6.2008 – 15 Verg 3/08, NZBau 2007, 537 ff. VK Brandenburg v. 15.2.2008 – VK 2/08, NZBau 2008, 344. OLG München v. 4.4.2008 – Verg 4/08, NZBau 2008, 542 (544). VK Baden-Württemberg v. 7.3.2008 – 1 VK 1/08, NZBau 2008, 344. VK Hessen v. 5.3.2008 – 69d-VK-06/2008, NZBau 2008, 339 ff. BGH v. 22.8.2008 – V ZR 56/07, MDR 2008, 736 = VergabeR 2008, 649 ff. Siehe hierzu auch Rz. 191. Vgl. BT-Drucks. 16/10117. OLG Düsseldorf v. 2.10.2008 – VII-Verg 25/08, NZBau 2008, 727 ff. Verneinend OLG Düsseldorf v. 2.10.2008 – VII-Verg 25/08, NZBau 2008, 727 (730).

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– Sofern nach der Begriffsbestimmung des öffentlichen Bauauftrags in Art. 1 Abs. 2 b) der Richtlinie 2004/18/EG auf das Element der Beschaffung nicht verzichtet werden kann: Ist nach der zweiten Variante der Vorschrift eine Beschaffung anzunehmen, wenn das Bauvorhaben für den öffentlichen Auftraggeber eine bestimmte öffentliche Zweckbestimmung erfüllen (z.B. der städtebaulichen Entwicklung eines kommunalen Ortsteils dienen) soll und der öffentliche Auftraggeber kraft des Auftrags mit der rechtlichen Befugnis ausgestattet ist sicherzustellen, dass der öffentliche Zweck erreicht wird und das Bauwerk dafür künftig zur Verfügung steht?1 – Erfordert der Begriff des öffentlichen Bauauftrags nach der ersten und zweiten Variante des Art. 1 Abs. 2 b) der Richtlinie 2004/18/EG, dass der Unternehmer direkt oder indirekt zur Erbringung der Bauleistungen verpflichtet wird? Muss es sich gegebenenfalls um eine einklagbare Verpflichtung handeln?2 – Erfordert der Begriff des öffentlichen Bauauftrags nach der dritten Variante des Art. 1 Abs. 2 b) der Richtlinie 2004/18/EG, dass der Unternehmer zu Bauleistungen verpflichtet wird oder solche den Gegenstand des Auftrags bilden?3 – Unterfallen Aufträge, durch die mittels der vom öffentlichen Auftraggeber genannten Erfordernisse gewährleistet werden soll, dass das herzustellende Bauwerk für einen bestimmten öffentlichen Zweck zur Verfügung steht, und durch die dem Auftraggeber (kraft vertraglicher Abrede) zugleich die rechtliche Befugnis gegeben wird, (im mittelbaren Eigeninteresse) die Verfügbarkeit des Bauwerks für die Öffentliche Zweckbestimmung sicherzustellen, dem Begriff des öffentlichen Bauauftrags nach der dritten Variante des Art. 1 Abs. 2 b) der Richtlinie 2004/18/EG?4 – Ist der Begriff der „vom öffentlichen Auftraggeber genannten Erfordernisse“ nach Art. 1 Abs. 2 b) der Richtlinie 2004/18/EG erfüllt, wenn die Bauleistungen nach vom öffentlichen Auftraggeber geprüften und gebilligten Plänen erbracht werden sollen?5 – Ist nach Art. 1 Abs. 3 der Richtlinie 2004/18/EG eine öffentliche Baukonzession abzulehnen, wenn der Konzessionär Eigentümer des Grundstücks, auf dem das Bauwerk errichtet werden soll, ist oder wird oder die Baukonzession unbefristet erteilt wird?6 – Ist die Richtlinie 2004/18/EG – mit der Rechtsfolge einer Ausschreibungspflicht für den öffentlichen Auftraggeber – auch dann anzuwenden, wenn ein Grundstücksverkauf durch einen Dritten und die Vergabe eines öffentlichen 1 2 3 4 5 6

Bejahend OLG Düsseldorf v. 2.10.2008 – VII-Verg 25/08, NZBau 2008, 727 (730). Bejahend OLG Düsseldorf v. 2.10.2008 – VII-Verg 25/08, NZBau 2008, 727 (730 f.). Verneinend OLG Düsseldorf v. 2.10.2008 – VII-Verg 25/08, NZBau 2008, 727 (731). Bejahend OLG Düsseldorf v. 2.10.2008 – VII-Verg 25/08, NZBau 2008, 727 (731). Bejahend OLG Düsseldorf v. 2.10.2008 – VII-Verg 25/08, NZBau 2008, 727 (731). Verneinend OLG Düsseldorf v. 2.10.2008 – VII-Verg 25/08, NZBau 2008, 727 (732).

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§ 103 | Öffentliche Aufträge, Rahmenvereinbarungen und Wettbewerbe Bauauftrags zeitversetzt erfolgen, und bei Abschluss des Grundstücksgeschäfts der öffentliche Bauauftrag noch nicht erteilt worden ist, aber im letztgenannten Zeitpunkt auf Seiten des öffentlichen Auftraggebers die Zielsetzung bestanden hat, einen solchen Auftrag zu erteilen?1 – Sind die voneinander verschiedenen, aber zusammenhängenden Geschäfte über eine Grundstücksveräußerung und einen öffentlichen Bauauftrag vergaberechtlich als eine Einheit zu bewerten, wenn die Erteilung eines öffentlichen Bauauftrags im Zeitpunkt der Eingehung des Grundstücksvertrages beabsichtigt war, und die Beteiligten bewusst eine in sachlicher – und gegebenenfalls auch in zeitlicher – Hinsicht enge Verknüpfung zwischen den Verträgen hergestellt haben?2 bb) EuGH-Urteil vom 25.3.2010 in der Rechtssache „Helmut Müller GmbH“ 197 Auf den Vorlagebeschluss des OLG Düsseldorf vom 2.10.2008 (vgl. Rz. 196) hin

ist das Urteil des EuGH vom 25.3.2010 in der Rechtssache „Helmut Müller GmbH“ ergangen. In dieser (Leit-)Entscheidung hat der EuGH die restriktive, d.h. den Anwendungsbereich des Vergaberechts sehr weit ausdehnende Auffassung des OLG Düsseldorf nicht geteilt3. Im Einzelnen hat der EuGH auf die Vorlagefragen Folgendes geantwortet: – Betreffend die erste und zweite Frage hat der EuGH festgestellt, dass der Begriff „öffentliche Bauaufträge“ i.S.v. Art. 1 Abs. 2 lit. b) der Vergabekoordinierungsrichtlinie 2004/18/EG nicht voraussetzt, dass die Bauleistung, die Gegenstand des Auftrags ist, in einem gegenständlichen oder körperlich zu verstehenden Sinn für den öffentlichen Auftraggeber beschafft wird, wenn sie diesem unmittelbar wirtschaftlich zugutekommt. Die Ausübung von städtebaulichen Regelungszuständigkeiten durch den öffentlichen Auftraggeber genügt indes nicht, um diese letztgenannte Voraussetzung zu erfüllen4. Maßgeblich ist insoweit die Überlegung, dass der entgeltliche Charakter des öffentlichen Bauauftrags impliziere, dass der öffentliche Auftraggeber, der einen öffentlichen Bauauftrag vergeben hat, gemäß diesem Auftrag eine Leistung gegen eine Gegenleistung erhält. Die Leistung besteht in der 1 Bejahend OLG Düsseldorf v. 2.10.2008 – VII-Verg 25/08, NZBau 2008, 727 (731 f.). 2 Bejahend OLG Düsseldorf v. 2.10.2008 – VII-Verg 25/08, NZBau 2008, 727 (731 f.). 3 EuGH v. 25.3.2010 – Rs. C-451/08, NZBau 2010, 321 ff. – Helmut Müller GmbH. Ähnlich auch bereits Schlussanträge des Generalanwalts Mengozzi v. 17.11.2009 in der Rs. C-451/ 08. Siehe zur Entscheidung des EuGH und deren Auslegung u.a. Greim, ZfBR 2011, 126 ff.; Grothmann/Tschäpe, ZfBR 2011, 442 ff.; Haak, VergabeR 2011, 351 ff.; Hanke, ZfBR 2010, 562 ff.; Hertwig, NZBau 2011, 9 ff.; Jarass, VergabeR 2010, 562 ff.; Kühling, NVwZ 2010, 1257 ff.; Losch, VergabeR 2013, 839 ff.; Otting, NJW 2010, 2167 ff.; Otting, VergabeR 2013, 343 ff.; Seidler, NZBau 2010, 552 ff.; Tomeruis, ZfBR 2012, 332 ff.; Wittig, KommJur 2011, 246 ff. 4 EuGH v. 25.3.2010 – Rs. C-451/08, NZBau 2010, 321 ff., Rz. 58 – Helmut Müller GmbH.

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Erbringung der Bauleistungen, die der öffentliche Auftraggeber erhalten möchte. Eine solche Leistung muss nach ihrer Natur sowie nach dem System und den Zielen der Vergabekoordinierungsrichtlinie 2004/18/EG ein unmittelbares wirtschaftliches Interesse für den öffentlichen Auftraggeber bedeuten. Dieses unmittelbare wirtschaftliche Interesse ist eindeutig gegeben, wenn vorgesehen ist, dass der öffentliche Auftraggeber Eigentümer der Bauleistung oder des Bauwerks wird, die bzw. das Gegenstand des Auftrags ist. Ein solches wirtschaftliches Interesse lässt sich ebenfalls feststellen, wenn vorgesehen ist, dass der öffentliche Auftraggeber über einen Rechtstitel verfügen soll, der ihm die Verfügbarkeit der Bauwerke, die Gegenstand des Auftrags sind, im Hinblick auf ihre öffentliche Zweckbestimmung sicherstellt. Das wirtschaftliche Interesse kann ferner in wirtschaftlichen Vorteilen, die der öffentliche Auftraggeber aus der zukünftigen Nutzung oder Veräußerung des Bauwerks ziehen kann, in seiner finanziellen Beteiligung an der Erstellung des Bauwerks oder in den Risiken, die er im Fall eines wirtschaftlichen Fehlschlags des Bauwerks trägt, bestehen. Die bloße Ausübung von städtebaulichen Regelungszuständigkeiten im Hinblick auf die Verwirklichung des allgemeinen Interesses ist jedoch weder auf den Erhalt einer vertraglichen Leistung noch auf die Befriedigung des unmittelbaren wirtschaftlichen Interesses des öffentlichen Auftraggebers gerichtet, wie es Art. 1 Abs. 2 lit. a) der Vergabekoordinierungsrichtlinie 2004/18/EG vorgibt, und genügt daher als solche nicht1. – Betreffend die dritte und vierte Frage hat der EuGH festgestellt, dass der Begriff „öffentliche Bauaufträge“ i.S.v. Art. 1 Abs. 2 lit. b) der Vergabekoordinierungsrichtlinie 2004/18/EG erfordert, dass der Auftragnehmer direkt oder indirekt die Verpflichtung zur Erbringung der Bauleistungen, die Gegenstand des Auftrags sind, übernimmt und dass es sich um eine nach den im nationalen Recht geregelten Modalitäten einklagbare Verpflichtung handelt2. Auch insoweit ist Ausgangspunkt der Überlegungen, dass der öffentliche Bauauftrag in Art. 1 Abs. 2 lit. a) der Vergabekoordinierungsrichtlinie 2004/18/EG als ein entgeltlicher Vertrag definiert ist. Diesem Begriff liegt der Gedanke zugrunde, dass sich der Auftragnehmer verpflichtet, die Leistung, die Gegenstand des Vertrags ist, gegen eine Gegenleistung zu erbringen. Mit dem Vertragsschluss im Rahmen eines öffentlichen Bauauftrags verpflichtet sich der Auftragnehmer somit, die Bauleistungen, die dessen Gegenstand bilden, durchzuführen oder durchführen zu lassen. Dabei spielt es keine Rolle, ob der Auftragnehmer die Leistungen mit eigenen Mitteln oder unter Inanspruchnahme von Subunternehmern erbringt. Da die Verpflichtungen, die sich aus dem Auftrag ergeben, rechtsverbindlich sind, muss ihre Erfüllung einklagbar sein. Mangels einer Regelung im europäischen Unionsrecht sind 1 EuGH v. 25.3.2010 – Rs. C-451/08, NZBau 2010, 321 ff., Rz. 40–58 – Helmut Müller GmbH. 2 EuGH v. 25.3.2010 – Rs. C-451/08, NZBau 2010, 321 ff., Rz. 63 – Helmut Müller GmbH.

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§ 103 | Öffentliche Aufträge, Rahmenvereinbarungen und Wettbewerbe die Modalitäten für die Erfüllung solcher Verpflichtungen im Einklang mit dem Grundsatz der Autonomie dem nationalen Recht überlassen1. – Betreffend die fünfte und sechste Frage hat der EuGH festgestellt, dass die „vom öffentlichen Auftraggeber genannten Erfordernisse“ im Sinne der dritten in Art. 1 Abs. 2 lit. b) der Vergabekoordinierungsrichtlinie 2004/18/EG genannten Fallgestaltung nicht in dem bloßen Umstand bestehen können, dass eine Behörde bestimmte, ihr vorgelegte Baupläne prüft oder in Ausübung ihrer städtebaulichen Regelungszuständigkeiten eine Entscheidung trifft2. Denn ein öffentlicher Auftraggeber hat seine Erfordernisse i.S.v. Art. 1 Abs. 2 lit. b) der Vergabekoordinierungsrichtlinie 2004/18/EG nur dann genannt, wenn er Maßnahmen ergriffen hat, um die Merkmale der Bauleistung zu definieren oder zumindest einen entscheidenden Einfluss auf ihre Konzeption auszuüben. Der bloße Umstand, dass eine Behörde in Ausübung ihrer städtebaulichen Regelungszuständigkeiten bestimmte, ihr vorgelegte Baupläne prüft oder eine Entscheidung in Anwendung von Zuständigkeiten in diesem Bereich trifft, genügt insoweit nicht3. – Betreffend die siebente Frage hat der EuGH festgestellt, dass „öffentliche Baukonzessionen“ i.S.v. Art. 1 Abs. 3 der Vergabekoordinierungsrichtlinie 2004/18/EG nicht vorliegen, wenn der Konzessionär Eigentümer des Grundstücks, auf dem das Bauwerk errichtet werden soll, ist oder wird oder die Baukonzession unbefristet erteilt wird. Denn nach Art. 1 Abs. 3 der Vergabekoordinierungsrichtlinie 2004/18/EG sind öffentliche Baukonzessionen „Verträge, die von öffentlichen Bauaufträgen nur insoweit abweichen, als die Gegenleistung für die Bauleistungen ausschließlich in dem Recht zur Nutzung des Bauwerks oder in diesem Recht zzgl. der Zahlung eines Preises besteht“. Damit ein öffentlicher Auftraggeber seinem Vertragspartner das Recht auf Nutzung eines Bauwerks im Sinne dieser Vorschrift übertragen kann, muss er über die Nutzung des entsprechenden Bauwerks verfügen können. Daran fehlt es in der Regel, wenn das Nutzungsrecht allein im Eigentumsrecht des entsprechenden Wirtschaftsteilnehmers verwurzelt ist. Der Eigentümer eines Grundstücks ist nämlich berechtigt, dieses unter Beachtung der anwendbaren Rechtsvorschriften zu nutzen. Solange ein Wirtschaftsteilnehmer über das Recht auf Nutzung eines Grundstücks verfügt, das in seinem Eigentum steht, kann eine Behörde grundsätzlich keine Konzession über diese Nutzung erteilen4. Allein die Übertragung des Eigentums an einem Grundstück genügt also regelmäßig nicht, um 1 EuGH v. 25.3.2010 – Rs. C-451/08, NZBau 2010, 321 ff., Rz. 59-63 – Helmut Müller GmbH. 2 EuGH v. 25.3.2010 – Rs. C-451/08, NZBau 2010, 321 ff., Rz. 69 – Helmut Müller GmbH. 3 EuGH v. 25.3.2010 – Rs. C-451/08, NZBau 2010, 321 ff., Rz. 64–69 – Helmut Müller GmbH. 4 EuGH v. 25.3.2010 – Rs. C-451/08, NZBau 2010, 321 ff., Rz. 71–74 – Helmut Müller GmbH.

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darin eine öffentliche Baukonzession zu sehen. Der EuGH weist in diesem Zusammenhang zudem darauf hin, dass das Wesen der Konzession darin besteht, dass das Betriebsrisiko in erster Linie oder jedenfalls in erheblichem Umfang vom Konzessionsnehmer selbst getragen wird. Dieses Risiko könne – entgegen der Ansicht der EU-Kommission – nicht in der Unsicherheit des Unternehmers in Bezug auf die Frage liegen, ob die für Städtebau zuständige Dienststelle der betreffenden Gebietskörperkörperschaft seine Pläne billigen werde oder nicht. Denn in einer solchen Situation stünde das Risiko in Verbindung mit den städtebaulichen Regelungszuständigkeiten des öffentlichen Auftraggebers und nicht mit der sich aus der Konzession ergebenden Vertragsbeziehung. Folglich wäre das Risiko nicht mit der Nutzung verbunden1. Schließlich geben, was die Dauer der Konzessionen anbelangt, auch gewichtige Gründe, zu denen insbesondere die Aufrechterhaltung des Wettbewerbs gehört, Grund zur Annahme, dass die unbefristete Erteilung von Konzessionen gegen die Rechtsordnung der Europäischen Union verstoßen würde2. – Betreffend die achte und neunte Frage hat der EuGH zunächst festgestellt, dass es vernünftig ist, die Anwendung der Vergabekoordinierungsrichtlinie 2004/18/EG auf ein zweistufiges Vergabeverfahren, das durch den Verkauf eines Grundstücks gekennzeichnet ist, das später Gegenstand eines Bauauftrags wird, durch die Bewertung dieser Vorgänge als Einheit nicht von vornherein auszuschließen3. Gleichwohl hat der EuGH die Anwendung der Bestimmungen der Vergabekoordinierungsrichtlinie 2004/18/EG unter Umständen wie denen des streitgegenständlichen Ausgangsverfahrens, in der eine öffentliche Stelle ein Grundstück an ein Unternehmen veräußert, während eine andere öffentliche Stelle beabsichtigt, einen öffentlichen Bauauftrag in Bezug auf dieses Grundstück zu vergeben, auch wenn sie noch nicht formell beschlossen hat, den entsprechenden Auftrag zu erteilen, abgelehnt4. Zusammengefasst liegt danach ein dem Vergaberecht unterfallender öffentlicher 198 (Bau-)Auftrag i.S.v. § 103 Abs. 3 (nur) dann vor, wenn folgende Voraussetzungen – kumulativ – erfüllt sind5: – Entgeltlichkeit des Vertrages – Vorliegen einer nach nationalem Recht einklagbaren (direkten oder indirekten) Bauverpflichtung 1 EuGH v. 25.3.2010 – Rs. C-451/08, NZBau 2010, 321 ff., Rz. 75–78 – Helmut Müller GmbH. 2 EuGH v. 25.3.2010 – Rs. C-451/08, NZBau 2010, 321 ff., Rz. 79 – Helmut Müller GmbH. 3 EuGH v. 25.3.2010 – Rs. C-451/08, NZBau 2010, 321 ff., Rz. 82 – Helmut Müller GmbH. 4 EuGH v. 25.3.2010 – Rs. C-451/08, NZBau 2010, 321 ff., Rz. 81–89 – Helmut Müller GmbH. 5 Vgl. hierzu auch Bank, BauR 2012, 174 (176 f.); Eschenbruch in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 107 Rz. 13 ff.; mit einer ausführlichen Prüfung VK Baden-Württemberg v. 2.2.2015 – 1 VK 65/14, VPR 2015, 111.

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§ 103 | Öffentliche Aufträge, Rahmenvereinbarungen und Wettbewerbe – Unmittelbares wirtschaftliches Interesse des öffentlichen Auftraggebers, welches insbesondere dann gegeben ist, wenn dieser – alternativ – – selber Eigentümer des zu errichtenden Bauvorhabens werden soll, – über einen vertraglichen Anspruch verfügt, der ihm die Nutzung sichert, – sich an dem Bauvorhaben finanziell bei der Erstellung beteiligt, – die Risiken eines Fehlschlags übernimmt oder – wirtschaftliche Vorteile aus der Nutzung oder Veräußerung des Vorhabens ziehen kann. 199 Der EuGH hatte mit seinem Urteil vom 25.3.2010 im Übrigen auch die seiner-

zeit vom deutschen Gesetzgeber mit Blick auf die sog. „Ahlhorn“-Rechtsprechung des OLG Düsseldorf bereits in § 99 Abs. 3 und 6 GWB a.F. vorgesehenen Einschränkungen (s. hierzu Rz. 2) bestätigt.

200 Die öffentliche Hand kann nach der Entscheidung des EuGH vom 25.3.2010 Im-

mobilientransaktionen nunmehr – zumindest in einem bestimmten und klareren Rahmen – wieder rechtssicher außerhalb des Kartellvergaberechts durchführen1. Allerdings ist zu berücksichtigen, dass der EuGH auch Grenzen für die Vergaberechtsfreiheit aufgezeigt hat, so dass vor einer undifferenzierten Betrachtung zu warnen ist. So indiziert insbesondere der Umstand, dass sich die öffentliche Hand finanziell oder durch sonstige Risikoübernahme an dem Projekt beteiligt, ein unmittelbares wirtschaftliches Interesse. Daher können insbesondere vertragliche Vorgaben für das Bauwerk, die im Rahmen der Ausübung städtebaulicher Regelungskompetenzen nicht durchsetzbar wären, wenn sie mit finanziellen Beiträgen der Stadt kombiniert werden, mithin also insbesondere auch eine Konzessionsgestaltung ausscheidet, nach wie vor dazu führen, dass der sachliche Anwendungsbereich des Kartellvergaberechts eröffnet ist2. Es empfiehlt sich daher auch weiterhin, jeden Einzelfall und die ihn charakterisierenden Umstände gesondert und sorgfältig zu beurteilen.

201 Bei typisierender Betrachtung kommen dabei als grundsätzlich vergaberechts-

freie Fallkonstellationen in Betracht:

– Bloße Veräußerung, Vermietung oder Verpachtung von Immobilien Der bloße Verkauf von Vermögenswerten wie unbebauter oder bebauter Grundstücke ist kein vergaberechtlich relevanter Vorgang. Dies hat der EuGH in der Entscheidung „Helmut Müller GmbH“ explizit bestätigt3. Das Gleiche gilt für die Vermietung und Verpachtung. Auch diese fällt wie der bloße Verkauf nicht in den Anwendungsbereich des Kartellvergaberechts. 1 So auch Otting, IBR 2010, 284. 2 Ähnlich Otting, IBR 2010, 284. 3 Vgl. EuGH v. 25.3.2010 – Rs. C-451/08, NZBau 2010, 321 ff., Rz. 41 – Helmut Müller GmbH.

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Anknüpfungspunkt für eine etwaige Ausschreibungspflicht des öffentlichen Auftraggebers können nur die weiteren Konditionen eines entsprechenden Vertrages sein1. – Grundstücksverkauf an einen privaten Investor und Aufstellung eines vorhabenbezogenen Bebauungsplans nebst Durchführungsvertrag Es liegt insoweit zwar grundsätzlich die Errichtung eines Bauwerks „gemäß den vom Auftraggeber genannten Erfordernissen“ i.S.v. § 103 Abs. 3 Satz 2 vor, da der Durchführungsvertrag die rechtliche Befugnis sichert, die Verfügbarkeit des Bauwerks im Interesse einer geordneten städtebaulichen Entwicklung zu gewährleisten. Allerdings zahlt der öffentliche Auftraggeber dem Investor kein Entgelt für die Bauleistung, sondern erhält seinerseits den Grundstückskaufpreis. Es kommt daher allenfalls eine öffentliche Baukonzession in Betracht. Allerdings setzt diese die Übertragung eines befristeten Nutzungsrechts voraus (vgl. § 105 Rz. 56 ff.). Dies ist hier nicht gegeben, weil durch die Übertragung des Eigentums an dem Grundstück das Nutzungsrecht unbefristet übertragen wird und mithin nicht im Eigentum der öffentlichen Hand verwurzelt ist2. Auch das OLG Schleswig hat für die Fallgestaltung eines Durchführungsvertrages im Ergebnis das Vorliegen eines vergabepflichtigen öffentlichen Bauaftrags i.S.v. § 103 verneint, und zwar u.a. mit Blick darauf, dass die Durchführungspflicht gem. § 12 Abs. 1 und 6 BauGB aus vergaberechtlicher Sicht keine einklagbare Bauverpflichtung darstelle (vgl. insofern bereits die Darstellung der Entscheidung unter Rz. 84). – Grundstücksüberlassung an einen privaten Investor und Aufstellung eines Angebotsbebauungsplans vor dem Hintergrund eines bestimmten Vorhabens Diese Fallgestaltung unterscheidet sich von der vorstehenden im Wesentlichen nur dadurch, dass die Gestaltung des Vorhabens auf der Planung des privaten Investors beruht. Allerdings führt dies nicht zu einer abweichenden Bewertung. Dies gilt umso mehr, als die Erstellung des Bauwerks nach Ansicht des EuGH nicht schon dann „gemäß den vom Auftraggeber genannten Erfordernissen“ i.S.v. § 103 Abs. 2 Satz 2 erfolgt, wenn die Bauleistungen nach vom öffentlichen Auftraggeber geprüften und gebilligten Plänen erbracht wird3. 1 Vgl. OLG Düsseldorf v. 28.3.2012 – VII-Verg 37/11, NZBau 2012, 518 ff., Rz. 52 – Freizeitzentrum West II. 2 Vgl. EuGH v. 25.3.2010 – Rs. C-451/08, NZBau 2010, 321 ff., Rz. 71–74 – Helmut Müller GmbH. 3 Vgl. EuGH v. 25.3.2010 – Rs. C-451/08, NZBau 2010, 321 ff., Rz. 64–69 – Helmut Müller GmbH. Im Ergebnis ebenso Düsterdiek in Ingenstau/Korbion, VOB – Teile A und B – Kommentar, § 23 VOB/A Rz. 24 und 28 f. A.A. OLG Düsseldorf v. 12.12.2007 – VII-Verg 30/07, NZBau 2008, 138 (141); OLG Düsseldorf v. 2.10.2008 – VII-Verg 25/08, NZBau 2008, 727 (731).

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§ 103 | Öffentliche Aufträge, Rahmenvereinbarungen und Wettbewerbe – Grundstücksveräußerung ohne Einflussnahme auf das „Ob“ und „Wie“ der Bebauung Dies galt – mit der einschränkenden Maßgabe, dass der jeweilige Fall keine Anhaltspunkte für eine Umgehung des Vergaberechts erkennen ließ – schon nach der bisherigen nationalen Rechtsprechung1. Der EuGH hat dies durch die Feststellung, dass der Begriff „öffentliche Bauaufträge“ es erfordert, dass der Auftragnehmer direkt oder indirekt die Verpflichtung zur Erbringung der Bauleistungen, die Gegenstand des Auftrags sind, übernimmt und dass es sich um eine nach den im nationalen Recht geregelten Modalitäten einklagbare Verpflichtung handelt, bestätigt2. – Grundstücksveräußerung mit Bebauungsverpflichtung zur Einhaltung bestimmter städtebaulicher Vorgaben Verfolgt der öffentliche Auftraggeber lediglich allgemeine städtebauliche Vorgaben zur Verwirklichung des Allgemeininteresses, dienen diese nicht der unmittelbaren Befriedigung eines eigenen wirtschaftlichen Interesses3. Eine öffentliche Beschaffung ist dann nicht notwendig. Wird beispielsweise im Rahmen eines städtebaulichen Vertrags die Verpflichtung des Investors geregelt, Parkplätze zu errichten, erfüllt dies gleichwohl nicht ein unmittelbares wirtschaftliches Interesse des öffentlichen Auftraggebers, wenn die Parkplätze des öffentlichen Auftraggebers nicht zu Eigentum übertragen oder zu seinen Gunsten ein anderes dingliches Recht begründet werden sollte, sondern die Parkplätze nach den baurechtlichen Bestimmungen den Nutzern und Besuchern eines geplanten Einkaufszentrums zur Verfügung stehen sollten4 (s. hierzu auch Rz. 123). Auch die Verpflichtung eines Investors, im Zuge der Errichtung eines Einkaufszentrums Anpassungsmaßnahmen an vorhandenen Straßen vorzunehmen, führt nicht zu einem unmittelbaren wirtschaftlichen Vorteil des öffentlichen Auftraggebers, soweit die Maßnahmen lediglich vorhabenspezifisch erwarteten Verkehrsstörungen in Bezug auf die vorhandenen öffentlichen Straßen vorbeugen sollen5. – Grundstücksveräußerung mit bloßer Nutzungsbeschränkung Die Veräußerung eines kommunalen Grundstücks, das im Geltungsbereich eines qualifizierten Bebauungsplanes liegt, stellt kein vergaberechtlichen Vor1 Vgl. OLG Düsseldorf v. 6.2.2008 – VII-Verg 37/07, NZBau 2008, 271, 275 f. VK Brandenburg v. 15.2.2008 – VK 2/08, NZBau 2008, 344. 2 Vgl. EuGH v. 25.3.2010 – Rs. C-451/08, NZBau 2010, 321 ff., Rz. 63 – Helmut Müller GmbH. 3 Vgl. EuGH v. 25.3.2010 – Rs. C-451/08, NZBau 2010, 321 ff., Rz. 68 – Helmut Müller GmbH; ebenso VK Baden-Württemberg v. 2.2.2015 – 1 VK 65/14, BeckRS 2015, 55881. 4 OLG Düsseldorf v. 9.6.2010 – VII-Verg 9/10, NZBau 2010, 580, Rz. 53. Siehe ferner auch OLG Schleswig v. 15.3.2013 – 1 Verg 4/12, NZBau 2013, 453 ff. 5 OLG Düsseldorf v. 9.6.2010 – VII-Verg 9/10, NZBau 2010, 580, Rz. 55.

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gang dar, wenn und soweit der Käufer (Investor) lediglich verpflichtet wird, auf die Ausübung bestimmter, aus Sicht der Kommune städtebaulich negativer Nutzungen (wie z.B. Vergnügungsstätten) zu verzichten. Soweit der Grundstückskaufvertrag in einem derartigen Fall keine weitergehenden Verpflichtungen enthält, handelt es sich hinsichtlich des zu vereinbarenden Nutzungausschlusses um eine rein nutzungsbezogene Vorgabe, die nicht zur Annahme eines öffentlichen Bauauftrags i.S.v. § 103 Abs. 3 führt. Insbesondere gibt die Kommune in einem solchen Fall keine „Erfordernisse“ i.S.d. § 103 Abs. 3 vor, da derartige Erfordernisse regelmäßig bauwerksbezogen sein müssen; bloße Nutzungsbeschränkung fallen nicht darunter1. – Einzelbauvorhaben Ist der Veräußerung eines Grundstücks und seiner Bebauung keine wirtschaftliche, insbesondere keine raumordnende oder städtebauliche Funktion zuzuerkennen, was insbesondere bei auf einen einzelnen Unternehmenszweck begrenzten Einzelbauvorhaben der Fall ist, war der Anwendungsbereich des Vergaberechts bereits nach der Rechtsprechung des OLG Düsseldorf nicht eröffnet2. Hieran hat sich durch die Entscheidung des EuGH vom 25.3.2010 nichts geändert. – Unentgeltliche Begründung städtebaulicher Pflichten ohne grundstücksbezogenen Vertrag Werden unentgeltlich städtebauliche Pflichten begründet und befinden sich die betroffenen Grundstücke von vornherein in der Hand des in die Pflicht genommenen Privaten, so ist grundsätzlich kein öffentlicher Auftrag gegeben3. Hier kommt infolge der Unentgeltlichkeit von vornherein nur eine öffentliche Baukonzession i.S.v. § 105 Abs. 1 Nr. 1 in Betracht; insbesondere kann auch die Schaffung von Baurecht nicht als Entgelt angesehen werden4. Das Vorliegen einer Baukonzession i.S.v. § 105 Abs. 1 Nr. 1 setzt jedoch voraus, dass dem Konzessionär ein (befristetes) Nutzungsrecht verschafft wird (vgl. § 3 Abs. 1 Satz 1 KonzVgV, sowie § 105 Rz. 56 ff.). An dieser Verschaffung eines Nutzungsrechtes – und damit an dem entgeltersetzenden Charak-

1 Düsterdiek in Ingenstau/Korbion, VOB – Teile A und B – Kommentar, § 23 VOB/A Rz. 30. 2 OLG Düsseldorf v. 6.2.2008 – VII-Verg 37/07, NZBau 2008, 271 (275 f.). 3 Vgl. Krohn, ZfBR 2008, 27, 30; sowie Burgi, NVwZ 2008, 929 (934). Letzterer stellt insoweit jedoch auf das Fehlen eines Beschaffungszwecks ab und weist – zumindest folgerichtig – darauf hin, dass ein solcher aber ausnahmsweise dann gegeben ist, wenn der private Investor – wie in dem vom EuGH entschiedenen Fall „Teatro alla bicocca“ (EuGH v. 12.7.2001 – Rs. C-399/98, Slg. I-05409, NZBau 2001, 512 ff.) – dazu verpflichtet werden soll, sein Grundstück nach erfolgter äußerlicher Bebauung dem öffentlichen Auftraggeber zwecks Übernahme der „inneren Erschließung“ gegen Entgelt zu übereignen. 4 Eisenreich/Barth, NVwZ 2008, 635 (637).

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§ 103 | Öffentliche Aufträge, Rahmenvereinbarungen und Wettbewerbe ter des Vertrages – fehlt es aber, wenn der Investor sein Eigentum nicht von der öffentlichen Hand ableitet1. – Unentgeltliche Bebauung eines (seit längerer Zeit) im Eigentum des Investors befindlichen Grundstücks zu seiner eigenen Nutzung gemäß einem nach den Plänen des Investors erlassenen vorhabenbezogenen Bebauungsplans Maßgeblich ist auch insoweit die Überlegung, dass das Recht zur Nutzung hier ausschließlich aus dem seit jeher bestehenden Grundstückseigentum des Investors folgt und somit nicht von der öffentlichen Hand abgeleitet ist. 202 Als grundsätzlich vergaberechtspflichtige Fallkonstellationen kommen da-

gegen insbesondere all diejenigen Fallgestaltungen in Betracht, in denen eine Veräußerung von Grundstücken mit Bebauungsverpflichtung entweder zu eigenen Erwerbs- oder Nutzungszwecken oder aber verbunden mit einem sonstigen unmittelbaren wirtschaftlichen Interesse des öffentlichen Auftraggebers erfolgt (s. hierzu insb. auch Rz. 120 ff.). Denn wenn der öffentliche Auftraggeber einen Rechtstitel über die zu erstellenden Bauwerke erwirbt, etwa um die öffentliche Zweckbestimmung sicherzustellen oder das Bauwerk der eigenen Nutzung zuzuführen, liegt ein öffentlicher Bauauftrag vor2. Die relevanten Erwerbs- und Nutzungszwecke können in der Verpflichtung des Kaufinteressenten liegen, ein bestimmtes Bauwerk für Nutzungen der öffentlichen Hand zu errichten (z.B. Schulen, Kindergärten, Schwimmbäder oder Theater). Wenn die Verpflichtung hingegen lediglich darin besteht, bestimmte Nutzungen für Dritte zu entwickeln (z.B. Einzelhandelsflächen, Büroräume oder zu verkaufende Wohnungen), fehlt es an dem unmittelbaren eigenen wirtschaftlichen Interesse3. Das unmittelbare wirtschaftliche Risiko kann nach der Rechtsprechung des EuGH jedoch auch darin bestehen, dass sich der öffentliche Auftraggeber finanziell an der Erstellung des Bauwerks beteiligt oder Risiken für den Fall des wirtschaftlichen Fehlschlags eingeht4 (s. hierzu insb. auch Rz. 122 ff.). Eine finanzielle Beteiligung oder eine Risikobeteiligung liegt hiernach insbesondere vor, wenn der öffentliche Auftraggeber einen Teil der Kosten des Bauvorhabens über1 Vgl. Kulartz/Schilder/Duikers in Deutscher Städte- und Gemeindebund (Hrsg.), Kommunale Immobiliengeschäfte und Ausschreibungspflicht, Stand: April 2008, S. 14; Städtetag NRW (Hrsg.), Kommunale Grundstücksgeschäfte und Vergaberecht, Stand: Februar 2008, S. 27. Indirekt bestätigt wird dies auch durch die Entscheidung VK Hessen v. 5.3.2008 – 69d-VK-06/2008, die zwischen dem (ggf. dem Investor von dem öffentlichen Auftraggeber übertragenen) Recht zur Nutzung des Grundstücks und dem Recht zur Nutzung des errichteten Bauwerks unterscheidet. Die VK Hessen weist insoweit darauf hin, dass das Recht zur Nutzung des von dem Investor errichteten Bauwerks allein aus dessen Eigentum am Bauwerk folgt. 2 EuGH v. 25.3.2010 – Rs. C-451/08, NZBau 2010, 321 ff., Rz. 53 – Helmut Müller GmbH. 3 Vgl. Jenn, ZflR 2010, 405 (407). 4 EuGH v. 25.3.2010 – Rs. C-451/08, NZBau 2010, 321 ff., Rz. 52 – Helmut Müller GmbH.

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nimmt oder für die Errichtung des Bauvorhabens Sicherheiten, z.B. in der Form von Bürgschaften, leistet1. Ein finanzielles Risiko des öffentlichen Auftraggebers kann sich auch dadurch ergeben, dass dieser unmittelbar einen Teil der Baukosten trägt oder eigene Leistungen, etwa Erschließungsmaßnahmen, verbilligt zur Verfügung stellt oder Kaufpreisnachlässe gewährt2. Grundsätzlich kann auch der Verkauf eines Grundstücks unter Marktwert eine finanzielle Beteiligung des öffentlichen Auftraggebers begründen3 (s. hierzu auch Rz. 124). Die Veräußerung im Rahmen eines Wohnbauförderungsprogramms unterhalb des Verkehrswertes an bauwillige Eigentümer hingegen begründet allein keine finanzielle Beteiligung4 (s. hierzu auch Rz. 125). Wenn und soweit nach dem vorstehend Gesagten von einer grundsätzlichen 203 Ausschreibungspflicht des Projekts auszugehen ist, stellt sich regelmäßig die Frage, ob insoweit auch der maßgebliche EU-Schwellenwert erreicht wird bzw. wie dieser ordnungsgemäß zu ermitteln ist5. Hierzu existieren unterschiedliche Ansichten. Teilweise wird die Auffassung vertreten, dass man in derartigen Fällen die Gesamtinvestitionen zu betrachten habe, so dass es nicht nur auf das unmittelbar vom öffentlichen Auftraggeber gezahlte Entgelt für die jeweilige, den Gesamtvertrag als ausschreibungspflichten Auftrag „infizierende“ Teilleistung ankommen könne, sondern alle Entgelte zu betrachten seien, unabhängig davon, ob sie vom Auftraggeber oder von Dritten entrichtet werden. Der Schwellenwert sei danach also unter Einschluss auch derjenigen Entgelte zu ermitteln, welche ein Investor aus der Vermarktung der Bauleistung von Dritten erhalte6. Demgegenüber wird vorgebracht, dass es nach Sinn und Zweck des Vergaberechts nur auf die isolierte Betrachtung des ausschreibungspflichtigen Teils ankommen könne. Die Kombination eines nicht ausschreibungspflichtigen Vertrages mit einem ausschreibungspflichtigen Bauauftrag dürfe sich nicht nachteilig auswirken7. In diesem Sinne hat auch das OLG Schleswig zur Schwellenwertberechnung bei gemischten Aufträgen entschieden, dass bei der Berechnung des Schwellenwertes grundsätzlich allein der „öffentliche Anteil“ relevant sei. Dies gilt jedenfalls dann, wenn der öffentliche Auftraggeber keine finanzielle Beteiligung für das Gesamtvorhaben übernommen hat8. Insofern ist also stets 1 Vgl. Jenn, ZflR 2010, 405 (407). 2 Vgl. Greim, ZfBR 2011, 126 (128). 3 OLG Düsseldorf v. 9.6.2010 – VII-Verg 9/10, NZBau 2010, 580, Rz. 57; OLG Schleswig v. 15.3.2013 – 1 Verg 4/12, NZBau 2013, 453 ff. 4 OLG München v. 27.9.2011 – Verg 15/11, VergabeR 2012, 59, Rz. 49 ff.; OLG Brandenburg v. 24.4.2012 – 6 W 149/11, VergabeR 2012, 922 ff. 5 Vgl. zum Ganzen Düsterdiek in Ingenstau/Korbion, VOB – Teile A und B – Kommentar, § 23 VOB/A Rz. 14. 6 So (wohl) Hertwig, NZBau 2011, 9 (15). 7 So auch Düsterdiek in Ingenstau/Korbion, VOB – Teile A und B – Kommentar, § 23 VOB/A Rz. 14 m.w.N. 8 OLG Schleswig v. 15.3.2013 – 1 Verg 4/12, NZBau 2013, 453 ff.

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§ 103 | Öffentliche Aufträge, Rahmenvereinbarungen und Wettbewerbe eine Einzelfallprüfung geboten. Im Rahmen dieser Einzelfallprüfung ist insbesondere auch danach zu fragen, ob der für die Einordnung als öffentlicher Bauauftrag maßgebliche Leistungsbestandteil ggf. getrennt vom Gesamtprojekt verwirklicht werden kann1. c) Erschließungsverträge 204 Die auf die technische Infrastruktur (Straßen, Kanalanschlüsse etc.) zielende

Aufgabe der „Erschließung“ gem. § 123 Abs. 1 BauGB ist eine kommunale Pflichtaufgabe. Will sich eine Kommune zur Erfüllung dieser eigenen Sachaufgabe privater Unterstützung bedienen, liegt daher stets eine Beschaffung vor, und zwar völlig unabhängig von der Existenz einer Herrschaftsbeziehung zu dem in Rede stehenden (Träger-)Grundstück2. Für die Beantwortung der Frage, ob es sich hierbei auch um eine entgeltliche und mithin vergaberechtspflichtige Beschaffung handelt, ist zwischen dem echten Erschließungsvertrag (§ 124 Abs. 1 BauGB) und dem unechten Erschließungsvertrag (§§ 127 ff. BauGB) zu differenzieren.

205 Bei einem echten Erschließungsvertrag i.S.v. § 124 Abs. 1 BauGB überträgt die

Kommune die Durchführung der ihr obliegenden Erschließung ganz oder zum Teil auf einen Dritten, namentlich den Erschließungsunternehmer. Dieser führt die Erschließung auf eigene Kosten und eigene Rechnung durch; insoweit wird ein vertraglicher Anspruch der Gemeinde begründet. Der Erschließungsunternehmer übernimmt hier also die Erschließungskosten vollständig und endgültig. Typischerweise wird ferner vereinbart, dass der Erschließungsunternehmer die hergestellten Erschließungsanlagen später auf die Kommune unentgeltlich (ohne Gegenleistung) überträgt und die Gemeinde die Anlagen danach weiterbetreibt und unterhält3. Beim echten Erschließungsvertrag kommt es wegen der endgültigen Kosten(-last-)regelung zu keiner Abrechnung über Art und Umfang des dem Erschließungsunternehmer entstandenen Aufwands gegenüber der Gemeinde4. Dem Erschließungsunternehmer obliegt es bei diesem Modell vielmehr, in eigener Verantwortung seine Refinanzierung zu sichern. Regelmäßig geschieht dies durch zivilrechtliche Kostenerstattungsvereinbarungen mit den Grundstückseigentümern, denen die Vornahme der Erschließung einen Vorteil vermittelt. Ist der Erschließungsträger selbst Grundstückseigentümer, so erfolgt eine Refinanzierung in der Regel über die Kaufpreiskalkulation bei der nachfolgenden Veräußerung seiner Grundstücke an Dritte5. Vor diesem Hintergrund

1 Ebenso Düsterdiek in Ingenstau/Korbion, VOB – Teile A und B – Kommentar, § 23 VOB/A Rz. 14; Otting, VergabeR 2013, 343 (345); Losch, VergabeR 2013, 839 (847). 2 Burgi, NVwZ 2008, 929 (934). 3 Vgl. zum Ganzen Wilke, ZfBR 2002, 231 ff. 4 Wilke, ZfBR 2002, 231. 5 Eschenbruch in Kulartz/Kus/Portz, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, 3. Aufl. 2014, § 99 Rz. 81.

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findet bei einem echten Erschließungsvertrag auch keine Erhebung von Erschließungsbeiträgen mittels Bescheiden durch die Kommune statt. Insoweit fehlt es schon an der Grundvoraussetzung einer Beitragserhebung, namentlich dem eigenen Erschließungsaufwand der Kommune1. Hiervon zu unterscheiden ist der unechte Erschließungsvertrag. Dieser beinhaltet im Wesentlichen eine Vorfinanzierungsfunktion und wird aus diesem Grund teilweise auch als Vorfinanzierungsvertrag bezeichnet2. Bei einem unechten Erschließungsvertrag wird in der Regel vereinbart, dass der Erschließungsunternehmer seine Gesamtaufwendungen für die Erschließung von der Kommune erstattet verlangen kann. In der Folge ist hier auch – anders als beim echten Erschließungsvertrag – ein eigener Erschließungsaufwand der Kommune gegeben. Die Kommune kann sich dementsprechend über die Beiträge der von ihr im Bescheidwege veranlagten Eigentümer von Flächen des Erschließungsgebietes refinanzieren – und tut dies regelmäßig auch. Soweit der Eigentümer aber selbst Erschließungsunternehmer ist, wird eine Ablösevereinbarung gem. § 133 Abs. 3 Satz 5 BauGB geschlossen3. Gegenüber dem Erschließungsunternehmer wird also auf die Erhebung des anderenfalls anfallenden Beitrages verzichtet, worin schließlich die Gewährung eines geldwerten Vorteils zu sehen ist und wodurch eine Entgeltlichkeit begründet wird. Der zuletzt genannte unechte Erschließungsvertrag ist ein klassischer (entgeltli- 206 cher) Werkvertrag und wird demzufolge – sofern der maßgebliche EU-Schwellenwert erreicht wird – von der ganz herrschenden Ansicht als öffentlicher Auftrag i.S.d. § 103 Abs. 3 angesehen4. Eine andere Frage ist indes, ob es ausnahmsweise nur einen Unternehmer gibt, der diese Beschaffung durchführen kann, weil er der Grundstückseigentümer ist (vgl. dazu Rz. 213). Problematischer ist dagegen die Behandlung des echten Erschließungsvertra- 207 ges. Die überwiegende Ansicht in der Literatur lehnt die öffentliche Auftragseigenschaft i.S.v. § 103 – zutreffend – ab, und zwar teilweise unter Hinweis auf das Fehlen einer entgeltlichen Vereinbarung5, teilweise aufgrund des Umstan1 Eschenbruch in Kulartz/Kus/Portz, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, 3. Aufl. 2014, § 99 Rz. 81; Würfel/Butt, NVwZ 2003, 153 (157). 2 Vgl. Eschenbruch in Kulartz/Kus/Portz, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, 3. Aufl. 2014, § 99 Rz. 81 f. 3 Vgl. zum Ganzen Wilke, ZfBR 2002, 231 (233); Eschenbruch in Kulartz/Kus/Portz, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, 3. Aufl. 2014, § 99 Rz. 81. 4 Vgl. Burgi, NVwZ 2008, 929 (934); Köster/Häfner, NVwZ 2007, 410 ff.; Seufert/Tilmann, NVwZ 2007, 1273 ff.; Würfel/Butt, NVwZ 2003, 153 (157); Wilke, ZfBR 2004, 141 (145); Wilke, ZfBR 2002, 231 (233 ff.); Eschenbruch in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 103 Rz. 282; Düsterdiek in Ingenstau/Korbion, VOB – Teile A und B – Kommentar, § 23 VOB/A Rz. 38. 5 Düsterdiek in Ingenstau/Korbion, VOB – Teile A und B – Kommentar, § 23 VOB/A Rz. 32; Hertwig, Praxis der öffentlichen Auftragsvergabe, Rz. 88; Wilke, ZfBR 2004, 141 (145); Wilke, ZfBR 2002, 231 (237).

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§ 103 | Öffentliche Aufträge, Rahmenvereinbarungen und Wettbewerbe des, dass die Bauleistung dem öffentlichen Auftraggeber regelmäßig nicht unmittelbar wirtschaftlich zugute kommt1. Die VK Baden-Württemberg hatte indes in einer älteren Entscheidung darauf hingewiesen, dass auch echte Erschließungsverträge als öffentliche Aufträge anzusehen seien2. Argumentiert wurde insoweit, dass auch dann eine entgeltliche Leistung vorliege, wenn die Kommune auf eine eigene Erschließung verzichtet und dadurch das Nichtentstehen eines eigenen Erschließungsaufwands und damit auch das Nichtentstehen einer Beitragsschuld bewirke. In eine ähnliche Richtung gingen Stimmen in der Literatur, die im Rahmen einer normzweckorientierten gemeinschaftsrechtskonformen Auslegung auch die Entgeltlichkeit des echten Erschließungsvertrages bejahten3. 208 Zu prüfen ist jedoch stets auch, ob nicht eine Bau- oder ggf. auch Dienstleis-

tungskonzession vorliegt4. Denn der echte Erschließungsvertrag weist, insbesondere wegen des Fehlens einer Entgeltlichkeitsvereinbarung, eine gewisse Nähe zur Baukonzession auf. Es liegt mithin eine Gestaltung vor, bei der ein Privater öffentliche Aufgaben erledigt und dafür keine Geldzuwendung erhält, sondern sich über eine Projektentwicklung selbst zu refinanzieren hat und dabei das wirtschaftliche Risiko trägt5. Insoweit ist jedoch zu beachten, dass die Baukonzession i.S.v. § 105 Abs. 1 Nr. 1 die Einräumung eines befristeten Nutzungsrechts verlangt (vgl. § 3 Abs. 1 Satz 1 KonzVgV, sowie § 105 Rz. 56 ff.). Eine solche Nutzungsrechtseinräumung ist beim echten Erschließungsvertrag mit dem Erschließungsunternehmer als Eigentümer indes nicht ersichtlich6. Die Einräumung eines befristeten Nutzungsrechts kann daher allenfalls dann angenommen werden, wenn der Erschließungsunternehmer die Grundstücke erst von der Kommune erwirbt, um dort Erschließungsanlagen zu errichten und diese dann zusammen mit den jeweiligen Grundstücksflächen an die Kommune zurück zu übertragen7.

1 So Eschenbruch in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 103 Rz. 280, der zugleich aber auch darauf hinweist, dass etwas anderes dann gelten kann, wenn die handelnde Kommune sich Erschließungsanlagen versprechen lässt, die über gesetzlich zwingende städtebauliche Anforderungen hinausgehen und somit eigene unmittelbar wirtschaftliche Zwecke verfolgt. 2 VK Baden-Württemberg v. 20.6.2002 – 1 VK 27/02. 3 Köster/Hefner, NVwZ 2007, 410 (413 f.). 4 Ebenso Eschenbruch in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 103 Rz. 281 unter Hinweis auf EuGH v. 26.5.2011 – Rs. C-306/08 – PAI und LARAU Valencia, NZBau 431 f. mit Anm. Gertz. 5 So bereits Eschenbruch in Kulartz/Kus/Portz, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, 2. Aufl. 2009, § 99 Rz. 87 und 89, unter Hinweis auf Busch, VergabeR 2003, 622 (626 f.). 6 Ebenso Düsterdiek in Ingenstau/Korbion, VOB – Teile A und B – Kommentar, § 23 VOB/A Rz. 24; Eschenbruch in Kulartz/Kus/Portz, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, 2. Aufl. 2009, § 99 Rz. 89. A.A. Köster/Hefner, NVwZ 2007, 410 (414). 7 Eschenbruch in Kulartz/Kus/Portz, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, 2. Aufl. 2009, § 99 Rz. 89.

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Im Regelfall stellt der echte Erschließungsvertrag jedoch weder einen öffentlichen Bauauftrag noch eine Baukonzession dar1. d) Verträge im Zusammenhang mit Business Improvement Districts (BIDs) Zum 1.1.2007 wurde durch die Städtebaunovelle 20072 der (neue) § 171f BauGB 209 eingeführt, der private Initiativen zur Stadtentwicklung – und damit ausweislich der Gesetzesbegründung in erster Linie auch die sog. Business Improvement Districts (BIDs) – regelt3. Gemäß § 171f BauGB können nach Maßgabe des Landesrechts und unbeschadet sonstiger Maßnahmen nach dem Baugesetzbuch Gebiete festgelegt werden, in denen in privater Verantwortung standortbezogene Maßnahmen durchgeführt werden, die auf der Grundlage eines mit den städtebaulichen Zielen der Gemeinde abgestimmten Konzepts der Stärkung oder Entwicklung von Bereichen der Innenstädte, Stadtteilzentren, Wohnquartiere und Gewerbezentren sowie von sonstigen für die städtebauliche Entwicklung bedeutsamen Bereichen dienen. Zur Finanzierung der Maßnahmen und der gerechten Verteilung des damit verbundenen Aufwands können durch Landesrecht Regelungen getroffen werden. Entsprechende landesrechtliche Regelungen (sog. BID-Gesetze) wurden bereits in Hamburg4, Bremen5, Hessen6, Schleswig-Holstein7, Nordrhein-Westfalen8 und im Saarland9 erlassen. Für das Land Berlin 1 Ebenso Düsterdiek in Ingenstau/Korbion, VOB – Teile A und B – Kommentar, § 23 VOB/A Rz. 32. 2 Gesetz zur Erleichterung von Planungsvorhaben für die Innenentwicklung der Städte, BGBl. I 2006, 3316. Ausführlich hierzu Krautzberger, UPR 2006, 405 (406 ff.); Krautzberger/Stüer, DVBl. 2007, 160 ff. 3 Vgl. BT-Drucks. 16/3308, S. 10, 23 f.; sowie Kersten, UPR 2007, 121 f. 4 Vgl. Gesetz zur Stärkung von Einzelhandels- und Dienstleistungszentren vom 28.12.2004 (HbgGSED); Hamburgisches GVBl. 2004, 525. Zur Begründung s. Hamburger Bürgerschafts-Drucks. 18/960. 5 Vgl. Bremisches Gesetz zur Stärkung von Einzelhandels- und Dienstleistungszentren vom 18.7.2006 (BremGSED); Bremisches GVBl. 2006, 350. Zur Begründung s. Bremische Bürgerschafts-Drucks. 16/820, 16/1065 und 16/1074 sowie Bremisches BürgerschaftsPlenarprotokoll 16/4163. 6 Vgl. Gesetz zur Stärkung von innerstädtischen Geschäftsquartieren vom 21.5.2005 (HessINGEG); Hessisches GVBl. II 50–40. Zur Begründung s. Hessischer Landtag, LT-Drucks. 16/820. 7 Vgl. Schleswig-Holsteinisches Gesetz über die Einrichtung von Partnerschaften zur Attraktivierung von City-, Dienstleistungs- und Tourismusbereichen (Sch-HPATCTG); Schleswig-Holsteinisches GVBl. 2006, 158. Zur Begründung s. Schleswig-Holsteinischer Landtag, LT-Drucks. 16/711. 8 Vgl. Gesetz über Immobilien- und Standortgemeinschaften (ISGG-NRW), GV. NRW. 2008, S. 474 ff. Zur Begründung s. LT-Drucks. 14/4582 und 14/6455. 9 Vgl. Gesetz Nr. 1630 zur Schaffung von Bündnissen für Investition und Dienstleistung (BIDG) vom 26.9.2007, Amtsblatt des Saarlandes vom 6.12.2007, S. 2242 ff.

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§ 103 | Öffentliche Aufträge, Rahmenvereinbarungen und Wettbewerbe existiert ein Gesetzentwurf1. Der den BID-Gesetzen zugrunde liegende konzeptionelle Grundgedanke lässt sich im Kern wie folgt beschreiben: Das BID ist ein räumlich klar definierter, zumeist innerstädtischer Bereich. Da das BID als solches grundsätzlich über keine eigene Rechtspersönlichkeit verfügt, werden seine Aufgaben von dem sog. Aufgabenträger wahrgenommen2. Der Aufgabenträger ist der zentrale Akteur im BID. Er wird aufgrund der privaten Initiative der Grundstückseigentümer bzw. Gewerbetreibenden tätig und entwirft insbesondere das Entwicklungs-, Maßnahmen- und Finanzierungskonzept, das der Verbesserung des unmittelbaren geschäftlichen Umfelds dienen soll und neben Standortmarketing, Grundstücksmanagement, Infrastrukturabstimmung, Finanzierungsdiensten, sozialen Angeboten auch die (bauliche) Gestaltung, Reinigung, Ordnung und Sicherheit des öffentlichen Raums umfassen kann. Soweit ein bestimmtes Quorum der Grundstückseigentümer bzw. Gewerbetreibenden dem Konzept zustimmt bzw. ihm nicht widerspricht, setzt die Gemeinde aufgrund dieser privaten Initiative den BID-Bereich durch Beschluss für einen befristeten Zeitraum fest. Darüber hinaus verpflichtet sich der Aufgabenträger in einem öffentlich-rechtlichen Vertrag mit der Gemeinde das Maßnahmen- und Finanzierungskonzept umzusetzen. Die Gemeinde erhebt von allen Grundstückseigentümern bzw. Gewerbetreibenden, die Vorteile aus den Maßnahmen ziehen, eine Zwangsabgabe. Das Abgabenaufkommen steht nach Abzug einer Verwaltungspauschale für die Gemeinde dem Aufgabenträger zu, der es treuhänderisch verwaltet und hieraus mitunter sogar einen angemessenen Gewinn ziehen darf. Ein BID-Projekt ist demnach ein Public Private Partnership (PPP), bei dem öffentliche Rechtssetzungsbefugnisse und private Interessen zusammenwirken3. 210 Weitgehend ungeklärt und kontrovers diskutiert ist die Frage, ob und inwieweit

BID-Projekte dem Vergaberecht unterfallen4. Bei der Beantwortung dieser Frage sind – wie bei PPP-Modellen allgemein – grundsätzlich zwei Ebenen zu unterscheiden: Die erste Ebene betrifft die Auswahl des privaten Partners, d.h. des Aufgabenträgers, die zweite Ebene die im Rahmen der Tätigkeit des Aufgaben-

1 Vgl. Entwurf des Gesetzes zur Gründung und zu den Aufgaben einer Standortgemeinschaft, Standortgemeinschaftsgesetz (BlnStandOGemG-Entwurf) vom 3.11.2004; Abgeordnetenhaus Berlin, Drucks. 15/3345. Zur Begründung s. Abgeordnetenhaus Berlin, Drucks. 15/3345, S. 5 ff. 2 Eine Ausnahme stellt insoweit die nordrhein-westfälische Interessen- und Standortgemeinschaft dar, die gem. § 2 Abs. 1 Satz 3 ISGG NRW über eine eigene Rechtspersönlichkeit verfügt und dementsprechend gem. § 2 Abs. 3 ISGG NRW auch selbst als Aufgabenträger fungieren kann. 3 Ausführlich zum Ganzen Kersten, UPR 2007, 121 ff.; Bartholomäi, BauR 2006, 1838 ff.; Portz, KommJur 2007, 201 ff.; Huber, DVBl. 2007, 466 ff.; Ganske, VergabeR 2008, 15 ff., Ganske, BauR 2008, 1987 ff. 4 Ausführlich dazu Ganske, VergabeR 2008, 15 ff.; Ganske, BauR 2008, 1987 ff.; RubachLarsen/Rechten, KommJur 2007, 321 ff.

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trägers erfolgende Auftragsvergabe an Dritte1. Sowohl für die erste als auch für die zweite Ebene gehen die Ansichten auseinander. Was die zweite Ebene betrifft, d.h. die Beauftragung Dritter durch den Auf- 211 gabenträger, dürfte die Ausschreibungspflicht maßgeblich von der Frage abhängen, ob der Aufgabenträger als öffentlicher Auftraggeber i.S.d. § 99 Nr. 2 anzusehen ist. Soweit der Aufgabenträger eine juristische Person ist, kommt dies insbesondere unter dem Gesichtspunkt der überwiegenden staatlichen Finanzierung in Betracht2. Denn zum einen nimmt der Aufgabenträger regelmäßig Aufgaben der Stadtentwicklung und der Wirtschaftsförderung wahr3 und damit im öffentlichen Allgemeininteresse liegende Aufgaben4. Zum anderen erhebt die betroffene Gebietskörperschaft nach der Konzeption der BID-Gesetze eine Abgabe5. Das Abgabenaufkommen steht dem Aufgabenträger zumindest insoweit zu, wie dies zur Deckung seines Aufwands6 (und teilweise sogar zur Ziehung eines angemessenen Gewinns7) notwendig ist8. Insoweit handelt es sich um eine staatliche Finanzierung9. Zu berücksichtigen ist allerdings, dass das Kriterium der überwiegenden staatlichen Finanzierung sich auf den Aufgabenträger als sol1 Vgl. Ganske, VergabeR 2008, 15 (16 f.); Rubach-Larsen/Rechten, KommJur 2007, 321 (323 f.); Hellermann/Hermes, Rechtliche Zulässigkeit der Schaffung von „Business Improvement Districts (BIDs)“, Rechtsgutachten erstattet im Auftrag der Freien und Hansestadt Hamburg, 2004, S. 91; sowie allgemein Dreher, NZBau 2002, 245 (247); Jaeger, NZBau 2001, 6 (7). 2 Vgl. Ganske, VergabeR 2008, 15 (28 ff.); Hellermann/Hermes, Rechtliche Zulässigkeit der Schaffung von „Business Improvement Districts (BIDs)“, Rechtsgutachten erstattet im Auftrag der Freien und Hansestadt Hamburg, 2004, S. 102. A.A. Rubach-Larsen/Rechten, KommJur 2007, 321 (329), die eine überwiegende Finanzierung mit Blick auf die Zweckgebundenheit der Mittel ablehnen. 3 Vgl. § 171 f BauGB, §§ 1, 2 Abs. 1 BremGSED, §§ 1, 2 Abs. 1 HbgGSED, § 1, 2 Abs. 1 HessINGEG, § 1 Abs. 1 ISGG NRW, § 1 Sch-HPACTG, § 1, 2 Abs. 1 BIDG Saarland, §§ 1, 2 Abs. 1 BlnStandOGemG-Entwurf; Huber, DVBl. 2007, 466; Kersten, UPR 2007, 121 (122); Portz, KommJur 2007, 201 f.; Bartholomäi, BauR 2006, 1838. 4 Vgl. EuGH v. 10.5.2001 – Rs. C-223/99, Slg. I-03605, NZBau 2001, 403 ff. – Mailänder Messe; OVG Rheinland-Pfalz v. 14.9.2006 – 2 B 11024/06, DÖV 2007, 39, 40. 5 Vgl. §§ 7, 8 BremGSED, §§ 7, 8 HbgGSED, §§ 7, 8 HessINGEG, § 4 ISGG NRW, § 3 Sch-HPACTG, § 7 BIDG Saarland, § 8 BlnStandOGemG-Entwurf. 6 Vgl. § 8 BremGSED, § 8 HbgGSED, § 8 HessINGEG, § 4 Abs. 8 ISGG NRW, § 3 Abs. 6 Sch-HPACTG, § 7 BIDG Saarland, § 8 Abs. 1 und 8 BlnStandOGemG-Entwurf. 7 Vgl. § 7 Abs. 1 HbgGSED, § 7 Abs. 1 HessINGEG. 8 Im Ergebnis ebenso Hellermann/Hermes, Rechtliche Zulässigkeit der Schaffung von „Business Improvement Districts (BIDs)“, Rechtsgutachten erstattet im Auftrag der Freien und Hansestadt Hamburg, 2004, S. 96, die insoweit jedoch nicht zwischen dem dem Aufgabenträger zustehenden Anteil am Abgabenaufkommen und dem Treuhandvermögen unterscheiden. 9 So auch Hellermann/Hermes, Rechtliche Zulässigkeit der Schaffung von „Business Improvement Districts (BIDs)“, Rechtsgutachten erstattet im Auftrag der Freien und Hansestadt Hamburg, 2004, S. 102.

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§ 103 | Öffentliche Aufträge, Rahmenvereinbarungen und Wettbewerbe chen bezieht, nicht lediglich auf die einzelne staatliche Aufgabe1. Demzufolge wird man wohl nur dann von einer öffentlichen Auftraggebereigenschaft des Aufgabenträgers ausgehen können, wenn der Anteil der sonstigen, nicht-staatlichen Finanzierung des Aufgabenträgers weniger als 50 % ausmacht. Dies liegt insbesondere für die nordrhein-westfälische Interessen- und Standortgemeinschaft i.S.v. § 2 Abs. 1 ISGG NRW nahe. Hingegen erscheint die Annahme einer öffentlichen Auftraggebereigenschaft i.S.v. § 99 Nr. 2 für große private Entwicklungs- und Projektgesellschaften eher zweifelhaft2. 212 Die rechtlich schwierigere Frage betrifft allerdings die erste Ebene, d.h. die Aus-

wahl des privaten Aufgabenträgers, mit dem die Gebietskörperschaft einen öffentlich-rechtlichen Vertrag schließt. Diesbezüglich wird von vielen Teilen in der Literatur mit den unterschiedlichsten Argumentationen vertreten, dass das Vergaberecht nicht anwendbar sei3. Dabei wird zum Teil auf den fehlenden Beschaffungscharakter4 oder die fehlende Entgeltlichkeit des Vertrages5 abgestellt, teilweise wird auch vom Vorliegen eines In-house-Geschäfts ausgegangen6. Nach anderen Teilen des Schrifttums können all diese Versuche, eine Vergaberechtsfreiheit zu begründen, im Ergebnis nicht recht überzeugen7. Demzufolge hatte sich in letzter Zeit auch zunehmend die Ansicht durchgesetzt, dass bei der bisherigen Konstruktion von BID-Initiativen für die Auswahl des privaten Aufgabenträgers das Vergaberecht grundsätzlich zu beachten ist8. Insoweit ist allerdings zu berücksichtigen, dass die eine Ausschreibungspflicht bejahenden Stimmen auf der Grundlage der sog. „Ahlhorn“-Rechtsprechung des OLG Düsseldorf argumentierten, wonach für die Annahme des Beschaffungscharakters

1 Werner in Byok/Jaeger, Kommentar zum Vergaberecht, § 98 GWB Rz. 65; Dreher, DB 1998, 2579 (2583). 2 Vgl. zum Ganzen Ganske, BauR 2008, 1987 (1988 f.). 3 Vgl. Hellermann/Hermes, Rechtliche Zulässigkeit der Schaffung von „Business Improvement Districts (BIDs)“, Rechtsgutachten erstattet im Auftrag der Freien und Hansestadt Hamburg, 2004, S. 100 ff.; Kersten, UPR 2007, 121 (126); Paschke, vgl. Sarvan/Schomburg, Bericht über den IX. Hamburger Wirtschaftsrechtstag, DVBl. 2007, 617 (618); Huber, DVBl. 2007, 466 (469). 4 So Hellermann/Hermes, Rechtliche Zulässigkeit der Schaffung von „Business Improvement Districts (BIDs)“, Rechtsgutachten erstattet im Auftrag der Freien und Hansestadt Hamburg, 2004, S. 100 ff.; zustimmend Kersten, UPR 2007, 121 (126); ebenso (wohl) auch Burgi, NVwZ 2008, 929 (935). 5 So Huber, DVBl. 2007, 466 (469). 6 So Paschke, vgl. Sarvan/Schomburg, Bericht über den IX. Hamburger Wirtschaftsrechtstag, DVBl. 2007, 617 (618). 7 Ausführlich dazu Ganske, VergabeR 2008, 15 (17 ff.); Rubach-Larsen/Rechten, KommJur 2007, 321 (324 ff.). 8 Ebenso Rubach-Larsen/Rechten, KommJur 2007, 321, 324 ff.; Dicks in Deutscher Städteund Gemeindebund (Hrsg.), Kommunale Immobiliengeschäfte und Ausschreibungspflicht, DStGB Dokumentation Nr. 79, Ausgabe 4/2008, S. 9; Wellens, DVBl. 2009, 423 ff.; Ganske, VergabeR 2008, 15 ff.; Ganske, BauR 2008, 1987 ff.

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schon eine allgemeine wirtschafts- und gesellschaftspolitische Zwecksetzungen des Projekts ausreichen sollte1. Dem ist der EuGH in seiner Entscheidung „Helmut Müller GmbH“ vom 25.3.20102 zwischenzeitlich jedoch entgegengetreten (s. hierzu Rz. 197 ff.), so dass fraglich ist, ob diese Argumentation(en) gegenwärtig noch Bestand haben. Es spricht einiges dafür, dass infolge dieser EuGH-Entscheidung die Auswahl des privaten Aufgabenträgers außerhalb des Vergaberechts durchgeführt werden kann. Allerdings ist vor einer undifferenzierten Betrachtung zu warnen. Denn in Fällen, in denen sich die Gebietskörperschaft finanzielle oder durch sonstige Risikoübernahme an dem BID-Projekt beteiligt, indiziert dies nach der EuGH-Rechtsprechung ein „wirtschaftliches Interesse“ und damit einen Beschaffungscharakter3. Es ist daher stets eine Einzelfallbetrachtung geboten. Sollte diese zu dem Ergebnis führen, dass der Anwendungsbereich des Vergaberechts eröffnet ist, so lohnt es sich im Weiteren, die konkreten Einzelfallumstände auch mit Blick auf die Wahl der „richtigen“ Verfahrensart und damit ggf. verbundener „Verfahrenserleichterungen“ genau zu analysieren. Es spricht vieles dafür, dass oberhalb der Schwellenwerte oftmals bereits ein Verhandlungsverfahren ohne öffentliche Bekanntmachung gem. § 3 EU Abs. 3 Nr. 3 lit. c) VOB/A (vgl. dazu auch sogleich Rz. 213) bzw. § 14 Abs. 4 Nr. 2 VgV zulässig ist. Mitunter kann hier auch die Durchführung eines wettbewerblichen Dialogs in Betracht kommen4. e) Ausschließlichkeitsrechte Soweit ein öffentlicher Auftrag vorliegt und der Anwendungsbereich des Ver- 213 gaberechts eröffnet ist, stellt sich im Zusammenhang mit den hier in Rede stehenden grundstücksbezogenen Geschäften stets die Frage, ob der in Rede stehende Auftrag aufgrund des Schutzes von Ausschließlichkeitsrechten nur von einem bestimmten Unternehmer ausgeführt werden kann, so dass gem. § 3a EU Abs. 3 Nr. 3 lit. c) VOB/A zumindest ein Verhandlungsverfahren ohne öffentliche Vergabebekanntmachung zulässig ist. Es ist zwar höchstrichterlich nicht geklärt, aber in der Literatur anerkannt, dass unter den Begriff der „Ausschließlichkeitsrechte“ i.S.v. § 3a EU Abs. 3 Nr. 3 lit. c) VOB/A neben Warenzeichen, Vertriebslizenzen, Patenten, Urheberrechten und sonstigen gewerblichen Schutzrechten auch das Eigentum an einem Grundstück oder schuldrechtliche 1 Vgl. OLG Düsseldorf v. 2.10.2008 – VII-Verg 25/08, NZBau 2008, 727 (730 f.); OLG Düsseldorf v. 12.12.2007 – VII-Verg 30/07, NZBau 2008, 138 (140); OLG Düsseldorf v. 13.6. 2007 – VII-Verg 2/07, NZBau 2007, 530, 533; OLG Karlsruhe v. 13.6.2008 – 15 Verg 3/08, NZBau 2008, 537 (538 f.); OLG Bremen v. 13.3.2008 – Verg 5/07, NZBau 2008, 336 (337 f.). 2 EuGH v. 25.3.2010 – Rs. C-451/08, NZBau 2010, 321 ff. – Helmut Müller GmbH. 3 EuGH v. 25.3.2010 – Rs. C-451/08, NZBau 2010, 321 ff., Rz. 52 – Helmut Müller GmbH. 4 Ausführlich zum Ganzen Ganske, BauR 2008, 1987 (1992 ff.); ähnlich Wellens, DVBl. 2009, 423 (430 f.).

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§ 103 | Öffentliche Aufträge, Rahmenvereinbarungen und Wettbewerbe Ansprüche, wie z.B. das Vorkaufsrecht an einem Grundstück, fallen1. Denn soll das Bauvorhaben auf einem bestimmten Grundstück errichtet werden, das im Eigentum eines Dritten steht, so kann aus rechtlichen Gründen regelmäßig nur der Grundstückseigentümer dort ein Bauwerk errichten bzw. errichten lassen. Umgekehrt kann der Grundstückseigentümer jedem Dritten untersagen, auf seinem Grundstück Bauarbeiten durchzuführen. Im Interesse des Umgehungsschutzes besteht jedoch dann kein Ausschließlichkeitsrecht, wenn die „Monopolstellung“ zuvor künstlich geschaffen wurde, insbesondere wenn der Investor Grundstücke vom Auftraggeber selbst erworben hat2. Denn zur Vermeidung einer treuwidrigen Umgehung des Vergaberechts sind alle im Zuammenhang stehenden Vertragsbeziehungen als vertragliche Einheit zu betrachten3. 3. Sozialrechtliche Verträge 214 Das Verhältnis von Sozialrecht und Vergaberecht ist in den letzten Jahren zu-

nehmend in den Fokus gerückt. Die Frage, ob sozialrechtliche Verträge ausgeschrieben werden müssen, stellt sich jedoch nur, wenn der Anwendungsbereich des Vergaberechts eröffnet ist, insbesondere ein öffentlicher Auftrag i.S.v. § 103 Abs. 1 vorliegt. Ist dies nicht der Fall, besteht grundsätzlich auch kein Konflikt4. Ob sozialrechtliche Verträge dem (sachlichen) Anwendungsbereich des Vergaberechts unterfallen, muss jeweils im Einzelfall und ohne Verallgemeinerung geprüft werden. Dies gilt auch dann, wenn die Leistung im Rahmen des sog. sozialrechtlichen Dreiecksverhältnisses erbracht wird5 (s. hierzu bereits oben unter Rz. 3 und 21 f.). In Rechtsprechung und Literatur hat sich in den letzten Jahren in diesem Zusammenhang ein weites Meinungsspektrum zu der Frage, unter welchen Bedingungen das Vergaberecht auf sozialrechtlich geprägte Sachverhalte anwendbar ist und ob das Sozialrecht die Leistungsträger an

1 Vgl. Otting, NZBau 2004, 469 (470); Stolz in Ingenstau/Korbion, VOB – Teile A und B – Kommentar, § 3a EU VOB/A Rz. 49 f.; Stickler in Kapellmann/Messerschmidt, 6. Aufl. 2017, VOB Teile A und B, § 3a EU VOB/A Rz. 49; Jasper/von der Recke, ZfBR 2008, 561 (567). 2 Jasper/von der Recke, ZfBR 2008, 561 (567); Stoye in Franke/Kemper/Zanner/Grünhagen, VOB-Kommentar, § 23 VOB/A Rz. 6. 3 Stoye in Franke/Kemper/Zanner/Grünhagen, VOB-Kommentar, § 23 VOB/A Rz. 6. 4 Glahs, Sozialrecht aktuell 2007, 224. 5 Vgl. insoweit auch die auf eine Kleine Anfrage hin erfolgte Klarstellung der Bundesregierung in BT-Drucks. 18/6492, 2 f., wo es heißt: „Die Anwendung des Vergaberechts auf die Leistungserbringung im sog. sozialrechtlichen Dreiecksverhältnis kann […] nicht einheitlich beantwortet werden, sondern hängt von der Ausgestaltung der konkreten Rechtsbeziehungen zwischen Leistungsträger, Leistungserbringer und Leistungsempfänger im jeweils anzuwendenden Leistungserbringungsrecht ab. Eine pauschale Ausnahme für Leistungen im sozialrechtlichen Dreiecksverhältnis vom Vergaberecht ist europarechtlich weder möglich noch in der Sache gerechtfertigt.“. Die Gesetzesbegründung zu § 103 Abs. 1 in BT-Drucks. 18/6281, S. 73, erweist sich dagegen als missverständlich.

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einer Ausschreibung sogar hindern kann, herausgebildet. Die Rechtslage wird zusätzlich durch die Diversität der Rechtsregime nach den einzelnen Sozialgesetzbüchern verkompliziert. Aussagen, die für den Bereich eines Sozialgesetzbuches zutreffend sind, können daher nicht unbesehen auf die Beurteilung der Rechtslage nach einem anderen Sozialgesetzbuch übernommen werden1. Dementsprechend wird auch in der Praxis der Leistungsträger höchst unterschiedlich vorgegangen. Dabei dürfte die Durchführung eines Vergabeverfahrens oftmals auch nur von dem Hintergedanken getragen worden sein, durch die exklusive Auftragserteilung an einen ausgewählten Leistungserbringer im Anschluss an ein Wettbewerbsverfahren die Kosten für die Dienstleistungen insgesamt zu senken2. a) Leistungsvereinbarungen gemäß §§ 75 ff. SGB XII Im Bereich des SGB XII wird die Leistung regelmäßig im sozialrechtlichen 215 Dreiecksverhältnis erbracht. Der Sozialhilfeberechtigte schließt einen Betreuungsvertrag mit dem Träger der Einrichtung, diesem steht ein Entgeltanspruch gegen den Sozialhilfeberechtigten, nicht gegen den Sozialhilfeträger, zu3. Dies gilt selbst dann, wenn der Sozialhilfeträger die Zahlungen unmittelbar an den Einrichtungsträger erbringt, denn insoweit handelt es sich um die Erfüllung einer Verpflichtung des Sozialhilfeträgers gegenüber dem Hilfesuchenden, und zwar durch Leistung an einen Dritten gem. § 362 Abs. 2 BGB4. Wenn eine Abwicklung im sozialhilferechtlichen Dreiecksverhältnis vorliegt, d.h. wenn der Leistungsträger keinen Entgeltanspruch gegen den Sozialhilfeträger, sondern nur gegen den Sozialhilfebedürftigen hat, stellt die Leistungsvereinbarung grundsätzlich keinen öffentlichen Auftrag dar, sondern – zumindest der Sache nach – eine Dienstleistungskonzession i.S.v. § 105 Abs. 1 Nr. 25, welche nach neuer Rechtslage grundsätzlich in den Anwendungsbereich des Vergaberechts fällt (s. jedoch noch Rz. 217)6. Denn zum einen erhält der Leistungserbringer 1 Glahs/Rafii, Sozialrecht aktuell 2016, 169. 2 VG Darmstadt v. 29.2.2016 – 5 L 652/15, VG Darmstadt v. 29.2.2016 – 5 L 652/12.DA, NJW 2016, 2677 ff.; Engler, Die Leistungserbringung in den Sozialgesetzbüchern II, III, VII und XII im Spannungsverhältnis zum europäischen und nationalen Vergaberecht, S. 17 m.w.N. 3 Vgl. BVerwG v. 30.9.1993 – 5 C 41/91, BVerwGE 94, 202, 204; OVG Münster v. 8.12. 1994 – 24 A 3212/92, NWVBl. 1995, 262 ff. 4 VG Münster v. 2.5.1990 – 5 K 820/89, RsDE Bd. 13 (1991), 70, 76. 5 Vgl. hierzu Glahs, Sozialrecht aktuell 2007, 224 f.; Neumann/Nielandt/Philipp, Erbringung von Sozialleistungen nach Vergaberecht?, S. 65 f.; Dörr, RdJB 2002, 349 (365); OLG Düsseldorf v. 22.9.2004 – VII-Verg 44/04, NZBau 2005, 652 f. 6 Ebenso Glahs/Rafii, Sozialrecht aktuell 2016, 169 (173). A.A. OLG Düsseldorf v. 13.5.2015 – VII-Verg 38/14, welches – trotz des Umstandes, dass aus § 75 Abs. 3 SGB XII für den Leistungserbringer grundsätzlich kein eigener Anspruch gegen den Leistungsträger auf Vergütung der Leistungen folgt – die Ansicht vertreten hat, es handele sich um einen entgeltlichen öffentlichen Auftrag. Das OLG Düsseldorf argumentiert insoweit, dass durch

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§ 103 | Öffentliche Aufträge, Rahmenvereinbarungen und Wettbewerbe sein Entgelt von dem Berechtigten; und zum anderen – was entscheidender ist – trägt der Leistungserbringer auch das wirtschaftliche Risiko, weil er ein Entgelt nur dann erhält, wenn die Sozialhilfeberechtigten ihn auswählen. Vor dem Hintergrund des zuletzt Gesagten gilt etwas anderes jedoch in solchen Fallkonstellationen, in denen ein wirtschaftliches Risiko faktisch nicht besteht1. In diesen Fällen liegt ein öffentlicher Auftrag i.S.d. § 103 Abs. 1 vor. 216 Für die Leistungsvereinbarungen gem. §§ 75 ff. SGB XII stellt sich zudem die

Frage, ob es dem Leistungsträger verboten ist, die Leistungsvereinbarungen so auszugestalten, dass sie öffentliche Aufträge i.S.v. § 103 darstellen. Das VG Münster und OVG Münster haben ein solches Verbot für eine Leistungsvereinbarung mit Gebietsschutz bejaht2. Maßgeblich war insoweit die Überlegung,

den Abschluss der Leistungsvereinbarung als (öffentlich-rechtlichen) (Rahmen-)Vertrag eine synallagmatische Verbindung zwischen Leistungsträger und Leistungserbringer entstehe. Diese Einschätzung erscheint indes weder mit der neueren Rechtsprechung des BSG (Urt. v. 28.10.2008 – B 8 SO 22/07 R, BSGE 102, 1 ff. und Urt. v. 18.11.2014 – B 8 SO 23/13 R, NVwZ-RR 2015, 501 ff.) und des BGH (Urt. v. 7.5.2015 – III ZR 304/14, BGHZ 205, 260 ff. = MDR 2015, 754 und Urt. v. 31.3.2016 – III ZR 267/15, MDR 2016, 872 = NJW 2016, 2734 ff.) noch mit der Rechtsprechung des EuGH zur Abgrenzung von Dienstleistungskonzessionen und Aufträgen vereinbar. Denn nach der Rechtsprechung von BSG und BGH verschafft der Leistungsträger durch den Abschluss der Leistungsvereinbarung mit dem Leistungserbringer dem Leistungsberechtigten zwar die Sachleistung. Diese Rechtsbeziehung wird daher auch als öffentlich-rechtliches Sachleistungsverschaffungsverhältnis bezeichnet. Die Entgeltzahlung des Leistungsträgers an den Leistungsberechtigten erfolgt aber nicht auf Grundlage der Leistungsvereinbarung. Der Leistungserbringer hat einen Entgeltanspruch gegen den Leistungsberechtigten, und nur aufgrund des Schuldbeitritts wird der Leistungsträger Mitschuldner des zivilrechtlichen Entgelts. Durch den Schuldbeitritt wandelt sich die Forderung nicht in eine öffentlich-rechtliche Schuld. Erfolgt die Entgeltzahlung des Leistungsträgers an den Leistungserbringer allein aufgrund des Schuldbeitritts, ist ein direkter synallagmatischer Leistungsaustausch zwischen Leistungsträger und Leistungserbringer durch den Abschluss der Leistungsvereinbarung nicht erkennbar. Darüber hinaus lässt das OLG Düsseldorf in der Entscheidung gänzlich unberücksichtigt, wer das wirtschaftliche Risiko aus der Vereinbarung trägt. Ist dies der Leistungserbringer, weil es im Wesentlichen sein Risiko ist, ob die Leistungen von den Berechtigten ausgewählt werden, liegt nach Ansicht des EuGH (Urt. v. 13.10. 2005 – Rs. C-458/03, Rz. 40 f. und Urt. v. 10.11.2011 – Rs. C-348/10, Rz. 48) – selbst bei einem unmittelbaren Entgeltanspruch – eine Konzession vor. Siehe zum Ganzen auch Glahs/Rafii, Sozialrecht aktuell 2016, 169 (173 f.). 1 So z.B. in dem Fall OLG Hamburg v. 7.12.2007 – 1 Verg 4/07, NDV-RD 2008, 30 ff. und VK Hamburg v. 24.7.2007 – Vgk FB 4/07 (Vorinstanz), wo zum einen durch die Zurverfügungstellung eines bestimmten Teilnehmerkontingentes faktisch kein Auslastungsrisiko für den Auftragnehmer bestand und zum anderen der Auftragnehmer seine Vergütung unmittelbar vom Auftraggeber erhalten hat, so dass der Auftragnehmer auch kein Ausfallrisiko der Leistungsberechtigten tragen musste. 2 VG Münster v. 22.6.2004 – 5 L 728/04, RsDE Nr. 57 (2005), 88; OVG Münster v. 27.9. 2004 – 12 B 1390/04 und 12 B 1397/04, NVwZ 2005, 835 (835). Siehe ferner auch OVG

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dass die Vergabe den Anspruch der geeigneten Leistungserbringer auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über den Abschluss einer Vereinbarung auch mit ihnen verletze. Hintergrund ist, dass Einrichtungsträger einen subjektiven, vor den Verwaltungsgerichten einklagbaren Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über den Abschluss einer Pflegesatzvereinbarung gem. §§ 75 ff. SGB XII haben1. Es ist daher, insbesondere auch nach Ansicht des BVerwG, ermessensfehlerhaft, den Abschluss einer Pflegesatzvereinbarung deshalb abzulehnen, weil bereits mit einem Träger eine entsprechende Vereinbarung geschlossen wurde oder kein Bedarf zum Abschluss von Vereinbarungen mit weiteren Trägern besteht. Denn eine solche Bedarfsplanung des Sozialhilfeträgers steht weder im Einklang mit dem Wunsch- und Wahlrecht des Sozialhilfeberechtigten (vgl. § 9 Abs. 2 und 3 SGB XII) noch mit dem Grundsatz, dass der Sozialhilfeträger die Vielfalt der Angebote (Angebots- und Trägervielfalt) wahren und nicht beeinträchtigen soll2. Das OVG Münster hat offengelassen, ob es auch unzulässig ist, Leistungsverträge im Rahmen eines Vergabeverfahrens abzuschließen, wenn diese ohne Gebietsschutz abgeschlossen werden, es dem Auftraggeber also möglich bleibt, weitere Träger in dem Gebiet zuzulassen3. Nach Auffassung des LSG Berlin-Brandenburg ist aufgrund der Art. 3 Abs. 1 und 12 Abs. 1 GG im Wege der Ermessensreduzierung „auf Null“ ein Rechtsanspruch auf Abschluss der Vereinbarung gegeben, wenn die normativen Voraussetzungen für den Abschluss erfüllt sind4. Mit Rücksicht auf das vorstehend in Rz. 215 f. Gesagte ist im Weiteren jedoch zu 217 beachten, dass sich aus Art. 1 Abs. 2 und Erwägungsgrund 4 der Richtlinie 2014/24/EU sowie auch aus Erwägungsgrund 13 der Richtlinie 2014/23/EU als weitere Voraussetzung für die Eröffnung des Anwendungsbereichs des Vergaberechts das Erfordernis der Vornahme einer Auswahlentscheidung durch den Auftraggeber ergibt. Danach sind Fälle, in denen alle Wirtschaftsteilnehmer, die

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Berlin v. 4.4.2005 – 6 S 415/04, RsDE Nr. 63 (2006), 67; VG Hamburg v. 5.8.2004 – 13 E 2873/04, ZfJ 2005, 111 (112). BVerwG v. 30.9.1993 – 5 C 41/91, BVerwGE 94, 202, 204; Fichtner, BSHG, § 93 Rz. 21. BVerwG v. 30.9.1993 – 5 C 41/91, BVerwGE 94, 202, 204 und 207; sowie ferner auch LSG Baden-Württemberg v. 13.7.2006 – L 7 SO 1902/06 ER-B, Sozialrecht aktuell 2006, 168 ff.; SG Heilbronn v. 13.3.2014 – S 9 SO 4284/13, RdLH 2014, 139 f., mit Anm. Baur, RdLH 2014, 140. Vgl. in diesem Zusammenhang auch Glahs, Sozialrecht aktuell 2007, 224 (225), die zutreffend darauf hinweist, dass ein Vorgehen ohne Gebietsschutz für den öffentlichen Auftraggeber zu dem Problem führt, dass den Bietern, um ihnen kein unzumutbares Wagnis zu überbürden, eine bestimmte Teilnehmerzahl oder ein bestimmtes Entgelt zu garantieren ist. Müssen in der Folge dann jedoch weitere Träger zugelassen werden, besteht die Gefahr, dass der Auftraggeber Zahlungen leisten muss, obwohl die Leistung des im Vergabeverfahren ausgewählten Trägers nicht in Anspruch genommen wird. LSG Berlin-Brandenburg v. 2.9.2011 – L 23 SO 147/11 B ER; ebenso Bieritz-Harder/Conradis/Thie-Münder, Sozialgesetzbuch XII, 10. Aufl. 2015, § 75 Rz. 18.

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§ 103 | Öffentliche Aufträge, Rahmenvereinbarungen und Wettbewerbe die erforderlichen Voraussetzungen erfüllen, ohne irgendeine Selektivität zur Wahrnehmung der Aufgaben berechtigt sind, nicht als Auftragsvergabe zu verstehen, sondern als einfache Zulassungssysteme, die nicht dem Anwendungsbereich der Richtlinien unterliegen. Dies gilt nach Erwägungsgrund 4 der Richtlinie 2014/24/EU u.a. dann, wenn die Auswahl durch den Kunden erfolgt. Zwar findet sich diese Einschränkung des Anwendungsbereichs im nationalen Recht weder in der gesetzlichen Definition des öffentlichen Auftragsbegriffs gem. § 103 noch in der Regelung betreffend die Dienstleistungskonzessionen in § 105 wieder. Allerdings lässt sich aus den Gesetzesmaterialien entnehmen, dass der Gesetzgeber nicht von der Richtlinienvorgabe abweichen und eine Verschärfung der Ausschreibungspflicht anordnen wollte (s. hierzu auch Rz. 3)1. Dies steht zudem im Einklang mit der jüngst durch den EuGH bestätigten Auffassung des OLG Düsseldorf betreffend die sog. Open-House-Modelle (s. auch Rz. 234). Das OLG Düsseldorf hat insoweit die Ansicht vertreten, dass bloße „Zulassungen“ nicht in den Anwendungsbereich des Vergaberechts fallen. Unter welchen konkreten Bedingungen eine solche „Zulassung“ angenommen werden könne, hat das OLG Düsseldorf in einem Vorlagebeschluss an den EuGH näher präzisiert. Dabei hat das OLG Düsseldorf darauf abgestellt, dass, wenn ein Vertragsschluss mit dem öffentlichen Auftraggeber für jedes geeignete Unternehmen jederzeit rechtlich und tatsächlich möglich sei, kein Unternehmen einen Wettbewerbsvorteil erlangen könne und damit auch keine Gefahr der Diskriminierung einzelner Unternehmen bestehe. Erforderlich sei aber, dass klare Regeln über den Vertragsschluss und den Vertragsbeitritt im Vorhinein festgelegt und eine Einflussnahme einzelner Wirtschaftsteilnehmer auf den Vertragsinhalt ausgeschlossen sei. Das Beitrittsrecht müsse jederzeit ausgeübt werden können. Zudem müssten sowohl die Durchführung des Zulassungsverfahrens als auch Vertragsschlüsse europaweit publiziert werden2. Die Vereinbarkeit dieser Ansicht mit dem Unionsrecht hat der EuGH bestätigt3. Die Auswahl eines Angebots und somit eines Auftragnehmers stelle ein Element dar, das mit dem durch die EU-Vergaberichtlinien geschaffenen Rahmen für öffentliche Aufträge und folglich mit dem Begriff „öffentlicher Auftrag“ im Sinne der Richtlinie untrennbar verbunden sei. Das Ziel der Richtlinien bestehe darin, der Gefahr der Bevorzugung inländischer Wirtschaftsteilnehmer entgegenzuwirken. Ein Zulassungsver1 Vgl. BR-Drucks. 367/15, S. 82 und BT-Drucks. 18/6281, S. 73. 2 OLG Düsseldorf v. 13.8.2014 – VII-Verg 13/14, NZBau 2014, 654 ff.; sowie auch bereits OLG Düsseldorf v. 11.1.2012 – VII-Verg 58/11, BeckRS 2012, 01849. 3 EuGH v. 2.6.2016 – Rs. C-410/14, EuZW 2016, 705 ff., Rz. 32 ff. – Dr. Falk Pharma GmbH. Siehe ferner hierzu sowie insbesondere auch zu der Frage, ob Open-House-Modelle auch außerhalb des Sozialversicherungsrechts Bedeutung erlangen können, Neun, NZBau 2016, 681 (684 ff.), der dies für möglich erachtet, sowie Gabriel, IBR 2016, 469, der dies unter Hinweis auf das Haushaltsrecht kritisch sieht, weil durch derartige wettbewerbsfreie Vertragsabschlussverfahren nicht erreicht wird, dass der Auftraggeber die wirtschaftlich günstigsten im Markt verfügbaren Angebote identifiziert.

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fahren ohne Auswahlentscheidung unterliege daher nicht den Richtlinien, sondern müsse lediglich mit den Grundregeln des AEUV in Einklang stehen, insbesondere den Grundsätzen der Nichtdiskriminierung und der Gleichbehandlung der Wirtschaftsteilnehmer sowie dem sich daraus ergebenden Transparenzgebot, soweit an dem Auftrag ein eindeutiges grenzüberschreitendes Interesse bestehe1. Nach dem Regelungsregime des SGB XII (und ebenso des SGB VIII und SGB II) hat der Abschluss von Leistungsvereinbarungen mit jedem geeigneten Unternehmen zu angemessenen Bedingungen zu erfolgen. Kommt eine Einigung über die Vergütung nicht zustande, entscheidet im Anwendungsbereich des SGB XII (und des SGB VIII) zudem eine paritätisch besetzte Schiedsstelle, nicht allein der Leistungsträger. Eine Auswahlentscheidung im Sinne einer Selektion einzelner Wirtschaftsteilnehmer wird mithin durch den Leistungsträger nicht vorgenommen. Demzufolge besteht eine Pflicht zur Ausschreibung der Leistungsvereinbarungen – unabhängig davon, ob diese dem Grunde nach einen öffentlichen Auftrag i.S.v. § 103 oder eine Dienstleistungskonzessionen i.S.v. § 105 Abs. 1 Nr. 2 darstellen – nach dem neuen Vergaberechtsregime dann nicht, wenn der öffentliche Auftraggeber keine Auswahlentscheidung vornimmt2. Anders kann die Rechtslage allerdings zu beurteilen sein, wenn der Leistungsträ- 218 ger zwar generell bereit ist, jeden Leistungserbringer zuzulassen, allerdings einzelnen Leistungserbringern feste Kontingente oder Quoten zuordnet. In diesem Fall ist eine exklusive Auswahlentscheidung insoweit gegeben. In der Regel dürfte es sich dann auch um die Vergabe eines öffentlichen Auftrages i.S.v. § 103 handeln3. Der Leistungsträger wird dabei regelmäßig das Ziel verfolgen, seinen Bedarf für die jeweilige Leistung durch die Ausschreibung umfassend zu decken, um seiner Gewährleistungspflicht gegenüber den Leistungsberechtigten nachzukommen und den kostensenkenden Effekt der Ausschreibungen ausnutzen zu können. Die Gestaltungsmöglichkeiten sind vielfältig. Sie umfassen etwa den Abschluss von Exklusivverträgen über alle Aufträge, die im vorgesehenen Zeitraum im Vertragsgebiet anfallen, Vereinbarungen über die Erbringung von Fallpauschalen, feste Kontingentzuweisungen, Quotenregelungen oder die Vorhaltung eines Personalpools, aus dem der Leistungsträger bei Bedarf die Leistungserbringung verlangen darf. Der Abschluss entsprechender Verträge liegt regelmäßig auch im Interesse der beteiligten Leistungserbringer, die Planungssicherheit für den Vertragszeitraum erhalten. In der Rechtsprechung besteht allerdings Uneinigkeit, ob diese Vereinbarungen mit den sozialrechtlichen Vorgaben vereinbar sind. Während in der Verwaltungsgerichtsbarkeit überwiegend die Auffassung vertreten wird, dass die Regelungen zum sozialrechtlichen Drei1 EuGH v. 2.6.2016 – Rs. C-410/14, EuZW 2016, 705 ff., Rz. 44 f. – Dr. Falk Pharma GmbH. 2 So auch LSG NRW v. 14.4.2010 – L 21 KR 69/09 SFB; Höfer/Nolte, NZS 2015, 441 (443); Glahs/Rafii, Sozialrecht aktuell 2016, 169 (174). 3 Glahs/Rafii, Sozialrecht aktuell 2016, 169 (174).

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§ 103 | Öffentliche Aufträge, Rahmenvereinbarungen und Wettbewerbe ecksverhältnis einer Ausschreibung entgegenstehen1, wird diese Einschätzung in jüngerer Zeit von einigen Sozialgerichten2 und Vergabenachprüfungsinstanzen3 in Zweifel gezogen4. 219 Das Vergaberecht erfasst den Abschluss von Leistungsvereinbarungen im Sinne

des SGB XII somit nicht5. Will der Leistungsträger allerdings darüber hinaus eigene Schwerpunkte bei der Leistungserbringung setzen und von den sozialrechtlichen Vorgaben abweichende Vereinbarungen mit einzelnen Leistungserbringern schließen, hängt es von der konkreten Ausgestaltung im Einzelfall ab, ob ein solches Vorgehen zulässig ist. b) Verträge im Bereich der Kinder- und Jugendhilfe gemäß §§ 78a ff. SGB VIII

220 Gleiches wie bei den Leistungsvereinbarungen nach dem SGB XII gilt auch für

die Verträge gem. §§ 78a ff. SGB VIII im Bereich der Kinder- und Jugendhilfe. Das oben in Rz. 215–217 Gesagte gilt insoweit entsprechend6. Allerdings ist auch hier stets eine sorgfältige Einzelfallprüfung erforderlich.

221 Ebenso wie im Anwendungsbereich des SGB XII (vgl. Rz. 215) steht den Leis-

tungsberechtigten auch im Anwendungsbereich des SGB VIII grundsätzlich ein Wunsch- und Wahlrecht zu (vgl. § 5 SGB VIII)7. § 3 SGB VIII betont zudem ex-

1 Vgl. beispielsweise BVerwG v. 13.5.2004 – 3 C 2/04, PflR 2004, 349 ff.; OVG Münster v. 27.9.2004 – 12 B 1390/04, NVwZ 2005, 834 f. 2 Vgl. beispielsweise LSG Sachsen v. 12.2.2015 – L 3 AS 1333/13, BeckRS 2016, 70223; SG Düsseldorf v. 29.4.2016 – S 42 SO 73/16 ER. A.A. SG Osnabrück v. 28.1.2015 – S 33 AS 320/13, BeckRS 2015, 66683. 3 Vgl. beispielsweise OLG Düsseldorf v. 13.5.2015 – VII-Verg 38/14, BeckRS 2016, 18626. 4 Ausführlich zum Ganzen und m.w.N. Glahs/Rafii, Sozialrecht aktuell 2016, 169 (174 ff.). 5 Entsprechendes gilt für Leistungsvereinbarungen im Sinne des SGB VIII und des SGB II. Siehe dazu noch im Folgenden unter Rz. 220 ff. und 223 f. 6 Vgl. Glahs/Rafii, Sozialrecht aktuell 2016, 169 (173 ff.); sowie ferner auch OLG Düsseldorf v. 22.9.2004 – VII-Verg 44/04, NZBau 2005, 652 ff.; Glahs, Sozialrecht aktuell 2007, 224 (225). 7 § 5 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII bestimmt ausdrücklich, dass das Wahlrecht die Auswahl zwischen (bestehenden) Einrichtungen und Diensten verschiedener Träger umfasst, vgl. Winkler in Knickrehm/Kreikebohm/Waltermann, Kommentar zum Sozialrecht, 4. Aufl. 2015, Sammelkomm. SGB VIII, Rz. 11. Bei stationären und teilstationären Leistungen dürfen aber grundsätzlich nur Einrichtungen gewählt werden, mit denen Vereinbarungen nach § 78b SGB VIII bestehen, vgl. § 5 Abs. 2 Satz 2 SGB VIII. Auf das Wahlrecht muss der Leistungsberechtigte von dem Leistungsträger ausdrücklich hingewiesen werden, § 5 Abs. 1 Satz 2 SGB VIII. Wie beim Wunsch- und Wahlrecht gem. § 9 Abs. 2 SGB XII soll den Wünschen des Leistungsberechtigten im Anwendungsbereich des SGB VIII grundsätzlich entsprochen werden. Eine Einschränkung des Wahlrechts sieht das Gesetz wiederum für den Fall vor, dass die Erfüllung des Wunsches mit unverhältnismäßigen Mehrkosten verbunden ist, vgl. § 5 Abs. 2 SGB VIII.

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plizit die Angebots- und Trägervielfalt. Gemäß § 3 Abs. 1 SGB VIII ist die Jugendhilfe gekennzeichnet durch die Vielfalt von Trägern unterschiedlicher Wertorientierungen und die Vielfalt von Inhalten, Methoden und Arbeitsformen. Durch die Regelung soll sichergestellt werden, dass die Vielfältigkeit der Jugendhilfeangebote in die Praxis Eingang findet1. Nach § 3 Abs. 2 SGB VIII werden die Leistungen der Jugendhilfe von Trägern der freien Jugendhilfe und von Trägern der öffentlichen Jugendhilfe erbracht. Allerdings richten sich die Leistungsverpflichtungen nach dem SGB VIII allein an die öffentlichen Träger. Die Regelungen tragen der historisch gewachsenen Bedeutung der privaten Träger Rechnung, die den überwiegenden Anteil der Leistungen im Anwendungsbereich des SGB VIII erbringen2. Entsprechend der Rechtslage nach dem SGB XII ergibt sich zudem auch nach dem SGB VIII eine prinzipielle Verpflichtung für den Leistungsträger zur Zusammenarbeit mit den freien Leistungserbringern und zur Zurückhaltung beim Aufbau eigener Einrichtungen (vgl. § 4 SGB VIII)3. Darüber hinaus haben die Träger der freien Jugendhilfe über § 74 Abs. 1 und 3 SGB VIII einen Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über die Gewährung einer Förderung4. Der Abschluss von Leistungsvereinbarungen zwischen dem Träger der Jugend- 222 hilfe und der freien Jugendhilfe ist in den §§ 77 und 78b SGB VIII geregelt. Im Bereich der stationären und teilstationären Leistungen und ggf. auch ambulanten Leistungen gelten die §§ 78a ff. SGB VIII5. Den Leistungserbringern steht gem. § 78b Abs. 2 Satz 1 SGB VIII ein Anspruch auf Abschluss der Vereinbarung zu, wenn sie die Eignungsvoraussetzungen erfüllen6. In Ansehung des Wortlauts von § 78b Abs. 2 Satz 1 SGB VIII einerseits und unter Berücksichtigung der Rechtsprechung zum SGB XII andererseits, darf die Entscheidung über den Vertragsschluss nach dem SGB VIII nicht von Bedarfsgesichtspunkten abhängig gemacht werden7. In der Sache besteht daher – trotz der abweichenden 1 Winkler in Knickrehm/Kreikebohm/Waltermann, Kommentar zum Sozialrecht, 4. Aufl. 2015, Sammelkomm. SGB VIII, Rz. 7. 2 Kunkel in Kunkel/Kepert/Pattar, Sozialgesetzbuch VIII, 6. Aufl. 2016, § 11 Rz. 9, unter Verweis auf BT-Drucks. 11/6576, 110; Tillmanns in MünchKomm/BGB, Band 8, SGB VIII, 6. Aufl. 2012, § 3 Rz. 3. 3 Winkler in Knickrehm/Kreikebohm/Waltermann, Kommentar zum Sozialrecht, 4. Aufl. 2015, Sammelkomm. SGB VIII, Rz. 10; Winkler in Beck’scher Online-Kommentar Sozialrecht, SGB VIII, 43. Edition, Stand: 1.12.2016, § 4 Rz. 5. 4 BVerwG v. 17.7.2009 – 5 C 25/08, NVwZ-RR 2010, 19 ff., Rz. 13. 5 Schindler/Elmauer in Kunkel/Kepert/Pattar, Sozialgesetzbuch VIII, 6. Aufl. 2012, § 77 Rz. 1; Winkler in Knickrehm/Kreikebohm/Waltermann-Winkler, Kommentar zum Sozialrecht, 4. Aufl. 2015, Sammelkomm. SGB VIII, Rz. 156. 6 Winkler in Knickrehm/Kreikebohm/Waltermann, Kommentar zum Sozialrecht, 4. Aufl. 2015, Sammelkomm. SGB VIII, Rz. 156; Meysen/Reiß/Beckmann/Schindler, Sozialrecht aktuell 2015, 56 (57). 7 Engler, Die Leistungserbringung in den Sozialgesetzbüchern II, III, VIII und XII im Spannungsverhältnis zum europäischen und nationalen Vergaberecht, S. 32, m.w.N.

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§ 103 | Öffentliche Aufträge, Rahmenvereinbarungen und Wettbewerbe Formulierungen im Gesetz – kein wesentlicher Unterschied zu der Rechtslage nach dem SGB XII (s. Rz. 215 ff.)1. § 77 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII, der nur außerhalb des Anwendungsbereichs der §§ 78a ff. SGB VIII gilt, verpflichtet den Leistungsträger zudem lediglich dazu, Vereinbarungen über die Höhe der Kosten mit dem Leistungserbringer anzustreben. Ob ein Anspruch auf Abschluss einer Leistungsvereinbarung für den Leistungserbringer besteht, ist in der Literatur streitig2. Das VG München geht von einem Recht auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über den Abschluss aus3. c) Verträge gemäß SGB II und SGB III 223 Im Bereich von SGB II und SGB III ist eine verallgemeinernde Aussage schwieri-

ger. Teilweise wird hier die Durchführung eines wettbewerblichen Verfahrens ausdrücklich vorgeschrieben, teilweise schweigt das Gesetz zu der Frage, ob ein Vergabeverfahren durchgeführt werden muss oder zumindest durchgeführt werden kann. Es muss daher jeweils im Einzelfall überprüft werden, ob der Anwendungsbereich des Vergaberechts eröffnet ist oder nicht. In der Praxis ist festzustellen, dass die Bundesagentur für Arbeit eine Vielzahl von Aufträgen im Wege formeller Vergabeverfahren vergibt, so z.B. die Verträge über ausbildungsbegleitende Hilfen, über berufsvorbereitende Bildungsmaßnahmen, über die Ausbildung in außerbetrieblichen Einrichtungen sowie Trainingsmaßnahmen4.

224 Was speziell das SGB II angeht, so entspricht die Bestimmung des § 17 Abs. 2

SGB II (Einrichtungen und Dienste für Leistungen zur Eingliederung) dem Wortlaut nach der Regelung in den §§ 75 ff. SGB XII. Dies legt es – zumindest auf den ersten Blick – nahe, es handele sich auch insoweit grundsätzlich um Dienstleistungskonzessionen5. Mit Blick darauf, dass bei § 17 Abs. 2 SGB II zum einen kein sozialrechtliches Dreiecksverhältnis vorliegt, weil der Entgeltanspruch der Einrichtung nicht gegen den Arbeitssuchenden, sondern die Bundesagentur für Arbeit bzw. die zuständige Stelle gerichtet ist, und zum anderen kein Wunsch- und Wahlrecht der Arbeitssuchenden besteht6, dürften die überzeugenderen Argumente hier aber wohl für das Vorliegen eines öffentlichen Auftrags i.S.v. § 103 Abs. 1 sprechen7. Unabhängig davon ist zu berücksichtigen,

1 Glahs/Rafii, Sozialrecht aktuell 2016, 169 (171). 2 Vgl. hierzu m.w.N. Winker in Knickrehm/Kreikebohm/Waltermann, Kommentar zum Sozialrecht, 4. Aufl. 2015, Sammelkomm. SGB VIII, Rz. 155. 3 VG München v. 30.4.2014 – M-18 K 12.6299, Sozialrecht aktuell 2015, 83 ff., Rz. 32. 4 Glahs, Sozialrecht aktuell 2007, 224 (227). 5 Vgl. Glahs, Sozialrecht aktuell 2007, 224 (227). 6 Ein Wunsch- und Wahlrecht ist im SGB II nicht ausdrücklich normiert. Ob ein solches Recht besteht, ist umstritten, wird von der (wohl) h.M. indes abgelehnt. Vgl. etwa Schröder, VergabeR 2007, 418 (422); sowie ferner auch Glahs/Rafii, Sozialrecht aktuell 2016, 169 (172). 7 In diesem Sinne Schröder, VergabeR 2007, 418 (425 f.).

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dass das SGB II auch hinsichtlich des Gebots der Angebots- und Trägervielfalt vom SGB XII und vom SGB VIII abweicht und das Gebot weniger eindeutig betont. Allerdings liegt es wegen der Ähnlichkeit der Zielgruppen und der Regelungen nahe, dass auch im SGB II das Gebot der Angebots- und Trägervielfalt gilt, da sich insbesondere auch die Rechtsprechung zum SGB XII auf die Rechtslage im SGB II übertragen lässt1. Das oben in Rz. 215–217 Gesagte gilt daher grundsätzlich entsprechend2. d) Verträge gemäß SGB V Das SGB V regelt insbesondere die vertragsrelevanten Tätigkeiten der gesetzli- 225 chen Krankenkassen. Diese sind in letzter Zeit zum vergaberechtlichen Dauerstreitthema geworden. Obwohl der deutsche Gesetzgeber mit dem Gesetz zur Weiterentwicklung der Organisationsstrukturen in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-OrgWG) vom 15.12.20083 durch die Neufassung des § 69 Abs. 2 SGB V den Weg für die Anwendung des Vergaberechts geebnet und der EuGH die öffentliche Auftraggebereigenschaft der gesetzlichen Krankenversicherungen festgestellt hat4, ist in diesem Bereich immer noch vieles umstritten und nicht abschließend geklärt. aa) Arzneimittelrabattverträge Bei den Arzneimittelrabattverträgen ist zunächst grundlegend danach zu unter- 226 scheiden, ob diese Generika oder patentgeschützte Arzneimittel betreffen. Während die Ausschreibungspflicht im Generikabereich mittlerweile anerkannt ist und nur noch das „Wie“ der Ausschreibung zahlreiche Rechtsfragen aufwirft (vgl. dazu sogleich Rz. 227 ff.), ist hinsichtlich der patentgeschützten Originalpräparate nicht einmal die Frage des „Ob“ einer Ausschreibungspflicht abschließend geklärt (vgl. Rz. 231)5. Die Arzneimittelrabattverträge für Generika sind charakterisiert durch eine 227 hohe Komplexität, hervorgerufen einerseits durch die insgesamt vier Beteiligten (pharmazeutisches Unternehmen, Apotheker, Krankenkasse und Patient/Versicherter) sowie die zwischen ihnen bestehende Fülle von Leistungsbeziehungen: So bezieht der Apotheker die Arzneimittel von dem Pharmaunternehmen gegen Zahlung des Kaufpreises und gibt diese an den Versicherten ab. Seine Vergütung erhält er gem. § 31 Abs. 2 SGB V von der Krankenkasse, die jedoch die Zuzahlung, die der Versicherte gem. § 31 Abs. 3 SGB V zu leisten hat, sowie die Abschläge nach den §§ 130, 130a SGB V von der Vergütung abzieht. Ein Teil der 1 2 3 4 5

Vgl. Iwers, LKV 2008, 1 (4); Glahs/Rafii, Sozialrecht aktuell 2016, 169 (172). So auch Glahs/Rafii, Sozialrecht aktuell 2016, 169 (173 ff.). BGBl. I 2008, 2426. EuGH v. 11.6.2009 – Rs. C-300/07, NJW 2009, 2427 ff. – Oymanns. Gabriel/Weiner, NZS 2009, 422.

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§ 103 | Öffentliche Aufträge, Rahmenvereinbarungen und Wettbewerbe Vergütung des Apothekers besteht daher in der Zuzahlung des Versicherten sowie den Abschlägen des Pharmaunternehmens, welches dieses gem. § 130a Abs. 1 Satz 2 SGB V an den Apotheker zu erstatten hat. Der Versicherte selbst hat grundsätzlich gegen seine Krankenkasse einen Anspruch auf Versorgung mit apothekenpflichtigen Arzneimitteln gem. § 31 SGB V und ist seinerseits gegenüber der Krankenkasse zur Entrichtung der gesetzlichen Beiträge verpflichtet. Die Arzneimittelrabattverträge knüpfen konkret an den Abschlägen an, die das Pharmaunternehmen gem. § 130a SGB V einzuräumen hat. Nach § 130a Abs. 8 SGB V können die Krankenkassen oder ihre Verbände zusätzlich zu den Zwangsabschlägen nach § 130a Abs. 1 und 2 SGB V Rabatte mit dem Pharmaunternehmen für die zu ihren Lasten abgegebenen Arzneimittel vereinbaren. Im Unterschied zu § 130a Abs. 1 Satz 2 SGB V machen die Krankenkassen diesen Rabatt aber nicht beim Apotheker geltend, dem er dann vom Pharmaunternehmen erstattet wird. Vielmehr erfolgt die Auszahlung des Rabatts direkt vom Pharmaunternehmen an die Krankenkassen (§ 130a Abs. 8 Satz 2 SGB V). Regelmäßig umfassen die Rabattverträge auch eine vertragsstrafenbewehrte Lieferverpflichtung des Pharmaunternehmens, damit dieses sich nicht durch Nichtlieferung einer Rabattgewährung entziehen kann. Darüber hinaus ist die sog. Autidem-Regelung des § 129 SGB V zu berücksichtigen, wonach die Apotheker (nach Maßgabe eines Rahmenvertrags) verpflichtet sind, ein verordnetes Arzneimittel durch ein preisgünstigeres wirkstoffgleiches Medikament zu ersetzen, soweit der Arzt das Arzneimittel nur unter seiner Wirkstoffgleichheit verordnet oder die Ersetzung nicht ausgeschlossen hat. Die Ersetzung hat gem. § 129 Abs. 1 Satz 3 SGB V vorrangig durch ein Medikament zu erfolgen, für das ein Rabattvertrag gem. § 130a Abs. 8 SGB V besteht. Nach dem Wortlaut von § 129 Abs. 1 SGB V stellt die Ersetzung den Regel- und der Ausschluss der Ersetzung den Ausnahmefall dar. Damit der Arzt aber nicht zu oft von dieser Ausschlussmöglichkeit Gebrauch macht, sondern vorrangig rabattierte Medikamente verordnet, sind im Gesetz Anreize vorgesehen, und zwar insbesondere in Form einer Freistellung von der sog. Bonus-Malus-Regelung, nach der ein Arzt bei Überschreitung der für bestimmte Krankheiten festgelegten Tagestherapiekosten Umsatzeinbußen erleidet (§ 84 Abs. 4a und 7a SGB V). Zudem können die Krankenkassen gem. § 31 Abs. 3 Satz 5 SGB V die vom Versicherten zu leistende Zuzahlung für rabattierte Arzneimittel um die Hälfte ermäßigen oder aufheben, wenn hieraus Einsparungen zu erwarten sind. In der Gesamtschau ergibt sich somit ein umfassendes gesetzliches Anreizsystem zur Absatzlenkung auf von Rabattverträgen umfasste Arzneimittel mit der Folge, dass für Hersteller, die mit den Krankenkassen keinen Rabattvertrag geschlossen haben, nur noch äußerst geringe Produktabsatzmöglichkeiten bestehen, soweit wirkstoffgleiche Präparate vorhanden sind1. 1 Ausführlich dazu und m.w.N. Dreher/Hoffmann, NZBau 2009, 273 (274 f.); Stolz/Kraus, VergabeR 2008, 1 ff.

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Bei der Qualifizierung der Arzneimittelrabattverträge als öffentliche Aufträge 228 i.S.v. § 103 Abs. 1 erscheint zunächst problematisch, ob eine Beschaffung der öffentlichen Auftraggeber, d.h. der Krankenkassen, vorliegt, da diese mit den Pharmaunternehmen lediglich die Gewährung von Rabatten auf die zu Lasten der Krankenkassen abgegebenen Medikamente vereinbaren. Es besteht jedoch weitgehend Einigkeit, dass insoweit eine funktionale Betrachtungsweise geboten ist, welche den gesamten Vorgang der Medikamentenverordnung und -beschaffung in den Blick nimmt. Danach ist festzustellen, dass einerseits der Versicherte gegenüber seiner Krankenkasse gem. § 31 SGB V einen Anspruch auf Versorgung mit apothekenpflichtigen Arzneimitteln hat, andererseits hierfür das sog. Sachleistungsprinzip gilt (§ 2 Abs. 2 Satz 1 SGB V). Funktional betrachtet erhält daher der Versicherte die Medikamente von seiner Krankenkasse, während diese die Medikamente vorher vom Pharmaunternehmen bezogen hat. Dass der Versicherte die Medikamente vom Apotheker ausgehändigt bekommt, ist dabei dem Apothekenmonopol geschuldet und ändert daran nichts. Demzufolge ist die Krankenkasse Abnehmer bzw. Beschaffer der Medikamente gegenüber dem Pharmaunternehmen1. Die Rechtsprechung hat teilweise auch bereits aus dem Umstand, dass die Rabattverträge regelmäßig eine Lieferverpflichtung des Pharmaunternehmens beinhalten, auf das Vorliegen eines Lieferauftrags geschlossen2. Da die Rabattverträge weder eine Zahlungs- noch eine Sachleistungspflicht der 229 Krankenkasse begründen, sondern umgekehrt das Pharmaunternehmen sogar verpflichten, den Rabatt an die Krankenkasse auszuzahlen und die Arzneimittel auszuliefern, erscheint – zumindest auf den ersten Blick – auch die Entgeltlichkeit dieser Verträge fraglich. Denn der Abschluss eines Rabattvertrages allein bedeutet nicht zwingend einen wirtschaftlichen Vorteil für die Vertragspartei3. Allerdings ist zu beachten, dass auch wenn den Pharmaunternehmen durch die Rabattverträge keine vertragliche Garantie für die Abnahme ihrer Arzneimittel eingeräumt wird, die oben dargestellten Anreizsysteme (vgl. Rz. 227) regelmäßig dazu führen, dass zumindest faktisch eine Absatzgarantie, jedenfalls aber eine Privilegierung im Wettbewerb besteht. Diese Privilegien stellen einen erheblichen wirtschaftlichen (geldwerten) Vorteil dar, so dass die Entgeltlichkeit zu bejahen ist4. Dies gilt umso mehr, wenn zusätzlich zu den gesetzlichen Anreizsystemen im Einzelfall als Gegenleistung die Gewährleistung einer gewissen Exklusivität für das pharmazeutische Unternehmen durch die Krankenkasse vereinbart wird, weil sich die Krankenkasse z.B. dazu verpflichtet, in der Laufzeit des Vertrags keine weiteren Rabattvereinbarungen zu den vertragsgegenständlichen Wirkstoffen zu schließen5 oder Informationsschreiben an ihre Mitglieder sowie Pres1 Vgl. Dreher/Hoffmann, NZBau 2009, 273 (276); Stolz/Kraus, VergabeR 2008, 1 (7); Gabriel, NZS 2007, 344 (348); Burgi, NZBau 2008, 480 (484). 2 OLG Düsseldorf v. 19.12.2007 – VII-Verg 51/07, NZBau 2008, 194 (196). 3 Gabriel in Gabriel/Krohn/Neun, Handbuch des Vergaberechts, § 70 Rz. 10. 4 Ausführlich dazu und m.w.N. Dreher/Hoffmann, NZBau 2009, 273 (276). 5 Vgl. Stolz/Kraus, VergabeR 2008, 1 (3 f.); sowie Dreher/Hoffmann, NZBau 2009, 273 (275).

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§ 103 | Öffentliche Aufträge, Rahmenvereinbarungen und Wettbewerbe semitteilungen abzusetzen, in denen der Bezug von Arzneimitteln bestimmter Hersteller, mit denen ein Rabattvertrag geschlossen wurde, empfohlen wird1. 230 Demzufolge werden Arzneimittelrabattverträge für Generika mittlerweile auch

von der ganz herrschenden Meinung als öffentliche Lieferaufträge i.S.v. § 103 Abs. 2 bzw. (zumindest) als Rahmenvereinbarungen2 und damit als grundsätzlich ausschreibungspflichtig angesehen3. Die Streitfragen, die im Bereich der Generika-Rabattverträge aktuell Gegenstand der Diskussion sind, betreffen daher weniger das „Ob“, sondern das „Wie“ der Ausschreibung; namentlich spielen Fragen der Auferlegung ungewöhnlicher Wagnisse4 und die Gestaltung der Wertungskriterien5 eine Rolle6. Da mehr und mehr Vergabe- und Vergabenachprüfungsverfahren gemeinsame Ausschreibungen mehrerer Krankenkassen betreffen, steht zudem zu erwarten, dass die in der vergaberechtlichen Judikatur bislang nicht abschließend beantwortete Frage an Bedeutung gewinnen wird, ob im Rahmen eines vergaberechtlichen Nachprüfungsverfahrens auch kartellrechtliche Fragen, insbesondere des Missbrauchs- und Behinderungsverbots gemäß den §§ 19, 20 GWB zu prüfen sind7.

1 Vgl. Kaeding, PharmR 2007, 239 (245); sowie Dreher/Hoffmann, NZBau 2009, 273 (275). 2 Ausführlich zu diesem Aspekt Dreher/Hoffmann, NZBau 2009, 273 (277). 3 Vgl. LSG Nordrhein-Westfalen v. 3.9.2009 – L 21 KR 51/09 SFB, VergabeR 2010, 126 ff.; OLG Düsseldorf v. 20.2.2008 – VII-Verg 7/08, BeckRS 2009, 05382; OLG Düsseldorf v. 17.1.2008 – VII-Verg 57/07, VergabeR 2008, 686 ff.; OLG Düsseldorf v. 19.12.2007 – VIIVerg 51/07, VergabeR 2008, 73 ff.; VK Baden-Württemberg v. 30.12.2008 – 1 VK 51/08; VK Bund v. 19.11.2008 – VK 1-135/08; VK Bund v. 26.5.2009 – VK 2-30/09; VK Bund v. 10.4.2008 – VK 2-37/08; VK Bund v. 15.11.2007 – VK 2-123/07; VK Bund v. 18.2.2009 – VK 3-158/08; VK Bund v. 30.1.2009 – VK 3-221/08; VK Düsseldorf v. 31.10.2007 – VK31/2007-L; Dreher/Hoffmann, NZBau 2009, 273 (277); Gabriel, NZS 2009, 422 (424). 4 Insoweit ist die Rechtsprechung den anfänglichen Versuchen der Krankenkassen, den Bietern möglichst wenige Verordnungsdaten aus der Vergangenheit zur Verfügung zu stellen, entgegengetreten und hat deutlich gemacht, dass wegen der mit Rahmenverträgen bzw. rahmenvertragsähnlichen Vereinbarungen naturgemäß verbundenen Prognoserisiken jedenfalls die zur Verfügung stehenden Verordnungsdaten, bestenfalls untergliedert in Packungsgrößen, Wirkstoffstärke und Darreichungsform, mitgeteilt werden müssen, um den Bietern eine hinreichende Preisermittlung zu ermöglichen. So Gabriel/Weiner, NZS 2009, 422 (424 f.) unter Hinweis auf LSG Stuttgart v. 27.2.2008 – L 5 KR 507/08 ER-B und L 5 KR 508/08 W-A, MedR 2008, 309 ff.; VK Bund v. 15.11.2007 – VK 2-102/07 u.a.; VK Bund v. 10.4.2008 – VK 2-37/08; VK Düsseldorf v. 31.10.2007 – VK-31/2007-L. 5 Insoweit geht der Trend zunehmend zu rein wirkstoffbezogenen Ausschreibungen, bei denen im Einzelnen benannte Wirkstoffe jeweils ein eigenes Fachlos bilden, vgl. Gabriel/ Weiner, NZS 2009, 422, 425. 6 Vgl. Gabriel/Weiner, NZS 2009, 422 (424) 7 Vgl. Gabriel/Weiner, NZS 2009, 422 (425), die diese Frage unter Hinweis auf OLG Düsseldorf v. 21.2.2005 – VII-Verg 91/04, NZBau 2006, 266 (267), sowie den Wortlaut von § 69 Abs. 2 SGB V sowie dessen Gesetzesbegründung (BT-Drucks. 16/10609, 66 f.) bejahen. Offensichtlich hiervon ausgehend auch VK Bund v. 24.2.2009 – VK 3-224/08; VK Bund v. 30.1.2009 – VK 3-221/08. Siehe ferner in diesem Zusammenhang auch Rz. 143.

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Hinsichtlich der Rabattverträge für patentgeschütze Originalpräparate ist die 231 Frage nach der Eröffnung des sachlichen Anwendungsbereichs des Kartellvergaberechts – nach wie vor – nicht abschließend geklärt1; die Anzahl von Entscheidungen hierzu ist – soweit ersichtlich – auch überschaubar2. Zu unterscheiden ist die Frage der öffentlichen Auftragseigenschaft des Arzneimittelrabattvertrages über patentgeschütze Originialpräparate (s. dazu Rz. 232) von der Frage des Bestehens einer Ausschreibungspflicht (s. dazu Rz. 233). Dem Grunde nach setzt die Qualifizierung des Rabattvertrags als öffentlichen 232 Auftrag auch bei patentgeschützten Originalpräparaten die entgeltliche Lieferung von Arzneimitteln voraus3. Unterschiede zum generischen Bereich ergeben sich insbesondere daraus, dass die Begründung der Entgeltlichkeit hier nicht auf die Substitutionspflicht des Apothekers nach § 129 Abs. 1 Satz 3 SGB V gestützt werden kann, da diese bei patentgeschützten Originalpräparaten nicht anwendbar ist4. Zudem sollte die Wirkung der Auswahlentscheidung des Arztes im Hinblick auf die Originalpräparate besondere Berücksichtigung finden5. Ob aus dem Rabattvertrag für den pharmazeutischen Unternehmer ein wirtschaftlicher Vorteil im Sinne eines Entgelts gem. § 103 Abs. 1 erwächst, hängt deshalb von einer Einzelfallanalyse der getroffenen Vereinbarung ab6. Bei der Beurteilung dieser 1 Bejahend OLG Düsseldorf v. 19.12.2007 – VII-Verg 51/07, VergabeR 2008, 73 ff., Rz. 52 ff.; OLG Düsseldorf v. 4.2.2013 – VII-Verg 31/12, NZBau 2013, 321 ff., Rz. 40. Verneinend VK Bund v. 1.2.2011 – VK 3-135/10, Rz. 265 f.; VK Bund v. 27.7.2016, VK 2-63/ 16, Rz. 50 ff. Vgl. ferner auch Gabriel/Weiner, NZS 2009, 422 (425), die diese Frage unter Hinweis auf OLG Düsseldorf v. 21.2.2005 – VII-Verg 91/04, NZBau 2006, 266 (267), sowie den Wortlaut von § 69 Abs. 2 SGB V sowie dessen Gesetzesbegründung (BT-Drucks. 16/10609, 66 f.) bejahen. Offensichtlich hiervon ausgehend auch VK Bund v. 24.2.2009 – VK 3-224/08; VK Bund v. 30.1.2009 – VK 3-221/08. 2 Vgl. Gabriel in Gabriel/Krohn/Neun, Handbuch des Vergaberechts, § 70 Rz. 18 ff. m.w.N. Die bekanntesten Fälle in diesem Bereich sind danach die Nachprüfungsverfahren zur De-facto-Vergabe eines Antianämika-Rabattvertrags der AOK Baden-Württemberg und zur Ausschreibung von „Rabattkooperationen“ nach § 130a Abs. 8 SGB V über TNF-Alpha-Blocker der Techniker Krankenkasse sowie eines Rabattvertrags nach § 130a Abs. 8 SGB V mehrerer AOK. 3 Gabriel in Gabriel/Krohn/Neun, Handbuch des Vergaberechts, § 70 Rz. 20. 4 Vgl. LSG Stuttgart v. 28.10.2008 – L 11 KR 481/08 ER-B, VergabeR 2009, 182 ff., mit Anm. Weiner. Im Fall chemisch-synthetisch hergestellter Originalpräparate mit Wirkstoffpatentschutz kann es bereits aus patentrechtlichen Gründen keine (zugelassenen) wirkstoffgleichen Arzneimittel i.S.v. § 129 Abs. 1 Satz 1 SGB V geben. Das Gleiche gilt für biologisch/biotechnologisch hergestellte Nachahmerpräparate (sog. Biosimilars). So Gabriel in Gabriel/Krohn/Neun, Handbuch des Vergaberechts, § 70 Rz. 22; Gabriel/Weiner, NZS 2009, 422 (423); Kamann/Gey, PharmR 2009, 114 (118). 5 LSG Stuttgart v. 28.10.2008 – L 11 KR 481/08 ER-B, VergabeR 2009, 182 ff., mit Anm. Weiner. 6 OLG Düsseldorf v. 19.12.2007 – VII-Verg 51/07, VergabeR 2008, 73 ff., mit Anm. Amelung/Dörn, VergabeR 2008, 84; VK Bund v. 22.8.2008 – VK 2 – 73/08, IBRRS 2009, 3602;

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§ 103 | Öffentliche Aufträge, Rahmenvereinbarungen und Wettbewerbe Frage ist zu berücksichtigen, inwieweit den vertraglichen Vereinbarungen eine der Lenkungs- bzw. Steuerungswirkung des § 129 Abs. 1 Satz 3 SGB V vergleichbare Wirkung zukommt1 und ob der Rabattvertrag eine absatzfördernde Wirkung des durch ihn privilegierten Unternehmer begründet. Wobei über den bloßen Wortlaut der Vereinbarung hinaus geprüft werden muss, ob der Rabattvertrag in seiner Wirkung tatsächlich einen Wettbewerbsvorteil mit sich bringt2. Bedenken bestehen dann, wenn diese Beurteilung von einem Parteiverhalten nach Vertragsschluss abhängig gemacht werden soll. Denn grundsätzlich vermag die bloße Möglichkeit des Vorliegens der Tatbestandsvoraussetzungen des § 103 Abs. 1 einen Vertrag nicht als einen öffentlichen Auftrag zu qualifizieren3. Gefordert werden muss jedenfalls ein bereits zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses bestehender Grad an Wahrscheinlichkeit4. Im Ergebnis ist die Einordnung des Rabattvertrags als öffentlicher Auftrag i.S.d. § 103 Abs. 1 bei Verträgen über patentgeschützte Originalpräparate aus den genannten Gründen schwieriger als bei solchen aus dem generischen Bereich und setzt stets eine ausführliche Behandlung mit dem in Frage stehenden Vertrag voraus. Die Vielzahl der möglichen Ausgestaltungen der (parteiabhängigen) Vertragsmodalitäten tut dabei ihr Übriges. Eine pauschale und verallgemeinernde Lösung für die Qualifizierung der Rabattverträge als öffentliche Aufträge i.S.v. § 103 Abs. 1 für patentgeschütze Originalpräparate wird es nicht geben können. 233 Unklar war lange, ob für Arzneimittelrabattverträge über patentgeschütze Origi-

nalpräparate eine Ausschreibungspflicht besteht. Neuere Entscheidungen sprechen für die Annahme einer solchen Pflicht. Das OLG Düsseldorf betonte bereits im Jahre 20085 und bestätigte diese Rechtsprechung nochmals im Jahre 20136, dass auch Rabattverträge über patentgeschützte Arzneimittel nicht ipso iure ohne vorherige Bekanntmachung im Verhandlungsverfahren direkt an ein Unternehmen vergeben werden dürften. Dies wäre gem. § 3 EG Abs. 4 lit. c) VOL/A7 nur zulässig, wenn aufgrund des bestehenden Patents nur ein Anbieter

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Kamann/Gey, PharmR 2009, 114 (118); Kern, Arzneimittelbeschaffung durch die gesetzlichen Krankenkassen, 2012, 266 f. OLG Düsseldorf v. 19.12.2007 – VII-Verg 51/07, VergabeR 2008, 73 ff., mit Anm. Amelung/Dörn, VergabeR 2008, 84; VK Bund v. 22.8.2008 – VK 2 – 73/08, IBRRS 2009, 3602; Kamann/Gey, PharmR 2009, 114 (118); Kern, Arzneimittelbeschaffung durch die gesetzlichen Krankenkassen, 2012, 266 f. LSG Nordrhein-Westfalen v. 10.9.2009 – L 21 KR 53/09 STB, NZBau 2010, 458 ff. Vgl. in diesem Sinne EuGH v. 11.7.2013 – Rs. C-576/10, ZfBR 2013, 708 ff.; dazu Gabriel/ Schulz, EWS 2013, 401 (407). So z.B. der Fall gewesen in der Rechtssache EuGH v. 10.11.2005 – Rs. C-29/04, NZBau 2005, 704 ff. Rz. 83 – Stadt Mödling. OLG Düsseldorf v. 20.10.2008 – VII-Verg 46/08, VergabeR 2009, 173, 174 (insoweit noch zur Vorgängerbestimmung des § 3a Nr. 2 lit. c) VOL/A 2006). OLG Düsseldorf v. 11.12.2013 – VII-Verg 25/13, VPR 2014, 92. Vormals § 3a Nr. 2 lit. c) VOL/A 2006 und nunmehr § 14 Abs. 4 Nr. 2 lit. c) VgV.

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in der Lage wäre, den Auftrag zu erfüllen. Letzteres hat das OLG Düsseldorf im streitgegenständlichen Fall verneint, da auch Re- und Parallelimporteure in der Lage waren, das nachgefragte Originalpräparat zu liefern1. Zudem hat das OLG Düsseldorf darauf hingewiesen, dass selbst dann, wenn die Voraussetzungen des § 3 EG Abs. 4 lit. c) VOL/A2 vorliegen, kein Anspruch auf eine Direktvergabe besteht, da die Krankenkassen im Rahmen ihres Ermessens frei darin sind, statt des Verhandlungsverfahrens ein wettbewerblicheres (offenes) Verfahren durchzuführen3. Dem hat sich die neuere Rechtsprechung angeschlossen4. Über die genannten Punkte hinaus sind im Bereich der Arzneimittelrabattver- 234 träge noch einige vergaberechtlich relevante Fragen offen und bedürfen der gerichtlichen Entscheidung5. Geklärt ist nunmehr allerdings die lange Zeit umstrittene Frage, wie sich die öffentliche Auftragseigenschaft zu einer Vereinbarung, die ein jederzeitiges Beitrittsrecht für andere pharmazeutische Unternehmer (sog. Open-House-Modelle) vorsieht, verhält6. Der EuGH verneint die öffentliche Auftragseigenschaft solcher Verträge7. Begründet wird dies vor allem damit, dass keine Auswahl zwischen den Bietern erfolge, so dass es dementsprechend auch zu keiner vertraglichen Exklusivität komme8. Um einen öffentlichen 1 OLG Düsseldorf v. 20.10.2008 – VII-Verg 46/08, VergabeR 2009, 173, 174 (insoweit noch zur Vorgängerbestimmung des § 3a Nr. 2 lit. c) VOL/A 2006). 2 Vormals § 3a Nr. 2 lit. c) VOL/A 2006 und nunmehr § 14 Abs. 4 Nr. 2 lit. c) VgV. 3 OLG Düsseldorf v. 20.10.2008 – VII-Verg 46/08, VergabeR 2009, 173 (174); so auch bereits die Vorinstanz VK Bund v. 22.8.2008 – VK 2-73/08. 4 Vgl. VK Baden-Württemberg v. 8.1.2013 – 1 VK 20/13, 1 VK 21/13, 1 VK 22/13, VPRRS 2014, 0312; OLG Karlsruhe v. 20.12.2013 – 15 Verg 6/13, BeckRS 2014, 08734; VK Bund v. 24.7.2013 – VK 3-62/13, VPR 2014, 1016. A.A. dagegen noch das LSG Baden-Württemberg (v. 28.10.2008 – L 11 KR 481/08 ER-B, VergabeR 2009, 182 ff., mit Anm. Weiner), welches das Vorliegen eines öffentlichen Auftrags i.S.v. § 99 Abs. 1 GWB a.F. verneint und sich dabei maßgeblich auf das Fehlen einer dem öffentlichen Auftraggeber zurechenbaren Auswahlentscheidung gestützt hatte. Letzteres wurde damit begründet, dass zum einen ausschließlich der Arzt die Auswahl der zu verordnenden Arzneimittel treffe und zum anderen der Rabattvertrag bei patentgeschützten (nicht austauschbaren) Arzneimitteln mangels einer durch § 129 Abs. 1 Satz 1 SGB V vermittelten Absatzförderungsmöglichkeit keine Steuerungswirkung zugunsten des rabattierten Arzneimittels zukomme. Insofern bestehe ein wesentlicher Unterschied zu den Generika-Rabattverträgen. Überdies sah der dort streitgegenständliche Vertrag auch keine Exklusivrechte vor. 5 Vgl. hierzu die ausführliche Übersicht bei Gabriel in Gabriel/Krohn/Neun, Handbuch des Vergaberechts, § 70 Rz. 62 ff. 6 VK Bund v. 21.1.2015 – VK 2-113/14, PharmR 2015, 196 f.; vgl. zum Streitstand auch OLG Düsseldorf v. 13.8.2014 – VII-Verg 13/14, PharmaR 2014, 472; Otting, NZBau 2010, 734; Zimmermann, NZW 2010, 739; Gabriel/Weiner, VergabR 2010, 142; Szon, NZS 2011, 245; Csaki/Freundt, NZS 2011, 766. 7 EuGH v. 2.6.2016 – Rs. C-410/14, EuZW 2016, 705 ff. – Dr. Falk Pharma GmbH, mit Anm. Schabel, EuZW 2016, 708 f. 8 EuGH v. 2.6.2016 – Rs. C-410/14, EuZW 2016, 705 ff. – Dr. Falk Pharma GmbH; OLG Düsseldorf v. 13.8.2014 – VII-Verg 13/14, NZBau 2014, 654.

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§ 103 | Öffentliche Aufträge, Rahmenvereinbarungen und Wettbewerbe Auftrag handelt es sich indes nur dann, wenn der Auftraggeber eine Auswahlentscheidung vornimmt1. bb) Hilfsmittelversorgungsverträge 235 Gemäß § 33 Abs. 1 Satz 1 SGB V haben Versicherte einen Anspruch auf Versor-

gung mit sog. Hilfsmitteln. Die Versicherten können für die Versorgung mit Hilfsmitteln Leistungserbringer in Anspruch nehmen, jedoch grundsätzlich nur solche, mit denen ihre Krankenkasse einen Vertrag nach § 127 Abs. 1 SGB V abgeschlossen hat (§ 33 Abs. 6 SGB V)2. Für derartige Hilfsmittelversorgungsverträge sind zwei Formen denkbar: Die erste Form ist die Direktbeschaffung durch die Krankenkasse, bei der der Vertrag über die Lieferung einer bestimmten Anzahl von Hilfsmitteln zu einem bestimmten Preis geschlossen wird. Die zweite – häufigere – Form ist der Abschluss eines Rahmenvertrags3. Hilfsmittelversorgungsverträge sind regelmäßig öffentliche (Liefer-)Aufträge. Diskussionswürdig ist allenfalls das Merkmal der Entgeltlichkeit. Im Falle der Direktbeschaffung ist dies offenkundig, da die Krankenkasse die Auswahl hinsichtlich der zu beschaffenden Hilfsmittel trifft und gem. § 33 Abs. 7 Satz 1 SGB V den vertraglich vereinbarten Preis zu zahlen hat. Aber auch im Falle des Rahmenvertrags ist die Entgeltlichkeit gegeben. Denn zum einen erlangen die Leistungserbringer dadurch einen geldwerten Vorteil, dass die Versicherten gem. § 33 Abs. 6 Satz 1 SGB V nur Leistungserbringer in Anspruch nehmen können, die Vertragspartner ihrer Krankenkasse sind. Zum anderen erwerben die Leistungserbringer gem. § 33 Abs. 7 Satz 1 SGB V stets einen direkten Vergütungsanspruch gegen die Krankenkasse4. Zudem ist zu berücksichtigen, dass die Krankenkassen aufgrund des Sachleistungsprinzips (§ 33 SGB V) selbst verpflichtet sind, die Leistung gegenüber ihren Versicherten zu erbringen. Vor diesem Hintergrund greift der zuweilen geltend gemachte Einwand, es handele sich hierbei um eine Leistungserbringung im sozialrechtlichen Dreiecksverhältnis und damit um eine Dienstleistungskonzession, nicht durch5.

236 Der Umstand, dass das Kartellvergaberecht grundsätzlich auf Hilfsmittelversor-

gungsverträge Anwendung findet (vgl. Rz. 235), lässt zugleich durchgreifende Bedenken gegen den in § 127 Abs. 1 und 2 SGB V normierten Ermessens- und Zweckmäßigkeitsvorbehalt aufkommen, wonach die Krankenkassen von einer Ausschreibung absehen können sollen, wenn diese unzweckmäßig erscheint. Diese Befreiungsregelung kann in Ansehung des Anwendungsvorrangs des eu-

1 EuGH v. 2.6.2016 – Rs. C-410/14, EuZW 2016, 705 ff. – Dr. Falk Pharma GmbH; OLG Düsseldorf v. 13.8.2014 – VII-Verg 13/14, NZBau 2014, 654. 2 Siehe zur Wirtschaftlichkeit solcher Verträge SG Marburg v. 18.5.2016 – S 14 KR 120/15, BeckRS 2016, 72702. 3 Vgl. Dreher/Hoffmann, NZBau 2009, 273 (277 ff.). 4 Vgl. Dreher/Hoffmann, NZBau 2009, 273 (278 f.); ferner BT-Drucks. 16/3100, 103. 5 In diesem Sinne auch Dreher/Hoffmann, NZBau 2009, 273 (278 f.).

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ropäischen Vergaberechts keinen Bestand haben. Denn über das Bestehen einer Ausschreibungspflicht kann der nationale Gesetzgeber nicht disponieren. Ausnahmen von der bestehenden Ausschreibungspflicht kann es nur geben, sofern diese entweder vom europäischen Vergaberecht selbst vorgesehen sind oder aber mangels öffentlichen Auftrags dieses schon keine Anwendung findet1. Insofern bedarf es einer europarechtskonformen Auslegung des § 127 Abs. 1 SGB V2. Denn Bereichsausnahmen sind lediglich in den in § 100 Abs. 2 abschließend aufgeführten Fällen zulässig3. Mithin unterfallen sämtliche Hilfsmittelversorgungsverträge dem Kartellvergaberecht4. Die gleichen Bedenken ergeben sich hinsichtlich der in § 127 Abs. 1a SGB V eingeführten Zweckmäßigkeit von Ausschreibungen5. Noch nicht abschließend geklärte Probleme wirft ferner auch die Bestimmung 237 des § 127 Abs. 2a SGB V auf. Nach dieser sollen Leistungserbringer den Einzelverträgen gem. § 127 Abs. 2 Satz 1 SGB V – also nicht den durch Ausschreibung nach § 127 Abs. 1 SGB V geschlossenen Verträgen – zu den gleichen Bedingungen als Vertragspartner beitreten können, soweit sie nicht bereits zur Versorgung berechtigt sind. Geht man davon aus, dass sämtliche Hilfsmittelversorgungsverträge dem Kartellvergaberecht unterfallen (vgl. Rz. 235), spricht vieles dafür, dass auch § 127 Abs. 2a SGB V vom Anwendungsvorrang des europäischen Vergaberechts überlagert wird. Denn das dort normierte Beitrittsrecht zugunsten Dritter stellt sich letztlich als De-facto-Vergabe dar, welche zudem das Ziel einer Ausschreibung, das wirtschaftlichste Angebot herauszufiltern, konterkariert. Ließe man ein derartiges Beitrittsrecht zu, wäre zu beachten, dass hierdurch auch das Tatbestandsmerkmal der Entgeltlichkeit (vgl. insoweit auch Rz. 232) entscheidend beeinflusst würde, da der Vorteil, den die (Vor-)Auswahlentscheidung der Krankenkasse für die ausgewählten Leistungserbringer mit sich bringt, aufgrund der jederzeitigen Beitrittsmöglichkeit sämtlicher Unternehmen, die zur Leistungserbringung willig sind, nahezu vollständig entwertet würde6. Dies hat auch das LSG Nordrhein-Westfalen unter Aufhebung einer anderslautenden, erstinstanzlichen Entscheidung der VK Bund festgestellt7. An einem öffentlichen Auftrag fehle es, da der Vertragsschluss mangels Auswahlentscheidung in dem zu entscheidenden Fall keine Exklusivität begründe8. Im Kern 1 EuGH v. 11.6.2009 – Rs. C-300/07, NJW 2009, 2427 ff., Rz. 59 – Oymanns, mit Anm. Kingreen, NJW 2009, 2417. 2 Gabriel in Gabriel/Krohn/Neun, Handbuch des Vergaberechts, § 68 Rz. 27 ff. 3 In diesem Sinne auch Gabriel, NZS 2007, 344 (345 m.w.N.). 4 So auch Dreher/Hoffmann, NZBau 2009, 273 (278). 5 So auch Gabriel in Gabriel/Krohn/Neun, Handbuch des Vergaberechts, § 68 Rz. 27. 6 Vgl. zum Ganzen auch Dreher/Hoffmann, NZBau 2009, 273 (279). 7 Vgl. LSG Nordrhein-Westfalen v. 14.4.2010 – L 21 KR 69/09 u. 67/09 SFB (vorhergehend VK Bund v. 12.11.2009 – VK 3-193/09). 8 Vgl. LSG Nordrhein-Westfalen v. 14.4.2010 – L 21 KR 69/09 u. 67/09 SFB, mit Anm. Gabriel, VergabeR 2010, 1026 ff.; Esch, MPR 2010, 156 (160).

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§ 103 | Öffentliche Aufträge, Rahmenvereinbarungen und Wettbewerbe geht es bei dieser Diskussion um dieselbe Problematik wie bei den sog. OpenHouse-Modellen, deren öffentliche Auftragseigenschaft der EuGH ablehnt (s. hierzu Rz. 234). Auch bei Verträgen nach § 127 Abs. 2a SGB V dürfte es sich deshalb nicht um öffentliche Aufträge i.S.d. § 103 Abs. 1 handeln. cc) Verträge zur integrierten Versorgung 238 Die integrierte Versorgung gem. §§ 140a ff. SGB V räumt den Krankenkassen

die Möglichkeit ein, in Abweichung von dem sog. Kollektivvertragssystem Selektivverträge mit den in § 140b Abs. 1 SGB V genannten möglichen Vertragspartnern zu schließen. Im Unterschied zur hausarztzentrierten Versorgung (vgl. Rz. 240 ff.) haben die Krankenkassen jedoch ein Ermessen, ob sie solche Verträge schließen; sind hierzu aber nicht verpflichtet. Ziel ist die Verbesserung der Effizienz und der Qualität der Versorgung durch Überwindung der sektoralen und disziplinären Aufspaltung der Versorgungsstrukturen1. Insbesondere sollen typische Schnittstellenprobleme (Wartezeiten, Doppeluntersuchungen, Behandlungsdiskontinuitäten etc.) gelöst werden2. Der Inhalt solcher Verträge kann vielgestaltig sein3. Auch bei dieser Versorgungsform können die Krankenkassen Prämien oder Zuzahlungsermäßigungen gewähren (§ 53 Abs. 3 SGB V). Nach allgemeiner Auffassung stellen die Verträge zur integrierten Versorgung regelmäßig öffentliche Aufträge i.S.v. § 103 Abs. 1 dar4. Denn zum einen treten die Krankenkassen – ähnlich wie bei den Rabattverträgen (vgl. Rz. 226 ff.) – bei funktionaler Betrachtung als Nachfrager am Markt auf5. Zum anderen ist in der Regel auch eine Entgeltlichkeit gegeben. Ein für die Bejahung des § 103 Abs. 1 erforderlicher (aber auch hinreichender) wirtschaftlicher bzw. geldwerter Vorteil liegt dann vor, wenn die vertraglichen Abreden tatsächlich zur Förderung der Inanspruchnahme des Vertragspartners führen. Zwar erfolgt die konkrete Auswahl der Leistungserbringer erst durch die Versicherten und ist die Teilnahme an der integrierten Versorgung für die Versicherten freiwillig (Recht auf freie Arztwahl). Allerdings besteht auch bei diesen Verträgen – ähnlich wie bei den Rabattverträgen (vgl. Rz. 227 und 229) – ein Anreizsystem, das die Auswahl der Versicherten steuert. So können die Krankenkassen etwa den Leistungserbringern Exklusivitätsrechte 1 Siehe zu Voraussetzungen BSG v. 2.7.2014 – B 6 KA 16/14 B, NZS 2014, 716; LSG Sachsen-Anhalt v. 17.3.2016 – L 6 KR 70/12, MedR 2016, 1019 ff. 2 Vgl. v. Schwanenflügel, NZS 2006, 285 (287); Kingreen, MedR 2004, 188 (191); Beule, GesR 2004, 209; Quaas, VSSR 2004, 175 (177); Dreher/Hoffmann, NZBau 2009, 273 (279); Gabriel, NZS 2007, 344 (345). 3 Vgl. mit einigen Regelbeispielen Quaas, VSSR 2004, 175 (191); sowie Dreher/Hoffmann, NZBau 2009, 273 (279). 4 Vgl. VK Bund v. 10.6.2015 – VK 2-41/15, VPR 2015, 221; EuGH v. 11.6.2009 – Rs. C-300/ 07, NJW 2009, 2427 ff., insb. Rz. 67 ff. – Oymanns; Dreher/Hoffmann, NZBau 2009, 273 (279 f.); Gabriel, NZS 2007, 344 (348 ff.). 5 Vgl. Dreher/Hoffmann, NZBau 2009, 273 (280); Gabriel, NZS 2007, 344 (348); Nesselmann/Motz, MedR 2005, 498 (500).

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einräumen, die Konkurrenten von den Lieferungen und Leistungen ausschließen. Zudem können die Krankenkassen den Versicherten einen Anspruch auf einen Bonus für gesundheitsbewusstes Verhalten einräumen (§ 65a SGB V), wenn sie Maßnahmen der integrierten Versorgung wählen. Schließlich müssen die Krankenkassen Versicherten, die an besonderen Versorgungsformen teilnehmen, zu denen auch die integrierte Versorgung gehört, Wahltarife anbieten (§ 53 Abs. 3 Satz 1), und können sie für diese Versicherten Prämienzahlungen oder Zuzahlungsermäßigungen vorsehen (§ 53 Abs. 3 Satz 2 SGB V)1. Zu beachten ist in diesem Zusammenhang ferner, dass die grundsätzliche ver- 239 gaberechtliche Pflicht zur Ausschreibung nicht umgangen werden darf. Hierauf hat das OLG Düsseldorf hingewiesen2. In dem der Entscheidung zugrunde liegenden Fall schloss eine gesetzliche Krankenkasse ohne ein geregeltes Vergabeverfahren über eine integrierte Versorgung einen Managementvertrag (§ 140b Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 SGB V) und beauftragte das Managementunternehmen seinerseits einen nichtärztlichen Leistungserbringer (Medizinproduktehersteller, § 140b Abs. 1 S. 1 Nr. 9 SGB V) mit Lieferungen. Da eine solche Praktik – so das OLG Düsseldorf – geeignet sei, die Marktverhältnisse zu monopolisieren und überdies dem Wettbewerbsprinzip des § 97 Abs. 1 und des europäischen Rechts widerspreche, unterfalle der Lieferauftrag dem Anwendungsbereich des Vergaberechts. dd) Verträge über die hausarztzentrierte Versorgung Verträge über die hausarztzentrierte Versorgung werden gem. § 73b Abs. 4 240 Satz 1 SGB V von den Krankenkassen mit den in § 73b Abs. 4 Satz 2 SGB V genannten möglichen Vertragspartnern (Vertragsärzten, Gemeinschaften von Vertragsärzten etc.) geschlossen. Einzelheiten zur Auslegung der Norm sind Gegenstand anhaltender Diskussion3. Ebenso wie bei den Verträgen zur integrierten Versorgung handelt es sich hier um Selektivverträge mit dem Ziel der Durchbrechung des bisherigen Kollektivvertragssystems. Im Unterschied zur integrierten Versorgung sind die Krankenkassen jedoch gesetzlich verpflichtet, ihren Versicherten eine hausarztzentrierte Versorgung anzubieten. Für die Versicherten ist die Teilnahme an der hausarztzentrierten Versorgung gem. § 73b Abs. 3 Satz 1 SGB V indes freiwillig. Nehmen sie jedoch teil, dürfen sie mindestens ein Jahr nur einen Hausarzt in Anspruch zu nehmen, mit dem die Krankenkasse einen Vertrag geschlossen hat, und (mit Ausnahme von Augen- und Frauenärz1 Ausführlich und jeweils m.w.N. Dreher/Hoffmann, NZBau 2009, 273 (280 f.); Gabriel, NZS 2007, 344 (348 f.). 2 OLG Düsseldorf v. 1.8.2012 – VII-Verg 15/12, VergabeR 2013, 42 ff. 3 So z.B. die Art und Anzahl möglicher Vertragspartner, die Frage der Fortgeltung der Stichtagsregelung gem. § 73b Abs. 4 Satz 1 SGB V oder die Frage eines etwaigen Kontrahierungszwangs. Vgl. zum Ganzen die instruktive Übersicht bei Gabriel in Gabriel/ Krohn/Neun, Handbuch des Vergaberechts, § 67 Rz. 6 ff.

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§ 103 | Öffentliche Aufträge, Rahmenvereinbarungen und Wettbewerbe ten) nur Fachärzte aufsuchen, an die der Hausarzt sie überwiesen hat. Im Gegenzug können die Krankenkassen diesen Versicherten kraft Satzung Prämien oder Zuzahlungsermäßigungen gewähren (§ 53 Abs. 3 Satz 2 SGB V). Entsprechend dem in Rz. 238 Gesagten erfüllen auch die Verträge über die hausarztzentrierte Versorgung grundsätzlich die Voraussetzungen eines öffentlichen Auftrags i.S.v. § 103 Abs. 11. Dies ist zwischenzeitlich auch von der Rechtsprechung grundsätzlich anerkannt2. Zwar ist auch insoweit – einschränkend – zu berücksichtigen, dass die Teilnahme an der hausarztzentrierten Versorgung freiwillig ist. Allerdings besteht ein breit gefächertes Anreizsystem, das dem Versicherten diese Möglichkeit nahelegt. Hat sich der Versicherte jedoch für eine Teilnahme an der hausarztzentrierten Versorgung entschieden, dann erhalten die Vertragspartner der Krankenkasse eine Exklusivchance, in Anspruch genommen zu werden. Der Vertragsschluss der Krankenkassen führt also auch insoweit zu einer Vorauswahl der Dienstleister und verschafft Letzteren damit einen wirtschaftlichen (geldwerten) Vorteil gegenüber ihren Konkurrenten3. 241 Gleichwohl besteht für die Verträge über die hausarztzentrierte Versorgung im

Ergebnis keine Ausschreibungspflicht nach den Bestimmungen des Kartellvergaberechts der §§ 97 ff. Dies folgt aus der – vergaberechtlichen bzw. bereichsspezifischen Sondervorschrift4 – des § 73b Abs. 4 Satz 5 SGB V, wonach für die nach § 73b Abs. 5 Satz 3 und 4 abzuschließenden Verträge das Erfordernis einer Ausschreibung unter „Aufforderung zur Abgabe eines Angebots […] unter Bekanntgabe objektiver Auswahlkriterien“ vorgeschrieben wird. Hieraus lässt sich im Umkehrschluss folgern, dass der Gesetzgeber für den Abschluss von Verträgen nach § 73b Abs. 4 Satz 1 SGB V keine Ausschreibungspflicht vorgesehen hat. So kann zum einen aus § 73b Abs. 4 Satz 5 SGB V gefolgert werden, dass der Gesetzgeber für die nach § 73b Abs. 4 Satz 3 und 4 SGB V zu schließenden Verträge offensichtlich keine Ausschreibungspflicht nach den Bestimmungen des Kartellvergaberechts der §§ 97 ff. gewollt hat, denn anderenfalls wäre die 1 Ebenso Dreher/Hoffmann, NZBau 2009, 273 (281). Dies legt auch bereits § 73b Abs. 4 Satz 4 SGB V nahe, wonach die Aufforderung zur Abgabe eines Angebots unter Bekanntgabe objektiver Auswahlkriterien (öffentlich) auszuschreiben ist. 2 Vgl. OLG Düsseldorf v. 3.8.2011 – VII-Verg 6/11, VergabeR 2012, 72 ff. (a.A. zuvor indes VK Bund v. 2.7.2010 – VK 1-52/10); LSG Nordrhein-Westfalen v. 3.11.2010 – L 21 SF 208/10 Verg, BeckRS 2011, 68286. 3 Vgl. Goodarzi/Schmid, NZS 2008, 518 (523); Dreher/Hoffmann, NZBau 2009, 273 (281); Gabriel in Gabriel/Krohn/Neun, Handbuch des Vergaberechts, § 67 Rz. 27. 4 Vgl. insoweit – für die entsprechende Vorschrift des § 73c Abs. 3 Satz 3 SGB V a.F. – das OLG Düsseldorf v. 3.8.2011 – VII-Verg 6/11, VergabeR 2012, 72, das aufgrund des Charakters dieser Vorschrift als bereichsspezifisches (Sonder-)Vergaberecht insbesondere auch davon ausgeht, dass die sozialrechtlichen Vorschriften, die eine Ausschreibungspflicht für bestimmte Verträge vorsehen, in einem Vergabenachprüfungsverfahren i.S.d. §§ 155 ff. überprüft werden können. Vgl. zum Ganzen auch Gabriel in Gabriel/Krohn/ Neun, Handbuch des Vergaberechts, § 67 Rz. 32 ff.

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Bestimmung in § 73b Abs. 4 Satz 5 SGB V überflüssig. Zum anderen kann aus der Beschränkung der sozialrechtlichen Ausschreibungspflicht gem. § 73b Abs. 4 Satz 5 SGB V auf die Verträge nach § 73b Abs. 4 Satz 3 und 4 SGB V darauf geschlossen werden, dass für die Verträge gem. § 73b Abs. 4 Satz 1 SGB V nach dem Willen des nationalen Gesetzgebers keine Ausschreibungspflicht – sei es vergaberechtlich oder sozialrechtlich – gelten soll1. Im Hinblick auf die bereichsspezifische Sondervergaberechtsvorschrift des § 73b 242 Abs. 4 Satz 5 SGB V bzw. die sich daraus ergebenden Ausnahmen drängt sich die Frage nach deren Vereinbarkeit mit dem Unionsrecht auf. Insoweit ist zu beachten, dass Art. 74 ff. der Richtlinie 2021/24/EU die im Einzelnen im Anhang XIV der Richtlinie 2014/24/EU aufgeführten sozialen und anderen besonderen Dienstleistungen erleichterten Beschaffungsregelungen unterstellen, wenn der Schwellenwert gem. Art. 4 lit. d) der Richtlinie 2014/24/EU i.H.v. 750.000 € (netto) erreicht wird (s. hierzu insb. auch Rz. 248 ff.). Gemäß Art. 76 Abs. 1 Satz 1 der Richtlinie 2014/24/EU besteht – europarechtlich – lediglich die Pflicht, im Vergabeverfahren die Grundsätze der Transparenz und der Gleichbehandlung der Unternehmen einzuhalten. Zudem sind gem. Art. 75 der Richtlinie 2014/24/EU die beabsichtigte Vergabe sowie die Ergebnisse des Vergabeverfahrens unionsweit bekannt zu machen. Weitere Verfahrensanforderungen gibt es auf der Ebene des Europarechts praktisch nicht (können aber durch das nationale Recht im Sinne einer sog. überschießenden Umsetzung aufgestellt werden). Gemessen hieran erscheinen zumindest die nationalen Vorgaben für Verträge i.S.v. § 73b Abs. 4 Satz 1 SGB V zweifelhaft. Hinsichtlich der Verträge i.S.v. § 73b Abs. 4 Satz 3 und 4 SGB V dürfte das Ergebnis dagegen von den konkreten Einzelfallumständen der jeweiligen Vergabe (Auftragswert, nachträgliche Vergabebekanntmachung etc.) abhängen. ee) Verträge mit Vereinbarungsanspruch geeigneter Leistungserbringer Eine besondere Gruppe von Verträgen bilden die Versorgungsverträge, auf deren 243 Abschluss alle geeigneten Leistungserbringer einen Anspruch gegen die Krankenkassen haben. Dies gilt für Verträge über die Versorgung mit Haushaltshilfe, häuslicher Krankenpflege, Krankentransportleistungen und Schutzimpfungen2 1 So Gabriel in Gabriel/Krohn/Neun, Handbuch des Vergaberechts, § 67 Rz. 29. 2 Hinsichtlich der Verträge über die Versorgung mit Schutzimpfungen gem. § 132e SGB V geht der Gesetzgeber zwar nicht von einem solchen Anspruch aus (vgl. BT-Drucks. 16/ 4247, 47). Diese Begründung wird jedoch unter Berufung auf § 132e Abs. 1 Satz 2 SGB V für nicht tragfähig gehalten. Danach haben die Krankenkassen sicherzustellen, dass insbesondere die in der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmenden Ärzte sowie Fachärzte für Arbeitsmedizin und Ärzte mit der Zusatzbezeichnung „Betriebsmedizin“, die nicht an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmen, berechtigt sind, Schutzimpfungen zu Lasten der Krankenkasse vorzunehmen. Vgl. Schneider in juris PraxisKommentar SGB V, § 132e Rz. 7.

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§ 103 | Öffentliche Aufträge, Rahmenvereinbarungen und Wettbewerbe (§§ 132, 132a, 132e und 133 SGB V). Es ist zu berücksichtigen, dass § 69 Abs. 4 SGB V, der die Verwendung „hauseigener Verfahren“, die von §§ 119 Abs. 1, 130 Abs. 1 Satz 1 abweichen, erlaubt1, für diese Verträge jedenfalls nicht anwendbar sein dürfte. Nach § 69 Abs. 4 SGB V gelten die dort enthaltenen Abweichungsmöglichkeiten nur bei der Vergabe öffentlicher Dienstleistungsaufträge gem. § 63 SGB V und § 140a SGB V über soziale und andere besondere Dienstleistungen im Sinne des Anhangs XIV der Richtlinie 2014/24/EU, die im Rahmen einer heilberuflichen Tätigkeit erbracht werden. 244 Die VK Bund hatte sich in einer jüngeren Entscheidung mit der vergaberecht-

lichen Behandlung von Leistungen nach §§ 132 Abs. 1 (Versorgung mit Haushaltshilfe) und § 132a Abs. 2 (Versorgung mit häuslicher Krankenpflege) SGB V zu befassen, die eine Krankenkasse zur Versorgung ihrer Versicherten in einem Rahmenvertrag ausgeschrieben hatte. In ihrem Beschluss vom 1.6.20122 bejahte die VK Bund insbesondere das Vorliegen eines öffentlichen Auftrags. Dieser Annahme stünde nicht die Auffassung entgegen, dass durch den Beteiligungsanspruch der Leistungserbringer die verfahrensgegenständliche Leistung nicht exklusiv an einzelne Vertragspartner vergebern werden dürfe. Denn die Krankenkassen seien sehr wohl berechtigt, eine exklusive Auswahl einzelner Vertragspartner im Wege einer öffentlichen Ausschreibung vorzunehmen und die übrigen Leistungserbringer dementsprechend auszuschließen. Denn um der Sachleistungspflicht aus § 2 Abs. 2 SGB V nachzukommen, sei es den Krankenkassen gem. § 132 Abs. 1 Satz 1 SGB V3 und § 132a Abs. 1 Satz 1 SGB V ausdrücklich gestattet, mit entsprechenden Leistungserbringern Verträge abzuschließen (Vertragsmodell). Die Krankenkassen träfe damit eine Auswahlbefugnis. Der Auswahlbefugnis stehe dabei auch nicht das Recht der Patienten, ihre Leistungserbringer selbst auszuwählen, entgegen. Denn aufgrund der durch die Zuschlagserteilung getroffenen Vorauswahl könnten die jeweiligen Patienten keine anderen als die Zuschlagsgewinner für die jeweilige Versorgungsleistung auswählen und seien damit in ihrer eigenen Auswahl eingeschränkt4. So könne die Einstufung der Verträge nach §§ 132, 132a SGB V als öffentliche Aufträge i.S.d. § 103 Abs. 1 als Grund für die Pflicht zur Ausschreibung angeführt werden5.

245 Dem Vergaberecht ist ferner die Beschaffung von Schutzimpfungsleistungen

nach § 132e SGB V unterworfen. Nach § 132e Abs. 1 SGB V können Krankenkassen oder ihre Verbände mit Kassenärztlichen Vereinigungen, geeigneten Ärzten einschließlich Betriebsärzten, deren Gemeinschaften, Einrichtungen mit geeignetem ärztlichen Personal oder dem öffentlichen Gesundheitsdienst Ver-

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Vertiefend Becker/Kingreen in Becker/Kingreen, SGB V, 5. Aufl. 2017, § 69 Rz. 59. VK Bund v. 1.6.2012 – VK 1-46/12. Vormals § 132 Abs. 1 Satz 2 SGB V a.F. VK Bund v. 1.6.2012 – VK 1-46/12, juris Rz. 55 ff.; vgl. auch Csaki, Vergaberecht im Gesundheitswesen, S. 48, Rz. 61. 5 Csaki, Vergaberecht im Gesundheitswesen, S. 48, Rz. 59 f.

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träge über die Durchführung von Schutzimpfungen nach § 20i Abs. 1 und 2 SGB V abschließen. Insoweit besteht die Möglichkeit zur Ausschreibung selektiver Impfstoffversorgungsverträge1. Nach § 132e Abs. 2 SGB V können Krankenkassen zur Beschaffung der Impfstoffe Verträge mit pharmazeutischen Unternehmen schließen. Dabei können Rabatte auf den einheitlichen Abgabepreis des pharmazeutischen Unternehmens vereinbart werden, sofern die Impfstoffe keiner Preisbindung durch die Arnzeimittelpreisverordnung unterfallen. Impfstoffe unterliegen dabei nicht der Preisbindung, wenn sie von Apotheken direkt an Arztpraxen für Impfungen in der Praxis geliefert werden2. Die Anwendung des Vergaberechts folgt aus dem Verweis in § 132e Abs. 2 Satz 1 Halbs. 2 SGB V auf § 130a Abs. 8 SGB V3. Denn nach dem Wortlaut des § 130a Abs. 8 Satz 7 SGB V ist „der Vielfalt der Anbieter Rechnung zu tragen“. Nach §§ 132 Abs. 1 Satz 3, § 132a Abs. 2 Satz 6, 132e Abs. 1 Satz 6 SGB V ist im 246 Falle einer Nichteinigung eine unabhängige Schiedsperson hinzuzuziehen, welche den Vertragsinhalt bestimmt. Der Vergabe stehen die jeweiligen Schiedsverfahrensregelungen jedoch nicht entgegen. Denn die Durchführung eines Schiedsverfahrens setzt einen bestehenden Vertrag oder jedenfalls die freiwillige Anbahnung eines Vertragsverhältnisses voraus. Im Wege des Schiedsverfahrens werden dann lediglich noch streitige Einzelaspekte geklärt4. Nach § 133 SGB V ist eine Versorgung mit Krankentransportleistungen sicher- 247 zustellen. § 133 Abs. 1 Satz 3 SGB V normiert die Verpflichtung, durch Vergütungsvereinbarungen i.S.d. § 133 Abs. 1 Satz 2 SGB V eine flächendeckende rettungsdienstliche Versorgung sicherzustellen. Deshalb ist eine hinreichende Anzahl von Vertragsvereinbarungen, welche Krankentransportleistungen betreffen, abzuschließen. Laut Beschluss des BVerfG vom 8.6.20105 darf dabei die Zulassung einer Krankentransportleistung von einer Bedarfsprüfung abhängig gemacht werden. Die Bedarfsabhängigkeit der Zulassung von Berufsträgern zu Notfallrettung und Krankentransport vermeidet demnach die Entstehung von Überkapazitäten und somit einen Konkurrenzkampf unter den Leistungserbringern, der die Funktionsfähigkeit des Rettungsdienstes gefährdet6. Bei Erreichen des einschlägigen Schwellenwertes durch den abzuschließenden Vertrag ist sodann die Auswahlentscheidung als Vergabeverfahren durchzuführen7. 1 Gabriel in Gabriel/Krohn/Neun, Handbuch des Vergaberechts, § 71 Rz. 9 f. 2 Welti in Becker/Kingreen, SGB V, § 132e Rz. 6, Murawski in Hänlein/Schuler, SGB V, § 132e Rz. 3. 3 Murawski in Hänlein/Schuler, SGB V, § 132e Rz. 3 sowie § 130a Rz. 21. 4 VK Bund v. 1.6.2012 – VK 1-46/12. 5 BVerfG v. 8.6.2010 – 1 BvR 2011/07, NVwZ 2010, 1212 ff. 6 BVerfG v. 8.6.2010 – 1 BvR 2011/07, NVwZ 2010, 1212 ff., Rz. 89 ff. 7 BVerfG v. 8.6.2010 – 1 BvR 2011/07, NVwZ 2010, 1212 ff., Rz. 81; BGH v. 1.12.2088 – X ZB 31/08, BGHZ 179, 84, 87 ff.; Knitten in Krauskopf, Soziale Krankenversicherung, Pflegeversicherung, § 133 SGB V Rz. 6. A.A. Kingreen in Becker/Kingreen, SGB V, § 133

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§ 103 | Öffentliche Aufträge, Rahmenvereinbarungen und Wettbewerbe e) Verfahrensregeln für die Vergabe von sozialen Dienstleistungen 248 Die Verfahrensregeln für die Vergabe von sozialen (und anderen besonderen)

Dienstleistungen ergeben sich aus § 130 GWB und §§ 64 ff. VgV, welche ihrerseits vor dem Hintergrund der Bestimmungen in Art. 4 lit. d) und 74 ff. der Richtlinie 2014/24/EU zu sehen sind.

249 Mit der neuen Richtlinie 2014/24/EU wurde insbesondere die vormals beste-

hende Differenzierung für Dienstleistungen aus dem Gesundheits-, Veterinär und Sozialwesen zwischen sog. vorrangigen bzw. prioritären A-Dienstleistungen und nachrangigen bzw. nicht-prioritären B-Dienstleitungen gemäß Anhang II Teil B Kategorie 25 der Vergabekoordinierungsrichtlinie 2004/18/EG aufgegeben. Für Letztere galten gem. Art. 21 der Vergabekoordinierungsrichtlinie 2004/ 18/EG lediglich die Art. 23 und 35 Abs. 4 der Vergabekoordinierungsrichtlinie 2004/18/EG. Grundsätzlich wurde daher mit der Novellierung der Vergaberichtlinien der bestehende Anwendungsvorrang des europäischen Vergaberechts bekräftigt; die Besonderheiten des Sozialrechts rechtfertigen keine pauschale Ausnahme dieses Bereichs vom europäischen Vergaberecht. Gleichzeitig stellt der Erwägungsgrund 114 der Richtlinie 2014/24/EU aber auch fest/klar: „Bestimmte Dienstleistungskategorien haben aufgrund ihrer Natur nach wie vor lediglich eine begrenzte grenzüberschreitende Dimension, insbesondere die sogenannten personenbezogenen Dienstleistungen, wie etwa bestimmte Dienstleistungen im Sozial-, im Gesundheits- und im Bildungsbereich. Diese Dienstleistungen werden in einem besonderen Kontext erbracht, der sich aufgrund unterschiedlicher kultureller Traditionen in den einzelnen Mitgliedstaaten stark unterschiedlich darstellt. Für öffentliche Aufträge zur Erbringung dieser Dienstleistungen sollte daher eine spezifische Regelung festgelegt werden und ein höherer Schwellenwert gelten als der, der für andere Dienstleistungen gilt.“ Mit Blick hierauf wird zum einen gem. Art. 4 lit. d) der Richtlinie 2014/24/EU für soziale (und andere besondere) Dienstleistungen im Sinne von Anhang XIV der Richtlinie 2014/24/EU ein deutlich erhöhter Schwellenwert i.H.v. 750.000 € (netto) festgesetzt. Zum anderen gelten gem. Art. 74 ff. der Richtlinie 2014/24/EU deutlich erleichterte Beschaffungsregelungen. So besteht gem. Art. 76 Abs. 1 Satz 1 der Richtlinie 2021/24/EU die Pflicht, im Vergabeverfahren die Grundsätze der Transparenz und der Gleichbehandlung der Unternehmen einzuhalten. Zudem sind gem. Art. 75 der Richtlinie 2014/24/EU die beabsichtigte Vergabe sowie die Ergebnisse des Vergabeverfahrens unionsweit bekannt zu machen1. Rz. 17 m.w.N., welcher die Anwendbarkeit des Vergaberechts aufgrund eines Anspruchs auf Abschluss einer Vergütungsvereinbarung ausschließt. Mangels einer für den öffentlichen Auftrag gem. § 103 konstitutiven Auswahlentscheidung liege kein öffentlicher Auftrag i.S.d. § 103 Abs. 1 vor. Daher seien nur die sich aus den europäischen Grundfreiheiten ergebenden Transparenz- und Gleichbehandlungsgebote zu beachten. 1 Vgl. hierzu auch Höfer/Nolte, NZS 2015, 441 (446).

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Weitere Verfahrensanforderungen gibt es auf der Ebene des Unionsrechts praktisch nicht, können aber durch das nationale Recht im Sinne einer sog. überschießenden Umsetzung aufgestellt werden. Der deutsche Gesetzgeber hat diese (vgl. Rz. 249) vom Unionsrecht eröffneten 250 Freiheitsgrade nicht voll ausgeschöpft. Insbesondere hat er davon abgesehen, ein eigenständiges „Sozialvergaberecht“ im Sinne des vom europäischen Richtliniengeber als zulässig erachteten „Vergaberechts light“ zu schaffen. Vielmehr wurden – im Interesse der Flexibilität der öffentlichen Auftraggeber – lediglich punktuelle Erleichterungen geschaffen1. Diese betreffen insbesondere die Wahl der Verfahrensart (vgl. § 130 Abs. 1 und § 65 Abs. 1 VgV), die erweiterte Möglichkeit von vergaberechtsfreien Vertragsänderungen (vgl. § 130 Abs. 2), die verlängerte maximale Regellaufzeit von Rahmenvereinbarungen (vgl. § 65 Abs. 2 VgV), die Verwendung bieterbezogener Zuschlagskriterien (vgl. § 65 Abs. 3 VgV) sowie Erleichterungen im Hinblick auf Frist- (vgl. § 65 Abs. 4 VgV) und Bekanntmachungserfordernisse (vgl. § 66 Abs. 3 VgV)2.

§ 104 Verteidigungs- und sicherheitsrelevante öffentliche Aufträge (1) Verteidigungs- oder sicherheitsspezifische öffentliche Aufträge sind öffentliche Aufträge, deren Auftragsgegenstand mindestens eine der folgenden Leistungen umfasst: 1. die Lieferung von Militärausrüstung, einschließlich dazugehöriger Teile, Bauteile oder Bausätze, 2. die Lieferung von Ausrüstung, die im Rahmen eines Verschlusssachenauftrags vergeben wird, einschließlich der dazugehörigen Teile, Bauteile oder Bausätze, 3. Liefer-, Bau- und Dienstleistungen in unmittelbarem Zusammenhang mit der in den Nummern 1 und 2 genannten Ausrüstung in allen Phasen des Lebenszyklus der Ausrüstung oder 4. Bau- und Dienstleistungen speziell für militärische Zwecke oder Bau- und Dienstleistungen, die im Rahmen eines Verschlusssachenauftrags vergeben werden. (2) Militärausrüstung ist jede Ausrüstung, die eigens zu militärischen Zwecken konzipiert oder für militärische Zwecke angepasst wird und zum Einsatz als Waffe, Munition oder Kriegsmaterial bestimmt ist. 1 Vgl. hierzu auch BT-Drucks. 18/6281, S. 114 ff. 2 Vgl. Leinemann/Zoller, VergabeNews 2016, 98 ff.

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§ 104 | Verteidigungs- und sicherheitsrelevante öffentliche Aufträge (3) Ein Verschlusssachenauftrag im Sinne dieser Vorschrift ist ein Auftrag im speziellen Bereich der nicht-militärischen Sicherheit, der ähnliche Merkmale aufweist und ebenso schutzbedürftig ist wie ein Auftrag über die Lieferung von Militärausrüstung im Sinne des Absatzes 1 Nummer 1 oder wie Bau- und Dienstleistungen speziell für militärische Zwecke im Sinne des Absatzes 1 Nummer 4, und 1. bei dessen Erfüllung oder Erbringung Verschlusssachen nach § 4 des Gesetzes über die Voraussetzungen und das Verfahren von Sicherheitsüberprüfungen des Bundes oder nach den entsprechenden Bestimmungen der Länder verwendet werden oder 2. der Verschlusssachen im Sinne der Nummer 1 erfordert oder beinhaltet. I. II. III. 1.

Einführung . . . . . . . . . . . . . . Europarechtliche Grundlagen Kommentierung Bedeutung und Entstehung der Regelung . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Anwendungsbereich a) Ausnahme gem. Artikel 346 AEUV . . . . . . . . . . . . . . . . b) Erreichen des maßgeblichen Schwellenwertes . . . . . . . . . c) Persönlicher Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . d) Sachlicher Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . 3. Inhalt der Vorschrift . . . . . . . a) Grundkategorien . . . . . . . . aa) Militärische Zwecke . . . bb) Militärausrüstung . . . . cc) Verschlusssachenauftrag dd) Abgrenzung zur allgemeinen Ausnahme des § 107 Abs. 2 GWB . . . . b) Leistungskategorien aa) Lieferung von Militärausrüstung . . . . . . . . .

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bb) Lieferung von Ausrüstung im Rahmen eines Verschlusssachenauftrags einschließlich dazugehöriger Teile, Bauteile oder Bausätze . . . . . . . . . . . . . . . cc) Liefer-/Dienstleistungen in unmittelbarem Zusammenhang mit in aa) und bb) genannter Ausrüstung . . . . . . . . . . . . . . . dd) Bau- und Dienstleistungen speziell für militärische Zwecke oder Bauund Dienstleistungen, die im Rahmen eines Verschlusssachenauftrags vergeben werden . . . . . . 4. Vergaben im Unterschwellenbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Bauleistung . . . . . . . . . . . . . b) Liefer-/Dienstleistung . . . . . . 5. Rechtsschutz . . . . . . . . . . . . . .

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I. Einführung 1 Mit dem Gesetz zur Änderung des Vergaberechts für die Bereiche Verteidigung

und Sicherheit1 wurde die Richtlinie 2009/81/EG des Europäischen Parlaments

1 Gesetz v. 13.12.2011, BGBl. I 2011, 2570.

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Verteidigungs- und sicherheitsrelevante öffentliche Aufträge | § 104

und des Rates v. 13.7.2009 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe bestimmter Bau-, Liefer- und Dienstleistungsaufträge in den Bereichen Verteidigung und Sicherheit1 in deutsches Recht umgesetzt. Die Umsetzung erfolgte für die gesetzesrelevanten Vorschriften im Teil 4 des GWB2 und für die Verfahrensregeln in der Vergabeverordnung Verteidigung und Sicherheit – VSVgV3 (Vergabe von Liefer- und Dienstleistungen) sowie in der VOB/A-VS4 (VOB/A-3. Abschnitt – Vergabe von verteidigungs- und sicherheitsrelevanten Bauleistungen). Aufgrund ihrer Bedeutsamkeit wurde damit die Auftragsvergabe im Bereich der 2 Verteidigung und Sicherheit in ein spezielles Regime innerhalb der deutschen Vergaberechtsstruktur eingeordnet. Indem dem Vergaberecht bei der Vergabe von verteidigungs- und sicherheitsrelevanten Leistungen eine vom klassischen Vergaberecht abgegrenzte Rolle zugedacht wird, wird dem Ansinnen der Richtlinie 2009/81/EG Rechnung getragen, eine europäische rüstungstechnologische undindustrielle Basis zu fördern, zu entwickeln und zu unterhalten, die fähigkeitsgetrieben, kompetent und wettbewerbsfähig ist und auf einen echten europäischen Markt für Verteidigungsgüter unter gleichen Wettbewerbsbedingungen abzielt.5

II. Europarechtliche Grundlagen Grundlage der Regelungen zu den verteidigungs- und sicherheitsspezifischen öf- 3 fentlichen Aufträgen ist die Richtlinie 2009/81/EG. Sie ist speziell zugeschnitten auf die Vergabe von Leistungen, die eine besondere Rücksichtnahme auf die Sicherheitsinteressen der Mitgliedstaaten erfordern. Damit wird ein Rechtsrahmen geschaffen, der einerseits bei der Vergabe von verteidigungs- und sicherheitsspezifischen Aufträgen Transparenz und Wettbewerb gewährleistet und andererseits die besonderen Belange der Auftraggeber berücksichtigt.6 Es handelt sich bei den geschlossenen Verträgen um „öffentliche Aufträge“.7 Be- 4 grifflich besteht kein Unterschied zum klassischen und zum Sektorenvergabe1 ABl L 216 v. 20.8.2009, S. 76. 2 Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) in der Fassung der Bekanntmachung v. 26.6.2013, BGBl. I 2013, 1750, zuletzt geändert durch VergaberechtsmodernisierungsG v. 17.2.2016, BGBl. I 2016, 203. 3 Vergabeverordnung für die Bereiche Verteidigung und Sicherheit (VSVgV) v. 12.7.2012, BGBl. I 2012, 1509, zuletzt geändert durch Art. 5 Vergaberechtsmodernisierungsverordnung v. 12.4.2016, BGBl. I 2016, 624. 4 Vergabe- und Vertragsverordnung für Bauleistungen Ausgabe 2012 v. 31.7.2009, BAnz. Nr. 155, ber. 2010 Nr. 36 (die Abschnitte 2 und 3 der VOB/A – Ausgabe 2012 – wurden durch Bekanntmachung v. 24.11.2011 im BAnz. Nr. 182a v. 2.12.2011 bekannt gegeben). 5 Vgl. Erwägungsgrund 3 Richtlinie 2009/81/EG. 6 Hermann/Polster, Die Vergabe von sicherheitsrelevanten Aufträgen, NVwZ 2010, 341. 7 S. Artikel 1 Nr. 2 RL 2009/81/EG.

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§ 104 | Verteidigungs- und sicherheitsrelevante öffentliche Aufträge recht. Konkret umgesetzt werden mit § 104 GWB die Vorschriften der Artikel 1 Nummern 2, 6, 7 und 8 sowie Artikel 2 der Richtlinie 2009/81/EG. 5 Artikel 1 Nr. 2 der Richtlinie 2009/81/EG stellt klar, dass es sich bei dem Begriff

des „Auftrages“ um denjenigen im Sinne der übrigen Vergaberichtlinien (jetzt Richtlinien 2014/24/EU1 und 2014/25/EU2) handelt. Während die Nummern 6, 7 und 8 die Begriffe „Militärausrüstung“, „sensible“ Leistungen sowie „Verschlusssachen“ definieren, legt Artikel 2 den Anwendungsbereich fest.

6 Bei Aufträgen, die nach den Vorgaben der Richtlinie 2009/81/EG zu vergeben

sind, muss es sich um solche aus den Bereichen Verteidigung und Sicherheit handeln, die folgendes zum Gegenstand haben:3

7 – Die Lieferung von Militärausrüstung, einschließlich dazugehöriger Teile,

Bauteile und/oder Bausätze; – die Lieferung von sensibler Ausrüstung, einschließlich dazugehöriger Teile, Bauteile und/oder Bausätze; – Bauleistungen, Lieferungen und Dienstleistungen in unmittelbarem Zusammenhang mit den o.g. Ausrüstungen in allen Phasen ihres Lebenszyklus; – Bau- und Dienstleistungen speziell für militärische Zwecke oder sensible Bauleistungen und sensible Dienstleistungen.

III. Kommentierung 1. Bedeutung und Entstehung der Regelung 8 Wegen ihrer Spezialität und Sensibilität wurde im europäischen Vergaberecht

die Vergabe verteidigungs- und sicherheitsspezifischer Leistungen von der sog. klassischen Auftragsvergabe abgegrenzt. Die Normen des GWB Teil 4 spiegeln diese Struktur wider indem sie diesem Bereich mit § 104 sowie den §§ 144 ff. ebenfalls ein gesondertes und abgegrenztes Vergaberegime zuordnen.

9 § 104 ist Ausgangsvorschrift und Weichenstellung für die Vergabe von Aufträ-

gen im Verteidigungs- und Sicherheitsbereich.4 Die Norm steht in einem engen inhaltlichen Zusammenhang mit den §§ 117 und 144 bis 147 GWB. Die für das Vergabeverfahren einzuhaltenden Vorschriften zur Vergabe verteidigungs- und sicherheitsspezifischer Leistungen ergeben sich aus der VSVgV sowie der VOB/ A-VS (s.o. Rz. 1).

1 Richtlinie 2014/24/EU des Europäischen Parlaments und des Rates v. 26.2.2014 über die öffentliche Auftragsvergabe, ABl. L 94 v. 28.3.2014, S. 65. 2 Richtlinie 2014/25/EU des Europäischen Parlaments und des Rates v. 26.2.2014 über die Vergabe von Aufträgen durch Auftraggeber im Bereich der Wasser-, Energie- und Verkehrsversorgung sowie der Postdienste, ABl. L 94 v. 28.3.2014, S. 243. 3 S. Artikel 2 RL 2009/81/EG. 4 Hölzl in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, GWB-Vergaberecht, § 104 Rz. 2.

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Begrifflich war bislang die Rede von verteidigungs- und sicherheitsrelevanten 10 Aufträgen. Deren Definition fand sich in § 99 Abs. 7 bis 9 GWB a.F. wieder. Mit der jüngsten Reform des Vergaberechts wurde im Zuge der umfassenden Umstrukturierung des Teils 4 des GWB mit § 104 eine eigenständige Definition geschaffen. Im Zuge der Neufassung der europäischen Vergaberichtlinien wurde in den Arti- 11 keln 15 bis 17 der Richtlinie 2014/24/EU und 24 bis 26 Richtlinie 2014/25/EU die Kategorie von „Aufträgen, die Verteidigungs- und Sicherheitsaspekte“ umfassen, eingeführt. Zur besseren Abgrenzung derjenigen Aufträge, die in den Anwendungsbereich der Richtlinie 2009/81/EG fallen, wurde der Begriff geschärft und in „verteidigungs- und sicherheitsspezifisch“ abgeändert.1 Woraus konkret sich die „Schärfung“ ergibt, lässt der Gesetzgeber allerdings offen. Die Gesetzesbegründung äußert sich hierzu nicht.2 Eine zwingende Notwendigkeit einer Begriffsänderung aufgrund der neuen Richtlinien ergibt sich jedenfalls nicht. Soweit öffentliche Aufträge lediglich Verteidigungs- und Sicherheitsaspekte ent- 12 halten und nicht dem Anwendungsbereich der Richtlinie 2009/81/EG unterfallen, also keine verteidigungs- und sicherheitsspezifischen öffentlichen Aufträge gemäß § 104 GWB sind, finden die Vorschriften der Richtlinien 2014/24/EU und 2014/25/EU und damit des klassischen oder des Sektorenvergaberechts Anwendung. Aufträge mit Verteidigungs- und Sicherheitsaspekten, die letztlich nach den 13 Vorschriften des klassischen Vergaberechts zu vergeben sind, können Beschaffungen durch militärische Auftraggeber z.B. von Fahrzeugen betreffen, die nicht Militärausrüstung sind oder im Rahmen eines Verschlusssachenauftrags verwendet werden sollen. Aber auch das Bereitstellen von Verpflegung oder das Reinigen von Wäsche3 sind denkbar. § 117 GWB legt besondere Ausnahmen für die Vergaben von Aufträgen mit 14 Verteidigungs- und Sicherheitsaspekten fest. Auf dessen Kommentierung wird verwiesen. 2. Anwendungsbereich a) Ausnahme gem. Artikel 346 AEUV Der Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union4 (AEUV) sieht Aus- 15 nahmen von der Anwendung seiner Grundsätze und damit auch Ausnahmen 1 S. Begründung zum Vergaberechtsmodernisierungsgesetz (VergRModG) zu § 104 GWB, BT-Drucks. 18/6281. 2 S. Gesetz zur Modernisierung des Vergaberechts – VergRModG, Begründung zu § 104 GWB, BT-Drucks. 18/6281. 3 Vgl. Dippel in Müller/Wrede, GWB Kommentar, § 104, Rz. 3. 4 ABl. EG Nr. C 115 v. 9.5.2008, S. 47.

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§ 104 | Verteidigungs- und sicherheitsrelevante öffentliche Aufträge des von ihm abgeleiteten Rechts – damit auch der Richtlinie 2009/81/EG – vor. Nach Artikel 346 Absatz 1b AEUV dürfen verteidigungs- und sicherheitsspezifische Auftragsvergaben vom europäischen Vergaberecht ausgenommen werden. Dies bedeutet, dass verteidigungs- oder sicherheitsspezifische Auftragsvergaben nicht der Anwendung des Vergaberechts unterfallen, wenn dies aus Gründen der öffentlichen Sicherheit gerechtfertigt ist oder der Schutz der wesentlichen Sicherheitsinteressen eines Mitgliedstaats dies gebietet.1 Daher sieht § 107 Absatz 2 GWB einen dementsprechenden Ausnahmetatbestand vor. Ist dieser erfüllt, kommen weder § 104 GWB noch in der Folge der gesamte Teil 4 des GWB zur Anwendung.2 16 Der Rückgriff auf diese Ausnahme soll restriktiv gehandhabt werden. Nur wenn

dies aus den genannten Gründen der öffentlichen Sicherheit oder wesentlicher nationaler Sicherheitsinteressen erforderlich ist, darf sie in Anspruch genommen werden. Dabei muss der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit Beachtung finden. Die Nichtanwendung muss sowohl den verfolgten Zielen angemessen sein als auch die Option darstellen, die den freien Warenverkehr und die Dienstleistungsfreiheit am wenigsten behindert.3 b) Erreichen des maßgeblichen Schwellenwertes

17 Maßgeblich im Weiteren für die Eröffnung des Anwendungsbereiches des spezi-

ellen Regimes der verteidigungs- oder sicherheitsspezifischen Aufträge ist das Erreichen oder Überschreiten bestimmter Schwellenwerte, die sich aus § 106 Abs. 2 Nr. 3 GWB.4 ergeben. c) Persönlicher Anwendungsbereich

18 Bei der Vorschrift handelt es sich um eine Spezialnorm. Sie definiert legal, was

unter den speziellen verteidigungs- und sicherheitsspezifischen öffentlichen Aufträgen zu verstehen ist. Ein persönliches Element fehlt. Da sich die Vorschriften des GWB Teil 4 an Auftraggeber nach § 98 richten, ist die Vorschrift für diese maßgeblich und von ihnen im Falle der öffentlichen Auftragsvergabe zu beachten.

19 Der Wortlaut erfasst ausschließlich die Vergabe öffentlicher Aufträge, nicht aber

von Konzessionen. Daher umfasst der persönliche Anwendungsbereich lediglich

1 2 3 4

S. Artikel 2 sowie Erwägungsgrund 16 der Richtlinie 2009/81/EG. Im Einzelnen wird auf die Kommentierung zu § 107 Absatz 2 GWB verwiesen. S. Erwägungsgrund 17 der Richtlinie 2009/81/EG. Ab dem 1.1.2016 beträgt der Schwellenwert für verteidigungs-/sicherheitsspezifischer Liefer- und Dienstleistungen 418 000 Euro sowie für entsprechende Bauleistungen 5 225 000 Euro; s. Verordnung (EU) 2015/2340 der Kommission v. 15.12.2015 zur Änderung der Richtlinie 2009/81/EG des Europäischen Parlaments und des Rates im Hinblick auf die Schwellenwerte für Auftragsvergabeverfahren, ABl. L 330 v. 16.12.2015, S. 14.

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öffentliche Auftraggeber (§ 99 GWB) und Sektorenauftraggeber (§ 100 GWB). Konzessionsgeber nach § 101 GWB sind vom persönlichen Anwendungsbereich nicht erfasst. Folglich hat der Gesetzgeber im Rahmen der Änderung des § 1 Abs. 1 VSVgV1 diese dort auch nicht aufgeführt. d) Sachlicher Anwendungsbereich Der sachliche Anwendungsbereich ist durch die Legaldefinition vorgegeben. Be- 20 troffen sind verteidigungs- und sicherheitsspezifische öffentliche Aufträge. Je nach Leistungsart (Liefer-/Dienstleistung oder Bauleistung) des Auftrages sind entweder die VSVgV oder die VOB/A-VS als Verfahrensvorschriften bei der Auftragsvergabe maßgeblich. Nicht umfasst ist die Vergabe von Konzessionen nach § 105 GWB (s.o. Rz. 19). Sämtliche in § 103 Abs. 1 GWB genannten öffentlichen Aufträge können vertei- 21 digungs- oder sicherheitsspezifische öffentliche Aufträge sein. § 104 GWB bestimmt keinen eigenständigen, neuen Typ eines öffentlichen Auftrags sondern lediglich eine bestimmte Kategorie innerhalb der bestehenden Definition des öffentlichen Auftrags.2 Es handelt sich um einen Unterfall des § 103 Absatz 1 GWB. Ihre Verteidigungs- oder Sicherheitsrelevanz erhalten die Aufträge durch ihren 22 besonderen Auftragsgegenstand.3 Umfasst der Auftragsgegenstand der geforderten Leistung mindestens eine der in den Nummern 1 bis 4 aufgeführten Kategorien (s.u.), ist der sachliche Anwendungsbereich eröffnet. Es reicht aus, wenn im Rahmen eines entsprechenden Leistungsmixes eine der aufgeführten Leistungen umfasst ist. Über die §§ 1 und 2 Abs. 1 VSVgV sind für die Vergabe von verteidigungs- oder 23 sicherheitsspezifischen Liefer- und Dienstleistungen des § 104 GWB die Vorgaben der VSVgV anzuwenden. Im Falle der Vergabe von verteidigungs- und sicherheitsspezifischen Bauleistungen findet gemäß § 2 Abs. 2 VSVgV die VOB/ A-VS Anwendung. 3. Inhalt der Vorschrift Die Definition verteidigungs- und sicherheitsspezifischer öffentlicher Aufträge 24 erfolgt in Absatz 1. Im Wesentlichen hat sich gegenüber der bisherigen Vorschrift des § 99 Abs. 7 GWB a.F. nichts geändert. Der Auftragsgegenstand muss 1 Vergaberechtsmodernisierungsverordnung-VergRModVO v. 12.4.2016, Artikel 5, Änderung der Vergabeverordnung Verteidigung und Sicherheit (BGBl. I 2016, 624 [712] v. 14.4.2016). 2 So auch Wegener inPünder/Schellenberg, Vergaberecht, § 99 GWB a.F. Rz. 102. 3 Scherer-Leydecker, Verteidigungs- und sicherheitsrelevante Aufträge – Eine neue Auftragskategorie im Vergaberecht, NZBau 2012, 533.

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§ 104 | Verteidigungs- und sicherheitsrelevante öffentliche Aufträge mindestens eine von bestimmten, in Absatz 1 beschriebenen Leistungen umfassen. Die Norm legt vier Kategorien (Leistungskategorien) fest, denen bestimmte Grundkategorien (s. Absatz 2) zugrunde liegen.1 a) Grundkategorien 25 Es kann sich überhaupt erst um einen verteidigungs- oder sicherheitsspezifi-

schen Auftrag handeln, wenn eine der folgenden Grundkategorien betroffen ist: aa) Militärische Zwecke

26 Die Grundkategorie „Bestimmung zu militärischen Zwecken“ sollte ursprüng-

lich einen objektiven und einen subjektiven Aspekt haben: Einerseits musste die Ausrüstung objektiv zu militärischen Zwecken konzipiert oder angepasst sein. Andererseits musste sie subjektiv zu militärischen Zwecken „bestimmt“ sein. Beide Aspekte sollten kumulativ zusammentreten müssen.2 Dies bedeutete letztlich eine Ausweitung des Anwendungsbereichs, die sich gerade in Bezug auf sogenannte Dual-Use-Güter (s.u.) auswirkt.3

27 Allerdings hat der EuGH seine Rechtsprechung entscheidend geändert.4 Danach

müssen die Leistungen lediglich einen objektiv spezifisch militärischen Charakter aufweisen.5 Nicht der beabsichtigte Verwendungszweck durch den Auftraggeber ist für die Einordnung der Leistung maßgeblich, sondern die ihr zu Grunde gelegte Konzeption.6

bb) Militärausrüstung 28 Militärausrüstung ist eigens zu militärischen Zwecken konzipierte Ausrüstung

oder für militärische Zwecke angepasste Ausrüstung und ist bestimmt zum Einsatz als Waffen, Munition oder Kriegsmaterial.7 Diese der Richtlinie 2009/81/EG entsprechende Definition wurde unverändert in § 104 Absatz 2 GWB übernommen.

1 Vgl. Hölzl in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, GWB-Vergaberecht, § 104 Rz. 1 u. 17. 2 Vgl. EuGH v. 8.4.2008 – Rs. C-337/05, NZBau 2008, 401; Wegener in Pünder/Schellenberg, Vergaberecht, § 99 GWB a.F. Rz. 108 m.w.N. 3 Hölzl, Keine Ausschreibungspflicht für militärisch und zivil nutzbares Produkt – „Ins Tiimi Oy“, NZBau 2012, S. 509. 4 EuGH v. 7.6.2012 – Rs. C-615/10, NZBau 2013, 509. 5 Hölzl in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, GWB-Vergaberecht, § 104 Rz. 31 f. m.w.N.; ebenso: Dippel in Müller/Wrede, GWB Kommentar, § 104, Rz. 25 f. m.w.N. 6 Im Einzelnen hierzu: Hölzl in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, GWB-Vergaberecht, § 104 Rz. 33 ff. m.w.N. 7 S. Artikel 1 Nummer 6 RL 2009/81/EG.

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Unter Ausrüstung ist jeder Gegensand zu verstehen, der dazu dient, jemandem 29 eine bestimmte Zweckerreichung zu ermöglichen.1 Dies können körperliche (z.B. Sachen i.S.d. § 90 BGB) aber auch nichtkörperliche Gegenstände (z.B. Software, Daten, Informationen, Energie oder Rechte) sein.2 Zu militärischen Zwecken konzipiert ist eine Ausrüstung dann, wenn sie allein 30 für die Nutzung durch die Streitkräfte vorgesehen und geschaffen ist. Für militärische Zwecke angepasst ist eine Ausrüstung, die ursprünglich anderen als militärischen Zwecken dienen sollte, deren Zweck aber durch Änderungs- oder Ergänzungsmaßnahmen auf die Verwendung durch die Streitkräfte umgewidmet wurde.3 Erfasst sind hierdurch insbesondere die in der zu Artikel 346 AEUV erlasse- 31 nen Liste aufgeführten Waffen, Munition und Kriegsmaterial (Kriegswaffenliste vom 15.4.1958).4 Allerdings hat die Liste keinen konstitutiven Charakter. Sie ist generisch zu verstehen und aufgrund ihres Alters und technologischem Stand weit auszulegen um auch neue Entwicklungen darunter fassen zu können.5 Sogenannte Dual-Use-Güter (Güter, die sowohl für militärische als auch zivile 32 Zwecke verwendbar sind) sind militärische Ausrüstung, wenn sie zu militärischen Zwecken konzipiert wurden und auch für zivile Zwecke verwendet werden können oder zu zivilen Zwecken entwickelt und zu militärischen Zwecken angepasst wurden.6 Dual-Use-Güter sind dann nicht Militärausrüstung, wenn sie für einen zivilen Zweck konzipiert wurden und lediglich auch militärisch genutzt werden können. In diesem Fall fehlt es ihnen an dem objektiv spezifischen militärischen Charakter (s.o. Rz. 27). cc) Verschlusssachenauftrag Der Verschlusssachenauftrag ist ein Auftrag im speziellen Bereich der nichtmili- 33 tärischen Sicherheit, der ähnliche Merkmale aufweist und ebenso schutzbedürftig ist wie ein Auftrag über die Lieferung von Militärausrüstung oder wie Bauund Dienstleistungen speziell für militärische Zwecke.

1 Vgl. Scherer-Leydecker, Verteidigungs- und sicherheitsrelevante Aufträge – Eine neue Auftragskategorie im Vergaberecht, NZBau 2012, 533. 2 Scherer-Leydecker, Verteidigungs- und sicherheitsrelevante Aufträge – Eine neue Auftragskategorie im Vergaberecht, NZBau 2012, 533. 3 Vgl. Dippel in Müller/Wrede, GWB Kommentar, § 104 Rz. 12 f. 4 S. Ratsentscheidung Nr. 255/58, ABl. EG Nr. C 354 E v. 20.12.2001, S. 85. 5 S. Erwägungsgrund 10 RL 2009/81/EG; Hölzl in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, GWB-Vergaberecht, § 104 Rz. 30. 6 Horstkotte/Hünemörder, Vergabe von Aufträgen im Verteidigungs- und Sicherheitsbereich, LKV 2015, S. 541 m.w.N.

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§ 104 | Verteidigungs- und sicherheitsrelevante öffentliche Aufträge 34 Hinzukommen muss, dass

– bei der Erfüllung oder der Erbringung des Auftrages Verschlusssachen nach dem Sicherheitsüberprüfungsgesetz1 (SÜG) oder nach entsprechenden Länderbestimmungen verwendet werden oder – der Auftrag Verschlusssachen i.S.d. SÜG erfordert oder beinhaltet. 35 Nach § 99 Abs. 9 GWB a.F. war der Verschlusssachenauftrag als ein Auftrag für

Sicherheitszwecke definiert. Die Neufassung bezieht den Begriff des Verschlusssachenauftrages auf den speziellen nichtmilitärischen Bereich. Hierdurch sollte klargestellt werden, dass im speziellen Bereich der nichtmilitärischen Sicherheit nach Erwägungsgrund 11 der Richtlinie 2009/81/EG diese auch für Beschaffungen gelten sollte, die ähnliche Merkmale aufweisen, wie Beschaffungen im Verteidigungsbereich und ebenso sensibel sind.2

36 Eine Änderung oder gar Einschränkung des Anwendungsbereiches dürfte da-

mit nicht verbunden sein. Wird im Bereich der Verteidigung nichtmilitärische Ausrüstung eingekauft, findet die VSVgV nur Anwendung, wenn dies – wie im Nicht-Verteidigungsbereich auch – im Rahmen eines Verschlusssachenauftrages geschieht. Für die Beschaffung von militärischer Ausrüstung ist es dagegen unerheblich, ob dies im Rahmen eines Verschlusssachenauftrages geschieht oder nicht, da allein die Tatsache, dass die Beschaffung Militärausrüstung betrifft, die VSVgV zur Anwendung bringt.

37 Wann ein Auftrag ähnliche Merkmale aufweist und ähnlich schutzbedürftig ist

wie ein Auftrag über die Lieferung von Militärausrüstung oder wie Bau- und Dienstleistungen speziell für militärische Zwecke, geht aus dem Gesetzeswortlaut nicht hervor. Die Gesetzesbegründung äußert sich hierzu nicht.

38 Hierzu kann auf Erläuterungen der Richtlinie 2009/81/EG zurückgegriffen werden.

Erwägungsgrund 11 spricht von Bereichen, in denen militärische und nicht-militärische Einsatzkräfte bei der Erfüllung derselben Missionen zusammenarbeiten und /oder die Beschaffung dazu dient, die Sicherheit der Union und/oder der Mitgliedstaaten auf ihrem Hoheitsgebiet oder darüber hinaus von ersten Bedrohungen durch nicht-militärische und/oder nichtstaatliche Akteure zu schützen. Dies kann den Grenzschutz, polizeiliche Tätigkeiten und Kriseneinsätze einschließen.

39 Ein Verschlusssachenauftrag ist ein Auftrag bei dessen Erfüllung oder Ausfüh-

rung Verschlusssachen i.S.d. § 4 SÜG3 oder entsprechender Bestimmungen der

1 Gesetz über die Voraussetzungen und das Verfahren von Sicherheitsüberprüfungen des Bundes-SÜG v. 20.4.1994 (BGBl. I, 867), zuletzt geändert durch Artikel 2 des Gesetzes v. 3.12.2015 (BGBl. I 2015, 2161). 2 S. Gesetz zur Modernisierung des Vergaberechts – VergRModG, Begründung zu § 104 Abs. 3 GWB, BT-Drucks. 18/6281. 3 Sicherheitsüberprüfungsgesetz v. 20.4.1994 (BGBl. I, 867) zuletzt geändert durch Artikel 2 des Gesetzes v. 3.12.2015 (BGBl. I 2015, 2161).

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Länder verwendet werden, Verschlusssachen erfordern oder beinhalten. Ist dies der Fall, so ist der Auftrag insgesamt als Verschlusssachenauftrag zu klassifizieren. Ausreichend ist, dass der zukünftige Leistungserbringer potenziell, sei es körperlich oder elektronisch, bei der Auftragsausführung Kontakt zu Verschlusssachen erhält.1 Nach § 4 SÜG sind Verschlusssachen im öffentlichen Interesse geheimhaltungs- 40 bedürftige Tatsachen, Gegenstände oder Erkenntnisse, unabhängig von ihrer Darstellungsform. Sie werden entsprechend ihrer Schutzbedürftigkeit von einer amtlichen Stelle oder auf deren Veranlassung eingestuft. Das SÜG definiert 4 Einstufungskategorien: (1) VS-NUR FÜR DEN DIENSTGEBRAUCH, wenn die Kenntnisnahme durch 41 Unbefugte für die Interessen der Bundesrepublik Deutschland oder eines ihrer Länder nachteilig sein kann, (2) VS-VERTRAULICH, wenn die Kenntnisnahme durch Unbefugte für die In- 42 teressen der Bundesrepublik Deutschland oder eines ihrer Länder schädlich sein kann, (3) GEHEIM, wenn die Kenntnisnahme durch Unbefugte die Sicherheit der 43 Bundesrepublik Deutschland oder eines ihrer Länder gefährden oder ihren Interessen schweren Schaden zufügen kann, (4) STRENG GEHEIM, wenn die Kenntnisnahme durch Unbefugte den Bestand 44 oder lebenswichtige Interessen der Bundesrepublik Deutschland oder eines ihrer Länder gefährden kann. Das OLG Düsseldorf hat es als ausreichend angesehen, dass die Vergabeunterla- 45 gen zum großen Teil als VS-NUR FÜR DEN DIENSTGEBRAUCH bezeichnet wurden, im Vergabeverfahren Vertraulichkeit gelten sollte und auch für die Auftragsausführung Vertraulichkeit vereinbart war.2 dd) Abgrenzung zur allgemeinen Ausnahme des § 107 Abs. 2 GWB Betrachtet man die unterschiedlichen Kategorien bzw. Stufen des § 4 SÜG, ist zu 46 erkennen, dass die Einstufungen GEHEIM und STRENG GEHEIM Anlass dazu geben, in solchen Fällen von einer Ausnahme des Vergaberechts auszugehen. Einerseits qualifiziert eine solche Einstufung den Auftrag als verteidigungs- und sicherheitsrelevant i.S.d. § 104, andererseits kann die Voraussetzung für eine Ausnahme gemäß § 107 Abs. 2 gegeben sein. Bei § 107 GWB handelt es sich um eine allgemeine Ausnahmevorschrift. Folg- 47 lich gilt diese auch und insbesondere für öffentliche Aufträge, die nicht verteidi1 S. VK Bund v. 3.6.2013 – VK 2-31/13; Dippel in Müller/Wrede, GWB Kommentar, § 104 Rz. 48. 2 OLG Düsseldorf v. 21.10.2015 – VII-Verg 28/14, NZBau 2016, 235.

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§ 104 | Verteidigungs- und sicherheitsrelevante öffentliche Aufträge gungs- und sicherheitsspezifisch sind. Es stellt sich in Anbetracht der genannten Einstufungsgrade des § 4 SÜG die Frage, ob es überhaupt einen Anwendungsbereich für die Klassifizierung eines Auftrages als verteidigungs- und sicherheitsspezifisch aufgrund einer Einstufung als GEHEIM oder STRENG GEHEIM gibt. Denn nach § 107 Abs. 2 GWB, der – wie beschrieben – als allgemeine Ausnahme auch für verteidigungs- und sicherheitsspezifische öffentliche Aufträge Anwendung findet, wäre er von der Anwendung des Teils 4 des GWB auszunehmen.1 Letztlich wird der öffentliche Auftraggeber im konkreten Einzelfall zu entscheiden haben, ob das spezielle Regime der verteidigungs- und sicherheitsrelevanten öffentlichen Aufträge oder die allgemeine Ausnahme des § 107 Abs. 2 GWB zur Anwendung kommt. 48 Zu den Voraussetzungen der besagten Ausnahme und deren Anwendungs-

bereich wird auf die Kommentierung zu § 107 Abs. 2 GWB verwiesen.

b) Leistungskategorien aa) Lieferung von Militärausrüstung 49 Erfasst von dieser Leistungskategorie sind Lieferaufträge i.S.v. § 103 Abs. 2 GWB

bei denen es um die Beschaffung von Militärausrüstung (s.o. Rz. 28 ff.), insbesondere deren Kauf, Ratenkauf oder Leasing, Miete oder Pacht mit oder ohne Kaufoption geht. bb) Lieferung von Ausrüstung im Rahmen eines Verschlusssachenauftrags einschließlich dazugehöriger Teile, Bauteile oder Bausätze

50 Auch hier ist wie bei der Lieferung von Militärausrüstung mit Lieferung zu-

nächst ein Lieferauftrag i.S.v. § 103 Abs. 2 GWB gemeint. Der Wortlaut umfasst die Lieferung von Ausrüstung. Da der Verschlusssachenauftrag einen Auftrag im nicht-militärischen Bereich darstellt, ist unter Ausrüstung jeder nicht-militärische Gegenstand zu verstehen, der dazu dient, eine bestimmte Zweckerreichung zu ermöglichen (s.o. Rz. 29). Hierunter fallen alle Sachmittel, auf die Behörden im Bereich der Sicherheit (u.a. Polizeien von Bund und Ländern, Verfassungsschutz, Bundesnachrichtendienst, Katastrophenschutz) zurückgreifen.2 Die Lieferung der Ausrüstung muss im Zusammenhang mit einem Verschlusssachenauftrag stehen.

1 Zur Problematik dieser „Doppelfunktion“ s. Voll, Der novellierte Regelungsrahmen zur Vergabe verteidigungs- und sicherheitsrelevanter öffentlicher Aufträge – Wertungswidersprüche und Zirkelschlüsse, NVwZ 2013, 120, 123. 2 Vgl. Dippel in Müller-Wrede, GWB Vergaberecht, § 104 Rz. 33.

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cc) Liefer-/Dienstleistungen in unmittelbarem Zusammenhang mit in aa) und bb) genannter Ausrüstung Die Vorschrift regelt, dass alle Liefer-, Bau- und Dienstleistungen, die im unmit- 51 telbaren Zusammenhang mit der Lieferung von Militärausrüstung stehen, die im Rahmen eines Verschlusssachenauftrages vergeben werden, in allen Phasen ihres Lebenszyklus als verteidigungs- und sicherheitsspezifisch zu kategorisieren sind. Erfasst werden demnach auch die im unmittelbaren Zusammenhang mit der Lieferung von Militärausrüstung stehenden Liefer-, Bau- und Dienstleistungen. Im unmittelbaren Zusammenhang steht die Liefer-, Bau- oder Dienstleistung 52 dann, wenn sie der Lieferung von Militärausrüstung dient oder deren zweckentsprechende Verwendung erst ermöglicht. Lebenszyklus meint alle aufeinanderfolgenden Phasen, die ein Produkt durch- 53 läuft, d.h. Forschung und Entwicklung, industrielle Entwicklung, Herstellung, Reparatur, Modernisierung, Änderung, Instandhaltung, Logistik, Schulung, Erprobung, Rücknahme und Beseitigung.1 dd) Bau- und Dienstleistungen speziell für militärische Zwecke oder Bauund Dienstleistungen, die im Rahmen eines Verschlusssachenauftrags vergeben werden Auch Bau- und Dienstleistungen speziell für militärische Zwecke, die im Rah- 54 men eines Verschlusssachenauftrages vergeben werden, rechnen zu den verteidigungs- und sicherheitsspezifischen öffentlichen Aufträgen. Der militärische Zweck ergibt sich daraus, dass die Bau- oder Dienstleistung al- 55 lein für die Nutzung durch die Streitkräfte vorgesehen und geschaffen ist (s.o. Rz. 26 f.). 4. Vergaben im Unterschwellenbereich Die Anwendung des speziellen Vergaberegimes für verteidigungs- und sicher- 56 heitsspezifische öffentliche Aufträge hängt vom Erreichen der maßgeblichen Schwellenwerte (s.o. Rz. 17) ab. Werden diese nicht erreicht, sind die sich aus dem Haushaltsrecht ergebenden Vergabevorschriften2 maßgeblich. Hier sehen weder VOL/A-1. Abschnitt noch VOB/A-1. Abschnitt für die Vergabe von ver1 Artikel 1 Nummer 26 Richtlinie 2009/81/EG. 2 Die dem Haushaltsrecht zugehörigen Vergabevorschriften sind § 30 HGrG, § 55 BHO, VV zu § 55 BHO sowie die VOL/A-1.Abschnitt und die VOB/A-1.Abschnitt. Im Bereich der Länder gelten die jeweiligen Landeshaushaltsordnungen (LHOen) einschließlich der hierzu ergangenen Verwaltungsvorschriften oder Erlasse. Ebenfalls auf Länderebene zu berücksichtigen sind ggf. die unterschiedlichen Landesvergabegesetze.

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§ 104 | Verteidigungs- und sicherheitsrelevante öffentliche Aufträge teidigungs- und sicherheitsspezifischen öffentlichen Aufträgen besondere Regelungen vor. Folglich sind sie für die Vergabe verteidigungs- und sicherheitsspezifischer öffentlicher Aufträge in gleicher Weise anwendbar wie zur Vergabe „üblicher“ öffentlicher Aufträge. 57 Allerdings können im Falle von Geheimhaltungserfordernissen die Vorausset-

zungen für eine Beschränkte Ausschreibung nach § 3 Abs. 3 Buchst. b VOL/A bzw. § 3a Abs. 2 Nummer 3 VOB/A oder eine Freihändige Vergabe nach § 3 Abs. 5 lit. f) VOL/A bzw. § 3a Abs. 4 Nr. 5 VOB/A gegeben sein. Wann dies der Fall ist, wird z.T. unterschiedlich betrachtet:1 a) Bauleistung

58 Die Vergabe geheimhaltungsbedürftiger öffentlicher Bauaufträge kann abgestuft

entweder im Rahmen einer Beschränkten Ausschreibung oder einer Freihändigen Vergabe erfolgen. Die Freihändige Vergabe ist nur dann zulässig, wenn die Beschränkte Ausschreibung unzweckmäßig erscheint.2

59 Das Verfahren der Beschränkten Ausschreibung nach der VOB/A sieht die Auf-

forderung zur Angebotsabgabe grundsätzlich ohne öffentlichen Teilnahmewettbewerb vor.3 Die Verfahrensart darf gewählt werden, wenn die Öffentliche Ausschreibung unzweckmäßig ist. Als Beispiel der Unzweckmäßigkeit führt § 3a Absatz 2 Nummer 3 VOB/A Gründe der Geheimhaltung an.

60 Die Geheimhaltungsbedürftigkeit muss sich im Gegensatz zur Vergabe von ge-

heimhaltungsbedürftigen Liefer-/Dienstleistungen nicht aus einschlägigen Ge-

1 Mit dem Inkrafttreten der zukünftigen Verfahrensordnung für die Vergabe öffentlicher Liefer- und Dienstleistungsaufträge unterhalb der EU-Schwellenwerte (Unterschwellenvergabeordnung – UvgO, BAnz. AT 07.02.2017 B1) entfällt die Problematik der Rangfolge bei der Vergabe von Liefer- und Dienstleistungen. § 8 Absatz 4 Nummer 15 UVgO sieht die Regelung nur noch für die Verhandlungsvergabe (entspricht der bisherigen Freihändigen Vergabe) vor. Im Übrigen sieht § 51 UVgO vor, dass im Falle der Vergabe von verteidigungs- und sicherheitsspezifischen Liefer-/Dienstleistungen i.S.d. § 104 GWB dem Auftraggeber die Beschränkte Ausschreibung oder die Verhandlungsvergabe jeweils mit oder ohne Teilnahmewettbewerb zur Auswahl stehen. Damit steht künftig auch im Bereich unterhalb der europäischen Schwellenwerte ein für verteidigungsund sicherheitsspezifische Liefer-/Dienstleistungen entsprechendes Vergaberegime zur Verfügung. Die VOB/A bleibt diesbezüglich im Wesentlichen unverändert. 2 Stickler in Kapellmann/Messerschmidt, VOB, § 3 VOB/A Rz. 54; so auch: Pünder in Pünder/Schellenberg, Vergaberecht, § 3 VOB/A Rz. 24, Völlink in Ziekow/Völlink, Vergaberecht, § 3 VOB/A Rz. 45. 3 Nach § 3 Abs. 2 VOB/A werden im Rahmen der Beschränkten Ausschreibung Bauleistungen im vorgeschriebenen Verfahren nach Aufforderung einer beschränkten Zahl von Unternehmen zur Einreichung von Angeboten vergeben, gegebenenfalls nach öffentlicher Aufforderung, Teilnahmeanträge zu stellen (Beschränkte Ausschreibung nach Öffentlichem Teilnahmewettbewerb).

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Verteidigungs- und sicherheitsrelevante öffentliche Aufträge | § 104

heimhaltungsvorschriften ergeben. Sehr wohl allerdings muss die Geheimhaltungsbedürftigkeit objektiv vorliegen. Allein ein subjektives Interesse des öffentlichen Auftraggebers reicht für die Zulässigkeit einer Beschränkten Ausschreibung nicht aus.1 Beim Bau von militärischen Einrichtungen oder Bauleistungen in anderen Si- 61 cherheitsbereichen kann von einer Geheimhaltungsbedürftigkeit ausgegangen werden. Auch ein objektiv vorliegendes betriebliches Geheimhaltungsinteresse kann genügen.2 Die Freihändige Vergabe nach § 3a Absatz 4 Nummer 5 VOB/A ist dann zuläs- 62 sig, wenn eine Beschränkte Ausschreibung unzweckmäßig erscheint. Die Darlegungslast trifft den öffentlichen Auftraggeber. Er muss das Vorliegen der Voraussetzungen nachweisen. Hierzu hat er zunächst zu prüfen, ob dem Geheimhaltungsbedürfnis nicht bereits durch eine Beschränkte Ausschreibung Rechnung getragen werden kann. Nur wenn dies nicht der Fall ist, darf er auf die Freihändige Vergabe zurückgreifen. Wie bei der Beschränkten Ausschreibung muss sich auch hier die Geheimhal- 63 tungsbedürftigkeit nicht aus einschlägigen Rechtsvorschriften ergeben, aber objektiv vorliegen. b) Liefer-/Dienstleistung Nach § 3 Absatz 3 Buchstabe b VOL/A ist eine Beschränkte Ausschreibung mit 64 Teilnahmewettbewerb zur Vergabe öffentlicher Liefer- und Dienstleistungen zulässig, wenn eine öffentliche Ausschreibung bspw. aus Gründen der Geheimhaltung unzweckmäßig ist. Im Sinne einer Rangfolge ist im Falle einer Geheimhaltungsbedürftigkeit die Be- 65 schränkte Ausschreibung vorrangig anzuwenden.3 Die Freihändige Vergabe ist nachrangig anwendbar, wenn unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls die Beschränkte Ausschreibung mit Teilnahmewettbewerb unzweckmäßig erscheint. 1 Vgl. VK Brandenburg v. 22.5.2008 – VK 11/08. 2 S. Stickler in Kapellmann/Messerschmidt, VOB, § 3 VOB/A Rz. 54; a.A.: Völlink in Ziekow/Völlink, Vergaberecht, § 3 VOB/A Rz. 30 und 45; Kaelble in Müller-Wrede, VOL/A Kommentar, § 3 Rz. 51. Da die Geheimhaltungsbedürftigkeit seit der Vergaberechtsreform 2010 nach dem Wortlaut der Vorschrift nicht jedoch mehr auf einschlägigen Rechtsvorschriften beruhen muss, erscheint diese Auffassung nicht (mehr) vorzugswürdig. 3 Vgl. Völlink in Ziekow/Völlink, Vergaberecht, § 3 VOL/A Rz. 9; Pünder in Pünder/ Schellenberg, Vergaberecht, § 3 VOL/A Rz. 9; nicht von einem Vorrangverhältnis ausgehend wohl Kulartz in Kulartz/Marx/Portz/Prieß, Kommentar zur VOL/A, § 3 Rz. 44. Da es auch im Haushaltsvergaberecht auf möglichst wettbewerbliche Verfahren ankommen soll, erscheint die Annahme eines Vorrangverhältnisses vorzugswürdig.

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§ 105 | Konzessionen 66 Teilweise wird vertreten, dass sich die Geheimhaltungsbedürftigkeit auf Grund

von einschlägigen Rechtsvorschriften ergeben muss.1 Seit der Vergaberechtsreform 2010 finden sich im Wortlaut der VOB/A sowie der VOL/A allerdings keine entsprechenden Vorgaben mehr. Daher ist der Auffassung, dass auch objektiv vorliegende betriebliche Geheimhaltungserfordernisse des öffentlichen Auftraggebers den entsprechenden Ausnahmetatbestand rechtfertigen (s.o. Rz. 60), vorzuziehen. 5. Rechtsschutz

67 Die Vorschrift gehört zu den Vorschriften des Vergabeverfahrens. Nach ihr

wird bestimmt, ob die Verfahrensvorschriften für Verteidigungs- und Sicherheitsvergaben, nämlich die VSVgV Anwendung finden oder nicht. Aus § 96 Abs. 5 GWB ergibt sich für den Bewerber/Bieter der Anspruch, dass der öffentliche Auftraggeber auch die richtige Verfahrensverordnung anwendet. Entsprechend steht dem Bewerber/Bieter das Recht zu, dies im Rahmen eines Nachprüfungsverfahrens überprüfen zu lassen.

§ 105 Konzessionen (1) Konzessionen sind entgeltliche Verträge, mit denen ein oder mehrere Konzessionsgeber ein oder mehrere Unternehmen 1. mit der Erbringung von Bauleistungen betrauen (Baukonzessionen); dabei besteht die Gegenleistung entweder allein in dem Recht zur Nutzung des Bauwerks oder in diesem Recht zuzüglich einer Zahlung; oder 2. mit der Erbringung und der Verwaltung von Dienstleistungen betrauen, die nicht in der Erbringung von Bauleistungen nach Nummer 1 bestehen (Dienstleistungskonzessionen); dabei besteht die Gegenleistung entweder allein in dem Recht zur Verwertung der Dienstleistungen oder in diesem Recht zuzüglich einer Zahlung. (2) In Abgrenzung zur Vergabe öffentlicher Aufträge geht bei der Vergabe einer Bau- oder Dienstleistungskonzession das Betriebsrisiko für die Nutzung des Bauwerks oder für die Verwertung der Dienstleistungen auf den Konzessionsnehmer über. Dies ist der Fall, wenn 1. unter normalen Betriebsbedingungen nicht gewährleistet ist, dass die Investitionsaufwendungen oder die Kosten für den Betrieb des Bauwerks oder die Erbringung der Dienstleistungen wieder erwirtschaftet werden können, und 1 S. Kulartz in Kulartz/Marx/Portz/Prieß, Kommentar zur VOL/A § 3, Rz. 68; so auch Kaelble in Müller-Wrede, VOL/A Kommentar, § 3 Rz. 51.

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2. der Konzessionsnehmer den Unwägbarkeiten des Marktes tatsächlich ausgesetzt ist, sodass potenzielle geschätzte Verluste des Konzessionsnehmers nicht vernachlässigbar sind. Das Betriebsrisiko kann ein Nachfrage- oder Angebotsrisiko sein. I. 1. 2. II.

Einführung Inhaltsübersicht . . . . . . . . . . . . Entstehungsgeschichte . . . . . . . Definition der Bau- und Dienstleistungskonzession (§ 105 Abs. 1) 1. Arten von Konzessionen a) Baukonzessionen (§ 105 Abs. 1 Nr. 1) . . . . . . . b) Dienstleistungskonzession (§ 105 Abs. 1 Nr. 2) . . . . . . . c) Abgrenzung und Mischformen . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Weitere Voraussetzungen a) Vertrag . . . . . . . . . . . . . . . . b) Entgeltlichkeit des Vertrages . c) Betrauung . . . . . . . . . . . . . . d) Beschaffungsbezug . . . . . . . . aa) Baukonzession . . . . . . . . bb) Dienstleistungskonzession . . . . . . . . . . . . . . . cc) Negativabgrenzungen . . . e) Rechtsübertragung (und ggf. Zuzahlung) als Gegenleistung f) Übergang des Betriebsrisikos . g) Befristung des Nutzungs-/ Verwertungsrechts . . . . . . . . h) Berechnung des Schwellenwerts . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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13 17 20 21 26 28 30 36 46 53 56 61

III. Übergang des Betriebsrisikos (§ 105 Abs. 2) . . . . . . . . . . . . . 1. Fehlende Gewährleistung der Wiedererwirtschaftung von Investitionsaufwendungen (§ 105 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1) . . . . . a) Normale Betriebsbedingungen b) Investitionsaufwendungen und Betriebskosten . . . . . . . . c) Umfang des wirtschaftlichen Risikos . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Marktausgesetztheit (§ 105 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2) . . . . . 3. Nachfrage- und Angebotsrisiko (§ 105 Abs. 2 Satz 3) . . . . . . . . . IV. Vergabe von Konzessionen . . . V. Rechtsschutz . . . . . . . . . . . . . . VI. Exkurs: Konzessionsvergabe unterhalb der Schwellenwerte . 1. Baukonzessionen unterhalb der Schwellenwerte . . . . . . . . . . . . 2. Dienstleistungskonzessionen unterhalb der Schwellenwerte ohne Binnenmarktrelevanz . . . . 3. Dienstleistungskonzessionen unterhalb der Schwellenwerte mit Binnenmarktrelevanz . . . . . . . . 4. Rechtsschutz . . . . . . . . . . . . . .

_ __ _ _ _ __ _ _ _ _ __ 62

64 65 67 69 77 84 85 89 90 91 94 96 97

I. Einführung 1. Inhaltsübersicht § 105 trifft Regelungen zur Bau- und Dienstleistungskonzession oberhalb des 1 Schwellenwertes gem. § 106 Abs. 2 Nr. 4. Die Vorschrift enthält in § 105 Abs. 1 entsprechende Definitionen vorbenannter Konzessionen. Beim Vorliegen der Legaldefinitionsvoraussetzungen einer Bau- oder Dienstleistungskonzession sind nicht die Verfahrensvorschriften für die Bau- oder Dienstleistungsaufträge anzuwenden, sondern die weniger streng formalisierten Voraussetzungen für die Ganske

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§ 105 | Konzessionen Vergabe von Konzessionen, namentlich die §§ 148 ff. und die Konzessionsvergabeverordnung (KonzVgV)1 (s. hierzu auch Rz. 85 ff.). § 105 Abs. 2 nennt Fallgruppen für den Übergang des Betriebsrisikos auf den Konzessionär als eines der zentralen Abgrenzungskriterien zur Vergabe öffentlicher Aufträge. Die fehlende Gewährleistung der Wiedererwirtschaftung von Investitionsaufwendungen (§ 105 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1) und die Marktausgesetztheit (§ 105 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2) stellen Kernpunkte des Betriebsrisikoübergangs dar. 2. Entstehungsgeschichte 2 § 105 geht zurück auf die grundlegende Neuregelung des deutschen Vergabe-

rechts durch das Vergaberechtsmodernisierungsgesetz vom 17.2.20162. Die Norm des § 105 dient der nationalen Umsetzung von Art. 5 Nr. 1 der Richtlinie 2014/23/EU über die Konzessionsvergabe vom 26.2.20143.

3 Vormals war in § 99 Abs. 6 GWB a.F. lediglich die Baukonzession gesetzlich de-

finiert. Die Dienstleistungskonzession war auf nationaler Ebene keiner gesetzlichen Regelung unterworfen. Vielmehr war die Dienstleistungskonzession aufgrund von Art. 17 der Vergabekoordinierungsrichtlinie 2004/18/EG von der Anwendung der Vergabevorschriften ausgenommen4. Gleichwohl verlangte der EuGH für den Abschluss von Dienstleistungskonzessionen bei vorliegender Binnenmarktrelevanz, dass die Grundfreiheiten des AEUV sowie das Diskriminierungsverbot gem. Art. 18 AEUV beachtet werden. Die grundlegenden Anforderungen, die sich hieraus im Einzelnen ergeben, hat der EuGH insbesondere in den Entscheidungen „Telaustria“5, „Coname“6, „Parking Brixen“7, „Belgacom“8

1 2 3 4

5 6 7 8

Vgl. BT-Drucks. 18/6281, S. 75. BGBl. I 2016, 203 ff. Vgl. BT-Drucks. 18/6281, S. 75. Dies galt nach Auffassung des EuGH auch bereits vor der Klarstellung durch Art. 17 der Vergabekoordinierungsrichtlinie 2004/18/EG unter dem Rechtsregime der Vorgängerrichtlinie 92/50/EWG, weil sich aus dem Richtliniengebungsverfahren zur Richtlinie 92/50/EWG der klare Wille des Richtliniengebers ergab, die Dienstleistungskonzession nicht dem Vergaberecht zu unterwerfen, vgl. EuGH v. 7.12.2000 – Rs. C-324/98, Slg. I10745, NZBau 2001, 148 (151, Rz. 58) – Telaustria; EuGH v. 30.5.2002 – Rs. C-358/00, Slg. I-10745, NZBau 2003, 50 f. Auch in der nationalen Rechtsprechung und Literatur bestand diesbezüglich Einigkeit, vgl. VÜA Bayern v. 28.8.1998 – VÜA16/97, WuW/E Verg 178, 180; OLG Koblenz v. 6.11.2000 – Verg 4/00, NZBau 2001, 283 (284); OLG Brandenburg v. 3.8.2001 – Verg 3/01, VergabeR 2002, 45 (47); OLG Naumburg v. 4.12.2001 – 1 Verg 10/01, NZBau 2002, 235 (236); BayObLG v. 11.12.2001 – Verg 15/ 01, VergabeR 2002, 55 (58); Boesen, Vergaberecht, § 99 Rz. 34; Reidt/Stickler in Beck’scher VOB-Kommentar Teil A, § 32 Rz. 11. EuGH v. 7.12.2000 – Rs. C-324/98, Slg. I-10745, NZBau 2001, 148 ff. – Telaustria. EuGH v. 21.7.2005 – Rs. C-231/03, Slg. I-07287, NZBau 2005, 592 ff. – Coname. EuGH v. 13.10.2005 – Rs. C-485/03, Slg. I-08585, NZBau 2005, 644 ff. – Parking Brixen. EuGH v. 14.11.2013 – Rs. C-221/13, NZBau 2014, 53 ff. – Belgacom.

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und „SC Enterprise Focused Solutions“1 herausgearbeitet. Hervorzuheben sind insbesondere die Grundsätze der Gleichbehandlung und der Nichtdiskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit sowie der daraus folgenden Pflicht zur Transparenz2. Der EuGH hatte allerdings offen gelassen, wie das von ihm geforderte transparente Vergabe- bzw. Bewerbungsverfahren konkret auszugestalten ist. Anhaltspunkte hierfür lassen sich jedoch sowohl der Mitteilung der Kommission zu Auslegungsfragen im Bereich Konzessionen im Gemeinschaftsrecht3 als auch insbesondere der Mitteilung der Kommission zu Auslegungsfragen in Bezug auf das Gemeinschaftsrecht, das für die Vergabe öffentlicher Aufträge gilt, die nicht oder nur teilweise unter die Vergaberichtlinien fallen vom 24.7.20064 entnehmen. Mit Letzterer fasste die EUKommission die Rechtsprechung des EuGH zur Anwendung des EG-Vertrags auf Verträge außerhalb des Anwendungsbereichs der EU-Vergaberichtlinien in konkrete Leitlinien, insbesondere im Hinblick auf die Ausgestaltung von Bekanntmachungen, Verfahren und Rechtsschutz. Vor diesem Hintergrund kommt dieser Mitteilung der EU-Kommission – trotz der starken Kritik aus Politik, Wirtschaft und Literatur5 – für die Vergaberechtspraxis eine erhebliche Bedeutung zu6 (s. hierzu auch noch Rz. 96). Die neue Richtlinie 2014/23/EU über die Konzessionsvergabe erfasst neben der 4 Bau- nunmehr auch die Dienstleistungskonzession7. Hiermit wird letztlich dem Umstand Rechnung getragen, dass kaum ein Rechtsinstitut im Vergaberecht in den vergangenen Jahren eine solche Aufwertung erfahren hat wie die Dienstleistungskonzession. Ihre möglichen Anwendungsfälle sind ungleich vielfältiger als die der Baukonzession. Dem kreativen Gestaltungswillen von öffentlichen Auftraggebern und Unternehmern sind insoweit kaum Grenzen gesetzt. Dementsprechend betreffen die Dienstleistungskonzessionen eine große Vielzahl von Lebensbereichen, insbesondere solche der Daseinsvorsorge (s. hierzu auch Rz. 12). Eine Kodifizierung durch den EU-Gesetzgeber erschien mithin unumgänglich8. Ausweislich der Erwägungsgründe 1 und 2 der Richtlinie 2014/23/ 1 EuGH v. 16.4.2015 – Rs. C-278/14, NZBau 2015, 383 ff. – SC Enterprise Focused Solutions. 2 EuGH v. 16.4.2015 – Rs. C-278/14, NZBau 2015, 383 (384) – SC Enterprise Focused Solutions; Antweiler in Ziekow/Völlink, Vergaberecht, 2. Aufl. 2013, § 100 GWB Rz. 56; Siegel, VergabeR 2015, 265 (265 f.). 3 ABl. C 121 v. 29.4.2000, S. 2, 6 ff. (Ziffer 3). 4 ABl. C 179/2 v. 1.8.2006, S. 2 ff. 5 Ausführlich hierzu und m.w.N. Braun, EuZW 2006, 683 ff. 6 Vgl. in diesem Zusammenhang insbesondere auch EuG v. 20.5.2010 – Rs. T-258/06, NZBau 2010, 510 ff. 7 Vgl. zur neuen EU-Konzessionsvergaberichtlinie 2014/23/EU auch Knauff/Badenhausen, NZBau 2014, 395 ff.; Prieß/Stein, VergabeR 2014, 499 ff.; Schenek, BWGZ 2014, 327 ff. 8 Vgl. zum Ganzen Braun in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 105 Rz. 1; Dicks in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 105 Rz. 2.

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§ 105 | Konzessionen EU war es dabei insbesondere Ziel, einer bestehenden Rechtsunsicherheit, einer Behinderung des freien Dienstleistungsverkehrs sowie einer Verzerrung des Binnenmarkts entgegen zu wirken, und zwar insbesondere im Interesse kleiner und mittlerer Unternehmen (KMU). Hierzu sollte ein angemessener, ausgewogener und flexibler Rechtsrahmen für die Konzessionsvergabe geschaffen werden, der die Besonderheit von Konzessionen im Vergleich zu öffentlichen Aufträgen gebührend widerspiegelt und keinen übermäßigen bürokratischen Aufwand verursacht. Darüber hinaus war es – wie aus den Erwägungsgründen 18, 19, 20 und 52 der Richtlinie 2014/23/EU deutlich wird – ein zentrales Anliegen, eine Definition dessen zu schaffen, was unter der Übertragung des Betriebsrisikos zu verstehen ist1. Das deutsche Recht erfasst daher nunmehr – ebenso wie das Unionsrecht – grundsätzlich alle Konzessionsarten oberhalb der Schwellenwerte mit Ausnahme der gesetzlich definierten Bereichsausnahmen (z.B. in § 149). § 105 Abs. 1 definiert den vergaberechtlichen Konzessionsbegriff dementsprechend umfassend2. Die wesentlichen Bestimmungen der Richtlinie 2014/23/EU betreffend das Konzessionsauswahlverfahren wurden im GWB (vgl. §§ 97 bis 114 und §§ 148 bis 154) umgesetzt. Ergänzt und konkretisiert werden sie durch die KonzVgV3. Im Ergebnis werden alle (vergaberechtsrelevanten) Konzessionen oberhalb der Schwellenwerte gleich behandelt. Soweit Bau- und Dienstleistungskonzessionen in Teilbereichen Besonderheiten aufweisen, wird diesen im Rahmen der KonzVgV Rechnung getragen4. 5 Da die Richtlinie jedoch nur die Auftragsvergabe oberhalb des maßgeblichen

Schwellenwertes gem. Art. 1 Abs. 1 i.V.m. Art. 8 Abs. 1 der Richtlinie 2014/23/ EU und § 106 Abs. 2 Nr. 4 i.H.v. derzeit5 5.225.000 € (netto) betrifft, sind bei einer Auftragsvergabe unterhalb der Schwellenwertgrenzen bei bestehender Binnenmarktrelevanz weiterhin die vorbenannten Gebote des EU-Primärrechts (vgl. Rz. 3) zu beachten6 (s. dazu auch noch Rz. 93 und 96).

1 Vgl. Braun in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 105 Rz. 49. 2 Ähnlich Braun in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 105 Rz. 8, der gleichzeitig aber auch darauf hinweist, dass Umfang und Reichweite der Ausnahmetatbestände bereits jetzt im Streit stünden. Vgl. überdies auch Hofmann/Zimmermann, NZBau 2016, 71 ff.; Müller, NVwZ 2016, 266 ff. 3 Vgl. Braun in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 105 Rz. 5. 4 Vgl. Braun in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 105 Rz. 25. 5 Der Schwellenwert wird von der Kommission gem. Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 2014/23/ EU alle zwei Jahre überprüft und erforderlichenfalls angepasst. Das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie gibt den geltenden Schwellenwert gem. § 106 Abs. 3 unverzüglich, nach Veröffentlichung im Amtsblatt der EU, im Bundesanzeiger bekannt. 6 Dicks in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 105 Rz. 2; Braun in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 105 Rz. 113 ff.; Siegel, VergabeR 2015, 265 (269).

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II. Definition der Bau- und Dienstleistungskonzession (§ 105 Abs. 1) 1. Arten von Konzessionen a) Baukonzessionen (§ 105 Abs. 1 Nr. 1) § 105 Abs. 1 Nr. 1 definiert den Begriff der Baukonzession als einen entgeltli- 6 chen Vertrag, mit dem ein oder mehrere Konzessionsgeber ein oder mehrere Unternehmen mit der Erbringung von Bauleistungen betrauen, wobei die Gegenleistung entweder allein in dem Recht zur Nutzung des Bauwerks oder in diesem Recht zzgl. einer Zahlung besteht. § 105 Abs. 1 Nr. 1 setzt damit nahezu wortlautidentisch die Definition des Art. 5 Nr. 1 lit. a) der Richtlinie 2014/ 23/EU in nationales Recht um. Danach bezeichnet der Ausdruck Baukonzession einen entgeltlichen, schriftlich geschlossenen Vertrag, mit dem ein oder mehrere öffentliche Auftraggeber (i.S.v. Art. 6 der Richtlinie 2014/23/EU) oder Auftraggeber (i.S.v. Art. 7 der Richtlinie 2014/23/EU) einen oder mehrere Wirtschaftsteilnehmer mit der Erbringung von Bauleistungen beauftragen, wobei die Gegenleistung entweder allein in dem Recht zur Nutzung des vertragsgegenständlichen Bauwerks oder in diesem Recht zzgl. einer Zahlung besteht. Laut Erwägungsgrund 11 der Richtlinie 2014/23/EU können solche Verträge einen Übergang des Eigentums am Bauwerk auf den öffentlichen Auftraggeber vorsehen, müssen dies aber nicht. Diese Aussage des EU-Richtliniengebers ist allerdings insofern erstaunlich (und fragwürdig), als eine dauerhafte und vollständige Eigentumsübertragung im Regelfall dazu führen dürfte, dass es – konzessionsausschließend – an einer Befristung i.S.v. § 3 KonzVgV fehlt1. § 105 Abs. 1 weicht allerdings insoweit von Art. 5 Nr. 1 lit. a) der Richtlinie 7 2014/23/EU ab, als dass das Schriftformerfordernis in § 105 Abs. 1 Nr. 1 nicht erwähnt ist. Somit fallen nach nationalem Recht auch entsprechende mündlich geschlossene Vereinbarungen unter die Konzessionsvergabe. Das deutsche Recht geht demnach weiter als das Unionsrecht, wonach lediglich schriftliche Vereinbarungen erfasst sind. Durch den weitergehenden Umfang des nationalen Vergaberechts ist den Interessen des Wettbewerbs gedient. Ein Verstoß gegen Unionsrecht besteht nicht2. Vielmehr handelt es sich um eine zulässige Umsetzung von Unionsrecht mit sog. überschießender Tendenz. Da die Schriftform i.S.v. Art. 5 Nr. 6 der Richtlinie 2014/23/EU jedoch lediglich die Textform i.S.v. § 126b BGB bedingt3, dürfte es – ein vergaberechtskonformes Vergabeverfahren 1 Vertiefend zur Befristung des Nutzungs- oder Verwertungsrechts noch unter Rz. 56 ff. sowie auch Rz. 50. 2 Dicks in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 105 Rz. 4. 3 Gemäß Art. 5 Nr. 6 der Richtlinie 2014/23/EU „bezeichnet der Ausdruck […] „schriftlich“ eine aus Wörtern oder Ziffern bestehende Darstellung, die gelesen, reproduziert und mitgeteilt werden kann, einschließlich anhand elektronischer Mittel übertragener und gespeicherter Informationen“.

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§ 105 | Konzessionen unterstellt – faktisch indes zu keinen Unterschieden kommen. Denn der Konzessionsgeber hat u.a. gem. § 6 KonzVgV das Vergabeverfahren vollständig in der Textform des § 126b BGB zu dokumentieren, was auch die Angebote der Bieter und die Zuschlagserteilung mit umfasst1. 8 Typische Beispiele für Baukonzessionen sind umfangreiche Infrastrukturprojek-

te, etwa im Straßen- oder Tunnelbau, kommunale Erschließungs- und Investitionsvorhaben2 oder die Errichtung von Schulen oder Schwimmbädern3. Dabei haben die Baukonzessionen in der Praxis vor allem auch Relevanz für Privatisierungsvorhaben in Form von sog. „Public Private Partnership“ (PPP) – Modellen4. b) Dienstleistungskonzession (§ 105 Abs. 1 Nr. 2)

9 Nach der Legaldefinition des § 105 Abs. 1 Nr. 2 ist eine Dienstleistungskonzes-

sion ein entgeltlicher Vertrag, mit dem ein oder mehrere Konzessionsgeber ein oder mehrere Unternehmen mit der Erbringung und der Verwaltung von Dienstleistungen betrauen, die nicht in der Erbringung von Bauleistungen bestehen, wobei die Gegenleistung entweder allein in dem Recht zur Verwertung der Dienstleistungen oder in diesem Recht zzgl. einer Zahlung besteht. § 105 Abs. 1 Nr. 2 orientiert sich hierbei an Art. 5 Nr. 1 lit. b) der Richtlinie 2014/23/EU. Hiernach ist eine Dienstleistungskonzession ein entgeltlicher, schriftlich geschlossener Vertrag, mit dem ein oder mehrere öffentliche Auftraggeber oder Auftraggeber einen oder mehrere Wirtschaftsteilnehmer mit der Erbringung und der Verwaltung von Dienstleistungen betrauen, die nicht in der Erbringung von Bauleistungen bestehen, wobei die Gegenleistung entweder allein in dem Recht zur Verwertung der vertragsgegenständlichen Dienstleistungen oder in diesem Recht zzgl. einer Zahlung besteht.

10 Für die Dienstleistungskonzession ist danach – ebenso wie für die Baukonzes-

sion – eine Dreieckskonstellation typisch5. An Stelle einer Vergütung durch den Konzessionsgeber tritt das Verwertungsrecht der Dienstleistung. Statt einer

1 Hierauf weist insbesondere Braun in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 105 Rz. 28 f. hin. 2 Vgl. OLG Düsseldorf v. 13.6.2007 – VII-Verg 2/07, NZBau 2007, 530 ff.; EuGH v. 18.1. 2007 – Rs. C-220/05, NZBau 2007, 185 ff. – Stadt Roanne; EuGH v. 25.3.2010 – Rs. C451/08, NZBau 2010, 321 ff. – Helmut Müller GmbH. 3 Vgl. zum Ganzen auch die Aufzählung von Dicks in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 105 Rz. 6; Braun in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 105 Rz. 1; Ganske in Kapellmann/Messerschmidt, VOB Teile A und B, 6. Aufl. 2017, § 23 VOB/A Rz. 7 ff. 4 Vgl. Ganske in Kapellmann/Messerschmidt, VOB Teile A und B, 6. Aufl. 2017, § 23 VOB/A Rz. 8. 5 So beispielsweise auch im Rahmen des sog. sozialrechtlichen Dreiecksverhältnisses, vgl. Rz. 39 f. und 72.

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unmittelbaren Entgeltzahlung des öffentlichen Auftraggebers erhält der Auftragnehmer das Recht, Entgelte von Dritten, welche die Dienstleistung nutzen, zu erheben. Der Konzessionär kann die Dienstleistung mithin kommerziell nutzen1. Ferner gelten für die Dienstleistungskonzession ebenfalls die im Rahmen der 11 Baukonzession zum Schriftformerfordernis des Art. 5 Nr. 1 lit. a) der Richtlinie 2014/23/EU getätigten Ausführungen (vgl. hierzu Rz. 7). Als typische Beispiele für Dienstleistungskonzessionen können das Betreiben ei- 12 nes öffentlichen Verkehrsdienstes2, eines Parkplatzes3, eines Hafens, einer Alarmempfangsstelle eines Landkreises, einer Abfallentsorgungsanlage, einer Sportstätte, eines Krematoriums, eines Kantinen- und Verpflegungsdienstes, die Bereitstellung und der Betrieb eines Breitbandnetzes oder von Rettungsdienstund Krankentransporten, beispielsweise auch Intensivtransporthubschraubern, oder die Stadtmöblierung gelten4. c) Abgrenzung und Mischformen Die Dienstleistungskonzession wird von der Baukonzession negativ abge- 13 grenzt. Nach der Definition liegt eine Dienstleistungskonzession bei der Verwaltung von Dienstleistungen vor, die nicht in der Erbringung von Bauleistungen besteht. Dabei ist jedoch zu beachten, dass für die Baukonzession bzw. die Bestimmung 14 des Begriffs der Bauleistung ohne weiteres auf die Regelungssystematik des Auftragsvergaberechts in § 103 Abs. 3 zurückgegriffen werden kann. Im Hinblick auf die Dienstleistungskonzession kann dagegen nicht bzw. jedenfalls nicht vollständig auf § 103 Abs. 4 zurückgegriffen werden. Denn nach § 103 Abs. 4 gelten als Dienstleistungsaufträge alle Verträge über die Erbringung von Leistungen, die weder Bau- noch Lieferleistungen sind. Konzessionsvergaberechtlich unterfällt dem Dienstleistungsbegriff jedoch alles, was keine Bauleistung i.S.v. § 105 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 103 Abs. 3 ist (vgl. § 105 Abs. 1 Nr. 2, Art. 5 Nr. 1 lit. b) der Richtlinie 2014/23/EU). Demzufolge unterfallen also auch Lieferleistungen 1 EuGH v. 10.3.2011 – Rs. C-274/09, NZBau 2011, 239, 242, Rz. 25 – Rettungsdienst Stadler; EuGH v. 10.9.2009 – Rs. C-206/08, NZBau 2009, 729, 732, Rz. 57 – WAZV Gotha/ Eurawasser; OLG München v. 25.3.2011 – Verg 4/11, NZBau 2011, 380 (383); OLG München v. 2.7.2009 – Verg 5/09, NZBau 2009, 666 (668); OLG Brandenburg v. 30.5.2008 – Verg W 5/08, NZBau 2009, 139 (140); OLG Düsseldorf v. 22.9.2005 – VII-Verg 44/04, NZBau 2005, 652 (653). 2 EuGH v. 6.4.2006 – Rs. C-410/04, Slg. 2006, I-3303-3324, NZBau 2006, 326 ff. – ANAV. 3 EuGH v. 13.10.2005 – Rs. C-458/03, Slg. I-08585, NZBau 2005, 644 ff. – Parking Brixen. 4 Vgl. hierzu mit weiteren Beispielen Braun in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 105 Rz. 1 und 42; sowie Dicks in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 105 Rz. 7.

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§ 105 | Konzessionen dem konzessionsvergaberechtlichen Begriff der Dienstleistung1. Es besteht mithin kein Gleichlauf zwischen dem auftragsvergaberechtlichen und dem konzessionsvergaberechtlichen Begriff der Dienstleistung. 15 Bei den zulässigen und nicht untypischen Mischformen zwischen Bau- und

Dienstleistungskonzessionen (z.B. wenn neben der Bauleistung Projektsteuerungs- oder andere Dienstleistungen vergeben werden sollen) wird nach § 110 auf den Hauptgegenstand des Vertrags abgestellt. Dies steht im Einklang mit der Rechtsprechung des EuGH, der ebenfalls auf den Schwerpunkt des Vertrages abstellt2. Zu ermitteln ist folglich, welcher Leistungstyp bzw. welche konkreten vertraglichen Verpflichtungen den Schwerpunkt der Leistungsanteile ausmachen oder den Konzessionsvertrag zumindest wesentlich prägen3. Dabei kommt es jedoch nicht allein entscheidend auf den Wert der in Rede stehenden Einzelleistungen an. Dieser stellt vielmehr nur ein Kriterium neben anderen dar4. Letztlich kommt es also auf eine rechtliche und/oder wirtschaftliche Gesamtbetrachtung an5.

16 Die Abgrenzung von Baukonzessionen und Bauaufträgen bzw. Dienstleis-

tungskonzessionen und Dienstleistungs- bzw. Lieferaufträgen erfolgt anhand der zu erbringenden Gegenleistung der Vergabestelle, d.h. danach, ob der Auftrag- bzw. Konzessionsnehmer für seine Leistung ein Entgelt oder lediglich das Recht zur Verwertung seiner Leistung (ggf. zzgl. einer Zahlung) erhält. Die Übertragung des Nutzungsrechts hat funktionell den Charakter eines Entgelts bei der Konzession und ersetzt dieses in gewisser Weise (s. hierzu noch Rz. 46)6. Der Übergang des wirtschaftlichen (Betriebs-)Risikos auf den Konzessionär (s. dazu unter Rz. 62 ff.) ist mithin das entscheidende Abgrenzungsmerkmal zwischen öffentlichem Auftrag i.S.v. § 103 und öffentlicher Konzession i.S.v. § 105.

1 So auch Braun in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 105 Rz. 39 ff. 2 So u.a. EuGH v. 26.5.2011 – Rs. C-306/08, VergabeR 2011, 693 (700 f.); EuGH v. 29.10. 2009 – Rs. C-536/07, NZBau 2009, 792 (796); EuGH v. 21.2.2008 – Rs. C-412/04, VergabeR 2008, 501 ff.; EuGH v. 18.1.2007 – Rs. C-220/05, NZBau 2007, 185 (188) – Stadt Roanne. 3 Vgl. OLG Brandenburg v. 3.8.1999 – 6 Verg 1/99; OLG Brandenburg v. 30.5.2008 – Verg W 5/08, VergabeR 2009, 468 ff., mit Anm. Willenbruch, VergabeR 2009, 476 ff.; sowie Braun in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 105 Rz. 44. Siehe ferner auch OLG Karlsruhe v. 6.2.2013 – 15 Verg 11/12, VergabeR 2013, 570 ff.; VK Baden-Württemberg v. 19.10.2012 – 1 VK 35/12 zum Bau und Betrieb einer Tank- und Rastanlage, was im Ergebnis als Dienstleistungskonzession erachtet wurde. 4 EuGH v. 21.2.2008 – Rs. C-412/04, NVwZ 2008, 397 ff., Rz. 49; Dicks in Kulartz/Marx/ Portz/Prieß, Kommentar zur VOB/A, 2. Aufl. 2013, § 22 Rz. 3. 5 EuGH v. 21.2.2008 – Rs. C-412/04, NVwZ 2008, 397 ff., Rz. 49 ff.; Dicks in Kulartz/Marx/ Portz/Prieß, Kommentar zur VOB/A, 2. Aufl. 2013, § 22 Rz. 3. 6 Vgl. OLG Düsseldorf v. 2.10.2008 – VII-Verg 25/08, NZBau 2008, 727 (732); Braun in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 105 Rz. 31.

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2. Weitere Voraussetzungen a) Vertrag Eine Konzession i.S.v. § 105 Abs. 1 setzt ausweislich des Wortlautes der Norm 17 zunächst einen Vertrag voraus. Aus Sicht des (oberschwelligen)1 Vergaberechts hingegen irrelevant ist die konkrete Rechtsnatur des Vertrages. Das europäische – und ihm folgend das nationale kartellvergaberechtliche – Konzessionsvergaberecht unterscheiden nicht zwischen privatrechtlichen und öffentlich-rechtlichen Verträgen2 (s. hierzu auch § 103 Rz. 14). Die Rechtsnatur einer Konzession hängt maßgeblich vom konkreten Vertragsgegenstand ab, und ob dieser dem öffentlichen oder dem bürgerlichen Recht zuzurechnen ist3. Überwiegend bzw. regelmäßig wird es sich danach um einen privatrechtlichen Vertrag handeln. Dies gilt insbesondere für die Baukonzession, und zwar sowohl hinsichtlich der zivilrechtlichen Gestattung zur Nutzung der baulichen Anlage durch den Konzessionär als auch hinsichtlich der Verpflichtung des Konzessionärs zu Bau, Errichtung und Betrieb der Anlage4. Etwas anderes kann jedoch gelten, wenn der Konzessionsvertrag die Einräumung hoheitlicher Befugnisse vorsieht, etwa in Form einer Beleihung. In derart gelagerten Fällen kann eine öffentlich-rechtliche Natur der Konzession geben sein5. Dies kommt beispielsweise für Betreibermodelle in Form des sog. F-Modells in Betracht, bei denen auf der Grundlage von § 15 FStrG i.V.m. dem FStrPrivFinG Bau, Unterhaltung, Betrieb und Finanzierung auf einen privaten Betreiber übertragen werden, einschließlich der Befugnis zur Einziehung der von den Straßenbenutzern zu entrichtenden Mautgebühren6. In der Praxis erweist sich die Abgrenzung oftmals als schwierig, da die in Rede stehenden Verträge sowohl zivilrechtliche (Bau, Unter1 Unterhalb der Schwellenwerte kommt es auf die Frage, ob eine grundsätzlich vergaberechtsrelevante Konzession vorliegt, zwar ebenfalls nicht an. Die konkrete Rechtsnatur ist insoweit aber von Bedeutung für die Frage, welche Rechtsschutzmöglichkeiten bestehen (vgl. Rz. 89 und 97 ff.). 2 Vgl. EuGH v. 19.4.2007 – Rs. C-295/05, Rz. 54 – Asemfo/Tragsa; BGH v. 1.12.2008 – X ZB 31/08, MDR 2009, 370 = NZBau 2009, 201 ff., Rz. 17; OLG Naumburg v. 22.12.2011 – 2 Verg 10/11B; Braun in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 105 Rz. 23. 3 BVerwG v. 11.2.1993 – 4 C 18/91, BVerwGE 92, 56, 64. 4 Vgl. Ganske in Kapellmann/Messerschmidt, VOB Teile A und B, 6. Aufl. 2017, § 23 VOB/A Rz. 13 ff.; Herrmann in Ziekow/Völlink, Vergaberecht, 2. Aufl. 2013, § 22 VOB/A Rz. 5; Braun in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 105 Rz. 118. 5 Vgl. BGH v. 23.1.2012 – X ZB 5/11, MDR 2012, 426 = VergabeR 2012, 440 ff.; Herrmann in Ziekow/Völlink, Vergaberecht, 2. Aufl. 2013, § 22 VOB/A Rz. 5. 6 Herrmann in Ziekow/Völlink, Vergaberecht, 2. Aufl. 2013, § 22 VOB/A Rz. 5; Ganske in Kapellmann/Messerschmidt, VOB Teile A und B, 6. Aufl. 2017, § 23 VOB/A Rz. 13. Anders verhält es sich dagegen mit den Betreibermodellen in Form des sog. A-Modells. Diese stellen regelmäßig einen privatrechtlichen Vertrag dar, zumal sie auch nicht mit einer (anteiligen) Übertragung der Straßenbaulast einhergehen.

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§ 105 | Konzessionen haltung, Betrieb) als auch öffentlich-rechtliche (etwa Übertragung von Hoheitsbefugnissen) Regelungsgegenstände enthalten. Um einen Vertrag als öffentlichrechtlich qualifizieren zu können, genügt indes allein der Umstand, dass durch ihn im Allgemeininteresse liegende Aufgaben erfüllt werden sollen, nicht aus. Denn weder die Motivation noch das angestrebte Ziel der Aufgabenerfüllung bestimmen maßgeblich die Rechtsnatur, sondern die dafür gewählte (Rechts-) Form der Umsetzung1. Demzufolge erweisen sich die von der öffentlichen Hand abgeschlossenen Dienst-, Werk- bzw. werkvertragsähnlichen Verträge grundsätzlich als dem bürgerlichen Recht zugehörig. Nur wenn die im Vertrag enthaltenen öffentlich-rechtlichen Regelungsgegenstände von so großem Gewicht sind, dass sie im Vergleich zu den zugleich zu regelnden zivilrechtlichen Gegenständen den prägenden Schwerpunkt bilden, kann dies zur Einordnung des gesamten Vertrages als öffentlich-rechtlich führen2. 18 An einem Vertrag fehlt es, wenn der Konzessionsgeber lediglich durch einseiti-

gen Verwaltungsakt die Konzession hoheitlich verfügt3 (s. hierzu auch § 103 Rz. 9 ff.). Im Sinne einer Negativabgrenzung hat der EuGH in diesem Zusammenhang in der Entscheidung „AP“ im Jahre 2007 darauf abgestellt, dass eine Vereinbarung dann keinen Vertrag im Sinne der Vergaberichtlinien darstellt, wenn in Wirklichkeit ein einseitiger Verwaltungsakt gegeben ist, der Verpflichtungen allein für den Auftragnehmer vorsieht und der deutlich von den normalen Bedingungen eines kommerziellen Angebots abweicht. Ein weiteres wesentliches Kriterium für das Vorliegen eines Vertrages ist die Existenz eines gewissen Maßes an Spielraum für den Auftragnehmer bei der Ausgestaltung der Auftragsbedingungen4. Mit einer ähnlichen Argumentation hatte der EuGH auch bereits im Jahr 2001 festgestellt, dass kein vergaberelevanter Vorgang vorliegt, wenn die Auftragsbedingungen nicht ausgehandelt werden können5. Ferner hat auch das BVerwG festgestellt, dass bei einer Konkretisierung einer gesetzlich bestehenden Leistungspflicht durch Verwaltungsakt der Anwendungsbereich des Vergabe-

1 BVerwG v. 11.2.1993 – 4 C 18/91, BVerwGE 92, 56, 64; Herrmann in Ziekow/Völlink, Vergaberecht, 2. Aufl. 2013, § 22 VOB/A Rz. 5. 2 Dies kommt insbesondere bei echten Erschließungsverträgen und städtebaulichen Verträgen (mit Bauverpflichtung) in Betracht, vgl. Herrmann in Ziekow/Völlink, Vergaberecht, 2. Aufl. 2013, § 22 VOB/A Rz. 5. 3 So auch Braun in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 105 Rz. 21 m.w.N. 4 Vgl. EuGH v. 18.12.2007 – Rs. C-220/06, NZBau 2008, 189 ff., Rz. 51 und 54 – AP; OVG Magdeburg v. 22.2.2012 – 3 L 259/10. 5 Vgl. EuGH v. 12.7.2001 – Rs. C-399/98, Slg. 2001, I-5409, NZBau 2001, 512 (515 f.), Rz. 71 – Teatro alla Bicocca. Ähnlich Frenz, Handbuch Europarecht, Band 3, Beihilfeund Vergaberecht, S. 637, Rz. 2078, nach dem Verwaltungsakte dem Vergaberecht dann nicht unterliegen, wenn (1.) eine hoheitliche Befugnisübertragung im Vordergrund steht oder wenn (2.) es sich um eine einseitige Behandlung der Adressaten in Form eines Über-/Unterordnungsverhältnisses handelt, so dass die Bedingungen nicht ausgehandelt werden und kaum Einfluss auf den Inhalt des Verwaltungsaktes besteht.

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rechts nicht eröffnet ist1. Allerdings vertreten die EU-Kommission und Stimmen in der Literatur die Ansicht, dass ausnahmsweise auch einseitige (Verwaltungs-) Akte vergaberechtlich relevant sein können, wenn unter funktionaler Sichtweise das Vorgehen als Vertrag einzustufen ist. Denn handeln die Beteiligten den Verwaltungsaktinhalt vertragsähnlich aus, soll kein Grund bestehen, das Vergaberecht nicht anzuwenden. Daher sei für jeden Beschaffungsverwaltungsakt zu prüfen, ob nicht ein verdeckter Vertrag vorliege2. Vor diesem Hintergrund soll etwas anderes insbesondere auch bei Umgehungstatbeständen gelten, also wenn z.B. ein Vertrag rechtsmissbräuchlich in die Gestalt eines Verwaltungsaktes gekleidet wird3. Schließlich ist in diesem Zusammenhang auch zu berücksichtigen, dass gem. 19 Art. 1 Abs. 4 der Richtlinie 2014/23/EU „Vereinbarungen, Beschlüsse oder andere Rechtsinstrumente, die die Übertragung von Befugnissen und Zuständigkeiten für die Ausführung öffentlicher Aufgaben zwischen öffentlichen Auftraggebern oder Auftraggebern oder Verbänden von öffentlichen Auftraggebern oder Auftraggebern regeln und die keine Vergütung für vertragliche Leistungen vorsehen, […] als Angelegenheit der internen Organisation des betreffenden Mitgliedstaats betrachtet [werden] und […] als solche in keiner Weise von dieser Richtlinie berührt [sind]“. b) Entgeltlichkeit des Vertrages Der Konzessionsvertrag muss, weil er alle Merkmale eines Bau- oder Dienstleis- 20 tungsauftrages aufweisen muss, entgeltlich sein4. Dies folgt auch unmittelbar aus dem Wortlaut des Art. 5 Nr. 1 der Richtlinie 2014/23/EU und des § 105 Abs. 1. Allerdings besteht die wesenstypische Besonderheit, dass im Falle einer Konzession die Entgeltlichkeit prinzipiell nicht in der direkten Zahlung einer Vergütung erfolgt, sondern in Form der Übertragung des Nutzungsrechts (ggf. zzgl. einer Zahlung)5. Die Übertragung des Nutzungsrechts hat funktionell den Charakter eines Entgelts und ersetzt dieses gewissermaßen6 (s. hierzu noch Rz. 46). 1 Vgl. BVerwG v. 18.10.2007 – 7 B 33.07, NVwZ 2008, 694 ff.; sowie ferner auch OVG Magdeburg v. 22.2.2012 – 3 L 259/10. 2 Vgl. Grünbuch zu öffentlich-privaten Partnerschaften und den gemeinschaftlichen Rechtsvorschriften für öffentliche Aufträge und Konzessionen v. 30.4.2004, KOM (2004) 327 endgültig, Rz. 57; Koenig/Harratsch, NJW 2003, 2637 (2639); Wilke, ZfBR 2004, 141 (142); Ruhland/Burgi, VergabeR 2005, 1 ff. 3 So Braun in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 105 Rz. 22. 4 Vgl. Dicks in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 105 Rz. 4 und 18; sowie ferner auch Stoye in Franke/Kemper/Zanner/Grünhagen, VOB-Kommentar, § 23 VOB/A Rz. 3. 5 Vgl. Dicks in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 105 Rz. 18. 6 Vgl. OLG Düsseldorf v. 2.10.2008 – VII-Verg 25/08, NZBau 2008, 727 (732); Braun in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 105 Rz. 31.

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§ 105 | Konzessionen c) Betrauung 21 Der Konzessionsgeber muss den Konzessionär gem. § 105 Abs. 1 Nr. 1 und

Nr. 2 mit der Erbringung von Bauleistungen bzw. der Erbringung und Verwaltung von Dienstleistungen betrauen. Der Begriff der „Betrauung“ – der sich neben § 105 Abs. 1 Nr. 1 und 2 auch in § 97 Abs. 4 Satz 4 sowie § 108 Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 4 Nr. 2 wiederfindet – ist neu und im hiesigen Kontext noch nicht abschließend geklärt1. Eine Begriffsdefinition findet sind weder in den EU-Vergaberichtlinien noch im GWB. 22 In der Gesetzesbegründung zu § 122 Abs. 4 Satz 1 wird der Begriff parallel zum Begriff der Beauftragung benutzt2, woraus teilweise geschlossen wird, dass er (lediglich) im Sinne eines Beschaffungselementes zu verstehen sei3. Dies gelte insbesondere mit Blick auf Erwägungsgrund 14 der Richtlinie 2014/23/EU, wonach die Konzessionsvergabe von einer schlichten Gestattung in Form einer Genehmigung oder Lizenz abzugrenzen ist4. 23 Von Portz wird (allerdings im Zusammenhang mit § 108) darauf hingewiesen, dass der Begriff der Betrauung einen Fachterminus im europäischen Primärrecht darstellt, der in Art. 106 Abs. 2 AEUV zum Ausdruck kommt5. Der terminologische Gleichlauf dürfte kein Zufall sein, da er sich gleichermaßen in anderen Sprachfassungen der Vergaberichtlinien wiederfindet. Überdies erscheine der begriffliche Gleichklang zwischen Vergaberecht einerseits und dem AEUV (auch als Grundlage für das EU-Beihilfenrecht) andererseits konsequent6. Über 1 Vgl. zu dem sowohl in § 105 Abs. 1 Nr. 1 und 2 als auch in § 108 Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 4 Nr. 2 verwendeten Begriff der Betrauung Dicks in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 105 Rz. 4 ff.; Braun in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 105 Rz. 29 f.; Frenz, DVBl 2017, 740 (746); Krönke, NVwZ 2016, 568 (575); Portz in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 108 Rz. 78 ff.; von Engelhardt/Kaelble in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 108 Rz. 35; sowie die hiesige Kommentierung zu § 108 Rz. 27 f. 2 Vgl. BT-Drucks. 18/6281, S. 101. 3 So insbesondere Braun in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 105 Rz. 30; ähnlich Krönke, NVwZ 2016, 568 (575). Auch Dicks in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 105 Rz. 4 ff., scheint den Begriff der Betrauung in diesem Sinne zu verstehen, verhält sich hierzu allerdings nicht ausdrücklich. 4 So Krönke, NVwZ 2016, 568 (575); zustimmend Braun in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 105 Rz. 30. 5 Art. 106 Abs. 2 AEUV bestimmt: „Für Unternehmen, die mit Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse betraut sind oder den Charakter eines Finanzmonopols haben, gelten die Vorschriften der Verträge, insbesondere die Wettbewerbsregeln, soweit die Anwendung dieser Vorschriften nicht die Erfüllung der ihnen übertragenen besonderen Aufgabe rechtlich oder tatsächlich verhindert. Die Entwicklung des Handelsverkehrs darf nicht in einem Ausmaß beeinträchtigt werden, das dem Interesse der Union zuwiderläuft.“. 6 Ausführlich zum Ganzen Portz in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWBVergaberecht, § 108 Rz. 78 ff. Insoweit dagegen kritisch Frenz, DVBl 2017, 740 (746).

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die Anforderungen an Form und Inhalt einer Betrauung im unionsrechtlichen Sinn besteht im Detail keine Einigkeit1. Die verschiedenen Interpretationsansätze wirken sich in der praktischen Anwendung allerdings kaum unterschiedlich aus2. Im Kern bedeutet „betrauen“ im Sinne des Unionsrechts die aktive Zuordnung einer dem Hoheitsträger obliegenden Aufgabe auf einen Dritten kraft eines erkennbaren und inhaltlich eindeutig festgelegten Aktes3. Die Betrauung muss danach nicht zwingend im Wege eines Hoheitsaktes erfolgen. Die Aufgabe muss aber eine „Dienstleistung von Allgemeinem Wirtschaftlichem Interesse“ (DAWI) sein, mithin eine hoheitliche bzw. zumindest öffentliche Aufgabe4. Zudem bedarf es stets eines besonderen Akts der Betrauung mit der Ausführung der Aufgabe. Entscheidend ist insoweit, dass die Zuordnung der Aufgabe zu dem betreffenden Unternehmen aktiv durch einen erkennbaren und inhaltlich eindeutigen, festgelegten Akt erfolgt5. Inhaltlich muss der Betrauungsakt das ausgewählte Unternehmen zumindest individualisierbar beschreiben6. Darüber hinaus muss der Betrauungsakt bestimmte Festlegungen in Bezug auf die besondere Aufgabe und das betraute Unternehmen enthalten7. Der EuGH bejaht dabei in ständiger Rechtsprechung eine Betrauung bei einer Aufgabenübertragung im Rahmen einer öffentlich-rechtlichen Konzession8. Mit Blick auf die hiesige Begriffsbestimmung ist diese Rechtsprechung wegen ihrer Zirkelschlüssigkeit allerdings unbrauchbar, da die Betrauung gerade Voraussetzung einer Konzession ist und nicht durch das Vorliegen einer solchen begründet werden kann. Letztlich bleibt aber unklar, ob bzw. inwieweit der Gesetzgeber an Art. 106 24 Abs. 2 AEUV anknüpfen wollte. Gegen eine inhaltliche Übernahme und für eine schlicht sprachliche Anlehnung dürfte sprechen, dass anderenfalls nur noch solche Bau- oder Dienstleistungen konzessionsfähig wären, die einen hoheitlichen Charakter haben. Dies würde zu einer erheblichen Verengung des bisher in ständiger Rechtsprechung für zulässig erachteten Anwendungsbereichs für Kon1 Wernicke in Grabitz/Hilf/Nettesheim, Art. 106 AEUV Rz. 48. 2 Knauff in Loewenheim/Meessen/Riesenkampff/Kersting/Meyer-Lindemann, Kartellrecht, 3. Aufl. 2016, Art. 106 Rz. 70. 3 Vertiefend Knauff in Loewenheim/Meessen/Riesenkampff/Kersting/Meyer-Lindemann, Kartellrecht, 3. Aufl. 2016, Art. 106 Rz. 65–72; Jung in Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, 5. Aufl. 2016, Art. 106 Rz. 40–42. 4 Vgl. VK Bund v. 18.5.2016 – VK 1-18/16, IBRRS 2016, 2189. 5 Vgl. Ziekow, NZBau 2015, 258 (260); Ziekow, NZBau 2017, 339 (342); sowie vertiefend Portz in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 108 Rz. 83. Nach Frenz, DVBl 2017, 740, 746, soll dagegen bereits eine „sichtbare Einschaltung in den Tätigkeitskreis des öffentlichen Auftraggebers“ genügen. 6 Jung in Calliess/Ruffert, Art. 106 Rz. 40. 7 Jung in Calliess/Ruffert, Art. 106 Rz. 40. 8 EuGH v. 4.5.1988 – Rs. C-30/87, Slg. 1988, 2479-2519, NVwZ 1989, 949 ff., Rz. 31 – Bodson/Pompes Funebres; EuGH v. 27.4.1994 – Rs. C-393/92, Slg. 1994, I-1477-1524, EuZW 1994, 408 ff., Rz. 47; EuGH v. 23.10.1997 – Rs. C-159/94, Slg. 1997, I-5815-5850, EuZW 1998, 76 ff., Rz. 66; EuGH v. 21.12.2011 – Rs. C-242/10, Slg. 2011, I-13665-13720, Rz. 52.

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§ 105 | Konzessionen zessionen führen1. Wie die Rechtsprechung den Begriff der „Betrauung“ zukünftig auslegen wird, bleibt mithin abzuwarten. 25 Eine Begrenzung erfährt die Betrauungsmöglichkeit des öffentlichen Auftrag-

gebers durch die Notwendigkeit der Befristung der Konzession (s. hierzu noch Rz. 56 ff.) sowie im kommunalen Bereich auch durch die Garantie der kommunalen Selbstverwaltung. In letzterem Zusammenhang ist die Rechtsprechung des BVerwG zu berücksichtigen, wonach sich eine Gemeinde aufgrund der verfassungsrechtlichen Garantie der kommunalen Selbstverwaltung (Art. 28 Abs. 2 GG) im Interesse einer wirksamen Wahrnehmung der Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft ihrer Aufgabenverantwortung nicht vollständig entziehen darf2. Der Möglichkeit der Betrauung von Dritten mit hoheitlichen Aufgaben wird dadurch eine Grenze gezogen. Eine vollständige Übertragung kommunaler Pflichtaufgaben ist demnach nicht möglich, sondern es kann nur eine Einbeziehung von Privaten in die Durchführung der (Pflicht-)Aufgabe erfolgen. Durch geeignete Einwirkungs- und Kontrollinstrumente muss eine ordnungsgemäße Aufgabenerfüllung im Falle einer Konzessionsvergabe sichergestellt werden3.

d) Beschaffungsbezug 26 Die Vergabe einer Konzession muss aus Sicht des öffentlichen Konzessions-

gebers einen Beschaffungsbezug aufweisen. D. h., dass der Auftraggeber als Beschaffer am Markt auftreten muss4. Dies folgt zum einen schon daraus, dass der Konzessionsvertrag grundsätzlich alle Merkmale eines Bau- oder Dienstleistungsauftrags erfüllen muss, allein mit der Ausnahme, dass das Entgelt funktionell durch die Übertragung des Nutzungsrechts ersetzt wird5. Zum anderen ist

1 Vgl. vertiefend in Bezug auf In-house-Geschäfte gem. § 108 VK Bund v. 18.5.2016 – VK 1-18/16, IBRRS 2016, 2189. Siehe ferner auch EuGH v. 18.11.2004 – Rs. C-126/03, NZBau 2005, 49 ff., Rz. 18, wonach – jedefalls noch bezogen auf die Richtlinie 92/50 – im europäischen Vergaberecht keine Unterscheidung zwischen jenen Aufträgen, die ein öffentlicher Auftraggeber vergibt, um seine im Allgemeininteresse liegenden Aufgaben zu erfüllen, und jenen Aufträgen, die in keinem Zusammenhang mit derartigen Aufgaben stehen, stattfindet. 2 BVerwG v. 27.5.2009 – 8 C 10.08, DVBl. 2009, 1382 (1383); Ganske in Landmann/Rohmer, Umweltrecht, Stand: Februar 2012, § 56 WHG Rz. 43. 3 Queitsch in Wellmann/Queitsch/Fröhlich, § 56 Rz. 27; Ganske in Landmann/Rohmer, Umweltrecht, Stand: Februar 2012, § 56 WHG Rz. 43; ähnlich Ehlers, DVBl. 2009, 1456 (1457); s. ferner auch Bohne/Heinbuch, NVwZ 2006, 489 (491 f.), welche den Fortbestand der gemeindlichen Verantwortung bei Konzessionen im Bereich der Abwasserbeseitigung fordern. 4 OLG Düsseldorf v. 28.4.2004 – VII-Verg 2/04, NZBau 2004, 400 (401); BayObLG v. 27.2. 2003 – Verg 1/03, VergabeR 2003, 329 (331); BayObLG v. 4.2.2002 – Verg 1/02, VergabeR 2002, 305 (306). 5 Vgl. OLG Düsseldorf v. 2.10.2008 – VII-Verg 25/08, NZBau 2008, 727 (732); Dicks in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 105 Rz. 4 und 18; Braun in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 105 Rz. 31.

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das Ziel von Konzessionsverträgen die Beschaffung von Bau- oder Dienstleistungen durch Vergabe einer Konzession zugunsten der öffentlichen Hand. Hierbei soll den öffentlichen Konzessionsgebern stets der Nutzen der betreffenden Leistung zustehen1. Im Einzelnen ist bei dem Kriterium „Beschaffungsbezug“ bzw. des daran anzule- 27 genden Maßstabs allerdings zwischen der Bau- und der Dienstleistungskonzession zu unterscheiden. Denn während im Fall der Baukonzession ein unmittelbares wirtschaftliches Eigeninteresse gegeben sein muss (vgl. Rz. 28 f.), genügt im Fall der Dienstleistungskonzession auch ein nur mittelbares wirtschaftliches Interesse bzw. die Erlangung nur mittelbarer wirtschaftlicher Vorteile (vgl. Rz. 30 ff.). aa) Baukonzession In Bezug auf Baukonzessionen hat der EuGH in der Rechtssache „Helmut Mül- 28 ler GmbH“ im Jahr 2010 ausdrücklich entschieden, dass der öffentliche Auftrag-/Konzessionsgeber ein eigenes wirtschaftliches Interesse an der geforderten Leistung haben muss2. Dieses wirtschaftliche Interesse ist gegeben, wenn die zu erbringende Bauleistung dem Auftraggeber unmittelbar wirtschaftlich zugutekommt3. Dies kann insbesondere dann angenommen werden, wenn der Konzessionsgeber Eigentum an den Bauwerken oder einen Rechtstitel zur Sicherung einer öffentlichen Zweckbestimmung der Bauleistung erwirbt, er wirtschaftliche Vorteile aus deren Nutzung oder Veräußerung ziehen kann oder Risiken für den Fall eines wirtschaftlichen Fehlschlags übernommen hat4. Dabei muss die Bauleistung nicht zwangsläufig in einem gegenständlichen oder körperlichen Sinn für den Konzessionsgeber beschafft werden5. Es genügt, dass der öffentliche Auftraggeber wirtschaftliche Vorteile aus der zukünftigen Nutzung oder Veräußerung des Bauwerks ziehen kann6. Siehe hierzu auch die Kommentierung zu § 103 Rz. 120 ff. 1 Vgl. Erwägungsgründe 1 und 11 der Richtlinie 2014/23/EU; Braun in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 105 Rz. 77; Müller, NVwZ 2016, 266; VK Nordbayern v. 19.1. 2011 – 21.VK-3194-48/10, IBRRS 2011, 1139. 2 EuGH v. 25.3.2010 – Rs. C-451/08; VergabeR 2010, 441 (446, Rz. 49) – Helmut Müller GmbH; Diemon-Wies, VergabeR 2016, 162 (163). 3 EuGH v. 25.3.2010 – Rs. C-451/08; VergabeR 2010, 441 (446, Rz. 50) – Helmut Müller GmbH. 4 EuGH v. 25.3.2010 – Rs. C-451/08; VergabeR 2010, 441 (446, Rz. 50 ff.) – Helmut Müller GmbH; OLG Schleswig v. 15.3.2013 – 1 Verg 4/12; Braun in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 105 Rz. 34. 5 EuGH v. 25.3.2010 – Rs. C-451/08; VergabeR 2010, 441 (447, Rz. 54 und 58) – Helmut Müller GmbH; Dicks in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 105 Rz. 9. 6 EuGH v. 25.3.2010 – Rs. C-451/08; VergabeR 2010, 441 (447, Rz. 52) – Helmut Müller GmbH; vgl. Rz. 48 bis 58 für weitere Fallgruppen des wirtschaftlichen Interesses.

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§ 105 | Konzessionen 29 Erforderlich ist dabei auch, dass der Konzessionsvertrag eine rechtsverbindliche

und einklagbare Verpflichtung des Konzessionsnehmers zur Erbringung der vertraglichen Leistungen beinhaltet1 (s. zu diesem Kriterium auch § 103 Rz. 81 ff.). Dies folgt ebenfalls aus Erwägungsgrund 14 der Richtlinie 2014/23/ EU (vgl. Rz. 35). bb) Dienstleistungskonzession

30 Genauer zu beleuchten ist, ob bzw. in welcher Form ein Beschaffungselement

auch im Rahmen der Dienstleistungskonzession erforderlich ist. Das OLG Düsseldorf hat diese Frage bislang offen gelassen und auf eine noch ausstehende höchstrichterliche Klärung hingewiesen2. Bei näherer Betrachtung kann – dies räumt insbesondere auch Dicks ein3 – indes kein Zweifel daran bestehen, dass auch Dienstleistungskonzessionen nur dann dem Vergaberecht unterfallen, wenn sie einen Beschaffungsbezug aufweisen. Dies folgt schon allein aus dem Umkehrschluss zu den diversen Negativabgrenzungen in den Erwägungsgründen 11 bis 16 der Richtlinie 2014/23/EU (s. hierzu noch Rz. 36 ff.). Denn diese machen an mehreren Stellen deutlich, dass auch die Vergabe von Dienstleistungskonzessionen nur dann, wenn sie ein Beschaffungscharakter aufweist, vom Anwendungsbereich der Richtlinie 2014/23/EU und – bei richtlinienkonforme Auslegung4 – von § 105 Abs. 1 erfasst wird5. Unter dem Gesichtspunkt der richtlinienkonformen Auslegung des nationalen Vergaberechts sprechen die Erwägungsgründe 11 bis 16 der Richtlinie 2014/23/EU daher für das Erfordernis des Beschaffungselements im Rahmen der Dienstleistungskonzession6. Dies entspricht auch der überwiegenden Ansicht in der bisherigen Rechtsprechung7 und Literatur8.

1 EuGH v. 25.3.2010 – Rs. C-451/08, VergabeR 2010, 441 (448, Rz. 63) – Helmut Müller GmbH; Dicks in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 105 Rz. 4; Braun in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 105 Rz. 81. 2 OLG Düsseldorf v. 28.3.2012 – VII-Verg 37/11, NZBau 2012, 518 (520). Siehe hierzu auch Dicks in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 105 Rz. 10; sowie Diemon-Wies, VergabeR 2016, 162, 163. 3 Vgl. Dicks in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 105 Rz. 11 ff. 4 Vgl. allgemein zur richtlinienkonformen Auslegung EuGH v. 10.4.1984 – Rs. C-14/83, Slg. 1984, 1891, Rz. 26 – von Colson; sowie Ruffert in Calliess/Ruffert, AEUV, 5. Aufl. 2016, Art. 288 Rz. 77. 5 Vgl. Dicks in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 105 Rz. 17. 6 Dicks in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 105 Rz. 17. 7 Vgl. beispielsweise OLG München v. 25.3.2011 – Verg 4/11, VergabeR 2011, 606 ff.; OLG Karlsruhe v. 14.11.2014 – 15 Verg 10/14; OLG Schleswig v. 15.3.2013 – 1 Verg 4/12; KG v. 22.1.2015 – 2 U 14/14, NZBau 2015, 323 ff. – Waldbühne; OVG Berlin-Brandenburg v. 30.11.2010 – 1 S 107/10, NVwZ-RR 2011, 293 ff. 8 Vgl. beispielsweise Herten-Koch in Kermel, Praxishandbuch der Konzessionsverträge und der Konzessionsvergaben, S. 203 ff.; Opitz, NVwZ 2014, 753 (757); Polster/Kokew

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Fraglich kann daher allein sein, in welcher konkreten Form ein Beschaffungsele- 31 ment auch im Rahmen der Dienstleistungskonzession erforderlich ist. Nach dem Beschluss des OLG München vom 25.3.2011 beschafft sich ein öf- 32 fentlicher Auftraggeber nicht nur dann Leistungen, wenn ihm diese unmittelbar wirtschaftlich zugutekommen, sondern auch dann – mittelbar –, wenn er mit diesen Leistungen die ihm obliegende Pflicht zur Daseinsvorsorge für die Bevölkerung sicherstellt1. Dabei ist nicht ausschlaggebend, ob die übertragene Aufgabe ausdrücklich als eine dem Auftraggeber (Kommune) zugewiesene öffentliche Aufgabe deklariert ist2. Ferner ist auch die Frage, ob der öffentliche Auftraggeber einen Beschaffungsvorgang durchführt, losgelöst davon zu beantworten, ob der Auftragnehmer eine Beihilfe für die Durchführung des Auftrages erhält3. Der öffentliche Auftraggeber beschafft sich damit auch dann Leistungen, wenn er durch die Konzessionsvergabe die (weiterhin) ihm obliegenden Aufgaben der Daseinsvorsorge sicherstellt und der Auftragnehmer ihn bei der Aufgabenerfüllung unterstützt4. Beispiele hierfür sind die Abfallentsorgung, die Gesundheitsfürsorge und die Organisation des Rettungsdienstes5. Schließlich kann es einen Beschaffungsvorgang darstellen, wenn es zu einer gänzlichen Übertragung der eigentlich dem Auftraggeber zufallenden Leistung auf den Konzessionär kommt. Nach der vorbenannten Entscheidung des OLG München war dies der Fall bei einem Vertrag über den Aufbau und Betrieb eines Breitbandnetzes. Die Sicherstellung der Informations- und Kommunikationsmöglichkeit durch ein Breitbandnetz ist ein Teil der Daseinsvorsorge6. Ermöglicht der Auftraggeber dem Konzessionär gegen ein Entgelt den Aufbau und Betrieb des Breitbandnetzes und räumt er diesem die Möglichkeit ein, seine Leistung dem Endkunden anzubieten, überträgt er diesem die eigentlich ihm obliegende Aufgabe und der Konzessionär bietet an seiner Stelle die Dienstleistung an. In einer ähnlich gelagerten Entscheidung vom 14.11.2014 nahm auch das OLG Karlsruhe eine Dienstleistungskonzession an7. Das KG verlangte in einer Entscheidung vom 22.1.2015 die Übertragung einer öffentlichen Aufgabe vom Auftraggeber auf

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KSzW 2012, 144 (145); Mösinger, NZBau 2015, 545 ff.; Schüttpelz, VergabeR 2013, 361 (362 f.); Dicks in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 105 Rz. 11 ff. A.A. Donhauser/Hölzlwimmer, VergabeR 2015, 509 (512 f.). OLG München v. 25.3.2011 – Verg 4/11, VergabeR 2011, 606 ff., Rz. 38. OLG München v. 25.3.2011 – Verg 4/11, VergabeR 2011, 606 ff., Rz. 40. OLG München v. 25.3.2011 – Verg 4/11, VergabeR 2011, 606 ff., Os. 2 und Rz. 39. Vgl. auch OLG München v. 19.1.2012 – Verg 17/11, VergabeR 2012, 496 (498); OLG Karlsruhe v. 14.11.2014 – 15 Verg 10/14, NZBau 2015, 506 (507). OLG München v. 25.3.2011 – Verg 4/11, VergabeR 2011, 606 ff., Rz. 38 und 40. OLG München v. 25.3.2011 – Verg 4/11, VergabeR 2011, 606 ff., Rz. 41. OLG Karlsruhe v. 14.11.2014 – 15 Verg 10/14, NZBau 2015, 506 ff. In dieser Entscheidung übertrug die betroffene Kommune den Aufbau der Breitbandversorgung allerdings nicht gänzlich, sondern ließ einen Kabelnetzbetreiber gegen eine Zahlung von 150.000 € das bestehende Netz verbessern.

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§ 105 | Konzessionen den Vertragspartner zur Annahme einer Dienstleistungskonzession1. Das KG hatte in seiner Entscheidung einen Pachtvertrag über die sog. Waldbühne, einem Veranstaltungsort für Events kultureller und sportlicher Art, von einer Dienstleistungskonzession abzugrenzen. Das KG entschied, dass die Nutzung der Waldbühne – insbesondere ausweislich des Pachtvertrags – bereits nicht im öffentlichen Interesse sei und deshalb keine öffentlichen Pflichten begründe, die im Wege der Konzession auf den Vertragspartner hätten übergehen können2. 33 Richtigerweise wird man den Beschaffungscharakter einer Dienstleistungs-

konzession immer dann bejahen können, wenn dem Konzessionsgeber die Leistung des Konzessionsnehmers entweder unmittelbar zugutekommt oder aber mittelbar, wenn sie ihn bei der Erfüllung der ihm obliegenden Aufgaben und insbesondere bei der Daseinsvorsorge für die Bevölkerung unterstützt3. Die Definition der Dienstleistungskonzession in Art. 5 Abs. 1 lit. b) der Richtlinie 2014/23/EU und § 105 Abs. 1 Nr. 2 setzt folglich keine Inanspruchnahme der Dienstleistung durch den Konzessionsgeber als solchen voraus. Da der Konzessionär den Unwägbarkeiten des Marktes begriffsnotwendig ausgesetzt sein muss, wird er die Leistung insbesondere auch Dritten gegenüber erbringen (können) müssen. Insofern ist der Beschaffungsvorgang auch bei bloß mittelbarem Nutzen des Konzessionsgebers gegeben. Insbesondere muss die Beschaffung dem Konzessionsgeber auch nicht „körperlich“ zugutekommen4. Der Konzessionsgeber beschafft sich daher – mit anderen Worten – nicht nur dann eine Leistung, wenn sie ihm „irgendwie“ wirtschaftlich zugutekommt, sondern auch dann, wenn er mit der mittels der Leistung des Konzessionsnehmers ihm obliegende Pflichten gegenüber der Bevölkerung erfüllt5. Dies ist bei den Aufgaben der öffentlichen Daseinsvorsorge typischerweise der Fall6. Einen „Nutzen“ im Sinne des Erwägungsgrundes 11 der Richtlinie 2014/23/EU zieht der Konzessionsgeber insofern immer bereits dann, wenn die Leistung des Konzessionärs der öffentlichen Daseinsvorsorge zugutekommt7.

1 KG v. 22.1.2015 – 2 U 14/14, NZBau 2015, 323 – Waldbühne. 2 KG v. 22.1.2015 – 2 U 14/14, NZBau 2015, 323, Rz. 12 ff. – Waldbühne; vgl. auch Mösinger, NZBau 2015, 545 ff. 3 Vgl. OLG München v. 25.3.2011 – Verg 4/11, VergabeR 2011, 606 ff., Rz. 38 ff.; VK Nordbayern v. 19.1.2011 – 21.VK-3194-48/10, IBRRS 2011, 1139; Opitz, NVwZ 2014, 753 (757); Braun in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 105 Rz. 78 und 80. 4 So auch Braun in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 105 Rz. 78 unter Verweis auf OLG München v. 25.3.2011 – Verg 4/11, VergabeR 2011, 606 ff. 5 So auch Braun in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 105 Rz. 79 unter Verweis auf OLG München v. 25.3.2011 – Verg 4/11, VergabeR 2011, 606 ff.; VK Nordbayern v. 19.1.2011 – 21.VK-3194-48/10, IBRRS 2011, 1139. 6 Vgl. hierzu mit weiteren Beispielen Braun in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 105 Rz. 79. 7 Vgl. hierzu mit weiteren Beispielen Braun in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 105 Rz. 80.

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Einschränkend liegt dagegen kein Beschaffungsvorgang vor, wenn der Konzes- 34 sionsgeber eine bloße Genehmigung oder Gestattung von gewissen Tätigkeiten erteilt oder eine reine Betrauung vornimmt, ohne dass zugleich eine verbindliche Leistungspflicht des Leistungserbringers vorgesehen wird1. Es muss mithin immer eine durchsetzbare, d.h. rechtsverbindliche und ein- 35 klagbare Leistungspflicht bestehen, um eine Dienstleistungskonzession annehmen zu können2 (s. hierzu auch Rz. 29). Dies folgt im Übrigen auch aus Erwägungsgrund 14 der Richtlinie 2014/23/EU, wo es heißt: „Bestimmte Handlungen der Mitgliedstaaten, wie die Erteilung von Genehmigungen oder Lizenzen, durch die der Mitgliedstaat oder eine seiner Behörde die Bedingungen für die Ausübung einer Wirtschaftstätigkeit festlegt – einschließlich der Bedingung der Durchführung einer bestimmten Tätigkeit –, die üblicherweise auf Antrag des Wirtschaftsteilnehmers und nicht vom öffentlichen Auftraggeber oder vom Auftraggeber erteilt wird und bei der der Wirtschaftsteilnehmer das Recht hat, sich von der Erbringung von Bau- oder Dienstleistungen zurückzuziehen, sollten darüber hinaus nicht als Konzessionen gelten. […] Im Gegensatz zu derartigen Handlungen der Mitgliedstaaten enthalten Konzessionsverträge wechselseitig bindende Verpflichtungen, denen zufolge die Erbringung der Bau- oder Dienstleistungen bestimmten Anforderungen entsprechen muss, die vom öffentlichen Auftraggeber oder vom Auftraggeber festgelegt werden und rechtlich durchsetzbar sind.“ cc) Negativabgrenzungen Der Unionsgesetzgeber hat im Zusammenhang mit der Definition der Bau- und 36 Dienstleistungskonzession in den Erwägungsgründen 11 bis 16 der Richtlinie 2014/23/EU verschiedene Negativabgrenzungen vorgenommen, auf die in den Gesetzesmaterialien zu § 105 Abs. 1 Bezug genommen wird3. Allerdings wird man diesen Aussagen – da weder die Gesetzesmaterialien noch die Erwägungsgründe einen normativen bzw. verfügenden Charakter/Inhalt haben – lediglich einen, wenn auch starken, Indizcharakter zusprechen können, der eine – letztlich ausschlaggebende – Beurteilung des jeweils in Rede stehenden Sachverhalts anhand der normativen Voraussetzungen des § 105 nicht entbehrlich macht4. 1 Vgl. hierzu m.w.N. Braun in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 105 Rz. 80 f.; sowie Dicks in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 105 Rz. 17. 2 So auch Braun in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 105 Rz. 81; Dicks in Kulartz/ Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 105 Rz. 4. 3 Vgl. BT-Drucks. 18/6281, S. 75. 4 Dies gilt umso mehr, als für eine richtlinienkonforme Auslegung – die im Lichte des Wortlauts und des Zwecks der Richtlinie, also auch unter Berücksichtigung der entsprechenden Erwägungsgründe zu erfolgen hat – nur dort Raum ist, wo dieser durch das nationale Recht, welches das Unionsrecht auch überschießend umsetzen kann, eingeräumt wird.

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§ 105 | Konzessionen 37 Erwägungsgrund 11 der Richtlinie 2014/23/EU stellt klar, dass ein Eigentums-

übergang auf den Konzessionsgeber keine Voraussetzung der Definition ist, dem Konzessionsgeber aber stets der Nutzen der Bau- oder Dienstleistung zuzukommen hat1 (s. hierzu auch Rz. 6 und 33).

38 Weiterhin verdeutlicht Erwägungsgrund 12 der Richtlinie 2014/23/EU, dass die

bloße Finanzierung – insbesondere durch öffentliche Zuschüsse – von Tätigkeiten, die häufig mit der Verpflichtung verbunden ist, erhaltene Beträge bei nicht bestimmungsgemäßer Verwendung zurückzuzahlen, nicht in den Geltungsbereich der Richtlinie 2014/23/EU fällt2. Die Frage, ob ein Beschaffungsvorgang vorliegt, ist daher nicht allein in Abhängigkeit davon zu beantworten, ob der Auftragnehmer eine Beihilfe für die Durchführung des Auftrages erhält. Allein die Tatsache, dass der Auftragnehmer im konkreten Fall Beihilfen in Form einer Anschubfinanzierung erhält, kann in diesem Zusammenhang keine endgültige Antwort auf die Frage geben, ob der öffentliche Auftraggeber einen Beschaffungsvorgang durchführt oder nicht3.

39 Erwägungsgrund 13 der Richtlinie 2014/23/EU weist darauf hin, dass Regelun-

gen, nach denen ohne gezielte Auswahl alle Unternehmen, die bestimmte Voraussetzungen erfüllen, berechtigt sind, eine bestimmte Aufgabe wahrzunehmen, nicht als Konzessionen gelten. Die Gesetzesbegründung4 führt anknüpfend an Erwägungsgrund 13 der Richtlinie 2014/23/EU diesbezüglich (weiter) aus: „Derartige Systeme beruhen nach den Ausführungen im Erwägungsgrund 13 typischerweise auf der Entscheidung einer Behörde, mit der transparente und nichtdiskriminierende Voraussetzungen für den kontinuierlichen Zugang von Unternehmen zur Erbringung bestimmter Dienstleistungen, wie soziale Dienstleistungen, festgelegt werden. Daraus lässt sich schließen, dass die Zulassung von Dienstleistungserbringern im sozialhilferechtlichen Dreiecksverhältnis nicht der Richtlinie 2014/23/EU unterfällt. Gleiches gilt für die Zulassung von Pflegeeinrichtungen sowie die Feststellung der fachlichen Eignung im Rahmen der Zulassung besonderer Dienste oder besonderer Einrichtungen.“5

40 Dies birgt indes Potential für Missverständnisse dahingehend, dass die Anwen-

dung des Vergaberechts auf Leistungen im sog. sozialrechtlichen Dreiecksverhältnis per se ausgeschlossen sei. Dem ist jedoch nicht so. Vielmehr ist – nach wie vor – eine sorgfältige Einzelfallprüfung geboten, weil trotz Vorliegens ei-

1 BT-Drucks. 18/6281, S. 75. 2 Vgl. BT-Drucks. 18/6281, S. 75. 3 So (für die Anschubfinanzierung bei der Breitbandversorgung) OLG München v. 25.3. 2011 – Verg 4/11, NZBau 2011, 380 (382). A.A. bzw. zumindest nicht ganz eindeutig Braun in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 105 Rz. 85 f. 4 BT-Drucks. 18/6281, S. 73. 5 Vgl. BT-Drucks. 18/6281, S. 75. Ähnlich auch die Gesetzesbegründung zu § 103 Abs. 1 in BT-Drucks. 18/6281, 73.

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nes sozialrechtlichen Dreiecksverhältnisses entweder ein ausschreibungspflichtiger öffentlicher Auftrag1, eine ausschreibungspflichtige Dienstleistungskonzession oder ein vergaberechtsfreier Vorgang (z.B. infolge einseitiger Zuwendungen durch Verwaltungsakt)2, der u.U. sogar die Anwendung des Vergaberechts verbietet3, vorliegen können. Dementsprechend hat auch die Bundesregierung in ihrer Antwort auf eine dahingehende Kleine Anfrage klargestellt4: „Die Anwendung des Vergaberechts auf die Leistungserbringung im sog. sozialrechtlichen Dreiecksverhältnis kann unter Beachtung der genannten Voraussetzungen nicht einheitlich beantwortet werden, sondern hängt von der Ausgestaltung der konkreten Rechtsbeziehungen zwischen Leistungsträger, Leistungserbringer und Leistungsempfänger im jeweils anzuwendenden Leistungserbringungsrecht ab. Eine pauschale Ausnahme für Leistungen im sozialrechtlichen Dreiecksverhältnis vom Vergaberecht ist europarechtlich weder möglich noch in der Sache gerechtfertigt.“ Siehe in diesem Zusammenhang auch die Kommentierung zu § 103 Rz. 3, 22 und 214 ff. Erwägungsgrund 14 der Richtlinie 2014/23/EU hebt hervor, dass die Erteilung 41 von Genehmigungen oder Lizenzen für die Ausübung einer Wirtschaftstätigkeit nicht als Konzession im Sinne der Richtlinie 2014/23/EU gilt. Für derartige Fälle wird auf die vorrangige Anwendung der Dienstleistungsrichtlinie 2006/ 123/EG verwiesen. In diesem Zusammenhang wird deutlich, dass dem Konzessionsvertrag eine wechselseitige Bindungswirkung zukommt5. Angesprochen werden damit beispielsweise die Erteilung von Verwaltungsakten im Bereich der Sportwetten oder der Platzvergabe auf Volksfesten und (Weihnachts-)Märkten6, wobei aber auch insoweit keine pauschale Beurteilung möglich ist, sondern, insbesondere was den Bereich der Marktveranstaltungen betrifft, stets eine Einzelfallprüfung erforderlich ist. Was die Erlaubniserteilung von Sportwetten betrifft, so spricht der EuGH in 42 diesem Zusammenhang auch ganz ausdrücklich von Lizenzen7. Grundsätzlich 1 Vgl. OLG Hamburg v. 7.12.2007 – 1 Verg 4/07, NDV-RD 2008, 30 (für den Fall der Schuldnerberatung mit einem exklusiven Kreis von Leistungserbringern). 2 Vgl. OLG München v. 25.3.2011 – Verg 4/11, NZBau 2011, 380 ff.; VK Nordbayern v. 19.1.2011 – 21. VK-3194–48/10, IBRRS 2011, 1139. 3 So für Leistungsvereinbarungen gem. §§ 75 ff. SGB XII OVG NW v. 27.9.2004 – 12 B 1390/04, NVwZ 2005, 834 ff.; OVG NW v. 27.9.2004 – 12 B 1397/04, NDV-RD 2005, 32 ff.; VG Münster v. 22.6.2004 – 5 L 728/04, ZFSH/SGB 2004, 601 ff. 4 Vgl. BT-Drucks. 18/6492, S. 2 f. 5 Vgl. BT-Drucks. 18/6281, S. 75. 6 Vgl. insoweit auch Braun in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 105 Rz. 96. 7 Vgl. beispielsweise EuGH v. 4.2.2016 – Rs. C-336/14, NVwZ 2016, 369 ff., Rz. 65 – Ince; sowie Braun in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 105 Rz. 96; Braun, NZBau 2016, 266 ff.

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§ 105 | Konzessionen erfolgt die Lizenzvergabe in diesem Bereich im Wege einseitiger hoheitlicher Verfügungen (Verwaltungsakte), mit der Folge, dass sowohl in materieller als auch verfahrensrechtlicher Hinsicht nicht die Vorschriften des Vergaberechts, sondern des Verwaltungsrechts einschlägig sind. Es ist jedoch festzustellen, dass sich verwaltungs- und vergaberechtliche Auswahlverfahren insoweit stark annähern und viele Gemeinsamkeiten aufweisen. So hat insbesondere der VGH Kassel1 zutreffend die materiell- und verfahrensrechtlichen Grundlagen für ein strukturiertes, transparentes und diskriminierungsfreies Auswahlverfahren aufgezeigt (vgl. hierzu insbesondere auch Rz. 95). 43 Im Bereich der Marktvergabe gibt es grundsätzlich drei unterschiedliche For-

men/Modelle, in denen Kommunen Märkte durchführen können: (1) das sog. straßenrechtliche Modell (Sondernutzungserlaubnis nach dem einschlägigen Straßen und Wegerecht), (2) das sog. gewerbliche Modell gem. §§ 69 ff. GewO sowie (3) das sog. kommunalrechtliche Modell (Betrieb einer öffentlichen Einrichtung). Die Markt(platz)vergabe fällt unter den Begriff der Dienstleistungskonzession, wenn der Konzessionsgeber damit eine Dienstleistung im Rahmen der Daseinsvorsoge beschafft2. Wenn und soweit dies nicht der Fall ist, so dass die Marktvergabe grundsätzlich an verwaltungsrechtlichen Maßstäben zu messen ist, gilt jedoch Ähnliches, wie im Bereich der Sportwetten. Auch insoweit ist es in der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung anerkannt, dass – auch außerhalb der §§ 97 ff. und unabhängig von unionsrechtlichen Vorschriften – das Erfordernis der transparenten und diskriminierungsfreien Vergabe gilt. Insbesondere steht den Bewerbern insoweit auch ein öffentlich-rechtlicher Bewerbungsverfahrensanspruch zur Seite, der es neben einer gleichmäßigen und transparenten Behandlung aller Bewerber (Art. 3 Abs. 1, 20 Abs. 3 GG) gebietet, den Bewerbern vor Vertragsschluss die Auswahlentscheidung bekannt zu geben und sodann noch eine angemessene Zeit von zumindest zwei Wochen zuzuwarten, um einen effektiven Primärrechtsschutz (Art. 19 Abs. 4 GG) zu ermöglichen3 (vgl. hierzu insbesondere auch Rz. 95).

1 VGH Kassel v. 16.10.2015 – 8 B 1028/15, NZBau 2016, 111 ff. Diese, insbesondere zu § 4b Abs. 1 Satz 1 GlüStV ergangene Entscheidung, kann grundsätzlich entsprechend auf jedes Vergabe- und Auswahlverfahren übertragen werden, vgl. Braun in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 105 Rz. 111 (Fn. 158). Ähnlich und sehr instruktiv auch bereits die erstinstanzliche Entscheidung des VG Wiesbaden v. 5.5.2015 – 5 L 1453/14.WI, NZBau 2015, 451 ff. 2 Vgl. OLG Naumburg v. 4.12.2001 – 1 Verg 10/01, NZBau 2002, 235 (236); VG Köln v. 16.10.2008 – 1 K 4507/08, NVwZ-RR 2009, 327 ff.; Braun in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 105 Rz. 96; Braun, NVwZ 2009, 747 ff.; Donhauser, NVwZ 2010, 931 (935); Kniesel, GewArch 2013, 270 (273). A.A. Krönke, NVwZ 2016, 568 (575). 3 So OVG Berlin-Brandenburg v. 30.11.2010 – 1 S 107.10, NVwZ-RR 2011, 293 ff. sowie die diesbezügliche Entscheidungsanmerkung von Ganske, IBR 2011, 1190. Siehe ferner zum Ganzen auch VGH München v. 11.11.2013 – 4 B 13.1135, VGHE BY 66, 196 ff.; VGH München v. 22.12.2011 – 22 B 11.1139, VGHE BY 64, 283 ff.; OVG Bautzen v.

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Erwägungsgrund 15 der Richtlinie 2014/23/EU stellt klar, dass Vereinbarungen, 44 die das Recht eines Unternehmens zur privatrechtlichen oder öffentlich-rechtlichen Nutzung öffentlicher Bereiche oder Ressourcen, wie z.B. Land oder öffentliche Liegenschaften, insbesondere in See-, Binnen- oder Flughäfen regeln, nicht als Konzessionen im Sinne der Richtlinie 2014/23/EU gelten1. Nach Erwägungsgrund 15 sind solche Vereinbarungen nicht als Konzessionen zu werten, die es einem Auftragnehmer ermöglichen, öffentliche Bereiche oder Ressourcen zu nutzen, ohne bestimmte Bau- und Dienstleistungen zu beschaffen. Dies betrifft in der Regel Pachtverträge über öffentliche Liegenschaften oder Land, die meist Klauseln enthalten, die die Besitzübernahme durch den Pächter, die vorgesehene Nutzung und die Pflichten von Pächter und Eigentümer hinsichtlich der Instandhaltung der Liegenschaft, die Dauer der Verpachtung und die Rückgabe des Besitzes an den Eigentümer, den Pachtzins sowie die vom Pächter zu zahlenden Nebenkosten regeln2. Schließlich macht Erwägungsgrund 16 der Richtlinie 2014/23/EU deutlich, dass 45 die Gewährung von Wegerechten hinsichtlich der Nutzung öffentlicher Liegenschaften für die Bereitstellung oder den Betrieb fester Leitungen oder Netze, über die eine Dienstleistung für die Allgemeinheit erbracht werden soll, ebenfalls nicht als Konzession im Sinne der Richtlinie 2014/23/EU gelten, sofern derartige Verpflichtungen weder eine Lieferverpflichtung auferlegen noch den Erwerb von Dienstleistungen durch den Konzessionsgeber für sich selbst oder für den Endnutzer vorsehen. Diese Ausführungen betreffen vor allem Wegenutzungsverträge i.S.d. § 46 EnWG zu Strom- und Gasleitungen sowie Wegenutzungsverträge zu Fernwärmeleitungen3. Für den Bereich der Trinkwasserversorgung ist hingegen die Bereichsausnahme gem. Art. 12 der Richtlinie 2014/23/EU und § 149 Nr. 9 zu berücksichtigen4. Ob die Wegenutzungsverträge i.S.d. § 46 EnWG dem Konzessionsrecht unterfallen oder nicht, ist jedoch umstritten5. Aus Erwägungsgrund 16 der Richtlinie 2014/23/EU folgt, dass deren Vergabe nicht per se aus dem in der Richtlinie 2014/23/EU und in § 105 zugrunde gelegten Konzessionsbegriff herausfällt6. Unabhängig von diesem Streit ergeben sich

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26.11.2013 – 3 B 494/13; VG Mainz v. 12.8.2014 – 6 L 712/14.MZ, GewArch 2014, 448 ff.; VG Oldenburg v. 29.7.2014 – 12 B 1652/14; Braun, NVwZ 2009, 747 ff.; Donhauser, NVwZ 2010, 931 (934 ff.). Vgl. BT-Drucks. 18/6281, S. 75. Vgl. Erwägungsgrund 15 der Richtlinie 2014/23/EU. Vgl. BT-Drucks. 18/6281, S. 75. Vgl. BT-Drucks. 18/6281, S. 73. Vgl. Braun, NZBau 2015, 355 ff.; Hofmann/Zimmermann, NZBau 2016, 71 ff.; Weiß, NVwZ 2014, 1415 ff.; Wieland, DÖV 2015, 169 ff. Dicks in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 105 Rz. 17; sowie ferner auch Polster/Krokew, KSzW 2012, 144 (148); Schüttpelz, VergabeR 2013, 361 (362); Opitz, NVwZ 2014, 753 (755); Wagner/Pfohl, ZfBR 2014, 745 (747); Donhauser/Hölzlwimmer, VergabeR 2015, 509 (518 f.).

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§ 105 | Konzessionen nach der Rechtsprechung des BGH aber bereits aus der Bindung der Kommunen an das Diskriminierungsverbot sowohl verfahrensbezogene als auch materielle Anforderungen an die Auswahlentscheidung1. e) Rechtsübertragung (und ggf. Zuzahlung) als Gegenleistung 46 Konzessionen sind ausweislich des Wortlauts von § 105 Abs. 1 entgeltliche Ver-

träge (vgl. Rz. 20). Kennzeichen einer Bau- oder Dienstleistungskonzession – und gleichsam Abgrenzungskriterium gegenüber Bau- und Dienstleistungsaufträgen – ist allerdings, dass die wirtschaftliche Gegenleistung, also das „funktionale Entgelt“, nicht in der Zahlung einer Vergütung, sondern in der Übertragung des Rechts zur Nutzung des Bauwerks oder zur Erbringung und Verwertung der Dienstleistung vom Konzessionsgeber auf den Konzessionär liegt2. Der Konzessionär verwertet sein Nutzungsrecht in der Regel durch die Erhebung von Entgelten gegenüber Dritten, die Nutzer der betreffenden Bau- oder Dienstleistung sind. Bei Baukonzessionen kann dies beispielsweise die Erhebung einer Maut für die Nutzung von Straßen, Autobahnen oder Tunnelanlagen oder die Erhebung von Parkentgelten für ein Parkhaus sein3. Konzessionäre von Dienstleistungskonzessionen refinanzieren ihre Investitionen insbesondere durch Nutzungs- und Zutrittsentgelte4. Grundsätzlich handelt es sich dabei um private Entgelte; öffentlich-rechtliche Gebühren dürfen nur dann erhoben werden, wenn hierfür eine entsprechende gesetzliche Ermächtigungsgrundlage besteht5.

47 Davon unberührt bleibt die Möglichkeit einer Zuzahlung durch den Konzessi-

onsgeber („Draufzahlung“). Der Begriff der Zuzahlung eines Preises ist dabei weit zu verstehen; es kommt lediglich darauf an, dass der Konzessionär zusätzlich zum Verwertungsrecht geldwerte Zuwendungen erhält6. Die Möglichkeit

1 Vgl. BGH v. 17.12.2013 – KZR 65/12, EnWZ 2014, 268 ff. und BGH v. 17.12.2013 – KZR 66/12, EnWZ 2014, 274 ff.; sowie ferner auch den Gemeinsamen Leitfaden von BKartA und Bundesnetzagentur zur Vergabe von Strom- und Gaskonzessionen und zum Wechsel des Konzessionsnehmers, 2. Aufl. v. 21.5.2015. 2 EuGH v. 14.11.2013 – Rs. C-221/12, NZBau 2014, 53 (55) – Belgacom; EuGH v. 13.10. 2005 – Rs. C-485/03, Slg. I-08585, NZBau 2005, 644 (647, Rz. 40) – Parking Brixen; OLG Düsseldorf v. 2.10.2008 – VII-Verg 25/08, NZBau 2008, 727 (732); OLG Düsseldorf v. 6.2.2008 – VII-Verg 37/07, NZBau 2008, 271 (274); OLG Düsseldorf v. 12.12.2007 – VII-Verg 30/07, NZBau 2008, 138 (141); OLG Karlsruhe v. 13.6.2008 – 15 Verg 3/08, NZBau 2008, 537 (539); VK Arnsberg v. 27.10.2003 – VK 2-22/2003; VK Lüneburg v. 12.11.2003 – 203-VgK-27/2003; VK Niedersachsen v. 16.10.2008 -VgK-30/2008; Burgi, NVwZ 2008, 929 (933). 3 Vgl. hierzu auch Braun in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 105 Rz. 32. 4 Dicks in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 105 Rz. 18. 5 Ganske in Kapellmann/Messerschmidt, VOB Teile A und B, 6. Aufl. 2017, § 23 VOB/A Rz. 32 f.; ebenso Braun in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 105 Rz. 32. 6 BGH v. 8.2.2011 – X ZB 4/10, NZBau 2011, 175 (180) – Abellio Rail; Ganske in Kapellmann/Messerschmidt, VOB Teile A und B, § 22 VOB/A Rz. 35.

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der Zuzahlung darf allerdings nur zusätzlich zu der Übertragung des Rechts auf Nutzung oder Verwertung erfolgen. Die Zahlung des Auftraggebers darf nur Zuschusscharakter haben, z.B. in Form eines Investitionskostenzuschusses oder einer Anschubfinanzierung1. Von einem Zuschuss kann daher nicht mehr ausgegangen werden, wenn die Zahlung die überwiegende Einnahmequelle des Auftragnehmers ist. Dann liegt ein „normaler“ öffentlicher Auftrag vor2. Wo insoweit genau die Grenze liegt bzw. in welchem Verhältnis die Zuzahlung 48 zu dem Gesamtvolumen stehen darf, ist nicht ausdrücklich geregelt. Maßgeblich sind die Umstände des Einzelfalls, und zwar betrachtet vor dem Hintergrund des Grundsatzes, dass, solange bei dem Konzessionär ein nicht unwesentliches wirtschaftliches Risiko verbleibt, eine Konzession vorliegt3. Zu berücksichtigen sind insoweit beispielsweise die von dem Konzessionär übernommenen Risiken, der vereinbarte Zeitraum oder etwaige Gestaltungsmöglichkeiten bei der Nutzung der Leistung. Die Rechtsprechung hat sich mit dieser Problematik nur auszugsweise befasst. Nach einer Entscheidung des OLG Schleswig soll eine Überschreitung der Zuzahlung von mehr als 20 % der Baukosten nicht als Vergütung, sondern noch als Zuzahlung angesehen werden können, wenn der Konzessionär noch einen bedeutenden Teil der Risiken, die mit der Nutzung verbunden sind, trägt4. Danach kann also auch bei einer „beträchtlichen“ Zuzahlung das wirtschaftliche Risiko des Konzessionärs noch so groß sein, dass sich eine Einordnung als Baukonzession rechtfertigt5. Der BGH ging bei Zuwendungen i.H.v. 64 % der bei Vertragsdurchführung anfallenden Gesamtkosten nicht mehr vom Vorliegen einer Dienstleistungskonzession aus, sondern von einem Dienstleistungsauftrag6. Im Falle von Zuwendungen i.H.v. ca. 40 % der Gesamtkosten der Vertragsausführung (zzgl. eines angemessenen Gewinns) ging das OLG Düsseldorf hingegen noch von einer Dienstleistungskonzession aus7. Es verwies dabei auf eine vorangegangene Entscheidung, in der es die Annahme eines Dienstleistungsauftrags als umso naheliegender einstufte, je mehr der Auftraggeber über 50 % der Kosten abdeckt8. Der BGH hat überdies darauf hinge1 Ähnlich Dicks in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 105 Rz. 19. 2 BGH v. 8.2.2011 – X ZB 4/10, NZBau 2011, 175 (180) – Abellio Rail. 3 Boesen, Vergaberecht, § 99 Rz. 32; Reidt/Stickler in Beck’scher VOB-Kommentar, § 22 VOB/A Rz. 50; Stoye in Franke/Kemper/Zanner/Grünhagen, VOB-Kommentar, § 23 VOB/A Rz. 12 ff.; Prieß in Jestaedt/Kemper/Marx/Prieß, Das Recht der Auftragsvergabe, S. 80; Höfler, WuW 2000, 136 (139). 4 OLG Schleswig v. 6.7.1999 – 6 U Kart 22/99, NZBau 2000, 100 (102). 5 OLG Schleswig v. 6.7.1999 – 6 U Kart 22/99, NZBau 2000, 100 (102). 6 BGH v. 8.2.2011 – X ZB 4/10, NZBau 2011, 175 (181) – Abellio Rail. 7 OLG Düsseldorf v. 2.3.2011 – VII-Verg 48/10, NZBau 2011, 244 (248 f.); Ruhland in Gabriel/Krohn/Neun, Handbuch des Vergaberechts, § 5 Rz. 47; zustimmend Prieß, NZBau 2002, 539 (545). 8 OLG Düsseldorf v. 21.7.2010 – VII-Verg 19/10, NZBau 2010, 582 (586).

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§ 105 | Konzessionen wiesen, dass die Prüfung, ob die für eine Konzession charakteristische Übernahme zumindest eines wesentlichen Teils des Betriebsrisikos vorliegt, eine Gesamtbetrachtung aller Umstände des Einzelfalls einschließlich der für den Vertragsgegenstand maßgeblichen Marktbedingungen und der gesamten vertraglichen Vereinbarungen erfordert. Ist neben dem Nutzungsrecht eine Zuzahlung vorgesehen, kann die Einordnung als Konzession auch davon abhängen, ob die Zuzahlung bloßen Zuschusscharakter hat oder die aus dem Nutzungsrecht möglichen Einkünfte als alleiniges Entgelt bei weitem keine äquivalente Gegenleistung darstellen1. 49 Sofern der Auftraggeber dem Auftragnehmer die Vertragsleistung ihrem wirt-

schaftlichen Wert entsprechend vollständig vergütet, scheidet eine Bau- bzw. Dienstleistungskonzession aus2. Hierbei ist unerheblich, ob der Preis in einer Geldleistung oder in Form einer sonstigen geldwerten Leistung (z.B. der Übereignung von werthaltigen Sachen wie beispielsweise Altpapier) besteht3. Denn sofern die Vergütung ausschließlich durch den Auftraggeber erfolgt, hat der Leistungserbringer gerade keine Möglichkeit, aus der Leistungserbringung weiteren Nutzen zu ziehen, insbesondere weitere Einnahmen (gegenüber Dritten) zu erzielen4. Von praktischer Relevanz ist dies u.a. bei der Vergabe von Rettungsdienstleistungen. Diesbezüglich sind in Deutschland grundsätzlich zwei Vergütungsmodelle für Rettungsdienstleistungen zu unterscheiden. In einigen Bundesländern (z.B. Sachsen) werden die rettungsdienstlichen Leistungen durch den öffentlichen Auftraggeber unmittelbar gegenüber den Rettungsdiensten vergütet. Der öffentliche Auftraggeber vereinbart seinerseits in Verhandlungen mit dem Sozialversicherungsträger das Benutzungsentgelt, welches er dann den Rettungsdiensten zahlt. Bei diesem Modell handelt es sich um einen Dienstleistungsauftrag5. In anderen Bundesländern (z.B. Bayern) wird ein hiervon abweichendes Modell praktiziert. Der Unterschied zwischen den beiden Modellen besteht lediglich darin, dass die nach dem Gesetz vorgesehenen Benutzungsentgelte einmal zwischen dem öffentlichen Auftraggeber und einem anderen öffentlichen Auftraggeber (dem Sozialversicherungsträger) ausgehandelt werden und der Auftragnehmer daran gebunden ist (sog. sächsisches Modell oder Submissionsmodell) und einmal der Auftragnehmer mit einem anderen öffentlichen

1 BGH v. 8.2.2011 – X ZB 4/10, VergabeR 2011, 452 (459) – Abellio Rail. 2 EuGH v. 10.9.2009 – Rs. C-206/08, NZBau 2009, 729 (732) – WAZV Gotha/Eurawasser; EuGH v. 10.11.1998 – Rs. C-360/96, NVwZ 1999, 397 ff.; OLG Koblenz v. 25.3.2015 – Verg 11/14, NZBau 2015, 577 (579); OLG Celle v. 5.2.2004 – 13 Verg 36/03, NZBau 2005, 51 (52); Dicks in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 105 Rz. 19. 3 OLG Celle v. 5.2.2004 – 13 Verg 26/03, NZBau 2005, 51 (52). 4 OLG Dresden v. 4.7.2008 – WVerg 3/08, NZBau 2008, 594 (595). 5 EuGH v. 10.3.2011 – Rs. C-274/09, NZBau 2011, 239 (241) – Rettungsdienst Stadler; BGH v. 1.12.2008 – X ZB 31/08, MDR 2009, 370 = BGHZ 179, 84, 92 f.; Zimmermann, NZBau 2009, 485.

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Auftragnehmer (dem Sozialversicherungsträger) das Benutzungsentgelt vereinbart (sog. bayerisches Modell oder Konzessionsmodell), wobei seine Position wegen der Kostenzwänge der Sozialversicherungsträger bei den Verhandlungen aber nicht besser oder schlechter als die den öffentlichen Auftraggebers ist1. Es stellte sich die Frage, ob allein die Wahl eines anderen Verhandlungswegs dazu führen könne, dass eine Rettungsdienstleistung in der einen Konstellation als öffentlicher Auftrag, und in der anderen Konstellation als Dienstleistungskonzession eingestuft wird. Das OLG München hat dies zum Anlass genommen, dem EuGH eine entsprechende Vorlagefrage zu stellen. Der EuGH entschied in der Rechtssache „Rettungsdienst Stadler“2 mit Urteil vom 10.3.2011, dass die Tatsache, dass die Höhe der Benutzungsentgelte nicht einseitig vom Rettungsdienstleister, sondern im Wege der jährlichen Vereinbarung mit den Sozialversicherungsträgern (als Dritten) festgelegt wird, die ihrerseits öffentliche Auftraggeber sind, und dass diese Entgelte nicht unmittelbar von den Nutzern dieser Dienstleistungen an den ausgewählten Dienstleister gezahlt werden, sondern durch eine zentrale Abrechnungsstelle, die mit der Einziehung und der Auszahlung dieser Entgelte in regemäßigen Abschlagszahlungen beauftragt ist, der Einstufung als Dienstleistungskonzession nicht entgegen steht. Dies ändere nämlich nichts daran, dass sämtliche Entgelte, die an den Dienstleistungerbringer gezahlt werden, von Personen stammen, die von dem öffentlichen Auftraggeber, der den Vertrag an ihn vergeben hat, verschieden sind. In Abgrenzung zum öffentlichen Auftrag, bei dem der Auftraggeber unmittelbar eine Vergütung an den Auftragnehmer zahlt, sei es für die Dienstleistungskonzession hinreichend, dass die Vergütung jedenfalls nicht vom Auftraggeber stammt, auch wenn sie im Rahmen jährlicher Verhandlungen mit einem Dritten festgelegt wird3. Unter dem Gesichtspunkt der Nutzungsrechteübertragung liegt keine Konzes- 50 sion i.S.v. § 105 Abs. 1 vor, wenn der Auftragnehmer sein Nutzungsrecht nicht vom Auftraggeber, sondern aus eigenem Eigentum bzw. eigenen (eigentumsähnlichen) Rechten oder einem privaten Dritten ableitet. Im Rahmen eines Bauprojekts scheidet die Verschaffung eines Verwertungsrechts daher insbesondere dann aus, wenn der Investor sein Eigentum nicht vom öffentlichen Auftraggeber, sondern von einem privaten Dritten ableitet. Denn dann beruht die Nutzungsmöglichkeit, die ihm auch die Refinanzierung seiner Baukosten ermöglicht, ausschließlich auf privatem Eigentum4. Erwirbt der Investor das 1 EuGH v. 10.3.2011 – Rs. C-274/09, NZBau 2011, 239 (241) – Rettungsdienst Stadler; vgl. OLG München v. 2.7.2009 – Verg 5/09, VergabeR 2009, 781 (788); Ziekow in Ziekow/ Völlink, Vergaberecht, 2. Aufl. 2013, § 99 GWB Rz. 197. 2 EuGH v. 10.3.2011 – Rs. C-274/09, NZBau 2011, 239 ff. – Rettungsdienst Stadler. 3 EuGH v. 10.3.2011 – Rs. C-274/09, NZBau 2011, 239 (242 f.) – Rettungsdienst Stadler; so auch OLG Jena v. 22.7.2015 – 2 Verg 2/12, VergabeR 2015, 783 (788 ff.). 4 Vgl. Ganske in Kapellmann/Messerschmidt, VOB Teile A und B, 6. Aufl. 2017, § 23 VOB/A Rz. 29; ebenso Braun in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 105 Rz. 31; Kulartz/Schilder/Duikers in Deutscher Städte- und Gemeindebund (Hrsg.), Kommunale

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§ 105 | Konzessionen Grundstück vom öffentlichen Auftraggeber ist dies zwar grundsätzlich anders, allerdings ist dann zu beachten, dass durch den Verkauf des Baugrundstücks dem Baukonzessionär regelmäßig ein unbefristetes Nutzungsrecht eingeräumt wird, was sowohl nach dem Wortlaut des § 3 Abs. 1 Satz 1 KonzVgV als auch nach Rechtsprechung des EuGH1 dazu führt, dass eine Baukonzession nicht gegeben ist2 (s. hierzu auch noch unter Rz. 56 ff.). Solange also ein Wirtschaftsteilnehmer über das Recht auf Nutzung eines Grundstücks verfügt, das in seinem Eigentum steht, kann ihm grundsätzlich3 keine Konzession über die Nutzung des Grundstücks erteilt werden4. 51 Als problematisch erweisen sich in diesem Zusammenhang auch Fallgestaltun-

gen, in denen dem Auftragnehmer ein Erbbaurecht eingeräumt wird. So hatte sich beispielsweise das OLG München in einer Entscheidung vom 5.4.20125 mit einer Fallgestaltung auseinanderzusetzen, in der eine Kommune Eigentümerin eines Grundstücks war, auf dem ein Investor ein Bauvorhaben nach den Vorstellungen der Kommune, aber auf eigene Kosten realisieren und auf eigenes Risiko wirtschaftlich verwerten sollte. Das Grundstück wurde dabei jedoch nicht an den Investor veräußert. Die Kommune hat dem Investor vielmehr ein auf 30 Jahre befristetes Erbbaurecht eingeräumt. Das OLG München hat insoweit

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Immobiliengeschäfte und Ausschreibungspflicht, Stand: April 2008, S. 14; Städtetag NRW (Hrsg.), Kommunale Grundstücksgeschäfte und Vergaberecht, Stand: Februar 2008, S. 27. Indirekt bestätigt wird dies auch durch die Entscheidung VK Hessen v. 5.3.2008 – 69d-VK-06/2008, die zwischen dem (ggf. dem Investor von dem öffentlichen Auftraggeber übertragenen) Recht zur Nutzung des Grundstücks und dem Recht zur Nutzung des errichteten Bauwerks unterscheidet. Die VK Hessen weist insoweit darauf hin, dass das Recht zur Nutzung des von dem Investor errichteten Bauwerks allein aus dessen Eigentum am Bauwerk folgt. EuGH v. 25.3.2010 – Rs. C-451/08, NVwZ 2010, 565 (568), Rz. 71 ff. – Helmut Müller GmbH. Ganske in Kapellmann/Messerschmidt, VOB Teile A und B, 6. Aufl. 2017, § 23 VOB/A Rz. 29. Vgl. in diesem Zusammenhang allerdings auch Dicks in Kulartz/Marx/Portz/Prieß, Kommentar zur VOB/A, 2. Aufl. 2013, § 22 Rz. 4, der die Frage aufwirft, ob eine Baukonzession trotz Eigentumsübertragung am Baugrundstück auf den Auftragnehmer im Einzelfall nicht doch anzunehmen sein könnte, wenn dieser nach Ablauf einer bestimmten oder bestimmbaren Frist zu einer Rückübertragung des Eigentums auf den öffentlichen Auftraggeber verpflichtet ist. Vgl. EuGH v. 25.3.2010 – Rs. C-451/08, NVwZ 2010, 565 (568), Rz. 71 ff. – Helmut Müller GmbH; sowie insbesondere auch Dicks in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 105 Rz. 22. Ähnlich auch Düsterdiek in Ingenstau/Korbion, VOB – Teile A und B – Kommentar, § 23 VOB/A Rz. 2 unter Verweis auf Kade, ZfBR 2009, 440 (442), nach dem die vollständige Verwertung einer Sache nicht mehr als Nutzung definiert werden könne. OLG München v. 5.4.2012 – Verg 3/12, VergabeR 2012, 634; vorhergehend VK Südbayern v. 14.7.2010 – Z3-3-3194-1-29-05/10, BeckRS 2010, 37327.

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das Vorliegen einer Baukonzession angenommen, da der Investor zur Verwirklichung des Bauvorhabens sowie zur Einräumung bestimmter Nutzungsrechte zugunsten der öffentlichen Hand verpflichtet sei; die Gegenleistung bestünde in der Zurverfügungstellung des Grundstücks im Wege des Erbbaurechts und der Einräumung der Nutzung für 30 Jahre. Schließlich trage der Investor auch alleine das Nutzungsrisiko. Die Entscheidung des OLG München erscheint auf den ersten Blick plausibel, offenbart bei näherer Betrachtung allerdings verschiedene Angriffs-/Kritikpunkte, auf die Summa1 hingewiesen hat: Zu bedenken sei nämlich – so Summa –, dass nach §§ 1 Abs. 1 Satz 1, 12 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 ErbbauRG das vom Erbbauberechtigten errichtete Bauwerk wesentlicher Bestandteil des Erbbaurechts ist/wird, und nicht des Grundstücks. Das Erbbaurecht stellt ein dem Eigentum vergleichbares dingliches Recht dar. Beginnt der Auftragnehmer mit den Bauarbeiten, wachse ihm daher selbst als Erbbauberechtigten das originäre Nutzungsrecht an dem Bauwerk zu. Der Auftraggeber erwerbe hingegen überhaupt kein Nutzungsrecht, das er dem Investor als Gegenleistung übertragen könnte, wie dies für die Begründung einer Baukonzession nach der Rechtsprechung des EuGH erforderlich wäre2. Der Investor und Erbbauberechtigte errichte das Bauwerk mithin auf eigene Rechnung ohne hierfür vom Grundstückseigentümer etwas zu erhalten. Folglich trete bei dem Grundstückseigentümer auch kein Einnahmeausfall infolge einer Übertragung eines an sich ihm zustehenden Nutzungsrechtes ein. Der Erbbauberechtigte baue also nicht, wie es für die Annahme einer Baukonzession notwendig wäre, „auf Rechnung des Staates“, denn der öffentliche Auftraggeber erlangt erstmals nach dem Erlöschen des Erbbaurechts ein Nutzungsrecht an dem Bauwerk (vgl. § 12 Abs. 3 ErbbauRG). Vor diesem Hintergrund scheide daher eine Baukonzession i.S.v. § 105 Abs. 1 Nr. 1 aus, und könne allenfalls ein öffentlicher Bauauftrag i.S.v. § 103 Abs. 3 vorliegen3. Diesbezüglich dürfte u.a. maßgeblich sein, ob der erst in der (fernen) Zukunft liegende Eigentumsübergang (vgl. § 12 Abs. 3 ErbbauRG) für ein unmittelbares wirtschaftliches Interesse des Auftraggebers am Bauwerk ausreichend ist, was mit guten Argumenten in Zweifel gezogen werden könnte, und ob in der Entschädigung nach § 27 Abs. 1 ErbbauRG ein Entgelt i.S.d. § 103 Abs. 1 liegt4. 1 Summa, VPR 2015, 2680; Summa, Die Konzession im Sinne des Vergaberechts – das geheimnisvolle Wesen, Vortrag v. 15.12.2016 auf dem Vergaberechtsforum West des vhw in Köln, 14./15.12.2016; Folien-Präsentation im Seminarskript, S. 109, 115 ff. 2 Vgl. EuGH v. 25.3.2010 – Rs. C-451-08, VergabeR 2010, 441 ff., Rz. 71 f. – Helmut Müller GmbH. 3 Aus den genannten Gründen ebenso skeptisch bezüglich der Einstufung als Baukonzession Losch, VergabeR 2013, 839 (850). 4 Summa, VPR 2015, 2680; Summa, Die Konzession im Sinne des Vergaberechts – das geheimnisvolle Wesen, Vortrag v. 15.12.2016 auf dem Vergaberechtsforum West des vhw in Köln, 14./15.12.2016; Folien-Präsentation im Seminarskript, S. 109, 115 ff. Siehe in diesem Zusammenhang auch Düsterdiek in Ingenstau/Korbion, VOB – Teile A und B

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§ 105 | Konzessionen 52 Ähnlich kritisch lassen sich – worauf ebenfalls Summa1 hingewiesen hat – die

Fallgestaltungen betrachten, in denen die Rechtsprechung – wie z.B. das OLG Karlsruhe2 – im Zusammenhang mit der Breitbandkabelversorgung und damit einhergehenden Wegerechten eine Dienstleistungskonzession angenommen hat (s. hierzu auch Rz. 32). Denn insoweit sei zu beachten, dass Anknüpfungspunkt für die Rechteübertragung regelmäßig das Nutzungsrecht am neuen oder verbesserten Kabelnetz ist, das in den Straßen der betroffenen Kommune vergraben wird. Allerdings handele es sich bei dem in Rede stehenden Kabelnetz nicht um einen wesentlichen Bestandteil der im Eigentum der Kommune stehenden Grundstücke, sondern um einen Scheinbestandteil i.S.d. § 95 BGB. Da das Eigentum am Kabelnetz daher regelmäßig nicht in das Eigentum des öffentlichen Auftraggebers übergeht3, sondern vielmehr der Netzbetreiber Eigentümer des Kabelnetzes bleibt, stehe Letzterem auch das originäre Nutzungsrecht zu. Auch in dieser Fallgestaltung sei der öffentliche Auftraggeber mithin nicht in der Lage, ein Nutzungsrecht zu übertragen, so dass keine Konzession i.S.v. § 105 Abs. 1 Nr. 2, sondern lediglich eine Subvention vorliege4. f) Übergang des Betriebsrisikos

53 Neben der Übertragung des Nutzungs- oder Verwertungsrechts bildet die Frage

der Übernahme des wirtschaftlichen Betriebsrisikos den Kern bzw. das Schlüsselelement für die Abgrenzung der Konzession zum öffentlichen Auftrag5. In § 105 Abs. 1 wird dies zwar nicht ausdrücklich angesprochen (vgl. aber § 105 Abs. 2, sowie dazu Rz. 55 und 62 ff.), nach der Rechtsprechung des EuGH wird

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– Kommentar, § 23 VOB/A Rz. 15, wonach es im Falle der Einräumung eines Erbbaurechts (als Alternative zum Grundstücksverkauf) fraglich sei, ob von einem „unmittelbaren wirtschaftlichen Interesse“ des öffentlichen Auftraggebers ausgegangen werden könne. Hierfür spreche zwar, dass sich der öffentliche Auftraggeber auf diese Weise regelmäßig einen langfristigen Rückgriff auf das jeweilige Grundstück sichert. Im Ergebnis sei jedoch zu berücksichtigen, dass der Erbbauzins wirtschaftlich dem Kaufpreis im Falle eines Grundstücksverkaufs entspricht. Da sich ein Erbbauzins ebenso wie ein Grundstückspreis an der vorausgesetzten Bebauungsmöglichkeit orientiert, führe dies nicht zu einem relevanten wirtschaftlichen Interesse des öffentlichen Auftraggebers. Das wirtschaftliche Interesse sei lediglich mittelbar, vermittelt durch die Werterhöhung des Grundstücks (vgl. Otting, NJW 2010, 2167 [2169]). Summa, VPR 2015, 2680; Summa, Die Konzession im Sinne des Vergaberechts – das geheimnisvolle Wesen, Vortrag v. 15.12.2016 auf dem Vergaberechtsforum West des vhw in Köln, 14./15.12.2016; Folien-Präsentation im Seminarskript, S. 109, 119 ff. OLG Karlsruhe v. 14.11.2014 – 15 Verg 10/14, NZBau 2015, 506 ff. BGH v. 19.9.2003 – V ZR 319/01, NJW 2003, 3762 ff., Rz. 6. Summa, VPR 2015, 2680; Summa, Die Konzession im Sinne des Vergaberechts – das geheimnisvolle Wesen, Vortrag v. 15.12.2016 auf dem Vergaberechtsforum West des vhw in Köln, 14./15.12.2016; Folien-Präsentation im Seminarskript, S. 109, 119 ff. Vgl. hierzu auch Erwägungsgrund 18 der Richtlinie 2014/23/EU; sowie Dicks in Kulartz/ Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 105 Rz. 20.

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das Kriterium der Übernahme des Betriebsrisikos aber bereits durch das (erforderliche) Recht des Konzessionärs zur Nutzung oder Verwertung impliziert1. Dies wird nunmehr durch Erwägungsgrund 18 der Richtlinie 2014/23/EU unterstrichen, wonach Nutzungs- und Verwertungsrecht stets die Übertragung eines Betriebsrisikos wirtschaftlicher Art auf den Konzessionär einschließen, zzgl. der Möglichkeit, dass die Investitionsaufwendungen die Kosten für den Betrieb des Bauwerks oder die Erbringung der Dienstleistungen unter normalen Betriebsbedingungen nicht wieder erwirtschaftet werden können2. Darüber hinaus spricht auch Erwägungsgrund 68 der Richtlinie 2014/23/EU von Konzessionen als Vereinbarungen, bei denen der Konzessionsnehmer Verantwortlichkeiten und Risiken übernimmt, die üblicherweise vom öffentlichen Auftraggeber getragen werden und normalerweise in dessen Zuständigkeit fallen3. Das Nutzungsrisiko muss ganz oder zumindest zu einem wesentlichen Teil 54 beim Konzessionär liegen. Nach Erwägungsgrund 20 der Richtlinie 2014/23/EU soll zur Einschätzung des Betriebsrisikos der Nettogegenstandswert aller Investitionen, Kosten und Einkünfte des Konzessionsnehmers in kohärenter und einheitlicher Weise herangezogen werden4. Dabei ist es nicht erforderlich, dass der Leistungserbringer das überwiegende Risiko trägt, aber er muss einen wesentlichen Teil des an sich beim Auftraggeber liegenden Risikos übernehmen5. Die Beurteilung der Frage, ob und inwieweit der Konzessionär den Risiken des Marktes ausgesetzt ist und ob er das Betriebsrisiko zum wesentlichen Teil übernimmt, hängt nach der Rechtsprechung des EuGH von den Umständen des Einzelfalls ab. Im Rahmen der gebotenen Gesamtbetrachtung aller Umstände sind insbesondere die in Bezug auf den Vertragsgegenstand herrschenden Marktbedingungen und die vertraglichen Vereinbarungen in ihrer Gesamtheit zu berücksichtigen, die beide ganz unterschiedlich gestaltet sein können6. Der Konzessionsnehmer muss danach also nach Maßgabe einer Gesamtwürdigung aller 1 EuGH v. 10.9.2009 – Rs. C-206/08, NZBau 2009, 729, 732 – WAZV Gotha/Eurawasser; EuGH v. 11.6.2009 – Rs. C-300/07, NJW 2009, 2427 (2430 f., Rz. 72) – Oymanns; EuGH v. 18.7.2007 – Rs. C-382/05, Slg. I-06657; VergabeR 2007, 604 (608, Rz. 34) – Kommission/ Italien; vgl. auch Erwägungsgrund 18 S. 2 der Richtlinie 201/23/EU; Braun, Anmerkung zu OLG Jena v. 22.7.2015 – 2 Verg 2/12, VergabeR 2015, 783 (795). Siehe ferner auch Dicks in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 105 Rz. 20. 2 Vgl. Erwägungsgrund 18 Satz 2 der Richtlinie 2014/23/EU. 3 Vgl. Erwägungsgrund 68 Satz 1 der Richtlinie 2014/23/EU. 4 Vgl. Erwägungsgrund 20 Satz 4 der Richtlinie 2014/23/EU. 5 EuGH v. 10.11.2011 – Rs. C-348/10, NZBau 2012, 183 (185, Rz. 50) – Norma-A; BGH v. 8.2.2011 – X ZB 4/10, NZBau 2011, 175 (179 f., Rz. 30 ff.) – Abellio Rail; OLG Koblenz v. 25.3.2015 – Verg 11/14, NZBau 2015, 577 (579). 6 BGH v. 8.2.2011 – X ZB 4/10, NZBau 2011, 175 (180, Rz. 35) – Abellio Rail; OLG Düsseldorf v. 7.3.2012 – VII-Verg 78/11, NZBau 2012, 382 (383); OLG Karlsruhe v. 9.10.2012 – 15 Verg 12/11, ZfBR 2013, 286 (286); OLG München v. 25.3.2011 – Verg 4/11, NZBau 2011, 380 (384); OVG NW v. 30.3.2011 – 15 E 217/11, Rz. 12; VK Brandenburg v. 8.9.2010 – VK 44/10; Ziekow in Ziekow/Völlink, Vergaberecht, 2. Aufl. 2013, § 99 GWB Rz. 196.

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§ 105 | Konzessionen Umstände des Einzelfalls den Risiken des Marktes in der Weise ausgesetzt sein, dass seine Erlöse von Angebot und/oder Nachfrage abhängen und er infolge dessen auch Gefahr laufen kann, einschließlich von Zuzahlungen des Konzessionsgebers seine Kosten nicht abdecken zu können – letztlich also keine Kostendeckungs- und erst recht keine Gewinngarantie besteht1. 55 Ausdrücklich geregelt wird die Übertragung des Betriebsrisikos in § 105 Abs. 2.

Die Norm ist letztlich Folge dessen, dass es ein zentrales Anliegen des Unionsgesetzgebers war, zu definieren, was unter der Übertragung des Betriebsrisikos zu verstehen ist2. Vor diesem Hintergrund enthält § 105 Abs. 2 Fallgruppen und Kriterien, in denen ein Übergang des Betriebsrisikos anzunehmen ist (s. hierzu noch gesondert unter Rz. 62 ff.). g) Befristung des Nutzungs-/Verwertungsrechts

56 § 99 Abs. 6 GWB a.F. normierte als Merkmal der Baukonzession die Befristung

des Rechts auf Nutzung. In Abweichung hiervon ist die Beschränkung der Laufzeit nunmehr kein Bestandteil der Begriffsdefinition in § 105 Abs. 1. Allerdings begrenzt § 3 Abs. 1 Satz 1 KonzVgV die Laufzeit in Umsetzung von Art. 18 Abs. 1 Satz 1 der Richtlinie 2014/23/EU3. Danach ist die Laufzeit von Konzessionen beschränkt.

57 Das – nunmehr sowohl im kodifizierten Unions- als auch im nationalen Recht

aufgenommene – Merkmal der Befristung geht in der Sache auf die Entscheidung des EuGH vom 25.3.2010 in der Rechtssache „Helmut Müller GmbH“ zurück (vgl. hierzu auch § 103 Rz. 197 ff.). Betreffend das Recht auf Nutzung eines Grundstücks bzw. eine Baukonzession hatte der EuGH die Notwendigkeit des Erfordernisses einer Befristung der Laufzeit des Nutzungsrechts bejaht4. Für die Notwendigkeit der Annahme einer Befristung sprechen – laut EuGH – gewich-

1 OLG Koblenz v. 25.3.2015 – Verg 11/14, NZBau 2015, 577, 579; Dicks in Kulartz/Kus/ Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 105 Rz. 20. 2 Vgl. insoweit die Erwägungsgründe 18, 19, 20 und 52 der Richtlinie 2014/23/EU; sowie Braun in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 105 Rz. 49. 3 Vgl. auch Erwägungsgrund 52 der Richtlinie 2014/23/EU, in dem die Notwendigkeit der Befristung primär mit Erwägungen des freien Wettbewerbs begründet wird. Dies entspricht der Begründungslinie des EuGH in der Entscheidung „Helmut Müller GmbH“, vgl. EuGH v. 25.3.2010 – Rs. C-451/08, VergabeR 2010, 441 ff., Rz. 79 m.w.N – Helmut Müller GmbH. Die Notwendigkeit ergibt sich ferner daraus, dass im Fall der unbegrenzten Laufzeit der Konzessionär sein Nutzungsrecht konzessionsausschließend nicht vom Konzessionsgeber, sondern aus seinem eigenen Eigentum ableiten würde. Auch diese Erwägungen waren dem EuGH in vorgenannter Entscheidung präsent, vgl. EuGH v. 25.3. 2010 – Rs. C-451/08, VergabeR 2010, 441, Rz. 70–73 – Helmut Müller GmbH. 4 EuGH v. 25.3.2010 – Rs. C-451/08; VergabeR 2010, 441 (448, Rz. 70 ff.) – Helmut Müller GmbH. Siehe ferner auch Dicks in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWBVergaberecht, § 105 Rz. 21.

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tige Gründe, insbesondere die Aufrechterhaltung des Wettbewerbs1. Die nationale Rechtsprechung, insbesondere das OLG Düsseldorf, vertrat jedenfalls bis zum Jahr 2010 hingegen die Auffassung, dass es unerheblich sei, ob die Nutzung durch einen einmaligen Vorgang wie die Veräußerung oder über eine längere Zeit (wie z.B. über eine Vermietung oder Verpachtung) erfolge2. Die Beschränkung der Konzessionslaufzeit gem. § 3 KonzVgV dient dem Aus- 58 gleich widerstreitender Interessen. Die sich gegenüberstehenden Interessen sind namentlich – einerseits – das Interesse des Vergaberechts an einer nicht allzu langen Laufzeit, damit der Markt nicht abgeschottet wird und – wie in der EuGH-Entscheidung „Helmut Müller GmbH“ dargelegt – damit der Wettbewerb nicht eingeschränkt wird. Eine Behinderung des freien Dienstleistungsverkehrs und der Niederlassungsfreiheit soll durch die Beschränkung der Befristung vermieden werden. Dem steht – andererseits – das Interesse des Konzessionärs an langen Laufzeiten, um seine Investitionen zu amortisieren und eine Rendite des eingesetzten Kapitals zu erzielen, gegenüber3. Nach § 3 Abs. 1 Satz 2 KonzVgV wird die Laufzeit je nach den geforderten Bau- 59 und Dienstleistungen vom Konzessionsgeber geschätzt. Zum Zeitpunkt der Konzessionsvergabe soll die Schätzung bereits feststehen4. Für die Laufzeit der Konzession sind Erwägungen zur Amortisierung der Kosten des Konzessionärs entscheidend. Erwägungsgrund 52 Satz 6 der Richtlinie 2014/23/EU nennt Aufwendungen für Infrastruktur, Urheberrechte, Patente, Ausrüstung, Logistik, Anstellung und Schulung von Personal und Anschubkosten beispielhaft als in der Schätzung zu berücksichtigende Investitionen. Nach der klarstellenden Regelung des § 3 Abs. 2 Satz 3 KonzVgV sind bei den für die Schätzung zu berück1 EuGH v. 25.3.2010 – Rs. C-451/08; VergabeR 2010, 441 (448, Rz. 79) – Helmut Müller GmbH; Schlussanträge des Generalanwalts Mengozzi v. 17.11.2009 in der Rs. C-451/08, ZfBR 2010, 182 (191). 2 OLG Düsseldorf v. 2.10.2008 – VII-Verg 25/08, NZBau 2008, 727 (732); OLG Karlsruhe v. 13.6.2008 – 15 Verg 3/08, NZBau 2008, 537 (539); OLG Bremen v. 13.3.2008 – Verg 5/ 07, VergabeR 2008, 558 (562); OLG Düsseldorf v. 6.2.2008 – VII-Verg 37/07, NZBau 2008, 721 (724) – Oer-Erkenschwick; OLG Düsseldorf v. 13.6.2007 – VII-Verg 2/07 – Fliegerhorst Alhorn, NZBau 2007, 530 (532); VK Münster v. 6.5.2008 – VK 4/08; zustimmend Burgi, NVwZ 2008, 929 (933 f.), der – differenzierend – darauf hinweist, dass die Befristung bei Dienstleistungskonzessionen durchaus als Wesensmerkmal anzusehen sei, weil nur so bestimmt werden könne, ob die Nutzung der selbst erbrachten Dienstleistung überhaupt auf eine Einräumung seitens des Staates zurückgehe, da das Fortbestehen einer staatlichen Aufgabe zum Ausdruck gebracht werde; es indes bei der Baukonzession einer solchen Befristung nicht bedürfe, weil hier bereits das Bauvorhaben, also ein verkörperter, vor allen Augen manifestierter Gegenstand, einen eindeutig identifizierbaren Gegenstand der Einräumung eines Rechts durch den Staat bilde. 3 Vgl. Erwägungsgrund 52 Satz 1 und 2 der Richtlinie 2014/23/EU; Goldbrunner, VergabeR 2015, 365 (372). 4 Vgl. Erwägungsgrund 52 Satz 5 der Richtlinie 2014/23/EU.

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§ 105 | Konzessionen sichtigenden Investitionsaufwendungen die zu Anfang wie auch die während der Konzessionslaufzeit vorzunehmenden Investitionen zu berücksichtigen. Dem Konzessionsgeber steht im Rahmen der Schätzung der Laufzeit ein nur begrenzt überprüfbarer Ermessensspielraum zu1. 60 Aus § 3 Abs. 2 Satz 1 KonzVgV geht eine Regelobergrenze der Konzessionslauf-

zeit von 5 Jahren hervor. Sofern die Laufzeit einer Konzession mehr als fünf Jahre beträgt, darf nach § 3 Abs. 2 Satz 1 KonzVgV die Laufzeit nicht länger sein als der Zeitraum, innerhalb dessen der Konzessionsnehmer nach vernünftigem Ermessen die Investitionsaufwendungen für die Errichtung, die Erhaltung und den Betrieb des Bauwerks oder die Erbringung der Dienstleistung zzgl. einer (angemessenen) Rendite auf das investierte Kapital unter Berücksichtigung der zur Verwirklichung der spezifischen Vertragsziele notwendigen Investitionen wieder erwirtschaften kann. h) Berechnung des Schwellenwerts

61 Schließlich muss es sich im Anwendungsbereich des § 105 Abs. 1 um eine Kon-

zession oberhalb des maßgeblichen Schwellenwerts gem. Art. 1 Abs. 1 i.V.m. Art. 8 Abs. 1 der Richtlinie 2014/23/EU und § 106 Abs. 2 Nr. 4 i.H.v. derzeit2 5.225.000 € (netto) handeln. § 2 KonzVgV enthält spezielle Regelungen zur Berechnung des für die Konzessionsvergabe relevanten Schwellenwerts. § 2 KonzVgV setzt Art. 8 der Richtlinie 2014/23/EU um3. Nach § 2 Abs. 1 KonzVgV ist der Vertragswert nach einer objektiven Methode zu berechnen, die in den Vergabeunterlagen anzugeben ist. § 2 Abs. 2 Satz 1 KonzVgV stellt klar, dass die Auswahl der Berechnungsmethode nicht mit der Absicht erfolgen darf, die Anwendung des 4. Teils des GWB zu umgehen. In dieser Absicht darf eine Konzession ebenso nicht aufgeteilt werden, es sei denn dafür liegen objektive Gründe vor (§ 2 Abs. 2 Satz 2 KonzVgV). Nach § 2 Abs. 3 KonzVgV ist bei der Berechnung des geschätzten Vertragswerts von dem voraussichtlichen Gesamtumsatz ohne Umsatzsteuer auszugehen, den der Konzessionsnehmer während der Vertragslaufzeit als Gegenleistung erzielt4. § 2 Abs. 4 KonzVgV zählt verschiedene 1 Goldbrunner, VergabeR 2015, 365 (372); ähnlich Dicks in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 105 Rz. 21 („Einschätzungsprärogative“). 2 Der Schwellenwert wird von der Kommission gem. Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 2014/23/ EU alle zwei Jahre überprüft und erforderlichenfalls angepasst. Das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie gibt den geltenden Schwellenwert gem. § 106 Abs. 3 unverzüglich, nach Veröffentlichung im Amtsblatt der EU, im Bundesanzeiger bekannt. 3 Vgl. hierzu auch Erwägungsgrund 23 der Richtlinie 2014/23/EU; sowie Dicks in Kulartz/ Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 105 Rz. 23. 4 Ausführlich hierzu sowie insbesondere auch zur (umstrittenen) Frage, ob lediglich der Umsatz maßgeblich ist, der im Synallagma zu den konzessionsgegenständlichen Leistungen steht, Stoye in Franke/Kemper/Zanner/Grünhagen, VOB-Kommentar, § 23 VOB/A Rz. 22 f.

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Faktoren auf, die der Konzessionsgeber dabei unter Umständen zu berücksichtigen hat. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Berechnung des geschätzten Vertragswerts ist der Zeitpunkt, zu dem die Konzessionsbekanntmachung abgesendet oder das Vergabeverfahren auf sonstige Weise eingeleitet wird (§ 2 Abs. 5 Satz 1 KonzVgV). Davon abweichend ist der Zeitpunkt des Zuschlags maßgeblich, wenn der Vertragswert zum Zeitpunkt der Zuschlagserteilung den zum Zeitpunkt der Bekanntmachung bzw. Einleitung geschätzten Wert um mehr als 20 % übersteigt. Im Fall der Losvergabe ist der geschätzte Gesamtwert aller Lose zu berücksichtigen (vgl. § 2 Abs. 6 KonzVgV).

III. Übergang des Betriebsrisikos (§ 105 Abs. 2) Durch die gesetzliche Normierung in § 105 Abs. 2 Satz 1 ist der Übergang des 62 Betriebsrisikos auf den Konzessionär nunmehr geschriebenes Tatbestandsmerkmal für Bau- und Dienstleistungskonzessionen und es wird die Abgrenzungsfunktion des Betriebsrisikoübergangs zu öffentlichen Aufträgen i.S.v. § 103 Abs. 1 kodifiziert. Sofern danach (das Recht auf Nutzung des Bauwerks oder Verwertung der Dienstleistung nicht auf den Konzessionär übergegangen ist und) eine Übertragung des Betriebsrisikos fehlt, handelt es sich bei dem betreffenden Vorgang um einen öffentlichen Auftrag i.S.v. § 103 Abs. 11 (s. hierzu bereits Rz. 53 ff.). § 105 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 und Nr. 2 bildet die – kumulativen – Voraussetzungen ab, bei deren Vorliegen vom Übergang des Betriebsrisikos auszugehen ist. Eine trennscharfe Abgrenzung der beiden Tatbestandsvoraussetzungen (Nr. 1 und Nr. 2) bzw. in Rede stehenden Einzelrisiken voneinander ist hierbei aber wohl nicht möglich. Vielmehr bestehen tatbestandliche Überschneidungen. Dies wird auch aus Erwägungsgrund 20 der Richtlinie 2014/23/EU deutlich, wo es heißt: „Ein Betriebsrisiko sollte sich aus Faktoren ergeben, die sich dem Einfluss der Vertragsparteien entziehen. Risiken, wie solche, die im Zusammenhang mit Missmanagement, vertraglichen Ausfällen des Wirtschaftsteilnehmers oder Fällen höherer Gewalt stehen, sind für die Einstufung als Konzession nicht ausschlaggebend, da derartige Risiken jedem Vertrag, sei es ein öffentlicher Auftrag oder eine Konzession, innewohnen. Ein Betriebsrisiko sollte als das Risiko, den Unwägbarkeiten des Marktes ausgesetzt zu sein, verstanden werden, wobei es sich um ein Nachfrage- oder ein Angebotsrisiko oder um beides zugleich handeln kann. Nachfragerisiko ist das Risiko der tatsächlichen Nachfrage nach den Bau- oder Dienstleistungen, die Gegenstand des Vertrags sind. Angebotsrisiko ist das mit der Erbringung der Bau- oder Dienstleistungen, die Gegenstand des Vertrags 1 EuGH v. 10.9.2009 – Rs. C-206/08, NZBau 2009, 729 (733) – WAZV Gotha/Eurawasser; EuGH v. 27.10.2005 – Rs. C-234/03, Slg. 2005, I-9315, NZBau 2006, 189 (189), Rz. 22; EuGH v. 18.7.2007 – Rs. C-382/05, Slg. I-06657, VergabeR 2007, 604 (608, Rz. 35–37) – Kommission/Italien.

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§ 105 | Konzessionen sind, verbundene Risiko, insbesondere das Risiko, dass die bereitgestellten Dienstleistungen nicht der Nachfrage entsprechen. Zur Einschätzung des Betriebsrisikos sollte der Nettogegenwartswert aller Investitionen, Kosten und Einkünfte des Konzessionsnehmers in kohärenter und einheitlicher Weise herangezogen werden.“ 63 Die Prüfung, ob das Betriebsrisiko übergegangen ist, erfolgt zweistufig. Auf ers-

ter Stufe ist das abstrakt bestehende Betriebsrisiko zu ermitteln, welches der Auftraggeber zu tragen hätte, wenn er die Tätigkeit selbst wahrnehmen würde1. In Betracht kommen hierbei u.a. Absatzrisiken, Planungsrisiken, Insolvenzrisiken, Beitreibungsrisiken oder Verwertungsrisiken2. Auf zweiter Stufe ist zu untersuchen, in welchem Umfang dieses Betriebsrisiko auf den Auftragnehmer übergeht; sodann erfolgt die Bewertung, inwieweit der wesentliche Teil des bestehenden Risikos auf den Auftragnehmer übertragen wurde3. 1. Fehlende Gewährleistung der Wiedererwirtschaftung von Investitionsaufwendungen (§ 105 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1)

64 Die erste der beiden – kumulativen – Voraussetzungen ist nach § 105 Abs. 1

Satz 2 Nr. 1 die unter normalen Betriebsbedingungen fehlende Gewährleistung, dass die Investitionsaufwendungen oder die Kosten für den Betrieb des Bauwerks oder die Erbringung der Dienstleistungen wieder erwirtschaftet werden können. § 105 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 orientiert sich hierbei an Art. 5 und Erwägungsgrund 18 Satz 2 der Richtlinie 2014/23/EU und könnte ggf. auch mit dem Begriff „Amortisationsrisiko“ beschrieben werden4.

a) Normale Betriebsbedingungen 65 Unter dem Begriff der „normalen Betriebsbedingungen“ i.S.d. § 105 Abs. 1

Satz 2 Nr. 1 sind die gewöhnlichen, nach allgemeiner Betriebserfahrung zu erwartenden Umstände im Rahmen der Erbringung einer bestimmten Tätigkeit zu verstehen. Ob bestimmte Bedingungen im Hinblick auf eine bestimmte Tätigkeit als gewöhnlich anzusehen sind, muss dabei stets für jeden Betrieb unter Heranziehung aller relevanten Umstände und Gesichtspunkte des Einzelfalls sowie unter Berücksichtigung des Betriebstyps gesondert geprüft werden. Dabei kann einerseits auf eine typisierte Betrachtungsweise abgestellt werden, so dass zu untersuchen ist, ob gewisse Ereignisse und Umstände sich in dem Rahmen halten, der für einen bestimmten Betriebstyp noch typisch und damit gewöhnlich ist. Andererseits sind aber auch die Rahmenbedingungen des einzelnen Betriebs (konkrete Ausgestaltung des Betriebs und der Tätigkeiten im Einzelfall)

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Diemon-Wies, VergabeR 2016, 162 (164); Goldbrunner, VergabeR 2016, 365 (367). Diemon-Wies, VergabeR 2016, 162 (164). Diemon-Wies, VergabeR 2016, 162 (164), Goldbrunner, VergabeR 2016, 365 (367). So beispielsweise Braun in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 105 Rz. 51 ff.

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an sich mit in die Betrachtung einzubeziehen. Es ist mithin also keine starre, sondern eine dynamische Betrachtung vorzunehmen, die sowohl den „äußeren“ Rahmen als auch „innere“ Faktoren in den Blick nimmt1. Einschränkend sind hingegen solche Aspekte des jeweiligen Einzelfalls nicht mit 66 in Betrachtung einzubeziehen, die mit dem vorliegenden Betriebstypus unter keinem erdenklichen Gesichtspunkt im Zusammenhang stehen – mithin also von „normalen“ Betriebsbedingungen keine Rede mehr sein kann2. Gleiches gilt für Ereignisse im Zusammenhang mit höherer Gewalt. Auch diese fallen im Allgemeinen nicht mehr unter die typischen Umstände und Vorgänge eines Betriebes, es sei denn, die Tätigkeit wird gerade typischerweise von solchen Ereignissen begleitet bzw. wird im Zusammenhang mit diesen erbracht3. b) Investitionsaufwendungen und Betriebskosten Unter Investitionsaufwendungen sind sämtliche geldwerten Aufwendungen 67 des Konzessionärs in Bezug auf die Aufnahme und Ausübung der jeweiligen betrieblichen Tätigkeit zu verstehen. In Abgrenzung zum Begriff der Betriebskosten handelt es sich bei den Investitionsaufwendungen um Kosten, die der Konzessionär im Vorfeld vor der Aufnahme der eigentlichen Betriebstätigkeit auf sich genommen hat, um überhaupt betriebsfähig zu sein4. Bei den Betriebskosten handelt es sich dagegen um die Kosten des laufenden 68 Betriebs, welche somit erst ab Beginn der eigentlichen Konzessionstätigkeit entstehen (können)5. c) Umfang des wirtschaftlichen Risikos Der Konzession i.S.v. § 105 ist ein Amortisationsrisiko immanent. Dieses kann 69 sich beispielsweise daraus ergeben, dass der Konzessionär mit seinen Vergütungsansprüchen ausfällt, seine Leistungen nicht bzw. nicht in dem erhofften Maße in Anspruch genommen werden, die Konkurrenz anderer Wirtschaftsteilnehmer zu stark ist, die Betriebsausgaben nicht vollständig gedeckt werden oder bei der Erbringung der Dienstleistung Haftungsansprüche Dritter aufgrund von Schädigungen durch den Konzessionär entstehen6. Nicht ausschlaggebend sind 1 2 3 4 5 6

So Braun in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 105 Rz. 52 und 54. So Braun in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 105 Rz. 54. So Braun in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 105 Rz. 53. So Braun in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 105 Rz. 55. So Braun in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 105 Rz. 56. So Braun in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 105 Rz. 57 unter Verweis auf EuGH v. 10.11.2011 – Rs. C-348/10, NZBau 2012, 183 (185, Rz. 48) – Norma-A; EuGH v. 10.3. 2011 – Rs. C-274/09, NZBau 2011, 239 (242, Rz. 37) – Rettungsdienst Stadler; OLG Celle v. 8.9.2014 – 13 Verg 7/14, VergabeR 2015, 50 ff.; OLG Naumburg v. 15.4.2016 – 7 Verg 1/16.

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§ 105 | Konzessionen hingegen solche Risiken, die sich aus einer mangelhaften Betriebsführung bzw. aus Beurteilungsfehlern des Wirtschaftsteilnehmers ergeben sowie im Zusammenhang mit vertraglichen Ausfällen des Wirtschaftsteilnehmers oder Fällen höherer Gewalt stehen1. Solche Risiken sind jedem Vertrag immanent und stellen daher kein spezifisches Betriebsrisiko dar2. 70 Nach Ansicht des BGH kommt es hierbei stets auf eine Gesamtbetrachtung al-

ler Umstände des Einzelfalls einschließlich der für den Vertragsgegenstand maßgeblichen Marktbedingungen und der gesamten vertraglichen Vereinbarungen an. Ist neben dem Nutzungsrecht eine Zuzahlung vorgesehen, kann die Einordnung als Konzession auch davon abhängen, ob die Zuzahlung bloßen Zuschusscharakter hat oder die aus dem Nutzungsrecht möglichen Einkünfte als alleiniges Entgelt bei weitem keine äquivalente Gegenleistung darstellen3.

71 An einem notwendigen Übergang des Betriebsrisikos fehlt es, wenn neben ei-

ner fest vereinbarten Vergütung vom Auftraggeber die Möglichkeit besteht, als Nebeneinkunft zu vorhandener Vergütung ein gewisses Entgelt von Dritten durch Dienstleistungserbringung zu erhalten. Die Gewährung dieser Möglichkeit einer Nebeneinkunft ist nicht ausreichend, um das Betriebsrisiko auf den Auftragnehmer übergehen zu lassen; es handelt sich dann vielmehr um einen öffentlichen Auftrag i.S.v. § 103 Abs. 14. Gleiches gilt im Falle eines garantierten Ausgleichs für eine Investition und der im Rahmen der Vertragsdurchführung anfallenden Kosten aufgrund einer branchenspezifischen Regelung, welche den Wegfall des wirtschaftlichen Risikos für den Konzessionär darstellt. Entsprechendes gilt im Falle der von vornherein bestehenden Beschränkung des Betriebsrisikos, beispielsweise in Branchen mit vorgeschriebenen Tarifen oder wenn das Betriebsrisiko durch vertragliche Vereinbarungen begrenzt wird, welche einen teilweisen Ausgleich sowie einen Ausgleich im Falle der vorzeitigen Kündigung der Konzession aus vom Auftraggeber zu vertretenden Gründen oder im Falle höherer Gewalt vorsehen5.

72 Ein Betriebsrisiko besteht weiter auch dann nicht, wenn dem Konzessionär durch

den Konzessionsgeber vertraglich eine Konkurrenzfreiheit zugesichert worden ist oder weil Dritte, welche die Dienstleistung nutzen und Vergütung dafür schulden, aufgrund besonderer Umstände nicht insolvent werden können und die An-

1 So Braun in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 105 Rz. 57 unter Verweis auf EuGH v. 10.11.2011 – Rs. C-348/10, NZBau 2012, 183 (185, Rz. 48 m.w.N.) – Norma-A; EuGH v. 10.3.2011 – Rs. C-274/09, NZBau 2011, 239 (242, Rz. 38) – Rettungsdienst Stadler; Kraus, VergabeR 2012, 164 (171); sowie Erwägungsgrund 20 der Richtlinie 2014/23/EU. 2 Braun in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 105 Rz. 58. 3 BGH v. 8.2.2011 – X ZB 4/10, VergabeR 2011, 452 (459) – Abellio Rail. 4 EuGH v. 18.7.2007 – Rs. C-382/05, Slg. I-06657, VergabeR 2007, 604 (608 Rz. 35–37) – Kommission/Italien; EuGH v. 18.1.2007 – Rs. C-220/05, NZBau 2007, 185 (188, Rz. 45– 47) – Stadt Roanne. 5 Vgl. Erwägungsgrund 19 der Richtlinie 2014/23/EU.

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zahl der Nutzungsvorgänge angemessen kalkuliert ist1. So hat beispielsweise auch das OLG Hamburg entschieden, dass im Falle einer Schuldnerberatung im sog. sozialrechtlichen Dreiecksverhältnis keine Dienstleistungskonzession, sondern ein öffentlicher Auftrag vorliegt, wenn die Vergütung von Seiten des Auftraggebers durch fest vereinbarte Fallpauschalen erfolgt, durch die Zur-VerfügungStellung eines bestimmten Teilnehmerkontingentes faktisch kein Auslastungsrisiko für die Auftragnehmer besteht und die Auftragnehmer (die Schuldnerberatungsstellen) ihre Vergütung unmittelbar vom Auftraggeber erhalten, so dass sie auch kein Ausfallrisiko der Leistungsberechtigten trifft. Zudem bestand in dem vom OLG Hamburg entschiedenen Fall für die Auftragnehmer eine große Planungssicherheit, da das Mittelkontingent für das jeweils kommende Jahr im Jahr zuvor in Abstimmung mit dem Auftragnehmer festgelegt wurde2. In Fällen, in denen das vorhandene Betriebsrisiko aufgrund öffentlich-recht- 73 licher Vorgaben, wie z.B. Anschluss- und Benutzungszwänge oder gesetzlich vorgegebene Preiskalkulationen auf der Grundlage des Kostendeckungsprinzips, erheblich reduziert und nicht mit dem für einen auf dem freien Markt tätigen Anbieter bestehenden Risiko vergleichbar ist, kann der Konzessionär gleichwohl den wesentlichen Teil des Risikos tragen3. Dass das Betriebsrisiko des Auftraggebers „erheblich eingeschränkt“ ist, steht einer Dienstleistungskonzession nicht entgegen, sofern auch hier zumindest ein wesentlicher Teil des – beschränkten – Betriebsrisikos übertragen wird. Nach der Entscheidung des EuGH in der Rechtssache „WAZV Gotha/Eurawasser“ muss es dem öffentlichen Auftraggeber offenstehen, eine Dienstleistung, welche aufgrund öffentlich-rechtlicher Ausgestaltung in der mit der Nutzung verbundenen Risiken erheblich eingeschränkt ist, im Wege einer Konzession erbringen zu lassen. Denn in Bereichen der öffentlichen Daseinsvorsorge, wie z.B. der Wasserversorgung und der Abwasserbeseitigung, sind Regelungen gerade üblich, die die Begrenzung wirtschaftlicher Risiken bewirken können. Ferner führt die öffentlich-rechtliche Ausgestaltung zu dem positiven Ergebnis, dass die Dienstleistungsnutzung erleichterter kontrolliert werden kann und die Faktoren vermindert werden, die die Transparenz beeinträchtigen und den Wettbewerb verfälschen können. Deshalb ist die öffentlich-rechtliche Ausgestaltung einer – die Konzessionsvergabe betreffenden – Dienstleistung gerade vorteilhaft. Ferner ist es nicht sachgerecht, von der konzessionsvergebenden 1 So Braun in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 105 Rz. 60 unter Hinweis auf VK Baden-Württemberg v. 25.7.2012 – 1 VK 20/12, IBR 2012, 600 und EuGH v. 11.6.2009 – Rs. C-300/07, NJW 2009, 2427 ff., Rz. 74 – Oymanns. 2 Vgl. OLG Hamburg v. 7.12.2007 – 1 Verg 4/07, NDV-RD 2008, 30 ff.; ebenso bereits die Vorinstanz VK Hamburg v. 24.7.2007 – VgkFB 4/07. 3 EuGH v. 10.11.2011 – Rs. C-348/10, NZBau 2012, 183 (184 f.) – Norma-A; vgl. auch Erwägungsgrund 19 der Richtlinie 2014/23/EU; s. vormals OLG Jena v. 8.5.2008 – 9 Verg 2/ 08, VergabeR 2008, 653 (658), unter Berufung auf EuGH v. 6.4.2006 – Rs. C-410/04, Slg. I-03303, NZBau 2006, 326 ff. – ANAV und EuGH v. 18.7.2007 – Rs. C-382/05, Slg. I06657, VergabeR 2007, 604 ff. – Kommission/Italien.

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§ 105 | Konzessionen Behörde zu verlangen, dass sie für einen schärferen Wettbewerb und eine Erhöhung des wirtschaftlichen Risikos sorgt, als sie in dem betreffenden Sektor bestehen1. Darüber hinaus hat der EuGH in der Rechtssache „Rettungsdienst Stadler“ entschieden, dass eine Dienstleistungskonzession trotz ausschließlicher Vergütung von Rettungsdienstleistungen durch einen Dritten, namentlich den Sozialversicherungsträger, vorliegt, da der Auftragnehmer keine Gewähr für die vollständige Deckung der im Rahmen seiner nach den Grundsätzen des nationalen Rechts durchgeführten Tätigkeit angefallenen Kosten hat. Auch hier wird der Aspekt der Üblichkeit von betriebsrisikobeschränkenden Regelungen in Tätigkeitsbereichen, die die öffentliche Daseinsvorsorge betreffen, angeführt2. 74 Demzufolge kommt es – quantitativ betrachtet – für die Beurteilung des Be-

triebsrisikos folglich nicht auf die (absolute) Höhe des übernommenen Risikos an, sondern vielmehr auf die quotale Verteilung zwischen Konzessionsgeber und Konzessionär. Von Bedeutung ist mithin, dass der Konzessionär zu einem maßgeblichen Teil dasjenige Risiko übernimmt, dem sich der Konzessionsgeber ausgesetzt sähe, wenn er die in Rede stehende Tätigkeit selbst ausüben würde3. Folglich ist es unschädlich, wenn dem Konzessionär bloß ein beschränktes Amortisationsrisiko übertragen wird, weil bereits das Risiko des Konzessionsgebers begrenzt ist (z.B. aufgrund eines Anschluss- und Benutzungszwanges)4.

75 Etwas anderes gilt jedoch in jenen Konstellationen, in welchen ein wirtschaftli-

ches Risiko faktisch nicht besteht. Denn das maßgebliche Risiko muss ein substantielles sein, damit die Konturen der Dienstleistungskonzession nicht völlig verwässert werden5. Es kann daher kein „Null-Risiko“ übertragen werden6. Unabhängig davon greift im Falle von rechtsmissbräuchlichen Umgehungskonstruktionen das Umgehungsverbot gem. § 14 KonzVgV ein7.

76 Trotz der in § 105 Abs. 1 vorgesehenen, zusätzlich zur Rechtsübertragung geleis-

teten Zahlung eines Entgelts vom Konzessionsgeber an den Konzessionär („Draufzahlung“) ist eine Übertragung des Betriebsrisikos auf den Konzessio-

1 EuGH v. 10.9.2009 – Rs. C-206/08, NZBau 2009, 729 (733, Rz. 77) – WAZV Gotha/Eurawasser; vgl. vertiefend Ganske in Landmann/Rohmer, Umweltrecht, Stand: Februar 2012, § 56 WHG Rz. 61 ff. 2 EuGH v. 10.3.2011 – Rs. C-274/09, NZBau 2011, 239 (243 f.) – Rettungsdienst Stadler. 3 EuGH v. 10.9.2009 – Rs. C-206/08, NZBau 2009, 729 (733, Rz. 70 ff.) – WAZV Gotha/ Eurawasser; Braun in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 105 Rz. 58. 4 So Braun in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 105 Rz. 58; Ziekow in Ziekow/Völlink, Vergaberecht, 2. Aufl. 2013, § 99 GWB Rz. 196b; Mestwerdt/Stanko, VergabeR 2017, 348 (356). 5 Braun in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 105 Rz. 61; Ziekow in Ziekow/Völlink, Vergaberecht, 2. Aufl. 2013, § 99 GWB Rz. 196b. 6 Ziekow in Ziekow/Völlink, Vergaberecht, 2. Aufl. 2013, § 99 GWB Rz. 196b; Braun in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 105 Rz. 62; ähnlich auch Mestwerdt/Stanko, VergabeR 2017, 348 (356). 7 Hierauf zutreffend hinweisend Braun in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 105 Rz. 62.

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när möglich. Erforderlich ist aber auch hierbei, dass der Konzessionär, trotz der Zuzahlung durch den Konzessionsgeber, das wirtschaftliche Risiko ganz oder zu einem erheblichen Teil trägt1. Denn Zahlungen des Auftraggebers dürfen den Konzessionär nicht von dem für die Konzession wesenstypischen wirtschaftlichen Risiko freistellen2. Wenn die zusätzliche Vergütung oder (Aufwands-)Entschädigung dagegen ein solches Gewicht hat, dass ihr bei wertender Betrachtung kein bloßer Zuschusscharakter mehr beigemessen werden kann, liegt keine Konzession, sondern ein öffentlicher Auftrag vor. Sofern die aus der Erbringung der Dienstleistung resultierenden möglichen Einkünfte weitab von einer äquivalenten Gegenleistung liegen, handelt es sich nicht um eine Konzession3. Wann eine Zuzahlung im vorgenannten Sinne im Vordergrund steht und überwiegt, lässt sich jedoch wegen der Unterschiedlichkeit der möglichen Fallgestaltungen ebenso wenig einheitlich durch eine rechnerische Quote festlegen, wie sich auch sonst eine schematische Lösung verbietet. Es bedarf auch insoweit stets einer alle Umstände des Einzelfalls einbeziehenden Gesamtbetrachtung4 (s. hierzu bereits Rz. 48). 2. Marktausgesetztheit (§ 105 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2) Neben der fehlenden Gewährleistung der Wiedererwirtschaftung von Investiti- 77 onsaufwendungen muss der Konzessionsnehmer nach § 105 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 – kumulativ – den Unwägbarkeiten des Marktes tatsächlich ausgesetzt sein, so dass potentielle geschätzte Verluste des Konzessionsnehmers nicht vernachlässigbar sind. § 105 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 geht in der Formulierung dabei zurück auf Art. 5 Nr. 1 UA 2 Satz 3 (und Erwägungsgrund 20 Satz 2) der Richtlinie 2014/ 23/EU. Darin hat der Unionsgesetzgeber – in Übereinstimmung mit der ständigen Rechtsprechung des EuGH5 – konkretisiert, welche einzelnen Anforderungen an den Übergang des Betriebsrisikos zu stellen sind6. 1 OLG Koblenz v. 25.3.2015 – Verg 11/14, NZBau 2015, 577 (579); Boesen,Vergaberecht, § 99 Rz. 32; Reidt/Stickler in Beck’scher VOB-Kommentar, § 32 VOB/A Rz. 28; Stoye in Franke/Kemper/Zanner/Grünhagen, VOB-Kommentar, § 23 VOB/A Rz. 12 ff.; Prieß in Jestaedt/Kemper/Marx/Prieß, Das Recht der Auftragsvergabe, S. 80; Ganske in Kapellmann/Messerschmidt, VOB Teile A und B, § 23 VOB/A Rz. 35; Höfler, WuW 2000, 136 (139). 2 Dicks in Kulartz/Marx/Portz/Prieß, Kommentar zur VOB/A, 2. Aufl. 2013, § 22 Rz. 6. 3 BGH v. 8.2.2011 – X ZB 4/10, NZBau 2011, 175 (180) – Abellio Rail; OLG Karlsruhe v. 9.10.2012 – 15 Verg 12/11, ZfBR 2013, 285 (286); OLG München v. 25.3.2011 – Verg 4/ 11, NZBau 2011, 380 (384). 4 BGH v. 8.2.2011 – X ZB 4/10, NZBau 2011, 175 (181) – Abellio Rail. 5 Vgl. insbesondere EuGH v. 10.3.2011 – Rs. C-274/09, NZBau 2011, 239 (243 f., Rz. 37 und 48) – Rettungsdienst Stadler; EuGH v. 10.11.2011 – Rs. C-348/10, NZBau 2012, 183 (184 f., Rz. 48 und 51) – Norma-A; EuGH v. 10.9.2009 – Rs. C-206/08, NZBau 2009, 729 (733, Rz. 77) – WAZV Gotha/Eurawasser. 6 Vgl. BT-Drucks. 18/6281, S. 77.

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§ 105 | Konzessionen 78 Danach muss sich das Betriebsrisiko aus Faktoren ergeben, die sich einer Ein-

flussnahme der Vertragsparteien entziehen. Risiken, wie solche, die im Zusammenhang mit Missmanagement, vertraglichen Ausfällen des Wirtschaftsteilnehmers oder Fällen höherer Gewalt stehen, sind für die Einordnung als Konzession nicht ausschlaggebend, da derartige Risiken jedem Vertrag, sei es ein öffentlicher Auftrag oder eine Konzession, innewohnen1. Ferner sind Risiken, die sich aus einer mangelhaften Betriebsführung oder aus Beurteilungsfehlern des Wirtschaftsteilnehmers ergeben, nicht ausschlaggebend und nehmen keinen Einfluss auf die Einordnung als Konzession oder öffentlicher Auftrag, da auch sie einem jeden Vertrag immanent sind2.

79 Unter „Unwägbarkeiten des Marktes“ ist – im Kern – wiederum nichts anderes

zu verstehen als das Bestehen eines Amortisationsrisikos des Konzessionärs, in dessen Folge er einem Verlustrisiko ausgesetzt ist, wenn sich der Markt zu seinen Ungunsten entwickelt und er dadurch die Investitionsaufwendungen und Betriebskosten nicht wieder erwirtschaften kann3. Der EuGH benutzt den Begriff der Unwägbarkeiten des Marktes zur Erläuterung des Betriebsrisikos. Danach kann sich das Risiko, den Unwägbarkeiten des Markts ausgesetzt zu sein, in dem Risiko der Konkurrenz durch andere Wirtschaftsteilnehmer, dem Risiko eines Ungleichgewichts zwischen Angebot und Nachfrage, dem Risiko der Zahlungsunfähigkeit derjenigen, die die Bezahlung der erbrachten Dienstleistungen schulden, dem Risiko einer nicht vollständigen Deckung der Betriebsausgaben durch die Einnahmen oder dem Risiko der Haftung für einen Schaden im Zusammenhang mit einem Fehlverhalten bei der Erbringung der Dienstleistung äußern4. Siehe hierzu auch bereits Rz. 64 ff., insbesondere Rz. 69.

80 Für die Bestimmung des Risikogrades ist – wie allgemein bei der Frage, ob dem

Auftragnehmer das konzessionstypische wirtschaftliche Risiko obliegt – eine Exante-Prognose zu erstellen und zu entscheiden, ob der Bieter mit einer wirtschaftlich risikolosen Ausführung rechnen kann5. Kann zum maßgeblichen Zeitpunkt der Ausschreibung keine sichere Aussage über die wirtschaftliche Risikoverteilung zwischen Auftrag-/Konzessionsgeber und Auftrag-/Konzessionsnehmer getroffen werden, und besteht deshalb die Möglichkeit, dass das wirtschaftliche Risiko in nennenswertem Umfang beim Auftraggeber verbleibt, ist im

1 Vgl. Erwägungsgrund 20 S. 1 der Richtlinie 2014/23/EU. 2 EuGH v. 10.11.2011 – Rs. C-348/10, NZBau 2012, 183 (185, Rz. 49) – Norma-A; EuGH v. 10.3.2011 – Rs. C-274/09, NZBau 2011, 239 (243, Rz. 38) – Rettungsdienst Stadler. 3 Braun in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 105 Rz. 64. 4 EuGH v. 10.11.2011 – Rs. C-348/10, NZBau 2012, 183 (185, Rz. 48) – Norma-A; EuGH v. 10.3.2011 – Rs. C-274/09, NZBau 2011, 239 (243, Rz. 37) – Rettungsdienst Stadler; vgl. in diesem Sinne auch EuGH v. 27.10.2005 – Rs. C-234/03, Slg. 2005, I-9315, NZBau 2006, 189 (189, Rz. 22) – Contse; EuGH v. 11.6.2009 – Rs. C-300/07, NZBau 2009, 520 (526, Rz. 74) – Oymanns. 5 Braun in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 105 Rz. 64 m.w.N.

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Zweifel davon auszugehen, dass ein öffentlicher Auftrag i.S.v. § 103 vorliegt und keine Konzession i.S.v. § 1051. „Tatsächlich ausgesetzt“ ist der Konzessionär den Unwägbarkeiten des Marktes, 81 wenn – wie sich aus Art. 5 Nr. 1 UA 2 Satz 2 der Richtlinie 2014/23/EU ergibt – potentielle geschätzte Verluste des Konzessionsnehmers nicht rein nominell oder vernachlässigbar sind, sondern echte Einbußen ohne entsprechende Kompensation darstellen. Das Kriterium stellt die Anforderung an das Betriebsrisiko, dass dieses Risiko qualitativ besteht und nicht durch etwaige automatische Kompensation- oder Abfederungsmechanismen nachträglich wieder negiert wird (z.B. durch eine vertraglich zugesicherte Konkurrenzfreiheit oder branchenspezifische Regelungen, die den Wegfall des Risikos durch einen garantierten Ausgleich der Investitionen und Betriebskosten des Konzessionärs vorsehen)2 (s. hierzu auch bereits Rz. 72 und 79). Im Ergebnis darf mithin kein Mechanismus bestehen, der das wirtschaftliche Risiko des Konzessionärs im Ergebnis „auf Null“ bzw. auf eine vernachlässigbare Größe reduziert. Dabei kommt es nicht auf eine rein formelle Betrachtungsweise an, sondern auf eine materiell-funktionelle Betrachtung. Es reicht mithin nicht aus, wenn der Konzessionär das Amortisationsrisiko bloß pro forma – quasi zum Schein – übertragen bekommt3. In eben diesem Kontext/Sinne ist auch das Merkmal „nicht vernachlässigbar“ zu verstehen4. Das Risiko der Marktausgesetztheit kann – wie § 105 Abs. 2 Satz 3 (s. dazu auch 82 Rz. 84) klarstellt – ein Nachfrage- oder Angebotsrisiko sein. Ebenfalls können Angebots- und Nachfragerisiken aufeinandertreffen und gemeinsam das Betriebsrisiko eines Vertrags begründen. Das Angebotsrisiko ist das mit der Erbringung der Bau- oder Dienstleistungen, die Gegenstand des Vertrags sind, verbundene Risiko, insbesondere das Risiko, dass die bereitgestellten Dienstleistungen nicht der Nachfrage entsprechen. Nachfragerisiko ist das Risiko der tatsächlichen Nachfrage nach den Bau- oder Dienstleistungen, die Gegenstand des Vertrags sind5. Das Risiko, dass eine Dienstleistung nicht nachgefragt wird, besteht laut OLG Hamburg faktisch nicht, wenn die Erbringung der Dienstleistung wegen eines bestimmten Nutzerkontingents hinreichend ausgelastet ist. Hiervon ist im Falle einer Schuldnerberatungsstelle selbst dann auszugehen, wenn – trotz der für die Nutzer vorhandenen Wahl zwischen mehreren Beratungsstellen – erhebliche Wartezeiten seitens der Nutzer für eine Beratung bestehen (vgl. insoweit auch bereits Rz. 72)6. 1 Vgl. OLG München v. 21.5.2008 – Verg 5/08, VergabeR 2008, 845 ff.; sowie mit weiteren (potentiellen) Praxisbeispielen auch Düsterdiek in Ingenstau/Korbion, VOB – Teile A und B – Kommentar, § 23 VOB/A Rz. 64. 2 Braun in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 105 Rz. 67. 3 Braun in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 105 Rz. 70. 4 Vertiefend dazu Braun in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 105 Rz. 71. 5 Vgl. Erwägungsgrund 20 Satz 4 und 5 der Richtlinie 2014/23/EU. 6 OLG Hamburg v. 7.12.2007 – 1 Verg 4/07, NDV-RD 2008, 30 ff.; ebenso bereits die Vorinstanz VK Hamburg v. 24.7.2007 – VgkFB 4/07.

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§ 105 | Konzessionen 83 Im Hinblick auf zusätzlich gewährte Zahlungen („Draufzahlungen“) durch den

Konzessionsgeber an den Konzessionär kommt es – wie bereits dargelegt (vgl. Rz. 48 und 76) – letztlich darauf an, dass ihnen bei wertender Betrachtung kein bloßer Zuschusscharakter mehr beigemessen werden kann1. 3. Nachfrage- und Angebotsrisiko (§ 105 Abs. 2 Satz 3)

84 § 105 Abs. 2 Satz 3 beinhaltet – in Umsetzung von Art. 5 Nr. 1 UA 2 Satz 1 letz-

ter Halbs. der Richtlinie 2014/23/EU – lediglich die Klarstellung, dass das Betriebsrisiko i.S.v. § 105 Abs. 2 Satz 1 ein Nachfrage- oder Angebotsrisiko sein kann2. Das Nachfragerisiko ist das Risiko der tatsächlichen Nachfrage nach den Bau- oder Dienstleistungen, die Gegenstand des Vertrags sind. Das Angebotsrisiko ist das mit der Erbringung der Bau- oder Dienstleistungen, die Gegenstand des Vertrags sind, verbundene Risiko, insbesondere das Risiko, dass die bereitgestellten Dienstleistungen nicht der Nachfrage entsprechen3 (s. hierzu bereits oben Rz. 62 und 82).

IV. Vergabe von Konzessionen 85 Sind die Definitionsmerkmale der Bau- oder Dienstleistungskonzession gem.

§ 105 erfüllt, so kommen nicht die Verfahrensvorschriften für Bau- oder Dienstleistungsaufträge zur Anwendung. Vielmehr unterliegt die Vergabe von Bauund Dienstleistungskonzessionen den im Zuge der Vergaberechtsreform 2016 – in Umsetzung der Richtlinie 2014/23/EU – neu geschaffenen Verfahrensvorschriften der §§ 148 ff. und der KonzVgV4. Die §§ 148 ff. nehmen hierbei eine grobe Vorzeichnung des Konzessionsauswahlverfahrens vor, die KonzVgV konkretisiert diese durch weitere, bei der Konzessionsvergabe einzuhaltenden Verfahrensregelungen5. Keine, auch keine analoge Anwendung findet – entgegen teilweise vertretener Ansicht – § 23 VOB/A6.

1 Vgl. BGH v. 8.2.2011 – X ZB 4/10, NZBau 2011, 175 ff. – Abellio Rail; OLG Karlsruhe v. 9.10.2012 – 15 Verg 12/11, ZfBR 2013, 285 ff.; OLG München v. 25.3.2011 – Verg 4/11, NZBau 2011, 380 ff.; Braun in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 105 Rz. 72; Dicks in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 105 Rz. 19. 2 Vgl. BT-Drucks. 18/6281, S. 77. 3 Vgl. Erwägungsgrund 20 der Richtlinie 2014/23/EU. 4 Siehe hierzu auch die ausführliche Darstellung der Konzessionsvergabe bei Goldbrunner, VergabeR 2016, 365 ff. Dort erfolgt eine detailreiche Auseinandersetzung mit den im Rahmen der Konzessionsvergabe zu beachtenden Anforderungen der §§ 148 ff. und der KonzVgV. 5 Goldbrunner, VergabeR 2016, 365. 6 A.A. Düsterdiek in Ingenstau/Korbion, VOB – Teile A und B – Kommentar, § 23 VOB/A Rz. 82, nach dem die Anwendung von § 23 VOB/A, und damit insbesondere auch die nach § 23 Abs. 2 VOB/A vorgeschriebene sinngemäße Anwendung der §§ 1 bis 22

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Im Vergleich zur Vergabe öffentlicher Aufträge sind die Vorschriften betreffend 86 die Konzessionsvergabe weniger streng formalisiert1. Im Unterschied zur Vergabe öffentlicher Aufträge hat sich die Konzessionsvergabe nicht an vor- und nachrangigen Verfahrensarten mit Zugangsvoraussetzungen zu orientieren und ist nicht an die Vergabearten des § 119 gebunden2. Die Konzessionsvergabe darf vielmehr gem. § 151 Satz 3 und § 12 Abs. 1 Satz 1 KonzVgV frei erfolgen. Möglich ist nach § 12 Abs. 2 KonzVgV die Vergabe in einem ein- oder zweistufig (mit vorgeschaltetem Teilnahmewettbewerb) ausgestaltetem Vergabeverfahren. Im Rahmen der zu verfassenden Leistungsbeschreibung sind die allgemeinen 87 Anforderungen für öffentliche Aufträge nach § 121 Abs. 1 und 3 entsprechend zu übertragen (vgl. § 152 Abs. 1). Technische und funktionelle Anforderungen der Konzession sollen gem. § 15 Abs. 1 Satz 1 KonzVgV in der Leistungsbeschreibung bereits festgelegt sein. Die Leistungsbeschreibung ist den Vergabeunterlagen beizufügen (vgl. § 152 Abs. 1 i.V.m. § 121 Abs. 3). Der Umfang der Vergabeunterlagen ist § 16 KonzVgV zu entnehmen. Vor der Konzessionsvergabe ist nach § 151 und § 19 Abs. 1 KonzVgV die Konzessionsvergabeabsicht durch den Konzessionsgeber europaweit bekannt zu machen, sofern nicht nach § 20 KonzVgV auf die Konzessionsbekanntmachung verzichtet werden kann. In der Konzessionsbekanntmachung ist gem. § 17 Abs. 1 KonzVgV eine elektronische Adresse anzugeben, unter der vorbenannte Vergabeunterlagen unentgeltVOB/A für Baukozessionen oberhalb der Schwellenwerte nicht durch die Vorgaben der KonzVgV ausgeschlossen sein soll(en) und die Bieter auch oberhalb der Schwellenwerte einen subjektiven Anspruch darauf haben sollen, dass die in Rede stehenden Vorschriften aus dem unterschwelligen Vergaberecht ordnungsgemäß angewendet werden. Für diese Ansicht ließe sich zwar ins Feld führen, dass hierdurch mögliche Wertungswidersprüche vermieden werden könnten, die sich daraus ergeben, dass die auf Baukonzessionen oberhalb der Schwellenwerte anzuwendenden Vorschriften der §§ 148 ff. und der KonzVgV u.U. teilweise weniger streng bzw. streng formalisiert sind, als die auf Baukonzessionen unterhalb der Schwellenwerte gem. § 23 Abs. 2 VOB/A sinngemäß anzuwendenden §§ 1 bis 22 VOB/A. Allerdings sind etwaige Wertungswidersprüche in der Systematik des novellierten Vergaberechts (bewusst) so angelegt und dieser mithin immanent. Solche Wertungswidersprüche finden sich, insbesondere im Bereich der Vergabe von Bauaufträgen, auch an anderen Stellen, beispielsweise bei der Wahl der zulässigen Verfahrensart, hinsichtlich derer oberhalb der Schwellenwerte gem. § 119 Abs. 2 Satz 1 zwischen dem offenen und dem nicht offenen Verfahren kein Hierarchieverhältnis mehr vorgesehen ist, wohingegen ein solches im Unterschwellenbereich gem. § 3a VOB/A nach wie vor bezogen auf die öffentliche Ausschreibung und die beschränkte Ausschreibung besteht. 1 Vgl. in diesem Zusammenhang auch Braun in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 105 Rz. 7, der Zweifel daran anmeldet, ob die Konzessionen in der zukünftigen Praxis rein tatsächlich wirklich nach weniger strengen Regeln zu vergeben sein werden. Dies insbesondere mit Blick auf die Vielzahl der Verfahrensoptionen, die der Konzessionsgeber im Einzelnen jedoch nachvollziehbar begründen und dokumentieren muss. 2 Burgi, Vergaberecht, 2016, § 24 Rz. 20; Goldbrunner, VergabeR 2016, 365 (375).

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§ 105 | Konzessionen lich, uneingeschränkt, vollständig und direkt abgerufen werden können. Sofern die Konzessionsbekanntmachung keine Aufforderung zur Angebotsabgabe enthält, ist die elektronische Adresse zum Abruf der Vergabeunterlagen in der separaten Aufforderung zur Angebotsabgabe zu nennen. 88 Die Vergabe der Konzession hat sich am Grundsatz der Eignung gem. § 122 zu

orientieren (vgl. § 152 Abs. 2). § 152 Abs. 3 stellt Anforderungen an die Zuschlagskriterien. Diese müssen objektiv, sachbezogen und überprüfbar sein. Gemäß §§ 25, 31 KonzVgV sind die Zuschlagskriterien vom Konzessionär festzulegen und in absteigender Rangfolge anzugeben. Sofern nach vorgenommener Eignungsprüfung eine Entscheidung hinsichtlich des Zuschlags getroffen wurde, hat der Konzessionsgeber gem. § 30 Abs. 1 KonzVgV – unbeschadet der Regelung in § 134 – alle Bewerber und Bieter unverzüglich über seine Entscheidung des Zuschlags, einschließlich des Namens des erfolgreichen Bieters, der Gründe für die Ablehnung ihrer Angebote sowie die Gründe, eine bekannt gemachte Konzession nicht zu vergeben oder das Verfahren neu einzuleiten, zu unterrichten (vgl. § 30 Abs. 1 KonzVgV). Spätestens 48 Tage nach der Konzessionsvergabe hat der Konzessionsgeber gem. § 21 Abs. 1 KonzVgV eine Vergabebekanntmachung mit dem Ergebnis des Vergabeverfahrens an das Amt für Veröffentlichungen der Europäischen Union zu übermitteln. Für den Zeitraum nach Zuschlagserteilung enthält § 33 KonzVgV schließlich eine Sonderregelung für die Vergabe von Unteraufträgen.

V. Rechtsschutz 89 Die Einhaltung der Vorschriften betreffend die Vergabe von Konzessionen ober-

halb des Schwellenwertes gem. Art. 8 Abs. 1 der Richtlinie 2014/23/EU i.V.m. § 106 Abs. 1 und 2 Nr. 4 (s. hierzu Rz. 4 und 61) ist in einem vergaberechtlichen Nachprüfungsverfahren (§§ 155 ff.) überprüfbar1. § 97 Abs. 6 statuiert insoweit den Anspruch der Bieter auf Einhaltung der Bestimmungen über das Vergabeverfahren. Der Anspruch aus § 97 Abs. 6 lässt die verfahrensregelnden Vorschriften des GWB und der KonzVgV subjektiv öffentlich-rechtlichen Drittschutz des Bieters auf Einhaltung der Regeln eines fehlerfreien, insbesondere den Grundsätzen der Transparenz, Gleichbehandlung, des Wettbewerbs und der Verhältnismäßigkeit genügenden Konzessionsvergabeverfahrens entfalten2. Ebenso können sich interessierte Wirtschaftsteilnehmer gegen sog. De-factoKonzessionsvergaben zur Wehr setzen3. Auf die Rechtsnatur (vgl. Rz. 17) der Konzession kommt es für die Frage des Rechtsschutzes oberhalb der Schwellenwerte – anders als unterhalb der Schwellenwerte (vgl. Rz. 97 ff.) – nicht an.

1 Braun in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 105 Rz. 7. 2 Näher hierzu Braun in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 105 Rz. 127. 3 Braun in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 105 Rz. 127.

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Schließlich ist in diesem Zusammenhang auch zu beachten, dass das Konzessionsvergabeverfahren gem. § 14 KonzVgV nicht in einer Weise ausgestaltet werden darf, dass es vom Kartellvergaberecht ausgenommen wird oder bestimmte Unternehmen oder bestimmte Bauleistungen, Lieferungen oder Dienstleistungen auf unzulässige Weise bevorzugt oder benachteiligt werden. Das Umgehungsverbot gem. § 14 KonzVgV ist umfassend drittschützend1.

VI. Exkurs: Konzessionsvergabe unterhalb der Schwellenwerte Der Anwendungsbereich des Kartellvergaberechts und damit des GWB sowie 90 der KonzVgV umfasst lediglich Konzessionen oberhalb des Schwellenwertes gem. Art. 8 Abs. 1 der Richtlinie 2014/23/EU i.V.m. § 106 Abs. 1 und 2 Nr. 4 (s. hierzu Rz. 4 und 61). Für Konzessionsvergaben unterhalb der Schwellenwerte ist hinsichtlich des einschlägigen Rechtsregimes zu unterscheiden, und zwar zum einen zwischen Bau- und Dienstleistungskonzessionen, zum anderen zwischen Dienstleistungskonzessionen unterhalb des Schwellenwertes mit Binnenmarktrelevanz und Dienstleistungskonzessionen unterhalb des Schwellenwertes ohne Binnenmarktrelevanz. Denn während Baukonzessionen unterhalb der Schwellenwerte ausdrücklich in § 23 VOB/A geregelt werden, existieren für Dienstleistungskonzessionen unterhalb der Schwellenwerte noch keine Regelungen, und zwar weder bundes- noch landesrechtlich, und wurden insbesondere auch nicht im Rahmen der Unterschwellenvergabeordnung (UVgO)2 geschaffen. Gleichwohl kann ihre Vergabe nicht ohne rechtliche Bindungen erfolgen3. 1. Baukonzessionen unterhalb der Schwellenwerte Baukonzessionen sind unterhalb der Schwellenwerte ausdrücklich in § 23 VOB/ 91 A definiert und geregelt. Die Definition in § 23 Abs. 1 VOB/A ist dabei nicht deckungsgleich mit der Definition in § 105 Abs. 1 Nr. 1. Für die Vergabe von Baukonzessionen i.S.v. § 23 VOB/A sind die §§ 1 bis 22 VOB/A für die Vergabe öf1 Vgl. BR-Drucks. 87/16, S. 288. 2 Verfahrensordnung für die Vergabe öffentlicher Liefer- und Dienstleistungsaufträge unterhalb der EU-Schwellenwerte (Unterschwellenvergabeordnung – UVgO), BAnz AT v. 7.2.2017 B1. Zu beachten ist, dass die UVgO lediglich eine Verfahrensordnung und keine Rechtsverordnung ist, so dass sie noch nicht allein mit der Bekanntmachung im Bundesanzeiger in Kraft getreten ist. Sie wird vielmehr erst durch die Neufassung der Allgemeinen Verwaltungsvorschriften zu § 55 BHO bzw. für die Länder durch die entsprechenden landesrechtlichen Regelungen in Kraft gesetzt (sog. Einführungserlasse). Nach ihrer jeweiligen Inkraftsetzung durch entsprechende Anwendungsbefehle gelten die Vorschriften der UVgO für die Vergabe von Liefer- und Dienstleistungsaufträgen unterhalb der Schwellenwerte gem. § 106. Siehe ferner auch die Erläuterungen zur UVgO, BAnz AT v. 7.2.2017 B2. 3 Vgl. zum Ganzen auch Braun in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 105 Rz. 107 ff.

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§ 105 | Konzessionen fentlicher Bauaufträge unterhalb der Schwellenwerte sinngemäß anzuwenden. Damit wird die Rechtslage für die Vergabe von Baukonzessionen unterhalb der Schwellenwerte – mehr oder weniger – eindeutig geregelt. Die für den klassischen öffentlichen Bauauftrag konzipierten Bestimmungen des 1. Abschnitts der VOB/A können zwangsläufig auf Grund der Besonderheiten bei der öffentlichen Baukonzession zwar nicht in vollem Umfang angewendet werden. Allerdings bedeutet dies nicht, dass der Auftraggeber bei der Vergabe der Baukonzessionen und der Aushandlung der Bedingungen völlig frei wäre. Durch den Verweis auf die sinngemäße Anwendung der §§ 1 bis 22 VOB/A wird sichergestellt, dass das Verfahren sich so weit als möglich nach dem richtet, was für den klassischen öffentlichen Bauauftrag gilt1. 92 Einige Landesgesetze erklären die VOB/A für Baukonzessionsvergaben unterhalb

der Schwellenwerte für anwendbar2. Insofern müssen die Konzessionsvergaben in den jeweiligen Ländern jedenfalls den Vorgaben der VOB/A entsprechen3.

93 Grundsätzlich gelten zudem für Baukonzessionen unterhalb der Schwellenwerte

mit Binnenmarktrelevanz4 die einschlägigen Bestimmungen des Primären Gemeinschaftsrechts, namentlich die Grundfreiheiten des AEUV sowie das allgemeine Diskriminierungsverbot gem. Art. 18 AEUV5. Die sich hieraus im einzelnen ergebenden Anforderungen6 werden allerdings auch durch die (sinngemäß angewendeten) Bestimmungen der §§ 1 bis 22 VOB/A widergespiegelt, so dass dem Primären Gemeinschaftsrecht insoweit keine eigenständige prakti-

1 Ausführlich zum Ganzen Ganske in Kapellmann/Messerschmidt, VOB Teile A und B, 6. Aufl. 2017, § 23 VOB/A Rz. 59 ff.; Braun in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 105 Rz. 120 ff.; Düsterdiek in Ingenstau/Korbion, VOB – Teile A und B – Kommentar, § 23 VOB/A Rz. 78 ff. 2 Vgl. § 6 Abs. 1 Bremisches TtVG, § 2a Abs. 1 HmbVgG, § 1 Abs. 4 HVgG, § 2 Abs. 1 Nr. 2 VgG M-V, § 3 Abs. 2 NTVergG, § 1 Abs. 2 und § 6 Abs. 2 Nr. 3 SächsVergabeG, § 1 Abs. 2 LVG LSA und § 1 Abs. 2 ThürVgV. 3 Braun in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 105 Rz. 123. 4 Vgl. zum Begriff der Binnenmarktrelevanz EuGH v. 6.10.2016 – Rs. C-318/15, NZBau 2016, 781 ff. – Tecnoedi Construzioni; EuGH v. 16.4.2015 – Rs. C-278/14, NZBau 2015, 383 ff. – SC Enterprise Focused Solutions; EuGH v. 15.5.2008 – Rs. C-147/06, ZfBR 2008, 511 ff. – SECAP; sowie Deling, NZBau 2011, 725 ff.; Deling, NZBau 2012, 17 ff. 5 Vgl. EuGH v. 6.10.2016 – Rs. C-318/15, NZBau 2016, 781 – Tecnoedi Construzioni; EuGH v. 13.11.2008 – Rs. C-324/07, NZBau 2011, 239; EuGH v. 13.10.2005 – Rs. C485/03, Slg. I-08585, NZBau 2005, 644 (647), Rz. 40 – Parking Brixen; EuGH v. 21.7. 2005 – Rs. C-231/03, NZBau 2005, 592 (539, Rz. 16 ff.) – Coname; EuGH v. 7.12.2000 – Rs. C-324/98, NZBau 2001, 148 (151, Rz. 60 f.) – Telaustria. 6 Vgl. zu den sich daraus im Einzelnen ergebenden Anforderungen die Mitteilung der Kommission zu Auslegungsfragen in Bezug auf das Gemeinschaftsrecht, das für die Vergabe öffentlicher Aufträge gilt, die nicht oder nur teilweise unter die Vergaberichtlinien fallen vom 24.7.2006, ABl. C 179/2 v. 1.8.2006; sowie die hiesige Kommentierung zu § 103 Rz. 156 f.

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sche Bedeutung zukommt. Die sinngemäß angewendeten §§ 1 bis 22 VOB/A gehen dabei teilweise sogar noch deutlich über die gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben hinaus1. 2. Dienstleistungskonzessionen unterhalb der Schwellenwerte ohne Binnenmarktrelevanz Für Dienstleistungskonzessionen unterhalb der Schwellenwerte existieren der- 94 zeit – wie gesagt (vgl. Rz. 90) – keine Regelungen, und zwar weder auf bundesnoch auch landesrechtlicher Ebene; sie wurden insbesondere auch nicht im Rahmen der Unterschwellenvergabeordnung (UVgO)2 geschaffen. Auf Länderebene steht indes zu erwarten, dass zumindest teilweise Regelungen in die Landesvergabegesetze mit aufgenommen werden3. Gleichwohl können Dienstleistungskonzessionen unterhalb der Schwellenwerte 95 – und ohne Binnenmarktrelevanz4 und damit unionsrechtlichen Bezug – nicht völlig frei – quasi im rechtsfreien Raum – vergeben werden. Denn insoweit vermitteln insbesondere Art. 3 Abs. 1, 12 Abs. 1, 19 Abs. 4 und 20 Abs. 3 GG den interessierten Wirtschaftsteilnehmern/Bietern einen verfassungsrechtlichen Teilhabeanspruch, der sich sowohl auf die (förmliche) Ausgestaltung des Vergabeverfahrens als auch auf die Möglichkeit der Erlangung effektiven Rechtsschutzes auswirkt. Hieraus erwächst zugunsten der Bieter ein öffentlich-rechtlicher Bewerbungsverfahrensanspruch, der es neben einer gleichmäßigen und transparenten Behandlung aller Bieter (Art. 3 Abs. 1, 12 Abs. 1, 20 Abs. 3 GG) gebietet, den Bewerbern vor Vertragsschluss die Auswahlentscheidung bekannt zu geben und sodann noch eine angemessene Zeit von zumindest zwei Wochen zuzuwarten, um einen effektiven Primärrechtsschutz (Art. 19 Abs. 4 GG) zu ermöglichen5. Dieser grundrechtliche Teilhabeanspruch auf gerechte Beteiligung an vorhandenen, indes quantitativ begrenzten Positionen kommt einfach-rechtlich als subjektiv öffentlich-rechtlicher Anspruch des Bieters auf Durchführung

1 So auch Kulartz in Kulartz/Marx/Portz/Prieß, Kommentar zur VOB/A, 2. Aufl. 2013, § 22 EG Rz. 7. 2 Verfahrensordnung für die Vergabe öffentlicher Liefer- und Dienstleistungsaufträge unterhalb der EU-Schwellenwerte (Unterschwellenvergabeordnung – UVgO), BAnz AT v. 7.2.2017 B1. Siehe hierzu auch Rz. 90 sowie insbesondere die dortige Fn. 4. 3 Vgl. Braun in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 105 Rz. 109. 4 Vgl. zum Begriff der Binnenmarktrelevanz EuGH v. 6.10.2016 – Rs. C-318/15, NZBau 2016, 781 ff. – Tecnoedi Construzioni; EuGH v. 16.4.2015 – Rs. C-278/14, NZBau 2015, 383 ff. – SC Enterprise Focused Solutions; EuGH v. 15.5.2008 – Rs. C-147/06, ZfBR 2008, 511 ff. – SECAP; Deling, NZBau 2011, 725 ff.; Deling, NZBau 2012, 17 ff.; Diehr, VergabeR 2009, 719 ff.; Vavra, VergabeR 2013, 384 ff. 5 Vgl. OVG Berlin-Brandenburg v. 30.11.2010 – 1 S 107.10, NVwZ-RR 2011, 293 ff. sowie die diesbezügliche Entscheidungsanmerkung von Ganske, IBR 2011, 1190.

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§ 105 | Konzessionen eines verfahrensfehlerfreien Auswahlverfahrens zum Ausdruck1. Eine Konzession kann daher auch insoweit nicht ohne rechtliche Bindungen vergeben werden2. Ein gesetzeskonformes Konzessionsauswahlverfahren liegt daher – in letzter Konsequenz – erst dann vor, wenn die zentralen Grundsätze des Vergaberechts (Transparenz, Gleichbehandlung, Willkürfreiheit, Wettbewerb und Verhältnismäßigkeit), die sich gleichsam auch auf den verfassungsrechtlichen Teilhabeanspruch stützen lassen, zur Anwendung gebracht werden. Mithin müssen Auswahlverfahren in diesem Bereich prozedural entsprechend ausgestaltet werden, wobei ggf. einschlägige Spezialregelungen (z.B. nach der GewO, dem EnWG oder dem GlüStV) mit zu berücksichtigen sind3. Der verfassungsrechtliche Teilhabeanspruch gem. Art. 12 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 3 Abs. 1 GG i.V.m. den zentralen vergaberechtlichen Grundsätzen ist nicht nur eine objektiv-rechtliche Verpflichtung des Staates, das Vergabeverfahren fehlerfrei durchzuführen, sondern zugleich das subjektiv-öffentliche Recht der interessierten Wirtschaftsteilnehmer, tatsächlich Berücksichtigung in einem fehlerfreien Verfahren zu finden4. 3. Dienstleistungskonzessionen unterhalb der Schwellenwerte mit Binnenmarktrelevanz 96 Für die Vergabe von Dienstleistungskonzessionen unterhalb der Schwellenwerte

mit Binnenmarktrelevanz5 sind – zusätzlich zu den sich bereits aus dem nationalen Recht ergebenden Anforderungen (vgl. Rz. 95) – die Vorgaben des Primären Gemeinschaftsrechts zu beachten6. Ob eine Binnenmarktrelevanz gegeben ist, obliegt der Prüfungskompetenz des öffentlichen Auftraggebers7. Dieser

1 OVG Lüneburg v. 12.11.2012 – 13 M.E. 231/12, OVGE MüLü 55, 413 ff.; VGH Mannheim v. 1.10.2009 – 6 S 99/09, BWGZ 2011, 613 ff.; VG Darmstadt v. 10.9.2015 – 4 L 1180/15.DA; Braun in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 105 Rz. 110. 2 Vgl. BVerwG v. 18.3.2016 – 3 B 16.15, NVwZ-RR 2016, 494 ff.; OLG Celle v. 23.2.2016 – 13 U 148/15, NZBau 2016, 381 ff.; OVG Berlin-Brandenburg v. 30.11.2010 – 1 S 107.10, NVwZ-RR 2011, 293 ff.; Braun in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 105 Rz. 110. 3 So auch Braun in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 105 Rz. 111 f. 4 Vgl. OLG Celle v. 23.2.2016 – 13 U 148/15, NZBau 2016, 381 ff.; VGH Kassel v. 16.10. 2015 – 8 B 1028/15, NZBau 2016, 111 ff. (zu § 4b Abs. 1 Satz 1 GlüStV); VGH München v. 22.7.2015 – 22 B 15.620; VGH München v. 12.8.2013 – 22 CE 13.970; OVG BerlinBrandenburg v. 30.11.2010 – 1 S 107.10, OVGE MüLü 55, 413 ff.; Braun, VergabeR 2014, 324 (328); Braun in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 105 Rz. 111. 5 Vgl. zum Begriff der Binnenmarktrelevanz EuGH v. 6.10.2016 – Rs. C-318/15, NZBau 2016, 781 ff. – Tecnoedi Construzioni; EuGH v. 16.4.2015 – Rs. C-278/14, NZBau 2015, 383 ff. – SC Enterprise Focused Solutions; EuGH v. 15.5.2008 – Rs. C-147/06, ZfBR 2008, 511 ff. – SECAP; Deling, NZBau 2011, 725 ff.; Deling, NZBau 2012, 17 ff.; Diehr, VergabeR 2009, 719 ff.; Vavra, VergabeR 2013, 384 ff. 6 Vgl. OLG Celle v. 23.2.2016 – 13 U 148/15, NZBau 2016, 381 ff.; Braun in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 105 Rz. 113. 7 EuGH v. 15.5.2008 – Rs. C-147/06, ZfBR 2008, 511 ff., Rz. 30 f. – SECAP.

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hat zu prognostizieren, ob in Anbetracht der konkreten Marktverhältnisse, der wirtschaftlichen Bedeutung des Vertrages, der Art des Auftragsgegenstands, den Gepflogenheiten der angesprochenen Branchenkreise und etwaiger Besonderheiten des betroffenen Sektors sowie der geographischen Lage des Orts der Leistungserbringung ein Interesse von Wirtschaftsteilnehmern aus anderen Mitgliedsstaaten der Europäischen Union bestehen könnte1. Ist dies der Fall, ist das Unionsrecht zu beachten. Welche grundlegenden Anforderungen sich hieraus im Einzelnen ergeben, hat der EuGH insbesondere in den Entscheidungen „Telaustria“2, „Coname“3 und „Parking Brixen“4 herausgearbeitet. Nach dem „Telaustria“-Urteil schließt das Diskriminierungsverbot insbesondere eine Verpflichtung zur Transparenz ein, damit festgestellt werden kann, ob es beachtet worden ist. Kraft dieser Verpflichtung zur Transparenz muss ein öffentlicher Auftraggeber zugunsten der potentiellen Auftragnehmer einen angemessenen Grad an Öffentlichkeit sicherstellen, der den Dienstleistungsmarkt dem Wettbewerb öffnet und die Nachprüfung ermöglicht, ob die Vergabeverfahren unparteiisch durchgeführt wurden. In den Urteilen „Coname“ und „Parking Brixen“ hat der EuGH weiter festgestellt, dass ein Mangel an Transparenz darüber hinaus einen Verstoß gegen die Dienstleistungs- (Art. 56 AEUV) bzw. Niederlassungsfreiheit (Art. 49 AEUV) begründen kann. Zur Frage der öffentlichen Ausschreibung hat der EuGH zudem klargestellt, dass jedenfalls das völlige Fehlen einer Ausschreibung weder mit den Anforderungen der Art. 49 und 56 AEUV noch mit den Grundsätzen der Gleichbehandlung, der Nichtdiskriminierung und der Transparenz in Einklang steht5. Der EuGH hatte allerdings offen gelassen, wie das von ihm geforderte transparente Vergabe- bzw. Bewerbungsverfahren konkret auszugestalten ist. Anhaltspunkte hierfür lassen sich jedoch der Mitteilung der Kommission zu Auslegungsfragen in Bezug auf das Gemeinschaftsrecht, das für die Vergabe öffentlicher Aufträge gilt, die nicht oder nur teilweise unter die Vergaberichtlinien fallen vom 24.7.20066 entnehmen. Mit dieser Mitteilung fasst die EU-Kommission die Rechtsprechung des EuGH zur Anwendung des EG-Vertrags auf Verträge außerhalb des Anwendungsbereichs der EU-Vergaberichtlinien in konkrete Leitlinien, insbesondere im Hinblick auf die Ausgestaltung von Bekanntmachungen, Verfahren und 1 Vgl. EuGH v. 16.4.2015 – Rs. C-278/14, NZBau 2015, 383 ff. – SC Enterprise Focused Solutions; EuGH v. 15.5.2008 – Rs. C-147/06, ZfBR 2008, 511 ff., Rz. 30 f. – SECAP; EuGH v. 21.7.2005 – Rs. C-231/03, Rz. 20 – Coname; Deling, NZBau 2011, 725 ff.; Deling, NZBau 2012, 17 ff.; Diehr, VergabeR 2009, 719 ff.; Vavra, VergabeR 2013, 384 ff. 2 EuGH v. 7.12.2000 – Rs. C-324/98, Slg. I-10745, NZBau 2001, 148 ff. – Telaustria. 3 EuGH v. 21.7.2005 – Rs. C-231/03, Slg. I-07287, NZBau 2005, 592 ff. – Coname. 4 EuGH v. 13.10.2005 – Rs. C-485/03, Slg. I-08585, NZBau 2005, 644 ff. – Parking Brixen. 5 EuGH v. 13.10.2005 – Rs. C-485/03, Slg. I-08585, NZBau 2005, 644 (648, Rz. 50) – Parking Brixen. 6 ABl. C 179/2 v. 1.8.2006, S. 2. Siehe ferner auch EuG v. 20.5.2010 – Rs. T-258/06, NZBau 2010, 510 ff.

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§ 105 | Konzessionen Rechtsschutz. Vor diesem Hintergrund kommt der Mitteilung der EU-Kommission – trotz der starken Kritik aus Politik, Wirtschaft und Literatur1 – für die Vergaberechtspraxis eine erhebliche Bedeutung zu. Dies gilt umso mehr in Ansehung der durch das EuG erfolgten Bestätigung2. Da davon ausgegangen werden kann, dass die EU-Kommission die Beachtung der von ihr vorgegebenen Standards mit Hilfe des Instruments des Vertragsverletzungsverfahrens (Art. 258 AEUV) gegen die Mitgliedsstaaten durchsetzen wird, dürfte die Mitteilung daher im faktischen Ergebnis sogar die Qualität einer EU-Richtlinie für die Ausgestaltung des nationalen Vergaberechts für alle Fälle außerhalb des Anwendungsbereichs der EU-Vergaberichtlinien entfalten. 4. Rechtsschutz 97 Welcher Rechtsweg für Streitigkeiten betreffend die Vergabe von Konzessionen

unterhalb der Schwellenwerte eröffnet ist, richtet sich letztlich nach der Rechtsnatur (vgl. Rz. 17), also der Frage, ob das streitige Rechtsverhältnis dem öffentlichen oder dem zivilen Recht zuzuordnen ist3. Im Bereich der sozialen Dienstleistungen kann u.U. auch der Rechtsweg zu den Sozialgerichten eröffnet sein. Dies ist für jeden Einzelfall gesondert zu prüfen.

98 Insbesondere im Fall der Baukonzession wird daher regelmäßig – aber nicht

zwingend – Rechtsschutz vor der ordentlichen Gerichtsbarkeit zu suchen sein4. Ein auf primären Rechtsschutz zielender Antrag kann in diesem Fall in der Regel nur auf einen entsprechenden Unterlassungsanspruch gem. §§ 1004, 823 Abs. 2 BGB i.V.m. Art. 3 Abs. 1 GG gestützt werden. Zumindest nach Teilen der Rechtsprechung genügt dabei jedoch nicht bereits jede Verletzung von Vergabevorschriften, um einen Verstoß gegen den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG zu begründen. Vielmehr soll es erforderlich sein, dass der öffentliche Auftraggeber willkürlich, d.h. ohne sachlich rechtfertigenden Grund, Vergabevorschriften verletzt und dem Bieter durch die Verletzung ein Schaden droht5.

99 Wenn und soweit das streitige Rechtsverhältnis dagegen dem öffentlichen Recht

zuzuordnen ist, mit der Folge, dass Rechtsschutz vor den Verwaltungsgerichten zu suchen ist, kommt – als Primärrechtsschutz – regelmäßig ein Antrag gem. § 123 VwGO in Betracht. In diesem Zusammenhang hat das VG Wiesbaden betont, dass das Gebot effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) gerade im Zusammenhang mit der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes an Bedeutung

1 2 3 4 5

Ausführlich hierzu und m.w.N. Braun, EuZW 2006, 683 ff. Vgl. EuG v. 20.5.2010 – Rs. T-258/06, NZBau 2010, 510 ff. Braun in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 105 Rz. 126. Ähnlich Braun in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 105 Rz. 118. Vgl. OLG Hamm v. 12.2.2008 – 4 U 190/07 (insoweit nicht abgedruckt in NZBau 2009, 344); OLG Schleswig v. 6.7.1999 – 6 U Kart 22/99, BauR 2000, 1046 (1048); LG Kleve v. 16.7.2009 – 1 O 212/09; LG Frankfurt/O. v. 14.11.2007 – 13 O 360/07, VergabeR 2008, 132 (135); LG Cottbus v. 24.10.2007 – 5 O 99/07, VergabeR 2008, 123 (127 f.).

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gewinnt, um so weit wie möglich der Schaffung vollendeter Tatsachen zuvorzukommen. Insoweit muss bereits der einstweilige Rechtsschutz eine wirksame Kontrolle in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht gewährleisten und Möglichkeiten eröffnen, ergebnisrelevante Verfahrensfehler zur Überprüfung zu stellen und irreversible Zustände zu verhindern1. Vor allem im Hinblick auf den sekundären Rechtsschutz ist zu beachten, dass 100 aus § 311 Abs. 2 Nr. 1 i.V.m. § 241 Abs. 2 BGB ein vorvertragliches Schuldverhältnis folgt, das darauf gerichtet ist, dass die Vergabestelle ihr obliegende Pflichten betreffend die Durchführung des Vergabeverfahrens einhält2. Für Baukonzessionen i.S.v. § 23 VOB/A ist ferner zu beachten, dass es in eini- 101 gen Bundesländern ausdrückliche Regelungen zum (primären) Rechtsschutz auf landesrechtlicher Ebene gibt. So haben Thüringen und Sachsen-Anhalt sich für weitgehend gleichlautende ausdrückliche Regelungen zum Rechtsschutz unterhalb der Schwellenwerte entschieden (vgl. § 19 ThürVgG, § 19 LVG LSA) und dabei explizit die Vergabekammer für zuständig erklärt (§ 19 Abs. 3 ThürVgG, § 19 Abs. 3 LVG LSA). In beiden Bundesländern steht der Rechtsweg zu den Vergabekammern aber nur offen, wenn der voraussichtliche Gesamtauftragswert bei Bauleistungen 150.000 € übersteigt (§ 19 Abs. 4 ThürVgG, § 19 Abs. 4 LVG LSA). In Sachsen gibt es für Beschaffungen unterhalb der Schwellenwerte ein verwaltungsinternes „Nachprüfungsverfahren“ (§ 8 Abs. 2 SächsVergG), wobei es allerdings ausdrücklich keinen Anspruch auf Tätigwerden der „Nachprüfungsbehörde“ gibt (§ 8 Abs. 2 Satz 3 SächsVergG). Nachprüfungsbehörde ist die Aufsichtsbehörde, bei kreisangehörigen Gemeinden und Zweckverbänden die Landesdirektion Sachsen (§ 8 Abs. 2 Satz 4 SächsVergG). Für Dienstleistungskonzessionen gilt dies – mangels (bisheriger) Regelung im Bundes- und Landesrecht (vgl. Rz. 90 und 94) – nicht.

§ 106 Schwellenwerte (1) Dieser Teil gilt für die Vergabe von öffentlichen Aufträgen und Konzessionen sowie die Ausrichtung von Wettbewerben, deren geschätzter Auftragsoder Vertragswert ohne Umsatzsteuer die jeweils festgelegten Schwellenwerte erreicht oder überschreitet. § 114 Absatz 2 bleibt unberührt. 1 VG Wiesbaden v. 5.5.2015 – 5 L 1453/14.WI, NZBau 2015, 451 ff. unter Bezugnahme auf BVerfG v. 29.7.2004 – 2 BvR 2248/03, WM 2004, 1933 ff. Diese zu § 4b Abs. 1 Satz 1 GlüStV ergangene Entscheidung kann grundsätzlich entsprechend auf jedes dem öffentlichen Recht zuzuordnende Vergabe- und Auswahlverfahren übertragen werden. 2 Vgl. Braun in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 105 Rz. 117; Düsterdiek in Ingenstau/Korbion, VOB – Teile A und B – Kommentar, § 23 VOB/A Rz. 83.

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§ 106 | Schwellenwerte (2) Der jeweilige Schwellenwert ergibt sich 1. für öffentliche Aufträge und Wettbewerbe, die von öffentlichen Auftraggebern vergeben werden, aus Artikel 4 der Richtlinie 2014/24/EU in der jeweils geltenden Fassung; der sich hieraus für zentrale Regierungsbehörden ergebende Schwellenwert ist von allen obersten Bundesbehörden sowie allen oberen Bundesbehörden und vergleichbaren Bundeseinrichtungen anzuwenden, 2. für öffentliche Aufträge und Wettbewerbe, die von Sektorenauftraggebern zum Zweck der Ausübung einer Sektorentätigkeit vergeben werden, aus Artikel 15 der Richtlinie 2014/25/EU in der jeweils geltenden Fassung, 3. für verteidigungs- oder sicherheitsspezifische öffentliche Aufträge aus Artikel 8 der Richtlinie 2009/81/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Juli 2009 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe bestimmter Bau-, Liefer- und Dienstleistungsaufträge in den Bereichen Verteidigung und Sicherheit und zur Änderung der Richtlinien 2004/17/EG und 2004/18/EG (ABl. L 216 vom 20.8.2009, S. 76) in der jeweils geltenden Fassung, 4. für Konzessionen aus Artikel 8 der Richtlinie 2014/23/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Februar 2014 über die Konzessionsvergabe (ABl. L 94 vom 28.3.2014, S. 1) in der jeweils geltenden Fassung. (3) Das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie gibt die geltenden Schwellenwerte unverzüglich, nachdem sie im Amtsblatt der Europäischen Union veröffentlicht worden sind, im Bundesanzeiger bekannt. I. Entstehungsgeschichte . . . . . . . II. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . III. Schwellenwerte (§ 106 Abs. 1) . IV. Höhe der Schwellenwerte (§ 106 Abs. 2) . . . . . . . . . . . . . 1. Anpassung der Schwellenwerte . 2. Schwellenwerte für öffentliche Auftraggeber (§ 106 Abs. 2 Nr. 1)

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3. Sektorenauftraggeber (§ 106 Abs. 2 Nr. 2) . . . . . . . . 4. Verteidigungs- und sicherheitsspezifische öffentliche Aufträge (§ 106 Abs. 2 Nr. 3) . . . . . . . . 5. Konzessionen (§ 106 Abs. 2 Nr. 4) . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Bekanntmachung im Bundesanzeiger (§ 106 Abs. 3) . . . . .

. . . .

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I. Entstehungsgeschichte 1 Bestimmungen über die anwendbaren Schwellenwerte fanden sich bisher in den

Vergabeordnungen (§ 2 Abs. 1 VgV a.F., § 1 Abs. 2 VSVgV). Durch das Vergaberechtsmodernisierungsgesetz vom 17.2.20161 wurden diese Regelungen als § 106 in das GWB übernommen.

1 BGBl. I 2016, 203.

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Schwellenwerte | § 106

II. Überblick Der 4. Teil des GWB gilt nach § 106 Abs. 1 Satz 1 nur für die Vergabe von öf- 2 fentlichen Aufträgen und Konzessionen sowie die Ausrichtung von Wettbewerben, deren geschätzter Auftrags- oder Vertragswert ohne Umsatzsteuer die jeweils festgelegten Schwellenwerte erreicht oder überschreitet. § 106 Abs. 2 nimmt bezüglich der einzelnen Schwellenwerte auf die jeweiligen Regelungen der Vergaberichtlinien Bezug. Nach Abs. 3 gibt das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie die geltenden Schwellenwerte unverzüglich, nachdem sie im Amtsblatt der Europäischen Union veröffentlicht worden sind, im Bundesanzeiger bekannt.

III. Schwellenwerte (§ 106 Abs. 1) Nach § 106 Abs. 1 Satz 1 gilt der 4. Teil des GWB nur für die Vergabe von öf- 3 fentlichen Aufträgen und Konzessionen sowie die Ausrichtung von Wettbewerben, deren geschätzter Auftrags- oder Vertragswert ohne Umsatzsteuer die jeweils festgelegten Schwellenwerte erreicht oder überschreitet. Die Vorschrift ist Ausfluss des Gedankens, dass bei Aufträgen, die einen gewissen Wert unterschreiten, nicht mit der Beteiligung von ausländischen Bietern zu rechnen ist. Darüber hinaus kann bei geringwertigen Aufträgen ein Missverhältnis zwischen dem Aufwand, den eine europaweite Ausschreibung erfordert, und dem Auftragswert bestehen. Die Einführung von Schwellenwerten basiert auf den europäischen Vergabe- 4 richtlinien. Auch deren Vorschriften sind grundsätzlich nur dann anwendbar, wenn der geschätzte Auftragswert bestimmte Schwellen erreicht oder überschreitet. Auf die jeweiligen Vorschriften wird in § 106 Abs. 2 Bezug genommen. Die europäischen Regelungen über die Schwellenwerte wiederum beruhen auf 5 dem General Procurement Agreement (GPA) der Welthandelsorganisation (World Trade Organization; WHO bzw. WTO), das in der Europäischen Union mit Wirkung zum 1.1.1996 in Kraft getreten ist1. Ziel des GPA ist es, den Welthandel im Bereich der staatlichen Beschaffung zu liberalisieren und auszuweiten. Es enthält daher Vorschriften über die staatliche Beschaffung durch die gebundenen Staaten. Die Bestimmungen der europäischen Vergaberichtlinien beruhen auf dem GPA, gehen über dessen Regelungsgehalt jedoch weit hinaus2. Bezüglich der Schwellenwerte folgt das europäische Recht jedoch den Vorgaben des GPA. Die aktuelle Fassung des GPA ist am 6.4.2014 in Kraft getreten. Der Text ist auf der Website der World Trade Organization3 auf englisch, französisch und 1 Dreher in Immenga/Mestmäcker, GWB, vor §§ 97 ff. Rz. 156 ff. 2 Zum Verhältnis zwischen GPA und dem EU-Vergaberecht Weiß, NZBau 2016, 198. 3 www.wto.org.

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§ 106 | Schwellenwerte spanisch abrufbar. Eine deutsche Übersetzung ist im Amtsblatt der EU veröffentlicht1. Zur Anpassung der Schwellenwerte an die Vorgaben des GPA vergleiche unten Rz. 13. 6 Durch die Einfügung von Schwellenwerten wird das deutsche Vergaberecht

zweigeteilt. Das Vergabeverfahren oberhalb der Schwellenwerte basiert auf europarechtlichen Vorgaben und bezweckt insbesondere den Schutz der Bieter (§ 97 Abs. 6). Unterhalb der Schwellenwerte basiert das Vergaberecht auf haushaltsrechtlichen Normen. Vgl. zum Vergaberecht unterhalb der Schwellenwerte Einleitung Rz. 22 ff.

7 § 106 Abs. 1 legt den Anwendungsbereich des 4. Teils des GWB weiterhin da-

hin gehend fest, dass er lediglich für die Vergabe von öffentlichen Aufträgen (§ 103 Abs. 1), von Konzessionen (§ 105) und der Ausrichtung von Wettbewerben (§ 103 Abs. 6) gilt. Alle Vorgänge, die nicht unter einen dieser drei genannten Begriffe subsumiert werden können, unterliegen somit nicht dem 4. Teil des GWB. Damit ist nicht gesagt, dass derartige Verträge ohne öffentliche Ausschreibung abgeschlossen werden können. Vielmehr kann sich aus dem Haushaltsrecht, dem Beihilferecht, Fördermittelbescheiden oder sonstigen Rechtsquellen die Pflicht zur Durchführung eines Vergabeverfahrens ergeben.

8 Maßgeblich für die Ermittlung des Schwellenwerts ist der geschätzte Auftrags-

oder Vertragswert. Vorgaben zur Schätzung des Auftrags- bzw. Vertragswerts enthalten die Vergabeordnungen (§ 3 VgV; § 3 VSVgV und § 2 KonzVgV).

9 § 106 Abs. 1 Satz 1 regelt in Übereinstimmung mit den europäischen Vergabe-

richtlinien, dass es sich bei den Angaben der Richtlinien zu den Höhen der Schwellenwerte um Netto-Beträge ohne Umsatzsteuer handelt. Grund hierfür ist, dass die Schwellenwerte in allen Mitgliedsstaaten der Europäischen Union gelten. Es muss sich zwangsläufig um Netto-Beträge handeln, da die Umsatzsteuersätze in den Mitgliedsstaaten unterschiedlich hoch sind. Ein Abstellen auf Brutto-Beträge würde dazu führen, dass sich die Schwellenwerte in den einzelnen Mitgliedsstaaten unterschiedlich auswirken würden.

10 Abs. 1 Satz 1 setzt voraus, dass der im Einzelfall einschlägige Schwellenwert „er-

reicht oder überschritten“ ist. Ist dies nicht der Fall, ist der sachliche Anwendungsbereich des 4. Teils des GWB nicht eröffnet. Dies gilt auch dann, wenn der Auftraggeber – bewusst oder in Verkennung der Tatsachen- oder Rechtslage – eine europaweite Ausschreibung durchgeführt hat. Insbesondere kann die Zuständigkeit der Vergabenachprüfungsinstanzen nicht dadurch begründet werden, dass der Auftraggeber freiwillig die auf den 4. Teil des GWB beruhenden Vergabevorschriften anwendet, ohne dass deren Anwendungsbereich eröffnet ist2. 1 ABl. EU Nr. L 68/1 v. 7.3.2014. 2 OLG Düsseldorf v. 31.3.2004 – Verg 74/03; OLG Stuttgart v. 12.8.2002 – 2 Verg 9/02, NZBau 2003, 340.

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Schwellenwerte | § 106

Allerdings kann sich in diesem Fall nach dem Grundsatz der Selbstbindung der Verwaltung eine Verpflichtung des Auftraggebers zur Einhaltung der für europaweite Ausschreibungen geltenden Verfahrensbestimmungen ergeben. Nach § 106 Abs. 1 Satz 2 bleibt § 114 Abs. 2 unberührt. Hierdurch wird ins- 11 besondere § 114 Abs. 2 Satz 3 in Bezug genommen. Diese Vorschrift enthält Regelungen über die Pflicht zur Übermittlung von Vergabedaten für öffentliche Aufträge unterhalb der jeweils geltenden Schwellenwerte. Die Verpflichtung der öffentlichen Auftraggeber, entsprechende Daten zu übermitteln, wird durch § 106 Abs. 1 nicht berührt.

IV. Höhe der Schwellenwerte (§ 106 Abs. 2) Bezüglich der Höhe der Schwellenwerte verweist § 106 Abs. 2 Nr. 1 bis 4 auf die 12 jeweiligen Bestimmungen der europäischen Vergaberichtlinien. Bis zum 15.10. 2013 wiederholte § 2 VgV a.F. die Schwellenwerte der Richtlinie. Dies führte zu Schwierigkeiten, da die Anpassung des § 2 VgV a.F. an die geänderten Werte der Richtlinie oftmals mit mehreren Monaten Verzögerung erfolgte, § 2 VgV a.F. also regelmäßig vorübergehend höhere oder niedrigere Schwellenwerte nannte als die Richtlinie. Die sich hieraus ergebenden Unklarheiten werden durch die jetzt gewählte Verweisung vermieden. Andererseits besteht der Nachteil, dass sich die Schwellenwerte nicht ohne Rückgriff auf die Richtlinien ermitteln lassen. Ein Blick in das GWB oder die Vergabeordnungen genügt nicht. Das hiermit verbundene Manko soll durch die Veröffentlichung der Schwellenwerte im Bundesanzeiger (§ 106 Abs. 3) vermieden werden. Ob dies in der Praxis tatsächlich hilft, erscheint fraglich. 1. Anpassung der Schwellenwerte Der Grund für die Verweisung auf die Vergaberichtlinien hinsichtlich der Höhe 13 der Schwellenwerte liegt darin, dass diese im Abstand von zwei Jahren angepasst wird. Die europäischen Schwellenwerte beruhen auf dem General Procurement Agreement (GPA) (dazu oben Rz. 5). Dort werden die Schwellenwerte in der Währungseinheit der World Trade Organization, den „Sonderziehungsrechten“ (SZR) angegeben. Die Vergaberichtlinien setzen die Schwellenwerte hingegen in Euro fest. Um Kursschwankungen zwischen SZR und Euro auszugleichen, werden die sich aus den GPA ergebenden Schwellenwerte von der Kommission alle zwei Jahre überprüft, soweit erforderlich in Euro umgerechnet und die Richtlinien entsprechend geändert (Art. 9 Richtlinie 2014/23/EU; Art. 6 Richtlinie 2014/24/EU; Art. 17 Richtlinie 2014/25/EU und Art. 68 Richtlinie 2009/81/EG). Die Berechnung erfolgt anhand des durchschnittlichen Tageskurses des Euro, ausgedrückt in SZR, während der 24 Monate, die am 31.8. enden, der der Neufestsetzung zum 1.1. vorausgeht (Art. 9 Abs. 1 Unterabs. 2 RL 2014/ Stickler

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§ 106 | Schwellenwerte 23/EU; Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 2 RL 2014/24/EU; Art. 17 Abs. 1 Unterabs. 2 RL 2014/25/EU; Art. 68 RL 2009/81/EG). 14 Die gegenwärtigen Schwellenwerte gelten seit dem 1.1.20161. Die nächste Über-

prüfung und ggf. Anpassung wird zum 1.1.2018 erfolgen.

2. Schwellenwerte für öffentliche Auftraggeber (§ 106 Abs. 2 Nr. 1) 15 Für öffentliche Aufträge und Wettbewerbe, die von öffentlichen Auftraggebern

vergeben werden, ergeben sich die Schwellenwerte aus Art. 4 der RL 2014/24/ EU (§ 106 Abs. 2 Nr. 1). Danach gelten seit dem 1.1.2016 folgende Schwellenwerte: – bei öffentlichen Bauaufträgen (§ 103 Abs. 3) 5 225 000 Euro; – bei öffentlichen Liefer- und Dienstleistungsaufträgen (§ 103 Abs. 2 und Abs. 4), die von zentralen Regierungsbehörden (dazu Rz. 16) vergeben werden, und bei von diesen Behörden ausgerichteten Wettbewerben (§ 103 Abs. 6) 135 000 Euro; – bei öffentlichen Liefer- und Dienstleistungsaufträgen (§ 103 Abs. 2 und Abs. 4), die von subzentralen öffentlichen Auftraggebern vergeben werden, und bei von diesen Behörden ausgerichteten Wettbewerben (§ 103 Abs. 6) 209 000 Euro; – bei öffentlichen Dienstleistungsaufträgen (§ 103 Abs. 4) betreffend soziale und andere besondere Dienstleistungen im Sinne von Anhang XIV der RL 2014/24/EU (Rz. 19) 750 000 Euro.

16 Der Schwellenwert von 135 000 Euro netto ist nach § 106 Abs. 2 Nr. 1 Halbs. 2

von allen obersten Bundesbehörden sowie allen oberen Bundesbehörden und vergleichbaren Bundeseinrichtungen anzuwenden. Die Richtlinie 2014/24/EU bezeichnet diese Auftraggeber als „zentrale Regierungsbehörden“ (Art. 2 Abs. 1 Nr. 1). Hierzu zählen in Deutschland die Bundesministerien einschließlich der ihnen unterstellten Behörden. Eine Auflistung der zentralen Regierungsbehörden findet sich in Anhang I zur RL 2014/24/EU (Art. 2 Abs. 1 Nr. 2 Richtlinie).

17 Für alle anderen öffentlichen Auftraggeber, die keine zentralen Regierungs-

behörden sind, gilt bei der Vergabe öffentlicher Liefer- und Dienstleistungsaufträge sowie von Wettbewerben ein Schwellenwert von 209 000 Euro. Die Richtlinie bezeichnet diese Auftraggeber als subzentrale öffentliche Auftraggeber (Art. 2 Abs. 1 Nr. 3 RL 2014/24/EU; vgl. auch § 12 EU Abs. 2 Nr. 3 VOB/A). Für die Frage, welcher Schwellenwert Anwendung findet, ist auf den jeweiligen Auftraggeber abzustellen. Aus welchem Haushalt der Auftrag finanziert wird, spielt keine Rolle2. 1 VO (EU) 2015/2170, VO (EU) 2015/2171, VO (EU) 2015/2172 und VO (EU) 2015/2340. 2 OLG München v. 28.9.2005 – Verg 19/05, VergabeR 2006, 238 (241).

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Schwellenwerte | § 106

Soweit die Länder Bundesgesetze im Auftrag des Bundes (Bundesauftragsverwaltung) ausführen, bleibt die Einrichtung der Behörden Angelegenheit der Länder (Art. 85 Abs. 1 Satz 1 GG). Auch wenn in diesen Fällen die Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch die jeweilige Landesbehörde, öffentlicher Auftraggeber ist, liegt eine Form der Landesverwaltung vor, bei der die Länder Landesstaatsgewalt ausüben und ihre Behörden als Landesorgane handeln1. Zu den Aufgaben der Auftragsverwaltung zählt beispielsweise die Verwaltung der Bundesautobahnen und der sonstigen Bundesstraßen des Fernverkehrs (Art. 90 Abs. 2 GG). Soweit Landesbehörden im Rahmen der Bundesauftragsverwaltung tätig werden, findet der Schwellenwert von 209 000 Euro Anwendung. Das Gleiche gilt für den Fall, dass Landesbehörden im Wege der Organleihe für den Bund tätig werden2. Der Schwellenwert von 209 000 Euro gilt nach Art. 4 lit. c) RL 2014/24/EU auch 18 für öffentliche Lieferaufträge (§ 103 Abs. 2), die von zentralen Regierungsbehörden (Rz. 16) im Verteidigungsbereich vergeben werden, sofern diese Aufträge Waren betreffen, die nicht in Anhang III zur RL 2014/24/EU aufgeführt sind. Für die Vergabe der Lieferung der in Anhang III genannten Waren findet somit der Schwellenwert in Höhe von 135 000 Euro Anwendung. Für alle übrigen Lieferaufträge im Verteidigungsbereich gilt der Schwellenwert von 209 000 Euro, soweit diese Aufträge nicht ohnehin § 106 Abs. 2 Nr. 3 unterfallen. Bei öffentlichen Dienstleistungsaufträgen, die Dienstleistungen im Sinne von 19 Anhang XIV der Richtlinie 2014/24/EU betreffen, beträgt der Schwellenwert 750 000 Euro. Nähere Bestimmungen zu der Vergabe dieser Dienstleistungsaufträge finden sich in § 130 und §§ 64 bis 66 VgV. Wie sich aus dem Regelungszusammenhang in Art. 74 ff. RL 2014/24/EU ergibt, gilt dieser Schwellenwert auch für Dienstleistungsaufträge, die von zentralen Regierungsbehörden (Rz. 16) erteilt werden. 3. Sektorenauftraggeber (§ 106 Abs. 2 Nr. 2) Im Hinblick auf öffentliche Aufträge (§ 103 Abs. 1) und Wettbewerbe (§ 103 20 Abs. 6), die von Sektorenauftraggebern (§ 100) zum Zweck der Ausübung einer Sektorentätigkeit (§ 102) vergeben werden, ergeben sich die Schwellenwerte aus Art. 15 der RL 2014/25/EU. Für die Anwendung dieser Schwellenwerte genügt nicht, dass ein Sektorenauf- 21 traggeber tätig wird. Vielmehr muss die Auftragsvergabe dem Zweck der Ausübung einer Sektorentätigkeit dienen. Ist dies nicht der Fall und handelt es sich bei dem Sektorenauftraggeber gleichzeitig um einen öffentlichen Auftraggeber 1 BVerfG v. 22.5.1990 – 2 BvG 1/88, MDR 1990, 1091 = NVwZ 1990, 955 (957); BGH v. 20.3.2014 – X ZB 13/18, VergabeR 2014, 538 (541). 2 Erlass des BMVBS v. 5.12.2011 – B 15 – 8162.2/1.

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§ 106 | Schwellenwerte im Sinne des § 99, finden die Schwellenwerte des § 106 Abs. 2 Nr. 1 Anwendung. Ist der Sektorenauftraggeber nicht zugleich öffentlicher Auftraggeber, hat er, soweit er den Auftrag nicht zum Zweck der Ausübung einer Sektorentätigkeit vergibt, keinerlei vergaberechtliche Vorschriften zu beachten. Für die Vergabe gemischter Aufträge gelten §§ 111 und 112. 22 Die Schwellenwerte betragen seit dem 1.1.2016:

– bei Liefer- (§ 103 Abs. 2) und Dienstleistungsaufträgen (§ 103 Abs. 4) sowie Wettbewerben (§ 103 Abs. 6) 418 000 Euro; – bei Bauaufträgen (§ 103 Abs. 3) 5 225 000 Euro; – bei Dienstleistungsaufträgen betreffend soziale und andere besondere Dienstleistungen die in Anhang XVII der RL 2014/25/EU aufgeführt sind (dazu oben Rz. 19) 1 000 000 Euro. 4. Verteidigungs- und sicherheitsspezifische öffentliche Aufträge (§ 106 Abs. 2 Nr. 3) 23 Bezüglich verteidigungs- oder sicherheitsspezifischer öffentlicher Aufträge

(§ 104) verweist § 106 Abs. 2 Nr. 3 auf Art. 8 RL 2009/81/EG in der jeweils geltenden Fassung. Die Schwellenwerte betragen seit dem 1.1.2016: – bei Liefer- (§ 103 Abs. 2) und Dienstleistungsaufträgen (§ 103 Abs. 4) 418 000 Euro; – bei Bauaufträgen (§ 103 Abs. 3) 5 225 000 Euro. 5. Konzessionen (§ 106 Abs. 2 Nr. 4)

24 In Bezug auf Konzessionen (§ 105) verweist § 106 Abs. 2 Nr. 4 auf Art. 8 der

Richtlinie 2014/23/EU in der jeweils geltenden Fassung. Dieser Schwellenwert beträgt seit dem 1.1.2016: – 5 225 000 Euro.

V. Bekanntmachung im Bundesanzeiger (§ 106 Abs. 3) 25 Nach § 106 Abs. 3 gibt das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie die

geltenden Schwellenwerte unverzüglich, nachdem sie im Amtsblatt der Europäischen Union veröffentlicht worden sind, im Bundesanzeiger bekannt. Die aktuelle Bekanntmachung findet sich im Bundesanzeiger BAnz AT 31.12.2015 B3. Durch diese Vorschrift soll es den Anwendern ermöglicht werden, die Höhe der Schwellenwerte auch einer nationalen Bekanntmachung zu entnehmen. Die Bekanntmachung ist lediglich deklaratorischer Natur. Die neuen Schwellenwerte sind jeweils unmittelbar anwendbar, sobald die entsprechende Änderungsregelung auf europäischer Ebene in Kraft getreten ist. 372

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Allgemeine Ausnahmen | § 107

§ 107 Allgemeine Ausnahmen (1) Dieser Teil ist nicht anzuwenden auf die Vergabe von öffentlichen Aufträgen und Konzessionen 1. zu Schiedsgerichts- und Schlichtungsdienstleistungen, 2. für den Erwerb, die Miete oder die Pacht von Grundstücken, vorhandenen Gebäuden oder anderem unbeweglichem Vermögen sowie Rechten daran, ungeachtet ihrer Finanzierung, 3. zu Arbeitsverträgen, 4. zu Dienstleistungen des Katastrophenschutzes, des Zivilschutzes und der Gefahrenabwehr, die von gemeinnützigen Organisationen oder Vereinigungen erbracht werden und die unter die Referenznummern des Common Procurement Vocabulary 75250000-3, 75251000-0, 75251100-1, 75251110-4, 75251120-7, 75252000-7, 75222000-8, 98113100-9 und 85143000-3 mit Ausnahme des Einsatzes von Krankenwagen zur Patientenbeförderung fallen; gemeinnützige Organisationen oder Vereinigungen im Sinne dieser Nummer sind insbesondere die Hilfsorganisationen, die nach Bundes- oder Landesrecht als Zivil- und Katastrophenschutzorganisationen anerkannt sind. (2) Dieser Teil ist ferner nicht auf öffentliche Aufträge und Konzessionen anzuwenden, 1. bei denen die Anwendung dieses Teils den Auftraggeber dazu zwingen würde, im Zusammenhang mit dem Vergabeverfahren oder der Auftragsausführung Auskünfte zu erteilen, deren Preisgabe seiner Ansicht nach wesentlichen Sicherheitsinteressen der Bundesrepublik Deutschland im Sinne des Artikels 346 Absatz 1 Buchstabe a des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union widerspricht, oder 2. die dem Anwendungsbereich des Artikels 346 Absatz 1 Buchstabe b des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union unterliegen. I. 1. 2. II.

Einführung Inhaltsübersicht . . . . . . . . . . . . Entstehungsgeschichte . . . . . . . Ausnahmen vom Anwendungsbereich des Kartellvergaberechts (§ 107 Abs. 1) 1. Verträge über Schiedsgerichtsund Schlichtungsleistungen (§ 107 Abs. 1 Nr. 1) . . . . . . . . . 2. Immobilienbezogene Verträge (§ 107 Abs. 1 Nr. 2) . . . . . . . . . 3. Arbeitsverträge (§ 107 Abs. 1 Nr. 3) . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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4. Verträge über Dienstleistungen des Katastrophenschutzes, des Zivilschutzes und der Gefahrenabwehr (§ 107 Abs. 1 Nr. 4) . . . . 5. Sicherheitsrelevante Aufträge (§ 107 Abs. 2) . . . . . . . . . . . . . a) Besonders sicherheitsrelevante Aufträge (§ 107 Abs. 2 Nr. 1) b) Aufträge zur Beschaffung von Verteidigungsgütern (§ 107 Abs. 2 Nr. 2) . . . . . . . . . . . . III. Ausnahmecharakter der Vorschrift . . . . . . . . . . . . . . . .

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§ 107 | Allgemeine Ausnahmen I. Einführung 1. Inhaltsübersicht 1 § 107 enthält allgemeine Ausnahmen vom sachlichen Anwendungsbereich des

Kartellvergaberechts. § 107 Abs. 1 enthält vier Ausnahmetatbestände für die Vergabe von öffentlichen Aufträgen und Konzessionen zu Schiedsgerichts- und Schlichtungsdienstleistungen (Nr. 1), bestimmten immobilienbezogenen Verträgen (Nr. 2), Arbeitsverträgen (Nr. 3) sowie bestimmten Dienstleistungen des Katastrophenschutzes, des Zivilschutzes und der Gefahrenabwehr (Nr. 4). Nach § 107 Abs. 2 findet das Kartellvergaberecht darüber hinaus keine Anwendung bei bestimmten sicherheitsrelevanten öffentlichen Aufträgen und Konzessionen (Nr. 1) sowie bei Aufträgen und Konzessionen zur Beschaffung von Verteidigungsgütern (Nr. 2). 2. Entstehungsgeschichte

2 Vor Inkrafttreten des Vergaberechtsmodernisierungsgesetzes vom 20.4.20091

waren die Ausnahmetatbestände zum Teil in § 100 GWB a.F. und zum Teil, insbesondere soweit es Ausnahmen in den Sektoren betraf, in der Vergabeverordnung verankert. 3 Mit dem Vergaberechtsmodernisierungsgesetz vom 20.4.2009 erfolgte zum einen – wie es in der Begründung zum Regierungsentwurf hieß – „die Übernahme der Ausnahmevorschriften für die Bereiche der Trinkwasser- und Energieversorgung sowie des Verkehrs, die bislang in der Vergabeverordnung geregelt waren“2, in § 100 Abs. 2. Zum anderen wurden die Ausnahmetatbestände an die sich aus dem Inkrafttreten der Richtlinien 2004/18/EG und 2004/17/EG ergebenden Änderungen der gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben angepasst. Die seinerzeit neu geschaffene Regelung von § 100 Abs. 1 GWB a.F. beruhte auf Art. 7 der Richtlinie 2004/18/EG und Art. 16 der Richtlinie 2004/17/EG bzw. den entsprechenden Regelungen der Vorgängerrichtlinien 92/50/EWG, 93/36/ EWG, 93/37/EWG und 93/38/EWG. Der Gesetzestext entsprach dem Regierungsentwurf des Vergaberechtsänderungsgesetzes. Die Regelungen des § 100 Abs. 2 GWB a.F. gingen auf Art. 12 ff. der Richtlinie 2004/18/EG sowie Art. 18 ff. der Richtlinie 2004/17/EG bzw. den entsprechenden Regelungen der Vorgängerrichtlinien zurück. 4 Die Ausnahmeregelungen wurden durch das Gesetz zur Änderung des Vergaberechts für die Bereiche Verteidigung und Sicherheit vom 7.12.20113 erneut modifiziert. Zum einen wurde § 100 GWB a.F. neu gefasst. Zum anderen wurden in den §§ 100a, 100b und 100c GWB a.F. besondere Ausnahmetat1 BGBl. I 2009, 790 ff. 2 BT-Drucks. 16/10117, S. 19. 3 BGBl. I 2011, 2570 ff.

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bestände, u.a. für den Sektorenbereich und die Bereiche Verteidigung und Sicherheit, geschaffen. Das Gesetz diente der Umsetzung der Richtlinie 2009/81/EG. Durch das Vergaberechtsmodernisierungsgesetz vom 17.2.20161 wurden die 5 bislang in den §§ 100 Abs. 2 bis 6 und 8, 100a, 100b und 100c GWB a.F. geregelten Ausnahmetatbestände neu strukturiert, leicht modifiziert und teilweise um weitere Bereichsausnahmen ergänzt. § 107 stellt den neuen allgemeinen Ausnahmetatbestand dar. Bislang waren die allgemeinen Ausnahmen in § 100 Abs. 2 bis 8 GWB a.F. geregelt. Die jetzt in § 107 geregelten allgemeinen Ausnahmen sind in allen vier EU-Vergaberichtlinien vorgesehen (Art. 10 der Richtlinie 2014/23/EU, Art. 10 der Richtlinie 2014/24/EU, Art. 21 der Richtlinie 2014/ 25/EU und Art. 13 der Richtlinie 2009/81/EG)2. Neben § 107 bestehen weitere, teils ebenfalls neu geschaffene besondere Ausnahmetatbestände: § 108 (Ausnahmen bei öffentlich-öffentlicher Zusammenarbeit) und § 109 (Ausnahmen für Vergaben auf der Grundlage internationaler Verfahrensregeln) gelten dabei neben § 107 für öffentliche Auftraggeber (§ 99), Sektorenauftraggeber (§ 100) und Konzessionsgeber (§ 101) gleichermaßen. Daneben definieren die §§ 116 und 117 Ausnahmen nur für öffentliche Auftraggeber, die §§ 137 bis 140 Ausnahmen nur für Sektorenauftraggeber, § 145 Ausnahmen nur für die Vergabe von verteidigungs- oder sicherheitsspezifischen öffentlichen Aufträgen durch öffentliche Auftraggeber und Sektorenauftraggeber und die §§ 149 und 150 Ausnahmen für die Vergabe von Konzessionen durch Konzessionsgeber.

II. Ausnahmen vom Anwendungsbereich des Kartellvergaberechts (§ 107 Abs. 1) 1. Verträge über Schiedsgerichts- und Schlichtungsleistungen (§ 107 Abs. 1 Nr. 1) § 107 Abs. 1 Nr. 1 nimmt die Vergabe von öffentlichen Aufträgen und Konzes- 6 sionen zu Schiedsgerichts- und Schlichtungsdienstleistungen vom Anwendungsbereich des 4. Teils des GWB aus. Die Ausnahme war bislang inhaltsgleich in § 100 Abs. 4 Nr. 1 GWB a.F. geregelt. Die Vorschrift dient der Umsetzung von Art. 10 Abs. 8 lit. c) der Richtlinie 2014/23/EU, Art. 10 lit. c) der Richtlinie 2014/24/EU, Art. 21 lit. b) der Richtlinie 2014/25/EU sowie Art. 13 lit. g) der Richtlinie 2009/81/EG3. Die Nichtanwendbarkeit des Kartellvergaberechts auf Schiedsgerichts- und 7 Schlichtungsleistungen wird damit begründet, dass derartige Leistungen normalerweise von Organisationen oder Personen übernommen werden, deren Bestel1 BGBl. I 2016, 203 ff. 2 BT-Drucks. 18/6281, S. 78. 3 BT-Drucks. 18/6281, S. 78.

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§ 107 | Allgemeine Ausnahmen lung oder Auswahl in einer Art und Weise erfolgt, die sich nicht nach Vergabevorschriften für öffentliche Aufträge richten kann1. Gemeint ist damit, dass bei der Auswahl von Schiedsrichtern und Schlichtern als „gerichtsähnlichen Instanzen“ weniger wirtschaftliche Gründe maßgeblich sind als viel mehr deren Sachund Fachkunde, besondere Anerkennung und persönliche Integrität. Derartige Anforderungen sind einem wettbewerblichen Verfahren, das darauf gerichtet sein soll, das wirtschaftlichste Angebot zu ermitteln, nur begrenzt zugänglich. Zu den von § 107 Abs. 1 Nr. 1 umfassten Leistungen gehören neben denjenigen als Schiedsrichter oder Schlichter auch die Sachverständigenleistungen im Rahmen eines Schiedsgutachtens oder als Grundlage für die Erstellung eines solchen Gutachtens. 2. Immobilienbezogene Verträge (§ 107 Abs. 1 Nr. 2) 8 § 107 Abs. 1 Nr. 2 normiert eine Ausnahme vom Kartellvergaberecht für die

Vergabe von öffentlichen Aufträgen und Konzessionen für den Erwerb, die Miete oder die Pacht von Grundstücken, vorhandenen Gebäuden oder anderem unbeweglichem Vermögen sowie Rechten daran, ungeachtet ihrer Finanzierung. Diese war bislang in § 100 Abs. 5 GWB a.F. geregelt. Die Vorschrift dient der Umsetzung von Art. 10 lit. a) der Richtlinie 2014/24/EU, Art. 10 Abs. 8 lit. a) der Richtlinie 2014/23/EU, Art. 21 lit. a) der Richtlinie 2014/25/EU sowie Art. 13 lit. e) der Richtlinie 2009/81/EG. Inhaltliche Änderungen sind mit der neuen Vorschrift nicht verbunden2.

9 In den Erwägungsgründen3 wird darauf hingewiesen, dass derartige Verträge

Merkmale aufweisen, die die Anwendung von Vorschriften über die Vergabe von öffentlichen Aufträgen unangemessen erscheinen lassen. Gemeint ist damit, dass die Beschaffung von Immobilien oder anderem unbeweglichen Vermögen in Form von Erwerb, Pacht oder Miete regelmäßig durch die Einmaligkeit des betreffenden Objekts, seine spezifische Lage u.Ä. geprägt ist. Eine an Wirtschaftlichkeitskriterien orientierte Austauschbarkeit des Beschaffungsgegenstandes ist daher im Vergleich zu Waren und Dienstleistungen, die üblicherweise am Markt beschafft werden können, nicht gegeben4.

10 § 107 Abs. 1 Nr. 2 bezieht sich auf den Erwerb, die Pacht und die Anmietung

von Immobilien und anderem unbeweglichen Vermögen durch öffentliche Auftraggeber i.S.v. § 995. Ergänzend dazu werden auch Rechte an Immobilien und

1 Vgl. Erwägungsgrund 24 der Richtlinie 2014/24/EU sowie jeweils Erwägungsgrund 32 der Richtlinien 2014/25/EU und 2009/81/EG. 2 BT-Drucks. 18/6281, S. 78. 3 Vgl. Erwägungsgrund 31 der Richtlinie 2009/81/EG. 4 Dreher in Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, 5. Aufl. 2014, GWB, § 100 Rz. 42. 5 Vgl. für die Fallkonstellation „Miete“ VK Bund v. 30.0.2016 – VK 1 – 86/16, IBRRS 2017, 0489.

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anderem unbeweglichem Vermögen erfasst. Dazu gehören Nutzungsrechte (z.B. Erbbaurechte, Dienstbarkeiten), Erwerbsrechte (z.B. dingliche Vorkaufsrechte) und Verwertungsrechte (z.B. Grundpfandrechte)1. Ausdrücklich genannt sind in § 107 Abs. 1 Nr. 2 der „Erwerb, die Miete oder die 11 Pacht von Grundstücken, [und] vorhandenen Gebäuden“. Soweit von vorhandenen Gebäuden oder anderem unbeweglichen Vermögen die Rede ist, geht es in der Regel um bereits existierende bauliche Anlagen, die erworben, gepachtet oder gemietet werden sollen. § 107 Abs. 1 Nr. 2 umfasst über seinen Wortlaut hinaus aber auch Fälle, in denen die in Frage stehende bauliche Anlage erst noch errichtet werden muss, jedenfalls dann, wenn der öffentliche Auftraggeber auf deren bauliche Gestaltung keinen bzw. zumindest keinen wesentlichen Einfluss nimmt2. Die Ausweitung des Anwendungsbereichs des grundsätzlich eng auszulegenden Ausnahmetatbestands rechtfertigt sich für solche Verträge, da sie üblicherweise auch über schon vorhandene Gebäude abgeschlossen werden3. Mietet also etwa ein öffentlicher Auftraggeber Büroräume in einem bereits genehmigten und in der Errichtung befindlichen Gebäude oder erwirbt er ein solches Gebäude in der Bauphase, unterfällt dies nicht dem Kartellvergaberecht, sofern er nicht zuvor bereits die Planung des Gebäudes in wesentlichen Punkten mitbestimmt oder dem Verkäufer bzw. Bauherrn konkrete Vorgaben dazu gemacht hat, wie ein von ihm zu erwerbendes bzw. anzumietendes Gebäude auszusehen hat4. Der Ausnahmetatbestand greift im Ergebnis allerdings nur, wenn der Auftrag 12 als Dienstleitungs- und nicht als Bauauftrag einzustufen ist5. Nicht von dem Ausnahmetatbestand des § 107 Abs. 1 Nr. 2 erfasst ist deshalb grundsätzlich die Durchführung von Maßnahmen auf Grundstücken im Auftrag des öffentlichen Auftraggebers. Gemeint sind Fälle, in denen der Verkäufer, Verpächter oder Vermieter oder auch ein sonstiger Dritter eine bauliche Anlage gemäß den vom Auftraggeber genannten Erfordernissen (nach dessen Beschaffungsprofil, z.B. auf der Grundlage eines Bauträgervertrages) errichtet. Hier übt der Auftraggeber nämlich selbst einen erheblichen Einfluss auf die Bauausführung aus. In derartigen Fällen handelt es sich gem. § 103 Abs. 3 Satz 2 um einen Bauauftrag (vgl. § 103 Rz. 109 ff.). Dies ist sachgerecht. Denn wirtschaftlich besteht kein Unterschied zwischen der Vergabe eines solchen Auftrags und der Vergabe eines 1 Röwekamp in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 107 Rz. 25. 2 EuGH v. 29.10.2009 – Rs. C-536/07, NZBau 2009, 792 (796) – Köln Messe; OLG Schleswig v. 1.4.2010 – 1 Verg 5/09, IBR 2010, 578 ff.; Dreher, NZBau 2009, 542 (543 f.). 3 Röwekamp in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 107 Rz. 16. 4 Vgl. VK Südbayern v. 22.5.2003 – 17-04/03, BeckRS 2003, 32450; VK Lüneburg v. 8.3. 2004 – 203-VgK-03/04, BeckRS 2004, 08599. 5 Vgl. Art. 10 lit. a) i.V.m. Art. 2 Abs. 1 Nr. 9 sowie Erwägungsgrund 8 der Richtlinie 2014/ 24/EU; s. ferner auch bereits Art. 16 sowie Erwägungsgrund 24 der Vergabekoordinierungsrichtlinie 2004/18/EG.

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§ 107 | Allgemeine Ausnahmen Werkvertrags über Bauleistungen, der unstreitig unter § 103 Abs. 3 fällt. Hier wie dort erhält der Auftraggeber im Ergebnis ein Bauwerk, das nach seinen Wünschen errichtet und auf seine Nutzungsabsichten zugeschnitten ist. Lediglich aus finanziellen oder steuerrechtlichen Gründen wird nicht der Abschluss eines Werkvertrags, sondern eine hiervon abweichenden Gestaltung gewählt. Der öffentliche Auftraggeber könnte also durch die Vertragswahl das strenge Vergaberechtsregime umgehen. Um ihm diese Möglichkeit zu nehmen, werden diese Verträge – zu Recht – den Werkverträgen über Bauleistungen vergaberechtlich gleichgesetzt1 (s. hierzu § 103 Rz. 102). 13 Die rechtliche Qualifizierung eines Vertrages als vergaberechtsfreier immobilien-

bezogener Vertrag im Unterschied zu einem ausschreibungspflichtigen Bauauftrag erweist sich indes zuweilen als schwierig2. In Abgrenzung zu der Definition eines öffentlichen Bauauftrags, wie sie sich aus den einschlägigen europäischen Richtlinien ergibt3, muss Ausgangspunkt der Beurteilung des Vorliegens eines dem Kartellvergaberecht nicht unterfallenden Mietvertrags der Inhalt des zwischen den beteiligten Parteien geschlossenen Vertrags sein. Dabei kommt es nicht darauf an, wie die Parteien oder das nationale Recht einen bestimmten Vertrag qualifizieren4.

14 Grundsätzlich liegt ein Vertrag mit bauvertraglichen Elementen vor, wenn sich

ein Unternehmer verpflichtet, eine Bauleistung „gemäß den vom Auftraggeber genannten Erfordernissen“ zu erbringen. Entscheidend ist dabei die Frage, ob die Realisierung des Auftrags auf einer Beschaffungsinitiative des öffentlichen Auftraggebers oder einer eigenständigen privaten Projektentwicklung beruht. Der Übergang ist häufig fließend, weshalb in der Praxis eine anfängliche Unsicherheit bestand5, wann genau die Realisierung des Auftrags auf einer Beschaffungsinitiative des öffentlichen Auftraggebers beruhe. Nach mittlerweile wohl gefestigter Rechtsprechung des EuGH6 ist dies dann der Fall, wenn der öffentliche Auftraggeber Maßnahmen ergriffen hat, um die Merkmale der Bauleistung

1 So bereits Marx in Beck’scher Kommentar zur VOB/A, 1. Aufl. 2001, § 99 GWB Rz. 28. 2 Vgl. z.B. für die Verpachtung kommunaler Grundstücke zum Zwecke der Windenergienutzung Frey, NVwZ 2016, 1200 (1202). 3 Vgl. vor allem Art. 2 Abs. 1 Nr. 6 der Richtlinie 2014/24/EU, Art. 2 Nr. 2 der Richtlinie 2014/25/EU und Art. 1 Nr. 3 der Richtlinie 2009/81/EG; sowie auch Art. 5 Nr. 7 der Richtlinie 2014/23/EU. 4 EuGH v. 29.10.2009 – Rs. C-536/07, NZBau 2009, 792, 795 – Köln Messe; EuGH v. 10.7. 2014 – Rs. C-213/13, VergabeR 2014, 766 (770) – Pizzarotti. 5 EuGH v. 10.7.2014 – Rs. C-213/13, VergabeR 2014, 766 ff., Rz. 44 – Pizzarotti; sowie schon EuGH v. 25.3.2010 – Rs. C-451/08, Rz. 67 ff. – Helmut Müller GmbH; abweichend zuvor OLG Düsseldorf v. 2.10.2008 – VII-Verg 25/08, NZBau 2008, 727 ff.; OLG Düsseldorf v. 13.6.2007 – VII-Verg 2/07, NZBau 2007, 530 ff. 6 EuGH v. 10.7.2014 – Rs. C-213/13, VergabeR 2014, 766 ff., Rz. 44 – Pizzarotti; sowie schon EuGH v. 25.3.2010 – Rs. C-451/08, Rz. 67 ff. – Helmut Müller GmbH; abweichend zuvor OLG Düsseldorf v. 2.10.2008 – VII-Verg 25/08, NZBau 2008, 727 ff.; OLG Düsseldorf v. 13.6.2007 – VII-Verg 2/07, NZBau 2007, 530 ff.

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festzulegen oder zumindest einen entscheidenden Einfluss auf die Planung der Bauleistung zu nehmen1. Denkbar wäre beispielsweise die Festlegung von Besonderheiten der Außenfassade, der Raumaufteilung oder der technischen Ausstattung des geplanten Bauvorhabens entsprechend des vom öffentlichen Auftraggeber geplanten Nutzungszwecks (vertiefend hierzu § 103 Rz. 113 ff.). Weist ein Vertrag zugleich Elemente eines öffentlichen Bauauftrags und Ele- 15 mente eines Auftrags anderer Art auf – wie dies bisweilen bei Mietverträgen über ein noch zu errichtendes Gebäude der Fall ist, da diese jedenfalls neben Bauauftrags- auch Dienstleistungselemente enthalten – ist sowohl nach der Rechtsprechung des EuGH als auch nach § 110 auf seinen Hauptgegenstand abzustellen2. In dem vom EuGH in der Sache „Köln Messe“ zu entscheidenden Fall wurden die Bauwerke gemäß den „sehr detaillierten und von der Stadt Köln im Vertrag deutlich formulierten Spezifikationen errichtet“3. Der EuGH sah in den von der Stadt Köln gemachten Vorgaben über die genaue Beschreibung der zu errichtenden Gebäude, ihrer Beschaffenheit und ihrer Ausstattung eine weit über die üblichen Vorgaben eines Mieters für eine neue Immobilie hinausgehende Einwirkung auf das Bauobjekt. Daraus schloss er, dass vorrangiges Ziel des Vertrages der Bau der fraglichen Messehallen gemäß den von der Stadt Köln genannten Erfordernissen gewesen sei und stufte den Vertrag daher im Ergebnis als öffentlichen Bauauftrag ein4. Ähnlich argumentierte der EuGH einige Jahre später in der Rechtsache „Pizzarotti“5. Hier ging es um die Vermietung eines noch zu errichtenden Gerichtsgebäudes. Der EuGH sah in dem Umstand, dass mit dem Bau im Zeitpunkt der Vermietung noch nicht begonnen worden war den Grund dafür, den Hauptgegenstand des Vertrags nicht in der Dienstleistung, sondern in der Bauleistung anzusiedeln6. Denn diese war nach Ausführungen des EuGH denknotwendige Voraussetzung für die Erfüllung des Mietvertrags und damit Hauptgrund der vertraglichen Einigung7. Auch hier qualifizierte der EuGH den in Frage stehenden Vertrag als öffentlichen Bauauftrag. 1 EuGH v. 10.7.2014 – Rs. C-213/13, VergabeR 2014, 766 ff., Rz. 44 – Pizzarotti; sowie schon EuGH v. 25.3.2010 – Rs. C-451/08, Rz. 67 ff. – Helmut Müller GmbH. 2 EuGH v. 10.7.2014 – Rs. C-213/13, NZBau 2014, 572, Rz. 41 – Pizzarotti; EuGH v. 18.1. 2007 – Rs. C-220/05, NZBau 2007, 185, Rz. 37 – Stadt Roanne; EuGH v. 21.2.2008 – Rs. C-412/04, VergabeR 2008, 501 ff., Rz. 47 – Kommission/Italien; vertiefend VK SchleswigHolstein v. 2.12.2009 – VK-SH 21/09, VPRRS 2009, 0464; OLG Schleswig v. 1.4.2010 – 1 Verg 5/09, IBR 2010, 578 ff.; OLG Jena v. 7.10.2015 – 2 Verg 3/15, IBR 2016, 231 ff.; OLG Düsseldorf v. 7.8.2013 – VII-Verg 14/13, VergabeR 2014, 170 ff.; VK Sachsen v. 19.6.2015 – 1/SVK/009-15, BauR 2015, 2045 f.; VK Thüringen v. 13.4.2015 – 250-4002-8159/2014E-027-J, VPRRS 2016, 0047. 3 EuGH v. 29.10.2009 – Rs. C-536/07, NZBau 2009, 792 (796) – Köln Messe. 4 EuGH v. 29.10.2009 – Rs. C-536/07, NZBau 2009, 792 (796) – Köln Messe. 5 EuGH v. 10.7.2014 – Rs. C-213/13, VergabeR 2014, 766 ff., Rz. 44 – Pizzarotti. 6 EuGH v. 10.7.2014 – Rs. C-213/13, VergabeR 2014, 766 ff., Rz. 44 – Pizzarotti. 7 EuGH v. 10.7.2014 – Rs. C-213/13, VergabeR 2014, 766 ff., Rz. 44 – Pizzarotti.

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§ 107 | Allgemeine Ausnahmen 16 Die vom EuGH vorgenommene Abwägung zeigt, dass es bei sog. typenge-

mischten Verträgen eine schlichte Abgrenzungsregel zwischen vergaberechtsfreiem Mietvertrag und ausschreibungspflichtigem Bauauftrag nicht wird geben können. Vielmehr ist für die rechtliche Einordnung des in Frage stehenden Vertrags stets eine ausführliche Betrachtung aller Umstände des Einzelfalls erforderlich. Dabei kann allein die Bezeichnung eines Vertrags als „Mietvertrag“ allenfalls ein untergeordnetes Indiz für die hervorgehobene Stellung der Dienstleistungselemente sein1.

17 Im Einzelfall kann sich deshalb auch ein Mietvertrag über ein bereits vorhande-

nes Gebäude als ausschreibungspflichtig erweisen. Zu denken ist etwa an den Fall, dass ein vorhandenes Gebäude durch einen vom öffentlichen Auftraggeber gewünschten Innenausbau erheblich umgestaltet wird. Soll der Auftrag über den Innenausbau auch an den Vermieter vergeben werden, können Mietvertrag und Vertrag über den Innenausbau ein einheitliches Vertragswerk und damit aus kartellvergaberechtlicher Sicht auch einen öffentlichen Bauauftrag i.S.v. § 103 Abs. 3 darstellen. Indem der Mieter die konkrete Planung des Umbaus bzw. der Innengestaltung vorgibt, nimmt er auf Details der Bauplanung Einfluss. Die Qualifizierung eines solchen Vertrags als ausschreibungspflichtigen Bauauftrag setzt unter Anwendung der Rechtsprechung des EuGH allerdings voraus, dass die Vorgaben des Mieters solche von erheblichen Ausmaß bezogen auf das Gesamtvorhaben sind. Erweisen sich die Bauleistungen im Verhältnis zur Dienstleistung nur als Nebenarbeiten, ist der Vertrag insgesamt als Dienstleitungsauftrag einzustufen2. Hinsichtlich der Abgrenzung gilt das zuvor in der Rz. 16 Ausgeführte entsprechend.

18 Nicht unter § 107 Abs. 1 Nr. 2 fallen des Weiteren Verträge über den Erwerb,

die Pacht oder die Anmietung von auf einem Grundstück befindlichen Containern oder provisorischen Gebäuden (fliegende Bauten)3. In derartigen Fällen handelt es sich weder um Gebäude noch um sonstiges unbewegliches Vermögen, sondern allenfalls um Scheinbestandteile i.S.v. § 95 BGB, deren Erwerb oder Miete nicht von § 107 Abs. 1 Nr. 2 gedeckt ist.

19 Ebenfalls nicht unter die Norm fallen Finanzierungsgeschäfte („ungeachtet ih-

rer Finanzierung“). Dies gilt unabhängig davon, ob sie dem Erwerb, der Pacht oder der Anmietung einer Immobilie dienen und auch unabhängig davon, ob sie mit einem solchen Erwerb oder einer solchen Anmietung verbunden sind. Für Finanzierungsgeschäfte ist daher das Kartellvergaberecht anwendbar. 1 VK Schleswig-Holstein v. 2.12.2009 – VK-SH 21/09, VPRRS 2009, 0464; OLG Schleswig v. 1.4.2010 – 1 Verg 5/09, IBR 2010, 578 ff.; vgl. auch OLG Jena v. 7.10.2015 – 2 Verg 3/15, IBR 2016, 231 ff.; sowie Röwekamp in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWBVergaberecht, § 107 Rz. 22. 2 Vgl. Erwägungsgrund 8 der Richtlinie 2014/24/EU. 3 VK Hessen v. 24.3.2004 – 69d-VK-09/2004; Dreher in Immenga/Mestmäcker, § 100 Rz. 43.

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3. Arbeitsverträge (§ 107 Abs. 1 Nr. 3) Vom Anwendungsbereich des Kartellvergaberechts ausgenommen sind nach 20 § 107 Abs. 1 Nr. 3 ferner Arbeitsverträge. Diese Ausnahme war bislang in § 100 Abs. 3 GWB a.F. geregelt. § 107 Abs. 1 Nr. 3 dient der Umsetzung von Art. 10 lit. g) der Richtlinie 2014/24/EU, Art. 21 lit. f) der Richtlinie 2014/25/EU sowie Art. 13 lit. i) der Richtlinie 2009/81/EG. Die Ausnahme findet für Konzessionen keine praktische Anwendung, da Arbeitsverträge nicht als Konzession denkbar sind1. Der Begriff des Arbeitsvertrages wird weder in § 107 selbst noch in den ge- 21 meinschaftsrechtlichen oder nationalen Vorgaben näher definiert. Nach den primärrechtlichen Vorschriften des AEUV sind Arbeitsverträge alle Dienstverhältnisse, bei denen sich ein Arbeitnehmer gegenüber dem Arbeitgeber verpflichtet, unter dessen Leitung Arbeitsleistungen gegen Entgelt zu erbringen2. So umfasst der Begriff auch die Bestellung von Organen einer juristischen Person3. Ohne Bedeutung ist ferner, ob das Beschäftigungsverhältnis zivilrechtlich oder öffentlich-rechtlich ausgestaltet ist, so dass auch das Beamtenverhältnis und andere öffentlich-rechtliche Anstellungsverhältnisse (z.B. Richter) unter den Begriff des Arbeitsvertrages i.S.v. § 107 Abs. 1 Nr. 3 fallen. Die Abgrenzung zu einem ausschreibungspflichtigen Dienstleistungsauftrag liegt 22 darin, dass die Erbringung der Leistung nach Weisung erfolgt und der Arbeitnehmer in die betriebliche Organisation des Arbeitgebers eingegliedert sein muss4. Dementsprechend fallen auch Anstellungsverträge für Mitglieder der Geschäftsleitung eines Unternehmens, das nach § 99 öffentlicher Auftraggeber ist, unter den Ausnahmetatbestand5. Hingegen fällt die Arbeitnehmerüberlassung oder die sonstige vertragliche Gestellung von Personal nicht unter den Ausnahmetatbestand, da das Arbeitsverhältnis dort nicht mit dem beschaffenden Entleiher, sondern mit dem Verleiher besteht6.

1 BT-Drucks. 18/6281, S. 79. 2 EuGH v. 21.6.1988 – Rs. 197/86, Slg. 1988, 3105-3248, EuGH-Tätigk 1988, Nr. 15, 11-15 – Brown/Secretary of State for Scotland; EuGH v. 26.2.1992 – Rs. C-357/89, NJW 1992, 1493 ff.; OLG Düsseldorf v. 8.5.2002 – VII-Verg 8-15/01, VPRRS 2003, 0358; Röwekamp in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 107 Rz. 26. 3 Sterner in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 107 Rz. 20. 4 VK Düsseldorf v. 11.2.2004 – VK 43/03 (n.v.). 5 VK Sachsen-Anhalt v. 2.3.2011 – 2 VK LSA 39/10 (n.v.); Dreher in Immenga/Mestmäcker, § 100 Rz. 32; a.A. Antweiler in Ziekow/Völlink, Vergaberecht, 2. Aufl. 2013, § 100 GWB Rz. 19. 6 Sterner in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 107 Rz. 21 m.w.N.

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§ 107 | Allgemeine Ausnahmen 4. Verträge über Dienstleistungen des Katastrophenschutzes, des Zivilschutzes und der Gefahrenabwehr (§ 107 Abs. 1 Nr. 4) 23 Nach § 107 Abs. 1 Nr. 4 finden die Regeln des Kartellvergaberechts keine An-

wendung auf die Vergabe von öffentlichen Aufträgen und Konzessionen zu Dienstleistungen des Katastrophenschutzes, des Zivilschutzes und der Gefahrenabwehr, die von gemeinnützigen Organisationen oder Vereinigungen erbracht werden und die unter die Referenznummern des Common Procurement Vocabulary 75250000-3, 75251000-0, 75251100-1, 75251110-4, 75251120-7, 75252000-7, 75222000-8, 98113100-9 und 85143000-3, mit Ausnahme des Einsatzes von Krankenwagen zur Patientenbeförderung, fallen. § 107 Abs. 1 Nr. 4 setzt Art. 10 Abs. 8 lit. g) der Richtlinie 2014/23/EU, Art. 10 lit. h) der Richtlinie 2014/24/EU und Art. 21 lit. h) der Richtlinie 2014/25/EU um.

24 Die Nichtanwendbarkeit des Vergaberechts wird damit begründet, dass der spe-

zielle Charakter der gemeinnützigen Organisationen oder Vereinigung, die die Dienstleistungen erbringen, nur schwer gewahrt werden könnte, wenn die Dienstleistungserbringer nach den in den Richtlinien vorgesehenen Verfahren ausgewählt werden müssten1. Diese Begründung nimmt Bezug auf den ehrenamtlichen Charakter der gemeinnützigen Organisationen oder Vereinigungen. Durch die Ausnahme vom Kartellvergaberecht soll zum einen das Ehrenamt selbst geschützt und gestärkt werden. Andererseits soll durch die Abwesenheit eines wettbewerblichen Verfahrens, das darauf gerichtet ist, das wirtschaftlichste Angebot zu ermitteln, gewährleistet bleiben, dass die ehrenamtlich getragenen Organisationen einen effektiven Schutz von Leben und Gesundheit der Bevölkerung sicherstellen können2. Somit können gemeinnützige Organisationen und Vereinigungen mit der Erbringung von Dienstleistungen zum Schutz der Bevölkerung beauftragt werden, ohne die Bestimmungen der jeweiligen Richtlinie beachten zu müssen3.

25 Die Begriffe des Katastrophenschutzes, des Zivilschutzes und der Gefahren-

abwehr entstammen den Richtlinien und sind autonom unionsrechtlich auszulegen.4 Der Begriff des Katastrophenschutzes erfasst unvorhersehbare Großscha-

1 Erwägungsgrund 36 der Richtlinie 2014/23/EU; Erwägungsgrund 28 der Richtlinie 2014/ 24/EU sowie Erwägungsgrund 36 der Richtlinie 2014/25/EU; kritisch dazu Gröning, NZBau 2015, 690 (693). 2 Röwekamp in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 107 Rz. 37; vgl. auch EuGH v. 11.12.2014 – Rs. C-113/13, NZBau 2015, 377 ff.; EuGH v. 20.1.2016 – Rs. C-50/14, NZBau 2016, 177 – CASTA; vgl. ferner zu der Frage, ob § 107 Abs. 1 Nr. 4 den vom EuGH aufgestellten Anforderungen gerecht wird, Ruthig, NZBau 2016, 3 (8); Prieß, NZBau 2015, 343 (347); Amelung/Janson, NZBau 2016, 23 (26); Gröning, NZBau 2015, 690 (693). 3 Röwekamp in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 107 Rz. 32. 4 Ruthig, NZBau 2016, 3 (5).

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densereignisse in Friedenszeiten, während der Begriff „Zivilschutz“ den Schutz der Zivilbevölkerung im Kriegsfall beschreibt1. Der Begriff der Gefahrenabwehr ist nicht in der gleichen Weise fest definiert und in seiner Ausgestaltung umstritten2. Insofern werden zur Begriffsbestimmung die in § 107 Abs. 1 Nr. 4 genannten CPV-Nummern („Common Procurement Vocabulary“) maßgeblich3. Die von § 107 Abs. 1 Nr. 4 erfassten Dienstleistungen des Katastrophenschut- 26 zes, des Zivilschutzes und der Gefahrenabwehr werden durch die Auflistung der betroffenen CPV-Nummern konkretisiert4. Im Ergebnis findet das Kartellvergaberecht keine Anwendung bei der Vergabe von verschiedenen Notfallrettungsdiensten, namentlich der Feuerwehr und von Rettungsdiensten (752500003), der Feuerwehr (75251000-0), der Brandbekämpfung (75251100-1), der Brandverhütung (75251110-4), der Waldbrandbekämpfung (75251120-7), der Rettungsdienste (75252000-7), der Zivilverteidigung (75222000-8), im Bereich der nuklearen Sicherheit (98113100-9) sowie beim Einsatz von Krankenwagen (85143000-3), mit Ausnahme des Einsatzes von Krankenwagen zur Patientenbeförderung5. Diese reinen Krankentransporte unterfallen dem in § 130 geregelten vereinfachten Verfahren für die Vergabe von sozialen und anderen besonderen Dienstleistungen6. Gemischte Aufträge für Dienste von Krankenwagen, die Elemente der Notfallrettung und der Patientenbeförderung enthalten, fallen unter § 130, sofern der Wert des Einsatzes von Krankenwagen zur Patientenbeförderung höher ist als der Wert anderer Rettungsdienste7. Voraussetzung ist stets, dass diese Dienste von gemeinnützigen Organisationen 27 oder Vereinigungen erbracht werden8. Gemeinnützige Organisationen oder Vereinigungen i.S.v. § 107 Abs. 1 Nr. 4 sind ausweislich der Begründung des Regierungsentwurfs insbesondere die Hilfsorganisationen, die nach Bundes- oder 1 Vgl. Zusatzprotokoll zu den Genfer Abkommen v. 12.8.1949 über den Schutz der Opfer internationaler bewaffneter Konflikte (Protokoll I), BGBl. II 1990, 1550 (1551). 2 Vertiefend Röwekamp in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 107 Rz. 33. 3 Vertiefend Ruthig, NZBau 2016, 3 (5); Prieß, NZBau 2015, 343 (346). 4 BT-Drucks. 18/6281, S. 79. 5 In den Erwägungsgründen 36 der Richtlinie 2014/23/EU; 28 der Richtlinie 2014/24/EU sowie 36 der Richtlinie 2014/25/EU wird diese Einschränkung damit begründet, dass die Ausnahme für bestimmte Notfalldienste „nicht über das notwendigste Maß hinaus ausgeweitet werden“ soll. 6 BT-Drucks. 18/6281, 79; vertiefend zur Vergabe von Rettungsdienstleistungen EuGH v. 29.4.2010 – Rs. C-160/08, NZBau 2010, 450 ff.; BGH v. 1.12.2008 – X ZB 31/08, MDR 2009, 370 = NZBau 2009, 201 ff.; OLG Schleswig v. 28.8.2015 – 1 Verg 1/15, VergabeR 2015, 76 ff.; Prieß, NZBau 2015, 343; Amelung/Janson, NZBau 2016, 23 ff.; Braun, VergabeR 2011, 384 ff. 7 Erwägungsgrund 36 der Richtlinie 2014/23/EU; Erwägungsgrund 28 der Richtlinie 2014/ 24/EU sowie Erwägungsgrund 36 der Richtlinie 2014/25/EU; BT-Drucks. 18/6281, S. 79. 8 BT-Drucks. 18/6281, S. 79.

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§ 107 | Allgemeine Ausnahmen Landesrecht als Zivil- und Katastrophenschutzorganisationen etwa i.S.d. § 26 Abs. 1 Satz 2 des Gesetzes über den Zivilschutz und die Katastrophenhilfe des Bundes (ZSKG) anerkannt sind, wie beispielsweise in Deutschland der ArbeiterSamariter-Bund, die Deutsche Lebensrettungsgesellschaft, das Deutsche Rote Kreuz, die Johanniter-Unfall-Hilfe und der Malteser-Hilfsdienst1. 5. Sicherheitsrelevante Aufträge (§ 107 Abs. 2) 28 § 107 Abs. 2 enthält die beiden bislang in § 100 Abs. 6 GWB a.F. geregelten Aus-

nahmetatbestände des Art. 346 Abs. 1 lit. a) und b) AEUV, bei deren Vorliegen die Vergabe von öffentlichen Aufträgen und Konzessionen zum Schutz wesentlicher Sicherheitsinteressen der Bundesrepublik Deutschland nicht den Bestimmungen des Kartellvergaberechts unterliegt2. Die Vorschrift übernimmt die bisher in § 100 Abs. 6 GWB a.F. geregelten Ausnahmen, verzichtet allerdings auf eine Aufführung von Anwendungsbeispielen (bislang § 100 Abs. 7 GWB a.F.)3. a) Besonders sicherheitsrelevante Aufträge (§ 107 Abs. 2 Nr. 1)

29 Nach § 107 Abs. 2 Nr. 1 sind öffentliche Aufträge und Konzessionen vergabe-

rechtsfrei, bei denen die Anwendung des Kartellvergaberechts den Auftraggeber dazu zwingen würde, im Zusammenhang mit dem Vergabeverfahren oder der Auftragsausführung Auskünfte zu erteilen, deren Preisgabe seiner Ansicht nach wesentlichen Sicherheitsinteressen der Bundesrepublik Deutschland i.S.d. Art. 346 Abs. 1 lit. a) AEUV widerspricht. Nach § 346 Abs. 1 lit. a) AEUV ist ein Mitgliedstaat nicht verpflichtet, Auskünfte zu erteilen, deren Preisgabe seines Erachtens nach seinen wesentlichen Sicherheitsinteressen widerspricht. § 107 Abs. 2 Nr. 1 übernimmt somit die Ausnahme des Art. 346 Abs. 1 lit. a) AEUV in das deutsche Vergaberecht. Die Vorschrift greift dabei den Wortlaut des bisherigen § 100 Abs. 6 Nr. 2 GWB a.F. auf4.

30 Die Auskunftspflichten, die § 107 Abs. 2 Nr. 1 implizit voraussetzt, können ge-

genüber Gemeinschaftsorganen5, anderen Mitgliedsstaaten oder – in Vergabeverfahren – gegenüber Wirtschaftsteilnehmern bestehen6.

1 BT-Drucks. 18/6281, S. 79. 2 Vgl. Art. 1 Abs. 3 der Richtlinien 2014/23/EU, 2014/24/EU, 2014/25/EU sowie Art. 2 der Richtlinie 2009/81/EG, nach denen die Anwendung der Richtlinien Art. 346 AEUV unterliegt. 3 BT-Drucks. 18/6281, S. 79. 4 BT-Drucks. 18/6281, S. 79. 5 Denkbar sind z.B. Auskunftspflichten gegenüber der EU-Kommission (vgl. Art. 337 AEUV) oder vergaberechtliche Bekanntmachungspflichten der Vergaberichtlinien, vgl. Sterner in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 107 Rz. 26 (Fn. 26). 6 Beispielsweise durch Bekanntmachung und Bereitstellung der Vergabeunterlagen (vgl. u.a. § 41 VgV); vgl. Sterner in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 107 Rz. 28.

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Allgemeine Ausnahmen | § 107

Die wesentlichen Sicherheitsinteressen eines Mitgliedstaates können dem Kreis 31 der äußeren wie der inneren Sicherheit entstammen.1 Nach Erwägungsgrund 20 der Richtlinie 2009/81/EG berühren insbesondere Verträge aus den Bereichen Verteidigung und Sicherheit (militärisch wie nicht-militärisch) wesentliche Sicherheitsinteressen. So kann Art. 346 Abs. 1 lit. a) AEUV bzw. § 107 Abs. 2 Nr. 1 dann betroffen sein, wenn Aufträge so sensibel sind, dass sogar deren Existenz geheim gehalten werden muss2. Nach § 107 Abs. 7 GWB a.F., der bis zum 17.4.2016 in Kraft war, konnten wesentliche Sicherheitsinteressen betroffen sein beim Betrieb oder Einsatz der Streitkräfte, bei der Umsetzung von Maßnahmen der Terrorismusbekämpfung oder bei der Beschaffung von Informationstechnik oder Telekommunikationsanlagen3. Die bis zum 7.11.2011 geltende Vorgängerregelung des § 100 Abs. 2 lit. d) dd) GWB a.F. stellte ausweislich der Regierungsbegründung auf Aufträge ab, bei deren Vergabe und Durchführung die Unternehmen Einblick in die Organisation oder Arbeitsweise von Sicherheitsbehörden erlangen konnten, sowie auf Beschaffungen, die im Zusammenhang mit Einsätzen der Bundespolizei standen oder die Beschaffung sensibler Materialien oder Anlagen4. Im Hinblick auf die teilweise sehr extensive Auslegung der Sicherheitsinteressen 32 des Staates hat die EU-Kommission im Jahr 2006 eine Auslegungsmitteilung veröffentlicht5, deren Ziel es war, den Charakter des Art. 346 AEUV (ex-Art. 296 EGV) und damit mittelbar auch des § 107 Abs. 2 Nr. 1 (ehemals § 100 Abs. 6 bzw. 100 Abs. 2 lit. d) GWB a.F.) als Ausnahmevorschrift deutlich zu machen. In dem Entwurf der Mitteilung wurde verdeutlicht, dass die Kommission unter dem Begriff der „wesentlichen“ Interessen der Sicherheit nur ernsthafte Risiken für die wehrtechnischen Kernfähigkeiten eines Mitgliedstaates versteht, nicht hingegen bloße finanzielle oder ökonomische Interessen6. Dies schließt es ein, dass etwa der Einkauf konventioneller Ausrüstungsgegenstände von Polizei und Sicherheitskräften regelmäßig nicht unter Berufung auf den Schutz wesentlicher Interessen der Sicherheit des Staates vom Vergaberecht ausgeklammert werden kann. 1 Wegener in Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, 5. Aufl. 2016, Art. 346 Rz. 4. 2 Erwägungsgrund 20 der Richtlinie 2009/81/EG. 3 Die Anwendungsbeispiele des § 107 Abs. 7 GWB a.F. wurden nicht in die neue Fassung übernommen, da die Berufung auf „wesentliche Sicherheitsinteressen“ jeweils eine Prüfung im Einzelfall erfordere (BT-Drucks. 18/6281, 79). Sie können jedoch problemlos zu Auslegungszwecken herangezogen werden. 4 BT-Drucks. 16/10117, S. 19. 5 Mitteilung v. 7.12.2006, KOM (2006) 779 endg.; s. auch Karpenstein in Schwarze/Becker/ Hatje/Schoo, EU-Kommentar, 3. Aufl. 2012, Art. 346 AEUV, Rz. 15; Renner/RubachLarsen/Sterner, NZBau 2007, 407 (409). 6 Die Auslegungsmitteilung basiert auf dem Rechtsstand vor Erlass des Defence Package und ist heute nicht mehr ganz aktuell; ausführlich Dreher in Immenga/Mestmäcker, § 100 Rz. 89 ff.

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§ 107 | Allgemeine Ausnahmen 33 Der öffentliche Auftraggeber hat eine Abwägung zwischen den Sicherheits-

belangen des Staates einerseits und den Interessen potentieller Bewerber um den öffentlichen Auftrag andererseits vorzunehmen und auf dieser Grundlage zu entscheiden, ob er die Vergabe nach Maßgabe des 4. Teils des GWB durchführt oder nicht1. Der Auftraggeber muss dabei darlegen und nötigenfalls nachweisen, weshalb aus seiner Sicht wesentliche Sicherheitsinteressen durch die Vergabe berührt und ggf. durch eine Ausschreibung objektiv gefährdet wären2. Die Vergabestelle hat nach dem Wortlaut des § 107 Abs. 2 Nr. 1 („seiner Ansicht nach“) bei der Frage, welche Interessen im konkreten Fall überwiegen, einen Beurteilungsspielraum. Die vergaberechtliche Nachprüfung beschränkt sich daher darauf, ob die Vergabestelle für ihre Entscheidung nachvollziehbare Gründe anführt und ob sie die Grenzen ihres Beurteilungsspielraums eingehalten oder überschritten hat3. Bei der Abwägung ist namentlich auch der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu beachten4. Es muss sich um eine objektiv gewichtige Gefährdung handeln, da ansonsten der Schutz wesentlicher Sicherheitsinteressen des Staates kein Absehen von einem Vergabeverfahren gebietet. Können etwa einzelne Bestandteile der anzufragenden Gesamtleistung herausgelöst und im Wettbewerb vergeben werden, ohne berechtigte Sicherheitsbelange zu beeinträchtigen, ist dieser Weg zu wählen5. Sollen nicht jedem beliebigen Unternehmen die Ausschreibungsunterlagen mit sicherheitsrelevanten Informationen zur Verfügung gestellt werden, sondern nur Unternehmen, die zuvor auf ihre Zuverlässigkeit hin geprüft wurden, kann es ausreichen, anstelle eines offenen Verfahrens ein nicht offenes Verfahren durchzuführen und die erforderliche Prüfung der zur Angebotsabgabe aufzufordernden Bewerber im Rahmen der Präqualifikation durchzuführen6.

b) Aufträge zur Beschaffung von Verteidigungsgütern (§ 107 Abs. 2 Nr. 2) 34 § 107 Abs. 2 Nr. 2 nimmt die Vergabe von öffentlichen Aufträgen und Konzes-

sionen vom 4. Teil des GWB aus, die dem Anwendungsbereich des Art. 346 Abs. 1 lit. b) AEUV unterliegen. Nach Art. 346 Abs. 1 lit. b) AEUV kann jeder Mitgliedstaat die Maßnahmen ergreifen, die seines Erachtens nach für die 1 OLG Dresden v. 18.9.2009 – WVerg 3/09, VergabeR 2010, 90 ff., Rz. 11. 2 Vgl. jeweils zu Art. 2 Abs. 1 lit. b) der Richtlinie 93/36/EWG EuGH v. 8.4.2008 – Rs. C337/05, NZBau 2008, 401, 403; EuGH v. 2.10.2008 – Rs. C-157/06, NZBau 2008, 723 ff., Rz. 32 – Augusta Hubschrauber. 3 VK Bund v. 14.7.2005 – VK 3–55/05, VPRRS 2005, 0517; Dreher in Immenga/Mestmäcker, § 100 Rz. 81. 4 OLG Düsseldorf v. 1.8.2012 – VII-Verg 10/12, NZBau 2012, 785, Rz. 23; OLG Düsseldorf v. 30.4.2003 – VII-Verg 61/02, VergabeR 2004, 371 ff., Rz. 20. 5 Vgl. EuGH v. 7.6.2012 – Rs. C-615/10, EuZW 2012, 631 f., Rz. 45 – InsTiimi; EuGH v. 8.4.2008 – Rs. C-337/05, EuZW 2008, 372 ff., Rz. 53. 6 Vgl. OLG Düsseldorf v. 30.4.2003 – VII-Verg 61/02, VergabeR 2004, 371 ff.; VK Bund v. 14.7.2005 – VK 3–55/05, VPRRS 2005, 0517.

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Allgemeine Ausnahmen | § 107

Wahrung seiner wesentlichen Sicherheitsinteressen erforderlich sind, soweit sie die Erzeugung von Waffen, Munition und Kriegsmaterial oder den Handel damit betreffen. § 107 Abs. 2 Nr. 2 übernimmt somit die Ausnahme des § 346 Abs. 1 lit. b) in das deutsche Vergaberecht. Die Vorschrift greift dabei den Wortlaut des bisherigen § 100 Abs. 6 Nr. 2 GWB a.F. auf1. Der Ausnahmetatbestand findet nur auf Verteidigungsgüter Anwendung 35 („Waffen, Munition und Kriegsmaterial oder den Handel damit“), die in der vom Rat der Europäischen Gemeinschaft festgelegten Kriegsmaterialliste vom 15.4.19582 enthalten sind (vgl. Art. 346 Abs. 2 AEUV)3. Diese seither unveränderte und technologisch (zumindest teilweise) überholte Liste umfasst folgende Gegenstände: 1. Handfeuerwaffen, auch automatisch, wie Gewehre, Karabiner, Revolver, Pistolen, Maschinenpistolen und Maschinengewehre, mit Ausnahme von Jagdwaffen, Kleinkaliberpistolen und anderen Kleinkaliberwaffen mit einem Kaliber unter 7 mm. 2. Artilleristische Waffen, Nebel-, Gas- und Flammenwerfer wie a) Kanonen, Haubitzen, Mörser, Geschütze, Panzerabwehrwaffen, Raketenwerfer, Flammenwerfer, rückstoßfreie Kanonen, b) Kriegsgerät wie Nebel- und Gaswerfer. 3. Munition für die unter 1 und 2 genannten Waffen. 4. Bomben, Torpedos, Raketen und ferngesteuertes Kriegsgerät: a) Bomben, Torpedos, Granaten, einschl. Nebelgranaten, Rauchtöpfe, Raketen, Minen, ferngesteuertes Kriegsgerät, Wasserbomben, Brandbomben, b) Apparate und Vorrichtungen für militärische Zwecke, eigens konstruiert für die Handhabung, das Scharfmachen, die Entschärfung, die Detonation und den Nachweis der unter a) aufgeführten Geräte. 5. Feuerleitungsmaterial für militärische Zwecke: a) Flugbahnprüfungsgeräte, Infrarot-Zielgeräte und anderes Nachtzielmaterial b) Entfernungsmesser, Ortungsgeräte, Höhenmesser c) Elektronische, gyroskopische, optische und akustische Beobachtungsvorrichtungen d) Visiergeräte für Bombenabwurf und Höhenrichtwerke für Kanonen, Periskope für die in dieser Liste aufgeführten Geräte. 1 BT-Drucks. 18/6281, S. 79. 2 Ratsentscheidung 255/58 v. 15.4.1958; Poell, EuZW 2013, 774 (776). 3 Die Liste wurde nie amtlich veröffentlicht, findet sich jedoch u.a. bei Marx in Motzke/ Pietzcker/Prieß, VOB/A, 1. Aufl. 2001, § 100 Rz. 16.

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§ 107 | Allgemeine Ausnahmen 6. Panzerwagen und eigens für militärische Zwecke konstruierte Fahrzeuge: a) Panzerwagen b) Militärfahrzeuge, bewaffnet oder gepanzert, einschl. Amphibienfahrzeuge c) Panzerzüge d) Militärfahrzeuge (Halbkettenfahrzeuge) e) Militärfahrzeuge zur Reparatur von Panzerwagen f) Besonders für den Transport der unter 3 und 4 aufgeführten Munition konstruierte Anhänger. 7. Toxische oder radioaktive Wirkstoffe: a) biologische und chemische toxische Wirkstoffe und radioaktive Wirkstoffe zur Vernichtung von Menschen, Tieren oder Ernten im Kriegsfalle b) militärische Geräte zur Verbreitung, Feststellung und Identifizierung der unter a) aufgeführten Stoffe c) Material zum Schutz gegen die unter a) aufgeführten Stoffe. 8. Pulver, Explosionsstoffe und flüssige oder feste Treibmittel: a) Pulver und flüssige oder feste Treibmittel, besonders für die unter 3, 4 und 5 aufgeführten Geräte entwickelt oder hergestellt b) Explosionsstoffe für militärische Zwecke c) Brandsätze und Geliermittel für militärische Zwecke. 9. Kriegsschiffe und deren Sonderausrüstungen: a) Kriegsschiffe aller Art b) Sonderausrüstungen zum Minenlegen, Minensuchen und Minenräumen c) U-Bootnetze. 10. Luftfahrzeuge und ihre Ausrüstungen zu militärischen Zwecken. 11. Elektronenmaterial für militärische Zwecke. 12. Eigens für militärische Zwecke konstruierte Aufnahmeapparate. 13. Sonstige Ausrüstungen und sonstiges Material: a) Fallschirme und Fallschirmmaterial b) eigens zu militärischen Zwecken entwickeltes Material zum Überqueren von Wasserläufen, c) elektronisch betätigte Scheinwerfer zu militärischen Zwecken. 14. Teile und Einzelteile des in dieser Liste aufgeführten Materials, soweit sie einen militärischen Charakter haben. 15. Ausschließlich für die Entwicklung, Herstellung, Prüfung und Kontrolle der in dieser Liste aufgeführten Waffen, Munition und rein militärischen Geräte entwickelten Maschinen, Ausrüstungen und Werkzeuge. 388

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Allgemeine Ausnahmen | § 107

Zu dieser Liste gibt es eine Interpretation der Bundesrepublik Deutschland aus 36 dem Jahr 1978 auf der Basis der damaligen technologischen Erkenntnisse1. Diese Interpretation lautet wie folgt: 1. Leichte Rohwaffen wie: a) Gewehre, Karabiner, Revolver, Pistolen, Maschinenpistolen und Maschinengewehre mit Ausnahme von Jagdwaffen, Kleinkaliberpistolen und anderen Kleinkaliberwaffen mit einem Kaliber unter 7 mm, b) Maschinenwaffen für Feld- und Fliegerabwehrkanonen sowie zur Beschaffung von Land-, Luft- und Seefahrzeugen. 2. Schwere Waffen wie: a) Kanonen, b) Haubitzen, c) Mörser, d) Leitgeschütze. 3. Werfer für jegliche Art von Raketen. 4. Startanlagen für jegliche Art von Flugkörpern. 5. Einbausätze, Lafettierungen, Richt- und Stabilisierungsanlagen sowie Ladeautomaten, Feuerleitmittel für die unter 1.–3. genannten Geräte. 6. Einbausätze, Lafettierungen und Lenkanlagen für die unter 4. genannten Geräte. 7. Munition, Raketen und Flugkörper für die unter 1.–4. genannten Waffen. 8. Bomben, Torpedos, Handgranaten, Minen und Pionierkampfmittel einschl. dazugehöriger Abwurf-, Ausstoß- und Abrolleinrichtungen. 9. Apparate und Vorrichtungen für militärische Zwecke, eigens konstruiert für die Handhabung, das Verlegen, Suchen, Scharfmachen und Entschärfen der unter 8. aufgeführten Geräte. 10. Komponenten zu lfd. Nr. 1.–6. 11. Komponenten zu lfd. Nr. 7 und 8 wie: a) Spreng- und Zündstoffe b) Pulver und Treibstoffe (fest oder flüssig) c) pyrotechnische Sätze, d) Zünder usw. 12. Feuerleitmaterial für militärische Zwecke. a) Flugbahnprüfungsgeräte, Infrarot-Zielgeräte und anderes Nachtzielmaterial 1 Vgl. insoweit auch Röwekamp in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 107 Rz. 48.

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§ 107 | Allgemeine Ausnahmen b) Entfernungsmesser, Ortungsgeräte, Höhenmesser c) elektronische gyroskopische, optische und akustische Beobachtungsvorrichtungen d) Visiergeräte für Bombenabwurf und Höhenvorrichtwerke für Kanonen, Periskope für die in dieser Liste aufgeführten Geräte e) Feuerleitrechner, Datenverarbeitungs- und periphere Komponenten für Feuerleitung. 37 Unabhängig davon, dass diese nationale Liste zwischenzeitlich zumindest teil-

weise ihrerseits veraltet und überholt sein dürfte, kann eine derartige nationale Interpretation den Anwendungsbereich des Kartellvergaberechts nicht einschränken. Es handelt sich daher vielmehr nur um eine verwaltungsinterne Anweisung, die Dritte nicht binden kann und daher insbesondere auch für die Vergabenachprüfungsinstanzen nicht verbindlich ist1. Nach Auffassung der EUKommission ist allerdings auch die Kriegsmaterialliste selbst keine geeignete Bezugsbasis für die Einschränkung des Anwendungsbereichs des Art. 346 AEUV, da sie – wie es im Grünbuch „Beschaffung von Verteidigungsgütern“ heißt – „weder jemals offiziell veröffentlicht noch aktualisiert wurde“2.

38 Der Anwendungsbereich des Art. 346 Abs. 1 lit. b) AEUV bezieht sich sowohl

auf die Erzeugung von als auch auf den Handel mit Kriegsmaterial im Sinne der Kriegsmaterialliste und dementsprechend sowohl auf Liefer- als auch auf Dienstleistungen. Demgegenüber spielen Bauleistungen in der Regel keine Rolle. Ferner müssen die Güter rein militärischen Zwecken dienen3. Dies folgt bereits aus Art. 346 Abs. 1 lit. b) Halbs. 2 AEUV. Nach der Rechtsprechung des EuGH greift die Ausnahmevorschrift daher auch dann nicht, wenn eine Nutzung für militärische Zwecke beim Erwerb der Ausrüstungsgegenstände ungewiss ist4. Güter mit doppeltem Verwendungszweck in militärischen wie zivilen Bereichen (Dual-Use-Güter) unterfallen nicht der Ausnahmeregelung5.

39 Der Begriff der wesentlichen Sicherheitsinteressen entspricht dem des § 107

Abs. 2 Nr. 1 bzw. des Art. 346 Abs. 1 lit. a) AEUV (vgl. Rz. 31).

40 Die Inanspruchnahme des Ausnahmetatbestands muss für die Wahrung der we-

sentlichen Sicherheitsinteressen der Bundesrepublik Deutschland erforderlich sein. Bei der vom öffentlichen Auftraggeber vorzunehmenden Abwägung zwischen den nationalen Sicherheitsbelangen des Staates einerseits und den Interes-

1 Vgl. etwa VK Bund v. 28.8.2000 – VK 1–21/00, VPRRS 2013, 0963. 2 Grünbuch – Beschaffung von Verteidigungsgütern, KOM (2004) 608 endg., S. 8. 3 EuGH v. 2.10.2008 – Rs. C-157/06, NZBau 2008, 723 ff., Rz. 26 – Augusta Hubschrauber; EuGH v. 8.4.2008 – Rs. C-337/05, VergabeR 2008, 769, 774. 4 EuGH v. 2.10.2008 – Rs. C-157/06, NZBau 2008, 723 ff., Rz. 26 – Augusta Hubschrauber. 5 EuGH v. 7.6.2012 – Rs. C-615/10, EuZW 2012, 631 f., Rz. 44 – InsTiimi; EuGH v. 8.4. 2008 – Rs. C-337/05, VergabeR 2008, 769 ff., Rz. 47.

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Allgemeine Ausnahmen | § 107

sen potentieller Bewerber um den öffentlichen Auftrag andererseits ist folglich wie bei § 107 Abs. 2 Nr. 1 der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu beachten (vgl. Rz. 33).

III. Ausnahmecharakter der Vorschrift Bereits aufgrund des Charakters von § 107 als Ausnahmevorschrift sind die ein- 41 zelnen Tatbestände nicht analogiefähig und eher eng als weit auszulegen1. Dies dient in erster Linie dazu, eine Umgehung des Kartellvergaberechts zu vermeiden, was etwa im Zusammenhang mit dem Ausnahmetatbestand gem. § 107 Abs. 1 Nr. 2 (vgl. Rz. 8) in der Vergabepraxis nicht selten erhebliche Bedeutung hat. Andererseits bedeutet eine enge Auslegung nicht, dass in jedem Fall strikt am Wortlaut des Ausnahmetatbestandes festgehalten werden muss und jedwede Auslegung nach Funktion sowie nach Sinn und Zweck des Ausnahmetatbestandes unzulässig wäre. Wenn etwa Arbeitsverträge vom Anwendungsbereich des Kartellvergaberechts ausgeschlossen sind, schließt dies, obgleich nicht ausdrücklich genannt, auch die Ernennung von Beamten mit ein (vgl. Rz. 21), obgleich es sich dabei nicht um Arbeitsverträge handelt. Die Ausnahmetatbestände sind grundsätzlich als abschließende Aufzählung 42 zu verstehen2. Dies kann freilich keine Einschränkung des Gesetzgebers dahin bedeuten, Ausnahmen vom Anwendungsbereich des 4. Teils des GWB in anderen Gesetzen zu regeln. Im Zweifelsfall ist daher durch Auslegung der entsprechenden Regelungen unter Berücksichtigung insbesondere der gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben und der Kollisionsregeln, wie des Spezialitätsgrundsatzes und der Normhierarchie, zu ermitteln, ob eine außerhalb von § 107 getroffene Regelung zu einer Einschränkung des Anwendungsbereichs des Kartellvergaberechts führt. Für viele der Ausnahmetatbestände finden sich in den Erwägungsgründen der 43 EU-Vergaberichtlinien Anhaltspunkte für deren Auslegung und funktionale Eingrenzung3. Die Erwägungsgründe machen dabei ebenso wie die Ausnahmetatbestände selbst deutlich, dass insofern kein einheitlichen Prinzipien folgendes Ausnahmesystem zugrunde liegt. Einige Ausnahmetatbestände ergeben sich weitestgehend aus der Natur der Sache, wie etwa der Erwerb oder die Anmie1 VK Bund v. 15.7.2008 – VK 3-89/08, VPRRS 2013, 0794; s. auch generell zu Ausnahmen vom Anwendungsbereich der EU-Richtlinien EuGH v. 7.6.2012 – Rs. C-615/10, EuZW 2012, 631 f. – InsTiimi. 2 BGH v. 8.2.2011 – X ZB 4/10, NZBau 2011, 175; OLG Düsseldorf v. 5.5.2004 – VII-Verg 78/03, NZBau 2004, 398, 400 m.w.N. 3 Insbesondere die Erwägungsgründe 20, 31 und 32 der Richtlinie 2009/81/EG, 36 der Richtlinie 2014/23/EU, 24 und 28 der Richtlinie 2014/24/EU und 32 und 36 der Richtlinie 2014/25/EU.

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§ 108 | Ausnahmen bei öffentlich-öffentlicher Zusammenarbeit tung von Grundstücken oder vorhandenen Gebäuden (vgl. § 107 Abs. 1 Nr. 2 sowie Rz. 8 ff.), da der Erwerb, die Pacht oder die Anmietung eines Grundstücks an einer bestimmten Stelle in aller Regel von vornherein nicht Gegenstand eines Wettbewerbsverfahrens sein kann. Andere Ausnahmetatbestände beruhen demgegenüber auf allgemeinen wirtschaftlichen oder, wie etwa hinsichtlich geheimhaltungsbedürftiger oder sicherheitsrelevanter Aufträge (vgl. § 107 Abs. 2 sowie Rz. 28 ff.), auf übergeordneten politischen Erwägungen. 44 Wenn unter Berufung auf § 107 von der Durchführung eines dem Kartellver-

gaberecht unterfallenden Vergabeverfahrens abgesehen wird, ist dies hinreichend zu dokumentieren. Dies gilt vor allem dann, wenn es sich nicht um einen eindeutigen Ausnahmetatbestand i.S.v. § 107 handelt (z.B. Abschluss eines Arbeitsvertrages), sondern um einen Fall, in dem die Vergabestelle eine eigene Abwägungsentscheidung treffen muss (z.B. bei einem Absehen von einem Vergabeverfahren zum Schutz wesentlicher Interessen der Sicherheit des Staates gem. Abs. 2)1. Die Beweislast für das tatsächliche Vorliegen der eine Annahme rechtfertigenden Umstände trägt derjenige, der sich auf diese Ausnahme berufen will2.

§ 108 Ausnahmen bei öffentlich-öffentlicher Zusammenarbeit (1) Dieser Teil ist nicht anzuwenden auf die Vergabe von öffentlichen Aufträgen, die von einem öffentlichen Auftraggeber im Sinne des § 99 Nr. 1 bis 3 an eine juristische Person des öffentlichen oder privaten Rechts vergeben werden, wenn 1. der öffentliche Auftraggeber über die juristische Person eine ähnliche Kontrolle wie über seine eigenen Dienststellen ausübt, 2. mehr als 80 Prozent der Tätigkeiten der juristischen Person der Ausführung von Aufgaben dienen, mit denen sie von dem öffentlichen Auftraggeber oder von einer anderen juristischen Person, die von diesem kontrolliert wird, betraut wurde, und 3. an der juristischen Person keine direkte private Kapitalbeteiligung besteht, mit Ausnahme nicht beherrschender Formen der privaten Kapitalbeteiligung und Formen der privaten Kapitalbeteiligung ohne Sperrminorität, die durch gesetzliche Bestimmungen vorgeschrieben sind und die keinen maßgeblichen Einfluss auf die kontrollierte juristische Person vermitteln. 1 OLG Düsseldorf v. 30.4.2003 – VII-Verg 61/02, VergabeR 2004, 371 ff. 2 EuGH v. 2.10.2008 – Rs. C-157/06, NZBau 2008, 723 (724, Rz. 23) – Augusta Hubschrauber; OLG Celle v. 3.12.2009 – 13 Verg 14/09, VergabeR 2010, 230.

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Ausnahmen bei öffentlich-öffentlicher Zusammenarbeit | § 108

(2) Die Ausübung einer Kontrolle im Sinne von Absatz 1 Nummer 1 wird vermutet, wenn der öffentliche Auftraggeber einen ausschlaggebenden Einfluss auf die strategischen Ziele und die wesentlichen Entscheidungen der juristischen Person ausübt. Die Kontrolle kann auch durch eine andere juristische Person ausgeübt werden, die von dem öffentlichen Auftraggeber auf gleiche Weise kontrolliert wird. (3) Absatz 1 gilt auch für die Vergabe öffentlicher Aufträge, die von einer kontrollierten juristischen Person, die zugleich öffentlicher Auftraggeber im Sinne des § 99 Nr. 1 bis 3 ist, an den kontrollierenden öffentlichen Auftraggeber oder an eine von diesem öffentlichen Auftraggeber kontrollierte andere juristische Person vergeben werden. Voraussetzung ist, dass keine direkte private Kapitalbeteiligung an der juristischen Person besteht, die den öffentlichen Auftrag erhalten soll. Absatz 1 Nummer 3 zweiter Halbsatz gilt entsprechend. (4) Dieser Teil ist nicht anzuwenden auf die Vergabe von öffentlichen Aufträgen, bei denen der öffentliche Auftraggeber im Sinne des § 99 Nummer 1 bis 3 über eine juristische Person des privaten oder öffentlichen Rechts zwar keine Kontrolle im Sinne des Absatzes 1 Nummer 1 ausübt, aber 1. der öffentliche Auftraggeber gemeinsam mit anderen öffentlichen Auftraggebern über die juristische Person eine ähnliche Kontrolle ausübt wie jeder der öffentlichen Auftraggeber über seine eigenen Dienststellen, 2. mehr als 80 Prozent der Tätigkeiten der juristischen Person der Ausführung von Aufgaben dienen, mit denen sie von den öffentlichen Auftraggebern oder von einer anderen juristischen Person, die von diesen Auftraggebern kontrolliert wird, betraut wurde, und 3. an der juristischen Person keine direkte private Kapitalbeteiligung besteht; Absatz 1 Nummer 3 zweiter Halbsatz gilt entsprechend. (5) Eine gemeinsame Kontrolle im Sinne von Absatz 4 Nummer 1 besteht, wenn 1. sich die beschlussfassenden Organe der juristischen Person aus Vertretern sämtlicher teilnehmender öffentlicher Auftraggeber zusammensetzen; ein einzelner Vertreter kann mehrere oder alle teilnehmenden öffentlichen Auftraggeber vertreten, 2. die öffentlichen Auftraggeber gemeinsam einen ausschlaggebenden Einfluss auf die strategischen Ziele und die wesentlichen Entscheidungen der juristischen Person ausüben können und 3. die juristische Person keine Interessen verfolgt, die den Interessen der öffentlichen Auftraggeber zuwiderlaufen. (6) Dieser Teil ist ferner nicht anzuwenden auf Verträge, die zwischen zwei oder mehreren öffentlichen Auftraggebern im Sinne des § 99 Nummer 1 bis 3 geschlossen werden, wenn Ganske

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§ 108 | Ausnahmen bei öffentlich-öffentlicher Zusammenarbeit 1. der Vertrag eine Zusammenarbeit zwischen den beteiligten öffentlichen Auftraggebern begründet oder erfüllt, um sicherzustellen, dass die von ihnen zu erbringenden öffentlichen Dienstleistungen im Hinblick auf die Erreichung gemeinsamer Ziele ausgeführt werden, 2. die Durchführung der Zusammenarbeit nach Nummer 1 ausschließlich durch Überlegungen im Zusammenhang mit dem öffentlichen Interesse bestimmt wird und 3. die öffentlichen Auftraggeber auf dem Markt weniger als 20 Prozent der Tätigkeiten erbringen, die durch die Zusammenarbeit nach Nummer 1 erfasst sind. (7) Zur Bestimmung des prozentualen Anteils nach Absatz 1 Nummer 2, Absatz 4 Nummer 2 und Absatz 6 Nummer 3 wird der durchschnittliche Gesamtumsatz der letzten drei Jahre vor Vergabe des öffentlichen Auftrags oder ein anderer geeigneter tätigkeitsgestützter Wert herangezogen. Ein geeigneter tätigkeitsgestützter Wert sind zum Beispiel die Kosten, die der juristischen Person oder dem öffentlichen Auftraggeber in dieser Zeit in Bezug auf Liefer-, Bau- und Dienstleistungen entstanden sind. Liegen für die letzten drei Jahre keine Angaben über den Umsatz oder einen geeigneten alternativen tätigkeitsgestützten Wert wie zum Beispiel Kosten vor oder sind sie nicht aussagekräftig, genügt es, wenn der tätigkeitsgestützte Wert insbesondere durch Prognosen über die Geschäftsentwicklung glaubhaft gemacht wird. (8) Die Absätze 1 bis 7 gelten entsprechend für Sektorenauftraggeber im Sinne des § 100 Absatz 1 Nummer 1 hinsichtlich der Vergabe von öffentlichen Aufträgen sowie für Konzessionsgeber im Sinne des § 101 Absatz 1 Nummer 1 und 2 hinsichtlich der Vergabe von Konzessionen. I. 1. 2. II.

Einführung Inhaltsübersicht . . . . . . . . . . . . Entstehungsgeschichte . . . . . . . In-house-Geschäfte (§ 108 Abs. 1 bis 5) . . . . . . . . . 1. Das einfache vertikale In-houseGeschäft (§ 108 Abs. 1 und 2) . . a) Vergabe von öffentlichen Aufträgen durch einen öffentlichen Auftraggeber an eine juristische Person des öffentlichen oder privaten Rechts . . b) Kontrollkriterium (§ 108 Abs. 1 Nr. 1) . . . . . . . aa) Ähnliche Kontrolle wie über eigene Dienststelle . bb) Ausschlaggebender Einfluss auf strategische Ziele

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und wesentliche Entscheidungen . . . . . . . . . . . . . c) Wesentlichkeitskriterium (§ 108 Abs. 1 Nr. 2) . . . . . . . aa) 80 %-Grenze . . . . . . . . . bb) Tätigkeiten . . . . . . . . . . cc) Betrauung . . . . . . . . . . . dd) Kausal- bzw. Zurechnungszusammenhang . . . ee) Tätigkeiten für andere öffentliche Auftraggeber . . . . . . . . . . . . . . ff) Darlegungs- und Beweislast . . . . . . . . . . . . . . . . d) Beteiligungskriterium (§ 108 Abs. 1 Nr. 3) . . . . . . . 2. Vermutung der Kontrolle (§ 108 Abs. 2) . . . . . . . . . . . . .

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Ausnahmen bei öffentlich-öffentlicher Zusammenarbeit | § 108 3. Inverse vertikale und horizontale In-house-Geschäfte (§ 108 Abs. 3) . . . . . . . . . . . . . a) Inverse vertikale In-houseGeschäfte (§ 108 Abs. 3 Satz 1 Alt. 1) . . . . . . . . . . . . aa) Kontrollkriterium . . . . . bb) Wesentlichkeitskriterium cc) Beteiligungskriterium . . b) Horizontale In-house-Geschäfte (§ 108 Abs. 3 Satz 1 Alt. 2) . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Kontrollkriterium . . . . . bb) Wesentlichkeitskriterium cc) Beteiligungskriterium . . 4. Gemeinsame vertikale In-houseGeschäfte (§ 108 Abs. 4) . . . . . . a) Gemeinsame Kontrolle (§ 108 Abs. 4 Nr. 1) . . . . . . . b) Wesentlichkeitskriterium (§ 108 Abs. 4 Nr. 2) . . . . . . . c) Beteiligungskriterium (§ 108 Abs. 4 Nr. 3) . . . . . . . d) Inverses In-house-Geschäft bei gemeinsamer Kontrolle im Sinne von § 108 Abs. 4 . . 5. Voraussetzungen einer gemeinsamen Kontrolle (§ 108 Abs. 5) . a) Beschlussfassende Organe, zusammengesetzt aus Vertretern sämtlicher teilnehmender öffentlicher Auftraggeber (§ 108 Abs. 5 Nr. 1) . . b) Gemeinsame Ausübung eines ausschlaggebenden Einflusses (§ 108 Abs. 5 Nr. 2) . .

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III.

49 50 51 53

1.

54 55 56 58 59 60 63 64 65 66

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2. 3. 4. 5. 6. IV. V. VI.

VII.

c) Keine widerstreitenden Interessen (§ 108 Abs. 5 Nr. 3) . . Horizontale öffentlich-öffentliche Zusammenarbeit (§ 108 Abs. 6) . . . . . . . . . . . . . Keine Anwendbarkeit des § 108 Abs. 6 auf rein staatsinterne Maßnahmen der Verwaltungsorganisation . . . . . . . . . . . . . . Grundlagen und Grundsätze des Ausnahmetatbestandes gemäß 108 Abs. 6 . . . . . . . . . . . . . . . . Vertrag zwischen zwei oder mehreren öffentlichen Auftraggebern (§ 108 Abs. 6) . . . . . . . . Kooperatives Konzept (§ 108 Abs. 6 Nr. 1) . . . . . . . . . Überlegungen im Zusammenhang mit dem öffentlichen Interesse (§ 108 Abs. 6 Nr. 2) . . 20 %-Grenze (§ 108 Abs. 6 Nr. 3) Bestimmung des prozentualen Anteils (§ 108 Abs. 7) . . . . . . . Entsprechende Geltung für Sektorenauftraggeber und Konzessionsgeber (§ 108 Abs. 8) . . Kombination von In-HouseGeschäft und horizontaler öffentlich-öffentlicher Zusammenarbeit . . . . . . . . . . . . . . . Maßgeblicher Zeitpunkt und späterer Wegfall von Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . .

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_ _ _ _ _ _ __ _ _ _ _ 71 72

74 81 88 93

102 107 112 113

114 116

I. Einführung 1. Inhaltsübersicht § 108 nimmt die Vergabe öffentlicher Aufträge auf dem Gebiet der öffentlich-öf- 1 fentlichen Zusammenarbeit vom Anwendungsbereich des Vergaberechts aus. Die Vorschrift normiert in acht Absätzen die Voraussetzungen und unterschiedlichen Erscheinungsformen der In-house-Geschäfte und der öffentlich-öffentlichen Zusammenarbeit, unter denen diese von der Anwendung des 4. Teils des Ganske

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§ 108 | Ausnahmen bei öffentlich-öffentlicher Zusammenarbeit GWB ausgenommen sind. Die Absätze 1 bis 5 enthalten Regelungen zu Inhouse-Geschäften. Dabei beziehen sich die Absätze 1 und 2 auf das „klassische“ einfache vertikale In-house-Geschäft. In Absatz 3 sind die Voraussetzungen des inversen und des horizontalen In-house-Geschäfts normiert. Die Absätze 4 und 5 beschreiben das gemeinsame vertikale In-house-Geschäft. Absatz 6 betrifft die horizontale öffentlich-öffentliche Zusammenarbeit. Absatz 7 ist eine Vorschrift zur Bestimmung des prozentualen Anteils i.S.v. Abs. 1 Nr. 2, Abs. 4 Nr. 2 und Abs. 6 Nr. 3 und bezieht sich auf In-house-Konstellationen wie auch auf horizontale Kooperationen gleichermaßen. Schließlich ordnet Absatz 8 die entsprechende Geltung der Abs. 1 bis 7 für Sektorenauftraggeber und Konzessionsgeber an. 2. Entstehungsgeschichte 2 § 108 kodifiziert erstmals die Voraussetzungen für eine Nichtanwendung des

Vergaberechts bei öffentlich-öffentlicher Zusammenarbeit. Bislang ergaben sich die Voraussetzungen der Ausnahmetatbestände aus den von der Rechtsprechung des EuGH entwickelten Grundsätzen1. Die Dogmatik des In-house-Geschäfts wurde maßgeblich im Jahr 1999 vom EuGH in der Rechtssache „Teckal“2 entwickelt und in einer Reihe von Entscheidungen weiter verfeinert3. Die Dogmatik des In-house-Geschäfts hat durch die Rechtsprechung des EuGH einen so klaren Inhalt bekommen, dass sie als Ausnahmetatbestand in der europäischen und nationalen Vergaberechtsprechung anerkannt ist4. Mit der horizontalen öffentlichöffentlichen Zusammenarbeit befasste sich der EuGH erstmals im Jahr 20055 und präzisierte den Ausnahmetatbestand in seiner nachfolgenden Judikatur6 sukzessive, so dass auch dieser allgemeine Anerkennung fand.

1 Vgl. die Begründung des Regierungsentwurfs, BT-Drucks. 18/6281, S. 79; Portz in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 108 Rz. 1. 2 EuGH v. 18.11.1999 – Rs. C-107/98, Slg. I-08121, NZBau 2000, 90 ff. – Teckal. 3 Vgl. u.a. EuGH v. 11.1.2005 – Rs. C-26/03, Slg. I-00001, NZBau 2005, 111 – Stadt Halle; EuGH v. 13.10.2005 – Rs. C-485/03, Slg. I-08585, NZBau 2005, 644 ff. – Parking Brixen. Auf die Entscheidungen wird näher im Rahmen der Kommentierung der einzelnen Ausnahmetatbestände eingegangen. Siehe hierzu auch die gute Darstellung über die Entwicklung der Rechtsprechung im Arbeitsdokument der Kommissionsdienststellen über die Anwendung des EU-Vergaberechts im Fall von Beziehungen zwischen öffentlichen Auftraggebern (öffentlich-öffentliche Zusammenarbeit), SEK (2011) 1169 endg. vom 4.10.2011; sowie ferner auch Beckmann, AbfallR 2005, 37 ff.; Dreher, NZBau 2008, 93 ff. 4 Vgl. König in Gabriel/Krohn/Neun, Handbuch des Vergaberechts, § 6 Rz. 7; Ziekow, NZBau 2015, 258. 5 EuGH v. 13.1.2005 – Rs. C-84/03, Slg. 2005, I-139-166, VergabeR 2006, 176 ff. – Kommission/Spanien. 6 EuGH v. 13.11.2008 – Rs. C-324/07, Slg. 2008, I-8457-8506 – Coditel Brabant; EuGH v. 19.12.2012 – Rs. C-159/11, ABl. EU 2013, Nr. C 46, 4 – Lecce; EuGH v. 13.6.2013 – Rs. C386/11, ABl. EU 2013, Nr. C 225, 7-8 – Piepenbrock. Auch auf diese Entscheidungen wird näher im Rahmen der Kommentierung der einzelnen Ausnahmetatbestände eingegangen.

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Versuche, die besagte EuGH-Rechtsprechung zu kodifizieren, scheiterten zu- 3 nächst. Sowohl die Entwürfe zur nicht in Kraft gesetzten GWB-Vergaberechtsnovelle (2005) als auch die ersten Entwürfe des Gesetzes zur Modernisierung des Vergaberechts (2009) enthielten Vorschläge zur Konkretisierung der Inhouse-Rechtsprechung bzw. zur Statuierung von Bereichsausnahmen für die Beschaffung einer Leistung bei einem anderen öffentlichen Auftraggeber in § 99 GWB a.F.1. Die Vorschriften sind seinerzeit jedoch nicht Gesetz geworden2. Im Jahr 2011 legte die EU-Kommission das „Arbeitsdokument der Kommissionsdienststellen über die Anwendung des EU-Vergaberechts im Fall von Beziehungen zwischen öffentlichen Auftraggebern (öffentlich-öffentliche Zusammenarbeit)“ vor3, das einen umfassenden Überblick über die Rechtsprechung des EuGH enthält, jedoch nicht rechtsverbindlich ist. Durch das Vergaberechtsmodernisierungsgesetz vom 17.2.20164 erhält die öf- 4 fentlich-öffentliche Zusammenarbeit im neu geschaffenen § 108 erstmals Eingang in das geschriebene nationale Recht. § 108 dient der Umsetzung von Art. 17 der Richtlinie 2014/23/EU, Art. 12 der Richtlinie 2014/24/EU sowie Art. 28 der Richtlinie 2014/25/EU. Der deutsche Gesetzgeber hat die Struktur und den Wortlaut der Richtlinien weitgehend übernommen. § 108 greift die Rechtsprechung des EuGH sowohl bezüglich der In-house-Geschäfte als auch der horizontalen öffentlich-öffentlichen Zusammenarbeit auf und überführt diese unter einigen Präzisierungen und Abänderungen in das nationale Recht5.

II. In-house-Geschäfte (§ 108 Abs. 1 bis 5) Die sog. „In-house-Geschäfte“6 stellen keine öffentlichen Aufträge im Sinne des 5 Vergaberechts dar7. Hintergrund ist, dass ein öffentlicher Auftrag i.S.v. § 103 stets die Teilnahme eines öffentlichen Auftraggebers am Markt voraussetzt. Dies ist in der Regel der Fall, wenn der öffentliche Auftraggeber seine interne Aufgabenorganisation verlässt, um Verträge mit außenstehenden Dritten abzu1 Vgl. in diesem Zusammenhang OLG Koblenz v. 3.12.2014 – Verg 8/14, das mit Rücksicht auf die bewusste Nichtumsetzung dieser Regelungsvorschläge im Jahr 2014, wenn auch im konkreten Fall nicht entscheidungserheblich, insbesondere eine Vorwirkung von Art. 12 Abs. 4 der Richtlinie 2014/24/EG abgelehnt hatte. Vgl. hierzu ferner auch die Anm. von Lück, AbfallR 2015, 29 ff. Kritisch dazu Portz, DStGB Aktuell 3/15 v. 16.1.2015, S. 21 ff. 2 Zur Gesetzgebungsgeschichte anlässlich der Vergaberechtsnovelle 2009 s. auch die Darstellung bei Prieß/Hölzl, NZBau 2009, 159 ff. 3 Dokument SEK (2011) 1169 endg. vom 4.10.2011. 4 BGBl. I 2016, 203 ff. 5 Vgl. insofern ausdrücklich Erwägungsgrund 31 der Richtlinie 2014/24/EU. 6 Auch als „In-house-Vergabe“ bezeichnet. 7 Vgl. zum Ganzen auch den Rechtsprechungsüberblick bei Just, EuZW 2009, 879 ff.

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§ 108 | Ausnahmen bei öffentlich-öffentlicher Zusammenarbeit schließen1. Überträgt er die Erfüllung eines öffentlichen Auftrags jedoch auf eine andere Landes- oder Bundesbehörde innerhalb derselben Körperschaft, eine eigene Verwaltungsabteilung oder einen Eigenbetrieb, so bleibt der öffentliche Auftraggeber in seiner eigenen Sphäre. Folge ist, dass in materieller Hinsicht kein anderer mit der Leistungserbringung beauftragt wird, sondern die Leistung von einer Stelle erbracht wird, die der öffentlichen Verwaltung bzw. dem Geschäftsbetrieb des öffentlichen Auftraggebers zuzurechnen ist2. Das In-houseGeschäft stellt insofern eine Ausformung des Grundsatzes der Ausschreibungsfreiheit der Eigenerledigung bzw. der Leistungserbringung mit eigenen Mitteln dar3. § 108 enthält in seinen Absätzen 1 bis 5 die Voraussetzungen, unter denen solche In-house-Geschäfte vergaberechtsfrei erfolgen können. Dabei erfasst § 108 nur die sog. In-house-Geschäfte im weiteren Sinne, also solche Beschaffungsvorgänge, die zwischen zwei oder mehreren Rechtssubjekten abgewickelt werden und die sich unter bestimmten Voraussetzungen als eine Eigenleistung der öffentlichen Hand darstellen. Nicht erfasst sind die sog. In-houseGeschäfte im engeren Sinne, also solche Fallgestaltungen, in denen ein öffentlicher Auftraggeber einen Eigenbetrieb mit der Leistungserbringung betraut. Bei einem solchen Beschaffungsvorgang ist nur eine juristische Person beteiligt, so dass bereits in formeller Hinsicht kein Auftragsverhältnis vorliegt, da ein Vertrag i.S.v. § 103 GWB voraussetzt, dass zwei unterschiedliche Rechtssubjekte Partner des Vertrages sind4. 1. Das einfache vertikale In-house-Geschäft (§ 108 Abs. 1 und 2) 6 § 108 Abs. 1 und 2 setzt Art. 12 Abs. 1 der Richtlinie 2014/24/EU in deutsches

Recht um und behandelt das „klassische“ einfache vertikale In-house-Geschäft. Danach sind solche Fallgestaltungen vom Vergaberecht ausgenommen, in denen der öffentliche Auftraggeber einen öffentlichen Auftrag in vertikaler Auftragsrichtung an eine juristische Person des öffentlichen oder privaten Rechts vergibt, die er wie eine eigene Dienststelle kontrolliert (Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 2, sog. Kontrollkriterium, vgl. Rz. 8 ff.) und die im Wesentlichen für diesen tätig wird (Abs. 1 Nr. 2, sog. Wesentlichkeitskriterium, vgl. Rz. 20 ff.). Außerdem darf keine private Kapitalbeteiligung an der kontrollierten juristischen Person bestehen (Abs. 1 Nr. 3, sog. Beteiligungskriterium, vgl. Rz. 40 ff.).

1 OLG Naumburg v. 8.1.2003 – 1 Verg 7/02, NZBau 2003, 224 (228); OLG Brandenburg v. 9.12.2002 – Verg W 9/02, NZBau 2003, 229 (231); OLG Koblenz v. 20.12.2001 – 1 Verg 4/ 01, NZBau 2002, 346 f.; VK Hessen v. 24.3.2004 – 69d-VK-03/2004, IBRRS 2004, 3051. 2 Vgl. El-Barudi, Die Anwendbarkeit des GWB-Vergaberechts auf Öffentlich-Private Partnerschaften, Dissertation, Regensburg, 2008, S. 45 f. 3 Vgl. Ziekow, NZBau 2015, 258. 4 BGH v. 3.7.2008 – I ZR 145/05, BGHZ 177, 150, 155 f. = MDR 2008, 1289; VK Nordbayern v. 27.5.2004 – 320.VK-3194-14/04, IBR 2004, 532. In diesem Sinne jüngst auch EuGH v. 8.12.2016 – Rs. C-553/15, ECLI:EU:C:2016:935 – Undis Servizi.

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a) Vergabe von öffentlichen Aufträgen durch einen öffentlichen Auftraggeber an eine juristische Person des öffentlichen oder privaten Rechts Die Begriffe des öffentlichen Auftrags, des öffentlichen Auftraggebers und der 7 juristischen Person des öffentlichen oder privaten Rechts entsprechen denen des § 103 bzw. des § 99 (Nr. 2), so dass auf die dortigen Kommentierungen verwiesen werden kann. b) Kontrollkriterium (§ 108 Abs. 1 Nr. 1) Der Gesetzgeber hat die langjährige Rechtsprechung des EuGH zum sog. Kon- 8 trollkriterium übernommen1. Danach ist es erforderlich, dass der öffentliche Auftraggeber über die den Auftrag erhaltende juristische Person eine ähnliche Kontrolle wie über seine eigenen Dienststellen ausübt2. aa) Ähnliche Kontrolle wie über eigene Dienststelle Gemäß § 108 Abs. 1 Nr. 1 ist für die Annahme eines einfachen vertikalen In- 9 house-Geschäfts erforderlich, dass der öffentliche Auftraggeber über die juristische Person eine ähnliche Kontrolle wie über seine eigenen Dienststellen ausübt. Das Kriterium soll eine der administrativen Binnenorganisation ähnliche Fähigkeit zur Steuerung des öffentlichen Auftraggebers gegenüber der aufgabenerledigenden rechtlich selbständigen juristischen Person sicherstellen3. Dabei ist – entsprechend dem Wortlaut der Vorschrift – kein gleich hohes Maß an Kontrolle erforderlich wie es der Auftraggeber in seiner administrativen Binnenorganisation innehat, sondern nur ein „ähnliches“, d.h. vergleichbares Niveau der Steuerungsfähigkeit4. bb) Ausschlaggebender Einfluss auf strategische Ziele und wesentliche Entscheidungen Die den Auftrag erhaltende Gesellschaft muss mithin der wirksamen Kontrolle 10 des Auftraggebers unterworfen sein, die es ihm ermöglicht ausschlaggebenden Einfluss auf die strategischen Ziele und wesentlichen Entscheidungen auszuüben. Der Auftraggeber muss also in der Lage sein, auf die Entscheidungen der Gesellschaft maßgeblichen Einfluss zu nehmen und zwar durch strukturelllangfristige Maßnahmen (strategische Ziele) als auch durch punktuell-kurzfris1 BT-Drucks. 18/6281, S. 80. 2 EuGH v. 18.11.1999 – Rs. C-107/98, Slg. I-08121, NZBau 2000, 90 ff. – Teckal. 3 Portz in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 108 Rz. 43; Ziekow in Ziekow/Völlink, Vergaberecht, 2. Aufl. 2013, § 99 GWB Rz. 114. 4 Vgl. den Wortlaut von § 108 Abs. 1 Nr. 1: „ähnliche Kontrolle“; ebenso BayObLG v. 22.1. 2002 – Verg 18/01, NZBau 2002, 397 ff.; Ziekow in Ziekow/Völlink, Vergaberecht, 2. Aufl. 2013, § 99 GWB Rz. 114.

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§ 108 | Ausnahmen bei öffentlich-öffentlicher Zusammenarbeit tige Maßnahmen (sonstige wesentliche Entscheidungen)1. Liegt ein solches Maß der Steuerungsfähigkeit vor, wird gem. § 108 Abs. 2 Satz 1 die Ausübung der Kontrolle i.S.v. § 108 Abs. 1 Nr. 1 vermutet. Das Vorliegen der erforderlichen Steuerungsfähigkeit muss im Einzelfall unter Berücksichtigung aller Rechtsvorschriften und Umstände festgestellt werden2. Auf die diesbezüglich in der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze kann im Rahmen von § 108 weiterhin zurückgegriffen werden. 11 Öffentliche Auftraggeber bedienen sich zur Durchführung ihrer Aufgaben oft-

mals vollständiger Eigengesellschaften. Selbst in diesen Konstellationen kann nach ständiger Rechtsprechung des EuGH jedoch nicht davon ausgegangen werden, dass in jedem Fall das erforderliche Niveau an Steuerungsfähigkeit erreicht wird3. In der Rechtssache „Parking Brixen“ hat der EuGH festgestellt, dass auch die Alleininhaberschaft des Gesellschaftskapitals für sich genommen noch nicht ausreicht, um das Kontrollkriterium zu bejahen. Die Qualität der Steuerungsfähigkeit hat der EuGH im konkreten Fall aufgrund einer Gesamtschau der maßgeblichen Einzelfallumstände, namentlich (1) die Rechtsnatur der auftragnehmenden Gesellschaft in Form einer Aktiengesellschaft (AG), (2) die Ausweitung des Gesellschaftszwecks in bedeutende neue Bereiche wie den Personen- und Gütertransport sowie der Informatik und der Telekommunikation, (3) die in der Satzung der Gesellschaft vorgesehene baldige Öffnung für Fremdkapital, (4) die nach der Satzung gestattete Ausweitung des geografischen Tätigkeitsbereichs auf ganz Italien und das Ausland sowie (5) die beträchtlichen dem Verwaltungsrat übertragenen Vollmachten, die praktisch ohne Kontrolle der Geschäftsführung durch die Gemeinde ausgeübt werden, verneint4. Verfügt eine auftrag- bzw. konzessionsnehmende Einrichtung über ein Maß an Selbständigkeit, wie es durch diese Merkmale gekennzeichnet wird, so ist es ausgeschlossen, dass die auftrags- bzw. konzessionserteilende öffentliche Stelle über die konzessionsnehmende Einrichtung eine Kontrolle wie über ihre eigenen Dienststellen ausübt5. Im Rahmen der vom EuGH vorgenommenen Gesamtschau war ersichtlich der Punkt am bedeutsamsten, dass der Verwaltungsrat der Gesellschaft, der dem Vorstand einer deutschen Aktiengesellschaft entspricht, befugt ist, alle Handlungen, die er zur Erreichung des Gesellschaftszwecks für angebracht oder 1 Vgl. die ausführliche Prüfung des Kontrollkriteriums nach den neuen Vorschriften durch VK Bund v. 18.5.2016 – VK 1-18/16, S. 18 ff.; sowie ferner EuGH v. 8.12.2016 – Rs. C-553/15, ECLI:EU:C:2016:935, Rz. 27-41 – Undis Servizi, mit Anm. Ziekow, NZBau 2017, 339 ff. 2 EuGH v. 13.10.2005 – Rs. C-458/03, Slg. I-08585, NZBau 2005, 644 ff. – Parking Brixen; EuGH v. 11.5.2006 – Rs. C-340/04, Slg. I-04137, NZBau 2006, 452 ff. – Carbotermo. 3 Ziekow in Ziekow/Völlink, Vergaberecht, 2. Aufl. 2013, § 99 GWB Rz. 115. 4 EuGH v. 13.10.2005 – Rs. C-458/03, Slg. I-08585, NZBau 2005, 644 (649, Rz. 67–69) – Parking Brixen; Jennert, NZBau 2005, 623, 626. 5 EuGH v. 13.10.2005 – Rs. C-458/03, Slg. I-08585, NZBau 2005, 644 (649, Rz. 70) – Parking Brixen.

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notwendig erachtet, bis zu einem Wert von 5 Mio. € pro Geschäftsfall ohne vorherige Genehmigung der Gesellschafterversammlung vorzunehmen. Diesen Grundsatz hat der EuGH im Fall „Carbotermo“, in dem es um die Ver- 12 gabe einer italienischen Gemeinde direkt an eine Enkelgesellschaft in Form einer Aktiengesellschaft ging, bestätigt und weiterentwickelt. In dieser Rechtssache hat der EuGH darauf hingewiesen, dass das Risiko einer unzureichenden Steuerungsmöglichkeit wächst, wenn zwischen der Gemeinde und der Enkelgesellschaft eine als Aktiengesellschaft organisierte Tochtergesellschaft als Holding geschaltet ist, an der zu 99,98 % die auftragserteilende Gemeinde und zu 0,02 % sechs weitere italienische Gemeinden beteiligt sind. Der EuGH hat insoweit festgestellt, dass der Umstand, dass der öffentliche Auftraggeber allein oder zusammen mit anderen öffentlichen Stellen das gesamte Kapital einer auftragnehmenden Gesellschaft hält, zwar – ohne entscheidend zu sein – darauf hindeute, dass er über diese Gesellschaft eine Kontrolle wie über seine eigenen Dienststellen ausübt1. Allerdings sei stets eine individuelle Prüfung der maßgeblichen Einzelfallumstände erforderlich. Diese führte im konkreten Fall zur Verneinung des Kontrollkriteriums. Ausschlaggebend war dabei zum einen, dass die Satzungen von Tochter- und Enkelgesellschaft keine hinreichenden Begrenzungen des den Verwaltungsräten eingeräumten Handlungsspielraums vorsahen, zum anderen die aus der Einschaltung der Holding in Form einer AG resultierende (zusätzliche) Schwächung der Kontrolle2. Gerade im Hinblick auf die in der Praxis am häufigsten vorkommenden Gesell- 13 schaftsformen der Eigengesellschaften, die AG und die GmbH, kommt es weniger auf eine „Beherrschung“ als vielmehr auf die Möglichkeit einer „umfassenden Einflussnahme“ des öffentlichen Auftraggebers auf das auftragnehmende Unternehmen an3. Hieran fehlt es, wenn die Geschäftsführung des Unternehmens, wie dies beispielsweise aufgrund von § 76 Abs. 1 AktG bei einer AG der Regelfall ist4, beträchtliche Vollmachten zur Erledigung wichtiger Geschäfte hat, ohne dass eine Kontrolle der Geschäftsführung durch die Anteilseigner ausgeübt werden kann. Allerdings steht die Rechtsform der AG einer In-house-Konstellation nicht per se entgegen5. Anders ist dies bei der Rechtsform der GmbH, die aufgrund der ihr eigenen Organisationsstrukturen den Gesellschaftern umfassende Einfluss- und Steuerungsmöglichkeiten einräumt (vgl. §§ 46, 47 Abs. 1 GmbHG)6. 1 EuGH v. 11.5.2006 – Rs. C-340/04, Slg. I-04137, NZBau 2006, 452 (454, Rz. 37) – Carbotermo. 2 Vgl. EuGH v. 11.5.2006 – Rs. C-340/04, Slg. I-04137, NZBau 2006, 452 (454, Rz. 38 ff.) – Carbotermo; sowie auch die Besprechungen von Söbbeke, DÖV 2006, 996 (999 f.) und Stammkötter, ZfBR 2007, 245 ff. 3 BayObLG v. 22.1.2002 – Verg 18/01, VergabeR 2002, 244 (248 f.). 4 Vgl. Koch in Hüffer/Koch, Aktiengesetz, 12. Aufl. 2016, § 76 Rz. 8 f. 5 Vgl. EuGH v. 10.9.2009 – Rs. C-573/07, VergabeR 2009, 882 ff. – Sea. 6 BGH v. 12.6.2001 – X ZB 10/01, BGHZ 148, 55, 63 f.

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§ 108 | Ausnahmen bei öffentlich-öffentlicher Zusammenarbeit 14 Überdies folgt aus dem gemeinschaftsrechtlichen Erfordernis der umfassenden

Einflussnahmemöglichkeit auf die strategischen Ziele der Gesellschaft nach der Rechtsprechung des BGH auch, dass es unerheblich ist, ob sich Private unmittelbar oder nur mittelbar über gemischtwirtschaftliche Unternehmen beteiligen können. Denn ein derartiger Einfluss ist bereits dann nicht sichergestellt, wenn gemischtwirtschaftliche Unternehmen in der Mitgliederversammlung des auftragnehmenden Unternehmens Stimmrechte haben bzw. erwerben können und keine Vorkehrungen dafür getroffen sind, dass ihr Stimmrecht jeweils ausschließlich durch den oder die jeweiligen öffentlichen Gesellschafter ohne Berücksichtigung der Interessen privater Partner ausgeübt wird. Dabei kann dahinstehen, ob solche Vorkehrungen überhaupt möglich sind oder ob dem entgegensteht, dass die Geschäftsführung einer gemischtwirtschaftlichen Vereinigung jedenfalls bei einer substantiellen privaten Beteiligung stets verpflichtet ist, auch die Interessen der privaten Partner zu berücksichtigen. Ebenso wie das Kontrollkriterium auch durch eine Kette mittelbarer Beteiligungen öffentlicher Auftraggeber erfüllt werden kann1, wird es ausgeschlossen, wenn Private sich mittelbar mit Stimmrecht beteiligen oder Mitglied werden können. Dafür spricht auch das vor allem in § 97 Abs. 1 zum Ausdruck kommende Anliegen des Kartellvergaberechts, dass die öffentliche Beschaffung, soweit sie nicht ausdrücklich von der Anwendung der Vergaberegeln ausgenommen ist, umfassend unter geregelten Wettbewerbsbedingungen erfolgt2.

15 Nach der Rechtsprechung des EuGH im Fall „Stadt Mödling“ sind die Gesamt-

umstände des Einzelfalls nicht nur in sachlicher, sondern auch in zeitlicher Hinsicht zu berücksichtigen, um z.B. Umgehungsversuche zu verhindern. Dabei müssen – so der EuGH – insbesondere auch nachträglich bekannt werdende Ereignisse, die ein umfassendes Gesamtvorhaben indizieren, berücksichtigt werden3. Anhaltspunkte hierfür können insbesondere die Beschlüsse der kommunalen Gremien sowie die Verlautbarungen der einzelnen Entscheidungsträger bieten4. Vor diesem Hintergrund hat der EuGH das Kontrollkriterium im konkreten Fall verneint, weil 49 % der Gesellschaftsanteile der beauftragten städtischen Abfall-GmbH kurz nach dem Zeitpunkt, zu dem dieser Gesellschaft das

1 Vgl. Säcker/Wolf, WRP 2007, 282 (284). 2 So BGH v. 3.7.2008 – I ZR 145/05, BGHZ 177, 150, 159 = MDR 2008, 1289, der mit dieser Begründung festgestellt hat, dass Verträge öffentlicher Auftraggeber mit Kommunalversicherern, bei denen Mitglieder auch sonstige wirtschaftliche Vereinigungen sein können, die sich nicht vollständig in öffentlicher Hand befinden, dem Vergaberecht unterfallen. Ebenso OLG Köln v. 15.7.2005 – 6 U 17/05, NZBau 2006, 69 (70). 3 Vgl. EuGH v. 10.11.2005 – Rs. C-29/04, Slg. I-09705, NZBau 2005, 704 ff., Rz. 38 ff. – Stadt Mödling; sowie auch Eschenbruch in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 103 Rz. 129 und 135. 4 Frenz, NZBau 2008, 673 (679); Eschenbruch in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 103 Rz. 114.

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ausschließliche und unbefristete Recht zur Sammlung und Behandlung von Abfall übertragen worden war, an einen Privaten abgetreten, und zum anderen die operative Tätigkeit der Gesellschaft erst nach der Anteilsübernahme aufgenommen wurde1. Der zugrunde liegende Gedanke, dass die Vergabe eines Auftrags stets unter Berücksichtigung der Gesamtheit aller Schritte sowie ihrer Zielsetzung zu prüfen ist und nicht nur anhand ihrer rein zeitlichen Abfolge2, findet sich auch in der Rechtssache „ANAV“, in der der EuGH das vorlegende Gericht darauf hinweist, dass für den Fall, dass das Kapital der konzessionsnehmenden Gesellschaft während der Laufzeit des in Rede stehenden Vertrages privaten Aktionären geöffnet würde, dies dazu führen würde, dass eine Konzession ohne Ausschreibung einem gemischtwirtschaftlichen Unternehmen erteilt würde, was die Ziele des Gemeinschaftsrechts beeinträchtigen würde3. Die Entscheidung macht deutlich, dass es nicht zwingend auf den wohl denkbar engsten sachlichzeitlichen Zusammenhang ankommt, d.h., dass bereits bei der Gründung einer Gesellschaft die Auftragserteilung durch den öffentlichen Auftraggeber vorhersehbar und inhaltlich konkretisiert ist4, sondern es vielmehr ausreicht, dass die theoretische Möglichkeit besteht, dass ein privater Dritter entsprechend einem Vorhaben des öffentlichen Auftraggebers am Kapital des öffentlichen Unternehmens beteiligt wird5. Damit wird suggeriert, dass auch ein nicht unerheblicher zeitlicher Abstand zwischen der ursprünglichen Beauftragung einer kommunalen Eigengesellschaft und der späteren teilweisen Anteilsübertragung an einen privaten Unternehmer beachtlich sein kann. Die genauen zeitlichen Grenzen bleiben indes unklar. Im Fall „Augusta“ hat der EuGH überdies entschieden, dass allein der Umstand, dass die betroffene Gesellschaft zum Teil für privates Kapital offen steht, einer In-house-Fähigkeit entgegensteht6. Der EuGH hat in den Rechtssachen „Coditel Brabant“ und „Sea“ deutlich ge- 16 macht, dass das Kontrollkriterium auch dann nicht erfüllt sein kann, wenn ein auftragserhaltendes Tochterunternehmen so auf den Markt ausgerichtet ist, dass es über ein Maß an Selbständigkeit verfügt, das eine Kontrolle als nicht ge-

1 Vgl. EuGH v. 10.11.2005 – Rs. C-29/04, Slg. I-09705, NZBau 2005, 704 (706, Rz. 38 ff.) – Stadt Mödling; Jasper/Arnold, NZBau 2006, 24; Kühling, ZfBR 2006, 661. 2 Vgl. EuGH v. 10.11.2005 – Rs. C-29/04, Slg. I-09705, NZBau 2005, 704 (706, Rz. 41) – Stadt Mödling. 3 Vgl. EuGH v. 6.4.2006 – Rs. C-410/04, Slg. I-03303, NZBau 2006, 326 (328, Rz. 29 f.) – ANAV. 4 Säcker/Wolf, WRP 2007, 282 (291); Eschenbruch in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 103 Rz. 115. 5 Vgl. EuGH v. 6.4.2006 – Rs. C-410/04, Slg. I-03303, NZBau 2006, 326 (328, Rz. 29 f.) – ANAV; Eschenbruch in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 103 Rz. 113. 6 EuGH v. 8.4.2008 – Rs. C-337/05, NZBau 2008, 401 ff., Rz. 38-40 – Augusta; Eschenbruch in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 103 Rz. 113.

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§ 108 | Ausnahmen bei öffentlich-öffentlicher Zusammenarbeit sichert erscheinen lässt1. Die Prüfung der Marktausrichtung erfolgt anhand von drei Kriterien: einem geografisch-raumbezogenen (1), einem zweckbezogenen (2) und einem materiell-wirkungsbezogenen (3)2. Es spricht gegen die Kontrollmöglichkeit des Auftraggebers, wenn sich der geografisch-raumbezogene Wirkungsbereich der auftragserhaltenden Gesellschaft über den Wirkungsbereich des öffentlichen Auftraggebers hinaus erstreckt. Dies gilt insbesondere bei Tochtergesellschaften, die über das Gebiet der beauftragenden Gemeinde hinaus tätig werden3. In zweckbezogener Hinsicht spricht es gegen die Kontrollmöglichkeit des Auftraggebers, wenn die Tochtergesellschaft satzungsmäßig befugt ist, ihre Leistungen auch gegenüber anderen als der Mutterkörperschaft zu erbringen4. Mutter- und Tochterkörperschaft müssen insofern dieselben Interessen verfolgen5. Schließlich setzt das materiell-wirkungsbezogene Kriterium voraus, dass die Tochtergesellschaft ihre Leistung zwar an Private erbringen kann, diese Leistungserbringung den Hauptzweck der Gesellschaft, also die Leistungserbringung für den öffentlichen Auftraggeber, jedoch nur ergänzen darf6. Dieses Erfordernis steht neben dem separat zu prüfenden Wesentlichkeitskriterium nach § 108 Abs. 1 Nr. 27. 17 In der Entscheidung in der Rechtssache „Econord“ vom 29.11.2012 hat der

EuGH das Kontrollkriterium weiter dahingehend konkretisiert, dass eine strukturelle und funktionelle Kontrolle des Auftraggebers über die beteiligte öffentlich-rechtliche Einrichtung erforderlich ist8. Dort heißt es: „Nach ständiger Rechtsprechung liegt eine ‚Kontrolle wie über eigene Dienststellen‘ vor, wenn die betreffende Einrichtung einer Kontrolle unterliegt, die es dem öffentlichen Auftraggeber ermöglicht, auf ihre Entscheidungen einzuwirken. Hierbei muss die Möglichkeit gegeben sein, sowohl auf die strategischen Ziele als auch

1 EuGH v. 13.11.2008 – Rs. C-324/07, Slg. 2008, I-8457-8506, VergabeR 2009, 440 ff. – Coditel Brabant; EuGH v. 10.9.2009 – Rs. C-573/07, Slg. 2009, I-8127-8162, VergabeR 2009, 882 ff. – Sea; zu dem Urteil „Coditel Brabant“ vgl. u.a. Krohn, NZBau 2009, 222; zu dem Urteil „Sea“ vgl. u.a. Walter, VergabeR 2010, 147 ff. und Polster, NZBau 2010, 486 ff. 2 Ziekow in Ziekow/Völlink, Vergaberecht, 2. Aufl. 2013, § 99 GWB Rz. 123. 3 EuGH v. 10.9.2009 – Rs. C-573/07, Slg. 2009, I-8127-8162, VergabeR 2009, 882 ff., Rz. 76 – Sea. 4 EuGH v. 10.9.2009 – Rs. C-573/07, Slg. 2009, I-8127-8162, VergabeR 2009, 882 ff., Rz. 77 – Sea. 5 EuGH v. 13.11.2008 – Rs. C-324/07, Slg. 2008, I-8457-8506, VergabeR 2009, 440 ff., Rz. 38 – Coditel Brabant. 6 EuGH v. 10.9.2009 – Rs. C-573/07, Slg. 2009, I-8127-8162, VergabeR 2009, 882 ff., Rz. 77 ff. – Sea. 7 Portz in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 108 Rz. 56; Ziekow in Ziekow/Völlink, Vergaberecht, 2. Aufl. 2013, § 99 GWB Rz. 126. 8 EuGH v. 29.11.2012 – Rs. C-182/11 und Rs. C-183/11, VergabeR 2013, 202 ff.; vgl. vertiefend auch Hausmann, NVwZ 2013, 760, 761 ff.; Forst, ZESAR 2013, 350; Hertwig, NZBau 2013, 278 (279 ff.).

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auf die wichtigen Entscheidungen dieser Einrichtung ausschlaggebenden Einfluss zu nehmen […]. Mit anderen Worten muss der öffentliche Auftraggeber in der Lage sein, eine strukturelle und funktionelle Kontrolle über diese Einrichtung auszuüben […]. Der Gerichtshof verlangt auch, dass diese Kontrolle wirksam ist […].“1 Hieraus dürfte im Umkehrschluss folgen, dass es für die Kontrolle nicht darauf ankommt, ob der Auftraggeber auf jede (erdenkliche) Entscheidung der kontrollierten Einrichtung Einfluss nehmen kann, sondern nur darauf, ob er einen ausschlaggebenden Einfluss auf die strategischen Ziele und die wesentlichen Entscheidungen nehmen kann. Gemäß § 108 Abs. 2 Satz 2 steht es dem Kontrollkriterium nicht entgegen, wenn 18 der Auftraggeber nicht selbst eine ähnliche Kontrolle wie über seine eigene Dienststelle über das beauftragte Tochterunternehmen ausführt, sondern die Kontrolle durch eine andere juristische Person ausgeübt wird, die von dem öffentlichen Auftraggeber in gleicher Weise kontrolliert wird. Die Vorschrift stellt klar, dass eine „Kontrolle“ i.S.v. § 108 Abs. 1 Nr. 1 nicht nur im Verhältnis von Mutter- zu Tochtergesellschaft, sondern auch zu einem Enkelunternehmen bestehen kann, sofern diese Kontrolle durch eine zwischengeschaltete Gesellschaft vermittelt wird2. Voraussetzung ist aber, dass das Kontrollkriterium in jedem dieser Binnenverhältnisse erfüllt ist. § 108 Abs. 2 Satz 2 setzt wortgetreu den Art. 12 Abs. 1 UA 2 Satz 2 der Richtlinie 2014/24/EU um und knüpft im Wesentlichen an die „Carbotermo“-Rechtsprechung des EuGH an, der eine vergleichbare Mutter-Enkel-Konstellation zugrunde lag3. Darin hatte der EuGH betont, dass die Einschaltung eines Mittlers nach den Umständen des Einzelfalls die Kontrolle schwächen könne4. Die nationale Vergaberechtsprechung beschäftigte sich erstmals im Jahre 2003 19 mit der verwandten Problematik der mehrstufigen Beauftragung. Vor dem Hintergrund, dass eine zwei- oder noch mehrstufigere Beauftragung die Interessenkonflikte zwischen Auftraggeber und Eigengesellschaft zunehmend verschärft und die Unmittelbarkeit der Kontrolle abnimmt, war die Anwendbarkeit des Begriffs des In-house-Geschäftes auf eine mehrstufige Beauftragung strittig geworden. Die VK Arnsberg hatte die Anwendbarkeit der In-houseGrundsätze für diesen Fall mit der Begründung abgelehnt, dass der erkennbare Wille des europäischen Gesetzgebers, die Konstruktion der In-house-Geschäfte nur bei großer Nähe zum Auftraggeber anzunehmen, durch eine mehrstufige Beauftragung in nicht absehbarer Form unterlaufen und eine vergaberechtliche 1 EuGH v. 29.11.2012 – Rs. C-182/11 und Rs. C-183/11, VergabeR 2013, 202 ff., Rz. 27 – Econord. 2 Vgl. die Darstellung von Hofmann, VergabeR 2016, 189 (194). 3 EuGH v. 11.5.2006 – Rs. C-340/04, Slg. I-04137, NZBau 2006, 452 ff. – Carbotermo. 4 So auch OLG Düsseldorf v. 30.1.2013 – VII-Verg 56/12, NZBau 2013, 327 ff.

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§ 108 | Ausnahmen bei öffentlich-öffentlicher Zusammenarbeit Kontrolle zunehmend immer mehr erschweren würde. Auch ergebe die Tatsache, dass ein vergaberechtsfreier Verkauf von Gesellschaftsanteilen der Tochterbzw. Enkelgesellschaften nur unter den Voraussetzungen eines In-house-Geschäftes zulässig sein dürfte, langfristig keine zufriedenstellende Kontrollmöglichkeit für die Umgehung vergaberechtlicher Bestimmungen bei mehrstufigen Beauftragungen1. Das OLG Düsseldorf hat die Entscheidung der VK Arnsberg aufgehoben und festgestellt, dass auch ein alleiniger Anteilsbesitz, der über eine weitere Gesellschaft vermittelt wird, die im alleinigen Anteilsbesitz des öffentlichen Auftraggebers steht und die wiederum sämtliche Geschäftsanteile des Tochterunternehmens hält, grundsätzlich die Voraussetzungen eines In-houseGeschäftes erfülle. Dass das Tochterunternehmen nicht von dem öffentlichen Auftraggeber unmittelbar beauftragt wird, sondern den Auftrag im Wege einer Vertragsübernahme erhalten soll, spiele keine Rolle. Denn würde es sich bei dem Tochterunternehmen um ein im unmittelbaren Anteilsbesitz des öffentlichen Auftraggebers stehendes Unternehmen handeln, lägen die Voraussetzungen eines vergaberechtsfreien In-house-Geschäftes ohne jeden Zweifel vor. Es fehle jede Rechtfertigung, den hier in Rede stehenden Fall anders zu beurteilen. Solange in Bezug auf das mit der Dienstleistung zu betrauende Unternehmen die Voraussetzungen für ein vergabefreies In-house-Geschäft erfüllt sind, sei es vergaberechtlich ohne Belang, ob sich der öffentliche Auftraggeber zur Aufgabenerfüllung eines Tochter- oder eines Enkelunternehmens bedient. Gleichgültig sei ebenso, ob jenes in kommunaler Hand stehende Unternehmen direkt oder mittels Vertragsübernahme mit der Leistungserbringung beauftragt wird. In dem einen wie in dem anderen Fall wird nämlich die zu vergebende Leistung durch ein Unternehmen erbracht, das in einem unmittelbaren Auftragsverhältnis zum öffentlichen Auftraggeber steht und die erörterten Voraussetzungen, unter denen die Rechtsprechung ein vergabefreies Eigengeschäft zulässt, erfüllt (vgl. § 108 Abs. 2, s. hierzu auch Rz. 44 ff.)2. c) Wesentlichkeitskriterium (§ 108 Abs. 1 Nr. 2) 20 Gemäß § 108 Abs. 1 Nr. 2 ist es erforderlich, dass mehr als 80 % der Tätigkeiten

der beauftragten juristischen Person der Ausführung von Aufgaben dienen, mit denen sie von dem kontrollierenden öffentlichen Auftraggeber oder von anderen durch diesen öffentlichen Auftraggeber kontrollierten juristischen Personen betraut worden ist. § 108 Abs. 1 Nr. 2 setzt Art. 12 Abs. 1 lit. b) der Richtlinie 2014/24/EU wortgetreu um und präzisiert damit das durch die Rechtsprechung entwickelte Wesentlichkeitskriterium, wonach das zu beauftragende Unternehmen seine Tätigkeit „im Wesentlichen“ für den oder die öffentlichen Auftrag-

1 VK Arnsberg v. 5.8.2003 – VK 2-13/2003, IBRRS 2003, 3242. 2 OLG Düsseldorf v. 15.10.2003 – VII-Verg 50/03, NZBau 2004, 58 (60). Siehe hierzu auch die Besprechung von Bohne/Heinbuch, NVwZ 2004, 177 f.

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geber verrichten muss, der/die seine Anteile innehat/innehaben1. Dem Wesentlichkeitskriterium liegt der Gedanke zugrunde, dass sichergestellt werden soll, dass das (Kartell-)Vergaberecht anwendbar bleibt, wenn eine von einer oder mehreren Körperschaften kontrollierte Einrichtung auf dem Markt tätig ist und daher mit anderen Unternehmen in Wettbewerb treten kann2. Eine Ausnahme von der Anwendung des Vergaberechts wäre bei der dann bestehenden Wettbewerbsrelevanz nicht mehr gerechtfertigt. aa) 80 %-Grenze Eine generelle Grenze, ab der eine wesentliche Tätigkeit für den oder die Auf- 21 traggeber vorliegt, war in der bisherigen Rechtsprechung nicht entwickelt bzw. geklärt worden und musste vom zuständigen Richter anhand aller qualitativen wie quantitativen Umstände des Einzelfalls beurteilt werden3. Eine Konkretisierung des Wesentlichkeitskriteriums, das wie das Kontrollkriterium auf die „Teckal“-Rechtsprechung zurückgeht, hatte der EuGH erstmals im Urteil „Carbotermo“ vorgenommen. Dabei ist er zunächst der, insbesondere im deutschen Schrifttum4 befürworteten, analogen Anwendung der 80 %-Regel des Art. 13 der (alten) Sektorenrichtlinie 93/38/EWG5 unter Hinweis auf deren Lexspecialis-Charakter entgegengetreten6. In positiver Hinsicht hat der EuGH weiter festgestellt, dass das Erfordernis der „Tätigkeit im Wesentlichen für den Auftraggeber“ insbesondere sicherstellen soll, dass das Vergaberecht anwendbar bleibt, wenn ein von einer oder mehreren Gebietskörperschaften kontrolliertes Unternehmen auf dem Markt tätig ist und daher mit anderen Unternehmen in Wettbewerb treten kann. Daher erfordere das Kriterium, dass das fragliche Unternehmen hauptsächlich für diese Gebietskörperschaft tätig wird und jede an1 Ständige Rechtsprechung des EuGH seit EuGH v. 18.11.1999 – Rs. C-107/98, Slg. I08121, NZBau 2000, 90 ff. – Teckal; vgl. Schröder, NVwZ 2011, 776; Elbel, VergabeR 2011, 185 ff.; Knauff, EuZW 2014, 486 (487). Vgl. auch Rz. 51 f., 56 f. und 63 bzgl. des Wesentlichkeitskriteriums für die weiteren In-house-Konstellationen des § 108. 2 EuGH v. 11.5.2006 – Rs. C-340/04, Slg. I-04137, NZBau 2006, 452 ff. – Carbotermo. 3 EuGH v. 11.5.2006 – Rs. C-340/04, Slg. I-04137, NZBau 2006, 452, Rz. 64 – Carbotermo. 4 Vgl. Faber, DVBl. 2001, 248 (254 f.); Endler, NZBau 2002, 125 (132); Marx, NZBau 2002, 311 (314); H.-M. Müller, NZBau 2001, 416 (421); Schröder, NZBau 2005, 129 m.w.N.; ebenso VK Südbayern v. 23.10.2001 – 32-09/01, VPRRS 2013, 1693; VK Halle v. 27.5. 2002 – VK Hal 3/02, VPRRS 2013, 1326. A.A. bzw. kritisch Krohn, NZBau 2005, 92 (95); J. Müller, VergabeR 2005, 436 (442); Ziekow/Siegel, VergabeR 2005, 145 (148); Dreher, NZBau 2001, 360 (363); Zeiss, ZfBR 2002, 456 (457). Vgl. hierzu auch den Vorlagebeschluss OLG Naumburg v. 8.1.2003 – 1 Verg 7/02, NZBau 2004, 224 ff. sowie den Aussetzungsbeschluss OLG Brandenburg v. 1.4.2003 – Verg W 14/02, ZfBR 2003, 620 ff. 5 Ursprünglich umgesetzt in § 10 Abs. 1 Nr. 1 VgV a.F., später in § 100 Abs. 2 lit. o) GWB a.F., nunmehr geregelt in § 138 Abs. 3. 6 EuGH v. 11.5.2006 – Rs. C-340/04, Slg. I-04137, NZBau 2006, 452 (455, Rz. 51–57) – Carbotermo.

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§ 108 | Ausnahmen bei öffentlich-öffentlicher Zusammenarbeit dere Tätigkeit rein nebensächlich ist1. Für diese Beurteilung seien alle – qualitativen wie quantitativen – Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen. Was die Frage anbelangt, ob dabei allein der mit der kontrollierenden Körperschaft oder der im Gebiet dieser Körperschaft erzielte Umsatz zu berücksichtigen ist, so ist der Umsatz ausschlaggebend, den das fragliche Unternehmen aufgrund der Vergabeentscheidungen der kontrollierenden Körperschaft erzielt, und zwar einschließlich des Umsatzes, der in Ausführung solcher Entscheidungen mit Nutzern erzielt wird. Zu berücksichtigen sind nämlich alle Tätigkeiten, die ein Unternehmen als Auftragnehmer im Rahmen einer Vergabe durch den öffentlichen Auftraggeber verrichtet, ohne dass die Person des Begünstigten – sei es der öffentliche Auftraggeber selbst oder der Nutzer der Leistungen – von Bedeutung wäre. Auch kommt es nicht darauf an, wer das betreffende Unternehmen vergütet, sei es die kontrollierende Körperschaft, Nutzer der Dienstleistung oder Dritte. Schließlich sind auch die Tätigkeiten mit einzubeziehen, die das Unternehmen für andere Körperschaften verrichtet, falls diese ebenfalls Anteile an dem Unternehmen innehaben2. Ergänzend wurde in der nationalen Rechtsprechung darauf hingewiesen, dass es nur auf die gegenwärtige Geschäftssituation des laufenden Geschäftsjahres ankommen könne, da abgewickelte Geschäftsbeziehungen und Aufträge keine Aussage über den aktuellen Geschäftsschwerpunkt enthielten und zukünftige Entwicklungen der Geschäftstätigkeit, die noch nicht verbindlich vereinbart wurden, noch fiktiv seien3. 22 Im Anschluss an das „Carbotermo“-Urteil des EuGH hatte das OLG Celle eine

quantitative Abgrenzung dahingehend vorgenommen, dass es einen jährlichen Umsatzanteil von 7,5 % aus Geschäften mit Dritten als zu hoch für die Bejahung einer „rein nebensächlichen“ Tätigkeit angesehen hat4. Hingegen hatte der EuGH in der Entscheidung „Asemfo/Tragsa“ es (ohne nähere Begründung) nicht beanstandet, dass das für den Auftrag vorgesehene Unternehmen insgesamt (nur) 90 % seiner Tätigkeiten für den es kontrollierenden öffentlichen Auftraggeber

1 EuGH v. 11.5.2006 – Rs. C-340/04, Slg. I-04137, NZBau 2006, 452 (455, Rz. 63) – Carbotermo. Ähnlich bereits zuvor OLG Düsseldorf v. 12.2.2004 – VII-Verg 71/03, NZBau 2004, 343 (344); VK Arnsberg v. 26.10.2005 – VK 15/2005; VK Düsseldorf v. 16.3.2004 – VK-3/2004-L. Danach ist grundsätzlich ein strenger Prüfungsmaßstab erforderlich und es ist – ungeachtet der genauen Prozentsätze – Voraussetzung, dass der Auftragnehmer seine Tätigkeit nahezu ausschließlich für den oder die ihn kontrollierenden öffentlichen Auftraggeber erbringt. 2 EuGH v. 11.5.2006 – Rs. C-340/04, Slg. I-04137, NZBau 2006, 452 (455 f., Rz. 64–71) – Carbotermo. Ähnlich bereits VK Halle v. 27.5.2002 – VK Hal 3/02, VPRRS 2013, 1326. 3 VK Düsseldorf v. 16.3.2004 – VK-3/2004-L. § 108 Abs. 7 Satz 1 stellt insoweit nunmehr aber auf den „durchschnittliche[n] Gesamtumsatz der letzten drei Jahre vor Vergabe des öffentlichen Auftrags“ ab. 4 OLG Celle v. 14.9.2006 – 13 Verg 2/06, NZBau 2007, 126 ff.; OLG Celle v. 29.10.2009 – 13 Verg 8/09, NZBau 2010, 194 ff.

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verrichtet hatte1. Der BGH hingegen bezweifelte die Erfüllung des Tätigkeits-/ Wesentlichkeitskriteriums bei einer Fremdauftragsquote von 10 %2. Die nun in § 108 Abs. 1 Nr. 2 normierte feste Grenze von „mehr als 80 Pro- 23 zent“3 sorgt in mehrfacher Hinsicht für erhöhte Rechtssicherheit4. Zunächst ist eine Einzelfallbetrachtung nicht mehr vorzunehmen5. Darüber hinaus wird zur Bestimmung des prozentualen Anteils gem. § 108 Abs. 7 ausschließlich der Umsatz herangezogen (s. hierzu noch Rz. 112). Die Bestimmung erfolgt somit nur noch anhand eines quantitativen Kriteriums. Qualitative Kriterien wie die Wettbewerbsrelevanz der Tätigkeit oder die Bedeutung des Geschäftsbereichs sind nicht mehr relevant6. Dadurch wird der Anwendungsbereich der InHouse-Vergabe erweitert und durch die Festlegung auf das quantitative Umsatzkriterium rechtssicher begrenzt. Während die Berechnung der maßgeblichen Tätigkeiten in § 108 Abs. 7 geregelt 24 ist, ergibt sich der Umfang der einzubeziehenden Tätigkeiten unmittelbar aus § 108 Abs. 1 Nr. 27. Nach § 108 Abs. 1 Nr. 2 müssen „die Tätigkeiten der juristischen Person der 25 Ausführung von Aufgaben dienen, mit denen sie von dem öffentlichen Auftraggeber oder von einer anderen juristischen Person, die von diesem kontrolliert wird, betraut wurde“. § 108 Abs. 1 Nr. 2 erfasst nach seinem Wortlaut mithin zwei Alternativen: Die erste Alternative betrifft den Fall der direkten Betrauung der juristischen Person durch den öffentlichen Auftraggeber. Die zweite Alternative erfasst die Situation, in der die juristische Person von einer anderen juristischen Person betraut wird, die vom öffentlichen Auftraggeber kontrolliert wird. Somit wird auch die die „Enkel“-Konstellation8 des § 108 Abs. 2 Satz 2 erfasst. § 108 Abs. 1 Nr. 2 weicht dabei hinsichtlich des Anknüpfungsgegenstands der Tätigkeit von der bisherigen Rechtsprechung ab. Nach der Rechtsprechung des EuGH im Fall „Carbotermo“ war es bislang maßgeblich, welche Umsätze das beauftragte Unternehmen „aufgrund der Vergabeentscheidung“ erzielt hatte9. Wörtlich hat der EuGH hierzu ausgeführt:

1 EuGH v. 19.4.2007 – Rs. C-295/05, Slg. I-02999, NZBau 2007, 381 ff. – Asemfo/Tragsa. Siehe hierzu auch die Besprechung von Frenz, VergabeR 2007, 446 ff. 2 BGH v. 3.7.2008 – I ZR 145/05, BGHZ 177, 150, 160 = MDR 2008, 1289. 3 Vgl. zu deren Zustandekommen auch von Engelhardt/Kaelble in Müller-Wrede, GWBVergaberecht, § 108 Rz. 31. 4 Vgl. BT-Drucks. 18/6281, S. 79. 5 So auch Brockhoff, VergabeR 2014, 625 (631). 6 Müller-Wrede, VergabeR 2016, 292 (297). 7 Vgl. von Engelhardt/Kaelble in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 108 Rz. 32. 8 Vgl. den Wortlaut „oder von einer anderen juristischen Person, die von diesem kontrolliert wird“. 9 EuGH v. 11.5.2006 – Rs. C-340/04, Slg. I-04137, NZBau 2006, 452 ff. – Carbotermo.

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§ 108 | Ausnahmen bei öffentlich-öffentlicher Zusammenarbeit „Was die Frage anbelangt, ob in diesem Kontext allein der mit der kontrollierenden Körperschaft oder der im Gebiet dieser Körperschaft erzielte Umsatz zu berücksichtigen ist, so ist der Umsatz ausschlaggebend, den das fragliche Unternehmen aufgrund der Vergabeentscheidungen der kontrollierenden Körperschaft erzielt, und zwar einschließlich des Umsatzes, der in Ausführung solcher Entscheidungen mit Nutzern erzielt wird.“1 Nach § 108 Abs. 1 Nr. 2, der den einschlägigen Wortlaut der Richtlinie 2014/24/ EU übernommen hat, ist es maßgeblich, welche Umsätze das beauftragte Unternehmen in der Ausführung von Aufgaben erzielt hat, mit denen es vom Auftraggeber „betraut“ wurde. bb) Tätigkeiten 26 Der Begriff „Tätigkeiten“ meint sämtliches tatsächliches weltweites2 Handeln

der juristischen Person3. Maßgeblich für die nach § 108 Abs. 1 Nr. 2 erforderlichen (mehr als) 80 % sind indes nur solche Tätigkeiten, hinsichtlich derer eine Betrauung vorliegt4. cc) Betrauung

27 Der Begriff „Betrauung“ – der sich neben § 108 Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 4 Nr. 2

auch in § 97 Abs. 4 Satz 4 sowie § 105 Abs. 1 Nr. 1 und 2 wiederfindet – ist neu und im hiesigen Kontext noch nicht abschließend geklärt5. Eine Begriffsdefinition findet sind weder in den EU-Vergaberichtlinien noch im GWB. Im Schrifttum werden die unterschiedlichsten Auslegungen vertreten. Teilweise wird vertreten, dass der Begriff der Betrauung weit auszulegen sei. Der Gegen-

1 EuGH v. 11.5.2006 – Rs. C-340/04, Slg. I-04137, NZBau 2006, 452 (454, Rz. 65) – Carbotermo. 2 Dass die weltweite Tätigkeit entscheidend ist, lässt sich insbesondere auch im Wege des Umkehrschlusses aus § 138 Abs. 3 folgern, der eine ausdrückliche Begrenzung auf den in der Europäischen Union erzielten Umsatz vornimmt. Vgl. von Engelhardt/Kaelble in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 108 Rz. 33. 3 Ebenso von Engelhardt/Kaelble in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 108 Rz. 33 f.; Schröder, NVwZ 2011, 776 (778). 4 Vgl. von Engelhardt/Kaelble in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 108 Rz. 35. 5 Vgl. zu dem Begriff der Betrauung Portz in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 108 Rz. 78 ff.; von Engelhardt/Kaelble in Müller-Wrede, GWBVergaberecht, § 108 Rz. 35; Dicks in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWBVergaberecht, § 105 Rz. 4 ff.; Braun in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 105 Rz. 29 f.; Frenz, DVBl 2017, 740 (746); sowie § 105 Rz. 21 ff. Das OLG Düsseldorf v. 2.11.2016 – VII-Verg 23/16, BeckRS 2016, 20409, hat eine Begriffsauslegung – mangels Entscheidungserheblichkeit – (noch) dahinstehen lassen.

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stand würde sich aus dem Gesellschaftsvertrag ergeben1. Bei einer solchen Interpretation würde das Tätigkeitskriterium allerdings nahezu konturenlos werden. Denn es sind kaum Fälle denkbar, in denen etwa ein kommunales Unternehmen nicht auf denjenigen Gebieten tätig ist, die es nach seinem Gesellschaftszweck ausüben soll2. Vor diesem Hintergrund wird daher von anderen Teilen vertreten, dass eine derartige weite Auslegung des Begriffs der „Betrauung“ nicht möglich sei. In einem Rechtsstreit vor der VK Bund, der bereits die neue Rechtslage betraf, stellte sich der Antragsteller auf den Standpunkt, dass sich eine Betrauung lediglich auf hoheitliche Tätigkeiten beziehen könne. Demzufolge würden wohl Tätigkeiten, die im Wettbewerb mit Privaten erbracht werden, grundsätzlich ausscheiden. Diese Auffassung hat die VK Bund indes mit der Begründung abgelehnt, dass nicht ersichtlich sei, dass durch die Reform des Vergaberechts die Möglichkeit der In-house-Vergabe auf hoheitliche Tätigkeiten beschränkt werden sollte3. Weiter wird die Auffassung vertreten, dass sich der Begriff „Betrauung“ aus der früheren Rechtsprechung des EuGH ergäbe4, was angesichts der unterschiedlichen Wortlaute bzw. Anknüpfungspunkte (vgl. Rz. 25) indes Fragen offen lässt. Anderenorts wird darauf hingewiesen, dass der Begriff des „Betrauens“ in der Gesetzesbegründung zu § 122 Abs. 4 Satz 1 parallel zum Begriff der Beauftragung verwandt werde5, woraus zu schließen sei, dass er im Sinne eines Beschaffungselementes zu verstehen sei6. Insbesondere von Portz wird – zutreffender Weise – darauf hingewiesen, dass der Begriff der Betrauung einen Fachterminus im europäischen Primärrecht darstellt, der in Art. 106 Abs. 2 AEUV zum Ausdruck kommt7. Der terminologische Gleichlauf scheint 1 In diesem Sinne Müller-Wrede, VergabeR 2016, 292 (297) (wobei Kausalität zwischen Betrauung und dem konkreten Handeln des Auftragnehmers bestehen müsse); Losch, VergabeR 2016, 541 (546); sowie Hofmann, VergabeR 2016, 189 (192), nach dem jede Veranlassung durch die Gesellschafter genügen soll. 2 Dabringhausen, VergabeR 2014, 512 (519). 3 VK Bund v. 18.5.2016 – VK 1-18/16, Rz. 77. 4 In diesem Sinne (wohl) von Engelhardt/Kaelble in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 108 Rz. 35 f.; Greb, VergabeR 2015, 289 (292). 5 Vgl. BT-Drucks. 18/6281, S. 101. 6 So zum Begriff der Betrauung in § 105 Abs. 1 insb. Braun in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 105 Rz. 30; ähnlich Krönke, NVwZ 2016, 568 (575). Auch Dicks in Kulartz/ Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 105 Rz. 4 ff., scheint den Begriff der Betrauung in § 105 Abs. 1 in diesem Sinne zu verstehen, verhält sich hierzu allerdings nicht ausdrücklich. 7 Art. 106 Abs. 2 AEUV bestimmt: „Für Unternehmen, die mit Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse betraut sind oder den Charakter eines Finanzmonopols haben, gelten die Vorschriften der Verträge, insbesondere die Wettbewerbsregeln, soweit die Anwendung dieser Vorschriften nicht die Erfüllung der ihnen übertragenen besonderen Aufgabe rechtlich oder tatsächlich verhindert. Die Entwicklung des Handelsverkehrs darf nicht in einem Ausmaß beeinträchtigt werden, das dem Interesse der Union zuwiderläuft.“

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§ 108 | Ausnahmen bei öffentlich-öffentlicher Zusammenarbeit kein Zufall zu sein, da er sich gleichermaßen in anderen Sprachfassungen der Vergaberichtlinien wiederfindet. Überdies erscheine der begriffliche Gleichklang zwischen Vergaberecht einerseits und dem AEUV (auch als Grundlage für das EU-Beihilfenrecht) andererseits konsequent1. Der Begriff der Betrauung ist danach weiter gefasst als die bisher maßgebliche Formulierung aus der „Carbotermo“-Entscheidung des EuGH, wonach der Umsatz ausschlaggebend war, den das fragliche Unternehmen „aufgrund der Vergabeentscheidung“ der kontrollierenden Körperschaft erzielt hat (vgl. hierzu auch Rz. 25)2. Denn er umfasst auch die Veranlassung einer Tätigkeit in anderer Weise3. Allerdings genügt nicht jede Form der Veranlassung4. Die Betrauung muss dabei nicht im Wege eines Hoheitsaktes oder Vertrags erfolgen. Es bedarf aber stets eines besonderen Akts der Betrauung mit der Ausführung der Aufgabe. Entscheidend ist insoweit, dass die Zuordnung der Aufgabe zu dem betreffenden Unternehmen aktiv durch einen erkennbaren und inhaltlich eindeutigen, festgelegten Akt erfolgt5. Hiervon soll einerseits nur dann ausgegangen werden können, wenn das zuständige, demokratisch legitimierte Entscheidungsgremium den Akt der Betrauung selbst vorgenommen hat6. Andererseits kommen insoweit neben Vergabe- und Konzessionsentscheidungen aber insbesondere auch vergaberechtsfreie interne Rechtsverhältnisse sowie andere In-house-Geschäfte in Betracht7. Die bloße Eröffnung eines Betätigungsfeldes für ein von einem öffentlichen Auftraggeber kontrolliertes Unternehmen durch dessen Gesellschaftszweck reicht allein aber nicht aus8. Dabei ist es – wie auch schon nach altem Recht – unerheblich, wer Begünstigter der Ausführung des Auftrags ist9, wie auch Erwägungsgrund 32 der Richtlinie 2014/24/EU hervorhebt10. 1 Ausführlich zum Ganzen Portz in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWBVergaberecht, § 108 Rz. 78 ff. Insoweit dagegen kritisch Frenz, DVBl 2017, 740 (746). 2 Vgl. EuGH v. 11.5.2006 – Rs. C-340/04, Slg. I-04137, NZBau 2006, 452 (454, Rz. 65) – Carbotermo. 3 Vgl. Ziekow, NZBau 2015, 258 (260); Portz in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 108 Rz. 80. 4 Portz in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 108 Rz. 80. 5 Vgl. Ziekow, NZBau 2015, 258 (260); Ziekow, NZBau 2017, 339 (342); sowie vertiefend Portz in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 108 Rz. 83. Nach Frenz, DVBl 2017, 740 (746), soll dagegen bereits eine „sichtbare Einschaltung in den Tätigkeitskreis des öffentlichen Auftraggebers“ genügen. 6 So Portz in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 108 Rz. 83. 7 So von Engelhardt/Kaelble in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 108 Rz. 35. 8 Ziekow, NZBau 2015, 258 (260); Portz in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 108 Rz. 83. A.A. Müller-Wrede, VergabeR 2016, 292 (297); Losch, VergabeR 2016, 541 (546); Hofmann, VergabeR 2016, 189, 192. Kritisch dazu Dabringhausen, VergabeR 2012, 512 (519 f.). 9 So auch von Engelhardt/Kaelble in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 108 Rz. 36. 10 Ziekow, NZBau 2015, 258 (260).

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Wie die Rechtsprechung den Begriff der „Betrauung“ zukünftig auslegen wird, ist 28 angesichts des breiten Meinungsspektrums nur schwer vorhersehbar. Zu konstatieren ist allerdings, dass der neue Begriff der Betrauung für eine normative Absicht, die Zurechnung von Drittumsätzen zu erleichtern, sprechen dürfte1. dd) Kausal- bzw. Zurechnungszusammenhang Ungeachtet der (wohl intendierten) Vergrößerung des Anwendungsbereichs des 29 In-house-Geschäfts durch die Erweiterung des Kreises der Tätigkeiten für den öffentlichen Auftraggeber über die durch die konkrete Auftragsvergabe initiierten Tätigkeiten hinaus auch auf solche Tätigkeiten, mit denen die juristische Person von dem sie kontrollierenden öffentlichen Auftraggeber betraut worden ist2, setzt die Zurechnung von in-house-freundlichen Drittumsätzen im Weiteren gleichwohl aber auch einen Kausal- bzw. Zurechnungszusammenhang zwischen der Tätigkeit und der Betrauung voraus3. Fraglich und umstritten ist jedoch, welche Anforderungen an dieses Kausalitätserfordernis im Einzelnen zu stellen sind4. Die Neuregelung des § 108 trifft – ebenso wie die zugrunde liegenden Richtlinienbestimmungen – zu dieser Frage (leider) keine Aussage. Dies ist angesichts der großen Praxisrelevanz dieser Frage aus Rechtsanwendersicht bedauerlich. Gerade in der kommunalen Praxis ist es üblich, dass beauftragte juristische Personen ihrerseits durch ihre Tätigkeit Drittumsätze erzielen. Dies gilt insbesondere bei Aufgaben der Daseinsvorsorge5. Insbesondere im Bereich der Abfallwirtschaft wickeln städtische Unternehmen, die selbst Entsorgungsanlagen wie Müllverbrennungsanlagen betreiben, neben dem „kommunalen“ Geschäft ihrer Gesellschafter noch „gewerbliche“ Geschäfte mit dritten Nutzern ab und/ oder erzielen Umsätze mit dem Verkauf von Strom- und Fernwärme (sog. Energieerlöse)6. Diese Drittgeschäfte können in der Praxis einen beachtlichen prozentualen Anteil am Gesamtgeschäft ausmachen7. 1 Ähnlich Ziekow, NZBau 2015, 258 (260); Portz in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 108 Rz. 92. 2 Vgl. insoweit Ziekow, NZBau 2015, 258 (260); Portz in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 108 Rz. 92. 3 So auch von Engelhardt/Kaelble in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 108 Rz. 36; sowie im Grundsatz auch Portz in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 108 Rz. 100. A.A. Dabringhausen, VergabeR 2012, 512 (519), nach dem die Kausalitätsbedingung durch das Wort „dienen“ aufgegeben worden sei, mit der Folge, dass das „Tätigkeitskriterium jede Kontur“ verloren habe. 4 Vgl. hierzu insb. Portz in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 108 Rz. 93 ff.; von Engelhardt/Kaelble in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 108 Rz. 36. 5 Vgl. Portz in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 108 Rz. 93; vgl. auch die Schlussanträge der Generalanwältin Stix-Hackl v. 12.1.2006 zur Rs. C-340/04 – Carbotermo. 6 Tomerius, VergabeR 2015, 373 ff. 7 Tomerius, VergabeR 2015, 373 geht für den Entsorgungssektor von etwa 20 % aus.

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§ 108 | Ausnahmen bei öffentlich-öffentlicher Zusammenarbeit 30 Nach altem Recht war es – wie gesagt (vgl. Rz. 25) – im Wesentlichen maßgeb-

lich, inwieweit das zu beauftragende Unternehmen (sog. in-house-freundliche) Umsätze für den öffentlichen Auftraggeber und (sog. in-house-schädliche) Fremdumsätze1 erzielt2. Was die Einordnung eines Umsatzes als in-housefreundlich betrifft, hat der EuGH in seinem „Carbotermo“-Urteil festgestellt, dass insoweit „der Umsatz ausschlaggebend [ist], den das fragliche Unternehmen aufgrund der Vergabeentscheidungen der kontrollierenden Körperschaft erzielt, und zwar einschließlich des Umsatzes, der in Ausführung solcher Entscheidungen mit Nutzern erzielt wird.“3. Entgelte, die sich als Folge der Beauftragung darstellen, waren danach folglich nicht in-house-schädlich, sondern in-house-freundlich und zählten mit zu der Ausführung von Aufgaben „für den öffentlichen Auftraggeber“. Als unerheblich wurde/wird es hingegen angesehen, wer der Begünstigte der Tätigkeit ist, sei es der öffentliche Auftraggeber selbst, andere Einrichtungen, die im Eigentum des Auftraggebers stehen4 oder der Nutzer der Leistungen, also etwa die Bürger einer Stadt5. Nach der Rechtsprechung des EuGH in der Sache „Carbotermo“ kam/kommt es ferner nicht darauf an, wer die Vergütung zahlt, sei es die Körperschaft, die die Anteile am Auftragnehmer innehat, seien es Dritte als Nutzer der Dienstleistungen, die auf Grund von Konzessionen oder anderen von der Körperschaft eingegangenen Rechtsbeziehungen erbracht werden. Ebenso wenig spielt(e) es eine Rolle, in welchem Gebiet die Leistungen erbracht werden6. Demgegenüber handelte es sich um in-house-schädliche Fremdgeschäfte des Auftragnehmers, wenn dieser seine Tätigkeiten nicht für den Auftraggeber oder ihm zuzurechnende Stellen, sondern für private Dritte erbringt7. Dies wurde insbesondere dann angenommen, wenn der Auftragnehmer die in Rede stehende Tätigkeit auf eigene Rechnung und auf eigenes wirtschaftliches Risiko betrieb8.

31 Dem kontrollierenden öffentlichen Auftraggeber konnten nach der bisherigen

EuGH-Rechtsprechung daher stets nur solche Umsätze zugerechnet werden, deren Erzielung er herbeigeführt hat9. Dieser Kausalitätsschluss knüpfte bislang an

1 Sog. „Fremdgeschäfte“. 2 Vgl. Wagner-Cardenal/Scharf/Dierkes, NZBau 2011, 271 (272 ff.). 3 EuGH v. 11.5.2006 – Rs. C-340/04, Slg. I-04137, NZBau 2006, 452 (454, Rz. 65) – Carbotermo. Vgl. auch Losch, VergabeR 2012, 687. Vgl. zum Zusammenhang zwischen Umsatz und Wesentlichkeitskriterium § 108 Abs. 7 sowie Rz. 112. 4 Vgl. VK Lüneburg v. 11.11.2013 – VgK-33/2013, VPR 2014, 10. 5 Vgl. hierzu nunmehr auch Erwägungsgrund 32 der Richtlinie 2014/24/EU. 6 Vgl. EuGH v. 11.5.2006 – Rs. C-340/04, Slg. I-04137, NZBau 2006, 452, Rz. 72 – Carbotermo; OLG Frankfurt v. 30.8.2011 – 11 Verg 3/11, VergabeR 2012, 47 ff.; OLG Hamburg v. 14.12.2010 – 1 Verg 5/10, NZBau 2011, 185 ff. 7 OLG Düsseldorf v. 2.11.2016 – VII-Verg 23/16, BeckRS 2016, 20409, Rz. 30 ff.; VK Bund v. 18.5.2016 – VK 1-18/16, Rz. 79 ff. 8 VK Lüneburg v. 11.11.2013 – VgK-33/2013, VPR 2014, 10. 9 EuGH v. 11.5.2006 – Rs. C-340/04, Slg. I-04137, NZBau 2006, 452 ff. – Carbotermo; vgl. zum Kausalitätserfordernis außerdem OLG Hamburg v. 14.12.2010 – 1 Verg 5/10, NZBau 2011, 185 ff., Ls. 2, Rz. 58 ff.

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die Vergabeentscheidung an. Da dieser Anknüpfungspunkt durch das Merkmal des „betraut werden“ mit Aufgaben durch den öffentlichen Auftraggeber in § 108 Abs. 1 Nr. 2 ersetzt wurde, wird auch der Kausal- bzw. Zurechnungszusammenhang im Hinblick auf die Berücksichtigung von Drittumsätzen denknotwendig berührt und entsprechend erweitert1. Gleichwohl dürfte wohl Einigkeit dahingehend bestehen, dass die Ausweitung 32 des Kausalitätszusammenhangs nicht so weit gehen kann, dass nunmehr – entgegen der bisherigen EuGH-Rechtsprechung2 – auch Geschäfte mit beliebigen Dritten einen zurechenbaren (in-house-freundlichen) Umsatz generieren können. Ein Kausalzusammenhang liegt daher auch nach neuem Recht nicht vor, wenn die Umsätze auf Drittgeschäften beruhen, die völlig isoliert von dem eigentlichen Auftrags- bzw. Betrauungsverhältnis zu sehen sind3. Problematisch und umstritten ist jedoch die Erfüllung des Kausalitäts- bzw. Zu- 33 rechnungszusammenhangs in Bezug auf Drittgeschäfte in liberalisierten Märkten (z.B. im Bereich Energie) oder sonstigen wettbewerbsrelevanten Märkten (z.B. im Bereich der Abfall- und Entsorgungswirtschaft), wenn ein Bezug zur Betrauung besteht. In diesem Zusammenhang ist zunächst zu berücksichtigen, dass der EuGH es 34 nach den im „Carbotermo“-Urteil aufgestellten Grundsätzen offensichtlich für denkbar erachtet, dass Umsätze aus bestimmten Drittgeschäften zum in-housefreundlichen Umsatzanteil hinzugerechnet werden können. Denn der EuGH bezieht neben dem Umsatz, der „aufgrund der Vergabeentscheidungen der kontrollierenden Körperschaft erzielt“ wird ausdrücklich auch den „Umsatz, der in Ausführung solcher Entscheidungen mit Nutzern erzielt wird“, mit in die Gesamtbetrachtung ein4. Auch hat die Generalanwältin Stix-Hackl in ihren Schlussanträgen zur „Carbotermo“-Entscheidung die große Praxisrelevanz hervorgehoben, die die Zurechnung von Drittentgelten gerade bei Aufgaben der Daseinsvorsorge hat. Die Generalanwältin betont, dass die Zurechnung von Drittentgelten zur Tätigkeit für die Kommune gerade dann nahe läge, wenn die Kommune gegenüber den Dritten zu einer Leistung, insbesondere im Bereich der Daseinsvorsorge, verpflichtet sei5. Die Urteilsgründe des EuGH legen nahe, 1 Ähnlich Portz in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 108 Rz. 96 ff. 2 Vgl. EuGH v. 11.5.2006 – Rs. C-340/04, Slg. I-04137, NZBau 2006, 452 (455, Rz. 58 ff.) – Carbotermo; sowie auch die Schlussanträge der Generalanwältin Stix-Hackl v. 12.1.2006 zur Rs. C-340/04, Rz. 113 – Carbotermo. 3 Ebenso Portz in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 108 Rz. 96 ff.; von Engelhardt/Kaelble in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 108 Rz. 36; Tomerius, VergabeR 2015, 373 (377). Ähnlich Dabringhausen, NZBau 2009, 616 (619 f.). 4 Vgl. EuGH v. 11.5.2006 – Rs. C-340/04, Slg. I-04137, NZBau 2006, 452 (454, Rz. 65) – Carbotermo; sowie Tomerius, VergabeR 2015, 373 (376). 5 Vgl. Schlussanträge der Generalanwältin Stix-Hackl v. 12.1.2006 zur Rs. C-340/04, Rz. 112 – Carbotermo; sowie Tomerius, VergabeR 2015, 373 (376).

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§ 108 | Ausnahmen bei öffentlich-öffentlicher Zusammenarbeit dass es dabei für die Frage der Zurechnung auf die Rechtsbeziehungen zwischen Kommune und Unternehmen ankomme. Die Generalanwältin Stix-Hackl weist zudem darauf hin, dass die Frage, ob (auch) zusätzliche vertragliche Beziehungen zwischen Dritten und dem beauftragten kommunalen Unternehmen eine Rolle spielen, klärungsbedürftig ist. Sie hält es für die Zurechenbarkeit von Drittumsätzen für erforderlich, „dass neben der tatsächlichen Leistungserbringung noch zusätzlich eine rechtliche Beziehung zwischen der Gemeinde und der die Leistung erbringenden Einrichtung besteht“1. Der EuGH greift diese Formulierung der Generalanwältin in seinem Urteil zwar nicht auf, setzt sich hierzu aber auch nicht in Widerspruch, so dass sie zur näheren Bestimmung des vom EuGH formulierten Kausalitätsverständnisses erklärend hinzugezogen werden kann2. 35 Ausgehend hiervon wird in der Literatur3 vertreten, dass eine zum in Rede ste-

henden Drittgeschäft parallele Rechtsbeziehung zwischen öffentlichem Auftraggeber und kontrolliertem Unternehmen bestehen müsse. Diese Rechtsbeziehung müsse ihrerseits zudem zum Drittgeschäft kausal sein und in rechtlicher Verbindung stehen. Drittgeschäfte, die damit nicht in diesem Sinne kausal sind und in keiner rechtlichen Beziehung zum ursprünglich durch den öffentlichen Auftraggeber vergebenen Hauptauftrag stehen, seien reine Fremdgeschäfte, die nicht zur Tätigkeit für den öffentlichen Auftraggeber hinzugerechnet werden können4. Zudem wird darauf hingewiesen, dass es sich bei dieser Kausalität – mit Rücksicht auf das „Carbotermo“-Urteil des EuGH und die ihm zugrunde liegenden Schlussanträge (vgl. Rz. 34) weniger um eine rein tatsächliche kausale Betrachtungsweise, als vielmehr um eine „rechtliche Kausalität“ handele5. Eine Hinzurechenbarkeit von Drittumsätzen zum in-house-freundlichen Umsatzanteil soll danach also eine „parallele rechtliche Kausalität“ zwischen dem Auftragsverhältnis des öffentlichen Auftraggebers zu der von ihm kontrollierten juristischen Person einerseits und dem Drittgeschäft der juristischen Person zum Dritten/Bürger andererseits voraussetzen6. Für die Frage, wann eine solche rechtliche Kausalität gegeben ist bzw. – anders ausgedrückt – 1 Vgl. Schlussanträge der Generalanwältin Stix-Hackl v. 12.1.2006 zur Rs. C-340/04, Rz. 113 – Carbotermo; sowie Tomerius, VergabeR 2015, 373 (377). 2 Tomerius, VergabeR 2015, 373 (377). 3 Vgl. insb. Tomerius, VergabeR 2015, 373 (376 ff.); Portz in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 108 Rz. 98 ff. 4 So Tomerius, VergabeR 2015, 373 (377); Portz in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 108 Rz. 98; ähnlich Dabringhausen, NZBau 2009, 616 (619 f.). 5 So Tomerius, VergabeR 2015, 373 (380 f.); ihm folgend Portz in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 108 Rz. 100. 6 So Portz in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 108 Rz. 100; ähnlich Tomerius, VergabeR 2015, 373, 379 ff.; Dabringhausen, NZBau 2009, 616, 619 f.

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wann eine rechtliche Verbindung nach ihrer Art und Qualität eine solche rechtliche Kausalität zu begründen vermag, komme es letztlich auf eine qualitativquantitative Gesamtbetrachtung aller Einzelfallumstände an1. Im Rahmen einer solchen qualitativ-quantitativen Gesamtbetrachtung sei u.a. insbesondere von maßgeblicher Bedeutung, ob es sich bei dem „betrauten Geschäftsfeld“ um marktnahe bzw. wettbewerbsstarke oder aber marktferne bzw. wettbewerbsschwache Aufgabenbereiche handele2. Darüber hinaus komme es darauf an, wie dezidiert, deutlich und (pro-)aktiv das Auftreten des beauftragten Unternehmens auf dem Markt sei3. Dies zugrunde gelegt, müsse vor allem beurteilt werden, inwieweit die jeweiligen Geschäfte von der Betrauung durch den öffentlichen Auftraggeber gedeckt sind, aber auch, ob sich dahinter eine dezidierte Wettbewerbsstrategie der kontrollierten Einrichtung verbirgt oder hiermit lediglich die Nutzung von Annex-Kapazitäten verbunden ist, welche insbesondere dem Interesse des öffentlichen Auftraggebers im Rahmen der Wahrnehmung seiner Daseinsvorsorge Aufgaben zugutekommt4. Dahinter steht die Überlegung, dass der Bezugspunkt des Wesentlichkeitskriteriums und damit auch der 80-%-Grenze in erster Linie ein dezidiertes Auftreten des beauftragten Unternehmens im Wettbewerb mit privaten Unternehmen auf dem Markt ist. Deutlich marktrelevantes Verhalten im Wettbewerb durch ein öffentliches Unternehmen verwässert nach der Logik des EuGH den Unterschied zu rein privaten Unternehmen so stark, dass eine Privilegierung durch die Anerkennung eines vergaberechtsfreien In-house-Geschäftes nicht mehr gerechtfertigt ist5. Vor diesem Hintergrund stehe in erster Linie ein dezidiertes und von der Betrauung durch den öffentlichen Auftraggeber losgelöstes Auftreten des beauftragten Unternehmens im Wettbewerb mit privaten Unternehmen auf dem Markt einer Betrachtung der daraus resultierenden Umsätze als in-housefreundlich entgegen. Dies bedeute umgekehrt aber nicht, dass per se jedes wettbewerbliche Agieren des beauftragten Unternehmens als in-house-schädlich angesehen werden könne6. Werden beispielsweise ganz maßgeblich Dienstleistungen von Allgemeinem Wirtschaftlichen Interesse (DAWI) verfolgt und für 1 So Portz in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 108 Rz. 99 und 102. 2 So Portz in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 108 Rz. 101 unter Verweis auf Schröder, NVwZ 2011, 776 (778); ebenso Tomerius, VergabeR 2015, 373 (378). 3 So m.w.N. Portz in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 108 Rz. 101 ff., der das „Aktivitätskriterium“ dabei insbesondere auch auf die Definition des Begriffs „Wirtschaftsteilnehmer“ in Art. 2 Nr. 10 der Richtlinie 2014/24/EU stützt. Vgl. ferner auch Tomerius, VergabeR 2015, 373 (378 f.). 4 So Portz in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 108 Rz. 99; Tomerius, VergabeR 2015, 373 (378 ff.). 5 So Portz in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 108 Rz. 98; Tomerius, VergabeR 2015, 373 (378 ff.). 6 So Portz in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 108 Rz. 99.

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§ 108 | Ausnahmen bei öffentlich-öffentlicher Zusammenarbeit den öffentlichen Auftraggeber bzw. die „Mutter-Kommune“ sozusagen als „kommunale Pflichtaufgabe“ wahrgenommen, so stehe diese Aufgabe klar im Zentrum des beauftragten Unternehmens, für das die öffentliche Hand es auch gegründet hat. Eine derartige klare Zuordnung könne z.B. bei der kommunalen Pflichtaufgabe der Abwasserbeseitigung oder der Hausmüllentsorgung angenommen werden. Hat daher eine Kommune ihr Beteiligungsunternehmen beispielsweise mit dem Ziel der Entsorgung von Hausmüll gegründet, müssen auch ergänzende Fremdgeschäfte mit gewerblichen Direktanlieferern im Sinne von Annexleistungen in die Gesamtbetrachtung der kommunalen Aufgabe mit einbezogen werden können. Gleiches gelte für die unmittelbar mit der (Haus-) Müllverbrennung im Zusammenhang stehenden Energieerlöse. Denn derartige Geschäfte können schwerlich als Tätigkeit im Wettbewerb auf dem Markt angesehen werden1. Etwas anderes gelte jedoch dann, wenn die kontrollierte Einrichtung – über die andienungspflichtigen kommunalen Abfälle hinaus – bewusst und aktiv am Markt „freie Gewerbeabfälle“ akquiriert bzw. sich über (externe) Ausschreibungsverfahren anderer öffentlicher Auftraggeber auslastet2. 36 Speziell betreffend die Drittgeschäfte in liberalisierten Märkten hatten in der

Vergangenheit, d.h. (noch) auf der Basis der alten Rechtslage, sowohl das OLG Hamburg als auch das OLG Frankfurt – mit Blick auf die insoweit bestehende Wahlfreiheit der Privatkunden (Bürger) – eine hinreichende Kausalität, und damit eine Betrachtung daraus resultierender Umsätze als in-house-freundlich verneint3. Diesem Ergebnis stimmen – und zwar auch auf der Basis des neuen Rechts – insbesondere von Engelhardt/Kaelble zu. Nach ihnen fehlt es an dem auch im Rahmen von § 108 Abs. 1 Nr. 2 notwendigen Kausalzusammenhang, wenn Umsätze im Wettbewerb mit anderen Anbietern aus Geschäften, wie beispielweise im liberalisierten Energiemarkt, wo den Kunden eine Wahlfreiheit zukommt, erwirtschaftet werden4. Von Teilen der Literatur wird hiergegen eingewandt, dass es in-

1 So Portz in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 108 Rz. 102; sowie Tomerius, VergabeR 2015, 373 (378 und 382), nach dem dies insbesondere dann gelten müsse, wenn der maßgebliche Entsorgungsvertrag eine Pflicht zum Abzug der Energieerlöse von Seiten der Direktanlieferer gewerblichen Abfalls von den letztendlich gebührenrelevanten Selbstkosten des kommunalen Entsorgungsunternehmens vorsieht. 2 So Portz in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 108 Rz. 102 f.; Tomerius, VergabeR 2015, 373 (378 ff.). 3 Vgl. OLG Hamburg v. 14.12.2010 – 1 Verg 5/10, NZBau 2011, 185 ff.; OLG Frankfurt v. 30.8.2011 – 11 Verg 3/11, VergabeR 2012, 47 ff. Siehe dazu auch Gruneberg/Wilden, VergabeR 2012, 149 (152 ff.). 4 Vgl. von Engelhardt/Kaelble in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 108 Rz. 36. Vgl. in diesem Zusammenhang auch die Schlussanträge der Generalanwältin Stix-Hackl v. 12.1. 2006 zur Rs. C-340/04, Rz. 114 – Carbotermo, wo es heißt: „Sollte eine Einrichtung z.B. nicht nur Energie liefern oder Abfälle entsorgen, sondern auch bestimmte Waren wie Heizgeräte oder Abfallbehälter verkaufen, wären selbst diese Umsätze erfasst, obwohl es sich um Waren handelt, die jeder Verbraucher auch von anderen Bezugsquellen er-

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soweit nicht auf die mögliche freie Entscheidung der Kunden im Wettbewerb ankomme, sondern nur darauf, dass der Wettbewerb an sich durch die Betätigung des kommunalen Unternehmens beeinträchtigt werde. Im Bereich der Energiewirtschaft bestehe der Wettbewerb aber unabhängig von der freien Entscheidung der Kunden, mit der Folge, dass Drittumsätze, die rechtlich oder faktisch auf der Vergabeentscheidung beruhten, als in-house-freundlich zurechenbar seien1. Portz bejaht das Vorliegen einer hinreichend kausalen Beziehung zum Betrauungsakt bzw. eines hinreichend engen Zurechnungszusammenhangs jedenfalls insoweit, als die Umsätze aus dem eigenen (kommunalen) Hoheitsgebiet stammen und mit dem (eigenen) kommunalen Daseinsvorsorgeauftrag begründet werden können. Anders soll es sich hinsichtlich der Umsätze verhalten, die außerhalb des jeweiligen Hoheitsgebietes erwirtschaftet werden. Denn insoweit trete das Versorgungsunternehmen – mangels Daseinsvorsorgeauftrages – grundsätzlich (aktiv) am Markt und im Wettbewerb zu Dritten auf, es sei denn es verfolgt im Einzelfall ausnahmsweise keine dezidierte Wettbewerbsstrategie2. Welche Maßstäbe die Rechtsprechung insoweit zukünftig zugrunde legen wird, 37 lässt sich angesichts der divergierenden Ansichten derzeit nur schwer prognostizieren. Nach hiesiger Einschätzung spricht vieles dafür, dass die Weiterentwicklung in enger Orientierung an der bisherigen Rechtsprechung des EuGH erfolgen wird. Ob sich die oben dargestellte Ansicht, die auf das Vorliegen einer „parallelen rechtlichen Kausalität“ abstellt (vgl. Rz. 35), durchsetzen wird, bleibt abzuwarten. Sie scheint – zumindest auf den ersten Blick – mit der bisherigen Rechtsprechung des EuGH gut in Einklang zu bringen zu sein und dürfte – zumindest in einer Vielzahl von (Regel-)Fallgestaltungen – im Allgemeinen und Wesentlichen auch zu sachgerechten Ergebnissen führen. Letztlich handelt es sich hierbei im eigentlichen Kern jedoch weniger um eine Kausalitätsbetrachtung als vielmehr um eine (stark) wertungsabhängige und damit naturgemäß auch ergebnisorientiert beeinflussbare Herstellung von Zurechnungszusammenhängen. Hierin liegt eine gewisse rechtsdogmatische Schwäche. Darüber hinaus ließe sich entgegen halten, dass es gerade Sinn und Zweck der Wesentlichkeitsgrenze ist, wesentliche Tätigkeiten auf dem Markt, durch die es zu Wettbewerbsverzerrungen kommen kann, als in-house-schädlich herauszufiltern3, und zwar unabhängig davon, aus welchen rechtlichen oder faktischen Gründen ein Markt/ Wettbewerb existiert. hält. Eine Auslegung, die allein an der Eigenschaft des nachfragenden Dritten anknüpft, würde dazu führen, dass jedwede Leistung an die Verbraucher erfasst wäre, nur weil sie ihren Wohnsitz in der Gemeinde haben.“. 1 Losch, VergabeR 2012, 687 (689); (wohl) zustimmend Tomerius, VergabeR 2015, 373 (385). 2 Vgl. ausführlich zum Ganzen und m.w.N. Portz in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 108 Rz. 109–125. 3 Vgl. hierzu insb. von Engelhardt/Kaelble in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 108 Rz. 36 (Fn. 80).

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§ 108 | Ausnahmen bei öffentlich-öffentlicher Zusammenarbeit ee) Tätigkeiten für andere öffentliche Auftraggeber 38 Tätigkeiten, die für andere öffentliche Auftraggeber erfolgen, zählen nur un-

ter der Voraussetzung der gemeinsamen Kontrolle nicht zum in-house-schädlichen Drittgeschäft1 – bzw. umgekehrt formuliert: Für das Wesentlichkeitskriterium sind alle Umsätze zu berücksichtigen, die der Auftragnehmer mit Stellen macht, die dem die Kontrolle ausübenden öffentlichen Auftraggeber zuzurechnen sind2. Umsätze mit Dritten, die an dem im Wege eines In-house-Geschäfts zu beauftragenden Unternehmen nicht beteiligt sind und auch keine Kontrolle über dieses Unternehmen ausüben, finden bei der Ermittlung des Wesentlichkeitskriteriums (mehr als 80 % der Umsätze) grundsätzlich keine Berücksichtigung. Dies hat jüngst auch der EuGH – in konsequenter Fortführung seiner Rechtsprechung im Fall „Carbotermo“3 – mit Urteil vom 8.12.2016 in der Rechtssache „Undis Servizi“ ausdrücklich klargestellt4. In dem der Entscheidung zugrunde liegenden Fall hatte eine italienische Gemeinde ein zu 100 % im öffentlichen Anteilsbesitz befindliches Unternehmen mit der Abfallentsorgung im Wege eines In-house-Geschäfts beauftragt. Die Gemeinde hielt selbst nur ca. 17 % des Gesellschaftskapitals. Der beauftragte Abfallentsorger wurde außerdem behördlicherseits dazu verpflichtet, die Abfälle weiterer, aber nicht an ihm beteiligter Gemeinden in der Region zu entsorgen. Der EuGH betont im Ausgangspunkt seiner Entscheidung zunächst nochmals ausdrücklich, dass das In-house-Geschäft als Ausnahme vom Vergaberecht eng auszulegen ist5. Vor diesem Hintergrund ist es unerlässlich, dass das beauftragte Unternehmen hauptsächlich für die Körperschaft oder die Körperschaften tätig wird, das/ die seine Anteile innehat/innehaben, wobei jede andere Tätigkeit nur nebensächlich sein kann. Um zu beurteilen, ob dies der Fall ist, muss der zuständige Richter alle – qualitativen wie quantitativen – Umstände des Einzelfalls berücksichtigen. Dabei ist der Umsatz relevant, den die Einrichtung aufgrund der Vergabeentscheidungen der kontrollierenden Körperschaft oder der kontrollierenden Körperschaften erzielt6. Das Erfordernis, dass die fragliche Person ihre Tätigkeit im Wesentlichen für die Körperschaft oder die Körperschaften verrichtet, die ihre Anteile innehaben, soll sicherstellen, dass das Vergaberecht anwendbar bleibt, wenn ein von einer oder mehreren Körperschaften kontrolliertes Unternehmen auf dem Markt tätig ist und daher mit anderen Unternehmen in Wettbewerb treten kann. Denn einem Unternehmen fehlt es nicht unbedingt allein

1 Vgl. hierzu auch von Engelhardt/Kaelble in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 108 Rz. 38 f. 2 OLG Düsseldorf v. 2.11.2016 – VII-Verg 23/16, BeckRS 2016, 20409, mit Anm. Mager/ Weßler, NZBau 2017, 342 ff. 3 EuGH v. 11.5.2006 – Rs. C-340/04, Slg. I-04137, NZBau 2006, 452 ff. – Carbotermo. 4 EuGH v. 8.12.2016 – Rs. C-553/15, ECLI:EU:C:2016:935 – Undis Servizi, mit Anm. Ziekow, NZBau 2017, 339 ff. 5 EuGH v. 8.12.2016 – Rs. C-553/15, ECLI:EU:C:2016:935, Rz. 29 – Undis Servizi. 6 EuGH v. 8.12.2016 – Rs. C-553/15, ECLI:EU:C:2016:935, Rz. 32 – Undis Servizi.

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deshalb an Handlungsfreiheit, weil die es betreffenden Entscheidungen von der Körperschaft oder den Körperschaften kontrolliert werden, die seine Anteile innehaben, sofern es noch einen bedeutenden Teil seiner wirtschaftlichen Tätigkeit mit anderen Wirtschaftsteilnehmern abwickeln kann. Wenn die Leistungen dieses Unternehmens im Wesentlichen nur für diese Körperschaft oder diese Körperschaften erbracht werden, ist es jedoch gerechtfertigt, dass das Unternehmen nicht den Zwängen des Vergaberechts unterliegt, da diese durch das Anliegen der Bewahrung eines Wettbewerbs diktiert werden, für das es in dem entsprechenden Fall keinen Grund mehr gibt1. Aus diesen – bereits in der „Carbotermo“-Entscheidung2 entwickelten – Grundsätzen ergibt sich, dass jede Tätigkeit der beauftragten Einrichtung für andere Personen als die, die ihre Anteile innehaben, d.h. Personen, die in keinem Kontrollverhältnis zu dieser Einrichtung stehen, auch wenn es sich dabei um Behörden handelt, als Tätigkeit zugunsten Dritter anzusehen ist3. Dieses Ergebnis wird auch nicht durch den Umstand entkräftet, dass die Tätigkeit zugunsten der nicht beteiligten Gebietskörperschaften von einer ebenfalls nicht an dieser Gesellschaft beteiligten Behörde auferlegt wurde. Denn ohne jede Kontrolle durch diese Behörde ist die dem beauftragten Unternehmen von ihr auferlegte Tätigkeit als Tätigkeit zugunsten Dritter anzusehen4. ff) Darlegungs- und Beweislast Die Darlegungs- und Beweislast für die Einhaltung des Wesentlichkeitsgrenze 39 trägt – entsprechend den allgemeinen Grundsätzen der Beweislastverteilung – der öffentliche Auftraggeber, der sich auf das Vorliegen des Ausnahmetatbestandes „In-house-Geschäft“ beruft5. d) Beteiligungskriterium (§ 108 Abs. 1 Nr. 3) § 108 Abs. 1 Nr. 3 Halbs. 1 stellt klar, dass bei einer direkten privaten Kapital- 40 beteiligung an der beauftragten juristischen Person ein In-house-Geschäft grundsätzlich ausgeschlossen ist6. Grund dafür ist, dass die Vergabe eines öffentlichen Auftrags ohne Wettbewerbsverfahren einem privaten Unternehmen, das am Kapital der kontrollierten juristischen Person beteiligt ist, einen unzulässigen 1 EuGH v. 8.12.2016 – Rs. C-553/15, ECLI:EU:C:2016:935, Rz. 33 – Undis Servizi. 2 EuGH v. 11.5.2006 – Rs. C-340/04, Slg. I-04137, NZBau 2006, 452, 454, Rz. 60-62 – Carbotermo. 3 EuGH v. 8.12.2016 – Rs. C-553/15, ECLI:EU:C:2016:935, Rz. 34 – Undis Servizi. 4 EuGH v. 8.12.2016 – Rs. C-553/15, ECLI:EU:C:2016:935, Rz. 37 – Undis Servizi. 5 OLG Celle v. 17.12.2014 – 13 Verg 3/13, VergabeR 2015, 180 ff.; zustimmend Antweiler, VergabeR 2015, 191 f.; von Engelhardt/Kaelble in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 108 Rz. 40. 6 Vgl. auch Wegener in Pünder/Schellenberg, Handkommentar zum Vergaberecht, 2. Aufl. 2015, § 99 Rz. 27 ff.

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§ 108 | Ausnahmen bei öffentlich-öffentlicher Zusammenarbeit Vorteil gegenüber seinen Wettbewerbern verschaffen würde1. Dem entspricht die ständige Rechtsprechung des EuGH seit dem Urteil „Stadt Halle“, dass jede „auch nur minderheitliche Beteiligung eines privaten Unternehmens am Kapital einer Gesellschaft, an der auch der betreffende öffentliche Auftraggeber beteiligt ist, es auf jeden Fall ausschließt, dass der öffentliche Auftraggeber über diese Gesellschaft eine ähnliche Kontrolle ausübt wie über seine eigenen Dienststellen“2. Dementsprechend sieht der EuGH auch private Beteiligungen von nur 1 % als in-house-schädlich an3. § 108 Abs. 1 Nr. 3 setzt Art. 12 Abs. 1 lit. c) der Richtlinie 2014/24/EU um. 41 § 108 Abs. 1 Nr. 3 beschränkt die Ausnahme von der In-house-Fähigkeit indes auf

direkte private Kapitalbeteiligungen an juristischen Personen. Dementsprechend sind gem. § 108 Abs. 1 Nr. 3 Halbs. 2 indirekte, mittelbare Kapitalbeteiligungen an der auftragserhaltenden juristischen Person nicht in-house-schädlich4. Weder die Regelung selbst noch die Erwägungsgründe liefern allerdings Anhaltspunkte dafür, wie die direkte und die indirekte Beteiligungsform voneinander abzugrenzen sind5. Der indirekte oder mittelbare Erwerb von Unternehmensanteilen durch einen Intermediär erfasst durchaus unterschiedliche Tatbestände, die mit Blick auf ihre In-house-Verträglichkeit verschiedene Wertungsfragen aufwerfen. Dementsprechend wird überwiegend ein normativ geprägter, enger indirekter Beteiligungsbegriff vertreten, der an die Rechtsprechung des EuGH anknüpft und im Wesentlichen darauf abstellt, ob der Wirtschaftsteilnehmer durch die Beteiligung einen Vorteil im Wettbewerb erlangen könnte6. Danach stehen jedenfalls solche Formen der indirekten Beteiligung der Annahme eines In-house-Geschäfts nicht entgegen, in denen der sich privat Beteiligende in keinem Wettbewerb mit anderen Wirtschaftsteilnehmern steht, etwa weil er kein von der beauftragten juristischen Person abweichendes eigenes Interesse an dem Auftrag hat7. Dies

1 Vgl. BT-Drucks. 18/6281, S. 80. 2 Vgl. EuGH v. 11.1.2005 – Rs. C-26/03, Slg. I-00001, NZBau 2005, 111 ff. – Stadt Halle; EuGH v. 13.10.2005 – Rs. C-485/03, Slg. I-08585, NZBau 2005, 644 ff. – Parking Brixen; EuGH v. 10.11.2005 – Rs. C-29/04, Slg. I-09705, NZBau 2005, 704 ff., VergabeR 2009, 440 ff. – Stadt Mödling; EuGH v. 10.9.2009 – Rs. C-573/07, Slg. 2009, I-8127-8162, VergabeR 2009, 882 ff. – Sea, EuGH v. 6.4.2006 – Rs. C-410/04, Slg. I-03303, NZBau 2006, 326 ff. – ANAV; sowie Erwägungsgrund 32 der Richtlinie 2014/24/EU. Vertiefend zum Ganzen, insbesondere zur Rechtshistorie Portz in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 108 Rz. 126 ff.; sowie Koman, ZfBR 2005, 349 ff. 3 Portz in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 108 Rz. 129; Hausmann/Bultmann, NVwZ 2005, 377. 4 Ebenso Portz in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 108 Rz. 133; von Engelhardt/Kaelble in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 108 Rz. 42. 5 Vgl. Ziekow, NZBau 2015, 261. 6 Vgl. insofern etwa Ziekow, NZBau 2015, 258 (261); Portz in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 108 Rz. 139. 7 Vgl. EuGH v. 19.6.2014 – Rs. C-574/12, ABl. EU 2014, Nr. C 282, 8, NZBau 2014, 511 ff. – Centro Hospitalar de Setúbal.

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kann etwa im Fall der Mitarbeiterbeteiligung angenommen werden1. Ebenso dürfte eine Beteiligung, die einzig an der Partizipation an den Erträgen der Gesellschaft ausgerichtet ist, nicht als in-house-schädlich anzusehen sein2. Der weite indirekte Beteiligungsbegriff hingegen orientiert sich streng am Wortlaut der Norm und ordnet sämtliche Formen der indirekten Beteiligung als nicht in-house-schädlich ein3. Treffenderweise wird allerdings eingewandt, dass es in solchen Fällen an einer ähnlichen Kontrolle wie über eine eigene Dienststelle nach § 108 Abs. 1 Nr. 1 fehlen kann4. Insgesamt darf der indirekte Beteiligungsbegriff daher nicht zu weit ausgedehnt werden5. Dies ergibt sich aus der insofern einschlägigen EuGH-Rechtsprechung und der Systematik des § 108 als Ausnahmetatbestand im 4. Teil des GWB, der als solcher eng auszulegen ist6. Als entscheidendes Abgrenzungskriterium muss demnach grundsätzlich angesehen werden, ob es sich bei dem beteiligten Privaten um einen Wirtschaftsteilnehmer handelt, der durch die Beteiligung einen Vorteil im Wettbewerb mit anderen Wirtschaftsteilnehmern erlangen könnte7. Im Übrigen ist stets eine Prüfung im Einzelfall angezeigt; eine generalisierende Betrachtung verbietet sich8. Eine private Kapitalbeteiligung am öffentlichen Auftraggeber bzw. den kon- 42 trollierenden öffentlichen Auftraggebern ist unschädlich. § 108 Abs. 1 Nr. 3 stellt insofern allein auf die direkte private Beteiligung an der kontrollierten juristischen Person ab. Beteiligungen am öffentlichen Auftraggeber führen in der Regel nicht zu einer nachteiligen Wettbewerbsbeeinflussung zwischen privaten Unternehmen9. Dies stellt auch Erwägungsgrund 32 der Richtlinie 2014/24/EU ausdrücklich klar. Hieraus folgt, dass eine gemischt-wirtschaftliche Gesellschaft mit der Eigengesellschaft eines öffentlichen Auftraggebers im Wege des In-houseGeschäftes Aufträge an die eigene Tochtergesellschaft weiterreichen kann10, was – worauf in der Literatur zutreffend hingewiesen wird – durchaus bedenkens1 Vgl. Portz in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 108 Rz. 139. 2 Z.B. in Form einer stillen Gesellschaft gem. §§ 23 ff. HGB; ebenso Portz in Kulartz/Kus/ Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 108 Rz. 139; Ziekow, NZBau 2015, 258 (261); vgl. vertiefend Dabringhausen/Meier, NZBau 2007, 417 (419 ff.). 3 Vgl. Müller-Wrede, VergabeR 2016, 292 (298 f.). 4 Müller-Wrede, VergabeR 2016, 292 (299). 5 Ebenso Portz in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 108 Rz. 138. 6 Portz in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 108 Rz. 138. 7 Vgl. Ziekow, NZBau 2015, 258 (261). 8 Ziekow, NZBau 2015, 258 (261). 9 Vgl. Erwägungsgrund 32 der Richtlinie 2014/24/EU sowie BT-Drucks. 18/6281, S. 81. 10 Vgl. Dabringhausen, VergabeR 2014, 512 (518); Knauff, EuZW 2014, 486 (487); Jaeger, NZBau 2014, 259 (261 m.w.N.); Ziekow, NZBau 2015, 258 (261 f.); Portz in Kulartz/Kus/ Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 108 Rz. 139.

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§ 108 | Ausnahmen bei öffentlich-öffentlicher Zusammenarbeit wert ist, weil auch in diesem Fall eine zwar mittelbare, aber durchaus wettbewerbsrelevante Beteiligung eines Privaten an der kontrollierten juristischen Person vorliegt, die es dem Privaten ermöglicht, aus der erfolgreichen Auftragstätigkeit Vorteile zu ziehen1. 43 Nach § 108 Abs. 1 Nr. 3 besteht das Verbot der direkten Kapitalbeteiligung

nicht, wenn es sich dabei um eine Form der nicht beherrschenden Kapitalbeteiligung oder der privaten Kapitalbeteiligung ohne Sperrminorität handelt, die – dies gilt kumulativ für beide Fälle2 – durch gesetzliche Bestimmungen vorgeschrieben sind und die keinen maßgeblichen Einfluss auf die kontrollierte juristische Person vermitteln. Die Vorschrift setzt Art. 12 Abs. 1 lit. c) der Richtlinie 2014/24/EU um. Erwägungsgrund 32 der Richtlinie 2014/24/EU führt diesbezüglich aus: „Mit Blick auf die besonderen Merkmale öffentlicher Einrichtungen mit Pflichtmitgliedschaft, wie die für Verwaltung oder die Ausführung bestimmter öffentlicher Dienstleistungen verantwortlichen Organisationen, sollte dies jedoch nicht in Fällen gelten, in denen die Beteiligung bestimmter privater Wirtschaftsteilnehmer am Kapital der kontrollierten juristischen Person durch eine nationale gesetzliche Bestimmung im Einklang mit den Verträgen vorgeschrieben ist, sofern es sich nicht um eine beherrschende Form der Beteiligung oder eine Form der Beteiligung mit Sperrminorität handelt und sofern die Beteiligung keinen maßgeblichen Einfluss auf die Entscheidungen der kontrollierten juristischen Person ausübt.“ § 108 Abs. 1 Nr. 3 nimmt insofern insbesondere solche Vergaben vom 4. Teil des GWB aus, die an öffentlich-rechtliche Verbände mit privater Zwangsmitgliedschaft erfolgen, wie dies etwa bei einzelnen Wasserwirtschaftsverbänden der Fall ist3.

2. Vermutung der Kontrolle (§ 108 Abs. 2) 44 § 108 Abs. 2 stellt eine Vermutungsregel hinsichtlich des Kontrollkriteriums

gem. § 108 Abs. 1 Nr. 1 auf und dient der Umsetzung von Art. 12 Abs. 1 UA 2 der Richtlinie 2014/24/EU4. Ausweislich der Gesetzesbegründung wurde der Unterabs. 2 des Art. 12 Abs. 1 der Richtlinie 2014/24/EU zu Zwecken der besseren Lesbarkeit in § 108 in einem gesonderten Abs. 2 umgesetzt5. Hieraus folgt, dass die in § 108 Abs. 2 Satz 1 aufgestellte Vermutungsregel nichts anderes ist

1 Vgl. Jaeger, NZBau 2014, 259 (261 m.w.N.); Ziekow, NZBau 2015, 258 (261 f.); Portz in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 108 Rz. 134. 2 Vgl. BT-Drucks. 18/6281, S. 81; Brockhoff, VergabeR 2014, 625 (630); von Engelhardt/ Kaelble in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 108 Rz. 45. 3 Müller-Wrede, VergabeR 2016, 292 (299). 4 BT-Drucks. 18/6281, S. 81. 5 BT-Drucks. 18/6281, S. 81.

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als eine „erläuternde Bestimmung“ des Kontrollkriteriums i.S.v. § 108 Abs. 1 Nr. 11. Nach § 108 Abs. 2 Satz 1 wird die Ausübung einer Kontrolle i.S.v. § 108 Abs. 1 Nr. 1 vermutet, wenn der öffentliche Auftraggeber einen ausschlaggebenden Einfluss auf die strategischen Ziele und die wesentlichen Entscheidungen der juristischen Person ausübt. Bezüglich der Eingrenzungen und Voraussetzungen dieser Merkmale kann auf die Kommentierung zum „Kontrollkriterium“ verwiesen werden (vgl. Rz. 8 ff.). Nach § 108 Abs. 2 Satz 2 kann die Kontrolle auch durch eine andere juristische 45 Person ausgeübt werden, die von dem öffentlichen Auftraggeber auf gleiche Weise kontrolliert wird. Mit dieser Regelung wird insbesondere klargestellt, dass eine Kontrolle nicht nur im Verhältnis von Mutter- und Tochtergesellschaft vorliegen kann, sondern ein öffentlicher Auftraggeber eine ähnliche Kontrolle wie über seine eigenen Dienststellen nach § 108 Abs. 1 Nr. 1 auch auf Enkelgesellschaften ausüben kann, wenn insoweit das Kontrollkriterium bezogen auf die betroffene Gesellschaft auf gleiche Weise erfüllt ist2. Auch diesbezüglich kann auf die Kommentierung zum „Kontrollkriterium“ verwiesen werden (vgl. dort insb. Rz. 12 und 18). Fraglich ist in diesem Zusammenhang jedoch, ob dies auch bezogen auf Ur-En- 46 kel- und Ur-Ur-Enkel-Unternehmen etc. gilt. Die Vorschrift selbst spricht – ebenso wie die Richtlinienbestimmung, auf der sie beruht – davon, dass die Kontrolle auch durch eine andere juristische Person ausgeübt werden kann, die von dem öffentlichen Auftraggeber auf gleiche Weise kontrolliert wird. Bei wörtlicher Interpretation lässt dies lediglich die Zwischenschaltung einer Gesellschaft (Enkel-Konstruktion), nicht aber mehrerer Gesellschaften (Ur-EnkelKonstruktion) zu. Es wird daher teilweise die Auffassung vertreten, dass eine Inhouse-Vergabe nur zwischen dem öffentlichen Auftraggeber und Enkel-Unternehmen, nicht aber Ur-Enkel-Unternehmen zulässig ist3. Überzeugender erscheint dagegen die Auffassung, wonach die Regelung auch die Ur-Enkel- und Ur-Ur-Enkel-Konstruktion umfasst, solange tatsächlich auf jeder Stufe eine Kontrolle durch das jeweilige vorgeschaltete Unternehmen stattfinden kann4. Denn solange ein Durchgriff des öffentlichen Auftraggebers auf das abhängige Unternehmen tatsächlich möglich ist, spielt es keine Rolle, ob der Durchgriff über eine oder mehrere Gesellschaften vermittelt wird. Nicht erforderlich dürfte dabei indes sein, dass jedes Unternehmen, welches die 47 Kontrolle vermittelt, seinerseits gegenüber dem öffentlichen Auftraggeber auch 1 So Portz in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 108 Rz. 148. 2 Portz in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 108 Rz. 153. 3 So Müller-Wrede, VergabeR, 2016, 292 (293 f.). 4 So Portz in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 108 Rz. 153.

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§ 108 | Ausnahmen bei öffentlich-öffentlicher Zusammenarbeit das Tätigkeitskriterium erfüllt. Eine derartige Vorgabe lässt sich § 108 Abs. 1 und 2 jedenfalls nicht entnehmen1. 3. Inverse vertikale und horizontale In-house-Geschäfte (§ 108 Abs. 3) 48 § 108 Abs. 3 erstreckt die Ausnahme vom 4. Teil des GWB auf das inverse ver-

tikale In-house-Geschäft (Abs. 3 Satz 1 Alt. 1) und das horizontale In-houseGeschäft (Abs. 3 Satz 2 Alt. 2)2. § 108 Abs. 3 setzt Art. 12 Abs. 2 der Richtlinie 2014/24/EU um und beantwortet die bisher durchaus umstrittene Frage der Inhouse-Fähigkeit dieser Konstellationen3, die bislang auch nicht höchstrichterlich entschieden war4, positiv5. a) Inverse vertikale In-house-Geschäfte (§ 108 Abs. 3 Satz 1 Alt. 1)

49 Als inverses vertikales In-house-Geschäft6 werden solche Konstellationen be-

zeichnet, in denen die Tochtergesellschaft einen Auftrag an die Muttergesellschaft erteilt, die Auftragsrichtung also nicht wie bei dem „klassischen“ einfachen vertikalen In-house-Geschäft „von oben nach unten“ (bzw. „top-down“), sondern „von unten nach oben“ (bzw. „bottom-up“) verläuft. Die Vergaberechtsfreiheit wird in diesem Fall damit begründet, dass die Wahrnehmung der öffentlichen Aufgabe weiterhin in der Beherrschungssphäre der Muttergesellschaft verortet bleibt und eine Marktbetroffenheit nicht zu erkennen ist7.

1 A.A. Portz in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 108 Rz. 41, der dies jedoch nicht näher begründet, sondern lediglich auf Dreher in Immenga/Mestmäcker, 4. Aufl. 2014, § 99 Rz. 71 verweist. Die Kommentierung von Dreher stammt allerdings aus der Zeit vor Inkrafttreten des § 108, so dass sie im hiesigen Kontext nicht bzw. allenfalls nur sehr eingeschränkt als Beleg herangezogen werden kann. 2 BT-Drucks. 18/6281, S. 81. 3 Gegen die Anwendung der In-house-Grundsätze nach bisherigem Recht u.a. Ziekow in Ziekow/Völlink, Vergaberecht, 2. Aufl. 2013, § 99 GWB Rz. 146 ff., mit dem Hinweis, dass es nach der Rechtsprechung des EuGH für die Vergaberechtsfreiheit des Inhouse-Geschäfts gerade auf die Beherrschung des Auftragnehmers durch den Auftraggeber ankomme. Für die Anwendung der In-house-Grundsätze nach bisherigem Recht u.a. Dreher, NZBau 2004, S. 14, 18 ff. 4 Der EuGH hatte die Frage der Vergaberechtsfreiheit von horizontalen In-house-Geschäften bisher offen gelassen, vgl. EuGH v. 8.5.2014 – Rs. C-15/13, VergabeR 2014, 533 ff. – TU Hamburg, mit Anm. Willenbruch; sowie Portz in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 108 Rz. 158. 5 Vgl. hierzu auch Portz in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 108 Rz. 155. 6 Insofern spricht man auch von einer „bottom-up“ Vergabe. 7 Vgl. Wagner/Piesbergen, NVwZ 2012, 653 (656).

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aa) Kontrollkriterium Nach § 108 Abs. 3 Satz 1, der auf § 108 Abs. 1 verweist, ist es in der Konstella- 50 tion des inversen In-house-Geschäfts erforderlich, dass der in diesem Fall auftragserhaltende öffentliche Auftraggeber über die auftragserteilende juristische Person eine ähnliche Kontrolle wie über seine eigenen Dienststellen ausübt1. Die Voraussetzungen des § 108 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 sind entsprechend anzuwenden2. Die Kontrolle kann auch mittelbar i.S.v. § 108 Abs. 2 Satz 2 ausgeübt werden. § 108 Abs. 2 ist auch in Ermangelung eines ausdrücklichen Verweises anwendbar, da er den Kontrollbegriff des § 108 Abs. 1 Nr. 1 weiter ausformt und somit an diesen anknüpft3. Ebenso kommen die Vorschriften über das inverse Inhouse-Geschäft bei einer gemeinsamen Kontrolle i.S.v. § 108 Abs. 4 zur Anwendung. Dies stellt die Begründung des Regierungsentwurfs durch das systematische Argument klar, dass § 108 Abs. 4 hinter den Abs. 1 bis 3 des § 108 stehe und sich deshalb auf sie alle beziehe4. bb) Wesentlichkeitskriterium In entsprechender Anwendung des § 108 Abs. 1 Nr. 2 müssen auch im Fall des 51 inversen In-house-Geschäfts 80 % der Tätigkeiten der auftragserteilenden juristischen Person der Ausführung von Aufgaben dienen, mit denen sie von dem auftragserhaltenden Auftraggeber oder von einer anderen juristischen Person, die von diesem kontrolliert wird, betraut wurde. Die Anwendung des in § 108 Abs. 1 Nr. 2 verankerten Wesentlichkeitskriteriums folgt daraus, dass der Verweis in § 108 Abs. 3 Satz 1 auf § 108 Abs. 1 richtigerweise – und zwar sowohl für die Fallgestaltung des inversen als auch für die Fallgestaltung des horizontalen In-house-Geschäfts (s. hierzu auch noch Rz. 56) – als Rechtsgrundverweisung zu verstehen ist5. Zwar wird teilweise vertreten, der Verweis sei als Rechtsfolgenverweis zu verstehen6. Dabei wird in den Blick genommen, dass § 108 Abs. 1 neben dem Tätigkeitskriterium auch das Kontrollkriterium sowie das Verbot einer privaten Beteiligung kennt und nur die beiden Letzteren in § 108 Abs. 3 ausdrücklich erwähnt werden. Diese Auslegung dürfte jedoch weder den 1 2 3 4

Müller-Wrede, VergabeR 2016, 292 (300). BT-Drucks. 18/6281, S. 81. Ebenso Müller-Wrede, VergabeR 2016, 292 (300). BT-Drucks. 18/6281, S. 81; ebenso Müller-Wrede, VergabeR 2016, 292 (300); bejahend auch schon zur alten Rechtslage Wagner/Piesbergen, NVwZ 2012, 653 (656). 5 Im Ergebnis ebenso von Engelhardt/Kaelble in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 108 Rz. 52; Portz in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 108 Rz. 159 ff.; Müller-Wrede, VergabeR 2016, 292 (300 f.); Ziekow, NZBau 2015, 258 (262); Greb, VergabeR 2015, 289 (293). 6 So Dabringhausen, VergabeR 2014, 512 (521); Dabringhausen, NZBau 2009, 616 (618) mit dem Argument, dass die Regelung die übrigen Kriterien, das Kontroll- und das Beteiligungskriterium ausdrücklich erwähne.

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§ 108 | Ausnahmen bei öffentlich-öffentlicher Zusammenarbeit gesetzgeberischen Willen widerspiegeln noch dem Sinn und der Systematik des § 108 entsprechen1. In der Gesetzesbegründung heißt es: „Absatz 3 erstreckt die erlaubten Inhouse-Vergaben des Absatz 1 auf weitere Konstellationen“2. „Erlaubte Inhouse-Vergaben“ sind aber nur solche, die sämtliche Kriterien des § 108 Abs. 1 erfüllen, d.h. Kontrollkriterium, Wesentlichkeitskriterium und Beteiligungskriterium. Es besteht auch kein sachlicher oder sonstiger erkennbarer Grund, der eine Ungleichbehandlung zwischen einem einfachen vertikalen und einem horizontalen In-house-Geschäft nahelegen würde. 52 Unklar und umstritten ist allerdings, auf wen sich das Wesentlichkeitskrite-

rium bezieht. Nach dem in Bezug genommenen Wortlaut des § 108 Abs. 1 Nr. 2 bezieht es sich auf die kontrollierte juristische Person (im Falle des inversen In-house-Geschäfts) bzw. die kontrollierten juristischen Personen (im Falle des horizontalen In-house-Geschäfts). Ausgehend davon, dass es Sinn und Zweck des Wesentlichkeitskriteriums sei, eine Verfälschung des Wettbewerbs durch Bevorteilung eines nicht nur unwesentlich am Markt tätigen Auftragnehmers zu verhindern, wird im Schrifttum teilweise die Auffassung vertreten, dass das Wesentlichkeitskriterium im umgekehrten Verhältnis, d.h. stets bezogen auf den jeweiligen Auftragnehmer erfüllt sein müsse. Mithin müsse im Falle des inversen In-house-Geschäftes die kontrollierende (auftragnehmende) Mutter zu mehr als 80 % für die kontrollierte juristische Person tätig sein3. Während dies im Falle der horizontalen Vergabe auch ohne weiteres mit dem Wortlaut des § 108 Abs. 1 Nr. 2 in Einklang gebracht werden könnte, da beide Schwestern „kontrollierte juristische Personen“ sind, sei im Falle der inversen Vergabe eine entsprechende, sinngemäße Anwendung des § 108 Abs. 1 Nr. 2 geboten; zumal es sich – so von Engelhardt/Kaelble – vermutlich auch nur um eine Ungenauigkeit des Gesetzgebers handele4. Hierin würde eine Parallele zu der In-houseVergabe durch Sektorenauftraggeber liegen. Gemäß § 138 Abs. 3 muss im Sektorenbereich das Tätigkeitskriterium von dem jeweiligen Auftragnehmer erfüllt werden, auch wenn er selbst das kontrollierende Unternehmen darstellt. Teilweise wird auch von einer Wahlmöglichkeit ausgegangen: Denkbar sei, dass die Tätigkeit im Wesentlichen für den beherrschten öffentlichen Auftraggeber nachgewiesen ist, ebenso wie für den die Kontrolle ausübenden Auftraggeber5. Nach (wohl) überwiegender Auffassung ist es dagegen nicht erforderlich, dass die Tätigkeiten des kontrollierenden öffentlichen Auftraggebers in entsprechendem Umfang der Ausführung von Aufgaben dienen, mit denen er von der 1 Vgl. zum Ganzen auch von Engelhardt/Kaelble in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 108 Rz. 52; Portz in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 108 Rz. 159 ff.; Müller-Wrede, VergabeR 2016, 292 (300 f.); Ziekow, NZBau 2015, 258 (262); Greb, VergabeR 2015, 289 (293). 2 BT-Drucks. 18/6281, S. 81. 3 Vgl. von Engelhardt/Kaelble in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 108 Rz. 53. 4 So von Engelhardt/Kaelble in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 108 Rz. 53. 5 So Greb, VergabeR 2015, 289 (293).

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kontrollierten juristischen Person betraut wurde. Mit anderen Worten: Die kontrollierte juristische Person muss gegenüber dem kontrollierenden öffentlichen Auftraggeber dem Tätigkeitskriterium des § 108 Abs. 1 Nr. 2 genügen1. Für diese Sichtweise spricht, dass die Alt. 1 des § 108 Abs. 3 GWB eine umgekehrte (inverse) In-house-Vergabe darstellt. Sie kehrt den Grundfall des § 108 Abs. 1 GWB um. Wenn die Voraussetzungen des § 108 Abs. 1 GWB vorliegen, kann nicht nur der kontrollierende Auftraggeber das kontrollierte Unternehmen beauftragen. Vielmehr kann invers das kontrollierte Unternehmen dem Auftraggeber einen In-house-Auftrag erteilen. Voraussetzung ist, dass die in § 108 Abs. 1 GWB genannten Bedingungen vorliegen, wozu auch das Tätigkeitskriterium zählt. Ferner lässt sich argumentieren, dass es widersprüchlich wäre, wenn für das Kontrollkriterium einerseits und das Wesentlichkeitskriterium andererseits auf unterschiedliche Rechtssubjekte abgestellt bzw. Bezug genommen würde2. Für einen solchen begründungsbedürftigen systematischen Ausbruch findet sich auch weder in der Gesetzesbegründung3 noch in den Erwägungsgründen der Richtlinie 2014/24/EU ein Hinweis. cc) Beteiligungskriterium Schließlich gilt auch im Fall des inversen In-house-Geschäfts nach § 108 Abs. 3 53 Satz 2 und 3 das Verbot der direkten privaten Kapitalbeteiligung an der Person, die den öffentlichen Auftrag erhalten soll, im Sinne des besprochenen Beteiligungskriteriums gem. § 108 Abs. 1 Nr. 3 Halbs. 2 (s. hierzu Rz. 40 ff.). Letzterer gilt gem. § 108 Abs. 3 Satz 3 entsprechend. b) Horizontale In-house-Geschäfte (§ 108 Abs. 3 Satz 1 Alt. 2) Als horizontales In-house-Geschäft werden solche Konstellationen bezeichnet, 54 in denen von einer kontrollierten juristischen Person Aufträge an eine andere von demselben Auftraggeber kontrollierte juristische Person vergeben werden4. Die Auftragsrichtung verläuft somit nicht vertikal, also in einem Verhältnis „von oben nach unten“ oder „von unten nach oben“, sondern horizontal, im Verhältnis zwischen Schwestergesellschaften. Wie bei dem inversen In-houseGeschäft wird auch in diesem Fall die Vergaberechtsfreiheit damit begründet, dass die Vergabe innerhalb der staatlichen Beherrschungssphäre erfolgt und dadurch keine Marktbetroffenheit zu erkennen ist5. Horizontale In-house-Ge1 So insb. Ziekow, NZBau 2015, 258 (262); Müller-Wrede, VergabeR 2016, 292 (300 f.); Hofmann, VergabeR 2016, 189 (195); Losch, VergabeR 2016, 541 (550); Portz in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 108 Rz. 160. 2 Ähnlich Müller-Wrede, VergabeR 2016, 292 (300 f.). 3 Vgl. BT-Drucks. 18/6281. 4 Vgl. u.a. Orlowski, NZBau 2007, 80 (87). 5 Müller-Wrede, VergabeR 2016, 292 (299 ff.).

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§ 108 | Ausnahmen bei öffentlich-öffentlicher Zusammenarbeit schäfte sind gerade in der kommunalen Praxis von nicht unerheblicher Relevanz1. Die Zulässigkeit des horizontalen In-house-Geschäfts war nach bisherigem Recht in der Rechtsprechung indes offen gelassen2 und in der Literatur unterschiedlich beurteilt worden3. Die Kodifizierung in § 108 Abs. 3 Satz 1 Alt. 2 verspricht insofern ein Mehr an Rechtssicherheit. aa) Kontrollkriterium 55 Nach § 108 Abs. 3 Satz 1 Alt. 2 i.V.m. Abs. 1 ist es erforderlich, dass der öffent-

liche Auftraggeber über beide Schwestergesellschaften, also die auftragserteilende wie die auftragserhaltende juristische Person eine Kontrolle i.S.v. § 108 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 ausübt. Wie bei dem inversen In-house-Geschäft ergibt sich aus der Regelungssystematik, dass die Kontrolle auch mittelbar i.S.v. § 108 Abs. 2 Satz 2 bzw. gemeinsam i.S.v. § 108 Abs. 4 ausgeübt werden kann. bb) Wesentlichkeitskriterium

56 Wegen des Rechtsgrundverweises in § 108 Abs. 3 Satz 1 auf § 108 Abs. 1 findet

das Wesentlichkeitskriterium (vgl. Rz. 20 ff.) auch bei horizontalen In-houseGeschäften Anwendung (s. hierzu bereits Rz. 51)4. Anderenfalls könnte beim horizontalen In-house-Geschäft die Situation eintreten, dass die den Auftrag vergebende und die den Auftrag ausführende juristische Person zwar als Schwestergesellschaften beide durch denselben öffentlichen Auftraggeber als „Mutter“ kontrolliert würden, jedoch ganz überwiegend am Markt tätig sein können, weil die Erfüllung des Wesentlichkeitskriteriums nicht mehr notwendig wäre5. Die Erlangung eines derart „unberechtigten“ Wettbewerbsvorteils war und ist in der Rechtsprechung des EuGH6 stets der Grund dafür gewesen, eine In-house-Fähigkeit zu verneinen. Daher ist sowohl für das inverse In-house-Geschäft (s. hierzu bereits Rz. 51) als auch für das horizontale In-house-Geschäft davon aus1 Vgl. insofern die Aufzählung von Dabringhausen, NZBau 2009, 616 ff., der verschiedene Konstellationen des Leistungsaustauschs zwischen einzelnen Gliedern eines Konzerns „Stadt“ darstellt. 2 EuGH v. 8.5.2014 – Rs. C-15/13, VergabeR 2014, 533 ff. – TU Hamburg; OLG Hamburg v. 6.11.2012 – 1 Verg 7/11. 3 Für die Anwendung der In-house-Grundsätze nach bisherigem Recht u.a. Dabringhausen, NZBau 2009, 616 ff.; Dreher, NZBau 2004, 14 (18 f.) sowie Just, EuZW 2009, 879 (884). Ablehnend dagegen Schröder, NZBau 2005, 129 ff. 4 Ebenso von Engelhardt/Kaelble in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 108 Rz. 52; Portz in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 108 Rz. 159 ff.; Müller-Wrede, VergabeR 2016, 292 (300 f.); Ziekow, NZBau 2015, 258 (262); Greb, VergabeR 2015, 289 (293). 5 Hierauf weisen Ziekow, NZBau 2015, 258 (262) und Portz in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 108 Rz. 159 zutreffend hin. 6 Vgl. insb. EuGH v. 11.1.2005 – Rs. C-26/03, Slg. I-00001, NZBau 2005, 111 ff. – Stadt Halle.

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zugehen, dass der Verweis in § 108 Abs. 3 Satz 1 auf § 108 Abs. 1 eine Rechtsgrundverweisung darstellt1. Erneut (s. bereits Rz. 52) stellt sich auch in diesem Zusammenhang die Frage, 57 welches bzw. welche der beteiligten Unternehmen das Kriterium erfüllen muss/ müssen. Vorzugswürdig erscheint die (wohl auch überwiegende) Auffassung, wonach beide juristischen Personen gegenüber dem kontrollierenden öffentlichen Auftraggeber dem Wesentlichkeitskriterium des § 108 Abs. 1 Nr. 3 genügen müssen2. cc) Beteiligungskriterium Schließlich gilt auch im Fall des horizontalen In-house-Geschäfts nach § 108 58 Abs. 3 Satz 2 und 3 das Verbot der direkten privaten Kapitalbeteiligung an der Person, die den öffentlichen Auftrag erhalten soll, im Sinne des besprochenen Beteiligungskriteriums gem. § 108 Abs. 1 Nr. 3 Halbs. 2 (s. hierzu Rz. 40 ff.). Letzterer gilt gem. § 108 Abs. 3 Satz 3 entsprechend. 4. Gemeinsame vertikale In-house-Geschäfte (§ 108 Abs. 4) § 108 Abs. 4 erstreckt den Anwendungsbereich der vergaberechtsfreien In- 59 house-Geschäfte auf Konstellationen, in denen die Kontrolle des Auftragnehmers abweichend von § 108 Abs. 1 durch mehrere Auftraggeber gemeinsam erfolgt3. Dem Kontrollkriterium steht es mithin nicht entgegen, wenn mehrere öffentliche Stellen insgesamt die Anteile an der auftragserhaltenden Gesellschaft (ggf. in sehr unterschiedlicher Höhe) halten. Diese Bewertung ergab sich – zumindest mittelbar – bereits aus den Entscheidungen des EuGH in Sachen „Teckal“4 und „Carbotermo“5. Ausdrücklich bestätigt hatte der EuGH dies 1 So Portz in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 108 Rz. 159. 2 So Ziekow, NZBau 2015, 258, 262; zustimmend Portz in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 108 Rz. 160. Nicht ganz eindeutig insoweit MüllerWrede, VergabeR 2016, 292 (301), der unter Bezugnahme auf Greb, VergabeR 2015, 289 (293) („Wahlverhältnis“) ausführt: „Wie bei der mittelbaren Kontrolle kann der Bezugspunkt für die Wesentlichkeit nach § 108 Abs. 1 Nr. 2 GWB auf allen Aufgaben liegen, zu denen der Auftragnehmer von dem kontrollierenden Auftraggeber oder den kontrollierten Schwestergesellschaften betraut wurde. […] Der öffentliche Auftraggeber und die von ihm kontrollierten juristischen Personen sind als Einheit zu betrachten, so dass eine Zusammenrechnung der Tätigkeiten erfolgen kann.“. A.A. von Engelhardt/Kaelble in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 108 Rz. 53 sowie (wohl) auch Hofmann, VergabeR 2016, 189 (195). 3 BT-Drucks. 18/6281, S. 81. 4 EuGH v. 18.11.1999 – Rs. C-107/98, Slg. I-08121, NZBau 2000, 90 (91, Rz. 50) – Teckal. 5 EuGH v. 11.5.2006 – Rs. C-340/04, Slg. I-04137, NZBau 2006, 452 (454, Rz. 37) – Carbotermo.

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§ 108 | Ausnahmen bei öffentlich-öffentlicher Zusammenarbeit nochmals in den Fällen „Asemfo/Tragsa“1 und „Coditel Brabant“2. Durch die Regelung in § 108 Abs. 4 wird dieser anerkannte Grundsatz nunmehr auch in das nationale Recht übertragen und ausgestaltet. § 108 Abs. 4 setzt dabei Art. 12 Abs. 3 UA 1 der Richtlinie 2014/24/EU um. a) Gemeinsame Kontrolle (§ 108 Abs. 4 Nr. 1) 60 Als erste Voraussetzung für die Vergaberechtsfreiheit eines gemeinsamen ver-

tikalen In-house-Geschäfts bestimmt § 108 Abs. 4 Nr. 1, dass der öffentliche Auftraggeber gemeinsam mit anderen öffentlichen Auftraggebern über die juristische Person eine ähnliche Kontrolle ausübt wie jeder der öffentlichen Auftraggeber über seine eigenen Dienststellen. Dies entspricht der bisherigen Rechtsprechung des EuGH3. Durch die Schaffung eines eigenen Sachverhalts der gemeinsamen Kontrolle und der sprachlichen Gegenüberstellung von „klassischem“ und gemeinsamen In-house-Geschäft (vgl. Abs. 4: „bei denen der öffentliche Auftraggeber […] zwar keine Kontrolle im Sinne des Absatzes 1 Nummer 1 ausübt, aber […]“) grenzt der Gesetzgeber die beiden Konstellation deutlich voneinander ab, betont allerdings auch, dass im Fall des gemeinsamen Inhouse-Geschäfts das gemeinsam ausgeübte Kontrollniveau dem der ähnlichen Kontrolle i.S.d. § 108 Abs. 1 Nr. 1 qualitativ entsprechen muss4. § 108 Abs. 4 knüpft in erster Linie also nicht daran an, wer an der auftragsausführenden juristischen Person beteiligt ist, sondern wer die Kontrolle über diese ausübt.

61 Demnach fallen solche Sachverhalte nicht unter § 108 Abs. 4, in denen ge-

mischt-öffentliche Unternehmen einen Auftrag an eine juristische Person vergeben, aufgrund entsprechender gesellschaftsrechtlicher Strukturen aber nur ein Auftraggeber allein die juristische Person wie eine eigene Dienststelle kontrollieren kann5. In diesem Fall findet nicht § 108 Abs. 4, sondern § 108 Abs. 1 Anwendung6. Ferner fallen solche Konstellationen nicht unter § 108 Abs. 4, in denen ein nicht in die gemeinsame Kontrolle eingebundener Auftraggeber, 1 EuGH v. 19.4.2007 – Rs. C-295/05, Slg. I-02999, NZBau 2007, 381 (386, Rz. 62) – Asemfo/Tragsa. 2 EuGH v. 13.11.2008 – Rs. C-324/07, Slg. I-00000, Rz. 50 – Coditel Brabant; ebenso BGH v. 3.7.2008 – I ZR 145/05, BGHZ 177, 150, 158 = MDR 2008, 1289. 3 EuGH v. 13.11.2008 – Rs. C-324/07, Slg. I-00000, Rz. 50 – Coditel Brabant; EuGH v. 10.9. 2009 – Rs. C-573/07, Slg. 2009, I-8127-8162, VergabeR 2009, 882 ff. – Sea; EuGH v. 29.11. 2012 – Rs. C-182/11 und Rs. C-183/11, ABl. EU 2013, Nr. C 26, 7, NZBau 2013, 55 – Econord. 4 Vgl. Portz in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 108 Rz. 167. 5 Vgl. zu der Konstellation der Auftragsvergabe von gemischt-öffentlichen Unternehmen nach altem Recht Bultmann, NZBau 2006, 222. 6 Vgl. Ziekow, NZBau 2015, 258; Portz in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 108 Rz. 167 a.E.

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etwa ein Minderheitsgesellschafter ohne Kontrollbefugnisse, nicht vergaberechtsfrei öffentliche Aufträge an die juristische Person vergeben darf, an der er beteiligt ist1. Ausweislich der Gesetzesbegründung soll § 108 Abs. 4 auch inverse Auftragsver- 62 gaben erfassen (s. hierzu noch gesondert unter Rz. 65). b) Wesentlichkeitskriterium (§ 108 Abs. 4 Nr. 2) Nach § 108 Abs. 4 Nr. 2 wird das Wesentlichkeitskriterium (vgl. Rz. 20 ff.) auf 63 die Konstellation des gemeinsamen In-house-Geschäfts übertragen. Es besteht allerdings die Besonderheit, dass sich das Wesentlichkeitskriterium in diesem Fall auf alle öffentlichen Auftraggeber bezieht. Dies bedeutet, dass die juristische Person ihre Tätigkeiten im Wesentlichen (die 80 %-Schwelle findet unverändert Anwendung) für die zusammen zu betrachtenden kontrollierenden öffentlichen Auftraggeber oder andere von diesen kontrollierten juristischen Personen verrichten muss2. Der Gesetzeswortlaut spricht zwar nur von „einer anderen juristischen Person“3. Gemäß der Begründung des Gesetzesentwurfs kann es sich dabei aber auch um mehrere juristische Personen handeln4. Es liegt daher lediglich ein Redaktionsversehen bzw. eine gesetzgeberische Ungenauigkeit vor5. c) Beteiligungskriterium (§ 108 Abs. 4 Nr. 3) Schließlich bestimmt § 108 Abs. 4 Nr. 3, dass an der juristischen Person auch 64 dann keine direkte private Kapitalbeteiligung bestehen darf, wenn öffentliche Auftraggeber gemeinsam mit anderen öffentlichen Auftraggebern die Kontrolle über diese juristische Person ausüben. Dies ist letztlich eine Selbstverständlichkeit und entspricht den Vorgaben, die für das „klassische“ In-house-Geschäft im Hinblick auf die direkte private Kapitalbeteiligung normiert sind. Indem § 108 Abs. 4 Nr. 3 Halbs. 2 den § 108 Abs. 1 Nr. 3 Halbs. 2 entsprechend zur Anwendung bringt, wird klargestellt, dass die dort geregelten nicht in-house-schädlichen Formen direkter privater Kapitalbeteiligung auch bei einer gemeinsamen Kontrolle mehrerer öffentlicher Auftraggeber Geltung haben6. Insoweit kann auf die Kommentierung zu § 108 Abs. 1 Nr. 3 Halbs. 2 (s. hierzu Rz. 40 ff.) verwiesen werden. 1 Vgl. EuGH v. 29.11.2012 – Rs. C-182/11 und Rs. C-183/11, ABl. EU 2013, Nr. C 26, 7, NZBau 2013, 55 ff., Rz. 31 und 33 – Econord. 2 Ziekow, NZBau 2015, 258, 263; Portz in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 108 Rz. 178. 3 BT-Drucks. 18/6281, S. 81. 4 Vgl. BT-Drucks. 18/6281, S. 81. 5 Vgl. insofern auch Müller-Wrede, VergabeR 2016, 292 (296). 6 Portz in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 108 Rz. 179.

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§ 108 | Ausnahmen bei öffentlich-öffentlicher Zusammenarbeit d) Inverses In-house-Geschäft bei gemeinsamer Kontrolle im Sinne von § 108 Abs. 4 65 Fraglich und umstritten ist, ob auch ein inverses In-house-Geschäft bei gemein-

samer Kontrolle i.S.v. § 108 Abs. 4 zulässig ist. Ausweislich der Gesetzesbegründung soll dies der Fall sein. Dies ergibt sich aus der systematischen Stellung des § 108 Abs. 4 nach den Abs. 1 bis 3 (vgl. insofern auch Rz. 50)1. Unter Bezugnahme hierauf wird auch von Teilen des Schrifttums die inverse In-house-Vergabe eines gemeinsam beherrschten Unternehmens für zulässig erachtet. § 108 Abs. 4 stelle lediglich eine Unterart des In-house-Geschäftes nach § 108 Abs. 1 GWB dar. Deshalb müssten im Übrigen auf § 108 Abs. 4 alle Regelungen Anwendung finden, die für § 108 Abs. 1 GWB gelten2. Hierfür spricht auch der Wortlaut der Norm, der nahe legt, dass eine inverse In-house-Vergabe in allen dort geregelten Fällen möglich sein soll. Gestützt wird dieser Befund ferner dadurch, dass das Kriterium der gemeinsamen Kontrolle in der bisherigen Rechtsprechung des EuGH – soweit ersichtlich – stets so verstanden worden ist, dass die gemeinsame Kontrolle wie eine anteilige Kontrolle durch jeden einzelnen kontrollierenden Gesellschafter wirkt, so dass jeder einzelne kontrollierende Gesellschafter so gestellt wird, als würde er die betreffende Einrichtung allein kontrollieren3. Teilweise wird der gesetzgeberische Wille aber auch sehr kritisch gesehen und argumentiert, dass die Richtlinie 2014/24/EU ein inverses In-houseGeschäft bei gemeinsamer Kontrolle nicht vorsehe. Eine entsprechende Auslegung des § 108 GWB verstoße mithin gegen Unionsrecht4. 5. Voraussetzungen einer gemeinsamen Kontrolle (§ 108 Abs. 5)

66 § 108 Abs. 5 nennt die Voraussetzungen, die kumulativ erfüllt sein müssen, um

eine gemeinsame Kontrolle i.S.d. § 108 Abs. 4 Nr. 1 zu bejahen. § 108 Abs. 5 setzt Art. 12 Abs. 3 UA 2 der Richtlinie 2014/24/EU um. a) Beschlussfassende Organe, zusammengesetzt aus Vertretern sämtlicher teilnehmender öffentlicher Auftraggeber (§ 108 Abs. 5 Nr. 1)

67 Gemäß § 108 Abs. 5 Nr. 1 müssen sich die beschlussfassenden Organe der ju-

ristischen Person aus Vertretern sämtlicher teilnehmender öffentlicher Auftraggeber zusammensetzen. Neben der Kapitalbeteiligung bedingt dies, dass

1 Vgl. BT-Drucks. 18/6281, S. 81. 2 Vgl. Portz in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 108 Rz. 163 f.; Hofmann, VergabeR 2016, 189 (195). 3 Vgl. EuGH v. 10.9.2009 – Rs. C-573/07, Slg. 2009, I-8127-8162, VergabeR 2009, 882 ff., Rz. 55 ff. – Sea; EuGH v. 13.11.2008 – Rs. C-324/07, Slg. 2008, I-8457-8506, VergabeR 2009, 440 ff., Rz. 45 ff. – Coditel Brabant. 4 Vgl. insb. von Engelhardt/Kaelble in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 108 Rz. 68 ff.; sowie auch Losch, VergabeR 2016, 541 (551).

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alle beteiligten Auftraggeber mindestens einen Vertreter in den beschlussfassenden Organen des kontrollierten Unternehmens haben müssen, die wiederum gemeinsam mit den anderen öffentlichen Auftraggebern einen ausschlaggebenden strategischen Einfluss auf die strategischen Ziele und die wesentlichen Entscheidungen der juristischen Person ausüben können müssen1. Die „beschlussfassenden Organe der juristischen Person“ sind solche, die recht- 68 lich und tatsächlich in der Lage sind, die wesentlichen Entscheidungen der juristischen Person zu beeinflussen, z.B. der Aufsichts- oder Verwaltungsrat oder die Gesellschafter- bzw. Zweckverbandsversammlung2. Dabei ist ausgehend von der bisherigen Rechtsprechung nicht erforderlich, dass dies die unmittelbar die Geschäfte führenden Organe sind. So ist etwa eine Beteiligung aller Gesellschafter an der Geschäftsführung nicht zwingend erforderlich, sofern die Geschäftsführung an die Weisungen der Gesellschafterversammlung gebunden ist und in diesen etwaige Minderheitsgesellschafter ein Vetorecht innehaben3. In der Rechtsprechung des EuGH wurden diese Organe bislang als „Leitungsorgane“ („managing bodies“) bezeichnet4. Der in Art. 12 Abs. 3 UA 2 (i) der Richtlinie 2014/ 24/EU und § 108 Abs. 5 Nr. 1 verwendete Begriff des „beschlussfassenden Organs“ („decision-making body“) weicht semantisch von diesem ab. Es ist allerdings (wohl) nicht davon auszugehen, dass der Gesetzgeber durch einen Wechsel des Leitbegriffs auch einen Bedeutungswechsel intendiert hat. § 108 Abs. 5 baut deutlich auf der „Econord“-Rechtsprechung des EuGH auf. Es kann zudem 1 So auch Greb, VergabeR 2015, 289 (294); Portz in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 108 Rz. 183. 2 Ziekow, NZBau 2015, 258 (262); Portz in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 108 Rz. 181 und 183. 3 OLG Düsseldorf v. 30.1.2013 – VII-Verg 56/12, NZBau 2013, 327, Rz. 13. Der Entscheidung lag der Fall zugrunde, dass sich eine gesetzliche Krankenkasse Rechenzentrumsleistungen beschaffen wollte. Das auftragnehmende Unternehmen war neben weiteren Tochterunternehmen in einer Holding GmbH organisiert, die ausschließlich Aufgaben im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung wahrnahm. Gesellschafter der Holding GmbH waren einschließlich der Auftraggeberin mehr als 150 Krankenkassen. Der Anteil der Auftraggeberin an der Holding GmbH betrug 94 %. Nach Ansicht des Senats stand diese geringe Beteiligung der Annahme einer tatsächlichen Kontrolle der Auftraggeberin über das auftragnehmende Unternehmen nicht entgegen. Zwar sei die Einflussnahmemöglichkeit der Auftraggeberin, vermittelt durch die Holding GmbH, nur mittelbar. Aufgrund der gesellschaftsvertraglich geregelten Weisungsgebundenheit der jeweiligen Geschäftsführer hätten aber weder die Holding GmbH noch das beauftragte Unternehmen eine von der Kontrollbefugnis der Gesellschaft abweichende, eigene Entscheidungsmöglichkeit. Ferner erlaube die homogene Verteilung der Gesellschaftsanteile und das Bestehen von Vetorechten eine ausreichende Einflussnahme- und Teilhabemöglichkeit an den Gesellschaftsbeschlüssen. Siehe vertiefend die Entscheidungsbesprechung von Geitel, NZBau 2013, 483 ff. 4 EuGH v. 29.11.2012 – Rs. C-182/11 und Rs. C-183/11, ABl. EU 2013, Nr. C 26, 7, NZBau 2013, 55 ff. – Econord.

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§ 108 | Ausnahmen bei öffentlich-öffentlicher Zusammenarbeit (wohl) davon ausgegangen werden, dass der Gesetzgeber eine Abkehr von anerkannten Grundsätzen der EuGH-Rechtsprechung in der Begründung des Regierungsentwurfs kenntlich gemacht hätte1. 69 Schließlich lässt es § 108 Abs. 5 Nr. 1 Halbs. 2 zu, dass ein einzelner Vertreter

mehrere oder alle teilnehmenden öffentlichen Auftraggeber vertreten kann. Dies soll die Arbeitsfähigkeit der beschlussfassenden Organe sicherstellen2.

b) Gemeinsame Ausübung eines ausschlaggebenden Einflusses (§ 108 Abs. 5 Nr. 2) 70 Nach § 108 Abs. 5 Nr. 2 ist es erforderlich, dass die öffentlichen Auftraggeber

gemeinsam einen ausschlaggebenden Einfluss auf die strategischen Ziele und die wesentlichen Entscheidungen der juristischen Person ausüben können. Dieses Erfordernis trägt dem vom EuGH geforderten „Konzept der gemeinsamen Kontrolle“ durch alle beteiligten öffentlichen Stellen Rechnung3. Der Wortlaut entspricht dem des § 108 Abs. 2 Satz 1. Die öffentlichen Auftraggeber müssen dementsprechend in der Lage sein, gemeinsam eine sowohl strukturelllangfristige als auch punktuell-kurzfristige Kontrolle über die juristische Person auszuüben. Zudem muss diese Kontrolle insbesondere auch wirksam sein4. Ob diese Voraussetzungen gegeben sind, ist im Einzelfall unter Berücksichtigung aller Einzelfallumstände zu bestimmen5. Auf die Kommentierung zu den in § 108 Abs. 2 genannten Voraussetzungen unter Rz. 44 und 8 ff. wird insofern verwiesen. c) Keine widerstreitenden Interessen (§ 108 Abs. 5 Nr. 3)

71 Gemäß § 108 Abs. 5 Nr. 3 darf die juristische Person ferner keine Interessen ver-

folgen, die den Interessen der öffentlichen Auftraggeber zuwiderlaufen. In der Literatur wird der Sinn dieses Kriteriums zuweilen bezweifelt6. Allerdings ist dieses Kriterium keineswegs überflüssig, sondern hat durchaus seine Berechtigung7. Denn es entspricht dem in der Rechtsprechung des EuGH verankerten zweck1 Vgl. Müller-Wrede, VergabeR 2016, 292 (295). 2 Ziekow, NZBau 2015, 258 (262); Müller-Wrede, VergabeR 2016, 292 (295). 3 Vgl. EuGH v. 29.11.2012 – Rs. C-182/11 und Rs. C-183/11, ABl. EU 2013, Nr. C 26, 7, NZBau 2013, 55 ff., Rz. 30 – Econord; Portz in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 108 Rz. 186. 4 Vgl. EuGH v. 13.11.2008 – Rs. C-324/07, Slg. 2008, I-8457-8506, Rz. 47 und 50 – Coditel Brabant; EuGH v. 29.11.2012 – Rs. C-182/11 und Rs. C-183/11, ABl. EU 2013, Nr. C 26, 7, NZBau 2013, 55, Rz. 27 – Econord; sowie Portz in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 108 Rz. 186. 5 Ähnlich Portz in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 108 Rz. 187. 6 Vgl. Dabringhausen, VergabeR 2014, 512 (522). 7 So auch Ziekow, NZBau 2015, 258 (263); Portz in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 108 Rz. 187.

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bezogenen Element der Marktbezogenheit1, nach dem das Kontrollkriterium dann nicht erfüllt sein kann, wenn ein auftragserhaltendes Tochterunternehmen so auf den Markt ausgerichtet ist, dass es über ein Maß an Selbständigkeit verfügt, das eine Kontrolle als nicht gesichert erscheinen lässt. Dabei spricht es gegen die Kontrollmöglichkeit des Auftraggebers, wenn die Tochtergesellschaft befugt ist, andere Interessen zu verfolgen, also etwa satzungsmäßig befugt ist, ihre Leistungen auch gegenüber anderen als der Mutterkörperschaft zu erbringen2. Das Kriterium soll demnach ausschließen, dass die juristische Person eigene Interessen verfolgt, die den Interessen einzelner in die Ausübung einer dienststellenähnlichen Kontrolle einbezogener Auftraggeber zuwider laufen.

III. Horizontale öffentlich-öffentliche Zusammenarbeit (§ 108 Abs. 6) § 108 Abs. 6 betrifft die Zusammenarbeit zwischen zwei oder mehr öffentlichen 72 Auftraggebern auf horizontaler Ebene und dient der Umsetzung von Art. 12 Abs. 4 der Richtlinie 2014/24/EU. Während für die In-house-Geschäfte ein Über-/Unterordnungsverhältnis zwischen Auftraggeber und der kontrollierten auftragserhaltenden juristischen Person charakteristisch ist, zeichnet sich die (horizontale) öffentlich-öffentliche Zusammenarbeit3 durch ein Verhältnis der Gleichordnung unter den beteiligten Akteuren aus – sie stellt sich mithin als ein Zusammenarbeiten auf „Augenhöhe“ dar4. Die häufigste Form der öffentlich-öffentlichen Zusammenarbeit ist die Kooperation zwischen Städten und Gemeinden, also die interkommunale Kooperation5. Für die interkommunale Zusammenarbeit sind in den Landesgesetzen vielfach bestimmte institutionalisierte Formen der Zusammenarbeit angelegt, wie z.B. die Gründung eines Zweckverbands6, der Abschluss einer delegierenden oder mandatierenden öffentlich-rechtlichen Vereinbarung7 oder die Schaffung eines kommunalen Gemeinschaftsunternehmens8. Im Hinblick auf diese ist jedoch stets im Einzelfall zu prüfen, ob 1 Vgl. zu den Voraussetzungen der Marktbezogenheit auch Rz. 16. 2 Vgl. EuGH v. 10.9.2009 – Rs. C-573/07, Slg. 2009, I-8127-8162, VergabeR 2009, 882 ff., Rz. 76 – Sea; EuGH v. 13.11.2008 – Rs. C-324/07, Slg. I-00000, Rz. 38 – Coditel Brabant. 3 Auch als „öffentlich-rechtliche Kooperation“, „innerstaatliche Kooperation“ oder „InState-Geschäft“ bezeichnet, vgl. u.a. Dreher in Imenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, 5. Aufl. 2014, § 99 Rz. 137. 4 So Portz in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 108 Rz. 189; ähnlich Leinemann, Die Vergabe öffentlicher Aufträge, Rz. 157. Siehe ferner auch den Überblick bei Kumpf/Kirch, VergabeNews 2014, 14 ff. 5 Deshalb werden die Begriffe „öffentlich-öffentliche Zusammenarbeit“, „öffentlich-rechtliche Kooperation“ und „interkommunale Kooperation“ auch häufig synonym verwendet. 6 Vgl. z.B. §§ 4 ff. GkG NRW. 7 Vgl. z.B. §§ 23 ff. GkG NRW. 8 Vgl. z.B. § 27 GkG NRW; sowie zum Ganzen auch Säcker/Wolf in MünchKomm zum Europäischen und Deutschen Wettbewerbsrecht (Kartellrecht), 1. Aufl. 2011, § 99 Rz. 87.

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§ 108 | Ausnahmen bei öffentlich-öffentlicher Zusammenarbeit es zur Begründung ihrer Vergaberechtsfreiheit überhaupt eines Rückgriffs auf § 108 Abs. 6 bedarf, oder ob sich eine Ausnahme nicht schon nach der eigenständigen Kategorie der rein staatsinternen Maßnahmen der Verwaltungsorganisation (vgl. Art. 1 Abs. 6 der Richtlinie 2014/24/EU) begründen lässt (s. hierzu sogleich unter Rz. 74 ff.). Klassische Fälle der horizontalen interkommunalen Kooperation sind solche auf dem Gebiet der Abfallentsorgung, der Abwasserbeseitigung, der Energieversorgung oder des ÖPNV1. Aber auch Kooperationen von Bund und Ländern können § 108 Abs. 6 unterfallen (z.B. im Rahmen der Zusammenarbeit i.S.v. Art. 91c GG)2; ebenso wie vielfältige weitere denkbare Konstellationen der Zusammenarbeit zwischen allen möglichen öffentlichen Stellen3. 73 Für Kooperationen von Verwaltungseinheiten der Europäischen Institutio-

nen sehen dagegen die für sie einschlägigen vergaberechtlichen Bestimmungen der EU-Haushaltsordnung eine eigenständige Ausnahme vor4. Bei Kooperationen zwischen Verwaltungseinheiten der EU und nationalen öffentlichen Auftraggebern können notwendige Aufträge auch gemeinsam vergeben werden. Dabei ist in der Regel das Vergaberecht der EU-Haushaltsordnung anwendbar5.

1. Keine Anwendbarkeit des § 108 Abs. 6 auf rein staatsinterne Maßnahmen der Verwaltungsorganisation 74 Zu beachten ist im Ausgangspunkt zunächst, dass § 108 Abs. 6 von vornherein

nur für solche Maßnahmen gilt, die alle Voraussetzungen eines öffentlichen Auftrags i.S.v. § 103 erfüllen. Nicht von § 108 Abs. 6 erfasst – bzw. nicht erst unter den Voraussetzungen des § 108 Abs. 6 (oder des § 108 Abs. 1 bis 5) vergaberechtsfrei (vgl. hierzu auch Rz. 80) – sind daher rein staatsinterne Maßnahmen der Verwaltungsorganisation6.

75 Von Relevanz ist in diesem Zusammenhang insbesondere Art. 1 Abs. 6 der

Richtlinie 2014/24/EU. Danach werden Vereinbarungen, Beschlüsse oder andere Rechtsinstrumente, die die Übertragung von Befugnissen und Zuständig-

1 Vgl. Portz in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 108 Rz. 194; zur Abgrenzung vom In-House-Geschäft vgl. u.a. Dierkes/Scharf, VergabeR 2014, 752 ff. 2 Vgl. Portz in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 108 Rz. 189 ff. 3 Vgl. von Engelhardt/Kaelble in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 108 Rz. 71. 4 Vgl. Art. 121 Abs. 5 Delegierte Verordnung (EU) Nr. 1268/2012 v. 29.10.2012 i.V.m. Art. 101 Verordnung (EU) Nr. 996/20002 v. 25.10.2012 sowie von Engelhardt/Kaelble in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 108 Rz. 13. 5 Vgl. Art. 133 Delegierte Verordnung (EU) Nr. 1268/2012 v. 29.10.2012 i.V.m. Art. 104 Verordnung (EU) Nr. 996/20002 v. 25.10.2012; sowie von Engelhardt/Kaelble in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 108 Rz. 13. 6 So auch von Engelhardt/Kaelble in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 108 Rz. 10.

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Ausnahmen bei öffentlich-öffentlicher Zusammenarbeit | § 108

keiten für die Ausführung öffentlicher Aufgaben zwischen öffentlichen Auftraggebern oder Gruppen von öffentlichen Auftraggebern regeln und die keine Vergütung für vertragliche Leistungen vorsehen, als Angelegenheit der internen Organisation des betreffenden Mitgliedstaats betrachtet und als solche nicht von dieser Richtlinie berührt. Angesprochen sind damit insbesondere die Gründung von Zweckverbänden und die sog. delegierenden öffentlich-rechtlichen Vereinbarungen (z.B. i.S.v. § 23 Abs. 2 Alt. 1 GkG NRW). Diese sind nach Art. 1 Abs. 6 der Richtlinie 2014/24/EU indes nicht per se, sondern nur dann von der Anwendung der Richtlinie 2014/24/EU ausgenommen, wenn – nicht nur die Aufgabenerfüllung, sondern Befugnisse und Zuständigkeiten übertragen werden; – dies durch eine Vereinbarung, einen Beschluss oder ein anderes Rechtsinstrument erfolgt und – keine Vergütung für vertragliche Leistungen vorgesehen ist1. Fraglich und umstritten ist/war in diesem Zusammenhang zum einen, ob es 76 schädlich ist, wenn sich der ursprüngliche Aufgabenträger gewisse Überwachungs- und/oder Kontrollrechte oder ggf. auch ein Kündigungs- oder sonstiges Rückholrecht zurückbehält2. Zum anderen war/ist umstritten, wie streng/restriktiv das Kriterium, dass keine Vergütung für die vertraglichen Leistungen vorgesehen sein darf, auszulegen ist. Teilweise wird/wurde insoweit angenommen, dass, wenn auch nur eine Entschädigung oder ein sonstiger Ausgleich für die Kompetenzübertragung gewährt wird, die Ausnahmeregelung des Art. 1 Abs. 6 der Richtlinie 2014/24/EU nicht einschlägig sei3. Teilweise wird/ wurde dies als zu weitgehend abgelehnt, da Kompetenzverschiebungen auch mit der Übertragung von Finanzmitteln einhergehen können müssen, wenn und soweit es sich um eine echte Kompetenzübertragung handelt4. Eine Klärung dieser Fragen ist zwischenzeitlich durch die auf den Vorlage- 77 beschluss des OLG Celle vom 17.12.20145 hin ergangene EuGH-Entscheidung vom 21.12.2016 in der Rechtssache „Remondis“6 erfolgt. Hierdurch dürfte in diesem praxisrelevanten Bereich ein erhebliches Mehr an Rechtssicherheit ein1 Vgl. hierzu auch von Engelhardt/Kaelble in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 108 Rz. 10. 2 In diesem Sinne beispielsweise von Engelhardt/Kaelble in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 108 Rz. 10 m.w.N. 3 In diesem Sinne insb. OLG Celle v. 17.12.2014 – 13 Verg 3/13, NZBau 2015, 178 ff.; OLG Koblenz v. 3.12.2014 – Verg 8/14, VergabeR 2015, 192 ff.; Brockhoff, VergabeR 2014, 625 (633); Gruneberg/Wilden-Beck, VergabeR 2014, 99 (105). 4 So insb. von Engelhardt/Kaelble in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 108 Rz. 10. 5 OLG Celle v. 17.12.2014 – 13 Verg 3/13, NZBau 2015, 178 ff. 6 EuGH v. 21.12.2016 – Rs. C-51/15, ECLI:EU:C:2016:985 – Remondis. Vgl. hierzu auch die Besprechungen von Frenz, GewArch 2017, 97 ff. und Siederer/Viezens, AbfallR 2017, 138 (141 ff.).

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§ 108 | Ausnahmen bei öffentlich-öffentlicher Zusammenarbeit getreten sein und dürften zukünftig wieder mehr Anreize für reine interkommunale Kooperationen bestehen. 78 Der EuGH erinnert in seiner Entscheidung zunächst daran, dass die Aufteilung

der Zuständigkeiten innerhalb eines Mitgliedstaats unter dem Schutz von Art. 4 Abs. 2 EUV steht, nach dem die Union verpflichtet ist, die jeweilige nationale Identität der Mitgliedstaaten zu achten, die in ihren grundlegenden politischen und verfassungsmäßigen Strukturen einschließlich der lokalen und regionalen Selbstverwaltung zum Ausdruck kommt1. Außerdem bezieht sich dieser Schutz nach Art. 4 Abs. 2 EUV auch auf die innerstaatliche Neuordnung der Kompetenzen, da diese Kompetenzaufteilung nicht starr ist. Solche Neuordnungen, etwa in Form von durch eine ranghöhere Behörde angeordnete Kompetenzverlagerungen von einer öffentlichen Stelle auf eine andere oder von freiwilligen Kompetenzübertragungen zwischen öffentlichen Stellen, haben zur Folge, dass eine zuvor zuständige Stelle von ihrer Pflicht zur Erfüllung einer bestimmten öffentlichen Aufgabe entlastet wird bzw. ihr Recht darauf verliert oder sich selbst davon entlastet bzw. darauf verzichtet, während fortan einer anderen Stelle diese Pflicht obliegt und dieses Recht zusteht2. Darüber hinaus betont der EuGH, dass eine solche Kompetenzverlagerung oder -übertragung nicht alle Voraussetzungen erfüllt, die gemäß der Definition des Begriffs „öffentlicher Auftrag“ erforderlich sind. Denn nur ein entgeltlicher Vertrag kann einen öffentlichen Auftrag darstellen, wobei dieser entgeltliche Charakter impliziert, dass der öffentliche Auftraggeber, der einen öffentlichen Auftrag vergibt, gemäß diesem Auftrag gegen eine Gegenleistung eine Leistung erhält, die für den öffentlichen Auftraggeber von unmittelbarem wirtschaftlichen Interesse ist. Insoweit ist das Synallagma des Vertrages ein wesentliches Merkmal eines öffentlichen Auftrags3. Vor diesem Hintergrund stellt der EuGH sodann fest, dass unabhängig davon, dass eine Entscheidung über die Zuweisung öffentlicher Befugnisse nicht in den Bereich wirtschaftlicher Vorgänge fällt, durch die bloße Tatsache, dass einer öffentlichen Stelle die ihr zuvor eingeräumte Befugnis entzogen wird, jegliches wirtschaftliche Interesse an der Erfüllung der dieser Befugnis entsprechenden Aufgaben entfällt4. Die Umverteilung der für die Ausübung der Befugnis verwendeten Mittel, die von der bisher zuständigen auf die nunmehr zuständige Stelle übertragen werden, kann nicht als Entrichtung eines Entgelts beurteilt werden, sondern stellt vielmehr eine logische – ja sogar notwendige – Folge der freiwilligen Übertragung oder der angeordneten Kompetenzverlagerung von der einen auf die andere Stelle dar5. Ebenso wenig stellt die Verpflichtung der Stelle, von der die Kompetenzübertragung ausgeht oder

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EuGH v. 21.12.2016 EuGH v. 21.12.2016 EuGH v. 21.12.2016 EuGH v. 21.12.2016 EuGH v. 21.12.2016

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– Rs. – Rs. – Rs. – Rs. – Rs.

C-51/15, ECLI:EU:C:2016:985, Rz. 40 – Remondis. C-51/15, ECLI:EU:C:2016:985, Rz. 41 – Remondis. C-51/15, ECLI:EU:C:2016:985, Rz. 42 f. – Remondis. C-51/15, ECLI:EU:C:2016:985, Rz. 44 – Remondis. C-51/15, ECLI:EU:C:2016:985, Rz. 45 – Remondis.

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die die Kompetenzverlagerung beschließt, bei der Ausübung dieser Befugnis etwa entstehende die Einnahmen übersteigende Mehrkosten zu übernehmen, ein Entgelt dar. Es handelt sich dabei um eine an Dritte gerichtete Garantie, die im vorliegenden Fall wegen des Grundsatzes, dass über das Vermögen einer öffentlichen Stelle kein Insolvenzverfahren eröffnet werden kann, erforderlich ist. Das Bestehen eines solchen Grundsatzes fällt als solches unter die interne Organisation eines Mitgliedstaats1. Darüber hinaus weist der EuGH aber auch darauf hin, dass eine Kompetenz- 79 übertragung zwischen öffentlichen Stellen bestimmte Voraussetzungen erfüllen muss, um als eine Maßnahme der internen Organisation angesehen werden zu können und damit unter die den Mitgliedstaaten durch Art. 4 Abs. 2 EUV garantierte Freiheit zu fallen2. Eine Kompetenzübertragung muss danach, damit sie als solche angesehen werden kann, nicht nur die mit der übertragenen Kompetenz verbundenen Zuständigkeiten, u.a. die Verpflichtung, den mit dieser Kompetenz verbundenen Aufgaben nachzukommen, sondern auch die damit einhergehenden Befugnisse umfassen. Hierfür ist es erforderlich, dass die öffentliche Stelle, der eine Kompetenz übertragen wird, befugt ist, die Erfüllung der sich aus dieser Kompetenz ergebenden Aufgaben zu organisieren und den diese Aufgaben betreffenden rechtlichen Rahmen zu schaffen. Weiter muss sie über eine finanzielle Unabhängigkeit verfügen, die es erlaubt, die Finanzierung dieser Aufgaben sicherzustellen. Dies ist dagegen nicht der Fall, wenn die ursprünglich zuständige Stelle die Hauptverantwortung für diese Aufgaben behält, sich die finanzielle Kontrolle über diese vorbehält oder den Entscheidungen, die die von ihr hinzugezogene Einrichtung treffen möchte, vorab zustimmen muss3. Demzufolge kann keine Kompetenzübertragung vorliegen, wenn die neuerdings zuständige öffentliche Stelle von der betreffenden Befugnis nicht selbständig und eigenverantwortlich Gebrauch macht4. Allerdings bedeutet eine solche Handlungsfreiheit – so der EuGH – nicht, dass die neuerdings zuständige Einrichtung jeglicher Einflussnahme durch eine andere öffentliche Einrichtung entzogen sein müsste. Eine Einrichtung, die eine Kompetenz überträgt, kann ein gewisses Überwachungsrecht für die mit dieser öffentlich-rechtlichen Dienstleistung verbundenen Aufgaben behalten. Ein solcher Einfluss schließt jedoch grundsätzlich jede Einmischung in konkrete Modalitäten der Durchführung der Aufgaben, die unter die übertragene Kompetenz fallen, aus5. Handlungsfreiheit bedeutet – so der EuGH weiter – auch nicht, dass eine angeordnete Kompetenzverlagerung oder eine freiwillige Kompetenzübertragung unumkehrbar sein muss. Die Kompetenzaufteilung innerhalb eines Mitgliedstaats ist nicht als starr anzusehen, so dass aufeinander1 2 3 4 5

EuGH v. 21.12.2016 EuGH v. 21.12.2016 EuGH v. 21.12.2016 EuGH v. 21.12.2016 EuGH v. 21.12.2016

– Rs. – Rs. – Rs. – Rs. – Rs.

C-51/15, C-51/15, C-51/15, C-51/15, C-51/15,

ECLI:EU:C:2016:985, Rz. 46 ECLI:EU:C:2016:985, Rz. 47 ECLI:EU:C:2016:985, Rz. 49 ECLI:EU:C:2016:985, Rz. 51 ECLI:EU:C:2016:985, Rz. 52

– Remondis. – Remondis. – Remondis. – Remondis. – Remondis.

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§ 108 | Ausnahmen bei öffentlich-öffentlicher Zusammenarbeit folgende Neuordnungen denkbar sind. Es ist daher nicht ausgeschlossen, dass eine Kompetenzübertragung oder -verlagerung im Rahmen einer Neuordnung öffentlich-rechtlicher Dienstleistungen später bei einer nachfolgenden Neuordnung Gegenstand einer erneuten Übertragung oder Verlagerung wird1. 80 Liegen diese – vom EuGH in der Entscheidung „Remondis“ konkretisierten –

Voraussetzungen des Art. 1 Abs. 6 der Richtlinie 2014/24/EU vor, namentlich – eine vollständige (aber nicht zwingend unumkehrbare) Kompetenzübertragung, bei der keine Restverantwortung beim übertragenden Hoheitsträger verbleibt, sowie – eine rechtliche und tatsächliche Handlungs- und Finanzautonomie des neuen Kompetenzträgers (auch wenn sie nur vorübergehend ist oder sich auf eine Tätigkeit am Markt bezieht)2, so ist schon kein als entgeltlicher öffentlicher Auftrag zu charakterisierender Vorgang gegeben, sondern ein – dem Vergaberecht vorgelagerter – rein staatsinterner Akt der Verwaltungsorganisation. Die in Rede stehende Leistungserbringung unterfällt dann als Eigenleistung bzw. „Erledigung mit eigenen Mitteln“ von vornherein nicht dem Anwendungsbereich des (Kartell-)Vergaberechts3. Auch gilt dann insoweit kein Vergaberecht „light“ oder eine wie auch immer geartete Bekanntmachungspflicht4. Insbesondere kommt es auch nicht auf die Voraussetzungen für ein In-house-Geschäft gem. § 108 Abs. 1 bis 5 oder eine horizontale öffentlich-öffentliche Zusammenarbeit gem. § 108 Abs. 6 an. Vielmehr handelt es sich um eine eigenständige Ausnahmekategorie. Aus diesem Grund spielen auch der Drittumsatz des neuen Kompetenzträgers oder Veränderungen seiner Tätigkeiten in diesem Zusammenhang (grundsätzlich) keine Rolle5. Maßgeblich ist allein eine materiell-inhaltliche Betrachtung des fraglichen Organisationsaktes anhand der oben dargestellten Voraussetzungen. Eine – in der nationalen Rechtsprechung6 bislang beispielsweise im Hinblick auf delegierende und 1 EuGH v. 21.12.2016 – Rs. C-51/15, ECLI:EU:C:2016:985, Rz. 53 – Remondis. 2 Vgl. hierzu auch Frenz, GewArch 2017, 97 (98), nach dem das Bestehen einer Fachaufsicht der notwendigen Handlungsautonomie entgegensteht. Eine Rechtsaufsicht sei hingegen unbedenklich. 3 So auch von Engelhardt/Kaelble in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 108 Rz. 11; Geitel, Vergabeblog.de vom 22.1.2017, Nr. 28823. Siehe hierzu ferner auch Leinemann, Die Vergabe öffentlicher Aufträge, Rz. 162. 4 Ebenso Greb, VergabeR 2015, 289 (292); von Engelhardt/Kaelble in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 108 Rz. 11. A.A. Dabringhausen, VergabeR 2014, 512 (515 ff.). 5 So auch Geitel, Vergabeblog.de vom 22.1.2017, Nr. 28823. 6 Vgl. OLG Düsseldorf v. 21.6.2006 – VII-Verg 17/06, NZBau 2006, 662 ff.; OLG Frankfurt v. 7.9.2004 – 11 Verg 11/04, NZBau 2004, 692; sowie auch den Überblick über die einschlägige nationale Rechtsprechung bei Bauer, ZfBR 2006, 446 (447 ff.) und Bergmann/ Vetter, NVwZ 2006, 497 (498 f.). Es war allerdings bereits in Anbetracht der jüngeren EuGH-Rechtsprechung fraglich, ob diese Praxis so weiterhin Bestand haben könnte; vgl. u.a. Kunde, NZBau 2013, 555 ff.; Kunde, NZBau 2011, 734 f.

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mandatierende öffentlich-rechtliche Zweckvereinbarungen vorgenommene1 – rein formale Unterscheidung würde hingegen zu kurz greifen2. Es ist daher für jeden Einzelfall gesondert zu prüfen, ob der Umfang der übertragenen Kompeten1 Für den Abschluss einer öffentlich-rechtlichen Zweckvereinbarung wurde vergaberechtlich bislang – mehr oder weniger rein formal – zwischen der sog. delegierenden Zweckvereinbarung, bei der die Aufgabe als solche übertragen wird, und der sog. mandatierenden Zweckvereinbarung, bei der nicht die Aufgabe als solche übertragen wird, sondern nur die Pflicht zur Aufgabenerfüllung, unterschieden (vgl. z.B. § 23 Abs. 2 GkG NRW). Der Rechtsprechung des OLG Düsseldorf folgend, wonach das Vergaberecht dann nicht eingreift, wenn sich die interkommunale Zusammenarbeit als ein rein innerstaatlicher Organisationsakt darstellt, bei dem es zu einer Aufgabenübertragung kommt (vgl. OLG Düsseldorf v. 21.6.2006 – VII-Verg 17/06, NZBau 2006, 662, 664), unterfiel konsequenterweise auch die delegierende Zweckvereinbarung nicht dem Vergaberecht. Dem stand indes die Ansicht des OLG Naumburg entgegen, das die delegierende Zweckvereinbarung – in Anlehnung an Ziekow/Siegel, VerwArch 2005, 119 ff.; Ziekow/Siegel, VergabeR 2005, 145 ff. – dem Vergaberecht mit der Begründung unterstellt, dass der Anwendungsbereich des Vergaberechts schon immer dann eröffnet sei, wenn sich die Kooperationspartner auf einem Markt bewegen, auf dem auch andere gewerbliche Unternehmen ihre Leistung erbringen, es sei denn, es handele sich ausnahmsweise um die Erfüllung öffentlicher Aufgaben im Sinne eines Verwaltungsmonopols (vgl. OLG Naumburg v. 3.11.2005 – 1 Verg 9/05, NZBau 2006, 58, 60; bestätigt durch OLG Naumburg v. 2.3.2006 – 1 Verg 1/06, VergabeR 2006, 406, 410). Der Auffassung des OLG Naumburg wurde entgegen gehalten, dass sie de facto zu einer Privatisierungspflicht führe und damit in einem Widerspruch zur Rechtsprechung des EuGH in den Rechtssachen „Stadt Halle“ (EuGH v. 11.1.2005 – Rs. C-26/03, Slg. I-00001, NZBau 2005, 111 ff.) und „Coditel Brabant“ (EuGH v. 13.11.2008 – Rs. C-324/07, Slg. I-00000) stehe (vgl. Bergmann/Vetter, NVwZ 2006, 497 [499]). Darüber hinaus stand die Auffassung auch in einem Widerspruch zur Auffassung der EU-Kommission. Diese hatte in ihrem Beschluss vom 15.7.2005 das Vertragsverletzungsverfahren gegen die Bundesrepublik Deutschland betreffend den Anschluss der Gemeinde Hinte an den Oldenburgisch-Ostfriesischen Wasserverband (OOWV) mit der Begründung eingestellt, dass es sich insoweit um eine rein „interne Neuordnung öffentlicher Befugnisse“ und nicht um einen öffentlichen Auftrag handele (vgl. Pressemitteilung der EU-Kommission v. 15.7.2005 [IP/ 05/949]; sowie Bergmann/Vetter, NVwZ 2006, 497 [500]). Für die mandatierende Zweckvereinbarung, bei der nicht die Aufgabe als solche übertragen wird, sondern nur die Pflicht zur Aufgabenerfüllung, mithin also auch kein innerstaatlicher Organisationsakt gegeben ist und sich die Beteiligten wie Marktteilnehmer im Wettbewerb gegenüberstehen, war in der nationalen Rechtsprechung und Literatur hingegen die Anwendbarkeit des Vergaberechts einhellig anerkannt (vgl. OLG Düsseldorf v. 15.10.2003 – VII-Verg 50/03, NZBau 2004, 58 ff.; OLG Naumburg v. 3.11.2005 – 1 Verg 9/05, NZBau 2006, 58, 60; wohl auch OLG Frankfurt v. 7.9.2004 – 11 Verg 11/04, NZBau 2004, 692 ff.). Siehe zum Ganzen auch Greb, VergabeR 2008, 409 ff. m.w.N. 2 Ähnlich und im Ergebnis ebenso von Engelhardt/Kaelble in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 108 Rz. 10; Frenz, GewArch 2017, 97, 99 f.; Geitel, Vergabeblog.de vom 22.1. 2017, Nr. 28823; Portz in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 108 Rz. 220.

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§ 108 | Ausnahmen bei öffentlich-öffentlicher Zusammenarbeit zen und Entscheidungsbefugnisse sowie die finanzielle Unabhängigkeit hinreichend gegeben sind. Sollten hieran Zweifel bestehen, müssten, will man die vom EuGH aufgestellten Kriterien erfüllen, ggf. weitere Befugnisse vorgesehen oder übertragen sowie für eine weitergehende finanzielle Ausstattung des neuen Kompetenzträgers Sorge getragen werden1. Vor diesem Hintergrund erscheint in den Fällen der Gründung eines Zweckverbandes, dem Abschluss einer delegierenden öffentlich-rechtlichen Vereinbarung oder auch dem Zusammenschluss zu einer Arbeitsgemeinschaft eine Vergaberechtsfreiheit grundsätzlich möglich und potentiell darstellbar2. Etwas anderes gilt dagegen für den Abschluss einer mandatierenden öffentlich-rechtlichen Vereinbarung, bei der regelmäßig keine Übertragung wesentlicher Kompetenzen auf die aufgabenerfüllende Kommune erfolgt3. 2. Grundlagen und Grundsätze des Ausnahmetatbestandes gemäß 108 Abs. 6 81 Greift für den jeweils in Rede stehenden Kooperationsvorgang – was vorrangig

zu prüfen ist – Art. 1 Abs. 6 der Richtlinie 2014/24/EU nicht, so stellt sich die Frage, ob der Ausnahmetatbestand des § 108 Abs. 6, der Art. 12 Abs. 4 der Richtlinie 2014/24/EU in nationales Recht umsetzt, vorliegt. § 108 Abs. 6 betrifft – wie gesagt (vgl. Rz. 72) – die Zusammenarbeit zwischen zwei oder mehr öffentlichen Auftraggebern auf horizontaler Ebene bzw. auf „Augenhöhe“. Anders als bei der In-house-Vergabe fehlt es an einem Kontrollverhältnis; an dessen Stelle tritt gewissermaßen das Element der Zusammenarbeit4.

82 § 108 Abs. 6 soll Auftraggebern die Möglichkeit eröffnen, Dienstleistungen un-

ter bestimmten Voraussetzungen gemeinsam im Wege der Zusammenarbeit zu erbringen, ohne dass das Vergaberecht zur Anwendung kommt. Verträge für die gemeinsame Erbringung öffentlicher Dienstleistungen sollen dann von der Anwendung des 4. Teils des GWB befreit sein, wenn sie ausschließlich zwischen zwei oder mehreren öffentlichen Auftraggebern (§ 108 Abs. 6) im Hinblick auf die Erreichung gemeinsamer Ziele geschlossen werden (§ 108 Abs. 6 Nr. 1), die Durchführung dieser Zusammenarbeit ausschließlich von Erwägungen des öffentlichen Interesses bestimmt werden (§ 108 Abs. 6 Nr. 2) und kein privater Dienstleister einen Vorteil gegenüber seinen Wettbewerbern erhält (§ 108 Abs. 6 Nr. 3)5. 1 Geitel, Vergabeblog.de vom 22.1.2017, Nr. 28823. 2 So auch Frenz, GewArch 2017, 97 (99). Im Ergebnis ebenso Leinemann, Die Vergabe öffentlicher Aufträge, Rz. 163. 3 So auch Frenz, GewArch 2017, 97 (99 f.), nach dem insoweit der mit der Auftragsdurchführung verbundene Beschaffungscharakter durchschlägt. Im Ergebnis ebenso Leinemann, Die Vergabe öffentlicher Aufträge, Rz. 164. 4 Vgl. von Engelhardt/Kaelble in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 108 Rz. 73; sowie ferner auch OLG Naumburg v. 17.3.2017 – 7 Verg 8/16, IBRRS 2017, 1613. 5 Vgl. Erwägungsgrund 33 der Richtlinien 2014/24/EU.

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Im Wesentlichen hat der Gesetzgeber dadurch die Rechtsprechung des EuGH ko- 83 difiziert. Die grundlegenden Urteile des EuGH in den Rechtssachen „Stadtreinigung Hamburg“1, „Lecce“2 und „Piepenbrock“3 nimmt der Gesetzgeber in der Begründung des Regierungsentwurfs ausdrücklich in Bezug4. Bei näherer Betrachtung ist indes festzustellen, dass die konkreten Formulierungen des Gesetzgebers teilweise gegenüber denen des EuGH abweichen und in der Folge zu einigen Unklarheiten und Fragen führen (s. hierzu noch im Folgenden unter Rz. 94 ff.)5. Der EuGH hatte im Jahr 1999 in der Rechtssache „Teckal“ erstmals entschieden, 84 dass die alten Vergaberichtlinien Anwendung finden, wenn ein öffentlicher Auftraggeber beabsichtigt, mit einer Einrichtung, die sich rechtlich von ihm unterscheidet, einen entgeltlichen Vertrag zu schließen, und zwar unabhängig davon, ob diese Einrichtung selbst ein öffentlicher Auftraggeber ist oder nicht6. In seiner Entscheidung „Kommission/Spanien“ aus dem Jahr 2005 hatte der EuGH erstmalig zur Vergaberechtspflichtigkeit von Kooperationen zwischen Verwaltungsträgern Stellung genommen7. Dabei hatte er zunächst seine „Teckal“Rechtsprechung bestätigt und ergänzt, dass etwas anderes nur dann gelten könne, wenn die Gebietskörperschaft über die betreffende Person eine Kontrolle wie über ihre eigenen Dienststellen ausübt und diese Person zugleich im Wesentlichen für die sie kontrollierenden Gebietskörperschaft oder Gebietskörperschaften tätig ist8 – mithin also ein sog. In-house-Geschäft vorliegt (vgl. dazu Rz. 5 ff.). Weiter hatte der EuGH klargestellt, dass mitgliedstaatliche Regelungen, gleich welcher Art, die Kooperationsvereinbarungen zwischen Verwaltungsträgern pauschal und generell vom Anwendungsbereich des Vergaberechts ausnehmen, gegen die europäischen Vergaberichtlinien verstoßen9. Insoweit hatte der EuGH festgestellt, dass es keine generelle vergaberechtliche Freistellung der 1 EuGH v. 9.6.2009 – Rs. C-480/06, EuZW 2009, 529 ff. – Stadtreinigung Hamburg; in der Begründung bezeichnet als „Kommission/Deutschland“; vgl. die Besprechung von Hausmann/Mutschler-Siebert, VergabeR 2010, 427; vgl. vertiefend auch Wagner, VergabeR 2011, 181. 2 EuGH v. 19.12.2012 – Rs. C-159/11, EuZW 2013, 189 ff. – Lecce; vertiefend Geitel, NVwZ 2013, 765, 766 ff. 3 EuGH v. 13.6.2013 – Rs. C-386/11, VergabeR 2013, 686 ff. – Piepenbrock. 4 BT-Drucks. 18/6281, 82. 5 So auch der Befund von von Engelhardt/Kaelble in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 108 Rz. 78. 6 EuGH v. 18.11.1999 – Rs. C-107/98, Slg. I-08121, NZBau 2000, 90 ff. – Teckal. 7 EuGH v. 13.1.2005 – Rs. C-84/03, Slg. I-00139, NZBau 2005, 232 ff. – Kommission/Spanien. 8 EuGH v. 13.1.2005 – Rs. C-84/03, Slg. I-00139, NZBau 2005, 232 (233, Rz. 38) – Kommission/Spanien. 9 EuGH v. 13.1.2005 – Rs. C-84/03, Slg. I-00139, NZBau 2005, 232 (233, Rz. 40) – Kommission/Spanien. A.A. Burgi, NZBau 2005, 208 ff., nach welchem jegliche Vereinbarungen über die kommunale Zusammenarbeit auf der Grundlage von Landesorganisationsgesetzen vom Vergaberecht ausgenommen sein sollen (sog. kommunalrechtliche Lösung).

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§ 108 | Ausnahmen bei öffentlich-öffentlicher Zusammenarbeit Zusammenarbeit von Hoheitsträger gibt1. Nahezu zeitgleich hatte der EuGH in der Rechtssache „Stadt Halle“ aber auch die öffentlich-rechtliche Organisationseinheit betont und klargestellt, dass das Vergaberecht die Privatisierung öffentlicher Aufgaben nicht erzwinge. Vielmehr liege es allein in der Entscheidungsgewalt der öffentlichen Hand, ob externe Beschaffungen vorgenommen werden. Eine Vergaberelevanz trete immer nur dann auf, wenn der öffentliche Auftraggeber seine eigene interne Aufgabenorganisation verlässt, um Verträge mit Dritten abzuschließen2. Der EuGH hatte dies in der Entscheidung „Coditel Brabant“ nochmals bestätigt und ergänzend festgestellt, dass eine öffentliche Stelle ihre im allgemeinen Interesse liegenden Aufgaben sowohl mit ihren eigenen Mitteln als auch in Zusammenarbeit mit anderen öffentlichen Stellen erfüllen kann, ohne dabei gezwungen zu sein, sich an externe Einrichtungen zu wenden, die nicht zu ihren Dienststellen gehören3. Die deutsche Vergaberechtsprechung hatte die Frage der Anwendbarkeit des Vergaberechts auf öffentlichrechtliche Vereinbarungen zwischen Kommunen maßgeblich unter Anwendung einer überwiegend formalen Betrachtung des fraglichen Organisationsakts beantwortet. Während eine Ausschreibungspflicht bei mandatierenden öffentlichrechtlichen Zweckvereinigungen einhellig anerkannt war, bestand Uneinigkeit bei der vergaberechtlichen Behandlung von delegierenden öffentlich-rechtlichen Zweckvereinigungen4. 85 Erstmals grundlegend beantwortet hat der EuGH die Frage nach der Zulässig-

keit einer interkommunalen Kooperation auf horizontaler Ebene in seiner viel beachteten Entscheidung vom 9.6.2009 in der Rechtssache „Stadtreinigung Hamburg“5. Der EuGH nahm in der Rechtssache die vergaberechtliche Irrelevanz für einen Vertrag an, mit welchem die vier an die Stadt Hamburg angrenzenden Landkreise Rotenburg (Wümme), Harburg, Soltau-Fallingbostel und Stade der Stadtreinigung Hamburg einen Auftrag über Abfallentsorgungsleistungen erteilt hatten. Gegenstand des Vertrages war nach den Feststellungen des EuGH in erster Linie die Gewährleistung der Zusammenarbeit bei der Abfallentsorgung, nicht hingegen die Regelung des Verhältnisses zwischen der Stadtrei1 Vgl. Portz in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 108 Rz. 202. 2 EuGH v. 11.1.2005 – Rs. C-26/03, Slg. I-00001, NZBau 2005, 111 (115) – Stadt Halle; Müller, VergabeR 2005, 436, 439; Dammert, BauRB 2005, 151; OLG Koblenz v. 20.12. 2001 – 1 Verg 4/01, VergabeR 2002, 148, 151. 3 EuGH v. 13.11.2008 – Rs. C-324/07, Slg. I-00000, Rz. 48 f. – Coditel Brabant. 4 Vgl. vertiefend Rz. 80, insbesondere die dortigen Fußnoten. 5 EuGH v. 9.6.2009 – Rs. C-480/06, EuZW 2009, 529 ff. – Stadtreinigung Hamburg, mit Anm. Pielow. Bemerkenswert an dieser Entscheidung ist, dass der EuGH sie in der Großen Kammer getroffen und die gegenteiligen, d.h. eine Ausschreibungspflicht fordernden, Schlussanträge des Generalanwalts Mazák v. 19.2.2009 verworfen hatte. Vgl. hierzu auch Gruneberg/Wilden, ZfBR 2013, 438 (441 ff.); Portz, VergabeR 2009, 702; sowie Struve, EuZW 2009, 805 (808).

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nigung Hamburg und dem Betreiber der Müllverwertungsanlage. Vertragszweck war es, der Stadt Hamburg dadurch die Errichtung und den Betrieb einer Abfallentsorgungsanlage unter den besten wirtschaftlichen Bedingungen zu ermöglichen, dass die benachbarten Landkreise ihren Abfall einbringen und so eine gewisse Mindestkapazität erreicht werden konnte. Aus diesem Grund wurde auch die Errichtung der Anlage erst beschlossen und durchgeführt, nachdem sich die vier Landkreise damit einverstanden erklärt und sich dazu verpflichtet hatten, die Anlage zu nutzen. Hiermit korrespondierte der Vertragsgegenstand; die Verpflichtung der Stadtreinigung Hamburg, den vier Landkreisen jährlich die vertraglich vereinbarte Kapazität zur thermischen Verwertung bei der Müllverwertungsanlage einzuräumen. Die vier betreffenden Landkreise zahlten der Stadtreinigung Hamburg als Gegenleistung ein Jahresentgelt1. Der EuGH hat hierzu – unter ausdrücklicher Verneinung eines In-house-Geschäftes2 – und unter Bezugnahme auf die Entscheidungen in den Fällen „Teckal“, „Stadt Halle“ und „Coditel Brabant“ festgestellt: Eine öffentliche Stelle kann ihre im allgemeinen Interesse liegenden Aufgaben mit ihren eigenen Mitteln und auch in Zusammenarbeit mit anderen öffentlichen Stellen erfüllen, ohne gezwungen zu sein, sich an externe Einrichtungen zu wenden, die nicht zu ihren Dienststellen gehören3. Eine Ausschreibung ist nicht erforderlich, solange sich die Kommunen bei ihrer Zusammenarbeit von ihren öffentlichen Aufgaben leiten lassen – hier vom Ziel einer ortsnahen Entsorgung des Mülls. Denn eine solche Zusammenarbeit öffentlicher Stellen kann das Hauptziel der Gemeinschaftsvorschriften über das öffentliche Auftragswesen – einen freien Dienstleistungsverkehr und die Eröffnung eines unverfälschten Wettbewerbs in allen Mitgliedstaaten – nicht infrage stellen. Zudem schreibt das Gemeinschaftsrecht den öffentlichen Stellen für die gemeinsame Wahrnehmung ihrer öffentlichen Aufgaben keine spezielle Rechtsform vor4. In seinem Urteil vom 19.12.2012 in der Rechtssache „Lecce“ hat der EuGH seine Ausführungen und Voraussetzungen für die Vergaberechtsfreiheit einer interkommunalen Zusammenarbeit bestätigt5. Schließlich hat der EuGH in der Rechtssache „Piepenbrock“ mit Urteil vom 86 13.6.20136 festgestellt, dass ein Vertrag zur Übertragung von Gebäudereinigungsleistungen zwischen zwei Kommunen ausschreibungspflichtig war. Das 1 EuGH v. 9.6.2009 – Rs. C-480/06, EuZW 2009, 529 f., Rz. 31 und 38 ff. – Stadtreinigung Hamburg. 2 EuGH v. 9.6.2009 – Rs. C-480/06, EuZW 2009, 529, 530, Rz. 36 – Stadtreinigung Hamburg. 3 EuGH v. 9.6.2009 – Rs. C-480/06, EuZW 2009, 529, 530, Rz. 45 – Stadtreinigung Hamburg. 4 EuGH v. 9.6.2009 – Rs. C-480/06, EuZW 2009, 529, 530, Rz. 47 – Stadtreinigung Hamburg. 5 EuGH v. 19.12.2012 – Rs. C-159/11, EuZW 2013, 189 ff. – Lecce. 6 EuGH v. 13.6.2013 – Rs. C-386/11, VergabeR 2013, 686 ff. – Piepenbrock; sowie vertiefend dazu Gruneberg/Wilden-Beck, VergabeR 2014, 99 ff.

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§ 108 | Ausnahmen bei öffentlich-öffentlicher Zusammenarbeit Urteil betraf den geplanten Abschluss einer öffentlich-rechtlichen Vereinbarung nach § 23 GkG NRW zwischen dem Kreis Düren und der Stadt Düren. Danach sollten die Reinigungspflichten von der Gemeinde auf die Stadt übertragen werden. Nach dem Vertragsentwurf sollte sich die Stadt Düren bei der Durchführung der ohne ein Vergabeverfahren beauftragten Reinigungsarbeiten „Dritter“ bedienen dürfen, im konkreten Fall also insbesondere der eigenen städtischen Tochter. Die Stadt sollte dafür gem. § 23 Abs. 4 GkG NRW eine finanzielle Entschädigung erhalten. Der private Gebäudereiniger „Piepenbrock“ leitete daraufhin einen Nachprüfungsantrag ein. Auf das Vorabentscheidungsersuchen des OLG Düsseldorf1 sah der EuGH eine Ausschreibungspflicht für gegeben an. Der Gerichtshof bezog sich dabei ausdrücklich auf die Entscheidung in der Rechtssache „Lecce“ und führte aus, dass vergaberechtliche Vorschriften nur dann nicht anzuwenden sind, „sofern solche Verträge ausschließlich zwischen öffentlichen Einrichtungen ohne Beteiligung Privater geschlossen werden, kein privater Dienstleistungserbringer besser gestellt wird als seine Wettbewerber und die darin vereinbarte Zusammenarbeit nur durch Überlegungen und Erfordernisse bestimmt wird, die mit der Verfolgung von im öffentlichen Interesse liegenden Zielen zusammenhängen“2. Im konkreten Fall sei durch die Reinigungsarbeiten keine Aufgabenübertragung vereinbart worden, die eine gemeinsame Gemeinwohlaufgabe zum Gegenstand hat3. Darüber hinaus würde der mögliche Rückgriff der Stadt Düren auf „Dritte“ solchen Dritten einen Marktvorteil gegenüber den übrigen auf demselben Markt tätigen Unternehmen bescheren4. 87 Auch in der nationalen Rechtsprechung haben sich die vom EuGH aufgestellten

Prinzipien manifestiert. So entschied das OLG Düsseldorf in der Rechtssache „Piepenbrock“ unter Bezugnahme auf die Entscheidung des EuGH vom 13.6.2013, dass eine Ausschreibungspflicht für die Vergabe der Reinigungsleistungen gegeben sei5. In einer anderen, jüngeren Rechtssache hatte das OLG Koblenz zu entscheiden, ob die Übertragung der Behandlungs- und Verwertungsarbeiten von Bioabfällen eines rheinland-pfälzischen Landkreises an einen anderen auf Grundlage des § 12 Abs. 2 des rheinland-pfälzischen Landesgesetzes über die kommunale Zusammenarbeit (KomZG) eine ausschreibungsfreie interkommunale Kooperation darstellt6. Unter Bezugnahme auf Erwägungsgrund 33 der Richtlinie 2014/24/EU verneinte der Senat dies und betonte, dass die Zusammenarbeit auf einem kooperativen Konzept beruhen müsse, es sich also um ein bewusstes Zu-

1 2 3 4 5

OLG Düsseldorf v. 6.7.2011 – VII-Verg 39/11, VergabeR 2012, 31 ff. EuGH v. 13.6.2013 – Rs. C-386/11, VergabeR 2013, 686 ff., Rz. 37 – Piepenbrock. EuGH v. 13.6.2013 – Rs. C-386/11, VergabeR 2013, 686 ff., Rz. 39 – Piepenbrock. EuGH v. 13.6.2013 – Rs. C-386/11, VergabeR 2013, 686 ff., Rz. 40 – Piepenbrock. OLG Düsseldorf v. 6.11.2013 – VII-Verg 39/11, ZfBR 2014, 712 ff. Siehe ferner hierzu die vergleichbare Entscheidung OLG Celle v. 17.12.2014 – 13 Verg 3/13, VergabeR 2015, 180 ff. 6 OLG Koblenz v. 3.12.2014 – Verg 8/14, VergabeR 2015, 192 ff.

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Ausnahmen bei öffentlich-öffentlicher Zusammenarbeit | § 108

sammenwirken bei der Verrichtung einer Tätigkeit zur Erreichung eines gemeinsamen Ziels handeln müsse1. Die Zweckvereinbarung auf Grundlage des § 12 Abs. 2 KomZG enthalte aber keine kooperativen Elemente. Es ginge schlicht um die Delegation, also die Erbringung einer marktfähigen Leistung gegen Bezahlung2. Mit umgekehrter Argumentation hat die VK Rheinland-Pfalz den Nachprüfungsantrag eines privaten Entsorgungsunternehmens abgewiesen, das versuchte, gegen den Beitritt zweier Landkreise zu einem Entsorgungszweckverband und der Aufgabenübertragung auf diesen vorzugehen3. Die Vergabekammer entschied unter Hinweis auf Art. 12 Abs. 4 der Richtlinie 2014/24/EU, dass die langfristige Perspektive des Zweckverbands zum Aufbau eines umfassenden Anlagenund Entsorgungsverbundes eine interkommunale Kooperation darstelle. Das OLG Naumburg hat in einer noch zur bis zum 18.4.2016 geltenden Rechtslage ergangenen Entscheidung den kooperativen Charakter eines zwischen einem Abwasserzweckverband und einer an diesem beteiligten Stadt geschlossenen Betriebsführungsvertrages u.a. mit der Begründung verneint, dass beide Vertragsparteien kein gemeinsames Ziel verfolgen, da sich die Stadt ihrer Abwasserentsorgungsaufgaben gerade durch deren Übertragung auf den Abwasserzweckverband entledigt habe, der Vertrag mithin nicht von der erforderlichen Zielidentität geprägt sei4. 3. Vertrag zwischen zwei oder mehreren öffentlichen Auftraggebern (§ 108 Abs. 6) Der neu geschaffene § 108 Abs. 6 setzt nach seinem Wortlaut zunächst einen 88 Vertrag, der zwischen zwei oder mehreren öffentlichen Auftraggebern i.S.d. § 99 Nr. 1 bis 3 geschlossen wird, voraus. Der Wortlaut der Norm, der ausdrücklich von „Verträge[n]“ spricht, legt zu- 89 nächst nahe, dass es sich um vertragliche Vereinbarungen handeln müsse. Erwägungsgrund 33 der Richtlinie 2014/24/EU stellt jedoch klar, dass die Rechtsform der Zusammenarbeit ohne Belang ist5. Insbesondere ist es auch nicht erforderlich, dass zum Zwecke der Kooperation eine gemeinsame juristische Person gegründet wird6. Weiter besagt § 108 Abs. 6, dass zwei oder mehrere öffentliche Auftraggeber 90 die horizontale Kooperation eingehen. Eine mögliche Höchstzahl an Kooperationspartnern ist nicht vorgesehen oder generell festsetzbar7. Auch die Erwä1 2 3 4

OLG Koblenz v. 3.12.2014 – Verg 8/14, VergabeR 2015, 192 ff., Rz. 20 ff. OLG Koblenz v. 3.12.2014 – Verg 8/14, VergabeR 2015, 192 ff., Rz. 21. VK Rheinland-Pfalz v. 12.8.2015 – VK 2 – 5/15, VPRRS 2016, 142. OLG Naumburg v. 17.3.2017 – 7 Verg 8/16, IBRRS 2017, 1613, mit Anm. Kafedzic, Ver gabeblog.de vom 8.6.2017, Nr. 31695. 5 So auch von Engelhardt/Kaelble in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 108 Rz. 74. 6 Vgl. Ziekow, NZBau 2015, 258 (264). 7 Vgl. von Engelhardt/Kaelble in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 108 Rz. 76.

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§ 108 | Ausnahmen bei öffentlich-öffentlicher Zusammenarbeit gungsgründe der Richtlinie 2014/24/EU und der Begründungstext des Regierungsentwurfs schweigen zu diesem Punkt. 91 Zulässige Kooperationspartner dürfen nur öffentliche Auftraggeber i.S.v. § 99

Nr. 1 bis 3 sein und somit auch juristische Personen des privaten Rechts, wobei der klassische (Regel-)Fall ohnehin der der Zusammenarbeit zwischen Kommunen, also juristischen Personen des öffentlichen Rechts sein dürfte1. Im Umkehrschluss ist indes die Beteiligung weiterer, privater Personen ausgeschlossen. Dies ergibt sich unmissverständlich(er) vor allem aus dem Wortlaut von Art. 12 Abs. 4 der Richtlinie 2014/24/EU („Ein ausschließlich zwischen zwei oder mehr öffentlichen Auftraggebern geschlossener Vertrag fällt nicht in den Anwendungsbereich dieser Richtlinie, wenn […]“)2.

92 Eine private Kapitalbeteiligung an einem der kooperationsbeteiligten öffent-

lichen Auftraggeber ist nicht (zwingend) ausgeschlossen, da unter bestimmten Bedingungen grundsätzlich auch gemischt-wirtschaftliche Unternehmen noch unter den Begriff des öffentlichen Auftraggebers i.S.v. § 99 Nr. 2 fallen3. Eine Ausnahme von diesem Grundsatz dürfte indes gelten, wenn der öffentliche Auftraggeber, an dem Private beteiligt sind, im Rahmen der Kooperation eine Dienstleistung für die an der Zusammenarbeit beteiligten Auftraggeber erbringt, da es in diesem Fall zu einer wettbewerbsverzerrenden Bevorteilung eines Privaten käme4. Die rechtliche Steuerung lässt sich insoweit ggf. über das Kriterium i.S.v. § 108 Abs. 6 Nr. 2 vornehmen, wonach „die Durchführung der Zusammenarbeit […] ausschließlich durch Überlegungen im Zusammenhang mit dem öffentlichen Interesse bestimmt wird“ (s. hierzu noch Rz. 106)5. 4. Kooperatives Konzept (§ 108 Abs. 6 Nr. 1)

93 Aus § 108 Abs. 6 Nr. 1 ergibt sich das Erfordernis, dass der Vertrag, der die Basis

der Kooperation bildet, „eine Zusammenarbeit zwischen den beteiligten öffentlichen Auftraggebern begründet oder erfüllt, um sicherzustellen, dass die von ihnen zu erbringenden öffentlichen Dienstleistungen im Hinblick auf die Erreichung gemeinsamer Ziele ausgeführt werden“. Die Zusammenarbeit muss demnach auf einem kooperativen Konzept beruhen6.

1 Vgl. Portz in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 108 Rz. 220. 2 Vgl. von Engelhardt/Kaelble in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 108 Rz. 75. 3 Vgl. Erwägungsgrund 32 der Richtlinie 2014/24/EU; sowie von Engelhardt/Kaelble in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 108 Rz. 75; Ziekow, NZBau 2015, 258 (264); Dierkes/Scharf, VergabeR 2014, 752 (756). A.A. Leinemann, Die Vergabe öffentlicher Aufträge, Rz. 160. 4 Vgl. Ziekow, NZBau 2015, 258 (264). 5 Ähnlich von Engelhardt/Kaelble in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 108 Rz. 75. 6 BT-Drucks. 18/6281, 82; Erwägungsgrund 33 der Richtlinie 2014/24/EU.

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Ausnahmen bei öffentlich-öffentlicher Zusammenarbeit | § 108

Damit knüpft § 108 Abs. 6 Nr. 1 im Kern an die vom EuGH entwickelten 94 Grundsätze an, die bereits unter Rz. 84 ff. dargestellt wurden. Auffällig ist dabei jedoch, dass während der EuGH fordert(e), dass die Zusammenarbeit der Kooperationspartner die „Wahrnehmung einer ihnen allen obliegenden öffentlichen Aufgabe“ zum Gegenstand hat1, dies nach § 108 Abs. 6 Nr. 1 nicht zwingend erforderlich ist. Vielmehr genügt es, „sicherzustellen, dass die von ihnen zu erbringenden öffentlichen Dienstleistungen im Hinblick auf die Erreichung gemeinsamer Ziele ausgeführt werden“. Dies erscheint weniger restriktiv, da zur bloßen „Sicherstellung“ auch Tätigkeiten notwendig sein können, die selbst keine öffentliche Aufgabe darstellen2. Fraglich ist vor diesem Hintergrund, ob – entgegen der Entscheidung des EuGH 95 in der Rechtssache „Piepenbrock“3 (vgl. Rz. 86) – nunmehr auch Zusammenarbeiten ausschließlich in Bezug auf reine Hilfsdienstleistungen erfasst sein sollen, wenn und soweit diese wiederum der Erbringung öffentlicher Aufgaben dienen bzw. diese sicherstellen. Gegen ein solches Verständnis spricht allerdings Erwägungsgrund 33 der Richtlinie 2014/24/EU. Dieser führt hinsichtlich des Gegenstands der Zusammenarbeit, also zu den von den Auftraggebern zu erbringenden öffentlichen Dienstleistungen, Folgendes aus: „Diese Zusammenarbeit könnte alle Arten von Tätigkeiten in Verbindung mit der Ausführung der Dienstleistungen und Zuständigkeiten, die den teilnehmenden Stellen zugeteilt wurden oder von ihnen übernommen werden, erfassen, wie gesetzliche oder freiwillige Aufgaben der Gebietskörperschaften oder Dienste, die bestimmten Einrichtungen durch das öffentliche Recht übertragen werden. Die von den verschiedenen teilnehmenden Stellen erbrachten Dienstleistungen müssen nicht notwendigerweise identisch sein; sie können sich auch ergänzen.“ Danach ist die Zusammenarbeit zwischen den öffentlichen Auftraggebern zwar grundsätzlich nicht auf bestimmte Dienstleistungen beschränkt, sondern kann alle Arten von Tätigkeiten erfassen4. Das Kriterium der Zielidentität wird jedoch dahin zu verstehen sein, dass sich die Zusammenarbeit auf die Wahrnehmung einer (oder mehrerer) allen Auftraggebern obliegenden öffentlichen Aufgabe(n) beziehen muss5. Die Zusammenarbeit soll zudem nicht darauf ausgerichtet sein, dass die Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben überhaupt „sicher1 EuGH v. 9.6.2009 – Rs. C-480/06, EuZW 2009, 529 ff., Rz. 37 – Stadtreinigung Hamburg; EuGH v. 19.12.2012 – Rs. C-159/11, EuZW 2013, 189 ff., Rz. 34 – Lecce; EuGH v. 13.6. 2013 – Rs. C-386/11, VergabeR 2013, 686 ff., Rz. 41 – Piepenbrock. 2 Mit diesem Befund auch von Engelhardt/Kaelble in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 108 Rz. 78. 3 EuGH v. 13.6.2013 – Rs. C-386/11, VergabeR 2013, 686 ff. – Piepenbrock; vertiefend Gruneberg/Wilden-Beck, VergabeR 2014, 99 ff. 4 Vgl. Portz in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 108 Rz. 220. 5 EuGH v. 19.12.2012 – Rs. C-159/11, EuZW 2013, 189 ff., Rz. 34 – Lecce.

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§ 108 | Ausnahmen bei öffentlich-öffentlicher Zusammenarbeit gestellt“ wird, sondern soll sicherstellen, dass die „zu erbringenden öffentlichen Dienstleistungen im Hinblick auf die Erreichung gemeinsamer Ziele ausgeführt werden“. Gegenstand der Zusammenarbeit müssen daher in jedem Fall öffentliche Dienstleistungen aller beteiligten öffentlichen Auftraggeber sowie gemeinsame Ziele sein. Folglich genügen bloße Hilfeleistungen bei der Erfüllung einer lediglich einem Beteiligten obliegenden öffentlichen Aufgabe nicht1. Die durch den Wortlaut des § 108 Abs. 6 Nr. 1 vorgenommene Ausweitung der Tätigkeiten kann mit Rücksicht auf Erwägungsgrund 33 der Richtlinie 2014/24/EU deshalb nur die Frage betreffen, welche Tätigkeiten neben den gemeinsam erbrachten öffentlichen Dienstleistungen noch erfasst sein können, bedeutet jedoch nicht, dass sich eine Zusammenarbeit ausschließlich auf eventuelle Hilfsdienstleistungen beziehen kann2. 96 Die öffentlichen Aufgaben müssen nach § 108 Abs. 6 Nr. 1 von den beteiligten

Kooperationspartnern „zu erbringen“ sein. Dies setzt voraus, dass sie ihnen kraft Gesetzes oder kraft eines sonstigen Aktes der innerstaatlichen Organisation obliegen. Die Zusammenarbeit kann sich daher nicht auf Aufgaben beziehen, zu denen nur einer der beteiligten Auftraggeber verpflichtet ist, die aber durch die Zusammenarbeit einem anderen Auftraggeber übertragen werden sollen3. Dementsprechend fehlt es beispielsweise auch einem zwischen einem Abwasserzweckverband und einer an diesem Abwasserzweckverband beteiligten Kommune geschlossenen Betriebsführungsvertrag an der erforderlichen Zielidentität, wenn die Kommune ihre Abwasserentsorgungsaufgabe auf den Abwasserzweckverband übertragen hat4.

97 Nach dem Wortlaut des § 108 Abs. 6 Nr. 1 muss es sich ferner um Dienstleis-

tungen handeln. Eine vergaberechtsfreie horizontale öffentlich-öffentliche Zusammenarbeit in Bezug auf (reine)5 Bau- oder Lieferleistungen soll demzufolge nicht erfasst sein6.

98 Soweit der zu beurteilende Vertrag die Zusammenarbeit nach § 108 Abs. 6

Nr. 1 entweder „begründen“ oder „erfüllen“ kann, ist nicht ganz klar, was hiermit konkret zum Ausdruck gebracht werden soll. Denkbar ist, dass mit dieser Formulierung auch im Rahmen einer bestehenden Zusammenarbeit ergänzend geschlossene Verträge erfasst werden sollen7. Denkbar ist indes auch eine Klar-

1 So auch von Engelhardt/Kaelble in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 108 Rz. 79; Sudbrock, KommJur 2014, 51 (46). 2 So von Engelhardt/Kaelble in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 108 Rz. 79. 3 Vgl. VK Baden-Württemberg v. 31.1.2012 – 1 VK 66/11, VPRRS 2012, 452; VK Münster v. 22.7.2011 – VK 7/11, IBR 2011, 1442. 4 OLG Naumburg v. 17.3.2017 – 7 Verg 8/16, IBRRS 2017, 1613. 5 Vgl. § 110. 6 Vgl. von Engelhardt/Kaelble in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 108 Rz. 82. 7 In diesem Sinne von Engelhardt/Kaelble in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 108 Rz. 83.

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Ausnahmen bei öffentlich-öffentlicher Zusammenarbeit | § 108

stellung dahingehend, dass die Kooperationsabrede sich sowohl als Verpflichtungsgeschäft („begründet“) als auch als Erfüllungsgeschäft („erfüllt“) darstellen kann. Unklar und unbeantwortet bleibt durch § 108 Abs. 6 Nr. 1 die Frage nach den 99 konkreten Anforderungen an das kooperative Konzept der Zusammenarbeit bzw. wie stark das kooperative Konzept ausgestaltet sein muss1. Der EU-Gesetzgeber hat sich gegen den ursprünglichen Vorschlag der Europäischen Kommission im Richtlinienentwurf entschieden, eine „echte Zusammenarbeit“ mit „gegenseitigen Rechten und Pflichten“ vorauszusetzen2. Dass aber gleichwohl nicht jeder Austausch von Leistungen gegen Entgelt erfasst sein kann, dürfte sich bereits aus dem Begriff „Zusammenarbeit“ ergeben3. Andererseits ist auch anerkannt, dass die einzelnen Beiträge der Kooperationspartner nicht identisch sein müssen, sondern sich insbesondere auch lediglich ergänzen können. Ferner ist es auch zulässig, dass einer der Beteiligten die Hauptlast trägt, andere nur einen unwesentlichen Beitrag leisten. Dies folgt aus Erwägungsgrund 33 der Richtlinie 2014/24/EU, wo es in Abs. 3 heißt: „Um diese Voraussetzungen zu erfüllen, sollte die Zusammenarbeit auf einem kooperativen Konzept beruhen. Die Zusammenarbeit setzt nicht voraus, dass alle teilnehmenden Stellen die Ausführung wesentlicher vertraglicher Pflichten übernehmen, solange sie sich verpflichtet haben, einen Beitrag zur gemeinsamen Ausführung der betreffenden öffentlichen Dienstleistung zu leisten. Für die Durchführung der Zusammenarbeit einschließlich etwaiger Finanztransfers zwischen den teilnehmenden öffentlichen Auftraggebern sollten im Übrigen ausschließlich Erwägungen des öffentlichen Interesses maßgeblich sein.“ Ob die fraglichen Beiträge letztlich zur Annahme eines kooperativen Konzeptes 100 genügen, ist stets unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls zu beurteilen. In Anbetracht von Erwägungsgrund 33 und der bisherigen EuGHRechtsprechung wird man ein kooperatives Konzept etwa dann annehmen können, wenn die Kooperationspartner gegenseitige Pflichten, wie etwa gegenseitige Beistands- und Austauschpflichten bei der Erfüllung ihrer Aufgaben in Risikound Notfällen4 oder Rücksichtnahmepflichten bei einer Überlastung eines ande1 Mit diesem Befund auch von Engelhardt/Kaelble in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 108 Rz. 84, die in diesem Zusammenhang (vgl. Fn. 144) auch darauf hinweisen, dass bereits der Bundestag auf die unklare Definition des Begriffs „Zusammenarbeit“ bei der Verabschiedung des Vergaberechtsmodernisierungsgesetzes 2016 hingewiesen hat. Vgl. Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Energie, BT-Drucks. 18/7086, 13. 2 Vgl. von Engelhardt/Kaelble in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 108 Rz. 84; Burgi, NZBau 2012, 601, 650 f. 3 So auch von Engelhardt/Kaelble in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 108 Rz. 84. 4 So z.B. EuGH v. 9.6.2009 – Rs. C-480/06, EuZW 2009, 529 ff., Rz. 41 f. – Stadtreinigung Hamburg.

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§ 108 | Ausnahmen bei öffentlich-öffentlicher Zusammenarbeit ren Kooperationspartners1 vereinbart haben2. In all diesen Fällen weist die Zusammenarbeit ein Gepräge der Gemeinschaftlichkeit auf. 101 Fraglich und zweifelhaft ist indes, ob der kooperative Charakter auch dann noch

bejaht werden kann, wenn sich der Beitrag eines Partners ausschließlich darauf beschränkt, eine Zahlung zu entrichten. Das OLG Koblenz hat dies im Jahr 2014 abgelehnt und entschieden, dass „Zusammenarbeit schon begrifflich mehr als bloße Leistung gegen Bezahlung ist und ein bewusstes Zusammenwirken bei der Verrichtung einer Tätigkeit zur Erreichung eines gemeinsamen Ziels beinhaltet“3. Die Zweckvereinbarung zwischen den Auftraggebern enthalte „keinerlei kooperative, über die bloße Erbringung einer marktfähigen Leistung gegen Bezahlung hinausgehende Elemente. Somit beinhaltet sie einen ‚normalen‘ ausschreibungspflichtigen Dienstleistungsauftrag“4. Darüber, ob diese Betrachtung auch angesichts der neuen Rechtslage aufrechterhalten werden kann, lässt sich streiten. Im Vorschlag der Europäischen Kommission zu der Richtlinie 2014/24/EU hatte diese noch gefordert, es müsse eine „echte Zusammenarbeit“ begründet werden mit „wechselseitigen Rechten und Pflichten der Parteien“. Finanztransfers hätten ferner nur auf die Erstattung von Kosten bezogen sein dürfen5. Beide Vorschläge haben nicht Einzug in die Endfassung der Richtlinie 2014/24/EU gefunden. Zudem heißt es in Erwägungsgrund 33 der Richtlinie 2014/24/EU, dass eine Zusammenarbeit nicht voraussetze, dass alle teilnehmenden Stellen die Ausführung wesentlicher vertraglicher Pflichten übernehmen, solange sie sich verpflichtet haben, einen Beitrag zur gemeinsamen Ausführung der betreffenden öffentlichen Dienstleistung zu leisten. Überdies werden Finanztransfers explizit erwähnt. Insbesondere Burgi und Ziekow schließen aus dieser Genese – entgegen der Rechtsprechung des OLG Koblenz – auf einen entsprechenden Willen des europäischen Gesetzgebers, dass es einer Zusammenarbeit im Sinne eines kooperativen Konzepts nicht entgegensteht, wenn sich der Beitrag eines Partners auf die Entrichtung eines Entgelts beschränkt6. Die besseren und überzeugenderen Argumente dürften indes dafür sprechen, dass ein ausschließlich finanzieller Beitrag eines Beteiligten (noch) nicht ausreicht, um ein kooperatives Konzept zu begründen. Zwar sind – wie aus der Formulierung von Erwägungsgrund 33 der

1 So z.B. EuGH v. 9.6.2009 – Rs. C-480/06, EuZW 2009, 529 ff., Rz. 42 – Stadtreinigung Hamburg. 2 Vgl. Portz in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 108 Rz. 230. 3 OLG Koblenz v. 3.12.2014 – Verg 8/14, VergabeR 2015, 192 ff., Ls. 3 und Rz. 20. 4 OLG Koblenz v. 3.12.2014 – Verg 8/14, VergabeR 2015, 192 ff., Rz. 21. 5 Vertiefend Burgi, NZBau 2012, 601 (605 f.). Das OLG Naumburg v. 17.3.2017 – 7 Verg 8/16, IBRRS 2017, 1613, hat die Frage, ob die Erwirtschaftung eines kalkulatorischen Gewinns der Annahme eines kooperativen Konzepts per se entgegensteht, offen gelassen. 6 Burgi, Vergaberecht, 2016, § 11 Rz. 41; Ziekow, NZBau 2015, 258 (263).

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Richtlinie 2014/24/EU („einschließlich etwaiger Finanztransfers“) folgt – Finanztransfers nicht schädlich; allein ausreichend sind sie jedoch nicht1. 5. Überlegungen im Zusammenhang mit dem öffentlichen Interesse (§ 108 Abs. 6 Nr. 2) Nach § 108 Abs. 6 Nr. 2 darf die Zusammenarbeit zwischen den öffentlichen 102 Auftraggebern ausschließlich durch Überlegungen im Zusammenhang mit dem öffentlichen Interesse bestimmt werden2. Die Voraussetzung hat der EuGH bereits im Fall „Stadtreinigung Hamburg“ aufgestellt3. Sie gilt ausweislich der Gesetzesbegründung4 und Erwägungsgrund 33 der Richtlinie 2014/24/EU insbesondere auch für etwaige Finanztransfers zwischen den teilnehmenden öffentlichen Auftraggebern. Eine allgemeingültige, präzise Bestimmung, wann eine Zusammenarbeit von 103 Überlegungen im öffentlichen Interesse bestimmt ist und wann nicht, ist nicht existent und schwierig5. Aus Erwägungsgrund 33 der Richtlinie 2014/24/EU und der Gesetzesbegründung6 kann jedoch gefolgert werden, dass immer dann, wenn Finanztransfers über die reine Kostenerstattung hinausgehen, jedenfalls nicht mehr von Überlegungen im Zusammenhang mit dem öffentlichen Interesse ausgegangen werden kann7. Im Übrigen wird man davon ausgehen können, dass regelmäßig solche Leistun- 104 gen von allgemeinem Interesse sind, an deren Erfüllung ein gesteigertes Interesse der Gemeinschaft besteht, weil sie so geartet sind, dass sie nicht umfassend im Wege privater Initiativen wirksam wahrgenommen werden können8. Im 1 Ebenso von Engelhardt/Kaelble in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 108 Rz. 84; Brockhoff, VergabeR 2014, 625 (633); Dieckmann, AbfallR 2014, 130 (134); Gruneberg/ Wilden-Beck, VergabeR 2014, 99, 107; Horn, VergabeR 2017, 229 (233); Jaeger, NZBau 2014, 259 (262); Leinemann, Die Vergabe öffentlicher Aufträge, Rz. 159; sowie die Erklärung der Regierungsfraktionen CDU/CSU und SPD bei der Beratung des Vergaberechtsmodernisierungsgesetzes 2016, BT-Drucks. 18/7086, S. 13: „Dazu kann als Teil auch ein etwaiger Finanztransfer zwischen den teilnehmenden öffentlichen Auftraggebern gehören.“. 2 Vgl. BT-Drucks. 18/6281, 82. 3 Vgl. EuGH v. 9.6.2009 – Rs. C-480/06, EuZW 2009, 529 ff., Rz. 47 – Stadtreinigung Hamburg. 4 Vgl. BT-Drucks. 18/6281, 82. 5 Vgl. u.a. Jennert, NZBau 2010, 150 (155), nach dem bereits nach altem Recht der Begriff eine schärfere Konturierung bedurfte. 6 BT-Drucks. 18/6281, 82. 7 Vgl. EuGH v. 9.6.2009 – Rs. C-480/06, EuZW 2009, 529 ff., Rz. 43 – Stadtreinigung Hamburg; OLG München v. 21.2.2013 – Verg 21/12; von Engelhardt/Kaelble in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 108 Rz. 87; Portz in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 108 Rz. 253. 8 Vgl. Portz in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 108 Rz. 264.

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§ 108 | Ausnahmen bei öffentlich-öffentlicher Zusammenarbeit kommunalen Bereich dürften regelmäßig die Leistungen der Daseinsvorsorge im öffentlichen Interesse erbracht werden1. Dem entspricht auf europarechtlicher Ebene im Wesentlichen der Begriff der Dienstleistungen von Allgemeinem Wirtschaftlichem Interesse (DAWI) nach Art. 14 und Art. 106 Abs. 2 AEUV und Protokoll Nr. 26 des Vertrages von Lissabon2. Das Kartellvergaberecht selbst nennt in § 97 Abs. 3 „soziale und umweltbezogene Aspekte“, die in Vergabeverfahren zu berücksichtigen sind und die klassische Gegenstände des öffentlichen Interesses sind3. Die Rechtsprechung hat bislang zu keiner generellen Bestimmung des öffentlichen Interesses beigetragen: In seiner Grundsatzentscheidung „Stadtreinigung Hamburg“ hat der EuGH etwa die Abfallentsorgung als eine „allen [obliegende öffentliche] Aufgabe“, also als Gemeinwohlverpflichtung bezeichnet, die im öffentlichen Interesse liege4. In der Rechtssache „Piepenbrock“ hat der EuGH die Einschätzung des OLG Düsseldorf äußerst zurückhaltend – und ohne eine nähere eigene Begründung zu geben – bestätigt, dass Gebäudereinigungsarbeiten gemeinsame Gemeinwohlaufgaben darstellen würden5. Hingegen beinhalte nach einem Urteil des OLG München vom 21.2. 2013 eine Zusammenarbeit zwischen zwei öffentlichen Krankenhausträgern bezüglich der Arzneimittelversorgung über eine Krankenhausapotheke sowie die Zurverfügungstellung von Arzneimitteln kein öffentliches Interesse6. Ebenso nahm das KG Berlin in einem jüngeren Urteil an, dass die Entwicklung und Pflege von Software der öffentlichen Verwaltung keine Leistung darstelle, die der gemeinsamen und im öffentlichen Interesse liegenden Aufgabenerfüllung diene7. 105 Unabhängig vom Bestehen eines öffentlichen Interesses dürfte es aber auch –

nach wie vor – nicht zulässig sein, bei der Durchführung der Leistungen auf private Unternehmen zurückzugreifen. Zwar ist die in der EuGH-Rechtsprechung in diesem Zusammenhang aufgestellte Voraussetzung, wonach durch die öffentlich-öffentliche Zusammenarbeit kein privates Unternehmen bessergestellt werden darf als seine Wettbewerber8, nicht ausdrücklich in § 108 Abs. 6 aufgenommen worden. Der Erwägungsgrund 33 der Richtlinie 2014/24/EU sowie die Gesetzesbegründung9 setzen das Verbot einer Besserstellung jedoch in Über-

1 2 3 4 5 6 7 8 9

Portz in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 108 Rz. 264. Portz in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 108 Rz. 259. Portz in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 108 Rz. 264. EuGH v. 9.6.2009 – Rs. C-480/06, EuZW 2009, 529 ff., Rz. 37 – Stadtreinigung Hamburg. EuGH v. 13.6.2013 – Rs. C-386/11, VergabeR 2013, 686 ff., Rz. 39 – Piepenbrock; OLG Düsseldorf v. 6.7.2011 – VII-Verg 39/11, VergabeR 2012, 31 ff. OLG München v. 21.2.2013 – Verg 21/12, VergabeR 2013, 750 ff.; vertiefend Portz, in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 108 Rz. 257. KG Berlin v. 16.9.2013 – Verg 4/13, NZBau 2014, 62 ff. Vgl. EuGH v. 9.6.2009 – Rs. C-480/06, EuZW 2009, 529 ff., Rz. 47 – Stadtreinigung Hamburg. Vgl. BT-Drucks. 18/6281, S. 82.

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einstimmung mit dieser EuGH-Rechtsprechung weiterhin allgemein voraus. Mithin ist davon auszugehen, dass diese Bedingung nicht aufgegeben wurde. Eine horizontale öffentlich-öffentliche Zusammenarbeit, bei der zur Leistungserbringung auf Privatunternehmen zurückgegriffen wird, dürfte demnach nicht allein durch öffentliche Interessen bestimmt sein1. Schließlich kann auch die an sich grundsätzlich zulässige Beteiligung Privater 106 an einem der an der Kooperation beteiligten öffentlichen Auftraggeber (vgl. Rz. 92) unter diesem Gesichtspunkt problematisch sein. Dies gilt insbesondere im Falle einer signifikanten privaten Kapitalbeteiligung, und zwar vor allem wenn diese an dem öffentlichen Auftraggeber besteht, der die wesentliche Auftragsleistung erbringt. In diesem Fall dürfte der Nachweis, dass die Zusammenarbeit ausschließlich durch Überlegungen im Zusammenhang mit dem öffentlichen Interesse bestimmt wird, sehr schwer fallen2. Insofern wird auch in der Gesetzesbegründung zu § 108 Abs. 6 Nr. 3 darauf hingewiesen, dass die öffentlich-öffentliche Zusammenarbeit nicht zu Wettbewerbsverzerrungen gegenüber privaten Unternehmen führen dürfe3. 6. 20 %-Grenze (§ 108 Abs. 6 Nr. 3) Nach § 108 Abs. 6 Nr. 3 dürfen die kooperierenden öffentlichen Auftraggeber 107 auf dem (offenen) Markt weniger als 20 % der Tätigkeit erbringen, die durch die Zusammenarbeit nach § 108 Abs. 6 Nr. 1 erfasst wird4. Wie bei dem Wesentlichkeitskriterium in § 108 Abs. 1 Nr. 1 und § 108 Abs. 4 Nr. 2 soll dadurch sichergestellt werden, dass die interkommunale Kooperation nicht zu Wettbewerbsverzerrungen gegenüber privaten Unternehmen führt5. Die Norm setzt die Bestimmung des Art. 12 Abs. 4 lit. c) der Richtlinie 2014/24/EU in nationales Recht um. Dort ist allerdings die Rede von Tätigkeiten auf einem „offenen Markt“, wohingegen § 108 Abs. 6 Nr. 3 lediglich vom „Markt“ spricht. Insoweit wird man § 108 Abs. 6 Nr. 3 im Zweifelsfall richtlinienkonform auslegen müssen6, zumal es auch fern liegt, dass der nationale Gesetzgeber das Unionsrecht insoweit mit überschießender Tendenz umsetzen wollte, weil auch in den Gesetzesmaterialien zu § 108 Abs. 6 Nr. 3 von einem „offenen Markt“ gesprochen wird7. Es ist daher wohl von einem redaktionellen Versehen auszugehen und der Wortlaut teleologisch zu reduzieren, zumal bei Kooperationen im hoheitli1 So von Engelhardt/Kaelble in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 108 Rz. 88. 2 Hierauf weisen von Engelhardt/Kaelble in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 108 Rz. 89, zutreffend hin. 3 Vgl. BT-Drucks. 18/6281, S. 82. 4 Vgl. BT-Drucks. 18/6281, S. 82. 5 Vgl. BT-Drucks. 18/6281, S. 82; Horn, VergabeR 2017, 229 (233). 6 So auch Durner/Hüttemann, Übertragung der Abwasserbeseitigungspflicht nach § 52 Abs. 2 LWG NRW, 2017, S. 37. Siehe ferner auch Gröning, NZBau 2015, 690 (693). 7 Vgl. BT-Drucks. 18/6281, S. 82.

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§ 108 | Ausnahmen bei öffentlich-öffentlicher Zusammenarbeit chen Bereich wohl auch keine Benachteiligung von Dritten stattfinden dürfte, solange dem Auftragnehmer eine Marktorientierung fehlt1. 108 § 108 Abs. 6 Nr. 3 überträgt damit eine Voraussetzung auf den Bereich der hori-

zontalen öffentlich-öffentlichen Zusammenarbeit, die so bzw. so ähnlich bislang – jedenfalls nach der Rechtsprechung des EuGH – nur für das In-house-Geschäft galt2. Vereinzelt wurde sie jedoch in der nationalen Rechtsprechung vorausgesetzt3. Das Arbeitsdokument der Kommission4 und die frühen Richtlinien-Entwürfe5 hatten insoweit noch eine 10 %-Grenze vorgesehen. Insofern ist das Kriterium deutlich entschärft6.

109 Im Hinblick auf das gesetzgeberische Ziel, Wettbewerbsverzerrungen zu vermei-

den (vgl. Rz. 107), wird man – was nach dem Wortlaut der Norm etwas unklar bleibt – wohl davon ausgehen müssen, dass die Wesentlichkeitsgrenze von keinem der Beteiligten öffentlichen Auftraggeber überschritten werden darf. Es verbietet sich mithin eine Zusammenrechnung aller Tätigkeiten. Denn anderenfalls würde das Ziel verfehlt, Wettbewerbsverzerrungen auszuschließen, da eine Zusammenrechnung insbesondere ermöglichen würde, dass einzelne, überwiegend am Markt tätige öffentliche Auftraggeber durch die Zusammenarbeit mit überhaupt oder nur geringfügig am Markt tätigen öffentlichen Auftraggebern ihr Drittgeschäft in der Summe verringern und dadurch Ausschreibung in den Genuss einer unerwünschten Privilegierung kommen könnten7.

110 Die für die Abgrenzung von „auf dem (offenen) Markt“ und nicht auf dem (of-

fenen) Markt erbrachten Tätigkeiten notwendige Berechnung der Tätigkeitsanteile erfolgt nach § 108 Abs. 7 (vgl. Rz. 112), wobei die Bestimmung des jeweils relevanten Marktes im Einzelfall eine genaue und u.U. schwierige Prüfung erforderlich machen kann, die in Orientierung an dem im Kartellrecht geltenden Grundsätzen durchzuführen sein dürfte8.

111 Ausdrücklich von § 108 Abs. 6 Nr. 3 in Bezug genommen werden indes nur sol-

che Tätigkeiten, die von der konkreten Zusammenarbeit erfasst sind. Das bedeutet im Umkehrschluss, dass öffentliche Auftraggeber außerhalb dieser Zusam-

1 Horn, VergabeR 2017, 229 (233); ähnlich auch Durner/Hüttemann, Übertragung der Abwasserbeseitigungspflicht nach § 52 Abs. 2 LWG NRW, 2017, S. 38. 2 Portz in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 108 Rz. 267. 3 Vgl. OLG Celle v. 17.12.2014 – 13 Verg 3/13; OLG München v. 21.2.2013 – Verg 21/12; OLG Düsseldorf v. 28.7.2011 – VII-Verg 20/11; sowie von Engelhardt/Kaelble in MüllerWrede, GWB-Vergaberecht, § 108 Rz. 91, die § 108 Abs. 6 Nr. 3 daher als „begrüßenswerte Klarstellung des Gesetzgebers“ loben. 4 Dokument SEK (2011) 1169 endg. vom 4.10.2011. 5 KOM (2011) 895 endg.; KOM (2011) 896 endg.; KOM (2011) 897 endg. 6 Vgl. Brockhoff, VergabeR 2014, 625 (632). 7 So von Engelhardt/Kaelble in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 108 Rz. 94. 8 So auch Horn, VergabeR 2017, 229 (233 f.); von Engelhardt/Kaelble in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 108 Rz. 93.

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menarbeit andere Tätigkeiten auf dem Markt durchführen können, ohne einer Ausschreibungspflicht zu unterliegen1.

IV. Bestimmung des prozentualen Anteils (§ 108 Abs. 7) Sowohl bei In-house-Geschäften (§ 108 Abs. 1 bis 5) als auch bei der horizonta- 112 len öffentlich-öffentlichen Zusammenarbeit (§ 108 Abs. 6) sollen durch eine Begrenzung des Umfangs der Tätigkeit auf dem Markt Wettbewerbsverzerrungen zu Lasten privater Unternehmen vermieden werden2. § 108 Abs. 7 bestimmt, wie die prozentualen Angaben in Abs. 1 Nr. 2, Abs. 4 Nr. 2 und Abs. 6 Nr. 3 berechnet werden sollen und setzt dabei Art. 12 Abs. 5 der Richtlinie 2014/24/EU in nationales Recht um. Gemäß § 108 Abs. 7 Satz 1 sind für die Berechnung der durchschnittliche Gesamtumsatz der letzten drei Jahre vor Vergabe des öffentlichen Auftrags oder ein anderer geeigneter tätigkeitsgestützter Wert heranzuziehen. Ein geeigneter tätigkeitsgestützter Wert sind z.B. die Kosten, die dem Auftraggeber oder der juristischen Person in dieser Zeit in Bezug auf Liefer-, Bau- und Dienstleistungen entstanden sind (§ 108 Abs. 7 Satz 2). Diese Kosten beinhalten den Werteinsatz bei der juristischen Person oder dem Auftraggeber für die jeweilige Leistungserstellung, also insbesondere die Materialund Personalkosten, aber auch Kapitalkosten und Fremdleistungskosten, etwa für Nachunternehmer3. Nach § 108 Abs. 7 Satz 3 können der Umsatz oder der tätigkeitsgestützte Wert auch durch Prognosen über die Geschäftsentwicklung glaubhaft gemacht werden, wenn für die letzten drei Jahre dazu keine Angaben vorliegen oder diese nicht aussagekräftig sind. Diese Möglichkeit dürfte insbesondere dann in Betracht kommen, wenn der Auftraggeber oder die juristische Person neu gegründet ist, seine bzw. ihre Tätigkeit erst vor kurzem aufgenommen hat oder er bzw. sie seine Tätigkeit umstrukturiert hat4.

V. Entsprechende Geltung für Sektorenauftraggeber und Konzessionsgeber (§ 108 Abs. 8) § 108 Abs. 8 erstreckt den Anwendungsbereich des § 108 auf die Vergaben von 113 öffentlichen Aufträgen durch Sektorenauftraggeber nach § 100 Abs. 1 Nr. 1 sowie auf die Vergabe von Konzessionen durch Konzessionsgeber nach § 101 Abs. 1 Nr. 1 und § 101 Abs. 1 Nr. 2. Der Sinn des so hergestellten Gleichlaufs liegt darin, dass die neuen EU-Vergaberichtlinien im Wesentlichen identische Regelungen zur öffentlich-öffentlichen Zusammenarbeit sowohl hinsichtlich der 1 2 3 4

Portz in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 108 Rz. 268. BT-Drucks. 18/6281, S. 82. Portz in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 108 Rz. 271. BT-Drucks. 18/6281, S. 82.

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§ 108 | Ausnahmen bei öffentlich-öffentlicher Zusammenarbeit Vergabe von öffentlichen Aufträgen als auch hinsichtlich der Vergabe von Konzessionen enthalten1. Eine einheitliche Regelung im GWB ist deshalb angezeigt2. Der Verweis des § 108 Abs. 8 erfasst ausdrücklich nicht – worauf auch die Begründung des Regierungsentwurfs hinweist – die privaten Auftraggeber nach § 100 Abs. 1 Nr. 2 (Sektorenauftraggeber) sowie nach § 101 Abs. 1 Nr. 3 (Konzessionsgeber in der Rechtsform des Sektorenauftraggebers), so dass sich diese nicht auf die Ausnahmeregelungen der öffentlich-öffentlichen Zusammenarbeit berufen können3. Allerdings kommt in diesen Fällen eine Ausnahme vom Kartellvergaberecht bei verbundenen Unternehmen i.S.d. § 138 in Betracht4.

VI. Kombination von In-House-Geschäft und horizontaler öffentlich-öffentlicher Zusammenarbeit 114 Da das Gemeinschaftsrecht nach der Rechtsprechung des EuGH den öffent-

lichen Stellen für die gemeinsame Wahrnehmung ihrer öffentlichen Aufgaben keine spezielle Rechtsform vorschreibt5, erscheint es in den Augen des Vergabesenats des OLG Düsseldorf nicht von vorneherein ausgeschlossen, dass auch bestimmte Mischformen aus horizontaler öffentlich-öffentlicher Zusammenarbeit und In-House-Geschäft vergaberechtsfrei sind6. Denkbar sei beispielsweise, dass eine Eigengesellschaft eines kommunalen Partners (als dessen verlängerter Arm) mit anderen Kommunen zusammenarbeite7. Die Reichweite der EuGH-Rechtsprechung sei allerdings unklar und müsse ggf. durch einen Vorlagebeschluss geklärt werden8. Die mögliche Vergaberechtsfreiheit in solchen Konstellationen setze jedoch selbstverständlich voraus, dass die Zusammenarbeit im Wesentlichen öffentliche Aufgaben betreffe9. Der EuGH steht der Vergaberechtsfreiheit

1 Vgl. auch OLG München v. 31.3.2016 – Verg 14/15, NZBau 2016, 583 ff. auf Grundlage der alten Rechtslage. Der Senat kam auch dort unter Anwendung der Teckal-Kriterien zu der tragfähigen Schlussfolgerung, dass In-house-Geschäfte auch bei Konzessionen möglich sind, wenn eine nachgewiesene Kontrolle wie über eine eigene Dienststelle vorliegt. 2 BT-Drucks. 18/6281, S. 82. 3 BT-Drucks. 18/6281, S. 83. 4 BT-Drucks. 18/6281, S. 83. Siehe hierzu auch Greb, VergabeR 2016, 303 ff.; Leinemann, Die Vergabe öffentlicher Aufträge, Rz. 160. 5 EuGH v. 9.6.2009 – Rs. C-480/06, EuZW 2009, 529 ff., Rz. 47 – Stadtreinigung Hamburg; vertiefend dazu Rz. 85 und 89. 6 OLG Düsseldorf v. 28.7.2011 – VII-Verg 20/11, NZBau 2012, 50 ff., Rz. 83; vertiefend Mager, NZBau 2012, 25 ff. 7 So OLG Düsseldorf v. 28.7.2011 – VII-Verg 20/11, NZBau 2012, 50 ff., Rz. 83; vgl. EuGH v. 9.6.2009 – Rs. C-480/06, EuZW 2009, 529 ff. – Stadtreinigung Hamburg. 8 OLG Düsseldorf v. 28.7.2011 – VII-Verg 20/11, NZBau 2012, 50 ff., Rz. 83; ebenso OLG Hamburg v. 6.11.2012 – 1 Verg 7/11. 9 OLG Düsseldorf v. 28.7.2011 – VII-Verg 20/11, NZBau 2012, 50 ff., Rz. 83.

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solcher Kombinationsformen wohl eher kritisch gegenüber, ohne sich ausdrücklich dazu zu äußern1. Eine Klärung der Frage wäre im Lichte ihrer hohen Praxisrelevanz begrüßens- 115 wert. In einer Vielzahl von Fällen werden die maßgeblichen Vertragswerke für eine angebliche bzw. angestrebte interkommunale Kooperationsform jeweils nur „auf der Arbeitsebene“ zwischen den leistungserbringenden Tochtergesellschaften geschlossen. Letztere sind regelmäßig jedoch nicht Träger der öffentlichen Aufgaben, sondern nur mit der Aufgabenerfüllung betraut, und mithin kein taugliches Subjekt für eine interkommunale Kooperation. Denn jede der beteiligten öffentlichen Stellen muss im Rahmen einer interkommunalen Kooperation eine ihr jeweils auch selbst obliegende Aufgabe wahrnehmen.

VII. Maßgeblicher Zeitpunkt und späterer Wegfall von Voraussetzungen Der maßgebliche Zeitpunkt für die Beurteilung, ob die Voraussetzungen des 116 § 108 für eine vergaberechtsfreie In-house-Vergabe bzw. eine horizontale öffentlich-öffentliche Zusammenarbeit vorliegen ist grundsätzlich der Zeitpunkt der (In-house-)Vergabe bzw. Begründung der horizontalen öffentlich-öffentlichen Zusammenarbeit. Im Ausnahmefall sind dabei aber auch bereits bekannte, später eintretende Umstände, wie etwa eine unmittelbar nach Auftragsvergabe erfolgende private Kapitalbeteiligung mit zu berücksichtigen2. Denn anderenfalls besteht die Gefahr einer unzulässigen Umgehung des Vergaberechts3. So hat der EuGH in der Rechtssache „Stadt Mödling“ im Wege einer Gesamtschau festgestellt, dass kein vergabefreies In-house-Geschäft vorliegt, wenn kurz nach der Auftragserteilung die Anteile am Auftragnehmer an ein privates Unternehmen veräußert werden (s. hierzu auch Rz. 15)4. Ferner kann auch eine Unterauftragsvergabe zu einer unzulässigen Umgehung führen5. Davon zu unterscheiden ist die Frage, ob der spätere Wegfall der Vorausset- 117 zungen eines ursprünglich vergaberechtsfreien Geschäfts/Konstrukts zu einer (nachträglichen) Ausschreibungspflicht führt. Dies kann beispielsweise aufgrund späterer privater Kapitalbeteiligungen oder (dauerhafter) Überschreitung der Wesentlichkeitsschwelle durch Zunahme des Drittgeschäfts der Fall sein. Die Frage ist zu bejahen. Der EuGH hat Entsprechendes für die Fallgestaltung des 1 2 3 4

Vgl. EuGH v. 13.6.2013 – Rs. C-386/11, VergabeR 2013, 686, Rz. 35 ff. – Piepenbrock. Vgl. von Engelhardt/Kaelble in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 108 Rz. 97. Vgl. von Engelhardt/Kaelble in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 108 Rz. 12 und 97. Vgl. EuGH v. 10.11.2005 – Rs. C-29/04, Slg. I-09705, VergabeR 2009, 440 ff., Rz. 38 ff. – Stadt Mödling. 5 Vgl. OLG Düsseldorf v. 2.3.2011 – VII-Verg 48/10, NZBau 2011, 244 ff.; von Engelhardt/ Kaelble in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 108 Rz. 12.

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§ 109 | Ausnahmen für Vergaben auf Grundlage internat. Verfahrensregeln In-house-Geschäfts bereits bejaht1. Die Grundsätze beanspruchen für die dogmatisch ähnliche Rechtsfigur der horizontalen öffentlich-öffentlichen Zusammenarbeit aber gleichermaßen Geltung2. Die Ausschreibungspflicht ergibt sich dabei auch unabhängig von – wie auch immer gearteten – Schwellen. Vielmehr handelt es sich beim Wegfall einer der Voraussetzungen eines In-houseGeschäfts oder einer horizontalen öffentlich-öffentlichen Zusammenarbeit stets um eine so wesentliche Änderung, dass eine Ausschreibung zwingend zu erfolgen hat3.

§ 109 Ausnahmen für Vergaben auf der Grundlage internationaler Verfahrensregeln (1) Dieser Teil ist nicht anzuwenden, wenn öffentliche Aufträge, Wettbewerbe oder Konzessionen 1. nach Vergabeverfahren zu vergeben oder durchzuführen sind, die festgelegt werden durch a) ein Rechtsinstrument, das völkerrechtliche Verpflichtungen begründet, wie eine im Einklang mit den EU-Verträgen geschlossene internationale Übereinkunft oder Vereinbarung zwischen der Bundesrepublik Deutschland und einem oder mehreren Staaten, die nicht Vertragsparteien des Übereinkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum sind, oder ihren Untereinheiten über Liefer-, Bau- oder Dienstleistun1 Vgl. EuGH v. 10.9.2009 – Rs. C-573/07, Slg. 2009, I-8127-8162, VergabeR 2009, 882 ff., Rz. 53 – Sea (für den Fall einer späteren privaten Kapitalbeteiligung). Siehe ferner auch OLG Celle v. 17.12.2014 – 13 Verg 3/13, NZBau 2015, 178 ff., sowie OLG Düsseldorf v. 28.7.2011 – VII-Verg 20/11, NZBau 2012, 50 ff. 2 So auch Dierkes/Scharf, VergabeR 2014, 752 (758); sowie von Engelhardt/Kaelble in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 108 Rz. 98, die in diesem Zusammenhang auf Folgendes hinweisen: Der ursprüngliche Richtlinien-Vorschlag der Europäischen Kommission enthielt eine entsprechende Regelung, die sich allerdings nur auf spätere Kapitalbeteiligungen bei der In-house-Vergabe bezog und für diesen Fall explizit eine Ausschreibungspflicht vorsah. Der Wegfall dieser Regelung im Laufe des Gesetzgebungsverfahren ergibt insoweit Sinn, als die auf Kapitalbeteiligung beschränkte Regelung die Rechtsunsicherheit für andere Änderungen noch vergrößert hätte, weil der Umkehrschluss nahe gelegen hätte, dass der Gesetzgeber diese Änderungen für irrelevant gehalten habe. Insbesondere könne aber aus der Streichung nicht gefolgert werden, dass eine spätere Änderung der Voraussetzungen nunmehr nicht mehr zur Ausschreibungspflicht führt. 3 Ebenso Dierkes/Scharf, VergabeR 2014, 752 (758); von Engelhardt/Kaelble in MüllerWrede, GWB-Vergaberecht, § 108 Rz. 99; EuGH v. 10.9.2009 – Rs. C-573/07, Slg. 2009, I-8127-8162, VergabeR 2009, 882, Rz. 53 – Sea (für den Fall einer späteren privaten Kapitalbeteiligung); OLG Celle v. 17.12.2014 – 13 Verg 3/13, NZBau 2015, 178 ff.; OLG Düsseldorf v. 28.7.2011 – VII-Verg 20/11, NZBau 2012, 50 ff.

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Ausnahmen für Vergaben auf Grundlage internat. Verfahrensregeln | § 109

gen für ein von den Unterzeichnern gemeinsam zu verwirklichendes oder zu nutzendes Projekt, oder b) eine internationale Organisation oder 2. gemäß den Vergaberegeln einer internationalen Organisation oder internationalen Finanzierungseinrichtung bei vollständiger Finanzierung der öffentlichen Aufträge und Wettbewerbe durch diese Organisation oder Einrichtung zu vergeben sind; für den Fall einer überwiegenden Kofinanzierung öffentlicher Aufträge und Wettbewerbe durch eine internationale Organisation oder eine internationale Finanzierungseinrichtung einigen sich die Parteien auf die anwendbaren Vergabeverfahren. (2) Für verteidigungs- oder sicherheitsspezifische öffentliche Aufträge ist § 145 Nr. 7 und für Konzessionen in den Bereichen Verteidigung und Sicherheit ist § 150 Nr. 7 anzuwenden. I. 1. 2. II.

Einführung Inhaltsübersicht . . . . . . . . . . . . Entstehungsgeschichte . . . . . . . Ausnahmen für Vergaben auf der Grundlage internationaler Verfahrensregeln (§ 109 Abs. 1) 1. Vergabeverfahren nach internationalen Verträgen für gemeinsame Projekte mit Nicht-EWR-Staaten (§ 109 Abs. 1 Nr. 1 lit. a) . . . . . .

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2. Vergabeverfahren internationaler Organisationen (§ 109 Abs. 1 Nr. 1 lit. b)) . . . . 3. Vergabeverfahren internationaler Organisationen oder internationaler Finanzierungseinrichtungen bei Finanzierung (§ 109 Abs. 1 Nr. 2) . . . . . . . . III. Ausnahmen für Vergaben in den Bereichen Verteidigung und Sicherheit (§ 109 Abs. 2) . IV. Rechtsschutz . . . . . . . . . . . . .

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. . .

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I. Einführung 1. Inhaltsübersicht § 109 regelt Ausnahmen vom Anwendungsbereich des Kartellvergaberechts der 1 §§ 97 ff. für Vergaben auf Grundlage internationaler Verfahrensregeln. § 109 Abs. 1 enthält insoweit zwei Unterfallgruppen: Nr. 1 betrifft öffentliche Aufträge und Wettbewerbe, bei denen der öffentliche Auftraggeber verpflichtet ist, die Vergabe bzw. Durchführung nach anderen als den im 4. Teil des GWB festgelegten Vergabeverfahren vorzunehmen. Nr. 2 erfasst Fälle, in denen öffentliche Aufträge, Konzessionen bzw. Wettbewerbe gemäß den Vergaberegeln einer internationalen Finanzierungseinrichtung bei vollständiger bzw. überwiegender Finanzierung der öffentlichen Aufträge und Wettbewerbe durch diese Organisation oder Einrichtung zu vergeben sind. § 109 Abs. 2 stellt klar, dass sich für öffentliche Aufträge bzw. Konzessionen in den Bereichen Verteidigung und Sicherheit die Ausnahmen aufgrund internationaler Vergaberegeln aus § 145 Nr. 7 bzw. aus § 150 Nr. 7 ergeben. Diese sind insoweit lex specialis. Ganske

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§ 109 | Ausnahmen für Vergaben auf Grundlage internat. Verfahrensregeln 2. Entstehungsgeschichte 2 Die Vorgängerregelung zu § 109 stellt der bisherige § 100 Abs. 8 Nr. 4 und 6

GWB a.F. dar1. Die durch das Vergaberechtsmodernisierungsgesetz vom 17.2. 20162 geschaffene Neuregelung des § 109 dient der Umsetzung von Art. 9 der Richtlinie 2014/24/EU, Art. 20 der Richtlinie 2014/25/EU sowie Art. 10 Abs. 4 und Abs. 5 der Richtlinie 2014/23/EU. Nach diesen Vorschriften kommen die Richtlinien für nach internationalen Regeln vergebene Aufträge und ausgerichtete Wettbewerbe nicht zur Anwendung3.

II. Ausnahmen für Vergaben auf der Grundlage internationaler Verfahrensregeln (§ 109 Abs. 1) 1. Vergabeverfahren nach internationalen Verträgen für gemeinsame Projekte mit Nicht-EWR-Staaten (§ 109 Abs. 1 Nr. 1 lit. a) 3 Die in § 109 Abs. 1 Nr. 1 aufgeführten Ausnahmetatbestände betreffen Fallkon-

stellationen, in denen der Auftraggeber zwar dem persönlichen Anwendungsbereich der jeweils einschlägigen Vergaberichtlinie bzw. der §§ 97 ff. unterfällt, er jedoch aus bestimmten Gründen verpflichtet ist, andere Vergabebestimmungen zu beachten4. § 109 Abs. 1 Nr. 1 lit. a) und b) setzt Art. 9 Abs. 1 lit. a) und b) der Richtlinie 2014/24/EU, Art. 20 Abs. 1 lit. a) und b) der Richtlinie 2014/ 25/EU und Art. 10 Abs. 4 der Richtlinie 2014/23/EU um5.

4 Eine solche Verpflichtung zur Beachtung anderer Vergabebestimmungen (s. Rz. 3)

kann sich – wie aus § 109 Abs. 1 Nr. 1 lit. a) folgt – zum einen aus einer internationalen Übereinkunft oder Vereinbarung mit einem oder mehreren nicht dem EU-Vergaberecht unterworfenen Staaten über ein gemeinsam zu verwirklichendes oder zu nutzendes Projekt ergeben.

5 Voraussetzung ist, dass die Verfahrensregeln in einem Abkommen zwischen

der Bundesrepublik Deutschland (und ggf. weiteren EU-Mitgliedstaaten) 1 Ley/Wankmüller, Das neue Vergaberecht 2016, 3. Aufl. 2016, S. 68. 2 BGBl. I 2016, 203 ff. 3 Vgl. BT-Drucks. 18/6281, S. 80; sowie – übereinstimmend – auch Erwägungsgrund 22 der Richtlinie 2014/24/EU, Erwägungsgrund 41 der Richtlinie 2014/25/EU und Erwägungsgrund 31 der Richtlinie 2014/23/EU, wonach diese Richtlinien an die Mitgliedstaaten gerichtet sind und keine Anwendung auf Beschaffungen internationaler Organisationen in deren eigenem Namen und für eigene Rechnung finden, es jedoch notwendig ist klarzustellen, inwieweit diese Richtlinie auf Beschaffungen angewandt werden sollte, die spezifischen internationalen Vorschriften unterliegen. 4 Siehe hierzu auch Röwekamp in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 109 Rz. 2. 5 Vgl. hierzu auch BT-Drucks. 18/6281, S. 80.

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Ausnahmen für Vergaben auf Grundlage internat. Verfahrensregeln | § 109

und mindestens einem Staat, der nicht dem EWR angehört, vereinbart sind1. Die Begriffe „Rechtsinstrument“, „Übereinkunft“ und „Vereinbarung“ sind dabei als Synonyme zu verstehen. Es muss sich um eine verbindliche vertragliche Vereinbarung zwischen Staaten handeln2. Freigestellt sind damit Auftragsvergaben im Zusammenhang mit zwischenstaatlichen Gemeinschaftsprojekten, für die andere Verfahrensregeln vereinbart sind. Dahinter steht der Gedanke, dass Drittstaaten im Rahmen von Abkommen mit EU-Mitgliedstaaten nicht gezwungen sein sollen, eine Auftragsvergabe nach den Vergaberichtlinien der EU zu akzeptieren, wenn ein EU-Mitgliedstaat die Projektdurchführung übernommen hat. Vielmehr sollen derartige Aufträge nach den in den zwischenstaatlichen Abkommen vereinbarten Verfahren vergeben werden können3. Weitere Voraussetzung für die Anwendung des Ausnahmetatbestands gem. 6 § 109 Abs. 1 Nr. 1 lit. a) ist, dass die Vereinbarung, aus der eine völkerrechtliche Verpflichtung zur Beachtung anderer Vergabebestimmungen resultiert, im Einklang mit den EU-Verträgen geschlossen wurde4. Gemäß Art. 9 Abs. 1 UA 2 der Richtlinie 2014/24/EU, Art. 20 Abs. 1 UA 2 der 7 Richtlinie 2014/25/EU und Art. 10 Abs. 4 UA 2 der Richtlinie 2014/23/EU ist die Bundesrepublik Deutschland verpflichtet, der Europäischen Kommission alle insoweit einschlägigen Rechtsvorschriften i.S.v. Art. 9 Abs. 1 UA 1 lit. a) der Richtlinie 2014/24/EU bzw. Art. 20 Abs. 1 UA 1 lit. a) der Richtlinie 2014/25/ EU bzw. Art. 10 Abs. 4 UA 1 lit. a) der Richtlinie 2014/23/EU zu übermitteln5. 2. Vergabeverfahren internationaler Organisationen (§ 109 Abs. 1 Nr. 1 lit. b)) Zum anderen kann sich eine solche Verpflichtung zur Beachtung anderer Ver- 8 gabebestimmungen (s. Rz. 3) – wie aus § 109 Abs. 1 Nr. 1 lit. b) folgt – aufgrund der Vorgaben einer internationalen Organisation ergeben, wenn in deren Namen und auf deren Rechnung öffentliche Aufträge, Konzessionen und/ oder Wettbewerbe vergeben bzw. durchgeführt werden6. Ebenso wie die Ausnahmebestimmung des § 109 Abs. 1 Nr. 1 lit. a) hat auch 9 § 109 Abs. 1 Nr. 1 lit. b) den Sinn und Zweck, Kollisionen zwischen dem gemeinschaftsrechtlichen Vergaberecht und spezielleren Vergabeverfahrensregeln, 1 2 3 4

Sterner in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 109 Rz. 6. Sterner in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 109 Rz. 5. Sterner in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 109 Rz. 5. Siehe hierzu auch Röwekamp in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, GWB, § 109 Rz. 2; sowie Sterner in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 109 Rz. 6. 5 Vgl. BT-Drucks. 18/6281, S. 80; sowie ferner auch Ley/Wankmüller, Das neue Vergaberecht 2016, 3. Aufl. 2016, S. 68. 6 Siehe hierzu auch Röwekamp in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 109 Rz. 2.

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§ 109 | Ausnahmen für Vergaben auf Grundlage internat. Verfahrensregeln die ein Auftraggeber in der Bundesrepublik Deutschland aufgrund internationaler Abkommen anzuwenden hat, zugunsten eines Anwendungsvorrangs der spezielleren Vergabeverfahrensregeln zu vermeiden1. 10 Die Bestimmung gilt nicht für Auftragsvergaben durch eine internationale Orga-

nisation, sondern für Aufträge, die von einem Auftraggeber in der Bundesrepublik Deutschland vergeben werden, aber den besonderen Vergabeverfahrensregeln einer internationalen Organisation unterliegen. Erfasst werden also Aufträge, die für eine in Deutschland ansässige internationale Organisation vergeben werden2.

11 Der Begriff „internationale Organisation“ ist im völkerrechtlichen Sinne zu in-

terpretieren. Gemeint sind durch völkerrechtliche Verträge geschaffene zwischenstaatliche Organisationen mit eigener Rechtsfähigkeit, wie z.B. die Vereinten Natinen (UNO) und ihre Unterorganisationen, die NATO, die Europäische Verteidigungsagentur (EDA) oder das Europäische Patentamt. Nicht hierunter fallen dagegen nichtstaatliche internationale Organisationen (NGOs) sowie Vereinigungen ohne Rechtsfähigkeit3. Internationale Organisationen als solche sind keine Auftraggeber im Sinne der EU-Vergaberichtlinien4 bzw. des § 985. Sie sind kraft Völkerrechts befugt, ihr Vergabeverfahren autonom zu regeln6. Voraussetzung ist dabei, dass die Statuten der internationalen Organisation spezielle Verfahrensregeln für die Vergabe von Aufträgen enthalten, was – zumindest in Form allgemeiner haushaltswirtschaftlicher Grundsätze – regelmäßig der Fall ist7. 3. Vergabeverfahren internationaler Organisationen oder internationaler Finanzierungseinrichtungen bei Finanzierung (§ 109 Abs. 1 Nr. 2)

12 § 109 Abs. 1 Nr. 2 erfasst Fälle, in denen öffentliche Aufträge bzw. Konzessio-

nen zwar nicht im Namen und auf Rechnung einer internationalen Organisation oder internationalen Finanzierungseinrichtung vergeben werden bzw. hierfür ein Wettbewerb durchgeführt wird, jedoch eine vollständige oder überwiegende Finanzierung durch solche Einrichtungen erfolgt. § 109 Abs. 1 Nr. 2 setzt insoweit Art. 9 Abs. 2 der Richtlinie 2014/24/EU, Art. 20 Abs. 2 der Richtlinie 2014/ 25/EU und Art. 10 Abs. 4 UA 2 der Richtlinie 2014/23/EU um8.

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Sterner in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 109 Rz. 8. Sterner in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 109 Rz. 9. Sterner in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 109 Rz. 11. Vgl. Erwägungsgrund 22 der Richtlinie 2014/24/EU. Sterner in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 109 Rz. 10. Vgl. Ullrich, Vergaberecht 2002, 331 (342); Sterner in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 109 Rz. 10. 7 Vgl. Ullrich, Vergaberecht 2002, 331 (335); Sterner in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 109 Rz. 10. 8 Vgl. BT-Drucks. 18/6281, S. 80.

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Ausnahmen für Vergaben auf Grundlage internat. Verfahrensregeln | § 109

Im Falle einer vollständigen Finanzierung finden die §§ 97 ff. keine Anwen- 13 dung, vielmehr sind die Vergabebestimmungen zu beachten, die vom Finanzierungsgeber vorgegeben werden. Hintergrund ist, dass der öffentliche Auftraggeber bei vollständiger Drittfinan- 14 zierung durch internationale Organisationen oder Finanzierungseinrichtungen nicht gezwungen sein soll, die Vergabe nach den Bestimmungen des EU-Vergaberechts durchzuführen. Der öffentliche Auftraggeber soll die Vergabe nach den Regeln der das Vorhaben vollständig finanzierenden Organisationen oder Finanzierungseinrichtung durchführen dürfen, die ihre Finanzierungszusage möglicherweise von der Anwendung ihrer Verfahren abhängig macht1. Im Unterschied zu § 109 Abs. 1 Nr. 1 lit. b) ist der öffentliche Auftraggeber gem. § 109 Abs. 1 Nr. 2 nicht bereits von Rechts wegen verpflichtet, die Vergaberegeln einer internationalen Organisation anzuwenden2. Im Falle einer (nur) überwiegenden (Ko-)Finanzierung durch eine internatio- 15 nale Organisation oder eine internationale Finanzierungseinrichtung hat eine Verständigung zwischen den Parteien darüber stattzufinden, welche Vergaberegeln Anwendung finden sollen. Parteien i.S.d. § 109 Abs. 1 Nr. 2, die sich auf die anwendbaren Vergabeverfahren für den Fall einer überwiegenden Kofinanzierung öffentlicher Aufträge und Wettbewerbe durch eine internationale Organisation oder eine internationale Finanzeinrichtung einigen, sind dabei – wie die Gesetzesbegründung klarstellt – der öffentliche Auftraggeber und die internationale Organisation bzw. Finanzierungseinrichtung, die den öffentlichen Auftrag oder Wettbewerb kofinanziert3. Neben einer Verständigung auf die Beachtung anderer als der in das deutsche Recht umgesetzten Bestimmungen der EU-Vergaberichtlinien soll dabei auch eine Vereinbarung in Betracht kommen, wonach nur bestimmte Verfahrensregelungen Anwendung finden4. Kommt im Falle einer überwiegenden (Ko-)Finanzierung eine solche Verein- 16 barung nicht zustande, muss die Vergabe nach den Bestimmunegn der §§ 97 ff. erfolgen5. Gleiches gilt, wenn der Finanzierungsbeitrag der internationalen Organisationen 17 oder Finanzierungseinrichtung weniger als 50 % beträgt, mithin also nicht überwiegt6.

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Sterner in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 109 Rz. 14. Sterner in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 109 Rz. 15. Vgl. BT-Drucks. 18/6281, S. 80. So Röwekamp in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 109 Rz. 3. 5 Sterner in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 109 Rz. 15. 6 Sterner in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 109 Rz. 15.

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§ 109 | Ausnahmen für Vergaben auf Grundlage internat. Verfahrensregeln III. Ausnahmen für Vergaben in den Bereichen Verteidigung und Sicherheit (§ 109 Abs. 2) 18 § 109 Abs. 2 stellt klar, dass sich für öffentliche Aufträge bzw. Konzessionen in

den Bereichen Verteidigung und Sicherheit die Ausnahmen aufgrund internationaler Vergaberegeln aus § 145 Nr. 7 bzw. aus § 150 Nr. 7 ergeben.

19 In diesem Zusammenhang ist zu beachten, dass für verteidigungs- oder sicher-

heitsspezifische öffentliche Aufträge, Wettbewerbe und Konzessionen, die nach internationalen Regeln vergeben bzw. durchgeführt werden, gesonderte Ausnahmetatbestände in Art. 10 Abs. 5 der Richtlinie 2014/23/EU (umgesetzt in § 150 Nr. 7), Art. 17 der Richtlinie 2014/24/EU (umgesetzt in § 117 Nr. 4 und Nr. 5), Art. 27 der Richtlinie 2014/25/EU (umgesetzt in § 145 Nr. 7) sowie in Art. 12 der Richtlinie 2009/81/EG (ebenfalls umgesetzt in § 145 Nr. 7) existieren. § 109 Abs. 2 verweist für die Vergabe von verteidigungs- oder sicherheitsspezifischen öffentlichen Aufträge und Konzessionen auf die Ausnahmetatbestände in § 145 Nr. 7 und § 150 Nr. 7. Demgegenüber betrifft § 117 Nr. 4 und Nr. 5 die Vergabe von Aufträgen bzw. die Durchführung von Wettbewerben, die Verteidigigungsoder Sicherheitsaspekte umfassen, ohne verteidigungs- oder sicherheitsspezifisch i.S.d. § 104 zu sein1.

IV. Rechtsschutz 20 In einem vergaberechtlichen Nachprüfungsverfahren ist das Vorliegen der Vo-

raussetzungen einer der in § 109 genannten Ausnahmen von Amts wegen zu prüfen2. Liegen die Voraussetzungen eines der Ausnahmetatbestände vor, so gelten die §§ 97 ff. für den gesamten Auftrag nicht3 und erweist sich der Nachprüfungsantrag mit Blick hierauf als (bereits) unzulässig4.

1 Vgl. BT-Drucks. 18/6281, S. 80; sowie Röwekamp in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 109 Rz. 1. 2 Sterner in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 109 Rz. 16. 3 Vgl. OLG Düsseldorf v. 30.3.2005 – VII-Verg 101/04, WuW/E Verg 1111 ff.; Sterner in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 109 Rz. 17. 4 Vgl. VK Sachsen v. 29.8.2008 – 1/SVK/042-08, BeckRS 2009, 04138; VK Bund v. 3.2.2006 – VK 1-01/06, IBRRS 92253; Sterner in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 109 Rz. 17.

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Vergabe von gemischten öffentlichen Aufträgen und Konzessionen | § 110

§ 110 Vergabe von öffentlichen Aufträgen und Konzessionen, die verschiedene Leistungen zum Gegenstand haben (1) Öffentliche Aufträge, die verschiedene Leistungen wie Liefer-, Bau- oder Dienstleistungen zum Gegenstand haben, werden nach den Vorschriften vergeben, denen der Hauptgegenstand des Auftrags zuzuordnen ist. Dasselbe gilt für die Vergabe von Konzessionen, die sowohl Bau- als auch Dienstleistungen zum Gegenstand haben. (2) Der Hauptgegenstand öffentlicher Aufträge und Konzessionen, die 1. teilweise aus Dienstleistungen, die den Vorschriften zur Vergabe von öffentlichen Aufträgen über soziale und andere besondere Dienstleistungen im Sinne des § 130 oder Konzessionen über soziale und andere besondere Dienstleistungen im Sinne des § 153 unterfallen, und teilweise aus anderen Dienstleistungen bestehen oder 2. teilweise aus Lieferleistungen und teilweise aus Dienstleistungen bestehen, wird danach bestimmt, welcher geschätzte Wert der jeweiligen Liefer- oder Dienstleistungen am höchsten ist. I. 1. 2. 3. II.

Einführung Inhaltsübersicht . . . . . . . . . . Entstehungsgeschichte . . . . . . Regelungsgehalt . . . . . . . . . . . Orientierung der Vergabe am Hauptgegenstand des Auftrags bzw. der Konzession (Abs. 1) .

. . . .

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III. Bestimmung des Hauptgegenstands des Auftrags bzw. der Konzession nach dem geschätzten Wert der Auftragsbestandteile (Abs. 2) . . . . . . . . . . . . . .

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I. Einführung 1. Inhaltsübersicht In § 110 wird geregelt, nach welchen Vorschriften gemischte öffentliche Auf- 1 träge oder gemischte Konzessionen zu vergeben sind, deren verschiedene Leistungen unterschiedlichen Vergaberechtsregimen im Anwendungsbereich ein und derselben Richtlinie unterfallen.1 Solche Konstellationen einer gemischten Vergabe sind denkbar, wenn öffentliche Auftraggeber oder Sektorenauftraggeber eine Kombination von Liefer-, Bau- oder Dienstleistungen ausschreiben. Im Falle der Konzessionsvergabe kann eine Kombination von Bau- oder Dienstleistungen in Betracht kommen. 1 Gesetzesbegründung, BT-Drucks. 18/6281 zu § 110, vor Absatz 1 (S. 83).

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§ 110 | Vergabe von gemischten öffentlichen Aufträgen und Konzessionen 2. Entstehungsgeschichte 2 § 110 setzt die jeweiligen europäischen Vorgaben der einzelnen Richtlinien1, d.h.

der „klassische Vergaberichtlinie“, der „Sektorenrichtlinie“ sowie der „Konzessionsrichtlinie“ zur Vergabe gemischter öffentlicher Aufträge und Konzessionen um. Die nunmehr in § 110 konzentrierten Bestimmungen waren bislang in § 99 Abs. 10 GWB a.F. und § 4 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 VgV a.F. enthalten, und waren für Liefer-, Bau- oder Dienstleistungen nicht einheitlich geregelt. So erfolgte die Abgrenzung zwischen Lieferleistungen und Dienstleistungen nach dem Wert des Auftrags2 und nicht etwa danach, welche Teilleistung dem Vertrag das „entscheidende Gepräge“ gab.3 Die Abgrenzung zwischen Dienstleistungen und Bauleistungen richtete sich hingegen nach dem Hauptgegenstand4 des Auftrags5. Für gemischte Aufträge aus sogenannten A- und B-Dienstleistungen richtete sich die Abgrenzung nach dem höchsten Wert6 der jeweiligen Dienstleistungen.7

2a Die Einordnung eines typengemischten öffentlichen Auftrages als Liefer-,

Dienstleistungs- oder Bauauftrag ist insbesondere bei der Berechnung des Auftragswertes und damit einhergehend bei der Ermittlung des für das jeweilige Vergaberegime maßgeblichen Schwellenwertes von Bedeutung.8 Nunmehr bestimmen sich die für die Gesamtvergabe anwendbaren Vorschriften einheitlich nach dem Hauptgegenstand des Auftrags oder der Konzession.9 3. Regelungsgehalt

3 § 110 ist im Gesamtzusammenhang mit den nachfolgenden Normen § 111 und

§ 112 zu sehen. Während § 110 die gemeinschaftliche Vergabe verschiedener Leistungen im Anwendungsbereich ein und derselben Richtlinie betrifft, regelt § 111 welchen Vorschriften die Vergabe gemischter öffentlicher Aufträge bzw. Konzessionen unterliegt, deren Teile für sich genommen entweder gar nicht dem Vergaberecht10 oder einem erleichterten Regime einer anderen Richtlinie unterfallen.11

1 § 110 Absatz 1 setzt Artikel 3 Abs. 1 Unterabs. 1 und Abs. 2 Unterabs. 1 der Richtlinie 2014/24/EU, Artikel 5 Abs. 1 Unterabs. 1 und Absatz 2 Unterabs. 1 der Richtlinie 2014/ 25/EU und Artikel 20 Absatz 1 Unterabsatz 1 der Richtlinie 2014/23/EU um. 2 Vgl. Artikel 1 Absatz 2 Buchstabe d) Unterabsatz 2 der Richtlinie 2004/18/EG und 2004/17/EG. 3 So zuletzt OLG Naumburg v. 23.12.2014 – 2 Verg 5/14, NZBau 2015, 387 ff., Rz. 40. 4 Vgl. Erwägungsgrund 10 der Richtlinie 2004/18/EG und Erwägungsgrund 16 der Richtlinie 2004/17/EG. 5 VK Sachsen v. 8.7.2016 – 1/SVK/012-16 m. Verw. a. EuGH v. 21. 2. 2008 – C-412/04. 6 Siehe Artikel 22 der Richtlinie 2014/18/EG. 7 VK Sachsen v. 31.8.2011 – 1/SVK/030-2011. 8 VK Sachsen v. 18.3.2015 – 1/SVK/001-15; VK Detmold v. 27.9.2013 – VK.2-04/132; VK Bund v. 30.10.2009 – VK 2-180/09. 9 Gesetzesbegründung, BT-Drucks. 18/6281, zu § 110, vor Absatz 1 (S. 83). 10 VK Sachsen v. 12.4.2017 – 1/SVK/003-2017. 11 Gesetzesbegründung, BT-Drucks. 18/6281, zu § 111, vor Absatz 1 (S. 83).

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Vergabe von gemischten öffentlichen Aufträgen und Konzessionen | § 110

Im Unterschied dazu regelt § 112, die Vergabe gemischter öffentlicher Aufträge bzw. Konzessionen, wenn diese in den Anwendungsbereich unterschiedlicher Vergaberechtsregime verschiedener Richtlinien fallen, wobei hier die Anwendbarkeit unterschiedlicher Vergaberechtsregime daraus resultiert, dass ein und dieselbe Beschaffung für die Ausübung verschiedener Tätigkeiten des Auftraggebers bestimmt ist1. Insoweit ist die Abfolgen von §§ 110, 111 und 112 GWB von zunehmender Komplexität geprägt.

II. Orientierung der Vergabe am Hauptgegenstand des Auftrags bzw. der Konzession (Abs. 1) Abs.1 Satz 1 bestimmt, dass bei typengemischten Aufträgen, die verschiedene 4 Leistungen wie Liefer-, Bau- oder Dienstleistungen zum Gegenstand haben, die Vorschriften für die Beschaffung derjenigen Leistung Anwendung zu finden haben, die den Hauptgegenstand des Auftrags bilden. Offen bleibt dabei, wonach der Hauptgegenstand zu bestimmen ist. Unter der bisherigen Rechtslage war nach Rechtsprechung des EuGH2 und na- 5 tionaler Spruchkörper3 für Verträge, die zugleich Elemente eines öffentlichen Bauauftrags und Elemente eines öffentlichen Auftrags anderer Art aufweisen anerkannt, dass der Hauptgegenstand aufgrund einer Analyse der kennzeichnenden und in den Verdingungsunterlagen dokumentierten rechtlichen und wirtschaftlichen Gesamtumständen zu ermitteln ist.4 Dabei ist auf die wesentlichen vorrangigen Verpflichtungen abzustellen, also auf den rechtlichen und wirtschaftlichen Schwerpunkt der den Auftrag als solchen prägt, und nicht auf Verpflichtungen bloß untergeordneter oder ergänzender Art, die zwingend aus dem eigentlichen Gegenstand des Vertrags folgen.5 Der jeweilige Wert der dabei erbrachten Einzelleistungen ist nur ein Kriterium unter anderen, die bei der Ermittlung des Hauptgegenstands zu berücksichtigen sind. Gleiches gilt gemäß Abs. 1 Satz 2 bei der Vergabe von Konzessionen, die sowohl Bau- als auch andere Dienstleistungen erfassen. Der Richtliniengeber hat in diesem Zusammenhang herausgestellt, dass ein Auf- 6 trag nur dann als öffentlicher Bauauftrag gelten soll, wenn er speziell die Aus1 Gesetzesbegründung, BT-Drucks. 18/6281, zu § 112, vor Absatz 1 (S. 83). 2 EuGH v. 21.2.2008 – Rs. C-412/04 – Kommission / Italien; Slg. 2008, I-619, VergabeR 2008, 501– 511 = ZfBR 2008, 404–412. 3 OLG Düsseldorf v. 30.4.2014 – Verg 35/13; NZBau 2014, 589–592 = IBR 2014, 364; OLG Karlsruhe v. 6.2.2013 – 15 Verg 11/12, BauR 2013, 1320 = VergabeR 2013, 570–576 = IBR 2013, 422; OLG Brandenburg v. 29.3.2012 – Verg W 2/12; OLG Brandenburg v. 25.5. 2010 – Verg W 15/09; VK Sachsen v. 18.3.2015 – 1/SVK/001-15. 4 Willenbruch in Willenbruch/Wieddekind, Kompaktkommentar Vergaberecht, 3. Aufl. 2014 zu § 99 GWB, Rz. 95, m. Verw. a. OLG Düsseldorf v. 18.10.2006 – Verg 35/06. 5 OLG Düsseldorf v. 11.2.2009 – VII-Verg 69/08.

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§ 110 | Vergabe von gemischten öffentlichen Aufträgen und Konzessionen führung der in Anhang II der Richtlinie 2014/24/EU (bzw. Anhang I der Richtlinie 2014/25/EU) aufgeführten Tätigkeiten zum Gegenstand hat, und zwar auch dann, wenn er sich auf andere Leistungen erstreckt, die für die Ausführung dieser Tätigkeiten erforderlich sind.1 Sofern diese Bauleistungen jedoch nur Nebenarbeiten im Verhältnis zum Hauptgegenstand des Vertrags darstellen und eine mögliche Folge oder eine Ergänzung des Letzteren sind, rechtfertige die Tatsache, dass der Vertrag diese Bauleistungen umfasst, nicht eine Einstufung des öffentlichen Dienstleistungsauftrags als öffentlicher Bauauftrag. Diese Klarstellung entspricht dem, was bisher bereits in § 99 Abs. 10 Satz 2 GWB a.F. geregelt war. 7 Bei der Abgrenzung zwischen Liefer- und Dienstleistungen ist mithin dieje-

nige Auftragsart maßgeblich, die überwiegt, also mehr als 50 % des Gesamtauftrages ausmacht.

8 Bei der Abgrenzung zwischen Bau- und Dienstleistungsaufträgen kommt ers-

teren ein stärkeres Gewicht zu. Erst wenn der Bauauftrag von untergeordneter Bedeutung ist, ist ein solcher gemischter Vertrag als Dienstleistung einzuordnen.2 So konnten bspw. in einem gemischten Vertrag Bauleistungen trotz eines Anteils von lediglich 30% als Hauptgegenstand eingeordnet werden, weil die vertragsgemäße Erfüllung der Bauleistungen dem Vertrag sein Gepräge verliehen hat.3

9 Die dargelegten Grundsätze gelten auch für ein Zusammentreffen von Bau- und

Lieferleistungen in einem Beschaffungsvorhaben, auch in einem solchen Fall ist nach bisheriger Rechtsprechung auf den Schwerpunkt abzustellen.4 So gilt ein Vertrag, der offiziell als „Mietvertrag“ bezeichnet wird und tatsächlich Elemente eines Mietvertrags enthält dennoch als „Bauvertrag“, wenn vorrangiges Ziel dieses Vertrags die Errichtung des Bauwerkes ist, das anschließend im Wege einer als „Mietvertrag“ bezeichneten vertraglichen Beziehung dem Auftraggeber zur Verfügung gestellt werden soll.5 Umfasst dahingegen ein Vertrag einerseits Leistungen der Abwasserbeseitigung und des Betriebes der öffentlichen Abwasserbeseitigungsanlage und andererseits Baummaßnahmen der Instandhaltung und Instandsetzung im Hinblick auf die Sicherstellung des Betriebs der vorhandenen Abwasserbeseitigungsanlagen und sind die Baumaßnahmen 1 Siehe Erwägungsgrund 8 Satz 1 der Richtlinie 2014/24/EU und Erwägungsgrund 10 der Richtlinie 2014/25/EU. 2 Ganske in Reidt/Stickler/Glahs, Vergaberecht Kommentar 2011, § 99 Rz. 141, m. Verw. a. EuGH v. 19.4.1994 – Rs. C -331/92 – Gestión Hotelera Internacional; Slg. 1994, I01329; VK Bund v. 24.7.2007 – VK 2-69/07. 3 OLG Düsseldorf v. 30.4.2014 – VII-Verg 35/13, NZBau 2014, 589–592. 4 OLG Thüringen v. 28.1.2004 – 6 Verg 11/03; OLG Düsseldorf v. 12.3.2003 – Verg 49/02; VK Saarland v. 19.5.2006 – 3 VK 03/2006 (zu VOF-Leistungen). 5 EuGH v. 10.7.2014 – Rs. C-213/13 – Impresa Pizzarotti, NZBau 2014, 572–576 = ZfBR 2014, 795–799 = IBR 2014, 560; EuGH v. 29.10.2009 – Rs. C-536/07; Kommission/ Deutschland; Slg. 2009 I-10355; NZBau 2009, 792–796; VergabeR 2010, 188–194 = ZfBR 2010, 178–182; VK Sachsen v. 19.6.2015 – 1/SVK/009-15.

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„Annextätigkeit“ im Hinblick auf den Gesamtcharakter des Vertrages und auch wertmäßig von untergeordneter Bedeutung, so ist dieser Vertrag nicht als Bauauftrag sondern ggf. als Dienstleistungskonzession einzuordnen.1 Beinhaltet der ausgeschriebene Auftrag als sog. leistungsartengemischter Ver- 10 trag nicht nur zwei, sondern eine Kombinationen mehrerer Leistungskomponenten wie bspw. Bauleistungen, Finanzdienstleistungen, sonstige Dienstleistungen und Lieferleistungen, ist für die Bestimmung des anzuwendenden Vergaberegimes ebenfalls danach zu fragen, welche Komponente den Hauptgegenstand des Vertrags darstellt und den Charakter des Vertrags prägt.2 Insgesamt bleibt festzuhalten, dass sich die rechtliche Einordnung gemischter 11 Verträge einer generalisierenden Bewertung entzieht. Die Wertanteile der verschiedenen Leistungen vermitteln für die rechtliche Einordnung des gesamten Auftrags im Regelfall lediglich Anhaltspunkte sowie eine erste Orientierung, es sei denn sie weisen durch ihren objektiv deutlich überwiegenden Anteil den Bauleistungen oder den Liefer-/Dienstleistungen eindeutig den Auftragsschwerpunkt zu. Ohnehin kann durch einen Ansatz fester Wertgrenzen nicht allen denkbaren Fällen angemessen Rechnung getragen werden. Im Wesentlichen kommt es deshalb auf die den jeweiligen Einzelfall kennzeichnenden rechtlichen und wirtschaftlichen Merkmale und Umstände an.3

III. Bestimmung des Hauptgegenstands des Auftrags bzw. der Konzession nach dem geschätzten Wert der Auftragsbestandteile (Abs. 2) § 110 Abs. 2 regelt in Alternative 1 die Bestimmung des Hauptgegenstandes ei- 12 nes gemischten Auftrags (bzw. einer gemischten Konzession) für den Fall, dass der Auftrag (bzw. die Konzession) teilweise aus Dienstleistungen besteht, die den Vorschriften zur Vergabe von öffentlichen Aufträgen für soziale und andere besondere (privilegierte) Dienstleistungen unterfallen und teilweise aus anderen Dienstleistungen. In der 2. Alternative wird die Bestimmung des Hauptgegenstandes geregelt, wenn der gemischte Auftrag teilweise aus Dienstleistungen und teilweise aus Lieferleistungen besteht. Der Hauptgegenstand bestimmt sich in beiden Alternativen nach dem geschätzten Wert der jeweiligen Liefer- oder Dienstleistung.4 1 OLG Brandenburg v. 28.8.2012 – Verg W 19/11; OLG Karlsruhe v. 14.11.2014 – 15 Verg 10/14. 2 OLG Naumburg v. 27.2.2014 – 2 Verg 5/13; zuvor mit anderen Ergebnissen: VK Sachsen-Anhalt v. 18.10.2013 – 1 VK LSA 06/13. 3 OLG Düsseldorf v. 12.3.2003 – Verg 49/02. 4 Gesetzesbegründung, BT-Drucks. 18/6281, zu § 110, zu Absatz 2 (S. 84).

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§ 110 | Vergabe von gemischten öffentlichen Aufträgen und Konzessionen 13 Absatz 2 unterscheidet sich also von Abs.1 sowohl im Hinblick auf die jeweils

erfasste Kombination der verschiedenen Leistungen, als auch im Hinblick auf das Zuordnungskriterium, das hier nach rein quantitativen Aspekten den Hauptgegenstand bestimmt. Dass der Hauptgegenstand von Aufträgen für soziale und andere besondere Dienstleistungen und sonstige Dienstleistungen sich danach bestimmt, welcher geschätzte Wert der jeweiligen Dienstleistungen am höchsten ist, stellt insoweit keine echte Neuerung dar. Schon nach der alten Rechtslage richtete sich nach Rechtsprechung des EuGH bei Verträgen, die aus Dienstleistungen des Anhang IA und aus Dienstleistungen des Anhang IB1 zusammensetzten, die Abgrenzung nicht nach dem Hauptgegenstand dieses Auftrags, sondern nach dem Verhältnis des Werts der Dienstleistungen zueinander.2

14 Zur Frage der rechtlichen Einordnung gemischter Aufträge mit Liefer- und

Dienstleistungselementen hatte der EuGH3 schon 2009 ausgeführt, dass maßgebliches Kriterium, ob ein Liefer- oder Dienstleistungsauftrag vorliegt, der Wert der in diesen Auftrag einbezogenen Waren bzw. Dienstleistungen ist. Zudem hat er in diesem Zusammenhang herausgestellt, dass bei der Zurverfügungstellung von Waren, die individuell nach den Bedürfnissen des jeweiligen Kunden hergestellt und angepasst werden und über deren Nutzung die jeweiligen Kunden individuell zu beraten sind (bspw. Anfertigung und Lieferung von individuell an die Bedürfnisse der Patienten angepasster orthopädischer Schuhe), die Anfertigung der genannten Waren dem Auftragsteil der „Lieferung“ für die Berechnung des Wertes des jeweiligen Bestandteils zuzuordnen ist.4

15 Für die Schätzung der Auftragswerte ist auf § 3 VgV, § 2 SektVO sowie § 2

KonzVgV zurückzugreifen. Nach diesen Normen ist bei der Schätzung des Auftragswertes immer von dem voraussichtlichen Gesamtwert der vorgesehenen Leistung ohne Umsatzsteuer auszugehen, maßgeblich ist also in allen Fällen zunächst der Nettowert des Auftrags.

16 Erweist sich eine Schätzung im Nachhinein als fehlerhaft führt dies dann nicht

zur Vergaberechtswidrigkeit des Vergabeverfahrens wegen Anwendung der „falschen“ Vergaberegimes, wenn der Auftraggeber die Schätzung des Auftragswertes unter Berücksichtigung der damals bekannten Marktgegebenheiten in realis-

1 Der Richtlinie 92/50/EWG des Rates vom 18. Juni 1992 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Dienstleistungsaufträge. 2 EuGH v. 14.11.2002 – Rs. C-411/00 – Felix Swoboda; Slg. 2002 I-10567, NZBau 2003, 52– 55; = VergabeR 2003, 3038 = ZfBR 2003, 172–175. 3 EuGH v. 11.6.2009 – Rs. C-300/07 – Oymanns; Slg. 2009, I-4779, NZBau 2009, 520–526 = VergabeR 2009, 744–754 = ZfBR 2009, 601–608. 4 Siehe zur Abgrenzung von Liefer- und Dienstleistungsaufträgen auch OLG Naumburg v. 23.12.2014 – 2 Verg 5/14.

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tischer, seriöser und nachvollziehbarer Weise erstellt hatte.1 Das für diese Schätzung der Auftragswerte notwendige und in zumutbarer Weise erlangbare Fachwissen muss sich der Auftraggeber zuvor aneignen.2

§ 111 Vergabe von öffentlichen Aufträgen und Konzessionen, deren Teile unterschiedlichen rechtlichen Regelungen unterliegen (1) Sind die verschiedenen Teile eines öffentlichen Auftrags, die jeweils unterschiedlichen rechtlichen Regelungen unterliegen, objektiv trennbar, so dürfen getrennte Aufträge für jeden Teil oder darf ein Gesamtauftrag vergeben werden. (2) Werden getrennte Aufträge vergeben, so wird jeder einzelne Auftrag nach den Vorschriften vergeben, die auf seine Merkmale anzuwenden sind. (3) Wird ein Gesamtauftrag vergeben, 1. kann der Auftrag ohne Anwendung dieses Teils vergeben werden, wenn ein Teil des Auftrags die Voraussetzungen des § 107 Absatz 2 Nummer 1 oder 2 erfüllt und die Vergabe eines Gesamtauftrags aus objektiven Gründen gerechtfertigt ist, 2. kann der Auftrag nach den Vorschriften über die Vergabe von verteidigungs- oder sicherheitsspezifischen Aufträgen vergeben werden, wenn ein Teil des Auftrags diesen Vorschriften unterliegt und die Vergabe eines Gesamtauftrags aus objektiven Gründen gerechtfertigt ist, 3. sind die Vorschriften zur Vergabe von öffentlichen Aufträgen durch Sektorenauftraggeber anzuwenden, wenn ein Teil des Auftrags diesen Vorschriften unterliegt und der Wert dieses Teils den geltenden Schwellenwert erreicht oder überschreitet; dies gilt auch dann, wenn der andere Teil des Auftrags den Vorschriften über die Vergabe von Konzessionen unterliegt, 4. sind die Vorschriften zur Vergabe von öffentlichen Aufträgen durch öffentliche Auftraggeber anzuwenden, wenn ein Teil des Auftrags den Vorschriften zur Vergabe von Konzessionen und ein anderer Teil des Auftrags den Vorschriften zur Vergabe von öffentlichen Aufträgen durch öffentliche Auftraggeber unterliegt und wenn der Wert dieses Teils den geltenden Schwellenwert erreicht oder überschreitet, 1 OLG München v. 11.4.2013 – Verg 3/13; OLG München v. 31.10.2012 – Verg 19/12; 2. VK Bund v. 27.5.2014 – VK 2-31/14. 2 OLG Dresden v. 24.7.2012 – Verg 2/12.

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§ 111 | Vergabe von gemischten öffentlichen Aufträgen und Konzessionen 5. sind die Vorschriften dieses Teils anzuwenden, wenn ein Teil des Auftrags den Vorschriften dieses Teils und ein anderer Teil des Auftrags sonstigen Vorschriften außerhalb dieses Teils unterliegt; dies gilt ungeachtet des Wertes des Teils, der sonstigen Vorschriften außerhalb dieses Teils unterliegen würde und ungeachtet ihrer rechtlichen Regelung. (4) Sind die verschiedenen Teile eines öffentlichen Auftrags, die jeweils unterschiedlichen rechtlichen Regelungen unterliegen, objektiv nicht trennbar, 1. wird der Auftrag nach den Vorschriften vergeben, denen der Hauptgegenstand des Auftrags zuzuordnen ist; enthält der Auftrag Elemente einer Dienstleistungskonzession und eines Lieferauftrags, wird der Hauptgegenstand danach bestimmt, welcher geschätzte Wert der jeweiligen Dienstoder Lieferleistungen höher ist, 2. kann der Auftrag ohne Anwendung der Vorschriften dieses Teils oder gemäß den Vorschriften über die Vergabe von verteidigungs- oder sicherheitsspezifischen öffentlichen Aufträgen vergeben werden, wenn der Auftrag Elemente enthält, auf die § 107 Absatz 2 Nummer 1 oder 2 anzuwenden ist. (5) Die Entscheidung, einen Gesamtauftrag oder getrennte Aufträge zu vergeben, darf nicht zu dem Zweck getroffen werden, die Auftragsvergabe von den Vorschriften zur Vergabe öffentlicher Aufträge und Konzessionen auszunehmen. (6) Auf die Vergabe von Konzessionen sind die Absatz 1, 2 und 3 Nummer 1 und 2 sowie die Absatz 4 und 5 entsprechend anzuwenden. I. Inhaltsübersicht . . . . . . . . . . .

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II. Anwendbares Recht bei objektiv trennbaren Aufträgen (Abs. 1–3) 5 1. Vorliegen eines objektiv trenn6 baren Auftrages . . . . . . . . . . . . 2. Wahlrecht zwischen der Vergabe getrennter Aufträge oder eines Gesamtauftrages . . . . . . . . . . . . 11 a) Vergabe getrennter Aufträge (Abs. 2) . . . . . . . . . . . . . . . . 12 b) Vergabe eines Gesamtauftrages (Abs. 3) . . . . . . . . . 13

III. Anwendbares Recht bei objektiv untrennbaren Aufträgen (Abs. 4) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Bestimmung anhand des Hauptgegenstandes des Vertrages (Abs. 4 Nr. 1) . . . . . . . . . . . . . . 2. Sonderregelung für verteidigungs- und sicherheitsrelevante Auftragsteile . . . . . . . . . . . . . . IV. Umgehungsverbot (Abs. 5) . . . V. Entsprechende Anwendung bei Konzessionen (Abs. 6) . . . .

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I. Inhaltsübersicht 1 Aus § 111 ergibt sich für die Vergabe von öffentlichen Aufträgen und Konzes-

sionen, welche Bestimmungen bei gemischten Verträgen anzuwenden sind, wenn die einzelnen Teile des Vertrages unterschiedlichen rechtlichen Regelungen unterfallen. Die Vorschrift wird mithin vorrangig bei größeren und 476

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komplexen Beschaffungsvorhaben zur Anwendung kommen. Sie dient der Umsetzung von Art. 3 und 16 der Richtlinie 2014/24/EU, Art. 5 und 25 der Richtlinie 2014/25/EU sowie Art. 20 und 21 der Richtlinie 2014/23/EU. In Abgrenzung zu § 110 und § 112 betrifft § 111 die Fälle, in denen die einzelnen 2 Komponenten eines Beschaffungsvorhabens dem Anwendungsbereich unterschiedlicher Richtlinien unterliegen. Es handelt sich somit um gemischte Verträge, deren Teile inhaltlich mindestens zwei der folgenden vier Regelungsbereichen des GWB zuzuordnen sind: Der Vergabe öffentlicher Aufträge durch öffentliche Auftraggeber (Abschnitt 2 Unterabschnitt 2), der Vergabe von öffentlichen Aufträgen durch Sektorenauftraggeber (Abschnitt 3 Unterabschnitt 1), der Vergabe von verteidigungs- oder sicherheitsspezifischen Aufträgen (Abschnitt 3 Unterabschnitt 2) sowie der Vergabe von Konzessionen (Abschnitt 3 Unterabschnitt 3). Von der Vorschrift werden weiterhin auch Konstellationen erfasst, in denen einzelne Leistungsteile dem Vergaberecht unterfallen, andere hingegen nicht.1 Demgegenüber ist § 110 anzuwenden, wenn ein Vertrag unterschiedliche Leis- 3 tungen umfasst, die in den Anwendungsbereich derselben Richtlinie bzw. desselben Abschnittes des GWB fallen (vgl. § 110 Rz. 1). § 112 gilt schließlich, wenn die Beschaffung für verschiedene Tätigkeiten des Auftraggebers bestimmt ist, die unterschiedlichen rechtlichen Regelungen unterliegen (vgl. § 112 Rz. 2). § 111 differenziert danach, ob die einzelnen Leistungen bei objektiver Betrach- 4 tung getrennt voneinander vergeben werden können oder der gemischte Vertrag ein untrennbares Ganzes bildet. Sind die einzelnen Teile trennbar, richtet sich das anzuwendende Recht nach den Abs. 1–3, andernfalls nach Abs. 4. Die Regelung in Abs. 5 stellt klar, dass die Anwendung der Abs. 1–4 nicht dazu führen darf, dass vergaberechtliche Bestimmungen umgangen werden. Unter den Maßgaben des Abs. 6 sind die Abs. 1–5 schließlich auch bei der Vergabe von Konzessionen anzuwenden.

II. Anwendbares Recht bei objektiv trennbaren Aufträgen (Abs. 1–3) In § 111 Abs. 1–3 werden die anzuwendenden Regeln bei objektiv trennbaren 5 Aufträgen vorgegeben. 1. Vorliegen eines objektiv trennbaren Auftrages Als wesentliche Weichenstellung des § 111 kommt es für die Anwendbarkeit der 6 Abs. 1–3 darauf an, ob die einzelnen Teile des Auftrages bzw. der Konzessionen, die unterschiedlichen Regelungen unterliegen, objektiv getrennt vergeben werden können oder einheitlich vergeben werden müssen. Ob einzelne Teile eines 1 BT-Drucks. 18/6281, S. 84.

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§ 111 | Vergabe von gemischten öffentlichen Aufträgen und Konzessionen Auftrages vorliegen, bestimmt sich nach Auffassung der VK Sachsen anhand der tatsächlichen Umstände, Gegebenheiten und Merkmale des Auftrages, zu denen räumliche Abgrenzungen, technische, organisatorische und logistische Merkmale sowie unterscheidbare Angebotsmärkte zählen können.1 7 Ob ein einheitliches Beschaffungsvorhaben vorliegt oder mehrere trennbare, ist

nach den Umständen des Einzelfalls zu beurteilen. Nach der ständigen Rechtsprechung des EuGH liegt die Trennbarkeit eines gemischten Vertrages vor, wenn die einzelnen Vertragsteile selbständig bestehen können. Dagegen ist ein gemischter Vertrag einheitlich zu vergeben, wenn die einzelnen Teile des Vertrages untrennbar miteinander verbunden sind und somit ein unteilbares Ganzes bilden.2 Der EuGH prüft insoweit auch, ob der Vertrag sinnvollerweise nur mit einem einzigen Partner geschlossen werden kann.3 Die rechtliche Einordnung hängt nicht von der subjektiven Absicht der Vertragsparteien ab. Vielmehr muss die Rechtfertigung und Notwendigkeit für den Abschluss eines einheitlichen Vertrages auf objektiven Gesichtspunkten beruhen.4 Der europäische Richtliniengeber verweist exemplarisch auf die Errichtung eines Gebäudes, von dem ein Gebäudeteil direkt vom öffentlichen Auftraggeber genutzt werden soll und ein anderer Gebäudeteil auf Basis einer Konzession bewirtschaftet wird, z.B. als öffentliches Parkhaus.5

8 In seinem Urteil in der Rechtssache „Messe City Köln“ hat der EuGH z.B. die

Kombination aus einem Bau- und Mietvertrag als untrennbares Ganzes angesehen. Zur Begründung führte er an, für die Errichtung der in dem Vertrag vorgesehenen Bauwerke hätte es ohne den Mietvertrag keinen Grund gegeben und umgekehrt würde der Mietvertrag ohne die spätere Fertigstellung der Bauwerke nicht selbständig bestehen können.6 Dagegen wurde in der Entscheidung „Oulon kaupunki“ ein einheitlich geschlossener Vertrag über die Gründung eines Gemeinschaftsunternehmens und die zeitgleiche Übertragung von Gesundheitsdienstleistungen durch den Auftraggeber auf die neu gegründete Gesellschaft vom EuGH beanstandet, weil das Unternehmen auch ohne diesen Auftrag tätig werden konnte und somit ein getrennter Vertragsschluss möglich gewesen wäre.7

1 VK Sachsen v. 12.4.2017 – 1/SVK/003-17, Rz. 120, juris. 2 EuGH v. 29.10.2009 – Rs. C-536/07, EuZW 2010, 58 (59); v. 22.12.2010 – Rs. C-215/09, EuZW 2011, 257 (258); vgl. hierzu auch VK Sachsen v. 12.4.2017 – 1/SVK/003-17, Rz. 121 ff., juris. 3 EuGH v. 6.5.2010 – Rs. C-145/08, EuZW 2010, 620 (622); v. 22.12.2010 – Rs. C-215/09, EuZW 2011, 257 (259). 4 EuGH v. 22.12.2010 – Rs. C-215/09, EuZW 2011, 257 (259); dies wird auch in Erwägungsgrund 11 der Richtlinie 2014/24/EU ausdrücklich betont. 5 Erwägungsgrund 11 der Richtlinie 2014/24/EU, Erwägungsgrund 13 der Richtlinie 2014/ 25/EU und Erwägungsgrund 29 der Richtlinie 2014/23/EU; hierauf verweist auch die Gesetzesbegründung, BT-Drucks. 18/6281, S. 84. 6 EuGH v. 29.10.2009 – Rs. C-536/07, EuZW 2010, 58 (59). 7 EuGH v. 22.12.2010 – Rs. C-215/09, EuZW 2011, 257 (258 f.).

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In der nationalen Rechtsprechung wurde die Trennbarkeit öffentlicher Aufträge 9 bislang vorrangig im Zusammenhang mit der Berechnung des Auftragswertes gem. § 3 VgV thematisiert. Anhaltspunkte für einen einheitlichen Auftrag können danach sein, ob die einzelnen Maßnahmen einheitlich geplant und durchgeführt werden sollen sowie funktionell und wirtschaftlich in einem engen Zusammenhang stehen. Als weitere Indizien können in Betracht kommen, ob eine zeitgleiche Einleitung des Vergabeverfahrens für die unterschiedlichen Maßnahmen erfolgen soll, sich die jeweiligen Bekanntmachungen im Wesentlichen entsprechen, ob sich die Vergabe auf ein einheitliches Gebiet erstreckt und ob die Koordinierung durch einen Auftraggeber erfolgt. Demgegenüber liegt die Annahme eines trennbaren Auftrages nahe, wenn ein komplexes Beschaffungsvorhaben in gestuften Entscheidungsverfahren beschlossen und in verschiedenen Teilphasen realisiert wird und wenn die unterschiedlichen Beschaffungsanteile ohne Beeinträchtigung ihres wirtschaftlichen Nutzens für den Auftraggeber auch getrennt voneinander durchgeführt werden können. Erfüllen die jeweiligen Leistungsteile im Ergebnis unterschiedliche wirtschaftliche und technische Funktionen, spricht dies ebenfalls für das Vorliegen trennbarer Auftragsgegenstände.1 Allerdings kann nach der Rechtsprechung des EuGH selbst dann ein einheitli- 10 cher Auftrag vorliegen, wenn die Leistungen in getrennten Abschnitten durchgeführt und auf der Grundlage verschiedener Verträge beauftragt werden sollen. In seiner Entscheidung zur Autalhalle der Gemeinde Niederhausen hat der EuGH in Bezug auf Architektendienstleistungen für ein Gesamtsanierungsprojekt die maßgebliche Bedeutung einer funktionellen Betrachtungsweise besonders betont. Der EuGH führte hierzu aus: „Dass der Gegenstand der Arbeiten in den verschiedenen Abschnitten des Bauvorhabens wechselte und z.B. das Tragwerk des Gebäudes, das Dach oder die Beleuchtung betraf, bedeutet nicht, dass sich dadurch der Inhalt und die Natur der Architektenleistungen, die in diesen Abschnitten erbracht wurden, änderten. Es handelte sich immer um typische Architektenleistungen, die denselben Inhalt hatten, nämlich im Wesentlichen die Konzeption und die Planung der vorzunehmenden Arbeiten sowie die Aufsicht über ihre Ausführung, und die Durchführung eines einheitlichen Bauvorhabens betrafen. Außerdem blieben die Modalitäten für die Vergütung dieser Leistungen gleich. Folglich wiesen diese Leistungen in wirtschaftlicher und technischer Hinsicht eine innere Kohärenz und eine funktionelle Kontinuität auf, die durch die Aufteilung dieser Leistungen in verschiedene Abschnitte entsprechend dem Rhythmus 1 KG Berlin v. 17.10.2013 – Verg 9/13, VergabeR 2014, 229 (231 f.); VK Hamburg v. 25.6. 2014 – Vgk FB 3/14, Rz. 30 f., juris; VK Sachsen v. 9.12.2014 – 1/SVK/032-14, Rz. 76 f., juris; OLG Brandenburg v. 20.8.2002 – Verg W 4/02, Rz. 70, juris; vgl. auch OLG Naumburg v. 6.12.2012 – 2 Verg 5/12, NJOZ 2013, 1213 (1219).

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§ 111 | Vergabe von gemischten öffentlichen Aufträgen und Konzessionen der Ausführung der Arbeiten, auf die sie sich bezogen, nicht als durchbrochen angesehen werden können.“1 2. Wahlrecht zwischen der Vergabe getrennter Aufträge oder eines Gesamtauftrages 11 Liegt ein objektiv trennbarer Auftrag vor, darf der Auftraggeber nach dem

Wortlaut des § 111 Abs. 1 grundsätzlich frei wählen, ob er getrennte Aufträge für jeden Leistungsteil oder einen Gesamtauftrag vergeben möchte. Die Gesetzesbegründung sieht zwar vor, dass sich die Notwendigkeit für die Vergabe eines Gesamtauftrages sowohl aus Gründen technischer als auch wirtschaftlicher Art ergeben kann,2 was ein Begründungserfordernis für die Vergabe eines Gesamtauftrages nach Abs. 3 nahelegt.3 Dagegen spricht allerdings der Wortlaut des Abs. 1 sowie die ausdrückliche Forderung in § 111 Abs. 3 Nr. 1 und Nr. 2 nach einer Rechtfertigung durch objektive Gründe. a) Vergabe getrennter Aufträge (Abs. 2)

12 Entscheidet sich der Auftraggeber für eine getrennte Vergabe, bestimmt sich

gem. § 111 Abs. 2 anhand der Merkmale des jeweiligen Einzelauftrages, welche vergaberechtlichen Regelungen anzuwenden sind bzw., ob der Einzelauftrag überhaupt den kartellvergaberechtlichen Regelungen unterliegt.4 Die Vorschrift hat lediglich klarstellende Funktion.5 b) Vergabe eines Gesamtauftrages (Abs. 3)

13 Möchte der Auftraggeber objektiv trennbare Vertragsteile in einem Gesamt-

auftrag vergeben, richtet sich das anwendbare Recht nach § 111 Abs. 3. Die in der Vorschrift aufgeführten Fallgruppen stellen, anders als bei untrennbaren

1 EuGH v. 15.3.2012 – Rs. C-574/10, EuZW 2012, 347 (348), vgl. auch Erwägungsgrund 11 der Richtlinie 2014/24/EU, Erwägungsgrund 13 der Richtlinie 2014/25/EU und Erwägungsgrund 29 der Richtlinie 2014/23/EU, wonach die Notwendigkeit, einen einzigen Auftrag zu vergeben, aus Gründen sowohl technischer als auch wirtschaftlicher Art gegeben sein kann. 2 Siehe die Gesetzesbegründung zu § 111 Abs. 3, BT-Drucks. 18/6281, S. 85, unter Verweis auf Erwägungsgrund 11 der Richtlinie 2014/24/EU, Erwägungsgrund 13 der Richtlinie 2014/25/EU und Erwägungsgrund 29 der Richtlinie 2014/23/EU, die sich allerdings auf die Abgrenzung zwischen trennbaren und untrennbaren Aufträgen beziehen. 3 Auch die Formulierung in Erwägungsgrund 12 der Richtlinie 2014/24/EU, Erwägungsgrund 14 der Richtlinie 2014/25/EU und Erwägungsgrund 30 der Richtlinie 2014/23/EU, wonach es den Auftraggebern „stets freisteht“, getrennte Aufträge zu vergeben, ist insoweit nicht eindeutig. 4 Hüttinger in Burgi/Dreher, Vergaberecht, 3. Aufl., § 111 Rz. 21. 5 Röwekamp in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, GWB, § 111 Rz. 2.

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Aufträgen nach Abs. 4, nicht auf den Schwerpunkt des Auftrages als maßgeblichen Anknüpfungspunkt ab, sondern ordnen die Geltung des jeweils spezielleren oder strengeren Regelwerkes an. Die Nr. 1 und 2 betreffen Aufträge, die teilweise verteidigungs- oder sicher- 14 heitsspezifische Komponenten enthalten. Betrifft ein Teil des Auftrages wesentliche Sicherheitsinteressen der Bundesrepublik Deutschland i.S.d. § 107 Abs. 2 Nr. 1 oder Nr. 2 (vgl. § 107 Rz. 28 ff.) kann der Auftrag gem. § 111 Abs. 3 Nr. 1 insgesamt ohne Anwendung der §§ 97 ff. vergeben werden.1 Unterfällt ein Auftragsteil dem Anwendungsbereich der verteidigungs- und sicherheitsspezifischen Aufträge gem. §§ 104 und 144 ff. sowie der VSVgV, unterliegt der gesamte Auftrag diesen Regelungen. In beiden Fällen müssen die Auftraggeber zusätzlich objektive Gründe für die Vergabe eines Gesamtauftrages angeben.2 Eine Rechtfertigung wird regelmäßig dann in Betracht kommen, wenn in nicht lediglich unerheblichem Umfang Verteidigungs- oder Sicherheitsinteressen durch den Gesamtauftrag berührt werden. Nr. 3 führt bei der Vergabe gemischter Verträge mit Elementen, die der Aus- 15 übung einer Sektorentätigkeit gem. § 102 dienen, zur vorzugsweisen Anwendbarkeit der Regelungen in den §§ 136 ff. sowie der SektVO für die Vergabe öffentlicher Aufträge durch Sektorenauftraggeber. Erforderlich ist, dass der Auftragswert der Leistungen, die die Anwendbarkeit der Sektorenregelungen begründet, den EU-Schwellenwert erreicht.3 Nr. 4 ordnet bei gemischten Verträgen, die teilweise den Regelungen für öffent- 16 liche Aufträge und zum Teil den Bestimmungen für Konzessionen unterfallen, die Anwendung der Regelungen über die Vergabe öffentlicher Aufträge an, wenn ein Leistungsteil unter den Begriff des öffentlichen Auftrages in § 103 fällt und dieser Teil den geltenden EU-Schwellenwert erreicht. Die Nr. 5 stellt schließlich als Auffangvorschrift sicher, dass die vergaberecht- 17 lichen Vorschriften auch dann Anwendung finden, wenn nur ein Teil des Auftrages dem Anwendungsbereich des Vergaberechts unterliegt, selbst wenn dieser Teil nur von untergeordneter Bedeutung für den Gesamtauftrag ist. Bei objektiv trennbaren Aufträgen kann die Entscheidung für eine Gesamtvergabe mithin nicht dazu führen, dass der Auftrag insgesamt dem Anwendungsbereich der §§ 97 ff. entzogen werden kann.

1 Dies gilt nach der Rechtsprechung der VK Bund allerdings nur dann, wenn die Anwendung der Vorschriften in den §§ 144 ff. sowie in der VSVgV nicht ausreicht, um die betreffenden Sicherheitsinteressen zu schützen, vgl. VK Bund v. 12.12.2014 – VK 1 – 98/14, VPR 2015, 137. 2 BT-Drucks. 18/6281, S. 85. 3 Nach der früheren Rechtslage musste gem. § 99 Abs. 12 GWB a.F. der Hauptgegenstand der Leistung ermittelt werden, vgl. Czaki in Müller-Wrede, GWB, § 111 Rz. 12.

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§ 111 | Vergabe von gemischten öffentlichen Aufträgen und Konzessionen III. Anwendbares Recht bei objektiv untrennbaren Aufträgen (Abs. 4) 18 Ist ein Auftrag unter den zuvor genannten Maßgaben (vgl. Rz. 6 ff.) nicht objek-

tiv trennbar, bestimmt sich das anwendbare Recht nach § 111 Abs. 4.

1. Bestimmung anhand des Hauptgegenstandes des Vertrages (Abs. 4 Nr. 1) 19 Nach der Grundregel in § 111 Abs. 4 Nr. 1 werden objektiv untrennbare Auf-

träge nach dem Recht vergeben, das auf den Hauptgegenstand des Auftrages Anwendung findet. Unterliegt der Hauptgegenstand des Auftrages nicht dem Vergaberecht, ist der Gesamtvertrag nicht ausschreibungspflichtig.1

20 Welcher Leistungsteil den Hauptgegenstand eines Auftrages bildet, bestimmt

sich insbesondere danach, auf welchem Leistungsteil nach der Zielsetzung des Auftraggebers der Schwerpunkt liegt bzw. welche Leistungen die wesentlichen, vorrangigen Verpflichtungen darstellen und mithin den Auftrag prägen (vgl. § 110 Rz. 5 f.). Davon zu unterscheiden sind Verpflichtungen bloß untergeordneter oder ergänzender Art, die zwingend aus dem eigentlichen Gegenstand des Vertrags folgen.2

21 Für die Konstellation einer Kombination aus Dienstleistungskonzession und

Lieferauftrag gibt § 111 Abs. 4 Nr. 1 Halbs. 2 vor, dass der Hauptgegenstand entsprechend § 110 Abs. 2 Nr. 2 nach dem geschätzten höheren Wert der jeweiligen Dienst- oder Lieferleistung zu bewerten ist. Ist die Schätzung vor Einleitung des Vergabeverfahrens ordnungsgemäß erfolgt, stellt sich aber nachträglich als unzutreffend heraus, hat dieser Umstand auf die Rechtmäßigkeit des Vergabeverfahrens keine Auswirkungen.3 2. Sonderregelung für verteidigungs- und sicherheitsrelevante Auftragsteile

22 Entsprechend der Bestimmungen in § 111 Abs. 3 Nr. 1 und 2 sieht § 111 Abs. 4

Nr. 2 auch für untrennbare gemischte Aufträge besondere Regelungen vor, wenn der Auftrag Elemente enthält, die verteidigungs- und sicherheitsrelevant sind. Nach dem Wortlaut der Vorschrift kann der Auftraggeber nach seiner Wahl von einer Anwendung vergaberechtlicher Vorgaben absehen oder das erleichterte Vergaberegime für verteidigungs- oder sicherheitsspezifische öffent-

1 Vgl. EuGH v. 6.5.2010 – Rs. C-145/08, EuZW 2010, 620 (622 f.); s. zur alten Rechtslage auch Dietlein/Fandrey in Gabriel/Krohn/Neun, Handbuch des Vergaberechts, § 4 Rz. 76. 2 EuGH v. 29.10.2009 – Rs. C-536/07, EuZW 2010, 58 (61); v. 6.5.2010 – Rs. C-145/08, EuZW 2010, 620 (622); v. 26.5.2011 – Rs. C-306/08, NZBau 2011, 431 (436 f.), m.w.N.; v. 10.7.2014 – Rs. C-213/13, ZfBR 2014, 795 (797 f.). 3 Röwekamp in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, GWB, § 111 Rz. 8.

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lichen Aufträge nach den §§ 144 ff. anwenden, wenn durch Elemente des Auftrages wesentliche Sicherheitsinteressen der Bundesrepublik Deutschland gem. § 107 Abs. 2 Nr. 1 oder Nr. 2 berührt werden. Dies gilt unabhängig von der Bestimmung, welcher Leistungsteil den Hauptgegenstand des Vertrages bildet.1 Der Wortlaut der Vorschrift gibt das gesetzgeberische Regelungsziel und die ihr 23 zugrunde liegenden Richtlinienvorgaben,2 nur unvollständig wieder. Gemeint ist entsprechend § 111 Abs. 3 Nr. 1 und Nr. 2, erstens, dass ein Gesamtauftrag, bei dem ein Auftragsteil der Ausnahmevorschrift in § 107 Abs. 2 Nr. 1 oder Nr. 2 unterliegt, nicht nach den Regelungen der §§ 97 ff. GWB vergeben werden muss sowie zweitens, dass ein Gesamtauftrag, bei dem ein Auftragsteil den Regelungen für verteidigungs- und sicherheitsspezifische Aufträge nach §§ 104 und 144 ff. unterliegt, gemäß diesen Bestimmungen vergeben werden kann.3 Zur Vermeidung eines unstimmigen Regelungssystems sollte die Vorschrift entsprechend dieser Regelungsabsicht angewandt werden.

IV. Umgehungsverbot (Abs. 5) Die Entscheidung für die Vergabe eines Gesamtauftrages oder getrennter Auf- 24 träge darf gem. § 111 Abs. 5 nicht zu dem Zweck getroffen werden, die Auftragsvergabe von den vergaberechtlichen Vorschriften auszunehmen. Über den Wortlaut hinaus wird man nach der Zielsetzung der Vorschrift bereits die Absicht, ein weniger strenges Vergaberechtsregime zur Anwendung zu bringen, als Verstoß gegen das Umgehungsverbot anzusehen haben.4 Eine Umgehung kann in der bewusst unzutreffenden Festlegung sowohl eines 25 trennbaren als auch eines untrennbaren Auftrages liegen. So kann die Vergabestelle z.B. zu Unrecht einen untrennbaren Auftrag annehmen, um zur Unanwendbarkeit des Vergaberechts für sämtliche Vertragsteile zu gelangen, weil der Hauptgegenstand des Vertrages nicht dem Vergaberecht unterliegt. Umgekehrt kann auch die Annahme eines trennbaren Auftrages mit dem Ziel der Umgehung erfolgen, wenn auf diese Weise einzelne Leistungsteile dem Anwendungsbereich des Vergaberechts entzogen werden sollen.

V. Entsprechende Anwendung bei Konzessionen (Abs. 6) Die Regelung in Abs. 6 stellt klar, dass die Bestimmungen in Abs. 1 und 2, 26 Abs. 3 Nr. 1 und Nr. 2 sowie in Abs. 4 und 5 bei Konzessionen entsprechend 1 Röwekamp in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, GWB, § 111 Rz. 9. 2 Art. 16 Abs. 4 der Richtlinie 2014/24/EU, Art. 25 Abs. 4 der Richtlinie 2014/25/EU sowie Art. 21 Abs. 3 der Richtlinie 2014/23/EU. 3 BT-Drucks. 18/6281, S. 86. 4 Vgl. hierzu Röwekamp in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, GWB, § 112 Rz. 4.

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§ 112 | Vergabe von gemischten öffentlichen Aufträgen und Konzessionen anwendbar sind. Wie sich aus der Gesetzesbegründung ergibt, erfolgte die vorrangige Bezugnahme in den Abs. 1–5 auf öffentliche Aufträge aus Gründen der Verständlichkeit und Übersichtlichkeit.1

§ 112 Vergabe von öffentlichen Aufträgen und Konzessionen, die verschiedene Tätigkeiten umfassen (1) Umfasst ein öffentlicher Auftrag mehrere Tätigkeiten, von denen eine Tätigkeit eine Sektorentätigkeit im Sinne des § 102 darstellt, dürfen getrennte Aufträge für die Zwecke jeder einzelnen Tätigkeit oder darf ein Gesamtauftrag vergeben werden. (2) Werden getrennte Aufträge vergeben, so wird jeder einzelne Auftrag nach den Vorschriften vergeben, die auf seine Merkmale anzuwenden sind. (3) Wird ein Gesamtauftrag vergeben, unterliegt dieser Auftrag den Bestimmungen, die für die Tätigkeit gelten, für die der Auftrag hauptsächlich bestimmt ist. Ist der Auftrag sowohl für eine Sektorentätigkeit im Sinne des § 102 als auch für eine Tätigkeit bestimmt, die Verteidigungs- oder Sicherheitsaspekte umfasst, ist § 111 Absatz 3 Nummer 1 und 2 entsprechend anzuwenden. (4) Die Entscheidung, einen Gesamtauftrag oder getrennte Aufträge zu vergeben, darf nicht zu dem Zweck getroffen werden, die Auftragsvergabe von den Vorschriften dieses Teils auszunehmen. (5) Ist es objektiv unmöglich, festzustellen, für welche Tätigkeit der Auftrag hauptsächlich bestimmt ist, unterliegt die Vergabe 1. den Vorschriften zur Vergabe von öffentlichen Aufträgen durch öffentliche Auftraggeber, wenn eine der Tätigkeiten, für die der Auftrag bestimmt ist, unter diese Vorschriften fällt, 2. den Vorschriften zur Vergabe von öffentlichen Aufträgen durch Sektorenauftraggeber, wenn der Auftrag sowohl für eine Sektorentätigkeit im Sinne des § 102 als auch für eine Tätigkeit bestimmt ist, die in den Anwendungsbereich der Vorschriften zur Vergabe von Konzessionen fallen würde, 3. den Vorschriften zur Vergabe von öffentlichen Aufträgen durch Sektorenauftraggeber, wenn der Auftrag sowohl für eine Sektorentätigkeit im Sinne des § 102 als auch für eine Tätigkeit bestimmt ist, die weder in den Anwendungsbereich der Vorschriften zur Vergabe von Konzessionen 1 BT-Drucks. 18/6281, S. 86.

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noch in den Anwendungsbereich der Vorschriften zur Vergabe öffentlicher Aufträge durch öffentliche Auftraggeber fallen würde. (6) Umfasst eine Konzession mehrere Tätigkeiten, von denen eine Tätigkeit eine Sektorentätigkeit im Sinne des § 102 darstellt, sind die Absätze 1 bis 4 entsprechend anzuwenden. Ist es objektiv unmöglich, festzustellen, für welche Tätigkeit die Konzession hauptsächlich bestimmt ist, unterliegt die Vergabe 1. den Vorschriften zur Vergabe von Konzessionen durch Konzessionsgeber im Sinne des § 101 Absatz 1 Nummer 1, wenn eine der Tätigkeiten, für die die Konzession bestimmt ist, diesen Bestimmungen und die andere Tätigkeit den Bestimmungen für die Vergabe von Konzessionen durch Konzessionsgeber im Sinne des § 101 Absatz 1 Nummer 2 oder Nummer 3 unterliegt, 2. den Vorschriften zur Vergabe von öffentlichen Aufträgen durch öffentliche Auftraggeber, wenn eine der Tätigkeiten, für die die Konzession bestimmt ist, unter diese Vorschriften fällt, 3. den Vorschriften zur Vergabe von Konzessionen, wenn eine der Tätigkeiten, für die die Konzession bestimmt ist, diesen Vorschriften und die andere Tätigkeit weder den Vor-schriften zur Vergabe von öffentlichen Aufträgen durch Sektorenauftraggeber noch den Vorschriften zur Vergabe öffentlicher Aufträge durch öffentliche Auftraggeber unterliegt. I. Inhaltsübersicht . . . . . . . . . . . II. Anwendbares Recht bei öffentlichen Aufträgen (Abs. 1) . . . . . 1. Getrennte Aufträge (Abs. 2) . . . 2. Regelungen für die Vergabe eines Gesamtauftrages (Abs. 3) . 3. Umgehungsverbot (Abs. 4) . . . . 4. Zuordnungsregelung bei Unbestimmbarkeit der Haupttätigkeit (Abs. 5) . . . . . . . . . . . . . . . . . .

_ __ __ _ 1 3 4 5 8

_ _ _

III. Anwendbares Recht bei Konzessionen (Abs. 6) . . . . . . . . . . . . 12 1. Entsprechende Anwendung der Abs. 1–4 (Satz 1) . . . . . . . . . . . 13 2. Zuordnungsregelung bei Nichtbestimmbarkeit der Haupttätigkeit (Satz 2) . . . . . . . . . . . . . . . 14

9

I. Inhaltsübersicht § 112 bestimmt ergänzend zu § 111 das anwendbare Recht, wenn ein gemischter 1 Auftrag bzw. eine gemischte Konzession in den Anwendungsbereich unterschiedlicher Vergaberechtsregime verschiedener Richtlinien fällt.1 Die Vorschrift dient der Umsetzung von Art. 6 und 26 der Richtlinie 2014/25/EU sowie von Art. 22 und Art. 23 der Richtlinie 2014/23/EU. 1 Röwekamp in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, GWB, § 112 Rz. 1.

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§ 112 | Vergabe von gemischten öffentlichen Aufträgen und Konzessionen 2 § 112 regelt dabei die Fälle, wenn ein und dieselbe Beschaffung für die Aus-

übung unterschiedlicher Tätigkeiten des Auftraggebers dient, von denen eine Tätigkeit eine Sektorentätigkeit i.S.d. § 102 darstellt, die Vergabe darüber hinaus aber auch für die Ausübung einer anderen Tätigkeit bestimmt ist. In der Gesetzesbegründung zur Regelung in § 99 Abs. 11 GWB a.F. wurde als Beispiel der Bau eines Gebäudes für die Stadtverwaltung genannt, in dem einige Räume für die kommunalen Stadtwerke vorgesehen sind.1 Dagegen greift § 111 ein, wenn der gemischte Auftrag für ein und dieselbe Tätigkeit erfolgt, hierbei aber verschiedene Beschaffungskomponenten umfasst, die unterschiedlichen rechtlichen Regelungen unterliegen (vgl. § 111 Rz. 2).2

II. Anwendbares Recht bei öffentlichen Aufträgen (Abs. 1) 3 Dient die Beschaffungsmaßnahme mehreren Tätigkeiten, von denen eine Tätig-

keit eine Sektorentätigkeit i.S.d. § 102 ist, hat der Auftraggeber gem. § 112 Abs. 1 grundsätzlich die Wahl, ob er mehrere getrennte Aufträge für die Zwecke jeder einzelnen Tätigkeit oder einen Gesamtauftrag nach Maßgabe der Abs. 3 und 4 vergeben möchte.3 1. Getrennte Aufträge (Abs. 2)

4 Entscheidet sich der Auftraggeber für eine getrennte Vergabe, hat er für jeden

einzelnen Auftrag die Regelungen zur Anwendung zu bringen, denen die jeweilige Tätigkeit unterliegt. Für den Auftragsteil, der zum Zweck einer Sektorentätigkeit gem. §§ 100, 102 bestimmt ist, finden somit die Regelungen in §§ 136 ff. sowie der SektVO Anwendung. Für die anderen Auftragsteile ist anhand der Merkmale des jeweiligen Auftrages zu bestimmen, ob und ggf. welche vergaberechtlichen Regelungen Geltung beanspruchen. 2. Regelungen für die Vergabe eines Gesamtauftrages (Abs. 3)

5 Beschließt der Auftraggeber einen einheitlichen Auftrag zu erteilen, richten sich

die anwendbaren Regelungen nach der Bestimmung, welcher Tätigkeit der Auftrag hauptsächlich dienen soll (Haupttätigkeit). Anders als beim Begriff des Hauptgegenstandes in § 110 Abs. 1 und Abs. 2 sowie § 111 Abs. 4 kommt es somit nicht auf den Schwerpunkt der zu beschaffenden Leistung an, sondern darauf, für welchen Zweck die Leistung hauptsächlich verwendet werden soll.4

1 2 3 4

BT-Drucks. 16/10117, 18 f. BT-Drucks. 18/6281, 86. BT-Drucks. 18/6281, 86. Czaki in Müller-Wrede, GWB, § 112 Rz. 15.

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Vergabe von gemischten öffentlichen Aufträgen und Konzessionen | § 112

In Erwägungsgrund 16 der Richtlinie 2014/25/EU1 ist hierzu der klarstellende 6 Hinweis enthalten, dass die Ermittlung der Tätigkeit, auf die der Auftrag in erster Linie abzielt, auf einer Analyse der Erfordernisse beruhen kann, zu deren Erfüllung der betreffende Auftrag vergeben werden soll. Entscheidend ist danach, welcher Zweck den Charakter des Vertrages im Wesentlichen prägt.2 In dem einleitend genannten Beispiel (s. Rz. 2) des Gebäudebaus für die Stadtverwaltung wären die Vorschriften für die Vergabe öffentlicher Aufträge durch öffentliche Auftraggeber einschlägig, da nur ein untergeordneter Teil der Baumaßnahme der Erbringung von Sektorentätigkeiten zuzuordnen ist.3 Umfasst eine der Tätigkeiten, für die der Auftrag bestimmt ist, Verteidigungs- 7 oder Sicherheitsaspekte, kann unabhängig vom Hauptzweck der Tätigkeiten in entsprechender Anwendung von § 111 Abs. 3 Nr. 1 und Nr. 2 entweder auf eine Anwendung der §§ 97 ff. verzichtet werden, wenn wesentliche Sicherheitsinteressen der Bundesrepublik Deutschland gem. § 107 Abs. 2 betroffen sind oder im Übrigen die Vergabe nach den Vorgaben für die Vergabe von verteidigungsund sicherheitsspezifischen öffentlichen Aufträgen in den §§ 144 ff. erfolgen (vgl. § 111 Rz. 14). Erforderlich ist aber wie bei § 111 Abs. 3, dass objektive Gründe die einheitliche Vergabe rechtfertigen. 3. Umgehungsverbot (Abs. 4) Entsprechend der Regelung in § 111 Abs. 5 (vgl. § 111 Rz. 24 f.) darf die Ent- 8 scheidung des Auftraggebers nach den Abs. 1–3 für die Vergabe getrennter Aufträge oder einen Gesamtauftrag nicht mit dem Ziel vorgenommen werden, die Auftragsvergabe dem Anwendungsbereich der vergaberechtlichen Vorschriften zu entziehen.4 4. Zuordnungsregelung bei Unbestimmbarkeit der Haupttätigkeit (Abs. 5) Aus § 112 Abs. 5 ergibt sich, welche Vorschriften Anwendung finden, wenn bei 9 der Vergabe eines Gesamtauftrages nicht objektiv bestimmt werden kann, für welche Tätigkeit der Auftrag hauptsächlich dienen soll. Eine solche Konstellation wäre etwa in dem einleitend geschilderten Fall gegeben (s. Rz. 2), wenn das zu bauende Verwaltungsgebäude von der Stadt und den kommunalen Stadtwerken in gleichem Umfang genutzt werden soll.5 Umfasst eine der Tätigkeiten 1 2 3 4 5

Vgl. auch Erwägungsgrund 31 der Richtlinie 2014/23/EU. Röwekamp in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, GWB, § 112 Rz. 2. BT-Drucks. 16/10117, S. 18 f. BT-Drucks. 18/6281, S. 87. Siehe die Gesetzesbegründung zum alten Recht BT-Drucks. 16/10117, S. 19. Erwägungsgrund 16 der Richtlinie 2014/25/EU verweist auf die Nachbestellung eines Gerätes für mehrere Tätigkeiten, bei dem sich der jeweilige Auslastungsgrad nicht vorab ermitteln lässt.

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§ 112 | Vergabe von gemischten öffentlichen Aufträgen und Konzessionen Verteidigungs- oder Sicherheitsaspekte, ist § 112 Abs. 3 S. 2 einschlägig (vgl. Rz. 7). 10 Gemäß § 112 Abs. 5 ist im Zweifel das jeweils strengere Vergaberegime zur

Anwendung zu bringen.1 Fällt eine der Tätigkeiten, für die der Auftrag bestimmt ist, in den Anwendungsbereich der Vorschriften zur Vergabe von öffentlichen Aufträgen durch öffentliche Auftraggeber, sind die Vorschriften in den §§ 115 ff. und der VgV anwendbar (Nr. 1).

11 Ist der Auftrag für eine Sektorentätigkeit i.S.d. § 102 bestimmt und dient darü-

ber hinaus entweder für eine Tätigkeit, die in den Anwendungsbereich der Regelungen über die Konzessionsvergabe fällt (Nr. 2) oder für eine Tätigkeit, die nicht dem Anwendungsbereich der §§ 97 ff. unterliegt (Nr. 3),2 führt dies zur Anwendbarkeit der Regelungen über die Vergabe von öffentlichen Aufträgen durch Sektorenauftraggeber gem. §§ 136 ff. und der SektVO.

III. Anwendbares Recht bei Konzessionen (Abs. 6) 12 Sind Konzessionsverträge auf mehrere Tätigkeiten ausgerichtet und ist eine von

ihnen eine Sektorentätigkeit, folgt aus § 112 Abs. 6, welchen rechtlichen Regelungen die Konzessionsvergabe unterliegt. 1. Entsprechende Anwendung der Abs. 1–4 (Satz 1)

13 In entsprechender Anwendung der Abs. 1–4 steht es auch bei Konzessionen

dem Konzessionsgeber frei, ob er für die einzelnen Tätigkeiten getrennte Konzessionen vergeben möchte oder eine einheitliche Konzession. Er hat bei der Entscheidung das Umgehungsverbot zu beachten. Die Sonderregelung für verteidigungs- und sicherheitsrelevante Tätigkeiten gilt bei Konzessionen ebenfalls. 2. Zuordnungsregelung bei Nichtbestimmbarkeit der Haupttätigkeit (Satz 2)

14 Eine eigenständige Regelung gegenüber Abs. 5 enthält Abs. 6 S. 2, falls die Fest-

stellung objektiv unmöglich ist, für welche Tätigkeit die Beschaffung hauptsächlich erfolgt.3

15 Gemäß § 112 Abs. 6 S. 2 Nr. 1 richtet sich das anwendbare Recht nach den für

öffentliche Konzessionsgeber i.S.d. § 101 Abs. 1 Nr. 1 geltenden Bestimmun-

1 Die Rechtslage entspricht dem alten Recht nach § 99 Abs. 12 GWB a.F., vgl. Wegener in Pünder/Schellenberg, Vergaberecht, 2. Aufl., § 99 GWB, Rz. 95. 2 Ein Beispiel für diese Konstellation wäre der Bau eines Gebäudes in gleichem Umfang für die Verwaltung des kommunalen Stadtwerkes und als Sitz eines privaten Unternehmens, BT-Drucks. 16/10117, S. 19. 3 BT-Drucks. 18/6281, S. 87 f.

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Verordnungsermächtigung | § 113

gen und nicht nach den Regelungen, die für Sektorenkonzessionsgeber gem. § 101 Abs. 1 Nr. 2 und Nr. 3 anwendbar sind (vgl. zum Begriff § 101 Rz. 3). Damit finden etwa die Erleichterungen in § 154 Nr. 5–7 i.V.m. §§ 138 ff. keine Anwendung (vgl. hierzu § 154 Rz. 13 ff.). § 112 Abs. 6 S. 2 Nr. 2 führt zur Anwendung der Vorschriften über die Ver- 16 gabe öffentlicher Aufträge, wenn eine Tätigkeit, für die die Konzession bestimmt ist, dem Anwendungsbereich der §§ 115 ff. unterfällt. § 112 Abs. 6 S. 2 Nr. 3 stellt schließlich klar, dass die Regelungen über die Vergabe von Konzessionen im Zweifel Anwendung finden, wenn die Vergabe für eine Tätigkeit erfolgt, die in den Anwendungsbereich der Konzessionsvergaberegelungen fällt, selbst wenn sie auch für andere Tätigkeiten dient, die dem Vergaberecht nicht unterfallen.

§ 113 Verordnungsermächtigung Die Bundesregierung wird ermächtigt, durch Rechtsverordnungen mit Zustimmung des Bundesrates die Einzelheiten zur Vergabe von öffentlichen Aufträgen und Konzessionen sowie zur Ausrichtung von Wettbewerben zu regeln. Diese Ermächtigung umfasst die Befugnis zur Regelung von Anforderungen an den Auftragsgegenstand und an das Vergabeverfahren, insbesondere zur Regelung 1. der Schätzung des Auftrags- oder Vertragswertes, 2. der Leistungsbeschreibung, der Bekanntmachung, der Verfahrensarten und des Ablaufs des Vergabeverfahrens, der Nebenangebote, der Vergabe von Unteraufträgen sowie der Vergabe öffentlicher Aufträge und Konzessionen, die soziale und andere besondere Dienstleistungen betreffen, 3. der besonderen Methoden und Instrumente in Vergabeverfahren und für Sammelbeschaffungen einschließlich der zentralen Beschaffung, 4. des Sendens, Empfangens, Weiterleitens und Speicherns von Daten einschließlich der Regelungen zum Inkrafttreten der entsprechenden Verpflichtungen, 5. der Auswahl und Prüfung der Unternehmen und Angebote sowie des Abschlusses des Vertrags, 6. der Aufhebung des Vergabeverfahrens, 7. der verteidigungs- oder sicherheitsspezifischen Anforderungen im Hinblick auf den Geheimschutz, auf die allgemeinen Regelungen zur Wahrung der Vertraulichkeit, auf die Versorgungssicherheit sowie auf die besonderen Regelungen für die Vergabe von Unteraufträgen, 8. der Voraussetzungen, nach denen Sektorenauftraggeber, Konzessionsgeber oder Auftraggeber nach dem Bundesberggesetz von der Verpflichtung zur Anwendung dieses Teils befreit werden können, sowie des dabei Rafii/Glahs

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§ 114 | Monitoring und Pflicht zur Übermittlung von Vergabedaten anzuwendenden Verfahrens einschließlich der erforderlichen Ermittlungsbefugnisse des Bundeskartellamtes und der Einzelheiten der Kostenerhebung; Vollstreckungserleichterungen dürfen vorgesehen werden. Die Rechtsverordnungen sind dem Bundestag zuzuleiten. Die Zuleitung erfolgt vor der Zuleitung an den Bundesrat. Die Rechtsverordnungen können durch Beschluss des Bundestages geändert oder abgelehnt werden. Der Beschluss des Bundestages wird der Bundesregierung zugeleitet. Hat sich der Bundestag nach Ablauf von drei Sitzungswochen seit Eingang der Rechtsverordnungen nicht mit ihnen befasst, so werden die unveränderten Rechtsverordnungen dem Bundesrat zugeleitet. 1 § 113 enthält nunmehr anstelle von § 127 GWB a.F. und § 97 Abs. 6 GWB a.F.

die Ermächtigung zum Erlass von Rechtsverordnungen auf dem Gebiet des Vergaberechts. Die Verordnungen müssen mit Zustimmung des Bundesrates erlassen werden.

2 Auf der Grundlage von § 113 GWB erlassen wurden bislang folgende Verord-

nungen: Verordnung über die Vergabe öffentlicher Aufträge (VgV), Verordnung über die Vergabe von öffentlichen Aufträgen im Bereich des Verkehrs, der Trinkwasserversorgung und der Energieversorgung (SektVO); Verordnung über die Vergabe von Konzessionen (KozVgV); Vergabeverordnung für die Bereiche Verteidigung und Sicherheit zur Umsetzung der Richtlinie 2009/81/EG des europäischen Parlaments und des Rates vom 13.7.2009 (VSVgV).

§ 114 Monitoring und Pflicht zur Übermittlung von Vergabedaten (1) Die obersten Bundesbehörden und die Länder erstatten in ihrem jeweiligen Zuständigkeitsbereich dem Bundesministerium für Wirtschaft und Energie über die Anwendung der Vorschriften dieses Teils und der aufgrund des § 113 erlassenen Rechtsverordnungen bis zum 15. Februar 2017 und danach alle drei Jahre jeweils bis zum 15. Februar schriftlich Bericht. (2) Auftraggeber im Sinne des § 98 übermitteln an das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie Daten zu öffentlichen Aufträgen im Sinne des § 103 Absatz 1 und zu Konzessionen im Sinne des § 105 zur Gewinnung flächendeckender Daten im Vergabewesen. Die zu übermittelnden Daten umfassen für öffentliche Aufträge im Sinne des § 103 Absatz 1 und für Konzessionen im Sinne des § 105 oberhalb der jeweils geltenden Schwellenwerte maximal Daten, die in den Bekanntmachungen über vergebene öffentliche Aufträge und Konzessionen enthalten sind. Die zu übermittelnden Daten 490

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Monitoring und Pflicht zur Übermittlung von Vergabedaten | § 114

umfassen für öffentliche Aufträge durch öffentliche Auftraggeber im Sinne des § 99 unterhalb der jeweils geltenden Schwellenwerte und oberhalb einer durch die Verordnung nach Satz 4 festzulegenden Bagatellgrenze Daten zur Art und zur Menge der Leistung sowie zum Wert des erfolgreichen Angebots. Die Bundesregierung wird ermächtigt, durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates die Einzelheiten der Datenübermittlung einschließlich des Umfangs der zu übermittelnden Daten und des Zeitpunkts des Inkrafttretens der entsprechenden Verpflichtungen zu regeln. I. 1. 2. 3. 4. II. III.

Einführung Inhaltsübersicht . . . . . . . . . . . Europarechtliche Vorgaben . . . Entstehungsgeschichte . . . . . . Parallelregelungen . . . . . . . . . Berichtspflichten (Abs. 1) . . . Übermittlung weitergehender Vergabedaten (Abs. 2 Satz 1 bis Satz 3) . . . . . . . . . . . . . . .

. . . . . .

__ ___ _ 1 4 8 10 11 16

1. Datenübermittlung ab Erreichung der EU-Schwellenwerte (Abs. 2 Satz 1 und Satz 2) . . . . . 2. Datenübermittlung unterhalb der EU-Schwellenwerte (Abs. 2 Satz 3) . . . . . . . . . . . . . IV. Verordnungsermächtigung (Abs. 2 Satz 4) . . . . . . . . . . . . . V. Bieterschützender Charakter . .

_ _ __ 18 23 29 30

I. Einführung 1. Inhaltsübersicht Die Vorschrift des § 114 Abs. 1 GWB statuiert die Pflicht der obersten Bundes- 1 behörden und der Länder dem Bundesministerium für Wirtschaft und Energie im Drei-Jahres-Rhythmus über bestimmte Entwicklungen im Vergaberecht Bericht zu erstatten, damit die Bundesregierung der in den Vergaberichtlinien vorgesehen Berichtspflicht nachkommen kann (hierzu näher unter Rz. 11 ff.). Bedeutsamer dürfte die Vorschrift des § 114 Abs. 2 Satz 1 bis 3 GWB sein, wel- 2 che öffentliche Auftraggeber verpflichtet, Daten über die Vergabe von Aufträgen sowohl mit einem Auftragswert ab Erreichung der für die Anwendung des GWB-Vergaberechts maßgeblichen Schwellenwerte (vgl. § 106 GWB) als auch über die Auftragsvergabe unterhalb dieser Werte an das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie zu übermitteln (hierzu näher unter Rz. 16 ff.). Damit wurde erstmals eine bundesgesetzliche Regelung geschaffen, die öffentliche Auftraggeber aller Ebenen schwellenwertunabhängig zur Übermittlung von Vergabedaten verpflichtet. Zwar enthielt bereits § 17 VgV a.F. die Pflicht zur Übermittlung von Vergabedaten, indes nur für den Oberschwellenbereich1. Zwar 1 Näher zur Reichweite der Pflicht zur Datenübermittlung nach § 17 VgV: Mentzinis in Pünder/Schellenberg, Vergaberecht, 2. Aufl. 2015, § 17 VgV Rz. 1 ff.; Stickler in Reidt/ Stickler/Glahs, VergabeR, 3. Aufl. 2011 (Vorauflage), § 17 VgV Rz. 2 ff.

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§ 114 | Monitoring und Pflicht zur Übermittlung von Vergabedaten steht eine umfassende Statistikpflicht in einem gewissen Widerspruch zu dem mit der Vergaberechtsmodernisierung verfolgten Ziel, den bürokratischen Aufwand u.A. für Auftraggeber so gering wie möglich zu halten1. Dennoch fügt sich die Vorschrift in die Systematik des modernisierten Vergaberechts ein. Ziel des neuen Vergaberechts ist u.a. die Stärkung der strategischen Beschaffung2. Um in dieser Hinsicht die richtigen Weichenstellungen vornehmen zu können, bedarf die Bundesregierung einer validen Datengrundlage über die Auftragsvergabe im Ober- sowie im Unterschwellenbereich3. 3 Die Regelung des § 114 Abs. 2 Satz 4 GWB enthält schließlich eine Ermächti-

gungsgrundlage für den Erlass einer die Datenübermittlung konkretisierenden Rechtsverordnung (hierzu näher unter Rz. 29). 2. Europarechtliche Vorgaben

4 Die Regelung des § 114 Abs. 1 GWB hat den Zweck, der Bundesregierung die

Wahrnehmung ihrer Plichten aus Art. 83 Abs. 3 UAbs. 2 RL 2014/24/EU, Art. 99 Abs. 3 UAbs. 2 RL 2014/25/EU zu ermöglichen. Danach haben die Mitgliedstaaten der EU-Kommission erstmals bis Februar 2017 und dann höchstens alle drei Jahre einen Überwachungsbericht zu übermitteln. Der mitgliedstaatliche Überwachungsbericht soll dabei Informationen über die häufigsten Ursachen einer falschen Anwendung des Vergaberechts oder Rechtsunsicherheiten, einschließlich möglicher struktureller und wiederkehrender Probleme bei der Beachtung der Vorschriften über das Ausmaß der Beteiligung von kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) an der öffentlichen Auftragsvergabe und über Vorbeugung, Aufdeckung und angemessene Berichterstattung über Fälle von Betrug, Bestechung, Interessenkonflikten und sonstigen schwerwiegenden Unregelmäßigkeiten im Bereich des öffentlichen Auftragswesens enthalten. Vergleichbares sieht Art. 45 Abs. 3 UAbs. 2 RL 2014/23/EU für den Bereich der Konzessionsvergabe vor, jedoch mit eingeschränktem Datenumfang.

5 Die Übermittlung von Vergabedaten gemäß § 114 Abs. 2 GWB versetzt die

Bundesregierung in die Lage, der EU-Kommission gemäß Art. 85 Abs. 2 UAbs. 1 RL 2014/24/EU, Art. 101 Abs. 2 UAbs. 1 RL 2014/25/EU bis zum 18.4. 2017 und danach alle drei Jahre einen statistischen Bericht für Beschaffungen, die – wenn ihr Wert den geltenden Schwellenwert überschritten hätte – unter die Richtlinie gefallen wären, mit Angabe des geschätzten Gesamtwerts solcher Beschaffungen im betreffenden Zeitraum zu übermitteln. Die RL 2014/23/EU

1 Vgl. Punkt II. Spiegelstr. 5 der „Eckpunkte zur Reform des Vergaberechts“, Beschluss des Bundeskabinetts v. 7.1.2015. 2 Erwägungsgrund 3 RL 2014/23/EU; Erwägungsgrund 47 RL 2014/24/EU; Erwägungsgrund 57 RL 2014/25/EU. 3 Lausen in Heiermann/Zeiss/Summa, jurisPK-VergabeR, 5. Aufl. 2016, § 114 Rz. 27; Schaller, LKV 2016, 529 (531).

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Monitoring und Pflicht zur Übermittlung von Vergabedaten | § 114

enthält zwar keine vergleichbare explizite Regelung, jedoch setzt Erwägungsgrund 83 RL 2014/23/EU voraus, dass die Mitgliedstaaten die Anwendung und das Funktionieren von Vorschriften über die Vergabe von Konzessionsverträgen konsequent und systematisch überwachen, was auch durch die Datenübermittlung im Sinne von § 114 Abs. 2 GWB erreicht wird1. Daneben werden die Vergabedaten gemäß Art. 85 Abs. 1 UAbs. 1 RL 2014/24/EU, Art. 101 Abs. 1 UAbs. 1 RL 2014/25/EU von der EU-Kommission anhand der EU-Bekanntmachung der öffentlichen Aufträge überprüft. Sofern die Qualität und Vollständigkeit der Daten nicht den Bekanntmachungspflichten der Vergaberichtlinien genügt, können zusätzliche statistische Informationen bei den Mitgliedstaaten angefordert werden (Art. 85 Abs. 1 UAbs. 2 RL 2014/24/EU, Art. 99 Abs. 1 UAbs. 2 RL 2014/25/EU). Auch der Erfüllung letzterer Pflicht dienen die nach § 114 Abs. 2 GWB gegebenenfalls zu übermittelten Daten. Dieses System hebt sich von der bisherigen Rechtslage (vgl. Art. 75, 76 RL 2004/18/EG, Art. 67 RL 2004/17/EG) ab. Hiernach war von den Mitgliedstaaten eine Übermittlung von Vergabedaten im Jahresrhythmus gefordert. Zur Ermöglichung dieser Pflicht sah bereits § 17 VgV a.F. Melde- und Berichtspflichten öffentlicher Auftraggeber vor, allerdings – anders als § 114 Abs. 2 GWB – nur für den Oberschwellenbereich. Fraglich ist, ob auch die Übermittlung von Vergabedaten über die Vergabe von 6 öffentlichen Aufträgen, Sektorenaufträgen und Konzessionen im Unterschwellenbereich durch die Vergaberichtlinien gedeckt ist2. Der Gesetzgeber scheint dies zu bejahen3. Über die Anforderungen der Vergaberichtlinien hinaus geht aber wohl die umfassende, kontinuierliche Übermittlung von Vergabedaten, während die Vergaberichtlinien – weniger bürokratisch – Berichtspflichten im 3-Jahres-Rhythmus vorsehen4. Sofern § 114 Abs. 2 GWB über die Vergaberichtlinien hinausgeht, ist dies jedoch unproblematisch, da es dem nationalen Gesetzgeber freisteht, die Vorgaben der Vergaberichtlinien zu verschärfen. Auch mangelt es nicht an der Gesetzgebungskompetenz des Bundes für weitergehende Statistikpflichten. Diese folgt aus Art. 73 Abs. 1 Nr. 11 GG5, nämlich 1 Ähnlich Müller in Müller-Wrede, GWB, 2016, § 114 Rz. 12. 2 Zweifelnd wohl Fandrey in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, GWB, 4. Aufl. 2016, § 114 Rz. 2 (Der erste Absatz ist europarechtlich fundiert und richtet sich nur an einen sehr kleinen Kreis […], während der zweite Absatz eine Pflicht zur Datenübermittlung für Auftraggeber aller Ebenen sowie für den Ober- und Unterschwellenbereich enthält). 3 Gesetzesbegründung VergRModG 2016, BT-Drucks. 18/6281, S. 91 (Die Erhebung dieser Daten schafft außerdem die notwendigen Voraussetzungen, damit die Bundesrepublik Deutschland ihre Berichtspflichten gegenüber der Europäischen Kommission erfüllen kann, die sich aus den neuen EU-Vergaberichtlinien ergeben. Derartige Berichtspflichten bestehen auch in Bezug auf öffentliche Auftragsvergaben unterhalb der jeweils geltenden Schwellenwerte.); ebenso Schaller, LKV 2016, 529 (531). 4 I.d.S. Empfehlungen der Ausschüsse des Bundesrates, BR-Drucks. 367/1/15 v. 11.9.2015, S. 3 f. Ziffer 4. 5 Gesetzesbegründung VergRModG 2016, BT-Drucks. 18/6281, S. 90.

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§ 114 | Monitoring und Pflicht zur Übermittlung von Vergabedaten der Bundesgesetzgebungskompetenz der „Regelung der Statistik für Bundeszwecke“1. 7 Hinsichtlich verteidigungs- und sicherheitstechnischer Aufträge verbleibt es ge-

mäß Art. 65, 66 RL 2009/81/EG – wie bisher, und ähnlich Art. 75, 76 RL 2004/ 18/EG, Art. 67 RL 2004/17/EG – bei einer einjährigen Statistik- und Berichtspflicht. 3. Entstehungsgeschichte

8 Der Wortlaut des § 114 GWB blieb gegenüber dem Gesetzentwurf unverändert. 9 Der Bundesrat kritisierte im Gesetzgebungsverfahren den mit der Datenüber-

mittlung nach § 114 Abs. 2 GWB verbundenen Aufwand ohne dass die Länder hierdurch einen Vorteil haben2. Die Bundesregierung stimmte dem diesbezüglichen Vorschlag des Bundesrates zu3 und hat den Bedenken der Länder im Rahmen der nach § 114 Abs. 3 GWB zu erlassenden Vergabestatistikverordnung Rechnung getragen. In der Konsequenz sieht § 6 Abs. 6 und 7 VergStatVO vor, dass auch die Länder- und Kommunalbehörden sowie Landesämter für Statistik die sie betreffenden Daten erhalten. 4. Parallelregelungen

10 Ergänzt wird die Bestimmung des § 114 GWB durch die auf der Grundlage des

§ 114 Abs. 2 Satz 4 GWB erlassene Vergabestatistikverordnung (VergStatVO).

II. Berichtspflichten (Abs. 1) 11 Normadressaten des § 114 Abs. 1 GWB sind die obersten Bundesbehörden und

die Länder. Kommunen und sonstige der Aufsicht der Länder unterliegende Rechtspersönlichkeiten sind nicht unmittelbar verpflichtet.

12 Aus dem Umstand, dass über die „Anwendung der Vorschriften dieses Teils

und der aufgrund des § 113 erlassenen Rechtsverordnungen“ Bericht zu erstatten ist, ergibt sich, dass § 114 Abs. 1 GWB in sachlicher Hinsicht für die Vergabe von öffentlichen Aufträgen ab Erreichung der EU-Schwellenwerte gilt4.

1 Näher zum Begriff der Statistik i.S.d. Art. 73 Abs. 1 Nr. 11 GG: Degenhart in Sachs, GG, 7. Aufl. 2014, Art. 73 Rz. 54. 2 Vgl. Empfehlungen der Ausschüsse des Bundesrates, BR-Drucks. 367/1/15 v. 11.9.2015, S. 3 f. Ziffer 4 sowie Bundesrat, Plenarprotokoll 936 v. 25.9.2015, Tagesordnungspunkt 37, S. 333, Abstimmung zu Ziffer 4. 3 BT-Drucks. 18/6281, Anlage 4 Gegenäußerung der Bundesregierung, S. 158. 4 Lausen in Heiermann/Zeiss/Summa, jurisPK-VergabeR, GWB, § 114 Rz. 15.

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Der Gegenstand der Berichtspflichten wird in § 114 Abs. 1 GWB nur sehr all- 13 gemein beschrieben. Die Berichte sollen Auskunft geben über die „Anwendung der Vorschriften dieses Teils und der aufgrund des § 113 erlassenen Rechtsverordnungen“, d.h. des GWB und der VgV, SektVO, KonzVgV sowie der VSVgV. Da die VgV die Anwendung des Abschnitts 2 VOB/A sowie § 2 Abs. 2 VSVgV die Anwendung von Abschnitt 3 VOB/A vorschreibt, erstrecken sich die Berichtspflichten auch auf die Anwendung der Abschnitte 2 und 3 der VOB/A1. In der Gesetzesbegründung wird darauf hingewiesen, dass das Bundesministe- 14 rium für Wirtschaft und Energie – rechtzeitig vor dem jeweiligen Berichtstermin – den Aufbau der Berichte näher erläutern wird2. Die Berichte der obersten Bundesbehörden und der Länder sollen die Bundes- 15 regierung in den Stand versetzen, die Europäische Kommission über die Entwicklung des Vergaberechts in Deutschland zu informieren, die aus den Berichten der Mitgliedstaaten ihrerseits einen Bericht erstellt. Wie sich aus Art. 83 Abs. 3 UAbs. 2 RL 2014/24/EU, Art. 99 Abs. 3 UAbs. 2 RL 2014/25/EU ergibt, zielen die Berichte darauf ab, über die häufigsten Ursachen einer falschen Anwendung oder Rechtsunsicherheit des Vergaberechts, über die Partizipation von kleineren und mittleren Unternehmen (KMU) an der Auftragsvergabe sowie über Vorbeugung, Aufdeckung und angemessene Berichterstattung über schwerwiegende Unregelmäßigkeiten im Bereich des Vergaberechts aufzuklären. Für den Bereich der Konzessionsvergabe gilt gemäß Art. 45 Abs. 3 UAbs. 2 RL 2014/23/EU ähnliches, jedoch mit einem reduzierten Datenumfang (s.o., Rz. 4).

III. Übermittlung weitergehender Vergabedaten (Abs. 2 Satz 1 bis Satz 3) Aus § 114 Abs. 2 GWB ergibt sich für öffentliche Auftraggeber eine Pflicht zur 16 Übermittlung weitergehender Daten, wobei die Vorschrift zwischen dem sog. Ober- und dem Unterschwellenbereich differenziert. Empfänger der Daten ist in beiden Fällen das Bundesministerium für Wirtschaft 17 und Energie. 1. Datenübermittlung ab Erreichung der EU-Schwellenwerte (Abs. 2 Satz 1 und Satz 2) Die Pflicht zur Übermittlung von Vergabedaten bezüglich der Verfahren, deren 18 Auftrags- oder Vertragswert die Schwellenwerte des § 106 GWB erreicht, wird in § 114 Abs. 2 Satz 1 und Satz 2 GWB geregelt. Die Vorschrift des § 114 1 Fandrey in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, GWB, § 114 Rz. 3 mit Fn. 3. 2 Gesetzesbegründung VergRModG 2016, BT-Drucks. 18/6281, S. 90.

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§ 114 | Monitoring und Pflicht zur Übermittlung von Vergabedaten Abs. 2 S. 2 GWB spricht zwar – unpräzise – nur von Verfahren „oberhalb“ der jeweiligen Schwellenwerte. Dies ist aber bei richtlinienkonformer Auslegung dahingehend auszulegen, dass die Pflichten der § 114 Abs. 2 Satz 1 und Satz 2 GWB auch eingreifen, wenn der Schwellenwert exakt erreicht wird1. 19 Adressaten der Pflicht zur Übermittlung von Vergabedaten im sog. Oberschwel-

lenbereich sind gemäß § 114 Abs. 2 Satz 1 GWB öffentliche Auftraggeber i.S.d. § 98 GWB, mithin klassische öffentliche Auftraggeber, Sektorenauftraggeber und Konzessionsgeber.

20 Wie sich aus § 114 Abs. 2 Satz 2 GWB ergibt, sind ab Erreichung der Schwellen-

werte die Daten zu übermitteln, die in den Bekanntmachungen über vergebene öffentliche Aufträge und Konzessionen enthalten sind.

21 In inhaltlicher Sicht erstreckt sich die Verpflichtung zur Übermittlung von Ver-

gabedaten im Oberschwellenbereich maximal auf Informationen, welche in den Bekanntmachungen über öffentliche Aufträge und Konzessionen, d.h. in der Vergabebekanntmachung öffentlicher Aufträge (§ 39 Abs. 2 VgV i.V.m. Anhang III Durchführungsverordnung (EU) 2015/1986, § 35 Abs. 1 VSVgV i.V.m. Anhang XV Durchführungsverordnung (EU) 2015/1986, § 18 EU Abs. 3 Nr. 2 VOB/ A, § 18 VS Abs. 3 Nr. 2 VOB/A i.V.m. Anhang V Teil D der Richtlinie 2014/24/ EU) bzw. in der Zuschlagsbekanntmachung von Konzessionen (§ 21 Abs. 2 KonzVgV i.V.m. Anhang XVII der Durchführungsverordnung (EU) 2015/1986) enthalten sind. Die Inhalte ergeben sich aus den jeweiligen Bekanntmachungsformularen, werden darüber hinaus aber auch in der VergStatVO nochmals konkretisiert (vgl. § 3 VergStatVO i.V.m. Anlagen 2 bis 7 zu § 3 VergStatVO).

22 Bei Oberschwellenvergaben ist vorgesehen, ein vollautomatisiertes Verfahren ein-

zuführen, mit dessen Hilfe die Daten aus den entsprechenden Bekanntmachungsformularen ausgelesen werden, sodass durch die Datenübermittlung kein zusätzlicher Erfüllungsaufwand bei den öffentlichen Auftraggebern entsteht2. 2. Datenübermittlung unterhalb der EU-Schwellenwerte (Abs. 2 Satz 3)

23 Bezüglich der vergebenen Aufträge, deren Auftrags- oder Vertragswert die

Schwellenwerte im Sinne des § 106 Abs. 1 GWB unterschreitet, sind ebenfalls Daten zu übermitteln (vgl. § 114 Abs. 2 Satz 3 GWB). Gegenüber der Situation oberhalb der Schwellenwerte sind jedoch sowohl der Adressatenkreis der Norm als auch der Umfang der der zu übermittelnden Daten eingeschränkt.

24 Angesprochen sind gemäß § 114 Abs. 2 Satz 3 GWB nur klassische Auftrag-

geber im Sinne des § 99 GWB. Daraus ist zu folgern, dass Sektorenauftraggeber im Unterschwellenbereich nicht zur Datenübermittlung nach § 114 Abs. 2 GWB

1 Müller in Müller-Wrede, GWB, § 114 Rz. 53. 2 Vgl. auch Verordnungsbegründung zu § 5 VergStatVO, BR-Drucks. 87/16, 303.

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Monitoring und Pflicht zur Übermittlung von Vergabedaten | § 114

verpflichtet sind1. Da in § 114 Abs. 2 Satz 3 GWB – anders als in § 114 Abs. 2 Satz 2 GWB für den Oberschwellenbereich – die Konzessionsvergabe nicht genannt wird, müssen auch über Konzessionsvergaben im Unterschwellenbereich keine Daten übermittelt werden2. Gemäß § 2 Abs. 2 Nr. 1 VergStatVO wurde im Übrigen – wie durch § 114 Abs. 2 Satz 3 GWB vorgesehen – als Bagatellgrenze, ab deren Überschreitung eine Meldepflicht besteht, ein Auftragswert i.H.v. 25 000,– Euro netto festgelegt. Nach § 114 Abs. 2 Satz 3 GWB sind Daten zur Art und zur Menge der Leis- 25 tung sowie zum Wert des erfolgreichen Angebotes zu übermitteln Diese Regelung wird durch § 4 Abs. 1 VergStatVO ausgefüllt, nach der folgende Angaben erforderlich sind: Postleizahl und E-Mail-Adresse des öffentlichen Auftraggebers, die Verfahrensart (öffentliche Ausschreibung, beschränkte Ausschreibung, freihändige Vergabe, sonstige Verfahrensart), der Auftragswert ohne MwSt sowie – sofern quantifizierbar – Art und Menge der Leistung. Erforderlich ist des Weiteren eine Mengenangabe, d.h. die Darstellung des Leis- 26 tungsvolumens. Der Gesetzesbegründung zufolge ist bei der Mengenangabe je nach Leistung auf einzelne Liefer- und Leistungseinheiten (z.B. bei Kraftfahrzeugen) oder auf handelsübliche Abpackungen (z.B. bei Büroverbrauchsmaterial oder Sanitär- und Reinigungsbedarf) abzustellen3. D.h., im ersteren Fall ist die konkrete Anzahl anzugeben und im zweiten Fall die im Handel gebräuchliche Abpackung (z.B. Paletten, Big Bags). Nicht gefordert ist eine Mengenangabe bei solchen Lieferungen und Leistungen, die nicht der Stückzahl nach quantifizierbar sind; so sollen etwa Schüttgüter oder andere Liefergegenstände, welche üblicherweise nach Gewichts- oder Volumeneinheiten bemessen werden (z. B. in Kilogramm, Tonnen oder Kubikmetern) nicht in Mengeneinheit, sondern als eine Lieferung angegeben werden4. Werden Lieferleistung ausschließlich zum Zweck der dauerhaften Verbindung mit einem Bauwerk erworben (z.B. bei Elektroinstallationsmaterial, Fenster, Stahlträger oder Türen), so sind Lieferund die Bauleistung laut der Gesetzesbegründung im Übrigen als einheitliche Leistung, nämlich als Bauauftrag, zu werten5. Der Angabe des Auftragswertes steht das Interesse des öffentlichen Auftrag- 27 gebers am Schutz seiner Geschäftsgeheimnisse nicht entgegen. Zwar können wirtschaftliche Unternehmensdaten, wie Umsätze, Kalkulationen etc. als Geschäftsgeheimnisse geschützt sein. Da § 114 Abs. 2 Satz 3 GWB jedoch nur die Übermittlung von einzelnen Daten zu (internen) statistischen Zwecken regelt und keine Offenlegung von Daten, dürfte das Interesse am Schutz des Geschäfts1 2 3 4 5

Fandrey in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, GWB, 4. Aufl. 2016, § 114 Rz. 8. Fandrey in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, GWB, 4. Aufl. 2016, § 114 Rz. 8. Gesetzesbegründung VergRModG 2016, BT-Drucks. 18/6281, S. 92. Gesetzesbegründung VergRModG 2016, BT-Drucks. 18/6281, S. 92. Gesetzesbegründung VergRModG 2016, BT-Drucks. 18/6281, S. 92.

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§ 114 | Monitoring und Pflicht zur Übermittlung von Vergabedaten geheimnisse jedenfalls hinter das Interesse des Bundes an der Erlangung von Information zur Erfüllung der aus den Vergaberichtlinien folgenden Pflichten gegenüber der Europäischen Kommissionen zurücktreten müssen1. 28 Im Unterschwellenbereich soll zusätzlicher Aufwand der öffentlichen Auftrag-

geber ebenfalls weitestgehend vermieden werden durch ein elektronisches Verfahren, das den Auftraggebern die Übermittlung der in § 4 VergStatVO aufgeführten Daten an das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie sowohl mittels einer webbasierten Eingabemaske als auch über Schnittstellen zu bereits existierenden kommunalen, Landes- und Bundesvergabeplattformen ermöglicht2.

IV. Verordnungsermächtigung (Abs. 2 Satz 4) 29 Aus § 114 Abs. 2 GWB ergibt sich die grundsätzliche Pflicht öffentlicher Auf-

traggeber zur Übermittlung von Vergabedaten an das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie. Details der Datenübermittlung (Umfang der mitzuteilenden Daten, Inkrafttreten der Pflicht zur Datenübermittlung) können gemäß § 114 Abs. 2 Satz 4 GWB durch eine Rechtverordnung der Bundesregierung geregelt werden. Die Bundesregierung hat von dieser Ermächtigung Gebraucht gemacht und – mit der Mantelverordnung zur Modernisierung des Vergaberechts – die Verordnung zur Statistik über die Vergabe öffentlicher Aufträge und Konzessionen (Vergabestatistikverordnung – VergStatVO) erlassen.

V. Bieterschützender Charakter 30 Sowohl die Berichtspflichten nach § 114 Abs. 1 GWB als auch die Pflicht zur Er-

mittlung weitergehender Vergabedaten nach § 114 Abs. 2 GWB betreffen nur das Rechtsverhältnis zwischen den jeweils angesprochenen öffentlichen Auftraggebern und der Stelle, gegenüber der diese Pflichten bestehen, also dem Bundesministerium für Wirtschaft und Energie. Die Erfüllung oder Nichterfüllung der nach § 114 Abs. 1 und 2 GWB bestehenden Pflichten hat keinen Einfluss auf das Vergabeverfahren. Mithin hat die Vorschrift keinen bieterschützenden Charakter.3

1 Müller in Müller-Wrede, GWB, § 114 Rz. 53. 2 Vgl. auch Verordnungsbegründung zu § 5 VergStatVO, BR-Drucks. 87/16, S. 303. 3 Müller in Müller-Wrede, GWB, § 114 Rz. 53.

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Abschnitt 2 Vergabe von öffentlichen Aufträgen durch öffentliche Auftraggeber Unterabschnitt 1 Anwendungsbereich

§ 115 Anwendungsbereich Dieser Abschnitt ist anzuwenden auf die Vergabe von öffentlichen Aufträgen und die Ausrichtung von Wettbewerben durch öffentliche Auftraggeber. I. Inhaltsübersicht . . . . . . . . . . . . II. Hintergrund . . . . . . . . . . . . . .

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III. Regelungsgegenstand des 2. Abschnitts und Einordnung innerhalb des Teil 4 GWB . . . . . . . . .

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I. Inhaltsübersicht Die Vorschrift leitet den 2. Abschnitt des 4. Teils des GWB ein und legt des- 1 sen Anwendungsbereich fest. Der – durch § 115 GWB eingeleitete – 2. Abschnitt (§§ 115 bis 135) findet danach unmittelbar nur auf die Vergabe von öffentlichen Aufträgen durch öffentliche Auftraggeber, d.h. auf die klassische öffentliche Auftragsvergabe sowie auf die Durchführung von Wettbewerben, Anwendung. Für sonstige Vergabeverfahren, etwa die Vergabe von Sektorenaufträgen, gelten die Regelungen des Abschnitts 2 nur, soweit auf diese verwiesen wird (vgl. insb. §§ 142, 147 und 154).

II. Hintergrund § 115 GWB wurde durch das Vergaberechtsmodernisierungsgesetz eingefügt. Der 2 Hintergrund der Regelung ist vor der Neufassung des GWB zu sehen. Das GWB 2012 regelte in seinem 4. bis 6. Teil (§§ 97 bis 131) die Vergabe öffentlicher Aufträge. Das GWB 2016 umfasst in Teil 4 bis 6 die §§ 97 bis 186. Dieser Zuwachs an Vorschriften hat seinen Grund zum einen darin, dass dem Gesetzgeber eine Verankerung der wesentlichen Vorgaben der RL 2014/23/EU, RL 2014/24/EU, RL 2014/25/EU sowie der RL 2009/81/EG unmittelbar im Gesetz und nicht lediglich in Verordnungen wichtig war und zum anderen darin, dass er die Vorgaben des europäischen Rechts weitgehend eins zu eins in das nationale Recht transformiert hat.1 1 Vgl. Eckpunkte zur Reform des Vergaberechts, Beschluss des Bundeskabinetts v. 7.1.2015, S. 2, http://www.bmwi.de/Redaktion/DE/Downloads/E/eckpunkte-zur-reform-des-ver gaberechts.pdf?__blob=publicationFile&v=3 (zuletzt aufgerufen am 18.9.2017).

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§ 116 | Besondere Ausnahmen III. Regelungsgegenstand des 2. Abschnitts und Einordnung innerhalb des Teil 4 GWB 3 Der neue Teil 4 des GWB (Vergabe von öffentlichen Aufträgen und Konzessio-

nen) gliedert sich in Kapitel 1 (Vergabeverfahren) und Kapitel 2 (Nachprüfungsverfahren mit Nachprüfungsbehörden, Vergabekammern und sofortiger Beschwerde). Das Kapitel 1 (Vergabeverfahren) ist in die Abschnitte 1 bis 3 unterteilt. Abschnitt 1 regelt Grundsätze, Definitionen und den Anwendungsbereich des Gesetzes.

4 Der – durch § 115 GWB eingeleitete – zweite Abschnitt (§§ 115 bis 135 GWB)

enthält die wesentlichen Regelungen für die Vergabe von öffentlichen Aufträgen durch öffentliche Auftraggeber sowie für die Durchführung von Wettbewerben. Alle wesentlichen Punkte des Vergabeverfahrens, angefangen bei der Leistungsbeschreibung, über die Prüfung der Eignung und den Zuschlag, bis hin zu den Bedingungen für die Ausführung des Auftrages sowie Änderungen und Kündigungen, finden sich erstmals im Gesetz. Um die praktische Anwendung des Gesetzes zu erleichtern, orientiert sich der Aufbau des Gesetzes in diesem Abschnitt dabei im Wesentlichen am Ablauf des Vergabeverfahrens, d.h. die Vorschriften sind in der Reihenfolge, wie sie während des Vergabeverfahrens zu prüfen sind, im Gesetz aufgeführt. Geregelt sind insbesondere folgende Punkte: Verfahrensarten (§ 119), Leistungsbeschreibung (§ 121), Eignung (§ 122) und Ausschlussgründe (§§ 123, 124). Sodann folgen die – im nationalen Vergaberecht erstmalig normierten – Grundsätze der Selbstreinigung (§ 125). An die Regelung der Zuschlagserteilung (§ 127) schließen sich die – ebenfalls erstmalig normierten – Voraussetzungen und Grenzen von Auftragsänderungen (§ 132) an. Darüber hinaus sind die Kündigung (§ 133) und Informations- und Wartepflichten (§ 134) geregelt.

5 Im nachfolgenden 3. Abschnitt des 4. Teils geht es dann noch um die Vergabe

von öffentlichen Aufträgen in besonderen Bereichen und von Konzessionen. Teil 5, der lediglich aus § 185 GWB besteht, enthält eine Ergänzung zum persönlichen Anwendungsbereich von Teil 1 bis 3 GWB (§§ 1 bis 96 GWB) und hat keine vergaberechtliche Relevanz. Teil 6 (§ 186 GWB) enthält Übergangs- und Schlussbestimmungen.

§ 116 Besondere Ausnahmen (1) Dieser Teil ist nicht anzuwenden auf die Vergabe von öffentlichen Aufträgen durch öffentliche Auftraggeber, wenn diese Aufträge Folgendes zum Gegenstand haben: 1. Rechtsdienstleistungen, die eine der folgenden Tätigkeiten betreffen: a) Vertretung eines Mandanten durch einen Rechtsanwalt in 500

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Besondere Ausnahmen | § 116

aa) Gerichts- oder Verwaltungsverfahren vor nationalen oder internationalen Gerichten, Behörden oder Einrichtungen, bb) nationalen oder internationalen Schiedsgerichts- oder Schlichtungsverfahren, b) Rechtsberatung durch einen Rechtsanwalt, sofern diese zur Vorbereitung eines Verfahrens im Sinne von Buchstabe a dient oder wenn konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen und eine hohe Wahrscheinlichkeit besteht, dass die Angelegenheit, auf die sich die Rechtsberatung bezieht, Gegenstand eines solche Verfahrens werden wird, c) Beglaubigungen und Beurkundungen, sofern sie von Notaren vorzunehmen sind, d) Tätigkeiten von gerichtlich bestellten Betreuern, Vormündern, Pflegern, Verfahrensbeiständen, Sachverständigen oder Verwaltern oder sonstige Rechtsdienstleistungen, deren Erbringer durch ein Gericht dafür bestellt oder durch Gesetz dazu bestimmt werden, um bestimmte Aufgaben unter der Aufsicht dieser Gerichte wahrzunehmen, oder e) Tätigkeiten, die zumindest teilweise mit der Ausübung von hoheitlichen Befugnissen verbunden sind, 2. Forschungs- und Entwicklungsdienstleistungen, es sei denn, es handelt sich um Forschungs- und Entwicklungsdienstleistungen, die unter die Referenznummern des Common Procurement Vocabulary 73000000-2 bis 73120000-9, 73300000-5, 73420000-2 und 73430000-5 fallen und bei denen a) die Ergebnisse ausschließlich Eigentum des Auftraggebers für seinen Gebrauch bei der Ausübung seiner eigenen Tätigkeit werden und b) die Dienstleistung vollständig durch den Auftraggeber vergütet wird, 3. den Erwerb, die Entwicklung, die Produktion oder die Koproduktion von Sendematerial für audiovisuelle Mediendienste oder Hörfunkmediendienste, wenn diese Aufträge von Anbietern von audiovisuellen Mediendiensten oder Hörfunkmediendiensten vergeben werden, die Ausstrahlungszeit oder die Bereitstellung von Sendungen, wenn diese Aufträge an Anbieter von audiovisuellen Mediendiensten oder Hörfunkmediendiensten vergeben werden, 4. finanzielle Dienstleistungen im Zusammenhang mit der Ausgabe, dem Verkauf, dem Ankauf oder der Übertragung von Wertpapieren oder anderen Finanzinstrumenten, Dienstleistungen der Zentralbanken sowie mit der Europäischen Finanzstabilisierungsfazilität und dem Europäischen Stabilitätsmechanismus durchgeführte Transaktionen, 5. Kredite und Darlehen, auch im Zusammenhang mit der Ausgabe, dem Verkauf, dem Ankauf oder der Übertragung von Wertpapieren oder anderen Finanzinstrumenten oder Hövelberndt

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§ 116 | Besondere Ausnahmen 6. Dienstleistungen, die an einen öffentlichen Auftraggeber nach § 99 Nummer 1 bis 3 vergeben werden, der ein auf Gesetz oder Verordnung beruhendes ausschließliches Recht hat, die Leistungen zu erbringen. (2) Dieser Teil ist ferner nicht auf öffentliche Aufträge und Wettbewerbe anzuwenden, die hauptsächlich den Zweck haben, dem öffentlichen Auftraggeber die Bereitstellung oder den Betrieb öffentlicher Kommunikationsnetze oder die Bereitstellung eines oder mehrerer elektronischer Kommunikationsdienste für die Öffentlichkeit zu ermöglichen. I. Inhaltsübersicht und Gemeinschaftsrechtliche Grundlagen . . II. Besondere Ausnahmen vom Anwendungsbereich des GWBVergaberechts 1. Ausnahmecharakter der Vorschrift . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Zu den einzelnen Ausnahmetatbeständen a) Rechtsdienstleistungen . . . . . aa) Vertretung durch einen Rechtsanwalt in einem Verfahren (Abs. 1 Nr. 1 lit. a) . . . . . . . . . . . . . . . (1) Auftragnehmer ist Rechtsanwalt . . . . . . . . . (2) Vertretungsverhältnis . . . (3) Vertretung des Auftraggebers in einem Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . (4) Laufendes Verfahren . . . bb) Anwaltliche Beratung zur Vorbereitung eines Verfahrens (Abs. 1 Nr. 1 lit. b) . . . . . . . . . . . . . . (1) Auftragnehmer ist Rechtsanwalt . . . . . . . . . (2) Gegenstand der anwaltlichen Tätigkeit . . . . . . . cc) Auftrag über notarielle Beglaubigungen oder Beurkundungen (Abs. 1 Nr. 1 lit. c) . . . . . . . . . . . dd) Beauftragung gerichtlich bestellter Personen (Abs. 1 Nr. 1 lit. d) . . . . .

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ee) Rechtsdienstleistungen, die mit der Ausübung hoheitlicher Befugnisse verbunden sind (Abs. 1 Nr. 1 lit. e) . . . . . . . . . . . Aufträge über Forschungsund Entwicklungsdienstleistungen (Abs. 1 Nr. 2) . . . . . . aa) Voraussetzungen . . . . . . bb) Rückausnahme . . . . . . . Aufträge über audiovisuelle Mediendienste, Hörfunkmediendienste bzw. über Ausstrahlungszeit oder Bereitstellung von Sendungen (Abs. 1 Nr. 3) . . . . . . . . . . . Aufträge über finanzielle Dienstleistungen (Abs. 1 Nr. 4) . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Aktivitäten mit Bezug zu Kapitalmärkten . . . . . . . bb) Dienstleistungen der Zentralbanken; EFSFund ESM-Transaktionen Aufnahme von Krediten und Darlehen (Abs. 1 Nr. 5) . . . . Aufträge an Auftraggeber nach § 99 Nr. 1 bis 3, die ein ausschließliches Recht zur Leistungserbringung haben (Abs. 1 Nr. 6) . . . . . . . . . . . Aufträge zur Ermöglichung der Bereitstellung von Telekommunikationsnetzen oder -diensten für die Öffentlichkeit (§ 116 Abs. 2) . . . . . .

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Besondere Ausnahmen | § 116

I. Inhaltsübersicht und Gemeinschaftsrechtliche Grundlagen Mit dem VergRModG 2016 wurden die bislang in §§ 100 Abs. 3–6 und Abs. 8, 1 100a, 100b und 100c GWB a.F. enthalten Ausnahmen vom Anwendungsbereich der §§ 97 ff. GWB überarbeitet. Markant ist hierbei die Differenzierung zwischen allgemeinen und besonderen Ausnahmetatbeständen. Allgemeine Ausnahmetatbestände, die in allen vier EU-Vergaberichtlinien, 2 also in der RL 2014/23/EU, der RL 2014/24/EU, der RL 2014/25/EU und der RL 2009/81/EG vorgesehen sind und folglich für die Vergabe von öffentlichen Aufträgen, von verteidigungs- und sicherheitsspezifischen öffentlichen Aufträgen, von Sektorenaufträgen und von Konzessionen gelten, finden sich in § 107 bis § 109 GWB. Die Regelung des § 107 GWB enthält zahlreiche Ausnahmen, die zuvor durch § 100 GWB a.F. erfasst wurden. Neuartige allgemeine Ausnahmetatbestände finden sich darüber hinaus in § 108 GWB (öffentlich-öffentliche Zusammenarbeit) und in § 109 GWB (Vergaben auf der Grundlage internationaler Verfahrensregeln). In §§ 116, 117 GWB finden sich dagegen besondere Ausnahmetatbestände für 3 die Vergabe von klassischen öffentlichen Aufträgen sowie Wettbewerben durch öffentliche Auftraggeber i.S.d. § 99 GWB1. Die §§ 137–140 GWB regeln besondere Ausnahmen nur für Sektorenauftraggeber i.S.d. § 101 GWB und die §§ 149, 150 GWB besondere Ausnahmen für die Vergabe von Konzessionen durch Konzessionsgeber. Hierbei wird teilweise auf die Vorschriften des § 116 GWB verwiesen (vgl. §§ 137, 149 GWB). § 145 GWB definiert – ohne auf § 116 GWB zu verweisen – besondere Ausnahmen für die Vergabe von verteidigungs- oder sicherheitsspezifischen öffentlichen Aufträgen durch öffentliche Auftraggeber und Sektorenauftraggeber. Hintergrund der Unterscheidung zwischen allgemeinen und besonderen Aus- 4 nahmegründen ist, dass die in den EU-Vergaberichtlinien geregelten Ausnahmetatbestände nicht deckungsgleich sind. Insbesondere enthält die für die Vergabe von verteidigungs- oder sicherheitsspezifischen öffentlichen Aufträgen weiterhin geltende RL 2009/81/EG etwas enger gefasste Ausnahmetatbestände, als die „neuen“ EU-Vergaberichtlinien, also die RL 2014/23/EU, RL 2014/24/EU, Art. 28 RL 2014/25/EU. Daher war die Darstellung sämtlicher Ausnahmen vom GWB-Vergaberecht in einer Regelung nicht möglich. Welche der nunmehr in § 116 GWB geregelten Ausnahmetatbestände den in 5 §§ 100 GWB a.F., 100a GWB a.F. enthaltenden Ausnahmeregelungen entsprechen, lässt sich anhand der folgenden Übersicht verdeutlichen:

1 Gesetzesbegründung, VergRModG 2016, BT-Drucks. 18/6281, S. 92.

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§ 116 | Besondere Ausnahmen GWB*

GWB a.F.**

§ 116 Abs. 1 Nr. 1 lit. a) aa)



§§ 107 Abs. 1 Nr. 1, 116 Abs. 1 Nr. 1 lit. a) bb)

§ 100 Abs. 4 Nr. 1

§ 116 Abs. 1 Nr. 1 lit. b)



§ 116 Abs. 1 Nr. 1 lit. c)



§ 116 Abs. 1 Nr. 1 lit. d)



§ 116 Abs. 1 Nr. 1 lit. e)



§ 116 Abs. 1 Nr. 2

§ 100 Abs. 4 Nr. 2

§ 116 Abs. 1 Nr. 3

§ 100a Abs. 2 Nr. 1

§ 116 Abs. 1 Nr. 4

§ 100a Abs. 2 Nr. 2

§ 116 Abs. 1 Nr. 5

§ 100a Abs. 2 Nr. 2

§ 116 Abs. 1 Nr. 6

§ 100a Abs. 3

§ 116 Abs. 2

§ 100a Abs. 4

* Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) i.d.F. der Bekanntm. v. 26.6.2013 (BGBl. I 2013, 1750, ber. 3245), zul. geänd durch Art. 1 des VergRModG v. 17.2.2016 (BGBl. I 2016, 203). ** Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) i.d.F. der Bekanntm. v. 26.6.2013 (BGBl. I 2013, 1750, ber. 3245), zul. geänd. durch Art. 258 der VO v. 31.8.2015 (BGBl. I 2015, 1474).

6 § 116 GWB ist in zwei Absätze unterteilt, wobei § 116 Abs. 1 GWB besondere

Privilegierungen für – in den einzelnen Ausnahmetatbeständen näher definierte – (Dienstleistungs-)aufträge enthält und § 116 Abs. 2 GWB eine Ausnahme für Aufträge und Wettbewerbe zur Ermöglichung der Bereitstellung von Telekommunikationsnetzen- oder diensten für die Öffentlichkeit regelt. Aus der Erwähnung der Wettbewerbe ausschließlich in § 116 Abs. 2 GWB könnte man folgern, dass die in § 116 Abs. 1 GWB normierten Ausnahmen nur für (Dienstleistungs-) aufträge und nicht für Wettbewerbe über diese gelten. Da es kaum dem Willen des Gesetzgebers entsprochen haben dürfte, die weniger formalen Wettbewerbe strengeren Regeln zu unterstellen, als die entsprechenden (Dienstleistungs-)aufträge, ist § 116 Abs. 1 GWB so zu interpretieren, dass dieser sowohl für (Dienstleistungs-)aufträge als auch für Wettbewerbe hierüber gilt1.

1 Schneevogl in Müller-Wrede, GWB, 2016, § 116 Rz. 7.

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II. Besondere Ausnahmen vom Anwendungsbereich des GWB-Vergaberechts 1. Ausnahmecharakter der Vorschrift § 116 GWB enthält einen umfangreichen Katalog an Ausnahmebestimmungen. 7 Bereits aufgrund des Charakters als Ausnahmebestimmungen sind die einzelnen Tatbestände nicht analogiefähig1 und eher eng als weit auszulegen.2 Dies dient in erster Linie dazu, eine Umgehung des GWB-Vergaberechts zu vermeiden. Andererseits bedeutet eine enge Auslegung nicht, dass in jedem Fall strikt am Wortlaut des Ausnahmetatbestandes festgehalten werden muss und jedwede Auslegung nach Funktion sowie nach Sinn und Zweck des Ausnahmetatbestandes unzulässig wäre. So setzt z.B. die Freistellung von Forschungsaufträgen vom GWB-Vergaberecht gemäß § 116 Abs. 1 Nr. 2 GWB u.a. voraus, dass die Forschungsergebnisse nicht ausschließlich Eigentum des öffentlichen Auftraggebers werden. Gemeint ist damit indes, dass dem öffentlichen Auftraggeber kein ausschließliches Nutzungsrecht zustehen darf (Rz. 46). Die Ausnahmen in § 116 GWB sind grundsätzlich als abschließende Aufzäh- 8 lung zu verstehen3. Für viele der in § 116 GWB geregelten Ausnahmetatbestände finden sich in den 9 Erwägungsgründen der EU-Vergaberichtlinien (insbesondere Erwägungsgründe 33 RL 2014/23/EU, 23 ff. RL 2014/24/EU und Erwägungsgründe 32 ff. RL 2014/ 25/EU) Anhaltspunkte für deren Auslegung und funktionale Eingrenzung. Die Erwägungsgründe machen dabei ebenso wie die Ausnahmetatbestände 10 selbst deutlich, dass insofern kein einheitlichen Prinzipien folgendes Ausnahmesystem zugrunde liegt. Einige Ausnahmetatbestände ergeben sich weitestgehend aus der Natur der Sache, wie z.B. bei Dienstleistungen, die an einen anderen öffentlichen Auftraggeber vergeben werden, der ein ausschließliches Recht zur Leistungserbringung hat (§ 116 Abs. 1 Nr. 6 GWB, Rz. 75 ff.), da die Vergabe einer Leistung an einen Dienstleister, der ein exklusives Recht zur Erbringung der Leistung hat, von vornherein nicht Gegenstand eines Wettbewerbsverfahrens sein kann. Andere Ausnahmetatbestände beruhen demgegenüber auf allgemeinen wirt- 11 schaftlichen Überlegungen oder, wie etwa hinsichtlich bestimmter Forschungsund Entwicklungsleistungen gem. § 116 Abs. 1 Nr. 2 GWB (Rz. 40 ff.), auf politischen Erwägungen. 1 Ziekow, VergabeR 2007, 711 (712). 2 S. etwa Dreher in Immenga/Mestmäcker, GWB, § 100 Rz. 23; Bungenberg in Loewenheim/Meessen/Riesenkampff, Kartellrecht, 2. Aufl. 2009, § 100 GWB Rz. 16. 3 BGH v. 8.2.2011 – X ZB 4/10, NZBau 2011, 175; OLG Düsseldorf v. 5.5.2004 – VII-Verg 78–03, NZBau 2004, 398 (400) m.w.N.

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§ 116 | Besondere Ausnahmen 12 Wenn unter Berufung auf einen in § 116 GWB geregelten Ausnahmegrund von

der Durchführung eines dem Kartellvergaberecht unterfallenden Vergabeverfahrens abgesehen wird, ist dies hinreichend zu dokumentieren. Dies gilt vor allem dann, wenn es sich um einen Fall handelt, in dem die Vergabestelle eine Abwägungsentscheidung treffen muss1 [z.B. bei einem Absehen von einem Vergabeverfahren für eine Rechtsberatung durch einen Rechtsanwalt, weil konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen und eine hohe Wahrscheinlichkeit besteht, dass die Angelegenheit, auf die sich die Rechtsberatung bezieht, Gegenstand eines Gerichts- oder Verwaltungsverfahrens i.S.v. § 116 Abs. 1 Nr. 1 a) GWB wird (§ 116 Abs. 1 Nr. 1 b) GWB)]. Derjenige, der sich auf einen Sachverhalt beruft, der die Anwendung einer Ausnahmevorschrift rechtfertigt, trägt die Beweislast hierfür2, also in der Regel der öffentliche Auftraggeber. 2. Zu den einzelnen Ausnahmetatbeständen a) Rechtsdienstleistungen

13 Bei § 116 Abs. 1 Nr. 1 GWB handelt es sich um einen neu eingefügten Ausnah-

metatbestand für bestimmte, näher umschriebene Rechtsdienstleistungen. Die Bestimmung betrifft Leistungen, die von gerichtlich bestellten Dienstleistern erbracht werden, die die anwaltliche Vertretung von Mandanten in Gerichts- oder Verwaltungsverfahren betreffen, durch Notare zu erbringen sind oder mit der Ausübung von hoheitlichen Befugnissen einhergehen.

14 Mit der Vorschrift wird Art. 10 lit. d) RL 2014/24/EU in das nationale Recht

transferiert. Entsprechende Ausnahmen finden sich ebenfalls in Art. 10 Abs. 8 lit. d) RL 2014/23/EU sowie Art. 21 lit. c) RL 2014/25/EU. Die Umsetzung der letztgenannten Vorschriften ergibt sich aus den Verweisungen in § 137 Nr. 1 GWB und in § 149 Nr. 1 GWB auf die Ausnahme des § 116 Abs. 1 Nr. 1 GWB. Die Richtlinie 2009/81/EG enthält dagegen für verteidigungs- oder sicherheitsspezifische öffentliche Aufträge keine Ausnahme für Rechtsdienstleistungen. Für diese Aufträge können sich Ausnahmen allenfalls aus § 145 GWB ergeben.

15 Soweit die Ausnahme des § 116 Abs. 1 Nr. 1 GWB nicht einschlägig ist, stellt die

Beauftragung von Rechtsdienstleistern grundsätzlich einen dem GWB-Vergaberecht unterliegenden Dienstleistungsauftrag dar3. Allerdings richtet sich die Vergabe in diesem Fall nicht nach den Vorschriften des Zweiten Abschnitts, sondern es kommt das vereinfachte Verfahren nach § 130 f. GWB i.V.m. Anhang XIV RL 2014/24EU zur Anwendung. Für dieses Verfahren gilt nach § 106

1 I.d.S. OLG Düsseldorf v. 30.4.2003 – Verg 61/02, VergabeR 2004, 371. 2 EuGH v. 2.10.2008 – Rs. C-157/06, NZBau 2008, 723 (724); OLG Düsseldorf v. 10.9.2009 – VII Verg 12/09, VergabeR 2010, 83 (87); Röwekamp in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, GWB, 4. Aufl. 2016, § 107 Rz. 6. 3 Gesetzesbegründung, VergRModG 2016, BT-Drucks. 18/6281, S. 93.

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Besondere Ausnahmen | § 116

Abs. 2 Nr. 1 GWB i.V.m. Art. 4 lit. d) RL 2014/24/EU nicht nur ein höherer Schwellenwert i.H.v. netto 750 000 Euro. Gemäß § 130 Abs. 2 GWB hat der öffentliche Auftraggeber auch eine größere Flexibilität bei der Verfahrenswahl. Grund für die Privilegierung von Rechtsdienstleistungen nach § 116 Abs. 1 Nr. 1 16 GWB ist, dass es um die Beauftragung von Leistungserbringern geht „deren Bestellung oder Auswahl in einer Art und Weise erfolgt, die sich nicht nach Vergabevorschriften für öffentliche Aufträge richten kann“1. Gemeint ist damit, dass bei der Auswahl von Rechtsanwälten, Notaren, vom Gericht bestellten und unter dessen Aufsicht tätigen Personen (z.B. Nachlasspfleger, Insolvenzverwaltern) sowie partiell hoheitlich handelnden Personen (z.B. Gerichtsvollzieher) weniger wirtschaftliche Gründe maßgeblich sind, als vielmehr deren Sach- und Fachkunde, besondere Anerkennung und persönliche Integrität. Derartige Anforderungen sind einem wettbewerblichen Verfahren, das darauf gerichtet sein soll, das wirtschaftlichste Angebot zu ermitteln, nur begrenzt zugänglich. aa) Vertretung durch einen Rechtsanwalt in einem Verfahren (Abs. 1 Nr. 1 lit. a) § 116 Abs. 1 Nr. 1 lit. a) GWB nimmt die anwaltliche Vertretung in einem Ver- 17 fahren vom Anwendungsbereich des GWB-Vergaberechts aus. (1) Auftragnehmer ist Rechtsanwalt Erste Voraussetzung ist, dass es um eine Vertretung durch einen Rechtsanwalt 18 geht. Nichtanwaltliche Leistungen im Zusammenhang mit Schiedsgerichts- und Schlichtungsdienstleistungen können allenfalls von der allgemeinen Ausnahme des § 107 Abs. 1 Nr. 1 GWB erfasst sein. (2) Vertretungsverhältnis Wie das Vertretungsverhältnis zustande kommt, ist unerheblich. Die Ausnah- 19 mevorschrift kommt nicht nur bei einer Mandatierung des Rechtsanwaltes durch den öffentlichen Auftraggeber selber zur Anwendung, sondern auch im Falle der Beiordnung des Rechtsanwalts durch das Gericht2. Der Umfang der anwaltlichen Vertretung ergibt sich dabei aus dem jeweiligen Mandatsvertrag und kann fallspezifisch variieren3. (3) Vertretung des Auftraggebers in einem Verfahren Als Gegenstand des Mandats kommt nach § 116 Abs. 1 Nr. 1 lit. a) GWB zum 20 einen die Vertretung in einem Gerichts- oder Verwaltungsverfahren [§ 116 1 Erwägungsgrund 24 RL 2014/24/EU; Erwägungsgrund 32 RL 2014/25/EU. 2 Gesetzesbegründung, VergRModG 2016, BT-Drucks. 18/6281, S. 93. 3 Gesetzesbegründung, VergRModG 2016, BT-Drucks. 18/6281, S. 93.

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§ 116 | Besondere Ausnahmen Abs. 1 Nr. 1 lit. a) aa) GWB] und zum anderen die Vertretung in einem Schiedsgerichts- und Schlichtungsverfahren [§ 116 Abs. 1 Nr. 1 lit. a) bb) GWB] in Betracht. Die Zulässigkeit einer Ausnahme für die anwaltliche Vertretung in einem Gerichts- oder Verwaltungsverfahren folgt aus Art. 10 lit. d) i) Spiegelstr. 2 RL 2014/24/EU; Art. 10 Abs. 8 lit. d) i) Spiegelstr. 2 RL 2014/23/EU; Art. 21 lit. c) i) Spiegelstr. 2 RL 2014/25/EU. Die Privilegierung der anwaltlichen Vertretung in einem Schiedsgerichts- und Schlichtungsverfahren deckt sich mit den Regelungen der Art. 10 lit. d) i) Spiegelstr. 1 RL 2014/24/EU; Art. 10 Abs. 8 lit. d) i) Spiegelstr. 1 RL 2014/23/EU; Art. 21 lit. c) i) Spiegelstr. 1 RL 2014/25/EU. 21 Gerichts- oder Verwaltungsverfahren im vorstehenden Sinne können Verfahren

vor ordentlichen Gerichten oder vor Verwaltungs-, Finanz-, Sozial- oder Arbeitsgerichten sein. Denkbar ist, dass es sich um Hauptsacheverfahren, dem Hauptsacheverfahren vorgelagerte Verfahren (z.B. selbständiges Beweisverfahren nach §§ 485 ff. ZPO) oder um Verfahren zur Erlangung vorläufigen Rechtsschutzes handelt. Als Verwaltungsverfahren i.S.v. § 116 Abs. 1 Nr. 1 lit. a) aa) GWB kommen insbesondere das Widerspruchs- (§§ 68 ff. VwGO, 77 ff. SGG) oder Einspruchsverfahren (§§ 347 ff. AO) in Betracht. Aber auch die Vertretung in einem Genehmigungsverfahren (z.B. in einem Bauantragsverfahren nach § 69 BauO NRW, Art. 55 Abs. 1 BayBO) oder in einem Ordnungswidrigkeitenverfahren (nach den einschlägigen Spezialregelungen i.V.m. §§ 1 ff. OWiG) dürfte privilegiert sein.

22 Bei Schiedsgerichten handelt sich um nicht-staatliche Gerichte, die aufgrund ei-

ner gesonderten Vereinbarung (Schiedsabrede) oder aufgrund einer Regelung innerhalb eines Vertrages (Schiedsgerichtsklausel) zur Streitentscheidung berufen sind.1 Die Schiedsvereinbarung enthält i.d.R. Bestimmungen über das anzuwendende Verfahrensrecht und den Schiedsort. Fehlen Vereinbarungen über das anwendbare Verfahrensrecht, ist – bei bürgerlichen Streitigkeiten i.S.d. § 13 GVG – Streitigkeiten regelmäßig das Verfahrensrecht des Schiedsortes (lex loci arbitri) anwendbar, in Deutschland also §§ 1025 ff. ZPO.2 Unterschieden wird zwischen Gelegenheits- oder Ad-hoc-Schiedsgerichten, welche für einzelne Streitigkeiten gebildet werden und „ständigen“ bzw. institutionellen Schiedsgerichten, die für bestimmte Streitigkeiten bei unterschiedlichsten Organisation bestehen3. Bei den ersteren obliegt die Verfahrensgestaltung grundsätzlich den Parteien. Institutionelle Schiedsgerichte stellen regelmäßig ihr eigenes Verfahrensrecht bereit. Häufig sind sie bei Wirtschaftsverbänden eingerichtet. Daneben haben sich sowohl im Inland als auch im Ausland diverse Schiedsorganisationen etabliert, die entweder bereichsspezifisch spezialisierte Schiedsverfahren anbie1 Wolf/Eslami in Vorwerk/Wolf, Beck’scher Online-Kommentar ZPO, 22. Edition/Stand: 1.7.2016, § 1025 Rz. 1, 5; Rudkowski, Jus 2013, 398 (399). 2 Voit in Musielak/Voit, ZPO, 13. Aufl. 2016, § 1025 Rz. 3 f.; Schmidt-Ahrendts/Höttler, SchiedsVZ 2011, 267 (268). 3 Harms/Kreindler/Rust in Heussen/Hamm, Beck-Rechtsanwaltshandbuch, 11. Aufl. 2016, § 7 Rz. 47 f.; Schwab/Walter, Schiedsgerichtsbarkeit, 7. Aufl. (2005), Kap. 1 Rz. 10.

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ten oder als nationale bzw. internationale Schiedsorganisationen Schiedsverfahren ohne inhaltliche Eingrenzung des Verfahrensgegenstands anbieten. Als Beispiel für eine nationale Schiedsinstitution kann die Deutsche Institution für Schiedsgerichtsbarkeit e.V. (DIS) in Köln genannt werden. Bedeutende internationale Organisationen aus dem Bereich der Wirtschaftsschiedsgerichtsbarkeit sind die International Chamber of Commerce (ICC) in Paris, die American Arbitration Association (AAA) in New York und der London Court of International Arbitration (LCIA)1. Selbst eine Verhandlung verwaltungsrechtlicher Streitigkeiten vor Schiedsgerichten ist denkbar2. Die Vorschriften der §§ 1025 ff. ZPO sind dann über § 173 Satz 1 VwGO entsprechend anwendbar. Im Bereich des öffentlichen Rechts finden sich Schiedsklauseln nicht selten in Public-Private-Partnership-Verträgen3. Von der Schiedsgerichtsbarkeit zu unterscheiden sind die in § 116 Abs. 1 Nr. 1 23 lit. a) bb) GWB erwähnten Schlichtungsverfahren. Die Schlichtung ist ein auf freiwilliger Basis stattfindendes Verfahren, das nicht auf Streitentscheidung, sondern auf gütliche Beilegung einer Streitigkeit durch Vermittlung eines Dritten angelegt ist. Dessen Lösungsvorschlag wird im Gegensatz zum Schiedsspruch nicht automatisch rechtsverbindlich, sondern erst, wenn die Parteien dem Schlichterspruch zustimmen4. Nach der hier vertretenen Auffassung dürfte die anwaltliche Vertretung in Me- 24 diationsverfahren im Sinne des Mediationsgesetzes (MediationsG) ebenfalls erfasst sein5. Zwar trifft es zu, dass die Parteien unter Zuhilfenahme von Mediatoren die Beilegung eines Konfliktes anstreben, ohne dass der Mediator – wie im Falle eines Schiedsgerichts – eine Entscheidung triff oder – wie im Falle eines Schlichters – einen Lösungsvorschlag unterbreitet, den die Parteien annehmen müssen. Aufgrund der Nähe zu diesen Verfahren und in Anbetracht der Tatsache, dass auch bei der Auswahl von Mediatoren häufig nicht wirtschaftliche Gründe maßgeblich sind, sondern deren Anerkennung und persönliche Integrität im Vordergrund steht, kann – trotz der grundsätzlich gebotenen engen Auslegung von § 116 GWB – auch die anwaltliche Tätigkeit in solchen Verfahren unter § 116 Abs. 1 Nr. 1 lit. a) bb) GWB gefasst werden. Irrelevant ist ferner, ob die anwaltliche Vertretung in einem der genannten Ver- 25 fahren in Deutschland, anderen EU-Mitgliedstaaten, Drittstaaten oder vor internationalen Organisationen und Einrichtungen erfolgt6. 1 Wolf/Eslami in Vorwerk/Wolf, Beck’scher Online-Kommentar ZPO, § 1025 Rz. 15; Rudkowski, JuS 2013, 398 (399). 2 BVerwG v. 20.2.1992 – 5 C 22/88, NVwZ 1993, 584; Nicolai in Redeker/v. Oertzen, VwGO, 16. Auflage 2014, § 40 Rz. 78 f. 3 Hierzu näher Wolff, NVwZ 2012, 205 ff. 4 Wolf/Eslami in Vorwerk/Wolf, Beck’scher Online-Kommentar ZPO, § 1025 Rz. 4.4. 5 A.A. Schneevogl in Müller-Wrede, GWB, § 116 Rz. 23. 6 Gesetzesbegründung, VergRModG 2016, BT-Drucks. 18/6281, S. 93.

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§ 116 | Besondere Ausnahmen (4) Laufendes Verfahren 26 Bei dem Verfahren, in welchem der öffentliche Auftraggeber vertreten wird,

muss es sich darüber hinaus um ein laufendes Verfahren handeln. Dies ist für die Abgrenzung zum Ausnahmetatbestand § 116 Abs. 1 Nr. 1 lit. b) GWB von Bedeutung, welcher verfahrensvorbereitende Rechtsdienstleistungen privilegiert1. Aufgrund des Erfordernisses eines laufenden Verfahrens dürfte es vorrangig um Fälle gehen, in denen der öffentliche Auftraggeber Klage- bzw. Antragsgegner, Beschuldigter etc. ist und sich verteidigen muss, etwa mit einer Klage- oder Antragserwiderung2. bb) Anwaltliche Beratung zur Vorbereitung eines Verfahrens (Abs. 1 Nr. 1 lit. b)

27 Mit § 116 Abs. 1 Nr. 1 lit. b) GWB stellt der Gesetzgeber – in Anknüpfung an

Art. 10 lit. d) ii) RL 2014/24/EU, Art. 10 Abs. 8 lit. d) ii) RL 2014/23/EU, Art. 21 lit. c) ii) RL 2014/25/EU – eine Ausnahme für rechtsberatende Tätigkeiten eines Rechtsanwaltes zur Verfügung, sofern diese zur Vorbereitung eines Verfahrens i.S.v. § 116 Abs. 1 Nr. 1 lit. a) GWB dient (1. Alt.) oder zumindest eine hohe Wahrscheinlichkeit für Überleitung in ein solches Verfahren anzunehmen ist (2. Alt.). Eine Ausnahme vom 4. Teil des GWB ist in diesem Falle aufgrund der in den genannten Verfahren bestehenden Notwendigkeit umfassender Prozessverantwortung durch den Rechtsbeistand geboten3.

(1) Auftragnehmer ist Rechtsanwalt 28 Auch § 116 Abs. 1 Nr. 1 lit. b) GWB setzt also zunächst voraus, dass es sich um

eine anwaltliche Leistung handelt. Andere rechtsberatende Tätigkeit, etwa aufgrund des Rechtsdienstleistungsgesetzes (RDG), sind nicht privilegiert. (2) Gegenstand der anwaltlichen Tätigkeit

29 In der 1. Alternative setzt die Vorschrift voraus, dass die Rechtsberatung der

Vorbereitung eines Verfahrens i.S.v. § 116 Abs. 1 Nr. 1 lit. a) GWB dient. Das ist insbesondere der Fall, wenn die Vertretung die Ergreifung der für eine Verfahrenseinleitung erforderlichen Schritte umfasst, etwa die Fertigung einer Antrags- oder Klageschrift4.

30 Die 2. Fallgestaltung des § 116 Abs. 1 Nr. 1 lit. b) GWB hat zwei Voraussetzun-

gen, nämlich die hohe Wahrscheinlichkeit einer Überleitung in ein Verfahren und das Vorliegen von konkreten Anhaltspunkten für die Annahme einer hohen

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Gesetzesbegründung, VergRModG 2016, BT-Drucks. 18/6281, S. 93. Schneevogl in Müller-Wrede, GWB, § 116 Rz. 21. Gesetzesbegründung, VergRModG 2016, BT-Drucks. 18/6281, S. 93. Schneevogl in Müller-Wrede, GWB, § 116 Rz. 20.

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Besondere Ausnahmen | § 116

Wahrscheinlichkeit. Für eine hohe Wahrscheinlichkeit der Überleitung in ein Verfahren i.S.v. § 116 Abs. 1 Nr. 1 lit. a) GWB reicht die bloße Möglichkeit, dass es im Zusammenhang mit einer Rechtsberatung zur Einleitung eines Verfahrens kommt, nicht aus1. Erforderlich ist, dass mehr für als gegen die Einleitung eines solchen Verfahrens spricht2. Darüber hinaus gründet sich die Annahme der Überleitungswahrscheinlichkeit – wie von § 116 Abs. 1 Nr. 1 lit. b) GWB gefordert – auf konkrete Anhaltspunkte, wenn die Möglichkeit der Einleitung eines Verfahrens nicht nur aufgrund theoretischer Überlegungen gefolgert wird, sondern sich auf tatsächliche Ereignisse stützt, wie z.B. einen gescheiterten außergerichtlichen Klärungsversuch3 oder Erfahrungen mit dem potentiellen Verfahrensgegner in der Vergangenheit. Hinsichtlich der Frage, ob hinreichend konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen 31 und mit ausreichender Wahrscheinlichkeit angenommen werden kann, dass die Angelegenheit, auf die sich die Rechtsberatung bezieht, Gegenstand eines Verfahrens i.S.v. § 116 Abs. 1 Nr. 1 lit. a) GWB wird, dürfte von einem Beurteilungsspielraum des öffentlichen Auftraggebers auszugehen sein4. Dafür spricht, dass die Feststellung dieses Kriteriums eine Bewertung erfordert. Denn ob eine außergerichtliche Erledigung der Angelegenheit möglich oder doch eher eine Klärung in einem gerichtlichen oder sonstigen Verfahren erforderlich sein wird, hängt nicht zuletzt von der Einschätzung des Verhaltens der gegnerischen Partei ab, die sich zumindest auch auf subjektive Eindrücke gründet. Konsequenterweise ist davon auszugehen, dass die diesbezügliche Entscheidung des öffentlichen Auftraggebers einer eingeschränkten Kontrolle durch die Vergabenachprüfungsinstanzen unterliegt, nämlich daraufhin, ob etwaige Verfahrensbestimmungen eingehalten wurden, von einem richtigen Verständnis des anzuwendenden Gesetzesbegriffs ausgegangen wurde, der Sachverhalt vollständig ermittelt wurde und bei der eigentlichen Beurteilung allgemeingültige Bewertungsmaßstäbe beachtet wurden, insbesondere unsachgemäße oder diskriminierende Gesichtspunkte darin keinen Eingang gefunden haben5.

1 Röwekamp in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, GWB, § 116 Rz. 4. 2 Vgl. z.B. Geipel, Handbuch der Beweiswürdigung, 2. Aufl. 2013, Kap. 6 Rz. 156 (wohl mit der Annahme, dass – einfache – Wahrscheinlichkeit bei einer 50%-igen Sicherheit gegeben ist); Stree/Kinzig in Schönke/Schröder, StGB, 29. Aufl. 2014, § 63 Rz. 17 (zu der mit Blick auf § 63 StGB geforderten „Wahrscheinlichkeit höheren Grades“). 3 Schneevogl in Müller-Wrede, GWB, § 116 Rz. 28. 4 Schneevogl in Müller-Wrede, GWB, § 116 Rz. 26. 5 Aus verwaltungsrechtlicher Sicht: BVerwG v. 17.9.2015 – 1 C 37/14, NVwZ 2016, 161, 163; BVerwGE 131, 41 = NVwZ 2008, 1359 Rz. 21; BVerwGE 129, 27 = BVerwG v. 16.5. 2007 – 3 C 8/06, NJW 2007, 2790 Rz. 38; Müller in Huck/Müller, VwVfG, 2. Aufl. 2016, § 40 Rz. 55; Wallerath, Allgemeines Verwaltungsrecht, 6. Aufl. 2009, § 97 Rz. 93. Aus dem Bereich des Vergaberechts: VK Sachsen v. 1.11.2016 – 1/SVK/020-16, juris Rz. 68 (zur Auskömmlichkeitsprüfung nach § 16 EG Abs. 6 Nr. 1 VOB/A 2012).

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§ 116 | Besondere Ausnahmen 32 Aus verfahrenspraktischen Gründen sollte im Vergabevermerk dokumentiert

werden, dass die Beauftragung der Vorbereitung eines Verfahrens dient oder die Wahrscheinlichkeit besteht, dass der Gegenstand der anwaltlichen Beratung Gegenstand eines solchen Verfahrens wird1.

cc) Auftrag über notarielle Beglaubigungen oder Beurkundungen (Abs. 1 Nr. 1 lit. c) 33 Von den Erfordernissen des Abschnitts freigestellt sind gemäß § 116 Abs. 1

Nr. 1 lit. c) GWB Beglaubigungen und Beurkundungen, welche von einem Notar vorzunehmen sind. Hiermit werden die Vorgaben der Art. 10 lit. d) iii) RL 2014/24/EU, Art. 10 Abs. 8 lit. d) iii) RL 2014/23/EU, Art. 21 lit. c) iii) RL 2014/ 25/EU aufgegriffen.

34 Was Gegenstand einer Beglaubigung oder Beurkundung sein kann, ergibt sich

aus dem BeurkG [z.B. eidesstattliche Versicherungen (§ 38 BeurkG), Abschriften (§ 42 BeurkG)] oder einschlägigen Bestimmungen in Spezialgesetzen [bspw. Auflassung von Grundstücken (§§ 873, 925 BGB), Gesellschaftsverträge einer GmbH (§ 2 Abs. 1 Satz 1 GmbHG), Änderungen der Gesellschaftsverträge einer GmbH (§ 53 Abs. 2 Satz 1 GmbHG), die Feststellung der Gründung einer Aktiengesellschaft durch Satzung (§ 23 Abs. 1 AktG) oder Beschlüsse der Hauptversammlung einer Aktiengesellschaft (§ 130 Abs. 1 AktG)].

35 Über Beglaubigungen oder Beurkundungen hinaus umfasst das Tätigkeitsfeld

der Notare weitere mögliche Aktivitäten, wie z.B. die Durchführung von freiwilligen Versteigerungen (vgl. § 20 Abs. 3 BNotO, §§ 116, 117 GNotKG), die Fertigung von Urkundenentwürfen (vgl. § 24 Abs. 1 Satz 1 BNotO, § 119 GNotKG), Beratungstätigkeiten (vgl. § 24 Abs. 1 Satz 1 BNotO, § 120 GNotKG), Verwahrungen (§ 23 BNotO), Vornahme von Verlosungen und Auslosungen (§ 20 Abs. 1 Satz 2 BNotO), die Zustellung von Erklärungen (§ 20 Abs. 1 S. 2 BNotO), die Gründungsprüfung gemäß § 33 Abs. 2 AktG (vgl. § 123 GNotKG) oder Schlichtungs- bzw. Mediationstätigkeiten (vgl. § 126 Abs. 1 GNotKG). Diese Geschäfte können zwar ebenfalls öffentlich-rechtliche Verfahrenshandlungen sein2, fallen jedoch wegen des eindeutigen Wortlauts der Ausnahmevorschrift nicht unter die Ausnahmeregelung des § 116 Abs. 1 Nr. 1 lit. c) GWB. dd) Beauftragung gerichtlich bestellter Personen (Abs. 1 Nr. 1 lit. d)

36 Nach § 116 Abs. 1 Nr. 1 lit. d GWB unterliegen solche Aufträge nicht dem

GWB-Vergaberecht, welche von Personen ausgeführt werden, die „durch ein Gericht dafür bestellt oder durch Gesetz dazu bestimmt werden, um bestimmte Aufgaben unter der Aufsicht dieser Gerichte wahrzunehmen.“ Die zugrundeliegenden

1 Schneevogl in Müller-Wrede, GWB, § 116 Rz. 17. 2 Bormann/Böttcher, NJW 2011, 2758 (2759).

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Richtlinienbestimmungen sprechen insoweit von „Treuhändern oder bestellten Vormunden erbrachte Rechtsdienstleistungen oder sonstige Rechtsdienstleistungen, deren Erbringer durch ein Gericht in dem betreffenden Mitgliedstaat bestellt oder durch Gesetz dazu bestimmt werden“1. Die Gesetzesbegründung zu § 116 Abs. 1 Nr. 1 lit. d GWB bleibt in dem hierdurch vorgegebenen Rahmen, wenn sie ausführt, dass es sich um Ergänzungs- und Umgangspfleger, Verfahrens- und Nachlasspfleger, Insolvenzverwalter, Sachwalter, Treuhänder, Zwangsverwalter und Sequester in Zwangsvollstreckungsverfahren handeln kann2. Dasselbe gilt für den Verweis auf gerichtlich bestellte Sachverständige, deren Einbeziehung in der Gesetzesbegründung damit begründet wird, dass diese aufgrund ihrer besonderen Sachkunde zur Beratung und Beweiserhebung bestellt werden und durch die Bestellung ein öffentlich-rechtliches Verhältnis zwischen Gericht und Sachverständigem begründet wird3. ee) Rechtsdienstleistungen, die mit der Ausübung hoheitlicher Befugnisse verbunden sind (Abs. 1 Nr. 1 lit. e) Die Vorschriften des 4. Teils des GWB gelten gemäß § 116 Abs. 1 Nr. 1 lit. e) 37 GWB nicht für Rechtsdienstleistungen, welche teilweise mit der Ausübung von hoheitlichen Befugnissen verbunden sind. Die korrespondierenden Richtlinienbestimmungen sprechen von sonstigen Rechtsdienstleistungen, die „wenn auch nur gelegentlich – mit der Ausübung von hoheitlichen Befugnissen verbunden sind“4. Zwar wird der Umfang der Ausübung von hoheitlichen Befugnissen in den vorgenannten Bestimmungen einmal inhaltlich („teilweise“) und einmal zeitlich („gelegentlich“) eingegrenzt. Praktisch dürften sich daraus aber keine wesentlichen Unterschiede ergeben. Nach der Vorstellung des Gesetzgebers handelt es sich bei den von § 116 Abs. 1 38 Nr. 1 lit. e) GWB angesprochenen Rechtsdienstleistungen namentlich um Tätigkeiten von Gerichtsvollziehern, weil diese „einerseits ihre Tätigkeit als selbständiges Organ der Rechtspflege hoheitlich ausüben, andererseits aufgrund des Vollstreckungsauftrags an die Weisungen des Gläubigers insoweit gebunden sind, wie diese sich im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften halten und den Dienstanweisungen des Gerichtsvollziehers nicht widersprechen“5. Die Vorschrift ist restriktiv auszulegen. Insbesondere ist eine Anwendung auf 39 Rechtsdienstleistungen von anderen Beliehenen abzulehnen. Hierfür spricht eine systematische Auslegung unter Berücksichtigung von § 116 Abs. 1 Nr. 1 1 Art. 10 lit. d) iv) RL 2014/24/EU, Art. 10 Abs. 8 lit. d) iv) RL 2014/23/EU, Art. 21 lit. c) iv) RL 2014/25/EU. 2 Gesetzesbegründung, VergRModG 2016, BT-Drucks. 18/6281, S. 93. 3 Gesetzesbegründung, VergRModG 2016, BT-Drucks. 18/6281, S. 93. 4 Art. 10 lit. d) v) RL 2014/24/EU, Art. 10 Abs. 8 lit. d) v) RL 2014/23/EU, Art. 21 lit. c) v) RL 2014/25/EU. 5 Gesetzesbegründung, VergRModG 2016, BT-Drucks. 18/6281, S. 93.

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§ 116 | Besondere Ausnahmen lit. c) GWB, welche notarielle Beurkundungen und Beglaubigungen privilegiert. Wenn aus dem Tätigkeitsbereich von Notaren, die eine ähnliche Rechtsstellung haben, wie Beliehene1, nur bestimmte Tätigkeiten nicht dem GWB-Vergaberecht unterliegen, wäre es nicht zu erklären, die gesamte Tätigkeit von Beliehenen als privilegiert anzusehen2. b) Aufträge über Forschungs- und Entwicklungsdienstleistungen (Abs. 1 Nr. 2) 40 Nach 116 Abs. 1 Nr. 2 Halbs. 1 GWB sind Forschungs- und Entwicklungsaufträ-

gen vom GWB-Vergaberecht befreit, sofern nicht die in 116 Abs. 1 Nr. 2 Halbs. 2 GWB genannte Rückausnahme zur Anwendung gelangt. Eine vergleichbare Regelung fand sich bislang in § 100 Abs. 4 Nr. 2 GWB a.F.

41 Der Ausnahmetatbestand dient der Umsetzung von Art. 14 RL 2014/24/EU und

– aufgrund der Verweisungen in § 137 Abs. 1 Nr. 2 GWB (für Sektorenaufträge) sowie in § 149 Nr. 2 GWB (für die Konzessionsvergabe) – zugleich der Art. 25 RL 2014/23/EU und 32 RL 2014/25/EU. Für den Bereich der verteidigungs- und sicherheitsspezifische Aufträge findet sich eine eigenständige Ausnahmeregelung in § 145 Nr. 6 GWB.

42 Es fällt auf, dass die Ausnahme für Forschungs- und Entwicklungsdienstleistun-

gen in § 100 Abs. 4 Nr. 2 GWB a.F. als allgemeine Ausnahme ausgestaltet war, jetzt aber nur noch eine besondere Ausnahme für die Vergabe von klassischen öffentlichen Aufträgen darstellt. Abgesehen davon, dass dies durch die Verweisungen in §§ 137 Abs. 1 Nr. 2, 149 Nr. 2 GWB wieder relativiert wird3, ist zu bedenken, dass hiermit nur der Tatsache Rechnung getragen werden sollte, dass für verteidigungs- und sicherheitsspezifische Aufträge nach wie vor die – gegenüber Art. 14 RL 2014/24/EU, Art. 25 RL 2014/23/EU und Art. 32 RL 2014/25/ EU – engere Ausnahmevorschrift des Art. 13 lit. j der RL 2009/81/EG gilt, was einer Einordnung als allgemeiner Ausnahmetatbestand, der für alle Arten von öffentlichen Aufträgen gilt, entgegenstand4. Von einem Bedeutungsverlust kann daher nicht ausgegangen werden. aa) Voraussetzungen

43 Der Anwendungsbereich der Ausnahmeregelung ist nur eröffnet, wenn es um die

Vergabe von Forschungs- und Entwicklungsaufträgen geht. Ziel von Forschungsund Entwicklungsaufträgen ist die Gewinnung neuer Erkenntnisse. Die Vorschrift erstreckt sich sowohl auf die Grundlagenforschung als auch die ange-

1 Kastner in Fehling/Kastner/Störmer, Verwaltungsrecht, VwVfG, 4. Auflage 2016, § 1 Rz. 31 ff.; Bormann/Böttcher, NJW 2011, 2758 (2759). 2 Ähnlich Schneevogl in Müller-Wrede, GWB, § 116 Rz. 36. 3 Schneevogl in Müller-Wrede, GWB, § 116 Rz. 42. 4 Gesetzesbegründung, VergRModG 2016, BT-Drucks. 18/6281, S. 94.

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wandte Forschung1. Wie sich der – auf Art. 1 Nr. 27 RL 2009/81/EG zurückgehenden – Regelung des § 4 Abs. 3 Satz 1 VSVgV entnehmen lässt, umfass der Begriff „Forschung und Entwicklung“ zudem die experimentellen Entwicklung. bb) Rückausnahme Der vergleichsweise weit gefasste Ausnahmetatbestand des § 116 Abs. 1 Nr. 2 44 GWB wird – wie schon § 100 Abs. 4 Nr. 2 GWB a.F. – durch eine in der Regelung selbst enthaltene Rückausnahme eingeschränkt. Anders als in § 100 Abs. 4 Nr. 2 GWB a.F. gilt die Rückausnahme jedoch nicht mehr für sämtliche Forschungs- und Entwicklungsdienstleistungen, sondern lediglich für die in der Vorschrift genannten Forschungs- und Entwicklungsdienstleistungen. Es handelt sich um die unter die Referenznummern 73000000-2 (Forschungs- und Entwicklungsdienste und zugehörige Beratung), 73100000-3 (Dienstleistungen im Bereich Forschung und experimentelle Entwicklung), 73110000-6 (Forschungsdienste), 73111000-3 (Forschungslabordienste), 73112000-0 (Meeresforschungsdienste), 73120000-9 (Experimentelle Entwicklung), 73300000-5 (Planung und Ausführung von Forschung und Entwicklung), 73420000-2 (Vordurchführbarkeitsstudie und technologische Demonstration) und 73430000-5 (Test und Bewertung) des Common Procurement Vocabulary fallenden Dienstleistungen. Sonstige unter das Common Procurement Vocabulary fallende Forschungs- und 45 Entwicklungsdienstleistungen, die nicht in der Auflistung enthalten sind, sind – ohne dass die übrigen Voraussetzungen der Rückausnahme 116 Abs. 1 Nr. 2 Halbs. 2 GWB vorliegen müssen – vergaberechtsfrei. Das trifft beispielsweise auf die Ziffern 73400000-6 (Forschung und Entwicklung für Sicherheits- und Verteidigungsgüter) oder 73410000-9 (Militärforschung und -technologie) des Common Procurement Vocabulary zu2. Fallen die Forschungs- und Entwicklungsdienstleistungen dagegen unter eine der in 116 Abs. 1 Nr. 2 Halbs. 2 GWB aufgelistete Referenznummer des Common Procurement Vocabulary, sind die übrigen Voraussetzungen der Rückausnahme zu prüfen. Im Weiteren setzt die Rückausnahme voraus, dass die Ergebnisse der Dienstleis- 46 tung ausschließlich Eigentum des Auftraggebers für dessen Gebrauch bei der Ausübung seiner Tätigkeit werden. Der Begriff des Eigentums ist dabei nicht im streng zivilrechtlichen Sinne zu verstehen. Gemeint ist vielmehr, dass dem öffentlichen Auftraggeber das Nutzungsrecht an den Forschungs- und Entwicklungsergebnissen zustehen muss3. Eine Zuordnung zu seiner Eigentumssphäre 1 BayObLG v. 27.2.2003 – Verg 25/02, NZBau 2003, 634 (635); Weyand, ibr-online-Kommentar Vergaberecht, Stand: 14.9.2015, § 100 GWB Rz. 125. 2 Gesetzesbegründung, VergRModG 2016, BT-Drucks. 18/6281, S. 94. 3 BayObLG v. 27.2.2003 – Verg 25/02, NZBau 2003, 634 (635); Dreher in Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, Band 2/Teil 2 GWB: §§ 97–129b (Vergaberecht), 5. Aufl. 2014, § 100 Rz. 41.

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§ 116 | Besondere Ausnahmen ist im Übrigen nur dann gegeben, wenn er ein ausschließliches Nutzungsrecht hat1. Die Voraussetzung, dass die Ergebnisse der Forschungs- oder Entwicklungsdienstleistungen durch den öffentlichen Auftraggeber bei der Ausübung seiner Tätigkeit gebraucht werden, hängt davon ab, ob die Ergebnisse des Forschungs- und Entwicklungsauftrages für den Dienstgebrauch benötigt werden2. Die Voraussetzung ist freilich auch dann erfüllt, wenn die Ergebnisse nicht nur dem öffentlichen Auftraggeber, sondern daneben – reflexartig – auch der Allgemeinheit zugutekommen. Denn dies ist bei Tätigkeiten öffentlicher Auftraggeber regelmäßig der Fall (z.B. bei der historischen Erkundung von Verdachtsstandorten von Rüstungsaltlasten, die von einem öffentlichen Auftraggeber beauftragt wurde3). Auch ist es ohne Bedeutung, ob der öffentliche Auftraggeber Forschungs- oder Entwicklungsergebnisse, an denen er ein alleiniges Nutzungsrecht hat und die von ihm vollständig vergütet wurden, der Öffentlichkeit zur Kenntnis gibt. Denn dies hebt weder die ausschließliche Verfügungsbefugnis des Auftraggebers noch den Gebrauch bei der Ausübung seiner eigenen Tätigkeit auf4. Keine Auftragsforschung im Sinne der Rückausnahme liegt allerdings vor, wenn die Forschungsförderung zu den originären Aufgaben des öffentlichen Auftraggebers gehört und die Forschungsergebnisse daher nicht dem internen, dienstlichen Gebrauch dienen5. 47 Schließlich steht die in § 116 Abs. 1 Nr. 2 Halbs. 2 GWB statuierte Rückaus-

nahme unter der Bedingung, dass die beauftragte Forschungs- und Entwicklungsdienstleistung vollständig durch den Auftraggeber vergütet wird, d.h. dieser bereits vollständig gezahlt hat oder eine entsprechende vertragliche Zahlungspflicht besteht6. Maßstab sind dabei die marktüblichen Bedingungen für die Erbringung derartiger Leistungen. Bewegt sich die Zahlung des öffentlichen Auftraggebers unterhalb der marktüblichen Höhe, verbleibt es dabei, dass die betreffende Forschungs- oder Entwicklungsdienstleistung vom Kartellvergaberecht freigestellt ist. Zu beachten bleiben allerdings ggf. die einschlägigen beihilfenrechtlichen Anforderungen.

1 Weyand, Vergaberecht, § 100 GWB Rz. 126; Frenz, Handbuch Europarecht, Bd. 3: Beihilfe- und Vergaberecht, 2007, Rz 2254; a.A. Schneevogl in Müller-Wrede, GWB, § 116 Rz. 47; Aicher in Müller-Wrede, Kompendium des Vergaberechts, 2. Aufl. 2013, Kap. 11 Rz. 26, die z.B. eine den Dienstleistungserbringer nicht ausschließende Werknutzungsbewilligung ausreichen lassen wollen, wenn das Ergebnis des Forschungs- und Entwicklungsauftrags eindeutig dem Dienstbetrieb des Auftraggebers dient. 2 Aicher in Müller-Wrede, Kompendium des Vergaberechts, Kap. 11 Rz. 25. 3 BayObLG v. 27.2.2003 – Verg 25/02, NZBau 2003, 634 (635). 4 BayObLG v. 27.2.2003 – Verg 25/02, NZBau 2003, 634 (635 f.); Röwekamp in Kulartz/ Kus/Portz/Prieß, GWB, § 116 Rz. 14. 5 Aicher in Müller-Wrede, Kompendium des Vergaberechts, Kap. 11 Rz. 25 mit dem Beispiel der Aufgabe der „Wissenschaftsförderung“ bei einem Bundesministerium. 6 Willenbruch in Willenbruch/Wieddekind, Vergaberecht, 3. Aufl. 2014, § 100 GWB Rz. 35.

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Besondere Ausnahmen | § 116

Wenn sämtliche Voraussetzungen der Rückausnahme vorliegen, d.h. die For- 48 schungs- und Entwicklungsdienstleistungen unter eine der in 116 Abs. 1 Nr. 2 Halbs. 2 GWB aufgelistete Referenznummer des Common Procurement Vocabulary fallen, die Ergebnisse der Dienstleistung ausschließlich Eigentum des öffentlichen Auftraggebers werden und die Erbringung vollständig durch den öffentlichen Auftraggeber vergütet wird, handelt es sich um einen konventionellen Dienstleistungsauftrag, für den die allgemeinen Bestimmungen des GWB-Vergaberechts gelten. Fallen die Forschungs- und Entwicklungsdienstleistungen zwar unter eine der in 116 Abs. 1 Nr. 2 Halbs. 2 GWB aufgelistete Referenznummer des Common Procurement Vocabulary, werden diese aber nicht alleiniges Eigentum des Auftraggeber und bzw. oder werden sie nicht allein durch den öffentlichen Auftraggeber vergütet, greift die Rückausnahme nicht ein, so dass es bei der Freistellung vom GWB-Vergaberecht bleibt. Mit der Regelung des 116 Abs. 1 Nr. 2 GWB, insbesondere mit der in der Be- 49 stimmung selbst enthaltene Rückausnahme, bezweckt der Gesetzgeber vor allem die Kofinanzierung von Forschungs- und Entwicklungsprogrammen durch die Industrie zu fördern, da in diesen Fällen das Vergaberecht nicht zur Anwendung kommt1. c) Aufträge über audiovisuelle Mediendienste, Hörfunkmediendienste bzw. über Ausstrahlungszeit oder Bereitstellung von Sendungen (Abs. 1 Nr. 3) Die Bestimmung des § 116 Abs. 1 Nr. 3 GWB deckt sich im Wesentlichen mit 50 dem bisherigen § 100a Abs. 2 Nr. 1 GWB. Jedoch wurde der Ausnahmetatbestand durch das Vergaberechtsmodernisierungsgesetz – in Anlehnung an die Formulierung des Art. 10 lit. b) RL 2014/24/EU – neu gefasst, womit der fortschreitenden technischen Entwicklung auf diesem Gebiet Rechnung getragen werden sollte2. Der Hintergrund der Regelung ist in Erwägungsgrund 23 RL 2014/24/EU erläu- 51 tert. Darin heißt es, dass bei der Vergabe öffentlicher Aufträge über bestimmte audiovisuelle und Hörfunkmediendienste durch Mediendiensteanbieter besondere kulturelle und gesellschaftspolitische Erwägungen berücksichtigt werden können, die die Anwendung von Vergabevorschriften unangemessen erscheinen lassen. Aus diesen Gründen sollte eine Ausnahme für die von den Mediendiensteanbietern selbst vergebenen öffentlichen Dienstleistungsaufträge vorgesehen werden, die den Ankauf, die Entwicklung, die Produktion oder die Koproduktion von sendefertigem Material sowie andere Vorbereitungsdienste zum Gegenstand haben, wie z.B. Dienste im Zusammenhang mit den für die Produktion von Sendungen erforderlichen Drehbüchern oder künstlerischen Leistungen. Die Privilegierung rechtfertigt sich durch die besondere Funktion der Medi1 Gesetzesbegründung, VergRModG 2016, BT-Drucks. 18/6281, S. 94. 2 Gesetzesbegründung, VergRModG 2016, BT-Drucks. 18/6281, S. 94.

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§ 116 | Besondere Ausnahmen endiensteanbieter, welche insbesondere auch in der Rundfreiheit nach Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG zum Ausdruck kommt. Die Rundfunkfreiheit dient der Gewährleistung einer freien und individuellen öffentlichen Meinungsbildung1. Im Zentrum der Gewährleistung steht daher insbesondere die Staatsfreiheit2 und die Programmautonomie3. Grundrechtsträger sind alle natürlichen und juristischen Personen und Personenvereinigung, die Rundfunk veranstalten, einschließlich der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten4. Die Grundrechtsträgerschaft Letzterer ist aufgrund ihrer Ausgestaltung als staatsdistanzierte, unabhängige Körperschaften gerechtfertigt, welche unmittelbar dem Lebensbereich natürlicher Personen zugeordnet sind5, d.h. gewissermaßen „Sachwalter“ des einzelnen bei der Wahrnehmung seiner Grundrechte sind6. Wohl aufgrund dieser Ausgestaltung und Funktion wird anders als bei anderen öffentlichen Auftraggebern – soweit es um Beschaffungen mit Bezug zum verfassungsrechtlich geschützten Kernbereich der Tätigkeit der Veranstalter geht – auch keine Notwendigkeit gesehen, die Neutralität der Vergabeentscheidung durch die Bindung an das Vergaberecht sicherzustellen7. 52 Zur Erläuterung der Begriffe „audiovisuelle Mediendienste“, „Anbieter von Me-

diendiensten“ und „Sendung“ verweist die Gesetzesbegründung – der Vorgabe des Art. 10 lit. b) RL 2014/24/EU folgend – auf die Begriffsdefinition der RL 2010/13/EU über audiovisuelle Mediendienste8.

53 Als „audiovisuelle Mediendienste“ sind nach Art. 1 Abs. 1 lit. a RL 2010/13/EU

Dienstleistungen im Sinne der Art. 56, 57 AEUV zu begreifen, für die ein Mediendiensteanbieter die redaktionelle Verantwortung trägt und deren Hauptzweck die Bereitstellung von Sendungen zur Information, Unterhaltung oder Bildung

1 BVerfG v. 13.1.1982 – 1 BvR 848/77, 1 BvR 1047/77, 1 BvR 916/78 u.a., BVerfGE 59, 231 (257) = NJW 1982, 1447; BVerfG v. 24.03.1987 – 1 BvR 147/86, 1 BvR 478/86, BVerfGE 74, 297 (323) = NJW 1987, 2987. 2 BVerfG v. 4.11.1986 – 1 BvF 1/84, BVerfGE 73, 118 (183) = NJW 1987, 239 (242); BVerfG v. 5.2.1991 – 1 BvF 1/85, 1 BvF 1/88, BVerfGE 83, 238 (323) = NJW 1991, 899 (906); BVerfG v. 12.3.2008 – 2 BvF 4/03, BVerfGE 121, 30 (35 f.) = NVwZ 2008, 658 (660). 3 BVerfG v. 6.10.1992 – 1 BvR 1586/89, 1 BvR 487/92, BVerfGE 87, 181 (201) = NJW 1992, 3285 (3286); BVerfG v. 22.2.1994 – 1 BvL 30/88, BVerfGE 90, 60 (87 f.) = NJW 1994, 1942 (1943); BVerfG v. 20.2.1998 – 1 BvR 661/94, BVerfGE 97, 298 (311 f.) = NJW 1998, 2659 (2660); VG Düsseldorf v. 3.11.2015 – 27 L 888/15, BeckRS 2015, 54704. 4 BVerfG v. 26.2.1997 – 1 BvR 2172/96, BVerfGE 95, 220 (234) = NJW 1997, 1841 (1842); BVerfG v. 20.2.1998 – 1 BvR 661/94, BVerfGE 97, 298 (311 f.) = NJW 1998, 2659 (2660). 5 BVerfG v. 13.1.1982 – 1 BvR 848/77, 1 BvR 1047/77, 1 BvR 916/78 u.a., BVerfGE 59, 231 (255) = NJW 1982, 1447; BVerfG v. 23.03.1988 – 1 BvR 686/86, BVerfGE 78, 101 (102 f.) = NJW 1988, 1715. 6 BVerfG v. 8.7.1982 – 2 BvR 1187/80, BVerfGE 61, 82 (103) = NJW 1982, 2173 (2174). 7 Ähnlich: Schneevogl in Müller-Wrede, GWB, § 116 Rz. 52. 8 Gesetzesbegründung, VergRModG 2016, BT-Drucks. 18/6281, S. 94.

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Besondere Ausnahmen | § 116

der allgemeinen Öffentlichkeit über elektronische Kommunikationsnetze im Sinne des Art. 2 lit. a RL 2002/21/EG ist. Bei diesen audiovisuellen Mediendiensten handelt es sich entweder um Fernsehprogramme (Art. 1 Abs. 1 lit. e RL 2010/13/EU) oder um audiovisuelle Mediendienste auf Abruf (Art. 1 Abs. 1 lit. g RL 2010/13/EU), welche auch als on-Demand- bzw. nichtlineare Dienste bezeichnet werden1. Den genannten Diensten ist nach Art. 1 Abs. 1 lit. a RL 2010/ 13/EU (auf den die Gesetzesbegründung im Anschluss an Art. 10 lit. b RL 2014/ 24/EU explizit verweist) auch die „audiovisuelle kommerzielle Kommunikation“ zuzurechnen. Hierunter sind nach Art. 1 Abs. 1 lit. h RL 2010/13/EU u.a. Fernsehwerbung, Sponsoring, Teleshopping und Produktplatzierung zu fassen. „Anbieter von Mediendiensten“ sind natürliche oder juristische Personen, die 54 die redaktionelle Verantwortung für die Auswahl der audiovisuellen Inhalte des audiovisuellen Mediendienstes tragen und bestimmen, wie diese gestaltet werden (Art. 1 Abs. 1 lit. d RL 2010/13/EU). Unter dem Begriff „Sendung“, welcher mit dem Terminus „Sendematerial“ 55 identisch sein soll2, ist nach Art. 1 Abs. 1 lit. b RL 2010/13/EU eine Abfolge von bewegten Bildern mit oder ohne Ton zu verstehen, welche Einzelbestandteil eines von einem Mediendiensteanbieter erstellten Sendeplans oder Katalogs sind und deren Form und Inhalt mit der Form und dem Inhalt von Fernsehprogrammen vergleichbar sind, etwa Spielfilme, Sportberichte, Fernsehkomödien, Dokumentarfilme, Kindersendungen oder Originalfernsehspiele. Über diese Beschreibung der RL 2010/13/EU hinaus sollen unter die Begriffe „Sendung“ bzw. „Sendematerial“ auch Hörfunksendungen bzw. Hörfunk-Sendematerial zu fassen sein3. Privilegiert ist nach § 116 Abs. 1 Nr. 3 GWB zum einen der Erwerb, die Ent- 56 wicklung, die Produktion oder die Koproduktion von Sendematerial für audiovisuelle oder Hörfunkmediendienste, wenn diese Aufträge „von Anbietern von audiovisuellen Mediendiensten oder Hörfunkmediendiensten vergeben werden“, d.h. der Einkauf solcher Leistungen durch die genannten Mediendiensteanbieter. Zum anderen ist die Beschaffung von Ausstrahlungszeit oder die Bereitstellung von Sendungen privilegiert „wenn diese Aufträge an Anbieter von audiovisuellen Mediendiensten oder Hörfunkmediendiensten vergeben werden“, d.h. die Beschaffung solcher Leistungen durch andere öffentliche Auftraggeber bei Mediendiensteanbietern, etwa der Einkauf von Sendezeit für eine Aufklärungskampagne durch ein Bundesministerium4. Die Ausnahmeregelung des § 116 Abs. 1 Nr. 3 GWB ist restriktiv auszulegen5. Privilegiert ist nur der 1 2 3 4

Gesetzesbegründung, VergRModG 2016, BT-Drucks. 18/6281, S. 94. Gesetzesbegründung, VergRModG 2016, BT-Drucks. 18/6281, S. 94. Gesetzesbegründung, VergRModG 2016, BT-Drucks. 18/6281, S. 94. So bereits zur Vorgängerregelung des § 100a Abs. 2 Nr. 1 GWB: Aicher in Müller-Wrede, Kompendium des Vergaberechts, Kap. 11 Rz. 57 m.w.N. 5 EuGH v. 13.12.2007 – Rs. C-337/06 (Bayerischer Rundfunk), Slg. 2007, I-11173, Rz. 61 ff.

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§ 116 | Besondere Ausnahmen Kernbereich der genannten Mediendienste1. Die Beschaffung von Dienstleistungen, die keinen unmittelbaren Bezug zu Mediendiensten aufweisen, etwa Reinigungsleistungen wird nicht erfasst2. Auch die Beschaffung der für die Produktion, die Koproduktion und die Ausstrahlung dieser Sendungen erforderlichen technischen Mittel (z.B. Sendetechnik3) liegt außerhalb des Anwendungsbereiches4. Dasselbe gilt für die Errichtung von Bauten5. d) Aufträge über finanzielle Dienstleistungen (Abs. 1 Nr. 4) 57 Nach § 116 Abs. 1 Nr. 4 GWB sind finanzielle Dienstleistungen im Zusammen-

hang mit der Ausgabe, dem Verkauf, dem Ankauf oder der Übertragung von Wertpapieren oder anderen Finanzinstrumenten (Alt. 1) und Dienstleistungen der Zentralbanken sowie mit der Europäischen Finanzstabilisierungsfazilität bzw. dem Europäischen Stabilitätsmechanismus durchgeführte Transaktionen (Alt. 2) vom Kartellvergaberecht ausgenommen.

58 Grundlage der Ausnahme sind Art. 10 lit. e RL 2014/24/EU, Art. 10 Abs. 8 lit. e

RL 2014/23/EU, Art. 21 lit. d RL2014/25/EU. Die Umsetzung der beiden letztgenannten Richtlinienbestimmungen folgt aus § 137 Nr. 4 GWB sowie aus § 149 Nr. 4 GWB, die – für den Bereich der Sektorenaufträge und der Konzessionsvergabe – auf § 116 Abs. 1 Nr. 4 GWB verweisen.

59 § 116 Abs. 1 Nr. 4 GWB betrifft Ausnahmen für bestimmte finanzielle Dienst-

leistungen, die bislang z.T. in § 100a Abs. 2 Nr. 2 GWB a.F. und § 100b Abs. 2 Nr. 1 GWB a.F. geregelt waren6. Neu im Vergleich zur bisherigen Ausnahme ist, dass Transaktionen mit der neu geschaffenen Finanzstabilisierungsfazilität (EFSF) und dem Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) ebenfalls von der Anwendung des Vergaberechts ausgenommen sein sollen. Die in § 100a Abs. 2 Nr. 2 GWB a.F. und § 100b Abs. 2 Nr. 1 GWB a.F. enthaltene Klarstellung, dass es insbesondere um Geschäfte geht, die der Geld- oder Kapitalbeschaffung der öffentlichen Auftraggeber dienen, ist entfallen. Derartige Aufträge können gegebenenfalls durch den neu eingefügten Ausnahmetatbestand des § 116 Abs. 1 Nr. 5 GWB erfasst werden.

1 VK Köln v. 13.2.2006 – VK VOL 31/2006, NZBau 2006, 268. 2 EuGH v. 13.12.2007 – Rs. C-337/06 (Bayerischer Rundfunk), Slg. 2007, I-11173, Rz. 61 ff. 3 Aicher in Müller-Wrede, Kompendium des Vergaberechts, Kap. 11 Rz. 58; Schellenberg in Pünder/Schellenberg, Vergaberecht, 2. Aufl. 2015, § 100 GWB Rz. 104. 4 Gesetzesbegründung, VergRModG 2016, BT-Drucks. 18/6281, 94. 5 VK Bremen v. 1.2.2006 – VK 1/06, IBRRS 2006, 4380; Röwekamp in Kulartz/Kus/Portz/ Prieß, GWB, § 116 Rz. 14. 6 Gesetzesbegründung, VergRModG 2016, BT-Drucks. 18/6281, S. 95.

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aa) Aktivitäten mit Bezug zu Kapitalmärkten Für den Begriff der Wertpapiere, für die finanzielle Dienstleistungen im Zusam- 60 menhang mit deren Ausgabe, Verkauf, Ankauf oder Übertragung vom Kartellvergaberecht freigestellt sind, ist auf die Begriffsbestimmung in Art. 4 Abs. 1 Nr. 18 der Finanzmarktrichtlinie (Richtlinie 2004/39/EG vom 21.4.20041) abzustellen2. Unter den Begriff der Wertpapiere fallen danach Aktien und andere, Aktien gleichzustellende Wertpapiere, Schuldverschreibungen und sonstige verbriefte Schuldtitel, die auf dem Kapitalmarkt gehandelt werden können, und alle anderen üblicherweise gehandelten Titel, die zum Erwerb solcher Wertpapiere durch Zeichnung oder Austausch berechtigen oder zu einer Barzahlung führen. Ausgenommen sind dabei Zahlungsmittel im eigentlichen Sinne. Es geht also ausschließlich um übertragbare und fungible Papiere3. Zur Bestimmung des Begriffs der anderen Finanzinstrumente, die gemäß § 116 61 Abs. 1 Nr. 4 GWB vom GWB-Vergaberecht freigestellt sind, kann auf die Definitionen in Art. 4 Abs. 1 Nr. 17 der Finanzmarktrichtlinie i.V.m. Anhang I Abschnitt C dieser Richtlinie abgestellt werden. Zu den anderen Finanzinstrumenten zählen danach Anteile an Organismen für gemeinsame Anlagen, Geldmarktinstrumente, Finanzterminkontrakte, Zinsterminkontrakte, Zins- und Devisenswaps sowie Swaps auf Aktien und Aktienindexbasis4. § 116 Abs. 1 Nr. 4 GWB bezieht sich nicht nur auf die Ausgabe, den Verkauf, 62 den Ankauf oder die Übertragung von Wertpapieren oder auf andere Finanzinstrumente als solche, sondern auf sämtliche finanzielle Dienstleistungen, die mit diesen Tätigkeiten im Zusammenhang stehen. Dies entspricht auch dem Wortlaut von Art. 10 Abs. 8 lit. e RL 2014/23/EU, Art. 10 lit. e RL 2014/24/EU und von Art. 21 lit. d RL2014/25/EU. Im Hinblick darauf, dass Ausnahmetatbestände zum Kartellvergaberecht grundsätzlich eng auszulegen sind (Rz. 7), genügt nicht jedweder denkbare Kausalzusammenhang. Notwendig ist vielmehr, dass ein unmittelbarer Sachzusammenhang besteht. Es muss sich also insbesondere um eine finanzielle Dienstleistung handeln. Dies schließt dann allerdings sämtliche Dienstleistungen ein, die mit der Aus- und Durchführung derartiger Geschäfte verzahnt sind. Umfasst sind auch begleitende sowie vorbereitende Beratungen zur Ausgabe, zum Verkauf, zum Ankauf oder zur Übertragung von Wertpapieren sowie zum Einsatz anderer Finanzinstrumente insbesondere zur 1 ABl. Nr. L 145, S. 1 ff. 2 Art. 10 lit. e RL 2014/24/EU, Art. 10 Abs. 8 lit. e RL 2014/23/EU, Art. 21 lit. d RL2014/ 25/EU; ebenso: Dreher in Immenga/Mestmäcker, GWB, § 100a Rz. 18 ff.; Röwekamp in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, GWB, § 116 Rz. 16. 3 Dreher in Immenga/Mestmäcker, GWB, § 100a Rz. 12. 4 Vgl. auch Art. 3 Nr. 1 lit. e) der Kapitaladäquanzrichtlinie (Richtlinie 2006/49/EG vom 14.6.2006), ABl. Nr. L 177, S. 201 ff. sowie Hailbronner in Byok/Jaeger, Kommentar zum Vergaberecht, 3. Aufl. 2011, § 100 Rz. 576.

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§ 116 | Besondere Ausnahmen Geld- oder Kapitalbeschaffung eines öffentlichen Auftraggebers1. Hierfür spricht, dass diese Dienstleistungen selber zwar nicht – wie der An- und Verkauf von Wertpapieren und sonstige Finanzdienstleistungen – durch die Volatilität der Kapitalmärkte geprägt sind. Da sie aber diesen Dienstleistungen typischerweise vorausgehen oder hiermit einhergehen, würde es den praktischen Anwendungsbereich des Ausnahmetatbestandes zu sehr einengen, wenn man diese, in einem unmittelbaren Zusammenhang zum An- und Verkauf von Wertpapieren etc. stehenden Dienstleistungen ausklammern würde2. bb) Dienstleistungen der Zentralbanken; EFSF- und ESM-Transaktionen 63 Der Begriff „Dienstleistungen der Zentralbanken“ meint Dienstleistungen der

Deutschen Bundesbank und ihrer Hauptverwaltungen (§ 8 BBankG) für öffentliche Auftraggeber3. Als Dienstleistungen, welche vom Vergaberecht ausgeklammert sind, kommen vor allem die im 5. Abschnitt des BBankG geregelten Instrumente in Betracht (z.B. Annahme von Giroeinlagen des Bundes, der Sondervermögen des Bundes, der Länder und anderen öffentlichen Verwaltungen, §§ 19 Nr. 2, 20 BBankG)4. Für eigene Beschaffungen der Zentralbanken, kann die Ausnahmevorschrift des § 116 Abs. 1 Nr. 4 GWB hingegen nicht in Anspruch genommen werden5. Nicht umfasst sind im Übrigen die Dienstleistungen der Landesbanken und Sparkassen6.

64 Bei dem Europäischen Stabilitätsmechanismus (European Stability Mecha-

nism, ESM) handelt es sich um eine zwischenstaatliche Finanzinstitution mit Sitz in Luxemburg7, die ihre operative Tätigkeit im Oktober 2012 aufgenommen hat. Der ESM wurde in Reaktion auf die Finanz- und Staatsschuldenkrise als permanenter Krisenbewältigungsmechanismus („permanenter Rettungsschirm“) geschaffen8 und hat die Funktion, Finanzmittel zu mobilisieren und ESM-Mit-

1 Röwekamp in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum Vergaberecht, § 116 Rz. 17; Weyand, Vergaberecht, § 101a GWB Rz. 14; Masing in Dreher/Motzke, Beck’scher Vergaberechtskommentar, 2. Aufl. 2013, § 100 GWB Rz. 62; enger Dreher in Immenga/ Mestmäcker, GWB, § 100a Rz. 32, der vorbereitende Tätigkeiten als nicht von dem Ausnahmetatbestand umfasst ansieht; ähnlich Stewen, ZfBR 2008, 146. 2 Im Ergebnis auch Schneevogl in Müller-Wrede, GWB, § 116 Rz. 71. 3 VK Bund v. 30.9.2010 – VK 2-80/10, BeckRS 2016, 48412; Wagner, NZBau 2007, 623 (626) mit Fn. 50. 4 Aicher in Müller-Wrede, Kompendium des Vergaberechts, Kap. 11 Rz. 64. 5 VK Bund v. 30.9.2010 – VK 2-80/10, BeckRS 2016, 48412; Weyand, Vergaberecht, § 101a GWB Rz. 15. 6 Dreher in Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, § 100a GWB Rz. 34. 7 Schulz in Gabriel/Mertens/Prieß/Stein, Beck’scher OnlineKommentar Vergaberecht, 1. Edition/Stand: 30.9.2016, § 116 Abs. 1 Nr. 4 GWB Rz. 27; Bark/Gilles, EuZW 2013, 367 (368). 8 Bergmann, Handlexikon der Europäischen Union, 5. Aufl. 2015, Stichwort „Stabilitätsmechanismus, Europäischer (ESM)“, Pkt. II.

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gliedstaaten, die schwerwiegende Finanzierungsprobleme haben oder denen solche Probleme drohen, eine Stabilitätshilfe bereitzustellen, wenn dies zur Wahrung der Finanzstabilität des Euro-Währungsgebiets insgesamt und seiner Mitgliedstaaten unabdingbar ist1. Für seine Aufgabe der Bereitstellung von Stabilitätshilfen stehen dem ESM fünf verschiedene Finanzhilfeinstrumente zur Verfügung (Art. 14–18 ESMV), u.a. die Vergabe von Darlehen (Art. 16 ESMV). Die Europäische Finanzstabilisierungsfazilität (European Financial Stability 65 Facility, EFSF) ist – neben dem Europäischen Finanzstabilisierungsmechanismus (EFSM) und den finanziellen Beiträgen des Internationalen Währungsfonds (IWF) – ein Element des im Jahr 2010 geschaffenen temporären Euro-Schutzschirms, mit dem die Länder der Eurozone auf die akute Staatsschuldenkrise reagiert haben2. Es handelt sich um eine privatrechtliche Kapitalgesellschaft nach luxemburgischem Recht3. Die EFSF hat die Möglichkeit, nach Ersuchen eines Teilnehmerstaats Finanzhilfen zu gewähren, wenn deren wirtschaftlichen Probleme die gesamte Währungsunion in Gefahr bringen (Art. 2 Abs. 1 lit. a VO (EU) 407/2010). Dies geschieht vorrangig durch den Ankauf von Staatsanleihen auf dem Sekundär- oder Primärmarkt (Art. 2 Abs. 1 lit. b VO (EU) 407/2010). Alternativ besteht die Möglichkeit, Darlehen an die Regierung des betroffenen Staates zu begeben (Art. 2 Abs. 1 lit. c VO (EU) 407/2010). Da die EFSF Mitte 2013 durch den ESM abgelöst wurde, besteht die Aufgabe der EFSF nur noch darin, ihre bereits zugesagten Finanzhilfen an die Programmländer auszubringen4. Als Transaktion des ESM bzw. des EFSF sind jedenfalls der Einsatz der im 66 ESMV und in der VO (EU) 407/2010 geregelten Finanzhilfeinstrumente anzusehen, etwa die Vergabe von Darlehen gemäß § 16 ESMV oder nach Art. 2 Abs. 1 lit. c VO (EU) 407/2010 und alle damit in Zusammenhang stehenden Rechtsgeschäfte, wobei an den Zusammenhang dieselben Anforderungen zu stellen sind, wie im Rahmen der Alternative der „finanziellen Dienstleistungen im Zusammenhang mit der Ausgabe, dem Verkauf, dem Ankauf oder der Übertragung von Wertpapieren oder anderen Finanzinstrumenten“ (Rz. 62). e) Aufnahme von Krediten und Darlehen (Abs. 1 Nr. 5) Bei der Regelung handelt es sich um einen neuen Ausnahmetatbestand für die 67 Beschaffung von Krediten und Darlehen, ungeachtet dessen, ob sie mit der Aus1 Bergmann, Handlexikon der Europäischen Union, Stichwort „Stabilitätsmechanismus, Europäischer (ESM)“, Pkt. III; Bark/Gilles, EuZW 2013, 367. 2 Schulz in Gabriel/Mertens/Prieß/Stein, Beck’scher OnlineKommentar Vergaberecht, § 116 Abs. 1 Nr. 4 GWB Rz. 26; Regling, EWS 2011, 261 (261). 3 Piecha, EuZW 2012, 532 (533 f.); Regling, EWS 2011, 261 (261). 4 Bischof/Jung in Schulze/Zuleeg/Kadelbach, Europarecht – Handbuch für die deutsche Rechtspraxis, 3. Aufl. 2015, § 20 Rz. 13 ff.

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§ 116 | Besondere Ausnahmen gabe von Wertpapieren oder anderen Finanzinstrumenten oder mit anderen diese betreffenden Transaktionen im Zusammenhang stehen oder nicht. 68 § 116 Abs. 1 Nr. 5 GWB basiert auf Art. 10 lit. f) RL 2014/24/EU. Die Umset-

zung der gleichlautenden Ausnahmetatbestände in Art. 10 Abs. 8 lit. f) RL 2014/ 23/EU und Art. 21 lit. e) RL 2014/25/EU ergibt sich aus der Verweisung in § 137 Nr. 5 GWB und in § 149 Nr. 5 GWB auf die Bestimmung des § 116 Abs. 1 Nr. 5 GWB.

69 Der Hintergrund der Neuregelung ist darin zu sehen, dass stets umstritten war,

ob die Ausnahme für finanzielle Dienstleistungen im Zusammenhang mit der Ausgabe, dem Verkauf, oder der Übertragung von Wertpapieren und anderen Finanzinstrumenten in § 100a Abs. 2 Nr. 2 GWB a.F. bzw. deren Vorgängerregelung (jetzt § 116 Abs. 1 Nr. 4 GWB) auch eine Freistellung der Darlehensund Kreditaufnahme beinhaltete1. Selbst nachdem in Art. 16 lit. d) RL 2004/18/ EG die Ergänzung „insbesondere Geschäfte, die der Geld oder Kapitalbeschaffung dienen“ eingefügt und in die Regelung des § 100a Abs. 2 Nr. 2 GWB a.F. bzw. deren Vorgängerregelung übernommen wurde, bestand Uneinigkeit über die Ausdehnung des Ausnahmetatbestandes auf die Kredit- und Darlehensaufnahme2. Die Einfügung einer gesonderten Ausnahme für die Kredit- und Darlehensaufnahme zielt auf die endgültige Klarstellung dieser Frage ab3. Hinzuweisen ist in diesem Zusammenhang im Übrigen auf die Entstehungsgeschichte der RL 2014/23/EU, 2014/24/EU und RL 2014/25/EU. So war in den Richtlinienvorschlägen der Europäischen Kommission zunächst eine Streichung der in Art. 16 lit. d) RL 2004/18/EG sowie in Art. 24 lit. c) RL 2004/17/EG enthaltenen Halbsätze „Geschäfte, die der Geld- oder Kapitalbeschaffung der öffentlichen Auftraggeber dienen“ vorgesehen. Gleichzeitig fehlte eine gesonderte Ausnahme für die Kredit- und Darlehensaufnahme.4 In die Endfassung wurde Letztere dann auf-

1 Für eine Ausdehnung auf Kredite und Darlehen: Schellenberg in Pünder/Schellenberg, Vergaberecht, § 100a GWB Rz. 7 f.; Stickler, VergabeR 2008, 177 (181); Kulartz/Terner, ZfBR 2004, 244 (246); Dreher/Opitz, WM 2002, 414 (419). Gegen eine Einbeziehung von Kredit- und Darlehensverträgen: Boesen, Vergaberecht Kommentar zum 4. Teil des GWB, 2000, § 100 Rdnr. 141. 2 Für eine Klarstellung durch den Zusatz „insbesondere Geschäfte, die der Geld oder Kapitalbeschaffung dienen“: Weyand, Vergaberecht, § 100a GWB Rz. 10; Dreher in Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, § 100a GWB Rz. 33; Masing, in Dreher/Motzke, Beck’scher Vergaberechtskommentar, § 100 GWB Rz. 62; Dippel in Hattig/Maibaum, Praxiskommentar VergabeR, 2010, § 100 GWB Rn 90; Stickler, VergabeR 2008, 177 (179); a.A. Aicher in Müller-Wrede, Kompendium des Vergaberechts, Kap. 11 Rz. 70. 3 In diesem Sinne Gesetzesbegründung, VergRModG 2016, BT-Drucks. 18/6281, S. 95; Erwägungsgrund 26 RL 2014/24 EU. 4 Vorschlag für RICHTLINIE DES EUROPÄISCHEN PARLAMENTS UND DES RATES über die öffentliche Auftragsvergabe v. 20.12.2011, KOM (2011) 896 endgültig – 2011/ 0438 (COD), http://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:52011PC 0896&from=de (zuletzt aufgerufen am 18.9.2017).

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genommen. Das spricht dafür, dass der Richtliniengeber wohl zunächst beabsichtigt hat, die Kredit- und Darlehensaufnahme dem Vergaberecht zu unterstellen, diesen Plan aber im Richtliniengebungsprozess aufgegeben und sich ausdrücklich für eine Freistellung der Kredit- und Darlehensaufnahme vom Vergaberecht entschieden hat.1 Die Klarstellung ist zu begrüßen. Für eine Ausnahme der Kredit- und Dar- 70 lehensaufnahme vom GWB-Vergaberecht spricht nicht nur, dass diese typischerweise an funktionierenden, transparenten Geldmärkten aufgenommen werden2, sondern auch der Umstand, dass beim Abschluss derartiger Geschäfte in der Regel ein schnelles, flexibles Handeln nötig ist, um kurzfristige Erhöhungen der Zinssätze zu vermeiden, bzw. Zinstiefs nutzen zu können (Volatilität der Kapitalmärkte)3. Außerdem ließe sich anführen, dass die Auswahl des Dienstleisters weniger durch wirtschaftliche Aspekte, als durch ein besonderes Vertrauensverhältnis zum Kredit- oder Darlehensgeber geprägt ist (kapitalmarkttypisches Vertrauensverhältnis)4. Die Anwendung des Ausnahmetatbestandes setzt die Einordnung als Darlehens- 71 oder Kreditbeschaffung voraus. Unter einem (Geld-)Darlehensvertrag versteht man einen schuldrechtlichen Vertrag, durch den sich der Darlehensgeber gegenüber dem Darlehensnehmer verpflichtet, einen Geldbetrag in vereinbarter Höhe zur Verfügung zu stellen und zur Nutzung zu überlassen. Der Darlehensnehmer ist wiederum verpflichtet, den geschuldeten Zins zu entrichten und bei Fälligkeit den Geldbetrag zurückzuzahlen und sofern vereinbart, Sicherheiten zu bestellen (vgl. z.B. § 488 Abs. 1 BGB). Der Begriff „Kredit“ ist ein Oberbegriff für Geldanleihen, welcher das (Geld-)darlehen umfasst. Im allgemeinen Sprachgebrauch werden die Begriffe Darlehen und Kredit im gleichen Sinn gebraucht. In der Kreditwirtschaft versteht man unter „Darlehen“ i.d.R. mittel- und langfristige Kredite, die in einer Summe ausgezahlt werden und für die eine regelmäßige Tilgung vereinbart ist. „Kredite“ im engeren Sinne besitzen in der Regel eine kürzere Laufzeit und belaufen sich auf geringere Summen, welche häufig durch Vereinbarung eines Höchstbetrages, bis zu dem der Kredit in Anspruch genommen werden kann, begrenzt werden (Kontokorrentkredit, Betriebsmittelkredite, Kassenkredit)5. 1 Schulz in Gabriel/Mertens/Prieß/Stein, Beck’scher OnlineKommentar Vergaberecht, § 116 Abs. 1 Nr. 5 GWB Rz. 7. 2 Schneevogl in Müller-Wrede, GWB, § 116 Rz. 82; Kullack/Terner, ZfBR 2004, 244 (246). 3 VK Baden-Württemberg v. 30.11.2011 – 1 VK 40/01, NZBau 2003, 61 (82); Nölle, VergabeR 1998, 26. 4 VK Baden-Württemberg v. 30.11.2011 – 1 VK 40/01, NZBau 2003, 61 (82); Masing in Dreher/Motzke, Beck’scher Vergaberechtskommentar, § 100 GWB Rz. 59. 5 In diesem Sinne z.B. Erhart in von der Groeben/Schwarze/Hatje, Europäisches Unionsrecht, 7. Aufl. 2015, Nach Art. 107 AEUV Rz. 430; Creifelds Rechtswörterbuch, 21. Aufl. 2013, Stichwort „Kreditvertrag“ 3.

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§ 116 | Besondere Ausnahmen 72 Problematisch ist, ob als „Kredit“ darüber hinaus weitere Formen der Kapital-

beschaffung angesehen werden können, also etwa die Stundung von Forderungen, Bürgschaften, Garantien, Forfaitierungen etc.1. Zu denken ist beispielsweise auch an ein Finanzierungsleasing (freilich ohne gleichzeitige Beschaffung von Leasinggegenständen)2. Mit Blick auf § 100a Abs. 2 Nr. 2 GWB a.F. bzw. dessen Vorgängerregelung wurden derartige Geschäfte – neben Darlehen – als andere „Finanzierungsinstrumente“ bzw. „Geschäfte, die der Geldoder Kapitalbeschaffung der Auftraggeber dienen“ betrachtet3. Unter der Geltung des § 116 Abs. 1 Nr. 5 GWB kommt als normativer Anknüpfungspunkt für die Erfassung derartiger Geschäfte allenfalls der Begriff des „Kredits“ in Betracht. In Anbetracht dessen, dass sich für einen Kreditbegriff, der solche Finanzierungshilfen umfasst, durchaus Beispiele finden (vgl. z.B. §§ 19, 21 KWG), steht der Wortsinn einer weiten Auslegung des Kreditbegriffs in § 116 Abs. 1 Nr. 5 GWB nicht entgegen. Im Übrigen diente die Schaffung des § 116 Abs. 1 Nr. 5 GWB bzw. der zugrundeliegenden Richtlinienbestimmung, letztlich der Klarstellung, dass die Aufnahme von Krediten und Darlehen vom GWB-Vergaberecht freigestellt sein soll. Dafür, dass der Katalog der Geschäfte, die vormals unter § 100a Abs. 2 Nr. 2 GWB a.F. bzw. unter die zugrundeliegenden Richtlinienvorschriften [Art. 16 lit. d) RL 2004/18/EG, Art. 24 lit. c) RL 204/17/EG] gefasst wurde, eingeengt werden sollte, ergeben sich aus der Entstehungsgeschichte der RL 2014/23/EU, 2014/24/EU und RL 2014/25/EU keine Anhaltspunkte (Rz. 69).

73 Ob ein Zusammenhang der Darlehens- oder Kreditaufnahme mit der Ausgabe,

dem Verkauf, dem Ankauf oder der Übertragung von Wertpapieren besteht, ist unerheblich. Erfass ist also sowohl die isolierte Darlehens- oder Kreditaufnahme, als auch eine solche im Zusammenhang mit der Ausgabe, dem Verkauf, dem Ankauf oder der Übertragung von Wertpapieren. Ein Zusammenhang besteht z.B. bei der Darlehensaufnahme, die dem Ankauf von Wertpapiere dient oder der Darlehensaufnahme, die mit Wertpapieren besichert wird4. Hintergrund dieses Halbsatzes ist, dass mit Blick auf die Vorgängerregelung des 100a Abs. 2 Nr. 2 GWB angenommen wurde, dass die Darlehens- oder Kreditaufnahme jedenfalls dann unter 100a Abs. 2 Nr. 2 GWB zu subsumieren war, wenn ein solcher Zusammenhang bestand5.

74 Zu beachten ist, dass die Ausnahmeregelung des § 116 Abs. 1 Nr. 5 GWB aus-

schließlich für den Bereich des GWB-Vergaberechts gilt. De lege lata stellt sich somit die Frage, ob die Aufnahme von Krediten oder Darlehen den Bestim-

1 Vgl. Diehr in Reidt/Stickler/Glahs, 3. Aufl. 2011 (Vorauflage), § 100 Rz. 83. 2 Röwekamp in Kulartz/Kus/Potz/Prieß, GWB, § 116 Rz. 22. 3 Diehr in Reidt/Stickler/Glahs, 3. Aufl. 2011 (Vorauflage), § 100 Rz. 83; ähnlich Hailbronner in Byok/Jaeger, Vergaberecht, § 100 GWB Rdnr. 57, 59. 4 Aicher in Müller-Wrede, Kompendium des Vergaberechts, Kap. 11 Rz. 69. 5 Dreher in Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, § 100a GWB Rz. 33; Antweiler in Ziekow/Völlink, Vergaberecht, 2. Aufl. 2013, § 100 GWB Rz. 59.

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mungen des ersten Abschnitts der VOL/A unterliegt. Mit dem Argument, dass es einen Wertungswiderspruch darstellen würde, wenn die Aufnahme von Krediten oder Darlehen zwar im Oberschwellen- aber nicht im Unterschwellenbereich vom Vergaberecht ausgeklammert würde, lässt sich auch hier durchaus eine Befreiung von vergaberechtlichen begründen1. Bedenkt man jedoch, dass diese Auffassung nicht unumstritten ist, ist diese Annahme – insbesondere wenn sich die Pflicht zur Anwendung des ersten Abschnitts der VOL/A aus einem Fördermittelbescheid ergibt – mit Risiken verbunden. Sofern der erste Abschnitt der VOL/A künftig durch die Unterschwellenvergabeverordnung (UVgO) ersetzt wird, dürfte sich auch diese Frage klären, denn § 1 Abs. 2 UVgO2 stellt u.a. Sachverhalte von der Anwendung der Verfahrensordnung frei, auf die nach § 116 GWB auch der 4. Teil des GWB nicht anwendbar ist, mithin auch die Kredit- und Darlehensvergabe. f) Aufträge an Auftraggeber nach § 99 Nr. 1 bis 3, die ein ausschließliches Recht zur Leistungserbringung haben (Abs. 1 Nr. 6) § 116 Abs. 1 Nr. 6 GWB nimmt Dienstleistungen vom Anwendungsbereich des 75 GWB-Vergaberechts aus, sofern diese an einen öffentlichen Auftraggeber i.S.d. § 99 Nr. 1 bis 3 GWB vergeben werden und dieser ein auf Gesetz oder Verordnung beruhendes ausschließliches Recht hat, die Leistungen zu erbringen. Gemeinschaftsrechtliche Grundlage dieses Ausnahmetatbestandes ist Art. 11 RL 76 2014/24/EU. Die Regelung entspricht inhaltlich dem bisherigen – auf Art. 18 RL 2004/18/EG bzw. Art. 25 RL 2004/17/EG beruhenden – § 100a Abs. 3 GWB a.F. Wie sich aus § 116 Abs. 1 Nr. 6 GWB – in Übereinstimmung mit Art. 11 RL 77 2014/24/EU – ergibt, gilt die Ausnahmeregelung nur für Dienstleistungsaufträge. Bau- und Lieferaufträge sind mithin nicht erfasst3. Voraussetzung ist zunächst, dass der Beauftragte selber öffentlicher Auftrag- 78 geber ist und zwar nach § 99 Nr. 1 bis 3 GWB. Nicht privilegiert ist daher z.B. die Vergabe von Dienstleistungsaufträgen an öffentliche Auftraggeber gemäß § 99 Nr. 4 GWB. Der Beauftragte muss zudem über ein ausschließliches Recht zur Erbringung der 79 beauftragten Leistung verfügen, d.h. über ein Exklusivrecht, welches ihm eine bestimmte Tätigkeit vorbehält4, wie z.B. Wasserrechte, Wegerechte, Benutzungs1 Ziekow, VergabeR 2007, 711 (720); a.A. OVG Rhld.-Pf. v. 25.5.2005 – 7 B 10356/05, VergabeR 2005, 478; Schellenberg in Pünder/Schellenberg, Vergaberecht, § 100a GWB Rz. 14; Stickler, VergabeR 2009, 376 (379 f.); Stickler, VergabeR 2008, 177 (182). 2 BAnz AT 7.2.2017, B1. 3 Goodarzi in Gabriel/Mertens/Prieß/Stein, Beck’scher OnlineKommentar Vergaberecht, § 116 Abs. 1 Nr. 6 GWB Rz. 3. 4 Schneevogl in Müller-Wrede, GWB, § 116 Rz. 88.

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§ 116 | Besondere Ausnahmen rechte von Grundstücken und sonstige Ausschließlichkeitsrechte1. Die Einräumung eines solchen Rechts bedeutet, dass ein staatliches Monopol existieren muss. Der Ausnahmetatbestand beruht insofern auf dem Gedanken, dass in einem derartigen Fall ein Ausschreibungsverfahren nicht erforderlich ist, weil aus Rechtsgründen von vornherein nur ein Unternehmen in der Lage ist, die Leistung zu erbringen. Dabei genügt es, wenn dieses Ausschließlichkeitsrecht lediglich gegenüber dem betreffenden Auftraggeber wirkt. Hingegen ist es nicht notwendig, dass das zu beauftragende Unternehmen gegenüber jedermann eine Monopolstellung hat (relatives staatliches Monopol)2. Während es nach den gemeinschaftsrechtlichen Bestimmungen genügen würde, wenn sich das ausschließliche Recht zur Leistungserbringung, auf das sich der Ausnahmetatbestand stützt, aus einer veröffentlichten Rechts- oder Verwaltungsvorschrift ergibt, ist es nach § 116 Abs. 1 Nr. 6 GWB erforderlich, dass das ausschließliche Recht zur Leistungserbringung auf Gesetz oder Verordnung beruht. Als Verordnung kommt nur eine staatsunmittelbare, untergesetzliche Verordnung, d.h. eine Rechtsverordnung, in Betracht3. Die Gewährung des Rechts etwa durch eine kommunale Satzung oder Verwaltungsvorschrift4, eine ordnungsbehördliche Verordnung5 oder gar durch Vertrag6 reicht nach nationalem Recht also nicht aus. Zu beachten ist im Übrigen, dass das Exklusivrecht bereits im Zeitpunkt der Auftragserteilung bestehen muss7. § 116 Abs. 1 Nr. 6 GWB beinhaltet also seinerseits keine Ermächtigungsgrundlage dafür, ein staatliches Monopol zu schaffen. 80 Wie die Gesetzesbegründung – mit Art. 11 RL 2014/24/EU übereinstimmend –

klarstellt, müssen die Rechtsvorschriften, die dem Auftragnehmer eine Monopolstellung einräumen, mit dem AEUV vereinbar sein8. Die Rechtseinräumung darf insbesondere nicht gegen die Dienstleistungsfreiheit (Art. 57 AEUV) verstoßen. Ist das ausschließliche Recht in Bezug auf Dienstleistungen vom allgemeinem wirtschaftlichen Interesse eingeräumt, ergibt sich aus Art. 106 Abs. 2 AEUV eine Ausnahme von den engen Rechtfertigungsgrenzen des Art. 52 Abs. 1 i.V.m.

1 Weyand, Vergaberecht, § 100a GWB Rz. 19. 2 Hailbronner in Byok/Jaeger, Vergaberecht, § 100 GWB Rz. 47; Jasper, DB 1998, 2151 (2153). 3 OLG Düsseldorf v. 1.8.2012 – Verg 105/11, ZfBR 2012, 826 (827). 4 Aicher in Müller-Wrede, Kompendium des Vergaberechts, Kap. 11 Rz. 75. 5 OLG Düsseldorf v. 1.8.2012 – Verg 105/11, ZfBR 2012, 826 (827). 6 Zur Vereinbarung einer kommunalen Zusammenarbeit: OLG Naumburg v. 3.11.2005 – 1 Verg 9/05, NZBau 2006, 58, 60. Zu einer auf dem früheren § 3 AbfG (jetzt § 22 KrwG) beruhenden Beauftragung BayObLG v. 22.1.2002 – Verg 18/01, NZBau 2002, 397 (400). 7 OLG Düsseldorf v. 5.5.2004 – Verg 78/03, NZBau 2004, 398 (399); VK Bad-Würt. v. 31.1. 2012 – 1 VK 66/11, BeckRS 2015, 55875; Weyand, Vergaberecht, § 100a GWB Rz. 20; Jaeger, NZBau 2001, 6 (9). 8 Gesetzesbegründung, VergRModG 2016, BT-Drucks. 18/6281, S. 95. So bereits EuGH v. 10.11.1998 – Rs. C-360/96, Slg. 1998, I-6821, Rz. 45 (Gemeente Arnhem/BFI) mit Blick auf Art. 6 RL 92/50 EWG.

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Besondere Ausnahmen | § 116

Art. 62 AEUV, sofern dessen Anwendung die Erfüllung der übertragenen Aufgabe rechtlich oder tatsächlich verhindern würde1, wobei allerdings auch an dieses Kriterium strenge Anforderungen gestellt werden2. Als Prüfstein fungieren hierbei vor allem die Wettbewerbsregeln der Art. 101 ff. AEUV, da die Verleihung eines ausschließlichen Rechts zu einer marktbeherrschenden Stellung führen kann. Dies steht der Rechtseinräumung zwar nicht entgegen, kann aber für den Inhaber des Ausschließlichkeitsrechts Ausübungsgrenzen nach sich ziehen3. Abzugrenzen ist § 116 Abs. 1 Nr. 6 GWB von der Regelung des In-House-Ge- 81 schäfts bzw. der öffentlich-öffentlichen Zusammenarbeit (§ 108 GWB). Da der Ausnahmetatbestand des § 116 Abs. 1 Nr. 6 GWB – wie alle in § 116 GWB geregelten Ausnahmetatbestände – voraussetzt, dass der Anwendungsbereich des Kartellvergaberechts überhaupt eröffnet ist, sind In-House-Geschäfte oder sonstige nach § 108 GWB privilegierte Fälle der öffentlich-öffentlichen Kooperationen von vornherein nicht daran zu messen4. Wesentliches Unterscheidungsmerkmal zu der Ausnahmeregelung des § 108 GWB ist das Vorliegen eines ausschließlichen Rechts zur Leistungserbringung. Im Gegensatz zum InHouse-Geschäft nach § 108 Abs. 1 bis 5 GWB stellt die Regelung des § 116 Abs. 1 Nr. 6 GWB andererseits nicht auf das Vorliegen eines Über-Unterordnungs-Verhältnisses ab5. Im Unterschied zur öffentlich-öffentlichen Zusammenarbeit i.S.d. § 108 Abs. 6 GWB ist eine Monopolstellung im Rahmen des § 116 Abs. 1 Nr. 6 GWB Voraussetzung und nicht Ausschlusskriterium6. g) Aufträge zur Ermöglichung der Bereitstellung von Telekommunikationsnetzen oder -diensten für die Öffentlichkeit (§ 116 Abs. 2) § 116 Abs. 2 GWB setzt nahezu wortgleich Art. 8 RL 2014/24/EU in nationales 82 Recht um und stimmt im Wesentlichen mit dem bisherigen § 100a Abs. 4 GWB überein. Der Ausnahmetatbestand beruht auf der Annahme, dass es auf dem Sektor des Telekommunikationsmarktes mittlerweile keine monopolartigen Strukturen mehr gibt und öffentliche Auftraggeber, sofern sie Leistungen im Wettbewerb erbringen wollen, auch bei der Beschaffung der hierfür erforderlichen Vorleistungen nach wettbewerblichen Grundsätzen handeln, so dass es insofern keiner vergaberechtlichen Bindungen bedarf7. Mit der Überarbeitung der 1 EuGH v. 18.6.1998 – Rs. C 26/96, Slg. 1998, I-3949 Rz. 59 (Corsica Ferries II); MüllerGraff in Streinz, EUV/AEUV, 2. Aufl. 2012, AEUV, Art. 56 Rz. 120. 2 Jung in Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, 5. Aufl. 2016, AEUV, Art. 106 Rz. 47. 3 Aicher in Müller-Wrede, Kompendium des Vergaberechts, Kap. 11 Rz. 77. 4 Mit Blick auf die Gründung eines Zweckverbandes bereits OLG Düsseldorf v. 21.6.2006 – Verg 17/06, NZBau 2006, 662. 5 Goodarzi in Gabriel/Mertens/Prieß/Stein, Beck’scher OnlineKommentar Vergaberecht, § 116 Abs. 1 Nr. 6 GWB Rz. 4. 6 Schneevogl in Müller-Wrede, GWB, § 116 Rz. 92. 7 Vgl. bereits Erwägungsgrund 21 RL 2004/18/EG.

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§ 116 | Besondere Ausnahmen Vorschrift wird den aktuellen technischen Entwicklungen im Telekommunikationsbereich Rechnung getragen. 83 Wie die Gesetzesbegründung klarstellt, sind die Begriffe „öffentliches Kom-

munikationsnetz“ und „elektronischer Kommunikationsdienst“ gem. Art. 8 d RL 2014/24/EU entsprechend den Definitionen der Richtlinie 2002/21/EG1 auszulegen. Umfasst sein können danach z.B. öffentliche Telekommunikationsnetze i.S.d. § 3 Nr. 16a u. 27 TKG (Gesamtheit von Übertragungssystemen und ggf. Vermittlungs- und Leitwegeinrichtungen sowie anderweitigen Ressourcen, die die Übertragung von Signalen über Kabel, Funk, optische und andere elektromagnetische Einrichtungen ermöglichen, etwa das klassische, leitungsgebundene Telefonnetz oder die Mobilfunknetze)2 oder die Bereitstellung eines oder mehrerer elektronischer Telekommunikationsdienste i.S.d. § 3 Nr. 17a u. 24 TKG [Dienste, die ganz oder überwiegend in der Übertragung von Signalen über Telekommunikationsnetze bestehen, einschließlich Übertragungsdienste in Rundfunknetzen, z.B. Sprachdienste (Telefonnetz), Textdienst (Internet, E-Mail) etc.].3

84 Beschaffungen, die der Bereitstellung oder dem Betrieb öffentlicher Kommunikati-

onsnetze oder der Bereitstellung eines oder mehrerer elektronischer Kommunikationsdienste dienen, müssen im Übrigen den „hauptsächlichen Zweck“ haben, die Bereitstellung entsprechender Netze oder Dienste für die Öffentlichkeit zu ermöglichen. Aufträge zur Ermöglichung von Telekommunikationsdiensten im vorstehenden Sinne, die nicht gegenüber der Öffentlichkeit angeboten werden, sondern ganz oder überwiegend etwa der Kommunikation zwischen Behörden oder Dienststellen dienen sollen, werden von § 116 Abs. 2 GWB nicht privilegiert4.

85 Im Übrigen muss es sich um unmittelbar auf die Bereitstellung entsprechender

Netze oder Dienste gerichtete Beschaffungen handeln, d.h. Hilfstätigkeiten, die der öffentlichen Hand nützlich sein können, um Telekommunikationsnetze oder Telekommunikationsdienste für die Öffentlichkeit aufrechtzuerhalten, fallen nicht hierunter5.

86 Eine „Bereitstellung“ setzt voraus, dass ein unmittelbarer Zugriff auf den Tele-

kommunikationsdienst gegeben ist, so dass allein rechtliche Vorgaben zum An-

1 Richtlinie 2002/21/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 7.3.2002 über einen gemeinsamen Rechtsrahmen für elektronische Kommunikationsnetze und -dienste (Rahmenrichtlinie), ABl. L 108 v 24.4.2002, S. 33. 2 I.d.S. VG Köln v. 18.8.1997 – 1 L 2317/97 MMR 1998, 102 ff.; Graf in Graf, Beck’scher Online-Kommentar StPO mit RiStBV und MiStra, Stand: 1.10.2016, TKG, § 3 Rz. 19. 3 Gesetzesbegründung, VergRModG 2016, BT-Drucks. 18/6281, S. 95; vgl. auch VG Köln v. 11.11.2015 – 21 K 450/15, MMR 2016, 141 ff. („MMail“); OLG Hamburg v. 23.3.2000 – 3 U 80/99, NJW-RR 2001, 544 (545); Graf in Graf, Beck’scher Online-Kommentar StPO mit RiStBV und MiStra, TKG, § 3 Rz. 18. 4 Summa in Heiermann/Zeiss, juris-PraxisKommentar Vergaberecht, 4. Aufl. 2013, GWB § 100a Rz. 23 f. 5 Röwekamp in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, GWB, § 116 Rz. 29.

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Bes. Ausnahmen für Vergaben mit Verteidigungs-/Sicherheitsaspekten | § 117

gebot von solchen Diensten nicht genügen1. Z.B. stellt die Bundesrepublik Deutschland dadurch, dass sie die rechtlichen Rahmenbedingungen dafür schafft, dass über die Rufnummern 110 und 112 die Polizei oder die Feuerwehr erreichbar sind, keine Telekommunikationsdienste bereit. Bereitgestellt werden die Notrufmöglichkeiten vielmehr durch denjenigen, der gesetzlich verpflichtet wird, „öffentlich zugängliche Telefondienste“ zu erbringen, nicht aber durch den Gesetzgeber selber2.

§ 117 Besondere Ausnahmen für Vergaben, die Verteidigungs- oder Sicherheitsaspekte umfassen Bei öffentlichen Aufträgen und Wettbewerben, die Verteidigungs- oder Sicherheitsaspekte umfassen, ohne verteidigungs- oder sicherheitsspezifische Aufträge zu sein, ist dieser Teil nicht anzuwenden, 1. soweit der Schutz wesentlicher Sicherheitsinteressen der Bundesrepublik Deutschland nicht durch weniger einschneidende Maßnahmen gewährleistet werden kann, zum Beispiel durch Anforderungen, die auf den Schutz der Vertraulichkeit der Informationen abzielen, die der öffentliche Auftraggeber im Rahmen eines Vergabeverfahrens zur Verfügung stellt, 2. soweit die Voraussetzungen des Artikels 346 Absatz 1 Buchstabe a des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union erfüllt sind, 3. wenn die Vergabe und die Ausführung des Auftrags für geheim erklärt werden oder nach den Rechts- oder Verwaltungsvorschriften besondere Sicherheitsmaßnahmen erfordern; Voraussetzung hierfür ist eine Feststellung darüber, dass die betreffenden wesentlichen Interessen nicht durch weniger einschneidende Maßnahmen gewährleistet werden können, zum Beispiel durch Anforderungen, die auf den Schutz der Vertraulichkeit der Informationen abzielen, 4. wenn der öffentliche Auftraggeber verpflichtet ist, die Vergabe oder Durchführung nach anderen Vergabeverfahren vorzunehmen, die festgelegt sind durch a. eine im Einklang mit den EU-Verträgen geschlossene internationale Übereinkunft oder Vereinbarung zwischen der Bundesrepublik Deutschland und einem oder mehreren Staaten, die nicht Vertragsparteien des Übereinkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum sind, oder ihren Untereinheiten über Liefer-, Bau- oder Dienstleistungen für ein von den Unterzeichnern gemeinsam zu verwirklichendes oder zu nutzendes Projekt, 1 Weyand, Vergaberecht, § 100a GWB Rz. 20. 2 VK Bund v. 2.9.2011 – VK 1-108/11, IBRRS 85493.

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§ 117 | Bes. Ausnahmen für Vergaben mit Verteidigungs-/Sicherheitsaspekten b. eine internationale Übereinkunft oder Vereinbarung im Zusammenhang mit der Stationierung von Truppen, die Unternehmen betrifft, die ihren Sitz in der Bundesrepublik Deutschland oder einem Staat haben, der nicht Vertragspartei des Übereinkommens über den Europäischen Wirtschaftsraums ist, oder c. eine internationale Organisation oder 5. wenn der öffentliche Auftraggeber gemäß den Vergaberegeln einer internationalen Organisation oder internationalen Finanzierungseinrichtung einen öffentlichen Auftrag vergibt oder einen Wettbewerb ausrichtet und dieser öffentliche Auftrag oder Wettbewerb vollständig durch diese Organisation oder Einrichtung finanziert wird. Im Falle einer überwiegenden Kofinanzierung durch eine internationale Organisation oder eine internationale Finanzierungseinrichtung einigen sich die Parteien auf die anwendbaren Vergabeverfahren. I. 1. 2. 3. 4. II. 1.

Einführung Inhaltsübersicht . . . . . . . . . . . . Europarechtliche Vorgaben . . . . Entstehungsgeschichte . . . . . . . Parallelregelungen . . . . . . . . . . Anwendungsbereich . . . . . . . . Beeinträchtigung wesentlicher Sicherheitsinteressen (Nr. 1) . . . 2. Vorliegen der Voraussetzungen des § 346 Abs. 1 lit a) AEUV (Nr. 2) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Auftragsvergabe und -ausführung geheim oder unter besonderen Sicherheitsmaßnahmen (Nr. 3) . a) Für geheim erklärte Aufträge (Var. 1) . . . . . . . . . . . . . . . . b) Besondere Sicherheitsmaßnahmen erfordernde Aufträge (Var. 2) . . . . . . . . . . . . . . . .

__ __ _ _ _ _ _ _ 1 6 7 8 9

13 19 25

4.

5.

6. 7.

28 33

III.

c) Keine weniger einschneidenden Maßnahmen möglich . . . Vergabe auf der Grundlage einer internationalen Übereinkunft oder aufgrund einer Vereinbarung mit Drittstaaten (Nr. 4 lit. a) . . . . . . . . . . . . . . . Aufträge aufgrund eines internationalen Abkommens im Zusammenhang mit der Stationierung von Truppen (Nr. 4 lit. b) . . . . . Durch internationale Organisationen festgelegte Vergabeverfahren (Nr. 4 lit. c) . . . . . . . . Anwendbarkeit der Vergaberegeln einer internationalen Organisation (Nr. 5) . . . . . . . . . Bieterschützender Charakter . .

_ 37

_ _ _ __ 39

42 46 50 53

I. Einführung 1. Inhaltsübersicht 1 Die Bestimmung des § 117 GWB regelt, unter welchen Voraussetzungen die

Vergabe öffentlicher Aufträge oder die Durchführung von Wettbewerben, die zwar Verteidigungs- und Sicherheitsaspekte beinhalten, jedoch keine verteidigungs- und sicherheitsspezifischen Aufträge i.S.d. § 104 GWB sind, nicht dem GWB-Vergaberecht unterliegen. 532

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Bes. Ausnahmen für Vergaben mit Verteidigungs-/Sicherheitsaspekten | § 117

§ 117 GWB enthält insgesamt sieben Ausnahmetatbestände, die sich im Wesent- 2 lichen in zwei Fallgruppen einteilen lassen1. § 117 Nr. 1 bis 3 GWB entbinden öffentliche Auftraggeber von der Anwendung des Vergaberechts, weil eine Auftragsvergabe nach §§ 97 ff. GWB staatlichen Sicherheitsinteressen zuwiderlaufen würde. Die in § 117 Nr. 4 und 5 GWB geregelten Fälle haben gemeinsam, dass Aufträge nach anderen Verfahrensregeln vergeben werden. Die Intention dieser Ausnahmetatbestände ist die Vermeidung von Überschneidungen von nationalem bzw. gemeinschaftsrechtlichem Vergaberecht auf der einen Seite und internationalen Reglungen auf der anderen Seite. Die von § 117 GWB erfassten Ausnahmen waren bislang teilweise in § 100 3 Abs. 6 bis 8 GWB geregelt. Diese werden unter Vornahme teils inhaltlicher, teils lediglich redaktioneller Änderungen übernommen. Neu ist z.B. der Ausnahmetatbestand des § 117 Nr. 5 GWB, demzufolge das GWB-Vergaberecht nicht anwendbar ist bei Vorrangigkeit der Vergaberegeln einer internationalen Organisation oder Finanzierungseinrichtung, die den öffentlichen Auftrag finanziert. Die Regelung gilt unmittelbar für die Vergabe von öffentlichen Aufträgen und 4 Wettbewerben i.S.d. § 115 GWB. Mangels Verweis in §§ 148 ff. GWB ist § 117 GWB nicht anwendbar auf die Vergabe von Konzessionen, was nachvollziehbar ist, weil die RL 2014/23/EU keine entsprechenden Ausnahmetatbestände enthält. Wie sich bereits aus dem Wortlaut des § 117 GWB ergibt, findet die Regelung darüber hinaus keine Anwendung auf verteidigungs- und sicherheitsspezifische Aufträge. Für diese Kategorie von Aufträgen enthält § 145 GWB eine eigenständige Regelung von Ausnahmetatbeständen, welche zum Teil mit denen des § 117 GB vergleichbar sind. Unklar ist, ob § 117 GWB für die Vergabe von öffentlichen Aufträgen bzw. 5 Ausrichtung von Wettbewerb durch Sektorenauftraggeber gilt. In der Gesetzesbegründung wird mehrfach hervorgehoben, dass § 117 GWB nicht nur der Umsetzung der in der RL 2014/24/EU vorgesehenen Ausnahmetatbestände, sondern auch der in der RL 2014/25/EU vorgesehenen Ausnahmen vom Vergaberecht dient2. Allerdings fehlt in den Vorschriften der §§ 136 ff. GWB, die innerhalb des GWB die Vergabe von öffentlichen Aufträgen durch Sektorenauftraggeber regeln, ein Verweis auf § 117 GWB. Da § 117 GWB in einem anderen Abschnitt geregelt ist, nämlich in dem über die Vergabe von öffentlichen Aufträgen und Wettbewerben durch öffentliche Auftraggeber i.S.d. § 99 GWB, ist § 115 auch nicht unmittelbar anwendbar. Für die Anwendung des § 117 GWB auf die Vergabe von öffentlichen Aufträgen durch Sektorenauftraggeber könnte man eine richtlinienkonforme Auslegung anführen sowie die Hinweise auf die gewollte Umsetzung der Vorgaben der Art. 24 Abs. 2 und 3, Art. 27 RL 2014/25/ EU in der Gesetzesbegründung. Zweifelsfrei ist eine solche Auslegung jedoch 1 Sterner in Müller-Wrede, GWB, 2016, § 117 Rz. 3. 2 Vgl. Gesetzesbegründung VergRModG 2016, BT-Drucks. 18/6281, S. 95 f.

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§ 117 | Bes. Ausnahmen für Vergaben mit Verteidigungs-/Sicherheitsaspekten nicht. Denn in Anbetracht dessen, dass es den nationalen Gesetzgebern freisteht, die Vergabe öffentlicher Aufträge an strengere Vorgaben zu knüpfen, als in den EU-Vergaberichtlinien vorgesehen1, ließe sich die Nichtaufnahme eines Verweises auf § 117 GWB in den §§ 136 bis 143 GWB auch als Verschärfung interpretieren2. 2. Europarechtliche Vorgaben 6 Durch § 117 GWB werden Art. 15 Abs. 2 und 3, Art. 17 RL 2014/24/EU sowie

Art. 24, Art. 27 RL 2014/25/EU in nationales Recht transferiert. Ebenso wie § 117 GWB regeln diese Bestimmungen des Sekundärrechts besondere Ausnahmen vom Vergaberecht für Aufträge, die Verteidigungs- oder Sicherheitsaspekte umfassen, jedoch (1.) keine verteidigungs- oder sicherheitsspezifischen Aufträge i.S.v. Art. 2 RL 2009/81/EG bzw. § 104 GWB sind und (2.) nicht nach Art. 8, 12 und 13 der RL 2009/81/EG vom Anwendungsbereich der RL 2009/81/EG ausgenommen sind [vgl. Art. 15 Abs. 1 lit. a) und b) der RL 2014/24/EU sowie Art. 24 Abs. 1 lit. a) und b) der RL 2014/25/EU]3. Eine Zuordnung der einzelnen in Art. 15 Abs. 2 und 3, Art. 17 RL 2014/24/EU sowie in Art. 24, Art. 27 RL 2014/25/EU geregelten Ausnahmetatbestände zu den durch § 117 GWB statuierten Ausnahmen vom GWB-Vergaberecht, erfolgt im Rahmen der Kommentierung der einzelnen Ausnahmetatbestände. 3. Entstehungsgeschichte

7 Die im Gesetzentwurf der Bundesregierung enthaltende Fassung des § 117

GWB4 wurde gegenüber der Fassung des Referentenentwurfs vom 30.4.2015 noch einmal geringfügig angepasst. Zu Beginn des ersten Satz wurde z.B. die Formulierung „und Wettbewerben“ ergänzt, wobei es sich nur um eine Klarstellung gehandelt haben dürfte, da sich aus anderen Teilen der Vorschrift ergab, dass die Vorschrift auch für Wettbewerbe gelten sollte (vgl. § 117 Nr. 5 GWB Ref-E). Geringfügige redaktionelle Änderungen wurden auch in § 117 Nr. 4 a), Nr. 4 b) und Nr. 5 vorgenommen. Im Gesetzgebungsverfahren wurde die Vorschrift des § 117 GWB nicht mehr modifiziert.

1 Gabriel in Gabriel/Krohn/Neun, Handbuch des Vergaberechts, 1. Aufl. 2014, § 66 Rz. 4. 2 Vgl. auch Summa in jurisPK-VergR, 5. Aufl. 2016, GWB, § 117 Rz. 12, der insoweit von einer „Regelunglücke“ spricht und wohl von der Nichtanwendbarkeit auf die Vergabe von öffentlichen Aufträgen und Ausrichtung von Wettbewerbern durch Sektorenauftraggeber ausgeht. 3 Gesetzesbegründung VergRModG 2016, BT-Drucks. 18/6281, S. 95. 4 Gesetzentwurf der Bundesregierung, BT-Drucks. 367/15 v. 14.8.2015, S. 21 f.

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Bes. Ausnahmen für Vergaben mit Verteidigungs-/Sicherheitsaspekten | § 117

4. Parallelregelungen Vergleichbare Ausnahmen vom GWB-Vergaberecht finden sich zum Teil in den 8 allgemeinen Ausnahmetatbeständen der §§ 107 Abs. 2, 109 GWB, die ggf. neben § 117 GWB anwendbar sind. Vergleichbare Befreiungen ergeben sich ferner aus §§ 145, 150 GWB, die jedoch Verteidigungs- und Sicherheitsaspekte beinhalten und – anders als im Falle der durch § 117 GWB erfassten Aufträge – zugleich verteidigungs- und sicherheitsspezifische Aufträge oder Konzessionen sind.

II. Anwendungsbereich Gemeinsame Voraussetzung aller Ausnahmetatbestände des § 117 GWB ist, dass 9 es um die Vergabe von öffentlichen Aufträgen oder die Ausrichtung von Wettbewerben geht, die zwar Verteidigungs- oder Sicherheitsaspekte umfassen, jedoch keine verteidigungs- oder sicherheitsspezifische Aufträge i.S.d. § 104 GWB sind. Nicht anwendbar ist § 117 GWB daher auf öffentliche Aufträge oder Wett- 10 bewerbe, die Folgendes zum Gegenstand haben: – die Lieferung von Militärausrüstung, einschließlich dazugehöriger Teile, Bauteile oder Bausätze, – die Lieferung von Ausrüstung, die im Rahmen eines Verschlusssachenauftrags vergeben wird, einschließlich der dazugehörigen Teile, Bauteile oder Bausätze, – Liefer-, Bau- und Dienstleistungen in unmittelbarem Zusammenhang mit der in § 104 Abs. 1 Nr. 1 und 2 GWB genannten Ausrüstung in allen Phasen des Lebenszyklus der Ausrüstung oder – Bau- und Dienstleistungen speziell für militärische Zwecke oder Bau- und Dienstleistungen, die im Rahmen eines Verschlusssachenauftrags vergeben werden. Als möglicher Gegenstand von Aufträgen oder Wettbewerben, welche nach 11 § 117 GWG privilegiert sein können, verbleiben daher insbesondere – die Beschaffung ziviler Güter für die Streitkräfte (z.B. Einkauf von Lebensmitteln, Einrichtungsgegenständen, Bürobedarf für militärische Einrichtungen, Beschaffung von Treibstoff), – der Einkauf für nicht militärische Sicherheitszwecke (Polizei, Verfassungsschutz oder sonstige Sicherheitsbehörden)1 – sowie die Beschaffung sog. Dual-Use-Güter (z.B. Passagier- und Handgepäckkontrollstellen für Flughäfen2) 1 Summa in juris-PK-VergR, GWB, § 117 Rz. 6; Sterner in Müller-Wrede, GWB, § 117 Rz. 4. 2 OLG Düsseldorf v. 12.7.2010 – VII-Verg 27/10, NZBau 2010, 778 ff.

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§ 117 | Bes. Ausnahmen für Vergaben mit Verteidigungs-/Sicherheitsaspekten 12 Angesicht der Bedeutung des Wettbewerbsprinzips sowie des Transparenz-

grundsatzes (§ 97 Abs. 1 Satz 1 GWB) sind die von 117 GWB erfassten Ausnahmen von der Anwendung des GWB-Vergaberechts – ebenso wie die besonderen Ausnahmen nach § 116 GWB (vgl. hierzu auch § 116 GWB Rz. 7) – grundsätzlich eng auszulegen1. 1. Beeinträchtigung wesentlicher Sicherheitsinteressen (Nr. 1)

13 Nach § 117 Nr. 1 GWB müssen Verteidigungs- oder Sicherheitsaspekte betref-

fende Aufträge und Wettbewerbe nicht nach dem 4. Abschnitt des GWB vergeben werden, soweit der Schutz wesentlicher Sicherheitsinteressen der Bundesrepublik Deutschland nicht durch weniger einschneidende Maßnahmen gewährleistet werden kann

14 Der Ausnahmetatbestand dient der Umsetzung der Art. 15 Abs. 2 UAbs. 1 der

RL 2014/24/EU und Art. 24 Abs. 2 UAbs. 1 RL 2014/25/EU2. Als Vorgängerregelung des § 117 Nr. 1 GWB wird § 100 Abs. 8 Nr. 3 GWB a.F. angesehen3, nach deren Regelungsgehalt die Nichtanwendung des Vergaberechts in drei näher umschriebenen Fällen zum Schutz wesentlicher nationaler Sicherheitsinteressen geboten war (vgl. auch Rz. 17).

15 Voraussetzung für die Anwendbarkeit des § 117 Nr. 1 GWB ist, ähnlich der

Vorgängerregelung, dass einer Auftragsvergabe gemäß §§ 98 ff. GWB wesentlichen Sicherheitsinteressen der Bundesrepublik Deutschland zuwider laufen würden. In diesem Zusammenhang weist die Gesetzesbegründung darauf hin, dass die § 117 Nr. 1 GWB zugrundeliegenden Richtlinienbestimmungen im Gegensatz zu Art. 346 Abs. 1 lit b) AEUV den Ausnahmetatbestand auf sämtliche Verträge ausweiten, die Verteidigungs- oder Sicherheitsaspekte aufweisen, ohne in den Anwendungsbereich der Richtlinie 2009/81/EG zu fallen, d.h. bei denen es nicht um die Erzeugung von Waffen, Munition und Kriegsmaterial oder den Handel damit geht4. Daraus lässt sich ableiten, dass die Wendung „wesentliche Sicherheitsinteressen“ i.S.d. § 117 Nr. 1 GWB ebenso zu interpretieren ist, wie der gleichlautende Begriff in Art. 346 Abs. 1 lit b) AEUV, nur mit dem Unterschied, dass wesentliche Sicherheitsinteressen nicht deshalb berührt sind, weil es um Verträge bezüglich der Erzeugung von Waffen, Munition und Kriegsmaterial oder den Handel damit geht, sondern aus anderen Gründen. Der Begriff der „wesentlichen Sicherheitsinteressen“ ist ein unbestimmter Rechtsbegriff, der einer – lediglich der Missbrauchskontrolle unterworfenen – Einschätzungspräro1 So auch OLG Düsseldorf v. 30.3.2005 – Verg 101/04, juris Rz. 20 (zu der seinerzeit geltenden Regelung des § 100 Abs. 2 lit. d) GWB a.F.); Hölzl in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, GWB, 2016, § 117 Rz. 6. 2 Gesetzesbegründung VergRModG 2016, BT-Drucks. 18/6281, S. 95. 3 Vgl. z.B. Hölzl in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, GWB, § 117 Rz. 16. 4 Gesetzesbegründung VergRModG 2016, BT-Drucks. 18/6281, S. 95 f.

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Bes. Ausnahmen für Vergaben mit Verteidigungs-/Sicherheitsaspekten | § 117

gative der EU-Mitgliedstaaten unterliegt1, weshalb eine exakte, abschließende Umschreibung des Begriffs der wesentlichen Sicherheitsinteressen nicht vorgenommen werden kann2. Erfasst werden Handlungen sowohl zum Schutze der äußeren als auch der inneren Sicherheit3, d.h. Maßnahmen zum kurzoder langfristigen Schutz vor inneren und äußeren Feinden, sowie auch Handlungen zur Aufrechterhaltung oder Wiederherstellung der internationalen Sicherheit, soweit damit langfristig der nationalen Sicherheit gedient ist4. Die Wendung „wesentliche Sicherheitsinteressen“ ist enger als die Begrifflichkeit der öffentlichen Sittlichkeit, Ordnung und Sicherheit in Art. 36, 45 und 52 AEUV5. Abzugrenzen sind wesentliche Sicherheitsinteressen von wirtschafts- bzw. strukturpolitische Interessen, deren Beeinträchtigung nicht ausreichend ist6. Die Verwendung des Adjektivs „wesentlich“ impliziert, dass es sich um wichtige, systemrelevante staatliche Interessen handeln muss, worunter solche Angelegenheit zu verstehen sind, die für die Existenz und das Zusammenleben der Menschen von entscheidender Bedeutung sind7. Die Beeinträchtigung wesentlicher Sicherheitsinteressen kann sich daraus er- 16 geben, dass im Rahmen eines Vergabeverfahrens vertrauliche Informationen offenbart werden müssen, aber auch daraus, dass die mit Durchführung eines Vergabeverfahrens verbundene Verzögerung der Beschaffung wesentliche Sicherheitsinteressen der Bundesrepublik Deutschland beeinträchtigen würde, wobei Letzteres freilich nur in Betracht kommt, wenn selbst die Durchführung eines Verhandlungsverfahrens ohne Teilnahmewettbewerb – das gemäß § 14 Abs. 4 Nr. 3 VgV, § 3a EU Abs. 3 Nr. 4 VOB/A gerade im Falle einer besonderen Dringlichkeit zulässig ist – nicht ausreichend ist, um staatliche Sicherheitsinteressen zu gewährleisten8. Die Vorgängerregelung des § 117 Nr. 1 GWB (§ 100 Abs. 8 Nr. 3 GWB a.F.) sah 17 vor, dass die Nichtanwendung GWB-Vergaberecht in drei näher umschriebenen Fällen zum Schutz wesentlicher nationaler Sicherheitsinteressen geboten war, nämlich (1.) bei Beschaffungen im Zusammenhang mit dem Einsatz der Streitkräfte, (2.) im Zusammenhang mit Maßnahmen der Terrorismusbekämpfung 1 I.d.S. EuG v. 30.9.2003 – Rs. T-26/01 = BeckEuRS 2003, 277594 Rz. 58 („Fiocchi Munizioni/Kommission“); Kokott in Streinz, EUV/AEUV, 2. Aufl. 2012, AEUV, § 346 Rz. 4. 2 Voll in BeckOK-VergabeR, 2. Edition/Stand: 31.1.2017, GWB § 117 Rz. 12. 3 EuGH v. 17.10.1995 – Rs. C-70/94, NVwZ 1996, 365 ff. Rz. 25; Kokott in Streinz, EUV/ AEUV, AEUV, § 346 Rz. 4; Boesen NVwZ 2007, 1233 (1234). 4 Karpenstein in Schwarze/Becker/Hatje/Schoo, EU-Kommentar, 3. Auflage 2012, AEUV, Art. 346 Rz. 4. 5 Jaeckel in Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, 60. EGL/2016, AEUV, Art. 346 Rz. 14; Meister/Terbrack in BeckOK-VergabeR, GWB, § 107 Rz. 52. 6 Jaeckel in Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, AEUV, Art. 346 Rz. 15. 7 Hölzl in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, GWB, § 117 Rz. 18. 8 Voll in BeckOK-VergabeR, § 117 Rz. 15.

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§ 117 | Bes. Ausnahmen für Vergaben mit Verteidigungs-/Sicherheitsaspekten oder (3.) im Zusammenhang mit der Beschaffung von (sicherheitsrelevanter)1 Informationstechnik oder Telekommunikationsanlagen. Wie sich aus den Gesetzgebungsmaterialien ergibt, ging der Gesetzgeber seinerzeit davon aus, dass es in diesen exemplarisch genannten Fällen auf Grund ihrer Art und wegen ihres Gewichtes für die Sicherheit des Staates in der Regel geboten sein dürfte, dass die vergaberechtlichen Bestimmungen nicht zur Anwendung gelangen, da in diesen Ausnahmefällen die staatlichen Sicherheitsinteressen gegenüber den einzelnen Unternehmensinteressen i.d.R. vorgingen2. Auch wenn die Beispiele in der aktuellen Gesetzesfassung nicht angeführt werden, dürfte es sich um typische Fallgestaltungen handeln, bei denen wesentliche Sicherheitsinteressen der Bundesrepublik Deutschland tangiert sein können3. 18 Darüber hinaus können öffentliche Auftraggeber die Nichtanwendung der

§§ 98 ff. GWB nur dann auf § 117 Nr. 1 GWB stützen, wenn der Schutz wesentliche Sicherheitsinteressen nicht durch weniger einschneidende Maßnahmen gewährleistet werden kann. Hierbei handelt es sich um einen Hinweis auf das allgemeine Verhältnismäßigkeitsprinzip (§ 97 Abs. 1 Satz 2 GWB)4. In einem ersten Schritt ist daher zu prüfen, ob für die Bewerber oder Bieter weniger schwerwiegende Maßnahmen in Betracht kommen, welche ebenso geeignet sind, die Interessen des öffentlichen Auftraggebers zu schützen.5 § 117 Nr. 1 GWB verweist insoweit auf Anforderungen, die auf den Schutz der Vertraulichkeit von Informationen abzielen, womit Informationen gemeint sind, die der öffentliche Auftraggeber im Rahmen eines Vergabeverfahrens zur Verfügung stellt6. Zu denken ist z.B. an die Festlegung entsprechend strenger Mindestanforderungen an die Eignung der Bewerber oder Bieter7. Zu prüfen ist auch, ob es ausreicht, statt eines offenen Verfahrens ein nicht offenes Verfahren oder ein Verhandlungsverfahren mit Teilnahmewettbewerb durchzuführen8. In Betracht zu ziehen sind ferner Maßnahmen zum Schutz der Vertraulichkeit von Vergabeunterlagen im Sinne von §§ 41 Abs. 3 Satz 1 VgV, 11b EU Abs. 2 Satz 1 VOB/A. Diese Regelungen gestatten den öffentlichen Auftraggebern, vom Regelfall der Bereitstellung der elektronischen Vergabeunterlagen zum unentgeltlichen, uneingeschränkten, vollständigen und direkten Abruf abzusehen, wenn dies aus Gründen der Vertraulichkeit von Informationen erforderlich ist. Dies kann beispielsweise der Fall sein, wenn die Vergabeunterlagen sensible Informationen

1 Schellenberg in Pünder/Schellenberg, Vergaberecht, 2. Aufl. 2015, § 100 GWB Rz. 42. 2 BR-Drucks. 349/08, S. 34. 3 Sterner in Müller-Wrede, GWB, § 117 Rz. 11; a.A. Voll in BeckOK-VergabeR, § 117 Rz. 11 („nicht mehr von Relevanz“). 4 Gesetzesbegründung VergRModG 2016, BT-Drucks. 18/6281, S. 96. 5 Allgemein zum Verhältnismäßigkeitsgrundsatz gemäß § 97 Abs. 1 Satz 2 Fehns-Böer in Müller-Wrede, GWB, § 97 Rz. 138. 6 Gesetzesbegründung VergRModG 2016, BT-Drucks. 18/6281, S. 96. 7 OLG Düsseldorf v. 1.8.2012 – VII-Verg 10/12, VergabeR 2012, 846 (849). 8 Sterner in Müller-Wrede, GWB, § 117 Rz. 23.

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über kritische Infrastrukturen enthalten. Exemplarisch ist hier der Fall zu nennen, dass Bewachungsleistungen ausgeschrieben werden, bei denen Einsatzoder Evakuierungspläne Gegenstand der Vergabeunterlagen sind1. In diesem Fall könnten die Unterlagen den Bewerbern bzw. Bietern auf eine andere, den Sicherheitsinteressen des Auftraggebers genügende Art und Weise zugänglich gemacht werden. Da es sich bei dem Verweis auf weniger einschneidende Maßnahmen um einen Hinweis auf das allgemeine Verhältnismäßigkeitsprinzip handelt, ist auch eine Abwägung zwischen den auf dem Spiele stehenden Interessen erforderlich2, im konkreten Fall also zwischen den staatlichen Sicherheitsinteressen einerseits und den Interessen der Bewerber oder Bieter an der Durchführung eines Vergabeverfahrens andererseits. Der Ausnahmetatbestand des § 117 Nr. 1 GWB gelangt nur dann zur Anwendung, wenn feststeht, dass die staatlichen Sicherheitsinteressen gegenüber den Bieterinteressen überwiegen3. 2. Vorliegen der Voraussetzungen des § 346 Abs. 1 lit a) AEUV (Nr. 2) Bei öffentlichen Aufträgen und Wettbewerben, die Verteidigungs- oder Sicher- 19 heitsaspekte umfassen, ist der vierte Teil des GWB nicht anzuwenden, soweit die Voraussetzungen des Art. 346 Abs. 1 lit. a) AEUV erfüllt sind (vgl. § 117 Nr. 2 GWB). Die unionsrechtliche Grundlage der Vorschrift findet sich in Art. 15 Abs. 2 20 UAbs. 2 RL 2014/24/EU und in Art. 24 Abs. 2 UAbs. 2 RL 2014/25/EU4. Wie sich aus der Gesetzesbegründung ergibt, orientiert sich der Wortlaut der Norm an der bisherigen Ausnahme des § 100 Abs. 6 Nr. 1 GWB5. Art. 346 Abs. 1 lit. a AEUV regelt, dass ein Mitgliedstaat nicht verpflichtet ist, 21 Auskünfte zu erteilen, deren Preisgabe seines Erachtens nach seinen wesentlichen Sicherheitsinteressen widerspricht. Das bedeutet, dass Auftragsvergaben vom GWB-Vergaberecht freigestellt sind, bei denen die Anwendung des GWBVergaberechts den Auftraggeber dazu nötigen würden, anlässlich des Vergabeverfahrens oder der Auftragsausführung Auskünfte zu erteilen, deren Preisgabe nach seinem Befinden wesentlichen Sicherheitsinteressen der Bundesrepublik Deutschland i.S.d. Art. 346 Abs. 1 lit. a) AEUV zuwiderlaufen würde. In diesem Fall dürfte i.d.R. auch der Ausnahmetatbestand des § 107 Abs. 2 Nr. 1 GWB eingreifen, der ebenfalls auf Art. 346 Abs. 1 lit. a) AEUV verweist (vgl. hierzu § 107 GWB, Rz. 29), weshalb die Schaffung des § 117 Nr. 2 GWB zum Teil auch als redaktionelles Versehen des Gesetzgebers betrachtet wird6. 1 2 3 4 5 6

Rechten in Kulartz/Kus/Marx/Portz/Prieß, VgV, 2017, § 41 Rz. 48. Voll in BeckOK-VergabeR, § 117 Rz. 16. Sterner in Müller-Wrede, GWB, § 117 Rz. 24. Gesetzesbegründung VergRModG 2016, BT-Drucks. 18/6281, S. 96. Gesetzesbegründung VergRModG 2016, BT-Drucks. 18/6281, S. 96. Voll in BeckOK-VergabeR, § 117 Rz. 16.

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§ 117 | Bes. Ausnahmen für Vergaben mit Verteidigungs-/Sicherheitsaspekten 22 Wegen des Begriffs der Beeinträchtigung wesentlicher Sicherheitsinteressen der

EU-Mitgliedstaaten kann im Übrigen auf die Erläuterung des § 117 Nr. 1 GWB verwiesen werden (Rz. 15). Weil sich nach Art. 346 Abs. 1 lit. a) AEUV die Beeinträchtigung wesentlicher Sicherheitsinteressen der EU-Mitgliedstaaten aus der „Preisgabe“ von Auskünften ergeben muss, dürfte der Ausnahmetatbestand des § 117 Nr. 2 GWB allerdings enger sein, als der des § 117 Nr. 1 GWB. Der von § 117 Nr. 1 GWB u.a. erfasste Fall, dass die Beeinträchtigung wesentlicher Sicherheitsinteressen aus der mit der Durchführung eines Vergabeverfahrens verbundenen Verzögerung resultiert, ließe sich beispielsweise nicht unter § 117 Nr. 2 GWB fassen, weil hierbei die Beeinträchtigung der Sicherhitsinteressen nicht aus der „Preisgabe“ von Informationen resultiert. Als Anwendungsfall des § 117 Nr. 2 GWB wird z.B. die Situation genannt, dass ein Auftrag so sensibel ist, dass schon das Bekanntwerden der Existenz des Auftrags wesentlichen Sicherheitsinteressen der Bundesrepublik Deutschland zuwiderlaufen würde bzw. bei denen ein äußerst hohes Maß an Vertraulichkeit geboten ist, etwa beim Einkauf von Verschlüsselungstechnologien1.

23 Aus der Formulierung „seines Erachtens“ in Art. 346 Abs. 1 lit. a AEUV ergibt

sich, dass hinsichtlich der Annahme einer Beeinträchtigung wesentlicher Sicherheitsinteressen ein Ermessen des öffentlichen Auftraggebers besteht. Wegen der Bezugnahme auf Art. 346 Abs. 1 lit. a AEUV durch § 117 Abs. 1 Nr. 2 GWB muss dies auch im Rahmen des Ausnahmetatbestandes des § 117 Nr. 2 GWB gelten2.

24 Auch wenn dies im Wortlaut des § 117 Nr. 2 GWB weniger deutlich zum Aus-

druck kommt, als im Text des § 117 Nr. 1 und Nr. 3 GWB, soll auch der Ausnahmetatbestand des § 117 Nr. 2 GWB lediglich nach Maßgabe des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes herangezogen werden können3, was zum Teil aus der Wendung „soweit“ in Art. 346 Abs. 1 lit. a) AEUV abgeleitet wird4. Bezüglich der Frage, welche Einschränkungen sich aus der Anwendung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes ergeben, wird auf die Erläuterung des § 117 Nr. 1 GWB Bezug genommen (Rz. 18). 3. Auftragsvergabe und -ausführung geheim oder unter besonderen Sicherheitsmaßnahmen (Nr. 3)

25 § 117 Nr. 3 GWB klammert solche öffentliche Aufträge und Wettbewerbe von

der Anwendung des 4. Teils des GWB aus, die für geheim erklärt werden oder nach den einschlägigen Rechts- oder Verwaltungsvorschriften besondere Sicherheitsmaßnahmen erfordern.

1 2 3 4

Sterner in Müller-Wrede, GWB, § 117 Rz. 14. Hölzl in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, GWB, § 117 Rz. 23. Summa in jurisPK-VergR, GWB, § 117 Rz. 27. Voll in BeckOK-VergabeR, § 117 Rz. 7.

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Der Ausnahmetatbestand beruht auf Art. 15 Abs. 3 RL 2014/24/EU sowie auf 26 Art. 24 Abs. 3 RL 2014/25/EU und entspricht in etwa § 100 Abs. 8 Nr. 1 und 2 GWB a.F. Wie in Art. 15 Abs. 3 RL 2014/24/EU und Art. 24 Abs. 3 RL 2014/25/EU vor- 27 gesehen, ist eine Inanspruchnahme des Ausnahmetatbestandes gemäß § 117 Nr. 3 GWB nur möglich, wenn die Interessen des Staates nicht durch weniger einschneidende Maßnahmen gewährleistet werden können, was als Hinweis auf den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz anzusehen ist.1 Hierdurch unterscheiden sich § 117 Nr. 3 GWB sowie die zugrundeliegenden Richtlinienvorschriften der Art. 15 Abs. 3 RL 2014/24/EU und Art. 24 Abs. 3 RL 2014/25/EU von § 100 Abs. 8 Nr. 1 und 2 GWB a.F. und der dieser Vorschrift zugrundeliegenden Regelung in Art. 14 RL 2004/18/EG, die nicht explizit auf den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz verwiesen haben (näher zur Verhältnismäßigkeit unter Rz. 37) a) Für geheim erklärte Aufträge (Var. 1) Vom Anwendungsbereich des GWB-Vergaberechts ausgenommen sind nach 28 § 117 Nr. 3 Var. 1 GWB zunächst Aufträge und Wettbewerbe, die für geheim erklärt wurden. Inhaltlich geht es beim ersten Tatbestand um Geheimhaltungsinteressen des 29 Auftraggebers, die der Sache nach auf dem Selbstorganisationsrecht der Mitgliedstaaten beruhen und insbesondere die wesentlichen Interessen der inneren und äußeren Sicherheit des Mitgliedstaates und seiner Untergliederungen umfassen. Diese sind daher auch richtungsweisend dafür, welche Bereiche durch spezifische Geheimhaltungsvorschriften ganz oder teilweise für geheim erklärt werden und daher im Rahmen der nationalstaatlichen Beurteilungsprärogative dem Kartellvergaberecht entzogen werden dürfen2. In Betracht kommen dabei sowohl Liefer- und Dienstleistungsaufträge als auch Bauaufträge, wenn die betreffenden Bauleistungen besonderen Sicherheitsanforderungen genügen müssen (z.B. Gebäude für oberste Bundesbehörden, Gebäude des Bundesnachrichtendienstes u. ä)3. Relevante Geheimhaltungsvorschriften sind insbesondere das Gesetz über die 30 Voraussetzungen und das Verfahren von Sicherheitsüberprüfungen des Bundes (Sicherheitsüberprüfgungsgesetz – SÜG) bzw. die entsprechenden Gesetze der Länder und die darauf basierenden allgemeinen Verwaltungsvorschriften zum materiellen und organisatorischen Schutz von Verschlusssachen – VSA. Der Tatbestand der Var. 1 ist erfüllt, wenn eine den formellen und materiellen Anforderungen der einschlägigen Rechts- oder Verwaltungsvorschriften genügende 1 Gesetzesbegründung VergRModG 2016, BT-Drucks. 18/6281, S. 96. 2 I.d.S. OLG Düsseldorf v. 30.3.2005 – Verg 101/04, juris Rz. 23 f.; ähnlich Hölzl in Kulartz/ Kus/Portz/Prieß, GWB, § 117 Rz. 32. 3 I.d.S. OLG Düsseldorf v. 30.3.2005 – Verg 101/04, juris Rz. 23.

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§ 117 | Bes. Ausnahmen für Vergaben mit Verteidigungs-/Sicherheitsaspekten Geheimerklärung vorliegt. Nach den Kategorien des § 4 Abs. 2 SÜG genügt als eine solche Geheimerklärung bereits die Einstufung als „VS – VERTRAULICH“1. Das kann z.B. der Fall sein, wenn die Vergabeunterlagen sensible Informationen über kritische Infrastrukturen enthalten, etwa wenn Bewachungsleistungen vergeben werden sollen und die Einholung von Angeboten eine Information der Bieter über Einsatz-, Lage- oder Evakuierungspläne erfordert. 31 In materieller Hinsicht kann eine Geheimerklärung im Rahmen eines Nachprü-

fungsverfahrens nur darauf hin überprüft werden, ob der Auftraggeber die Grenzen des ihm insofern zustehenden Beurteilungsspielraums überschritten hat, insbesondere also bei der Geheimerklärung von einem unzutreffenden Sachverhalt ausgegangen ist oder unsachgemäße Erwägungen zugrunde gelegt hat2.

32 Im Hinblick auf den Ausnahmetatbestand des § 104 Abs. 3 GWB i.V.m. § 4

Abs. 2 Nr. 2 SÜG dürfte der Anwendungsbereich der Vorschrift begrenzt sein, denn wenn die Vergabe und die Ausführung des Auftrags für geheim erklärt werden, wird häufig ein Verschlusssachenauftrag § 104 Abs. 3 GWB i.V.m. § 4 Abs. 2 Nr. 2 SÜG vorliegen3. b) Besondere Sicherheitsmaßnahmen erfordernde Aufträge (Var. 2)

33 Der zweite Tatbestand bezieht sich auf Aufträge, deren Vergabe und Ausführung –

wie es gleichlautend in Art. 15 Abs. 3 RL 2014/24/EU und Art. 24 Abs. 3 RL 2014/ 25/EU heißt – „nach den Rechts- oder Verwaltungsvorschriften besondere Sicherheitsmaßnahmen erfordern“. Der Ausnahmetatbestand erfasst damit die sog. „gefährlichen Aufträge“, also Aufträge, bei deren Ausführung staatliche Sicherheitsinteressen in besonderem Maße gefährdet sind und dementsprechend staatlicherseits durch Gesetz oder Verwaltungsvorschrift besondere Sicherheitsmaßnahmen angeordnet werden, die bei der Ausführung des Auftrags einzuhalten sind4.

34 Der Tatbestand der Var. 2 knüpft an Rechts- und Verwaltungsvorschriften des

nationalen Rechts an. Der Begriff der Verwaltungsvorschrift macht dabei deutlich, dass es sich nicht um Gesetze im formellen Sinne handeln muss. Sicherheitsmaßnahmen, die lediglich auf Anordnungen des Auftraggebers beruhen, würden mithin nicht ausreichen5. Die Verwaltungsvorschriften müssen im Übrigen ihrerseits gemeinschaftsrechtskonform sein, dürfen also insbesondere den

1 Hölzl in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, GWB, § 117 Rz. 32; Sterner in Müller-Wrede, GWB, § 117 Rz. 19; a.A. Diehr in Reidt/Stickler/Glahs, GWB, 3 Aufl. (Vorauflage) § 100 Rz. 39a („VS – NUR FÜR DEN DIENSTGEBRAUCH“). 2 OLG Düsseldorf v. 30.3.2005 – Verg 101/04, juris Rz. 24; VK Bund v. 14.7.2005 – VK 355/05, juris Rz. 84; Sterner in Müller-Wrede, GWB, § 117 Rz. 1. 3 Summa in Heiermann/Zeiss/Summa, jurisPK-VergR, GWB, § 117 Rz. 28. 4 VK Bund v. 12.12.2006 – VK 1-136/06, juris Rz. 37. 5 VK Bund v. 15.7.2008 – VK 3-89/08, juris Rz. 84; Sterner in Müller-Wrede, GWB, § 117 Rz. 22.

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Anwendungsbereich des GWB-Vergaberechts nur im Rahmen von Sinn und Zweck der Ausnahmetatbestände und dabei nicht über Gebühr einschränken. Rechts- oder Verwaltungsvorschriften in diesem Sinne sind – ebenso wie nach 35 Var. 1 (Rz. 30) – etwa das Gesetz über die Voraussetzungen und das Verfahren von Sicherheitsüberprüfungen des Bundes (Sicherheitsüberprüfungsgesetz – SÜG) und die entsprechenden Gesetze der Länder sowie die darauf basierenden allgemeinen Verwaltungsvorschriften zum materiellen und organisatorischen Schutz von Verschlusssachen (VSA) und insbesondere das Luftsicherheitsgesetz (LuftSichG).1 Besondere Sicherheitsmaßnahmen auf der Grundlage der vorgenannten 36 Rechts- und Verwaltungsvorschriften sind z.B. Maßnahmen, wie die Sicherheitsüberprüfung von Personen nach §§ 7 ff. SÜG2 oder nach § 7 LuftSichG3. c) Keine weniger einschneidenden Maßnahmen möglich Schließlich erfordern alle § 117 Nr. 3 GWB unterfallenden Ausnahmetat- 37 bestände in Übereinstimmung mit sekundärrechtlichen Vorgaben der Art. 15 Abs. 3 RL 2014/24/EU sowie Art. 24 Abs. 3 RL 2014/25/EU, dass die die betreffenden wesentlichen Interessen nicht durch weniger einschneidende Maßnahmen gewährleistet werden können. Hierbei handelt es sich um einen aus Klarstellungsgründen aufgenommenen Hinweis auf das allgemeine Verhältnismäßigkeitsprinzip (§ 97 Abs. 1 Satz 2 GWB)4. Mit Blick auf die Vorgängerregelung § 117 Nr. 3 GWB, wurde die Frage unterschiedlich beurteilt, ob die Heranziehung des Ausnahmetatbestandes verhältnismäßig sein musste.5 Hinsichtlich der sich aus dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ergebenden Ein- 38 schränkungen wird auf die Erläuterung des § 117 Nr. 1 GWB verwiesen (Rz. 17). 4. Vergabe auf der Grundlage einer internationalen Übereinkunft oder aufgrund einer Vereinbarung mit Drittstaaten (Nr. 4 lit. a) Gemäß § 117 Nr. 4 lit. a) GWB findet – in Übereinstimmung mit Art. 17 Abs. 1 39 UAbs. 1 lit. a) RL 2014/24/EU und Art. 27 Abs. 1 UAbs. 1 lit. a) RL 2014/25/EU6 – das GWB-Vergaberecht auch dann keine Anwendung, wenn ein öffentlicher 1 Probst/Tews, VergabeR 2011, 818 (820 f.). 2 VK Niedersachen v. 9.10.2015 – VgK-39/2015, juris Rz. 82. 3 VK Bund v. 30.5.2008 – VK 1-48/08, ZfBR 2008, 603 (606); VK Bund v. 12.12.2006 – VK 1-136/06, juris Rz. 39. 4 Gesetzesbegründung VergRModG 2016, BT-Drucks. 18/6281, S. 96. 5 Für die Anwendung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes z.B. OLG Düsseldorf v. 30.3. 2005 – Verg 101/04, juris Rz. 24; VK Bund v. 14.7.2005 – VK 3-55/05, juris Rz. 85; Probst/Tews, VergabeR 2011, 818 (828); a.A. OLG Dresden v. 18.9.2009 – WVerg 0003/09, VergabeR 2010, 90; Ziekow, VergabeR 2007, 711 (717 f.); Herrmann/Polster, NVwZ 2010, 341 (343). 6 Gesetzesbegründung VergRModG 2016, BT-Drucks. 18/6281, S. 96.

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§ 117 | Bes. Ausnahmen für Vergaben mit Verteidigungs-/Sicherheitsaspekten Auftraggeber verteidigungs- oder sicherheitsrelevante Aufträgen und Wettbewerbe auf Basis einer internationale Übereinkunft oder einer Vereinbarung mit einem Nicht-EWR-Staat zu vergeben hat. 40 Der Ausnahmetatbestand bezieht sich auf von der Bundesrepublik Deutschland

und Nicht-EWR-Staaten gemeinsam zu verwirklichende und zu tragende Projekte. Voraussetzung ist sowohl eine internationale Übereinkunft bzw. Vereinbarung als auch die Existenz eigenständiger Verfahrensregeln zur Auftragsvergabe.

41 Internationale Übereinkünfte sind Rechtsinstrumente, welche völkerrechtliche

Verpflichtungen begründen1, namentlich völkerrechtliche Verträge. Der Begriff „Vereinbarung“ dürfte es erlauben, auch Absichtserklärungen auf Ministerebene einzubeziehen2. Inhaltlich ist dabei an internationale Infrastrukturprojekte aus dem Straßen-, Schienen- oder Leitungsbereich (z.B. internationale Pipeline-Verbindung) oder auch an die gemeinsame Gewinnung von Rohstoffen im Meeresraum zu denken. 5. Aufträge aufgrund eines internationalen Abkommens im Zusammenhang mit der Stationierung von Truppen (Nr. 4 lit. b)

42 Die Vorschrift des § 117 Nr. 4 lit. b) GWB, welche mit § 100 Abs. 8 Nr. 5

GWB a.F. vergleichbar ist, privilegiert Verteidigungs- oder sicherheitsrelevante Aufträgen und Wettbewerbe, bei denen der öffentliche Auftraggeber verpflichtet ist, die Auftragsvergabe oder -ausführung nach einer internationale Übereinkunft oder Vereinbarung im Zusammenhang mit der Stationierung von Truppen vorzunehmen.

43 Der Ausnahmetatbestand beruht auf Art. 17 Abs. 1 UAbs. 1 lit. b) RL 2014/24/

EU und Art. 27 Abs. 1 UAbs. 1 lit. b) RL 2014/25/EU.3 Bedingung der Freistellung vom GWB-Vergaberecht ist zum einen, dass ein internationales Abkommen im Zusammenhang mit der Stationierung von Truppen (Streitkräften) existiert und zum anderen, dass für die Vergabe von Aufträgen im Zusammenhang mit dieser Stationierung besondere Verfahrensregeln gelten.

44 Dies ist etwa der Fall bei der Vergabe von Bauaufträgen im Bereich der gemein-

sam finanzierten NATO-Infrastruktur, für die sich besondere Verfahrensregeln aus den dafür geltenden Richtlinien (Ri-NATO) ergeben4.

45 Demgegenüber dürften Aufträge, die etwa nach dem Abkommen im Zusam-

menhang mit der Stationierung von Truppen vom 3.8.1959 in der Fassung vom 18.3.19935 (ZA-NTS) von deutschen Behörden „im Namen und auf Rechnung

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Hölzl in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, GWB, § 117 Rz. 38. Rosenkötter, VergabeR 2012, 267 (271). Gesetzesbegründung VergRModG 2016, BT-Drucks. 18/6281, S. 96. VK Bund v. 17.1.2006 – VK 1-07/06; Sterner in Müller-Wrede, GWB, § 117 Rz. 31. BGBl. II 1994, 2594 (2598).

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Bes. Ausnahmen für Vergaben mit Verteidigungs-/Sicherheitsaspekten | § 117

der Bundesrepublik Deutschland“ vergeben werden, nicht unter den Ausnahmetatbestand fallen, da es an besonderen Verfahrensregeln fehlt. Auftraggeber ist in diesem Fall vielmehr der Bund auf der Grundlage der allgemeinen GWB-vergaberechtlichen Bestimmungen1. Wird der betreffende Auftrag hingegen nach dem ZA-NTS oder auch nach anderen Bestimmungen unmittelbar durch die Behörden ausländischer Truppen vergeben, dürfte das Kartellvergaberecht von vornherein keine Anwendung finden, da es sich dabei nicht um einen öffentlichen Auftraggeber i.S.v. § 98 handelt2. 6. Durch internationale Organisationen festgelegte Vergabeverfahren (Nr. 4 lit. c) § 117 Nr. 4 lit. c) GWB befreit schließlich solche Verteidigungs- oder Sicher- 46 heitsaspekte betreffende Aufträgen und Wettbewerben vom Anwendungsbereich des Abschnitts 4 des GWB, bei denen der öffentliche Auftraggeber verpflichtet ist, die Vergabe oder Durchführung des Auftrags nach einem durch eine internationale Organisation festgelegten Vergabeverfahren vorzunehmen. Es handelt sich um keine Neuerung des VergRModG. Eine vergleichbare Rege- 47 lung fand sich bereits in § 100 Abs. 8 Nr. 6 GWB a.F. Dieser auf Art. 17 Abs. 1 UAbs. 1 lit. c RL 2014/24/EU und Art. 27 Abs. 1 UAbs. 1 48 lit. c) RL 2014/25/EU beruhende Ausnahmetatbestand3 betrifft Vergaben auf der Grundlage besonderer Verfahren einer internationalen Organisation (mit Sitz in Deutschland z.B. europäische Patentorganisation, EPO; europäische Südsternwarte, ESO; europäisches Laboratorium für Molekularbiologie, EMBL; europäische Zentralbank, EZB)4. Es geht also nicht um Vergaben internationaler Organisationen als solcher, sondern um Aufträge, die durch öffentliche Auftraggeber i.S.v. § 98 GWB für eine internationale Organisation vergeben werden. Denn internationale Organisationen sind keine öffentlichen Auftraggeber i.S.v. § 98 GWB5. Für diese ist daher bereits der subjektive Anwendungsbereich des Kartellvergaberechts nicht eröffnet, so dass es auf das Vorliegen des besonderen Ausnahmetatbestandes des § 117 Nr. 4 lit. c) GWB gar nicht mehr ankäme6. 1 VK Bund v. 8.3.2006 – VK 1-07/06, juris Rz. 34; VK Bund v. 20.12.2005 – VK 2-156/05, juris Rz. 68 f., und VK 2-159/05, juris Rz. 65 f. 2 I.d.S. Summa in jurisPK-VergR, GWB, § 117 Rz. 52 ff.; ebenso bereits Diehr in Reidt/ Stickler/Glahs, GWB, 3 Aufl. (Vorauflage) § 100 Rz. 31; anders z.B. Dreher in Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht Band 2: GWB, 5. Aufl. 2014, § 100 Rz. 28, der wohl darauf abstellt, dass in diesem Fall besondere Verfahrensregeln vorliegen. 3 Gesetzesbegründung VergRModG 2016, BT-Drucks. 18/6281, S. 96. 4 Ullrich, VergabeR 2002, 331. 5 Sterner in Müller-Wrede, GWB, § 117 Rz. 34. 6 Anders wohl Dreher in Immenga/Mestmäcker, GWB, § 100 Rz. 30; wie hier Ullrich, VergabeR 2002, 331 (338 f.).

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§ 117 | Bes. Ausnahmen für Vergaben mit Verteidigungs-/Sicherheitsaspekten 49 Vergibt ein Auftraggeber i.S.v. § 98 GWB aufgrund des Verfahrens einer inter-

nationalen Organisation, z.B. der UN, einen Auftrag, setzt die Freistellung vom GWB-Vergaberecht des Weiteren voraus, dass für die Auftragsvergabe ein besonderes Verfahren geregelt ist. Ist dies nicht der Fall, verbleibt es – ebenso wie bei § 117 Nr. 4 lit. a) und lit. b) GWB – bei der Anwendbarkeit des GWB-Vergaberechts. 7. Anwendbarkeit der Vergaberegeln einer internationalen Organisation (Nr. 5)

50 Nach der Bestimmung des § 117 Nr. 5 GWB, die Art. 17 Abs. 2 RL 2014/24/EU

und Art. 27 Abs. 2 RL 2014/25/EU in nationales Recht transferiert1, sind solche verteidigungs- oder sicherheitsrelevante Aufträgen und Wettbewerbe von der Anwendung des 4. Teils des GWB ausgenommen, die von dem öffentlichen Auftraggeber gemäß den Vergaberegeln einer internationalen Organisation oder einer internationalen Finanzierungseinrichtung vergeben werden.

51 Ebenso wie bei § 117 Nr. 4 lit. c) GWB, geht es nicht um Vergaben einer inter-

nationalen Organisation oder einer internationalen Finanzierungseinrichtung. Der Ausnahmetatbestand greift nur ein, wenn der Auftrag von einem öffentlichen Auftraggeber i.S.d. § 98 GWB vergeben wird.

52 Ferner muss die Vergabe nach den Vergaberegeln einer internationalen Orga-

nisation oder einer internationalen Finanzierungseinrichtung erfolgen. Anders als in den Fällen des § 117 Nr. 4 GWB gilt die Verpflichtung zur Anwendung der Vergaberegeln einer internationalen Organisation oder einer internationalen Finanzierungseinrichtung jedoch nicht kraft einer internationalen Übereinkunft etc. Vielmehr wird die Freistellung vom GWB-Vergaberecht allein an dem Umstand festgemacht, dass die Beschaffung bzw. der Wettbewerb durch eine internationale Organisation oder einer internationalen Finanzierungseinrichtung finanziert wird.2 Diese wird häufig ihre Kreditzusage von der Anwendung ihrer Verfahrensregeln abhängig machen und der Auftraggeber soll in die Lage versetzt werden, sich auf diese Bedingung einzulassen. Im Falle einer vollständigen Drittfinanzierung bedarf es keiner expliziten Vereinbarung der Anwendung der Vergaberegeln der finanzierenden Einrichtung. Bei einer lediglich überwiegenden Kofinanzierung durch eine internationale Organisation oder Finanzierungseinrichtung, muss die Anwendung der Vergaberegeln dieser Einrichtung hingegen zwischen dem öffentlichen Auftraggeber und der finanzieren Stelle vereinbart werden.

1 Gesetzesbegründung VergRModG 2016, BT-Drucks. 18/6281, S. 96. 2 So auch Hölzl in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, GWB, § 117 Rz. 44; Sterner in Müller-Wrede, GWB, § 117 Rz. 38.

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Bestimmten Auftragnehmern vorbehaltene öffentliche Aufträge | § 118

III. Bieterschützender Charakter Die Nichtanwendung der §§ 97 ff. GWB mit Rücksicht auf die staatlichen Si- 53 cherheitsinteressen oder auf internationale Vergabeverfahrensregeln steht in einem Spannungsverhältnis zu den Interessen der Bieter an einem transparenten Vergabeverfahren nach §§ 97 ff. GWB. Sofern wegen eines Ausnahmegrundes nach § 117 GWB auf die Durchführung eines Vergabeverfahrens nach §§ 97 ff. GWB verzichtet wird, so läuft dies dem Transparenzgrundsatz (§ 97 Abs. 1 Satz 1 GWB) zuwider, weshalb das Gebrauchmachen von einem Ausnahmetatbestand gemäß § 117 GWB zu einer Verletzung der Bieterrechte führen kann. Allerding ist die Kontrolle durch die Nachprüfungsinstanzen auf die Prüfung beschränkt, ob das Eingreifen des Ausnahmetatbestandes in zutreffender Weise bejaht wurde.1

§ 118 Bestimmten Auftragnehmern vorbehaltene öffentliche Aufträge (1) Öffentliche Auftraggeber können das Recht zur Teilnahme an Vergabeverfahren Werkstätten für Menschen mit Behinderungen und Unternehmen vorbehalten, deren Hauptzweck die soziale und berufliche Integration von Menschen mit Behinderungen oder von benachteiligten Personen ist, oder bestimmen, dass öffentliche Aufträge im Rahmen von Programmen mit geschützten Beschäftigungsverhältnissen durchzuführen sind. (2) Voraussetzung ist, dass mindestens 30 Prozent der in diesen Werkstätten oder Unternehmen Beschäftigten Menschen mit Behinderungen oder benachteiligte Personen sind. I. 1. 2. 3.

Einführung Inhaltsübersicht . . . . . . . . . . . . Entstehungsgeschichte . . . . . . . Gemeinschaftsrechtliche Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . II. Vorbehalt zugunsten von Behindertenwerkstätten und ähnlichen Einrichtungen (§ 118 Abs. 1) . . . . . . . . . . . . . 1. Vorbehalt des Auftrages für Behindertenwerkstätten und Sozialunternehmen (§ 118 Abs. 1 Alt. 1) . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

__ _ _ _

a) Behindertenwerkstätten . . . . b) Sozialunternehmen . . . . . . . 2. Auftragsdurchführung im Rahmen von Programmen mit geschützten Beschäftigungsverhältnissen (§ 118 Abs. 1 Alt. 2) . . . .

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III. Ausreichender Beschäftigungsanteil behinderter oder benachteiligter Personen (§ 118 Abs. 2) IV. Sonstiges . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Ermessen . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Bieterschützender Charakter . .

__ _ __ __ 12 16

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25 28 30 31

1 Sterner in Müller-Wrede, GWB, § 117 Rz. 39.

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§ 118 | Bestimmten Auftragnehmern vorbehaltene öffentliche Aufträge I. Einführung 1. Inhaltsübersicht 1 § 118 GWB eröffnet dem öffentlichen Auftraggeber die Möglichkeit der Be-

schränkung des Wettbewerbs auf Behindertenwerkstätten und ähnliche Einrichtungen. Die Regelung des § 118 Abs. 1 GWB enthält zwei verschiedene Varianten der Einschränkung des Bewerber- bzw. Bieterkreise, nämlich auf Behindertenwerkstätten und Sozialunternehmen (§ 118 Abs. 1 Alt. 1 GWB) oder auf Unternehmen, die zwar nicht als Behindertenwerkstätten und Sozialunternehmen qualifiziert werden können, aber dennoch öffentliche Aufträge im Rahmen von Programmen mit geschützten Beschäftigungsverhältnissen durchführen (§ 118 Abs. 1 Alt. 2 GWB)1. § 118 Abs. 2 GWB beschäftigt sich mit der Voraussetzung des Gebrauchmachens von der Wettbewerbsbeschränkung nach § 118 Abs. 1 GWB und benennt eine bestimmte Beschäftigtenquote.

2 Unmittelbar gilt § 118 GWB für die klassische Auftragsvergabe; für die Ver-

gabe von Bauleistungen wird dies nochmals durch den Verweis in § 6 EU Abs. 3 Nr. 3 VOB/A klargestellt. Über die Verweisung in § 142 GWB ist die Regelung des § 118 GWB auch bei der Vergabe von Sektorenaufträgen und gemäß § 154 GWB schließlich auf die Konzessionsvergabe anwendbar.

3 Die Möglichkeit der Beschränkung des Wettbewerbs auf Behindertenwerkstät-

ten, Sozialunternehmen und sonstige Auftragnehmer, welche öffentliche Aufträge mit geschützten Beschäftigungsverhältnissen erfüllen, wird auf untergesetzlicher Ebene ergänzt. Dort finden sich Vorgaben zur Bekanntmachung des öffentlichen Auftrags. Zu beachten ist hiernach, dass in der Auftragsbekanntmachung auf die Ausnahme des § 118 GWB Bezug genommen wird (vgl. jeweils Abschn. III. 1. 5) des gemäß §§ 37 Abs. 2, 39 Abs. 2 VGV, § 12 EU Abs. 3 Nr. 2 VOB/A, §§ 35 Abs. 2, 36 Abs. 1 SektVO für die Auftragsbekanntmachung zu nutzenden Standardbekanntmachungsformulars)2. 2. Entstehungsgeschichte

4 § 118 hat keine Entsprechung im bisherigen GWB-Vergaberecht. Zwar ent-

hielt bereits die RL 2004/18/EG die Möglichkeit der Beschränkung des Wettbewerbs auf Behindertenwerkstätten und ähnliche Unternehmen. Allerdings

1 Dass es sich um zwei Alternativen handelt, ergibt sich auch daraus, dass in Abschn. III. 1. 5) des Standardbekanntmachungsformulars (vgl. die Anhänge der DURCHFÜHRUNGSVERORDNUNG (EU) 2015/1986 DER KOMMISSION v. 11.11.2015 – VO (EU) 2015/1986) zwischen diesen beiden Möglichkeiten der Beschränkung des Bewerber- oder Bieterkreises unterschieden wird. 2 § 37 Abs. 2 VgV i.V.m. Anhang II VO (EU) 2015/1986, § 12 EU Abs. 3 Nr. 2 VOB/A i.V.m. Anhang II VO (EU) 2015/1986, § 35 Abs. 2 SektVO i.V.m. Anhang V VO (EU) 2015/1986, § 36 Abs. 1 SektVO i.V.m. Anhang IV VO (EU) 2015/1986.

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Bestimmten Auftragnehmern vorbehaltene öffentliche Aufträge | § 118

hatte der deutsche Gesetzgeber hiervon bislang keinen Gebrauch gemacht1. Lediglich auf Verordnungsebene war – für den Unterschwellenbereich – eine freihändige Vergabe von Liefer- und Dienstleistungsaufträgen an Behindertenwerkstätten vorgesehen (§ 3 Abs. 5 lit. j VOL/A). Im Übrigen lässt § 141 SGB IX eine bevorzugte Vergabe öffentlicher Aufträge an Werkstäten für behinderte Menschen zu (vgl. Rz. 28). Im Gesetzgebungsverfahren hat die Vorschrift des § 118 GWB nur geringfügige 5 redaktionelle Anpassungen erfahren. In § 118 GWB-RefE sowie in der Begründung zum Referentenentwurf wurde – wohl in Anlehnung an den Wortlaut der Vergaberichtlinien – statt von Werkstätten für Menschen mit Behinderungen noch von „geschützten Werkstätten“ gesprochen2. Letzterer Begriff ist spätestens seit der Einführung der Bezeichnung „Werkstatt für behinderte Menschen“ durch das am 1.7.2001 in Kraft getretene Sozialgesetzbuch (SGB) Neuntes Buch (IX) – Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen – (SGB IX) im deutschen Recht nicht mehr gebräuchlich. Im Gesetzentwurf der Bundesregierung vom 8.10.2015 fand sich dann die Bezeichnung „Werkstätten für Menschen mit Behinderung“3. Mit der Beschlussempfehlung und dem Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Energie zum Gesetzentwurf der Bundesregierung vom 16.12. 2015 wurde dann zwecks Anpassung an die Begrifflichkeit der RL 2014/24/EU und der UN-Behindertenrechtskonvention4 die Empfehlung ausgesprochen, die Bezeichnung „Menschen mit Behinderung“ durch die Begrifflichkeit „Menschen mit Behinderungen“ zu ersetzen, der Bundestag und Bundesrat auch gefolgt sind5. Sinn und Zweck der Vorschrift ist die Förderung der Integration von Men- 6 schen mit Behinderungen und bzw. oder benachteiligten Personen in die Gesellschaft. Erreicht werden soll dieses Ziel, indem es den öffentlichen Auftraggebern ermöglicht wird, den Wettbewerb auf Bewerber- oder Bieter zu begrenzen, die eine hinreichende Gewähr für die Erreichung dieses Zieles bieten, wie z.B. Behindertenwerkstätten. Nach der Prognose des Gesetzgebers, tragen diese Unternehmen nicht nur deshalb zur Förderung des geschützten Personenkreises bei, weil sie diesen Personen Arbeit in geschützten Arbeitsverhältnissen ermöglichen, sondern auch, weil sie aufgrund des sich aus dem Arbeitsverhältnisses ergebenden Kontaktes zu den Menschen mit Behinderungen bzw. benachteiligten 1 Hierzu näher Roth/Lamm/Weyand/Roth, DÖV 2011, 545 (550 ff.). 2 Referentenentwurf des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie – Entwurf eines Gesetzes zur Modernisierung des Vergaberechts (Umsetzung der EU-Vergaberichtlinien 2014), http://www.forum-vergabe.de/fileadmin/user_upload/Rechtsvorschriften/Referen tenentwurf_GWB_2015.05.05.pdf (zuletzt aufgerufen am 3.7.2017). 3 Gesetzesbegründung VergRModG 2016, BT-Drucks. 18/6281, S. 27. 4 Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen vom 13.12.2006, BGBl. II 2008, 1419. 5 BT-Drucks. 18/7086, S. 6 (15).

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§ 118 | Bestimmten Auftragnehmern vorbehaltene öffentliche Aufträge Personen dieser Personengruppe regelmäßig besondere Unterstützung, Förderung und Hilfestellung gewähren1, womit der nationale Gesetzgeber an Erwägungsgrund 36 RL 2014/24/EU anknüpft. Diese Unternehmen galt es zu stärken, da sie wegen der Ausrichtung auf die Förderung behinderter Menschen oder anderen benachteiligten Personen gegenüber gewerblichen Unternehmen strukturelle Nachteile im Wettbewerb um öffentliche Aufträge haben2. 7 Die Vorschrift des § 118 GWB kann als ein Beispiel für die mit dem VergR-

ModG 2016 anvisierte Stärkung der strategischen Auftragsvergabe, u.a. der Berücksichtigung sozialer Aspekte, angesehen werden3.

3. Gemeinschaftsrechtliche Grundlagen 8 § 118 Abs. 1 GWB dient der Umsetzung des Art. 20 Abs. 1 RL 2014/24/EU. Da

§ 118 Abs. 1 GWB über die Verweisung in § 142 GWB bei der Vergabe von Sektorenaufträgen und nach § 154 GWB bei der Vergabe von Konzessionen Anwendung findet, werden mit der Vorschrift zugleich die – inhaltlich Art. 20 Abs. 1 RL 2014/24/EU entsprechenden – Regelungen des Art. 38 Abs. 1 RL 2014/25/EU sowie des Art. 24 Satz 1 RL 2014/23/EU in das nationale Recht transferiert. § 118 Abs. 2 GWB bestimmt in Umsetzung der Vorgabe des Art. 20 Abs. 1 Halbs. 2 RL 2014/24/EU, dass mindestens 30 Prozent der in den Werkstätten für Menschen mit Behinderungen oder in den Unternehmen Beschäftigten Menschen mit Behinderungen oder benachteiligte Personen sein müssen. Weil § 118 Abs. 2 GWB über die Verweisung in § 142 GWB bei der Vergabe von Sektorenaufträgen und gemäß § 154 GWB bei der Vergabe von Konzessionen Anwendung findet, dient die Regelung ebenfalls der Umsetzung von Art. 24 Satz 1 Halbs. 2 RL 2014/23/EU und von Art. 38 Abs. 1 Halbs. 2 RL 2014/25/EU. Die Vorgaben der genannten europarechtlichen Vorschriften werden durch § 118 Abs. 1 und Abs. 2 vollständig umgesetzt4.

9 Art. 20 RL 2014/24/EU bzw. Art. 38 Abs. 1 RL 2014/25/EU stellen auf der Ebene

des europäischen Rechts keine neuartige Regelung dar. Die Vorläuferregelungen des Art. 19 RL 2004/18/EG (für Bau-, Liefer- und Dienstleistungsaufträge) bzw. des Art. 28 RL 2004/17/EG (für Sektorenaufträge) machten – anders als ihre jeweiligen Nachfolgeregelungen – die Beschränkung des Wettbewerbs auf Behindertenwerkstätten und ähnliche Betriebe allerdings davon abhängig, dass die Mehrheit der in diesen Werkstätten oder Unternehmen Beschäftigten Menschen mit Behinderungen oder benachteiligte Personen waren. Durch die Erleichterung der Anwendung der Ausnahmevorschrift – es müssen nur noch 30 Pro-

1 Gesetzesbegründung VergRModG 2016, BT-Drucks. 18/6281, S. 96. 2 Gesetzesbegründung, BT-Drucks. 18/6281, 96; Neun/Otting, EuZW 2014, 446 (448). 3 Fehns-Böer in Müller-Wrede, GWB, § 118 Rz. 10; Hettich in Soudry/Hettich, Das neue Vergaberecht, 2014, S. 74 ff. 4 I.d.S. Ley/Wankmüller, Das neue Vergaberecht 2016, 3. Aufl. 2016, S. 106 f.

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Bestimmten Auftragnehmern vorbehaltene öffentliche Aufträge | § 118

zent der in diesen Werkstätten oder Unternehmen Beschäftigten Menschen mit Behinderungen oder benachteiligte Personen sein – hat das Ziel der Förderung der Integration von Menschen mit Behinderung und bzw. oder benachteiligter Personen in die Gesellschaft eine Aufwertung erfahren.

II. Vorbehalt zugunsten von Behindertenwerkstätten und ähnlichen Einrichtungen (§ 118 Abs. 1) Die Vorschrift des § 118 Abs. 1 GWB regelt, welchen Bewerbern oder Bietern 10 die Teilnahme am Wettbewerb vorbehalten werden kann. 1. Vorbehalt des Auftrages für Behindertenwerkstätten und Sozialunternehmen (§ 118 Abs. 1 Alt. 1) § 118 Abs. 1 Alt. 1 GWB sieht die Beschränkung des Bewerber- oder Bieterkrei- 11 ses auf Werkstätten für Menschen mit Behinderungen und solche Unternehmen vor, deren Hauptzweck die soziale und berufliche Integration von Menschen mit Behinderungen oder von benachteiligten Personen ist (Sozialunternehmen). a) Behindertenwerkstätten Der Begriff „Werkstätten für Menschen mit Behinderungen“ kann unter Be- 12 rücksichtigung der Rechtsstellung der Werkstätten für behinderte Menschen im Sinne des Sozialrechts interpretieret werden. Das nationale Recht enthält in § 136 Abs. 1 SGB IX eine Definition des Begriffs der Werkstatt für behinderte Menschen. Eine Werkstatt für behinderte Menschen ist danach eine Einrichtung zur Teilhabe behinderter Menschen am Arbeitsleben und zur Eingliederung in das Arbeitsleben. Die Definition wurde durch das zum 1.7.2001 in Kraft getretene Sozialgesetzbuch (SGB) Neuntes Buch (IX) – Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen – (SGB IX) eingeführt, dass das bis dahin geltende Schwerbehindertengesetz (SchwbG) ersetzt. Um die Vergünstigungen des SGB IX in Anspruch nehmen zu können, bedürfen Werkstätten für behinderte Menschen der Anerkennung durch die Bundesagentur für Arbeit (§ 142 SGB IX). Die noch auf der Grundlage des SchwbG erlassene Werkstättenverordnung (WVO) definiert die fachlichen Anforderungen an die Werkstatt für Behinderte und regelt das Anerkennungsverfahren. Weitere Voraussetzung ist hiernach u.a., dass die Werkstatt i.d.R. über mindestens 120 Plätze verfügt, wobei diese Anforderung auch durch einen Verbund mit anderen Werkstätten erfüllt werden kann (§ 7 WVO). Nach der Begriffsdefinition des § 136 SGB IX haben Werkstätten für behinderte Menschen im Wesentlichen drei Funktionen, nämlich das Angebot einer angemessenen beruflichen Bildung mit dem Ziel, die Leistungsoder Erwerbsfähigkeit der dort beschäftigten Menschen zu erhalten, entwickeln, erhöhen oder wiederzugewinnen, eine Beschäftigung zu einem der Leistung anHövelberndt

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§ 118 | Bestimmten Auftragnehmern vorbehaltene öffentliche Aufträge gemessenen Arbeitsentgelt aus den Arbeitsergebnissen anzubieten und den Übergang geeigneter Personen auf den allgemeinen Arbeitsmarkt durch geeignete Maßnahmen zu fördern. 13 Charakteristisch für anerkannte Behindertenwerkstätten ist ferner die Rechts-

stellung der behinderten Werkstattmitarbeiter: Im Vergleich zu Arbeitnehmern in der freien Wirtschaft ist die Beschäftigung als behinderter Mitarbeiter in einer anerkannten Behindertenwerkstatt mit Vorteilen verbunden. Hinzuweisen ist insbesondere darauf, dass aus § 137 Abs. 1 SGB IX für die Werkstätten für behinderte Menschen eine Aufnahmepflicht folgt, d.h. sie sind prinzipiell verpflichtet, alle behinderten Menschen in die Einrichtung aufnehmen, sofern die Voraussetzungen des Aufnahmeanspruch nach § 136 Abs. 2 SGB IX vorliegen1. Im Rahmen von § 136 Abs. 2 Satz 1 SGB IX ist es ausreichend, wenn ein Mindestmaß an wirtschaftlich vertretbarer Arbeitsleistung erbracht werden kann2. Sofern die Voraussetzungen des Aufnahmeanspruchs nach § 136 Abs. 2 SGB IX vorliegen, ergibt sich im Übrigen aus § 137 Abs. 2 SGB IX für die Behindertenwerkstätten eine Weiterbeschäftigungspflicht3. Den behinderten Beschäftigten wird auf diese Weise ein besonders qualifizierter Beendigungsschutz zuteil, da auch bei geringer oder sinkender Leistungsfähigkeit eine Kündigung des Werkstattverhältnisses nach allgemeinen arbeitsrechtlichen Grundsätzen ausgeschlossen ist4. Insofern wird mit Blick auf das Beschäftigungsverhältnis behinderter Menschen in anerkannten Behindertenwerkstätten auch von „geschützter Arbeit“ gesprochen. Ein rechtlicher Nachteil besteht für behinderte Beschäftigte in Behindertenwerkstätten aber u.a. darin, dass sie lediglich als arbeitnehmerähnliche Personen gelten, auf die z.B. die Vorschriften des Mindestlohngesetzes (MiLoG) nicht anwendbar sind5. Die vorgenannten Besonderheiten veranschaulichen, dass Behindertenwerkstätten trotz der Ausrichtung auf wirtschaftliche Arbeitsergebnisse (vgl. § 12 Abs. 3, 4 WVO), strukturelle Nachteile gegenüber gewerblichen Unternehmen haben (vgl. Rz. 6).

14 Bundesweit gibt es derzeit etwa 700 anerkannte Werkstätten mit rund 280.000

Plätzen6. Die Bundesagentur für Arbeit führt ein Verzeichnis der anerkannten Werkstätten (§ 142 Satz 3 SGB IX).

1 Jacobs in Dau/Düwell/Joussen, Sozialgesetzbuch IX, 4. Aufl. 2014, § 137 SGB IX Rz. 6; Roth/Lamm/Weyand, DÖV 2011, 545 (546). 2 Kossens in Kossens/von der Heide/Maaß, SGB IX, 4. Aufl. 2015, § 136 SGB IX Rz. 14. 3 Vgl. Jacobs in Dau/Düwell/Joussen, Sozialgesetzbuch IX, Vorbem. zu Kap. 12 Rz. 7. 4 Roth/Lamm/Weyand, DÖV 2011, 545 (546 f.). 5 LArbG Schleswig-Holstein v. 11.1.2016 – 1 Sa 224/15, BeckRS 2016, 67901; ArbG Kiel v. 19.6.2015 – 2 Ca 165 a/15, NZA-RR 2016, 291 ff. 6 Übereinkommen der Vereinten Nationen über Rechte von Menschen mit Behinderungen. Erster Staatenbericht der Bundesrepublik Deutschland, 2011, S. 70, https://www. bmas.de/SharedDocs/Downloads/DE/staatenbericht-2011.pdf?__blob=publicationFile (zuletzt aufgerufen am 3.7.2017).

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Bestimmten Auftragnehmern vorbehaltene öffentliche Aufträge | § 118

Ob eine Bewerberin oder Bieterin, welche ihren Sitz außerhalb Deutschlands 15 hat, als Behindertenwerkstatt eingeordnet werden kann, ist – ähnlich wie bei der Feststellung von Eignungsanforderungen –1 nach den jeweils einschlägigen rechtlichen Grundlagen des Herkunftsmitgliedstaates zu beurteilen2. b) Sozialunternehmen Den Behindertenwerkstätten gleichgestellt und damit im Falle der Anwendung 16 des § 118 Abs. 1 Alt. 1 GWB neben diesen zum Wettbewerb zuzulassen sind Unternehmen, „deren Hauptzweck die soziale und berufliche Integration von Menschen mit Behinderungen oder von benachteiligten Personen ist“. Die Gesetzesbegründung bezeichnet diese auch als „Sozialunternehmen“3. Der 17 Begriff „Sozialunternehmen“ oder „Social Business“ wird je nach Zielsetzung der Betrachtung auf unterschiedlichste Weise definiert4. In der Mitteilung der EUKommission vom 25.10.2011 zur „Initiative für soziales Unternehmertum“ werden diese wie folgt charakterisiert5: „Unter „Sozialunternehmen“ versteht die Kommission Unternehmen, – für die das soziale oder gesellschaftliche gemeinnützige Ziel Sinn und Zweck ihrer Geschäftstätigkeit darstellt, was sich oft in einem hohen Maße an sozialer Innovation äußert, – deren Gewinne größtenteils wieder investiert werden, um dieses soziale Ziel zu erreichen – und deren Organisationsstruktur oder Eigentumsverhältnisse dieses Ziel widerspiegeln, da sie auf Prinzipien der Mitbestimmung oder Mitarbeiterbeteiligung basieren oder auf soziale Gerechtigkeit ausgerichtet sind.

1 Vgl. hierzu Hausmann/von Hoff in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, GWB, 4. Aufl. 2016, § 122 Rz. 16 sowie die Kommentierung zu § 122 Rz. 34. 2 Mit einem Überblick über die Situation in einigen EU-Mitgliedstaaten: Basener, Aktuelle Entwicklungen der Teilhabe am Arbeitsleben von Menschen mit Behinderungen in Europa, http://www.inklusion-im-blick.eu/linked/Dieter%20Basener%20Eröffnung%20mit %20Europa-Überblick.pdf (zuletzt aufgerufen am 18.9.2017). 3 Gesetzesbegründung, BT-Drucks. 18/6281, S. 96. 4 Vgl. Unterberg/Richter u.a., Herausforderungen bei der Gründung und Skalierung von Sozialunternehmen. Welche Rahmenbedingungen benötigen Social Entrepreneurs?, Endbericht für das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi), Dezember 2015, S. 13. 5 MITTEILUNG DER KOMMISSION AN DAS EUROPÄISCHE PARLAMENT, DEN RAT, DEN EUROPÄISCHEN WIRTSCHAFTS-UND SOZIALAUSSCHUSS UND DEN AUSSCHUSS DER REGIONEN Initiative für soziales Unternehmertum Schaffung eines „Ökosystems“ zur Förderung der Sozialunternehmen als Schlüsselakteure der Sozialwirtschaft und der sozialen Innovation v. 25.10.2011.

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§ 118 | Bestimmten Auftragnehmern vorbehaltene öffentliche Aufträge Dazu gehören somit unter anderem: – Unternehmen, die Sozialdienstleistungen erbringen und/oder Güter und Dienstleistungen für besonders schutzbedürftige Bevölkerungsgruppen anbieten (Vermittlung von Wohnraum, Zugang zu Gesundheitsdienstleistungen, Betreuung von älteren oder behinderten Personen, Integration sozial schwacher Bevölkerungsgruppen, Kinderbetreuung, Zugang zu Beschäftigung und lebenslangem Lernen, Pflegemanagement usw.) und/oder – Unternehmen, die bei der Produktion von Waren bzw. der Erbringung von Dienstleistungen ein soziales Ziel anstreben (soziale und berufliche Eingliederung durch den Zugang zur Beschäftigung für Personen, die insbesondere aufgrund ihrer geringen Qualifikation oder aufgrund von sozialen oder beruflichen Problemen, die zu Ausgrenzung und Marginalisierung führen, benachteiligt sind), deren Tätigkeit jedoch auch nicht sozial ausgerichtete Güter und Dienstleistungen umfassen kann.“ 18 Diese Definition zeigt, dass Sozialunternehmen eine Mittelstellung zwischen

herkömmlichen Unternehmen und Einrichtungen der Wohlfahrtspflege einnehmen. Im Unterschied zu sozialen Projekten bzw. Wohlfahrtverbänden (im konkreten Fall auch zu Behindertenwerkstätten) mit gleicher inhaltlicher Zielsetzung arbeiten Sozialunternehmen in stärkerem Maße wie herkömmliche Unternehmen, d.h. sie agieren wie diese am Markt1. Der Unterschied zu herkömmlichen Unternehmen besteht jedoch insbesondere darin, dass der Gewinn i.d.R. – zumindest zu einem erheblichen Teil – im Unternehmen verbleibt und im Interesse der spezifischen Zielsetzung reinvestiert wird. Anders als bei gewöhnlichen Unternehmen, verfolgen die Investoren also nicht ausschließlich die Erzielung von Gewinnen, sondern auch soziale Ziele („social impact“)2.

19 Zielsetzung der Sozialunternehmen kann entweder die Integration von Men-

schen mit Behinderungen sein (vgl. zum Begriff der Behinderung vgl. z.B. Art. 1 Abs. 2 der UN-Behindertenrechtskonvention3, §§ 3 BGG, 2 Abs. 1 SGB IX) oder sonst benachteiligter Personengruppen. Wie sich Erwägungsgrund 36 RL 2014/ 24/EU entnehmen lässt, kann es sich bei Letzteren um „Arbeitslose, Angehörige benachteiligter Minderheiten oder auf andere Weise an den Rand der Gesellschaft gedrängte Personen“ handeln. D.h., der Kreis der geförderten Personengruppen ist relativ weit gefasst. Um die Gleichstellung von Menschen mit Behin-

1 Täubner, Sozialunternehmer – Das Geschäft mit der Güte, Zeit-Online v. 30.9.2013, S. 1, http://www.zeit.de/wirtschaft/2013-09/Brandeinssozialunternehmen (zuletzt aufgerufen am 3.7.2017). 2 „Gutes tun, ökonomisch denken“, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 27.7.2016, Nr. 173 S. 21. 3 Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen vom 13.12.2006, BGBl. II 2008, 1419.

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derungen zu rechtfertigen, dürfte zu verlangen sein, dass die Benachteiligung nicht ganz vorübergehender Natur ist.1 In institutioneller Hinsicht handelt es sich bei Sozialunternehmen häufig um 20 Ausgründungen aus Wohlfahrtsverbänden, Stiftungen etc.2. Nicht selten treten auch innovative Neugründungen von Sozialunternehmen in Erscheinung („Social Entrepreneurs“)3. Sozialunternehmen können z.B. Integrationsunternehmen i.S.v. § 132 Abs. 3 SGB IX sein4. 2. Auftragsdurchführung im Rahmen von Programmen mit geschützten Beschäftigungsverhältnissen (§ 118 Abs. 1 Alt. 2) § 118 Abs. 1 Alt. 2 GWB eröffnet den öffentlichen Auftraggebern die Möglich- 21 keit, zu bestimmen, dass öffentliche Aufträge im Rahmen von Programmen mit geschützten Beschäftigungsverhältnissen durchführt werden. Es handelt sich um Unternehmen, die zwar weder Behindertenwerkstätten sind 22 noch ihrem hauptsächlichen Unternehmensweck nach die Integration von Menschen mit Behinderungen oder von benachteiligten Personen betreiben, die aber soziale Zwecke – konkret die Förderung der Integration von Menschen mit Behinderungen oder von benachteiligten Personen – insofern in ihre auf andere Zwecke ausgerichtete Unternehmenstätigkeit integrieren, als sie öffentliche Aufträge im Rahmen von Programmen mit geschützten Beschäftigungsverhältnissen durchführen. Als geschützte Beschäftigungsverhältnisse lassen sich im vorliegenden Zusam- 23 menhang solche Beschäftigungsverhältnisse begreifen, die ein geschütztes Arbeitsumfeld für Menschen mit Behinderungen bieten. Außer in Behindertenwerkstätten und Sozialunternehmen bestehen solche Beschäftigungsverhältnisse z.B. in – erwerbswirtschaftlich agierenden – Unternehmen, die spezielle Arbeitsplätze für Menschen mit Behinderungen eingerichtet haben und hierfür Eingliederungshilfen oder -zuschüsse erhalten (vgl. etwa § 56 SGB XII)5. Soll eine Rückzahlung der Eingliederungshilfen oder -zuschüsse vermieden werden, be1 Ähnlich Fehns-Böer in Müller-Wrede, GWB, § 118 Rz. 25 (soziale Benachteiligung über 6 Monate, wie in § 2 BGG). 2 Vgl. Unterberg/Richter u.a., Herausforderungen bei der Gründung und Skalierung von Sozialunternehmen. Welche Rahmenbedingungen benötigen Social Entrepreneurs?, Endbericht für das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi), Dezember 2015, S. 13. 3 Pennekamp, „Weltverbesserer ohne Wollpullis“, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 12.5. 2012, Nr. 111, S. C1; von Petersdorff, „Helfer mit Unternehmergeist“, Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 25.12.2005, Nr. 51, S. 36. 4 Fehns-Böer in Müller-Wrede, GWB, § 118 Rz. 10. 5 Vgl. Bundesministerium für Arbeit und Soziales, Glossar, „Geschützte Beschäftigung“, http://www.bmas.de/DE/Service/Glossar/G/Geschuetzte-Beschaeftigung.html (zuletzt aufgerufen am 18.9.2017).

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§ 118 | Bestimmten Auftragnehmern vorbehaltene öffentliche Aufträge steht eine Nachbeschäftigungspflicht des Arbeitgebers (vgl. § 92 Abs. 2 SGB III), wodurch die behinderten Beschäftigen gegenüber nichtbehinderten Arbeitnehmern intensiver gegen eine Kündigung geschützt sind. 24 Erforderlich ist nach dem Wortlaut von § 118 Abs. 1 Alt. 2 GWB nicht, dass das

Unternehmen sämtliche Aufträge im Rahmen geschützter Beschäftigungsverhältnisse erbringt, lediglich öffentliche Aufträge müssen im Rahmen solcher Beschäftigungsverhältnisse ausgeführt werden.

III. Ausreichender Beschäftigungsanteil behinderter oder benachteiligter Personen (§ 118 Abs. 2) 25 § 118 Abs. 2 GWB umschreibt die gemeinsame Voraussetzung der Beschrän-

kung des Wettbewerbs auf einen oder mehrere der in § 118 Abs. 1 GWB aufgelisteten Arten von Bietern. Unabhängig davon, ob lediglich Behindertenwerkstätten und Sozialunternehmen zum Wettbewerb zugelassen werden (§ 118 Abs. 1 Alt. 1 GWB) oder der Wettbewerb durch die Vorgabe beschränkt wird, dass nur solche Bieter zugelassen werden, die öffentliche Aufträge im Rahmen von Programmen mit geschützten Beschäftigungsverhältnissen durchführen (§ 118 Abs. 1 Alt. 2 GWB), ist erforderlich, dass wenigstens 30 Prozent der in diesen Unternehmen bzw. Einrichtungen Beschäftigten Menschen mit Behinderungen oder benachteiligte Personen sind.

26 Wie sich bereits aus dem Wortlaut der Norm ergibt, ist nicht erforderlich, dass

der genannte Beschäftigungsanteil von Menschen mit Behinderungen oder sonstigen benachteiligten Personen im Rahmen der Erbringung der auftragsgegenständlichen Leistung erreicht wird. Maßgeblich ist also der Anteil an den Gesamtbeschäftigten des Unternehmens bzw. der Einrichtung. Eine einheitliche Definition für den Begriff des Beschäftigen, der in unterschiedlichsten Gesetzen verwendet wird (vgl. z.B. § 4 BPersVG, § 3 Nr. 12 GenDG, § 7 PflegeZG, § 1 SGB VI, § 3 Abs. 11 BDSG), existiert nicht1. Für eine enge Interpretation des Beschäftigtenbegriffs besteht kein Anlass. Vor dem Hintergrund des Normzwecks (Rz. 6) dürften alle Personen erfasst sein, die mit behinderten oder benachteiligten Personen um ein Beschäftigungs- oder ähnliches Verhältnis konkurrieren. Im vorliegenden Zusammenhang dürfte der Begriff „Beschäftigte“ daher alle Arbeiter, Angestellten, Beamten, Auszubildende, Heimarbeiter und arbeitnehmerähnlichen Personen (insb. Beschäftigte in Behindertenwerkstätten) sowie arbeitnehmerähnliche Selbstständige“ i.S.v. § 2 Satz 1 Nr. 9 SGB VI einschließen2.

1 Kortstock in Nipperdey, Lexikon Arbeitsrecht, 30. Edition 2016, Stickwort „Beschäftigte“. 2 Vgl. exemplarisch zu § 2 SGB VII Marschner in Rolfs/Giesen/Kreikebohm/Udsching, Beck’scher OnlineKommentar Sozialrecht, 43. Edition/Stand: 1.12.2016, § 2 SGB VII Rz. 6 ff., 12 (zu § 2 SGB VII); Kollmer/Wiebauer in Landmann/Rohmer, Gewerbeordnung, 73. EL August 2016, § 1 ArbStättV Rz. 4–7 (zu § 1 ArbStättV).

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Bestimmten Auftragnehmern vorbehaltene öffentliche Aufträge | § 118

Schon um einer Umgehung vorzubeugen, sollten auch Leiharbeitnehmer hinzugerechnet werden. Fraglich, auf welchen Zeitpunkt bzw. Zeitraum es für die Feststellung des 27 Schwellenwertes ankommt. Denkbar wäre, diesbezüglich auf die durchschnittliche Beschäftigtenzahl innerhalb eines bestimmten Zeitabschnitts in der Vergangenheit abzustellen. Hätte der Gesetzgeber eine solche Betrachtung gewollt, hätte er jedoch vermutlich eine ausdrückliche Regelung getroffen. Dies zeigt die Vorschrift des § 108 Abs. 7 GWB, die explizit regelt, dass im Rahmen der Feststellung des für In-House-Geschäfte relevanten Umsatzes auf Durchschnittswerte abzustellen ist. Mithin ist bei der Ermittlung der Beschäftigtenzahl nach § 118 Abs. 2 GWB auf einen Stichtag abzustellen ist. Ausreichend dürfte es sein, wenn der maßgebliche Beschäftigtenanteil zum Zeitpunkt der Auftragsausführung gegeben ist. Allerdings muss diese Voraussetzung bereits im Zeitpunkt der Vergabeentscheidung geklärt sein1.

IV. Sonstiges Neben der materiell-rechtlichen Anforderung des § 118 Abs. 2 GWB ist in for- 28 meller Hinsicht erforderlich, dass im Aufruf zum Wettbewerb auf die Ausnahme des § 118 GWB Bezug genommen wird. Diese Voraussetzung ist allerdings nicht in § 118 GWB geregelt, sondern auf Verordnungsebene (vgl. Rz. 3). Wie sich aus Gesetzesbegründung ergibt, bleibt die Möglichkeit für die öffent- 29 lichen Auftraggeber zur Bevorzugung von geschützten Werkstätten bei der Zuschlagserteilung § nach 141 S. 1 SGB IX unberührt2. Die Regelung des § 141 Satz 1 SGB IX sieht vor, dass Aufträge der öffentlichen Hand, die von anerkannten Werkstätten für behinderte Menschen ausgeführt werden können, bevorzugt diesen Einrichtungen angeboten werden. Anzuwenden ist diese Regelung gemäß § 143 SGB IX übrigens auch zugunsten von anerkannten Blindenwerkstätten. Näheres ergibt sich aus Verwaltungsvorschriften, welche gemäß § 141 Satz 2 SGB IX die Bundesregierung mit Zustimmung des Bundesrates erlassen kann. Auf der Grundlage von § 141 Satz 2 SGB IX hat der Bund zwar bislang keine entsprechende Verwaltungsvorschrift erlassen. Nach § 159 Abs. 4 SGB IX gilt jedoch die auf der Grundlage des § 56 Abs. 2 SchwG erlassene Richtlinie weiter3. Auf die Länder und Gemeinden ist diese Richtlinie nicht anwend1 So zum Zeitpunkt der Verfügbarkeit von Ressourcen im Rahmen der Eignungsprüfung: OLG Düsseldorf, Beschl. v. 5.11.2014 – VIIVerg 21/14, BeckRS 2015, 11625; Gnittke/ Hattig in Müller-Wrede, GWB, § 122 Rz. 95 f. 2 Gesetzesbegründung, BT-Drucks. 18/6281, S. 96. 3 Richtlinien für die Berücksichtigung von Werkstätten für Behinderte und Blindenwerkstätten bei der Vergabe öffentlicher Aufträge vom 10.5.2001 (BAnz. Nr. 109 v. 16.6.2001, S. 11773).

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§ 118 | Bestimmten Auftragnehmern vorbehaltene öffentliche Aufträge bar. Allerdings haben die Länder eigene Richtlinien erlassen, die teilweise identisch mit den Richtlinien des Bundes sind1. Dies steht auch mit der Regelung des Zuschlags in § 127 Abs. 2 Satz 3 GWB in Einklang, die nunmehr explizit vorsieht, dass bei der Ermittlung des besten Preis-Leistungs-Verhältnisses auch soziale Aspekte eine Rolle spielen können2. Fernerhin könnten auf der Grundlage von § 128 Abs. 2 GWB für die Auftragsausführung zusätzliche Anforderungen sozialer Art gestellt werden, z.B. dass ein bestimmter Prozentsatz behinderter Menschen bei der Auftragsausführung eingesetzt wird3.

V. Ermessen 30 Bei § 118 Abs. 1 und 2 GWB handelt es sich um eine „Kann“-Vorschrift. Mit-

hin hat der öffentliche Auftraggeber Ermessen hinsichtlich der Vergabe im Wettbewerb oder an Unternehmen bzw. Einrichtungen im Sinne des § 118 GWB, dessen Ausübung nach allgemeinen Grundsätzen nur daraufhin überprüfbar ist, ob ein zutreffend ermittelter Sachverhalt zugrunde gelegt wurde und ob die rechtlichen Grenzen zulässiger Ermessensausübung eingehalten worden sind4. Entsprechendes gilt für die Wahl der von § 118 Abs. 1 GWB vorgesehenen Alternativen.

1 Vgl. z.B. für NRW: Berücksichtigung von Werkstätten für behinderte Menschen und Blindenwerkstätten bei der Vergabe öffentlicher Aufträge – Gemeinsamer Runderlass des Ministeriums für Wirtschaft, Energie, Industrie, Mittelstand und Handwerk, des Ministeriums für Arbeit, Integration und Soziales, des Ministeriums für Inneres und Kommunales und des Finanzministeriums – Az.: 101-13-30, v. 22.3.2011 (MBl. NRW. 2011 S. 122), zuletzt geändert durch Gemeinsamen Runderlass vom 26.4.2016 (MBl. NRW. 2016 S. 382); für Bayern: Richtlinien für die Berücksichtigung bevorzugter Bewerber bei der Vergabe öffentlicher Aufträge – Spätaussiedler, Werkstätten für Behinderte und Blindenwerkstätten, Verfolgte – (Bevorzugten-Richtlinien – öABevR) – Bekanntmachung der Bayerischen Staatsregierung – Az.: B III 2-519-9-23 v. 30.11.1993 (AllMBl. 1993 S. 1308), zuletzt geändert durch Bekanntmachung vom 6.11.2001 (AllMBl. 2001 S. 666); für Rheinland-Pfalz: Ziff. 7.3 der Verwaltungsvorschrift des Ministeriums für Wirtschaft, Klimaschutz, Energie und Landesplanung, des Ministeriums des Innern, für Sport und Infrastruktur, des Ministeriums der Finanzen und des Ministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz v. 24.4.2014 (40 5 – 00006 Ref. 8203), MinBl. Rhl.-Pf. 2014, S. 48. 2 Vgl. auch die Kommentierung zu § 127 Rz. 66. 3 Zu der § 128 Abs. 2 GWB entsprechenden Vorschrift des § 97 Abs. 4 S. 2 GWB 2012 näher Roth/Lamm/Weyand/Roth, DÖV 2011, 545 (550 ff.). 4 Mit Blick auf § 3 Abs. 5 lit. j VOL/A: OLG Düsseldorf v. 27.10.2004 – Verg 52/04, VergabeR 2005, 252 (254); vorhergehend VK Bund v. 20.7.2004 –VK 3-80/04, VPRRS 2013, 0758; Kaelble/Müller-Wrede in Müller-Wrede, VOL/A, § 3 Rz. 73.

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Verfahrensarten | § 119

VI. Bieterschützender Charakter Bei § 118 GWB handelt es sich um eine bieterschützende Vorschrift. Macht der 31 öffentliche Auftraggeber von den in § 118 GWB vorgesehenen Möglichkeiten Gebrauch, den Wettbewerb auf Behindertenwerkstätten und Sozialunternehmen zu beschränken oder auf solche Unternehmen, in denen der öffentliche Auftrag im Rahmen von Programmen mit geschützten Beschäftigungsverhältnissen ausgeführt wird, so werden Unternehmen, die diese Voraussetzungen nicht erfüllen, von vornherein vom Wettbewerb ausgeschlossen. Im Interesse des Wettbewerbs- (Art. 97 Abs. 1 GWB) und des Gleichbehandlungsgrundsatzes (Art. 97 Abs. 2 GWB) bestehen die vorgenannten Optionen nicht uneingeschränkt, sondern nur unter den Voraussetzungen des § 118 GWB. Mithin können Bewerber oder Bieter, die die nicht zu dem durch § 118 GWB beschriebenen Bewerberoder Bieterkreis gehören, einen Verstoß gegen § 118 GWB rügen. Theoretisch können auch Behindertenwerkstätten, Sozialunternehmen oder 32 Unternehmen, die Programme mit geschützten Beschäftigungsverhältnissen durchführen, geltend machen, dass ihre Rechte dadurch verletzt sind, dass ein öffentlicher Auftraggeber von den in § 118 GWB vorgesehenen Möglichkeiten der Beschränkung des Bewerber- oder Bieterkreis in ermessensfehlerhafter Weise keinen Gebrauch gemacht1. Dass ergibt sich daraus, dass § 118 GWB der Förderung der Integration von Menschen mit Behinderung und oder benachteiligten Personen in die Gesellschaft – über den Umweg der bevorzugten Beauftragung von Unternehmen – dient, welche die Förderungen dieses Personenkreises betreiben. Eine Verletzung von Bewerber- oder Bieterrechten käme in diesem Fall aber nur in Betracht, wenn das Ermessen des öffentlichen Auftraggebers, von der Möglichkeit einer Beschränkung des Bewerber- oder Bieterkreise auf die in § 118 GWB genannten Unternehmen bzw. Einrichtungen Gebrauch zu machen, auf Null reduziert wäre, was selten der Fall sein dürfte.

Unterabschnitt 2 Verfahrensarten und Auftragsausführung

§ 119 Verfahrensarten (1) Die Vergabe von öffentlichen Aufträgen erfolgt im offenen Verfahren, im nicht offenen Verfahren, im Verhandlungsverfahren, im wettbewerblichen Dialog oder in der Innovationspartnerschaft. (2) Öffentlichen Auftraggebern stehen das offene Verfahren und das nicht offene Verfahren, das stets einen Teilnahmewettbewerb erfordert, nach ihrer 1 Fehns-Böer in Müller-Wrede, GWB, § 118 Rz. 46.

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§ 119 | Verfahrensarten Wahl zur Verfügung. Die anderen Verfahrensarten stehen nur zur Verfügung, soweit dies aufgrund dieses Gesetzes gestattet ist. (3) Das offene Verfahren ist ein Verfahren, in dem der öffentliche Auftraggeber eine unbeschränkte Anzahl von Unternehmen öffentlich zur Abgabe von Angeboten auffordert. (4) Das nicht offene Verfahren ist ein Verfahren, bei dem der öffentliche Auftraggeber nach vorheriger öffentlicher Aufforderung zur Teilnahme eine beschränkte Anzahl von Unternehmen nach objektiven, transparenten und nichtdiskriminierenden Kriterien auswählt (Teilnahmewettbewerb), die er zur Abgabe von Angeboten auffordert. (5) Das Verhandlungsverfahren ist ein Verfahren, bei dem sich der öffentliche Auftraggeber mit oder ohne Teilnahmewettbewerb an ausgewählte Unternehmen wendet, um mit einem oder mehreren dieser Unternehmen über die Angebote zu verhandeln. (6) Der wettbewerbliche Dialog ist ein Verfahren zur Vergabe öffentlicher Aufträge mit dem Ziel der Ermittlung und Festlegung der Mittel, mit denen die Bedürfnisse des öffentlichen Auftraggebers am besten erfüllt werden können. Nach einem Teilnahmewettbewerb eröffnet der öffentliche Auftraggeber mit den ausgewählten Unternehmen einen Dialog zur Erörterung aller Aspekte der Auftragsvergabe. (7) Die Innovationspartnerschaft ist ein Verfahren zur Entwicklung innovativer, noch nicht auf dem Markt verfügbarer Liefer-, Bau- oder Dienstleistungen und zum anschließenden Erwerb der daraus hervorgehenden Leistungen. Nach einem Teilnahmewettbewerb verhandelt der öffentliche Auftraggeber in mehreren Phasen mit den ausgewählten Unternehmen über die Erst- und Folgeangebote. I. 1. 2. II. III. IV. V. VI. 1. 2.

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Einführung Inhaltsübersicht . . . . . . . . . . . . Entstehungsgeschichte . . . . . . . Aufzählung der Vergabearten (§ 119 Abs. 1) . . . . . . . . . . . . . Verhältnis der Vergabeverfahrensarten untereinander (§ 119 Abs. 2) . . . . . . . . . . . . . Rechtliche Folgen der Wahl einer falschen Vergabeart . . . . Verhältnis zu den Verdingungsordnungen . . . . . . . . . . . . . . . Arten der Vergabe . . . . . . . . . . Offenes Verfahren (§ 119 Abs. 3) Nicht offenes Verfahren (§ 119 Abs. 4) . . . . . . . . . . . . .

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14 16 19 21 25

3. Verhandlungsverfahren (§ 119 Abs. 5) a) Begriff und Bedeutung . . . . b) Grundzüge und Grundsätze des Verfahrens . . . . . . . . . . 4. Wettbewerblicher Dialog (§ 119 Abs. 6) a) Begriff und Bedeutung . . . . b) Anwendungsbereich . . . . . . c) Grundzüge und Grundsätze des Verfahrens . . . . . . . . . . 5. Innovationspartnerschaft (§ 119 Abs. 7) a) Begriff und Bedeutung . . . . b) Anwendungsbereich . . . . . . c) Grundzüge und Grundsätze des Verfahrens . . . . . . . . . .

. . . . . . . .

_ _ __ _ __ _ 32 34 41 45 48 62 70 78

Verfahrensarten | § 119

I. Einführung 1. Inhaltsübersicht § 119 Abs. 1 bestimmt, dass die Vergabe öffentlicher Aufträge im offenen Ver- 1 fahren, im nicht offenen Verfahren, im Verhandlungsverfahren, im wettbewerblichen Dialog oder im Wege der Innovationspartnerschaft erfolgt. § 119 Abs. 2 regelt das Verhältnis der Vergabeverfahrensarten untereinander. Eine wesentliche Neuerung im Vergleich zur bisherigen Regelung des § 101 Abs. 7 GWB a.F. ist dabei die grundsätzliche Wahlfreiheit für öffentliche Auftraggeber zwischen dem offenen und dem nicht offenen Verfahren. Bislang bestand nach § 101 Abs. 7 Satz 1 GWB a.F. ein Vorrang des offenen Verfahrens auch vor dem nicht offenen Verfahren. Die Abs. 3 bis 7 definieren die unterschiedlichen Vergabearten. § 119 Abs. 7 definiert dabei das neue Verfahren der Innovationspartnerschaft, welches nunmehr in Art. 31 der Richtlinie 2014/24/EU eingeführt wurde. Die Innovationspartnerschaft ist ein besonderes Vergabeverfahren zur Entwicklung und dem anschließenden Erwerb innovativer Liefer-, Bau- oder Dienstleistungen, wenn der bestehende Bedarf nicht durch bereits auf dem Markt verfügbare Lösungen befriedigt werden kann. Die Innovationspartnerschaft ermöglicht es öffentlichen Auftraggebern, eine langfristige Innovationspartnerschaft mit einem oder mehreren Partnern für die Entwicklung und den anschließenden Erwerb neuer, innovativer Leistungen zu begründen, ohne dass ein getrenntes Vergabeverfahren für den Kauf erforderlich ist. Voraussetzung ist, dass für solche innovativen Leistungen die vereinbarten Leistungs- und Kostenniveaus eingehalten werden können1. Die Terminologie des § 119 entspricht den Vorgaben der EU-Vergaberichtlinie 2 (vgl. Art. 26–32 der Richtlinie 2014/24/EU sowie ferner auch die Erwägungsgründe 42–47 sowie 49 und 50 der Richtlinie 2014/24/EU). Die Konkretisierung der Verfahren erfolgt in der Vergabeverordnung (vgl. §§ 14–19 VgV). 2. Entstehungsgeschichte Die Vorschrift des § 119 beruht im Wesentlichen auf dem bisherigen § 101 3 GWB a.F. Dieser ging hinsichtlich seiner Abs. 1, 2, 3, 5 und 7 seinerseits im Kern zurück auf die ursprüngliche Fassung der Vorschrift, wie sie mit dem Vergaberechtsänderungsgesetz vom 26.8.19982 eingeführt wurde. Der wettbewerbliche Dialog wurde als neue eigenständige Verfahrensart in Umsetzung der EU-Vergaberichtlinien im Rahmen des ÖPP-Beschleunigungsgesetzes vom 1.9.20053 1 Vgl. BT-Drucks. 18/6281, S. 98. 2 Vgl. BGBl. I 1998, 2512. 3 Gesetz zur Beschleunigung der Umsetzung von Öffentlich Privaten Partnerschaften und zur Verbesserung gesetzlicher Rahmenbedingungen für Öffentlich Private Partnerschaften v. 1.9.2005, BGBl. I 2005, 2676 ff.

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§ 119 | Verfahrensarten als viertes Vergabeverfahren in aufgenommen. Hierzu wurde seinerzeit § 101 Abs. 1 GWB a.F. entsprechend ergänzt und nach § 101 Abs. 4 GWB a.F. ein neuer Abs. 5 eingefügt. Soweit durch das Gesetz zur Modernisierung des Vergaberechts vom 20.4.20091 (vgl. Einleitung, Rz. 9) die Regelungen über das Verhandlungsverfahren und den wettbewerblichen Dialog sodann in ihrer Reihenfolge geändert wurden, um klarzustellen, dass zwischen diesen beiden Verfahrensarten keine Hierarchie besteht, sondern der wettbewerbliche Dialog ebenso wie das Verhandlungsverfahren an das Vorliegen bestimmter Voraussetzungen geknüpft ist2, wurde durch das Vergaberechtsmodernisierungsgesetz vom 17.2.20163 nunmehr zwar wieder die ursprüngliche Reihenfolge hergestellt. Allerdings ändert dies nichts daran, dass beide Verfahrensarten – nach wie vor – nicht in einem Hierarchieverhältnis zueinander stehen, sondern an das Vorliegen spezifischer Voraussetzungen geknüpft sind. 4 Durch das Vergaberechtsmodernisierungsgesetz vom 17.2.20164 ist in § 119

Abs. 1, der ansonsten weitgehend dem bisherigen § 101 Abs. 1 GWB a.F. entspricht, als zulässige Verfahrensart die Innovationspartnerschaft neu hinzugekommen, die im Zuge der Modernisierung des EU-Vergaberechts als neue Verfahrensart in Art. 31 der Richtlinie 2014/24/EU eingeführt wurde. § 119 Abs. 2 regelt das Verhältnis der Vergabeverfahrensarten untereinander und stellt damit eine Nachfolgebestimmung zum bisherigen § 101 Abs. 7 GWB a.F. dar. Eine wesentliche Neuerung im Vergleich zur bisherigen Regelung des § 101 Abs. 7 GWB a.F. ist dabei jedoch die grundsätzliche Wahlfreiheit für öffentliche Auftraggeber zwischen dem offenen und dem nicht offenen Verfahren. Bislang sah § 101 Abs. 7 Satz 1 GWB a.F. den Vorrang des offenen Verfahrens – auch vor dem nicht offenen Verfahren – vor. Die grundsätzliche Wahlfreiheit zwischen dem offenen und dem nicht offenen Verfahren entspricht der Intention des Unionsgesetzgebers in Art. 26 Abs. 2 der Richtlinie 2014/24/EU5. Die Definition des offenen Verfahrens in § 119 Abs. 3 entspricht der bisherigen Regelung in § 101 Abs. 2 GWB a.F. Die Definition des nicht offenen Verfahrens in § 119 Abs. 4 entspricht inhaltlich der Definition des bisherigen § 101 Abs. 3 GWB a.F., wobei erstmals im Gesetz klargestellt wird, dass der Teilnahmewettbewerb nach objektiven, transparenten und nichtdiskriminierenden Kriterien durchzuführen ist6. Die Definition des Verhandlungsverfahrens in § 119 Abs. 5 entspricht ebenfalls der bisherigen Regelung des § 101 Abs. 5 GWB a.F.; die vorgenommenen Anpassungen sind lediglich sprachlicher Natur7. Die Definition des wettbewerblichen Dialogs in § 119 Abs. 6, die bislang in § 101 Abs. 4 GWB a.F. enthalten 1 2 3 4 5 6 7

Vgl. BGBl. I 2009, 790 ff. Vgl. BT-Drucks. 16/10117, S. 19. BGBl. I 2016, 203 ff. BGBl. I 2016, 203 ff. Vgl. hierzu auch BT-Drucks. 18/6281, S. 97. Vgl. hierzu auch BT-Drucks. 18/6281, S. 98. Vgl. hierzu auch BT-Drucks. 18/6281, S. 98.

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Verfahrensarten | § 119

war, ist in ihrer Formulierung an Art. 30 Abs. 3 der Richtlinie 2014/24/EU angepasst1. Eine Neuregelung stellt indes § 119 Abs. 7 dar, der das neue Verfahren der Innovationspartnerschaft, das nunmehr in Art. 31 der Richtlinie 2014/24/ EU eingeführt wurde, definiert und in das nationale Recht implementiert2. Anders als noch in § 101 Abs. 6 GWB a.F. enthält § 119 jedoch keine Regelung der elektronische Auktionen und der dynamischen elektronischen Verfahren mehr. Diese, nunmehr in § 120 genannten Verfahren stellen indes auch keine eigenen bzw. selbständigen Vergabearten dar3. Die elektronische Auktion kann als eine elektronische Methode zur Preisbildung jedoch unter bestimmten Voraussetzungen in die herkömmlichen Verfahrensarten integriert werden; das dynamische elektronische Verfahren stellt einen besonderen Fall des offenen Verfahrens im Sinne eines „vollelektronischen Warenhauses“ dar4.

II. Aufzählung der Vergabearten (§ 119 Abs. 1) § 119 Abs. 1 benennt die einzelnen Vergabearten (offenes Verfahren, nicht offe- 5 nes Verfahren, wettbewerblicher Dialog, Verhandlungsverfahren, Innovationspartnerschaft), die dann in § 119 Abs. 3 bis 7 näher definiert werden. Eine Regelung dieser Vergabearten im Einzelnen enthält § 119 nicht. Vielmehr werden die Details zu den einzelnen Verfahrensarten in den §§ 15 ff. VgV sowie §§ 3 und 3b EU VOB/A geregelt.

III. Verhältnis der Vergabeverfahrensarten untereinander (§ 119 Abs. 2) Das Verhältnis der Vergabeverfahrensarten untereinander wird in § 119 Abs. 2 6 geregelt. Dieser enthält in § 119 Abs. 2 Satz 1 eine wesentliche Neuerung im Vergleich zur bisherigen Regelung des § 101 Abs. 7 GWB a.F., in dem er bestimmt, dass zugunsten der öffentlichen Auftraggeber eine Wahlfreiheit zwischen dem offenen Verfahren und dem nicht offenen Verfahren besteht. Bislang bestand nach § 101 Abs. 7 Satz 1 GWB a.F. ein Vorrang des offenen 7 Verfahrens, und zwar auch vor dem nicht offenen Verfahren. Zwar hatte das Unionsrecht gem. Art. 28 Satz 2 der Vergabekoordinierungsrichtlinie 2004/18/ EG auch bislang eine freie Wahl zwischen dem offenen und dem nicht offenen Verfahren zugelassen; nachrangig waren insoweit lediglich das Verhandlungs1 Vgl. hierzu auch BT-Drucks. 18/6281, S. 98. 2 Vgl. hierzu auch BT-Drucks. 18/6281, S. 98. 3 Vgl. Kulartz in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 119 Rz. 3. 4 Vgl. Kulartz in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 119 Rz. 3.

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§ 119 | Verfahrensarten verfahren sowie der wettbewerbliche Dialog, welche nur unter den in Art. 29, 30 bzw. 31 der Vergabekoordinierungsrichtlinie 2004/18/EG genannten Voraussetzungen zulässig waren (vgl. Art. 28 Satz 3 der Vergabekoordinierungsrichtlinie 2004/18/EG). Allerdings ging der deutsche Gesetzgeber in der Vergangenheit offensichtlich davon aus, dass das offene Verfahren den Prinzipien der Marktwirtschaft am ehesten entspricht, weil es den größtmöglichen Wettbewerb gewährleistet und damit auch dem Gebot der Wirtschaftlichkeit am besten Rechnung trägt1. In Ansehung dieses (hinreichenden) sachlichen Grundes2 hatte der deutsche Gesetzgeber in § 101 Abs. 7 Satz 1 GWB a.F. den Vorrang des offenen Verfahrens vorgesehen, um den Wettbewerb weitest möglich zu stärken und damit zugleich so gut wie möglich Willkürentscheidungen und Diskriminierungen vorzubeugen. 8 Die nunmehr auch im deutschen Vergaberecht bestehende grundsätzliche Wahl-

freiheit zwischen dem offenen und dem nicht offenen Verfahren entspricht – nach wie vor – der Intention des Unionsgesetzgebers (vgl. Art. 26 Abs. 2 der Richtlinie 2014/24/EU). Entscheidend für diese Wahlfreiheit ist, dass das nicht offene Verfahren – wie auch § 119 Abs. 2 Satz 1 betont – zwingend einen vorgeschalteten Teilnahmewettbewerb erfordert. Der öffentliche Auftraggeber hat beim nicht offenen Verfahren dafür Sorge zu tragen, dass die Auswahl der Bewerber auf der Grundlage objektiver Entscheidungskriterien zur Sicherstellung der größtmöglichen Transparenz sowie des fairen Wettbewerbs erfolgt, damit jeder Anschein einer Manipulationsmöglichkeit vermieden wird. Die konkrete Ausgestaltung der Verfahren sowie die Festlegung der Auswahlkriterien im Rahmen des Teilnahmewettbewerbs dienen gleichzeitig der Korruptionsprävention3.

9 Die Wahlfreiheit zwischen dem offenen und dem nicht offenen Verfahren –

hierauf weist die Gesetzesbegründung ausdrücklich hin – bringt Vorteile für Auftragnehmer und öffentlichen Auftraggeber mit sich. Bieter haben im nicht offenen Verfahren den Vorteil, dass sie weniger Aufwand für die Angebotserstellung betreiben müssen. Erst nach Aufforderung zur Angebotsabgabe müssen sie ein verbindliches Angebot erstellen. Dies ermöglicht ihnen eine ihren Erfolgsaussichten entsprechende, effiziente Vorgehensweise bei der Bewerbung um öffentliche Aufträge. Dadurch kann die Bereitschaft zur Teilnahme an Vergabeverfahren insgesamt gesteigert werden, was wiederum den Wettbewerb fördert. Für die im Teilnahmewettbewerb ausgewählten Unternehmen erhöht sich die Zuschlagschance bei Abgabe eines Angebots. Zudem bestehen bereits im Teilnahmewettbewerb Rechtsschutzmöglichkeiten. Für Auftraggeber kann die Wahl des nicht offenen Verfahrens ebenfalls zu Effizienzsteigerungen führen:

1 Vgl. bereits BT-Drucks. 13/9340, S. 15; Werner in Byok/Jaeger, Kommentar zum Vergaberecht, § 101 Rz. 137. 2 Vgl. in diesem Zusammenhang auch VK Lüneburg v. 12.11.2003 – 203-VgK-27/2003, IBRRS 2013, 4711. 3 Vgl. zum Ganzen BT-Drucks. 18/6281, S. 97.

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Verfahrensarten | § 119

Angebote werden nur noch von den tatsächlich geeigneten Unternehmen gefordert, wodurch sich der Prüfaufwand für die Angebote insgesamt reduziert. Zudem erhöht die Wahlfreiheit zwischen dem offenen und dem nicht offenen Verfahren die Flexibilität der öffentlichen Auftraggeber, indem sie eine dem jeweiligen Auftragsgegenstand angemessene Lösung ermöglicht, ohne die Wahl an bestimmte, im Einzelfall zu dokumentierende Voraussetzungen zu knüpfen. Eine Steigerung der Flexibilität des öffentlichen Auftraggebers bei der Wahl der Verfahrensart entspricht der grundsätzlichen Intention der Richtlinie 2014/24/ EU (vgl. Erwägungsgrund 42 der Richtlinie 2014/24/EU)1. Die vorgesehene Wahlfreiheit zwischen dem offenen und dem nicht offenen Verfahren trägt gleichzeitig den Grundsätzen der Transparenz und des Wettbewerbs hinreichend Rechnung. Das nicht offene Verfahren setzt nach § 119 Abs. 4 zwingend einen öffentlichen Teilnahmewettbewerb voraus. Somit steht auch bei einem nicht offenen Verfahren die Teilnahme am Wettbewerb grundsätzlich jedem Unternehmen offen. Die danach vom öffentlichen Auftraggeber zu treffende Auswahl erfolgt nach objektiven, diskriminierungsfreien Gesichtspunkten und ist im Vergabevermerk zu dokumentieren2. Der öffentliche Auftraggeber hat eine im vergaberechtlichen Zusammenhang pflichtgemäße Ermessensentscheidung zu treffen, wobei er insbesondere das Wettbewerbs-, Gleichbehandlungsund Transparenzgebot als Ausprägungen des generellen Willkürverbots beachten muss3. In jedem Fall muss die Zahl der zugelassenen Bewerber einen echten Wettbewerb sicherstellen4. Dadurch ist auch im nicht offenen Verfahren grundsätzlich gewährleistet, dass die für die öffentliche Auftragsvergabe erforderliche Transparenz und Gleichbehandlung sichergestellt sind und ein wettbewerbliches Vergabeverfahren durchgeführt wird. Ein Missbrauch durch intransparente Verfahrensgestaltung wird wirksam ausgeschlossen. Zugleich ist durch die Sicherstellung eines echten Wettbewerbs gewährleistet, dass öffentliche Auftraggeber auch im Rahmen des nicht offenen Verfahrens das wirtschaftlich beste Ergebnis erzielen können5. Die übrigen Vergabeverfahrensarten, d.h. das Verhandlungsverfahren, der 10 wettbewerblicher Dialog und die Innovationspartnerschaft, sind dagegen gem. § 119 Abs. 2 Satz 2 wie bisher nur zulässig, sofern die jeweiligen Voraussetzungen dafür vorliegen. Der Grundsatz des Vorrangs von offenem und nicht offenem Verfahren steht demzufolge also unter der Einschränkung, dass von der Wahl des offenen bzw. nicht offenen Verfahrens zugunsten des Verhandlungsverfahrens, des wettbewerblichen Dialogs oder der Innovationspartnerschaft abgewichen werden darf, wenn dies aufgrund des Gesetzes gestattet ist. 1 2 3 4 5

Vgl. zum Ganzen BT-Drucks. 18/6281, S. 97. Vgl. BayObLG v. 20.4.2005 – Verg 26/04, VergabeR 2005, 532 ff. VK Bund v. 25.6.2003 – VK 1-45/03. Vgl. BayObLG v. 20.4.2005 – Verg 26/04, VergabeR 2005, 532 ff. Vgl. zum Ganzen BT-Drucks. 18/6281, S. 97 f.

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§ 119 | Verfahrensarten 11 Die einzelnen Voraussetzungen dieser Verfahrensarten sowie die jeweiligen Ver-

fahrensabläufe werden jedoch weiterhin in untergesetzlichen Regelungen festgelegt, vgl. insbesondere §§ 14–19 VgV sowie §§ 3 EU, 3a EU und 3b EU VOB/ A. Aus diesen Bestimmungen ergibt sich konkret, unter welchen Voraussetzungen die einzelnen Verfahrensarten zulässig sind und wie diese abzulaufen haben.

12 Der grundsätzliche Vorrang des offenen Verfahrens führt jedoch dazu, dass die

Tatbestände, die ein Abweichen vom offenen bzw. nicht offenen Verfahren eröffnen, eng auszulegen sind1. Die Beweislast für das Vorliegen der Ausnahmetatbestände trägt der Auftraggeber2. Schließlich wirkt die grundsätzliche Hierarchie der Verfahrensarten auch insoweit fort, als dass selbst dann, wenn eine andere Vergabeart wegen des Vorliegens eines entsprechenden Ausnahmetatbestandes zulässig in Betracht kommt, die Vergabestelle – jedenfalls im Prinzip – nicht daran gehindert ist, gleichwohl das offene bzw. nicht offene Verfahren als höherrangige, wettbewerblichere Vergabeart zu wählen3. Hierfür kann es im Einzelfall durchaus sachliche Gründe geben. Umgekehrt ist im Normalfall bei Vorliegen eines entsprechenden Ausnahmetatbestandes gegen das Absehen vom offenen bzw. nicht offenen Verfahren aber auch nichts einzuwenden4.

13 § 119 Abs. 1 und 2 zieht zudem für die Ausgestaltung durch untergesetzliche

Normen dahingehend eine Grenze, dass keine zusätzlichen oder abweichenden Vergabearten zu denjenigen des § 119 Abs. 3 bis 7 geschaffen werden dürfen.

IV. Rechtliche Folgen der Wahl einer falschen Vergabeart 14 Die Vorschriften über die Auswahl der richtigen Verfahrensart nach § 119 sind

bieterschützend und begründen damit subjektive Rechte i.S.v. § 97 Abs. 6, denn die Hierarchie der Verfahrensarten soll ein möglichst hohes Maß an Objektivität und einen möglichst breiten Wettbewerb gewährleisten5.

15 Die Wahl eines objektiv falschen Vergabeverfahrens ist daher ein Vergabe-

rechtsverstoß, der in einem Vergabenachprüfungsverfahren von einem (potentiellen) Bieter geltend gemacht werden kann6. Der (potentielle) Bieter muss aber bereits im Rahmen der Antragsbefugnis (§ 160 Abs. 2) darlegen, inwieweit durch die Wahl der falschen Vergabeart seine Zuschlagschancen beeinträchtigt

1 OLG Naumburg v. 10.11.2003 – 1 Verg 14/03, NJOZ 2004, 845 ff. 2 VK Lüneburg v. 12.11.2003 – 203-VgK-27/2003, IBRRS 2013, 4711; VK Sachsen v. 20.8. 2004 – 1/SVK/067-04, IBRRS 2004, 3470. 3 OLG Düsseldorf v. 27.10.2004 – VII-Verg 52/04, VergabeR 2005, 252 (253). 4 OLG Düsseldorf v. 27.10.2004 – VII-Verg 52/04, VergabeR 2005, 252 (253). 5 VK Bund v. 20.7.2004 – VK 1-75/04; VK Bund v. 20.7.2004 – VK 1-78/04; VK Bund v. 19.7.2004 – VK 2-79/04; VK Bund v. 19.7.2004 – VK 2-76/04; VK Bund v. 20.7.2004 – VK 3-77/04; VK Brandenburg v. 23.11.2004 – VK 58/04, IBRRS 2005, 2863. 6 OLG Düsseldorf v. 26.7.2002 – VII-Verg 22/02, VergabeR 2002, 607 (609 f.).

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worden sein können1. Darüber hinaus ist zu beachten, dass ein etwaiger Vergaberechtsverstoß gem. § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 spätestens bis zum Ablauf der in der Bekanntmachung benannten Frist zur Angebotsabgabe oder zur Bewerbung gegenüber dem öffentlichen Auftraggeber gerügt werden muss2. Geschieht dies nicht, ist der Bieter bzw. Bewerber mit der späteren Beanstandung der Wahl der falschen Vergabeart ausgeschlossen3. Sind alle Anforderungen an eine zulässige und begründete Rüge erfüllt, kann die Vergabenachprüfungsinstanz die Entscheidung treffen, dass das Vergabeverfahren unter Zugrundelegung der Regelungen der richtigen Vergabeart fortzusetzen ist4.

V. Verhältnis zu den Verdingungsordnungen Nach § 119 Abs. 1 werden öffentliche Aufträge im offenen Verfahren, im nicht 16 offenen Verfahren, im Verhandlungsverfahren, im wettbewerblichen Dialog oder im Wege der Innovationspartnerschaft vergeben. Umfasst werden von der Vorschrift also alle öffentlichen Aufträge i.S.v. § 103 bzw. Art. 2 Abs. 1 Nr. 5 der Richtlinie 2014/24/EU. Alle diese Aufträge sollen im Weiteren auch den gemeinschaftsrechtlichen Anforderungen aus der Rechtsmittelrichtlinie 2007/66/EG, insbesondere dem durch die §§ 155 ff. gewährleisteten Bieterschutz, unterstellt werden. Die EU-Vergaberichtlinien sind außer durch den 4. Teil des GWB und die Ver- 17 gabeverordnung (VgV) weiterhin auch noch durch die Vergabe- und Vertragsordnung für Bauleistungen Teil A (VOB/A) in nationales Recht umgesetzt. Letzterer kommt durch § 2 VgV Außenrechtsqualität zu. Es handelt sich also oberhalb der sog. Schwellenwerte nicht nur um eine – haushaltsrechtlich begründete – staatsintern wirkende Verwaltungsvorschrift5. Zu beachten ist in diesem Zusammenhang auch, dass § 119 zwar einerseits ge- 18 genüber der Vergabeverordnung (VgV) sowie insbesondere gegenüber der durch die Vergabeverordnung (vgl. § 2 VgV) zu Außenrecht erstarkten VOB/A in der Normenhierarchie höher angesiedelt ist, anderseits die Vergabeverordnung (VgV) und die VOB/A in Bezug auf die verschiedenen Auftragsarten aber detaillierter und damit letztlich spezieller sind.

1 2 3 4 5

OLG Düsseldorf v. 26.7.2002 – VII-Verg 22/02, VergabeR 2002, 607 (609 f.). Vgl. hierzu auch KG Berlin v. 17.10.2002 – 2 Kart Verg 13/02, BeckRS 2008, 11298. OLG Düsseldorf v. 7.1.2001 – VII-Verg 36/01, VergabeR 2002, 169 f. VK Düsseldorf v. 30.9.2002 – VK-26/2002-L, IBRRS 2014, 0436. S. etwa Marx in Jestaedt/Kemper/Marx/Prieß, Das Recht der Auftragsvergabe, S. 3, 9 (bereits zur Vergabeverordnung vom 22.2.1994, die auf der Grundlage von § 57a HGrG erlassen wurde).

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§ 119 | Verfahrensarten VI. Arten der Vergabe 19 Die fünf Verfahrensarten werden in § 119 Abs. 1 nur genannt und in den Abs. 3

bis 7 lediglich im Grundsatz und unter Nennung der wesentlichen Unterschiede definiert. Die Details zu den einzelnen Verfahrensarten regeln die §§ 15 ff. VgV sowie §§ 3 und 3b EU VOB/A. Wegen der inhaltlichen Übereinstimmung der Begriffsdefinitionen für die verschiedenen Vergabearten kommt es auf die jeweils unterschiedliche Normqualität (vgl. Rz. 18) dabei letztlich nicht an. Wesentliche Bedeutung für die Auswahl zwischen den fünf zur Verfügung stehenden Arten der Vergabe (offenes Verfahren, nicht offenes Verfahren, wettbewerblicher Dialog, Verhandlungsverfahren, Innovationspartnerschaft), haben die Regelungen in § 14 VgV und § 3a EU VOB/A. § 14 Abs. 2 VgV und § 3a EU Abs. 1 VOB/A wiederholen insoweit jeweils auch die Regelung des § 119 Abs. 2 Satz 1.

20 Vor dem Hintergrund, dass die Einzelheiten für die einzelnen Vergabearten, ins-

besondere deren richtige Auswahl im Einzelfall, in den §§ 14 ff. VgV sowie §§ 3 EU, 3a EU und 3b EU VOB/A als Teil des materiellen Vergaberechts geregelt werden, wird an dieser Stelle von einer gesonderten Kommentierung abgesehen1 und werden nachfolgend nur die grundlegenden Prinzipien dargestellt. 1. Offenes Verfahren (§ 119 Abs. 3)

21 § 119 Abs. 3 definiert das offene Verfahren als ein „Verfahren, in dem der öf-

fentliche Auftraggeber eine unbeschränkte Anzahl von Unternehmen öffentlich zur Abgabe von Angeboten auffordert“. Dies steht im Einklang mit den gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben in Art. 27 Abs. 1 der Richtlinie 2014/24/EU, der das offene Verfahren beschreibt als ein Verfahren, bei dem „jeder interessierte Wirtschaftsteilnehmer auf einen Aufruf zum Wettbewerb hin ein Angebot abgeben [kann]“.

22 Bereits aus der Legaldefinition wird deutlich, dass beim offenen Verfahren keine

vorhergehende Einschränkung des Bewerberkreises stattfindet, d.h. jedes Unternehmen ist berechtigt, ein Angebot abzugeben. Das offene Verfahren entspricht damit im Vergleich zu den anderen Vergabearten am besten den wettbewerbund marktwirtschaftlichen Prinzipien2. Da es jedem interessierten Bieter grundsätzlich möglich sein muss, an jedem offenen Verfahren seines Interesses teil-

1 Es wird stattdessen auf die einschlägigen Erläuterungen zur VgV und VOB/A verwiesen. Zur VgV s. beispielsweise Hausmann/Kern und Kulartz in Kulartz/Kus/Marx/Portz/ Prieß, Kommentar zur VgV, 2017, § 14. Zur VOB/A s. beispielsweise Stickler/Schneider in Kapellmann/Messerschmidt, VOB Teile A und B, 6. Aufl. 2017, § 3a EU VOB/A; Stolz in Ingenstau/Korbion, VOB – Teile A und B – Kommentar, § 3a EU VOB/A; Baumann in Franke/Kemper/Zanner/Grünhagen/Mertens, VOB-Kommentar, § 3a EU VOB/A. 2 Ähnlich Kulartz in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 119 Rz. 7.

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zunehmen, ist insbesondere auch eine Klausel des wechselseitigen Ausschlusses in zwei oder mehreren Ausschreibungen unzulässig. Hierdurch würde der Vergabewettbewerb hinsichtlich der Möglichkeit zur Teilnahme in unzulässiger Weise beschränkt1. Hiervon zu unterscheiden ist jedoch die Frage, ob der Ausschluss innerhalb eines Vergabeverfahrens bezogen auf einzelne Lose, d.h. eine sog. Loslimitierung bzw. Losalternativität zulässig ist. Diese Frage wird – mit Rücksicht auf das Leistungsbestimmungsrecht des öffentlichen Auftraggebers – überwiegend jedenfalls dann bejaht, wenn es hierfür einen sachlichen Rechtfertigungsgrund, wie z.B. Risikostreuung, Verhinderung der Abhängigkeit von einem Bieter, Mittelstandsschutz, Verbesserung der Wettbewerbsmöglichkeiten auch für kleinere Unternehmen, strukturelle Erhaltung des Anbieterwettbewerbs auch für die Zukunft o.Ä., gibt2. Kennzeichnend für das offene Verfahren sind insbesondere folgende Verfahrens- 23 schritte und -grundsätze: die europaweite Vergabebekanntmachung, die sich daran anschließende Anforderung von Verdingungsunterlagen durch die Bieter, die unbeschränkte Teilnahmemöglichkeit aller interessierten Unternehmen, die Erarbeitung eines Angebots auf der Grundlage einer eindeutigen und erschöpfenden Leistungsbeschreibung, die Abgabe eines Angebots zu einem festen (Submissions-)Termin, die Geheimhaltung der Angebote, das Nachverhandlungsverbot, die Wertung der Angebote auf der Grundlage vorab festgelegter Kriterien und die Beendigung des Verfahrens regelmäßig durch Zuschlagserteilung3. Ein offenes Verfahren beginnt mit der Absendung der verbindlichen Bekannt- 24 machung an das EU-Amtsblatt, nicht schon mit der Absendung zur Bekanntmachung der Vorinformation4. 2. Nicht offenes Verfahren (§ 119 Abs. 4) § 119 Abs. 4 definiert das nicht offene Verfahren als „ein Verfahren, bei dem der 25 öffentliche Auftraggeber nach vorheriger öffentlicher Aufforderung zur Teilnahme eine beschränkte Anzahl von Unternehmen nach objektiven, transparenten und nichtdiskriminierenden Kriterien auswählt (Teilnahmewettbewerb), die er zur Abgabe von Angeboten auffordert“. Durch die erstmalige gesetzliche 1 Vgl. VK Berlin v. 14.9.2005 – VK-B1-43/05, IBRRS 2005, 3318. Allerdings wird der Ausschluss innerhalb eines Vergabeverfahrens bezogen auf einzelne Lose (sog. Loslimitierung bzw. Losalternativität) für zulässig gehalten, vgl. OLG Düsseldorf v. 15.6.2000 – VII-Verg 6/00, BauR 2000, 1603 (1605 ff.). 2 Vgl. OLG Karlsruhe v. 25.7.2014 – 15 Verg 5/14, IBRRS 2014, 3032; OLG Düsseldorf v. 17.1.2013 – VII-Verg 35/12, NZBau 2013, 329 ff.; OLG Düsseldorf v. 15.6.2000 – VIIVerg 6/00, BauR 2000, 1603 (1605 ff.). 3 Vgl. VK Südbayern v. 17.7.2001 – 23-06/01, IBRRS 2013, 4162; Kulartz in Kulartz/Kus/ Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 119 Rz. 8; Werner in Byok/Jaeger, Kommentar zum Vergaberecht, § 101 Rz. 4 ff. 4 VK Sachsen v. 23.5.2001 – 1/SVK/34-01, IBRRS 2004, 3665.

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§ 119 | Verfahrensarten Klarstellung und Betonung, dass der Teilnahmewettbewerb nach objektiven, transparenten und nichtdiskriminierenden Kriterien durchzuführen ist, wird für die in § 119 Abs. 2 Satz 1 (sowie auch § 14 Abs. 2 VgV und § 3a EU Abs. 1 VOB/A) neu eingeräumte Wahlfreiheit zwischen dem offenen und dem nicht offenen Verfahren (vgl. Rz. 5 ff.) ein zusätzliches „Sicherheitsnetz“ unter Transparenz- und Gleichbehandlungsaspekten eingezogen1. 26 Die Definition des § 119 Abs. 4 steht im Einklang mit den gemeinschaftsrecht-

lichen Vorgaben in Art. 28 Abs. 1 der Richtlinie 2014/24/EU, der das nicht offene Verfahren als ein Verfahren beschreibt, bei dem „jeder Wirtschaftsteilnehmer auf einen Aufruf zum Wettbewerb hin einen Teilnahmeantrag, der die in Anhang V Teil B beziehungsweise Teil C festgelegten Informationen enthält, einreichen [kann], indem er die Informationen für eine qualitative Auswahl vorlegt, die von dem öffentlichen Auftraggeber verlangt werden“. Gemäß § 119 Abs. 2 Satz 1 (sowie auch § 14 Abs. 2 VgV und § 3a EU Abs. 1 VOB/A) steht das nicht offene Verfahren den öffentlichen Auftraggebern – ebenso wie das offene Verfahren – nach ihrer freien Wahl zur Verfügung.

27 Beim nicht offenen Verfahren fehlt es mithin an der abschließenden Teilnahme-

möglichkeit aller Interessierten. Die Abgabe der Verdingungsunterlagen erfolgt nur an die im Rahmen des Teilnahmewettbewerbs (vgl. Rz. 30 f.) als geeignet ausgewählten Bieter. Demzufolge wird der Wettbewerb hier stärker eingeschränkt als bei der Durchführung eines offenen Verfahrens. Im Übrigen gelten jedoch weitgehend die gleichen Regeln wie beim offenen Verfahren (vgl. Rz. 23) 2. Allerdings können sich beim nicht offenen Verfahren infolge dessen Zweistufigkeit (vgl. Rz. 28 ff.) ohne weiteres längere Verfahrensfristen ergeben als beim offenen Verfahren3.

28 Das nicht offene Verfahren ist ein förmliches Vergabeverfahren. Es setzt sich im

Einzelnen aus zwei Elementen zusammen, namentlich aus dem vorgeschalteten öffentlichen Teilnahmewettbewerb und der nachfolgenden beschränkten Ausschreibung4.

29 Der Wettbewerb wird zunächst durch die zwingend vorgeschriebene europa-

weite Vergabebekanntmachung zur Teilnahme aufgefordert. In der Vergabebe1 Ley/Wankmüller, Das neue Vergaberecht 2016, 3. Aufl. 2016, S. 110. 2 Ähnlich Kulartz in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 119 Rz. 11 m.w.N. 3 In einem solchen Fall konnte der öffentliche Auftraggeber sich – früher – zur Begründung für das nicht offene Verfahren nicht auf eine Dringlichkeit berufen, vgl. VK Bund v. 31.5.2002 – VK 2-20/02. Nach neuer Rechtslage ist dies nicht mehr erforderlich bzw. kommt es hierauf nicht mehr an, da zwischen beiden Verfahrensarten nunmehr gem. § 119 Abs. 2 Satz 1 eine Wahlfreiheit besteht. 4 Ähnlich Kulartz in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 119 Rz. 12 ff.

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kanntmachung muss insbesondere die Einsendefrist für die Anträge auf Teilnahme bekannt gemacht werden1. Weiter hat der Auftraggeber nach § 51 Abs. 1 Satz 2 VgV die nichtdiskriminierenden Eignungskriterien für die Begrenzung der Zahl, die vorgesehene Mindestzahl2 und gegebenenfalls auch die Höchstzahl der einzuladenden Bewerber in der Vergabebekanntmachung anzugeben. Er ist indes nicht gehalten, seiner Entscheidung zwingend eine Bewertungsmatrix zugrunde zu legen bzw. diese zu veröffentlichen3. Es genügt vielmehr, wenn der Auftraggeber seine Auswahlentscheidung auf sachliche und willkürfreie Erwägungen stützt. Solange dies der Fall ist, hält sich der Auftraggeber im Rahmen des ihm insoweit zugestandenen Beurteilungs- und Ermessensspielraums4 (vgl. Rz. 31). Aus Gründen der Transparenz und Nachvollziehbarkeit der Auswahlentscheidung dürfte es sich jedoch regelmäßig empfehlen, bereits in der Bekanntmachung in Form einer Bewertungsmatrix deutlich zu machen, worauf es dem öffentlichen Auftraggeber bei seiner Auswahlentscheidung konkret ankommt5. Hat der öffentlicher Auftraggeber im Voraus entsprechende Regeln für die Gewichtung der Kriterien für die Auswahl der Bewerber, die zur Abgabe eines Angebots aufgefordert werden, aufgestellt, so ist er verpflichtet, diese Regeln in der Vergabebekanntmachung bekannt zu geben6. Schließlich müssen immer so viele Bewerber zugelassen werden, dass ein „echter Wettbewerb“ gewährleistet ist7. Der vorgeschaltete Teilnahmewettbewerb dient regelmäßig dazu, die Eig- 30 nungsvoraussetzungen der Fachkunde, Leistungsfähigkeit und Zuverlässigkeit (vgl. § 122 Abs. 1) bei den Bewerbern zu ermitteln und entsprechende Nach1 Vgl. OLG Düsseldorf v. 30.5.2001 – VII-Verg 23/00, IBR 2001, 564; VK Bund v. 6.7.2006 – VK 3-54/06. 2 Anders dagegen noch OLG München v. 28.4.2006 – Verg 6/06, NZBau 2007, 59 ff., Rz. 75; BayObLG v. 20.4.2005 – Verg 26/04, VergabeR 2005, 532 (534); VK Lüneburg v. 21.8.2006 – VgK-18/2006. 3 OLG Düsseldorf v. 29.10.2003 – VII-Verg 43/03, VergabeR 2004, 100 (102 ff.); VK Sachsen-Anhalt v. 10.6.2009 – VK 2 LVwA LSA – 13/09; Kulartz in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 119 Rz. 18. A.A. VK Südbayern v. 9.4.2003 – 1103/03, IBRRS 2003, 1399, nach der es schon aus Gründen der Rechtsstaatlichkeit, zu denen auch die Vorhersehbarkeit, Messbarkeit und Transparenz staatlichen Handelns gehören, unabdingbar sei, dass die Auswahlkriterien vorher, d.h. in der Bekanntmachung, bekannt gemacht werden, damit sich die interessierten Unternehmen hierauf einstellen können. 4 Ebenso Kulartz in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 119 Rz. 18. 5 So auch VK Bund v. 24.6.2011 – VK 1-63/11; Kulartz in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 119 Rz. 19. 6 EuGH v. 12.12.2002 – Rs. C-470/99, VergabeR 2003, 141 (152, Rz. 87 ff.) – UniversaleBau AG. 7 Kulartz in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 119 Rz. 15; Werner in Byok/Jaeger, Kommentar zum Vergaberecht, § 101 Rz. 28.

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§ 119 | Verfahrensarten weise von ihnen zu verlangen. Er endet mit der Überprüfung der Eignung der Bewerber und mit der Auswahl derjenigen Bewerber durch den Auftraggeber, die ein Angebot einreichen sollen. Die Prüfung und Bejahung der Eignung eines Bewerbers durch den Auftraggeber ist eine notwendige Voraussetzung dafür, dass ein Bewerber zur Angebotsabgabe aufgefordert werden kann1. Denn die ausgewählten Teilnehmer haben ein Recht darauf, sich im nachfolgenden Angebotswettbewerb nur mit Bietern messen zu müssen, die zuvor ebenfalls die Kriterien des Teilnahmewettbewerbs erfüllt haben und als geeignet ausgewählt wurden2. 31 Die Auswahl der Teilnehmer erfolgt in drei Schritten. Im ersten – rein forma-

len – Schritt sind zunächst alle Teilnahmeanträge auszuscheiden, die nicht fristgerecht eingegangen bzw. im Hinblick auf die geforderten Nachweise (auch nach einer etwaigen Nachforderung noch)3 unvollständig sind. Aus Gründen der Gleichbehandlung und der Transparenz kommt dem Auftraggeber insoweit kein Handlungs- oder Ermessensspielraum zu4. Im zweiten und dritten Schritt findet sodann eine differenzierte Bewertung der fristgerechten und vollständigen Teilnahmeanträge statt. Dabei sind – im zweiten Schritt – zunächst die nicht geeigneten von den geeigneten Bewerbern zu scheiden. Es ist mithin zu prüfen, 1 Vgl. OLG Düsseldorf v. 24.9.2002 – VII-Verg 48/02, NZBau 2003, 349 (351); VK BadenWürttemberg v. 26.8.2009 – 1 VK 43/09, IBRRS 2010, 0080; VK Münster v. 12.5.2009 – VK 5/09, IBRRS 2009, 2742. 2 VK Bund v. 22.2.2008 – VK 1-4/08 m.w.N.; Kulartz in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 119 Rz. 20. 3 Vgl. § 56 VgV und § 16a EU VOB/A. Letzterer findet – entgegen seinem Wortlaut, der sich ausdrücklich nur auf „Angebote“ bezieht – nach (wohl) überwiegender Auffassung auch auf Teilnahmewettbewerbe bzw. Teilnahmeanträge analoge Anwendung. Hiervon ausgehend auch VK Südbayern v. 21.11.2016 – Z3-3-3194-1-37-09/16, IBRRS 2016, 3352. Vgl. hierzu auch (indes noch zur Vorgängerbestimmung in § 16 EG Abs. 1 Nr. 3 VOB/A) Dittmann in Kulartz/Marx/Portz/Prieß, Kommentar zur VOB/A, 2. Aufl. 2014, § 16 EG VOB/A Rz. 185; Macht/Städler, NZBau 2013, 14 (15); Stoye/Hoffmann, VergabeR 2009, 569 (581). Für eine Analogie sprechen insbesondere die vergleichbare Interessenlage zwischen Verfahren mit und ohne vorgeschalteten Teilnahmewettbewerb sowie der Regelungsgedanke, „überflüssige Förmelei“ im Vergabeverfahren abzubauen und die „bloße Vergesslichkeit“ der Bieter nicht mehr zu sanktionieren, wenngleich sich die Bieter/Bewerber im Teilnahmewettbewerb „nur“ auf die Beibringung der – in der Regel überschaubaren Anzahl von – Eignungsunterlagen und noch nicht auf die Erstellung von Angeboten konzentrieren müssen. A.A. Heuvels in Heuvels/Höß/Kuß/Wagner, Vergaberecht – Gesamtkommentar zum Recht der öffentlichen Auftragsvergabe, § 13 VOB/A Rz. 49; sowie (zur ähnlichen Rechtslage gem. § 19 EG Abs. 2 VOL/A a.F.) Horn in Müller-Wrede, Kommentar zur VOL/A, § 19 EG VOL/A Rz. 53 f. 4 Vgl. OLG Celle v. 9.4.2009 – 13 Verg 7/08, VergabeR 2009, 609 (611); OLG Düsseldorf v. 30.5.2001 – VII-Verg 22/00, IBRRS 2013, 1342; VK Bund v. 6.7.2006 – VK 3-54/06; VK Baden-Württemberg v. 26.8.2009 – 1 VK 43/09, IBRRS 2010, 0080; VK Baden-Württemberg v. 16.9.2008 – 1 VK 34/08, IBRRS 2009, 2730.

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ob die Bieter, die alle geforderten Nachweise und Erklärungen vorgelegt haben, materiell geeignet sind, also insbesondere auf der Grundlage der vorgelegten Nachweise und Erklärungen die erforderliche Fachkunde, Leistungsfähigkeit und Zuverlässigkeit besitzen1. Unter den verbliebenen geeigneten Bewerbern, sind schließlich – im dritten Schritt – diejenigen auszuwählen, die zur Angebotsabgabe aufgefordert werden sollen. Der Auftraggeber ist also nicht verpflichtet, alle Bewerber, die sich grundsätzlich als geeignet darstellen zum Angebotswettbewerb zuzulassen. Vielmehr kann er eine Auswahlentscheidung treffen und muss dies sogar, wenn er die Anzahl der zur späteren Angebotsabgabe aufzufordernden Bewerber (nicht notwendiger- [vgl. Rz. 29], aber) zulässigerweise eingeschränkt hat2. Bei seiner Auswahlentscheidung steht dem Auftraggeber ein Beurteilungsspielraum zu, den er unter Beachtung der Gleichbehandlungsgrundsatzes und des Transparenzgebotes ausfüllen muss3. In materieller Hinsicht unterliegt die Auswahlentscheidung daher lediglich einer Willkür- und Vertretbarkeitskontrolle. In prozessualer Hinsicht ist zu beachten, dass die Auswahlentscheidung angegriffen werden kann, und zwar auch noch im nachfolgenden Angebotsverfahren, wenn der Auftraggeber den Bietern die Namen der anderen Teilnehmer nicht bekannt gegeben und auch nicht darüber informiert hat, inwieweit deren Eignung zuvor überprüft worden ist4. 3. Verhandlungsverfahren (§ 119 Abs. 5) a) Begriff und Bedeutung Das Verhandlungsverfahren ist gem. § 119 Abs. 5 „ein Verfahren, bei dem sich 32 der öffentliche Auftraggeber mit oder ohne Teilnahmewettbewerb an ausgewählte Unternehmen wendet, um mit einem oder mehreren dieser Unternehmen über die Angebote zu verhandeln“. Diese Definition steht im Einklang mit den Bestimmungen in Art. 29 der Richtlinie 2014/24/EU, die allerdings wesentlich konkreter gefasst sind. Das Verhandlungsverfahren ist – anders als das nicht offene Verfahren – keine 33 bloße Abweichung vom offenen Verfahren, sondern eine wesentlich andere Ver1 Vgl. OLG Celle v. 8.9.2011 – 13 Verg 4/11, IBR 2012, 286; OLG Karlsruhe v. 22.7.2011 – 15 Verg 8/11, BeckRS 2015, 12265; OLG München v. 10.2.2011 – Verg 24/10, NZBau 2011, 507 ff.; OLG Düsseldorf v. 4.11.2010 – VII-Verg 49/10, BeckRS 2011, 01661; Kulartz in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 119 Rz. 16. 2 Vgl. zum Ganzen auch Kulartz in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 119 Rz. 16 ff. 3 OLG Düsseldorf v. 24.5.2007 – VII-Verg 12/07, ZfBR 2008, 79 (80); OLG München v. 11.6.2007 – Verg 6/07, VergabeR 2007, 684 (689); BayObLG v. 20.4.2005 – Verg 026/ 04, VergabeR 2005, 532 (535); VK Sachsen v. 9.2.2009 – 1/SVK/071-08, IBRRS 2009, 0962. 4 VK Münster v. 12.5.2009 – VK 5/09, IBRRS 2009, 2742.

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§ 119 | Verfahrensarten fahrensart1. Das Verhandlungsverfahren unterscheidet sich vom offenen und nicht offenen Verfahren insbesondere dadurch, dass sowohl der Leistungsgegenstand nicht bereits in der Ausschreibung in allen Einzelheiten festgeschrieben ist als auch Angebote abgeändert werden können, nachdem sie abgegeben worden sind2. Dies bedeutet, dass nach Ablauf der Angebotsfrist die Angebote nicht nur noch nach dem für alle einheitlichen Maßstab zu bewerten sind, sondern vielmehr ein dynamischer Prozess beginnt, in dem sich durch Verhandlungen sowohl auf Nachfrage- als auch auf Angebotsseite Veränderungen ergeben können3. Hieraus wird deutlich, dass der Wettbewerb beim Verhandlungsverfahren, wo sich das Verfahren von vornherein auf die – sei es durch einen vorangegangenen Teilnahmewettbewerb oder ohne Durchführung eines solchen – ausgewählten Unternehmer, mit denen über den Auftragsinhalt verhandelt wird, beschränkt, noch stärker zurückgedrängt wird als beim nicht offenen Verfahren und damit – zumindest potentiell – eine noch größere Anfälligkeit für Ungleichbehandlungen4 oder gar willkürliche Vergabeentscheidungen besteht. Das Verhandlungsverfahren kann daher eine sehr starke Einschränkung des Wettbewerbs darstellen5. Bei wettbewerbsgerechter und transparenter Durchführung ist das Verhandlungsverfahren jedoch ein ebenso geeignetes Verfahren zur Ermittlung von wirtschaftlichen Angeboten wie das offene oder das nicht offene Verfahren6. b) Grundzüge und Grundsätze des Verfahrens 34 Der Verfahrensablauf richtet sich im Einzelnen danach, ob das Verhandlungs-

verfahren mit einem oder ohne einen vorherigen Teilnahmewettbewerb durchgeführt wird (vgl. §§ 14 Abs. 3 und 4, 17 VgV sowie §§ 3a EU Abs. 2 und 3, 3b EU Abs. 3 VOB/A). Im ersten Fall besteht das Verfahren im Rechtssinne aus zwei Elementen, namentlich dem vorgeschalteten öffentlichen Teilnahmewettbewerb (inklusive Vergabebekanntmachung) und dem nachfolgenden „eigent-

1 Kulartz in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 119 Rz. 23. 2 Zu den im Vergleich zum wettbewerblichen Dialog bestehenden Unterschieden s. Rz. 20. 3 Vgl. BGH v. 10.9.2009 – VII ZR 255/08, BauR 2009, 1908 (1911); OLG Düsseldorf v. 5.7. 2006 – VII-Verg 21/06, VergabeR 2006, 929 (930); OLG München v. 28.4.2006 – Verg 6/06, VergabeR 2006, 914 (925); OLG Naumburg v. 13.5.2008 – 1 Verg 3/08, VergabeR 2009, 91 (93 ff.); OLG Dresden v. 3.12.2003 – WVerg 15/03, VergabeR 2004, 225 (228); VK Schleswig-Holstein v. 14.5.2008 – VK-SH 06/08, IBRRS 2008, 2290. 4 Vgl. dazu z.B. die Fälle OLG Stuttgart v. 15.9.2003 – 2 Verg 8/03, VergabeR 2004, 384 ff.; OLG Düsseldorf v. 7.1.2002 – VII-Verg 36/01, VergabeR 2002, 169 (170); OLG Brandenburg v. 3.8.1999 – 6 Verg 1/99, NVwZ 1999, 1142 ff.; VK Lüneburg v. 8.7.2015 – VgV-22/ 1015; VK Baden-Württemberg v. 4.6.2014 – 1 VK-15/14, BeckRS 2015, 47530; VK Bund v. 10.12.2002 – VK 1-93/02, IBRRS 2013, 4042. 5 Ebert, Möglichkeiten und Grenzen im Verhandlungsverfahren, 2005, S. 113; Leinemann, Die Vergabe öffentlicher Aufträge, Rz. 416. 6 Kulartz in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 119 Rz. 37.

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lichen“ Verhandlungsverfahren1. Insoweit wird teilweise auch von einem „gemischt-förmlichen/nicht-förmlichen Verfahren“ gesprochen2. Im zweiten Fall beschränkt sich das Verfahren auf das zweite Element, d.h. das „eigentliche“ Verhandlungsverfahren. Nach Erwägungsgrund 50 der Richtlinie 2014/24/EU sollten Verhandlungsverfahren ohne vorherige Veröffentlichung einer Auftragsbekanntmachung (und Teilnahmewettbewerb) – angesichts der negativen Auswirkungen auf den Wettbewerb – nur unter sehr außergewöhnlichen Umständen zur Anwendung kommen. Die Ausnahme sollte auf Fälle beschränkt bleiben, in denen eine Veröffentlichung entweder aus Gründen extremer Dringlichkeit wegen unvorhersehbarer und vom öffentlichen Auftraggeber nicht zu verantwortender Ereignisse nicht möglich ist oder in denen von Anfang an klar ist, dass eine Veröffentlichung nicht zu mehr Wettbewerb oder besseren Beschaffungsergebnissen führen würde, nicht zuletzt weil objektiv nur ein einziger Wirtschaftsteilnehmer in der Lage ist, den Auftrag auszuführen. Dem tragen auf nationaler Ebene die enumerativ aufgezählten und eng auszulegenden Ausnahmetatbestände in § 14 Abs. 4 VgV sowie § 3a EU Abs. 3 VOB/A Rechnung. Was den vorgeschalteten öffentlichen Teilnahmewettbewerb und die Auswahl 35 der Teilnehmer betrifft, so unterscheidet sich dieser Verfahrensbestandteil nicht wesentlich von dem entsprechenden Verfahrensbestandteil im nicht offenen Verfahren. Es kann daher auf das oben unter Rz. 29–31 Gesagte verwiesen werden. Das „eigentliche“ Verhandlungsverfahren ist dadurch charakterisiert, dass der 36 Leistungsgegenstand nicht bereits in der Ausschreibung in allen Einzelheiten festgeschrieben ist und Angebote auch abgeändert werden können, nachdem sie abgegeben worden sind3. Verhandeln i.S.d. § 119 Abs. 5 bedeutet daher, dass Auftraggeber und potentieller Auftragnehmer den Auftragsinhalt und die Auftragsbedingungen solange besprechen können, bis klar ist, wie die Leistung ganz konkret beschaffen sein soll, zu welchen Konditionen der Auftragnehmer diese liefert und grundsätzlich insbesondere auch zu welchem Preis4. Die Verhand1 OLG Düsseldorf v. 24.9.2002 – VII-Verg 48/02, NZBau 2003, 349 (351); VK Bund v. 22.2. 2008 – VK 1-4/08, LSK 2012, 290112; Kulartz in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 119 Rz. 24. 2 Vgl. Boesen, Vergaberecht, § 101 Rz. 43; Kulartz in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 119 Rz. 23. 3 Vgl. BGH v. 10.9.2009 – VII ZR 255/08, BauR 2009, 1908 (1911); OLG Düsseldorf v. 5.7. 2006 – VII-Verg 21/06, VergabeR 2006, 929, 930; OLG München v. 28.4.2006 – Verg 6/ 06, VergabeR 2006, 914 (925); OLG Naumburg v. 13.5.2008 – 1 Verg 3/08, VergabeR 2009, 91 (93 ff.); OLG Dresden v. 3.12.2003 – WVerg 15/03, VergabeR 2004, 225 (228); VK Schleswig-Holstein v. 14.5.2008 – VK-SH 06/08, IBRRS 2008, 2290. 4 Vgl. BGH v. 10.9.2009 – VII ZR 255/08, BauR 2009, 1908 (1911); OLG Düsseldorf v. 5.7. 2006 – VII-Verg 21/06, VergabeR 2006, 929 (930); OLG Stuttgart v. 24.11.2008 – 10 U 97/08, VergabeR 2009, 514 (518), mit Anm. Herrmann; VK Bund v. 13.6.2007 – VK 2-48/ 07; VK Bund v. 26.3.2007 – VK 3-19/07; VK Schleswig-Holstein v. 14.5.2008 – VK-SH 06/08, IBRRS 2008, 2290; VK Südbayern v. 8.2.2002 – Verg 41-11/01, IBRRS 2013, 5052.

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§ 119 | Verfahrensarten lungen können sich mithin grundsätzlich auf alle Merkmale der zu erbringenden Leistung beziehen, wie etwa Qualität, Lieferumfang, Geschäftsklauseln, soziale und umweltbezogene Aspekte oder Preis, sofern die Verhandlungen keine vorab festgelegten Mindestanforderungen oder die Zuschlagskriterien als solche betreffen (vgl. § 17 Abs. 10 Satz 2 VgV)1. Das Angebot darf also abgeändert werden und ist dementsprechend nicht allein durch den Inhalt der ursprünglichen, regelmäßig schriftlichen einzureichenden Erklärungen des Bieters bestimmt, sondern wird dynamisch entwickelt und in den – oft mündlichen – Verhandlungsrunden aus- und umgestaltet2. Ebenso ist der Auftraggeber zur Änderung der Vergabeunterlagen berechtigt, sei es zur Korrektur von Vergaberechtsverstößen oder aus Gründen der Zweckmäßigkeit3. Dies darf indes nicht dazu führen, dass letztlich andere Leistungen beschafft werden, als angekündigt, d.h. die Identität des Beschaffungsvorhabens nicht gewahrt wird4. Aus Art. 29 Abs. 3 der Richtlinie 2014/24/EU und § 119 Abs. 5, wonach der öffentliche Auftraggeber mit den Bietern über die von diesen unterbreiteten Angebote verhandelt, lässt sich entnehmen, dass das Verhandlungsverfahren in der Regel zweistufig ausgestaltet ist und sich nach der Sichtung und Wertung der (indikativen) Eingangsangebote (erste Stufe) zumindest eine Verhandlungsrunde (zweite Stufe) anschließen soll. Auf eine zweite und weitere Verhandlungsrunde besteht indes kein Anspruch5. Der öffentliche Auftraggeber kann den Auftrag aber auch allein auf der Grundlage der Erstangebote vergeben, ohne in Verhandlungen einzutreten, wenn er sich in der Auftragsbekanntmachung oder in der Aufforderung zur Interessensbestätigung diese Möglichkeit vorbehalten hat (vgl. § 17 Abs. 11 VgV). Im Regelfall wird am Ende des Verhandlungsprozesses ein Vertrag mit dem Unternehmen geschlossen, das bis zum Schluss übrig geblieben ist. Dabei kann der Verhandlungsprozess in Phasen ablaufen, nach deren jeweiligem Ende Unternehmen ausscheiden, beispielsweise weil sie technisch nicht die gewünschte Leistung erbringen können oder wollen6 oder weil der Auftraggeber eine entsprechende „Abschichtung“ auf der Basis der mitgeteilten Zuschlagskriterien vorgesehen hat (vgl. § 17 Abs. 12 Satz 1 VgV und § 3b EU Abs. 3 Nr. 8 1 Leinemann, Die Vergabe öffentlicher Aufträge, Rz. 423 f. 2 OLG Naumburg v. 12.4.2012 – 2 Verg 1/12, VergabeR 2012, 749 ff.; OLG Düsseldorf v. 3.8.2011 – VII-Verg 16/11, VergabeR 2012, 227 ff.; Kulartz in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 119 Rz. 25. 3 Leinemann, Die Vergabe öffentlicher Aufträge, Rz. 423. 4 Vgl. OLG Dresden v. 3.12.2003 – WVerg 15/03, VergabeR 2004, 225, 229; OLG München v. 28.4.2006 – Verg 6/06, VergabeR 2006, 914, 925. Anderenfalls läuft die Ausschreibungsverpflichtung als Ausgangspunkt aller vergaberechtlichen Rechte und Pflichten der Beteiligten letztlich leer. Bloße Modifikationen desselben vom konkreten Verhandlungsverfahren gedeckten Leistungsgegenstandes sind jedoch zulässig, vgl. VK Schleswig-Holstein v. 14.5.2008 – VH SH 6/08, IBRRS 2008, 2290. 5 OLG Düsseldorf v. 5.7.2006 – VII-Verg 21/06, VergabeR 2006, 929 (930). 6 OLG Celle v. 16.1.2002 – 13 Verg 1/02, VergabeR 2002, 299 (301 f.).

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VOB/A)1. Dabei ist jedoch darauf zu achten, dass auch in der Schlussphase des Verfahrens noch so viele Angebote vorliegen, dass der Wettbewerb gewährleistet ist, sofern ursprünglich eine ausreichende Anzahl von Angeboten oder geeigneten Bietern vorhanden war (vgl. § 17 Abs. 12 Satz 2 VgV und § 3b EU Abs. 3 Nr. 8 Satz 3 VOB/A; s. hierzu auch Rz. 38). Kommt dagegen eine Auftragserteilung nicht in Betracht, weil beispielsweise keine der angebotenen Leistungen überzeugt oder der günstigste Angebotspreis oberhalb der zur Verfügung stehenden Haushaltsmittel liegt2, ist das Verfahren gem. § 63 Abs. 1 VgV (bzw. § 17 EU Abs. 1 VOB/A) formal zu beenden, d.h. aufzuheben3. Für das Verhandlungsverfahren gelten insgesamt nur geringe formale Anfor- 37 derungen. Gleichwohl ist das Verhandlungsverfahren kein wettbewerbsfreier Raum und mithin als ein „ordentliches“ Vergabeverfahren anerkannt4. Insbesondere hat der öffentliche Auftraggeber im Verhandlungsverfahren die wesentlichen Prinzipien des Vergaberechts, d.h. die Grundsätze des Wettbewerbs sowie das Transparenz- und Gleichbehandlungsgebot, zu beachten5. So ist beispielsweise der Auftraggeber aufgrund des Wettbewerbsprinzips auch 38 im Verhandlungsverfahren nicht davon befreit, Angebote im Wettbewerb ein1 Siehe hierzu auch Leinemann, Die Vergabe öffentlicher Aufträge, Rz. 425. 2 Zu beachten ist insoweit jedoch, dass – im Hinblick auf eine gebotene, enge Auslegung der Aufhebungstatbestände – eine rechtskonforme Aufhebung sowohl eine sorgfältige, methodisch korrekte und auch ansonsten fehlerfreie Kostenermittlung sowie eine deutliche, d.h. in der Regel ganz beträchtliche, Kostenüberschreitung (von ca. 20 % oder mehr) voraussetzt. Vgl. BGH v. 20.11.2012 – X ZR 108/10, MDR 2013, 136 = NZBau 2013, 180 ff.; KG Berlin v. 17.19.2013 – Verg 9/13, VergabeR 2014, 229 ff. 3 § 63 Abs. 1 VgV bezieht sich nicht nur auf „Ausschreibungen“, d.h. offene und nicht offenen Verfahren, sondern allgemein auf „Vergabeverfahren“. Im Bereich der VOB/A spricht § 17 EU VOB/A indes – nach wie vor und so wie bereits § 26 VOB/A 2006 – von „Ausschreibungen“ und erfasst somit keine Verhandlungsverfahren, so dass hier der Streit, ob auch ein Verhandlungsverfahren formal zu beenden ist (so VK SachsenAnhalt v. 11.4.2005 – VK 2-LVwA LSA 6/05, IBRRS 2005, 1821), oder ob dies eine „überflüssige Förmelei“ darstellt (so VK Hessen v. 7.10.2004 – 69d-VK-60/2004, IBRRS 2005, 2767; zustimmend Kulartz in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 119 Rz. 39) wohl weiterhin fortdauert. 4 OLG Düsseldorf v. 5.7.2006 – VII-Verg 21/06, VergabeR 2006, 929 (930); Werner in Byok/Jaeger, Kommentar zum Vergaberecht, § 101 Rz. 93 m.w.N.; Kulartz in Kulartz/ Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 119 Rz. 24. 5 Vgl. BGH v. 10.9.2009 – II ZR 255/08, MDR 2009, 872 = BauR 2009, 1908 (1911); BGH v. 1.8.2006 – X ZR 115/04, MDR 2007, 404 = VergabeR 2007, 73 (75); OLG Brandenburg v. 20.9.2011 – Verg W 11/11, VergabeR 2012, 110 (117); OLG Düsseldorf v. 19.7.2006 – VII-Verg 27/06, IBRRS 2007, 0219; OLG Düsseldorf v. 18.6.2003 – VII-Verg 15/03, IBRRS 2013, 1341; OLG München v. 29.9.2009 – Verg 12/09, IBR 2009, 723 und 729; OLG München v. 20.4.2005 – Verg 8/05, OLGReport München 2005, 673; BayObLG v. 5.11.2002 – Verg 22/02, VergabeR 2003, 186, 189; VK Bund v. 8.2.2005 – VK 1-02/ 05; VK Baden-Württemberg v. 21.1.2004 – 1 VK 74/03, IBRRS 2004, 3822.

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§ 119 | Verfahrensarten zuholen, d.h. zumindest mit mehreren Bietern zu verhandeln, soweit dies im Verfahren zumutbar ist1. Dies gilt insbesondere auch für die Schlussphase des Verhandlungsverfahrens. Auch hier muss grundsätzlich noch ein echter Wettbewerb gewährleistet sein, sofern eine ausreichende Anzahl von geeigneten Bewerbern vorhanden ist (vgl. § 17 Abs. 12 Satz 2 VgV, § 3b EU Abs. 3 Nr. 8 Satz 3 VOB/A). Hieraus soll nach umstrittener, aber wohl herrschender Auffassung indes nicht folgen, dass bis zum Schluss mit mehr als einem Bieter verhandelt werden muss, wenn eine Beschränkung der Verhandlungen auf einen sog. „preferred bidder“ sachlich gerechtfertigt ist2. „Exklusive“ Verhandlungen mit nur noch einem Bieter dürften mit Blick auf den Gleichbehandlungsgrundsatz und das Wettbewerbsprinzip aber nie ganz unproblematisch sein3, jedenfalls aber die übrigen (ggf. noch als „Rückfalloptionen“ im Verfahren befindlichen) Bieter skeptisch machen und dementsprechend stets einen (potentiellen) Streitgegenstand darstellen. 39 Grundsätzlich kommt dem Auftraggeber bei der konkreten Ausgestaltung und

Strukturierung des Verhandlungsverfahrens ein weiter Gestaltungsspielraum zu. Insbesondere darf der öffentliche Auftraggeber den Bietern feste Fristen setzen, um den Ablauf des Vergabeverfahrens praktikabel, effizient und zügig zu strukturieren4. Das Transparenzgebot verpflichtet den öffentlichen Auftraggeber jedoch, den Verfahrensablauf – soweit bekannt – mitzuteilen und davon nicht überraschend und willkürlich abzuweichen5. Regelmäßig dürfte es für den öffentlichen Auftraggeber aber bereits im Interesse der Vermeidung von Vergabenachprüfungsverfahren empfehlenswert sein, den Verfahrensablauf so transparent wie möglich zu gestalten, und zwar insbesondere durch die (frühzeitige) Bekanntgabe eines Bieterleitfadens sowie einer im Voraus aufgestellten Bewertungsmatrix (Wertungskriterien, Unterkriterien und deren Gewichtung)6. 1 OLG Düsseldorf v. 5.7.2006 – VII-Verg 21/06, VergabeR 2006, 929 (930); OLG Düsseldorf v. 24.2.2005 – VII-Verg 88/04, NZBau 2005, 535; OLG Düsseldorf v. 23.2.2005 – VII-Verg 87/04, IBR 2005, 231; OLG Düsseldorf v. 23.2.2005 – VII-Verg 78/04, NZBau 2005, 537 (538). 2 Vgl. OLG Frankfurt v. 2.11.2004 – 11 Verg 16/04, IBRRS 2005, 2739; VK Sachsen-Anhalt v. 3.3.2006 – VK 2 LVwA LSA-02/06; Kulartz in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 119 Rz. 36; ebenso auch noch Leinemann, Die Vergabe öffentlicher Aufträge, 5. Aufl. 2011, Rz. 456 f. 3 Ähnlich Leinemann, Die Vergabe öffentlicher Aufträge, Rz. 425. 4 OLG Düsseldorf v. 7.1.2002 – VII-Verg 36/01, IBRRS 2002, 2305; Kulartz in Kulartz/ Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 119 Rz. 33. 5 Vgl. OLG Naumburg v. 12.4.2012 – 2 Verg 1/12, VergabeR 2012, 749 (763); OLG Düsseldorf v. 18.6.2003 – VII-Verg 15/03, BeckRS 2003, 17902; VK Rheinland-Pfalz v. 22.8. 2011 – VK 2-20/11, IBRRS 2012, 0477; Kulartz in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 119 Rz. 34. 6 So auch Kulartz in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 119 Rz. 29, der zutreffend darauf hinweist, dass Vergabeverfahren zumeist dann angefochten werden, wenn infolge von Intransparenz der Verdacht der „Kungelei“ besteht.

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Grundsätzlich steht es dem Auftraggeber aber frei, ob er die vorgesehenen Zuschlagskriterien sowie deren Gewichtung schon in der Vergabebekanntmachung oder aber mit der Aufforderung zur Angebotsabgabe in den Verdingungsunterlagen des Verhandlungsverfahrens bekannt gibt; wobei mit der Angebotsabgabe die Abgabe der endgültigen, verbindlichen Angebote gemeint ist und nicht die der im Verhandlungsverfahren üblichen indikativen, d.h. unverbindlichen Angebote im Rahmen der Verhandlungsphase1. Aus dem Transparenzgebot folgen darüber hinaus auch das Gebot der eindeutigen und erschöpfenden Leistungsbeschreibung, welches auch im Verhandlungsverfahren gilt2, sowie das Erfordernis konkreter Preisangaben des Bieters3. Der Gleichbehandlungsgrundsatz verpflichtet den Auftraggeber weiter dazu, 40 im Verhandlungsverfahren alle Bieter gleich zu behandeln. Er muss also insbesondere allen Bietern die gleichen Informationen zukommen lassen und ihnen die Chance geben, innerhalb gleicher Fristen und zu gleichen Anforderungen Angebote abzugeben4. Von daher ist es auch zwingend notwendig, dass das letzte Angebot der verbliebenen Bieter zeitgleich, d.h. zu einem genau festgesetzten Termin eingeholt wird5. Dass die Angebote auf der Grundlage von Bedingungen abgegeben wurden, die für alle Bieter einheitlich sind, ist auch beim Verhandlungsverfahren eine Grundvoraussetzung für eine vergaberechtskonforme Zuschlagsentscheidung. Denn nur unter dieser Prämisse sind die Angebote auf der vierten Wertungsstufe miteinander vergleichbar6. Weiter darf aus Gründen der Gleichbehandlung auch im Verhandlungsverfahren der Zuschlag nicht auf ein Angebot erteilt werden, das der Leistungsbeschreibung nicht entspricht7 oder verfristet eingereicht wurde8. Angebote, die die in den Verdingungsunterlagen aufgestellten Mindestanforderungen (von vornherein) nicht erfüllen, sind zwingend auszuschließen. Auch das geringeren formalen Anforderungen unterworfene Verhandlungsverfahren lässt diesbezüglich keine 1 OLG Düsseldorf v. 21.11.2007 – VII-Verg 32/07, NZBau 2008, 201 ff.; sowie Kulartz in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 119 Rz. 29. 2 OLG Düsseldorf v. 2.8.2002 – VII-Verg 25/02, IBR 2003, 216. 3 Vgl. BGH v. 10.9.2009 – VII ZR 255/08, BauR 2009, 1908 (1911). 4 OLG Celle v. 16.1.2002 – 13 Verg 1/02, VergabeR 2002, 299 (301); OLG Düsseldorf v. 19.7.2006 – VII-Verg 27/06, BeckRS 2007, 00389; OLG Düsseldorf v. 5.7.2006 – VIIVerg 21/06, VergabeR 2006, 929 (930); VK Brandenburg v. 14.12.2007 – VK 50/07, IBRRS 2008, 0512; VK Münster v. 9.4.2003 – VK 05/03, IBRRS 2003, 1476; VK Sachsen v. 17.12.2007 – 1/SVK/073-07, IBRRS 2008, 0066; VK Saarland v. 16.3.2004 – 3 VK 09/ 2003; VK Südbayern v. 8.2.2002 – 41-11/01, IBRRS 2013, 5052. 5 OLG Naumburg v. 12.4.2012 – 2 Verg 1/12, VergabeR 2012, 749 ff.; VK Südbayern v. 8.2. 2002 – 41-11/01, IBRRS 2013, 5052. 6 VK Bund v. 20.8.2008 – VK 1-111/08. 7 VK Bund v. 8.2.2005 – VK 1-02/05; VK Baden-Württemberg v. 28.10.2004 – 1 VK 68/04, IBRRS 2005, 0167. 8 OLG Düsseldorf v. 7.1.2002 – VII-Verg 36/01, VergabeR 2002, 169 (171).

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§ 119 | Verfahrensarten Ausnahme zu1. Schließlich folgt aus dem Gebot der Gleichbehandlung, dass der Auftraggeber sicherstellen muss, dass zwischen den Bietern ein wirksamer (Geheim-)Wettbewerb stattfindet2. Dies bedeutet zum einen, dass der Auftraggeber nicht schon durch seine Teilnehmerauswahl erkennbar und nach allgemeiner Erfahrung zu einer möglichen Wettbewerbsverzerrung beiträgt3, und zum anderen, dass dem Grundsatz der Vertraulichkeit ein hoher Stellenwert zukommt, welches dem Auftraggeber zum Ausgleich ein hohes Maß an klarer Verhandlungsführung abverlangt4. 4. Wettbewerblicher Dialog (§ 119 Abs. 6) a) Begriff und Bedeutung 41 § 119 Abs. 6 definiert den wettbewerblichen Dialog als „ein Verfahren zur Ver-

gabe öffentlicher Aufträge mit dem Ziel der Ermittlung und Festlegung der Mittel, mit denen die Bedürfnisse des öffentlichen Auftraggebers am besten erfüllt werden können. Nach einem Teilnahmewettbewerb eröffnet der öffentliche Auftraggeber mit den ausgewählten Unternehmen einen Dialog zur Erörterung aller Aspekte der Auftragsvergabe.“ Die Regelung steht im Einklang mit den Vorgaben in Art. 30 der Richtlinie 2014/24/EU, die allerdings wesentlich konkreter gefasst ist. Überdies wurde die Definition des § 119 Abs. 6 – im Vergleich zu § 101 Abs. 4 GWB a.F. – an die neue Formulierung in Art. 30 Abs. 3 der Richtlinie 2014/24/EU angepasst5.

42 Mit der Aufnahme des wettbewerblichen Dialogs in § 101 Abs. 4 GWB a.F.

machte der deutsche Gesetzgeber seinerzeit im Rahmen des ÖPP-Beschleunigungsgesetzes von der in Art. 28 Abs. 1 Satz 3 und 29 Abs. 1 der Vergabekoordinierungsrichtlinie 2004/18/EG eingeräumten Option Gebrauch (s. hierzu auch Rz. 3). Die konkreten Anforderungen an einen wettbewerblichen Dialog i.S.v. § 119 Abs. 6 werden in den §§ 14 Abs. 3 und 18 VgV bzw. den §§ 3a Abs. 4 i.V.m. Abs. 2 und 3b EU Abs. 4 VOB/A geregelt.

43 Der wettbewerbliche Dialog ist in besonderer Weise auf die spezifischen Bedürf-

nisse bei der Eingehung von vergaberechtlich relevanten öffentlich-privaten Partnerschaften zugeschnitten6. Er soll dem Bedürfnis der Praxis nach einem Dialog zwischen dem Auftraggeber und den potentiellen Bietern zwecks Definition der zu erbringenden Leistung Rechnung tragen. Gemäß Erwägungsgrund

1 OLG Düsseldorf v. 3.3.2010 – VII-Verg 46/09, BeckRS 2016, 19890; OLG München v. 21.5.2010 – Verg 02/10, VergabeR 2010, 992 ff.; VK Bund v. 23.7.2012 – VK 3-81/12; Kulartz in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 119 Rz. 31. 2 VK Brandenburg v. 2.10.2006 – 2 VK 38/06, IBRRS 2006, 4105. 3 VK Brandenburg v. 2.10.2006 – 2 VK 38/06, IBRRS 2006, 4105. 4 VK Baden-Württemberg v. 12.1.2004 – 1 VK 74/03, IBRRS 2004, 3822. 5 Vgl. BT-Drucks. 18/6281, S. 98. 6 Knauff, NZBau 2005, 249.

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42 der Richtlinie 2014/24/EU kann der wettbewerbliche Dialog (oder das Verhandlungsverfahren) in Situationen vorgesehen werden, in denen nicht damit zu rechnen ist, dass offene oder nicht offene Verfahren ohne Verhandlungen zu einem zufriedenstellenden Ergebnis führen. Die Nutzung des wettbewerblichen Dialogs hat gemessen an den Auftragswerten in den vergangenen Jahren stark zugenommen1. Der wettbewerbliche Dialog hat sich in Fällen als nützlich erwiesen, in denen öffentliche Auftraggeber nicht in der Lage sind, die Mittel zur Befriedigung ihres Bedarfs zu definieren oder zu beurteilen, was der Markt an technischen, finanziellen oder rechtlichen Lösungen zu bieten hat. Diese Situation kann insbesondere bei innovativen Projekten, bei der Realisierung großer, integrierter Verkehrsinfrastrukturprojekte oder großer Computer-Netzwerke oder bei Projekten mit einer komplexen, strukturierten Finanzierung eintreten. Rechtsdogmatisch lässt sich der wettbewerbliche Dialog als ein Verfahren sui ge- 44 neris beschreiben, welches einerseits sowohl Elemente eines Verhandlungsverfahrens als auch eines offenen bzw. nicht offenen Verfahrens miteinander kombiniert2, andererseits aber auch spezifische Eigenheiten aufweist. So sind zum einen Verfahrensabschnitte erkennbar, die im Wesentlichen den herkömmlichen Verfahrensabschnitten, wie z.B. dem vorgeschalteten Teilnahmewettbewerb3 oder der Bestimmung des wirtschaftlichsten Angebots, entsprechen4. Auch ist dem wettbewerblichen Dialog mit dem Verhandlungsverfahren gemein, dass in dem Fall, dass die Leistung beispielsweise nach Art und Umfang nicht eindeutig und erschöpfend beschrieben werden kann (vgl. § 14 Abs. 3 Nr. 4 VgV bzw. § 18 Abs. 1 VgV und § 3a EU Abs. 2 Nr. 1 lit. d) VOB/A bzw. § 3a EU Abs. 4 VOB/A i.V.m. § 3a EU Abs. 2 Nr. 1 lit. d) VOB/A), die Vergabestelle nicht im Stande ist, das Vorhaben so konkret zu beschreiben, dass die Durchführung eines offenen oder nicht offenen Verfahrens möglich ist5. Der Leistungsgegenstand ist also sowohl im Verhandlungsverfahren als auch im wettbewerblichen Dialog nicht bereits in der Ausschreibung in allen Einzelheiten beschrieben, sondern wird erst im Verfahren konkretisiert6. Ähnlichkeiten bestehen weiter auch im Verfahrensablauf. Denn bei beiden Verfahren werden mit den ausgewählten Unternehmen 1 Vgl. hierzu Mösinger, NZBau 2009, 695 (696), nach dem deutschlandweit im Jahr 2009 (Stand: 15.10.2009) nur 23 Vergabeverfahren im wettbewerblichen Dialog ausgeschrieben wurden, was einem Anteil an allen europaweit bekannt gemachten deutschen Vergabeverfahren von lediglich ca. 0,1 % entspricht. 2 Vgl. EU-Kommission, Erläuterungen – Wettbewerblicher Dialog – Klassische Richtlinie, Dokument CC/2005/04_rev1 v. 5.10.2005, S. 10; Knauff, NZBau 2005, 249 (250); Pünder/ Franzius, ZfBR 2006, 20; Schröder, NZBau 2007, 216 (217). 3 Allerdings werden die Bieter beim wettbewerblichen Dialog nicht nur auf Ihre Eignung überprüft, sondern wird der Auftragsgegenstand durch Dialoggespräche gleichzeitig auch spezifiziert, vgl. m.w.N. Pünder/Franzius, ZfBR 2006, 20. 4 Heiermann, ZfBR 2005, 766. 5 Schröder, NZBau 2007, 216 (217). 6 Müller/Veil, VergabeR 2007, 298 (302).

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§ 119 | Verfahrensarten Verhandlungen über die Angebote (§ 119 Abs. 5) bzw. Dialoge zur Erörterung aller Aspekte der Auftragsvergabe (§ 119 Abs. 6 Satz 2) geführt1. Schließlich ist dem wettbewerblichen Dialog und dem Verhandlungsverfahren gemeinsam, dass das in der Praxis oft hinderliche Kontaktverbot zwischen den Bietern und der Vergabestelle in bestimmten Phasen der beiden Verfahren nicht gilt2. Zum anderen unterscheidet sich der wettbewerbliche Dialog vom offenen bzw. nicht offenen Verfahren vor allem darin, dass jedes Element des Auftrags verhandelbar ist3. Der wesentliche Unterschied zum Verhandlungsverfahren besteht darin, dass der Verhandlungsspielraum und die damit einhergehende Flexibilität den Beteiligten in jeweils unterschiedlichen Verfahrensabschnitten gewährt werden4. Beim wettbewerblichen Dialog wird der Verhandlungsspielraum für die sog. Dialogphase gewährt. Hingegen sollen die Bieter in der Angebotsphase auf der Grundlage der in der Dialogphase erarbeiteten technischen, finanziellen und rechtlichen Grundsatzlösungen ein präzisiertes und mit Preisen versehenes Angebot einreichen5. Insoweit besteht ein praktisch bedeutsamer Unterschied zum Verhandlungsverfahren. Während das Verhandlungsverfahren durch den sukzessiven Austausch von Vertragsangeboten charakterisiert ist, deren Änderung allein durch die Beachtung der materiellen Prinzipien des Vergaberechts begrenzt ist, besteht in der Angebotsphase des wettbewerblichen Dialogs keine solche umfassende Nachverhandlungsmöglichkeit. Da die Inhalte der einzelnen Angebote indes voneinander abweichen können, darf der öffentliche Auftraggeber im Anschluss an die Auswahl des wirtschaftlichsten Angebots das entsprechende Unternehmen zwar noch auffordern, bestimmte Einzelheiten des Angebotes näher zu erläutern oder im Angebot enthaltene Zusagen oder sonstige Bedingungen zu bestätigen. Im Übrigen sind nach Angebotsabgabe aber nur Präzisierungen, Klarstellungen und Ergänzungen zulässig, aber keine Änderungen der wesentlichen Bestandteile und grundlegenden Elemente des Angebots, wie z.B. des Preises (vgl. § 18 Abs. 8 und 9 VgV, § 3b EU Abs. 4 Nr. 7 und 8 VOB/A)6. Mit anderen Worten: Der wettbewerbliche Dialog ist flexibler bei der Lösungssuche und daher vorteilhafter, wenn der Auftraggeber hier möglichst offen sein will und stark auf das Knowhow der Dialogpartner angewiesen ist7. Dagegen muss beim Verhandlungsverfahren das ganze Verfahren eingestellt werden, wenn sich herausstellt, dass die beste 1 Schröder, NZBau 2007, 216, 217. 2 Müller/Veil, VergabeR 2007, 298 (302). 3 EU-Kommission, Erläuterungen – Wettbewerblicher Dialog – Klassische Richtlinie, Dokument CC/2005/04_rev1 v. 5.10.2005, S. 10. 4 Ausführlich Müller/Veil, VergabeR 2007, 298 (302 ff.); EU-Kommission, Erläuterungen – Wettbewerblicher Dialog – Klassische Richtlinie, Dokument CC/2005/04_rev1 v. 5.10. 2005, S. 10. 5 Vgl. Müller/Veil, VergabeR 2007, 298 (302). 6 Vgl. auch Kulartz in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 119 Rz. 51. 7 Burgi, DVBl. 2007, 649 (656 f.).

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Lösung außerhalb des durch die funktionale Leistungsbeschreibung vorgesteckten Rahmens des Beschaffungsgegenstandes liegt1. Allerdings ist das Verhandlungsverfahren am Ende flexibler, weil gleichsam am Verhandlungstisch letzte kleinere Änderungen mit den präferierten Bietern ausgehandelt werden können2. Letztlich ist dies die Konsequenz der spezifischen Besonderheit des wettbewerblichen Dialogs, die darin liegt, dass der Auftraggeber zwar seinen Bedarf im Sinne einer Zielvorstellung definieren kann, nicht aber die dafür einzusetzenden Mittel. Dies unterscheidet den wettbewerblichen Dialog von den „klassischen“ Vergabeverfahren und grenzt ihn insbesondere vom Verhandlungsverfahren ab3. b) Anwendungsbereich Der wettbewerbliche Dialog ist gegenüber dem offenen und dem nicht offenen 45 Verfahren subsidiär. Im Verhältnis zum Verhandlungsverfahren besteht keine Hierarchie4 (s. hierzu bereits Rz. 2). Daher hat der öffentliche Auftraggeber zwischen dem wettbewerblichen Dialog und dem Verhandlungsverfahren stets eine situationsgerechte Auswahl vorzunehmen. Dabei trifft ihn eine Darlegungslast und eine Dokumentationspflicht5 für das Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen des entsprechenden Verfahrens6. Liegen die Anwendbarkeitsvoraussetzungen des einen wie des anderen Verfahrens vor, so hat der öffentliche Auftraggeber ein Wahlrecht7. Was den persönlichen Anwendungsbereich des wettbewerblichen Dialogs an- 46 geht, so steht dieser nach dem Wortlaut des § 119 Abs. 2 Satz 1 allen öffentlichen Auftraggebern i.S.v. § 99 zur Verfügung. 1 Kus, VergabeR 2006, 851 (863); Burgi, DVBl. 2007, 649 (656 f.). 2 Burgi, DVBl. 2007, 649 (656 f.). 3 Müller/Brauser-Jung, NVwZ 2007, 884 (887); s. hierzu auch Uechtritz/Otting, NVwZ 2005, 1105 (1108); Kus, VergabeR 2006, 851 (863). 4 Vgl. in diesem Zusammenhang auch BT-Drucks. 16/10117, S. 19. So bereits auch Burgi, DVBl. 2007, 649 (656). Die Gegenansichten, welche den wettbewerblichen Dialog teilweise als Unterfall des Verhandlungsverfahrens (so Kullack/Temer, ZfBR 2004, 346 (348); Paetzold, ZVgR 2000, 191 ff.; Schütte, ZfBR 2004, 237 (243); Steinberg, Vergaberechtliche Steuerung als Verbundaufgabe, S. 264; Werner/Freitag, NZBau 2000, 551 f.) oder gegenüber dem Verhandlungsverfahren als nachrangig (so Müller/Veil, VergabeR 2007, 298 [312]; Schröder, NZBau 2007, 216 [217]) bzw. vorrangig (so Knauff, NZBau 2005, 249 [255]; Knauff, VergabeR 2004, 287 [289]; Kolpatzik, VergabeR 2007, 279 [288]; Schenke/Klimpel, DVBl. 2006, 1492 [1495]) ansehen, sind bereits seit der Neufassung des § 101 GWB a.F. (vgl. Rz. 3 und 42) nicht mehr haltbar. 5 Vgl. hierzu auch § 8 Abs. 2 Nr. 6 VgV und § 20 EU VOB/A i.V.m. § 8 Abs. 2 Nr. 6 VgV. 6 Burgi, DVBl. 2007, 649 (656). 7 Müller/Veil, VergabeR 2007, 298 (312); Pünder/Franzius, ZfBR 2006, 20 (24); im Ergebnis ebenso Knauff, VergabeR 2004, 287 (296); Knauff, NZBau 2005, 249 (250); wohl auch Uechtritz/Otting, NVwZ 2005, 1105 (1106); Opitz, VergabeR 2006, 451 (452); Kus, VergabeR 2006, 851 (853 f.); Ollmann, VergabeR 2005, 685 (688).

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§ 119 | Verfahrensarten 47 Der sachliche Anwendungsbereich ist eröffnet, wenn die Voraussetzungen

gem. § 14 Abs. 3 VgV bzw. § 3a EU Abs. 4 VOB/A i.V.m. § 3a EU Abs. 2 VOB/A vorliegen. Gemäß Erwägungsgrund 42 der Richtlinie 2014/24/EU kann der wettbewerbliche Dialog insbesondere dann vorgesehen werden, wenn nicht damit zu rechnen ist, dass offene oder nicht offene Verfahren ohne Verhandlungen zu einem zufriedenstellenden Ergebnis führen. Der wettbewerbliche Dialog hat sich in der Praxis insbesondere in den Fällen (besonders) komplexer Auftragsvergaben als nützlich erwiesen, in denen öffentliche Auftraggeber nicht in der Lage sind, die (technischen) Mittel oder die rechtlichen oder finanziellen Bedingungen zur Befriedigung ihres Bedarfs zu definieren oder zu beurteilen, was der Markt an technischen, finanziellen oder rechtlichen Lösungen zu bieten hat. Diese Situation kann insbesondere bei innovativen Projekten, bei der Realisierung großer, integrierter Verkehrsinfrastrukturprojekte oder großer ComputerNetzwerke oder bei Projekten mit einer komplexen, strukturierten Finanzierung eintreten1.

c) Grundzüge und Grundsätze des Verfahrens 48 Der wettbewerbliche Dialog ist ein dreistufiges Vergabeverfahren bestehend

aus Teilnahmewettbewerb, Dialogphase und Angebotsphase2. Einzelheiten des Verfahrensablaufs werden in § 18 VgV bzw. § 3b EU Abs. 4 VOB/A geregelt. In allen Phasen gelten – ebenso wie bei den anderen Verfahrensarten – die zentralen Prinzipien des Vergaberechts (vgl. § 97), so dass der wettbewerbliche Dialog diskriminierungsfrei, transparent, im Wettbewerb und unter Beachtung mittelständischer Interessen durchzuführen und der Zuschlag auf das wirtschaftlichste Angebot zu erteilen ist3. Zudem unterliegt auch der wettbewerbliche Dialog vollumfänglich der Prüfungskompetenz der vergaberechtlichen Nachprüfungsinstanzen4.

49 Der Teilnahmewettbewerb wird durch eine Bekanntmachung eingeleitet. Mit

dieser fordert der öffentliche Auftraggeber eine unbeschränkte Anzahl von Unternehmen öffentlich zur Abgabe von Teilnahmeanträgen auf. Jedes interessierte Unternehmen kann einen Teilnahmeantrag abgeben. Mit dem Teilnahmeantrag 1 Vgl. Erwägungsgrund 42 der Richtlinie 2014/24/EU; sowie ferner auch bereits Erwägungsgrund 31 der Vergabekoordinierungsrichtlinie 2004/18/EG; die Begründung des Entwurfs des ÖPP-Beschleunigungsgesetzes BT-Drucks. 15/5668, 11; EU-Kommission, Erläuterungen – Wettbewerblicher Dialog – Klassische Richtlinie, Dokument CC/ 2005/04_rev1 v. 5.10.2005, S. 4; Heiermann, ZfBR 2005, 766, 767 f.; Schröder, NZBau 2007, 216 (220); Pünder/Franzius, ZfBR 2006, 20 (22); Bischof/Stoye, MMR 2006, 138 (141). 2 Opitz, VergabeR 2006, 451 (452); Kulartz in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 119 Rz. 44. 3 Heiermann, ZfBR 2005, 766. 4 VK Düsseldorf v. 11.8.2006 – VK-30/2006, IBRRS 2006, 4506.

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übermitteln die Unternehmen die vom öffentlichen Auftraggeber geforderten Informationen für die Prüfung ihrer Eignung (vgl. § 18 Abs. 1 und Abs. 2 VgV bzw. § 3b EU Abs. 4 Nr. 1 VOB/A). Die Frist für den Eingang der Teilnahmeanträge beträgt mindestens 30 Tage, gerechnet ab dem Tag nach der Absendung der Auftragsbekanntmachung (vgl. § 18 Abs. 3 VgV). An die Bekanntmachung und den Eingang der Teilnahmeanträge schließt sich die Eignungsprüfung der interessierten Unternehmen an1. Auf Grund der in der Bekanntmachung angegebenen Kriterien wählt der Auftraggeber die Unternehmen aus, die er zur Teilnahme am Dialog einladen will. Die Dialogphase beginnt mit der gleichzeitigen Aufforderung der ausgewählten 50 Bewerber2 zur Teilnahme am Dialog. An der Dialogphase können nur diejenigen Unternehmen, die vom öffentlichen Auftraggeber nach Prüfung der übermittelten Informationen dazu aufgefordert werden, teilnehmen (vgl. § 18 Abs. 4 Satz 1 VgV bzw. § 3b EU Abs. 4 Nr. 2 Satz 1 VOB/A). Dabei muss der öffentliche Auftraggeber im Wettbewerbsinteresse – wie beim Verhandlungsverfahren auch – aber mindestens drei Bewerber einladen; die Höchstzahl kann von vornherein begrenzt werden, wenn dies in der Bekanntmachung angegeben wird (vgl. § 18 Abs. 4 Satz 2 VgV i.V.m. § 51 VgV bzw. § 3b EU Abs. 4 Nr. 2 Satz 2 VOB/A). Soweit dies nicht schon in der Auftragsbekanntmachung erfolgt ist, beschreibt 51 der öffentliche Auftraggeber in den Vergabeunterlagen seine Bedürfnisse und Anforderungen an die zu beschaffende Leistung (vgl. § 18 Abs. 1 Satz 1 VgV bzw. § 3b EU Abs. 4 Nr. 3 Satz 1 VOB/A). Da die genaue Lösung für den komplexen Auftrag im Rahmen des Dialogs erst ermittelt werden soll, kann es dabei regelmäßig nur um Zielvorgaben bzw. einen groben Umriss der Projektaufgabe gehen3. Das schließt es indes nicht aus, dass der Auftraggeber vorab punktuell bestimmte Anforderungen an die Leistung bereits eindeutig und verbindlich festlegt4. Gleichwohl eine konkrete Darstellung des Auftragsgegenstands in diesem Verfahrensstadium noch nicht möglich ist5, sollte die Beschreibung den Auftrag bzw. die strukturellen Anforderungen (output-orientierte Vorgaben) so präzise wie möglich gefasst werden. Denn hierdurch wird der Rahmen für das weitere Verfahren insoweit vorgegeben, als im Ergebnis keine anderen Leistungen beauftragt werden dürfen, als zunächst angegeben6. Zwar ist es umstritten und bislang noch nicht abschließend geklärt, ob die Anforderungen an die Leistung im weiteren Verlauf des Vergabeverfahrens vervollständigt oder gar geän1 Knauff, NZBau 2005, 249 (251). 2 Vgl. zur Stellung und zu den Rechten der Dialogteilnehmer Klimisch/Ebrecht, NZBau 2011, 203 ff. 3 Opitz, VergabeR 2006, 451 (452); Pünder/Franzius, ZfBR 2006, 20 (22). 4 Opitz, VergabeR 2006, 451 (452). 5 Knauff, NZBau 2005, 249 (251); zustimmend Heiermann, ZfBR 2005, 766 (771). 6 Kolpatzik, VergabeR 2007, 279 (289).

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§ 119 | Verfahrensarten dert werden können. Allerdings erscheint die Ansicht, die dies für möglich hält1, mit Blick auf den Transparenz- und Gleichbehandlungsgrundsatz nicht unbedenklich2. 52 Gleichzeitig hat der öffentliche Auftraggeber spätestens in den Vergabeunterla-

gen auch die Zuschlagskriterien, die zugrunde gelegt werden sollen, zu benennen und zu erläutern sowie einen vorläufigen Zeitrahmen für den Dialog festzulegen (vgl. § 18 Abs. 1 Satz 2 VgV bzw. § 3b EU Abs. 4 Nr. 3 Satz 2 VOB/A)3. Diese normative Vorgabe ist in Anbetracht der Tatsache, dass der Auftraggeber die näheren Details der Leistung noch nicht (vollständig) kennt, nicht unbedenklich4.

53 Die eigentliche Dialogphase besteht aus Gesprächsrunden mit den Bewerbern

zur Erarbeitung einheitlicher, aber nicht identischer Lösungen. Dabei ist der öffentliche Auftraggeber weitestgehend frei darin, wie er die Dialogphase gestaltet5, wenn und soweit er die hierfür einschlägigen Bestimmungen in § 18 Abs. 5 und Abs. 6 VgV bzw. § 3b EU Abs. 4 Nr. 4 und Nr. 5 VOB/A beachtet. Danach eröffnet der öffentliche Auftraggeber mit den ausgewählten Unternehmen einen Dialog, in dem er ermittelt und festlegt, wie seine Bedürfnisse und Anforderungen am besten erfüllt werden können6. Dabei kann er mit den ausgewählten Unternehmen selbst alle Aspekte und Einzelheiten des Auftrags erörtern7. Da in der Dialogphase noch keine Angebote vorliegen, handelt es sich hierbei nicht um Verhandlungen über Angebote8. Wichtig ist bei der Verfahrensgestaltung je-

1 Pünder/Franzius, ZfBR 2006, 20 (22); Opitz, VergabeR 2006, 451 (452); Knauff, NZBau 2005, 249 (251); sowie Kus, VergabeR 2006, 851 (858), der es auch aus verfahrenstaktischen Gründen für ratsam hält, in der Bekanntmachung das Anfordern einer ausführlichen Kurzbeschreibung zur technischen, rechtlichen oder finanziellen Komplexität anzubieten. Dies zwinge den Markt, Rügen hinsichtlich der Durchführung des wettbewerblichen Dialogs bis zum Ablauf der Teilnahmefrist vorzubringen. 2 Knauff, VergabeR 2004, 287 (291 f.). Einen „Mittelweg“ vertreten Schröder, NZBau 2007, 216 (221); Leinemann/Kirch, Vergabe Navigator 2006, 25, 26, die es jeweils ausreichen lassen, dass die Bedürfnisse und Anforderungen jedenfalls so präzise in der Bekanntmachung beschrieben werden, wie dies notwendig ist, um einem an dem Auftrag interessierten Unternehmen die Entscheidung über die Teilnahme an dem wettbewerblichen Dialog zu ermöglichen. Darüber hinaus gehende Informationen sollten der Beschreibung vorbehalten bleiben, um die Bekanntmachung inhaltlich nicht zu überlasten. So wohl auch Kolpatzik, VergabeR 2007, 279 (289). 3 Vgl. in diesem Zusammenhang auch EU-Kommission, Erläuterungen – Wettbewerblicher Dialog – Klassische Richtlinie, Dokument CC/2005/04_rev1 v. 5.10.2005, S. 6; sowie Ollmann, VergabeR 2005, 685 (689). 4 Kolpatzik, VergabeR 2007, 279 (289); Opitz, VergabeR 2006, 451 (461); Heiermann, ZfBR 2005, 766 (771); Pünder/Franzius, ZfBR 2006, 20 (25); Knauff, NZBau 2005, 249 (251). 5 Vgl. Heiermann, ZfBR 2005, 766 (773); Opitz, VergabeR 2006, 451 (453). 6 Vgl. § 18 Abs. 5 Satz 1 VgV bzw. § 3b EU Abs. 4 Nr. 4 Satz 1 VOB/A. 7 Vgl. § 18 Abs. 5 Satz 2 VgV bzw. § 3b EU Abs. 4 Nr. 4 Satz 2 VOB/A. 8 Kulartz in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 119 Rz. 46.

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doch zum einen, dass der öffentliche Auftraggeber dafür sorgt, dass alle Unternehmen bei dem Dialog gleichbehandelt werden (Grundsatz der Gleichbehandlung) und zum anderen Lösungsvorschläge oder vertrauliche Informationen eines Unternehmens nicht ohne dessen Zustimmung an die anderen Unternehmen weitergegeben und auch nur im Rahmen des jeweiligen Vergabeverfahrens verwendet werden (Grundsatz der Vertraulichkeit)1. Der öffentliche Auftraggeber kann ferner vorsehen, dass der Dialog in verschiedenen aufeinander folgenden Phasen geführt wird, sofern er darauf in der Auftragsbekanntmachung oder in den Vergabeunterlagen hingewiesen hat2. In jeder Dialogphase kann die Zahl der zu erörternden Lösungen anhand der vorgegebenen Zuschlagskriterien verringert werden3. Insbesondere kann der Auftraggeber also wählen, ob er entweder alle vorgelegten Lösungen – mehr oder minder intensiv – erörtern oder aber – sofern er dies in der Bekanntmachung oder der Beschreibung vorgesehen hat – die Dialogphase in verschiedenen aufeinander folgenden Stufen bzw. Dialogrunden abwickeln will, um die Zahl der zu erörternden Lösungen anhand der in der Bekanntmachung oder der Beschreibung angegebenen Zuschlagskriterien (sukzessive) zu verringern, d.h. eine Vorauswahl zu treffen4. In der Schlussphase müssen indes noch so viele Lösungen vorliegen, dass ein echter Wettbewerb gewährleistet ist, sofern ursprünglich eine ausreichende Anzahl von Lösungen oder geeigneten Bietern vorhanden war5. Der öffentliche Auftraggeber hat die Unternehmen zu informieren, wenn deren Lösungen nicht für die folgende Dialogphase vorgesehen sind6. Kein Gegenstand des Dialogs sind jedoch die ökonomischen Daten, wie ins- 54 besondere der Preis, und die Zuschlagskriterien7. Auch finden in der Dialogphase – wie gesagt (s. Rz. 53) – keine Verhandlungen über Angebote statt; die Lösungen bzw. Lösungsvorschläge sind allein indikativer Natur, d.h. sie entfalten keine Rechtsbindungswirkung8. Der Gleichbehandlungsgrundsatz erfordert, dass allen Bietern dieselben Mög- 55 lichkeiten und angemessenen Fristzeiträume für die Unterbreitung und Überarbeitung ihrer Lösungen zugestanden werden9. Für die Angemessenheit der Überarbeitungsfrist kommt es entscheidend darauf an, welchen Zeitbedarf alle im Wettbewerb verbliebenen Bieter beim Auftraggeber angemeldet und in wel1 2 3 4 5 6 7 8

Vgl. § 18 Abs. 5 Satz 3 VgV bzw. § 3b EU Abs. 4 Nr. 4 Satz 3 VOB/A. Vgl. § 18 Abs. 6 Satz 1 VgV bzw. § 3b EU Abs. 4 Nr. 5 Satz 1 VOB/A. Vgl. § 18 Abs. 6 Satz 2 VgV bzw. § 3b EU Abs. 4 Nr. 5 Satz 2 VOB/A. Vgl. OLG Brandenburg v. 7.5.2009 – Verg W 6/09, NZBau 2009, 734, 735. Vgl. § 18 Abs. 6 Satz 4 VgV bzw. § 3b EU Abs. 4 Nr. 5 Satz 4 VOB/A. Vgl. § 18 Abs. 6 Satz 3 VgV bzw. § 3b EU Abs. 4 Nr. 5 Satz 3 VOB/A. Kolpatzik, VergabeR 2007, 279 (290). Kolpatzik, VergabeR 2007, 279 (293); Kulartz in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 119 Rz. 46. 9 Schröder, NZBau 2007, 216 (222).

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§ 119 | Verfahrensarten cher Wettbewerbsposition sie sich befunden haben1. Darüber hinaus führt das Diskriminierungsverbot auch dazu, dass eine Reduzierung der zu erörternden Lösungen (vgl. § 18 Abs. 6 Satz 2 VgV bzw. § 3b EU Abs. 4 Nr. 5 Satz 2 VOB/ A) allein anhand der in der Bekanntmachung oder den Vergabeunterlagen bekannt gegebenen Zuschlagskriterien (und ihrer Gewichtung bzw. Reihenfolge) vorgenommen werden kann. Denn alles andere liefe auf eine willkürliche Entscheidung hinaus2. Insbesondere ist es aus Gründen der Gleichbehandlung grundsätzlich unzulässig, die Zuschlagskriterien zu ändern. Denn der Auftraggeber könnte anderenfalls die Zuschlagskriterien zu einem Zeitpunkt ändern, an dem er bereits Kenntnis von den Lösungsvorschlägen der einzelnen Bewerber hat. Damit hätte er die Möglichkeit, das Verfahren im Sinne des einen oder anderen zu steuern, insbesondere in den Fällen, in denen die Zuschlagskriterien dazu dienen, die Zahl der zu erörternden Lösungen schrittweise zu verringern3. Stellt sich im Verlauf des Verfahrens heraus, dass der öffentliche Auftraggeber seine Bedürfnisse falsch eingeschätzt hat, darf er das Vergabeverfahren nicht fortführen, sondern muss eine Neuausschreibung vornehmen, da nicht ausgeschlossen werden kann, dass im Falle der Verlautbarung eines abweichenden Bedürfnisses, das möglicherweise durch divergierende Lösungen befriedigt werden kann, andere Unternehmen am Wettbewerb teilgenommen hätten4. Zulässig ist – in gewissen Grenzen – aber die nachträglichen Präzisierung der Zuschlagskriterien und Ausfüllung durch Unterkriterien5. Da die Grenzen zwischen der Konkretisierung und der Änderung eines Kriteriums fließend sein können, ist insoweit jedoch stets eine sorgfältige, insbesondere am Diskriminierungsverbot orientierte Einzelfallprüfung erforderlich. 56 Der Grundsatz der Vertraulichkeit bedeutet, dass der Auftraggeber Lösungs-

vorschläge oder vertrauliche Informationen eines Unternehmens nicht ohne dessen Zustimmung an die anderen Unternehmen weitergeben und diese nur

1 OLG Brandenburg v. 7.5.2009 – Verg W 6/09, NZBau 2009, 734 (736); mit kritischer Anm. Mösinger, NZBau 2009, 695 ff. 2 VK Düsseldorf v. 11.8.2006 – VK-30/2006-L, IBRRS 2006, 4506; Opitz, VergabeR 2006, 451 (458). 3 Knauff, NZBau 2005, 249 (251); Knauff, VergabeR 2004, 287 (292); EU-Kommission, Erläuterungen – Wettbewerblicher Dialog – Klassische Richtlinie, Dokument CC/2005/ 04_rev1 v. 5.10.2005, S. 6 f.; differenzierend Kolpatzik, VergabeR 2007, 279 (290 f.), der eine Konkretisierung der Zuschlagskriterien für nur begrenzt zulässig hält. Zweifel an der Zulässigkeit bestünden unter dem Gesichtspunkt der Gleichbehandlung und der Transparenz insbesondere dann, wenn die Vergabestelle nach den bisherigen Zuschlagskriterien bereits vergaberelevante Ausschließungsentscheidungen getroffen habe. 4 Knauff, NZBau 2005, 249 (251). 5 Vgl. EuGH v. 24.11.2005 – Rs. C-331/04, Slg. 2005, I-10122, 10136, Rz. 32; Mestmäcker/ Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, S. 995; Kus, VergabeR 2006, 851 (860 f.); Opitz, VergabeR 2006, 451, 461; Kaelble in Müller-Wrede, ÖPP-Beschleunigungsgesetz, S. 37, 53 (insb. auch Fn. 52).

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im Rahmen des Vergabeverfahrens verwenden darf (vgl. § 18 Abs. 5 Satz 3 VgV bzw. § 3b EU Abs. 4 Nr. 4 Satz 3 VOB/A). Daraus folgt, dass der Dialog grundsätzlich getrennt mit den einzelnen Unternehmen „hinter verschlossenen Türen“ zu führen ist1. Etwas anderes kann nur im Falle der Zustimmung der Teilnehmer zur Weitergabe von Lösungsvorschlägen oder vertraulichen Informationen gelten2. Eine solche Zustimmung darf gem. § 18 Abs. 5 Satz 4 VgV indes nicht allgemein, sondern nur in Bezug auf die beabsichtigte Mitteilung bestimmter Informationen erteilt werden. Das Zustimmungserfordernis wird insbesondere auch dann relevant, wenn das Verfahren ohne Ergebnis endet, also außenwirksam aufgehoben wurde. Konkret ist es dem Aufraggeber dann nämlich verwehrt, mit den Erkenntnissen aus dem Verfahren ein neues Verfahren – dann ggf. als offenes oder nicht offenes Verfahren – zu initiieren, wenn er dabei die Leistungsbeschreibung auf konzeptionelle Erkenntnisse aus dem Dialogverfahren stützen will3. Bei der Reduzierung der zu erörternden Lösungen (vgl. § 18 Abs. 6 Satz 2 VgV 57 bzw. § 3b EU Abs. 4 Nr. 5 Satz 2 VOB/A) soll nur die „Zahl der zu erörternden Lösungen“ reduziert werden, nicht (unbedingt) die Zahl der Teilnehmer4. Schon weil ein Teilnehmer auch mehr als eine Lösung in den Dialog einführen kann, bedeutet eine Reduzierung der Lösungen daher nicht zwangsläufig eine Reduzierung der Teilnehmer5. In den meisten Fällen werden die Teilnehmer jedoch jeweils nur eine Lösung vorlegen und der Ausschluss einer Lösung ist dann gleichbedeutend mit dem Ausscheiden des betreffenden Teilnehmers6. Mit Blick auf das Wettbewerbsgebot, welches auch in § 18 Abs. 6 Satz 4 VgV und § 3b EU Abs. 4 Nr. 5 Satz 4 VOB/A zum Ausdruck kommt, ist fraglich, wie weit die Reduzierung der zu erörternden Lösungen konkret gehen darf, und ob – wie im Verhandlungsverfahren (s. hierzu Rz. 38) – ein sog. preferred-bidder-Verfahren zulässig ist. Teile des Schrifttums halten dies für per se unzulässig, mit der Folge, dass im Ergebnis die Zahl der Teilnehmer nur bis auf minimal zwei reduziert 1 Opitz, VergabeR 2006, 451, 457; Leinemann/Maibaum, VergabeR 2004, 275 (279); Knauff, NZBau 2005, 249 (252); EU-Kommission, Erläuterungen – Wettbewerblicher Dialog – Klassische Richtlinie, Dokument CC/2005/04_rev1 v. 5.10.2005, S. 7. 2 Opitz, VergabeR 2006, 451 (457); EU-Kommission, Erläuterungen – Wettbewerblicher Dialog – Klassische Richtlinie, Dokument CC/2005/04_rev1 v. 5.10.2005, S. 7. 3 Kolpatzik, VergabeR 2007, 279 (292). 4 Vgl. Ruthig, NZBau 2006, 137 (141); EU-Kommission, Erläuterungen – Wettbewerblicher Dialog – Klassische Richtlinie, Dokument CC/2005/04_rev1 v. 5.10.2005, S. 9. A.A. wohl Pünder/Franzius, ZfBR 2006, 20 (22). 5 Opitz, VergabeR 2006, 451 (458). 6 Vgl. EU-Kommission, Erläuterungen – Wettbewerblicher Dialog – Klassische Richtlinie, Dokument CC/2005/04_rev1 v. 5.10.2005, S. 9 (Fn. 30), wo zugleich darauf hingewiesen wird, dass die Vergabekoordinierungsrichtlinie 2004/18/EG keine Bestimmung enthält, die die Auftraggeber daran hindert, den Teilnehmern die Einreichung mehrerer Lösungen zu erlauben.

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§ 119 | Verfahrensarten werden könne1. Nach Ansicht der EU-Kommission ist dagegen eine Reduzierung auf eine einzige Lösung und einen geeigneten Bewerber möglich2. Auch Teile des Schrifttums halten es für zulässig, dass der Auftraggeber vorrangig nur mit einem bestimmten Unternehmen (sog. preferred bidder) verhandelt3. Selbst „Scheindialoge“ mit den übrigen Bietern sollen in diesem Zusammenhang erlaubt sein4. Letzterer Ansicht kann nur mit der Einschränkung zugestimmt werden, dass die Gespräche aber nicht von vornherein so konzipiert werden dürfen, dass sich aus den vorgeschlagenen Lösungen nur ein zuschlagfähiges Angebot herausfiltern lässt. Denn zumindest dies ist mit dem Wettbewerbsgrundsatz unvereinbar5. 58 Der Auftraggeber hat den Dialog für abgeschlossen zu erklären, wenn eine Lö-

sung gefunden worden ist, die seine Bedürfnisse erfüllt oder erkennbar ist, dass keine Lösung gefunden werden kann (vgl. § 18 Abs. 7 VgV bzw. § 3b EU Abs. 4 Nr. 6 VOB/A). Im erstgenannten Fall hat der Auftraggeber die Teilnehmer aufzufordern, auf der Grundlage der eingereichten und in der Dialogphase näher ausgeführten Lösungen ihr endgültiges Angebot vorzulegen (vgl. § 18 Abs. 8 VgV bzw. § 3b EU Abs. 4 Nr. 7 VOB/A. Damit beginnt die Angebotsphase. Um dem Wettbewerbs- und Gleichbehandlungsgrundsatz hinreichend Rechnung zu tragen, ist sämtlichen Bietern für die abschließende Angebotsabgabe eine angemessene Frist einzuräumen, die ausreichend Zeit für eine Angebotsanpassung lässt6. Dabei muss der Auftraggeber, auch wenn er grundsätzlich zu einem Ausgleich von Wettbewerbsnachteilen verpflichtet ist, diesen Ausgleich allerdings nicht dahingehend vornehmen, dass er die Bieter, die im wettbewerblichen Dialog einen ausgeschiedenen Lösungsvorschlag eingereicht haben, in dieselbe Position versetzt wie ihre Konkurrenten zu Beginn der vorangehenden Dialogphase. Denn es würde dem Wesen des in Form von Dialogphasen durchgeführten wettbewerblichen Dialogs widersprechen, bei Ausschluss einer Lösung einem Unternehmen deutlich mehr Zeit einzuräumen als die Konkurrenten benötigen, damit der Anbieter der ausgeschlossenen Lösung im Wettbewerb bleiben kann. Hierdurch würde der Auftraggeber vielmehr diejenigen Bieter benachteiligen, die von ihm bevorzugte Lösungen eingereicht haben7.

59 Die Angebote müssen alle Einzelheiten enthalten, die zur Ausführung des Pro-

jekts erforderlich sind. Der öffentliche Auftraggeber kann Klarstellungen und Ergänzungen zu diesen Angeboten verlangen. Diese Klarstellungen oder Ergän-

1 M.w.N. Opitz, VergabeR 2006, 451 (459); Burgi, DVBl. 2007, 649 (656). 2 EU-Kommission, Erläuterungen – Wettbewerblicher Dialog – Klassische Richtlinie, Dokument CC/2005/04_rev1 v. 5.10.2005, S. 8 f. Kritisch dazu Opitz, VergabeR 2006, 451 (459). 3 Pünder/Franzius, ZfBR 2006, 20 (23). 4 Knauff, NZBau 2005, 249 (252). 5 Ähnlich Pünder/Franzius, ZfBR 2006, 20 (23). 6 Vgl. Ruthig, NZBau 2006, 137 (141); Pünder/Franzius, ZfBR 2006, 20 (23). 7 OLG Brandenburg v. 7.5.2009 – Verg W 6/09, NZBau 2009, 734 (736); mit kritischer Anm. Mösinger, NZBau 2009, 695 ff.

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zungen dürfen indes nicht dazu führen, dass wesentliche Bestandteile des Angebots oder des öffentlichen Auftrags einschließlich der in der Auftragsbekanntmachung oder in den Vergabeunterlagen festgelegten Bedürfnisse und Anforderungen grundlegend geändert werden, wenn dadurch der Wettbewerb verzerrt wird oder andere am Verfahren beteiligte Unternehmen diskriminiert werden (vgl. oben unter Rz. 55 sowie § 18 Abs. 8 Satz 2, 3 und 4 VgV bzw. § 3b EU Abs. 4 Nr. 7 Satz 2, 3 und 4)1. Der öffentliche Auftraggeber hat die Angebote anhand der in der Auftragsbekanntmachung oder den Vergabeunterlagen festgelegten Zuschlagskriterien zu bewerten. Dabei kann der öffentliche Auftraggeber mit dem Unternehmen, dessen Angebot als das wirtschaftlichste ermittelt wurde, zwar mit dem Ziel Verhandlungen führen, im Angebot enthaltene finanzielle Zusagen oder andere Bedingungen zu bestätigen, die in den Auftragsbedingungen abschließend festgelegt werden. Auch dies darf allerdings nicht dazu führen, dass wesentliche Bestandteile des Angebots oder des öffentlichen Auftrags einschließlich der in der Auftragsbekanntmachung oder den Vergabeunterlagen festgelegten Bedürfnisse und Anforderungen grundlegend geändert werden, der Wettbewerb verzerrt wird oder andere am Verfahren beteiligte Unternehmen diskriminiert werden (vgl. oben unter Rz. 55 sowie § 18 Abs. 9 VgV bzw. § 3b EU Abs. 4 Nr. 8 VOB/A)2. Den (positiven) Abschluss des Verfahrens bildet der Zuschlag. Scheitert der 60 wettbewerbliche Dialog dagegen, weil entweder keine Lösung gefunden wurde oder keine bzw. keine ordnungsgemäßen (wertungsfähigen) Angebote abgegeben wurden, so liegt ein Aufhebungsgrund gem. § 63 Abs. 1 Nr. 1 VgV bzw. § 17 EU Abs. 1 Nr. 1 VOB/A vor3. Verlangt der öffentliche Auftraggeber, dass die am wettbewerblichen Dialog teil- 61 nehmenden Unternehmen Entwürfe, Pläne, Zeichnungen, Berechnungen oder andere Unterlagen ausarbeiten, so muss er gem. § 3b EU Abs. 4 Nr. 9 VOB/A einheitlich allen Unternehmen, die die geforderten Unterlagen rechtzeitig vorgelegt haben, eine angemessene Kostenerstattung gewähren. Für den Anwendungsbereich der Vergabeverordnung (VgV) sieht § 18 Abs. 10 VgV dagegen nur vor, dass der öffentliche Auftraggeber Prämien oder Zahlungen an die Teilnehmer am Dialog vorsehen kann. Da die Erarbeitung innovativer Lösungsansätze aber regelmäßig mit hohem Kostenaufwand verbunden ist, dürfte der öffentliche Auftraggeber qualifizierte Unternehmen jedoch nur dann für eine Teilnahme am wettbewerblichen Dialog gewinnen können, wenn Entsprechendes zugesichert wird4. 1 Vgl. auch Kulartz in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 119 Rz. 51. 2 Vgl. auch Kulartz in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 119 Rz. 51. 3 Opitz, VergabeR 2006, 451 (456). 4 So auch Rechten, NZBau 2004, 366 (369); sowie Kulartz in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 119 Rz. 53.

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§ 119 | Verfahrensarten 5. Innovationspartnerschaft (§ 119 Abs. 7) a) Begriff und Bedeutung 62 § 119 Abs. 7 definiert die Innovationspartnerschaft als „ein Verfahren zur Ent-

wicklung innovativer, noch nicht auf dem Markt verfügbarer Liefer-, Bau- oder Dienstleistungen und zum anschließenden Erwerb der daraus hervorgehenden Leistungen“. Nach einem Teilnahmewettbewerb verhandelt der öffentliche Auftraggeber in mehreren Phasen mit den ausgewählten Unternehmen über die Erst- und Folgeangebote.“ Diese Definition steht im Einklang mit Art. 31 der Richtlinie 2014/24/EU und Art. 49 der Richtlinie 2014/25/EU, mit welchem das neue Verfahren der Innovationspartnerschaft erstmals im europäischen Vergaberecht eingeführt und bereits sehr detailliert beschrieben wurde. Die Einführung der Innovationspartnerschaft geht zurück auf das ursprünglich angedachte „Toolbox“-Konzept der Europäischen Kommission1.

63 Ausweislich der Gesetzesbegründung2 ist

„die Innovationspartnerschaft […] ein besonderes Vergabeverfahren zur Entwicklung und dem anschließenden Erwerb innovativer Liefer-, Bau- oder Dienstleistungen, wenn der bestehende Bedarf nicht durch bereits auf dem Markt verfügbare Lösungen befriedigt werden kann. Die Innovationspartnerschaft ermöglicht es öffentlichen Auftraggebern, eine langfristige Innovationspartnerschaft mit einem oder mehreren Partnern für die Entwicklung und den anschließenden Erwerb neuer, innovativer Leistungen zu begründen, ohne dass ein getrenntes Vergabeverfahren für den Kauf erforderlich ist. Voraussetzung ist, dass für solche innovativen Leistungen die vereinbarten Leistungs- und Kostenniveaus eingehalten werden können. Die Innovationspartnerschaft stützt sich im Kern auf die Verfahrensregeln, die für das Verhandlungsverfahren gelten, da dies für den Vergleich von Angeboten für innovative Lösungen am besten geeignet ist, wobei die Auftragsvergabe auf der Grundlage des besten Preis-Leistungs-Verhältnisses erfolgt. Unabhängig davon, ob es um sehr große Vorhaben oder um kleinere innovative Vorhaben geht, sollte die Innovationspartnerschaft so strukturiert sein, dass sie die erforderliche Marktnachfrage bewirken kann, die die Entwicklung einer innovativen Lösung anstößt, ohne jedoch zu einer Marktabschottung zu führen. Vor diesem Hintergrund darf die Innovationspartnerschaft nicht genutzt werden, um den Wettbewerb zu behindern, einzuschränken oder zu verfälschen. In bestimmten Fällen könnten solche Effekte durch die Gründung von Innovationspartnerschaften mit mehreren Partnern vermieden werden.“

1 Vgl. Europäische Kommission, Mitteilung der Kommission „Europa 2020“, Eine Strategie für intelligentes, nachhaltiges und integriertes Wachstum, KOM(2010) 2020 endg., S. 9; Badenhausen-Fähnle, VergabeR 2015, 743 (744). 2 Vgl. BT-Drucks. 18/6281, S. 98.

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Erwägungsgrund 49 der Richtlinie 2014/24/EU führt – im Wortlaut nahezu 64 identisch mit Erwägungsgrund 59 der Richtlinie 2014/25/EU – zur Innovationspartnerschaft aus: „Kann der Bedarf an der Entwicklung eines innovativen Produkts beziehungsweise einer innovativen Dienstleistung oder innovativer Bauleistungen und dem anschließenden Erwerb dieses Produkt beziehungsweise dieser Dienstleistung oder dieser Bauleistungen nicht durch bereits auf dem Markt verfügbare Lösungen befriedigt werden, so sollten öffentliche Auftraggeber in Bezug auf Aufträge, die in den Anwendungsbereich dieser Richtlinie fallen, Zugang zu einem spezifischen Beschaffungsverfahren haben. Dieses spezifische Verfahren sollte es den öffentlichen Auftraggebern ermöglichen, eine langfristige Innovationspartnerschaft für die Entwicklung und den anschließenden Kauf neuer, innovativer Waren, Dienstleistungen oder Bauleistungen zu begründen – unter der Voraussetzung, dass für solche innovativen Waren, Dienstleistungen oder Bauleistungen die vereinbarten Leistungs- und Kostenniveaus eingehalten werden können, und ohne dass ein getrenntes Vergabeverfahren für den Kauf erforderlich ist. Die Innovationspartnerschaft sollte sich auf die Verfahrensregeln stützen, die für das Verhandlungsverfahren gelten, und die Auftragsvergabe sollte einzig auf der Grundlage des besten PreisLeistungs-Verhältnisses erfolgen, was für den Vergleich von Angeboten für innovative Lösungen am besten geeignet ist. Ganz gleich, ob es um sehr große Vorhaben oder um kleinere innovative Vorhaben geht, sollte die Innovationspartnerschaft so strukturiert sein, dass sie die erforderliche Marktnachfrage („Market Pull“) bewirken kann, die die Entwicklung einer innovativen Lösung anstößt, ohne jedoch zu einer Marktabschottung zu führen. Die öffentlichen Auftraggeber sollten daher Innovationspartnerschaften nicht in einer Weise nutzen, durch die der Wettbewerb behindert, eingeschränkt oder verfälscht wird. In bestimmten Fällen könnten solche Effekte durch die Gründung von Innovationspartnerschaften mit mehreren Partnern vermieden werden.“ Das Verfahren der Innovationspartnerschaft verbindet den Abschluss einer 65 Entwicklungskooperation mit der anschließenden Beschaffung der in der Kooperation entwickelten Innovation, ohne dass es einer erneuten Ausschreibung bedarf1. Genau hierin, d.h. in der Möglichkeit Entwicklung und Erwerb des Entwicklungsergebnisses in einem einheitlichen Beschaffungsvorgang abbilden zu können, liegt auch die mit dieser Vergabeart verbundene wesentliche Neuerung2. Durch die Verknüpfung von Produktentwicklung und Produktbeschaffung soll die Motivation der Unternehmen, sich am Entwicklungsauftrag zu beteiligen, erhöht werden. Es wird angestrebt, das bisher auf Seiten der Unternehmen häufig zu beobachtende Dilemma aufzulösen, dass diese teilweise von Entwicklungsprojekten Abstand nehmen, um nicht vor dem Hintergrund 1 Badenhausen-Fähnle, VergabeR 2015, 743 (744). 2 Rosenkötter, VergabeR 2016, 196.

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§ 119 | Verfahrensarten der sog. Projektenproblematik ihre Chancen in dem Verfahren betreffend den (lukrativeren) Umsetzungsauftrag zu gefährden, hingegen andere Marktteilnehmer aber auch von der Umsetzungsausschreibung Abstand nehmen, weil sie einen Wissensvorsprung des Entwicklers befürchten1. 66 In Anbetracht der Ähnlichkeiten zum Verhandlungsverfahren und zum wett-

bewerblichen Dialog wird die Notwendigkeit bzw. zukünftige Bedeutung der Innovationspartnerschaft sowie deren Mehrwert gleichwohl zuweilen in Frage gestellt2. Denn bereits der wettbewerbliche Dialog stellt eine nicht nur flexible und auf ein gewisses Innovationspotential hin ausgerichtete Möglichkeit der Auftragsvergabe dar. Vielmehr räumt auch das Verhandlungsverfahren dem öffentlichen Auftraggeber aufgrund seiner wenig formalen Vorgaben eine besondere Flexibilität ein. Schließlich besteht auch ein nicht unerhebliches Risiko für die beteiligten Wirtschaftsteilnehmer, einen (nicht hinreichend kompensierten) Verlust ihres unternehmerischen Wissens zu erleiden3.

67 Allerdings bringt – hierauf weist vor allem Badenhausen-Fähnle4 hin – die Inno-

vationspartnerschaft wohl auch einige Vorteile mit sich. So sind im Vergleich zum wettbewerblichen Dialog auch nach der Abgabe der Angebote weitergehende Verhandlungen im Hinblick auf Preis und Leistung möglich. Dies verbessert die Chancen auf ein bestmögliches Angebot für den Auftraggeber. Im Vergleich zum Verhandlungsverfahren bedarf es bei der Innovationspartnerschaft zudem auch noch weniger konkreter Vorgaben der Leistungsbeschreibung. Eine funktionale Leistungsbeschreibung ist jedenfalls ausreichend, da der öffentliche Auftraggeber die erwünschte Leistung vor der Entwicklungstätigkeit noch nicht in allen Einzelheiten beschreiben können wird. Dadurch kann der „Ideenreichtum“ der teilnehmenden Unternehmen zur Lösungsfindung bestmöglich zum Einsatz kommen und ggf. zu einem „Innovationsschub“ führen. Zudem bietet die Innovationspartnerschaft gegenüber beiden Verfahrensarten dem Auftraggeber die Möglichkeit der Beendigung nach Abschluss der jeweiligen Phasen (s. unten Rz. 90), wodurch das Verfahren der Innovationspartnerschaft eine noch größere Flexibilität für den Auftraggeber gewinnt. Schließlich besteht ein maßgeblicher Nutzen der Innovationspartnerschaft in der Koppelung von Entwicklungstätigkeit und späterer Beschaffung, ohne dass es einer erneuten Ausschreibung bedarf5.

1 Rosenkötter, VergabeR 2016, 196 (197). 2 So insb. Neun/Otting, EuZW 2014, 446 (449); sowie Kulartz in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 119 Rz. 57. Differenzierter, aber im Ergebnis ebenfalls skeptisch Badenhausen-Fähnle, VergabeR 2015, 743 ff.; sowie Rosenkötter, VergabeR 2016, 196 (201 f.). 3 Vgl. zum Ganzen und m.w.N. Badenhausen-Fähnle, VergabeR 2015, 743 f.; Rosenkötter, VergabeR 2016, 196 (201 f.). 4 Vgl. Badenhausen-Fähnle, VergabeR 2015, 743 ff. 5 Vgl. zum Ganzen und m.w.N. Badenhausen-Fähnle, VergabeR 2015, 743 ff., insb. 757.

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Andererseits stehen den beschriebenen Vorteilen auch nicht unerhebliche Nach- 68 teile gegenüber. So stößt die Innovationspartnerschaft nämlich insbesondere im Hinblick auf die Wahrung der Vergaberechtsgrundsätze auf nicht unerhebliche Bedenken, namentlich eine Einschränkung des chancengleichen Wettbewerbs sowie ein Mangel an Transparenz infolge der möglichen schrittweisen Konkretisierung von Verfahrensgegenstand und Verfahrensgestaltung, und damit einhergehend u.U. auch ein Mangel an Nachprüfbarkeit1. Im Ergebnis erscheint es daher fraglich, ob die Innovationspartnerschaft eine 69 große praktische Bedeutung erlangen, insbesondere von Seiten der Bieter angenommen werden wird. Es spricht Einiges dafür, dass – wie BadenhausenFähnle2 und Rosenkötter3 prognostizieren – die neue Verfahrensart der Innovationspartnerschaft letztlich auf Einzelfälle bzw. bestimmte Branchen beschränkt bleiben wird. Hierfür spricht zum einen, dass ein solches Verfahren nur bei erheblicher Marktdurchdringung und Fachkompetenz des Auftraggebers sinnvoll durchgeführt werden kann. Zum anderen fehlt es aus Unternehmersicht auch an hinreichenden Anreizen für eine Beteiligung am Verfahren. Insbesondere fehlen Regelungen für die Entschädigung der in die Verhandlung eingebrachten Lösungen sowie Regelungen im Hinblick auf die Gesamtbewertung der Innovation4. b) Anwendungsbereich Der sachliche Anwendungsbereich der Innovationspartnerschaft ist eröffnet für 70 Fälle, in denen der Auftraggeber einen Bedarf nach einem innovativen Produkt bzw. einer innovativen Dienst- oder Bauleistung angibt, der nicht durch den Erwerb von bereits auf dem Markt verfügbaren Produkten bzw. Dienstoder Bauleistungen befriedigt werden kann5. Der Begriff „Innovation“ wird gem. Art. 2 Nr. 22 der Richtlinie 2014/24/EU 71 und Art. 2 Nr. 18 der Richtlinie 2014/25/EU legaldefiniert als „die Einführung von neuen oder deutlich verbesserten Produkten, Dienstleistungen oder Verfahren, einschließlich – aber nicht beschränkt auf – Produktions-, Bau- oder Konstruktionsverfahren, einer neuen Vermarktungsmethode oder eines neuen Organisationsverfahrens in Bezug auf Geschäftspraxis, Abläufe am Arbeitsplatz oder externe Beziehungen, u.a. mit dem Zweck, zur Bewältigung gesellschaftlicher Herausforderungen beizutragen oder die Strategie Europa 2020 für intelligentes, nachhaltiges und integratives Wachstum zu unterstützen“. Es geht also um Fälle, 1 2 3 4 5

Vgl. zum Ganzen und m.w.N. Badenhausen-Fähnle, VergabeR 2015, 743 ff., insb. 757 f. Vgl. Badenhausen-Fähnle, VergabeR 2015, 743 (758). Vgl. Rosenkötter, VergabeR 2016, 196 (202). Vgl. Rosenkötter, VergabeR 2016, 196 (202). Vgl. Badenhausen-Fähnle, VergabeR 2015, 743 (744 ff.); Rosenkötter, VergabeR 2016, 196 (197 f.); Prieß/Stein, NZBau 2014, 323 (326).

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§ 119 | Verfahrensarten in denen der Auftraggeber einen Auftragnehmer auswählt, der ein marktfähiges Produkt oder eine Dienst- oder Bauleistung zunächst entwickelt und diese sodann unter Umständen auch in Serie mit fakultativer Kaufoption zur Verfügung stellt. 72 Fraglich, umstritten und bislang noch nicht abschließend geklärt ist zum einen

die Frage der Abgrenzung der Innovationspartnerschaft zum wettbewerblichen Dialog und zum Verhandlungsverfahren; zum anderen, die eng damit verbundene Frage, ob bei Vorliegen der Anwendungsvoraussetzungen der Innovationspartnerschaft die Entscheidung für eine Innovationspartnerschaft verpflichtend ist, oder ob es dem Auftraggeber grundsätzlich auch offen steht, sich für eine der anderen Verfahrensarten zu entscheiden1.

73 Teilweise wird im Schrifttum insoweit – unter Hinweis auf die Legaldefinition

des Begriffs „Innovation“ (s. Rz. 71) – davon ausgegangen, dass das allein maßgebliche Kriterium für die Abgrenzung der Innovationspartnerschaft zum wettbewerblichen Dialog und zum Verhandlungsverfahren die Verfügbarkeit des Beschaffungsgegenstandes auf dem Markt sei2. Ist zur Bedarfsdeckung des Auftraggebers zunächst die Entwicklung eines neuen, auf dem Markt noch nicht vorhandenen Produktes bzw. einer noch nicht vorhandenen Dienst- oder Bauleistung erforderlich, so komme nur das Vergabeverfahren der Innovationspartnerschaft in Betracht. Kann der Auftraggeber hingegen seinen Bedarf mit vorhandenen Produkten bzw. Dienst- oder Bauleistungen decken, können (nur) das Verhandlungsverfahren oder der wettbewerbliche Dialog einschlägig sein3. Eine tatsächliche Überschneidung der Anwendungsbereiche der drei Verfahren, denen allen eine gewisse „Lösungsoffenheit“ immanent ist, bestehe mithin gar nicht, sondern sei vielmehr nur eine „scheinbare Überschneidung“4. Insbesondere sei der Begriff der „innovativen Lösungen“ i.S.v. Art. 26 Abs. 4 lit. a) ii) der Richtlinie 2014/24/EU im Rahmen des wettbewerblichen Dialogs und des Verhandlungsverfahrens als „Lösungsoffenheit“ im Hinblick auf die Beschaffung bereits am Markt existierender Gegenstände zu verstehen, bei denen der Auftraggeber seinen Bedarf jedoch nicht definieren oder nicht beurteilen kann, welche technischen, finanziellen oder rechtlichen Lösungen der Markt bereits hervorbringt. Dagegen sei die „Lösungsoffenheit“ im Fall einer Innovationspartnerschaft so zu verstehen, dass der Auftraggeber zwar in der Lage ist, die Marktsituation zu überblicken, der Markt den in Rede stehenden Beschaffungsgegenstand aber nicht bereithält5. In der Folge dieses „entweder oder“ bzw. des nur scheinbaren, tatsächlich aber gar nicht existenten Überschneidungsbereichs 1 Vgl. zum Streitstand insb. Badenhausen-Fähnle, VergabeR 2015, 743 (745 ff.); Rosenkötter, VergabeR 2016, 196 (197 f.). 2 So Badenhausen-Fähnle, VergabeR 2015, 743 (745 ff.). 3 So Badenhausen-Fähnle, VergabeR 2015, 743 (745 f.) 4 So Badenhausen-Fähnle, VergabeR 2015, 743 (745 f.) 5 So Badenhausen-Fähnle, VergabeR 2015, 743 (746).

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stelle sich die Frage, ob es dem Auftraggeber bei Vorliegen der Anwendungsvoraussetzungen der Innovationspartnerschaft grundsätzlich auch offen steht, sich für eine der anderen Verfahrensarten zu entscheiden, nicht1. Die vorgenannte, allein auf die Marktverfügbarkeit abstellende Auffassung (s. 74 Rz. 73) wird von anderen Teilen der Literatur als „zu pauschal“ kritisiert2. Nach der Gegenansicht könne durchaus eine Überschneidung der Anwendungsbereiche von Innovationspartnerschaft und wettbewerblichem Dialog und/oder Verhandlungsverfahren vorliegen. Ähnlich wie im Verhältnis zwischen Verhandlungsverfahren und wettbewerblichem Dialog sei davon auszugehen, dass bei Sachverhalten, die die Entscheidung für die Durchführung einer Innovationspartnerschaft erlauben würden, auch die Durchführung eines wettbewerblichen Dialogs und/oder eines Verhandlungsverfahrens grundsätzlich denkbar wäre3. In der Folge stellt sich sodann auch die Frage, ob bei Vorliegen der Anwendungsvoraussetzungen der Innovationspartnerschaft die Entscheidung für diese Verfahrensart verpflichtend ist, oder ob es dem Auftraggeber grundsätzlich auch offen steht, sich für eine der anderen Verfahrensarten zu entscheiden. Diesbezüglich wird davon ausgegangen, dass ein Ermessen des Auftraggebers bestehe, welches u.a. maßgeblich dadurch beeinflusst werde, wie „marktfern“ der Bedarf zu qualifizieren ist. Auch wenn der Markt gegenwärtig noch nicht über die Produkte verfügt, die zur Bedarfsdeckung notwendig sind, ist es durchaus denkbar, dass durch überschaubare Anpassungen und Fortentwicklungen von vorhandenen Produkten eine Lösung möglich ist. In dieser Konstellation sei durchaus auch ein wettbewerblicher Dialog, in dem die notwendigen Anpassungen entweder im Rahmen des Dialogs erarbeitet werden oder im Rahmen eines Customizing zu Beginn der Ausführungsphase, denkbar. Wenn dagegen eine ergebnisoffene Entwicklung im Raum steht, bei der das Ergebnis auch sein kann, dass es keine Lösung für den zugrunde gelegten Bedarf gibt, erscheine indes die Innovationspartnerschaft als das sachgerechtere Verfahren4. Vor diesem Hintergrund steht zu erwarten, dass sich in der Praxis oftmals die 75 Frage der Wahl der richtigen Verfahrensart stellen wird5. Ein wesentliches Problem dürfte dabei bereits sein, wie ein durchschnittlicher Auftraggeber nachweisen soll, dass die bei ihm bestehende Nachfrage nicht durch bereits am Markt verfügbare Produkte, Dienstleistungen oder Bauleistungen befriedigt werden kann. Hierfür bedarf es einer erheblichen branchenspezifischen Fachkenntnis und eines umfassenden Marktüberblicks. Fehleinschätzungen sind insoweit nicht auszuschließen. Geht der Auftraggeber indes irrtümlich davon aus, dass 1 2 3 4 5

So Badenhausen-Fähnle, VergabeR 2015, 743 (746). Vgl. Rosenkötter, VergabeR 2016, 196, 198 (Fn. 5). Vgl. Rosenkötter, VergabeR 2016, 196 (197 f.) Vgl. Rosenkötter, VergabeR 2016, 196 (198). Vgl. hierzu auch Badenhausen-Fähnle, VergabeR 2015, 743 (747); Rosenkötter, VergabeR 2016, 196 (198).

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§ 119 | Verfahrensarten der Markt den Beschaffungsgegenstand noch nicht hervorbringt und wählt die Verfahrensart der Innovationspartnerschaft, obwohl stattdessen lediglich eine andere Verfahrensart in Betracht gekommen wäre, liegt ein Fall der Wahl einer „falschen Vergabeart“ vor, da der sachliche Anwendungsbereich der Innovationspartnerschaft objektiv-rechtlich nicht eröffnet ist1. Ein solcher Vergaberechtsverstoß könnte, da die Vorschriften betreffend die Wahl des richtigen Verfahrens bieterschützend sind2, im Wege eines Nachprüfungsverfahrens geltend gemacht werden3. 76 Rosenkötter weist in diesem Zusammenhang – zutreffend – darauf hin, dass die

vergleichbare Problematik im Rahmen des wettbewerblichen Dialogs dahingehend gelöst wurde, dass die Entscheidung für die Verfahrensart bereits dann zulässig ist, wenn anhand der dem öffentlichen Auftraggeber zur Verfügung stehenden Ressourcen nicht ersichtlich ist, welche Lösung für die Deckung des vorhandenen Bedarfs geeignet ist. Zweifelhaft ist jedoch, ob dies auch in Bezug auf die Innovationspartnerschaft eine sachgerechte Lösung darstellen würde. Denn die Folgen einer Fehleinschätzung sind hier deutlich gravierender und grundlegender. Verkennt ein Auftraggeber nämlich die Marktsituation und leitet ein Verfahren zur Anbahnung einer Innovationspartnerschaft an, würde ein Anbieter, der bereits ein solches Produkt auf dem Markt anbietet, schwerlich in der vorgesehenen Vertragsstruktur einer Innovationspartnerschaft abgebildet werden können, insbesondere wäre die Entwicklungsphase obsolet4.

77 Schließlich ist zu beachten, dass der Anwendungsbereich der Innovationspart-

nerschaft von vornherein auch durch Art. 14 der Richtlinie 2014/24/EU bzw. Art. 32 der Richtlinie 2014/25/EU eingeschränkt wird. Danach gelten die Richtlinien 2014/24/EU und 2014/25/EU nur für die Beschaffung bestimmter Forschungs- und Entwicklungsdienstleistungen, deren Ergebnisse ausschließlich Eigentum des öffentlichen Auftraggebers für seinen Gebrauch bei der Ausübung seiner eigenen Tätigkeit sind, sofern die Dienstleistung vollständig durch den öffentlichen Auftraggeber vergütet wird. Bei der Erstellung eines Produktes ergeben sich hingegen keine Einschränkungen5.

1 Ebenso Badenhausen-Fähnle, VergabeR 2015, 743 (747); Rosenkötter, VergabeR 2016, 196 (198). 2 Vgl. BGH v. 10.11.2009 – X ZB 8/09, NZBau 2010, 124 (126); VK Brandenburg v. 23.11. 2004 – VK 58/04, IBRRS 2005, 2863; VK Sachsen-Anhalt v. 30.1.2004 – VK HAL 26/03, IBRRS 2005, 2076. 3 Badenhausen-Fähnle, VergabeR 2015, 743 (747). 4 Hierauf hinweisend Rosenkötter, VergabeR 2016, 196 (198). 5 Vgl. Badenhausen-Fähnle, VergabeR 2015, 743 (745); sowie auch die Erwägungsgründe 47 der Richtlinie 2014/24/EU und 57 der Richtlinie 2014/25/EU.

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c) Grundzüge und Grundsätze des Verfahrens Der Verfahrensablauf der Innovationspartnerschaft ist in § 119 Abs. 7 nicht ge- 78 regelt. Die Regelungen hierzu in Art. 31 der Richtlinie 2014/24/EU und Art. 49 der Richtlinie 2014/25/EU erweisen sich ebenfalls als unübersichtlich und ungenau1. Konkretere Regelungen zum Verfahrensablauf finden sich in § 19 VgV, § 18 SektVO und § 3b EU Abs. 5 VOB/A. Die Innovationspartnerschaft stützt sich im Kern auf die Verfahrensregeln, die 79 für das Verhandlungsverfahren gelten2. Ein Rückgriff auf den wenig formalisierten Verfahrensablauf des Verhandlungsverfahrens ist jedoch nur insoweit möglich, wie die Bestimmungen zur Innovationspartnerschaft keine eigenen Regelungen enthalten bzw. sich keine Widersprüche zur Konzeption der Innovationspartnerschaft ergeben3. Wie beim Verhandlungsverfahren wird auch bei der Innovationspartnerschaft kein förmliches Vergabeverfahren, wie es bei dem offenen und nicht offenen Verfahren der Fall ist, durchgeführt. Der Auftraggeber verhandelt vielmehr mit ausgewählten Unternehmen über die Auftragsbedingungen. Die Innovationspartnerschaft gliedert sich insgesamt in drei bzw. vier (Haupt-)Phasen, die Bekanntmachungsphase mit Teilnahmewettbewerb, die Verhandlungsphase und die Innovationspartnerschaft i.e.S., welche sich ihrerseits nochmals in zwei (Unter-)Phasen unterteilt4, namentlich die Forschungs- und Entwicklungsphase sowie die Leistungsphase5. Die Innovationspartnerschaft kann daher in verfahrensrechtlicher Hinsicht letztlich auch als eine Mischung aus Verhandlungsverfahren (Verhandlungen über Erstanzeige und Folgeangebote) und wettbewerblichem Dialog (geringere Anforderungen an Leistungsbeschreibung), angereichert mit eigenen Elementen (abschließende freie Entscheidung über den Kauf und Möglichkeit der Loslösung von dem konkreten Beschaffungsgegenstand) beschrieben werden6. Die Grenzen bzw. der Grundmaßstab für die zulässige Verfahrensgestaltung ergibt sich darüber hinaus – wie für alle übrigen Vergabearten auch – aus den drei zentralen Vergabegrundsätzen, namentlich dem Transparenzgebot, dem Prinzip des fairen Wettbewerbs sowie dem Gleichbehandlungsgebot bzw. Diskriminierungsverbot7.

1 Vgl. hierzu auch Badenhausen-Fähnle, VergabeR 2015, 743 (747). 2 Vgl. BT-Drucks. 18/6281, S. 98; sowie Erwägungsgrund 49 der Richtlinie 2014/24/EU und Erwägungsgrund 59 der Richtlinie 2014/25/EU. 3 Vgl. Badenhausen-Fähnle, VergabeR 2015, 743 (747); Fehling, NZBau 2012, 673 (676). 4 Vgl. § 19 Abs. 8 Satz 1 VgV, § 18 Abs. 8 Satz 1 SektVO bzw. § 3b EU Abs. 5 Nr. 7 Satz 1 VOB/A. 5 Vgl. hierzu auch Badenhausen-Fähnle, VergabeR 2015, 743 (747); Rosenkötter, VergabeR 2016, 196 (199 ff.). 6 So Badenhausen-Fähnle, VergabeR 2015, 743 (746). 7 Ähnlich Badenhausen-Fähnle, VergabeR 2015, 743 (747).

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§ 119 | Verfahrensarten 80 Die Bekanntmachungsphase mit Teilnahmewettbewerb beginnt mit einer eu-

ropaweit zu veröffentlichenden Bekanntmachung1. Die in der Auftragsbekanntmachung notwendig aufzunehmenden Informationen sind in Anhang V Teil C der Richtlinie 2014/24/EU und Anhang XI der Richtlinie 2014/25/EU aufgeführt. Gemäß Art. 31 Abs. 1 und 2 der Richtlinie 2014/24/EU bzw. Art. 49 Abs. 1 und 2 der Richtlinie 2014/25/EU muss in der Bekanntmachung insbesondere zum Ausdruck kommen, dass Gegenstand der Ausschreibung die Nachfrage nach einem innovativen Produkt bzw. einer Dienst- oder Bauleistungen ist. Weiterhin muss mitgeteilt werden, welche Elemente der Beschreibung zwingend einzuhaltende Mindestanforderungen darstellen. Darüber hinaus sind präzise Angaben zu Art und Umfang der Leistung gefordert, die die Entscheidung über die Teilnahme ermöglichen müssen (vgl. § 19 Abs. 1 VgV, § 18 Abs. 1 SektVO bzw. § 3b EU Abs. 5 Nr. 1 VOB/A)2. Fraglich ist, ob auch der Umstand, ob ein Vertragsschluss mit einem oder mehreren Kooperationspartnern beabsichtigt ist, bereits in der Bekanntmachung mitgeteilt werden muss. Nach dem – insoweit indes nicht ganz eindeutigen bzw. „unscharfen“ – Wortlaut von Art. 31 der Richtlinie 2014/24/EU i.V.m. Art. 2 Nr. 13 der Richtlinie 2014/24/EU scheint dies zwar nicht zwingend notwendig3. Da der Umstand, ob eine Innovationspartnerschaft mit einem oder mehreren Unternehmen vorgesehen ist, aber regelmäßig maßgeblich für die Einschätzung der Geschäftschancen und Risiken ist, sollte dieser Umstand bereits (frühzeitig) in der Bekanntmachung selbst mitgeteilt werden4.

81 Im Rahmen des Teilnahmewettbewerbs fordert der Auftraggeber eine unbe-

schränkte Anzahl von Unternehmen öffentlich zur Abgabe von Teilnahmeanträgen auf. Jedes interessierte Unternehmen kann einen Teilnahmeantrag abgeben (vgl. § 19 Abs. 2 VgV, § 18 Abs. 2 SektVO bzw. § 3b EU Abs. 5 Nr. 2 VOB/A). Die Frist für den Eingang der Teilnahmeanträge muss mindestens 30 Tage, gerechnet ab dem Tag nach der Absendung der Auftragsbekanntmachung, betragen (vgl. § 19 Abs. 3 VgV, § 18 Abs. 3 SektVO bzw. § 3b EU Abs. 5 Nr. 3 VOB/ A). Entsprechend dem Vorgehen in den herkömmlichen Vergabeverfahren hat der Auftraggeber die Bewerber zunächst auf ihre Eignung hin, und zwar auf der Grundlage der von ihnen eingereichten Unterlagen zu prüfen, um sodann objektiv deren Fähigkeit auf dem Gebiet der Forschung und Entwicklung festzustellen. Die Auswahl erfolgt – unter Berücksichtigung des mit der Innovationspartnerschaft verbundenen Ziels der Entwicklung eines auf dem Markt noch nicht vorhandenen Produkts – danach, ob die Teilnehmer zur Forschung und Ent1 Vgl. Art. 31 Abs. 1 der Richtlinie 2014/24/EU und Art. 49 Abs. 1 der Richtlinie 2014/25/ EU. 2 Vgl. Rosenkötter, VergabeR 2016, 196 (199); Badenhausen-Fähnle, VergabeR 2015, 743 (748). 3 Siehe hierzu Rosenkötter, VergabeR 2016, 196 (199). 4 So auch Rosenkötter, VergabeR 2016, 196 (199).

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wicklung sowie zur Ausarbeitung und Umsetzung innovativer Lösungen fähig sind. Bei der Aufstellung der Auswahlkriterien sowie der Auswahl der Unternehmen kommt den Auftraggebern ein weiter Entscheidungsspielraum zu1. Insbesondere sind insoweit auch technische und wirtschaftliche Auswahlkriterien zulässig2. Da Innovationspotentiale aber gerade auch bei mittelständischen und kleineren Unternehmen bestehen und die später notwendigen Umsetzungsressourcen in der Sache vor Entwicklung der Lösung ohnehin noch nicht abschließend sinnvoll definiert werden können, sollte die Aufstellung der Kriterien insoweit „mit Augenmaß“ erfolgen3. Nur diejenigen Unternehmen, die vom Auftraggeber im Teilnahmewettbewerb 82 ausgewählt und dazu aufgefordert werden, können sodann ein Angebot in Form von Forschungs- und Innovationsprojekten einreichen (vgl. § 19 Abs. 4 Satz 1 VgV, § 18 Abs. 4 Satz 1 SektVO bzw. § 3b EU Abs. 5 Nr. 3 Satz 1 VOB/A). Der Auftraggeber kann die Zahl der geeigneten Bewerber, die zur Angebotsabgabe aufgefordert werden begrenzen (vgl. § 19 Abs. 4 Satz 2 VgV, § 18 Abs. 4 Satz 2 SektVO bzw. § 3b EU Abs. 5 Nr. 3 Satz 2 VOB/A). Im Einzelnen ist insoweit zwischen den Anwendungsbereichen von VgV und VOB/A einerseits sowie SektVO andererseits zu unterscheiden. Während gem. § 19 Abs. 4 Satz 2 VgV i.V.m. § 51 Abs. 2 VgV und § 3b EU Abs. 5 Nr. 3 Satz 2 VOB/A die Mindestanzahl nicht niedriger als drei sein darf4, hat gem. § 18 Abs. 4 Satz 2 SektVO i.V.m. § 45 Abs. 3 Satz 2 SektVO die Zahl der ausgewählten Bewerber lediglich der Notwendigkeit Rechnung zu tragen, dass ein angemessener Wettbewerb gewährleistet sein muss5. Mit der Aufforderung der ausgewählten Bewerber zur Teilnahme an den Ver- 83 handlungen beginnt die sog. Verhandlungsphase. Die Regelungen für die Verhandlungsphase sind wenig ausdifferenziert und wenig umfassend. Die Anzahl der Verhandlungsrunden sowie die Durchführung der Verhandlungen, insbesondere deren Inhalt und Dauer stehen im Ermessen des Auftraggebers6. Gemäß § 19 Abs. 5 VgV, § 18 Abs. 5 SektVO bzw. § 3b EU Abs. 5 Nr. 4 VOB/A verhandelt der Auftraggeber mit den Bietern über die von ihnen eingereichten Erstangebote und alle Folgeangebote, mit Ausnahme der endgültigen Angebote, mit dem Ziel, die Angebote inhaltlich zu verbessern. Dabei darf über den gesamten Auftragsinhalt verhandelt werden mit Ausnahme der vom öffentlichen Auftraggeber in den Vergabeunterlagen festgelegten Mindestanforderungen und Zuschlagskriterien. Sofern der öffentliche Auftraggeber in der Auftragsbekanntmachung oder in den Vergabeunterlagen darauf hingewiesen hat, kann er die 1 2 3 4 5 6

Vgl. Badenhausen-Fähnle, VergabeR 2015, 743 (751). Vgl. Rosenkötter, VergabeR 2016, 196 (199). Ähnlich auch Rosenkötter, VergabeR 2016, 196 (199). Vgl. insoweit auch Art. 65 Abs. 2 UA 2 der Richtlinie 2014/24/EU. Vgl. insoweit auch Art. 78 Abs. 2 der Richtlinie 2014/24/EU. Vgl. Badenhausen-Fähnle, VergabeR 2015, 743 (751).

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§ 119 | Verfahrensarten Verhandlungen in verschiedenen aufeinanderfolgenden Phasen abwickeln, um so die Zahl der Angebote, über die verhandelt wird, anhand der vorgegebenen Zuschlagskriterien zu verringern. 84 Gemäß § 19 Abs. 6 VgV, § 18 Abs. 6 SektVO bzw. § 3b EU Abs. 5 Nr. 5 VOB/A

hat der Auftraggeber dafür Sorge zu tragen, dass alle Bieter bei den Verhandlungen gleichbehandelt werden. Insbesondere enthält er sich jeder diskriminierenden Weitergabe von Informationen, durch die bestimmte Bieter gegenüber anderen begünstigt werden könnten. Weiter unterrichtet er alle Bieter, deren Angebote nicht ausgeschieden wurden, in Textform (§ 126b BGB) über etwaige Änderungen der Anforderungen und sonstigen Informationen in den Vergabeunterlagen, die nicht die Festlegung der Mindestanforderungen betreffen. Im Anschluss an solche Änderungen gewährt der Auftraggeber den Bietern ausreichend Zeit, um ihre Angebote zu ändern und gegebenenfalls überarbeitete Angebote einzureichen. Der Auftraggeber darf vertrauliche Informationen eines an den Verhandlungen teilnehmenden Bieters nicht ohne dessen Zustimmung an die anderen Teilnehmer weitergeben. Eine solche Zustimmung darf nicht allgemein erteilt werden, sondern nur in Bezug auf die beabsichtigte Mitteilung bestimmter Informationen. Der öffentliche Auftraggeber muss in den Vergabeunterlagen die zum Schutz des geistigen Eigentums geltenden Vorkehrungen festlegen1. Da aufgrund der Nähe des Auftraggebers zu den einzelnen Bietern indes immer die (potentielle) Gefahr eines Wissenstransfers besteht, sind die Verhandlungen im Interesse der Wahrung des Transparenzgrundsatzes und der nachträglichen Kontrolle detailliert zu protokollieren2.

85 Am Ende der Verhandlungsphase kann der Auftraggeber die verbliebenen Bieter

zur Abgabe eines endgültigen Angebots innerhalb einer Angebotsfrist auffordern. Die Wertung der endgültigen Angebote erfolgt – wie üblich – in formeller und sachlicher Hinsicht. Dem Auftraggeber kommt bei der Wertung in sachlicher Hinsicht ein Beurteilungsspielraum zu3. Die Innovationspartnerschaft als solche wird durch den Zuschlag auf Angebote eines oder mehrerer Bieter eingegangen (vgl. § 19 Abs. 7 Satz 1 VgV, § 18 Abs. 7 Satz 1 SektVO bzw. § 3b EU Abs. 5 Nr. 6 Satz 1 VOB/A). Eine Erteilung des Zuschlags allein auf der Grundlage des niedrigsten Preises oder der niedrigsten Kosten ist hierbei jedoch ausgeschlossen (vgl. § 19 Abs. 7 Satz 2 VgV, § 18 Abs. 7 Satz 2 SektVO bzw. § 3b EU Abs. 5 Nr. 6 Satz 2 VOB/A), vielmehr kommt es (zwingend) auf das beste Preis-Leistung-Verhältnis an4.

1 Ausführlich zum Ganzen Rosenkötter, VergabeR 2016, 196 (199 f.); Badenhausen-Fähnle, VergabeR 2015, 743, 752. 2 So Badenhausen-Fähnle, VergabeR 2015, 743 (752). 3 Vgl. Badenhausen-Fähnle, VergabeR 2015, 743 (753). 4 Vgl. Badenhausen-Fähnle, VergabeR 2015, 743 (753). Siehe ferner auch Art. 67 der Richtlinie 2014/24/EU und Art. 82 Abs. 2 der Richtlinie 2014/25/EU sowie Jaeger, NZBau 2014, 259 (266).

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Der Auftraggeber kann eine Innovationspartnerschaft mit einem Partner oder 86 mit mehreren Partnern eingehen. Bei einer Innovationspartnerschaft mit mehreren Partnern werden voneinander getrennte Forschungs- und Entwicklungstätigkeiten durchgeführt (vgl. § 19 Abs. 7 Satz 3 VgV, § 18 Abs. 7 Satz 3 SektVO bzw. § 3b EU Abs. 5 Nr. 6 Satz 3 VOB/A)1. Es sind mithin zwei Grundvarianten zu unterscheiden: die Innovationspartnerschaft mit einem Partner (Variante 1) und die Innovationspartnerschaft mit mehreren Partnern (Variante 2)2. Die Innovationspartnerschaft i.e.S. ist in zwei aufeinanderfolgenden Phasen 87 strukturiert, namentlich eine Forschungs- und Entwicklungsphase, die die Herstellung von Prototypen oder die Entwicklung der Dienstleistung umfasst, und eine Leistungsphase, in der die aus der Partnerschaft hervorgegangene Leistung erbracht wird (vgl. § 19 Abs. 8 Satz 1 VgV, § 18 Abs. 8 Satz 1 SektVO bzw. § 3b EU Abs. 5 Nr. 7 Satz 1 VOB/A sowie oben Rz. 79). Diese Unterteilung soll der Forschungs- und Entwicklungsleistung Rechnung tragen3. Die Festlegung des konkreten Ablaufs der Innovationspartnerschaft liegt im Ermessen des Auftraggebers4. Allerdings sind die Phasen zwingend durch die Festlegung von Zwischenzielen zu untergliedern, bei deren Erreichen die Zahlung der Vergütung in angemessenen Teilbeträgen vereinbart wird (vgl. § 19 Abs. 8 Satz 2 VgV, § 18 Abs. 8 Satz 2 SektVO bzw. § 3b EU Abs. 5 Nr. 7 Satz 2 VOB/A). Die Struktur der Partnerschaft muss zudem im Hinblick auf die Dauer und den Wert der einzelnen Phasen den Innovationsgrad der vorgeschlagenen Lösung und der Abfolge der Forschungs- und Innovationstätigkeiten widerspiegeln (vgl. § 19 Abs. 8 Satz 3 VgV, § 18 Abs. 8 Satz 3 SektVO bzw. § 3b EU Abs. 5 Nr. 7 Satz 3 VOB/A). Der geschätzte Wert der Liefer- oder Dienstleistung darf in Bezug auf die für ihre Entwicklung erforderlichen Investitionen nicht unverhältnismäßig sein (vgl. § 19 Abs. 8 Satz 4 VgV, § 18 Abs. 8 Satz 4 SektVO bzw. § 3b EU Abs. 5 Nr. 7 Satz 4 VOB/A). Die Innovationspartnerschaft ist ihrem Wesen nach einerseits auf eine langfris- 88 tige Zusammenarbeit zwischen Auftraggeber und einem oder mehreren Partner (n) ausgelegt. Sie ermöglicht es insbesondere, eine Entwicklungspartnerschaft mit dem späteren Beschaffungsvorgang zu koppeln. Durch die Möglichkeit einer langfristigen Zusammenarbeit von der Entwicklung bis hin zum Erwerb wird der Gefahr der Weitergabe von unternehmerischen Know-hows und deren Nutzung durch Mitbewerber – zumindest – im Ansatz entgegengewirkt und damit die Bereitschaft der Unternehmen, ihr Wissen in den Entwicklungsprozess einzubringen, gesteigert5. Hierin besteht ein wesentlicher Unterschied zum wettbewerblichen Dialog und zum Verhandlungsverfahren. Andererseits zeichnet 1 2 3 4 5

Vgl. Badenhausen-Fähnle, VergabeR 2015, 743 (753). Vgl. Rosenkötter, VergabeR 2016, 196 (200). Vgl. Badenhausen-Fähnle, VergabeR 2015, 743 (753). Vgl. Badenhausen-Fähnle, VergabeR 2015, 743 (753); Fehling, NZBau 2012, 673 (676). Vgl. Badenhausen-Fähnle, VergabeR 2015, 743 (754).

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§ 119 | Verfahrensarten sich die Innovationspartnerschaft aber auch durch die Möglichkeit der Loslösung von dem konkreten Beschaffungsvorgang aus, der sich von der Herstellung der zu liefernden Güter bis zu Erbringung der Dienst- oder Bauleistungen erstrecken kann, aber nicht notwendigerweise erstrecken muss1. Im Unterschied zum Verhandlungsverfahren und zum wettbewerblichen Dialog kann die Innovationspartnerschaft folglich nach jeder Phase durch den Auftraggeber beendet oder – im Fall der Innovationspartnerschaft mit mehreren Partnern – die Zahl der Partner durch Kündigung einzelner Verträge reduziert werden2. Diese Möglichkeit besteht jedoch nur, sofern der Auftraggeber in den Vergabeunterlagen darauf hingewiesen hat, dass diese Möglichkeit besteht und unter welchen Umständen davon Gebrauch gemacht werden kann (vgl. § 19 Abs. 9 VgV, § 18 Abs. 9 SektVO bzw. § 3b EU Abs. 5 Nr. 8 VOB/A). 89 Mit der damit für den Auftraggeber einhergehenden Flexibilität (der Beendi-

gung) der Innovationspartnerschaft sind nicht unerhebliche Risiken der Kooperationspartner verbunden3.

90 Nicht zuletzt mit Blick auf Letzteres (vgl. Rz. 89) stellt sich die Frage, ob und

wenn ja, welcher Ermessensspielraum dem Auftraggeber hinsichtlich der Entscheidung über die Beendigung der Partnerschaft zusteht. Denkbar wäre, dass allein die fehlende Zielerreichung Grundlage einer Kündigung sein kann. Die besseren Argumente sprechen aber dafür, dass insoweit auch über die reine Zielerfüllung hinausgehende Umstände herangezogen werden dürfen. Hierfür lassen sich insbesondere die Formulierungen „unter welchen Umständen“ in Art. 31 Abs. 2 UA 3 der Richtlinie 2014/24/EU, Art. 49 Abs. 2 UA 3 der Richtlinie 2014/ 25/EU, § 19 Abs. 9 VgV, § 18 Abs. 9 SektVO und § 3b EU Abs. 5 Nr. 8 Satz 4 VOB/A anführen4. Darüber hinaus zeigen auch die (nationalen) Regelungen in § 19 Abs. 10 VgV, § 18 Abs. 10 SektVO bzw. § 3b EU Abs. 5 Nr. 9 VOB/A, wonach der Auftraggeber nach Abschluss der Forschungs- und Entwicklungsphase zum anschließenden Erwerb der innovativen Liefer- oder Dienstleistung nur dann verpflichtet ist, wenn das bei Eingehung der Innovationspartnerschaft festgelegte Leistungsniveau und die Kostenobergrenze eingehalten werden, dass grundsätzlich auch wirtschaftliche bzw. haushalterische Gesichtspunkte für eine Loslösung in Betracht kommen können. Dieses Argument ist – zugegebener Maßen – jedoch ambivalent, weil (wohl) ebenso argumentiert werden könnte, dass es sich insoweit um abschließende Regelungen handelt, so dass außerhalb dieser Tatbestände (und der Zielerfüllung) gerade keine Loslösung von der Erwerbspflicht erfolgen können soll. U. U. denkbar wäre es ggf. auch, diesbezüglich mit Blick auf die Anzahl der (noch) vorhandenen Innovationspartner zu dif-

1 Vgl. Badenhausen-Fähnle, VergabeR 2015, 743 (754); Fehling, NZBau 2012, 673 (675). 2 Vgl. Badenhausen-Fähnle, VergabeR 2015, 743 (754); Rosenkötter, VergabeR 2016, 196 (200). 3 Siehe hierzu insb. Badenhausen-Fähnle, VergabeR 2015, 743 (754 ff.. 4 Ebenso Rosenkötter, VergabeR 2016, 196 (200 f.).

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Besondere Methoden und Instrumente in Vergabeverfahren | § 120

ferenzieren und den abschließenden Charakter im vorbeschriebenen Sinne nur bzw. jedenfalls dann anzunehmen, wenn nur (noch) ein Partner vorhanden ist. In Anbetracht der (noch) ungeklärten Rechtslage (vgl. Rz. 90) einerseits, und im 91 Hinblick darauf, dass die Frage der Abschichtung bzw. Reduzierung durch Kündigung gerade im Fall einer Innovationspartnerschaft mit mehreren Partnern sehr stark wettbewerblich geprägt ist, spricht Vieles dafür, hier in der Praxis in besonderem Maße transparent und diskriminierungsfrei vorzugehen, um die Rechtmäßigkeit der Beendigungsentscheidung im Einzelnen nachvollziehbar und überprüfbar zu machen1. Die aufgrund der wettbewerblichen Auswirkungen potentiell gegebene Streitbe- 92 fangenheit solcher Abschichtungs- bzw. Kündigungsentscheidungen, drängt zudem die Frage auf, ob diese Entscheidungen vergabe- oder rein vertragsrechtlich zu beurteilen sind. Der Umstand, dass der maßgebliche Zuschlag bereits mit der Eingehung der Innovationspartnerschaft i.e.S. erfolgt, spricht dafür, diesen Zeitpunkt als maßgebliche Zäsur zu betrachten, mit der Folge, dass alle Abschichtungs- bzw. Kündigungsentscheidungen, die – wie die vorstehend in Rede stehenden (vgl. Rz. 88 ff.) – nach diesem Zeitpunkt erfolgen, rein vertragsrechtlicher Natur sind und dementsprechend vor den Zivilgerichten überprüft werden müssen2. Im Einzelnen wirft die neue Vergabeart der Innovationspartnerschaft noch viele 93 (weitere) ungeklärte Fragen und Diskussionsbedarf auf, z.B. im Hinblick auf die Vergütung (sowohl bei Ausscheiden während der Verhandlungsphase als auch bei vorzeitiger Beendigung der Innovationspartnerschaft und für das Endprodukt), die Sicherstellung der Wirtschaftlichkeit in der Variante „Innovationspartnerschaft mit einem Partner“ durch die Anwendung des Öffentlichen Preisrechts oder auch die Vereinbarkeit mit dem EU-Beihilfenrecht. Insoweit sei an dieser Stelle auf das einschlägige Schrifttum verwiesen3. Die weitere Rechtsentwicklung hierzu bleibt abzuwarten.

§ 120 Besondere Methoden und Instrumente in Vergabeverfahren (1) Ein dynamisches Beschaffungssystem ist ein zeitlich befristetes, ausschließlich elektronisches Verfahren zur Beschaffung marktüblicher Leistungen, bei denen die allgemein auf dem Markt verfügbaren Merkmale den Anforderungen des öffentlichen Auftraggebers genügen. 1 Ebenso Rosenkötter, VergabeR 2016, 196 (201). 2 Ebenso Rosenkötter, VergabeR 2016, 196 (202). 3 Vgl. insb. Badenhausen-Fähnle, VergabeR 2015, 743 ff.; Rosenkötter, VergabeR 2016, 196 ff.

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§ 120 | Besondere Methoden und Instrumente in Vergabeverfahren (2) Eine elektronische Auktion ist ein sich schrittweise wiederholendes elektronisches Verfahren zur Ermittlung des wirtschaftlichsten Angebots. Jeder elektronischen Auktion geht eine vollständige erste Bewertung aller Angebote voraus. (3) Ein elektronischer Katalog ist ein auf der Grundlage der Leistungsbeschreibung erstelltes Verzeichnis der zu beschaffenden Liefer-, Bau- und Dienstleistungen in einem elektronischen Format. Er kann insbesondere beim Abschluss von Rahmenvereinbarungen eingesetzt werden und Abbildungen, Preisinformationen und Produktbeschreibungen umfassen. (4) Eine zentrale Beschaffungsstelle ist ein öffentlicher Auftraggeber, der für andere öffentliche Auftraggeber dauerhaft Liefer- und Dienstleistungen beschafft, öffentliche Aufträge vergibt oder Rahmenvereinbarungen abschließt (zentrale Beschaffungstätigkeit). Öffentliche Auftraggeber können Lieferund Dienstleistungen von zentralen Beschaffungsstellen erwerben oder Liefer-, Bau- und Dienstleistungsaufträge mittels zentraler Beschaffungsstellen vergeben. Öffentliche Aufträge zur Ausübung zentraler Beschaffungstätigkeiten können an eine zentrale Beschaffungsstelle vergeben werden, ohne ein Vergabeverfahren nach den Vorschriften dieses Teils durchzuführen. Derartige Dienstleistungsaufträge können auch Beratungs- und Unterstützungsleistungen bei der Vorbereitung oder Durchführung von Vergabeverfahren umfassen. Die Teile 1 bis 3 bleiben unberührt. I. II. 1. 2. 3. 4. III.

Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . Entstehungsgeschichte Zu Abs. 1 . . . . . . . . . . . . . . . . . Zu Abs. 2 . . . . . . . . . . . . . . . . . Zu Abs. 3 . . . . . . . . . . . . . . . . . Zu Abs. 4 . . . . . . . . . . . . . . . . . Methoden und Instrumente in Vergabeverfahren 1. Das dynamische Beschaffungssystem (Abs. 1) . . . . . . . . . . . . a) Zeitliche Befristung . . . . . . . b) Ausschließlich elektronisches Verfahren . . . . . . . . . . . . . . c) Marktübliche Leistungen . . . 2. Elektronische Auktion (Abs. 2) . a) Ablauf des Verfahrens . . . . . b) Der elektronische Katalog aa) Allgemeines . . . . . . . . . . bb) Begriff des elektronischen Kataloges (§ 120 Abs. 3 Satz 1) . . . . . . . . . . . . . .

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3.

14 18 19 21 23 25 30 34

4. 5. IV.

cc) Verwendungsmöglichkeiten für elektronische Kataloge (§ 120 Abs. 3 Satz 2) . . . . . . . . . . . . . . Zentrale Beschaffungsstelle, zentrale Beschaffungstätigkeit (Abs. 4 Satz 1) . . . . . . . . . . . . . a) Funktionsweise der zentralen Beschaffungsstelle (Abs. 4 Satz 2) . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Vergaberechtsfreiheit zentraler Beschaffungstätigkeiten (Abs. 4 Satz 3) . . . . . . . . . . . Nebenbeschaffungstätigkeit (Abs. 4 Satz 4) . . . . . . . . . . . . . Kartellrechtliche Vorbehalte (Abs. 4 Satz 5) . . . . . . . . . . . . . Rechtsschutz . . . . . . . . . . . . . .

_ _ _ _ _ __ 36 38 40 42 43 44 45

Besondere Methoden und Instrumente in Vergabeverfahren | § 120

I. Allgemeines § 120 GWB wurde im Zuge des Vergaberechtmodernisierungsgesetzes 2016 neu 1 in das GWB aufgenommen und definiert u. a. die verschiedenen Methoden und Instrumente für die elektronische Auftragsvergabe, sowie den Begriff der zentralen Beschaffungsstelle. Sämtliche Beschaffungen im Geltungsbereich der klassischen Vergaberichtlinie 2 2014/24/EU, der Richtlinien 2014/23/EU für die Sektorenvergaben und der Richtlinien für die Konzessionsvergaben (RL 2014/25/EU) sind zukünftig zwingend elektronisch durchzuführen. Die elektronische Kommunikation im Vergabeverfahren wird zur Regel.1 Das bedeutet, dass die Kommunikation und der gesamte Informationsaustausch im laufenden Vergabeverfahren zukünftig grundsätzlich nur mithilfe elektronischer Mittel erfolgen dürfen. Diese Pflicht umfasst alle Verfahrensschritte von der Übermittlung und Veröffentlichung der Bekanntmachungen, der elektronischen Erarbeitung und unentgeltliche Bereitstellung der Vergabeunterlagen, bis hin zur elektronische Einreichung der Angebote. Auch die Nachforderung oder Aufklärung im Zusammenhang mit Angeboten, die Zuschlagserteilung, die Übersendung von Mitteilungen nach § 134 sowie die gesamte externe Kommunikation zu Bieterfragen oder Zwischenmitteilungen an die Bieter muss zukünftig elektronisch übermittelt werden. Nicht verpflichtend wird jedoch die elektronische Verarbeitung oder Bewertung von Angeboten. Nach den Zielvorstellungen des Gesetzgebers2 können elektronische Kommuni- 3 kationsmittel Vergabeverfahren vereinfachen und die Effizienz und Transparenz der Verfahren steigern. Eine medienbruchfreie öffentliche Auftragsvergabe soll zugleich erhebliche Einsparpotenziale für Unternehmen und öffentliche Auftraggeber mit sich bringen.3 Für die Umsetzung dieser Vorgaben hat der Gesetzgeber einen gestuften Zeit- 4 rahmen vorgesehen: Ab dem 18.4.2016 müssen alle Bekanntmachungen und Ausschreibungsunterlagen elektronisch zugänglich sein. Ein Jahr später, also ab dem 18.4.2017 müssen dann alle Angebote an zentrale Beschaffungsstellen elektronisch übermittelt werden, und schließlich müssen bis zum 18.10.2018 endgültig alle öffentlichen Auftraggeber und alle Bieter ausschließlich elektronische Mittel bei der Vergabe von Aufträgen nutzen. In diesem Zusammenhang enthält § 120 in den Absätzen 1–3 Definitionen zu 5 verschiedenen Methoden und Instrumenten für die elektronische Auftragsvergabe. §120 Abs. 4 definiert zudem die Funktion der zentralen Beschaffungsstelle.4 § 120 setzt die Art. 34 bis 39 der Richtlinie 2014/24/EU und die Art. 52 bis 57 1 2 3 4

Gesetzesbegründung, BT-Drucks. 18/6281, Teil A (S. 1). Gesetzesbegründung, BT-Drucks. 18/6281, Teil A (S. 1). Dazu insgesamt kritisch: Braun, VergabeR, 2016, 179 (183). Gesetzesbegründung, BT-Drucks. 18/6281 zu § 120, vor Absatz 1 (S. 99).

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§ 120 | Besondere Methoden und Instrumente in Vergabeverfahren der Richtlinie 2014/25/EU in deutsches Recht um. Der deutsche Gesetzgeber hat bewusst, die in § 120 geregelten Methoden und Instrumente einheitlich auf gesetzlicher Ebene im GWB angelegt, um sicherzustellen, dass diese Mittel allen öffentlichen Auftraggebern und Sektorenauftraggebern zur Verfügung stehen.1 In der allgemeinen Verordnungsermächtigung des § 113 Satz 2 Nr. 3 wird die Befugnis der Bundesregierung zur Regelung dieser besonderen Methoden und Instrumente im Vergabeverfahren und für Sammelbeschaffungen einschließlich der zentralen Beschaffung explizit geregelt. 6 Detailliertere Regelungen zu den Methoden und Instrumenten sind neben § 120

auf Verordnungsebene zu finden. So zum einen in der VgV (vgl. §§ 21 ff. VgV) und in den §§ 19 ff. der SektVO. Für die Vergabe von Konzessionen ist die Nutzung von dynamischen Beschaffungssystemen, elektronischen Auktionen und elektronischen Katalogen hingegen nicht vorgesehen.

II. Entstehungsgeschichte 1. Zu Abs. 1 7 § 120 Abs. 1 definiert das dynamische Beschaffungssystem und dient der Um-

setzung von Artikel 34 der Richtlinie 2014/24/EU sowie von Artikel 52 der Richtlinie 2014/25/EU und entspricht dem bisherigen § 101 Abs. 6 Satz 2 GWB. § 101 Absatz 6 GWB (a.F.) wurde mit dem Vergaberechtsmodernisierungsgesetz 20092 neu in § 101 GWB (a.F.) eingefügt und setzte mit der Neueinführung des dynamischen elektronischen Verfahren Art. 1 Abs. 6, resp. Art. 33 der Richtlinie 2004/18/EG und Art. 1 Abs. 5 resp. Art. 15 der Richtlinie 2004/17/EG um. Mit der Einführung des dynamischen elektronischen Verfahrens sollten die Auftraggeber angeregt werden, die elektronischen Medien zur Erhöhung der Effizienz der Beschaffungen umfassend zu nutzen.3 Später folgten dann weitere Regelungen des dynamischen elektronischen Verfahren in § 10 SektVO a.F. und § 5 EG VOL/A (a.F.).

8 Ziel des Richtliniengebers der Richtlinie 2014/24/EU ist es, im Lichte der bishe-

rigen Erfahrungen, die Vorschriften für dynamische Beschaffungssysteme anzupassen, um den öffentlichen Auftraggebern die Anwendung dieses Instrumentes zu erleichtern und dessen Möglichkeiten stärker als bisher in vollem Umfang nutzen zu können,4 denn die dynamischen Beschaffungssysteme waren in der Vergangenheit nicht sehr erfolgreich.5

1 Gesetzesbegründung, BT-Drucks. 18/6281 zu § 120, vor Absatz 1 (S.98). 2 BGBl. I Nr. 20 v. 23.4.2009, S. 790. 3 Haak/Preißinger in Willenbruch/Wieddekind, Kompaktkommentar Vergaberecht 2014, § 101 Rz. 27. 4 Erwägungsgrund 63 Richtlinie 2014/24/ EU. 5 Braun, VergabeR 2016, 179 (185).

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Besondere Methoden und Instrumente in Vergabeverfahren | § 120

2. Zu Abs. 2 § 120 Abs. 2 regelt die elektronische Auktion, die zuvor ohne nähere Vorgaben 9 zur Verfahrensausgestaltung in dem bisherigen § 101 Abs. 6 Satz 1 GWB geregelt war. Entsprechend den Vorgaben der Artikel 35 Abs. 1 UAbs. 2 der Richtlinie 2014/24/EU und Artikel 53 Abs. 1 UAbs. 2 der Richtlinie 2014/25/EU wurde im Wortlaut des § 120 Abs. 2 ergänzt, dass die elektronische Auktion als ein iteratives elektronisches Verfahren ausgestaltet ist,1 der eine vollständige erste Bewertung aller Angebote vorausgeht. § 120 Abs. 2 normiert damit Wesen und Art der Durchführung der elektronischen Auktion. Auch die elektronische Auktion wurde erstmalig mit dem Vergaberechtsmoder- 10 nisierungs-gesetz 20092 neu in § 101 GWB eingefügt. Mit der Aufnahme der elektronischen Auktion in § 101 Abs. 6 Satz 1 GWB und damit in den Katalog der Arten der Vergabe des § 101 GWB hatte der Bundesgesetzgeber von der den Mitgliedstaaten durch Art. 54 Abs. 1 Richtlinie 204/18/EG europarechtlich eingeräumten optionalen Möglichkeit Gebrauch gemacht, festzulegen, dass die öffentlichen Auftraggeber elektronische Auktionen durchführen dürfen.3 Mit der Vergaberechtsmodernisierung 2016 ist die elektronische Auktion nun nicht mehr nur optional, sondern im Sinne einer unbedingten nationalen Umsetzung ausgestaltet.4 3. Zu Abs. 3 § 120 Abs. 3 setzt Artikel 36 der Richtlinie 2014/24/EU sowie Artikel 54 der 11 Richtlinie 2014/25/EU um und definiert den elektronischen Katalog. Elektronische Kataloge bieten eine Format zur Darstellung und Gestaltung von Informationen in einer Weise, die allen teilnehmenden Bietern gemeinsam ist und die sich für eine elektronische Bearbeitung anbietet.5 Elektronische Kataloge sollen nach den Vorstellungen des Richtliniengebers vor allem durch Zeit- und Geldersparnis zur Stärkung des Wettbewerbs und zur Rationalisierung der öffentlichen Beschaffung beitragen.6 4. Zu Abs. 4 § 120 Abs. 4 regelt in Umsetzung von Artikel 37 der Richtlinie 2014/24/EU die 12 Funktion der zentralen Beschaffungsstelle. Die Regelung soll die Möglichkeiten verbessern, den Beschaffungsbedarf öffentlicher Auftraggeber zu bündeln, 1 2 3 4 5 6

Gesetzesbegründung, BT-Drucks. 18/6281 zu § 120, zu Absatz 2 (S. 99). BGBl. I Nr. 20 v. 23.4.2009, S. 790. VK Lüneburg v. 10.5.2011 – VgK-11/2011, ZfBR 2011, 813 ff. Schäfer, NZBau 2015, 131 (135). Erwägungsgrund 68, Satz 2, Richtlinie 2014/24/ EU. Erwägungsgrund 68, Satz 5, Richtlinie 2014/24/ EU.

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§ 120 | Besondere Methoden und Instrumente in Vergabeverfahren um so Größenvorteile zu erzielen und Transaktionskosten zu verringern. Mit der Zentralisierung von Beschaffungstätigkeiten besteht zugleich die Möglichkeit, das Beschaffungsmanagement zu verbessern und weiter zu professionalisieren.1 13 Die Zusammenführung und Zentralisierung von Beschaffungen darf jedoch

keine unzulässige Konzentration der Kaufkraft herbeiführen. Deshalb verweist § 120 Abs. 4 Satz 5 GWB explizit darauf dass die Teile 1 bis 3 des GWB, also das Kartellrecht durch die Regelung der zentralen Beschaffung unberührt bleiben um den Wettbewerb sowie die Möglichkeiten des Marktzugangs für kleinere und mittelständische Unternehmen (KMU) nicht zu gefährden.2

III. Methoden und Instrumente in Vergabeverfahren 1. Das dynamische Beschaffungssystem (Abs. 1) 14 § 120 Abs. 1 definiert das dynamische Beschaffungssystem, die weiteren Grund-

sätze zum Betrieb des Beschaffungssystem ergeben sich dann aus den §§ 22–24 VgV. Nach der Legaldefinition des § 120 Abs. 1 ist ein dynamisches Beschaffungssystem „ein zeitlich befristetes (1) ausschließlich elektronisches Vergabeverfahren (2) zur Beschaffung marktüblicher Leistungen (3), bei denen die allgemein auf dem Markt verfügbaren Merkmale den Anforderungen des Auftraggebers genügen“.

15 Während die Vorgängernorm des § 101 Abs. 6 GWB a.F. noch ausdrücklich die

Beschränkung auf „ausschließlich elektronische offene Vergabeverfahren“ enthielt, ist diese Fokussierung in Umsetzung von Art. 34 Abs. 2 Satz 1 der Richtlinie 2014/24/EU und von Art. 52 Abs. 2 Satz 1 der Richtlinie 2014/25/EU entfallen. Dieser Systemwechsel erklärt sich vor dem Hintergrund der bisherigen Erfahrungen und zögerlichen Annahme des früheren Systems. Nach dem erklärten Willen des Richtliniengebers sollen die existierenden Systeme vereinfacht werden, indem sie insbesondere in Form eines nichtoffenen Verfahrens betrieben werden können. Die Notwendigkeit der Einreichung unverbindlicher Angebote, die sich bisher als eine der größten Belastungen bei dynamischen Beschaffungssystemen erwiesen hat, kann damit entfallen. Diese so modifizierte Beschaffungsmethode soll dem öffentlichen Auftraggeber eine besonders breite Palette von Angeboten ermöglichen und gleichzeitig sicherstellen, dass die öffentlichen Gelder im Rahmen eines breiten Wettbewerbs optimal eingesetzt werden.3

1 Gesetzesbegründung, BT-Drucks. 18/6281 zu § 120, zu Absatz 4 (S. 99). 2 Gesetzesbegründung, BT-Drucks. 18/6281 zu § 120, zu Absatz 4 (S. 99). 3 Erwägungsgrund 63 Richtlinie 2014/24/ EU, bzw. Erwägungsgrund 73 Richtlinie 2014/ 25/ EU.

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Besondere Methoden und Instrumente in Vergabeverfahren | § 120

Bei einer Beschaffung mittels dynamischen Beschaffungssystems wird eine unbe- 16 schränkte Zahl von Wirtschaftsteilnehmern öffentlich zur Abgabe von unverbindlichen Erklärungen zur Leistungserbringung aufgefordert. Alle Unternehmen, welche die festgelegten Eignungskriterien erfüllen und zulässige Erklärungen zur Leistungserbringung abgegeben sowie etwaige zusätzliche Dokumente unterbreitet haben, werden zur Teilnahme am dynamischen Beschaffungssystem zugelassen. Die zu beschaffende Leistung wird dann nach einer gesonderten Aufforderung zur Angebotsabgabe, die sich an alle zugelassenen Teilnehmer zu richten hat, von einem der Teilnehmer des Beschaffungssystems bezogen. Den Zuschlag erhält der Teilnehmer mit dem nach den Zuschlagskriterien besten Angebot. Ein dynamisches Beschaffungssystem dient damit nicht der Befriedigung eines 17 einmaligen Beschaffungsbedarfes sondern eines solchen, der, ähnlich wie bei einer Rahmenvereinbarung, über einen längeren Zeitraum andauert und während der Gültigkeitsdauer des Beschaffungssystems flexibel über Einzelaufträge abgedeckt werden kann. a) Zeitliche Befristung Der Wortlaut des § 120 Abs.1 sieht eine zeitliche Befristung des elektronischen 18 Verfahrens vor, ohne dass die Dauer der Befristung definiert wird. In den „Vorgängerregelungen“ zum dynamischen elektronischen Verfahren d.h. in § 101 Abs. 6 Satz 2 GWB, § 5 VOL/A EG und in § 10 SektVO war die Laufzeit noch auf vier Jahre beschränkt und durfte nur in sachlich begründeten Ausnahmefällen überschritten werden.1 Nunmehr sprechen Artikel 34 der Richtlinie 2014/ 24/EU und Artikel 52 der Richtlinie 2014/25/EU nur noch von der Gültigkeitsdauer des dynamischen Beschaffungssystems, während der dieses Verfahren jedem Wirtschaftsteilnehmer offen steht, sowie davon, dass die öffentlichen Auftraggeber im Aufruf zum Wettbewerb die Gültigkeitsdauer des dynamischen Beschaffungssystems anzugeben haben. Insoweit gibt es keine Restriktionen für die Gültigkeitsdauer, der Auftraggeber kann diese künftig selbst festlegen. Die weiteren Grundsätze für den Betrieb der dynamischen Beschaffungssysteme ergeben sich aus den §§ 22 ff. VgV. b) Ausschließlich elektronisches Verfahren Nach § 120 Abs. 1 ist ein dynamisches Beschaffungssystem ein ausschließlich 19 elektronisches Verfahren zur Beschaffung von Leistungen. Einrichtung und Betrieb des dynamischen Beschaffungssystems erfolgen also ausschließlich mithilfe elektronischer Mittel.2 Das Tatbestandsmerkmal der Ausschließlichkeit be1 Knauff, VergabeR 2008, 615 ff. 2 Vgl. § 22 Abs. 3 Satz 1 VgV.

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§ 120 | Besondere Methoden und Instrumente in Vergabeverfahren deutet in diesem Zusammenhang, dass während der gesamten Dauer des laufenden Verfahrens ausschließlich elektronische Kommunikationsmittel zugelassen sind, nichtelektronische dürfen nicht verwendet werden. 20 Welche elektronischen Mittel zur Einrichtung eines dynamischen Beschaf-

fungssystems verwendet werden können oder dürfen, ergibt sich unter Berücksichtigung von Art. 2 Abs. 1 Nr. 19 RL 2014/24/EU bzw. auch Art. 2 Abs. 1 Nr. 15 RL 2014/25/EU. Danach sind „elektronische Mittel“ elektronische Geräte für die Verarbeitung (einschließlich digitaler Kompression) und Speicherung von Daten, die über Kabel, per Funk, mit optischen Verfahren oder mit anderen elektromagnetischen Verfahren übertragen, weitergeleitet und empfangen werden. § 11 Abs. 1 Satz 1 und 1 VgV verpflichten den Auftraggeber ferner dazu, nur solche elektronische Mittel einzusetzen, die allgemein verfügbar, nichtdiskriminierend und mit allgemein verbreiteten Geräten und Programmen der Informations- und Kommunikationstechnologie kompatibel sind. Sie dürfen den Zugang von Unternehmen zum Vergabeverfahren nicht einschränken. Aus § 22 Abs. 5 VgV ergibt sich zudem dass der Zugang zu einem dynamischen Beschaffungssystem für alle Unternehmen kostenlos sein muss. c) Marktübliche Leistungen

21 Marktüblich sind Leistungen, wenn ihre allgemein auf dem Markt verfügbaren

Merkmale den Anforderungen der öffentlichen Auftraggeber genügen, wenn sie also auf dem Markt mit feststehenden Eigenschaften angeboten werden und gewissermaßen standardisiert sind1. Deshalb bietet sich das dynamische Beschaffungssystem vor allem für die Massenbeschaffung von Verbrauchsmaterialien, wie Verbands- und Hygienematerialien für Krankenhäuser oder bspw. Büromaterialien für Behörden etc. an.

22 Zusammenfassend lässt sich ein dynamisches Beschaffungssystem dergestalt

charakterisieren, dass mithilfe der beschriebenen „elektronischen Mittel“ eine Art „elektronisches Warenhaus“2 eingerichtet wird, für das sich Auftraggeber als Betreiber des Systems einen Kreis von Bietern für bestimmte Waren oder Warengruppen aussuchen und zur Teilnahme am System zulassen, um anschließend in dessen Rahmen die entsprechenden Aufträge zu vergeben. Die Leistung wird nach einer gesonderten Aufforderung zur Angebotsabgabe von einem Teilnehmer am dynamischen Beschaffungssystem bezogen. Dynamische Beschaffungssysteme ähneln damit einer herkömmlichen Rahmenvereinbarungen und erlauben wie diese die Katalogbeschaffung.

1 So schon Haak/Preißinger in Willenbruch / Wieddekind: Kompaktkommentar Vergaberecht 2014, § 101 Rz. 27 m. Verw. a. Opitz, VergabeR 2009, 689 (695). 2 Rechten, NZBau, 2004, 366 (370).

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Besondere Methoden und Instrumente in Vergabeverfahren | § 120

2. Elektronische Auktion (Abs. 2) § 120 Abs. 2 definiert die elektronische Auktion. Abs. 2 ist im Zusammenhang 23 mit § 25 VgV und § 26 VgV zu lesen, wobei § 25 VgV das „Ob“ und § 26 VgV das „Wie“ der Durchführung dieses Verfahrens regelt. Aus § 25 und § 26 VgV ergibt sich, dass eine elektronische Auktion nur zulässig ist, sofern die zu beschaffende Leistung inhaltlich hinreichend präzise beschrieben und mithilfe automatischer Bewertungsmethoden eingestuft werden kann. Nur solche Leistungen, deren Unterschiede sich auf elektronischem Wege, ohne jegliche Intervention oder Begutachtung durch den öffentlichen Auftraggeber in Zahlen oder Prozentsätzen ausdrücken und mithin bewerten lassen, können Gegenstand elektronischer Auktionen sein.1 Geistig-schöpferische Leistungen können damit nicht Gegenstand elektronischer Auktionen sein. Folglich ist die elektronische Auktion für Bauleistungen mit konzeptiven Elementen sowie Planungsleistungen, für komplexe IT-Projekte oder auch Auftragsgegenstände, deren Angebotswertung eine Beurteilung zum Beispiel ästhetischer Aspekte2 erfordert, nicht geeignet. Eine elektronische Auktion ist ein iteratives, d.h. sich schrittweise wieder- 24 holendes Verfahren, bei dem mittels einer elektronischen Vorrichtung nach einer ersten vollständigen Bewertung der Angebote jeweils neue, nach unten korrigierte Preise und/oder neue, auf bestimmte Komponenten der Angebote abstellende Werte vorgelegt werden.3 Sie zielt darauf ab, auf Basis eines zunächst abgegebenen Höchstgebotes letztlich niedrigere Angebote zu erzielen („reverse Auktion“ = umgekehrte Auktion).4 Insoweit ist es zulässig und naheliegend, dass die Bieter in der ersten Phase der Auktion nicht gleich ihre kalkulatorischen Möglichkeiten völlig ausschöpfen, sondern zunächst höhere Preise fordern, die dann im Rahmen der zweiten Phase der Auktion, dem eigentlichen Preiswettbewerb, deutlich nach unten nachgebessert werden.5 a) Ablauf des Verfahrens Anders als das dynamische Beschaffungssystem (Abs. 1), das als eine besondere 25 Ausgestaltung einer elektronischen Rahmenvereinbarung betrachtet werden kann, dient also die elektronische Auktion zur Befriedigung eines einmaligen Beschaffungsbedarfes.6 Die elektronische Auktion ist keine eigenständig Vergabeart7 und auch kein isoliertes Vergabeverfahren, sondern sie schließt sich vor 1 2 3 4

Erwägungsgrund 67 UAbs.1 Satz 5 Richtlinie 2014/24/ EU. Schröder, NZBau 2010, 411 (413). Ganske in Reidt/Stickler/Glahs, Vergaberecht Kommentar 2011, § 101 Rz. 43. VK Lüneburg v. 10.5.2011 – VgK -11/2011 m. Verw. a. Kulartz in Kulartz/Kus/Portz, GWB, § 101 Rz. 63. 5 VK Lüneburg v. 10.5.2011 – VgK -11/2011. 6 Kirch, VergabeNews 2011, 106, 107. 7 VK Lüneburg v. 10.5.2011 – VgK-11/2011.

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§ 120 | Besondere Methoden und Instrumente in Vergabeverfahren Zuschlagserteilung an ein offenes, nicht offenes oder ein Verhandlungsverfahren an, nachdem eine vollständige erste Bewertung aller Angebote anhand der Zuschlagskriterien und der jeweils dafür festgelegten Gewichtung stattgefunden hat.1 Sie ist daher ein komplementärer und abschließender Bestandteil (im Sinne einer elektronisch formalisierten Angebotswertung zur Auswahl der wirtschaftlichsten Offerte) eines ansonsten typischen Vergabeverfahrens,2 weshalb zunächst die jeweilige Regeln dieses Vergabeverfahrens zu beachten sind. 26 Der öffentliche Auftraggeber ist verpflichtet, auf die Durchführung eines elek-

tronischen Auktionsverfahrens vorab in der in der Auftragsbekanntmachung oder in der Aufforderung zur Interessenbestätigung hinzuweisen (vgl. § 26 Abs. 1). Sodann müssen die Vergabeunterlagen mindestens diejenigen Angaben enthalten, die sich aus § 26 Abs. 2 VgV ergeben.3

27 Alle Bieter, die zulässige Angebote unterbreitet haben, werden sodann gleichzei-

tig auf elektronischem Wege zur Teilnahme an der elektronischen Auktion, unter Beifügung der vollständigen Bewertung des betreffenden Angebots,4 aufgefordert. Diese kann dann mehrere aufeinander folgende Phasen umfassen. Sie darf frühestens zwei Arbeitstage nach der Versendung der Aufforderungen zur Teilnahme beginnen.5 Im Rahmen der Auktion werden die Angebote dann mittels festgelegter Methoden elektronisch bewertet und automatisch in eine Rangfolge gebracht.6 Allen Bietern werden im Laufe einer jeden Phase der elektronischen Auktion unverzüglich zumindest die Informationen übermittelt, die erforderlich sind, damit ihnen jederzeit ihr jeweiliger Rang bekannt ist. Die Identität der Bieter darf in keiner Phase einer elektronischen Auktion offengelegt werden.7

28 Der Abschluss der elektronischen Auktion richtet sich nach § 25 Abs. 7 VgV.

Der einfachste und erste Weg der Beendigung besteht darin, die Auktion zu einem vorher festgelegten und in der Aufforderung zur Teilnahme an der Auktion

1 Vgl. § 25 Abs. 1 Satz 1 und 3 VgV. 2 Schröder, NZBau 2010, 411 (412). 3 § 26 Abs. 2 VgV lautet: Die Vergabeunterlagen müssen mindestens folgende Angaben enthalten: 1. alle Angebotskomponenten, deren Werte Grundlage der automatischen Neureihung der Angebote sein werden, 2. gegebenenfalls die Obergrenzen der Werte nach Nummer 1, wie sie sich aus den technischen Spezifikationen ergeben, 3. eine Auflistung aller Daten, die den Bietern während der elektronischen Auktion zur Verfügung gestellt werden, 4. den Termin, an dem die Daten nach Nummer 3 den Bietern zur Verfügung gestellt werden, 5. alle für den Ablauf der elektronischen Auktion relevanten Daten und 6. die Bedingungen, unter denen die Bieter während der elektronischen Auktion Gebote abgeben können, insbesondere die Mindestabstände zwischen den der automatischen Neureihung der Angebote zugrunde liegenden Preisen oder Werten. 4 So Art. 35 Abs. 6 UAbs. 1 RL 2014/24/EU. 5 So Art. 35 Abs. 5 UAbs. 5 RL 2014/24/EU. 6 Vgl. § 25 Abs. 2 VgV. 7 Vgl. § 26 Abs. 5 S. 3 VgV.

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bekanntgemachte Zeitpunkt zu schließen (§ 25 Abs. 7 Nr. 1 VgV). Alternativ endet sie, wenn von den Bietern keine neuen Preise oder Werte mit den erforderlichen Mindestabständen mitgeteilt werden, und die vor Beginn der Auktion bekanntgemachte Zeit, zwischen dem Eingang des letzten Angebotes und dem Abschluss der elektronischen Auktion vergangen ist (§ 25 Abs. 7 Nr. 2 VgV). Schließlich kann die Auktion nach Durchführung der letzten Phase der vorgesehenen Anzahl von Auktionsphasen beendet werden. Gemäß § 25 Abs. 8 VgV wird der Zuschlag nach Abschluss einer elektronischen Auktion entsprechend ihrem Ergebnis mitgeteilt. Obwohl die elektronische Auktion öffentlichen Auftraggebern schon seit 2009 29 zur Verfügung steht, gibt es bisher kaum aussagekräftige Erfahrungswerte darüber, ob mit ihrer Hilfe der öffentlichen Hand tatsächlich einen wirtschaftlicherer Einkauf ermöglicht wird. b) Der elektronische Katalog aa) Allgemeines § 120 Abs. 3 enthält in Satz 1 zunächst die Definition des elektronischen Kata- 30 logs (e-Katalog) und benennt in Satz 2 dessen Verwendungsmöglichkeiten und Inhalte. Abs. 3 ist unbedingt im Zusammenhang mit § 27 VgV zu lesen, in dem die konkreten Verfahrensvoraussetzungen und -abläufe geregelt sind. Danach kann ein öffentliche Auftraggeber entweder von sich aus verbindlich festlegen, dass Angebote in Form eines e-Kataloges einzureichen sind oder einen solchen beinhalten müssen (§ 27 Abs. 1 Satz 1 VgV). Oder aber er kann die Anwendung eines elektronischen Katalogs in das Belieben der Bieter stellen und lediglich klarstellen oder festlegen, dass er die Einreichung von Angeboten auch in Form eines elektronischen Katalogs akzeptiert (§ 27 Abs. 2 Halbs. 1 VgV). Ob und ggf. in welchem Umfang ein öffentlicher Auftraggeber e-Kataloge verbindlich fordert oder diese jedenfalls akzeptiert, hat er gem. § 27 Abs. 2 VgV in der Auftragsbekanntmachung oder in der Aufforderung zur Interessenbestätigung klarzustellen. Im Umkehrschluss ist also aus § 27 Abs. 2 VgV zu folgern, dass die Verwendung eines elektronischen Kataloges nicht akzeptiert ist, wenn dies in der Auftragsbekanntmachung oder in der Aufforderung zur Interessenbestätigung nicht explizit geregelt wurde. Ist zwingend gefordert, dass die Angebote in Form eines e-Kataloges abzugeben sind, wird damit gleichzeitig ausgeschlossen, dass Angebote in Papierform eingereicht werden dürfen. Während das zuvor besprochene dynamische Beschaffungssystem und die elek- 31 tronische Auktion im deutschen Vergaberecht schon seit 2009 vorgehalten werden, wird mit § 120 Abs. 3 GWB i.V.m § 27 VgV die Möglichkeit oder Pflicht, Angebote in Form von elektronischen Katalogen einzureichen oder durch einen solchen ergänzen zu lassen, neu in das Vergaberecht eingeführt. § 120 Abs. 3 ist also eine völlig neue Vorschrift, die bisher keine Entsprechung im GWB fand. Kadenbach

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§ 120 | Besondere Methoden und Instrumente in Vergabeverfahren 32 Zwar wurde schon im Erwägungsgrund 36 zur RL 2014/18/EG erwähnt, dass

Bieter insbesondere in den Fällen, in denen ein dynamisches Beschaffungssystem zum Einsatz kommt, ihr Angebot in Form ihres elektronischen Katalogs einreichen können, sofern sie die vom öffentlichen Auftraggeber gewählten Kommunikationsmittel verwenden. Das Instrument des elektronischen Katalogs fand jedoch weder in der RL 2014/18/EG selbst1, noch im GWB eine konkrete Umsetzung oder Ausgestaltung. Nunmehr enthalten Artikel 36 der Richtlinie 2014/24/EU sowie Artikel 54 der Richtlinie 2014/25/EU die konkreten Anwendungs-voraussetzungen und Bedingungen, denen diese neue elektronische Beschaffungsmethode genügen muss.

33 Nach den Vorstellungen des Richtliniengebers sollen elektronische Kataloge vor

allem durch eine Zeit- und Geldersparnis zur Stärkung des Wettbewerbs und zur Rationalisierung der öffentlichen Beschaffung beitragen.2 Gleichzeitig soll sichergestellt sein, dass bei der Verwendung dieser neuen Beschaffungsmethoden die Grundsätze der Gleichbehandlung, der Nichtdiskriminierung und der Transparenz eingehalten3 und insbesondere ungerechtfertigte Hindernisse für den Zugang von Bietern zu Vergabeverfahren, bei denen die Angebote in Form elektronischer Kataloge einzureichen sind vermieden werden. bb) Begriff des elektronischen Kataloges (§ 120 Abs. 3 Satz 1)

34 Gemäß § 120 Abs. 3 Satz 1 ist ein elektronischer Katalog ein auf der Grundlage

der Leistungsbeschreibung erstelltes Verzeichnis der zu beschaffenden Liefer-, Bau- und Dienstleistungen in einem elektronischen Format. Ansatzpunkt der Legaldefinition des elektronischen Kataloges ist also die Leistungsbeschreibung, deren Festlegung zunächst grundsätzlich der ausschließlichen Bestimmung durch den öffentlichen Auftraggeber obliegt. Mit dem Erfordernis, dass das Verzeichnis auf der Grundlage der Leistungsbeschreibung zu erstellten ist, wird eine Vorgabe aus der Richtlinie umgesetzt. Diese fordert, dass die Verwendung von e-Katalogen zur Einreichung von Angeboten den Bietern nicht die Möglichkeit eröffnen sollte, sich auf die Übermittlung ihres unspezifischen allgemeinen (Standard-)Katalogs zu beschränken.4 Vielmehr müssen sie ihre allgemeinen Kataloge vor dem Hintergrund des konkreten Vergabeverfahrens anpassen, um so den Anforderungen des öffentlichen Auftraggebers zu entsprechen. Sind An-

1 https://www.subreport.de/wp-content/uploads/2014/04/Die-neuen-EU-Vergaberichtlini en-%E2%80%93-Informationen-zur-e-Vergabe.pdf. 2 Erwägungsgrund 68 UAbs. 1 S. 5 Richtlinie 2014/24/ EU, Erwägungsgrund 77 UAbs. 1 S. 5 Richtlinie 2014/25/ EU. 3 Erwägungsgrund 68 UAbs. 1 S. 5 Richtlinie 2014/24/ EU, Erwägungsgrund 77 UAbs. 1 S. 5 Richtlinie 2014/25/ EU. 4 Erwägungsgrund 68 UAbs. 1 S. 5 Richtlinie 2014/24/ EU, Erwägungsgrund 77 UAbs. 1 S. 5 Richtlinie 2014/25/ EU.

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gebote in Form eines elektronischen Katalogs einzureichen, können diesen weitere Unterlagen beigefügt werden (§ 27 Abs. 1 Satz 2 VgV). Weiter fordert § 120 Abs. 3 Satz 1, dass das Verzeichnis der zu beschaffenden 35 Leistungen in einem elektronischen Format erstellt ist. Entscheidend ist also zudem, dass das Angebot, welches in Form eines e-Kataloges erstellt wird ein Verzeichnis in einem elektronischen Format enthält, das sich für eine nachfolgende elektronische Bearbeitung anbietet. Denkbar wären nach beispielhafter Vorstellung des Richtliniengebers, Angebote in Form einer Kalkulationstabelle.1 cc) Verwendungsmöglichkeiten für elektronische Kataloge (§ 120 Abs. 3 Satz 2) Als Verwendungsmöglichkeit für elektronische Kataloge erwähnt § 120 Abs. 3 36 Satz 2 insbesondere den Einsatz beim Abschluss von Rahmenvereinbarungen. Rahmenvereinbarungen werden seit der Vergaberechtsreform 2016 nunmehr explizit in § 103 Abs. 5 GWB geregelt, zuvor waren sie nur für den Bereich der Liefer- und Dienstleistungen in § 4 EG VOL/A sowie in § 9 SektVO und § 14 VsVgV normiert. Rahmenvereinbarung bieten öffentlichen Auftraggebern die Möglichkeit Einzelaufträge in einem einzigen Vergabeverfahren zu bündeln und nach den Bedingungen der Rahmenvereinbarung ohne erneuten Aufruf zum Wettbewerb zu beschaffen. Schon aus der Verwendung der Formulierung „insbesondere“ lässt sich ablesen, 37 dass die Einsatzmöglichkeit von elektronischen Katalogen nicht allein auf Rahmenvereinbarungen beschränkt ist, sondern diese nur exemplarisch benannt wurden. Nach den Vorstellungen des Richtliniengebers sollten die öffentlichen Auftraggeber e-Kataloge in allen verfügbaren Verfahren verlangen können, in denen die Nutzung elektronischer Kommunikationsmittel vorgeschrieben ist, bspw. also auch in Fällen, in denen ein dynamisches Beschaffungssystem genutzt wird Beispielgebend ist hier auf das „Kaufhaus des Bundes“, eingerichtet beim Be- 37a schaffungsamt des Bundes, zu verweisen. Das Beschaffungsamt ist als eine von vier Zentralen Beschaffungsstellen des Bundes für den Abschluss von Rahmenvereinbarungen zum Einkauf von Standardprodukten zuständig. Die vom Beschaffungsamt betreuten Produktkategorien umfassen insbesondere Dienstleistungen und Kommunikationstechnik. Unternehmen, mit denen das Beschaffungsamt nach erfolgreicher Durchführung von öffentlichen Vergabeverfahren Rahmenvereinbarungen geschlossen hat, können ihre Produktdaten elektronisch an das Kaufhaus des Bundes übermitteln. In der Rahmenvereinbarung werden hierfür nur bestimmte „Rahmendaten“, zum Beispiel: Vertragslaufzeit, Produkte und Preise, festgelegt. Waren und Dienstleistungen werden sodann nach speziellen Vorgaben in das Katalogsystem eingebunden und hierüber von den Unter1 Erwägungsgrund 68 UAbs. 1 S. 5 Richtlinie 2014/24/ EU, Erwägungsgrund 77 UAbs. 1 S. 5 Richtlinie 2014/25/ EU.

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§ 120 | Besondere Methoden und Instrumente in Vergabeverfahren nehmen selbst gepflegt. Das Verschicken von Auftrag und Auftragsbestätigung erfolgt sodann online.1 Die an das „Kaufhaus des Bundes“ angeschlossenen Behörden können dann wiederum individuell ihre Waren und Dienstleistungen bestellen und sind flexibel in der Entscheidung über Bestellmenge, Lieferzeit und Lieferort.2 37b Die konkrete Durchführung eines Beschaffungsvorhabens auf Grundlage eines

elektronischen Kataloges richtet sich nach den Regelungen des § 27 VgV, auf die an dieser Stelle zu verweisen ist. 3. Zentrale Beschaffungsstelle, zentrale Beschaffungstätigkeit (Abs. 4 Satz 1)

38 Bedarfe werden heute häufig über zentrale Beschaffungsstellen, wie z.B. über

das zuvor erwähnte Beschaffungsamt des Bundes (BeschA), das Bundesamt für Ausrüstung, Informationstechnik und Nutzung der Bundeswehr (BAAINBw), und ähnliche Institutionen abgewickelt. § 120 Abs. 4 Satz 1 definiert hierzu den Begriff der zentralen Beschaffungsstelle.3 Ausweislich der Gesetzesbegründung handelt es sich bei einer zentralen Beschaffungsstelle um einen öffentlichen Auftraggeber, der auf Dauer zentrale Beschaffungstätigkeiten einschließlich damit zusammenhängender Beratungs- oder Unterstützungsleistungen für andere öffentliche Auftraggeber erbringt.4

39 Herauszustellen ist, dass die zentrale Beschaffungsstelle selbst ein öffentlicher

Auftraggeber sein muss. Dies ergibt sich sowohl aus dem Wortlaut des § 120 Abs. 4, als auch bereits aus der allgemeinen Begriffsbestimmung des Art. 2 der Richtlinie 2014/24/EU. Hier heißt es in Ziffer 16: „Für die Zwecke dieser Richtlinie bezeichnet der Ausdruck „zentrale Beschaffungsstelle“ einen öffentlichen Auftraggeber, der zentrale Beschaffungstätigkeiten und eventuell Nebenbeschaffungstätigkeiten ausübt.“ Insoweit fallen bspw. (überwiegend) private Einkaufsgemeinschaften5 oder private Unternehmen nicht unter den Begriff der zentralen Beschaffungsstelle. a) Funktionsweise der zentralen Beschaffungsstelle (Abs. 4 Satz 2)

40 § 120 Abs. 4 Satz 2 stellt klar, dass öffentliche Auftraggeber zentrale Beschaf-

fungsstellen nutzen können, um Liefer-, Bau-, oder Dienstleistungen zu beschaf-

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http://www.bescha.bund.de/DE/Startseite/home_node.html (abgerufen am 1.6.2017). http://www.kdb.bund.de/KdB/DE/Startseite/home_node.html. (abgerufen am 1.6.2017). Zeiss, Vergabe Navigator, Sonderausgabe 2015, S. 9. Gesetzesbegründung, BT-Drucks. 18/6281 zu § 120, zu Abs. 4 (S.99). Vgl. z.B. zu einer Einkaufsgemeinschaft von privat- und öffentlich-rechtlich finanzierten Kliniken: OLG Karlsruhe v. 16.11.2012 – 15 Verg 9/12; OLG Schleswig v. 25.1.2013 – 1 Verg 6/12; VK Bund v. 27.7.2016 – VK 2-63/16.

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Besondere Methoden und Instrumente in Vergabeverfahren | § 120

fen. Die zentrale Beschaffungsstelle kann dabei auf zwei Wegen genutzt werden. Erstens kann sie selbst Liefer- und Dienstleistungen beschaffen und an den öffentlichen Auftraggeber weiterveräußern. Dies geschieht in der Regel indem ein öffentlicher Auftraggeber seine Bedarfe aus einer von der zentralen Beschaffungsstelle ausgeschriebenen Rahmenvereinbarung deckt.1 Zweitens kommt eine Tätigkeit der zentralen Beschaffungsstellen als Vermittler 41 in Betracht, bei der sie im Namen und auf Rechnung anderer öffentlicher Auftraggeber Vergabeverfahren durchführt oder Rahmenvereinbarungen abschließt. Eine solche Vermittlertätigkeit kann entweder im Wege eines autonom durchgeführten Vergabeverfahrens ausgeübt werden oder nach Weisung der betreffenden öffentlichen Auftraggeber. Führt sie das Vergabeverfahren autonom durch, so ist sie für die Rechtmäßigkeit dieses Verfahrens allein und unmittelbar verantwortlich. Anderenfalls, bleibt der öffentliche Auftraggeber selbst für die Maßnahmen des Vergabeverfahrens verantwortlich, die er selbst durchführt oder anweist.2 b) Vergaberechtsfreiheit zentraler Beschaffungstätigkeiten (Abs. 4 Satz 3) § 120 Abs. 4 Satz 3 gestattet es öffentlichen Auftraggebern ausdrücklich, öffent- 42 liche Aufträge zur Ausübung zentraler Beschaffungstätigkeiten an zentrale Beschaffungsstellen zu vergeben, ohne (hierfür) ein Vergabeverfahren nach den Vorschriften dieses Teils durchzuführen. Dies gilt insbesondere auch dann, wenn es sich bei dem Auftrag um eine entgeltliche Leistung handelt. Soweit also zur Ausübung zentraler Beschaffungstätigkeiten weitere Dienstleistungen erforderlich werden, wie bspw. ein Abschluss von Rahmenvereinbarungen oder das Bereitstellen und Betreiben von eVergabeplattformen kann ein öffentlicher Auftraggeber diese an eine zentrale Beschaffungsstelle vergeben, ohne hierfür ein Vergabeverfahren durchführen zu müssen. Diesbezügliche Dienstleistungen sind nunmehr ausdrücklich durch § 120 Abs. 4 Satz 3 vom Vergaberecht freigestellt. Mit dieser Regelung setzt § 120 Abs. 4 Satz 3 entsprechende Richtlinienvorgaben des Art. 37 Abs. 4 Uabs.1 RL 2014/24/EU um.3 4. Nebenbeschaffungstätigkeit (Abs. 4 Satz 4) Diese Freistellung vom Vergaberecht soll gemäß § 124 Abs. 4 Satz 4 ferner auch 43 die Ausübung von Nebenbeschaffungstätigkeiten umfassen. Ausweislich des Gesetzeswortlautes und der entsprechenden Gesetzesbegründung4 können derartige vom Vergaberecht freigestellten Dienstleistungsaufträge auch Beratungs1 Siehe dazu zuvor die Ausführungen zur Funktionsweise des Kaufhauses des Bundes bei Rz. 37a. 2 Gesetzesbegründung, BT-Drucks. 18/6281zu § 120, zu Abs. 4 (S.99). 3 Siehe auch Erwägungsgrund 70 zu RL 2014/24/EU. 4 Gesetzesbegründung, BT-Drucks. 18/6281 zu § 120, zu Abs. 4 (S. 99).

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§ 120 | Besondere Methoden und Instrumente in Vergabeverfahren und Unterstützungsleistungen „bei der Planung und Durchführung von Vergabeverfahren“ (Nebenbeschaffungstätigkeiten) umfassen. Nebenbeschaffungstätigkeiten i. d. S. sind insbesondere die Bereitstellung der technischen Infrastruktur oder Beratungsleistungen für die Durchführung von Vergabeverfahren sowie die Vorbereitung und Verwaltung des Verfahrens selbst. Entscheidend ist also, dass die Nebentätigkeiten stets in einem Zusammenhang mit einer zentralen Beschaffungstätigkeit stehen müssen. 43a Handelt es sich bei einem Dienstleistungsauftrag ausschließlich um eigenständi-

ge Beratungs- oder Unterstützungsleistungen, die nicht auf die Ausübung zentraler Beschaffungstätigkeiten gerichtet sind, oder mit dieser im Zusammenhang stehen, ist dagegen ein Vergabeverfahren durchzuführen.1 5. Kartellrechtliche Vorbehalte (Abs. 4 Satz 5)

44 Die zuvor dargestellte Zusammenführung und Zentralisierung von Beschaffun-

gen darf und soll jedoch nach dem Willen des Gesetzgebers keine unzulässige Konzentration der Kaufkraft herbeiführen, vielmehr sind Transparenz und Wettbewerb sowie die Möglichkeiten des Marktzugangs für kleine und mittelständische Unternehmen aufrechtzuerhalten.2 Aus diesem Grund erwähnt § 120 Abs. 4 Satz 5, dass die Teile 1 bis 3 dieses Gesetzes durch die Regelung der zentralen Beschaffung unberührt bleiben. Diese Teile betreffen Regelungen zu unzulässigen Wettbewerbsbeschränkungen (Erster Teil §§ 1–47) und zu den Befugnissen der Kartellbehörden (Zweiter Teil §§ 48–53) sowie Verfahrensrechtliche Vorschriften (Dritter Teil §§ 54–96).

IV. Rechtsschutz 45 Die Einrichtung und Nutzung der in § 120 definierten besonderen Instrumente

in Vergabeverfahren ist jeweils in das Ermessen des Auftraggebers gestellt,3 ebenso die Beschaffung von Liefer- und Dienstleistungen über zentrale Beschaffungsstellen. Folglich besteht kein Anspruch der Bieter auf Durchführung eines Vergabeverfahrens mithilfe dieser speziellen elektronischen Instrumente. Entscheidet sich der Auftraggeber jedoch dafür, ein Vergabeverfahren im Wege eines dynamischen Beschaffungssystems oder einer elektronischen Auktion etc. durchzuführen, hat er die für die Durchführung des Verfahrens in § 120 sowie in den §§ 22 ff. VgV und in den §§ 19 ff. SektVO geltenden Verfahrensgrundsätze zu beachten. Diese Normen enthalten jeweils weitergehende bieterschüt1 Gesetzesbegründung, BT-Drucks. 18/6281 zu § 120, zu Abs. 4 (S. 100). 2 Gesetzesbegründung, BT-Drucks. 18/6281 zu § 120, zu Abs. 4 (S. 99). 3 So schon Haak/Preißinger in Willenbruch/Wieddekind, Kompaktkommentar Vergaberecht 2014, § 5 VOL/A EG. Rz.4.

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Leistungsbeschreibung | § 121

zende Vorschriften. So haben die Bieter je nach Ausgestaltung des einzelnen Verfahrensinstrumentes einen Anspruch auf die Einhaltung der Unterrichtungs-, Informations-, Bekanntmachungs- und Zugangsgewährungspflichten.

§ 121 Leistungsbeschreibung (1) In der Leistungsbeschreibung ist der Auftragsgegenstand so eindeutig und erschöpfend wie möglich zu beschreiben, so dass die Beschreibung für alle Unternehmen im gleichen Sinne verständlich ist und die Angebote miteinander verglichen werden können. Die Leistungsbeschreibung enthält die Funktions- oder Leistungsanforderungen oder eine Beschreibung der zu lösenden Aufgabe, deren Kenntnis für die Erstellung des Angebots erforderlich ist, sowie die Umstände und Bedingungen der Leistungserbringung. (2) Bei der Beschaffung von Leistungen, die zur Nutzung durch natürliche Personen vorgesehen sind, sind bei der Erstellung der Leistungsbeschreibung außer in ordnungsgemäß begründeten Fällen die Zugänglichkeitskriterien für Menschen mit Behinderung oder die Konzeption für alle Nutzer zu berücksichtigen. (3) Die Leistungsbeschreibung ist den Vergabeunterlagen beizufügen. I. 1. 2. II. 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7.

Einführung Inhaltsübersicht . . . . . . . . . . . . Entstehungsgeschichte . . . . . . . Anforderungen an die Leistungsbeschreibung (Abs. 1) Pflicht zur eindeutigen und erschöpfenden Leistungsbeschreibung . . . . . . . . . . . . . . Gebot der eindeutigen Leistungsbeschreibung . . . . . . . . . . Gebot der erschöpfenden Leistungsbeschreibung . . . . . . . . . . Grenzen der Pflicht zur eindeutigen und erschöpfenden Leistungsbeschreibung . . . . . . . . . . Verständlichkeit in gleicher Weise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vergleichbarkeit der Angebote . Ausnahmen vom Grundsatz der eindeutigen und erschöpfenden Leistungsbeschreibung . . . . . . . a) Zulässigkeit von Bedarfsoder Eventualpositionen . . . .

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b) Zulässigkeit von Wahl- oder Alternativpositionen . . . . . . . 8. Rechtsfolgen eines Verstoßes gegen den „Bestimmtheitsgrundsatz“ . . . . . . . . . . . . . . . . 9. Reaktionsmöglichkeiten und -pflichten der Bieter a) Reaktionspflichten/Hinweispflichten . . . . . . . . . . . . . . . b) Reaktionsmöglichkeiten/ Obliegenheiten . . . . . . . . . . 10. Inhalt und Gestaltungsmöglichkeiten einer Leistungsbeschreibung (§ 121 Abs. 1 Satz 2) . . . . . a) Funktionsanforderungen . . . b) Funktionale Ausschreibung . . c) Teilfunktionale Ausschreibung . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Leistungsanforderungen . . . . e) Beschreibung der zu lösenden Aufgabe . . . . . . . . . . . . . . . f) Sonstige Gestaltungsmöglichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . .

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§ 121 | Leistungsbeschreibung 11. Umstände und Bedingungen der Leistungserbringung . . . . . . . . . 12. Barrierefreiheit/Design für alle (§ 121 Abs. 2) . . . . . . . . . . . . .

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13. Beifügung der Leistungsbeschreibung zu den Vergabeunterlagen (§ 121 Abs. 3) . . . . . . . . . . . . . 14. Rechtsschutz . . . . . . . . . . . . . .

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I. Einführung 1. Inhaltsübersicht 1 In § 121 werden die zentralen Anforderungen an die Leistungsbeschreibung und

deren Aufnahme in die Vergabeunterlagen geregelt und in teilweiser Umsetzung des Artikels 42 Absatz 1 der Richtlinie 2014/24/EU der bisher im vierten Teil des GWB nicht enthaltenen zentrale Begriff der „Leistungsbeschreibung“ eingeführt.1 Die Vorschrift greift den Regelungsgehalt der §§ 7 VOB/A EG, 8 VOL/A EG und § 6 VOF auf. Die weiteren Anforderungen des Artikels 42 der Richtlinie 2014/24/EU werden im Rahmen der Vergabeverordnung (VgV) umgesetzt.2

2 Sinn und Zweck der Leistungsbeschreibung ist, dass durch sie den potenziellen

Auftragnehmern der Beschaffungsgegenstand frühzeitig unmissverständlich erläutert wird. Nach den Grundsätzen der Selbstbindung des Auftraggebers und des Vertrauensschutzes für die Bieter wird der öffentliche Auftraggeber durch einmal in der Leistungsbeschreibung verlautbarte Entscheidungsmaßstäbe und Beschaffungsbedingungen für die Dauer des Vergabeverfahrens gebunden. Denn Bewerber und Bieter verlassen sich bei der Durchsicht der Vergabeunterlagen und der Erstellung ihrer Angebote auf die in der Leistungsbeschreibung enthaltene Umschreibungen des Auftraggebers und auf die Beständigkeit der Vergabeunterlagen für die anstehende Vergabe.3

3 In § 121 Abs. 1 Satz 1 werden zunächst die formalen Anforderungen an den In-

halt der Leistungsbeschreibung vorgegeben. Danach ist der Auftragsgegenstand so eindeutig und erschöpfend wie möglich zu beschreiben, so dass dies für alle Unternehmen im gleichen Sinne verständlich ist und die Angebote miteinander verglichen werden können. § 121 Abs. 1 Satz 1 beinhaltet damit den sogen. „Bestimmtheitsgrundsatz“.4

4 § 121 Abs. 1 Satz 2 führt dann die Inhalte der Leistungsbeschreibung auf, wobei

die Formulierung einen weiten Spielraum bei Art und Umfang der Beschreibung zu lässt. So kann der Beschaffungsgegenstand durch konkrete Leistungsanforderungen oder – offener – durch Funktionsanforderungen definiert werden. Bei

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Gesetzesbegründung, BT-Drucks. 18/6281 zu § 121, vor Absatz 1 (S. 100). Gesetzesbegründung, BT-Drucks. 18/6281 zu § 121, zu Absatz 1 (S. 100). VK Bund v. 7.2.2008 – VK 3-169/07. OLG München v. 20.3.2014 – Verg 17/13, NZBau 2014, 456–462; ZfBR 2014, 416; VK Sachsen v. 27.6.2014 – 1/SVK/020-13.

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Leistungsbeschreibung | § 121

geistig-schöpferischen Leistungen, etwa mit Blick auf zu erbringende Planungsleistungen, kann auch bereits die Beschreibung der zu lösenden Aufgabe ausreichen. In § 121 Abs. 2 wird sodann in Umsetzung von Art. 42 Absatz 1 Unterabsatz 4 5 und 5 der Richtlinie 2014/24/EU das Novum geregelt, dass bei der Erstellung der Leistungsbeschreibung für die zu beschaffenden Leistung die Zugänglichkeitskriterien für Menschen mit Behinderung oder die Konzeption für alle Nutzer zu berücksichtigen sind, sofern die geforderte Leistung zur Nutzung durch natürliche Personen vorgesehen ist. Bei Liefer-, Bau- und Dienstleistungen sind bereits bei der Definition des Beschaffungsbedarfs die Aspekte des „Designs für Alle“ einschließlich des Zugangs für Menschen mit Behinderung zu berücksichtigen, um dieser Personengruppe einen gleichberechtigten Zugang oder die gleichen Nutzungsmöglichkeiten an einem öffentlichen Gebäude, einem Produkt oder einer Dienstleistung zu ermöglichen. Sofern es für die Zugänglichkeit (Barrierefreiheit) für Menschen mit Behinderungen bereits nationale oder internationale Normen gibt, sind diese grundsätzlich anzuwenden.1 § 121 Abs. 3 stellt schließlich sicher, dass die Leistungsbeschreibung zwingend 6 bereits den Vergabeunterlagen, die darüber hinaus auch noch weitere wesentliche Informationen zum Vergabeverfahren wie etwa den Vertragsentwurf enthalten, beizufügen ist. Dieses Erfordernis dient der Erhöhung der Transparenz von Vergabeverfahren, was auch durch die neue EU-Vergaberichtlinie vorgesehen ist. 2. Entstehungsgeschichte Im Zuge der der Vergaberechtsreform 2016 sind die bisher im zweiten Abschnitt 7 der VOL/A und in der VOF enthaltenen Normen im Wesentlichen in das GWB und die VgV übertragen worden. Die dort bisher beinhalteten allgemeinen Vorgaben zur Leistungsbeschreibung (§ 8 VOL/A EG und § 6 VOF) sind in das GWB überführt worden, während die detaillierteren Regelungen zu ihrer konkreten Ausgestaltung nun in § 31 und § 32 VgV enthalten sind. Für die Vergabe von Bauleistungen hingegen sind über die Verweisung in § 2 VgV die Bestimmungen des § 7 VOB/A EU resp. § 7a VOB/A EU zu beachten. Mit dieser Aufteilung der zu erfüllenden Anforderungen auf Gesetzes- und Ver- 8 ordnungsebene von GWB und VgV sowie VOB/A EU macht es der deutsche Gesetzgeber dem Rechtsanwender nicht einfach die Umsetzung der Vorgaben aus Art. 42 der Richtlinie 2014/24/EU im deutschen Vergaberecht wiederzufinden. Allerdings ist positiv zu bewerten, dass durch die Verlagerung der umfangreichen Regelungen zu den Technischen Spezifikationen auf die Verordnungsebene, d.h. auf §§ 31 und 32 VgV der Inhalt von § 121 erheblich verschlankt werden konnte. 1 Gesetzesbegründung, BT-Drucks. 18/6281, zu § 121, zu Abs. 2 (S. 100).

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§ 121 | Leistungsbeschreibung II. Anforderungen an die Leistungsbeschreibung (Abs. 1) 1. Pflicht zur eindeutigen und erschöpfenden Leistungsbeschreibung 9 Gemäß dem sich aus § 121 Abs. 1 Satz 1 ergebenden „Bestimmtheitsgrundsatz“

ist der Auftragsgegenstand in der Leistungsbeschreibung so eindeutig und erschöpfend wie möglich zu beschreiben, so dass die Beschreibung für alle Unternehmen im gleichen Sinne verständlich ist und die Angebote miteinander verglichen werden können. Mit dem Erfordernis der eindeutigen und erschöpfenden Leistungsbeschreibung werden qualitative und quantitative Anforderungen erhoben um sicherzustellen werden, dass die Leistungsbeschreibung für alle Unternehmen eine umfassende, bis ins Detail gehend klare, belastbare und streitvermeidende Grundlage für die Kalkulation bietet.

10 Mit der Leistungsbeschreibung legt der öffentliche Auftraggeber den Auftrags-

gegenstand und damit sowohl den sachlichen Gehalt der Angebote als auch den Inhalt des abzuschließenden Vertrags fest, weshalb § 121 zu den Zentralnormen des Vergaberechts zählt. Die in § 121 geregelten Anforderungen an die Gestaltung der Leistungsbeschreibung sind sowohl für das Vergabeverfahren als auch für die spätere Vertragsdurchführung mit dem erfolgreichen Bieter von fundamentaler Bedeutung, denn die Leistungsbeschreibung bildet das Kernstück der Vergabeunterlagen.1 § 121 Absatz 1 stellt nicht nur inhaltliche Anforderungen an die Beschreibung der Leistung, die als „invitatio ad offerendum“ den wesentlichen Inhalt des zu schließenden Vertrages bestimmt2, er ist darüber hinaus unmittelbarer Ausfluss der in § 97 Abs. 1 und 2 enthaltenen Grundsätze einer transparenten, die Bieter gleich behandelnden Vergabe im Wettbewerb.3

11 Eine Leistungsbeschreibung ist eindeutig und erschöpfend, wenn sie Art und

Umfang der geforderten Leistung mit allen dafür maßgebenden Bedingungen zur Ermittlung des Leistungsumfangs (z.B. hinsichtlich Qualität, technische Bedingungen, zu erwartende Erschwernisse) zweifelsfrei erkennen lässt, keine Widersprüche in sich, zu den Plänen oder zu anderen technischen Vorgaben und vertraglichen Regelungen enthält und alle für die Leistung spezifischen Bedingungen und Anforderungen benennt.4

12 Das Gebot der eindeutigen und vollständigen Leistungsbeschreibung hat als

Konkretisierung des Transparenzgrundsatzes bieterschützenden Charakter.5 Es

1 VK Münster v. 23.9.2011 – VK 11/11; VK Niedersachsen v. 17.3.2011 – VgK-65/2010; v. 7.3.2011 – VgK-73/2010; VK Sachsen v. 1.6.2011 – 1/SVK/016-11. 2 Gerlach/Manzke, VergabeR 2016, 443 (445). 3 So zuletzt VK Westfalen v. 1.3.2016 – VK 1-2/16; 2. VK Hessen v. 26.4.2007 – 69 d VK08/2007; VK Südbayern v. 26.6.2008 – Z3-3-3194-1-16-04/08 zu § 8 EG Abs. 1 VOL/A. 4 Ausführlich dazu Prieß, NZBau 2004, 20 (22). 5 OLG München v. 20.3.2014 – Verg 17/13, NZBau 2014, 456–462; ZfBR 2014, 416.

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Leistungsbeschreibung | § 121

gilt auch für das Verhandlungsverfahren1 und die funktionale Leistungsbeschreibung,2 denn selbst in einem Verhandlungsverfahren muss der Auftraggeber klare Vorstellungen über die Funktionen und Ziele der nachgefragten Leistung haben. Ebenso müssen Leistungsziel, Rahmenbedingungen und wesentliche Einzelheiten der Leistung feststehen, wenngleich die Leistungsbeschreibung wegen der im Verhandlungsverfahren bestehenden Möglichkeiten der Verhandlung über einzelne Aspekte der Leistung flexibler sein kann. 2. Gebot der eindeutigen Leistungsbeschreibung Eine „eindeutige“ Leistungsbeschreibung muss den Bietern ermöglichen, ihre 13 Preise sicher und ohne umfangreiche Vorarbeiten zu kalkulieren. Dazu muss die Leistungsbeschreibung so gefasst sein, dass die geforderte Leistung ohne intensive Auslegungsbemühungen klar und widerspruchsfrei feststeht und den Bieter nicht im Unklaren lässt, welche Leistung er in welcher Form und zu welchen Bedingungen anbieten soll.3 Die Bieter müssen die für die Auftragsdurchführung wesentlichen Begleitumstände kennen oder zumindest zuverlässig abschätzen können.4 Unabhängig vom Typ der Leistungsbeschreibung müssen zwar nicht das „winzigste Detail“ oder „Selbstverständlichkeiten“ benannt werden, im Zweifel sollte der Auftraggeber aber den Grundsatz „Je detaillierter, desto besser“ walten lassen.5 Dass die Leistungsbeschreibung den Anforderungen des § 121 Abs. 1 Satz 1 ge- 14 nügt, fällt grundsätzlich in den Verantwortungsbereich des öffentlichen Auftraggebers. Dieser hat dafür zu sorgen, dass alle Bieter die Vergabeunterlagen in vergleichbarer Weise verstehen, damit auf dieser Grundlage vergleichbare Angebote erstellt werden können.6 Ihm steht mithin nicht nur das Leistungsbestimmungsrecht zu, sondern ihm obliegt auch die Pflicht zur Leistungsbestimmung. Der Bieter darf sich grundsätzlich darauf verlassen, dass eine Leistung richtig beschrieben ist. Er darf sich auch darauf verlassen, dass Details vollständig angegeben sind, soweit sich aus dem Vertrag nichts Abweichendes ergibt.7 1 OLG Naumburg v. 16.9.2002 – 1 Verg 2/02, NZBau 2003, 628–633 = ZfBR 2003, 182– 186; OLG Düsseldorf v. 2.8.2002 – Verg 25/02; VK Nordbayern v. 20.11.2012 – 21.VK3194-26/12. 2 VK Bund v. 7.4.2004 – VK 1-15/04. 3 VK Münster v. 23.9.2011 – VK 11/11. 4 OLG Frankfurt v. 12.7.2016 – 11 Verg 9/16; OLG Karlsruhe v. 29.4.2016 – 15 Verg 1/16, IBR 2016, 541; NZBau 2016, 449–452; VK Bund v. 29.2.2012 – VK 1-7/12; VK Düsseldorf v. 3.9.2010 – VK-28/2010-B. 5 Wirner in Willenbruch/Wieddekind, Kompaktkommentar Vergaberecht, 3. Aufl. 2014 zu § 7 VOL/A Rz. 8, m. Verw. a. OLG Koblenz v. 5.9.2002 – 1 Verg 2/02. 6 OLG Frankfurt v. 12.7.2016 – 11 Verg 9/16, NZBau 2016, 705–711; OLG Karlsruhe v. 29.4.2016 – 15 Verg 1/16; OLG Düsseldorf v. 2.8.2002 – Verg 25/02. 7 BGH v. 22.12.2011 – VII ZR 67/11, NZBau 2012, 102–104 = ZfBR 2012, 241-243= BauR 2012, 490–493.

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§ 121 | Leistungsbeschreibung 15 Inwieweit eine Leistungsbeschreibung den Anforderungen des § 121 Abs. 1

Satz 1 entspricht, beurteilt sich nicht allein danach, ob einzelne Leistungsdetails beschrieben sind, sondern nach dem objektiven Verständnis der potentiellen Bieter von der vorhandenen Leistungsbeschreibung. Dabei ist nicht auf einen einzelnen Bieter, sondern auf den angesprochenen Empfängerkreis insgesamt abzustellen.1 Wenn eine Leistungsbeschreibung wettbewerbsrelevante Auslegungsfragen aufwirft sind diese dementsprechend ebenso zunächst gemäß §§ 133, 157 BGB nach dem objektiven Empfängerhorizont also aus der Sicht eines potentiellen Bieters zu klären.2 Ausgangspunkt für die Auslegung ist hierbei der Wortlaut der Leistungsbeschreibung, der weder erweiternd noch einengend ausgelegt werden darf.3 Zudem sind die Verkehrssitte sowie Treu und Glauben zu berücksichtigen.4 Für die Auslegung der Leistungsbeschreibung sind außerdem nur Umstände zu berücksichtigen, die im Zeitpunkt der Veröffentlichung der Bekanntmachung für ein durchschnittliches Unternehmen schon erkennbar sind.5

16 Nicht eindeutig ist eine Leistungsbeschreibung hingegen, wenn sie Angaben le-

diglich allgemeiner Natur enthält, verschiedene Auslegungsmöglichkeiten zulässt oder Zweifelsfragen aufkommen lässt die die Bieter im Unklaren lassen, welche Leistung in welcher Form und unter welchen Bedingungen angeboten werden soll.6

17 Die Auslegungsbedürftigkeit einer Leistungsbeschreibung stellt nicht per se einen

Verstoß gegen das Gebot der eindeutigen Leistungsbeschreibung dar, denn auch bei sorgfältiger Erstellung einer Leistungsbeschreibung kann nie ausgeschlossen werden, dass geringe Unklarheiten auftreten, da jeder Begriff der Sprache auslegungsfähig ist und das genaue Verständnis stets vom Empfängerhorizont abhängt. Würde man bei jeder noch so geringen Unklarheit dem Auftraggeber die Verantwortung aufbürden, bestünde die Gefahr, dass die Bieter durch geschickte Argumentation nachträglich Unklarheiten in die Leistungsbeschreibung hineininterpretieren könnten, um Vorteile aus diesem „Fehler der Vergabestelle“ bei der Erstellung des Leistungsverzeichnisses unverhältnismäßig zu erhöhen.7 1 BGH v. 22.12.2011 – VII ZR 67/11, NZBau 2012, 102–104 = ZfBR 2012, 241-243= BauR 2012, 490–493; OLG Frankfurt v. 2.23.2014 – 11 Verg 7/14. 2 OLG Schleswig v. 30.4.2015 – 1 Verg 7/14, VPR 2015, 254 = NZBau 2016, 190. 3 BGH v. 13.3.2008 – VII ZR 194/06, ZfBR 2008, 464–469 = BauR 2008, 1131–1137 = NZBau 2008, 437–441; OLG Köln v. 23.12.2009 – 11 U 173/09, IBR 2010, 200 = BauR 2010, 1076; VK Sachsen v. 3.5.2016 – 1/SVK/005-16. 4 Seufert, IBR 2010, 1232, m. Verw. a. BGH v. 17.6.2004 – VII ZR 75/03, IBR 2004, 487 = BauR 2004, 1438–1441 = NZBau 2004, 500–502 = ZfBR 2004, 778–780. 5 Gerlach/Manzke, VergabeR 2016, 443 (448). 6 VK Sachsen v. 3.5.2016 – 1/SVK/005-16 und v. 19.5.2011 – 1/SVK/015-11. 7 OLG Karlsruhe v. 25.7.2014 – 15 Verg 4/14, IBR 2015, 275 = ZfBR 2015, 395-398 m. Verw. a. VK Bund v. 14.11.2004 – VK 1-35/2000.

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Leistungsbeschreibung | § 121

Zweifel an der Eindeutigkeit einer Leistungsbeschreibung ergeben sich regel- 18 mäßig, wenn in dieser „ca.“-Angaben verwendet werden, ohne dass diese hinsichtlich ihrer möglichen Abmaße konkretisiert werden.1 Sind Leistungsbeschreibung einerseits und Vergabeunterlagen andererseits, bspw. 19 in Bezug auf den Leistungszeitraum in sich widersprüchlich2, oder enthalten sie widersprüchliche Angaben zu den zu liefernden Stückzahlen eines Produktes3 führt ein solcher Widerspruch dazu, dass die eingereichten Angebote nicht vergleichbar sind und auf sie der Zuschlag nicht erteilt werden darf. 3. Gebot der erschöpfenden Leistungsbeschreibung „Erschöpfend“ ist die Leistungsbeschreibung, wenn keine Restbereiche verblei- 20 ben, die seitens des Auftraggebers nicht klar umrissen sind, die Leistungsbeschreibung also keine kalkulationsrelevanten Fragen offen lässt, wobei sich der erschöpfende Charakter bereits aus der Eindeutigkeit der Leistungsbeschreibung ergeben kann.4 Unterliegt die ausgeschriebene Leistung mengenmäßigen Unwägbarkeiten 21 (denkbar bei Abfallentsorgungs-, Winterdienst- oder ÖPNV- Leistungen), die selbst von einem branchenkundigen Bieter nur schwer abgeschätzt und kalkulatorisch berücksichtigt werden können, ist der Auftraggeber gehalten, möglichst umfassend alle die Preisermittlung beeinflussenden Umstände sowie die die zur Quantifizierung geeigneten Parameter (z. B. Erfahrungswerte aus Voraufträgen) in der Leistungsbeschreibung offen zu legen.5 So kann es geboten sein, bei der Ausschreibung von Leistungen der Schülerbeförderung die Vorjahreszahlen zur durchschnittlichen täglichen Gesamtkilometerzahl und die Anzahl der Rollstuhlfahrer mitzuteilen,6 oder bei der Ausschreibung von Postdienstleistungen Vorjahreswerte an Briefpostsendungen bezogen auf die Abholstellen zur Verfügung zu stellen.7 Die Überbürdung von kaufmännischen Kalkulationsrisiken stellt jedoch nicht 22 per se einen Vergaberechtsverstoß dar. Das früher noch in der VOL/A 2006 for1 OLG Naumburg v. 25.9.2008 – 1 Verg 3/08; VK Nordbayern v. 10.0.2015 – 21.VK-319438/14, VK Sachsen v. 27.9.2013 – 1/SVK/027-13, VK Nordbayern v. 21.07.2008 – 21.VK3194-27/08. 2 VK Bund v. 5.11.2014 – VK 1-86/14. 3 VK Arnsberg v. 8.1.2013 – VK 18/12. 4 OLG Karlsruhe v. 25.7.2014 – 15 Verg 4/14; OLG München v. 20.3.2014 – Verg 17/13, NZBau 2014, 456 = ZfBR 2014, 416; OLG Düsseldorf v. 7.8.2013 – VII-Verg 15/13; v. 12.10.2011 – VII-Verg 46/11; VK Mecklenburg-Vorpommern v. 21.2.2012 – 1 VK 07/11. 5 VK Sachsen v. 19.5.2011 – 1/SVK/015-11, m. Verw. a. OLG Karlsruhe v. 21.12.2006 – 17 Verg 8/06. 6 OLG Koblenz v. 10.8.2009 – 1 Verg 8/09. 7 VK Arnsberg v. 15.1.2009 – VK 30/08.

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§ 121 | Leistungsbeschreibung mulierte grundsätzliche Verbot, Bietern oder Auftragnehmern in der Leistungsbeschreibung oder in sonstigen Vergabeunterlagen ungewöhnliche Wagnisse für Umstände oder Ereignisse aufzubürden, auf die sie keinen Einfluss haben und deren Einfluss auf die Preise und Fristen sie nicht im Voraus schätzen können, war nicht in die Neuregelung der VOL/A 2009 übernommen worden.1 Das Verbot der Auferlegung eines ungewöhnlichen Wagnisses ist seitdem formal kein Rechtsgrundsatz mehr,2 ein solches Verbot lässt sich auch nicht dem GWB entnehmen. Die Rechtsprechung zur Frage, ob solche Wagnisse übertragen werden dürfen, ist inzwischen sehr uneinheitlich. Vereinzelt wird die Auffassung vertreten, dass solche Risiken nunmehr übertragen werden dürfen,3 dass jedoch nunmehr unter dem Aspekt der eindeutigen und erschöpfenden Leistungsbeschreibung zu prüfen ist, ob die Verdingungsunterlagen eine angemessene oder aber unzumutbare Risikoverteilung enthalten.4 So kann es bei der Ausschreibung von Rettungsdienstleistungen ausreichend sein, lediglich darauf hinzuweisen, dass die Möglichkeit eines Betriebsübergangs nach § 613a BGB besteht, ohne darüber hinaus noch die genaue Personalstruktur des derzeitigen Leistungserbringers offenlegen zu müssen.5 23 Unzumutbar kann zum Beispiel eine Verlagerung vertragstypischer Risiken sein,

so unter Umständen eine vollständige Überbürdung des die ausgeschriebene Leistung bestreffenden Verwendungsrisikos auf den Auftragnehmer,6 oder wenn diesem Risiken aufgebürdet werden, die er nach der in dem jeweiligen Vertragstyp üblicherweise geltenden Wagnisverteilung an sich nicht zu tragen hat.7

24 Generell stellt es aber keine unzumutbare Risikoverlagerung dar, wenn der

Bieter/Auftragnehmer gewisse Preis- und Kalkulationsrisiken tragen soll, die vertragstypischerweise ohnedies ihm obliegen. Diese Zumutbarkeitsschwelle erhöht sich bei einer Ausschreibung von Rahmenvereinbarungen (im weitesten Sinne) zu Lasten der Bieter. Angeboten bei Rahmenvereinbarungen wohnen – in der Natur der Sache liegend und abhängig vom in der Regel ungeklärten und nicht abschließend klärbaren Auftragsvolumen – erhebliche Kalkulationsrisiken inne, die typischerweise vom Bieter zu tragen sind. Bei Rahmenvereinbarungen gelten die Gebote der Bestimmtheit, Eindeutigkeit und Vollständigkeit der Leistungsbeschreibung demgemäß nur eingeschränkt.8 1 VK Bund v. 21.6.2012 – VK 3-57/12. 2 OLG Düsseldorf v. 24.11.2011 – VII-Verg 62/11. 3 OLG Koblenz v. 4.2.2014 – 1 Verg 7/13; OLG München v. 6.8.2012 – Verg 14/12; OLG Düsseldorf v. 7.12.2011 – Verg 96/11. 4 VK Sachsen v. 4.9.2013 – 1/SVK/022-13. 5 VK Sachsen v. 5.12.2011 – 1/SVK/043-11. 6 OLG Dresden v. 2.8.2011 – WVerg 0004/11; VK Hessen v. 24.10.2011 – 69d VK-35/2011. 7 LSG Hessen v. 15.12.2009 – L 1 KR 337/09 ER Verg; VK Baden-Württemberg v. 27.06. 2011 – 1 VK 31/11; 2. VK Bund v. 12.10.2011 – VK 2-115/11. 8 OLG Düsseldorf v. 11.5.2016 – Verg 2/16; sowie v. 28.3.2012 – VII-Verg 90/11.

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Leistungsbeschreibung | § 121

Wie schon beim Kriterium der Eindeutigkeit ist auch hinsichtlich des Tatbe- 25 standsmerkmals der „Pflicht zur erschöpfenden Leistungsbeschreibung“ auf das objektive Verständnis der potentiellen Bieter des angesprochenen Empfängerkreis abzustellen. 4. Grenzen der Pflicht zur eindeutigen und erschöpfenden Leistungsbeschreibung Im Vergleich zur früheren Formulierungen des § 8 Abs. 1 EG VOL/A ist der 26 Auftragsgegenstand in der Leistungsbeschreibung nicht mehr eindeutig und erschöpfend“, sondern nach § 121 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 nunmehr lediglich „so eindeutig und erschöpfend wie möglich“ zu beschreiben. Hierin ist jedoch keine Absenkung der Anforderungen an die Leistungsbeschreibung zu sehen. Aus der Formulierung „so eindeutig und erschöpfend wie möglich“ folgt vielmehr, dass der Bestimmtheitsgrundsatz des § 121 Abs. 1 Satz 1 seine Grenze im Prinzip der Verhältnismäßigkeit findet. Die Pflicht die Bieter in den Vergabeunterlagen über alle für die Auftragsdurchführung wichtigen Umstände zu informieren endet an der Grenze des dem Auftraggeber „Möglichen und Zumutbaren“.1 Der dem öffentlichen Auftraggeber bei der Vorbereitung und Durchführung von Ausschreibungen zumutbare Aufwand ist mit Rücksicht auf den vergaberechtlich bezweckten, möglichst raschen Abschluss des Vergabeverfahrens, aber auch wegen der dem öffentlichen Auftraggeber in nicht unbegrenztem Umfang zur Verfügung stehenden verwaltungsmäßigen und finanziellen Ressourcen, zu beschränken.2 Die Pflicht alle kalkulationsrelevanten Grundlagen der Leistungsbeschreibung 27 zu ermitteln endet mithin dort, wo eine in allen Punkten eindeutige Leistungsbeschreibung nur mit unverhältnismäßigem Kostenaufwand möglich wäre.3 So ist beispielsweise nicht erforderlich, auf solche technischen Details einzugehen, die für den bauerfahrenen Fachmann als Adressaten der Leistungsbeschreibung selbstverständlich sind.4 5. Verständlichkeit in gleicher Weise Der Auftragsgegenstand ist gem. § 121 Abs. 1 Satz1 Halbs. 2 so zu beschreiben, 28 dass er für alle Unternehmen „im gleichen Sinne verständlich“ ist. Dies beurteilt sich nach dem objektiven Empfängerhorizont der potentiellen Bieter des 1 VK Lüneburg v. 7.3.2011 – VgK-73/2010. 2 OLG Düsseldorf v. 21.10.2015 – Verg 28/14; IBR 2016, 39 = NZBau 2016, 235 = ZfBR 2016, 83; OLG Düsseldorf v. 2.12. 2009 – VII-Verg 39/09, m.w.N.; VK Sachsen v. 30.8. 2016 – 1/SVK/016-16. 3 VK Lüneburg v. 7.3.2011 – VgK-73/2010. 4 OLG Düsseldorf v. 7.8.2013 – VII-Verg 15/13.

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§ 121 | Leistungsbeschreibung angesprochenen Empfängerkreises1 und nicht nach dem subjektiven Verständnis des Auftraggebers von seiner Ausschreibung.2 Während der Auftraggeber bei der Gestaltung seiner Ausschreibung genügenden Sachverstand der Bieter voraussetzen darf,3 muss der Bieter seinerseits alle Bestandteile der Ausschreibungsunterlagen aus einem subjektiven Empfängerhorizont eines verständigen und sachkundigen potentiellen Bieters zur Kenntnis nehmen.4 29 Unerheblich für die „Verständlichkeit in gleicher Weise“ ist, ob die ausge-

schriebene Lösung den allgemein anerkannte Regeln der Technik entspricht,5 überschießende Produktanforderungen enthält6oder gar zu wirtschaftlich unsinnigen Aufträgen führt.7 Entscheidend ist einzig, dass die Leistungsbeschreibung in sich widerspruchsfrei und eindeutig ist,8 denn auch fehlerhafte Leistungsbeschreibungen können von den Bietern in gleicher Weise verstanden werden und führen in der Regel zu miteinander vergleichbaren Angeboten, sofern der Fehler in der Leistungsbeschreibung das im Ergebnis gleiche Verständnis der Bieter nicht beeinträchtigt.9 6. Vergleichbarkeit der Angebote

30 Zentrale Grundlage eines jeden Vergabewettbewerbs ist, dass auf der Basis eines

einheitlichen Verständnisses der Auftraggebervorgaben vergleichbare Angebote erstellt werden können. Deshalb verlangt § 121 Abs. 1 Satz 1 letzter Halbs. als Ausdruck des Bestimmtheitsgrundsatzes dass der Auftragsgegenstand in der Leistungsbeschreibung so beschrieben wird, die Angebote miteinander verglichen werden können, was unabdingbare Voraussetzung für eine faire und transparente Entscheidung über den Zuschlag ist.10

31 Unklarheiten und Mehrdeutigkeiten im Leistungsverzeichnis führen hingegen

zur mangelnden Vergleichbarkeit der Angebote und damit von Beginn des Vergabeverfahrens an zu einem erheblichen Mangel, der im Falle einer Beanstandung die Aufhebung des Vergabeverfahrens zur Folge haben kann.

1 BGH v. 22.12.2011 – VII ZR 67/1, NZBau 2012, 102–104 = ZfBR 2012, 241–243 = BauR 2012, 490–493; OLG Frankfurt v. 2.12.2014 – 11 Verg 7/14; NZBau 2015, 448-450. 2 BGH v. 12.9.2013 – VII ZR 227/11, MDR 2013, 1395 = NZBau 2013, 695–697 = ZfBR 2014, 37–39 = IBR 2013, 664; m. Verw. a. BGH v. 11.3.1999 – VII ZR 179/98, MDR 1999, 862–863 = BauR 1999, 897 (898). 3 BGH v. 3.6.2004 – X ZR 30/03; NZBau 2004, 517-519; ZfBR 2004, 813–816. 4 OLG Brandenburg v. 25.11.2015 – 4 U 7/14, NZBau 2016, 217–222. 5 OLG Dresden v. 17. 5. 2011 – WVerg 3/11; VergabeR 2012, 217–218. 6 VK Sachsen v. 16.5.2011 – 1/SVK/016-11. 7 VK Sachsen v. 15.03.2011 – 1/SVK/004-11. 8 OLG Frankfurt v. 2.12.2014 – 11 Verg 7/14, VPR 2015, 1071; NZBau 2015, 448–450. 9 VK Bund v. 27.8.2014 – VK 1-62/14. 10 OLG Brandenburg v. 29.1.2013 – Verg W 8; VK Südbayern v. 27.5.2014 – Z3-3-3194-110-03/14.

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Leistungsbeschreibung | § 121

7. Ausnahmen vom Grundsatz der eindeutigen und erschöpfenden Leistungsbeschreibung Den Anforderungen an den zuvor erläuterten Grundsatz der eindeutigen und 32 erschöpfenden Leistungsbeschreibung wird in der Regel durch eine ausführliche Beschreibung jeder einzelnen Leistungsposition Rechnung getragen. Dabei werden diejenigen Positionen der Leistungsbeschreibung, bei denen der Auftraggeber ohne jeden Vorbehalt davon ausgeht, dass sie auf jeden Fall zur Ausführung kommen werden, als Normalposition (Grundposition) bezeichnet.1 Diese sind zu unterscheiden von Wahl- oder Alternativpositionen sowie Be- 33 darfs- oder Eventualpositionen, die je nach Ausgestaltung die Bestimmtheit und Eindeutigkeit der Leistungsbeschreibung beeinträchtigen können. Wahlpositionen sind Leistungspositionen, in denen sich der Auftraggeber noch nicht festgelegt hat, sondern mehrere Alternativen der Leistungserbringung ausschreibt, von denen er nach Kenntnisnahme der Angebotsinhalte ggf. eine Alternative anstelle der entsprechenden Grundposition für den Zuschlag auswählt.2 Davon zu unterscheiden sind Bedarfs- oder Eventualpositionen, die stets zusätzlich zu den Grundpositionen ausgeführt werden.3 a) Zulässigkeit von Bedarfs- oder Eventualpositionen Bei Bedarfs- oder Eventualpositionen steht zum Zeitpunkt der Erstellung der 34 Leistungsbeschreibung noch nicht feststeht, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang sie tatsächlich zur Ausführung kommen werden.4 Sie enthalten eine nur im Bedarfsfall erforderliche Leistung, über die erst nach Auftragserteilung und nicht bereits bei Erteilung des Zuschlags entschieden wird.5 Der Ausschreibung von Bedarfs- oder Eventualpositionen begegnen häufig Be- 34a denken, weil sie der Bestimmtheit der Leistungsbeschreibung entgegenstehen können, da sowohl der genaue Leistungsgegenstand als auch den genaue Leistungsumfang zumindest teilweise offen bleiben6. Für die Bieter ist in einem solchen Fall nicht abschließend bestimmbar und kalkulierbar, welche Leistung erbracht werden soll.7 Zudem führen Leistungsverzeichnisse mit umfangreichen 1 OLG München v. 27.1.2006 – Verg 1/06, VergabeR 2006, 537-545; VK Bund v. 6.7.2011 – VK 1-60/11. 2 OLG Düsseldorf v. 13.4.2011 – Verg 58/10, ZfBR 2011, 508–514; OLG München v. 27.1. 2006 – Verg 1/06, VergabeR 2006, 537–545. 3 Wirner in Willenbruch/Wieddekind, Vergaberecht Kompaktkommentar, 3. Aufl., § 7 VOB/A Rz. 48. 4 OLG Düsseldorf v. 9.1.2013 – VII-Verg 26/12; OLG Saarbrücken v. 24.6.2008 – 4 U 478/07. 5 Dazu ausführlich VK Lüneburg v. 8.7.2015 – VgK-22/2015, m. Verw. a. Wirner in Willenbruch/Wieddekind, Vergaberecht, 3. Aufl., 5. Los, § 7 VOB/A, Rz. 40. 6 VK Sachsen-Anhalt v. 10.8.2015 – 3 VK LSA 54/15 (Unterschwellenvergabe!). 7 VK Sachsen v. 21.4.2015 – 1/SVK/010-15.

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§ 121 | Leistungsbeschreibung Bedarfs- oder Eventualpositionen regelmäßig zur Beeinträchtigung der Transparenz des Wettbewerbs, zu Problemen bei der Vergleichbarkeit der Angebote und damit zu Problemen bei der Wertung. Sie dürfen also nur im Ausnahmefall und in begrenztem Umfang ausgeschrieben werden, ihre grundsätzliche Zulässigkeit steht aber nicht mehr in Zweifel. 35 Die Aufnahme von Bedarfspositionen in die Leistungsbeschreibung ohne zwin-

gende Notwendigkeit stellt einen Verstoß gegen das Gebot der eindeutigen und erschöpfenden Leistungsbeschreibung dar.1 Zudem darf durch die Ausschreibung von Bedarfspositionen nicht eine unzureichende Planung des Auftraggebers ausgeglichen werden.2 Steht also die Notwendigkeit einer bestimmten Position bei Ausschreibungsbeginn bereits fest, darf diese nicht (mehr) als Bedarfsposition ausgewiesen werden3. Weiter dürfen Bedarfspositionen nur ausnahmsweise für (Teil-)leistungen ausgeschrieben werden, die von untergeordneter Art sind und die zusammen nur einen unerheblichen Anteil am Gesamtauftrag haben. Mithin sind Bedarfspositionen unzulässig, wenn sie von der Zahl oder ihrem Gewicht her keine sichere Beurteilung mehr erlauben, welches Angebot das wirtschaftlichste ist, insbesondere dann, wenn diese Bestandteile der Ausschreibung ein solches Gewicht in der Wertung erhalten sollen, dass sie der Bedeutung der Haupt- und Grundpositionen für die Zuschlagserteilungen gleichkommen.4 Nach der bisherigen Rechtsprechung liegt die zulässige Grenze der Aufnahme von Bedarfs- oder Eventualpositionen im Verhältnis zu den Grundpositionen bei unter 10 % des Gesamtauftrages.5

36 Bedarfspositionen müssen als solche eindeutig gekennzeichnet sein, anderen-

falls verstößt der Auftraggeber gegen das Gebot der eindeutigen und erschöpfenden Leistungsbeschreibung.6

Beispiele: Um eine zulässige Eventualposition handelt es sich, wenn eine Leistungsbeschreibung zur Beschaffung von Monitoren zusätzlich zu den in jedem Fall zu liefernden Monitoren die mögliche Abfrage weiterer Monitore vorsieht. Ebenso ist es zulässig bei Kanalbauarbeiten eine Bedarfsposition vorzusehen, wenn sich zum Zeitpunkt der Ausschreibung noch nicht exakt durch Pläne angeben lässt, ob bei im Bereich der Trasse verlaufenden Leitungen Handschachtungen zum Schutz und zur Sicherung der Kabel notwendig werden.

1 2 3 4 5

OLG Oldenburg v. 3.5.2007 – 8 U 254/06, IBR 2008, 563 = BauR 2008, 1630–1633. VK Lüneburg v. 3.2.2004 – 203-VgK 41/2003. OLG Düsseldorf v. 10.2.2010 – Verg 36/09. OLG Celle v. 18.12.2003 – 13 Verg 22/03. OLG Düsseldorf v. 13.4.2011 – Verg 58/10, ZfBR 2011, 508–514; OLG Saarbrücken v. 22.10.1999 – 5 Verg 2/99, VK Berlin v. 4.5.2009 – VK-B 2-5/09, VK Lüneburg v. 3.2. 2004 – VgK 41/03. 6 VK Bund v. 18.6.2012 – VK 2-50/12 und 53/12.

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Leistungsbeschreibung | § 121

b) Zulässigkeit von Wahl- oder Alternativpositionen Im Gegensatz zu Eventualpositionen kommen Wahl- oder Alternativpositio- 37 nen grundsätzlich nur an Stelle der alternativ im Leistungsverzeichnis aufgeführten Grundposition zur Ausführung. Werden Wahlpositionen ausgeführt, verdrängen sie somit die entsprechende Hauptposition.1 Ebenso wie bei Eventualpositionen tangiert auch die Aufnahme von Wahlposi- 38 tionen in das Leistungsverzeichnis die Bestimmtheit und Eindeutigkeit der Leistungsbeschreibung und die Transparenz des Vergabeverfahrens, denn sie ermöglicht dem öffentlichen Auftraggeber, durch seine Entscheidung für oder gegen eine Wahlposition das Wertungsergebnis aus vergaberechtsfremden Erwägungen zu beeinflussen. Dennoch ist die Verwendung von Wahl- oder Alternativpositionen nicht grundsätzlich vergaberechtlich unstatthaft. Sie kommt in Betracht, wenn und soweit ein berechtigtes Bedürfnis des öffentlichen Auftraggebers besteht, die zur. beauftragende Leistung in den betreffenden Punkten einstweiligen offen zu halten.2 Fehlt es also an einem berechtigten Bedürfnis für die Ausschreibung von Grund- und Alternativpositionen, sind nicht automatisch die Grundpositionen zu werten, sondern das Vergabeverfahren ist in den Stand vor Versand der Vergabeunterlagen zurückzuversetzen und die Vergabeunterlagen zu überarbeiten.3 Ein berechtigtes Interesse kann zum Beispiel dann bestehen, wenn nur mit 39 Hilfe der Ausschreibung und entsprechenden Wahlpositionen die Kosten für die verschiedenen Ausführungsvarianten ermittelt werden können,4 oder der Vergabestelle erst durch die Wahlposition die Möglichkeit eröffnet wird, ein technisch höherwertiges Gerät zu erhalten, oder bei unsicherer Finanzierung auf eine kostengünstigere Alternative zurückzugreifen.5 Wäre bei ordnungsgemäßer Vorbereitung der Ausschreibung eine Festlegung auf eine der beiden Alternativen möglich und zumutbar ist Ausschreibung von Leistungspositionen als Grund- und Alternativpositionen ebenfalls unzulässig.6 Auch Wahlpositionen dürfen nur von untergeordneter Bedeutung sein. Betref- 40 fen Wahl- oder Alternativpositionen keinen mehr oder minder geringfügigen Teil der Leistungen, sondern erhalten sie im Vergleich zu den Haupt- oder Grundleistungen ein gleich großes Gewicht, und sind sie daher der Bedeutung der Grundleistungen für die Zuschlagsentscheidung gleich gestellt, stellt dies ei1 OLG Düsseldorf v. 13.4.2011 – Verg 58/10; OLG München v. 27.1.2006 – VII-Verg 1/06. 2 OLG München v. 22.10.2015 – Verg 5/15, NZBau 2016, 63-64 = ZfBR 2016, 98-100; OLG Düsseldorf v. 9.1.2013 – VII-Verg 26/12. 3 VK Südbayern v. 23.6.2015 – Z3-3-3194-1-24-06/15. 4 OLG Düsseldorf v. 13.4.2011 – Verg 58/10. 5 OLG Düsseldorf v. 24.3.2004 – Verg 7/04; OLG München v. 27.1.2006 – Verg 1/06, VergabeR 2006, 537-545. 6 OLG Naumburg v. 1.2.2008 – 1 U 99/07.

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§ 121 | Leistungsbeschreibung nen Verstoß gegen das Gebot einer eindeutigen und erschöpfenden Leistungsbeschreibung dar.1 41 Zur Gewährleistung eines transparenten Vergabeverfahrens bei Verwendung ei-

ner nicht unbeachtlichen Anzahl von Wahlpositionen muss der Auftraggeber dem Bieterkreis vorab in den Vergabeunterlagen die Kriterien bekannt geben, die für die Inanspruchnahme der ausgeschriebenen Wahlpositionen maßgebend sein sollen, sowie festlegen, in welcher Reihenfolge die aufgrund der Wahlpositionen in Betracht kommenden Ausführungsvarianten von ihm bevorzugt werden.2 Beispiel: Um eine Ausschreibung von Wahl- oder Alternativpositionen handelt es sich, wenn der Auftraggeber angibt, dass er bei Entsorgungsleistungen entweder einen einwöchigen oder zweiwöchigen Abfuhrrhythmus wählen will und die Auswahl allein vom Preis abhängen soll.

8. Rechtsfolgen eines Verstoßes gegen den „Bestimmtheitsgrundsatz“ 42 Der Auftraggeber ist an eine unklare Leistungsbeschreibung zunächst gebun-

den. Er kann Unklarheiten nur in einem transparenten und regelgerechten Verfahren dadurch beseitigen, indem sie unter Bereinigung der Unklarheit allen Bietern Gelegenheit zu einer Anpassung der Angebote gibt.3 Allerdings verpflichtet nicht jede mangelnde Eindeutigkeit in der Leistungsbeschreibung den Auftraggeber per se zur Korrektur, sondern dies kann einschränkend nur für erhebliche, kalkulationsrelevante Fehler gelten, die die Vergleichbarkeit der Angebote in Frage stellen. Lassen sich Unklarheiten in der Leistungsbeschreibung durch Ergänzungen, Streichungen oder Klarstellungen beseitigen, ist es unter Umständen auch ausreichend, das Vergabeverfahren in ein Stadium vor Angebotsabgabe zurückzuversetzen, und allen Bietern Gelegenheit zu geben, ihre Angebote entsprechend anzupassen.4

43 Ein Anspruch oder eine Pflicht auf Aufhebung und Wiederholung des gesamten

Vergabeverfahrens kommt als „ultima ratio“ lediglich dann in Betracht, wenn das bisherige Verfahren mit derart gravierenden Mängeln behaftet ist, dass diese im Rahmen einer chancengleichen und wettbewerbsgerechten Eignungs- und Angebotsprüfung nicht mehr heilbar sind. Dies kann bei unklaren Leistungsbeschreibungen, etwa dann der Fall sein, wenn auf die fehlerhafte Leistungsbeschreibung von vornherein kein sachgerechtes Angebot abgegeben werden kann,5 oder die Vergleichbarkeit der Angebote nicht mehr gewährleistet ist.6

1 OLG Düsseldorf v. 2.8.2002 – Verg 25/02. 2 OLG Düsseldorf v. 22.2.2012 – VII-Verg 87/11, ZfBR 2011, 508–514 sowie v. 13.4.2011 – Verg 58/10. 3 OLG Düsseldorf v. 22.6.2011 – VII-Verg 15/11, IBR 2011, 485. 4 VK Bund v. 24.3.2016 – VK 2-15/16; VK Sachsen v. 3.5.2016 – 1/SVK/005-16. 5 OLG Schleswig v. 30.6.2005 – 6 Verg 5/05. 6 VK Sachsen v. 3.5.2016 – 1/SVK/005-16.

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Leistungsbeschreibung | § 121

Auch eine Auslegungsbedürftigkeit der Leistungsbeschreibung stellt nicht per se 44 einen Verstoß gegen das Bestimmtheitsgebot und damit einen Grund zur Rückversetzung oder gar Aufhebung des Vergabeverfahrens dar. In einem solchen Fall ist die Leistungsbeschreibung zunächst nach dem objektiven Empfängerhorizont unter Berücksichtigung der Marktgegebenheiten des Anbietermarkts auszulegen, wobei davon auszugehen ist, dass einem branchenerfahrenen Bieter diese bekannt sind.1 Versäumt es der Auftraggeber bei der Formulierung der Leistungsbeschreibung, 45 die Leistung eindeutig und erschöpfend zu beschreiben und sieht er sich deshalb veranlasst, die Ausschreibung aufzuheben, liegt in der fehlerhaften Erstellung der Leistungsbeschreibung ein die rechtmäßige Aufhebung ausschließender Verschuldenstatbestand vor. Denn ihrer Funktion nach können die Aufhebung rechtfertigende Aufhebungsgründe nur eingreifen, wenn sie erst nach Beginn der Ausschreibung eingetreten sind oder dem Auftraggeber vorher nicht bekannt sein konnten, was bei der Erstellung einer mangelhaften Leistungsbeschreibung regelmäßig nicht der Fall ist.2 9. Reaktionsmöglichkeiten und -pflichten der Bieter a) Reaktionspflichten/Hinweispflichten Bei einer erkennbar unklaren Leistungsbeschreibung obliegt dem Bieter nach 46 einem Teil der Rechtsprechung die Pflicht, den Auftraggeber auf Defizite in den Vergabeunterlagen frühzeitig hinzuweisen und sie nicht einfach hinzunehmen. Vielmehr hat er alle daraus hervorgehenden Zweifelsfragen vor Angebotsabgabe zu klären, um sich zu vergewissern, dass sein Verständnis mit dem Inhalt der objektiven Vergabeunterlagen und den Vorgaben des Auftraggebers übereinstimmt.3 Es besteht also eine Erkundigungslast. Auch darf der Bieter die unklare Leistungsbeschreibung nicht im Sinne einer für ihn – u.U. wirtschaftlich – günstigsten Lösung interpretieren4 oder gar dem Leistungsverzeichnis bzw. der Leistungsbeschreibung nicht eigenmächtig seine Version aufdrängen. Vielmehr muss er sich vor Angebotsabgabe um Aufklärung bemühen, indem er beim Auftraggeber nachfragt.5 Der Auftraggeber ist gehalten, entsprechende Rückfragen der Bieter umfassend zu beantworten und die Antworten gegebe1 VK Baden-Württemberg v. 4.9.2015 – 1 VK 33/15. 2 VK Bund v. 11.6.2013 – VK 1-33/13. 3 OLG Frankfurt v. 2.12.2014 – 11 Verg 7/14, NZBau 2015, 448–450 sowie v. 6.6.2013 – 11 Verg 8/13, VergabeR 2014, 62–74; OLG Köln v. 23.12.2009 – 11 U 173/09; VK Sachsen v. 3.5.2016 – 1/SVK/005-16; VK Lüneburg v. 28.1.2016 – VgK-50/2015, eher kritisch: VK Bund v. 4.7.2011 – VK 2 - 61/11. 4 OLG Naumburg v. 22.2.2013 – 12 U 120/12. 5 VK Sachsen v. 3.5.2016 – 1/SVK/005-16, m. Verw. a. BayOLG v. 22.6.2004 – Verg 13/04, NZBau 2004, 626 = VergabeR 2004, 654 = ZfBR 2004, 818.

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§ 121 | Leistungsbeschreibung nenfalls anderen Wettbewerbsteilnehmern zugänglich zu machen. Ergeben sich aus der Antwort des Auftraggebers erneut mögliche Unklarheiten oder etwaigen Widersprüchen zwischen der Antwort und den sonstigen Vergabeunterlagen, ist der Bieter abermals gehalten, sich um eine Klärung zu bemühen.1 47 Diese „Erkundigungslast“ der Bieter gilt allerdings nicht unbegrenzt. Eine für

fachkundige Bieter nicht ohne weiteres erkennbare Unklarheit in der Leistungsbeschreibung oder in den angegebenen Mindestanforderungen für Nebenangebote führt dazu, dass diese ihrem Angebot ein fachlich vertretbares Verständnis der Ausschreibungsunterlagen zugrunde legen dürfen, ohne sich der Gefahr eines Angebotsausschlusses auszusetzen.2

48 Ein öffentlicher Auftraggeber kann sich auch nicht mit einer- regelmäßig in

Vergabeunterlagen enthaltenen – Formulierung, dass Bieter bei Unklarheiten in der Leistungsbeschreibung, den Auftraggeber unverzüglich darauf hinzuweisen haben von seiner Pflicht befreien, eine eindeutige Leistungsbeschreibung zu verfassen, denn es ist seine ureigenste Transparenzpflicht, die Leistung eindeutig und erschöpfend zu beschreiben und kann nicht durch eine solche Klausel auf den Bieter abgewälzt werden.3

49 Eine etwas andere Betrachtungsweise wendet das OLG München4 an, wonach

einen Bieter jedenfalls nicht die Pflicht trifft, anderen Bietern die Abgabe wertbarer Angebote zu ermöglichen und mögliche Unklarheiten für andere Bieter zu beseitigen. Er muss den öffentlichen Auftraggeber nicht darauf aufmerksam machen, dass dritte Bieter möglicherweise die Vergabeunterlagen falsch interpretieren könnten, z.B. hinsichtlich der Angabe von Nachunternehmen. b) Reaktionsmöglichkeiten/Obliegenheiten

50 Erkennt ein Bieter Unklarheiten in der Leistungsbeschreibung und erhält er auf

eine entsprechende Anfrage und Bitte um Aufklärung vom Auftraggeber keine klarstellende Antwort, sollte er die seines Erachtens bestehende Unklarheit vorsichtshalber gegenüber dem Auftraggeber rügen. Anderenfalls riskiert er, dass ein späterer Einwand der unklaren Leistungsbeschreibung präkludiert ist.

51 Mit einem solchen Vorgehen setzt er den Auftraggeber zudem auch in Zug-

zwang. Entweder er hilft der Rüge ab, indem er die beanstandete Unklarheit beseitigt oder er weist die Rüge zurück. In diesem Fall muss der Auftraggeber jede vertretbare Auslegung der Leistungsbeschreibung akzeptieren und kann Angebote, die dem eigentlichen Beschaffungsziel des Auftraggeber widersprechen

1 OLG Frankfurt v. 6.6.2013 – 11 Verg 8/13, VergabeR 2014, 62–74. 2 OLG Frankfurt v. 2.12.2014 – 11 Verg 7/14, VPR 2015, 1071 = NZBau 2015, 448–450; OLG Schleswig v. 15.4.2011 – 1 Verg 10/10, IBR 2011, 351 = NZBau 2011, 375 ff. = VergabeR 2011, 586; VK Bund v. 9.3.2012 – VK 2-275/11. 3 VK Sachsen v. 27.9.2013 – 1/SVK/027-13. 4 OLG München v. 12.10.2012 – Verg 16/12, VergabeR 2013, 108–113.

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nicht ausschließen,1 denn ein Angebot kann wegen Änderung an den Vertragsunterlagen nur dann ausgeschlossen werden, wenn die Anforderungen, von denen der Bieter abweichen soll, aus den Vergabeunterlagen hinreichend deutlich hervorgehen. Unklarheiten gehen insoweit zu Lasten der Vergabestelle.2 Lediglich eine vom Wortsinn her nicht mehr gedeckte abweichende Interpretation der Leistungsbeschreibung im Angebot des Bieters steht einer Abänderung der Vergabeunterlagen gleich.3 10. Inhalt und Gestaltungsmöglichkeiten einer Leistungsbeschreibung (§ 121 Abs. 1 Satz 2) § 121 Abs. 1 Satz 2 benennt die notwendigen Inhalte und verschiedenen Gestal- 52 tungsmöglichkeiten einer Leistungsbeschreibung. Die einzelnen Varianten der Leistungsbeschreibung sind gleichrangig, zwischen gibt es also kein abgestuftes Rangverhältnis, ihre Auswahl ist dem Ermessen des Auftraggebers überlassen. Zudem ist den jeweiligen Besonderheiten des Auftragsgegenstandes Rechnung zu tragen. Die Formulierung des Absatzes 1 lässt einen weiten Spielraum bei Art und Um- 53 fang der Beschreibung zu. So kann der Beschaffungsgegenstand durch konkrete Leistungsanforderungen oder Funktionsanforderungen, oder aber, bei geistigschöpferischen Leistungen, wie etwa Planungsleistungen, auch durch eine Beschreibung der zu lösenden Aufgabe bestimmt werden. Mit diesen Alternativen übernimmt die Vorschrift den wesentlichen Regelungsgehalt, der zuvor in § 8 Abs. 2 Nr. 2 VOL/A EG und § 7 Abs. 4 Nr. 2 VOB/A EG enthalten war4, ergänzt um die dem aufgehobenen § 6 VOF entstammenden Aufgabenbeschreibung. Anders als noch in § 8 Abs. 2 Nr. 2 VOL/A EG und § 7 Abs. 4 Nr. 2 VOB/ A EG geregelt, enthält § 121 nun keine Festlegungen / Vorgaben zu den technischen Spezifikationen. Diese finden sich jetzt in § 31 und § 32 VgV, was zu einer Verschlankung des § 121 führt. Zu beachten ist diesbezüglich aber, dass sowohl § 8 Abs. 2 Nr. 2 VOL/A EG als 54 auch § 7 Abs. 4 Nr.2 VOB/A EG sowie § 6 Abs. 2 VOF lediglich bezogen auf die technische Anforderungen dem Auftraggeber die Alternativen einräumten, die Leistungsbeschreibung entweder unter Bezugnahme auf die im Anhang TS definierten technischen Spezifikationen (Alt. 1) oder in Form von Leistungsoder Funktionsanforderungen (Alt. 2) oder als Kombination der beiden vorgenannten Möglichkeiten (Alt. 3) zu formulieren, nicht jedoch in Bezug auf die Leistungsbeschreibung insgesamt. Insoweit erscheint fraglich, ob sich unabhängig von einer Bezugnahme auf technische Anforderungen überhaupt die Pflicht 1 2 3 4

KG v. 21.11.2014 – Verg 22/13, IBR 2015, 155. VK Sachsen v. 27.9.2013 – 1/SVK/027-13. VK Lüneburg v. 26.8.2014 – VgK-31/2014. Gesetzesbegründung, BT-Drucks. 18/6281, zu § 121, zu Abs. 2 (S.100).

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§ 121 | Leistungsbeschreibung eines Auftraggeber ergibt, die Leistung durch konkrete Funktions- oder Leistungsanforderungen zu konkretisieren.1 a) Funktionsanforderungen 55 § 121 Abs. 1 Satz 2 nennt zunächst die Variante der Leistungsbeschreibung in

Gestalt der Funktionsanforderungen, der sogen. funktionalen Ausschreibung. b) Funktionale Ausschreibung

56 Eine funktionale Ausschreibung ist dadurch gekennzeichnet, dass in dieser nur

der Zweck und die zu erreichenden Ziele verbindlich vorgegeben werden. Der jeweilige Anbieter erhält die Möglichkeit, den Weg dorthin eigenständig zu beschreiten. Der Vorteil einer solchen ergebnisorientierten, funktionalen Leistungsbeschreibung liegt darin, dass die Bieter bei der Ermittlung der technisch, wirtschaftlich und gestalterisch besten und funktionsgerechtesten Lösung mitwirken.2 Das „Know-how“,3 die Fachkompetenz und Kreativität der Bieter kann so in die Angebotserstellung einfließen4 und der Auftraggeber hat die Möglichkeit, noch während des Vergabeverfahrens Lösungen zu berücksichtigen, die in die Leistungsbeschreibung nicht einflossen, weil sie zu Anfang nicht bekannt waren. So kann mit einer funktionalen Ausschreibung den Bietern in begrenztem Umfang die Möglichkeit eröffnet werden, technische Lösungsansätze zu verfolgen, nach denen bestimmte, in der Leistungsbeschreibung vorgesehene Komponenten entbehrlich sein können.5

56a Gerade bei Vergabegegenständen mit einem erheblichen geistig-schöpferischen

Anteil, bei denen die Leistungsbeschreibung möglicherweise ohnehin nicht hinreichend genau festgelegt werden kann, also etwa im Bereich von Projektsteuerungsaufgaben oder Beratungsleistungen hat die funktionale Leistungsbeschreibung wegen dieser inhaltlichen Offenheit deutliche Vorteile gegenüber der konventionellen deskriptiven Leistungsbeschreibung.6 So kann sich eine funktionale Ausschreibung anbieten bei Generalplanungsleistungen für komplexe Bauvorhaben wie z.B. ein Stadtbad nebst Blockheizkraftwerk7 oder ein Fußballstadion.8 Gleiches kann bei Abschlepp- und Sicherstellungsleistungen von Kraft-

1 Vgl. Traupel in Müller-Wrede, GWB Kommentar 2016, § 121 Rz.49. 2 VK Bund v. 13.4.2004 – VK 1-35/04; VK Bund v. 1.4.2004 – VK 1-11/04. 3 OLG Düsseldorf v. 11.12.2013 – VII-Verg 22/13, NZBau 2014, 374–377 = VergabeR 2014, 401–407; v. 12.6.2013 – Verg 7/13; NZBau 2013, 788–792. 4 VK Niedersachsen v. 26.8.2014 – VgK-31/2014. 5 OLG Brandenburg v. 30.1.2014 – Verg W 2/14. 6 VK Niedersachsen v. 26.8.2014 – VgK-31/2014. 7 OLG Düsseldorf v. 12.6.2013 – Verg 7/13, NZBau 2013, 788–792 = ZfBR 2013, 716–720 = IBR 2013, 487. 8 VK Sachsen v. 28.8.2013 – 1/SVK/026-13.

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fahrzeugen1 oder bei der Konstruktion und Installation von Netzdienstleistungen und Internetverbindungen2 gelten. Insoweit gilt in solchen Fällen der Bestimmtheitsgrundsatz, dass die Leistung 57 eindeutig und erschöpfend zu beschreiben ist, eingeschränkt, da eine funktionale Leistungsbeschreibung den Auftragsgegenstand per se nicht so detailliert festlegen kann wie eine konventionelle Beschreibung.3 Dennoch muss der Auftraggeber auch bei einer funktionalen Leistungsbeschreibung in angemessenem Umfang Mindestanforderungen aufstellen4 und den Beschaffungsbedarf optimal und mit größtmöglicher Bestimmtheit zum Ausdruck zu bringen5, damit die geforderte Leistung für die Bieter hinreichend transparent wird und die Vergleichbarkeit der eingehenden Angebote sichergestellt ist. Ein allgemeiner Nachteil der funktionalen Leistungsbeschreibung besteht wie 58 bei zugelassenen Nebenangeboten in der Gefahr einer Unterwanderung des vorgestellten Beschaffungsziels durch formal den Anforderungen genügende, inhaltlich aber unzureichende Angebote. Diese Gefahr erhöht sich bei einer Mischung qualitativer und monetärer Zuschlagskriterien mit einem hohen Wertungsanteil des Preises. Hier kann gerade bei einer formal nicht vergabewidrigen Abmagerung der angebotenen Leistungen ein Angebot mit einem besonders günstigen Preis in der Lage sein, erhebliche qualitative Mängel nicht nur auszugleichen, sondern sogar qualitativ deutlich bessere Angebote in der Wertung zu übertreffen. Ein öffentlicher Auftraggeber ist daher grundsätzlich gut beraten, ein aufgrund der funktionalen Leistungsbeschreibung offenes Wertungssystem mit qualitativen Mindestkriterien unter Verweis auf einzuhaltende Normen oder selbstgefertigte nichtdiskriminierende Vorgaben (bspw. durch die Vorgabe von Leistungswerten oder bestimmten technischen Regelwerken6) vor einem solchen Vorgehen zu schützen.7 Ein weiterer Nachteil der funktionalen Leistungsbeschreibung, jedenfalls aus Bietersicht, ist, dass der Auftraggeber Risiken auf den Bieter verlagern kann.8 Die funktionale Leistungsbeschreibung unterliegt trotz der dargelegten inhalt- 59 lichen Offenheit der Anforderung, den Beschaffungsbedarf eindeutig, klar und 1 2 3 4 5 6 7 8

VK Arnsberg v. 20.7.2010 – VK 09/10. OLG Düsseldorf v. 16.8.2010 – Verg 35/10. VK Arnsberg v. 20.7.2010 – VK 09/10; VK Brandenburg v. 17.8.2010 – VK 39/10. Wirner in Willenbruch/Wieddekind: Kompaktkommentar Vergaberecht, 3. Aufl. 2014 zu § 7 VOL/A Rz. 36. OLG Düsseldorf v. 22.1.2014 – VII-Verg 26/13, VergabeR 2014, 424–428, sowie v. 27.3. 2013 – VII-Verg 53/12; OLG Naumburg v. 16.9.2002 – 1 Verg 02/02. VK Niedersachsen v. 8.11.2013 – VgK-34/2013. VK Niedersachsen v. 26.8.2014 – VgK-31/2014. OLG Düsseldorf v. 11.12.2013 – VII-Verg 22/13, VPR 2014, 67 = NZBau 2014, 374–377; v. 12.6.2013 – Verg 7/13, NZBau 2013, 788–792 = ZfBR 2013, 716–720 = VPR 2013, 81.

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§ 121 | Leistungsbeschreibung widerspruchsfrei zu definieren.1 Die Funktionalität der Ausschreibung entbindet den Auftraggeber also nicht von der Pflicht, alle für die Aufgabenerfüllung wesentlichen Anforderungen d.h. das Leistungsziel, die Rahmenbedingungen, die Auswahlkriterien, deren Unterkriterien und Unterunterkriterien ebenso wie deren Gewichtungen offen zu legen.2 Denn auch die funktionale Ausschreibung soll Missverständnisse bei den Bietern vermeiden und damit letztlich sicherstellen, dass miteinander vergleichbare Angebote abgegeben und bewertet werden.3 Anderenfalls fehlt es an der erforderlichen Ausschreibungsreife.4 c) Teilfunktionale Ausschreibung 60 Möglich ist auch eine Leistungsbeschreibung in Gestalt der teilfunktionalen

Ausschreibung. Solche teilfunktionale Ausschreibungen sind vor allem im Bauund Planungsbereich anzutreffen. Bei einer nur teilfunktionalen Ausschreibung überträgt der Auftraggeber wesentliche (Planungs-)aufgaben ganz oder großenteils auf den Bieter und übernimmt nur planerische Vorarbeiten selbst.5 Auch diese Art der Leistungsbeschreibung unterliegt bestimmten allgemeinen Anforderungen und Beschränkungen, insbesondere muss sie den Anforderungen an die Bestimmtheit und Transparenz genügen, um miteinander vergleichbare Angebote zu erzielen.

61 Im Rahmen einer (teil-)funktionalen Ausschreibung bei Bau- und Planungsleis-

tungen ist bei Abfassung der Leistungsbeschreibung jeweils zu prüfen, ob es hier ausreicht, den Preis als alleiniges Zuschlagskriterium anzugeben, weil eine allein am Preis ausgerichtete Wertung der Angebote qualitative Elemente von Planungsleistungen nicht berücksichtigt. Nur wenn nach der konkreten Bestimmung des Leistungs- bzw. Beschaffungssolls vergleichbare, sich nur im Angebotspreis unterscheidende Angebote zu erwarten sind, ist der Preis als alleiniges Kriterium für die Zuschlagsentscheidung zulässig.6 d) Leistungsanforderungen

62 § 121 Abs. 1 Satz 2 nennt sodann die Variante der Leistungsbeschreibung in

Gestalt der Leistungsanforderungen. Bei einer Leistungsbeschreibung mit de-

1 OLG Düsseldorf v. 22.1.2014 – VII-Verg 26/13, VergabeR 2014, 424–428; OLG Düsseldorf v. 27.3.2013 – VII-Verg 53/12; OLG Naumburg v. 16.9.2002 – 1 Verg 02/02; VK Brandenburg v. 17.8.2010 – VK 39/10. 2 OLG Düsseldorf v. 17.4.2014 – 2 Kart 2/13, NZBau 2014, 577–589 = VPR 2014, 279. 3 Vgl.: OLG Düsseldorf v. 12.6.2013 – Verg 7/13, NZBau 2013, 788–792 = ZfBR 2013, 716– 720 = IBR 2013, 487; m.Verw. a. Beschlüsse v. 5.10.2000 und v. 14.2.2001 – Verg 14/00. 4 OLG Naumburg v. 16.9.2002 – 1 Verg 2/02, NZBau 2003, 628 (631). 5 OLG Düsseldorf v. 11.12.2013 – Verg 22/13, VergabeR 2014, 401–407 = NZBau 2014, 374–377. 6 OLG Düsseldorf v. 24.9.2014 – Verg 17/14, NZBau 2015, 314–319 = ZfBR 2015, 515–518; VK Lüneburg v. 7.10.2015 – VgK-31/2015 und 12.6.2015 – VgK 17/2015.

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taillierten Leistungsanforderungen ist der vorgegebene Rahmen der Leistungserfüllung eingeengt, ohne dass dadurch der Wettbewerb ausgeschlossen wird. Die sog. konstruktive Leistungsbeschreibung erleichtert allerdings wegen der genaueren Leistungsbeschreibung den Vergleich der Angebote. Die nachträgliche Umstellung einer Leistungsbeschreibung mit Leistungsver- 63 zeichnis auf eine funktionale Leistungsbeschreibung ist zulässig, wenn sie nach Abwägung aller Umstände zweckmäßig ist, sie zudem transparent und diskriminierungsfrei vorgenommen wird und den Bietern kein ungewöhnliches Wagnis auferlegt wird.1 Anderenfalls würde man den Auftraggeber dazu zwingen, Angebote zu akzeptieren, die er so möglicherweise gar nicht mehr benötigt. Erfüllt eine Leistungsbeschreibung weder die Voraussetzungen einer funktiona- 64 len oder nur teilfunktionalen Leistungsbeschreibung noch die einer Leistungsbeschreibung mit Leistungsverzeichnis, wird es mutmaßlich an der erforderlichen Ausschreibungsreife und damit an der Vergleichbarkeit der Angebote fehlen,2 sodass die Leistungsbeschreibung als rechtswidrig einzuschätzen sein wird. e) Beschreibung der zu lösenden Aufgabe Nach § 121 Abs. 1 Satz 2 kann die Leistungsbeschreibung schließlich auch eine 65 Beschreibung der zu lösenden Aufgabe enthalten, deren Kenntnis für die Erstellung des Angebots erforderlich ist. Diese letztgenannte Gestaltungsmöglichkeit zielt insbesondere auf die Beschaffung von geistig-schöpferischen Leistungen, wie etwa auf zu erbringende Planungsleistungen ab.3 Allerdings kann nach der Konzeption des Gesetzes auch bei einer nicht geistig-schöpferischen Leistung auf eine Beschreibung der zu lösenden Aufgabe zurückgegriffen werden, einschränkende Vorgaben hinsichtlich der Anwendungsmöglichkeiten der Aufgabenbeschreibung enthält § 121 Abs. 1 Satz 2 nicht. Mit dem Begriff der Beschreibung der zu lösenden Aufgabe ist die Vorgabe ei- 66 ner durch die Bewerber zu erfüllenden Ziel- oder Aufgabenstellung gemeint, ohne dass mit dieser bereits die Leistung als solche, nämlich alle zur Lösung der Aufgabe führenden einzelnen Lösungsschritte beschrieben werden.4 Für die Aufgabenbeschreibung ist also gerade kein Leistungsverzeichnis erforderlich. Jedoch muss sich auch die Aufgabenbeschreibung an § 121 Abs. 1 Satz 1 messen lassen, sie muss also so eindeutig und erschöpfend sein, dass die darauf abgegebenen Angebote vergleichbar sind. 1 OLG Rostock v. 9.10.2013 – 17 Verg 6/13; OLG Düsseldorf v. 4.2.2013 – Verg 31/12; VK Lüneburg v. 7.10.2015 – VgK-31/2015. 2 OLG Düsseldorf v. 11.12.2013 – VII-Verg 22/13, VergabeR 2014, 401–407, NZBau 2014, 374–377. 3 Gesetzesbegründung, BT-Drucks. 18/6281, zu § 121, zu Abs. 1 (S. 100). 4 VK Thüringen v. 16.9.2003 – 216-4004.20-046/03-G-S.

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§ 121 | Leistungsbeschreibung f) Sonstige Gestaltungsmöglichkeiten 67 Die in § 121 Abs. 1 Satz 2 genannten Gestaltungsmöglichkeiten einer Leistungs-

beschreibung sind nicht abschließend. Dies ergibt sich allerdings nicht aus § 121 sondern aus §§ 31 und 32 VgV. Danach kann die Leistungsbeschreibung neben Leistungs- oder Funktionsanforderungen, oder einer Beschreibung der zu lösenden Aufgabe auch Bezugnahmen auf technischen Anforderungen enthalten, oder auch Kombinationen aus den genanten Alternativen. 11. Umstände und Bedingungen der Leistungserbringung

68 Nach § 121 Abs. 1 Satz 2 muss schließlich die Leistungsbeschreibung auch die

Umstände und Bedingungen der Leistungserbringung enthalten. Diese Regelung stellt klar, dass neben den zuvor erläuterten Varianten der Beschreibung der Leistung auch die äußeren Umstände und Maßgaben der konkreten Leistungserbringung, in die Leistungsbeschreibung aufzunehmen sind. Was genau darunter zu verstehen ist, wird in der Gesetzesbegründung, nicht näher ausgeführt. Sofern § 121 Abs. 1 Satz 2 ein eigenständiger Regelungsgehalt neben § 121 Abs. 1 Satz 1 zukommen soll, der bereits das Gebot der eindeutigen und erschöpfenden Leistungsbeschreibung beinhaltet, können sich die hier genannten Umstände und Bedingungen nur auf Faktoren beziehen, die der weiteren Präzisierung der zu erbringenden Leistung dienen.

69 Der Begriff der „Umstände, die in den Vergabeunterlagen anzugeben sind“ findet

bisher schon seine Erwähnung in § 7 EG Abs. 1 Nr. 2 VOB/A im Zusammenhang mit der Ermöglichung einer einwandfreien Preisermittlung und ist gleichlautend auch in § 7 EU Abs. 1 Nr.2 VOB/A enthalten. Schon zu diesen, die Preisermittlung beeinflussenden Umständen, wurde zuvor gefordert, dass der Auftraggeber sie vollständig und eindeutig in den Vergabeunterlagen anzugeben hat, sie also nicht einfach weglassen oder an ungeeigneten Stellen der Leistungsbeschreibung positionieren darf.1 Dieser Rechtsgedanke ist auch auf § 121 Abs. 1 Satz 2 übertragbar. Soweit also gefordert wird, dass die Leistungsbeschreibung auch die Umstände und Bedingungen der Leistungserbringung enthalten muss, sind alle für die Leistungserbringung relevanten Informationen, über die ein Auftraggeber verfügt, in die Leistungsbeschreibung zu integrieren. Auftraggeber sind aber nicht verpflichtet, neue Daten zu erheben um den Bietern die Grundlagen zur Kalkulation zu optimieren.2 Auf Unterlagen, die bei Dritten eingesehen werden können, wird nur ausnahmsweise verwiesen werden dürfen.3

70 Die weitere Forderung in § 121 Abs. 1 Satz 2, dass die Leistungsbeschreibung

neben den erläuterten Umstände auch die Bedingungen der Leistungserbrin-

1 Wirner in Willenbruch/Wieddekind, Kompaktkommentar Vergaberecht, 3. Aufl. 2014, § 7 VOB/A Rz. 28. 2 VK Arnsberg v. 9.9.2004 – VK 2-16/2004. 3 Wirner, § 7 VOB/A Rz. 28.

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gung enthalten muss, zielt sowohl auf die Ausführungsbedingungen i.S.d. § 128 Abs. 2, als auch auf etwaige Bewerbungsbedingungen i.S.d. § 29 Abs. 1 Nr. 2 VgV ab. Als Ausführungsbedingungen sind Vertragsbedingungen, die mit dem Zuschlag Bestandteil der vertraglich geschuldeten Leistung werden und insofern einklagbare Pflichten darstellen. Mit der Vorgabe solcher Bedingungen kann der öffentliche Auftraggeber auch für den Zeitraum nach der Zuschlagserteilung auf die Art und Weise der Erbringung der Leistung unmittelbar Einfluss nehmen.1 Bewerbungsbedingungen hingegen sind Beschreibung der Einzelheiten der 71 Durchführung des Verfahrens. Zur Formulierung von Bewerbungsbedingungen greifen Auftraggeber regelmäßig auf Standardformulare z.B. aus Leitfäden oder Vergabehandbüchern zurück, die für verbindlich erklärt wurden. Unterbleibt eine Offenlegung wesentliche Umstände und Bedingungen der Leistungserbringung in der Leistungsbeschreibung, so liegt eine Verletzung subjektiver Bieterrechte unter dem Gesichtspunkt der Chancengleichheit vor. 12. Barrierefreiheit/Design für alle (§ 121 Abs. 2) § 121 Abs. 2 schreibt vor, dass bei der Erstellung der Leistungsbeschreibung die 72 Zugänglichkeitskriterien für Menschen mit Behinderung oder die Konzeption für alle Nutzer zu berücksichtigen sind, sofern die geforderte Leistung zur Nutzung durch natürliche Personen vorgesehen ist. § 121 Abs. 2 dient der Umsetzung von Art. 42 Abs. 1 Unterabs. 4 der RiL 2014/ 24/EU.2 Die Berücksichtigung der Belange von Menschen mit Behinderungen wird schon in den Erwägungsgründen der Richtlinie 2014/24/EU an mehreren Stellen explizit gefordert.3 So sieht Erwägungsgrund 3 vor, dass bei der Umsetzung der Richtlinie dem Übereinkommen der Vereinten Nationen4 über die Rechte von Menschen mit Behinderungen Rechnung getragen werden sollte, insbesondere im Zusammenhang mit der Wahl der Kommunikationsmittel, den technischen Spezifikationen, den Zuschlagskriterien und den Bedingungen für die Auftragsausführung. Dementsprechend sind bei sämtlichen Bau-, Liefer- und Dienstleistungen, die 73 zur Nutzung durch natürliche Personen vorgesehen sind, bereits bei der Festlegung des Beschaffungsbedarfs die Aspekte des „Designs für Alle“ einschließlich des Zugangs für Menschen mit Behinderung zu berücksichtigen. Dies gilt für alle jegliche Beschaffungen, unabhängig davon, ob deren Nutzung durch die Allgemeinbevölkerung oder Personal des öffentlichen Auftraggebers vorgesehen 1 2 3 4

Gesetzesbegründung, BT-Drucks. 18/6281, zu § 128, zu Abs. 2 (S. 113). Gesetzesbegründung, BT-Drucks. 18/6281, zu § 121, zu Abs. 2 (S. 100). Vgl. insbesondere die Erwägungsgründe (3), (53), (76), (99) und (101). Mit Beschluss 2010/48/EG des Rates vom 26.11.2009 über den Abschluss des Übereinkommens der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen durch die Europäische Gemeinschaft (ABl. L 23 vom 27.1.2010, S. 35) genehmigt.

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§ 121 | Leistungsbeschreibung ist.1 Sinn und Zweck der Regelung ist es, dieser Personengruppe einen gleichberechtigten Zugang zu öffentlichen Gebäude oder die gleichen Teilhabe- oder Nutzungsmöglichkeiten an einem Produkt oder einer Dienstleistung zu ermöglichen. 74 § 121 Abs. 2 verlangt nach seinem Wortlaut, dass die Zugänglichkeitskriterien

für Menschen mit Behinderung „zu berücksichtigen sind“. Dies verlangt mehr, als eine bloße „gedankliche“ Einbeziehung. Aus einem Vergleich mit der Formulierung in Erwägungsgrund 76 der RiL 2014/24/EU ergibt sich, dass den Kriterien der Barrierefreiheit für Menschen mit Behinderungen und des „Design für Alle“ Rechnung zu tragen ist. Erforderlich ist deshalb eine konkrete Umsetzung dieser Vorgabe in der Leistungsbeschreibung.

75 Ausnahmen von der Pflicht zur Berücksichtigung der Zugänglichkeitskriterien

sind nach § 121 Abs. 2 nur in „ordnungsgemäß begründeten Fällen“ zulässig. Welche dies sein können, ist aus der Vorschrift nicht ersichtlich. Auch Art. 42 der RiL 2014/24/EU und die entsprechenden Erwägungsgründe2 lassen dies offen. Es empfiehlt sich deshalb, diese Ausnahmeregelung eng auszulegen und die Barrierefreiheit bei Leistungen für natürliche Personen generell zu berücksichtigen. 13. Beifügung der Leistungsbeschreibung zu den Vergabeunterlagen (§ 121 Abs. 3)

76 Nach § 121 Abs. 3 ist die Leistungsbeschreibung den Vergabeunterlagen bei-

zufügen. Mit dieser selbstverständlichen Forderung wird klargestellt, dass die Leistungsbeschreibung vom Zeitpunkt der Bekanntmachung an zwingend den Vergabeunterlagen beizufügen ist. Anderenfalls wäre auch kaum dem Transparenzgrundsatz Genüge getan. Genaueres dazu, was alles zu den Vergabeunterlagen zählt, ergibt sich aus § 29 VgV. 14. Rechtsschutz

77 Der sich aus § 121 Abs. 1 Satz 1 ergebende Bestimmtheitsgrundsatz dass der

Auftragsgegenstand so eindeutig und erschöpfend zu beschreiben ist, dass die Beschreibung für alle Unternehmen im gleichen Sinne verständlich ist und die Angebote miteinander verglichen werden können ist unzweifelhaft bieterschützend.3 Gleiches gilt für § 121 Abs. 1 Satz 2.

78 Auftraggeber können sich wegen des Verstoßes gegen das Gebot der eindeutigen

Leistungsbeschreibung schadensersatzpflichtig machen.4 Im Anwendungsbereich des GWB-Vergaberechts ist § 181 anwendbar, nach dem ein Unternehmen Scha-

1 Erwägungsgrund 76 der RiL 2014/24/EU. 2 Vgl. insbesondere die Erwägungsgründe (3), (53), (76), (99) und (101). 3 VK Sachsen v. 27.6.2014 – 1/SVK/020-13, m.Verw. a. OLG München v. 20.3.2014 – Verg 17/13, NZBau 2014, 456–462; VergabeR 2014, 700–714. 4 Dazu ausführlich Gerlach/Manzke, VergabeR 2016, 443 (457).

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Eignung | § 122

densersatz für die Kosten der Vorbereitung des Angebots oder der Teilnahme am Vergabeverfahren verlangen kann, wenn das Unternehmen ohne den Verstoß gegen eine seinen Schutz bezweckende Vorschrift bei der Wertung eine echte Chance auf den Zuschlag gehabt hätte, die aber durch den Rechtsverstoß beeinträchtigt wurde. Denkbar sind zudem Schadensersatzansprüche nach § 280 Abs. 1 BGB (culpa in contrahendo).1 Die Einleitung eines Vergabeverfahrens führt zu einem vorvertraglichen Schuldverhältnis i.S.d. § 311 Abs. 2 BGB, weshalb Bieter regelmäßig erwarten dürfen, dass eine Ausschreibung in der rechtmäßigen Form durchgeführt wird, damit nicht schon auf Grund rechtswidriger Ausschreibung das Nutzloswerden der auf das Angebot verwandten Kosten droht.2

§ 122 Eignung (1) Öffentliche Aufträge werden an fachkundige und leistungsfähige (geeignete) Unternehmen vergeben, die nicht nach den §§ 123 oder 124 ausgeschlossen worden sind. (2) Ein Unternehmen ist geeignet, wenn es die durch den öffentlichen Auftraggeber im Einzelnen zur ordnungsgemäßen Ausführung des öffentlichen Auftrags festgelegten Kriterien (Eignungskriterien) erfüllt. Die Eignungskriterien dürfen ausschließlich Folgendes betreffen: 1. Befähigung und Erlaubnis zur Berufsausübung, 2. wirtschaftliche und finanzielle Leistungsfähigkeit, 3. technische und berufliche Leistungsfähigkeit. (3) Der Nachweis der Eignung und des Nichtvorliegens von Ausschlussgründen nach den §§ 123 und 124 kann ganz oder teilweise durch die Teilnahme an Präqualifizierungssystemen erbracht werden. (4) Eignungskriterien müssen mit dem Auftragsgegenstand in Verbindung und zu diesem in einem angemessenen Verhältnis stehen. Sie sind in der Auftragsbekanntmachung, der Vorinformation oder der Aufforderung zur Interessensbestätigung aufzuführen. I. Einführung 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . 2. Inhaltsübersicht und Entstehungsgeschichte . . . . . . . . . . . II. Vergabe öffentlicher Aufträge an geeignete Unternehmen (§ 122 Abs. 1) . . . . . . . . . . . . .

_ _ _ 1 4

III. Eignungskriterien (§ 122 Abs. 2) . . . . . . . . . . . . . 1. Befähigung und Erlaubnis zur Berufsausübung . . . . . . . . . . . . 2. Wirtschaftliche und finanzielle Leistungsfähigkeit . . . . . . . . . .

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1 OLG Saarbrücken v. 18.6.2014 – 1 U 4/13; OLG Naumburg v. 28.10.2010 – 1 U 52/10. 2 OLG Koblenz v. 15.1.2007 – 12 U 1016/05.

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§ 122 | Eignung 3. Technische und berufliche Leistungsfähigkeit . . . . . . . . . . 4. Nachweis der Eignung durch Eigenerklärungen . . . . . . . . . . 5. Besonderheiten der Eignungsprüfung im Sektorenbereich . . . IV. Nachweis der Eignung durch die Teilnahme an Präqualifizierungssystemen (§ 122 Abs. 3) . V. Auftragsbezogenheit und Angemessenheit der Eignungskriterien (§ 122 Abs. 4 Satz 1) . . . 1. Auftragsbezogenheit . . . . . . . . 2. Angemessenheit . . . . . . . . . . .

_ _ _ _ __ _ 39 43 47 49 55 57 59

VI. Bekanntmachung der Eignungskriterien (§ 122 Abs. 4 Satz 2) . . . . . . . 1. Bindung an bekanntgegebene Eignungskriterien und -nachweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Keine Vermischung von Eignungs- und Zuschlagskriterien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII. Rechtsfolgen unterlassener Bekanntmachung von Eignungskriterien . . . . . . . . . VIII. Rechtsschutz . . . . . . . . . . . .

. . . . .

_ _ _ __ 62 68 70 72 73

I. Einführung 1. Allgemeines 1 Die Vorschriften über die Eignung und die Eignungsprüfung sind grundlegend

überarbeitet worden und sind nunmehr im GWB klar strukturiert. § 122 nimmt dabei den Regelungsgehalt des bisherigen § 97 Abs. 4 Satz 1 sowie § 97 Abs. 4a GWB a.F. auf1 und legt die wesentlichen Grundanforderungen an die Eignung der Unternehmen, die sich in einem Vergabeverfahren um öffentliche Aufträge bewerben möchten, abschließend fest.2

2 Im Zuge der Umsetzung der neuen EU-Vergaberichtlinien war es erforderlich,

die bisherige Struktur des GWB zu überarbeiten. Aufgrund der wesentlich höheren Regelungsdichte und des größeren Umfangs der Richtlinien für die klassische Auftragsvergabe (Richtlinie 2014/24/EU) und für die Auftragsvergabe in den Bereichen der Wasser-, Energie- und Verkehrsversorgung sowie der Postdienste (Richtlinie 2014/25/EU) mussten deutlich mehr Vorgaben auf gesetzlicher Ebene geregelt werden als bislang. Um die praktische Anwendung des Gesetzes zu erleichtern, wurde deshalb der Ablauf des Vergabeverfahrens von der Leistungsbeschreibung über die Prüfung von Ausschlussgründen bis zur Eignungsprüfung erstmals im Gesetz vorgezeichnet.3 Mit dem Regelungsinhalt des § 122 sind dementsprechend nicht alle Fragen der Eignung abschließend geregelt, sondern nur die grundsätzlichen Anforderungen an die Eignung.

3 Die konkrete Ausgestaltung der Eignungskriterien sowie die Eignungsprü-

fung, insbesondere die Belege zum Nachweis der Eignung, werden auf Ver-

1 Gesetzesbegründung, BT-Drucks. 18/6281 zu § 122, vor Abs. 1 (S. 100). 2 Gesetzesbegründung, BT-Drucks. 18/6281 zu § 122, vor Abs. 1 (S. 100). 3 Gesetzesbegründung, BT-Drucks. 18/6281, Allgemeiner Teil, Kap. II (S. 56).

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ordnungsebene detaillierter geregelt. So werden im 2. Abschnitt (Vergabeverfahren) / 5. Unterabschnitt der VgV in den §§ 42 ff. VgV die Anforderungen an die Unternehmen, d.h. die Eignung näher ausgeführt. Auf Ebene der VOB/AEU finden sich in § 6 EU Abs. 1 und 2 VOB/A nahezu wortgleiche Formulierungen zu § 122. Die nähere Ausgestaltung der Eignungsprüfung findet sich dann in den §§ 6a–6f EU VOB/A. Schließlich sind in den §§ 45 ff. SektVO sowie §§ 25 f. KonzVgV weitere Vorgaben an die Eignung und deren Prüfung verortet. 2. Inhaltsübersicht und Entstehungsgeschichte Nach § 122 Abs. 1 werden öffentliche Aufträge an fachkundige und leistungs- 4 fähige (geeignete) Unternehmen vergeben, die weder zwingenden (vgl. § 123) noch fakultativen (vgl. § 124) Ausschlussgründen unterliegen. Mit dieser Definition der Geeignetheit im 1. Halbsatz sind die Kriterien der Zuverlässigkeit und der Gesetzestreue entfallen. Über die detaillierten Vorgaben der §§ 123, 124 und § 128 Abs. 1 wird jedoch– entsprechend der Systematik der Richtlinie 2014/24/EU – auch weiterhin sichergestellt, dass nur solche Unternehmen den Zuschlag erhalten, die Recht und Gesetz in der Vergangenheit eingehalten haben und bei denen gesetzestreues Verhalten auch in Zukunft zu erwarten ist.1 Während nach der bisherigen deutschen Systematik des § 97 Abs.4 Satz 1 5 GWB a.F. die Eignung aus den vier Elementen Fachkunde, Leistungsfähigkeit, Zuverlässigkeit und Gesetzestreue bestand, orientiert sich Absatz 1 nunmehr an den Vorgaben des Artikels 58 der Richtlinie 2014/24/EU. Zwar bleiben die Begriffe Fachkunde und Leistungsfähigkeit als zentrale, definierende Komponenten der Eignung erhalten, das Begriffspaar Fachkunde und Leistungsfähigkeit wird jedoch vollständig durch die in Absatz 2 aufgeführten drei Kategorien ausgefüllt, die die Anforderungen der Richtlinie 2014/24/EU abbilden.2 Mit der Formulierung im 2. Halbsatz wird bestimmt, dass Aufträge nur an Unternehmen vergeben werden dürfen, die nicht bereits nach den §§ 123 oder 124 vom Vergabeverfahren ausgeschlossen worden sind. § 122 Abs. 2 enthält, ebenso wie Abs. 4, die materiellen Vorgaben für die Eig- 6 nungskriterien. Abs. 2 greift dabei die in Artikel 58 Abs. 1 der Richtlinie 2014/ 24/EU enthaltenen drei Kategorien der Eignung zur Konkretisierung des Eignungsbegriffs auf. Danach dürfen die Eignungskriterien zukünftig nur noch folgendes betreffen: – Befähigung und Erlaubnis zur Berufsausübung, – wirtschaftliche und finanzielle Leistungsfähigkeit, – technische und berufliche Leistungsfähigkeit. 1 Gesetzesbegründung, BT-Drucks. 18/6281 zu § 122, zu Abs. 1 (S. 100, 101). 2 Gesetzesbegründung, BT-Drucks. 18/6281 zu § 122, zu Abs. 1 (S. 100, 101).

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§ 122 | Eignung 7 Die Festlegung der anzuwendenden Eignungskriterien hat jeweils einzelfallbezo-

gen durch den öffentlichen Auftraggeber zu erfolgen, um zu gewährleisten, dass nur Angebote solcher Unternehmen in die Auswahl einbezogen werden, die für die ordnungsgemäße Ausführung des konkreten Auftrags geeignet sind.

8 § 122 Abs. 3 greift dann den bisherigen Regelungsinhalt des § 97 Abs. 4a

GWB a.F. auf und lässt die Einrichtung staatlicher oder privatwirtschaftlich organisierter, anerkannter Präqualifizierungssysteme zum vereinfachten Nachweis der Eignung und des Nichtvorliegens von Ausschlussgründen zu. Schon nach dem § 97 Abs. 4a GWB a.F. konnten Auftraggeber Präqualifizierungssysteme einrichten oder zulassen, mit denen die Eignung der Unternehmen nachgewiesen werden konnte. Diese Möglichkeit des Eignungsnachweises wurde vom EU-Gesetzgeber erstmalig mit der Neuregelung der Vergaberichtlinie 2004 zugelassen und in Deutschland erstmalig in die VOB/A 2006 aufgenommen. Sie geht zurück auf eine entsprechende Forderung der Fraktion von BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN und der FDP.1 Absatz 3 setzt inhaltlich den Regelungsgehalt des Artikels 64 Abs. 1 der Richtlinie 2014/24/EU um.2

9 § 122 Abs. 4 Satz 1 stellt mit seiner Forderung, dass Eignungskriterien mit dem

Auftragsgegenstand in Verbindung und zu diesem in einem angemessenen Verhältnis stehen müssen, schließlich sicher, dass öffentliche Auftraggeber bei Vergabeverfahren nur angemessene Anforderungen an die Eignung stellen. Damit nimmt § 122 Abs. 4 Satz 1 die Forderung auf, die sich bisher aus den § 7 EG Abs. 1 Satz 1 VOL/A, § 6 EG Abs. 5 Nr. 1 VOB/A oder § 5 Abs. 1 VOF ergeben hat. Schon danach war ein Auftraggeber hinsichtlich der Aufstellung von Eignungskriterien nicht völlig frei, sondern es mussten die aufgestellten Erfordernisse durch den Gegenstand des Auftrags gerechtfertigt sein und zudem die allgemeinen vergaberechtlichen Anforderungen – insbesondere auch der Wettbewerbsgrundsatz und das Diskriminierungsverbot – berücksichtigt werden.3

10 § 122 Abs. 4 Satz 2 schließlich setzt Art. 58 Abs. 5 der Richtlinie 2014/24/EU in

Übereinstimmung mit den bisherigen Anforderungen um, wonach die Eignungskriterien als Ausfluss des Transparenzprinzips allen interessierten Wirtschaftsteilnehmern rechtzeitig bekannt gemacht werden müssen, in dem sie in der Auftragsbekanntmachung, der Vorinformation oder in der Aufforderung zur Interessensbestätigung aufzuführen sind. Dass in Abs. 4 Satz 2 die Vorinformation und die Aufforderung zur Interessensbestätigung explizit erwähnt werden, ist darauf zurückzuführen, dass § 38 VgV nunmehr die Möglichkeit eröffnet, mit einer Vorinformation die Bekanntmachung zu ersetzen.

1 Diehr in Reidt/Stickler/Glahs, Vergaberecht Kommentar 2011, § 97 Rz. 102. 2 Gesetzesbegründung, BT-Drucks. 18/6281 zu § 122, zu Abs. 3. 3 Z.B. OLG Düsseldorf v. 20.7.2015 – Verg 37/15, NZBau 2015, 709–711 = VergabeR 2015, 797–799.

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II. Vergabe öffentlicher Aufträge an geeignete Unternehmen (§ 122 Abs. 1) Nach dem Wortlaut des § 122 Abs. 1 dürfen öffentliche Aufträge nur an fach- 11 kundige und leistungsfähige (geeignete) Unternehmen vergeben werden, die nicht nach den § 123 oder §124 ausgeschlossen worden sind. § 122 Abs. 1 spricht nur von „öffentlichen Aufträgen“, was aus der Verortung der Norm im Abschnitt 2, Unterabschnitt 2 resultiert. Nach § 115 findet Abschnitt 2 Anwendung auf die Vergabe von öffentlichen Aufträgen und die Ausrichtung von Wettbewerben durch öffentliche Auftraggeber im Sinne des § 99. Auf alle übrigen Vergaben findet Abschnitt 2 nur insoweit Anwendung, als auf die jeweiligen Vorschriften gesondert verwiesen wird. Auf Konzessionsvergaben ist § 122 über den Verweis in § 152 Abs. 2 anzuwenden. Für Vergaben von öffentlichen Aufträgen durch Sektorenauftraggeber ist der Verweis auf § 122 in § 142 Nr. 1 zu finden, verbunden mit der besonderen Maßgabe, dass Sektorenauftraggeber abweichend von § 122 Abs. 1 und 2 die Unternehmen anhand objektiver Kriterien auswählen, die allen interessierten Unternehmen zugänglich sind. Für die Vergabe von verteidigungs- und sicherheitsspezifischen öffentlichen Aufträgen ist § 122 über § 147 entsprechend anwendbar. § 122 formuliert zunächst den Grundsatz, dass Aufträge nur an geeignete Un- 12 ternehmen vergeben werden. Öffentliche Auftraggeber sind also verpflichtet, eine Eignungsprüfung durchzuführen, weil die Auftragsvergabe an einen ungeeigneten Bieter vergaberechtswidrig wäre. Diese Eignungsprüfung ist eine unternehmensbezogene Untersuchung, mit der prognostiziert werden soll, ob ein Unternehmen nach seiner personellen, sachlichen und finanziellen Ausstattung zur Ausführung der konkret nachgefragten Leistung in der Lage sein wird. Sie dient nicht der Ermittlung qualitativer Unterschiede zwischen den einzelnen Bewerbern.1 Ziel der Eignungsprüfung ist es also, festzustellen, ob ein Unternehmen nach seiner personellen, finanziellen und technischen Ausstattung in der Lage sein wird, den Auftrag auszuführen.2 Der Begriff der Eignung wird dabei in § 122 nur noch auf die Begriffe der Fach- 13 kunde und Leistungsfähigkeit gestützt, die Kriterien der Zuverlässigkeit und der Gesetzestreue sind entfallen. Dies hat seinen Grund u. a. darin, dass dem Unionsrecht, das in deutsches Recht umzusetzen war, nicht das traditionelle deutsche Verständnis der Eignung zu Grunde liegt. Das Begriffspaar Fachkunde und Leistungsfähigkeit wird dabei vollständig durch die in Absatz 2 Satz 2 aufgeführten drei Kategorien (1. Befähigung und Erlaubnis zur Berufsausübung, 2. wirtschaftliche und finanzielle Leistungsfähigkeit, 3. technische und berufliche Leistungsfähigkeit) ausgefüllt, die die Anforderungen der Richtlinie 2014/24/EU abbilden.3 1 OLG Celle v. 12.1.2012 – 13 Verg 9/11, NZBau 2012, 198–200 = VergabeR 2012, 510 ff. 2 VK Südbayern v. 19.3.2015 – Z3-3-3194-1-61-12/14. 3 Gesetzesbegründung, BT-Drucks. 18/6281 zu § 122, vor Abs. 1.

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§ 122 | Eignung In der 2. und 3. Kategorie wird erneut die Leistungsfähigkeit genannt, ohne deren Inhalt weiter zu konkretisieren oder zu definieren. Auch der Begriff der „Fachkunde“ wird nicht weiter untersetzt und bleibt damit inhaltsleer. Bei den genannten Begriffen Fachkunde und Leistungsfähigkeit handelt es sich somit im Grunde genommen um unbestimmte Rechtsbegriffe, die dem Auftraggeber einen Beurteilungsspielraum einräumen,1 der nur einer eingeschränkten Kontrolle durch die Nachprüfungsinstanzen zugänglich ist, denn die Prüfung der Eignung eines Unternehmens ist ein wertender Vorgang, in den zahlreiche Einzelumstände einfließen.2 14 Als fachkundig ist ein Unternehmen anzusehen, das über die speziellen Sach-

kenntnisse, Erfahrungen und Fertigkeiten verfügt, die erforderlich sind, um den zu vergebenden Auftrag fachgerecht vorbereiten und durchführen zu können.3 Grundsätzlich wird die Fachkunde eines Unternehmens durch die personelle Ausstattung geprägt und beruht auf den Erfahrungen und Kenntnissen der Mitarbeiter. Hier ist also maßgeblich auf die Umstände in der Person des Bewerbers abzustellen. Woher diese Kenntnisse stammen, ist unerheblich; deshalb können Mitarbeiter ihre Kenntnisse und Erfahrungen auch bei anderen Unternehmen erworben haben.4

15 Die Leistungsfähigkeit umfasst eine Mehrzahl von Aspekten. Sie ist – im Unter-

schied zur Fachkunde – ein sach- bzw. betriebsbezogenes Eignungskriterium. Leistungsfähig ist ein Unternehmen, wenn es über die personellen, kaufmännischen, technischen und finanziellen Mittel verfügt, um den Auftrag fachlich einwandfrei und fristgerecht ausführen zu können.5 Die Leistungsfähigkeit erstreckt sich insbesondere auf finanzielle Aspekte und setzt diesbezüglich voraus, dass das Unternehmen über ausreichend finanzielle Mittel verfügt, die es ihm ermöglichen, seinen laufenden Verpflichtungen gegenüber seinem Personal, dem Staat und sonstigen Gläubigern nachzukommen6 und auch die ihm durch die Beauftragung erwachsenden Verbindlichkeiten zu erfüllen.7 Entscheidend ist jeweils die finanzielle Leistungsfähigkeit im Einzelfall.8 Allein das Bestehen offe1 OLG Düsseldorf v. 17.12.2012 – VII-Verg 47/12, VergabeR 2013, 550–552; OLG Düsseldorf v. 25.7.2012 – VII-Verg 25/12, IBR 2013, 165; VK Westfalen v. 26.10.2015 – VK 227/15. 2 Saarländisches OLG v. 28.1.2015 – 1 U 138/14; OLG Naumburg v. 23.12.2014 – 2 U 74/ 14; OLG Naumburg v. 22.9.2014 – 2 Verg 2/13; OLG Düsseldorf v. 17.12.2012 – VII-Verg 47/12, VergabeR 2013, 550–552. 3 OLG Brandenburg v. 15.3.2011 – Verg W 5/11, VergabeR 2011, 750–755; VK Berlin v. 15.4.2011 – VK B 2-12/11; VK Baden-Württemberg v. 8.6.2010 – 1 VK 23/10. 4 Thüringer OLG v. 21.9.2009 – 9 Verg 7/09. 5 OLG Brandenburg v. 15.3.2011 – Verg W 5/11, VergabeR 2011, 750–755; OLG Karlsruhe v. 4.5.2012 – 15 Verg 3/12; VK Berlin v. 8.6.2012 – VK-B 2-09/12. 6 OLG Brandenburg v. 15.3.2011 – Verg W 5/11, ZfBR 2012, 830. 7 OLG Düsseldorf v. 21.2.2005 – VII-Verg 91/04; NZBau 2006, 266–267. 8 VK Sachsen v. 3.11.2005 – 1/SVK/125-05.

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ner Forderungen vermag ohne weitere Umstände eine mangelnde Eignung im vergaberechtlichen Sinn nicht zu begründen. Die Eignungsprüfung des öffentlichen Auftraggebers hat sich auch darauf zu erstrecken, ob ein Bieter rechtlich in der Lage ist, die ausgeschriebene Leistung zu erbringen. Dies gilt jedenfalls in solchen Fällen, in denen bspw. aufgrund eines sensiblen Leistungsgegenstandes die diesbezügliche Leistungsfähigkeit eines Bieters zweifelhaft erscheint1 oder in denen für den öffentlichen Auftraggeber zureichende Anhaltspunkte hervortreten, die Leistungsfähigkeit eines Bieters anzuzweifeln. In Fällen, in denen Zweifel an dem rechtlichen Leistungsfähigkeit des Bieters angebracht sind, hat der Auftraggeber eine erhöhte Prüfungspflicht.2 Die Eignung eines Unternehmens, insbesondere der Umstand, dass es zu den 16 ausgeschriebenen Leistungen in der Lage ist, muss im Zeitpunkt der Vergabeentscheidung geklärt sein und in diesem Zeitpunkt bejaht werden können. Der Auftraggeber darf keinen Auftrag an ein Unternehmen vergeben, das aufgrund gesicherter Erkenntnisse nicht in der Lage ist, die vertraglichen Verpflichtungen zu erfüllen.3 Allerdings muss der Bieter zum Zeitpunkt der Angebotsabgabe jedoch nicht unbedingt über alle technischen und personellen Kräfte verfügen oder stets eine den ausgeschriebenen Auftrag abdeckende logistische Reserve vorweisen, die er für die Ausführung des Auftrages benötigt. Es genügt, dass er bereit und in der Lage ist, sich bis zur Auftragserteilung die erforderlichen Mittel zu beschaffen.4 Ansonsten wären Bieter in Unkenntnis darüber, ob sie den Auftrag erhalten oder nicht, zu Investitionen gezwungen, die sich für den Fall, dass sie den Zuschlag nicht erhalten, als wirtschaftlich unsinnig erweisen.5 Die Eignung ist nicht lediglich aufgrund einer bloßen Momentaufnahme im 17 Rahmen einer laufenden Ausschreibung zu beurteilen. Deshalb war es einem Auftraggeber nach bisheriger Rechtslage grundsätzlich nicht verwehrt, bei der Eignungsprüfung eines Bieters auch auf eigene Erfahrungen aus früheren, abgeschlossenen Vertragsverhältnissen zurückzugreifen.6 So konnten Zweifel an der Eignung eines Bieters gerechtfertigt sein, wenn Auftraggeber und Auftragnehmer bei der Auslegung und Abwicklung eines früheren Vertragsverhältnisses derart massive Meinungsverschiedenheiten entwickelt hatten, dass eine einvernehmliche und konfliktfreie Vertragsabwicklung im laufenden Vergabeverfah-

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VK Sachsen v. 6.9.2013 – 1/SVK/028-13. VK Sachsen v. 6.9.2013 – 1/SVK/028-13; VK Sachsen v. 15.8.2013 – 1/SVK/024-13. OLG Düsseldorf v. 4.2.2013 – VII-Verg 52/12. OLG München v. 21.8.2008 – Verg 13/08; VK Lüneburg v. 21.1.2014 – VgK-45/2013. VK Sachsen v. 15.3.2016 – 1/SVK/045-15; sowie v. 6.9.2013 – 1/SVK/028-13. OLG Düsseldorf v. 25.7.2012 – VII-Verg 25/12, IBR 2013, 165 = ZfBR 2013, 310; OLG Hamm v. 12.9.2012 – 12 U 50/12; OLG Koblenz v. 25.2.2015 – Verg 5/14, NZBau 2015, 519–520; OLG München v. 21.2.2013 – Verg 21/12, NZBau 2013, 458–463 = VergabeR 2013, 750–760, VK Bund v. 22.2.2016 – VK 2-135/15.

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§ 122 | Eignung ren nicht mehr zu erwarten war.1 Solche (negativen) Erfahrungen sind nunmehr nicht mehr im Rahmen der Eignungsprognose zu berücksichtigen, sondern sind ggf. bei der Prüfung nach § 124 Abs. 1 Nr. 7, ob fakultative Ausschlussgründe gegeben sind, einzustellen. Wird ein Vergabeverfahren in mehreren Losen ausgeschrieben, ist die Eignung losbezogen zu prüfen und nicht pauschal bezogen auf das Leistungsvolumen des Gesamtauftrags.2 18 Der Bieter kann sich zudem im Wege der sogenannten Eignungsleihe auf die

Leistungsfähigkeit von konzernverbundenen Unternehmen, Nachunternehmern oder sonstigen Dritten berufen. Die Eignungsleihe ist nicht auf technisch-fachliche Leistungsfähigkeit beschränkt, sondern gilt für alle Eignungskriterien.3 Zudem ist es grundsätzlich zulässig, sich auf die Kapazitäten mehrerer Drittunternehmer zu berufen (Kumulation), um die vom öffentlichen Auftraggeber festgelegten Mindestanforderungen an die Leistungsfähigkeit zu erfüllen.4 Nicht möglich ist es allerdings, eine gesamtheitliche Referenzanforderung in einzelne Anforderungselemente aufzuteilen und diese durch Verweis auf Referenzobjekte verschiedener Unternehmen erfüllen zu wollen. Es ist nicht ausreichend, wenn mehrere Unternehmen lediglich Teilleistungen vorweisen können, die erst in einer Gesamtschau die Referenzanforderung insgesamt erfüllen.5

19 Sofern sich ein Bieter auf die Leistungsfähigkeit Dritter beruft, muss er nachwei-

sen, dass er tatsächlich über die für die Ausführung dieses Auftrags erforderlichen persönlichen und sachlichen Mittel des anderen Unternehmens verfügen kann; unverbindliche Absichtserklärungen des benannten Unternehmens reichen nicht aus.6 Dabei ist es unzulässig, für diesen Nachweis bestimmte Beweismittel (z.B. Verpflichtungserklärung) von vornherein vorzuschreiben oder auszuschließen.7 Allerdings ist es in diesem Zusammenhang nicht ausgeschlossen, dass die Ausübung dieses Rechts bei Vorliegen besonderer Umstände in Anbetracht des Gegenstands und der Ziele des betreffenden Auftrags eingeschränkt werden kann.8 Die konkreten Bedingungen der Eignungsleihe sind nunmehr in

1 OLG München v. 1.7.2013 – Verg 8/13, VergabeR 2013, 923-928, IBR 2013, 558; OLG Brandenburg v. 14.9.2010 – Verg W 8/10; VK Sachsen v. 4.11.2016 – 1/SVK/20-16. 2 VK Bund v. 18.1.2013 – VK 1-139/12. 3 Summa, VPR 2015, 1. 4 EuGH v. 10.10.2013 – C-94/12 8 (Mannocchi Luigino DI u.a. gegen Provincia di Fermo), NZBau 2014, 114–116, VPR 2013, 119, VergabeR 2014, 134–139. 5 VK Sachsen v. 10.3.2015 – 1/SVK/044-14. 6 OLG München v. 15.3.2012 – Verg 2/12, VergabeR 2012, 740–747 = NZBau 2012, 460464. 7 EuGH v. 14.1.2016 – Rs. C-234/14 (Ostas celtnieks), digitale Sammlungen; NZBau 2016, 227–229 = NVwZ 2016, 295–296. 8 EuGH v. 7.4.2016 – Rs. C-324/14 (Partner Apelski Dariusz), digitale Sammlungen; NZBau 2016, 373–378 = VergabeR 2016, 462–473.

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§ 47 VgV und § 6 d EU VOB/A ausführlich geregelt. Neu ist, dass der öffentliche Auftraggeber dem Bieter gem. § 47 Abs. 2 Satz 4 VgV die Pflicht auferlegen kann, ein eignungsleihendes Unternehmen zu ersetzen, wenn für dieses z.B. ein zwingender Ausschlussgrund vorliegt. Zudem ist eine Eignungsleihe im Hinblick auf Nachweise für die erforderliche Leistungsfähigkeit nur noch möglich, wenn das eignungsleihende Unternehmen die in Bezug genommene Leistung im Auftragsfall (als Nachunternehmer) auch erbringt. Schließlich kann der Auftraggeber gem. § 47 Abs. 5 VgV bei besonderen „kritischen Aufgaben“ sogar eine Selbstausführungspflicht vorschreiben. Eine nachträgliche Veränderung des Eigenleistungsanteils des Bieters ist schließlich nicht statthaft.1 Nach § 122 erfolgt die Vergabe öffentlicher Aufträge an geeignete Unternehmen, 20 sofern diese nicht nach den §§ 123 oder 124 ausgeschlossen worden sind. Mit diesem Verweis auf die zwingenden oder fakultativen Ausschlussgründe der §§ 123 oder 124 wird – entsprechend der Systematik der Richtlinie 2014/24/EU – sichergestellt, dass nur solche Unternehmen den Zuschlag erhalten, die Recht und Gesetz in der Vergangenheit eingehalten haben und bei denen gesetzestreues Verhalten auch in Zukunft zu erwarten ist. Vor diesem Hintergrund konnten auch, wie eingangs dargelegt, die unbestimmten Rechtsbegriffe der Zuverlässigkeit und Gesetzestreue, die bisher zur Definition der Eignung herangezogen wurden, entfallen.2 Bei Vorliegen von zwingenden Ausschlussgründen sind Unternehmen nach 21 § 123 vom Vergabeverfahren auszuschließen, ohne dass dem Auftraggeber hierzu ein Entscheidungsspielraum eröffnet wäre. Liegt ein fakultativer Ausschlussgrund nach § 124 vor, können Unternehmen nach entsprechender Ermessensausübung des öffentlichen Auftraggebers auf Grund einer Ermessensentscheidung ausgeschlossen werden. Ein solcher fakultativer Ausschlussgrund ist nach § 124 Abs. 1 Nr. 1 gegeben, wenn das Unternehmen bei der Ausführung öffentlicher Aufträge nachweislich gegen geltende umwelt-, sozial- oder arbeitsrechtliche Verpflichtungen verstoßen hat. Nach § 124 Abs. 1 Nr. 3 kann ein Unternehmen ausgeschlossen werden, wenn eine schwere Verfehlung des Unternehmens (oder einer Person, deren Handeln dem Unternehmen zuzurechnen ist) nachweislich vorliegt, durch die die Integrität des Unternehmens infrage gestellt wird.3 Mit der Formulierung „ausgeschlossen worden sind“ gibt § 122 die Reihenfolge 22 der Eignungsprüfung unmissverständlich vor; zuerst ist das Vorliegen resp. Nichtvorliegen zwingender oder fakultativer Ausschlussgründe zu prüfen, bevor dann die Eignungsprüfung im eigentlichen Sinne durchgeführt wird. Nur dieje1 OLG Düsseldorf v. 16.11.2011 – Verg 60/11, IBR 2012, 96 = ZfBR 2012, 179; OLG Düsseldorf v. 5.5.2004 – VII-Verg 10/04, VergabeR 2004, 650 [651 f.]). Allgem. zu Nachunternehmereinsatz und Eignungsleihe: Conrad, IBR 2012, 64. 2 Gesetzesbegründung, BT-Drucks. 18/6281 zu § 122, zu Abs. 1 (S. 100). 3 Gesetzesbegründung, BT-Drucks. 18/6281 zu § 122, zu Abs. 1 (S. 100).

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§ 122 | Eignung nigen Bewerber oder Bieter, die diese erste Hürde der Eignungsprüfung erfolgreich genommen haben, werden in einem zweiten Schritt geprüft, ob sie die im Einzelfall notwendige Eignung vorweisen können. 23 Nach der bisherigen Systematik des Vergaberechts hatte die Wertung der An-

gebote grundsätzlich in vier aufeinanderfolgenden Stufen zu erfolgen. Diese Systematik wurde durch das europäische Recht gelockert. Anders als bisher reiht sich die Eignungsprüfung nicht mehr in eine vier-stufige Angebotswertung ein, sondern ist ein gesondert zu prüfender Punkt. So heißt es in Art. 56 Abs. 2 Satz 1 RL 2014/24/EU: „Bei offenen Verfahren können die öffentlichen Auftraggeber entscheiden, Angebote vor der Überprüfung des Nichtvorliegens von Ausschlussgründen und der Einhaltung der Eignungskriterien gemäß den Artikeln 57 bis 64 zu prüfen.“ § 42 Abs. 3 VgV hat diese Regelung insoweit übernommen, als dass er nun bestimmt, dass der öffentliche Auftraggeber bei offenen Verfahren entscheiden kann, ob er die Angebotsprüfung vor der Eignungsprüfung durchführt. Diese Lockerung auf europäischer Ebene und Verordnungsebene birgt das Risiko in sich, dass zukünftig eine solch nachrangige Eignungsprüfung ggf. nicht mehr unbeeinflusst von dem bereits vorliegenden Ergebnis der weiteren Angebotsprüfung und ggf. vorläufigen Zuschlagsentscheidung erfolgen wird. Die Eignungsprüfung bleibt jedoch ein eigenständiger Prüfungsschritt innerhalb der Angebotswertung und ist von der materiellen Prüfung des Angebots abzugrenzen.

24 Die Prüfung der Eignung im engeren Sinne ist in zwei Stufen durchzuführen.

In der ersten Stufe (formelle Eignungsprüfung) ist zu prüfen, ob das Angebot sämtliche geforderte Eignungsnachweise enthält. Hat der Bieter die entsprechenden Nachweise nicht vorgelegt, ist sein Angebot bereits auf der ersten Stufe der Eignungsprüfung zwingend auszuschließen, dem Auftraggeber steht kein Ermessenspielraum zu. In der zweiten Stufe (materielle Eignungsprüfung) ist dann zu prüfen, ob der Bieter für die Durchführung des Auftrags tatsächlich geeignet ist.1 Der Auftraggeber kann in der Auftragsbekanntmachung, der Vorinformation oder der Aufforderung zur Interessensbestätigung Anforderungen an die Eignung des Bieters stellen und entsprechende Nachweise fordern.

25 Mittlerweile ist durch den BGH2 klargestellt, dass im offenen Verfahren ein öf-

fentlicher Auftraggeber nicht an seine einmal getroffene Eignungsentscheidung gebunden ist. Verneint er nachträglich die Eignung, kann dies allenfalls Anlass geben, besonders kritisch zu prüfen, ob die Entscheidung von sachfremden Erwägungen getragen ist. Bis zu dieser Entscheidung ging ein Teil der Rechtsprechung davon aus, dass eine Bindung an eine einmal getroffene Ermessensent-

1 OLG Celle v. 8.9.2011 – 13 Verg 4/11, IBR 2012, 286; VK Südbayern v. 14.8.2015 – Z3-33194-1-34-05/15; sowie vom 27.4.2015 – Z3-3-3194-1-09-02/15; VK Sachsen v. 10.3.2015 – 1/SVK/044-14. 2 BGH v. 7.1.2014 – X ZB 15/13; NZBau 2014, 185–189 =VergabeR 2014, 149–155 = ZfBR 2014, 278–282.

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scheidung selbst dann bestehe, wenn der Auftraggeber im Rahmen der Eignungsprüfung verfahrensfehlerhaft nicht alle zu berücksichtigenden Umstände gewürdigt haben sollte. Lediglich dann, wenn sich zwischenzeitlich aufgrund neuer Erkenntnisse herausgestellt haben sollte, dass die ursprüngliche Eignungsprüfung auf falschen Tatsachen beruhte, konnte eine Eignungsprüfung nochmals nachträglich korrigiert werden.1 Nach Auffassung des OLG Düsseldorf2 ist ein öffentliche Auftraggeber ohnedies selbst dann nicht an einem – vergaberechtlich gebotenen – Angebotsausschluss gehindert, wenn er zunächst die Eignung eines Bieters bejaht und das Angebot zu Unrecht in die engere Wahl für den Zuschlag gezogen hat. Dem liegt nach Auffassung des OLG die Erwägung zugrunde, dass das Vertrauen auf ein vergaberechtswidriges Verhalten des Auftraggebers rechtlich nicht schützenswert ist.

III. Eignungskriterien (§ 122 Abs. 2) § 122 Abs. 2 greift die in Artikel 58 Abs. 1 der Richtlinie 2014/24/EU enthalte- 26 nen drei Kategorien der Eignung zur Konkretisierung des Eignungsbegriffs 1:1 auf3 und definiert in Satz 1, dass sich die Eignungsprüfung an den zur ordnungsgemäßen Ausführung des öffentlichen Auftrags festgelegten Kriterien (Eignungskriterien) zu orientieren hat. Zunächst steht es einem öffentlichen Auftraggeber grundsätzlich frei, in einem 27 ersten Schritt die von ihm für erforderlich gehaltenen Eignungsvorgaben resp. Eignungskriterien selbst zu definieren und die von den Bietern zu erfüllenden Anforderungen festzulegen.4 Dabei ist es ihm unbenommen, an die Eignung der Bewerber insgesamt hohe oder niedrigere Anforderungen zu stellen, so kann er bspw. darauf verzichten, durch die Vorgabe von Mindestkriterien eine unnötige Verengung des potentiellen Bieterfeldes vorzunehmen.5 Hierfür sollte sich der Auftraggeber bereits im Vorfeld der Bekanntmachung sei- 28 nes beabsichtigten Beschaffungsauftrages intern ein auftragsbezogenes Eignungsprofil erstellen. Alle Eignungskriterien, die öffentliche Auftraggeber dabei 1 OLG Frankfurt v. 24.2.2009 – 11 Verg 19/08, VergabeR 2009, 629, ZfBR 2009, 394; VK Nordbayern v. 12.6.2012 – 21.VK-3194-10/12; VK Brandenburg v. 26.8.2005 – 1 VK 49/05. 2 OLG Düsseldorf v. 16.11.2011 – Verg 60/11; OLG Düsseldorf v. 5.5.2004 – VII-Verg 10/ 04, VergabeR 2004, 650 (651). 3 Gesetzesbegründung, BT-Drucks. 18/6281 zu § 122, zu Abs. 2, S.101. 4 OLG Koblenz v. 13.6.2012 – 1 Verg 2/12, VergabeR 2012, 897–900 = NZBau 2012, 724– 726 = ZfBR 2012, 616–618; OLG Düsseldorf v. 21.12.2011 – VII-Verg 74/11, IBR 2012, 1219 = NZBau 2012, 321–324; sowie; OLG Frankfurt v. 13.12.2011 – 11 Verg 8/11, IBR 2014, 1139; OLG Karlsruhe v. 22.7.2011 – 15 Verg 8/11; VK Nordbayern v. 27.9.2016 – 21.VK-3194-34/16. 5 OLG Koblenz v. 13.6.2012 – 1 Verg 2/12, ZfBR 2012, 616–618 = VergabeR 2012, 897–900 = NZBau 2012, 724–726; VK Bund v. 4.10.2012 – VK 2-86/12, zitiert nach ibr-online.

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§ 122 | Eignung an die bietenden Unternehmen stellen will, müssen allerdings unter eine drei Kategorien „Befähigung und Erlaubnis zur Berufsausübung“, „wirtschaftliche und finanzielle Leistungsfähigkeit“ sowie „technische und berufliche Leistungsfähigkeit“ eingeordnet werden können. Insoweit bestimmt § 122 Abs. 2 Halbs. 1 unmissverständlich: „Die Eignungskriterien dürfen ausschließlich Folgendes betreffen:…“. Die drei Kriterienkataloge bilden mithin einen Rahmen, innerhalb dessen sich der Auftraggeber bewegen darf. Er ist keinesfalls verpflichtet und in der Regel auch nicht berechtigt, alles heranzuziehen, was beispielsweise die §§ 45, 46 VgV hergeben.1 29 Mit Vorgabe eines abschließenden Kataloges der möglichen Eignungskriterien

geht § 122 Abs. 2 über die Formulierung des Art. 58 Abs. 1 Satz 1 RL 2014/24/ EU2 hinaus. Dieser spricht nur davon, dass die Eignungskriterien die genannten Kategorien „betreffen können“, was dafür spricht, dass die Aufzählung keinen abschließenden, sondern lediglich beispielhaften Charakter haben soll. Sowohl die deutsche Übersetzung der Richtlinie, als auch der englischsprachige Text der Richtlinie unterscheiden innerhalb des Absatzes 1 des Artikels 58 zwischen „können“ und „sollen“, zwischen „may“ und „shall“3 und dies in sämtlichen Vorentwürfen der RL 2014/24/EU4. Den Erwägungsgründen der Richtlinie ist zu diesen Differenzierungen nichts zu entnehmen. Die weitere Konkretisierung der Eignung – entsprechend den Vorgaben der Artikel 58, 60 und 62 der Richtlinie 2014/24/EU – erfolgt dann in den §§ 42 bis 51 VgV sowie in §§ 6 EU VOB/A. 1. Befähigung und Erlaubnis zur Berufsausübung

30 § 122 Abs. 2 Nr. 1 setzt Art. 58 Abs. 1 lit. a. i.V.m. Abs. 2 RL 2014/24/EU um. Da-

nach können öffentliche Auftraggeber im Hinblick auf die Befähigung zur Berufsausübung Bewerbern und Bietern vorschreiben, in einem Berufs- oder Han-

1 Summa in Heiermann/Zeiss/Summa, jurisPK-Vergaberecht, 5. Aufl. 2016, § 122 GWB. 2 Art 58 Abs. 1 S. 1 lautet: „(1) Die Eignungskriterien können Folgendes betreffen: a) Befähigung zur Berufsausübung; b) wirtschaftliche und finanzielle Leistungsfähigkeit; c) technische und berufliche Leistungsfähigkeit.“ 3 Vgl. „Article 56 (Selection criteria) 1. Selection criteria may relate to: (a) suitability to pursue the professional activity; (b) economic and financial standing; (c) technical and professional ability. Contracting authorities may only impose criteria referred to in paragraphs 2, 3 and 4 of this Article on economic operators as requirements for participation. They shall limit any requirements to those that are appropriate to ensure that a candidate or tenderer has the legal and financial capacities and the technical and professional abilities to perform the contract to be awarded. All requirements shall be related and proportionate to the subject-matter of the contract.“ 4 Vgl. engl. Kompromisstext Stand 19.10.2012 (14971/12); Kompromisstext Stand 2.10. 2012 (14418/12); sowie Ergebnis der Trilogverhandlungen vom 12. Juli 2013 Vergaberichtlinie für klassische öffentliche Auftraggeber (Nr. 11745/13) (entnommen: http:// www.forum-vergabe.de/informationen/modernisierung-des-vergaberechts/nc1165).

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delsregister ihres Niederlassungsmitgliedstaats gemäß Anhang XI verzeichnet zu sein. In Anhang XI sind die entsprechenden, länderspezifischen Berufs- oder Handelsregister, sowie für den Fall, dass auf innerstaatlicher Ebene Änderungen vorgenommen werden, die an ihre Stelle tretenden Register benannt. Die näheren Einzelheiten der Befähigung und Erlaubnis zur Berufsausübung sind in § 44 VgV sowie in § 6a EU Nr. 1 VOB/A geregelt. Der öffentliche Auftraggeber darf nicht inhaltlich nachprüfen, ob der Bieter oder Bewerber die in seinem Niederlassungsstaat geltenden Rechtsvorschriften für die erlaubte Ausübung eines Berufs oder für die Erbringung einer bestimmten Dienstleistung erfüllt. Sofern ein Bieter oder Bewerber die Nachweise beibringt, die der öffentliche Auftraggeber gemäß § 44 verlangen kann – insbesondere die Handelsregistereintragung – gilt seine Befähigung und Erlaubnis zur Berufsausübung als gegeben.1 Für die Bundesrepublik Deutschland sind als Register in diesem Sinne das Han- 31 delsregister, die Handwerksrolle und das Vereinsregister anzusehen. Funktion dieses Nachweises ist, dass der Auftraggeber eine verlässliche Auskunft über Aspekte wie beispielsweise die Rechtsform und Vertretungsverhältnisse eines Unternehmens erhält (vgl. § 11 Abs. 1 GmbHG).2 Für den Nachweis der Eintragung der Bewerber in das Handelsregister am Sitz ihrer Gesellschaft besteht beispielsweise ein Informationsbedürfnis der Vergabestelle, wenn es in der Vergangenheit wiederholt zu Umstrukturierungen, Neugründungen und Insolvenzen bei den Unternehmen gekommen ist, die sich beworben haben.3 In formeller Hinsicht genügt neben der Vorlage einer Abschrift der Handels- 32 registereintragung (vgl. § 9 Abs. 4 HGB) oder einer Bestätigung der Eintragung durch das registerführende Amtsgericht (vgl. § 9 Abs. 3 HGB) auch ein Ausdruck über die Wiedergabe des aktuellen Registerinhalts bzw. eine Fotokopie des Ausdrucks als gleichwertiger Nachweis, sofern seitens des Auftraggebers keine besondere Form (bspw. beglaubigte Kopie4) gefordert wird. Bei der Einreichung eines Handelsregisterauszuges ist stets genau zu beachten, ob der Auftraggeber einen Auszug fordert, der nicht älter als ein bestimmtes Datum sein darf oder ob lediglich nach einem aktuellen Handelsregisterauszug gefragt ist. Sofern Letzteres der Fall ist, reicht es aus, dass der Auszug die aktuellen Gegebenheiten darstellt, unabhängig vom Zeitpunkt seiner Erstellung.5 1 Verordnungsbegründung zu § 44 VgV, BR-Drucks. 87/16 v. 29.2.2016, S. 198. 2 Vgl. auch Hausmann/von Hoff in Kulartz/Marx/Portz/Prieß, Kommentar zur VOL/A, 3. Aufl. 2014, § 7 EG R7. 79 ff.; 3. VK Sachsen-Anhalt v. 4.10.2013 – 3 VK LSA 39/13; VK Düsseldorf v. 14.7.2011 – VK-02/2011 L, VK-2/2011. 3 OLG Düsseldorf v. 16.1.2006 – VII-Verg 92/05. 4 Beachte: Zur Erhöhung der Glaubwürdigkeit darf durchaus verlangt werden, dass der Handelsregisterauszug in beglaubigter Form eingereicht wird: vgl. VK Bund v. 4.4. 2007 – VK 1-23/07. 5 Vgl. auch Hausmann/von Hoff in Kulartz/Marx/Portz/Prieß, Kommentar zur VOL/A, 3. Aufl. 2014, § 7 EG VOL/A Rz. 81 ff.

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§ 122 | Eignung 33 Problematisch ist gelegentlich die Frage, ob ein Unternehmen die ausgeschriebe-

nen Leistungen überhaupt ausführen darf oder vom Wettbewerb ausgeschlossen werden muss, weil diese ein Handwerk betreffen, für das das Unternehmen nicht in der Handwerksrolle eingetragen ist.1 Diesbezüglich bestimmt § 6a EU Nr. 1 VOB/A explizit, dass der öffentliche Auftraggeber von Unternehmen zum Nachweis der Befähigung und Erlaubnis zur Berufsausübung die Eintragung in das Berufs- oder Handelsregister oder in der Handwerksrolle ihres Sitzes oder Wohnsitzes verlangen kann. In der Regel darf ein Unternehmen Arbeiten, für die es über keine Eintragung in die Handwerksrolle verfügt, in anderen Handwerken nach § 1 Abs. 1 HandwO nur ausführen, wenn diese Leistungen mit dem ausgeschriebenen Gewerk technisch oder fachlich zusammenhängen oder es wirtschaftlich ergänzen. Ebenso ist für reine Hilfsleistungen für den ausgeschriebenen Auftrag keine Eintragung in die Handwerksrolle erforderlich.2

34 Die fehlende Eintragung eines Unternehmens aus einem anderen EU-Mitglied-

staat in die Handwerksrolle führt nicht ohne weiteres zum Ausschluss dieses Unternehmens von Vergabeverfahren in Deutschland. Ausreichend für den Nachweis der Eignung eines aus anderen EU-Mitgliedstaaten stammenden Bieters ist die Eintragung des betreffenden Unternehmens in das Berufsregister seines EU-Heimatstaates. Ist das fragliche Unternehmen bereits in seinem EU-Heimatstaat in das betreffende Berufsregister eingetragen, darf dem Unternehmen die fehlende Eintragung in die deutsche Handwerksrolle jedenfalls nicht entgegengehalten werden, wenn dies zu Erschwernissen, Verzögerungen oder ähnlichem im Hinblick auf die Leistungserbringung führt.3 2. Wirtschaftliche und finanzielle Leistungsfähigkeit

35 § 122 Abs. 2 Nr. 1 setzt Art. 58 Abs. 1 lit. b. i.V.m. Abs. 3; Art. 60 RL 2014/24/EU

um. Auch für diese Eignungskategorie werden die weiteren Einzelheiten auf Verordnungsebene in § 45 VgV sowie in § 6a EU Nr. 2 VOB/A geregelt. Zu beachten ist, dass § 45 VgV und § 6a EU Nr. 2 VOB/A hinsichtlich des Aufbaus der Normen und deren Ausformulierung erheblich voneinander abweichen. § 45 VgV bestimmt in Übereinstimmung mit Art. 58 Abs. 3 RL 2014/24/EU, dass öffentliche Auftraggeber im Hinblick auf die Leistungsfähigkeit Anforderungen stellen können, die sicherstellen, dass die Wirtschaftsteilnehmer über die erforderlichen wirtschaftlichen und finanziellen Kapazitäten für die Ausführung des Auftrags verfügen. Dabei ist die finanzielle Leistungsfähigkeit als Unterfall des Oberbegriffes der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit zu verstehen, es handelt sich also im Grunde genommen um ein einheitliches Eignungskriterium.

1 OLG Celle v. 27.12.2001 – 13 U 126/01, NZBau 2002, 518 ff. 2 OLG Düsseldorf v. 9.4.2014 – Verg 12/14, IBR 2014, 497 = ZfBR 2014, 619. 3 EuGH v. 11.12.2003 – Rs. C-215/01 (Schnitzer), Slg. 2003 I-14847, BauR 2004, 391 (Ls.) = NJW 2004, 435–436 = NZBau 2004, 102 = IBR 2004, 83 mit Anmerkungen von Wirner.

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Zum Zweck der Sicherstellung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit kann von 36 den Wirtschaftsteilnehmern bspw. verlangt werden, einen bestimmten Mindestjahresumsatz einschließlich eines bestimmten Mindestumsatzes in dem auftragsgegenständlichen Bereich nachzuweisen. Zudem können Informationen über ihre Jahresabschlüsse oder Bilanzen mit Angabe des Verhältnisses z. B. zwischen Vermögen und Verbindlichkeiten verlangt werden. Weiter können die öffentlichen Auftraggeber auch eine Berufs- oder Betriebshaftpflichtversicherung in geeigneter Höhe verlangen. Art. 60 Abs. 3 RL 2014/24/EU verweist hinsichtlich der für den Beleg der finanziellen und wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit in Betracht kommenden Nachweise auf Anhang XII Teil I1. Sowohl dem Wortlaut des Art. 60 Abs. 3 RL und des in Bezug genommenen Anhangs als auch dem des § 45 VgV ist zu entnehmen, dass die dortige Auflistung der Nachweismöglichkeiten nur beispielhaft und nicht abschließend2 ist, da jeweils erwähnt wird, dass „insbesondere“ bzw. „in der Regel“ nachfolgend aufgeführte Nachweismöglichkeiten verlangt werden können. Der öffentliche Auftraggeber kann auch weitere bzw. andere Nachweise verlan- 37 gen, sofern diese durch den Gegenstand des Auftrags gerechtfertigt sind.3 Er ist zudem nicht gezwungen, zur Beurteilung der Leistungsfähigkeit der Unternehmen sämtliche in § 45 VgV aufgeführten Leistungsnachweise abzufordern. Die dargestellten zulässigen Eignungsnachweise geben dem Auftraggeber lediglich eine Entscheidungshilfe, welche Nachweise zur Prüfung der finanziellen und wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der Unternehmen zweckmäßig sind. Bei der letztendlichen Auswahl, steht dem Auftraggeber bei jeder einzelnen Auftragsvergabe ein Ermessensspielraum zu, den er auch ausüben muss.4

1 Vgl. folgenden Wortlaut: „Teil I: Wirtschaftliche und finanzielle Leistungsfähigkeit Die finanzielle und wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Wirtschaftsteilnehmers kann in der Regel durch einen oder mehrere der nachstehenden Nachweise belegt werden: a) entsprechende Bankerklärungen oder gegebenenfalls Nachweis einer entsprechenden Berufshaftpflichtversicherung; b) Vorlage von Jahresabschlüssen oder Auszügen aus Jahresabschlüssen, falls deren Veröffentlichung in dem Land, in dem der Wirtschaftsteilnehmer ansässig ist, gesetzlich vorgeschrieben ist; c) eine Erklärung über den Gesamtumsatz und gegebenenfalls über den Umsatz für den Tätigkeitsbereich, der Gegenstand der Ausschreibung ist, höchstens in den letzten drei Geschäftsjahren, entsprechend dem Gründungsdatum oder dem Datum der Tätigkeitsaufnahme des Wirtschaftsteilnehmers, sofern entsprechende Angaben verfügbar sind.“ 2 Siehe zu einer vergleichbaren Ausgangssituation EuGH v. 18.10.2012 – Rs. C-218/11 (Édukövízig und Hochtief Construction), digitale Sammlung; VergabeR 2013, 35-41, NZBau 2013, 58–61 = IBR 2013, 36. 3 OLG Düsseldorf v. 7.5.2014 – VII-Verg 46/13, VergabeR 2014, 797–801= ZfBR 2014, 785–787. 4 OLG Düsseldorf v. 21.12.2011 – VII-Verg 74/11, IBR 2012, 1219 = NZBau 2012, 321– 324.

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§ 122 | Eignung 38 Lediglich hinsichtlich der geforderten Mindestumsätze ist bereits in der RL

2014/24/EU eine Beschränkung dieses Ermessens dahingehend vorgesehen, dass gem. Art. 58 Abs. 3 Unterabs. 2 der Mindestjahresumsatz, der von Wirtschaftsteilnehmern verlangt wird, nicht das Zweifache des geschätzten Auftragswerts übersteigen darf außer in hinreichend begründeten Fällen, die spezielle, mit der Wesensart der Bauleistungen, Dienstleistungen oder Lieferungen einhergehende Risiken betreffen. Der öffentliche Auftraggeber muss die wichtigsten Gründe für eine solche Anforderung in den Auftragsunterlagen oder in dem Vergabevermerk angeben. 3. Technische und berufliche Leistungsfähigkeit

39 § 122 Abs. 2 Nr. 3 schließlich setzt Art. 58 Abs. 1 lit. c. i.V.m. Abs. 4 RL 2014/24/

EU um, wobei diesbezüglich die weiteren Einzelheiten in § 46 VgV sowie in § 6a EU Nr. 3 und § 6c EU VOB/A geregelt werden. In der Kategorie der technischen und beruflichen Leistungsfähigkeit werden die bisherigen Eignungskriterien der fachlichen / personellen und technischen Leistungsfähigkeit zusammengefasst.1

40 Zur Sicherstellung, dass die Wirtschaftsteilnehmer über die erforderlichen per-

sonellen und technischen Ressourcen sowie Erfahrungen verfügen, um den Auftrag in angemessener Qualität auszuführen, können die öffentlichen Auftraggeber von diesen verlangen, bspw. ausreichende Erfahrung durch geeignete Referenzen aus früher ausgeführten Aufträgen nachzuweisen. Darüber hinaus kann der Nachweis der technischen Leistungsfähigkeit je nach Art, Menge, Umfang oder Verwendungszweck der Bauleistungen, Lieferungen oder Dienstleistungen auf eine oder mehrere der in Anhang XII Teil II aufgelisteten Möglichkeiten erbracht werden, die in § 46 Abs. 3 Nr. 1 bis 11 VgV in nationales Recht umgesetzt wurden.

41 Im Gegensatz zur Auflistung der Nachweismöglichkeiten zur wirtschaftlichen

und finanziellen Leistungsfähigkeit ist der hier in Bezug genommene Katalog als abschließend anzusehen.2 Weder darf ein öffentlicher Auftraggeber von den Bewerbern oder Bietern als Nachweis für ihre technische und berufliche Leistungsfähigkeit andere Nachweise als die in § 46 Abs. 3 aufgelisteten Nachweise verlangen (beispielsweise eine Arbeitsprobe), noch kann ein Bewerber oder Bieter seine technische und berufliche Leistungsfähigkeit durch andere Nachweise belegen.3

42 Zu beachten ist schließlich, dass der öffentliche Auftraggeber die berufliche Leis-

tungsfähigkeit eines Bewerbers oder Bieters gem. § 46 Abs. 2 VgV verneinen kann, wenn er festgestellt hat, dass dieser Interessen hat, die mit der Ausführung

1 Otting, VergabeR 2016, 316 ff. 2 Verordnungsbegründung zu § 46 VgV, BR-Drucks. 87/16 v. 29.2.2016, S. 199. 3 Verordnungsbegründung zu § 46 VgV, BR-Drucks. 87/16 v. 29.2.2016, S. 199.

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des öffentlichen Auftrags im Widerspruch stehen und sie nachteilig beeinflussen könnten. 4. Nachweis der Eignung durch Eigenerklärungen Wie schon nach bisheriger Gesetzeslage (vgl. § 6 EG Abs. 3 Nr. 2 Satz 3 VOB/A, 43 § 6 EG Abs. 6 e) VOL/ A, § 5 Abs. 2 Satz 1 VOF) sollen die öffentlichen Auftraggeber zum Nachweis der Eignung weiterhin von den Bewerbern oder Bietern Eigenerklärungen fordern. Dies ergibt sich allerdings nicht aus dem GWB sondern aus § 48 Abs. 2 Satz 1 VgV sowie aus § 6b EU Abs. 1 Nr. 2 VOB/A. Wie auch nach alter Rechtslage ergibt sich auch nach neuer Rechtslage weiterhin 44 ein Bruch hinsichtlich der Vorrangstellung von Eigenerklärungen. Während nach § 7 Abs. 1 Satz 2 VOL/A Auftraggeber ausdrücklich verpflichtet waren, grundsätzlich und vorrangig (nur) Eigenerklärungen zu verlangen1, war nach § 6 EG Abs. 3 Nr. 2 Satz 3 VOB/A a.F. der Nachweis der Eignung durch Vorlage von Eigenerklärungen nur im Ausnahmefall zulässig, wenn der Auftraggeber eine solche Nachweismöglichkeit den Bietern eingeräumt hätte. Durch die Vorlage von Eigenerklärungen sollen unnötige bürokratische Lasten für Bewerber oder Bieter – insbesondere für kleine und mittlere Unternehmen – vermieden und die Vergabeverfahren vereinfacht und beschleunigt werden.2 Die diesbezügliche Einräumung stand im Ermessen des Auftraggebers. Dieser Bruch bleibt bestehen. Während § 48 VgV formuliert, dass der öffentliche Auftraggeber grundsätzlich die Vorlage von Eigenerklärungen anfordert, beschränkt sich § 6b EU Abs. 1 Nr. 2 VOB/A darauf, die Vorlage von Eigenerklärungen in das Ermessen des öffentlichen Auftraggebers zu stellen. Dieser „kann vorsehen, dass für einzelne Angaben Eigenerklärungen ausreichend sind“.3 Wesentliche Neuerung im Zusammenhang mit diesen Eigenerklärungen ist die 45 Einführung des Instrumentes der Einheitlichen Europäischen Eigenerklärung (EEE) in das Vergaberecht über § 48 Abs. 3 VgV. Die Einheitlichen Europäischen Eigenerklärung wird in § 50 VgV näher geregelt.4 Die Einheitliche Europäische Eigenerklärung ist ein vorläufiger Beleg für die Eignung des Bewerbers oder Bieters und für das Nichtvorliegen von Ausschlussgründen. Öffentliche Auftraggeber müssen gem. § 48 Abs. 3 VgV sowie gem. § 6b EU VOB/A die Einheitliche Europäische Eigenerklärung als vorläufigen Eignungsbeleg akzeptieren.5 Sie soll anstelle von Bescheinigungen von Behörden oder Dritten auf Grundlage eines standardisierten Formulars als vorläufiger Nachweis dafür die1 VK Sachsen v. 15.3.2016 – 1/SVK/045-15; VK Brandenburg v. 18.5.2015 – VK 5/15; VK Lüneburg v. 28.5.2014 – VgK-13/2014. 2 Verordnungsbegründung zu § 48 Abs. 2 VgV, BR-Drucks. 87/16 v. 29.2.2016, S. 201. 3 Otting, VergabeR 2016, 316 (318). 4 Siehe zur näheren Erläuterung: Braun, VergabeR 2016, 179 (187). 5 Verordnungsbegründung zu § 48 Abs. 3 VgV, BR-Drucks. 87/16 v. 29.2.2016, S. 201.

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§ 122 | Eignung nen, dass für den sie vorlegenden Bewerber oder Bieter keine Ausschlussgründe vorliegen und die Eignungskriterien erfüllt sind.1 Die Kommission stellt gem. Art. 61 Abs. 3 RL 2014/24/EU alle Sprachfassungen der Einheitlichen Europäischen Eigenerklärung in e-Certis zur Verfügung. 46 Wenn der öffentliche Auftraggeber Bescheinigungen und sonstige Nachweise an-

fordert, soll er gem. § 48 Abs. 2 Satz 2 VgV in der Regel solche verlangen, die vom Online-Dokumentenarchiv e-Certis abgedeckt sind. Bei e-Certis handelt es sich um ein webbasiertes Online-Dokumentenarchiv der EU-Kommission, das Unternehmen und öffentlichen Auftraggebern den Zugang zu den für öffentliche Aufträge notwendigen Unterlagen erleichtert.2 Mit der Einführung von e-Certis sollen grenzüberschreitende Ausschreibungen vereinfacht werden3 und es soll öffentlichen Auftraggebern in allen EU-Mitgliedstaaten dabei helfen zu entscheiden, welche Dokumente und Bescheinigungen sie von Bietern verlangen müssen oder akzeptieren können. Die EU-Mitgliedstaaten müssen künftig dafür sorgen, dass die in e-Certis verfügbaren Bescheinigungen und Nachweise kontinuierlich aktualisiert werden.4 Zur deutschsprachigen Startseite von e-Certis gelangen öffentliche Auftraggeber und Unternehmen unter folgender Internetadresse: http://ec.europa.eu/markt/ecertis/login.do?selectedLanguage=de. 5. Besonderheiten der Eignungsprüfung im Sektorenbereich

47 Eine Besonderheit der Eignungsprüfung gilt im Sektorenbereich. Über die Re-

gelungen des § 142 finden weite Teile des zweiten Abschnitts, d.h. insbesondere die §§ 118 bis 135 auch für Sektorenauftraggeber entsprechende Anwendung, soweit nicht in § 141 etwas anderes geregelt ist oder eine in § 142 selbst enthaltene Einschränkung oder Maßgabeanordnung eingreift.

48 Bezogen auf Sektorenauftraggeber ist § 142 Nr. 1 die Besonderheit zu entneh-

men, dass abweichend von § 122 Abs. 1 und 2 die Unternehmen anhand objektiver Kriterien, die allen interessierten Unternehmen zugänglich sind, auszuwählen sind. Diese Vereinfachung der Anforderungen an die Eignungskriterien ist auf Art. 78 Abs. 1 der EU-Richtlinie 2014/25/EU zurückzuführen, der wie folgt lautet: „(1) Die Auftraggeber können objektive Vorschriften und Kriterien für den Ausschluss und die Auswahl von Bietern oder Bewerbern festlegen, wobei diese Vorschriften und Kriterien den interessierten Wirtschaftsteilnehmern zur Verfügung stehen müssen.“

1 2 3 4

Schäfer, NZBau 2015, 131 (135). JURION 2010, 189354; vgl. Art. 61 RL 2014/24/EU. Schäfer, NZBau 2015, 131 (135). Braun, VergabeR 2016, 179 (187).

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Die Regelung formuliert damit weniger strenge Anforderungen als Art. 58 der EU-Richtlinie 2014/24/EU und lässt damit dem Sektorenauftraggeber vergleichsweise größere Spielräume bei der Festlegung der Eignungskriterien als diese den öffentlichen Auftraggebern bei der klassische Auftragsvergabe zustehen.

IV. Nachweis der Eignung durch die Teilnahme an Präqualifizierungssystemen (§ 122 Abs. 3) § 122 Abs. 3 entspricht dem bisherigen § 97 Abs. 4a GWB a.F. und lässt die Ein- 49 richtung staatlicher oder privat-wirtschaftlich organisierter, anerkannter Präqualifizierungssysteme zum vereinfachten Nachweis der Eignung und des Nichtvorliegens von Ausschlussgründen zu. Der Absatz greift damit den Regelungsgehalt des Artikels 64 Abs. 1 der Richtlinie 2014/24/EU auf.1 Eine Regelung zu Präqualifizierungsverfahren wurde erstmals durch das Ver- 50 gabemodernisierungsgesetz 2009 in den § 97 Abs. 4a GWB a. F. eingeführt. Das Präqualifizierungsverfahren dient der Entbürokratisierung und Vereinfachung des Vergabeverfahrens und soll den betroffenen Unternehmen Kosten und Aufwand bei der Angebotserstellung ersparen sowie den Ausschluss ihrer Angebote aus formellen Gründen wegen unvollständiger oder nicht aktueller Eignungsnachweise vermeiden. Zudem soll es den Verfahrensaufwand des öffentlichen Auftraggebers bei der Eignungsprüfung reduzieren.2 Unter dem Begriff der Präqualifizierung ist eine der Auftragsvergabe vorgelagerte, auftragsunabhängige Prüfung eines Unternehmens, ob bestimmte, bspw. personelle, technische oder auch finanzielle Voraussetzungen, die bei der Eignungsprüfung i.S.d. §§ 122 f. regelmäßig von Relevanz sind, durch geeignete, aussagekräftige Urkunden belegt und nachgewiesen sind, zu verstehen.3 Diese Prüfung erfolgt allerdings nicht durch den Auftraggeber, sondern durch Dritte i.d.R. den Präqualifizierungsstellen. Die angebotsbezogene Eignungsprüfung als solche bleibt nach wie vor alleinige Aufgabe des Auftraggebers. Die Durchführung der Präqualifikation in der Baubranche erfolgt in Deutsch- 51 land durch den bundesweit zuständigen Verein für die Präqualifikation von Bauunternehmen e.V., auf den in § 6b EU Abs. 1 Nr. 1 VOB/A explizit verwiesen wird. Dieser hat seinerseits mehrere (insgesamt fünf4) Präqualifizierungsstel1 Gesetzesbegründung, BT-Drucks. 18/6281 zu § 122, zu Abs. 3, S. 101. 2 1. VK Bund v. 14.6.2011 – VK 1-54/11; VK Thüringen v. 12.4.2013 – 250-4002-2400/ 2013-E-008-SOK. 3 VK Sachsen v. 19.5.2010 – 1/SVK/011-10. 4 DQB – Deutsche Gesellschaft für Qualifizierung und Bewertung GmbH (Wiesbaden); DVGW CERT GmbH (Bonn); Pöyry Deutschland GmbH (Mainz); VMC Präqualifikation GmbH (Berlin – München – Hamburg – Wien); Zertifizierung Bau GmbH (Berlin); (vgl. https://www.pq-verein.de/praequalifizierungsstellen/index.html; abgerufen am 18.9.2017).

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§ 122 | Eignung len mit der Prüfung beauftragt, bei welchen Bauunternehmen einen Antrag auf Präqualifikation stellen können. Diese Präqualifizierungsstellen wurden in einem wettbewerblichen Auswahlverfahren durch das Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung ermittelt. Sie unterliegen der Aufsicht des Vereins für die Präqualifikation von Bauunternehmen e.V. Auf der Internetseite www.pq-ver ein.de finden sich weitere Informationen zum Verein, zum Präqualifizierungsverfahren und zu den Präqualifizierungsstellen. 52 Parallel dazu wird im Liefer- und Dienstleistungsbereich durch § 48 Abs. 8

VgV die Aufgabe der Zertifizierung den Industrie- und Handelskammern übertragen. Durch andere öffentliche Stellen eingerichtete amtliche Verzeichnisse werden dadurch jedoch nicht ausgeschlossen.1 Die bundesweite Präqualifizierungsdatenbank für den Liefer- und Dienstleistungsbereich beinhaltet alle Unternehmen, die von Auftragsberatungsstellen oder von Industrie- und Handelskammern auf ihre Eignung im VOL-Bereich überprüft worden sind.2 Dort werden die gebietszugehörigen Unternehmen geprüft und die dezentralen Daten tagesaktuell an die bundesweite PQ-Datenbank übermittelt. Dieses Präqualifikationsverfahren ist dezentral nach Bundesländern organisiert. Die Unternehmen erhalten nach (erfolgreicher) Überprüfung der vorgelegten unternehmensbezogenen Dokumente ein Zertifikat, mit dem sie ihre Eignung gegenüber den öffentlichen Auftraggebern nachweisen können. Auf der Internetseite https:// www.pq-vol.de/info/ finden sich weitere Informationen zum Verein, zum Präqualifizierungsverfahren und zu den Präqualifizierungsstellen.

53 In der Praxis verläuft das Präqualifizierungsverfahren3 dergestalt, dass Unter-

nehmen bei der Präqualifizierungsstelle (PQ-Stelle), die für ihren (Haupt-) Betriebssitz zuständig ist, einen Antrag auf Zertifizierung stellen. Von dieser erhalten die Unternehmen eine detaillierte Aufstellung der für die Präqualifizierung erforderlichen Nachweise und Eigenerklärungen. Entsprechend der bundeseinheitlichen Arbeitsrichtlinie der Präqualifizierungsstellen werden in der Regel4 bundesweit die gleichen Nachweise gefordert. Die Präqualifikation wird dann nach erfolgreicher Prüfung zu einem gewissen Stichtag erteilt. Hierzu erhält das Unternehmen ein Zertifikat mit Zertifikatsnummer und es wird in der Datenbank registriert. Bei jeder Angebotsabgabe muss das Unternehmen nur noch die Zertifikatsnummer angeben bzw. das Zertifikat als Kopie beifügen. Aus der Internet-Datenbank ist die Gültigkeit des Zertifikats ersichtlich. Rechtzeitig vor Ablauf des Gültigkeitsdatums fordert die Zertifizierungsstelle das Unternehmen zur Aktualisierung der Einzelnachweise auf. Kommt das Unternehmen dem

1 Hausmann/von Hoff in Kulartz/Kus/Marx/Portz/Prieß, Kommentar zur VgV, 2017, § 48 Rz. 31. 2 https://www.pq-vol.de/info/About.aspx (abgerufen am 18.9.2017). 3 Braun, Peter/Petersen, Zsofia, Präqualifikation und Prüfungssysteme, VergabeR 2010, 433 ff. 4 Verbindliche Informationen hierzu kann nur die jeweilige PQ-Stelle erteilen.

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nicht nach, wird es automatisch aus der Datenbank gelöscht. Eine Präqualifikationsurkunde belegt allerdings immer nur die Eignung bezogen auf die präqualifizierten Leistungsbereiche.1 Für die Präqualifizierung im Sektorenbereich ist schließlich § 48 SektVO, ins- 54 besondere § 48 Abs. 1 Satz 1 SektVO, zu beachten, wonach jeder Sektorenauftraggeber zur Eignungsfeststellung ein eigenes Qualifizierungssystem einrichten kann. Sektorenauftraggebern ist damit die Möglichkeit eingeräumt, sich selbst einen Pool zu schaffen, in dem Unternehmen geführt werden, deren grundsätzliche Eignung für bestimmte Auftragsarten bereits auftragsunabhängig geprüft sind. Für Konzessionsvergaben oder Vergaben im Bereich der Verteidigung und Sicherheit existieren keine Regelungen zu Präqualifizierungsverfahren.

V. Auftragsbezogenheit und Angemessenheit der Eignungskriterien (§ 122 Abs. 4 Satz 1) Übermäßig strenge Anforderungen an die wirtschaftliche und finanzielle Leis- 55 tungsfähigkeit stellen nach dem Verständnis des europäischen Richtliniengebers bereits oft ein ungerechtfertigtes Hindernis für die Teilnahme von kleinen und mittelständischen Unternehmen an öffentlichen Vergabeverfahren dar.2 Deshalb sollten schon nach den dortigen Erwägungsgründen alle derartigen Anforderungen in einem Zusammenhang und in einem angemessenen Verhältnis zu dem Gegenstand des Auftrags stehen. Dieses Postulat setzt § 122 Abs. 4 Satz 1 als zwingende Vorgabe um, indem er formuliert, dass die Eignungskriterien mit dem Auftragsgegenstand in Verbindung und zu diesem in einem angemessenen Verhältnis stehen müssen. § 122 Abs. 4 Satz 1 soll sicherstellen, dass öffentliche Auftraggeber bei Vergabeverfahren nur angemessene, auftragsbezogene Anforderungen an die Eignung stellen.3 Dabei kommt den Tatbestandsmerkmalen der „Auftragsbezogenheit“ und der „Angemessenheit“ jeweils eigenständige Bedeutung zu und sind getrennt zu prüfen. § 122 Abs. 4 kodifiziert nun die Anforderungen, die die Rechtsprechung nach 56 dem bisherigen Recht an die Eignungsanforderungen gestellt hatte. Danach mussten die aufgestellten Erfordernisse durch den Gegenstand des Auftrags gerechtfertigt sein und die allgemeinen vergaberechtlichen Anforderungen, wie den Wettbewerbsgrundsatz und das Diskriminierungsverbot, berücksichtigen.4

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VK Bund v. 30.11.2009 – VK 2-195/09. Vgl. RL 2014/24/EU, Erwägungsgrund 83. Gesetzesbegründung, BT-Drucks. 18/6281 zu § 122, zu Abs. 4, S. 101. OLG Düsseldorf v. 16.11.2011 – Verg 60/11; OLG Jena v. 18.5.2009 – 9 Verg 4/09.

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§ 122 | Eignung 1. Auftragsbezogenheit 57 Zunächst wird durch das Erfordernis, dass die Eignungskriterien einen Sachbe-

zug zum Auftragsgegenstand aufweisen müssen, im Sinne einer Negativabgrenzung sichergestellt, dass der Auswahlentscheidung des Auftraggebers keine willkürlichen oder diskriminierenden Erwägungen zugrunde liegen. Durch das Tatbestandsmerkmalen der Auftragsbezogenheit soll verhindert werden, dass es bspw. durch allgemeine Anforderungen an die Unternehmens- oder Geschäftspolitik ohne konkreten Bezug zum Auftrag zu einer Beschränkung des Bieterkreises kommt und damit das Ziel des Wettbewerbs, eine Öffnung der Ausschreibung für die Beteiligung einer möglichst hohen Zahl von Bewerbern vereitelt wird (z.B. denkbar bei allgemeinen Ausbildungsquoten, Quotierungen von Führungspositionen zugunsten der Frauenförderung, generellen Pflicht zur Beschäftigung von Langzeitarbeitslosen). So hatte nach alter Rechtslage das OLG Düsseldorf1 für die Vergabe eines Reinigungsauftrages einen sachlichen Zusammenhang zwischen dem Auftragsgegenstand und dem Nachweis der Straffreiheit des Reinigungspersonals abgelehnt. Die am einzelnen Auftrag auftretenden Besonderheiten, namentlich die Erschwernisse bei der Ausführung, können aber bei der Eignungsprüfung vom Auftraggeber selbstverständlich in Rechnung gestellt werden.2 Ebenso können spezifische technische Anforderungen eines Projekts die Eignung eines Bieters limitieren und dementsprechende Eignungskriterien rechtfertigen.3

58 Eine Auftragsbezogenheit liegt demgemäß nur dann vor, wenn die Eignungskri-

terien geeignet sind, darüber Aufschluss zu geben, ob die Unternehmen im konkreten Fall eine ordnungsgemäße Auftragsdurchführung erwarten lassen. Damit sind Eignungskriterien, die in keiner Verbindung zum Auftragsgegenstand stehen, vergaberechtswidrig und unzulässig. 2. Angemessenheit

59 Weiter müssen die Eignungskriterien zu dem Auftragsgegenstand in einem an-

gemessenen Verhältnis stehen. Die Angemessenheit ist ein unbestimmter Rechtsbegriff, sie hängt maßgeblich von den Eigenheiten des konkreten Auftrags, vom Auftragsgegenstand und von den Bedingungen der Auftragsausführung ab. Ein Eignungskriterium ist angemessen, wenn es das für die Erreichung des angestrebten Ziels das relativ mildeste Mittel darstellt.4 So werden in der Regel die Eignungsvorgaben an den Lieferanten bei der Beschaffung marktüblicher Waren deutlich geringer ausfallen können als die Eignungsvorgaben an ei-

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OLG Düsseldorf v. 5.12.2012 – Verg 29/12, VergabeR 2013, 614–618 = IBR 2013, 232. OLG Düsseldorf v. 5.10.2005 – VII-Verg 55/05. OLG München v. 5.10.2012 – Verg 15/12, VergabeR 2013, 94–105, IBR 2012, 726. VK Nordbayern v. 27.9.2016 – 21.VK-3194-34/16.

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nen Bauunternehmer, der mit der Realisierung eines komplexen Bauvorhabens betraut werden soll.1 Je höher bspw. die Komplexität und der Schwierigkeitsgrad eines Auftrages sind, desto höher dürfen die Eignungsanforderungen an die Unternehmen ausfallen. So kann einerseits die Forderung nach Vorlage eines Meisterbriefs für Gebäudereinigungsleistungen unangemessen sein, wenn die ausgeschriebenen Leistungen nach dem Gegenstand der Ausbildung im Gebäudereinigerhandwerk auch von einem Gesellen ausgeführt werden können und keine der Ausbildung zum Meister vorbehaltenen Kenntnisse erfordern.2 Andererseits kann für den Betrieb einer abfallrechtlichen Müll-Umladestation eine Zertifizierung nach der Entsorgungsfachbetriebsverordnung durch den sensiblen Gegenstand des Auftrags angemessen und gerechtfertigt sein, selbst wenn die ausgeschriebenen Leistungen als solche ohne Zertifizierung erbracht werden könnten.3 Aus dem Umstand, dass Eignungsanforderungen für Newcomer, die sich erst- 60 mals für einen bestimmten Auftrag bewerben, den Marktzutritt (bspw. durch Forderung von Angaben zum Umsatz in den letzten drei abgeschlossenen Geschäftsjahren4) erschweren, resultiert nicht per se eine Unverhältnismäßigkeit, wenn die Eignungsanforderungen durch den Gegenstand des Auftrags gerechtfertigt sind,5 denn die Kriterien der Fachkunde und Erfahrung enthalten stets eine immanente Bevorzugung des erfahrenen Bieters gegenüber dem unerfahreneren Markteinsteiger. Daher befindet sich jeder öffentliche Auftraggeber im Spannungsverhältnis zwischen dem Bestreben der Erweiterung der Anbieterstruktur und der Beauftragung des fachlich besonders qualifizierten Bieters.6 Der Auftraggeber hat deshalb die Abwägung zwischen einer möglichst großen Auswahl von Angeboten, verbunden mit einer höheren Wahrscheinlichkeit für ein günstiges wirtschaftliches Angebot, und der Gefahr der nicht ordnungsgemäßen Ausführung des Auftrages vorzunehmen. Diese Abwägung unterliegt seiner originären Beurteilung.7 Eine Markteintrittshürde für Newcomer ist also vergaberechtlich nicht zu beanstanden, wenn dadurch bspw. sichergestellt werden kann, dass der Auftrag an ein Unternehmen vergeben wird, das auch tatsächlich in der Lage ist, den Auftrag auszuführen.8 1 2 3 4 5

Gesetzesbegründung, BT-Drucks. 18/6281 zu § 122, zu Abs. 4, S. 101. OLG Düsseldorf v. 21.12.2011 – VII-Verg 74/11, NZBau 2012, 321–324. VK Sachsen v. 15.3.2016 – 1/SVK/045-15. OLG Düsseldorf v. 16.11.2011 – Verg 60/11, IBR 2012, 96 = ZfBR 2012, 179. OLG Düsseldorf v. 2.1.2006 – VII-Verg 93/05; OLG Düsseldorf v. 22.9.2005 – Verg 48/ 05; OLG Frankfurt, v. 19.12.2006 – 11 Verg 7/06; VK Sachsen v. 24.3.2011 – 1/SVK/00511. 6 VK Sachsen v. 21.7.2005 – 1/SVK/076-05 sowie v. 19.7.2006 – 1/SVK/059-06 und 1/SVK/ 060-06. 7 VK Bund v. 10.6.2005 – VK 2 – 36/05; VK Sachsen v. 21.7.2005 – 1/SVK/076-05. 8 VK Nordbayern v. 11.5.2015 – 21.VK-3194-10/15; VK Baden-Württemberg v. 26.6.2012 – 1 VK 16/12.

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§ 122 | Eignung 61 Ist ein Auftrag in mehrere Lose geteilt und ergeben sich für diese unterschiedli-

che Anforderungen, so muss sich dies in losspezifischen Eignungsanforderungen widerspiegeln.1 Bei der Bestimmung dessen, welche Eignungsvoraussetzungen durch den Auftragsgegenstand gerechtfertigt sind und zu ihm in einem angemessenen Verhältnis stehen, ist dem Auftraggeber ebenso wie bei der Prüfung der Eignung ein Entscheidungsspielraum zuzuerkennen, der einer lediglich eingeschränkten Nachprüfung der Nachprüfungsinstanzen auf Einhaltung der Grenzen des Beurteilungsspielraums unterliegt.2 Diese Prüfung beschränkt sich insbesondere darauf, ob von einem zutreffend und vollständig ermittelten Sachverhalt ausgegangen worden ist und allgemeine Wertungsgrundsätze beachtet worden sowie keine sachwidrigen Erwägungen in die Wertung eingeflossen sind.3 Diesen Ermessensspielraum muss der öffentliche Auftraggeber bei der Auswahl der Eignungskriterien ausüben, anderenfalls ist ihm ein Ermessensausfall vorzuwerfen. Mithin hat er bei jeder Vergabeentscheidung individuell zu entscheiden und in der Vergabeakte zu begründen4, welche konkreten Eignungskriterien er für die Eignungsprüfung vorgibt.

VI. Bekanntmachung der Eignungskriterien (§ 122 Abs. 4 Satz 2) 62 § 122 Abs. 4 Satz 2 setzt Artikel 58 Abs. 5 der Richtlinie 2014/24/EU in Überein-

stimmung mit den bisherigen Anforderungen um.5 Danach müssen öffentliche Auftraggeber die zu erfüllenden Eignungskriterien mit den geeigneten Nachweisen in der Auftragsbekanntmachung, der Vorinformation oder in der Aufforderung zur Interessenbestätigung rechtzeitig bekannt geben.

63 § 122 Abs. 4 Satz 2 ist unbedingt im Zusammenhang mit § 48 Abs. 1 VgV zu le-

sen, der folgendes bestimmt: „In der Auftragsbekanntmachung oder der Aufforderung zur Interessensbestätigung ist neben den Eignungskriterien ferner anzugeben, mit welchen Unterlagen (Eigenerklärungen, Angaben, Bescheinigungen und sonstige Nachweise) Bewerber oder Bieter ihre Eignung gemäß den §§ 43 bis 47 und das Nichtvorliegen von Ausschlussgründen zu belegen haben.“ Mit dieser Aufteilung der zu erfüllenden Anforderungen auf Gesetzesund Verordnungsebene von GWB und VgV macht es der deutsche Gesetzgeber dem Rechtsanwender erneut nicht einfach, die Umsetzung der Vorgaben aus der Richtlinie im deutschen Vergaberecht wiederzufinden. 1 2 3 4 5

VK Bund v. 4.1.2016 – VK 2-2 125/15. OLG Naumburg v. 22.9.2014 – 2-Verg 5/14. OLG Düsseldorf v. 21.12.2011 – VII-Verg 74/11, NZBau 2012, 321–324. OLG Düsseldorf v. 21.12.2011 – VII-Verg 74/11, NZBau 2012, 321–324. Gesetzesbegründung, BT-Drucks. 18/6281 zu § 122, zu Abs. 4, S. 101.

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Der öffentliche Auftraggeber muss also nach nationalem Recht nicht nur die 64 Eignungskriterien, sondern gleichzeitig auch die geeigneten Nachweise den potentiellen Bewerbern bzw. Bietern im Voraus bekannt geben. Zur Frage der ordnungsgemäßen Bekanntmachung von Eignungskriterien und Eignungsnachweisen gab es zur bisherigen Rechtslage eine schier unüberschaubare Fülle von Entscheidungen.1 Mit der jetzigen Vorgabe in § 122 Abs. 4 Satz 2 ist nun für Bauund Dienst- bzw. Lieferleistungen gleichermaßen unmissverständlich klargestellt, dass Eignungskriterien und -nachweise in der Auftragsbekanntmachung, der Vorinformation oder in der Aufforderung zur Interessenbestätigung bekannt gegeben werden müssen. Die erstmalige Forderung von Eignungskriterien oder -nachweise in den Vergabeunterlagen ist damit nicht wirksam.2 Um dem Transparenzgebot und dem Diskriminierungsverbot zu genügen, ist es 65 schließlich wichtig, dass die Eignungsanforderung und -nachweise in der Bekanntmachung so hinreichend klar, eindeutig und erschöpfend (vgl. § 121) formuliert sind, dass es einem verständigen Bieter ohne eigene Interpretation erkennbar wird, was ein öffentlicher Auftraggeber fordert.3 Zwar ist der öffentliche Auftraggeber nicht verpflichtet, sämtliche Einzelheiten z. B. seiner Nachweisforderungen schon in der Bekanntmachung anzugeben. Es reicht vielmehr aus, wenn der Auftraggeber in der Vergabebekanntmachung angibt, welche Nachweise er von den Bietern fordert. Ein darüber hinausgehender Inhalt der Vergabebekanntmachung, insbesondere die Konkretisierung von Nachweisen mit weiteren Einzelheiten, muss nicht in der Bekanntmachung, sondern kann in den Vergabeunterlagen erfolgen.4 Ergeben sich zwischen Auftragsbekanntmachung oder Vorinformation und den Vergabeunterlagen Widersprüche, ist grundsätzlich der Inhalt der Auftragsbekanntmachung resp. der Vorinformation maßgeblich.5 Da gemäß Art. 1 Abs. 2 VO (EU) Nr. 216/2013 v. 07.03.2013 zukünftig nur 66 noch die online-Version des EU-Amtsblatts maßgeblich ist, reicht es für eine ordnungsgemäße Bekanntmachung aus, wenn in dieser hinsichtlich der geforderten Eignungsanforderungen und -nachweise lediglich durch einen Link auf eine 1 OLG Karlsruhe v. 7.5.2014 – 15 Verg 4/13, IBR 2015, 88; OLG Dresden v. 17.1.2014 – Verg 7/13, VergabeR 2014, 696–700; OLG Jena v. 16.9.2013 – 9 Verg 3/13; OLG Düsseldorf v. 28.11.2012 – Verg 8/12, NZBau 2013, 258–260; OLG Jena v. 18.5.2009 – 9 Verg 4/ 09; VK Südbayern v. 12.9.2013 – Z3-3-3194-1-21-08/13; VK Sachsen v. 28.8.2015 – 1/ SVK/020-15 und v. 27.9.2013 – 1/SVK/032-13; VK Südbayern v. 5.12.2013 – Z3-33194-1-38-10/13; VK Bund v. 4.10.2012 – VK 2-86/12. 2 OLG Naumburg, 23.12.2014 – 2 U 74/14, VergabeR 2015, 497–503. 3 OLG Düsseldorf v. 26.3.2012 – VII-Verg 4/12, ZfBR 2012, 624; VK Südbayern v. 19.3. 2015 – Z3-3-3194-1-61-12/14. 4 OLG Celle v. 24.4.2014 – 13 Verg 2/14, VergabeR 2014, 582 = ZfBR 2014, 618 sowie v. 31.7.2008 – 13 Verg 3/08; OLG Düsseldorf v. 22.1.2014 – VII-Verg 26/13, NZBau 2014, 371–374 = ZfBR 2014, 498–500 sowie v. 6.2.2013 – Verg 32/12, VergabeR 2013, 469–476. 5 VK Südbayern v. 22.12.2015 – Z3-3-3194-1-48-09/15.

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§ 122 | Eignung Internetseite der Vergabestelle verwiesen wird und die interessierten Unternehmen durch bloßes Anklicken zu einer entsprechenden Information oder einem Formblatt gelangen können. Die Rechtsprechung hatte dies ohnedies für einen (offenkundigen) Link zuletzt mehrfach bejaht.1 Dahingegen genügt es nach bisheriger Rechtsprechung nicht, in der Bekanntmachung lediglich auf eine Norm2 oder auf ein in den Vergabeunterlagen zu findendes Formblatt3 zu verweisen. 67 § 122 Abs. 4 Satz 2 erwähnt, dass Eignungskriterien (und damit auch die ent-

sprechenden Eignungsnachweise) auch in der Aufforderung zur Interessenbestätigung aufzuführen sind. Da die Aufforderung zur Interessenbestätigung die Auftragsbekanntmachung ersetzt, muss sie (nicht nur) mit Blick auf die Eignungskriterien und -nachweise die Informationen enthalten, die auch in die Auftragsbekanntmachung aufzunehmen wären.4 Eine solche Aufforderung zur Interessenbestätigung versenden diejenigen subzentralen öffentlichen Auftraggeber, die den Aufruf zum Wettbewerb gemäß Artikel 48 Abs. 2 der Richtlinie 2014/24/EU durch eine Vorinformation ersetzen dürfen, an diejenigen Wirtschaftsteilnehmer, die auf die Veröffentlichung der Vorinformation hin ihr Interesse bekundet haben. Absatz 4 Satz 2 stellt zudem klar, dass die subzentralen öffentlichen Auftraggeber die Eignungskriterien entsprechend Anhang V Teil B Nummer 5 Buchstabe c der Richtlinie 2014/24/EU auch schon in die Vorinformation aufnehmen können.5 1. Bindung an bekanntgegebene Eignungskriterien und -nachweise

68 Hat der öffentliche Auftraggeber in der Auftragsbekanntmachung bestimmte

Anforderungen an die Eignung formuliert, ist er an diese Vorgaben, ebenso wie die Bieter, gebunden.6 Dem Auftraggeber ist es in einem solchen Fall aus Gründen der Gleichbehandlung verwehrt, das in der Auftragsbekanntmachung oder in der Vorinformation definierte Anforderungsniveau an die Eignung im Laufe des Vergabeverfahrens nachträglich abzusenken, er muss an einmal festgelegten Voraussetzungen zwingend festhalten, denn es tritt diesbezüglich eine Selbstbindung des Auftraggebers ein.7 Deshalb handelt ein Auftraggeber fehlerhaft,

1 VK Bund v. 22.2.2016 – VK 2-135/15; OLG Düsseldorf v. 16.11.2011 – Verg 60/11; ablehnend für einen versteckten Link: OLG Frankfurt v. 16.2.2015 – 11 Verg 11/14. 2 VK Sachsen v. 21.11.2014 – 1/SVK/035-14; OLG Karlsruhe v. 7.5.2014 – 15 Verg 4/13, IBR 2015, 88. 3 VK Bund v. 27.8.2012 – VK 1-88/12; VK Südbayern v. 12.9.2013 – Z3-3-3194-1-21-08/13. 4 Summa in Heiermann/Zeiss/Summa, jurisPK-Vergaberecht, 5. Aufl. 2016, § 122 GWB Rz. 58. 5 Gesetzesbegründung, BT-Drucks. 18/6281 zu § 122, zu Abs. 4, S. 101. 6 VK Arnsberg v. 31.1.2013 – VK 22/12. 7 OLG Koblenz v. 13.6.2012 – 1 Verg 2/12; VK Brandenburg v. 26.3.2012 – VK 03/12; VK Niedersachsen v. 7.8.2009 – VgK – 32/2009; im Ergebnis ebenso VK Berlin v. 8.6.2012 – VK-B 2-09/12.

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Eignung | § 122

wenn er von den zuvor mitgeteilten Auswahlkriterien abweicht, indem er einzelne dieser Kriterien nicht berücksichtigt oder darüber hinaus auch Kriterien anwendet, die nicht zuvor bekannt gegeben wurden.1 Dies gilt auch im Verhandlungsverfahren.2 Bereits bekanntgemachte Eignungskriterien und -nachweise dürfen in den Vergabeunterlagen bzw. in der Aufforderung zur Interessenbestätigung allenfalls noch erläutert oder konkretisiert, nicht aber abgeändert, erweitert oder eingeschränkt werden.3 Dies erklärt sich auch vor dem Hintergrund, dass bereits aus der Vergabebekanntmachung erkennbar sein muss, ob für den Interessenten eine Bewerbung in Betracht kommt.4 Werden mit dem Teilnahmeantrag oder dem Angebot vorzulegende Eignungsnachweise nicht oder nicht fristgerecht vorgelegt, ist mithin der Teilnahmeantrag5 oder das Angebot6 zwingend auszuschließen. Erkennt der Auftraggeber nach Veröffentlichung der Auftragsbekanntmachung 69 z.B. aufgrund einer Rüge, dass er durch überzogene Mindestanforderungen den Wettbewerb vergaberechtswidrig auf wenige Unternehmen eingeengt hat, kann er diesen Fehler nur noch durch Aufhebung des Vergabeverfahrens und Neuausschreibung oder durch eine Änderungsbekanntmachung im TED korrigieren.7 2. Keine Vermischung von Eignungs- und Zuschlagskriterien Nach alter Gesetzeslage durften Kriterien, die der bieterbezogenen Eignungsprü- 70 fung dienen, nicht mit den Zuschlagskriterien, die der Ermittlung des wirtschaftlich günstigsten Angebotes dienen, vermischt werden.8 Ob ein Kriterium als Zuschlags- und Eignungskriterien zu bewerten ist, ist davon abhängig, ob das Kriterium schwerpunktmäßig der Ermittlung des wirtschaftlichsten Angebotes dient (Zuschlagskriterium)9 oder ob es mehr mit der Beurteilung der fachlichen 1 VK Saarland v. 7.4.2014 – 2 VK 01/2014; VK Nordbayern v. 8.7.2013 – 21.VK – 3194–22/ 13; v. 24.5.2013 – 21.VK–3194 – 17/13. 2 OLG Düsseldorf v. 3.3.2010 – VII Verg 46/09. 3 OLG München v. 21.11.2013 – Verg 9/13, VergabeR 2014, 456–464; OLG Karlsruhe v. 21.12.2012 – 15 Verg 10/12; VK Bund v. 17.3.2014 – VK 1-12/14; VK Südbayern v. 1.4. 2014 – Z3-3-3194-1-03-02/14 sowie v. 22.2.2013 – Z3-3-3194-1-66-12/12. 4 VK Südbayern v. 19.3.2015 – Z3-3-3194-1-61-12/14. 5 OLG Celle v. 9.4.2009 – 13 Verg 7/08; VK Thüringen v. 15.11.2011 – 250-4003.20-5120/ 2011-E-032-GTH. 6 VK Baden-Württemberg v. 26.8.2009 – 1 VK 43/09; v. 16.9.2008 – 1 VK 34/08. 7 Summa in Heiermann/Zeiss/Summa, jurisPK-Vergaberecht, 5. Aufl. 2016, § 122 GWB, Rnr. 69. 8 EuGH v. 24.1.2008 – Rs. C-532/06 (Lianakis), Slg. 2008, I-251-270, NZBau 2008, 262–265 = VergabeR 2008, 496–500; OLG Düsseldorf v. 29.4.2015 – Verg 35/14. 9 EuGH v. 12.11.2009 – Rs. C-199/07 (Kommission / Griechenland), 2009 I-10669; NZBau 2010, 120–124= VergabeR 2010, 203–210 = ZfBR 2010, 98–102.

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§ 122 | Eignung und persönlichen Eignung des Bieters zur Ausführung des betreffenden Auftrages zusammenhängt (Eignungskriterium).1 Dabei kommt es nicht auf die subjektive Einordnung der Kriterien durch den Auftraggeber an, sondern auf die objektive Zielrichtung der abgefragten Informationen als Kriterien für die zu erbringende Leistung.2 71 Dieses frühere strikte Verbot der Vermischung von Eignungs- und Zuschlags-

kriterien wurde mittlerweile etwas aufgeweicht, wenn auch nicht aufgegeben.3 Nach § 58 Abs. Satz 2 Nr. 2 VgV sowie § 16d EU Abs.2 lit. b VOB/A kann nun die Organisation, Qualifikation und Erfahrung des mit der Ausführung des Auftrags betrauten Personals als Zuschlagskriterien berücksichtigt werden, wenn die Qualität des eingesetzten Personals erheblichen Einfluss auf das Niveau der Auftragsausführung haben kann. Damit hat der Richtliniengeber auf die jüngere Rechtsprechung des EuGH4 reagiert, denn für die Vergabe von Dienstleistungsaufträgen mit intellektuellem Charakter im Bereich der Fortbildung und Beratung hat dieses Trennungsgebot bereits eine Lockerung erfahren. Für solche Dienstleistungsaufträge darf der Auftraggeber Zuschlagskriterien einsetzen, mit denen er die Qualität der von den Bietern für die Auftragsausführung vorgeschlagenen Teams bewertet. Es bleibt jedoch auch nach der Einführung dieses Zuschlagskriteriums dabei, dass Eignung des Bieters und Wertung des Angebotes systematisch zu trennende Ebenen sind.5

VII. Rechtsfolgen unterlassener Bekanntmachung von Eignungskriterien 72 Sind aufgrund eines Bekanntmachungsdefizits keine oder praktisch keine Eig-

nungsanforderungen wirksam erhoben worden, kann dies einen schwerwiegenden Mangel des Vergabeverfahrens darstellen, welcher von Amts wegen die Rückversetzung des Vergabeverfahrens jedenfalls bis zur Neuerstellung und Versendung von Ausschreibungsunterlagen erfordern kann.6

1 EuGH v. 24.1.2008 – Rs. C-532/06 (Lianakis) Slg 2008, I-251-270, NZBau 2008, 262–265, VergabeR 2008, 496–500; OLG Celle v. 12.1.2012 – 13 Verg 9/11, IBR 2012, 1022; VergabeR 2012, 510; Petersen, VergabeR 2015, 8 ff.; Pauka, NZBau 2015, 18. 2 OLG Celle v. 12.1.2012 – 13 Verg 9/11, IBR 2012, 1022. 3 Otting, VergabeR 2016, 316 (325). 4 EuGH v. 26.3.2015 – Rs. C-601/13 (Ambisig), digitale Sammlung; IBR 2015, 268 = NZBau 2015, 312–314, VergabeR 2015, 540-543. 5 Otting, VergabeR 2016, 316 (325). 6 VK Sachsen v. 28.8.2015 – 1/SVK/020-15; VK Südbayern v. 5.12.2013 – Z3-3-3194-1-3810/13 und v. 12.9.2013 – Z3-3-3194-1-21-08/13; a.A.: OLG Jena v. 18.5.2009 – 9 Verg 4/09.

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Zwingende Ausschlussgründe | § 123

VIII. Rechtsschutz § 122 hat unter verschiedenen Aspekten bieterschützenden Charakter. Ist ein 73 Unternehmen der Auffassung, dass die Eignungskriterien oder -nachweise mit Blick auf den konkreten Auftrag unangemessen oder diskriminierend sind oder erkennt es, dass in der Auftragsbekanntmachung oder Vorinformation entgegen § 122 Abs. 4 Satz 2 keine Eignungsanforderungen aufgestellt sind, hat es die Möglichkeit und auch Obliegenheit, dies innerhalb der gesetzlichen Fristen des § 160 Abs. 3 rechtzeitig zu rügen. Danach müssen insbesondere Verstöße gegen Vergabevorschriften, die aufgrund der Bekanntmachung erkennbar sind, spätestens bis zum Ablauf der in der Bekanntmachung benannten Frist zur Bewerbung oder zur Angebotsabgabe gegenüber dem Auftraggeber gerügt werden, anderenfalls können sie zu einem späteren Zeitpunkt nicht mehr zulässigerweise zum Gegenstand eines Vergabenachprüfungsverfahrens machen. Ebenso kann ein Unternehmen die Entscheidung des öffentlichen Auftrag- 74 gebers, es als nicht geeignet anzusehen angreifen. Dabei ist zu beachten, dass die Beurteilung der Eignung ein wertender Vorgang ist, in den zahlreiche Einzelumstände einfließen, die einem öffentlichen Auftraggeber einen Bewertungsspielraum einräumen.1 Dieser Beurteilungsspielraum kann von den Nachprüfungsinstanzen nur daraufhin überprüft werden kann, ob das vorgeschriebene Verfahren eingehalten wurde, der öffentliche Auftraggeber die von ihm vorgegebenen Bewertungskriterien eingehalten hat, den zugrundeliegenden Sachverhalt vollständig und zutreffend ermittelt hat und in seine Entscheidung keine sachwidrigen Erwägungen eingestellt hat.2 Schließlich kann ein Bieter auch die Entscheidung des Auftraggebers, ein anderes 75 Unternehmen als geeignet anzusehen durch die Nachprüfungsinstanzen überprüfen lassen.

§ 123 Zwingende Ausschlussgründe (1) Öffentliche Auftraggeber schließen ein Unternehmen zu jedem Zeitpunkt des Vergabeverfahrens von der Teilnahme aus, wenn sie Kenntnis davon haben, dass eine Person, deren Verhalten nach Absatz 3 dem Unternehmen zuzurechnen ist, rechtskräftig verurteilt oder gegen das Unternehmen eine Geldbuße nach § 30 des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten rechtskräftig festgesetzt worden ist wegen einer Straftat nach: 1. § 129 des Strafgesetzbuchs (Bildung krimineller Vereinigungen), § 129a des Strafgesetzbuchs (Bildung terroristischer Vereinigungen) oder § 129b 1 OLG Düsseldorf v. 17.8.2011 – Verg 55/11; OLG Düsseldorf v. 6.5.2011 – Verg 26/11, IBR 2011, 422. 2 OLG Naumburg v. 22.9.2014 – 2-Verg5/14, VergabeR 2015, 88-92, ZfBR 2015, 204-207.

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§ 123 | Zwingende Ausschlussgründe des Strafgesetzbuchs (Kriminelle und terroristische Vereinigungen im Ausland), 2. § 89c des Strafgesetzbuchs (Terrorismusfinanzierung) oder wegen der Teilnahme an einer solchen Tat oder wegen der Bereitstellung oder Sammlung finanzieller Mittel in Kenntnis dessen, dass diese finanziellen Mittel ganz oder teilweise dazu verwendet werden oder verwendet werden sollen, eine Tat nach § 89a Absatz 2 Nummer 2 des Strafgesetzbuchs zu begehen, 3. § 261 des Strafgesetzbuchs (Geldwäsche; Verschleierung unrechtmäßig erlangter Vermögenswerte), 4. § 263 des Strafgesetzbuchs (Betrug), soweit sich die Straftat gegen den Haushalt der Europäischen Union oder gegen Haushalte richtet, die von der Europäischen Union oder in ihrem Auftrag verwaltet werden, 5. § 264 des Strafgesetzbuchs (Subventionsbetrug), soweit sich die Straftat gegen den Haushalt der Europäischen Union oder gegen Haushalte richtet, die von der Europäischen Union oder in ihrem Auftrag verwaltet werden, 6. § 299 des Strafgesetzbuchs (Bestechlichkeit und Bestechung im geschäftlichen Verkehr), §§ 299a und 299b des Strafgesetzbuchs (Bestechlichkeit und Bestechung im Gesundheitswesen), 7. § 108e des Strafgesetzbuchs (Bestechlichkeit und Bestechung von Mandatsträgern), 8. den §§ 333 und 334 des Strafgesetzbuchs (Vorteilsgewährung und Bestechung), jeweils auch in Verbindung mit § 335a des Strafgesetzbuchs (Ausländische und internationale Bedienstete), 9. Artikel 2 § 2 des Gesetzes zur Bekämpfung internationaler Bestechung (Bestechung ausländischer Abgeordneter im Zusammenhang mit internationalem Geschäftsverkehr) oder 10. den §§ 232, 232a Absatz 1 bis 5, den §§ 232b bis 233a des Strafgesetzbuches (Menschenhandel, Zwangsprostitution, Zwangsarbeit, Ausbeutung der Arbeitskraft, Ausbeutung unter Ausnutzung einer Freiheitsberaubung). (2) Einer Verurteilung oder der Festsetzung einer Geldbuße im Sinne des Absatzes 1 stehen eine Verurteilung oder die Festsetzung einer Geldbuße nach den vergleichbaren Vorschriften anderer Staaten gleich. (3) Das Verhalten einer rechtskräftig verurteilten Person ist einem Unternehmen zuzurechnen, wenn diese Person als für die Leitung des Unternehmens Verantwortlicher gehandelt hat; dazu gehört auch die Überwachung der Geschäftsführung oder die sonstige Ausübung von Kontrollbefugnissen in leitender Stellung. 674

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Zwingende Ausschlussgründe | § 123

(4) Öffentliche Auftraggeber schließen ein Unternehmen zu jedem Zeitpunkt des Vergabeverfahrens von der Teilnahme an einem Vergabeverfahren aus, wenn 1. das Unternehmen seinen Verpflichtungen zur Zahlung von Steuern, Abgaben oder Beiträgen zur Sozialversicherung nicht nachgekommen ist und dies durch eine rechtskräftige Gerichts- oder bestandskräftige Verwaltungsentscheidung festgestellt wurde oder 2. die öffentlichen Auftraggeber auf sonstige geeignete Weise die Verletzung einer Verpflichtung nach Nummer 1 nachweisen können. Satz 1 ist nicht anzuwenden, wenn das Unternehmen seinen Verpflichtungen dadurch nachgekommen ist, dass es die Zahlung vorgenommen oder sich zur Zahlung der Steuern, Abgaben und Beiträge zur Sozialversicherung einschließlich Zinsen, Säumnis- und Strafzuschlägen verpflichtet hat. (5) Von einem Ausschluss nach Absatz 1 kann abgesehen werden, wenn dies aus zwingenden Gründen des öffentlichen Interesses geboten ist. Von einem Ausschluss nach Absatz 4 Satz 1 kann abgesehen werden, wenn dies aus zwingenden Gründen des öffentlichen Interesses geboten ist oder ein Ausschluss offensichtlich unverhältnismäßig wäre. § 125 bleibt unberührt. I. 1. 2. 3.

Allgemeines . . . . . . . . . . Europarechtliche Vorgaben Rechtsentwicklung . . . . . . Anwendungsbereich . . . . .

. . . .

. . . .

. . . .

. . . .

II. Zwingender Ausschluss gemäß § 123 Abs. 1 . . . . . . . . . . . . . . 1. Erfasste Straftatbestände . . . . . . 2. Unternehmen . . . . . . . . . . . . . 3. Rechtskräftige Verurteilung oder rechtskräftige Festsetzung einer Geldbuße . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Rechtskräftige Verurteilung von Leitungspersonal (Alt. 1) aa) Rechtskräftige Verurteilung . . . . . . . . . . . . . . . bb) Zurechenbarkeit gemäß § 123 Abs. 3 . . . . . . . . . . (1) Verantwortlichkeit für die Leitung des Unternehmens . . . . . . . . . . . . (2) Unternehmensbezug der Straftat . . . . . . . . . . . . . (3) Aufsichts- oder Organisationsverschulden . . . . .

__ __ __ _ _ _ _ _ _ _ _ 1 4 9 13 17 18 23 27

4. 5.

28 29 32 34 40 43

III. 1. 2.

b) Rechtskräftige Festsetzung einer Geldbuße gemäß § 30 OWiG (Alt. 2) . . . . . . . . . . . aa) Verletzung betriebsbezogener Pflichten . . . . . . . bb) Bereicherung . . . . . . . . . cc) Rechtskraft der Bußgeldfestsetzung . . . . . . . . . . c) Ausländische Verurteilungen und Geldbußen gemäß § 123 Abs. 2 . . . . . . . . . . . . . . . . . Kenntnis des Auftraggebers . . . . Rechtsfolge a) Zwingender Ausschluss zu jedem Zeitpunkt des Verfahrens b) Reichweite des Ausschlusses . c) Ausnahmen von der Ausschlusspflicht . . . . . . . . . . . . Zwingender Ausschluss gemäß § 123 Abs. 4 Satz 1 . . . . . . . . . . Nichtentrichtung von Steuern, Abgaben und Beiträgen zur Sozialversicherung . . . . . . . . . . Feststellung durch rechtskräftige Gerichts- oder bestandskräftige Verwaltungsentscheidung (Nr. 1)

_ __ _ __ __ _ _ _ _

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46 49 51 53 54 57 70 73 74 75 78 84

§ 123 | Zwingende Ausschlussgründe 3. Nachweis auf sonstige geeignete Weise (Nr. 2) . . . . . . . . . . . . . 4. Rechtsfolge . . . . . . . . . . . . . . IV. Absehen vom Ausschluss gemäß § 123 Abs. 5 . . . . . . . . 1. Zwingende Gründe des öffentlichen Interesses (Satz 1) . . . . .

. . . .

__ _ _ 88 91 94

_ __

2. Offensichtliche Unverhältnismäßigkeit (Satz 2) . . . . . . . . . . 103 3. Selbstreinigung gemäß § 125 (Satz 3) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 V. Rechtsschutz . . . . . . . . . . . . . . 110

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I. Allgemeines 1 § 123 regelt, wann ein Unternehmen zwingend von der Teilnahme an einem

Vergabeverfahren auszuschließen ist1. Anders als beim Vorliegen fakultativer Ausschlussgründe gemäß § 124 hat der öffentliche Auftraggeber kein Ermessen, wenn ein Ausschlussgrund gemäß § 123 vorliegt.

2 § 123 steht im engen Zusammenhang mit § 122, der die Grundanforderungen an

die Eignung der Unternehmen, die sich in einem Vergabeverfahren um öffentliche Aufträge durch öffentliche Auftraggeber bewerben möchten, abschließend festlegt2. § 122 Abs. 1 sieht vor, dass öffentliche Aufträge an fachkundige und leistungsfähige (geeignete) Unternehmen vergeben werden, die nicht nach den §§ 123 oder 124 ausgeschlossen worden sind. Die Regelungen in den §§ 123 und 124 stellen sicher, dass nur solche Unternehmen den Zuschlag erhalten, die Recht und Gesetz in der Vergangenheit eingehalten haben und bei denen gesetzestreues Verhalten auch in Zukunft zu erwarten ist3. Die unbestimmten Rechtsbegriffe der Zuverlässigkeit und Gesetzestreue, die bisher in § 97 Abs. 4 Satz 1 GWB a.F. zusätzlich zur Definition der Eignung herangezogen wurden, entfallen künftig. Damit ändert sich jedoch nichts an der geltenden Rechtslage, wann ein Bewerber oder Bieter in einem Vergabeverfahren wegen Verstößen gegen geltendes Recht nicht zum Zuge kommen darf4. Die Zuverlässigkeit und Gesetzestreue fehlen zwar im Kanon der Eignungskriterien für Vergaben oberhalb der Schwellenwerte, allerdings wird die hierzu entwickelte Kasuistik durch die ausgeweiteten Kataloge für Ausschlussgründe in §§ 123 und 124 abgebildet5. Diese Vorschriften betreffen somit nicht die in § 122 Abs. 2 genannten Eignungskriterien der Fachkunde und Leistungsfähigkeit, sondern die Zuverlässigkeit eines Unternehmens. Im Falle des § 123 gilt dies konkret im Hinblick auf bestimmte strafrechtliche Vorschriften sowie steuer- und sozialversicherungsrechtliche Zahlungsverpflichtungen6. Als 1 2 3 4 5 6

BT-Drucks. 18/6281, S. 102. BT-Drucks. 18/6281, S. 100. BT-Drucks. 18/6281, S. 101. BT-Drucks. 18/6281, S. 101. Brüning, NZBau 2016, 723 ff. Opitz in Burgi/Dreher, Beck’scher Vergaberechtskommentar, Band 1, 3. Auflage 2017, § 123 Rz. 12.

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Zwingende Ausschlussgründe | § 123

zusätzliches Sicherheitsnetz gegen gesetzesuntreue Unternehmen dient § 128 Abs. 1, wonach Unternehmen bei der Ausführung des öffentlichen Auftrags alle für sie geltenden rechtlichen Verpflichtungen einhalten müssen. § 123 ist im Kontext der Regelungen über die Eignungsanforderungen in §§ 42 3 bis 51 VgV und § 6d EU VOB/A zu sehen1. Diese Vorschriften gestalten die Eignungsprüfung im Einzelnen aus. Die in § 123 normierten zwingenden Ausschlussgründe beinhaltende generalisierende Tatbestände fehlender Eignung2. Zu unterscheiden vom Ausschluss eines Unternehmens wegen des Vorliegens von Ausschlussgründen gemäß §§ 123 und 124 ist der Ausschluss von Angeboten wegen formaler Mängel, wie dies zum Beispiel § 57 VgV vorsieht (sog. unzulässige Angebote)3. Die in § 123 geregelten zwingenden Ausschlussgründe finden ihren Geltungs- 3a grund primär im generalpräventiven Interesse4 und stellen insbesondere ein Mittel im europaweiten Kampf gegen das organisierte Verbrechen und den Schutz der fiskalischen Interessen der Gemeinschaft dar5. Indem das Vergaberecht Verstöße gegen Rechtsvorschriften anderer Rechtsgebiete wie etwa des Strafrechts sanktioniert, fungiert es mithin als Instrument der Rechtsdurchsetzung für diese Bereiche6. Nichtsdestotrotz wohnt den zwingenden Ausschlussgründen kein Sanktionscharakter wegen strafrechtlicher Verfehlungen inne. Dies wäre sowohl problematisch im Hinblick auf das Verbot der Mehrfachbestrafung7 als auch mit Blick auf den Gewaltenteilungsgrundsatz8. Durch die Normierung zwingender Ausschlussgründe soll zudem die Integrität der öffentlichen Verwaltungen sowie das Vertrauen des Bürgers in die staatlichen Einrichtungen gefördert werden9. 1. Europarechtliche Vorgaben § 123 setzt die Vorgaben in Art. 57 Abs. 1 bis 3 und 5 Unterabs. 1 der Richtlinie 4 2014/24/EU um10. 1 Vgl. Hausmann/von Hoff in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 123 Rz. 3. 2 Opitz in Burgi/Dreher, Beck’scher Vergaberechtskommentar, Band 1, 3. Auflage 2017, § 123 Rz. 12. 3 BT-Drucks. 18/6281, S. 102. 4 Opitz in Burgi/Dreher, Beck’scher Vergaberechtskommentar, Band 1, 3. Auflage 2017, § 123 Rz. 13. 5 Vgl. Erwägungsgrund 100 der Richtlinie 2014/24/EU. 6 Burgi, NZBau 2014, 595 (596 f.). 7 Burgi, NZBau 2014, 595 (596). 8 Opitz in Burgi/Dreher, Beck’scher Vergaberechtskommentar, Band 1, 3. Auflage 2017, § 123 Rz. 13. 9 Opitz in Burgi/Dreher, Beck’scher Vergaberechtskommentar, Band 1, 3. Auflage 2017, § 123 Rz. 13. 10 BT-Drucks. 18/6281, S. 102.

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§ 123 | Zwingende Ausschlussgründe 5 Zwingende Ausschlussgründe, die an die berufliche Eignung eines Bieters bzw.

Bewerbers anknüpfen, waren auf unionsrechtlicher Ebene erstmals durch Art. 45 Abs. 1 der Richtlinie 2004/18/EG normiert worden1. Art. 57 Abs. 1 Unterabs. 1 der Richtlinie 2014/24/EU enthält als Nachfolgeregelung zu dieser Vorschrift einen Katalog von Straftaten, die einen zwingenden Ausschluss nach sich ziehen. Im Vergleich zur Richtlinie 2004/18/EG wurde dieser Katalog um terroristische Straftaten und Terrorismusfinanzierung sowie um Kinderarbeit und Menschenhandel ergänzt2. Nach Erwägungsgrund 100 der Richtlinie 2014/ 24/EU sollen öffentliche Aufträge nicht an Wirtschaftsteilnehmer vergeben werden, die sich an einer kriminellen Vereinigung beteiligt haben oder sich der Bestechung, des Betrugs zum Nachteil der finanziellen Interessen der Union, terroristischer Straftaten, der Geldwäsche oder der Terrorismusfinanzierung schuldig gemacht haben3. Art. 57 Abs. 2 der Richtlinie 2014/24/EU sieht zudem einen zwingenden Ausschluss wegen der Nichtzahlung von Steuern und Sozialversicherungsbeiträgen vor. Hierzu existierte im Gemeinschaftsrecht bislang nur ein fakultativer Ausschlussgrund.

6 Nach der Vorgabe aus Art. 57 Abs. 5 Unterabs. 1 der Richtlinie 2014/24/EU

schließt der öffentliche Auftraggeber bei Vorliegen der aufgeführten Straftatbestände einen Wirtschaftsteilnehmer zu jedem Zeitpunkt des Verfahrens aus.

7 Art. 57 Abs. 3 Unterabs. 1 der Richtlinie 2014/24/EU eröffnet den Mitgliedstaa-

ten die Möglichkeit, ausnahmsweise aus zwingenden Gründen des öffentlichen Interesses eine Ausnahme vom zwingenden Ausschluss vorzusehen. Gemäß Art. 57 Abs. 3 Unterabs. 2 der Richtlinie 2014/24/EU können die Mitgliedstaaten zudem in bestimmten Fällen von einem zwingenden Ausschluss wegen der Nichtzahlung von Steuern und Sozialversicherungsbeiträgen absehen.

8 § 123 beschränkt sich darauf, die verpflichtenden Vorgaben der Richtlinie 2014/

24/EU möglichst eins zu eins umzusetzen und zeichnet die Vorgaben der Richtlinien soweit wie möglich für das deutsche Recht nach4. Der nationale Gesetzeber hat insbesondere davon abgesehen, Ausschlussgründe, die nach der Richtlinie 2014/24/EU fakultativ sind, als zwingende Ausschlussgründe in § 123 auszugestalten oder nicht in der Richtlinie aufgeführte Straftaten in den Katalog des § 123 aufzunehmen5. Dies wäre europarechtlich möglich gewesen, da Art. 57 Abs. 4 der Richtlinie 2014/24/EU es den Mitgliedsstaaten erlaubt, die fakultativen Ausschlussgründe im Rahmen der nationalen Umsetzung zu zwingenden Ausschlussgründen zu erheben. Dies wurde im Gesetzgebungsverfahren von verschiedener Seite gerade für den fakultativen Ausschlussgrund in § 124 Abs. 1

1 Opitz in Burgi/Dreher, Beck’scher Vergaberechtskommentar, Band 1, 3. Auflage 2017, § 123 Rz. 6. 2 BT-Drucks. 18/6281, S. 102. 3 Vgl. Erwägungsgrund 100 der Richtlinie 2014/24/EU. 4 BT-Drucks. 18/6281, S. 102. 5 BT-Drucks. 18/6281, S. 102.

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Nr. 1 (nachweislicher Verstoß gegen geltende umwelt-, sozial- oder arbeitsrechtliche Verpflichtungen) gefordert, um ihm den nötigen Nachdruck zu verleihen. In diesem Kontext wurde auch darauf hingewiesen, dass eine nachträgliche Kündigung eines öffentlichen Auftrags nach § 133 Abs. 1 Nr. 2 nur bei zwingenden und nicht bei fakultativen Ausschlussgründen möglich sei1. Angesichts der schwerwiegenden Rechtsfolge eines zwingenden Ausschlusses hat der Gesetzgeber auf die Ausdehnung obligatorischer Ausschlussgründe über das europarechtlich vorgegebene Maß hinaus verzichtet. Dies ist zu begrüßen, da die Festlegung zwingender Ausschlussgründe wegen ihrer Grundrechtsrelevanz nicht weiter als unbedingt nötig gehen sollte2. Soweit § 123 Abs. 1 GWB einen zwingenden Ausschluss auch bei rechtskräftiger 8a Festsetzung einer Geldbuße gegen das Unternehmen nach § 30 OWiG vorschreibt, sieht sich die nationale Regelung allerdings Bedenken an der Vereinbarkeit mit Europarecht ausgesetzt3. Konkret wird bemängelt, Art. 57 Abs. 1 der Richtlinie 2014/24/EU setze eine rechtskräftige Verurteilung voraus, nach § 30 OWiG erfolge allerdings keine Verurteilung eines Unternehmens, auch wenn dies in der Gesetzesbegründung so vermittelt werde4. Geldbußen nach § 30 OWiG würden indes durch die Verwaltungsbehörden festgesetzt, was nach § 30 Abs. 4 OWiG sogar dann möglich sei, wenn wegen einer Straftat ein Strafverfahren nicht eingeleitet, es eingestellt oder von Strafe abgesehen wird5. Dem ist zuzugeben, dass sich die angenommene Festsetzung einer Geldbuße durch Verwaltungsbehörden in der Tat nur schwerlich unter den Begriff der „Verurteilung“ i.S.v. Art. 57 Abs. 1 der Richtlinie 2014/24/EU subsumieren lässt6. Jedoch ist zu beachten, dass für die Festsetzung einer Geldbuße gemäß § 30 Abs. 4 OWiG im Falle eines selbständigen Verfahrens das Gericht zuständig ist, das für eine Aburteilung der Anknüpfungstat zuständig wäre7. Die geäußerten Bedenken würden in einem solchen Fall von vornherein nicht greifen. Zum anderen findet ein gerichtliches Verfahren auch im Falle der Festsetzung einer Geldbuße durch Verwaltungsbehörden statt, wenn gegen die Bußgeldfestsetzung gemäß § 67 OWiG Einspruch eingelegt wird. Auch hier steht – zumindest am Ende – eine 1 BT-Ausschussdrucks. 18(9)598, 2; Antrag des Landes Baden-Württemberg, BR-Drucks. 367/2/15, Ley/Wankmüller, Das neue Vergaberecht 2016, S. 128. 2 BT-Drucks. 18/6281, S. 102; vgl. auch Hausmann/von Hoff in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 123 Rz. 12. 3 Gnittke/Hattig in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 123 Rz. 19; Opitz in Burgi/Dreher, Beck’scher Vergaberechtskommentar, Band 1, 3. Auflage 2017, § 123 Rz. 30. 4 BT-Drucks. 18/6281, S. 102. 5 Opitz in Burgi/Dreher, Beck’scher Vergaberechtskommentar, Band 1, 3. Auflage 2017, § 123 Rz. 30. 6 Opitz in Burgi/Dreher, Beck’scher Vergaberechtskommentar, Band 1, 3. Auflage 2017, § 123 Rz. 30. 7 Meyberg in Graf, Beck’scher Online-Kommentar OWiG, 15. Edition Stand: 15.1.2017, § 30 Rz. 117.

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§ 123 | Zwingende Ausschlussgründe gerichtliche Entscheidung über das Bußgeld. Problematisch können daher nur solche Fälle sein, in denen eine Bußgeldentscheidung der Verwaltungsbehörden unangefochten bleibt und in Rechtskraft erwächst. Hier ist zu sehen, dass § 123 Abs. 1 in seiner konkreten Ausformung insgesamt vor dem Hintergrund steht, dass in Deutschland – anders als in vielen anderen Mitgliedsstaaten – ein Unternehmensstrafrecht nicht existiert. Durch die Einbeziehung der rechtskräftigen Festsetzung einer Geldbuße gegen ein Unternehmen nach § 30 OWiG befindet sich der Gesetzgeber mit den Zielsetzungen des § 123 sowie der zugrunde liegenden Richtlinienbestimmung in Einklang, wonach nur solche Unternehmen den Zuschlag erhalten sollen, die Recht und Gesetz in der Vergangenheit eingehalten haben und bei denen gesetzestreues Verhalten auch in Zukunft zu erwarten ist. Zu diesen zählt ein Unternehmen, gegen das eine rechtskräftige Geldbuße gemäß § 30 OWiG festgesetzt wurde, nicht. Dies gilt unabhängig davon, ob Gesetzesverstöße eines Unternehmens durch eine gerichtliche Verurteilung oder durch verwaltungsbehördliche Entscheidung festgestellt werden. Unabhängig davon liegt in einem zur Festsetzung einer Geldbuße gemäß § 30 OWiG berechtigenden Verhalten eines Unternehmens regelmäßig eine nachweislich schwere Verfehlung i.S.v. § 124 Abs. 1 Nr. 3. Bedenkt man, dass Art. 57 Abs. 4 den Mitgliedstaaten die Möglichkeit einräumt, die fakultativen Ausschlussgründe als zwingende Ausschlusstatbestände auszugestalten, mindert dies Zweifel an der Europarechtskonformität von § 123 Abs. 1 zusätzlich. 8b Wegen der Grundrechtsrelevanz eines Ausschlusses vom Vergabeverfahren so-

wie der in § 97 Abs. 1 verankerten Vergabegrundsätze des Wettbewerbs, der Wirtschaftlichkeit und der Verhältnismäßigkeit sollten Auftraggeber die in § 123 normierten zwingenden Ausschlüsse eng auslegen und mit Augenmaß anwenden1. Denn zum einen führt jeder Ausschluss eines Bieters zu einem „weniger an Wettbewerb“, zum anderen scheiden möglicherweise attraktive Angebote aus Sicht des öffentlichen Auftraggebers für den Zuschlag aus2. 2. Rechtsentwicklung

9 Bislang waren die zwingenden Ausschlussgründe nicht im GWB, sondern in

den Vergabe- und Vertragsordnungen normiert. Regelungen zum Ausschluss wegen rechtskräftiger Verurteilungen enthielten § 6 EG Abs. 4 VOL/A, § 6 EG Abs. 4 und § 6 VS Abs. 4 VOB/A 2012 sowie § 4 Abs. 6 VOF. In der Sektorenverordnung fand sich eine entsprechende Regelung in § 21 Abs. 1 SektVO 2009 und in der Vergabeverordnung Verteidigung und Sicherheit in § 23 Abs. 1 VSVgV. Auch diese Vorschriften zählten abschließend Katalogstraftaten auf die

1 Opitz in Burgi/Dreher, Beck’scher Vergaberechtskommentar, Band 1, 3. Auflage 2017, § 123 Rz. 14. 2 Opitz in Burgi/Dreher, Beck’scher Vergaberechtskommentar, Band 1, 3. Auflage 2017, § 123 Rz. 14.

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Zwingende Ausschlussgründe | § 123

zum zwingenden Ausschluss eines Bieters führten1. Da der Ausschluss eines Unternehmens von der Teilnahme an einem Vergabeverfahren jedoch in Grundrechte eingreifen kann, erfolgt durch § 123 nunmehr eine Regelung im Gesetz2. Die in § 123 Abs. 1 genannten Straftatbestände stimmen im Wesentlichen mit 10 den in § 6 EG Abs. 4 VOL/A a.F., § 6 EG Abs. 4 und § 6 VS Abs. 4 VOB/A 2012, § 4 Abs. 6 VOF sowie § 21 Abs. 1 SektVO 2009 genannten Katalogstraften überein. Erweitert wurde der Katalog in § 123 Abs. 1 aufgrund der Vorgaben der Richtlinie 2014/24/EU um die Straftaten Terrorismusfinanzierung sowie Menschenhandel. In Art. 57 Abs. 1 lit. f) der Richtlinie 2014/24/EU wird neben dem Menschenhandel auch die Kinderarbeit als zwingender Ausschlussgrund aufgeführt. Der deutsche Gesetzgeber hat anders als die EU-Richtlinie auf die explizite Nennung eines zwingenden Ausschlussgrundes wegen verbotener Kinderarbeit verzichtet, sondern subsumiert diese unter die Straftatbestände des Menschenhandels. Dies erscheint auch europarechtskonform, da die Richtlinie selbst von einem Ausschluss wegen „Kinderarbeit und anderen Formen des Menschenhandels“ spricht, also den Begriff des Menschenhandels als Oberbegriff versteht3. Gegenüber den Vorläuferregelungen (z.B. § 6 EG Abs. 4 VOL/A) ist nunmehr auch der Straftatbestand der Vorteilsgewährung für Amtsträger nach § 333 StGB erfasst. Bisher führte nur eine Bestechung nach § 334 StGB zwingend zum Ausschluss. Die Richtlinie 2014/24/EU führt zwar in Art. 57 Abs. 1 lit. b) als Ausschlussgrund die „Bestechung im Sinne des nationalen Rechts des öffentlichen Auftraggebers oder des Wirtschaftsteilnehmers“ auf. Der Begriff der Bestechung ist aber hier auch als Oberbegriff zu verstehen, wofür die Verwendung des Begriffs „corruption“ in der englischen Sprachfassung der Richtlinie spricht. Die nationale Ausdehnung auf § 333 StGB begegnet daher europarechtlich keinen Bedenken4. Eine Ergänzung gegenüber § 6 EG Abs. 4 VOL/A erfolgte zudem insoweit, als nunmehr auch die Delikte der Bestechlichkeit und Bestechung im geschäftlichen Verkehr (§ 299 StGB) sowie der Bestechlichkeit und Bestechung von Mandatsträgern (§ 108e StGB) ebenfalls von § 123 erfasst sind. In § 123 Abs. 1 nicht genannt ist hingegen der Straftatbestand der Steuerhinter- 11 ziehung (§ 370 AO). Dieser vormals in § 6 EG Abs. 4 Satz 1 lit. g) VOL/A, § 6 EG Abs. 4 Satz 1 lit. h) und § 6 VS Abs. 4 Satz 1 lit. h) VOB/A 2012 und § 4 Abs. 6 VOF sowie § 21 SektVO 2009 genannte Straftatbestand ist nunmehr ein Unterfall des Ausschlussgrundes in § 123 Abs. 4 Satz 1 Nr. 15. 1 2 3 4

Vgl. Gnittke/Hattig in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 123 Rz. 9. BT-Drucks. 18/6281, S. 102. Ley/Wankmüller, Das neue Vergaberecht 2016, S. 127. BT-Drucks. 18/6281, S. 103; Ley/Wankmüller, Das neue Vergaberecht 2016, S. 131; a.A. Opitz in Burgi/Dreher, Beck’scher Vergaberechtskommentar, Band 1, 3. Auflage 2017, § 123 Rz. 22. 5 BT-Drucks. 18/6281, S. 104; vgl. Hausmann/von Hoff in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 123 Rz. 11.

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§ 123 | Zwingende Ausschlussgründe 12 § 6e EU Abs. 1 und 4 VOB/A entsprechen – bis auf geringfügige sprachliche

und grammatikalische Modifizierungen – dem Wortlaut des § 1231. Allerdings dürften die Ausschlussgründe in § 6e EU Abs. 1 und 4 VOB/A neben § 123 Abs. 1 und 4 keinen eigenständigen Anwendungsbereich haben, da § 123 auch die Vergabe von Bauaufträgen erfasst2. Warum die VOB/A die Regelung des § 123 in fast identischer Form wiederholt, bleibt unklar. Eine denkbare Erklärung dafür könnte sein, dass in der Bauvergabepraxis aus Vereinfachungsgründen nur auf ein Regelwerk zurückgegriffen werden soll. 3. Anwendungsbereich

13 § 123 gilt wie der gesamte Abschnitt 2 des 4. Teils des GWB, gemäß § 115 GWB

grundsätzlich nur für öffentliche Aufträge und die Ausrichtung von Wettbewerben durch öffentliche Auftraggeber.

14 Bei der Vergabe von öffentlichen Aufträgen durch Sektorenauftraggeber ordnet

§ 142 die entsprechende Geltung des § 123 mit der Maßgabe an, dass private Sektorenauftraggeber ein Unternehmen nach § 123 ausschließen können, aber nicht ausschließen müssen (§ 142 Nr. 2). Die Eignungsanforderungen sind in §§ 45 bis 50 SektVO geregelt3.

15 § 147 ordnet die entsprechende Geltung des § 123 auch für Vergaben von ver-

teidigungs- oder sicherheitsspezifischen öffentlichen Aufträgen an. Regelungen zu den Eignungsanforderungen enthalten die §§ 21 und 22 VSVgV.

16 Für Konzessionsvergaben ist § 123 gemäß 154 Nr. 2 lit. a) mit der Maßgabe an-

zuwenden, dass Konzessionsgeber nach § 101 Abs. 1 Nr. 3 ein Unternehmen unter den Voraussetzungen des § 123 ausschließen können, hierzu jedoch nicht verpflichtet sind. § 123 stellt für Konzessionsgeber mithin einen fakultativen Ausschlussgrund dar. Die Anforderungen an die Eignung sind in §§ 25 und 26 KonzVgV beschrieben.

II. Zwingender Ausschluss gemäß § 123 Abs. 1 17 § 123 Abs. 1 sieht vor, dass öffentliche Auftraggeber ein Unternehmen zu jedem

Zeitpunkt des Vergabeverfahrens von der Teilnahme ausschließen, wenn sie Kenntnis davon haben, dass eine Person, deren Verhalten nach § 123 Abs. 3 dem

1 Schranner in Ingenstau/Korbion, VOB – Teile A und B – Kommentar, § 6e EU VOB/A Rz. 1. 2 Gnittke/Hattig in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 123 Rz. 12; zum Verhältnis zwischen § 124 und § 6e EU VOB/A Abs. 6: OLG Celle v. 9.1.2017 – 13 Verg 9/16, ZfBR 2017, 407; VK Südbayern v. 17.1.2017 – Z3-3-3194-1-50-12/16, juris Rz. 179. 3 Hausmann/von Hoff in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 123 Rz. 4.

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Unternehmen zuzurechnen ist, wegen einer der in § 123 Abs. 1 genannten Straftaten rechtskräftig verurteilt oder gegen das Unternehmen eine Geldbuße nach § 30 OWiG wegen einer solchen Straftat rechtskräftig festgesetzt worden ist. 1. Erfasste Straftatbestände § 123 Abs. 1 enthält einen abschließenden Katalog von Straftatbeständen, die 18 den zwingenden Ausschluss eines Unternehmens zur Folge haben. Die von § 123 Abs. 1 erfassten Straftatbestände können in zwei Kategorien unterteilt werden. Zur ersten Kategorie zählen diejenigen Delikte, bei denen es allein auf die Erfül- 19 lung des jeweiligen Straftatbestandes ankommt. Hierzu zählen die in § 123 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 und Nr. 6 bis 10 genannten Straftatbestände: – § 129 StGB (Bildung krimineller Vereinigungen), § 129a StGB (Bildung terroristischer Vereinigungen) oder § 129b StGB (Kriminelle und terroristische Vereinigungen im Ausland), – § 89c StGB (Terrorismusfinanzierung) oder wegen der Teilnahme an einer solchen Tat oder wegen der Bereitstellung oder Sammlung finanzieller Mittel in Kenntnis dessen, dass diese finanziellen Mittel ganz oder teilweise dazu verwendet werden oder verwendet werden sollen, eine Tat nach § 89a Absatz 2 Nummer 2 StGB zu begehen, – § 261 StGB (Geldwäsche; Verschleierung unrechtmäßig erlangter Vermögenswerte), – § 299 StGB (Bestechlichkeit und Bestechung im geschäftlichen Verkehr), §§ 299a und 299b StGB (Bestechlichkeit und Bestechung im Gesundheitswesen), – § 108e StGB (Bestechlichkeit und Bestechung von Mandatsträgern), – §§ 333 und 334 StGB (Vorteilsgewährung und Bestechung), jeweils auch in Verbindung mit § 335a StGB (Ausländische und internationale Bedienstete), – Artikel 2 § 2 des Gesetzes zur Bekämpfung internationaler Bestechung (Bestechung ausländischer Abgeordneter im Zusammenhang mit internationalem Geschäftsverkehr), – §§ 232, 232a Absatz 1 bis 5, den §§ 232b bis 233a StGB (Menschenhandel, Zwangsprostitution, Zwangsarbeit, Ausbeutung der Arbeitskraft, Ausbeutung unter Ausnutzung einer Freiheitsberaubung). Die zweite Kategorie bilden Delikte, bei denen es zusätzlich darauf ankommt, 20 gegen wen sich die Straftat richtet1. Hierunter fallen die in § 123 Abs. 1 Nr. 4 und 5 genannten Straftaten, die sich gegen den Haushalt der EU oder gegen Haushalte richten, die von der EU oder in deren Auftrag verwaltet werden: 1 Gnittke/Hattig in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 123 Rz. 21; Hausmann/von Hoff in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 123 Rz. 8.

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§ 123 | Zwingende Ausschlussgründe – § 263 StGB (Betrug), soweit sich die Straftat gegen den Haushalt der Europäischen Union oder gegen Haushalte richtet, die von der Europäischen Union oder in ihrem Auftrag verwaltet werden, – § 264 StGB (Subventionsbetrug), soweit sich die Straftat gegen den Haushalt der Europäischen Union oder gegen Haushalte richtet, die von der Europäischen Union oder in ihrem Auftrag verwaltet werden. Ein Betrug, der ausschließlich zu Lasten nationaler Haushalte begangen wird, ist hingegen – wie schon nach bisheriger Rechtslage – kein zwingender Ausschlussgrund1. 21 Die Aufzählung der Straftatbestände in § 123 Abs. 1 ist abschließend. Sonstige

Verfehlungen, insbesondere die Begehung anderer als der in § 123 Abs. 1 genannten Straftaten, können einen fakultativen Ausschlussgrund im Sinne des § 124 Abs. 1 Nr. 3 darstellen (nachweislich schwere Verfehlung)2.

22 Bei den in § 123 Abs. 1 genannten Straftaten handelt es sich überwiegend um

Delikte aus dem Bereich der Wirtschaftskriminalität. Bemerkenswert ist, dass Kartell- und Submissionsabsprachen gemäß § 298 StGB sowie insbesondere der Submissionsbetrug gemäß § 263 StGB nicht zu den in § 123 Abs. 1 aufgeführten Katalogstraftatbeständen zählen3, und auch die Richtlinie 2014/24/EU keine entsprechende Regelung enthält. Es hätte nahe gelegen, solche vergaberechtstypischen Delikte mit einem zwingenden Ausschluss vom Vergabeverfahren zu belegen.

22a Durch Art. 2 Abs. 2 Nr. 2 des Gesetzes zur Einführung eines Wettbewerbsregisters

und zur Änderung des GWB (s. dazu Rz. 69) wurde der ursprüngliche Katalog des § 123 Abs. 1 Nr. 6 um die §§ 299a und 299b StGB ergänzt, da die zwingenden Ausschlussgründe an die Änderung des Strafgesetzbuchs für den Bereich der Bestechlichkeit und Bestechung im Gesundheitswesen angepasst werden sollten.

2. Unternehmen 23 Nach § 123 Abs. 1 von der Teilnahme am Vergabeverfahren auszuschließen sind

Unternehmen, denen entweder nach § 123 Abs. 3 das Verhalten einer wegen eines Deliktes nach § 123 Abs. 1 rechtskräftig verurteilten Person zuzurechnen ist, oder gegen die eine Geldbuße nach § 30 OWiG festgesetzt worden ist.

24 Der Begriff des „Unternehmens“ ist weder im GWB noch in der Richtlinie

2014/24/EU definiert. Die Richtlinie 2014/24/EU stellt in ihren Regelungen vielmehr auf „Wirtschaftsteilnehmer“ ab. Dieser Begriff, den auch Art. 57 der Richt-

1 Ulshöfer, VergabeR 2016, 327 (329). 2 BT-Drucks. 18/6281, S. 102; vgl. Hausmann/von Hoff in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 123 Rz. 12. 3 Ulshöfer, VergabeR 2016, 327 (329).

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linie 2014/24/EU verwendet, ist weit auszulegen1 und wird durch Art. 2 Abs. 1 Nr. 10 der Richtlinie 2014/24/EU definiert. Wirtschaftsteilnehmer ist demnach eine natürliche oder juristische Person oder öffentliche Einrichtung oder eine Gruppe solcher Personen und/oder Einrichtungen, einschließlich jedes vorübergehenden Zusammenschlusses von Unternehmen, die bzw. der auf dem Markt die Ausführung von Bauleistungen, die Errichtung von Bauwerken, die Lieferung von Waren bzw. die Erbringung von Dienstleistungen anbietet. Hierunter fallen alle Unternehmen, Zweigniederlassungen, Tochterunternehmen, Personengesellschaften, Genossenschaften, haftungsbeschränkte Gesellschaften, Universitäten, ob öffentlich oder privat, sowie andere Einrichtungen, bei denen es sich nicht um natürliche Personen handelt, unabhängig davon, ob sie in jeder Beziehung als „juristische Personen“ gelten oder nicht2. Der Begriff des „Unternehmens“ ist damit unionsrechtlich zwar nicht eigenständig definiert, jedoch mit dem Ausdruck „Wirtschaftsteilnehmer“ belegt3. Der nationale vergaberechtliche Unternehmensbegriff ist in diesem unionsrechtlich vorgegebenen Sinne zu interpretieren. § 123 Abs. 1 gilt vor diesem Hintergrund insbesondere auch für Bewerber- und 25 Bietergemeinschaften, die sich an Vergabeverfahren beteiligen. Liegt nur für ein Mitglied einer Bietergemeinschaft ein zwingender Ausschlussgrund vor, ist die Bietergemeinschaft dennoch zwingend auszuschließen4, da sie als Ganzes auftritt. Hierfür spricht bereits, dass die Bietergemeinschaft – also der Zusammenschluss von Unternehmen – Wirtschaftsteilnehmer i.S.v. Art. 57 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 1 Nr. 19 der Richtlinie 2014/24/EU ist. Durch § 47 Abs. 2 Satz 1 VgV wird mit der Vergaberechtsnovelle 2016 erstmalig 26 ausdrücklich geregelt, dass das Vorliegen von Ausschlussgründen auch für Unternehmen, die ihre Eignung im Wege der Eignungsleihe einem Bieter oder Bewerber zur Verfügung stellen, zu prüfen ist. Dies gilt auch für Unterauftragnehmer. Insoweit ist der öffentliche Auftraggeber gemäß § 36 Abs. 5 Satz 1 VgV verpflichtet, vor der Erteilung des Zuschlags zu prüfen, ob Gründe für den Ausschluss des Unterauftragnehmers vorliegen. Sind zwingende Ausschlussgründe gegeben, muss der Auftraggeber die Ersetzung des betreffenden Unterauftragnehmers verlangen. 3. Rechtskräftige Verurteilung oder rechtskräftige Festsetzung einer Geldbuße Ein Ausschluss nach § 123 Abs. 1 setzt entweder die rechtskräftige Verurteilung 27 einer natürlichen Person, deren Verhalten dem Unternehmen nach § 123 Abs. 3 1 Vgl. Erwägungsgrund 14 der Richtlinie 2014/24/EU. 2 Vgl. Erwägungsgrund 14 der Richtlinie 2014/24/EU. 3 Dicks in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 97 Rz. 239; zum vergaberechtlichen Unternehmensbegriff vgl. auch die Darstellung bei § 103 Rz. 46 ff. 4 So auch Gnittke/Hattig in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 123 Rz. 16.

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§ 123 | Zwingende Ausschlussgründe zuzurechnen ist (Alt. 1), oder die rechtskräftige Festsetzung einer Geldbuße nach § 30 OWiG gegen das Unternehmen voraus (Alt 2). a) Rechtskräftige Verurteilung von Leitungspersonal (Alt. 1) 28 Zunächst ist der öffentliche Auftraggeber bei rechtskräftiger Verurteilung einer

natürlichen Person, deren Verhalten dem Unternehmen nach § 123 Abs. 3 zuzurechnen ist, zum Ausschluss des Unternehmens verpflichtet. aa) Rechtskräftige Verurteilung

29 Wie auch die Richtlinie 2014/24/EU stellt § 123 Abs. 1 nicht auf eine strafgericht-

liche Verurteilung, sondern auf die rechtskräftige Verurteilung wegen einer Straftat ab1. Dies ändert jedoch nichts daran, dass die „Verurteilung“ im Sinne des § 123 Abs. 1 ein Urteil der Strafgerichtsbarkeit voraussetzt. Unerheblich ist, ob es sich um eine Verurteilung wegen versuchter oder vollendeter Tatbegehung handelt, oder ob eine Verurteilung als Täter oder Teilnehmer erfolgt2. Urteile anderer Gerichtszweige, beispielsweise der Zivil- oder Verwaltungsgerichte scheiden als Anknüpfungspunkt aus3. Zwar ist es denkbar, dass sich die Verwirklichung eines in § 123 Abs. 1 genannten Straftatbestandes auch aus den Urteilsgründen der Entscheidung eines nicht zur Strafgerichtsbarkeit zählenden Gerichts ergibt. Ein Zivilgericht könnte einem Kläger bspw. Schadensersatz gemäß § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 299 StGB zusprechen4. Mit Blick auf die strafrechtliche Ausrichtung des § 123 Abs. 1 und die Formulierung „Verurteilung“ handelt es sich dabei jedoch nicht um eine von § 123 Abs. 1 vorausgesetzte „Verurteilung“.

30 Eine rechtskräftige Verurteilung i.S.v. § 123 Abs. 1 liegt vor, wenn ein strafge-

richtliches Urteil in formelle Rechtskraft erwächst5. Formelle Rechtskraft tritt ein, wenn das laufende Verfahren beendet und keine Änderung mehr möglich ist. Dies ist der Fall, wenn den Verfahrensbeteiligten kein ordentliches Rechtsmittel mehr zur Verfügung steht, wenn eine etwaige Rechtsmittelfrist abgelaufen ist, wenn auf ein Rechtsmittel wirksam verzichtet worden ist oder wenn dieses zurückgenommen wurde6. Eine rechtskräftige Verurteilung nach § 123 Abs. 1

1 BT-Drucks. 18/6281, S. 102. 2 Opitz in Burgi/Dreher, Beck’scher Vergaberechtskommentar, Band 1, 3. Auflage 2017, § 123 Rz. 25. 3 Vgl. wie hier zur nahezu gleichlautenden Regelung der EU VOB/A Schranner in Ingenstau/Korbion, VOB – Teile A und B – Kommentar, § 6e EU VOB/A Rz. 5; a.A. Gnittke/ Hattig in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 123 Rz. 18. 4 Zur Eigenschaft des § 299 StGB als Schutzgesetz i.S.v. § 823 Abs. 2 BGB vgl. Wagner in Münchener Kommentar zum BGB, Band 6, § 823 Rz. 423. 5 Hausmann/von Hoff in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 123 Rz. 13. 6 Kudlich in Münchener Kommentar zur StPO, Einl Rz. 499.

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liegt nicht vor, solange eine Entscheidung noch von mindestens einem Prozessbeteiligten angefochten werden kann. Ausreichen soll allerdings eine sog. horizontale oder vertikale Teilrechtskraft der Verurteilung1. Beschränkt ein Angeklagter ein von ihm eingelegtes Rechtsmittel, so ist das entscheidende Gericht in diesem Umfang an die rechtlichen und tatsächlichen Feststellungen des Strafbefehls bzw. des angegriffenen Urteils gebunden2. Eine horizontale Teilrechtskraft kommt in Betracht, wenn bei einem Täter bzw. einer Tat im Rechtmittel nur noch über den Rechtsfolgenausspruch gestritten wird3. In diesem Fall steht im Grunde fest, dass der Angeklagte die Katalogstraftat i.S.v. § 123 Abs. 1 begangen hat. Vertikale Teilrechtskraft kommt bei mehreren Mitangeklagten oder auch bei mehreren prozessualen Taten in Betracht4. Betrifft der rechtskräftige Teil der Verurteilung eine Katalogstraftat i.S.v. § 123 Abs. 1, ist das Unternehmen auszuschließen. Unter Umständen erscheint es durchaus unbefriedigend, wenn trotz erdrückender Beweislage die Rechtskraft eines Urteils auf Jahre hinausgeschoben werden könnte und damit ein Ausschluss auf der Grundlage von § 123 noch nicht möglich wäre. Allerdings kommt in diesem Fall ein Ausschluss gemäß § 124 Abs. 1 Nr. 3 in Betracht5. Ebenfalls ausreichend für einen zwingenden Ausschluss ist ein rechtskräftiger 31 Strafbefehl6. Zwar wird für verwaltungsgerichtliche Verfahren die Bindungswirkung eines Strafbefehls teilweise verneint7, wenn es um die Verwertung der tatsächlichen Feststellungen geht, die einem Strafbefehl zu Grunde liegen. Diese werden zum Teil nicht als sichere Entscheidungsgrundlage für verwaltungsgerichtliche Verfahren anerkannt, da sie nicht in einer Hauptverhandlung vor Gericht und nach richterlicher Beweiswürdigung getroffen worden sind. Vielmehr läge einem Strafbefehl lediglich eine in einem besonders geregelten summarischen Verfahren getroffene richterliche Entscheidung zugrunde, die nicht das Maß an Ergebnissicherheit biete, das Voraussetzung für eine Bindungswirkung ist8. Nach der Gegenauffassung unterliegt die Verwertung von Feststellungen aus rechtskräftig abgeschlossenen Strafbefehlsverfahren in verwaltungs1 Opitz in Burgi/Dreher, Beck’scher Vergaberechtskommentar, Band 1, 3. Auflage 2017, § 123 Rz. 26. 2 Vgl. § 318 Satz 1 StPO zur Möglichkeit der Beschränkung der Berufung sowie zur Möglichkeit der Beschränkung der Revision Gericke in Karlsruher Kommentar zur StPO, § 344 Rz. 4 ff. 3 Kudlich in Münchener Kommentar zur StPO, Einl Rz. 515. 4 Kudlich in Münchener Kommentar zur StPO, Einl Rz. 515. 5 BT-Drucks. 18/6281, S. 105 f. 6 Gnittke/Hattig in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 123 Rz. 28; Müller-Wrede in Müller-Wrede, Verdingungsordnung für Leistungen VOL/A Kommentar, § 6 EG Rz. 34. 7 So zum Disziplinarrecht bspw. BVerwG v. 29.3.2012 – 2 A 11/10, juris Rz. 37 und OVG Bautzen v. 2.3.2011 – D 6 A 253/10, DÖV 2011, 699; zur Löschung aus der Architektenliste OVG Hamburg v. 8.6.2011 – 5 Bf 67/09, DÖV 2011, 780. 8 BVerwG v. 29.3.2012 – 2 A 11/10, juris Rz. 37.

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§ 123 | Zwingende Ausschlussgründe gerichtlichen Entscheidungen jedoch keinerlei Einschränkungen1. Für die vollständige Verwertbarkeit von Feststellungen aus rechtskräftig abgeschlossenen Strafbefehlsverfahren spricht insbesondere § 410 Abs. 3 StPO2. Nach dieser Vorschrift erwächst der nicht mit einem form- und fristgerechten Einspruch angefochtene Strafbefehl gleich einem rechtskräftigem Strafurteil in uneingeschränkter formeller und materieller Rechtskraft, so dass eine unterschiedliche Behandlung von Urteil und Strafbefehl weder im verwaltungsgerichtlichen Verfahren noch im Vergaberecht zu rechtfertigen ist. bb) Zurechenbarkeit gemäß § 123 Abs. 3 32 § 123 Abs. 3 regelt, wann das Verhalten einer rechtskräftig verurteilten Person

einem Unternehmen zugerechnet werden kann. Durch die Vorschrift wird Art. 57 Abs. 1 Unterabs. 2 der Richtlinie 2014/24/EU umgesetzt.

33 Das Verhalten einer rechtskräftig verurteilten Person ist einem Unternehmen

gemäß § 123 Abs. 3 zuzurechnen, wenn die verurteilte Person als für die Leitung des Unternehmens Verantwortlicher gehandelt hat; dazu gehört auch die Überwachung der Geschäftsführung oder die sonstige Ausübung von Kontrollbefugnissen in leitender Stellung. (1) Verantwortlichkeit für die Leitung des Unternehmens

34 Die Formulierung „als für die Leitung des Unternehmens Verantwortlicher“ in

§ 123 Abs. 3 ist in Anlehnung an § 30 Abs. 1 Nr. 5 OWiG erfolgt3. § 30 Abs. 1 OWiG regelt, wann aufgrund einer Straftat oder Ordnungswidrigkeit einer natürlichen Person eine Geldbuße gegen eine juristische Person oder eine Personenvereinigung verhängt werden kann4. § 30 Abs. 1 Nr. 5 OWiG enthält dabei eine Generalklausel, während die in § 30 Abs. 1 Nr. 1 bis 4 OWiG normierten Fälle als gesetzliche Regelbeispiele sind5.

35 Zu den für die Leitung des Unternehmens verantwortlich handelnden Personen

zählen daher insbesondere die in § 30 Abs. 1 Nr. 1 bis 4 OWiG genannten Beispiele, also – vertretungsberechtigte Organe einer juristischen Person oder Mitglieder eines solchen Organs (§ 30 Abs. 1 Nr. 1 OWiG),

1 Vgl. bspw. BSG v. 27.6.2007 – B 6 KA 20/07 B, juris Rz. 12; BVerwG v. 16.10.1995 – 1 C 32/94, juris Rz. 13; BayVGH, 29.2.2008 – 21 ZB 07.2883, juris Rz. 3. 2 Maur in Karlsruher Kommentar zur StPO, § 410 Rz. 15. 3 BT-Drucks. 18/6281, S. 103. 4 BT-Drucks. 18/6281, S. 103. 5 BT-Drucks. 18/6281, S. 103; Gürtler in Göhler, OWiG, § 30 Rz. 13; Meyberg in Graf, Beck’scher Online-Kommentar OWiG, 15. Edition Stand: 15.1.2017, § 30 Rz. 49; von Galen/Maass in Leitner/Rosenau, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, § 30 OWiG Rz. 22.

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Zwingende Ausschlussgründe | § 123

– Vorstände eines nicht rechtsfähigen Vereins oder Mitglieder eines solchen Vorstands (§ 30 Abs. 1 Nr. 2 OWiG), – vertretungsberechtigte Gesellschafter einer rechtsfähigen Personengesellschaft (§ 30 Abs. 1 Nr. 3 OWiG) sowie – Generalbevollmächtigte oder in leitender Stellung als Prokurist oder Handlungsbevollmächtigte einer juristischen Person, eines nicht rechtsfähigen Vereins bzw. einer rechtsfähigen Personengesellschaft tätige Personen (§ 30 Abs. 1 Nr. 4 OWiG). Zu dem erfassten Personenkreis gehören außerdem sonstige Personen mit Lei- 36 tungsbefugnissen, die darin bestehen können, dass die betreffende Person zur Vertretung der juristischen Person berechtigt ist oder die Befugnis hat, Entscheidungen im Namen der juristischen Person zu treffen1. Daneben sind Personen mit Überwachungs- und Kontrollbefugnissen erfasst. Dies betrifft Personen, die innerhalb eines Unternehmens die Verantwortung für einen bestimmten Unternehmensbereich tragen2, etwa die interne Finanzkontrolle oder die Rechnungsprüfung oder ein mit Leitungsbefugnissen ausgestatteter Umweltbeauftragter3. Gleiches gilt für die Mitglieder eines leitenden Aufsichts- oder Kontrollgremi- 37 ums, also insbesondere die Mitglieder des Aufsichtsrats4. Daneben werden auch Compliance-Beauftragte5, Insolvenzverwalter6 oder Geldwäschebeauftragte7 als Personen mit Überwachungs- und Kontrollbefugnissen angesehen. Eine Zurechnung erfolgt gemäß § 30 Abs. 1 Nr. 5 OWiG somit auch bei Personen, die eine der in § 30 Abs. 1 Nr. 1 bis 4 OWiG genannten Positionen zwar nicht formal, aber faktisch innehaben8. Zu berücksichtigen ist außerdem, dass die Gesetzesbegründung zu § 123 Abs. 3 38 auf die Geltung des Art. 57 Abs. 1 Unterabs. 2 der Richtlinie 2014/24/EU verweist. Danach findet die Verpflichtung zum Ausschluss eines Unternehmens auch dann Anwendung, „wenn die rechtskräftig verurteilte Person ein Mitglied im Verwaltungs-, Leitungs-, oder Aufsichtsgremium dieses Unternehmens ist oder darin Vertretungs-, Entscheidungs- oder Kontrollbefugnisse hat“. Das Wort „darin“ bezieht sich auf das zu prüfende Unternehmen insgesamt und nicht nur eingeschränkt auf das jeweilige Verwaltungs-, Leitungs-, oder Aufsichtsgremium 1 2 3 4 5 6 7

Rogall in Karlsruher Kommentar zum OWiG, § 30 Rz. 83. Rogall in Karlsruher Kommentar zum OWiG, § 30 Rz. 83. BT-Drucks. 14/8998, S. 10. BT-Drucks. 14/8998, S. 10. Rogall in Karlsruher Kommentar zum OWiG, § 30 Rz. 84. Rogall in Karlsruher Kommentar zum OWiG, § 30 Rz. 83. Von Galen/Maass in Leitner/Rosenau, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, § 30 OWiG Rz. 24. 8 Von Galen/Maass in Leitner/Rosenau, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, § 30 OWiG Rz. 24; differenzierend Rogall in Karlsruher Kommentar zum OWiG, § 30 Rz. 86 m.w.N.

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§ 123 | Zwingende Ausschlussgründe des Unternehmens1. Bei anderer Lesart würden ungewollte Regelungslücken entstehen, da der Fall eines Prokuristen, der eventuell nur für einen Teil der wirtschaftlichen Tätigkeit eines Unternehmens Prokura besitzt und nicht Mitglied eines Verwaltungs-, Leitungs- oder Aufsichtsgremiums des Unternehmens ist, nicht erfasst würde2. Allerdings sollen Straftaten eines solchen Prokuristen dem Unternehmen, für das er tätig ist, zugerechnet werden3. 39 Zugerechnet werden kann im Einzelfall auch das Handeln einer verbundenen

Gesellschaft, etwa wenn die verbundenen Gesellschaften beide auf dem Markt tätig sind, auf dem die Verfehlung begangen wurde und eine Personenidentität bei verantwortlichen Personen sowie eine gesellschaftsrechtliche Beherrschung vorlag4.

(2) Unternehmensbezug der Straftat 40 Ein Ausschluss eines Unternehmens vom Vergabeverfahren kann nach der Ge-

setzesbegründung nur aufgrund solcher Straftaten erfolgen, die einen Unternehmensbezug aufweisen. Ausschließlich im privaten Zusammenhang stehende Straftaten eines Mitarbeiters des Unternehmens, die keinen Bezug zur wirtschaftlichen Tätigkeit des Unternehmens aufweisen, können dagegen keinen Ausschlussgrund nach § 123 darstellen5. Dies wird klargestellt durch die Formulierung in § 123 Abs. 3, wonach nur Straftaten einer Person, die als „für die Leitung des Unternehmens Verantwortlicher gehandelt hat“, dem Unternehmen zugerechnet werden6.

41 Die durch § 123 umgesetzten Vorgaben in Art. 57 der Richtlinie 2014/24/EU ent-

halten allerdings keine ausdrückliche Grundlage für das Erfordernis des Unternehmensbezugs der Straftat. Denn Art. 57 der Richtlinie 2014/24/EU differenziert nicht danach, ob der zum Ausschluss führende Straftatbestand in beruflicher Funktion oder im Rahmen von Privatgeschäften des Leitungspersonals begangen wurde7. Der Bundesrat hatte mit Blick auf sonst entstehende Regelungslücken und Abgrenzungsprobleme auch private Taten einbeziehen wollen8,

1 2 3 4 5 6 7 8

BT-Drucks. 18/6281, S. 103. BT-Drucks. 18/6281, S. 103. BT-Drucks. 18/6281, S. 103. Gnittke/Hattig in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 123 Rz. 49; zur Zurechnung der Verfehlung einer Muttergesellschaft an die 100%ige Tochtergesellschaft vgl. VK Lüneburg v. 24.3.2011 – VgK 4/2011, NZBau 2011, 574 (575 f.). Kritisch: Opitz in Burgi/Dreher, Beck’scher Vergaberechtskommentar, Band 1, 3. Auflage 2017, § 123 Rz. 39, der „im Rahmen der beruflichen Tätigkeit“ rein zeitlich als „während der Ausübung von Leitungsverantwortung“ interpretieren will. BT-Drucks. 18/6281, S. 103. Hausmann/von Hoff in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 123 Rz. 28. BR-Drucks. 367/1/15, S. 6 f.

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Zwingende Ausschlussgründe | § 123

was die Bundesregierung jedoch unter Verweis auf den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz in einem für die Unternehmen grundrechtsrelevanten Bereich abgelehnt hat1. Der Bundestag hat sich schließlich der Position der Bundesregierung angeschlossen und den Unternehmensbezug als Voraussetzungen für einen zwingenden Ausschluss beibehalten. Fraglich ist, ob ein Ausschluss nach § 123 auch erforderlich ist, wenn die Person 42 das Fehlverhalten, welches eine Verurteilung wegen einer Katalogtat gemäß § 123 Abs. 1 nach sich gezogen hat, im Rahmen ihrer Tätigkeit für ein anderes Unternehmen begangen hat. Nach dem Wortlaut von § 123 Abs. 3 erfolgt eine Zurechnung zum Unternehmen, wenn die rechtskräftig verurteilte Person als für die Leitung „des Unternehmens“ Verantwortlicher gehandelt hat. Hieraus könnte geschlussfolgert werden, dass nur Tätigkeiten für das vom Ausschluss bedrohte Unternehmen zurechenbar sind2. Allerdings soll die Auftragsvergabe nur an solche Unternehmen erfolgen, die Recht und Gesetz in der Vergangenheit eingehalten haben und bei denen gesetzestreues Verhalten auch in Zukunft zu erwarten ist. Das zukünftige gesetzestreue Verhalten des am Vergabeverfahren beteiligten Unternehmens erscheint jedoch nicht gesichert, wenn bei dem Unternehmen eine Person Leitungsbefugnisse innehat, die im Zusammenhang mit ihrer Tätigkeit für ein anderes Unternehmen wegen einer Katalogstraftat nach Abs. 1 verurteilt wurde. Durch die Beschäftigung einer solchen Person importiert das Unternehmen die Unzuverlässigkeit und muss sich diese daher zurechnen lassen3. Die gegenteilige Auffassung würde zudem Schlupflöcher schaffen, da sich bei diesem engen Verständnis durch formale Unternehmensneuoder -ausgliederungen der Unternehmensbezug kappen ließe4. Schließlich spricht auch Art. 57 Abs. 1 Unterabs. 2 der Richtlinie 2014/24/EU dafür, dass einem Unternehmen Fehlverhalten von Beschäftigen zuzurechnen ist, das diese im Rahmen einer Tätigkeit für andere Unternehmen begangen haben. Denn Art. 57 Abs. 1 Unterabs. 2 der Richtlinie 2014/24/EU sieht einen zwingenden Ausschluss für den Fall vor, dass „die rechtskräftig verurteilte Person ein Mitglied im Verwaltungs-, Leitungs- oder Aufsichtsgremium dieses Wirtschaftsteilnehmers ist oder darin Vertretungs-, Entscheidungs- oder Kontrollbefugnisse hat“. Abgestellt wird somit auf die verurteilte Person und deren aktuelle Aufgabe im Unternehmen. Eine Einschränkung auf Verurteilungen anlässlich der Tätigkeit für den konkreten Wirtschaftsteilnehmer enthält Art. 57 Abs. 1 der Richtlinie 2014/24/EU jedoch nicht. 1 BT-Drucks. 18/6281, S. 168. 2 Diesen Standpunkt hatte der Bundesrat im Gesetzgebungsverfahren eingenommen, vgl. BR-Drucks. 367/1/15, S. 6 f. 3 OLG Düsseldorf v. 18.7.2001 – Verg 16/01, juris Rz. 39; Conrad in Müller-Wrede, GWBVergaberecht, § 124 Rz. 56; speziell zu vertretungsberechtigten Personen bei juristischen Personen oder Handelsgesellschaften Dreher/Hoffmann, NZBau 2012, 265 (268). 4 In diesem Sinne wohl auch OLG Düsseldorf v. 18.7.2001 – Verg 16/01, juris Rz. 39; Conrad in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 124 Rz. 56.

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§ 123 | Zwingende Ausschlussgründe (3) Aufsichts- oder Organisationsverschulden 43 Anders als nach der bisherigen Rechtslage findet eine Zurechnung von Auf-

sichts- oder Organisationsverschulden nicht mehr statt1.

44 Die bisherigen Regelungen zum zwingenden Ausschluss wegen des Vorliegens

einer Katalogstraftat (vgl. bspw. § 6 EG Abs. 4 Nr. 1 Satz 3 VOB/A und § 6 EG Abs. 4 Satz 3 VOL/A) rechneten ein Verhalten einem Unternehmen nicht nur dann zu, wenn eine für die Führung der Geschäfte des Unternehmens verantwortliche Person selbst gehandelt hatte. Eine Zurechnung erfolgte darüber hinaus bei einem Aufsichts- oder Organisationsverschulden der für die Führung der Geschäfte des Unternehmens verantwortlichen Person gemäß § 130 OWiG im Hinblick auf das Verhalten einer anderen für das Unternehmen handelnden Person2. Ein Aufsichts- oder Organisationsverschulden lag vor, wenn es die Leitungsperson vorsätzlich oder fahrlässig unterlassen hat, konkrete Gefahren der Zuwiderhandlung gegen betriebliche Pflichten der für das Unternehmen handelnden Person abzuwehren3.

45 § 123 GWB enthält keine solche Regelung zur Zurechnung von Aufsichts- oder

Organisationsverschulden. § 123 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 GWB in Verbindung mit § 123 Abs. 3 GWB sehen zwar vor, dass einem Unternehmen das Verhalten einer rechtskräftig verurteilten Leitungsperson zugerechnet wird, sofern die „sonstige Ausübung von Kontrollbefugnissen in leitender Stellung“ in Rede steht. Hierüber kann jedoch nur eine Zurechnung der rechtskräftigen Verurteilung der Leitungsperson erfolgen. Hat es die Leitungsperson hingegen vorsätzlich oder fahrlässig unterlassen, konkrete Gefahren der Zuwiderhandlung gegen betriebliche Pflichten einer anderen für das Unternehmen handelnden Person abzuwehren und wird diese Person rechtskräftig wegen eines in § 123 Abs. 1 genannten Straftatbestandes verurteilt, erfolgt gemäß § 123 Abs. 3 keine Zurechnung zum Unternehmen4.

b) Rechtskräftige Festsetzung einer Geldbuße gemäß § 30 OWiG (Alt. 2) 46 § 123 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 sieht einen zwingenden Ausschluss vor für den Fall,

dass gegen das Unternehmen selbst wegen einer Katalogstraftat eine Geldbuße nach § 30 OWiG rechtskräftig festgesetzt wurde5.

1 Vgl. Hausmann/von Hoff in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 123 Rz. 30; a.A. Gnittke/Hattig in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 123 Rz. 47. 2 Vgl. Glahs in Kapellmann/Messerschmidt, VOB Teile A und B, 5. Auflage 2015, § 6 EG Rz. 10 f. 3 Müller-Wrede in Müller-Wrede, Verdingungsordnung für Leistungen VOL/A Kommentar, § 6 EG Rz. 41; Tomerius in Pünder/Schellenberg, Vergaberecht, § 6 EG VOB/A Rz. 16. 4 Vgl. Hausmann/von Hoff in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 123 Rz. 31. 5 Zur Frage der Europarechtskonformität dieser Tatbestandsalternative vgl. Rz. 8a.

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Zwingende Ausschlussgründe | § 123

Die Festsetzung einer Geldbuße gegen ein Unternehmen gemäß § 30 Abs. 1 47 OWiG setzt voraus, dass eine der Leitungspersonen des Unternehmens einer Straftat oder eine Ordnungswidrigkeit schuldhaft bzw. vorwerfbar begangen hat (sog. Anknüpfungstat). Hierdurch muss entweder eine das Unternehmen treffende Pflicht verletzt (§ 30 Abs. 1 Alt. 1 OWiG) oder für das Unternehmen eine Bereicherung eingetreten oder erstrebt worden sein (§ 30 Abs. 1 Alt. 2 OWiG)1. Voraussetzung ist in beiden Fällen, dass der Täter als Organ bzw. Repräsentant 48 des Unternehmens gehandelt hat. Die Tat muss also in einem inneren Zusammenhang mit der Stellung des Täters als Leitungsperson stehen und als Tat in Wahrnehmung der Angelegenheiten des Unternehmens angesehen werden können2. aa) Verletzung betriebsbezogener Pflichten § 30 Abs. 1 Alt. 1 OWiG verlangt, dass Pflichten, die das Unternehmen treffen, 49 durch die vom Bezugstäter begangene Straftat oder Ordnungswidrigkeit verletzt worden sind. In den Anwendungsbereich der Norm fallen nur solche Pflichten, die sich für 50 die juristische Person aus deren besonderem Wirkungskreis ergeben, also sog. „betriebsbezogene Pflichten“3. Ausgeschlossen sind Pflichten mit höchstpersönlichem Einschlag und solche, die keinen Bezug zur wirtschaftlichen Betätigung des Betriebs oder Unternehmens haben. Aus der Abgrenzung zu § 30 Abs. 1 Alt. 2 OWiG folgt zudem, dass bei einem betriebsbezogenen Pflichtenverstoß nach der § 30 Abs. 1 Alt. 1 OWiG kein Vorteil für das Unternehmen vorliegen muss4. Da § 123 Abs. 1 voraussetzt, dass gegen das Unternehmen eine Geldbuße nach § 30 OWiG „wegen“ einer Katalogstraftat rechtskräftig festgesetzt worden ist, muss die Tathandlung zur Verwirklichung der Katalogstraftat gemäß § 123 Abs. 1 zugleich eine betriebsbezogene Pflichtverletzung darstellen5. bb) Bereicherung Sofern eine Bereicherung des Unternehmens eingetreten ist oder angestrebt 51 wurde, kann die Festsetzung einer Geldbuße auch erfolgen, wenn die Tat nicht in der Verletzung von betriebsbezogenen Pflichten besteht6. 1 2 3 4

Gürtler in Göhler, OWiG, § 30 Rz. 8. Vgl. hierzu im Einzelnen Gürtler in Göhler, OWiG, § 30 Rz. 24 ff. BT-Drucks. V/1269, S. 60. Von Galen/Maass in Leitner/Rosenau, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, § 30 OWiG Rz. 26. 5 Hausmann/von Hoff in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 123 Rz. 36. 6 Gürtler in Göhler, OWiG, § 30 Rz. 22; Rogall in Karlsruher Kommentar zum OWiG, § 30 Rz. 9.

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§ 123 | Zwingende Ausschlussgründe 52 Der Begriff der Bereicherung i.S.v. § 30 Abs. 1 Alt. 2 OWiG deckt sich im We-

sentlichen mit dem Begriff des Vermögensvorteils im Sinne des § 263 StGB1. Unter Bereicherung ist hiernach jede Erhöhung des wirtschaftlichen Wertes des Vermögens zu verstehen2. Im Hinblick auf die Formulierung in § 123 Abs. 1, wonach gegen das Unternehmen eine Geldbuße nach § 30 OWiG „wegen“ einer Katalogstraftat rechtskräftig festgesetzt worden sein muss, kommen nur die von § 123 Abs. 1 erfassten Tathandlungen als Anknüpfungspunkt in Betracht. cc) Rechtskraft der Bußgeldfestsetzung

53 § 123 Abs. 1 Alt. 2 verlangt, dass die Geldbuße gemäß 30 Abs. 1 OWiG rechts-

kräftig festgesetzt worden ist. Der Bußgeldbescheid, durch den die Festsetzung der Geldbuße grundsätzlich erfolgt (vgl. § 65 OWiG), ist der Rechtskraft zugänglich. Die materielle Rechtskraft eines Bußgeldbescheids setzt voraus, dass die Entscheidung formell rechtskräftig geworden ist. Dies ist der Fall, wenn sie von den Verfahrensbeteiligten nicht oder nicht mehr mit ordentlichen Rechtsmitteln angegriffen werden kann und für diesen Prozess nicht abänderbar ist3. c) Ausländische Verurteilungen und Geldbußen gemäß § 123 Abs. 2

54 § 123 Abs. 2 ordnet an, dass eine Verurteilung oder die Festsetzung einer Geld-

buße nach den vergleichbaren Vorschriften anderer Staaten einer Verurteilung oder der Festsetzung einer Geldbuße im Sinne des § 123 Abs. 1 gleichstehen. § 123 Abs. 2 greift somit den Regelungsgehalt des bisherigen § 6 EG Abs. 4 Satz 2 VOL/A und entsprechender Regelungen in der VOB/A, der VSVgV und der SektVO auf4.

55 Die mit § 123 Abs. 2 erfolgte Einbeziehung ausländischer Verurteilungen und

Geldbußen ist nicht auf Mitgliedsstaaten der Europäischen Union beschränkt, sondern gilt ganz allgemein5. Soweit das Strafrecht anderer Staaten auch Verurteilungen juristischer Personen vorsieht, sind diese nach § 123 Abs. 2 zu berücksichtigen6. Zwar kennt das deutsche Strafrecht eine strafrechtliche Verurteilung von juristischen Personen nicht. Art. 57 Abs. 1 Richtlinie 2014/24/EU stellt jedoch auf die rechtskräftige Verurteilung des Wirtschaftsteilnehmers ab, so

1 Rogall in Karlsruher Kommentar zum OWiG, § 30 Rz. 99. 2 Fischer, StGB, § 263 Rz. 186. 3 Lutz in Karlsruher Kommentar zum OWiG, § 84 Rz. 2; Schulz in Blum/Gassner/Seith, OWiG, § 84 Rz. 2. 4 BT-Drucks. 18/6281, S. 103. 5 Hausmann/von Hoff in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 123 Rz. 16. 6 Einschränkend Opitz in Burgi/Dreher, Beck’scher Vergaberechtskommentar, Band 1, 3. Auflage 2017, § 123 Rz. 37.

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dass Verurteilungen juristischer Personen vor diesem Hintergrund nicht unberücksichtigt bleiben können1. Voraussetzung für die Anwendbarkeit des § 123 Abs. 2 ist, dass die der Verurtei- 56 lung oder der Festsetzung einer Geldbuße zu Grunde liegenden Vorschriften „vergleichbar“ sind. Dies erfordert zum einen, dass die Tatbestände, die der Verurteilung oder der Festsetzung der Geldbuße zugrunde liegen, inhaltlich den in Art. 57 Abs. 1 der Richtlinie 2014/24/EU genannten Tatbeständen entsprechen. Zum anderen setzt die Vergleichbarkeit voraus, dass die Verurteilung mit wesentlichen Grundsätzen des deutschen Rechts, insbesondere mit den Grundrechten, vereinbar ist2. In der Praxis ist es für den öffentlichen Auftraggeber oft schwierig, Informationen über ausländische Verurteilungen zu erhalten und auf dieser Basis die Vergleichbarkeit der in- und ausländischen Straftatbestände zu beurteilen3. Ein Ausschluss ist jedenfalls nicht gerechtfertigt, wenn das ausländische Urteil bzw. die Bußgeldfestsetzung den Mindestanforderungen an ein rechtsstaatliches Verfahren nicht genügt. Insoweit kann auf die in § 49 Abs. 1 Nr. 2 des Internationalen Rechtshilfegesetzes normierten Anforderungen abgestellt werden4. Danach muss einem Verurteilten rechtliches Gehör gewährt und eine angemessene Verteidigung ermöglicht worden sein, die Sanktion muss von einem unabhängigen Gericht oder, soweit es sich um eine Geldbuße handelt, von einer Stelle verhängt worden sein, gegen deren Entscheidung ein unabhängiges Gericht angerufen werden kann. Die Überprüfung des Vorliegens dieser Voraussetzungen dürfte jedenfalls im Hinblick auf die Mitgliedstaaten der Europäischen Union in der Praxis keine größeren praktischen Probleme bereiten. 4. Kenntnis des Auftraggebers Der Ausschluss eines Unternehmens vom Vergabeverfahren gemäß § 123 Abs. 1 57 setzt voraus, dass der öffentliche Auftraggeber Kenntnis von einer dem Unternehmen zurechenbaren rechtskräftigen Verurteilung bzw. einer gegen das Unternehmen nach § 30 OWiG verhängten Geldbuße wegen einer Katalogstraftat hat. § 123 Abs. 1 trifft keine Aussage dazu, wann Kenntnis des öffentlichen Auftrag- 58 gebers vorliegt und ob den öffentlichen Auftraggeber unter Umständen Nachforschungspflichten treffen. Art. 57 Abs. 1 der Richtlinie 2014/24/EU sieht einen Ausschluss vor, wenn öf- 59 fentliche Auftraggeber die Verurteilung eines Wirtschaftsteilnehmers durch eine 1 Hausmann/von Hoff in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 123 Rz. 17. 2 BT-Drucks. 18/6281, S. 103. 3 Opitz in Burgi/Dreher, Beck’scher Vergaberechtskommentar, Band 1, 3. Auflage 2017, § 123 Rz. 36. 4 Hausmann/von Hoff in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 123 Rz. 18.

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§ 123 | Zwingende Ausschlussgründe Überprüfung gemäß Art. 59, 60 und 61 der Richtlinie 2014/24/EU festgestellt haben oder anderweitig davon Kenntnis erlangt haben. Maßgeblich ist also grundsätzlich die Überprüfung anhand der Einheitlichen Europäischen Eigenerklärung, der Nachweise (Eigenerklärungen und Belege) für das Nichtvorliegen von Ausschlussgründen und die Überprüfung im Online-Dokumentenarchiv e-Certis1. 60 Auf nationaler Ebene verpflichtet § 42 Abs. 1 VgV den Auftraggeber, u. a. das

Nichtvorliegen von Ausschlussgründen nach den §§ 123 und 124 zu prüfen und gegebenenfalls Bewerber oder Bieter vom Vergabeverfahren auszuschließen. Die Umsetzung der Art. 59, 60 und 61 der Richtlinie 2014/24/EU erfolgt im Wesentlichen durch § 48 VgV.

61 § 48 Abs. 1 VgV sieht vor, dass in der Auftragsbekanntmachung oder der Auf-

forderung zur Interessensbestätigung neben den Eignungskriterien anzugeben ist, mit welchen Unterlagen (Eigenerklärungen, Angaben, Bescheinigungen und sonstige Nachweise) Bewerber oder Bieter ihre Eignung gemäß §§ 43 bis 47 VgV und das Nichtvorliegen von Ausschlussgründen zu belegen haben. Der Auftraggeber bestimmt daher grundsätzlich, mit welchen Unterlagen das Nichtvorliegen von Ausschlussgründen nachzuweisen ist2. Wie schon nach der bisherigen Rechtslage sind gemäß § 48 Abs. 2 Satz 1 VgV grundsätzlich Eigenerklärungen von den Bewerbern oder Bietern zu verlangen3. Als vorläufigen Beleg der Eignung und des Nichtvorliegens von Ausschlussgründen akzeptieren die öffentlichen Auftraggeber gemäß § 48 Abs. 3 VgV eine Einheitliche Europäische Eigenerklärung (vgl. § 50 VgV). Die in Betracht kommenden Belege für das Nichtvorliegen von Ausschlussgründen sind in § 48 Abs. 4 bis 6 VgV genannt, wobei die Nachweisführung bei Bewerbern oder Bietern aus einem anderen Herkunftsland oder Niederlassungsstaat im Einzelfall durchaus Schwierigkeiten bereiten kann4.

62 Bei der vorrangig anhand einer Einheitlichen Europäischen Eigenerklärung

(§ 50 VgV) oder anhand von Eigenerklärungen vorzunehmenden (vorläufigen) Prüfung der Eignung darf sich ein Auftraggeber auf eine methodisch vertretbar erarbeitete, befriedigende Erkenntnislage stützen und von einer Überprüfung von Eigenerklärungen absehen, wenn und soweit sich keine objektiv begründeten, konkreten Zweifel an deren Richtigkeit ergeben. Nur in diesem Fall ist er gehalten, weitere Nachforschungen anzustellen5.

1 Gnittke/Hattig in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 123 Rz. 31. 2 Opitz in Burgi/Dreher, Beck’scher Vergaberechtskommentar, Band 1, 3. Auflage 2017, § 123 Rz. 32. 3 Hausmann/von Hoff in Kulartz/Kus/Marx/Portz/Prieß, § 48 Rz. 7. 4 Opitz in Burgi/Dreher, Beck’scher Vergaberechtskommentar, Band 1, 3. Auflage 2017, § 123 Rz. 34. 5 OLG Düsseldorf v. 2.12.2009 – VII-Verg 39/09, NZBau 2010, 393 (398).

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Bei Bietern, die in die engere Wahl kommen, fordert der Auftraggeber die ent- 63 sprechenden Belege (vgl. § 48 Abs. 4 bis 6 VgV) an. Das Nichtvorliegen von Ausschlussgründen kann gemäß § 48 Abs. 4 VgV insbesondere durch einen Auszug aus einem einschlägigen Register, insbesondere ein Führungszeugnis aus dem Bundeszentralregister oder einer gleichwertigen Bescheinigung einer zuständigen Gerichts- oder Verwaltungsbehörde des Herkunftslands oder des Niederlassungsstaats des Bewerbers oder Bieters nachgewiesen werden. Ist hieraus ersichtlich, dass ein Ausschlussgrund nach § 123 Abs. 1 vorliegt, muss der Auftraggeber das Unternehmen vom Vergabeverfahren ausschließen1. Ein Ausschluss des Unternehmens muss auch erfolgen, wenn der Auftraggeber 64 auf anderem Wege, also außerhalb der Prüfung von Eignung und Ausschlussgründen gemäß § 42 Abs. 1 VgV, vom Vorliegen eines Ausschlussgrundes erfährt. Dies ist vor dem Hintergrund zu sehen, dass der Ausschluss nach § 123 Abs. 1 zu jedem Zeitpunkt des Vergabeverfahrens zu erfolgen hat und ein Auftraggeber unter Umständen auch nach Durchführung der Eignungsprüfung noch zum Ausschluss eines Bewerbers bzw. Bieters verpflichtet sein kann. Nicht völlig klar ist allerdings, ob bzw. inwieweit den öffentlichen Auftraggeber 65 im Hinblick auf § 123 Abs. 1 die Pflicht treffen kann, (ggf. eigeninitiativ) Nachforschungen über das Vorliegen von zwingenden Ausschlussgründen anzustellen. § 123 Abs. 1 legt dem öffentlichen Auftraggeber keine expliziten Nachfor- 66 schungspflichten auf, so dass öffentliche Auftraggeber grundsätzlich nicht gehalten sind, eigeninitiativ – gewissermaßen ins Blaue hinein – Ermittlungen über am Vergabeverfahren teilnehmende Unternehmen anzustellen. Umfangreiche Nachforschungspflichten des öffentlichen Auftraggebers stünden zudem im Widerspruch zum Interesse aller Verfahrensbeteiligten an einem zügigen und einfachen Beschaffungsvorgang2. Gerade bei einem größeren Kreis von Bewerbern bzw. Bietern würden aufwändige Nachforschungen durch den öffentlichen Auftraggeber schnell zu einer Verzögerung, Verteuerung und Verkomplizierung des Vergabeverfahrens führen3. Liegen beim Auftraggeber jedoch Informationen über relevante Strafverfahren 67 vor, bspw. aufgrund allgemein zugänglicher Quellen4, so kann von einem öffentlichen Auftraggeber erwartet werden, dass er diese zur Kenntnis nimmt5. Inso1 Gnittke/Hattig in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 123 Rz. 32. 2 VK Lüneburg v. 18.12.2015 – VgK-45/2015, juris Rz. 61; Müller-Wrede in Müller-Wrede, Verdingungsordnung für Leistungen VOL/A Kommentar, § 6 EG Rz. 34. 3 Hausmann/Kern in Kulartz/Marx/Portz/Prieß, Kommentar zur VOL/A, § 6 EG Rz. 68. 4 Hausmann/von Hoff in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 123 Rz. 41; Müller-Wrede in Müller-Wrede, Verdingungsordnung für Leistungen VOL/A Kommentar, § 6 EG Rz. 34. 5 Hausmann/von Hoff in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 123 Rz. 41.

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§ 123 | Zwingende Ausschlussgründe weit trifft den Auftraggeber zwar keine anlasslose Nachforschungspflicht. Vorliegenden Informationen darf sich der Auftraggeber allerdings nicht verschließen, sondern muss auf dieser Grundlage weitere Nachforschungen anstellen und von dem betroffenen Unternehmen ggf. weitere Informationen verlangen, wenn Anhaltspunkte für das Vorliegen eines Ausschlussgrundes bestehen1. Der Umfang der Nachforschungspflicht des Auftraggebers hängt insoweit von den besonderen Umständen des Einzelfalls ab2. Eine solche Nachforschungspflicht steht auch im Einklang mit der bisherigen Rechtsprechung zur Nachforschungspflicht bei objektiv begründeten, konkreten Zweifeln an der Richtigkeit von Eigenerklärungen3. 68 Konkrete Nachforschungspflichten für öffentliche Auftraggeber können sich au-

ßerdem aus spezialgesetzlich geregelten Informations- und Abfragepflichten ergeben4. Von Bedeutung sind hier bislang insbesondere die landesrechtlichen Bestimmungen über die Einrichtung von Korruptions- und Vergaberegistern5 sowie die Vergabegesetze der Bundesländer6. In einigen Bundesländern sind Korruptionsregister nicht durch Gesetz sondern per Erlass oder Ähnlichem geregelt7. In

1 VK Lüneburg v. 18.12.2015 – VgK-45/2015, juris Rz. 61; Opitz in Burgi/Dreher, Beck’scher Vergaberechtskommentar, Band 1, 3. Auflage 2017, § 123 Rz. 31. 2 VK Lüneburg v. 18.12.2015 – VgK-45/2015, juris Rz. 61. 3 OLG Düsseldorf v. 2.12.2009 – VII-Verg 39/09, NZBau 2010, 393 (398). 4 Hausmann/von Hoff in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 123 Rz. 44; Opitz in Burgi/Dreher, Beck’scher Vergaberechtskommentar, Band 1, 3. Auflage 2017, § 123 Rz. 31. 5 Berlin: Gesetz zur Einrichtung und Führung eines Registers über korruptionsauffällige Unternehmen in Berlin (Korruptionsregistergesetz – KRG) vom 19.4.2006; Bremen: Bremisches Gesetz zur Errichtung und Führung eines Korruptionsregisters (Bremisches Korruptionsregistergesetz – BremKorG) vom 17.5.2011; Hamburg: Gesetz zur Einrichtung eines Registers zum Schutz fairen Wettbewerbs (GRfW) der Freien und Hansestadt Hamburg vom 17.9.2013; Nordrhein-Westfalen: Gesetz zur Verbesserung der Korruptionsbekämpfung und zur Errichtung und Führung eines Vergaberegisters in NordrheinWestfalen (Korruptionsbekämpfungsgesetz – KorruptionsbG) vom 16.12.2004; Schleswig-Holstein: Gesetz zur Einrichtung eines Registers zum Schutz fairen Wettbewerbs (GRfW) Schleswig Holstein vom 13.11.2013. 6 § 11 Brandenburgisches Gesetz über Mindestanforderungen für die Vergabe von öffentlichen Aufträgen (Brandenburgisches Vergabegesetz – BbgVergG) vom 21.11.2011. 7 Baden-Württemberg: Verwaltungsvorschrift der Landesregierung und der Ministerien zur Verhütung unrechtmäßiger und unlauterer Einwirkungen auf das Verwaltungshandeln und zur Verfolgung damit zusammenhängender Straftaten und Dienstvergehen (VwV Korruptionsverhütung und -bekämpfung) vom 15.1.2013 (Az.: 1-0316.4/74); Bayern: Bekanntmachung der Bayerischen Staatsregierung über die Korruptionsbekämpfungsrichtlinie (KorruR) vom 13.4.2004 (AllMBl. S. 87, StAnz. Nr. 17, KWMBl. I S. 124), die durch Bekanntmachung vom 14.9.2010 (AllMBl. S. 243) geändert worden ist; Hessen: Gemeinsamer Runderlass zum Ausschluss von Bewerbern und Bietern in Hessen vom 13.12.2010, StAnz. 52/2010, S. 2831 ff., 13.12.2010; Rheinland-Pfalz: Verwaltungsvorschrift der Landesregierung über Korruptionsprävention in der öffentlichen Verwaltung

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sämtlichen Konstellationen jedoch Auftraggeber dazu verpflichtet, sich vor Vergabeentscheidungen bei speziellen Stellen über Bieter zu erkundigen. Dabei variieren die Voraussetzungen der Erkundigungspflicht ebenso wie deren Umfang und Inhalt1. Für öffentliche Auftraggeber, Sektorenauftraggeber und Konzessionsgeber ist es trotz der in einzelnen Ländern bestehenden Korruptionsregister bislang schwierig, sich über das Vorliegen oder Nichtvorliegen von Ausschlussgründen bei Unternehmen, die sich an Vergabeverfahren beteiligen, zu vergewissern2. Denn zum einen führen bislang nicht alle Länder entsprechende Register. Zum anderen beschränkt sich die Zuständigkeit der Registerbehörden der Länder nur auf ihr eigenes Bundesland. Außerdem sind die Voraussetzungen für eine Eintragung in das Register in den Ländern sehr unterschiedlich geregelt. So werden zum Teil Verurteilungen eingetragen, teilweise hingegen Entscheidungen über Vergabesperren. Aufgrund der Vielzahl der unterschiedlichen Regelungen in den einzelnen Bundesländern ist es außerdem für Unternehmen schwierig und mit einem nicht unerheblichen Aufwand verbunden, sich auf das jeweils anwendbare Recht einzustellen3. Insgesamt sind die auf Länderebene bestehenden Regelungen nicht geeignet, einen hinreichenden Schutz vor unzuverlässigen Unternehmen und einer damit einhergehenden Verzerrung des Wettbewerbs sicherzustellen4. Auch die bislang auf Bundesebene bestehenden Register wie das Bundeszentralregister oder das Gewerbezentralregister ermöglichen Auftraggebern nicht, sich über das Vorliegen oder Nichtvorliegen von Ausschlussgründen von Unternehmen, die sich an Vergabeverfahren beteiligen, umfassend Kenntnis zu verschaffen. Denn zum einen haben Auftraggeber kein Auskunftsrecht aus dem Bundeszentralregister; im Übrigen enthält das Bundeszentralregister keine Eintragungen zu Unternehmen. Auch das Gewerbezentralregister ist aus verschiedensten Gründen keine taugliche Grundlage für die vergaberechtliche Prüfung, ob ein Unternehmen von der Teilnahme an einem Vergabeverfahren auszuschließen ist bzw. ausgeschlossen werden kann5. Der Bund hat daher nach Aufforderung durch die Länder6 zum Schutz des fai- 69 ren Wettbewerbs um öffentliche Aufträge und Konzessionen durch das Gesetz zur Einführung eines Wettbewerbsregisters und zur Änderung des GWB v. 18.7.2017 unter der Bezeichnung „Wettbewerbsregister“ ein zentrales, elektronisch geführtes Register beim Bundeskartellamt ins Leben geru-

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vom 1.12.2015 (FM – O 1449 A – 415), MinBl v. 29.12.2015; näher hierzu auch Braun in Gabriel/Krohn/Neun, Handbuch des Vergaberechts, S. 340 ff. Einen vergleichenden Überblick über bestimmte Regelungen bietet Greeve in Hauschka/ Moosmayer/Lösler, Corporate Compliance, § 25 Rz. 132 ff. BT-Drucks. 18/12051, S. 17. BT-Drucks. 18/12051, S. 17. BT-Drucks. 18/12051, S. 17. BT-Drucks. 18/12051, S. 17. Vgl. Beschlüsse der Justizministerkonferenz am 25./26.6.2014 und der Wirtschaftsministerkonferenz am 10./11.12.2014.

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§ 123 | Zwingende Ausschlussgründe fen1. Der Gesetzesentwurf der Bundesregierung vom 24.4.20172 wurde in der vom Wirtschaftsausschuss geänderten Fassung3 vom Bundestag am 1.6.2017 beschlossen. Das Gesetz wurde am 28.7.2017 verkündet (BGBl. I, 2739). 69a Zentraler Bestandteil des Gesetzes zur Einführung eines Wettbewerbsregisters

ist das „Gesetz zur Einrichtung und zum Betrieb eines Registers zum Schutz des Wettbewerbs um öffentliche Aufträge und Konzessionen“ (Wettbewerbsregistergesetz – WRegG)4. Vorgesehen ist ein gestaffeltes Inkrafttreten der Regelungen des WRegG. Bestimmte Vorschriften, etwa über den Aufbau des Registers beim Bundeskartellamt, treten am Tag nach der Verkündung des Gesetzes in Kraft5. Die zentralen Regelungen bezüglich der Eintragungen in das Register, der Mitteilungen der Strafverfolgungsbehörden und der Ordnungswidrigkeitsbehörden an das Register sowie die Auskunftsersuchen der Auftraggeber beim Register sind hingegen erst ab dem Tag anzuwenden, an dem eine konkretisierende Rechtsverordnung der Bundesregierung, in der insbesondere technische und organisatorische Aspekte, datenschutzrechtliche Vorgaben etc. geregelt werden sollen, in Kraft tritt6. Das Register soll spätestens im Laufe des Jahres 2020 funktionsfähig sein und für Auftraggeber zur Verfügung stehen7.

69b Durch das beim Bundeskartellamt einzurichtende Wettbewerbsregister soll si-

chergestellt werden, dass öffentliche Aufträge und Konzessionen nur an solche Unternehmen vergeben werden, die Recht und Gesetz in der Vergangenheit eingehalten haben und sich im Wettbewerb fair verhalten. Um den öffentlichen Auftraggeber, Sektorenauftraggeber und Konzessionsgeber die Prüfung des Nichtvorliegens von Ausschlussgründen gemäß §§ 123, 124 zu erleichtern, sieht das WRegG vor der Zuschlagserteilung die Möglichkeit vor, bei der Registerbehörde abzufragen, ob im Register Eintragungen zu einem am Vergabeverfahren beteiligten Unternehmen vorliegen. Unabhängig davon, ob es sich um Vergabeverfahren ober- oder unterhalb der EU-Schwellenwerte handelt, sind öffentliche Auftraggeber ab einem Auftragswert von 30.000 Euro gemäß § 6 Abs. 1 WRegG zu einer solchen Abfrage zukünftig auch verpflichtet. Für Sektorenauftraggeber gemäß § 100 Abs. 1 Nr. 1, die zugleich öffentliche Auftraggeber sind und eine Sektorentätigkeit ausüben, sowie für Konzessionsgeber i.S.v. § 101 Abs. 1 Nr. 1 und 2 besteht eine solche Abfragepflicht ab Erreichen der EU-Schwellenwerte8. In dem durch § 6 Abs. 1 WRegG vorgesehenen Umfang existiert dann mit

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BT-Drucks. 18/12051, S. 16. BT-Drucks. 18/12051. BT-Drucks. 18/12583. Vgl. Art. 1 des Gesetzes zur Einführung eines Wettbewerbsregisters. Vgl. Art. 3 Abs. 2 Satz 1 des Gesetzes zur Einführung eines Wettbewerbsregisters. Vgl. Art. 3 Abs. 2 Satz 2 des Gesetzes zur Einführung eines Wettbewerbsregisters. BT-Drucks. 18/12051, 4; Stein, jurisPR-Compl 2/2017 Anm. 5. Vgl. § 6 Abs. 1 WRegG.

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Funktionsfähigkeit des Wettbewerbsregisters auf bundesrechtlicher Ebene eine explizite Nachforschungspflicht. Aber auch unterhalb dieser Wertgrenzen besteht gemäß § 6 Abs. 2 WRegG die Möglichkeit einer Registerabfrage1. Gleiches gilt im Rahmen eines Teilnahmewettbewerbs (bei zweistufigen Verfahren), wo Auftraggeber abfragen können, ob Eintragungen im Register in Bezug auf diejenigen Bewerber vorliegen, die zur Abgabe eines Angebots aufgefordert werden sollen.2 Sektorenauftraggeber nach § 100 Abs.1 Nr. 2 und Konzessionsgeber nach § 101 Abs. 1 Nr. 3 sind aufgrund der Sensibilität der Daten allerdings nicht zur Abfrage berechtigt oder verpflichtet3. Durch die in § 6 Abs. 1 statuierte Pflicht zur elektronischen Abfrage aus dem neuen Wettbewerbsregister werden die bisherigen Pflichten öffentlicher Auftraggeber zur Abfrage des Gewerbezentralregisters nach dem MiLoG, dem AEntG und dem SchwarzArbG ersetzt4. Allerdings besteht für Auftraggeber während einer Übergangsfrist von drei Jahren, nachdem das Wettbewerbsregister seinen Betrieb aufgenommen hat (also nach Inkrafttreten der in § 10 WRegG genannten konkretisierenden Rechtsverordnung), die Möglichkeit Daten aus dem Gewerbezentralregister abzurufen. Eine solche Übergangsfrist ist erforderlich, da Eintragungen in das Wettbewerbsregister für „neue“ strafgerichtliche Verurteilungen und Bußgeldentscheidungen erst ab der Arbeitsaufnahme des Registers erfolgen5, für Entscheidungen über den Ausschluss von Unternehmen jedoch auch zurückliegende Verurteilungen und Bußgeldentscheidungen von Bedeutung sind. In das Wettbewerbsregister eingetragen werden Unternehmen6, zu denen Er- 69c kenntnisse vorliegen über ihnen zuzurechnende Straftaten oder andere schwerwiegende Rechtsverstöße, die Gründe für einen Ausschluss von der Teilnahme am Vergabeverfahren darstellen7. Zu beachten ist, dass § 2 Abs. 1 WRegG eine Eintragungspflicht normiert („sind einzutragen“). Die in § 2 abschließend normierten Voraussetzungen für die Eintragung eines Unternehmens in das Register orientieren sich eng an den vergaberechtlichen Ausschlussgründen in den §§ 123, 124. Neben den zwingenden Ausschlussgründe gemäß § 123 Abs. 1 sind als fakultative Ausschlussgründe gravierende Verstöße gegen Wettbewerbsrecht, Steuerhinterziehung sowie Verstöße gegen bestimmte Arbeitnehmerschutzvorschriften eintragungspflichtig8. So sieht beispielsweise § 2 Abs. 1 Nr. 1 lit. b) WRegG eine Eintragung in das Register bei einer rechtskräftigen Verurteilung wegen Betrugs und Subventionsbetrugs vor, soweit sich die Straftat gegen öffentliche Haushalte richtet. Die Vorschrift reicht damit weiter als die zwingenden 1 2 3 4 5 6 7 8

Vgl. § 6 Abs. 2 Nr. 1 WRegG. Vgl. § 6 Abs. 2 Nr. 2 WRegG. BT-Drucks. 18/12051, S. 30. BT-Drucks. 18/12051, S. 35 f. BT-Drucks. 18/12583, S. 12. Zum Unternehmensbegriff vgl. Rz. 23 ff. BT-Drucks. 18/12051, S. 2. BT-Drucks. 18/12051, S. 26.

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§ 123 | Zwingende Ausschlussgründe Ausschlussgründe in § 123 Abs. 1 Nr. 4 und 5, die nur greifen bei Straftaten gegen den Haushalt der Europäischen Union oder Haushalte, die von der Europäischen Union oder in ihrem Auftrag verwaltet werden. Eine Eintragung bei Betrug und Subventionsbetrug zulasten öffentlicher Haushalte ist jedoch sachgerecht, da eine solche Tat regelmäßig eine schwere Verfehlung im Rahmen der beruflichen Tätigkeit gemäß § 124 Abs. 1 Nr. 3 darstellt. Darüber hinaus erfolgt gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 1 lit. e) WRegG eine Registereintragung auch im Falle der besonders praxisrelevanten wettbewerbsbeschränkenden Absprachen bei Ausschreibungen gemäß § 298 StGB. Bußgeldentscheidungen wegen bestimmter kartellrechtlicher Ordnungswidrigkeiten im Sinne des § 81 Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 2 Nr. 1 in Verbindung mit § 1 werden gemäß § 2 Abs. 2 WRegG ebenfalls in das Register eingetragen, da in diesen Fällen der Ausschlussgrund des § 124 Abs. 1 Nr. 4 einschlägig ist. Nach dem Wortlaut der Vorschrift und der Gesetzesbegründung bedarf es für eine Eintragung nicht der Rechtskraft der Bußgeldentscheidung der Kartellbehörden. Auch wenn diese Regelung angesichts der einschneidenden Folgen für betroffene Unternehmen kritisch gesehen wird1, schafft sie doch einen vergaberechtlichen Gleichlauf zwischen GWB und WRegG, da ein Ausschluss nach § 124 Abs. 1 Nr. 4 schon bei „hinreichenden Anhaltspunkten“ auf eine Wettbewerbsbeschränkung möglich ist2. Wegen der vergleichsweisen geringen Anforderung für die Eintragung sieht das WRegG zudem eine Bußgeldhöhe von 50.000 Euro Eintragungsvoraussetzung, auch um Bagatellfälle auszuschließen3. Der Referentenentwurf sah hier ursprünglich noch eine Eintragung ab einer Bußgeldhöhe von 5.000,– Euro vor, die jedoch durch den Regierungsentwurf heraufgesetzt wurde. Hieran übte der Bundesrat in seiner Stellungnahme zum Gesetzesentwurf Kritik, da ca. 90 bis 95 Prozent der Bußgeldentscheidungen der Kartellbehörden im Geltungsbereich des Gesetzes nicht erfasst seien, weshalb von einem „Ausschluss von Bagatellfällen“ keine Rede sein könne4. Der Bundestag schloss sich dieser Sichtweise jedoch nicht an und hielt bei Bußgeldentscheidungen der Kartellbehörden an der Schwelle von 50.000,– Euro als Eintragungsvoraussetzung fest. § 2 Abs. 1 Nr. 1 lit. c) WRegG verpflichtet darüber hinaus bei rechtskräftigen Verurteilungen und Strafbefehle wegen Vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelt (§ 266a StGB) sowie wegen Steuerhinterziehung (§ 370 AO) zur Eintragung. In diesen Fällen ist ein Unternehmen gemäß § 123 Abs. 4 zwingend auszuschließen. § 2 Abs. 1 Nr. 2 WRegG sieht schließlich eine Eintragung auch bei bestimmten Verstößen gegen 1 Dreher, NZBau 2017, 313 f. 2 BT-Drucks. 18/12051, S. 27. 3 Nach Dreher, NZBau 2017, 313 f., stellt der höhere „Schwellenwert“ entgegen der Gesetzesbegründung zum WRegG keinen Ausgleich für die Eintragung vor Bestands- oder Rechtskraft dar, da er der kartellrechtlichen Bußgeldpraxis und den dafür maßgeblichen Rechtsgrundlagen mit umsatzabhängigen, regelmäßig sehr hohen Geldbußen geschuldet sei. 4 BR-Drucks. 18/12497, S. 2.

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das MiLoG, das AEntG, das SchwarzArbG, das SGB III sowie das AÜG vor.1 Zur Vermeidung einer Eintragung in Bagatellfällen setzt die Registereintragung wegen der in § 2 Abs. 1 Nr. 2 WRegG genannten Straftaten und Ordnungswidrigkeiten jedoch voraus, dass auf eine Freiheitsstrafe von mehr als drei Monaten oder eine Geldstrafe von mehr als 90 Tagessätzen erkannt oder eine Geldbuße von mindestens 2.500 Euro verhängt worden ist. Nach § 2 Abs. 1 Nr. 3 WRegG werden in das Register außerdem auch rechtskräftige Bußgeldentscheidungen gegen ein Unternehmen eingetragen, die nach § 30 OWiG wegen einer der in § 2 Abs. 1 Nr. 1 WRegG aufgeführten Straftaten oder der in § 2 Abs. 1 Nr. 2 WRegG aufgeführten Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten ergangen sind. Bewusst nicht zur Eintragung vorgesehen sind „Vergabesperren“, die von einzelnen Auftraggebern verhängt werden2. Welche Daten bei Vorliegen der Eintragungsvoraussetzungen von den Strafverfolgungsbehörden und den zur Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten berufenen Behörden an die Registerbehörde zu übermitteln und von der Registerbehörde in das Register einzutragen sind, regelt § 3 Abs. 1 WRegG abschließend3. Die Eintragung in das Register führt nicht automatisch zum Ausschluss eines Unternehmens von der Teilnahme am Vergabeverfahren. Sie bewirkt auch keine generelle Vergabesperre für einen bestimmten Zeitraum. § 6 Abs. 5 WRegG stellt klar, dass der Ausschluss von der Teilnahme an einem Vergabeverfahren eine eigenständige Einzelfallprüfung durch die jeweils zuständige Vergabestelle anhand der vergaberechtlichen Vorgaben erfordert4. Bei einer Eintragung eines Unternehmens wegen des Vorliegens eines zwingenden Ausschlussgrunds wird die Vergabestelle jedoch in aller Regel den Ausschluss des Unternehmens von der Teilnahme an dem Vergabeverfahren beschließen5. Neben den Eintragungsvoraussetzungen enthält das WRegG insbesondere Be- 69d stimmungen zur Übermittlung von Daten, die für die Prüfung des Vorliegens von Ausschlussgründen in Vergabeverfahren von Bedeutung sind, durch die für die Strafverfolgung und die Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten zuständigen Behörden und die Speicherung dieser Daten durch die Registerbehörde6. Unternehmen, die in das Register eingetragen werden sollen, sind im Vorfeld von der Registerbehörde anzuhören und können Einwendungen geltend machen7. Daneben sieht § 5 Abs. 2 WRegG vor, dass die Registerbehörde Unternehmen oder natürlichen Personen auf Antrag Auskunft über den sie betreffenden Inhalt des Wettbewerbsregisters erteilt. Im Gesetzgebungsverfahren wurde mit § 5 Abs. 3 1 2 3 4 5 6 7

BT-Drucks. 18/12051, S. 26. BT-Drucks. 18/12051, S. 27. BT-Drucks. 18/12051, S. 28. BT-Drucks. 18/12051, S. 31. BT-Drucks. 18/12051, S. 31. Vgl. § 3 Abs. 1 und § 4 WRegG. Vgl. § 5 WRegG.

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§ 123 | Zwingende Ausschlussgründe WRegG eine ergänzende Bestimmung in das Gesetz aufgenommen, wonach Unternehmen, die in das Wettbewerbsregister eingetragen sind oder eingetragen werden sollen, zur Geltendmachung oder Verteidigung ihrer rechtlichen Interessen verlangen können, dass einem bevollmächtigten Rechtsanwalt unbeschränkte Akteneinsicht gewährt wird1. Hierbei handelt es sich um eine an § 147 Abs. 1 StPO angelehnte Spezialregelung zur Akteneinsicht für Unternehmen, damit diese Kenntnis aller Umstände erlangen können, die für ihre bereits erfolgte oder geplante Eintragung von Bedeutung sein können2. Die effektive Wahrnehmung der rechtlichen Interessen eines Unternehmens kann unter Umständen erfordern, dass ein Unternehmen nicht nur den Auskunft über den Inhalt des Registers erhält, sondern auch Zugang zu weiteren Informationen. Dies betrifft insbesondere die in § 8 Abs. 3 WRegG bezeichneten Informationen3. Wie bei § 147 Abs. 1 StPO ist das Recht auf Akteneinsicht durch einen bevollmächtigten Rechtsanwalt auszuüben, der als Organ der Rechtspflege nur solche Informationen an das Unternehmen weitergeben darf, die zur Wahrnehmung der rechtlichen Interessen im Registerverfahren von Relevanz sein können4. Sowohl die Anhörung vor Eintragung als auch die Möglichkeit zur Akteneinsicht sind Ausfluss des Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung und dienen der Sicherstellung eines fairen Verfahrens5. Ebenfalls im Lichte des Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung steht die Regelung in § 7 WRegG über die Löschung von Registereintragungen. § 7 Abs. 1 WRegG sieht vor, dass eingetragene Unternehmen nach Ablauf bestimmter Fristen (drei oder fünf Jahre) aus dem Register gelöscht werden6. Insoweit besteht kein Ermessen der Registerbehörde. Die Fristen für die Löschung orientieren sich an den Vorgaben des § 126 über die Höchstdauer des zulässigen Ausschlusszeitraums7. Nach erfolgter Löschung einer Eintragung, darf die Straftat oder Ordnungswidrigkeit, die der Eintragung zu Grunde lag, in Vergabeverfahren nicht mehr zum Nachteil des Unternehmens berücksichtigt werden. Die Löschung hat somit eine Bindungswirkung für den Auftraggeber und kann auch in Vergabenachprüfungsverfahren durch Konkurrenten nicht in Frage gestellt werden8. Eingetragenen Unternehmen wird zudem die Möglichkeit eingeräumt, nach erfolgter Selbstreinigung9 einen Antrag auf vorzeitige Löschung aus dem Register zu stellen. Wenn die Registerbehörde zu dem Ergebnis kommt, dass das Unternehmen sich erfolgreich selbstgereinigt hat, wird die Eintragung gelöscht. Nach er1 2 3 4 5 6 7 8 9

Vgl. § 5 Abs. 3 WRegG. BT-Drucks. 18/12583, S. 11. BT-Drucks. 18/12583, S. 11. BT-Drucks. 18/12583, S. 11. BT-Drucks. 18/12051, S. 29. Vgl. § 7 WRegG; BT-Drucks. 18/12051, S. 31. BT-Drucks. 18/12051, S. 31. BT-Drucks. 18/12051, S. 31 f. Zur Selbstreinigung vgl. die Kommentierung zu § 125.

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folgter Löschung einer Eintragung – sei es durch Fristablauf oder durch nachgewiesene Selbstreinigung – darf die Straftat oder Ordnungswidrigkeit, die der Eintragung zu Grunde lag, in Vergabeverfahren nicht mehr zum Nachteil des Unternehmens berücksichtigt werden. Die Löschung hat somit eine Bindungswirkung für den Auftraggeber und kann auch in Vergabenachprüfungsverfahren durch Konkurrenten nicht in Frage gestellt werden1. Falls ein Antrag auf vorzeitige Löschung abgelehnt wird, kann das Unternehmen Beschwerde beim zuständigen Oberlandesgericht einlegen2. 5. Rechtsfolge a) Zwingender Ausschluss zu jedem Zeitpunkt des Verfahrens Erlangt der Auftraggeber Kenntnis von einem Ausschlussgrund gemäß § 123 70 Abs. 1, so ist das Unternehmen grundsätzlich zu jedem Zeitpunkt des Vergabeverfahrens zwingend auszuschließen, ohne dass dem Auftraggeber insoweit ein Ermessen zusteht3. Durch die Formulierung „zu jedem Zeitpunkt“ wird klargestellt, dass Aus- 71 schlussgründe in jedem Stadium des Vergabeverfahrens erkannt werden können und mit Kenntniserlangung grundsätzlich ein Ausschluss erfolgen muss. Erkennt die Vergabestelle einen zwingenden Ausschlussgrund nicht sofort oder lehnt einen solchen zunächst zu Unrecht ab, begründet dies kein schützenswertes Vertrauen des betroffenen Unternehmens, dass es weiterhin am Verfahren beteiligt werde4. Vielmehr muss der Auftraggeber das Unternehmen vom Vergabeverfahren ausschließen, sobald er Kenntnis vom Vorliegen des Ausschlussgrundes erlangt. Dies gilt auch, wenn die Prüfung der Angebote an sich bereits abgeschlossen war, der Zuschlag aber noch nicht erteilt wurde5. Erlangt der Auftraggeber nach Zuschlagserteilung Kenntnis davon, dass zum Zeitpunkt der Zuschlagserteilung ein zwingender Ausschlussgrund vorlag, berechtigt ihn dies gemäß § 133 Abs. 1 Nr. 2 zur Kündigung des Vertrags6. Die Folgen einer solchen Kündigung sind in § 133 Abs. 2 geregelt. Bei der Ausschlussentscheidung sind zudem die in § 126 vorgesehenen zeitli- 72 chen Obergrenzen für den Ausschluss von Unternehmen von Vergabeverfahren zu berücksichtigen. § 126 Nr. 1 bestimmt, dass Unternehmen, die keine oder keine ausreichenden Selbstreinigungsmaßnahmen nach § 125 ergriffen haben, 1 2 3 4

BT-Drucks. 18/12051, S. 31 f. Vgl. § 11 WRegG. BT-Drucks. 18/6281, S. 102. Opitz in Burgi/Dreher, Beck’scher Vergaberechtskommentar, Band 1, 3. Auflage 2017, § 123 Rz. 15. 5 Gnittke/Hattig in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 123 Rz. 37. 6 BT-Drucks. 18/6281, S. 121.

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§ 123 | Zwingende Ausschlussgründe bei Vorliegen eines zwingenden Ausschlussgrundes höchstens fünf Jahre ab dem Tag der rechtskräftigen Verurteilung von Vergabeverfahren ausgeschlossen werden dürfen. Die Bestimmung des genauen Zeitraums liegt im Ermessen des Auftraggebers und hängt maßgeblich von den Umständen des Einzelfalls ab, wobei die Schwere und die besonderen Umstände der Straftat oder des Fehlverhaltens berücksichtigt werden müssen1. Zu beachten ist insoweit, dass der öffentliche Auftraggeber bei Vorliegen eines Ausschlussgrundes stets prüfen muss, ob auch vor Ablauf der Höchstfristen gemäß § 126 bei nicht oder nicht in zureichendem Umfang ergriffenen Selbstreinigungsmaßnahmen die vergaberechtliche Eignung des Unternehmens vorliegt2. Wird dies bejaht, darf das Unternehmen nicht ausgeschlossen werden. b) Reichweite des Ausschlusses 73 Der Ausschluss eines Unternehmens erfolgt nur für das konkrete Vergabever-

fahren. Eine „Auftragssperre“, die automatisch für weitere Vergabeverfahren anderer öffentlicher Auftraggeber wirkt, ist hingegen mit der Ausschlussentscheidung nicht verbunden. c) Ausnahmen von der Ausschlusspflicht

74 Von einem Ausschluss nach § 123 Abs. 1 kann im Ausnahmefall bei zwingen-

den Gründen des öffentlichen Interesses gemäß § 123 Abs. 5 Satz 1 abgesehen werden (vgl. hierzu Rz. 97 ff.). Auch eine erfolgreiche Selbstreinigung nach § 125 GWB kann einem Ausschluss nach § 123 Abs. 1 GWB entgegenstehen3. Bei der nach § 125 Abs. 2 Satz 1 vorzunehmenden Bewertung einer Selbstreinigungsmaßnahme durch den öffentlichen Auftraggeber sind alle während des laufenden Vergabeverfahrens und auch des Vergabenachprüfungsverfahrens durchgeführten Selbstreinigungsmaßnahmen zu berücksichtigen4. Auch wenn grundsätzlich der Sachverhalt zum Zeitpunkt der Eignungsprüfung maßgeblich für die Bewertung der Selbstreinigungsmaßnahme ist5, liegt hierin keine absolute zeitliche Grenze. Etwas anderes gilt allerdings, wenn zu befürchten steht, dass der in Betracht kommende Ausschlussgrund Auswirkungen auf die Angebotskalkulation des Unternehmens hat. Insoweit entfalten nachträglich ergriffene Maßnahmen keine Wirkung für die infizierte Angebotskalkulation6. 1 BT-Drucks. 18/6281, S. 111; Prieß/Simonis in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 126 Rz. 16. 2 Radu in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 126 Rz. 33. 3 BT-Drucks. 18/6281, S. 102. 4 Vgl. § 125 Rz. 95 ff. 5 Vgl. § 125 Rz. 95 ff. 6 Prieß/Simonis in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 125 Rz. 57.

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III. Zwingender Ausschluss gemäß § 123 Abs. 4 Satz 1 § 123 Abs. 4 Satz 1 sieht vor, dass öffentliche Auftraggeber ein Unternehmen zu 75 jedem Zeitpunkt des Vergabeverfahrens von der Teilnahme ausschließen, wenn das Unternehmen seinen Verpflichtungen zur Zahlung von Steuern, Abgaben oder Beiträgen zur Sozialversicherung nicht nachgekommen ist und dies durch eine rechtskräftige Gerichts- oder bestandskräftige Verwaltungsentscheidung festgestellt wurde (Nr. 1) oder die öffentlichen Auftraggeber auf sonstige geeignete Weise die Verletzung einer Verpflichtung nach Nr. 1 nachweisen können (Nr. 2). § 123 Abs. 4 Satz 1 setzt Art. 57 Abs. 2 Richtlinie 2014/24/EU um. Bisher war bei 76 der Nichtentrichtung von Steuern, Abgaben oder Beiträgen zur Sozialversicherung sowohl im europäischen als auch im deutschen Vergaberecht nur ein fakultativer Ausschluss vorgesehen1. Unter den Ausschlussgrund nach § 123 Abs. 4 fallen auch Verurteilungen wegen 77 Steuerhinterziehung nach § 370 AO und wegen Vorenthaltung und Veruntreuung von Sozialversicherungsbeiträgen nach § 266a StGB. Sie werden aus diesem Grund nicht in dem Katalog des Absatzes 1 aufgeführt2. Potentielle Täter dieser Tatbestände sind zwar nicht Unternehmen, sondern die handelnden Individuen. Bei einer vollendeten Tat nach § 370 AO oder § 266a StGB wird eine Nichtentrichtung i.S.v. § 123 Abs. 4 Satz 1 jedoch indiziert3. Voraussetzung ist allerdings, dass sich die Strafbarkeit aus der nicht erfüllten Verpflichtung einer Steuer- oder Sozialversicherungsschuld des Unternehmens ergibt. 1. Nichtentrichtung von Steuern, Abgaben und Beiträgen zur Sozialversicherung Steuern sind in § 3 Abs. 1 AO legaldefiniert als Geldleistungen, die nicht eine 78 Gegenleistung für eine besondere Leistung darstellen und von einem öffentlichrechtlichen Gemeinwesen zur Erzielung von Einnahmen allen auferlegt werden, bei denen der Tatbestand zutrifft, an den das Gesetz die Leistungspflicht knüpft; die Erzielung von Einnahmen kann Nebenzweck sein. Die in § 123 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 verwendete Formulierung „Abgaben oder Bei- 79 träge zur Sozialversicherung“ erscheint auf den ersten Blick unsauber, da neben den „Sozialversicherungsbeiträgen“ keine weiteren Abgaben zur gesetzlichen Sozialversicherung erhoben werden. Als Beiträge im Sinne des Sozialversicherungs(verfassungs)rechts gelten sämtliche Zahlungen der „Beteiligten“, um 1 BT-Drucks. 18/6281, S. 103 f. 2 BT-Drucks. 18/6281, S. 103 f. 3 Opitz in Burgi/Dreher, Beck’scher Vergaberechtskommentar, Band 1, 3. Auflage 2017, § 123 Rz. 49.

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§ 123 | Zwingende Ausschlussgründe die Aufwendungen der sozialen Versicherungsträger ganz oder teilweise zu decken1. 80 Von der Vorschrift erfasst sind jedoch nicht nur die Beiträge zur klassischen So-

zialversicherung, zu der die gesetzliche Kranken-, Unfall- und Rentenversicherung sowie die Pflegeversicherung (vgl. § 1 Abs. 1 SGB IV) und die Arbeitslosenversicherung gehören2. Unter die von § 123 Abs. 4 Satz 1 erfassten Beiträge zur Sozialversicherung fallen vielmehr auch Sozialleistungen, die in ihren wesentlichen Strukturelementen, insbesondere in der organisatorischen Durchführung und hinsichtlich der abzudeckenden Risiken dem Bild entsprechen, dass durch die klassische „Sozialversicherung“ geprägt ist3. Hierfür spricht insbesondere, dass § 123 Abs. 4 Satz 1 nicht auf Beiträge zur „gesetzlichen“ Sozialversicherung abstellt. Insoweit ist von einer bewussten gesetzgeberischen Entscheidung auszugehen.4 Im Ergebnis fallen daher auch Beiträge, die Arbeitgeber zwingend an Einrichtungen wie berufsständische Versorgungswerke abführen müssen, in den Anwendungsbereich der Vorschrift5. Anders als nach der bisherigen Rechtslage sind auch Zahlungen an eine in einem allgemeinverbindlichen Tarifvertrag vorgesehene Sozialkasse, die insbesondere Urlaubsabgeltungs- und Lohnausgleichszahlungen sowie weitere Zahlungen erbringt, von § 123 Abs. 1 Nr. 4 erfasst6.

81 Andere Abgaben als Steuern und Beiträge zur Sozialversicherung sind von § 123

Abs. 4 Satz 1 nicht erfasst. Die Formulierung der Vorschrift ist insoweit missverständlich, als der Eindruck entstehen könnte, auch andere Abgaben – bspw. kommunale Gebühren oder Beiträge – würden ebenfalls erfasst. Dies ist jedoch nicht der Fall7. Art. 57 Abs. 2 Richtlinie 2014/24/EU stellt allein auf die Nichtentrichtung von Steuern und Sozialversicherungsbeiträgen ab. Da sich der nationale Gesetzgeber darauf beschränkt hat, durch § 123 die verpflichtenden Vorgaben der Richtlinie 2014/24/EU umzusetzen und die Vorgaben der Richtlinien soweit wie möglich für das deutsche Recht nachzuzeichnen, bezieht sich auch

1 Ibler in Maunz/Dürig, Grundgesetz, Loseblatt-Kommentar, Art. 87 Rz. 177. 2 Maunz in Maunz/Dürig, Grundgesetz, Loseblatt-Kommentar, Art. 72 Rz. 170; Opitz in Burgi/Dreher, Beck’scher Vergaberechtskommentar, Band 1, 3. Auflage 2017, § 123 Rz. 48. 3 Hausmann/von Hoff in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 123 Rz. 48. 4 Hausmann/von Hoff in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 123 Rz. 48. 5 Hausmann/von Hoff in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 123 Rz. 48. 6 Hausmann/von Hoff in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 123 Rz. 48; Opitz in Burgi/Dreher, Beck’scher Vergaberechtskommentar, Band 1, 3. Auflage 2017, § 123 Rz. 48; zur bisherigen Rechtslage nach § 6 EG Abs. 6 lit. d VOL/A vgl. OLG Schleswig v. 6.11.2001 – 6 U 50/01, ZfBR 2002, 186 ff. 7 Gnittke/Hattig in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 123 Rz. 56.

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§ 123 Abs. 4 Satz 1 ausschließlich auf Steuern und Beiträge zur Sozialversicherung. Dies bestätigt auch die Gesetzesbegründung zum GWB, die vom Ausschluss wegen der „Nichtentrichtung von Steuern und Sozialabgaben“ spricht1. § 123 Abs. 4 Satz 1 GWB setzt voraus, dass das Unternehmen einer Verpflich- 82 tung zur Entrichtung von Steuern oder Sozialversicherungsbeiträgen trotz Fälligkeit nicht nachgekommen ist. Dies ist der Fall, wenn die Forderung noch offen ist. Begleicht der Bieter die Steuer oder Beitragsschuld bis zum Ablauf der Angebotsfrist, ist der Tatbestand des § 123 Abs. 4 Satz 1 nicht erfüllt, was sich auch aus § 123 Abs. 4 Satz 2 ergibt2. Bei der nicht erfüllten Verpflichtung muss es sich um eine Steuer- oder Sozial- 83 versicherungsschuld des Unternehmens handeln3. Dies folgt schon aus dem Wortlaut von § 124 Abs. 1 Satz 1, der ausdrücklich auf das Unternehmen abstellt. Einschlägige Verfehlungen von Leitungspersonen oder sonstigen Mitarbeitern des Unternehmens im privaten Bereich sind daher ohne Relevanz. 2. Feststellung durch rechtskräftige Gerichts- oder bestandskräftige Verwaltungsentscheidung (Nr. 1) Es muss entweder durch eine rechtskräftige Gerichts- oder eine bestandskräftige 84 Verwaltungsentscheidung festgestellt worden sein, dass das Unternehmen einer Verpflichtung zur Entrichtung von Steuern oder Sozialversicherungsbeiträgen nicht nachgekommen ist (Nr. 1). Alternativ kommt ein Nachweis der Nichterfüllung von Steuer- oder Sozialversicherungspflichten auf sonstige geeignete Weise in Betracht (Nr. 2; vgl. hierzu Rz. 88 ff.). Eine gemäß § 123 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 zum Nachweis genügende Gerichtsent- 85 scheidung kann eine finanzgerichtliche oder sozialgerichtliche Entscheidung sein. In Betracht kommen auch strafgerichtliche Verurteilungen von Leitungsverantwortlichen des Unternehmens wegen Verwirklichung der Tatbestände des § 370 AO oder des S 266a StGB.4 § 123 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 erfasst jedoch nicht nur der Rechtskraft fähige gerichtliche Entscheidungen, sondern lässt auch der Bestandskraft fähige Verwaltungsentscheidungen ausreichen. Gemeint sind hiermit Verwaltungsakte (vgl. bspw. § 35 VwVfG, § 118 AO oder § 31 SGB X), die in formelle Bestandskraft erwachsen, wenn sie nicht (mehr) mit ordentlichen Rechtsbehelfen angegriffen werden können, also unanfechtbar sind5. Ob die Anfor1 2 3 4

BT-Drucks. 18/6281, S. 103. Gnittke/Hattig in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 123 Rz. 57. Gnittke/Hattig in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 123 Rz. 59. Opitz in Burgi/Dreher, Beck’scher Vergaberechtskommentar, Band 1, 3. Auflage 2017, § 123 Rz. 50. 5 Fritsch in Koenig, Abgabenordnung Kommentar, § 118 Rz. 70; Sachs in Stelkens/Bonk/ Sachs, Verwaltungsverfahrensgesetz, § 43 Rz. 20; Siewert/Waschull in Diering/Timme, Sozialgesetzbuch X, § 39 Rz. 2.

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§ 123 | Zwingende Ausschlussgründe derung der Abgaben selbst durch Verwaltungsakt erfolgt, ist nicht maßgeblich. § 123 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 stellt darauf ab, dass die Nichtentrichtung der Steuern oder Sozialversicherungsbeiträge entweder durch Urteil oder durch Verwaltungsakt festgestellt wird. Die konkrete Abgabeschuld muss also bereits bestehen und die Pflichtverletzung des Unternehmens in einem zweiten Schritt durch rechtskräftiges Urteil oder bestandskräftigen Verwaltungsakt festgestellt worden sein. 86 Handelt es sich um einen Bieter mit einer Niederlassung in einem anderen Mit-

gliedsstaat, sind dort gegen ihn ergangene rechtskräftige Gerichts- oder bestandskräftige Verwaltungsentscheidungen ebenfalls zu berücksichtigen. Dies folgt aus Art. 57 Abs. 2 Unterabs. 2 der Richtlinie 2014/24/EU. Danach ist ein Unternehmen zwingend auszuschließen, wenn dem öffentlichen Auftraggeber bekannt ist, dass der Wirtschaftsteilnehmer seinen Verpflichtungen zur Entrichtung seiner Steuern oder Sozialversicherungsbeiträge nicht nachgekommen ist und dies durch eine endgültige und verbindliche Gerichts- oder Verwaltungsentscheidung gemäß den Rechtsvorschriften des Landes seiner Niederlassung bzw. des Mitgliedstaats des öffentlichen Auftraggebers festgestellt wurde.

87 Darüber hinaus muss der öffentliche Auftraggeber Kenntnis von der maßgebli-

chen Gerichts- oder Verwaltungsentscheidung haben. § 123 Abs. 4 Satz 1 formuliert dieses Erfordernis zwar nicht ausdrücklich, setzt die Kenntnis des Auftraggebers jedoch zwangsläufig voraus. 3. Nachweis auf sonstige geeignete Weise (Nr. 2)

88 Nach § 123 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 muss ein Unternehmen auch dann vom Vergabe-

verfahren ausgeschlossen werden, wenn der Auftraggeber auf sonstige geeignete Weise nachweisen kann, dass das Unternehmen Verpflichtungen zur Entrichtung von Steuern oder Sozialversicherungsbeiträgen nicht nachgekommen ist. Ein Ausschluss ist hiernach insbesondere auch schon während laufender Verwaltungs- oder Gerichtsverfahren möglich1.

89 Nähere Bestimmungen dazu, was eine sonstige geeignete Weise ist, enthalten we-

der das GWB oder die Gesetzesmaterialien hierzu, noch die Richtlinie 2014/24/ EU2. Angesichts der einschneidenden Folge für das Unternehmen können an den Nachweis auf sonstige geeignete Weise jedoch keine geringen Anforderungen gestellt werden3. Vielmehr ist erforderlich, dass die Aussagekraft der Nachweisführung vergleichbar einer bestandskräftigen Verwaltungsentscheidung oder einem rechtskräftigen Urteil ist. Auf ungesicherte Erkenntnisquellen darf sich der öffentliche Auftraggeber daher nicht stützen. Vage Hinweise genügen also

1 Opitz in Burgi/Dreher, Beck’scher Vergaberechtskommentar, Band 1, 3. Auflage 2017, § 123 Rz. 51. 2 Hausmann/von Hoff in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 123 Rz. 52. 3 Gnittke/Hattig in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 123 Rz. 63.

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nicht. Im Zweifel muss der öffentliche Auftraggeber dem betreffenden Unternehmen Gelegenheit zur Stellungnahme geben, bevor er den Ausschluss vollzieht1. Ausreichend für einen Nachweis auf sonstige geeignete Weise ist insbesondere 90 eine Nachweisführung mittels der in § 48 Abs. 5 VgV genannten Belege. Liegen dem Auftraggeber Bescheinigungen von Finanzämtern oder Sozialversicherungsträgern vor, aus denen Zahlungsrückstände des Unternehmens ersichtlich sind, so genügt dies. Gleiches gilt für die Erklärung eines Finanzamtes oder Sozialversicherungsträgers, wonach keine Unbedenklichkeitsbescheinigung für das betreffende Unternehmen erteilt werde2. 4. Rechtsfolge § 123 Abs. 4 Satz 1 sieht wie auch § 123 Abs. 1 Satz 1 vor, dass der öffentliche 91 Auftraggeber Unternehmen bei Vorliegen des Ausschlussgrundes zu jedem Zeitpunkt des Vergabeverfahrens zwingend auszuschließen hat, ohne dass dem Auftraggeber insoweit ein Ermessen zusteht3. Ein zwingender Ausschluss wegen der Nichtentrichtung von Steuern oder Abga- 92 ben kommt allerdings gemäß § 123 Abs. 4 Satz 2 nicht in Betracht, wenn das Unternehmen seinen Verpflichtungen dadurch nachgekommen ist, dass es die Zahlung vorgenommen oder sich – zumindest dem Grunde nach4 – zur Zahlung der Steuern, Abgaben und Beiträge zur Sozialversicherung einschließlich Zinsen, Säumnis- und Strafzuschlägen verpflichtet hat. § 123 Abs. 4 Satz 2 trifft keine ausdrückliche Aussage dazu, bis zu welchem Zeit- 93 punkt im Vergabeverfahren das Unternehmen seine Verpflichtungen erfüllt haben muss, so dass sich die Frage stellt, ob dies auch nach Ablauf der Angebotsfrist noch der Fall sein kann. Dies ist zu bejahen5. Denn § 123 Abs. 4 Satz 2 stellt eine spezielle Regelung zur Möglichkeit der Selbstreinigung dar, die als lex specialis der strengeren allgemeinen Regelung in § 125 vorgeht, was § 125 Abs. 1 Satz 2 nochmals klarstellt6. Bei der nach § 125 Abs. 2 Satz 1 vorzunehmenden Bewertung einer Selbstreinigungsmaßnahme durch den öffentlichen Auftraggeber sind grundsätzlich alle während des laufenden Vergabeverfahrens und auch des Vergabenachprüfungsverfahrens durchgeführten Selbstreinigungsmaßnahmen zu berücksichtigen7. Mit Blick auf die „Selbstreinigung“ nach § 123 Abs. 4 Satz 2 kann nichts anderes gelten. 1 2 3 4

Gnittke/Hattig in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 123 Rz. 64. Gnittke/Hattig in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 123 Rz. 64. BT-Drucks. 18/6281, S. 102. Opitz in Burgi/Dreher, Beck’scher Vergaberechtskommentar, Band 1, 3. Auflage 2017, § 123 Rz. 54. 5 einschränkend Gnittke/Hattig in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 123 Rz. 69. 6 BT-Drucks. 18/6281, S. 104 und 110. 7 Vgl. § 125 Rz. 95 ff.

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§ 123 | Zwingende Ausschlussgründe IV. Absehen vom Ausschluss gemäß § 123 Abs. 5 94 § 123 Absatz 5 gibt öffentlichen Auftraggebern die Möglichkeit, ausnahmsweise

von einem an sich zwingend vorgesehenen Ausschluss eines Unternehmens nach § 123 Abs. 1 Satz 1 oder § 123 Abs. 4 Satz 1 abzusehen, wenn dies aus zwingenden Gründen des öffentlichen Interesses geboten ist (Abs. 5 Satz 1). Bei Vorliegen eines Ausschlussgrunds nach § 123 Abs. 4 Satz 1 kann zudem auf einen Ausschluss verzichtet werden, wenn dieser offensichtlich unverhältnismäßig wäre (Abs. 5 Satz 2).

95 Die Ausnahmeregelungen sind als Ermessensvorschriften ausgestaltet („kann“).

Der öffentliche Auftraggeber muss daher nach pflichtgemäßem Ermessen darüber entscheiden, ob ein von § 123 Abs. 5 Satz 1 oder 2 erfasster Ausnahmefall vorliegt.

96 Durch § 123 Abs. 5 hat der nationale Gesetzgeber von der nach Art. 57 Abs. 3

Unterabs. 1 der Richtlinie 2014/24/EU bestehenden Option Gebrauch gemacht, eine Ausnahme vom zwingenden Ausschluss vorzusehen. 1. Zwingende Gründe des öffentlichen Interesses (Satz 1)

97 Trotz Vorliegen eines Ausschlussgrundes nach § 123 Abs. 1 oder Abs. 4 Satz 1

kann der öffentliche Auftraggeber von einem Ausschluss absehen, wenn dies aus zwingenden Gründen des öffentlichen Interesses geboten ist.

98 Nicht ausreichend ist, wenn die Teilnahme des Unternehmens, bei dem ein

zwingender Ausschlussgrund vorliegt, aus Gründen des öffentlichen Interesses sinnvoll erscheint oder das Unternehmen einen günstigeren Preis geboten hatte. Vielmehr muss die Teilnahme aus zwingenden Gründen des öffentlichen Interesses geboten sein1. Was genau hierunter zu verstehen ist, lässt § 123 Abs. 5 Satz 1 offen und gesteht dem öffentlichen Auftraggeber insoweit einen gerichtlich nur begrenzt überprüfbaren Beurteilungsspielraum zu2.

99 Eine vergleichbare Regelungen enthielt schon § 6 EG Abs. 5 VOL/A. Danach

konnte von einem zwingenden Ausschluss abgesehen werden, wenn zwingende Gründe des Allgemeininteresses vorliegen und andere Unternehmen die Leistung nicht angemessen erbringen können. Weder § 6 EG Abs. 5 VOL/A noch die zu Grunde liegende Richtlinie 2004/18/EG regelte jedoch, welche Gründe als „zwingende Gründe des Allgemeininteresses“ anzusehen waren. Angesichts des Ausnahmecharakters der Vorschrift wurde eine restriktive Auslegung vorgenommen und auf die in der Rechtsprechung des EuGH zur Beschränkung der Warenverkehrsfreiheit entwickelten „zwingenden Erfordernisse“ abgestellt3.

1 BT-Drucks. 18/6281, S. 104. 2 Opitz in Burgi/Dreher, Beck’scher Vergaberechtskommentar, Band 1, 3. Auflage 2017, § 123 Rz. 56. 3 Müller-Wrede in Müller-Wrede, Verdingungsordnung für Leistungen VOL/A Kommentar, § 6 EG Rz. 48.

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Zwingende Ausschlussgründe | § 123

Diese ungeschriebenen Rechtfertigungsgründe für Beschränkungen der Warenverkehrsfreiheit werden im Hinblick auf die bei anderen Grundfreiheiten übliche Terminologie auch als zwingende Interessen des Allgemeinwohls bezeichnet1. Hierunter fallen nach der Rechtsprechung des EuGH der Umwelt-2 und Verbraucherschutz3, die Lauterkeit des Handelsverkehrs4, der Schutz der Systeme sozialer Sicherheit5, die Sicherheit des Straßenverkehrs, kulturelle Zwecke (insbesondere Medienvielfalt)6 sowie die Wirksamkeit steuerlicher Kontrollen7. Art. 57 Abs. 3 Unterabs. 1 der Richtlinie 2014/24/EU stellt zwar für das Absehen 100 vom Ausschluss auf ein zwingendes öffentliches Interesse ab. Erwägungsgrund 100 der Richtlinie 2014/24/EU spricht jedoch davon, dass es „zwingende Gründe des Allgemeininteresses“ geben kann, die eine Auftragsvergabe an einen auszuschließenden Wirtschaftsteilnehmer unumgänglich machen. Das zwingende öffentliche Interesse i.S.v. § 123 Abs. 5 Satz 1 und Art. 57 Abs. 3 Unterabs. 3 dürfte daher wie die „zwingenden Gründe des Allgemeininteresses“ gemäß § 6 EG Abs. 5 VOL/A zu verstehen sein. § 123 Abs. 5 Satz 1 ist dabei als Ausnahmeregelung – wie auch die Vorläuferregelung – eng auszulegen8. Als Beispielsfall für ein zwingendes öffentliches Interesse nennt Erwägungsgrund 100 der Richtlinie 2014/24/EU die Beschaffung dringend benötigter Impfstoffe oder Notfallausrüstungen, die nur von einem Wirtschaftsteilnehmer käuflich erworben werden können, bei dem ein zwingender Ausschlussgrund vorliegt. Die Vorschrift zielt also darauf ab, dass eine angemessene Versorgung der Allgemeinheit mit wichtigen Versorgungsgütern ohne eine Beauftragung des Unternehmens gefährdet wäre, weil beim Ausschluss des Unternehmens der konkrete, nicht aufschiebbare Beschaffungsbedarf nicht durch andere Unternehmen gedeckt werden können9. Ein Ausschluss auf Grund einer rechtskräftigen Verurteilung wegen einer Kata- 101 logstraftat nach § 123 Abs. 1 ist der Wertung des Art. 57 Abs. 3 der Richtlinie 2014/24/EU zufolge stets verhältnismäßig, da insoweit keine Möglichkeit zur Ausnahme wegen Unverhältnismäßigkeit des Ausschlusses vorgesehen ist. Bei § 123 Abs. 5 Satz 1 kommt es daher auch nicht auf die Schwere der Verfehlung, 1 Becker in Schwarze/Becker/Hatje/Schoo, EU-Kommentar, Art. 36 AEUV Rz. 35. 2 EuGH v. 20.9.1988 – Rs. 302/86 (Kommission/Dänemark), Slg. 1988, 4627, NVwZ 1989, 849; näher Kingreen in Calliess/Ruffert, EUV/AEUV Verfassungsrecht der Europäischen Union mit europäischer Grundrechtecharta Kommentar, Art. 36 AEUV Rz. 214. 3 EuGH v. 20.2.1979 – Rs. 120/78 (Cassis de Dijon), Slg. 1979, 649, NJW 1979, 1766. 4 EuGH v. 20.2.1979 – Rs. 120/78 (Cassis de Dijon), Slg. 1979, 649, NJW 1979, 1766. 5 EuGH v. 28.4.1998 – Rs. C-120/95 (Decker), Slg. 1998, I-1831, NJW 1998, 1769. 6 EuGH v. 11.7.1985 – Rs. 60 u. 61/84 (Cinéthèque), Slg. 1985, 2605, GRUR Int 1986, 114; EuGH v. 26.6.1997 – Rs. C-368/95 (Familliapress), ZUM 1997, 830 (831). 7 EuGH v. 20.2.1979 – Rs. 120/78 (Cassis de Dijon), Slg. 1979, 649, NJW 1979, 1766. 8 BT-Drucks. 18/6281, S. 104. 9 Opitz in Burgi/Dreher, Beck’scher Vergaberechtskommentar, Band 1, 3. Auflage 2017, § 123 Rz. 56.

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§ 123 | Zwingende Ausschlussgründe sondern allein auf das Beschaffungsinteresse des öffentlichen Auftraggebers an1. 102 Auftraggeber können auch gemäß § 123 Abs. 5 Satz 1 vom Ausschluss absehen,

wenn ein Unternehmen nach § 123 Abs. 2 in Verbindung mit § 123 Abs. 1 wegen der Verurteilung oder Festsetzung einer Geldbuße nach vergleichbaren Vorschriften anderer Staaten auszuschließen ist2. § 123 Abs. 5 Satz 1 stellt dies zwar nicht ausdrücklich klar, sondern spricht lediglich davon, dass von einem Ausschluss nach Absatz 1 abgesehen werden kann. Bei der Regelung zur Gleichstellung ausländischer Verurteilungen und Geldbußen in § 123 Abs. 2 handelt es sich jedoch nach der Regelungssystematik nicht um einen eigenständigen Ausschlusstatbestand. Vielmehr wird der Anwendungsbereich des Ausschlusstatbestandes in § 123 Abs. 1 durch Abs. 2 erweitert, so dass es sich auch in den Fällen des Abs. 2 um einen „Ausschluss nach Abs. 1“ handelt. Das entspricht auch Sinn und Zweck der Regelung, denn es geht im Kern um das überwiegende Beschaffungsinteresse, für das es irrelevant ist, ob es ein Ausschluss aufgrund einer nationalen Katalogtat oder aufgrund vergleichbarer Vorschriften anderer Staaten in Rede steht. Die zwingenden Gründe des öffentlichen Interesses sind insoweit „neutral“.

2. Offensichtliche Unverhältnismäßigkeit (Satz 2) 103 Hat ein Unternehmen seine Verpflichtungen zur Entrichtung von Steuern oder

Sozialversicherungsbeiträgen verletzt und ist deswegen gemäß § 123 Abs. 4 Satz 1 auszuschließen, kann ebenfalls aus zwingenden Gründen des öffentlichen Interesses vom Ausschluss abgesehen werden. Darüber hinaus kann für den Fall einer Nichtentrichtung von Steuern oder Sozialversicherungsbeiträgen vom zwingenden Ausschluss auch dann abgesehen werden, wenn ein Ausschluss offensichtlich unverhältnismäßig wäre.

104 § 123 Abs. 5 Satz 2 stellt den Rechtsanwender vor das Problem, dass es sich bei

der erforderlichen „offensichtlichen Unverhältnismäßigkeit“ um einen unbestimmten Rechtsbegriff handelt, auf den auch Art. 57 Abs. 3 Unterabs. 2 der Richtlinie 2014/24/EU abstellt.

105 Eine Definition der „offensichtlichen Unverhältnismäßigkeit“ beinhaltet weder

das GWB noch die Richtlinie 2014/24/EU. Art. 57 Abs. 3 Unterabs. 2 der Richtlinie 2014/24/EU nennt allerdings Beispiele für eine offensichtliche Unverhältnismäßigkeit. Diese soll insbesondere vorliegen, wenn nur geringfügige Beträge an Steuern oder Sozialversicherungsbeiträgen nicht gezahlt wurden oder dass das Unternehmen im Zusammenhang mit der Zahlung von Steuern oder Sozialversicherungsbeiträgen so spät über den genauen geschuldeten Betrag unterrich-

1 Gnittke/Hattig in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 123 Rz. 75. 2 A.A. Brüning, NZBau 2016, 723 (726).

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Zwingende Ausschlussgründe | § 123

tet wurde, dass es keine Möglichkeit hatte, die nachträgliche Zahlung vor dem Ablauf der Frist für die Beantragung der Teilnahme bzw. im offenen Verfahren der Frist für die Einreichung der Angebote durchzuführen1. Die in Art. 57 Abs. 3 Unterabs. 2 der Richtlinie 2014/24/EU genannten Beispiele 106 sind nicht abschließend („insbesondere“), so dass auch weitere Fälle „offensichtlicher Unverhältnismäßigkeit“ in Betracht kommen. Wegen der strengen Formulierung „offensichtlich“ ist allerdings eine restriktive Anwendung geboten. Die Unverhältnismäßigkeit muss geradezu evident sein. In Zweifelsfällen wird daher ein Ausschluss zu erfolgen haben. Schwierigkeiten in der Anwendung bereitet zudem das erste der in Art. 57 Abs. 3 107 Unterabs. 2 der Richtlinie 2014/24/EU genannten Beispiele. Der dort genannte Rückstand der Beträge an Steuern oder Sozialversicherungsbeiträgen muss „geringfügig“ sein, was ebenfalls einen unbestimmten Rechtsbegriff darstellt. Insoweit bietet es sich an, die zur Gewerbeuntersagung wegen Unzuverlässig- 108 keit entwickelten verwaltungsrechtlichen Grundsätze als Orientierungshilfe heranzuziehen. Gewerberechtlich unzuverlässig ist, wer keine Gewähr dafür bietet, dass er sein Gewerbe in Zukunft ordnungsgemäß ausüben wird2. Die Konturierung des unbestimmten Rechtsbegriffs der Unzuverlässigkeit hat die Rechtsprechung im Wesentlichen durch die Bildung von Fallgruppen der Unzuverlässigkeit vollzogen3, zu denen auch Steuerrückstände und Verstöße gegen sozialversicherungsrechtliche Verpflichtungen zählen4. Bei der danach anzustellenden Prognoseentscheidung über die erforderliche Zuverlässigkeit des Gewerbetreibenden bestehen im Hinblick auf Steuer- oder Sozialversicherungsrückstände allerdings keine festen Grenzen, ab welcher Höhe von der Unzuverlässigkeit auszugehen ist5. Nach der Rechtsprechung des BVerwG sind Steuerrückstände (nur) dann geeignet die Unzuverlässigkeit eines Gewerbetreibenden zu begründen, wenn sie sowohl ihrer absoluten Höhe nach als auch im Verhältnis zur Gesamtbelastung des Gewerbetreibenden von Gewicht sind; auch die Zeitdauer, während derer der Gewerbetreibende seinen steuerlichen Verpflichtungen nicht nachgekommen ist, ist von Bedeutung6. Es gilt damit bei Steuerrückständen – und im Übrigen auch bei Rückständen von Sozialversicherungsbeiträgen – ein flexibler Maßstab, der sich nach der Gesamtsituation des betroffenen Gewerbetreibenden richtet, wobei insbesondere die Relation der Abgabenschuld zum 1 2 3 4 5

BT-Drucks. 18/6281, S. 104. Marcks in Landmann/Rohmer, Gewerbeordnung, Loseblatt-Kommentar, § 35 Rz. 29. Ennuschat in Tettinger/Wank/Ennuschat, Gewerbeordnung Kommentar, § 35 Rz. 28. Brüning in Pielow, Beck’scher Online-Kommentar Gewerberecht, § 35 Rz. 23. Brüning in Pielow, Beck’scher Online-Kommentar Gewerberecht, § 35 Rz. 23b; Marcks in Landmann/Rohmer, Gewerbeordnung, Loseblatt-Kommentar, § 35 Rz. 52 und 57; speziell zu Steuerschulden BVerwG v. 9.4.1997 – 1 B 81/97, GewArch 1999, 72. 6 BVerwG v. 9.4.1997 – 1 B 81/97, GewArch 1999, 72; Ennuschat in Tettinger/Wank/Ennuschat, Gewerbeordnung Kommentar, § 35 Rz. 54.

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§ 123 | Zwingende Ausschlussgründe Umsatz zu berücksichtigen ist1. Als Orientierungswerte werden bei Steuerrückständen eine Mindesthöhe von 5.000 Euro2 und bei Sozialversicherungsbeiträgen eine Mindesthöhe von 2.500 Euro genannt3. Auch wenn diese Richtwerte für den im Vergleich zu einem Ausschluss von einem einzelnen Vergabeverfahren sicherlich schwereren Eingriff einer Gewerbeuntersagung entwickelt worden sind, kann sich ein öffentlicher Auftraggeber auch im Rahmen der Prüfung des § 123 Abs. 5 Satz 2 an sie anlehnen. 3. Selbstreinigung gemäß § 125 (Satz 3) 109 § 123 Abs. 5 Satz 3 sieht vor, dass § 125 durch die Regelungen in § 123 Abs. 5

Satz 1 und 2 unberührt bleibt. Hieraus folgt zum einen, dass die in § 123 Abs. 5 Satz 1 und 2 vorgesehenen Möglichkeiten, von einem Ausschluss abzusehen, ungeachtet des allgemeinen Selbstreinigungstatbestands in § 125 gelten4. Zum anderen wird klargestellt, dass eine erfolgreiche Selbstreinigung nach § 125 GWB einem Ausschluss nach § 123 Abs. 1 GWB entgegensteht und daher vom Auftraggeber zu berücksichtigen ist.

V. Rechtsschutz 110 Unternehmen, die vom Auftraggeber unter Berufung auf § 123 vom Vergabever-

fahren ausgeschlossen werden, können sich hiergegen mit einem Nachprüfungsverfahren wenden5.

111 § 123 ist eine drittschützende Bestimmung über das Vergabeverfahren i.S.v. § 97

Abs. 6. Denn jede Entscheidung eines öffentlichen Auftraggebers über den Ausschluss oder Nichtausschluss eines am Vergabeverfahren beteiligten Unternehmens betrifft zwangsläufig und unmittelbar die Interessen der übrigen Bewerber bzw. Bieter6. Konkurrenten können somit einen unterbliebenen zwingenden Ausschluss eines Unternehmens im Wege eines Nachprüfungsverfahrens angreifen7.

1 Ennuschat in Tettinger/Wank/Ennuschat, Gewerbeordnung Kommentar, § 35 Rz. 54 und 61. 2 Marcks in Landmann/Rohmer, Gewerbeordnung, Loseblatt-Kommentar, § 35 Rz. 52. 3 Ennuschat in Tettinger/Wank/Ennuschat, Gewerbeordnung Kommentar, § 35 Rz. 61. 4 Hausmann/von Hoff in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 123 Rz. 63. 5 Gnittke/Hattig in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 123 Rz. 79. 6 Opitz in Burgi/Dreher, Beck’scher Vergaberechtskommentar, Band 1, 3. Auflage 2017, § 123 Rz. 16. 7 VK Lüneburg v. 18.12.2015 – VgK-45/2015, juris Rz. 61; Gnittke/Hattig in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 123 Rz. 80; Fehling in Pünder/Schellenberg, Vergaberecht, § 97 GWB Rz. 214; zu § 21 SektVO a.F. Opitz in Eschenbruch/Opitz, SektVO, § 21 Rz. 4; a.A. KG Berlin v. 13.3.2008 – 2 Verg 18/07, NZBau 2008, 466 (470).

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Fakultative Ausschlussgründe | § 124

Die Regelung verfolgt nicht nur generalpräventive Zwecke1, sondern dient auch dem Schutz der Bieter im Wettbewerb, da die Teilnahme ungeeigneter Bieter am Vergabeverfahren den Wettbewerb verzerren kann2. Darüber hinaus ist die Anwendung zwingender Ausschlussgründe auf Unternehmen zur Gewährleistung eines fairen Wettbewerbs Ausprägung des Gleichbehandlungsgrundsatzes und auch aus diesem Grund bieterschützend3. Verstößt ein Auftraggeber gegen ihn treffende Nachforschungspflichten über 112 das Vorliegen von Ausschlussgründen, stellt dies ein vergaberechtswidriges Verhalten dar, das ein konkurrierender Bieter möglicherweise zum Gegenstand eines Nachprüfungsverfahrens machen4 bzw. das Schadensersatzansprüche auslösen kann. Ausblick auf die Rechtslage unter dem WRegG: Nach der Gesetzesbegründung 113 zum WRegG soll die in § 6 Abs. 1 WRegG normierte Verpflichtung des Auftraggebers zur Abfrage von Daten aus dem Wettbewerbsregister nicht bieterschützend sein. Eine Eintragung in das Wettbewerbsregister kann nach der Gesetzesbegründung daher nicht in einem Nachprüfungsverfahren von konkurrierenden Bietern geltend gemacht werden5. Jedenfalls in Verbindung mit den bieterschützenden Vorschriften der §§ 123, 124 dürfte jedoch auch § 6 Abs. 1 WRegG zumindest mittelbar eine bieterschützende Wirkung zukommen.

§ 124 Fakultative Ausschlussgründe (1) Öffentliche Auftraggeber können unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit ein Unternehmen zu jedem Zeitpunkt des Vergabeverfahrens von der Teilnahme an einem Vergabeverfahren ausschließen, wenn 1. das Unternehmen bei der Ausführung öffentlicher Aufträge nachweislich gegen geltende umwelt-, sozial- oder arbeitsrechtliche Verpflichtungen verstoßen hat, 2. das Unternehmen zahlungsunfähig ist, über das Vermögen des Unternehmens ein Insolvenzverfahren oder ein vergleichbares Verfahren beantragt oder eröffnet worden ist, die Eröffnung eines solchen Verfahrens mangels Masse abgelehnt worden ist, sich das Unternehmen im Verfahren der Liquidation befindet oder seine Tätigkeit eingestellt hat, 1 2 3 4 5

So aber KG Berlin v. 13.3.2008 – 2 Verg 18/07, NZBau 2008, 466 (470). Fehling in Pünder/Schellenberg, Vergaberecht, § 97 GWB Rz. 214. Gnittke/Hattig in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 123 Rz. 80. VK Lüneburg v. 18.12.2015 – VgK-45/2015. BT-Drucks. 18/12051, S. 31 f.

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§ 124 | Fakultative Ausschlussgründe 3. das Unternehmen im Rahmen der beruflichen Tätigkeit nachweislich eine schwere Verfehlung begangen hat, durch die die Integrität des Unternehmens infrage gestellt wird; § 123 Absatz 3 ist entsprechend anzuwenden, 4. der öffentliche Auftraggeber über hinreichende Anhaltspunkte dafür verfügt, dass das Unternehmen mit anderen Unternehmen Vereinbarungen getroffen oder Verhaltensweisen aufeinander abgestimmt hat, die eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs bezwecken oder bewirken, 5. ein Interessenkonflikt bei der Durchführung des Vergabeverfahrens besteht, der die Unparteilichkeit und Unabhängigkeit einer für den öffentlichen Auftraggeber tätigen Person bei der Durchführung des Vergabeverfahrens beeinträchtigen könnte und der durch andere, weniger einschneidende Maßnahmen nicht wirksam beseitigt werden kann, 6. eine Wettbewerbsverzerrung daraus resultiert, dass das Unternehmen bereits in die Vorbereitung des Vergabeverfahrens einbezogen war, und diese Wettbewerbsverzerrung nicht durch andere, weniger einschneidende Maßnahmen beseitigt werden kann, 7. das Unternehmen eine wesentliche Anforderung bei der Ausführung eines früheren öffentlichen Auftrags oder Konzessionsvertrags erheblich oder fortdauernd mangelhaft erfüllt hat und dies zu einer vorzeitigen Beendigung, zu Schadensersatz oder zu einer vergleichbaren Rechtsfolge geführt hat, 8. das Unternehmen in Bezug auf Ausschlussgründe oder Eignungskriterien eine schwerwiegende Täuschung begangen oder Auskünfte zurückgehalten hat oder nicht in der Lage ist, die erforderlichen Nachweise zu übermitteln, oder 9. das Unternehmen a) versucht hat, die Entscheidungsfindung des öffentlichen Auftraggebers in unzulässiger Weise zu beeinflussen, b) versucht hat, vertrauliche Informationen zu erhalten, durch die es unzulässige Vorteile beim Vergabeverfahren erlangen könnte, oder c) fahrlässig oder vorsätzlich irreführende Informationen übermittelt hat, die die Vergabeentscheidung des öffentlichen Auftraggebers erheblich beeinflussen könnten, oder versucht hat, solche Informationen zu übermitteln. (2) § 21 des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes, § 98c des Aufenthaltsgesetzes, § 19 des Mindestlohngesetzes und § 21 des Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetzes bleiben unberührt.

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I. 1. 2. 3.

Allgemeines . . . . . . . . . . Europarechtliche Vorgaben Rechtsentwicklung . . . . . . Anwendungsbereich . . . . .

. . . .

. . . .

. . . .

. . . .

II. Ausschluss gemäß § 124 Abs. 1 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Unternehmen . . . . . . . . . . . . . 2. Einzelne Ausschlusstatbestände gemäß § 124 Abs. 1 . . . . . . . . . a) Verstoß gegen umwelt-, sozial- oder arbeitsrechtliche Verpflichtungen (Nr. 1) . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Reichweite der Verpflichtungen . . . . . . . . . . . . . bb) Durchführung eines öffentlichen Auftrags . . . cc) Nachweislichkeit des Verstoßes . . . . . . . . . . . b) Zahlungsunfähigkeit, Insolvenz, Liquidation und Einstellung (Nr. 2) . . . . . aa) Zahlungsunfähigkeit . . . . bb) Insolvenzverfahren . . . . . (1) Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens . . . . (2) Eröffnung des Insolvenzverfahrens . . . . . . . . . . . (3) Ablehnung der Eröffnung des Insolvenzverfahrens mangels Masse . . . . . . . . (4) Liquidationsverfahren . . . (5) Einstellung der Unternehmenstätigkeit . . . . . . c) Nachweislich schwere Verfehlung im Rahmen der beruflichen Tätigkeit (Nr. 3) . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Zurechnung zum Unternehmen . . . . . . . . . . . . bb) Schwere Verfehlung im Rahmen der beruflichen Tätigkeit . . . . . . . . . . . . cc) Nachweislichkeit . . . . . . d) Wettbewerbswidrige Vereinbarungen oder Verhaltensweisen (Nr. 4) . . . . . . . . . . .

__ __ __ _ _ _ _ _ __ _ _ _ __ _ _ _ __ _ 1 4 9 12 13 14 17

18 19 24 25 28 35 38 40 42 46 48 50

53 58 62 76 81

Fakultative Ausschlussgründe | § 124 aa) Wettbewerbswidrige Vereinbarungen oder Verhaltensweisen . . . . . . bb) Hinreichende Anhaltspunkte . . . . . . . . . . . . . e) Interessenkonflikt (Nr. 5) . . . f) Vorbefassung (Nr. 6) . . . . . . aa) Projektantenproblematik bb) Einbeziehung in die Verfahrensvorbereitung . cc) Wettbewerbsverzerrung . dd) Verhältnismäßigkeit . . . . g) Mangelhafte Erfüllung eines früheren Auftrags (Nr. 7) . . . aa) Erhebliche oder fortdauernde mangelhafte Erfüllung eines früheren öffentlichen Auftrags oder Konzessionsvertrags . . . . . . . bb) Vorzeitige Beendigung des Vertragsverhältnisses, Schadensersatz oder vergleichbare Rechtsfolge . . cc) Nachweis . . . . . . . . . . . h) Schwerwiegende Täuschung, Zurückhaltung von Auskünften oder Nichtübermittlung von Nachweisen (Nr. 8) . . . . aa) Schwerwiegende Täuschung . . . . . . . . . . bb) Zurückhalten von Auskünften . . . . . . . . . . cc) Nichtübermittlung von Nachweisen . . . . . . . . . . i) Unzulässige Einflussnahme oder Vorteilsbeschaffung (Nr. 9) . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Versuch der unzulässigen Einflussnahme (lit. a) . . . bb) Versuch des Erhalts vertraulicher Informationen (lit. b) . . . . . . . . . . . . . . cc) Übermittlung irreführender Informationen (lit. c) 3. Rechtsfolge . . . . . . . . . . . . . . . a) Ermessen . . . . . . . . . . . . . . b) Zeitpunkt und Dauer des Ausschlusses . . . . . . . . . . . .

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_ __ __ __ _ _ 85

100 106 115 118 123 132 137 148

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151

157 160

_ _ _ _ _ _ _ __ _ _

161 168 172 176 179 181 185 190 195 196 199

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§ 124 | Fakultative Ausschlussgründe

_ __

c) Ausnahmen von der Ausschlussmöglichkeit . . . . . 202 III. Spezialgesetzliche Ausschlussgründe gemäß § 124 Abs. 2 . . . 203 1. § 21 AEntG . . . . . . . . . . . . . . . 207

2. 3. 4. IV.

§ 98c AufenthG . . § 19 MiLoG . . . . . § 21 SchwarzArbG Rechtsschutz . . . .

. . . .

. . . .

. . . .

. . . .

. . . .

. . . .

. . . .

. . . .

. . . .

. . . .

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211 216 220 224

I. Allgemeines 1 § 124 regelt, in welchen Fällen ein Unternehmen fakultativ von der Teilnahme

an einem Vergabeverfahren ausgeschlossen werden kann1. Anders als beim Vorliegen zwingender Ausschlussgründe gemäß § 123 steht der Ausschluss eines Unternehmens nach § 124 im Ermessen des öffentlichen Auftraggebers2.

2 § 124 steht – wie auch § 123 – im engen Zusammenhang mit § 122, der die

Grundanforderungen an die Eignung der Unternehmen, die sich in einem Vergabeverfahren um öffentliche Aufträge durch öffentliche Auftraggeber bewerben möchten, abschließend festlegt3. § 122 Abs. 1 sieht vor, dass öffentliche Aufträge an fachkundige und leistungsfähige (geeignete) Unternehmen vergeben werden, die nicht nach den §§ 123 oder 124 ausgeschlossen worden sind. Die Regelungen in den §§ 123 und 124 stellen sicher, dass nur solche Unternehmen den Zuschlag erhalten, die Recht und Gesetz in der Vergangenheit eingehalten haben und bei denen gesetzestreues Verhalten auch in Zukunft zu erwarten ist4. Die unbestimmten Rechtsbegriffe der Zuverlässigkeit und Gesetzestreue, die bisher in § 97 Abs. 4 Satz 1 GWB a.F. zusätzlich zur Definition der Eignung herangezogen wurden, entfallen künftig. Damit ändert sich jedoch nichts an der geltenden Rechtslage, wann ein Bewerber oder Bieter in einem Vergabeverfahren wegen Verstößen gegen geltendes Recht nicht zum Zuge kommen darf5. Die Zuverlässigkeit und Gesetzestreue fehlen zwar im Kanon der Eignungskriterien für Vergaben oberhalb der Schwellenwerte, allerdings wird die hierzu entwickelte Kasuistik durch die ausgeweiteten Kataloge für Ausschlussgründe in §§ 123 und 124 abgebildet6. Als zusätzliches Sicherheitsnetz gegen gesetzesuntreue Unternehmen dient § 128 Abs. 1, wonach Unternehmen bei der Ausführung des öffentlichen Auftrags alle für sie geltenden rechtlichen Verpflichtungen einhalten müssen.

3 § 124 ist im Kontext der Regelungen über die Eignungsanforderungen in §§ 42

bis 51 VgV und § 6d EU VOB/A zu sehen7. Diese Vorschriften gestalten die Eig1 2 3 4 5 6 7

BT-Drucks. 18/6281, S. 104. BT-Drucks. 18/6281, S. 104. BT-Drucks. 18/6281, S. 100. BT-Drucks. 18/6281, S. 101. BT-Drucks. 18/6281, S. 101. Brüning, NZBau 2016, 723 ff. Vgl. zu § 123 auch Hausmann/von Hoff in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 123 Rz. 3.

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Fakultative Ausschlussgründe | § 124

nungsprüfung im Einzelnen aus. Zu unterscheiden vom Ausschluss eines Unternehmens wegen des Vorliegens von Ausschlussgründen gemäß §§ 123 und 124 ist der Ausschluss von Angeboten wegen formaler Mängel, wie dies zum Beispiel § 57 VgV vorsieht (sog. unzulässige Angebote)1. 1. Europarechtliche Vorgaben § 124 setzt Art. 57 Abs. 4 der Richtlinie 2014/24/EU um2.

4

Art. 57 Abs. 4 Unterabs. 1 der Richtlinie 2014/24/EU enthält einen Katalog fa- 5 kultativer Ausschlussgründe, bei deren Vorliegen öffentliche Auftraggeber einen Wirtschaftsteilnehmer von der Teilnahme an einem Vergabeverfahren ausschließen können. Gegenüber Art. 45 Abs. 2 der Richtlinie 2004/18/EG wurde der Katalog um folgende Ausschlussgründe erweitert: – Verstoß gegen geltende umwelt-, sozial- und arbeitsrechtliche Verpflichtungen, – wettbewerbsverzerrende Absprachen, – Interessenkonflikt, – Wettbewerbsverzerrung aufgrund vorheriger Einbeziehung des Unternehmens, – mangelhafte frühere Auftragsausführung sowie – versuchte unzulässige Einflussnahme auf die Entscheidungsfindung des öffentlichen Auftraggebers3. Die Umsetzung in § 124 orientiert sich eng an den Vorgaben der Richtlinie 6 2014/24/EU4. § 124 Abs. 1 Nr. 3 enthält mit dem Verweis auf § 123 Abs. 3 jedoch ergänzend zum Gemeinschaftsrecht eine Zurechnungsvorschrift5. Zudem weicht § 124 Abs. 1 Nr. 4, durch den Art. 57 Abs. 4 Unterabs. 1 lit. d) der Richtlinie 2014/24/EU in nationales Recht umgesetzt wird6, von der zugrunde liegenden Richtlinienbestimmung insofern ab, als § 124 Abs. 1 Nr. 4 nicht nur bezweckte, sondern bereits bewirkte Wettbewerbsverzerrungen sanktioniert. Außerdem normiert § 124 Abs. 1 Nr. 9 lit. c) – anders als Art. 57 Abs. 4 lit. i) der Richtlinie 2014/24/EU – bei der Übermittlung irreführender Informationen einen Ausschlussgrund nicht nur für einen Versuchstatbestand, sondern auch für erfolgreiche Beeinflussungshandlungen. Die inhaltlich weitergehenden nationa1 2 3 4 5

BT-Drucks. 18/6281, S. 105. BT-Drucks. 18/6281, S. 105. BT-Drucks. 18/6281, S. 105. BT-Drucks. 18/6281, S. 105. Opitz in Burgi/Dreher, Beck’scher Vergaberechtskommentar, Band 1, 3. Auflage 2017, § 124 Rz. 5. 6 BT-Drucks. 18/6281, S. 106.

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§ 124 | Fakultative Ausschlussgründe len Vorschriften begegnen aus europarechtlicher Sicht indes keinen Bedenken1. Zwar darf der nationale Gesetzgeber bei der Umsetzung von Richtlinien der Union nicht hinter deren Regelungsgehalt zurückbleiben2. Eine „überschießende Umsetzung“ von Richtlinien durch Erstreckung des richtliniengebotenen mitgliedstaatlichen Rechtszustandes auf Sachverhalte, auf die die Richtlinie selbst keine Anwendung beansprucht, ist den Mitgliedstaaten jedoch nicht verwehrt, wenn und soweit damit den Richtlinienvorgaben nicht widersprochen wird3. 7 Der nationale Gesetzeber hat bei der Regelung der fakultativen Ausschluss-

gründe davon abgesehen, Ausschlussgründe, die nach der Richtlinie 2014/24/EU fakultativ sind, als zwingende Ausschlussgründe in § 123 auszugestalten oder nicht in der Richtlinie aufgeführte Straftaten in den Katalog des § 123 aufzunehmen4. Dies wäre europarechtlich möglich gewesen, da Art. 57 Abs. 4 der Richtlinie 2014/24/EU es den Mitgliedsstaaten erlaubt, die fakultativen Ausschlussgründe im Rahmen der nationalen Umsetzung zu zwingenden Ausschlussgründen zu erheben. Dies wurde im Gesetzgebungsverfahren von verschiedener Seite gerade für den fakultativen Ausschlussgrund in § 124 Abs. 1 Nr. 1 (nachweislicher Verstoß gegen geltende umwelt-, sozial- oder arbeitsrechtliche Verpflichtungen) gefordert, um ihm den nötigen Nachdruck zu verleihen. In diesem Zusammenhang wurde auch darauf hingewiesen, dass eine nachträgliche Kündigung eines öffentlichen Auftrags nach § 133 Abs. 1 Nr. 2 nur bei zwingenden und nicht bei fakultativen Ausschlussgründen möglich sei. Angesichts der schwerwiegenden Rechtsfolge eines zwingenden Ausschlusses hat der Gesetzgeber auf die Ausdehnung obligatorischer Ausschlussgründe über das europarechtlich vorgegebene Maß hinaus verzichtet. Dies ist zu begrüßen, da die Festlegung zwingender Ausschlussgründe wegen ihrer Grundrechtsrelevanz nicht weiter als unbedingt nötig gehen sollte5.

8 Nicht ausdrücklich Gebrauch gemacht hat der Gesetzgeber von der Umset-

zungsoption in Art. 57 Abs. 4 Unterabs. 2 der Richtlinie 2014/24/EU, wonach der Auftraggeber ein Unternehmen im Insolvenzfall nicht ausschließt, wenn er in Übereinstimmung mit den nationalen Rechtsvorschriften festgestellt hat, dass das Unternehmen in der Lage sein wird, den Auftrag zu erfüllen6. Dieser Um1 Vgl. zu § 124 Abs. 1 Nr. 4 auch Rz. 82; a.A. Opitz in Burgi/Dreher, Beck’scher Vergaberechtskommentar, Band 1, 3. Auflage 2017, § 124 Rz. 49. 2 Geismann in von der Groeben/Schwarze/Hatje, Europäisches Unionsrecht, Art. 288 AEUV Rz. 42. 3 Nettesheim in Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, Art. 288 AEUV Rz. 131. 4 BT-Drucks. 18/6281, S. 102. 5 BT-Drucks. 18/6281, S. 102; vgl. auch Hausmann/von Hoff in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 123 Rz. 12. 6 Opitz in Burgi/Dreher, Beck’scher Vergaberechtskommentar, Band 1, 3. Auflage 2017, § 124 Rz. 5.

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stand findet allerdings bei der vom Auftraggeber anzustellenden Entscheidung über den Ausschluss Berücksichtigung1 2. Rechtsentwicklung Bislang waren die fakultativen Gründe für den Ausschluss von Bietern und Be- 9 werbern nicht im GWB, sondern in den Vergabe- und Vertragsordnungen normiert, allerdings in deutlich geringerem Umfang. Den §§ 123 und 124 vergleichbare Regelungen enthielten § 6 EG Abs. 6 VOL/A, § 16 EG Abs. 1 Nr. 2 und § 16 VS Abs. 1 Nr. 2 VOB/A 2012, § 4 Abs. 9 VOF. In der Sektorenverordnung fand sich eine entsprechende Regelung in § 21 Abs. 4 SektVO 2009 und in der Vergabeverordnung Verteidigung und Sicherheit in § 24 Abs. 1 VSVgV. Auch diese Vorschriften enthielten Kataloge mit fakultativen Ausschlussgründen. Da der Ausschluss eines Unternehmens von der Teilnahme an einem Vergabeverfahren jedoch in Grundrechte eingreifen kann, erfolgt durch § 124 nunmehr eine Regelung im Gesetz2. Die meisten der in § 6 EG Abs. 6 VOL/A, § 16 EG Abs. 1 Nr. 2 und § 16 VS 10 Abs. 1 Nr. 2 VOB/A 2012, § 4 Abs. 9 VOF, § 21 Abs. 4 SektVO 2009 und § 24 Abs. 1 VSVgV genannten Ausschlusstatbestände finden sich auch in § 124 Abs. 1 wieder. Verschärft wurde der nach bisherigem Recht als fakultativ geregelte Ausschlussgrund des Nichtentrichtens von Steuern oder Sozialabgaben, der nunmehr in § 123 Abs. 4 Satz 1 als zwingender Ausschlussgrund enthalten ist3. Erweitert wurde der Katalog der Ausschlusstatbestände in § 124 Abs. 1 gegenüber den bisherigen Vorschriften aufgrund der Vorgaben der Richtlinie 2014/24/EU um Verstöße gegen geltende umwelt-, sozial- und arbeitsrechtliche Verpflichtungen, wettbewerbsverzerrende Absprachen, Interessenkonflikte, Wettbewerbsverzerrung aufgrund der Vorbefassung eines Unternehmens, die mangelhafte frühere Auftragsausführung sowie die versuchte unzulässige Einflussnahme auf die Entscheidungsfindung des öffentlichen Auftraggebers4. § 6e EU Abs. 6 VOB/A entspricht – bis auf geringfügige sprachliche und gram- 11 matikalische Modifizierungen – dem Wortlaut des § 124 Abs. 15. Allerdings dürften die Ausschlussgründe in § 6e EU Abs. 6 VOB/A neben § 124 Abs. 1 keinen eigenständigen Anwendungsbereich haben, da § 124 Abs. 1 auch die Vergabe von Bauaufträgen erfasst6. Warum die VOB/A die Regelung des § 124 1 Vgl. im Einzelnen Rz. 44 ff.; a.A. Opitz in Burgi/Dreher, Beck’scher Vergaberechtskommentar, Band 1, 3. Auflage 2017, § 124 Rz. 33. 2 Vgl. § 123 Rz. 9; BT-Drucks. 18/6281, S. 102. 3 BT-Drucks. 18/6281, S. 105. 4 BT-Drucks. 18/6281, S. 105; Conrad in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 124 Rz. 4. 5 Schranner in Ingenstau/Korbion, VOB – Teile A und B – Kommentar, § 6e EU VOB/A Rz. 1. 6 OLG Celle v. 9.1.2017 – 13 Verg 9/16, ZfBR 2017, 407; VK Südbayern v. 17.1.2017 – Z33-3194-1-50-12/16, juris Rz. 179.

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§ 124 | Fakultative Ausschlussgründe in fast identischer Form wiederholt, bleibt unklar. Eine denkbare Erklärung dafür könnte sein, dass in der Bauvergabepraxis aus Vereinfachungsgründen nur auf ein Regelwerk zurückgegriffen werden soll. 3. Anwendungsbereich 12 § 124 gilt wie der gesamte Abschnitt 2 des 4. Teils des GWB, gemäß § 115 GWB

grundsätzlich nur für öffentliche Aufträge und die Ausrichtung von Wettbewerben durch öffentliche Auftraggeber. Über Verweisungsvorschriften findet § 124 allerdings ebenfalls Anwendung bei der Vergabe von öffentlichen Aufträgen durch Sektorenauftraggeber (§ 142), Vergaben von verteidigungs- oder sicherheitsspezifischen öffentlichen Aufträgen (§ 147) sowie Konzessionsvergaben (§ 154 Nr. 2).

II. Ausschluss gemäß § 124 Abs. 1 13 Nach § 124 Abs. 1 von der Teilnahme am Vergabeverfahren ausgeschlossen wer-

den können Unternehmen, für die einer der in § 124 Abs. 1 Nr. 1–9 normierten Tatbestände vorliegt. Es lassen sich drei Fallgruppen von Fehlverhalten bilden, die nach § 124 zum Ausschluss eines Unternehmens führen können: Fehlverhalten bei der Ausführung früherer Aufträge, Fehlverhalten bei der Teilnahme an Vergabeverfahren und Gesetzesverstöße1. Bei der Entscheidung, ob einer der in § 124 Abs. 1 normierten Ausschlussgründe vorliegt, besteht ein Beurteilungsspielraum des öffentlichen Auftraggebers2. Dies gilt jedenfalls soweit die einzelnen Ausschlusstatbestände unbestimmte Rechtsbegriffe enthalten („schwere Verfehlung“, „wesentliche Anforderung“, „schwerwiegende Täuschung“)3. Die Entscheidung des Auftraggebers ist von den Nachprüfungsinstanzen in diesen Fällen nur dahingehend zu überprüfen, ob das vorgeschriebene Verfahren eingehalten, der Sachverhalt vollständig und zutreffend ermittelt, die selbst auf-

1 Opitz in Burgi/Dreher, Beck’scher Vergaberechtskommentar, Band 1, 3. Auflage 2017, § 124 Rz. 10. 2 BT-Drucks. 18/6281, S. 104; Hausmann/von Hoff in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 124 Rz. 26; a. A. mit Blick auf § 124 Abs. 1 Nr. 3 hingegen OLG München v. 21.4.2017 – Verg 2/17, zitiert nach juris. 3 Opitz in Burgi/Dreher, Beck’scher Vergaberechtskommentar, Band 1, 3. Auflage 2017, § 124 Rz. 14 und 36; Hausmann/von Hoff in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 124 Rz. 26; a.A. mit Blick auf § 124 Abs. 1 Nr. 3 hingegen OLG München v. 21.4.2017 – Verg 2/17, zitiert nach juris, wonach die seitens der Vergabestelle erfolgte Subsumtion des von ihr ermittelten Sachverhalts unter die unbestimmten Rechtsbegriffe „nachweislich“ und „schwere“ Verfehlung“ von den Nachprüfungsinstanzen uneingeschränkt überprüft werden kann.

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gestellten Vorgaben beachtet und keine sachwidrigen oder gegen allgemeine Bewertungsgrundsätze verstoßenden Erwägungen angestellt wurden1. 1. Unternehmen Der Begriff des „Unternehmens“ ist weder im GWB noch in der Richtlinie 14 2014/24/EU definiert. Die Richtlinie 2014/24/EU stellt in ihren Regelungen vielmehr auf „Wirtschaftsteilnehmer“ ab. Dieser Begriff, den auch Art. 57 der Richtlinie 2014/24/EU verwendet, ist weit auszulegen2 und wird durch Art. 2 Abs. 1 Nr. 10 der Richtlinie 2014/24/EU definiert. Wirtschaftsteilnehmer ist demnach eine natürliche oder juristische Person oder öffentliche Einrichtung oder eine Gruppe solcher Personen und/oder Einrichtungen, einschließlich jedes vorübergehenden Zusammenschlusses von Unternehmen, die bzw. der auf dem Markt die Ausführung von Bauleistungen, die Errichtung von Bauwerken, die Lieferung von Waren bzw. die Erbringung von Dienstleistungen anbietet. Hierunter fallen alle Unternehmen, Zweigniederlassungen, Tochterunternehmen, Personengesellschaften, Genossenschaften, haftungsbeschränkte Gesellschaften, Universitäten, ob öffentlich oder privat, sowie andere Einrichtungen, bei denen es sich nicht um natürliche Personen handelt, unabhängig davon, ob sie in jeder Beziehung als „juristische Personen“ gelten oder nicht3. Der Begriff des „Unternehmens“ ist damit unionsrechtlich zwar nicht eigenständig definiert, jedoch mit dem Ausdruck „Wirtschaftsteilnehmer“ belegt4. Der nationale vergaberechtliche Unternehmensbegriff ist in diesem unionsrechtlich vorgegebenen Sinne zu interpretieren. § 124 Abs. 1 gilt vor diesem Hintergrund insbesondere auch für Bewerber- und 15 Bietergemeinschaften, die sich an Vergabeverfahren beteiligen. Liegt nur für ein Mitglied einer Bietergemeinschaft ein fakultativer Ausschlussgrund vor, kann die Bietergemeinschaft dennoch ausgeschlossen werden, da sie als Ganzes auftritt. Hierfür spricht bereits, dass die Bietergemeinschaft – also der Zusammenschluss von Unternehmen – Wirtschaftsteilnehmer im Sinne von Art. 57 Abs. 4 und Art. 2 Abs. 1 Nr. 19 der Richtlinie 2014/24/EU ist. Dies entspricht auch der Rechtslage vor Inkrafttreten des Vergaberechtsmodernisierungsgesetzes, da auch bislang die Voraussetzungen der Zuverlässigkeit bei jedem Mitglied der Bietergemeinschaft vorliegen mussten. Die Unzuverlässigkeit eines Mitglieds einer Bietergemeinschaft führte daher zur Unzuverlässigkeit der Bietergemein1 OLG München v. 21.5.2010 – Verg 02/10, ZfBR 2010, 606 (618); OLG München v. 21.4. 2006 – Verg 8/06, ZfBR 2006, 506 (509); a.A. nun OLG München v. 21.4.2017 – Verg 2/ 17, zitiert nach juris. 2 Vgl. Erwägungsgrund 14 der Richtlinie 2014/24/EU. 3 Vgl. Erwägungsgrund 14 der Richtlinie 2014/24/EU. 4 Dicks in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 97 Rz. 239; zum vergaberechtlichen Unternehmensbegriff vgl. auch die Darstellung bei § 103 Rz. 46 ff.

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§ 124 | Fakultative Ausschlussgründe schaft insgesamt1. Etwas anderes kann allenfalls im Hinblick auf die Zahlungsunfähigkeit oder Insolvenz eines einzelnen Mitglieds der Bietergemeinschaft gelten, wenn dies durch die finanzielle Leistungsfähigkeit der übrigen Mitglieder kompensiert wird und die Bietergemeinschaft insgesamt daher als finanziell leistungsfähig angesehen werden kann2. 16 Durch § 47 Abs. 2 Satz 1 VgV wird mit der Vergaberechtsnovelle 2016 erstmalig

ausdrücklich geregelt, dass das Vorliegen von Ausschlussgründen auch für Unternehmen, die ihre Eignung im Wege der Eignungsleihe einem Bieter oder Bewerber zur Verfügung stellen, zu prüfen ist. Sind fakultative Ausschlussgründe gegeben, kann der Auftraggeber gemäß § 47 Abs. 2 Satz 4 VgV die Ersetzung des betreffenden Unternehmens verlangen. Dies gilt auch für Unterauftragnehmer. Insoweit ist der öffentliche Auftraggeber gemäß § 36 Abs. 5 Satz 1 VgV verpflichtet, vor der Erteilung des Zuschlags zu prüfen, ob Gründe für den Ausschluss des Unterauftragnehmers vorliegen. Bei Vorliegen fakultativer Ausschlussgründe kann der öffentliche Auftraggeber gemäß § 36 Abs. 5 Satz 3 VgV verlangen, dass der Unterauftragnehmer ersetzt wird. Zwingende Ausschlussgründe führen demgegenüber dazu, dass der Unterauftragnehmer oder das zur Eignungsleihe herangezogene Unternehmen ersetzt werden muss3. 2. Einzelne Ausschlusstatbestände gemäß § 124 Abs. 1

17 § 124 enthält folgende Ausschlussgründe:

a) Verstoß gegen umwelt-, sozial- oder arbeitsrechtliche Verpflichtungen (Nr. 1) 18 Öffentliche Auftraggeber können ein Unternehmen gemäß § 124 Abs. 1 Nr. 1

vom Vergabeverfahren ausschließen, wenn das Unternehmen bei der Ausführung öffentlicher Aufträge nachweislich gegen geltende umwelt-, sozial- oder arbeitsrechtliche Verpflichtungen verstoßen hat. Die Regelung stellt einen im nationalen Recht neu hinzugekommenen Ausschlussgrund dar4. aa) Reichweite der Verpflichtungen

19 § 124 Abs. 1 Nr. 1 setzt Art. 57 Abs. 4 Unterabs. 1 lit. a) der Richtlinie 2014/24/

EU um. Nach dieser Richtlinienbestimmung kann der öffentliche Auftraggeber ein Unternehmen vom Vergabeverfahren ausschließen, wenn Verstöße gegen

1 Diehr in Reidt/Stickler/Glahs, Vergaberecht, 3. Auflage, § 97 Rz. 74; Opitz in Dreher/ Motzke, Beck’scher Vergaberechtskommentar, § 97 GWB Rz. 44. 2 Conrad in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 124 Rz. 8; so wohl auch Opitz in Dreher/Motzke, Beck’scher Vergaberechtskommentar, § 16 VOB/A Rz. 241. 3 Vgl. § 123 Rz. Rz. 26. 4 BT-Drucks. 18/6281, S. 105.

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geltenden Verpflichtungen gemäß Art. 18 Abs. 2 der Richtlinie 2014/24/EU nachgewiesen werden können. Art. 18 Abs. 2 der Richtlinie 2014/24/EU verpflichtet die Mitgliedstaaten, ge- 20 eignete Maßnahmen zu treffen, um dafür zu sorgen, dass die Wirtschaftsteilnehmer bei der Ausführung öffentlicher Aufträge die geltenden umwelt-, sozialund arbeitsrechtlichen Verpflichtungen einhalten, die – durch Rechtsvorschriften der Union, – einzelstaatliche Rechtsvorschriften, – Tarifverträge oder – die in Anhang X aufgeführten internationalen umwelt-, sozial- und arbeitsrechtlichen Vorschriften festgelegt sind. Zu den in Anhang X der der Richtlinie 2014/24/EU genannten Vorschriften zählen – die ILO-Kernarbeitsnormen, – das Wiener Übereinkommen zum Schutz der Ozonschicht und das im Rahmen dieses Übereinkommens geschlossene Montrealer Protokoll über Stoffe, die zum Abbau der Ozonschicht führen, – das Basler Übereinkommen über die Kontrolle der grenzüberschreitenden Verbringung gefährlicher Abfälle und ihrer Entsorgung, – das Stockholmer Übereinkommen über persistente organische Schadstoffe und – das UNEP/FAO-Übereinkommen vom 10.9.1998 über das Verfahren der vorherigen Zustimmung nach Inkenntnissetzung für bestimmte gefährliche Chemikalien sowie Pflanzenschutz- und Schädlingsbekämpfungsmittel im internationalen Handel (PIC-Übereinkommen) und seine drei regionalen Protokolle. Als Beispiel für sozial- und arbeitsrechtliche Vorschriften nennt Erwägungs- 21 grund 11 der Richtlinie 2014/24/EU Bestimmungen zur Barrierefreiheit für Menschen mit Behinderungen1. Nach der Gesetzesbegründung zum GWB sind von dem Ausschlussgrund im deutschen vergaberechtlichen Kontext auch Zahlungsverpflichtungen an tarifvertragliche Sozialkassen umfasst2. § 124 Abs. 1 Nr. 1 bleibt im Hinblick auf die erfassten umwelt-, sozial- oder ar- 22 beitsrechtliche Bestimmungen unkonkret3. Abzustellen ist jedoch stets auf die für den Auftragnehmer am Ort der Leistungserbringung geltenden rechtlichen 1 Erwägungsgrund 11 der Richtlinie 2014/24/EU; Hausmann/von Hoff in Kulartz/Kus/ Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 124 Rz. 8. 2 BT-Drucks. 18/6281, S. 105. 3 Opitz in Burgi/Dreher, Beck’scher Vergaberechtskommentar, Band 1, 3. Auflage 2017, § 124 Rz. 22.

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§ 124 | Fakultative Ausschlussgründe Verpflichtungen1. Ganz allgemein können sich soziale und arbeitsrechtliche Verpflichtungen der am Vergabeverfahren beteiligten Unternehmen beispielsweise aus dem MiLoG sowie Tariftreuegesetzen, dem AÜG, dem Gesetz für die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen und Männern an Führungspositionen in der Privatwirtschaft und im öffentlichen Dienst, der BetrVG oder dem ArbZG ergeben2. Verstößt ein Unternehmen gegen die Verpflichtung zur Zahlung von Sozialversicherungsbeiträgen, ist § 123 Abs. 4 als speziellere Norm gegenüber § 124 Abs. 1 Nr. 1 GWB vorrangig3. 23 Umweltrechtliche Verpflichtungen eines Unternehmens können aus verschie-

densten umweltrechtlichen Bestimmungen resultieren, beispielsweise aus dem BImSchG, dem KrWG, dem WHG, dem BNatSchG, dem BBodSchG oder auch untergesetzlichen Regelwerken zu diesen Gesetzen ergeben. Diese Aufzählung ist nicht abschließend, vielmehr können sich umweltrechtliche Verpflichtungen eines Unternehmens auch aus einer Vielzahl weiterer Rechtsquellen erwachsen.

23a § 124 Abs. 1 Nr. 1 steht in unmittelbarem Bezug zu § 128 Abs. 1, der Art. 18

Abs. 2 der Richtlinie 2014/24/EU in nationales Recht umsetzt4. § 128 Abs. 1 geht allerdings über § 124 Abs. 1 Nr. 1 insoweit hinaus, als § 128 Abs.1 eine generelle Aussage zu den bei der Auftragsausführung einzuhaltenden Rechtsvorschriften trifft5 und damit an das Kriterium der „Gesetzestreue“ anknüpft, das zuvor in dem Katalog der Eignungskriterien des § 97 Abs. 4 S. 1 a.F. enthalten war6. Abzugrenzen sind die in § 124 Abs. 1 Nr. 1 genannten umwelt-, sozial- oder arbeitsrechtliche Verpflichtungen zudem von besonderen Ausführungsbedingungen gemäß § 128 Abs. 2. Diese können zwar auch umweltbezogene, soziale oder beschäftigungspolitische Belange betreffen7, jedoch kann der Auftraggeber diese auf Basis von § 128 Abs. 2 nur für die konkrete Auftragsvergabe als Vertragspflichten bestimmen8.

1 Opitz in Burgi/Dreher, Beck’scher Vergaberechtskommentar, Band 1, 3. Auflage 2017, § 124 Rz. 23. 2 Conrad in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 124 Rz. 20. 3 Opitz in Burgi/Dreher, Beck’scher Vergaberechtskommentar, Band 1, 3. Auflage 2017, § 124 Rz. 20. 4 BT-Drucks. 18/6281, S. 101, 113; Opitz in Burgi/Dreher, Beck’scher Vergaberechtskommentar, Band 1, 3. Auflage 2017, § 124 Rz. 20. 5 BT-Drucks. 18/6281, S. 113. 6 Opitz in Burgi/Dreher, Beck’scher Vergaberechtskommentar, Band 1, 3. Auflage 2017, § 124 Rz. 20. 7 Vgl. § 128 Abs. 2 Satz 3. 8 Opitz in Burgi/Dreher, Beck’scher Vergaberechtskommentar, Band 1, 3. Auflage 2017, § 124 Rz. 20.

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bb) Durchführung eines öffentlichen Auftrags Die Pflichtverletzung des Unternehmens muss bei der Ausführung eines öffent- 24 lichen Auftrags erfolgt sein. Verstöße gegen umwelt-, sozial- oder arbeitsrechtliche Verpflichtungen handlungsverantwortlicher Personen eines Unternehmens im privaten Bereich sind daher ebenso unbeachtlich wie Pflichtverletzungen, die zwar bei der Berufsausübung, jedoch nicht bei der Ausführung eines öffentlichen Auftrags begangen werden. Hierin liegt ein Unterschied gegenüber dem Ausschlussgrund des § 124 Abs. 1 Nr. 3, der Verfehlungen im Rahmen der „beruflichen Tätigkeit“ erfasst und somit einen weiteren Anwendungsbereich hat1. cc) Nachweislichkeit des Verstoßes Ein Ausschluss gemäß § 124 Abs. 1 Nr. 1 kommt nur dann in Betracht, wenn 25 der öffentliche Auftraggeber einen Verstoß des Unternehmens gegen die in der Vorschrift genannten Verpflichtungen nachweist. Die Darlegungs- und Beweislast für eine vom Unternehmen begangene Pflichtverletzung gemäß § 124 Abs. 1 Nr. 1 liegt beim Auftraggeber2. Dabei sind hohe Anforderungen an die Nachweislichkeit einer Pflichtverletzung zu stellen3. Bloße Verdächtigungen, vage Vorwürfe oder reine Verdachtsmomente reichen 26 zum Nachweis des Verstoßes nicht aus4. Vielmehr muss der Verdacht eine gewisse Erhärtung erfahren5, weil sich die tragenden Umstände im Bereich gesicherter Erkenntnisse bewegen6. Die den Verstoß belegenden Indiztatsachen müssen somit von einigem Gewicht sein, einer kritischen Prüfung durch ein mit der Sache befasstes Gericht standhalten und die Zuverlässigkeit des Bieters nachvollziehbar infrage stellen7. Dies ist anzunehmen, wenn konkrete, belastbare Anhaltspunkte, zum Beispiel in Form von Aufzeichnungen, Belegen oder sonstigen Urkunden, vorliegen, die sich aus seriösen Quellen ergeben8. Insgesamt muss 1 Vgl. hierzu Rz. 53 ff. 2 OLG Düsseldorf v. 15.7.2015 – VII-Verg 11/15, NZBau 2016, 55 (59); v. 29.1.2014 – Verg 28/13, ZfBR 2014, 502, 504; Conrad in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 124 Rz. 57. 3 OLG München v. 21.5.2010 – Verg 02/10, ZfBR 2010, 606 (618); Hausmann/von Hoff in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 124 Rz. 10. 4 BGH v. 26.10.1999 – X ZR 30/98, MDR 2000, 1008 = NJW 2000, 661 (662); OLG München v. 21.5.2010 – Verg 02/10, ZfBR 2010, 606 (618). 5 Hausmann/von Hoff in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 124 Rz. 11; nach dem OLG München v. 22.11.2012 – Verg 22/12, NZBau 2013, 261, muss ein „konkreter und greifbarer“ Tatverdacht vorliegen. 6 BGH v. 26.10.1999 – X ZR 30/98, MDR 2000, 1008 = NJW 2000, 661 (662); OLG München v. 21.5.2010 – Verg 02/10, ZfBR 2010, 606 (618). 7 OLG Saarbrücken v. 29.12.2003 – 1 Verg 4/03, NZBau 2004, 346 (347); VK Bund v. 29.2. 2016 – VK 1-138/15, juris Rz. 69; Hausmann/von Hoff in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 124 Rz. 11. 8 OLG Saarbrücken v. 29.12.2003 – 1 Verg 4/03, NZBau 2004, 346 (347).

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§ 124 | Fakultative Ausschlussgründe sich das Vorliegen eines Verstoßes gegen umwelt-, sozial- oder arbeitsrechtliche Verpflichtungen bei objektiver Betrachtung der Tatsachen als eindeutig darstellen1. 27 In der Praxis wird der öffentliche Auftraggeber bei der Ermittlung des Sachver-

halts regelmäßig auf die Mitwirkung des betroffenen Unternehmens angewiesen sein2. Verweigert das betroffene Unternehmen auf ein berechtigtes Auskunftsverlangen des Auftraggebers seine Mitwirkung und scheitert aufgrund dessen die abschließende Überprüfung des Vorliegens eines Ausschlussgrundes gemäß § 124 Abs. 1 Nr. 1, wird hierin zugleich eine Obliegenheitsverletzung des betroffenen Unternehmens zu sehen sein, wegen der es vom Vergabeverfahren ausgeschlossen werden kann3.

b) Zahlungsunfähigkeit, Insolvenz, Liquidation und Einstellung (Nr. 2) 28 Nach § 124 Abs. 1 Nr. 2 kann ein Unternehmen vom Vergabeverfahren aus-

geschlossen werden, wenn das Unternehmen zahlungsunfähig ist, über das Vermögen des Unternehmens ein Insolvenzverfahren oder ein vergleichbares Verfahren beantragt oder eröffnet worden ist, die Eröffnung eines solchen Verfahrens mangels Masse abgelehnt worden ist, sich das Unternehmen im Verfahren der Liquidation befindet oder seine Tätigkeit eingestellt hat.

29 § 124 Absatz 1 Nr. 2 setzt Art. 57 Abs. 4 Unterabs. 1 lit. b) um. 30 Vor Inkrafttreten des Vergaberechtsmodernisierungsgesetzes fanden sich in § 6

EG Abs. 6 lit. a) VOL/A, § 4 Abs. 9 lit. a) VOF und § 16 EG Abs. 1 Nr. 2 lit. a) und b) vergleichbare Regelungen auf untergesetzlicher Ebene.

31 Der Ausschlusstatbestand in § 124 Abs. 1 Nr. 2 knüpft daran an, dass in den ge-

nannten Konstellationen die wirtschaftliche Situation eines Unternehmens Zweifel an dessen Leistungsfähigkeit begründet und dadurch die Auftragsdurchführung gefährdet erscheint4. § 124 Abs. 1 Nr. 2 betrifft somit die finanzielle Leistungsfähigkeit des Unternehmens5.

32 Die in § 124 Abs. 1 Nr. 2 geregelten Ausschlussmöglichkeiten können bei Bie-

tergemeinschaften bereits dann zu einem Ausschluss führen, wenn sie lediglich

1 VK Nordbayern v. 22.1.2007 – 21.VK-3194-44/06, juris Rz. 154; Conrad in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 124 Rz. 58. 2 Conrad in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 124 Rz. 59; Müller-Wrede in MüllerWrede, Verdingungsordnung für Leistungen VOL/A Kommentar, § 6 EG Rz. 84. 3 OLG München v. 27.1.2005 – Verg 2/05, ZfBR 2005, 614 (616); Müller-Wrede in MüllerWrede, Verdingungsordnung für Leistungen VOL/A Kommentar, § 6 EG Rz. 84. 4 VK Brandenburg v. 19.12.2013 – VK 23/13, NZI 2014, 932 (934); VK Lüneburg v. 4.10. 2012 – VgK-38/2012, juris Rz. 83. 5 VK Brandenburg v. 19.12.2013 – VK 23/13, NZI 2014, 932 (934); VK Nordbayern v. 18.9. 2003 – 320.VK-3194-31/03, juris Rz. 130.

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im Hinblick auf ein einzelnes Mitglied der Bietergemeinschaft vorliegen1. Dies ist Folge der gesamtschuldnerischen Haftung der Mitglieder einer Bietergemeinschaft2. Hiernach muss jedes einzelne Mitglied die finanzielle Leistungsfähigkeit aufweisen. Mehrheitsverhältnisse innerhalb der Bietergemeinschaft sind ebenso unbeachtlich wie etwaige Absprachen zwischen den Bietern im Innenverhältnis3. Auch die insolvenzbedingte Leistungsunfähigkeit eines Nachunternehmers muss sich das Unternehmen zurechnen lassen, was ebenfalls einen Ausschluss gemäß § 124 Abs. 1 Nr. 2 nach sich ziehen kann4. Der öffentliche Auftraggeber trägt die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass 33 die Voraussetzungen für einen Ausschluss des Unternehmens vorliegen5. Verlangt der öffentliche Auftraggeber von dem betroffenen Unternehmen für die Entscheidung über einen Ausschluss gemäß § 124 Abs. 1 Nr. 2 notwendige Angaben und Unterlagen, muss das Unternehmen dem Auftraggeber die notwendigen Informationen übermitteln6. Unterlässt das Unternehmen dies, kann hierin unter Umständen eine schwere Verfehlung i.S.v. § 124 Abs. 1 Nr. 3 liegen. Allein aus dem Vorliegen einer in § 124 Abs. 1 Nr. 2 genannten Situation darf 34 der öffentliche Auftraggeber allerdings nicht pauschal auf die Ungeeignetheit des Unternehmens schließen7. Der Ausschluss eines Bieters gemäß § 124 Abs. 1 Nr. 2 verlangt vielmehr regelmäßig eine sorgfältige, alle Umstände des Einzelfalls berücksichtigende Ermessensausübung des öffentlichen Auftraggebers8, bei der dieser den in der Vorschrift geregelten unterschiedlichen Fallgestaltungen und den damit verbundenen Abstufungen einer möglichen Ungeeignetheit umfassend Rechnung trägt9. aa) Zahlungsunfähigkeit Der Ausschluss eines Unternehmens kommt zunächst in Betracht, wenn dieses 35 zahlungsunfähig ist. 1 Müller-Wrede in Müller-Wrede, Verdingungsordnung für Leistungen VOL/A Kommentar, § 6 EG Rz. 63. 2 VK Nordbayern v. 18.9.2003 – 320.VK-3194-31/03, juris Rz. 131. 3 VK Saarbrücken v. 28.10.2010 – 1 VK 12/2010, juris Rz. 45; VK Nordbayern v. 18.9.2003 – 320.VK-3194-31/03, juris Rz. 131. 4 OLG Schleswig v. 30.5.2012 – 1 Verg 2/12, juris 20 = VergabeR 2012, 900, 903; Hausmann/von Hoff in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 124 Rz. 21. 5 OLG Düsseldorf v. 15.7.2015 – VII-Verg 11/15, NZBau 2016, 55 (59); v. 29.1.2014 – Verg 28/13, ZfBR 2014, 502 (504); Conrad in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 124 Rz. 39. 6 VK Brandenburg v. 19.12.2013 – VK 23/13, NZI 2014, 932 (934). 7 Conrad in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 124 Rz. 24. 8 Hausmann/von Hoff in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 124 Rz. 18. 9 Conrad in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 124 Rz. 24.

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§ 124 | Fakultative Ausschlussgründe 36 In Ermangelung einer Bestimmung der Zahlungsunfähigkeit im GWB ist auf die

einschlägige Regelung in § 17 Abs. 2 InsO zurückzugreifen. Danach ist ein Unternehmen zahlungsunfähig, wenn es nicht in der Lage ist, seine fälligen Zahlungspflichten zu erfüllen (§ 17 Abs. 2 Satz 1 InsO). Nach § 17 Abs. 2 Satz 2 InsO ist die Zahlungsunfähigkeit in der Regel anzunehmen, wenn der Schuldner seine Zahlungen eingestellt hat.

37 Die Zahlungsunfähigkeit ist ein Eröffnungsgrund i.S.v. § 16 InsO und berechtigt

Schuldner und Gläubiger zur Stellung eines Insolvenzantrages1. In diesem Stadium muss der öffentliche Auftraggeber die Eignung des Unternehmens sehr genau prüfen, da die Zahlungsunfähigkeit eines Unternehmens noch keine gesicherte Aussage über dessen Leistungsfähigkeit zulässt. bb) Insolvenzverfahren

38 Öffentliche Auftraggeber können ein Unternehmen auch dann vom Vergabever-

fahren ausschließen, wenn über das Vermögen des Unternehmens ein Insolvenzverfahren oder ein vergleichbares Verfahren beantragt oder eröffnet worden ist oder die Eröffnung eines solchen Verfahrens mangels Masse abgelehnt worden ist.

39 Das Insolvenzverfahren ist im deutschen Recht in der Insolvenzordnung ge-

regelt. Mit den in § 124 Abs. 1 Nr. 2 angesprochenen vergleichbaren Verfahren sind entsprechende Verfahren in Ländern gemeint, in denen es keine Insolvenzordnung gibt2. Diese Verfahren können nicht nur ausländische Unternehmen betreffen, sondern auch solche mit Sitz in Deutschland, insbesondere Unternehmen die Teil eines internationalen Konzernverbundes sind, sofern sie nach Maßgabe der EUInsVO ausländischem Insolvenzrecht unterliegen3. (1) Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens

40 Ein Unternehmen kann bereits dann vom Vergabeverfahren ausgeschlossen

werden, wenn die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Unternehmens beantragt worden ist.

41 Auch in diesem Fall muss der öffentliche Auftraggeber im Einzelfall genau prü-

fen, ob das Unternehmen zukünftig die für den Auftrag erforderliche Leistungsfähigkeit aufweisen kann4. Dies folgt bereits daraus, dass der Antrag auf Eröff-

1 Bußhardt in Braun, Insolvenzordnung, § 17 Rz. 1. 2 Conrad in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 124 Rz. 27, Hausmann/von Hoff in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 124 Rz. 17; Opitz in Burgi/Dreher, Beck’scher Vergaberechtskommentar, Band 1, 3. Auflage 2017, § 124 Rz. 30. 3 Opitz in Burgi/Dreher, Beck’scher Vergaberechtskommentar, Band 1, 3. Auflage 2017, § 124 Rz. 30. 4 Conrad in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 124 Rz. 24; Hausmann/von Hoff in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 124 Rz. 19.

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nung eines Insolvenzverfahrens grundsätzlich an keine besonderen inhaltlichen Voraussetzungen geknüpft ist und über die Leistungsfähigkeit eines Unternehmens damit allein noch nichts aussagt1. Eine Regelvermutung, dass das Unternehmen in diesem Fall nicht leistungsfähig ist, besteht dementsprechend nicht2. (2) Eröffnung des Insolvenzverfahrens Voraussetzung für die Eröffnung des Insolvenzverfahrens ist, dass der Eröff- 42 nungsantrag zulässig ist. Aus materieller Sicht setzt die Eröffnung lediglich voraus, dass ein Eröffnungsgrund vorliegt (§ 16 InsO). Hierzu zählen die Zahlungsunfähigkeit (§ 17 InsO), die drohende Zahlungsunfähigkeit, wenn der Schuldner selbst das Verfahren beantragt hat (§ 18 InsO) und bei juristischen Personen die Überschuldung (§ 19 InsO), die vorliegt, wenn das Vermögen des Schuldners die bestehenden Verbindlichkeiten nicht mehr deckt. Bei einem zulässigen Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens und Vorlie- 43 gen eines Eröffnungsgrundes muss das Insolvenzgericht entscheiden, ob es das Verfahren durch Eröffnungsbeschluss gemäß § 27 InsO eröffnet. Eine Eröffnung erfolgt nur dann nicht, wenn das Vermögen des Schuldners voraussichtlich nicht ausreichen wird, um die Kosten des Verfahrens zu decken; in diesem Fall weist das Insolvenzgericht den Antrag gemäß § 26 Abs. 1 InsO mangels Masse ab. Auch nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens besteht bei der Beurteilung der 44 wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit eines Bieters keine Regelvermutung, wonach das Unternehmen finanziell nicht leistungsfähig ist3. Die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens begründet eine allein abstrakte Gefährdungslage, die für sich genommen noch nicht ausreicht, um ein Unternehmen vom Vergabeverfahren auszuschließen. Es bedarf vielmehr einer Prüfung der Eignung des Unternehmens unter Berücksichtigung des dem Auftraggeber zustehenden Beurteilungsspielraums sowie einer nachfolgenden ermessensfehlerfreien Entscheidung über den Ausschluss4. Dies ist schon allein deshalb erforderlich, weil das Ziel 1 Conrad in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 124 Rz. 24. 2 Hausmann/von Hoff in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 124 Rz. 19; a.A. Opitz in Burgi/Dreher, Beck’scher Vergaberechtskommentar, Band 1, 3. Auflage 2017, § 124 Rz. 27, der regelmäßig bei Stellung eines Antrags auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens von einer gefährdeten Leistungsfähigkeit des Unternehmens ausgeht. 3 OLG Celle v. 18.2.2013 – 13 Verg 1/13, juris Rz. 13; OLG Düsseldorf v. 2.5.2012 – VerG 68/11, juris Rz. 14, NZBau 2012, 596 (597); a.A. wohl Opitz in Burgi/Dreher, Beck’scher Vergaberechtskommentar, Band 1, 3. Auflage 2017, § 124 Rz. 27, der regelmäßig bereits bei Stellung eines Antrags auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens von einer gefährdeten Leistungsfähigkeit des Unternehmens ausgeht. 4 OLG Celle v. 18.2.2013 – 13 Verg 1/13, juris Rz. 13; OLG Düsseldorf v. 5.12.2006 – VII VerG 56/06, juris Rz. 16 = NZBau 2007, 668 (670); OLG Schleswig v. 30.5.2012 – 1 VerG 2/12, juris Rz. 22, VergabeR 2012, 900, 903 f.

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§ 124 | Fakultative Ausschlussgründe des Insolvenzverfahrens – Befriedigung der Gläubiger – nicht nur durch die Verwertung des Schuldnervermögens, sondern auch durch die Erhaltung des betroffenen Unternehmens durch eine Regelung im Insolvenzplan erreicht werden kann (vgl. § 1 Satz 1, §§ 217 ff. InsO)1. 45 Für die vom öffentlichen Auftraggeber im Einzelfall anzustellende Prognoseent-

scheidung ist es daher von besonderer Bedeutung, ob ein Insolvenzplan im Sinne des § 217 InsO mit Regelungen zum Erhalt des Unternehmens vorliegt2. Das in § 217 ff. InsO normierte Insolvenzplanverfahren verfolgt primär das Ziel der Unternehmenserhaltung3. Der öffentliche Auftraggeber kann sich daher anhand des Insolvenzplans ein Bild darüber machen, ob die Leistungsfähigkeit des Unternehmens weiterhin gegeben ist. Liegt ein Insolvenzplan nicht vor, so ist es aus Sicht des öffentlichen Auftraggebers sachgerecht, vom Unternehmen konkrete Angaben zu dessen Verbindlichkeiten zu erfragen4. (3) Ablehnung der Eröffnung des Insolvenzverfahrens mangels Masse

46 Hat das Insolvenzgericht die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Ver-

mögen eines Unternehmens mangels Masse gemäß § 26 Abs. 1 Satz 1 InsO abgelehnt, ist die finanzielle Leistungsfähigkeit des Unternehmens zumindest zweifelhaft. Denn das Insolvenzgericht ist bei der Entscheidung über die Eröffnung des Insolvenzverfahrens zu dem Ergebnis gelangt, dass das Vermögen des Unternehmens voraussichtlich nicht einmal ausreicht, um die Kosten des Insolvenzverfahrens (§ 54 InsO) zu decken.

47 In diesem Fall wird man von einer Indizwirkung ausgehen können, wonach die

finanzielle Leistungsfähigkeit regelmäßig nicht gegeben ist5. Vollumfänglich kann der öffentliche Auftraggeber allerdings auch in diesen Fällen nicht auf seine Ermessensausübung verzichten. Im Einzelfall vorliegende Umstände, die trotz der Ablehnung der Eröffnung des Insolvenzverfahrens durch das Insolvenzgerichts für die zukünftige Leistungsfähigkeit des Unternehmens im Hinblick auf den öffentlichen Auftrag sprechen, müssen Berücksichtigung finden. (4) Liquidationsverfahren

48 Nach § 124 Abs. 1 Nr. 2 kann der öffentliche Auftraggeber ein Unternehmen au-

ßerdem vom Vergabeverfahren ausschließen, wenn es sich in Liquidation befindet. Liquidation ist die Abwicklung eines Unternehmens nach dessen Auflösung; sie führt zur vollständigen Beendigung einer Gesellschaft durch Erlöschen ihrer

1 OLG Düsseldorf v. 2.5.2012 – VerG 68/11, juris Rz. 14 = NZBau 2012, 596 (597). 2 OLG Celle v. 18.2.2013 – 13 Verg 1/13, juris Rz. 16. 3 Leithaus in Andres/Leithaus, Insolvenzordnung, § 1 Rz. 3; Müller-Wrede in Müller-Wrede, Verdingungsordnung für Leistungen VOL/A Kommentar, § 6 EG Rz. 62. 4 OLG Celle v. 18.2.2013 – 13 Verg 1/13, juris Rz. 16. 5 Conrad in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 124 Rz. 24; Hausmann/von Hoff in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 124 Rz. 18.

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Eigenschaft als Rechtsträger. Ab der Auflösung einer Gesellschaft liegt ihr Zweck allein in der vermögensmäßigen Abwicklung und Beendigung (Abwicklungsgesellschaft)1. In der Liquidationsphase wird die zukünftige Leistungsfähigkeit des Unterneh- 49 mens im Hinblick auf die Durchführung des zu vergebenden öffentlichen Auftrags in der Regel ausscheiden. Dies gilt selbst dann, wenn dem Unternehmen trotz des Liquidationsstadiums noch ausreichend finanzielle Mittel zur Verfügung stehen. Weil das Unternehmen bald nicht mehr existent sein wird, ist die ordnungsgemäße Auftragsdurchführung zumindest hinsichtlich etwaiger Gewährleistungsansprüche äußerst zweifelhaft. Das Ermessen des öffentlichen Auftraggebers ist in dieser Konstellation regelmäßig – in Richtung Ausschluss – auf Null reduziert. (5) Einstellung der Unternehmenstätigkeit Der Ausschluss eines Unternehmens ist gemäß § 124 Abs. 1 Nr. 2 auch dann 50 möglich, wenn das Unternehmen seine Tätigkeit eingestellt hat. Diese Ausschlussmöglichkeit war in den bisherigen untergesetzlichen Regelungen nicht enthalten. Weder das GWB noch die Gesetzesbegründung hierzu geben Aufschluss darü- 51 ber, was unter der Einstellung der Tätigkeit zu verstehen ist. In Art. 57 Abs. 4 Unterabs. 1 lit. b) der Richtlinie 2014/24/EU ist die Rede davon, dass ein Unternehmen seine gewerbliche Tätigkeit eingestellt hat. Hiervon ist auszugehen, wenn ein Unternehmen seinem Geschäftsbetrieb gar nicht mehr nachgeht. Dies kann endgültig oder auch nur vorübergehend der Fall sein. Erforderlich ist jedoch, dass das Unternehmen seine Tätigkeit vollumfänglich nicht mehr verfolgt2. Bei einem Unternehmen, das seinen Geschäftsbetrieb eingestellt hat, ist eine 52 ordnungsgemäße Auftragsausführung in der Zukunft grundsätzlich nicht zu erwarten, so dass dieses als ungeeignet anzusehen und daher auszuschließen ist. Das Ermessen des öffentlichen Auftraggebers ist auch in diesem Fall auf Null reduziert3. Etwas anderes kann allenfalls dann gelten, wenn der öffentliche Auftraggeber aufgrund konkreter Anhaltspunkte davon ausgehen muss, dass es sich nur um eine temporäre Einstellung der Unternehmenstätigkeit handelt und für den Leistungszeitraum mit der Leistungsfähigkeit des Unternehmens wieder zu rechnen ist. Bleiben hieran Zweifel, gehen diese zulasten des Unternehmens. 1 Vgl. bspw. für die Auflösung einer GmbH: Frank in Saenger/Inhester, GmbHG, § 60 Rz. 5. 2 Conrad in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 124 Rz. 37. 3 Vgl. Conrad in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 124 Rz. 38, der allerdings stets von einer Ermessensreduzierung auf Null und einem zwingenden Ausschluss des Unternehmens ausgeht.

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§ 124 | Fakultative Ausschlussgründe c) Nachweislich schwere Verfehlung im Rahmen der beruflichen Tätigkeit (Nr. 3) 53 Gemäß § 124 Abs. 1 Nr. 3 können öffentliche Auftraggeber ein Unternehmen

von der Teilnahme an einem Vergabeverfahren ausschließen, wenn das Unternehmen im Rahmen der beruflichen Tätigkeit nachweislich eine schwere Verfehlung begangen hat, durch die die Integrität des Unternehmens infrage gestellt wird.

54 Durch § 124 Abs. 1 Nr. 3 wird Art. 57 Abs. 4 Unterabs. 1 lit. c) der Richtlinie

2014/24/EU umgesetzt. Allerdings handelt es sich bei diesem Ausschlussgrund nicht um einen neuen Tatbestand. Vor Inkrafttreten des Vergaberechtsmodernisierungsgesetzes fanden sich vergleichbare Regelungen in § 6 EG Abs. 6 lit. c) VOL/A, § 16 EG Abs. 1 Nr. 2 lit. c) VOB/A 2012, § 16 VS Abs. 1 Nr. 2 lit. c) VOB/A 2012, § 4 Abs. 9 lit. c) VOF, § 21 Abs. 4 Nr. 5 SektVO 2009 und § 24 Abs. 1 Nr. 4 VSVgV.

55 Art. 45 Abs. 2 Unterabs. 1 lit. d) der Richtlinie 2004/18/EG enthielt ebenfalls be-

reits einen fakultativen Ausschlussgrund für den Fall, dass Wirtschaftsteilnehmer im Rahmen ihrer beruflichen Tätigkeit eine schwere Verfehlung begangen haben, die vom öffentlichen Auftraggeber nachweislich festgestellt wurde. Art. 57 Abs. 4 Unterabs. 1 lit. c) der Richtlinie 2014/24/EU und die nationale Umsetzung in § 124 Abs. 1 Nr. 3 sind jedoch insoweit enger gefasst, als die nachweislich schwere Verfehlung nunmehr ausdrücklich die Integrität des Unternehmens infrage stellen muss1.

56 § 124 Abs. 1 Nr. 3 ist somit im Ausgangspunkt zwar weiter gefasst als die in

§ 123 Abs. 1 geregelten zwingenden Ausschlussgründe, die an eine rechtskräftige Verurteilung oder rechtskräftig festgesetzte Geldbuße wegen einer dort geregelten Katalogstraftat anknüpfen2. Eine Eingrenzung erfährt der Anwendungsbereich des § 124 Abs. 1 Nr. 3 jedoch insoweit, als durch das Erfordernis der Infragestellung der Integrität eines Unternehmens aufgrund der schweren Verfehlung ein tatbestandliches Korrektiv3 geschaffen wurde. Zudem eröffnet § 124 Abs. 1 dem öffentlichen Auftraggeber – anders als § 123 Abs. 1 – auf Rechtsfolgenseite ein Ermessen4.

1 So schon EuGH v. 13.12.2012 – C-465/11 (Forposta SA), NZBau 2013, 116 (118 f.) = EuZW 2013, 151 (153). 2 Hausmann/von Hoff in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 124 Rz. 24. 3 Hausmann/von Hoff in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 124 Rz. 24. 4 BT-Drucks. 18/6281, S. 104; Conrad in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 124 Rz. 202; Hausmann/von Hoff in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 124 Rz. 24.

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Fakultative Ausschlussgründe | § 124

Dem fakultativen Ausschlussgrund gemäß § 124 Abs. 1 Nr. 3 kommt vor diesem 57 Hintergrund weiterhin eine zentrale Bedeutung als Auffangtatbestand zu1. Die Vorschrift ist insbesondere neben den anderen fakultativen oder zwingenden Ausschlussgründen anwendbar, wenn deren Voraussetzungen nicht oder nur teilweise vorliegen2. Die Gesetzesbegründung betont, dass eine schwere, die Integrität des Unternehmens beeinträchtigende Verfehlung beispielsweise auch dann in Betracht kommt, wenn hinsichtlich einer nach § 123 Abs. 1 zu einem zwingenden Ausschluss führenden Straftat noch keine rechtskräftige Verurteilung vorliegt3 oder wenn eine Straftat begangen wurde, die zwar nicht in § 123 Abs. 1 aufgeführt ist, aber die Integrität des Unternehmens gleichwohl infrage stellt4. Teilweise wird hierin sogar der Hauptanwendungsbereich des § 124 Abs. 1 Nr. 3 gesehen, da Verstöße gegen geltende umwelt-, sozial- oder arbeitsrechtliche Verpflichtungen durch § 124 Abs. 1 Nr. 1 und wettbewerbsrechtliche Verstöße durch § 124 Abs. 1 Nr. 4 größtenteils erfasst sind5. aa) Zurechnung zum Unternehmen Der fakultative Ausschlusstatbestand in § 124 Abs. 1 Nr. 3 stellt auf eine durch das 58 Unternehmen begangene schwere Verfehlung ab. Regelmäßig handelt es sich bei Unternehmen nicht um natürliche Personen, sondern um Personengesellschaften oder juristische Personen. Diese können nicht selbst schuldhaft handeln6 und insbesondere nach deutschem Strafrecht auch keine Straftaten begehen7. Nach der bisherigen Rechtslage war als Bezugspunkt für die Prüfung einer dem 59 Unternehmen anzulastenden schwerwiegenden Verfehlung auf die für das Unternehmen verantwortlich handelnden Personen abzustellen8. Begründet wurde dies damit, dass die einwandfreie Ausführung eines zu vergebenden Auftrags maßgeblich von den verantwortlichen Personen abhängt, weshalb es bei Beteiligung einer Personengesellschaft oder juristischen Person nicht auf das Unternehmen selbst ankommt, sondern auf die für das Unternehmen handelnden Verantwortungsträger9. 1 2 3 4 5 6 7 8 9

BT-Drucks. 18/6281, S. 105. BT-Drucks. 18/6281, S. 105. Vgl. hierzu auch Erwägungsgrund 101 der Richtlinie 2014/24/EU. BT-Drucks. 18/6281, S. 105. Opitz in Burgi/Dreher, Beck’scher Vergaberechtskommentar, Band 1, 3. Auflage 2017, § 124 Rz. 37. Conrad in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 124 Rz. 54; Müller-Wrede in MüllerWrede, Verdingungsordnung für Leistungen VOL/A Kommentar, § 6 EG Rz. 74. Kühl in Lackner/Kühl, StGB, § 14 Rz. 1a; Otting, VergabeR 2016, 316 (322). VK Lüneburg v. 12.12.2011 – VgK-53/2011, juris Rz. 52; Müller-Wrede in Müller-Wrede, Verdingungsordnung für Leistungen VOL/A Kommentar, § 6 EG Rz. 74 f.; Opitz in Dreher/Motzke, Beck’scher Vergaberechtskommentar, § 97 Abs. 4 Rz. 44. VK Lüneburg v. 12.12.2011 – VgK-53/2011, juris Rz. 52.

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§ 124 | Fakultative Ausschlussgründe 60 Hieran hat sich mit Inkrafttreten des Vergaberechtsmodernisierungsgesetzes im

Grunde nichts geändert. Allerdings stellt § 123 Abs. 1 für die zwingenden Ausschlussgründe klar, dass für die erforderliche Verurteilung wegen einer Straftat auf die Person abzustellen ist, deren Verhalten dem Unternehmen zuzurechnen ist. Eine solche Zurechnung erfolgt gemäß § 123 Abs. 3, wenn eine Person als für die Leitung des Unternehmens Verantwortlicher gehandelt hat, wozu auch die Überwachung der Geschäftsführung oder die sonstige Ausübung von Kontrollbefugnissen in leitender Stellung gehört1. Diese Zurechnungsregelung lässt sich auf schwere Verfehlungen gemäß § 124 Abs. 1 Nr. 3 mit der Maßgabe entsprechend anwenden, dass es nicht auf die Verurteilung wegen einer Katalogstraftat gemäß § 123 Abs. 1 ankommt. Abzustellen ist daher darauf, ob die Verfehlung durch eine für die Leitung des Unternehmens verantwortliche Person begangen wurde2. Das Handeln nicht leitungsverantwortlicher Personen muss sich ein Unternehmen nicht zurechnen lassen.

61 Ein Unternehmen muss sich auch die nachweislich schwere Verfehlung einer

verantwortlich handelnden Person zurechnen lassen, die diese im Rahmen ihrer Tätigkeit für ein anderes Unternehmen begangen hat3. Durch die Beschäftigung einer solchen Person importiert das Unternehmen die Unzuverlässigkeit und muss diese daher gegen sich gelten lassen4. Außerdem könnten anderenfalls Schlupflöcher entstehen, da sich durch formale Unternehmensneu- oder -ausgliederungen der Unternehmensbezug kappen ließe5.

bb) Schwere Verfehlung im Rahmen der beruflichen Tätigkeit 62 Bei dem Begriff „schwere Verfehlung im Rahmen der beruflichen Tätigkeit“

handelt es sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff, bei dessen Auslegung der Vergabestelle ein Beurteilungsspielraum zukommt6. Der Begriff ist zwi1 Zur Zurechnung gemäß § 123 Abs. 3 vgl. die Ausführungen unter § 123 Rz. 32 ff. 2 Einschränkend Opitz in Burgi/Dreher, Beck’scher Vergaberechtskommentar, Band 1, 3. Auflage 2017, § 124 Rz. 37, der die Zurechnung nach § 123 Abs. 3 nur für den Geltungsbereich des Strafrechts annimmt. 3 Vgl. § 123 Rz. 42; Conrad in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 124 Rz. 56; MüllerWrede in Müller-Wrede, Verdingungsordnung für Leistungen VOL/A Kommentar, § 6 EG Rz. 75; Dreher/Hoffmann, NZBau 2012, 265 (268). 4 Dreher/Hoffmann, NZBau 2012, 265 (268). 5 Vgl. § 123 Rz. 42. 6 OLG München v. 21.5.2010 – Verg 02/10, ZfBR 2010, 606 (618); VK Lüneburg v. 12.12. 2011 – VgK-53/2011, juris Rz. 52; Hausmann/von Hoff in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 124 Rz. 26; a.A. Müller-Wrede in Müller-Wrede, Verdingungsordnung für Leistungen VOL/A Kommentar, § 6 EG Rz. 70; ablehnend auch OLG München v. 21.4.2017 – Verg 2/17, zitiert nach juris, wonach die seitens der Vergabestelle erfolgte Subsumtion des von ihr ermittelten Sachverhalts unter die unbestimmten Rechtsbegriffe „nachweislich“ und „schwere“ Verfehlung“ von den Nachprüfungsinstanzen uneingeschränkt überprüft werden kann.

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Fakultative Ausschlussgründe | § 124

schenzeitlich durch die Rechtsprechung hinlänglich präzisiert und konturiert worden. So hat der EuGH hat in seiner Forposta-Entscheidung klargestellt, wann eine im 63 Rahmen der beruflichen Tätigkeit begangene schwere Verfehlung gemäß Art. 45 Abs. 2 Unterabs. 1 lit. d) der Richtlinie 2004/18/EG vorliegt1. Der Begriff „Verfehlung im Rahmen der beruflichen Tätigkeit“ im Sinne dieser Vorschrift umfasst nicht nur Verstöße gegen berufsethische Regelungen im engen Sinne des Berufsstands, dem dieser Wirtschaftsteilnehmer angehört, die durch das Disziplinarorgan dieses Berufsstands oder durch eine rechtskräftige Gerichtsentscheidung festgestellt werden, sondern jedes fehlerhafte Verhalten, das Einfluss auf die berufliche Glaubwürdigkeit des betreffenden Wirtschaftsteilnehmers hat2. Soweit das Fehlverhalten im Rahmen der beruflichen Tätigkeit nach Auffassung 64 des EuGH schon im Anwendungsbereich der Richtlinie 2004/18/EG Auswirkung auf die Integrität des Unternehmens haben musste, ist dies nunmehr in Art. 57 Abs. 4 Unterabs. 1 lit. c) der Richtlinie 2014/24/EU ausdrücklich geregelt. Der Hinweis in der Gesetzesbegründung zu § 124 Abs. 1 Nr. 3, wonach der Ausschlussgrund in Art. 57 Abs. 4 Unterabs. 1 lit. c) der Richtlinie 2014/24/ EU gegenüber der Richtlinie 2004/18/EG etwas eingeengt wurde3, ist vor diesem Hintergrund zu sehen. Letztlich vollzieht diese Klarstellung aber lediglich die Rechtsprechung des EuGH nach. Erforderlich ist, dass das Fehlverhalten im Rahmen der beruflichen Tätigkeit 65 begangen wurde und somit gesetzliche Pflichten betroffen sind, die im Zusammenhang mit der Berufsausübung stehen4. Das Erfordernis eines Bezugs der Pflichtverletzung zur Berufsausübung ist Ausfluss des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes. Es kann daher nicht darauf abgestellt werden, ob der Bieter generell „seinen gesetzlichen Verpflichtungen nachgekommen ist“5. Insbesondere kann im privaten Bereich liegendes Fehlverhalten von Leitungspersonen eines Unternehmens einen Ausschluss nicht rechtfertigen. Mit Blick auf die erforderliche „Schwere“ der Verfehlung hat der EuGH in der 66 Forposta-Entscheidung festgehalten, dass das Verhalten des betreffenden Wirtschaftsteilnehmers üblicherweise auf Vorsatz oder auf eine Fahrlässigkeit von gewisser Schwere schließen lässt6. Daher liegt insbesondere nicht in jeder nicht 1 EuGH v. 13.12.2012 – C-465/11 (Forposta SA), NZBau 2013, 116 (118 f.) = EuZW 2013, 151 (153). 2 EuGH v. 13.12.2012 – C-465/11 (Forposta SA), NZBau 2013, 116 (118 f.) = EuZW 2013, 151 (153). 3 BT-Drucks. 18/6281, S. 105. 4 Opitz in Burgi/Dreher, Beck’scher Vergaberechtskommentar, Band 1, 3. Auflage 2017, § 124 Rz. 36. 5 Opitz in Dreher/Motzke, Beck’scher Vergaberechtskommentar, § 97 Abs. 4 Rz. 53. 6 EuGH v. 13.12.2012 – C-465/11 (Forposta SA), NZBau 2013, 116 (118 f.) = EuZW 2013, 151 (153).

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§ 124 | Fakultative Ausschlussgründe ordnungsgemäßen, ungenauen oder mangelhaften Erfüllung eines Vertrags oder eines Vertragsteils eine schwere Verfehlung1. Vielmehr muss die Verfehlung schuldhaft begangen sein und erhebliche Auswirkungen haben2. In jedem Fall muss die Verfehlung eine solche Intensität und Schwere aufweisen, dass die Integrität des Unternehmens in Frage steht3. Dem Auftraggeber darf es angesichts des Fehlverhaltens des Unternehmens nicht zumutbar sein, mit diesem vertragliche Beziehungen einzugehen4. 67 Dies dürfte etwa dann der Fall sein, wenn besonders schützenswerte Rechtsgüter

verletzt worden sind und ein erheblicher Schaden entstanden ist oder zu entstehen drohte5. In Betracht zu ziehen ist dies insbesondere bei Straftaten wie Beamtenbestechung, Vorteilsgewährung, Diebstahl, Unterschlagung, Erpressung, Betrug (speziell Submissionsbetrug), Untreue und Urkundenfälschung, Straftaten gegen Leib und Leben, aber auch bei unzulässigen Preisabsprachen, unlauterem Wettbewerb, dem Missbrauch marktbeherrschender Stellung oder Marken- und Schutzrechtsverletzungen6.

68 Bei derartigen Rechtsverstößen wie Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten

von einigem Gewicht sind regelmäßig Zweifel an der Integrität des Unternehmens gerechtfertigt7. Bei Bagatelldelikten scheidet eine die berufliche Integrität des Unternehmens infrage stellende schwere Verfehlung demgegenüber regelmäßig aus8.

69 Zu beachten ist außerdem, dass sich mehrere isoliert als leicht zu bewertende

Verfehlungen insgesamt zu einer groben Verfehlung summieren können9. Dem steht der Gesetzeswortlaut, wonach auf „eine“ schwere Verfehlung des Unternehmens abzustellen ist, nicht entgegen. „Eine“ ist in diesem Kontext nicht

1 EuGH v. 13.12.2012 – C-465/11 (Forposta SA), NZBau 2013, 116 (119) = EuZW 2013, 151 (153); VK Bund v. 29.2.2016 – VK 1-138/15, juris Rz. 69. 2 OLG München v. 21.4.2017 – Verg 2/17, zitiert nach juris; VK Südbayern v. 17.1.2017 – Z3-3-3194-1-50-12/16, juris Rz. 184 f.; zum alten Recht: OLG München v. 21.5.2010 – Verg 02/10, ZfBR 2010, 606, 618; Müller-Wrede in Müller-Wrede, Verdingungsordnung für Leistungen VOL/A Kommentar, § 6 EG Rz. 69. 3 BT-Drucks 18/6281, 105; OLG München v. 21.4.2017 – Verg 2/17, zitiert nach juris; VK Südbayern v. 17.1.2017 – Z3-3-3194-1-50-12/16, juris Rz. 185. 4 OLG München v. 21.4.2017 – Verg 2/17, zitiert nach juris. 5 OLG München v. 21.4.2017 – Verg 2/17, zitiert nach juris; VK Lüneburg v. 24.3.2011 – VgK-4/2011, NZBau 2011, 574 (575); Müller-Wrede in Müller-Wrede, Verdingungsordnung für Leistungen VOL/A Kommentar, § 6 EG Rz. 69. 6 Hausmann/von Hoff in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 124 Rz. 26; Müller-Wrede in Müller-Wrede, Verdingungsordnung für Leistungen VOL/A Kommentar, § 6 EG Rz. 71. 7 OLG München v. 22.11.2012 – Verg 22/12, NZBau 2013, 261 (263); VK Bund v. 29.2. 2016 – VK 1-138/15, juris Rz. 69. 8 OLG München v. 22.11.2012 – Verg 22/12, NZBau 2013, 261 (263). 9 Fehling in Pünder/Schellenberg, Vergaberecht, § 97 GWB Rz. 121.

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Fakultative Ausschlussgründe | § 124

als Zahlwort zu verstehen, da der öffentliche Auftraggeber letztlich immer eine Gesamtprognose über die Eignung des Unternehmens anstellen und hierfür alle im Einzelfall maßgeblichen Umstände berücksichtigen muss. Im Hinblick auf strafbares Verhalten von Leitungspersonen des Unternehmens 70 ist allerdings zu beachten, dass allein aus der Verurteilung zu einer Bewährungsstrafe und der dahinter stehenden günstigen Sozialprognose für den Verurteilten nicht geschlossen werden kann, dass die Integrität des Unternehmens fortbesteht und es mithin an einer schweren Verfehlung fehlt1. Vielmehr bringt die Verurteilung zu einer Bewährungsstrafe gegenüber dem Betroffenen zum Ausdruck, dass erst bei nachgewiesenem Wohlverhalten während der Dauer der Bewährungszeit die abschließende Bewertung erfolgen kann, dass es zur Einwirkung auf seine Person einer Vollzugsstrafe nicht bedarf2. Auch im Falle der Einstellung eines strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens 71 gemäß § 153a StPO scheidet eine die Integrität des Unternehmens infrage stellende schwere Verfehlung nicht von vornherein aus. Denn gerade im Bereich der Wirtschaftskriminalität wird von dieser Möglichkeit aus Gründen der Verfahrensökonomie häufig Gebrauch gemacht, ohne dass hiermit eine Aussage über die (Nicht-)Begehung der Straftat verbunden wäre. Folglich kann auch das Vorliegen einer schweren Verfehlung gemäß § 124 Abs. 1 Nr. 3 nicht allein durch Verweis auf eine Verfahrenseinstellung gemäß § 153a StPO bestritten werden3. Die Integrität eines Unternehmens wird allerdings nicht nur durch strafrecht- 72 liche Verurteilungen bzw. die Begehung von Straftaten infrage gestellt4. Auch Verstöße gegen zivilrechtliche Vorschriften (beispielsweise §§ 823, 826, 123, 134, 138 BGB oder auch Vorschriften des UWG) sind grundsätzlich dazu geeignet, die Integrität eines Unternehmens infrage zu stellen5. Die Verletzung vertraglicher Verpflichtungen kann nach der Gesetzesbegrün- 73 dung ebenfalls eine schwere Verfehlung darstellen, die die Integrität eines Unternehmens infrage stellt. Voraussetzung hierfür ist allerdings, dass die Vertragsverletzung eine solche Intensität und Schwere aufweist, dass der öffentliche Auftraggeber berechtigterweise an der Integrität des Unternehmens zweifeln darf6. 1 OLG München v. 21.4.2006 – Verg 8/06, ZfBR 2006, 507 (510); Conrad in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 124 Rz. 54. 2 OLG München v. 21.4.2006 – Verg 8/06, ZfBR 2006, 507 (510); Hausmann/von Hoff in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 124 Rz. 29. 3 Conrad in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 124 Rz. 51. 4 Opitz in Burgi/Dreher, Beck’scher Vergaberechtskommentar, Band 1, 3. Auflage 2017, § 124 Rz. 39. 5 Müller-Wrede in Müller-Wrede, Verdingungsordnung für Leistungen VOL/A Kommentar, § 6 EG Rz. 71. 6 BT-Drucks. 18/6281, S. 105; VK Südbayern v. 17.1.2017 – Z3-3-3194-1-50-12/16, juris Rz. 185.

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§ 124 | Fakultative Ausschlussgründe Das Unternehmen muss insoweit gegen Rechtspflichten von einigem Gewicht verstoßen1. Meinungsverschiedenheiten der Vertragsparteien über die Vertragsinhalte bzw. die hieraus abzuleitenden Pflichten genügen hierfür nicht, da die Vertretung eines von der Vergabestelle abweichenden Rechtsstandpunktes durch nicht als schuldhaft pflichtwidriges Verhalten anzusehen ist2. Dies gilt selbst dann, wenn der abweichende Standpunkt deutlichen Worten vertreten wird3. 74 Da es sich bei § 124 Abs. 1 Nr. 3 um einen Auffangtatbestand handelt, stellt

sich im Hinblick auf die Verletzung vertraglicher Pflichten bei der Auftragsausführung die Frage nach dem Verhältnis von § 124 Abs. 1 Nr. 3 zu § 124 Abs. 1 Nr. 7, zumal nach der Gesetzesbegründung auch Verstöße gegen besondere Ausführungsbedingungen gemäß § 128 Abs. 2 eine schwere Verfehlung i.S.v. § 124 Abs. 1 Nr. 3 darstellen können. Nach § 124 Abs. 1 Nr. 7 kann ein Unternehmen vom Vergabeverfahren ausgeschlossen werden, wenn es bei der Ausführung eines früheren öffentlichen Auftrags eine wesentliche Anforderung mangelhaft erfüllt hat. § 124 Abs. 1 Nr. 7 setzt weiter voraus, dass der Mangel die Kündigung, Schadensersatz oder eine vergleichbare Sanktion nach sich gezogen hat. Mit Blick auf diese spezielle Regelung dürfte es ausscheiden, Ausführungsmängel unabhängig vom Vorliegen der weiteren Voraussetzungen als schwere Verfehlungen i.S.v. § 124 Abs. 1 Nr. 3 zu qualifizieren4. Anderenfalls würden die gesetzlichen Anforderungen des § 124 Abs. 1 Nr. 7 unterlaufen.

75 Nach der Gesetzesbegründung wird die Integrität eines Unternehmens zudem

im Regelfall durch Verletzungen der Verpflichtung zu Vertraulichkeit und Sicherheit infrage gestellt5.

75a Hat der Auftraggeber die Verfehlung eines Unternehmens im Rahmen der Eig-

nungsprüfung für nicht so schwerwiegend erachtet, dass er das Unternehmen gemäß § 124 Abs. 1 Nr. 3 ausschließt, so ist er bei unveränderter Tatsachengrundlage an die eigene Beurteilung der Schwere des Fehlverhaltens gebunden6. Unternehmen dürfen darauf vertrauen, im weiteren Verfahren nicht wegen des bekannten Fehlverhaltens ausgeschlossen werden, wenn keine neuen Umstände hinzutreten, die eine geänderte Bewertung rechtfertigen würden.

1 KG Berlin v. 8.12.2011 – 2 U 11/11, NZBau 2012, 389 (391); VK Bund v. 29.2.2016 – VK 1-138/15, juris Rz. 69. 2 OLG München v. 21.4.2017 – Verg 2/17, zitiert nach juris. 3 OLG München v. 21.4.2017 – Verg 2/17, zitiert nach juris. 4 Im Ergebnis ebenso: Opitz in Burgi/Dreher, Beck’scher Vergaberechtskommentar, Band 1, 3. Auflage 2017, § 124 Rz. 38; Otting, VergabeR 2016, 316 (323). 5 BT-Drucks. 18/6281, S. 105. 6 OLG München v. 21.4.2017 – Verg 2/17, zitiert nach juris.

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Fakultative Ausschlussgründe | § 124

cc) Nachweislichkeit Ein Ausschluss gemäß § 124 Abs. 1 Nr. 3 setzt voraus, dass der öffentliche Auf- 76 traggeber eine schwere Verfehlung des Unternehmens nachweist. Die Darlegungs- und Beweislast für eine vom Unternehmen begangene Pflichtverletzung gemäß § 124 Abs. 1 Nr. 1 liegt somit beim Auftraggeber1. Dabei sind hohe Anforderungen an die Nachweislichkeit einer Pflichtverletzung zu stellen2, wobei der Auftraggeber den Nachweis grundsätzlich jedoch mit jedem geeigneten Mittel führen kann3 Unzweifelhaft ist der Nachweis einer schweren Verfehlung immer dann geführt, 77 wenn sich der Auftraggeber auf einen rechtskräftigen Bußgeldbescheid oder eine rechtskräftige Verurteilung stützen kann4. Im Falle eines Eingeständnisses des Unternehmens ist der Nachweis ebenfalls unproblematisch5. Zwingend erforderlich ist dies allerdings nicht6. Vielmehr kann vom öffent- 78 lichen Auftraggeber bei dringenden Verdachtsmomenten für strafrechtliche Verfehlungen eines Unternehmens nicht verlangt werden, eine Anklageerhebung oder die Eröffnung eines Hauptverfahrens abzuwarten, da zwischen dem Bekanntwerden der Verdachtsmomente und der Anklageerhebung oder Eröffnung des Hauptverfahrens oft Jahre liegen7. Denn ein öffentlicher Auftraggeber ist nicht verpflichtet, Vertragsbeziehungen mit einem Unternehmen einzugehen, wenn er berechtigten Grund zu der Annahme hat, das Unternehmen sei aufgrund einer schweren Verfehlung gemäß § 124 Abs. 1 Nr. 3 zur Ausführung des Auftrags ungeeignet. Bloße Verdächtigungen, unspezifizierte Vorwürfe oder reine Verdachts- 79 momente reichen insoweit allerdings nicht aus8. Der Nachweis einer schweren 1 OLG Düsseldorf v. 29.1.2014 – VII-Verg 28/13, NZBau 2014, 314 (315); VK Bund v. 29.2. 2016 – VK 1-138/15, juris Rz. 69; Conrad in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 124 Rz. 57; Hausmann/von Hoff in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 124 Rz. 10; Müller-Wrede in Müller-Wrede, Verdingungsordnung für Leistungen VOL/A Kommentar, § 6 EG Rz. 82. 2 OLG München v. 21.5.2010 – Verg 02/10, ZfBR 2010, 606 (618); Hausmann/von Hoff in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 124 Rz. 10. 3 Opitz in Burgi/Dreher, Beck’scher Vergaberechtskommentar, Band 1, 3. Auflage 2017, § 124 Rz. 43. 4 OLG München v. 21.4.2006 – Verg 8/06, ZfBR 2006, 507 (509); Conrad in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 124 Rz. 58. 5 Müller-Wrede in Müller-Wrede, Verdingungsordnung für Leistungen VOL/A Kommentar, § 6 EG Rz. 83. 6 OLG Saarbrücken v. 29.12.2003 – 1 Verg 4/03, NZBau 2004, 346 (347). 7 Hausmann/von Hoff in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 124 Rz. 13. 8 BGH v. 26.10.1999 – X ZR 30/98, MDR 2000, 1008 = NJW 2000, 661 (662); OLG München v. 21.5.2010 – Verg 02/10, ZfBR 2010, 606 (618).

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§ 124 | Fakultative Ausschlussgründe Verfehlung ist erst geführt, wenn der Verdacht eine gewisse Erhärtung erfährt1, weil sich die tragenden Umstände im Bereich gesicherter Erkenntnisse bewegen2. Die die schwere Verfehlungen belegenden Indiztatsachen müssen somit einiges Gewicht haben. Sie müssen der kritischen Prüfung durch ein mit der Sache befasstes Gericht standhalten und die Zuverlässigkeit des Bieters nachvollziehbar infrage stellen3. Hiervon ist auszugehen, wenn konkrete, belastbare Anhaltspunkte, zum Beispiel in Form von Aufzeichnungen, Belegen oder sonstigen Urkunden vorliegen, die sich aus seriösen Quellen ergeben4. Das Vorliegen einer schweren Verfehlung muss sich vor diesem Hintergrund bei objektiver Betrachtung der Tatsachen als eindeutig erweisen5. 79a Bei der Nachweisführung über das Nichtvorliegen von Ausschlussgründen gilt

gemäß § 48 Abs. 2 Satz 1 VgV grundsätzlich der Vorrang von Eigenerklärungen. Der Auftraggeber kann daher in Regel nur von Unternehmen, die zum Zuschlag vorgesehen sind oder in die engere Wahl kommen, Behörden- oder Registerauskünfte verlangen6. Insbesondere wenn in der Bekanntmachung oder der Aufforderung zur Interessensbestätigung nicht näher vorgegeben ist, wie die Belege zum Nachweis des Nichtvorliegens von Ausschlussgründen bestimmt sind, kann der Bewerber oder Bieter davon ausgehen, dass Eigenerklärungen ausreichend sind7. In der Praxis stellt sich jedoch die Frage, welchen Inhalt die vom Auftraggeber abgefragten Eigenerklärungen haben müssen. Nicht selten wird eine globale Bestätigung des „Nichtvorliegens von Ausschlussgründen nach § 124 Abs. 1 GWB“ verlangt. Eine solche Erklärung ist jedoch nicht unproblematisch. Denn die Unternehmen müssen in diesem Fall selbst bewerten, ob es bspw. eine schwere Verfehlung begangen hat oder eine wesentliche Anforderung eines früheren Auftrags erheblich mangelhaft erfüllt hat8.

1 Hausmann/von Hoff in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 124 Rz. 11; nach OLG München v. 22.11.2012 – Verg 22/12, NZBau 2013, 261, muss ein „konkreter und greifbarer“ Tatverdacht vorliegen. 2 BGH v. 26.10.1999 – X ZR 30/98, MDR 2000, 1008 = NJW 2000, 661 (662); OLG Düsseldorf v. 29.1.2014 – VII-Verg 28/13, NZBau 2014, 314 (315); OLG München v. 21.5.2010 – Verg 02/10, ZfBR 2010, 606 (618). 3 OLG Saarbrücken v. 29.12.2003 – 1 Verg 4/03, NZBau 2004, 346 (347); VK Bund v. 29.2. 2016 – VK 1-138/15, juris Rz. 69; Hausmann/von Hoff in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 124 Rz. 11. 4 OLG Saarbrücken v. 29.12.2003 – 1 Verg 4/03, NZBau 2004, 346 (347). 5 VK Nordbayern v. 22.1.2007 – 21.VK-3194-44/06, juris Rz. 154; Conrad in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 124 Rz. 58. 6 Opitz in Burgi/Dreher, Beck’scher Vergaberechtskommentar, Band 1, 3. Auflage 2017, § 124 Rz. 47. 7 Hausmann/von Hoff in Kulartz/Kus/Marx/Portz/Prieß, Kommentar zur VgV, § 48 Rz. 9. 8 Opitz in Burgi/Dreher, Beck’scher Vergaberechtskommentar, Band 1, 3. Auflage 2017, § 124 Rz. 47.

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Häufig wird als Nachweismöglichkeit die Eintragung in ein einschlägiges Regis- 79b ter genannt1. In Betracht kommen etwa das Gewerbezentralregister oder das Bundeszentralregister2, auch wenn § 48 Abs. 4 VgV diese als Beleg für das Nichtvorliegen von Ausschlussgründen ausdrücklich nur im Fall von § 123 Abs. 1 bis 3 vorsieht. Darüber hinaus kommen für den Nachweis auch Eintragungen in auf Länderebene geführte Korruptions- und Vergaberegister3 in Betracht. Allerdings ermöglichen weder die bislang auf Bundesebene bestehenden Register (wie das Bundeszentralregister oder das Gewerbezentralregister) noch die Korruptions- oder Vergaberegister auf Landesebene den Auftraggebern bislang, sich über das Vorliegen oder Nichtvorliegen von Ausschlussgründen von Unternehmen, die sich an Vergabeverfahren beteiligen, umfassend Kenntnis zu verschaffen4. Der Bund hat daher zum Schutz des fairen Wettbewerbs um öffentliche Aufträge und Konzessionen durch das Gesetz zur Einführung eines Wettbewerbsregisters und zur Änderung des GWB v. 18.7.2017 unter der Bezeichnung „Wettbewerbsregister“ ein zentrales, elektronisch geführtes Register beim Bundeskartellamt ins Leben gerufen5. Das Register soll spätestens im Laufe 1 Opitz in Burgi/Dreher, Beck’scher Vergaberechtskommentar, Band 1, 3. Auflage 2017, § 124 Rz. 45. 2 Opitz in Burgi/Dreher, Beck’scher Vergaberechtskommentar, Band 1, 3. Auflage 2017, § 124 Rz. 45. 3 Gesetzliche Regelungen: Berlin: Gesetz zur Einrichtung und Führung eines Registers über korruptionsauffällige Unternehmen in Berlin (Korruptionsregistergesetz – KRG) vom 19.4.2006; Bremen: Bremisches Gesetz zur Errichtung und Führung eines Korruptionsregisters (Bremisches Korruptionsregistergesetz – BremKorG) vom 17.5.2011; Hamburg: Gesetz zur Einrichtung eines Registers zum Schutz fairen Wettbewerbs (GRfW) der Freien und Hansestadt Hamburg vom 17.9.2013; Nordrhein-Westfalen: Gesetz zur Verbesserung der Korruptionsbekämpfung und zur Errichtung und Führung eines Vergaberegisters in Nordrhein-Westfalen (Korruptionsbekämpfungsgesetz – KorruptionsbG) vom 16.12.2004; Schleswig-Holstein: Gesetz zur Einrichtung eines Registers zum Schutz fairen Wettbewerbs (GRfW) Schleswig Holstein vom 13.11.2013; Regelungen durch Erlass oder Ähnliches: Baden-Württemberg: Verwaltungsvorschrift der Landesregierung und der Ministerien zur Verhütung unrechtmäßiger und unlauterer Einwirkungen auf das Verwaltungshandeln und zur Verfolgung damit zusammenhängender Straftaten und Dienstvergehen (VwV Korruptionsverhütung und -bekämpfung) vom 15.1.2013 (Az.: 1-0316.4/74); Bayern: Bekanntmachung der Bayerischen Staatsregierung über die Korruptionsbekämpfungsrichtlinie (KorruR) vom 13.4.2004 (AllMBl. S. 87, StAnz. Nr. 17, KWMBl. I S. 124), die durch Bekanntmachung vom 14.9.2010 (AllMBl. S. 243) geändert worden ist; Hessen: Gemeinsamer Runderlass zum Ausschluss von Bewerbern und Bietern in Hessen vom 13.12.2010, StAnz. 52/2010, S. 2831 ff., 13.12.2010; Rheinland-Pfalz: Verwaltungsvorschrift der Landesregierung über Korruptionsprävention in der öffentlichen Verwaltung vom 1.12.2015 (FM – O 1449 A – 415), MinBl v. 29.12.2015; näher hierzu auch Braun in Gabriel/Krohn/Neun, Handbuch des Vergaberechts, S. 340 ff. 4 Vgl. im Einzelnen § 123 Rz. 68. 5 BT-Drucks. 18/12051, S. 16; näher zum Wettbewerbsregister § 123 Rz. 69–69d.

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§ 124 | Fakultative Ausschlussgründe des Jahres 2020 funktionsfähig sein und für Auftraggeber zur Verfügung stehen1. 79c In das Wettbewerbsregister eingetragen werden Unternehmen, zu denen Er-

kenntnisse vorliegen über ihnen zuzurechnende Straftaten oder andere schwerwiegende Rechtsverstöße, die Gründe für einen Ausschluss von der Teilnahme am Vergabeverfahren darstellen2. Die in § 2 abschließend normierten Voraussetzungen für die Eintragung eines Unternehmens in das Register orientieren sich eng an den vergaberechtlichen Ausschlussgründen in den §§ 123, 124. Neben den zwingenden Ausschlussgründe gemäß § 123 Abs. 1 sind als fakultative Ausschlussgründe gravierende Verstöße gegen Wettbewerbsrecht, Steuerhinterziehung sowie Verstöße gegen bestimmte Arbeitnehmerschutzvorschriften eintragungspflichtig3. So sieht beispielsweise § 2 Abs. 1 Nr. 1 lit. b) WRegG eine Eintragung in das Register bei einer rechtskräftigen Verurteilung wegen Betrugs und Subventionsbetrugs, soweit sich die Straftat gegen öffentliche Haushalte richtet. Die Vorschrift reicht damit weiter als die zwingenden Ausschlussgründe in § 123 Abs. 1 Nr. 4 und 5, die nur greifen bei Straftaten gegen den Haushalt der Europäischen Union oder Haushalte, die von der Europäischen Union oder in ihrem Auftrag verwaltet werden. Eine Eintragung bei Betrug und Subventionsbetrug zulasten öffentlicher Haushalte ist jedoch sachgerecht, da eine solche Tat regelmäßig eine schwere Verfehlung im Rahmen der beruflichen Tätigkeit gemäß § 124 Abs. 1 Nr. 3 darstellt4. Zukünftig wird im Falle einer einschlägigen Eintragung in das Wettbewerbsregister der Nachweis einer schweren Verfehlung i.S.v. § 124 Abs. 1 Nr. 3 erbracht sein. Die Eintragung in das Register führt allerdings trotz der Beweiswirkung nicht automatisch zum Ausschluss eines Unternehmens von der Teilnahme am Vergabeverfahren und hat auch keine generelle Vergabesperre für einen bestimmten Zeitraum zur Folge. § 6 Abs. 5 WRegG stellt klar, dass der Ausschluss von der Teilnahme an einem Vergabeverfahren eine eigenständige Einzelfallprüfung durch die jeweils zuständige Vergabestelle anhand der vergaberechtlichen Vorgaben erfordert5.

80 In der Praxis ist der öffentliche Auftraggeber – zumindest bis zur Funktions-

fähigkeit des Wettbewerbsregisters – bei der Ermittlung des Sachverhalts regelmäßig auf die Mitwirkung des betroffenen Unternehmens angewiesen6. Verweigert das betroffene Unternehmen auf ein berechtigtes Auskunftsverlangen des Auftraggebers seine Mitwirkung und scheitert aufgrund dessen die abschließende Überprüfung des Vorliegens eines Ausschlussgrundes gemäß § 124 Abs. 1

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BT-Drucks. 18/12051, S. 4; Stein, jurisPR-Compl 2/2017 Anm. 5. BT-Drucks. 18/12051, S. 2. BT-Drucks. 18/12051, S. 26. Vgl. hierzu im Einzelnen § 123 Rz. 69c. BT-Drucks. 18/12051, S. 31. Conrad in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 124 Rz. 59; Müller-Wrede in MüllerWrede, Verdingungsordnung für Leistungen VOL/A Kommentar, § 6 EG Rz. 84.

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Fakultative Ausschlussgründe | § 124

Nr. 3, liegt hierin zugleich eine Obliegenheitsverletzung des betroffenen Unternehmens, wegen der es vom Vergabeverfahren ausgeschlossen werden kann1. d) Wettbewerbswidrige Vereinbarungen oder Verhaltensweisen (Nr. 4) Gemäß § 124 Abs. 1 Nr. 4 kann der öffentliche Auftraggeber ein Unternehmen 81 vom Vergabeverfahren ausschließen, wenn er über hinreichende Anhaltspunkte dafür verfügt, dass das Unternehmen mit anderen Unternehmen getroffen oder Verhaltensweisen aufeinander abgestimmt hat, die eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs bezwecken oder bewirken. Durch § 124 Abs. 1 Nr. 4 wird Art. 57 Abs. 4 Unterabs. 1 lit. d) der Richtlinie 82 2014/24/EU in nationales Recht umgesetzt2. Die nationale Vorschrift ist angelehnt an das Kartellverbot des § 13 und weicht in ihrer konkreten Ausgestaltung von den Vorgaben von Art. 57 Abs. 4 Unterabs. 1 lit. d) der Richtlinie 2014/24/ EU ab4. Denn Art. 57 Abs. 4 Unterabs. 1 lit. d) der Richtlinie 2014/24/EU setzt voraus, dass mit der Vereinbarung zwischen den Wirtschaftsteilnehmern eine Wettbewerbsverzerrung bezweckt wird. § 124 Abs. 1 Nr. 4 lässt hingegen nicht nur bezweckte sondern auch bewirkte Wettbewerbsverzerrungen ausreichen, weshalb die Vorschrift teilweise als europarechtswidrig angesehen wird5. Das zwingende Erfordernis einer bezweckten Wettbewerbsverzerrung würde jedoch in der Praxis schwierige Abgrenzungsfragen zwischen bezweckten und bewirkten Wettbewerbsbeschränkungen aufwerfen6. Der nationale Gesetzgeber hat sich daher entschieden, den Ausschlussgrund sowohl auf bezweckte als auch auf bewirkte Wettbewerbsverzerrungen anzuwenden. Die inhaltlich weitergehende nationale Vorschrift begegnet aus europarechtlicher Sicht keinen Bedenken7. Zwar darf der nationale Gesetzgeber bei der Umsetzung von Richtlinien der Union nicht hinter deren Regelungsgehalt zurückbleiben8. Eine „überschießende Umsetzung“ von Richtlinien durch Erstreckung des richtliniengebotenen mitgliedstaatlichen Rechtszustandes auf Sachverhalte, auf die die Richtlinie selbst keine Anwendung beansprucht, ist den Mitgliedstaaten jedoch nicht verwehrt, wenn und soweit damit den Richtlinienvorgaben nicht widersprochen 1 OLG München v. 27.1.2005 – Verg 2/05, ZfBR 2005, 614 (616); Müller-Wrede in MüllerWrede, Verdingungsordnung für Leistungen VOL/A Kommentar, § 6 EG Rz. 84. 2 BT-Drucks. 18/6281, S. 106. 3 BT-Drucks. 18/6281, S. 106; Palatzke/Jürschik, NZKart 2015, 470 (471). 4 Palatzke/Jürschik, NZKart 2015, 470 (471). 5 Opitz in Burgi/Dreher, Beck’scher Vergaberechtskommentar, Band 1, 3. Auflage 2017, § 124 Rz. 49. 6 Palatzke/Jürschik, NZKart 2015, 470 (471). 7 A.A. Opitz in Burgi/Dreher, Beck’scher Vergaberechtskommentar, Band 1, 3. Auflage 2017, § 124 Rz. 49. 8 Geismann in von der Groeben/Schwarze/Hatje, Europäisches Unionsrecht, Art. 288 AEUV Rz. 42.

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§ 124 | Fakultative Ausschlussgründe wird1. Der weiter gefasste Anwendungsbereich des § 124 Abs. 1 Nr. 4 steht im Einklang mit den Vorgaben und Zielen der Richtlinie 2014/24/EU. Denn der Ausschlussgrund bei wettbewerbswidrigen Vereinbarungen und Verhaltensweisen ist Ausfluss des das europäische Vergaberecht prägenden Wettbewerbsgrundsatzes, der den am Vergabeverfahren beteiligten Unternehmen wettbewerbsbeschränkende Absprachen oder Verhaltensweisen in Bezug auf öffentliche Beschaffungen untersagt2. Auch Art. 57 Abs. 4 Unterabs. 1 lit. d) bezweckt umfassenden Schutz des Wettbewerbs vor Verfälschung, dem durch die nationale Regelung weitreichend Rechnung getragen wird. Soweit § 124 Abs. 1 Nr. 4 auch bloß bewirkte Wettbewerbsverzerrungen genügen lässt, kommt der Betätigung des Ausschlussermessens eine Korrektivwirkung zu. Hat ein Unternehmen eine eingetretene Wettbewerbsverzerrung zur Überzeugung des Auftraggebers nicht bezweckt oder war ihm diese nicht einmal bewusst, so kann dies unter Umständen dem Ausschluss des Unternehmens entgegenstehen. 83 Nach den für wettbewerbswidrige Vereinbarungen vor Inkrafttreten des Ver-

gaberechtsmodernisierungsgesetzes maßgeblichen untergesetzlichen Regelungen (bspw. § 19 EG Abs. 3 lit. f) VOL/A, § 16 EU Abs. 1 Nr. 1 lit. d) VOB/A 2012) führte eine „unzulässige wettbewerbsbeschränkende Abrede“ bezogen auf das konkrete Vergabeverfahren, das sie betraf, zum zwingenden Ausschluss eines Angebots3. Ein Ausschluss des Unternehmens selbst wegen wettbewerbsbeschränkender Absprachen war nicht vorgesehen. Dieser konnte außerhalb eines konkreten Vergabeverfahrens lediglich über den Umweg einer „schweren Verfehlung“ erfolgen4.

84 Mit § 124 Abs. 1 Nr. 4 hat der Gesetzgeber nunmehr einen Tatbestand für den

Ausschluss eines Unternehmens aufgrund wettbewerbsbeschränkender Vereinbarungen geschaffen, der nicht auf Verfehlungen im Rahmen des laufenden Vergabeverfahrens beschränkt ist5.

aa) Wettbewerbswidrige Vereinbarungen oder Verhaltensweisen 85 § 124 Abs. 1 Nr. 4 greift die Formulierung des Verbots wettbewerbsbeschrän-

kender Vereinbarungen in § 1 auf und bestimmt, dass ein Unternehmen vom Vergabeverfahren ausgeschlossen werden kann, wenn es mit anderen Unternehmen eine Vereinbarung getroffen hat, die eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs bezweckt oder bewirkt6. 1 Nettesheim in Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, Art. 288 AEUV Rz. 131. 2 Dörr in Dreher/Motzke, Beck’scher Vergaberechtskommentar, § 97 Abs. 1 GWB Rz. 6. 3 Conrad in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 124 Rz. 62. 4 Palatzke/Jürschik, NZKart 2015, 470, 471. 5 BT-Drucks. 18/6281, S. 106; Conrad in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 124 Rz. 65. 6 BT-Drucks. 18/6281, S. 106.

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Es kommt nicht darauf an, ob durch die Vereinbarungen Interessen des öffent- 86 lichen Auftraggebers verletzt werden oder dieser einen wirtschaftlichen Nachteil erleidet oder zu erleiden droht; maßgeblich ist allein, ob die Absprachen eine Wettbewerbsverzerrung bewirken oder bezwecken1. Während das in § 1 geregelte Kartellverbot neben Vereinbarungen zwischen Un- 87 ternehmen auch Beschlüsse von Unternehmensvereinigungen und aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen erfasst, stellte der ursprünglich in § 124 Abs. 1 Nr. 4 normierte Ausschlusstatbestand nach seinem Wortlaut nur auf „Vereinbarungen“ ab. Der Begriff der „Vereinbarung“ im Sinne des § 1, an den sich § 124 Abs. 1 Nr. 4 anlehnt, ist gleichbedeutend mit dem Vereinbarungsbegriff gemäß Art. 101 Abs. 1 AEUV2. Voraussetzung ist danach, dass die betreffenden Parteien ihren übereinstimmenden Willen zum Ausdruck gebracht haben, sich auf dem Markt in einer bestimmten Weise zu verhalten3. Der Begriff der Vereinbarung im Sinne von Art. 101 AEUV stimmt im Kern mit dem Vertragsbegriff überein, wie ihn die Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten verwenden4. Es stellte sich daher die Frage, ob ein Ausschluss gemäß § 124 Abs. 1 Nr. 4 nur 88 bei einer Vereinbarung i.S.v. § 1, also einem übereinstimmend zum Ausdruck gebrachten Willen mehrerer Akteure in Betracht kommt5, oder ob der Begriff „Vereinbarung“ in § 124 Abs. 1 Nr. 4 weiter auszulegen ist6. Durch Art. 2 Abs. 2 Nr. 3 des Gesetzes zur Einführung eines Wettbewerbsregis- 89 ters und zur Änderung des GWB v. 18.7.2017 hat der Gesetzgeber § 124 Abs. 1 Nr. 4 GWB neu gefasst und den Anwendungsbereich ausdrücklich auf wettbewerbsbeschränkende abgestimmte Verhaltensweisen von Unternehmen erstreckt7. Dies ist zu begrüßen, da die Tatbestandsalternativen der Vereinbarung und der abgestimmten Verhaltensweise sowohl im deutschen als auch im europäischen Kartellrecht gleichwertig nebeneinander stehen und deshalb gleichermaßen erfasst sein müssen. In der Praxis wird die Frage, welche Alternative verwirklicht ist, zudem häufig offengelassen8. Durch die Neufassung der Vorschrift hat der Gesetzgeber auf Unklarheiten und 90 Streitigkeiten über die Reichweite des Begriffs der wettbewerbswidrigen „Ver1 Conrad in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 124 Rz. 64. 2 Nordemann in Loewenheim/Meessen/Riesenkampff/Kersting/Meyer-Lindemann, Kartellrecht, § 1 GWB Rz. 21 ff.; Säcker in Münchener Kommentar zum Kartellrecht, § 1 GWB Rz. 12. 3 EuGH v. 22.10.2015 – C-194/14 P (AC-Treuhand), EuZW 2016, 19 (20); Paschke in Münchener Kommentar zum Kartellrecht, Art. 101 AEUV Rz. 11. 4 Schröter/van Vormizeele in von der Groeben/Schwarze/Hatje, Europäisches Unionsrecht, Art. 101 AEUV Rz. 39. 5 So Palatzke/Jürschik, NZKart 2015, 470 (471). 6 So Conrad in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 124 Rz. 67 ff. 7 BT-Drucks. 18/12051, S. 35. 8 BT-Drucks. 18/12051, S. 35.

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§ 124 | Fakultative Ausschlussgründe einbarung“ reagiert. Regelungslücken für verschiedene Konstellationen wettbewerbswidrig zustande gekommener Angebote, die bei einen am Wortlaut haftenden Verständnis möglich erschienen, sind nunmehr ausgeschlossen. 91 Die Neuregelung dürfte letztlich jedoch – wie auch in der Gesetzesbegründung

zum WRegG zum Ausdruck gebracht – klarstellender Natur sein. Schon nach der Rechtslage vor Inkrafttreten des Vergaberechtsmodernisierungsgesetzes setzte ein Angebotsausschluss eine „wettbewerbsbeschränkende Absprache“ voraus (§ 19 EG Abs. 3 lit. f) VOL/A, § 16 EU Abs. 1 Nr. 1 lit. d) VOB/A 2012). Diese Tatbestandsvoraussetzung wurde jedoch mit Blick auf den das gesamte Vergabeverfahren beherrschenden Wettbewerbsgrundsatz weit ausgelegt1. Absprachen in diesem Sinne wurden nicht nur auf gesetzeswidriges Verhalten beschränkt, sondern auch auf alle sonstigen Absprachen und Verhaltensweisen eines Unternehmens ausgedehnt, die mit dem vergaberechtlichen Wettbewerbsgebot unvereinbar sind2. Ein Angebotsausschluss wegen einer wettbewerbswidrigen Absprache erfolgte immer dann, wenn die Berücksichtigung des Angebotes wettbewerblichen Prinzipien zuwidergelaufen wäre. Nicht erforderlich war, dass mehrere Unternehmen kollusiv zusammenwirken3.

92 Vor diesem Hintergrund wurde in der Vergangenheit eine zum Ausschluss des

Angebots führende „wettbewerbsbeschränkende Absprache“ auch ohne eine ausdrückliche Verständigung zweier Unternehmen darüber, wer welche Leistung zu welchem Preis anbietet, bei einem Verstoß gegen den Grundsatz des Geheimwettbewerbs angenommen4. Wird ein Angebot unter Verletzung des Vertraulichkeitsgebotes in Kenntnis der Bedingungen eines Konkurrenzangebots er-

1 OLG Saarbrücken v. 27.6.2016 – 1 Verg 2/16, juris Rz. 99 = VergabeR 2016, 657, 665; OLG Düsseldorf v. 13.4.2011 – VII-Verg 4/11, NZBau 2011, 371 (372); v. 27.7.2005 – VII-Verg 108/04, juris Rz. 33; VK Bund v. 22.1.2015 – VK 1-122/14, juris Rz. 51 = ZfBR 2016, 511, 514; Müller-Wrede in Müller-Wrede, Verdingungsordnung für Leistungen VOL/A Kommentar, § 19 EG Rz. 148; a.A. VK Düsseldorf v. 9.1.2013 – VK-29/2012, ZfBR 2013, 301 (302); Lux in Müller-Wrede, Verdingungsordnung für Leistungen VOL/ A Kommentar, § 2 EG Rz. 14 f. 2 OLG Saarbrücken v. 27.6.2016 – 1 Verg 2/16, juris Rz. 99 = VergabeR 2016, 657 (665); OLG Düsseldorf v. 13.4.2011 – VII-Verg 4/11, NZBau 2011, 371 (372); v. 27.7.2005 – VII-Verg 108/04, juris Rz. 33; VK Bund v. 22.1.2015 – VK 1-122/14, juris Rz. 51 = ZfBR 2016, 511 (514); Müller-Wrede in Müller-Wrede, Verdingungsordnung für Leistungen VOL/A Kommentar, § 19 EG Rz. 148; a.A. VK Düsseldorf v. 9.1.2013 – VK29/2012, ZfBR 2013, 301 (302); Lux in Müller-Wrede, Verdingungsordnung für Leistungen VOL/A Kommentar, § 2 EG Rz. 14 f. 3 OLG Naumburg v. 2.8.2012 – 2 Verg 3/12, juris Rz. 43 = VergabeR 2013, 123 (127 f.); OLG Düsseldorf v. 13.4.2011 – VII-Verg 4/11, NZBau 2011, 371 (372); VK Westfalen v. 22.4.2015 – VK 1-12/15, juris Rz. 68; Müller-Wrede in Müller-Wrede, Verdingungsordnung für Leistungen VOL/A Kommentar, § 19 EG Rz. 150. 4 OLG Naumburg v. 2.8.2012 – 2 Verg 3/12, juris Rz. 43 = VergabeR 2013, 123 (127 f.); OLG Düsseldorf v. 13.4.2011 – VII-Verg 4/11, NZBau 2011, 371 (372); Conrad in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 124 Rz. 67 m.w.N.; a.A. Opitz in Burgi/Dreher,

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stellt, ist kein echter Wettbewerb möglich1 und das Wettbewerbsprinzip hierdurch tendenziell verletzt. Insbesondere das Ziel, durch den Wettbewerb einen wirtschaftlichen Anreiz für die Unternehmen zu schaffen, die vom Auftraggeber benötigten Leistungen in möglichst guter Qualität und zu möglichst niedrigen Preisen anzubieten, wird verfehlt. Denn wenn ein Bieter Kenntnis über Leistungsumfang und Preise von Konkurrenten hat, muss er nicht mehr potentiell günstigere Angebote unterbreiten, sondern er braucht sein Angebot nur noch an den ihm bekannten Bedingungen der Konkurrenz auszurichten2. Bei wechselseitiger Kenntnis mehrerer Bieter vom jeweiligen Angebot anderer Bieter, kam auch der Ausschluss mehrerer Angebote in Betracht3. Eine wettbewerbsbeschränkende Absprache wurde ebenfalls für möglich gehal- 93 ten, wenn Unternehmen in einem Vergabeverfahren nicht nur ein Einzelangebot abgeben, sondern sich zugleich auch an Konkurrenzangeboten beteiligen4. Auch hier kann im Einzelfall der Grundsatz des Geheimwettbewerbs verletzt sein, wenn ein Unternehmen Kenntnis von den Angeboten anderer Bieter erlangt5. Ein absolutes Verbot der Mehrfachbeteiligung existiert allerdings nicht, vielmehr hängt die Beurteilung von der Zuordnung des Einzelfalls zu einer bestimmten Kategorie (Nachunternehmerschaft, Bietergemeinschaft oder Konzernverbund) und sodann von den konkreten Umständen des Einzelfalls ab6. Bei der Beteiligung konzernverbundener Unternehmen spricht eine widerlegbare Vermutung dafür, dass der Geheimwettbewerb zwischen ihnen nicht gewahrt ist und die Angebote in Kenntnis des jeweils anderen Angebots abgegeben werden7. Gleiches gilt, wenn ein Unternehmen ein Einzelangebot abgibt und sich zugleich an einer Bietergemeinschaft beteiligt oder sich innerhalb zweier Bietergemeinschaften um einen Auftrag bewirbt8. Die Widerlegung dieser Vermutung obliegt den betreffenden Unternehmen. Abweichend von der üblichen

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3 4 5 6 7 8

Beck’scher Vergaberechtskommentar, Band 1, 3. Auflage 2017, § 124 Rz. 63, der zumindest einen gegenseitigen Kontakt und bewussten Austausch mehrerer Bieter verlangt. OLG Naumburg v. 2.8.2012 – 2 Verg 3/12, juris Rz. 43 = VergabeR 2013, 123 (127 f.); OLG Düsseldorf v. 13.4.2011 – VII-Verg 4/11. OLG Naumburg v. 2.8.2012 – 2 Verg 3/12, juris Rz. 43 = VergabeR 2013, 123 (127 f.); teilweise wurde einschränkend gefordert, dass ein Unternehmen zumindest Kenntnis von wesentlichen Teilen des Konkurrenzangebotes hat, also Angebotsbestandteilen, deren Kenntnis einen entscheidenden Wettbewerbsvorteil verschafft (bspw. bestimmte Preisangaben oder der Angebotsendpreis), vgl. Müller-Wrede in Müller-Wrede, Verdingungsordnung für Leistungen VOL/A Kommentar, § 19 EG Rz. 151. OLG Naumburg v. 2.8.2012 – 2 Verg 3/12, juris Rz. 43 = VergabeR 2013, 123 (127 f.). OLG Naumburg v. 2.8.2012 – 2 Verg 3/12, juris Rz. 43 = VergabeR 2013, 123 (127 f.). OLG Düsseldorf v. 13.4.2011 – VII-Verg 4/11, NZBau 2011, 371 (372). Burgi, NZBau 2010, 593 (595). OLG Düsseldorf v. 13.4.2011 – VII-Verg 4/11, NZBau 2011, 371 (372); VK Südbayern v. 20.12.2010 – Z3-3-3194-1-68-11/10, juris Rz. 76 f. OLG Düsseldorf v. 16.11.2010 – VII-Verg 50/10, juris Rz. 6; v. 16.9.2003 – Verg 52/03, juris Rz. 10 = VergabeR 2003, 690 (691) mit Anm. Leinemann.

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§ 124 | Fakultative Ausschlussgründe Verteilung der Darlegungs- und Beweislast müssen sie diejenigen Umstände und Vorkehrungen aufzeigen und nachweisen, die die Unabhängigkeit und Vertraulichkeit der Angebotserstellung gewährleisten1. Kein Verstoß gegen Geheimwettbewerb liegt vor, wenn sich eine Bietergemeinschaft um die Gesamtvergabe bewirbt und ein Mitglied der Bietergemeinschaft ein Einzelangebot auf ein Los abgibt, das die Leistungsteile enthält, die ihm auch im Rahmen der Bietergemeinschaft zufallen2. In dieser Konstellation ist nicht zu befürchten, dass mehrere Bieter ihre Angebotspreise absprechen oder aufeinander abstimmen3. 94 Auch die Bildung einer Bietergemeinschaft wurde als wettbewerbsbeschrän-

kende Abrede i.S.d. § 1 GWB eingeordnet, wenn sie eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs bezweckt oder bewirkt. Diese Problematik war in den vergangenen Jahren wiederholt Gegenstand von Entscheidungen der Vergabesenate4. Kartellrechtlich ist auf der Grundlage dieser Rechtsprechung vor allem danach zu unterscheiden, ob die an einer Bietergemeinschaft beteiligten Unternehmen unterschiedlichen Branchen angehören oder ein und derselben Branche. Während Bietergemeinschaften zwischen Unternehmen unterschiedlicher Branchen kartellrechtlich eher unbedenklich sind, weil die Unternehmen zueinander regelmäßig in keinem aktuellen oder potentiellen Wettbewerbsverhältnis stehen, ist die Zulassung von Bietergemeinschaften unter branchenangehörigen Unternehmen problematisch. Zwischen auf demselben Markt tätigen Unternehmen besteht meist ein Wettbewerbsverhältnis, das durch die Abrede einer Bietergemeinschaft in der Regel beschränkt wird. Gleichwohl erachtet die Rechtsprechung5 auch Bietergemeinschaften zwischen branchenangehörigen Unternehmen in folgenden Fallgruppen für wettbewerbsunschädlich: – Die beteiligten Unternehmen sind jedes für sich zu einer Teilnahme an der Ausschreibung mit einem eigenständigen Angebot aufgrund ihrer betrieblichen und geschäftlichen Verhältnisse (z.B. mit Blick auf Kapazitäten, technische Einrichtungen und/oder fachliche Kenntnisse) nicht leistungsfähig und erst der Zusammenschluss zu einer Bietergemeinschaft versetzt sie in die Lage, sich daran mit Erfolgsaussicht zu beteiligen. – Die Unternehmen sind für sich genommen zwar leistungsfähig (insbesondere verfügen sie über die erforderlichen Kapazitäten), die Kapazitäten sind jedoch aufgrund anderweitiger Bindung aktuell nicht einsetzbar. 1 2 3 4

OLG Düsseldorf v. 13.4.2011 – VII-Verg 4/11, NZBau 2011, 371 (372). OLG Düsseldorf v. 28.5.2003 – Verg 8/03, juris Rz. 19. OLG Düsseldorf v. 28.5.2003 – Verg 8/03, juris Rz. 19. Vgl. bspw. OLG Düsseldorf v. 17.12.2014 – Verg 22/14, NZBau 2015, 176 ff. und v. 17.2. 2014 – Verg 2/14, NZBau 2014, 716; OLG Schleswig v. 15.4.2014 – 1 Verg 4/13, VergabeR 2014, 717 ff.; KG Berlin v. 24.10.2013 – Verg 11/13, NZBau 2013, 792 ff. 5 OLG Düsseldorf v. 8.6.2016 – VII Verg 3/16, PharmR 2016, 423 (424); OLG Celle v. 8.7. 2016 – 13 Verg 2/16, NZBau 2016, 783 (784).

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– Die beteiligten Unternehmen sind für sich genommen leistungsfähig, aber im Rahmen einer wirtschaftlich zweckmäßigen und kaufmännisch vernünftigen Entscheidung ermöglicht erst der Zusammenschluss ein erfolgversprechendes Angebot. In diesen Fällen wird durch die Zusammenarbeit in einer Bietergemeinschaft der Wettbewerb nicht nur nicht beschränkt, sondern aufgrund des gemeinsamen Angebots erst ermöglicht und damit gefördert. Das OLG Düsseldorf hat betont, dass eine Bietergemeinschaft darlegen muss, dass ihre Bildung und Angebotsabgabe nicht gegen § 1 GWB verstößt1. Diese Darlegung muss jedoch nicht schon mit der Abgabe des Angebots erfolgen, sondern erst auf eine entsprechende Aufforderung des Auftraggebers zur Erläuterung der Gründe für die Bildung der Bietergemeinschaft2. Eine solche Aufforderung durch den Auftraggeber muss dann erfolgen, wenn es zureichende Anhaltspunkte dafür gibt, dass es sich um eine unzulässige Bietergemeinschaft handelt, beispielsweise wenn die beteiligten Unternehmen gleichartige, in derselben Branche tätige Wettbewerber sind und nichts dafür spricht, dass sie mangels Leistungsfähigkeit nicht in der Lage gewesen wären, unabhängig voneinander ein (aussichtsreiches) Angebot zu unterbreiten3. Die Beteiligung als Bieter und als Nachunternehmer am Ausschreibungsverfah- 95 ren kann ebenfalls zum Ausschluss führen, wenn nach Art und Umfang des Nachunternehmereinsatzes oder mit Rücksicht auf die Begleitumstände davon ausgegangen werden kann, dass der Nachunternehmer das Hauptangebot kennt4. Weder die Verletzung des Geheimwettbewerbs durch in Kenntnis voneinander 96 abgegebene Angebote noch Bietergemeinschaften passen prima facie unter den Begriff der Vereinbarung i.S.v. § 1, da nicht mehrere Parteien (i.S.v. Art. 101 AEUV und § 1) übereinstimmend ihren Willen zum Ausdruck bringen, sich auf dem Markt in einer bestimmten Weise zu verhalten5. Der Ausschluss solcher Angebote vom Vergabeverfahren muss gleichwohl möglich sein, wenn anderenfalls der Wettbewerb verfälscht würde. Diese Möglichkeit ist nunmehr durch den neu gefassten § 124 Abs. 1 Nr. 4 ge- 97 währleistet, da wettbewerbsbeschränkende abgestimmte Verhaltensweisen ausdrücklich vom Anwendungsbereich dieses fakultativen Ausschlussgrundes erfasst sind. 1 2 3 4

OLG Düsseldorf v. 17.12.2014 – Verg 22/14, NZBau 2015, 176 (177). OLG Saarbrücken v. 27.6.2016 – 1 Verg 2/16, juris Rz. 104 = VergabeR 2016, 657–667. OLG Düsseldorf v. 17.12.2014 – Verg 22/14, NZBau 2015, 176 (177). OLG Naumburg v. 2.8.2012 – 2 Verg 3/12, juris Rz. 44 = VergabeR 2013, 123–133; OLG Düsseldorf v. 13.4.2006 – VII-Verg 10/06, ZfBR 2006, 698; Opitz in Burgi/Dreher, Beck’scher Vergaberechtskommentar, Band 1, 3. Auflage 2017, § 124 Rz. 68, geht davon aus, dass es in diesen Konstellationen jedoch regelmäßig an einer Kenntnis des Nachunternehmers vom Angebot des Hauptauftragnehmers fehlt. 5 EuGH v. 22.10.2015 – C-194/14 P (AC-Treuhand), EuZW 2016, 19 (20); Paschke in Münchener Kommentar zum Kartellrecht, Art. 101 AEUV Rz. 11.

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§ 124 | Fakultative Ausschlussgründe 98 Letztlich hätte jedoch auch ohne diese gesetzgeberische Klarstellung § 124 Abs. 1

Nr. 4 in der ursprünglichen Fassung als einschlägiger Ausschlussgrund herangezogen und das Tatbestandsmerkmal der „wettbewerbsbeschränkenden Vereinbarung“ – ebenso wie bisher den Begriff der „wettbewerbsbeschränkenden Absprache“ – weit ausgelegt werden müssen. Denn wenn der Gesetz- bzw. der Verordnungsgeber in Kenntnis der einschlägigen Rechtsprechung von dem weiten Verständnis des Begriffs „wettbewerbsbeschränkende Abrede“ hätte abrücken wollen, wäre zumindest eine entsprechende Klarstellung in den Begründungen erforderlich gewesen. Es hätte eindeutiger Anhaltspunkte dafür bedurft, dass der Begriff der „wettbewerbsbeschränkenden Vereinbarung“ enger zu verstehen ist, als der Begriff der „wettbewerbsbeschränkenden Abrede“ und nur Vereinbarungen i.S.v. § 1 erfassen soll. Den Gesetzgebungsmaterialien zum Vergaberechtsmodernisierungsgesetz lässt sich ein solcher gesetzgeberischer Wille jedoch nicht entnehmen. Für ein weites Verständnis des Begriffs Vereinbarung in § 124 Abs. 1 Nr. 4 sowie in Art. 57 Abs. 4 Unterabs. 1 lit. d) der Richtlinie 2014/24/EU spricht zudem Erwägungsgrund 101 der Richtlinie. Danach sollen Wirtschaftsteilnehmer vom Vergabeverfahren ausgeschlossen werden können, die sich als unzuverlässig erwiesen haben, beispielsweise wegen der Verletzung von Wettbewerbsregeln. Diese weite Formulierung lässt sich ebenfalls dahingehend deuten, dass nicht nur Vereinbarungen im Sinne von Art. 101 Abs. 1 AEUV gemeint sein sollen.

99 Schon vor der Neufassung des § 124 Abs. 1 Nr. 4 durch das Gesetzes zur Einfüh-

rung eines Wettbewerbsregisters konnte somit durch Übertragung der weiten Auslegung des Begriffs „wettbewerbsbeschränkende Absprache“ auf den Begriff „wettbewerbsbeschränkende Vereinbarung“ – parallel zu § 1 im Kartellrecht – eine lückenlose Erfassung wettbewerbsbeschränkender Verhaltenskoordinierungen erfolgen. bb) Hinreichende Anhaltspunkte

100 Der Ausschluss eines Unternehmens vom Vergabeverfahren gemäß § 124 Abs. 1

Nr. 4 GWB setzt voraus, dass der öffentliche Auftraggeber über „hinreichende Anhaltspunkte“ für eine wettbewerbsverzerrende Vereinbarung verfügt.

101 Verglichen mit dem in § 124 Abs. 1 Nr. 1 und 3 erforderlichen Nachweis der

Verfehlung, sind an das Vorliegen hinreichender Anhaltspunkte schon dem Wortlaut nach geringere Anforderungen zu stellen. Es kann daher nicht verlangt werden, dass ein gesicherter Nachweis für die wettbewerbswidrige Vereinbarung existiert.

102 Allerdings genügen auch bei § 124 Abs. 1 Nr. 4 reine Verdachtsmomente und

unspezifische Vorwürfe nicht1. Vielmehr müssen die Indizien einiges Gewicht 1 VK Südbayern v. 7.3.2017 – Z3-3-3194-1-45-11/16, juris Rz. 96; Conrad in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 124 Rz. 97; Palatzke/Jürschik, NZKart 2015, 470 (471).

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haben und die Verfehlung muss durch objektive Anhaltspunkte „greifbar“ sein. Aufgrund des Charakters von Kartelldelikten als „Geheimdelikte“ kann dies zu Schwierigkeiten führen. Der öffentliche Auftraggeber ist insoweit regelmäßig auf die Untersuchungsergebnisse der Kartellbehörden angewiesen1. Unzweifelhaft ist der Ausschluss gemäß § 124 Abs. 1 Nr. 4 möglich, wenn eine 103 Kartellbehörde einen Verstoß in einer Entscheidung festgestellt hat2, auch wenn diese noch nicht rechtskräftig ist3. Dies gilt ebenfalls bei einer einvernehmlichen Verfahrensbeendigung mit dem Bundeskartellamt bzw. bei einem verkürzten Verfahren der Europäischen Kommission mit gemindertem Bußgeld (sog. „Settlement“), denn sie sind mit einer Anerkennung des Sachverhalts verbunden. Durchsuchungsmaßnahmen der Kartellbehörden sollen ohne weitere Er- 104 kenntnisse hingegen noch nicht für einen fakultativen Ausschluss ausreichen4, auch wenn hierin erste Anhaltspunkte für eine wettbewerbswidrige Vereinbarung zu sehen sein können5. Gleiches gilt für Pressemitteilungen über eine Durchsuchung oder eine erfolgte Verfahrenseinleitung6. Im Einzelfall wird auch bei Vorliegen eines Beschuldigungsschreibens bzw. ei- 105 ner Abmahnung des Bundeskartellamtes oder einer Mitteilung der Beschwerdepunkte der Europäischen Kommission das Vorliegen hinreichender Anhaltspunkte für einen Kartellrechtsverstoß in Betracht gezogen, da die Kartellbehörde diese Maßnahmen nur bei Vorliegen konkreter Anhaltspunkte für einen Kartellrechtsverstoß trifft7. Allerdings haben die Behörden bei Versendung des Beschuldigungsschreibens den Vortrag der beschuldigten Unternehmen noch nicht umfassend gehört, so dass sich der Umfang des Vorwurfs später noch ändern kann. Der öffentliche Auftraggeber muss daher im Einzelfall prüfen, ob die Anhaltspunkte so viel Gewicht haben, dass sie einen Ausschluss rechtfertigen. e) Interessenkonflikt (Nr. 5) Öffentliche Auftraggeber können ein Unternehmen gemäß § 124 Abs. 1 Nr. 5 106 vom Vergabeverfahren ausschließen, wenn ein Interessenkonflikt bei der Durchführung des Vergabeverfahrens besteht, der die Unparteilichkeit und Unabhängigkeit einer für den öffentlichen Auftraggeber tätigen Person bei der Durchführung des Vergabeverfahrens beeinträchtigen könnte und der durch an1 Opitz in Burgi/Dreher, Beck’scher Vergaberechtskommentar, Band 1, 3. Auflage 2017, § 124 Rz. 53. 2 BT-Drucks. 18/6281, S. 106; VK Südbayern v. 7.3.2017 – Z3-3-3194-1-45-11/16, juris Rz. 96. 3 Palatzke/Jürschik, NZKart 2015, 470 (471). 4 BT-Drucks. 18/6281, S. 106. 5 Palatzke/Jürschik, NZKart 2015, 470 (471). 6 Palatzke/Jürschik, NZKart 2015, 470 (471). 7 Palatzke/Jürschik, NZKart 2015, 470 (471).

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§ 124 | Fakultative Ausschlussgründe dere, weniger einschneidende Maßnahmen nicht wirksam beseitigt werden kann. Neutralität und Integrität sind wichtige Verfahrensgarantien. 107 § 124 Abs. 1 Nr. 5 basiert auf Art. 24 der Richtlinie 2014/24 EU. Dieser ver-

pflichtet die Mitgliedstaaten sicherzustellen, dass öffentliche Auftraggeber geeignete Maßnahmen zur wirksamen Verhinderung, Aufdeckung und Behebung von Interessenkonflikten treffen, die sich bei der Durchführung von Vergabeverfahren ergeben. Ziel ist dabei die Vermeidung von Wettbewerbsverzerrungen und die Gewährleistung der Gleichbehandlung aller Wirtschaftsteilnehmer.

108 Vor Inkrafttreten des Vergaberechtsmodernisierungsgesetzes sah § 16

VgV a.F. zwar ein Beteiligungsverbot im Falle von Interessenkonflikten vor, eine ausdrückliche Ausschlussregelung existierte jedoch nicht1.

109 Bei § 124 Abs. 1 Nr. 5 handelt es sich daher um einen im nationalen Recht neu

hinzugekommenen fakultativen Ausschlusstatbestand2. Die Regelung betrifft nach der Gesetzesbegründung nicht jeden denkbaren Fall von Interessenkollisionen, sondern nur den Fall, dass im Rahmen eines laufenden Vergabeverfahrens ein Interessenkonflikt gemäß Art. 24 der Richtlinie 2014/24/EU im Hinblick auf die Unparteilichkeit einer für den öffentlichen Auftraggeber im Auswahlprozess tätigen Person besteht, der nicht wirksam durch andere, weniger einschneidende Maßnahmen als den Ausschluss behoben werden kann3. Systematisch fügt sich § 124 Abs. 1 Nr. 5 nur schwer in den Katalog der Ausschlussgründe ein, da – wie auch bei Nr. 6 – ein Fehlverhalten des Unternehmens nicht vorausgesetzt wird und die Interessenkollision zudem nur in einem bestimmten Vergabeverfahren bestehen kann4. § 124 Abs. 1 Nr. 5 trifft außerdem keine Aussage dazu, wann ein relevanter Interessenkonflikt vorliegen soll, so dass hierzu auf die gleichlautenden untergesetzlichen Regelungen in den §§ 6 VgV, 6 SektVO und 5 KonzVgV zurückgegriffen werden muss5.

110 Nicht in einem Vergabeverfahren mitwirken dürfen nach §§ 6 Abs. 1 VgV, 6

Abs. 1 SektVO und 5 Abs. 1 KonzVgV Organmitglieder oder Mitarbeiter des öffentlichen Auftraggebers oder eines im Namen des öffentlichen Auftraggebers handelnden Beschaffungsdienstleisters, bei denen ein Interessenkonflikt besteht.

111 §§ 6 Abs. 2 VgV, 6 Abs. 2 SektVO und 5 Abs. 2 KonzVgV bestimmen, in wel-

chen Fällen ein Interessenkonflikt anzunehmen ist. Ein Interessenkonflikt besteht hiernach für Personen, die an der Durchführung des Vergabeverfahrens

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Conrad in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 124 Rz. 104. BT-Drucks. 18/6281, S. 105. BT-Drucks. 18/6281, S. 106. Opitz in Burgi/Dreher, Beck’scher Vergaberechtskommentar, Band 1, 3. Auflage 2017, § 124 Rz. 75. 5 Opitz in Burgi/Dreher, Beck’scher Vergaberechtskommentar, Band 1, 3. Auflage 2017, § 124 Rz. 76; § 42 VSVgV trifft eine abweichende Regelung und entspricht der Vorschrift des § 16 VgV a.F.

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beteiligt sind oder Einfluss auf den Ausgang eines Vergabeverfahrens nehmen können und die ein direktes oder indirektes finanzielles, wirtschaftliches oder persönliches Interesse haben, dass ihre Unparteilichkeit und Unabhängigkeit im Rahmen des Vergabeverfahrens beeinträchtigen könnte. Nach §§ 6 Abs. 3 VgV, 6 Abs. 3 SektVO und 5 Abs. 3 KonzVgV wird das Beste- 112 hen eines Interessenkonflikts in bestimmten Konstellationen widerleglich vermutet. Dies ist der Fall, wenn Organmitglieder oder Mitarbeiter des öffentlichen Auftraggebers oder eines im Namen des öffentlichen Auftraggebers handelnden Beschaffungsdienstleisters 1. Bewerber oder Bieter sind, 2. einen Bewerber oder Bieter beraten oder sonst unterstützen oder als gesetzliche Vertreter oder nur in dem Vergabeverfahren vertreten, 3. beschäftigt oder tätig sind a) bei einem Bewerber oder Bieter gegen Entgelt oder bei ihm als Mitglied des Vorstandes, Aufsichtsrates oder gleichartigen Organs oder b) für ein in das Vergabeverfahren eingeschaltetes Unternehmen, wenn dieses Unternehmen zugleich geschäftliche Beziehungen zum öffentlichen Auftraggeber und zum Bewerber oder Bieter hat. Diese Vermutungswirkung gilt auch für Personen, deren Angehörige diese Vo- 113 raussetzungen erfüllen (§§ 6 Abs. 4 VgV, 6 Abs. 4 SektVO und 5 Abs. 4 KonzVgV). Als Angehörige gelten der Verlobte, der Ehegatte, Lebenspartner, Verwandte und Verschwägerte gerader Linie, Geschwister, Kinder der Geschwister, Ehegatten und Lebenspartner der Geschwister und Geschwister der Ehegatten und Lebenspartner, Geschwister der Eltern sowie Pflegeeltern und Pflegekinder. Mit Blick auf den Ultima ratio-Charakter des Ausschlusses vom Vergabever- 114 fahren muss der öffentliche Auftraggeber in der Vergabepraxis sorgfältig ermitteln, ob nicht weniger einschneidende Maßnahmen als der Ausschluss eines Unternehmens die Konfliktlage beseitigen können. Dies insbesondere vor dem Hintergrund, dass auf tatbestandlicher Seite eine tatsächliche Wettbewerbsverfälschung zu Gunsten eines Unternehmens nicht vorausgesetzt wird1. Weiter ist zu berücksichtigen, dass betroffene Unternehmen regelmäßig weder Kenntnis davon haben, noch beeinflussen können, wer auf Seiten des öffentlichen Auftraggebers in die Durchführung des Vergabeverfahrens eingebunden ist. Daher ist es primär Sache des öffentlichen Auftraggebers, potentielle Interessenkonflikte aufzudecken und hierauf angemessen zu reagieren. Stellt der öffentliche Auftraggeber anlässlich eines Vergabeverfahrens fest, dass ein Interessenkonflikt besteht, muss er daher zunächst sicherstellen, dass die auf seiner Seite tätigen 1 Opitz in Burgi/Dreher, Beck’scher Vergaberechtskommentar, Band 1, 3. Auflage 2017, § 124 Rz. 77.

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§ 124 | Fakultative Ausschlussgründe konfligierten Personen nicht weiter mit dem Vergabeverfahren befasst werden. Hierin liegt in der Regel eine wirksame und zugleich aus Sicht des betroffenen Unternehmens mildere Maßnahme, als dessen Ausschluss vom Vergabeverfahren1. f) Vorbefassung (Nr. 6) 115 Gemäß § 124 Abs. 1 Nr. 6 können öffentliche Auftraggeber ein Unternehmen

von der Teilnahme an einem Vergabeverfahren ausschließen, wenn eine Wettbewerbsverzerrung daraus resultiert, dass das Unternehmen bereits in die Vorbereitung des Vergabeverfahrens einbezogen war (sog. Projektant), und diese Wettbewerbsverzerrung nicht durch andere, weniger einschneidende Maßnahmen beseitigt werden kann. Der Ausschlussgrund rechtfertigt sich nicht durch eine Pflichtverletzung des Unternehmens und kann zudem nur in einem bestimmten Vergabeverfahren bestehen. Auch bei Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen des § 124 Abs. 1 Nr. 6 kommt ein Ausschluss von Vergabeverfahren über einen längeren Zeitraum nicht in Betracht2.

116 § 124 Abs. 1 Nr. 6 setzt Art. 57 Abs. 4 Unterabs. 1 lit. f) der Richtlinie 2014/24/

EU um. Die Richtlinienbestimmung sieht eine Ausschlussmöglichkeit für den Fall vor, dass eine aus der vorherigen Einbeziehung des Wirtschaftsteilnehmers in die Vorbereitung des Vergabeverfahrens resultierende Wettbewerbsverzerrung gemäß Art. 41 der Richtlinie 2014/24/EU nicht durch weniger einschneidende Maßnahmen behoben werden kann.

117 Bei dem fakultativen Ausschlussgrund wegen der Vorbefassung eines Unterneh-

mens handelt es sich um eine Kodifizierung der EuGH-Rechtsprechung, wonach der Ausschluss eines Projektanten schon bislang geboten war, wenn ein Wettbewerbsvorsprung des vorbefassten Unternehmens nicht anders ausgeglichen werden konnte3. Im nationalen Recht wurden öffentliche Auftraggeber gemäß § 6 EG Abs. 7 VOL/A, § 6 EG Abs. 7 VOB/A 2012 sowie § 4 Abs. 5 VOF4 dazu verpflichtet sicherzustellen, dass der Wettbewerb durch die Teilnahme eines Projektanten nicht verfälscht wird5. Eine ausdrückliche Rechtsgrundlage für den Ausschluss fehlte bislang jedoch6.

1 Hausmann/von Hoff in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 124 Rz. 38. 2 Opitz in Burgi/Dreher, Beck’scher Vergaberechtskommentar, Band 1, 3. Auflage 2017, § 124 Rz. 79. 3 EuGH v. 3.3.2005 – Rs. C-21/03 und C-34/03 (Fabricom), NZBau 2005, 351 ff. = EuZW 2005, 349 ff.; Hausmann/von Hoff in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWBVergaberecht, § 124 Rz. 40. 4 Die Regelungen basierten auf § 4 Abs. 5 VgV a.F., vgl. hierzu Kupczyk, NZBau 2010, 21. 5 Conrad in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 124 Rz. 112. 6 Conrad in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 124 Rz. 112.

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aa) Projektantenproblematik Öffentliche Auftraggeber bedürfen insbesondere im Vorfeld der Ausschreibung 118 komplexer oder innovativer Beschaffungsvorhaben, wie großen Verkehrs- oder IT-Infrastrukturen, mangels eigener personell-fachlicher Ressourcen und infolge fehlender Übersicht auf sehr dynamischen Angebotsmärkten zunehmend der Kooperation mit spezialisierten Privaten zur Vorbereitung der Vergabeverfahren1. Unproblematisch ist dies mit Blick auf das spätere Vergabeverfahren, wenn der Berater die Leistung, deren Einkauf er beratend unterstützen soll, nicht selbst am Markt anbietet2. Häufig ist jedoch der qualifizierteste Sachverstand gerade bei solchen Personen oder Unternehmen vorhanden, die die Leistung, deren öffentliche Beschaffung sie beratend unterstützen sollen, auch selbst anbieten3. Die Teilnahme eines Unternehmens am Vergabeverfahren, welches den Auftrag- 119 geber bereits in dessen Vorfeld beraten oder unterstützt hat, kann jedoch eine erhebliche Wettbewerbsverzerrung darstellen. Grund hierfür ist, dass ein solches Unternehmen in der Regel die an die ausgeschriebenen Leistungen gestellten Anforderungen besser beurteilen und sein Angebot deshalb leichter an die Bedürfnisse des Auftraggebers anpassen kann als andere, vorher unbeteiligte Unternehmen4. Ein Wettbewerbsvorteil des Projektanten kann zudem daraus resultieren, dass dieser als Berater des Auftraggebers den Gegenstand und die Bedingungen des Auftrags mit Rücksicht auf seine eigene spätere Bieterstellung beeinflusst hat5. Dabei kann nicht nur die Teilnahme am Vergabeverfahren des vorbefassten Un- 120 ternehmens selbst zu Wettbewerbsverzerrungen führen. Vielmehr kann diese Gefahr auch bei rechtlichen, wirtschaftlichen oder personellen Verflechtungen zwischen einem Projektanten und einem am Vergabeverfahren beteiligten Unternehmen anzunehmen sein6. Gleichwohl ist die Teilnahme vorbefasster Unternehmen an einem Vergabever- 121 fahren, auf das sich die Vorbefassung bezieht, nach der Rechtsprechung des EuGH grundsätzlich zulässig. Ein genereller Ausschluss wäre unverhältnis1 2 3 4

Behrens, NZBau 2006, 752; Michel, NZBau 2006, 689 (690). Zutreffend Behrens, NZBau 2006, 752. Vgl. Behrens, NZBau 2006, 752. EuGH v. 3.3.2005 – verb. Rs. C-21/03 und C-34/03 (Fabricom), NZBau 2005, 351 (353) = EuZW 2005, 349, 350; OLG Celle v. 14.4.2016 – 13 Verg 11/15, juris Rz. 42; Hausmann/ von Hoff in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 124 Rz. 41. 5 EuGH v. 3.3.2005 – verb. Rs. C-21/03 und C-34/03 (Fabricom), NZBau 2005, 351 (353) = EuZW 2005, 349 (350); OLG Celle v. 14.4.2016 – 13 Verg 11/15, juris Rz. 42; Hausmann/ von Hoff in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 124 Rz. 41. 6 OLG Celle v. 14.4.2016 – 13 Verg 11/15, juris Rz. 43; Müller-Wrede in Müller-Wrede, Verdingungsordnung für Leistungen VOL/A Kommentar, § 6 EG Rz. 101; Michel, NZBau 2006, 689 (691 f.).

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§ 124 | Fakultative Ausschlussgründe mäßig und gemeinschaftsrechtswidrig1, da in diesem Fall Personen vom Vergabeverfahren ausgeschlossen würden, ohne dass ihre Beteiligung daran eine Gefahr für den Wettbewerb unter den Bietern bedeuten würde2. Entscheidend ist daher, ob sich aus der Vorbefasstheit eines Unternehmens tatsächlich ein Wettbewerbsvorteil ergibt bzw. ob dieser nicht durch geeignete Maßnahmen ausgeglichen werden kann3. 122 Eine Regelung zu Projektanten findet sich nunmehr in § 7 VgV, der der Umset-

zung von Art. 41 der Richtlinie 2014/24/EU dient. Nach § 7 VgV ist die Teilnahme von Projektanten am Vergabeverfahren grundsätzlich zulässig4.

bb) Einbeziehung in die Verfahrensvorbereitung 123 Der Ausschluss eines Unternehmens kommt gemäß § 124 Abs. 1 Nr. 6 in Be-

tracht, wenn das Unternehmen in die Vorbereitung des Vergabeverfahrens einbezogen war.

124 Nach der Rechtslage vor Inkrafttreten des Vergaberechtsmodernisierungsgeset-

zes war nicht abschließend geklärt, ob die Tätigkeit im Vorfeld eines Vergabeverfahrens einen Bezug zu dem konkreten Verfahren aufweisen muss. Teilweise wurde angenommen, dass der Auftraggeber auch einen Wissensvorsprung, den ein Bieter aufgrund einer Tätigkeit für den Auftraggeber besitzt, die sich nicht unmittelbar auf die ausgeschriebene Tätigkeit bezog, im Rahmen des Zumutbaren auszugleichen musste, wenn dieser Wissensvorsprung diesem Bieter bei der Erstellung seines Angebots einen Vorteil verschafft. Denn der Auftraggeber sei verpflichtet, einen chancengleichen Wettbewerb zu sichern5. Nach der Gegenauffassung musste die Tätigkeit im Vorfeld eines Vergabeverfahrens jedoch zwingend einen Bezug gerade zu diesem Verfahren aufweisen6.

125 Angesichts des Wortlauts von § 124 Abs. 1 Nr. 6 steht nunmehr jedoch außer

Zweifel, dass ein Ausschluss nur dann in Betracht kommt, wenn ein Unternehmen in die Vorbereitung des konkreten Vergabeverfahrens einbezogen war („des Vergabeverfahrenes“)7. Die vor Beginn des Vergabeverfahrens ausgeübte

1 EuGH v. 3.3.2005 – verb. Rs. C-21/03 und C-34/03 (Fabricom), NZBau 2005, 351 (353) = EuZW 2005, 349 (350). 2 EuGH v. 3.3.2005 – verb. Rs. C-21/03 und C-34/03 (Fabricom), NZBau 2005, 351 (353) = EuZW 2005, 349 (350). 3 Vgl. EuGH v. 3.3.2005 – verb. Rs. C-21/03 und C-34/03 (Fabricom), NZBau 2005, 351 (353) = EuZW 2005, 349 (350). 4 Fritz, ZfBR 2016, 659 (662). 5 VK Baden-Württemberg v. 13.7.2011 – 1 VK 29/11, juris Rz. 71. 6 OLG München v. 2.12.2013 – Verg 14/13, juris Rz. 29; v. 25.7.2013 – Verg 7/13, juris Rz. 71; VK Lüneburg v. 2.3.2016 – VgK-01/2016, juris Rz. 119; Kupczyk, NZBau 2010, 21 (23). 7 Hausmann/von Hoff in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 124 Rz. 42.

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Beratung oder sonstige Unterstützung des Auftraggebers muss sich daher gerade auf den Auftrag beziehen, um den sich der betreffende Bewerber bzw. Bieter selbst bewerben möchte1. § 7 Abs. 1 VgV verdeutlicht dies, da hiernach eine Vorbefassung nur dann vor- 126 liegt, wenn ein Unternehmen oder ein mit ihm in Verbindung stehendes Unternehmen den öffentlichen Auftraggeber beraten hat oder auf andere Art und Weise an der Vorbereitung des Vergabeverfahrens beteiligt war. Somit kann insbesondere auch nicht nur die Teilnahme des vorbefassten Unternehmens selbst zu Wettbewerbsverzerrungen führen. Vielmehr besteht diese Gefahr auch bei rechtlichen, wirtschaftlichen oder personellen Verflechtungen zwischen dem Projektanten und dem Bewerber oder Bieter2. Ob ein Unternehmen gemäß § 7 Abs. 1 VgV mit dem Projektanten in Verbindung steht, muss im Einzelfall bestimmt werden. Eine Verbindung kann beispielsweise darin liegen, dass der Inhaber eines Ingenieurbüros für den Auftraggeber die Vergabeunterlagen erstellt und sich dann ein Unternehmen, bei dem der Inhaber dieses Ingenieurbüros als Geschäftsführer tätig ist, um den Auftrag bewirbt3.Wird der Projektant auf Bieterseite als Berater oder Nachunternehmer tätig oder handelt es sich bei Projektant und Bieter um konzernverbundene Unternehmen, wird regelmäßig ebenfalls ein Ausschluss gemäß § 124 Abs. 1 Nr. 6 in Betracht kommen4. Allerdings ist einschränkend zu beachten, dass nicht jede noch so entfernte gesellschaftsrechtliche Beziehung zwischen zwei Unternehmen ausreicht, um eine Verbindung i.S.v. § 7 Abs. 1 VgV anzunehmen5. Eine Einbeziehung in die Vorbereitung des Vergabeverfahrens liegt vor, wenn 127 der Auftraggeber durch den künftigen Bieter bei der Vorbereitung der Vergabe dieses Auftrags selbst unterstützt oder aber wenn jedenfalls Leistungen erbracht wurden, die einen mit dem zu vergebenden Auftrag untrennbaren Zusammenhang aufweisen6. Dies ist beispielsweise der Fall, wenn ein Unternehmen dem öffentlichen Auftraggeber konkrete Handlungsempfehlungen oder Informationen für die Verwirklichung des Beschaffungsvorhabens liefert7. Daher sind insbesondere Vorleistungen erfasst, auf die der zu vergebende Auftrag unmittelbar aufbaut8. Eine solche Form der Einbeziehung wird häufig bei Architekten, 1 VK Lüneburg v. 2.3.2016 – VgK-01/2016, juris Rz. 119. 2 OLG Celle v. 14.4.2016 – 13 Verg 11/15, juris Rz. 43; Müller-Wrede in Müller-Wrede, Verdingungsordnung für Leistungen VOL/A Kommentar, § 6 EG Rz. 101; Michel, NZBau 2006, 689 (691 f.). 3 OLG Celle v. 14.4.2016 – 13 Verg 11/15, juris Rz. 43. 4 Hausmann/von Hoff in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 124 Rz. 43. 5 OLG Koblenz v 10.8.2010 – 1 Verg 2/00, NZBau 2000, 534 (536 ff.); Conrad in MüllerWrede, GWB-Vergaberecht, § 124 Rz. 118; Müller-Wrede/Lux, ZfBR 2006, 327 (329). 6 VK Lüneburg v. 2.3.2016 – VgK-01/2016, juris Rz. 119. 7 OLG München v. 25.7.2013 – Verg 7/13, juris Rz. 71. 8 VK Lüneburg v. 2.3.2016 – VgK-01/2016, juris Rz. 119.

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§ 124 | Fakultative Ausschlussgründe Ingenieuren, Rechtsanwälten, Versicherungsmaklern und -beratern sowie Unternehmensberatern und Wirtschaftsprüfern vorliegen1. Eine weitere Form der von § 124 Abs. 1 Nr. 6 erfassten Einbeziehung in die Vorbereitung des Vergabeverfahrens stellt die Erstellung der Leistungsbeschreibung dar2. 128 Auch mittelbar der Vorbereitung des Vergabeverfahrens dienende Beratungs- oder

Unterstützungsleistungen können zu einem Ausschluss führen, wenn eine Wettbewerbsverzerrung eintritt, die sich nur durch einen Ausschluss korrigieren lässt3. In Betracht kommt dies beispielsweise bei der Beratung zu einer Baumaßnahme, auf die sich eine später ausgeschriebene Projektsteuerung bezieht. Durch diesen mittelbaren Zusammenhang kann ein Wissensvorsprung begründet werden4.

129 Beratungs- oder Unterstützungsleistungen, die ein Unternehmen zwar im Vor-

feld eines Vergabeverfahrens erbracht hat, die jedoch keinerlei inhaltlichen Zusammenhang mit dem Vergabeverfahren aufweisen, stellen keinen Ausschlussgrund dar5.

130 Ebenfalls nicht erfasst ist der Fall, dass einem Bieter ggf. Informationsvor-

sprünge aus einer vorangegangenen Beauftragung erwachsen sind6. Zwar kann ein Unternehmen aufgrund der Durchführung eines öffentlichen Auftrags in der Vergangenheit durchaus über einen gewissen Informationsvorsprung verfügen. Diesen muss der öffentliche Auftraggeber allerdings durch eine erschöpfende Leistungsbeschreibung ausgleichen7. Keinerlei Bedeutung hat hingegen ein Wissensvorsprung, den ein Unternehmen durch die Tätigkeit für einen anderen öffentlichen Auftraggeber erlangt hat8, da den Auftraggeber keine Verpflichtung trifft, die Kenntnisstände der teilnehmenden Unternehmen zu ermitteln9.

131 Ein Ausschluss gemäß § 124 Abs. 1 Nr. 6 kann zudem nicht mit Unterstüt-

zungshandlungen eines Unternehmens während des Vergabeverfahrens begründet werden. In diesen Fällen kommt jedoch ein Ausschluss des Unternehmens wegen eines Interessenkonflikts gemäß § 124 Abs. 1 Nr. 5 in Betracht10.

1 Conrad in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 124 Rz. 115. 2 VK Lüneburg v. 2.3.2016 – VgK-01/2016, juris Rz. 119; Müller-Wrede/Lux, ZfBR 2006, 327 (329). 3 OLG Celle v. 14.4.2016 – 13 Verg 11/15, juris Rz. 47; OLG München v. 10.2.2011 – Verg 24/10, juris Rz. 55. 4 OLG München v. 10.2.2011 – Verg 24/10, juris Rz. 55. 5 VK Darmstadt v. 12.2.2008 – 69d VK-1/2008, juris Rz. 36; Hausmann/von Hoff in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 124 Rz. 42. 6 VK Bund v. 16.7.2013 – VK 3-47/13, juris Rz. 77 ff. = ZfBR 2014, 98 (101 ff.). 7 Conrad in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 124 Rz. 120. 8 Conrad in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 124 Rz. 150; a.A. VK Nordbayern v. 9.8.2007 – 21.VK-3194-32/07, ZfBR 2007, 822 (824). 9 Conrad in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 124 Rz. 120. 10 Conrad in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 124 Rz. 121.

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cc) Wettbewerbsverzerrung § 124 Abs. 1 Nr. 6 setzt voraus, dass durch die Einbeziehung des Unternehmens 132 in die Vorbereitung des Verfahrens eine Wettbewerbsverzerrung entsteht. Der öffentliche Auftraggeber muss unter Berücksichtigung der konkreten Um- 133 stände des Einzelfalls bewerten, ob bei einer Beteiligung des Projektanten der Grundsatz des fairen Wettbewerbs gewahrt wird oder nicht1. Er ist verpflichtet, im Rahmen des Zumutbaren aufzuklären, ob ein Sachverhalt vorliegt, der die Chancengleichheit aller Teilnehmer beeinträchtigen könnte. Maßgeblich ist, ob der Projektant einen wettbewerbswidrigen Informationsvorsprung durch seine Vorbefassung hat2. Die Vorbefassung muss also kausal für die Wettbewerbsverzerrung sein3. Bewerber oder Bieter können dabei je nach Einzelfall verpflichtet sein, von sich aus die eigene Vorbefassung oder die Beziehung zu einem Projektanten im Sinne einer vorvertraglichen Aufklärungspflicht offenzulegen4. Ein Ausschluss kommt nicht in Betracht, wenn der Auftraggeber im Rahmen des ihm Zumutbaren aufklären kann, dass durch den Einfluss eines Projektanten am Vergabeverfahren keine Wettbewerbsverzerrung eingetreten ist5. Im Falle einer Vorbefassung kann eine Wettbewerbsverzerrung insbesondere in 134 folgenden Konstellationen in Betracht zu ziehen sein6: – Nur ein Unternehmen kann die unter Mitwirkung eines Projektanten erstellte Leistungsbeschreibung richtig umsetzen. – Allein das Angebot des Projektanten beinhaltet Ausführungen zu wertungsrelevanten Gesichtspunkten. – Vorliegen eines in preislicher Sicht überlegenen Angebotes. – Ein Angebot ist in technischer Sicht überlegen und stützt sich auf Informationen, die nicht allen Bietern zugänglich sind. Erscheint eine Wettbewerbsverfälschung bei sachlicher Betrachtung der aus- 135 geschriebenen Leistung möglich, so obliegt dem betreffenden Unternehmen der Nachweis, dass ihm durch die Vorbefassung kein ungerechtfertigter Vorteil erwachsen ist7. In der Praxis empfiehlt sich aus Sicht öffentlicher Auftraggeber bei vorbefassten 136 Unternehmen stets die Durchführung einer vertieften Angebotsprüfung. Zeigt 1 OLG Celle v. 14.4.2016 – 13 Verg 11/15, juris Rz. 45. 2 OLG Celle v. 14.4.2016 – 13 Verg 11/15, juris Rz. 46; OLG München v. 10.2.2011 – Verg 24/10, NZBau 2011, 507 (511). 3 Conrad in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 124 Rz. 123. 4 OLG Celle v. 14.4.2016 – 13 Verg 11/15, juris Rz. 46. 5 OLG Celle v. 14.4.2016 – 13 Verg 11/15, juris Rz. 46; Fritz, ZfBR 2016, 659 (662). 6 Vgl. Conrad in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 124 Rz. 134. 7 OLG Celle v. 14.4.2016 – 13 Verg 11/15, juris Rz. 46; OLG Brandenburg v. 22.5.2007 – Verg W 13/06, juris Rz. 113; OLG München v. 10.2.2011 – Verg 24/10, juris Rz. 53 = NZBau 2011, 507 (510 f.).

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§ 124 | Fakultative Ausschlussgründe sich dabei eine klare Überlegenheit gegenüber den Angeboten nicht vorbefasster Bieter, muss eine Angebotsaufklärung erfolgen1. dd) Verhältnismäßigkeit 137 Der Ausschluss eines vorbefassten Unternehmens kommt nur als ultima ratio

in Betracht.

138 Dem Projektanten muss gemäß § 7 Abs. 3 VgV vor dem Ausschluss grundsätz-

lich die Möglichkeit gegeben werden, zum Vorliegen der Wettbewerbsverzerrung Stellung zu nehmen und gegebenenfalls darzulegen und zu beweisen, dass nach den Umständen die von ihm erworbene Kenntnis den Wettbewerb nicht hat verfälschen können2.

139 Kann der Wettbewerbsvorteil durch irgendeine andere, weniger einschnei-

dende Maßnahme beseitigt werden, scheidet der Ausschluss eines vorbefassten Unternehmens vom Vergabeverfahren aus. Dies ist Ausdruck des in § 97 Abs. 1 Satz 2 verankerten Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes3.

140 Welche Maßnahmen im Einzelfall zur Kompensation eines Wissensvor-

sprungs zu ergreifen sind, hängt maßgeblich von Art und Umfang der jeweiligen Vorbefassung sowie der Schwere der potentiellen Wettbewerbsverzerrung ab4. Aus Sicht des vom Ausschluss bedrohten Unternehmens weniger einschneidende Maßnahmen sind gemäß § 7 Abs. 2 VgV insbesondere die Unterrichtung der anderen am Vergabeverfahren teilnehmenden Unternehmen in Bezug auf die einschlägigen Informationen, die im Zusammenhang mit der Einbeziehung des vorgefassten Unternehmens in der Vorbereitung des Vergabeverfahrens ausgetauscht wurden oder daraus resultieren, und die Festlegung angemessener Fristen für den Eingang der Angebote und Teilnahmeanträge. Hierbei handelt es sich um eine beispielhafte Aufzählung ohne abschließenden Charakter5.

141 Der öffentliche Auftraggeber ist ohnehin aus Gleichbehandlungsgründen dazu

verpflichtet, die Ergebnisse der Projektantentätigkeit allen am Vergabeverfahren beteiligten Unternehmen proaktiv zur Verfügung zu stellen, um die am Auftrag interessierten Unternehmen mit gleichen Informationen zu versorgen. Dem kann der öffentliche Auftraggeber nicht dadurch entgehen, dass er die Unternehmen darauf verweist, sich Informationen vom Projektanten zu beschaffen. Regelmäßig bietet es sich daher an, sämtliche dem Projektanten mitgeteilten

1 Conrad in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 124 Rz. 124. 2 Vgl. hierzu schon EuGH v. 3.3.2005 – verb. Rs. C-21/03 und C-34/03 (Fabricom), NZBau 2005, 351 (353) = EuZW 2005, 349 (350). 3 Conrad in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 124 Rz. 127. 4 Hausmann/von Hoff in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 124 Rz. 44. 5 Hausmann/von Hoff in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 124 Rz. 44.

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Fakultative Ausschlussgründe | § 124

wettbewerbsrelevanten Informationen in die Vergabeunterlagen aufzunehmen. Denkbar ist weiter, dass der Auftraggeber allen Verfahrensteilnehmern die Unterlagen zur Verfügung stellt, die unter Mitwirkung des vorgefassten Unternehmens erstellt wurden, und gegebenenfalls die Möglichkeit einräumt, bestimmte Untersuchungen, Methoden, Ergebnisse oder ähnliches in die Angebote zu übernehmen1. Im Einzelfall kann Unternehmen auch die Möglichkeit zur Ortsbesichtigung oder sonstigen Untersuchungen eingeräumt werden, um hierdurch gleiche Ausgangsvoraussetzungen („level playing field“) zu schaffen2. Für die Schaffung gleicher Ausgangsbedingungen ist ebenfalls von zentraler Be- 142 deutung, dass den nicht vorbefassten Unternehmen ausreichend Zeit für die Kenntnisnahme der dem Projektanten zur Verfügung gestellten bzw. unter dessen Mithilfe erarbeiteten Unterlagen einräumt. Denn durch seine Vorbefassung hat der Projektant auch einen zeitlichen Vorsprung gegenüber den anderen Unternehmen. Werden diesen keine ausreichend langen Fristen für die Bearbeitung der Angebote eingeräumt, können sich eventuelle Wissensvorsprünge des Projektanten durch zu knapp bemessene Bearbeitungsfristen zusätzlich manifestieren3. Umfasste die vorbereitende Tätigkeit des Projektanten lediglich Planungs- und 143 Entwurfsarbeiten oder informelle Markterforschungsanfragen, ist ein Ausgleich des sich daraus ergebenden Informationsvorsprungs schon dadurch möglich, dass der Auftraggeber die durch die Zusammenarbeit mit dem Projektanten gewonnenen Erkenntnisse allen Bietern zugänglich macht4. Hat ein Unternehmen hingegen unmittelbar an der Vorbereitung des Vergabeverfahrens mitgewirkt, insbesondere durch Unterstützung des Auftraggebers bei der Erstellung der Vergabeunterlagen, besteht das Risiko, dass der Projektant die Bedingungen für die Auftragsvergabe – möglicherweise unbewusst – in seinem Sinne beeinflusst5. Ein solcher Wettbewerbsvorteil kann unter Umständen nicht nachträglich kompensiert werden, mit der Folge des Ausschlusses des Projektanten vom Vergabeverfahren6. Die Einbindung eines Projektanten in die Vorbereitung der Vergabeunterlagen soll insoweit generell erhöhte Anforderungen an den Ausgleich des Wettbewerbsvorsprungs zur Folge haben7. Teilweise wird gefordert, es bedürfe zumindest einer organisatorischen und personellen Trennung 1 Hausmann/von Hoff in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 124 Rz. 44. 2 Conrad in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 124 Rz. 129. 3 Conrad in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 124 Rz. 130. 4 OLG Koblenz v. 6.11.2008 – 1 Verg 3/08, ZfBR 2009, 93 (95); Hausmann/von Hoff in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 124 Rz. 45. 5 VK Lüneburg v. 27.1.2017 – VgK-49/2016, juris Rz. 95. 6 Hausmann/von Hoff in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 124 Rz. 45. 7 So zum Beispiel Glahs in Kapellmann/Messerschmidt, VOB Teile A und B, 5. Auflage 2015, § 6 EG Rz. 26; Hausmann/von Hoff in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 124 Rz. 45.

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§ 124 | Fakultative Ausschlussgründe zwischen denjenigen Personen, die die Leistungsbeschreibung formulieren oder dabei mitwirken, und denjenigen, die entsprechend der Leistungsbeschreibung Angebote erstellen1. Sind die Vergabeunterlagen jedoch nicht auf den Projektanten maßgeschneidert, können Informationsungleichgewichte auch bei Mitwirkung an der Erstellung der Vergabeunterlagen dadurch ausgeglichen werden, dass die durch die Zusammenarbeit mit dem Projektanten gewonnenen Erkenntnisse allen Bietern zugänglich gemacht werden und den Bietern ausreichend Zeit zur Kenntnisnahme der Inhalte eingeräumt wird. Eine Wettbewerbsverzerrung liegt dann nicht vor. Selbst wenn die Auftragsbedingungen zu Gunsten des Projektanten ausgestaltet sind, dürfte regelmäßig eine Änderung und Neutralisierung der Wettbewerbsbedingungen in Betracht kommen und dem Ausschluss des vorbefassten Unternehmens entgegenstehen2. 144 Die zur Beseitigung einer Wettbewerbsverzerrung ergriffenen Maßnahmen

muss der öffentliche Auftraggeber im Vergabevermerk dokumentieren3.

145 Kann der aus der Vorbefassung resultierende Wettbewerbsvorteil nicht durch

andere, weniger einschneidende Maßnahmen kompensiert werden, kommt in aller Regel nur der Ausschluss des vorbefassten Unternehmens vom Vergabeverfahren in Betracht.

146 Ein Ausschluss ist auch in Betracht zu ziehen, wenn vor der Angebotsöffnung

noch nicht erkennbar war, dass ein Unternehmen über einen Wettbewerbsvorteil aufgrund seiner Vorbefassung verfügt, dies jedoch aus dem Angebot selbst ersichtlich wird4. Sofern ein Angebot anderen Angeboten in technischer oder preislicher Hinsicht deutlich überlegen ist oder offensichtlich auf Informationen basiert, die den nicht vorbefassten Unternehmen weder bekannt waren noch bekannt sein konnten, spricht dies für eine Wettbewerbsverfälschung durch Vorbefassung. Der Projektant muss darlegen und gegebenenfalls nachweisen, dass seine Vorbefassung nicht Grund für die Überlegenheit seines Angebotes ist5.

147 Grundsätzlich kann einer Wettbewerbsverzerrung auch dadurch wirksam begeg-

net werden, dass ein vorbefasstes Unternehmen sich vertraglich dazu verpflichtet, auf die Teilnahme am späteren Vergabeverfahren zu verzichten. Bedenken an der zivilrechtlichen Zulässigkeit solcher Vereinbarungen bestehen nicht6, allerdings kann auf dieser Grundlage einem vorbefassten Unternehmen die Teil-

1 VK Bund v. 11.9.2002 – VK 2 - 42/02, juris Rz. 76; Hausmann/von Hoff in Kulartz/Kus/ Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 124 Rz. 45. 2 Opitz in Burgi/Dreher, Beck’scher Vergaberechtskommentar, Band 1, 3. Auflage 2017, § 124 Rz. 82. 3 BT-Drucks. 18/6281, S. 106. 4 Hausmann/von Hoff in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 124 Rz. 48. 5 Hausmann/von Hoff in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 124 Rz. 48. 6 Behrens, NZBau 2006, 752 (755 f.).

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nahme am Vergabeverfahren in der Praxis wohl nicht mit Mitteln des Vergaberechts untersagt werden1. In einem solchen antizipierten Ausschluss des Projektanten kann zudem eine mögliche Verletzung des Wettbewerbsgrundsatzes liegen2, nämlich wenn auch hier weniger einschneidende Alternativmaßnahmen in Betracht kommen3. Dies beurteilt sich nach Umfang und Gegenstand der Unterstützungsleistungen sowie deren Relevanz für das spätere Vergabeverfahren4. g) Mangelhafte Erfüllung eines früheren Auftrags (Nr. 7) § 124 Abs. 1 Nr. 7 enthält einen fakultativen Ausschlussgrund, wenn ein Unter- 148 nehmen eine wesentliche Anforderung bei der Ausführung eines früheren öffentlichen Auftrags oder Konzessionsvertrags erheblich oder fortdauernd mangelhaft erfüllt hat und dies zu einer vorzeitigen Beendigung, zu Schadensersatz oder zu einer vergleichbaren Rechtsfolge geführt hat. Die Vorschrift setzt Art. 57 Abs. 4 Unterabs. 1 lit. g) der Richtlinie 2014/24/EU 149 um5. Es handelt sich bei § 124 Abs. 1 Nr. 7 um einen neuen Ausschlussgrund6. Nach nationalem Recht wurden schwerwiegende Schlechtleistungen eines Unterneh- 150 mens bei der Ausführung früherer öffentlicher Aufträge bislang im Rahmen der allgemeinen Zuverlässigkeitsprüfung gemäß § 97 Abs. 4 GWB a.F. behandelt7. Im Hinblick auf die bisherigen Vergaberichtlinien, die eine allgemeine Zuverlässigkeitsprüfung nicht vorsahen, wurden schwerwiegende Schlechtleistungen eines Unternehmens hingegen unter den Ausschlussgrund der schweren Verfehlung subsumiert8. Mit der Neuregelung in § 124 Abs. 1 Nr. 7 hat der Gesetzgeber dem Bedürfnis einer effektiven „Sanktionierung“ von erheblichen oder fortdauernden vertraglichen Pflichtverletzungen im Rahmen öffentlicher Aufträge Rechnung getragen9. Zugleich hat er die Anforderungen für einen Ausschluss wegen mangelhafter Erfüllung eines früheren Auftrags allerdings erheblich konkretisiert10. Der Spielraum des Auftrag1 Conrad in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 124 Rz. 131; a.A. Hausmann/von Hoff in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 124 Rz. 49. 2 Conrad in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 124 Rz. 131. 3 Hausmann/von Hoff in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 124 Rz. 49. 4 Hausmann/von Hoff in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 124 Rz. 49. 5 BT-Drucks. 18/6281, S. 107. 6 BT-Drucks. 18/6281, S. 105; Niebuhr, VergabeR 2017, 335 (336). 7 Vgl. bspw. OLG Düsseldorf v 4.2.2009 – VII-Verg 65/08, juris Rz. 23 ff.; Opitz in Burgi/ Dreher, Beck’scher Vergaberechtskommentar, Band 1, 3. Auflage 2017, § 124 Rz. 89. 8 EuGH v. 13.12.2012 – C-465/11 (Forposta SA), NZBau 2013, 116, 118 f. = EuZW 2013, 151 (153). 9 Friton/Meister, jurisPR-VergR 4/2017 Anm. 3. 10 Opitz in Burgi/Dreher, Beck’scher Vergaberechtskommentar, Band 1, 3. Auflage 2017, § 124 Rz. 89; Niebuhr, VergabeR 2017, 335 (342).

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§ 124 | Fakultative Ausschlussgründe gebers auf Tatbestandsseite wurde deutlich eingeschränkt1. Nach der Gesetzesbegründung zu § 124 Abs. 1 Nr. 3 kann die Verletzung vertraglicher Verpflichtungen auch weiterhin eine schwere Verfehlung darstellen, die die Integrität eines Unternehmens infrage stellt, wenn die Vertragsverletzung eine solche Intensität und Schwere aufweist, dass der öffentliche Auftraggeber berechtigterweise an der Integrität des Unternehmens zweifeln darf2. Da es sich bei § 124 Abs. 1 Nr. 3 um einen Auffangtatbestand handelt und § 124 Abs. 1 Nr. 7 spezielle Voraussetzungen für einen Ausschluss bei mangelhafter Ausführung früherer Aufträge normiert, dürfte § 124 Abs. 1 Nr. 3 – sofern es um Vertragspflichtverletzungen bei der Durchführung früherer öffentlicher Aufträge geht – regelmäßig hinter § 124 Abs. 1 Nr. 7 zurücktreten3.

aa) Erhebliche oder fortdauernde mangelhafte Erfüllung eines früheren öffentlichen Auftrags oder Konzessionsvertrags 151 Ein Ausschluss kommt nur in Betracht, wenn das Unternehmen wesentliche

Anforderungen bei der Ausführung eines früheren öffentlichen Auftrags oder Konzessionsvertrags erheblich oder fortdauernd mangelhaft erfüllt hat.

152 Die Regelung adressiert den allgemeinen Begriff des öffentlichen Auftrags, der

in § 103 Abs. 1 legaldefiniert ist. Durch § 124 Abs. 1 Nr. 7 erfasst sind daher auch Verteidigungs- oder sicherheitsspezifische öffentliche Aufträge4. Der Begriff des Konzessionsvertrags wird durch § 105 Abs. 1 geregelt. Nicht maßgeblich ist, von welchem öffentlichen Auftraggeber dem Unternehmen der frühere öffentliche Auftrag erteilt wurde. Die Schlechtleistung kann daher auch gegenüber einem anderen Auftraggeber erfolgt sein5.

153 Der in § 124 Abs. 1 Nr. 7 zugrunde gelegte Mangelbegriff ist nicht streng zivil-

rechtlich, sondern umfassend im Sinne von „nicht vertragsgerecht“ zu verstehen und erfasst grundsätzlich alle Haupt-, Neben- und Nebenleistungspflichten6. Allerdings berechtigt nicht jedwede Vertragspflichtverletzung zum Ausschluss. Die von der Vorschrift vorausgesetzte erhebliche mangelhafte Auftragserfüllung ist gegeben, wenn die mangelhafte Leistung den öffentlichen Auftraggeber in tatsächlicher und finanzieller Hinsicht deutlich belastet hat, es sich mithin nicht um kleinere und leicht behebbare Mängel handelt7. Auch eine einmalige mangelhafte Leistung kann hierzu ausreichend sein, fall es sich dabei um die erhebliche

1 Niebuhr, VergabeR 2017, 335 (343). 2 BT-Drucks. 18/6281, S. 105. 3 Im Ergebnis wohl ebenso OLG Celle v. 9.1.2017 – 13 Verg 9/16, ZfBR 2017, 407 (408); Niebuhr, VergabeR 2017, 335 (345 f.); vgl auch Rz. 74. 4 Conrad in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 124 Rz. 144. 5 BT-Drucks. 18/6281, S. 106. 6 Opitz in Burgi/Dreher, Beck’scher Vergaberechtskommentar, Band 1, 3. Auflage 2017, § 124 Rz. 90. 7 OLG Celle v. 9.1.2017 – 13 Verg 9/16, ZfBR 2017, 407 (411); Conrad in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 124 Rz. 148.

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Schlechterfüllung einer wesentlichen Anforderung handelt1. Eine erhebliche mangelhafte Auftragserfüllung ist nach Erwägungsgrund 101 der Richtlinie 2014/24/ EU beispielsweise denkbar bei Liefer- oder Leistungsausfall sowie erheblichen Defiziten der gelieferten Waren oder Dienstleistungen, die sie für den beabsichtigten Zweck unbrauchbar machen. Regelmäßig wird eine erhebliche mangelhafte Erfüllung dann in Betracht zu ziehen sein, wenn sie auf einseitigem Verschulden des Auftragnehmers basiert und dem öffentlichen Auftraggeber nun dadurch die Eingehung einer neuen Vertragsbeziehung zu dem Unternehmen unzumutbar ist2. Eine fortdauernde mangelhafte Erfüllung i.S.v. § 124 Abs. 1 Nr. 7 liegt vor, 154 wenn das Unternehmen regelmäßig den Auftrag nicht vereinbarungsgemäß erfüllt hat. Einer im Einzelfall erheblichen mangelhaften Erfüllung bedarf es dann nicht. In Betracht zu ziehen ist diese Alternative von § 124 Abs. 1 Nr. 7 insbesondere bei regelmäßigen Fristversäumnissen eines Auftragnehmers3. Voraussetzung für einen Ausschluss gemäß § 124 Abs. 1 Nr. 7 ist außerdem, 155 dass die mangelhafte Erfüllung eine wesentliche Anforderung des öffentlichen Auftrags betrifft. Unzweifelhaft erfasst sind hiervon die Hauptleistungspflichten des jeweiligen Auftrags. Allerdings können auch vertragliche Nebenpflichten im Einzelfall eine wesentliche Anforderung eines Auftrages darstellen4. Nach der Gesetzesbegründung kann beispielsweise auch im Verstoß gegen eine Verpflichtung zur Wahrung der Vertraulichkeit oder gegen bedeutsame Sicherheitsauflagen die mangelhafte Erfüllung einer wesentlichen Anforderung liegen5. Im Ergebnis muss der öffentliche Auftraggeber bei seiner Entscheidung über das 156 Vorliegen eines Ausschlussgrundes gemäß § 124 Abs. 1 Nr. 7 die in Betracht kommende mangelhafte Auftragsausführung durch das Unternehmen unter Berücksichtigung aller in Betracht kommender Gesichtspunkte, insbesondere des Umfangs, der Intensität, des Ausmaßes und des Grades der Vorwerfbarkeit der Vertragsverletzung beurteilen6. Es ist daher stets eine Beurteilung der Besonderheiten des Einzelfalles erforderlich, um festzustellen, ob eine schwerwiegende oder nachhaltige Vertragsverletzung eines Unternehmens vorliegt7. bb) Vorzeitige Beendigung des Vertragsverhältnisses, Schadensersatz oder vergleichbare Rechtsfolge Die mangelhafte Auftragsdurchführung durch das Unternehmen muss nach 157 § 124 Abs. 1 Nr. 7 zu einer vorzeitigen Beendigung des Auftragsverhältnisses, zu Schadensersatz oder zu einer vergleichbaren Rechtsfolge geführt haben. 1 2 3 4 5 6 7

BT-Drucks. 18/6281, S. 106. Conrad in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 124 Rz. 148. Conrad in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 124 Rz. 149. Niebuhr, VergabeR 2017, 335 (345). BT-Drucks. 18/6281, S. 106. Conrad in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 124 Rz. 147. Niebuhr, VergabeR 2017, 335 (344).

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§ 124 | Fakultative Ausschlussgründe 158 Eine vorzeitige Beendigung des Auftragsverhältnisses liegt vor, wenn der öffent-

liche Auftraggeber aufgrund der Schlechtleistung des Unternehmens das Auftragsverhältnis außerordentlich gekündigt oder durch Rücktritt beendet hat. Auch die Vereinbarung einer Vertragsaufhebung kommt in Betracht, wenn sie ihren Grund in dem Fehlverhalten des Unternehmens hat. Soweit § 124 Abs. 1 Nr. 7 als Rechtsfolge außerdem vorsieht, dass die mangelhafte Auftragsausführung zu Schadensersatz geführt hat, ist keine bestimmte Höhe für den Schadensersatz vorgegeben. Bagatellbeträge dürften unter Berücksichtigung von Sinn und Zweck der Vorschrift, wonach erhebliche oder fortdauernde Schlechtleistungen eines Unternehmens einen Ausschluss ermöglichen sollen, allerdings keine Berücksichtigung finden.

159 § 124 Abs. 1 Nr. 7 lässt es darüber hinaus auch genügen, wenn die mangelhafte

Auftragsausführung zu einer vergleichbaren Rechtsfolge geführt hat. Nach der Gesetzesbegründung ist hiernach zu fordern, dass zwar nicht eine vorzeitige vollständige Beendigung des Vertragsverhältnisses erfolgt ist, die Rechtsfolge aber hinsichtlich ihrer Schwere hiermit oder mit einer Schadensersatzpflicht vergleichbar ist. Denkbar sind insbesondere eine Ersatzvornahme1, das Verlangen nach umfangreichen Nachbesserungen2 oder eine Rechnungskürzung3. Eine vergleichbare Rechtsfolge i.S.v. § 124 Abs. 1 Nr. 7 dürfte danach grundsätzlich bei allen zivilrechtlichen Mängelansprüchen des Auftraggebers in Betracht kommen. Der öffentliche Auftraggeber muss jedoch einzelfallbezogen prüfen, ob die geforderten oder ergriffenen Maßnahmen einer außerordentlichen Kündigung oder einer Schadensersatzpflicht des Unternehmens von der Schwere her gleichzusetzen sind. cc) Nachweis

160 Umstritten ist, welche Anforderungen an den Nachweis der Voraussetzungen

des § 124 Abs. 1 Nr. 7 zu stellen sind, etwa wenn ein Unternehmen die Kündigung des öffentlichen Auftraggebers nicht akzeptiert oder Schadensersatzforderungen des öffentlichen Auftraggebers bestreitet. Teilweise wird ein Ausschluss nach § 124 Abs. 1 Nr. 7 nur für zulässig erachtet, wenn bereits Schadensersatz gezahlt wurde oder die Pflicht hierzu durch ein Anerkenntnis des Bieters oder ein rechtskräftiges Urteil feststeht4. Auch eine Kündigung soll nur zum Ausschluss berechtigen, wenn diese unstreitig, durch Anerkenntnis des Unternehmens oder in einem gerichtlichen Verfahren rechtskräftig bestätigt ist5. Solange

1 BT-Drucks. 18/6281, S. 107. 2 BT-Drucks. 18/6281, S. 107; a.A. wohl Opitz in Burgi/Dreher, Beck’scher Vergaberechtskommentar, Band 1, 3. Auflage 2017, § 124 Rz. 93. 3 VK Bund v. 18.11.2016 – VK 2-103/16, juris Rz. 86. 4 so bspw. Friton/Meister, jurisPR-VergR 4/2017 Anm. 3. 5 Friton/Meister, jurisPR-VergR 4/2017 Anm. 3.

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diese Voraussetzungen nicht erfüllt sind, komme ein Ausschluss nach § 124 Abs. 1 Nr. 3 nicht in Betracht1. Das OLG Celle lässt es hingegen ausreichen, wenn der Auftraggeber das Vorlie- 160a gen der Tatbestandsvoraussetzungen durch Indiztatsachen von einigem Gewicht und gesicherten Erkenntnissen aus serösen Quellen belegen kann, die den Ausschluss des Bieters als nachvollziehbar erscheinen lassen2. Ein Vollbeweis sei danach ebenso wenig erforderlich wie ein Abwarten des öffentlichen Auftraggebers auf die Klärung der streitigen Fragen in einem Zivilprozess3. Dem ist aus mehreren Gründen zuzustimmen. Im Ausgangspunkt festzuhalten ist, dass § 124 Abs. 1 Nr. 7 – anders als § 124 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 3 – nicht ausdrücklich bestimmt, dass das Unternehmen „nachweislich“ im Rahmen der Ausführung eines früheren öffentlichen Auftrags oder Konzessionsvertrags eine wesentliche Anforderung erheblich oder fortdauernd mangelhaft erfüllt hat und dies zu einer vorzeitigen Beendigung, Schadensersatz oder einer vergleichbaren Rechtsfolge geführt hat. Der Gesetzesbegründung zum GWB lässt sich jedoch entnehmen, dass die Vergabestelle im Streitfall den Nachweis der Tatbestandsvoraussetzungen des Ausschlussgrundes führen muss4. Der öffentliche Auftraggeber ist somit darlegungs- und im Streitfall auch beweispflichtig, dass der Bieter bei Durchführung eines früheren Auftrags tatsächlich in erheblicher Weise wesentliche Vertragspflichten verletzt hat und damit zu Recht Kündigungs-, Schadensersatz oder vergleichbare Folgen ausgelöst wurden5. Insoweit weist das OLG Celle allerdings zu Recht darauf hin, dass im Hinblick auf die Darlegungs- und Beweislast bei § 124 Abs. 1 Nr. 7 GWB kein strengerer Maßstab anzulegen sein kann als bei § 124 Abs. 1 Nr. 36. Denn der Zweck der Schaffung eines gesonderten Ausschlusstatbestandes in § 124 Abs. 1 Nr. 7 liegt in der Klarstellung und Konkretisierung, wann eine vertragliche Pflichtverletzung eine „schwere Verfehlung“ im Sinne eines möglichen Ausschlussgrundes darstellt. Eine Verschärfung der Anforderungen an den Nachweis der Verfehlung hat der Gesetzgeber hin1 Friton/Meister, jurisPR-VergR 4/2017 Anm. 3. 2 So für eine vom Auftraggeber ausgesprochene Kündigung: OLG Celle v. 9.1.2017 – 13 Verg 9/16, ZfBR 2017, 407 (409), LS 1; zustimmend Niebuhr, VergabeR 2017, 335 (346); ebenso Opitz in Burgi/Dreher, Beck’scher Vergaberechtskommentar, Band 1, 3. Auflage 2017, § 124 Rz. 96, nach dem ausreichen soll die hohe, jedenfalls aber überwiegende Wahrscheinlichkeit, dass es zu einer entsprechenden Pflichtverletzung gekommen ist und die Rechtmäßigkeit einer vorzeitigen Vertragsbeendigung, eines Schadensersatzanspruchs oder einer vergleichbaren Rechtsfolge von den Zivilgerichten bestätigt wird. 3 OLG Celle v. 9.1.2017 – 13 Verg 9/16, ZfBR 2017, 407 (409), LS 1; Opitz in Burgi/Dreher, Beck’scher Vergaberechtskommentar, Band 1, 3. Auflage 2017, § 124 Rz. 96; Niebuhr, VergabeR 2017, 335 (346). 4 BT-Drucks. 18/6281, S. 106; OLG Celle v. 9.1.2017 – 13 Verg 9/16, ZfBR 2017, 407 (408); Niebuhr, VergabeR 2017, 335 (345). 5 OLG Celle v. 9.1.2017 – 13 Verg 9/16, ZfBR 2017, 407 (408). 6 OLG Celle v. 9.1.2017 – 13 Verg 9/16, ZfBR 2017, 407 (408); Opitz in Burgi/Dreher, Beck’scher Vergaberechtskommentar, Band 1, 3. Auflage 2017, § 124 Rz. 96.

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§ 124 | Fakultative Ausschlussgründe gegen mit der Schaffung des neuen Ausschlussgrundes nicht beabsichtigt1. Soweit im Hinblick auf den Ausschlussgrund in § 124 Abs. 1 Nr. 3 argumentiert wird, dem Auftraggeber könne mit dem Kriterium der „Nachweislichkeit“ nicht zugemutet werden, in einem unter Umständen langen Zeitraum zwischen der Pflichtverletzung und einer rechtskräftigen Entscheidung vertragliche Beziehungen mit dem betreffenden Unternehmen aufzunehmen2, greift diese Überlegung mit Blick auf den Ausschlussgrund des § 124 Abs. 1 Nr. 7 ebenfalls3. An der Nachweislichkeit im Sinne von § 124 Abs. 1 Nr. 7 fehlt es daher bei begründeten Zweifeln. Liegen jedoch Indizien und Tatsachen von einigem Gewicht vor, die auf gesicherten Erkenntnissen aus seriösen Quellen basieren und die die Entscheidung des Auftraggebers zum Ausschluss des Bieters als nachvollziehbar erscheinen lassen, reicht dies für den Nachweis aus4. Das Erfordernis einer rechtskräftigen Feststellung der Pflichtverletzung wäre hingegen zu weitgehend. Insbesondere ist es auch den Vergabenachprüfungsinstanzen nicht zumutbar, eine rechtskräftige Entscheidung der Zivilgerichte abzuwarten oder die Rechtmäßigkeit einer streitigen Kündigung oder das Bestehen eines Schadensersatzanspruchs selbst im Wege einer vollumfänglichen Inzidentprüfung, gegebenenfalls mit langwieriger Beweisaufnahme wie in einem Bauprozess zu klären5. Weder ein Vergabeverfahren noch ein etwaiges hieran anschließendes Nachprüfungsverfahren sollte ein (Parallel-)Prozess über früher erbrachte Leistungen sein6. Hiergegen spricht insbesondere der gemäß § 167 im Nachprüfungsverfahren zu beachtende Beschleunigungsgrundsatz7. Hiernach hat die Entscheidung der Vergabekammer grundsätzlich binnen einer Frist von fünf Wochen ab Eingang des Antrags zu ergehen, die nur im Ausnahmefall um einen Zeitraum verlängert werden kann, der nicht länger als zwei Wochen dauern soll. Dieser Grundsatz würde ad absurdum geführt, wenn eine monate- oder jahrelange zivilgerichtliche Streitigkeit abgewartet werden müsste oder die dortigen Streitfragen von der Vergabenachprüfungsinstanz inzident mitgeprüft werden müssten8. h) Schwerwiegende Täuschung, Zurückhaltung von Auskünften oder Nichtübermittlung von Nachweisen (Nr. 8) 161 § 124 Abs. 1 Nr. 8 enthält einen Ausschlussgrund für den Fall, dass ein Unter-

nehmen im Vergabeverfahren in Bezug auf Ausschlussgründe oder Eignungskri1 2 3 4 5

OLG Celle v. 9.1.2017 – 13 Verg 9/16, ZfBR 2017, 407 (408). Conrad in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 124 Rz. 58. OLG Celle v. 9.1.2017 – 13 Verg 9/16, ZfBR 2017, 407 (408 f.). OLG Celle v. 9.1.2017 – 13 Verg 9/16, ZfBR 2017, 407 (409). OLG Celle v. 9.1.2017 – 13 Verg 9/16, ZfBR 2017, 407 (408); Friton/Meister, jurisPRVergR 4/2017 Anm. 3. 6 Summa, NZBau 2016, 729 (733). 7 Friton/Meister, jurisPR-VergR 4/2017 Anm. 3. 8 OLG Celle v. 9.1.2017 – 13 Verg 9/16, ZfBR 2017, 407 (408); Friton/Meister, jurisPRVergR 4/2017 Anm. 3.

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terien eine schwerwiegende Täuschung begangen hat, Auskünfte zurückgehalten hat oder nicht in der Lage ist, die erforderlichen Nachweise zu übermitteln. Auf dieser Grundlage soll der öffentliche Auftraggeber Unternehmen vom Vergabeverfahren ausschließen können, die er aufgrund ihres Verhaltens für nicht vertrauenswürdig hält1. Durch § 124 Abs. 1 Nr. 8 wird Art. 57 Abs. 4 Unterabs. 1 lit. h) der Richtlinie 162 2014/24/EU in nationales Recht umgesetzt2. Vor Inkrafttreten des Vergaberechtmodernisierungsgesetzes waren vergleich- 163 bare Regelungen in den Verdingungs- und Vertragsordnungen enthalten, beispielsweis in § 6 EG Abs. 6 lit. e) VOL/A (vorsätzlich unzutreffende Erklärung in Bezug auf die Eignung) oder in § 16 EG Abs. 1 Nr. 1 lit. h) VOB/A 2012 (vorsätzlich unzutreffende Erklärung in Bezug auf die Fachkunde, Leistungsfähigkeit und Zuverlässigkeit). § 124 Abs. 1 Nr. 8 betrifft nur Erklärungen des Unternehmens über die in §§ 123 164 und 124 und sowie die spezialgesetzlich geregelten Ausschlussgründe und über die vom Auftraggeber festgelegten Eignungskriterien. Allein für den Angebotsinhalt maßgebliche Erklärungen sind hingegen nicht erfasst3. Welche Angaben ein Unternehmen im konkreten Vergabeverfahren über Eig- 165 nung und Ausschlussgründe zu machen hat, richtet sich primär nach den diesbezüglichen Vorgaben des öffentlichen Auftraggebers in der Bekanntmachung und den Vergabeunterlagen4. Darüber hinaus kann allerdings eine Aufklärungspflicht des Unternehmens hinsichtlich solcher Umstände bestehen, die der Auftraggeber zwar nicht abgefragt hat, die aber für die Beurteilung der Eignung trotzdem relevant sind, weil sie den Vertragszweck vereiteln oder gefährden können5. Gemeinsam ist daher allen drei in § 124 Abs. 1 Nr. 8 geregelten Fällen, dass das 166 Unternehmen durch sein Verhalten verhindert, dass sich der Auftraggeber ein abgerundetes und vollständiges Bild von der Eignung eines Unternehmens machen kann6. § 124 Abs. 1 Nr. 8 kommt als Ausschlussgrund nur zur Anwendung bei Falsch- 167 angaben bzw. unvollständigen Angaben im laufenden Vergabeverfahren, 1 Hausmann/von Hoff in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 124 Rz. 54. 2 BT-Drucks. 18/6281, S. 107. 3 Conrad in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 124 Rz. 163. 4 Hausmann/von Hoff in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 124 Rz. 58. 5 VK Darmstadt v. 28.6.2005 – 69d VK-7/2005, juris Rz. 52; Hausmann/von Hoff in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 124 Rz. 58. 6 Hausmann/von Hoff in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 124 Rz. 56.

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§ 124 | Fakultative Ausschlussgründe nicht hingegen bei Falschangaben bzw. unvollständigen Angaben aus vorangegangenen Vergabeverfahren desselben Auftraggebers oder anderer öffentlicher Auftraggeber1. Eine schwerwiegende Täuschung des öffentlichen Auftraggebers in einem früheren Vergabeverfahren kann jedoch unter dem Gesichtspunkt der nachweislich schweren Verfehlung in späteren Vergabeverfahren Berücksichtigung finden und einen fakultativen Ausschlussgrund darstellen. Denn bei Lichte betrachtet stellt ein Unternehmen seine Eignung durch die schwerwiegende Täuschung eines öffentlichen Auftraggebers über Ausschlussgründe oder Einungskriterien nicht nur im Hinblick auf das konkrete Vergabeverfahren, sondern auch darüber hinaus infrage2. In den Fällen des Zurückhaltens von Auskünften bzw. der Nichtübermittlung von Nachweisen dürfte ein Ausschluss von späteren Vergabeverfahren aufgrund einer nachweislich schweren Verfehlung i.S.v. § 124 Abs. 1 Nr. 3 hingegen regelmäßig nicht in Betracht kommen. aa) Schwerwiegende Täuschung 168 § 124 Abs. 1 Nr. 8 Var. 1 stellt auf eine schwerwiegende Täuschung des Unter-

nehmens im Hinblick auf Ausschlussgründe oder Eignungskriterien ab.

169 Der Begriff der Täuschung ist – wie auch in § 263 StGB bzw. § 123 BGB – zu

verstehen als die Erregung oder Aufrechterhaltung eines Irrtums durch Vorspiegelung falscher oder durch Unterdrückung wahrer Tatsachen3. Erfasst sein kann somit auch der Fall, dass sich nachträglich eignungsrelevante Umstände ändern und das Unternehmen den öffentlichen Auftraggeber hierüber unter Verletzung seiner Aufklärungspflicht in Unkenntnis lässt4. In diesen Konstellationen wird regelmäßig die Tatbestandsvariante des „Zurückhaltens von Auskünften“ einschlägig sein.

170 Der Ausschluss eines Unternehmens wegen einer schwerwiegenden Täuschung

setzt voraus, dass die Täuschung schuldhaft begangen wurde, also entweder vorsätzlich oder fahrlässig5. Soweit teilweise eine vorsätzliche Tatbegehung mit dem Argument verlangt wird, die fahrlässige Übermittlung irreführender Informationen zu Eignung und Ausschlussgründen werde bereits von § 124 Abs. 1 Nr. 9 lit. c) erfasst6, überzeugt dies nicht. Denn dieser Tatbestand erfasst ausdrücklich

1 Hausmann/von Hoff in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 124 Rz. 55; a.A. Conrad in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 124 Rz. 165. 2 Conrad in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 124 Rz. 165. 3 Ellenberger in Palandt, BGB-Kommentar, § 123 Rz. 2; Hefendehl in Münchener Kommentar zum StGB, Band 5, § 263 Rz. 53. 4 VK Darmstadt v. 28.6.2005 – 69d VK-7/2005, juris Rz. 52. 5 Conrad in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 124 Rz. 166. 6 Hausmann/von Hoff in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 124 Rz. 57.

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auch die vorsätzliche Übermittlung irreführender Informationen. Abzugrenzen ist somit nach der Art der Information. Handelt es sich um Angaben zu Eignung oder Ausschlussgründen, ist § 124 Abs. 1 Nr. 8 als speziellerer Tatbestand einschlägig. In allen anderen Fällen kommt § 124 Abs. 1 Nr. 9 zum Tragen. Ob eine Täuschung als schwerwiegend anzusehen ist, bestimmt sich nach den 171 Umständen des Einzelfalls. Hierbei ist zu berücksichtigen, ob die Täuschung vorsätzlich oder fahrlässig erfolgt ist. Schwerwiegend ist eine Täuschung regelmäßig dann, wenn der öffentliche Auftraggeber das Unternehmen in Kenntnis der tatsächlichen Umstände vom Vergabeverfahren ausgeschlossen hätte1. Bei kleineren Nachlässigkeiten kommt ein Ausschluss nicht in Betracht2. bb) Zurückhalten von Auskünften Der in § 124 Abs. 1 Nr. 8 Var. 2 normierte Ausschlussgrund setzt voraus, dass 172 das Unternehmen eignungsrelevante Auskünfte gegenüber dem öffentlichen Auftraggeber zurückgehalten hat. Das gezielte Unterlassen von Erklärungen und die Nichterteilung verlangter Auskünfte wird somit vergaberechtlich sanktioniert3. Hinsichtlich schwerwiegender Täuschungen des öffentlichen Auftraggebers 173 durch unterlassene Aufklärung4 besteht inhaltlich eine teilweise Überschneidung mit der ersten Variante von § 124 Abs. 1 Nr. 8. Die zweite Variante des § 124 Abs. 1 Nr. 8 hat allerdings einen weiteren Anwendungsbereich, da das Zurückhalten von Auskünften nicht auf einen Irrtum des öffentlichen Auftraggebers gerichtet sein muss. Der Ausschluss eines Unternehmens wegen des Zurückhaltens von Auskünften 174 setzt nach Sinn und Zweck der Regelung voraus, dass das Unternehmen schuldhaft handelt, also entweder vorsätzlich oder fahrlässig5. Denn nur wenn das Unternehmen erkannt hat oder erkennen musste, dass Auskünfte zu erbringen sind, kann von einem „Zurückhalten“ die Rede sein. Soweit § 124 Abs. 1 Nr. 8 Var. 2 – anders als § 124 Abs. 1 Nr. 8 Var. 1 – nicht 175 ausdrücklich verlangt, dass das Fehlverhalten des Unternehmens schwer wiegt, ist dies unter Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten gleichwohl auch bei dieser Variante zu verlangen6. 1 Conrad in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 124 Rz. 164. 2 Opitz in Burgi/Dreher, Beck’scher Vergaberechtskommentar, Band 1, 3. Auflage 2017, § 124 Rz. 100. 3 Hausmann/von Hoff in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 124 Rz. 56. 4 Vgl. Rz. 169. 5 a.A. Hausmann/von Hoff in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 124 Rz. 57, wonach Vorsatz erforderlich sein soll. 6 Conrad in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 124 Rz. 162.

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§ 124 | Fakultative Ausschlussgründe cc) Nichtübermittlung von Nachweisen 176 Der öffentliche Auftraggeber kann ein Unternehmen gemäß § 124 Abs. 1 Nr. 8

Var. 3 vom Vergabeverfahren auch ausschließen, wenn das Unternehmen die „erforderlichen Nachweise“ nicht übermittelt. Hiermit sind die vom öffentlichen Auftraggeber gemäß § 50 Abs. 2 VgV bzw. § 6b EU Abs. 2 Nr. 1 bis VOB/ A geforderten Nachweise gemeint1.

177 Die Ausschlussmöglichkeit besteht immer dann, wenn das Unternehmen die

Nachweise auf Verlangen des Auftraggebers nicht vorlegt. Aus welchen Gründen dies geschieht und ob das Unternehmen hierzu in der Lage ist oder nicht, muss der öffentliche Auftraggeber nicht prüfen2.

178 In den Fällen des § 124 Abs. 1 Nr. 8 Var. 3 müssen die Regelungen in § 57

Abs. 1 Nr. 2 VgV und § 16a EU VOB/A berücksichtigt werden. Diese Vorschriften sehen den zwingenden Ausschluss von Angeboten vor, die nicht die geforderten oder nachgeforderten Nachweise und Erklärungen enthalten. § 124 Abs. 1 Nr. 8 Var. 3, der den Ausschluss eines Unternehmens in das Ermessen des Auftraggebers stellt, verliert damit im Hinblick auf diese zwingenden Regelungen zum Angebotsausschluss potentiell grundsätzlich an Bedeutung. i) Unzulässige Einflussnahme oder Vorteilsbeschaffung (Nr. 9)

179 Gemäß § 124 Abs. 1 Nr. 9 können öffentliche Auftraggeber ein Unternehmen

vom Vergabeverfahren ausschließen, wenn das Unternehmen – versucht hat, die Entscheidungsfindung des öffentlichen Auftraggebers in unzulässiger Weise zu beeinflussen (lit. a), – versucht hat, vertrauliche Informationen zu erhalten, durch die es unzulässige Vorteile beim Vergabeverfahren erlangen könnte (lit. b) oder – fahrlässig oder vorsätzlich irreführende Informationen übermittelt hat, die die Vergabeentscheidung des öffentlichen Auftraggebers erheblich beeinflussen könnten, oder versucht hat, solche Informationen zu übermitteln (lit c). Die Aufzählung der Beeinflussungshandlungen in § 124 Abs. 1 Nr. 9 ist abschließend3. Der Hauptanwendungsbereich von § 124 Abs. 1 Nr. 9 liegt im Schutz des konkreten Vergabeverfahrens vor unzulässigen Beeinflussungshandlungen durch Bieter oder Bewerber4.

1 Conrad in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 124 Rz. 174. 2 Conrad in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 124 Rz. 175. 3 Opitz in Burgi/Dreher, Beck’scher Vergaberechtskommentar, Band 1, 3. Auflage 2017, § 124 Rz. 107. 4 Opitz in Burgi/Dreher, Beck’scher Vergaberechtskommentar, Band 1, 3. Auflage 2017, § 124 Rz. 108, tendiert sogar zu einer sachlichen Begrenzung des Anwendungsbereichs von § 124 Abs. 1 Nr. 9 auf das konkrete Vergabeverfahren.

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Fakultative Ausschlussgründe | § 124

§ 124 Abs. 1 Nr. 9 setzt Art. 57 Abs. 4 Unterabs. 1 lit. i) der Richtlinie 2014/24/ 180 EU um1. Bei dieser Regelung zur Sicherstellung der Integrität von Vergabeverfahren handelt es sich um einen der im nationalen Recht zuvor nicht geregelten fakultativen Ausschlussgründe2. aa) Versuch der unzulässigen Einflussnahme (lit. a) Der erste Ausschlusstatbestand in § 124 Abs. 1 Nr. 9 betrifft den Versuch der 181 unzulässigen Beeinflussung der Entscheidungsfindung des öffentlichen Auftraggebers. Ein solches Fehlverhalten ist in jeder Phase des Vergabeverfahrens möglich, solange die Entscheidungsfindung des öffentlichen Auftraggebers noch nicht abgeschlossen ist3. Aber auch vor Einleitung eines förmlichen Vergabeverfahrens kommt lit. a) in Betracht, etwa wenn ein Unternehmen versucht den, Auftraggeber zu einer Direktvergabe zu veranlassen4. Allerdings geben weder die Richtlinie 2014/24/EU noch die Gesetzesbegründung 182 zum GWB Aufschluss darüber, unter welchen Voraussetzungen ein Versuch der unzulässigen Einflussnahme anzunehmen ist. Da der Tatbestand der Vorschrift jedoch sehr weit gefasst ist, dürfte ein Beeinflussungsversuch mit jeder nach außen gerichteten Handlung eines Bieterunternehmens vorliegen, durch die der Auftraggeber oder mit ihm zusammenhängende Stellen oder Personen im Hinblick auf das Ergebnis des Vergabeverfahrens beeinflusst werden sollen5. Interne Vorbereitungshandlungen zur Beeinflussung scheiden hingegen als Anknüpfungspunkt für ein Fehlverhalten aus. Da der Ausschlusstatbestand den Versuch der Einflussnahme genügen lässt, 183 muss es nicht zu einer tatsächlichen Beeinflussung der Entscheidungsfindung des öffentlichen Auftraggebers kommen. Hierdurch werden mit dem Nachweis einer tatsächlichen Beeinflussung verbundene Schwierigkeiten vermieden und unredlichem Bieterverhalten von vornherein ein Riegel vorgeschoben. In der Praxis müssen Bieter im Hinblick auf § 124 Abs. 1 Nr. 9 insbesondere da- 184 rauf achten, die im Vergabeverfahren vorgegebenen Wege und Mittel zur Kommunikation einzuhalten6. Wird hiervon abgewichen, läuft ein Unternehmen Gefahr, wegen des Versuchs einer unzulässigen Einflussnahme vom Ver1 BT-Drucks. 18/6281, S. 107. 2 BT-Drucks. 18/6281, S. 105. 3 Hausmann/von Hoff in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 124 Rz. 62. 4 Opitz in Burgi/Dreher, Beck’scher Vergaberechtskommentar, Band 1, 3. Auflage 2017, § 124 Rz. 109. 5 Hausmann/von Hoff in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 124 Rz. 62. 6 Hausmann/von Hoff in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 124 Rz. 62.

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§ 124 | Fakultative Ausschlussgründe gabeverfahren ausgeschlossen zu werden. Zwar setzt der Ausschluss eines Unternehmens in subjektiver Hinsicht voraus, dass die Kontaktaufnahme in der Absicht der Beeinflussung der Entscheidungsfindung des öffentlichen Auftraggebers erfolgt. Da der Beweis über eine solche innere Tatsache jedoch für den Auftraggeber in Fällen der unzulässigen Kontaktaufnahme oft nicht ohne weiteres möglich ist, kann aus dem objektiven Fehlverhalten regelmäßig auf die Beeinflussungsabsicht geschlossen werden. Der Beweis des Gegenteils wird einem betroffenen Unternehmen oft nur schwer gelingen1, etwa dann, wenn sich – beispielsweise aufgrund schriftlicher Unterlagen – sicher feststellen lässt, dass trotz Missachtung der Kommunikationswege kein unzulässiger Einflussnahmeversuch vorliegt. bb) Versuch des Erhalts vertraulicher Informationen (lit. b) 185 Die zweite in § 124 Abs. 1 Nr. 9 geregelte Ausschlussmöglichkeit betrifft den

Versuch eines Unternehmens, sich vertrauliche Informationen im Zusammenhang mit einem Vergabeverfahren zu beschaffen.

186 Vertrauliche Informationen im Sinne dieser Vorschrift sind grundsätzlich alle

Informationen mit Relevanz für das konkrete Vergabeverfahren, die der Auftraggeber nicht bereits in das Vergabeverfahren eingeführt hat und die auch nicht öffentlich verfügbar sind2. Der Begriff der vertraulichen Information i.S.v. § 124 Abs. 1 Nr. 9 ist somit weiter als derjenige in § 164 Abs. 13. Nach dieser Vorschrift sind vertrauliche Informationen nur solche, die im Hinblick auf ihre Geheimhaltungsbedürftigkeit der Einstufung als Verschlusssache gleichkommen4.

187 Die Informationen müssen außerdem bei objektiver Betrachtung grundsätzlich

dazu geeignet erscheinen, dem Unternehmen unzulässige Vorteile im konkreten Vergabeverfahren zu verschaffen und hierdurch eine Wettbewerbsverzerrung zu bewirken5.

188 Vom Anwendungsbereich der Regelung erfasst sind insbesondere in Konkur-

renzangeboten enthaltene Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse, also etwa Umsätze, Ertragslagen, Geschäftsbücher, Kundenlisten, Bezugsquellen, Konditionen, Marktstrategien, Unterlagen zur Kreditwürdigkeit, Kalkulationsunterlagen, Patentanmeldungen und sonstige Entwicklungs- und Forschungsprojekte, durch die die wirtschaftlichen Verhältnisse eines Unternehmens maßgeblich bestimmt

1 Hausmann/von Hoff in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 124 Rz. 64. 2 Hausmann/von Hoff in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 124 Rz. 66. 3 Conrad in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 124 Rz. 183. 4 Hofmann in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 164 Rz. 8. 5 Conrad in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 124 Rz. 186.

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Fakultative Ausschlussgründe | § 124

werden können1. Auch die Erlangung kalkulationserheblichen Sonderwissens, das der Auftraggeber nicht allen Unternehmen zugänglich gemacht hat, fällt in den Anwendungsbereich der Bestimmung2. Dabei ist unerheblich, von wem das Unternehmen versucht hat, die Informationen zu beziehen. Neben dem Auftraggeber kommen politische Entscheidungsträger, involvierte Berater oder Planungsbüros sowie Mitbewerber in Betracht3. § 124 Abs. 1 Nr. 9 lit. b) lässt den Versuch der Informationserlangung ausrei- 189 chen4. Es ist somit nicht notwendig, dass das Unternehmen die vertraulichen Informationen tatsächlich erlangt hat5. Nicht ausreichend ist jedoch die schlichte Behauptung des Auftraggebers, ein Unternehmen habe versucht, sich vertrauliche Informationen zu beschaffen. Vielmehr muss dieses Fehlverhalten objektiv nachgewiesen werden6. Eine unzulässige Informationserlangung liegt ebenfalls nicht vor, wenn ein Unternehmen Kenntnisse – etwa vom Angebot eines anderen Unternehmens – ohne eigene Mitwirkung erlangt und das hieraus gezogene Wissen für die Angebotserstellung nutzt7. In diesen Fällen dürfte allerdings ein Verstoß gegen den Geheimwettbewerb vorliegen und das Unternehmen aus diesem Grund vom Vergabeverfahren auszuschließen sein. cc) Übermittlung irreführender Informationen (lit. c) Ein Unternehmen kann auch dann vom Vergabeverfahren ausgeschlossen wer- 190 den, wenn es fahrlässig oder vorsätzlich irreführende Informationen übermittelt hat, die die Vergabeentscheidung des öffentlichen Auftraggebers erheblich beeinflussen könnten. Gleiches gilt für den Versuch, solche Informationen zu übermitteln. Dieser Ausschlussgrund ist seinem Wortlaut nach sehr weit gefasst8. Art. 57 Abs. 4 Unterabs. 1 lit i) der Richtlinie sieht einen fakultativen Ausschluss 191 zwar ausdrücklich nur für die fahrlässige Informationsübermittlung vor. Die Einbeziehung der vorsätzlichen Übermittlung irreführender Informationen in den nationalen Ausschlusstatbestand begegnet unter europarechtlichen Ge1 Conrad in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 124 Rz. 184. 2 Opitz in Burgi/Dreher, Beck’scher Vergaberechtskommentar, Band 1, 3. Auflage 2017, § 124 Rz. 111. 3 Opitz in Burgi/Dreher, Beck’scher Vergaberechtskommentar, Band 1, 3. Auflage 2017, § 124 Rz. 111. 4 Hausmann/von Hoff in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 124 Rz. 66. 5 Conrad in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 124 Rz. 185. 6 Hausmann/von Hoff in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 124 Rz. 66. 7 Opitz in Burgi/Dreher, Beck’scher Vergaberechtskommentar, Band 1, 3. Auflage 2017, § 124 Rz. 113. 8 VK Bund v. 3.5.2017 – VK 2 - 38/17, juris Rz. 102.

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§ 124 | Fakultative Ausschlussgründe sichtspunkten allerdings keinen Bedenken. Vielmehr muss in diesem Fall ein Ausschluss des betreffenden Unternehmens erst recht möglich sein1. 192 Eine Information ist irreführend i.S.v. § 124 Abs. 1 Nr. 9, wenn sie aus objektiver

Sicht dazu geeignet ist, beim öffentlichen Auftraggeber als Adressaten der Erklärung einen Irrtum über den Inhalt oder die Richtigkeit der mit ihr erklärten tatsächlichen Umstände hervorzurufen. Allerdings führen nicht sämtliche irreführenden Informationen eines Unternehmens zu einer Ausschlussmöglichkeit gemäß § 124 Abs. 1 Nr. 9 lit. c). Vielmehr müssen die übermittelten irreführenden Informationen dazu geeignet sein, die Vergabeentscheidung des öffentlichen Auftraggebers erheblich zu beeinflussen. Mit der Vergabeentscheidung ist hier nicht allein die Entscheidung des öffentlichen Auftraggebers über den Zuschlag gemeint, sondern auch alle vorgelagerten Entscheidungen des Auftraggebers, die die Zuschlagsentscheidung beeinflussen können2. Die geforderte Möglichkeit der erheblichen Beeinflussung der Vergabeentscheidung durch die übermittelten irreführenden Informationen ist in diesen Fällen gegeben, wenn die Informationen dazu geeignet erscheinen, dass ein anderes Angebot den Zuschlag erhält oder das Vergabeverfahren aufgehoben wird3. Allerdings kann nicht jede Widersprüchlichkeit des Angebots, welche nach der obergerichtlichen Rechtsprechung auch grundsätzlich einer Aufklärung zugeführt werden soll, per se als (versuchte) Irreführung des Auftraggebers angesehen werden4.

193 Übermittelt ein Unternehmen dem öffentlichen Auftraggeber irreführende In-

formationen, muss dies schuldhaft, also vorsätzlich oder fahrlässig geschehen. Fahrlässig handelt ein Unternehmen, wenn es bei der Übermittlung der Informationen unter Anwendung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt hätte erkennen können, dass diese beim öffentlichen Auftraggeber einen Irrtum über ihren Erklärungsgehalt hervorrufen können. Demgegenüber setzt vorsätzliches Handeln voraus, dass das Unternehmen zumindest billigend in Kauf genommen hat, dass die Informationen beim Auftraggeber einen Irrtum über ihren Erklärungsinhalt begründen können5.

194 Der Ausschluss eines Unternehmens wegen des bloßen Versuchs einer irrefüh-

renden Informationsübermittlung setzt einen auf die Übermittlung und die Irreführung des öffentlichen Auftraggebers gerichteten Vorsatz des Unternehmens voraus. Der Versuch einer fahrlässigen Informationsübermittlung – sofern ein solcher überhaupt rechtlich konstruierbar ist6 – rechtfertigt einen Ausschluss demgegenüber nicht.

1 2 3 4 5 6

Conrad in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 124 Rz. 189. Conrad in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 124 Rz. 193 f. Conrad in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 124 Rz. 196. VK Bund v. 3.5.2017 – VK 2 - 38/17, juris Rz. 102. Conrad in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 124 Rz. 188. Vgl. Duttge in Münchener Kommentar zum StGB, Band 1, § 15 Rz. 215.

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3. Rechtsfolge Bei Vorliegen eines Ausschlussgrunds gemäß § 124 Abs. 1 kann der öffentliche 195 Auftraggeber ein Unternehmen unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu jedem Zeitpunkt des Vergabeverfahrens ausschließen. a) Ermessen Auf Rechtsfolgenseite besteht nach § 124 Abs. 1 ein Ermessen des öffentlichen 196 Auftraggebers. Dieser muss entscheiden, ob er von der Möglichkeit eines Ausschlusses des Unternehmens Gebrauch machen will. Maßgeblich für die Entscheidung des öffentlichen Auftraggebers ist, ob trotz Vorliegens des Ausschlusstatbestandes die Eignung des Unternehmens angenommen werden kann1. Insoweit hat der öffentliche Auftraggeber eine Prognoseentscheidung darüber zu treffen, ob von dem Unternehmen trotz des Vorliegens eines fakultativen Ausschlussgrundes für die Zukunft zu erwarten ist, dass es den öffentlichen Auftrag ordnungsgemäß ausführt2. Bei der Ermessensentscheidung ist insbesondere der Grundsatz der Verhältnis- 197 mäßigkeit zu beachten, was § 124 Abs. 1 ausdrücklich klarstellt3. In Einklang zu bringen sind primär das Interesse an der ordnungsgemäßen Durchführung des zu vergebenden Auftrags und das Interesse an einem möglichst großen Wettbewerb4. Zu berücksichtigen sind außerdem die Intensität der Pflichtverletzung sowie ihre Folgewirkungen5. Liegen die tatbestandlichen Voraussetzungen eines Ausschlussgrundes gemäß § 124 Abs. 1 vor, wird ein Bieterausschluss allerdings in aller Regel auch verhältnismäßig sein6 und zumeist auch eine negative Prognoseentscheidung rechtfertigen. Die Ermessensausübung dürfte daher regelmäßig in Richtung des Ausschlusses gelenkt sein. Lediglich kleinere Unregelmäßigkeiten sollen nach Erwägungsgrund 101 der Richtlinie 2014/24/EU nur in Ausnahmefällen zum Ausschluss eines Unternehmens führen. Wiederholte Fälle 1 OLG Celle v. 9.1.2017 – 13 Verg 9/16, ZfBR 2017, 407 (411 f.); Hausmann/von Hoff in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 124 Rz. 70. 2 BT-Drucks. 18/6281, S. 104; OLG Celle v. 9.1.2017 – 13 Verg 9/16, ZfBR 2017, 407 (412); Niebuhr, VergabeR 2017, 335 (346 f.); a.A. Opitz in Burgi/Dreher, Beck’scher Vergaberechtskommentar, Band 1, 3. Auflage 2017, § 124 Rz. 17, der die Prognoseentscheidung für entbehrlich hält; einschränkend Friton/Meister, jurisPR-VergR 4/2017 Anm. 3, die auftragsbezogene Erwägungen beim Ausschließungsermessen für zulässig, jedoch nicht verpflichtend halten. 3 Vgl. auch OLG München v. 21.4.2017 – Verg 2/17, zitiert nach juris. 4 OLG München v. 21.4.2017 – Verg 2/17, zitiert nach juris; Conrad in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 124 Rz. 12. 5 Opitz in Burgi/Dreher, Beck’scher Vergaberechtskommentar, Band 1, 3. Auflage 2017, § 124 Rz. 16. 6 Ähnlich Opitz in Burgi/Dreher, Beck’scher Vergaberechtskommentar, Band 1, 3. Auflage 2017, § 124 Rz. 17, der insoweit von einem intendierten Ermessen spricht.

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§ 124 | Fakultative Ausschlussgründe kleinerer Unregelmäßigkeiten können hingegen einen Ausschluss rechtfertigen1. Bei der Ermessensentscheidung kann auch die in § 123 Abs. 5 Satz 1 enthaltene Wertung berücksichtigt werden, wonach zwingende Gründe des öffentlichen Interesses einem Ausschluss entgegenstehen können. Als Beispielsfall für ein zwingendes öffentliches Interesse nennt Erwägungsgrund 100 der Richtlinie 2014/24/ EU die Beschaffung dringend benötigter Impfstoffe oder Notfallausrüstungen. Die Vorschrift zielt also darauf ab, dass eine angemessene Versorgung der Allgemeinheit mit wichtigen Versorgungsgütern ohne eine Beauftragung des Unternehmens gefährdet wäre, weil beim Ausschluss des Unternehmens der konkrete, nicht aufschiebbare Beschaffungsbedarf nicht durch andere Unternehmen gedeckt werden können2. Wenn in einem solchen Fall von einem zwingenden Ausschluss abgesehen werden kann, muss dies bei einem fakultativen Ausschlussgrund erst recht möglich sein. 198 Das dem öffentlichen Auftraggeber zustehende, durch den Grundsatz der Ver-

hältnismäßigkeit begrenzte Ermessen bei der Ausschlussentscheidung können die Nachprüfungsinstanzen grundsätzlich nur auf Ermessensfehler überprüfen. Derartige Fehler sind nur dann anzunehmen, wenn die vom Auftraggeber getroffene Entscheidung auf willkürlichen, sachwidrigen Erwägungen beruht oder das Ermessen auf Null reduziert war und der Auftraggeber dies verkannt hat3.

b) Zeitpunkt und Dauer des Ausschlusses 199 Durch die Formulierung „zu jedem Zeitpunkt“ wird klargestellt, dass Aus-

schlussgründe in jedem Stadium des Vergabeverfahrens erkannt werden können und mit Kenntniserlangung grundsätzlich ein Ausschluss erfolgen kann. Dies gilt auch, wenn die Prüfung der Angebote an sich bereits abgeschlossen war, der Zuschlag aber noch nicht erteilt wurde4. Im Einzelnen ist jedoch zwischen dem offenen Verfahren und den zweistufigen Verfahren zu unterscheiden: Im offenen Verfahren ist der Auftraggeber nicht an seine erste Beurteilung der Eignung eines Bieters – und somit auch nicht an die Beurteilung über das Vorliegen eines Ausschlussgrundes – gebunden5. Etwas anderes gilt jedoch, wenn der öffentliche Auftraggeber im Rahmen des Teilnahmewettbewerbs eines nicht offenen Verfahrens oder Verhandlungsverfahren bzw. in der Teilnahmephase 1 Vgl. Erwägungsgrund 101 der Richtlinie 2014/24/EU. 2 Opitz in Burgi/Dreher, Beck’scher Vergaberechtskommentar, Band 1, 3. Auflage 2017, § 123 Rz. 56. 3 OLG Celle v. 9.1.2017 – 13 Verg 9/16, ZfBR 2017, 407 (412). 4 Vgl. § 123 Rz. 71. 5 A.A. wohl OLG München v. 21.4.2017 – Verg 2/17, zitiert nach juris, wonach ein erst im Lauf des Nachprüfungsverfahrens ausgesprochener Ausschluss gemäß § 124 Abs. 1 Nr. 3 bzw. Nr. 7 als unzulässiger Wiedereinstieg in die Eignungsprüfung anzusehen sein soll, wenn die vorgetragenen Gründe für den Ausschluss dem Auftraggeber bereits zum Zeitpunkt der Eignungsprüfung bekannt gewesen sein müssen.

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Fakultative Ausschlussgründe | § 124

beim wettbewerblichen Dialog vom Ausschluss eines Unternehmens gemäß § 124 abgesehen hat1. Hierdurch wird für die Bieter ein Vertrauenstatbestand geschaffen und der Auftraggeber daran gehindert, bei unveränderter Sachlage das Unternehmen auf der zweiten Stufe dieser Verfahrensarten vom Verfahren auszuschließen2. Erfährt der Auftraggeber allerdings zu einem späteren Zeitpunkt von Umständen, die einen Ausschluss gemäß § 124 zur Folge haben können, so ist er berechtigt bzw. unter Umständen sogar verpflichtet, erneut über den Ausschluss des Unternehmens zu befinden. Dies ist bei neuer Tatsachengrundlage sogar noch im laufenden Vergabenachprüfungsverfahren möglich3. Bei der Ausschlussentscheidung sind zudem die in § 126 vorgesehenen zeitlichen 200 Obergrenzen für den Ausschluss von Unternehmen von Vergabeverfahren zu berücksichtigen. § 126 Nr. 2 bestimmt, dass Unternehmen, die keine oder keine ausreichenden Selbstreinigungsmaßnahmen nach § 125 ergriffen haben, bei Vorliegen eines Ausschlussgrundes nach § 124 höchstens drei Jahre ab dem betreffenden Ereignis von der Teilnahme an Vergabeverfahren ausgeschlossen werden dürfen. Zu beachten ist insoweit, dass der öffentliche Auftraggeber bei Vorliegen eines Ausschlussgrundes stets prüfen muss, ob auch vor Ablauf der Höchstfristen gemäß § 126 bei nicht oder nicht in zureichendem Umfang ergriffenen Selbstreinigungsmaßnahmen die vergaberechtliche Eignung des Unternehmens vorliegt4. Wird dies bejaht, darf das Unternehmen nicht ausgeschlossen werden. Die Bestimmung des genauen Zeitraums liegt im Ermessen des Auftraggebers und hängt maßgeblich von den Umständen des Einzelfalls ab, wobei die Schwere und die besonderen Umstände der Straftat oder des Fehlverhaltens berücksichtigt werden müssen5. Der Ausschluss eines Unternehmens erfolgt allerdings nur für das konkrete Ver- 201 gabeverfahren. Eine „Auftragssperre“, die automatisch für weitere Vergabeverfahren anderer öffentlicher Auftraggeber wirkt, ist hingegen mit der Ausschlussentscheidung nicht verbunden6. c) Ausnahmen von der Ausschlussmöglichkeit Eine erfolgreiche Selbstreinigung nach § 125 GWB kann einem Ausschluss 202 nach § 124 Abs. 1 GWB entgegenstehen7. Bei der nach § 125 Abs. 2 Satz 1 vor1 Gnittke/Hattig in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 124 Rz. 211. 2 Gnittke/Hattig in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 124 Rz. 211; Opitz in Burgi/Dreher, Beck’scher Vergaberechtskommentar, Band 1, 3. Auflage 2017, § 124 Rz. 18. 3 Opitz in Burgi/Dreher, Beck’scher Vergaberechtskommentar, Band 1, 3. Auflage 2017, § 124 Rz. 19. 4 Vgl. § 126 Rz. 36. 5 BT-Drucks. 18/6281, S. 111; vgl. § 126 Rz. 37 ff. 6 Hausmann/von Hoff in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 124 Rz. 72. 7 Conrad in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 124 Rz. 207; Niebuhr, VergabeR 2017, 335 (347).

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§ 124 | Fakultative Ausschlussgründe zunehmenden Bewertung einer Selbstreinigungsmaßnahme durch den öffentlichen Auftraggeber sind alle während des laufenden Vergabeverfahrens und auch des Vergabenachprüfungsverfahrens durchgeführten Selbstreinigungsmaßnahmen zu berücksichtigen1. Vor einem Ausschluss muss der öffentliche Auftraggeber ein vom Ausschluss bedrohtes Unternehmen grundsätzlich anhören, damit es die aus Sicht des Auftraggebers für einen Ausschluss sprechenden Umstände widerlegen kann2. Im Rahmen dieser Anhörung besteht aus Sicht des Unternehmens die Möglichkeit darzulegen, dass ausreichende Maßnahmen zu einer Selbstreinigung i.S.v. § 125 GWB getroffen wurden und die vergaberechtliche Zuverlässigkeit wiederhergestellt ist3.

III. Spezialgesetzliche Ausschlussgründe gemäß § 124 Abs. 2 203 Nach § 124 Abs. 2 bleiben die spezialgesetzlichen Ausschlussgründe gemäß § 21

des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes (AEntG), § 98c des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG), § 19 des Mindestlohngesetzes (MiLoG) und § 21 des Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetzes (SchwarzArbG) unberührt. § 124 Abs. 2 hat deklaratorischen Charakter und stellt klar, dass die spezialgesetzlichen Ausschlussgründe unabhängig von den in § 124 normierten Ausschlussgründen Anwendung finden4.

204 Die spezialgesetzlichen Ausschlussgründe enthalten Bestimmungen zum Höchst-

zeitraum für Ausschlüsse. § 21 Abs. 1 Satz 1 AEntG und § 19 Abs. 1 MiLoG sehen einen Ausschluss für eine angemessene Zeit vor, während § 98c Abs. 1 Satz 2 AufenthG einen Ausschlusszeitraum von bis zu fünf Jahren und § 21 Abs. 1 SchwarzArbG einen Ausschlusszeitraum von bis zu drei Jahren vorsehen.

205 Seit Inkrafttreten des Vergaberechtsmodernisierungsgesetzes gelten die in § 126

normierten zeitlichen Grenzen für Ausschlüsse auch für die in § 124 Abs. 2 genannten besonderen Ausschlussgründe. Soweit § 124 Abs. 2 vorsieht, dass diese Vorschriften unberührt bleiben, meint dies nur, dass die besonderen Ausschlussgründe neben den allgemeinen Ausschlussgründen der §§ 123, 124 Abs. 1 Anwendung finden. Hieraus folgt jedoch nicht, dass die besonderen Ausschlussgründe dem Anwendungsbereich der kartellvergaberechtlichen Vorschriften der §§ 122 ff. über die vergaberechtliche Eignung entzogen wären. Dies wäre mit europarechtlichen Vorgaben auch nicht vereinbar5. Im Ergebnis muss daher der im Einzelfall zulässige Höchstzeitraum für Ausschlüsse gemäß § 21 AEntG,

1 Vgl. § 123 Rz. 74 und § 125 Rz. 95. 2 Conrad in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 124 Rz. 13. 3 Hausmann/von Hoff in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 124 Rz. 73. 4 BT-Drucks. 18/6281, S. 107. 5 Radu in Müller/Wrede, GWB-Vergaberecht, § 126 Rz. 7.

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Fakultative Ausschlussgründe | § 124

§ 98c AufenthG, § 19 MiLoG und § 21 SchwarzArbG nach den Vorgaben des § 126 ermittelt werden. Soweit die spezialgesetzlich normierten Ausschlusstatbestände als Grundlage für 206 die Anordnung von Vergabesperren herangezogen werden1, ist dies nach Inkrafttreten des Vergaberechtsmodernisierungsgesetzes im Bereich des Kartellvergaberechts ausgeschlossen2. Denn ein vom Ausschluss bedrohtes Unternehmen hat einen Anspruch darauf, dass in jedem Einzelfall geprüft wird, ob ein Ausschluss mit Blick auf die zeitlichen Grenzen nach § 126 zulässig ist. Der öffentliche Auftraggeber muss die Vorgaben des § 126 von Amts wegen beachten3. Besondere landesrechtliche Ausschlussgründe und dort geregelte Höchstfristen für Ausschlüsse sind für Vergabeverfahren im Anwendungsbereich der §§ 97 ff. ohnehin nicht mehr anzuwenden, da der Ausschluss eines Unternehmens nur noch aufgrund der in §§ 123 und 124 normierten Ausschlussgründe sowie der in § 124 Abs. 2 genannten Sondertatbeständen zulässig ist4. 1. § 21 AEntG Das AEntG regelt in Umsetzung der Richtlinie 96/71/EG für bestimmte Bran- 207 chen die Schaffung und Durchsetzung angemessener Mindestarbeitsbedingungen für grenzüberschreitend entsandte sowie für regelmäßig im Inland beschäftigte Arbeitnehmer und bezweckt die Gewährleistung fairer und funktionierender Wettbewerbsbedingungen durch die Erstreckung der Rechtsnormen von Branchentarifverträgen5. § 21 Abs. 1 Satz 1 AEntG sieht vor, dass öffentliche Auftraggeber nach §§ 99 208 und 100 ein Unternehmen für eine angemessene Zeit von der Vergabe öffentlicher Liefer-, Bau- oder Dienstleistungsaufträge ausschließen sollen, wenn das Unternehmen wegen einer Ordnungswidrigkeit gemäß § 23 AEntG mit einer Geldbuße von wenigstens zweitausendfünfhundert Euro belegt worden ist. Auch wenn der Ausschluss nicht zwingend ist, stellt er den Regelfall dar6. Will der Auftraggeber trotz Vorliegens der in § 21 Abs. 1 Satz 1 normierten Voraussetzungen vom Ausschluss eines Unternehmens absehen, muss er hierfür besondere Gründe anführen können7. Nach § 21 Abs. 1 Satz 2 AEntG soll ein Unternehmen auch schon vor der Durch- 209 führung eines Bußgeldverfahrens ausgeschlossen werden, wenn im Einzelfall 1 2 3 4 5

Burgi, NZBau 2014, 595 (599). Radu in Müller/Wrede, GWB-Vergaberecht, § 126 Rz. 17. Vgl. § 126 Rz. 12. Radu in Müller/Wrede, GWB-Vergaberecht, § 126 Rz. 8. Röller in Küttner, Personalbuch, Arbeitnehmerentsendung, Rz. 3 ff.; Vogelsang in Schaub, Arbeitsrechts-Handbuch, § 162 Rz. 6. 6 Schlachter in Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, § 21 AEntG Rz. 1. 7 Conrad in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 124 Rz. 217.

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§ 124 | Fakultative Ausschlussgründe angesichts der Beweislage kein vernünftiger Zweifel an einer schwerwiegenden Verfehlung im Sinne von § 21 Abs. 1 Satz 1 besteht1. Auch wenn das Unternehmen gemäß § 21 Abs. 5 AEntG vor der Entscheidung über den Ausschluss anzuhören ist, erscheint zweifelhaft, ob die in § 21 Abs. 1 Satz 2 AEntG liegende Durchbrechung der auch im Ordnungswidrigkeiten- bzw. Verwaltungsrecht geltenden Unschuldsvermutung – selbst unter Zugrundelegung einer engen Auslegung – durch den Normzweck gerechtfertigt und daher verhältnismäßig ist2. 210 Der Ausschluss von Unternehmen nach § 21 Abs. 1 AEntG soll für eine „an-

gemessene Zeit“ bis zur „nachgewiesenen Wiederherstellung ihrer Zuverlässigkeit“ erfolgen. Eine konkrete zeitliche Höchstgrenze wird nicht geregelt. Im Anwendungsbereich des Kartellvergaberechts richtet sich die zeitliche Höchstdauer für einen auf § 21 AEntG gestützten Ausschluss eines Unternehmens ohnehin nach § 126 Nr. 23.

2. § 98c AufenthG 211 Das AufenthG regelt gemäß § 1 Abs. 1 Satz 4 AufenthG die Einreise, den Auf-

enthalt, die Erwerbstätigkeit und die Integration von Ausländern.

212 Gemäß § 98c Abs. 1 Satz 1 AufenthG können öffentliche Auftraggeber nach § 99

ein Unternehmen vom Wettbewerb um einen Liefer-, Bau- oder Dienstleistungsauftrag von der Vergabe öffentlicher Aufträge ausschließen, wenn das Unternehmen oder ein nach der Unternehmenssatzung oder nach Gesetz Vertretungsberechtigter gemäß § 404 Abs. 2 Nr. 3 SGB III mit einer Geldbuße von wenigstens 2.500 Euro rechtskräftig belegt worden ist oder nach den §§ 10, 10a oder 11 des SchwarzArbG zu einer Freiheitsstrafe von mehr als drei Monaten oder einer Geldstrafe von mehr als 90 Tagessätzen rechtskräftig verurteilt worden ist.

213 Bei § 98c Abs. 1 Satz 1 AufenthG handelt es sich um eine Ermessensvorschrift

(„kann“). Der öffentliche Auftraggeber entscheidet über den Ausschluss innerhalb des Vergabeverfahrens und nach den dafür geltenden vergaberechtlichen Bestimmungen der §§ 97 ff.4.

214 Aufgrund der Verweisung in § 98c Abs. 3 AufenthG auf die Bestimmung des

§ 21 Abs. 5 AEntG muss das vom Ausschluss bedrohte Unternehmen vor der Entscheidung über den Ausschluss angehört werden5.

1 Zu den näheren Anforderungen vgl. Kühn in Boecken/Düwell/Diller/Hanau, Gesamtes Arbeitsrecht, § 21 AEntG Rz. 5. 2 Für die Verhältnismäßigkeit der Vorschrift Kühn in Boecken/Düwell/Diller/Hanau, Gesamtes Arbeitsrecht, § 21 AEntG Rz. 5; ablehnend Schlachter in Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, § 21 AEntG Rz. 1. 3 Vgl. § 126 Rz. 12. 4 Wunderle in Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, § 98c AufenthG Rz. 6. 5 Wunderle in Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, § 98c AufenthG Rz. 6.

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Fakultative Ausschlussgründe | § 124

Nach § 98c Abs. 1 Satz 2 AufenthG kann der Ausschluss bis zur nachgewiesenen 215 Wiederherstellung der Zuverlässigkeit, je nach Schwere des der Geldbuße, der Freiheits- oder der Geldstrafe zugrunde liegenden Verstoßes in einem Zeitraum von bis zu fünf Jahren ab Rechtskraft der Geldbuße bzw. der Freiheits- oder der Geldstrafe erfolgen. Auch hier gilt jedoch, dass sich die zeitliche Höchstdauer für einen auf § 98c Abs. 1 AufenthG gestützten Ausschluss eines Unternehmens im Anwendungsbereich des Kartellvergaberechts nach § 126 Nr. 2 richtet1. 3. § 19 MiLoG Mit dem MiLoG wurde erstmals in Deutschland ein flächendeckender und 216 branchenübergreifender gesetzlicher Mindestlohn eingeführt. Das MiLoG ist auf Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer anwendbar, nicht hingegen auf arbeitnehmerähnliche Personen, Beamte, ehrenamtlich Tätige und Selbstständige2. Öffentliche Auftraggeber gemäß §§ 99 und 100 sollen nach § 19 Abs. 1 MiLoG 217 Unternehmen von der Teilnahme an einem Wettbewerb um einen Liefer-, Bau- oder Dienstleistungsauftrag ausschließen, die wegen eines Verstoßes nach § 21 MiLoG mit einer Geldbuße von wenigstens 2.500 Euro belegt worden sind. Wie bei § 21 Abs. 1 AEntG und § 21 Abs. 1 SchwarzArbG ist der Ausschluss zwar nicht zwingend, stellt jedoch den Regelfall dar. Nur bei Vorliegen besonderer Gründe kann der Auftraggeber trotz Vorliegens der in § 19 Abs. 1 MiLoG normierten Voraussetzungen vom Ausschluss eines Unternehmens absehen. Vor der Entscheidung über den Ausschluss ist das Unternehmen gemäß § 19 Abs. 5 MiLoG anzuhören. Der Ausschluss vom Wettbewerb soll für eine angemessene Zeit erfolgen. Hin- 218 sichtlich der maximalen Länge trifft das Gesetz – wie auch § 21 AEntG – keine Regelung3. Im Einzelfall sind die im Rahmen der Verhängung der Geldbuße zu behandelnden Umstände wie die Anzahl der Fälle, der Tatzeitraum, die Höhe des Schadens, die Wiederholungsgefahr, die Anzahl und Stellung der beteiligten Personen, aber auch die existentiellen Folgen für das ausgeschlossene Unternehmen und die sozialen Folgen für die betroffenen Arbeitnehmer zu berücksichtigen4. Im Anwendungsbereich des Kartellvergaberechts richtet sich allerdings die zeit- 219 liche Höchstdauer für einen auf § 19 Abs. 1 MiLoG gestützten Ausschluss ausschließlich nach § 126 Nr. 25.

1 2 3 4 5

Vgl. § 126 Rz. 12. Schubert in Düwell/Schubert, Mindestlohngesetz, Einleitung Rz. 1. Dobmann in Düwell/Schubert, Mindestlohngesetz, § 19 Rz. 36. Dobmann in Düwell/Schubert, Mindestlohngesetz, § 19 Rz. 36. Vgl. § 126 Rz. 12.

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§ 124 | Fakultative Ausschlussgründe 4. § 21 SchwarzArbG 220 Ziel des SchwarzArbG ist gemäß § 1 Abs. 1 SchwarzArbG die Intensivierung

der Bekämpfung der Schwarzarbeit. Das SchwarzArbG ist ein öffentlich-rechtliches Eingriffsgesetz, das Eingriffsbefugnisse zur Gefahrenabwehr und Strafverfolgung mit Vorschriften zum Verwaltungsverfahren und Datenschutz sowie Bußgeld- und Straftatbestände enthält. Durch das Gesetz wird der Begriff der Schwarzarbeit definiert. Zugleich werden Bußgeld- und Strafvorschriften, Verfahrensregelungen und Zuständigkeiten gebündelt1.

221 Nach § 21 Abs. 1 Satz 1 sollen öffentliche Auftraggeber nach § 99 Unternehmen

von der Teilnahme an einem Wettbewerb um einen Liefer-, Bau- oder Dienstleistungsauftrag ausschließen, wenn das Unternehmen oder eine nach dessen Satzung oder nach Gesetz vertretungsberechtigte Person nach – § 8 Abs. 1 Nr. 2 SchwarzArbG, §§ 10 bis 11 SchwarzArbG, – § 404 Abs. 1 oder 2 Nr. 3 SGB III (Nr. 2), – §§ 15, 15a, 16 Abs. 1 Nr. 1, 1c, 1d, 1f oder 2 AÜG oder – § 266a Abs. 1 bis 4 StGB zu einer Freiheitsstrafe von mehr als drei Monaten oder einer Geldstrafe von mehr als neunzig Tagessätzen verurteilt oder mit einer Geldbuße von wenigstens 2.500 Euro belegt worden ist. Die Einbeziehung von Liefer- und Dienstleistungsaufträgen in den Anwendungsbereich der Vorschrift ist erst mit der Fassung vom 06.03.2017 erfolgt.

222 Nach § 21 Abs. 1 Satz 2 SchwarzArbG soll ein Unternehmen auch schon vor der

Durchführung eines Bußgeldverfahrens ausgeschlossen werden, wenn im Einzelfall angesichts der Beweislage kein vernünftiger Zweifel an einer schwerwiegenden Verfehlung im Sinne von § 21 Abs. 1 Satz 1 besteht2. Insoweit kann auf die Ausführungen zu § 21 AEntG verwiesen werden, die hier entsprechend gelten3. Wie bei § 21 Abs. 1 AEntG und § 19 Abs. 1 MiLoG stellt der Ausschluss bei § 21 Abs. 1 SchwarzArbG den Regelfall dar. Nur bei Vorliegen besonderer Gründe kann der Auftraggeber trotz Vorliegens der in § 21 Abs. 1 SchwarzArbG normierten Voraussetzungen vom Ausschluss eines Unternehmens absehen.

223 Der Ausschluss von Unternehmen nach § 21 Abs. 1 SchwarzArbG soll für eine

Dauer von bis zu drei Jahren erfolgen. Im Anwendungsbereich des Kartellvergaberechts richtet sich die zeitliche Höchstdauer für einen auf § 21 SchwarzArbG gestützten Ausschluss eines Unternehmens allerdings nach § 126 Nr. 24, der jedoch ebenfalls einen Höchstzeitraum von drei Jahren ab dem betreffenden Ereignis vorsieht.

1 Herrmann in Däubler/Hjort/Schubert/Wolmerath, Arbeitsrecht, § 1 SchwarzArbG Rz. 1. 2 Zu den näheren Anforderungen vgl. Kühn in Boecken/Düwell/Diller/Hanau, Gesamtes Arbeitsrecht, § 21 AEntG Rz. 5. 3 Vgl. Rz. 209. 4 Vgl. § 126 Rz. 12.

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Fakultative Ausschlussgründe | § 124

IV. Rechtsschutz § 124 Abs. 1 ist als Ausprägung des vergaberechtlichen Gleichbehandlungs- und 224 Wettbewerbsprinzips bieterschützend1. Unternehmen, die vom Auftraggeber unter Berufung auf § 124 Abs. 1 vom Vergabeverfahren ausgeschlossen werden, könnten sich hiergegen mit Rüge und Nachprüfungsverfahren zur Wehr setzen. § 124 ist außerdem eine drittschützende Bestimmung über das Vergabeverfah- 225 ren i.S.v. § 97 Abs. 6. Konkurrierende Bieter können somit einen unterbliebenen Ausschluss eines Unternehmens mittels Rüge und Nachprüfungsverfahrens angreifen2. Zu beachten ist jedoch, dass dem öffentlichen Auftraggeber zum einen auf Tat- 226 bestandsebene ein Beurteilungsspielraum zukommt bei der Entscheidung, ob einer der in § 124 Abs. 1 normierten Ausschlussgründe vorliegt3. Dies gilt jedenfalls soweit die einzelnen Ausschlusstatbestände unbestimmte Rechtsbegriffe enthalten („schwere Verfehlung“, „wesentliche Anforderung“, „schwerwiegende Täuschung“)4. Zum anderen sieht § 124 Abs. 1 auf Rechtsfolgenseite ein Ermessen des Auftraggebers vor, wonach dieser insbesondere eine Prognoseentscheidung darüber zu treffen hat, ob von dem Unternehmen trotz des Vorliegens eines fakultativen Ausschlussgrundes für die Zukunft zu erwarten ist, dass es den öffentlichen Auftrag ordnungsgemäß ausführt5. Die Entscheidung des öffentlichen Auftraggebers über den Ausschluss eines Unternehmens ist daher von den Nachprüfungsinstanzen nur eingeschränkt daraufhin überprüfbar, ob sie ermessensfehlerhaft ist6. Derartige Fehler liegen vor, wenn die vom Auftraggeber getroffene Entscheidung auf willkürlichen, sachwidrigen Erwägungen beruht oder das Ermessen auf Null reduziert war und der Auftraggeber dies verkannt hat7. Maßgeblich ist insbesondere, ob das vorgeschriebene Verfahren eingehalten, der Sachverhalt vollständig und zutreffend ermittelt, die selbst aufgestellten Vorgaben beachtet und keine sachwidrigen oder gegen allgemeine Bewertungs1 Müller-Wrede in Müller-Wrede, Verdingungsordnung für Leistungen VOL/A Kommentar, § 6 EG Rz. 116. 2 Opitz in Burgi/Dreher, Beck’scher Vergaberechtskommentar, Band 1, 3. Auflage 2017, § 124 Rz. 11. 3 BT-Drucks. 18/6281, S. 104; Hausmann/von Hoff in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 124 Rz. 26; Opitz in Burgi/Dreher, Beck’scher Vergaberechtskommentar, Band 1, 3. Auflage 2017, § 124 Rz. 14; a.A. mit Blick auf § 124 Abs. 1 Nr. 3 hingegen OLG München v. 21.4.2017 – Verg 2/17, zitiert nach juris; vgl. auch Rz. 13. 4 Opitz in Burgi/Dreher, Beck’scher Vergaberechtskommentar, Band 1, 3. Auflage 2017, § 124 Rz. 14; a.A. mit Blick auf § 124 Abs. 1 Nr. 3 hingegen OLG München v. 21.4. 2017 – Verg 2/17, zitiert nach juris. 5 Vgl. Rz. 196. 6 OLG München v. 21.4.2017 – Verg 2/17, zitiert nach juris. 7 OLG Celle v. 9.1.2017 – 13 Verg 9/16, ZfBR 2017, 407 (412).

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§ 125 | Selbstreinigung grundsätze verstoßenden Erwägungen angestellt wurden1. Die Teilnehmer an einem Vergabeverfahren können vom öffentlichen Auftraggeber insofern nur verlangen, dass dieser sein Ausschlussermessen fehlerfrei ausübt2.

§ 125 Selbstreinigung (1) Öffentliche Auftraggeber schließen ein Unternehmen, bei dem ein Ausschlussgrund nach § 123 oder § 124 vorliegt, nicht von der Teilnahme an dem Vergabeverfahren aus, wenn das Unternehmen nachgewiesen hat, dass es 1. für jeden durch eine Straftat oder ein Fehlverhalten verursachten Schaden einen Ausgleich gezahlt oder sich zur Zahlung eines Ausgleichs verpflichtet hat, 2. die Tatsachen und Umstände, die mit der Straftat oder dem Fehlverhalten und dem dadurch verursachten Schaden in Zusammenhang stehen, durch eine aktive Zusammenarbeit mit den Ermittlungsbehörden und dem öffentlichen Auftraggeber umfassend geklärt hat, und 3. konkrete technische, organisatorische und personelle Maßnahmen ergriffen hat, die geeignet sind, weitere Straftaten oder weiteres Fehlverhalten zu vermeiden. § 123 Absatz 4 Satz 2 bleibt unberührt. (2) Öffentliche Auftraggeber bewerten die von dem Unternehmen ergriffenen Selbstreinigungsmaßnahmen und berücksichtigen dabei die Schwere und die besonderen Umstände der Straftat oder des Fehlverhaltens. Erachten die öffentlichen Auftraggeber die Selbstreinigungsmaßnahmen des Unternehmens als unzureichend, so begründen sie diese Entscheidung gegenüber dem Unternehmen. I. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . 1. Praxisbedeutung der vergaberechtlichen Selbstreinigung . . . 2. Hintergrund der Regelung . . . 3. Rechtsentwicklung . . . . . . . . . 4. Vorgaben der Richtlinie 2014/24/EU . . . . . . . . . . . . . . 5. Anwendungsbereich . . . . . . . . a) Laufendes Vergabeverfahren

. . . . . . .

_ __ _ __ _ 1

2 4 11 13 17 18

b) Drohender Ausschluss des Unternehmens . . . . . . . . . . . c) Auftrags- oder Vergabesperren . . . . . . . . . . . . . . . . d) Sonderregelung für die Nichtentrichtung von Steuern oder Abgaben und Beiträgen zur Sozialversicherung (§ 123 Abs. 4 Satz 2) . . . . . . . . . . . .

_ _ 21 24

_ 26

1 KG Berlin v. 27.11.2008 – 2 Verg 4/08, juris Rz. 2 f.; OLG München v. 21.4.2006 – Verg 8/ 06, ZfBR 2006, 506 (509). 2 Opitz in Burgi/Dreher, Beck’scher Vergaberechtskommentar, Band 1, 3. Auflage 2017, § 124 Rz. 11.

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Selbstreinigung | § 125 II. Selbstreinigung gemäß § 125 Abs. 1 Satz 1 1. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . 2. Schadensausgleich (Nr. 1) . . . . 3. Aktive Mitwirkung bei der Aufklärung (Nr. 2) . . . . . . . . . a) Zusammenarbeit mit Ermittlungsbehörden (Alt. 1) . . . . b) Zusammenarbeit mit öffentlichem Auftraggeber (Alt. 2) c) Grenzen der Mitwirkungspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Präventive Maßnahmen . . . . . a) Technische und organisatorische Maßnahmen . . . . . . b) Personelle Maßnahmen . . .

. . . . . . . . .

__ _ _ _ __ __ 27 30 45 46 52 55 57 60 74

__ _ _ _ __

5. Nachweis . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 6. Rechtsfolge . . . . . . . . . . . . . . . 85 III. Bewertung der Selbstreinigungsmaßnahme (§ 125 Abs. 2) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86 1. Bewertung der Selbstreinigungsmaßnahmen (Satz 1) . . . . . . . . . 89 2. Begründung bei unzureichenden Selbstreinigungsmaßnahmen (Satz 2) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 IV. Ausblick: Bewertung der Selbstreinigung nach dem Wettbewerbsregistergesetz . . . . 106a V. Rechtsschutz . . . . . . . . . . . . . . 107

I. Allgemeines Mit § 125 hat der Gesetzgeber das von der Rechtsprechung und Literatur ent- 1 wickelte Institut der Selbstreinigung von Unternehmen gesetzlich kodifiziert. Unter Selbstreinigung im Sinne von § 125 sind Maßnahmen zu verstehen, die ein Unternehmen ergreift, um seine Integrität wiederherzustellen und eine Begehung von Straftaten oder schweres Fehlverhalten in der Zukunft zu verhindern1. Ziel der Selbstreinigung ist die Wiederherstellung der Zuverlässigkeit eines Unternehmens2. 1. Praxisbedeutung der vergaberechtlichen Selbstreinigung Bei der Selbstreinigung handelt es sich um ein in der Praxis inzwischen etablier- 2 tes Institut, das Unternehmen einen Anreiz dazu bietet, Fehlverhalten nicht unter den Teppich zu kehren, sondern stattdessen mit Blick auf die Vergangenheit personell und sachlich-institutionell aufzuräumen und die Struktur der Systeme, die Fehlverhalten vermeiden sollen, neu- oder umzugestalten, damit zukünftiges Fehlverhalten ausgeschlossen wird3. Die stetig gewachsene Bedeutung der vergaberechtlichen Selbstreinigung ist 3 zum einen auf den vermehrten Ausschluss von Unternehmen wegen Vorliegens von Ausschlussgründen im Sinne der jetzigen §§ 123 und 124 zurückzuführen. 1 BT-Drucks. 18/6281, S. 107. 2 Opitz in Burgi/Dreher, Beck’scher Vergaberechtskommentar, Band 1, 3. Auflage 2017, § 125 Rz. 3. 3 Prieß, NZBau 2012, 425.

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§ 125 | Selbstreinigung Zum anderen haben auf Unternehmerseite die Bestrebungen zugenommen, Fehlverhalten im Rahmen der Geschäftsaktivität vorzubeugen, unabhängig davon ob bereits ein Verstoß stattgefunden hat1. Angesichts der gesamtwirtschaftlichen Bedeutung öffentlicher Aufträge überrascht diese Entwicklung nicht, so dass zukünftig mit einer weiteren Zunahme freiwilliger Maßnahmen auf dem Gebiet der Geschäftsethik zu rechnen ist. Prävention statt Reaktion ist vermehrt die Richtschnur vieler Unternehmen. 2. Hintergrund der Regelung 4 Die Regelungen zur Selbstreinigung in § 125, die in § 6f EU VOB/A wortgleich

übernommen wurden, sind untrennbar mit den Ausschlussgründen in §§ 123 und 124 verbunden. Denn erst die Verwirklichung eines Ausschlussgrundes begründet das Erfordernis einer Selbstreinigung des Unternehmens2. Bei Vorliegen eines zwingenden Ausschlussgrundes gemäß § 123 wird dem Unternehmen die Eignung von Gesetzes wegen abgesprochen und der Auftraggeber darf dieses Unternehmen nicht am Wettbewerb beteiligen. Bei Vorliegen eines fakultativen Ausschlussgrundes kann (nicht: muss) der Auftraggeber aus dem ihm bekannten Fehlverhalten auf die fehlende Eignung schließen und das Unternehmen von Wettbewerb fernhalten, wenn er berechtigte Zweifel hat, dass dieses Unternehmen die vergebende Leistung nicht vertragsgerecht ausführen wird3. Liegt ein fakultativer oder obligatorischer Ausschlussgrund vor, ist das Unternehmen jedoch nicht vom Vergabeverfahren auszuschließen, wenn es ausreichende Selbstreinigungsmaßnahmen ergriffen hat4.

5 Durch die Regelungen in den §§ 123 und 124 soll primär sicher gestellt werden,

dass nur solche Unternehmen den Zuschlag erhalten, die Recht und Gesetz in der Vergangenheit eingehalten haben und bei denen gesetzestreues Verhalten auch in Zukunft zu erwarten ist5. Durch den Ausschluss unzuverlässiger Unternehmen vom Vergabeverfahren soll die Funktionsfähigkeit der Verwaltung und der öffentlichen Haushalte sowie der faire Wettbewerb geschützt und insbesondere Wirtschaftskriminalität bekämpft werden6. Weist ein Unternehmen jedoch nach, dass es wegen in der Vergangenheit liegender Verfehlungen Maßnahmen zur Wiederherstellung seiner Integrität und zur Verhinderung der Begehung von Straftaten oder schweren Fehlverhalten getroffen hat, ist ein Ausschluss des

1 Prieß/Simonis in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 125 Rz. 2. 2 Prieß/Simonis in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 125 Rz. 3. 3 Schranner in Ingenstau/Korbion, VOB – Teile A und B – Kommentar, § 6f EU VOB/A Rz. 1. 4 BT-Drucks. 18/6281, S. 107. 5 BT-Drucks. 18/6281, S. 101. 6 BT-Drucks. 18/6281, S. 107.

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Selbstreinigung | § 125

Unternehmens nicht gerechtfertigt, denn für die Zukunft kann von einem solchen Unternehmen gesetzestreues Verhalten erwartet werden. Vergaberechtlich geht es also nicht darum, ein in der Vergangenheit liegendes Fehlverhalten zu sanktionieren, sondern darum, ein solches für die Zukunft zu vermeiden. Ein Ausschluss vom Vergabeverfahren zum Zwecke der Vergeltung eines Fehlverhaltens ist unzulässig1. Darüber hinaus ist § 125 im Lichte der nach § 126 zulässigen Zeiträume für 6 Ausschlüsse zu sehen. Durch § 126 wird ein absoluter Höchstzeitraum festgelegt, bis zu dem ein Bewerber bei Vorliegen eines Ausschlussgrundes bei Nichtvorliegen ausreichender Selbstreinigungsmaßnahmen vom Vergabeverfahren ausgeschlossen werden darf2. Kann der Bieter nachweisen, dass er durch ausreichende Selbstreinigungsmaßnahmen seine Integrität wiederhergestellt hat, hat er schon vor Ablauf dieser Fristen einen Anspruch auf Zulassung zum Vergabeverfahren3. Allerdings trägt das Unternehmen dafür die Darlegungs- und Beweislast, da es mit dem ihm zurechenbaren Fehlverhalten die Ursache für die Notwendigkeit der Selbstreinigung gesetzt hat4. Die Verpflichtung des Auftraggebers, Selbstreinigungsmaßnahmen eines Unter- 7 nehmens zu berücksichtigen, ist zudem verfassungsrechtlich indiziert. Denn auch wenn die Vergabe öffentlicher Aufträge fiskalisches, also privatrechtrechtliches Handeln des Staates ist, bleibt der öffentliche Auftraggeber an verfassungsrechtliche und öffentlich-rechtliche Grundsätze gebunden. Zu beachten sind in bestimmten Grenzen die Grundrechte ebenso wie die allgemeinen Grundsätze des Verwaltungsrechts5. Der Ausschluss von einem Vergabeverfahren greift in die durch Art. 12 GG geschützte Berufsfreiheit des betroffenen Unternehmens ein6. Die Rechtmäßigkeit eines solchen Grundrechtseingriffs setzt unter anderem dessen Verhältnismäßigkeit voraus7. Darüber hinaus sind durch den Ausschluss eines Unternehmens vom Vergabe- 8 verfahren Grundfreiheiten des AEUV tangiert. Eine innerstaatliche Bestimmung, die geeignet ist, die Teilnahme von Bietern für einen öffentlichen Auftrag von eindeutigem grenzüberschreitenden Interesse zu verhindern, stellt eine Be1 Opitz in Burgi/Dreher, Beck’scher Vergaberechtskommentar, Band 1, 3. Auflage 2017, § 125 Rz. 5. 2 Otting, VergabeR 2016, 316 (323). 3 Opitz in Burgi/Dreher, Beck’scher Vergaberechtskommentar, Band 1, 3. Auflage 2017, § 125 Rz. 7; Otting, VergabeR 2016, 316 (323). 4 BT-Drucks. 18/6281, S. 108; Ley/Wankmüller, Das neue Vergaberecht 2016, S. 143. 5 BVerfG v. 11.7.2006 –1 BvL 4/00, NZBau 2007, 53 (55 f.); v. 13.6.2006 – 1 BvR 1160/03, NJW 2006, 3701 (3703); OLG Düsseldorf v. 29.7.2015 – VII-Verg 12/15, juris Rz. 34. 6 Prieß/Simonis in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 125 Rz. 7; Stein/Friton, VergabeR 2010, 151 (159 f.). 7 Ruffert in Epping/Hillgruber, Beck’scher Online-Kommentar Grundgesetz, 31. Edition Stand: 1.12.2016, Art. 12 Rz. 87 ff.

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§ 125 | Selbstreinigung schränkung der im Sinne der in Art. 49 AEUV geregelten Niederlassungsfreiheit und der durch Art. 56 AEUV geschützten Freiheit des Dienstleistungsverkehrs dar1. Diese Grundfreiheiten gewährleisten in Bezug auf das Vergaberecht, dass grundsätzlich jedem in einem Mitgliedsstaat der EU ansässigen Unternehmen die Möglichkeit zu gewähren ist, an einem Vergabeverfahren teilzunehmen2. Eine Einschränkung dieser Grundfreiheiten ist nur zur Verfolgung eines legitimen Ziels des Allgemeininteresses und unter Beachtung des unionsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zulässig3. 9 § 125 ist somit im Lichte des europarechtlichen Verhältnismäßigkeitsprinzips4

und des auf nationaler Ebene nunmehr auch vergaberechtlich in § 97 Abs. 1 Satz 2 Alt. 2 ausdrücklich verankerten Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu sehen5. Der Ausschluss eines Unternehmens, das ausreichende Maßnahmen zur Selbstreinigung getroffen und damit seine Integrität wieder hergestellt hat, trägt nicht dazu bei, die Funktionsfähigkeit der Verwaltung und der öffentlichen Haushalte sowie den fairen Wettbewerb zu schützen oder Wirtschaftskriminalität zu bekämpfen. Der Ausschluss eines solchen Unternehmens wäre mit Blick auf die Zielsetzungen der Ausschlussgründe ungeeignet und daher unverhältnismäßig6. Wirksame Selbstreinigungsmaßnahmen eines Unternehmens sind aus diesem Grund zwingend vom Auftraggeber zu berücksichtigen7.

10 Die Verpflichtung zur Berücksichtigung erfolgreicher Selbstreinigungsmaßnah-

men besteht jedoch nicht nur unter Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten, sondern auch im Hinblick auf den nationalen (Art. 3 GG) und europarechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz (Art. 20 GrCh der EU)8. Hiernach muss der öffentliche Auftraggeber bei Vorliegen eines Ausschlussgrundes nach § 123 das Unternehmen ausschließen bzw. gemäß § 124 sein insoweit bestehendes Ermessen bei der Entscheidung über den Ausschluss pflichtgemäß ausüben. Gleichheitswidrig wäre der Ausschluss eines Unternehmens, wenn dieses nachweislich Selbstreinigungsmaßnahmen ergriffen hat, die die Integrität des Unternehmens wiederherstellen und dadurch dessen Ungeeignet wieder entfallen lassen9. Denn

1 EuGH v. 10.7.2014 – C-358/12 (Consorzio Stabile Libor Lavori Pubblici), NZBau 2014, 712 (714) = EuZW 2014, 738 (739), mit Anm. Gabriel/Voll. 2 Prieß/Simonis in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 125 Rz. 10. 3 EuGH v. 10.7.2014 – C-358/12 (Consorzio Stabile Libor Lavori Pubblici), NZBau 2014, 712 (714) = EuZW 2014, 738 (739), mit Anm. Gabriel/Voll. 4 Zum Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes auf europäischer Ebene vgl. Trstenjak/Beysen, EuR 2012, 265 ff. 5 Radu in Müller/Wrede, GWB-Vergaberecht, § 125 Rz. 10. 6 BT-Drucks. 18/6281, S. 107; Prieß, NZBau 2009, 587 (590 f.). 7 So im Hinblick auf die Vorgaben aus Grundrechten BT-Drucks. 18/6281, S. 107. 8 Prieß/Simonis in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 125 Rz. 19 und 12; Radu in Müller/Wrede, GWB-Vergaberecht, § 125 Rz. 11. 9 Radu in Müller/Wrede, GWB-Vergaberecht, § 125 Rz. 11.

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Selbstreinigung | § 125

ein Unternehmen, das als Reaktion auf Verfehlungen, die einen Ausschlussgrund nach §§ 123 oder 124 erfüllen, die in § 125 Abs. 1 vorgesehenen Selbstreinigungsmaßnahmen trifft, ist nicht mit einem Unternehmen zu vergleichen, das nach Bekanntwerden solcher Handlungen untätig geblieben ist und daher weiterhin als unzuverlässig eingestuft werden muss1. Eine Gleichbehandlung solcher Unternehmen scheidet daher aus. Vielmehr ist es verfassungsrechtlich geboten, ein Unternehmen, das wirksame Selbstreinigungsmaßnahmen durchgeführt hat, wieder zum Vergabeverfahren zuzulassen2. 3. Rechtsentwicklung In der deutschen Rechtsprechung und Literatur zum Vergaberecht ist das Insti- 11 tut der Selbstreinigung schon seit langem anerkannt3. Der Sache nach gab es die Möglichkeit, die Zuverlässigkeit durch eine umfassende Regeneration des Unternehmens wiederherzustellen, somit schon unter dem früheren Recht4. Denn schon bislang waren Selbstreinigungsmaßnahmen eines Unternehmens, die eine Wiederherstellung der Zuverlässigkeit dauerhaft gewährleisten, maßgeblich für die Prognoseentscheidung, ob ein Unternehmen als zuverlässig angesehen werden kann5. Hatte ein Unternehmen, bei dem ein Ausschlussgrund vorlag, Schritte ergriffen, die dazu führten, dass sich ein in der Vergangenheit liegendes Fehlverhalten höchstwahrscheinlich nicht wiederholen wird, durfte aus dem Fehlverhalten nicht mehr die fehlende Zuverlässigkeit des Unternehmens für die Zukunft abgeleitet werden6. Mit § 125 GWB erhält das Institut der vergaberechtlichen Selbstreinigung nun- 12 mehr erstmals eine gesetzliche Kodifizierung. Dies ist ausdrücklich zu begrüßen, da die Rechtsprechung in der Vergangenheit an eine erfolgreiche Selbstreinigung zum Teil sehr hohe Anforderungen stellte, die zudem im Detail umstritten waren7. Durch die klare und strukturierte Regelung der Voraussetzungen für eine Selbstreinigung und der ausführlichen Erläuterung in der Gesetzesbegründung herrscht zukünftig ein hohes Maß an Rechtsklarheit. Insbesondere ist durch § 125 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 die umstrittene Frage, ob für die Selbstreinigung 1 Burgi, Vergaberecht, § 16 Rz. 25; Prieß, NZBau 2009, 587 (591). 2 Prieß/Simonis in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 125 Rz. 9 und 12. 3 OLG Düsseldorf v. 9.4.2003 – Verg 43/02, NZBau 2003, 578 ff.; Prieß/Simonis in Kulartz/ Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 125 Rz. 17. 4 Zur Entstehungsgeschichte der Selbstreinigung vgl. auch die ausführliche Darstellung bei Prieß/Simonis in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 125 Rz. 17 bis 22. 5 Vgl. bspw. OLG Düsseldorf v. 9.4.2003 – Verg 43/02, NZBau 2003, 578 (590 f.); OLG Frankfurt v. 20.7.2004 – 11 Verg 6/04, ZfBR 2004, 822 (825 ff.). 6 BT-Drucks. 18/6281, S. 107. 7 Otting, VergabeR 2016, 316 (323).

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§ 125 | Selbstreinigung auch eine Schadenswiedergutmachung erforderlich ist, nunmehr grundsätzlich geklärt1 (s. dazu unter Rz. 31 ff.). 4. Vorgaben der Richtlinie 2014/24/EU 13 § 125 dient der Umsetzung von Art. 57 Abs. 6 der Richtlinie 2014/24/EU, durch

den das Instrument der Selbstreinigung erstmals auf europäischer Ebene kodifiziert wird. Nach Art. 57 Abs. 6 RL 2014/24/EU, der weitgehend die Grundsätze der bisherigen deutschen Judikatur zur Selbstreinigung übernommen hat2, kann jeder Bieter nachweisen, dass er ausreichende Maßnahmen getroffen hat, um trotz des Vorliegens eines Ausschlussgrundes seine Zuverlässigkeit zu dokumentieren. Für eine Selbstreinigung muss ein Unternehmen nach Art. 57 Abs. 6 Unterabs. 2 der Richtlinie 2014/24/EU unter Beweis stellen, dass es – einen Ausgleich für jeglichen durch eine Straftat oder sein Fehlverhalten verursachten Schaden gezahlt oder sich zur Zahlung eines Ausgleiches verpflichtet hat, – die Tatsachen und Umstände umfassend durch aktive Zusammenarbeit mit den Ermittlungsbehörden geklärt hat und – konkrete technische, organisatorische und personelle Maßnahmen ergriffen hat, die geeignet sind, weitere Straftaten oder Verfehlungen zu vermeiden3.

14 Diese Voraussetzungen müssen kumulativ erfüllt sein, um eine Selbstreinigung

in Anspruch nehmen zu können, soweit sie vom Sachverhalt her einschlägig sind4.

15 Zwar regelt Art. 57 Abs. 6 der Richtlinie 2014/24/EU die Voraussetzungen für

eine wirksame Selbstreinigung und räumt betroffenen Unternehmen einen Anspruch auf Zulassung zum Vergabeverfahren ein. Der europäische Gesetzgeber belässt den Mitgliedsstaaten allerdings bei den verfahrenstechnischen und inhaltlichen Bedingungen einen Umsetzungsspielraum5. Die Mitgliedsstaaten können insbesondere entscheiden, ob sie die Bewertung der Selbstreinigungsmaßnahmen den jeweiligen öffentlichen Auftraggebern überlassen oder sie anderen Behörden auf zentraler oder dezentraler Ebene übertragen6. Der Gesetzgeber des GWB hat sich grundsätzlich für eine Bewertung der Selbstreinigungs-

1 Ulshöfer, VergabeR 2016, 327 (339). 2 Prieß/Simonis in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 125 Rz. 13. 3 Ulshöfer, VergabeR 2016, 327 (334). 4 VK Bund v. 12.6.2015 – VK 2 - 31/15, juris Rz. 104 = BB 2015, 2321 (2323) mit Anm. Heuking. 5 Erwägungsgrund 102 der Richtlinie 2014/24/EU; Prieß/Simonis in Kulartz/Kus/Portz/ Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 125 Rz. 14. 6 Erwägungsgrund 102 der Richtlinie 2014/24/EU.

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maßnahmen durch den öffentlichen Auftraggeber entschieden (§ 125 Abs. 2 Satz 1)1. Art. 57 Abs. 6 Unterabs. 4 der Richtlinie 2014/24/EU sieht darüber hinaus vor, 16 dass Wirtschaftsteilnehmer, die durch eine rechtskräftige gerichtliche Entscheidung von der Teilnahme an Verfahren zur Auftrags- oder Konzessionsvergabe ausgeschlossen wurden, während des Ausschlusszeitraumes, der in dieser Entscheidung festgelegt wurde, nicht berechtigt sind, in den Mitgliedstaaten, in denen die Entscheidung wirksam ist, von der Möglichkeit der Selbstreinigung Gebrauch zu machen. Einer Umsetzung dieser Regelung bedurfte es in Deutschland nicht, da es keine durch gerichtliche Entscheidung verhängten Ausschlüsse von Vergabeverfahren gibt2. 5. Anwendungsbereich § 125 gilt wie der gesamte Abschnitt 2 des 4. Teils des GWB gemäß § 115 GWB 17 grundsätzlich nur für öffentliche Aufträge und die Ausrichtung von Wettbewerben durch öffentliche Auftraggeber. Über Verweisungsvorschriften findet § 125 allerdings ebenfalls Anwendung bei der Vergabe von öffentlichen Aufträgen durch Sektorenauftraggeber (§ 142), Konzessionsvergaben (§ 154 Nr. 2) sowie Vergaben von verteidigungs- oder sicherheitsspezifischen öffentlichen Aufträgen (§ 147). a) Laufendes Vergabeverfahren Die Prüfung, ob ein Unternehmen ausreichende Selbstreinigungsmaßnahmen 18 ergriffen hat, um seine Integrität wiederherzustellen, ist gemäß § 125 nur im Hinblick auf ein konkretes Vergabeverfahren vorzunehmen3. Ein abstraktes, von der Durchführung eines konkreten Vergabeverfahrens unabhängiges Recht zur Prüfung von Selbstreinigungsmaßnahmen gewährt § 125 hingegen nicht4. Nach der Gesetzesbegründung ist es jedoch nicht ausgeschlossen, dass Selbstrei- 19 nigungsmaßnahmen zukünftig auch durch unabhängige, dafür akkreditierte Stellen zertifiziert werden5. Voraussetzung hierfür soll jedoch die Schaffung eines Zertifizierungssystems sein, wonach Unternehmen – unabhängig von einem konkreten Vergabeverfahren – die Zertifizierung der durchgeführten Selbstreinigungsmaßnahmen freiwillig beauftragen können. Die Anerkennung solcher 1 BT-Drucks. 18/6281, S. 110; Opitz in Burgi/Dreher, Beck’scher Vergaberechtskommentar, Band 1, 3. Auflage 2017, § 125 Rz. 6; zur geänderten Konzeption nach Maßgabe des WRegG vgl. die Ausführungen unter Rz. 106a ff. 2 BT-Drucks. 18/6281, S. 108; Ley/Wankmüller, Das neue Vergaberecht 2016, S. 142. 3 Opitz in Burgi/Dreher, Beck’scher Vergaberechtskommentar, Band 1, 3. Auflage 2017, § 125 Rz. 13. 4 BT-Drucks. 18/6281, S. 108; Roth, NZBau 2016, 672 (675). 5 BT-Drucks. 18/6281, S. 110.

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§ 125 | Selbstreinigung Zertifikate im Rahmen eines konkreten Vergabeverfahrens stünde dann im Ermessen des jeweiligen öffentlichen Auftraggebers1, wobei der Erfolg der Selbstreinigungsmaßnahmen im Falle einer entsprechenden Zertifizierung regelmäßig anzunehmen sein dürfte. Der Hauptvorteil eines solchen Zertifizierungssystems läge sicherlich darin, dass abweichenden Einschätzungen unterschiedlicher Vergabestellen über den Erfolg von Selbstreinigungsmaßnahmen eines Unternehmens entgegengewirkt würde2. Darüber hinaus würde den betroffenen Unternehmen insoweit eine Erleichterung zuteil, als diese nicht in jedem Vergabeverfahren aufs Neue den vollständigen Nachweis der Selbstreinigung antreten müssten3. 20 Daneben kommt nach der Gesetzesbegründung auch die Übertragung der Be-

wertung von Selbstreinigungsmaßnahmen auf andere Behörden auf zentraler oder dezentraler Ebene in Betracht. Insoweit könnte die Prüfung durchgeführter Selbstreinigungsmaßnahmen bei einzelnen Behörden gebündelt und somit zentralisiert werden4. Diesen Gedanken hat der Bundesgesetzgeber mit dem Erlass des Gesetzes zur Einrichtung und zum Betrieb eines Registers zum Schutz des Wettbewerbs um öffentliche Aufträge und Konzessionen (Wettbewerbsregistergesetz – WRegG) aufgegriffen und die Registerbehörde (Bundeskartellamt) neben dem einzelnen öffentlichen Auftraggeber als zuständig für die Bewertung von Selbstreinigungsmaßnahmen erklärt (zum WRegG vgl. Rz. 106a ff.). b) Drohender Ausschluss des Unternehmens

21 Die Frage, ob ein Unternehmen wegen zureichender Selbstreinigungsmaßnah-

men dennoch am Vergabeverfahren zu beteiligen ist5, stellt sich nur dann, wenn das Unternehmen wegen des Vorliegens eines Ausschlussgrundes vom Vergabeverfahren ausgeschlossen werden soll.

22 Zwar stellt § 125 Abs. 1 Satz 1 ausdrücklich nur auf das Vorliegen eines Aus-

schlussgrundes nach § 123 oder § 124 ab. Gleichwohl sind Selbstreinigungsmaßnahmen eines Unternehmens grundsätzlich bei allen Ausschlussgründen und damit auch bei Vorliegen eines besonderen Ausschlussgrundes (§ 21 AEntG, § 98c AufenthG, § 19 MiLoG und § 21 SchwarzArbG) zu berücksichtigen6.

23 Eine Ausnahme gilt jedoch für bestimmte Ausschlussgründe, deren Relevanz

sich in einem konkreten Vergabeverfahren erschöpft.7 Hierzu zählen die Ausschlussgründe des Interessenkonflikts (§ 124 Abs. 1 Nr. 5) und der drohenden

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BT-Drucks. 18/6281, S. 110. Roth, NZBau 2016, 672 (675). Roth, NZBau 2016, 672 (675). BT-Drucks. 18/6281, S. 110. BT-Drucks. 18/6281, S. 108; Roth, NZBau 2016, 672 (675). Hausmann/von Hoff in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 124 Rz. 75; Radu in Müller/Wrede, GWB-Vergaberecht, § 125 Rz. 21. 7 Roth, NZBau 2016, 672 (675).

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Wettbewerbsverzerrung wegen Vorbefassung (§ 124 Abs. 1 Nr. 6). Diese haben kein Fehlverhalten zum Gegenstand und stellen damit die Integrität des Unternehmens für nach nachfolgende Vergabeverfahren nicht infrage1. c) Auftrags- oder Vergabesperren Wurden gegen ein Unternehmen sog. Auftrags- oder Vergabesperren verhängt, 24 schließt dies die Verpflichtung des öffentlichen Auftraggebers, im konkreten Vergabeverfahren vom Unternehmen geltend gemachte Selbstreinigungsmaßnahmen zu berücksichtigen, nicht aus2. Generelle Weigerungen eines öffentlichen Auftraggebers, einem Unternehmen 25 öffentliche Aufträge zu erteilen (Auftragssperren) bzw. dies im Rahmen von Vergabeverfahren zu tun (Vergabesperren), wurden vor Inkrafttreten des Vergaberechtsmodernisierungsgesetzes 2016 auch im Anwendungsbereich des Kartellvergaberechts weitgehend für zulässig erachtet3. Ziel solcher Vergabesperren ist es, den öffentlichen Auftraggeber davor zu schützen, mit unzuverlässigen Unternehmen eine vertragliche Beziehung einzugehen4. Dabei soll im einzelnen Vergabeverfahren die Prüfung der vergaberechtlichen Zuverlässigkeit und etwaiger Selbstreinigungsmaßnahmen entbehrlich sein5. Gestützt wurden entsprechende Sperren auf den Grundsatz der Vertragsfreiheit, eine ausdrückliche gesetzliche Ermächtigung wurde dafür nicht erforderlich gehalten. Der öffentliche Auftraggeber sei nicht gehalten, Angebote von Bietern einzuholen, die er generell für unzuverlässig halten dürfe6. Jedenfalls für Vergabeverfahren im Anwendungsbereich der §§ 97 ff. ist dies nunmehr jedoch ausgeschlossen. Nach § 125 muss der öffentliche Auftraggeber in jedem einzelnen Vergabeverfahren prüfen, ob Selbstreinigungsmaßnahmen nach § 125 einem Ausschluss des Unternehmens entgegenstehen7. Das vom Ausschluss bedrohte Unternehmen hat einen Anspruch darauf, in einem Vergabeverfahren den Nachweis zu erbringen, dass es ausreichende Maßnahmen zur Wiederherstellung seiner Integrität getroffen hat8. Dies gebietet auch die dem § 125 zu Grunde liegende Richtlinienbestimmung des Art. 57 1 Opitz in Burgi/Dreher, Beck’scher Vergaberechtskommentar, Band 1, 3. Auflage 2017, § 125 Rz. 7; Radu in Müller/Wrede, GWB-Vergaberecht, § 125 Rz. 23. 2 Radu in Müller/Wrede, GWB-Vergaberecht, § 125 Rz. 14 ff. 3 Vgl. hierzu Opitz in Dreher/Motzke, Beck’scher Vergaberechtskommentar, § 97 Rz. 59 ff.; Braun in Gabriel/Krohn/Neun, Handbuch des Vergaberechts, § 14 Rz. 39 ff.; Burgi, NZBau 2014, 595 (600). 4 Braun in Gabriel/Krohn/Neun, Handbuch des Vergaberechts, § 14 Rz. 40. 5 Radu in Müller/Wrede, GWB-Vergaberecht, § 125 Rz. 17. 6 KG Berlin v. 8.12.2011 – 2 U 11/11, NZBau 2012, 389 (391). 7 Radu in Müller/Wrede, GWB-Vergaberecht, § 125 Rz. 17; Mutschler-Siebert/Baumann, NZBau 2016, 678 (680). 8 Opitz in Burgi/Dreher, Beck’scher Vergaberechtskommentar, Band 1, 3. Auflage 2017, § 125 Rz. 9; Mutschler-Siebert/Baumann, NZBau 2016, 678 (680).

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§ 125 | Selbstreinigung Abs. 6 Unterabs. 1 der Richtlinie 2014/24/EU. Eine Beschränkung dieses Anspruchs des Unternehmens lässt Art. 57 Abs. 6 Unterabs. 4 der Richtlinie 2014/ 24/EU nur durch eine rechtskräftig gerichtlich angeordnete Vergabesperre zu. Der deutsche Gesetzgeber hat allerdings von der Möglichkeit, Vergabesperren gerichtlich zu verhängen, keinen Gebrauch gemacht. Öffentliche Auftraggeber müssen daher – jedenfalls im Anwendungsbereich des Kartellvergaberechts – Selbstreinigungsmaßnahmen der Unternehmen zur Wiedererlangung ihrer Integrität in jedem einzelnen Vergabeverfahren prüfen und berücksichtigen1. d) Sonderregelung für die Nichtentrichtung von Steuern oder Abgaben und Beiträgen zur Sozialversicherung (§ 123 Abs. 4 Satz 2) 26 Keine Anwendung findet § 125 in den Fällen des § 123 Abs. 4 Satz 22. Nach die-

ser Vorschrift scheidet ein zwingender Ausschluss wegen der Nichtentrichtung von Steuern oder Abgaben aus, wenn das Unternehmen seinen Verpflichtungen dadurch nachgekommen ist, dass es die Zahlung vorgenommen oder sich zur Zahlung der Steuern, Abgaben und Beiträge zur Sozialversicherung einschließlich Zinsen, Säumnis- und Strafzuschlägen verpflichtet hat3. Bei § 123 Abs. 4 Satz 2 handelt es sich um eine Spezialregelung zur Selbstreinigung, neben der für die Anwendung der allgemeinen Selbstreinigung gemäß § 125 Abs. 1 kein Raum bleibt, was durch § 125 Abs. 1 Satz 2 nochmals klargestellt wird4.

II. Selbstreinigung gemäß § 125 Abs. 1 Satz 1 1. Überblick 27 § 125 Abs. 1 Satz 1 normiert die einzelnen Selbstreinigungsmaßnahmen, die

Unternehmen ergreifen und nachweisen müssen, um ihre Zuverlässigkeit wiederherzustellen. In Umsetzung von Art. 57 Abs. 6 Unterabs. 4 der Richtlinie 2014/24/EU verlangt § 125 Abs. 1 Satz 1 den Nachweis des Unternehmens, bei dem ein Ausschlussgrund gemäß §§ 123 oder 124 vorliegt, über den Schadensausgleich (Nr. 1), die aktive Mitwirkung bei der Aufklärung (Nr. 2) und die Ergreifung konkreter technischer, organisatorischer und personeller Maßnahmen zur Prävention (Nr. 3).

28 Diese Voraussetzungen stehen nicht in einem Alternativverhältnis zueinander,

sondern sind kumulativ zu erfüllen5. Die Übererfüllung eines Kriteriums ist da-

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Radu in Müller/Wrede, GWB-Vergaberecht, § 125 Rz. 17. BT-Drucks. 18/6281, S. 110. Vgl. hierzu § 123 Rz. 92. BT-Drucks. 18/6281, 110; s. auch § 123 Rz. 93. VK Bund v. 12.6.2015 – VK 2 - 31/15, juris Rz. 104; Prieß/Simonis in Kulartz/Kus/Portz/ Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 125 Rz. 23; Ulshöfer, VergabeR 2016, 327 (334).

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her nicht dazu geeignet, unzureichende Maßnahmen an andere Stelle auszugleichen1. Der Maßnahmenkatalog in § 125 Abs. 1 Satz 1 ist abschließend2. Welche Selbst- 29 reinigungsmaßnahmen ein Unternehmen im Einzelfall ergreifen muss, ist abhängig von dem Fehlverhalten, das dem Ausschlussgrund zugrunde liegt. Nicht mit dem Fehlverhalten des Unternehmens in Zusammenhang stehende Maßnahmen können nicht gefordert werden3. 2. Schadensausgleich (Nr. 1) § 125 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 verlangt als erste Voraussetzung für eine Selbstrei- 30 nigung, dass das Unternehmen für jeden durch eine Straftat oder ein Fehlverhalten verursachten Schaden einen Ausgleich gezahlt oder sich zur Zahlung eines Ausgleichs verpflichtet hat. Vor der Vergaberechtsmodernisierung war lebhaft umstritten, ob und inwie- 31 weit der Schadensausgleich generell zwingender Bestandteil einer erfolgreichen Selbstreinigung ist4. Soweit in der Vergangenheit vertreten wurde, dass ein Schadensausgleich gene- 32 rell nicht zu den Voraussetzungen einer erfolgreichen Selbstreinigung zählt, ist diese Auffassung mittlerweile überholt5. Das grundsätzliche Erfordernis einer Schadenswiedergutmachung hat der europäische Gesetzgeber durch Art. 57 Abs. 6 der Richtlinie 2014/24/EU klargestellt. Zu ersetzen ist danach jeder Schaden, der durch die Straftat oder das Fehlverhalten des Unternehmens verursacht wurde. Alternativ genügt es auch, wenn sich das Unternehmen zur Zahlung eines Ausgleichs verpflichtet hat, es also die Verpflichtung zur Leistung eines Schadensersatzes dem Grunde und der Höhe nach verbindlich anerkannt hat. Die europarechtlichen Vorgaben setzt § 125 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 um und stellt da- 33 mit auch für das nationale Kartellvergaberecht klar, dass eine Schadenswieder1 VK Bund v. 12.6.2015 – VK 2 - 31/15, juris Rz. 104 = BB 2015, 2321 (2323) mit Anm. Heuking; Ulshöfer, VergabeR 2016, 327 (334). 2 Opitz in Burgi/Dreher, Beck’scher Vergaberechtskommentar, Band 1, 3. Auflage 2017, § 125 Rz. 8; Radu in Müller/Wrede, GWB-Vergaberecht, § 125 Rz. 25. 3 Radu in Müller/Wrede, GWB-Vergaberecht, § 125 Rz. 25. 4 bejahend VK Lüneburg v. 14.2.2012 – VgK-05/2012, juris Rz. 58; v. 24.3.2011 – VgK-04/ 2011, juris Rz. 47; NZBau 2012, 389; Braun in Gabriel/Krohn/Neun, Handbuch des Vergaberechts, § 14 Rz. 109; Dabringhausen/Fedder, VergabeR 2013, 20 (23 ff.); Prieß, NZBau 2012, 425 f.; ablehnend OLG München v. 22.11.2012 – Verg 22/12, NZBau 2013, 261 (263); VG Düsseldorf v. 24.3.2015 – 20 K 6764/13, juris Rz. 112; differenzierend KG Berlin v. 17.1.2011 – 2 U 4/06, NZBau 2012, 56 (63) sowie Dreher/Hoffmann, NZBau 2012, 265 (267); NZBau 2012, 426 (427); NZBau 2014, 150 (153 f.); zum Streitstand vgl. auch Burgi, NZBau 2014, 595 (598 f.). 5 Radu in Müller/Wrede, GWB-Vergaberecht, § 125 Rz. 28.

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§ 125 | Selbstreinigung gutmachung grundsätzlich zu den Voraussetzungen einer ausreichenden Selbstreinigung zählt. Hinter dem Erfordernis der Schadenswiedergutmachung steht der Gedanke, dass Unternehmen, die Straftaten oder sonstige zum Ausschluss führende Verfehlungen begangen haben, die Verantwortung für das in der Vergangenheit liegende Fehlverhalten übernehmen sollen1. Zudem sendet das Unternehmen mit dem Schadensausgleich ein klares Signal, mit vergangenem Unrecht aufräumen zu wollen, Fehlverhalten nicht zu tolerieren und in Zukunft gesetzestreues Verhalten an den Tag legen zu wollen2. 34 Nach § 125 Abs. 1 Nr. 1 hat das betreffende Unternehmen nachzuweisen, dass

es für jeden durch das Fehlverhalten verursachten Schaden entweder einen Ausgleich gezahlt oder sich zur Zahlung eines Ausgleichs verpflichtet hat. Diese beiden Alternativen stehen gleichwertig nebeneinander3, wobei die Verpflichtung zur Zahlung eines Ausgleichs typischerweise im Wege eines schriftlichen Schuldanerkenntnisses erfolgt4.

35 Aus der Formulierung „Ausgleich gezahlt“ oder zur „Zahlung eines Ausgleichs

verpflichtet“ wird zudem deutlich, dass es sich lediglich um einen monetären Schadensausgleich handelt, also eine Geldzahlung oder die Verpflichtung hierzu gemeint ist. Andere Formen des Schadensausgleichs, etwa eine Richtigstellung bei Verunglimpfung eines Wettbewerbers, sind hingegen nicht erfasst5 und können daher auch nicht verlangt werden.

36 Auch wenn durch § 125 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und die zugrunde liegende Richtlini-

enbestimmung klargestellt ist, dass die Schadenswiedergutmachung zu den Voraussetzungen einer erfolgreichen Selbstreinigung zählt, muss jedoch auch zukünftig im Einzelfall geprüft werden, ob ein Schadensausgleich tatsächlich von dem betroffenen Unternehmen verlangt werden kann. Dabei ist wie folgt zu differenzieren:

37 Eine Verpflichtung zum Schadensausgleich gemäß § 125 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 be-

steht unzweifelhaft im Falle eines rechtskräftig festgestellten Schadens6. Dasselbe gilt bei dem Grunde und der Höhe nach unstreitigen Schadensersatzansprüchen7,

1 Prieß/Simonis in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 125 Rz. 24. 2 Mutschler-Siebert/Dorschfeldt, BB 2015, 642 (646). 3 Radu in Müller/Wrede, GWB-Vergaberecht, § 125 Rz. 29. 4 Prieß/Simonis in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 125 Rz. 24. 5 A.A. Prieß/Simonis in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 125 Rz. 26, die bspw. auch Richtigstellungen oder Unterlassungen für denkbar halten. 6 BT-Drucks. 18/6281, S. 108; Prieß/Simonis in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 125 Rz. 28; Ulshöfer, VergabeR 2016, 327 (335). 7 Radu in Müller/Wrede, GWB-Vergaberecht, § 125 Rz. 32; Burgi, NZBau 2014, 595 (598); so auch zur alten Rechtslage KG Berlin v. 17.1.2011 – 2 U 4/06, NZBau 2012, 56 (63); Dreher/Hoffmann, NZBau 2012, 265 (270).

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insbesondere auch, soweit eine Forderung nur in Höhe eines bestimmten Teilbetrags unstreitig ist. In diesem Fall muss das Unternehmen in entsprechendem Umfang Schadensersatz leisten oder seine Verpflichtung hierzu anerkennen. Besteht eine Forderung unstreitig dem Grunde nach, herrscht über die Höhe des 38 Schadens jedoch Unklarheit oder Streit, reicht es für die Anerkennung von Selbstreinigungsmaßnahmen aus, wenn das Unternehmen seine Verpflichtung zur Schadensersatzleistung dem Grunde nach anerkennt1. Ergänzend kann von dem Unternehmen die Erklärung eines Verjährungsverzichts verlangt werden2. Sind die Unklarheiten, die eine Bezifferung des Schadens unmöglich machen, allerdings dem Unternehmen zuzurechnen, genügt ein grundsätzliches Anerkenntnis jedoch nicht für eine Selbstreinigung3. Dies ist darauf zurückzuführen, dass das Unternehmen auch hinsichtlich der Umstände des haftungsausfüllenden Tatbestandes zur Aufklärung verpflichtet ist4. Trägt das Unternehmen nicht in ausreichendem Maße zur Aufklärung des Sachverhaltes bei, sollen ihm daraus resultierende Unklarheiten über die Schadenshöhe nicht im Wege einer Selbstreinigung zu Gute kommen. Eine Ausgleichspflicht des Unternehmens wird zum Teil auch für den Fall an- 39 genommen, dass das Bestehen einer Schadensersatzpflicht des Unternehmens sowohl dem Grunde als auch der Höhe nach streitig ist. So soll das Unternehmen auch in diesen Fällen zur Selbstreinigung eine Schadenswiedergutmachung leisten müssen, wenn das Bestreiten der Schadensersatzpflicht nicht zu überzeugen vermag5 oder die Schadensersatzpflicht offensichtlich ist6. Diese Sichtweise berücksichtigt jedoch nicht hinreichend, dass ein Unternehmen 40 das Bestehen gegen ihn gerichteter Schadensersatzansprüche – sowohl dem Grunde als auch der Höhe nach – vor einem Gericht im Rahmen eines Schadensersatzprozesses klären können muss7. Von einem Unternehmen kann nicht verlangt werden, Schadensersatzforderungen anzuerkennen oder auszugleichen, die nicht substantiiert oder möglicherweise unbegründet sind, allein damit seine 1 BT-Drucks. 18/6281, S. 108, Opitz in Burgi/Dreher, Beck’scher Vergaberechtskommentar, Band 1, 3. Auflage 2017, § 125 Rz. 18; Prieß/Simonis in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 125 Rz. 29; Schranner in Ingenstau/Korbion, VOB – Teile A und B – Kommentar, § 6f EU VOB/A Rz. 9; Burgi, NZBau 2014, 595 (599). 2 Opitz in Burgi/Dreher, Beck’scher Vergaberechtskommentar, Band 1, 3. Auflage 2017, § 125 Rz. 18. 3 BT-Drucks. 18/6281, S. 108; Prieß/Simonis in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 125 Rz. 29. 4 BT-Drucks. 18/6281, S. 108; Prieß/Simonis in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 125 Rz. 29. 5 Radu in Müller/Wrede, GWB-Vergaberecht, § 125 Rz. 33, der insoweit auf die Maßstäbe des Prozesskostenhilferechts abstellen will. 6 So wohl die Gesetzesbegründung, BT-Drucks. 18/6281, S. 108. 7 BT-Drucks. 18/6281, S. 108.

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§ 125 | Selbstreinigung Selbstreinigungsmaßnahmen als ausreichend angesehen werden1. Ein „Erkaufen“ der Selbstreinigung ist gerade nicht gewollt2. 41 Würde es darauf ankommen, ob das Bestreiten der Schadensersatzpflicht zu

überzeugen vermag3 oder die Schadensersatzpflicht offensichtlich ist, müsste zwangsläufig eine höchst einzelfallbezogene Bewertung der (zivilrechtlichen) Rechtslage durch den öffentlichen Auftraggeber vorgenommen. Dies erscheint wenig praxistauglich und hätte eine erhebliche Rechtsunsicherheit zur Folge. Dies nicht zuletzt, weil es sich bei den Merkmalen „offensichtlich“ und „überzeugend“ um unbestimmte Rechtsbegriffe handelt, die kaum konturiert sind.

42 Aus Sicht eines betroffenen Unternehmens würde zudem die Klärung der maß-

geblichen Streitfragen in einem zivilrechtlichen Schadensersatzprozess – zumindest mit Blick auf die vergaberechtlichen Auswirkungen – teilweise entwertet, da der Auftraggeber einer zivilgerichtlichen Entscheidung vorgreifen und seine eigene Bewertung der Streitfragen vornehmen müsste. Ein „Kauf“ der Selbstreinigung würde hierdurch entgegen der gesetzgeberischen Intention deutlich attraktiver. Letztlich können von einem Unternehmen daher weder Zahlungen noch das Anerkenntnis einer Ersatzpflicht als Selbstreinigungsmaßnahmen verlangt werden, wenn der Schadensersatzanspruch dem Grunde und der Höhe nach streitig ist4. Es ist auch nicht einzusehen, warum Gläubiger in einem zivilrechtlichen Streitverfahren davon profitieren sollten, dass der Prozessgegner eine vergaberechtliche Selbstreinigung anstrebt und deshalb zu Konzessionen „gezwungen“ ist, die nach dem jeweiligen Sach- und Streitstand noch nicht substantiiert dargelegt und bewiesen sind.

43 Die Problematik, die mit dem Erfordernis einer Verpflichtung zum Schadens-

ausgleich verbunden sein kann, sehen sowohl der Gesetzgeber als auch die Literatur insbesondere im Hinblick auf kartellrechtliche Schadensersatzansprüche5. Denn gerade bei Kartellverstößen ist das Bestehen von Schadensersatzforderungen dem Grunde sowie der Höhe nach in aller Regel ausgesprochen umstritten und Gegenstand intensiv geführter gerichtlicher Auseinandersetzungen6, was auf die häufig schwierigen Feststellung des Gesamtschadens und der

1 BT-Drucks. 18/6281, S. 108. 2 Opitz in Burgi/Dreher, Beck’scher Vergaberechtskommentar, Band 1, 3. Auflage 2017, § 125 Rz. 17; Ulshöfer, VergabeR 2016, 327, 335 f. 3 Radu in Müller/Wrede, GWB-Vergaberecht, § 125 Rz. 33, der insoweit auf die Maßstäbe des Prozesskostenhilferechts abstellen will. 4 Burgi, Vergaberecht, § 16 Rz. 28; Burgi, NZBau 2014, 595 (599); Ulshöfer, VergabeR 2016, 327 (335 f.). 5 BT-Drucks. 18/6281, S. 108; Mutschler-Siebert/Dorschfeldt, BB 2015, 642 (646 f.); Ulshöfer, VergabeR 2016, 327 (335); nach Prieß, NZBau 2012, 425 (426), bestehen die Sachund Rechtsprobleme bei der Feststellung von Schadensersatzansprüchen im Kontext der vergaberechtlichen Selbstreinigung nur bei Kartellverstößen. 6 Mutschler-Siebert/Dorschfeldt, BB 2015, 642 (646 f.); Ulshöfer, VergabeR 2016, 327 (335).

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Identität der einzelnen Gläubiger zurückzuführen ist1. Nach der Gesetzesbegründung soll es in diesen Fällen unter Umständen für die Selbstreinigung genügen, wenn das Unternehmen sich generell zum Ersatz des durch seine Beteiligung an einem Kartell entstandenen Schadens bereit erklärt bzw. gegenüber Gläubigern, die konkret Schadensersatzforderungen geltend machen, die Verpflichtung zum Ausgleich des Schadens dem Grunde nach anerkennt2. Da von einem Unternehmen allerdings weder Zahlungen noch das Anerkenntnis einer Ersatzpflicht als Selbstreinigungsmaßnahmen verlangt werden können, wenn der Schadensersatzanspruch dem Grunde und der Höhe nach streitig ist3, kann eine solche Erklärung nicht bedeuten, dass sich das Unternehmen zum Ersatz auch dem Grunde nach streitiger Ansprüche verpflichtet. In Betracht kommt daher allenfalls eine Erklärung des Unternehmens, eine später ergehende gerichtliche Entscheidung über die Schadensersatzpflicht befolgen zu wollen. Nach der Gesetzesbegründung soll die Abgabe einer solchen Erklärung offenbar nicht nur gegenüber potentiellen Geschädigten des Kartells in Betracht kommen, sondern auch gegenüber dem öffentlichen Auftraggeber, wenn potentielle Geschädigte noch keine Ansprüche angemeldet haben. Welchen Mehrwert und welche Rechtswirkung eine solche „good will“-Erklärung des Unternehmens allerdings haben soll, bleibt unklar. Sofern der Schaden, nicht jedoch eine Pflichtverletzung bestritten wird, wird teilweise auch das Anerkenntnis der Pflichtverletzung gefordert. Hierdurch würde allerdings nur die Pflichtverletzung einem zivilrechtlichen Streit entzogen, nicht jedoch die vielfach höchst umstrittene Frage der haftungsbegründenden Kausalität4. Auch bei einem dem Grunde und der Höhe nach streitigen Schaden trifft das 44 Unternehmen allerdings die Pflicht, die relevanten Umstände zur Feststellung der Schadensersatzpflicht aktiv aufzuklären. Dies gilt auch dann, wenn eine solche Mitwirkung bei Anwendung der zivilprozessualen Beweislastregeln nicht verlangt werden könnte und im Ergebnis daher sogar die Durchsetzung der wirtschaftlichen Interessen des Bieters zu erschweren oder gar zu verunmöglichen droht5. Mit Blick auf die Selbstreinigung ist allein der vergaberechtliche (und nicht der zivil- oder zivilprozessrechtliche) Kontext maßgeblich, der auch in Fällen dieser Art durch das – unstreitige – Vorliegen eines Rechtsverstoßes gekennzeichnet ist. Die Möglichkeit der Selbstreinigung stellt eine Option für das Unternehmen dar, sich wieder Zugang zum Vergabeverfahren zu schaffen. 1 2 3 4

BT-Drucks. 18/6281, S. 108. BT-Drucks. 18/6281, S. 108. Ebenso VK Südbayern v. 7.3.2017 – Z3-3-3194-1-45-11/16, juris Rz. 79. Opitz in Burgi/Dreher, Beck’scher Vergaberechtskommentar, Band 1, 3. Auflage 2017, § 125 Rz. 19. 5 Burgi, NZBau 2014, 595 (599); kritisch Opitz in Burgi/Dreher, Beck’scher Vergaberechtskommentar, Band 1, 3. Auflage 2017, § 125 Rz. 24, der das Hauptmotiv für diese Regelung in einer Verbesserung der Rechtsposition öffentlicher Auftraggeber bei der Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen sieht.

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§ 125 | Selbstreinigung Dass das Unternehmen insoweit Pflichten treffen, die die zivilprozessuale Abwehr von Schadensersatzansprüchen erschweren können, ist hinzunehmen1. Das Unternehmen hat mit seinem Fehlverhalten die Ursache für den in Rede stehenden Ausschluss vom Vergabeverfahren gesetzt. Will es einem solchen Ausschluss zuvorkommen, dann muss es auch über die zivilprozessualen Erfordernisse hinaus an der Aufklärung des Sachverhaltes mitwirken. Alternativ kann das Unternehmen auf die Inanspruchnahme einer Selbstreinigung verzichten und sich auf die Abwehr von Schadensersatzansprüchen unter Nutzung aller zivilprozessualen Möglichkeiten konzentrieren. Beides parallel (im Wege eines „Rosinenpickens“) geht nicht. 3. Aktive Mitwirkung bei der Aufklärung (Nr. 2) 45 Eine zureichende Selbstreinigung setzt gemäß § 125 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 zudem

voraus, dass das Unternehmen die Tatsachen und Umstände, die mit der Straftat oder dem Fehlverhalten und dem dadurch verursachten Schaden in Zusammenhang stehen, durch eine aktive Zusammenarbeit mit den Ermittlungsbehörden und dem öffentlichen Auftraggeber umfassend aufgeklärt hat. a) Zusammenarbeit mit Ermittlungsbehörden (Alt. 1)

46 Nach § 125 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Alt. 1 muss ein vom Ausschluss bedrohtes Unter-

nehmen für eine erfolgreiche Selbstreinigung die Sachverhaltsaufklärung durch aktive Zusammenarbeit mit den „Ermittlungsbehörden“ vorantreiben.

47 Mit „Ermittlungsbehörden“ im Sinne von § 125 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Alt 1 ge-

meint sind die Behörden, die im Hinblick auf die dem Unternehmen zurechenbaren Straftaten oder das Fehlverhalten zur Aufklärung berufen sind. Hierzu zählen insbesondere die Staatsanwaltschaft, die Polizei- und Ordnungsbehörden2, die Kartellbehörden3 oder auch die Finanzbehörden.

48 In der Sache muss das Unternehmen mit den Ermittlungsbehörden aktiv zu-

sammenarbeiten. Das bedeutet nach der Gesetzesbegründung nicht, dass sämtliche Vorwürfe eingeräumt werden müssten4. Erforderlich sind jedoch vom Unternehmen auf eigene Initiative ergriffene, ernsthafte und nachdrückliche Bemühungen zur Aufklärung der Umstände, auf denen der Ausschlussgrund beruht. Hierzu ist regelmäßig notwendig, dass sich das Unternehmen zunächst selbst einen Überblick über die das Fehlverhalten begründenden Vorgänge verschafft, zum Beispiel durch die Abteilung interne Revision oder die Einschaltung von

1 Burgi, NZBau 2014, 595 (599). 2 Radu in Müller/Wrede, GWB-Vergaberecht, § 125 Rz. 36. 3 Prieß/Simonis in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 125 Rz. 34. 4 BT-Drucks. 18/6281, S. 109.

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externen Dienstleistern1. Es empfiehlt sich in der Regel, mit möglicherweise in die Verfehlung involvierten Mitarbeitern Interviews zu führen und interne Audit-Reports zu erstellen2. Sinnvoll ist aus Unternehmenssicht, mit den internen Aufklärungsmaßnahmen 49 so früh wie möglich zu beginnen. Dies zum einen, weil hierdurch die erforderliche Zusammenarbeit mit den Ermittlungsbehörden nachhaltig bestimmt wird. Zum anderen wird der Umfang der konkret erforderlichen Selbstreinigungsmaßnahmen maßgeblich durch den zugrunde liegenden Sachverhalt beeinflusst. Außerdem dokumentiert ein Unternehmen, dass es Konsequenzen aus Verfehlungen zieht und sich um zeitnahe Aufklärung bemüht, dass es die drohenden Konsequenzen ernst nimmt und sich gezielt um eine Selbstreinigung bemüht3. Die Anforderungen des § 125 Abs. 1 Nr. 2 GWB an eine aktive Aufklärung be- 50 schränken sich allerdings nicht auf die rein interne Untersuchung der Vorgänge und Umstände. Erforderlich ist vielmehr auch, dass die auf dieser Basis gewonnenen Erkenntnisse anschließend mit den Ermittlungsbehörden geteilt werden. Die aktive Zusammenarbeit des Unternehmens mit den Ermittlungsbehörden 51 bei der Sachaufklärung muss sich auf sämtliche Tatsachen und Umstände erstrecken, die mit der Straftat oder dem Fehlverhalten und dem dadurch verursachten Schaden in Zusammenhang stehen4. Hierzu zählen auch die Ursachen des Fehlverhaltens. Nicht erforderlich ist hingegen, dass das Unternehmen nach weiterem Fehlverhalten sucht, selbst wenn dies zur Vermeidung zukünftigen Fehlverhaltens zweckmäßig wäre5. b) Zusammenarbeit mit öffentlichem Auftraggeber (Alt. 2) § 125 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 verlangt für eine zureichende Selbstreinigung außer- 52 dem eine Zusammenarbeit des Unternehmens mit dem öffentlichen Auftraggeber. Relevant wird diese Vorgabe allerdings nur im Zusammenhang mit einem konkreten Vergabeverfahren6. Hintergrund der Regelung ist, dass der öffentliche Auftraggeber zur erforderlichen Prüfung der Eignung des Bieters die 1 BT-Drucks. 18/6281, S. 109; Opitz in Burgi/Dreher, Beck’scher Vergaberechtskommentar, Band 1, 3. Auflage 2017, § 125 Rz. 22; Schranner in Ingenstau/Korbion, VOB – Teile A und B – Kommentar, § 6f EU VOB/A Rz. 10. 2 Opitz in Burgi/Dreher, Beck’scher Vergaberechtskommentar, Band 1, 3. Auflage 2017, § 125 Rz. 22; Prieß/Simonis in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 125 Rz. 33. 3 Prieß/Simonis in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 125 Rz. 32. 4 BT-Drucks. 18/6281, S. 109. 5 Radu in Müller/Wrede, GWB-Vergaberecht, § 125 Rz. 37. 6 Prieß/Simonis in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 125 Rz. 35.

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§ 125 | Selbstreinigung durchgeführten Selbstreinigungsmaßnahmen vor dem Hintergrund des bestehenden Ausschlussgrundes beurteilen können muss. Dem vom Ausschluss bedrohten Bieter obliegt es daher, dem öffentlichen Auftraggeber durch aktive Zusammenarbeit die Bewertung zu ermöglichen, ob die ergriffenen Selbstreinigungsmaßnahmen unter Berücksichtigung der Schwere und der besonderen Umstände der Straftat oder des Fehlverhaltens ausreichend sind, um die Integrität des Unternehmens wiederherzustellen. Die Sachverhaltsaufklärungspflicht des Unternehmens besteht allerdings nur hinsichtlich der für die Prüfung der Selbstreinigung relevanten Umstände, nicht hingegen im Hinblick auf alle Details der Straftat oder des Fehlverhaltens1. 53 Die in § 125 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 normierte Verpflichtung vom Ausschluss be-

drohter Unternehmen zur aktiven Zusammenarbeit mit dem öffentlichen Auftraggeber ergibt sich zumindest auf den ersten Blick nicht unmittelbar aus der Richtlinie 2014/24/EU. Art. 57 Abs. 6 Unterabs. 2 der Richtlinie 2014/24/EU bestimmt, dass zur Sachverhaltsaufklärung eine aktive Zusammenarbeit mit den „Ermittlungsbehörden“ erfolgen muss. Bei den öffentlichen Auftraggebern, mit denen das Unternehmen gemäß § 125 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ebenfalls zusammenarbeiten muss, handelt es sich jedoch strenggenommen nicht um „Ermittlungsbehörden“ im engeren Sinne.

54 Aufgrund von Zweifeln an der Europarechtskonformität des § 125 Abs. 1

Satz 1 Nr. 2 hat die VK Südbayern dem EuGH die Frage vorgelegt, ob die Forderung einer aktiven Zusammenarbeit des Unternehmens mit dem öffentlichen Auftraggebern bei der Sachverhaltsaufklärung mit den Vorgaben der Richtlinie 2014/25/EU vereinbar sei2. In der dem Vorlagebeschluss zugrunde liegenden Konstellation hatte eine Sektorenauftraggeberin im Jahr 2016 einen Kartellanten des sog. „Schienenkartells“ aus ihrem Prüfungssystem (gemäß § 24 SektVO a.F.) zur Beschaffung von Oberbaumaterialien ausgeschlossen, wogegen dieser mit einem Nachprüfungsantrag vorging. Die VK Südbayern sah das Erfordernis einer Selbstreinigung nach Maßgabe von § 125 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 nicht als erfüllt an. Eine nennenswerte Zusammenarbeit des Kartellanten mit der Auftraggeberin, die zugleich Geschädigte des „Schienenkartells“ ist, erfolgte nicht. Insbesondere ergriff der Kartellant gegenüber der Auftraggeberin keine Initiative zur umfassenden Klärung des Sachverhalts3.

54a Der nationale Gesetzgeber legt § 125 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ein weites Verständnis

des Richtlinienbegriffs „Ermittlungsbehörden“ zugrunde und fasst hierunter nicht nur Ermittlungsbehörden im engeren Sinne, sondern eben auch öffentliche Auftraggeber. Dieses Interpretation des Begriffs „Ermittlungsbehörde“ soll sich nach der Gesetzesbegründung zum einen aus einem Vergleich der unter-

1 BT-Drucks. 18/6281, S. 109. 2 VK Südbayern v. 7.3.2017 – Z3-3-3194-1-45-11/16, zitiert nach juris. 3 VK Südbayern v. 7.3.2017 – Z3-3-3194-1-45-11/16, juris Rz. 83 ff.

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schiedlichen Sprachfassungen des Art. 57 Abs. 6 der Richtlinie 2014/24/EU ergeben1, was jedoch nicht überzeugend ist2. Zudem verwendet der EU-Gesetzgeber den Begriff „Ermittlungsbehörde“ in der Richtlinie 2014/24/EU nur bezüglich des Erfordernisses der aktiven Zusammenarbeit bei der Sachverhaltsaufklärung. Der Begriff „öffentlicher Auftraggeber“ findet hingegen vielfach Verwendung. Dies deutet darauf hin, dass der Richtliniengeber hinsichtlich der umfassenden Mitwirkung bei der Sachverhaltsaufklärung bewusst differenziert und diese nur gegenüber den Ermittlungsbehörden vorgesehen hat3. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus den Erwägungsgründen der Richtlinie 2014/24/EU. Für die Überprüfung von Compliance-Maßnahmen eines kartellbeteiligten Unternehmens (personelle und organisatorische Maßnahmen) sieht Erwägungsgrund 102 vor, dass diese gerade auch durch den öffentlichen Auftraggeber erfolgen kann, wohingegen sich eine vergleichbare Aussage für die Zusammenarbeit bei der Sachverhaltserklärung nicht findet4. Auch das weitere Argument des Gesetzgebers, es entspreche Sinn und Zweck der europäischen Vorschrift, eine Verpflichtung zur Zusammenarbeit auch mit dem öffentlichen Auftraggeber vorzusehen5, ist nicht zwingend. Insoweit weist die VK Südbayern darauf hin, dass öffentlichen Auftraggebern – anders als etwa dem Bundeskartellamt oder der Staatsanwaltschaft – von ihrer Funktion her nicht die Aufgabe zukommt, allgemein wegen etwaiger Verfehlungen Ermittlungen vorzunehmen. Öffentliche Auftraggeber agieren vielmehr im Rahmen fiskalischen Handelns am Markt und treten ihren Vertragspartnern auf Gleichordnungsebene gegenüber. Hinzu kommt, dass öffentliche Auftraggeber auch nicht wie die Ermittlungsbehörden zu einer unparteiischen Ermittlung des Sachverhalts verpflichtet und in vielen Fällen dazu auch gar nicht in der Lage sind6. Auch in dem von der VK Südbayern vorgelegten Fall war die Auftraggeberin selbst von den unzulässigen Kartellabsprachen betroffen und möglicherweise auch geschädigt, was ergebnisoffenen und neutralen Ermittlungen entgegensteht7. Für ein weites Verständnis des in Art. 57 Abs. 6 Unterabs. 2 der Richtlinie 2014/24/EU verwandten Begriffs der „Ermittlungsbehörden“ spricht allenfalls der Umstand, dass der europäische Gesetzgeber den Mitgliedsstaaten bei den verfahrenstechnischen und 1 BT-Drucks. 18/6281, S. 109: Der Gesetzgeber argumentiert, in der englischen Sprachfassung der Richtlinie sei die Rede von „investigating authorities“ und in der französischen Sprachfassung von „autorités chargées de l’enquête“. Hieraus sei zu schließen, dass nicht „Ermittlungsbehörden“ im engeren Sinne, sondern „ermittelnde Behörden“ gemeint sind. 2 So in der Tendenz VK Südbayern v. 7.3.2017 – Z3-3-3194-1-45-11/16, juris Rz. 88 f.; Prieß/Simonis in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 125 Rz 31; Palatzke/Jürschik, NZKart 2017, 358 (361). 3 Palatzke/Jürschik, NZKart 2017, 358 (361). 4 Palatzke/Jürschik, NZKart 2017, 358 (361). 5 BT-Drucks. 18/6281, S. 109. 6 VK Südbayern v. 7.3.2017 – Z3-3-3194-1-45-11/16, juris Rz. 88. 7 VK Südbayern v. 7.3.2017 – Z3-3-3194-1-45-11/16, juris Rz. 88.

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§ 125 | Selbstreinigung inhaltlichen Bedingungen einen Umsetzungsspielraum eingeräumt hat1. Die Mitgliedsstaaten können insbesondere entscheiden, ob sie die Bewertung der Selbstreinigungsmaßnahmen den jeweiligen öffentlichen Auftraggebern überlassen oder sie anderen Behörden auf zentraler oder dezentraler Ebene übertragen2. Der Gesetzgeber des GWB hat sich grundsätzlich für eine Bewertung der Selbstreinigungsmaßnahmen durch den öffentlichen Auftraggeber entschieden (§ 125 Abs. 2 Satz 1)3. Dies hat zur Folge, dass ein vom Ausschluss bedrohtes Unternehmen dem öffentlichen Auftraggeber die zu treffende Entscheidung auch ermöglichen und die durchgeführten Selbstreinigungsmaßnahmen vor dem Hintergrund des bestehenden Ausschlussgrundes mitteilen muss4. Eine Mitwirkungspflicht des Unternehmens gegenüber dem öffentlichen Auftraggeber war im Übrigen auch schon nach bisherigem Recht anerkannt5. Ob der deutsche Gesetzgeber vor diesem Hintergrund die umfassende aktive Zusammenarbeit nicht nur mit den Ermittlungsbehörden im engeren Sinne, sondern auch mit dem öffentlichen Auftraggeber fordern durfte, bleibt jedoch zweifelhaft. Einschränkend erwägt die VK Südbayern eine Verpflichtung des Wirtschaftsteilnehmers gegenüber dem öffentlichen Auftraggeber zur Sachverhaltsaufklärung insoweit, als der Auftraggeber in der Lage versetzt werden soll zu beurteilen, ob die ergriffenen Selbstreinigungsmaßnahmen (technische, organisatorische und personelle Maßnahmen und Schadenskompensation) geeignet und ausreichend sind6. Eine derart beschränkte Zusammenarbeit ist jedoch ohnehin unerlässlich, wenn ein Auftraggeber Selbstreinigungsmaßnahmen bewerten soll. Wie weit die Kooperationspflicht für Unternehmen gegenüber dem Auftraggeber im Lichte der europarechtlichen Vorgaben letztlich reicht, wird erst die Entscheidung des EuGH klären. c) Grenzen der Mitwirkungspflicht 55 Liegt dem jeweils einschlägigen Ausschlussgrund ein Straftatbestand zu Grunde,

steht die zur Selbstreinigung erforderliche Sachverhaltsaufklärung gegenüber den Ermittlungsbehörden in einem Spannungsverhältnis zum im Strafverfahren anwendbaren Grundsatz der Selbstbelastungsfreiheit7. Denn das Unternehmen kann in einen erheblichen Zielkonflikt geraten, wenn es sich in einem Er1 Erwägungsgrund 102 der Richtlinie 2014/24/EU; Prieß/Simonis in Kulartz/Kus/Portz/ Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 125 Rz. 14. 2 Erwägungsgrund 102 der Richtlinie 2014/24/EU. 3 BT-Drucks. 18/6281, S. 110. 4 BT-Drucks. 18/6281, S. 109. 5 OLG Düsseldorf v. 9.6.2010 – VII-Verg 14/10, juris; OLG Düsseldorf v. 28.7.2005 – VIIVerg 42/05, juris; LG Berlin v. 22.3.2006 – 23 O 118/04, NZBau 2006, 397 (399). 6 VK Südbayern v. 7.3.2017 – Z3-3-3194-1-45-11/16, juris Rz. 91. 7 OLG München v. 22.11.2012 – Verg 22/12, NZBau 2013, 261 (263); Prieß/Simonis in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 125 Rz. 34.

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mittlungsverfahren von den Vorwürfen distanzieren möchte, aber gleichzeitig für das Vergabeverfahren eine aktive Beteiligung an der Aufklärung des Rechtsverstoßes erforderlich ist. Dieser Zielkonflikt fällt jedoch in den unternehmerischen Risikobereich1. Denn dem an der Aufklärung gegen sich selbst mitwirkenden Wirtschaftsteilnehmer drohen durch die vergaberechtlichen Selbstreinigungsvorschriften keine Zwangsmaßnahmen, sondern nur der Verlust von Erwerbschancen in Gestalt künftiger öffentlicher Aufträge2. Versuche, den Ermittlungsbehörden das Verständnis der Zusammenhänge vorzuenthalten, sind schädlich3. Das gilt auch, wenn das Unternehmen die eigene Verantwortung bestreitet und sich auf eine Verteidigungshaltung zurückzieht4. Die hierin zum Ausdruck kommende mangelnde Bereitschaft, für das Fehlverhalten Verantwortung zu übernehmen steht einem ernsthaften Aufklärungswillen entgegen, auch wenn ein solches Verhalten im Hinblick auf die Abwehr von Sanktionen verständlich ist. Dem Unternehmen bleibt es insoweit zwar unbenommen, den Vorwurf zu bestreiten und die Mitwirkung an der Aufklärung zu verweigern. Dies hat jedoch zur Folge, dass das Unternehmen nicht die Vorzüge einer Selbstreinigung für sich beanspruchen kann5 und bei unzureichender Kooperation aus dem Vergabeverfahren ausgeschlossen werden kann6. Aus Sicht eines Unternehmens, dem ein Ausschluss droht, ist daher im Einzelfall abzuwägen, ob das Interesse an der Teilnahme am konkreten Vergabeverfahren eine aktive Sachverhaltsaufklärung – und damit eine möglicherweise erfolgreiche Selbstreinigung – denkbare strafrechtliche Konsequenzen überwiegt. Für Unternehmen, die weitgehend von öffentlichen Aufträgen abhängig sind, dürfte es regelmäßig nicht in Betracht kommen, die Zusammenarbeit mit den Ermittlungsbehörden zu verweigern7. Eine Grenze der unternehmerischen Obliegenheit zur aktiven Zusammenarbeit 56 mit den Ermittlungsbehörden besteht allerdings bei berechtigten Interessen des Unternehmens, etwa wenn die Geheimhaltung von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen oder die Wahrung von Arbeitnehmerdatenschutzrechten betrof1 OLG München v. 22.11.2012 – Verg 22/12, NZBau 2013, 261 (263); Radu in Müller/Wrede, GWB-Vergaberecht, § 125 Rz. 35; Burgi, NZBau 2014, 595 (599); Ulshöfer, VergabeR 2016, 327 (336).; a.A. Opitz in Burgi/Dreher, Beck’scher Vergaberechtskommentar, Band 1, 3. Auflage 2017, § 125 Rz. 27, der hierin letztlich einen mittelbaren staatlichen Zwang erblickt, wobei der Konflikt zwischen Selbstbelastungsfreiheit und dem Erfordernis zur aktiven Zusammenarbeit bei der Selbstreinigung auf europarechtlicher Ebene angelegt sei. 2 Burgi, NZBau 2014, 595 (598). 3 OLG Düsseldorf v. 9.6.2010 – VII-Verg 14/10, juris Rz. 47; Radu in Müller/Wrede, GWB-Vergaberecht, § 125 Rz. 47. 4 Radu in Müller/Wrede, GWB-Vergaberecht, § 125 Rz. 35. 5 Radu in Müller/Wrede, GWB-Vergaberecht, § 125 Rz. 35; Palatzke/Jürschik, NZKart 2015, 470 (474). 6 Otting, VergabeR 2016, 316 (324). 7 Prieß/Simonis in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 125 Rz. 34.

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§ 125 | Selbstreinigung fen ist1. Eine Einschränkung besteht darüber hinaus insoweit, als das Unternehmen lediglich alle ihm möglichen und zumutbaren Anstrengungen unternehmen muss. Genügt das Unternehmen diesen Anforderungen und scheitert eine Aufklärung dennoch, so geht dies nicht zulasten des Unternehmens und kann einer zureichenden Selbstreinigung nicht entgegengehalten werden2. 4. Präventive Maßnahmen 57 Als dritte Voraussetzung für eine erfolgreiche Selbstreinigung sieht § 125 Abs. 1

Satz 1 Nr. 3 vor, dass das vom Ausschluss bedrohte Unternehmen konkrete technische, organisatorische und personelle Maßnahmen ergriffen hat, die geeignet sind, weitere Straftaten oder weiteres Fehlverhalten in der Zukunft zu vermeiden. Es handelt sich dabei um eine auf die Zukunft gerichtete Voraussetzung, die insbesondere auf den Aufbau bzw. die Weiterentwicklung eines Compliance-Systems abzielt3.

58 Die Regelung setzt Art. 57 Abs. 6 Unterabs. 2 der Richtlinie 2014/24/EU wört-

lich um. Welche Maßnahmen konkret erforderlich sind, hängt vom jeweiligen Einzelfall ab4. Die vom Unternehmen ergriffenen technischen, organisatorischen und personellen Maßnahmen müssen jedenfalls konkreter Art und dazu geeignet sein, das Ziel der Vermeidung weiterer Straftaten oder Fehlverhalten zu erreichen. Hierzu müssen die Maßnahmen nicht nur generell der Begehung von Straftaten entgegenwirken, sondern auch konkret geeignet sein, eine erneute Begehung der gleichen Straftat zu vermeiden bzw. ausreichende Garantien bieten, dass ein derartiges Fehlverhalten nicht erneut vorkommt5.

59 Bei den nach § 125 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 zu treffenden Maßnahmen handelt es

sich um Compliance-Maßnahmen im weitesten Sinne6. Erwägungsgrund 102 der Richtlinie 2014/24/EU nennt beispielhaft und nicht abschließend in Betracht kommende Maßnahmen. Dabei kann es sich insbesondere um Personal- und Organisationsmaßnahmen handeln, wie den Abbruch aller Verbindungen zu an dem Fehlverhalten beteiligten Personen oder Organisationen, geeignete Personalreorganisationsmaßnahmen, die Einführung von Berichts- und Kontrollsystemen, die Schaffung einer internen Audit-Struktur zur Überwachung der Compliance oder die Einführung interner Haftungs- und Entschädigungsregelungen7.

1 Burgi, Vergaberecht, § 16 Rz. 27; Burgi, NZBau 2014, 595 (598); in diese Richtung auch Mutschler-Siebert/Dorschfeldt, BB 2015, 642 (645). 2 Radu in Müller/Wrede, GWB-Vergaberecht, § 125 Rz. 38. 3 Burgi, NZBau 2014, 595 (598). 4 BT-Drucks. 18/6281, S. 109. 5 BT-Drucks. 18/6281, S. 109. 6 Erwägungsgrund 102 der Richtlinie 2014/24/EU; Ulshöfer, VergabeR 2016, 327 (337). 7 Erwägungsgrund 102 der Richtlinie 2014/24/EU.

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a) Technische und organisatorische Maßnahmen Das Unternehmen muss strukturelle und organisatorische Maßnahmen ergrei- 60 fen, die geeignet erscheinen, Mängel in den internen Verfahrensabläufen des Unternehmens, die dem Ausschlussgrund zugrunde liegen, zu beseitigen und weitere Straftaten oder zukünftiges Fehlverhalten wirksam zu verhindern. Die zu ergreifenden Maßnahmen sollen somit dem grundsätzlichen Problem begegnen, wie es in dem Unternehmen zu der Verfehlung kommen konnte1. Welche Maßnahmen im Einzelfall erforderlich sind, ist abhängig von Faktoren 61 wie Größe, Struktur und Tätigkeitsbereich des Unternehmens, der Art des Delikts oder des Fehlverhaltens2. Von Bedeutung kann ebenfalls sein, ob in einem Unternehmen bereits (einschlägige) Verfehlungen vorgekommen sind3. Bei der Auswahl der Maßnahme hat das Unternehmen einen Beurteilungsspielraum4, wobei eine Vielzahl unterschiedlicher Maßnahmen in Betracht kommt. Dies reicht von der Einrichtung eines komplexen Compliance-Systems bis hin zu einzelnen (Compliance-)Maßnahmen, die einen Verstoß bereits abstellen können. Regelmäßig werden Einzelmaßnahmen des Unternehmens allerdings nicht ausreichen, sondern vielmehr wird ein Maßnahmenbündel zu ergreifen sein5. Die Summe der ergriffenen Maßnahmen muss bei der anzustellende Prognoseentscheidung dazu geeignet erscheinen, künftige Verstöße effektiv zu verhindern6. Die in Erwägungsgrund 102 der Richtlinie 2014/24/EU genannten Maßnahmen 62 können als Beispiele für in Betracht kommende Schritte des Unternehmens dienen7. Danach sind Personalreorganisationsmaßnahmen, die Einführung von Berichts- und Kontrollsystemen, die Schaffung einer internen Audit-Struktur zur Überwachung der Compliance oder die Einführung interner Haftungs- und Entschädigungsregelungen in Betracht zu ziehen8. Haftungs- und Entschädigungsklauseln kommen im Rahmen von Complian- 63 ce-Systemen gegenüber Geschäftspartnern vermehrt zum Einsatz9. Unternehmensintern sind solche Regelungen jedoch bislang üblicherweise nicht Bestandteil der Verträge des Unternehmens mit seinen Mitarbeitern, auch wenn dies 1 Dreher/Hoffmann, NZBau 2014, 150. 2 BT-Drucks. 18/6281, S. 110; Opitz in Burgi/Dreher, Beck’scher Vergaberechtskommentar, Band 1, 3. Auflage 2017, § 125 Rz. 28. 3 Opitz in Burgi/Dreher, Beck’scher Vergaberechtskommentar, Band 1, 3. Auflage 2017, § 125 Rz. 28. 4 Radu in Müller/Wrede, GWB-Vergaberecht, § 125 Rz. 43. 5 Radu in Müller/Wrede, GWB-Vergaberecht, § 125 Rz. 43. 6 Prieß/Simonis in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 125 Rz. 40. 7 Prieß/Simonis in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 125 Rz. 40. 8 Erwägungsgrund 102 der Richtlinie 2014/24/EU. 9 Teicke/Matthiesen, BB 2013, 771 ff.

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§ 125 | Selbstreinigung grundsätzlich möglich wäre1 und auf internationaler Ebene zum Teil bereits vorgesehen sind2. Unter Compliance-Gesichtspunkten sinnvoll sind solche internen Haftungs- und Entschädigungsregelungen, da sie eine Sensibilisierung der Verpflichteten bewirken3 und damit potentiellem Fehlverhalten vorbeugen. Sofern Haftungs- und Entschädigungsklauseln jedoch über die gesetzlich geltenden Haftungsregelungen hinausgehen, indem sie beispielsweise Vertragsstrafen vorsehen, muss insbesondere bei Verträgen mit Angestellten ohne Führungsaufgaben besonderes Augenmerk auf die Vereinbarkeit der Regelungen mit geltendem Arbeitsrecht gelegt werden4. Bei Verträgen mit Führungspersonal ohne Arbeitnehmerstatuts, ist eine deutlich flexiblere Ausgestaltung möglich, so etwa Vorstands- oder Geschäftsführerverträgen5. 64 Die in § 125 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 genannten technischen und organisatorischen

Maßnahmen beziehen sich auf die vom Unternehmen zu ergreifenden Maßnahmen6. Dabei ist eine trennscharfe Abgrenzung der in Betracht kommenden Maßnahmen technischer und organisatorischer Natur nicht möglich. Ein Widerspruch besteht zwischen diesen Maßnahmekategorien jedoch nicht, vielmehr greifen diese ineinander. So können beispielsweise IT-basierte Kontrollmaßnahmen oder Datenzugriffsbeschränkungen einerseits als organisatorische oder andererseits als technische Maßnahmen anzusehen sein7.

65 Vom Unternehmen zu ergreifende organisatorische Maßnahmen können etwa

darin liegen, dass strukturelle Änderungen vorgenommen werden. Diese können insbesondere auf die Reduzierung der Einflussmöglichkeiten einzelner Personen, die Schaffung effektiver Kontrollmechanismen oder transparentere Gestaltung von Entscheidungsprozessen des Unternehmens gerichtet sein8. Die vorgenannten organisatorischen Maßnahmen können singulär oder als Teile eines umfassenden Compliance-Systems ergriffen werden.

1 Mutschler-Siebert/Dorschfeldt, BB 2015, 642 (647). 2 Vgl. bspw. die Compliance-Guidelines der Weltbank, Summary of World Bank Group Integrity Compliance Guidelines, die unter Ziffer 6.2 Compliance-Klauseln auch für Arbeitsverträge vorsehen. 3 Mutschler-Siebert/Dorschfeldt, BB 2015, 642 (647). 4 Mutschler-Siebert/Dorschfeldt, BB 2015, 642 (647). 5 Mutschler-Siebert/Dorschfeldt, BB 2015, 642 (647). 6 a.A. Radu in Müller/Wrede, GWB-Vergaberecht, § 125 Rz. 42, der technische Maßnahmen im Zusammenhang mit dem Ausschluss eines Unternehmens nach Paragraf 124 Abs. 1 Nummer eins und Nummer sieben sehen will und daher auf die bei der Durchführung eines vorherigen Auftrages verwendete technische Ausstattung des Unternehmens abstellt, die zu verbessern sein soll. 7 Prieß/Simonis in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 125 Rz. 41. 8 Prieß/Simonis in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 125 Rz. 45.

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Eine effektive Reduzierung der Einflussmöglichkeit von Einzelpersonen sowie 66 eine dauerhafte Änderung von Unternehmensabläufen lassen sich in der Praxis durch eine Umorganisation des Unternehmens realisieren1. Die am weitesten reichende Maßnahme stellt dabei die organisatorische Trennung von Unternehmensbereichen durch Neugründung einer juristischen Person dar2. Einen wichtigen Beitrag zur Selbstreinigung kann insbesondere die Trennung von Verwaltung und operativem Bereich darstellen3. Bei der konkreten Ausgestaltung solcher Trennungslösungen muss zumindest die Geschäftsführung der Bereiche personell unabhängig voneinander sein, damit tatsächliche Einflussmöglichkeiten zwischen den formal getrennten Bereichen verhindert werden4. Neben der organisatorischen Trennung von Unternehmensbereichen durch Neugründung einer juristischen Person kommt eine – nach außen oftmals nicht auf den ersten Blick erkennbare – interne Umorganisation von Abteilungen in Betracht5. Bei solchen rein internen Umorganisationsmaßnahmen muss das Unternehmen allerdings genau darauf achten, dass die Trennung einzelner Bereiche nicht nur auf dem Papier erfolgt, sondern die gegenseitige Einflussnahme tatsächlich wirksam ausgeschlossen ist6. Dies ist nur dann sichergestellt, wenn die Abteilungen unterschiedlich besetzt sind und sich ihre Leitung unterscheidet7. Insbesondere bei größeren Unternehmen kommen als organisatorische Maßnahmen auch sog. „Chinese walls“ in Betracht8, was eine räumliche Trennung unterschiedlicher Geschäftsbereiche oder auch den Einsatz von Sperrsoftware zur Verhinderung von Datenaustausch zwischen den verschiedenen Abteilungen erfordern kann9. Eine weitere organisatorische Maßnahme zur Beschränkung der Einflussmöglichkeit einzelner Personen ist die Einführung eines Vieraugenprinzips, insbesondere in korruptionsanfälligen Geschäftsbereichen wie dem Einkauf und der Buchhaltung10. Gleiches gilt für eine regelmäßige Rotation von Beschäftig1 Dreher/Hoffmann, NZBau 2014, 150. 2 OLG Brandenburg v. 14.12.2007 – Verg W 21/07, NZBau 2008, 277 (280); Dreher/Hoffmann, NZBau 2014, 150. 3 Opitz in Burgi/Dreher, Beck’scher Vergaberechtskommentar, Band 1, 3. Auflage 2017, § 125 Rz. 29; Dreher/Hoffmann, NZBau 2014, 150. 4 OLG Brandenburg v. 14.12.2007 – Verg W 21/07, NZBau 2008, 277 (280); Opitz in Burgi/Dreher, Beck’scher Vergaberechtskommentar, Band 1, 3. Auflage 2017, § 125 Rz. 29; Dreher/Hoffmann, NZBau 2014, 150. 5 Prieß/Simonis in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 125 Rz. 45; Dreher/Hoffmann, NZBau 2014, 150. 6 Prieß/Simonis in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 125 Rz. 45; Dreher/Hoffmann, NZBau 2014, 150. 7 Dreher/Hoffmann, NZBau 2014, 150. 8 Dreher/Hoffmann, NZBau 2014, 150. 9 Dreher/Hoffmann, NZBau 2014, 150. 10 Prieß/Simonis in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 125 Rz. 45; Radu in Müller/Wrede, GWB-Vergaberecht, § 125 Rz. 44; Mutschler-Siebert/ Dorschfeldt, BB 2015, 642 (648).

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§ 125 | Selbstreinigung ten in sensiblen Bereichen1. Die Einrichtung einer Abteilung „Revision/Compliance“ oder einer „Clearingstelle, die sich mit der Angebots- und Auftragsstrategie befasst und diese hinterfragen soll“, stellt ebenfalls eine strukturelle Umorganisation des Unternehmens dar, die geeignet sein kann, zukünftige Verfehlungen auszuschließen2. Schließlich kann auch die Einbindung Externer in Entscheidungsabläufe Berücksichtigung finden, bspw. die anwaltliche Prüfung externer Provisions- und Beraterverträge3. 67 Allein die Umstrukturierung von Entscheidungsprozessen reicht jedoch oftmals

nicht aus, um künftige Rechtsverstöße des Unternehmens wirksam zu verhindern. Ebenfalls erforderlich ist es, das Bewusstsein der Mitarbeiter eines Unternehmens für strafbewehrte Verhaltensweisen und andere Unregelmäßigkeiten zu sensibilisieren. Erfolgen kann dies etwa durch interne Schulungen, in denen Mitarbeitern praxisbezogen kartell-, vergabe- und strafrechtliche Kenntnisse vermittelt werden4. Den Mitarbeitern soll aufgezeigt werden, dass das Unternehmen von ihnen rechtskonformes Verhalten erwartet, wie sich dieses gestaltet und welche Konsequenzen eine Nichtbeachtung hat5.

68 Als geeignete Selbstreinigungsmaßnahmen, die auf eine Sensibilisierung der

Mitarbeiter abzielen, sind in der Vergangenheit die Einführung eines Wertemanagements in der Unternehmensgruppe6 oder der Beitritt zu Verbänden, die sich der Förderung wirtschaftlicher Ethik verpflichtet fühlen, anerkannt worden7. Hierbei handelt es sich um Maßnahmen, die letztlich auf die Installation eines umfassenden Compliance-Systems hinauslaufen. Ziel solcher Compliance-Systeme (auch Integritätsprogramme genannt8) ist es, die Unternehmenskultur in einer Weise zu ändern, dass durch eine wertbasierte Einflussnahme auf die Haltung und das Verhalten der Gesamtheit der Mitarbeiter künftiges Fehlverhalten vermieden wird9. Inhaltlich muss sich ein Compliance-System primär an dem Ziel ausrichten, die vergangene Verfehlung für die Zukunft auszuschlie1 Prieß/Simonis in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 125 Rz. 45; Radu in Müller/Wrede, GWB-Vergaberecht, § 125 Rz. 44; Mutschler-Siebert/ Dorschfeldt, BB 2015, 642 (648). 2 OLG Brandenburg v. 14.12.2007 – Verg W 21/07, NZBau 2008, 277 (280); Opitz in Burgi/ Dreher, Beck’scher Vergaberechtskommentar, Band 1, 3. Auflage 2017, § 125 Rz. 29; Radu in Müller/Wrede, GWB-Vergaberecht, § 125 Rz. 44. 3 OLG Brandenburg v. 14.12.2007 – Verg W 21/07, NZBau 2008, 277 (280). 4 Prieß/Simonis in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 125 Rz. 42; Braun in Gabriel/Krohn/Neun, Handbuch des Vergaberechts, § 14 Rz. 112. 5 Dreher/Hoffmann, NZBau 2014, 150 (151). 6 OLG Brandenburg v. 14.12.2007 – Verg W 21/07, NZBau 2008, 277 (280); Radu in Müller/Wrede, GWB-Vergaberecht, § 125 Rz. 45. 7 OLG Brandenburg v. 14.12.2007 – Verg W 21/07, NZBau 2008, 277 (280); Radu in Müller/Wrede, GWB-Vergaberecht, § 125 Rz. 45. 8 Diese Bezeichnung findet sich bei Dreher/Hoffmann, NZBau 2014, 150 ff. 9 Radu in Müller/Wrede, GWB-Vergaberecht, § 125 Rz. 45.

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ßen1. Ausgangspunkt ist daher die Einhaltung derjenigen Rechtsvorschriften, gegen die im Unternehmen in der Vergangenheit verstoßen wurde. Hierzu sind Verhaltensstandards zu entwickeln, die die Verstöße bereits in ihrer Entstehung durch rechtskonformes Verhalten verhindern sollen2. Abhängig von dem vorangegangen Fehlverhalten sollten sich die einzuführenden Verhaltensstandards beispielsweise auf den Umgang mit Geschenken im geschäftlichen Umfeld, Einladungen an Geschäftspartner, den Einsatz von Beratern und Agenten, etwaigen Nebentätigkeiten, Beteiligungen an anderen Unternehmen, die Verschwiegenheit oder den Umgang mit Betriebsvermögen beziehen3. Auch wenn es die Wiederherstellung der vergaberechtlichen Integrität des Un- 69 ternehmens nicht erfordert, so ist es dennoch empfehlenswert, ein ComplianceSystem breiter anzulegen und nicht auf ein konkretes in der Vergangenheit liegendes Fehlverhalten zu beschränken. Zum einen erhöht dies die Glaubwürdigkeit des Programms als Selbstreinigungsmaßnahme insgesamt4. Zum anderen wirkt sich ein inhaltlich zu enges Programm selbstreinigungsschädlich aus. Da die Grenzziehung nicht immer eindeutig ist5, sollten betroffene Unternehmen hier kein Risiko eingehen. Es bietet sich an, Compliance-Systeme von unabhängigen Dritten zertifizieren zu lassen, um eventuelle Schwachstellen aufzudecken und zu beheben6. Essentiell für ein effektives und präventiv wirksames Compliance-System ist die 70 umfassende und detaillierte Information aller betroffenen Akteure im Unternehmen über Verhaltensweisen und die damit einhergehenden Risiken, beispielsweise durch die Bekanntgabe von Unternehmensrichtlinien mit konkreten Handlungsanweisungen oder die Ausgabe von Merkblättern7. Ebenfalls in Betracht kommen Schulungen8 oder die Einrichtung einer Beratungshotline9. Ein weiteres Kernelement eines Compliance-Systems ist zudem das Bekenntnis des Unternehmens zur Einhaltung der rechtlichen Vorgaben und der Compliance1 Dreher/Hoffmann, NZBau 2014, 150 (151). 2 Opitz in Burgi/Dreher, Beck’scher Vergaberechtskommentar, Band 1, 3. Auflage 2017, § 125 Rz. 29; Dreher/Hoffmann, NZBau 2014, 150 (151). 3 Prieß/Simonis in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 125 Rz. 42; Radu in Müller/Wrede, GWB-Vergaberecht, § 125 Rz. 45. 4 Dreher/Hoffmann, NZBau 2014, 150 (151). 5 Dreher/Hoffmann, NZBau 2014, 150 (151). 6 In der Praxis verbreitete Standards sind etwa der vom Institut der Wirtschaftsprüfer in Deutschland e.V. (IDW) entwickelte Prüfungsstandard 980 „Grundsätze ordnungsmäßiger Prüfung von Compliance Management Systemen“ sowie die Internationale Norm ISO 19600. 7 Dreher/Hoffmann, NZBau 2014, 150 (152); Mutschler-Siebert/Dorschfeldt, BB 2015, 642 (648). 8 Dreher/Hoffmann, NZBau 2014, 150 (152); Mutschler-Siebert/Dorschfeldt, BB 2015, 642 (648). 9 Mutschler-Siebert/Dorschfeldt, BB 2015, 642 (648).

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§ 125 | Selbstreinigung Standards, beginnend bei der Führungsspitze über die mittleren bis hin zu den unteren Ebenen des Unternehmens1. 71 Die Einhaltung der im Compliance-System erarbeiteten Verhaltensstandards ist

vom Unternehmen zu gewährleisten2. Ein entsprechender Verhaltenskodex sollte daher konkrete Handlungsanweisungen sowie Sanktionen für den Fall der Missachtung vorsehen3. Ebenso sollte vorgegeben werden, wie Mitarbeiter sich zu verhalten haben, wenn sie einen Verstoß oder den Versuch eines Verstoßes entdecken4. In diesem Zusammenhang bietet sich die Einrichtung eines transparenten und glaubwürdigen Verfahrens für das Whistleblowing an, dessen wesentliche Elemente offen kommuniziert werden sollten5. Die Mitarbeiter des Unternehmens sollten darüber in Kenntnis gesetzt werden, dass die Mitteilung von Verstößen begrüßt wird und potentielle Whistleblower keine negativen Konsequenzen zu befürchten haben, insbesondere dessen Anonymität gewahrt bleibt6. In der Unternehmensstruktur werden in der Regel neue Überwachungsmechanismen zur Einhaltung der Verhaltensstandards geschaffen werden müssen, was etwa durch Einsetzung eines Compliance-Officers erfolgen kann.7 Dieser muss unabhängig im Unternehmen agieren können8 und sollte mit Leitungsbefugnissen ausgestattet sein9. Zu seinen Aufgaben zählt es, die Geeignetheit der bestehenden Compliance-Maßnahmen fortlaufend zu überwachen und ggf. für deren Anpassung zu sorgen. Er hat außerdem die Mitarbeiter und Geschäftsführung bei der Einhaltung dieser Regeln zu beraten10.

72 Droht einem Unternehmen aufgrund von Verfehlungen der Ausschluss von ei-

nem Vergabeverfahrens, wird je nach Schwere der Verfehlungen zur Wiederherstellung der Integrität des Unternehmens ein ganzes Maßnahmenpaket zur grundlegenden Umgestaltung von internen Zuständigkeiten und Entscheidungshierarchien, Schaffung von Überwachungsmechanismen und zur Sensibilisierung der Mitarbeiter notwendig sein. Insbesondere in diesen Fällen bietet sich

1 Mutschler-Siebert/Dorschfeldt, BB 2015, 642 (648). 2 Radu in Müller/Wrede, GWB-Vergaberecht, § 125 Rz. 45 m.w.N. 3 Prieß/Simonis in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 125 Rz. 43. 4 Dreher/Hoffmann, NZBau 2014, 150 (152). 5 Opitz in Burgi/Dreher, Beck’scher Vergaberechtskommentar, Band 1, 3. Auflage 2017, § 125 Rz. 29; Prieß/Simonis in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 125 Rz. 43; Braun in Gabriel/Krohn/Neun, Handbuch des Vergaberechts, § 14 Rz. 112; Mutschler-Siebert/Dorschfeldt, BB 2015, 642 (648). 6 Prieß/Simonis in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 125 Rz. 43; Braun in Gabriel/Krohn/Neun, Handbuch des Vergaberechts, § 14 Rz. 114. 7 Prieß/Simonis in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 125 Rz. 46; Radu in Müller/Wrede, GWB-Vergaberecht, § 125 Rz. 45. 8 Braun in Gabriel/Krohn/Neun, Handbuch des Vergaberechts, § 14 Rz. 112. 9 Dreher/Hoffmann, NZBau 2014, 150 (152). 10 Braun in Gabriel/Krohn/Neun, Handbuch des Vergaberechts, § 14 Rz. 112.

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die Einführung eines Compliance-Systems an, das auf das betroffene Unternehmen maßzuschneidern ist1. Erfolgte ein die Integrität des Unternehmens in Frage stellender Rechtsverstoß 73 trotz bereits bestehender Compliance-Maßnahmen, sollte eine erneute Evaluierung der bisher getroffenen Maßnahmen erfolgen2. Konnte die Verfehlung anhand des Compliance-Systems aufgedeckt werden, liegt nahe, dass zumindest die Verhaltensstandards im Hinblick auf die Entdeckung von Verfehlungen funktionieren und lediglich eine Verschärfung der Standards und der Konsequenzen im Bereich der Verhinderung in Betracht zu ziehen ist3. Hat ein bestehendes Compliance-System eine Verfehlung jedoch weder verhindert noch aufgedeckt, muss umfassend untersucht werden, wie es dazu kommen konnte und das Programm grundlegend überarbeitet werden4. Eine komplette Neuerfindung des Compliance-Systems ist dabei allerdings nicht erforderlich, denn eine vollumfängliche Absicherung gegen gezielte Rechtsverstöße einzelner Mitarbeiter kann auch das umfassendste Compliance-System nicht gewährleisten5. b) Personelle Maßnahmen Unternehmen müssen für eine erfolgreiche Selbstreinigung aus einem voran- 74 gegangen Fehlverhalten auch personelle Konsequenzen ziehen. Ohne personelle Maßnahmen kann ein „Neuanfang“ nicht glaubhaft dargestellt werden6. Dieses Erfordernis besteht sowohl zu general- wie auch zu spezialpräventiven Zwecken7. Denn zum einen geht es darum, persönliches Fehlverhalten von für das Unternehmen tätigen Personen für die Zukunft zu vermeiden8. Für das vergangene Fehlverhalten verantwortliche Gesellschafter, Organe oder Mitarbeiter sollen keine weiteren Verstöße begehen können (spezialpräventiver Zweck)9. Darüber hinaus wird auch allen anderen im Unternehmen beschäftigten Personen demonstriert, dass Verstöße nicht geduldet und konsequent geahndet werden (generalpräventiver Zweck)10. 1 Prieß/Simonis in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 125 Rz. 47. 2 Mutschler-Siebert/Dorschfeldt, BB 2015, 642 (647). 3 Dreher/Hoffmann, NZBau 2014, 150 (152). 4 Dreher/Hoffmann, NZBau 2014, 150 (152). 5 Mutschler-Siebert/Dorschfeldt, BB 2015, 642 (647). 6 Mutschler-Siebert/Dorschfeldt, BB 2015, 642 (646 f.). 7 Prieß/Simonis in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 125 Rz. 49. 8 Radu in Müller/Wrede, GWB-Vergaberecht, § 125 Rz. 46. 9 Prieß/Simonis in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 125 Rz. 49. 10 Prieß/Simonis in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 125 Rz. 49.

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§ 125 | Selbstreinigung 75 Die erforderlichen personellen Maßnahmen richten sich nach Umfang und

Schwere des vorangegangen Fehlverhaltens sowie der Form der Beteiligung der Personen und sind daher im jeweiligen Einzelfall zu bestimmen1. Auch der Position des jeweiligen Mitarbeiters im Unternehmen sowie seiner Bereitschaft, bei der Aufklärung des Geschehens mitzuwirken, kommt Bedeutung zu2. Sichergestellt werden muss insbesondere, dass unzuverlässigen Personen jeglicher Einfluss auf die Geschäftsführung entzogen wird3.

76 Scheiden die handelnden Personen, deren Straftaten oder Fehlverhalten dem Un-

ternehmen zuzurechnen ist, aus dem Unternehmen aus und sind auch sonst nicht mehr für das Unternehmen tätig, so reicht dies in jedem Fall aus4. In schwerwiegenden Fällen wird ein solcher Abbruch aller Verbindungen zu an dem Fehlverhalten beteiligten Personen oder Organisationen regelmäßig notwendig sein5, mithin bei Angestellten eines Unternehmens eine fristlose Kündigung des Beschäftigungsverhältnisses auszusprechen sein. Eine solche Vorgabe kann allerdings nur soweit reichen, wie der Abbruch der Verbindungen rechtlich (insbesondere arbeitsrechtlich) zulässig ist6. Dem Unternehmen kann vor diesem Hintergrund insbesondere nicht zur Last gelegt werden, wenn es personelle Konsequenzen gegen einzelne Mitarbeiter erst dann ergreift, wenn fundierte, belastbare Verdachtsumstände vorliegen7. Mildere Maßnahmen (Versetzung, Abmahnung) können, unter Umständen geboten und ausreichend sein, wenn es zwecks Sachverhaltsaufklärung notwendig ist, Amnestien in Aussicht zu stellen8.

77 Handelt es sich um vergangenes Fehlverhalten von Gesellschaftern oder Anteils-

eignern, muss das Unternehmen gewährleisten, dass diese Personen zukünftig keinerlei Einfluss auf das operative Geschäft eines Unternehmens nehmen können. Maßgeblich sind insbesondere die gesellschaftsrechtlichen Verträge und die Verteilung der Geschäftsanteile9. Das Behalten der formalen Stellung als Gesellschaf-

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BT-Drucks. 18/6281, S. 109. Radu in Müller/Wrede, GWB-Vergaberecht, § 125 Rz. 47. Braun in Gabriel/Krohn/Neun, Handbuch des Vergaberechts, § 14 Rz. 110. Radu in Müller/Wrede, GWB-Vergaberecht, § 125 Rz. 47. Vgl. Erwägungsgrund 102 der Richtlinie 2014/24/EU; Prieß/Simonis in Kulartz/Kus/ Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 125 Rz. 50. Opitz in Burgi/Dreher, Beck’scher Vergaberechtskommentar, Band 1, 3. Auflage 2017, § 125 Rz. 31; Prieß/Simonis in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 125 Rz. 50. OLG Düsseldorf v. 9.4.2003 – Verg 43/02, NZBau 2003, 578 (581); ähnlich OLG Frankfurt a.M. v. 20.7.2004 – 11 Verg 6/04, ZfBR 2004, 822 (826). Mutschler-Siebert/Dorschfeldt, BB 2015, 642 (647); Opitz in Burgi/Dreher, Beck’scher Vergaberechtskommentar, Band 1, 3. Auflage 2017, § 125 Rz. 33, sieht in personellen Maßnahmen den Kern einer jeden Selbstreinigung, weshalb auf diese Maßnahmen auch zum Zwecke der Sachverhaltsaufklärung nicht verzichtet werden könne. Prieß/Simonis in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 125 Rz. 50.

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ter steht einer Selbstreinigung nicht entgegen, wenn der Einfluss eines Gesellschafters insoweit „neutralisiert“ wird, dass der betroffene Gesellschafter Verfehlungen im Rahmen seiner dem Unternehmen zuzurechnenden geschäftlichen Tätigkeit nicht mehr begehen kann1. Dies kann über entsprechende Aus- bzw. Umgestaltung der Gesellschaftsverträge sichergestellt werden. Der Ausschluss der Einflussnahme lässt sich aber auch dadurch erreichen, dass der betreffende Gesellschafter auf die Ausübung seine Gesellschafterrechte unwiderruflich verzichtet und erklärt, keinen Einfluss mehr auf die Entscheidungen des Aufsichtsrats, der Geschäftsleitung oder sonstiger strategischer und operativer Gremien des Unternehmens auszuüben2. Ebenfalls ausreichen kann die Übertragung der entsprechenden Einflussmöglichkeiten des Gesellschafters auf einen Treuhänder3. Ein nur formeller Rückzug aus dem operativen Geschäft genügt hingegen nicht. Kann der Gesellschafter tatsächlich nach wie vor, beispielsweise über Familienangehörige, Einfluss auf die Geschäftstätigkeit des Unternehmens ausüben ist dies ebenso unzureichend wie eine Übertragung der Einflussmöglichkeiten auf einen Treuhänder, bei der sich der Gesellschafter vertraglich zusichern lässt, dass er die tatsächliche und rechtliche Möglichkeit zur Einflussnahme auf die Geschäftsführung behält4. Ist das Fehlverhalten als weniger schwerwiegend einzustufen, kommen auch 78 mildere Maßnahmen in Betracht, etwa ordentliche Kündigungen, Aufhebungsvereinbarungen, Abmahnungen oder Versetzungen. Dies erscheint etwa bei untergeordneten Hilfeleistungen oder bloßer Kenntnis des Sachverhaltes denkbar. Maßgeblich ist auch insoweit die Prognoseentscheidung, ob der Mitarbeiter zukünftig keine Verfehlungen begehen wird. Flankiert werden können mildere Maßnahmen, wie die vorgenannten, durch weitere organisatorische Compliance Maßnahmen wie die Versetzung in eine andere Abteilung5. Regelmäßig wird dies jedoch nur in Betracht kommen, wenn es sich nicht um Führungspersonal des Unternehmens handelt. Begehen Personen in Führungspositionen schwere Verfehlungen, insbesondere Straftaten, kommt in aller Regel nur die unmittelbare Beendigung der Beziehungen des Unternehmens zu dieser Person in Betracht6. Gleiches gilt bei systematischem Fehlverhalten von Mitarbeitern7. 1 Radu in Müller/Wrede, GWB-Vergaberecht, § 125 Rz. 48. 2 OLG Brandenburg v. 14.12.2007 – Verg W 21/07, NZBau 2008, 277 (279 f.); Radu in Müller/Wrede, GWB-Vergaberecht, § 125 Rz. 48; Prieß/Simonis in Kulartz/Kus/Portz/ Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 125 Rz. 50. 3 Opitz in Burgi/Dreher, Beck’scher Vergaberechtskommentar, Band 1, 3. Auflage 2017, § 125 Rz. 32; Prieß/Simonis in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 125 Rz. 50. 4 Radu in Müller/Wrede, GWB-Vergaberecht, § 125 Rz. 48. 5 Mutschler-Siebert/Dorschfeldt, BB 2015, 642 (647). 6 Prieß/Simonis in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 125 Rz. 51. 7 Opitz in Burgi/Dreher, Beck’scher Vergaberechtskommentar, Band 1, 3. Auflage 2017, § 125 Rz. 31.

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§ 125 | Selbstreinigung 79 Mit Blick auf die in § 126 genannten zeitlichen Höchstgrenzen für den Aus-

schluss von Unternehmen kommen grundsätzlich auch zeitlich befristete personelle Maßnahmen auf Gesellschafterebene in Betracht1. Letztlich hängt die Bestimmung erforderlicher personeller Präventivmaßnahmen vom Einzelfall und dabei insbesondere der konkreten gesellschaftsrechtlichen Situation ab.

80 Ergreift ein Unternehmen personelle Maßnahmen zur Selbstreinigung, so ist si-

cherzustellen, dass die für die Zukunft eingesetzten Personen innerhalb der durch § 126 geregelten Höchstgrenzen nicht wegen einer Katalogtat gemäß § 123 Abs. 1 verurteilt worden sind oder eine nachweislich schwere Verfehlung gemäß § 124 Abs. 1 Nr. 3 begangen haben. Dies gilt auch bei vorheriger Tätigkeit für ein anderes Unternehmen. Denn durch die Beschäftigung einer solchen Person würde das Unternehmen die Unzuverlässigkeit importieren und müsste sich diese zurechnen lassen2. 5. Nachweis

81 Wie sich aus dem Wortlaut des § 125 Abs. 1 Satz 1 ergibt, trägt das Unternehmen

die Darlegungs- und Beweislast für die Durchführung der Selbstreinigungsmaßnahmen3. Dies ist konsequent, da das Unternehmen mit der zurechenbaren Verfehlung die Ursache für den eigenen Ausschluss gesetzt hat4. Darüber hinaus entziehen sich unternehmensinterne Maßnahmen der Selbstreinigung in der Regel der Kenntnis des Auftraggebers, der nach § 125 Abs. 2 Satz 1 die Selbstreinigungsmaßnahme zu bewerten und über die Zulassung des Unternehmens zum Vergabeverfahren zu entscheiden hat5.

82 Das Unternehmen muss die getroffenen Maßnahmen glaubhaft darstellen6

und dem öffentlichen Auftraggeber die zur Bewertung der Selbstreinigung erforderlichen Unterlagen unaufgefordert vorlegen7. Es genügt, wenn kein vernünftiger Zweifel daran besteht, dass die geltend gemachten Maßnahmen durchgeführt wurden8. Die Nachweise müssen eingeleitete Selbstreinigungsmaßnahmen

1 Opitz in Burgi/Dreher, Beck’scher Vergaberechtskommentar, Band 1, 3. Auflage 2017, § 125 Rz. 32, Radu in Müller/Wrede, GWB-Vergaberecht, § 125 Rz. 48. 2 Vgl. hierzu § 123 Rz. 42 und § 124 Rz. 61; OLG Düsseldorf v. 18.7.2001 – Verg 16/01, juris Rz. 39; Conrad in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 124 Rz. 56; speziell zu vertretungsberechtigten Personen bei juristischen Personen oder Handelsgesellschaften Dreher/Hoffmann, NZBau 2012, 265 (268). 3 BT-Drucks. 18/6281, S. 108; Radu in Müller/Wrede, GWB-Vergaberecht, § 125 Rz. 50; so schon zur früheren Rechtslage Dreher/Hoffmann, NZBau 2014, 150 (154). 4 BT-Drucks. 18/6281, S. 108. 5 Prieß/Simonis in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 125 Rz. 23. 6 OLG Brandenburg v. 14.12.2007 – Verg W 21/07, NZBau 2008, 277 (279). 7 Dreher/Hoffmann, NZBau 2014, 150 (154). 8 Opitz in Burgi/Dreher, Beck’scher Vergaberechtskommentar, Band 1, 3. Auflage 2017, § 125 Rz. 12.

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konkret darstellen, damit der Auftraggeber die Effektivität der von dem Unternehmen vorgenommenen Maßnahmen beurteilen kann1. Als Nachweise geeignet sind primär Schriftstücke aller Art, mit denen die Angeben des Unternehmens durch Erklärungen Dritter oder auch eigener Mitarbeiter belegt werden2. Eine rein interne Dokumentation ist somit zwar nicht per se ausgeschlossen, jedoch erhöht die Erstellung der Dokumentation durch unabhängige Dritte regelmäßig die Glaubwürdigkeit3. Stehen überwiegende Belange des Geheimnisschutzes nicht entgegen, kann dem 83 Auftraggeber beispielsweise der Abschlussbericht des Wirtschaftsprüfers zur Verfügung gestellt werden. Der Nachweis personeller Selbstreinigungsmaßnahmen kann durch die Vorlage eines Handelsregisterauszugs erfolgen, soweit hieraus hervorgeht, dass Personen, denen die Verfehlung angelastet wird, keine Möglichkeit zur Einflussnahme auf das Unternehmen haben. Maßnahmen zur Umorganisation des Unternehmens durch Neugründung einer juristischen Person lassen sich insbesondere durch eine entsprechende Dokumentation belegen. Bei Präventivmaßnahmen wie der Einrichtung eines Compliance-Systems sind Inhalt, Umsetzung und Kontrolle darzustellen und einzelne Bestandteile wie beispielsweise Mitarbeiterschulungen nach Inhalt, Teilnehmerkreis und zeitlichem Umfang zu dokumentieren4. Aus Sicht des öffentlichen Auftraggebers ist die Überprüfbarkeit der Angaben 84 des Unternehmens entscheidend. Erforderlich ist daher, dass dem Auftraggeber – zumindest stichprobenweise – die Nachprüfung der Angaben ermöglicht wird, etwa durch eigene Erkundigungen im Unternehmen5. 6. Rechtsfolge § 125 Abs. 1 verpflichtet den öffentlichen Auftraggeber dazu, ein von einem 85 Ausschlussgrund betroffenes Unternehmen zu dem konkret in Rede stehenden Vergabeverfahren zuzulassen, wenn das Unternehmen eine wirksame Selbstreinigung nachweisen kann. In diesem Fall besteht kein Ermessen des Auftraggebers auf Rechtsfolgenseite, die Zulassung des Unternehmens zum konkreten Vergabeverfahren ist zwingend6. Das Unternehmen hat somit einen Rechtsanspruch auf Teilnahme am vergaberechtlichen Wettbewerb7. 1 2 3 4

Dreher/Hoffmann, NZBau 2014, 150 (154). Radu in Müller/Wrede, GWB-Vergaberecht, § 125 Rz. 51. Dreher/Hoffmann, NZBau 2014, 150 (154). Zu den einzelnen Nachweismöglichkeiten vgl. Dreher/Hoffmann, NZBau 2014, 150 (154). 5 Radu in Müller/Wrede, GWB-Vergaberecht, § 125 Rz. 51. 6 BT-Drucks. 18/6281, S. 107; Prieß/Simonis in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 125 Rz. 53. 7 BT-Drucks. 18/6281, S. 107.

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§ 125 | Selbstreinigung III. Bewertung der Selbstreinigungsmaßnahme (§ 125 Abs. 2) 86 Nach § 125 Abs. 2 Satz 1 bewertet der öffentliche Auftraggeber die von einem

Unternehmen ergriffenen Selbstreinigungsmaßnahmen unter Berücksichtigung der Schwere und der besonderen Umstände der Straftat oder des Fehlverhaltens. Sofern der Auftraggeber die Selbstreinigungsmaßnahmen des Unternehmens für unzureichend erachtet, muss er diese Entscheidung gegenüber dem Unternehmen begründen (§ 125 Abs. 2 Satz 2).

87 § 125 Abs. 2 setzt die in Art. 57 Abs. 6 Unterabs. 3 der Richtlinie 2014/24/EU nor-

mierten Vorgaben für die Bewertung und die Begründungspflicht nahezu wörtlich um. Mit Blick auf den durch die Richtlinie 2014/24/EU vorgesehenen verfahrenstechnischen Umsetzungsspielraum bei der Entscheidung, ob die Bewertung der Selbstreinigungsmaßnahmen den jeweiligen öffentlichen Auftraggebern überlassen oder sie anderen Behörden auf zentraler oder dezentraler Ebene übertragen wird1, hat der Gesetzgeber eine Bewertung der Selbstreinigungsmaßnahmen durch den jeweiligen öffentlichen Auftraggeber vorgesehen (§ 125 Abs. 2 Satz 1)2. Der einzelne öffentliche Auftraggeber nimmt daher eine Bewertung der Selbstreinigungsmaßnahmen in eigener Verantwortung vor, weshalb die Einschätzung auch von Auftraggeber zu Auftraggeber unterschiedlich ausfallen kann3.

88 Nach der Gesetzesbegründung kämen verschiedene Wege in Betracht, um den

öffentlichen Auftraggebern die Prüfung durchgeführter Selbstreinigungsmaßnahmen und den Bietern den Nachweis einer erfolgreichen Selbstreinigung zu erleichtern. Insoweit könne etwa die Prüfung durchgeführter Selbstreinigungsmaßnahmen in einem Land bei einzelnen Landesbehörden gebündelt werden oder Präqualifizierungsstellen hierbei eine entsprechende Funktion übernehmen. Daneben wird aber auch die Möglichkeit einer Zertifizierung von Selbstreinigungsmaßnahmen durch eine unabhängige, dafür akkreditierte Stelle erwogen. Bei dieser Variante könne ein Unternehmen die Zertifizierung der von ihm durchgeführten Maßnahmen freiwillig beauftragen und die Anerkennung eines solchen Zertifikats stünde im Ermessen des öffentlichen Auftraggebers4. Nicht zuletzt um ein gewisses Maß an Einheitlichkeit bei der Bewertung von Selbstreinigungsmaßnahmen zu erzielen, erscheinen die vom Gesetzgeber in Betracht gezogenen Mechanismen zur Bewertung von Selbstreinigungsmaßnahmen durchaus erwägenswert. Denn einer dem einzelnen öffentlichen Auftraggeber auferlegten Bewertungspflicht ist das Risiko immanent, dass sich in der Praxis unterschiedliche Maßstäbe bei der Bewertung von Selbstreinigungsmaßnahmen herausbilden, was wiederum mit Blick auf den Gleichbehandlungsgrundsatz

1 Erwägungsgrund 102 der Richtlinie 2014/24/EU. 2 BT-Drucks. 18/6281, S. 110. 3 Opitz in Burgi/Dreher, Beck’scher Vergaberechtskommentar, Band 1, 3. Auflage 2017, § 125 Rz. 35. 4 BT-Drucks. 18/6281, S. 110.

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Probleme aufwerfen kann. Vor diesem Hintergrund liegt die Bündelung der Bewertung von Selbstreinigungsmaßnahmen bei einer zentralen Stelle nahe, was der Bundesgesetzgeber mit Erlass des WRegG aufgegriffen hat, indem er die nach dem WRegG eingerichtete zentrale Registerbehörde (Bundeskartellamt) neben dem einzelnen öffentlichen Auftraggeber als zuständig für die Bewertung von Selbstreinigungsmaßnahmen erklärt hat (zum WRegG vgl. Rz. 106a ff.). 1. Bewertung der Selbstreinigungsmaßnahmen (Satz 1) Die nach § 125 Abs. 2 Satz 1 vorzunehmende Bewertung der Selbstreinigung er- 89 fordert vom öffentlichen Auftraggeber eine in eigener Verantwortung auf das konkrete Vergabeverfahren bezogene Prognoseentscheidung, ob die vom Unternehmen ergriffenen Selbstreinigungsmaßnahmen insgesamt ausreichend sind, um dessen Integrität wiederherzustellen und zu gewährleisten, dass von dem Unternehmen in Zukunft höchstwahrscheinlich keine Gefahr der Begehung von Straftaten oder eines Fehlverhaltens mehr ausgeht1. Bei der Bewertung der Selbstreinigungsmaßnahme besteht ein weiter Beurtei- 90 lungsspielraum des öffentlichen Auftraggebers2. Die Entscheidung des Auftraggebers ist von den Nachprüfungsinstanzen nur eingeschränkt dahingehend überprüfbar, ob die Verfahrensbestimmungen eingehalten, zutreffende Tatsachen zugrunde gelegt und keine sachwidrigen Erwägungen angestellt worden sind3. Bei der Würdigung der Selbstreinigungsmaßnahmen gibt es keine pauschalen 91 Beurteilungen4. Es kommt stets auf die Umstände des Einzelfalls an, insbesondere die Schwere und die besonderen Umstände der Straftat oder des Fehlverhaltens im Hinblick auf den zu vergebenden Auftrag5 sowie die konkreten Tatbeiträge6. Entscheidend ist u.a., ob es sich bei der Verfehlung des Unternehmens um einen Einzelfall oder um systematisches Fehlverhalten handelt, wie hoch der entstandene Schaden ist und wieviel Zeit seit dem Delikt bzw. dem Fehlverhalten verstrichen ist7. Der Auftraggeber kann bei der Bewertung vom Unterneh1 BT-Drucks. 18/6281, S. 110; VK Bund v. 12.6.2015 – VK 2 - 31/15, juris Rz. 102 = BB 2015, 2321 (2323), mit Anm. Heuking; Opitz in Burgi/Dreher, Beck’scher Vergaberechtskommentar, Band 1, 3. Auflage 2017, § 125 Rz. 11. 2 BT-Drucks. 18/6281, S. 107. 3 Opitz in Burgi/Dreher, Beck’scher Vergaberechtskommentar, Band 1, 3. Auflage 2017, § 125 Rz. 12; Prieß/Simonis in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 125 Rz. 55; Burgi, NZBau 2014, 595 (598). 4 VK Bund v. 12.6.2015 – VK 2 - 31/15, juris Rz. 105 = BB 2015, 2321 (2323), mit Anm. Heuking. 5 BT-Drucks. 18/6281, S. 110. 6 VK Bund v. 12.6.2015 – VK 2 - 31/15, juris Rz. 105 = BB 2015, 2321 (2323), mit Anm. Heuking. 7 Opitz in Burgi/Dreher, Beck’scher Vergaberechtskommentar, Band 1, 3. Auflage 2017, § 125 Rz. 36.

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§ 125 | Selbstreinigung men getroffener Selbstreinigungsmaßnahmen jedoch nicht nur den fortschreitenden Zeitablauf und die Fortschritte bei der Umsetzung von ComplianceMaßnahmen berücksichtigen, sondern auch, ob der Bieter bereits gegenüber einem anderen öffentlichen Auftraggeber die Selbstreinigung nachweisen konnte1. Ebenfalls von Bedeutung ist, ob ein fakultativer oder ein zwingender Ausschlussgrund vorliegt. In letzterem Falle sind höhere Anforderungen an die Selbstreinigungsmaßnahmen zu stellen als bei Vorliegen eines fakultativen Ausschlussgrundes2. Erforderlich ist die Anlegung desselben Maßstabs bei der Bewertung von Selbstreinigungsmaßnahmen, was beispielsweise bei der Teilnahme mehrerer Kartellanten an einem Vergabeverfahren relevant sein kann3. 92 Hinsichtlich der auf die Vergangenheitsbewältigung gerichteten Selbstrei-

nigungsmaßnahmen in § 125 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und 2 bedarf es grundsätzlich nur der Feststellung, ob diese erfüllt sind oder nicht. Hat ein Unternehmen erfolgreich den Nachweis erbracht, muss der öffentliche Auftraggeber nicht bewerten, ob die Maßnahmen zur Wiederherstellung der Integrität des Unternehmens zureichend sind, da dies nach der gesetzlichen Regelung außer Frage steht4.

93 Nur wenn die Voraussetzungen gemäß § 125 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und 2 (teilwei-

se) nicht erfüllt sind, kann der öffentliche Auftraggeber im Einzelfall bewerten, ob dies einer insgesamt positiven Bewertung der Selbstreinigung entgegensteht oder nicht. Insofern besteht jedoch kein weiter, sondern nur ein eng umrissener Beurteilungsspielraum des öffentlichen Auftraggebers. Vorzunehmen ist eine einzelfallbezogene Bewertung unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsprinzips5. Ist etwa nur ein geringfügiger Schaden nicht ausgeglichen worden oder hat das Unternehmen in untergeordneten Punkten bei der Sachverhaltsaufklärung nicht mitgewirkt und dadurch eine umfassende Sachverhaltsaufklärung verhindert, können die Selbstreinigungsmaßnahmen im Einzelfall gleichwohl für ausreichend befunden werden6.

94 Der nach der Gesetzesbegründung bestehende Spielraum des öffentlichen Auf-

traggebers kommt bei der Bewertung der nach § 125 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 vorgesehenen präventiven Selbstreinigungsmaßnahmen eines Unternehmens zur Geltung. Insofern besteht eine Einschätzungsprärogative des öffentlichen Auftraggebers hinsichtlich der Frage, ob die vom Unternehmen ergriffenen Maßnahmen zur Verhinderung zukünftigen Fehlverhaltens geeignet und zureichend im Sinne des § 125 Abs. 2 Satz 1 sind7.

1 Roth, VergabeR 2016, 672 (678). 2 BT-Drucks. 18/6281, S. 110. 3 VK Bund v. 12.6.2015 – VK 2 - 31/15, juris Rz. 105 = BB 2015, 2321 (2323) mit Anm. Heuking. 4 Radu in Müller/Wrede, GWB-Vergaberecht, § 125 Rz. 62. 5 Radu in Müller/Wrede, GWB-Vergaberecht, § 125 Rz. 63. 6 Radu in Müller/Wrede, GWB-Vergaberecht, § 125 Rz. 63. 7 Radu in Müller/Wrede, GWB-Vergaberecht, § 125 Rz. 65.

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Für die nach § 125 Abs. 2 Satz 1 vorzunehmende Bewertung einer Selbstrei- 95 nigungsmaßnahme ist grundsätzlich der Sachverhalt maßgeblich, wie er sich im Zeitpunkt der Eignungsprüfung darstellt1. Daher sind auch während des laufenden Vergabeverfahrens durchgeführte Selbstreinigungsmaßnahmen – jedenfalls bis zum Zeitpunkt der Eignungsprüfung – zu berücksichtigen2. Die Selbstreinigungsmaßnahme muss dabei jedoch nicht zwingend abgeschlossen sein. Ausreichen kann auch, wenn eine eingeleitete Maßnahme erst zum Zeitpunkt der Auftragsausführung abgeschlossen sein wird3. Etwas anderes gilt allerdings, wenn zu befürchten ist, dass der in Betracht kommende Ausschlussgrund Auswirkungen auf die Angebotskalkulation des Unternehmens hat. Insoweit entfalten nachträglich ergriffene Maßnahmen keine Wirkung mehr für eine bereits „infizierte“ Angebotskalkulation4. Eine Selbstreinigung kann allerdings auch noch nach dem Zeitpunkt der Eig- 96 nungsprüfung im Vergabeverfahren zu berücksichtigen sein5. Dies gilt etwa dann, wenn Selbstreinigungsmaßnahmen während eines laufenden Nachprüfungsverfahrens durchgeführt werden und dies zur Folge hat, dass die zunächst fehlende Eignung eines Unternehmens im Zeitpunkt der Entscheidung im Beschwerdeverfahren wieder gegeben ist6. Dass eine Selbstreinigungsmaßnahme erst als neue Tatsache im Beschwerdeverfahren eingeführt wird, soll nichts daran ändern, dass sie im Beschwerdeverfahren (als Tatsacheninstanz) zu berücksichtigen ist7. In der Möglichkeit, auch während des Nachprüfungsverfahrens noch zu berücksichtigende Selbstreinigungsmaßnahmen zu ergreifen, wird teilweise jedoch ein Missbrauchsrisiko erkannt. So könnten nach §§ 123 oder 124 auszuschließende Bieter ein Nachprüfungsverfahren allein mit dem Ziel einleiten, das Vergabeverfahren in die Länge zu ziehen und die Zeit des Nachprüfungsverfahrens zu nutzen, die zur Wiedererlangung der Zuverlässigkeit erfor1 OLG Brandenburg v. 14.12.2007 – Verg W 21/07, NZBau 2008, 277 (279 f.); Dreher/Hoffmann, NZBau 2014, 67 (70). 2 OLG Brandenburg v. 14.12.2007 – Verg W 21/07, NZBau 2008, 277 (279 f.); Radu in Müller/Wrede, GWB-Vergaberecht, § 125 Rz. 26; Dreher/Hoffmann, NZBau 2014, 67 (70). 3 Prieß/Simonis in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 125 Rz. 57; Radu in Müller/Wrede, GWB-Vergaberecht, § 125 Rz. 26; Dreher/Hoffmann in NZBau 2014, 67 (70). 4 OLG München v. 22.11.2012 – Verg 22/12, NZBau 2013, 261 (263); Prieß/Simonis in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 125 Rz. 57. 5 OLG Düsseldorf v. 18.7.2001 – Verg 16/01, VergabeR 2001, 419 (422 f.); OLG München v. 22.11.2012 – Verg 22/12, NZBau 2013, 261 (262 f.), Radu in Müller/Wrede, GWB-Vergaberecht, § 125 Rz. 26. 6 OLG Düsseldorf v. 18.7.2001 – Verg 16/01, VergabeR 2001, 419 (422 f.); OLG München v. 22.11.2012 – Verg 22/12, NZBau 2013, 261 (262 f.); Opitz in Burgi/Dreher, Beck’scher Vergaberechtskommentar, Band 1, 3. Auflage 2017, § 125 Rz. 9. 7 OLG Düsseldorf v. 18.7.2001 – Verg 16/01, VergabeR 2001, 419 (423); OLG München v. 22.11.2012 – Verg 22/12, NZBau 2013, 261 (262 f.).

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§ 125 | Selbstreinigung derlichen Selbstreinigungsmaßnahmen durchzuführen1. Dies ist jedoch letztlich hinzunehmen, da die Befürchtungen vor rechtsmissbräuchlichen Nachprüfungsanträgen unbegründet sind2. Unabhängig davon, dass spät ergriffene Selbstreinigungsmaßnahmen häufig nicht zureichend sein werden, muss ein gegen seinen Ausschluss mittels Nachprüfungsantrag vorgehendes Unternehmen regelmäßig die oft erheblichen Kosten des Nachprüfungsverfahrens tragen. Dies gilt jedenfalls für den Fall, dass die erfolgreiche Anfechtung des Ausschlusses allein auf die nach erfolgter Eignungsprüfung durchgeführte Selbstreinigung zurückzuführen ist. Der für den Zuschlag an Stelle des zunächst ausgeschlossenen Unternehmens vorgesehene Bieter kann sich insoweit nicht auf einen Vertrauensschutz berufen, da er noch keine gesicherte Rechtsposition innehat3. 97 Etwas anderes gilt nach Ansicht der Vergabekammer des Bundes jedoch bei

Vergabeverfahren mit vorgeschaltetem Teilnahmewettbewerb. Nach Ablauf der Teilnahmefrist vorgenommene Selbstreinigungsmaßnahmen sollen im Rahmen der Eignungsprüfung nicht mehr für die Entscheidungsfindung herangezogen werden können4. Zur Begründung stützt sich die Vergabekammer des Bundes zum einen auf das verfahrensrechtliche Erfordernis einer Fristsetzung für den Eingang der Teilnahmeanträge, der dem Nachschieben neuer Eignungsaspekte durch einen Bewerber entgegenstehe5. Zum anderen scheide die Berücksichtigung von nach Ablauf der Teilnahmefrist vorgenommenen Selbstreinigungsmaßnahmen mit Blick auf den Gleichbehandlungsgrundsatz aus, da es eine gleichheitswidrige Bevorzugung darstellen würde, wenn auftraggeberseitig einem Teilnehmer die Möglichkeit eingeräumt wurde, beispielsweise nach Erhalt der Information über eine abschlägige Eignungsprüfung den vom Auftraggeber benannten Grund für die Ablehnung zu beseitigen und seine Eignung nachträglich herzustellen6. Außerdem bestehe in Vergabeverfahren mit Teilnahmewettbewerb ein Vertrauensschutz zugunsten der anderen Teilnehmer, was § 16 EG Abs. 2 Nr. 2 VOB/A verdeutliche7.

98 Zwar existieren mit § 16b Abs. 3 EU VOB/A8 und § 42 Abs. 2 VgV9 auch nach

Inkrafttreten des Vergaberechtsmodernisierungsgesetzes dem § 16 EG Abs. 2 Nr. 2 VOB/A vergleichbare Regelungen. Aus diesen kann allerdings nicht ge-

1 Dreher/Hoffmann, NZBau 2014, 67 (70). 2 Radu in Müller/Wrede, GWB-Vergaberecht, § 125 Rz. 26. 3 OLG München v. 22.11.2012 – Verg 22/12, NZBau 2013, 261 (262 f.); a.A. für das Verhandlungsverfahren mit Teilnahmewettbewerb VK Bund v. 12.6.2015 – VK 2-31/15. 4 VK Bund v. 12.6.2015 – VK 2 - 31/15, juris Rz. 95 ff., BB 2015 = 2321 f. mit Anm. Heuking; so wohl auch Gnittke/Hattig in Müller/Wrede, GWB-Vergaberecht, § 122 Rz. 122. 5 VK Bund v. 12.6.2015 – VK 2 - 31/15, juris Rz. 105, BB 2015 = 2321 mit Anm. Heuking. 6 VK Bund v. 12.6.2015 – VK 2 - 31/15, juris Rz. 105, BB 2015 = 2321 f. mit Anm. Heuking. 7 VK Bund v. 12.6.2015 – VK 2 - 31/15, juris Rz. 105, BB 2015 = 2321 f. mit Anm. Heuking. 8 von Wietersheim in Ingenstau/Korbion, VOB – Teile A und B – Kommentar, § 16b EU VOB/A Rz. 5. 9 Dittmann in Kulartz/Kus/Marx/Portz/Prieß, Kommentar zur VgV, § 42 Rz. 10.

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schlossen werden, dass Unternehmen in Vergabeverfahren mit vorangeschalteten Teilnahmewettbewerb ein dauerhaftes Vertrauen erwerben, wonach ein Ausschluss mangels Eignung auch bei Fehlerhaftigkeit der bisherigen Eignungsprüfung des öffentlichen Auftraggebers ausscheidet1. Vielmehr ist das auf die Aufforderung zur Angebotsabgabe zurückzuführende Vertrauen eines Unternehmens von vornherein nur insoweit schutzwürdig, wie die Tatsachengrundlage unverändert ist2. Etwas anderes kann auch nicht mit Blick auf das von der Vergabekammer des Bundes erwogene schutzwürdige Vertrauen anderer Bieter gelten. Selbst bei unveränderter Tatsachengrundlage muss ein öffentlicher Auftraggeber nicht an der zunächst zu Unrecht bejahten Eignung eines Unternehmens festhalten, wenn er beispielsweise bei seiner Prüfung Eignungsmängel des Unternehmens übersehen hat3. Anderenfalls wäre ein Auftraggeber gezwungen, sehenden Auges eine vertragliche Beziehung mit einem ungeeigneten Unternehmen einzugehen4. Dies ist jedoch weder gewollt noch vergaberechtlich zulässig. Denn gemäß § 122 Abs. 1 sollen öffentliche Aufträge nur an geeignete Unternehmen erteilt werden; ungeeignete Unternehmen sind gemäß § 42 Abs. 1 VgV und § 57 Abs. 1 VgV vom Vergabeverfahren auszuschließen5, was insbesondere die in §§ 123, 124 geregelten Fälle betreffen dürfte. § 57 Abs. 1 VgV verpflichtet öffentliche Auftraggeber zudem unabhängig von der Verfahrensart zur erneuten Eignungsprüfung, wenn sich nachträglich Zweifel an der Eignung eines Unternehmens ergeben6. Denn die Eignung eines Unternehmens muss bis zum Abschluss des Vergabeverfahrens durch Zuschlagserteilung fortbestehen7. Im Umkehrschluss müssen öffentliche Auftraggeber allerdings auch zu Gunsten 99 des Unternehmens erst nachträglich bekannt gewordenen Umstände berücksichtigen8, insbesondere also auch vom Unternehmen nachgewiesene Selbstreinigungsmaßnahmen9. Dies gilt nicht nur für das offene Verfahren, sondern für 1 Dittmann in Kulartz/Kus/Marx/Portz/Prieß, Kommentar zur VgV, § 42 Rz. 11. 2 OLG Naumburg v. 23.12.2014 – 2 Verg 5/14, NZBau 2015, 387 (389); Dittmann in Kulartz/Kus/Marx/Portz/Prieß, Kommentar zur VgV, § 42 Rz. 11. 3 Dittmann in Kulartz/Kus/Marx/Portz/Prieß, Kommentar zur VgV, § 42 Rz. 11; Hölzl in Münchener Kommentar zum Europäischen und Deutschen Wettbewerbsrecht (Kartellrecht), § 97 GWB Rz. 169. 4 OLG München v. 22.11.2012 – Verg 22/12, NZBau 2013, 261 (262); OLG Celle v. 5.9. 2007 – 13 Verg 9/07, NZBau 2007, 663 (664). 5 Dittmann in Kulartz/Kus/Marx/Portz/Prieß, Kommentar zur VgV, § 57 Rz. 125. 6 Dittmann in Kulartz/Kus/Marx/Portz/Prieß, Kommentar zur VgV, § 57 Rz. 125. 7 Dittmann in Kulartz/Kus/Marx/Portz/Prieß, Kommentar zur VgV, § 57 Rz. 125; Gnittke/Hattig in Müller/Wrede, GWB-Vergaberecht, § 122 Rz. 121. 8 OLG Brandenburg v. 14.12.2007 – Verg W 21/07, NZBau 2008, 277 (279); Dittmann in Kulartz/Kus/Marx/Portz/Prieß, Kommentar zur VgV, § 57 Rz. 125; a.A. OLG Celle v. 5.9.2007 – 13 Verg 9/07, NZBau 2007, 663 (664). 9 OLG Brandenburg v. 14.12.2007 – Verg W 21/07, NZBau 2008, 277 (279); Dittmann in Kulartz/Kus/Marx/Portz/Prieß, Kommentar zur VgV, § 57 Rz. 126.

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§ 125 | Selbstreinigung alle Verfahrensarten gleichermaßen, insbesondere also auch für ein Vergabeverfahren mit vorgeschaltetem Teilnahmewettbewerb1. Dabei handelt es sich nicht um eine gleichheitswidrige Bevorzugung vom Ausschluss bedrohter Unternehmen, sondern vielmehr um eine Folge des in den § 122 ff. und den §§ 42, 57 VgV angelegten Systems der Eignungsprüfung. 100 Bei unveränderter Tatsachenlage ist der öffentliche Auftraggeber an seine Be-

wertung gebunden, wenn er Selbstreinigungsmaßnahmen für ausreichend befunden und die Eignung bzw. das Nichtvorliegen von Ausschlussgründen in Ausübung seines Beurteilungsspielraums einmal bejaht hat2. Eine solche Bindungswirkung kann allerdings erst entstehen, wenn der Auftraggeber Selbstreinigungsmaßnahmen klar erkennbar als ausreichend bewertet hat3. Hierzu genügt es nicht, dass der öffentliche Auftraggeber ein Unternehmen in Kenntnis des Fehlverhaltens sowie möglicher Selbstreinigungsmaßnahmen zur Vervollständigung der Antragsunterlagen auffordert4.

101 Bewertet der Auftraggeber die von einem Unternehmen durchgeführten Selbst-

reinigungsmaßnahmen hingegen als unzureichend und teilt dies dem Unternehmen unter Beachtung der Vorgaben des § 125 Abs. 2 Satz 2 mit, muss dieses gegen seinen Ausschluss vorgehen und den Auftraggeber mit einer Rüge bzw. die Vergabenachprüfungsinstanzen davon überzeugen, dass die ergriffenen Selbstreinigungsmaßnahmen ausreichen. In diesem Fall können auch noch weitere Maßnahmen ergriffen werden, falls das Unternehmen den Bedenken des Auftraggebers Rechnung tragen will5. 2. Begründung bei unzureichenden Selbstreinigungsmaßnahmen (Satz 2)

102 Erachtet der öffentliche Auftraggeber die von einem Unternehmen ergriffenen

Selbstreinigungsmaßnahmen als unzureichend, muss er diese Entscheidung dem Unternehmen mitteilen und begründen.

103 Weder § 125 Abs. 2 Satz 2 noch die durch diesen umgesetzte Bestimmung in

Art. 57 Abs. 6 Unterabs. 3 Satz 2 der Richtlinie 2014/24/EU lassen erkennen, welche konkreten Anforderungen an die vorgesehene Begründung zu stellen sind. Auch die Gesetzesbegründung zum GWB sowie die Erwägungsgründe der Richtlinie 2014/24/EU enthalten hierzu eine Aussage.

104 § 125 Abs. 2 Satz 2 soll dem betroffenen Unternehmen jedoch die Möglichkeit

geben, von seinen Rechtsschutzmöglichkeiten effektiv Gebrauch zu machen und 1 2 3 4 5

So wohl Dittmann in Kulartz/Kus/Marx/Portz/Prieß, Kommentar zur VgV, § 57 Rz. 125. Radu in Müller/Wrede, GWB-Vergaberecht, § 125 Rz. 72. Radu in Müller/Wrede, GWB-Vergaberecht, § 125 Rz. 72. OLG Düsseldorf v. 9.6.2010 – VII-Verg 14/10, juris Rz. 52 ff. OLG Düsseldorf v. 18.7.2001 – Verg 16/01, VergabeR 2001, 419 (422 f.); OLG München v. 22.11.2012 – Verg 22/12, NZBau 2013, 261 (262 f.).

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gegen den Ausschluss gemäß §§ 123 oder 124 vorzugehen1, und ist daher vor diesem Hintergrund zu lesen. Will ein Unternehmen gegen eine zu seinen Ungunsten vom öffentlichen Auftraggeber getroffene Prognoseentscheidung über die Wiedererlangung der Eignung vorgehen, muss es die maßgeblichen Erwägungen des Auftraggebers kennen, auf denen die Negativbewertung der Selbstreinigungsmaßnahmen beruht2. Die Begründung der Entscheidung des öffentlichen Auftraggebers muss sich daher grundsätzlich mit den einzelnen vom Unternehmen vorgetragenen Selbstreinigungsmaßnahmen auseinandersetzen und darlegen, warum diese im Hinblick auf den einschlägigen Ausschlussgrund und den konkret zu vergebenden Auftrag für unzureichend gehalten werden3. Dies gilt gleichermaßen, wenn der Auftraggeber Selbstreinigungsmaßnahmen für nicht nachgewiesen hält4. Allerdings kann sich die Begründung auf einzelne Gesichtspunkte beschränken, wenn sich hieraus bereits ergibt, weshalb der Auftraggeber Selbstreinigungsmaßnahmen für unzureichend oder nicht nachgewiesen erachtet5. Auch wenn § 125 Abs. 2 Satz 2 keine Formvorgabe enthält, so wird jedoch re- 105 gelmäßig zumindest eine der Textform gemäß § 126b BGB genügende Erklärung zu fordern sein6. Ausreichend ist danach eine lesbare Erklärung, in der die Person des Erklärenden genannt und die Urheberschaft erkennbar ist und die in einer Urkunde oder einer anderen zur dauerhaften Wiedergabe von Schriftzeichen geeigneten Weise abgegeben wird7. Von einer nur mündlichen Mitteilung der Begründung ist dem Auftraggeber schon allein aus Gründen der Dokumentation und Nachweisbarkeit abzuraten. Zu den Rechtsfolgen eines Verstoßes gegen § 125 Abs. 2 Satz 2 fehlt eine Rege- 106 lung. Auch die Gesetzesbegründung verhält sich hierzu nicht8. Eine bloße Verletzung der Begründungspflicht kann allerdings keine Wiederzulassung des ausgeschlossenen Unternehmens zum Vergabeverfahren zur Folge haben9. Rügt ein Unternehmen die fehlende Begründung nach § 125 Abs. 2 Satz 2 und legt der Auftraggeber seine Gründe für die negative Entscheidung über die Ausschlussgründe auch im Rügeantwortschreiben nicht dar, kann sich ein Unternehmen 1 Prieß/Simonis in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, Rz. 59. 2 Prieß/Simonis in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, Rz. 59. 3 Prieß/Simonis in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, Rz. 60. 4 Radu in Müller/Wrede, GWB-Vergaberecht, § 125 Rz. 68. 5 Radu in Müller/Wrede, GWB-Vergaberecht, § 125 Rz. 68. 6 Radu in Müller/Wrede, GWB-Vergaberecht, § 125 Rz. 69. 7 BGH v. 3.11.2011 – IX ZR 47/11, MDR 2011, 1460 = NJOZ 2012, 926 (927). 8 Prieß/Simonis in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, Rz. 61. 9 Prieß/Simonis in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, Rz. 61.

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§ 125 | Selbstreinigung dazu gezwungen sehen, bei erfolglos gebliebener Rüge auch in Unkenntnis der Begründung des Auftraggebers ein Nachprüfungsverfahren einzuleiten. Selbst im Falle des Obsiegens des Auftraggebers im Nachprüfungsverfahren dürfte dieser dann grundsätzlich die Verfahrenskosten zu tragen haben, da dem Unternehmen die Möglichkeit genommen wurde, die Erfolgsaussichten des Nachprüfungsverfahrens im Hinblick auf die Erfolglosigkeit der Selbstreinigungsmaßnahmen zu bewerten. Schließlich kann eine Verletzung der Begründungspflicht nach § 125 Abs. 2 Satz 2 auch Schadensersatzpflichten des Auftraggebers auslösen.

IV. Ausblick: Bewertung der Selbstreinigung nach dem Wettbewerbsregistergesetz 106a Eine neue Konzeption hat die vergaberechtliche Selbstreinigung durch das Ge-

setz zur Einführung eines Wettbewerbsregisters und zur Änderung des GWB v. 18.7.2017 erfahren. Zentraler Bestandteil dieses Artikelgesetzes ist das WRegG1, durch das ein beim Bundeskartellamt einzurichtendes elektronisches Wettbewerbsregister geschaffen wird. In das Wettbewerbsregister eingetragen werden Unternehmen2, zu denen Erkenntnisse vorliegen über ihnen zuzurechnende Straftaten oder andere schwerwiegende Rechtsverstöße, die Gründe für einen Ausschluss von der Teilnahme am Vergabeverfahren darstellen3. Die mit Blick auf die Selbstreinigung maßgeblichen Neuregelungen sind allerdings erst anzuwenden, wenn eine konkretisierende Rechtsverordnung i.S.v. § 10 WRegG, in der technische und organisatorische Aspekte, datenschutzrechtliche Vorgaben etc. geregelt werden, in Kraft tritt4. Das Register soll spätestens im Laufe des Jahres 2020 funktionsfähig sein und für Auftraggeber zur Verfügung stehen5.

106b Mit Aktivierung des Wettbewerbsregisters tritt neben die Bewertung der Selbst-

reinigung durch öffentliche Auftraggeber im konkreten Vergabeverfahren die Möglichkeit zur Geltendmachung und behördlichen Prüfung einer Selbstreinigung auch außerhalb eines konkreten Vergabeverfahrens6. Ein dahingehender Antrag kann jederzeit beim Bundeskartellamt als Registerbehörde gestellt werden. Zulässigkeitsvoraussetzung ist lediglich ein berechtigtes Interesse an der vorzeitigen Löschung des Registereintrags7. Die auf Antrag des eingetragenen 1 Näher zum Wettbewerbsregister § 123 Rz. 69–69 d. 2 Zum Unternehmensbegriff vgl. Rz. 23 ff. 3 BT-Drucks. 18/12051, S. 2; zu den Eintragungsvoraussetzungen im Einzelnen vgl. § 123 Rz. 69c. 4 Vgl. Art. 3 Abs. 2 Satz 2 WRegG. 5 BT-Drucks. 18/12051, S. 4; Stein, jurisPR-Compl 2/2017 Anm. 5. 6 BT-Drucks. 18/12051, S. 32. 7 Vgl. § 8 Abs. 1 Satz 2 WRegG; nach der Gesetzesbegründung fehlt ein solches Interesse bei Unternehmen, die nicht beabsichtigen, an Vergabeverfahren teilzunehmen, vgl. BTDrucks, 18/12051, S. 32.

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Unternehmens durchgeführte Prüfung der Selbstreinigungsmaßnahmen obliegt dem Bundeskartellamt in eigener Verantwortung1. Konkret geht es hierbei um die Frage, ob auf Grund der Selbstreinigungsmaßnahmen die Eintragung des Unternehmens in das Register gelöscht wird, mit der Folge, dass die Tat von Auftraggebern und Konzessionsgebern nicht mehr zum Nachteil des Unternehmens in Vergabeverfahren verwertbar ist und das Unternehmen mithin nicht auf Grund dieser Tat ausgeschlossen werden darf2. Bei der Bewertung durch die Registerbehörde, ob die durchgeführten Selbstreinigungsmaßnahmen ausreichend sind, handelt es sich um eine auf den Einzelfall bezogene Prognoseentscheidung, bei der neben der Schwere der Tat auch die besonderen Umstände der Straftat oder des Fehlverhaltens zu berücksichtigten sind3. Der geänderten Rechtslage trägt der neu gefasste § 125 Abs. 1 Rechnung. Dieser 106c sieht vor, dass öffentliche Auftraggeber ein Unternehmen, bei dem ein Ausschlussgrund nach § 123 oder § 124 vorliegt, nicht von der Teilnahme an dem Vergabeverfahren ausschließen, wenn das Unternehmen dem öffentlichen Auftraggeber oder nach § 8 WRegG dem Bundeskartellamt eine erfolgreiche Selbstreinigung nachgewiesen hat. Durch die grundsätzlich beim Bundeskartellamt gebündelte Prüfung der Selbstreinigungsmaßnahmen soll sowohl den Auftraggebern die Prüfung durchgeführter Selbstreinigungsmaßnahmen als auch den Unternehmen den Nachweis erfolgreicher Selbstreinigung erleichtert und eine einheitliche Rechtspraxis sichergestellt werden4. Die Registerbehörde prüft in materieller Hinsicht, ob die von dem Unternehmen nachzuweisenden Maßnahmen den Anforderungen gemäß § 125 bzw. § 123 Abs. 4 Satz 2 genügen. Konkrete Anforderungen an den Nachweis der Selbstreinigungsvoraussetzungen nach § 125, insbesondere in Hinblick auf die Voraussetzungen des § 125 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1–3, können gemäß § 10 Nr. 6 WRegG durch Rechtsverordnung bestimmt werden. Hierunter fallen zum Beispiel grundsätzliche Anforderungen an den Nachweis der Schadenswiedergutmachung. Möglich ist nach dieser Bestimmung aber auch die Zulassung von Systemen unabhängiger Stellen, mit denen geeignete Vorsorgemaßnahmen zur Verhinderung zukünftiger Verfehlungen für die Zwecke des Vergabeverfahrens belegt werden können. Hiermit könnte ein Teil der vorzunehmenden Prüfung vom Bundeskartellamt ausgelagert werden. Die Registerbehörde ermittelt gemäß § 8 Abs. 2 WRegG den Sachverhalt zwar 106d grundsätzlich von Amts wegen. Es ist ihr jedoch erlaubt, sich auf die Informationen zu beschränken, die von dem Antragsteller vorgebracht werden oder ihr sonst bekannt sein müssen. Die Registerbehörde ist insbesondere nicht verpflichtet, alle Zweifelsfragen abschließend zu ermitteln. Diese Einschränkung 1 2 3 4

BT-Drucks. 18/12051, S. 32. BT-Drucks. 18/12051, S. 32. Vgl. § 8 Abs. 4 WRegG; BT-Drucks. 18/12051, S. 32. BT-Drucks. 18/12051, S. 32.

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§ 125 | Selbstreinigung des Amtsermittlungsgrundsatzes steht vor dem Hintergrund, dass die Darlegungs- und Beweislast für eine Selbstreinigung beim Antragsteller liegt1. Außerdem kann das Bundeskartellamt gemäß § 8 Abs. 2 WRegG die Mitwirkung des Antragstellers verlangen. Dies betrifft insbesondere die Übermittlung des strafgerichtlichen Urteils oder der Bußgeldentscheidung sowie geeigneter Gutachten und anderer Unterlagen über die durchgeführten Selbstreinigungsmaßnahmen, die zur Bewertung der Selbstreinigung nach Einschätzung der Registerbehörde geeignet sind2. Der Registerbehörde stehen darüber hinaus gemäß § 8 Abs. 2 Satz 4 WRegG die Ermittlungsbefugnisse nach den §§ 57 und 59 zu, so dass sie bei Zweifeln an der Richtigkeit der Angaben des Antragsstellers eine Klärung durch Beweiserhebung oder Auskunftsverlangen herbeiführen kann. Für ihre Prüfung kann die Registerbehörde schließlich von der mitteilenden Strafverfolgungsbehörde oder Bußgeldbehörde die Übermittlung von zur Bewertung des Löschungsantrags erforderlichen Informationen verlangen, was auch vertrauliche Informationen umfasst3. Die Registerbehörde verfügt damit über umfassende Befugnisse, die eine abschließende Prüfung und Bewertung von Selbstreinigungsmaßnahmen ermöglichen. 106e Zu beachten ist, dass der öffentliche Auftraggeber nach § 125 in der durch Art. 2

Abs. 2 Nr. 4 des Gesetzes zur Einführung eines Wettbewerbsregisters und zur Änderung des GWB v. 18.7.2017 geänderten Fassung bei seiner Entscheidung über das Vorliegen von Ausschlussgründen auch weiterhin im einzelnen Vergabeverfahren prüfen muss, ob die erfolgreiche Selbstreinigung eines Unternehmens dem Ausschluss entgegensteht. Ein Unternehmen kann jedoch zukünftig den Nachweis der Selbstreinigung nicht nur gegenüber dem Auftraggeber, sondern auch gegenüber der Registerbehörde erbringen4. Für die Bewertung der Selbstreinigungsmaßnahmen gilt Folgendes: Der öffentliche Auftraggeber ist bei seiner Prüfung an die Entscheidung der Registerbehörde, eine Eintragung in das Register aufgrund erfolgreicher Selbstreinigungsmaßnahmen zu löschen, gebunden5. Dies ergibt sich aus § 7 Abs. 2 Satz 1 WRegG. Hingegen ist die Ablehnung des Löschungsantrags durch die Registerbehörde für den Auftraggeber nicht bindend und steht einer eigenen Prüfung und möglicherweise gegenteiligen Entscheidung über den Erfolg der Selbstreinigung sowie dem weiteren Fortgang des Vergabeverfahrens nicht entgegen6. Außerdem müssen Unternehmen nicht notwendigerweise in allen Fällen eine vorzeitige Löschung aus dem Register wegen erfolgreicher Selbstreinigung beantragen. In diesen Fällen muss der öffentliche Auftraggeber eine Entscheidung über den Erfolg der nachgewiesenen Selbstrei-

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BT-Drucks. 18/12051, BT-Drucks. 18/12051, BT-Drucks. 18/12051, BT-Drucks. 18/12051, BT-Drucks. 18/12051, BT-Drucks. 18/12051,

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S. 32 f. S. 33. S. 3. S. 19. S. 33. S. 33.

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nigungsmaßnahmen treffen. Gleiches gilt, solange die Registerbehörde noch nicht über einen Löschungsantrag nach § 8 WRegG entschieden hat. Für ihre Entscheidung können öffentliche Auftraggeber künftig jedoch auf die gemäß § 3 Abs. 2 WRegG gespeicherten Daten zu Selbstreinigungsmaßnahmen eines Unternehmens zugreifen. Hierbei handelt es sich um mit einem Standardformular übermittelte Daten über durchgeführte Maßnahmen der Selbstreinigung. Das Standardformular dient allein als Hinweis für den Auftraggeber, dass das Unternehmen nach seinen eigenen Angaben eine Selbstreinigung vorgenommen hat. Eine Bewertung der Selbstreinigung durch die Registerbehörde ist hiermit nicht verbunden1. Die durch das WRegG vorgesehene Möglichkeit zur Geltendmachung und be- 106f hördlichen Prüfung einer Selbstreinigung auch außerhalb eines konkreten Vergabeverfahrens ist sehr zu begrüßen. Auch die Bündelung bei einer zentralen Bundesbehörde verdient Zustimmung, da auf diese Weise eine einheitliche Bewertungspraxis von Selbstreinigungsmaßnahmen ermöglicht und unterschiedlichen Maßstäben bei der Bewertung von Selbstreinigungsmaßnahmen entgegengewirkt wird. Dem Gleichbehandlungsgrundsatz wird hierdurch zukünftig verstärkt Rechnung getragen. Auf Kritik stößt teilweise jedoch die Ansiedelung des Registers beim Bundeskartellamt2. Dieses prüft und bewertet als Registerbehörde im Rahmen von Löschungsanträgen, ob betroffene Unternehmen zureichende Selbstreinigungsmaßnahmen ergriffen haben, während es im kartellrechtlichen Kontext zugleich regelmäßig auch einzutragende, nicht bestands- oder rechtskräftigen Bußgeldentscheidungen erlässt. Es werden daher Interessenkonflikte bei der Bewertung von Selbstreinigungsmaßnahmen eines Unternehmens befürchtet3. In der Gesetzesbegründung zum WRegG begründet der Gesetzgeber die Wahl des Bundeskartellamts als Registerbehörde jedoch nachvollziehbar damit, dass auch die Vergabekammern des Bundes beim Bundeskartellamt angesiedelt sind und daher an die besondere Expertise in der rechtlichen Bewertung von Vergabeverfahren einschließlich der Frage, ob Ausschlussgründe vorliegen, angeknüpft werden kann4. Ebenfalls aus der Gesetzesbegründung folgt, dass die Prüfung der Selbstreinigungsmaßnahmen durch eine selbständige Organisationseinheit im Bundeskartellamt erfolgen soll, wobei mindestens ein Beamter mit der Befähigung zum Richteramt mitwirken soll5. Die vorgesehene Organisationsform dürfte die erforderliche Neutralität bei der Bewertung von Selbstreinigungsmaßnahmen in hinreichendem Maße gewährleisten.

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BT-Drucks. 18/12051, S. 28 f. Dreher, NZBau 2017, 313 (314). Dreher, NZBau 2017, 313 (314). BT-Drucks. 18/12051, S. 26. BT-Drucks. 18/12051, S. 33.

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§ 125 | Selbstreinigung V. Rechtsschutz 107 Wird ein Unternehmen durch den öffentlichen Auftraggeber gemäß §§ 123 oder

124 vom Vergabeverfahren ausgeschlossen, kann sich das betroffene Unternehmen gegen den Ausschluss mit der Begründung wenden, dass diesem Selbstreinigungsmaßnahmen gemäß § 125 Abs. 1 Satz 1 entgegenstehen. Insoweit handelt es sich bei § 125 Abs. 1 Satz 1 um eine bieterschützende Vorschrift im Sinne von § 97 Abs. 61, die das Unternehmen mittels Rüge oder Vergabenachprüfungsverfahren geltend machen können.

108 Eine Rüge kann zunächst darauf gestützt werden, dass der öffentliche Auftrag-

geber es pflichtwidrig unterlassen hat, die vom Unternehmen angeführten Selbstreinigungsmaßnahmen zu bewerten oder seine Entscheidung gegenüber dem Unternehmen zu begründen2.

109 In aller Regel wird Rügegegenstand jedoch sein, dass der öffentliche Auftrag-

geber Selbstreinigungsmaßnahmen für unzureichend befunden hat. Insoweit ist zu beachten, dass zumindest bei der Bewertung der Selbstreinigungsmaßnahmen gemäß § 125 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 ein Beurteilungsspielraum des öffentlichen Auftraggebers besteht und die Entscheidung des öffentlichen Auftraggebers von den Nachprüfungsinstanzen nur eingeschränkt dahingehend überprüft werden kann, ob die Verfahrensbestimmungen eingehalten, zutreffende Tatsachen zugrunde gelegt und keine sachwidrigen Erwägungen angestellt worden sind3.

110 Zu beachten ist außerdem, dass sich der Auftraggeber (und ggf. auch nachgela-

gert die Vergabenachprüfungsinstanzen) mit der Frage, ob ein Unternehmen wegen ergriffener Selbstreinigungsmaßnahmen nicht auszuschließen war, nur dann auseinandersetzen müssen, wenn das Unternehmen dies mit seiner Rüge ausdrücklich vorbringt. Eine Rüge, wonach der Auftraggeber zu Unrecht einen Ausschlussgrund nach § 123 oder § 124 angenommen habe, genügt insoweit nicht4.

111 § 125 Abs. 1 Satz 1 ist allerdings nicht nur für das vom Ausschluss betroffene Un-

ternehmen, sondern auch für andere Teilnehmer am Vergabeverfahren bieterschützend im Sinne von § 97 Abs. 65. Sieht der Auftraggeber trotz Vorliegens eines Ausschlussgrundes nach §§ 123 oder 124 von einem Ausschluss ab, obwohl keine hinreichenden Selbstreinigungsmaßnahmen i.S.v. § 125 Abs. 1 Satz 1 nachgewiesen sind, liegt hierin eine Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes (§ 97 Abs. 2). Diesen Verstoß können andere Bieter mit einer Rüge oder nach-

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Radu in Müller/Wrede, GWB-Vergaberecht, § 125 Rz. 78. Radu in Müller/Wrede, GWB-Vergaberecht, § 125 Rz. 80. Vgl. Rz. 90 ff. Radu in Müller/Wrede, GWB-Vergaberecht, § 125 Rz. 79. Opitz in Burgi/Dreher, Beck’scher Vergaberechtskommentar, Band 1, 3. Auflage 2017, § 125 Rz. 14.

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Zulässiger Zeitraum für Ausschlüsse | § 126

gelagert in einem Vergabenachprüfungsverfahren geltend machen1. Auch die unzulängliche Dokumentation einer für ausreichend befundenen Selbstreinigungsmaßnahme kann aufgrund der darin liegenden Verletzung des Transparenzgebots von anderen Bietern angegriffen werden2.

§ 126 Zulässiger Zeitraum für Ausschlüsse Wenn ein Unternehmen, bei dem ein Ausschlussgrund vorliegt, keine oder keine ausreichenden Selbstreinigungsmaßnahmen nach § 125 ergriffen hat, darf es 1. bei Vorliegen eines Ausschlussgrundes nach § 123 höchstens fünf Jahre ab dem Tag der rechtskräftigen Verurteilung von der Teilnahme an Vergabeverfahren ausgeschlossen werden, 2. bei Vorliegen eines Ausschlussgrundes nach § 124 höchstens drei Jahre ab dem betreffenden Ereignis von der Teilnahme an Vergabeverfahren ausgeschlossen werden. I. 1. 2. 3. 4. II. 1. 2.

Allgemeines . . . . . . . . . . . . . Hintergrund der Regelung . . . Rechtsentwicklung . . . . . . . . . Vorgaben der Richtlinie 2014/24/EU . . . . . . . . . . . . . . Anwendungsbereich . . . . . . . . Höchstfristen für Ausschlüsse Höchstfrist bei zwingenden Ausschlussgründen . . . . . . . . . Höchstfrist bei fakultativen Ausschlussgründen . . . . . . . . . a) § 124 Abs. 1 Nr. 1 . . . . . . .

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b) § 124 Abs. 1 Nr. 2 . . . . . . . . c) § 124 Abs. 1 Nr. 3 . . . . . . . . d) § 124 Abs. 1 Nr. 4 . . . . . . . . e) § 124 Abs. 1 Nr. 5 und 6 . . . . f) § 124 Abs. 1 Nr. 7 . . . . . . . . g) § 124 Abs. 1 Nr. 8 . . . . . . . . h) § 124 Abs. 1 Nr. 9 . . . . . . . . 3. Höchstfrist bei Sonderkonstellationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Zulässiger Ausschlusszeitraum vor Ablauf der Höchstfristen . . IV. Rechtsschutz . . . . . . . . . . . . . .

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I. Allgemeines § 126 normiert zeitliche Obergrenzen für den Ausschluss eines Unternehmens 1 von Vergabeverfahren. Liegt ein zwingender Ausschlussgrund vor, darf ein Unternehmen gemäß § 126 Nr. 1 nicht länger als fünf Jahre ab dem Tag der rechtskräftigen Verurteilung von Vergabeverfahren ausgeschlossen werden. Bei fakul1 Opitz in Burgi/Dreher, Beck’scher Vergaberechtskommentar, Band 1, 3. Auflage 2017, § 125 Rz. 14; Radu in Müller/Wrede, GWB-Vergaberecht, § 125 Rz. 78. 2 Radu in Müller/Wrede, GWB-Vergaberecht, § 125 Rz. 80.

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§ 126 | Zulässiger Zeitraum für Ausschlüsse tativen Ausschlussgründen erlaubt § 126 Nr. 2 einen Ausschluss von höchstens drei Jahren ab dem betreffenden Ereignis. Die Vorschrift setzt dabei voraus, dass ein vom Ausschluss bedrohtes Unternehmen keine oder keine ausreichenden Selbstreinigungsmaßnahme nach § 125 getroffen und seine Integrität damit nicht wiederhergestellt hat. Durch § 126 wird somit gewissermaßen die Wiederherstellung der Zuverlässigkeit eines Unternehmens durch Zeitablauf fingiert1. 2 Dadurch, dass § 126 Höchstfristen regelt, wird zugleich klargestellt, dass der

Ausschluss eines Unternehmens auch bereits vor Ablauf dieser Höchstfristen unzulässig sein kann2. Die Vorschrift schafft allerdings – entgegen teilweise vertretener Auffassung3 – keine Rechtsgrundlage für Vergabesperren4. Denn der Gesetzgeber hat bewusst davon abgesehen, eine über die bloße Umsetzung von Art. 57 Abs. 7 der Richtlinie 2014/24/EU hinausgehende Regelung zu den Tatbestandsvoraussetzungen oder den Auswirkungen von Vergabesperren zu treffen5. § 126 regelt dennoch nach der Gesetzesbegründung nicht nur den Zeitraum, innerhalb dessen das Vorliegen eines Ausschlussgrundes von einem öffentlichen Auftraggeber in einem konkreten Vergabeverfahren berücksichtigt werden darf. Vielmehr wird auch die Höchstdauer von Auftrags- bzw. Vergabesperren festgelegt, unabhängig von deren Art und Grundlage6. Aus der Gesetzesbegründung kann daher geschlussfolgert werden, dass der Gesetzgeber Vergabesperren grundsätzlich für zulässig hält, § 126 selbst aber nicht die Ermächtigungsgrundlage für solche Sperren darstellt7.

1. Hintergrund der Regelung 3 Die in § 126 festgelegten Höchstgrenzen für den Ausschluss von Unternehmen

von Vergabeverfahren sind primär Ausfluss des nunmehr auch im deutschen Vergaberecht ausdrücklich normierten Verhältnismäßigkeitsprinzips (§ 97 Abs. 1 Satz 2). Angesichts der enormen wirtschaftlichen Bedeutung öffentlicher Aufträge stellt der Ausschluss von der Teilnahme an Vergabeverfahren für viele Unternehmen einen empfindlichen Eingriff in die wirtschaftliche Betätigungsfreiheit dar, der zu erheblichen wirtschaftlichen Nachteilen bis hin zur Vernich-

1 Opitz in Burgi/Dreher, Beck’scher Vergaberechtskommentar, Band 1, 3. Auflage 2017, § 126 Rz. 8. 2 Radu in Müller/Wrede, GWB-Vergaberecht, § 126 Rz. 5. 3 Schranner in Ingenstau/Korbion, VOB – Teile A und B – Kommentar, § 6f EU VOB/A Rz. 13. 4 Opitz in Burgi/Dreher, Beck’scher Vergaberechtskommentar, Band 1, 3. Auflage 2017, § 126 Rz. 17; Ulshöfer, VergabeR 2016, 327 (333). 5 BT-Drucks. 18/6281, S. 111; Ulshöfer, VergabeR 2016, 327 (333). 6 BT-Drucks. 18/6281, S. 111. 7 Ebenso Opitz in Burgi/Dreher, Beck’scher Vergaberechtskommentar, Band 1, 3. Auflage 2017, § 126 Rz. 17; Ulshöfer, VergabeR 2016, 327 (333).

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tung der wirtschaftlichen Existenz führen kann1. Vor diesem Hintergrund wäre ein zeitlich unbegrenzter Ausschluss von Vergabeverfahren unter Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten nicht zu rechtfertigen2. § 126 verleiht darüber hinaus dem Wettbewerbsgrundsatz Ausdruck. Denn eine 4 größere Zahl leistungsfähiger, miteinander in Konkurrenz stehender Unternehmen, die sich an einem Vergabeverfahren beteiligen können, führt zu mehr Wettbewerb, wodurch öffentliche Auftraggeber ihre Güter und Dienstleistungen zu den bestmöglichen Konditionen beschaffen können3. Langfristige oder gar dauerhafte Unternehmensausschlüsse von Vergabeverfahren hätten demgegenüber eine Wettbewerbsverengung zur Folge. 2. Rechtsentwicklung Mit § 126 existiert erstmals im allgemeinen Kartellvergaberecht eine Regelung 5 über die Höchstdauer für den Ausschluss eines Unternehmens von Vergabeverfahren4. Auch das Gemeinschaftsrecht enthielt bis zum Inkrafttreten der neuen Vergaberichtlinien im Jahr 2014 keine Regelungen zur Höchstdauer des Ausschlusses von Vergabeverfahren5. Bislang lag die Dauer, für die ein Unternehmen bei Vorliegen eines Ausschlussgrundes von öffentlichen Auftragsvergabe ausgeschlossen werden konnte, im Ermessen des Auftraggebers. Lediglich die in § 124 Abs. 2 genannten spezialgesetzlichen Ausschlusstatbestände enthielten teilweise feste, teilweise flexible zeitliche Grenzen für die hiernach vorgesehenen Ausschlusstatbestände6. Für den Bereich des allgemeinen Kartellvergaberechts war bereits vor Inkrafttre- 6 ten des Vergaberechtsmodernisierungsgesetzes einhellige Auffassung, dass die 1 Prieß/Simonis in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 126 Rz. 4. 2 Prieß/Simonis in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 126 Rz. 4; Radu in Müller/Wrede, GWB-Vergaberecht, § 126 Rz. 3; Braun in Gabriel/Krohn/ Neun, Handbuch des Vergaberechts, § 14 Rz. 46; zur Rechtslage vor Inkrafttreten des Vergaberechtsmodernisierungsgesetzes für eine grundsätzliche Höchstdauer von drei Jahren: LG Berlin v. 22.3.2006 – 23 O 118/04, NZBau 2006, 397 ff.; Dreher in Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht Band 2: GWB, § 97 GWB Rz. 212. 3 Ehricke in Münchener Kommentar zum Europäischen und Deutschen Wettbewerbsrecht (Kartellrecht), § 97 GWB Rz. 7; Prieß/Simonis in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 126 Rz. 4. 4 Prieß/Simonis in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 126 Rz. 5. 5 Opitz in Burgi/Dreher, Beck’scher Vergaberechtskommentar, Band 1, 3. Auflage 2017, § 126 Rz. 3. 6 Vgl. bspw. § 21 Abs. 1 SchwarzArbG (Ausschluss bis zu drei Jahre) und § 21 Abs. 1 AentG (Ausschluss für eine angemessene Zeit); Radu in Müller/Wrede, GWB-Vergaberecht, § 126 Rz. 2.

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§ 126 | Zulässiger Zeitraum für Ausschlüsse Ausschlussmöglichkeit wegen in der Vergangenheit liegender Verfehlungen eines Unternehmens selbst ohne ausdrückliche Regelung zeitlich begrenzt sein muss1. Daher waren öffentliche Auftraggeber bei der Entscheidung, ob ein in der Vergangenheit liegendes Fehlverhalten einen Ausschluss rechtfertigt, auch bislang nicht völlig frei, sondern mussten ihr insoweit bestehendes Ermessen pflichtgemäß ausüben2. Die Dauer eines Ausschlusses von Vergabeverfahren musste unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles sowie des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes beurteilt werden, also insbesondere im Hinblick auf die Schwere der Tat sowie auf die sozialen Folgen für das ausgeschlossene Unternehmen3. Bei Vergabesperren wurde zumeist im Hinblick auf den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz für eine Begrenzung auf drei bzw. vier Jahre plädiert4. Allerdings gingen die Auffassungen über die zulässige Höhe des Ausschlusses von Vergabeverfahren teilweise erheblich auseinander; auch in der Rechtsprechung konnten sich keine klaren Obergrenzen durchsetzen5. In der Praxis wurde zum Teil auch nach Ablauf einer maximal denkbaren Sperrfrist ein Anspruch auf Aufhebung der Auftragssperre und Wiederzulassung zum Wettbewerb verneint, wenn der Auftraggeber davon ausgehen durfte, dass das gesperrte Unternehmen für von ihm zu erteilende Aufträge mangels Zuverlässigkeit generell ungeeignet ist6. 7 Durch § 126 hat der Gesetzgeber die zulässigen Höchstgrenzen für Ausschlüsse

von Vergabeverfahren nunmehr klargestellt, was zu begrüßen ist. Wünschenswert wäre allerdings gewesen, dass der Gesetzgeber zugleich Kriterien für die Bestimmung der zulässigen Ausschlussdauer innerhalb der Höchstfristen7 normiert hätte8. Mangels einer entsprechenden Rahmensetzung sind in dieser Frage weiterhin divergierende Ermessensentscheidungen der Auftraggeber zu besorgen. Hier wird zukünftig die Spruchpraxis der Vergabenachprüfungsinstanzen Klarheit schaffen müssen.

1 LG Berlin v. 22.3.2006 – 23 O 118/04, NZBau 2006, 397 ff.; Dreher in Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht Band 2: GWB, § 97 GWB Rn. 212; Opitz in Dreher/Motzke, Beck’scher Vergaberechtskommentar, § 97 GWB Rz. 63; Braun in Gabriel/Krohn/Neun, Handbuch des Vergaberechts, § 14 Rz. 46. 2 Prieß/Simonis in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 126 Rz. 7. 3 Dreher in Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht Band 2: GWB, § 97 GWB Rn. 212; Hölzl in Münchener Kommentar zum Kartellrecht, § 97 GWB Rz. 161. 4 Für eine Höchstdauer von drei Jahren Dreher in Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht Band 2: GWB, § 97 GWB Rz. 212; das LG Berlin spricht sich in seiner Entscheidung v. 22.3.2006 – 23 O 118/04, NZBau 2006, 397 ff., ebenfalls für eine grundsätzliche Höchstdauer der Sperre von drei Jahren aus, hat aber in dem entschiedenen Fall vier Jahre für angemessen erachtet. 5 Vgl. die Darstellung bei Prieß/Simonis in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 126 Rz. 8 ff. 6 KG Berlin v. 17.1.2011 – 2 U 4/06, NZBau 2012, 56 (62 f.). 7 Vgl. hierzu Rz. 36 ff. 8 Radu in Müller/Wrede, GWB-Vergaberecht, § 126 Rz. 4.

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3. Vorgaben der Richtlinie 2014/24/EU § 126 setzt die im europäischen Recht enthaltenen Regelungen zu den zeitlichen 8 Grenzen von Ausschlüssen in Vergabeverfahren um. Art. 57 Abs. 7 Satz 2 der Richtlinie 2014/24/EU sieht vor, dass die Mitgliedsstaaten den höchstzulässigen Zeitraum des Ausschlusses für den Fall bestimmen, dass der Wirtschaftsteilnehmer keine Selbstreinigungsmaßnahmen ergreift. Art. 57 Abs. 7 Satz 3 bestimmt konkrete Höchstgrenzen, die danach differenzieren, ob ein zwingender oder ein fakultativer Ausschlussgrund vorliegt. Diese Maximalfristen hat der deutsche Gesetzgeber bei der Umsetzung vollständig ausgeschöpft. Eine Abweichung von den in Art. 57 Abs. 7 Satz 3 der Richtlinie 2014/24/EU genannten Höchstfristen lässt Art. 57 Abs. 6 Unterabs. 4 der Richtlinie 2014/24/EU zu, wenn der Ausschlusszeitraum in einer rechtskräftigen gerichtlichen Entscheidung festgestellt wird. Hiermit sind insbesondere strafgerichtliche Entscheidungen gemeint. Das deutsche Strafrecht sieht eine Möglichkeit zum Ausschluss von Vergabeverfahren allerdings derzeit nicht vor. Neben der zeitlichen Begrenzung des zulässigen Zeitraums für den Ausschluss 9 von Vergabeverfahren enthält Art. 57 Abs. 7 der Richtlinie 2014/24/EU keine Regelungen zu den Voraussetzungen oder Auswirkungen von Auftrags- oder Vergabesperren1. 4. Anwendungsbereich § 126 gilt wie der gesamte Abschnitt 2 des 4. Teils des GWB gemäß § 115 GWB 10 grundsätzlich nur für öffentliche Aufträge und die Ausrichtung von Wettbewerben durch öffentliche Auftraggeber. Über Verweisungsvorschriften findet § 126 allerdings ebenfalls Anwendung bei der Vergabe von öffentlichen Aufträgen durch Sektorenauftraggeber (§ 142), Konzessionsvergaben (§ 154 Nr. 2) sowie Vergaben von verteidigungs- oder sicherheitsspezifischen öffentlichen Aufträgen (§ 147). Hinzuweisen ist darauf, dass die in § 126 normierten zeitlichen Grenzen für 11 Ausschlüsse auch für die in § 124 Abs. 2 genannten besonderen Ausschlussgründe gelten. Soweit § 124 Abs. 2 vorsieht, dass diese Vorschriften unberührt bleiben, meint dies nur, dass die besonderen Ausschlussgründe neben den allgemeinen Ausschlussgründen der §§ 123, 124 Abs. 1 Anwendung finden. Hieraus folgt jedoch nicht, dass die besonderen Ausschlussgründe dem Anwendungsbereich der kartellvergaberechtlichen Vorschriften der §§ 122 ff. über die vergaberechtliche Eignung und das Vorliegen von Ausschlussgründen entzogen wären. Dies wäre mit europarechtlichen Vorgaben auch nicht vereinbar2. Teilweise enthalten die besonderen Ausschlussgründe Regelungen zum Höchst- 12 zeitraum für Ausschlüsse (vgl. § 98c Abs. 1 Satz 2 AufenthG, § 21 Abs. 1 1 BT-Drucks. 18/6281, S. 111. 2 Radu in Müller/Wrede, GWB-Vergaberecht, § 126 Rz. 7.

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§ 126 | Zulässiger Zeitraum für Ausschlüsse SchwarzArbG, § 21 Abs. 1 AEntG, § 19 Abs. 1 MiLoG). Soweit diese als Grundlage für die Anordnung von Vergabesperren herangezogen werden, ist dies nach Inkrafttreten des Vergaberechtsmodernisierungsgesetzes im Bereich des Kartellvergaberechts ausgeschlossen. Denn ein vom Ausschluss bedrohtes Unternehmen hat einen Anspruch darauf, dass in jedem Einzelfall geprüft wird, ob ein Ausschluss mit Blick auf die zeitlichen Grenzen nach § 126 zulässig ist. Der öffentliche Auftraggeber muss somit die Vorgaben des § 126 von Amts wegen beachten. Besondere landesrechtliche Ausschlussgründe und dort geregelte Höchstfristen für Ausschlüsse sind für Vergabeverfahren im Anwendungsbereich der §§ 97 ff. ohnehin nicht mehr anzuwenden, da der Ausschluss eines Unternehmens nur noch aufgrund der in §§ 123 und 124 normierten Ausschlussgründe sowie der in § 124 Abs. 2 genannten Sondertatbeständen zulässig ist1.

II. Höchstfristen für Ausschlüsse 13 Das Vorliegen eines Ausschlussgrundes nach §§ 123, 124 kann die Zuverlässig-

keit eines Unternehmens für eine gewisse Dauer in Frage stellen2. Ein Ausschluss des Unternehmens vom Vergabeverfahren wegen eines in der Vergangenheit liegenden Fehlverhaltens scheidet jedoch aus, wenn die in § 126 genannten Höchstfristen von fünf Jahren ab dem Tag der Verurteilung bei zwingenden Ausschlussgründen oder von drei Jahren ab dem betreffenden Ereignis bei fakultativen Ausschlussgründen überschritten sind3. Der öffentliche Auftraggeber verfügt insoweit über keinerlei Beurteilungsspielraum. Insbesondere muss der öffentliche Auftraggeber im Hinblick auf das Fehlverhalten auch nicht bewerten, ob das Unternehmen seine Integrität durch ausreichende Selbstreinigungsmaßnahmen wiederhergestellt hat4. Die Zuverlässigkeit des Unternehmens kann ab Erreichen der in § 126 genannten Höchstfristen nicht mehr wegen der in der Vergangenheit liegenden Verfehlung angezweifelt werden5, so dass es einer Selbstreinigung des Unternehmens nicht bedarf.

14 Das bedeutet allerdings nicht, dass ein Unternehmen gemäß § 126 automatisch

die Zulassung zu einem laufenden Vergabeverfahren verlangen kann6. In einem solchen Falle der Wiederzulassung muss der öffentliche Auftraggeber vielmehr im Einzelfall prüfen, ob für das Unternehmen ein Ausschlussgrund nach §§ 123,

1 Radu in Müller/Wrede, GWB-Vergaberecht, § 126 Rz. 8. 2 Opitz in Burgi/Dreher, Beck’scher Vergaberechtskommentar, Band 1, 3. Auflage 2017, § 126 Rz. 7. 3 Prieß/Simonis in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 126 Rz. 32; Radu in Müller/Wrede, GWB-Vergaberecht, § 126 Rz. 9. 4 Radu in Müller/Wrede, GWB-Vergaberecht, § 126 Rz. 9. 5 Prieß/Simonis in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 126 Rz. 32; Radu in Müller/Wrede, GWB-Vergaberecht, § 126 Rz. 9. 6 KG Berlin v. 17.1.2011 – 2 U 4/06 Kart, juris Rz. 149.

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124 vorliegt. Lediglich den zunächst herangezogenen Ausschlussgrund, der zwischenzeitlich länger als die in § 126 geregelten Höchstfristen zurückliegt, darf der öffentliche Auftraggeber nicht für den Ausschluss heranziehen1. Neue Sachverhalte sind selbstverständlich zu berücksichtigen. Mit Blick auf konkrete Vergabeverfahren ist außerdem zu beachten, dass ein 15 Ausschluss trotz der abgelaufenen Höchstfrist wirksam bleibt, wenn das Unternehmen diesen nicht fristgerecht rügt. Genügt das Unternehmen hingegen seiner Rügeobliegenheit, so ist es dem Auftraggeber und auch den Vergabenachprüfungsinstanzen verwehrt, nach Erreichen der Höchstfristen an dem Ausschluss festzuhalten2. 1. Höchstfrist bei zwingenden Ausschlussgründen Liegt für ein Unternehmen ein zwingender Ausschlussgrund im Sinne von § 123 16 vor, darf das Unternehmen aufgrund dessen maximal fünf Jahre ab dem Tag der rechtskräftigen Verurteilung von der Teilnahme an einem Vergabeverfahren ausgeschlossen werden. Bei zwingenden Ausschlussgründen bemisst sich die nach § 126 Nr. 1 geltende 17 Höchstfrist von fünf Jahren also nach dem Wortlaut der Vorschrift „ab dem Tag der rechtskräftigen Verurteilung“. Maßgeblich ist somit die Verurteilung wegen des Verhaltens, das dem Ausschlussgrund gemäß § 123 zu Grunde liegt. Die Zeitpunkt der Tatbegehung ist für die Bestimmung der Höchstfrist unerheblich3. Die Formulierung in § 126 Nr. 1 erweist sich bei näherer Betrachtung als unge- 18 nau. Ein Ausschluss nach § 123 Abs. 1 erfolgt nicht nur bei rechtskräftiger Verurteilung einer natürlichen Person, deren Verhalten dem Unternehmen nach § 123 Abs. 3 zuzurechnen ist (Alternative 1)4, sondern auch bei rechtskräftiger Festsetzung einer Geldbuße nach § 30 OWiG gegen das Unternehmen (Alternative 2)5. Die Höchstgrenze von fünf Jahren gilt selbstverständlich auch für die zweite in § 123 Abs. 1 geregelte Alternative und bemisst sich in diesem Fall ab der Rechtskraft der Bußgeldfestsetzung6. Darüber hinaus ist ein Unternehmen nach § 123 Abs. 4 Satz 1 zwingend vom 19 Vergabeverfahren auszuschließen, wenn das Unternehmen seinen Verpflich1 Prieß/Simonis in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 126 Rz. 32. 2 Radu in Müller/Wrede, GWB-Vergaberecht, § 126 Rz. 16. 3 Opitz in Burgi/Dreher, Beck’scher Vergaberechtskommentar, Band 1, 3. Auflage 2017, § 126 Rz. 12. 4 Vgl. hierzu § 123 Rz. 32 ff., speziell zum Zeitpunkt der Rechtskraft der Verurteilung § 123 Rz. 29 ff. 5 Vgl. hierzu § 123 Rz. 46 ff. 6 Vgl. zur Rechtskraft der Bußgeldfestsetzung § 123 Rz. 53.

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§ 126 | Zulässiger Zeitraum für Ausschlüsse tungen zur Zahlung von Steuern, Abgaben oder Beiträgen zur Sozialversicherung nicht nachgekommen ist und dies durch eine rechtskräftige Gerichts- oder bestandskräftige Verwaltungsentscheidung festgestellt wurde (Nr. 1) oder die öffentlichen Auftraggeber auf sonstige geeignete Weise die Verletzung einer Verpflichtung nach Nr. 1 nachweisen können (Nr. 2). Auch in diesen Konstellationen greift die zeitliche Begrenzung gemäß § 126 Nr. 1. Dies gilt ungeachtet des Umstands, dass Art. 57 Abs. 7 Satz 3 der Richtlinie 2014/24/EU für die in Art. 57 Abs. 2 der Richtlinie 2014/24/EU geregelte Nichtentrichtung von Steuern und Sozialabgaben keine Höchstfrist bestimmt. Denn auf Basis von Art. 57 Abs. 7 Satz 2 der Richtlinie 2014/24/EU konnte der deutsche Gesetzgeber auch für diesen Ausschlussgrund eine Höchstdauer festlegen1. Der Fristlauf beginnt in den Fällen des § 123 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 mit Eintritt der Rechtskraft der Gerichtsoder mit Eintritt der Bestandskraft der Verwaltungsentscheidung (Nr. 1)2, wenn eine solche vorliegt. Schwieriger ist die Bestimmung des Fristbeginns allerdings bei einem Nachweis der Nichtentrichtung von Steuern, Abgaben oder Beiträgen zur Sozialversicherung auf sonstige geeignete Weise (§ 123 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2). In der Praxis ist der Nachweise auf sonstige Weise etwa mittels der in § 48 Abs. 5 VgV genannten Belege möglich3. Liegen dem Auftraggeber zum Beispiel Bescheinigungen von Finanzämtern oder Sozialversicherungsträgern vor, aus denen Zahlungsrückstände des Unternehmens ersichtlich sind, genügt dies in der Regel. Gleiches gilt für die Erklärung eines Finanzamtes oder Sozialversicherungsträgers, wonach keine Unbedenklichkeitsbescheinigung für das betreffende Unternehmen erteilt werde4. In diesen Fällen dürfte die fünfjährige Frist gemäß § 123 Nr. 1 ab dem Vorliegen der entsprechenden Belege beim öffentlichen Auftraggeber laufen5. 2. Höchstfrist bei fakultativen Ausschlussgründen 20 Liegt für ein Unternehmen ein fakultativer Ausschlussgrund im Sinne von § 124

vor, kann der öffentliche Auftraggeber das Unternehmen höchstens drei Jahre ab dem betreffenden Ereignis von der Teilnahme an Vergabeverfahren ausschließen.

21 Die Vorschrift stellt für den Fristbeginn auf das Ereignis ab, welches Grundlage

für den allgemeinen fakultativen Ausschlussgrund nach § 124 Abs. 1 oder einen besonderen in § 124 Abs. 2 genannten Ausschlussgrund ist.

1 Ebenso Opitz in Burgi/Dreher, Beck’scher Vergaberechtskommentar, Band 1, 3. Auflage 2017, § 126 Rz. 5. 2 Vgl. hierzu § 123 Rz. 85. 3 Vgl. § 123 Rz. 88 ff. 4 Vgl. § 123 Rz. 90. 5 A.A. Opitz in Burgi/Dreher, Beck’scher Vergaberechtskommentar, Band 1, 3. Auflage 2017, § 126 Rz. 14, der wie bei § 126 Abs. 2 auf das betreffende Ereignis abstellt.

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Bei dem in § 126 Nr. 2 genannten „betreffenden Ereignis“ handelt es sich um 22 das in den einzelnen fakultativen Ausschlussgründen umschriebene Fehlverhalten1. Unklar ist jedoch, ob fristauslösendes Ereignis der Zeitpunkt der Tatbegehung bzw. der Pflichtverletzung oder aber die Möglichkeit zur Geltendmachung des Ausschlussgrundes zu verstehen ist2. Letzteres würde bei einigen Ausschlussgründen (§ 124 Abs. 1 Nr. 1, Nr. 3 und Nr. 7) den Nachweis des Fehlverhaltens oder zumindest hinreichende Anhaltspunkte (§ 124 Abs. 1 Nr. 4) voraussetzen. Hierfür spricht ein Vergleich mit § 126 Nr. 1, der nicht auf den Zeitpunkt der Tatbegehung oder -beendigung abstellt, sondern an die rechtskräftige Verurteilung anknüpft3. Außerdem könnten die Ausschlussgründe in § 124 Abs. 1 bei Abstellen auf die Tatbegehung bzw. die Pflichtverletzung teilweise leerlaufen4. Denn oft erlangen Auftraggeber Kenntnis über das Vorliegen von Ausschlussgründen erst deutlich nach Beendigung eines Fehlverhaltens. Für Unternehmen könnte auf diese Weise ein Anreiz entstehen, Fehlverhalten bis zum Ablauf der „Verjährungshöchstfrist“ unter den Teppich zu kehren. Stellt man hingegen auf die Tatbegehung bzw. Pflichtverletzung ab, so würde dies aus Sicht der betroffenen Unternehmen eine klare Bestimmung der Frist ermöglichen und sie nicht von Zufälligkeiten abhängig machen. Trotz der gewichtigen Gegenargumente spricht letztlich für diese Sichtweise der Sinn und Zweck des gesamten Ausschlussregimes in den §§ 123–1265. Diese knüpfen die Prognose der Zuverlässigkeit eines Unternehmens in einem laufenden Vergabeverfahren an eventuelles früheres Fehlverhalten. Liegt dieses Fehlverhalten mehr als drei Jahre zurück, wird die Verbindung zur Zuverlässigkeitsprognose gekappt und das Fehlverhalten verliert seine Bedeutung für die Zukunft. Diese Wirkung tritt durch reinen Zeitablauf ein, ohne dass es darauf ankommt, ob es bezüglich des Fehlverhaltens bereits zu Ermittlungen oder ähnlichem gekommen ist. Ebenso wenig ist maßgeblich, ob Auftraggeber die Möglichkeit zur Geltendmachung eines Ausschlussgrundes haben. Bezogen auf den Ausschlussgrund in § 124 Abs. 1 Nr. 4 hat die VK Südbayern die Frage des fristauslösenden Ereignisses dem EuGH vorgelegt6. Es ist zu hoffen, dass der EuGH hier Leitplanken setzt, die für die Auslegung des § 126 Nr. 2 insgesamt genutzt werden können. Für die einzelnen in § 124 Abs. 1 normierten fakultativen Ausschlussgründe gilt 23 im Hinblick auf den Beginn der Frist gemäß § 126 Nr. 2 Folgendes: 1 Radu in Müller/Wrede, GWB-Vergaberecht, § 126 Rz. 19. 2 Opitz in Burgi/Dreher, Beck’scher Vergaberechtskommentar, Band 1, 3. Auflage 2017, § 126 Rz. 15. 3 Opitz in Burgi/Dreher, Beck’scher Vergaberechtskommentar, Band 1, 3. Auflage 2017, § 126 Rz. 15. 4 Palatzke/Jürschik, NZKart 2017, 358 (363). 5 A.A. Opitz in Burgi/Dreher, Beck’scher Vergaberechtskommentar, Band 1, 3. Auflage 2017, § 126 Rz. 15; Palatzke/Jürschik, NZKart 2017, 358 (363). 6 VK Südbayern v. 7.3.2017 – Z3-3-3194-1-45-11/16, zitiert nach juris.

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§ 126 | Zulässiger Zeitraum für Ausschlüsse a) § 124 Abs. 1 Nr. 1 24 § 124 Abs. 1 Nr. 1 ermöglicht den Ausschluss eines Unternehmens, wenn dieses

bei der Ausführung öffentlicher Aufträge nachweislich gegen geltende umwelt-, sozial- oder arbeitsrechtliche Verpflichtungen verstoßen hat. Für den Fristbeginn maßgeblich ist der Zeitpunkt des Verstoßes, bei Dauerdelikten der Zeitpunkt, zu dem das Unternehmen das Fehlverhalten abgestellt hat. b) § 124 Abs. 1 Nr. 2

25 Der öffentliche Auftraggeber kann auf Grundlage von § 124 Abs. 1 Nr. 2 ein Un-

ternehmen vom Vergabeverfahren ausschließen, – das zahlungsunfähig ist, – über dessen Vermögen ein Insolvenzverfahren oder ein vergleichbares Verfahren beantragt oder eröffnet worden ist oder die Eröffnung eines solchen Verfahrens mangels Masse abgelehnt worden ist, – sich das Unternehmen im Verfahren der Liquidation befindet – oder seine Tätigkeit eingestellt hat.

26 Unklar ist, ob § 126 Nr. 2 bei den von § 124 Abs. 1 Nr. 2 erfassten Insolvenz-

sachverhalten überhaupt zur Anwendung gelangen kann. Denn § 124 Abs. 1 Nr. 2 knüpft nicht an ein Fehlverhalten des Unternehmens, sondern an einen Mangel wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit1. Zudem kann ein Unternehmen, das nach Ablauf der in § 124 Nr. 2 GWB genannten Höchstfrist weiterhin zahlungsunfähig ist oder sich im Insolvenzverfahren oder Liquidation befindet, nicht allein aufgrund des Zeitablaufs wieder zum Wettbewerb zugelassen werden2. Gleichwohl geht die Gesetzesbegründung von der Anwendbarkeit des § 126 Nr. 2 auf Insolvenzsachverhalte aus3. Dabei stellt sich jedoch die Frage nach dem für die einzelnen Tatbestandsvarianten maßgeblichen Anknüpfungszeitpunkt. Für den Fristbeginn kommt es im Falle der Zahlungsunfähigkeit auf den Zeitpunkt an, zu dem das Unternehmen wieder zahlungsfähig wird4, die kritische Lage also beendet ist. Bei der Insolvenz eines Unternehmens ist mit Blick auf dessen Eignung entscheidend, ob das Unternehmen trotz der eingetretenen Zahlungsunfähigkeit hinreichend leistungsfähig ist. Der öffentliche Auftraggeber muss hierüber mit Blick auf das konkrete Vergabeverfahren eine Ermessensentscheidung treffen, weshalb eine starre Grenze von drei Jahren für nicht sinnvoll

1 Opitz in Burgi/Dreher, Beck’scher Vergaberechtskommentar, Band 1, 3. Auflage 2017, § 126 Rz. 11. 2 Opitz in Burgi/Dreher, Beck’scher Vergaberechtskommentar, Band 1, 3. Auflage 2017, § 126 Rz. 11. 3 BT-Drucks. 18/6281, S. 111. 4 Radu in Müller/Wrede, GWB-Vergaberecht, § 126 Rz. 22.

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erachtet wird1. Sofern ein öffentlicher Auftraggeber ein insolventes Unternehmen jedoch gemäß § 124 Abs. 1 Nr. 2 vom Vergabeverfahren ausschließen möchte, kommen mit Blick auf die Höchstfrist nach § 126 Nr. 2 mehrere Zeitpunkte als maßgebliches Ereignis in Betracht. Abgestellt werde könnte auf den Antrag auf Einleitung eines Insolvenzverfahrens, die Eröffnung des Insolvenzverfahrens2 bzw. die Ablehnung der Eröffnung oder auf den Eintritt der Zahlungsunfähigkeit im Sinne des § 17 InsO3. Da ein Unternehmen bereits ab Eintritt der Zahlungsunfähigkeit ausgeschlossen werden kann, sollte dieser Zeitpunkt im Umkehrschluss auch maßgeblich für den Fristbeginn gemäß § 126 Nr. 2 sein4. c) § 124 Abs. 1 Nr. 3 Soll ein Unternehmen aufgrund einer nachweislich schweren Verfehlung gemäß 27 § 124 Abs. 1 Nr. 3 vom Vergabeverfahren ausgeschlossen werden, beginnt die Frist des § 126 Nr. 2 mit der schweren Verfehlung als maßgeblichem Ereignis, allerdings nicht vor deren Beendigung5. Auf eine rechtskräftige Verurteilung kann es für den Beginn der Frist nach § 126 Nr. 2 nicht ankommen, da diese auch für den Ausschluss aufgrund einer schweren Verfehlung in Form einer Straftat nicht erforderlich ist6. d) § 124 Abs. 1 Nr. 4 Soll ein Unternehmen gemäß § 124 Abs. 1 Nr. 4 wegen wettbewerbswidriger 28 Vereinbarungen mit anderen Unternehmen vom Vergabeverfahren ausgeschlossen werden, ist unklar, auf welchen Zeitpunkt für den Fristbeginn nach § 126 Nr. 2 abzustellen ist7. Nach der Gesetzesbegründung kommt als „betreffendes Ereignis insbesondere“ die Entscheidung der zuständigen Kartellbehörde über das Vorliegen eines Wettbewerbsverstoßes in Betracht8. Ein früherer Fristbeginn ist nach dieser Formulierung jedoch nicht ausgeschlossen9. Die VK Südbayern 1 Vgl. § 124 Rz. 34; Prieß/Simonis in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWBVergaberecht, § 126 Rz. 21. 2 Die Gesetzesbegründung stellt darauf ab, ob über das Vermögen des Unternehmens ein Insolvenzverfahren beantragt oder eröffnet worden ist, vgl. BT-Drucks. 18/6281, S. 111. 3 Prieß/Simonis in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 126 Rz. 22. 4 Prieß/Simonis in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 126 Rz. 22. 5 So jedoch Radu in Müller/Wrede, GWB-Vergaberecht, § 126 Rz. 24 und Prieß/Simonis in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 126 Rz. 24. 6 Vgl. § 124 Rz. 57; Prieß/Simonis in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWBVergaberecht, § 126 Rz. 23. 7 VK Südbayern v. 7.3.2017 – Z3-3-3194-1-45-11/16, juris Rz. 93 ff. 8 BT-Drucks. 18/6281, S. 111. 9 Palatzke/Jürschik, NZKart 2015, 470 (473); Palatzke/Jürschik, NZKart 2017, 358 (363).

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§ 126 | Zulässiger Zeitraum für Ausschlüsse hat die Frage, worin das betreffende Ereignis im Sinne von § 126 Nr. 2 im Fall von § 124 Abs. 1 Nr. 4 zu sehen ist, dem EuGH zur Vorabentscheidung vorgelegt1. In der zugrunde liegenden Konstellation hatte eine Sektorenauftraggeberin im Jahr 2016 einen Kartellanten des sog. „Schienenkartells“ aus ihrem Prüfungssystem (gemäß § 24 SektVO a.F.) zur Beschaffung von Oberbaumaterialien ausgeschlossen, wogegen dieser sich mit einem Nachprüfungsantrag wandte. Dabei stellte sich unter anderem die Frage, ob zum Zeitpunkt des Ausschlusses die Frist des § 126 Nr. 2 GWB abgelaufen war oder nicht. Da die Kartelltaten schon 2011 beendet waren, kam ein Ausschluss nur noch in Betracht, wenn man für den Fristbeginn eine gesicherte und belastbare Kenntnis des Auftraggebers anhand des Bußgeldbescheids der Kartellbehörde verlangt, da dieser erst im Jahr 2016 erlassen wurde2. Für die Anknüpfung an die Entscheidung der zuständigen Kartellbehörde lasse sich nach Ansicht der VK Südbayern anführen, dass für einen Ausschluss nach § 124 Abs. 1 Nr. 4 schlichte Verdachtsmomente nicht ausreichen. Die nötige sichere Tatsachengrundlage habe ein öffentlicher Auftraggeber gerade dann, wenn ein Unternehmen nicht aktiv mit ihm zusammenarbeitet, in vielen Fällen erst mit der Entscheidung der Kartellbehörde. Gegen eine solche Auffassung spreche jedoch, dass damit der Beginn der Ausschlussfrist gemäß § 126 Nr. 2 erst dann zu laufen beginne, wenn die teilweise jahrelangen Ermittlungen der Kartellbehörden abgeschlossen sind, wodurch die (kartellrechtliche) Sanktion ggf. lange Zeit nach Beendigung der Kartelltat eintritt. Schließlich ergäben sich Divergenzen mit dem Recht der Ordnugnswidrigkeiten und dem Strafrecht, wo die Verfolgungsverjährung jeweils beginnt, sobald die maßgebliche Handlung beendet ist3. Aus den unter Rz. 22 genannten Gründen spricht im Ergebnis Vieles dafür, den Fristbeginn an den Zeitpunkt der Beendigung der kartellrechtswidrigen Lage zu knüpfen. e) § 124 Abs. 1 Nr. 5 und 6 29 Die § 124 Abs. 1 Nr. 5 und 6 haben kein Fehlverhalten zum Gegenstand, so dass

diese über ein konkretes Vergabeverfahren hinaus keine Relevanz haben4. Die Integrität des Unternehmens wird daher für nachfolgende Vergabeverfahren nicht beeinträchtigt5. Aus diesem Grund stellt sich die Frage nach einem

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VK Südbayern v. 7.3.2017 – Z3-3-3194-1-45-11/16, zitiert nach juris. VK Südbayern v. 7.3.2017 – Z3-3-3194-1-45-11/16, juris Rz. 95 ff. VK Südbayern v. 7.3.2017 – Z3-3-3194-1-45-11/16, juris Rz. 97. Vgl. § 124 Rz. 109 und 115; Roth, NZBau 2016, 672 (675); Prieß/Simonis in Kulartz/Kus/ Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 126 Rz. 26; Radu in Müller/Wrede, GWB-Vergaberecht, § 126 Rz. 27. 5 Vgl. § 124 Rz. 109 und 115; Prieß/Simonis in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 126 Rz. 26; Radu in Müller/Wrede, GWB-Vergaberecht, § 125 Rz. 23.

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Höchstzeitraum für den Ausschluss von (weiteren) Vergabeverfahren in diesen Fällen von vornherein nicht1. f) § 124 Abs. 1 Nr. 7 In den Fällen des § 124 Abs. 1 Nr. 7 ist ein Ausschluss des Unternehmens auf- 30 grund von Fehlverhalten bei der Auftragsdurchführung möglich, wenn dies zu einer vorzeitigen Beendigung, zu Schadensersatz oder zu einer vergleichbaren Rechtsfolge geführt hat. Erst mit Eintritt einer dieser Folgewirkungen ist das Ereignis abgeschlossen und beginnt die Frist des § 126 Nr. 2 zu laufen2. g) § 124 Abs. 1 Nr. 8 Soll das Unternehmen ausgeschlossen werden, weil es in Bezug auf Ausschluss- 31 gründe oder Eignungskriterien eine schwerwiegende Täuschung begangen oder Auskünfte zurückgehalten hat oder nicht in der Lage ist, die erforderlichen Nachweise zu übermitteln, ist zu differenzieren: Bei einer schwerwiegenden Täuschung liegt mit deren Vollendung das betref- 32 fende Ereignis im Sinne von § 126 Nr. 2 vor, während im Falle der Unterlassung von Auskünften die Frist mit dem Zeitpunkt zu laufen beginnt, zu dem die Auskünfte nicht mehr ein- oder nachgereicht werden können3. Soweit nach § 124 Abs. 1 Nr. 8 die Nichtübermittlung erforderlicher Nachweise Grundlage für einen Ausschluss vom Vergabeverfahren sein kann, gilt dies nur mit Blick auf das konkret betroffene Vergabeverfahren, nicht jedoch darüber hinaus4. h) § 124 Abs. 1 Nr. 9 Das betreffende Ereignis ist in den Fällen des § 124 Abs. 1 Nr. 9 die Beendigung 33 der letzten Handlung, mit der versucht wurde, die Entscheidungsfindung des öffentlichen Auftraggebers in unzulässiger Weise zu beeinflussen (§ 124 Abs. 1 Nr. 9 lit. a) bzw. mit der versucht wurde, vertrauliche Informationen zu erhalten (§ 124 Abs. 1 Nr. 9 lit. b)5. Hat das Unternehmen fahrlässig oder vorsätzlich ir1 Opitz in Burgi/Dreher, Beck’scher Vergaberechtskommentar, Band 1, 3. Auflage 2017, § 126 Rz. 11; Prieß/Simonis in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 126 Rz. 26. 2 Radu in Müller/Wrede, GWB-Vergaberecht, § 126 Rz. 28. 3 Prieß/Simonis in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 126 Rz. 28. 4 Prieß/Simonis in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 126 Rz. 28. 5 Prieß/Simonis in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 126 Rz. 29; a.A: Opitz in Burgi/Dreher, Beck’scher Vergaberechtskommentar, Band 1, 3. Auflage 2017, § 126 Rz. 11, der § 126 Nr. 2 im Fall von § 124 Abs. 1 Nr. 9 für unanwendbar hält.

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§ 126 | Zulässiger Zeitraum für Ausschlüsse reführende Informationen übermittelt, die die Vergabeentscheidung des öffentlichen Auftraggebers erheblich beeinflussen könnten, oder hat das Unternehmen versucht, solche Informationen zu übermitteln (§ 124 Abs. 1 Nr. 9 lit. c), ist das betreffende Ereignis der Abschluss der Übermittlung bzw. die Beendigung der letzten Versuchshandlung1. 3. Höchstfrist bei Sonderkonstellationen 34 § 126 enthält keinerlei Regelungen für Sonderkonstellationen wie etwa den Fall,

dass für ein Unternehmen mehrere Ausschlussgründe nach § 124 oder Ausschlussgründe sowohl nach §123 und § 124 vorliegen2.

35 In diesen Konstellationen verlängert sich nicht etwa die Ausschlussfrist, indem

mehrere Höchstfristen miteinander addiert werden. Denn die durch § 126 vorgesehene Höchstdauer für den Ausschluss eines Unternehmens betrifft jeweils den einzelnen Verstoß3, so dass grundsätzlich auf den letzten von einem Unternehmen begangenen Verstoß abzustellen ist. Beim Zusammentreffen von Ausschlussgründen nach § 123 und § 124 kann im Einzelfall die dreijährige Höchstfrist eines später begangenen Fehlverhaltens, das einen fakultativen Ausschlussgrund gemäß § 124 darstellt, durch eine fünfjährige Höchstfrist aufgrund eines länger zurückliegenden Fehlverhaltens, welches einen zwingenden Ausschlussgrund gemäß § 123 darstellt, überlagert werden4. Besonders praxisrelevant ist das Zusammenspiel von § 123 Abs. 1 und § 124 Abs. 1 Nr. 3. Denn § 124 Abs. 1 Nr. 3 („schwere Verfehlung“) kommt als Ausschlussgrund insbesondere dann in Betracht, wenn hinsichtlich einer nach § 123 Abs. 1 zu einem zwingenden Ausschluss führenden Straftat noch keine rechtskräftige Verurteilung vorliegt5. Wurde ein Unternehmen daher zunächst gemäß § 124 Abs. 1 Nr. 3 wegen einer (noch nicht rechtskräftig abgeurteilten) Katalogtat i.S.v. § 123 Abs. 1 vom Vergabeverfahren ausgeschlossen und erfolgt später eine rechtskräftige Verurteilung wegen dieser Straftat, erweist sich die Berechnung der Höchstdauer des Ausschlusses im Einzelfall als schwierig.6 Erfolgte auf Grund von § 124 Abs. 1 Nr. 3

1 Prieß/Simonis in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 126 Rz. 29; a.A: Opitz in Burgi/Dreher, Beck’scher Vergaberechtskommentar, Band 1, 3. Auflage 2017, § 126 Rz. 11, der § 126 Nr. 2 im Fall von § 124 Abs. 1 Nr. 9 für unanwendbar hält. 2 Vgl. Prieß/Simonis in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 126 Rz. 30. 3 Prieß/Simonis in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 126 Rz. 30. 4 So zutreffend Prieß/Simonis in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 126 Rz. 30. 5 Vgl. hierzu auch Erwägungsgrund 101 der Richtlinie 2014/24/EU sowie § 124 Rz. 57. 6 Opitz in Burgi/Dreher, Beck’scher Vergaberechtskommentar, Band 1, 3. Auflage 2017, § 126 Rz. 13, der insoweit begrifflich nach einem „Verbrauch der Auftragssperre“, einer „weiterführenden Auftragssperre“ oder einer „kumulierten Auftragssperre“ differenziert.

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GWB wegen der Straftat eine Auftragssperre oder eine Ausschlussentscheidung unterhalb der zulässigen Höchstdauer von drei Jahren, ist ein Auftraggeber grundsätzlich an sein mit Blick auf die begangene Verfehlung ausgeübtes Ausschlussermessen gebunden und das Recht zur (weitergehenden) Anordnung einer Auftragssperre verbraucht1. Nur soweit das spätere rechtskräftige Strafurteil neue Erkenntnisse etwa im Hinblick auf die Schwere der Tat zulässt, kommt aufgrund dieses „Überhangs“ eine weiterführende Auftragssperre nach § 126 Nr. 1 GWB in Betracht. Dies gilt sogar dann, wenn die zunächst angeordnete Sperre bereits abgelaufen und das Unternehmen zwischenzeitlich wieder zum Wettbewerb zugelassen war2. Wurde aufgrund der Straftat hingegen zunächst eine Ausschlussentscheidung gemäß § 124 Abs. 1 Nr. 3 mit der Höchstfrist von drei Jahren getroffen, ist ein weitergehender Ausschluss um maximal zwei Jahre bis zu der Höchstfrist des § 126 Nr. 1 GWB möglich3. Außer Frage steht jedoch auch hier, dass die Dauer einer auf § 124 Abs. 1 Nr. 3 gestützten Ausschlussentscheidung auf die Höchstfrist von fünf Jahren gemäß § 126 Nr. 1 GWB angerechnet werden muss4.

III. Zulässiger Ausschlusszeitraum vor Ablauf der Höchstfristen § 126 normiert die absoluten Höchstfristen für den Ausschluss eines Unterneh- 36 mens wegen eines Ausschlussgrundes gemäß §§ 123 oder 124. Schon vor Ablauf dieser Höchstfristen kann der Ausschluss eines Unternehmens im Einzelfall jedoch unzulässig sein5. Aus diesem Grund muss der öffentliche Auftraggeber im konkreten Vergabeverfahren prüfen, ob die vergaberechtliche Zuverlässigkeit eines Unternehmens trotz Vorliegens eines allgemeinen Ausschlussgrundes und trotz nicht oder nur unzureichend ergriffener Selbstreinigungsmaßnahmen wiederhergestellt sein kann6. Zur Bestimmung des im Einzelfall zulässigen Ausschlusszeitraumes trifft § 126 37 allerdings keine Regelung. Auch die Gesetzesbegründung geht hierauf nicht ein. Erforderlich ist eine Ermessensentscheidung des Auftraggebers über den kon-

1 Ebenso Opitz in Burgi/Dreher, Beck’scher Vergaberechtskommentar, Band 1, 3. Auflage 2017, § 126 Rz. 13. 2 Opitz in Burgi/Dreher, Beck’scher Vergaberechtskommentar, Band 1, 3. Auflage 2017, § 126 Rz. 13. 3 So zutreffend Opitz in Burgi/Dreher, Beck’scher Vergaberechtskommentar, Band 1, 3. Auflage 2017, § 126 Rz. 13. 4 Vgl. Opitz in Burgi/Dreher, Beck’scher Vergaberechtskommentar, Band 1, 3. Auflage 2017, § 126 Rz. 13. 5 Opitz in Burgi/Dreher, Beck’scher Vergaberechtskommentar, Band 1, 3. Auflage 2017, § 126 Rz. 10; Radu in Müller/Wrede, GWB-Vergaberecht, § 126 Rz. 5. 6 Radu in Müller/Wrede, GWB-Vergaberecht, § 126 Rz. 33.

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§ 126 | Zulässiger Zeitraum für Ausschlüsse kreten Ausschlusszeitraum1. Insoweit ist eine Prognoseentscheidung anzustellen, ob das Unternehmen im konkreten Fall die vergaberechtliche Zuverlässigkeit wiedererlangt hat. Hierbei steht dem öffentlichen Auftraggeber ein Beurteilungsspielraum zu, der deutlich weiter ist als bei der Bewertung der Selbstreinigungsmaßnahmen nach § 125 Abs. 22. Mangels konkreter Vorgaben für die Prognoseentscheidung muss der öffentliche Auftraggeber letztlich sämtliche Umstände des Einzelfalls berücksichtigen und würdigen, die für die Frage der Zuverlässigkeit des Unternehmens relevant sein können3. Bei verschiedenen öffentlichen Auftraggebern kann die Entscheidung unterschiedlich ausfallen4. 38 Regelmäßig sind für die Entscheidung des öffentlichen Auftraggebers verschie-

dene Aspekte von Bedeutung:

39 Maßgeblich ist zunächst die seit dem Fehlverhalten des Unternehmens verstri-

chene Zeit. Je länger sich das Unternehmen seit dem in der Vergangenheit liegenden Fehlverhalten rechtskonform verhalten hat und je näher der Ablauf der in § 126 festgelegten Höchstfristen rückt, desto eher ist von einer Wiedererlangung der Zuverlässigkeit des Unternehmens auszugehen5.

40 Ebenfalls zu berücksichtigen sind vom Unternehmen ergriffene Selbstreinigungs-

maßnahmen sowie die Schwere und die besonderen Umständen der Straftat oder des Fehlverhaltens6. Dies kann etwa den Tatzeitraum, die Schadenshöhe, die Anzahl und Stellung der involvierten Personen oder den Umstand, ob es sich um einen Wiederholungsfall handelt, betreffen7. Die Folgen für das ausgeschlossene Unternehmen müssen ebenfalls Berücksichtigung finden8. Auch wenn im Einzelfall vom Unternehmen ergriffene Selbstreinigungsmaßnahmen nicht ausreichend gewesen sein mögen, so sind sie dennoch bei der Bestimmung des zulässigen Ausschlusszeitraums zu berücksichtigen. Je schwerer das Fehlverhalten des Unternehmens wiegt und je weniger das Unternehmen in der Folge Selbstreinigungsmaßnahmen durchgeführt hat, desto länger wird in der Regel der zulässige Ausschlusszeitraum sein. Umgekehrt wird gelten, dass je weniger schwerwiegend ein Fehlverhalten einzustufen ist und je umfangreicher die vom

1 Opitz in Burgi/Dreher, Beck’scher Vergaberechtskommentar, Band 1, 3. Auflage 2017, § 126 Rz. 10. 2 Radu in Müller/Wrede, GWB-Vergaberecht, § 126 Rz. 35. 3 Ebenso Radu in Müller/Wrede, GWB-Vergaberecht, § 126 Rz. 36. 4 Opitz in Burgi/Dreher, Beck’scher Vergaberechtskommentar, Band 1, 3. Auflage 2017, § 126 Rz. 10. 5 Radu in Müller/Wrede, GWB-Vergaberecht, § 126 Rz. 37. 6 So zutreffend Opitz in Burgi/Dreher, Beck’scher Vergaberechtskommentar, Band 1, 3. Auflage 2017, § 126 Rz. 10; Radu in Müller/Wrede, GWB-Vergaberecht, § 126 Rz. 38. 7 Vgl. Opitz in Burgi/Dreher, Beck’scher Vergaberechtskommentar, Band 1, 3. Auflage 2017, § 126 Rz. 10. 8 Opitz in Burgi/Dreher, Beck’scher Vergaberechtskommentar, Band 1, 3. Auflage 2017, § 126 Rz. 10.

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Zulässiger Zeitraum für Ausschlüsse | § 126

Unternehmen ergriffenen Selbstreinigungsmaßnahmen sind, desto eher wird von einer Wiedererlangung der Zuverlässigkeit des Unternehmens auszugehen sein und der Ausschluss des Unternehmens daher ausscheiden1. Allerdings kann ausnahmsweise auch bei schwerwiegenden Fehlverhalten ein Ausschluss des Unternehmens ausscheiden, wenn die Umstände des Einzelfalles dafür sprechen, dass zukünftig keine Wiederholung des Fehlverhaltens zu erwarten ist2. Der öffentliche Auftraggeber ist nicht dazu verpflichtet, von Amts wegen Um- 41 stände zu ermitteln, die für eine Wiedererlangung der Zuverlässigkeit des Unternehmens sprechen. Dies betrifft insbesondere für vom Unternehmen durchgeführte Selbstreinigungsmaßnahmen. Insoweit gilt wie auch bei § 125, dass das vom Ausschluss bedrohte Unternehmen dem öffentlichen Auftraggeber die zu seinen Gunsten zu berücksichtigenden Umstände darlegen und nachweisen muss3.

IV. Rechtsschutz Wird ein Unternehmen durch den öffentlichen Auftraggeber gemäß §§ 123 oder 42 124 vom Vergabeverfahren ausgeschlossen, kann sich das betroffene Unternehmen gegen den Ausschluss mit der Begründung wenden, dass der Ausschluss wegen Erreichens der Höchstfristen gemäß § 126 unzulässig ist. Insoweit handelt es sich bei § 126 um eine bieterschützende Vorschrift im Sinne von § 97 Abs. 64, die das Unternehmen mittels Rüge und ggf. nachgelagertem Vergabenachprüfungsverfahren geltend machen kann. § 126 entfaltet auch eine Schutzwirkung für andere am Vergabeverfahren betei- 43 ligte Unternehmen. Sieht ein öffentlicher Auftraggeber fälschlicher Weise wegen vermeintlichen Erreichens der Höchstfrist gemäß § 126 vom Ausschluss eines Unternehmens ab, können konkurrierende Bieter dies angreifen. Denn sofern der Auftraggeber trotz Vorliegens eines Ausschlussgrundes nach §§ 123 oder 124 ein Unternehmen nicht vom Vergabeverfahren ausschließt, obwohl keine hinreichenden Selbstreinigungsmaßnahmen i.S.v. § 125 Abs. 1 Satz 1 nachgewiesen sind, liegt hierin eine Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes (§ 97 Abs. 2). Der öffentliche Auftraggeber wird bei festgestelltem Verstoß erneut in die Eignungsprüfung des Unternehmens einzutreten haben und dabei prüfen müssen, ob einem Ausschluss gemäß §§ 123, 124 vom Unternehmen ergriffene Selbstreinigungsmaßnahmen oder eine anderweitige Wiedererlangung der Zuverlässigkeit auch vor Ablauf der Höchstfristen entgegenstehen5.

1 2 3 4 5

So zutreffend Radu in Müller/Wrede, GWB-Vergaberecht, § 126 Rz. 38. Radu in Müller/Wrede, GWB-Vergaberecht, § 126 Rz. 38. Vgl. hierzu § 125 Rz. 81 ff.; Radu in Müller/Wrede, GWB-Vergaberecht, § 126 Rz. 39. Im Ergebnis ebenso Radu in Müller/Wrede, GWB-Vergaberecht, § 125 Rz. 78. Radu in Müller/Wrede, GWB-Vergaberecht, § 126 Rz. 44.

J. Ley

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§ 127 | Zuschlag 44 Die Entscheidung des öffentlichen Auftraggebers über den vor Erreichens der

Höchstfristen im Einzelfall zulässigen Ausschlusszeitraum und die damit verbundene Prognoseentscheidung über die Zuverlässigkeit des vom Ausschluss bedrohten Unternehmens kann das betroffene Unternehmen ebenfalls angreifen1. Allerdings kann die Entscheidung wegen des Beurteilungsspielraum des öffentlichen Auftraggebers von den Vergabenachprüfungsinstanzen nur eingeschränkt dahingehend überprüft werden, ob der Auftraggeber von einer zutreffenden Tatsachengrundlage ausgegangen ist, seine Entscheidung nach sachfremden Erwägungen getroffen, gegen allgemeine Bewertungsgrundsätze verstoßen und das vorgeschriebene Verfahren eingehalten hat2.

§ 127 Zuschlag (1) Der Zuschlag wird auf das wirtschaftlichste Angebot erteilt. Grundlage dafür ist eine Bewertung des öffentlichen Auftraggebers, ob und inwieweit das Angebot die vorgegebenen Zuschlagskriterien erfüllt. Das wirtschaftlichste Angebot bestimmt sich nach dem besten Preis-Leistungs-Verhältnis. Zu dessen Ermittlung können neben dem Preis oder den Kosten auch qualitative, umweltbezogene oder soziale Aspekte berücksichtigt werden. (2) Verbindliche Vorschriften zur Preisgestaltung sind bei der Ermittlung des wirtschaftlichsten Angebots zu beachten. (3) Die Zuschlagskriterien müssen mit dem Auftragsgegenstand in Verbindung stehen. Diese Verbindung ist auch dann anzunehmen, wenn sich ein Zuschlagskriterium auf Prozesse im Zusammenhang mit der Herstellung, Bereitstellung oder Entsorgung der Leistung, auf den Handel mit der Leistung oder auf ein anderes Stadium im Lebenszyklus der Leistung bezieht, auch wenn sich diese Faktoren nicht auf die materiellen Eigenschaften des Auftragsgegenstandes auswirken. (4) Die Zuschlagskriterien müssen so festgelegt und bestimmt sein, dass die Möglichkeit eines wirksamen Wettbewerbs gewährleistet wird, der Zuschlag nicht willkürlich erteilt werden kann und eine wirksame Überprüfung möglich ist, ob und inwieweit die Angebote die Zuschlagskriterien erfüllen. Lassen öffentliche Auftraggeber Nebenangebote zu, legen sie die Zuschlagskriterien so fest, dass sie sowohl auf Hauptangebote als auch auf Nebenangebote anwendbar sind. 1 Radu in Müller/Wrede, GWB-Vergaberecht, § 126 Rz. 45. 2 Vgl. bspw. OLG Naumburg v. 22.9.2014 – 2 Verg 2/13, ZfBR 2015, 204 (205 f.); OLG München v. 22.11.2012 – Verg 22/12, NZBau 2013, 261 (262); OLG Düsseldorf v. 4.9. 2002 – Verg 37/02, juris Rz. 31; Fehling in Pünder/Schellenberg, Vergaberecht, § 97 GWB Rz. 108; Müller-Wrede in Müller-Wrede, Verdingungsordnung für Leistungen VOL/A Kommentar, § 6 EG Rz. 77.

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Zuschlag | § 127

(5) Die Zuschlagskriterien und deren Gewichtung müssen in der Auftragsbekanntmachung oder den Vergabeunterlagen aufgeführt werden. I. 1. 2. 3. 4. II. III. 1. 2.

3.

IV. 1. 2.

Einführung Inhaltsübersicht . . . . . . . . . . . Europarechtliche Vorgaben . . . Entstehungsgeschichte . . . . . . . Parallelregelungen . . . . . . . . . . Zuschlagserteilung . . . . . . . . . Zielrichtung der Zuschlagskriterien (§ 127 Abs. 1 Satz 1 und Satz 3–4) Wirtschaftlichkeit als Maßstab (§ 127 Abs. 1 Satz 1) . . . . . . . . Ermittlung des wirtschaftlichsten Angebotes anhand des Preis-Leistungs-Verhältnisses (§ 127 Abs. 1 Satz 3) . . . . . . . . Bestimmung des besten Preis-Leistungs-Verhältnisses (§ 127 Abs. 1 Satz 4) . . . . . . . . a) Relevanz des Preises . . . . . . aa) Grundsätzliches . . . . . . bb) „Nur-Preis“-Vergabe . . . b) Relevanz der Kosten . . . . . . c) Berücksichtigung qualitativer, umweltbezogener und sozialer Belange . . . . . . . . . aa) Qualitätskriterien . . . . . (1) Allgemeine Anforderungen . . . . . . . . . . . . . (2) Sonderfall: Bieterbezogene Qualitätsanforderungen . . . . . . . . . . . bb) Umweltkriterien . . . . . . cc) Sozialbezug . . . . . . . . . . dd) Sonstige Kriterien . . . . . d) Gewichtung . . . . . . . . . . . . Anforderungen an die Zuschlagskriterien (§ 127 Abs. 3 und 4) . . . . . . . . Regelungsumfang bzw. -tiefe . . Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen a) Verbindung mit dem Auftragsgegenstand (§ 127 Abs. 3) . . . . . . . . . . .

__ __ _ 1 4 6 8 9

_ _ __ __ _ __ _ __ __ _ __ _ _ 12

18 21 23 24 30 35 41 44 45 49 61 66 70 71

75 76 80 81

b) Vereinbarkeit mit dem Wettbewerbs- und Gleichbehandlungsgrundsatz; Überprüfungsmöglichkeit (§ 127 Abs. 4 Satz 1) . . . . . . c) Sonderfall: Zuschlagskriterien bei Nebenangeboten (§ 127 Abs. 4 Satz 2) . . . . . . 3. Rechtskontrolle der Auswahl und Gewichtung der Zuschlagskriterien . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Angebotswertung (§ 127 Abs. 1 Satz 2) . . . . . . . 1. Anforderungen an die Angebotswertung a) Gegenstand der Wertung . . b) Wertungsvorgang . . . . . . . aa) Festlegung eines Bewertungsmodells . . . . . . . bb) Anwendung des Bewertungsmodells . . . . . . . 2. Rechtskontrolle der Angebotswertung . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Beachtung verbindlicher Vorgaben zur Preisgestaltung (§ 127 Abs. 2) . . . . . . . . . . . . 1. Anwendungsbereich . . . . . . . a) HOAI . . . . . . . . . . . . . . . b) Sonstige Regelungen zur Preisgestaltung . . . . . . . . . 2. Konsequenzen . . . . . . . . . . . . a) Folgerungen für die Gestaltung der Zuschlagskriterien und der Vergabeunterlagen . . . . . . . . . . . . b) Pflichten im Rahmen der Angebotswertung . . . . . . .

.

_ _ _ _ __ _ _ _ __ _ __ 86 91 96 98

. 99 . 101 . 102 . 105 . 108

. 113 . 114 . 116 . 121 . 124

_ _ __ _

. 125 . 131

VII. Veröffentlichungspflichten (§ 127 Abs. 5) . . . . . . . . . . . . . 132 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . 133 2. Gegenstand der Veröffentlichung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135

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§ 127 | Zuschlag

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3. Inhaltliche Anforderungen an die Veröffentlichung . . . . . . . . 145 4. Bekanntmachungsmedium . . . 147

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5. Konsequenzen für das Vergabeverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . 150 VIII. Bieterschützender Charakter . 154

I. Einführung 1. Inhaltsübersicht 1 Die Zuschlagskriterien sind maßgebend dafür, welches Angebot aus dem Kreis

der geeigneten Bieter den Zuschlag erhält. Zusammen mit der Leistungsbeschreibung (§ 121 GWB), der Vorgabe von Eignungskriterien (§ 122 GWB) und ggf. den Ausführungsbedingungen (§ 128 Abs. 2 GWB) ist die Festlegung von Zuschlagskriterien sowie die Zuschlagserteilung mithin ein zentraler Baustein eines jeden Vergabefahrens1.

2 § 127 GWB gilt unmittelbar für die Vergabe von öffentlichen Aufträgen durch

öffentliche Auftraggeber. Entsprechend anwendbar ist § 127 GWB auf die Vergabe von Sektorenaufträgen (§ 142 GWB) sowie auf verteidigungs- und sicherheitsspezifische Aufträge (§ 147 Satz 1 GWB). Auf die Vergabe von Konzessionen findet die Vorschrift keine Anwendung. Mit § 152 Abs. 3 GWB existiert hier eine spezielle Regelung

3 Bislang war die Zuschlagserteilung im GWB nur rudimentär geregelt (§ 97

Abs. 5 GWB a.F.). Ergänzende Regelungen fanden sich in § 19 EG Abs. 8 und 9, § 21 EG Abs. 1 EG VOL/A, § 11 Abs. 5 und 6 VOF sowie in § 16 EG Abs. 7 VOB/A 2012. In der Vorschrift des § 127 GWB ist die Festlegung von Zuschlagskriterien sowie die Zuschlagserteilung nunmehr deutlich ausführlicher geregelt, als in § 97 Abs. 5 GWB a.F. Die Neuregelung umfasst z.T. Regelungsinhalte, welche sich bislang lediglich in den konkretisierenden untergesetzlichen Vorschriften befanden, enthält jedoch auch einige bemerkenswerte Neuerungen. Zu nennen sind insbesondere die u.a. aus § 127 Abs. 1 Satz 4 GWB zu folgernde Klarstellung, dass zur Ermittlung des wirtschaftlichsten Angebotes auch singulär auf den Preis abgestellt werden kann. Hervorzuheben ist ferner die aus § 127 Abs. 3 Satz 2 GWB folgende Möglichkeit, Zuschlagskriterien festzulegen, mit denen Prozesse im Zusammenhang mit der Herstellung der Leistung, dem Handel etc. bewertet werden (z.B. Einhaltung von ILO-Kernarbeitsnomen). Eine praktisch relevante Neuerung im Bereich der sog. vierten Wertungsstufe ist auch die Zulassung von bieterbezogenen Zuschlagskriterien, die jedoch nicht in § 127 GWB, sondern auf Verordnungsebene geregelt wird (§ 58 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 VgV, § 16d EU Abs. 2 Nr. 2 b) VOB/A).

1 I.d.S. auch die Gesetzesbegründung VergRModG 2016, BT-Drucks. 18/6281, S. 111.

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Zuschlag | § 127

2. Europarechtliche Vorgaben Gemäß Art. 53 Abs. 1 RL 2004/18/EG hatte der öffentliche Auftraggeber die Op- 4 tion, den Zuschlag entweder auf den „niedrigsten Preis“ oder auf das „wirtschaftlich günstigste Angebot“ zu erteilen, wobei Letzteres als Relation der Kriterien Preis und Qualität bestimmt war. Art. 67 Abs. 1 und 2 RL 2014/24/EU sowie Art. 82 Abs. 1 und 2 RL 2014/25/EU enthalten demgegenüber eine Neugestaltung der Systematik der Zuschlagskriterien. Die Bestimmungen der Art. 67 Abs. 1 RL 2014/24/EU, 82 Abs. 1 RL 2014/25/EU schreiben zunächst vor, dass der Zuschlag auf das „wirtschaftlich günstigste Angebot“ zu erteilen ist, wobei diese Wendung jetzt nicht mehr als Synonym für die Relation zwischen den Kriterien Preis und Qualität, sondern als Oberbegriff für die in Art. 67 Abs. 2 RL 2014/24/EU, 82 Abs. 2 RL 2014/25/EU erläuterten Möglichkeiten der Ermittlung des „wirtschaftlich günstigsten Angebotes“ benutzt wird. Abgestellt werden kann hiernach singulär auf Preis- bzw. Kostenelemente (Art. 67 Abs. 2 UAbs. 1 RL 2014/24/EU, Art. 82 Abs. 2 UAbs. 1 RL 2014/25/ EU), ausschließlich auf leistungsbezogene Elemente (Art. 67 Abs. 2 UAbs. 2 RL 2014/24/EU, Art. 82 Abs. 2 UAbs. 1 lit. c) S. 2 RL 2014/25/EU) oder auf eine Kombination aus Preis- bzw. Kostenelementen und leistungsbezogenen Faktoren (Art. 67 Abs. 2 UAbs. 1 RL 2014/24/EU, Art. 82 Abs. 2 UAbs. 1 RL 2014/ 25/EU), wobei die zweite, jetzt explizit geregelte Möglichkeit einer Vergabe ausschließlich nach leistungsbezogenen Merkmalen (bisher ergab sich diese Option indirekt aus Art. 53 Abs. 1 RL 2004/18/EG), lediglich der Klarstellung der bislang schon anerkannten Praxis einer reinen Qualitätsvergabe bei vorgegebener Höhe des Preises dient1. Dieser trinäre Ansatz findet sich in § 127 Abs. 1 und Abs. 2 GWB wieder. § 127 Abs. 1 Satz 1 GWB nennt – in Übereinstimmung mit Art. 67 Abs. 1 RL 2014/24/EU, 82 Abs. 1 RL 2014/25/EU – mit dem Grundsatz der Zuschlagserteilung auf das „wirtschaftlichste Angebot“ die grundsätzliche Zielsetzung der Angebotswertung. Das nicht der Terminus des „wirtschaftlich günstigsten Angebotes“ verwendet wird, ist unschädlich. Der Richtliniengeber empfiehlt den nationalen Gesetzgebern – zur Vermeidung von Missverständnissen – sogar die Verwendung eines anderen Begriffes, als den des „wirtschaftlich günstigsten Angebotes“2. Die aus Art. 67 Abs. 2 UAbs. 1 Satz 1 RL 2014/24/EU, 82 Abs. 2 UAbs. 1 Satz 1 RL 2014/25/EU folgende Option, zur Ermittlung des wirtschaftlichsten Angebotes auf Preis- bzw. Kostenelemente oder auf eine Kombination aus Preis- bzw. Kostenelementen und leistungsbezogenen Faktoren abzustellen, findet sich in § 127 Abs. 1 Satz 3 und 4 GWB wieder. Die Klarstellung, dass die Vergabe gegebenenfalls ausschließlich nach leistungsbezogenen Kriterien erfolgt, ergibt sich im nationalen Recht indirekt aus § 127 Abs. 2 GWB (Vorgabe des Preises durch zwingendes Preisrecht, vgl. 1 Burgi in Pünder/Prieß, Vergaberecht im Umbruch II, 2015, 57 (60); Burgi, Vergaberecht, 2016, § 17 Rz. 5. 2 Vgl. Erwägungsgrund 89 RL 2014/24/EU und Erwägungsgrund 94 RL 2014/25/EU.

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§ 127 | Zuschlag hierzu näher unter Rz. 125) bzw. aus den Vorschriften der §§ 58 Abs. 2 Satz 3 VgV, 16d EU Abs. 2 Nr. 4 VOB/A (Fälle der Budgetausschreibung). Bezüglich der für die Ermittlung des besten Preis-Leistungs-Verhältnisses relevanten leistungsbezogenen Komponenten wurde die bisher gültige beispielhafte Aufzählung qualitativer Kriterien (vgl. Art. 53 Abs. 1 lit. a) RL 2004/18/EG) im Wesentlichen beibehalten. Diese finden sich nun in Art. 67 Abs. 2 UAbs. 1 Satz 2 RL 2014/24/EU, 82 Abs. 2 UAbs. 1 Satz 2 RL 2014/25/EU, allerdings gegliedert in lit. a bis c). Art. 67 Abs. 2 UAbs. 1 Satz 2 lit. c) RL 2014/24/EU und Art. 82 Abs. 2 UAbs 1 Satz 2 lit. c) RL 2014/25/EU umfassen Charakteristika der Leistungsausführung, wie Lieferbedingungen und Kundendienst, und lit. a) Merkmale der Leistung selbst. Erstmals ausdrücklich erwähnt sind in lit. b) bieterbezogene Eigenschaften in Gestalt von „Organisation, Qualifikation und Erfahrung des eingesetzten Personals“, vorausgesetzt, dass diese von erheblichem Einfluss sein können. Diese Vorgaben werden mit § 127 Abs. 1 Satz 4 GWB nur teilweise umgesetzt. Details hat der Gesetzgeber indes auf untergesetzlicher Ebene geregelt (§ 58 VgV, § 16d EU Abs. 2 Nr. 1–5 VOB/A, § 16d VS Abs. 2 VOB/A, § 52 SektVO, § 34 VSVgV). Die ebenfalls in Art. 67 Abs. 2 UAbs. 1 Satz 1 RL 2014/24 EU, 82 Abs. 2 UAbs. 1 Satz 1 RL 2014/25 EU statuierte Voraussetzung für die Vorgabe eines Zuschlagskriteriums, dass dieses mit dem Auftragsgegenstand sachlich in Verbindung steht, wurde mit § 127 Abs. 3 Satz 1 GWB umgesetzt. Die in Art. 67 Abs. 3 RL 2014/24/EU, 82 Abs. 3 RL 2014/25/EU enthaltende Konkretisierung der Voraussetzung einer sachlichen Verbindung der Zuschlagskriterien mit dem Auftragsgegenstand wurde in § 127 Abs. 3 Satz 2 GWB übernommen. Art. 67 Abs. 2 UAbs. 3 RL 2014/24/EU, 82 Abs. 2 UAbs. 2 RL 2014/25/EU ermächtigen die nationalen Gesetzgeber vorzugeben, dass die öffentlichen Auftraggeber nicht den Preis oder die Kosten als einziges Zuschlagskriterium verwenden dürfen, oder sie können deren Verwendung auf bestimmte Kategorien von öffentlichen Auftraggebern oder bestimmte Arten von Aufträgen beschränken. Die Heranziehung des Preises oder der Kosten als singuläres Zuschlagskriterium hat der deutsche Gesetzgeber generell nicht ausgeschlossen, sondern lediglich in einigen Sonderfällen, nämlich im Falle einer Innovationspartnerschaft (§ 19 Abs. 7 Satz 2 VgV, § 3b EU Abs. 5 Nr. 6 Satz 2 VOB/A) sowie bei der Vergabe von Architekten- und Ingenieurleistungen (§ 76 Abs. 1 Satz 1 VgV). Die § 127 Abs. 1 Satz 2 GWB zu entnehmende Klarstellung, dass es sich beim Zuschlag um eine Wertungsentscheidung handelt, lässt sich auf Art. 67 Abs. 2 UAbs. 1 Satz 1 RL 2014/24/EU, 82 Abs. 2 UAbs. 1 Satz 1 RL 2014/25/EU zurückführen („Die Bestimmung des aus der Sicht des öffentlichen Auftraggebers wirtschaftlich günstigsten Angebots erfolgt anhand einer Bewertung“). Die Vorgabe des Art. 67 Abs. 4 Satz 1 und 2 RL 2014/24/EU, 82 Abs. 4 Satz 1 und 2 RL 2014/25/EU, dass die Zuschlagskriterien nicht zur Konsequenz haben dürfen, dass dem öffentlichen Auftraggeber uneingeschränkte Wahlfreiheit übertragen wird und die Möglichkeit eines wirksamen Wettbewerbs gegeben sein muss, findet sich in § 127 Abs. 4 Satz 1 GWB wieder. Die Frage des Nachweises der Erfüllung der Zuschlagskriterien (Art. 67 Abs. 4 Satz 3 858

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RL 2014/24/EU, Art. 82 Abs. 4 Satz 3 RL 2014/25/EU) wird im nationalen Recht auf untergesetzlicher Ebene thematisiert (§ 58 Abs. 4 VgV). Regelungsgegenstand der Art. 67 Abs. 5 UAbs. 1 RL 2014/24/EU, 82 Abs. 5 UAbs. 1 RL 2014/ 25/EU ist die Bekanntmachung der Gewichtung der Zuschlagskriterien. Eine korrespondierende Bestimmung enthält § 127 Abs. 5 GWB, der etwas deutlicher zum Ausdruck bringt, dass die Zuschlagskriterien und die Gewichtung in der Auftragsbekanntmachung oder den Vergabeunterlagen aufgeführt werden müssen (zur Übereinstimmung der Regelung mit Art. 67 Abs. 5 UAbs. 1 RL 2014/24/EU und Art. 82 Abs. 5 UAbs. 1 RL 2014/25/EU näher unter Rz. 148). Die Umsetzung des Art. 67 Abs. 5 UAbs. 2 und 3 RL 2014/24/EU sowie des Art. 82 Abs. 5 UAbs. 2 und 3 RL 2014/25/EU (Angabe der Gewichtung mittels einer Mage bzw. Angabe der Zuschlagskriterien in absteigender Reihenfolge) erfolgt im nationalen Recht auf untergesetzlicher Ebene (vgl. z.B. § 58 Abs. 3 Satz 2, 3 VgV). § 127 Abs. 4 Satz 2 GWB bestimmt, dass die Zuschlagskriterien so festzulegen sind, dass sie sowohl auf Hauptangebote als auch auf Nebenangebote anwendbar sind, womit Art. 45 Abs. 2 Satz 2 RL 2014/24/EU, 64 Abs. 1 UAbs. 2 Satz 2 RL 2014/25/EU in nationales Recht transformiert werden. Vorbehaltlich der teilweise auf untergesetzlicher Ebene erfolgten Umsetzung, ist mithin davon auszugehen, dass § 127 GWB eine vollständige Umsetzung der Vorgaben der zugrundeliegenden Richtlinienbestimmung enthält. Sofern § 127 GWB gemäß § 147 Satz 1 GWB auf verteidigungs- und sicher- 5 heitsspezifische Aufträge anwendbar ist, ist die EU-rechtliche Grundlage Art. 47 RL 2009/81/EG. Art. 47 Abs. 1 RL 2009/81/EG sieht noch – ähnlich wie die RL 2004/18/EG – eine Zuschlagserteilung auf das wirtschaftlich günstigste Angebot oder den „niedrigsten Preis“ vor. § 127 GWB gestattet – in Übereinstimmung mit Art. 67 Abs. 2 UAbs. 2 RL 2014/24/EU – zwar auch eine Vergabe ausschließlich auf leistungsbezogene Elemente bei vorgegebener Höhe. Da dies nach der hier vertretenen Auffassung nur der Klarstellung einer schon nach bisherigem Recht zulässigen Gestaltung der Zuschlagskriterien dient (Rz. 4), steht § 127 GWB insoweit in Einklang mit Art. 47 RL 2009/81/EG1. Eine § 127 Abs. 3 Satz 2 GWB entsprechende Regelung, wonach es für den Auftragsbezug ausreicht, wenn sich die Zuschlagskriterien auf ein Stadium des Lebenszyklus der Leistung beziehen, enthält Art. 47 RL 2009/81/EG nicht. Wie z.B. die Entscheidung des EuGH in der Sache „Wienstrom“ zeigt, konnten auch bisher im Rahmen der Angebotswertung Kriterien verwendet werden, die z.B. an die Produktionsphase anknüpfen2. Insofern kann auch § 127 Abs. 3 Satz 2 GWB als Klarstellung einer anerkannten Praxis begriffen werden (hierzu näher unter Rz. 83), so dass die Regelung Art. 47 Abs. 1 lit. a RL 2009/81/EG nicht widerspricht.

1 Im Erg. auch Wiedemann in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, GWB, 4. Aufl. 2016, § 127 Rz. 10. 2 EuGH v. 4.12.2003 – Rs. C-448/01 = NZBau 2004, 105 ff. Rz. 31 ff. – „Wienstrom“.

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§ 127 | Zuschlag 3. Entstehungsgeschichte 6 Hinsichtlich der Entstehung des § 127 GWB zugrundeliegenden Richtlinien-

rechts ist anzumerken, dass auf EU-rechtlicher Ebene zunächst sogar vorgeschlagen wurde, den niedrigsten Preis als für die Berücksichtigung von sozialen und umweltpolitischen Aspekten wenig geeignetes Kriterium nicht mehr exklusiv zuzulassen1. Im Verlauf des Richtliniengebungsprozesses hat das Europäische Parlament diese Anregung auch aufgegriffen, konnte jedoch nur eine begriffliche Anpassung durchsetzen2.

7 Auch auf nationaler Ebene gab es Bestrebungen, die Regelung des § 127 GWB zu

modifizieren bzw. zu ergänzen. Gegenüber dem Referentenentwurf des BMWi vom 30.4.20153 wurde in den Gesetzentwurf der Bundesregierung § 127 Abs. 4 Satz 2 GWB eingefügt, der regelt, dass im Falle der Zulassung von Nebenangeboten die Zuschlagskriterien so festzulegen sind, dass sie sowohl auf Hauptangebote als auch auf Nebenangebote anwendbar sind. Im Gesetzgebungsverfahren ist es – trotz mehrerer Änderungs- bzw. Entschließungsanträge – zu keinen weiteren Änderungen gekommen. Der erste Themenkomplex, der sich aus den Änderungs- und Entschließungsanträgen destillieren lässt, betrifft die Berücksichtigung ökologischer und sozialer Belange im Rahmen der Zuschlagsentscheidung. Die Anträge, in § 127 Abs. 1 Satz 4 GWB statt des Wortes „können“ die Begriffe „sollen“4 oder „müssen“5 zu verwenden, zielte darauf ab, statt eines Auswahlermessens des Auftraggebers hinsichtlich der Berücksichtigung qualitativer, umweltbezogener und sozialer Aspekte bei der Festlegung der Zuschlagskriterien ein Regel-Ausnahme-Verhältnis oder eine verpflichtende Berücksichtigung qualitativer, umweltbezogener und sozialer Aspekte festzuschreiben. Jedoch konnte sich weder die Abänderung in eine Soll-Vorschrift6 noch die Ersetzung durch eine Muss-Vorschrift7 durchsetzen. Auch der – zum Vorschlag der Umgestaltung des § 127 Abs. 1 Satz 4 GWB in eine Soll-Vorschrift – hilfsweise gestellte Ände-

1 Europäische Kommission, Grünbuch, Über die Modernisierung der europäischen Politik im Bereich des öffentlichen Auftragswesens, KOM (2011) 15 v. 27.1.2011, Satz 37. 2 Hierzu näher Burgi in Pünder/Prieß, Vergaberecht im Umbruch II, 57 (62). 3 Referentenentwurf des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie, Entwurf eines Gesetzes zur Modernisierung des Vergaberechts (Umsetzung der EU-Vergaberichtlinien 2014) (Vergaberechtsmodernisierungsgesetz – VergModG), Bearbeitungsstand: 30.4.2015, http://www.forum-vergabe.de/fileadmin/user_upload/Rechtsvorschriften/Referentenent wurf_GWB_2015.05.05.pdf (zuletzt aufgerufen am: 18.9.2017). 4 Vgl. Empfehlungen der Ausschüsse des Bundesrates, BR-Drucks. 367/1/15 v. 11.9.2015, Satz 9 Ziffer 9. 5 Vgl. Änderungsantrag u.a. der Fraktion DIE LINKE, BT-Drucks. 18/7089 v. 16.12.2015, Satz 2 Ziffer 1 b) cc). 6 Vgl. Bundesrat, Plenarprotokoll 936 v. 25.9.2015, Tagesordnungspunkt 37, Satz 333, Abstimmung zu Ziffer 9. 7 Bundestag, Plenarprotokoll 18/146 v. 17.12.2015, Tagesordnungspunkt 9, Satz 14428 zu Drucks. 18/7089.

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rungsantrag, lediglich die umweltbezogenen Merkmale in Gestalt einer Soll-Verpflichtung zu regeln und eine solche Bestimmung gesondert als Satz 5 anzufügen, vermochte nicht zu überzeugen1. In die gleiche Richtung gingen zwei Entschließungsanträge, welche vorsahen, die Bundesregierung u.a. aufzufordern, bei der Ermittlung des besten Preis-Leistungs-Verhältnisses beim Zuschlag zwingend soziale und ökologische Kriterien aufzunehmen2 bzw. die Verbindlichkeit von ökologischen und sozialen Kriterien u.a. in § 127 GWB mit Hilfe von „Soll“-Bestimmungen und der Lebenszykluskostenberechnung als Teil des Preis-LeistungsVerhältnisses wo möglich zu stärken3. Diese sind jedoch ebenfalls auf Ablehnung gestoßen4. Nicht entsprochen wurde auch dem Antrag5, § 127 Abs. 1 GWB um einen weiteren Satz zu ergänzen, in dem geregelt wird, dass bei der qualitativen Bewertung des Angebots die Belange der Barrierefreiheit „in der Regel mit einzubeziehen … sind“6. Der bereits erwähnte Erschließungsantrag vom 16.12.2015 beinhaltete ferner den Antrag, die Bundesregierung aufzufordern, die Aufzählung in § 127 Abs. 1 Satz 4 um die Einhaltung des Antidiskriminierungsrechts zu ergänzen7, der jedoch vom Deutschen Bundestag ebenfalls nicht angenommen wurde8. Auch der Antrag, § 127 GWB um einen Absatz 6 zu ergänzen, der eine Regelung zur Aufklärung eines niedrigen Preisniveaus bzw. ungewöhnlich niedriger Angebote enthält9, fand ebenfalls keine Zustimmung10. 4. Parallelregelungen Obgleich die Festlegung der Zuschlagskriterien sowie der Angebotswertung in 8 § 127 GWB ausführlicher dargestellt ist, als bislang, regelt § 127 GWB diese Fra1 Vgl. Bundesrat, Plenarprotokoll 936 v. 25.9.2015, Tagesordnungspunkt 37, Satz 333, Abstimmung zu Ziffer 10. 2 Vgl. Entschließungsantrag u.a. der Fraktion DIE LINKE, BT-Drucks. 18/7090 v. 16.12. 2015, Satz 3. 3 Vgl. Entschließungsantrag u.a. der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, BT-Drucks. 18/7092 v. 16.12.2015, Satz 6. 4 Bundestag, Plenarprotokoll 18/146 v. 17.12.2015, Tagesordnungspunkt 9, Satz 14428 zu Drucks. 18/7090 und 18/7092. 5 Vgl. Empfehlungen der Ausschüsse des Bundesrates, BR-Drucks. 367/1/15 v. 11.9.2015, Satz 10 Ziffer 11. 6 Vgl. Bundesrat, Plenarprotokoll 936 v. 25.9.2015, Tagesordnungspunkt 37, Satz 333, Abstimmung zu Ziffer 11. 7 Vgl. Entschließungsantrag u.a. der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, BT-Drucks. 18/7092 v. 16.12.2015, Satz 3, 6. 8 Bundestag, Plenarprotokoll 18/146 v. 17.12.2015, Tagesordnungspunkt 9, Satz 14428 zu Drucks. 18/7092. 9 Vgl. Änderungsantrag u.a. der Fraktion DIE LINKE, BT-Drucks. 18/7089 v. 16.12.2015, Satz 2 Ziffer 1 b) dd). 10 Bundestag, Plenarprotokoll 18/146 v. 17.12.2015, Tagesordnungspunkt 9, Satz 14428 zu Drucks. 18/7089.

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§ 127 | Zuschlag gen nicht abschließend. Der Gesetzgeber hat von der Verordnungsermächtigung des § 113 Satz 2 Nr. 5 GWB Gebrauch gemacht1 und die Details der Festlegung der Zuschlagskriterien und der Angebotswertung auf untergesetzlicher Ebene geregelt. Allgemeine Vorgaben zu den Zuschlagskriterien und der Zuschlagserteilung enthält vornehmlich § 58 VgV, § 16d EU Abs. 2 Nr. 1–5 VOB/A, § 16d VS Abs. 2 VOB/A, § 52 SektVO sowie § 34 VSVgV. Ergänzt werden diese Regelungen durch Bestimmungen über die Berechnung von Lebenszykluskosten (§ 59 VgV, § 16d EU Abs. 2 Nr. 6-7 VOB/A, § 53 SektVO). § 65 Abs. 5 VgV befasst sich mit den Zuschlagskriterien bei der Vergabe von sozialen und anderen besonderen Dienstleistungen. Vorgaben hinsichtlich der Zuschlagskriterien bei Beschaffung energieverbrauchsrelevanter Leistungen enthalten § 67 Abs. 3 bis 5 VgV und § 58 Abs. 2 SektVO. Anforderungen an die Zuschlagskriterien im Falle der Beschaffung von Straßenfahrzeugen ergeben sich aus § 68 Abs. 1 und 2 Nr. 2, Abs. 3 VgV sowie aus § 59 Abs. 1 und 2 Satz 1 Nr. 2 sowie Satz 2 und 3 SektVO. Schließlich beinhaltet die Vorschrift des § 76 Abs. 1 VgV nähere Vorgaben zur Ermittlung des wirtschaftlichsten Angebotes bei der Vergabe von Architekten- und Ingenieurleistungen.

II. Zuschlagserteilung 9 Bevor näher auf den Gegenstand der Zuschlagserteilung bzw. dessen Inhalt ein-

gegangen wird, bedarf es einer Vergewisserung des Rechtscharakters der Zuschlagserteilung als solche. Der Zuschlag stellt nach überwiegender Auffassung die bürgerlich-rechtliche Annahmeerklärung im Sinne der § 146 ff. BGB dar2, so dass mit dem Zuschlag zugleich ein zivilrechtlicher Vertrag zustande kommt, d.h. der Zuschlag und der Vertragsschluss fallen in einem Rechtsakt zusammen (monistisches Verständnis)3.

10 Der Zuschlag muss inhaltlich eine hinreichende Bestimmtheit aufweisen und auf

das Angebot, auf dass der Zuschlag erteilt werden soll, Bezug nehmen4. Fehlt es an der Bestimmtheit, ist der Zuschlag als bürgerlich-rechtliche empfangsbedürftige Willenserklärung5 wie jede andere zivilrechtliche empfangsbedürftige Wil-

1 Die Anwendbarkeit des Abschnitt 2 der VOB/A ergibt sich aus § 2 VgV und die Anwendbarkeit des Abschnitts 3 VOB/A aus § 2 Abs. 2 VSVgV. 2 OLG Frankfurt v. 24.9.2013 – 11 Verg 12/13, NZBau 2014, 247 (249); OLG Naumburg v. 16.10.2007 – 1 Verg 6/07, ZfBR 2008, 83 (85); VK Sachsen v. 15.3.2016 – 1/SVK/045-15, IBRRS 2016, 0914. 3 Ohrtmann in Müller-Wrede, Kompendium des Vergaberechts, 2. Aufl. 2013, § 23 Rz. 51. 4 Ziekow in Ziekow/Völlink, Vegaberecht, 2. Aufl. 2013, § 99 GWB Rz. 57 f.; Brinker, NZBau 2000, 174. 5 BGH v. 9.2.2004 – XZ ZB 44/03, NZBau 2004, 229 (230); OLG Frankfurt v. 24.9.2013 – 11 Verg 12/13, NZBau 2014, 247 (249).

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lenserklärung gemäß §§ 133, 157 ff. BGB auszulegen1. Die Auslegung hat stets im Einklang mit den vergaberechtlichen Bestimmungen zu erfolgen, da aus Sicht eines objektiven Erklärungsempfängers in der Regel davon auszugehen ist, dass sich der öffentliche Auftraggeber vergaberechtskonform verhalten will2. Ein wirksam erteilter Zuschlag kann gemäß § 168 Abs. 2 Satz 1 GWB nicht 11 mehr aufgehoben werden. Mithin kann ein Bieter, der einen Vergaberechtsverstoß behauptet, keinen Primärrechtsschutz mehr verlangen, sondern allenfalls Schadensersatz geltend machen3. Daraus ergibt sich, dass mit der Zuschlagserteilung das Vergabeverfahren abgeschlossen ist4.

III. Zielrichtung der Zuschlagskriterien (§ 127 Abs. 1 Satz 1 und Satz 3–4) 1. Wirtschaftlichkeit als Maßstab (§ 127 Abs. 1 Satz 1) Nach § 127 Abs. 1 Satz 1 GWB stellt die „Wirtschaftlichkeit“ des Angebots auch 12 künftig den Maßstab für die Angebotswertung dar5. Die Regelung des § 97 Abs. 5 GWB a.F. wurde wortgleich übernommen. Auch auf untergesetzlicher Ebene wird der Grundsatz der Zuschlagserteilung auf das „wirtschaftlichste Angebot“ postuliert (§ 58 Abs. 1 VgV, § 16d EU Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 VOB/A). Die zugrundeliegenden Richtlinienbestimmungen verwenden als Oberbegriff die 13 Bezeichnung „wirtschaftlich günstigstes Angebotes“ (Art. 67 Abs. 1 RL 2014/24/ EU, Art. 82 Abs. 1 RL 2014/25/EU). Der Grundsatz der Zuschlagserteilung auf das wirtschaftlichste Angebot, ist die 14 wichtigste Ausprägung des in Art. 97 Abs. 1 GWB verankerten allgemeinen Wirtschaftlichkeitsgrundsatzes6. Die Wirtschaftlichkeit ist ein Gradmesser für die Effizienz, bzw. für den rationalen Umgang mit finanziellen oder sonstigen Ressourcen. Sie wird allgemein als das Verhältnis zwischen erreichtem Erfolg

1 BGH v. 11.5.2009 – VII ZR 11/08, KommJur 2009, 342 (345) = MDR 2009, 797 ff.; OLG Jena v. 28.6.2000 – 6 Verg 2/00, NZBau 2001, 163 (165). 2 BGH v. 6.9.2012 – VII ZR 193/10, NJW 2012, 3505 (3506) = MDR 2012, 1280 ff.; Ohrtmann in Müller-Wrede, Kompendium des Vergaberechts, § 23 Rz. 41. 3 OLG Celle v. 4.3.2010 – 13 Verg 1/10, NZBau 2010, 333 (334). 4 BGH v. 11.5.2009 – VII ZR 11/08, MDR 2009, 797 = KommJur 2009, 342 (345); Kadenbach in Müller-Wrede, GWB, 2016, § 168 Rz. 38 f. 5 Gesetzesbegründung VergRModG 2016, BT-Drucks. 18/6281, 111. 6 Vgl. Müller in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, GWB, § 97 Rz. 47, der wegen des Grundsatzes der Zuschlagserteilung auf das wirtschaftlichste Gebot gemäß § 127 Abs. 1 GWB für das allgemeine Wirtschaftlichkeitsgebt des Art. 97 Abs. 1 GWB keinen eigenständigen Regelungsbereich sieht.

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§ 127 | Zuschlag und dafür benötigten Mitteleinsatz begriffen1. Damit bringt der Grundsatz der Zuschlagserteilung auf das wirtschaftlichste Angebot das – nicht zuletzt durch das Haushaltsrecht (Art. 114 Abs. 2 GG, § 6 Abs. 1 HGrG) geprägte – Grundanliegen des öffentlichen Auftraggebers, eine optimale Zielerreichung im Sinne eines „best value for taxpayers money“2 sicherzustellen, zum Ausdruck. 15 Die Wirtschaftlichkeit ist im Übrigen keine fixe bzw. statische Größe. Wirt-

schaftlich ist dass, was der jeweilige öffentliche Auftraggeber im konkreten Beschaffungsfall für ökonomisch hält, d.h. dass aus Sicht des öffentlichen Auftraggebers optimale Verhältnis zwischen den aufzuwenden finanziellen Mitteln und dem damit verfolgten Zweck der konkreten Beschaffung3. Hierbei ist der Auftraggeber bereits nach bisher wohl herrschender Meinung im Übrigen nicht auf eine strenge einzelwirtschaftliche Betrachtung in dem Sinne festgelegt, dass die Berücksichtigung von Gemeinwohlbelangen per se zu einem unwirtschaftlichen Ergebnis führt, d.h. er kann in seine Wirtschaftlichkeitsbetrachtung durchaus gesamtwirtschaftliche Überlegungen inkorporieren, jedenfalls sofern noch ein Auftragsbezug gegeben ist4. Die Regelung des § 127 Abs. 3 Satz 2 GWB bestätigt diese Sichtweise und gibt zugleich die Grenzen für die Berücksichtigung von gemeinwohlorientierten Belange vor. Umweltbezogene Kriterien, wie z.B. der Einsatz energieeffizienter Maschinen, können hiernach Berücksichtigung finden, allerdings muss ein Bezug zu einer Lebenszyklusphase der Leistung gegeben sein (vgl. auch Rz. 83).

16 Der Terminus „Wirtschaftlichkeit“ hat nach dem Regelungskonzept des § 127

GWB keinen eigenständigen Aussagegehalt, sondern ist ein Oberbegriff für verschiedene Arten von Relationen zwischen dem Preis bzw. den Kosten einerseits und der Leistung andererseits, welche in § 127 GWB ebenfalls näher definiert

1 VK Mecklenburg-Vorpommern v. 21.2.2012 – 1 VK 7/11, IBRRS 2012, 2771; VK Hessen v. 3.2.2012 – 69dVK48/2011, IBRRS 2013, 3865. 2 OLG Düsseldorf v. 1.8.2012 – VII-Verg 10/12, NZBau 2012, 785 (789); Arrowsmith/Linarelli/Wallace, Regulating Public Procurement, 2000, S. 28 ff. 3 I.d.S. OLG Naumburg v. 5.12.2008 – 1 Verg 9/08, VergabeR 2009, 486 (493); MüllerWrede in Müller-Wrede, GWB, § 127 Rz. 9; Bartsch/v.Gehlen/Hirsch, NZBau 2012, 393 (394); Opitz, NZBau 2001, 12 (15). 4 I.d.S. EuGH v. 17.9.2002 – Rs. C-513/99 = ZfBR 2002, 812 ff. Rz. 55 – „Concordia Bus“; EuGH v. 4.12.2003 – Rs. C-448/01 = NZBau 2004, 105 ff. Rz. 31 ff. – „Wienstrom“; ebenso Kühling/Huerkamp in Münchener Kommentar zum Europäischen und Deutschen Wettbewerbsrecht (Kartellrecht), 1. Aufl. 2011, § 97 GWB Rz. 297 ff.; Dageförde, Umweltschutz im öffentlichen Vergabeverfahren, 2012, Rz. 201; Willenbruch/Nullmeier, Energieeffizienz und Umweltschutz bei der Vergabe öffentlicher Aufträge, 2012, S. 32; Beckmann, NZBau 2004, 600 (602); a.A. VK Bad.-Würt. v. 18.6.2003 – 1 VK 25/03, IBRRS 2003, 2436; Kulartz/Scholz, VergabeR 2014, 109 (110); Opitz, NZBau 2001, 12 (15); vgl. auch Bartsch/v.Gehlen/Hirsch, NZBau 2012, 393 (394), die grundsätzlich einen einzelwirtschaftliche Maßstab befürworten, aber „vergabefremde“ Zuschlagskriterien dennoch nicht ausschließen wollen.

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werden1. Die Wirtschaftlichkeit als solche ist daher auch kein geeignetes Zuschlagskriterium2. Aufgrund der Weite des Begriffs des „wirtschaftlichsten Angebotes“ kommt 17 dem Auftraggeber naturgemäß ein großer Ermessensspielraum hinsichtlich der Frage zu, wie sich für ihn die wirtschaftlichste Lösung darstellt, das „Primat des wirtschaftlich günstigsten Angebotes“3 als solches steht aber nicht zu seiner Disposition. Es handelt sich um eine bindende Vorgabe („…wird auf das wirtschaftlichste Angebot erteilt“). 2. Ermittlung des wirtschaftlichsten Angebotes anhand des Preis-Leistungs-Verhältnisses (§ 127 Abs. 1 Satz 3) Nach § 127 Abs. 1 Satz 3 GWB bestimmt sich das wirtschaftlichste Angebot 18 nach dem besten Preis-Leistungs-Verhältnis, d.h. das Preis-Leistungs-Verhältnis dient der Deskription des Begriffs „wirtschaftliches Angebot“ i.S.v. § 127 Abs. 1 Satz 1 GWB4. Die Begrifflichkeit „Preis-Leistungs-Verhältnis“ bezeichnet im Allgemeinen die 19 Relation zwischen Anschaffungspreis und Leistung5. Zu beachten ist aber, dass bei der Ermittlung des „Preis-Leistungs-Verhältnisses“ nach § 127 Abs. 1 Satz 4 GWB nicht nur der Angebotspreis, sondern auch die Kosten herangezogen werden dürfen. Das Preis-Leistungs-Verhältnis i.S.v. § 127 Abs. 1 Satz 3 GWB ist daher unter Zugrundelegung eines weiten Begriffsverständnisses als eine ZweckMittel-Relation6 zu verstehen, bei der die Leistung in Relation zum Anschaffungspreis und/oder zu den Kosten gesetzt wird. Man könnte auch von einem Preis-/Kosten-Leistungsverhältnis sprechen oder verkürzt – da die Kosten i.d.R. den Anschaffungspreis einschließen – von einem Kosten-Leistungs-Verhältnis7. Das Ziel der beschriebenen Relation ist es, das optimale Verhältnis zwischen 20 dem Preis bzw. den Kosten und der Leistung zu ermitteln, wobei darauf abgestellt werden kann, ob ein bestimmtes Ergebnis mit geringstem Einsatz von Mit1 Wiedemann in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, GWB, § 127 Rz. 16; Burgi, Vergaberecht, § 17 Rz. 3. 2 OLG Düsseldorf v. 14.3.2008 – VII Verg 19/08, BeckRS 2009, 07364; VK Lüneburg v. 17.12.2002 – 203VgK32/2002, IBRRS 2003, 0655. 3 Hettich in Hettich/Soudry, Das neue Vergaberecht, 2014, Satz 62. 4 I.d.S. Gesetzesbegründung VergRModG 2016, BT-Drucks. 18/6281, S. 111. 5 Z.B. Diller, Handbuch Preispolitik, 2003, S. 311. 6 Zu dieser Begrifflichkeit Opitz in Dreher/Motzke, Beck’scher Vergaberechtskommentar, 2. Aufl. 2013, § 97 GWB Rz. 16. 7 Vgl. Müller-Wrede in Müller-Wrede, GWB, § 127 Rz. 40 („Leistungs-Kosten-Verhältnis“); Bartsch/v. Gehlen/Hirsch, NZBau 2012, 393 (394); ähnlich Eßig in Gabriel/Mertens/Prieß/Stein, BeckOK-Vergaberecht, 1. Edition/Stand: 30.9.2016, GWB, Einleitungen zum GWB Rz. 32 (Ermittlung einer „pekuniären Input- wie einer kalkulatorischen Outputgröße“).

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§ 127 | Zuschlag teln erreicht wird (Minimal- oder Effizienzprinzip) oder mit einem bestimmten Einsatz von Mitteln das bestmögliche Ergebnis erzielt wird (Maximal- oder Effektivitätsprinzip)1. Der Regelfall dürfte darin liegen, dass der öffentliche Auftraggeber durch die Leistungsbeschreibung und die Vertragsbedingungen einseitig ein gewünschtes Leistungssoll festlegt und den Zuschlag auf das Angebot des Bieters erteilt, der bereit ist, das Ziel mit dem geringsten Mitteleinsatz zu erreichen. Mithin liegt der Gestaltung der Zuschlagskriterien häufig das Minimalprinzip zugrunde2. Denkbar ist aber auch, dass der Auftraggeber eine ZweckMittel-Relation anstellt, welche dem Maximal- bzw. Effektivitätsprinzip folgt. So kann er z.B. Festpreise oder Festkosten vorgeben und die Bewertung anhand der qualitativen oder sonstigen leistungsbezogenen Kriterien vornehmen. Diese auch als „Budgetausschreibung“3 bezeichnete Fallgestaltung ist von der Rechtsprechung zum bisher geltenden Recht anerkannt4 und ist nunmehr auch ausdrücklich geregelt (§ 58 Abs. 2 Satz 3 VgV, § 16d EU Abs. 2 Nr. 4 VOB/A). 3. Bestimmung des besten Preis-Leistungs-Verhältnisses (§ 127 Abs. 1 Satz 4) 21 Der Begriff des besten Preis-Leistungs-Verhältnisses i.S.v. § 127 Abs. 1 Satz 3

GWB, welches richtigerweise eher als Preis-/Kosten-Leistungs-Verhältnis zu interpretieren ist (Rz. 19) und das der Ausfüllung des Begriffs „wirtschaftliches Angebot“ dient, wird seinerseits durch § 127 Abs. 1 Satz 4 GWB konkretisiert. § 127 Abs. 1 Satz 4 GWB gibt vor, dass zur Ermittlung des Preis-Leistungs-Verhältnisses neben dem Preis oder den Kosten auch qualitative, umweltbezogene und soziale Aspekte herangezogen werden können. Der Wortlaut dieser Regelung („neben dem Preis oder den Kosten“) impliziert, dass entweder der Preis oder die Kosten für die Ermittlung des besten Preis-Leistungs-Verhältnisses in jedem Fall berücksichtigt werden müssen5.

22 Bezüglich der weiteren Ausgestaltung der Kriterien, anhand der das beste Preis-

Leistungs-Verhältnis ermittelt wird, hat der öffentliche Auftraggeber einen weiten Ermessensspielraum6. Mögliche Aspekte, denen der öffentliche hierbei eine

1 OLG Naumburg v. 5.12.2008 – 1 Verg 9/08, VergabeR 2009, 486 (492 f.); VK Hessen v. 3.2.2012 – 69dVK48/2011, IBRRS 2013, 3865; VK Schleswig-Holstein v. 8.10.2010 – VKSH 13/10, IBRRS 2010, 3902; Müller-Wrede in Müller-Wrede, GWB, § 127 Rz. 9; Opitz in Dreher/Motzke, Beck’scher Vergaberechtskommentar, § 97 GWB Rz. 16; Bartsch/ v. Gehlen/Hirsch, NZBau 2012, 393 (394). 2 Opitz in Dreher/Motzke, Beck’scher Vergaberechtskommentar, § 97 GWB Rz. 16. 3 VK Sachsen v. 20.6.2014 – 1/SVK/017-14, VPRRS 2014, 0520; Müller-Wrede in MüllerWrede, GWB, § 127 Rz. 55. 4 VK Sachsen v. 20.6.2014 – 1/SVK/017-14, VPRRS 2014, 0520; VK Hessen v. 3.2.2012 – 69dVK48/2011, IBRRS 2013, 3865; VK Münster v. 15.5.2007 – VK 11/07, juris Rz. 78 ff. 5 Wiedemann in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, GWB, § 127 Rz. 27. 6 Gesetzesbegründung VergRModG 2016, BT-Drucks. 18/6281, S. 112.

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Bedeutung zumessen kann, sind die in § 127 Abs. 1 Satz 4 GWB explizit genannten qualitativen, umweltbezogene und sozialen Aspekte. Die Aufzählung hat allerdings nur exemplarischen Charakter1. Im Übrigen handelt es sich eher um Oberbegriffe, die auf untergesetzlicher Ebene konkretisiert werden (vgl. §§ 58 Abs. 2 Satz 2 VgV, § 16d EU Abs. 2 Nr. 2 Satz 2 VOB/A). a) Relevanz des Preises Nach § 127 Abs. 1 Satz 4 GWB ist im Rahmen der Ermittlung des besten Preis- 23 Leistungs-Verhältnisses insbesondere der Preis relevant, wobei dieser singulär oder neben anderen, leistungsbezogenen Kriterien herangezogen werden kann. aa) Grundsätzliches Der Begriff „Preis“ beschreibt die vom Abnehmer – hier vom Auftraggeber – zu 24 erbringende Gegengenleistung für die Leistung eines Anbieters2. Maßstab ist i.d.R. der Gesamt- bzw. Angebotsendpreis3. Bei Aufträgen, die ih- 25 rem Charakter nach oder wegen der damit verbundenen Unwägbarkeiten, die Angabe eines Angebotsendpreises nicht zulassen, können auch Einzelpreise für bestimmte Leistungspositionen bzw. Preiskategorien für Gruppen von Einzelleistungen als Maßstab gewählt werden4. Im Rahmen der Preiswertung können auch Skonti berücksichtigt werden5. 26 Skonti sind, aufschiebend bedingte Teilerlasse der Forderung für den Fall fristgerechter Zahlung (§§ 397 Abs. 1, 158 Abs. 1 BGB), die weder die rechtlichen Rahmenbedingungen für die Ausführung der Leistung noch den Preis als solchen ändern6. Eine Wertung ist jedoch nur möglich, wenn Klarheit darüber be1 Gesetzesbegründung VergRModG 2016, BT-Drucks. 18/6281, S. 112. 2 Z.B. Palupski, Management von Beschaffung, Produktion und Absatz, 2. Aufl. 2002, Satz 329 f.; ähnlich Towfigh/Petersen, Ökonomische Methoden im Recht, 2010, Satz 38 („Abwägung, wie viele Einheiten von dem einen Gut für eine zusätzliche Einheit des anderen aufgegeben werden soll“). 3 Müller-Wrede in Müller-Wrede, GWB, § 127 Rz. 196; Weyand, ibr-online-Kommentar Vergaberecht, 17. Aktualisierung 2015/Stand: 14.9.2015, § 97 GWB Rz. 1177/2. 4 OLG Brandenburg v. 27.3.2012 – Verg. W 13/11, ZfBR 2012, 513 ff. (Stundensätze für wissenschaftliche Tätigkeiten bei unkalkulierbarem Zeitaufwand); OLG Koblenz v. 28.10.2009 – 1 Verg 8/09, NZBau 2009, 671 (Preis je Besetz-Km bei Schülerbeförderung); Wiedemann in Kulartz/Kus/Marx/Portz/Prieß, VgV, 2017, § 58 Rz. 96. 5 VK Hessen v. 27.4.2012 – 69d VK-12/2012, IBRRS 2013, 0566; VK Schleswig-Holstein v. 14.3.2012 – VK-SH 02/12, BeckRS 2012, 17704; VK Münster v. 14.10.2011 – VK 14/11, IBRRS 2011, 4929; Müller-Wrede in Müller-Wrede, GWB, § 127 Rz. 198; kritisch OLG München v. 29.11.2007 – Verg 13/07, IBRRS 2007, 4925; BayObLG v. 9.9.2004 – Verg 18/04, VergabeR 2005, 126 (128). 6 OLG München v. 29.11.2007 – Verg 13/07, IBRRS 2007, 4925; VK Hessen v. 27.4.2012 – 69d VK-12/2012, IBRRS 2013, 0566; Peters, NZBau 2009, 584 (584).

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§ 127 | Zuschlag steht, welche Zahlungen erfasst sind (Abschlags-, Schlusszahlungen) und zu welchen Bedingungen (Zahlungsfristen) Skonto gewährt wird1. 27 Nach der Rechtsprechung können auch sonstige Preisnachlässe gewertet wer-

den. Es unterliegt allein der Entscheidung der Vergabestelle, ob sie Preisnachlässe, ob bedingt oder unbedingt, fordert und dann auch mit in die Wertung einbezieht2. Bei Vergaben nach Abschnitt 2 der VOB/A sind jedoch bestimmte formale Anforderungen zu beachten (vgl. § 13 EU Abs. 4 VOB/A).

28 Im Rahmen der Wertung kann auf den Bruttopreis abgestellt werden, wenn der

öffentliche Auftraggeber nicht vorsteuerabzugsberechtigt ist, denn mangels Vorsteuerabzugsberechtigung fällt die Umsatzsteuer wirtschaftlich ins Gewicht, so dass für die Ermittlung des besten Preis-Leistungs-Verhältnisses die Berücksichtigung des den Umsatzsteuerbetrag einschließenden Endpreises sinnvoll ist3. Ist der öffentliche Auftraggeber vorsteuerabzugsberechtigt, sollte bei der Ermittlung des wirtschaftlichsten Ergebnisses auf Nettopreise abgestellt werden, da die zu entrichtende Umsatzsteuer in diesem Fall nur einen durchlaufenden Posten darstellt4.

29 Nach § 127 Abs. 1 Satz 3 GWB kann unproblematisch der Preis neben leis-

tungsbezogenen Aspekten als Zuschlagskriterien gewählt werden. Das ergibt sich daraus, dass es sich bei dem Preis um einen Faktor im Rahmen der Ermittlung des Preis-Leistungs-Verhältnisses, also der Relation aus monetären (Preisoder Kosten-Faktoren) und leistungsbezogenen Kriterien handelt. bb) „Nur-Preis“-Vergabe

30 Die EU-rechtlichen Regelungen der Art 67 Abs. 2 UAbs. 3 RL 2014/24/EU, 82

Abs. 2 UAbs. 2 RL 2014/25/EU ermächtigen die Mitgliedstaaten, durch nationales Recht den Preis oder die Kosten als singuläres Zuschlagskriterium ganz oder teilweise auszuschließen. In Anbetracht dessen, dass der Preis oder die Kosten als alleiniges Zuschlagskriterium im deutschen Recht nur in Sonderfällen ausgeschlossen wurden (§§ 19 Abs. 7 Satz 2, 76 Abs. 1 Satz 1 VgV, 3b EU Abs. 5 Nr. 6 Satz 2 VOB/A) sowie unter Berücksichtigung der Gesetzesbegründung zu § 127 Abs. 4 GWB5 und der ausdrücklichen Regelung der Zulässigkeit einer reinen Preis- oder Kostenvergabe auf untergesetzlicher Ebene (§§ 35 Abs. 2 Satz 3

1 BayObLG v. 9.9.2004 – Verg 18/04, VergabeR 2005, 126 (128); VK Hessen v. 27.4.2012 – 69d VK-12/2012, IBRRS 2013, 0566; VK Münster v. 14.10.2011 – VK 14/11, IBRRS 2011, 4929; Fehling in Pünder/Schellenberg, Vergaberecht, 2. Aufl. 2015, § 97 GWB Rz. 186. 2 VK Münster v. 14.10.2011 – VK 14/11, IBRRS 2011, 4929; Wiedemann in Kulartz/Kus/ Portz/Prieß, GWB, § 127 Rz. 26. 3 OLG Düsseldorf v. 12.12.2012 – VII-Verg 38/12, BeckRS 2013, 03105; VK Bund v. 11.11. 2004 – VK 2-196/04, IBRRS 2013, 4553; Weyand, Vergaberecht, § 97 GWB Rz. 1596. 4 I.d.S. VK Bund v. 9.7.2010 – VK 2-59/10, juris; Müller-Wrede in Müller-Wrede, GWB, § 127 Rz. 197; Begenisic/Fritz, VergabeR 2016, 32 (33). 5 Gesetzesbegründung VergRModG 2016, BT-Drucks. 18/6281, S. 112.

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VgV, § 8 EU Abs. 2 Nr. 3 Satz 6 VOB/A), ist davon auszugehen, dass eine „NurPreis“- bzw. „Niedrigpreisvergabe“ grundsätzlich zulässig ist1. Etwas anderes gilt nur für die Fälle, in denen die Heranziehung des Preises oder der Kosten als singuläres Zuschlagskriterium explizit ausgeschlossen ist, nämlich im Falle einer Innovationspartnerschaft (§§ 19 Abs. 7 Satz 2 VgV, 3b EU Abs. 5 Nr. 6 Satz 2 VOB/A) sowie bei der Vergabe von Architekten- und Ingenieurleistungen (§ 76 Abs. 1 Satz 1 VgV). Die Zulässigkeit der „Nur-Preis“-Vergabe entspricht im Grundsatz der herr- 31 schenden Meinung zur bisherigen Rechtslage, obgleich dies § 97 Abs. 5 GWB a.F. und den ergänzenden untergesetzlichen Bestimmungen (§ 21 Abs. 1 VOL/A-EG, § 16 Abs. 6 Nr. 3 VOB/A-EG) nicht ausdrücklich entnommen werden konnte. Hieraus ergab sich, dass der Zuschlag auf das wirtschaftlichste Angebot zu erteilen war, womit eine Kombination aus niedrigstem Preis und weiteren leistungsbezogenen Kriterien gemeint war. Dieses Ergebnis hätte aber nicht im Einklang mit den Vorgaben der RL 2004/18/EG gestanden, denn nach dem bislang geltenden Art. 53 Abs. 1 RL 2004/18/EG stand es dem Auftraggeber nämlich offen, seiner Zuschlagserteilung entweder den „niedrigsten Preis“ oder das „wirtschaftlich günstigste Angebot“ zugrunde zu legen. Der Widerspruch zu der in der RL 2004/18/EG vorgesehenen Wahlmöglichkeit des Auftraggebers wurde im Oberschwellenbereich durch eine richtlinienkonforme Auslegung des nationalen Rechts2 oder dadurch aufgelöst, dass Art. 53 Abs. 1 RL 2004/18/EG wegen teilweisen Umsetzungsdefizits unmittelbar Anwendung finden sollte3. Der Grundsatz, dass bei der Angebotswertung auch allein auf den Preis abgestellt werden darf, wurde jedoch zum Teil nicht unerheblich eingeschränkt. So wurde betont, dass eine Beschränkung der Zuschlagskriterien allein auf den Preis nur bei besonderen Umständen des Einzelfalles in Betracht kommen soll4. Das OLG Düsseldorf hielt Einschränkungen insbesondere bei funktionalen oder teilfunktionalen Ausschreibungen für geboten5. Fraglich ist, ob die mit Blick auf 1 So auch Müller-Wrede in Müller-Wrede, GWB, § 127 Rz. 190; im Erg. wohl auch Dicks, VergabeR 2016, 309 (312). 2 OLG Düsseldorf v. 14.1.2009 – Verg 59/08, NZBau 2009, 398 (399); OLG Naumburg v. 5.12.2008 – 1 Verg 9/08, VergabeR 2009, 486 (492 f.); VK Hessen v. 3.2.2012 – 69dVK48/ 2011, IBRRS 2013, 3865; Opitz in Dreher/Motzke, Beck’scher, Vergaberechtskommentar, § 16 VOB/A Rz. 304 f.; im Erg. auch Weyand, Vergaberecht, § 97 GWB Rz. 1257 ff.; a.A. Fehling in Pünder/Schellenberg, Vergaberecht, § 97 GWB Rz. 174. 3 OLG Frankfurt a.M. v. 5.6.2012 – 11 Verg 4/12, NZBau 2012, 719 (722); OLG München v. 20.5.2010 – Verg 04/10, juris Rz. 34; Vavra in Ziekow/Völlink, Vergaberecht, § 16 VOB/A Rz. 43, 52. 4 Ziekow in Ziekow/Völlink, Vergaberecht, § 97 GWB Rz. 107; Summa in Heermann/ Zeiss, Juris-PK Vergaberecht, 4. Aufl. 2013, § 16 VOB/A Rz. 416 ff. 5 OLG Düsseldorf v. 11.12.2013 – VII-Verg 22/13, VergabeR 2014, 401 (406); OLG Düsseldorf v. 9.2.2006 – VII-Verg 66/08, juris Rz. 61; VK Bund v. 17.11.2014 – VK 2-79/14, ZfBR 2015, 498 (501).

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§ 127 | Zuschlag die bisherige Rechtslage formulierten Einschränkungen auch künftig aufrechterhalten werden. In Anbetracht der Tatsache, dass der nationale Gesetzgeber nunmehr die Möglichkeit einer Bewertung der Angebote allein auf der Grundlage des Preises zugelassen hat (s.o., Rz. 30), dürften die insbesondere durch die Rechtsprechung herausgearbeiteten Grenzen einer Bewertung der Angebote lediglich auf der Grundlage Preises nicht ohne weiteres übernommen werden können, andererseits ist nicht damit zu rechnen, dass die Rechtsprechung den bisherigen Ansatz vollständig aufgibt. 32 Abhängig gemacht wurde die Festlegung des Preises als einziges Zuschlagskrite-

rium u.a. davon, dass „andere Kriterien nicht geeignet sind oder erforderlich erscheinen“1. Schon nach bisheriger Rechtslage ist diese Einschränkung nur bedingt nachvollziehbar. Die Zulässigkeit einer ausschließlich am Preis ausgerichteten Vergabe davon abhängig zu machen, dass andere Kriterien nicht geeignet sind, war schon unter Geltung von § 97 Abs. 5 GWB a.F., § 21 Abs. 1 Satz 2 VOL/A-EG, § 16 Abs. 6 Nr. 3 VOB/A-EG zu weitreichend. Da nahezu jeder Leistungsgegenstand unter bestimmten Gesichtspunkten qualitativ beschreibbar ist, käme eine Nur-Preis-Vergabe damit praktisch nicht mehr in Betracht2. Dieses Ergebnis dürfte sich erst Recht im Lichte der mit dem VergRModG 2016 getroffenen Entscheidung des Gesetzgebers gegen einen generellen Ausschluss der „Nur-Preis“-Vergabe nicht mehr rechtfertigen lassen. Hiernach ist das Abstellen auf den Preis einer von mehreren möglichen Ansätzen zur Ermittlung des wirtschaftlichsten Ergebnisses. Dass diesbezügliche Ermessen des Auftraggebers kann durch die Nachprüfungsinstanzen nur dahingehend überprüft werden, ob ein falscher Sachverhalt zugrunde gelegt wurde, ob allgemein gültige Bewertungsmaßstäbe eingehalten wurden, ob eine Ungleichbehandlung erfolgt ist, Willkür vorliegt oder sachfremde Erwägungen ausschlaggebend waren (hierzu näher unter Rz. 96 ff.)3. Nachvollziehbar ist es hingegen, die reine Preisvergabe davon abhängig zu machen, dass die Festlegung anderer Kriterien nicht erforderlich ist4, wobei zusätzliche Zuschlagskriterien zumindest dann nicht erforderlich sind, wenn der Auftraggeber die Leistung hinreichend definiert hat5. Andererseits dürfte der Verzicht auf zusätzliche Kriterien trotz mangelnder Beschreibung der Leistung in der Regel ermessensfehlerhaft sein. 1 OLG Düsseldorf v. 11.12.2013 – VII-Verg 22/13, VergabeR 2014, 401 (406). 2 Müller-Wrede, Anmerkung zu OLG Düsseldorf v. 11.12.2013 – VII-Verg 22/13, VergabeR 2014, 407. 3 Müller-Wrede, Anmerkung zu OLG Düsseldorf v. 11.12.2013 – VII-Verg 22/13, VergabeR 2014, 407; vgl. auch die Gesetzesbegründung zu § 127 Abs. 4 GWB, BT-Drucks. 18/6281, 112. 4 Mit Blick auf die bisherige Rechtslage Müller-Wrede, Anmerkung zu OLG Düsseldorf v. 11.12.2013 – VII-Verg 22/13, VergabeR 2014, 407 (408). 5 I.d.S. OLG Düsseldorf v. 9.2.2009 – VII-Verg 66/08, VergabeR 2009, 956 (962); OLG Naumburg v. 5.12.2008 – 1 Verg 9/08, VergabeR 2009, 486 (494).

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Fraglich ist, ob man der Rechtsprechung auch darin beistimmt, dass bei funktio- 33 nalen oder teilfunktionalen Ausschreibungen der Preis als alleiniges Zuschlagskriterium ausscheidet1. Es sprechen gute Argumente gegen die Annahme, dass bei (teil-)funktionalen Ausschreibung der Preis als alleiniges Zuschlagskriterium grundsätzlich ausscheidet. Diejenigen, die im Falle einer (teil-)funktionalen Ausschreibung die Notwendigkeit der Heranziehung weiterer Zuschlagskriterien neben dem Preis sehen, begründen ihre Ansicht damit, dass eine allein am Preis ausgerichtete Wertung der Angebote die qualitativen Unterschiede der angebotenen Lösungen nicht hinreichend zu berücksichtigen vermag2. Hiergegen lässt sich indes einwenden, dass wertungsfähige Angebote bei Funktionalausschreibungen – im Gegensatz zu Nebenangeboten – gerade nicht von der im Amtsentwurf beschriebenen Leistung bzw. Qualität abweichen. Der Auftraggeber hat das Qualitätsniveau der zu beschaffenden Leistungen mit seinen Funktionsanforderungen definiert. Die Angebote unterscheiden sich also gerade nicht im qualitativen Gehalt der angebotenen Leistungen, sondern allein im Lösungsweg, welcher bei der Erbringung dieser Leistungen vom jeweiligen Bieter beschritten wird3. Auch bei (teil-)funktionalen Ausschreibung kann dem öffentlichen Auftraggeber im Übrigen ausschließlich daran gelegen sein, dass die Lösung in erster Linie günstig und darüber hinaus lediglich funktionsgerecht ist, wobei letzteres durch die Funktionsanforderungen des Auftraggebers oder durch technische Regelwerke sichergestellt sein kann4. Als systematisches Argument könnte man zudem anführen, dass der Gesetzgeber mit dem VergRModG 2016 bzw. der VergRModVO 2016 für (teil-)funktionale Ausschreibung die Heranziehung des Preises als alleiniges Zuschlagskriterium – anders als in anderen Spezialfällen (nämlich bei der Innovationspartnerschaft gemäß §§ 19 Abs. 7 Satz 2 VgV, 3b EU Abs. 5 Nr. 6 Satz 2 VOB/A sowie der Vergabe von Architekten- und Ingenieurleistungen nach § 76 Abs. 1 Satz 1 VgV) – gerade nicht vorgeschrieben hat. Da die Sichtweise, nach der bei (teil-)funktionalen Ausschreibungen der Preis als alleiniges Zuschlagskriterium grundsätzlich ausscheidet, wohl vor allem aus allgemeinen vergaberechtlichen Prinzipien, insbesondere dem Gleichbehandlungs- und Wettbewerbsprinzip, abgeleitet wird, kann allerdings nicht ausgeschlossen werden, dass diese Einschränkung auch unter Geltung des § 127 GWB aufrechterhalten wird5. Trotz 1 OLG Düsseldorf v. 11.12.2013 – VII-Verg 22/13, VergabeR 2014, 401 (406); OLG Düsseldorf v. 9.2.2006 – VII-Verg 66/08, juris Rz. 61; VK Bund v. 17.11.2014 – VK 2-79/14, ZfBR 2015, 498 (501); im Erg. auch Prieß in Kulartz/Marx/Portz/Prieß, VOB/A, 2. Aufl. 2014, § 7 Rz. 174. 2 OLG Düsseldorf v. 11.12.2013 – VII-Verg 22/13, VergabeR 2014, 401 (406 f.). 3 Stoye/Plantiko, VergabeR 2015, 309 (311). 4 Müller-Wrede, Anmerkung zu OLG Düsseldorf v. 11.12.2013 – VII-Verg 22/13, VergabeR 2014, 407 (408). 5 So – zumindest im Erg. – Burgi, Vergaberecht, § 17 Rz. 7, der davon ausgeht, wenn der Auftraggeber funktionale Elemente verwende, „muss“ er auf der Ebene der Zuschlagskriterien leistungsbezogene Kriterien formulieren.

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§ 127 | Zuschlag der Bedenken gegen diese Sichtweise dürfte öffentlichen Auftraggebern daher zu empfehlen sein, bei funktionalen oder teilfunktionalen Ausschreibungen im Zweifel neben dem Preis mindestens ein leistungsbezogenes Zuschlagskriterium festzulegen. 34 Ein weiterer Ansatzpunkt für eine restriktive Handhabung der Nur-Preis-Ver-

gabe könnte aus dem Hinweis in der Gesetzesbegründung folgen, „der öffentliche Auftraggeber wird jedoch – insbesondere bei der Beschaffung von nichtmarktüblichen, nicht standardisierten Leistungen – seine Vergabeentscheidung in der Regel auf weitere Zuschlagskriterien wie z.B. Qualität, Zweckmäßigkeit, technischer Wert, Lieferfrist oder Ausführungsdauer stützen“1. Wörtlich genommen, soll der Auftraggeber nach diesem Regel-Ausnahme-Verhältnis zwar zuvörderst bei „nicht-marktüblichen“ oder „nicht standardisierten Leistungen“ neben dem Preis leistungsbezogene Zuschlagskriterien festsetzen, aber eben möglichst auch bei sonstigen, d.h. marktüblichen oder standardisierten Leistungen. Gerade im Hinblick auf die marktüblichen oder standardisierten Leistungen ist dies nicht nachvollziehbar, da sich § 127 Abs. 1 GWB, § 58 Abs. 1 und 2 VgV, § 16d EU Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 VOB/A entnehmen lässt, dass der deutsche Gesetzgeber die europarechtliche zulässige „Nur-Preis“-Vergabe im Grundsatz gerade nicht ausgeschlossen hat, sondern nur für bestimmte Fälle (vgl. Rz. 30). Mit einem Regel-Ausnahme-Verhältnis zugunsten eines aus preisund leistungsbezogenen Kriterien bestehenden Zuschlagskonzepts würde die gesetzgeberische Wertung ins Gegenteil verkehrt. Aber auch bei der Ausschreibung von „nicht-marktüblichen“ oder „nicht standardisierten Leistungen“ begegnet die Annahme eines strikten Regel-Ausnahme-Verhältnisses zugunsten der Statuierung weiterer Zuschlagskriterien neben dem Preis Bedenken. Auch bei „nicht-marktüblichen“ oder „nicht standardisierten“ Leistungen können die qualitativen Anforderungen des Auftraggebers an die erwartete Leistung nämlich in der Leistungsbeschreibung festgelegt werden2. Auch in einem solchen Fall differieren die Angebote möglicherweise in der Methode, nicht aber im Qualitätsniveau, zumal nicht gesagt ist, dass die Beschaffung „nicht-marktüblicher“ oder „nicht standardisierter“ Leistungen mittels einer funktionalen Ausschreibung erfolgt. Auch ist zu bedenken, dass eine Kombination aus Qualität und Preis auf der Ebene der Zuschlagskriterien die Gefahr von Fehlanreizen birgt. So kann ein solches Konzept der Zuschlagskriterien im Einzelfall auch den Zuschlag auf ein Produkt zur Folge haben, dessen Minderqualität durch Preisvorteile überkompensiert wird3. Da nur schwer voraussehbar ist, wie die Nachprüfungsinstanzen, das in der Gesetzesbegründung zum Ausdruck gebrachte Regel-Ausnahme-Verhältnisses zugunsten der Statuierung weiterer Zuschlagskriterien neben dem Preis handhaben und unter Berücksichtigung der in der 1 Gesetzesbegründung VergRModG 2016, BT-Drucks. 18/6281, S. 112. 2 Otting, VergabeR 2016, 316 (324). 3 I.d.S. Otting, VergabeR 2016, 316 (324).

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Rechtsprechung geäußerten Bedenken gegen den Preis als singuläres Zuschlagskriterium bei (teil-)funktionalen Ausschreibungen (vgl. Rz. 33), dürfte öffentlichen Auftraggebern – trotz der hier geäußerten Vorbehalte gegen das in der Gesetzesbegründete enthaltende Regel-Ausnahme-Prinzip – zumindest bei „nicht-marktüblichen“ oder „nicht standardisierten“ Produkten zu empfehlen sein, vorsorglich neben dem Preis mindestens ein weiteres leistungsbezogenes Zuschlagskriterium festzulegen. b) Relevanz der Kosten Der Terminus „Kosten“ wird weder im GWB noch in der VgV oder in Ab- 35 schnitt 2 VOB/A definiert. Während der Preis die beim Erwerb der auftragsgegenständlichen Leistung zu entrichtende Gegenleistung umfasst (vgl. Rz. 24), beschreibt der Begriff der „Kosten“ auch den „außerhalb des konkreten Vertrags entstehenden Ressourcenbedarf, bewertet in Geldeinheiten“1, also z.B. die Unterhaltskosten eines Pkw (Steuern, Versicherung). Maßgebend für Ermittlung der Kosten soll ein Kosten-Wirksamkeits-Ansatz 36 sein (Art. 67 Abs. 2 Satz 1 RL 2014/24/EU, Art. 82 Abs. 2 Satz 1 RL 2014/25/ EU), der über den Anschaffungspreis hinaus eine Berücksichtigung weiterer ausgabenrelevanter Aspekte zulässt. Eine solche Methode ist z.B. die Lebenszykluskostenberechnung nach §§ 59 VgV, 16d EU Abs. 2 Nr. 5 VOB/A2. Diese umfasst Anschaffungskosten, Nutzungskosten (insb. Verbrauch und Energie), Wartungskosten sowie Kosten am Ende der Nutzung (Abholungs-, Entsorgungs-, Recyclingkosten). Mit Blick auf die Regelung des § 127 Abs. 3 Satz 2 GWB, wonach im Rahmen der Zuschlagskriterien auf Prozesse im Zusammenhang mit der Herstellung, der Bereitstellung, der Entsorgung, dem Handel oder einem sonstigen Lebenszyklusstadium abgestellt werden darf, unabhängig davon, ob sich diese Faktoren auf die materiellen Eigenschaften des Auftragsgegenstande auswirken oder nicht, und dessen Ausgestaltung auf untergesetzlicher Ebene (§ 59 Abs. 2 Satz 2 Nr. 5 VgV, § 16d EU Abs. 2 Nr. 5 VOB/A) ist klar, dass es sich bei den zu berücksichtigenden Kostenfaktoren um Aufwendungen handeln kann, die bei dem Auftraggeber anfallen (einzelwirtschaftliche Aspekte) oder um nicht beim Auftraggeber auftretende, externe Effekte, insbesondere den monetär bewerteten Ressourcenverbrauch3, was bislang nicht unstreitig war (hierzu näher unter Rz. 15, 83). Um den Bieter in die Lage zu versetzen, die Lebenszykluskoten darzustellen, 37 muss der öffentliche Auftraggeber nicht nur die Berechnungsmethode vor1 Wiedemann in Kulartz/Kus/Marx/Portz/Prieß, VgV, § 58 Rz. 14; ähnlich bereits Opitz, NZBau 2001, 12 (13). 2 Vgl. auch Art. 68 RL 2014/24 EU. 3 Wiedemann in Kulartz/Kus/Marx/Portz/Prieß, VgV, § 58 Rz. 14; Reichling/Scheumann, GewArch 2016, 332 (335).

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§ 127 | Zuschlag geben (vgl. § 59 Abs. 2 Satz 1 VgV, § 16d EU Abs. 2 Nr. 6 Satz 1 VOB/A), sondern auch sein Nutzungsverhalten bzw. Nutzungsprofil aufzeigen1. 38 Die Bewertung der Lebenszykluskosten ist mit Unwägbarkeiten verbunden, de-

ren sich der Auftraggeber bewusst sein sollte. Der Preis ist eine feststehende Größe. Die Ermittlung der Lebenszykluskosten erfordert hingegen eine Berechnung. Um die Vergleichbarkeit der Bieterangaben sicherzustellen muss der Auftraggeber die Berechnungsmethode vorgeben (§ 59 Abs. 2 Satz 1 VgV, § 16d EU Abs. 2 Nr. 6 Satz 1 VOB/A), was den Vorbereitungsaufwand des Auftraggebers erhöht, insbesondere wenn – anders als z.B. für die Berechnung der Lebenszykluskosten von PKW –2 derartige Berechnungsmethoden nicht durch den Verordnungsgeber vorgegeben wurden oder frei verfügbar sind. Dem Problem einer mangelnden Vergleichbarkeit der Prognosewerte wirken § 59 Abs. 2 Satz 1 VgV, § 16d EU Abs. 2 Nr. 6 Satz 1 VOB/A entgegen, in dem sie vorsehen, dass die Bieter die – vom öffentlichen Auftraggeber im Vorhinein zu benennenden – Informationen zur Berechnungen der Prognosewerte übermitteln müssen. Da diese vom Bieter ermittelt werden, verbleibt ein Restrisiko, dass die Prognosewerte der Bieter nicht vergleichbar sind3. Im Übrigen bilden Prognosewerte die Realität häufig nur unzureichend ab.

39 Die Lebenszykluskostenberechnung ist im Übrigen nur ein Beispiel für einen

Kosten-Wirksamkeits-Ansatz. Mithin kann der öffentliche Auftraggeber seiner Betrachtung auch andere geeignete Ansätze zur Kostenermittlung zugrunde legen4. Als weitere Methode zur Ermittlung der mit einer Beschaffung verbundenen Kosten ist neben dem Life-Cycle-Costing (LCC)-Ansatz z.B. an die Total Cost of Ownership (TCO)-Betrachtung zu denken, die noch weiterreicht, als der LCC-Ansatz und z.B. auch die mit der Anschaffung verbundenen Zinskosten sowie eigene Personal- und Logistikkosten einschließt5. Diese könnte bei komplexen Beschaffungsvorhaben zum Einsatz kommen.

40 Entsprechend der „Nur-Preis-“ bzw. „Niedrigkostenvergabe“ dürfte auch eine

„Nur Kosten-“ bzw. „Niedrigkostenvergabe“ zulässig sein, d.h. die Kosten können singuläres Zuschlagskriterium sein oder neben leistungsbezogenen Aspekten herangezogen werden6. Unstatthaft ist eine „Nur Kosten“-Vergabe allerdings in den Fällen des §§ 19 Abs. 7 Satz 2 VgV, 3b EU Abs. 5 Nr. 6 Satz 2 VOB/A

1 VK Mecklenburg-Vorpommern v. 21.2.2012 – 1 VK 7/11, IBRRS 2012, 2771; VK Brandenburg v. 28.6.2006 – 2 VK 22/06, IBRRS 2007, 3118. 2 Vgl. Anlage zu § 68 Abs. 3 VgV. 3 Otting, VergabeR 2016, 316 (324). 4 Burgi in Pünder/Prieß, Vergaberecht im Umbruch II, 57 (61); Otting, VergabeR 2016, 316 (324). 5 Vgl. hierzu aus dem wirtschaftswissenschaftlichen Schrifttum z.B. Hofmann/Maucher/ Hornstein/den Ouden, Investitionsgütereinkauf, 2012, S. 67 f.; Paul, Instrumente des Beschaffungscontrollings, 1999, Satz 51. 6 I.d.S. Burgi, Vergaberecht, § 17 Rz. 6.

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(Innovationspartnerschaft), § 76 Abs. 1 Satz 1 VgV (Architekten- und Ingenieurleistungen). c) Berücksichtigung qualitativer, umweltbezogener und sozialer Belange § 127 Abs. 1 Satz 4 GWB eröffnet dem öffentlichen Auftraggeber, wie in Art. 67 41 Abs. 2 UAbs 1 RL 2014/24/EU bzw. Art. 82 Abs. 2 UAbs. 1 RL 2014/25/EU vorgesehen, die Möglichkeit, bei der Ermittlung des besten Preis-Leistungs-Verhältnisses qualitative, umweltbezogene und soziale Belange zu berücksichtigen. Die Option, neben qualitativen Aspekten im Rahmen der Wertung auch um- 42 weltbezogene und soziale Belange berücksichtigen zu können, fügt sich in die Zielsetzung der Vergaberichtlinien ein, den Auftraggebern im Rahmen der Bedarfsdeckung eine Verfolgung strategischer Ziele zu ermöglichen. Diese wird in Erwägungsgrund 47 RL 2014/24/EU wie folgt beschrieben: „Forschung und Innovation, einschließlich Öko-Innovation und sozialer Innovation, gehören zu den Haupttriebkräften künftigen Wachstums und stehen im Mittelpunkt der Strategie ‚Europa 2020‘ für intelligentes, nachhaltiges und integratives Wachstum. Öffentliche Auftraggeber sollten die öffentliche Auftragsvergabe strategisch optimal nutzen, um Innovationen voranzutreiben. Der Kauf innovativer Waren, Bauleistungen und Dienstleistungen spielt eine zentrale Rolle bei der Steigerung der Effizienz und der Qualität öffentlicher Dienstleistungen und ermöglicht es gleichzeitig, großen gesellschaftlichen Herausforderungen zu begegnen. Er trägt dazu bei, ein optimales Preis-Leistungs-Verhältnis zu erzielen und einen umfassenderen wirtschaftlichen, ökologischen und gesellschaftlichen Nutzen zu generieren, indem neue Ideen hervorgebracht, diese in innovative Waren und Dienstleistungen umgesetzt werden und damit ein nachhaltiges Wirtschaftswachstum gefördert wird“1. Die in § 127 Abs. 1 Satz 4 GWB genannten qualitativen, umweltbezogenen und 43 sozialen Belange bzw. ihre Konkretisierungen auf untergesetzlicher Ebene sind z.T. leistungsbezogen, teilweise aber auch preis- bzw. kostensensitiv. So ist beispielsweise der Energieverbrauch eines Produktes ein umweltbezogenes Kriterium i.S.v. § 127 Abs. 1 Satz 4 GWB. Gleichzeitig ist der Energieverbrauch für die Nutzungskosten relevant. Dieses Beispiel zeigt, dass sich die in § 127 Abs. 1 Satz 4 GWB erwähnten qualitative, umweltbezogene und soziale Belange durchaus mit den ebenfalls genannten Faktoren Preis bzw. Kosten überschneiden. aa) Qualitätskriterien Der öffentliche Auftraggeber kann bei der Festlegung von Zuschlagskriterien 44 insbesondere an die Qualität anknüpfen. 1 Vgl. auch Erwägungsgrund 3 RL 2014/23/EU, Erwägungsgrund 57 RL 2014/25/EU.

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§ 127 | Zuschlag (1) Allgemeine Anforderungen 45 Die qualitativen Aspekte beziehen sich auf Merkmale von Gütern oder Dienst-

leistungen, welche für den öffentlichen Auftraggeber – mehr oder weniger – von Nutzen sind1 und damit den Wert der Leistung beeinflussen2. Die „Qualität“ selber ist mangels hinreichender Bestimmtheit kein zulässiges Wertungskriterium3, sondern bedarf der Konkretisierung durch entsprechende Unterkriterien4. Qualitative Aspekte lassen sich grob einteilen in Merkmale, welche die Leistung selbst betreffen und Umstände der Leistungsausführung.

46 Zu den Charakteristika der Leistung selbst gehören nach § 58 Abs. 2 Satz 2

Nr. 1 VgV, § 16d EU Abs. 2 Nr. 2 a) VOB/A die Merkmale des technischen Werts, der Ästhetik, der Zweckmäßigkeit sowie innovative Eigenschaften. In diesen Vorschriften nicht ausdrücklich erwähnt, aber ebenfalls die Leistung selbst betreffende Aspekte sind die Funktionalität bzw. Zweckmäßigkeit der Leistung5, die Leistungssicherheit6 sowie die Verfügbarkeit von Leistungsoptionen oder Entwicklungspotenziale7. Zu prüfen ist stets, ob die vorgenannten Kriterien im Interesse der Transparenz weiter konkretisiert werden müssen. So kann es dem Kriterium der „Zweckmäßigkeit“ als solchem z.B. an einer hinreichenden Bestimmtheit fehlen8.

47 Auf die Umstände der Leistungsausführung beziehen sich die Verfügbarkeit ei-

nes Kundendienst bzw. technischer Hilfe, die Lieferbedingungen oder das Lieferverfahren, die Liefer- oder Ausführungsfristen sowie die Vertriebs- und Handelsbedingungen (vgl. § 58 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 u. 3 VgV, § 16d EU Abs. 2 Nr. 2 c) VOB/A). Denkbar ist, dass sich aus der Standortnähe des Vertragspartners für den öffentlichen Auftraggeber ein Mehrwert ergibt. Würde in einem solchen Fall die Ortsansässigkeit9 oder die Anfahrtszeit10 bewertet, läge darin eine unzulässige Diskriminierung. Denkbar ist aber, dass im Rahmen der Zuschlagskriterien das Konzept des Bieters zur Sicherstellung der Präsenz sowie des kurzfristiges Erscheinen vor Ort bewertet wird. Bei einer solchermaßen offenen Gestal1 Wiedemann in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, GWB, § 127 Rz. 40. 2 VK Südbayern v. 21.4.2004 – 24-04/04, juris Rz. 62; VK Bad.-Würt. v. 21.11.2001 – 1 VK 37/01, juris Rz. 43. 3 VK Düsseldorf v. 14.7.2011 – VK-02/2011-L, juris Rz. 404; VK Düsseldorf v. 6.7.2011 – VK-11/2011-L, juris Rz. 156 ff.; VK Südbayern v. 21.4.2004 – 24-04/04, juris Rz. 62. 4 OLG Düsseldorf v. 27.3.2013 – VII-Verg 53/12, juris Rz. 27; OLG Brandenburg v. 27.3. 2012 – Verg W 13/11, ZfBR 2012, 513 (518); VK Südbayern v. 21.4.2004 – 24-04/04 juris Rz. 62. 5 VK Bad.-Würt. v. 18.7.2011 – 1 VK 33/11, juris Rz. 45. 6 OLG Naumburg v. 2.8.2012 – 2 Verg 3/12, IBRRS 2012, 3847. 7 Wiedemann in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, GWB, § 127 Rz. 40. 8 VK Schleswig-Holstein v. 11.1.2006 – VK-SH 28/05, BeckRS 2006, 02638. 9 VK Bad.-Würt v. 10.1.2011 – 1 VK 69/10, ZfBR 2011, 709 (714). 10 VK Südbayern v. 17.6.2009 – Z-3-3-3194-1-05/09, IBRRS 2009, 3000.

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tung des Zuschlagskriteriums haben auch Bieter, dessen Sitz sich nicht in der Nähe des Ausführungsortes befindet, die Chance die Anforderungen zu erfüllen1. Erforderlich ist aber stets die Verbindung zum Auftragsgegenstand gemäß § 127 Abs. 3 Satz 1 GWB2. Im Rahmen der Qualität kann auch die Qualitätssicherung bewertet werden, 48 sofern es um leistungsbezogene und nicht um unternehmensbezogene Qualitätssicherungsmaßnahmen geht3. (2) Sonderfall: Bieterbezogene Qualitätsanforderungen Die Vorgabe des § 127 Abs. 1 Satz 3 GWB, dass zur Ermittlung des besten Preis- 49 Leistungs-Verhältnisses neben dem Preis oder den Kosten u.a. qualitative Aspekte berücksichtigt werden können, wird auf untergesetzlicher Ebene – in Übereinstimmung mit Art. 67 Abs. 2 UAbs. 1 Satz 2 lit. b RL 2014/24/EU, 82 Abs. 2 UAbs. 1 Satz 2 lit. b RL 2014/25/EU – dahin gehend konkretisiert, dass hierbei auch die Organisation, die Qualifikation und die Erfahrung des mit der Ausführung des Auftrags betrauten Personals in den Blick genommen werden können, wenn die Qualität des eingesetzten Personals erheblichen Einfluss auf das Niveau der Auftragsausführung haben kann (§ 58 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 VgV, § 16d EU Abs. 2 Nr. 2 b) VOB/A). Damit definiert der Gesetzgeber nunmehr erstmals die Organisation, Qualifikation und Erfahrung des mit der Auftragsausführung befassten Personals als allgemeines Zuschlagskriterium. Ob bzw. inwieweit dies zulässig ist, wurde in der Vergangenheit unterschiedlich beantwortet. Ausgehend von dem Grundsatz, dass Eignungs- und Zuschlagsprüfung zwei 50 strikt voneinander zu trennende Wertungsstufen sind4, ist prinzipiell von dem Verbot eines „Mehr an Eignung“ auszugehen. D.h. konkret, dass die Kriterien, anhand derer der öffentliche Auftraggeber die Eignung eines Bieters beurteilt (sog. „zweite Wertungsstufe“), nicht noch einmal bei der Entscheidung darüber herangezogen werden dürfen, welches Angebot das wirtschaftlichste ist (sog. „vierte Wertungsstufe“), indem zum Beispiel derjenige Bieter den Zuschlag erhält, der über die größere Erfahrung, besser qualifizierte Mitarbeiter oder die besseren Geräte etc. verfügt5. Dieser Trennungsgrundsatz bereitet öffentlichen Auftraggebern vor allem bei solchen Beschaffungen Probleme, bei denen sich 1 VK Sachsen v. 5.12.2011 – 1/SVK/043-11, BeckRS 2011, 28361; Wiedemann in Kulartz/ Kus/Marx/Portz/Prieß, VgV, § 58 Rz. 156. 2 Ähnlich zur bisherigen Rechtslage OLG München v. 21.11.2013 – Verg 9/13, IBRRS 2014, 1341; VK Bad.-Würt. v. 10.1.2011 – 1 VK 69/10, ZfBR 2011, 709 (714). 3 VK Nordbayern v. 13.7.2011 – 21.VK-3194-18/11, IBRRS 2011, 3322. 4 EuGH v. 24.1.2008 – Rs. C-532/06 = NZBau 2008, 262 Rz. 26 ff. – „Lianakis“; OLG Frankfurt a.M. v. 28.5.2013 – 11 Verg 6/13, VergabeR 2013, 879 (886); OLG Frankfurt a.M. v. 28.2.2006 – 11 Verg 15/05, ZfBR 2006, 383 (386); OLG Düsseldorf v. 7.11.2012 – VII-Verg 24/12, NZBau 2013, 184 (186). 5 Dittmann, NZBau 2013, 746 (747 f.).

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§ 127 | Zuschlag Qualität und Erfahrung der mit der Auftragsausführung befassten Personen entscheidend auf die Qualität der Vertragserfüllung auswirken und damit für den ökonomischen Wert des Angebotes relevant sind. Das trifft vor allem auf die Beschaffung geistig-schöpferischer Leistungen zu, wie Berater- oder Architektenleistungen, bei denen die Qualität der Vertragserfüllung in besonderem Maße von der Eignung der ausführenden Personen abhängt1. 51 Schon lange beschäftigte diese Problematik auch die Vergaberechtsprechung. So

wurde etwa ab 2003 von einzelnen Oberlandesgerichten vertreten, dass die Erfahrungen eines Bieters bei der Zuschlagserteilung Berücksichtigung finden dürfen, wenn der öffentliche Auftraggeber einen konkreten Bezug dieser Erfahrungen zur Erbringung der zu vergebenden Leistung herstellt, etwa wenn sich besondere Erfahrungen „auftragsbezogen“ auswirken, weil sie die Gewähr für eine bessere Leistung bieten2. Diese Entwicklung ebbte nach der sog. „SporthallenEntscheidung“ des BGH vom 15.4.2008 zunächst wieder ab, in der das Gericht nochmals das Verbot eines „Mehr an Eignung“ betonte3. Etwa ab 2012 tendierten die Gerichte dann wieder vermehrt dazu, in gewissem Maße eine Durchbrechung des Grundsatzes der Trennung von Eignungs- und Zuschlagskriterien zuzulassen. Nunmehr wurde versucht, das Problem dadurch zu lösen, dass bei einem engen Bezug zur Auftragsausführung Konzepte als Zuschlagskriterien für zulässig erachtete wurden, die auf die Organisation und die Qualifikation des Bieters abstellten4. Die Handhabung der Problematik durch die Rechtsprechung erfolgte allerdings nicht einheitlich. So wurde z.B. durch das OLG Karlsruhe u.A. der Bewertung der „dargestellten projektspezifischen fachlichen Leistungen des Büros allgemein/des Projektteams“ im Rahmen der Ausschreibung einer Tragwerksplanung nach der VOF die Einordnung als Zuschlagskriterium versagt5. 1 Vgl. Erwägungsgrund 94 RL 2014/24/EU; Burgi, Vergaberecht, Satz 180. 2 I.d.S. OLG Düsseldorf v. 28.4.2008 – VII-Verg 1/08, VergabeR 2008, 948 (952); OLG Düsseldorf v. 25.2.2004 – VII-Verg 77/03, VergabeR 2004, 537; OLG Frankfurt a.M. v. 28.2.2006 – 11 Verg 15/05, ZfBR 2006, 383 (386 f.); näher zur Entwicklung der Rechtsprechung Dittmann, NZBau 2013, 746 (747 f.). 3 BGH v. 15.4.2008 – X ZR 129/06, MDR 2008, 1030 = NZBau 2008, 505 (506). 4 OLG Frankfurt a.M. v. 28.5.2013 – 11 Verg 6/13, VergabeR 2013, 879 (886 f.) („auftragsbezogene Teambesetzung“, „Mitarbeiteranzahl ausreichend“, „Angaben zur IT-Infrastruktur“) mit Anm. Hölzl, VergabeR 2013, 887 ff.; OLG Celle v. 12.1.2012 – 13 Verg 9/11, NZBau 2012, 198 ff. („Ausfallsicherheit Personal“, „Ausfallsicherheit Sachmittel“, „Effizienz der Hygieneschutzmaßnahmen“, „Effizienz der Materialverwaltung“ „psychosoziale Betreuung der Mitarbeiter“); OLG Düsseldorf v. 19.6.2013 – VII-Verg 4/13, NZBau 2013, 720 (723 f.) (Konzept zur Ausfallsicherheit); OLG Düsseldorf v. 15.2. 2012 – VII-Verg 85/11, BeckRS 2012, 08572 (Druck- und Logistikkonzept, Personalkonzept, Darstellung der Einsatzplanung); näher zur diesbezüglichen Judikatur des EuG: Burgi in Pünder/Prieß, Vergaberecht im Umbruch II, 57 (62) m.w.N. 5 OLG Karlsruhe v. 20.7.2011 – 15 Verg 6/11, NZBau 2013, 528 (530 f.).

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Mit der siebten Verordnung zur Änderung der VgV im Jahre 2013 hat schließ- 52 lich auch der nationale Verordnungsgeber auf die Judikatur bzw. Spruchpraxis der Vergabekammern zur Berücksichtigung bieterbezogener Zuschlagskriterien reagiert. Seither durften bei der Vergabe von Liefer- und Dienstleistungsaufträgen gemäß § 4 Abs. 2 VgV a.F. bzw. freiberuflichen Leistungen nach § 5 Abs. 1 VgV a.F. auch Kriterien wie die Organisation, Qualifikation und Erfahrung des eingesetzten Personals herangezogen werden, wenn Anhaltspunkte dafür vorlagen, dass diese Kriterien erheblichen Einfluss auf die Qualität der Auftragsausführung haben konnten. Ein Rückgriff auf die von der Rechtsprechung entwickelten Ausnahmen war in diesen Fällen nicht mehr nötig. Jedoch bestand diese Option nur für die sog. nicht-prioritären Dienstleistungen, d.h. die in Anhang I Teil B der VOL/A-EG bzw. VOF aufgeführten Bereiche, die als nicht oder wenig binnenmarktrelevant angesehen wurden (Unterrichtswesen, Arbeitsvermittlung etc.). Andere Dienstleistungen, nämlich die geistig-schöpferischen Tätigkeiten, wurden damit nur teilweise erfasst. So waren beispielsweise Architekten- und Beratungsleistungen ausgenommen. Zudem sah § 4 Abs. 2 VgV bzw. 5 Abs. 2 VgV eine Obergrenze bei der Gewichtung bieterbezogener Kriterien von 25% vor1. Nach der Neuregelung der §§ 58 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 VgV, 16d EU Abs. 2 Nr. 2 53 b) VOB/A besteht – abweichend zu § 4 Abs. 2 VgV a.F. bzw. 5 Abs. 1 VgV a.F. – keine Einschränkung auf bestimmte Tätigkeitsbereiche. Schließlich wird – im Gegensatz zur bisherigen Rechtslage – auf eine Höchstgrenze bei der Gewichtung dieser bieterbezogenen Kriterien verzichtet. Hierdurch wird dem öffentlichen Auftraggeber ein größerer Spielraum für die Vorgabe bieterbezogener Zuschlagskriterien eingeräumt, der allerdings keineswegs unbegrenzt ist. Hinzuweisen ist allerdings darauf, dass es auch zukünftig bei dem Grundsatz 54 der Trennung von Eignungs- und Zuschlagskriterien bleibt2. Die Möglichkeit, die Organisation, Qualifikation und Erfahrung des mit der Auftragsausführung befassten Personals als Zuschlagskriterium heranzuziehen, stellt einen Sonderfall dar, der das Vorliegen der in §§ 58 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 VgV, 16d EU Abs. 2 Nr. 2 b) VOB/A genannten Voraussetzungen erfordert. Voraussetzung der Berücksichtigung bieterbezogener Qualitätsanforderungen ist nach den Vorgaben auf Verordnungsebene, (1.) dass sich geforderten Aufgaben ausschließlich auf dass mit der Ausführung betraute Personal beziehen und (2.) die Qualität des eingesetzten Personals einen erheblichen Einfluss auf das Niveau der Auftragsausführung haben kann ( § 58 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 VgV, § 16d EU Abs. 2 Nr. 2 lit. b) VOB/A). Aufgrund der Notwendigkeit eines Bezugs zu dem mit der Ausführung be- 55 trauten Personal, darf im Rahmen der Zuschlagskriterien nicht auf das Personal 1 Hierzu näher: Hettich in Hettich/Soudry, Das neue Vergaberecht, S. 68; Pauka, NZBau 2015, 18 ff.; Conrad, DVBl. 2014, 958 ff. 2 Müller-Wrede in Müller-Wrede, GWB, § 127 Rz. 130 ff.; Otting, VergabeR 2016, 316 (325); Reichling/Scheumann, GewArch 2016, 332 (336).

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§ 127 | Zuschlag des Bewerbers oder Bieters schlechthin abgestellt werden, sondern nur auf die Mitarbeiter, die im Rahmen der Erbringung der auftragsgegenständlichen Leistung eingesetzt werden. 56 Dass die Qualität des eingesetzten Personals einen erheblichen Einfluss auf das

Niveau der Auftragsausführung haben kann, setzt voraus, dass dadurch der wirtschaftliche Wert der Leistung beeinflusst wird1. D.h, dass zwischen der Qualität des eingesetzten Personals und der Leistungserbringung eine Wechselwirkung besteht, etwa dergestalt, dass die Leistung nicht dieselbe wäre, wenn sie ein Bieter ausführen würde, der die personell-qualitativen Anforderungen des Auftraggebers nicht erfüllt. Dies dürfte regelmäßig der Fall sein, wenn die Leitungserbringung spezifische Fähigkeiten voraussetzt oder z.B. ein besonderes Vertrauensverhältnis zum Bieter besteht2. Als Beispiele führt der Verordnungsgeber geistig-schöpferische Dienstleistungen, wie beispielshaft Beratungstätigkeiten oder Architektenleistungen, an3. Möglich erscheint dies darüber hinaus bei pädagogischen, sozialen oder bei künstlerischen bzw. gestalterischen Leistungen4.

57 Zur näheren Abgrenzung von Eignungs- und Zuschlagskriterien kann weiterhin

die sog. Konzept-Rechtsprechung heran herangezogen werden,5 die sich im Kern wie folgt darstellt: – Schulungskonzepte wirken sich grundsätzlich positiv auf die Qualifikation der Mitarbeiter und somit auf die Eignung des Unternehmens aus. Eine Einordnung als Zuschlagskriterium erfordert, dass ein hinreichender Auftragsbezug besteht, was nach bisheriger Rechtsprechung bzw. Spruchpraxis der Vergabekammern dadurch erreicht werden kann, dass in den Ausschreibungsunterlagen für den konkreten Auftrag ein bestimmtes Qualitätsniveau bzw. bestimmte Qualitätsziele vorgegeben werden, welche mit einem vom Bieter darzustellenden Schulungskonzept erreicht werden sollen6. – Auch Ausfallsicherheitskonzepte weisen prinzipiell einen Eignungsbezug auf. Als Zuschlagskriterien kommt die Forderung nach einem derartigen Programm daher nur in Betracht, wenn es nicht um betriebsbezogene, sondern um an der auftragsgegenständlichen Leistung ausgerichtete Konzepte geht7.

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Verordnungsbegründung VergRModVO, BR-Drucks. 87/16, S. 213. Ähnlich: Wiedemann in Kulartz/Kus/Marx/Portz/Prieß, VgV § 58 Rz. 25. Verordnungsbegründung, VergRModVO, BR-Drucks. 87/16, S. 213. Wiedemann in Kulartz/Kus/Marx/Portz/Prieß, VgV § 58 Rz. 26. So auch Wiedemann in Kulartz/Kus/Marx/Portz/Prieß, VgV § 58 Rz. 28. OLG Düsseldorf v. 17.1.2013 – VII-Verg 35/12, NZBau 2013, 329 (331); OLG Düsseldorf v. 7.11.2012 – VII-Verg 24/12, NZBau 2013, 184 (186); VK Brandenburg v. 18.5.2015 – VK 5/15, juris Rz. 87. 7 OLG Düsseldorf v. 19.6.2013 – VII-Verg 4/13, NZBau 2013, 720 (723 f.); OLG Naumburg v. 14.3.2013 – 2 Verg 8/12, VergabeR 2013, 777 (789); OLG Celle v. 12.1.2012 – 13 Verg 9/11, NZBau 2012, 198 (199 f.); VK Sachsen v. 13.12.2013 – 1 SVK/038-13, juris Rz. 75 ff.

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– Als mögliches Zuschlagskriterium wurde in der Vergangenheit auch das Personalkonzept des Bieters diskutiert. Fragen der personellen Ausstattung des Bieterunternehmens sind klassische Eignungsmerkmale. Eine Berücksichtigung im Rahmen der Angebotswertung wurde bislang allenfalls für möglich gehalten, wenn ein hinreichender Bezug zur Auftragsausführung gegeben und die personelle Ausstattung daher von Relevanz für die Qualität der Leistungserbringung war. Unter welchen Voraussetzungen dies der Fall ist, ist im Einzelnen bisweilen streitig. Für die Annahme eines Leistungsbezugs nicht ausreichend dürfte es sein, lediglich die Zusammensetzung des Projektteams oder die fachliche Leistung des Projektteams zu bewerten1. Ein hinreichender Leistungsbezug dürfte hingegen zu bejahen sein, wenn die Einbindung des Personals in die konkrete Leistungserbringung bzw. Modalitäten des Einsatzes personeller Ressourcen anlässlich der Leistungserbringung bewertet werden sollen,2 etwa die „Anzahl des verfügbare Personal bei Großschadenslagen“ im Falle der Ausschreibung von Krankentransportleistungen.3 Aufgrund des Wortlauts der Neuregelungen auf Verordnungsebene (§§ 58 58 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 VgV, 16d EU Abs. 2 Nr. 2 lit. b VOB/A), wonach „die Organisation, Qualifikation und Erfahrung des mit der Ausführung des Auftrags beauftragten Personals“ im Rahmen der Angebotswertung berücksichtigt werden kann, könnte man den Eindruck gewinnen, dass – anders als nach der „Konzept-Rechtsprechung“ – für den Zusammenhang zum konkreten Auftrag bereits ausreicht, dass statt auf das Gesamtpersonal auf das mit der Ausführung der auftragsgegenständlichen Leistung befasste Personal abgestellt wird und somit ein weiterreichender Spielraum für die Zulassung bieterbezogener Zuschlagskriterien besteht, als bislang. In Anbetracht dessen, dass der Grundsatz der Trennung von Eignungs- und Zuschlagskriterien weiterhin gilt, sollte von bieterbezogenen Zuschlagskriterien jedoch nach wie vor restriktiv, unter Beachtung der „Konzept-Rechtsprechung“, Gebrauch gemacht werden4. Will der öffentliche Auftraggeber bieterbezogene Kriterien, insbesondere die Er- 59 fahrungen der Bieter, als Zuschlagskriterien statuieren, so ist im Übrigen darauf zu achten, dass dies nicht dazu führt, Newcomer aus bestehenden Märkten fernzuhalten. Es liegt in der Verantwortung des öffentlichen Auftraggebers bieterbezogene Aspekte nur in dem tatsächlichen erforderlichen Umfang zu definieren und gewichten, so dass ein fairer und diskriminierungsfreier Wettbewerb sichergestellt wird5. 1 Z.B. OLG München v. 10.2.2011 – Verg 24/10, NZBau 2011, 507 (512); a.A. OLG Frankfurt a.M. v. 28.5.2013 – 11 Verg 6/13, VergabeR 2013, 879 (886). 2 Müller-Wrede in Müller-Wrede, GWB, § 127 Rz. 140. 3 OLG Düsseldorf v. 7.3.2012 – VII-Verg 82/11, BeckRS 2012, 05922. 4 Im Ergebnis ebenso Petersen, VergabeR 2015, 8 (20) mit Blick auf Art. 67 Abs. 2 UAbs. 1 Satz 2 lit. b RL 2014/24/EU. 5 Hettich in Hettich/Soudry, Das neue Vergaberecht, S. 68.

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§ 127 | Zuschlag 60 Stellt der Auftraggeber im Rahmen der Zuschlagskriterien auf die Qualität und

Erfahrung der Mitarbeiter ab, triff ihn überdies auch die Pflicht, die Einhaltung des Eignungsniveaus in besonderem Maße bei der Auftragsausführung sicherzustellen. Denn diese Option birgt die Gefahr, dass der Bieter im Wettbewerb um den Auftrag zunächst mit qualifizierten Personal auftritt und bei der Auftragsausführung weniger qualifiziertes Personal einsetzt1. Dieses Risiko hat der Gesetzgeber erkannt und dem öffentlichen Auftraggeber mit § 128 GWB eine Rechtsgrundlage zu Seite gestellt, dies es ihm ermöglicht, mit Hilfe vertraglicher Mittel sicherzustellen, dass die im Rahmen der Auftragsausführung eingesetzten Mitarbeiter seine Qualitätsanforderungen erfüllen2. bb) Umweltkriterien

61 Eine weitere Gruppe von Kriterien, die im Rahmen der Ermittlung des Preis-

Leistungsverhältnis eine Rolle spielen können, sind umweltbezogene Aspekte. In der Gesetzesbegründung sind die Beispiele der Klima- und Energieeffizienzeigenschaften genannt. Bei Fahrzeugen oder anderen technischen Geräten kann über den Energie- bzw. Treibstoffverbrauch hinaus, der häufig schon Teil der Lebenszykluskostenberechnung ist, z.B. bewertet werden, welche Energieeffizienzklasse das Produkt erfüllt3. Ein weiteres Beispiel für umweltbezogene Kriterien sind Lärmemissionen.

62 Wie alle Zuschlagskriterien müssen auch umweltbezogene Kriterien mit dem

Auftragsgegenstand in Verbindung stehen (§ 127 Abs. 3 Satz 1 GWB), so dass keine umweltpolitischen Entscheidungen des Bieters zum Gegenstand der Wertung gemacht werden dürfen. Unzulässig wäre es z.B., als Zuschlagskriterium die „Zertifizierung des Umweltmanagements“ des Unternehmens im Allgemeinen vorzusehen4. Legitim ist es aber, gemäß § 127 Abs. 3 Satz 2 GWB an eine Lebenszyklusphase, z.B. die Herstellung oder Entsorgung der Leistung, anzuknüpfen. Exemplarisch kann z.B. die Bewertung einer kostenlosen Rücknahme des Leistungsgegenstandes im Falle der Aussonderung des Produktes genannt werden (hierzu näher unter Rz. 83).

63 Die Auswahl umweltbezogener Zuschlagskriterien steht, ebenso wie die Fest-

legung sonstiger Zuschlagskriterien, grundsätzlich im Ermessen des Auftraggebers. Eingeschränkt wird dieses Ermessen z.B. durch §§ 67 Abs. 1 und 5 VgV, 8c EU Abs. 1 und 4 VOB/A, die bei der Beschaffung energieverbrauchsrelevanter Liefer- und Dienstleistungen eine zwingende Berücksichtigung der Energieeffizienz im Rahmen der Zuschlagskriterien vorsehen. Im Falle der Beschaffung

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Gröning, VergabeR 2014, 339 (347). Vgl. auch Erwägungsgrund 94 RL 2014/24/EU; Burgi, Vergaberecht, S. 180. Dageförde, Umweltschutz im öffentlichen Vergabeverfahren, S. 91 f. VK Schleswig-Holstein v. 22.4.2008 – VK-SH 03/08, BeckRS 2008, 17002; Weyand, Vergaberecht, § 97 GWB Rz. 1296.

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von Straßenfahrzeugen ergibt sich hingegen aus § 68 Abs. 1 Satz 1 VgV zwar eine Pflicht zur Berücksichtigung von Energieverbrauch und Umweltauswirkungen, die Berücksichtigung auf der Ebene der Zuschlagskriterien ist allerdings nicht zwingend vorgegeben ist (§ 68 Abs. 2 VgV). Der Auftraggeber kann im Rahmen der Zuschlagskriterien dem Grundsatz der 64 Entsorgungsautarkie und -nähe (Art. 16 Abfallrahmenrichtlinie)1 Rechnung tragen, etwa dadurch, dass er den Transportaufwand durch einen Wertungszuschlag (Transportkostenzuschlag) berücksichtigt2. Umweltbezogene Kriterien können im Bereich der Kostenermittlung eine Rolle 65 spielen (z.B. Energieverbrauch). Andere Kriterien sind ausschließlich leistungs(z.B. Lärmemmission)3. cc) Sozialbezug Auch die in § 127 Abs. 1 Satz 4 GWB erwähnten sozialen Belange werden auf 66 untergesetzlicher Ebene konkretisiert. Aus dem dort vorzufindenden Kanon von Bewertungsansätzen lassen sich den sozialen Belangen das Kriterium „Zugänglichkeit der Leistung insbesondere für Menschen mit Behinderungen“ sowie der Aspekt „Design für Alle“ zuordnen (vgl. § 58 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 VgV, § 16d EU Abs. 2 Nr. 2 a) VOB/A). Mit dem Begriff „Design für alle“ werden die Nutzbarkeit und Erlebbarkeit für möglichst alle Menschen angesprochen, d.h. die Gestaltung von Produkten oder Dienstleistungen auf eine Art und Weise, dass sie die Bandbreite menschlicher Fähigkeiten, Fertigkeiten, Bedürfnisse gerecht wird, ohne Nutzer durch Speziallösungen zu stigmatisieren. Der Begriff „Design für alle“ inkludiert die „Zugänglichkeit“ der Leistung4. Bei der „Zugänglichkeit“ der Leistung, für die auch der Terminus „Barrierefreiheit“ gebräuchlich ist, geht es um die Benutzbarkeit der Leistung für alle, insbesondere für Menschen mit Behinderungen5. Den sozialbezogene Kriterien lassen sich auch Maßnahmen zum Schutz der Ge- 67 sundheit der am Produktionsprozess beteiligten Arbeitskräfte, Maßnahmen zur Förderung der sozialen Integration von benachteiligten Personen oder Angehörigen sozial schwacher Gruppen unter den für die Ausführung des Auftrags eingesetzten Personen (u.a. Beschäftigung von Langzeitarbeitslosen) oder Maßnahmen zur Schulung im Hinblick auf die für den betreffenden Auf1 Richtlinie 2008/98/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19.11.2008 über Abfälle und zur Aufhebung bestimmter Richtlinien (ABl. L 312 v. 22.11.2008, S. 3, ber. ABl. L 127 v. 26.5.2009, S. 24). 2 OLG Düsseldorf v. 1.8.2012 – Verg 105/11, ZfBR 2012, 826 (828 f.). 3 I.d.S. Wiedemann in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, GWB, § 127 Rz. 42. 4 Verordnungsbegründung, VergRModVO, BR-Drucks. 87/16, S. 212. 5 Verordnungsbegründung, VergRModVO, BR-Drucks. 87/16, S. 212; Wiedemann in Kulartz/Kus/Marx/Portz/Prieß, VgV, § 58 Rz. 133 f.

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§ 127 | Zuschlag trag benötigten Fähigkeiten (z.B. Umsetzung von Ausbildungsmaßnahmen für Arbeitslose oder Jugendliche im Zuge der Ausführung des zu vergebenden Auftrags zurechnen1. 68 Auch bei den Sozialkriterien ist auf einen hinreichenden Auftragsbezug zu ach-

ten (§ 127 Abs. 3 Satz 1 GWB). Ebenso wie bei den umweltbezogenen Kriterien, dürfe der Auftraggeber aber auch im Falle der Statuierung von Sozialkriterien häufig, wie in § 127 Abs. 3 Satz 2 GWB vorgesehen, an eine Lebenszyklusphase anknüpfen. Ein Beispiel wäre die Bewertung der Beachtung internationaler Standards, wie die ILO-Kernarbeitsnormen entlang der Produktionskette des nachgefragten Produkts (hierzu näher unter Rz. 83).

69 Soziale Zuschlagskriterien sind selten preis- oder kostenrelevant. In der Regel

handelt es sich um leistungsbezogene Kriterien2.

dd) Sonstige Kriterien 70 Die in § 127 Abs. 1 Satz 4 GWB enthaltende Auflistung von Aspekten, welchen

der öffentliche Auftraggeber eine Bedeutung zumessen kann, hat lediglich exemplarischen Charakter3. Wie bisher, kann der öffentliche Auftraggeber weitere Kriterien benennen, anhand derer er die Angebote werten will, etwa in Abhängigkeit vom Ergebnis einer erfolgreichen Präsentation4. Denkbar ist auch die Bewertung einer Teststellung, welche auch als Funktionstest, Bemusterung oder Praxistest bezeichnet werden kann5. d) Gewichtung

71 Hat sich Auftraggeber entschieden, die Zuschlagsentscheidung nicht nur anhand

des „Preises“, sondern auch unter Berücksichtigung eines oder mehrerer leistungsbezogener Kriterien zu treffen, stellt sich die Frage, welchen Stellenwert die einzelnen Kriterien im Rahmen der Wertung haben sollen. In diesem Falle bedarf es in der Regel – neben der Benennung der Zuschlagskriterien – auch der Angabe einer Gewichtung6. Die Gewichtung gibt den Grad der Bedeutung an,

1 Vgl. Erwägungsgrund 99 RL 2014/24/EU; mit Blick auf die bisherige Rechtslage auch Ohrtmann in Müller-Wrede, Kompendium des Vergaberechts, § 23 Rz. 15. 2 Wiedemann in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, GWB, § 127 Rz. 42. 3 Gesetzesbegründung VergRModG, BT-Drucks. 18/6281, S. 112; mit Blick auf die Auflistung der Wertungskriterien in der VOL/A auch OLG Düsseldorf v. 14.1.2009 VII-Verg 59/08, NZBau 2009, 398 (399). 4 OLG München v. 2.11.2012 – Verg 26/12, ZfBR 2013, 73 (74); Weyand, Vergaberecht, § 97 GWB Rz. 1416/2. 5 I.d.S. VK Sachsen v. 7.1.2008 – 1/SVK/07707, juris Rz. 96; Wiedemann in Kulartz/Kus/ Marx/Portz/Prieß, § 58 VgV Rz. 146. 6 Opitz, NZBau 2001, 12 (15).

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d.h. die Maßzahl, die das Zuschlagskriterium im Rahmen der Angebotsbewertung zur Ermittlung des für den Zuschlag vorgesehenen Angebotes hat1. Bei einer Auftragsvergabe nach dem wirtschaftlich günstigsten Angebot hat der 72 Auftraggeber hinsichtlich der Gewichtung sicherzustellen, „dass der Preis ein wichtiges, die Vergabeentscheidung substanziell beeinflussendes Entscheidungskriterium bleibt und nicht bis zur Bedeutungslosigkeit marginalisiert wird“2. Bei einer Wertung des Preises neben anderen Kriterien mit einem Ansatz von 50% dürfte diese Voraussetzung erfüllt sein3. Je nach Einzelfall kann es gerechtfertigt sein, wenn den Preis- oder Kostenaspekten eine geringere Bedeutung zukommt. Ein Wertungsanteil von 30% sollte jedoch beim Angebotspreis regelmäßig nicht unterschritten werden4. Diese Größenordnung ist aber nicht als starrer Wert zu betrachten. Die VK Bund hat z.B. die Gewichtung des Angebotspreises mit 27% unbeanstandet gelassen5. Nach einer Auffassung im Schrifttum hat die durch das VergRModG 2016 geschaffenen Erleichterung der Verfolgung strategischer Ziele, also z.B. umweltbezogener und sozialer Belange, zur Folge, dass sich die Grenze, ab der in der Regel eine unangemessene Berücksichtigung des Preises bzw. der Kosten angenommen wird, nach unten verschiebt6. Bei der Ausschreibung einer Rahmenvereinbarung mit einem umfangreichen 73 Leistungsverzeichnis und zum Teil volantilen Leistungspositionen ist es – insbesondere wenn genaue Mengengerüste zugrunde liegen – naheliegend, die Preise für die einzelnen Leistungspositionen nicht mit dem Faktor 1 aufzuaddieren und den Gesamtpreis zu werten, sondern eine an den prognostizierten Mengen orientierte Binnen-Gewichtung der Angebotspreise für die Leistungspositionen vorzunehmen. Zwar hat der öffentliche Auftraggeber – wie auch bei der Festlegung der Gewichtung im Übrigen – diesbezüglich einen weiten Beurteilungsspielraum. Wenn er in derartigen Situationen bei der Preiswertung gleichwohl nur auf die aufaddierte Gesamtsumme abstellen will, kann wegen der „Erwartungen der verständigen Bieter an eine wirtschaftlich und haushalterisch rationale Vorgehensweise“ des öffentlichen Auftraggebers aus dem Transparenzgrundsatz heraus eine Verpflichtung bestehen, dass dies in den Vergabeunterlagen explizit und eindeutig zum Ausdruck gebracht wird7. 1 Weyand, Vergaberecht, § 97 GWB Rz. 1159; Bartsch/v. Gehlen/Hirsch, NZBau 2012, 393 (394). 2 OLG Dresden v. 5.1.2001 – WVerg 11 u. 12/00, NZBau 2001, 459 (460); ähnlich OLG Düsseldorf v. 27.11.2013 – VII-Verg 20/13, NZBau 2014, 121 (124); OLG Düsseldorf v. 29.12.2001 – Verg 22/01, NZBau 2002, 578 (580 f.). 3 OLG Düsseldorf v. 21.5.2012 – VII-Verg 3/12, BeckRS 2012, 15472; 2. VK Bund v. 9.3. 2012 – VK 2-175/11, juris Rz. 67. 4 OLG Dresden v. 5.1.2001 – WVerg 11/00 u. 12/00, NZBau 2001, 459 (460). 5 VK Bund v. 12.12.2002 – VK 2-92/02, IBRRS 2013, 4049. 6 Müller-Wrede in Müller-Wrede, GWB, § 127 Rz. 49 (20 %). 7 2. VK Bund v. 9.3.2012 – VK 2-175/11, juris Rz. 72 ff.; Weyand, Vergaberecht, § 97 GWB Rz. 1165/1.

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§ 127 | Zuschlag 74 Ist eine Verlängerungsoption vorgesehen1, so ist diese i.d.R. geringer zu ge-

wichten, als die unbedingt ausgeschriebene Leistung. Im Falle einer Option besteht lediglich die Möglichkeit, dass sich der Vertragszeitraum verlängert; die darin liegende Unsicherheit muss sich auch in der Wertung wiederspiegeln2. In Betracht kommt eine Wertung mit einem Teilansatz des Preises für den Verlängerungszeitraum, welcher die Wahrscheinlichkeit der Beauftragung der Verlängerung widerspiegelt3. Es wurde angenommen, dass der Beurteilungsspielraum des Auftraggebers nicht überschritten ist, wenn das erste Vertragsjahr mit 90% in die Wertung eingeht und das Optionsjahr mit 10% gewichtet wird4. Bei einer einjährigen Vertragslaufzeit und einer einjährigen Verlängerungsoption dürfte auch eine Gewichtung im Verhältnis 80:20 noch vertretbar sein.

IV. Anforderungen an die Zuschlagskriterien (§ 127 Abs. 3 und 4) 75 Aus § 127 Abs. 3 und 4 GWB ergeben sich die inhaltlichen Anforderungen an

die Zuschlagskriterien. Bevor näher auf Anforderungen an die Zuschlagskriterien eingegangen wird, bedarf es zunächst einer Vergewisserung der Regelungstiefe, d.h. des Umfangs und der Ausgestaltung der für die Wertung maßgeblichen Kriterien. 1. Regelungsumfang bzw. -tiefe

76 Die Angebotswertung erfolgt anhand der Zuschlagskriterien und der Gewich-

tung. Zusätzlich können Unterkriterien angegeben werden.

77 Der Begriff der Wertung- oder Zuschlagskriterien ist nicht legaldefiniert. Man

versteht darunter die Kriterien, nach denen der öffentliche Auftraggeber das Angebot auswählt5. Zuschlagskriterien stellen sich inhaltlich als „aggregierte Begriffe“ dar, die jeweils in Form eines Stichwortes oder einer Wortverbindung die unter ihnen subsumierten sachlichen Grundlagen für deren Bewertung benen-

1 Diese wurden bisher von der Rechtsprechung für zulässig gehalten, wenn sie hinsichtlich von Laufzeit und Anzahl hinreichend bestimmt sind, 1. VK Sachsen v. 10.5.2011 – 1/ SVK/009-11, juris Rz. 129; VK Niedersachsen v. 15.1.2010 – VgK74/2009, IBRRS 2010, 1380; 1. VK Bund v. 20.7.2005 – VK 1-62/05, IBRRS 2005, 2676; vgl. jetzt auch § 132 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 GWB. 2 OLG Düsseldorf v. 19.11.2003 – Verg 59/03, ZfBR 2004, 202 (203); im Zusammenhang mit der Ausschreibung von Wahl-/Alternativpositionen auch OLG Saarbrücken v. 22.10. 1999 – 5 Verg 2/99, NZBau 2000, 158 (162). 3 Opitz in Dreher/Motzke, Beck’scher Vergaberechtskommentar, § 16 VOB/A Rz. 336. 4 VK Bund v. 31.8.2005 – VK 3103/05, VPRRS 2013, 0811; VK Bund v. 20.7.2005 – VK 162/05, IBRRS 2005, 2676. 5 OLG Frankfurt v. 5.10.2010 – 11 Verg 7/10, ZfBR 2011, 394 (398); OLG Düsseldorf v. 30.7.2009 – VII-Verg 10/09, BeckRS 2009, 29056; Herrmann, VergabeR 2015, 296 (297).

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nen1. Abzugrenzen sind die Wertungs- bzw. Zuschlagskriterien grundsätzlich gegenüber Eignungskriterien. Während sich die Zuschlagskriterien auf die Leistungsinhalte beziehen und der Ermittlung des Angebotes dienen, welches den Anforderungen des Auftraggebers an den Leistungsgegenstand am besten entspricht (Auftragsbezug), erfolgt auf der Grundlage der Eignungskriterien eine Beurteilung der Möglichkeiten der Bewerber- oder Bieter die zu vergebende Leistung erbringen zu können (Unternehmens- oder Bieterbezug)2. Bieterbezogen und damit als Eignungskriterien einzuordnen sind daher z.B. die personellen und sachlichen Kapazitäten des Bieters3. In engem Zusammenhang zu den Zuschlagskriterien steht die Gewichtung. 78 Diese gibt den Grad der Bedeutung, d.h. die Maßzahl an, die das Zuschlagskriterium im Rahmen der Angebotsbewertung zur Ermittlung des für den Zuschlag vorgesehenen Angebotes hat4. Zuschlagskriterien können im Übrigen in weitere Unterkriterien aufgegliedert 79 werden. Als Unterkriterien werden Gesichtspunkte bezeichnet, die die eigentlichen Zuschlagskriterien genauer ausformen und präziser darstellen, worauf es dem Auftraggeber im Einzelnen ankommt5. Es gibt keine generelle Pflicht zur Aufstellung von Unterkriterien6. Da dem Auftraggeber bei der Auswahl und Festsetzung der Bewertungskriterien ein von den Nachprüfungsinstanzen nur begrenzt überprüfbarer Wertungsspielraum zukommt, kann er sich durchaus dafür entscheiden, keine Unterkriterien aufzustellen7. Der auf der letzten Ebene der Angebotswertung bestehende Wertungsspielraum darf nicht dadurch eingeschränkt werden, dass er vergaberechtlich in jedem Fall daran gebunden wird, 1 VK Thüringen v. 17.3.2009 – 250-4003.20-650/2009-003-EF, juris Rz. 198; Weyand, Vergaberecht, § 97 GWB Rz. 1143. 2 EuGH v. 12.11.2009 – Rs. C-199/07 = NZBau 2010, 120 ff. Rz. 55 (Kommission/Griechenland); OLG Naumburg v. 12.4.2012 – 2 Verg 1/12, VergabeR 2012, 749 (757); OLG München v. 10.2.2011 – Verg 24/10, NZBau 2011, 507 (511); Herrmann, VergabeR 2015, 296 (297); Dittmann, NZBau 2013, 746. 3 EuGH v. 12.11.2009 – Rs. C-199/07 = NZBau 2010, 120 ff. Rz. 55 (Kommission/Griechenland); OLG Düsseldorf v. 14.1.2009 VII-Verg 59/08, NZBau 2009, 398 (399); VK Bund v. 9.10.2008 – VK 1-123/08, IBRRS 2008, 2855. 4 Weyand, Vergaberecht, § 97 GWB Rz. 1159. 5 OLG Düsseldorf v. 27.3.2013 – VIIVerg 53/12, BeckRS 2013, 21180; OLG Düsseldorf v. 30.7.2009 – VII-Verg 10/09, BeckRS 2009, 29056; OLG Frankfurt v. 5.10.2010 – 11 Verg 7/10, ZfBR 2011, 394 (398); OLG München v. 19.3.2009 – Verg 2/09, NZBau 2009, 341 (342); Hess. VGH v. 15.10.2014 – 9 C 1276/13.T, VPRRS 2015, 0218; 1. VK Hessen v. 21.3.2013 – 69d VK 01/2013, IBRRS 2013, 1431; VK Brandenburg v. 26.2.2013 – VK 46/12, IBRRS 2013, 1993; VK Münster v. 10.7.2012 – VK 04/12, juris Rz. 45; VK Bad.Würt. v. 19.4.2011 – 1 VK 14/11, IBRRS 80011. 6 1. VK Bund v. 29.7.2008 – VK 1-81/08, VPRRS 2013, 0717. 7 VK Niedersachsen v. 5.10.2010 – VgK-39/2010, juris Rz. 84 ff.; Weyand, Vergaberecht, § 97 GWB Rz. 1194.

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§ 127 | Zuschlag im Voraus in mehrstufige Unterkriterien und entsprechende Gewichtungen aufgegliederte Bewertungsregeln aufzustellen1. Grenzen ergeben sich insbesondere aus dem Transparenzgebot (§ 97 Abs. 1 Satz 1 GWB). Die Zuschlagskriterien und ihre Gewichtung müssen so gefasst sein, dass die Bieter erkennen können, was der Auftraggeber von ihnen erwartet,2 d.h. es muss für die Bieter hinreichend deutlich sein, auf welche Aspekte der Auftraggeber Wert legt und welche Erwartungen ihn bei der Bewertung leiten. Die Grenze, ab der das Offenlassen konkreter Bewertungsmaßstäbe vergaberechtlich unzulässig ist, ist dann überschritten, wenn die aufgestellten Wertungsmaßstäbe so unbestimmt sind, dass die Bieter nicht mehr angemessen über die Kriterien und Modalitäten in Kenntnis gesetzt werden, anhand deren das wirtschaftlich günstigste Angebot ermittelt wird und sie infolgedessen auch vor einer willkürlichen, d.h. einer das Gebot der Gleichbehandlung missachtenden Angebotswertung, nicht mehr effektiv geschützt werden können3 (vgl. auch Rz. 89). Inwieweit die Aufstellung und Ausdifferenzierung von Unterkriterien erforderlich ist, kann nur mit Blick auf die Besonderheiten des Einzelfalls entschieden werden.4 2. Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen 80 Die Zuschlagskriterien müssen den Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen des § 127

Abs. 3 und 4 GWB entsprechen.

a) Verbindung mit dem Auftragsgegenstand (§ 127 Abs. 3) 81 Als Zuschlagskriterien dürfen nach § 127 Abs. 3 Satz 1 GWB nur solche Krite-

rien zur Anwendung kommen, die mit dem Gegenstand des Auftrags in Verbindung stehen. Ausdrücklich geregelt war diese Voraussetzung im nationalen Recht bislang nur auf untergesetzlicher Ebene. So verlangten § 16 EG Abs. 7 Satz 2 VOB/A sowie § 16 VS Abs. 7 Satz 2 VOB/A, dass die Zuschlagskriterien mit dem Auftragsgegenstand zusammenhängen. Eine strengere Regelung enthielten die §§ 11 Abs. 5 Satz 1 VOF, 19 EG Abs. 9 VOL/A, wonach erforderlich

1 BGH v. 4.4.2017 – X ZB 3/17, NZBau 2017, 366 (371); OLG Düsseldorf v. 8.3.2017 – VIIVerg 39/16, NZBau 2017, 296 (300); OLG Frankfurt v. 23.6.2016 – 11 Verg 4/16, VergabeR 2016, 768 (772); OLG Dresden v. 23.7.2002 – WVerg 7/02, juris Rz. 24; VK Hessen v. 8.2.2016 – 69d VK-35/2015, juris Rz. 66; VK Nordbayern v. 6.8.2015 – 21.VK-3194-16/ 15, juris Rz. 106; VK Westfalen v. 21.1.2015 – VK 18/14, IBRRS 2015, 0372; VK Berlin v. 30.11.2012 – VK-B1-30/12, juris Rz. 122. 2 So jüngst OLG Düsseldorf v. 8.3.2017 – VII-Verg 39/16, NZBau 2017, 296 (299). 3 OLG Frankfurt v. 23.6.2016 – 11 Verg 4/16, VergabeR 2016, 768 (772); OLG Düsseldorf v. 19.7.2013 – VII-Verg 8/13, BeckRS 2013, 15868; Müller-Wrede in Müller-Wrede, GWB, § 127 Rz. 113. 4 I.d.S. OLG Düsseldorf v. 19.6.2013 – Verg 8/13, ZfBR 2014, 85 (86); OLG Düsseldorf v. 31.10.2012 – VII-Verg1/12, BeckRS 2012, 24282; OLG Düsseldorf v. 30.7.2009 – VIIVerg 10/09, BeckRS 2009, 29056.

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war, das die Zuschlagskriterien „durch den Auftragsgegenstand gerechtfertigt“ waren, was jedoch von der Rechtsprechend richtlinienkonform dahin gehend ausgelegt wurde, dass eine Verbindung zum Auftragsgegenstand genügte1. Die Zuschlagskriterien stehen mit dem Auftragsgegenstand i.S.v. § 127 Abs. 3 82 Satz 1 GWB in Verbindung, wenn sie sich unmittelbar auf die Leistung beziehen, die den Gegenstand des Auftrags bildet2 oder – anders gewendet – wenn sie dem Auftragsgenstand unmittelbar anhaften3. Das ist z.B. der Fall, wenn im Rahmen der Angebotswertung darauf abgestellt wird, aus welchem Material das zu beschaffende Produkt gefertigt ist (z.B. Verwendung von PVC- oder Steinzeugrohren bei einem Tiefbauauftrag). Durch § 127 Abs. 3 Satz 2 GWB wird jetzt – in Umsetzung der Art. 67 Abs. 3 83 RL 2014/24/EU, Art. 82 Abs. 3 RL 2014/25/EU – explizit klargestellt, dass ein hinreichender Auftragsbezug auch dann gegeben ist, wenn sich ein Kriterium auf Prozesse im Zusammenhang mit der Herstellung, der Bereitstellung oder der Entsorgung der Leistung auf den Handel mit der Leistung oder auf ein anderes Stadium im Lebenszyklus derselben bezieht, auch wenn sich diese Faktoren nicht auf die materiellen Eigenschaften des Auftragsgegenstandes auswirken. Ausreichend ist danach die bloße Konnexität zu einer beliebigen Lebenszyklusphase der Leistung. Einer unmittelbaren Beziehung zu den materiellen Eigenschaften des Auftragsgegenstandes bedarf es dagegen nicht. Dies kann nach der Gesetzesbegründung insbesondere Prozesse der Herstellung (auch der Rohstoffgewinnung), Bereitstellung oder Entsorgung der Leistung oder auch (insbesondere bei Warenlieferungen) den Handel mit ihr betreffen4. So können die Zuschlagskriterien z.B. so gestaltet werden, dass ein zu beschaffendes Produkt, welches aus fairem Handel stammt, eine höhere Punktezahl erhält, als ein konventionell gehandeltes Produkt (z.B. mit Blick auf die Beachtung internationaler Standards, wie der ILO-Kernarbeitsnormen entlang der Produktions- und Lieferkette). Damit steigen dessen Aussichten, trotz eines höheren Angebotspreises den Zuschlag zu erhalten.5 Exemplifizieren lässt sich das auch anhand der – in der Gesetzesbegründung angeführten – Fälle, dass die auszuführenden Leistungen unter Verzicht auf den Einsatz von giftigen Chemikalien oder unter Nutzung energieeffizienter Maschinen erbracht werden.6 Wie insbesondere die Entscheidungen des EuGH in den Sachen „Concordia Bus“ und „Wienstrom“ zeigen, konnten nach herrschender Meinung im Rahmen der Angebotswertung 1 OLG Düsseldorf v. 19.11.2014 – VII-Verg 30/14, NZS 2015, 68 unter Bezugnahme auf Art. 53 Abs. 1 lit. a RL 2004/18 EG. 2 OLG Düsseldorf v. 15.6.2016 – VII-Verg 49/15, NZBau 2016, 653 (656) m.w.N. 3 Müller-Wrede in Müller-Wrede, GWB, § 127 Rz. 120. 4 Gesetzesbegründung VergRModG 2016, BT-Drucks. 18/6281, S. 112. 5 Gesetzesbegründung VergRModG 2016, BT-Drucks. 18/6281, S. 112. 6 Erwägungsgrund 97 RL 2014/24/EU; Gesetzesbegründung VergRModG 2016, BTDrucks. 18/6281, S. 112.

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§ 127 | Zuschlag schon bislang Kriterien verwendet werden, die z.B. an die Produktionsphase anknüpften, auch wenn dies für den Auftraggeber bei (einzel-)wirtschaftlicher Betrachtung keinen Vorteil mit sich bringt1. 84 Auch wenn durch § 127 Abs. 3 Satz 2 GWB die Anforderungen an den Auf-

tragsbezug der Zuschlagskriterien gelockert werden, besteht kein unbegrenzter Spielraum für die Aufstellung politisch bzw. strategisch motivierter Zuschlagskriterien, denn auch § 127 Abs. 3 Satz 2 GWB setzt einen Auftragsbezug voraus, wenn auch nur einen mittelbaren. Mit § 127 Abs. 3 Satz 2 GWB nicht in Einklang zu bringen, sind daher Kriterien, die der Bewertung der Unternehmenspolitik der Bewerber oder Bieter im Allgemeinen dienen2. So darf z.B. im Rahmen eines Bauauftrags nicht darauf abgestellt werden, ob der Bieter in seinem Unternehmen energieeffiziente und geräuscharme Maschinen einsetzt, sondern allenfalls darauf, ob energieeffiziente und geräuscharme Geräte im Rahmen der Erbringung der konkreten, auftragsgegenständlichen Leistung eingesetzt werden. Ebenso wenig darf darauf abgestellt werden, ob der Bewerber oder Bieter im Rahmen des Herstellungsprozesses prinzipiell Produkte aus fairem Handel verwendet, sondern nur darauf, ob bei der Herstellung der auftragsgegenständlichen Waren Produkte aus fairem Handel Verwendung finden.

85 Die Aufstellung von Zuschlagskriterien, welche sich zumindest auf Prozesse im

Lebenszyklus der Leistung beziehen und damit den Vorgaben des § 127 Abs. 3 Satz 2 GWB entsprechen, wird allerdings nicht schon dadurch unzulässig, dass sich der Bieter veranlasst sieht, sein unternehmerisches Handeln insgesamt umzustellen, also z.B. seinen kompletten Maschinenpark anpasst, weil es auf lange Sicht unpraktisch ist, nur die Aufträge des öffentlichen Auftraggebers mit energieeffizienter Maschinen auszuführen.3 Eine indirekte Beeinflussung allgemeiner unternehmenspoltischer Entscheidungen des Bieters ist mithin unschädlich.

1 EuGH v. 17.9.2002 – Rs. C-513/99 = ZfBR 2002, 812 ff. Rz. 55 – „Concordia Bus“; EuGH v. 4.12.2003 – Rs. C-448/01 = NZBau 2004, 105 ff. Rz. 31 ff. – „Wienstrom“; ebenso Kühling/Huerkamp in Münchener Kommentar zum Europäischen und Deutschen Wettbewerbsrecht (Kartellrecht), § 97 GWB Rz. 297 ff.; Dageförde, Umweltschutz im öffentlichen Vergabeverfahren, Rz. 201; Willenbruch/Nullmeier, Energieeffizienz und Umweltschutz bei der Vergabe öffentlicher Aufträge, S. 32; Beckmann, NZBau 2004, 600 (602); a.A. VK Bad.-Würt. v. 18.6.2003 – 1 VK 25/03, IBRRS 2003, 2436; Kulartz/Scholz, VergabeR 2014, 109 (110); Opitz, NZBau 2001, 12 (15); vgl. auch Bartsch/v.Gehlen/Hirsch, NZBau 2012, 393 (394), die grundsätzlich einen einzelwirtschaftliche Maßstab befürworten, aber „vergabefremde“ Zuschlagskriterien dennoch nicht ausschließen wollen. 2 Ähnlich bereits: EuGH v. 10.5.2012 – Rs. C-368/10, VergabeR 2012, 569 ff. Rz. 91 – „Max Havelaar“; EuGH v. 4.12.2003 – Rs. C-448/01, NZBau 2004, 105 ff. Rz. 34 – „EVN AG/ Wienstrom“. 3 v. Bechtolsheim in Gabriel/Mertens/Prieß/Stein, BeckOK-Vergaberecht, § 127 Rz. 29; Wiedemann in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, GWB, § 127 Rz. 61.

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b) Vereinbarkeit mit dem Wettbewerbs- und Gleichbehandlungsgrundsatz; Überprüfungsmöglichkeit (§ 127 Abs. 4 Satz 1) Gemäß § 127 Abs. 4 Satz 1 GWB müssen die Zuschlagskriterien, wie durch 86 Art. 67 Abs. 4 RL 2014/24/EU vorgegeben, so „festgelegt und bestimmt sein, dass die Möglichkeit eines wirksamen Wettbewerbs gewährleistet wird, der Zuschlag nicht willkürlich erteilt werden kann und eine wirksame Überprüfung möglich ist, ob und inwieweit die Angebote die Zuschlagskriterien erfüllen.“ Bei diesen Anforderungen handelt es sich um Konkretisierungen der allgemeinen vergaberechtlichen Grundsätze der Nichtdiskriminierung, Gleichbehandlung und Transparenz (§ 97 Abs. 1 und 2 GWB)1. Die Wertungskriterien müssen zunächst so festgelegt und ausgestaltet sein, dass 87 ein wirksamer Wettbewerb hergestellt wird. Schon die Verwendung des Wettbewerbsbegriffes impliziert, dass die Entscheidung für ein Zuschlagskriterium die Konkurrenz mehrerer Bieter prinzipiell nicht verhindern darf2, denn unter „Wettbewerb“ versteht man nach allgemeinem Sprachverständnis, das Streben von mindestens zwei Akteuren nach einem wirtschaftlichen Ziel3. Zuschlagskriterien, welche den Bieterkreis auf einen oder einige wenige Bieter verengen, sind zwar nicht grundsätzlich unzulässig4, allerdings bedarf es dafür stets hinreichender Gründe5. Selbst wenn eine Rechtfertigung vorliegt, ist des Weiteren zu prüfen, ob der Wettbewerb auf anderer Weise hergestellt werden kann6. Unvereinbar mit dem Grundsatz eines effektiven Wettbewerbs kann im Übrigen auch die Gewichtung von Wertungskriterien sein. Stellt der Auftraggeber neben dem Preis ein leistungsbezogenes Zuschlagskriterium auf, so ist dieses Kriterium nicht tauglich einen hinreichenden Wettbewerb zu erzeugen, wenn es im Rahmen der Wertung derart unbedeutend ist, dass die Erfüllung oder Nichterfüllung des Kriteriums den Leistungswettbewerb nur unmaßgeblich beeinflusst, es sich also um ein sog. Alibi-Kriterium handelt (vgl. Rz. 95)7. Das Willkürverbot des § 127 Abs. 4 Satz 1 GWB stellt sich als Konkretisierung 88 des Gleichbehandlungsgebots gemäß § 97 Abs. 2 GWB dar. Als willkürlich wird es in der bisherigen Rechtsprechung eingestuft, wenn die Anwendung der Zu1 I.d.S. Gesetzesbegründung VergRModG 2016, BT-Drucks. 18/6281, S. 112. 2 v. Bechtolsheim in BeckOK-Vergaberecht, § 127 GWB Rz. 32. 3 I.d.S. Müller, Wettbewerb und Unionsverfassung, 2014, S. 32; Piekenbrock/Hennig, Einführung in die Volkswirtschaftslehre und Mikroökonomie, 2. Aufl. 2013, S. 325. 4 EuGH v. 17.9.2002 – Rs. C-513/99 = NVwZ 2002, 1356 Rz. 81 ff. – „Concordia Bus“. 5 Glahs in Kapellmann/Messerschmidt VOB-Kommentar, Teil A/B, 5. Aufl. 2015, § 2 VOB/A Rz. 20. 6 Wiedemann in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, GWB, 127 Rz. 67. 7 OLG Düsseldorf v. 27.11.2013 – VII-Verg 20/13, NZBau 2014, 121 (124); Frister in: Kapellmann/Messerschmidt, VOB-Kommentar, Teil A/B, § 16 VOB/A Rz. 129; Ferber, Bewertungskriterien und -matrizen im Vergabeverfahren, 2015, S. 77; Kulartz/Scholz, VergabeR 2014, 109 (113).

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§ 127 | Zuschlag schlagskriterien dazu führt, dass der Vergabestelle eine uneingeschränkte Entscheidungsfreiheit bei der Wertung der Angebote zukommt. Der Vermeidung solcher Freiräume dient das in § 127 Abs. 4 Satz 1 GWB jetzt ausdrücklich genannte Gebot einer wirksamen Überprüfung einer Erfüllung der Zuschlagskriterien (hierzu sogleich, Rz. 89). Gegen das Willkürverbot verstoßen würde darüber hinaus auch ein Zuschlagskriterium, welches Bieter bzw. die von ihnen abzugebenden Angebote ohne sachliche Rechtfertigung benachteiligt1. Exemplarisch lässt sich hier der Fall anführen, dass – ohne hinreichenden sachlichen Grund – Zuschlagskriterien aufgestellt werden, die lokale oder regionale Bieter bevorzugen2, etwa auf die Standortnähe oder Anfahrtszeit zum Leistungsort abzielende Kriterien3 oder die Forderung nach Erfahrung mit regionalen Besonderheiten4. 89 Limitiert wird der Entscheidungsspielraum des öffentlichen Auftraggebers hin-

sichtlich der Festlegung der Zuschlagskriterien schließlich durch das Gebot der Möglichkeit einer wirksamen Überprüfung der Zuschlagskriterien. Schon nach bisheriger Rechtslage war anerkannt, dass die Zuschlagskriterien eine effektive Kontrolle der Richtigkeit der Angaben der Bieter zulassen müssen5. Die Möglichkeit einer wirksamen Überprüfung der Erfüllung der Wertungskriterien bedingt es, dass sich der Auftraggeber keine willkürlich ausfüllbaren Entscheidungsspielräume schafft, sondern im Rahmen der Wertung auf objektiv bestimmbare Methoden zur Feststellung des Erfüllungsgrades zurückgreift. Als nicht hinreichend überprüfbar wurde z.B. das Kriterium „Mehrwertkonzept“ angesehen, bei dem auf einen vom Bieter für den Auftraggeber kalkulierten finanziellen Mehrwert abgestellt werden sollte, dessen Berechnung für den Auftraggeber kaum nachvollziehbar war6.

90 Schließlich wird die Freiheit des Auftraggebers zur Auswahl und Ausgestaltung

von Zuschlagskriterien auch durch den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz des § 97 Abs. 1 Satz 2 GWB begrenzt7. Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz dürfte insbesondere Bedeutung gewinnen, wenn im Rahmen der Zuschlagskriterien auf soziale Aspekte abgestellt wird oder wenn mit den Zuschlagskriterien gemäß § 127 Abs. 3 Satz 2 GWB an Prozesse im Zusammenhang mit der Herstellung,

1 v. Bechtolsheim in BeckOK-Vergaberecht, § 127 GWB Rz. 35. 2 Dreher in Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, 5. Aufl. 2014, § 97 GWB Rz. 116; Fehling in Pünder/Schellenberg, Vergaberecht, § 97 Rz. 178. 3 VK Südbayern v. 17.6.2009 – Z3-3-3194-1-22-05/09, IBRRS 2009, 3001; ähnlich VK Nordbayern v. 4.11.2010 – 21.VK319436/01, IBRRS 2011, 0225, jedoch mit der Annahme einer sachlichen Rechtfertigung des Kriteriums im konkreten Fall. 4 VK Sachsen v. 19.11.2001 – 1/SVK/119-01, IBR 2002, 277. 5 EuGH v. 4.12.2003 – Rs. C-448/01, NVwZ 2004, 201 ff. Rz. 50 – „Wienstrom“; VK Westfalen v. 3.2.2015 – VK 1-1/15, VPRRS 2015, 0067; VK Bund v. 14.9.2009 – VK 2-153/09, juris Rz. 97; Probst/Winters, VergabeR 2014, 115 (119). 6 VK Bund v. 14.9.2009 – VK 2-153/09, juris Rz. 98. 7 Ebenso Wiedemann in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, GWB, 127 Rz. 63; Burgi, NZBau 2015, 597 (601).

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der Bereitstellung oder der Entsorgung der Leistung oder auf ein anderes Stadium im Lebenszyklus der Leistung angeknüpft wird. Soziale Anforderungen in Bezug auf das ausführende Personal wirken sich i.d.R. nur bei längerfristigen Aufträgen oder intensivem Personaleinsatz aus, so dass darauf ausgerichtete Wertungskriterien bei kurzfristigen Leistungen oder mit wenig Personal zu bewerkstelligenden Aufgaben zum Teil als unverhältnismäßig angesehen werden1. Auch könnte die positive Wertung des Nachweises der Einhaltung von internationaler Standards, wie z.B. der ILO-Kernarbeitsnormen, entlang der gesamten Produktions- und Lieferkette, bei kleineren Aufträgen unverhältnismäßig sein. Auch bei der Festlegung der Anforderungen an den Nachweis der Erfüllung von Zuschlagskriterien ist der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz im Auge zu behalten. Insbesondere bei hohen Darlegungsanforderungen sollte erwogen werden, ob eine Eigenerklärung ausreicht. c) Sonderfall: Zuschlagskriterien bei Nebenangeboten (§ 127 Abs. 4 Satz 2) § 127 Abs. 4 Satz 2 GWB gebietet in Übereinstimmung mit dem Richtlinien- 91 recht (Art. 45 Abs. 2 Satz 2 RL 2014/24/EU, Art. 64 Abs. 1 UAbs. 2 Satz 2 RL 2014/25/EU) die Zuschlagskriterien so festzulegen, dass sie sowohl auf Hauptangebote als auch auf Nebenangebote anwendbar sind. Korrespondierende Regelungen finden sich auf untergesetzlicher Ebene (§ 35 Abs. 2 Satz 2 VgV, § 8 EU Abs. 2 Nr. 3 Satz 5 VOB/A). Bei Nebenangeboten handelt es sich um Angebote, die von dem – in den Vergabeunterlagen (§ 29 Abs. 1 VgV) zum Ausdruck kommenden – Amtsvorschlag abweichen und diesen abändern, sei es in technischer Hinsicht oder in rechtlicher bzw. kaufmännischer Hinsicht2. Mit § 127 Abs. 4 Satz 2 GWB unvereinbar wäre die Festlegung von Zuschlagskriterien, die nur für Hauptangebote oder ausschließlich für Nebenangebote gelten. Um einen objektiven Qualitätsvergleich zwischen Haupt- und Nebenangeboten zu ermöglichen, müssen die Zuschlagskriterien gleichermaßen auf Haupt- wie auf Nebenangebote anwendbar sein. Fraglich ist, ob es auch bei Zulassung von Nebenangeboten möglich ist, als Zu- 92 schlagskriterium ausschließlich den „niedrigsten Preis“ bzw. die „niedrigsten Kosten“ vorzugeben. Nach Auffassung des BGH war die Zulassung von Nebenangeboten beim alleinigen Zuschlagskriterium des niedrigsten Preises im Anwendungsbereich des GWB a.F. grundsätzlich unzulässig. Eine vergaberechtskonforme Wertung von Nebenangeboten sei durch „Festlegung aussagekräfti1 Vgl. Müller-Wrede in Müller-Wrede, GWB, § 97 Rz. 127; Burgi, NZBau 2015, 597 (601); Latzel, NZBau 2014, 673 (680). 2 I.d.S. OLG Saarbrücken v. 18.5.2016 – 1 Verg 1/16, BeckRS 2016, 10023; OLG Düsseldorf v. 2.11.2011 – VII-Verg 22/11, NZBau 2012, 194 (196 f.); VK Lüneburg v. 12.6.2007 – VgK-23/2007, IBRRS 2007, 3702; Herrmanns, VergabeR 2012, 673 (676).

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§ 127 | Zuschlag ger, auf den jeweiligen Auftragsgegenstand und den mit ihm zu deckenden Bedarf zugeschnittener Zuschlagskriterien zu gewährleisten, die es ermöglichen, das Qualitätsniveau von Nebenangeboten und ihren technisch-funktionellen und sonstigen sachlichen Wert über die Mindestanforderungen hinaus nachvollziehbar und überprüfbar mit dem für die Hauptangebote nach dem Amtsvorschlag vorausgesetzten Standard zu vergleichen“1. Hergeleitet hat der BGH diese Annahme aus dem Wettbewerbsprinzip (§ 97 Abs. 2 GWB a.F.) und dem Wirtschaftlichkeitsgebot (§ 97 Abs. 5 GWB a.F.)2. Leiten lassen hat sich das Gericht von dem Gedanken, dass der Erforderlichkeit eines Zuschlags auf sog. Abmagerungs-Nebenangebote vorgebeugt werden sollte, d.h. auf Nebenangebote, die zwar geringfügig günstiger sind, als das nächstplatzierte Hauptangebot, aber in der Qualität unverhältnismäßig hinter diesem zurückbleiben3. Wegen der Herleitung aus dem Wettbewerbsprinzip und dem Wirtschaftlichkeitsgebot wurde zum Teil auch eine Übertragung dieser Rechtsprechung auf Vergabeverfahren auf der Grundlage des nationalen Vergaberechts befürwortet4. 93 Vereinzelt wird angenommen, dass auch nach der neuen Rechtslage bei Zulas-

sung von Nebenangeboten ein reiner Preis- bzw. Kostenwettbewerb nicht vorgesehen sei. Die Verwendung des Plurals in Art. 45 Abs. 2 Satz 2 RL 2014/24 EU, 64 Abs. 1 UAbs. 2 Satz 2 RL 2014/25 EU („Zuschlagskriterien“) zeige, dass der europäische Gesetzgeber im Falle der Zulassung von Nebenangeboten von der Existenz mehrere Zuschlagskriterien ausgehe5. Diese Argumentation ließe sich auch auf § 127 Abs. 4 Satz 2 GWB übertragen, da hier ebenfalls von „Zuschlagskriterien“ die Rede ist. In Anbetracht dessen, dass die Fälle, in denen es nicht zulässig ist, den Auftrag alleine nach dem Kriterium des „niedrigsten Preises“ zu vergeben, explizit geregelt sind (vgl. §§ 19 Abs. 7 Satz 2 VgV, 3b EU Abs. 5 Nr. 6 Satz 2 VOB/A, § 76 Abs. 1 Satz 1 VgV) und angesichts der Diskussion dieser Frage in der Vergangenheit, ist es naheliegend, dass der Gesetzgeber die Unzulässigkeit einer reinen Preisvergabe bei Nebenangeboten ausdrücklich geregelt hätte, wenn er dies gewollt hätte6. Dafür, dass die Heranziehung des Preises oder der Kosten als singuläres Zuschlagskriterium auch bei der Zulassung von Nebenangeboten im Grundsatz zulässig ist, spricht neben der Gesetzesbegründung zu § 127 Abs. 4 GWB7 auch die ausdrückliche Klarstellung der Frage in § 35 Abs. 2 Satz 3 VgV, § 8 EU Abs. 2 Nr. 3 Satz 6 VOB/A.

1 BGH v. 7.1.2014 – X ZB 15/13, NZBau 2014, 185 (186 f.); ebenso OLG Düsseldorf v. 2.11. 2011 – VII-Verg 22/11, NZBau 2012, 194 (196) in der Divergenzvorlage an den BGH. 2 BGH v. 7.1.2014 – X ZB 15/13, NZBau 2014, 185 (186 f.). 3 Dicks, VergabeR 2016, 309 (313). 4 Vgl. z.B. Frister in Kapellmann/Messerschmidt, VOB-Kommentar, Teil A/B, § 16 VOB/ A Rz. 151–152a; Kirch, NZBau 2014, 212 (215). 5 Stoye/Plantiko, VergabeR 2015, 309 (311). 6 Müller-Wrede in Müller-Wrede, GWB, § 127 Rz. 190; im Erg. wohl auch Dicks, VergabeR 2016, 309 (312). 7 Gesetzesbegründung VergRModG 2016, BT-Drucks. 18/6281, S. 112.

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Obgleich eine Niedrigpreis- oder Niedrigkostenvergabe bei der Zulassung von 94 Nebenangeboten nach § 127 Abs. 4 Satz 2 GWB grundsätzlich zulässig ist, ist zu beachten, dass der Verzicht auf weitere Zuschlagskriterien mit allgemeinen vergaberechtlichen Grundsätzen kollidieren kann. Insbesondere bei technischen Nebenangeboten dürfte es schwer fallen, das Zurückbleiben hinter den Qualitätsanforderungen des Amtsvorschlages allein mit den Kriterien „Preis“ oder „Kosten“ zu erfassen, so dass hier eher an die Aufstellung weiterer Wertungskriterien zu denken ist. Dass verdeutlicht auch eine jüngere Entscheidung des BGH zu den Anforderungen an die Zuschlagskriterien im sog. Unterschwellenbereich. So hat das Gericht entschieden, dass es zwar im Unterschwellenbereich (selbst bei Zulassung von Nebenangeboten) nicht stets der Festlegung von Kriterien zur Angebotswertung bedürfe, etwas anders jedoch dann gelte, wenn ohne explizit formulierte Wertungskriterien das wirtschaftlichste Angebot nicht nach transparenten und willkürfreien Gesichtspunkten bestimmt werden könne1. Sind die Mindestanforderung sehr eng gefasst und nennenswerte Qualitätsunterschiede zwischen Haupt- und Nebenangeboten folglich nicht zu erwarten, kann die Wertung allein anhand des Preises oder der Kosten auch bei technischen Nebenangeboten zulässig sein. Allerdings ist der Spielraum für die Abgabe von Nebenangeboten dann derart gering, dass seitens der Bieter von der Möglichkeit der Einreichung von Nebenangeboten womöglich kein Gebrauch gemacht wird2. Die Öffnung für Nebenangebote würde also wieder einen Gutteil ihrer Wirkung einbüßen. Dies würde dem eigentlichen Ziel der Ermöglichung von Nebenangeboten, sich wettbewerbliches Potenzial zu erschließen3, zuwiderlaufen. Eher denkbar ist die Wertung anhand des Zuschlagskriteriums des „niedrigsten Preis“ bzw. der „niedrigsten Kosten“ in Verbindung mit der Zulassung von Nebenangeboten, wenn es um die Beschaffung homogener Leistungen geht und in der Folge Nebenangebote nur zu nichttechnischen Punkten eingehen oder zugelassen sind4. Sofern im Falle der Zulassung von Nebenangebote neben dem Preis weitere Zu- 95 schlagskriterien festgelegt werden, darf es sich hierbei im Übrigen nicht um ein „Alibi-Kriterium“ handeln, welches einen Qualitätsvergleich zwischen Hauptund Nebenangebot nicht gewährleistet. Hiervon ist jedenfalls auszugehen, wenn der Preis zu 95% in die Wertung eingeht und andere, dem Qualitätsvergleich dienende Zuschlagskriterien (z.B. Bauzeit) lediglich mit 5% gewichtet werden5. 1 2 3 4

BGH v. 10.5.2016 – X ZR 66/15, MDR 2016, 1276 = BeckRS 2016, 13344. Müller-Wrede in Müller-Wrede, GWB, § 127 Rz. 191; Dicks, VergabeR 2016, 309 (314). BGH v. 7.1.2014 – X ZB 15/13, NZBau 2014, 185 (187). Vgl. Stoye/Plantiko, VergabeR 2015, 309 (311); in dieser Richtung bereits BGH v. 23.1. 2013 – X ZB 8/11, BeckRS 2013, 06245 Rz. 15. 5 OLG Düsseldorf v. 27.11.2013 – VII-Verg 20/13, NZBau 2014, 121 (124); Frister in Kapellmann/Messerschmidt, VOB-Kommentar, Teil A/B, § 16 VOB/A Rz. 129; Kulartz/ Scholz, VergabeR 2014, 109 (113).

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§ 127 | Zuschlag 3. Rechtskontrolle der Auswahl und Gewichtung der Zuschlagskriterien 96 Hinsichtlich der Auswahl der Zuschlagskriterien, etwaiger Unterkriterien und

ihrer Gewichtung steht der Vergabestelle ein Beurteilungsspielraum in den Grenzen des Vergaberechts zu1. Der diesbezügliche Spielraum des öffentlichen Auftraggebers ist letztlich ein Ausfluss der Beschaffungsautonomie – anders gewendet: des Leistungsbestimmungsrechts – des öffentlichen Auftraggebers2. Die Beschaffungsautonom beschreibt das Recht des öffentlichen Auftraggebers, autonom über seinen Beschaffungsbedarf zu entscheiden3. Die Ausübung des Leistungsbestimmungsrechts ist dem Vergabeverfahren vorgelagert und bedarf als Folge der Vertragsfreiheit keiner spezifischen Ermächtigungsgrundlage4. Wenn der öffentliche Auftraggeber hinsichtlich seiner Beschaffungsentscheidung grundsätzlich frei ist, ist es nur logisch, wenn er auch über die Kriterien anhand deren er bewerten will, welches Angebot seinem Bedarf entspricht, prinzipiell frei entscheiden kann5.

97 Grenzen ergeben sich – außer aus den nunmehr ausdrücklich gesetzlich geregel-

ten Anforderungen an die Auswahl der Zuschlagskriterien (§ 127 Abs. 3 Satz 1 und Abs. 4 Satz 1 GWB) – aus den allgemeinen Grundsätzen der Gleichbehandlung, Transparenz und des Diskriminierungsverbots6. Aufgrund des Beurteilungsspielraum und der in diesem Zusammenhang erforderlichen Prognosen des Auftraggebers unterliegt die Entscheidung über die Auswahl der Zuschlagskriterien und ihrer Gewichtung nicht einer vollen, sondern nur einer eingeschränkten gerichtlichen Nachprüfung auf Beurteilungsfehler7. Hierfür gelten dieselben Maßstäbe, wie für die gerichtliche Überprüfung der Wertungsentscheidung (vgl. Rz. 108 ff.). Bezüglich der Kontrolldichte ist zwischen der Festlegung der Zuschlagskriterien und der Gewichtung zu differenzieren. Die Zuschlagskriterien müssen sich im Hinblick auf den Auftragsgegenstand als verhältnismäßig, d.h. als geeignet und erforderlich erweisen, was von den Nachprü-

1 Frister in Kapellmann/Messerschmidt, VOB-Kommentar, Teil A/B, 5. Auflage 2015, § 16 VOB/A Rz. 129; Wagner in Langen/Bunte, Kartellrecht, 12. Auflage 2014, § 97 GWB Rz. 113; Herrmann, VergabeR 2015, 296 (303). 2 Dreher in Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, § 97 GWB Rz. 326. 3 OLG Düsseldorf v. 13.4.2016 – VII-Verg 47/15, NZBau 2016, 656 (658); OLG Düsseldorf v. 12.2.2014 – VII-Verg 29/13, BeckRS 2014, 08851; OLG Düsseldorf v. 1.8.2012 – VII-Verg 10/12, NZBau 2012, 785 (789); VK Bund v. 5.3.2008 VK 3-32/08, ZfBR 2008, 520 (523 f.). 4 OLG Düsseldorf v. 13.4.2016 – VII-Verg 47/15, NZBau 2016, 656 (657); OLG Düsseldorf v. 22.5.2013 – VII-Verg 16/12, NZBau 2013, 650 (651); Tugendreich, NZBau 2013, 90; Rechten/Portner, NZBau 2014, 276 (276 f.). 5 I.d.S. OLG Düsseldorf v. 3.3.2010 – VII-Verg 48/09, BeckRS 2010, 15890. 6 Frister in Kapellmann/Messerschmidt, VOB-Kommentar, Teil A/B, § 16 VOB/A Rz. 129. 7 Vgl. OLG Düsseldorf v. 3.3.2010 – VII-Verg 48/09, BeckRS 2010, 15890; OLG Düsseldorf v. 5.5.2008 – VII-Verg 5/08, NZBau 2009, 269 (272); VK Lüneburg v. 26.11.2012 – VgK40/2012, juris Rz. 106; Müller-Wrede, Anmerkung zu OLG Düsseldorf v. 11.12.2013 – VII-Verg 22/13, VergabeR 2014, 407 (408).

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fungsinstanzen – im Rahmen der vorgenannten Grenzen – überprüft werden kann; die Gewichtung ist ebenfalls vor diesem Hintergrund zu betrachten, hängt jedoch weniger intensiv mit dem Auftragsgegenstand zusammen, so dass die Kontrolldichte hier geringer sein dürfte.1

V. Angebotswertung (§ 127 Abs. 1 Satz 2) Die Regelung des § 127 Abs. 1 Satz 2 GWB macht deutlich, dass es sich beim 98 Zuschlag um eine Wertungsentscheidung handelt2. Anders als bei der Eignung des Bewerbers oder Bieters, dessen Vorliegen absolut festgestellt wird3, erfordert die Angebotswertung eine Einschätzung, ob und inwieweit die angebotene Leistung den Kriterien entspricht, anhand deren der öffentliche Auftraggeber seine Auswahlentscheidung festmacht. 1. Anforderungen an die Angebotswertung a) Gegenstand der Wertung Grundlage der Angebotsbewertung sind die von der Vergabestelle abgeforderten 99 und von den Bewerbern bzw. Bietern mit dem Angebot abzugebenden Angaben, Sachverhalte, Konzepte und deren Inhalte4. Hier gilt es, die mitgeteilten Information unter die Kriterien bzw. die Unterkriterien zu subsumieren und die Angebote anhand der bekanntgemachten Gewichtung zu priorisieren. Bevor die Angebote gewertet werden können, muss Klarheit über ihren Inhalt 100 bestehen. Ist diese Voraussetzung nicht erfüllt, sind die Angebote als empfangsbedürftige Willenserklärung erforderlichenfalls nach den §§ 133, 157 BGB unter Berücksichtigung der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze auszulegen. Bei der Ermittlung ihres Inhaltes ist nicht am Wortlaut zu haften5. Vielmehr ist das Angebot so auszulegen, wie es der Erklärungsempfänger nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung der Verkehrssitte verstehen musste oder durfte (objektiver Empfängerhorizont)6. Zu den allgemein anerkannten AusBurgi, Vergaberecht, § 18 Rz. 15. Gesetzesbegründung VergRModG 2016, BT-Drucks. 18/6281, S. 111. Gesetzesbegründung VergRModG 2016, BT-Drucks. 18/6281, S. 111. VK Thüringen v. 17.3.2009 – 250-4003.20-650/2009-003-EF, juris Rz. 198; Weyand, Vergaberecht, § 97 GWB Rz. 1143. 5 OLG Celle v. 13.3.2002 – 13 Verg 4/02, IBRRS 2002, 0384. 6 BGH v. 5.12.2002 – VII ZR 342/01, MDR 2003, 326 = NZBau 2003, 149; OLG Celle v. 19.2.2015 – 13 Verg 12/14, IBRRS 2015, 0414; OLG Düsseldorf v. 12.12.2012 – VII-Verg 38/12, BeckRS 2013, 02265; OLG Koblenz v. 15.7.2008 – 1 Verg 2/08, BeckRS 2010, 10527; VK Münster v. 15.9.2009 – VK 14/09, IBRRS 72414; VK Südbayern v. 5.12. 2013 – Z333194138 10/13, IBRRS 2014, 0207. 1 2 3 4

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§ 127 | Zuschlag legungsregeln gehört der Grundsatz einer nach beiden Seiten interessengerechten und im Zweifel vergaberechtskonformen Auslegung, da im Zweifel nicht angenommen werden kann, dass der öffentliche Auftraggeber gegen vergaberechtliche Grundsätze verstoßen will1. So sind z.B. fehlerhafte Preisangaben unter Berücksichtigung der speziellen Auslegungsregel des § 16c EU VOB/A zu interpretieren. b) Wertungsvorgang 101 Um im Wirkungsfeld der vergaberechtlichen Grundsätze der Transparenz und

Gleichbehandlung akzeptiert zu werden, muss der Angebotswertung ein plausibles, nachvollziehbares Bewertungskonzept zugrunde gelegt werden. Besteht Klarheit über das Bewertungsmodell, muss dieses darüber hinaus so angewendet werden, dass vergaberechtliche Prinzipien nicht verletzt werden. aa) Festlegung eines Bewertungsmodells

102 Bei dem Bewertungsmodell bzw. der Bewertungsmethode handelt es sich um

das Verfahren, mit dessen Hilfe ermittelt wird, inwieweit die Angebote den Zuschlagskriterien entsprechen2. § 127 GWB befasst sich selber nicht mit der Bewertungsmethode. Allerdings heißt es in der Gesetzesbegründung zu § 127 Abs. 1 Satz 2 GWB, die Zuschlagskriterien seien vom öffentlichen Auftraggeber „mit einer Wertungsskala zu versehen und Kriterien für die Beurteilung im Rahmen dieser Wertungsskala festzulegen“3. Hieraus ergibt sich, dass der Gesetzgeber voraussetzt, dass eine den vergaberechtlichen Grundsätzen, insb. dem Transparenzgrundsatz und dem Diskriminierungsverbot entsprechende Angebotswertung ohne ein solches System in der Regel nicht möglich ist.

103 Einschränken muss man diesen Grundsatz für den Fall, dass der Preis bzw. die

Kosten das einzige Zuschlagskriterium bilden. In diesem Falle können der Angebotspreis oder die angegebenen Kosten absolut gewertet werden, d.h. das Angebot mit dem niedrigsten angegebenen Preis bzw. den niedrigsten Kosten steht an erster Stelle, das Angebot mit dem zweitniedrigsten angegebenen Preis bzw. den zweitniedrigsten Kosten steht an zweiter Stelle usw. Entsprechend der Vorgabe der Vergabestelle werden diese Angebote dann bei der Zuschlagserteilung

1 Weyand, Vergaberecht, § 13 VOL/A Rz. 14; Leinemann in Leinemann/Kirch, VSVgV, 1. Auflage 2013, § 15 Rz. 45 ff.; ähnlich: OLG Rostock v. 9.10.2013 – 17 Verg 6/13, VergabeR 2014, 442 (449); OLG Düsseldorf v. 27.9.2006 – Verg 36/06, IBRRS 2007, 0100, wonach davon auszugehen ist, dass die Parteien im Zweifel vernünftige Ziele und redliche Absichten verfolgen. 2 Ähnlich: OLG Düsseldorf v. 27.3.2013 – VIIVerg 53/12, BeckRS 2013, 21180; OLG München v. 19.3.2009 – Verg 2/09, NZBau 2009, 341 (342); VK Berlin v. 30.11.2012 – VK-B130/12, juris Rz. 120 (Gewichtungsregeln). 3 Gesetzesbegründung VergRModG 2016, BT-Drucks. 18/6281, S. 111.

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berücksichtigt. In der Regel erhält das erstplatzierte Angebot den Zuschlag. Bei einer aufteilbaren Leistung könnte der Auftraggeber aber z.B. auch vorgeben, dass 80 % der Leistung an den Bieter mit dem erstplatzierten Angebot und 20 % der Leistung an den Bieter mit dem zweitplatzierten Angebot vergeben werden. Weiterer Ausdifferenzierungen bedarf es hingegen bei der Aufstellung leistungs- 104 bezogener Zuschlagskriterien. Die Angaben der Bieter zu den leistungsbezogenen Zuschlagskriterien erfolgen – anders als Preis- oder Kostenangaben – in der Regel nicht zahlenmäßig, so dass die Angebote insoweit nicht schlicht in eine Reihenfolge gebracht werden können. Hier bedarf es einer Methodik, welche zur Ermittlung des Erfüllungsgrades, d.h. zur Klärung der Frage, ob bzw. in welchem Ausmaß die Zuschlagskriterien erfüllt werden, herangezogen wird. Zur Ermittlung des Erfüllungsgrades kann zunächst ein Wertesystem, z.B. das Schulnotensystem oder ein sonstiges Notensystem herangezogen werden1. Auf dessen Grundlage erfolgt eine absolute Bewertung der Angebote. Mittels einer Bewertungsmatrix, Scoring-Liste etc. erfolgt sodann die Umrechnung der einzelnen Noten bzw. Bewertungen in Wertungspunkte2. Um Preise bzw. Kosten als gleichberechtigtes Zuschlagskriterium zu den leistungsbezogenen Kriterien berücksichtigen und gewichten zu können, müssen die Preis- bzw. Kostenangaben – ebenso wie die leistungsbezogenen Zuschlagskriterien – in ein Punkteraster umgerechnet werden3. Häufig erfolgt hierbei eine „lineare Interpolation“ zwischen dem Angebot mit der niedrigsten Angebotssumme (Maximalwert) und einem realistisch, erscheinenden, fiktiven Maximalpreis (Minimalwert)4; die Punktzahl der weiteren Angebote richtet sich nach dem Abstand zum niedrigsten Preis. Eine Interpolation zwischen dem Angebot mit der niedrigsten Angebotssumme und dem Angebot mit dem höchsten Angebotspreis ist wegen der Möglichkeit der Beeinflussung durch die Abgabe überhöhter Angebote nicht unproblematisch aber dennoch nicht per se unzulässig5. Sofern neben dem Preis bzw. den Kosten leistungsbezogene Zuschlagskriterien aufgestellt wurden, ist es 1 OLG Frankfurt v. 23.6.2016 – 11 Verg 4/16, VergabeR 2016, 768 Rz. 62 f.; OLG Düsseldorf v. 27.3.2013 – VII-Verg 53/12, BeckRS 2013, 21180. 2 OLG Düsseldorf v. 19.7.2013 – VII-Verg 8/13, BeckRS 2013, 15868; OLG München v. 19.3.2009 – Verg 2/09, NZBau 2009, 341 (342); OLG Hamburg v. 19.3.2003 – 1 Verg 4/02, NJOZ 2003, 932 (933); VK Baden-Württemberg v. 16.8.2010 – 1 VK 39/10, BeckRS 2015, 55868. 3 I.d.S. VK Bund v. 13.1.2012 – VK 3-173/11, juris Rz. 97; Vavra in Kleine-Möller/Merl/ Glöckner, Handbuch Baurecht, 5. Auflage 2014, § 7 Rz. 163 f.; Bartsch/v. Gehlen/Hirsch, NZBau 2012, 393 (396). 4 OLG Düsseldorf v. 29.4.2015 – VII-Verg 35/14, NZBau 2015, 440 (444); VK Bund v. 24.10.2014 – VK 285/14, IBRRS 2015, 0028; Ferber, Bewertungskriterien und -matrizen im Vergabeverfahren, S. 294 ff. 5 OLG Düsseldorf v. 3.3.2010 – Verg 48/09, ZfBR 2013, 287 (289); anders aber wohl für den Fall, dass lediglich zwei Angebote eingehen: OLG Düsseldorf v. 29.4.2015 – VII-Verg 35/14, NZBau 2015, 440 (444).

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§ 127 | Zuschlag darüber hinaus erforderlich, zu bestimmen, welches Gewicht diesen anderen Kriterien im Verhältnis zum Angebotspreis bzw. den -kosten zukommen soll (s.o., Rz. 71 ff.). Anderenfalls würden sich die leistungsbezogenen Zuschlagskriterien als „Mindestbedingungen“ darstellen und können nur als „erfüllt“ oder als „nicht erfüllt“ in die Wertung eingehen1. Der öffentliche Auftraggeber kann hierbei auch auf Ansätze zurückgreifen, die umfassende Regeln für die Zusammenführung der Preis- bzw. Kostenwertung enthalten, wie z.B. die „Unterlage für Ausschreibung und Bewertung von IT-Leistungen“ (UfAB)2. Dieser Leitfaden, der vom Beschaffungsamt des Bundesministeriums des Innern herausgegeben wird und für jedermann im Internet abrufbar ist, kann nicht nur zur Bewertung von IT-Leistungen, sondern auch zur Bewertung von anderen Dienst- und Lieferleistungen herangezogen werden3. Die UfAB wurde erstmals im Jahre 1982 veröffentlicht (UfAB I) und wurde zwischenzeitlich mehrfach überarbeitet. Die mit römischen Ziffern bezeichneten Versionen berücksichtigen die Änderungen des Vergaberechts und enthalten Verfeinerungen der Wertungsmethode4. Die aktuellste Fassung ist die UfAB VI vom 30.4.20155. bb) Anwendung des Bewertungsmodells 105 Die Angebotswertung hat durch den Auftraggeber zu erfolgen. Dieser kann

sich hierbei zwar durch Sachverständige oder Berater unterstützen lassen; die Entscheidung muss jedoch beim Auftraggeber verbleiben6.

106 Bei der Wertung hat der öffentliche Auftraggeber darüber hinaus formelle und

materielle Anforderungen zu beachten. Eine formelle Anforderung besteht zunächst darin, für eine Transparenz der Bewertungsmaßstäbe zu sorgen (s.u., Rz. 135 ff.). Formeller Natur ist auch die Anforderung einer hinreichenden Dokumentation der auf der Grundlage seines Bewertungsmodells getroffenen

1 Hertwig, Praxis der öffentlichen Auftragsvergabe, 6. Aufl. 2016, Rz. 239. 2 Eßig in Müller-Wrede, GWB, § 127 Rz. 43; Hertwig, Praxis der öffentlichen Auftragsvergabe, Rz. 240 (UfAB V); Schneider, NZBau 2002, 555 (UfAB II). 3 Vgl. 1. VK Bund v. 7.4.2004 – VK 1-15/04 IBRRS 2014, 1082; 1. VK Bund v. 1.4.2004 – VK 1-11/04 VPRRS 2013, 0766; Franz in Fuchs/Berger/Seifert, HOAI, 1. Auflage 2016, Abschnitt E Rz. 72. 4 Vgl. zur Entwicklung der UfAB: Bundesministerium des Innern, UfAB VI, Unterlage für Ausschreibung und Bewertung von IT-Leistungen, Version 1., Historie, http://www.cio. bund.de/SharedDocs/Publikationen/DE/IT-Beschaffung/ufab_vi_historie_download.pdf ?__blob=publicationFile (zuletzt aufgerufen am 18.9.2017). 5 Bundesministerium des Innern, UfAB VI, Unterlage für Ausschreibung und Bewertung von ITLeistungen, Version 1., http://www.cio.bund.de/SharedDocs/Publikationen/DE/ IT-Beschaffung/ufab_vi_download.pdf?__blob=publicationFile (zuletzt aufgerufen am 18.9.2017). 6 OLG Frankfurt v. 9.7.2010 – 11 Verg 5/10, juris Rz. 76 ff.; VK Sachsen v. 2.4.2014 – 1/ SVK/005-14, juris Rz. 97 ff.; Ohrtmann in Müller-Wrede, Kompendium des Vergaberechts, § 23 Rz. 33.

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Wertungsentscheidung. Insbesondere wertende Entscheidungen des öffentlichen Auftraggebers sind nicht nur zu dokumentieren, sondern auch entsprechend zu begründen1, was auch auf Verordnungsebene klargestellt wird2. Der Inhalt der Begründung hat so dokumentiert zu sein, dass die von der Vergabestelle getroffene Entscheidung für einen mit der Sachlage des jeweiligen Vergabeverfahrens vertrauten Lesers, der sich mit der Dokumentation befasst, nachvollziehbar ist3. Der öffentliche Auftraggeber kann eine Wertung durchaus in tabellarischer Form, etwa in Form einer Bewertungsmatrix, vornehmen. Eine derartige Bewertungsmatrix ist gerade bei Angebotswertungen, die anhand von mehreren Unterkriterien erfolgen, durchaus sinnvoll und kann einen ausführlichen Wertungs- und Entscheidungsvermerk in der Vergabeakte ergänzen und präzisieren4. Ob bzw. inwieweit darüber hinaus eine textliche Begründung erforderlich ist, wird bisweilen uneinheitlich beurteilt. Einer strengen Ansicht zufolge, ist von einer umfassenden Begründungspflicht auszugehen; bei Gremienentscheidungen soll z.B. die Nachvollziehbarkeit jeder einzelnen Punktvergabe durch jedes Gremiumsmitglied erforderlich sein5. Auf der anderen Seite finden sich Stimmen, die eine textliche Begründung generell nicht für erforderlich halten, vornehmlich bei Gremienentscheidungen6. Vereinzelt wird auch dafür votiert, dass eine verbale Begründung entfallen könne, wenn aus der erzielten Punktzahl für sich genommen eine Begründung folgt7 oder dass eine Begründungspflicht nur besteht, wenn gravierende Unterschiede in der Bewertung feststellbar sind8. Die wohl herrschende Ansicht geht davon aus, dass eine Wertung in tabellarischer Form eine textliche Dokumentation in der Regel nicht völlig ersetzen kann. Vielmehr muss in der Vergabeakte im Interesse einer ex-post-Transparenz wenigstens knapp (durch Schlag- oder Stichworte) erläutert werden, warum welcher Bieter für welches Kriterium welche Punkte erzielt hat, damit 1 VK Hessen v. 26.5.2014 – 69d VK-07/2014, juris Rz. 59; Zeise in Kulartz/Kus/Marx/ Portz/Prieß, VgV, § 8 Rz. 28. 2 Vgl. § 8 Abs. 2 Satz 1 u. 2 Nr. 2 VgV, § 20 EU VOB/A i.V.m. § 8 Abs. 2 Satz 1 u. 2 Nr. 2 VgV, § 20 VS Abs. 1 Satz 1 u. 2 Nr. 4 VOB/A; weniger konkret § 8 Abs. 1 SektVO. 3 OLG Koblenz v. 6.11.2008 – 1 Verg 3/08, ZfBR 2009, 93 (96); OLG Düsseldorf v. 14.8. 2003 – Verg 46/03, NJOZ 2004, 3728 (3730); VK Hessen v. 26.5.2014 – 69d VK-07/2014, juris Rz. 60; VK Hessen v. 12.2.2008 – 69d VK-01/2008, juris Rz. 41 f.; Weyand, Vergaberecht, § 97 GWB Rz. 285. 4 VK Lüneburg v. 5.7.2011 – VgK-22/2011, BeckRS 2011, 24297; VK Hessen v. 8.2.2016 – 69d VK-35/2015, juris Rz. 53 f.; Diehl in Müller-Wrede, VOL/A, 4. Aufl. 2014, § 24 EG Rz. 28. 5 I.d.S. wohl VK Sachsen v. 8.1.2010 – 1/SVK/059-09, juris Rz. 102, 107 f.; VK Thüringen v. 12.12.2008 – 2008-015-SM, juris Rz. 246 f. 6 VK Brandenburg v. 12.11.2008 – VK 35/08, juris Rz. 80. 7 OLG München v. 2.11.2012 – Verg 26/12, VergabeR 2013, 264 (267 f.); 3. VK Bund v. 12.8.2008 – VK 3-110/08, juris Rz. 154; VK Bund v. 31.8.2005 – VK 3-103/05, VPRRS 2013, 0811. 8 VK Münster v. 28.11.2008 – VK 19/08, juris Rz. 75.

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§ 127 | Zuschlag die Wertung nicht nur mathematisch, sondern auch inhaltlich nachvollziehbar ist1. Dabei sollte die Begründung umso ausführlicher ausfallen, je mehr die Vergabestelle bei den Angeboten Differenzen festgestellt und dies in der unterschiedlichen Punktezumessung zum Ausdruck gebracht hat2; gerade hier ist die Begründung wichtig, um nachvollziehen zu können, aus welchen Gründen ein Angebot gut oder schlecht bzw. besser oder schlechter bewertet wurde. Für die bisher herrschende Ansicht spricht, dass mit dem Erfordernis einer knappen stichpunktartigen Begründung sowohl dem Transparenzgrundsatz (und dessen Ausprägungen auf untergesetzlicher Ebene)3 als auch verfahrensökonomischen Bedürfnissen Rechnung getragen wird. 107 In materieller Hinsicht gilt es, bei der Anwendung von Bewertungsmethoden

unliebsame, mit den vergaberechtlichen Grundsätzen nicht in Einklang stehende Effekte auszuschließen. Z.B. müssen bei der Punkteverteilung die relativen Preisabstände angemessen berücksichtigt werden4. Ein Punkteverteilungssystem, nach dem Maßstab der Punktevergabe für das Kriterium Preis die Zuordnung zu einer bestimmten Preisspanne ist (bei einem monatlichen Pauschalpreis von bis zu 5 000 Euro sollte die Bestbewertung sechs Punkten vergeben werden, bis zu 10 000 Euro sollten fünf, bis 15 000 Euro vier, bis 20 000 Euro drei, bis 25 000 Euro zwei und über 25 000 Euro ein Punkt vergeben werden) wird dieser Anforderung nicht gerecht, weil die theoretisch mögliche Irrelevanz eines Preisabstand von 4 999 Euro mit dem Gleichbehandlungsgrundsatz nicht mehr vereinbar ist5. Eine Bewertung anhand von Punkteskalen (Punkte von … bis) ist vergaberechtlich unbedenklich, solange die Spannen die zulässigen und gebotenen Wertungskriterien in ein nach Sachgesichtspunkten sinnvolles Verhältnis zueinander bringen und eine sachbezogene Ausfüllung zulassen6. In Anbetracht des Wirtschaftlichkeitsgrundsatzes problematisch kann auch der sog. Flipping-Effekt sein, d.h. die Abhängigkeit der Zuschlagszahl des zu wertenden Angebots vom taktischen Angebot eines (auf einem abgeschlagenen Platz liegenden) Dritten7. Selbst wenn eine solche Wirkung nicht prinzipiell ausgeschlossen ist, kann das Bewertungssystem mit vergaberechtlichen Grundsätzen in Ein1 VK Lüneburg v. 5.7.2011 – VgK-22/2011, BeckRS 2011, 24297; VK Hessen v. 8.2.2016 – 69d VK-35/2015, juris Rz. 53 f.; Weyand, Vergaberecht, § 97 GWB Rz. 310; Wagner in Langen/Bunte, Kartellrecht, § 97 GWB Rz. 109; Diehl in Müller-Wrede, VOL/A, § 24 EG Rz. 28; Voppel/Osenbrück/Bubert, VOF, 3. Auflage 2012, § 11 Rz. 19f; Probst/Winters, VergabeR 2014, 115 (119); Voppel, VergabeR 2013, 268 (269). 2 I.d.S. VK Lüneburg v. 5.7.2011 – VgK-22/2011, BeckRS 2011, 24297. 3 § 8 Abs. 2 Satz 1 u. 2 Nr. 2 VgV, § 20 EU VOB/A i.V.m. § 8 Abs. 2 Satz 1 u. 2 Nr. 2 VgV, § 20 VS Abs. 1 Satz 1 u. 2 Nr. 4 VOB/A; weniger konkret § 8 Abs. 1 SektVO. 4 OLG Düsseldorf v. 29.4.2015 – Verg 35/14, ZfBR 2015, 596 (598); VK Südbayern v. 24.7. 2015 – Z3-3-3194-1-28-04/15, IBRRS 2015, 2261; Kiiver/Kodym, NZBau 2015, 59 (60). 5 VK Südbayern v. 24.7.2015 – Z3-3-3194-1-28-04/15, IBRRS 2015, 2261. 6 OLG Dresden v. 23.7.2002 – WVerg 7/02, juris Rz. 24. 7 Weyand, Vergaberecht, § 97 Rz. 1175.

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klang stehen, insb. wenn ein solcher Effekt im konkreten Fall nicht zu besorgen ist1. 2. Rechtskontrolle der Angebotswertung Die Beantwortung der Frage, welches Angebot den Zuschlagskriterien ent- 108 spricht, erfordert eine Gesamtschau zahlreicher, die Entscheidung beeinflussender Einzelumstände und somit um eine Wertung, die im Gegensatz zur Anwendung bloßer Verfahrensregeln des GWB einen angemessenen Wertungs- bzw. Beurteilungsspielraum voraussetzt2. Innerhalb des Wertungs- bzw. Beurteilungsspielraums gibt es nämlich nicht nur eine zutreffende Lösung. Vielmehr sind in der Regel unterschiedliche Einordnungen vertretbar3. Da sich die Vergabestelle durch die Bekanntmachung der Zuschlagskriterien 109 selbst gebunden hat und Zuschlagskriterien im Übrigen ausfüllungsbedürftige unbestimmte Rechtsbegriffe darstellen, besteht bei der Anwendung der Zuschlagskriterien allerdings kein der Nachprüfung vollständig entzogener Beurteilungsspielraum, vielmehr ist die Zuschlagsentscheidung einer eingeschränkten Nachprüfung auf Beurteilungsfehler unterworfen4. Da die Vergabenachprüfungsinstanzen auf eine Rechtmäßigkeitsprüfung bezüg- 110 lich der Vergabeentscheidung beschränkt sind, wird nur geprüft, ob der Auftraggeber bei seiner Wertung die Grenzen des durch § 127 GWB eingeräumten Wertungs- bzw. Beurteilungsspielraumes überschritten hat5. Die Wertungs1 VK Bund v. 21.10.2014 – VK 2-81/14, VPRRS 2014, 0561; VK Lüneburg v. 8.7.2015 – VgK-22/15, BeckRS 2015, 16553; a.A. Bartsch/v. Gehlen, NZBau 2015, 523 (524). 2 EuG v. 18.3.2015 – Rs. T-30/12, IBRRS 2015, 0649; EuG v. 29.1.2013 – T-339/10 und T532/10, VergabeR 2013, 420 ff. Rz. 54; OLG Düsseldorf v. 27.3.2013 – VII-Verg 53/12, BeckRS 2013, 21180; OLG München v. 2.11.2012 – Verg 26/12, ZfBR 2013, 73 (74); Brandenburgisches OLG v. 19.12.2011 – Verg W 17/11, ZfBR 2012, 182 (185); VK Westfalen v. 3.2.2015 – VK 1-1/15, juris Rz. 88; VK Münster v. 10.7.2012 – VK 04/12, juris Rz. 64; Wagner in Langen/Bunte, Kartellrecht, § 97 GWB Rz. 113; Burgi, Vergaberecht, § 18 Rz. 14. 3 VK Rheinland-Pfalz v. 19.4.2012 – VK 2-8/12, IBRRS 2012, 4113; VK Schleswig-Holstein v. 11.2.2010 – VK-SH 29/09, IBRRS 2011, 3866; Weyand, Vergaberecht, § 97 GWB Rz. 1611. 4 I.d.S. 3. VK Bund v. 16.7.2013 – VK 3-47/13, BeckRS 2014, 00406; Dreher in Immenga/ Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, § 97 GWB Rz. 327; Probst/Winters, VergabeR 2014, 115 (116). 5 OLG Celle v. 11.6.2015 – 13 Verg 4/15, VergabeR 2015, 689 (698); OLG Düsseldorf v. 27.3.2013 – VII-Verg 53/12, BeckRS 2013, 21180; OLG Frankfurt v. 16.10.2012 – 11 Verg 9/11, NZBau 2012, 795 (799); OLG Brandenburg v. 19.12.2011 – Verg W 17/11, ZfBR 2012, 182 (185); VK Nordbayern v. 19.9.2014 – 21.VK-3194-22/14, VPRRS 2014, 0666; VK Bund v. 16.7.2013 – VK 3-47/13, BeckRS 2014, 00406; Burgi, Vergaberecht, § 18 Rz. 15.

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§ 127 | Zuschlag entscheidung ist also – ähnlich wie im Verwaltungsrecht1 nur dahingehend überprüfbar, ob die Vergabestelle im Rahmen der Wertung – das vorgeschriebene Verfahren eingehalten hat2, – nicht von einem unzutreffenden oder nicht hinreichend ermittelten Sachverhalt ausgegangen ist3 bzw. – anders gewendet – den Inhalt der eingereichten Angebote tatsachengetreu verwendet hat4, – sich nicht von sachwidrigen, d.h. willkürlichen oder sonst unzulässigen Erwägungen leiten lassen hat5, – die Wertung sich im Rahmen der Gesetze oder allgemein gültiger Wertungsmaßstäbe hält, wie dem Transparenz- und Gleichbehandlungsgrundsatz6 1 Wagner in Langen/Bunte, Kartellrecht, § 97 GWB Rz. 113. 2 EuG v. 29.1.2013 – T-339/10 und T-532/10, VergabeR 2013, 420 ff. Rz. 54; OLG Celle v. 11.6.2015 – 13 Verg 4/15, VergabeR 2015, 689 (698); OLG Düsseldorf v. 27.3.2013 – VIIVerg 53/12, BeckRS 2013, 21180; OLG Düsseldorf v. 24.2.2005 – VII-Verg 88/04, juris Rz. 26; OLG Düsseldorf v. 9.6.2004 – Verg 11/04, NJOZ 2007, 5321 (5327); OLG München v. 2.11.2012 – Verg 26/12, ZfBR 2013, 73 (74); VK Westfalen v. 3.2.2015 – VK 1-1/ 15, juris Rz. 88; Wagner in Langen/Bunte, Kartellrecht, § 97 GWB Rz. 113; Herrmann, VergabeR 2015, 296 (303). 3 EuG v. 18.3.2015 – Rs. T-30/12, IBRRS 2015, 0649; EuG v. 29.1.2013 – T-339/10 und T532/10, VergabeR 2013, 420 ff. Rz. 54; OLG Celle v. 11.6.2015 – 13 Verg 4/15, VergabeR 2015, 689 (698); OLG Düsseldorf v. 27.3.2013 – VII-Verg 53/12, BeckRS 2013, 21180; OLG Düsseldorf v. 24.2.2005 – VII-Verg 88/04, juris Rz. 26; OLG Brandenburg v. 19.12.2011 – Verg W 17/11, ZfBR 2012, 182 (185); OLG München v. 2.11.2012 – Verg 26/12, ZfBR 2013, 73 (74); OLG Frankfurt v. 16.10.2012 – 11 Verg 9/11, NZBau 2012, 795 (799); VK Westfalen v. 3.2.2015 – VK 1-1/15, juris Rz. 88; 3. VK Bund v. 16.7.2013 – VK 3-47/13, BeckRS 2014, 00406; VK Münster v. 10.7.2012 – VK 04/12, juris Rz. 72; VK Schleswig-Holstein v. 11.2.2010 – VK-SH 29/09, IBRRS 2011, 3866; Opitz in Dreher/ Motzke, Beck’scher Vergaberechtskommentar, § 16 VOB/A Rz. 323; Probst/Winters, VergabeR 2014, 115 (117). 4 VK Südbayern v. 16.1.2009 – Z3-3-3194-1-33-09/08, BeckRS 2011, 01135 Rz. 210; Weyand, Vergaberecht, § 97 GWB Rz. 1611. 5 OLG Celle v. 11.6.2015 – 13 Verg 4/15, VergabeR 2015, 689 (698); OLG Düsseldorf v. 27.3.2013 – VII-Verg 53/12, BeckRS 2013, 21180; OLG Düsseldorf v. 24.2.2005 – VIIVerg 88/04, juris Rz. 26; OLG München v. 2.11.2012 – Verg 26/12, ZfBR 2013, 73 (74); OLG Frankfurt v. 16.10.2012 – 11 Verg 9/11, NZBau 2012, 795 (799); OLG Brandenburg v. 19.12.2011 – Verg W 17/11, ZfBR 2012, 182 (185); VK Westfalen v. 3.2.2015 – VK 1-1/ 15, juris Rz. 88; 3. VK Bund v. 16.7.2013 – VK 3-47/13, BeckRS 2014, 00406; VK Münster v. 10.7.2012 – VK 04/12, juris Rz. 74. 6 OLG Celle v. 11.6.2015 – 13 Verg 4/15, VergabeR 2015, 689 (698); OLG Düsseldorf v. 27.3.2013 – VII-Verg 53/12, BeckRS 2013, 21180; OLG Düsseldorf v. 24.2.2005 – VIIVerg 88/04, juris Rz. 26; VK Westfalen v. 3.2.2015 – VK 1-1/15, juris Rz. 88; VK Nordbayern v. 19.9.2014 – 21.VK-3194-22/14, VPRRS 2014, 0666; 3. VK Bund v. 16.7.2013 – VK 3-47/13, BeckRS 2014, 00406; Wagner in Langen/Bunte, Kartellrecht, § 97 GWB Rz. 113; Herrmann, VergabeR 2015, 296 (303).

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– und ob bei der Entscheidung über den Zuschlag ein – sich im Rahmen der Beurteilungsermächtigung haltender – Wertungsmaßstab zutreffend angewandt wurde1, insbesondere die einzelnen Wertungsgesichtspunkte nicht objektiv fehlgewichtet wurden2. Ferner kann die Wertungsentscheidung daraufhin kontrolliert werden, ob für die 111 Bieter erkennbare, nachvollziehbare Kriterien zugrunde gelegt wurden und damit die Transparenz des Vergabeverfahrens sichergestellt war3, was vom überwiegenden Teil der nationalen Rechtsprechung lange Zeit verneint wurde, wenn Bewertungsmethoden, wie Schulnotensysteme, angewendet wurden, die es nicht zuließen, schon im Zeitpunkt der Angebotsabgabe hinreichend klar zu bestimmen, welchen Erfüllungsgrad die Angebote auf der Grundlage der aufgestellten Kriterien aufweisen müssen, um mit den festgelegten Schulnoten bewertet zu werden4. Voraussetzung war also eine weitere Ausdifferenzierung bzw. Erläuterung der Unterkriterien. Nachdem der EuGH jedoch klargestellt hat, dass die RL 2004/18/EG öffentliche Auftraggeber nicht dazu verpflichtet, Bietern vorab die Bewertungsmethode zur Kenntnis zu bringen,5 erkennt nunmehr auch die nationale Rechtsprechung an, dass eine transparente und wettbewerbskonforme Vergabe auch dann möglich ist, wenn ein Schulnotensystem mit Zielerreichungsgraden bzw. zugeordneten Punktwerten verwendet wird, ohne dass im Vorhinein exakt nachvollzogen werden kann, welchen Anforderungen die Angebote auf der Grundlage des aufgestellten Kriterienkatalogs genügen müssen, um einen in dem Bewertungsschema festgelegten Punktwerten zu erhalten (vgl. hierzu auch Rz. 138 ff.).6 Die Grenzen des Beurteilungsspielraums sind umso eher erreicht, desto mehr es 112 um die rechtliche Überprüfung von deutlichen Fehlwertungen geht, was vor al1 OLG München v. 2.11.2012 – Verg 26/12, ZfBR 2013, 73 (74); OLG Frankfurt v. 16.10. 2012 – 11 Verg 9/11, NZBau 2012, 795 (799); OLG Brandenburg v. 19.12.2011 – Verg W 17/11, ZfBR 2012, 182 (185); OLG Düsseldorf v. 9.6.2004 – Verg 11/04, NJOZ 2007, 5321, (5327); VK Münster v. 10.7.2012 – VK 04/12, juris Rz. 73; VK Schleswig-Holstein v. 11.2. 2010 – VK-SH 29/09, IBRRS 2011, 3866; VK Südbayern v. 16.1.2009 – Z3-3-3194-1-3309/08, BeckRS 2011, 01135 Rz. 210. 2 OLG Düsseldorf v. 9.6.2004 – Verg 11/04, NJOZ 2007, 5321 (5327); VK Brandenburg v. 27.5.2002 – 2 VK 94/01, IBRRS 2004, 3560. 3 OLG Düsseldorf v. 15.6.2016 – VII-Verg 49/15, NZBau 2016, 653 (655); OLG Düsseldorf v. 19.6.2013 – Verg 8/13, ZfBR 2014, 85 (86 f.); VK Lüneburg v. 26.11.2012 – VgK-40/ 2012, juris Rz. 118; VK Südbayern v. 16.1.2009 – Z3-3-3194-1-33-09/08, BeckRS 2011, 01135 Rz. 210. 4 OLG Düsseldorf v. 15.6.2016 – VII-Verg 49/15, NZBau 2016, 653 (655); ähnlich OLG Dresden v. 26.1.2016 – Verg 1/16, IBRRS 2016, 3366, allerdings mit einem weniger strengen Maßstab für den Fall, dass die Wertung konzeptionelle Ausführungen der Bieter zum Gegenstand hat. 5 EuGH v. 14.7.2016 – Rs. C-6/15 = NZBau 2016, 772 ff., Rz. 27 – „Dimarso“. 6 BGH v. 4.4.2017 – X ZB 3/17, NZBau 2017, 366 (371); OLG Düsseldorf v. 8.3.2017 – VIIVerg 39/16, NZBau 2017, 296 (300).

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§ 127 | Zuschlag lem dann naheliegt, wenn das Angebot des Bieters mit der schlechtesten Note bzw. Platzierung zur Diskussion steht. Hat das Angebot des Bieter hingegen nach der zu überprüfenden Wertung einen vergleichsweise „guten“ Platz belegt und macht der Bieter geltend, eine bessere oder die Bestnote sei die einzig richtige Bewertung, dürften der Überprüfung der Wertungsentscheidung durch die Nachprüfungsinstanz engere Grenzen gesetzt sein1.

VI. Beachtung verbindlicher Vorgaben zur Preisgestaltung (§ 127 Abs. 2) 113 § 127 Abs. 2 GWB weist daraufhin, dass die öffentlichen Auftraggeber, bei der

Ermittlung des wirtschaftlichsten Angebotes verbindliche Vorschriften zur Preisgestaltung zu beachten haben. Der EU-rechtliche Hintergrund ergibt sich aus den Vorschriften der Art. 67 Abs. 1 RL 2014/24/EU, 82 Abs. 1 RL 2014/25/ EU, denen zu entnehmen ist, dass die Ermittlung des wirtschaftlichsten Angebotes unter Berücksichtigung „für den Preis bestimmter Lieferungen oder die Vergütung bestimmter Dienstleistungen geltenden nationalen Rechts- und Verwaltungsvorschriften“ zu erfolgen hat. Die Regelung ist zudem auch im Kontext der Art. 67 Abs. 2 UAbs. 2 RL 2014/24/EU, Art. 82 Abs. 2 UAbs. 1 lit. c) Satz 2 RL 2014/25/EU zu sehen2. Hiernach ist eine Möglichkeit der Ermittlung des „wirtschaftlich günstigsten Angebotes“ die Vergabe ausschließlich nach leistungsbezogenen Kriterien. Die wichtigsten Anwendungsfälle dieser Variante der Ermittlung des „wirtschaftlich günstigsten Angebotes“ dürften Fallgestaltungen sein, in denen Vorschriften zur Preisgestaltung eingreifen. Bei einer aus den Preisgestaltungsvorschriften resultieren Preisbindung kann das Zuschlagskriterium „Preis“ u.U. sinnlos zu sein, so dass auf leistungsbezogene Kriterien zurückzugreifen ist. 1. Anwendungsbereich

114 Vorschriften zur Preisgestaltung i.S.d. § 127 Abs. 2 GWB können sich aus unter-

schiedlichsten Gesetzen, Rechtsverordnungen etc. ergeben, etwa der Verordnung über Honorare für Leistungen der Architekten und Ingenieure (HOAI) oder dem Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG). Daher kann an dieser Stelle nur ein grober Überblick über einige praktisch relevante Regelungsmaterien gegeben werden. Um festzustellen, ob zwingende Vorschriften zur Preisgestaltung eingreifen und welche Folgerungen hieraus für den Beschaffungsfall abzuleiten sind, wird sich der öffentliche Auftraggeber im Einzelfall näher mit der einschlägigen Rechtsmaterie befassen müssen. 1 OLG Celle v. 11.6.2015 – 13 Verg 4/15, VergabeR 2015, 689 (699). 2 I.d.S. Burgi in Pünder/Prieß, Vergaberecht im Umbruch II, 57, 60; Burgi, Vergaberecht, § 17 Rz. 5.

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Die Berücksichtigung einer verbindlichen Vorschrift zur Preisgestaltung setzt 115 voraus, dass diese europarechtskonform ist. Dies ist z.B. hinsichtlich der HOAI in der Diskussion. Die nationale Rechtsprechung geht davon aus, dass die HOAI mit dem europäischen Primär- und Sekundärrecht vereinbar ist1. Die EU-Kommission hat Zweifel, ob die HOAI insbesondere mit der Dienstleistungsfreiheit (Art. 56 AEUV) vereinbar ist und hat im Jahr 2015 ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland eingeleitet2 und Deutschland zwischenzeitlich auch vor dem EuGH verklagt3. a) HOAI Besondere praktische Relevanz dürften im vorliegenden Zusammenhang die 116 Vorschriften der HOAI haben,4 die gemäß § 1 HOAI die Berechnung der Entgelte für die Leistungen der Architekten und Architektinnen und der Ingenieure und Ingenieurinnen mit Sitz im Inland regeln, soweit die Leistungen durch die HOAI erfasst und vom Inland aus erbracht werden. Da die HOAI expressis verbis für die „Berechnung“ des Architektenhonorars gilt, handelt es sich um Regelungen mit preisrechtlichem Charakter5. Die HOAI sieht für die sog. Grundleistungen der Architekten Mindest- und 117 Höchstsätze vor, welche in den Honorartafeln geregelt sind. Das Mindest- und Höchstsatzsystem des § 7 HOAI lässt sich wie folgt umreißen: Ist bei Auftragserteilung nichts anderes schriftlich vereinbart worden, kann der Architekt grundsätzlich nur die Mindestsätze der HOAI verlangen (§ 7 Abs. 5 HOAI). Auch die Höchstsätze dürfen nur in Ausnahmefällen bei entsprechender schriftlicher Vereinbarung überschritten werden (§ 7 Abs. 4 Satz 1 HOAI). Diese Regelungen verdeutlichen, dass die Mindest- und Höchstsätze das Architektenhonorar nach unten und oben begrenzen. Insoweit handelt es sich bei den Mindest- und Höchstsätzen um zwingendes Preisrecht. Angebote, welche hiergegen verstoßen, dürfen folglich nicht gewertet werden6. Innerhalb der Mindest- und Höchstsatzgrenzen der HOAI sind die Parteien allerdings in der Wahl der Honorarhöhe frei7, mithin ist insoweit ein Preiswettbewerb zulässig8. Eine Über1 OLG Stuttgart v. 10.2.2005 – 13 U 147/04, NZBau 2005, 350 (351); offen gelassen in BGH v. 27.2.2003 – VII ZR 169/02, NJW 2003, 2020 (2022) = MDR 2003, 683 ff. 2 Näher hierzu Motzke, NZBau 2016, 323 ff. 3 IBRNews 25756. Hierzu näher Fuchs, NZBau 2017, 123; Schäfer, EuZW 2017, 1 ff.; Motzke, NZBau 2016, 323 ff. 4 Gesetzesbegründung VergRModG 2016, BT-Drucks. 18/6281, S. 112. 5 Berger/Fuchs, Einführung in die HOAI, 4. Aufl. 2013, Rz. 89. 6 I.d.S. OLG Düsseldorf v. 12.6.2013 – VII-Verg 7/13, NZBau 2013, 788 (791); OLG Frankfurt v. 9.8.2007 – 11 Verg 6/07, ZfBR 2009, 83 (86). 7 Berger/Fuchs, Einführung in die HOAI, Rz. 126. 8 OLG Stuttgart v. 28.11.2002 – 2 Verg 14/02, NZBau 2003, 517 (518); VK Nordbayern v. 20.12.2011 – 21.VK-3194-38/11, BeckRS 2012, 10324; Müller-Wrede in Müller-Wrede, GWB, § 127 Rz. 69.

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§ 127 | Zuschlag oder Unterschreitung der Mindest- oder Höchstsätze ist gemäß § 7 Abs. 3 und 4 HOAI nur in Ausnahmefällen möglich1. Liegen die Voraussetzung für eine ausnahmsweise Über- oder Unterschreitung der Mindest- oder Höchstsätze vor, dürfen Abweichungen von den Mindest- oder Höchstsätze im Rahmen der Angebotswertung durchaus berücksichtigt werden2. Ob Skontovereinbarungen der Mindestsatzkontrolle nach der HOAI unterliegen, wird unterschiedlich beurteilt. Eine vorzugswürdige Auffassung geht davon aus, dass Skonti keine Vergütungsbestandteile sind, sondern eine „Gegenleistung“ für den Fall einer kurzfristigen Zahlung und damit – anders als unbedingte Nachlässe – nicht dem Kontrollmaßstab des Preisrahmenrechts der HOAI unterliegen3. 118 Die Grundlagen des Honoraranspruchs des Architekten ergeben sich aus § 6

Abs. 1 HOAI (und für Umbauten und Modernisierungen aus § 6 Abs. 2 HOAI). Danach richtet sich das Honorar für die preisrechtlich geregelten Grundleistungen, soweit die Parteien kein anderes Honorar innerhalb der Mindest- und Höchstsätze wirksam vereinbart haben, nach den anrechenbaren Kosten (etwa Flächengrößen bei der Flächenplanung nach Teil 2 HOAI), nach dem Leistungsbild, nach der Honorarzone und nach der Honorartafel.

119 Die Bestimmung der Honorarzone ist anhand der diesbezüglichen Vorgaben

der HOAI unter Berücksichtigung der in der Rechtsprechung und im Schrifttum herausgearbeiteten Konkretisierungen dieser Anforderungen vorzunehmen. Die Subsumtion unter Begriffe, wie durchschnittliche bzw. hohe Planungsanforderungen etc., ist mit Unsicherheiten verbunden. Dennoch ist die Bestimmung der Honorarzone objektiv vorzunehmen und darf nicht zum Gegenstand des Preiswettbewerbs gemacht werden4.

120 Allerdings enthält die HOAI nicht für alle denkbaren Architekten- und Inge-

nieurleistungen verbindliche preisrechtliche Vorgaben. Es ergeben sich durchaus Freiräume für individuelle Honorarvereinbarung, welche dann auch Gegenstand des Preiswettbewerbs sein dürfen. Sind Gegenstand des Auftrags Leistungen des Architekten bei Umbauten und Modernisierungen, besteht z.B. die Möglichkeit, einen Umbau- bzw. Modernisierungszuschlag zu vereinbaren. Die Grundlagen ergeben sich aus § 6 Abs. 2 HOAI i.V.m. § 36 HOAI (Objekt-

1 Zu der Frage, welche Umstände die Annahme eines Ausnahmefalles begründen: BGH v. 22.5.1997 – VII ZR 290/95, MDR 1997, 729 m. Anm. Hertwig = NJW 1997, 2329 (2330 f.); VK Brandenburg v. 25.6.2014 – VK 6/14, IBR 2014, 1284; Söns in Messerschmidt/Niemöller/Preussner, HOAI, 1. Auflage 2015, § 7 Rz. 35 f., 41 ff. 2 Müller-Wrede in Müller-Wrede, GWB, § 127 Rz. 80; a.A. wohl Franke/Höfler, ZVgR 1997, 277 (283). 3 Berger in Fuchs/Berger/Seifert, HOAI, § 7 Rz. 16; a.A. Wirth/Galda in Korbion/Mantscheff/Vygen, HOAI, 9. Auflage 2016, § 7 Rz. 52; Söns in Messerschmidt/Niemöller/ Preussner, HOAI, § 7 Rz. 16 mit Fn. 16. 4 VK Bund v. 22.8.2001 – VK 2-24/01, IBRRS 2013, 3314; Haack/Heinlein in Messerschmidt/Niemöller/Preussner, HOAI, § 5 Rz. 15.

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planung) bzw. i.V.m. § 40 Abs. 6 HOAI (Freianlagen), (§ 44 Abs. 6 HOAI (Ingenieurbauwerke), § 48 Abs. 6 HOAI (Verkehrsanlagen), § 52 Abs. 4 HOAI (Tragwerksplanung), Technische Ausrüstung (§ 56 Abs. 5 HOAI). § 14 Abs. 1 HOAI gibt dem Architekten einen Anspruch auf Ausgleich der ihm entstandenen Nebenkosten (Versandkosten, Kosten für Datenübertragungen, Kosten für Vervielfältigungen, Fahrtkosten etc.). Die Parteien können entweder vereinbaren, dass diese pauschal oder nach Einzelnachweis abgerechnet werden sollen (§ 14 Abs. 3 HOAI) oder dass die Nebenkostenerstattung entfallen soll (§ 14 Abs. 1 Satz 2 HOAI). Insoweit enthält die HOAI keine fixen Vorgaben, so dass der Nebenkostenanspruch Gegenstand des Preiswettbewerbs sein darf1. In den Anlagen zu den Beschreibungen der Leistungsbilder werden Grundleistungen und Besondere Leistungen des Architekten abgegrenzt. Auch für besondere Leistungen enthält die HOAI keine zwingenden Vergütungsvorgaben. Honorare für Besondere Leistungen können gemäß § 3 Abs. 3 Satz 3 HOAI frei verhandelt werden. Mithin kann der öffentliche Auftraggeber auch diese dem Preiswettbewerb untererstellen2. b) Sonstige Regelungen zur Preisgestaltung Rechtsanwaltliche Dienstleistungen sind nach § 116 Abs. 1 Nr. 1 GWB nur 121 zum Teil vom Anwendungsbereich des GWB-Vergaberechts ausgenommen, so dass Beschaffungsgegengenstand auch anwaltliche Dienstleistungen sein können. Deren Vergütung wird durch das RVG geregelt (§ 1 Abs. 1 RVG). Dass die Vorgaben des RVG verbindliche Vorgaben zur Preisgestaltung enthalten, ist anerkannt3. Die Rechtsanwaltsgebühren werden nach §§ 2 Abs. 1, 22 ff. RVG nach dem Wert des Gegenstandes der anwaltlichen Tätigkeit berechnet. Die Höhe der Vergütung ergibt sich gemäß § 2 Abs. 2 Satz 1 RVG aus dem Vergütungsverzeichnis gemäß Anlage 1 des RVG. Grundsätzlich sieht das RVG Wertgebühren vor (§ 13 RVG), deren Höhe verbindlich ist. In bestimmten Fällen lässt das RVG allerdings auch eine flexible Gestaltung der Anwaltsvergütung zu. Keine konkrete Vorgabe der Gebührenerhöhe enthält das RVG für die Rahmengebühr i.S.d. § 14 RVG. Eine Rahmengebühr fällt jedoch nur dann an, wenn das Vergütungsverzeichnis (VV) dies vorsieht. Sofern die anwaltliche Tätigkeit mit einer Rahmengebühr abgegolten wird, muss der Anwalt die konkrete Gebühr gemäß § 14 Abs. 1 Satz 1 nach billigem Ermessen bestimmen. Dafür nennt § 14 Abs. 1 Satz 1 bis 3 RVG verschiedene Kriterien, nämlich die Bedeutung der Angelegenheit, den Umfang der Tätigkeit, die Schwierigkeit der Tätigkeit, die Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Auftraggebers sowie des Haftungsrisikos des Anwalts. Die Bestimmung der Rahmengebühr erfordert eine Ermessensaus1 VK Nordbayern v. 22.5.2001 – 320.VK-3194-11/01, IBRRS 2013, 3738; Hänsel, IBR 2012, 170. 2 Hänsel, IBR 2012, 170. 3 I.d.S. OLG Düsseldorf v. 2.1.2012 – VII-Verg 70/11 NZBau 2012, 318 (320).

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§ 127 | Zuschlag übung des Anwaltes, die nur einer eingeschränkten gerichtlichen Kontrolle unterliegt. Aufgrund der sich hieraus ergebenden Flexibilität der Gebührenhöhe ist bei der Rahmengebühr ein Preiswettbewerb zulässig1. Auch im Falle einer Vergütungsvereinbarung nach § 3a RVG ergibt sich aus dem RVG keine konkrete Gebührenhöhe. Gemäß § 49 b Abs. 1 Satz 1 BRAO dürfen allerdings die gesetzlichen Anwaltsgebühren nicht unterschritten werden, d.h. es darf grundsätzlich nur eine höhere als die gesetzliche Gebühr vereinbart werden (zu Ausnahmen vgl. § 3a Abs. 3 Satz 1 RVG). Etwas anderes gilt für Vergütungsvereinbarungen über außergerichtliche Angelegenheiten (§ 4 Abs. 1 Satz 1 RVG) und über die Tätigkeit in Mahn- und Zwangsvollstreckungsverfahren (§ 4 Abs. 2 RVG). § 34 RVG sieht für einen mündlichen oder schriftlichen Rat oder eine Auskunft, die nicht mit einer anderen gebührenpflichtigen Tätigkeit zusammenhängt, für die Ausarbeitung eines schriftlichen Gutachtens sowie für die Tätigkeit des Anwalts als Mediator den Abschluss einer Gebührenvereinbarung vor. Des Weiteren kann unter den Voraussetzungen des § 4a RVG schließlich ein Erfolgshonorar vereinbart werden. 122 Von Relevanz können bei einer öffentlichen Auftragsvergabe, namentlich bei

der Beschaffung von Schulbüchern, auch die Vorschriften des Gesetzes über die Preisbindung für Bücher (Buchpreisbindungsgesetz – BuchPrG) sein. Das BuchPrG regelt die Preisgestaltung beim Verkauf von Büchern. § 3 Satz 1 BuchPrG schreibt vor, dass derjenige, der gewerbs- oder geschäftsmäßig Bücher an Letztabnehmer verkauft, den nach § 5 BuchPrG festgesetzten Preis einhalten muss (Buchpreisbindung). Welche Werke dem BuchPrG unterliegen, folgt aus § 2 Abs. 1 BuchPrG. Ausgenommen sind nach § 2 Abs. 2 BuchPrG fremdsprachige Bücher. Nach § 3 Satz 2 BuchPrG gilt die Buchpreisbindung im Übrigen nicht für gebrauchte Bücher. In engen Grenzen lässt § 7 BuchPrG Ausnahmen von der Buchpreisbindung zu. Praktisch relevant ist der Verkauf von Büchern an Lehrer zum Zwecke der Prüfung einer Verwendung im Unterricht (§ 7 Abs. 1 Nr. 3 BuchPrG), der Verkauf von Mängelexemplaren (§ 7 Abs. 1 Nr. 4 BuchPrG) und die Möglichkeit einer Rabattgewährung bei Sammelbestellungen von Büchern für den Schulunterricht (§ 7 Abs. 3 BuchPrG). Sonstige Rabatte oder Vertragsgestaltungen, welche dem Auftraggeber im Zusammenhang mit dem Kauf von Büchern, welche der Buchpreisbindung unterliegen, wirtschaftliche Vorteile verschaffen, sind unzulässig. Das gilt z.B. für die Einräumung von Skonti2 oder Zahlungszielen3. Unvereinbar mit dem BuchPrG ist auch die gemeinsame Ausschreibung von Büchern, welche der Buchpreisbindung unterliegen und solchen, die ihr nicht unterliegen, wenn der Bieter bei dem Angebot Letzterer einen Verlust macht, weil er diesen in der Regel nur durch einen Rück-

1 OLG Düsseldorf v. 2.1.2012 – VII-Verg 70/11 NZBau 2012, 318 f. (Prozessvertretung auf dem Gebiet von Streitigkeiten nach dem SGB II). 2 VK Münster v.15.5.2007 – VK 11/07, juris Rz. 62. 3 VK Baden-Württemberg v. 22.7.2004 – Az.: 1 VK 49/04, IBRRS 2004, 3149.

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griff auf die Gewinne aus dem Verkauf preisgebundener Bücher kompensieren kann1. Preisrecht enthält darüber hinaus vor allem die Verordnung PR Nr 30/53 über 123 die Preise bei öffentlichen Aufträgen (VO PR 30/53).2 Der persönliche Anwendungsbereich der VO PR 30/53 erstreckt sich, wie im Vergaberecht, auf öffentliche Auftraggeber. Im Detail ergeben sich jedoch Unterschiede zwischen beiden Rechtsmaterien. Gemäß § 2 Abs. 1 VO PR Nr 30/53 betrifft die Verordnung Aufträge des Bundes, der Länder, der Gemeinden, der Gemeindeverbände und der sonstigen juristischen Personen des öffentlichen Rechts, mithin öffentliche Auftraggeber i.S.d. § 99 Nr. 1 und 2 GWB. Nicht erfasst sind juristische Personen des Privatrechts, also Auftraggeber nach § 99 Nr. 4 GWB. Daraus wird abgeleitet, dass der VO PR 30/53, anders als dem GWB-Vergaberecht, ein institutioneller und kein funktioneller Auftraggeberbegriff zugrunde lieg3. In sachlicher Hinsicht gilt die VO PR 30/53 für alle geldwerten Lieferungen und Leistungen, die Gegenstand einer Auftragsvergabe sein können4. Ausgenommen sind gemäß § 2 Abs. 5 VO PR 30/53 Bauleistungen. Die preisrechtlichen Bestimmungen gelten – mit Ausnahme letzterer – ferner für „mittelbare Leistungen zu öffentlichen Aufträgen“ (§ 2 Abs. 4 Nr. 1 VO PR Nr. 30/53), d.h. Unteraufträge5. Für öffentliche Aufträge im Sinne der VO PR 30/53 bestimmen sich die Preise gemäß § 3 VO PR 30/53 vorrangig nach den Vorgaben allgemeiner und besonderer Preisvorschriften (z.B. § 138 BGB, HOAI, RVG, GNotKG)6. Im Übrigen dürfen für „marktgängige Leistungen“, also Leistungen, die auf dem Markt angeboten werden, die verkehrsüblichen Preise nicht überschritten werden (§ 4 Abs. 1 VO PR Nr. 30/53). Bei der Ermittlung von Marktpreisen wird zunächst geprüft, ob ein Markt für die jeweilige Leistung besteht. Hat sich auf diesem Markt durch laufenden Absatz des Auftragsgegenstandes ein allgemein und stetig geforderter Preis für diesen gebildet (Marktgängigkeit) und ist die Preisbildung ferner unter Wettbewerbsbedingungen zustande gekommen, steht der Vergleichsmaßstab fest. Erst wenn Preise nach §§ 3, 4 VO PR 30/53 nicht festgestellt werden können oder wenn eine Mangellage gegeben ist, kann gemäß § 5 Abs. 1 VO PR 30/53 auf Selbstkostenpreise abgestellt werden, welche unter Beachtung der der VO PR 30/53 als Anlage beigefügten Leitsätze für die Preisermittlung auf Grund von Selbstkosten [LSP] ermittelt werden. Nach § 1 Abs. 3 VO PR Nr. 30/53 dürfen für öffentliche Aufträge keine höheren Preise als jene, die nach den Regelungen der VO PR Nr. 30/53 zulässig sind, gefordert 1 BGH v. 21.11.1989 – KZR 17/88, NJW 1990, 1993 (1994) = MDR 1990, 699 ff.; OLG München v. 19.12.2007 – Verg 12/07, ZfBR 2008, 2010, 213. 2 Reichling/Scheumann, GewArch 2016, 332 (334). 3 Roth, NZBau 2015, 209 (210). 4 Horstkotte/Hünemörder, LKV 2016, 14 (15). 5 Horstkotte/Hünemörder, LKV 2016, 14 (15). 6 Horstkotte/Hünemörder, LKV 2016, 14 (16).

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§ 127 | Zuschlag werden. Die Vorgaben der VO PR Nr. 30/53 sind auch im Vergabeverfahren von Relevanz1. 2. Konsequenzen 124 § 127 Abs. 2 GWB enthält keine Aussage dazu, welche Konsequenzen das Ein-

greifen von Vorschriften zur Preisgestaltung hat, sondern lediglich das Gebot, diese zu beachten2. Die Existenz verbindlicher Vorschriften zur Preisgestaltung löst jedoch nach den allgemeinen vergaberechtlichen Grundsätzen Handlungspflichten des öffentlichen Auftraggebers sowohl bei der Vorbereitung des Vergabeverfahrens als auch im Stadium der Angebotswertung aus. a) Folgerungen für die Gestaltung der Zuschlagskriterien und der Vergabeunterlagen

125 Sofern sich aus preisrechtlichen Bestimmungen ein fixer Preis ergibt, ist das Kri-

terium „Preis“ i.d.R. kein geeignetes Wertungskriterium zur Ermittlung des wirtschaftlichsten Angebotes, da wegen der Vorgaben des Preisrechts homogene Angebotspreise zu erwarten sind. In diesem Fall kann die Bestimmung des wirtschaftlichsten Angebots nur aufgrund der Wertung anderer Zuschlagskriterien als des Kriteriums „Preis“ erfolgen3. Dies war auch nach alter Rechtslage anerkannt. So hat die Rechtsprechung beispielsweise angenommen, dass bei der Beschaffung von Büchern, mangels hinreichenden Preiswettbewerbs auf das Kriterium „Preis“ verzichtet werden kann und stattdessen leistungsbezogene Kriterien herangezogen werden können4. In einem solchen Fall ist der Preis als „fixe Position in Anschlag zu bringen“5, d.h. es wird eine Budgetausschreibung durchgeführt, bei der der Preis verbindlich vorgeben und auf leistungsbezogene Wertungskriterien abgestellt wird6. Das Zuschlagskriterium „Preis“ kommt bei der Existenz preisrechtlicher Vorgaben daher nur in Betracht, soweit diese für die betreffende Leistung eine „Schwankungsbreite“ zulassen7.

1 I.d.S. VK Sachsen-Anhalt v. 17.3.2005 – 1 VK LVwA 02/05, IBRRS 2005, 1787; vgl. auch § 2 Abs. 4 VOL/A und § 2 Abs. 4 VOL/A-EG. 2 Vgl. Wiedemann in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, GWB, § 127 Rz. 47, der mangels konkretem Regelungsgehalt von einem deklaratorischen Charakter der Vorschrift ausgeht. 3 Gesetzesbegründung VergRModG 2016, BT-Drucks. 18/6281, 112; ähnlich bereits Opitz, Dreher/Motzke, Beck’scher Vergaberechtskommentar, § 97 Abs. 5 Rz. 24. 4 VK Bad.-Würt. v. 18.7.2003 – 1 VK 30/03, juris Rz. 55; VK Sachsen v. 2.7.2003 – 1/SVK/ 62/03, BeckRS 2003, 09216; ebenso v. Bechtolsheim in BeckOK-Vergaberecht, § 127 GWB Rz. 22 ff.; Fehling in Pünder/Schellenberg, Vergaberecht, § 97 GWB Rz. 185. 5 Gesetzesbegründung VergRModG 2016, BT-Drucks. 18/6281, S. 112; ebenso: Stoye/ Plantiko, VergabeR 2015, 309 (312). 6 Vgl. VK Münster v. 15.5.2007 – VK 11/07, juris Rz. 78 ff., die dies unbeanstandet gelassen hat; Müller-Wrede in Müller-Wrede, GWB, § 127 Rz. 69. 7 Gesetzesbegründung VergRModG 2016, BT-Drucks. 18/6281, S. 112.

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Im Falle der Ausschreibung von HOAI-Leistungen muss nicht auf das Zu- 126 schlagskriterium Preis verzichtet werden. Obwohl der Preis durch den vorgegebenen Rahmen der Honorarordnung begrenzt wird, dürfte dieser in der Regel wegen der nicht verbindlich vorgegebenen, variablen Honorar- bzw. Vergütungsbestandteile im Rahmen der Wertung zu berücksichtigen sein1. Wenn nur einzelne Honorar- bzw. Vergütungsbestandteile variabel sind, kann 127 das Kriterium „Preis“ bzw. „Kosten“ evtl. nicht geeignet sein, etwaige Qualitätsunterschiede der Angebote hinreichend zu erfassen, so dass die Heranziehung eines weiteren, leistungsbezogenen Zuschlagskriteriums in Erwägung zu ziehen ist. Für die Vergabe von Architekten- und Ingenieurleistungen ist dies nunmehr auch ausdrücklich geregelt (vgl. § 76 Abs. 1 Satz 1 VgV). Enthalten die Vergütungs- oder Honorarordnungen teils fixe Preisvorgaben und 128 teils variable Elemente, ist es auch denkbar, dass mit dem Zuschlagskriterium „Preis“ nicht an das Gesamthonorar, sondern lediglich an die verhandelbaren Elemente des Honorars angeknüpft wird, im Fall der HOAI also z.B. an einen etwaigen Umbau- bzw. Modernisierungszuschlag, das Honorar für besondere Leistungen oder die Nebenkosten2. Wird zur Ermittlung des wirtschaftlichsten Angebotes auf das Honorar bzw. die 129 Vergütung abgestellt, müssen die Vergabeunterlagen Aufschluss über alle Informationen geben, derer der Bieter für die Berechnung des Honorars bzw. der Vergütung bedarf. Bei der Vergabe von HOAI-Leistungen werden in den Ausschreibungsunterla- 130 gen in der Regel nicht nur die Umstände mitgeteilt, die für die Ermittlung der anrechenbaren Kosten, des Leistungsbildes und der Honorarzone erforderlich sind, vielmehr gibt der öffentliche Auftraggeber im Interesse des Erhalts vergleichbarer Angebote häufig eine entsprechende Einzonung vor3. Zum Teil wird sogar angenommen, dass die Festlegung der Honorarzone verpflichtend ist4. Kritisch beurteilt wird diese Praxis durch das OLG Koblenz. Da die Tätigkeit von Bewerbern aus anderen Mitliedstaaten nicht den Vorgaben der HOAI unterliege, dürfe insb. die Honorarzone nicht zwingend vorgegeben werden5. Würden Angebote eingereicht, die hinsichtlich der zwingenden preisrechtlichen Vorgaben der Vergütungs- oder Honorarordnungen eine unterschiedliche Einordnung vornehmen, müsste der Auftraggeber versuchen, die Bieter gegebenenfalls zur Abgabe preisrechtlich zulässiger Angebote zu veranlassen (hierzu unten, Rz. 131). Will der Auftraggeber dennoch nicht auf eine HOAI-rechtliche Ein1 VK Nordbayern v. 22.5.2001 – 320.VK-3194-11/01, IBRRS 2013, 3738. 2 VK Nordbayern v. 20.12.2011 – 21.VK-3194-38/11, BeckRS 2012, 10324; Wiedemann in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, GWB, § 127 Rz. 49. 3 Wiedemann in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, GWB, § 127 Rz. 47. 4 I.d.S. VK Bund v. 22.8.2001 – VK 2-26/01, IBR 2002, 38. 5 OLG Koblenz v. 29.1.2014 – 1 Verg 14/13, NZBau 2014, 244 (246).

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§ 127 | Zuschlag ordnung des Auftrags verzichten, aber gleichwohl der Judikatur des OLG Koblenz Rechnung tragen, gibt es mehrere Lösungsmöglichkeiten. Er kann die o.g. Einordnung vornehmen und darauf hinweisen, dass die Vorgaben der HOAI nur für inländische Bieter gelten1. Eine andere Möglichkeit bestünde darin, eine Vergütung nach der HOAI nebst Mitteilung des Leistungsbildes und der Honorarzone explizit nur als Vorschlag aufzuführen. b) Pflichten im Rahmen der Angebotswertung 131 Im Rahmen der Angebotsprüfung hat sich der öffentliche Auftraggeber damit

auseinanderzusetzen, ob das Angebt mit den einschlägigen preisrechtlichen Vorgaben in Einklang steht. Im Falle einer Abweichung von Mindestvergütungssätzen, ist der öffentliche Auftraggeber dann gehalten, eine Angebotsaufklärung durchzuführen2. Führt die Angebotsaufklärung zu dem Ergebnis, dass keine Mindestvergütungssatzunterschreitung vorliegt, so ist das Angebot zu werten. Stellt sich hingegen heraus, dass zwingende Vergütungssätze unterschritten werden, ist der öffentliche Auftraggeber – sofern die Verfahrensart dies zulässt (Verhandlungsverfahren, wettbewerblicher Dialog, Innovationspartnerschaft) – nach wohl herrschender Meinung verpflichtet, im Rahmen der Nachverhandlung auf ein preisrechtlich zulässiges Angebot hinzuwirken3. Scheitern diesen Bemühungen, ist das Angebot auszuschließen. Ohne Nachverhandlung auszuschließen sein soll ein den Mindestsatz unterschreitendes oder gegen andere Preisvorgaben verstoßendes Angebot zumindest dann, wenn sich der öffentliche Auftraggeber dadurch gebunden hat, dass er bereits in der Bekanntmachung oder den Vergabeunterlagen explizit zur Abgabe HOAI-konformer Angebote

1 So Wiedemann in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, GWB, § 127 Rz. 55; Schneevogl in jurisPKVergaberecht, § 16 VOF Rz. 13.3. 2 OLG Stuttgart v. 28.11.2002 – 2 Verg 14/02, NZBau 2003, 517 (518); VK Hessen v. 8.11. 2005 – 69d-VK-67/2005, ZfBR 2006, 194 (196); Kratzenberg/Wönicker, NZBau 2008, 491 (494). 3 OLG Stuttgart v. 28.11.2002 – 2 Verg 14/02, NZBau 2003, 517 (518); OLG Frankfurt v. 9.8.2007 – 11 Verg 6/07, ZfBR 2009, 83 (86); OLG Brandenburg v. 8.1.2008 – Verg W 16/ 07 ZfBR 2008, 312 (317); Wiedemann in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, GWB, § 127 Rz. 55; Voppel/Osenbrück/Bubert, VOF, § 11 Rz. 43; a.A. VK Bund v. 13.7.2005 – VK 1-59/05, IBRRS 2005, 2716; Müller-Wrede in Müller-Wrede, GWB, § 127 Rz. 83; Kratzenberg/ Wönicker, NZBau 2008, 491 (494). Nach einer Auffassung soll es möglich sein, ein HOAI-widriges Honorar im Rahmen der Wertung ohne Nachverhandlung auf die Mindestsätze anzuheben (vgl. OLG Frankfurt a.M. v. 28.2.2006 – 11 Verg 15/05, ZfBR 2006, 383 [388]). Im Falle der Beauftragung dieses Angebotes setzt dies aber wohl eine Nachverhandlung voraus, denn eine Zuschlagserteilung auf ein einseitig abgeändertes Angebot würde sich zivilrechtliches als ein neues Angebot des Auftraggebers darstellen (§ 150 Abs. 2 BGB), bei dem der Auftraggeber sich nicht darauf verlassen kann, dass der Bieter dieses annimmt (i.d.S. auch Kratzenberg/Wönicker, NZBau 2008, 491, 492 mit Fn. 4).

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aufgefordert hat1. Sind Nachverhandlungen nicht möglich (offenes Verfahren, nicht offenes Verfahren) wäre das Angebot nach einer ggf. durchzuführenden Aufklärung auszuschließen ohne dass dem Bieter Gelegenheit zur Abgabe eines HOAI-konformen Angebotes gegeben würde. Bei Abweichungen von festgesetzten oder genehmigten Entgelten dürfte entsprechend vorzugehen sein2.

VII. Veröffentlichungspflichten (§ 127 Abs. 5) Nach § 127 Abs. 5 GWB müssen die Zuschlagskriterien und deren Gewichtung 132 in der Auftragsbekanntmachung oder den Vergabeunterlagen aufgeführt werden. 1. Allgemeines EU-rechtlicher Anknüpfungspunkt der Transparenzpflichten nach § 127 Abs. 5 133 GWB sind Art. 67 Abs. 5 UAbs. 1 RL 2014/24/EU, 82 Abs. 5 UAbs 1 RL 2014/ 25/EU3. Eine mit § 127 Abs. 5 GWB vergleichbare Regelung enthielt das GWBVergaberecht bislang nicht. Vorgaben zur Veröffentlichung der Bewertungskriterien und -maßstäbe fanden sich bislang lediglich in den Vergabeordnungen (§ 9 EG Abs. 1 Satz 2 lit. b und § 19 EG Abs. 8 VOL/A, § 16 EG Abs. 7 Satz 1 VOB/A 2012). Nach wie vor existieren untergesetzliche Bestimmungen, die die Vorgaben des § 127 Abs. 5 GWB näher ausgestalten (§ 58 Abs. 3 VgV, 16d EU Abs. 2 Nr. 2 VOB/A). Insbesondere werden durch letztere Vorschriften die Vorgaben des Art. 67 Abs. 5 UAbs. 2 und 3 RL 2014/24/EU sowie von Art. 82 Abs. 5 UAbs 2 und 3 RL 2014/25/EU in das nationale Recht umgesetzt. Wie in Erwägungsgrund 90 Abs. 3 Satz 2 RL 2014/24/EU und Erwägungsgrund 134 95 Abs. 3 Satz 2 RL 2014/25/EU hervorgehoben wird, dient die Bekanntgabe der Bewertungskriterien und -maßstäbe der Verfahrenstransparenz. Jeder Bieter soll sich angemessen über die Kriterien und Regelungen, die der Zuschlagsentscheidung zugrunde gelegt werden, unterrichten können, was letztlich der Sicherstellung des Gleichbehandlungsgrundsatzes dient4. Dieser Ansatz deckt sich mit der Begründung der Rechtsprechung, die schon bislang die Unterrichtung der Bieter über die Bewertungskriterien und -maßstäbe als essentielle Vorausset1 Müller-Wrede in Müller-Wrede, GWB, § 127 Rz. 83; Wiedemann in Kulartz/Kus/Potrz/ Prieß, GWB, § 127 Rz. 55; Kratzenberg/Wönicker, NZBau 2008, 491 (494). 2 OLG Celle v. 13.12.2007 – 13 Verg 10/07, juris, Rz. 59 ff.; OLG Frankfurt v. 24.9.2009 – 11 Verg 19/08, ZfBR 2009, 394 (400); OLG München v. 29.11.2007 – Verg 13/07, IBRRS 2007, 4925; Wiedemann in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, GWB, § 127 Rz. 54 (Angebotsausschluss bei Vergabeverfahren mit Nachverhandlungsverbot). 3 Vgl. auch Erwägungsgrund 90 Abs. 3 Satz 2 RL 2014/24/EU; Erwägungsgrund 95 Abs. 3 Satz 2 RL 2014/25/EU. 4 Vgl. auch die Gesetzesbegründung, BT-Drucks. 18/6281, S. 113. Ebenso VK Bund v. 3.3. 2015 – VK 14/15, IBRRS 2015, 1034.

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§ 127 | Zuschlag zung eines transparenten und diskriminierungsfreien Vergabeverfahrens angesehen1 und auf die Unzulässigkeit von Geheimkriterien hingewiesen hat2. 2. Gegenstand der Veröffentlichung 135 Die Veröffentlichungspflicht erstreckt sich nach § 127 Abs. 5 GWB explizit auf

die Zuschlagskriterien und deren Gewichtung. Im Falle einer Ermittlung des wirtschaftlichsten Angebotes allein anhand des Preises erübrigt sich die Angabe der Gewichtung (Art. 67 Abs. 5 UAbs. 1 RL 2014/24/EU, Art. 82 Abs. 5 UAbs. 1 RL 2014/25/EU).

136 Sofern keine Zuschlagskriterien bekanntgegeben wurden, wurde früher z.T. an-

genommen, dass eine Angebotswertung im Zweifel anhand des niedrigsten Preises gewollt sei3. Aufgrund der sehr differenzierten Vorgaben hinsichtlich der Bestimmung der Zuschlagskriterien (§ 127 Abs. 1 Satz 1, 3, 4 GWB, § 127 Abs. 3 GWB, § 127 Abs. 4 Satz 1 GWB) aber auch aufgrund der Transparenzpflichten aus § 127 Abs. 5 GWB sowie nach den Parallelbestimmungen auf untergesetzlicher Ebene (§ 58 Abs. 3 Satz 1 VgV, 16d EU Abs. 2 Nr. 2 Satz 1 VOB/ A) dürfte für die Annahme mutmaßlich gewollter Bewertungskriterien de lege lata kein Raum mehr sein.4

137 Näheres zum Detailierungsgrad der Gewichtung ergibt sich im Übrigen aus den

untergesetzlichen Vergabebestimmungen. In der VgV wird – in Übereinstimmung mit Art. 67 Abs. 5 UAbs. 3 RL 2014/24/EU und Art. 82 Abs. 5 UAbs 3 RL 2014/25/EU – ausgeführt, dass die Gewichtung auch mittels einer Spanne angegeben werden kann, deren Bandbreite angemessen sein muss (§ 58 Abs. 3 Satz 2 VgV) und dass der öffentliche Auftraggeber die Zuschlagskriterien in absteigender Reihenfolge anzugeben hat, wenn die Möglichkeit einer Gewichtung aus objektiven Gründen nicht besteht (§ 58 Abs. 3 Satz 3 VgV). Letzteres ist ein Ausnahmefall, der vernünftige, objektiv mit dem Auftragsgegenstand zusammenhängende Gründe voraussetzt5. Subjektives Unvermögen oder bloße Zeitnot, in die 1 EuGH v. 24.1.2008 – Rs. C-532/06 = ZfBR 2008, 309 Rz. 36 f. – „Lianakis“; BGH v. 6.2. 2002 – X ZR 185/99, NJW 2002, 1952 (1954); OLG Düsseldorf v. 9.4.2014 – VII Verg 36/ 13, BeckRS 2015, 03532; OLG Düsseldorf v. 22.10.2010 – VII Verg 40/10, VergabeR 2011, 622 (628); VK Bund v. 3.3.2015 – VK 14/15, IBRRS 2015, 1034; VK Rheinl.-Pf. v. 3.2. 2012 – VK 2-44/11, IBRRS 2014, 0626. 2 OLG München v. 21.5.2010 – Verg 2/10, ZfBR 2010, 606 (614); VK Hamburg v. 13.6. 2014 – Vgk FB 4/14, VPRRS 2015, 0062. 3 BGH v. 15.4.2008 – X ZR 129/06, NZBau 2008, 505 (507) = MDR 2008, 1030 ff.; KG v. 4.7. 2002 – KartVerg 8/02, VergabeR 2003, 84 (86); VK Niedersachsen v. 4.9.2008 – VgK29/ 2008, BeckRS 2008, 20816; VK Brandenburg v. 14.6.2007 – 1 VK 17/07, IBRRS 2007, 33779. 4 Ähnlich zur VOF bereits BayObLG v. 24.9.2002 – Verg 16/02, VergabeR 2003, 59 (61) mit Anm. Voppel; Wiedemann in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, GWB, § 127 Rz. 87; a.A. Müller-Wrede in Müller-Wrede, GWB, § 127 Rz. 237. 5 OLG Düsseldorf v. 22.10.2010 – VII Verg 40/10, VergabeR 2011, 622 (628).

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sich der Auftraggeber selbst gebracht hat, genügen für die Annahme einer Befreiung von der Bekanntmachungspflicht nicht1. Die Möglichkeit einer Angabe der Zuschlagskriterien in absteigender Reihenfolge anstatt der Angabe einer Gewichtung dürfte auch für die Vergabe von Bauaufträgen gelten. Zwar existiert eine mit § 58 Abs. 3 Satz 2 und 3 VgV vergleichbare, ausdrückliche Regelung in Abschnitt 2 VOB/A nicht. Allerdings erfolgt die Auftragsbekanntmachung von Bauaufträgen nach § 12 EU Abs. 3 Nr. 2 Satz 1 VOB/A mittels der von der Europäischen Kommission festgelegten Standardformulare. Diese sehen vor, dass statt der Gewichtung ggf. die Rangfolge der Zuschlagskriterien maßgeblich sein kann2. Einer differenzierten Betrachtung bedarf die Problematik, ob sich die Veröffent- 138 lichungspflicht nach § 127 Abs. 5 GWB auch auf weitere Bewertungsgrundlagen (Unterkriterien, Bewertungsmethoden) erstreckt. Nach ganz überwiegender Auffassung ist der öffentliche Auftraggeber jedenfalls zur Bekanntgabe etwaiger Unterkriterien verpflichtet, welche vor der Angebotsabgabe in der Vergabebekanntmachung oder in den Vergabeunterlagen zu erfolgen hat3. Lange Zeit vertrat die nationale Rechtsprechung die Auffassung, dass darüber hinaus auch die beabsichtigte Bewertungsmethode, welche z.B. einer Bewertungsmatrix, einem Bewertungsleitfaden, den Umrechnungsformeln etc. zu entnehmen sein kann, vor Beginn der Angebotsphase, transparent gemacht werden muss4. Diese Auffassung ließ sich von der Vorstellung leiten, dass eine Bewertungsmatrix, eine Umrechnungsformel etc. zu einer Nivellierung von Preis- oder Punkteabständen 1 OLG Düsseldorf v. 23.1.2008 – Verg 31/07, BeckRS 2008, 13108; Weyand, Vergaberecht, § 97 GWB Rz. 1167. 2 Vgl. Art. 1 DURCHFÜHRUNGSVERORDNUNG (EU) 2015/1986 DER KOMMISSION i.V.m. Anhang I, Abschn. II.2.5) mit Fn. 20, 21. 3 EuGH v. 14.7.2016 – Rs. C-6/15 = NZBau 2016, 772 ff. Rz. 23 – „Dimarso“; EuGH v. 24.1. 2008 – Rs. C-532/06 = IBRRS 2008, 0221 Rz. 45 – „Lianakis“; OLG Düsseldorf v. 29.4. 2015 – VII Verg 35/14, NZBau 2015, 440 (445); OLG Düsseldorf v. 9.4.2014 – VII Verg 36/13, BeckRS 2015, 03532; OLG Düsseldorf v. 19.6.2013 – Verg 8/13, ZfBR 2014, 85 (86); OLG Düsseldorf v. 30.7.2009 – VII Verg 10/09, BeckRS 2009, 29056; OLG Frankfurt v. 28.5.2013 – 11 Verg 6/13, VergabeR 2013, 879 (883); 1. VK Bund v. 3.3.2015 – VK 1 4/ 15, IBRRS 2015, 1034; 1. VK Bund v. 18.11.2013 – VK 1-97/13, BeckRS 2014, 16038; VK Brandenburg v. 26.2.2013 – VK 46/12, IBRRS 2013, 1993; VK Münster v. 25.1.2011 – VK 10/10, IBRRS 2011, 0672; VK Nordbayern v. 3.2.2012 – 21.VK 3194 42/11, IBRRS 2012, 0884; VK Westfalen v. 21.1.2015 – VK 18/14, IBRRS 2015, 0372. 4 OLG Celle v. 23.2.2016 – 13 U 148/15, NZBau 2016, 381, (384); OLG Düsseldorf, Beschl. v. 16.12.2015 – Verg 25/15, NZBau 2016, 232 (234); OLG Düsseldorf v. 21.10.2015 – Verg 28/14, NZBau 2016, 235 (238); OLG Düsseldorf v. 29.4.2015 – VII Verg 35/14, NZBau 2015, 440 (445); OLG Düsseldorf v. 9.4.2014 – VII Verg 36/13, BeckRS 2015, 03532; OLG Düsseldorf v. 19.6.2013 – Verg 8/13, ZfBR 2014, 85 (86); 1. VK Bund v. 3.3.2015 – VK 1 4/15, IBRRS 2015, 1034; OLG Düsseldorf v. 18.11.2013 – VK 1-97/13, BeckRS 2014, 16038; VK Münster v. 25.1.2011 – VK 10/10, IBRRS 2011, 0672; VK Nordbayern v. 3.2.2012 – 21.VK 3194 42/11, IBRRS 2012, 0884 (Umrechnungsformeln); VK Sachsen v. 12.6.2015 – 1/SVK/016-15, IBRRS 2015, 2552; Roth, NZBau 2011, 75 (79).

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§ 127 | Zuschlag führen und somit für die Angebotswertung relevant sein kann; da sich die Tragweite der Zuschlagskriterien bzw. der Gewichtung nur bei Kenntnis auch derartiger Bewertungsmethoden erfassen lasse, fordere das Transparenzgebot auch eine Veröffentlichung der Bewertungsmethoden1. 139 Der EuGH hat in einem nach der RL 2004/18/EG zu beurteilenden Fall jüngst

zu erkennen gegeben, dass derart weitreichende Transparenzpflichten nicht bestehen. So hat der Gerichtshof in seiner Entscheidung in der Rechtssache „Dimarso“ zwar bestätigt, dass der öffentlicher Auftraggeber, sofern er sich entscheidet, Unterkriterien zu bilden, diese den Bietern vor einer Angebotsabgabe zur Kenntnis bringen und sich während des gesamten Verfahrens an dieselbe Auslegung der Zuschlagskriterien halten muss, dass vom Beginn des Vergabeverfahrens an festgelegt sein muss, wie die Zuschlagskriterien gewichtet werden und dass die Gewichtung der einzelnen Zuschlagskriterien während des Verfahrens unverändert bleiben muss2. In Abgrenzung hierzu stellt der Gerichtshof allerdings deutlich heraus, dass keiner Vorschrift der RL 2004/18/EG entnommen werden kann, dass den Bietern die Bewertungsmethode zur Kenntnis gebracht werden muss3. Das rechtfertigt der EuGH damit, dass auch unter Beachtung des Gleichbehandlungsgrundsatzes und den vergaberechtlichen Transparenzpflichten dem öffentlichen Auftraggeber bei der ihm obliegenden Angebotswertung, ein hinreichender Beurteilungsspielraum verbleiben muss, der nicht durch eine zuvor zwingende Festlegung der im Einzelfall anzuwendenden Bewertungsmethode vollständig nivelliert werden darf4. Der EuGH nimmt indes zwei Einschränkungen vor. Zum einen darf die Bewertungsmethode, anhand deren der öffentliche Auftraggeber die Angebote konkret bewertet und einstuft, grundsätzlich nicht mehr nach der Öffnung der Angebote durch den öffentlichen Auftraggeber festgelegt werden; etwas andere gelte nur, wenn eine Festlegung aus nachweislichen Gründen nicht vor der Öffnung möglich war5. D.h., wenn sich der öffentliche Auftraggeber zur Festlegung einer Bewertungsmethode entscheidet, kann diese Festlegung – vorbehaltlich des genannten Ausnahmefalles – auch noch nach Ende der Angebotsfrist erfolgen, jedoch nicht mehr nach Angebotsöffnung. Eine weitere Einschränkung besteht darin, dass die Festlegung der Bewertungsmethode durch den öffentlichen Auftraggeber keine Veränderung der veröffentlichten Zuschlagskriterien oder ihrer Gewichtung zur Folge haben darf6.

1 Z.B. OLG Düsseldorf v. 16.12.2015 – Verg 25/15, NZBau 2016, 232 (234); OLG Düsseldorf v. 21.10.2015 – Verg 28/14, NZBau 2016, 235 (238); VK Nordbayern v. 3.2.2012 – 21.VK 3194 42/11, IBRRS 2012, 0884; kritisch zu den strengen Transparenzanforderungen insb. des OLG Düsseldorf: Ortner, Vergabeblog.de vom 22/02/2016, Nr. 24682 (zuletzt aufgerufen am 18.9.2017). 2 EuGH v. 14.7.2016 – Rs. C-6/15, NZBau 2016, 772 ff., Rz. 23–25 – „Dimarso“. 3 EuGH v. 14.7.2016 – Rs. C-6/15, NZBau 2016, 772 ff., Rz. 27 – „Dimarso“. 4 EuGH v. 14.7.2016 – Rs. C-6/15, NZBau 2016, 772 ff., Rz. 29 f. – „Dimarso“. 5 EuGH v. 14.7.2016 – Rs. C-6/15, NZBau 2016, 772 ff., Rz. 31 – „Dimarso“. 6 EuGH v. 14.7.2016 – Rs. C-6/15, NZBau 2016, 772 ff., Rz. 32 – „Dimarso“.

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Im Anschluss an die Entscheidung des EuGH in der Rechtssache „Dimarso“ ha- 140 ben mittlerweile sowohl der BGH als auch das OLG Düsseldorf klargestellt, dass es der Annahme eines transparenten und wettbewerbskonforme Vergabeverfahrens nicht entgegenstehe, wenn ein Schulnotensystem mit Zielerreichungsgraden bzw. zugeordneten Punktwerten verwendet wird, ohne dass im Vorhinein Bewertungsleitfäden etc. bekannt gegeben werden, anhand derer exakt nachvollzogen werden kann, welche Anforderungen erfüllt sein müssen, damit die Angebote die in dem Bewertungsschema festgelegten Punktwerte erhalten1. Entscheidend sei, dass „auf der Grundlage einer den vergaberechtlichen Anforderungen genügenden Leistungsbeschreibung … die Zuschlagskriterien und ihre Gewichtung so gefasst sein, dass die Bieter erkennen können, was der Auftraggeber von ihnen erwartet.“ Lediglich bei außergewöhnlichen Umständen, etwa wenn die Komplexität des Auftragsgegenstands besonders vielschichtige Wertungskriterien erforderlich macht, schließt der BGH eine Pflicht des Auftraggebers, seine Vorstellungen oder Präferenzen zum denkbaren Zielerreichungsgrad näher zu erläutern und damit Anhaltspunkte für eine günstige oder ungünstige Benotung vorzugeben, nicht aus2. Die Entscheidung des EuGH und die daran anknüpfende nationale Rechtspre- 141 chung ist zu begrüßen. Denn je mehr ein öffentlicher Auftraggeber verpflichtet wird, auch die letzten wertungsrelevanten Umstände, wie Bewertungsmatrizen, Bewertungsleitfäden etc. den Bietern im Voraus transparent zu machen, an deren spätere Berücksichtigung er gebunden ist, desto mehr geht tendenziell der Spielraum für kreative Ideen der Bieter verloren, da in derartigen Unterlagen regelmäßig mögliche Angebotsinhalte abgebildet werden müssen, um eine Angebotswertung sicherzustellen, die die zu erwartenden Merkmale der Angebote weitestgehend erfasst und somit allen Bietern gerecht wird3. Dies ist für den öffentlichen Auftraggeber nicht nur mit einem hohen Arbeitsaufwand verbunden, sondern kann auch wettbewerbshemmend wirken. Die Entscheidung des EuGH in der Rechtssache „Dimarso“ bezieht sich zwar ex- 142 plizit auf die RL 2004/18/EG, ebenso wie die daran anknüpfende nationale Rechtsprechung Vergabeverfahren nach dem bis zum 17.4.2016 geltenden Vergaberecht betrifft. Zu bedenken ist aber, dass der EuGH damit argumentiert, dass sich eine Pflicht zur Veröffentlichung der Bewertungsmethode weder aus der (nach der früheren Rechtslage maßgeblichen) Vorschrift des Art. 53 Abs. 2 RL 2004/18/ 1 BGH v. 4.4.2017 – X ZB 3/17, NZBau 2017, 366 (371); OLG Düsseldorf v. 8.3.2017 – VIIVerg 39/16, NZBau 2017, 296 (300). Eine etwas großzügigere Sichtweise deutete sich bereits in der Entscheidung des OLG Düsseldorf v. 2.11.2016 – VII-Verg 25/16, NZBau 2017, 116 ff. an, in der Schulnotensysteme für zulässig gehalten wurden, solange durch die Angabe funktionaler Unterkriterien ausgefüllt werden. 2 BGH v. 4.4.2017 – X ZB 3/17, NZBau 2017, 366 (371). 3 BGH v. 4.4.2017 – X ZB 3/17, NZBau 2017, 366 (371); VK Bund v. 9.9.2011 – VK 1114/ 11, IBRRS 2012, 568; Weyand, Vergaberecht, § 97 GWB Rz. 1213.

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§ 127 | Zuschlag EG noch aus anderen Bestimmungen der RL 2004/18/EG ergibt. Mithin kann eine solche Pflicht auch nicht aus dem 46. Erwägungsgrund der RL 2004/18/EG gefolgert werden, der darauf hinweist, dass die Zuschlagskriterien den Grundsätzen der Transparenz, der Nichtdiskriminierung und der Gleichbehandlung sowie dem Wettbewerbsprinzip entsprechen müssen. Da diese Prinzipien auch die Auslegung der RL 2014/24/EU, RL 2014/25/EU prägen und sich auch dem durch das VergRModG 2016 eingeführten nationalen Vergaberecht, insb. § 127 Abs. 4 Satz 1 GWB, nicht eindeutig entnehmen lässt, dass der nationale Gesetzgeber die bestehende Rechtslage verschärfen wollte, dürfte die Entscheidung des EuGH auch auf die aktuelle Rechtslage zu übertragen sein1. Mithin ist damit zu rechnen, dass die jüngere nationale Rechtsprechung bezüglich des seit Inkrafttreten des VergRModG 2016 geltenden Vergaberechts fortgeführt wird.2 143 Wird auf eine Bekanntmachung einer detaillierten Bewertungsmatrix, der Ge-

wichtungskoeffizienten etc. bzw. der darin zum Ausdruck kommenden Bewertungsmethode verzichtet, muss damit gerechnet werden, dass die Einhaltung der rechtlichen Bindungen, denen die Angebotswertung im Allgemeinen unterliegt, verstärkt in das Visier der Nachprüfungsinstanzen gerät. So betont das OLG Düsseldorf in seiner jüngsten Entscheidung, dass das vorgeschriebene Verfahren für die Bewertung eingehalten und der Sachverhalt vollständig und zutreffend ermittelt worden sein müsse und die von der Vergabestelle selbst aufgestellten Vorgaben beachtet und keine sachwidrigen und gegen allgemeine Bewertungsgrundsätze verstoßenden Erwägungen angestellt worden sein dürfen.3 Ferner wird darauf hingewiesen, dass die Leistungsbeschreibung, die Zuschlagskriterien und ihre Gewichtung in einem solchen Fall hinreichend klar bleiben müssten und die Bekanntgabe der Bewertungsmethode nicht zu einer Irreführung der Bieter führen dürfe.4 Auch ist damit zu rechnen, dass bei entsprechendem Anlass geprüft wird, ob die durch den EuGH in der Rechtssache „Dimarso“ genannten Einschränkungen hinsichtlich des Zeitpunktes der Festlegung der Bewertungsmethode beachtet wurden (Festlegung vor Angebotsöffnung) und die zum Einsatz kommende Bewertungsmethode tatsächlich keine Veränderung der Zuschlagskriterien oder ihrer Gewichtung zur Folge hatte. Auch wenn keine Verpflichtung zur Bekanntmachung einer detaillierten Bewertungsmatrix bzw. der zugrundeliegenden Bewertungsmethode besteht, ist zu bedenken, dass etwaigen rechtlichen Risiken im Zusammenhang mit der Überprüfung der Angebotswertung durch die Bekanntmachung dieser Umstände entgegengewirkt werden kann.5 Es ist

1 Müller-Wrede in Müller-Wrede, GWB, § 127 Rz. 240; Schneevogl, jurisPR-VergR 2/2016, Anm. 1, Satz 3. 2 von Gehlen, Anmerkung zu OLG Düsseldorf v. 8.3.2017 – VII-Verg 39/16, NZBau 2017, 302 (303); Friton/Stein, NZBau 2017, 267 (271); zweifelnd: Schneevogl, NZBau 2017, 262 (266). 3 OLG Düsseldorf v. 8.3.2017 – VII-Verg 39/16, NZBau 2017, 296 (299). 4 OLG Düsseldorf v. 8.3.2017 – VII-Verg 39/16, NZBau 2017, 296 (299 f.). 5 v. Bechtolsheim in Gabriel/Mertens/Prieß/Stein, BeckOK-Vergaberecht, § 127 Rz. 53.

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also sorgfältig zu prüfen, ob es sinnvoll ist, auf die Bekanntmachung der Bewertungsmatrix bzw. der Bewertungsmethode zu verzichten. Bei einem Verzicht auf die Bekanntmachung einer Bewertungsmethode ist zumindest eine sogfältige Dokumentation der Angebotswertung zu empfehlen. Eine Pflicht zur Bekanntmachung der Bewertungsmethode kann sich im Übri- 144 gen aus Spezialregelungen ergeben. Im Falle der Beschaffung einer Dienst- oder Lieferleistung im Wege der elektronischen Auktion folgt aus § 25 Abs. 3 Satz 1 VgV die Pflicht, auch die Bewertungsmethode bekannt zu machen. Sofern das Zuschlagskriterium „Kosten“ auf Basis einer Lebenszykluskostenberechnung erfolgen soll, muss der öffentliche Auftraggeber die Methode zu Berechnung der Lebenszykluskosten in der Auftragsbekanntmachung oder in den Vergabeunterlagen bekanntmachen (§ 59 Abs. 2 Satz 1 VgV, § 16d EU Abs. 2 Nr. 6 Satz 1 VOB/A). 3. Inhaltliche Anforderungen an die Veröffentlichung In inhaltlicher Hinsicht ist erforderlich, dass die Benennung bzw. Beschreibung 145 der Bewertungskriterien und -maßstäbe hinreichend bestimmt und eindeutig ist. Das ist nicht der Fall, wenn die bekanntgegeben Wertungsmaßstäbe so unbestimmt sind, dass Bewerber und Bieter nicht mehr angemessen über die Kriterien und Modalitäten informiert werden, anhand deren das wirtschaftlichste Angebot ermittelt wird1. Keine ausreichende Transparenz vermittelt z.B. der bloße Verweis auf vieldeutige Zuschlagskriterien, etwa der Hinweis auf die Maßgeblichkeit einer Präsentation, ohne nähere Angabe dazu, worauf es der Vergabestelle hierbei tatsächlich ankommt2. Auch wird den Transparenzanforderungen nur eine widerspruchsfreie Verlautbarung gerecht, die z.B. nicht gegeben ist, wenn der Preis laut Bekanntmachung das einzige Zuschlagskriterium sein soll und nach den Ausführungen in den Ausschreibungsunterlagen nur nur noch eins von mehreren Zuschlagskrterien ist3. Welche Detailierungstiefe die Angaben über die Bewertungskriterien und -maß- 146 stäbe aufweisen müssen, ist einzelfallabhängig zu beurteilen4. Zu orientieren hat sich der öffentliche Auftraggeber an dem Sinn und Zweck der Veröffentlichungspflicht, die darauf abzielt, den Bieter in die Lage zu versetzen, sich umfassend über die Bewertungskriterien und -maßstäbe des öffentlichen Auftraggebers zu informieren, um ihr Angebot daran ausrichten zu können5. So können die Anforderungen an die Transparenz der Bewertungskriterien und -maßstäbe 1 OLG Celle v. 7.11.2013 – 13 Verg 8/13, IBRS 2014, 1423; OLG Düsseldorf v. 19.6.2013 VII-Verg 8/13, ZfBR 2014, 85 (86). 2 OLG München v. 17.1.2008 – Verg 15/07, NJOZ 2008, 1019 (1023). 3 VK Sachsen v. 19.5.2015 – 1/SVK/014-15, BeckRS 2015, 16421. 4 OLG Düsseldorf v. 30.7.2009 – VII Verg 10/09, BeckRS 2009, 29056. 5 OLG Brandenburg v. 19.12.2011 – Verg W 17/11, BeckRS 2011, 29123; Wiedemann in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, GWB, § 127 Rz. 100.

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§ 127 | Zuschlag bei einer funktionalen Leistungsbeschreibung weniger streng sein, als bei einer Leistungsbeschreibung mit Leistungsprogramm, denn wenn der mögliche Angebotsinhalt weit ist, liegt es in der Natur der Sache, dass auch die Bewertungskriterien und -maßstäbe offener gehalten sind1. 4. Bekanntmachungsmedium 147 Nach § 127 Abs. 5 GWB hat der öffentliche Auftraggeber die Wahl, ob die Zu-

schlagskriterien und deren Gewichtung in der Auftragsbekanntmachung oder in den Vergabeunterlagen angegeben werden.

148 Mit der Auftragsbekanntmachung ist die Bekanntmachung nach dem Muster

gemäß Anhang II der Durchführungsverordnung (EU) 2015/1986 gemeint, mit welcher der öffentliche Auftraggeber seine Absicht, einen öffentlichen Auftrag zu vergeben oder eine Rahmenvereinbarung zu schließen, bekannt gibt (vgl. §§ 37 Abs. 2 VgV, § 12 EU Abs. 3 Nr. 2 VOB/A). Die Vergabeunterlagen umfassen gemäß §§ 29 Abs. 1 VgV, 8 EU Abs. 1 VOB/A das Anschreiben, mit dem die Bewerber oder Bieter zur Abgabe von Teilnahmeanträgen oder Angeboten aufgefordert werden, die Bewerbungsbedingungen und die aus Leistungsbeschreibung und Vertragsbedingungen bestehenden Vertragsunterlagen. Eine Veröffentlichung in den Vergabeunterlagen verschafft dem öffentlichen Auftraggeber allerdings keinen Zeitvorteil, weil die Vergabeunterlagen gemäß §§ 41 Abs. 1 VgV, 11 EU Abs. 3 VOB/A unter einer elektronischen Adresse, welche bereits in der Auftragsbekanntmachung anzugeben ist, vollständig abrufbar sein müssen. Für eine Bekanntgabe mit den Vergabeunterlagen können aber dennoch pragmatischen Gründe sprechen, etwa weil dort mehr Raum zur Verfügung steht2.

149 Die Möglichkeit einer Veröffentlichung der Zuschlagskriterien und deren Ge-

wichtung in der Auftragsbekanntmachung oder in den Vergabeunterlagen steht im Übrigen mit den zugrundeliegenden Richtlinienbestimmungen im Einklang. Diese sehen eine Angabe der Zuschlagskriterien und deren Gewichtung explizit zwar nur in den Auftragsunterlagen vor (Art. 67 Abs. 5 UAbs. 1 RL 2014/24/EU, Art. 82 Abs. 5 UAbs 1 RL 2014/25/EU). Darin liegt keine Abweichung vom nationalen Vergaberecht. Denn nach dem Begriffsverständnis der EU-Vergaberichtlinien umfassen die Auftragsunterlagen – anders als die Vergabeunterlagen im Sinne der §§ 29 Abs. 1 VgV, 8 EU Abs. 1 VOB/A auch die Auftragsbekanntmachung selber (vgl. Art. 2 Abs. 1 Nr. 13 RL 2014/24/EU, Art. 2 Nr. 9 RL 2014/ 25/EU)3.

1 VK Sachsen v. 28.8.2013 – 1 SVK/026-13, IBRRS 2013, 4639; Wiedemann in Kulartz/ Kus/Portz/Prieß, GWB, § 127 Rz. 100; Weyand, Vergaberecht, § 97 GWB Rz. 1154/1,1. 2 Wiedemann in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, GWB, § 127 Rz. 86. 3 Hierzu näher Verfürth in Kulartz/Kus/Marx/Portz/Prieß, VgV, § 29 Rz. 1 ff.

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Zuschlag | § 127

5. Konsequenzen für das Vergabeverfahren Wenn § 127 Abs. 5 GWB den öffentlichen Auftraggeber im Interesse einer hinrei- 150 chenden Verfahrenstransparenz dazu verpflichtet, die Zuschlagskriterien und deren Gewichtung vor Beginn der Angebotsphase zu publizieren, liegt es auf der Hand, dass die Zuschlagskriterien und die Gewichtung nach ihrer Veröffentlichung grundsätzlich nicht verändert oder relativiert werden dürfen. Das ergibt sich aus der Gesetzesbegründung, in der erläutert wird, dass ein späteres Nachschieben von Zuschlagskriterien unzulässig ist1, und deckt sich im Übrigen mit der bisher herrschenden Meinung, die ebenfalls davon ausgeht, dass die Zuschlagskriterien und die Gewichtung nach Bekanntgabe grundsätzlich der Disposition des öffentlichen Auftraggebers entzogen sind2. Eine Bindung des öffentlichen Auftraggebers an die bekanntgegeben Wertungskriterien bzw. -regeln besteht selbst dann, wenn es sich um Kriterien handelt, die er nicht hätte bekanntgeben müssen3. Hinzuweisen ist allerdings darauf, dass ein öffentlicher Auftraggeber nach der 151 EuGH-Rechtsprechung unter engen Voraussetzungen die Gewichtungskoeffizienten für die Unterkriterien auch nach Ablauf der Angebotsfrist festlegen kann, und zwar unter drei Bedingungen, nämlich dass diese nachträgliche Festlegung erstens die in den Verdingungsunterlagen oder in der Vergabebekanntmachung bestimmten Zuschlagskriterien nicht ändert, zweitens nichts enthält, was, wenn es bei der Vorbereitung der Angebote bekannt gewesen wäre, diese Vorbereitung hätte beeinflussen können, und drittens nicht unter Berücksichtigung von Umständen gewählt wurde, die einen der Bieter diskriminieren konnten4. Unproblematisch zulässig ist im Übrigen die Vornahme von Klarstellungen 152 und die Erteilung von Informationen, sofern hierdurch die Vergabekriterien und die Gewichtung selber nicht geändert werden5. Die nationale Rechtsprechung gestattete dem öffentlichen Auftraggeber bislang 153 zudem, zur Korrektur von Vergaberechtsverstößen oder aus Zweckmäßigkeitsgründen, die Vergabeunterlagen, u.a. auch die Zuschlagskriterien, die Unterkriterien und die Gewichtungen, im laufenden Vergabeverfahren zu ändern, sofern dies nur in einem transparenten Verfahren und diskriminierungsfrei geschieht6. 1 Gesetzesbegründung VergRModG 2016, BT-Drucks. 18/6281, 113; vgl. zum Verhandlungsverfahren auch Erwägungsgrund 45 RL 2014/24/EU. 2 BGH v. 17.2.1999 – X ZR 101/97, NJW 2000, 137 (139) = MDR 1999, 1379 ff.; VK Hamburg v. 13.6.2014 – Vgk FB 4/14, VPRRS 2015, 0062; Dageförde, Umweltschutz im öffentlichen Vergabeverfahren, Satz 90. 3 VK Hessen v. 8.2.2016 – 69d VK - 35/2015, juris Rz. 66. 4 EuGH v. 14.7.2016 – Rs. C-6/15 = NZBau 2016, 772 ff., Rz. 26 – „Dimarso“; EuGH v. 21.7.2011 – Rs. C-252/10 P, Rz. 33 – „EMSA“. 5 EuGH v. 10.5.2012 – Rs. C-368/10 = EuZW 2012, 592 ff. Rz. 54f – „Max Havelaar“; Stein/ Wolf in Gabriel/Mertens/Prieß/Stein, BeckOK-Vergaberecht, § 121 Rz. 24. 6 BGH v. 26.9.2006 – X ZB 14/06, BGHZ 169, 131 ff. = NZBau 2006, 800 ff. Rz. 23; OLG Düsseldorf v. 21.10.2015 – VII-Verg 28/14, NZBau 2016, 235 (240); OLG Düsseldorf v.

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§ 127 | Zuschlag Gestützt wird dies vornehmlich auf die Überlegung, dass der öffentliche Auftraggeber anderenfalls angehalten würde, erkannte Rechtsverstöße sehenden Auges zu perpetuieren und ein Nachprüfungsverfahren zu riskieren. Bei Ablehnung einer Änderungsbefugnis aus Gründen der Zweckmäßigkeit, würde der Auftraggeber gezwungen, wissentlich eine Leistung zu beschaffen, die er – wenn auch aufgrund späterer Erkenntnis – so gar nicht gebrauchen könne oder wolle, um anschließend in einem weiteren Vergabeverfahren diejenige Leistung auszuschreiben, die seinem Beschaffungsbedarf tatsächlich entspreche. Beides laufe den Zielen des Vergaberechts zuwider1. Der Transparenzgrundsatz und das Diskriminierungsverbot gebieten in einer solchen Situation aber nicht nur eine Bekanntgabe der Änderungen auf demselben Wege wie Zuschlagskriterien, sondern u.U. auch eine Verlängerung der Angebotsfrist, oder nötigenfalls auch, dass das Verfahren in die Angebotsphase zurückversetzt wird2. Die beschriebene Ausnahme ist allerdings nicht unumstritten. In Anbetracht der Tatsache, dass die Vergabeunterlagen, in denen die Veröffentlichung der Zuschlagskriterien nebst Gewichtung spätestens erfolgen muss, nach dem aktuellen Vergaberecht – selbst bei einem Verhandlungsverfahren mit Teilnahmewettbewerb – zu einem frühen Zeitpunkt veröffentlicht werden müssen (vgl. §§ 41 Abs. 1 VgV, 11 EU Abs. 3 VOB/A) und unter Beachtung dessen, dass der EuGH jüngst noch einmal die Bindung an die einmal publizierten Zuschlagskriterien nebst Gewichtung betont hat3, bleibt abzuwarten, ob die Ausnahme auch auf die aktuelle Rechtslage übertragen wird. Dafür könnte sprechen, dass das nationale Vergaberecht (§ 20 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2VgV, §§ 10aEU Abs. 6 Satz 1 Nr. 2, § 10bEU Abs. 6 Satz 1 Nr. 2 VOB/A) – im Einklang mit dem EU-rechtlichen Rechtsrahmen (§ 47 Abs. 3 lit b RL 2014/24/EU, Art. 66 Abs. 3 lit b RL 2014/25/EU) die Möglichkeit wesentlicher Änderungen der Vergabeunterlagen explizit vorsieht4.

VIII. Bieterschützender Charakter 154 Die Bewertungskriterien und -maßstäbe sind Grundlage der Angebotswertung.

Ein objektiver Vergleich des relativen Werts der Angebote ist aber nur möglich, wenn die Wertung anhand objektiver Kriterien erfolgt, die den vergaberechtlichen Grundsätzen der Transparenz, der Nichtdiskriminierung und der Gleich-

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11.12.2013 – VII Verg 22/13, VergabeR 2014, 401 (406); OLG Rostock v. 9.10.2013 – 17 Verg 6/13, VergabeR 2014, 442 (452). OLG Düsseldorf v. 21.10.2015 – VII-Verg 28/14, NZBau 2016, 235 (240). OLG Rostock v. 9.10.2013 – 17 Verg 6/13, VergabeR 2014, 442 (452). Mit Blick auf Änderungen des Leistungsverzeichnisses ebenso OLG Düsseldorf v. 5.1.2011 – VII-Verg 46/ 10, BeckRS 2011, 03875; OLG Dresden v. 23.7.2013 – Verg 2/13, VergabeR 2013, 889 (891 f.) mit Anm. Köhler, 892 ff.; Baumann, VPR 2015, 1079. EuGH v. 14.7.2016 – Rs. C-6/15 = NZBau 2016, 772 ff., Rz. 25 – „Dimarso“. Im Erg. auch Wiedemann in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, GWB, § 127 Rz. 90 ff.; Stein/Wolf in Gabriel/Mertens/Prieß/Stein, BeckOK-Vergaberecht, § 121 Rz. 26.

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Zuschlag | § 127

behandlung gerecht werden1. Der Gewährleistung dieser Anforderungen dienen die konkreten Vorgaben hinsichtlich der Bestimmung der Bewertungskriterien und -maßstäbe (§ 127 Abs. 1 Satz 1, 3, 4 GWB, § 127 Abs. 3 GWB, § 127 Abs. 4 Satz 1 GWB). Mithin handelt es sich um bieterschützende Vorschriften. Da dem öffentlichen Auftraggeber hinsichtlich der Festlegung der Bewertungskriterien und -maßstäbe ein Ermessens- bzw. Beurteilungsspielraum zusteht, kann sich der Anspruch des Bewerbers oder Bieters indes nur auf die Prüfung richten, ob das vorgeschriebene Verfahren nicht eingehalten wurde, ob ein einem unzutreffenden oder unvollständig ermittelten Sachverhalt ausgegangen wurde, ob sachwidrige Erwägungen angestellt wurden, oder ob ein selbst gesetzter Beurteilungsmaßstab nicht eingehalten wurde (s.o., Rz. 96 ff.). Dagegen besteht nach h.M. kein Anspruch des Bieters darauf, dass der Zuschlag auf das wirtschaftlichste Angebot erteilt wird2. Zu beachten ist des Weiteren, dass bei fehlerhaften Zuschlagskriterien bzw. Gewichtungen aufgrund der Veröffentlichung im Rahmen der Auftragsbekanntmachung oder in den Vergabeunterlagen (vgl. § 127 Abs. 5 GWB) eine Rügeobliegenheit gemäß § 160 Abs. 3 Nr. 2, 3 GWB bestehen kann3. Kommen die – vergaberechtlich nicht zu beanstanden – Bewertungskriterien und 155 -maßstäbe – ohne sachlichen Grund – auf die Angebote in unterschiedlicher Weise zur Anwendung, so liegt darin ebenfalls eine Diskriminierung der Bieter. Die Vorgaben bezüglich der Angebotswertung (§ 127 Abs. 1 Satz 2 GWB), bei welchen es sich um eine Konkretisierung des vergaberechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatze (§ 97 Abs. 2 GWB) handelt, haben den Zweck derartige Verstöße zu verhindern. Auch insoweit handelt es sich also um eine Regelung die dem Schutze der Bewerber oder Bieter zu dienen bestimmt ist4. Da die Vergabestelle aber auch bezüglich der Angebotswertung über einen weiten Ermessensbzw. Bewertungsspielraum verfügt (s.o., Rz. 108 ff.), kann im Falle der Behauptung einer Verletzung der Vorschriften über die Angebotswertung ebenfalls nur beansprucht werden, die Angebotswertung auf eine Überschreitung des Ermessens- bzw. Bewertungsspielraum hin zu prüfen5. Im Falle einer sog. Ermessens1 I.d.S. Erwägungsgrund 90 Abs. 1 Satz 1 RL 2014/24/EU; Erwägungsgrund 95 Abs. 1 Satz 1 RL 2014/25/EU. 2 BGH v. 8.9.1998 – X ZR 48–97, NJW 1998, 3636 (3639); OLG Schleswig v. 6.11.2001 – 6 Kart U 45/01, ZfBR 2002, 296 (297); Müller-Wrede in Müller-Wrede, GWB, § 127 Rz. 251; a.A. mit Blick auf die Vorgängerregelung: BayObLG v. 5.11.2002 – Verg 22/ 02, NZBau 2003, 342 (345). 3 OLG Celle v. 7.11.2013 – 13 Verg 8/13, IBRS 2014, 1423; VK Bund v. 30.8.2013 – VK 270/13, IBRRS 2013, 4036; Müller-Wrede in Müller-Wrede, GWB, § 127 Rz. 250. Eine Rügepräklusion verneinend bei fehlerhafter Aufstellung und Ausfüllung einer komplexen Bewertungsmatrix mit Kriterien und Unterkriterien: OLG Düsseldorf v. 9.4.2014 – VII-Verg 36/13, BeckRS 2015, 03532. 4 VK Bund v. 14.4.2004 – VK 3-41/04, VPRRS 2013, 0866; Dreher in Immenga/Mestmäcker, § 97 GWB, Rz. 151. 5 OLG München v. 7.4.2011 – Verg 5/11, ZfBR 2011, 585 (592); VK Bund v. 16.5.2012 – VK 2-26/12, IBRRS 2014, 1925; VK Bund v. 14.4.2004 – VK 3-41/04, VPRRS 2013, 0866.

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§ 127 | Zuschlag reduzierung auf Null kann der Anspruch auch auf Zuschlagserteilung gerichtet sein1. Fehler im Wertungsvorgang sind in der Regel nicht schon aus der Bekanntmachung des Auftrags oder Vergabeunterlagen heraus erkennbar, so dass eine Rügeobliegenheit allenfalls aus § 160 Abs. 3 Nr. 1 GWB folgt2. 156 Nebenangebote sind alternative Angebote, die von der Leistungsbeschreibung

des Amtsvorschlags abweichen. Neuralgischer Punkt der Nebenangebote ist daher die sachgerechte Erfassung der inhaltlichen, qualitativen Abweichung im Rahmen der Wertung3. Die Verfahrensvorgaben des § 127 Abs. 4 Satz 2 GWB sollen einen objektiven Vergleich des relativen Werts von Haupt- und Nebenangeboten (nach denselben Kriterien) und damit letztlich die Gleichbehandlung von Haupt- und Nebenangeboten sicherstellen, weshalb auch § 127 Abs. 4 Satz 2 GWB bieterschützenden Charakter hat. Aufgrund des Umstandes, dass die Aufstellung der Wertungskriterien sowie der Wertungsvorgang Ermessensentscheidungen des öffentlichen Auftraggebers sind, unterliegt auch die Wertung von Nebenangeboten nur einer eingeschränkten Überprüfung.

157 Durch die aus § 127 Abs. 2 GWB folgende Pflicht, bei der Ermittlung des wirt-

schaftlichen Angebotes die Honorarvorgaben gegebenenfalls einschlägiger Gebühren- oder Honorarordnung zu beachten, wird der Ermessens- bzw. Beurteilungsspielraum des öffentlichen Auftraggebers bei der Angebotswertung im Interesse der Gewährleistung des Wettbewerbs eingeschränkt (s.o., Rz. 125 ff.). Mithin hat § 127 Abs. 2 GWB bieterschützenden Charakter.

158 Auch die Transparenzvorgaben des § 127 Abs. 5 GWB sind unzweifelhaft bieter-

schützend4 Der Transparenzgrundsatz ist eines der wesentlichen vergaberechtlichen Prinzipien (vgl. § 97 Abs. 1 GWB). Die Pflicht zur Transparenz zielt u.a. darauf ab, das Vergabeverfahren vorhersehbar zu machen5 Hierdurch soll erreicht werden, dass die Bewerber und Bieter die Anforderungen des Auftraggebers gleich verstehen und ihr Angebot daran auszurichten können6 Ein Verstoß gegen diese Pflicht, der u.a. in unklaren oder widersprüchlichen Verlautbarungen liegen kann7, beeinträchtigt die Chancen der Bewerber und Bieter im Wettbewerb. 1 OLG Naumburg v. 13.10.2006 – 1 Verg 7/06, NJOZ 2007, 275 (283); OLG Düsseldorf v. 13.7.2005 – Verg 19/05, BeckRS 2005, 12465 m.w.N.; VK Brandenb. v. 14.6.2007 – 1 VK 17/07, IBRRS 2007, 33779. 2 VK Bund v. 30.8.2013 – VK 2-70/13, IBRRS 2013, 4036. 3 Hierzu näher BGH v. 7.1.2014 – X ZB 15/13, NZBau 2014, 185 (186 f.); OLG Düsseldorf v. 2.11.2011 – VII-Verg 22/11, NZBau 2012, 194 (196). 4 Im Erg. ebenso Wiedemann in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, GWB, § 127 Rz. 109. 5 BGH v. 17.2.1999 – X ZR 101/97, BGH NJW 2000, 137 (139) = MDR 1999, 1379 ff.; Lux in Müller-Wrede, GWB, § 97 Rz. 24. 6 I.d.S. OLG Düsseldorf v. 9.4.2014 – VII-Verg 36/13, BeckRS 2015, 03532; VK Bund v. 3.3. 2015 – VK 14/15, IBRRS 2015, 1034; VK Rheinl.-Pf. v. 3.2.2012 – VK 2-44/11, IBRRS 2014, 0626. 7 VK Bund v. 4.7.2011 – VK 2-61/11, IBRRS 2013, 2452; Weyand, Vergaberecht, § 97 GWB Rz. 1491.

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Auftragsausführung | § 128

§ 128 Auftragsausführung (1) Unternehmen haben bei der Ausführung des öffentlichen Auftrags alle für sie geltenden rechtlichen Verpflichtungen einzuhalten, insbesondere Steuern, Abgaben und Beiträge zur Sozialversicherung zu entrichten, die arbeitsschutzrechtlichen Regelungen einzuhalten und den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern wenigstens diejenigen Mindestarbeitsbedingungen einschließlich des Mindestentgelts zu gewähren, die nach dem Mindestlohngesetz, einem nach dem Tarifvertragsgesetz mit den Wirkungen des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes für allgemein verbindlich erklärten Tarifvertrag oder einer nach § 7, § 7a oder § 11 des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes oder einer nach § 3a des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes erlassenen Rechtsverordnung für die betreffende Leistung verbindlich vorgegeben werden. (2) Öffentliche Auftraggeber können darüber hinaus besondere Bedingungen für die Ausführung eines Auftrags (Ausführungsbedingungen) festlegen, sofern diese mit dem Auftragsgegenstand entsprechend § 127 Absatz 3 in Verbindung stehen. Die Ausführungsbedingungen müssen sich aus der Auftragsbekanntmachung oder den Vergabeunterlagen ergeben. Sie können insbesondere wirtschaftliche, innovationsbezogene, umweltbezogene, soziale oder beschäftigungspolitische Belange oder den Schutz der Vertraulichkeit von Informationen umfassen. I. Einführung 1. Inhaltsübersicht . . . . . . . . . . . . 2. Gemeinschaftsrechtliche Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . 3. Entstehungsgeschichte . . . . . . . 4. Parallelregelungen . . . . . . . . . . II. Allgemeingültige Bedingungen für die Ausführung des Auftrags (§ 128 Abs. 1) . . . . . . . . . III. Besondere Bedingungen für die Ausführung des Auftrags (§ 128 Abs. 2) . . . . . . . . . . . . . 1. Begriff der Besonderen Ausführungsbedingungen . . . . . . . . . . 2. Mögliche Inhalte der Besondere Bedingungen für die Ausführung des Auftrags . . . . . . . . . . . a) Ökonomische Gesichtspunkte . . . . . . . . . . . . . . . . b) Innovationsbezogene Gesichtspunkte . . . . . . . . . .

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IV. Bieterschützender Charakter . .

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c) Umweltbezogene Gesichtspunkte . . . . . . . . . . . . . . . . d) Soziale und beschäftigungspolitische Gesichtspunkte . . . e) Schutz der Vertraulichkeit von Informationen . . . . . . . . f) Sonstige Gesichtspunkte (Bestimmungsfreiheit des öffentlichen Auftraggebers) . . 3. Grenzen des Bestimmungsrechts des öffentlichen Auftraggebers . . a) Verbindung mit dem Auftragsgegenstand . . . . . . . . . . b) Vereinbarkeit mit allgemeinen vergaberechtlichen Prinzipien und höherrangigem Recht . . 4. Veröffentlichungspflichten . . . . 5. Nachweise und Instrumente zur Sicherstellung der Beachtung von Ausführungsbedingungen . .

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§ 128 | Auftragsausführung I. Einführung 1. Inhaltsübersicht 1 Die Vorschrift des § 128 GWB befasst sich mit Regelungen, welche von den Un-

ternehmen bei der Ausführung des Auftrags zu beachten sind. Durch Abs. 1 wird vorgegeben, dass für die Ausführung der Leistungen die am Leistungsort geltenden allgemeingültigen rechtlichen Rahmenbedingungen einzuhalten sind. Die praktische Schwierigkeit wird hierbei nicht selten darin liegen, festzustellen, wo der Leistungsort liegt. Nach Abs. 2 haben die öffentlichen Auftraggeber die Möglichkeit, auftragsspezifische Ausführungsbedingungen vorzugeben, die über die allgemeingültigen Rahmenbedingungen hinausgehen.

2 Die Möglichkeit zur Vorgabe von Ausführungsbedingungen durch den Auftrag-

geber war in der Rechtsprechung bereits mit Blick auf die bisherige Rechtslage anerkannt1. Die normative Grundlage bildete § 97 Abs. 4 Satz 2 GWB. Mithin handelt es sich bei § 128 Abs. 2 GWB um keine Neuerung. Da jedoch hinsichtlich der Verbindung zum Auftragsgegenstand auf die – den Auftragsbezug der Zuschlagskriterien regelnde – Vorschrift des § 127 Abs. 3 GWB verwiesen wird, nach der ein Auftragsbezug auch gegeben ist, wenn sich das Zuschlagskriterium auf ein Lebenszyklusstadium bezieht, dürfte der Anwendungsbereich für die Festlegung von Auftragsbedingungen größer sein, als nach § 97 Abs. 4 Satz 2 GWB a.F. (hierzu näher unter Rz. 44 ff.). Dies fügt sich in die Zielsetzung der neuen Vergaberechtlinien ein, den Auftraggebern zu ermöglichen, im Rahmen der Bedarfsdeckung auch strategische Ziele zu verfolgen2. Darüber hinaus dürfte die Lösung der Bestimmung von der Vorschrift über die Zuschlagserteilung (vgl. § 97 Abs. 4 Satz GWB a.F.) und die Regelung in einem eigenen Paragrafen in systematischer Hinsicht zu mehr Klarheit beitragen und damit auch mehr Rechtssicherheit bewirken3.

3 Unmittelbar gilt § 128 GWB für die klassische Auftragsvergabe. Über die Ver-

weisung in § 142 GWB ist die Regelung auch bei der Vergabe von Sektorenaufträgen anwendbar. Die Anwendbarkeit auf die Vergabe von verteidigungs- und sicherheitsspezifischen Aufträgen ergibt sich aus § 147 Satz 1 GWB und die Geltung für die Konzessionsvergabe aus § 152 Abs. 4 GWB.

1 EuGH v. 10.5.2012 – Rs. C-368/10, NVwZ 2012, 867 Rz. 75 ff. – „Provinz Nord-Holland“; OLG Düsseldorf v. 21.10.2015 – Verg 28/14, NZBau 2016, 235 (248). Vor Einfügung des Art. 26 RL 2004/18/EG und Art. 38 RL 2004/17/EG verlief die rechtliche Einordnung durch den EuGH keineswegs einheitlich, vgl. zur Entwicklung der EuGH-Rechtsprechung: Diehr in Reidt/Stickler/Glahs, GWB, 3. Aufl. 2011 (Vorauflage), § 97 a.F. Rz. 88 f. 2 Erwägungsgrund 3 RL 2014/23/EU; Erwägungsgrund 47 RL 2014/24/EU; Erwägungsgrund 57 RL 2014/25/EU. 3 Wiedemann in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, GWB, 4. Aufl. 2016, § 128 Rz. 6.

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Auftragsausführung | § 128

2. Gemeinschaftsrechtliche Grundlagen Die unionsrechtliche Grundlage des § 128 Abs. 1 GWB resultiert aus Art. 18 4 Abs. 2 RL 2014/24 EU, Art. 36 Abs. 2 RL 2014/25/EU, Art. 30 Abs. 3 RL 2014/23/EU. Mit jeweils ähnlichem Wortlaut geben diese Bestimmungen vor, dass die Mitgliedstaaten geeignete Maßnahmen treffen, um sicherzustellen, dass Wirtschaftsteilnehmer bei der Durchführung öffentlicher Aufträge bzw. der Durchführung von Konzessionsverträgen die geltenden umwelt-, sozial- und arbeitsrechtlichen Verpflichtungen einhalten müssen, welche durch Rechtsvorschriften der Union, nationale Rechtsvorschriften, Tarifverträge oder durch die internationalen umwelt-, sozial- und arbeitsrechtlichen Vorschriften, die jeweils in Anhängen zu den Richtlinien ausgeführt werden, festgelegt sind. § 128 Abs. 1 GWB beschränkt sich – anders als die Richtlinienbestimmungen – nicht auf umwelt-, sozial- und arbeitsrechtliche Rechtsvorschriften sondern verpflichtet die Auftragnehmer „alle für sie geltenden rechtlichen Verpflichtungen einzuhalten“. Das ist jedoch rechtlich unproblematisch, weil es den Mitgliedstaaten freisteht, die Geltung ihrer Rechtsnormen auch auf Personen auszudehnen, die in ihrem Mitgliedstaat, gegebenenfalls auch nur vorübergehend, eine wirtschaftliche Tätigkeit ausüben1. Darüber hinaus fällt auf, dass in § 128 Abs. 1 GWB nicht auf die internationalen Abkommen verwiesen wird, welche in den zugrundeliegenden Richtlinienbestimmungen durch Verweise auf einen Anhang einbezogen werden. Da jedoch in Deutschland sämtliche der in den Anhängen aufgeführten internationalen Übereinkommen in nationales Recht überführt wurden, bedurfte es keiner Verweise auf diese Anhänge bzw. einer Auflistung dieser2. In der RL 2009/81/EG findet sich zwar keine Art. 18 Abs. 2 RL 2014/24 EU vergleichbare normative Grundlage. Wie sich aus Art. 24 RL 2009/81/EG ergibt, geht der Richtliniengeber jedoch davon aus, dass der Unternehmer auch bei verteidigungs- und sicherheitsspezifischen Aufträgen zur Einhaltung allgemeiner umwelt-, sozial-, arbeits- und steuerrechtlichen Anforderungen verpflichtet ist. Im Übrigen stellt sich § 128 Abs. 1 GWB im Falle der entsprechenden Anwendung auf die Vergabe von verteidigungs- und sicherheitsspezifischen Aufträgen gemäß § 147 Satz 1 GWB deshalb nicht als Verschärfung gegenüber dem Unionsrecht dar, weil – wie zuvor erläutert – die allgemeingültigen Rechtsvorschriften, auf deren Geltung § 128 Abs. 1 GWB hinweist, für Personen, die im Gebiet des Mitgliedstaates, der diese Vorschriften erlassen hat, einer wirtschaftlichen Tätigkeit nachgehen, ohnehin gelten3. Im Ergebnis ist daher davon auszugehen, dass § 128 Abs. 1 GWB mit den unionsrechtlichen Vorgaben in Einklang steht.

1 EuGH v. 19.1.2006 – Rs. C-244/04 = NVwZ 2006, 313 Rz. 44; EuGH v. 27.3.1990 – Rs. C113/89 = NZA 1990, 653 Rz. 18; Dorschfeld/Mutschler-Siebert in Heiermann/Summa/ Zeis, jurisPK-VergR, 5. Aufl. 2016, GWB, § 128 Rz. 9. 2 Gesetzesbegründung VergRModG 2016, BT-Drucks. 18/6281, S. 113. 3 Wiedemann in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, GWB, § 128 Rz. 11.

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§ 128 | Auftragsausführung 5 Die Regelung des § 128 Abs. 2 GWB entspricht nahezu wortgleich den Bestim-

mungen des Art. 70 RL 2014/24 EU und Art. 87 RL 2014/25/EU. Auch Art. 20 RL 2009/81/EG enthält eine vergleichbare Regelung. Diese erwähnt zwar nicht ausdrücklich das in § 128 Abs. 2 GWB vorgesehene (und Art. 70 RL 2014/24 EU, Art. 87 RL 2014/25/EU entnommene) Merkmal einer Verbindung zum Auftragsgegenstand. Allerdings verweist Art. 20 RL 2009/81/EG auf die Erforderlichkeit der Vereinbarkeit mit dem Gemeinschaftsrecht. Bei dem Erfordernis der Verbindung zum Auftragsgegenstand handelt es sich um eine unionsrechtlich zulässige (und erforderliche) Voraussetzung, weil diese der Statuierung allgemeinpolitischer, vom Auftragsgegenstand abgelöster Bedingungen entgegenwirkt. Dass die Beschreibung des möglichen Gegenstandes der Auftragsbedingungen Art. 20 RL 2009/81/EG (Unteraufträge, Gewährleistung der vom Auftraggeber in Bezug auf die Sicherheit von Verschlusssachen und die Versorgungssicherheit festgelegten Anforderungen, umweltbezogene oder soziale Aspekte) geringfügig von der Auflistung in § 128 Abs. 2 GWB (wirtschaftliche, innovationsbezogene, umweltbezogene, soziale oder beschäftigungspolitische Belange) abweicht, ist unproblematisch, da die Auflistung in beiden Vorschriften lediglich beispielhaften Charakter hat. Die RL 2014/23/EU sieht die Möglichkeit der Festlegung von Ausführungsbedingungen zwar nicht explizit vor, jedoch werden in den Erwägungsgründen 64 bis 66 RL 2014/23/EU Bedingungen für die Konzessionsausführung erwähnt. Mithin ist davon auszugehen, dass die Möglichkeit der Auferlegung von Bedingungen für die Ausführung eines Auftrags, wie sie in § 128 Abs. 2 GWB – in Einklang mit Art. 70 RL 2014/24 EU, Art. 87 RL 2014/25/EU – vorgesehen sind, auch im Rahmen der Vergabe von Konzessionen besteht1. 3. Entstehungsgeschichte

6 Die im Gesetzentwurf der Bundesregierung enthaltende Fassung des § 128 GWB2,

welche gegenüber dem Referentenentwurf nochmals geringfügig verändert wurde3, wurde im Gesetzgebungsverfahren nicht weiter modifiziert.

7 Mit einem Änderungsantrag sollte ein besserer Schutz vor der Umgehung von

Ausführungsbedingungen durch die Einschaltung von Nachunternehmern erreicht werden. Im Einzelnen war vorgesehen, in einem neuen Abs. 3 die Pflicht des Bewerbers bzw. Bieter zur Vorlage eines Nachunternehmerverzeichnisses sowie die Möglichkeit der Aufnahme eines schriftlichen Zustimmungserfordernisses des öffentlichen Auftraggebers zur Übertragung von Leistungen auf die angegebenen Nachunternehmer bzw. den Wechsel Letzterer zu regeln4. Gegenstand 1 2 3 4

Gesetzesbegründung VergRModG 2016, BT-Drucks. 18/6281, S. 132. Gesetzentwurf der Bundesregierung, BT-Drucks. 367/15 v. 14.8.2015, S. 28. Vgl. hierzu Wiedemann in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, GWB, § 128 Rz. 7. Vgl. Änderungsantrag u.a. der Fraktion DIE LINKE, BT-Drucks. 18/7089 v. 16.12.2015, S. 2 Ziffer 1. b) ee) u. S. 4 f.

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eines neu aufzunehmenden Abs. 4 sollte die Verantwortlichkeit des Hauptauftragnehmers für die Erfüllung der Verpflichtung nach § 128 Abs. 1 GWB durch Nachunternehmer sein1. Darüber hinaus enthielt dieser Änderungsantrag den Vorschlag, eine weitere Vorschrift einzufügen (§ 128 a GWB), welche eine gesetzliche Grundlage für eine Kontrolle der Einhaltung von Ausführungsbedingungen durch die öffentlichen Auftraggeber beinhalten sollte2. Der Änderungsantrag wurde jedoch nicht angenommen3. Die Empfehlung, das Wort „umweltbezogen“ in § 128 Abs. 2 GWB zu streichen 8 und stattdessen eine strengere Regelung zur Statuierung umweltbezogener Ausführungsbedingungen als Abs. 3 vorzusehen4, hat sich im Gesetzgebungsverfahren ebenfalls nicht durchgesetzt5. 4. Parallelregelungen Die Vorschrift des § 128 GWB wird durch die Regelung des § 129 GWB ergänzt. 9 Während § 128 GWB allgemeine rechtliche Verpflichtungen (Abs. 1) und durch den Auftraggeber vorgegebene Ausführungsbedingungen (Abs. 2) betrifft, sind Regelungsgegenstand des § 129 GWB nach bundes- oder landesgesetzlichen Vorgaben zwingend aufzuerlegende Ausführungsbedingungen. Auf untergesetzlicher Ebene wird § 128 Abs. 2 GWB durch die Bestimmung des § 61 VgV ergänzt, welche sich mit dem Nachweis der Erfüllung der Ausführungsbedingungen befasst.

II. Allgemeingültige Bedingungen für die Ausführung des Auftrags (§ 128 Abs. 1) Nach § 128 Abs. 1 GWB haben Unternehmen, „alle für sie geltenden rechtlichen 10 Verpflichtungen“ einzuhalten, wenn sie einen öffentlichen Auftrag ausführen. Die Regelung dient somit der Sicherstellung der Einhaltung allgemeingültiger Rechtsvorschriften durch die Unternehmen. Zur Konkretisierung werden im Gesetz einige Verpflichtungen aufgeführt, die es 11 „insbesondere“ einzuhalten gilt. Genannt wird die Pflicht 1 Vgl. Änderungsantrag u.a. der Fraktion DIE LINKE, BT-Drucks. 18/7089 v. 16.12.2015, S. 2 Ziffer 1. b) ee) u. S. 4 f. 2 Vgl. Änderungsantrag u.a. der Fraktion DIE LINKE, BT-Drucks. 18/7089 v. 16.12.2015, S. 2 Ziffer 1. b) ff) u. S. 5. 3 Bundestag, Plenarprotokoll 18/146 v. 17.12.2015, Tagesordnungspunkt 9, S. 14428 zu Drucksachen 18/7089. 4 Vgl. Empfehlungen der Ausschüsse des Bundesrates, BR-Drucks. 367/1/15 v. 11.9.2015, S. 10 f. Ziffer 12. 5 Vgl. Bundesrat, Plenarprotokoll 936 v. 25.9.2015, Tagesordnungspunkt 37, S. 333, Abstimmung zu Ziffer 12.

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§ 128 | Auftragsausführung – zur Zahlung von Steuern, Abgaben und Beiträgen zur Sozialversicherung, – zur Einhaltung von arbeitsschutzrechtlichen Regelungen – sowie die Verpflichtung zur Gewährung von Mindestarbeitsbedingungen einschließlich des Mindestentgelts. 12 Die Pflicht zur Zahlung von Steuern, Abgaben und Beiträgen zur Sozialversiche-

rung ergibt sich aus einschlägigen Spezialgesetzen.

13 Unter Steuern sind – in Anlehnung an den Steuerbegriff des § 3 Abs. 1 AO –

einmalige oder laufende Geldleistungen zu verstehen, die keine Gegenleistung für eine besondere Leistung darstellen, sondern von einem öffentlich-rechtlichen Gemeinwesen zur Erzielung von Einkünften allen Personen auferlegt werden, die unter den Tatbestand fallen, an den das Gesetz die Leistungspflicht knüpft1. Darunter fallen – um nur einige Beispiele zu nennen – die Umsatz-, Körperschafts- oder Gewerbesteuer. Die Zahlungspflicht ergibt sich hierbei aus § 1 Abs. 1 UStG (Umsatzsteuer), § 2 Abs. 1 Satz 1 GewStG (Gewerbesteuer) bzw. § 1 Abs. 1, § 2, § 3, § 4 Abs. 1 S. 1 KStG (Körperschaftssteuer).

14 Der Begriff der Abgabe ist ein Oberbegriff, der neben Steuern auch Beiträge und

Gebühren umfasst (vgl. z.B. § 1 Abs. 1 KAG NRW). Eine Gebühr ist eine öffentlich-rechtliche Geldleistung, die aus Anlass individuell zurechenbarer öffentlicher Leistungen dem Gebührenschuldner auferlegt wird und dazu bestimmt ist, in Anknüpfung an diese Leistung deren Kosten ganz oder teilweise zu decken2. Beispielhaft angeführt werden können die kommunalen Abfallentsorgungsgebühren. Beiträge sind öffentlich-rechtliche Geldleistungen, die als Ausgleich für die Möglichkeit der Nutzung von Einrichtungen oder für sonstige Vorteile erhoben werden, unabhängig davon, ob diese tatsächlich in Anspruch genommen werden3. Zu denken ist etwa an Straßenausbaubeiträge4 oder Mitgliedsbeiträge der öffentlich-rechtlichen Kammern. Die konkreten Zahlungspflichten ergeben sich aus Satzungen oder Entgeltordnungen der Kommunen oder der Träger funktionaler Selbstverwaltung (z.B. der Handwerkskammern, der Industrie- und Handelskammern oder sonstigen Berufskammern).

15 Sozialversicherungsbeiträge sind die Beiträge zur gesetzlichen Kranken-, Unfall-

und Rentenversicherung, zur Pflegeversicherung sowie zur Arbeitslosenversicherung (vgl. §§ 1 Abs. 1, 28d SGB IV). Die Pflicht des Arbeitgebers zur Abführung

1 I.d.S. OVG Münster v. 12.3.2015 – 2 A 2423/14, BeckRS 2015, 43989; VG Arnsberg v. 7.1. 2016 – 5 K 375/15, BeckRS 2016, 41219. 2 Z.B. BVerwG v. 13.9.2006 – 6 C 10/06, NVwZ-RR 2007, 192 (195); VG Gelsenkirchen v. 20.11.2013 – 7 K 4877/11, BeckRS 2014, 45597; Gersdorf in Posser/Wolff, Beck’scher Online-Kommentar VwGO, 36. Edition/Stand: 1.1.2016, § 80 Rz. 51.1. 3 VG Gelsenkirchen v. 20.11.2013 – 7 K 4877/11, BeckRS 2014, 45597; Driehaus in Driehaus, Kommunalabgabenrecht, Loseblattsammlung, Stand: 53. EGL/Juli 2015, § 8 KAG NRW Rz. 9 ff. 4 Driehaus in Driehaus, Kommunalabgabenrecht, § 8 KAG NRW Rz. 15.

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Auftragsausführung | § 128

des Kranken- und Rentenversicherungsbeitrags sowie des Beitrags zur Pflege- sowie zur Arbeitslosenversicherung für einen gesetzlich versicherten Beschäftigten als Gesamtsozialversicherungsbeitrag an den gesetzlichen Rentenversicherungsträger ergibt sich aus § 28e SGB IV. Die Beitragspflicht des Arbeitgebers zur Abführung der Beiträge zur gesetzlichen Unfallversicherung an die Träger der gesetzlichen Unfallversicherung (Berufsgenossenschaften) folgt aus § 150 SGB VII. Als einzuhaltende arbeitsschutzrechtliche Regelungen kommen z.B. die Re- 16 gelungen Arbeitsschutzgesetzes (ArbSchG)1, des Arbeitssicherheitsgesetzes (ASiG) Arbeitszeitgesetzes (ArbZG), des Mutterschutzgesetzes (MuSchG) oder des Jugendarbeitsschutzgesetz (JArbSchG) in Betracht. Die Pflicht zur Zahlung eines Mindestentgeltes ergibt sich insbesondere aus 17 dem Mindestlohngesetz (MiLoG). Der gemäß § 1 Abs. 2 MiLoG ab dem 1.1.2015 geltende Mindestlohn in Höhe von 8,50 Euro brutto je Zeitstunde wurde zum 1.1.2017 auf 8,84 Euro brutto angehoben2. Wie der Gesetzgeber klarstellt, kann sich die Verpflichtung zur Gewährung eines Mindestentgeltes ferner aus einem nach § 7 Arbeitnehmerentsendegesetz (AEntG) oder § 7a AEntG auf gemeinsamen Antrag der Tarifvertragsparteien durch das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) für allgemein verbindlich erklärten Tarifvertrag ergeben. Des Weiteren besteht die Möglichkeit, dass das BMAS gemäß § 11 AEntG auf Vorschlag einer Kommission i.S.d. § 12 AEntG durch Rechtsverordnung ein Mindestentgelt vorschreibt. Schließlich kann das BMAS nach § 3a des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes (AüG) auf Vorschlag von Tarifvertragsparteien, die bundesweit tarifliche Mindeststundenentgelte im Bereich der Arbeitnehmerüberlassung miteinander vereinbart haben, Mindeststundenentgelte vorschreiben. Um welche tarifvertraglichen Regelungen es sich im Einzelnen handelt, lässt sich dem vom BMAS veröffentlichen Verzeichnis der für allgemeinverbindlich erklärten Tarifverträge entnehmen3. Nach §§ 7, 7a, 11 AEntG kann das BAMS nicht nur Regelungen der Tarifver- 18 träge zum Mindeststundenentgelt, sondern auch zu Mindestarbeitsbedingungen i.S.v. §§ 2, 5 AEntG (Regelungen zum Erholungsurlaub, Urlaubsgeld, Höchstarbeitszeiten, Mindestruhezeiten, Bedingungen für die Überlassung von Arbeitskräften etc.) durch Rechtsverordnung für allgemeinverbindlich erklären. 1 Pfohl in Müller-Wrede, GWB, 2016, § 128 Rz. 14. 2 Vgl. Verordnung zur Anpassung des Mindeststundenentgelts (Vergabe-MindestentgeltVerordnung – VgMinVO) vom 19.11.2014, GV. NRW. vom 23.12.2014, S. 911. 3 Vgl. Verzeichnis der für allgemeinverbindlich erklärten Tarifverträge, Stand: 1.1.2017, http://www.bmas.de/SharedDocs/Downloads/DE/PDF-Publikationen-DinA4/arbeitsrechtverzeichnis-allgemeinverbindlicher-tarifvertraege.pdf?__blob=publicationFile&v=9 (zuletzt aufgerufen am 3.7.2017) sowie die Übersicht „Mindestlöhne im Sinne des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes und nach dem Tarifvertragsgesetz“, Stand: 1.1.2017, http:// www.bmas.de/SharedDocs/Downloads/DE/pr-mindestloehne-aentg-uebersicht.pdf?__blob =publicationFile&v=19 (zuletzt aufgerufen am 18.9.2017).

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§ 128 | Auftragsausführung 19 Wie sich aus der Formulierung „insbesondere“ ergibt, sind die in § 128 Abs. 1

GWB aufgelisteten gesetzlichen Pflichten nicht abschließend. Allgemeingültige Rechtsvorschriften, welche bei der Auftragsausführung zu beachten sind, sind z.B. die landesgesetzlichen Bestimmungen über Sonn- und Feiertage1.

20 Da sämtliche der in Art. 30 Abs. 3 RL 2014/23/EU i.V.m. Anhang X RL 2014/23/

EU, Art. 18 Abs. 2 RL 2014/24/EU i.V.m. Anhang X RL 2014/24/EU sowie in Art. 36 Abs. 2 RL 2014/25/EU i.V.m. Anhang XIV RL 2014/25/EU aufgelisteten internationalen Abkommen in das nationale Recht implementiert wurden, handelt es sich auch insoweit um allgemeingültige Rechtsvorschriften i.S.v. § 128 Abs. 1 GWB. Im Einzelnen betrifft dies dass – AO-Übereinkommen Nr. 87 über die Vereinigungsfreiheit und den Schutz des Vereinigungsrechtes vom 9.7.1948 (BGBl. II 1956, 2073), – IAO-Übereinkommen Nr. 98 über die Anwendung der Grundsätze des Vereinigungsrechtes und des Rechtes zu Kollektivverhandlungen vom 1.7.1949 (BGBl. II 1955, 1123), – dem IAO-Übereinkommen Nr. 29 über Zwangs- oder Pflichtarbeit vom 28.6. 1930 (BGBl. II 1956, 641), – IAO-Übereinkommen Nr. 105 über die Abschaffung der Zwangsarbeit vom 25.6 1957 (BGBl. II 1959, 442), – IAO-Übereinkommen Nr. 138 über das Mindestalter für die Zulassung zur Beschäftigung vom 26.6.1973 (BGBl. II 1976, 202), – IAO-Übereinkommen Nr. 111 über die Diskriminierung in Beschäftigung und Beruf vom 25.6.1958 (BGBl. II 1961, 98), – IAO-Übereinkommen Nr. 100 über die Gleichheit des Entgelts männlicher und weiblicher Arbeitskräfte für gleichwertige Arbeit vom 29.6.1951 (BGBl. II 1956, 24), – IAO-Übereinkommen Nr. 182 über das Verbot und unverzügliche Maßnahmen zur Beseitigung der schlimmsten Formen der Kinderarbeit vom 17.6. 1999 (BGBl. II 2001, 1291), – Wiener Übereinkommen zum Schutz der Ozonschicht und das zugehörige Montrealer Protokoll über Stoffe, die zu einem Abbau der Ozonschicht führen vom 16.9.1987 (BGBl. II 1988, 1014), zuletzt geändert von der Elften Tagung der Vertragsparteien des Montrealer Protokolls in Peking am 3.12.1999 (BGBl. II 2002, 921 [923]),

1 Exemplarisch: Gesetz über die Sonn- und Feiertage (Feiertagsgesetz NW) in der Fassung der Bekanntmachung vom 23.4.1989 (GV NW, S. 222), zuletzt geändert durch Gesetz vom 20.12.1994 (GV NW S. 1114); Gesetz über den Schutz der Sonn- und Feiertage (Feiertagsgesetz – FTG) vom 21.5.1980 (BayRS II S. 172, 1131-3-I), zuletzt geändert durch Gesetz vom 12.4.2016 (GVBl. Bayern S. 50).

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– Basler Übereinkommen über die Kontrolle der grenzüberschreitenden Verbringung gefährlicher Abfälle und ihrer Entsorgung (Basler Übereinkommen), umgesetzt durch die – in allen EU-Staaten unmittelbar geltende – Verordnung (EWG) Nr. 259/93 des Rates zur Überwachung und Kontrolle der Verbringung von Abfällen in der, in die und aus der Europäischen Gemeinschaft vom 1.2.1993 (ABl. Nr. L 30/1 vom 6.2.1993), mittlerweile ersetzt durch die Verordnung (EG) Nr. 1013/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14.6.2006) über die Verbringung von Abfällen (ABl. Nr. L 190/1 vom 12.7.2006) i.V.m. dem Gesetz zur Ausführung der Verordnung (EG) Nr. 1013/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14.6. 2006 über die Verbringung von Abfällen 1) und des Basler Übereinkommens vom 22.3.1989 über die Kontrolle der grenzüberschreitenden Verbringung gefährlicher Abfälle und ihrer Entsorgung 2) (Abfallverbringungsgesetz – AbfVerbrG) (BGBl. I S. 1462), zuletzt geändert durch Gesetzes vom 1.11. 2016 (BGBl. I 2016, 2452), – Stockholmer Übereinkommen vom 23.5.2001 über persistente organische Schadstoffe (POPs-Übereinkommen) (BGBl. II 2002, 803) – sowie das UNEP/FAO-Übereinkommen vom 10.9.1998 über das Verfahren der vorherigen Zustimmung nach Inkenntnissetzung für bestimmte gefährliche Chemikalien sowie Pflanzenschutz- und Schädlingsbekämpfungsmittel im internationalen Handel (PIC-Übereinkommen) (BGBl. II 2000, 1058). Maßgeblich sind stets die am Ort der Leistungserbringung geltenden Vor- 21 schriften. Hierbei muss es sich nicht zwingend um den Sitz des Auftraggebers handeln. Lieferleistungen werden in der Regel am Sitz des öffentlichen Auftraggebers erbracht. Bei Dienstleistungen muss dies nicht unbedingt der Fall sein. In der Gesetzesbegründung wird z.B. auf Call-Center-Leistungen verwiesen, welche in der Regel am Betriebsort des Call-Centers erbracht werden1. § 128 Abs. 1 GWB enthält keine Vorgaben, wie die Einhaltung der genannten 22 Regelungen sichergestellt werden soll. Die Ergänzung einer Regelung zu Kontrollinstrumenten, mit deren Hilfe die Einhaltung der von § 128 Abs. 1 GWB erfassten gesetzlichen Bestimmung sichergestellt werden sollte, wurde im Gesetzgebungsverfahren abgelehnt (vgl. Rz. 7). Der Gesetzgeber verweist insoweit auf die in den Spezialvorschriften selber enthaltenen Instrumente2. Exemplarisch genannt werden können z.B. die Kontrollrechte und Sanktionsmöglichkeiten nach §§ 14 ff. MiLoG. Dem öffentlichen Auftraggeber ist es indes freigestellt, die Einhaltung allgemeingültiger Rechtsvorschriften durch zusätzliche Maßnahmen sicherzustellen. So kann er diese z.B. als vertragliche Haupt- oder Nebenpflichten 1 Vgl. Gesetzesbegründung VergRModG 2016, BT-Drucks. 18/6281, S. 113 unter Verweis auf Erwägungsgründen 37 und 38 RL 2014/24/EU; ebenso Dorschfeld/Mutschler-Siebert in Heiermann/Summa/Zeis, jurisPK-VergR, GWB, § 128 Rz. 10. 2 Gesetzesbegründung VergRModG 2016, BT-Drucks. 18/6281, S. 113.

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§ 128 | Auftragsausführung vorsehen und Verstöße hiergegen durch Vertragsstrafen, außerordentliche Kündigungsrechte etc. sanktionieren1. 23 Obgleich sich für Auftragnehmer bereits aus dem Bundesrecht ergibt, dass im

Rahmen der Auftragsausführung die ILO-Kernarbeitsnormen zu beachten sind (vgl. Rz. 20), regeln häufig auch die Landesvergabegesetze, dass bei der Ausführung öffentlicher Aufträge keine Waren verwendet werden dürfen, die unter Missachtung der ILO-Kernarbeitsnomen gewonnen oder hergestellt wurden (vgl. z.B. § 8 Abs. 2 BerlAVG, § 3a Abs. 2 HambVgV, § 7 TVgG NRW, § 12 Abs. 2 LVG SA, § 11 Abs. 2 ThürVgV). Eine sinnvolle Ergänzung bundesrechtlicher Pflichten stellen jedoch die in den Landesvergabegesetzen vorgesehenen Kontroll- und Sanktionsmechanismen dar, etwa die Pflicht zur Vorlage von Nachweisunterlagen (z.B. § 5 BerlAVG, § 16 Abs. 4 Nr. 3 TVgG NRW i.V.m. § 8 Abs. 1 RVO TVgG NRW), Vertragsstrafenregelungen (vgl. etwa § 6 Abs. 1 BerlAVG, § 11 Abs. 1 HambVgG, § 16 Abs. 4 Nr. 3 TVgG NRW i.V.m. § 8 Abs. 2 RVO TVgG NRW, § 18 Abs. 1 LVG SA, § 18 Abs. 1 ThürVgV), Kündigungsrechte (vgl. § 6 Abs. 2 BerlAVG, § 11 Abs. 1 HambVgG, § 18 Abs. 2 LVG SA, § 18 Abs. 2 ThürVgV) oder zeitlich befristete Vergabesperren (vgl. z.B. § 6 Abs. 3 BerlAVG, § 18 Abs. 3 LVG SA, § 18 Abs. 3 ThürVgV).

III. Besondere Bedingungen für die Ausführung des Auftrags (§ 128 Abs. 2) 24 Die Vorschrift des § 128 Abs. 2 GWB sieht vor, dass öffentliche Auftraggeber

besondere Bedingungen für die Ausführung eines Auftrags (Ausführungsbedingungen) festlegen können, sofern diese mit dem Auftragsgegenstand entsprechend § 127 Abs. 3 in Verbindung stehen. 1. Begriff der Besonderen Ausführungsbedingungen

25 Ausführungsbedingungen können beschrieben werden als „Vertragsbedingun-

gen, die mit dem Zuschlag Bestandteil der vertraglichen Leistung werden und insofern einklagbare Pflichten darstellen“2. Die Ausführungsbedingungen betreffen also den Zeitpunkt nach Zuschlagserteilung. Sie dürfen keinen Einfluss auf die Eignungs- und Angebotsprüfung haben3. Mithin sind Ausführungs-

1 Wiedemann in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, GWB, § 128 Rz. 13 unter Verweis auf Erwägungsgrund 37 RL 2014/24 EU. 2 Dorschfeld/Mutschler-Siebert in Heiermann/Summa/Zeis, jurisPK-VergR, GWB, § 128 Rz. 17. 3 Erwägungsgrund 104 RL 2014/24 EU; OLG Düsseldorf v. 7.5.2014 – VII-Verg 46/13, VergabeR 2014, 797 (799); Dreher in Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, 5. Aufl. 2014, § 97 GWB Rz. 257.

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bedingungen von Eignungs- und Zuschlagskriterien abzugrenzen. Während anhand der Eignungskriterien geprüft wird, ob die Bewerber- oder Bieter über die generellen Fertigkeiten und Fähigkeiten verfügen, die zu vergebende Leistung zu erbringen, beziehen sich die Zuschlagskriterien auf die Leistungsinhalte und dienen der Ermittlung des Angebotes, welches den Anforderungen des Auftraggebers an den Leistungsgegenstand am besten entspricht1. 2. Mögliche Inhalte der Besondere Bedingungen für die Ausführung des Auftrags Gemäß § 128 Abs. 2 Satz 3 GWB können die Ausführungsbedingungen ins- 26 besondere wirtschaftliche, innovationsbezogene, umweltbezogene, soziale oder beschäftigungspolitische Belange oder den Schutz der Vertraulichkeit von Informationen umfassen. a) Ökonomische Gesichtspunkte Die Hervorhebung wirtschaftlicher Aspekte als Gegenstand von Ausführungs- 27 bedingungen stellt sich gegenüber der Vorgängerregelung des §§ 97 Abs. 4 Satz 2 GWB a.F. als Neuerung dar. Da jedoch schon § 97 Abs. 4 Satz 2 GWB a.F. die möglichen Gegenstände nur exemplarisch auflistete, hätte man Aspekte, die unter den Begriff der wirtschaftlichen Belange im Sinne des § 128 Abs. 2 Satz 3 GWB subsumiert werden, wohl auch unter § 97 Abs. 4 Satz 2 GWB a.F. fassen können. Wirtschaftliche Belange im eigentlichen Sinne dürften häufig produktbezogene 28 Anforderungen sein, welche im Rahmen der Zuschlagskriterien eine Rolle spielen, so dass für wirtschaftsbezogene Ausführungsbedingungen kein großer Anwendungsspielraum bliebe. Als relevante ökonomische Gesichtspunkte können aber auch – sofern diese Aspekte nicht zum Gegenstand der Zuschlagskriterien gemacht werden – den Handel betreffende Anforderung eingeordnet werden2, wie die Beschaffung der für die Auftragsausführung verwendeten Produkte im Wege des Fairen Handels3 oder die Umsetzung handelsbezogener Nachhaltigkeitssicherungskonzepte4. 1 EuGH v. 12.11.2009 – Rs. C-199/07 = NZBau 2010, 120 ff. Rz. 55; OLG Naumburg v. 12.4.2012 – 2 Verg. 1/12, VergabeR 2012, 749 (757); OLG München v. 10.2.2011 – Verg 24/10, NZBau 2011, 507 (511); Herrmann, VergabeR 2015, 296 (297); Dittmann, NZBau 2013, 746. 2 Ähnlich Gabriel/Bärenbrinker in Gabriel/Mertens/Prieß/Stein, BeckOKVergabeR, 2. Edition/Stand: 31.1.2017, GWB, § 128 Rz. 28; Pfohl in Müller-Wrede, GWB, § 128 Rz. 14 („wirtschaftspolitische“ Belange). 3 Vgl. EuGH v. 10.5.2012 – Rs. C-368/10, NVwZ 2012, 867 Rz. 61 – „Provinz Nord-Holland“; Wiedemann in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, GWB, § 128 Rz. 19. 4 Siegel, VergabeR 2013, 370 (375 f.).

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§ 128 | Auftragsausführung b) Innovationsbezogene Gesichtspunkte 29 Ebenso, wie vormals § 97 Abs. 4 Satz 2 GWB a.F., nennt auch § 128 Abs. 2

Satz 3 GWB als möglichen Regelungsgegenstand von Ausführungsbedingungen innovationsbezogene Belange. Zum Teil wird die Tauglichkeit innovativer Aspekte als Gegenstand von Auftragsausführungsbedingungen angezweifelt. Der Gegenstand zukünftiger Entwicklungen entziehe sich der Kenntnis des Auftraggebers und könne dem Unternehmen folglich nicht als Auftragsbedingung vorgegeben werden1. Allerdings dürfte es durchaus möglich sein, ohne das konkrete Ergebnis vorwegzunehmen, eine für die Zukunft gewünschte Entwicklung dem Ziel nach zu beschreiben.

30 Zulässig sein dürften insbesondere Bedingungen hinsichtlich der Förderung von

Forschung und Entwicklung im Hinblick auf die angebotenen Leistungen2. Im Falle der Beschaffung einer Buchhaltungssoftware könnte dem Auftraggeber z.B. aufgegeben werden, für einen bestimmten Zeitraum Updates zur Verfügung zu stellen, welche eine Anpassung der Software an veränderte gesetzliche oder sonstige Rahmenbedingungen, etwa an GoB-Standards (Grundsätze ordnungsgemäßer Buchführung) vorsehen. Als weiteres Beispiel nennt Burgi z.B. die Vorgabe einer „ökologischen Optimierung“ von Reinigungsleistungen oder die Entwicklung von Entsorgungskonzepten für Reinigungsmittel als denkbare Ausführungsbedingungen3. Fehling weist z.B. auf die Statuierung innovativer Produktanforderungen im Rahmen der Ausschreibung des LKW-Mautsystems hin4. c) Umweltbezogene Gesichtspunkte

31 Die Ausführungsbedingungen dürfen, wie schon in § 97 Abs. 4 Satz 2 GWB a.F.

vorgesehen, auch umweltbezogene Belange zum Gegenstand haben. Diese können sich, wie sich aus dem Hinweis auf § 127 Abs. 3 GWB ergibt, auf sämtliche Prozesse im Zusammenhang mit der Herstellung, Bereitstellung oder Entsorgung der Leistung, auf den Handel mit ihr oder auf ein sonstiges Lebenszyklusstadium beziehen.

32 In Betracht gezogen werden kann z.B. die Verpflichtung der Auftragnehmer zur

Realisierung eines umweltverträglichen Lieferkonzepts, etwa durch Zusammenfassung von Lieferungen, Ausweichen auf verkehrsarme Lieferzeiten etc.5 oder die Entwicklung und Anwendung eines abfallvermeidenden Arbeitskonzepts6.

1 Dorschfeld/Mutschler-Siebert in Heiermann/Summa/Zeis, jurisPK-VergR, GWB, § 128 Rz. 40. 2 Wiedemann in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, GWB, § 128 Rz. 19. 3 Burgi, NZBau 2011, 577 (581 f.). 4 Fehling in Pünder/Schellenberg, GWB, 2. Aufl. 2015, § 97 a.F. Rz. 143. 5 Vgl. Europäische Kommission, Umweltorientierte Beschaffung, Handbuch für ein umweltorientiertes öffentliches Beschaffungswesen, 2. Aufl. 2011, S. 61 ff. 6 Wiedemann in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, GWB, § 128 Rz. 19.

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Angesichts der anhaltenden Diskussion über die Luftreinhaltung der Innenstän- 33 de, insbesondere die Bemühungen zur Reduzierung der Feinstaubbelastung1, liegt es nahe, konkrete Vorgaben zur Umweltverträglichkeit der im Rahmen der Auftragsdurchführung eingesetzten Fahrzeuge bzw. Maschinen zu machen. So hat z.B. das OLG Düsseldorf die Vorgabe, dass die im Rahmen der Auftragsdurchführung eingesetzten Fahrzeuge mit einer grünen Umweltplakette versehen sind, für zulässig gehalten2. d) Soziale und beschäftigungspolitische Gesichtspunkte Als soziale oder beschäftigungspolitische Belange i.S.d. § 128 Abs. 2 GWB kom- 34 men Aspekte in Betracht, die nicht durch allgemeinverbindliche rechtliche Bestimmungen umgesetzt und daher bereits von § 128 Abs. 1 GWB erfasst werden. Z.B. ließen sich die sog. ILO-Kernarbeitsnorm als soziale oder beschäftigungspolitische Belange begreifen, da jedoch davon auszugehen ist, dass diese vollständig in nationales Rechts transferiert wurden (s.o., Rz. 20), scheiden diese als soziale oder beschäftigungspolitische Belange im Sinne des § 128 Abs. 2 GWB aus3. Die Möglichkeit, soziale Aspekte betreffende Ausführungsbedingungen vorzu- 35 sehen, ergab sich ebenfalls bereits aus § 97 Abs. 4 S. 2 GWB a.F. Hierbei kann es sich insbesondere um Vorgaben handeln, die auf die soziale Integration benachteiligter Personen oder die Inklusion von Menschen mit Behinderungen abzielen4. Als beschäftigungspolitische Belange lassen sich etwa die Durchführung von 36 regelmäßigen Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen für bestimmte förderwürdige Zielgruppen bzw. deren Einstellung (etwa bezogen auf Auszubildende5, Langzeitarbeitslose6, ältere Arbeitnehmer etc.) begreifen. Ferner fallen unter die beschäftigungspolitischen Belange Anforderungen der öffentlichen Auftraggeber, die der Förderung der Vereinbarkeit von Arbeit und Familienleben7 oder der Gleichstellung von Mann und Frau am Arbeitsplatz dienen8. Die 1 Vgl. z.B. Sold, Der Stau von Stuttgart, Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 5.3.2017, Nr. 9, S. 3. 2 OLG Düsseldorf v. 7.5.2014 – VII-Verg 46/13, VergabeR 2014, 797 (799). 3 Gabriel/Bärenbrinker in Gabriel/Mertens/Prieß/Stein, BeckOKVergabeR, GWB, § 128 Rz. 32; Pfohl in Müller-Wrede, GWB, § 128 Rz. 37. 4 Erwägungsgrund 99 Abs. 1 RL 2014/24 EU. 5 Erwägungsgrund 98, 99 RL 2014/24 EU; Gesetzesbegründung VergRModG 2016, BTDrucks. 18/6281, 114. 6 EuGH v. 20.9.1988 – Rs-C 31/87 = NVwZ 1990 Rz. 28 ff. 7 Erwägungsgrund 98 Abs. 2 RL 2014/24 EU; Wiedemann in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, GWB, § 128 Rz. 19. 8 Erwägungsgrund 98 Abs. 2 RL 2014/24 EU; ebenso Dorschfeld/Mutschler-Siebert in Heiermann/Summa/Zeis, jurisPK-VergR, GWB, § 128 Rz. 35.

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§ 128 | Auftragsausführung Möglichkeit zur Festlegung von Ausführungsbedingungen, welche auf die Förderung der Vereinbarkeit von Beruf und Familie oder auf die Frauenförderung ausgerichtet sind, ergibt sich häufig aus den Landesvergabegesetzen. Sofern derartige Fördermaßnahmen notwendig vorzugeben sind (vgl. z.B. § 9 BerlAVG i.V.m. § 13 LGG), dürften diese als Ausführungsbedingung i.S.d. § 129 GWB einzuordnen sein. 37 Beschäftigungspolitischer Art ist ferner die Bedingung des öffentlichen Auftrag-

gebers, den im Rahmen der Auftragsausführung eingesetzten Mitarbeitern ein bestimmtes Mindestentgelt zu zahlen1. Sofern sich die Verpflichtung zur Zahlung aus dem MiLoG bzw. aus einer gemäß §§ 7, 7a, 11 AEntG erlassenen Rechtsverordnung ergibt, handelt es sich um allgemeinverbindliche rechtliche Verpflichtungen i.S.d. § 128 Abs. 1 GWB (vgl. Rz. 17).

38 Häufig sehen auch die Landesvergabegesetze vor, dass die öffentlichen Auftrag-

geber die Auftragnehmer zur Zahlung eines Mindestentgelten verpflichten (vgl. z.B. § 4 Abs. 3 TVgG NRW, § 4 Abs. 3 TTG SchlH, § 4 Abs. 1 LTMG BW, § 6 Abs. 2 BbgVergG, § 9 Abs. 1 Tariftreue- und Vergabegesetz Bremen, § 9 Abs. 4 und 5 VgG M-V). Zur Vereinbarung der entsprechenden Mindestlöhne, welche z.T. von den auf bundesrechtlicher Grundlage vorgesehen Mindestlöhnen nach oben abweichen2, werden den Auftraggebern teilweise Muster für entsprechende Vertragsbedingungen zur Verfügung gestellt3. Häufig wird angenommen, dass diese Vorgaben Ausführungsbedingungen i.S.d. § 128 Abs. 2 GWB sind4. Aufgrund ihres verpflichtenden Charakters dürfte es sich aber ebenfalls um zwingend zu berücksichtigende Ausführungsbedingungen i.S.v. § 129 GWB handeln5. e) Schutz der Vertraulichkeit von Informationen

39 Ausführungsbedingungen können sich nach § 128 Abs. 2 S. 3 GWB auch mit

dem Schutz der Vertraulichkeit von Informationen befassen. Der Gesetzgeber verweist darauf, dass Auftraggeber den Bewerbern oder Bietern gemäß Art. 21 Abs. 2 RL 2014/24/EU, Art. 39 Abs. 2 RL 2014/25/EU und Artikel 28 Abs. 2 RL

1 EuGH v. 17.11.2015 – C-115/14 = NZBau 2016, 46 ff. Rz. 70 ff. – „Regio Post“. 2 In Schleswig-Holstein ist z.B. die Vorgabe eines Mindeststundenentgeltes in Höhe von 9,99 Euro vorgesehen, vgl. § 4 Abs. 3 TTG SchlH i.V.m. der Landesverordnung über die Anpassung des Mindeststundenentgeltes nach dem Tariftreue- und Vergabegesetz Schleswig-Holstein (TTG-MinAVO) v. 17.1.2017 (GVOBl. S. 25). Das brandenburgische Landesrecht schreibt beispielsweise einen Mindestlohn von 9,00 Euro vor, vgl. § 6 Abs. 2 BbgVergG. 3 Vgl. z.B. die Vordrucke zum TVgG NRW, https://www.vergabe.nrw.de/servicestelletvgg-nrw (zuletzt aufgerufen am 18.9.2017). 4 Bonitz, NZBau 2016, 418 (420 f.). 5 Dorschfeld/Mutschler-Siebert in Heiermann/Summa/Zeis, jurisPK-VergR, GWB, § 129 Rz. 9.

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Auftragsausführung | § 128

2014/23/EU Anforderungen vorschreiben dürfen, die dem Schutz der Vertraulichkeit der im Rahmen des Auftragsvergabeverfahrens zur Verfügung gestellten Informationen dienen. Ist Gegenstand eines öffentlichen Auftrags etwa die Leerung von Kassenautomaten (z.B. auf öffentlichen Parkplätzen, Recyclinghöfen etc.) und der Transport des entnommenen Bargeldes, so dürften die in der Leistungsbeschreibung mitgeteilten oder im Rahmen der Auftragsausführung erlangten Detailkenntnisse, etwa über die Bargeldmengen, als vertrauliche Informationen angesehen werden können, deren Schutz zur Bedingung der Auftragserteilung gemacht werden kann. Spätestens seit den „Snowden“-Enthüllungen wird in Deutschland vermehrt die 40 Gefährdung der IT-Sicherheit, insbesondere durch Spionageangriffe ausländischer Geheimdienste, diskutiert1. Dieser Entwicklung konnten sich auch öffentliche Auftraggeber nicht verschließen und sind vermehrt dazu übergegangen, insbesondere bei der Beschaffung von IT-Dienstleistungen sog. „No-Spy“Garantien zu fordern2. Die Zulässigkeit solcher Erklärungen wurde vom OLG Düsseldorf unlängst bestätigt3. Das Bundesministerium des Innern (BMI) hat – in seinem Geschäftsbereich – dem Beschaffungsamt des Bundesministeriums des Innern mit Erlass vom 19.8.2014 aufgegeben, bei Vergabeverfahren mit möglicher Sicherheitsrelevanz von Bietern gegebenenfalls eine entsprechende Eigenerklärung zu verlangen4 und zur Erläuterung des Erlasses eine Handreichung herausgegeben5. Es bietet sich für öffentliche Auftraggeber an, diese Unterlagen in vergleichbaren Beschaffungsfällen entsprechend heranzuziehen. Im Falle der entsprechenden Anwendung des § 128 Abs. 2 GWB gemäß § 147 41 GWB auf verteidigungs- und sicherheitsspezifische Aufträge können, wie sich aus Art. 20 RL 2009/81/EG ergibt, auch Vorgaben in Bezug auf die Sicherheit von Verschlusssachen oder Hinblick auf die Gewährleistung der Versorgungs1 Vgl. z.B. Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 23.2.2017, Nr. 46, S. 16, Artikel „Datenindustrie mahnt Regierungen zu Cybersicherheit“; Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 28.7. 2014, Nr. 172, S. 1, Artikel „Maaßen will Spionageabwehr gegen befreundete Staaten verstärken“. 2 Reichling, Vergabeblog.de vom 17/05/2016, Nr. 25814 (zuletzt aufgerufen am 18.9.2017). 3 OLG Düsseldorf v. 21.10.2015 – Verg 28/14, NZBau 2016, 235 (248). 4 Erlass des BMI v. 30.4.2014 – O4-11032/23#14, Verwendung einer Eigenerklärung und einer Vertragsklausel in Vergabeverfahren im Hinblick auf Risiken durch nicht offengelegte Informationsabflüsse an ausländische Sicherheitsbehörden, https://www.bmi. bund.de/SharedDocs/Downloads/DE/Nachrichten/Kurzmeldungen/2014/no-spy-erlass. pdf;jsessionid=3933174E3FC426B82F7F46D422DC9A2B.2_cid295?__blob=publication File (zuletzt aufgerufen am 18.9.2017). 5 Handreichung zum Erlass an das Beschaffungsamt des BMI (BeschA) (Erlass vom 30.4. 2014 – O4-11032/23#14) vom 19.8.2014, https://www.bmi.bund.de/SharedDocs/Down loads/DE/Nachrichten/Kurzmeldungen/2014/no-spy-erlass-erl%C3%A4uterungen.pdf; jsessionid=3933174E3FC426B82F7F46D422DC9A2B.2_cid295?__blob=publicationFile (zuletzt aufgerufen am 18.9.2017).

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§ 128 | Auftragsausführung sicherheit gemacht werden (s.o., Rz. 5). Konkret kann es sich z.B. um die Bedingung handeln, nur sicherheitsüberprüfte Mitarbeiter einzusetzen1. f) Sonstige Gesichtspunkte (Bestimmungsfreiheit des öffentlichen Auftraggebers) 42 Wie sich aus dem Wort „insbesondere“ ergibt, sind die in § 128 Abs. 2 Satz 3

GWB aufgeführten Aspekte nicht als abschließende Auflistung zu verstehen, sondern nur exemplarischer Natur2, d.h., der Auftraggeber hat einen weiten Spielraum für die Statuierung sonstiger Bedingungen für die Ausführung des Auftrags. Genannt werden in diesem Zusammenhang z.B. sog. ScientologySchutzklauseln, wonach dem Bewerber aufgegeben wird, nicht mit der Scientology-Sekte zusammenzuarbeiten bzw. deren Methoden einzusetzen3.

3. Grenzen des Bestimmungsrechts des öffentlichen Auftraggebers 43 Wie sich aus der Gesetzesbegründung ergibt, bedarf die Vorgabe von Auftrags-

bedingungen zwar keiner besonderen Begründung des öffentlichen Auftraggebers4, gleichwohl unterliegt die Statuierung von Auftragsbedingungen rechtlichen Grenzen. a) Verbindung mit dem Auftragsgegenstand

44 Wie in § 128 Abs. 2 S. 2 GWB ausdrücklich klargestellt wird, müssen die Bedin-

gungen mit dem Gegenstand des Auftrags entsprechend § 127 Abs. 3 GWB in Verbindung stehen. Das Erfordernis einer Verbindung zum Auftragsgegenstand ist grundsätzlich keine Neuerung. Bereits nach der Vorgängerregelung des § 97 Abs. 4 S. 2 GWB war ein sachlicher Zusammenhang mit dem Auftragsgegenstand erforderlich. Dadurch, dass nach der entsprechend anwendbaren Bestimmung des § 127 Abs. 3 GWB ein Bezug zu einer Lebenszyklusphase ausreicht, ergibt sich de lege lata ein größerer Spielraum auch für Ausführungsbedingungen.

45 Mit dem Auftragsgegenstand stehen sie insbesondere dann in Verbindung,

wenn sie sich unmittelbar auf die auftragsgegenständliche Leistung beziehen (vgl. § 127 Rz. 82). In der Gesetzesbegründung wird z.B. der Fall genannt, dass der Einsatz von Auszubildenden oder Langzeitarbeitslosen bei der Ausführung des konkreten Auftrages festgeschrieben wird5.

1 Pfohl in Müller-Wrede, GWB, § 128 Rz. 42. 2 Gesetzesbegründung VergRModG 2016, BT-Drs. 18/6281, 114. 3 Fehling in Pünder/Schellenberg, GWB, § 97 a.F. Rz. 145; Roth/Erben, NZBau 2013, 409 (409 f.). 4 Gesetzesbegründung VergRModG 2016, BT-Drucks. 18/6281, S. 114. 5 Gesetzesbegründung VergRModG 2016, BT-Drucks. 18/6281, S. 114.

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Auftragsausführung | § 128

Eine hinreichende Verbindung zum Auftragsgegenstand kann entsprechend 46 § 127 Abs. 3 GWB aber auch dann gegeben sein, wenn sich die Ausführungsbedingungen nicht unmittelbar auf die materiellen Eigenschaften des Auftragsgegenstandes auswirken. Ausreichend ist danach die bloße Konnexität zu einer beliebigen Lebenszyklusphase der Leistung (vgl. § 127 Rz. 83). Ein Beispiel ist die Vorgabe, dass entlang der Produktions- und Lieferkette der auftragsgegenständlichen Leistung internationale Standards, wie die ILO-Kernarbeitsnormen, eingehalten werden. Nicht zulässig ist es indes, über Ausführungsbedingungen dem Unternehmen 47 allgemeine Vorgaben für seine Unternehmenspolitik oder Betriebsorganisation zu machen (vgl. § 127 Rz. 84)1. Das wäre der Fall, wenn dem Auftragnehmer generell, ohne Auftragsbezug, einzuhaltende Mindestarbeitsbedingungen, wie z.B. eine Mindesturlaubsdauer, vorgeschrieben würden. b) Vereinbarkeit mit allgemeinen vergaberechtlichen Prinzipien und höherrangigem Recht Limitiert wird die Bestimmungsfreiheit des öffentlichen Auftraggebers hinsichtlich 48 der Festlegung von Ausführungsbedingungen auch durch den in § 97 Abs. 1 Satz 2 ausdrücklich normierten Grundsatz der Verhältnismäßigkeit2. Bezogen auf die Ausführungsbedingungen ergibt sich aus dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, dass die konkrete Anforderung einem legitimen Zweck dienen muss, dass sie zur Erreichung dieses Zwecks geeignet ist, dass keine weniger belastenden und ebenso tauglichen Mittel in Betracht kommen und dass hiermit für den Auftragnehmer keine völlig außer Verhältnis zu den möglichen positiven Wirkungen stehende Belastung verbunden ist3. Nicht geeignet wären z.B. unerfüllbare Bedingungen (z.B. die Vermeidung jeglicher Lärmemissionen bei der Ausführung von Bauarbeiten), weil hiermit das angestrebte Ziel, etwa gewünschte soziale oder ökologische Anforderungen, schlicht nicht erreicht werden können4. Unverhältnismäßig sein könnte es z.B., wenn die Durchführung von sozialen Fördermaßnahmen im Zusammenhang mit der Auftragsausführung, wie z.B. der Gleichstellung von Frauen und Männern am Arbeitsplatz ohne Unterscheidung der Unternehmensgröße gefordert wird. Um der unterschiedlichen Belastungsintensität derartiger Maßnahmen für große Unternehmen einerseits und Kleinunternehmen andererseits Rechnung zu tragen, kann es z.B. geboten sein, dass das Niveau der Anforderungen unter Berücksichtigung der Mitarbeiterzahl des Unternehmens festgelegt wird,5 1 Gesetzesbegründung VergRModG 2016, BT-Drucks. 18/6281, S. 114. 2 Wiedemann in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, GWB, § 128 Rz. 34. 3 Allgemein zum Verhältnismäßigkeitsgrundsatz gemäß § 97 Abs. 1 Satz 2 GWB FehnsBöer in Müller-Wrede, GWB, § 97 Rz. 138. 4 Burgi, NZBau 2015, 597 (601). 5 Wiedemann in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, GWB, § 128 Rz. 39; Burgi, NZBau 2015, 597 (600).

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§ 128 | Auftragsausführung wie das in einzelnen Landesgesetzen erfolgt ist (vgl. z.B. §§ 8, 16 Abs. 4 Nr. 4 TVgG NRW i.V.m. § 9 RVO TVgG NRW). Da sich soziale Anforderungen in Bezug auf das ausführende Personal i.d.R. nur bei längerfristigen Aufträgen oder intensivem Personaleinsatz auswirken, können z.B. darauf bezogene Ausführungsbedingungen bei kurzfristigen Leistungen oder mit wenig Personal zu erbringenden Leistungen unverhältnismäßig sein1. 49 Des Weiteren sind Ausführungsbedingungen nur insoweit zulässig, wie sie mit

den vergaberechtlichen Prinzipien, also dem Wettbewerbsprinzip (§ 97 Abs. 1 GWB), dem Gleichbehandlungsgrundsatz (§ 97 Abs. 2 GWB) und sonstigem EU-Recht in Einklang stehen2. Insbesondere dürfen Ausführungsbedingungen zu keiner Diskriminierung von Bewerbern oder Bietern führen. Unzulässig wären z.B. Ausführungsbedingungen, die ohne sachliche Rechtfertigung Unternehmer aus anderen EU-Mitgliedstaaten benachteiligen. 4. Veröffentlichungspflichten

50 Die Vorgabe von Ausführungsbedingungen setzt voraus, dass diese bereits in

der Bekanntmachung des Auftrags oder den Vergabeunterlagen schriftlich niedergelegt sind. Die Herstellung einer ausreichenden Transparenz ist erforderlich, damit Bewerber oder Bieter auf gesicherter Grundlage entscheiden können, ob sie im Falle des Zuschlags in der Lage sind, diese Bedingungen einzuhalten3.

5. Nachweise und Instrumente zur Sicherstellung der Beachtung von Ausführungsbedingungen 51 Ihrem Charakter als Bestandteil der vertraglichen Leistung und einklagbare

Pflichten entsprechend (s.o., Rz. 25), müssen die Ausführungsbedingungen dem Auftragnehmer in einer geeigneten Form „aufgegeben“ werden. Denkbar ist, dass diese in den Vertragstext aufgenommen werden oder dass die Auftragnehmer zur Abgabe von entsprechenden Verpflichtungserklärungen aufgefordert werden4. Die Rechtsklarheit dürfte für die letztere Variante sprechen. Außerdem dürfte die Abgabe einer Verpflichtungserklärung eine stärkere Warnfunktion nach sich ziehen.

52 Nach § 61 VgV können öffentliche Auftraggeber auch Nachweise fordern mit-

tels derer der Auftragnehmer belegt, dass die geforderten Ausführungsbedin-

1 Burgi, NZBau 2015, 597 (601); Latzel, NZBau 2014, 673 (680). 2 I.d.S. EuGH v. 20.9.1988 – Rs. C-31/87 = IBRRS 33272 Rz. 37 – „Beentjes“. Vgl. auch Erwägungsgrund 37 Abs. 2 RL 2014/24/EU. 3 Erwägungsgrund 104 RL 2014/24 EU; Gesetzesbegründung VergRModG 2016, BTDrucks. 18/6281, S. 114. 4 Dorschfeld/Mutschler-Siebert in Heiermann/Summa/Zeis, jurisPK-VergR, GWB, § 128 Rz. 26.

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Auftragsausführung | § 128

gungen eingehalten werden. Wie sich unmittelbar aus § 61 VgV ergibt, kann die Nachweisführung mittels Bescheinigungen von Konformitätsbewertungsstellung gemäß § 33 VgV oder in Gestalt von Gütezeichen i.S.d. § 34 VgV erfolgen. Die Verpflichtung des Auftragnehmers zur Einhaltung der Ausführungsbedin- 53 gungen hat keinen großen praktischen Wert, wenn es dem öffentlichen Auftraggeber an effektiven Kontroll- und Sanktionsmechanismen fehlt. Obgleich es keine Verpflichtung gibt, entsprechende Maßnahmen vorzuschreiben, dürfte es i.d.R. sinnvoll sein, wenn der öffentliche Auftraggeber Kontroll- und Sanktionsmechanismen vorsieht (z.B. Vertragsstrafen, Kündigungsmöglichkeiten, Einsichtsrechte etc. Im Einzelnen kann auf die Ausführungen zu § 128 Abs. 1 GWB verwiesen werden (s.o., Rz. 22).

IV. Bieterschützender Charakter Soweit § 128 Abs. 1 GWB lediglich auf die für Bieter ohnehin geltenden recht- 54 lichen Verpflichtungen verweist, etwa die Pflicht zur Zahlung von Steuern, Abgaben und Beiträge zur Sozialversicherung oder arbeitsschutzrechtliche Regelungen, dürfte die Vorschrift nicht drittschützend sein. Allerdings können Bieter eine Verletzung von § 128 Abs. 1 GWB insoweit geltend machen, wie eine fehlerhafte Anwendung der Vorschriften behauptet wird1. Geltend gemacht werden kann daher z.B., dass eine gesetzliche Pflicht zur Auftragsbedingung gemacht werden soll, obgleich die Voraussetzungen der Norm, aus der sich die Pflicht ergibt, nicht vorliegen. § 128 Abs. 2 GWB macht die Auferlegung zwingendender Ausführungsbedin- 55 gungen im Interesse des Wettbewerbs von einschränkenden Voraussetzung abhängig, u.a. davon, dass die Ausführungsbedingungen mit dem Auftragsgegenstand in Verbindung stehen. Mithin handelt es sich auch bei § 128 Abs. 2 GWB um eine bieterschützende Vorschrift2. Zu beachten ist indes, dass die Festlegung besonderer Ausführungsbedingungen gemäß § 128 Abs. 2 GWB grundsätzlich im Ermessen des öffentlichen Auftraggebers steht. Ebenso wie hinsichtlich der Festlegung von Zuschlagskriterien (vgl. hierzu die Kommentierung zu § 127 Rz. 154 ff.), kann sich der Anspruch des Bewerbers oder Bieters daher nur auf die Prüfung richten, ob bei deren Festlegung das vorgeschriebene Verfahren eingehalten wurde, ob von einem unzutreffenden oder unvollständig ermittelten Sachverhalt ausgegangen wurde, ob sachwidrige Erwägungen angestellt wurden oder ob ein selbst gesetzter Beurteilungsmaßstab nicht eingehalten wurde.

1 Wiedemann in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, GWB, § 128 Rz. 50. 2 1. VK Bund v. 3.9.2013 – VK 1-75/13, juris Rz. 29 (zu § 97 Ans. 4 Satz 2 GWB a.F.), Pfohl in Müller-Wrede, GWB, § 18 Rz. 44.

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§ 129 | Zwingend zu berücksichtigende Ausführungsbedingungen

§ 129 Zwingend zu berücksichtigende Ausführungsbedingungen Ausführungsbedingungen, die der öffentliche Auftraggeber dem beauftragten Unternehmen verbindlich vorzugeben hat, dürfen nur aufgrund eines Bundes- oder Landesgesetzes festgelegt werden. I. 1. 2. 3. 4.

Einführung Allgemeines . . . . . . . . . . . Europarechtliche Vorgaben Entstehungsgeschichte . . . Parallelregelungen . . . . . .

. . . .

. . . .

. . . .

. . . .

__ __ 1 4 5 6

II. Regelungsgehalt . . . . . . . . . . 1. Vorgabe von Ausführungsbedingungen nach Bundesoder Landesrecht . . . . . . . . . . 2. Rechtmäßigkeitsanforderungen III. Bieterschützender Charakter .

. . . .

_ ___ 7

8 12 15

I. Einführung 1. Allgemeines 1 Die Regelung des § 129 GWB sieht vor, dass Ausführungsbedingungen, die der

öffentliche Auftraggeber dem beauftragten Unternehmen verbindlich vorzugeben hat, nur aufgrund eines Bundes- oder Landesgesetzes festgelegt werden dürfen.

2 Die Regelung entspricht dem bisherigen § 97 Abs. 4 Satz 3 GWB und präzisiert

dessen Regelungsgehalt1.

3 § 129 GWB findet unmittelbar auf die Vergabe klassischer öffentlicher Auf-

träge Anwendung. Entsprechend anwendbar ist die Vorschrift nach § 142 GWB auf die Vergabe öffentlicher Aufträge durch Sektorenaufgeber, gemäß § 147 Satz 1 GWB auf die Vergabe von verteidigungs- und sicherheitsspezifischen Aufträgen und nach § 152 Abs. 4 GWB auf die Konzessionsvergabe. 2. Europarechtliche Vorgaben

4 Die Vorschrift des § 129 GWB hat keine europarechtliche Grundlage. Sie be-

ruht auf einem Entschluss des nationalen Gesetzgebers. 3. Entstehungsgeschichte

5 Die Fassung des § 129 GWB ist gegenüber der des Regierungsentwurfes unver-

ändert geblieben2. Bestrebungen, die Regelung des § 129 GWB auf Zuschlags-

1 Gesetzesbegründung VergRModG 2016, BT-Drucks. 18/6281, S. 114. 2 Gesetzentwurf der Bundesregierung, BT-Drucks. 367/15 v. 14.8.2015, S. 28 f.

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Zwingend zu berücksichtigende Ausführungsbedingungen | § 129

bzw. Eignungskriterien auszudehnen, konnten sich im Gesetzgebungsverfahren nicht durchsetzen1. Anlässlich der Beratung im Bundestag wurde zwar beantragt, das Wort „Ausführungsbedingungen“ durch die Formulierung „Zuschlags- und Ausführungsbedingungen“ zu ersetzen, wodurch eine gesetzliche Grundlage für die landesgesetzliche Ausgestaltung von Zuschlagskriterien geschaffen werden sollte2. Der Antrag fand jedoch keine Zustimmung3. Auch im Rahmen der Gesetzesberatung im Bundesrat haben die zuständigen Ausschüsse des Bundesrates versucht, mit einem Hauptantrag die Ausdehnung des § 129 GWB auf Eignungs- und Zuschlagskriterien zu erreichen4, wofür sich jedoch im Bundesrat keine Mehrheit fand5. Der hilfsweisen Empfehlung der Ausschüsse, den Gesetzesvorbehalt in § 129 GWB jedenfalls um Zuschlagskriterien zu ergänzen, stimmte der Bundesrat zwar zu6, jedoch blieb dies im weiteren Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens folgenlos. 4. Parallelregelungen § 129 GWB ergänzt mit einer Regelung der zwingend zu berücksichtigenden 6 Ausführungsbedingungen die Verpflichtung zur Beachtung allgemeiner rechtlicher Rahmenbedingungen gemäß § 128 Abs. 1 GWB sowie der auf Initiative des öffentlichen Auftraggebers vorgegebenen Bedingungen für die Ausführung des Auftrags (§ 128 Abs. 2 GWB).

II. Regelungsgehalt § 129 GWB stellt die Grundlage für die Vorgabe von Ausführungsbedingung 7 dar, welche der öffentliche Auftraggeber dem beauftragten Unternehmen zwingend vorzugeben hat.

1 Zur Entstehungsgeschichte vgl. auch Wiedemann in Kulartz/Kus/Potz/Prieß, GWB, 4. Aufl. 2016, § 129 Rz. 2 ff.; zur Entstehung der Vorgängerregelung: Diehr in Reidt/ Stickler/Glahs, GWB, 3. Aufl. 2011 (Vorauflage), § 97 a.F. Rz. 97. 2 Vgl. Änderungsantrag u.a. der Fraktion DIE LINKE, BT-Drucks. 18/7089 v. 16.12.2015, Satz 2 Ziffer 1 b) gg) u. S. 5. 3 Bundestag, Plenarprotokoll 18/146 v. 17.12.2015, Tagesordnungspunkt 9, S. 14428 zu Drucks. 18/7089. 4 Vgl. Empfehlungen der Ausschüsse des Bundesrates, BR-Drucks. 367/1/15 v. 11.9.2015, S. 9 Ziffer 13 und 14. 5 Vgl. Bundesrat, Plenarprotokoll 936 v. 25.9.2015, Tagesordnungspunkt 37, S. 333, Abstimmung zu Ziffer 13 und 14. 6 Vgl. Bundesrat, Plenarprotokoll 936 v. 25.9.2015, Tagesordnungspunkt 37, S. 333, Abstimmung zu Ziffer 15.

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§ 129 | Zwingend zu berücksichtigende Ausführungsbedingungen 1. Vorgabe von Ausführungsbedingungen nach Bundes- oder Landesrecht 8 Bei den von den öffentlichen Auftraggebern zwingend vorzugebenden Anfor-

derungen muss es sich um Ausführungsbedingungen handeln. Ausführungsbedingungen sind von Eignungs- und Zuschlagskriterien zu unterscheiden, deren Vorgabe durch Bundes- oder Landesgesetz nach dem Wortlaut der Vorschrift und unter Berücksichtigung der Genese (s.o., Rz. 5) nicht auf § 129 GWB gestützt werden können1. Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf die Erläuterung des rechtlichen Charakters der Ausführungsbedingen i.S.v. § 128 Abs. 2 GWB Bezug genommen (§ 128 Rz. 25).

9 Die Festlegung der Ausführungsbedingungen darf nur aufgrund eines Bundes-

oder Landesgesetzes erfolgen. Mithin würde es nicht ausreichen, wenn die Festsetzung der Bedingungen lediglich durch Verwaltungsvorschriften erfolgt2.

10 In der Sache kann es sich insbesondere um soziale, beschäftigungspolitische

und umweltbezogene Aspekte handeln3.

11 Beschäftigungspolitische Vorgaben, welche den von § 129 GWB geforderten

zwingenden Charakter haben, ergeben sich vornehmlich aus den Landesvergabegesetzen. Diese sehen u.a. vor, dass öffentliche Auftraggeber die Bieter zur Zahlung eines Mindestentgelts verpflichten (vgl. § 4 Abs. 3 TVgG NRW, § 4 Abs. 3 TTG SchlH, § 4 Abs. 1 LTMG, § 6 Abs. 2 BbgVergG, § 9 Abs. 1 Tariftreue- und Vergabegesetz Bremen, § 9 Abs. 4 und 5 VgG M-V). Häufig wird angenommen, dass diese Vorgaben Ausführungsbedingungen i.S.d. § 128 Abs. 2 GWB sind4. Aufgrund ihres verpflichtenden Charakters dürfte es sich aber eher um zwingend zu berücksichtigende Ausführungsbedingungen im Sinne von § 129 GWB handeln5. Dasselbe gilt für den Fall, dass das einschlägige Landesvergaberecht die öffentlichen Auftraggebern verpflichtet, den Auftragnehmern Maßnahmen zur Frauenförderung aufzuerlegen, wie z.B. § 9 BerlAVG i.V.m. § 13 LGG (vgl. auch § 128 Rz. 36).

1 Im Erg. auch Pfohl in Müller-Wrede, GWB, 2016, § 129 Rz. 6. 2 Gabriel/Bärenbrinker in Gabriel/Mertens/Prieß/Stein, BeckOKVergabeR, 2. Edition/ Stand: 31.1.2017, GWB, § 129 Rz. 5; Pfohl in Müller-Wrede, GWB, § 129 Rz. 5; ebenso die Rechtsprechung zu § 97 Abs. 4 Satz 3 GWB a.F.: OLG Düsseldorf v. 29.7.2009 – VIIVerg 18/09, ZfBR 2009, 824 ff.; OLG Koblenz v. 29.11.2012 – 1 Verg 6/12, VergabeR 2013, 229 ff.; a.A. Dorschfeld/Mutschler-Siebert in Heiermann/Summa/Zeis, jurisPKVergR, 5. Aufl. 2016, GWB, § 129 Rz. 8. 3 Gesetzesbegründung VergRModG 2016, BT-Drucks. 18/6281, S. 114. 4 Bonitz, NZBau 2016, 418 (420 f.). 5 Dorschfeld/Mutschler-Siebert in Heiermann/Summa/Zeis, jurisPK-VergR, GWB, § 129 Rz. 9.

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Zwingend zu berücksichtigende Ausführungsbedingungen | § 129

2. Rechtmäßigkeitsanforderungen Schon unter Geltung der Vorgängerregelung des § 97 Abs. 4 Satz 3 GWB a.F. 12 war umstritten, ob die zwingend vorzugebenden Ausführungsbedingungen auch einen hinreichenden Zusammenhang zum Auftragsgegenstand aufweisen müssen. Dass das Erfordernis eines Zusammenhangs zum Auftragsgegenstand in 128 Abs. 2 GWB explizit benannt wird und in § 129 GWB nicht, spricht nicht zwingend dagegen, dass diese Voraussetzung auch für 129 GWB gilt. Die Vorschrift des § 129 GWB ist – systematische sowie thematisch – im Zusammenhang mit § 128 GWB zu betrachten. Daher kann man § 129 GWB durchaus dahingehend auslegen, dass ebenso wie bei § 128 Abs. 2 GWB, ein Zusammenhang zum Auftragsgegenstand erforderlich ist1. Dafür, dass auch zwingend zu berücksichtigende Ausführungsbedingungen einen Zusammenhang zum Auftragsgegenstand aufweisen müssen, dürfte zudem sprechen, dass verbindliche gesetzliche Vorgaben ohne konkreten Auftragsbezug häufig schon unter § 128 Abs. 1 GWB fallen. Wie bei § 128 Abs. 2 GWB, ist auch im Rahmen des § 129 GWB zu fordern, 13 dass die durch Gesetz vorgegebenen, zwingend zu statuierenden Bedingungen mit den vergaberechtlichen Prinzipien, also dem Wettbewerbsprinzip (§ 97 Abs. 1 GWB) dem Gleichbehandlungsgrundsatz (§ 97 Abs. 2 GWB) und dem sonstigen europäischen Recht in Einklang stehen (§ 128 Rz. 48 f.). Problematisch ist insbesondere die Vereinbarkeit der sich aus diversen Landes- 14 vergabegesetzen ergebenden Pflicht zur Vereinbarung von vergabespezifischen Mindestlöhnen (s.o., Rz. 11) mit dem europäischen Recht. Wie der EuGH in der Sache „Regio Post“ festgestellt hat, steht es mit dem europäischen Recht in Einklang, wenn die Vergabe eines öffentlichen Auftrags durch ein (Landesvergabe-)Gesetz davon abhängig gemacht wird, dass sich der Bieter verpflichtet, den im Rahmen der Auftragsausführung eingesetzten Beschäftigten ein Mindestlohn von 8,70 Euro zu zahlen und wenn dieser im Fall der Verweigerung der Abgabe einer solchen Erklärung vom Vergabeverfahren ausgeschlossen wird. Zwar läge in der Mindestlohnregelung eine Beschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs (Art. 56 AEUV), diese sei aber durch das Ziel das Arbeitnehmerschutzes gerechtfertigt2. Die Grenzen der Zulässigkeit der Vorgabe eines vergabespezifischen Mindestlohns lassen sich der diesem Urteil zeitlich vorausgehenden Entscheidung in der Sache „Bundesdruckerei“ entnehmen. Hier hat der Gerichtshof angenommen, dass die landesgesetzliche Vorgabe, öffentliche Aufträge nur an Bieter zu vergeben, die sich verpflichten, den im Rahmen der Auftragsausführung eingesetzten Beschäftigten einen Mindestlohn zu zahlen, mit der Dienstleistungsfreiheit (Art. 56 AEUV) nicht vereinbar ist, soweit 1 A.A. Dorschfeld/Mutschler-Siebert in Heiermann/Summa/Zeis, jurisPK-VergR, GWB, § 129 Rz. 6. 2 EuGH v. 17.11.2015 – C-115/14 = NZBau 2016, 46 ff. Rz. 70 ff. – „Regio Post“.

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§ 130 | Soziale und andere besondere Dienstleistungen sich daraus eine Verpflichtung zur Zahlung eines Mindestlohns auch für Beschäftigte ergibt, die bei einem Nachunternehmer im EU-Ausland tätig sind und die Leistung im EU-Ausland erbringen1. Eine Rechtfertigung der Beschränkung der Dienstleistungsfreiheit scheitert in diesem Fall u.a. an der Erforderlichkeit der Mindestlohnregelung; der EuGH ging davon aus, dass polnische Arbeitnehmer, welche mit der Erledigung des konkreten Auftrags befasst gewesen wären, in Anbetracht der niedrigeren Lebenshaltungskosten in Polen nicht des Schutzes durch die auf Deutschland bezogenen Mindestlöhne bedürfen2. Zur Vermeidung einer EU-Rechtswidrigkeit werden die betreffenden Regelungen des Landesvergaberechts seither dahingehend ausgelegt, dass die Vorgabe des Mindestlohns für diesen Fall nicht gilt, wobei nicht unterschieden wird, ob die Beschäftigten – wie in dem Fall, den der EuGH zu entscheiden hatte – bei einem Nachunternehmer oder dem Auftragnehmer selber beschäftigt sind3.

III. Bieterschützender Charakter 15 Die Auferlegung zwingendender Ausführungsbedingungen macht die Vorschrift

des § 129 GWB von einer einschränkenden Voraussetzung abhängig, nämlich davon, dass diese auf Bundes- oder Landesgesetz beruhen. Insofern hat § 129 GWB eine bieterschützende Wirkung. Die Ausgangslage ist dieselbe, wie bei § 128 Abs. 2 GWB (vgl. hierzu näher die Kommentierung zu § 128 Rz. 55).

§ 130 Vergabe von öffentlichen Aufträgen über soziale und andere besondere Dienstleistungen (1) Bei der Vergabe von öffentlichen Aufträgen über soziale und andere besondere Dienstleistungen im Sinne des Anhangs XIV der Richtlinie 2014/24/ EU stehen öffentlichen Auftraggebern das offene Verfahren, das nicht offene Verfahren, das Verhandlungsverfahren mit Teilnahmewettbewerb, der wettbewerbliche Dialog und die Innovationspartnerschaft nach ihrer Wahl zur Verfügung. Ein Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb steht nur zur Verfügung, soweit dies aufgrund dieses Gesetzes gestattet ist. 1 EuGH v. 18.9.2014 – Rs. C-549/13 = EuZW 2014, 942 ff. – „Bundesdruckerei“. 2 EuGH v. 18.9.2014 – Rs. C-549/13 = EuZW 2014, 942 ff. Rz. 33 ff. – „Bundesdruckerei“. 3 Vgl. z.B. den Hinweis zur Anwendung von § 4 Abs. 3 Satz 1 TVgG – NRW bei Dienstleistungserbringung durch Personen im EU-Ausland, RdErl. des Ministeriums für Wirtschaft, Energie, Industrie, Mittelstand und Handwerk, zugleich im Namen der Ministerpräsidentin und aller Landesministerin – I A 1-81-00/3-13 v. 13.10.2014, MBl. NRW v. 31.10.2014, 627.

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Soziale und andere besondere Dienstleistungen | § 130

(2) Abweichend von § 132 Absatz 3 ist die Änderung eines öffentlichen Auftrags über soziale und andere besondere Dienstleistungen im Sinne des Anhangs XIV der Richtlinie 2014/24/EU ohne Durchführung eines neuen Vergabeverfahrens zulässig, wenn der Wert der Änderung nicht mehr als 20 Prozent des ursprünglichen Auftragswertes beträgt. I. 1. 2. II.

Einleitung Inhaltsübersicht . . . . . . . . . . . . Entstehungsgeschichte . . . . . . . Vorliegen eines Auftrages über soziale und andere besondere Dienstleistungen . . . . . . . . . . . 1. Bereichsausnahme für offene Zulassungssysteme . . . . . . . . . . 2. Kategorien von Dienstleistungen aus Anhang XIV der Richtlinie 2014/24/EU . . . . . . . . . . . . . . .

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3. Sonderproblem: Vergabe von Rettungsdienstleistungen . . . . III. Verfahrenserleichterungen . . 1. Erhöhter Schwellenwert . . . . . 2. Erweiterte Wahlfreiheit bei den Verfahrensarten (Abs. 1) . . . . . 3. Erhöhte Wertgrenze für die Geringfügigkeitsschwelle bei Auftragsänderungen (Abs. 2) . . 4. Sonderregelungen gem. §§ 64–66 VgV . . . . . . . . . . . .

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I. Einleitung 1. Inhaltsübersicht Die Vergabe von öffentlichen Aufträgen über soziale und andere besondere 1 Dienstleistungen unterliegt gem. § 130 erleichterten Beschaffungsregelungen. Die Gesetzesbegründung spricht insoweit von einem Sonderregime.1 Die Vorschrift dient der Umsetzung der Art. 74 ff., insbesondere von Art. 76, der Richtlinie 2014/24/EU. Die Privilegierungen betreffen im Einzelnen die erweiterte Wahlfreiheit des öf- 2 fentlichen Auftraggebers zwischen den zur Verfügung stehenden Verfahrensarten (Rz. 22 f.) sowie die Erhöhung der Geringfügigkeitsschwelle bei Auftragsänderungen gegenüber der Regelung in § 132 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 (Rz. 24 ff.). Hinzu kommt, wenn auch nicht in § 130 ausdrücklich erwähnt, dass für soziale und andere besondere Dienstleistungen ein gegenüber normalen Dienstleistungsaufträgen erhöhter Schwellenwert gilt (Rz. 20 f.). Weitere Erleichterungen sind in den §§ 64–66 VgV vorgesehen (Rz. 27 ff.). Nach dem eindeutigen Wortlaut der Vorschrift findet § 130 ausschließlich bei 3 der Vergabe von Dienstleistungsaufträgen Anwendung.2 Die Vergabe von Bau- und Lieferleistungen wird unabhängig von ihrem Gegenstand von der Vorschrift nicht erfasst. Die Vergabe von Konzessionen über soziale und an1 BT-Drucks. 18/6281, S. 114. 2 Vgl. auch Rixen in Burgi/Dreher, Vergaberecht, 3. Aufl., § 130 Rz. 15.

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§ 130 | Soziale und andere besondere Dienstleistungen dere besondere Dienstleistungen richtet sich nach § 153. Auf die entsprechende Kommentierung wird verwiesen. 2. Entstehungsgeschichte 4 Die Richtlinie 2004/18/EG unterteilte die Dienstleistungen nach ihrem Gegen-

stand in Anhang II. Für Dienstleistungen gem. Anhang II Teil A (sog. prioritäre oder vorrangige Dienstleistungen) wurde in Art. 20 umfassend die Beachtung der Richtlinienvorgaben angeordnet. Dagegen waren für Dienstleistungen nach Anhang II Teil B gem. Art. 21 die Vorgaben der Richtlinie nur in stark eingeschränktem Umfang zu beachten (sog. nicht-prioritäre oder nachrangige Dienstleistungen). Der Richtliniengeber begründete diese Unterteilung mit der Argumentation, dass die volle Anwendung der Richtlinie für einen Übergangszeitraum auf diejenigen Dienstleistungsaufträge beschränkt bleiben sollte, bei denen die Anwendung sämtlicher Vorgaben der Richtlinie als besonders geeignet angesehen wurden, eine Zunahme des grenzüberschreitenden Handels zu bewirken.1 Im nationalen Vergaberecht wurde diese Unterscheidung in § 4 Abs. 2 VgV a.F., § 1 Abs. 2 und Abs. 3 EG-VOL/A sowie § 1 Abs. 1 und Abs. 3 VOF aufgegriffen.2

5 In der Vergaberichtlinie 2014/24/EU erfolgte eine Aufgabe dieser Terminologie.

Dennoch differenziert auch die Neufassung der Vergaberichtlinie weiterhin zwischen zwei Kategorien von Dienstleistungen, für die unterschiedlich strenge Vorgaben gelten. Die Begründung für die Sonderstellung der sozialen und anderen besonderen Dienstleistungen ergibt sich aus den Erwägungsgründen 114 ff. der Richtlinie 2014/24/EU. Nach der Einschätzung des Richtliniengebers weisen die im Einzelnen in Anhang XIV der Richtlinie 2014/24/EU benannten Dienstleistungen eine lediglich begrenzte grenzüberschreitende Dimension auf, da sie entweder in einem besonderen kulturellen Kontext erbracht würden, der sich aufgrund verschiedener Traditionen in den einzelnen Mitgliedstaaten stark unterschiedlich darstelle oder typischerweise aufgrund eines besonderen Bezugs zum Ort der Leistungserbringung nur von Wirtschaftsteilnehmern aus dem betreffenden Mitgliedstaat angeboten würden. Für Dienstleister aus anderen Mitgliedstaaten wären diese Dienstleistungen daher erst ab einem Auftragswert von über € 750.000 von Interesse. Weiterhin hätte die Vergabe von Dienstleistungen insbesondere im Sozial-, Bildungs- und Gesundheitsbereich einen sensiblen Charakter, der einen weiten Ermessensspielraum der Mitgliedstaaten bei der Auswahl der Dienstleister rechtfertige.

1 Vgl. Erwägungsgrund 18 f. der Richtlinie 2004/18/EG. 2 Vgl. auch Amelung in Müller-Wrede, GWB, § 130 Rz. 2 f.

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II. Vorliegen eines Auftrages über soziale und andere besondere Dienstleistungen Die Anwendung von § 130 Abs. 1 und Abs. 2 setzt voraus, dass die Vergabe eines 6 öffentlichen Auftrages über soziale und andere besondere Dienstleistungen erfolgen soll. Der Begriff der sozialen und anderen besonderen Dienstleistungen wird weder im GWB noch in der Richtlinie 2014/24/EU allgemeingültig definiert. Vielmehr ergibt sich die Zuordnung einer Dienstleistung zum Sonderregime des § 130 allein aus dem abschließenden Katalog in Anhang XIV der Richtlinie 2014/ 24/EU.1 Bei gemischten Dienstleistungsaufträgen ist gem. § 110 Abs. 2 Nr. 1 der Hauptgegenstand entscheidend (vgl. § 110 Rz. 12). Dem Anwendungsbereich des § 130 unterliegen schließlich solche Dienstleistungen von vornherein nicht, die von einem der Ausnahmetatbestände in §§ 107 und 116 erfasst werden.2 1. Bereichsausnahme für offene Zulassungssysteme § 130 ist nur anwendbar, wenn ein öffentlicher Auftrag i.S.d. § 103 vorliegt. Ins- 7 besondere bei der Beschaffung sozialer Dienstleistungen kommt insoweit der Freistellung von einfachen bzw. offenen Zulassungssystemen vom Anwendungsbereich des Vergaberechts besondere Bedeutung zu.3 Nach Erwägungsgrund 4 der Richtlinie 2014/24/EU liegt schon begrifflich kein 8 öffentlicher Auftrag vor, wenn der Auftraggeber die Beschaffung der Dienstleistungen über ein einfaches Zulassungssystem organisiert und ohne irgendeine Selektivität sämtliche Wirtschaftsteilnehmer zulässt, die bestimmte, vorab festgelegte Voraussetzungen erfüllen. Das Element der Auswahl des Leistungserbringers durch den Auftraggeber hat auch in die Definition des Begriffs der Auftragsvergabe in Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie 2014/24/EU Eingang gefunden. Der deutsche Gesetzgeber hat diese Formulierung in § 103 zwar nicht aufgegriffen, geht aber ausweislich der Gesetzesbegründung ebenfalls davon aus, dass einfache Zulassungssysteme nicht dem Anwendungsbereich des Kartellvergaberechts unterliegen.4 Inzwischen ist diese Auslegung des öffentlichen Auftragsbegriffes von der 9 höchstrichterlichen Rechtsprechung bestätigt worden. Auf Vorlage des OLG Düsseldorf5 hat der EuGH in der Rechtssache „Falk Pharma“ in Bezug auf den Abschluss von Rabattverträgen über Arzneimittel bestätigt, dass offene Zulassungssysteme (sog. „Open-House-Modelle“) nicht dem Anwendungsbereich des 1 Amelung in Müller-Wrede, GWB, § 130 Rz. 11 f. 2 Kulartz in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, GWB, § 130 Rz. 6. 3 Vgl. auch die entsprechenden Ausführungen in der Gesetzesbegründung zu § 130, BTDrucks. 18/6281, S. 114. 4 BT-Drucks. 18/6281, S. 73 und 114. 5 OLG Düsseldorf v. 13.8.2014 – VII-Verg 13/14, NZBau 2014, 654 (655 ff.).

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§ 130 | Soziale und andere besondere Dienstleistungen Vergaberechts unterliegen.1 Der EuGH führte zur Begründung aus, das Ziel der Vergaberichtlinien bestehe darin, der Gefahr einer Bevorzugung inländischer Wirtschaftsteilnehmer vorzubeugen. Ein Zulassungsverfahren ohne Auswahlentscheidung müsse daher lediglich mit den Grundregeln des AEUV in Einklang stehen. Diese Voraussetzung ist nach der Rechtsprechung erfüllt, wenn (1.) die Durchführung eines Zulassungsverfahrens europaweit publiziert wird, (2.) vorab eindeutige Regeln über den Vertragsschluss und den Vertragsbeitritt festgelegt werden, auf die kein Unternehmen Einfluss nehmen konnte, (3.) Wirtschaftsteilnehmern ein jederzeitiges Beitrittsrecht gewährt wird und (4.) Vertragsschlüsse europaweit bekannt gegeben werden.2 10 Die Bereichsausnahme für offene Zugangssysteme betrifft vor allem die Zulas-

sung von Dienstleistungserbringern im sog. sozialrechtlichen Dreiecksverhältnis.3 Ein sozialrechtliches Dreiecksverhältnis entsteht, wenn der öffentliche Leistungsträger aufgrund seiner sozialrechtlichen Verpflichtungen Leistungen gegenüber den Leistungsberechtigten erbringen muss und zu diesem Zweck keine eigenen Einrichtungen vorhält, sondern sich privater Leistungserbringer bedient. Zum Teil sehen die Sozialgesetzbücher hierzu vor, dass der Leistungsträger mit jedem geeigneten Leistungserbringer und zu angemessenen Bedingungen eine Leistungsvereinbarung abzuschließen hat, die den Leistungsträger zur Übernahme der Vergütung verpflichtet, wenn der Leistungserbringer für einen Leistungsberechtigten tätig wird. Zu einer Beauftragung des Leistungserbringers und einer Entstehung des Entgeltanspruches kommt es allerdings erst dann, wenn der Leistungsberechtigte in Ausübung seines Wunsch- und Wahlrechts mit dem Leistungserbringer eine privatrechtliche Vereinbarung abschließt. Eine solche Konstellation ist charakteristisch für die Leistungserbringung nach den SGB II, VIII und XII.4

2. Kategorien von Dienstleistungen aus Anhang XIV der Richtlinie 2014/24/EU 11 Welche Dienstleistungen als soziale und andere besondere Dienstleistungen

i.S.d. § 130 Abs. 1 anzusehen sind, ergibt sich im Einzelnen aus dem Katalog in Anhang XIV der Richtlinie 2014/24/EU (abgedruckt in Anlage).

12 Allgemein handelt es sich um Dienstleistungen aus dem Gesundheits-, Sozial-

und kulturellen Bereich, sonstige personenbezogene Dienstleistungen sowie Dienstleistungen mit spezifischem Ortsbezug.

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EuGH v. 2.6.2016 – Rs. C-410/14, EuZW 2016, 705 (707). EuGH v. 2.6.2016 – Rs. C-410/14, EuZW 2016, 705 (707). BT-Drucks. 18/6281, S. 73 und 114. Insbesondere für das SGB II ist diese Auffassung stark umstritten, vgl. zur Problematik Glahs/Rafii, SozR 5/2016, 169 ff.; vgl. auch die Darstellung bei Rixen in Burgi/Dreher, Vergaberecht, 3. Aufl., § 130 Rz. 24 ff.

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Entscheidend für die Qualifizierung einer Dienstleistung als soziale oder andere 13 besondere Dienstleistung ist unabhängig von der generellen Zuordnung zu einem der vorgenannten Bereiche allerdings stets die Prüfung im Einzelfall, ob die zu vergebene Dienstleistung der CPV-Nomenklatur in Anhang XIV der Richtlinie 2014/24/EU unterfällt.1 3. Sonderproblem: Vergabe von Rettungsdienstleistungen Bereits vor dem Erlass der Neufassung des GWB war die vergaberechtliche Be- 14 handlung von Rettungsdienstleistungen Gegenstand langwieriger juristischer Auseinandersetzungen.2 Der Streit ist durch die Vergaberechtsreform erneut entfacht worden.3 Die Problematik betrifft insbesondere die Auslegung der Bereichsausnahme in 15 § 107 Abs. 1 Nr. 4 (vgl. hierzu auch die Kommentierung zu § 107 Rz. 23 ff.). Danach sind Dienstleistungen des Katastrophenschutzes, des Zivilschutzes und der Gefahrenabwehr, die von gemeinnützigen Organisationen oder Vereinigungen erbracht werden und die unter die in der Vorschrift genannten CPV-Nummern fallen, mit Ausnahme des Einsatzes von Krankenwagen zur Patientenbeförderung, vom Anwendungsbereich des Kartellvergaberechts ausgenommen. Streitig ist, ob die Begriffe des Katastrophenschutzes, des Zivilschutzes und der Gefahrenabwehr allein auf Extremsituationen beschränkt sind oder auch den täglichen Rettungsdienstbetrieb, den sog. Regelrettungsdienst, umfassen.4 Schwierigkeiten bereitet die Abgrenzung insbesondere bei der Beauftragung mit 16 Leistungen der Notfallrettung und dem Krankentransport, die etwa gem. § 2 Abs. 1 RettG NRW zu den Aufgaben der Träger des öffentlichen Rettungsdienstes zählen. Teilweise wird vertreten, dass unter § 107 Abs. 1 Nr. 4 lediglich die Notfallrettung bei Großschadensereignissen zähle, nicht aber die alltägliche, singuläre Notfallrettung.5 Die Gegenauffassung sieht von dem Begriff der Gefahrenabwehr in § 107 Abs. 1 Nr. 4 die alltägliche Notfallrettung mitumfasst.6 Im Hinblick auf den Krankentransport ist fraglich, ob von der Rückausnahme in 1 Siehe Erwägungsgrund 119 der Richtlinie 2014/24/EU. Ausführlich zur Auslegung der CPV-Codes Rixen in Burgi/Dreher, Vergaberecht, 3. Aufl., § 130 Rz. 60 ff. 2 Siehe etwa Hailbronner in Byok/Jaeger, Kommentar zum Vergaberecht, § 99 GWB Rz. 137 f. m.w.N. 3 Kritisch zu der Regelung etwa Gröning, NZBau 2015, 690 (693). 4 Vgl. Prieß, NZBau 2015, 343. 5 Prieß, NZBau 2015, 343 (346); Amelung/Janson, NZBau 2016, 23 (26); Braun in MüllerWrede, GWB, § 153 Rz. 20 ff. 6 So die Gesetzesbegründung BT-Drucks. 18/6281, S. 79; ebenso VG Düsseldorf v. 15.9. 2016 – 7 L 2411/16, NZBau 2017, 59 (60 f.). Die Entscheidung der VK Düsseldorf v. 19.8.2016 – VK D-14/2016-L war bei Redaktionsschluss nicht rechtskräftig; das Verfahren ist auf Vorlage des OLG Düsseldorf vor dem EuGH anhängig, OLG Düsseldorf v. 12.6.2017 – VII Verg 34/16; vgl. aus der Literatur Ruthig, NZBau 2016, 3 (5 f.).

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§ 130 | Soziale und andere besondere Dienstleistungen § 107 Abs. 1 Nr. 4 lediglich die reine Patientenbeförderung umfasst ist oder zusätzlich die sog. qualifizierte Patientenbeförderung, bei der neben dem Transport auch eine medizinische Versorgung durch Notärzte erfolgt.1 Die sich in diesem Zusammenhang stellenden Fragen werden letztlich von der obergerichtlichen Rechtsprechung geklärt werden müssen.2 17 Soweit die Vergabe von Aufträgen über Rettungsdienstleistungen nicht der Be-

reichsausnahme in § 107 Abs. 1 Nr. 4 unterfällt, werden in der Regel die erleichterten Beschaffungsregelungen für soziale und andere besondere Dienstleistungen in § 130 Anwendung finden. Von Anhang XIV der Richtlinie 2014/ 24/EU werden umfassend die Dienstleistungen des Gesundheits- und Sozialwesens nach den CPV-Codes 85000000-9 bis 85323000-9 in Bezug genommen. Unter diese Leistungen fallen neben dem Einsatz von Krankenwagen zur Patientenbeförderung3 etwa Dienstleistungen von Ärzten4, medizinischem Personal5 und nichtärztlichem Personal6.

III. Verfahrenserleichterungen 18 Durch Art. 76 der Richtlinie 2014/24/EU wird die Festlegung der Grundsätze für

die Vergabe von Aufträgen über soziale und andere besondere Dienstleistungen den Mitgliedstaaten überantwortet. Die Verfahrensregeln müssen als Mindeststandard lediglich sicherstellen, dass die Grundsätze der Transparenz und der Gleichbehandlung gewahrt werden.

19 Der deutsche Gesetzgeber hat die anzuwendenden Verfahrensregelungen, ab-

weichend vom früheren Recht, teilweise auf gesetzlicher Ebene in § 130 geregelt. Weitere Erleichterungen wurden in den §§ 64 ff. VgV auf Verordnungsebene umgesetzt. Der Gesetzgeber hat dabei das Ziel verfolgt, die ihm durch die Richtlinienvorgaben eröffnete Möglichkeit aufzugreifen, eine größere Flexibilität bei der Auftragsvergabe vorzusehen.7

1 Für eine Freistellung der qualifizierten Krankentransporte VG Düsseldorf v. 15.9.2016 – 7 L 2411/16, NZBau 2017, 59 (61 f.); Jaeger, NZBau 2014, 259 (260). Vgl. auch die Gesetzesbegründung, BT-Drucks. 18/6281, S. 79. A.A. jüngst die VK Westfalen v. 15.2.2017 – VK 1 - 51/16. 2 Das OLG Düsseldorf hat die Auslegung der Richtlinienvorgabe in Art. 10 lit. h) der RL 2014/24/EU folgerichtig dem EuGH vorgelegt, v. 12.6.2017 – VII Verg 34/16. Die Verwaltungsgerichtsbarkeit war bislang lediglich erstinstanzlich mit der Auslegung der Vorschriften befasst, VG Düsseldorf v. 15.9.2016 – 7 L 2411/16, NZBau 2017, 59 (61 f.). 3 CPV-Code 85143000-3. 4 CPV-Codes 85121100-4 ff. 5 CPV-Code 85141000-9. 6 CPV-Code 85142000-6. 7 BT-Drucks. 18/6281, S. 115 f.

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1. Erhöhter Schwellenwert Der EU-Schwellenwert bestimmt sich für die von § 130 umfassten Dienstleistun- 20 gen abweichend zu anderen Dienstleistungsaufträgen gem. § 106 Abs. 2 Nr. 1 i.V.m. Art. 4 lit. d) der Richtlinie 2014/24/EU. Derzeit liegt der EU-Schwellenwert bei € 750.000 netto. Die Privilegierung beruht auf der Annahme des Richtliniengebers, dass die in 21 Anhand XIV aufgelisteten Kategorien von Dienstleistungen eine begrenzte grenzüberschreitende Dimension aufweisen und in einem besonderen Kontext erbracht werden, der sich in den einzelnen Mitgliedstaaten stark unterscheidet. Daher seien die besonderen Dienstleistungen erst ab diesem Auftragswert für Unternehmen aus anderen Mitgliedstaaten von Interesse (vgl. bereits Rz. 5).1 2. Erweiterte Wahlfreiheit bei den Verfahrensarten (Abs. 1) Den Auftraggebern ist gem. § 130 Abs. 1 Satz 1 bei der Vergabe von sozialen 22 und anderen besonderen Dienstleistungen eine erweiterte Wahlfreiheit der Verfahrensarten eingeräumt. Abweichend von der Regelung in § 119 Abs. 2 (vgl. § 119 Rz. 6 ff.) können neben dem offenen Verfahren und dem nicht-offenen Verfahren auch das Verhandlungsverfahren mit Teilnahmewettbewerb, der wettbewerbliche Dialog und die Innovationspartnerschaft ohne weitere Angabe von Gründen gewählt werden. Lediglich das Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb gem. § 119 Abs. 5 (vgl. § 119 Rz. 32 ff.) darf nach § 130 Abs. 1 Satz 2 nur bei Vorliegen der hierfür erforderlichen Voraussetzungen in § 14 Abs. 4 VgV angewendet werden. Für die im Rahmen einer heilberuflichen Tätigkeit erbachten Dienstleistungen sieht § 69 Abs. 4 SGB V weitere Erleichterungen vor. Die erweiterte Wahlfreiheit stellt im Umkehrschluss allerdings klar, dass der 23 Auftraggeber bei der Vergabe sozialer und anderer besonderer Dienstleistungen eine der in § 119 aufgeführten Verfahrensarten wählen muss und das Verfahren nicht frei ausgestalten darf. Er hat die weiteren Vorgaben für die Vergabe öffentlicher Aufträge durch öffentliche Auftraggeber im GWB sowie die Verfahrensvorschriften der VgV, unter Berücksichtigung der Erleichterungen in den §§ 64–66 VgV (vgl. Rz. 27 ff.), zu beachten.2 Aufgrund der Bindung an den Transparenzgrundsatz ist der Auftraggeber auch nicht berechtigt, die Verfahrensart während eines laufenden Vergabeverfahrens zu wechseln.3

1 Erwägungsgründe 114 f. der Richtlinie 2014/24/EU. 2 BT-Drucks. 18/6281, S. 116; vgl. auch Amelung in Müller-Wrede, GWB, § 130 Rz. 41. 3 Kulartz in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, GWB, § 130 Rz. 7.

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§ 130 | Soziale und andere besondere Dienstleistungen 3. Erhöhte Wertgrenze für die Geringfügigkeitsschwelle bei Auftragsänderungen (Abs. 2) 24 Nach der Regelung in § 132 Abs. 1 bedürfen wesentliche Änderungen eines öf-

fentlichen Auftrages während der Vertragslaufzeit eines neuen Vergabeverfahrens (vgl. § 132 Rz. 9 ff.). Nach der Regelung in § 132 Abs. 3 (vgl. § 132 Rz. 50) ist dagegen eine Änderung ohne Durchführung eines erneuten Vergabeverfahrens stets zulässig, wenn sich der Gesamtcharakter des Auftrages nicht ändert und der Wert der Änderungen den jeweiligen Schwellenwert nach § 106 nicht übersteigt (Nr. 1) sowie bei Liefer- und Dienstleistungsaufträgen nicht mehr als 10 % des ursprünglichen Auftragswertes beträgt (Nr. 2). Bei mehreren aufeinander folgenden Änderungen ist der Gesamtwert der Änderungen maßgeblich.

25 Von der Geringfügigkeitsschwelle in § 132 Abs. 3 sieht § 130 Abs. 2 eine Erleich-

terung für die Auftraggeber vor, indem bei Aufträgen über soziale und andere besondere Dienstleistungen Änderungen während der Vertragslaufzeit auch dann ohne erneutes Vergabeverfahren beauftragt werden dürfen, wenn der Wert der Änderungen zwar die Grenze von 10 % des ursprünglichen Auftragswertes übersteigt, aber nicht mehr als 20 % beträgt, solange der Wert der Änderungen den EU-Schwellenwert i.H.v. € 750.000 nicht überschreitet.

26 Der Grund für die Erleichterung wird in der Gesetzesbegründung damit angege-

ben, dass der Anstieg der Nachfrage nach sozialen und anderen besonderen Dienstleistungen durch äußere, vom öffentlichen Auftraggeber nicht vorhersehbare und beeinflussbare Umstände bewirkt werden kann und dem Auftraggeber die Möglichkeit gegeben werden soll, in solchen Sachverhaltskonstellationen flexibel und schnell auf den veränderten Bedarf zu reagieren.1 4. Sonderregelungen gem. §§ 64–66 VgV

27 Für die Vergabe von sozialen und anderen besonderen Dienstleistungen sind bei

der Anwendung der VgV in §§ 64–66 VgV Sonderregelungen vorgesehen.

28 Gemäß § 64 VgV sind bei der Vergabe von sozialen und anderen besonderen

Dienstleistungen die Bestimmungen der VgV anzuwenden, allerdings unter Berücksichtigung der Besonderheiten der jeweiligen Dienstleistung. Wie sich aus der Verordnungsbegründung unter Rückgriff auf die Regelung in Art. 76 Abs. 2 der Richtlinie 2014/24/EU ergibt, kann der öffentliche Auftraggeber im Vergabeverfahren zu diesem Zweck die Notwendigkeit, Qualität, Kontinuität, Zugänglichkeit, Bezahlbarkeit, Verfügbarkeit und Vollständigkeit der Dienstleistungen berücksichtigen sowie den spezifischen Bedürfnissen verschiedener Nutzerkate-

1 BT-Drucks. 18/6281, S. 116 f. Dort wird insbesondere auf Arbeitsmarktdienstleistungen verwiesen. Rixen in Burgi/Dreher, Vergaberecht, 3. Aufl., § 130 Rz. 121, spricht mit Blick auf den größten öffentlichen Auftraggeber von Bildungsdienstleistungen auf dem Arbeitsmarkt, der Bundesagentur für Arbeit, von einer „lex BA“.

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Soziale und andere besondere Dienstleistungen | § 130

gorien, einschließlich benachteiligter und schutzbedürftiger Gruppen, der Einbeziehung der Nutzer und dem Aspekt der Innovation Rechnung tragen.1 § 65 VgV enthält einige ergänzende Verfahrensregelungen. § 65 Abs. 1 VgV wie- 29 derholt zunächst die Vorgabe aus § 130 Abs. 1 zu den anwendbaren Verfahrensarten. Gemäß § 65 Abs. 2 VgV dürfen Rahmenvereinbarungen abweichend von § 21 Abs. 6 VgV ohne nähere Begründung für sechs Jahre beauftragt werden.2 Gemäß § 65 Abs. 3 VgV erhält der öffentliche Auftraggeber im Interesse beschleunigter und effizienter Verfahren einen größeren Spielraum bei der Festlegung der Fristen für den Eingang von Angeboten und Teilnahmeanträgen gem. §§ 15–19 VgV.3 Er bleibt aber an die Verpflichtung in § 20 VgV gebunden, eine angemessene Frist vorzusehen, die die Komplexität der Leistung und den Zeitbedarf für die Ausarbeitung von Angeboten berücksichtigen muss. Weiterhin ist der öffentliche Auftraggeber gem. § 65 Abs. 4 VgV nicht verpflichtet, als vorläufigen Nachweis für die Eignung eines Bieters gem. § 48 Abs. 3 VgV die Einheitliche Europäische Eigenerklärung akzeptieren zu müssen.4 Schließlich kann nach der Bestimmung in § 65 Abs. 5 Satz 1 VgV dem persönlichen Charakter der sozialen und anderen besonderen Dienstleistungen bei der Bestimmung der Zuschlagskriterien Rechnung getragen werden, indem in Ergänzung zu den Zuschlagskriterien aus § 58 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 VgV der Erfolg und die Qualität bereits erbrachter Leistungen des Bieters oder des vom Bieter eingesetzten Personals berücksichtigt werden dürfen.5 Für die Vergabe von Dienstleistungen nach dem SGB II und SGB III wird diese Bestimmung in § 65 Abs. 5 Satz 2 VgV weiter konkretisiert. Danach dürfen u.a. Eingliederungs- und Abbruchquoten aus vorangegangenen Aufträgen als Zuschlagskriterien definiert werden. In § 66 VgV sind besondere Vorgaben für die Veröffentlichung der Bekannt- 30 machungen von Aufträgen über soziale und andere besondere Dienstleistungen enthalten, die der Umsetzung von Art. 75 der Richtlinie 2014/24/EU dienen. Gemäß § 66 Abs. 1 VgV müssen öffentliche Auftraggeber, entsprechend den allgemeinen Vorgaben, grundsätzlich die Absicht einer Auftragsvergabe öffentlich 1 BR-Drucks. 87/16, S. 218. 2 Die Verordnungsbegründung führt zur Rechtfertigung der Abweichung aus, bei typisierter Betrachtung liege im Hinblick auf personenbezogene Dienstleistungen ein abweichender Sonderfall i.S.d. Art. 33 Abs. 1 Unterabs. 3 der Richtlinie 2014/24/EU, umgesetzt in § 21 Abs. 6 VgV, vor, vgl. BR-Drucks. 87/16, S. 219. Kritisch zu diesem Ansatz und eine jeweilige Einzelfallprüfung der Angemessenheit der Frist verlangend Kulartz in Kulartz/Kus/Marx/Portz/Prieß, Kommentar zur VgV, § 65 Rz. 5. 3 BR-Drucks. 87/16, S. 219. 4 Zweifelnd an der Unionsrechtskonformität der Regelung zumindest bei binnenmarktrelevanten Aufträgen Kulartz in Kulartz/Kus/Marx/Portz/Prieß, Kommentar zur VgV, § 65 Rz. 5. 5 Die Verordnungsbegründung, BR-Drucks. 87/16, S. 219, verweist auf die entsprechende Rechtsprechung des EuGH zur Vergabe von Dienstleistungsaufträgen mit intellektuellem Charakter, v. 26.3.2015 – Rs. C-601/13, EuZW 2015, 433.

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§ 130 | Soziale und andere besondere Dienstleistungen bekannt machen. Eine Ausnahme von diesem Grundsatz besteht, wenn der Auftrag in einem Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb vergeben werden soll oder nach Maßgabe des § 66 Abs. 2 VgV auf kontinuierlicher Basis eine Vorinformation veröffentlicht wird. Nach Abschluss des Verfahrens ist die Vergabe eines öffentlichen Auftrages nach § 66 Abs. 3 Satz 1 VgV ebenfalls öffentlich bekannt zu geben. Gemäß § 66 Abs. 3 Satz 2 VgV besteht hierbei die Erleichterung, dass die Vergabebekanntmachungen quartalsweise gebündelt veröffentlicht werden können. In § 66 Abs. 4 VgV wird schließlich das zu verwendende Standardformular benannt. Anlage (Anhang XIV Richtlinie 2014/24/EU) DIENSTLEISTUNGEN NACH ARTIKEL 74 CPV-Code

Beschreibung

75200000-8; 75231200-6; 75231240-8; Dienstleistungen des Gesundheits79611000-0; 79622000-0 [Überlassung von und Sozialwesens und zugehörige Haushaltshilfen]; 79624000-4 [Überlassung Dienstleistungen von Pflegepersonal] und 79625000-1 [Überlassung von medizinischem Personal] von 85000000-9 bis 85323000-9 98133100-5, 98133000-4; 98200000-5 und 98500000-8 [Privathaushalte mit Hausangestellten] und 98513000-2 bis 98514000-9 [Bereitstellung von Arbeitskräften für private Haushalte, Vermittlung von Arbeitskräften für private Haushalte, Bereitstellung von Bürokräften für private Haushalte, Bereitstellung von Zeitarbeitskräften für private Haushalte, Dienstleistungen von Haushaltshilfen und Haushaltungsdienste] 85321000-5 und 85322000-2, 75000000-6 [Dienstleistungen der öffentlichen Verwaltung, Verteidigung und Sozialversicherung], 75121000-0, 75122000-7, 75124000-1; von 79995000-5 bis 79995200-7; von 80000000-4 [Allgemeine und berufliche Bildung] bis 80660000-8; von 92000000-1 bis 92700000-8 79950000-8 [Veranstaltung von Ausstellungen, Messen und Kongressen], 79951000-5 [Veranstaltung von Seminaren], 79952000-2 [Event-Organisation], 79952100-3 [Organisation von Kulturveranstaltungen], 79953000-9 [Organisation von Festivals], 79954000-6 [Organisation von Parties], 79955000-3 [Organisation von Modenschauen], 79956000-0 [Organisation von Messen und Ausstellungen]

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Administrative Dienstleistungen im Sozial-, Bildungs-, Gesundheits- und kulturellen Bereich

Soziale und andere besondere Dienstleistungen | § 130 CPV-Code

Beschreibung

75300000-9

Dienstleistungen im Rahmen der gesetzlichen Sozialversicherung1

75310000-2, 75311000-9, 75312000-6, 75313000-3, 75313100-4,

Beihilfen, Unterstützungsleistungen und Zuwendungen

75314000-0, 75320000-5, 75330000-8, 75340000-1 98000000-3; 98120000-0; 98132000-7; 98133110-8 und 98130000-3

Sonstige gemeinschaftliche, soziale und persönliche Dienstleistungen, einschließlich Dienstleistungen von Gewerkschaften, von politischen Organisationen, von Jugendverbänden und von sonstigen Organisationen und Vereinen

98131000-0

Dienstleistungen von religiösen Vereinigungen

55100000-1 bis 55410000-7; 55521000-8 bis 55521200-0 [55521000-8 Verpflegungsdienste für Privathaushalte, 55521100-9 Essen auf Rädern, 55521200-0 Auslieferung von Mahlzeiten]

Gaststätten und Beherbergungsgewerbe

55520000-1 Verpflegungsdienste, 55522000-5 Verpflegungsdienste für Transportunternehmen, 55523000-2 Verpflegungsdienste für sonstige Unternehmen oder andere Einrichtungen, 55524000-9 Verpflegungsdienste für Schulen 55510000-8 Dienstleistungen von Kantinen, 55511000-5 Dienstleistungen von Kantinen und anderen nicht öffentlichen Cafeterias, 55512000-2 Betrieb von Kantinen, 55523100-3 Auslieferung von Schulmahlzeiten 79100000-5 bis 79140000-7; 75231100-5;

Dienstleistungen im juristischen Bereich, sofern sie nicht nach Art. 10 Buchstabe d ausgeschlossen sind

1 Diese Dienstleistungen unterliegen nicht dieser Richtlinie, wenn sie als nichtwirtschaftliche Dienstleistungen von allgemeinem Interesse organisiert werden. Es steht den Mitgliedstaaten frei, die Erbringung von Dienstleistungen im Rahmen der gesetzlichen sozialen Dienstleistungen oder anderen Dienstleistungen als Dienstleistungen von allgemeinem Interesse oder als nichtwirtschaftliche Dienstleistungen von allgemeinem Interesse zu organisieren.

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§ 130 | Soziale und andere besondere Dienstleistungen CPV-Code

Beschreibung

75100000-7 bis 75120000-3; 75123000-4; 75125000-8 bis 75131000-3

Sonstige Dienstleistungen der Verwaltung und für die öffentliche Verwaltung

75200000-8 bis 75231000-4

Kommunale Dienstleistungen

75231210-9 bis 75231230-5; 75240000-0 bis 75252000-7; 794300000-7; 98113100-9

Dienstleistungen für Haftanstalten, Dienstleistungen im Bereich öffentliche Sicherheit und Rettungsdienste, sofern sie nicht nach Art. 10 Buchstabe h ausgeschlossen sind

79700000-1 bis 79721000-4 [Dienstleistungen von Detekteien und Sicherheitsdiensten, Dienstleistungen von Sicherheitsdiensten, Überwachung von Alarmanlagen, Bewachungsdienste, Überwachungsdienste, Dienstleistungen in Verbindung mit Suchsystemen, Fahndung nach Flüchtigen, Streifendienste, Ausgabe von Mitarbeiterausweisen, Ermittlungsdienste und Dienstleistungen von Detekteien] 79722000-1 [Dienstleistungen von Grafologen], 79723000 – 8 [Abfallanalyse]

Dienstleistungen von Detekteien und Sicherheitsdiensten

98900000-2 [Von extraterritorialen Organisationen und Körperschaften erbrachte Leistungen] und 98910000-5 [Dienstleistungen von internationalen Organisationen und Körperschaften]

Internationale Dienstleistungen

64000000-6 [Post- und Fernmeldedienste], Postdienste 64100000-7 [Post- und Kurierdienste], 64110000-0 [Postdienste], 64111000-7 [Postdienste im Zusammenhang mit Zeitungen und Zeitschriften], 64112000-4 [Briefpostdienste], 64113000-1 [Paketpostdienste], 64114000-8 [Post-Schalterdienste], 64115000-5 [Vermietung von Postfächern], 64116000-2 [Dienste im Zusammenhang mit postlagernden Sendungen], 64122000-7 [Interne Bürobotendienste] 50116510-9 [Reifenrunderneuerung], 71550000-8 [Schmiedearbeiten]

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Verschiedene Dienstleistungen

Personenverkehrsleistungen im Eisenbahnverkehr | § 131

§ 131 Vergabe von öffentlichen Aufträgen über Personenverkehrsleistungen im Eisenbahnverkehr (1) Bei der Vergabe von öffentlichen Aufträgen, deren Gegenstand Personenverkehrsleistungen im Eisenbahnverkehr sind, stehen öffentlichen Auftraggebern das offene und das nicht offene Verfahren, das Verhandlungsverfahren mit Teilnahmewettbewerb, der wettbewerbliche Dialog und die Innovationspartnerschaft nach ihrer Wahl zur Verfügung. Ein Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb steht nur zur Verfügung, soweit dies aufgrund dieses Gesetzes gestattet ist. (2) Anstelle des § 108 Absatz 1 ist Artikel 5 Absatz 2 der Verordnung (EG) Nr. 1370/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. Oktober 2007 über öffentliche Personenverkehrsdienste auf Schiene und Straße und zur Aufhebung der Verordnungen (EWG) Nr. 1191/69 und (EWG) Nr. 1107/70 des Rates (ABl. L 315 vom 3.12.2007, S. 1) anzuwenden. Artikel 5 Absatz 5 und Artikel 7 Absatz 2 der Verordnung (EG) Nr. 1370/2007 bleiben unberührt. (3) Öffentliche Auftraggeber, die öffentliche Aufträge im Sinne von Absatz 1 vergeben, sollen gemäß Artikel 4 Absatz 5 der Verordnung (EG) Nr. 1370/ 2007 verlangen, dass bei einem Wechsel des Betreibers der Personenverkehrsleistung der ausgewählte Betreiber die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die beim bisherigen Betreiber für die Erbringung dieser Verkehrsleistung beschäftigt waren, übernimmt und ihnen die Rechte gewährt, auf die sie Anspruch hätten, wenn ein Übergang gemäß § 613a des Bürgerlichen Gesetzbuchs erfolgt wäre. Für den Fall, dass ein öffentlicher Auftraggeber die Übernahme von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern im Sinne von Satz 1 verlangt, beschränkt sich das Verlangen auf diejenigen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die für die Erbringung der übergehenden Verkehrsleistung unmittelbar erforderlich sind. Der öffentliche Auftraggeber soll Regelungen vorsehen, durch die eine missbräuchliche Anpassung tarifvertraglicher Regelungen zu Lasten des neuen Betreibers zwischen der Veröffentlichung der Auftragsbekanntmachung und der Übernahme des Betriebes ausgeschlossen wird. Der bisherige Betreiber ist nach Aufforderung durch den öffentlichen Auftraggeber verpflichtet, alle hierzu erforderlichen Angaben zu machen. I. Einführung 1. Inhaltsübersicht . . . . . . . . . . . . 2. Entstehungsgeschichte . . . . . . . II. Anwendungsbereich . . . . . . . . III. Anzuwendende Vergabeverfahren (§ 131 Abs. 1) 1. Freie Wahl (§ 131 Abs. 1 Satz 1)

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2. Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb (§ 131 Abs. 1 Satz 2) . . . . . . . . . IV. Inhouse-Vergabe (§ 131 Abs. 2) V. Betreiberwechsel und Personalübergang (§ 131 Abs. 3) 1. Regelungsinhalt, Entwicklung im Gesetzgebungsverfahren . . . .

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§ 131 | Personenverkehrsleistungen im Eisenbahnverkehr 2. Anwendungsbereich und Voraussetzungen . . . . . . . . . . . 3. Personalübernahme . . . . . . . . . 4. Soll-Vorschrift . . . . . . . . . . . . . a) Ermessensregelung . . . . . . . . b) Grundsätzliche Anordnungspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Atypische Fälle . . . . . . . . . . 5. Einbezogene Arbeitnehmer (§ 131 Abs. 3 Satz 1 und 2) a) Arbeitnehmer . . . . . . . . . . . b) Beschäftigung für die Erbringung der übergehenden Verkehrsleistungen . . . . . . .

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6. 7. 8. 9.

c) Für die Erbringung der Leistung unmittelbar erforderlich d) Rechtzeitige Festlegung . . . . . Missbräuchliche Anpassung tariflicher Regelungen (§ 131 Abs. 3 Satz 3) . . . . . . . . . Informationspflicht (§ 131 Abs. 3 Satz 4) . . . . . . . . . Kein abschließender Charakter . Kontrolle durch die Vergabekammern und Gerichte . . . . . . .

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I. Einführung 1. Inhaltsübersicht 1 Im nationalen Vergaberecht nach den §§ 97 ff. hatte die Vergabe von Schienenper-

sonennahverkehrsleistungen (SPNV-Leistungen) immer schon eine Sonderrolle eingenommen. Sie ist eingebettet in die unionsrechtlichen Bestimmungen insbesondere der VO (EG) Nr. 1370/2007. Diese unterscheidet zwischen Dienstleistungsaufträgen für öffentliche Personenverkehrsdienste mit Bussen und Straßen einerseits, die grundsätzlich – soweit keine Dienstleistungskonzession vorliegt – nach den Vergaberichtlinien (Einleitung Rz. 7, 10) vergeben werden (Art. 5 Abs. 1 Satz 1 VO (EG) Nr. 1370/2007), und öffentlichen Dienstleistungsaufträgen im Eisenbahnverkehr andererseits. Für letztere sieht Art. 5 Abs. 6 der Verordnung die Möglichkeit einer Direktvergabe für Verträge mit einer Laufzeit von bis zu zehn Jahren vor. Schon bisher ging das nationale Vergaberecht (nachdem dies zunächst in Hinblick auf § 15 Abs. 2 AEG umstritten war) über diese unionsrechtlichen Anforderungen hinaus.1 Gleichzeitig enthielt § 4 Abs. 3 VgV a.F. Sonderregelungen in Bezug auf die Möglichkeiten einer freihändigen Vergabe von SPNV-Leistungen. Hinzu traten Mindestlohn- und Tariftreue-Regelungen in den jeweils einschlägigen Landesgesetzen (zum unionsrechtlichen Rahmen s. noch Rz. 4 ff.).2

2 Mit dem VergaberechtsmodernisierungsG 2016 (Einleitung Rz. 9 ff.) hat das Recht

zur Vergabe von Personenverkehrsleistungen im Eisenbahnverkehr, im Wesent-

1 S. hierzu insbesondere BGH v. 8.2.2011 – X ZB 4/10, BGHZ 188, 200 ff. und die zuvor anderslautende Rechtsprechung des OLG Brandenburg v. 2.9.2003 – Verg W 3/03 und 5/03, VergabeR 2003, 654; s. auch Bungenberg/Schelhaas in Burgi/Dreher, § 131 Rz. 8 ff., 15 ff. 2 Etwa § 4 Tariftreue- und Vergabegesetz NRW, § 4 Hessisches Vergabe- und Tariftreuegesetz; hierzu im Einzelnen Reidt/Glahs, VergabeR 2015, 641 ff.

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Personenverkehrsleistungen im Eisenbahnverkehr | § 131

lichen also die Vergabe von Schienenpersonennahverkehrsleistungen, eine gewisse Neuordnung erfahren. Einerseits fallen SPNV-Leistungen danach weiterhin unter den 4. Teil des GWB. Von der nach Art. 5 Abs. 6 VO (EG) Nr. 1370/2007 bestehenden Möglichkeit einer weitgehenden Freistellung dieser Verträge vom Kartellvergaberecht macht das deutsche Recht auch weiterhin keinen Gebrauch.1 Andererseits enthält § 131 Abs. 1 erhebliche Erleichterung bei der Wahl der Vergabeart. Insbesondere besteht stets die Möglichkeit, ein Verhandlungsverfahren mit vorgeschaltetem Teilnahmewettbewerb zu wählen. Inhouse-Vergaben richten sich abweichend von § 108 Abs. 1 gemäß der spezielleren Regelungen in § 131 Abs. 2 nach Art. 5 Abs. 2 VO (EG) Nr. 1370/2007, der insofern Erleichterungen vorsieht. Demgegenüber enthält § 131 Abs. 3 in Bezug auf den Personalübergang beim Betreiberwechsel im Vergleich zu der bisherigen Rechtslage deutlich höhere Anforderungen. Daher geht die Vorschrift als Soll-Regelung auch über Art. 4 Abs. 5 Satz 1 VO (EG) Nr. 1370/2007 hinaus, der lediglich die Möglichkeit vorsieht, bei einem Betreiberwechsel im Schienenpersonenverkehr einen Arbeitnehmerübergang anzuordnen. 2. Entstehungsgeschichte § 131 wurde durch das VergaberechtsmodernisierungsG 2016 (Einleitung Rz. 9 ff.) 3 neu in das GWB eingeführt.

II. Anwendungsbereich § 131 gilt für Personenverkehrsleistungen im Eisenbahnverkehr. Zu unter- 4 scheiden sind die Personenverkehrsleistungen im Eisenbahnverkehr von solchen mit Bussen und Straßenbahnen, die von § 131 nicht erfasst werden. Diese Trennung folgt den Vorgaben der europäischen Vergaberegelungen. Deren Ausgangspunkt ist die nach Art. 288 UA 2 AEUV unmittelbar geltende VO (EG) Nr. 1370/2007, die nach ihrem Art. 1 Abs. 1 für die Erbringung aller Dienstleistungen des öffentlichen Personenverkehrs von allgemeinem Interesse gilt. Allerdings verweist Art. 5 Abs. 1 Satz 1 VO (EG) Nr. 1370/2007 in Bezug auf Dienstleistungsaufträge für Personenverkehrsdienste mit Bussen und Straßenbahnen auf die allgemeinen Vergaberichtlinien. Für den Bereich des Eisenbahnverkehrs und für Dienstleistungskonzessionen gilt dieser Verweis nicht. Hier finden Art. 5 Abs. 2 bis 6 der Verordnung Anwendung. Dem entsprechend sind Personenverkehrsdienste auf der Schiene und mit Untergrundbahnen sowie Konzessionen im Bereich der öffentlichen Personenverkehrsdienste im Sinne der VO (EG) Nr. 1370/2007 vom Anwendungsbereich der Vergaberichtlinien ausgeschlossen (Art. 10 lit. i) Richtlinie 2014/24/EU, Art. 21 lit. g) Richtlinie 2014/25/EU und Art. 10 Abs. 3 Richtlinie 2014/23/EU). 1 Fandrey in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, GWB-Vergaberecht, § 131 Rz. 1.

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§ 131 | Personenverkehrsleistungen im Eisenbahnverkehr 5 Eisenbahnverkehrsdienste umfassen den Regional- und Fernverkehr einschließ-

lich der Stadt- und Vorortbahnen sowie integrierte Netze.1 Hiervon abzugrenzen sind Personenverkehrsdienste mit Bussen und Straßenbahnen. Für diese gelten über Art. 5 Abs. 1 Satz 1 VO (EG) Nr. 1370/2007 die allgemeinen vergaberechtlichen Vorschriften. Das deutsche Recht greift diese Regelung im Personenbeförderungsgesetz (PBefG) auf. Dieses gilt nach § 1 Abs. 1 Satz 1 PBefG für die Beförderung von Personen mit Straßenbahnen (§ 4 Abs. 1 und 2 PBefG), Oberleitungsbussen (§ 4 Abs. 3 PBefG) und Kraftfahrzeugen (§ 4 Abs. 4 PBefG), wobei zu den Straßenbahnen nach deutschem Recht auch Hoch-, Untergrund- und Schwebebahnen zählen (§ 4 Abs. 2 PBefG). Dies entspricht Art. 5 Abs. 6 VO (EG) Nr. 1370/2007, der andere schienengestützte Verkehrsträger wie Untergrund- und Straßenbahnen von der für Eisenbahnverkehre bestehenden Möglichkeit der Direktvergabe ausnimmt. Wie sich aus § 1 i.V.m. § 8a Abs. 2 PBefG ergibt, findet für die in § 1 Abs. 1 Satz 1 PBefG genannten Verkehrsmittel der 4. Teil des GWB Anwendung. Ausgenommen hiervon ist § 131, der lediglich auf den Eisenbahnverkehr Bezug nimmt. Auch im Bereich der von dem PBefG erfassten Personenverkehrsleistungen besteht die Möglichkeit, einen Personalübergang anzuordnen. Grundlage hierfür ist allerdings Art. 4 Abs. 5 VO (EG) Nr. 1370/2007, ggf. ergänzt durch zusätzliche landesrechtliche Anforderungen, nicht hingegen § 131 Abs. 3.2

6 Nach der Regelung in Abs. 1 gilt § 131 für die Vergabe von öffentlichen Aufträ-

gen (§ 103 Abs. 1). Auf die Vergabe von Konzessionen i.S.d. § 105 Abs. 1 durch Konzessionsgeber (§ 101 Abs. 1) findet Abs. 1 keine Anwendung. Dies ergibt sich aus § 154 Nr. 3, der für die Vergabe von Konzessionen § 131 Abs. 2 und 3, nicht aber Abs. 1 für entsprechend anwendbar erklärt. Für die Vergabe von Konzessionen, deren Gegenstand Personenverkehrsleistungen im Eisenbahnverkehr sind, gelten neben § 131 Abs. 2 und 3 daher nur die Vorschriften der VO (EG) Nr. 1370/2007. Auf Sektorenauftraggeber3 (§ 100) findet § 131 aufgrund der umfassenden Verweisung in § 142 uneingeschränkt Anwendung.

III. Anzuwendende Vergabeverfahren (§ 131 Abs. 1) 1. Freie Wahl (§ 131 Abs. 1 Satz 1) 7 In Bezug auf Dienstleistungsaufträge im Eisenbahnverkehr gibt die VO (EG)

Nr. 1370/2007 den Auftraggebern weitgehende Freiheiten. Art. 5 Abs. 3 Satz 1 der Verordnung regelt lediglich, dass die zuständigen Behörden öffentliche

1 Prieß in Kaufmann/Lübbig/Prieß/Pünder, VO (EG) 1370/2007, Art. 5 Rz. 237. 2 BT-Drucks. 18/6281, 117; Fandrey in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, GWB-Vergaberecht, § 131 Rz. 6; Bayreuther, NZBau 2016, 459; Mutschler-Siebert/Dorschfeldt, VergabeR 2016, 385 (386); Reidt/Stickler, VergabeR 2016, 708 (709). 3 Zur Sektorenauftraggeberschaft von privaten Eisenbahnverkehrsunternehmen Sitsen, VergabeR 2016, 553.

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Personenverkehrsleistungen im Eisenbahnverkehr | § 131

Dienstleistungsaufträge im Wege eines wettbewerblichen Vergabeverfahrens vergeben müssen. Nähere Vorgaben an diese Verfahren enthält Art. 5 Abs. 3 Satz 2 und 3 der Verordnung. Ergänzend regelt Art. 5 Abs. 6, dass die zuständigen Behörden entscheiden können, öffentliche Dienstleistungsaufträge im Eisenbahnverkehr (mit Ausnahme anderer schienengestützter Verkehrsträger wie Untergrund- oder Straßenbahnen) direkt, also ohne wettbewerbliches Verfahren, zu vergeben. Nach der Verordnung besteht also Wahlfreiheit der zuständigen Behörde zwischen diesen Möglichkeiten (s. Rz. 2).1 § 131 Abs. 1 schränkt diese Wahlfreiheit in unionskonformer Weise ein.2 Der 8 Auftraggeber von Eisenbahnverkehrsleistungen muss ein Vergabeverfahren durchführen. Allerdings stehen ihm nach seiner Wahl das offene Verfahren (§ 119 Abs. 3), das nicht offene Verfahren (§ 119 Abs. 4), das Verhandlungsverfahren mit Teilnahmewettbewerb (§ 119 Abs. 5, 1. Alt.), der wettbewerbliche Dialog (§ 119 Abs. 6) und die Innovationspartnerschaft (§ 119 Abs. 7) zur Verfügung. Der Auftraggeber kann zwischen diesen Vergabearten frei wählen.3 Die sich aus Art. 5 Abs. 3 VO (EG) Nr. 1370/2007 ergebenden Anforderungen, insbesondere die Grundsätze von Transparenz und Nichtdiskriminierung, sind von diesen Vergabearten umfasst, gehen also darüber nicht hinaus. Die einschränkenden Voraussetzungen nach § 14 Abs. 2 Satz 2 VgV für die Wahl der Vergabeart gelten nicht. 2. Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb (§ 131 Abs. 1 Satz 2) Eine Ausnahme gilt lediglich für das Verhandlungsverfahren ohne Teilnahme- 9 wettbewerb (§ 119 Abs. 5 Alt. 2). Dieses steht nur zur Verfügung, soweit dies aufgrund des GWB gestattet ist (§ 131 Abs. 1 Satz 2). Das GWB selbst enthält keine Regelungen über die Zulässigkeit des Verhandlungsverfahrens ohne Teilnahmewettbewerb. Allerdings bestehen hierfür Möglichkeiten aufgrund der erlassenen Verordnungen. Für öffentliche Auftraggeber i.S.d. § 99 gilt insoweit § 14 Abs. 4 VgV4, für Sektorenauftraggeber (§ 100 Abs. 1) § 13 Abs. 2 SektVO und für Konzessionsgeber (§ 101) § 12 KonzVgV.

IV. Inhouse-Vergabe (§ 131 Abs. 2) Die Zulässigkeit einer Inhouse-Vergabe richtet sich grundsätzlich nach § 108. 10 § 131 Abs. 2 verweist für die Inhouse-Vergabe öffentlicher Auftraggeber von Personenverkehrsleistungen im Eisenbahnverkehr hingegen auf Art. 5 Abs. 2 1 Prieß in Kaufmann/Lübbig/Prieß/Pünder, VO (EG) 1370/2007, Art. 5 Rz. 222. 2 Fandrey in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, GWB-Vergaberecht, § 131 Rz. 1; Bugenberg/Schelhaas in Burgi/Dreher, § 131 Rz. 22 ff. 3 Fandrey in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, GWB-Vergaberecht, § 131 Rz. 7; Mutschler-Siebert/ Dorschfeldt, VergabeR 2016, 385 (387 f.). 4 Bungenberg/Schelhaas in Burgi/Dreher, § 131 Rz. 31 ff.

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§ 131 | Personenverkehrsleistungen im Eisenbahnverkehr VO (EG) Nr. 1370/2007. Deren Bestimmungen sind an die allgemeinen Inhouse-Voraussetzungen des § 108 angelehnt, es bestehen im Detail jedoch Unterschiede.1 Als Teil einer Verordnung findet Art. 5 Abs. 2 VO (EG) Nr. 1370/ 2007 unmittelbare Anwendung (Art. 288 UA 2 AEUV). § 131 Abs. 2 kommt somit lediglich klarstellende Bedeutung zu. Entsprechendes gilt für den Bereich der Personenbeförderung mit Bussen und Straßenbahnen, soweit Dienstleistungskonzessionen und nicht Dienstleistungsaufträge betroffen sind. Folglich verweist auch § 8a Abs. 3 PBefG insoweit auf Art. 5 Abs. 2 VO (EG) Nr. 1370/ 2007. 11 Ebenfalls klarstellend verweist § 131 Abs. 2 Satz 2 auf Art. 5 Abs. 5 und Art. 7

Abs. 2 VO (EG) Nr. 1370/2007. Nach Art. 5 Abs. 5 kann die zuständige Behörde im Fall einer Unterbrechung des Verkehrsdienstes oder bei unmittelbarer Gefahr des Eintretens einer solchen Situation Notmaßnahmen ergreifen. Art. 7 Abs. 2 der Verordnung sieht besondere Veröffentlichungspflichten vor. Beide Vorschriften gelten auch bei der Inhouse-Vergabe nach Art. 5 Abs. 2 der Verordnung.

V. Betreiberwechsel und Personalübergang (§ 131 Abs. 3) 1. Regelungsinhalt, Entwicklung im Gesetzgebungsverfahren 12 Art. 4 Abs. 5 Satz 1 VO (EG) Nr. 1370/2007 bestimmt, dass die zuständige Be-

hörde – unbeschadet des nationalen Rechts und des Gemeinschaftsrechts, einschließlich Tarifverträge zwischen den Sozialpartnern – den ausgewählten Betreiber eines öffentlichen Dienstes verpflichten kann, den Arbeitnehmern, die zuvor zur Erbringung der Dienste eingestellt wurden, die Rechte zu gewähren, auf die sie Anspruch hätten, wenn ein Übergang i.S.d. Richtlinie 2001/23/EG erfolgt wäre. Diese Vorschrift gilt unmittelbar und bedarf nicht der Umsetzung in nationales Recht (Art. 288 UA 2 AEUV). Ziel der Regelung in § 131 Abs. 3 war nach der ursprünglichen Begründung des Gesetzesentwurfs die bloße Klarstellung, dass in Deutschland kein nationales Recht existiert, das Art. 4 Abs. 5 VO (EG) Nr. 1370/2007 und der dort geregelten Möglichkeit zur Anordnung einer Arbeitnehmerübernahme entgegensteht.2 Mit Art. 4 Abs. 5 Satz 1 VO (EG) Nr. 1370/2007 korrespondierend war daher zunächst nur vorgesehen, dass der öffentliche Auftraggeber die Pflicht zur Arbeitnehmerübernahme anordnen „kann“. Im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens erfolgte jedoch insofern eine Änderung. Das „kann“ wurde durch das Wort „soll“ ersetzt. Dem Gesetzgeber war dabei bewusst, dass dieser Wortlaut über die VO (EG) Nr. 1370/2007 hi-

1 Fandrey in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, GWB-Vergaberecht, § 131 Rz. 10 ff.; Mutschler-Siebert/Dorschfeldt, VergabeR 2016, 385 (388); im Einzelnen Prieß in Kaufmann/Lübbig/ Prieß/Pünder, VO (EG) 1370/2007, Art. 5 Rz. 62 ff. 2 BT-Drucks. 18/6281, S. 118.

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nausgeht und dazu führt, dass die Anordnung der Übernahme von Arbeitnehmern durch den neuen Betreiber zum Regelfall werden kann.1 Gleichzeitig erfolgte allerdings insofern eine Einschränkung, dass sich die Soll-Regelung gemäß § 131 Abs. 3 Satz 2 auf diejenigen Arbeitnehmer beschränkt, die für die Erbringung der übergehenden Verkehrsleistung unmittelbar erforderlich sind. Ein solches Unmittelbarkeitserfordernis enthält Art. 4 Abs. 5 VO (EG) Nr. 1370/2007 nicht. Der weitergehende Antrag der Fraktion DIE LINKE, in § 131 Abs. 3 eine uneingeschränkte Verpflichtung („muss“) vorzusehen, wurde hingegen abgelehnt.2 Im Übrigen sind die Unterschiede im Wortlaut zwischen Art. 4 Abs. 5 VO (EG) Nr. 1370/2007 und § 131 Abs. 3 dadurch zu erklären, dass anstelle der Richtlinie 2001/23/EG auf § 613a BGB verwiesen wird, der die entsprechenden Anforderungen der EU-Richtlinie in das deutsche Recht umsetzt. § 131 Abs. 3 steht im Spannungsverhältnis zwischen der Wirtschaftlichkeit der Vergabe und dem Arbeitnehmerschutz. Ziel des Vergaberechts ist es grundsätzlich, auf das Angebot mit dem besten Preis-Leistungs-Verhältnis den Zuschlag zu erteilen (§ 127 Abs. 1 Satz 2). Hierbei sollen die Grundsätze der Wirtschaftlichkeit und der Verhältnismäßigkeit gewahrt werden (§ 97 Abs. 1 Satz 2). Niedrigere Kosten – auch in Form von niedrigeren Löhnen – stellen somit grundsätzlich einen Wettbewerbsvorteil im Vergabeverfahren dar. Hierzu regelt § 131 Abs. 3 für den Bereich der Eisenbahnverkehrsleistungen vor allem, aber nicht nur (s. noch Rz. 39 ff.), im Interesse des Schutzes der Arbeitnehmer eine Ausnahme.3 Unionsrechtliche Bedenken gegen § 131 Abs. 3 bestehen nicht. Zwar ergibt sich 13 aus Art. 23 Abs. 1 GG ein Anwendungsvorrang für das Unionsrecht. Art. 4 Abs. 5 VO (EG ) Nr. 1370/2007, der weniger streng ist als § 131 Abs. 3 (s. Rz. 2), gilt jedoch nur unbeschadet des nationalen Rechts. Das nationale Recht kann daher insbesondere weitergehende Anforderungen enthalten.4 Ebenfalls ist § 131 Abs. 3 verfassungsgemäß. Die Gesetzgebungskompetenz zu 14 § 131 Abs. 3 nach Maßgabe des nationalen Verfassungsrechts ergibt sich aus Art. 72 i.V.m. Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 (Recht der Wirtschaft) und Nr. 12 GG (Arbeitsrecht). Das Arbeitsrecht gemäß Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG gehört zu den Kernkompetenzen im Sinne von Art. 72 Abs. 1 GG, für deren Wahrnehmung es keiner besonderen Erforderlichkeit bedarf. Selbst wenn man als Kompetenzgrundlage isoliert auf das Recht der Wirtschaft im Sinne von Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG abstellt, ist aufgrund des sehr häufig Landesgrenzen überschreitenden Charakters des Personenverkehrs die Erforderlichkeit im Sinne von Art. 72 Abs. 2 GG gegeben. Auch wenn § 131 Abs. 3 und dessen Anwendung die Berufsfreiheit 1 2 3 4

BT-Drucks. 18/7086, S. 14 und 15. BT-Drucks. 18/7086, S. 12. Bayreuther, NZBau 2016, 459. Reidt/Stickler, VergabeR 2016, 708 (715); ebenso etwa auch Kaufmann/Lübbig/Prieß/ Pünder, VO (EG) Nr. 1370/2007, Art. 4 Rz. 52, 56; zweifelnd, im Ergebnis allerdings offenlassend, Winnes, Der Landkreis 2016, 207 (207).

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§ 131 | Personenverkehrsleistungen im Eisenbahnverkehr (Art. 12 Abs. 1 GG) der sich an der Ausschreibung beteiligten Bieter berührt, ist dies, ähnlich wie bei § 613a BGB, insbesondere durch den damit bezweckten Arbeitnehmerschutz gerechtfertigt.1 Denn dem Grundrecht der Bieter steht das ebenfalls durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützte Interesse der Arbeitnehmer des bisherigen Betreibers an einer Erhaltung ihrer Arbeitsplätze gegenüber.2 Bei der Auflösung dieser Grundrechtskollision im Wege praktischer Konkordanz steht dem Gesetzgeber ein weiter Einschätzungs- und Prognosespielraum zu. Es ist also vornehmlich Sache des Gesetzgebers, auf der Grundlage seiner wirtschafts-, arbeitsmarkt- und sozialpolitischen Vorstellungen und Ziele zu entscheiden, welche Maßnahmen er im Interesse des Gemeinwohls ergreifen will.3 Grundlage der Regelung in § 131 Abs. 3 ist die Besorgnis des Gesetzgebers, dass es bei der Vergabe von öffentlichen Aufträgen über Personenverkehrsleistungen im Eisenbahnverkehr zu sozialpolitischen Fehlentwicklungen kommen könne.4 Im Hinblick darauf, dass es bei der Neuvergabe von Verkehrsleistungen zu Arbeitsplatzverlusten kommen oder zumindest Arbeitnehmer zu schlechteren Arbeitsbedingungen eingestellt werden könnten, ist diese Besorgnis nicht von der Hand zu weisen. Insbesondere ist nicht ersichtlich, dass der Gesetzgeber damit den ihm zustehenden weiten Einschätzungs- und Prognosespielraum überschritten hätte.5 2. Anwendungsbereich und Voraussetzungen 15 Hinsichtlich des persönlichen Anwendungsbereichs spricht § 131 Abs. 3 Satz 1

von öffentlichen Auftraggebern. Allerdings sind über die Verweise in § 142 und § 154 Nr. 3 auch Sektorenauftraggeber und Konzessionsgeber einbezogen (Rz. 6). Hinsichtlich des sachlichen Anwendungsbereichs bezieht sich § 131 Abs. 3 Satz 1 auf öffentliche Aufträge im Sinne von Abs. 1. Allerdings sind über den Verweis in § 154 Nr. 3 auch Konzessionen erfasst. Ein Wechsel des Betreibers einer Personenverkehrsleistung im Sinne des § 131 Abs. 3 Satz 1 liegt vor, wenn die juristische Person, der der Zuschlag erteilt wird, nicht mit derjenigen juristischen Person identisch ist, die bisher mit den entsprechenden Personenverkehrsleistungen beauftragt war.6 Dies gilt auch in Fällen, in denen die neu zu vergebene Personenverkehrsleistung nicht in vollem Umfang mit der bisherigen Leistung identisch ist, also räumlich oder inhaltlich anders zugeschnitten ist (z.B. Vergabe einer bisher vom Auftrag umfassten Linie im Rahmen eines anders räumlich zugeschnittenen Auftrags bzw. in einem anders zugeschnittenen Los; Vergabe der Verkehrsleistung, anders als zuvor, ohne Beschaffung der

1 So auch Bayreuther, NZA 2016, 1506 ff.; a.A. Ruge/v. Tiling, NZA 2016, 1055 ff. 2 BVerfG v. 27.1.1998 – 1 BvL 15/87, BVerfGE 97, 169 = MDR 1998, 658. 3 BVerfG v. 3.4.2001 – 1 BvL 32/97, BVerfGE 103, 293 = MDR 2001, 877; Bayreuther, NZA 2016, 1506 (1507). 4 BT-Drucks. 18/7086, S. 14. 5 So auch Bayreuther, NZA 2016, 1506 (1507 f.). 6 Reidt/Stickler, VergabeR 2016, 708 (710).

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Fahrzeuge und/oder deren Wartung). Korrektiv hierfür ist die unmittelbare Erforderlichkeit des zu übernehmenden Personals (s. Rz. 31 f.). 3. Personalübernahme Nach § 131 Abs. 3 Satz 1 sollen öffentliche Auftraggeber eine Personalübernahme 16 gemäß Art. 4 Abs. 5 VO (EG) Nr. 1370/2007 verlangen. § 131 Abs. 3 ist dabei zunächst vom Betriebsübergang nach § 613a BGB abzugrenzen. Sofern die Voraussetzungen des § 613a BGB vorliegen, ist eine Anordnung nach § 131 Abs. 3 nicht erforderlich, da der Übergang der Arbeitsverhältnisse auf den neuen Betreiber kraft Gesetzes eintritt. Nach der Rechtsprechung des EuGH kann der aufgrund eines Vergabeverfahrens resultierende Wechsel des Auftragnehmers einen Betriebsübergang darstellen.1 In diesem Fall ergeben sich die Rechte der betroffenen Arbeitnehmer unmittelbar aus der gesetzlichen Regelung des § 613a BGB, nicht hingegen erst aus einer gesonderten Anordnung. Eine Anordnung nach § 131 Abs. 3 kann jedoch ergänzend erfolgen, um Unsicherheiten, ob die Voraussetzungen eines Betriebsübergangs vorliegen, zu beseitigen oder um Arbeitnehmer einzubeziehen, die nicht unmittelbar von § 613a BGB erfasst sind.2 Hierbei kann die Anordnung zugleich auch auf Art. 4 Abs. 5 VO (EG) Nr. 1370/2007 gestützt werden. Anders als § 131 Abs. 3 beschränkt Art. 4 Abs. 5 VO (EG) Nr. 1370/2007 die Anordnung nicht auf die unmittelbar für die Erbringung der übergehenden Verkehrsleistung erforderlichen Arbeitnehmer (s. Rz. 31 f.). Im Falle des Vorliegens der Voraussetzungen des § 613a BGB tritt der neue Ar- 17 beitgeber kraft Gesetzes in die Rechte und Pflichten aus den übergehenden Arbeitsverhältnissen ein, solange der betroffene Arbeitnehmer dem Übergang nicht widerspricht (§ 613a Abs. 6 BGB). Anstelle eines gesetzlichen Übergangs sieht § 131 Abs. 3 Satz 1 vor, dass der Auftraggeber verlangt, dass der ausgewählte Betreiber die betroffenen Arbeitnehmer übernimmt und ihnen die Rechte gewährt, auf die sie Anspruch hätten, wenn ein Übergang gemäß § 613a BGB erfolgt wäre. Es findet kein Personalübergang kraft Gesetzes statt. Der Wechsel des Arbeitgebers vollzieht sich vielmehr privatrechtlich.3 Der neue Betreiber ist verpflichtet, den betroffenen Arbeitnehmern ein Angebot auf Fortführung ihrer Arbeitsverhältnisse zu unterbreiten, das diese annehmen können. Ein bloßes Arbeitsvertragsangebot genügt nicht, da der neue Betreiber mit seinem Übernahmeangebot nicht hinter § 613a BGB zurückbleiben darf.4 Diese 1 EuGH v. 7.3.1996 – Rs. C-171/94, ECLI:EU:C:1996:87 – Merckx; EuGH v. 11.3.1997 – Rs. C-13/95, MDR 1997, 654 = ECLI:EU:C:1997:141 – Süzen; EuGH v. 10.2.1998 – Rs. C173/96 und C-247/96, ECLI:EU:C:1998:595 - Hidalgo; EuGH v. 20.11.2003 – Rs. C340/01, ECLI:EU:C:2003:629 – Abler; EuGH v. 15.12.2005 – Rs. C-233/04, ECLI:EU: C:2005:778 – Güney-Görres. 2 Bayreuther, NZBau 2016, 459 (460). 3 Bayreuther, NZBau 2016, 459 (461). 4 Bayreuther, NZBau 2016, 459 (461).

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§ 131 | Personenverkehrsleistungen im Eisenbahnverkehr Verpflichtung des neuen Betreibers besteht nur, wenn eine entsprechende Anordnung des Auftraggebers nach § 131 Abs. 3 Satz 1 vorliegt. Die gesetzliche Regelung des GWB allein verpflichtet den neuen Betreiber ohne entsprechende Anordnung also nicht, Angebote an die Arbeitnehmer zu unterbreiten. 18 Das Verlangen des Auftraggebers geht dahin, dass die Bieter den betroffenen Ar-

beitnehmern als Teil ihres Angebots für die zu erbringende Dienstleistung ein Angebot auf Übernahme des Arbeitsverhältnisses unterbreiten.1 Dieses kann nach Zuschlagserteilung von den betroffenen Arbeitnehmern angenommen werden. Eine Frist für die Annahme sieht § 131 Abs. 3 nicht vor. Nach § 613a Abs. 6 Satz 1 BGB kann der Arbeitnehmer dem Übergang des Arbeitsverhältnisses innerhalb eines Monats nach Zugang der Unterrichtung durch den Arbeitgeber schriftlich widersprechen. Der Widerspruch führt dazu, dass kein Übergang des Arbeitsverhältnisses stattfindet. Es könnte daran gedacht werden, diese Frist analog für die Annahmeerklärung der Arbeitnehmer auf das Übernahmeangebot des neuen Betreibers anzuwenden. Insoweit bestehen jedoch Bedenken. Denn während es bei dem Widerspruch darum geht, einen Übergang des Arbeitsverhältnisses zu verhindern, wird durch die Annahme des Angebots des neuen Betreibers der Übergang erst ermöglicht. Es spricht daher Überwiegendes dafür, dass der Auftraggeber zur Erfüllung seiner sich aus § 131 Abs. 3 ergebenden Verpflichtungen in den Vergabeunterlagen klare Vorgabe für die Annahmefristen machen muss, zumindest um Unklarheiten über den Fristlauf zu vermeiden (zur ohnehin bestehenden Notwendigkeit von konkretisierenden Festlegungen durch den Auftraggeber s. Rz. 33).2 Die Annahmefrist sollte dabei in Anlehnung an § 613a Abs. 6 Satz 1 BGB einen Monat nicht unterschreiten.3

19 § 613a Abs. 5 BGB bestimmt, dass und auf welche Weise der bisherige Arbeit-

geber oder der neue Inhaber die betroffenen Arbeitnehmer von dem Betriebsübergang zu unterrichten haben. Erfolgt diese Unterrichtung nicht oder ist sie fehlerhaft, wird die Widerspruchsfrist des § 613a Abs. 6 BGB nicht ausgelöst.4 Das Angebot des neuen Betreibers auf Übernahme des Arbeitsverhältnisses sollte in sinngemäßer Anwendung dieser Anforderung den betroffenen Arbeitnehmern in einer § 613a Abs. 5 BGB entsprechenden Form übermittelt werden. Soweit dies nicht der Fall ist, besteht die Gefahr, dass sich die betroffenen Arbeitnehmer darauf berufen, dass kein ordnungsgemäßes Angebot vorliegt, sodass etwaige Annahmefristen nicht zu laufen begannen.

20 Nimmt der betroffene Arbeitnehmer das Angebot des neuen Betreibers, das durch

Zuschlagserteilung an den neuen Betreiber bindend wird, an, kommt zwischen

1 2 3 4

Bayreuther, NZBau 2016, 459 (461). Bayreuther, NZBau 2016, 459 (461). Bayreuther, NZBau 2016, 459 (461). BAG v. 13.7.2006 – 8 AZR 303/05, MDR 2007, 223 = NJW 2007, 244 (250); BAG v. 12.11. 2009 – 8 AZR 530/07, NJW 2010, 1302.

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dem annehmenden Arbeitnehmer und dem neuen Betreiber ein Arbeitsverhältnis zustande. Das Arbeitsverhältnis mit dem bisherigen Betreiber endet. Eine Kündigung ist nicht erforderlich.1 Der Arbeitnehmer ist so zu stellen, als hätte ein Betriebsübergang i.S.d. § 613a BGB stattgefunden. Somit geht das Arbeitsverhältnis mit allen Rechten und Pflichten auf den neuen Betreiber über (§ 613a Abs. 1 Satz 1 BGB). Der Hinweis in der Gesetzesbegründung2, nach dem der Übergang nur entgeltrelevante Inhalte betreffe, ist mit dem klaren Wortlaut der Vorschrift nicht zu vereinbaren.3 Rechte und Pflichten, die in kollektiven Arbeitsbedingungen (Tarifverträge und Betriebsvereinbarungen) geregelt sind, gelten aufgrund einer entsprechenden Anwendung der arbeitsrechtlichen Auffangregelung in § 613a Abs. 1 Satz 2 bis 4 BGB als Bestandteil des Arbeitsvertrags weiter, soweit sie nicht ohnehin schon originär aufgrund des Kollektivrechts für den neuen Betreiber weiter gelten. Ebenso finden § 613a Abs. 2 BGB (gesamtschuldnerische Haftung des bisherigen und des neuen Arbeitgebers) und § 613a Abs. 4 BGB (Ausschluss der Kündigung aus Anlass des Übergangs) entsprechende Anwendung. 4. Soll-Vorschrift Die Personalübernahme soll von dem öffentlichen Auftraggeber verlangt wer- 21 den. Demgegenüber ist in Art. 4 Abs. 5 VO (EG) Nr. 1370/2007 lediglich davon die Rede, dass dies verlangt werden kann. Die Regelung im nationalen Recht des § 131 Abs. 3 stellt also ein Mehr dar, bei dem sich der Gesetzgeber bewusst war, dass er über den Wortlaut der VO (EG) Nr. 1370/2007 hinaus geht. Er war sich ebenfalls bewusst, dass mit dieser Regelung die Übernahme der Arbeitnehmer des bisherigen Betreibers bei der Vergabe von Eisenbahnverkehrsleistungen zum Regelfall werden kann (s. bereits Rz. 12).4 a) Ermessensregelung Eine Soll-Regelung ist ebenso wie eine Kann-Bestimmung eine Ermessensvor- 22 schrift. Dennoch bestehen durchgreifende Unterschiede. Bei einer Kann-Vorschrift hat die zur Rechtsanwendung verpflichtete Stelle, hier also der öffentliche Auftraggeber, von dem eingeräumten Ermessen entsprechend dem Zweck der Ermächtigung Gebrauch zu machen und die Grenzen des Ermessens einzuhalten (vgl. § 40 VwVfG). Eine Überprüfung durch die zuständigen Kontrollinstanzen erfolgt lediglich dahingehend, ob diese Grenzen gewahrt sind (vgl. § 114 Satz 1 VwGO). Hingegen ist bei einer Soll-Vorschrift für den Regelfall die zu treffende Entscheidung zwingend vorgegeben. Sie räumt lediglich die Möglich1 2 3 4

Bayreuther, NZBau 2016, 459 (461). BT-Drucks. 18/7086, S. 16. Bayreuther, NZBau 2016, 459 (463). BT-Drucks. 18/7086, S. 14 und 15; Bayreuther, NZBau 2016, 459; Rohrmann/Pfaff, Der Nahverkehr 2016, 68; Winnes, Der Landkreis 2016, 207.

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§ 131 | Personenverkehrsleistungen im Eisenbahnverkehr keit ein, in einem atypischen Fall von dieser gesetzlichen Vorgabe abweichen zu dürfen. Diese Ermessensermächtigung steht also unter der Bedingung, dass ein atypischer Fall vorliegt. Ist dies nicht der Fall, enthält eine Soll-Regelung eine zwingende Vorgabe („muss“). 23 Es unterliegt der uneingeschränkten Prüfung der zuständigen Kontrollinstanzen,

hier also vor allem der Vergabekammern und Vergabesenate (s. noch Rz. 38 ff.), ob ein atypischer Fall gegeben ist. Insofern besteht also kein Ermessen des öffentlichen Auftraggeber, das nur einer eingeschränkten Kontrolle unterliegt. Nur und erst dann, wenn tatsächlich ein atypischer Fall vorliegt, besteht ein Ermessensspielraum des öffentlichen Auftraggebers dahingehend, ob und wenn ja, in welchem Umfang, er von den Vorgaben des § 131 Abs. 3 abweicht. Bei dieser ermessensgebundenen Abweichungsmöglichkeit ist durch den öffentlichen Auftraggeber wiederum in den Blick zu nehmen, dass der Intention, die der Gesetzgeber mit § 131 Abs. 3 verfolgt, weitest möglich Rechnung getragen werden muss. Das dem öffentlichen Auftraggeber eingeräumte Ermessen ist daher selbst in einem atypischen Fall kein „Freibrief“ dafür, § 131 Abs. 3 ohne weitere Erwägungen nicht anzuwenden.1

24 Ein atypischer Fall, der es rechtfertigt, von der Soll-Rechtsfolge abzuweichen,

liegt vor, wenn die Anwendung der Regelentscheidung deren Sinngehalt widerspricht. Diese Voraussetzung ist erfüllt, wenn der Sachverhalt zwar unter eine bestimmte gesetzliche Regelung fällt, deren Zweckbestimmung aber auf einen Fall dieser Art gar nicht zugeschnitten ist.2 Anders als die Ermessensausübung als solche unterfällt die Frage, ob ein atypischer Fall vorliegt, der eine Abweichung von der Soll-Rechtsfolge überhaupt ermöglicht, der vollen Überprüfung durch die für die Rechtskontrolle zuständigen Behörde bzw. das zuständige Gericht.3 b) Grundsätzliche Anordnungspflicht

25 Daraus folgt, dass gemäß § 131 Abs. 3 Satz 1 grundsätzlich eine Übernahme

des erforderlichen Personals durch den neuen Betreiber anzuordnen ist.4 Die

1 Reidt/Stickler, VergabeR 2016, 708 (712 f.); s. auch Bungenberg/Schelhaas in Burgi/Dreher, § 131 Rz. 60; BVerwG v. 17.8.1978 – 5 C 33.77, BVerwGE 56, 220/223; BVerwG v. 4.3.1992 – 5 C 27.91, BVerwG v. 4.3.1993 – 5 C 27/91, BVerwGE 92, 169/170 f.; Bayreuther, NZBau 2016, 459; Wolff in Sodan/Ziekow, Verwaltungsgerichtsordnung, § 114 Rz. 138; Rietgen in Bauer/Heckmann/Ruge/Schallbruch/Schulz, Verwaltungsverfahrensgesetz und E-Government, § 40 Rz. 29 jeweils m.w.N. 2 BVerwG v. 31.3.1987 – 1 C 29/84, BVerwGE 77, 164/180; Bayreuther, NZBau 2016, 459; Wolff in Sodan/Ziekow, Verwaltungsgerichtsordnung, § 114 Rz. 142 m.w.N. 3 BVerwG v. 2.7.1992 – 5 C 39/90, BVerwGE 90, 275 = MDR 1992, 1156/280; BVerwG v. 17.9.1987 – 5 C 26/84, BVerwGE 78, 101/105, 113 f.; Wolff in Sodan/Ziekow, Verwaltungsgerichtsordnung, § 114 Rz. 141. 4 Reidt/Stickler, VergabeR 2016, 708 (713 f.); Bayreuther, NZBau 2016, 459 (459); Bayreuther, NZA 2016, 1506 (1509).

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typischen Begleiterscheinungen einer Anordnung i.S.v. § 131 Abs. 3 Satz 1 sind nach dem Willen des Gesetzgebers hinzunehmen. Hierzu zählen, insbesondere in der Anfangszeit der Anwendung des § 131 Abs. 3, zusätzliche rechtliche Risiken aufgrund potentieller Nachprüfungsverfahren, die mögliche Unübersichtlichkeit der Norm, der damit verbundene Verfahrensaufwand und letztlich auch eine potentielle Verteuerung gegenüber einer Ausschreibung ohne Anordnung gemäß § 131 Abs. 3, weil die bietenden Eisenbahnverkehrsunternehmen ansonsten, zumindest teilweise, im Hinblick auf die Lohnkosten günstiger kalkulieren könnten.1 Keinen atypischen Fall stellt es in der Regel dar, wenn die neu zu vergebenden 26 Verkehrsleistungen sich im Hinblick auf die Größe des Netzes (Vergrößerung oder Verkleinerung) oder vom Betriebsumfang her (Mehr- oder Minderleistungen) von dem bisherigen Leistungsumfang unterscheiden. Man wird in diesem Fall zwar eine atypische Konstellation in Erwägung ziehen können2, jedoch bedarf es gleichwohl besonderer zusätzlicher Umstände, um eine Atypik annehmen zu können. Denn einem geänderten Zuschnitt des Verkehrsnetzes sowie Mehr- oder Minderleistungen wird weitgehend bereits dadurch Rechnung getragen, dass sich § 131 Abs. 3 nur auf die Arbeitnehmer bezieht, die für die Leistungserbringung unmittelbar erforderlich sind (s. Rz. 31).3 Ist das neu ausgeschriebene Verkehrsnetz kleiner, versteht sich von selbst, dass Arbeitnehmer, die bislang für den darüber hinausgehenden Teil eingesetzt wurden, nicht übernommen werden müssen. Ist das neue Netz größer, müssen ggf. zusätzliche Mitarbeiter eingestellt werden.4 Ebenfalls nicht um einen atypischen Umstand handelt es sich, wenn im kalkula- 27 tionsrelevanten Zeitpunkt der bisherige Betreiber, der dem neuen Auftragnehmer zeitlich unmittelbar vorausgeht, oder dessen Personal noch nicht bekannt sind. Dies betrifft vor allem Fälle, in denen vor der eigentlichen Ausschreibung mit langer Vertragslaufzeit eine sog. Interimsvergabe mit einer kurzen Vertragslaufzeit (von ein bis vier Jahren) erfolgt, so wie dies im Schienenpersonennahverkehr nicht selten der Fall ist (z.B. wegen des zeitlichen Vorlaufs für die Beschaffung von Fahrzeugen durch einen neuen Betreiber, wenn mit der Neuauschreibung nicht früh genug begonnen wurde).5 Ein noch nicht feststehender Altbetreiber steht einer Anordnung eines Arbeitnehmerübergangs jedoch nicht entgegen. Es besteht dann allenfalls keine Möglichkeit und daher auch keine Verpflichtung des Auftraggebers nach Art. 4 Abs. 5 Satz 2 VO (EG) Nr. 1370/ 2007, Daten zu dem angeordneten Betriebsübergang zu liefern, über die er noch nicht verfügt (vgl. auch Rz. 35). Voraussetzung hierfür ist allerdings, dass für 1 2 3 4 5

Fandrey in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, GWB-Vergaberecht, § 131 Rz. 50. BT-Drucks. 18/7086, S. 14. Bayreuther, NZBau 2016, 459 (460). Reidt/Stickler, VergabeR 2016, 708 (714). Reidt/Stickler, VergabeR 2016, 708 (713 f.).

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§ 131 | Personenverkehrsleistungen im Eisenbahnverkehr den Auftraggeber keine zumutbare Ausgestaltung in Betracht kommt, die Vertragslaufzeit der Interimsausschreibung von vornherein so festzulegen, dass ihm die Lieferung der Kalkulationsdaten möglich ist.1 c) Atypische Fälle 28 Atypische Fälle sind nur in wenigen Fallgestaltungen vorstellbar. In Betracht

zu ziehen sind in erster Linie Konstellationen, in denen der bisherige Betreiber die Arbeitsverhältnisse bewusst und missbräuchlich so ausgestaltet hat, dass sie sich gezielt nachteilig zu Lasten eines möglichen neuen Betreibers auswirken (vgl. § 131 Abs. 3 Satz 3).2 Denkbar sind insofern etwa arbeitsvertragliche Nebenabreden, die für den Fall des Verlustes einer Verkehrsleistung vereinbart werden. Vereinbarungen, die darauf zielen, die Arbeitnehmer bei einem Arbeitnehmerübergang auch tatsächlich in den Genuss der Rechte aus § 131 Abs. 3 bzw. § 613a BGB kommen zu lassen und bisherige Sozialstandards effektiv zu sichern, sind hingegen nicht generell als missbräuchlich anzusehen, auch wenn sie sich nachteilig für den neuen Betreiber auswirken. Für die Annahme eines Missbrauchs in Frage kommen jedoch etwa aus dem Rahmen fallende, gänzlich ungewöhnliche Lohnerhöhungen, die den Altbetreiber selbst nicht mehr oder nur geringfügig betreffen. Allerdings muss der Auftraggeber, wie § 131 Abs. 3 Satz 3 und 4 zeigen, zunächst versuchen, der Belastung des neuen Betreibers durch geeignete Bedingungen entgegenzuwirken (z. B. Anordnung eines Arbeitnehmerübergangs zu den Konditionen, die ohne die missbräuchliche Lohnerhöhung gegolten hätten). Wenn dies nicht gelingt, muss er zumindest überlegen, ob er nicht, ggf. auch lediglich auf der Grundlage von Art. 4 Abs. 5 VO (EG) Nr. 1370/2007, eine Verpflichtung vorsieht, die der Intention des Gesetzgebers zu § 131 Abs. 3 weitest möglich Rechnung trägt, um insofern eine vergaberechtskonforme Ausgestaltung der Ausschreibung sicherzustellen. 5. Einbezogene Arbeitnehmer (§ 131 Abs. 3 Satz 1 und 2) a) Arbeitnehmer

29 Der Anspruch auf Übernahme ist den Arbeitnehmern zu gewähren, die beim

bisherigen Betreiber für die Erbringung der Verkehrsleistung beschäftigt waren. Der Begriff des „Arbeitnehmers“ ist durch die Rechtsprechung definiert. Danach ist Arbeitnehmer, wer aufgrund eines privatrechtlichen Vertrags im Dienste eines Anderen zur Leistung weisungsgebundener, fremdbestimmter Arbeit in persönlicher Abhängigkeit verpflichtet ist.3 Zwischen dem Arbeitnehmer 1 Reidt/Stickler, VergabeR 2016, 708 (714). 2 Fandrey in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, GWB-Vergaberecht, § 131 Rz. 50. 3 BAG v. 31.7.2014 – 2 AZR 422/13, NZA 2015, 101; BAG v. 17.4.2013 – 10 AZR 272/12, NZA 2013, 903.

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und dem Altbetreiber muss einen Arbeitsvertrag bestehen. Nicht erfasst sind Leiharbeitnehmer des bisherigen Betreibers sowie Arbeitnehmer, die bei einem Nachunternehmer des bisherigen Betreibers beschäftigt waren. Sie sind daher nur dann einbezogen, wenn der Auftraggeber dies über § 131 Abs. 3 hinaus, unmittelbar auf Art. 4 Abs. 5 der VO (EG) Nr. 1370/2007 gestützt, als Verpflichtung vorsieht.1 Ebenfalls nicht von § 131 Abs. 3 erfasst sind Beamte, da es sich dabei nicht um Arbeitnehmer handelt.2 Für Beamte sind die spezialgesetzlichen Bestimmungen einschlägig, nach denen ihnen mit ihrer Zustimmung vorübergehend, ganz oder teilweise eine ihrem Amt entsprechende Tätigkeit z.B. bei dem Neubetreiber zugewiesen werden kann, wenn ein öffentliches Interesse dies erfordert (vgl. § 29 Abs. 1 Nr. 2 Bundesbeamtengesetz bzw. § 20 Abs. 1 Nr. 2 Beamtenstatusgesetz). Die Gesetzesbegründung zu § 131 Abs. 33, nach der beamteten Mitarbeitern keine Nachteile entstehen dürfen („Laufbahnprüfungen und Beförderungen sind zu beachten“) und für das übernehmende Unternehmen sicherzustellen ist, dass es diese Mitarbeiter zu den gleichen Bedingungen beschäftigen kann wie das sonstige übernommene Personal, bezieht sich somit nur auf das Innenverhältnis zwischen der Behörde, die die Tätigkeit zuweist, und dem Beamten bzw. dem neuen Betreiber. b) Beschäftigung für die Erbringung der übergehenden Verkehrsleistungen Die Übernahme bezieht sich nur auf Arbeitnehmer, die beim bisherigen Betrei- 30 ber für die Erbringung der übergehenden Verkehrsleistungen beschäftigt waren (§ 131 Abs. 3 Satz 1). Sonstiges Personal des bisherigen Betreibers, das andere Verkehrsleistungen erbringt, ist nicht erfasst. Abgrenzungsschwierigkeiten bestehen bei Personen, die im Zusammenhang sowohl mit übergehenden als auch mit nicht übergehenden Leistungen beschäftigt sind. Setzt der bisherige Betreiber beispielsweise Personal auf zwei Linien ein, von denen nur eine Linie übergeht (s. Rz. 26), ist es erforderlich, dass die übergehenden Arbeitnehmer „überwiegend und hinreichend lange in den entsprechenden Funktionen im Wettbewerbsnetz tätig waren“.4 Abzustellen ist dafür auf den Schwerpunkt der bisherigen Tätigkeit. Dabei können sowohl mathematische als auch wertende Kriterien herangezogen werden. Jedenfalls dann, wenn die betreffenden Arbeitnehmer (nach Zugkilometern und/oder Arbeitszeit) kontinuierlich mehr für die übergehenden Verkehrsleistungen eingesetzt werden als für andere, findet § 131 Abs. 3 Satz 1 Anwendung.5 Wird ein Arbeitnehmer auf einer Vielzahl von Linien eingesetzt, kann § 131 Abs. 3 Satz 1 auch dann eingreifen, wenn die Tätig1 2 3 4 5

Bayreuther, NZBau 2016, 459 (462); Winnes, Der Landkreis 2016, 207 (209). Bayreuther, NZBau 2016, 459 (462); Reidt/Stickler, VergabeR 2016, 708 (710). BT-Drucks. 18/7086, S. 16. BT-Drucks. 18/7086, S. 16. So wohl auch Bayreuther, NZBau 2016, 459 (462).

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§ 131 | Personenverkehrsleistungen im Eisenbahnverkehr keit für die übergehende Linie weniger als 50% betrifft, sofern sie den Schwerpunkt der Tätigkeit des betroffenen Arbeitnehmers bildete.1 c) Für die Erbringung der Leistung unmittelbar erforderlich 31 Eine weitere Beschränkung besteht darin, dass die Übernahmeregelung nur solche

Arbeitnehmer betrifft, die für die Erbringung der übergehenden Verkehrsleistung unmittelbar erforderlich sind (§ 131 Abs. 3 Satz 2). Unmittelbar erforderlich sind alle Arbeitnehmer, die operativ für die Erbringung der Verkehrsleistungen notwendig sind und ohne die die Verkehrsleistung innerhalb eines überschaubaren Zeitraums zum Erliegen käme oder in Umfang oder Qualität mangelhaft würde.2 Dazu zählen insbesondere Triebfahrzeugführer, Zugbegleiter, Kundenbetreuer im Zug, Reinigungs- und Sicherheitspersonal, Disponenten sowie Werkstattpersonal. Nicht unmittelbar erforderlich sind hingegen Arbeitnehmer, die keinen direkten Kontakt zu den Fahrgästen und/oder den einzusetzenden Fahrzeugen haben, im Wesentlichen also Arbeitnehmer aus den Bereichen der allgemeinen (internen) betrieblichen Organisation einschließlich Verwaltung und Management.3

32 In der Beschlussempfehlung und dem Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und

Energie heißt es, dass sich der Umfang der einbezogenen Arbeitnehmer nach dem Bedarf des neuen Betreibers richte.4 Dies ist mit Sinn und Zweck des § 131 Abs. 3 nicht vereinbar. Art. 4 Abs. 5 VO (EG) Nr. 1370/2007 und § 131 Abs. 3 dienen in erster Linie dem Schutz der betroffenen Arbeitnehmer. Diese sollen ihren Arbeitsplatz nicht durch einen Betreiberwechsel verlieren. Dieses Ziel würde eingeschränkt oder gar unmöglich gemacht, wenn der neue Betreiber den Personalübergang von seinem eigenen geschätzten Bedarf abhängig machen könnte, er also z.B. seinen eigenen Personalbedarf planmäßig durch die Übertragung von Leistungen auf günstigere Subunternehmer verringern könnte. Zudem würde die Vorschrift bei Abstellen auf den subjektiven Bedarf des neuen Betreibers jeden Bieter anders betreffen und daher auch die Vergleichbarkeit der Angebote sowie die mit § 131 Abs. 3 in Bezug auf Personalkosten intendierte Vereinheitlichung gefährden, wenn nicht gar unmöglich machen. Die einbezogenen Arbeitnehmer sind daher nicht subjektiv anhand des prognostizierten Bedarfs des den Zuschlag erhaltenden Bieters, sondern durch den Auftraggeber objektiv zu bestimmen.5

1 Gleichfalls nicht auf eine ganz starre Grenze abstellend Mutschler-Siebert/Dorschfeldt, VergabeR 2016, 385 (390): „Damit von einer Erforderlichkeit gesprochen werden kann, sollte die Quote im Regelfall mindestens 50 % betragen.“ 2 Bayreuther, NZBau 2016, 459 (462); Reidt/Stickler, VergabeR 2016, 708 (711); s. auch BTDrucks. 18/7086 S. 16: „Ausschließlich operativ tätige Mitarbeiter bestimmter Tätigkeitsgruppen“. 3 Bayreuther, NZBau 2016, 459 (462); Bungenberg/Schelhaas in Burgi/Dreher, § 131 Rz. 61. 4 BT-Drucks. 18/7086, S. 16. 5 So wohl auch Mutschler-Siebert/Dorschfeldt, VergabeR 2016, 385 (390); Bayreuther, NZBau 2016, 459 (462); Reidt/Stickler, VergabeR 2016, 708 (711).

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Dabei ist in der Regel der Personalbedarf des bisherigen Betreibers zu Grunde zu legen, da davon auszugehen ist, dass dieser für eine ordnungsgemäße Leistungserbringung auch tatsächlich besteht. d) Rechtzeitige Festlegung Nach der Begründung des Regierungsentwurfs soll die Festlegung der Kriterien 33 und die Auswahl der Arbeitnehmer so rechtzeitig erfolgen, dass sie in den Unterlagen des Vergabeverfahrens aufgeführt und Angaben zu ihren vertraglichen Rechten gemacht werden können.1 Die Angabe kann und muss dabei ggf. aus datenschutzrechtlichen Gründen in hinreichend anonymisierter Form erfolgen. Die betroffenen Arbeitnehmer müssen, soweit möglich, aber so konkret beschrieben werden, dass feststellbar ist, an wen sich das Angebot des neuen Betreibers auf Übergang des Arbeitsverhältnisses richtet.2 Auch muss hinreichend klar sein, um wie viele Personen es geht und welche Ausbildung sie haben, damit die Bieter erkennen können, wo ggf. noch zusätzlicher Einstellungs- oder Qualifizierungsbedarf besteht. 6. Missbräuchliche Anpassung tariflicher Regelungen (§ 131 Abs. 3 Satz 3) Der öffentliche Auftraggeber soll Regelungen vorsehen, durch die eine miss- 34 bräuchliche Anpassung tarifvertraglicher Regelungen zulasten des neuen Betreibers zwischen der Veröffentlichung der Auftragsbekanntmachung und der Übernahme des Betriebs ausgeschlossen wird (§ 131 Abs. 3 Satz 3). Hierdurch soll verhindert werden, dass der bisherige Betreiber kurz vor Übergang der Arbeitsverhältnisse für die Arbeitnehmer günstige Regelungen vereinbart, die vorrangig den Zweck verfolgen, den neuen Betreiber wirtschaftlich über Gebühr zu belasten (vgl. auch Rz. 28). Diese Gefahr dürfte in der Praxis vor allem bei individualvertraglichen Abreden bestehen. Der Altbetreiber muss aber stets damit rechnen, dass der betroffene Arbeitnehmer das Angebot des neuen Betreibers nicht annimmt und sich die Vereinbarung damit nur für den Altbetreiber selbst als nachteilig erweist. Wie der öffentliche Auftraggeber durch Vorgaben in den Vergabeunterlagen in tarifvertragliche Absprachen eingreifen soll, regelt das Gesetz nicht. Jedenfalls bleiben Sozialplan- und Überleitungsverträge, welche den Betriebsübergang begleiten, zulässig.3 7. Informationspflicht (§ 131 Abs. 3 Satz 4) Gemäß § 131 Abs. 3 Satz 4 ist der bisherige Betreiber nach Aufforderung durch 35 den öffentlichen Auftraggeber verpflichtet, alle erforderlichen Angaben zu ma1 BT-Drucks. 18/6281, S. 118. 2 Vgl. Bayreuther, NZBau 2016, 459 (461). 3 Bayreuther, NZBau 2016, 459 (464).

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§ 131 | Personenverkehrsleistungen im Eisenbahnverkehr chen. Die Verpflichtung trifft den bisherigen Betreiber. Den Auftraggeber trifft nach § 131 Abs. 3 hingegen keine Pflicht zur Lieferung von Daten; dessen Pflichten richten sich insoweit nach Art. 4 Abs. 5 Satz 2 VO (EG) Nr. 1370/2007. Nach der Gesetzesbegründung1 bezieht sich die Auskunftspflicht des bisherigen Betreibers auf Satz 1 der Vorschrift. Er muss dem öffentlichen Auftraggeber somit Informationen über die Arbeitnehmer, die von der Anordnung nach § 131 Abs. 3 Satz 1 betroffen sein können, geben. Der Umfang der Information bezieht sich insbesondere auf die Anzahl der betroffenen Arbeitnehmer, eine anonymisierte Übersicht zu Alter, Betriebszugehörigkeit sowie ggf. anzurechnende Vorbeschäftigung, Familienstand, Schwerbehinderung, Bruttomonatsgehalt, sonstige Gehaltsbestandteile und Sonderzahlungen, betriebliche Altersversorgung sowie etwaigen Sonderkündigungsschutz. Weiter umfasst sind anonymisierte Musterarbeitsverträge, Auskünfte über Tarifbindungen sowie einzelvertragliche Bezugnahmen auf Tarifverträge, die einschlägigen Tarifverträge und Betriebsvereinbarungen, Auskünfte über die Existenz eines Betriebsrats für die dem Auftrag fest zugeordneten Arbeitnehmer und sonstige wesentliche Umstände, die das Vorliegen oder die Rechtsfolgen eines Arbeitnehmerübergangs beeinflussen können.2 Kommt der bisherige Betreiber der Informationspflicht nicht nach, besteht ein gerichtlich durchsetzbarer Auskunftsanspruch des öffentlichen Auftraggebers. Eine gerichtliche Durchsetzung wird jedoch im Einzelfall, vor allem dann, wenn mit der Vorbereitung zu spät begonnen wird, bis zum Beginn des Vergabeverfahrens nicht möglich sein. Die Auffassung, dass in diesem Fall von der Anordnung eines Arbeitnehmerübergangs abgesehen werden kann3, ist mit der Intention des § 131 Abs. 3 nicht vereinbar. In diesen Fällen beschränkt sich die Pflicht des Auftraggebers lediglich darauf, in den Vergabeunterlagen diejenigen Angaben zu den betroffenen Arbeitnehmern zu machen, die ihm zugänglich sind. Gegebenenfalls muss er zusätzliche Informationen im Laufe des Vergabeverfahrens nachreichen. Zwar sind in derartigen Fällen zusätzliche Kalkulationsunsicherheiten für die Bieter nicht auszuschließen, jedoch aufgrund der sich aus § 131 Abs. 3 ergebenden gesetzlichen Anforderungen sowie im Hinblick auf den Sinn und Zweck der Regelung hinzunehmen.4 8. Kein abschließender Charakter 36 § 131 Abs. 3 und Art. 4 Abs. 5 VO (EG) Nr. 1370/2007 stehen nebeneinander.

Der Auftraggeber kann sich für ein über § 131 Abs. 3 hinausgehendes Verlangen zur Übernahme von Arbeitnehmern unmittelbar auf die Verordnung stützen,

1 2 3 4

BT-Drucks. 18/7086, S. 15. Fandrey in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, GWB-Vergaberecht, § 131 Rz. 47. Fandrey in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, GWB-Vergaberecht, § 131 Rz. 46. Vgl. OLG Düsseldorf v. 30.4.2009 – Verg 50/08 zu den Kalkulationsunsicherheiten im Hinblick auf einen potentiellen Betriebsübergang gemäß § 613a BGB.

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dies allerdings nicht im Sinne einer Soll-Regelung, sondern lediglich nach Maßgabe einer Kann-Bestimmung.1 Im Verhältnis zu landesgesetzlichen Regelungen ist § 131 Abs. 3 nicht abschlie- 37 ßend. Wie sich aus § 129 ergibt, sind weitergehende landesrechtliche Regelungen zulässig. So besteht etwa die Möglichkeit, dass Landesgesetzgeber die Anordnung eines Betriebsübergangs zwingend vorsehen.2 Hingegen sind Regelungen der Länder unzulässig, die den Anwendungsbereich von § 131 Abs. 3 einschränken.3 9. Kontrolle durch die Vergabekammern und Gerichte § 131 Abs. 3 dient vorrangig dem Schutz der Arbeitnehmer. Einen Anspruch auf 38 Übernahme ihres Arbeitsverhältnisses durch den neuen Betreiber haben Arbeitnehmer nur dann, wenn das Angebot des neuen Betreibers in dem Vergabeverfahren ein entsprechendes Angebot an die betroffenen Arbeitnehmer umfasst (Rz. 17). Dies setzt voraus, dass der Auftraggeber den Bietern in den Vergabeunterlagen vorgibt, dies in ihren Angeboten vorzusehen. Erfolgt dies nicht, können betroffene Arbeitnehmer den Auftraggeber gerichtlich verpflichten, die Vergabeunterlagen entsprechend zu ändern. Hierbei steht den Arbeitnehmern jedoch nicht der Rechtsweg zu den Vergabekammern offen, da dieser ein Interesse an dem öffentlichen Auftrag voraussetzt (§ 160 Abs. 2 Satz 1, § 160 Rz. 22). Dieses liegt bei Arbeitnehmern nicht vor. Sie haben kein Interesse an dem ausgeschriebenen Vertrag über Eisenbahnverkehrsleistungen. Auch eine Zuständigkeit der Arbeitsgerichte ist für solche Streitigkeiten nicht gegeben, da keiner der Fälle der §§ 2 und 3 ArbGG vorliegt. Vielmehr ist der Rechtsweg zu den Zivil- bzw. Verwaltungsgerichten eröffnet, wobei die Rechtsnatur des ausgeschriebenen Vertrags maßgeblich ist.4 Da die Aufgabenträger Schienenpersonenverkehrsleistungen zur Erfüllung ihrer Pflichten aus den jeweiligen Nahverkehrsgesetzen der Länder abschließen, liegen regelmäßig öffentlich-rechtliche Verträge5 vor, sodass die Zuständigkeit der Verwaltungsgerichte gegeben ist. Auch der bisherige Betreiber kann eine Verletzung des § 131 Abs. 3 geltend 39 machen. Verliert er den Auftrag und unterbleibt die Anordnung eines Personalübergangs, muss er Arbeitnehmer, für die er möglicherweise keine Verwendung mehr hat, weiter beschäftigen. Soweit ein Verstoß gegen § 131 Abs. 3 den bisherigen Betreiber dabei (zumindest auch) in seiner Chance auf Zuschlagserteilung 1 Bayreuther, NZBau 2016, 459 (460); Reidt/Stickler, VergabeR 2016, 708 (715). 2 So die Regelung in § 1 Abs. 4 Landestariftreuegesetz Rheinland-Pfalz; s. auch Bayreuther, NZBau 2016, 459 (460); Reidt/Stickler, VergabeR 2016, 708 (715 f.). 3 Reidt/Stickler, VergabeR 2016, 708 (715). 4 Reidt/Stickler, VergabeR 2016, 708 (716). 5 VG Gelsenkirchen v. 19.12.2008 – 14 K 2147/07 sowie v. 19.12.2008 – 14 K 3814/08; VG Lüneburg v. 31.03.2016 – 5 A 115/15.

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§ 131 | Personenverkehrsleistungen im Eisenbahnverkehr beeinträchtigt, weil er sich auch um den Folgeauftrag bewirbt, steht ihm ausschließlich der Rechtsweg vor die Vergabekammern offen (§ 156 Abs. 2; dazu noch Rz. 42 ff.). 40 Anspruchsziel des betroffenen Arbeitnehmers bzw. des bisherigen Betreibers ist

es, dass der Auftraggeber das laufende Ausschreibungsverfahren korrigiert, indem er eine Personalübernahme nach § 131 Abs. 3 anordnet oder die getroffene Anordnung ändert, präzisiert oder erweitert.1 Der Anspruch richtet sich gegen den öffentlichen Auftraggeber. Hat dieser es unterlassen, eine Personalübernahme anzuordnen, stehen weder dem bisherigen Betreiber noch den betroffenen Arbeitnehmern Rechte gegenüber dem neuen Betreiber zu. Sie können ihn insbesondere nicht zur Abgabe eines Angebots auf Abschluss eines Arbeitsvertrags zwingen.2 Sobald der Zuschlag an den neuen Betreiber erteilt ist, ist eine nachträgliche Korrektur der Vergabeunterlagen nicht mehr möglich. Arbeitnehmer oder bisherige Betreiber, die einen Verstoß gegen § 131 Abs. 3 geltend machen, müssen daher gegebenenfalls im Wege der einstweiligen Anordnung gemäß § 123 VwGO bzw. der einstweiligen Verfügung nach § 935 ZPO vorgehen, sofern, soweit der bisherige Betreiber betroffen ist, nicht ein Vergabenachprüfungsverfahren die einschlägige Rechtsschutzmöglichkeit ist, bei der gemäß § 169 Abs. 1 ein Zuschlagsverbot ausgelöst wird (§ 169 Rz. 7 ff.).3

41 § 131 Abs. 3 kann aber nicht nur Arbeitnehmern und dem Altbetreiber, sondern

auch anderen durch die Nichtanordnung des Arbeitnehmerübergangs in ihren Wettbewerbschancen beeinträchtigten Unternehmen Rechtsschutz vermitteln. Denn § 131 Abs. 3 dient auch dem Schutz der Unternehmen, die nicht Altbetreiber sind, sich aber aus dem gleichen wettbewerblichen Interesse heraus wie der Altbetreiber gegen die Nichtanordnung des Arbeitnehmerübergangs wehren oder eine Erstreckung auf weitere Arbeitnehmer erreichen wollen. Denn hinter § 131 Abs. 3 steht der Gedanke, dass der Wettbewerb im SPNV nicht auf dem Rücken der Arbeitnehmer ausgetragen werden soll. Mittelbar geschützt ist damit auch der (sozial) faire Wettbewerb. Infolgedessen sind neben dem Altbetreiber alle Unternehmen geschützt, die ihre Arbeitnehmer mindestens zu den Bedingungen des Altbetreibers beschäftigen wollen und die daher Wettbewerbsnachteile erleiden würden, wenn ihre Wettbewerber mit günstigeren Beschäftigungsbedingungen kalkulieren könnten. Die Vorschrift zielt somit auf die Herstellung gleicher Wettbewerbsbedingungen in Bezug auf Personalkosten.

42 Unternehmen, die durch einen Verstoß gegen § 131 Abs. 3 in ihren Chancen auf

Zuschlagserteilung beeinträchtigt sind (§ 160 Abs. 2), steht ausschließlich der Weg vor die Vergabenachprüfungsinstanzen offen (§ 156 Abs. 2). Dies setzt jedoch auch im Fall des bisherigen Betreibers voraus, dass er sich als Bieter an

1 Bayreuther, NZBau 2016, 459 (464 f.); Reidt/Stickler, VergabeR 2016, 708 (719). 2 Bayreuther, NZBau 2016, 459 (464); Reidt/Stickler, VergabeR 2016, 708 (719 f.). 3 Reidt/Stickler, VergabeR 2016, 708 (716).

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dem Vergabeverfahren um den neuen Auftrag beteiligt1 oder nur deshalb davon absieht, weil aus seiner Sicht ein Verstoß gegen § 131 Abs. 3 vorliegt.2 Zudem muss das antragstellende Unternehmen geltend machen können, dass eine Verletzung von Vergabevorschriften vorliegt und ihm hierdurch ein Schaden entstanden ist oder zu entstehen droht. Dies ist der Fall, wenn es einen subjektiven Anspruch aus § 97 Abs. 6 auf Einhaltung der Vorgaben des § 131 Abs. 3 hat. Die Vorschrift dient zwar in erster Linie dem Schutz der betroffenen Arbeitnehmer, sie schützt aber auch den bisherigen Betreiber und sonstige Bieter (s. bereits Rz. 39, 41). Sie können insbesondere geltend machen, dass ein Verstoß gegen § 131 Abs. 3 ihre Mitbewerber um den neuen Dienstleistungsauftrag bevorzugt. Denn wird unter Verstoß gegen § 131 Abs. 3 keine Personalübernahme angeordnet, können Mitbewerber ggf. niedrigere Löhne kalkulieren als der Altbetreiber oder andere Unternehmen, die ihren Arbeitnehmern mehr als nur die gesetzlich vorgeschriebenen Mindestarbeitsbedingungen bieten wollen.3 Selbst wenn man unterstellen würde, dass § 131 Abs. 3 nicht auch dem Schutz 43 der Bieter dient, wäre ein Nachprüfungsantrag in den vorgenannten Fällen (Rz. 42) zulässig. Denn nach der Rechtsprechung des EuGH4 und Art. 1 Abs. 3 der Rechtsmittelrichtlinien (Einleitung Rz. 7) spielt es keine Rolle, ob eine Bestimmung über das Vergaberecht, auf deren Verletzung sich der Antragsteller beruft, seinem subjektiven Schutz dient oder nicht. Entscheidend ist allein, dass sich Rechtsverletzungen negativ auf die Chancen des Antragstellers im Vergabeverfahren auswirken können (s. auch § 97 Rz. 106 ff.).5 Eine Antragsbefugnis können auch Bieter haben, die geltend machen, dass aus- 44 nahmsweise ein atypischer Fall vorliegt, der dazu führt, dass der Auftraggeber das ihm eingeräumte Ermessen so ausüben muss, dass er von der Anwendung des § 131 Abs. 3 absieht bzw. dass weniger Personal von der Personalübernahme betroffen sei (vgl. Rz. 21 ff.).

1 OLG Koblenz v. 25.5.2000 – 1 Verg 1/00, NZBau 2000, 445, 446; OLG Rostock v. 24.9. 2001 – 17 W 11/01, VergabeR 2002, 193, 194. 2 OLG Düsseldorf v. 8.9.2004 – VII-Verg 38/04, VergabeR 2005, 107. 3 So wohl auch Mutschler-Siebert/Dorschfeldt, VergabeR 2016, 385 (390) („Schaffung gleicher Ausgangsbedingungen für alle Bieter“); Bayreuther, NZBau 2016, 459 (464); Reidt/ Stickler, VergabeR 2016, 708 (716 f.); a.A. Fandrey in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, GWBVergaberecht, § 131 Rz. 50. 4 EuGH v. 11.08.1995 – Rs. C-433/93 ECLI:EU:C:1995:263 – Tz. 19. 5 Dicks in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, GWB-Vergaberecht, § 97 Rz. 242; Hailbronner in Byok/Jaeger, Vergaberecht, § 97 Rz. 151 f.

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§ 132 | Auftragsänderungen während der Vertragslaufzeit

§ 132 Auftragsänderungen während der Vertragslaufzeit (1) Wesentliche Änderungen eines öffentlichen Auftrags während der Vertragslaufzeit erfordern ein neues Vergabeverfahren. Wesentlich sind Änderungen, die dazu führen, dass sich der öffentliche Auftrag erheblich von dem ursprünglich vergebenen öffentlichen Auftrag unterscheidet. Eine wesentliche Änderung liegt insbesondere vor, wenn 1. mit der Änderung Bedingungen eingeführt werden, die, wenn sie für das ursprüngliche Vergabeverfahren gegolten hätten, a) die Zulassung anderer Bewerber oder Bieter ermöglicht hätten, b) die Annahme eines anderen Angebots ermöglicht hätten oder c) das Interesse weiterer Teilnehmer am Vergabeverfahren geweckt hätten, 2. mit der Änderung das wirtschaftliche Gleichgewicht des öffentlichen Auftrags zugunsten des Auftragnehmers in einer Weise verschoben wird, die im ursprünglichen Auftrag nicht vorgesehen war, 3. mit der Änderung der Umfang des öffentlichen Auftrags erheblich ausgeweitet wird oder 4. ein neuer Auftragnehmer den Auftragnehmer in anderen als den in Absatz 2 Satz 1 Nummer 4 vorgesehenen Fällen ersetzt. (2) Unbeschadet des Absatz 1 ist die Änderung eines öffentlichen Auftrags ohne Durchführung eines neuen Vergabeverfahrens zulässig, wenn 1. in den ursprünglichen Vergabeunterlagen klare, genaue und eindeutig formulierte Überprüfungsklauseln oder Optionen vorgesehen sind, die Angaben zu Art, Umfang und Voraussetzungen möglicher Auftragsänderungen enthalten, und sich aufgrund der Änderung der Gesamtcharakter des Auftrags nicht verändert, 2. zusätzliche Liefer-, Bau- oder Dienstleistungen erforderlich geworden sind, die nicht in den ursprünglichen Vergabeunterlagen vorgesehen waren, und ein Wechsel des Auftragnehmers a) aus wirtschaftlichen oder technischen Gründen nicht erfolgen kann und b) mit erheblichen Schwierigkeiten oder beträchtlichen Zusatzkosten für den öffentlichen Auftraggeber verbunden wäre, 3. die Änderung aufgrund von Umständen erforderlich geworden ist, die der öffentliche Auftraggeber im Rahmen seiner Sorgfaltspflicht nicht vorhersehen konnte, und sich aufgrund der Änderung der Gesamtcharakter des Auftrags nicht verändert oder 4. ein neuer Auftragnehmer den bisherigen Auftragnehmer ersetzt a) aufgrund einer Überprüfungsklausel im Sinne von Nummer 1, 984

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Auftragsänderungen während der Vertragslaufzeit | § 132

b) aufgrund der Tatsache, dass ein anderes Unternehmen, das die ursprünglich festgelegten Anforderungen an die Eignung erfüllt, im Zuge einer Unternehmensumstrukturierung, wie zum Beispiel durch Übernahme, Zusammenschluss, Erwerb oder Insolvenz, ganz oder teilweise an die Stelle des ursprünglichen Auftragnehmers tritt, sofern dies keine weiteren wesentlichen Änderungen im Sinne des Absatzes 1 zur Folge hat, oder c) aufgrund der Tatsache, dass der öffentliche Auftraggeber selbst die Verpflichtungen des Hauptauftragnehmers gegenüber seinen Unterauftragnehmern übernimmt. In den Fällen des Satzes 1 Nr. 2 und 3 darf der Preis um nicht mehr als 50 Prozent des Wertes des ursprünglichen Auftrags erhöht werden. Bei mehreren aufeinander folgenden Änderungen des Auftrags gilt diese Beschränkung für den Wert jeder einzelnen Änderung, sofern die Änderungen nicht mit dem Ziel vorgenommen werden, die Vorschriften dieses Teils zu umgehen. (3) Die Änderung eines öffentlichen Auftrags ohne Durchführung eines neuen Vergabeverfahrens ist ferner zulässig, wenn sich der Gesamtcharakter des Auftrags nicht ändert und der Wert der Änderung 1. die jeweiligen Schwellenwerte nach § 106 nicht übersteigt und 2. bei Liefer- und Dienstleistungsaufträgen nicht mehr als 10 Prozent und bei Bauaufträgen nicht mehr als 15 Prozent des ursprünglichen Auftragswertes beträgt. Bei mehreren aufeinander folgenden Änderungen ist der Gesamtwert der Änderungen maßgeblich. (4) Enthält der Vertrag eine Indexierungsklausel, wird für die Wertberechnung gemäß Absatz 2 Satz 2 und 3 sowie gemäß Absatz 3 der höhere Preis als Referenzwert herangezogen. (5) Änderungen nach Absatz 2 Satz 1 Nummer 2 und 3 sind im Amtsblatt der Europäischen Union bekannt zu machen. I. Einführung 1. Inhaltsübersicht . . . . . . . . . . . . 2. Entstehungsgeschichte . . . . . . . II. Wesentliche Auftragsänderungen (§ 132 Abs. 1) . . . . . . . . . 1. Generalklausel (§ 132 Abs. 1 Satz 1) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Unbenannte wesentliche Änderungen (§ 132 Abs. 1 Satz 2) . . a) Änderung der Laufzeit . . . . b) Weitere Änderungen . . . . .

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3. Benannte wesentliche Änderungen (§ 132 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1–4) a) Einführung wettbewerbsrelevanter Bedingungen (§ 132 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1) . . . b) Änderung des wirtschaftlichen Gleichgewichts zugunsten des Auftragnehmers (§ 132 Abs. 1 Satz 3 Nr. 2) . . . . . . . . . . . . c) Erhebliche Ausweitung des Umfangs (§ 132 Abs. 1 Satz 3 Nr. 3) . . . . . . . . . . . . . . . . .

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§ 132 | Auftragsänderungen während der Vertragslaufzeit

III. 1. 2. 3.

d) Austausch des Vertragspartners (§ 132 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4) aa) Auftragnehmerwechsel . bb) Auftraggeberwechsel . . . Zulässige Auftragsänderungen (§ 132 Abs. 2) . . . . . . . . . . . . . Überprüfungsklauseln und Optionen (§ 132 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1) Zusätzliche Leistungen (§ 132 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2, Satz 2 und 3) Unvorhersehbare Umstände (§ 132 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3, Satz 2 und 3) . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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4. Ersetzung des Auftragnehmers (§ 132 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4) . . . 5. Pauschale Wertobergrenzen (§ 132 Abs. 2 Satz 2 und 3) . . . IV. De-minimis-Grenzen (§ 132 Abs. 3) . . . . . . . . . . . . V. Indexklauseln (§ 132 Abs. 4) . . . . . . . . . . . . VI. Bekanntmachungspflicht (§ 132 Abs. 5) . . . . . . . . . . . . VII. Prüfungsreihenfolge . . . . . . .

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I. Einführung 1. Inhaltsübersicht 1 § 132 enthält die Voraussetzungen, unter denen Auftragsänderungen während

der Vertragslaufzeit ein neues Vergabeverfahren erfordern. § 132 Abs. 1 stellt den Grundsatz auf, dass wesentliche Änderungen eines öffentlichen Auftrags während der Vertragslaufzeit ein neues Vergabeverfahren erfordern und beschreibt im Sinne einer „offenen“, nicht abschließend formulierten Generalklausel, wann Auftragsänderungen wesentlich sind. § 132 Abs. 1 stellt insoweit einen gegenüber § 132 Abs. 2 und 3 nachrangig zu prüfenden Auffangtatbestand dar (vgl. zur zweckmäßigen Prüfungsreihenfolge Rz. 53). § 132 Abs. 2 zählt die Fälle auf, in denen die nachträgliche Änderung des ursprünglichen Auftrags zulässig ist, und zwar unabhängig davon, ob es sich um eine wesentliche Änderung i.S.v. § 132 Abs. 1 handelt oder nicht. § 132 Abs. 3 führt sog. De-minimis-Grenzen für Auftragsänderungen während der Vertragslaufzeit ein, wonach geringfügige Änderungen des Auftragswerts bis zu einer bestimmten Höhe grundsätzlich zulässig sind, ohne dass ein neues Vergabeverfahren durchgeführt werden muss. In § 132 Abs. 4 werden Besonderheiten im Zusammenhang mit Indexklauseln geregelt. § 132 Abs. 5 sieht eine Bekanntmachungspflicht für Änderungen nach § 132 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 und 3 vor. Im Ergebnis nach § 132 neu zu vergebene Auftragsänderungen stehen in ihrer (vergabe-)rechtlichen Behandlung neuen Aufträgen vollständig gleich. Sie sind wie neue Aufträge zu behandeln. Die Regeln des Vergaberechts gelten insoweit im Umfang ihrer Anwendbarkeit; spezifische Erleichterungen sind insoweit nicht vorgesehen1. Es genügt daher insbesondere auch nicht, dass lediglich erneut mit den Teilnehmern des ursprüng1 So auch von Engelhardt/Kaelble in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 132 Rz. 3.

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Auftragsänderungen während der Vertragslaufzeit | § 132

lichen Vergabeverfahrens verhandelt wird1. Eine unterlassene Ausschreibung stellt eine De-facto-Vergabe dar, die nach Maßgabe des § 135 angreifbar ist2. 2. Entstehungsgeschichte § 132 kodifiziert erstmals die Voraussetzungen, unter denen Auftragsänderun- 2 gen während der Vertragslaufzeit ein neues Vergabeverfahren erfordern. Bislang basierten die Vorgaben dazu auf den durch die Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen zu Auftragsänderungen. In seiner grundlegenden „Pressetext“Entscheidung vom 19.6.2008 billigte der EuGH die Verlängerung eines Vertrags über Dienstleistungen einer Presseagentur für österreichische Bundesbehörden3. In dieser Entscheidung stellte der EuGH die Grundsätze auf, unter denen eine Vertragsänderung eine neue Beschaffung darstellen kann. Die nachträgliche Auftragsänderung sei dann als Neuvergabe anzusehen, „wenn sie wesentlich andere Merkmale aufweisen als der ursprüngliche Auftrag und damit den Willen der Parteien zur Neuverhandlung wesentlicher Bestimmungen dieses Vertrags erkennen lassen“4. Bereits vor Erlass dieses Grundsatzurteils hatten sich auf nationaler Ebene das 3 OLG Celle, das OLG Düsseldorf, das OLG Rostock und das LG Frankfurt/M. zu der Frage geäußert, wann eine Vertragsänderung eine Neuvergabe erfordern kann. Das OLG Celle vertrat die Ansicht, dass unwesentliche Inhaltsänderungen oder Anpassungen allein nicht ausreichen, um die Anwendbarkeit des Vergaberechts zu begründen5. Das OLG Düsseldorf führte in einem Beschluss vom 20.6.2001, in dem es sich mit der Verlängerung eines Abfallentsorgungsvertrags auseinandersetzte, aus, dass es maßgeblich sei, „ob die die ‚Anpassung‘ oder Ab1 Vgl. OLG München v. 5.10.2012 – Verg 15/12, VergabeR 2013, 94 ff.; OLG Jena v. 19.10. 2010 – 9 Verg 5/10, VergabeR 2011, 510 ff.; von Engelhardt/Kaelble in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 132 Rz. 3. 2 Leinemann, Die Vergabe öffentlicher Aufträge, Rz. 175, der zugleich darauf hinweist, dass es vor diesem Hintergrund sachgerecht ist, dass die Abgrenzung zwischen wesentlichen und unwesentlichen Vertragsänderungen nunmehr einer ausdrücklichen normativen Regelung zugeführt wurde. 3 EuGH v. 19.6.2008 – Rs. C-454/06, NZBau 2008, 518 ff. – Pressetext; vertiefend u.a. Brüning/Pfannkuch, VergabeR 2015, 144 (146 f.). 4 EuGH v. 19.6.2008 – Rs. C-454/06, NZBau 2008, 518 ff., Rz. 34 – Pressetext; dabei bezog sich der EuGH auf die Rechtssache EuGH v. 5.10.2000 – Rs. C-337/98, Slg. 2000, I-8377, NZBau 2001, 272 ff., Rz. 44 und 46 – Kommission/Frankreich, in der es um die Vergabe eines Bauträgervertrags für ein Stadtbahnvorhaben ging. Dort hatten die Parteien in nachträglichen Verhandlungen den Vertragswert um etwa 10 % erhöht. Der EuGH hielt dies aufgrund neuer technischer Entwicklungen für erforderlich und außerdem im Rahmen einer ursprünglich enthaltenen Preisanpassungsklausel. Deshalb wurde eine Neuverhandlung wesentlicher Vertragsbestimmungen verneint. 5 OLG Celle v. 4.5.2001 – 13 Verg 5/00, VergabeR 2001, 325 (326 f.).

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§ 132 | Auftragsänderungen während der Vertragslaufzeit änderung ausmachenden vertraglichen Regelungen in ihren wirtschaftlichen Auswirkungen bei wertender Betrachtung einer Neuvergabe gleichkommen“1. Das OLG Rostock stellte in seinem Beschluss vom 5.2.2003 eine vergleichbare Betrachtung an: „Als Grundregel darf unterstellt werden, dass immer dann von einem neuen Auftrag und somit von dem Bedarf eines neuen Vergabeverfahrens auszugehen ist, wenn die Vertragsverlängerung oder -umgestaltung nur durch eine beiderseitige Willenserklärung zustande kommen kann. Regelmäßig wird das beiderseitige Einvernehmen zwischen den Vertragsparteien nämlich nur dann erforderlich sein, wenn sich die Verlängerung nicht nur als unbedeutende Erweiterung der bisherigen Vertragsbeziehung darstellt, sondern wirtschaftlich dem Abschluss eines neuen Auftrages gleichkommt. Entsprechendes gilt für eine Änderung der essentialia negotii, wenn etwa die beschafften Gegenstände oder Dienstleistungen der Sache oder dem Umfang nach sowie die Preise maßgeblich verändert werden.“2 Das LG Frankfurt/M. knüpfte für die Abgrenzung der ein neues Vergabeverfahren auslösenden Vertragsänderung an deren Wettbewerbsrelevanz, d.h. deren spürbare Bedeutung für den Bieterwettbewerb, an. Das (Nicht–)Vorliegen einer solchen wurde anhand einer dreistufigen Prüfung beurteilt: Auf der ersten Stufe wurde anhand des Kriteriums „Erheblichkeit für die Angebotskalkulation“ geprüft, ob überhaupt grundsätzlich eine Wettbewerbsrelevanz vorliegt. Wurde eine solche bejaht, war auf der zweiten Stufe bei der Abgrenzung zu berücksichtigen, ob es für die Vertragsänderung einen sachlichen Grund gibt und inwieweit die Änderung eine qualitative Abweichung von dem bereits vereinbarten Vertragsinhalt darstellt. Lag ein sachlicher Grund für die Vertragsänderung vor, so war nach Auffassung des LG Frankfurt/M. schließlich auf der dritten Stufe zu untersuchen, welcher Anteil den geänderten Leistungen und Vertragsbestimmungen an dem gesamten Vertragsinhalt zukommt3. 4 In der Entscheidung „Wall“ vom 13.4.20104 erstreckte der EuGH die in der

„Pressetext“-Entscheidung entwickelten Rechtsprechungsgrundsätze (vgl. Rz. 2) auf die Änderung von Dienstleistungskonzessionen und verfeinerte seine Rechtsprechung in der Entscheidung „Rettungsdienst Stadler“ vom 10.3.20115 weiter6. In der jüngsten Entscheidung vom 14.11.2013 in der Rechtssache „Belgacom“ stellte der EuGH zudem klar, dass die von ihm entwickelten Grundsätze

1 OLG Düsseldorf v. 20.6.2001 – VII-Verg 3/01, NZBau 2001, 696 ff., Rz. 106. 2 OLG Rostock v. 5.2.2003 – 17 Verg 14/02, NZBau 2003, 457 ff., Rz. 94.; vgl. ferner zur damaligen Linie der nationalen Rechtsprechung OLG Frankfurt v. 30.8.2011 – 11 Verg 3/11, VergabeR 2012, 47 (55); VK Bund v. 13.7.2001 – VK 1 – 19/01, NZBau 2002, 110 (111); VK Baden-Württemberg v. 16.11.2004 – 1 VK 69/04, IBRRS 2005, 0200. 3 LG Frankfurt/M. v. 28.1.2008 – 2-4 O 201/06, NZBau 2008, 599, 604 ff. 4 EuGH v. 13.4.2010 – Rs. C-91/08, NZBau 2010, 382 ff. – Wall. 5 EuGH v. 10.3.2011 – Rs. C-274/09, NZBau 2011, 239 ff. – Rettungsdienst Stadler. 6 Vgl. u.a. Stoye/Brugger, VergabeR 2011, 803 (805).

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auch dann Geltung beanspruchen, wenn die Vertragsänderung im Rahmen eines Vergleichs zur Beilegung eines anhängigen Rechtsstreits erfolgt1. In dem Grünbuch über die Modernisierung der europäischen Politik im Bereich 5 des öffentlichen Auftragswesens vom 27.1.2011 hatte die Europäische Kommission darauf hingewiesen, dass öffentliche Auftraggeber das vom EuGH entwickelte Fallrecht nicht in allen Fällen als ausreichend klar empfinden würden. Die Europäische Kommission warf deshalb die Frage auf, ob es sinnvoll sei, auf EU-Ebene rechtlich klarzustellen, wann eine wesentliche und wann eine unwesentliche Auftragsänderung vorliegt2. Aus diesen Erwägungen erwuchsen Art. 72 der Vergaberichtlinie 2014/24/EU, Art. 43 der Konzessionsrichtlinie 2014/23/ EU sowie Art. 89 der Sektorenrichtlinie 2014/25/EU, die Vorschriften zu Vertrags- bzw. Auftragsänderungen während der Vertragslaufzeit aufstellen. Durch das Vergaberechtsmodernisierungsgesetz vom 17.2.20163 erhalten die 6 Voraussetzungen und unterschiedlichen Erscheinungsformen der Auftragsänderungen während der Vertragslaufzeit im neu geschaffenen § 132 erstmals Eingang in das geschriebene nationale Recht4. Der deutsche Gesetzgeber hat die Struktur und den Wortlaut der Richtlinien überwiegend übernommen. Auffällig ist jedoch, dass in § 132 die Absätze im Vergleich zu den Richtlinien anders angeordnet sind und dadurch ein umgekehrtes Regel-Ausnahme-Verhältnis im Hinblick auf das Erfordernis eines neuen Vergabeverfahrens entsteht5. Die Richtlinien-Artikel stellen in ihren Abs. 1 und 2 jeweils die Tatbestände voran, in denen bei einer Auftragsänderung kein neues Vergabeverfahren durchgeführt werden muss. Erst in den Abs. 5 stellen die Richtlinien-Artikel klar, dass ein neues Vergabeverfahren „bei anderen als den in den Abs. 1 und 2 vorgesehenen Änderungen der Bestimmungen eines öffentlichen Auftrags oder einer Rahmenvereinbarung während seiner beziehungsweise ihrer Laufzeit“ erforderlich ist. § 132 wählt den umgekehrten Weg: Abs. 1 enthält den Grundsatz, dass wesentliche Änderungen eines öffentlichen Auftrags während der Vertragslaufzeit ein neues Vergabeverfahren erfordern. Die Abs. 2 und 3 sind Ausnahmen dieses Grundsatzes. In der Begründung des Regierungsentwurfes findet sich keine Äußerung des Gesetzgebers dazu, ob diese Änderung bewusst und wenn, ja, mit welcher Intention, erfolgt ist. In der Literatur wird die Abweichung vom Richtlinientext zuweilen als eine „Fehlgestaltung“ des Gesetzgebers kritisiert, die lediglich zu vermeidbaren Auslegungsschwierigkeiten führe6. Kommt es zu Widersprüchen zwischen Aussagen der bisherigen Rechtspre- 7 chung einerseits und den neuen gesetzlichen Regelungen andererseits, gehen 1 2 3 4 5 6

EuGH v. 14.11.2013 – Rs. C-221/12, NZBau 2014, 53 ff. – Belgacom. KOM (2011) 15 endg., S. 28 f.; vgl. auch Polster, VergabeR 2012, 282 (290). BGBl. I 2016, 203 ff. Vgl. zu einer Bewertung des neuen § 132 insb. Gröning, NZBau 2015, 690 (691). Ebenso Hausmann/Queisner, NZBau 2016, 619 (620). Vgl. Leinemann, Die Vergabe öffentlicher Aufträge, Rz. 175h.

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§ 132 | Auftragsänderungen während der Vertragslaufzeit Letztere im Zweifel vor. Da eine grundlegende Abweichung von der im Lichte der „Pressetext“-Entscheidung stehenden Rechtsprechung bei der Auslegung der Vorschriften indes unwahrscheinlich ist, kann – freilich erst nach Überprüfung des Wortlauts, des Sinn und Zwecks und dem Willen des Gesetzgebers in Bezug auf die betreffende Vorschrift – die bisherige Rechtsprechung als Orientierungshilfe verwendet werden1. 8 Neben § 132 finden sich Detailregelungen zu Fragen der Auftragsänderung in

§ 130 Abs. 2 (Auftragsänderung im sozialen Bereich), § 133 Abs. 1 Nr. 1 (Kündigungsrechte bei unzulässigen Auftragsänderungen), § 142 Nr. 3 und § 154 Nr. 3 lit. a) (besondere Erleichterungen für den Sektoren- und Konzessionsbereich), in § 39 Abs. 5 VgV (Bekanntmachungspflicht) sowie in § 22 EU VOB/A und § 22 VS VOB/A (Auftragsänderung bei Bauleistungen)2.

II. Wesentliche Auftragsänderungen (§ 132 Abs. 1) 9 Die Relevanz des Vergaberechts endet bei öffentlichen Beschaffungsvorgängen

nicht mit dem Abschluss des Vertrages zwischen Auftraggeber und Auftragnehmer. Zwar garantiert der zivilrechtliche Grundsatz der Privatautonomie den Vertragsparteien das Recht, über den Inhalt des Vertrages frei zu disponieren, ihn etwa zu ändern oder zu verlängern3. Dies ist im Bereich des öffentlichen Auftragswesens aufgrund von sich ändernden wirtschaftlichen Verhältnissen – sei es betreffend die Vertragsparteien selbst und/oder das Marktumfeld – sogar häufig eine schlichte Notwendigkeit4. Allerdings kann eine spätere, wesentliche Änderung eines öffentlichen Auftrags während der Vertragslaufzeit einer Beschaffung gleichkommen, die zu der Durchführung eines neuen Vergabeverfahrens verpflichtet. Insofern setzt das Vergaberecht, konkret die vergaberechtlichen Grundsätze des Wettbewerbs, der Gleichbehandlung und der Transparenz (Art. 97 Abs. 1 und 2), der Vertragsfreiheit Grenzen5. Denn ein transparenter und chancengleicher Wettbewerb besteht nur dann, wenn die wesentlichen Vertragsbedingungen, auf deren Grundlage die Angebote im Vergabeverfahren abgegeben wurden, während der Zeit der Vertragsdurchführung unverändert bleiben. Durch eine Änderung der Vertragsbedingungen während der Vertragslaufzeit besteht die Gefahr, dass der Wettbewerb rückblickend verzerrt, die Chancengleichheit der Bieter verletzt und bei einer bestimmten inneren Willensrichtung der Akteure sogar das Vergaberecht umgangen wird6.

1 2 3 4 5 6

So auch von Engelhardt/Kaelble in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 132 Rz. 6. Vgl. zur Auftragsänderung im sozialen Bereich Gerner, NZS, 2016, 492 (495). Vgl. Greb/Stenzel, NZBau 2012, 404. Vgl. Polster, VergabeR 2012, 282. Vgl. Ziekow, VergabeR 2016, 278 (279); Greb/Stenzel, NZBau 2012, 404. Vgl. Polster, VergabeR 2012, 282.

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1. Generalklausel (§ 132 Abs. 1 Satz 1) § 132 Abs. 1 Satz 1 knüpft an die Rechtsprechung des EuGH an und stellt den 10 Grundsatz auf, dass wesentliche Änderungen eines öffentlichen Auftrags während der Vertragslaufzeit ein neues Vergabeverfahren erfordern. Grundvoraussetzung ist zunächst eine Auftragsänderung, also ein Vertrag über die Abänderung eines wirksam zustande gekommenen Auftrags. Erfasst werden ausdrückliche und konkludente Vertragsänderungen, wobei es auf die konkrete Art des Änderungsvertrages oder gar seine Form nicht ankommt. Es reicht insoweit die einvernehmliche Fortsetzung eines Vertrages aus, sofern darin eine Vertragsänderung oder ein Abschluss eines neuen Vertrages zu sehen ist1. So kann eine Auftragsänderung im Sinne der Norm beispielsweise auch durch Abschluss eines Vergleichsvertrags i.S.d. § 779 BGB2 oder eines öffentlich-rechtlichen Vertrags erfolgen3. Eine Begriffsbestimmung des Merkmals „wesentlich“ erfolgt in § 132 Abs. 1 Satz 2. 2. Unbenannte wesentliche Änderungen (§ 132 Abs. 1 Satz 2) Nach § 132 Abs. 1 Satz 2 ist eine Änderung wesentlich, die dazu führt, dass sich 11 der öffentliche Auftrag erheblich von dem ursprünglich vergebenen öffentlichen Auftrag unterscheidet. Die Gesetzesbegründung ergänzt diesbezüglich Folgendes: „Dies betrifft insbesondere solche Änderungen, die den Umfang und die inhaltliche Ausgestaltung der gegenseitigen Rechte und Pflichten der Parteien einschließlich der Zuweisung des Rechts des geistigen Eigentums betreffen. Derartige Änderungen sind Ausdruck der Absicht der Parteien, wesentliche Bedingungen des betreffenden Auftrags neu zu verhandeln.“4 Da das Wesentlichkeitsmerkmal des § 132 Abs. 1 Satz 1 durch den weiteren unbestimmten Rechtsbegriff der Erheblichkeit i.S.v. § 132 Abs. 1 Satz 2 inhaltlich ausgefüllt wird und auch die ergänzenden Gesetzesmaterialien keine abschließenden Regelungen enthalten, muss durch eine Gesamtbewertung des Einzel1 Vgl. OLG Schleswig v. 28.8.2015 – 1 Verg 1/15, VergabeR 2015, 768 (774) betreffend eine Vertragsverlängerung in Form der Aufstockung des Leistungsumfangs. 2 BGH v. 8.2.2011 – X ZB 4/10, NZBau 2011, 175 ff.; OLG Düsseldorf v. 21.7.2010 – VIIVerg 19/10, NZBau 2010, 582 ff. 3 von Engelhardt/Kaelble in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 132 Rz. 7. 4 Vgl. BT-Drucks. 18/6281, S. 119. Ebenso Erwägungsgrund 107 der Richtlinie 2014/24/ EU sowie die der Begründung entsprechende Rechtsprechung: EuGH v. 5.10.2000 – Rs. C-337/98, NZBau 2001, 272 ff., Rz. 44.; OLG Düsseldorf v. 14.2.2001 – VII-Verg 13/00, NZBau 2002, 54 (55); OLG Frankfurt v. 30.8.2011 – 11 Verg 3/11, VergabeR 2012, 47 (55); OLG Rostock v. 5.2.2003 – 17 Verg 14/02, NZBau 2003, 457 (458); VK Bund v. 13.7.2001 – VK 1 19/01, NZBau 2002, 110 (111); VK Baden-Württemberg v. 16.11.2004 – 1 VK 69/04, IBRRS 2005, 0200.

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§ 132 | Auftragsänderungen während der Vertragslaufzeit falls ermittelt werden, wann eine unbenannte erhebliche Abweichung vorliegt1. Richtmaß ist hier, ob die Vertragsänderung „Ausdruck der Absicht der Parteien ist, wesentliche Bedingungen des betreffenden Auftrags neu zu verhandeln“2, wobei dies insbesondere dann angenommen wird, „wenn die geänderten Bedingungen, hätten sie bereits für das ursprüngliche Verfahren gegolten, dessen Ergebnis beeinflusst hätten“3. Nach der Rechtsprechung des EuGH ist dies jedenfalls dann der Fall, wenn die Vertragsänderung selbst den nach § 106 GWB maßgeblichen Schwellenwert überschreitet4. Unter Rückgriff auf eine umfangreiche Kasuistik, haben sich zudem insbesondere zwei Fallgruppen von Relevanz herauskristallisiert (vgl. Rz. 13 f. und 15). 12 Die Wesentlichkeit bzw. die Unwesentlichkeit einer Vertragsänderung ist dabei

stets von demjenigen darzulegen, der sich auf sie wegen eines Verzichts auf Neuvergabe beruft5.

a) Änderung der Laufzeit 13 Die erste Fallgruppe betrifft die Änderung der Laufzeit von Aufträgen. Die Ver-

längerung der Laufzeit von befristeten Verträgen ist in der Regel als vergaberechtsrelevanter neuer Beschaffungsvorgang zu werten6. Dies gilt beispielsweise auch für einen nach fünfjähriger Laufzeit geschlossenen Änderungsvertrag in Form eines Vergleichsvertrages, wenn dieser zu einer zeitlichen Verlängerung des Ursprungsvertrages und einer Erweiterung des Ursprungsvertrages auf darin nicht vorgesehene Leistungen führt7. Entsprechendes gilt, wenn die nachträgliche Änderung objektiv einen Vergleich darstellt, der wechselseitige Zugeständnisse beinhaltet und dazu dient, einen Streit mit ungewissem Ausgang beizulegen, der aus einer Störung des Vertragsverhältnisses entstanden ist8. Bei unbefristeten Verträgen liegt in dem Unterlassen einer Kündigung trotz Kündigungsmöglich-

1 Eschenbruch in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 132 Rz. 23. 2 Erwägungsgrund 107 der Richtlinie 2014/24/EU. 3 Erwägungsgrund 107 der Richtlinie 2014/24/EU. 4 EuGH v. 29.4.2010 – Rs. C-160/08, NZBau 2010, 450 ff.; vgl. auch OLG Frankfurt v. 30.8. 2011 – 11 Verg 3/11, VergabeR 2012, 47 ff. 5 So auch von Engelhardt/Kaelble in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 132 Rz. 14. 6 OLG Düsseldorf v. 14.2.2001 – VII-Verg 13/00, NZBau 2002, 54 (55); OLG Jena v. 14.10. 2003 – 6 Verg 5/03, VergabeR 2004, 113 (116); VK Sachsen-Anhalt v. 16.1.2013 – 2 VKLSA 40/12, VersorgW 2013, 184 f. 7 EuGH v. 14.11.2013 – Rs. C-221/12, NZBau 2014, 53 ff. – Belgacom; OLG Düsseldorf v. 21.7.2010 – VII-Verg 19/10, Verg 19/10, VergabeR 2010, 955 ff., Ls. 1; VK Münster v. 18.3.2010 – VK 1/10, BeckRS 2012, 60895. 8 EuGH v. 7.9.2016 – Rs. C-549/14, NZBau 2016, 649, Rz. 40; BGH v. 8.2.2011 – X ZB 4/10, NZBau 2011, 175, 181.

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keit kein vergaberechtlich relevanter Vorgang1. Dies gilt selbst dann, wenn der Auftraggeber zur Kündigung des vergaberechtswidrigen Vertrages verpflichtet war2. In der Rechtssache „Pressetext“ entschied der EuGH, dass auch die nachträgliche Vereinbarung eines Verzichts auf eine Kündigung während eines bestimmten Zeitraums keine wesentliche Vertragsänderung begründet, sofern der betreffende Zeitraum im Vergleich zur Vertragslaufzeit nicht unverhältnismäßig lang sei3. Ferner kann die Einwirkung auf die Vertragslaufzeit als unzulässig zu werten sein, wenn sie die Grenze der insgesamt zulässigen Vertragslaufzeit überschreitet4. Nicht als vergaberechtsrelevanter neuer Beschaffungsvorgang zu werten sind 14 hingegen Verschiebungen von Bauzeiten. Zu denken ist hier beispielsweise an eine Änderung des ursprünglich angestrebten Zeitpunkts der Fertigstellung des Vorhabens durch Verzögerungen im Nachprüfungsverfahren. Nach Ansicht des BGH beeinflussen solche Fälle das wirtschaftliche Gleichgewicht nicht. Da das Nachprüfungsverfahren nämlich selbst dem Schutz des Wettbewerbs diene, könne von ihm keine Verzerrung des Wettbewerbs ausgehen5. b) Weitere Änderungen Die zweite Fallgruppe umfasst thematisch gemischte Änderungstatbestände. So 15 stellt eine Auswechslung des Auftragsgegenstandes eine wesentliche Auftragsänderung dar6; eine inhaltliche oder terminliche Auftragsreduzierung dem1 OLG Celle v. 4.5.2001 – 13 Verg 5/00, NZBau 2002, 53 f., Rz. 33; KG Berlin v. 19.4.2012 – Verg 7/11, VergabeR 2012, 783 ff., Rz. 95; VK Baden-Württemberg v. 26.3.2002 – 1 VK 7/ 02, NJOZ 2004, 1385 ff. 2 KG Berlin v. 19.4.2012 – Verg 7/11, VergabeR 2012, 783 ff., Rz. 96; sowie ferner auch OLG Naumburg v. 26.7.2012 – II Verg 2/12, NZBau 2013, 64, Ls; OLG München v. 5.10.2012 – Verg 15/12, VergabeR 2013, 94 ff. 3 EuGH v. 19.6.2008 – Rs. C-454/06, NZBau 2008, 518 ff., Rz. 79 – Pressetext. 4 Vgl. die Beanstandung einer Verwaltungskonzession betreffend Seeverkehrsdienstleistungen mit einer Dauer von 20 Jahren mit einer Verlängerungsmöglichkeit von 10 Jahren durch EuGH v. 9.3.2006 – Rs. C-323/03, NZBau 2006, 386 (388) – Seekabotage Ria von Vigo; VK Arnsberg v. 21.2.2006 – VK 29/05, NZBau 2006, 332 ff.; Ziekow in Ziekow/ Völlink, Vergaberecht, 2. Aufl. 2013, § 99 GWB Rz. 22 ff. 5 BGH v. 22.7.2010 – VII ZR 213/08, MDR 2010, 1314 = NZBau 2010, 748 ff. Siehe in diesem Zusammenhang allerdings auch OLG Brandenburg v. 15.12.2016 – 12 U 179/15, NZBau 2017, 222 ff., wonach die Vermutung der Ausgewogenheit von Leistung und Gegenleistung bei einem Bauvertrag nicht unabhängig von der vereinbarten Leistungszeit gelte, weil diese regelmäßig Einfluss auf die Vereinbarung der Höhe der Vergütung des Auftragnehmers hat, und keine Veranlassung bestehe, das Risiko von Änderungen der Grundlagen des Preises dem Auftragnehmer zuzuweisen. Die durch ein verzögertes Vergabeverfahren bedingte Änderung der Leistungszeit habe daher zur Folge, dass die Parteien redlicherweise vereinbart hätten, sich auf eine angepasste Vergütung zu verständigen. 6 Vgl. Ziekow, VergabeR 2016, 278 (284).

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§ 132 | Auftragsänderungen während der Vertragslaufzeit gegenüber nicht1. Eine Preisänderung steht einem neuen Beschaffungsvorgang gleich, sofern sie nach den Bestimmungen des ursprünglichen Auftrags nicht ausdrücklich erlaubt war2. Dies gilt allerdings nicht für den Fall, in dem ein bestehender Auftrag anlässlich einer Währungsumrechnung dahin geändert wird, dass die ursprünglich in nationaler Währung ausgedrückten Preise in Euro umgerechnet werden3. Der spezielle Fall der Preiserhöhung wird von § 132 Abs. 1 Satz 3 Nr. 2 erfasst (vgl. Rz. 21 ff.). Um eine wesentliche Auftragsänderung handelt es sich ferner, wenn der Abrechnungsmodus von einer Pauschale auf die Abrechnung von Stunden sowie – damit einhergehend – die täglichen Bereitschaftszeiten und die Vertragslaufzeit geändert werden4. Darüber hinaus ist es als ein neuer Beschaffungsvorgang zu werten, wenn bei einem In-house-Geschäft nachträglich Privatpersonen zur Beteiligung am Grundkapital der Auftragnehmerin zugelassen werden5. Keine wesentliche Änderung liegt dagegen vor, wenn sie bereits im ursprünglichen Vertrag angelegt war – ohne auf einer Überprüfungsklausel oder Option i.S.v. § 132 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 zu beruhen – und die enge Verbindung der Änderung mit dem Gegenstand des bisherigen Vertrages auf die Unselbständigkeit und den untergeordneten Charakter der Änderung hinweisen6. Denn gerade in Abgrenzung zu Überprüfungsklauseln (vgl. Rz. 31) zeichnen sich diese Änderungstatbestände dadurch aus, dass sie den Vertrag nicht in seinen wesentlichen Bestandteilen berühren und den ursprünglichen Charakter des Vertrages nicht erheblich ändern7. 3. Benannte wesentliche Änderungen (§ 132 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1–4) 16 § 132 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1–4 benennt vier Beispiele für wesentliche Änderungen,

ohne dass diese Fälle als abschließend zu verstehen sind (vgl. insoweit den Wortlaut „insbesondere“). Die Fälle entsprechen im Wesentlichen den bietermarktrelevanten Fallgruppen, die der EuGH bereits in seiner „Pressetext“-Entscheidung als wesentliche Änderungen angesehen hatte8.

1 Vgl. OLG Düsseldorf v. 8.5.2002 – VII-Verg 8-15/01; Eschenbruch in Kulartz/Kus/Portz/ Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 132 Rz. 31. 2 EuGH v. 19.6.2008 – Rs. C-454/06, NZBau 2008, 518 ff., Rz. 55 ff. – Pressetext; EuGH v. 29.4.2004 – Rs. C-496/99 P, Slg. 2004, I-3801-3886, Rz. 117 – CAS Succhi di Frutta. 3 EuGH v. 19.6.2008 – Rs. C-454/06, NZBau 2008, 518 ff., Rz. 57 – Pressetext. 4 VK Lüneburg v. 5.10.2015 – VgK-37/2015, VPR 2016, 97, Rz. 43. 5 OLG Celle v. 17.12.2014 – 13 Verg 3/13, NZBau 2015, 178 (181); EuGH v. 10.9.2009 – Rs. C-573/07, Slg. 2009, I-8127-8162, NZBau 2009, 797 ff., Rz. 53; OLG Düsseldorf v. 28.7. 2011 – VII-Verg 20/11, NZBau 2012, 50 ff., Rz. 89. 6 Gruneberg, VergabeR 2005, 171 (174); Ziekow, VergabeR 2016, 278 (284). 7 Ähnlich Ziekow, VergabeR 2016, 278 (284). 8 EuGH v. 19.6.2008 – Rs. C-454/06, NZBau 2008, 518 ff., Rz. 35 – Pressetext; EuGH v. 13.4.2010 – Rs. C-91/08, NZBau 2010, 382, Rz. 38 – Wall.

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Auftragsänderungen während der Vertragslaufzeit | § 132

a) Einführung wettbewerbsrelevanter Bedingungen (§ 132 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1) Nach § 132 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 liegt eine wesentliche Änderung vor, wenn mit 17 der Änderung Bedingungen eingeführt werden, die, wenn sie für das ursprüngliche Vergabeverfahren gegolten hätten, die Zulassung anderer Bewerber oder Bieter ermöglicht hätten (lit. a)), die Annahme eines anderen Angebots ermöglicht hätten (lit. b)) oder das Interesse weiterer Teilnehmer am Vergabeverfahren geweckt hätten (lit. c)). Für die Bewertung all dieser Kriterien muss folglich auf den Zeitpunkt des Beginns des ursprünglichen Vergabeverfahrens abgestellt werden. § 132 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 lit. a) erfasst den Fall, in dem neue Bedingungen sol- 18 chen Bewerbern oder Bietern die Zulassung zum Vergabeverfahren ermöglicht hätten, die seinerzeit nicht zugelassen worden sind1. Die vertraglich eingeführten Bedingungen müssen die Eignungskriterien oder die Ausführungsbedingungen (§ 128 Abs. 2) verändern2, mithin also vorrangig unternehmensbezogene Aspekte des Auftrags betreffen3. Denkbar ist etwa die Konstellation, dass die Vergabestelle in dem ursprünglichen Vergabeverfahren die Einhaltung bestimmter Sozialstandards gefordert hatte, die bestimmte Interessenten nicht in der Lage waren zu erfüllen. Verzichtet der Auftraggeber nach der Vergabe gegenüber dem Auftragnehmer durch vertragliche Bestimmung auf die Einhaltung dieser Standards, kann § 132 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 lit. a) einschlägig sein4. Es muss geprüft werden, ob sich an dem ursprünglichen Verfahren tatsächlich Bewerber oder Bieter beteiligt haben, die nicht zugelassen wurden, durch die neuen Bedingungen aber hätten zugelassen werden können. Es müssen mithin tatsächliche Anhaltspunkte für eine wesentliche Wettbewerbsbeeinflussung vorliegen5. Diese Prüfung geht über die rein hypothetische Möglichkeit hinaus. Dies ergibt sich im Umkehrschluss aus § 132 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 lit. c), der auf ein reines Interesse weiterer Teilnehmer am Vergabeverfahren abstellt, die noch nicht zum Bewerber oder Bieter erstarkt sind. Allerdings muss in keine neue Eignungsprüfung eingestiegen werden6. Es ist unerheblich, ob der Bieter, der den Zuschlag erhalten hat, die Bedingung zum Zeitpunkt der ursprünglichen Auftragsvergabe erfüllt hätte. Es ist darüber hinaus unerheblich, ob die Änderung zum Ausschei1 Ziekow, VergabeR 2016, 278 (280). 2 Ziekow, VergabeR 2016, 278 (280). 3 So zur Parallelvorschrift des § 22 EU VOB/A Stoye/Pauka in Franke/Kemper/Zanner/ Grünhagen, VOB-Kommentar, § 22 EU VOB/A Rz. 15. 4 Vgl. Eschenbruch in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 132 Rz. 39. 5 Ziekow, VergabeR 2016, 278 (280). Ähnlich zur Parallelvorschrift des § 22 EU VOB/A Stoye/Pauka in Franke/Kemper/Zanner/Grünhagen, VOB-Kommentar, § 22 EU VOB/ A Rz. 14. 6 Ziekow, VergabeR 2016, 278 (280).

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§ 132 | Auftragsänderungen während der Vertragslaufzeit den von ursprünglich zugelassenen Bietern geführt hätte, wenn sie schon früher gegolten hätte1. 19 § 132 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 lit. b) erfasst den Fall, dass durch die neuen Bedin-

gungen die Annahme eines anderen Angebots ermöglicht worden wäre und bezieht sich damit auf eine Änderung der Zuschlagskriterien2, d h. auf einen leistungsbezogenen Aspekt des Auftrags3. Der Prüfungsmaßstab entspricht der Fallgruppe des § 132 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 lit. a). Es müssen im Wege einer konkreten Prüfung tatsächliche Anhaltspunkte für eine Wettbewerbsbeeinflussung durch die Annahme eines anderen Angebots ermittelt werden. Eine Neubewertung ist allerdings nicht nötig4. Typischerweise erfasst sind Fälle, in denen der Auftraggeber den Auftragsinhalt ursprünglich stark eingegrenzt hatte und nach der Beauftragung dem Auftragnehmer den Einsatz anderer Produkte vertraglich gestattet hatte5.

20 Nach § 132 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 lit. c) liegt eine wesentliche Änderung dann vor,

wenn sie das Interesse weiterer Teilnehmer am Vergabeverfahren geweckt hätte. Während die Fallgruppen gem. § 132 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 lit. a) und b) die „Pressetext“-Rechtsprechung des EuGH widerspiegeln, war das Erfordernis gem. lit. c) nicht explizit Teil der EuGH-Rechtsprechung, allerdings in der deutschen Vergaberechtsprechung bekannt6. Mit Blick auf den Prüfungsmaßstab geht es anders als bei lit. a) und b) nicht darum, ob sich die Entscheidung im ursprünglichen Verfahren verändert hätte, da der Fall lediglich an das Interesse eines weiteren Teilnehmerkreises anknüpft, der eben nicht zu einem Bieterkreis erstarkt ist7. Allerdings ist auch diesbezüglich eine rein hypothetische Betrachtung nicht ausreichend8, sondern es bedarf einer konkreten Prüfung, welche Unternehmen durch die Ausgestaltung der ursprünglichen Ausschreibung typischerweise angesprochen wurden und ob durch die veränderten Bedingungen typischerweise andere Unternehmen angesprochen worden wären9.

1 Ziekow, VergabeR 2016, 278 (280). 2 Ziekow, VergabeR 2016, 278 (281). 3 So zur Parallelvorschrift des § 22 EU VOB/A Stoye/Pauka in Franke/Kemper/Zanner/ Grünhagen, VOB-Kommentar, § 22 EU VOB/A Rz. 17. 4 Ziekow, VergabeR 2016, 278 (281). 5 Vgl. Eschenbruch in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 132 Rz. 40. 6 Vgl. VK Bund v. 12.11.20012 – VK 1-109-12, IBR 2013, 172; sowie ferner auch Eschenbruch in Kulartz/Kus/Portz, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, 3. Aufl. 2014, § 99 Rz. 283. 7 Ziekow, VergabeR 2016, 278 (281). 8 Vgl. OLG Rostock v. 25.9.2013 – 17 Verg 3/13, VergabeR 2014, 209 (224). 9 Vgl. Malmendier/Wild, VergabeR 2014, 12 (17); Ziekow, VergabeR 2016, 278 (281).

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b) Änderung des wirtschaftlichen Gleichgewichts zugunsten des Auftragnehmers (§ 132 Abs. 1 Satz 3 Nr. 2) Der zweite Ausnahmefall des § 132 Abs. 1 Satz 3 erfasst die Konstellationen, in 21 denen das wirtschaftliche Gleichgewicht des öffentlichen Auftrags zugunsten des Auftragnehmers in einer Weise verschoben wird, die im ursprünglichen Auftrag nicht vorgesehen war. § 132 Abs. 1 Satz 3 Nr. 2 knüpft damit an eine der Fallgruppen der „Pressetext“-Entscheidung an1. Das wirtschaftliche Gleichgewicht erfasst u.a. das Verhältnis von Leistung und Gegenleistung, das zwischen den Parteien im Wege des Vertragsschlusses zu einem von beiden Parteien als gerecht empfundenen Ausgleich gebracht wurde. Insofern kann bei der Bestimmung des Inhalts von § 132 Abs. 1 Satz 3 Nr. 2 auf den schuldrechtlichen Begriff des Äquivalenzverhältnisses zurückgegriffen werden, ohne auf diesen beschränkt zu sein. Eine Verschiebung des wirtschaftlichen Gleichgewichts zugunsten des Auftraggebers kann etwa in einer Erhöhung des Preises liegen, ohne dass dem eine gesteigerte Leistungspflicht des Auftragnehmers entsprechen würde oder – umgekehrt – in einer Reduzierung des Auftragsvolumens, der keine Reduzierung des Preises gegenübersteht2. Ferner ist zu berücksichtigen, inwiefern sich die Chancen und Risiken des Vertrags durch die Vertragsänderung verschieben, etwa durch die Anpassung von zuvor fest vereinbarten Vertragslaufzeiten3. Eine Verschiebung des wirtschaftlichen Gleichgewichts kann darüber hinaus in einem Kündigungsverzicht des Auftraggebers bei abgeschlossenen unbefristeten Verträgen liegen4. Ob eine Verschiebung des wirtschaftlichen Gleichgewichts angenommen werden kann, muss im Wege einer (wirtschaftlichen) Gesamtbetrachtung ermittelt werden. Zu beachten ist dabei aber, dass eine bloß summarische Betrachtung der veränderten wirtschaftlichen Situation hier nicht ausreichend ist. Denn bereits durch die Veränderung eines einzigen Auftragselementes können sich neue Bewerberkreise ergeben5. Im Einzelfall muss deshalb geprüft werden, ob aufgrund der in Frage stehenden Modifizierung des Vertrages am ursprünglichen Verfahren beteiligte Bieter, die seinerzeit vom Verfahren ausgeschlossen wurden, nunmehr als Bieter in Betracht kämen6. Eine 1 EuGH v. 19.6.2008 – Rs. C-454/06, NZBau 2008, 518 ff., Rz. 37 und 85 – Pressetext. 2 Vgl. Ziekow, VergabeR 2016, 278 (281); Eschenbruch in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 132 Rz. 47; zur Änderung des Entgelts während der Vertragslaufzeit vgl. auch OLG Frankfurt v. 30.8.2011 – XI Verg 3/11, VergabeR 2012, 47 ff.; OLG Düsseldorf v. 28.7.2011 – VII-Verg 20/11, VergabeR 2012, 35 ff.; OLG Düsseldorf v. 14.2.2001 – VII-Verg 13/00, NZBau 2002, 54 ff. 3 Vertiefend Eschenbruch in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 132 Rz. 44. 4 EuGH v. 19.6.2008 – Rs. C-454/06, NZBau 2008, 518 (522), Rz. 37 und 72-80 – Pressetext; OLG Celle v. 4.5.2001 – 13 Verg 5/00, NZBau 2002, 53 ff. 5 So auch von Engelhardt/Kaelble in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 132 Rz. 23. 6 Stolz in Ingenstau/Korbion, VOB – Teile A und B – Kommentar, § 22 EU VOB/A Rz. 13 mit Verweis auf Ziekow, VergabeR 2016, 278 (280).

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§ 132 | Auftragsänderungen während der Vertragslaufzeit bloß hypothetisch möglich erscheinende Änderung des Bieterkreises reicht demgegenüber nicht aus1. 22 Darüber hinaus ist zu beachten, dass der Tatbestand ausweislich des klaren

Wortlauts nicht jede Änderung des wirtschaftlichen Gleichgewichts erfasst, sondern nur eine solche zugunsten des Auftragnehmers. Vergaberechtlich unerheblich sind grundsätzlich somit etwa Änderungen des Preises (z.B. in Form von Rabattgewährungen und andere Preissenkungen) oder anderer Vertragsbedingungen zugunsten des Auftraggebers2. Schließlich darf die Verschiebung nicht bereits im ursprünglichen Auftrag angelegt gewesen sein (z.B. durch bestimmte Klauseln oder Optionen), da insoweit § 132 Abs. 2 Nr. 1 vorrangig wäre (vgl. insoweit auch Rz. 53). c) Erhebliche Ausweitung des Umfangs (§ 132 Abs. 1 Satz 3 Nr. 3)

23 Nach § 132 Abs. 1 Satz 3 Nr. 3 liegt eine wesentliche Änderung vor, wenn mit

der Änderung der Umfang des öffentlichen Auftrags erheblich ausgeweitet wird. Der Tatbestand greift die EuGH-Rechtsprechung aus der Rechtsache „Pressetext“ auf, modifiziert sie jedoch. Nach der Rechtsprechung konnte eine Auftragsänderung als wesentlich angesehen werden, wenn sie „den Auftrag in großem Umfang auf ursprünglich nicht vorgesehene Dienstleistungen erweitert“3. Aufgrund des abweichenden Wortlauts kann davon ausgegangen werden, dass § 132 Abs. 1 Satz 3 Nr. 3 sich auf die Ausweitung solcher Leistungen bezieht, die bereits ursprünglich Teil des öffentlichen Auftrags waren4. Dies ergibt sich auch aus der Gegenüberstellung mit § 132 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2, der den Fall der zusätzlichen Leistungen erfasst, die nicht in den ursprünglichen Vergabeunterlagen vorgesehen waren5. Es dürfte nicht möglich sein, generell trennscharf festzulegen, ab wann eine Änderung des Umfangs „erheblich“ ist. Stattdessen muss in einer Gesamtbetrachtung bewertet werden, ob bei der Auftragsvergabe mit Blick auf den Auftragsgegenstand und den betroffenen Markt mit der erfolgten Auftragserweiterung gerechnet werden konnte, oder ob es sich aus Sicht eines objektiven Marktteilnehmers um einen neuen Auftrag handelt6. Der Wert der Änderung im Verhältnis zum bisherigen Auftragswert ist dabei ein Indikator für die Bewertung7. Das OLG Düsseldorf hat eine Auftragserweiterung um 20 % des ursprünglichen Auftragsvolumens als wesentliche Auftragsänderung angesehen8. 1 Stolz in Ingenstau/Korbion, VOB – Teile A und B – Kommentar, § 22 EU VOB/A Rz. 13 mit Verweis auf Ziekow, VergabeR 2016, 278 (280). 2 Vgl. Ziekow, VergabeR 2016, 278 (281). 3 EuGH v. 19.6.2008 – Rs. C-454/06, NZBau 2008, 518 ff., Rz. 36 – Pressetext. 4 Ebenso Ziekow, VergabeR 2016, 278 (282). 5 Vgl. dazu Rz. 25 ff. 6 Ziekow, VergabeR 2016, 278 (282). 7 Ziekow, VergabeR 2016, 278 (282). 8 OLG Düsseldorf v. 12.2.2014 – VII-Verg 32/13, VergabeR 2014, 557 ff.

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Das OLG Schleswig hat entschieden, dass bei Notfallrettungs-, Notarzt- oder Krankentransport-Dienstleistungen die Erweiterung des Vertragsgebiets und des Leistungsumfangs um etwa 16 % eine wesentliche Auftragsänderung darstellen würde1. Ferner kann die Umwandlung eines zunächst zeitlich befristeten Dauerschuldverhältnisses in ein unbefristetes eine erhebliche Ausweitung des öffentlichen Auftrags darstellen2. Bei der Anwendung von § 132 Abs. 1 Satz 3 Nr. 3 dienen die De-minimis-Grenzen des § 132 Abs. 3 als Untergrenze. Ausweitungen, die unterhalb dieser Grenzen liegen, sind nicht erheblich. Dieser Schluss gilt jedoch nicht umgekehrt. Nur weil eine Auftragserweiterung die Grenzen des § 132 Abs. 3 überschreitet, ist sie (noch) nicht zwingend erheblich3. Dies folgt bereits aus Erwägungsgrund 107 Abs. 2 der Richtlinie 2014/24/EU, in dem es heißt, dass „Änderungen des Auftrags, die diese Schwellenwerte überschreiten, […] ohne erneutes Vergabeverfahren möglich sein [sollten]“, soweit diese die in der Richtlinie festgelegten Bedingungen erfüllen. Im Schrifttum wird teilweise lediglich eine Verdopplung des Auftragsvolumens als stets erhebliche Ausweitung des Umfangs erachtet, da dies faktisch einer Neuvergabe des öffentlichen Auftrags in seiner Gänze gleichkommt4. d) Austausch des Vertragspartners (§ 132 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4) aa) Auftragnehmerwechsel Der letztgenannte Ausnahmefall des § 132 Abs. 1 Satz 3 beschreibt solche Auf- 24 tragsänderungen als wesentlich, in denen ein neuer Auftragnehmer den ursprünglichen Auftragnehmer ersetzt, in anderen als den in § 132 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 vorgesehenen Fällen (s. zu diesen noch unter Rz. 45 ff.). Auch § 132 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 geht zurück auf die „Pressetext“-Rechtsprechung des EuGH. Dort hatte der Gerichtshof Folgendes entschieden: „Im Allgemeinen ist die Ersetzung des Vertragspartners, dem der öffentliche Auftraggeber den Auftrag ursprünglich erteilt hatte, durch einen neuen als Änderung einer wesentlichen Vertragsbestimmung des betreffenden öffentlichen Dienstleistungsauftrags anzusehen, wenn sie nicht in den Bedingungen des ursprünglichen Auftrags, beispielsweise im Rahmen einer Unterbeauftragung, vorgesehen war.“5 Dementsprechend war und ist der Austausch des Auftragnehmers grundsätzlich nicht vergaberechtsfrei zulässig, es sei denn, dies war im ursprünglichen Auftrag bereits vorgesehen. Die gesellschaftsrechtliche Umstrukturierung bei dem Auftragnehmer ist nur dann vergaberechtsrelevant, wenn der bisherige Vertragspartner dadurch ausgetauscht oder durch einen neuen ergänzt wird. Bloße 1 2 3 4 5

OLG Schleswig v. 28.8.2015 – 1 Verg 1/15, VergabeR 2015, 768 ff., Rz. 83. OLG Jena v. 14.10.2003 – 6 Verg 5/03, VergabeR 2004, 113 ff. Ebenso OLG Rostock v. 25.9.2013 – 17 Verg 3/13, VergabeR 2014, 209 (223). Vgl. Ziekow, VergabeR 2016, 278 (282). EuGH v. 19.6.2008 – Rs. C-454/06, NZBau 2008, 518 ff., Rz. 40 – Pressetext.

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§ 132 | Auftragsänderungen während der Vertragslaufzeit interne Neuorganisationen haben keine wettbewerbliche Relevanz und erfordern keine Neuausschreibung1. Dies gilt ebenso für die Änderung der Mitgliederzusammensetzung bei einer juristischen Person, da diese als Rechtssubjekt und Vertragspartnerin unabhängig vom Bestand ihrer Mitglieder ist2. Dass sich die Besitzverhältnisse an einer juristischen Person, insbesondere in Form einer Kapitalgesellschaft, jederzeit ändern können, liegt bereits im Wesen dieser begründet. Dies hat auch der EuGH klargestellt und hieran anknüpfend festgestellt, dass dies die Gültigkeit der Vergabe eines öffentlichen Auftrags an eine solche Gesellschaft grundsätzlich nicht in Frage stelle und etwas anderes nur in Ausnahmefällen wie etwa bei Manipulationen zur Umgehung vergaberechtlicher Vorschriften des Unionsrechts gelten könne3. Mit Blick auf die Änderung der Zusammensetzung von Bietergemeinschaften (BIEGE) gilt es indes zu differenzieren: Da eine Bietergemeinschaft regelmäßig als Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR) i.S.d. §§ 705 ff. BGB organisiert ist und als solche selbst als Trägerin von Rechten und Pflichten im Wettbewerb agiert4, ist ein Wechsel der Mitglieder dann vergaberechtlich irrelevant, wenn die GbR identitätswahrend fortbesteht5. Etwas anderes gilt grundsätzlich dann, wenn bis auf einen Bieter alle anderen Bieter aus der Gemeinschaft austreten, da die GbR zwingend erlischt, wenn nur noch ein Gesellschafter verbleibt6. Allerdings gibt es in der jüngeren Rechtsprechung Tendenzen, diese rein formelle Betrachtungsweise – zumindest in Ausnahmefällen – durch das Korrektiv einer materiell-funktionalen Sichtweise zu flankieren. So hat das OLG Düsseldorf entschieden, dass ein nur formeller Wechsel in der Rechtsperson des materiell identischen Bieters in einem Verhandlungsverfahren möglich sei, wenn dieser Bieterwechsel hinreichend transparent erfolgt7. Darüber hinaus hat auch der EuGH festgestellt, dass die unionsrechtlichen Grundprinzipien des Vergaberechts es einem Auftraggeber nicht verbieten, in einem Verhandlungsverfahren mit Teilnahmewettbewerb, in dem er eine Bietergemeinschaft zur Abgabe eines ersten Angebots aufgefordert hat, es nach deren Auflösung einem der an ihr beteiligten Wirtschaftsteilnehmer 1 Vertiefend Eschenbruch in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 132 Rz. 68. 2 Vgl. OLG Naumburg v. 29.4.2010 – 1 Verg 3/10, VergabeR 2010, 979 ff., Ls. 3 EuGH v. 19.6.2008 – Rs. C-454/06, NZBau 2008, 518 ff., Rz. 51 – Pressetext. 4 BGHZ v. 29.1.2001 – II ZR 331/00, MDR 2001, 459 = NJW 2001, 1056. 5 OLG Celle v. 5.9.2007 – 13 Verg 9/07, NZBau 2007, 663 (664 f.). A.A. OLG Düsseldorf v. 24.5.2005 – VII-Verg 28/05, NZBau 2005, 710 ff.; OLG Düsseldorf v. 26.1.2005 – VIIVerg 45/04, NZBau 2005, 354, 355; OLG Hamburg v. 2.10.2002 – 1 Verg 1/00, NZBau 2003, 223 (224). Vertiefend zum Ganzen auch Lux, NZBau 2012, 680 ff. 6 OLG Hamburg v. 31.3.2015 – 1 Verg 4/13, VergabeR 2014, 665 (672); OLG Karlsruhe v. 15.10.2008 – 15 Verg 9/08, NZBau 2008, 784 (786) für die Konstellation einer zweigliedrigen Bietergemeinschaft. 7 OLG Düsseldorf v. 3.8.2011 – VII-Verg 16/11. Vgl. dagegen noch OLG Düsseldorf v. 24.5.2005 – VII-Verg 28/05, NZBau 2005, 710 ff.; sowie zum Ganzen auch Stoye in Franke/Kemper/Zanner/Grünhagen, VOB-Kommentar, § 23 VOB/A Rz. 33.

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zu gestatten, als Einzelbieter an die Stelle der Bietergemeinschaft zu treten, sofern erwiesen ist, dass dieser Wirtschaftsteilnehmer die festgelegten (Eignungs-) Anforderungen allein erfüllt und dass seine weitere Teilnahme am Verfahren nicht zu einer Beeinträchtigung der Wettbewerbssituation der übrigen Bieter führt1. Ferner kann nach der Rechtsprechung des EuGH dann eine wesentliche Änderung angenommen werden, wenn sämtliche Gesellschaftsanteile des Auftragnehmers an einen Dritten übergehen, so dass dies eine faktische Vertragsübernahme darstellt2. Wegen des in Bezug genommenen § 132 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 wird auf die dies- 25 bezügliche Kommentierung in Rz. 45 ff. verwiesen. bb) Auftraggeberwechsel Der Wechsel des Auftraggebers ist in § 132 nicht geregelt. Fraglich ist daher, ob 26 hieraus geschlossen werden kann, dass dieser nach neuer Rechtslage stets vergaberechtsfrei zulässig ist. Da die Vertragsübernahme auf Auftraggeberseite – anders als der Auftragnehmerwechsel – das Ergebnis des Vergabewettbewerbs grundsätzlich unberührt lässt, insbesondere nichts daran ändert, dass der öffentliche Auftrag auch nach der Übernahme auf Grundlage des wirtschaftlichsten Angebots (§ 127 Abs. 1 Satz 1) durchgeführt wird, wurde bereits vor Ergehen der Entscheidung des EuGH in der Rechtssache „Pressetext“ vertreten, dass der Auftraggeberwechsel grundsätzlich keiner (erneuten) Ausschreibungspflicht bedarf und lässt sich dies auch gegenwärtig noch mit guten Argumenten tun. Dies gilt jedenfalls dann, wenn der Auftragnehmer zustimmt, eine unwesentliche Auftragsänderung i.S.v. § 132 Abs. 1 vorliegt und der Auftraggeberwechsel nicht zu einer Umgehung vergaberechtlicher Bindungen führt3. Die Wesentlichkeit kann sich dabei insbesondere aus der Wirkung auf das Bieter-/Bewerberfeld ergeben, beispielsweise wenn der neue Auftraggeber eine andere (höhere) Bonität aufweist bzw. Veränderungen hinsichtlich der räumlichen Komponente der Leistungserbringung mit sich bringt4. Das Umgehungsverbot kann insbesondere tangiert sein beim Wechsel von einem Auftraggeber, der – wie z.B. ein Sektorenauftraggeber – geringeren vergaberechtlichen Verfahrensanforderungen unterliegt, auf einen Auftraggeber, der strengeren Verfahrensanforderungen zu genügen hat5. Zweifel an dieser – funktional betrachtet – überzeugenden Sichtweise, ergeben 27 sich indes – bei (streng) formaler Sichtweise – zum einen daraus, dass – gemes1 EuGH v. 24.5.2016 – Rs. C-396/14, NZBau 2016, 506 ff., Rz. 44. Siehe hierzu auch die im Hinblick auf die Verallgemeinerungsfähigkeit der Entscheidung kritische Anmerkung von Summa, IBR 2016, 470. 2 Vertiefend Eschenbruch in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 132 Rz. 68. 3 So von Engelhardt/Kaelble in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 132 Rz. 109. 4 Vgl. von Engelhardt/Kaelble in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 132 Rz. 111. 5 Vgl. von Engelhardt/Kaelble in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 132 Rz. 112.

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§ 132 | Auftragsänderungen während der Vertragslaufzeit sen an den vom EuGH in der Entscheidung „Pressetext“ aufgestellten Kriterien – grundsätzlich auch der Auftraggeberwechsel eine wesentliche Änderung darstellen dürfte1, da die Person des Auftraggebers eine essentialia negotii des Vertrages ist. Zum anderen wird von Teilen der Literatur darauf hingewiesen, dass ein öffentlicher Auftraggeber seinen Beschaffungsbedarf nicht durch Vertragsübernahmen, sondern durch öffentliche Ausschreibung zu decken hat2. Vor diesem Hintergrund wird vertreten, dass – ebenso wie beim Wechsel des Auftragnehmers – der Auftraggeberwechsel nur ausnahmsweise ohne Ausschreibung zulässig sein könne, sofern der Wechsel auf einer internen Neuorganisation beruht und die sonstigen materiellen Parameter des Auftrags erhalten bleiben. Denn (nur) in diesem Fall sei eine Wettbewerbsverzerrung ausgeschlossen3.

III. Zulässige Auftragsänderungen (§ 132 Abs. 2) 28 § 132 Abs. 2 enthält Fallkonstellationen, in denen die nachträgliche Änderung

des ursprünglichen Auftrags zulässig ist, und zwar unabhängig davon, ob es sich um eine wesentliche Änderung i.S.v. § 132 Abs. 1 handelt oder nicht. Die Wesentlichkeit der Änderung bedarf insoweit daher keiner Prüfung4. 1. Überprüfungsklauseln und Optionen (§ 132 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1)

29 Die Änderung eines öffentlichen Auftrags ist gem. § 132 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1

ohne Durchführung eines neuen Vergabeverfahrens zulässig, wenn in den ursprünglichen Vergabeunterlagen klare, genaue und eindeutig formulierte Überprüfungsklauseln oder Optionen vorgesehen sind, die Angaben zu Art, Umfang und Voraussetzungen möglicher Auftragsänderungen enthalten, und sich aufgrund der Änderung der Gesamtcharakter nicht verändert5. Tatsächlich findet also eine Vertragsänderung statt, die aber bei Einhaltung der in § 132 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 genannten Voraussetzungen keine Neuvergabepflicht auslöst. Dies steht im Einklang mit der bisherigen Rechtsprechung des EuGH6.

30 § 132 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 schreibt vor, dass die Überprüfungsklausel oder Option

„in den ursprünglichen Vergabeunterlagen“ angelegt sein muss. Der Begriff der

So im Ergebnis auch Greb/Stenzel, NZBau 2012, 404, 406 f. So Greb/Stenzel, NZBau 2012, 404 (406 f.) m.w.N. zur Rechtsprechung der VK Bund. So Greb/Stenzel, NZBau 2012, 404 (406 f.). Vgl. Frenz, VergabeR 2017, 323 (331); Ziekow, VergabeR 2016, 278 (279). Gröning weist in NZBau 2015, 690, 691 zu Recht darauf hin, dass es sich bei dieser Fallkonstellation um gar keine nachträgliche Änderung eines öffentlichen Auftrags im Wege eines Vertrags über die Abänderung eines wirksam zustande gekommenen Auftrags handelt, sondern um eine Anpassung, die durch die Klausel bereits Bestandteil des ursprünglichen Vergabeverfahrens war und deshalb kein erneutes Vergabeverfahren erforderlich ist. 6 EuGH v. 19.6.2008 – Rs. C-454/06, NZBau 2008, 518 ff., Rz. 40 – Pressetext.

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Auftragsänderungen während der Vertragslaufzeit | § 132

Vergabeunterlagen umfasst sämtliche Vergabe- und Vertragsunterlagen, neben der Bekanntmachung also insbesondere auch den Vertrag und andere Verfahrensunterlagen1. Angesichts des klaren Wortlauts von § 132 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 spricht daher vieles dafür, dass nach dem neuen Recht grundsätzlich von einer Nennung von Vertragsanpassungsklauseln (bereits) in der Bekanntmachung abgesehen werden kann und eine (zusätzliche) Bekanntmachung nur in den nach der Richtlinie 2014/24/EU ausdrücklich geforderten Fällen notwendig ist2. Es bleibt jedoch abzuwarten, ob ein solches Verständnis von der zukünftigen Rechtsprechung mitgetragen wird. Angesichts der hohen Transparenzerfordernisse in Vergabeverfahren sowie des Stellenwerts solcher Klauseln für den Bieter und dessen Entscheidung, ein Angebot abzugeben, kann man hieran mit guten Gründen Zweifel anmelden. In Abwesenheit spezialgesetzlicher Regelungen hat die bisherige Rechtsprechung jedenfalls noch Angaben in der Bekanntmachung gefordert3. Eine Überprüfungsklausel ist dadurch gekennzeichnet, dass sie – anders als 31 eine Option – nicht zwingend eine Vertragsänderung nach sich zieht. Unter den festgelegten Voraussetzungen führt die Überprüfungsklausel zunächst nur zu der Überprüfung, ob eine Änderung des Auftrags angezeigt ist4. Mithin versteht man unter dem Begriff „Überprüfungsklauseln“ solche Klauseln, die eine spätere (ggf. einvernehmliche) Anpassung des Leistungsgegenstandes, der Vergütung oder der vertraglichen Bedingungen zulassen5. Die Gesetzesbegründung nennt als Beispiel Preisüberprüfungsklauseln6. Eine Option hingegen berechtigt den Auftraggeber, durch einseitige Erklärung einen Vertrag oder eine Vertragsänderung herbeizuführen7. Sie stellt ein einseitiges Gestaltungsrecht dar, das den Auftraggeber berechtigt, aber nicht verpflichtet8. 1 Hausmann/Queisner, NZBau 2016, 619 (622). 2 So von Engelhardt/Kaelble in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 132 Rz. 37; Kunde, NZBau 2014, 550 (552). 3 Vgl. EuGH v. 19.6.2008 – Rs. C-454/06 NZBau 2008, 518 – Pressetext; sowie insb. OLG Düsseldorf v. 12.2.2014 – VII-Verg 32/13, NZBau 2014, 454 (456), wo es heißt: „In Übereinstimmung damit hat auch der Senat entschieden, dass, um die Gleichbehandlung möglicher Bieter und die Transparenz des Vergabeverfahrens zu gewährleisten, bereits aus der ursprünglichen Ausschreibung (bzw. dem ursprünglichen Text) klar hervorzugehen habe, unter welchen Umständen der Vertrag wann und wie geändert werden kann“. Vgl. ferner auch Byok, NJW 2015, 1490 (1491). 4 Ziekow, VergabeR 2016, 278 (284). 5 Hausmann/Queisner, NZBau 2016, 619 (621). 6 Vgl. BT-Drucks. 18/6281, S. 119; sowie auch Erwägungsgrund 111 der Richtlinie 2014/ 24/EU. 7 BayObLG v. 18.6.2002 – Verg 8/02, NJOZ 2004, 181 ff.; Westermann in MünchKomm/ BGB, 7. Aufl. 2015, § 158 Rz. 59. 8 Vgl. zur vergaberechtlichen Zulässigkeit der den Optionen ähnlichen sog. Bedarfspositionen OLG Düsseldorf v. 2.8.2002 – VII-Verg 25/02, IBR 2003, 216; OLG Düsseldorf v. 24.3.2004 – VII-Verg 7/04, NZBau 2004, 463 ff.; OLG München v. 27.1.2006 – Verg 1/06, VergabeR 2006, 537 ff.

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§ 132 | Auftragsänderungen während der Vertragslaufzeit 32 Ferner muss die Überprüfungsklausel oder Option klar, genau und eindeutig

formuliert sein und Angaben zu Art, Umfang und Voraussetzungen möglicher Auftragsänderung enthalten. Diese Pflicht zur inhaltlichen Konkretisierung der Überprüfungsklausel oder Option soll sicherstellen, dass dem Auftraggeber durch die Klausel kein unbegrenzter Ermessensspielraum eingeräumt wird1. Voraussetzungen und Reichweite der möglichen Änderung müssen bereits aus den ursprünglichen Vergabeunterlagen ersehen werden können2. Dies korrespondiert mit der Rechtsprechung des OLG Düsseldorf, welches in seinem Beschluss vom 28.7.2011 klargestellt hatte, dass sehr allgemein gehaltene Anpassungsklauseln oder solche Änderungen, die auf der freien Entscheidung des Auftraggebers beruhen, eine nachträgliche Vertragsänderung nicht rechtfertigen können3. Damit berechtigen insbesondere Preisindexierungsklauseln regelmäßig nicht zur vergaberechtsfreien Vertragsanpassung, die eine Preisanpassung in lange laufenden Verträgen auf der Basis der Entwicklung des Verbraucherpreisindexes vornehmen4. Dies gilt ebenso für Blankettvorbehalte und sonstige allgemeine Vertragsanpassungsklauseln5.

33 Vor diesem Hintergrund besteht derzeit Unklarheit im (vergaberechtlichen)

Umgang mit den in der Praxis außerordentlich relevanten bauvertraglichen Leistungsänderungen im Wege von Nachträgen. Solche Änderungsvorbehalte finden sich in praktisch allen nationalen und internationalen Bauvertragstypen6. Rechtlich hat der Nachtrag im Ergebnis eine Vertragsänderung bzw. -anpassung zur Folge. Hierdurch soll eine möglichst hohe vertragliche Flexibilität im Bauprozess sichergestellt werden, denn die Vorbehalte erlauben auch während des Bauprozesses auf nicht vorhergesehene Umstände interessengerecht eingehen zu können. Um die vertragliche Einbeziehung einer maximalen Anzahl möglicher Fallgestaltungen zu gewährleisten, zeichnen sich Änderungsvorbehalte durch

1 Vgl. BT-Drucks. 18/6281, S. 119; sowie auch Erwägungsgrund 111 der Richtlinie 2014/ 24/EU. 2 Ziekow, VergabeR 2016, 278 (285). 3 OLG Düsseldorf v. 28.7.2011 – VII-Verg 20/11, VergabeR 2012, 35 (42). Ähnlich auch OLG Schleswig v. 28.8.2015 – 1 Verg 1/15, NZBau 2015, 718 (725), wonach die einseitige Ausübung eines in den ursprünglichen Auftragsunterlagen eingeräumten und seinem Umgang nach bestimmbaren Leistungsbestimmungsrechts zu einer nicht ausschreibungspflichtigen Vertragsänderung führt, wenn die Grenzen des vorab Vereinbarten gewahrt werden. 4 Eschenbruch in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 132 Rz. 88. 5 Hausmann/Queisner, NZBau 2016, 619 (621); OLG Dresden v. 7.7.2015 – Verg 3/15, BeckRS 2015, 16532; OLG Düsseldorf v. 28.7.2011 – VII-Verg 20/11, NZBau 2012, 50; VK Münster v. 18.11.2010 – VK 8/10, BeckRS 2012, 47049; Ziekow, VergabeR 2016, 278 (285). 6 Eschenbruch in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 132 Rz. 89.

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ein hohes Maß an Abstraktheit aus. Insbesondere auch die VOB/B enthält verschiedene Nachtragssachverhalte, die üblicherweise zu Vertragsbestandteilen erklärt werden1. So sieht beispielsweise § 1 Abs. 3 VOB/B für den Auftraggeber die Möglichkeit vor, „Änderungen des Bauentwurfs“ einseitig festzulegen; nach § 1 Abs. 4 VOB/B kann die Durchführung nicht vereinbarter Leistungen, die zur Ausführung der vertraglichen Leistung erforderlich werden, vom Auftragnehmer verlangt werden. Inwieweit sich diese Art der Vorbehalte allerdings mit den von § 132 Abs. 2 34 Nr. 1 vorgesehenen „klare[n], genaue[n] und eindeutig formulierte[n] Überprüfungsklauseln oder Optionen“ vereinbaren lässt, ist derzeit noch nicht abschließend geklärt, aber zweifelhaft. Denn aus vergaberechtlicher Sicht stellt sich gerade die Abstraktheit durch die die Änderungsvorbehalte charakterisiert werden, als problematisch dar. Teilweise wird insoweit vertreten, dass es sich bei einem auf einem solchen Vorbehalt beruhenden Nachtrag originär nicht um eine Vertragsänderung handele. Denn durch die Einbeziehung des Änderungsvorbehalts in den Ursprungsvertrag sei eine später vorgenommene Änderung von diesem Ursprungsvertrag bereits umfasst. Schließlich wäre sie durch den Vorbehalt selbst schon im Ursprungsvertrag angelegt2; ihre tatsächliche Ausübung würde die Wettbewerbslage daher nicht verändern können. Dies gelte jedenfalls solange, wie sich der Gesamtcharakter des Auftrags nicht ändere3 (s. hierzu auch Rz. 35). Ein solches Ergebnis sei auch sachgerecht, und zwar insbesondere deshalb, weil jeder Bauauftragnehmer solche Änderungsrechte kenne und wisse, dass sich in diesem Umfang Vertragsanpassungen im Laufe der Ausführungszeit ergeben könnten4. Demzufolge wären entsprechende Nachträge vergaberechtsfrei. Allerdings wird hierbei übersehen, dass die Vorbehalte nicht nur zu pauschal, folglich also gerade nicht klar, genau und eindeutig (genug) formuliert sind und keine ausreichenden Angaben zu Art und Umfang der möglichen Änderung machen (vgl. Rz. 32), sondern insbesondere auch die Umstände der Inanspruchnahme nicht näher regeln5. Es bliebe damit völlig unklar, wann und unter welchen Voraussetzungen von dem Änderungsvorbehalt Gebrauch gemacht werden würde. Offen bliebe beispielsweise auch, wie sich der Nachtrag auf die ursprünglich vereinbarte Vergütung niederschlägt6. Vor diesem Hinter1 Vertiefend Fritz, Vergabeblog vom 2.5.2013, Nr. 15521. 2 So Stolz in Ingenstau/Korbion, VOB – Teile A und B – Kommentar, § 22 EU VOB/A, Rz. 23 mit Verweis auf Gröning, NZBau 2015, 690 (691). 3 Vgl. Gröning, NZBau 2015, 690 (691); von Engelhardt/Kaelble in Müller-Wrede, GWBVergaberecht, § 132 Rz. 34. 4 Kulartz/Duikers, VergabeR 2008, 728, 735 ff.; Eschenbruch in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 132 Rz. 89. 5 Vgl. Stolz in Ingenstau/Korbion, VOB – Teile A und B – Kommentar, § 22 EU VOB/A, Rz. 27. 6 Vgl. Stolz in Ingenstau/Korbion, VOB – Teile A und B – Kommentar, § 22 EU VOB/A, Rz. 27.

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§ 132 | Auftragsänderungen während der Vertragslaufzeit grund wird einschränkend zuweilen auch darauf hingewiesen, dass die Grenze der Zulässigkeit jedenfalls dann überschritten sei, wenn der Bauentwurf selbst keine Änderung erfährt, sondern das komplett geänderte Bauvorhaben nicht mehr mit dem vertraglichen Bauvorhaben übereinstimmt oder aber die Änderungen so erheblich sind, dass die vereinbarten Preisermittlungsgrundlagen nicht mehr auf die geänderten Leistungen anwendbar sind1. Abschließend ausgefochten dürfte diese Diskussion zwar (wohl) noch nicht sein. Im Ergebnis erscheint allerdings eine restriktive Sichtweise, wonach derartige Änderungsvorbehalte nicht den Anforderungen des § 132 Abs. 2 Nr. 1 genügen, vorzugswürdig. In der Folge würden Nachträge, insbesondere solche, die nach den Vorschriften der VOB/B erfolgen, regelmäßig Ausschreibungspflichten auslösen2. Es bleibt abzuwarten, wie sich die Rechtsprechung hier positionieren wird. Maßgeblich dürften aber wohl stets die an § 132 zu messenden Einzelfallumstände, insbesondere die Art und der Umfang des konkreten Nachtrags sein3. 35 Schließlich darf sich der Gesamtcharakter des Auftrags nicht aufgrund der

durch die Überprüfungsklausel oder Option erfolgten Auftragsänderung verändern. In dem Vorschlag für die neue Vergaberichtlinie vom 20.12.2011 und in der Richtlinie 2014/24/EU wird der Gesamtcharakter des Auftrags auch als „Wesen des gesamten Auftrags“ bezeichnet4. Es ist folglich danach zu fragen, welche Charakteristika das Wesen des öffentlichen Auftrags prägen5. Zentrale Aspekte für die Marktansprache sind z.B. die Auftragsart, die Laufzeit oder die Art der 1 So Stoye/Pauka in Franke/Kemper/Zanner/Grünhagen, VOB-Kommentar, § 22 EU VOB/A Rz. 38 unter Hinweis auf VK Südbayern v. 30.5.2007 – Z3-3-3194-1-15-04/07, die bei Einhaltung dieser „immanenten Grenzen des Anordnungsrechts nach § 1 Abs. 3 VOB/B“ eine Neuausschreibungspflicht aber nicht für erforderlich erachten, weil diese – ebenso wie die korrespondierende Vergütungsänderung nach § 2 Abs. 5 VOB/B – bereits in ausreichender Form im Ursprungsvertrag angelegt seien. Ebenso bereits Stoye/Brugger, VergabeR 2011, 803 ff. A.A. OLG Düsseldorf v. 12.2.2014 – VII-Verg 32/13, NZBau 2014, 454 ff.; Düsseldorf v. 28.7.2011 – VII-Verg 20/11, NZBau 2012, 50 ff. 2 So auch Dicks, Drum prüfe, wer sich ewig bindet – Vergaberechtsfreie Auftragsänderungen während der Vertragslaufzeit, Vortrag im Rahmen des vhw-Vergaberechtsforums West am 14./15.12.2016 in Köln. 3 So auch Fritz, Vergabeblog vom 2.5.2013, Nr. 15521. Vgl. zum Ganzen auch Leinemann, Die Vergabe öffentlicher Aufträge, Rz. 175e und 175f, der die typischerweise im Rahmen von § 1 Abs. 3 und 4 VOB/B und § 2 Abs. 5 und 6 VOB/B bzw. § 2 Abs. 2 VOB/B auftretenden Fallgestaltungen über die Tatbestände des § 132 Abs. 2 Nr. 2 bzw. § 132 Abs. 2 Nr. 3 löst. 4 Vgl. Erwägungsgrund 46 zum Vorschlag für die Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die öffentliche Auftragsvergabe, KOM(2011) 896 endg.; Erwägungsgrund 109 der Richtlinie 2014/24/EU; sowie ferner auch Greb/Stenzel, NZBau 2012, 404 (409). 5 So auch Ziekow, VergabeR 2016, 278 (285); Rosenkötter/Fritz, VergabeR 2014, 290 (293). A.A. Müller, VergabeR 2015, 652 (658), der auf die Kriterien der wesentlichen Vertragsänderung abstellt.

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Refinanzierung des Auftragnehmers1. Erwägungsgrund 109 der Richtlinie 2014/ 24/EU führt als Beispiel für eine Änderung des Wesens des Auftrags an, dass „die zu beschaffenden Bauleistungen, Lieferungen oder Dienstleistungen durch andersartige Leistungen ersetzt werden oder [dass] sich die Art der Beschaffung grundlegend ändert.“ Für den letztgenannten Fall ist etwa an eine Umwandlung einer Konzession in einen Auftrag zu denken2. Weitere charakterrelevante Änderungen stellen die Umwandlung einer Dienstleistung in eine Bauleistung oder einer unbefristeten in eine befristete Beauftragung dar3. 2. Zusätzliche Leistungen (§ 132 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2, Satz 2 und 3) § 132 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 betrifft Situationen, in denen öffentliche Auftraggeber 36 zusätzliche Liefer-, Bau- oder Dienstleistungen benötigen4. Insoweit ist die Vorschrift als Weiterentwicklung des früheren § 3 EG Abs. 4 lit. e) und lit. f) VOL/A zu sehen. Prinzipiell kann aufgrund der bestehenden Ähnlichkeit des Tatbestands und der Rechtsfolge deshalb zur Auslegung auch die Rechtsprechung zu § 3 EG Abs. 4 lit. e) und lit. f) VOL/A herangezogen werden5. Nach dem Wortlaut des § 132 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 ist die Auftragsänderung in 37 den dort genannten Fällen ohne Durchführung eines neuen Vergabeverfahrens zulässig, wenn ein Lieferantenwechsel aus wirtschaftlichen oder technischen Gründen nicht möglich ist „und“ mit erheblichen Schwierigkeiten oder beträchtlichen Zusatzkosten für den Auftraggeber verbunden wäre. Es spricht jedoch Vieles dafür, dass das die beiden Tatbestandsmerkmale im Sinne von lit. a) und lit. b) des § 132 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 verbindende „und“ als „oder“ zu lesen ist, und die beiden Tatbestandsmerkmale mithin nicht kumulativ, sondern lediglich alternativ vorliegen müssen. Es liegt insoweit – wie sich insbesondere auch aus Erwägungsgrund 108 der Richtlinie 2014/24/EU ergibt – wohl ein Redaktionsversehen des europäischen Richtliniengebers6 vor, welches der nationale Gesetzgeber im Zuge der Richtlinienumsetzung übernommen und nicht korrigiert hat7 (vgl. insoweit auch Rz. 39). Sind die – so zu interpretierenden – Vo1 2 3 4 5 6

Ziekow, VergabeR 2016, 278 (285). Hausmann/Queisner, NZBau 2016, 619 (621). Ziekow, VergabeR 2016, 278 (285). BT-Drucks. 18/6281, S. 119. von Engelhardt/Kaelble in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 132 Rz. 39. Auffällig ist dabei jedoch, dass es sich hierbei – in Ansehung von Art. 43 Abs. 1 lit. b) der Richtlinie 2023/14/EU, Art. 72 Abs. 1 lit. b) der Richtlinie 2024/14/EU sowie Art. 89 Abs. 1 lit. b) der Richtlinie 2025/14/EU – gleich um ein dreifaches Redaktionsversehen handelt. 7 Vgl. hierzu insb. Summa, NZBau 2015, 329 (330), der explizit darauf hinweist, dass die beiden Tatbestände von lit. a) und lit. b) des § 132 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 anstelle mit einem „und“ mit einem „oder“ hätten verbunden werden müssen. Denn entweder sei etwas objektiv unmöglich oder zwar objektiv möglich, aber subjektiv unzumutbar. Kumuliert er-

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§ 132 | Auftragsänderungen während der Vertragslaufzeit raussetzungen des § 132 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 gegeben, darf also der alte Auftragnehmer die zusätzlichen Leistungen erbringen. Die Vorschrift dient der Umsetzung von Art. 72 Abs. 1 lit. b) der Richtlinie 2014/24/EU. Eine vergleichbare Regelung findet sich in § 14 Abs. 4 Nr. 5 VgV, der die Auftragsvergabe im Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb betrifft. Nach § 132 Abs. 5 sind Änderungen nach § 132 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 im Amtsblatt der Europäischen Union bekanntzumachen. 38 § 132 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 erfasst die Situation, in der bei dem öffentlichen Auf-

traggeber ein Bedarf an zusätzlichen Leistungen, regelhaft entweder als Teilersatz oder zur Erweiterung bestehender Dienstleistungen, Lieferungen oder Einrichtungen, besteht1. Die zusätzlichen Leistungen dürfen nicht in den ursprünglichen Vergabeunterlagen vorgesehen gewesen sein. Die bloße Ausweitung von bereits im ursprünglichen Auftrag vorgesehenen Leistungen ist nach § 132 Abs. 1 Satz 3 Nr. 3 zu bewerten2. Die zusätzlichen Leistungen müssen ferner erforderlich geworden sein. Dieses Merkmal verknüpft die ursprüngliche und die zusätzliche Leistung funktional. Es dürfte dahin zu verstehen sein, dass durch die zusätzliche Leistung die weitere Nutzung der im ursprünglichen Vergabeverfahren beschafften Leistung verbessert werden kann3. Dieses Verständnis wird gestützt durch Art. 72 Abs. 1 lit. b) i) der Richtlinie 2014/24/EU, der fordert, dass die zusätzliche Leistung mit der ursprünglichen austauschbar oder kompatibel sein muss.

39 Ein Wechsel des Auftragnehmers dürfte aus wirtschaftlichen oder technischen

Gründen nicht möglich sein oder4 müsste mit erheblichen Schwierigkeiten oder beträchtlichen Zusatzkosten verbunden sein. Eine Trennung zwischen beiden Tatbeständen dürfte bisweilen nicht immer möglich, allerdings auch nicht stets erforderlich sein5. So können z.B. potentiell entstehende Mehrkosten

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gäben die beiden Voraussetzungen hingegen keinen Sinn. Der Unions- und der nationale Gesetzgeber hätten insofern eine „Fehlleistung“ erbracht. A.A. dagegen Eschenbruch in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 132 Rz. 104 f. Danach handele es sich nicht um ein Redaktionsversehen. Vielmehr habe der Gesetzgeber beide Voraussetzungen bewusst nebeneinander gestellt (vgl. BT-Drucks. 18/6281, 119). Allerdings seien die Tatbestandsmerkmale weit auszulegen, und zwar in dem Sinne, dass bereits eine objektive Unzweckmäßigkeit genüge. Vgl. hierzu auch Stoye/Pauka in Franke/ Kemper/Zanner/Grünhagen, VOB-Kommentar, § 22 EU VOB/A Rz. 38. Im Ergebnis dürfte sich, unabhängig davon, welcher Ansicht man folgt, in der Praxis aber nur selten ein Unterschied in der rechtlichen Bewertung ergeben. Vgl. BT-Drucks. 18/6281, S. 119; Erwägungsgrund 108 der Richtlinie 2014/24/EU. Vgl. dazu bereits Rz. 23. Ziekow, VergabeR 2016, 278 (286). Wie in Rz. 37 dargelegt, ist das die beiden Tatbestandsmerkmale im Sinne von lit. a) und lit. b) des § 132 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 verbindende „und“ richtigerweise (wohl) als „oder“ zu lesen ist. Es handelt sich hierbei (wohl) um ein Redaktionsversehen des Gesetzgebers, vgl. Summa, NZBau 2015, 329 (330). Vgl. Hausmann/Queisner, NZBau 2016, 619 (622).

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wegen eines Auftragnehmerwechsels sowohl „wirtschaftliche Gründe“ darstellen als auch „beträchtliche Zusatzkosten“. Unter Rückgriff auf die Auslegung der bisherigen § 3 Abs. 5 Nr. 5 EG VOB/A und § 3 Abs. 4 lit. e) EG VOL/A können wirtschaftliche Aspekte beispielsweise in einer unklaren Mängelhaftung oder einem erhöhten Koordinierungs- und Anpassungsbedarf liegen1. Technische Gründe können ein neu auftretender Bedarf an Spezialgeräten sein oder Schwierigkeiten beim Ineinandergreifen der verschiedenen Leistungen, etwa durch die Unvereinbarkeit des neuen Produkts mit der bisher vom Auftraggeber erworbenen und bei ihm genutzten Software oder anderer Produkte2. Erwägungsgrund 108 der Richtlinie 2014/24/EU nennt das Beispiel, dass der Auftraggeber bei einem Lieferantenwechsel „Material, Bau- oder Dienstleistungen mit unterschiedlichen technischen Merkmalen erwerben müsste und dies eine Unvereinbarkeit oder unverhältnismäßige technische Schwierigkeiten bei Gebrauch und Instandhaltung mit sich bringen würde.“ Das Merkmal der erheblichen Schwierigkeiten und beträchtlichen Zusatzkosten ist an den Begriff des „wesentlichen Nachteils für den öffentlichen Auftraggeber“ in Art. 31 Nr. 4 lit. a) Alt. 1 der Richtlinie 2004/ 18/EG angelehnt und drückt eine durch den Auftragnehmer hinzunehmende Belastung aus, unter der es ihm noch zuzumuten ist, bei der Auftragsänderung ein neues Vergabeverfahren durchzuführen3. Nach Ziekow ist die Belastungsschwelle überschritten, wenn „die Erbringung der Zusatzleistung durch einen anderen Auftragnehmer entweder zu längeren Verzögerungen in der Nutzung der Hauptleistung, auch bei Wartungsbedarfen, und/oder zu komplexen technischen Anpassungsnotwendigkeiten und/oder zu laufenden Überwachungserfordernissen und/oder Mehrkosten führt, die in keinem angemessenen Verhältnis zum Wert der Zusatzleistungen stehen“4. Weitere Beispiele sind erforderliche aufwendige Schulungen von Personal oder neue, teure Instandhaltungslogistik. Neu entstandene vertragliche Pflichten allein sind nicht ausreichend5. Für die erlaubten Auftragsänderungen nach § 132 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 gilt nach 40 § 132 Abs. 2 Satz 2 eine pauschale Obergrenze6. Danach darf der Preis nicht um mehr als 50 % des Wertes des ursprünglichen Auftrags erhöht werden. Nach § 132 Abs. 2 Satz 3 gilt dies bei mehreren aufeinander folgenden Auftragsänderungen für den Wert jeder einzelnen Änderung. Die Einzelwerte werden also nicht addiert. Etwas anderes gilt dann, wenn die Auftragsänderung mit dem Ziel vorgenommen wird, die Vorschriften zur Ausschreibungspflicht zu umgehen. Dies kann dann angenommen werden, wenn die Aufspaltung mit Blick auf den 1 Völlink in Ziekow/Völlink, Vergaberecht, 2. Aufl. 2013, § 3 EG VOB/A, Rz. 42. 2 Völlink in Ziekow/Völlink, Vergaberecht, 2. Aufl. 2013, § 3 EG VOB/A, Rz. 42; Hausmann/Queisner, NZBau 2016, 619 (622). 3 Vgl. Ziekow, VergabeR 2016, 278 (286). 4 Ziekow, VergabeR 2016, 278 (286). 5 Hausmann/Queisner, NZBau 2016, 619 (622). 6 BT-Drucks. 18/6281, S. 119.

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§ 132 | Auftragsänderungen während der Vertragslaufzeit inhaltlichen und sachlichen Zusammenhang sachfremd erscheint1. Für Indexierungsklauseln enthält § 132 Abs. 4 eine Sonderregelung (vgl. Rz. 51). 41 Auftragsänderungen nach § 132 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 sind gem. § 132 Abs. 5 im

Amtsblatt der Europäischen Union bekanntzumachen (vgl. Rz. 52).

3. Unvorhersehbare Umstände (§ 132 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3, Satz 2 und 3) 42 § 132 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 sieht vor, dass eine Auftragsänderung ohne Durchfüh-

rung eines neuen Vergabeverfahrens zulässig ist, wenn die Änderung aufgrund von Umständen erforderlich geworden ist, die der öffentliche Auftraggeber im Rahmen seiner Sorgfaltspflicht nicht vorhersehen konnte, und sich aufgrund der Änderung der Gesamtcharakter des Auftrags nicht verändert hat. Die Norm betrifft Fälle, in denen der Auftraggeber mit externen Umständen konfrontiert wird, die er zum Zeitpunkt der Zuschlagserteilung nicht absehen konnte2. Dies kann insbesondere der Fall sein, wenn sich die Ausführung des Auftrags über einen längeren Zeitraum erstreckt3. Die Umstände müssen sich auf den Auftrag dergestalt auswirken, dass eine Änderung erforderlich ist. Sie müssen also tatsächlich auf die Einhaltung des Vertrags Einfluss nehmen. Bei der Bestimmung des Merkmals der Erforderlichkeit gelten die zu § 132 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 gemachten Ausführungen (vgl. Rz. 38) entsprechend. Die Vorschrift ist folglich im Sinne einer clausula rebus sic stantibus, bzw. der grundsätzlichen Beständigkeit der Geschäftsgrundlage i.S.v. § 313 BGB zu verstehen4. Verändert sich diese Grundlage, ist laut Erwägungsgrund 109 der Richtlinie 2024/14/EU „ein gewisses Maß an Flexibilität erforderlich, um den Auftrag an diese Gegebenheiten anzupassen, ohne ein neues Vergabeverfahren einleiten zu müssen“. „Unvorhersehbare Umstände“ sind Umstände, die auch bei einer nach vernünftigem Ermessen sorgfältigen Vorbereitung der ursprünglichen Zuschlagserteilung durch den öffentlichen Auftraggeber unter Berücksichtigung der zur Verfügung stehenden Mittel, der Art und Merkmale des spezifischen Projekts, der bewährten Praxis und der Notwendigkeit, ein angemessenes Verhältnis zwischen den bei der Vorbereitung der Zuschlagserteilung eingesetzten Ressourcen und dem absehbaren Nutzen zu gewährleisten, nicht hätten vorausgesagt werden können5. Den Auftraggeber trifft folglich bereits bei Vertragsschluss eine Pflicht zu prüfen, welche späteren Änderungen in Betracht kommen könnten6. Wegen des Ausnahmecharakters der Vorschrift sind hohe Voraussetzungen an die Unvorhersehbarkeit zu stel1 2 3 4

Ziekow, VergabeR 2016, 278 (287). BT-Drucks. 18/6281, S. 119. BT-Drucks. 18/6281, S. 119. Vgl. Polster, VergabeR 2012, 282 (291); sowie zur Anwendung von § 313 BGB u.a. LG München I v. 20.12.2005 – 33 O 16465/05, NZBau 2006, 269 ff. 5 BT-Drucks. 18/6281, S. 119; Erwägungsgrund 109 der Richtlinie 2014/24/EU. 6 Hausmann/Queisner, NZBau 2016, 619 (623).

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Auftragsänderungen während der Vertragslaufzeit | § 132

len1. Auf ein Verschulden des Auftraggebers kommt es dabei nicht an2. Weitere Voraussetzung der Ausschreibungsfreiheit ist, wie bei § 132 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1, dass sich der Gesamtcharakter des Auftrags nicht ändert (vgl. Rz. 35). Für die erlaubten Auftragsänderungen nach § 132 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 finden – 43 ebenso wie für Auftragsänderungen nach § 132 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 – die Regelungen betreffend die pauschalen Obergrenzen gem. § 132 Abs. 2 Satz 2 und Satz 3 Anwendung. Insoweit gilt das oben unter Rz. 40 Gesagte entsprechend. Für Indexierungsklauseln enthält § 132 Abs. 4 eine Sonderregelung (vgl. Rz. 51). Gemäß § 132 Abs. 5 sind Änderungen nach § 132 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 im Amts- 44 blatt der Europäischen Union bekanntzumachen (vgl. Rz. 52). 4. Ersetzung des Auftragnehmers (§ 132 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4) § 132 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 erfasst in lit. a) bis c) bestimmte Fallgestaltungen, die – 45 in engen Grenzen – eine Auftragsänderung ohne Durchführung eines neuen Vergabeverfahrens ermöglichen, wenn der alte Auftragnehmer durch einen neuen ersetzt wird (s. insoweit auch Rz. 24). Die Vorschrift normiert damit eine Ausnahme von dem Grundsatz, der auch in § 132 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 zum Ausdruck kommt, wonach der Austausch des Auftragnehmers immer eine wesentliche Vertragsänderung darstellt, die ein neues Vergabeverfahren erfordert3. § 132 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 räumt dem erfolgreichen Bieter die Möglichkeit ein, während der Ausführung des Auftrags gewisse interne strukturelle Veränderungen vornehmen zu können, ohne dass deswegen ein neues Vergabeverfahren durchgeführt werden muss4. Die Vorschrift ist entsprechend auf den Austausch eines Nachunternehmers anzuwenden, wenn dessen Einsatz ein ausschlaggebendes Element der Auftragserteilung war5. Ein Auftragnehmerwechsel ist nicht vergaberechtsrelevant, wenn er gem. § 132 46 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 lit. a) aufgrund einer Überprüfungsklausel i.S.v. § 132 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 erfolgt. Dabei muss es als Redaktionsversehen angesehen 1 Vgl. so schon zu § 3 Abs. 4 lit. f) EG VOL/A OLG Celle v. 29.10.2009 – 13 Verg 8/09, NZBau 2010, 194 ff. 2 Ziekow, VergabeR 2016, 278 (287). 3 Vgl. zu diesem Grundsatz EuGH v. 19.6.2008 – Rs. C-454/06, NZBau 2008, 518 ff., Rz. 40 – Pressetext; VK Münster v. 1.6.2015 – VK 2-7/15, VPR 2015, 257; vgl. Niestedt/Hölzl, NJW 2008, 3321 (3322 f.); vertiefend zur alten Rechtslage Prieß/Hölzl, NZBau 2011, 513 ff. 4 BT-Drucks. 18/6281, S. 120. 5 Bezüglich der alten Rechtslage hatte der EuGH v. 13.4.2010 – Rs. C-91/08, NZBau 2010, 382, Rz. 34 – Wall, eine wesentliche Vertragsänderung für möglich gehalten; ebenso OLG Frankfurt v. 29.1.2013 – 11 U 33/12, VergabeR 2013, 762 (765 f.); vertiefend zum Nachunternehmeraustausch bei der Vergabe von Dienstleistungskonzessionen Heuvels, NZBau 2013, 485 ff.; Ziekow, VergabeR 2016, 278 (288); Hausmann/Queisner, NZBau 2016, 619 (623).

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§ 132 | Auftragsänderungen während der Vertragslaufzeit werden, dass die Vorschrift nur Überprüfungsklauseln erfasst und nicht Optionen. Denn diese werden von § 132 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1, auf den verwiesen wird, ebenso genannt. Ferner führt Art. 72 Abs. 1 lit. d) i) der Richtlinie 2014/24/EU, den die Vorschrift im Übrigen wortgetreu umsetzt, ebenfalls die Option auf. Schließlich entspricht es der Praxis, dass Auftragnehmerersetzungsklauseln individualvertraglich häufiger als Optionen denn als Überprüfungsklauseln ausgestaltet sind1. Somit ist ein Auftragnehmerwechsel auch nicht nach § 132 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 lit. a) vergaberechtsrelevant, wenn er aufgrund einer Option erfolgt2. Die Vorschrift entspricht – in der so interpretierten Form – weitgehend der „Pressetext“-Rechtsprechung des EuGH. Danach ist „die Ersetzung des Vertragspartners, dem der öffentliche Auftraggeber den Auftrag ursprünglich erteilt hatte, durch einen neuen als Änderung einer wesentlichen Vertragsbestimmung des betreffenden öffentlichen Dienstleistungsauftrags anzusehen, wenn sie nicht in den Bedingungen des ursprünglichen Auftrags […] vorgesehen war“3. Allerdings muss in der Überprüfungsklausel bzw. Option klar und deutlich definiert sein, unter welchen Voraussetzungen die Ersetzung des Auftragnehmers erfolgen kann. Insbesondere wird zu fordern sein, dass sich die Klausel zur Frage der Erforderlichkeit einer späteren Eignungsprüfung eines ggf. eintretenden Auftragnehmers verhält, um einem Leerlauf der Eignungsprüfung durch den Eintritt „ungeprüfter“ Dritter vorzubeugen4. Unzulässig sind deshalb Gestaltungen, bei denen sich ein Unternehmen als eine Art „Statthalter“ für einen nicht geeigneten Dritten in einem Vergabeverfahren bewirbt, um sich später mit Zustimmung der Vergabestelle durch diesen ersetzen zu lassen5. Eine grundsätzliche Pflicht zur Durchführung einer Überprüfung der Eignung der eintretenden Dritten dürfte hingegen nicht gefordert sein6. 47 Ein Wechsel des Auftragnehmers ist ferner nach § 132 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 lit. b)

ohne Durchführung eines neuen Vergabeverfahrens zulässig, wenn ein anderes Unternehmen, das die ursprünglich festgelegten Anforderungen an die Eignung erfüllt, im Zuge einer Unternehmensumstrukturierung ganz oder teilweise an die Stelle des ursprünglichen Auftragnehmers tritt, sofern dies keine weiteren wesentlichen Änderungen i.S.v. § 132 Abs. 1 zur Folge hat. Als Beispiele nennt die Vorschrift Übernahme, Zusammenschluss, Erwerb oder Insolvenz. Erwägungsgrund 110 der Richtlinie 2014/24/EU ergänzt die nicht als abschließend zu verstehenden Beispiele um den sehr praxisrelevanten Fall der „internen Umstrukturierung“. § 132 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 lit. b) eröffnet dem Auftragnehmer somit die

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Vgl. Ziekow, VergabeR 2016, 278 (288). So auch von Engelhardt/Kaelble in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 132 Rz. 68. EuGH v. 19.6.2008 – Rs. C-454/06, NZBau 2008, 518 ff., Rz. 40 – Pressetext. Vgl. Ziekow, VergabeR 2016, 278 (289). Vgl. m.w.N. Eschenbruch in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 132 Rz. 115. 6 Vertiefend Ziekow, VergabeR 2016, 278, 288 f.

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Möglichkeit, während des Zeitraums der Auftragsausführung gewisse strukturelle Veränderungen durchlaufen zu können, ohne dass dies zwingend eine Neuvergabe nach sich ziehen würde1. Die Vorschrift ist damit deutlich „liberaler“ als die alte Rechtsprechung, die eine interne Umstrukturierung lediglich unter sehr engen Voraussetzungen für zulässig erachtete2. So hatte der EuGH in seiner „Pressetext“-Entscheidung herausgestellt, dass eine Übertragung des Auftrags vom Auftragnehmer auf eine 100%ige Tochtergesellschaft, über die der alte Auftragnehmer ein Weisungsrecht verfügte, keine relevante Vertragsänderung darstellt, wenn zwischen dem bisherigen Auftragnehmer und der Tochtergesellschaft ein Gewinn- und Verlustausgleichsvertrag besteht sowie eine Haftungserklärung und eine Erklärung abgegeben wurden, dass sich an der Gesamtleistung nichts ändern würde3. § 132 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 lit. c) enthält solche einschränkenden Kriterien nicht. Ausweislich des Erwägungsgrundes 110 sollen aber nur solche „strukturellen Veränderungen“ beim Auftragnehmer privilegiert sein, die „während des Zeitraums der Auftragsausführung“ erfolgen. Insbesondere werden also nicht solche Umstrukturierungen erfasst, die vor der ursprünglichen Auftragsvergabe abgeschlossen wurden. Sofern also z.B. bereits vor Vertragsschluss eine Tochtergesellschaft durch den Auftragnehmer gegründet wurde und der Auftrag während des Zeitraums der Auftragsausführung auf diese übertragen werden soll, ist dies nur möglich, sofern dies durch eine Klausel i.S.v. § 132 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 lit. a) vorgesehen ist4. Die Vorschrift setzt weiter voraus, dass auch das eintretende Unternehmen die ursprünglich festgelegten Anforderungen an die Eignung erfüllt. Somit ist erforderlichenfalls eine zusätzliche Eignungsprüfung beim Auftragnehmerwechsel durchzuführen5. Schließlich darf der Auftragnehmerwechsel keine weiteren wesentlichen Änderungen i.S.v. § 132 Abs. 1 zur Folge haben. Es ist also nicht der Wechsel selbst am Maßstab des § 132 Abs. 1 zu messen, sondern sonstige inhaltliche Auftragsänderungen, die im Zuge des Wechsels vorgenommen werden6. Bezüglich der Voraussetzungen von § 132 Abs. 1 wird auf die diesbezügliche Kommentierung unter Rz. 8 ff. verwiesen. § 132 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 lit. c) erfasst schließlich den Fall, dass der Auftraggeber 48 selbst die Verpflichtung des Hauptauftraggebers gegenüber seinen Unterauftragnehmern übernimmt. Dieser Fall kann etwa dann eintreten, wenn der Hauptauftraggeber verstirbt oder zahlungsunfähig wird und der Auftrag nicht neu vergeben werden soll7. Die Verpflichtung, in die der Auftraggeber eintritt, dürfte re1 Vgl. Erwägungsgrund 110 der Richtlinie 2014/24/EU. 2 Vgl. Hausmann/Queisner, NZBau 2016, 619 (623). 3 EuGH v. 19.6.2008 – Rs. C-454/06, NZBau 2008, 518 ff., Rz. 43 ff. – Pressetext; vgl. ferner VK Münster v. 26.6.2009 – VK 7/09 K, IBRRS 2009, 3280. 4 Vgl. insofern Rz. 46; vertiefend Ziekow, VergabeR 2016, 278 (289 f.). 5 Vgl. u.a. VK Baden-Württemberg v. 23.6.2003 – 1 VK 28/93, IBRRS 2003, 2427; OLG Düsseldorf v. 24.5.2005 – VII-Verg 28/05, NZBau 2005, 710 ff. 6 Vgl. den Wortlaut: „keine weiteren wesentlichen Änderungen“. 7 Hausmann/Queisner, NZBau 2016, 619 (623); Ziekow, VergabeR 2016, 278 (291).

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§ 132 | Auftragsänderungen während der Vertragslaufzeit gelmäßig die Zahlungsverpflichtung gegenüber den Unterauftragnehmern sein. Diese Konstellation ist nicht bietermarktrelevant, berührt also nicht die Grundsätze der Transparenz und Gleichbehandlung, so dass § 132 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 lit. c) die Ausschreibungsfreiheit anordnet. 5. Pauschale Wertobergrenzen (§ 132 Abs. 2 Satz 2 und 3) 49 Für die erlaubten Auftragsänderungen nach § 132 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 und Nr. 3

gilt – wie gesagt (vgl. Rz. 40 und 43) – nach § 132 Abs. 2 Satz 2 eine pauschale Obergrenze1. Der Preis darf danach nicht um mehr als 50 % des Wertes des ursprünglichen Auftrags erhöht werden. Nach § 132 Abs. 2 Satz 3 gilt dies bei mehreren aufeinander folgenden Auftragsänderungen für den Wert jeder einzelnen Änderung. Es findet also grundsätzlich keine Addition statt. Dies gilt nur dann nicht, wenn die Auftragsänderung mit dem Ziel vorgenommen wird, die Vorschriften zur Ausschreibungspflicht zu umgehen. Dies kann dann angenommen werden, wenn die Aufspaltung mit Blick auf den inhaltlichen und sachlichen Zusammenhang sachfremd erscheint2.

IV. De-minimis-Grenzen (§ 132 Abs. 3) 50 Nach § 132 Abs. 3 ist eine Auftragsänderung ohne Durchführung eines neuen

Vergabeverfahrens zulässig, wenn der Wert der Änderung die jeweiligen Schwellenwerte nach § 106 nicht übersteigt, bei Liefer- und Dienstleistungsaufträgen nicht mehr als 10 % und bei Bauaufträgen nicht mehr als 15 % des ursprünglichen Auftragswerts beträgt und sich der Gesamtcharakter des Auftrags nicht ändert. Nach diesen sog. De-minimis-Grenzen, die kumulativ eingehalten werden müssen, ist also eine geringfügige Änderung des Auftragswerts bis zu einer bestimmten Höhe grundsätzlich zulässig, ohne dass ein neues Vergabeverfahren durchgeführt werden muss3. Anknüpfungspunkt bei der Wertbestimmung ist jeweils nur der Wert der Änderung als solcher, also nicht die Summe aus bisherigem Auftrags- bzw. Vertragswert und deren Erhöhung durch

1 BT-Drucks. 18/6281, S. 119. 2 So Ziekow, VergabeR 2016, 278 (287). A.A. (zur Parallelvorschrift des § 22 EU VOB/A) Stolz in Ingenstau/Korbion, VOB – Teile A und B – Kommentar, § 22 EU VOB/A Rz. 54, der eine Änderung solange als ausschreibungsfrei ansieht, als ihr kumulierter Auftragswert die Schwellen des § 22 EU Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VOB/A nicht übersteigt, wobei es seiner Ansicht nach keine Rolle spielt, ob aufeinanderfolgende Änderungen in einem inhaltlichen oder zeitlichen Zusammenhang stehen. 3 BT-Drucks. 18/6281, S. 120. Müller-Wrede spricht in VergabeNavigator, Sonderausgabe 2015, S. 10 f. von „Bagatelländerungen“. Vgl. zur bisherigen Rechtslage OLG Celle v. 29.10.2009 – 13 Verg 8/09, NZBau 2010, 194 ff.; OLG Düsseldorf v. 28.7.2011 – VIIVerg 20/11, NZBau 2012, 50 ff. Der Entscheidung VK Lüneburg v. 5.10.2015 – VgK37/15, BeckRS 2015, 19322, lag bereits die Richtlinie 2014/24/EU zugrunde.

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die Änderung. Die Wertermittlung erfolgt nach § 3 VgV1. Der Wert der Änderung darf den Schwellenwert gem. § 106 erreichen, jedoch nicht überschreiten sowie höchsten 10 % bei Liefer- und Dienst- sowie 15 % bei Bauleistungen des ursprünglichen Auftragswerts betragen2. Bei mehreren aufeinander folgenden Änderungen müssen nach § 132 Abs. 3 Satz 2 alle Änderungen addiert werden3, so dass der Rahmen der De-Minimis-Werte also insgesamt nur einmal und nicht mehrmals hintereinander ausgeschöpft werden kann4. § 132 Abs. 4 enthält eine Sonderregelung für Indexierungsklauseln (vgl. Rz. 51). Abweichend von § 132 Abs. 3 bestimmt § 130 Abs. 2 bei der Auftragsänderung über soziale und andere besondere Dienstleistungen eine Grenze von 20 %. Für die Vertragsänderung bei Konzessionen gilt nach § 154 Nr. 3 lit. b) die einheitliche Grenze von 10 %. Ferner darf sich der Gesamtcharakter des Auftrags nicht ändern, was sich nach den bekannten Maßstäben bemisst (vgl. Rz. 35).

V. Indexklauseln (§ 132 Abs. 4) Gemäß § 132 Abs. 4 wird für die Wertberechnung gem. § 132 Abs. 2 Satz 2 und 51 3 sowie gem. § 132 Abs. 3 der höhere Preis als Referenzwert herangezogen, sofern der Vertrag eine Indexierungsklausel enthält5.

VI. Bekanntmachungspflicht (§ 132 Abs. 5) Nach § 132 Abs. 5 sind Änderungen nach § 132 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 und 3 im 52 Amtsblatt der Europäischen Union bekanntzumachen. Umstritten ist, ob dieses Transparenzerfordernis bieterschützende Wirkung hat, also bei einem Verstoß eine Nachprüfungsmöglichkeit besteht6.

VII. Prüfungsreihenfolge Die Prüfung von § 132 sollte zur Vermeidung von unnötigen Prüfungsschritten 53 „von hinten nach vorne“ erfolgen7. Zunächst sollte überprüft werden, ob die 1 Vgl. Ziekow, VergabeR 2016, 278 (287). 2 Vgl. Ziekow, VergabeR 2016, 278 (287). 3 Eschenbruch in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 132 Rz. 124; Queisner, VergabeR 2017, 299 (306). 4 Queisner, VergabeR 2017, 299 (306 f.). 5 Vgl. zu Indexierungsklauseln auch bereits Rz. 32. 6 Ablehnend OLG Jena v. 16.1.2002 – 6 Verg 7/01, BeckRS 2016, 16761; LG Leipzig v. 24.1. 2007 – HK O 1866/06, BeckRS 2007, 15380; bejahend Hausmann/Queisner, NZBau 2016, 619 (624). 7 Vgl. zu allem Ziekow, VergabeR 2016, 278 (287).

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§ 133 | Kündigung von öffentlichen Aufträgen in besonderen Fällen De-minimis-Grenzen des § 132 Abs. 3 unter Wahrung des Gesamtcharakters eingehalten wurden. Ist die Auftragsänderung danach zulässig, sind die alternativ zu verstehenden Tatbestände des § 132 Abs. 2 zu prüfen. Ist einer der Tatbestände einschlägig, ist die Auftragsänderung selbst dann zulässig, wenn sie i.S.v. § 132 Abs. 1 wesentlich wäre. Nur in solchen Fällen, in denen die Abs. 2 und 3 des § 132 nicht einschlägig sind, ist § 132 Abs. 1 zu prüfen. Dort ist mit der Prüfung der benannten Fälle der wesentlichen Auftragsänderungen des § 132 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 bis 4 zu beginnen. Nur wenn keiner der Fälle eingreift, ist die Auftragsänderung an § 132 Abs. 1 Satz 2 zu messen.

§ 133 Kündigung von öffentlichen Aufträgen in besonderen Fällen (1) Unbeschadet des § 135 können öffentliche Auftraggeber einen öffentlichen Auftrag während der Vertragslaufzeit kündigen, wenn 1. eine wesentliche Änderung vorgenommen wurde, die nach § 132 ein neues Vergabeverfahren erfordert hätte, 2. zum Zeitpunkt der Zuschlagserteilung ein zwingender Ausschlussgrund nach § 123 Abs. 1 bis 4 vorlag oder 3. der öffentliche Auftrag aufgrund einer schweren Verletzung der Verpflichtungen aus dem Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union oder aus den Vorschriften dieses Teils, die der Europäische Gerichtshof in einem Verfahren nach Artikel 258 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union festgestellt hat, nicht an den Auftragnehmer hätte vergeben werden dürfen. (2) Wird ein öffentlicher Auftrag gemäß Absatz 1 gekündigt, kann der Auftragnehmer einen seinen bisherigen Leistungen entsprechenden Teil der Vergütung verlangen. Im Fall des Absatz 1 Nummer 2 steht dem Auftragnehmer ein Anspruch auf Vergütung insoweit nicht zu, als seine bisherigen Leistungen infolge der Kündigung für den öffentlichen Auftraggeber nicht von Interesse sind. (3) Die Berechtigung, Schadensersatz zu verlangen, wird durch die Kündigung nicht ausgeschlossen.

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I. 1. 2. II. 1.

Einführung 1 Inhaltsübersicht . . . . . . . . . . . . Entstehungsgeschichte . . . . . . . 3 Kündigungsgründe (§ 133 Abs. 1) 10 Wesentliche Änderung (§ 133 Abs. 1 Nr. 1) . . . . . . . . . 13 2. Zwingender Ausschlussgrund (§ 133 Abs. 1 Nr. 2) . . . . . . . . . 16

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3. Feststellung der Europarechtswidrigkeit (§ 133 Abs. 1 Nr. 3) . 4. Rechtsfolge . . . . . . . . . . . . . . III. Vergütungsanspruch des Auftragnehmers (§ 133 Abs. 2) . . IV. Schadensersatz (§ 133 Abs. 3) V. Rechtsschutzfragen . . . . . . . .

. . . . .

__ __ _ 21 26 27 29 33

Kündigung von öffentlichen Aufträgen in besonderen Fällen | § 133

I. Einführung 1. Inhaltsübersicht § 133, der gem. § 142 und § 154 Nr. 4 auch auf die Vergabe von öffentlichen Auf- 1 trägen durch Sektorenauftraggeber und die Vergabe von Konzessionen entsprechend anzuwenden ist1, legt die Bedingungen fest, unter denen öffentliche Auftraggeber vergaberechtlich die Möglichkeit haben, einen öffentlichen Auftrag während der Vertragslaufzeit zu kündigen2. Durch die Kündigungsmöglichkeit wird von dem Grundsatz, dass wirksam geschlossene Verträge Bestand haben (pacta sunt servanda), ausnahmsweise abgewichen3, da anderenfalls eine Beeinträchtigung des öffentlichen Interesses an der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung droht4. Insbesondere aus dem Unionsrecht kann sich die Pflicht ergeben, im Interesse einer effektiven Umsetzung der aus dem Unionsrecht erwachsenen Verpflichtungen (effet utile) eine Kündigung von vertraglichen Vereinbarungen vorzunehmen5. Bei Vorliegen einer wesentlichen Änderung des öffentlichen Auftrags i.S.v. § 132 2 kann der öffentliche Auftraggeber sich nach § 133 Abs. 1 Nr. 1 vom Vertrag lösen. Ferner steht ihm nach § 133 Abs. 1 Nr. 2 die Möglichkeit der Kündigung zu, sofern bei Zuschlagserteilung ein zwingender Ausschlussgrund nach § 123 Abs. 1 bis 4 vorlag. Darüber hinaus wird ihm im Falle der Feststellung der Vergaberechtswidrigkeit durch den EuGH ebenfalls ein Kündigungsrecht eingeräumt (vgl. § 133 Abs. 1 Nr. 3). § 133 Abs. 2 geht auf Bestand und Umfang des Vergütungsanspruchs des Auftragnehmers für seine bisherigen, bis zur Kündigung erbrachten Leistungen ein. § 133 Abs. 3 enthält die klarstellende Regelung, dass etwaige Schadensersatzansprüche durch die Kündigung nicht ausgeschlossen werden. 2. Entstehungsgeschichte Bis zum Inkrafttreten der Neuregelung des § 133 bestand kein allgemeines gesetz- 3 liches Kündigungsrecht für Situationen, in denen bei der Auftragsvergabe gegen Bestimmungen des Vergaberechts verstoßen wurde6. Verstieß ein öffentlicher Auftrag gegen die europäischen Vorgaben zum Vergaberecht, stellte der EuGH7 zuvorderst die Verletzung von europäischem (Primär-)Recht fest. Die Feststel1 2 3 4 5 6 7

Vgl. Fülling in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 133 Rz. 2. BT-Drucks. 18/6281, S. 120. Tugendreich, EWeRK, 2016, 235 (235). BT-Drucks. 18/6281, S. 120. BT-Drucks. 18/6281, S. 120. Görlich/Conrad, VergabeR 2016, 567 (569). EuGH v. 9.9.2004 – Rs. C-125/03, NZBau 2004, 563; EuGH v. 18.7.2007 – Rs. C-503/04, NZBau 2007, 594 – Abfallentsorgung Braunschweig II; EuGH v. 10.4.2003 – Rs. C-20/01 und 28/01, NZBau 2003, 393 ff.

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§ 133 | Kündigung von öffentlichen Aufträgen in besonderen Fällen lung der Europarechtswidrigkeit erfolgt im Wege des Vertragsverletzungsverfahrens gem. Art. 258 AEUV. Laut EuGH dauert der Europarechtsverstoß durch den de-facto geschlossenen Vertrag so lange fort, bis der Vertrag endet1. 4 Daraus folgt die Pflicht der Mitgliedstaaten zur Beendigung eines vergabe-

rechtswidrigen Vertrags, um so die Beendigung der Unionsrechtswidrigkeit herbeizuführen2. Ferner resultiert aus dem europäischen Grundsatz des effet utile die Verpflichtung, vergaberechtswidrige öffentliche Aufträge zu beenden3. Der Grundsatz pacta sunt servanda vermag darüber hinaus nicht dazu zu führen, dass der jeweilige Mitgliedsstaat den sich aus einem Vertragsverletzungsverfahren nach Art. 258 AEUV ergebenden Feststellungen nicht nachzukommen hat. Das Gebot, dass ein wirksamer Vertrag einzuhalten ist, steht damit der Unionsrechtswidrigkeit eines öffentlichen Auftrags nicht entscheidend entgegen4.

5 Dabei traf der EuGH keine näheren Aussagen hinsichtlich der Frage, wie die Be-

seitigung der Unionsrechtswidrigkeit durch die Mitgliedsstaaten zu erfolgen hat. Die von Gesetzes wegen eintretende Nichtigkeit des öffentlichen Auftrags gem. § 134 BGB schied aus, da die §§ 97 ff. GWB keine Verbotsgesetze i.S.d. § 134 BGB darstellen5. Ein Verbotsgesetz muss sich notwendigerweise an beide Vertragspartner richten, während die Pflicht zur Ausschreibung lediglich einseitig an den öffentlichen Auftraggeber adressiert ist6. Ferner bestand Einigkeit dahingehend, dass ein öffentlicher Auftrag nicht per se gem. § 138 BGB sittenwidrig ist, da im Falle einer De-Facto-Vergabe hier typischerweise die erforderlichen subjektiven Voraussetzungen nicht vorliegen7. Die Nichtigkeit des Vertrags we-

1 EuGH v. 9.9.2004 – Rs. C-125/03, NZBau 2004, 563 (563); EuGH v. 18.7.2007 – Rs. C503/04, NZBau 2007, 594, 596 – Abfallentsorgung Braunschweig II; EuGH v. 10.4.2003 – Rs. C-20/01 und 28/01, NZBau 2003, 393 (394). 2 EuGH v. 15.10.2009 – Rs. C-275/08, NZBau 2010, 63 (65); EuGH v. 18.7.2007 – Rs. C503/04, NZBau 2007, 594, 595 – Abfallentsorgung Braunschweig II; EuGH v. 28.11.2004 – Rs. C-123/03, NZBau 2005, 49 (51); EuGH v. 9.9.2004 – Rs. C-125/03, NZBau 2004, 563 (563) – Müllentsorgungsdienste; Schlussanträge der Generalanwältin Trstenjak v. 28.3. 2007 in der Rs. C-503/04, ECLI:EU:C:2007:190; Crämer in Calliess/Ruffert, Kommentar zum EU-Vertrag und EG-Vertrag, Art. 228 EGV Rz. 3; Görlich/Conrad, VergabeR 2016, 567 (568); Boesen, NZBau 2009, 797 f. 3 Schlussanträge der Generalanwältin Trstenjak v. 28.3.2007 in der Rs. C-503/04, ECLI:EU: C:2007:190; Bitterich, NJW 2006, 1845 (1847); Jennert/Räuchle, NZBau 2007, 555 (556); Wagner/Jürschik, VergabeR 2012, 401 (407). 4 EuGH v. 18.7.2007 – Rs. C-503/04, NZBau 2007, 594 (596) – Abfallentsorgung Braunschweig II; Püstow/Meiners, EuZW 2016, 325 (328). 5 OLG München v. 10.3.2011 – Verg 1/11, NZBau 2011, 445 (448); Freytag in Gabriel/ Krohn/Neun, Handbuch des Vergaberechts, § 35 Rz. 57; Wagner/Jürschik, VergabeR 2012, 401 (407). 6 OLG München v. 10.3.2011 – Verg 1/11, NZBau 2011, 445 (448). 7 LG München I v. 20.12.2005 – 33 O 16465/05, VergabeR 2006, 268 (271); Wagner/Jürschik, VergabeR 2012, 401 (407).

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Kündigung von öffentlichen Aufträgen in besonderen Fällen | § 133

gen Sittenwidrigkeit gem. § 138 BGB kommt allenfalls bei kollusivem Zusammenwirken der Beteiligten zur Umgehung der Durchführung eines Vergabeverfahrens in Betracht, um die sich aus dem Vergaberecht ergebenden Verpflichtungen abzuwenden1. In dieser Situation muss der Auftraggeber wissen, dass der betreffende Auftrag dem Vergaberecht unterfällt oder sich einer solchen Kenntnis mutwillig verschließen2. Ferner erschien die Anwendung von § 134 BGB und § 138 BGB auch nicht sachgerecht, da sodann eine Rückabwicklung über das Bereicherungsrecht gem. §§ 812 ff. BGB vorzunehmen wäre3. Bei langjährigen Dienstleistungs-, Werk- oder Lieferverträgen würde sich diese Rückabwicklung praktisch sehr schwierig gestalten4. Teilweise wurde ein Kündigungsrecht des öffentlichen Auftrags auf das Vorlie- 6 gen eines wichtigen Grundes i.S.v. § 314 BGB gestützt5. Ein wichtiger Grund nach § 314 BGB liegt dabei vor, wenn dem kündigenden Teil unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der beiderseitigen Interessen die Fortsetzung des Vertragsverhältnisses bis zur vereinbarten Vertragsbeendigung oder bis zum Ablauf einer Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann6. Daran anknüpfend stellte die durch den EuGH im Vertragsverletzungsverfahren festgestellte (Primär-)Rechtswidrigkeit der erfolgten De-Facto-Vergabe und die daraus resultierende Verpflichtung zur Vertragsbeendigung einen hinreichend wichtigen Grund für die Kündigung nach § 314 BGB dar7. Das LG München I stützte in seiner Entscheidung vom 20.12.2005 die Lösungs- 7 möglichkeit von einem nicht ausgeschriebenen Transportvertrag auf ein Kündigungsrecht gem. § 313 Abs. 3 BGB i.V.m. einer Loyalitätsklausel des Vertrags8. Laut der Loyalitätsklausel hatten sich die Vertragsparteien gegenseitig zugesichert, die Vertragsvereinbarungen im Sinne kaufmännischer Loyalität zu erfüllen und künftigen Änderungen der Verhältnisse unter Heranziehung der all1 BGH v. 19.12.2000 – X ZB 14/00, MDR 2001, 524 = MDR 2001, 767 = NZBau 2001, 151 (154 f.); OLG Düsseldorf v. 3.12.2003 – VII-Verg 37/03, NZBau 2004, 113 (116); KG Berlin v. 11.11.2004 – 2 Verg 16/04, VergabeR 2005, 236 ff.; KG Berlin v. 26.10.1999 – Kart Verg 8/99, NZBau 2000, 262 (263); VK Baden-Württemberg v. 13.4.2005 – 1 VK 07/05, IBRRS 2005, 2183; VK Arnsberg v. 29.10.2004 – VK 2-20/2004, IBRRS 2005, 0144; Freytag in Gabriel/Krohn/Neun, Handbuch des Vergaberechts, § 35 Rz. 59; Bitterich, NJW 2006, 1845 (1847); Görlich/Conrad, VergabeR 2016, 567 (569). 2 OLG Düsseldorf v. 3.12.2003 – VII-Verg 37/03, NZBau 2004, 113 (116). 3 LG München I v. 20.12.2005 – 33 O 16465/05, VergabeR 2006, 268 (271). 4 Görlich/Conrad, VergabeR 2016, 567 (569). 5 VK Lüneburg v. 10.3.2005 – VgK-4/2005, VPRRS 2005, 0208; Ax, IBR 2007, 1395; Bitterich, NJW 2006, 1845 (1849); Herrmann, VergabeR 2009, 249 (257); Horn, VergabeR 2006, 667 (676 f.); Jennert/Räuchle, NZBau 2007, 555 (557). Dazu mit Blick auf § 242 BGB kritisch Wiesner, IBR 2012, 1109. 6 Ax, IBR 2007, 1395. 7 Wagner/Jürschik, VergabeR 2012, 401 (408). 8 LG München I v. 20.12.2005 – 33 O 16465/05, VergabeR 2006, 268.

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§ 133 | Kündigung von öffentlichen Aufträgen in besonderen Fällen gemeinen Grundsätze von Treu und Glauben Rechnung zu tragen. Die in der Folge im Wege eines Vertragsverletzungsverfahrens gem. Art. 258 AEUV durch den EuGH festgestellte Europarechtswidrigkeit der Vergabe der Transportleistungen wegen der fehlenden Ausschreibung wurde dabei durch das LG München I als eine Änderung der Verhältnisse im Sinne der Loyalitätsklausel qualifiziert. Denn erst durch das Vertragsverletzungsverfahren erfolgte eine verbindliche Feststellung dahingehend, dass die unterlassene Ausschreibung einen Verstoß gegen das Vergaberecht darstellt1. Vormals war diese rechtliche Beurteilung weder dem öffentlichem Auftraggeber noch dem öffentlichem Auftragnehmer bekannt. Hätten die Parteien zum Zeitpunkt des Abschlusses des öffentlichen Auftrags von der Vergaberechtswidrigkeit gewusst, so hätten sie eine andere Vorgehensweise gewählt. Dem öffentlichen Auftraggeber sei das Festhalten an dem Vertrag unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls aufgrund festgestellter Europarechtswidrigkeit nicht zuzumuten2. Der Grundsatz der Recht- und Gesetzmäßigkeit öffentlichen Handelns stehe der Aufrechterhaltung des durch den EuGH festgestellten, rechtswidrigen Zustands entgegen3. Ferner verweist das LG München I auf den Charakter des Kündigungsrechts als ultima ratio. Es besteht für den öffentlichen Auftraggeber keine explizite Pflicht zur Kündigung des öffentlichen Auftrags, so dass im Einzelfall auch weitere Lösungsmöglichkeiten, wie etwa der Abschluss eines Aufhebungsvertrags, in Betracht zu ziehen sind4. Auch ohne die Vereinbarung einer entsprechenden „Loyalitätsklausel“ wird im Falle der festgestellten Europarechtswidrigkeit der Rückgriff auf § 313 Abs. 3 BGB als einschlägiges Kündigungsrecht angenommen5. 8 Gleichwohl herrschte auch im Nachgang zu der Entscheidung des LG München

I keine Einigkeit über die Reichweite des Kündigungstatbestands nach § 313 Abs. 3 BGB und einen etwaigen Vorrang von § 314 BGB bei Dauerschuldverhältnissen, so dass Rechtsprechung und Literatur einem außerordentlichen Kündigungsrecht weiterhin mit Zurückhaltung begegneten bzw. insoweit jedenfalls ein breites Spektrum an Meinungen vertreten wurde6.

9 Der nunmehr neu geschaffene § 133 löst diese Uneinigkeit auf und schafft einen

genuin vergaberechtlichen Kündigungstatbestand. § 133 setzt Art. 73 der Richtlinie 2014/24/EU, Art. 44 der Richtlinie 2014/23/EU und Art. 90 der Richtlinie

1 Schabel, IBR 2006, 108. 2 LG München I v. 20.12.2005 – 33 O 16465/05, VergabeR 2006, 268 (272); Prieß/Gabriel, NZBau 2006, 219 f.; Schabel, IBR 2006, 108. 3 LG München I v. 20.12.2005 – 33 O 16465/05, VergabeR 2006, 268 (273); Prieß/Gabriel, NZBau 2006, 219 (220); Bitterich, NJW 2006, 1845 (1847). 4 LG München I v. 20.12.2005 – 33 O 16465/05, VergabeR 2006, 268, 272 f. 5 Bitterich, NJW 2006, 1845 (1847). 6 Vgl. u.a. OLG Karlsruhe v. 6.2.2007 – 17 Verg 7/06, NZBau 2007, 395 ff.; KG Berlin v. 19.4.2012 – Verg 7/11, VergabeR 2012, 783 ff.; OLG Schleswig v. 4.11.2014 – 1 Verg 1/14, NZBau 2015, 186 ff.; vertiefend Görlich/Conrad, VergabeR 2016, 567 (570); Wiesner, IBR 2012, 1109.

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Kündigung von öffentlichen Aufträgen in besonderen Fällen | § 133

2014/25/EU in nationales Recht um und trifft ergänzend Regelungen zu den Rechtsfolgen der Kündigung1. Die Norm wurde im Zuge der Vergaberechtsnovelle durch das Vergaberechtsmodernisierungsgesetz vom 17.2.20162 erlassen.

II. Kündigungsgründe (§ 133 Abs. 1) § 133 legt die Bedingungen fest, unter denen öffentliche Auftraggeber vergabe- 10 rechtlich die Möglichkeit haben, einen öffentlichen Auftrag während der Vertragslaufzeit zu kündigen3. Die Vorschrift begründet ein speziell vergaberechtliches Kündigungsrecht4. Den aufgeführten drei Kündigungsgründen des § 133 Abs. 1 kommt dabei kein abschließender Charakter zu. Vielmehr tritt § 133 neben andere Kündigungsgründe, die nach allgemeinen gesetzlichen Vorschriften bestehen können, wie die Möglichkeit der Kündigung von Dauerschuldverhältnissen aus wichtigem Grund gem. § 314 BGB5 oder aufgrund von vertraglich vereinbarten Kündigungsrechten6. Zur Kündigung nach § 133 berechtigt ist allein der öffentliche Auftraggeber, insbesondere also nicht der Auftragnehmer. Eine Kündigung nach § 133 ist nur möglich, wenn sich aus dem Vertrag zum 11 Zeitpunkt der Kündigung fortdauernde Pflichten ergeben („während der Vertragslaufzeit“)7. Der Auftrag darf nicht bereits vollzogen sein. Im Falle eines bereits erfüllten Vertrags (§§ 362 ff. BGB), der auf den einmaligen Austausch von Leistung und Gegenleistung gerichtet war, ist eine Kündigung nach § 133 dementsprechend nicht mehr möglich8. Obwohl § 133 Abs. 1 von einer „Vertragslaufzeit“ des öffentlichen Auftrags spricht, ist der Anwendungsbereich insoweit jedoch nicht auf Dauerschuldverhältnisse beschränkt. So ist eine Kündigung auch im Falle öffentlicher Aufträge, die auf Lieferungen oder Leistungen gerichtet sind, grundsätzlich möglich9. § 133 tritt bereits nach seinem Wortlaut („Unbeschadet des § 135 […]“) neben 12 die Feststellung der Unwirksamkeit im Rahmen eines Nachprüfungsverfahrens gem. § 135. In Abgrenzung zu § 135 ist jedoch zu beachten, dass die Ausübung des Kündigungsrechts gem. § 133 nicht fristgebunden ist. Vielmehr kann der öffentliche Auftraggeber, sofern einer der in § 133 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 genannten Kündigungsgründe vorliegt, den öffentlichen Auftrag während der Laufzeit kün1 2 3 4 5 6 7 8 9

Vgl. insoweit auch Fülling in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 133 Rz. 1. BGBl. I 2016, 203 ff. BT-Drucks. 18/6281, S. 120. Eschenbruch in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 133 Rz. 11. Vgl. BT-Drucks. 18/6281, S. 120. Tugendreich, EWeRK, 2016, 235. Vgl. BT-Drucks. 18/6281, S. 120. Vgl. BT-Drucks. 18/6281, S. 120; Schaller, ZfBR 2016, 231 (240). Görlich/Conrad, VergabeR 2016, 567 (574 f.).

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§ 133 | Kündigung von öffentlichen Aufträgen in besonderen Fällen digen, ohne an eine Frist gebunden zu sein1. Will sich dagegen ein etwaig unterlegener Bieter über § 135 gegen eine unzulässige De-Facto-Vergabe zur Wehr setzen, so kann die Unwirksamkeit i.S.v. § 135 Abs. 1 gem. § 135 Abs. 2 nur festgestellt werden, wenn sie im Nachprüfungsverfahren innerhalb von 30 Kalendertagen nach der Information der betroffenen Bieter und Bewerber durch den öffentlichen Auftraggeber über den Abschluss des Vertrags bzw. 30 Kalendertage nach Veröffentlichung der Bekanntmachung der Auftragsvergabe im Amtsblatt der Europäischen Union, jedoch nicht später als sechs Monate nach Vertragsschluss geltend gemacht worden ist2. 1. Wesentliche Änderung (§ 133 Abs. 1 Nr. 1) 13 § 133 Abs. 1 Nr. 1 normiert ein Kündigungsrecht für den Fall der Vornahme ei-

ner wesentlichen Änderung des Auftrags, die nach Maßgabe des § 132 ein neues Vergabeverfahren erfordert hätte. Da dieses erneute erforderliche Vergabeverfahren tatsächlich jedoch nicht stattfand, handelt es sich mangels dessen Durchführung um eine De-facto-Vergabe. Das Kündigungsrecht gilt auch dann, wenn die Initiative zur Auftragsänderung vom öffentlichen Auftraggeber ausging. § 133 Abs. 1 Nr. 1 wird insoweit insbesondere nicht durch den Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB analog) ausgeschlossen. Denn Ziel der Vorschrift ist die Einhaltung der aus dem Unionsrecht erwachsenden Verpflichtungen im Bereich der öffentlichen Auftragsvergabe3. Vor diesem Hintergrund besteht für eine dahingehende Einschränkung des Anwendungsbereiches kein Raum und kann ein mögliches Verschulden des öffentlichen Auftraggebers lediglich im Rahmen etwaiger Schadensersatzansprüche berücksichtigt werden4.

14 Im Hinblick auf die – zumindest im Ausgangspunkt bestehende – Akzessorietät

des § 133 Abs. 1 Nr. 1 zu § 1325, darf für das Bestehen des Kündigungsrechts

1 Vgl. BT-Drucks. 18/6281, S. 120 f. sowie ferner auch Fülling in Müller-Wrede, GWBVergaberecht, § 133 Rz. 24. 2 (Spätestens) Nach Ablauf der Sechs-Monats-Frist des § 135 Abs. 2 ist der öffentliche Auftrag endgültig wirksam. Ein dergestalt wirksamer Auftrag kann dann vor Ablauf der Vertragslaufzeit allein von den Vertragsparteien beendet werden. Im Rahmen eines Vergabenachprüfungsverfahrens kann der unterlegene Bieter sodann nicht verlangen, dass der Auftraggeber von Leistungsstörungsrechten gegenüber dem Auftragnehmer Gebrauch macht. Wenn der unterlegene Bieter die Unwirksamkeit aufgrund einer wesentlichen Änderung und der daraus resultierenden erneuten Vergabebedürftigkeit des öffentlichen Auftrags geltend macht, ist eine Feststellung der Unwirksamkeit auf den zusätzlichen Auftrag, mithin die Änderung, zu beschränken. Auch hier bleibt eine Feststellung der Unwirksamkeit durch den unterlegenen Bieter auf die Sechs-MonatsFrist beschränkt. Vgl. OLG Frankfurt v. 3.5.2016 – 11 Verg 12/15, NZBau 2016, 511 ff.; VK Bund v. 12.11.2012 – VK 1-109/12, IBR 2013, 172. 3 Vgl. insoweit auch Erwägungsgrund 112 der Richtlinie 2024/14/EU. 4 So Fülling in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 133 Rz. 26. 5 Vgl. hierzu Görlich/Conrad, VergabeR 2016, 567 (570).

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nach § 133 Abs. 1 Nr. 1 kein Fall von § 132 Abs. 2 und Abs. 3 gegeben sein1. Denn nach § 132 Abs. 2 und Abs. 3 ist trotz Vorliegen einer wesentlichen Änderung i.S.d. § 132 Abs. 1 die Durchführung eines neuen Vergabeverfahrens – wie es § 133 Abs. 1 Nr. 1 gerade fordert – nicht geboten. Wegen der Einzelheiten zu § 132 wird auf die dortige Kommentierung verwiesen. Fraglich und noch nicht abschließend geklärt ist, ob im Falle einer Auftragsände- 15 rung der gesamte Auftrag beendet werden muss oder nur die Änderung als solche durch Kündigung rückgängig zu machen ist. Teilweise wird hierzu vertreten, dass, sofern eine wesentliche Änderung i.S.v. § 132 vorliegt, § 133 Abs. 1 Nr. 1 die Kündigung des gesamten öffentlichen Auftrags erfordere und umfasse. Öffentlicher Auftraggeber und Auftragnehmer seien nicht länger an die ursprünglich – vor Vornahme der wesentlichen Änderung – bestehende Vereinbarung aus dem öffentlichen Auftrag gebunden2. Vorzugswürdig erscheint dagegen eine einschränkende bzw. differenzierende Auslegung des § 133 Abs. 1 Nr. 1, wie sie von anderen Teilen der Literatur angeregt wird3. Danach ist wie folgt zu unterscheiden: Ist Gegenstand der unzulässigen Vertragsänderung eine von dem ursprünglichen Auftrag abgrenzbare Leistung, wie z.B. im Fall von zusätzlichen Liefer-, Bau- oder Dienstleistungen, ist nur die Kündigung und Neuausschreibung dieser Zusatzleistungen erforderlich und sachgerecht. Betrifft die unzulässige Vertragsänderung dagegen die inhaltliche Ausgestaltung der gegenseitigen Rechte und Pflichten der Parteien insgesamt oder besteht der Vertrag nur noch aufgrund der unzulässigen Vertragsänderung fort, so steht und fällt der Vertrag mit der Änderung und kann nur insgesamt beendet werden4. Zwar ist der erstgenannten, strengeren Ansicht zuzugeben, dass der Wortlaut des § 133 Abs. 1 Nr. 1 keinen Anhaltspunkt für eine solche Differenzierung bietet. Allerdings lässt sich diese – worauf Fülling zutreffend hinweist – mit dem Sinn und Zweck der Vorschrift be1 Görlich/Conrad, VergabeR 2016, 567 (570 f.). 2 Vgl. u.a. Görlich/Conrad, VergabeR 2016, 567 (574), nach denen die Kündigung nach § 133 das bestehende Vertragsverhältnis beendet. 3 So insb. Püstow/Meiners, EuZW 2016, 325 (329); zustimmend Fülling in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 133 Rz. 25. 4 Ebenso Fülling in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 133 Rz. 25 sowie Püstow/Meiners, EuZW 2016, 325, 327 ff., welche sich an die Rechtsprechung des BGH zu Beihilfeverstößen anlehnen (BGH v. 5.12.2012 – I ZR 92/11, MDR 2013, 897 = EuZW 2013, 753 ff.) und die Übertragbarkeit dieser auf § 133 Abs. 1 Nr. 1 betonen. Danach sei ein ohne Vergabeverfahren direkt vergebener Auftrag bei Verstoß gegen das EU-Beihilferecht – also im Falle einer verbotenen beilhilferechtswidrigen Begünstigung, wenn die Vergütung des Auftragnehmers den Marktpreis überschreitet – nicht zwingend nach § 134 BGB nichtig. Vielmehr erkennt der BGH Ausnahmen von der Gesamtnichtigkeit des Auftrags an, da weder das Unionsrecht noch das nationale Recht eine Nichtigkeit des beihilfefreien Vertragsinhalts fordern, wenn nur eine bestimmte Vertragsklausel ein Beihilfeelement enthält. Einer Rückabwicklung des gesamten Vertrags bedarf es danach nicht. Vielmehr kommt eine Vertragsanpassung auf das marktgerechte Niveau der Vergütung in Betracht, wenn sich ein dahingehender Parteiwille im Wege der Vertragsauslegung ermitteln lässt.

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§ 133 | Kündigung von öffentlichen Aufträgen in besonderen Fällen gründen. So folgt aus § 132 Abs. 1 Satz 1, dass eine wesentliche Änderung des öffentlichen Auftrags lediglich ein neues Vergabeverfahren erfordert. Mit Blick hierauf versteht sich § 133 Abs. 1 Nr. 1 nicht als Sanktionsinstrument, sondern dient nur der Einhaltung der unionsrechtlichen Vorgaben und dazu, einen Wettbewerb um den Zugang zu öffentlichen Aufträgen zu ermöglichen1. Demzufolge ist eine Beschränkung des Kündigungsrechts auf die Vertragsänderung ausreichend, wenn der ursprünglich geschlossene öffentliche Auftrag auch ohne die im Nachhinein vorgenommene Änderung fortbestehen kann2. 2. Zwingender Ausschlussgrund (§ 133 Abs. 1 Nr. 2) 16 § 133 Abs. 1 Nr. 2 gewährt dem öffentlichen Auftraggeber ein Kündigungsrecht

für den Fall des Vorliegens eines zwingenden Ausschlussgrundes nach § 123 Abs. 1 bis 4. § 133 Abs. 1 Nr. 2 erfasst solche Konstellationen, in denen Unternehmen oder diesen zurechenbare Personen gegen bestimmte Straftatbestände verstoßen haben. § 133 Abs. 1 Nr. 2 geht dabei auf Art. 73 lit. a) der Richtlinie 2014/24/EU zurück, welcher wiederum auf Art. 57 Abs. 1 der Richtlinie 2014/ 24/EU verweist. Art. 57 Abs. 1 entspricht seinerseits allerdings nur § 123 Abs. 1 bis 3, so dass der Kündigungsgrund des § 133 Abs. 1 Nr. 2, der auch auf § 123 Abs. 4 verweist, in seinem Anwendungsbereich weiter geht als primärrechtlich ursprünglich gefordert. Die weitergehende Einräumung eines Kündigungsrechts stellt dabei eine europarechtlich ohne weiteres zulässige sog. überschießende Umsetzung dar. Denn laut Art. 73 der Richtlinie 2014/24/EU ist „zumindest“ für die dort genannten Fälle ein Kündigungsrecht einzuräumen3.

17 Der zwingende Ausschlussgrund nach § 123 Abs. 1 bis 4 muss bereits zum Zeit-

punkt der Zuschlagserteilung vorgelegen haben. Allerdings ist nicht notwendig, dass der öffentliche Auftraggeber bereits zu diesem ausschlaggebenden Zeitpunkt der Zuschlagserteilung Kenntnis vom Vorliegen des Ausschlussgrundes hatte. Vielmehr ist die Kenntnisnahme des Auftraggebers von einem bei Zuschlagserteilung vorliegenden Ausschlussgrund zu einem späteren Zeitpunkt ausreichend4. Nach dem klaren Wortlaut der Vorschrift kann der öffentliche Auftraggeber jedoch auch dann kündigen, wenn er zum Zeitpunkt der Zuschlagserteilung Kenntnis vom Vorliegen des Ausschlussgrundes hatte5. Eine solche Kündigung des öffentlichen Auftraggebers trotz einer im Zeitpunkt der Zuschlagserteilung bereits vorhandenen Kenntnis des Ausschlussgrundes wird teilweise als gesetzliche Legitimierung widersprüchlichen Verhaltens gewertet.

1 Fülling in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 133 Rz. 25. 2 So auch Püstow/Meiners, EuZW 2016, 325 (329); Fülling in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 133 Rz. 25. 3 Görlich/Conrad, VergabeR 2016, 567 (571). 4 Vgl. BT-Drucks. 18/6281, S. 121. 5 Vgl. BT-Drucks. 18/6281, S. 121 sowie ferner auch Fülling in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 133 Rz. 28.

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Die Einräumung eines Kündigungsrechts wird in dieser Konstellation insbesondere wegen der fehlenden zeitlichen Begrenzung der Kündigungsmöglichkeit und der wirtschaftlichen Folgen für den Auftragnehmer als nicht hinnehmbar gewertet. Es wird sodann eine Einschränkung des Kündigungsrechts gem. § 242 BGB wegen des Grundsatzes „venire contra factum proprium“ erwogen, was jedoch im Einzelfall im Wege einer Abwägung mit der effektiven Anwendung des Unionsrechts in Einklang gebracht werden soll1. Unschädlich ist ferner, dass der Auftragnehmer erst nachträglich für ein zum 18 Zeitpunkt der Zuschlagserteilung vorliegendes Verhalten in Verantwortung genommen wird2. Das i.S.v. § 123 Abs. 1 bis 4 relevante Verhalten muss nicht im Kontext zur Auftragsvergabe stehen. Ein thematischer Zusammenhang mit dem erteilten Auftrag ist nicht notwendig3. Durch den Kündigungsgrund des § 133 Abs. 1 Nr. 2 kann sich der öffentliche 19 Auftraggeber bei Verwirklichung der in § 123 Abs. 1 bis 4 dargelegten Voraussetzungen auch noch nach Abschluss des Vergabeverfahrens von einer Auftragsabwicklung lösen. Durch die Ermöglichung der nachträglichen Vertragsbeendigung wird die Bedeutung der Ausschlussgründe des § 123 gestärkt4. Ungeklärt ist bislang indes die Frage, ob der öffentliche Auftraggeber von einer Kündigung absehen kann, wenn die Voraussetzungen des § 123 Abs. 5 vorliegen. Fülling vertritt insoweit die Auffassung, dass dies der Fall ist. Denn die letztlich aus dem allgemeinen Verhältnismäßigkeitsgrundsatz fließende Wertung des § 123 Abs. 5 beansprucht sowohl in der Situation vor als auch nach der Zuschlagserteilung gleichermaßen Geltung5. Das Recht zur Anfechtung des Vertrages durch den öffentlichen Auftraggeber 20 nach den zivilrechtlichen Vorschriften der §§ 119 ff. BGB bleibt durch § 133 Abs. 1 Nr. 2 ausweislich der Gesetzesbegründung unberührt6. 3. Feststellung der Europarechtswidrigkeit (§ 133 Abs. 1 Nr. 3) § 133 Abs. 1 Nr. 3 gibt dem Auftraggeber in den Fällen ein Werkzeug an die 21 Hand, in denen die Bundesrepublik Deutschland aufgrund einer Entscheidung des EuGH verpflichtet ist, einen Verstoß gegen das Vergaberecht durch Beendigung des Vertrages abzustellen, gleichzeitig aber der Auftraggeber keine sonstige 1 Görlich/Conrad, VergabeR 2016, 567 (571). 2 Eschenbruch in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 133 Rz. 13. 3 Eschenbruch in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 133 Rz. 13. 4 Vgl. BT-Drucks. 18/6281, S. 121. 5 Vgl. m.w.N. Fülling in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 133 Rz. 30. 6 Vgl. BT-Drucks. 18/6281, S. 121 sowie Fülling in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 133 Rz. 29.

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§ 133 | Kündigung von öffentlichen Aufträgen in besonderen Fällen rechtliche Möglichkeit hat, den Vertrag zu beenden. § 133 Abs. 1 Nr. 3 eröffnet dem Auftraggeber dementsprechend ein Kündigungsrecht, wenn der öffentliche Auftrag aufgrund einer schweren Verletzung der Verpflichtungen, welche sich aus dem Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) oder aus den Vorschriften des 4. Teils des GWB ergeben, nicht an den Auftragnehmer hätte vergeben werden dürfen und der EuGH diesen Verstoß in einem Verfahren nach Art. 258 AEUV festgestellt hat. § 133 Abs. 1 Nr. 3 knüpft damit an die Fallkonstellation an, die der Entscheidung des LG München I vom 20.12. 20051 zugrunde lag (vgl. Rz. 7). Da Art. 73 lit. c) der Richtlinie 2014/24/EU zwangsläufig noch nicht an eine Verletzung des 4. Teils des GWB anknüpfte, sondern an eine Verletzung „dieser Richtlinie“, dürfte bei richtlinienkonformer Auslegung von § 133 Abs. 1 Nr. 3 nicht nur eine Verletzung des 4. Teils des GWB tatbestandlich sein, sondern auch die Verletzung sonstiger nationaler Regelungen, die die Richtlinien umsetzen2. 22 Die Notwendigkeit der Gewährung eines Kündigungsrechts aufgrund eines fest-

gestellten Verstoßes gegen Vorgaben des Unionsrechts wird durch Erwägungsgrund 112 der Richtlinie 2014/24/EU unterstrichen, wo es heißt: „Öffentliche Auftraggeber werden mitunter mit Umständen konfrontiert, die eine vorzeitige Kündigung öffentlicher Aufträge erfordern, damit aus dem Unionsrecht erwachsende Verpflichtungen im Bereich der öffentlichen Auftragsvergabe eingehalten werden. Die Mitgliedstaaten sollten daher sicherstellen, dass öffentliche Auftraggeber unter den im nationalen Recht festgelegten Bedingungen, über die Möglichkeit verfügen, einen öffentlichen Auftrag während seiner Laufzeit zu kündigen, wenn dies aufgrund des Unionsrechts erforderlich ist.“

23 Typischerweise liegt ein schwerer Verstoß gegen vorbenannte Vorschriften da-

rin, dass die Auftragserteilung ohne (ordnungsgemäße) Durchführung des erforderlichen Vergabeverfahrens erfolgte, es sich also um eine De-Facto-Vergabe handelt. Aber auch weitere Verstöße gegen das Vergaberecht können dabei von der in § 133 Abs. 1 Nr. 3 geforderten Schwere sein. Hier ist jeweils der Einzelfall3 und eine etwaige Offensichtlichkeit und Eindeutigkeit des Verstoßes4 zu berücksichtigen. Bei der Wahl einer unzulässigen Vergabeart5 oder einer nicht eindeutigen oder erschöpfenden Leistungsbeschreibung6 liegt ein schwerer Verstoß

1 LG München I v. 20.12.2005 – 33 O 16465/05, VergabeR 2006, 268. 2 Ebenso Görlich/Conrad, VergabeR 2016, 567 (572). 3 OVG Koblenz v. 25.9.2012 – 6 A 10478/12, IBR 2012, 722; Hildebrandt/Conrad, ZfBR 2013, 130 (138); Schilder, NZBau 2009, 155 (156). 4 Hildebrandt/Conrad, ZfBR 2013, 130 (138); Görlich/Conrad, VergabeR 2016, 567 (572). 5 OVG Koblenz v. 25.9.2012 – 6 A 10478/12, IBR 2012, 722; OVG NW v. 20.4.2012 – 4 A 1055/09, NVwZ-RR 2012, 671 (675); Hildebrandt/Conrad, ZfBR 2013, 130 (137); Kulartz/Schilder, NZBau 2005, 552 (553 f.). 6 Görlich/Conrad, VergabeR 2016, 567 (572); Kulartz/Schilder, NZBau 2005, 552 (553 f.); Jennert, KommJur 2006, 286 (288).

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i.S.v. § 133 Abs. 1 Nr. 3 nahe. Gleiches gilt für vorsätzliche Verstöße. Bei einer Verletzung von Ordnungsvorschriften wird hingegen regelmäßig nicht von einem schweren Verstoß auszugehen sein1. Der Auftrag hätte aufgrund des schweren Verstoßes nicht an den Auftragneh- 24 mer vergeben werden dürfen. Im Sinne einer hypothetischen Kausalität ist folglich zu prüfen, ob der Auftragnehmer bei Einhaltung der Vergaberechtsvorschriften den Zuschlag nicht hätte erhalten dürfen2. Liegt ein so gelagerter schwerer Verstoß bzw. eine so gelagerte Ursächlichkeit nicht vor, wirkt der Vergaberechtsverstoß nicht über den Zuschlag hinaus und es besteht kein Bedürfnis dem Auftraggeber das Kündigungsrecht des § 132 Abs. 1 Nr. 3 an die Hand zu geben3. Hiervon zu unterscheiden ist die von der Rechtsprechung des EuGH4 an- 25 erkannte Verpflichtung des öffentlichen Auftraggebers zur Kündigung eines unionsrechtswidrig zustande gekommenen Vertrags, um ein anderenfalls drohendes Vertragsverletzungsverfahren nach Art. 258 AEUV abzuwenden. Die Möglichkeit zur Kündigung ergibt sich in diesem Fall nach Ansicht des Gesetzgebers aus § 314 BGB5. In dieser Konstellation ist ein Verfahren nach Art. 258 AEUV gerade noch nicht erfolgt und die Kündigung dient der Verhinderung eines solchen Vertragsverletzungsverfahrens. 4. Rechtsfolge Die Kündigung führt zu einer Unwirksamkeit ex-nunc des öffentlichen Auf- 26 trags6. Dem öffentlichen Auftraggeber wird ausweislich des klaren Wortlauts ein Ermessensspielraum bei der Ausübung des Kündigungsrechts eingeräumt („können“)7. Vor dem Hintergrund des Grundsatzes der effektiven Umsetzung des Unionsrechts muss aber davon ausgegangen werden, dass es sich teils um eine Ermessensbetätigung handelt, deren Richtung vom Gesetz vorgezeichnet ist (sog. intendiertes Ermessen)8. Insbesondere durch das Unionsrecht bzw. den 1 Görlich/Conrad, VergabeR 2016, 567 (572). 2 Vgl. Görlich/Conrad, VergabeR 2016, 567 (573), die allerdings von einer „einfachen“, also nicht hypothetischen Kausalität sprechen. 3 Görlich/Conrad, VergabeR 2016, 567 (572). 4 EuGH v. 18.7.2007 – Rs. C-503/04, NZBau 2007, 594 (596) – Abfallentsorgung Braunschweig II. 5 Vgl. BT-Drucks. 18/6281, S. 120. 6 Görlich/Conrad, VergabeR 2016, 567 (574 f.); Tugendreich, EWeRK, 2016, 235 (235). 7 Vgl. auch BT-Drucks. 18/6281, S. 120, wo von einer „Möglichkeit“ der öffentlichen Auftraggeber, einen öffentlichen Auftrag während der Vertragslaufzeit zu kündigen, gesprochen wird. 8 Vgl. grundlegend BVerwG v. 15.6.1971 – II C 17/70, BVerwG v. 5.7.1985 – 8 C 22/83, BVerwGE 72, 1, 6 sowie auch BVerwG v. 16.6.1997 – 3 C 22/96, BVerwGE 105, 55, 57; OVG Lüneburg v. 30.1.2013 – 11 LB 115/12, DVBl. 2013, 529 ff.

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§ 133 | Kündigung von öffentlichen Aufträgen in besonderen Fällen effet utile kann das intendierte Ermessen sogar zur Pflicht erstarken, eine Kündigung von vertraglichen Vereinbarungen vorzunehmen1. Diese Grundsätze sind insbesondere im Rahmen des § 133 Abs. 1 Nr. 3 zu berücksichtigen. So kann sich aus der Verletzung von Unionsrecht eine Verpflichtung zur Kündigung ergeben, um eine effektive Umsetzung des Unionsrechts zu gewährleisten2. Hinsichtlich der übrigen Tatbestände in § 133 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 besteht hingegen im Einzelnen keine Einigkeit darüber, ob bzw. inwieweit dem öffentlichen Auftraggeber ein Ermessensspielraum bei der Ausübung des Kündigungsrechts verbleibt. Teilweise wird vertreten, dass das eingeräumte Ermessen grundsätzlich unabhängig von ermessenslenkenden Faktoren im Einzelfall auszuüben sei3. Jedoch könne im Einzelfall aus dem Gebot der wirtschaftlichen und sparsamen Verwendung von Haushaltsmitteln die Pflicht entstehen, das Vertragsverhältnis mit dem bisherigen Auftragnehmer zu beenden. Anderenorts wird indes mit Blick auf den Kündigungstatbestand aus § 133 Abs. 1 Nr. 1 auf § 132 Abs. 1 verwiesen, der bei einer wesentlichen Änderung des öffentlichen Auftrags während der Vertragslaufzeit als Rechtsfolge die gebundene Entscheidung, dass ein neues Vergabeverfahren vorzunehmen ist, vorsieht. Hieraus folgernd wird auch im Fall einer wesentlichen Änderung gem. § 133 Abs. 1 Nr. 1 eine Ermessensreduzierung „auf Null“ angenommen4.

III. Vergütungsanspruch des Auftragnehmers (§ 133 Abs. 2) 27 § 133 Abs. 2 normiert einen Vergütungsanspruch des Auftragnehmers für den

Fall der Kündigung durch den öffentlichen Auftraggeber nach § 133 Abs. 1. Der Auftragnehmer kann im Regelfall einen, seinen bisherigen Leistungen entsprechenden Teil der Vergütung verlangen (vgl. § 133 Abs. 2 Satz 1). Diese Regelung entspricht den Wertungen des § 628 Abs. 1 Satz 1 BGB5, welcher die Teilvergütung einer Dienstleistung nach erfolgter fristloser Kündigung gem. § 627 BGB oder § 628 BGB regelt. Hierdurch soll ein angemessener, die divergierenden Positionen von Auftragnehmer und öffentlichem Auftraggeber in Einklang bringender Interessenausgleich erfolgen6. Eine Vergütung für den noch nicht erbrachten Teil seiner Leistungen kann der Auftragnehmer nach erfolgter Kündigung hingegen nicht verlangen. § 649 BGB ist nicht anwendbar7. Wortlaut und Wertung des § 133 Abs. 2 sind bewusst an § 628 Abs. 1 Satz 1 BGB angelehnt

1 2 3 4 5 6 7

Vgl. BT-Drucks. 18/6281, S. 120. Vgl. BT-Drucks. 18/6281, S. 120; Görlich/Conrad, VergabeR 2016, 567 (574). So Görlich/Conrad, VergabeR 2016, 567 (574). So Kalte, Korrespondenz Abwasser, Abfall 2016, 608 (610). Vgl. BT-Drucks. 18/6281, S. 121; Schaller, ZfBR 2016, 231 (240). Vgl. BT-Drucks. 18/6281, S. 121. Görlich/Conrad, VergabeR 2016, 567 (576).

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Kündigung von öffentlichen Aufträgen in besonderen Fällen | § 133

und nicht an § 649 BGB, was europarechtlich zulässig gewesen wäre1. Der Gesetzgeber hat sich insofern ganz bewusst für eine Lösung entschieden, mit der ein Ausgleich zwischen dem Interesse des Auftragnehmers an der Vergütung und dem öffentlichen Interesse an der effektiven Beendigung des Vertrages erreicht werden soll2. Der Anspruch auf Vergütung steht dem Auftragnehmer im Fall des § 133 Abs. 1 28 Nr. 2 nicht zu, wenn die bisherigen Leistungen für den öffentlichen Auftraggeber nicht von Interesse sind. § 133 Abs. 2 Satz 2 betrifft damit den regelmäßigen Fall einer im Rahmen des § 123 Abs. 1 relevanten strafrechtlichen Verurteilung oder einer Verwaltungsentscheidung nach § 123 Abs. 4, in welcher das fehlende Nachkommen der Verpflichtung zur Zahlung von Steuern, Abgaben oder Sozialversicherungsbeiträgen festgestellt wurde. Unter diesen Voraussetzungen hat der öffentliche Auftraggeber eine Vergütung nicht zu zahlen, sofern sein Interesse an der Leistung des Auftragnehmers aufgrund bekanntgewordener Umstände entfallen ist. Wegen des Fehlens eines schutzwürdigen Vertrauens auf Seiten des Auftragnehmers ist diese Regelung verhältnismäßig3. Der Wegfall des Interesses des öffentlichen Auftraggebers und damit auch der Wegfall des Teilvergütungsanspruchs sind aber stets einzelfallbezogen zu prüfen. So weist insbesondere Eschenbruch einschränkend darauf hin, dass zumindest in Fällen von erst nachträglich bekanntgewordenen strafrechtlichen Verstößen von Unternehmensmitarbeitern, die in keiner Verbindung zu dem öffentlichen Auftrag stehen, ein Wegfall des Teilvergütungsanspruchs nicht sachgerecht sei, da dies einer angemessenen Risikoverteilung zwischen Auftragnehmer und Auftraggeber zuwiderlaufen würde4.

IV. Schadensersatz (§ 133 Abs. 3) Klarstellend geht § 133 Abs. 3 auf die Berechtigung zur Geltendmachung von 29 Schadensersatzansprüchen ein. Diese werden nicht durch die erfolgte Kündigung ausgeschlossen. Sowohl Auftragnehmer als auch öffentlicher Auftraggeber können Schadensersatzansprüche geltend machen. Ein möglicher Anspruch des Auftragnehmers auf Ersatz eines erlittenen Schadens wird auch nicht durch seine Berechtigung, eine Teilvergütung nach § 133 Abs. 2 zu verlangen, ausgeschlossen. Durch etwaige Schadensersatzansprüche kann ein angemessener Ausgleich zwi- 30 schen dem Interesse an der Beendigung des öffentlichen Auftrags auf Seiten des 1 So ausdrücklich Fülling in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 133 Rz. 36. Siehe ferner auch BT-Drucks. 18/6281, S. 121. 2 Vertiefend hierzu Fülling in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 133 Rz. 37. 3 So Görlich/Conrad, VergabeR 2016, 567 (576 f.). 4 Vgl. Eschenbruch in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 133 Rz. 18.

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§ 133 | Kündigung von öffentlichen Aufträgen in besonderen Fällen öffentlichen Auftraggebers und des finanziellen Interesses des Auftragnehmers geschaffen werden1. So kann die Berücksichtigung von Verantwortlichkeit und (Mit-)Verschulden im Einzelfall gewährleistet werden2. Im Wege einer sachgerechten Risikoverteilung wird die bestehende Konfliktlage durch die Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen nicht zu Lasten des vom Vergaberecht geschützten fairen Wettbewerbs um öffentliche Aufträge gelöst, sondern gerade entsprechend der Verschuldensanteile3. 31 Die Voraussetzungen für einen Schadensersatzanspruch gem. § 280 Abs. 1 BGB

liegen vor, wenn die jeweils andere Partei durch eine von ihr zu vertretende Pflichtverletzung den Grund für die Kündigung gem. § 133 gesetzt hat4. Ein etwaiger Schadensersatzanspruch des Auftragnehmers kommt in Betracht, wenn eine wesentliche Vertragsänderung i.S.d. § 133 Abs. 1 Nr. 1 oder eine schwere Verletzung der Vergaberechtsregelungen i.S.d. § 133 Abs. 1 Nr. 3 eine zu vertretende Pflichtverletzung des öffentlichen Auftraggebers begründet5. Im Falle einer Kündigung nach § 133 Abs. 1 Nr. 2 und Nr. 3 ist insoweit ein Schadensersatzanspruch des Auftragnehmers wegen vorvertraglicher Pflichtverletzung des öffentlichen Auftraggebers gem. §§ 280 Abs. 1, 241 Abs. 2, 311 Abs. 2 BGB (culpa in contrahendo)6 in Betracht zu ziehen. Im Rahmen des durch die Teilnahme am Vergabeverfahren begründeten vorvertraglichen Schuldverhältnisses i.S.d. § 311 Abs. 2 Nr. 1 BGB7 ist der öffentliche Auftraggeber zu hinreichender Rücksichtnahme auf die Pflichten des Auftragnehmers verpflichtet, was die Einhaltung der Bestimmungen zum Vergabeverfahren mit umfasst8. Da § 133 Abs. 1 Nr. 1 hingegen auf ein Verhalten nach Vertragsschluss abstellt, ist im Falle einer hierauf gestützten Kündigung an eine Vertragsverletzung während der Vertragslaufzeit anzuknüpfen. So ist insbesondere an einen Schadensersatzanspruch des Auftragnehmers gem. §§ 280 Abs. 1, 241 Abs. 2 BGB zu denken9.

1 Görlich/Conrad, VergabeR 2016, 567 (577); Tugendreich, EWeRK 2016, 235 (237); Bitterich, NJW 2006, 1845 (1849). 2 Vgl. BT-Drucks. 18/6281, S. 121. 3 Vgl. Bitterich, NJW 2006, 1845 (1849). 4 Görlich/Conrad, VergabeR 2016, 567 (578). 5 Görlich/Conrad, VergabeR 2016, 567 (578); Tugendreich, EWeRK 2016, 235 (237). 6 Alexander in Pünder/Schellenberg, Handkommentar zum Vergaberecht, 2. Aufl. 2015, § 125 Rz. 54; Bitterich, NJW 2006, 1845 (1849). 7 BGH v. 9.6.2011 – X ZR 143/10, NZBau 2011, 498 (499); BGH v. 10.9.2009 – VII ZR 152/ 08, NZBau 2009, 771 (775); BGH v. 27.6.2007 – X ZR 34/04, MDR 2007, 1409 = NZBau 2007, 727 (729); BGH v. 16.12.2003 – X ZR 282/02, NJW 2004, 2165; BGH v. 22.2.1973 – VII ZR 119/71, BGHZ 60, 221, 223; BGH v. 16.11.1967 – III ZR 12/67, BGHZ 49, 77, 79; Freytag, in Gabriel/Krohn/Neun, Handbuch des Vergaberechts, § 36 Rz. 94. 8 BGH v. 27.6.2007 – X ZR 34/04, MDR 2007, 1409 = NZBau 2007, 727 (729); Freytag in Gabriel/Krohn/Neun, Handbuch des Vergaberechts, § 36 Rz. 102; Alexander in Pünder/ Schellenberg, Handkommentar zum Vergaberecht, 2. Aufl. 2015, § 126 Rz. 61; Görlich/ Conrad, VergabeR 2016, 567 (578). 9 Görlich/Conrad, VergabeR 2016, 567 (578).

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Als ersatzfähigen Schaden kann der Auftragnehmer das positive Interesse, mithin also seinen entgangenen Gewinn gem. § 252 BGB ersetzt verlangen1. Für einen Schadensersatzanspruch des öffentlichen Auftraggebers kommt nach 32 §§ 280 Abs. 1, 241 Abs. 2, 311 Abs. 2 BGB (culpa in contrahendo) als Anknüpfungspunkt die Verletzung der Pflicht des Auftragnehmers, wahrheitsgemäße Angaben hinsichtlich der für den Vertragsschluss wesentlichen Umstände zu machen, in Betracht2.

V. Rechtsschutzfragen Die Bestimmung des § 133 Abs. 1 ist keine bieterschützende Vorschrift i.S.v. 33 § 97 Abs. 6. Dem unterlegenen Bieter steht deshalb kein Anspruch gegen den öffentlichen Auftraggeber auf Kündigung eines möglicherweise vergaberechtswidrig zustande gekommenen Vertrages zu3. § 133 Abs. 1 stellt vielmehr nur ein Mittel dar, mit dem der öffentliche Auftraggeber die Einhaltung der für ihn aus den unionsrechtlichen Vorgaben resultierenden Verpflichtungen sicherstellen kann, und berührt somit in erster Linie nur das Verhältnis zwischen der Europäischen Union und der Bundesrepublik Deutschland. Dies lässt sich sowohl aus Erwägungsgrund 112 der Richtlinie 2024/14/EU ableiten als auch aus § 133 Abs. 1 Nr. 3, der ein Kündigungsrecht für den Fall vorsieht, dass der EuGH eine Vertragsverletzung festgestellt hat4. § 133 enthält keine ausdrückliche Regelung zur Frage des einzuhaltenden Rechts- 34 wegs. Es gelten daher die allgemeinen Vorschriften, mit der Folge, dass für Streitigkeiten im Rahmen von § 133 Abs. 1 grundsätzlich die ordentlichen Gerichte zuständig sind5. Eine Zuständigkeit der Vergabekammern gem. § 156 scheidet hingegen aus. Denn diese betrifft nur das Vergabeverfahren bis zur Zuschlagsentscheidung. Ist das Vergabeverfahren indes durch wirksame Erteilung des Zuschlags/Auftrags abgeschlossen, ist ein Nachprüfungsantrag unstatthaft6. Die Kündigung nach § 133 ist auch keine Entscheidung im Rahmen eines Vergabeverfahrens7. Zudem 1 Görlich/Conrad, VergabeR 2016, 567 (579); Tugendreich, EWeRK 2016, 235 (237). 2 OLG Frankfurt v. 7.11.2006 – 11 U 53/03, VergabeR 2007, 422 (423 f.); Alexander in Pünder/Schellenberg, Handkommentar zum Vergaberecht, 2. Aufl. 2015, § 125 Rz. 54; Görlich/Conrad, VergabeR 2016, 567 (579). 3 Fülling in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 133 Rz. 33. Vgl. hierzu auch OLG Schleswig v. 4.11.2014 – 1 Verg 1/14, NZBau 2015, 186 ff.; OLG Düsseldorf v. 30.4. 2009 – VII-Verg 50/08, BeckRS 2009, 25237. 4 Fülling in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 133 Rz. 33. 5 Fülling in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 133 Rz. 40. 6 BGH v. 19.12.2000 – X ZB 14/00, BGHZ 146, 202 ff., Rz. 24; KG Berlin v. 19.4.2012 – Verg 7/11, VergabeR 2012, 783 ff. sowie Fülling in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 133 Rz. 42. 7 Fülling in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 133 Rz. 41.

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§ 134 | Informations- und Wartepflicht steht die Nichtausübung des Kündigungsrechts durch den öffentlichen Auftraggeber auch einer Neuvergabe des öffentlichen Auftrags, welche den Vergaberechtsweg eröffnen könnte, nicht gleich1. Schließlich ist weder nach europäischem noch nach nationalem Recht ein primärer Vergaberechtsschutz nach wirksamer Zuschlagserteilung geboten2. Eine Kündigung gem. § 133 Abs. 1 eines möglicherweise vergaberechtswidrig geschlossenen Vertrages kann daher nicht in einem vergaberechtlichen Nachprüfungsverfahren, sondern nur vor den ordentlichen Gerichten geltend gemacht werden3. 35 Gleiches gilt für die Geltendmachung von Vergütung (§ 133 Abs. 2) und

Schadensersatz (§ 133 Abs. 3) durch den von der Kündigung betroffenen Auftragnehmer4.

§ 134 Informations- und Wartepflicht (1) Öffentliche Auftraggeber haben die Bieter, deren Angebote nicht berücksichtigt werden sollen, über den Namen des Unternehmens, dessen Angebot angenommen werden soll, über die Gründe der vorgesehenen Nichtberücksichtigung ihres Angebotes und über den frühesten Zeitpunkt des Vertragsschlusses unverzüglich in Textform zu informieren. Dies gilt auch für Bewerber, denen keine Information über die Ablehnung ihrer Bewerbung zur Verfügung gestellt wurde, bevor die Mitteilung über die Zuschlagsentscheidung an die betroffenen Bieter ergangen ist. (2) Ein Vertrag darf erst 15 Kalendertage nach Absendung der Information nach Absatz 1 geschlossen werden. Wird die Information auf elektronischem Weg oder per Fax versendet, verkürzt sich die Frist auf zehn Kalendertage. Die Frist beginnt am Tag nach der Absendung der Information durch den Auftraggeber; auf den Tag des Zugangs bei betroffenen Bieter und Bewerber kommt es nicht an. (3) Die Informationspflicht entfällt in Fällen, in denen das Verhandlungsverfahren ohne vorherige Bekanntmachung wegen besonderer Dringlichkeit ge1 KG Berlin v. 19.4.2012 – Verg 7/11, VergabeR 2012, 783 ff.; OLG Celle v. 4.5.2001 – 13 Verg 5/00, NZBau 2002, 53 ff.; Fülling in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 133 Rz. 42. 2 EuGH v. 13.4.2010 – Rs. C-91/08, NZBau 2010, 382 ff., Rz. 65 – Wall; KG Berlin v. 19.4. 2012 – Verg 7/11, VergabeR 2012, 783 ff.; Fülling in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 133 Rz. 43. 3 Ebenso Fülling in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 133 Rz. 40 ff. unter Hinweis auf OLG Schleswig v. 4.11.2014 – 1 Verg 1/14, VergabeR 2015, 228; OLG Brandenburg v. 6.3. 2012 – Verg W 15/11, BeckRS 2012, 08120; OLG Düsseldorf v. 23.2.2011 – VII-Verg 17/ 11; OLG Düsseldorf v. 30.4.2009 – VII-Verg 50/08, BeckRS 2009, 25237; OLG Düsseldorf v. 18.6.2008 – VII-Verg 23/08, ZfBR 2009, 197 ff. 4 Fülling in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 133 Rz. 44.

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rechtfertigt ist. Im Fall verteidigungs- oder sicherheitsspezifischer Aufträge können öffentliche Auftraggeber beschließen, bestimmte Informationen über die Zuschlagserteilung oder den Abschluss einer Rahmenvereinbarung nicht mitzuteilen, soweit die Offenlegung den Gesetzesvollzug behindert, dem öffentlichen Interesse, insbesondere Verteidigungs- oder Sicherheitsinteressen, zuwiderläuft, berechtigte geschäftliche Interessen von Unternehmen schädigt oder den lauteren Wettbewerb zwischen ihnen beeinträchtigen könnte. I. Einführung 1. Inhaltsübersicht . . . . . . . . . . . 2. Entstehungsgeschichte/ Hintergrund . . . . . . . . . . . . . . 3. Gesetzesmaterialien . . . . . . . . II. Anwendungsbereich des § 134 1. Aufträge, Rahmenvereinbarungen, Wettbewerbe . . . . . . . . . . 2. Aufträge über Lose i.S.v. § 3 Nr. 9 VgV . . . . . . . . . . . . . 3. Interimsvergaben . . . . . . . . . . 4. Verfahrensarten . . . . . . . . . . . 5. Aufhebung des Vergabeverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . 6. Auftragsvergaben außerhalb eines förmlichen Vergabeverfahrens gem. §§ 97 ff. GWB . III. Verpflichteter und Adressat . .

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IV. 1. 2. V. 1. 2. 3. 4.

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VI.

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VII.

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VIII. IX.

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Informationspflichten Umfang der Informationspflicht Textform . . . . . . . . . . . . . . . . Frist des § 134 Frist . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fristbeginn/Fristende . . . . . . . Absendung der Information oder Sicherstellung des Zugangs der Information? . . . . Pflicht zur erneuten Versendung eines Informationsschreibens . . Ausnahme: Verhandlungsverfahren wegen Dringlichkeit Die Ausnahmetatbestände (§ 134 Abs. 3) . . . . . . . . . . . . Rüge gemäß § 160 . . . . . . . . . Rechtsfolgen des Verstoßes gegen § 134 . . . . . . . . . . . . . .

__ __ _ _ _ __ _ 32 37 40 41 43 45 47 48 49 50

I. Einführung 1. Inhaltsübersicht §§ 134 und 135 müssen gemeinsam gelesen und angewendet werden. Gemäß 1 § 134 muss der Auftraggeber 15 bzw. 10 Kalendertage vor Zuschlagerteilung die Bieter, die er nicht berücksichtigen will, über den Namen des erfolgreichen Bieters, über den Grund der vorgesehenen Nichtberücksichtigung ihres Angebots sowie über den frühesten Zeitpunkt der Zuschlagerteilung schriftlich unterrichten. Wird die Information nicht oder nicht ordnungsgemäß erteilt, ist der Vertrag unwirksam, wenn der Verstoß gegen § 134 in einem Nachprüfungsverfahren festgestellt wird (§ 135). Die §§ 134, 135 gelten auch bei Auftragsvergaben im Sektorenbereich (§ 142), 2 bei der Vergabe von Konzessionen (§ 154) sowie bei der Vergabe von Aufträgen im Bereich Verteidigung und Sicherheit (§ 147), allerdings mit der Einschränkung in § 134 Abs. 3 GWB. Glahs

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§ 134 | Informations- und Wartepflicht 2. Entstehungsgeschichte/Hintergrund 3 Hintergrund der §§ 134, 135 sowie Ihrer Vorgängerbestimmungen1 ist, dass

nach deutschem Recht die Entscheidung, wem der Zuschlag erteilt wird, nicht durch Verwaltungsakt oder einen anderen vorgelagerten Akt mit Außenwirkung getroffen wird. Außenwirkung hatte nur der Zuschlag selbst, d.h. der Vertragsschluss. Da der nichtberücksichtigte Bieter regelmäßig erst bei bzw. nach Abschluss des Vertrages Kenntnis von der Zuschlagentscheidung erlangte, fielen aus seiner Sicht die Auswahlentscheidung und der Vertragsschluss in einem Akt zusammen. Die Rechtsschutzmöglichkeiten des Bieters waren dann sehr begrenzt, weil ein einmal erteilter Zuschlag nicht mehr rückgängig gemacht werden kann. Der Bieter konnte regelmäßig nur Schadensersatzansprüche geltend machen.

4 Der EuGH hat 1999 entschieden, dass die Rechtsmittelrichtlinie (Richtlinie 89/

665/EWG) verlange, dass die dem Vertragsschluss vorangehende Entscheidung über die Auswahl einem Nachprüfungsverfahren zugänglich zu machen sei, so dass unterlegene Bieter die Aufhebung der Entscheidung erreichen können.2 Daraus folgte, dass auch die Ausgestaltung des deutschen Rechts nicht den europarechtlichen Vorgaben genügte. Infolge dieser Entscheidung wurde zunächst § 13 VgV a.F., dann §§ 101a und 101b GWB a.F. und nunmehr §§ 134, 135 geschaffen. Damit dienen §§ 134, 135 der Umsetzung der Richtlinie 89/665/EWG in der Fassung der Richtlinie 2007/66/EG. Diese Richtlinien können zur Auslegung der §§ 134, 135 herangezogen werden.

5 Die §§ 134, 135 entsprechen außerdem weitgehend den Vorgängerbestimmun-

gen, so dass zur Auslegung auch auf die Rechtsprechung zu §§ 101a und b GWB a.F. zurückgegriffen werden kann.

6 Dagegen ist die Rechtslage bei Auftragsvergaben außerhalb von §§ 97 ff., ins-

besondere bei Auftragsvergaben unterhalb der EU-Schwellenwerte (vgl. § 19 VOB/A, §§ 18, 19 VOL/A, § 46 Unterschwellenvergabeordnung, UVgO) noch immer so, dass die nichtberücksichtigten Bieter erst nach Zuschlagerteilung Kenntnis von dem Zuschlag erlangen und den Vertragsschluss dann nicht mehr angreifen können. Nur einzelne Bundesländer sehen in ihren Vergabegesetzen Informationspflichten vor, die § 134 nachgebildet sind.3 Die Auftraggeber sind verpflichtet, vor Zuschlagserteilung dem § 134 vergleichbare Informationen zu erteilen. Allerdings soll ein Verstoß gegen die Regelung in § 12 VgV M-V nicht zur Unwirksamkeit des Vertrages führen, weil der Landesgesetzgeber bewusst darauf verzichtet habe, eine § 135 vergleichbare Sanktion anzuordnen.4

1 § 13 VgV in der bis zum 24.4.2009 geltenden Fassung, §§ 101a und 101 b GWB a.F. 2 EuGH v. 28.10.1999 – C 81/98 (Alcatel Austria AG), ZIP 1999, 1937 = BB 1999, 251 = DB 1998, 419 f. 3 Vgl. § 12 VgV M-V; § 8 SächsVergabeG u.a. 4 LG Rostock v. 6.11.2015 – 3 O 703/15, juris.

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3. Gesetzesmaterialien 7 Die amtliche Begründung zu § 134 lautet:1 „§ 134 entspricht im Wesentlichen dem bisherigen § 101a GWB. … Darüber hinaus wurden in den neuen § 134 Absatz 3 Satz 2 die Ausnahmen von der Informationspflicht bei verteidigungs- oder sicherheitsspezifischen Aufträgen gemäß Artikel 35 Absatz 3 der Richtlinie 2009/81/EG aus dem bisherigen § 36 Absatz 2 VSVgV in das GWB übernommen. Als berechtigte geschäftliche Interessen von Unternehmen können in die Interessenabwägung gemäß Artikel 35 Absatz 3 der Richtlinie 2009/81/EG solche öffentlicher oder privater Unternehmen eingebracht werden.“ 8 Die amtliche Begründung zu § 101a a.F. lautete:2 „… Dabei wird der Wortlaut der Vorschrift auf die „betroffenen Bieter und Bewerber“ im Sinn des Art. 2a Abs. 2 Unterabs. 2 und 3 der Richtlinie 2007/66/EG … ausgerichtet. Bieter gelten dann als betroffen, wenn sie noch nicht endgültig ausgeschlossen wurden. Ein Ausschluss ist endgültig, wenn er den betroffenen Bietern mitgeteilt wurde und entweder vor der Vergabekammer als rechtmäßig anerkannt wurde oder keinem Nachprüfungsverfahren mehr unterzogen werden kann. Bewerber gelten dann als betroffen, wenn der öffentliche Auftraggeber ihnen keine Information über die Ablehnung ihrer Bewerbung zur Verfügung gestellt hat, bevor die Mitteilung der Zuschlagsentscheidung an die betroffenen Bieter ergangen ist. … Der öffentliche Auftraggeber kann über die in § 101a vorgegebenen Angaben hinaus auch weitere nützliche Informationen an die Unternehmen geben. In der Praxis hat sich z.B. gezeigt, dass die Angabe auch der Platzierung der jeweiligen Angebote der Unternehmen hilfreich sein kann. Aus der Angabe der Platzierung kann das Unternehmen Rückschlüsse für die Zulässigkeit eines Nachprüfungsantrages ziehen. … Von einer Verpflichtung zur Angabe der Platzierung wurde wegen der dann damit verknüpften Rechtsfolge der Unwirksamkeit bei einem Fehlen der Angabe jedoch abgesehen.“

II. Anwendungsbereich des § 134 §§ 134, 135 sind unmittelbar anwendbar, wenn der Anwendungsbereich des 9 Vierten Teils des GWB und der des § 115 eröffnet ist. Dies ist der Fall, wenn der beabsichtigte Vertrag ein öffentlicher Auftrag i.S.v. § 103 ist, wenn der EUSchwellenwert gem. § 106 überschritten ist und ein Ausnahmetatbestand nach §§ 107 ff. nicht greift. 1 BT-Drucks. 18/628, 121 f. 2 BT-Drucks. 16/10117, 21 f.

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§ 134 | Informations- und Wartepflicht 1. Aufträge, Rahmenvereinbarungen, Wettbewerbe 10 § 134 gilt, wenn ein öffentlicher Auftrag vergeben werden soll. 11 § 134 gilt auch bei Abschluss einer Rahmenvereinbarung.1 Zwar wird die Rah-

menvereinbarung in § 115 nicht ausdrücklich erwähnt. Dennoch gilt § 134 auch für Rahmenvereinbarungen. Dies ergibt sich aus dem Grundsatz der richtlinienkonformen Auslegung und Art. 1 der Rechtsmittelrichtlinie (2007/66/EG). Dort ist klargestellt, dass die Richtlinie nicht nur für öffentliche Aufträge, sondern auch für Rahmenvereinbarungen gilt. Darüber hinaus zeigt sich dies in § 134 Abs. 3, der im Rahmen des Ausnahmetatbestandes ausdrücklich auch Rahmenvereinbarungen in Bezug nimmt.

12 Eine andere Frage ist, ob bei einer Rahmenvereinbarung mit mehreren Unter-

nehmen § 134 nicht nur bei Abschluss der Rahmenvereinbarung, sondern auch bei Abschluss der Einzelaufträge aufgrund der Rahmenvereinbarung einzuhalten ist. Art. 2b der Richtlinie 2007/66/EG gibt den Mitgliedstaaten die Möglichkeit, bei einem Auftrag, dem eine Rahmenvereinbarung zugrunde liegt, auf eine erneute Information bei Vergabe des Einzelauftrags zu verzichten. Der deutsche Gesetzgeber hat davon keinen Gebrauch gemacht, so dass beim Abschluss einer Rahmenvereinbarung mit mehreren Wirtschaftsteilnehmern die Informationsund Stillhaltefrist nicht nur bei Abschluss der Rahmenvereinbarung, sondern auch bei Abschluss der Einzelaufträge auf Basis der Rahmenvereinbarung eingehalten werden muss.2

13 Die §§ 115 ff. und damit § 134 gelten auch für Wettbewerbe i.S.v. § 103. Die In-

formationspflichten gem. §§ 134, 135 bestehen aber nur und erst dann, wenn ein öffentlicher Auftraggeber einen öffentlichen Auftrag vergeben oder eine Rahmenvereinbarung schließen will, und sie richten sich nur an den Auftraggeber selbst. Daraus folgt, dass bei Wettbewerben ohne sich anschließendes Vergabeverfahren, insbesondere sog. Ideenwettbewerben weder das Preisgericht noch der Auslober eine Information gem. § 134 erteilen muss. Denn für die Entscheidung des Preisgerichts gilt § 134 nicht. Zum einen wird durch die Entscheidung des Preisgerichts kein Auftrag vergeben, zum anderen ist das Preisgericht nicht mit dem öffentlichen Auftraggeber gleichzusetzen.

14 Anders ist es dagegen, wenn im Anschluss an den Wettbewerb ein Verhand-

lungsverfahren mit Vergabe des Planungsauftrags nachfolgt.3 Unabhängig von der Frage, ob die Entscheidung eines Preisgerichts selbständig in einem Ver-

1 OLG Düsseldorf v. 1.8.2012 – VII-Verg 15/12, NZBau 2012, 791; Braun in Ziekow/Völlink, Vergaberecht, § 101a Rz. 37. 2 Braun in Ziekow/Völlink, Vergaberecht, § 101a Rz. 41; König in Kulartz/Kus/Portz, GWB Vergaberecht, § 101b Rz. 3; vgl. auch Rosenkötter/Seidler, NZBau 2007, 684 (690). 3 Vgl. OLG Düsseldorf v. 31.3.2004 – Verg 4/04, IBR 2004, 455; OLG Koblenz v. 26.5.2010 – 1 Verg 2/10, VergabeR 2011, 631–639.

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gabenachprüfungsverfahren angegriffen werden kann1, besteht vor Erteilung des Zuschlags in dem sich an den Wettbewerb anschließenden Verhandlungsverfahren die Pflicht zur Information gem. § 134.2 Zu klären bleibt nur, wer in dem Verhandlungsverfahren ohne Vergabebekanntmachung Bieter oder Bewerber i.S.v. § 134 ist, und zwar insbesondere dann, wenn nicht mit allen Preisträgern oder allen Teilnehmern des Auslobungsverfahrens verhandelt werden soll. Nach Auffassung des OLG Düsseldorf sind mindestens alle Preisträger Bieter i.S.v. § 13 VgV (bzw. heute i.S.v. § 134).3 2. Aufträge über Lose i.S.v. § 3 Nr. 9 VgV § 134 gilt nicht bei Auftragsvergaben unterhalb der EU-Schwellenwerte.4 Er gilt 15 auch nicht bei Auftragsvergaben oberhalb der Schwellenwerte, wenn und soweit der Auftraggeber Aufträge über einzelne Lose vergibt, die dem 20 %-Kontingent des § 3 Nr. 9 VgV unterstellt worden sind. Zwar finden sich die Regelungen zu dem 20 %-Kontingent nicht im GWB, sondern in § 3 VgV. § 3 Abs. 9 VgV stellt aber klar, dass bei der Vergabe einzelner Lose – abweichend von dem allgemeinen Grundsatz des Gesamtwertes aller Lose – keine Addition aller Auftragswerte der verschiedenen Lose erfolgt, wenn der geschätzte Nettowert des betreffenden Loses bei Liefer- und Dienstleistungen unter 80.000 € und bei Bauleistungen unter 1 Mio. Euro liegt und die Summe der Nettowerte dieser Lose 20 % des Gesamtwertes aller Lose nicht übersteigt. Mithin bestimmt § 3 VgV ebenso wie Art. 4 der Richtlinie 2014/24/EU, dass die Lose, die von § 3 Nr. 9 VgV erfasst werden, bei der Schätzung, ob der EU-Schwellenwert überschritten ist, isoliert betrachtet werden und dann wegen der isolierten Betrachtung den EU-Schwellenwert nicht erreichen. 3. Interimsvergaben In der Praxis kommt es vor, dass sich die Zuschlagserteilung durch ein Nachprü- 16 fungsverfahren oder ähnliches verzögert. Für den öffentlichen Auftraggeber stellt sich dann die Frage, ob und in welcher Form er sich die zwischenzeitlich benötigten Leistungen für eine Übergangszeit gesondert beschaffen kann. Diese Beschaffungen werden häufig als Interimsvergabe und Interimsvereinbarungen bezeichnet. Die Interimsvergabe und der Interimsauftrag sind mit dem Auftrag, über den das Nachprüfungsverfahren geführt wird, nicht identisch, sondern stellen einen selbständigen öffentlichen Auftrag und ein selbständiges Vergabeverfahren dar.5 1 Bejahend OLG Düsseldorf v. 31.3.2004 – Verg 4/04, IBR 2004, 455; a.A. OLG Koblenz v. 26.5.2010 – 1 Verg 2/10, VergabeR 2011, 631–639. 2 Vgl. zum Verhandlungsverfahren nach einem Wettbewerb § 14 Abs. 4 Nr. 8 VgV. 3 OLG Düsseldorf v. 2.12.2009 – Verg 39/09; VK Bund v. 11.9.2009 – VK 3/157/09. 4 Vgl. § 19 VOB/A, § 18, 19 VOL/A, § 46 Unterschwellenvergabe in Ordnung, Entwurf Stand Januar 2017. 5 VK Bund v. 10.1.2014 – 1-113/13, juris.

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§ 134 | Informations- und Wartepflicht Für diesen Interimsauftrag ist gesondert zu prüfen, ob es sich um eine Auftragsvergabe oberhalb der EU-Schwellenwerte handelt. Ist dies der Fall, sind alle Vergabevorschriften einzuhalten, und die unterlegenen Bieter sind gem. § 134 zu informieren. Auf die Information kann gem. § 134 Abs. 3 nur ausnahmsweise und nur dann verzichtet werden, wenn die Auftragsvergabe so dringlich war, dass ein Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb durchgeführt werden durfte.1 4. Verfahrensarten 17 Die Vorschrift erfasst alle Arten von Vergabeverfahren. Sie erfasst offene und

nichtoffene Verfahren, Verfahren im wettbewerblichen Dialog und Verhandlungsverfahren mit und ohne Vergabebekanntmachung. Nur Verhandlungsverfahren, die wegen besonderer Dringlichkeit ohne Vergabebekanntmachung durchgeführt werden dürfen, sind von der Informationspflicht gem. § 134 Abs. 3 GWB ausgenommen. 5. Aufhebung des Vergabeverfahrens

18 Keine Informationspflicht besteht, wenn der öffentliche Auftraggeber das Ver-

gabeverfahren ohne Erteilung des Zuschlags beendet.2 Die Aufhebung der Ausschreibung wird vom Wortlaut des § 134 nicht erfasst. Auch eine analoge Anwendung kommt nicht in Betracht. Weder liegt eine planwidrige Regelungslücke vor noch ist eine Analogie nach dem Sinn und Zweck von § 134 erforderlich. Denn – anders als bei der Zuschlagserteilung – geht der Primärrechtsschutz bei einer Aufhebung des Verfahrens nicht verloren. Die rechtswidrige Aufhebung des Verfahrens beendet dieses nicht; vielmehr kann noch ein Nachprüfungsverfahren eingeleitet werden.3 Die Auftraggeber sind allerdings nach den Vergabeordnungen verpflichtet, die Bieter nach erfolgter Aufhebung hierüber zu unterrichten. Aufgrund dieser Mitteilung kann der Bewerber oder Bieter ggf. Rechtsschutz in Anspruch nehmen.4 6. Auftragsvergaben außerhalb eines förmlichen Vergabeverfahrens gem. §§ 97 ff. GWB

19 §§ 134, 135 erfassen alle Konstellationen, in denen ein öffentlicher Auftraggeber

– bewusst oder unbewusst – ohne förmliches Vergabeverfahren einen öffent-

1 VK Bund v. 10.1.2014 – 1-113/13, juris; OLG Düsseldorf v. 10.6.2015 – VII-Verg 39/14, juris; Gnittke/Hattig, in Müller-Wrede, GWB Vergaberecht § 134 Rz. 29. 2 OLG Frankfurt v. 14.5.2013 – 11 Verg 4/13; Mentinis in Pünder/Schellenberg, Vergaberecht, § 101a Rz. 22; Reidt/Brosius-Gersdorf, VergabeR 2002, 580 (592). 3 OLG Frankfurt v. 14.5.2013 – 11 Verg 4/13; Reidt/Brosius-Gersdorf, Vergaberecht 2002, 580 (592). 4 Vgl. § 63 Abs. 2 VgV; § 17 Abs. 2 EU VOB/A; § 17 VS VOB/A.

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lichen Auftrag oder eine Rahmenvereinbarung oberhalb der EU-Schwellenwerte beauftragen will. Wenn der Auftraggeber ausschließlich mit dem späteren Vertragspartner verhandelt, wird der effektive Rechtsschutz nicht über § 134, sondern über § 135 Abs. 1 Nr. 2 GWB gewährt. Denn ein Verstoß gegen § 134 entfällt, weil es an betroffenen Bietern oder Bewerbern i.S.v. § 134 fehlt.1 In den Fällen, in denen der Auftraggeber zwar kein förmliches Vergabeverfahren 20 durchführt, aber mit mehreren Unternehmen verhandelt, greift § 134. Dies ist der Fall, wenn der öffentliche Auftraggeber nicht erkennt, dass der EU-Schwellenwert überschritten ist2, oder ein öffentlicher Auftraggeber eine wesentliche Vertragsänderung i.S.d. § 132 vornimmt3 oder wenn er irrtümlich der Ansicht ist, er sei wegen Dringlichkeit der Beschaffung zu keiner Information verpflichtet. In diesen Fällen verstößt der Auftraggeber gegen § 134, wenn er die Informationen nicht erteilt.

III. Verpflichteter und Adressat Verpflichtet die Information zu erteilen, ist der Auftraggeber.

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Zu informieren sind die Bieter, deren Angebot nicht berücksichtigt werden soll, 22 d.h. diejenigen, die ein Angebot abgegeben haben, aber den Zuschlag nicht erhalten sollen. Zu informieren sind weiter die Bewerber, die nach einem Teilnahmewettbewerb nicht zur Angebotsabgabe aufgefordert wurden und nicht schon früher über die Ablehnung ihrer Bewerbung unterrichtet wurden. Bieter ist in jedem Fall, wer in dem Vergabeverfahren ein Angebot abgegeben 23 hat. Unerheblich für den Status als Bieter ist, ob das Angebot vollständig ist, ob es rechtzeitig einging, verbindlich unterschrieben oder seriös gemeint war.4 In der Gesetzesbegründung zu § 101a GWB hieß es einschränkend, informiert werden müssten die „betroffenen Bieter“. Dieser Begriff wurde aus der Rechtsmittelrichtlinie (2007/66/EG) übernommen. Betroffen ist ein Bieter, dessen Ausschluss nicht endgültig ist. Endgültig ist ein Ausschluss, wenn er dem betroffenen Bieter mitgeteilt wurde und entweder in einem Nachprüfungsverfahren als rechtmäßig anerkannt wurde oder keinem Nachprüfungsverfahren mehr unterzogen werden kann. Ein Bieter muss also nicht mehr informiert werden, wenn der Bieter ausgeschlossen wurde und z.B. die Frist gem. § 160 Abs. 3 Nr. 4 GWB verstrichen ist. 1 Gnittke/Hattig in Müller-Wrede, GWB Vergaberecht, § 134 Rz. 29. 2 OLG München v. 2.6.2016 – Verg 15/15, BauRB 2005, 365; VK Darmstadt v. 8.2.2015 – 69d VK – 35/2015, nicht veröffentlicht; OLG Rostock v. 6.11.2015 – 17 Verg 2/15, IBR 2016, 228. 3 Gnittke/Hattig in Müller-Wrede, GWB Vergaberecht, § 134 Rz. 29. 4 OLG Naumburg v. 3.9.2009 – 1 Verg 4/09.

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§ 134 | Informations- und Wartepflicht 24 Bewerber ist, wer sich um die Teilnahme an einem Vergabeverfahren beworben

hat und dessen Bewerbung abgelehnt wurde. Auch dieser ist gem. § 134 GWB zu informieren, wenn er nicht schon früher über die Ablehnung seiner Bewerbung unterrichtet worden ist. Ist Letzteres geschehen, so muss ihm keine Information gem. § 134 GWB erteilt werden, ihm muss insbesondere nicht mitgeteilt werden, wem der Zuschlag erteilt werden soll, obwohl dies eine Information ist, die der Bewerber bei Ablehnung seiner Bewerbung nicht erhält und nicht erhalten kann. Der Primärrechtschutz eines Bewerbers, dessen Bewerbung abgelehnt worden ist, wird hierdurch nicht unangemessen verkürzt, weil der Bewerber durch die Ablehnung darüber informiert wird, dass ihm der Zuschlag nicht erteilt werden soll und der zur Wahrung seiner Rechte Primärrechtschutz schon gegen die Ablehnung seiner Bewerbung in Anspruch nehmen kann und muss. Bewerber ist also insbesondere, wer in einem Verfahren mit Teilnahmewettbewerb nicht zur Angebotsabgabe aufgefordert werden soll. Gleiches gilt für Teilnehmer an einem Auslobungsverfahren. Dass Wettbewerbsverfahren und das folgende Verhandlungsverfahren zur Erteilung des Auftrags stellen funktional Teile eines einheitlichen Beschaffungsvorhabens dar. Deshalb sind vor Zuschlagserteilung zu unterrichtende Bewerber mindestens alle Preisträger des Wettbewerbs.1 Daneben sind auch alle Teilnehmer des Auslobungsverfahrens selbst Bewerber im vorgenannten Sinn, sofern sie nicht schon früher über die Ablehnung ihrer Bewerbung, mit anderen Worten über den Ausgang des Wettbewerbs unterrichtet worden sind.

25 Keine Informationspflichten über die geplante Zuschlagerteilung bestehen ge-

genüber dem Bieter, dem der Zuschlag erteilt werden soll.2 Dennoch ist der Auftraggeber nicht gehindert, auch diesen Bieter über die geplante Zuschlagerteilung zu informieren. Von der Rechtsprechung bislang offen gelassen wurde, ob ein Bieter dem im Zuge einer Rahmenvereinbarung mit mehreren Bietern der Zuschlag erteilt wurde, der aber nur einen „nachrangigen Zuschlag“ erhalten hat, weil die Einzelaufträge in erster Linie anderen Rahmenvereinbarungspartnern beauftragt werden müssen, zu informieren ist.3 Dies ist der Fall, weil in dem nachrangigen Zuschlag eben auch die Entscheidung liegt, dem Bieter nicht den „vorrangigen Zuschlag“ zu erteilen und weil nur so effektiver Rechtsschutz gewährt wird.

26 Fraglich ist, ob Bieter oder Bewerber auch ein Unternehmen sein kann, das kein

Angebot abgegeben hat. Diese Frage stellt sich insbesondere für Unternehmen, die an der Abgabe eines Angebotes vergaberechtswidrig gehindert worden sind. 1 OLG Düsseldorf v. 12.12.2009 – Verg 39/09, NZBau 2010, 393–400; Gnittke/Hattig in Müller-Wrede, GWB Vergaberecht, § 134 Rz. 44. 2 OLG Düsseldorf v. 25.6.2003 – U (kart) 36/02, NZBau 2004, 170–172, zu der Frage, ob die Informationspflichten auch dem Schutz des erfolgreichen Bieters dienen. 3 VK Bund v. 14.7.2015 – VK 2-57/15, VPR 2015, 276.

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Denkbar ist zum einen die Situation, dass zwar zu Recht keine EU-weite Be- 27 kanntmachung erfolgt ist, so dass § 135 Abs. 1 Nr. 2 nicht greift, dass aber ein Unternehmen, das zur Angebotsabgabe hätte aufgefordert werden müssen, nicht zur Angebotsabgabe aufgefordert worden ist. Zu dieser Fallgruppe gehören die Fälle, in denen es um funktional einheitliche Beschaffungsvorgänge geht, die formal in getrennte Vergabeverfahren aufgeteilt wurden. Die Rechtsprechung hat im Hinblick auf den Normzweck als zu informierende Bieter bzw. Bewerber Unternehmen angesehen, die in einem förmlichen Vergabeverfahren ein Angebot abgegeben haben, dann aber nach Aufhebung des förmlichen Verfahrens vergaberechtwidrig nicht an dem neu eingeleiteten Verfahren beteiligt worden sind.1 In diesen Fällen hat die Rechtsprechung zutreffend entschieden, dass es für den Bieterstatus nicht auf die Beteiligung an dem formalen Vergabeverfahren ankommt, sondern auf die Beteiligung an dem materiellen Vergabevorgang. Funktional handelt es sich um ein einheitliches Vergabeverfahren, wenn ein förmliches Vergabeverfahren aufgehoben wird, aber in zeitlichem und sachlichem Zusammenhang mit dem aufgehobenen Vergabeverfahren ein neues Vergabeverfahren mit demselben Beschaffungszweck eingeleitet wird. Gleiches gilt für Unternehmen, die zwar im Rahmen der Auftragsverhandlungen über eine Zwischenlösung bis zur endgültigen Auftragserteilung nicht beteiligt worden sind, die sich aber an der vorangegangenen aufgehobenen Ausschreibung mit einem Angebot beteiligt hatten.2 So ist es z.B. auch überwiegende Ansicht, dass bei einer Interimsvergabe alle Bieter, die in dem Verfahren zur Vergabe des Hauptauftrags ein Angebot eingereicht haben, auch im Rahmen der Interimsvergabe zur Angebotsabgabe aufgefordert werden müssen.3 Gleiches soll gelten, wenn nach Zuschlagerteilung der Auftrag gekündigt wird und dann eine Interimsvergabe erfolgen soll.4 Auch diese Unternehmen sind im Rahmen des Vergabeverfahrens über die Interimslösung Bieter i.S.v. § 134 GWB, wenn auch sie zur Angebotsabgabe für die Zwischenlösung hätten aufgefordert werden müssen. Diesen Entscheidungen liegt letztlich eine einheitliche Betrachtung des gesamten materiellen Beschaffungsvorgangs zugrunde. Von diesem Bieter- oder Bewerberstatus aufgrund eines einheitlichen Beschaf- 28 fungsvorgangs sind die Fälle zu unterscheiden, in denen Unternehmen, die sich an einem Vergabeverfahren nicht weiter beteiligen können, weil die Vergabeunterlagen rechtswidrig sind bzw. sie rechtswidrig an der Angebotsabgabe hin1 OLG Düsseldorf v. 23./24.2.2005 – VII Verg 78/04, NZBau 2005, 537 f.; OLG Naumburg v. 15.3.2007 – 1 Verg 14/06, VergabeR 2007, 512; OLG Naumburg v.3.9.2009 – 1 Verg 4/ 09, VergabeR 2009, 933–941. 2 OLG Dresden v. 24.1.2008, VergabeR 2008, 567; OLG Naumburg v. 3.9.2009 – 1 Verg 4/ 09, VergabeR 2009, 933–941; Maimann in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, GWB-Vergaberecht, § 135 Rz. 9. 3 OLG Hamburg v. 8.7.2008 – 1 Verg 1/08, juris; OLG Dresden v. 25.1.2008 – WVerg 10/ 07, juris; VK Südbayern v. 12.8.2016 – Z3-3-3194-1-27-07-16, VPR 2016, 213. 4 Gnittke/Hattig in Müller-Wrede, GWB Vergaberecht, § 134 Rz. 48.

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§ 134 | Informations- und Wartepflicht dern, Bieter oder Bewerber i.S.v. § 134 sind, obwohl sie kein Angebot oder keinen Teilnahmeantrag einreichen. Denkbar sind Konstellationen, in denen das am Auftrag interessierte Unternehmen zwar Kenntnis von einem Vergaberechts konform ausgeschriebenen Auftrag erhält, es jedoch aus anderen, vergaberechtswidrig Gründen davon abgehalten wird, sich an dem Vergabeverfahren zu beteiligen. 29 Solche Unternehmen sind Bieter oder Bewerber i.S.v. § 134, wenn sie ihr Inte-

resse zur Teilnahme an dem Verfahren dem Auftraggeber gegenüber kundgetan haben.1 Es gibt keinen Grund, diese Unternehmen nicht als betroffene Bieter oder Bewerber i.S.v. § 134 einzustufen. Die Rechtsprechung hat schon zu § 13 VgV in der bis zum 24.4.2009 geltenden Fassung herausgearbeitet, dass der Begriff des Bieters bzw. Bewerbers nicht formal, sondern funktional zu bestimmen ist. Mit Rücksicht auf den nach der Rechtsmittelrichtlinie zu gewährleistenden effektiven Primärrechtsschutz gelte ein weites Verständnis des Begriffs Bieter.2 Diese Rechtsprechung gilt im Rahmen von § 134 fort. Im Rahmen von § 134 gelten also die Grundsätze fort, die sich durch die Entscheidungen der Oberlandesgerichte zu § 13 VgV, und zwar mit einem im Kern übereinstimmenden Gehalt, herausgebildet haben. Hiervon ausgehend entstehen für den öffentlichen Auftraggeber dann die Informationspflichten gem. § 134, wenn zu einem bestimmten Beschaffungsvorhaben mehrere Angebote bekannter Bieter eingegangen sind oder in Bezug auf eine bestimmte Beschaffung – nicht notwendig durch Einreichen eines Angebots – mehrere Unternehmen dem Auftraggeber gegenüber eindeutig ihr Interesse am Auftrag angezeigt oder sich um eine Auftragserteilung beworben haben.3

30 Es stellt sich allenfalls die Frage, ob auch derjenige betroffener Bieter oder Be-

werber ist, der in einem Verhandlungsverfahren, in dem rechtmäßig auf eine Bekanntmachung im Amtsblatt der EU verzichtet wurde, vergaberechtswidrig nicht zur Angebotsabgabe aufgefordert wurde. Außerhalb der in den Rz. 26 und 28 genannten Konstellationen sind solche Fälle allerdings kaum denkbar. Denn in aller Regel wird dann auch ein Verstoß gegen § 135 Abs. 1 Nr. 2 GWB vorliegen, weil in diesen Fällen nicht auf eine EU-Bekanntmachung verzichtet werden kann. In Betracht kommt ein solcher Fall, wenn in einem offenen oder nicht offenen Verfahren keine geeigneten Angebote eingegangen sind und ein Verhandlungsverfahren gem. § 14 Abs. 4 Nr. 1 VgV geführt wird.4 Die Bieter, die sich an dem offenen oder nicht-offenen Verfahren beteiligt haben, sind auch im Hinblick auf das Verhandlungsverfahren betroffene Bieter oder Bewerber, so dass sie informiert werden müssen. Denn auch in diesen Fällen gilt, dass es für den

1 A.A. Maimann in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, GWB-Vergaberecht, § 134 Rz. 21 ff. 2 OLG Düsseldorf v. 2.12.2009 – VII-Verg 39/09 (Berliner Stadtschloss), NZBau 2010, 393– 400. 3 OLG Düsseldorf v. 24.2.2005 – Verg 88/04, juris, zu § 13 VgV. 4 Vgl. Kulartz in Kulartz/Kus/Marx/Portz/Prieß, VgV, § 14 Rz. 40.

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Bieterstatus nicht auf die Beteiligung an dem formalen Vergabeverfahren ankommt, sondern auf die Beteiligung an dem materiellen Vergabevorgang ankommt. Kein Bieter oder Bewerber ist ein Unternehmen, das kein Angebot abgegeben 31 hat, weil es kein Interesse an dem Auftrag hat oder nachträglich erklärt, sich an dem Verfahren nicht länger beteiligen zu wollen. Dies gilt allerdings nicht schon deshalb, weil ein Unternehmen der Verlängerung der Bindefrist nicht zugestimmt hat. Denn nach Ansicht der Rechtsprechung kann auch auf solche Angebote noch der Zuschlag erteilt werden, selbst wenn sie der Bindefristverlängerung innerhalb der vom Auftraggeber gesetzten Frist nicht zustimmen.1 Auch sie müssen informiert werden.

IV. Informationspflichten 1. Umfang der Informationspflicht Der Bieter ist über den Namen des Bieters, dessen Angebot angenommen wer- 32 den soll, über den Grund der vorgesehenen Nichtberücksichtigung seines Angebotes sowie den frühesten Zeitpunkt des Vertragsschlusses zu informieren.2 Wird der Namen des Bieters, dessen Angebot angenommen werden soll, nicht 33 genannt, handelt es sich um keine ausreichende Information i.S.v. § 134 GWB. Zu dem Namen des Bieters gehören bei einer Bietergemeinschaft die Namen aller Mitglieder; bei juristischen Personen auch die richtige Angabe der Rechtsform. Die Nicht-Mitteilung der Rechtsform kann allenfalls dann unschädlich sein, wenn die Firma so eindeutig bezeichnet wird, dass keine Verwechslungen denkbar sind. Dies ist z.B. bei Konzernunternehmen nicht der Fall, weil dort häufig ähnlichen Firmennamen eingetragen sind. Gemäß § 134 muss auch über den frühesten Zeitpunkt des Vertragsschlusses 34 informiert werden. Fehlt die Information, handelt es sich nicht um eine ausreichende Information i.S.v. § 134. Zu § 13 VgV hat die Rechtsprechung vertreten, dass der Vertrag wirksam ist, wenn der Zuschlag nach Ablauf der Frist des § 13 VgV erteilt wurde, der Auftraggeber aber einen späteren Zuschlagstermin mitgeteilt hatte, an den er sich dann nicht hielt.3 Diese Rechtsprechung gilt im Rahmen von § 134 GWB nicht fort, wenn der Auftraggeber in dem Informationsschreiben eine (falsche) spätere Frist angibt. Denn dann ist die Information unzutreffend erteilt worden, und die Frist wird nicht in Gang gesetzt. Die Rechtsprechung gilt im Rahmen von § 134 jedoch fort, wenn in dem Informationsschreiben die Frist des § 134 zutreffend mitgeteilt wird, wenn aber gleichzei1 OLG Düsseldorf v. 9.12.2008 – Verg 70/08, IBR 2009, 468. 2 OLG Düsseldorf v. 19.3.2008 – VII Verg 13/08, juris. 3 OLG Düsseldorf v. 23.5.2007 – Verg 14/07, juris.

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§ 134 | Informations- und Wartepflicht tig erklärt wird, der Auftraggeber werde den Zuschlag erst zu einem späteren Zeitpunkt erteilen. Denn dann wird zugunsten des Bieters kein ausreichender Vertrauenstatbestand geschaffen. Der Bieter weiß in diesem Fall, dass die gesetzliche Frist für das Zuschlagverbot kürzer ist. Im Hinblick darauf, dass umgekehrt auch für den Bieter, dem der Zuschlag erteilt wird, ein Vertrauenstatbestand entsteht, zumal er den Schriftwechsel zwischen Auftraggeber und anderen Bietern nicht kennt, führt das dazu, dass es bei der gesetzlichen Frist bleibt.1 Allerdings wird die Wartefrist nicht in Gang gesetzt, wenn die Überlegungsfrist des Bieters faktisch auf wenige Tage verkürzt wird, indem das Informationsschreiben im Hinblick auf Feiertage etc. so abgesandt wird, dass dem Bieter nur eine Frist von 4 Tagen zur Verfügung steht.2 35 Gemäß § 134 müssen die Gründe der vorgesehenen Nichtberücksichtigung

mitgeteilt werden. Aus der Gesetzesbegründung wird deutlich, dass die Anforderungen an die Begründung erhöht werden sollten. Insbesondere ein bloßer Hinweis darauf, dass das Angebot nicht das wirtschaftlichste sei, soll nicht genügen. Dennoch ist davon auszugehen, dass die Gerichte die Anforderungen an die Begründung nicht deutlich erhöhen werden. Dies folgt aus dem Sinn und Zweck der Informationspflichten. Diese sollen dem Bieter in erster Linie ermöglichen, Primärrechtsschutz in Anspruch nehmen zu können, was bereits durch eine knappe Information ermöglicht wird.3 Daraus muss insbesondere auch im Hinblick auf die Rechtsfolge des § 134 GWB, nämlich Nichtigkeit des geschlossenen Vertrages, gefolgert werden, dass der Auftraggeber sich kurz fassen und zum Zwecke der Verwaltungsvereinfachung auch zu vorformulierten Schreiben greifen darf.4 Nicht ausreichend ist es aber, nur das Zuschlagskriterium: Wirtschaftlichkeit abstrakt zu wiederholen. Der Bieter muss zumindest in Ansätzen nachvollziehen können, welche konkreten Erwägungen ausschlaggebend waren.5

36 Verzichtet hat der Gesetzgeber darauf, den Auftraggeber zu verpflichten, auch

über die Platzierung des Angebotes zu unterrichten. Allerdings wird in der Gesetzesbegründung empfohlen, Informationen auch hierüber zu erteilen, weil sie den Bieter erkennen lassen, ob ein Nachprüfungsverfahren von vorneherein kaum Aussicht auf Erfolg hat, weil das Angebot an abgeschlagener Stelle platziert ist. 2. Textform

37 Die Information muss in Textform erteilt werden. Der Begriff der Textform

wird in § 126b BGB definiert. Die Erklärung muss in einer Urkunde oder auf andere zur dauerhaften Wiedergabe in Schriftzeichen geeigneten Weise abgegeben

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OLG Düsseldorf v. 5.10.2016 – VII-Verg 24/16, NZBau 2017, 119–120. OLG Düsseldorf v. 5.10.2016 – VII-Verg 24/16, NZBau 2017, 119–120. Glahs/Külpmann, VergabeR 2002, 388. BayObLG v. 18.6.2002 – Verg 8/02, VergabeR 2002, 383. KG v. 4.4.2002 – KartVerg 5/02, VergabeR 2002, 127 ff.

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werden, sie muss die Person des Erklärenden nennen und der Abschluss der Erklärung muss durch Nachbildung der Namensunterschrift oder anders erkennbar gemacht werden. § 126b BGB regelt mit der Textform einen neuen Formtyp der lesbaren, aber unterschriftslosen Erklärung. Die Erklärung muss in einer Urkunde oder in einer anderen zur dauerhaften Wiedergabe in Schriftzeichen geeigneten Weise abgegeben werden. Den Anforderungen genügen Verkörperungen auf Papier, Diskette, CD-ROM, aber auch in E-Mail oder einem Computerfax.1 Bei elektronischen, durch E-Mail übermittelten Erklärungen genügt, dass der Empfänger sie speichern und ausdrucken kann. Bei Erklärungen, die in das Internet eingestellt werden, dem Empfänger aber nicht übermittelt worden sind, ist die Textform nur gewahrt, wenn es tatsächlich zu einem Download kommt, anderenfalls nicht2. Schließlich müssen auch die Erfordernisse des § 130 BGB gewahrt sein. Ihnen genügt die elektronische Übermittlung nur, wenn der Empfänger durch Mitteilung seiner E-Mail-Anschrift, Fax-Nr. oder in sonstiger Weise zu erkennen gegeben hat, dass er mit einer telekommunikativen Übermittlung von rechtserheblichen Erklärungen einverstanden ist.3 Weiter muss die Person des Erklärenden genannt werden und der Abschluss der 38 Erklärung muss in geeigneter Weise erkennbar gemacht werden. Einer Unterschrift bedarf es hierzu nicht. Ausreichend ist auch ein Abschluss durch eine Datierung, eine Grußformel oder in sonstiger Weise.4 Die Beweislast für die ordnungsgemäße Absendung der Erklärung trägt der Auf- 39 traggeber. Er muss deshalb insbesondere auch beweisen, dass nach dem Auftreten des Bieters oder Bewerbers eine Übermittlung durch Fax oder E-Mail zulässig war.5

V. Frist des § 134 1. Frist Ein Vertrag darf erst 15 Kalendertage nach Absendung der Information ge- 40 schlossen werden. Die Frist verkürzt sich auf 10 Kalendertage, wenn die Information per Fax oder auf elektronischem Wege erteilt wird. 1 LG Kleve v. 22.11.2002 – 5 S 90/02, NJW-RR 2003, 196. 2 KG v. 18.7.2006 – 5 W 156/06, NJW 2006, 3215; Palandt/Ellenberger, BGB, § 126b Rz. 3; a.A.: OLG Naumburg v. 13.7.2007 – 10 U 14/07 (Hs), NJW-RR 2008, 776; Zenker, JZ 2007, 816, die die Textform auch dann als nicht gewahrt ansehen, wenn ein Download erfolgt. 3 Palandt/Ellenberger, BGB, 76. Aufl. 2017, 126b Rz. 3. 4 Palandt/Ellenberger, BGB, 76. Aufl. 2017, § 126b Rz. 5. 5 Palandt/Ellenberger, BGB, 76. Aufl. 2017, § 126b Rz. 6.

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§ 134 | Informations- und Wartepflicht 2. Fristbeginn/Fristende 41 Die Frist beginnt an dem Tag zu laufen, der dem Tag der Absendung des letzten

Informationsschreibens an die zu informierenden Bieter folgt.1

42 Die Frist berechnet sich nach den §§ 187 ff. BGB. Auch wenn die Frist an einem

Sonn- oder Feiertag oder Sonnabend endet, verlängert sie sich nicht auf den nächsten Werktag, weil § 193 BGB nicht anwendbar ist. § 193 BGB greift nicht, wenn am letzten Tag der Frist keine Handlung vorzunehmen ist, sondern lediglich eine Rechtswirkung eintritt.2 Diese Rechtswirkung ist bei § 134 das Ende des Zuschlagverbots. 3. Absendung der Information oder Sicherstellung des Zugangs der Information?

43 Überwiegend angenommen und vom Gesetzgeber gewollt ist, dass die Frist mit

der Absendung der Information beginnt und es unerheblich ist, ob und wann das Informationsschreibens dem Bieter zugeht.3 Dies entspricht auch dem Wortlaut der Rechtsmittelrichtlinie, in der ebenfalls auf die Absendung des Informationsschreibens, nicht aber den Zugang abgestellt wird. Im Hinblick auf die Pflicht zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes beginnt die Frist allerdings nur zu laufen, wenn der Auftraggeber das Informationsschreiben ordnungsgemäß adressiert und alles Erforderliche getan hat, um den unverzüglichen Zugang des Schreibens sicherzustellen. Fehler bei der Adressierung gehen zu Lasten des Auftraggebers.

44 Es stellt sich nur die Frage, was gilt, wenn das Schreiben ordnungsgemäß adres-

siert war, aber aus Gründen, die keine Partei zu vertreten hat, dennoch nicht vor Ablauf der Frist dem Bieter zugegangen ist. Sowohl nach dem Wortlaut von § 101a GWB als auch der Rechtsmittelrichtlinie kommt es auf den Zugang des Informationsschreibens beim Bieter nicht an. Dennoch bleibt dieses Ergebnis fraglich.4 Zwar war es die Ansicht des historischen Gesetzgebers und auch der Verfasser der Rechtsmittelrichtlinie, dass es nur auf die Absendung des Informationsschreibens, nicht aber den Zugang ankomme. Allerdings wird das Hauptziel, die Gewährung effektiven Primärrechtsschutzes dann nicht erreicht, wenn der Zuschlag auch dann wirksam erteilt werden kann, wenn dem Bieter das Informationsschreiben nicht zugegangen ist. Die Wahrnehmung eigener gesetzlich vorgesehener Rechte kann nur in Kenntnis der Sachlage geschehen. Dies erfordert den Zugang des Schreibens beim Bieter, andernfalls der Primärrechtsschutz

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KG KartVerg 5/02, VergabeR 2002, 235 (239). Palandt/Ellenberger, BGB, 76. Aufl. 2017, § 193 Rz. 2. König in Kulartz/Kus/Portz, GWB-Vergaberecht, § 101a Rz. 20. KG, KartVerg 5/02, VergR 2002, 235; Gröning, WRP 2001, 1 (5); Erdl, VergabeR 2001, 20; Maimann in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, GWB-Vergaberecht, § 134 Rz. 44.

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nicht gewährleistet wäre. Darüber hinaus wäre eine Benachteiligung ausländischer Bieter wegen der längeren Postlaufzeiten etc. nicht zu vermeiden. Aus diesem Grund ist ein Vertrag nur dann nicht gem. § 101a GWB nichtig, wenn das ablehnende Informationsschreiben allen nichtberücksichtigten Bietern jedenfalls vor Ablauf der Frist von 10 bzw. 15 Tagen zugegangen ist.1 4. Pflicht zur erneuten Versendung eines Informationsschreibens Wird der Auftraggeber durch ein Nachprüfungsverfahren verpflichtet, die Wer- 45 tungsentscheidung zu wiederholen, muss er auch erneut ein Informationsschreiben versenden, und zwar selbst dann, wenn die Wertungsentscheidung wiederum dazu führt, dass der bereits früher ausgewählte Bieter den Zuschlag erhalten soll. Nichts anderes gilt, wenn der Auftraggeber – z.B. zur Abwendung eines Nachprüfungsverfahrens – die Wertungsentscheidung wiederholt. Dagegen entsteht keine neue Informationspflicht, wenn der Auftraggeber seine 46 Wertungsentscheidung ergänzend begründet, z.B. auch damit, dass zusätzliche Ausschluss-gründe genannt werden, die der Auftraggeber bei seiner früheren Wertungsentscheidung noch nicht berücksichtigt hatte.2

VI. Ausnahme: Verhandlungsverfahren wegen Dringlichkeit Die Informationspflicht gem. § 101a GWB entfällt, wenn der Auftraggeber ein 47 Verhandlungsverfahren ohne Bekanntmachung wegen besonderer Dringlichkeit durchgeführt hat und durchführen durfte (§ 101a Abs. 2 GWB). Die Informationspflicht entfällt also nur, wenn der Auftraggeber nicht nur davon ausgegangen ist, so vorgehen zu dürfen, sondern nur dann wenn, materiell-rechtlich ein Fall besonderer Dringlichkeit vorlag. Dies ist z.B. bei Naturkatastrophen, wie Überschwemmungen, Bränden oder Ähnlichem der Fall. Für die Bieter, die sich an einem solchen Verhandlungsverfahren beteiligt haben, tritt dann eine Verkürzung des Rechtsschutzes ein, weil sie vor Zuschlagserteilung nicht mehr informiert werden. Dies wird aber im Hinblick auf die übergeordneten Interessen der Gefahrenabwehr hingenommen.

VII. Die Ausnahmetatbestände (§ 134 Abs. 3) Die Informationspflicht entfällt, wenn der Auftraggeber wegen besonderer 48 Dringlichkeit ein Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb durchführen darf, d.h. wenn die Voraussetzungen des § 14 Abs. 4 Nr. 3 VgV bzw. § 3a Abs. 3 Nr. 4 EU VOB/A. 1 KG, KartVerg 5/02, VergR 2002, 235 (239). 2 OLG Düsseldorf v. 23.5.2007 – Verg 14/07.

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§ 135 | Unwirksamkeit Weiter bestimmt Abs. 3, dass es bei der Vergabe von Aufträgen im Bereich Verteidigung und Sicherheit (§ 147) im Ermessen des Auftraggebers bestimmte Informationen nicht zu erteilen, wenn die Offenlegung den Gesetzesvollzug behindert, dem öffentlichen Interesse zu widerläuft oder berechtigte geschäftliche Interessen von Unternehmen schädigt.

VIII. Rüge gemäß § 160 49 Auch ein Verstoß gegen § 134 kann in einem Vergabenachprüfungsverfahren

nur geltend gemacht werden, wenn der Auftragnehmer den Verstoß gegen § 134 unverzüglich rügt.1

IX. Rechtsfolgen des Verstoßes gegen § 134 50 Die Rechtsfolgen eines Verstoßes gegen § 134 sind nicht in § 134, sondern in

§ 135 GWB geregelt.2

§ 135 Unwirksamkeit (1) Ein öffentlicher Auftrag ist von Anfang an unwirksam, wenn der öffentliche Auftraggeber 1. gegen § 134 verstoßen hat oder 2. den Auftrag ohne vorherige Veröffentlichung einer Bekanntmachung im Amtsblatt der Europäischen Union vergeben hat, ohne dass dies aufgrund Gesetzes gestattet ist, und dieser Verstoß in einem Nachprüfungsverfahren festgestellt worden ist. (2) Die Unwirksamkeit nach Absatz 1 kann nur festgestellt werden, wenn sie im Nachprüfungsverfahren innerhalb von 30 Kalendertagen nach der Information der betroffenen Bieter oder Bewerber durch den öffentlichen Auftraggeber über den Abschluss des Vertrages, jedoch nicht später als sechs Monate nach Vertragsschluss geltend gemacht worden ist. Hat der Auftraggeber die Auftragsvergabe im Amtsblatt der Europäischen Union bekannt gemacht, endet die Frist zur Geltendmachung der Unwirksamkeit 30 Kalendertage nach Veröffentlichung der Bekanntmachung der Auftragsvergabe im Amtsblatt der Europäischen Union. 1 Vgl. VK Darmstadt v. 8.2.2015 – 69d VK – 35/2015, nicht veröffentlicht. 2 Zu der Frage, ob jede unzutreffende Information die Unwirksamkeitsfolge des § 134 auslöst, s. die Kommentierung zu § 135.

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(3) Die Unwirksamkeit nach Absatz 1 Nummer 2 tritt nicht ein, wenn 1. der öffentliche Auftraggeber der Ansicht ist, dass die Auftragsvergabe ohne vorherige Veröffentlichung einer Bekanntmachung im Amtsblatt der Europäischen Union zulässig ist, 2. der öffentliche Auftraggeber eine Bekanntmachung im Amtsblatt der Europäischen Union veröffentlicht hat, mit der er die Absicht bekundet, den Vertrag abzuschließen, und 3. der Vertrag nicht vor Ablauf einer Frist von mindestens zehn Kalendertagen, gerechnet ab dem Tag nach der Veröffentlichung dieser Bekanntmachung, abgeschlossen wurde. Die Bekanntmachung nach Satz 1 Nummer 2 muss den Namen und die Kontaktdaten des öffentlichen Auftraggebers, die Beschreibung des Vertragsgegenstands, die Begründung der Entscheidung des Auftraggebers, den Auftrag ohne vorherige Veröffentlichung einer Bekanntmachung im Amtsblatt der Europäischen Union zu vergeben, und den Namen und die Kontaktdaten des Unternehmens, das den Zuschlag erhalten soll, umfassen. I. Einführung 1. Inhaltsübersicht . . . . . . . . . . . . 2. Entstehungsgeschichte/ Hintergrund . . . . . . . . . . . . . . 3. Gesetzesmaterialien . . . . . . . . . II. Anwendungsbereich . . . . . . . . III. Voraussetzungen der Unwirksamkeit des Vertrages . . . . . . . 1. Verstoß gegen § 134 . . . . . . . . . 2. Verstoß gegen § 135 Abs. 1 Nr. 2 3. Ausnahme von der Unwirksamkeitsfolge bei freiwilliger Ex-anteTransparenz gemäß § 135 Abs. 3 4. Feststellung des Verstoßes in einem Nachprüfungsverfahren . 5. Schwebende Wirksamkeit des Vertrages bis zur Feststellung in einem Nachprüfungsverfahren?

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IV. Rechtsfolgen der Unwirksamkeit des Vertrages gem. § 135 1. Unwirksamkeit ex tunc . . . . . . . 2. Rückabwicklung des Vertrages . 3. Schadensersatz des Auftragnehmers gegen den Auftraggeber? . . V. Unwirksamkeit des Vertrages aus anderen Gründen 1. § 134 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . 2. § 138 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Sonstige Unwirksamkeitsgründe VI. Rechtsfolgen bei Wirksamkeit des Vertrages 1. Europarechtswidrigkeit? . . . . . . 2. Rechtsfolgen der Europarechtswidrigkeit für den geschlossenen Vertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . .

__ _ __ _ _ _ 22 23 25

26 28 30

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I. Einführung 1. Inhaltsübersicht § 135 regelt die Rechtsfolgen für den Vertrag, wenn die erforderlichen Informa- 1 tionen nicht erteilt worden sind. §§ 134, 135 müssen zusammen gelesen und anGlahs

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§ 135 | Unwirksamkeit gewendet werden. Sie ersetzen § 13 VgV in der bis zum 24.4.2009 geltenden Fassung bzw. §§ 101a, 101b GWB a.F. Gemäß § 134 muss der Auftraggeber 15 bzw. 10 Kalendertage vor Zuschlagerteilung die Bieter, die er nicht berücksichtigen will, über den Namen des erfolgreichen Bieters, über den Grund der vorgesehenen Nichtberücksichtigung ihres Angebotes sowie über den frühesten Zeitpunkt der Zuschlagerteilung schriftlich unterrichten. Wird die Information nicht oder nicht ordnungsgemäß erteilt, ist der Vertrag unwirksam, wenn der Verstoß gegen § 134 in einem Nachprüfungsverfahren festgestellt wurde (§ 135). Gleiches gilt, wenn der Auftraggeber den Auftrag ohne vorherige Bekanntmachung im Amtsblatt der EU vergeben hat, ohne dass ihm dies aufgrund Gesetzes gestattet war. 2. Entstehungsgeschichte/Hintergrund 2 Die §§ 134, 135 dienen der Umsetzung der Richtlinie 89/665/EWG in der Fas-

sung der Richtlinie 2007/66/EG („Rechtsmittelrichtlinie“). Deshalb kann zur Auslegung der §§ 134, 135 die Rechtsmittelrichtlinie herangezogen werden. Die §§ 134, 135 entsprechen außerdem weitgehend den Vorgängerbestimmungen, so dass zur Auslegung auch auf die Rechtsprechung zu §§ 101a und b GWB a.F. zurückgegriffen werden kann.1 3. Gesetzesmaterialien

3 Die amtliche Begründung zu § 135 führt aus:2

„Zu Absatz 1 § 135 Absatz 1 entspricht im Wesentlichen dem bisherigen § 101b Absatz 1 Satz 1 und 2 GWB. Der Anwendungsbereich des Absatzes 1 Nummer 2 wird dahingehend neu gefasst, dass für die Unwirksamkeit auf die fehlende vorherige Veröffentlichung einer Bekanntmachung im Amtsblatt der Europäischen Union abgestellt wird. Diese Neufassung dient der Umsetzung der Vorgaben des Artikel 2d Absatz 1 Buchstabe a der Richtlinien 89/665/EWG und 92/13/EWG, jeweils in der Fassung der Richtlinie 2007/66/EG und entspricht der erweiternden Auslegung des § 101b Absatz 1 Nummer 2 GWB durch die Rechtsprechung (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 11. Januar 2012, VII-Verg 67/11 m.w.N.). Zu Absatz 2 § 135 Absatz 2 Satz 1 entspricht im Wesentlichen dem bisherigen § 101b Absatz 2 Satz 1 GWB, mit der Änderung, dass nunmehr der Lauf der Frist, innerhalb der ein Unternehmen die Feststellung der Unwirksamkeit eines Vertrags beantragen kann, eine Information der betroffenen Bieter oder Bewerber durch den öffentlichen Auftraggeber über den Abschluss des Vertrags voraussetzt. Eine anderweitige Kenntnis1 Siehe § 134 Rz. 5, 7 ff. 2 BT-Drucks. 18/6281, 123.

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erlangung durch den Bieter oder Bewerber genügt als fristauslösendes Ereignis nicht. Diese Änderung dient der Umsetzung des Artikel 2f Absatz 1 Buchstabe a der Richtlinien 89/665/EWG und 92/13/EWG, jeweils in der Fassung der Richtlinie 2007/66/ EG. Absatz 2 bezieht sich insoweit auf die in Absatz 1 genannten Verstöße, also auf einen Vertragsschluss ohne vorherige Mitteilung an die unterlegenen Bieter und Bewerber nach § 134 bzw. ohne Veröffentlichung einer Bekanntmachung im Amtsblatt der Europäischen Union (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 3. August 2011, VII Verg 33/11). § 135 Absatz 2 Satz 2 entspricht dem bisherigen § 101b Absatz 2 Satz 2 GWB. Indem auf die Veröffentlichung der Bekanntmachung der Auftragsvergabe im Amtsblatt der Europäischen Union als fristauslösendes Ereignis abgestellt wird, beruht die Kenntnis der betroffenen Bieter oder Bewerber von einem Verstoß gegen Absatz 1 entsprechend des Artikel 2f Absatz 1 Buchstabe a der Richtlinien 89/665/ EWG und 92/13/EWG, jeweils in der Fassung der Richtlinie 2007/66/EG, auch insoweit auf einer Information des öffentlichen Auftraggebers. Zu Absatz 3 § 135 Absatz 3 übernimmt die in Artikel 2d der Richtlinie 89/665/EWG und 92/ 13/EWB, jeweils in der Fassung der Richtlinie 2007/66/EG, vorgesehene Möglichkeit, die Unwirksamkeit eines öffentlichen Auftrags zu vermeiden, wenn der öffentliche Auftraggeber der Ansicht ist, eine Vergabe sei ohne vorherige Veröffentlichung im Amtsblatt der Europäischen Union zulässig, indem der öffentliche Auftraggeber unter bestimmten Voraussetzungen im Amtsblatt der Europäischen Union die Absicht des Vertragsschlusses bekundet und dieser Vertragsschluss nicht vor Ablauf einer Frist von mindestens 10 Kalendertagen gerechnet ab dem Tag nach der Veröffentlichung der Bekanntmachung abgeschlossen wird, siehe auch EuGH, Rs. C-19/13, Urteil vom 11. September 2014, „Fastweb SpA“, Rn. 42.“ Die amtliche Begründung des Gesetzesentwurfs zu § 101b GWB a.F. führt aus1: 4 „§ 101b regelt in Abs. 1, dass die Verletzung der Informationspflicht gem. § 101a und der Fall, bei dem der öffentliche Auftraggeber unter Verletzung der Vergaberegeln den Auftrag direkt an ein Unternehmen vergibt, zur schwebenden Unwirksamkeit des Vertrages führt. Die bisherige Rechtsfolge der Nichtigkeit in § 13 Vergabeverordnung wird nicht übernommen. Es erscheint sachgerechter, den Vertrag zu einer aufschiebenden oder auflösenden Bedingung zu stellen. Ein Vertrag ist von Anfang an wirksam, wenn die Frist nach Abs. 2 abgelaufen und die Unwirksamkeit nicht in einem Nachprüfungsverfahren geltend gemacht wurde. Abs. 2 führt eine Frist zur Geltendmachung der Unwirksamkeit ein. Nach Ablauf der Frist besteht Rechtssicherheit über den geschlossenen Vertrag. Die Geltendmachung kann nur durch Einleitung eines Nachprüfungsverfahrens durch einen Antragsbefugten von der Vergabekammer erfolgen. Ein Vertragspartner, der sich möglicherweise im Nachhinein aus anderen Gründen von der vertraglichen Verpflichtung lösen möchte, kann sich dagegen nicht auf § 101b stützen. Für den Fall, 1 BT-Drucks. 16/10117, S. 21.

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§ 135 | Unwirksamkeit dass die europäische Rechtsentwicklung dazu veranlasst, in bestehende Vertragsverhältnisse einzugreifen, besteht in Deutschland die Möglichkeit, § 313 BGB auf den geschlossenen Vertrag anzuwenden. Hat der öffentliche Auftraggeber die Auftragsvergabe im Amtsblatt der Europäischen Union bekannt gemacht, verkürzt sich die Frist zur Feststellung der Unwirksamkeit des Vertrages auf 30 Tage nach Veröffentlichung dieser Bekanntmachung über die Auftragsvergabe.“

II. Anwendungsbereich 5 § 135 ist anwendbar, wenn ein öffentlicher Auftraggeber einen öffentlichen Auf-

trag oder eine Rahmenvereinbarung oberhalb der EU-Schwellenwerte vergeben will und einer der Ausnahmetatbestände der §§ 107 ff. GWB nicht greift.

6 Die §§ 134, 135 gelten auch bei Auftragsvergaben im Sektorenbereich (§ 142),

bei der Vergabe von Konzessionen (§ 154) sowie bei der Vergabe von Aufträgen im Bereich Verteidigung und Sicherheit (§ 147), allerdings mit der Einschränkung in § 134 Abs. 3 GWB.

III. Voraussetzungen der Unwirksamkeit des Vertrages 7 Die Unwirksamkeit eines Vertrages gem. § 135 setzt einen Verstoß gegen § 134

oder einen Verstoß gegen § 135 Abs. 1 Nr. 2 und die Feststellung der Unwirksamkeit in einem Nachprüfungsverfahren voraus. 1. Verstoß gegen § 134

8 Ein Verstoß gegen § 134 liegt vor, wenn nicht alle betroffenen Bietern und Be-

werbern eine Information gem. § 134 erhalten haben, wenn die erteilten Informationen unvollständig i.S.v. § 134 sind, wenn die Frist zwischen der Absendung des Informationsschreibens und der Zuschlagerteilung nicht eingehalten wurde oder gar keine Information erteilt wurde, obwohl die Voraussetzungen für ein Verhandlungsverfahren wegen Dringlichkeit gem. § 134 Abs. 3 nicht vorlagen1.

9 Schon bei § 13 VgV in der bis 24.4.2009 geltenden Fassung stellte sich die Frage,

ob jeder Verstoß gegen die Informationspflichten zur Nichtigkeit des Vertrages führt. Bei § 101b GWB a.F. und bei § 134 stellt sich die Frage, ob jeder Verstoß gegen diese Vorschriften zur Unwirksamkeit des Vertrages führen kann. Nach dem Wortlaut der Vorschrift ist dies der Fall. Der Wortlaut ist jedoch im Hinblick auf den Sinn und Zweck der Vorschrift einschränkend auszulegen. § 134 dient der Gewährung effektiven Rechtsschutzes. Deshalb ist das Tatbestands-

1 Wegen der Einzelheiten wird auf die Kommentierung zu § 134 verwiesen.

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merkmal des § 135 Abs. 1 Nr. 1 nicht erfüllt, wenn trotz eines Verstoßes gegen § 134 unter keinem denkbaren Gesichtspunkt der Rechtsschutz eines Bieters verkürzt worden sein kann.1 Nach der Gegenansicht kommt es darauf nicht an.2 Im Ergebnis führt die Gegenansicht allerdings zu keinen wesentlich anderen Rechtsfolgen, weil der Nachprüfungsantrag dennoch wegen der fehlenden Antragsbefugnis oder Rechtsverletzung abgelehnt werden muss. Die Voraussetzung von § 135 Abs. 1 Nr. 1 liegt z.B. nicht vor, wenn der Auftrag- 10 geber in dem Informationsschreiben die Wartefrist unzutreffend zu lang angegeben hat, den Zuschlag aber erst nach Ablauf der falsch bemessenen, zu langen Frist erteilt hat. In diesem Fall liegt kein Verstoß gegen § 134 vor, obwohl die Information gem. § 134 nicht ordnungsgemäß erteilt wurde. Denn der Verstoß hat zu keiner Rechtsschutzverkürzung geführt. An einer Rechtsschutzverkürzung kann es auch bei einer unvollständigen oder 11 unzutreffenden Angabe über die Gründe der Nichtberücksichtigung fehlen. Dies ist z.B. der Fall, wenn drei Ausschlussgründe bestehen, der Auftraggeber aber nur einen Ausschlussgrund genannt hat. Entscheidend ist, ob die unvollständige oder unrichtige Information das Unternehmen, das ein Nachprüfungsverfahren einleiten will, jedenfalls abstrakt davon abgehalten haben kann, ein solches Nachprüfungsverfahren einzuleiten. Ist dies nicht der Fall, ist § 135 Abs. 1 Nr. 2 einschränkend dahin auszulegen, dass trotz Verstoß gegen § 134 keine Unwirksamkeit des Vertrages eintreten kann. Nicht gefolgt werden kann allerdings der Ansicht, dass ein Bieter oder Bewerber, 12 der auf andere Weise inhaltlich über den geplanten Vertragsschluss unterrichtet wurde, nicht durch §§ 134, 135 geschützt werden soll, und zwar auch dann nicht, wenn er die entsprechenden Informationen nur von dritter Seite erhalten hat. Im Hinblick auf die sehr kurzen Fristen des § 135 kann dieser Ansicht nicht gefolgt werden. Sie würde zu einer Verkürzung des Rechtsschutzes führen. Darüber hinaus ist es dem Auftraggeber zuzumuten, jedenfalls die Anforderungen von § 134 einzuhalten. Dadurch wird der Auftraggeber nicht unangemessen belastet. 2. Verstoß gegen § 135 Abs. 1 Nr. 2 Außer bei einem Verstoß gegen § 134 ist der Vertrag dann unwirksam, wenn 13 der Auftrag ohne vorherige Veröffentlichung einer Bekanntmachung im Amtsblatt der EU vergeben wird, ohne dass dies aufgrund Gesetzes gestattet ist. § 135 Abs. 1 Nr. 2 unterscheidet sich von § 101b GWB a.F. Während § 101b 14 GWB a.F. als Tatbestandsmerkmal vorsah, dass eine öffentlicher Auftrag unmit1 Dreher in Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, § 101b Rz. 24; Kühnen in Byok/Jaeger, Kommentar zum Vergaberecht, § 101a Rz. 17. 2 Maimann in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, GWB-Vergaberecht, § 135 Rz. 13.

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§ 135 | Unwirksamkeit telbar an ein Unternehmen erteilt wurde, ohne andere Unternehmen an dem Vergabeverfahren zu beteiligen, stellt § 135 darauf ab, dass ein Auftrag ohne Veröffentlichung einer Bekanntmachung im Amtsblatt der EU vergeben werden soll. Die Änderung hat den Vorteil, dass nunmehr schon durch den Wortlaut klargestellt ist, dass der Tatbestand des § 135 auch dann eröffnet ist, wenn zwar mit mehreren Unternehmen verhandelt wurde, wenn diese Unternehmen auch gem. § 134 informiert wurden, wenn aber andere Unternehmen vergaberechtswidrig nicht den Status als Bieter oder Bewerber erlangt haben, weil ohne sachlichen Grund eine Bekanntmachung der geplanten Vergabe im Amtsblatt der EU unterblieb. 15 Der Bekanntmachung gleichgestellt ist eine Vorinformation mit Aufruf zum

Wettbewerb gem. § 38 Abs. 4 VgV. Denn auch durch eine solche Vorinformation ist ein Unternehmen ausreichend darüber unterrichtet, dass ein Auftrag ohne erneute oder weitere Bekanntmachung vergeben werden soll.

16 Anders als nach der Richtlinie 2004/18/EG kann nach der Richtlinie 2014/24/EU

und dem entsprechenden nationalen Recht nur noch in sehr wenigen Fällen auf eine Auftragsbekanntmachung in Sinn von § 135 Abs. 1 Nr. 2 verzichtet werden. Dies beruht vor allem darauf, dass der nach altem Recht geltende Ausnahmetatbestand für sog. nicht-prioritäre Dienstleistungen entfallen ist und auch bei diesen in der Regel eine Bekanntmachung erfolgen muss. Auf eine Bekanntmachung kann nur noch verzichtet werden, wenn der Auftraggeber berechtigt ist, ein Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb durchzuführen, d.h. wenn die Voraussetzungen von § 14 Abs. 4 VgV bzw. § 3a Abs. 3 EU VOB/A vorliegen.

3. Ausnahme von der Unwirksamkeitsfolge bei freiwilliger Ex-ante-Transparenz gemäß § 135 Abs. 3 17 Ist der öffentliche Auftraggeber der Ansicht, er könne auf eine Bekanntmachung

im Amtsblatt der EU verzichten, musste er nach altem Recht mit der Unsicherheit leben, dass seine Rechte an sich unzutreffend war. Er konnte allenfalls den erfolgten Vertragsschluss im Amtsblatt der EU bekannt machen, so dass sich die Frist zur Einlegung eines Nachprüfungsverfahrens auf zehn Tage verkürzte. Nunmehr haben die Auftraggeber die Möglichkeit, vor Abschluss eines Vertrages Rechtssicherheit zu erlangen, indem sie spätestens zehn Tage vor Abschluss des Vertrages die geplante Vergabe im Amtsblatt der EU bekannt machen und die Informationen gem. § 135 Abs. 3 erteilen.1

18 Die Unwirksamkeit entfällt aber nur, wenn alle Voraussetzungen des § 135

Abs. 3 erfüllt sind. Während die Voraussetzungen von Abs. 3 Nr. 2 und 3 leicht festzustellen sind, können sich bei der Feststellung, ob die Voraussetzungen von Abs. 3 Nr. 1 erfüllt sind, Schwierigkeiten ergeben. Denn es muss festgestellt wer1 Vgl. Henzel, NZBau 2016, 148.

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den, dass der öffentliche Auftraggeber der Ansicht ist, die Auftragsvergabe ohne vorherige Veröffentlichung einer Bekanntmachung im Amtsblatt der EU beauftragen zu können. Es muss also eine innere Tatsache festgestellt werden. Um den Ausnahmetatbestand des § 135 Abs. 3 GWB im Hinblick auf seinen Sinn und Zweck nicht unangemessen zu verengen, ist die Voraussetzung der Nr. 1 nur dann nicht erfüllt, wenn der Auftraggeber positive Kenntnis davon hatte, dass auf eine EU-Bekanntmachung nicht verzichtet werden konnte, wozu auch die entsprechende Rechtskenntnis gehört.1 Diese Auslegung ist insbesondere im Hinblick auf den Sinn und Zweck des § 135 Abs. 3 GWB gerechtfertigt, weil die Vorschrift gerade für die Fälle geschaffen wurde, in denen auf Seiten des Auftraggebers Unsicherheit besteht, ob er von dem Ausnahmetatbestand Gebrauch machen kann oder nicht. 4. Feststellung des Verstoßes in einem Nachprüfungsverfahren Der Verstoß gegen § 135 muss in einem Nachprüfungsverfahren nach Abs. 2 19 festgestellt worden sein. Dieses Nachprüfungsverfahren muss innerhalb von 30 Kalendertagen ab Kenntnis des Verstoßes eingeleitet werden. Es kann ferner, unabhängig von der Kenntnis, längstens sechs Monate nach dem Vertragsschluss eingeleitet werden. Diese Frist verkürzt sich auf 30 Kalendertage nach Veröffentlichung der Bekanntmachung, wenn die erfolgte Auftragsvergabe im Amtsblatt der Europäischen Union bekannt gemacht worden ist. Bei § 13 VgV wurde allgemein die Ansicht vertreten, dass der Verstoß gegen 20 § 13 VgV isoliert nicht dazu führen kann, dass der Nachprüfungsantrag begründet ist. Vielmehr führte ein Verstoß gegen § 13 VgV nur dazu, den Rechtsschutz zu eröffnen. Begründet war der Nachprüfungsantrag aber nur, wenn neben dem Verstoß gegen § 13 VgV a.F. auch ein materiell-rechtlicher Verstoß gegen das Vergaberecht und eine Rechtsverletzung des Bieters in materiell-rechtlicher Hinsicht vorlag. Aus dem Wortlaut von § 135 GWB ergibt sich nicht, ob in einem Nachprüfungsverfahren die Unwirksamkeit des Vertrages wegen eines Verstoßes gegen § 135 festgestellt werden kann, ohne dass ein weiterer Verstoß gegen vergaberechtliche Vorschriften vorliegt. Zutreffend ist, dass die Unwirksamkeit des Vertrages in einem Nachprüfungsverfahren nur festgestellt werden kann, wenn der Nachprüfungsantrag zulässig und begründet ist2. Denn die Informations- und Wartepflicht dient nur dazu, den nicht berücksichtigten Bietern die Möglichkeit zur Erlangung von Primärrechtsschutz zu gewähren. Ist zwar gegen § 135 verstoßen worden, fehlt es aber im Übrigen an der Zulässigkeit des Nachprüfungsantrags (fehlende Antragsbefugnis, fehlende Rügeobliegenheit) oder an der Begründetheit des Nachprüfungsantrags, weil der Bieter – abgesehen von dem Verstoß gegen § 135 – nicht in seinen Rechten verletzt ist, ist 1 Wohl enger: Maimann in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, GWB-Vergaberecht, § 135 Rz. 56 f. 2 Maimann in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, GWB-Vergaberecht, § 135 Rz. 24 ff.

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§ 135 | Unwirksamkeit der Nachprüfungsantrag unzulässig oder unbegründet und kann auch die Unwirksamkeit des Vertrages nicht festgestellt werden. 5. Schwebende Wirksamkeit des Vertrages bis zur Feststellung in einem Nachprüfungsverfahren? 21 Dem Wortlaut und der gesetzlichen Begründung zu § 135 lässt sich nicht ent-

nehmen, ob der geschlossene Vertrag bis zur Feststellung der Unwirksamkeit des Vertrages in einem Nachprüfungsverfahren schwebend wirksam oder schwebend unwirksam ist, d.h. mit anderen Worten, ob die Parteien in diesem Zeitraum zur Erbringung ihrer wechselseitigen Leistungen verpflichtet sind1. Nach dem Sinn und Zweck des § 135 liegt bis zur Feststellung der Unwirksamkeit des Vertrages bzw. bis zum Fristablauf eine schwebende Wirksamkeit des Vertrages vor, d.h. Auftraggeber und Auftragnehmer sind bis zur Feststellung der Unwirksamkeit des Vertrages an diesen gebunden, d.h. sie müssen die entsprechenden Leistungen erbringen2. Für diese Auslegung spricht zunächst, wenn auch nicht eindeutig, der Wortlaut von § 135. Dort heißt es nicht, der Vertrag wird von Anfang an wirksam, wenn die Unwirksamkeit nicht festgestellt wird, vielmehr heißt es, der Vertrag ist von Anfang an unwirksam, wenn dies in einem Nachprüfungsverfahren festgestellt wird. Darüber hinaus spricht auch der Sinn und Zweck des § 135 dafür, dass der Vertrag schwebend wirksam ist. Denn nur so wird das Ziel des § 135 erreicht, nämlich, den Vertrag gemäß den vertraglichen Vereinbarungen abzuwickeln, es sei denn, die Unwirksamkeit wird ausdrücklich festgestellt. Durch diese Auslegungen werden auch weder der Auftraggeber noch der Auftragnehmer unangemessen benachteiligt. Zwar ist es so, dass der Vertrag insgesamt rückabgewickelt werden muss, wenn die Unwirksamkeit nachträglich festgestellt wird. Der Auftragnehmer wird hierdurch aber nicht unangemessen belastet, weil er nach den Grundsätzen des Verschuldens bei Vertragsverhandlungen Schadensersatzansprüche geltend machen kann. Der Auftraggeber ist nicht belastet, weil es seine Verpflichtung ist, die Vorschriften der §§ 134, 135 ordnungsgemäß anzuwenden.

IV. Rechtsfolgen der Unwirksamkeit des Vertrages gem. § 135 1. Unwirksamkeit ex tunc 22 Ist der Nachprüfungsantrag erfolgreich, stellt die Vergabekammer die Unwirk-

samkeit des Vertrages mit Wirkung ex tunc fest3. Der Vertrag ist von Anfang an unwirksam. Wird die Unwirksamkeit festgestellt, gilt sie gegenüber jedermann.

1 Maimann in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, § 135 Rz. 64; Dreher/Hoffmann, NZBau 2010, 201 f. 2 Maimann in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, GWB-Vergaberecht, § 135 Rz. 64; Dreher/Hoffmann, Die schwebende Unwirksamkeit, NZBau 2010, 201 f. 3 VK Arnsberg v. 16.12.2009 – VK 36/09, IBRRS 2010, 0384.

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Auch der Auftraggeber und der Auftragnehmer können sich dann auf die Unwirksamkeit des Vertrages berufen. 2. Rückabwicklung des Vertrages Sofern der Auftraggeber und Auftragnehmer vor Feststellung der Unwirksamkeit 23 bereits Leistungen erbracht haben, sind diese rückabzuwickeln. Anwendbar sind die §§ 812 ff. BGB.1 Die Leistungen, die der Auftraggeber und/oder der Auftragnehmer bereits erbracht haben, wurden ohne Rechtsgrund erbracht, so dass die § 812 BGB herausgegeben werden müssen. Ist die Herausgabe wegen der Beschaffenheit der Erlangten nicht möglich oder ist der Empfänger aus einem anderen Grunde zur Herausgabe außerstande, so hat er den Wert zu ersetzen (§ 818 Abs. 2 BGB). Insbesondere bei Dienstleistungen hindert deren Beschaffenheit in der Regel die Rückgewähr, ebenso bei nicht verkörperten Werkleistungen. Der Wertersatz bemisst sich dann nach der üblichen, hilfsweise nach der angemessenen vom Vertragspartner ersparten, höchstens nach der vereinbarten Vergütung2. Nicht gefolgt werden kann der Ansicht, dass eine Rückabwicklung der erbrach- 24 ten Leistungen nach Bereicherungsgrundsätzen nicht stattfindet, wenn und soweit im Zeitpunkt der Feststellung des Vergabeverstoßes und der Unwirksamkeit des erteilten Auftrages im Nachprüfungsverfahren der Aufragnehmer Leistungen bereits erbracht hat3. Diese Ansicht ist schon mit dem Wortlaut von § 135 nicht zu vereinbaren, weil sie gerade nicht zur Unwirksamkeit des Vertrages von Anfang an führt. Darüber hinaus ist diese Auslegung bzw. einschränkende Auslegung von § 135 auch deshalb nicht hinzunehmen, weil sie zu einer erheblichen Einschränkung der tatsächlichen Rechtsschutzmöglichkeiten anderer Bieter führen würde. Die Ansicht ist auch nicht erforderlich, weil der Auftragnehmer über etwaige Schadensersatzansprüche aus Verschulden bei Vertragsverhandlungen ausreichend geschützt wird und der Auftraggeber nicht schutzwürdig ist. 3. Schadensersatz des Auftragnehmers gegen den Auftraggeber? Informiert die Vergabestelle einen Bieter pflichtwidrig nicht über die begründete 25 Vergaberüge eines Dritten und die dadurch drohende Aufhebung eines Vergabeverfahrens, kann sie auf Aufwendungsersatz in Anspruch genommen werden4. 1 Maimann in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, GWB-Vergaberecht, § 135 Rz. 64; Dreher/Hoffmann, Die schwebende Unwirksamkeit, NZBau 2010, 201 f. 2 BGH v. 31.5.1990 – VII ZR 336/89, BGHZ 111, 308 = MDR 1990, 1100 (314); BGH v. 6.4. 1694 – II ZR 75/62, BGHZ 41, 282 (288 f.); BGH v. 25.6.1962 – VII ZR 120/61, BGHZ 37, 258 (164). 3 So König in Kulartz/Kus/Portz, GWB-Vergaberecht, 3. Aufl. 2014, § 101b Rz. 4 ff. 4 OLG Dresden v. 10.1.2008 – 20 U 1697/03, IBR 2009, 2312, nachfolgend: BGH v. 3.3. 2009 – X ZR 22/08, juris, Nichtzulassungsbeschwerde zurückgewiesen.

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§ 135 | Unwirksamkeit Rechtsgrundlage für solche Schadenersatzansprüche sind die §§ 311 Abs. 2, 241 Abs. 2 i.V.m. § 280, 282 BGB. Es handelt sich um Schadensersatzansprüche wegen Verschuldens bei Vertragsverhandlungen1. Verlangt der Auftraggeber von dem Auftragnehmer, dass dieser während des Schwebezustandes die vertraglichen Leistungen erbringt und wird dann festgestellt, dass der Vertrag unwirksam war, können dem Auftragnehmer Schadensersatzansprüche aus Verschulden bei Vertragsverhandlungen zustehen. Denn die Verpflichtung, die §§ 135, 136 ordnungsgemäß einzuhalten, ist eine Verpflichtung, die allein den Auftraggeber trifft.

V. Unwirksamkeit des Vertrages aus anderen Gründen 1. § 134 BGB 26 Der Abschluss eines vergabepflichtigen Auftrags ohne vorherige Durchführung

des gebotenen Vergabeverfahrens führt nicht zur Nichtigkeit gem. § 134 BGB i.V.m. §§ 97 Abs. 1, 134, 135. Jedenfalls entspricht dies der ganz überwiegenden Ansicht in Literatur und Rechtsprechung.2 Diese Auffassung vertrat zu § 13 VgV insbesondere das OLG Düsseldorf3. Allerdings hatte das Kammergericht Berlin es für „durchaus erwägenswert“ gehalten, die Nichtigkeitsfolge aus § 134 BGB i.V.m. § 97 Abs. 1, 101 Abs. 1 GWB, § 4 Abs. 1 VgV herzuleiten.4 Zwar habe der Gesetzgeber mit der Schaffung des Vergaberechtsschutzes eigentlich den Grundsatz „pacta sunt servanda“ nicht antasten wollen, es sei jedoch zu bedenken, dass die Herleitung der Nichtigkeitsfolge aus den genannten Normen mit dem Wortlaut des Gesetzes nicht schlechterdings unvereinbar erscheine. Der EuGH habe bei Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland mehrfach entschieden, dass Verträge über die Vergabe öffentlicher Aufträge, die unter Missachtung des in der Richtlinie 92/50/EWG (Dienstleistungskoordinierungsrichtlinie) vorgeschriebenen Verfahren zustande gekommen seien, während ihrer gesamten Vertragslaufzeit eine Vertragsverletzung darstellten. Hinsichtlich der sich aus dieser Verletzung ergebenden Folgen seien die Mitgliedsstaaten jedoch nicht festgelegt. Zwar könne man sich – entsprechend Art. 2 Abs. 6 der Richtlinie 89/665/EWG – auf die Gewährung von Schadensersatz an die durch den Verstoß geschädigten Personen beschränken, die in der Richtlinie enthaltene Befugnis verbiete es jedoch nicht, im nationalen Recht nach Möglichkeiten zu suchen, bei denen Schädigungen von anderen Bietern gar nicht erst auftreten können. Eine solche Möglichkeit läge in der Anwendung des § 134 BGB. 1 Palandt/Grüneberg, § 311 Rz. 22 ff. 2 Zuletzt und statt vieler: OLG Saarbrücken v. 17.8.2016 – 1 U 159/14 m.w.N. 3 OLG Düsseldorf v. 3.12.2003 – VII-Verg 37/03, VergabeR 2004, 216 (219 ff.); LG München v. 20.12.2005 – 33 O 16465/05, NZBau 2006, 269 (270); VK Hamburg v. 27.4.2006 – VgK FB 2/06; Prieß/Gabriel, NZBau 2006, 219 (220). 4 KG Berlin v. 11.11.2004 – 2 Verg 16/04, VergabeR 2005, 236 (243 ff.).

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Unwirksamkeit | § 135

Diese in einem obiter dictum vertretene Ansicht war schon im Rahmen von § 13 27 VgV nicht zutreffend; sie ist es erst recht nicht mehr seit Inkrafttreten von § 101b GWB a.F. und nunmehr § 135. Denn der Wortlaut von § 135 ist eindeutig. Der Vertrag soll gerade nicht nichtig, sondern allenfalls mit Wirkung ex tunc unwirksam werden können. Darüber hinaus hat der Gesetzgeber in der Gesetzesbegründung ausgeführt, für den Fall, dass die europäische Rechtsentwicklung dazu veranlasse, in bestehende Vertragsverhältnisse einzugreifen, bestehe in Deutschland die Möglichkeit, § 313 BGB auf den geschlossenen Vertrag anzuwenden1. 2. § 138 BGB § 138 BGB bleibt neben § 135 selbständig anwendbar. Ist der Vertrag gem. 28 § 138 BGB nichtig, kann auch noch nach längerer Zeit ein Nachprüfungsverfahren eingeleitet werden, vorausgesetzt, das Recht ist nicht verwirkt. Denn ein gem. § 138 BGB nichtiger Vertrag ist im Grundsatz dauerhaft nichtig, so dass Leistungen ohne Vertragsgrundlage erbracht werden.2 Nichtigkeit gem. § 138 BGB kommt nur dann in Betracht, wenn der öffentliche 29 Auftraggeber in bewusster Missachtung des Vergaberechts handelt, er also entweder weiß, dass der betreffende Auftrag dem Kartellvergaberecht unterfällt, oder er sich einer solchen Kenntnis mutwillig verschließt, und überdies kollusiv mit dem Auftragnehmer zusammenwirkt3. An das Vorliegen des kollusiven Zusammenwirkens mit dem Auftragnehmer als zweite Voraussetzung werden jedoch hohe Anforderungen gestellt. Dies setzt ein bewusstes Zusammenwirken des öffentlichen Auftraggebers und dem Vertragspartner als Auftragnehmer zum Nachteil der Wettbewerber voraus.4 3. Sonstige Unwirksamkeitsgründe Auch sonstige Nichtigkeitsgründe bleiben neben § 135 bestehen. Hierzu gehören 30 Vorschriften über das Schriftformerfordernis, Vertretungsregeln beim Handeln der öffentlichen Hand etc. In diesen Fällen kann auch nach längerer Zeit ein Nachprüfungsverfahren eingeleitet werden, vorausgesetzt, das Recht ist nicht verwirkt. Die Frage der Wirksamkeit des Vertrages ist insoweit unabhängig vom Vergaberecht nach dem anwendbaren Zivil- oder öffentlichen Recht zu beantworten.

1 Zu der Frage, ob dies tatsächlich der Fall ist, s. unten Rz. 36 ff. 2 OLG Saarbrücken v. 17.8.2016 – 1 U 159/14, IBRRS 2016, 2276. 3 OLG Düsseldorf v. 3.12.2003 – VII Verg 37/03, VergabeR 2004, 216 (222); LG München v. 20.12.2005 – 33 O 16465/05, NZBau 2006, 269 (270). 4 OLG Saarbrücken v.17.8.2016 – 1 U 159/14, IBRRS 2016, 2276.

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§ 135 | Unwirksamkeit VI. Rechtsfolgen bei Wirksamkeit des Vertrages 1. Europarechtswidrigkeit? 31 Wird die Unwirksamkeit eines Vertrages nicht in einem Nachprüfungsverfahren

festgestellt, ist der Vertrag von Anfang an wirksam; d.h. die bereits erbrachten Leistungen wurden mit Rechtsgrund erbracht; die künftigen Leistungen werden ebenfalls auf vertraglicher Basis erbracht.

32 Nach europäischem Recht ist der Vergaberechtsverstoß mit dem Abschluss des

Vertrages aber nicht beendet, sondern besteht fort. Ein als Dauerschuldverhältnis ausgestalteter Vertrag, der unter Verstoß gegen Vergaberecht zustande gekommen ist, stellt nach Ansicht des EuGH einen fortdauernden Verstoß gegen das Vergaberecht dar, d.h. die Verletzung des AEAV endet nicht mit dem wirksamen, wenn auch vergaberechtswidrigen Vertragsschluss, sondern erst, wenn der Vertrag endet. Der EuGH hat entschieden, dass der Verstoß gegen die Richtlinie mit dem Vertragsschluss nicht abgeschlossen ist1. Für die Bundesrepublik Deutschland (und für alle Organe der Bundesrepublik) besteht deshalb aus europäischer Sicht bis zur Beendigung des Vertrages die Pflicht zur Beendigung der Vertragsverletzung und damit zur Beendigung des Vertrages2.

33 Die Bundesrepublik und ihre Untergliederung sind deshalb bei einem vergabe-

rechtswidrig zustande gekommenen Vertrag verpflichtet, diesen zu beenden, d.h. von einer Kündigungsmöglichkeit Gebrauch zu machen. Zwar richten sich Vertragsverletzungsverfahren sowie etwaige Zwangsvollstreckungsmaßnahmen stets nur gegen die Bundesrepublik, materiell-rechtlich ist aber die Bundesrepublik mit ihren Untergliederungen gebunden. Hierzu gehören auch die Länder und Gemeinden sowie sonstige Gebietskörperschaften etc.; hierzu gehören auch juristische Personen des Privatrechts, vorausgesetzt, sie werden von staatlichen Stellen beherrscht3.

34 Gemäß Art. 20 GG gilt das Rechtsstaatsgebot und damit ein Gebot zur Recht-

und Gesetzmäßigkeit allen staatlichen Handelns. Dieses Gebot gilt auch für Gemeinden, und auch soweit europäisches Recht betroffen ist. Rechtswidrige Zustände müssen – jedenfalls soweit es rechtlich möglich ist – beendet werden. Deshalb muss von einer Kündigungsmöglichkeit Gebrauch gemacht werden4. Das LG hat jedenfalls für den Fall, dass der EuGH die Vergabe- und Europa1 EuGH v. 9.9.2004 – Rs. C-125/03, EuZW 2004, 636 (637); EuGH v. 18.7.2007 – Rs. C503/04, EuZW 2007, 514 (516); vgl. Weyand, IBR 2007, 504. 2 EuGH v. 9.9.2004 – Rs. C-125/03, EuZW 2004, 636 (637); vgl. auch Stellungnahme des Generalanwalts beim EuGH, Schlussanträge v. 28.3.2007 – Rs. C-503/04; Calliess/RuffertCrämer, Kommentar zum EU-Vertrag und EG-Vertrag, Art. 228 EGV Rz. 3; Boesen, Urteilsanmerkung, NZBau 2009, 796 f. 3 Gabriel, VergabeR 2009, 7 ff. (9 f.). 4 So auch LG München v. 20.12.2005 – 33 O 16465/05, NZBau 2006, 269 (271).

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Unwirksamkeit | § 135

rechtswidrigkeit eines Vertrages festgestellt hat, angenommen, dass sich aus dem Grundsatz der Recht- und Gesetzmäßigkeit staatlichen Handelns für eine Gemeinde die Notwendigkeit zur Kündigung eines vergaberechtswidrig geschlossenen Vertrages ergibt. Wird der europarechtswidrig zustande gekommene Vertrag nicht beendet, dro- 35 hen der Bundesrepublik Deutschland wegen einer nicht gehörigen Umsetzung eines Urteils des EuGH Zwangsgeldzahlungen. Bei der Höhe des Zwangsgeldes, das in mehrstelliger Millionenhöhe festgesetzt werden kann, berücksichtigt der EuGH die Schwere des Verstoßes und die Zahlungsfähigkeit des betreffenden Mitgliedsstaates1. Aus Sicht der europäischen Union ist allein die Bundesrepublik Deutschland zur Zahlung des Zwangsgeldes verpflichtet. Allerdings ist im Zuge der Föderalismusreform im Jahr 2006 das „Gesetz zur Lastentragung im Bund-Länder-Verhältnis bei Verletzung von supranationalen oder völkerrechtlichen Verpflichtungen“ erlassen worden2. Das Gesetz sieht eine innerstaatliche Haftungsverteilung bei finanziellen Sanktionen aufgrund von Verstößen gegen supranationale oder völkerrechtliche Verpflichtungen der Bundesrepublik, wozu auch die Verurteilung zur Zahlung von Zwangsgeld gehört, vor. Die Regelungen, die grundgesetzlich in Art. 104a Abs. 6 GG verankert sind, bestimmen für die Haftung von Bund und Ländern als wesentliches Prinzip das Verursacherprinzip. Verstößt somit eine Gemeinde gegen das Europarecht, bedeutet dies im Verhältnis zwischen Bund und Land, dass das Land, zu dem die Gemeinde gehört, im Innenverhältnis der Bundesrepublik Deutschland für die Zwangsgeldzahlung verantwortlich ist. Denn das Handeln der Gemeinde ist dem Bundesland zuzurechnen. Offen ist bis heute, ob das Bundesland dann seinerseits einen Regressanspruch gegen die Gemeinde hat. Dies ist nach wie vor rechtlich nicht geklärt3. 2. Rechtsfolgen der Europarechtswidrigkeit für den geschlossenen Vertrag Besteht ein Recht zur Kündigung nach dem Vertrag, kann die Europarechtskon- 36 formität hergestellt werden. Schwieriger war dies bis zum 18.4.2016, wenn in dem Vertrag kein Kündigungsrecht vorgesehen war. Denn dann konnte außerordentlich nur gekündigt werden, wenn die Europarechtswidrigkeit ein wichtiger Grund zur Kündigung gem. § 314 Abs. 2 BGB war. Nunmehr schafft § 133 für bestimmte Fälle, ein selbständiges Kündigungsrecht. Allerdings entsteht das Kündigungsrecht gem. § 133 Abs. 1 Nr. 3 erst, wenn der schwere Vergabeverstoß durch den EuGH festgestellt worden ist. Damit bleibt die Frage relevant, ob sich neben § 133 ein Kündigungsrecht auch 37 aus § 314 Abs. 2 BGB ergeben kann. Das LG München hat angenommen, es be1 Vgl. EuGH v. 10.1.2008 – Rs. C-70/06, EuZW 2008, 776; Boesen, NZBau 2009, 796 f. 2 BGBl. I 2006, 2098 (2105). 3 Boesen, NZBau 2009, 796 f.

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§ 135 | Unwirksamkeit stehe ein Recht zur Kündigung wegen des Wegfalls der Geschäftsgrundlage, weil und soweit beide Parteien davon ausgegangen seien und ausgehen durften, dass der Vertrag nicht vergaberechtswidrig zustande gekommen ist und sich dies nachträglich als falsch herausstellt1. 38 Die Entscheidung des LG München vom 20.12.2005 ist zutreffend. Aus ihr folgt

aber nicht, dass ein öffentlicher Auftraggeber grundsätzlich berechtigt ist, einen Vertrag außerordentlich zu kündigen, wenn der Abschluss des Vertrages europarechtswidrig war. In den Gesetzesmaterialien zu §§ 101a und b GWB erweckt der historische Gesetzgeber den Eindruck, dass bei einem Verstoß gegen Europarecht stets ein außerordentliches Kündigungsrecht nach den Grundsätzen des Wegfalls der Geschäftsgrundlage bestünde. Diese Ansicht ist unzutreffend. Ein Recht zur außerordentlichen Kündigung bzw. Vertragsanpassung nach den Grundsätzen des Wegfalls der Geschäftsgrundlage besteht nur, wenn die Voraussetzungen hierfür gegeben sind. Dies setzt regelmäßig vor, dass es sich nicht um Störungen handelt, die entweder eindeutig dem Risikobereich einer Partei zuzuordnen sind oder die bei Abschluss des Vertrages mindestens erkennbar waren2. Dass dem Auftraggeber bei Abschuss eines europarechtswidrigen Vertrages nicht stets ein Kündigungsrecht aus wichtigem Grund zusteht, ist auch im Hinblick auf die hohen Zwangsgeldandrohungen nicht unangemessen. Denn trotz des fehlenden Kündigungsrechtes kann der öffentliche Auftraggeber die Europarechtswidrigkeit des Vertrages beseitigen, indem er die Leistungen aus dem Vertrag zwar nicht mehr abruft, umgekehrt aber dem Auftragnehmer die Vergütung abzgl. ersparter Aufwendungen und anderweitigen Verdienstes zahlt. Insoweit gilt der Rechtsgedanke des § 649 BGB.

1 So auch LG München v. 20.12.2005 – 33 O 16465/05, NZBau 2006, 269 (271). 2 Palandt/Grüneberg, § 313 Rz. 19; § 314 Rz. 9.

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Abschnitt 3 Vergabe von öffentlichen Aufträgen in besonderen Bereichen und von Konzessionen Unterabschnitt 1 Vergabe von öffentlichen Aufträgen durch Sektorenauftraggeber

§ 136 Anwendungsbereich Dieser Unterabschnitt ist anzuwenden auf die Vergabe von öffentlichen Aufträgen und die Ausrichtung von Wettbewerben durch Sektorenauftraggeber zum Zweck der Ausübung einer Sektorentätigkeit. § 136 bestimmt den Anwendungsbereich des Unterabschnitts 1 des neuen Ab- 1 schnitts 3 des Teils 4 des GWB. Unterabschnitt 1 regelt das Sektorenvergaberecht, das heißt die besonderen Vorschriften für die Vergabe von öffentlichen Aufträgen und die Ausrichtung von Wettbewerben im Bereich der Trinkwasseroder Energieversorgung sowie des Verkehrs durch Sektorenauftraggeber nach § 100 für die Ausführung von Sektorentätigkeiten nach § 1021. Der Unterabschnitt 1 (§§ 136–143) regelt das Sektorenvergaberecht allerdings 2 nicht abschließend. Zu beachten ist insbesondere, dass § 142 zahlreiche Verweise in den zweiten Abschnitt enthält. Von Sektorenauftraggeber sind zudem die allgemeinen Regelungen des GWB in Abschnitt 1 (§§ 97–114) zu beachten, soweit sich aus dem Wortlaut der Vorschriften nicht ergibt, dass diese lediglich für klassische öffentliche Auftraggeber i.S.d. § 99 GWB Anwendung finden. Schließlich sind die Regelungen der SektVO zu beachten. Zu beachten ist schließlich, dass das Sektorenvergaberecht nur zu Anwendung 3 kommt, wenn ein öffentlicher Auftrag zum Zweck der Ausübung der Sektorentätigkeit abgeschlossen werden soll. Erfolgt die Vergabe für sog. sektorenfremde Zwecke, ist das Sektorenvergaberecht nicht anwendbar. Neben dem Wortlaut des § 136 und § 100 ergibt sich dies explizit aus dem Ausnahmetatbestand des § 137 Absatz 2 Nummer 12.

1 Gesetzesbegründung, BT-Drucks. 18/6281, S. 122. 2 S. dazu die Kommentierung zu § 137 Rz. 10 ff.

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§ 137 | Besondere Ausnahmen

§ 137 Besondere Ausnahmen (1) Dieser Teil ist nicht anzuwenden auf die Vergabe von öffentlichen Aufträgen durch Sektorenauftraggeber zum Zweck der Ausübung einer Sektorentätigkeit, wenn die Aufträge Folgendes zum Gegenstand haben: 1. Rechtsdienstleistungen im Sinne des § 116 Absatz 1 Nummer 1, 2. Forschungs- und Entwicklungsdienstleistungen im Sinne des § 116 Absatz 1 Nummer 2, 3. Ausstrahlungszeit oder Bereitstellung von Sendungen, wenn diese Aufträge an Anbieter von audiovisuellen Mediendiensten oder Hörfunkmediendiensten vergeben werden, 4. finanzielle Dienstleistungen im Sinne des § 116 Absatz 1 Nummer 4, 5. Kredite und Darlehen im Sinne des § 116 Absatz 1 Nummer 5, 6. Dienstleistungen im Sinne des § 116 Absatz 1 Nummer 6, wenn diese Aufträge aufgrund eines ausschließlichen Rechts vergeben werden, 7. die Beschaffung von Wasser im Rahmen der Trinkwasserversorgung, 8. die Beschaffung von Energie oder von Brennstoffen zur Energieerzeugung im Rahmen der Energieversorgung oder 9. die Weiterveräußerung oder Vermietung an Dritte, wenn a) dem Sektorenauftraggeber kein besonderes oder ausschließliches Recht zum Verkauf oder zur Vermietung des Auftragsgegenstandes zusteht und b) andere Unternehmen die Möglichkeit haben, den Auftragsgegenstand unter den gleichen Bedingungen wie der betreffende Sektorenauftraggeber zu verkaufen oder zu vermieten. (2) Dieser Teil ist ferner nicht anzuwenden auf die Vergabe von öffentlichen Aufträgen und die Ausrichtung von Wettbewerben, die Folgendes zum Gegenstand haben: 1. Liefer-, Bau- und Dienstleistungen sowie die Ausrichtung von Wettbewerben durch Sektorenauftraggeber nach § 100 Absatz 1 Nummer 2, soweit sie anderen Zwecken dienen als einer Sektorentätigkeit, oder 2. die Durchführung von Sektorentätigkeiten außerhalb des Gebietes der Europäischen Union, wenn der Auftrag in einer Weise vergeben wird, die nicht mit der tatsächlichen Nutzung eines Netzes oder einer Anlage innerhalb dieses Gebietes verbunden ist. I. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . II. Aufträge i.S.d. § 116 Abs. 1 Nummer 1–6 . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Beschaffung von Wasser, Energie oder Brennstoffen im Rahmen der Sektorentätigkeit . . . . . . . . .

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IV. Weiterveräußerung oder Vermietung an Dritten . . . . . . . . . . V. Aufträge, die anderen Zwecken dienen als einer Sektorentätigkeit VI. Aufträge außerhalb der Europäischen Union . . . . . . . . . . . .

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Besondere Ausnahmen | § 137

I. Allgemeines Die Regelung des § 137 enthält Ausnahmen im Sektorenvergaberecht. Es las- 1 sen sich insgesamt drei Arten von Ausnahmen unterscheiden. Zum einen wird durch § 137 Absatz 1 Nummer 1–6 auf zahlreiche Ausnahmen für öffentliche Auftraggeber im zweiten Abschnitt verwiesen. Zum anderen finden sich in § 137 Absatz 1 Nummer 7–9 und Abs. 2 spezifische, auf Sektorenauftraggeber zugeschnittene Ausnahmetatbestände. Schließlich gibt es noch sonstige Ausnahmeregelungen vom Sektorenvergaberecht außerhalb des § 137. Diese sind insbesondere in § 138 (Vergabe an verbundene Unternehmen) sowie § 139 (Vergabe durch oder an ein Gemeinschaftsunternehmen) geregelt1.

II. Aufträge i.S.d. § 116 Abs. 1 Nummer 1–6 Die für öffentliche Auftraggeber geltenden Ausnahmetatbestände für Rechts- 2 dienstleistungen i.S.d. § 116 Absatz 1 Nummer 1, Forschungs- und Entwicklungsdienstleistungen i.S.d. § 116 Absatz 1 Nummer 2, Ausstrahlungszeit oder Bereitstellung von Sendungen, wenn diese Aufträge an Anbieter von audiovisuellen Mediendiensten oder Hörfunkmediendiensten vergeben werden (vgl. § 116 Absatz 1 Nummer 3), finanzielle Dienstleistungen i.S.d. § 116 Absatz 1 Nummer 4, Kredite und Darlehen i.S.d. § 116 Absatz 1 Nummer 5 und Dienstleistungen eines anderen öffentlichen Auftraggebers i.S.d. § 116 Absatz 1 Nummer 6 finden auch für Sektorenauftraggeber Anwendung. Auf die entsprechend Kommentierung zu § 116 wird verwiesen2. Zu beachten ist lediglich, dass der Ausnahmetatbestand des § 116 Abs. 1 Nr. 3 in 3 Bezug auf Aufträge über Erwerb, Entwicklung, Produktion oder Koproduktion von Sendematerial für audiovisuelle Mediendienste oder Hörfunkmediendienste, die von Mediendienstleistern vergeben werden, keine Anwendung findet. Indes ist damit keine erhebliche Einschränkung für Sektorenauftraggeber gegeben, weil die entsprechenden Tätigkeiten regelmäßig eine sektorenfremde Tätigkeit i.S.d. § 137 Abs. 2 Nr. 1 darstellen würde. Die Regelungen setzen die Vorgaben der Artikel 21 lit. c), d), e), i) sowie 22 und 32 Richtlinie 2014/25/EU um.

III. Beschaffung von Wasser, Energie oder Brennstoffen im Rahmen der Sektorentätigkeit Gemäß § 137 Absatz 1 Nummer 7 und 8 sind Aufträge zur Beschaffung von Was- 4 ser im Rahmen der Trinkwasserversorgung (Nr. 7) bzw. Energie oder von Brenn1 Vgl. die dortige Kommentierung. 2 Vgl. § 116 Rz. 13 ff.

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§ 137 | Besondere Ausnahmen stoffen zur Energieerzeugung im Rahmen der Energieversorgung (Nr. 8) vom Anwendungsbereich des Sektorenvergaberechts ausgenommen. Die Regelungen setzten die Vorgaben aus Artikel 23 lit. a) und b) Richtlinie 2014/25/EU um. 5 Der Begriff der Energie ist im Licht von § 102 GWB auszulegen und umfasst

daher den Erwerb von Elektrizität, Gas und Wärme, sofern er der Energieerzeugung dient1.

IV. Weiterveräußerung oder Vermietung an Dritten 6 Gemäß § 137 Absatz 1 Nummer 9 ist das Sektorenvergaberecht nicht anwendbar

bei Aufträgen zum Zwecke der Weiterveräußerung oder Vermietung an Dritte, wenn dem Sektorenauftraggeber kein besonderes oder ausschließliches Recht zum Verkauf oder zur Vermietung des Auftragsgegenstandes zusteht und andere Unternehmen die Möglichkeit haben, den Auftragsgegenstand unter den gleichen Bedingungen wie der betreffende Sektorenauftraggeber zu verkaufen oder zu vermieten.

7 Die Regelung setzt Artikel 18 Absatz 1 Richtlinie 2014/25/EU um. Der Ausnah-

metatbestand beruht auf der Annahme, dass Sektorenauftraggeber, sofern sie Leistungen im Wettbewerb erbringen wollen, auch bei der Beschaffung der hierfür erforderlichen Vorleistungen nach wettbewerblichen Grundsätzen handeln, so dass es insofern keiner vergaberechtlichen Bindungen bedarf.

8 Zu der Regelung ist klarzustellen, dass sie Aufträge betrifft, bei denen Leistungen

zum Zwecke der Weiterveräußerung oder Vermietung beschafft werden. Verträge über den bloßen Verkauf oder Vermietung einer Leistung des Sektorenauftraggebers fallen mangels Beschaffungselement bereits nicht in den Bereich des Kartellvergaberechts.

9 Die Weiterveräußerung bzw. -vermietung muss sich unmittelbar auf den Gegen-

stand des fraglichen Auftrages beziehen. Der Ausnahmetatbestand greift daher nicht ein, wenn der Auftraggeber beabsichtigt, den Beschaffungsgegenstand vor der Weitergabe zu be- oder verarbeiten2.

V. Aufträge, die anderen Zwecken dienen als einer Sektorentätigkeit 10 Gemäß § 137 Absatz 2 Nummer 1 ist das Vergaberecht für Sektorenauftraggeber

nach § 100 Absatz 1 Nummer 2 nicht anwendbar bei Liefer-, Bau- und Dienst-

1 So auch Röwekamp in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, GWB-Vergaberecht, § 137 Rz. 6; Dietrich in Greb/Müller, § 137 Rn. 12. 2 Kühnen in Kapellmann/Messerschmidt, VOB, § 7 VgV Rz. 32.

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Besondere Ausnahmen | § 137

leistungen sowie der Ausrichtung von Wettbewerben, soweit sie anderen Zwecken dienen als einer Sektorentätigkeit. Die Regelung dient der Umsetzung von Artikel 19 Absatz 1 Richtlinie 2014/25/ 11 EU und war wortgleich bereits früher im GWB (§ 100b Absatz 4 Nummer 1 bzw. § 100 Absatz 1 lit. i)) und davor in § 9 Absatz 2 VgV enthalten. Die Regelung gilt ausweislich des eindeutigen Wortlautes nur für Sektorenauf- 12 traggeber i.S.d. § 100 Absatz 1 Nummer 2. Die Beschränkung des persönlichen Anwendungsbereiches ist sachgerecht. Sofern der Auftrag anderen Zwecken dient als einer Sektorentätigkeit, findet für Sektorenauftraggeber i.S.d. § 100 Absatz 1 Nummer 1, d.h. klassische öffentliche Auftraggeber, (wieder) das allgemeine Kartellvergaberecht Anwendung. Die somit zentrale Frage ist die Abgrenzung zwischen Sektorentätigkeiten und 13 Nichtsektorentätigkeiten. Hierfür ist entscheidend, ob ein innerer Zusammenhang mit der Sektorentätigkeit besteht, indem diese Tätigkeit durch den Auftrag ermöglicht, erleichtert oder gefördert wird1. In der Rechtsprechung als Sektorentätigkeit anerkannt sind etwa die Beschaffung von diversen tragbaren Computern zur mobilen Datenerfassung eines Stromnetzbetreibers2 oder die Vergabe von Fahrzeug-/Stadtbahnreinigungsleistungen durch einen ÖPNV-Betreiber3. Freilich kann die Abgrenzung im Einzelfall schwierig sein. So ist fraglich, ob be- 14 reits jede nur mittelbare Förderung der Sektorentätigkeit ausreicht. Nach einer Auffassung in der Literatur4 sei zu fordern, dass es eine konkrete, funktionale Verbindung zwischen Auftrag und Sektorentätigkeit gebe. Die Rechtsprechung scheint davon auszugehen, dass bereits die mittelbare Ermöglichung, Erleichterung oder Förderung der Sektorentätigkeit ausreicht. So ist das Sektorenvergaberecht nach Auffassung des OLG Düsseldorf beim Bau eines Verwaltungsgebäudes eines Energieversorgers5 oder bei Abschlepp- und Inkassoleistungen6 anwendbar. Gleiches soll gelten bei der Lieferung und Wartung einer neuen Telekommunikationsinfrastruktur einer internen Kommunikationsanlage eines Energieversorgers7. Selbst wenn man einen mittelbaren Zusammenhang genügen lässt, dient der Einkauf etwa von Kopiergeräten oder Facility-Management-Leistungen durch einen Sektorenauftraggeber anderen Zwecken als einer Sektorentätigkeit8. 1 Dreher in Immenga/Mestmäcker, GWB, § 98 Rz. 170; Röwekamp in Kulartz/Kus/Portz/ Prieß, Kommentar zum Vergaberecht, § 137 Rz. 10; ähnlich Kühnen in Kapellmann/ Messerschmidt, VOB, § 7 VgV Rz. 30. 2 OLG München v. 12.7.2005 – Verg 8/05, VergabeR 2005, 802. 3 VK Lüneburg v. 5.11.2010 – VgK-54/2010, juris. 4 Dietrich in Greb/Müller, Kommentar zum Sektorenvergaberecht, § 136 Rz. 11 f. 5 OLG Düsseldorf v. 21.5.2008 – Verg 19/08, ZfBR 2008, 834. 6 OLG Düsseldorf v. 24.3.2010 – VII-Verg 58/09; NZBau 2010, 649. 7 VK Sa achsen v. 9.12.2014 – 1/SVK/032-14, juris. 8 So auch Dietrich in Greb/Müller, Kommentar zum Sektorenvergaberecht, § 136 Rz. 19.

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§ 138 | Besondere Ausnahmen für die Vergabe an verbundene Unternehmen VI. Aufträge außerhalb der Europäischen Union 15 Gemäß § 137 Absatz 2 Nummer 2 ist das Vergaberecht für Sektorenauftraggeber

nicht anwendbar für Aufträge, die die Durchführung von Sektorentätigkeiten außerhalb des Gebietes der Europäischen Union betreffen, wenn der Auftrag in einer Weise vergeben wird, die nicht mit der tatsächlichen Nutzung eines Netzes oder einer Anlage innerhalb dieses Gebietes verbunden ist.

16 Die Regelung übernimmt die Ausnahme des bisherigen § 100b Absatz 4 Num-

mer 2 und setzt Artikel 19 Absatz 1 Richtlinie 2014/25/EU um. Gemäß Artikel. 19 Absatz 2 Richtlinie 2014/25/EU teilen die Auftraggeber der Kommission auf Verlangen alle Tätigkeiten mit, die ihres Erachtens unter die Ausschlussregelung nach Absatz 1 fallen. Die Kommission kann in regelmäßigen Abständen Listen der Tätigkeitskategorien im Amtsblatt der Europäischen Union zur Information veröffentlichen, die ihres Erachtens unter diese Ausnahmeregelung fallen.

§ 138 Besondere Ausnahmen für die Vergabe an verbundene Unternehmen (1) Dieser Teil ist nicht anzuwenden auf die Vergabe von öffentlichen Aufträgen, 1. die ein Sektorenauftraggeber an ein verbundenes Unternehmen vergibt oder 2. die ein Gemeinschaftsunternehmen, das ausschließlich mehrere Sektorenauftraggeber zur Durchführung einer Sektorentätigkeit gebildet haben, an ein Unternehmen vergibt, das mit einem dieser Sektorenauftraggeber verbunden ist. (2) Ein verbundenes Unternehmen im Sinne des Absatzes 1 ist 1. ein Unternehmen, dessen Jahresabschluss mit dem Jahresabschluss des Auftraggebers in einem Konzernabschluss eines Mutterunternehmens entsprechend § 271 Absatz 2 des Handelsgesetzbuchs nach den Vorschriften über die Vollkonsolidierung einzubeziehen ist, oder 2. ein Unternehmen, das a) mittelbar oder unmittelbar einem beherrschenden Einfluss nach § 100 Absatz 3 des Sektorenauftraggebers unterliegen kann, b) einen beherrschenden Einfluss nach § 100 Absatz 3 auf den Sektorenauftraggeber ausüben kann oder c) gemeinsam mit dem Auftraggeber aufgrund der Eigentumsverhältnisse, der finanziellen Beteiligung oder der für das Unternehmen geltenden Bestimmungen dem beherrschenden Einfluss nach § 100 Absatz 3 eines anderen Unternehmens unterliegt. 1068

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Besondere Ausnahmen für die Vergabe an verbundene Unternehmen | § 138

(3) Absatz 1 gilt für Liefer-, Bau- oder Dienstleistungsaufträge, sofern unter Berücksichtigung aller Liefer-, Bau- oder Dienstleistungen, die von dem verbundenen Unternehmen während der letzten drei Jahre in der Europäischen Union erbracht wurden, mindestens 80 Prozent des im jeweiligen Leistungssektor insgesamt erzielten durchschnittlichen Umsatzes dieses Unternehmens aus der Erbringung von Liefer-, Bau- oder Dienstleistungen für den Sektorenauftraggeber oder andere mit ihm verbundene Unternehmen stammen. (4) Werden gleiche oder gleichartige Liefer-, Bau- oder Dienstleistungen von mehr als einem mit dem Sektorenauftraggeber verbundenen und mit ihm wirtschaftlich zusammengeschlossenen Unternehmen erbracht, so werden die Prozentsätze nach Absatz 3 unter Berücksichtigung des Gesamtumsatzes errechnet, den diese verbundenen Unternehmen mit der Erbringung der jeweiligen Liefer-, Dienst- oder Bauleistung erzielen. (5) Liegen für die letzten drei Jahre keine Umsatzzahlen vor, genügt es, wenn das Unternehmen etwa durch Prognosen über die Tätigkeitsentwicklung glaubhaft macht, dass die Erreichung des nach Absatz 3 geforderten Umsatzziels wahrscheinlich ist. I. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . II. Begriff des verbundenen Unternehmens und des Gemeinschaftsunternehmens . . . . . . . . . . . . .

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III. Tätigkeitskriterium . . . . . . . . . .

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5

I. Allgemeines § 138 enthält eine Ausnahmeregelung von der Anwendbarkeit des Sektorenver- 1 gaberechts für den Fall, dass ein Sektorenauftraggeber (§ 138 Absatz 1 Nummer 1) oder ein Gemeinschaftsunternehmen aus mehreren Sektorenauftraggebern (§ 138 Absatz 1 Nummer 2) einen Auftrag an ein verbundenes Unternehmen vergibt. Die Regelung dient der Umsetzung von Artikel 29 Absatz 2 Richtlinie 2014/ 25/EU und entspricht inhaltlich der Vorgängerregelung des § 100b Absatz 6 a.F. Hintergrund dieses sog. Konzernvorbehaltes bzw. Konzernprivilegs ist die Er- 2 wägung, dass viele Auftraggeber als eine Wirtschaftsgruppe organisiert sind, die aus eine Reihe getrennter Unternehmen bestehen kann; oft hat jedes dieser Unternehmen in der Wirtschaftsgruppe eine spezielle Aufgabe. Es ist daher angezeigt, bestimmte Dienstleistungs-, Liefer- und Bauaufträge auszuschließen, die an ein verbundenes Unternehmen vergeben werden, welches seine Dienstleistungen, Lieferungen und Bauleistungen nicht am Markt anbietet, sondern hauptsächlich für die eigene Unternehmensgruppe erbringt1. 1 Erwägungsgrund 39, Richtlinie 2014/25/EU.

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§ 138 | Besondere Ausnahmen für die Vergabe an verbundene Unternehmen 3 Die Regelung weist Ähnlichkeiten zur In-House-Vergabe gemäß § 108 auf.

Wie bei der In-House-Vergabe ist Voraussetzung, dass ein Beteiligter auf den anderen eine besondere Einflussmöglichkeit hat und der Umfang der Tätigkeit im bestimmten Maße begrenzt ist. Auch aus diesem Grund war bisher unklar, ob die Regelungen des Konzernprivilegs neben den Grundsätzen der In-HouseVergabe anwendbar sind. Das Verhältnis zur In-House-Vergabe wird nun eindeutig in § 108 Absatz 8 geregelt. Danach gelten § 108 Absätze 1–7 entsprechend für Sektorenauftraggeber i.S.d. § 100 Absatz 1 Nummer 1. Für nicht von öffentlichen Auftraggebern beherrschte Sektorenauftraggeber gelten demgegenüber lediglich die Regelungen des Konzernprivilegs.

4 Das Verhältnis zu § 139 ist wie folgt: § 138 Absatz 1 Nummer 2 umfasst nur

den Fall, dass ein Gemeinschaftsunternehmen aus mehreren Sektorenauftraggebern einen Auftrag an ein mit einem der Mitgliedsunternehmen verbundenen Unternehmen vergibt. Demgegenüber regelt § 139 Abs. 1 den Fall, das ein Gemeinschaftsunternehmen einen Auftrag an ein Mitgliedsunternehmen (Nr. 1) oder ein Mitgliedsunternehmen an das Gemeinschaftsunternehmen vergibt (Nr. 2). Die Aufteilung in einen eigenen Paragrafen ist durchaus sachgerecht, weil nur § 138 die Beteiligung eines verbundenen Unternehmens regelt.

II. Begriff des verbundenen Unternehmens und des Gemeinschaftsunternehmens 5 Im Vergleich zur Vorgängerregelung ist nunmehr in der Vorschrift eine Defini-

tion des verbundenen Unternehmens geregelt; der bisherige Verweis auf § 36 Absatz 2, 3 ist entfallen. Die Definition unterscheidet danach, ob bei den Jahresabschlüssen der Unternehmen eine Vollkonsolidierung erfolgt (§ 138 Absatz 2 Nummer 1) oder sonst ein beherrschender Einfluss vorliegt (§ 138 Absatz 2 Nummer 2).

6 § 138 Absatz 2 Nummer 1 setzt Artikel 29 Absatz 1 Richtlinie 2014/25/EU um

und regelt die konzernrechtliche Verbundenheit. Danach ist ein verbundenes Unternehmen ein Unternehmen, dessen Jahresabschluss mit dem Jahresabschluss des Auftraggebers in einem Konzernabschluss eines Mutterunternehmens entsprechend § 271 Absatz 2 des Handelsgesetzbuchs nach den Vorschriften über die Vollkonsolidierung einzubeziehen ist.

7 § 138 Absatz 2 Nummer 2 setzt Artikel 29 Absatz 2 der Richtlinie 2014/25/EU.

Ausweislich des Erwägungsgrundes 41 der Richtlinie 2014/25/EU hat die Regelung Auffang- bzw. Vereinfachungsfunktion. Danach ist ein verbundenes Unternehmen ein Unternehmen, das mittelbar oder unmittelbar einem beherrschenden Einfluss des Sektorenauftraggebers nach § 100 Absatz 3 unterliegen kann, (lit. a)), einen beherrschenden Einfluss nach § 100 Absatz 3 auf den Sektorenauftraggeber ausüben kann ( lit. b)) oder gemeinsam mit dem Auftraggeber 1070

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Besondere Ausnahmen für die Vergabe an verbundene Unternehmen | § 138

aufgrund der Eigentumsverhältnisse, der finanziellen Beteiligung oder der für das Unternehmen geltenden Bestimmungen dem beherrschenden Einfluss nach § 100 Absatz 3 eines anderen Unternehmens unterliegt (lit. c)). Wegen des Begriffs des beherrschenden Einflusses wird jeweils auf die Definition des § 100 Absatz 3 verwiesen. Wie sich aus dem Wortlaut ergibt („kann“) reicht bereit die Möglichkeit einer beherrschenden Einflussnahme; für das Vorliegen eines verbundenen Unternehmens ist nicht erforderlich, dass der Einfluss tatsächlich auch ausgeübt wird1. Der Begriff des Gemeinschaftsunternehmens wird weder im GWB noch der 8 Sektorenrichtlinie definiert. Die Vorgängerregelung enthielt noch den Begriff des gemeinsamen Unternehmens, ohne dass sich dadurch eine Änderung ergeben sollte2. Voraussetzung ist, dass das Gemeinschaftsunternehmen gezielt von Sektorenauftraggebern gegründet wurde, um seinerseits eine Sektorentätigkeit durchzuführen. Auf die Rechtsform kommt es nach dem Wortlaut nicht an. Systematik und Wortlaut sprechen dafür, dass für die Existenz eines Gemeinschaftsunternehmens die Voraussetzungen des § 139 Absatz 2 nicht zwingend vorliegen müssen.

III. Tätigkeitskriterium Allein das Vorliegen einer Verbundenheit reicht für das Vorliegen der Ausnah- 9 mevorschrift des § 138 nicht aus. Gemäß § 138 Absatz 3 gilt Absatz 1 für Liefer-, Bau- oder Dienstleistungsaufträge, sofern unter Berücksichtigung aller Liefer-, Bau- oder Dienstleistungen, die von dem verbundenen Unternehmen während der letzten drei Jahre in der Europäischen Union erbracht wurden, mindestens 80 Prozent des im jeweiligen Leistungssektor insgesamt erzielten durchschnittlichen Umsatzes dieses Unternehmens aus der Erbringung von Liefer-, Bauoder Dienstleistungen für den Sektorenauftraggeber oder andere mit ihm verbundene Unternehmen stammen. § 138 Absatz 3 dient der Umsetzung von Artikel 29 Absatz 4 der Richtlinie 10 2014/25/EU und übernimmt im Wesentlichen die bisherige Regelung des § 100b Absatz 7 Satz 1 a.F.. Bislang war in diesem Zusammenhang allerdings unklar und in der Literatur und Rechtsprechung umstritten, ob sich die Vorgaben des geforderten Mindestumsatzes, den das verbundene Unternehmen für den Auftraggeber erbringen muss, nur auf die jeweilige Tätigkeit selbst (z. B. in der Sparte Energie) oder den Gesamtumsatz des Unternehmens beziehen. Die neue Formulierung stellt nun durch Einfügen des Wortes „insgesamt“ klar, dass in diesem Fall der Gesamtumsatz des Unternehmens im jeweiligen Leistungssektor (Liefer-, Bau- oder Dienstleistungen) maßgeblich ist. Eine getrennte Berech1 So auch Röwekamp in Kulartz/Kus/Portz/Prieß § 138 Rz. 10. 2 Vgl. Gesetzesbegründung, BT-Drucks. 18/6281, S. 124.

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§ 139 | Bes. Ausnahme für Vergabe durch/an Gemeinschaftsunternehmen nung der 80-Prozent-Vorgabe etwa nach unterschiedlichen Tätigkeiten1 oder Sparten ist somit nicht mehr möglich2. 11 Eine ergänzende Regelung enthält § 138 Absatz 4. entspricht dem bisherigen

§ 100b Absatz 7 Satz 3 a.F. Damit wird klargestellt, dass bei mehreren verbundenen und wirtschaftlich zusammengeschlossenen Unternehmen der Gesamtumsatz aller dieser Unternehmen zur Bestimmung der 80-Prozent-Grenze des Absatz 3 zugrunde zu legen ist.

12 Für den Fall, dass für die letzten drei Jahre keine Umsatzzahlen vorliegen, ge-

nügt es gemäß § 138 Absatz 5, wenn das Unternehmen etwa durch Prognosen über die Tätigkeitsentwicklung glaubhaft macht, dass die Erreichung des nach Absatz 3 geforderten Umsatzziels wahrscheinlich ist. Verringern sich die Umsatzzahlen hingegen über den 3-Jahres-Zeitraum auf unterhalb der 80-ProzentGrenze, stellt die Fortsetzung des Vertrages regelmäßig eine an § 132 zu messende wesentliche Änderung dar.

§ 139 Besondere Ausnahme für die Vergabe durch oder an ein Gemeinschaftsunternehmen (1) Dieser Teil ist nicht anzuwenden auf die Vergabe von öffentlichen Aufträgen, 1. die ein Gemeinschaftsunternehmen, das mehrere Sektorenauftraggeber ausschließlich zur Durchführung von Sektorentätigkeiten gebildet haben, an einen dieser Auftraggeber vergibt oder 2. die ein Sektorenauftraggeber, der einem Gemeinschaftsunternehmen im Sinne der Nummer 1 angehört, an dieses Gemeinschaftsunternehmen vergibt. (2) Voraussetzung ist, dass 1. das Gemeinschaftsunternehmen im Sinne des Absatzes 1 Nummer 1 gebildet wurde, um die betreffende Sektorentätigkeit während eines Zeitraums von mindestens drei Jahren durchzuführen, und 2. in dem Gründungsakt des Gemeinschaftsunternehmens festgelegt wird, dass die das Gemeinschaftsunternehmen bildenden Sektorenauftraggeber dem Gemeinschaftsunternehmen mindestens während desselben Zeitraums angehören werden.

1 So die früher h.M., OLG Frankfurt v. 30.8.2011 – 11 Verg 3/11, VergabeR 2012, 47; Röwekamp in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, § 138 Rz. 11 m.w.N. 2 Gesetzesbegründung, BT-Drucks. 18/6281, S. 124.

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Bes. Ausn. für unmittelbar dem Wettbewerb ausgesetzte Tätigkeiten | § 140

§ 139 Absatz 1 entält eine Ausnahmeregelung für Vergaben im Verhältnis von 1 Gemeinschaftsunternehmen und angehörigen Unternehmen. Gemäß § 139 findet das Vergaberecht insgesamt keine Anwendung auf Auftragsvergaben durch ein Gemeinschaftsunternehmen an einen Sektorenauftraggeber, durch den dieses Gemeinschaftsunternehmen (mit-) errichtet wurde (Absatz 1 Nummer 1). Dasselbe gilt für Aufträge, die ein (mit-) errichtender Auftraggeber an ein Gemeinschaftsunternehmen (Absatz 1 Nummer 2) vergibt. § 139 setzt Artikel 30 der Richtlinie 2014/25/EU um. Die Regelung entspricht inhaltsgleich dem bisherigen § 100b Absatz 8 und 9 GWB. § 139 enthält keine Definition des Gemeinschaftsunternehmens. § 139 Ab- 2 satz 2 enthält allerdings strenge Voraussetzungen an die Eigenschaft des Gemeinschaftsunternehmens. Danach ist Voraussetzung für die Anwendung der Ausnahme, dass das Gemeinschaftsunternehmen gebildet wurde, um die betreffende Sektorentätigkeit während eines Zeitraums von mindestens drei Jahren durchzuführen, und in dem Gründungsakt des Gemeinschaftsunternehmens festgelegt wird, dass die das Gemeinschaftsunternehmen bildenden Sektorenauftraggeber dem Gemeinschaftsunternehmen mindestens während desselben Zeitraums angehören werden. Nähere Voraussetzungen zur Art der Gesellschaft finden sich nicht. Durch die Regelung des § 139 Absatz 2 soll verhindert werden, dass Gemein- 3 schaftsunternehmen nur zur Gelegenheit der Vergabe eines bestimmten Auftrages an einen bestimmten Auftragnehmer gegründet werden bzw. sich Sektorenauftraggeber nur zu dieser Gelegenheit an dem gemeinsamen Unternehmen beteiligen1. Aus der Ausnahmeregelung des § 139 kann zugleich gefolgert werden, dass Aufträge zwischen Sektorenauftraggebern grundsätzlich dem Vergaberecht unterfallen.

§ 140 Besondere Ausnahme für unmittelbar dem Wettbewerb ausgesetzte Tätigkeiten (1) Dieser Teil ist nicht anzuwenden auf öffentliche Aufträge, die zum Zweck der Ausübung einer Sektorentätigkeit vergeben werden, wenn die Sektorentätigkeit unmittelbar dem Wettbewerb auf Märkten ausgesetzt ist, die keiner Zugangsbeschränkung unterliegen. Dasselbe gilt für Wettbewerbe, die im Zusammenhang mit der Sektorentätigkeit ausgerichtet werden. (2) Für Gutachten und Stellungnahmen, die aufgrund der nach § 113 Satz 2 Nummer 8 erlassenen Rechtsverordnung vorgenommen werden, erhebt das Bundeskartellamt Kosten (Gebühren und Auslagen) zur Deckung des Ver1 Opitz in Eschenbruch/Opitz, Anhang zu § 1 Rz. 60.

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§ 140 | Bes. Ausn. für unmittelbar dem Wettbewerb ausgesetzte Tätigkeiten waltungsaufwands. § 80 Absatz 1 Satz 3 und Absatz 2 Satz 1, Satz 2 Nummer 1, Satz 3 und 4, Absatz 5 Satz 1 sowie Absatz 6 Satz 1 Nummer 2, Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Hinsichtlich der Möglichkeit zur Beschwerde über die Kostenentscheidung gilt § 63 Absatz 1 und 4 entsprechend. 1 § 140 dient der Umsetzung von Artikel 34 Absatz 1 der Richtlinie 2014/25/EU.

Die Ausnahme für unmittelbar dem Wettbewerb ausgesetzte Tätigkeiten war schon in Artikel 30 der Vorgängerrichtlinie 2004/17/EG vorgesehen und bislang sowohl in § 100b Absatz 4 Nummer 4 GWB als auch § 3 SektVO umgesetzt. Die Neuregelung des § 140 beschränkt sich auf die Regelung des reinen Ausnahmetatbestands. Die dazugehörigen Verfahrensvorschriften, die in Artikel 34 Absatz 2 und 3 sowie Artikel 35 der Richtlinie 2014/25/EU enthalten sind, werden nunmehr ausschließlich in der Sektorenverordnung geregelt1.

2 Bezug nehmend auf die Kommissionsmitteilung „Das öffentliche Auftragswesen

der Europäischen Union“ vom 11.3.19982 hieß es bereits in dem der Richtlinie 2004/17/EG zugrunde liegenden Kommissionsvorschlag vom 31.8.2000, dass die „Daseinsberechtigung“ der Vergabevorschriften für die Sektoren „das Fehlen von Wettbewerb aufgrund staatlichen Eingreifens durch die Gewährung eines Monopols oder eines Vorrechtes für einen Marktteilnehmer [ist]. Das Gegengewicht zu diesen vom Staat gewährten Vorrechten bilden Vorschriften über die Veröffentlichung und die Verfahren bei der Vergabe von Aufträgen. Wird festgestellt, dass in einem Bereich echter Wettbewerb herrscht, sollten die Auflagen der Richtlinie für diesen Bereich aufgehoben werden“3. Ausgehend von diesem Ansatz sieht Art. 34 der Richtlinie 2014/25/EG die Möglichkeit vor, bestimmte Sektorentätigkeiten in einzelnen Mitgliedstaaten von der Anwendung der Richtlinie auszunehmen.

3 In materiell-rechtlicher Hinsicht ist Voraussetzung hierfür, dass die Tätigkeit in

dem betreffenden Mitgliedstaat „auf Märkten mit freiem Zugang unmittelbar dem Wettbewerb ausgesetzt ist.“ Als Kriterien dafür, ob eine Tätigkeit unmittelbar dem Wettbewerb ausgesetzt ist, nennt Artikel 34 Absatz 2 der Richtlinie 2014/25/EU beispielhaft die Merkmale der betreffenden Waren und Dienstleistungen, das Vorhandensein alternativer Waren und Dienstleistungen, die Preise und das tatsächliche oder mögliche Vorhandensein mehrerer Anbieter der betreffenden Waren und Dienstleistungen. Das Bestehen eines freien Marktzugangs ist nach Artikel 34 Absatz 3 UAbs. 1 zu vermuten, soweit der Mitgliedstaat die in Anhang III der Richtlinie genannten Vorschriften des Gemeinschaftsrechts umgesetzt hat. Hierbei handelt es sich: – hinsichtlich der Fortleitung oder Abgabe von Gas und Wärme die Richtlinie 2009/73/EG 1 Gesetzesbegründung, BT-Drucks. 18/6281, S. 125. 2 KOM (98) 143 endg. 3 KOM (2000) 276 endg. (2), S. 6.

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Bes. Ausn. für unmittelbar dem Wettbewerb ausgesetzte Tätigkeiten | § 140

– hinsichtlich Erzeugung, Fortleitung oder Abgabe von Elektrizität die Richtlinie 2009/72/EG – im Bereich Schienengüterverkehr die Richtlinie 2012/34/EU – Im Bereich Grenzüberschreitender Schienenpersonenverkehr die Richtlinie 2012/34/EU – hinsichtlich der Tätigkeiten von Auftraggebern im Bereich der Postdienste die Richtlinie 97/67/EG und – im Bereich Gewinnung von Öl oder Gas Richtlinie 94/22/EG Ist das Bestehen eines freien Marktzugangs nicht bereits nach Artikel 34 Ab- 4 satz 3 UAbs. 1 der Richtlinie 2014/25/EU zu vermuten, ist gemäß Artikel 34 Absatz 3 UAbs. 2 nachzuweisen, dass der freie Marktzugang faktisch und rechtlich gegeben ist. Das Verfahren des Nachweises ist näher in Artikel 35 Richtlinie 2014/25/EU 5 geregelt und wurde in § 3 SektVO umgesetzt. Neben dem Bundesministerium für Wirtschaft und Energie können nun auch Sektorenauftraggeber Feststellungen beantragen. Für Deutschland relevant sind zwei Entscheidungen der Kommission. Mit dem 6 Durchführungsbeschluss der Europäischen Kommission vom 24.4.20121 hat diese Aufträge, die der Erzeugung und dem Erstabsatz (Großhandel) von konventionellem Strom dienen soll, von der Anwendung der Richtlinie 2004/17/ EG freigestellt. Wie sich aus Erwägungsgrund 43 Richtlinie 2014/25/EU ergibt, gilt die Entscheidung fort. Mit Durchführungsbeschluss vom 15.9.20162 hat die Europäische Kommission weitere Aufträge im Energiesektor vom Anwendungsbereich freigestellt3: – Stromeinzelhandel mit Kunden, deren Verbrauch durch Leistungsmessung erfasst wird (registrierende Leistungsmessung – RLM), sowie mit Kunden, deren Verbrauch auf der Grundlage eines Standardlastprofils (SLP) abgerechnet wird, mit Ausnahme von SLP-Kunden, die gemäß gesetzlichen Standardlieferbedingungen beliefert werden, und dem Heizstrommarkt, im Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland – Erdgaseinzelhandel mit Kunden, deren Verbrauch durch Leistungsmessung erfasst wird (registrierende Leistungsmessung – RLM), und mit Kunden, deren Verbrauch auf der Grundlage eines Standardlastprofils (SLP) abgerechnet wird, mit Ausnahme von SLP-Kunden, die gemäß gesetzlichen Standardlieferbedingungen beliefert werden, im Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland. 1 2012/218/EU Abl. EU L 114, 21 vom 26.4.2012. 2 2016/1674/EU Abl. EU L 253/6 vom 17.9.2016. 3 S. näher zur Reichweite Wrede/Klotz, RdE 2017, 287; Michaels, IR 2017, 77.

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§ 141 | Verfahrensarten

§ 141 Verfahrensarten (1) Sektorenauftraggebern stehen das offene Verfahren, das nicht offene Verfahren, das Verhandlungsverfahren mit Teilnahmewettbewerb und der wettbewerbliche Dialog nach ihrer Wahl zur Verfügung. (2) Das Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb und die Innovationspartnerschaft stehen nur zur Verfügung, soweit dies aufgrund dieses Gesetzes gestattet ist. 1 Gemäß § 141 Absatz 1 stehen Sektorenauftraggebern das offene Verfahren, das

nicht offene Verfahren, das Verhandlungsverfahren mit Teilnahmewettbewerb und der wettbewerbliche Dialog nach ihrer Wahl zur Verfügung. Die Regelung dient der Umsetzung von Artikel 44 Absatz 2 und Abs. 3 Richtlinie 2014/25/EU. Die Wahlmöglichkeit zwischen den genannten Verfahrensarten stellen zusammen mit den höheren Schwellenwerten für Liefer- und Dienstleistungsaufträge den in Praxis wichtigsten Unterschied des Sektorenvergaberechts zum übrigen (Kartell-) Vergaberecht dar.

2 § 141 Absatz 2 stellt klar, dass das Verhandlungsverfahren ohne Teilnahme-

wettbewerb und die Innovationspartnerschaft nur zur Verfügung stehen, soweit dies aufgrund dieses Gesetzes gestattet ist. Diese Regelung dient der Umsetzung von Artikel 44 Absatz. 5 Richtlinie 2014/25/EU. Die bisherige Fassung in § 107 Absatz 1 Satz 2 GWB a.F. differenzierte noch nicht hinreichend zwischen Verhandlungsverfahren mit und ohne Teilnahmewettbewerb. Auch enthielt sie nicht die Möglichkeit des wettbewerblichen Dialogs.

3 Die Verfahrensart des Wettbewerblichen Dialogs wurde vom deutschen Ge-

setzgeber ebenfalls in § 141 Absatz 1 aufgenommen, obwohl diese Verfahrensart in Artikel 44 Richtlinie 2014/25/EU nicht genannt ist. Dies ist zulässig, weil Artikel 48 der Richtlinie 2014/25/EU keine besonderen Voraussetzungen für die Durchführung eines wettbewerblichen Dialogs vorsieht.

4 Aufgrund des eindeutigen Wortlauts hat der Sektorenauftraggeber die freie

Wahl zwischen dem offene Verfahren, dem nicht offene Verfahren, dem Verhandlungsverfahren mit Teilnahmewettbewerb und dem wettbewerbliche Dialog. Ein Vorrang des offenen Verfahrens existiert nicht.1 Der Sektorenauftraggeber ist auch nicht im Sinne eines Ermessens gezwungen, zwischen den Verfahrensarten zu wählen und lediglich bei Vorliegen eines sachlichen Grundes berechtigt, sich für eine bestimmte Verfahrensart zu entscheiden2. Soweit es im Einzelfall für erforderlich gehalten wird, können Empfänger öffentlicher Mittel darüber hinaus auch mit der Finanzierung, regelmäßig durch den Zuwendungsbescheid, zur Anwendung strengerer Vorgaben verpflichtet werden. Derartige Einzelfälle rechtfertigen nach Ansicht des Gesetzgebers jedoch nicht eine stren-

1 So auch Opitz in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum Vergaberecht, § 141 Rz. 9. 2 So auch Wichmann in Eschenbruch/Opitz, SektVO, § 6 Rz. 4.

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Sonstige Anwendbare Vorschriften | § 142

gere gesetzliche Vorgabe1. Die Freiheit der Sektorenauftraggeber, das Vergabeverfahren wählen zu können, bedeutet jedoch nicht, dass Elemente verschiedener Verfahrensarten miteinander kombiniert werden können2 oder nach Belieben auf eine andere Vergabeart übergewechselt werden kann3. Schreibt ein Sektorenauftraggeber daher nach einer bestimmten Verfahrensart aus, so ist er verpflichtet, die dafür geltenden Bestimmungen bis zur Beendigung des Verfahrens einzuhalten und das Verfahren konsequent zu Ende zu führen. Insoweit unterliegt ein Sektorenauftraggeber im Wesentlichen den gleichen Anforderungen wie ein öffentlicher Auftraggeber i.S.d. § 994. Selbstverständlich hat der Sektorenauftraggeber die Wahl der Verfahrensart zu dokumentieren und in der EU-Auftragsbekanntmachung entsprechend bekannt zu geben. Die Voraussetzungen für die Durchführung des Verhandlungsverfahren ohne 5 Teilnahmewettbewerb und des Innovationspartnerschaft sind nicht näher im GWB geregelt, sondern finden sich in § 13 Absatz 2, 3 SektVO und § 18 SektVO. Die dortigen Regelungen sind abschließend und als Ausnahmeregelungen eng auszulegen. Wegen der Unterschiede und Besonderheiten der jeweiligen Verfahrensarten wird auf die Kommentierung zu § 119 verwiesen5.

§ 142 Sonstige Anwendbare Vorschriften Im Übrigen gelten für die Vergabe von öffentlichen Aufträgen durch Sektorenauftraggeber zum Zweck der Ausübung von Sektorentätigkeiten die §§ 118 und 119, soweit in § 141 nicht abweichend geregelt, die §§ 120 bis 129, 130 in Verbindung mit Anhang XVII der Richtlinie 2014/25/EU sowie die §§ 131 bis 135 mit der Maßgabe entsprechend, dass 1. Sektorenauftraggeber abweichend von § 122 Absatz 1 und 2 die Unternehmen anhand objektiver Kriterien auswählen, die allen interessierten Unternehmen zugänglich sind, 2. Sektorenauftraggeber nach § 100 Absatz 1 Nummer 2 ein Unternehmen nach § 123 ausschließen können, aber nicht ausschließen müssen, 3. § 132 Absatz 2 Satz 2 und 3 nicht anzuwenden ist. I. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . II. Unverändert geltende Vorschriften des zweiten Abschnittes . . . 1 2 3 4 5

_ _ 1 2

III. Modifiziert geltende Vorschriften des zweiten Abschnitts 1. Eignungskriterien . . . . . . . . . . .

_ 3

Vgl. BT-Drucks. 16/10117, S. 20 zu § 101 Abs. 7 a.F. VK Südbayern v. 17.7.2001 – 120.3-3194-1-23–06/01, juris. Opitz in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum Vergaberecht, § 141 Rz. 8. Vgl. VK Südbayern v. 17.7.2001 – 120.3-3194-1-23–06/01, juris. Vgl. § 119 Rz. 19 ff.

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§ 142 | Sonstige Anwendbare Vorschriften 2. Fakultativer Ausschluss bei § 123 .

_ 5

3. Besonderheiten bei unwesentlichen Änderungen . . . . . . . . . .

_ 6

I. Allgemeines 1 Nach § 142 sind für die Vergabe von Aufträgen im Bereich der Trinkwasser-

oder Energieversorgung sowie des Verkehrs im Übrigen grundsätzlich die allgemeinen Vorschriften des Abschnitts 2 für die Vergabe von öffentlichen Aufträgen durch öffentliche Auftraggeber entsprechend anzuwenden. Hintergrund der Regelung ist, dass die Richtlinien 2014/24/EU und 2014/25/EU weitestgehend inhaltsgleiche Regelungen enthalten, so dass auf die Vorschriften des Abschnitts 2 verwiesen werden kann. Bestehende Abweichungen von den allgemeinen Regelungen des Abschnitts 2 sind aufgeführt und gehen insofern den allgemeinen Vorschriften des Abschnitts 2 als Spezialregelung vor1. § 142 setzt zahlreiche Vorschriften der Richtlinie 2014/25/EU um. Die Regelungen werden in der SektVO in der Regel konkretisiert und ergänzt.

II. Unverändert geltende Vorschriften des zweiten Abschnittes 2 Unverändert gelten folgende Vorschriften des zweiten Abschnittes auch für Auf-

träge von Sektorenauftraggeber; auf die entsprechende Kommentierung wird verwiesen: – § 118 – Bestimmten Auftragnehmern vorbehaltene Aufträge (Umsetzung von Art. 38 Richtlinie 2014/25/EU) – § 120 – Besondere Methoden und Instrumente in Vergabeverfahren, d.h. dynamisches Beschaffungssystem, elektronische Auktion, elektronischer Katalog, zentrale Beschaffungsstelle (Umsetzung von Art. 52–55 Richtlinie 2014/25/EU) – § 121 – Leistungsbeschreibung – § 122 Abs. 3, 4 – Eignung durch Teilnahme an Präqualifizierungssystemen, allgemeine Anforderungen an Eignungskriterien – § 124 – Fakultative Ausschlussgründe (Umsetzung von Art. 80 Richtlinie 2014/25/EU i.V.m. Art. 57 Abs. 4 Richtlinie 2014/24/EU). – § 125 – Selbstreinigung (Umsetzung von Art. 80 Richtlinie 2014/25/EU i.V.m. Art. 57 Abs. 6 Richtlinie 2014/24/EU) – § 126 – Zulässiger Zeitraum für Ausschlüsse (Umsetzung von Art. 80 Richtlinie 2014/25/EU i.V.m. Art. 57 Abs. 7 Richtlinie 2014/24/EU) – § 127 – Zuschlag (Umsetzung von Art. 82 Richtlinie 2014/25/EU) 1 Vgl. Gesetzesbegründung, BT-Drucks. 18/6281, S. 125.

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Sonstige Anwendbare Vorschriften | § 142

– § 128 – Auftragsausführung (Umsetzung von Art. 36 Abs. 2 und Art. 87 Richtlinie 2014/25/EU) – § 129 – Zwingend zu berücksichtigende Ausführungsbedingungen – § 130 – Vergabe von öffentlichen Aufträgen über soziale und andere besondere Dienstleistungen (Umsetzung der Art. 91 ff. Richtlinie 2014/25/EU)1 – § 131 – Vergabe von öffentlichen Aufträgen über Personenleistungen im Eisenbahnverkehr – § 133 – Kündigungen (Umsetzung von Art. 90 der Richtlinie 2014/25/EU) – § 134 – Informations- und Wartepflicht (Umsetzung von Art. 2a der Richtlinie 2007/66/EG) – § 135 – Unwirksamkeit (Umsetzung von Art. 2d der Richtlinie 2007/66/EG)

III. Modifiziert geltende Vorschriften des zweiten Abschnitts 1. Eignungskriterien Gemäß § 142 Nummer 1 gilt § 122 mit der Maßgabe entsprechend, dass die Sek- 3 torenauftraggeber abweichend von § 122 Abs. 1 und 2 die Unternehmen anhand objektiver Kriterien auswählen, die allen interessierten Unternehmen zugänglich sind. Die Regelung setzt Art. 78 Abs. 1 der Richtlinie 25/2014/EU um. Diese Regelung ist gegenüber dem klassischen Vergaberecht (Richtlinie 2014/24/ 4 EU) weniger streng und lässt bezüglich der Festlegung der Eignungskriterien Spielräume2. Dies bedeutet, dass ein Sektorenauftraggeber durchaus berechtigt ist, die Eignung anhand Kriterien zu prüfen, die nicht unter die Oberbergriffe der Fachkunde und Leistungsfähigkeit zu subsumieren sind. Die Kriterien müssen objektiver Natur sein, den Bietern vorher bekanntgegeben werden, sowie – wie sich aus dem unverändert geltenden § 122 Abs. 4 Satz 1 ergibt – mit dem Auftragsgegenstand in Verbindung und zu diesem in einem angemessen Verhältnis stehen. Zu beachten ist zudem, dass auch für Sektorenauftraggeber der Grundsatz der Trennung von Eignungs- und Zuschlagskriterien gilt3. Die Kriterien sind gemäß § 122 Abs. 4 Satz 2 in der Auftragsbekanntmachung, der Vorinformation oder der Aufforderung zur Interessenbekundung aufzuführen. 1 Zu beachten ist allerdings, dass gem. § 132 Abs. 3 i.V.m. § 106 Abs. 2 Nr. 2 i.V.m. Art. 15 lit. c) Richtlinie 2014/25/EU der höhere Schwellenwert der Richtlinie 2014/25/EU gilt, d.h. 1.000.000 EUR. Ebenfalls zu beachten ist, dass der deutsche Gesetzgeber mit dem Verweis auf den zweiten Abschnitt des GWB über die Mindestanforderungen von Art. 93 Abs. 1 der Richtlinie 2014/25/EU hinausgegangen ist. Ausreichend wäre es gewesen, sicherzustellen, dass die Auftraggeber die Grundsätze der Transparenz und der Gleichbehandlung der Wirtschaftsteilnehmer einhalten. 2 Gesetzesbegründung, BT-Drucks. 18/6281, S. 125. 3 Vgl. dazu § 127 Rz. 49 ff.

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§ 143 | Regelung für Auftraggeber nach dem Bundesberggesetz 2. Fakultativer Ausschluss bei § 123 5 Gemäß § 142 Nummer 2 gilt § 123 mit der Maßgabe entsprechend, dass Sekto-

renauftraggeber nach § 100 Abs. 1 Nummer 2 ein Unternehmen nach § 123 ausschließen können, aber nicht ausschließen müssen. Die Regelung setzt Art. 80 der Richtlinie 2014/25/EU um. Da diese fakultativ ausgestaltet ist, ist der Ausschluss § 123 sind für „private“ Sektorenauftraggeber nicht obligatorisch1. Die Verweisung ist dahingehend zu verstehen, dass – entsprechend § 124 – die Sektorenauftraggeber ein Ermessen haben. Wie sich aus Erwägungsgrund 105 der Richtlinie 2014/25/EU ergibt, bezieht sich die Ermessensausübung sich dabei nicht auf die Anwendung des § 123 „als Ganzes“, sondern auf die jeweiligen Tatbestände2. Bei „staatlichen“ Sektorenauftraggebern i.S.d. § 100 Abs. 1 Nummer 1 bleibt es bei der Ausgestaltung des § 123 als zwingende Ausschlussgründe. 3. Besonderheiten bei unwesentlichen Änderungen

6 Gemäß § 142 Nummer 3 gilt § 132 mit der Maßgabe entsprechend, dass § 132

Abs. 2 Satz und 3 nicht anzuwenden sind. Die Rückausnahme nach § 142 Nummer 3 ergibt sich aus Art. 89 Abs. 1 der Richtlinie 2014/25/EU. Anders als in Art. 72 Abs. 1 der Richtlinie 2014/24/EU findet sich in der Richtlinie 2014/25/ EU bei der zulässigen Vertragsverlängerung wegen zusätzlicher Leistungen keine Einschränkung auf maximal 50 Prozent des ursprünglichen Preises3.

§ 143 Regelung für Auftraggeber nach dem Bundesberggesetz (1) Sektorenauftraggeber, die nach dem Bundesberggesetz berechtigt sind, Erdöl, Gas, Kohle oder andere feste Brennstoffe aufzusuchen oder zu gewinnen, müssen bei der Vergabe von Liefer-, Bau- oder Dienstleistungsaufträgen oberhalb der Schwellenwerte nach § 106 Absatz 2 Nummer 2 zur Durchführung der Aufsuchung oder Gewinnung von Erdöl, Gas, Kohle oder anderen festen Brennstoffen die Grundsätze der Nichtdiskriminierung und der wettbewerbsorientierten Auftragsvergabe beachten. Insbesondere müssen sie Unternehmen, die ein Interesse an einem solchen Auftrag haben können, ausreichend informieren und bei der Auftragsvergabe objektive Kriterien zugrunde legen. Die Sätze 1 und 2 gelten nicht für die Vergabe von Aufträgen, deren 1 Vgl. Gesetzesbegründung, BT-Drucks. 18/6281, S. 125. 2 Unklar Opitz in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum Vergaberecht, § 142 Rz. 12. 3 Vgl. Gesetzesbegründung, BT-Drucks. 18/6281, S. 125.

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Regelung für Auftraggeber nach dem Bundesberggesetz | § 143

Gegenstand die Beschaffung von Energie oder Brennstoffen zur Energieerzeugung ist. (2) Die Auftraggeber nach Absatz 1 erteilen der Europäischen Kommission über das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie Auskunft über die Vergabe der unter diese Vorschrift fallenden Aufträge nach Maßgabe der Entscheidung 93/327/EWG der Kommission vom 13. Mai 1993 zur Festlegung der Voraussetzungen, unter denen die öffentlichen Auftraggeber, die geographisch abgegrenzte Gebiete zum Zwecke der Suche oder Förderung von Erdöl, Gas, Kohle oder anderen Festbrennstoffen nutzen, der Kommission Auskunft über die von ihnen vergebenen Aufträge zu erteilen haben (ABl. L 129 vom 27.5.1993, S. 25). Sie können über das Verfahren gemäß der Rechtsverordnung nach § 113 Satz 2 Nummer 8 unter den dort geregelten Voraussetzungen eine Befreiung von der Pflicht zur Anwendung dieser Bestimmung erreichen. I. 1. 2. II.

Einführung Inhaltsübersicht . . . . . . . . . . . . Entstehungsgeschichte . . . . . . . Anwendungsbereich . . . . . . . .

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III. Regelungsinhalt 1. § 143 Abs. 1 . . . . . . . . . . . . . . . 2. § 143 Abs. 2 . . . . . . . . . . . . . . .

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I. Einführung 1. Inhaltsübersicht Der Bereich des Aufsuchens und der Förderung von Brennstoffen wird grund- 1 sätzlich von der Sektorenrichtlinie 2014/25/EU als Sektorentätigkeit erfasst1. Unternehmen, die in Deutschland in diesem Bereich tätig sind und die sonstigen Anforderungen an öffentliche Auftraggeber erfüllen, haben jedoch aufgrund einer auf Art. 3 der Richtlinie 93/38/EWG2 gestützten Entscheidung der EU-Kommission3 eine weitgehende Befreiung von der Anwendungsverpflichtung. Sie sind lediglich gehalten, bei Auftragsvergaben oberhalb der Schwellenwerte den Grundsatz der Nichtdiskriminierung und der wettbewerbsorientierten Auftragserteilung einzuhalten. § 143 Abs. 1 verpflichtet zur Einhaltung dieser Grundsätze. Gleichzeitig wird diesen Auftraggebern in § 143 Abs. 2 die Möglichkeit eröffnet, sich gänzlich von der Anwendungsverpflichtung dieser Vorschrift zu befreien4. 1 2 3 4

Vgl. Art. 14 der Richtlinie 2014/25/EU. ABl. Nr. L 199 v. 9.8.1993, S. 84 ff. ABl. Nr. L 16 v. 23.1.2004, S. 57 ff. Vgl. BT-Drucks. 16/10117, S. 25 zur Vorgängervorschrift des § 129b GWB a.F.; in der amtlichen Begründung zur aktuellen Vorschrift heißt es insoweit nur, dass § 143 der bisherigen Regelung entspreche.

Bosselmann/Ganske

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§ 143 | Regelung für Auftraggeber nach dem Bundesberggesetz 2. Entstehungsgeschichte 2 § 143 entspricht § 129b in der Gestalt des Gesetzes zur Modernisierung des Ver-

gaberechts vom 20.4.20091; eine Veränderung war ausweislich der amtlichen Begründung2 nicht gewollt; neu ist also allein der Verweis auf die Schwellenwerte über § 106 Abs. 2 Nr. 2 und die Anpassung des Begriffs des Auftraggebers.

3 § 129b GWB a.F. ging zurück auf § 11 VgV a.F. Die Vorschrift wurde durch das

Gesetz zur Modernisierung des Vergaberechts vom 20.4.2009 mit Wirkung zum 24.4.2009 in das GWB eingefügt. Die Überführung der Regelung in das GWB diente dem Zweck, die Vergabeverordnung noch stärker auf die Verweisung auf die Verdingungsordnungen (sog. Relaisfunktion) zu konzentrieren3. Im Zuge der Übernahme der Regelung in das GWB wurde die Vorschrift redaktionell geändert. Gleichwohl ist davon auszugehen, dass § 129b GWB a.F. im Vergleich zu § 11 VgV a.F. eine sinngleiche Bestimmung darstellen sollte. Zwar war als Adressat und insoweit Unterschied zu der Vorgängerregelung in § 11 VgV a.F. nicht mehr „die in § 98 Nr. 1 bis 4 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen genannten Auftraggeber, die nach dem Bundesberggesetz eine Berechtigung zur Aufsuchung oder Gewinnung von Erdöl, Gas, Kohle oder anderen Festbrennstoffen erhalten haben“ genannt, sondern „Auftraggeber, die nach dem Bundesberggesetz berechtigt waren, Erdöl, Gas, Kohle oder andere Festbrennstoffe aufzusuchen oder zu gewinnen“. Dies stellte indes lediglich eine sprachliche Änderung dar. Denn wie sich aus der Gesetzesbegründung zum Vergaberechtsmodernisierungsgesetz 2009 ergab, wandte sich § 129b GWB a.F. – wie auch zuvor § 11 VgV a.F. – an Unternehmen, die in Deutschland im Bereich des Aufsuchens und der Förderung von Brennstoffen tätig sind und die sonstigen Anforderungen an öffentliche Auftraggeber erfüllen, so dass sich inhaltlich keine Änderung des Adressatenkreises ergab. Zum anderen fiel auf, dass nach § 129b Abs. 1 Satz 1 GWB a.F. – im Vergleich zu § 11 VgV a.F. – ausdrücklich die Schwellenwerte der damaligen Sektorenrichtlinie 2004/17/EG galten. Hintergrund dieser ausdrücklichen Inbezugnahme auf die Schwellenwerte der bisherigen Sektorenrichtlinie 2004/17/EG war, dass ohne eine solche die Schwellenwerte der Sektorenrichtlinie 2004/17/EG nicht anwendbar gewesen wären, da bis zum Inkrafttreten der Dritten Verordnung zur Änderung der VgV und der darin vorgesehenen Anhebung der Schwellenwerte die bis dahin geltenden niedrigeren Schwellenwerte der VgV maßgeblich waren. Eine unmittelbare Anwendbarkeit der in Art. 16 der Sektorenrichtlinie 2004/17/EG vorgesehenen Regelungen kam nicht in Betracht, weil sie sich zu Lasten der Bieter und Bewerber auswirken würde4.

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BGBl. I 2009, 790 ff. BT-Drucks. 18/6281, S. 126. Vgl. BT-Drucks. 16/10117, S. 1. Vgl. Maimann in Kapellmann/Messerschmidt, VOB Teil A und B, 2. Aufl. 2007, § 2 VgV Rz. 20.

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Regelung für Auftraggeber nach dem Bundesberggesetz | § 143

Durch die jüngste Novelle wurde also der Wortlaut des bisherigen § 129b 4 GWB a.F. weitgehend beibehalten. Neben der genannten redaktionellen Anpassung des Verweises auf die Schwellenwerte in § 106 Abs. 2 Nr. 2 wurde der persönliche Anwendungsbereich aber explizit auf Sektorenauftraggeber beschränkt. Vor dem Hintergrund, dass der sachliche Anwendungsbereich ohnehin nur Sektorentätigkeiten betrifft, ergibt sich durch die Gesetzesänderung im Ergebnis keine Veränderung.

II. Anwendungsbereich Der persönliche Anwendungsbereich des § 143 erfasst nach Abs. 1 Satz 1 alle 5 Sektorenauftraggeber, die nach dem Bundesberggesetz berechtigt sind, Erdöl, Gas, Kohle oder andere Festbrennstoffe aufzusuchen oder zu gewinnen. Teilweise wird vertreten, dass nur solche Sektorenauftraggeber i.S.v. § 100 Abs. 1 Nr. 1 gemeint seien.1 Begründet wird dies mit dem Hinweis, dass ausweislich der amtlichen Begründung die bisherige Regelung des § 129b GWB a.F. übernommen werden sollte. Dies überzeugt nicht. Der persönliche Anwendungsbereich des § 143 umfasst richtigerweise alle Arten von Sektorenauftraggebern. Dafür sprechen zum einen der eindeutige Wortlaut und die Systematik; an anderer Stelle im GWB differenziert der Gesetzgeber nach den verschiedenen Arten der Sektorenauftraggeber. Auch die neue Sektorenrichtlinie 2014/25/EU enthält keine Anhaltspunkte dafür, dass die Regelung lediglich klassische öffentliche Auftraggeber, die eine Sektorentätigkeit ausüben, betrifft. Schließlich ist zu beachten, dass eine Beschränkung auf § 100 Abs. 1 Nr. 1 tatsächlich eine Einschränkung zur früheren Rechtslage, nach der sämtliche Auftraggeber i.S.d. § 98 Nr. 4 GWB a.F. umfasst waren, zur Folge hätte. Insofern ist nicht von einem Redaktionsversehen bei der Erstellung des Gesetzestextes, sondern lediglich von einer Ungenauigkeit der Gesetzesbegründung auszugehen. Sachlich regelt § 143 die Vergabe von Bau-, Liefer- oder Dienstleistungsaufträ- 6 gen i.S.d. § 103 zur Durchführung des Aufsuchens oder der Gewinnung von Erdöl, Gas, Kohle oder anderen Festbrennstoffen. Damit orientiert sich § 143b an den Begrifflichkeiten des § 4 und der §§ 6–9 BBergG. Inhaltlich entsprechen diese den Formulierungen „Exploration“ (Aufsuchung) und „Förderung“ (Gewinnung) des § 102 Abs. 6. Nach der Legaldefinition des § 4 Abs. 1 BBergG ist Aufsuchen (Aufsuchung) 7 die mittelbar oder unmittelbar auf die Entdeckung oder Feststellung der Ausdehnung von Bodenschätzen gerichtete Tätigkeit mit Ausnahme der Tätigkeiten im Rahmen der amtlichen geologischen Landesaufnahme (§ 4 Abs. 1 Nr. 1 1 So etwa Müller in Greb/Müller, Kommentar zum Sektorenvergaberecht, 2. Aufl. 2017, § 143 GWB Rz. 6.

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§ 143 | Regelung für Auftraggeber nach dem Bundesberggesetz BBergG), der Tätigkeiten, die ausschließlich und unmittelbar Lehr- oder Unterrichtszwecken dienen (§ 4 Abs. 1 Nr. 2 BBergG), und des Sammelns von Mineralien in Form von Handstücken oder kleinen Proben für mineralogische oder geologische Sammlungen (§ 4 Abs. 1 Nr. 3 BBergG). Gemäß § 4 Abs. 2 BBergG ist Gewinnen (Gewinnung) das Lösen oder Freisetzen von Bodenschätzen einschließlich der damit zusammenhängenden vorbereitenden, begleitenden und nachfolgenden Tätigkeiten; ausgenommen ist das Lösen oder Freisetzen von Bodenschätzen in einem Grundstück aus Anlass oder im Zusammenhang mit dessen baulicher oder sonstiger städtebaulicher Nutzung (§ 4 Abs. 2 Nr. 1 BBergG) und in oder an einem Gewässer als Voraussetzung für dessen Ausbau oder Unterhaltung (§ 4 Abs. 2 Nr. 2 BBergG). 8 Der Begriff der Berechtigung stellt einen Oberbegriff für die Unterarten der Be-

rechtigung in Form der Erlaubnis, der Bewilligung und des Bergwerkeigentums dar. Nach § 6 Satz 1 BBergG bedarf das Aufsuchen bergfreier Bodenschätze der Erlaubnis; die Gewinnung bergfreier Bodenschätze bedarf der Bewilligung oder des Bergwerkeigentums. Gemäß § 6 Satz 2 BBergG können diese Berechtigungen nur natürlichen und juristischen Personen und Personenhandelsgesellschaften erteilt oder verliehen werden. Liegt keiner der in §§ 11 bis 13 BbergG genannten Versagungsgründe vor, besteht – unter der Prämisse des Vorliegens eines ordnungsgemäß gestellten Antrags – ein Anspruch auf Erteilung der jeweils in Betracht kommenden Berechtigung1.

III. Regelungsinhalt 1. § 143 Abs. 1 9 § 143 Abs. 1 Satz 1 und 2 enthält eine Privilegierung der Sektorenauftraggeber

nach dem Bundesberggesetz hinsichtlich der von ihnen durchzuführenden Vergabeverfahren. Zwar enthält § 143 Abs. 1 Satz 1 und 2 keine vollständige Freistellung, allerdings wird eine weitgehende Freiheit bei der Gestaltung der Auftragsvergabe gewährt. So haben die in § 143 Abs. 1 genannten Auftraggeber nach dem Wortlaut der Vorschrift lediglich den Grundsatz der Nichtdiskriminierung und der wettbewerbsorientierten Vergabe zu beachten (§ 143 Abs. 1 Satz 1). Dabei haben sie insbesondere den beteiligten Unternehmen ausreichende Informationen zur Verfügung zu stellen und bei der Auftragsvergabe objektive Kriterien zugrunde zu legen (§ 143 Abs. 1 Satz 2)2. § 143 Abs. 1 zeigt deutlich, dass trotz Privilegierung die zentralen Grundsätze eines fairen Wettbewerbs beachtet werden müssen und setzt damit zugleich Mindestanforderun-

1 Vgl. auch BGH v. 9.12.2004 – III ZR 263/04, MDR 2005, 887 = BGHZ 161, 305 ff. 2 VK Arnsberg v. 10.1.2008 – VK 42/07 (zu § 11 VgV a.F.); VK Arnsberg v. 11.4.2002 – VK 2-06/2002, ZfBR 2003, 308.

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Regelung für Auftraggeber nach dem Bundesberggesetz | § 143

gen an ein Vergabeverfahren fest. Darüber hinaus stellt § 143 keine besonderen Verfahrensanforderungen auf1. Siehe allerdings auch Rz. 11. Auf den ersten Blick verwundern mag der Umstand, dass die in § 143 Abs. 1 10 Satz 1 genannten Sektorenauftraggeber in weiten Teilen von der Einhaltung der für die Vergabe eines öffentlichen Auftrags zu beachtenden Vorschriften entbunden sind, obwohl die Tätigkeit unter Art. 14 der Richtlinie 2014/25/EU fällt. Hintergrund hiervon ist, wie in der Gesetzesbegründung zur insoweit unveränderten Vorgängervorschrift ausgeführt wird, dass Unternehmen, die in Deutschland in dem Bereich des Aufsuchens und der Förderung von Brennstoffen tätig sind und die sonstigen Anforderungen an öffentliche Auftraggeber erfüllen, aufgrund einer (auf Art. 3 der Richtlinie 93/38/EWG gestützten) Entscheidung der EU-Kommission eine weitgehende Befreiung von der Anwendungsverpflichtung haben2. Bei der angesprochenen Entscheidung handelt es sich um die Entscheidung der EU-Kommission 2004/73/EG vom 15.1.20043. Auf Antrag Deutschlands4 bestimmte die Kommission in Art. 1 dieser Entscheidung, dass die Nutzung geografisch abgegrenzter Gebiete zum Zwecke der Suche nach oder der Förderung von Erdöl, Gas, Kohle oder anderen Festbrennstoffen in Deutschland ab 15.1.2004 nicht als Tätigkeit i.S.v. Art. 2 Abs. 2 lit. b) Ziffer i) der (alten) Sektorenrichtlinie 93/38/EWG gilt, und die eine solche Tätigkeit ausübenden Auftraggeber in Deutschland nicht als Inhaber besonderer oder ausschließlicher Rechte i.S.v. Art. 2 Abs. 3 lit. b) der (alten) Sektorenrichtlinie 93/38/EWG gelten. Zwar wurde die (alte) Sektorenrichtlinie 93/38/EWG zwischenzeitlich durch Art. 73 der Sektorenrichtlinie 2004/17/EG5 und diese wiederum durch Art. 107 Richtlinie 2014/25/EU aufgehoben. Die in Art. 3 Abs. 2 der (alten) Sektorenrichtlinie 93/38/EWG niedergelegten Grundsätze finden sich auch in Art. 32 der aktuellen Sektorenrichtlinie 2014/25/EU wieder, welcher zudem explizit auf die Entscheidung 2004/73/EG der Kommission Bezug nimmt. Folglich gilt die für Deutschland getroffene Ausnahmeregelung fort. Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, dass die EU-Kommission in ihrer Ent- 11 scheidung vom 15.1.2004 über den Befreiungsantrag der Bundesrepublik Deutschland nach Art. 3 der (alten) Sektorenrichtlinie 93/38/EWG ausdrücklich darauf hingewiesen hat, dass eine Befreiung nur erfolgen kann, wenn der erfor1 2 3 4 5

VK Arnsberg v. 10.1.2008 – VK 42/07 (zu § 11 VgV a.F.). Vgl. BT-Drucks. 16/10117, S. 25. ABl. Nr. L 16 v. 23.1.2004, S. 57 ff. Entscheidung der Kommission vom 15.1.2004 – K (2003) 5351, ABl. Nr. L 16/57. ABl. Nr. L 134 v. 30.4.2004, S. 1 ff. Gemäß Art. 7 der Sektorenrichtlinie 2004/17/EG fallen in deren Anwendungsbereich Tätigkeiten zur Nutzung eines geografisch abgegrenzten Gebietes zum Zwecke des Aufsuchens und der Förderung von Erdöl, Gas, Kohle und anderen festen Brennstoffen (lit. a)) oder der Bereitstellung von Flughäfen, Häfen und anderen Verkehrsendeinrichtungen für Beförderungsunternehmen im Luft-, See- oder Binnenschiffsverkehr (lit. b)).

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§ 143 | Regelung für Auftraggeber nach dem Bundesberggesetz derliche Rechtsschutz gleichwohl sichergestellt ist. Hieraus kann geschlossen werden, dass die in § 143 Abs. 1 genannten Auftraggeber zumindest die Bestimmungen des GWB und der VgV einzuhalten haben1. Demzufolge bleibt insbesondere auch die Anwendung des § 134 von der Privilegierung unberührt. Ein anderes Ergebnis ist nach dem Sinn und Zweck des § 134 nicht möglich. Zwar hat die Vorschrift einen verfahrensrechtlichen Charakter und steht insofern ihre Anwendung im Rahmen des § 143 mit diesem im Widerspruch, will § 143 doch ein strenges Vergabeverfahren gerade vermeiden. Zu beachten ist jedoch, dass der Regelungsschwerpunkt des § 134 in der Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes liegt. Gerade in einem (Verhandlungs-)Verfahren, das die weitgehend bieterschützenden Regelungen der Verdingungsordnungen ausschließt, ist das Minimum der Rechtsschutzgarantie des § 134 von besonderer Bedeutung. § 134 soll den grundsätzlichen Bieterschutz in jeder Art von Vergabeverfahren gewährleisten2. 12 Ferner gilt die Privilegierung des § 143 Abs. 1 Satz 1 und 2 gem. § 143 Abs. 1

Satz 3 nicht für die Vergabe von Aufträgen, deren Gegenstand die Beschaffung von Energie oder Brennstoffen zur Energieerzeugung ist. Dies ist sachgerecht, weil entsprechende Aufträge ohnehin gem. § 137 Abs. 1 Nr. 8 vom Anwendungsbereich des Sektorenvergaberechts freigestellt sind. 2. § 143 Abs. 2

13 § 143 Abs. 2 Satz 1 verpflichtet die in Abs. 1 genannten Sektorenauftraggeber der

EU-Kommission über das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie Auskunft über die Vergabe der unter Abs. 1 fallenden Aufträge nach Maßgabe der Entscheidung 93/327/EWG der EU-Kommission vom 13.5.19933 zu erteilen. In dieser Entscheidung sind die Art und Weise der Auskunftspflicht, insbesondere die einzuhaltende Frist sowie der Inhalt der Mitteilung geregelt. Die dort enthaltenen Vorschriften sind weitgehend selbsterklärend. Zu beachten ist allerdings, dass die dort genannten Schwellenwerte überholt und durch die jeweils aktuell geltenden zu ersetzen sind. Die Richtlinie 90/531 EWG, auf deren Art. 12 die Entscheidung 93/327/EWG der Kommission vom 13.5.1993 noch ausdrücklich im Zusammenhang mit den Angaben zum Auftragsvolumen verweist, wurde zwischenzeitlich von der Richtlinie 93/38 EWG, diese von der Richtlinie 2004/17/EG und diese wiederum von der Richtlinie 2014/25/EU aufgehoben und abgelöst4. Über § 106 Abs. 2 Nr. 2, auf den § 143 Abs. 1 nunmehr Bezug nimmt, gelangt

1 Vgl. VK Arnsberg v. 10.1.2008 – VK 42/07. 2 So (jeweils noch zu § 11 und § 13 VgV a.F.) VK Arnsberg v. 11.4.2002 – VK 2-06/2002, ZfBR 2003, 308; VK Arnsberg v. 10.1.2008 – VK 42/07. 3 ABl. Nr. L 129 v. 27.5.1993, S. 25 f. 4 Richtlinie 93/38 EWG des Rates vom 14.6.1993 zur Koordinierung der Auftragsvergabe durch Auftraggeber im Bereich der Wasser-, Energie- und Verkehrsversorgung sowie im Telekommunikationssektor; Richtlinie 2004/17/EU des Europäischen Parlaments und

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Regelung für Auftraggeber nach dem Bundesberggesetz | § 143

man zu der jeweils aktuellen Sektorenkoordinierungsrichtlinie. Die in Art. 15 der aktuell einschlägigen Richtlinie 2014/25/EU angegebenen Schwellenwerte werden in regelmäßigen Abständen von der Kommission durch Verordnungen angepasst1. Insoweit ist jeweils auch die Auskunftspflicht anzupassen. So sind aktuell die im Anhang der Entscheidung der Kommission vom 13.5.1993 genannten Auskünfte bei einem Auftragsvolumen welches größer 5.225.000 € ist, innerhalb von 48 Tagen nach Auftragsvergabe zu erteilen; entsprechende Auskünfte bei Auftragsvolumen zwischen 428.000 € und 5.225.000 € auf Verlangen der Kommission sofort, spätestens jedenfalls nach Ablauf eines Kalendervierteljahres zu erteilen. Zu den Einzelheiten sei an dieser Stelle auf die Verordnung Nr. 1422/ 2007 der Kommission vom 4.12.20072 sowie den Anhang der Entscheidung 93/ 327/EWG der EU-Kommission vom 13.5.1993 verwiesen. Nach § 143 Abs. 2 Satz 2 können die in Abs. 1 genannten Sektorenauftraggeber 14 über das Verfahren gemäß der Rechtsverordnung nach § 113 Satz 2 Nr. 8 unter den dort geregelten Voraussetzungen eine Befreiung von der Auskunftspflicht erreichen.3. Eine entsprechende Rechtsverordnung ist jedoch bislang nicht erlassen worden. Trotz der Anordnung der Befreiungsregelung in Satz 2 des § 143 Abs. 2 wird 15 teilweise vertreten, § 143 Abs. 2 Satz 2 stelle einen eigenständigen Abs. 3 dar. Die Möglichkeit der Befreiung sei folglich nicht nur auf die Auskunftspflicht bezogen, sondern auf sämtliche von § 143 Abs. 1 genannten Pflichten4. Zur Begründung werden u.a. die Materialien der Bundesregierung zur Begründung des Gesetzesentwurfs der Vorgängernorm § 129b angeführt. Danach sollte Auftraggebern möglich sein, sich gänzlich von den „Anwendungsverpflichtungen dieser Vorschrift zu befreien“5. Ferner würde der ausdrückliche Verweis auf das Verfahren gemäß der Verordnung nach § 113 Satz 2 Nr. 8 in Satz 2 dafür sprechen, dass eine umfassende Befreiung von dem gesamten 4. Teil des GWB gewollt sei6. Dies vermag jedoch nicht recht zu überzeugen. Zunächst hat der Gesetzesgeber

1

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des Rates vom 31.3.2004 zur Koordinierung der Zuschlagserteilung durch Auftraggeber im Bereich der Wasser-, Energie- und Verkehrsversorgung sowie der Postdienste; Richtlinie 2014/25/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26.2.2014 über die Vergabe von Aufträgen durch Auftraggeber im Bereich der Wasser-, Energie- und Verkehrsversorgung sowie der Postdienste und zur Aufhebung der Richtlinie 2004/17/EG (neue Sektorenkoordinierungsrichtlinie). Vgl. Verordnung Nr. 1874/2004 der Kommission vom 28.10.2004 ABl. Nr. L 326/17; Verordnung Nr. 2083/2005 der Kommission vom 19.12.2005, ABl. Nr. L 333/28; Verordnung Nr. 1422/2007 der Kommission vom 4.12.2007, ABl. Nr. L 317/34; Verordnung Nr. 1177/2009 der Kommission vom 30.11.2009, ABl. Nr. L 314/64 vom 1.12.2009. ABl. Nr. L 317/34. Vgl. BT-Drucks. 16/10117, S. 25 zur Vorgängervorschrift des § 129b GWB a.F. So etwa Schröder in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 143 Rz. 23. Vgl. BT-Drucks. 16/10117, S. 25 zur Vorgängervorschrift des § 129b GWB a.F. Vgl. Schröder in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 143 Rz. 23.

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§ 144 | Anwendungsbereich – wohl wissend um die anhaltende Diskussion – bei der jüngsten Novelle die Regelung in Abs. 2 beibehalten. Es streitet also bereits die systematische Stellung von § 143 Abs. 2 Satz 2 gegen die erstgenannte Ansicht. Darüber hinaus stünde die umfassende Befreiung von den Regelungen des 4. Teils des GWB der (notwendigen) Anwendung des § 134 entgegen (s. hierzu Rz. 11). Dies kann aber nicht gewollt sein, denn § 134 soll den grundsätzlichen Bieterschutz in jeder Art von Vergabeverfahren gewährleisten1. Nimmt man also die von § 143 festgesetzten Mindestanforderungen an einen fairen Wettbewerb ernst, muss der Anwendungsbereich des § 143 Abs. 2 Satz 2 konsequenter Weise auf die Auskunftspflicht des § 143 Abs. 2 Satz 1 beschränkt werden.

Unterabschnitt 2 Vergabe von verteidigungs- oder sicherheitsspezifischen öffentlichen Aufträgen

§ 144 Anwendungsbereich (1) Dieser Unterabschnitt ist anzuwenden auf die Vergabe von verteidigungsoder sicherheitsspezifischen öffentlichen Aufträgen durch öffentliche Auftraggeber und Sektorenauftraggeber. I. Bedeutung der Regelung . . . . . II. Regelungsinhalt . . . . . . . . . . . III. Gemischte verteidigungs- und sicherheitsspezifische öffentliche Aufträge . . . . . . . . . . . . . IV. Abgrenzungsregeln 1. Verteidigungs- und sicherheitsspezifische öffentliche Aufträge,

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deren Teile unterschiedlichen rechtlichen Regelungen unterliegen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Verteidigungs- und sicherheitsspezifische öffentliche Aufträge, die mehrere Tätigkeiten umfassen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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I. Bedeutung der Regelung 1 Die Umsetzung des neuen europäischen Richtlinienpakets zur Vergabe öffent-

licher Aufträge und Konzessionen2 hat der deutsche Gesetzgeber genutzt, um

1 So (jeweils noch zu § 11 und § 13 VgV a.F.) VK Arnsberg v. 11.4.2002 – VK 2-06/2002, ZfBR 2003, 308; VK Arnsberg v. 10.1.2008 – VK 42/07. 2 Richtlinie 2014/23/EU des europäischen Parlaments und des Rates v. 26.2.2014 über die Konzessionsvergabe, ABl. L 94 v. 28.3.2014, S. 1; Richtlinie 2014/24/EU des Europäischen Parlaments und des Rates v. 26.2.2014 über die öffentliche Auftragsvergabe, ABl. L 94 v. 28.3.2014, S. 65; Richtlinie 2014/25/EU des Europäischen Parlaments und

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Anwendungsbereich | § 144

das Recht der öffentlichen Auftragsvergabe neu zu strukturieren. Mit dem Gesetz zur Modernisierung des Vergaberechts1 legte er ein vollständig überarbeitetes Regelwerk vor, welches nicht nur die vergaberechtlichen Grundsätze sondern erstmals die wesentlichen Grundlagen des Vergabeverfahrens selbst beinhaltet. Hiervon blieben die Vorgaben zur öffentlichen Auftragsvergabe in den Bereichen Verteidigung und Sicherheit auf der Grundlage der Richtlinie 2009/81/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13.7.2009 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe bestimmter Bau-, Liefer- und Dienstleistungsaufträge in den Bereichen Verteidigung und Sicherheit nicht unberührt.2 Die besonderen Vorschriften für den Bereich der Verteidigung und Sicherheit 2 wurden im Abschnitt 3, Unterabschnitt 2 des neugefassten Teils 4 des GWB geregelt. Sie beinhalten neben dem Anwendungsbereich (§ 144) die Vorgaben zu besonderen Ausnahmen (§ 145), zu den zulässigen Verfahrensarten (§ 146) sowie eine Rückverweisungsvorschrift zu sonstigen anwendbaren Vorschriften des Abschnitts 2 (Vergabe von öffentlichen Aufträgen durch öffentliche Auftraggeber) des Teils 4 Kapitel 1 GWB.

II. Regelungsinhalt Unüblich ist die Systematik, die mit § 144 zunächst einen „gesonderten“ Anwen- 3 dungsbereich für den Abschnitt 3 Unterabschnitt 2 bestimmt. Ergibt sich doch der Anwendungsbereich automatisch aus der Zuordnung der Norm zum jeweiligen übergeordneten Abschnitt bzw. Unterabschnitt. Inhaltlich jedenfalls setzen die Vorschriften des Unterabschnittes 2 die wesentlichen, auf gesetzlicher Ebenen zu regelnden materiellen Vorgaben der Richtlinie 2009/81/EG um. Neben dem Ersten Abschnitt des Teils 4 Kapitel 1 des GWB (Grundsätze, De- 4 finitionen und Anwendungsbereich) sind auf die Vergabe verteidigungs- oder sicherheitsspezifischer öffentlicher Aufträge die Vorschriften der §§ 144 bis 147 (Abschnitt 3 Unterabschnitt 2) anzuwenden. In Verbindung mit § 104 wird die Vergabe von verteidigungs- oder sicherheitsspezifischen öffentlichen Aufträgen weiterhin den Vorschriften der VSVgV3 zugewiesen.4

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des Rates v. 26.2.2014 über die Vergabe von Aufträgen durch Auftraggeber im Bereich der Wasser-, Energie- und Verkehrsversorgung sowie der Postdienste, ABl. L 94 v. 28.3. 2014, S. 243. Vergaberechtsmodernisierungsgesetz-VergRModG, Bundestagsdrucksache 18/6281 v. 8.10.2015. ABl. L 216 v. 20.8.2009, S. 76. Vergabeverordnung für die Bereiche Sicherheit und Verteidigung v. 12.7.2012 (BGBl. I 2012, 1509), zuletzt geändert durch Artikel 5 Vergaberechtsmodernisierungsverordnung v. 12.4.2016 (BGBl. I 2016, 624). Vgl. Sterner in Müller-Wrede, GWB Vergaberecht, § 144 Rz. 2.

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§ 144 | Anwendungsbereich 5 Die Aufbausystematik wie die – im Übrigen im Gesetzestext häufig angewandte

– (Rück-) Verweisungstechnik des Gesetzgebers ist gewöhnungsbedürftig. Im Ergebnis finden auf die Vergabe von verteidigungs- oder sicherheitsspezifischen öffentlichen Aufträgen grundsätzlich die allgemeinen Vorschriften der §§ 119 ff. Anwendung, sofern in den §§ 145 bis 147 nichts Abweichendes geregelt ist.1

6 Die Vergabe von verteidigungs- und sicherheitsspezifischen öffentlichen Aufträ-

gen erfolgt materiell-rechtlich nach den Bestimmungen der §§ 97 ff. und der VSVgV.2 Daneben gelten die besonderen Bestimmungen der §§ 144 bis 146 und im Übrigen über die Rückverweisung des § 147 die sonstigen anwendbaren Vorschriften des Abschnitts 2.

7 Auch Sektorenauftraggeber nach § 100 haben im Fall der Vergabe verteidi-

gungs- und sicherheitsspezifischer öffentlicher Aufträge die speziellen Regelungen des Verteidigungs- und Sicherheitsregimes anzuwenden. Dies findet seinen Ausdruck in der ausdrücklichen Erwähnung der Sektorenauftraggeber in § 144. Zur Abgrenzungsproblematik im Einzelnen wird auf die nachfolgenden Erläuterungen zu III. und IV. verwiesen.

8 Auf öffentliche Aufträge, die Verteidigungs- oder Sicherheitsaspekte umfassen

und nicht gleichzeitig verteidigungs- oder sicherheitsspezifische öffentliche Aufträge sind, finden die §§ 144 bis 147 keine Anwendung. Unter den Voraussetzungen des § 117 findet Teil 4 des GWB insgesamt keine Anwendung. Auf die Kommentierung zu § 117 wird verwiesen.

III. Gemischte verteidigungs- und sicherheitsspezifische öffentliche Aufträge 9 Der Unterabschnitt 2 regelt nicht die Bestimmung der anzuwendenden Vor-

schriften, wenn es um gemischte verteidigungs- und sicherheitsspezifische öffentliche Aufträge geht. Hat ein verteidigungs- und sicherheitsspezifischer öffentlicher Auftrag verschiedene Leistungen zum Gegenstand, etwa sowohl Liefer- als auch Bauleistungen (gemischter Auftrag), wird der Auftrag nach den Vorschriften (z.B. VSVgV oder VOB/A-VS) vergeben, denen der Hauptgegenstand des Auftrags zuzuordnen ist. Hierzu wird im Einzelnen auf die Kommentierung des § 110 verwiesen.

1 S. Vergaberechtsmodernisierungsgesetz, BT-Drucks. 18/6281 v. 8.10.2015, Begründung zu § 144. 2 Vgl. Hölzl in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 144 Rz. 2.

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Besondere Ausnahmen | § 145

IV. Abgrenzungsregeln 1. Verteidigungs- und sicherheitsspezifische öffentliche Aufträge, deren Teile unterschiedlichen rechtlichen Regelungen unterliegen Handelt es sich bei dem öffentlichen Auftrag um einen solchen, der unterschied- 10 lichen rechtlichen Regelungen unterliegt, enthält er also sowohl Komponenten des klassischen Vergaberechts nach der Richtlinie 2014/24/EU als auch des Regimes der verteidigungs- und sicherheitsspezifischen öffentlichen Aufträge nach der Richtlinie 2009/81/EG, so erfolgt die Zuordnung der einzuhaltenden Regeln nach § 111. Sind die Komponenten objektiv trennbar, so darf der öffentliche Auftraggeber 11 getrennte (Einzel-) Aufträge vergeben. Dabei hat er jeweils diejenigen Vorschriften einzuhalten, die für die jeweiligen Komponenten gelten. Der öffentliche Auftraggeber darf aber auch einen Gesamtauftrag vergeben. Wie er sich entscheidet, steht in seinem Ermessen. Im Einzelnen wird auf die Erläuterungen zu § 111 verwiesen. 2. Verteidigungs- und sicherheitsspezifische öffentliche Aufträge, die mehrere Tätigkeiten umfassen Umfasst ein öffentlicher Auftrag mehrere Tätigkeiten, von denen eine Tätigkeit 12 eine Sektorentätigkeit nach § 102 darstellt, darf für die Zwecke jeder einzelnen Tätigkeit getrennte Aufträge oder ein Gesamtauftrag vergeben werden. Werden getrennte Aufträge vergeben, wird jeder einzelne Auftrag nach den Vorschriften vergeben, die auf seine Merkmale anzuwenden sind. Wird ein Gesamtauftrag vergeben, unterliegt er den Bestimmungen, die für die Tätigkeit gelten, für die der Auftrag hauptsächlich bestimmt ist. Im Weiteren hierzu sei auf die Kommentierung zu § 112 verwiesen.

§ 145 Besondere Ausnahmen für die Vergabe von verteidigungs- oder sicherheitsspezifischen öffentlichen Aufträgen Dieser Teil ist nicht anzuwenden auf die Vergabe von verteidigungs- oder sicherheitsspezifischen öffentlichen Aufträgen, die 1. den Zwecken nachrichtendienstlicher Tätigkeiten dienen, 2. im Rahmen eines Kooperationsprogramms vergeben werden, das a) auf Forschung und Entwicklung beruht und b) mit mindestens einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Unionfür die Entwicklung eines neuen Produkts und gegebenenfalls die späMüller

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§ 145 | Besondere Ausnahmen

3.

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5. 6.

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teren Phasen des gesamten oder eines Teils des Lebenszyklus dieses Produkts durchgeführt wird; beim Abschluss eines solchen Abkommens teilt die Europäische Kommission den Anteil der Forschungs- und Entwicklungsausgaben an den Gesamtkosten des Programms, die Vereinbarung über die Kostenteilung und gegebenenfalls den geplanten Anteil der Beschaffungen je Mitgliedstaat mit, in einem Staat außerhalb der Europäischen Union vergeben werden; zu diesen Aufträgen gehören auch zivile Beschaffungen im Rahmen des Einsatzes von Streitkräften oder von Polizeien des Bundes oder der Länder außerhalb des Gebiets der Europäischen Union, wenn der Einsatz es erfordert, dass im Einsatzgebiet ansässige Unternehmen beauftragt werden; zivile Beschaffungen sind Beschaffungen nicht-militärischer Produkte und Beschaffungen von Bau- oder Dienstleistungen für logistische Zwecke, die Bundesregierung, eine Landesregierung oder eine Gebietskörperschaft an eine andere Regierung oder an eine Gebietskörperschaft eines anderen Staates vergibt und die Folgendes zum Gegenstand haben: a) die Lieferung von Militärausrüstung im Sinne des § 104 Absatz 2 oder die Lieferung von Ausrüstung, die im Rahmen eines Verschlusssachenauftrags im Sinne des § 104 Absatz 3 vergeben wird, b) Bau- und Dienstleistungen, die in unmittelbarem Zusammenhang mit dieser Ausrüstung stehen, c) Bau- und Dienstleistungen speziell für militärische Zwecke oder d) Bau- und Dienstleistungen, die im Rahmen eines Verschlusssachenauftrags im Sinne des § 104 Absatz 3 vergeben werden, Finanzdienstleistungen mit Ausnahme von Versicherungsdienstleistungen zum Gegenstand haben, Forschungs- und Entwicklungsdienstleistungen zum Gegenstand haben, es sei denn, die Ergebnisse werden ausschließlich Eigentum des Auftraggebers für seinen Gebrauch bei der Ausübung seiner eigenen Tätigkeit und die Dienstleistung wird vollständig durch den Auftraggeber vergütet, oder besonderen Verfahrensregeln unterliegen, a) die sich aus einem internationalen Abkommen oder einer internationalen Vereinbarung ergeben, das oder die zwischen einem oder mehreren Mitgliedstaaten der Europäischen Union und einem oder mehreren Staaten, die nicht Vertragsparteien des Übereinkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum sind, geschlossen wurde, b) die sich aus einem internationalen Abkommen oder einer internationalen Vereinbarung im Zusammenhang mit der Stationierung von

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Truppen ergeben, das oder die Unternehmen eines Mitgliedstaates der Europäischen Union oder eines anderen Staates betrifft, oder c) die für eine internationale Organisation gelten, wenn diese für ihre Zwecke Beschaffungen tätigt oder wenn ein Mitgliedstaat öffentliche Aufträge nach diesen Regeln vergeben muss. I. II. III. 1. 2. 3. 4. 5. 6.

Einführung . . . . . . . . . . . . . . Allgemeines . . . . . . . . . . . . . Inhalt der Regelung Nachrichtendienstliche Tätigkeiten (Nummer 1) . . . . . . . . . Aufträge im Rahmen eines Kooperationsprogramms (Nummer 2) . . . . . . . . . . . . . Auftragsvergaben in einem Einsatzgebiet außerhalb der Europäischen Union (Nummer 3) . . Aufträge an eine andere Regierung (Nummer 4) . . . . . . . . . . Finanzdienstleistungen (Nummer 5) . . . . . . . . . . . . . Forschungs- und Entwicklungsaufträge (Nummer 6) . . . . . . .

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7. Aufträge, die besonderen Verfahrensregeln unterliegen (Nummer 7) a) Internationale Abkommen oder Vereinbarungen zwischen Mitgliedstaaten der EU und Nicht-Mitgliedstaaten des europäischen Wirtschaftsraums . . . . . . . . b) Internationales Abkommen oder Vereinbarung im Zusammenhang mit der Stationierung von Truppen . . . . . c) Besondere Verfahrensregeln internationaler Organisationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Rechtsschutz . . . . . . . . . . . . .

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I. Einführung Entsprechend der schubladenartig aufgebauten neuen Struktur des GWB Teil 4 1 regelt die Vorschrift des § 145 GWB die besonderen Ausnahmen für den Bereich (Schublade) der Vergabe verteidigungs- und sicherheitsspezifischer öffentlicher Aufträge. Obwohl ein verteidigungs- und sicherheitsspezifischer öffentlicher Auftrag gem. § 104 gegeben ist, findet im Falle des Vorliegens der normierten besonderen Ausnahmetatbestände nach § 145 der Teil 4 des GWB auf die Vergabe solcher Aufträge keine Anwendung. Inhaltlich entspricht die Regelung im Wesentlichen dem früheren § 100c Abs. 2 2 bis 4 GWB (a.F.). Umgesetzt wird Artikel 13 Buchst. b (Nummer 1), c (Nummer 2), d (Nummer 3), f (Nummer 4), h (Nummer 5) und j (Nummer 6) sowie Artikel 12 (Nummer 7) der Richtlinie 2009/81/EG.1 Nicht alle der in Artikel 13 der Richtlinie 2009/81/EG aufgeführten Ausnahme- 3 tatbestände finden sich in den besonderen Ausnahmen des § 145 wieder. Wäh1 ABl. L 216 v. 20.8.2009, S. 76.

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§ 145 | Besondere Ausnahmen rend man Buchstabe a in § 107 Abs. 2 GWB entdeckt, finden sich Buchstabe e in § 107 Abs. 1 Nummer 2 GWB, Buchstabe g in § 107 Abs. 1 Nummer 1 und letztlich Buchstabe i in § 107 Abs. 1 Nummer 3 GWB.

II. Allgemeines 4 Die besonderen Ausnahmen nach § 145 finden gemäß § 144 GWB auf die Ver-

gabe verteidigungs- und sicherheitsspezifischer öffentlicher Aufträge Anwendung. Daneben gelten die allgemeinen Ausnahmen nach § 107 GWB.1 Sonderregelungen finden sich für öffentliche Aufträge, die nicht verteidigungs- und sicherheitsspezifisch sind in § 117 GWB sowie für Konzessionen im Bereich Verteidigung und Sicherheit in § 150 GWB. Auf die jeweils dortigen Kommentierungen wird verwiesen.

5 Die Ausnahmen regeln diejenigen besonderen Fälle, die ein Absehen von einer

wettbewerblichen Vergabe nach der Richtlinie 2009/81/EG rechtfertigen. Sie sind – wie grds. alle Ausnahmen – eng auszulegen.2 Nur im Falle des materiellen Vorliegens eines Ausnahmetatbestandes darf darauf zurückgegriffen werden. Der Nachweis des Vorliegens muss vom öffentlichen Auftraggeber erbracht werden.3

III. Inhalt der Regelung 1. Nachrichtendienstliche Tätigkeiten (Nummer 1) 6 Die hohe Sensibilität und das Maß der Vertraulichkeit der verteidigungs- und

sicherheitsspezifischen öffentlichen Aufträge führen dazu, dass die Durchführung einer vergaberechtlichen Auftragsvergabe unangebracht ist. Dies gilt auch für Beschaffungen durch Nachrichtendienste oder Beschaffungen für alle Arten von nachrichtendienstlichen Tätigkeiten.4 Deshalb ist die Vergabe von verteidigungs- und sicherheitsspezifischen öffentlichen Aufträgen, die nachrichtendienstlichen Tätigkeiten dienen, vom Anwendungsbereich des Teils 4 des GWB ausgenommen.

7 Anwendbar ist die Ausnahme ausschließlich für Auftragsvergaben zum Zwecke

nachrichtendienstlicher Tätigkeiten. Erfasst ist die Vergabe von Aufträgen sowohl durch Nachrichtendienste als auch die Vergabe von Aufträgen an Nach-

1 Vergaberechtsmodernisierungsgesetz, BT-Drucks. 18/6281 v. 8.10.2015, Begründung zu § 145. 2 U.a. EuGH v. 7.6.2012 – Rs. C-615/10, InsTiimi Oy, Rz. 35; EuGH v. 13.12.2007 – Rs. C337/06, Bayerischer Rundfunk, Rz. 64. 3 S. Generaldirektion „Internal Market and Services“ der Europäischen Kommission, Guidance Note „Defence- and security-specific exclusions“, Ziff. 10. 4 S. Erwägungsgrund 27 Richtlinie 2009/81/EG.

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richtendienste einschließlich von Maßnahmen zur Abwehr nachrichtendienstlicher Tätigkeiten.1 Aufträge im Rahmen allgemeiner, behördlicher Tätigkeiten des Auftraggebers fallen nicht unter die Ausnahme. Was unter nachrichtendienstlichen Tätigkeiten zu verstehen ist, definieren die 8 Mitgliedstaaten.2 In Betracht kommen bspw. Beschaffungen zum Schutz von ITNetzwerken der Regierung3 oder Beschaffung technischer Ausrüstung für Spionage, Gegenspionage, Spionageabwehr oder etwa Verschlüsselungstechnologien.4 Nachrichtendienste sind etwa der Bundesnachrichtendienst (BND), das Bundes- 9 amt für Verfassungsschutz (BfV), die Länderverfassungsschutzbehörden sowie im militärischen Bereich der Militärische Abschirmdienst (MAD). Die Ausnahme findet auch auf andere öffentlichen Auftraggeber Anwendung, z.B. auf Bundes- oder Landespolizei, soweit diese Aufträge zum Zwecke nachrichtendienstlicher Tätigkeiten vergeben.5 2. Aufträge im Rahmen eines Kooperationsprogramms (Nummer 2) In Umsetzung von Artikel 13 Buchst. c der Richtlinie 2009/81/EG findet das 10 GWB Teil 4 auf verteidigungs- und sicherheitsspezifische öffentliche Aufträge, die im Rahmen eines Kooperationsprogramms vergeben werden keine Anwendung, wenn das Kooperationsprogramm auf Forschung und Entwicklung beruht und mit mindestens einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union geschlossen wurde. Die Programme dienen häufig dazu, neue Verteidigungsausrüstung zu ent- 11 wickeln und gleichzeitig die Kostenübernahme für die Kooperationspartner für komplexe Waffensysteme und Technologien zu erleichtern.6 Auf Forschung und Entwicklung beruht das Kooperationsprogramm, wenn es 12 Grundlagenforschung, angewandte Forschung oder experimentelle Forschung beinhaltet.7 Grundlage muss die Entwicklung eines neuen Produkts sein. Das Kooperationsprogramm kann den Lebenszyklus des Produkts (Forschung, Entwicklung, industrielle Entwicklung, Herstellung, Reparatur, Modernisierung, Änderung, Instandhaltung, Logistik, Schulung, Erprobung, Rücknahme und Be1 S. Erwägungsgrund 27 Richtlinie 2009/81/EG. 2 S. Erwägungsgrund 27 Richtlinie 2009/81/EG. 3 S. Generaldirektion „Internal Market and Services“ der Europäischen Kommission, Guidance Note „Defence- and security-specific exclusions“, Ziff. 11. 4 Vgl. Sterner in Müller-Wrede, GWB Vergaberecht, § 145 Rz. 6. 5 Artikel 11 der Richtlinie enthält ein ausdrückliches Umgehungsverbot. Keine der Ausnahmen darf missbräuchlich zur Umgehung der Richtlinie 2009/81/EG angewendet werden. 6 S. Erwägungsgrund 28 Richtlinie 2009/81/EG. 7 S. Artikel 1 Nummer 27 Richtlinie 2009/81/EG sowie im Weiteren Erwägungsgrund 13 Richtlinie 2009/81/EG; § 4 Absatz 3 VSVgV (BGBl. I, 624).

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§ 145 | Besondere Ausnahmen seitigung)1 einschließen. Es darf daher auch die Herstellung des im Zuge des Programms entwickelten Produkts sowie die Instandhaltung und Ersatzteilversorgung ohne Anwendung des GWB Teil 4 vergeben werden.2 13 Von der Ausnahme erfasst sind insbesondere Kooperationsprogramme der Ge-

meinsamen Organisation für Rüstungskooperation (OCCAR), der NATO (einschließlich deren Beschaffungsagenturen) oder von Agenturen der Union, wie die Europäische Verteidigungsagentur (EDA). Ebenfalls erfasst sind Aufträge eines Mitgliedstaates der Europäischen Union im Namen eines anderen oder weiterer Mitgliedstaaten3. Es müssen nach dem Wortlaut der Vorschrift („… mit mindestens einem anderen Mitgliedstaat …“)4 mindestens zwei Mitgliedstaaten an der Kooperation beteiligt sein.

14 Der Abschluss eines Kooperationsprogramms ausschließlich zwischen Mitglied-

staaten der Europäischen Union ist der Europäischen Kommission unter Angabe des Anteils der Forschungs- und Entwicklungsausgaben an den Gesamtkosten des Programms, der Kostenteilung und ggf. des geplanten Anteils der Beschaffungen je Mitgliedstaat zu melden.5

15 Die diesbezügliche Umsetzung in § 145 Nummer 2 ist textlich missglückt. Es

heißt „… teilt die Europäische Kommission den Anteil … mit, …“. Hier handelt es sich wohl um ein Redaktionsversehen. Richtig ist, dass beim Abschluss solcher Kooperationsprogramme ausschließlich zwischen Mitgliedstaaten der Europäischen Union diese der Europäischen Kommission die entsprechenden Angaben mitteilen. 3. Auftragsvergaben in einem Einsatzgebiet außerhalb der Europäischen Union (Nummer 3)

16 Diese für Kriseneinsätze außerhalb der Europäischen Union maßgeschneiderte

Ausnahme erlaubt die Vergabe von Aufträgen an im Krisengebiet ansässige Unternehmen ohne das GWB Teil 4 anwenden zu müssen, wenn der Einsatz dies erfordert.6 Dies gilt sowohl für verteidigungs- und sicherheitsspezifische Beschaffungen als auch für zivile Beschaffungen, die im unmittelbaren Zusammenhang mit der Einsatzdurchführung stehen.7

1 Die Definition des Begriffs „Lebenszyklus“ findet sich so in Artikel 1 Nummer 26 Richtlinie 2009/81/EG. 2 Krohn in Gabriel/Krohn/Neun, Handbuch des Vergaberechts, § 60 Rz. 60. 3 Erwägungsgrund 28 Richtlinie 2009/81/EG. 4 Artikel 13 Buchst. c Richtlinie 2009/81/EG sowie § 145 Nummer 2 Buchst. b GWB. 5 Artikel 13 Buchst. c S. 2 Richtlinie 2009/81/EG. 6 Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Vergaberechts für die Bereiche Verteidigung und Sicherheit, Bundestags-Drucks. 17/7275 v. 5.10.2011, Begründung zu § 100c Abs. 3 GWB a.F. 7 S. Erwägungsgrund 29 Richtlinie 2009/81/EG.

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Zivile Beschaffungen sind Aufträge, die nicht dem Anwendungsbereich der 17 Richtlinie 2009/81/EG unterliegen und nicht-militärische Produkte, Bau- oder Dienstleistungen für logistische Zwecke zum Gegenstand haben.1 Logistische Zwecke sind bspw. Lagerung, Transport (auch von Personal), Verteilung, Unterhaltung und Bereitstellung von Material und Einrichtungen oder auch medizinische Unterstützungsleistungen.2 Voraussetzung ist, dass der Einsatz die Inanspruchnahme der Ausnahme erfor- 18 dert. Dieses Erfordernis wird regelmäßig dann gegeben sein, wenn aus den genannten logistischen Gründen eine Beschaffung aus Mitgliedstaaten der EU nicht in Betracht kommt, weil ansonsten das Einsatzziel gefährdet wäre. Die Auftragsvergabe muss an ein Unternehmen im Einsatzgebiet erfolgen. Die- 19 ses Unternehmen kann auch die Tochtergesellschaft eines Unternehmens mit Sitz in einem EU-Mitgliedstaat sein. Allerdings stellt es einen Verstoß gegen das Umgehungsverbot nach Artikel 11 der Richtlinie 2009/81/EG dar, wenn der Auftrag de facto von der Muttergesellschaft im EU-Mitgliedstaat erbracht wird.3 Die Vergabe an ein Unternehmen in geografischer Nachbarschaft zum Einsatz- 20 gebiet ist für die Auftragsvergabe nicht ausgeschlossen.4 Eine solche Vergabe kann in Frage kommen, wenn die Einsatzumstände sich so darstellen, dass der nächste Leistungserbringer sich in einem geografischen Nachbarland zum Einsatzgebiet befindet. 4. Aufträge an eine andere Regierung (Nummer 4) Aufgrund der Besonderheiten des Verteidigungs- und Sicherheitsbereiches sind 21 Beschaffungen, die die Gegenstände des § 104 Absatz 1 Nummer 1 bis 45 betreffen, vom Anwendungsbereich des GWB Teil 4 ausgenommen.6 Der Auftrag muss von der Bundesregierung, einer Landesregierung oder einer Gebietskörperschaft an eine andere Regierung oder Gebietskörperschaft eines anderen Staates vergeben werden. Regierung ist jede nationale, regionale oder lokale Gebietskörperschaft eines 22 Mitgliedstaates der Europäischen Union oder eines Drittstaates.7 Der Begriff ist dem Wortlaut entsprechend eng auszulegen. Unternehmen einer Regierung 1 Artikel 1 Nummer 28 Richtlinie 2009/81/EG. 2 S. Generaldirektion „Internal Market and Services“ der Europäischen Kommission, Guidance Note „Defence- and security-specific exclusions“, Ziff. 21. 3 S. Generaldirektion „Internal Market and Services“ der Europäischen Kommission, Guidance Note „Defence- and security-specific exclusions“, Ziff. 23 UA 2. 4 S. Generaldirektion „Internal Market and Services“ der Europäischen Kommission, Guidance Note „Defence- and security-specific exclusions“, Ziff. 23 UA 1. 5 Bezüglich des Inhaltes sei auf die Kommentierung zu § 104 verwiesen. 6 S. Erwägungsgrund 30 Richtlinie 2009/81/EG. 7 S. Artikel 1 Nummer 9 Richtlinie 2009/81/EG.

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§ 145 | Besondere Ausnahmen oder sonstigen Gebietskörperschaft fallen nicht unter den Anwendungsbereich der Vorschrift.1 5. Finanzdienstleistungen (Nummer 5) 23 Mit Finanzdienstleistungen werden Personen zu Bedingungen beauftragt, die

nicht mit der Anwendung von Vergabevorschriften vereinbar sind.2 Deshalb ist der Einkauf von Finanzdienstleistungen von der Anwendung des GWB Teil 4 freigestellt. Nicht freigestellt ist der Einkauf von Versicherdienstleistungen.

24 Damit bleibt die Finanzpolitik des Staates vom Vergaberecht unbeeinflusst und

er kann die Finanzierung häufig großer und komplexer Verteidigungs- und Sicherheitsbeschaffungen autonom gestalten.

25 Die dem klassischen Vergaberecht entstammende Vorschrift des § 116 Absatz 1

Nummer 4 ist enger gefasst. Danach sind nur jene Finanzdienstleistungen von der Anwendung des Vergaberechts freigestellt, die im Zusammenhang mit Wertpapieren oder anderen Finanzinstrumenten stehen.3 Ein solcher Zusammenhang wird im Bereich der Verteidigung und Sicherheit nicht gefordert. Insofern ist der Begriff der Finanzdienstleistung – freilich ausschließlich im Bereich der Verteidigung und Sicherheit – weit zu verstehen.4

6. Forschungs- und Entwicklungsaufträge (Nummer 6) 26 Die Vergabe von Forschungs- und Entwicklungsleistungen5 fällt nicht in den

Anwendungsbereich des GWB Teil 4. In den Fällen allerdings, in denen die Ergebnisse ausschließlich Eigentum des Auftraggebers für seinen Gebrauch bei der Ausübung seiner eigenen Tätigkeit werden und die Dienstleistung vollständig von ihm vergütet wird, findet das Vergaberecht Anwendung. Die Ausnahme ist enger gefasst als diejenige des klassischen Vergaberechts.6

1 S. Generaldirektion „Internal Market and Services“ der Europäischen Kommission, Guidance Note „Defence- and security-specific exclusions“, Ziff. 26; vgl. Dreher in Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, § 100c GWB a.F., Rz. 40; Hölzl in Kulartz/Marx/ Portz/Prieß, GWB-Vergaberecht, § 145, Rz. 22. 2 Erwägungsgrund 33 Richtlinie 2009/81/EG. 3 S. Artikel 10 Buchst. e Richtlinie 2014/24/EU (ABl. L 94 v. 28.3.2014, S. 65, 102). 4 Zum weiten Verständnis des Begriffs der Finanzdienstleistung s. Hölzl in Kulartz/Marx/ Portz/Prieß, GWB-Vergaberecht, § 145 Rz. 25 ff. 5 Zur Begriffsdefinition s. oben unter Rz. 12. 6 Mit der Neuregelung des klassischen europäischen Vergaberechts wurde die Ausnahme für Forschung und Entwicklung erweitert (s. Artikel 14 Richtlinie 2014/24/EU). Demgegenüber blieb die entsprechende Regelung des Artikels 13 Buchst. j der Richtlinie 2009/81/EG unverändert mit der Folge, dass nunmehr zwei unterschiedliche Ausnahmeregelungen für den Bereich Forschung und Entwicklung im GWB notwendig wurden. Nämlich: § 116 Absatz 1 Nummer 2 und § 145 Nummer 6.

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Grundlagenforschung betrifft experimentelle oder theoretische Arbeiten, die 27 hauptsächlich dem Erwerb von neuem Grundlagenwissen über Phänomene oder beobachtbare Tatsachen ohne erkennbare direkte praktische Anwendungsmöglichkeiten dienen. Angewandte Forschung ist in erster Linie auf ein spezifisches praktisches Ziel oder einen spezifischen praktischen Zweck ausgerichtet. Experimentelle Entwicklung betrifft Arbeiten auf der Grundlage von vorhandenen, aus Forschung und/oder praktischer Erfahrung gewonnenen Kenntnissen zur Initiierung der Herstellung neuer Materialien, Produkte oder Geräte, zur Entwicklung neuer Verfahren, Systeme und Dienstleistungen oder zur erheblichen Verbesserung bereits Vorhandenem.1 Nur wenn die Ergebnisse nicht ausschließlich Eigentum des Auftraggebers wer- 28 den und (kumulativ) er sie nicht vollständig vergütet, greift die Ausnahme. Der Begriff des Eigentums ist im Sinne des europäischen Rechts auszulegen. Auf 29 den deutschen zivilrechtlichen Begriff kommt es nicht an. Maßgeblich ist das alleinige Verwertungs- und Nutzungsrecht des Auftraggebers.2 Vergütet der Auftraggeber die Dienstleistung nur teilweise, so greift das Ver- 30 gaberecht nicht. Hierbei hat der Auftraggeber einen respektablen Gestaltungsspielraum. Es liegt an ihm, ob er Forschungs- und Entwicklungsdienstleistungen letztendlich vergaberechtsfrei oder unter das Vergaberecht fallend gestaltet. 7. Aufträge, die besonderen Verfahrensregeln unterliegen (Nummer 7) a) Internationale Abkommen oder Vereinbarungen zwischen Mitgliedstaaten der EU und Nicht-Mitgliedstaaten des europäischen Wirtschaftsraums Nicht-Mitgliedstaaten des europäischen Wirtschaftsraums sind nicht verpflich- 31 tet, im Rahmen von Verträgen das europäische Vergaberecht anzuwenden. Deshalb dürfen solche Verträge nach den in dem Abkommen oder der Vereinbarung selbst vorgegebenen Regularien vergeben werden. Die einzuhaltenden Regularien können sich einerseits aus einem Abkommen 32 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Drittstaat ergeben, andererseits aber auch aus einer ministeriellen Vereinbarung zwischen einem bundesdeutschen Ministerium und einem Ministerium des Drittstaates.3 Partner des Abkommens oder der Vereinbarung müssen auf der einen Seite die Bundesrepublik Deutschland, ggf. ein Bundesministerium und auf der anderen Seite ein 1 Ausführlich Hölzl in Kulartz/Marx/Portz/Prieß, GWB-Vergaberecht, § 145 Rz. 34 ff. m.w.N. 2 BayObLG v. 27.2.2003 – Verg 25/02, NZBau 2003, 634. 3 Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Vergaberechts für die Bereiche Verteidigung und Sicherheit, BT-Drucks. 17/7275 v. 5.10.2011, Begründung zu § 100c Abs. 4 Nummer 1 GWB a.F.

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§ 145 | Besondere Ausnahmen nicht dem europäischen Wirtschaftsraum angehöriger Drittstaat oder ein diesen repräsentierendes Ministerium sein. b) Internationales Abkommen oder Vereinbarung im Zusammenhang mit der Stationierung von Truppen 33 Die Bestimmungen bestimmter Übereinkünfte im Zusammenhang mit der Sta-

tionierung von Truppen aus einem Mitgliedstaat in einem anderen Mitgliedstaat oder in einem Drittland oder der Stationierung von Truppen aus einem Drittland in einem Mitgliedstaat sollen nicht in den Anwendungsbereich der Richtlinie 2009/81/EG fallen.1 Diesem Zweck dient die Ausnahme des § 145 Nummer 7 Buchst. b.

34 Hauptanwendungsfall sind Beschaffungsvorhaben der in Deutschland statio-

nierten Truppen einschließlich deren zivilem Gefolge gem. Art. IX des NATOTruppenstatuts2 i.V.m. Art. 47 des Zusatzabkommens.3 Lieferungen und Leistungen im Geltungsbereich dieser Abkommen können entweder unmittelbar durch die Behörden der ausländischen Truppe oder – nach vorheriger Vereinbarung – mittelbar durch die deutschen Behörden beschafft werden.4 Erfolgt die Beschaffung für die ausländischen Truppen unmittelbar durch die deutsche Behörde, so hat diese deutsches Vergaberecht anzuwenden.5 c) Besondere Verfahrensregeln internationaler Organisationen

35 Die Richtlinie 2009/81/EG soll nicht für Aufträge gelten, die eine internationale

Organisation für ihre Zwecke vergibt oder die ein Mitgliedstaat nach für diese Organisation spezifischen Regeln vergeben muss.6 Vergibt demnach eine internationale Organisation einen Auftrag für ihre eigenen Zwecke oder muss ein Mitgliedstaat den Auftrag nach den Regeln der internationalen Organisation vergeben, findet das GWB Teil 4 keine Anwendung. Umgekehrt gilt, dass Vergaben, die eine internationale Organisation nicht für ihre eigenen Zwecke, sondern für Verwendungszwecke ihrer Mitglieder tätigt, nicht unter diese Ausnahmevorschrift fallen.7

1 S. Erwägungsgrund 26 Richtlinie 2009/81/EG. 2 Abkommen zwischen den Parteien des Nordatlantikvertrages über die Rechtsstellung ihrer Truppen (NATO-Truppenstatut) v. 19.6.1951 (BGBl. II 1961, 1190). 3 Zusatzabkommen zu dem Abkommen zwischen den Parteien des Nordatlantikvertrages über die Rechtsstellung ihrer Truppen hinsichtlich der in der Bundesrepublik Deutschland stationierten ausländischen Truppen v. 3.8.1959 (BGBl. II 1961, 1183 [1218]). 4 S. Sterner in Müller-Wrede, GWB Vergaberecht, § 145 Rz. 39. 5 VK Bund v. 8.3.2006 – VK1-07/06. 6 S. Erwägungsgrund 26 Richtlinie 2009/81/EG. 7 Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Vergaberechts für die Bereiche Verteidigung und Sicherheit, BT-Drucks. 17/7275 v. 5.10.2011, Begründung zu § 100c Abs. 4 Nummer 3 GWB a.F.

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Verfahrensarten | § 146

Unter dem Begriff „internationale Organisation“ ist eine durch völkerrecht- 36 liche Verträge geschaffene zwischenstaatliche Einrichtung mit eigner Rechtsfähigkeit gemeint. Dies sind bspw. die NATO und die Europäische Verteidigungsagentur (EDA).1 Eine ähnliche Vorschrift wie § 145 Nummer 7 findet sich in § 117 Nummer 4 37 für Aufträge, die verteidigungs- und sicherheitsspezifische Aspekte umfassen, ohne verteidigungs- und sicherheitsspezifische öffentliche Aufträge i.S.d. § 104 zu sein. Diesbezüglich sei auf die dortigen Erläuterungen verwiesen.

IV. Rechtsschutz Die Vorschrift gehört zu jenen des Vergabeverfahrens und damit zu denen, die 38 der Auftraggeber ordnungsgemäß anzuwenden hat. Nach § 97 Abs. 6 haben die Unternehmen auf die Einhaltung der Vorschriften durch den Auftraggeber einen Anspruch. Im Rahmen eines Nachprüfungsverfahrens hat die Nachprüfungsinstanz zu prü- 39 fen, ob die Voraussetzungen der Ausnahme gegeben sind. Ist dies der Fall, kommt das GWB Teil 4 nicht zur Anwendung. Eine weitere Prüfung ist der Nachprüfungsinstanz sodann versagt, insbesondere eine Prüfung der Entscheidung des Auftraggebers über die Vertragserteilung.

§ 146 Verfahrensarten Bei der Vergabe von verteidigungs- oder sicherheitsspezifischen öffentlichen Aufträgen stehen öffentlichen Auftraggebern und Sektorenauftraggebern das nicht offene Verfahren und das Verhandlungsverfahren mit Teilnahmewettbewerb nach ihrer Wahl zur Verfügung. Das Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb und der wettbewerbliche Dialog stehen nur zur Verfügung, soweit dies aufgrund dieses Gesetzes gestattet ist. I. Normzweck . . . . . . . . . . . . . . . II. Anwendungsbereich . . . . . . . . .

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III. Inhalt der Norm . . . . . . . . . . . . IV. Rechtsschutz . . . . . . . . . . . . . .

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I. Normzweck Hintergrund des rechtlichen Regelungsrahmens für die Vergabe verteidigungs- 1 und sicherheitsspezifischer öffentlicher Aufträge war vor allem das Ziel, den öf1 S. im Weiteren hierzu Sterner in Müller-Wrede, GWB Vergaberecht, § 145 Rz. 44.

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§ 146 | Verfahrensarten fentlichen Auftraggebern maßgeschneiderte Verfahrensarten zur Verfügung zu stellen, um so deren Bedürfnisse in Bezug auf verteidigungs- und sicherheitsspezifische Auftragsvergaben angemessen erfüllen zu können. 2 Verteidigungs- und sicherheitsspezifische öffentliche Aufträge sind durch ihre

Sensibilität sowie besondere Anforderungen an ihre Informations- und Versorgungssicherheit gekennzeichnet.1 Deshalb stellt die Richtlinie 2009/81/EG ausschließlich das nichtoffene Verfahren, das Verhandlungsverfahren mit und ohne Teilnahmewettbewerb sowie den Wettbewerblichen Dialog als zulässige Verfahrensarten bereit.2

3 Der Bundesgesetzgeber hat diese Verfahrensarten als abschließenden Kanon

der zulässigen Verfahrensarten in § 146 verankert. Nur diese wenden die öffentlichen Auftraggeber für die Zwecke der Vergabe verteidigungs- und sicherheitsspezifischer öffentlicher Aufträge an.3 Das offene Verfahren ist folglich keine hier zulässige Verfahrensart. Es ist aufgrund der Sensibilität dieser Aufträge nicht vorgesehen.4 Ebenso wenig zulässig ist die u.a. im klassischen Vergaberecht neu eingeführte Innovationspartnerschaft.5 Diese wird wie das offene Verfahren, weder von der Richtlinie 2009/81/EG noch von § 146 erfasst.

4 In Bezug auf die Innovationspartnerschaft, die die Entwicklung einer noch

nicht auf dem Markt vorhandenen innovativen Leistung mit deren Beschaffung in einem Verfahren kombiniert, bleibt allerdings abzuwarten, ob diese Verfahrensart künftig möglicherweise gleichwohl Eingang in die Beschaffungsregeln im Verteidigungs- und Sicherheitsbereich findet. Dies erscheint aufgrund der Komplexität und des innovativen Charakters vieler Rüstungsprojekte nicht ausgeschlossen. Solange jedoch eine Zulässigkeit nicht ausdrücklich geregelt ist, ist aufgrund des diesbezüglich abschließenden Charakters der Richtlinie 2009/81/ EG sowie des § 146 von deren Anwendung abzuraten.6

5 Die zulässigen Verfahrensarten bieten den Vorteil, dass die in aller Regel sensi-

blen und sicherheitskritischen Vergabeunterlagen infolge des nunmehr regelmäßig vorgeschalteten Teilnahmewettbewerbs in ihrer vollständigen Umfänglichkeit erst nach erfolgter Eignungsprüfung nur dem ausgewählten Bieterkreis zur Verfügung gestellt werden müssen.7 Die klassische Auftragsvergabe jedenfalls dürfte an dieser Stelle strenger geregelt sein: Die Vergabeunterlagen sind

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S. Erwägungsgrund 47 Richtlinie 2009/81/EG. S. Artikel 25 bis 28 Richtlinie 2009/81/EG. Artikel 25 Satz 1 Richtlinie 2009/81/EG. Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Vergaberechts für die Bereiche Verteidigung und Sicherheit, BT-Drucks. 17/7275 v. 5.10.2011, Begründung zu § 101 Abs. 7 GWB a.F. 5 Artikel 31 Richtlinie 2014/24/EU. 6 Eher zustimmend Dippel in Müller-Wrede, GWB Vergaberecht, § 146 Rz. 9. 7 Vgl. Byok, Reformierter Regelungsrahmen für Beschaffungen im Sicherheits- und Verteidigungssektor, NVwZ 2012, 70 (73).

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Verfahrensarten | § 146

grundsätzlich mit der Auftragsbekanntmachung unter einer elektronischen Adresse vollständig bereitzustellen.1 Dies jedenfalls soweit diese Unterlagen bei Auftragsbekanntmachung in einer finalisierten Form vorliegen können.2 Insoweit dürften jedoch im Einzelfall gleichwohl Spielräume für Auftraggeber in Bezug auf die Umfänglichkeit der Bereitstellung der Vergabeunterlagen bei der klassischen Auftragsvergabe bestehen.

II. Anwendungsbereich Persönlicher Anknüpfungspunkt der Norm sind der öffentliche Auftraggeber 6 und der Sektorenauftraggeber. Diese haben bei der Vergabe verteidigungs- und sicherheitsspezifischer öffentlicher Aufträge die Möglichkeit der freien Wahl zwischen dem nichtoffenem Verfahren und dem Verhandlungsverfahren mit Teilnahmewettbewerb. Zur Wahl der übrigen zulässigen Verfahrensarten müssen sie sich an die vorgegebenen Regelungen halten. Sachlicher Anknüpfungspunkt ist die Vergabe verteidigungs- und sicherheits- 7 spezifischer öffentlicher Aufträge i.S.d. § 104. In den Anwendungsbereich fallen demnach die Vergabe sowohl von Liefer- und Dienstleistungen nach den Vorschriften der VSVgV als auch von Bauleistungen nach der VOB/A-VS.3

III. Inhalt der Norm Als zulässige Verfahrensarten zur Vergabe verteidigungs- und sicherheitsspezi- 8 fischer öffentlicher Aufträge werden das nichtoffene Verfahren, das Verhandlungsverfahren mit und ohne Teilnahmewettbewerb sowie der Wettbewerbliche Dialog abschließend festgelegt. Dabei darf der öffentliche Auftraggeber zwischen dem nichtoffenen Verfahren und dem Verhandlungsverfahren mit Teilnahmewettbewerb frei wählen. Dies lässt ihm den notwendigen Spielraum, um die Verfahrensmodalitäten den individuellen verteidigungs- und sicherheitsspezifischen Gegebenheiten anzupassen. An die entsprechenden Anwendungsvoraussetzungen hingegen ist der öffent- 9 liche Auftraggeber beim Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb und beim Wettbewerblichen Dialog gebunden. Diese Verfahrensarten stehen ihm nur zur Verfügung, soweit dies aufgrund des GWB gestattet ist. Maßgeblich sind die einschlägigen Vorgaben des GWB, der VSVgV sowie der VOB/A-VS. 1 S. § 41 Absatz 1 VgV. 2 Honekamp in Greb/Müller, Sektorenvergaberecht, § 41 SektVO, Rz. 27 f.; dem folgend: OLG München, Beschluss vom 13.03.2017 – Verg 15/16. 3 Vergabe- und Vertragsordnung für Bauleistungen Teil A (VOB/A) Ausgabe 2016 v. 7.1. 2016 (BAnz AT 19.1.2016 B3, 3), Abschnitt 3, Vergabebestimmungen im Anwendungsbereich der Richtlinie 2009/81/EG.

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§ 146 | Verfahrensarten 10 Beim nichtoffenen Verfahren wählt der öffentliche Auftraggeber nach vorheriger

öffentlicher Aufforderung zur Teilnahme eine beschränkte Anzahl von Unternehmen nach objektiven, transparenten und nichtdiskriminierenden Kriterien aus (Teilnahmewettbewerb) und fordert diese zur Abgabe eines Angebotes auf.1

11 Das Verhandlungsverfahren ist ein Verfahren mit und ohne Teilnahmewett-

bewerb, bei dem sich der öffentliche Auftraggeber an die ausgewählten Bewerber wendet, um mit einem oder mehreren über deren Angebote zu verhandeln.2

12 Der Wettbewerbliche Dialog ist ein Verfahren zur Vergabe öffentlicher Aufträge

mit dem Ziel der Ermittlung und Festlegung der Mittel, mit denen die Bedürfnisse des öffentlichen Auftraggebers am besten erfüllt werden können.3

13 Die jeweiligen Anwendungsvoraussetzungen der zulässigen Verfahrensarten

sind für verteidigungs- und sicherheitsspezifische Liefer- und Dienstleistungen in den §§ 11 bis 13 VSVgV sowie für verteidigungs- und sicherheitsspezifische Bauleistungen in den §§ 3 VS und 3a VS VOB/A im Detail ausgestaltet. Unter anderem werden die Ausnahmetatbestände zum Verzicht auf den Teilnahmewettbewerb beim Verhandlungsverfahren vorgegeben. Beim Wettbewerblichen Dialog gilt zu beachten, dass es im Verteidigungs- und Sicherheitsbereich – anders als im Bereich der klassischen und Sektorenauftragsvergabe – bei dem Merkmal der „besonderen Komplexität“ des Auftrags als eine Voraussetzung dessen Anwendung verbleibt.4

IV. Rechtsschutz 14 Die Vorschriften zu den zulässigen Verfahrensarten gehören zu den Verfahrens-

vorschriften, die der öffentliche Auftraggeber nach § 97 Abs. 6 einzuhalten hat. Jeder Bewerber/Bieter kann unter den Voraussetzungen des § 160 grundsätzlich eine dementsprechende Nachprüfung beantragen.

15 Da der öffentliche Auftraggeber jedoch die freie Wahl zwischen dem nichtoffe-

nen Verfahren und dem Verhandlungsverfahren mit Teilnahmewettbewerb hat, erwächst hier keine bieterschützende Wirkung. Beide Verfahrensarten stehen nicht in einem „Regel-Ausnahme-Verhältnis“.5 Dies schränkt eine Überprüfbarkeit der Vorschrift ein. Die freie Wahl ist von den Nachprüfungsinstanzen nicht überprüfbar.

16 Überprüfbar hingegen sind aufgrund ihres Ausnahmecharakters die Wahl des

Verhandlungsverfahrens ohne Teilnahmewettbewerb sowie die Wahl des Wettbewerblichen Dialogs, welche an die Komplexität des Auftrags geknüpft ist.

1 2 3 4 5

S. § 119 Abs. 4 GWB. S. § 119 Abs. 5 GWB. § 119 Abs. 6 Satz 1 GWB. S. Artikel 27 Abs. 1 Richtlinie 2009/81/EG; § 13 Abs. 1 VSVgV. S. Dippel in Müller-Wrede, GWB Vergaberecht, § 146 Rz. 5.

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Sonstige anwendbare Vorschriften | § 147

§ 147 Sonstige anwendbare Vorschriften Im Übrigen gelten für die Vergabe von verteidigungs- oder sicherheitsspezifischen öffentlichen Aufträgen die §§ 119, 120, 121 Absatz 1 und 3 sowie die §§ 122 bis 135 mit der Maßgabe entsprechend, dass ein Unternehmen gemäß § 124 Absatz 1 auch dann von der Teilnahme an einem Vergabeverfahren ausgeschlossen werden kann, wenn das Unternehmen nicht die erforderliche Vertrauenswürdigkeit aufweist, um Risiken für die nationale Sicherheit auszuschließen. Der Nachweis, dass Risiken für die nationale Sicherheit nicht auszuschließen sind, kann auch mit Hilfe geschützter Datenquellen erfolgen. I. II. 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8.

Normzweck . . . . . . . . . . . . . . . Inhalt der Norm . . . . . . . . . . . Verfahrensarten (§ 119) . . . . . . Besondere Methoden und Instrumente im Vergabeverfahren (§ 120) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Leistungsbeschreibung (§ 121 Abs. 1 und 3) . . . . . . . . . . . . . . Eignung (§ 122) . . . . . . . . . . . . Zwingende und fakultative Ausschlussgründe (§§ 123, 124) . . . . Selbstreinigung (§ 125); zulässiger Zeitraum für Ausschlüsse (§ 126) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zuschlag (§ 127) . . . . . . . . . . . . Auftragsausführung (§ 128); zwingend zu berücksichtigende

__ _ _ __ _ __ 1 4 5

9.

6

10.

12 13

11.

14 21 22

12. III.

Auftragsausführungsbestimmungen (§ 129) . . . . . . . . . . . . . . . Vergabe von öffentlichen Aufträgen über soziale und andere besondere Dienstleistungen (§ 130) Vergabe von öffentlichen Aufträgen über Personenverkehrsleistungen im Eisenbahnverkehr (§ 131) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Auftragsänderungen während der Vertragslaufzeit (§ 132); Kündigung von öffentlichen Aufträgen in besonderen Fällen (§ 133) . . . Informations- und Wartepflicht (§ 133); Unwirksamkeit (§ 134) . Rechtsschutz . . . . . . . . . . . . . .

_ _ _ _ __ 23 24

25

26 27 28

I. Normzweck Die gesetzliche Aufbausystematik mit ihrer schubladenartigen Unterteilung der 1 Vorschriften in die einzelnen Bereiche „Grundsätze, Anwendungsbereich“, „klassisches Vergaberecht“, „Sektorenvergaberecht“, „Verteidigung und Sicherheit“ sowie „Konzessionen“ soll es dem Anwender ermöglichen, ihm einen schnellen Überblick über die jeweiligen Regelungen zu verschaffen und ihm ein effizientes Auffinden derjenigen Vorgaben zu ermöglichen, die er für sein konkretes Verfahren benötigt.1

1 Vgl. Vergaberechtsmodernisierungsgesetz-VergRModG, BT-Drucks. 18/6281 v. 8.10. 2015, Begründung, A. Allgemeiner Teil.

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§ 147 | Sonstige anwendbare Vorschriften 2 Eine solche Systematik kann jedoch zu Doppelregelungen führen. Um dies zu

vermeiden, wendet der Gesetzgeber eine Rückverweisungstechnik an und erklärt bestimmte Vorschriften aus einem bereits geregelten Bereich für einen weiteren anwendbar. So auch hier. Um die Regelungen des Bereiches Verteidigung und Sicherheit zu vervollständigen, erklärt er Vorschriften des Kapitels 1, Abschnitt 2 Unterabschnitt 2 des Teils 4 des GWB insbesondere zu Verfahrensarten, Leistungsbeschreibung, Eignung, Ausschluss, Auftragsänderung, Kündigung, Informations-/Wartepflicht für entsprechend bzw. nach Maßgabe für anwendbar.

3 Auf den ersten Blick erscheint eine solche Struktur in der Tat einfach und über-

sichtlich. Bei genauerer Betrachtung wird dem Anwender jedoch ein großes Maß an Aufmerksamkeit abverlangt, da er letztlich die einzelnen Bereiche nur unvollständig geregelt vorfindet und er über die Rückverweisung sich die „richtigen“ Vorschriften in einem anderen Bereich erst erschließen muss.1

II. Inhalt der Norm 4 Die Vorgaben der §§ 144 bis 146 gelten vorrangig. Nur soweit hier keine abwei-

chenden Regelungen oder Maßgaben getroffen werden, gelten für die Vergabe von verteidigungs- und sicherheitsspezifischen öffentlichen Aufträgen „im Übrigen“ die in der Rückverweisungsnorm aufgeführten Vorschriften. Allerdings erscheinen die Rückverweise zum Teil zu weitgehend und nicht bei allen Vorschriften von praktischer Relevanz: 1. Verfahrensarten (§ 119)

5 Bezüglich der zur Verfügung stehenden Verfahrensarten trifft § 146 für den

Verteidigungs- und Sicherheitsbereich vorrangige Regelungen. Daher verbleiben aus § 119 zur „übrigen Geltung“ nur die Definitionen der Verfahrensarten in den Absätzen 4 bis 6 zum nicht offenen Verfahren, zum Verhandlungsverfahren und zum Wettbewerblicher Dialog. 2. Besondere Methoden und Instrumente im Vergabeverfahren (§ 120)

6 Die Vorschrift des § 120 Absatz 1 bis 3 behandelt das dynamische Beschaffungs-

system, die elektronische Auktion, elektronische Kataloge sowie in Absatz 4 die zentrale Beschaffungsstelle.

7 Beim Dynamischen Beschaffungssystem handelt es sich um ein vollelektronisch

abzuwickelndes Beschaffungsverfahren sui generis,2 bei dem die allgemein auf dem Markt verfügbaren Merkmale der Leistung den Anforderungen des Auftrag1 Vgl. Müller in Greb/Müller, Kommentar zum Sektorenvergaberecht, § 142 GWB Rz. 2 f. 2 S. Müller in Greb/Müller, Kommentar zum Sektorenvergaberecht, § 20 SektVO Rz. 16 ff.

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Sonstige anwendbare Vorschriften | § 147

gebers genügen. Dies dürfte bei den überwiegend individuell geprägten Leistungsanforderungen im Bereich Verteidigung und Sicherheit gerade nicht der Fall sein. Im Übrigen sieht die Richtlinie 2009/81/EG dieses Verfahren nicht vor. Auch wegen des abschließenden Charakters der nach dieser Richtlinie zulässigen Verfahrensarten kann das Dynamische Beschaffungssystem keine Anwendung finden. Die elektronische Auktion ist zwar anwendbar auf das nicht offene Verfahren 8 sowie das Verhandlungsverfahren. Ihre praktische Relevanz dürfte jedoch aus den genannten Gründen meist ebenfalls individueller Leistungsanforderungen in Frage stehen. Die zu beschaffende Leistung muss nämlich hinreichend genau beschrieben werden und mithilfe automatischer Bewertungsmethoden eingestuft werden können. Die Angebotskomponenten müssen zudem mittels eines Rechenvorgangs mathematisch darstellbar sein.1 Die Möglichkeit, Angebote in Form elektronischer Kataloge fordern zu dürfen, 9 wurde mit den neuen Vergaberichtlinien 2014/24/EU2 sowie 2014/25/EU3 für den Bereich der klassischen und der Sektorenauftragsvergabe neu geschaffen. Die Forderung ist nur zulässig im Rahmen der elektronischen Kommunikation.4 Die Möglichkeit soll zur Vereinheitlichung und Rationalisierung des Beschaffungsvorganges beitragen.5 Die Richtlinie 2009/81/EG sieht die Möglichkeit nicht vor. Auch wenn dies die Forderung eines Angebotes in Form eines elektronischen Kataloges nicht ausschließt, bestehen aufgrund der regelmäßigen Komplexität bei Verteidigungs- und Sicherheitsaufträgen Zweifel an der Praxisrelevanz. Zentrale Beschaffungsstellen sind öffentliche Auftraggeber, die für öffentliche 10 Auftraggeber zentrale Beschaffungstätigkeiten und eventuell Nebenbeschaffungstätigkeiten ausüben.6 Der Bund ist als Gebietskörperschaft eine juristische Person und damit „ein“ öffentlicher Auftraggeber. Insofern ist die Regelung zu zentralen Beschaffungsstellen als solche für den Bund nur in den Fällen von praktischer Bedeutung, wo er eigenständige juristische Rechtspersönlichkeiten geschaffen hat (z.B. mit der Bundesagentur für Arbeit oder der Bundesanstalt für Ernährung und Landwirtschaft) und diese entsprechend zentrale Beschaffungstätigkeiten (für andere öffentliche Auftraggeber) ausüben. Im Bereich der Verteidigung und Sicherheit hat der Bund mit dem Bundesamt 11 für Ausrüstung, Informationstechnik und Nutzung der Bundeswehr (BAAINBw) eine dem Bundesministerium der Verteidigung (BMVg) nachgeordnete nicht rechtsfähige Bundesoberbehörde zum „zentralisierten“ Einkauf von verteidigungs- und sicherheitsspezifischen Leistungen geschaffen. Sie ist aber keine zen1 2 3 4 5 6

Vgl. Wankmüller in Soudry/Hettich, Das neue Vergaberecht, S. 261. ABl. L 94 v. 28.3.2014, S. 65. ABl. L 94 v. 28.3.2014, S. 243. S. Artikel 36 Abs. 1 Richtlinie 2014/24/EU; Artikel 54 Abs. 1 Richtlinie 2014/25/EU. Vgl. Erwägungsgrund 68 Richtlinie 2014/24/EU. S. Artikel 2 Abs. 1 Nr. 14 bis 16 Richtlinie 2014/24/EU.

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§ 147 | Sonstige anwendbare Vorschriften trale Beschaffungsstelle im obigen Sinne. Daher dürfte die Möglichkeit der zentralen Beschaffung verteidigungs- und sicherheitsspezifischer Leistungen nach § 120 Abs. 4 GWB wenn überhaupt nur von geringer Relevanz sein. 3. Leistungsbeschreibung (§ 121 Abs. 1 und 3) 12 Die Vorgaben zu den Zugänglichkeitskriterien für Menschen mit Behinderun-

gen (§ 121 Abs. 2) wurden von der Verweisung ausgenommen, weil auch die Richtlinie 2009/81/EG hierzu keinerlei Regelungen trifft.1 4. Eignung (§ 122)

13 Die neuen Vorschriften zur Eignung werden durch den Verweis vollumfänglich

für anwendbar erklärt. Damit ist auch im Verteidigungs- und Sicherheitsbereich das Merkmal „Zuverlässigkeit“ entfallen. Die Eignung definiert sich fortan über die Fachkunde und Leistungsfähigkeit sowie das Nichtvorliegen von Ausschlussgründen. Hierdurch entfällt die Möglichkeit, das Merkmal der Zuverlässigkeit als Auffangtatbestand für solche Fälle zu nutzen, die durch die abschließend geregelten Ausschlusstatbestände der §§ 123, 124 GWB nicht abgedeckt sind. Nicht virulent wird das Problem in der Praxis, wenn die abschließenden Ausschlussgründe gegenüber dem begrifflichen Inhalt der Zuverlässigkeit keine Lücke lassen. Dies erscheint jedoch nicht realistisch. Trotz Nichtvorliegens eines Ausschlussgrundes sind Konstellationen denkbar, die Zweifel an der vertragsgerechten Erbringung der Leistung durch den Bewerber und damit seiner Zuverlässigkeit zulassen. Beispielsweise ist fraglich, ob die gesetzlichen Regelungen zur Gleichstellung von Mann und Frau unter den Ausschlussgrund des § 124 Abs. 1 Nr. 1 GWB (sozialrechtliche Verpflichtung) subsumierbar sind. 5. Zwingende und fakultative Ausschlussgründe (§§ 123, 124)

14 Bezüglich der materiellen Voraussetzungen zwingender und fakultativer Aus-

schlussgründe verweisen die §§ 23 und 24 VSVgV2 nunmehr auf die §§ 123, 124 GWB. In Bezug auf die Anwendung der Ausschlussgründe werden hierdurch alle Auftraggeber unabhängig vom jeweiligen Bereich der Auftragsvergabe gleich behandelt, auch wenn die Richtlinie 2009/81/EG ggü. der klassischen und der Sektorenauftragsvergabe den Ausschlussgrund der Nichtzahlung von Steuern betreffend lediglich einen fakultativen Ausschlussgrund vorsieht. Nach deutschem Recht handelt es sich um einen zwingenden Ausschlussgrund.3

1 S. Vergaberechtsmodernisierungsgesetz, BT-Drucks. 18/6281 v. 8.10.2015, Begründung zu § 147. 2 S. BGBl. I, 624. 3 S. Vergaberechtsmodernisierungsgesetz BT-Drucks. 18/6281 v. 8.10.2015, Begründung zu § 147.

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Sonstige anwendbare Vorschriften | § 147

Gemäß § 147 S. 1 wird die Maßgabe angeordnet, dass ein Ausschluss vom Ver- 15 gabeverfahren nach § 124 Absatz 1 auch dann ausgesprochen werden kann, wenn das Unternehmen nicht die erforderliche Vertrauenswürdigkeit aufweist, um Risiken für die nationale Sicherheit auszuschließen. Damit wird der sich ausschließlich aus dem Verteidigungs- und Sicherheitsbereich ergebende Ausschlussgrund1 in das GWB überführt.2 Bei der Entscheidung über den Ausschluss handelt es sich um eine „kann-Be- 16 stimmung“, also um eine Ermessensentscheidung. Verteidigungs- und sicherheitsspezifische öffentliche Aufträge umfassen sowohl 17 den militärischen als auch den nicht-militärischen Bereich.3 Der Begriff „nationale Sicherheit“ ist deshalb weit auszulegen. Einzubeziehen sind sowohl die innere als auch die äußere Sicherheit. Während es bei der inneren Sicherheit um den Schutz vor Bedrohungen von innen (z.B. Terrorismus, organisierte Kriminalität) geht, betrifft die äußere Sicherheit den Schutz vor militärischen Bedrohungen. Für den Begriff der Vertrauenswürdigkeit findet sich keine vergaberechtliche 18 Definition. Letztlich muss der Auftraggeber beurteilen, ob der Bieter den Auftrag in einer Art und Weise erfüllen wird, die Risiken für die nationale Sicherheit ausschließen. Bereits dann, wenn eben diese Risiken nicht auszuschließen sind, kann der Auftraggeber einen Ausschluss aussprechen. Aufgrund dieser besonders niedrigen Schwelle kommt dem Abwägungsprozess 19 und damit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, im Rahmen der Ermessensausübung eine besondere Bedeutung zu. Der Nachweis, dass Risiken für die nationale Sicherheit nicht auszuschließen 20 sind, kann mit Hilfe geschützter Datenquellen erfolgen. Infrage kommen beispielsweise Quellen des Geheim-, Spionage- oder Staatsschutzes. 6. Selbstreinigung (§ 125); zulässiger Zeitraum für Ausschlüsse (§ 126) Auch wenn die Richtlinie 2009/81/EG keine Vorschriften zur Selbstreinigung 21 und des zulässigen Zeitraumes für Ausschlüsse von Unternehmen vorsieht, ist deren Geltung auch im Verteidigungs- und Sicherheitsbereich sachgerecht. 7. Zuschlag (§ 127) Der Verweis auf die gesetzlichen Grundregeln zum Zuschlag ist sachgerecht. Es 22 wäre inkonsequent, wollte man im Verteidigungs- und Sicherheitsbereich abweichende Regelungen vorgeben, zumal die gewählten Vorgaben mit der Richt1 S. Artikel 39 Abs. 2 Buchst. e Richtlinie 2009/81/EG; § 24 Nr. 5 VSVgV. 2 S. Vergaberechtsmodernisierungsgesetz-VergRModG, BT-Drucks. 18/6281 v. 8.10.2015, Begründung zu § 147. 3 S. § 104; vgl. Dippel in Müller-Wrede, GWB Kommentar, § 104 Rz. 7.

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§ 147 | Sonstige anwendbare Vorschriften linie 2009/81/EG im Einklang stehen. Im Weiteren gelten die ausgestaltenden Bestimmungen des § 34 VSVgV. 8. Auftragsausführung (§ 128); zwingend zu berücksichtigende Auftragsausführungsbestimmungen (§ 129) 23 Im Bereich der Auftragsausführungsbedingungen erscheint eine Gleichbehand-

lung der öffentlichen Auftraggeber unabhängig v. Bereich, in dem öffentliche Aufträge vergeben werden, im Sinne der Rechtssicherheit sachgerecht. 9. Vergabe von öffentlichen Aufträgen über soziale und andere besondere Dienstleistungen (§ 130)

24 Anwendungsfälle im Bereich dieser Vorschrift, die gleichzeitig verteidigungs- und

sicherheitsspezifische öffentliche Aufträge sind, lassen sich nur schwer vorstellen.1 10. Vergabe von öffentlichen Aufträgen über Personenverkehrsleistungen im Eisenbahnverkehr (§ 131)

25 Auch im Anwendungsbereich des § 131 scheint mangels Anwendungsfällen im

Verteidigungs- und Sicherheitsbereich die Verweisungskette zu weit gefasst.

11. Auftragsänderungen während der Vertragslaufzeit (§ 132); Kündigung von öffentlichen Aufträgen in besonderen Fällen (§ 133) 26 Zwar sieht die Richtlinie 2009/81/EG keine diesbezüglichen Regelungen vor,

gleichwohl ist es im Sinne der Rechtssicherheit sachgerecht, die Vorschriften zur Auftragsänderung sowie zur Kündigung über die Verweisung auch im Verteidigungs- und Sicherheitsbereich für anwendbar zu erklären. 12. Informations- und Wartepflicht (§ 133); Unwirksamkeit (§ 134)

27 Der Verweis auf die Informations- und Wartepflicht sowie die Unwirksamkeit

ist nicht nur sachgerecht, sondern aufgrund der gewählten Aufbausystematik des Gesetzes erforderlich.

III. Rechtsschutz 28 Durch die Verweisungsvorschrift werden ausschließlich weitere Normen für an-

wendbar erklärt. Es entsteht hierdurch keine unmittelbare Drittwirkung und

1 S. auch Dippel in Müller-Wrede, GWB Vergaberecht, § 147 Rz. 7.

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Anwendungsbereich | § 148

damit keine bieterschützende Wirkung der Norm. Diese entsteht durch die in Bezug genommen Vorschriften selbst. Folglich ist § 147 für sich genommen einer Überprüfung durch die Nachprüfungsinstanzen nicht zugänglich. Bewerber oder Bieter, die sich in ihren Rechten verletzt fühlen, müssen sich unmittelbar auf die jeweils konkret in Bezug genommene Norm – ggf. in Verbindung mit § 147 – berufen.

Unterabschnitt 3 Vergabe von Konzessionen

§ 148 Anwendungsbereich Dieser Unterabschnitt ist anzuwenden auf die Vergabe von Konzessionen durch Konzessionsgeber. § 148 GWB bestimmt den Anwendungsbereich des Abschnittes 3 Unter- 1 abschnitt 3. Danach finden die Regelungen in den §§ 148–154 GWB Anwendung bei der Vergabe von Konzessionen i.S.d. § 105 GWB (vgl. § 105 Rz. 6 ff.) durch Konzessionsgeber gem. § 101 GWB (vgl. § 101 Rz. 3). Bei gemischten Verträgen, die verschiedene Arten von Konzessionen oder Elemente eines öffentlichen Auftrages und einer Konzession aufweisen bzw. unterschiedlichen Tätigkeiten dienen, sind die Bestimmungen in §§ 110 ff. GWB zu beachten (vgl. die Kommentierungen zu § 110, § 111 und § 112). Als weitere Voraussetzung muss der Vertragswert der Konzession gem. § 106 GWB den jeweils aktuellen EU-Schwellenwert erreichen oder überschreiten (vgl. § 106 Rz. 3 ff.). Der EUSchwellenwert liegt zurzeit bei 5.225 Mill. € (vgl. zum Verfahren unterhalb der EU-Schwellenwerte § 105 Rz. 90 ff.). Besondere Ausnahmen vom Anwendungsbereich sind in den §§ 149 f. geregelt. In Abweichung zur bisherigen Rechtslage unterliegt die Beachtung der Vorgaben zur Konzessionsvergabe gem. § 156 Abs. 1 GWB der Nachprüfung durch die Vergabekammern (vgl. § 156 Rz. 2 f.).1 Die Bestimmungen zur Vergabe von Konzessionen in §§ 148–154 GWB beru- 2 hen auf den Vorgaben der Richtlinie 2014/23/EU.2 Die Konzessionsvergaberichtlinie sieht erstmals einheitliche normative Regelungen für die Vergabe von Konzessionen vor. Bislang war die Dienstleistungskonzessionsvergabe vom Anwendungsbereich der Vergaberichtlinien nicht erfasst. Allerdings hat der EuGH diese Lücke in der Vergangenheit über die Anwendung der Grundfreiheiten geschlossen und gefordert, dass „zugunsten der potentiellen Bieter ein angemessener Grad von Öffentlichkeit sichergestellt werden muss, der die Dienstleistungskonzession dem Wettbewerb öffnet und die Nachprüfung ermöglicht, ob 1 Siehe zur Kritik am alten Rechtsschutzsystem Ruhland in Gabriel/Krohn/Neun, Handbuch des Vergaberechts, § 5 Rz. 70 ff. 2 Vgl. die Gesetzesbegründung, BT-Drucks. 18/6281, S. 127.

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§ 149 | Besondere Ausnahmen die Vergabeverfahren unparteiisch durchgeführt worden sind“1 (vgl. auch § 105 Rz. 3). Die Modalitäten der Ausschreibung hat der EuGH dagegen nicht näher vorgegeben. In der Praxis konnten sich die Konzessionen erteilenden Stellen bislang an den für öffentliche Aufträge geltenden Regelungen sowie einer entsprechenden Mitteilung der EU-Kommission orientieren.2 Mit der Neuregelung soll nunmehr für die Konzessionsgeber und Unternehmen Rechtsicherheit über den anwendbaren Rechtsrahmen hergestellt werden.3 3 Regelungstechnisch hat sich der Gesetzgeber bei der Umsetzung der Konzessi-

onsvergaberichtlinie gegen eine eigenständige Vollregelung der Konzessionsvergabe entschieden, um Doppelregelungen zu den Vorschriften über öffentliche Aufträge zu vermeiden.4 Es wird daher weitgehend intern auf die Vorschriften für öffentliche Aufträge verwiesen und deren entsprechende Anwendung, gegebenenfalls unter bestimmten Modifikationen, angeordnet.5

4 Inhaltlich sind die Vorgaben für die Konzessionsvergabe (§§ 151 f. GWB) deut-

lich weniger detailliert ausgestaltet als die Bestimmungen für die Vergabe öffentlicher Aufträge und sehen einen größeren Spielraum für den Auftraggeber bei der Beschaffung von Konzessionen vor. Näher konkretisiert werden die Vorschriften in den §§ 148–154 GWB durch die Regelungen der Konzessionsvergabeverordnung (KonzVgV).6 Bei Verträgen über die Gewährung von Wegenutzungsrechten gem. § 46 EnWG können Sonderregelungen zu beachten sein (vgl. zum Streit über die Anwendbarkeit des Konzessionsvergaberechts bei Wegenutzungsverträgen § 105 Rz. 45).7

§ 149 Besondere Ausnahmen Dieser Teil ist nicht anzuwenden auf die Vergabe von: 1. Konzessionen zu Rechtsdienstleistungen im Sinne des § 116 Absatz 1 Nummer 1, 1 Vgl. etwa EuGH v. 7.12.2000 – Rs. C-324/98, EuZW 2001, 90 (94); v. 13.10.2005 – Rs. C458/03, EuZW 2005, 727 (729); v. 13.4.2010 – Rs. C-91/08, NZBau 2010, 382 (384 f.); v. 14.11.2013 – Rs. C-221/12, EuZW 2014, 69 (71 ff.). 2 „Mitteilung der Kommission zu Auslegungsfragen in Bezug auf das Gemeinschaftsrecht, das für die Vergabe öffentlicher Aufträge gilt, die nicht oder nur teilweise unter die Vergaberichtlinien fallen“ vom 1.8.2006 (2006/C 179/02). 3 Vgl. Erwägungsgrund 1 der Richtlinie 2014/23/EU. 4 BT-Drucks. 18/6281, S. 67. Kritisch gegenüber der Verweisungstechnik Germelmann in Burgi/Dreher, Vergaberecht, 3. Aufl., § 149 Rz. 17. 5 Vgl. etwa zu § 154 BT-Drucks. 18/6281, S. 132. 6 Siehe hierzu den Überblick bei Goldbrunner, VergabeR 2016, 365 (372 ff.). 7 BGH v. 17.12.2013 – KZR 66/12, NVwZ 2014, 807; v. 17.12.2013 – KZR 65/12, NVwZ 2014, 817; vgl. hierzu auch Tugendreich/Heller in Müller-Wrede, GWB, § 148 Rz. 54 ff.

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Besondere Ausnahmen | § 149

2. Konzessionen zu Forschungs- und Entwicklungsdienstleistungen im Sinne des § 116 Absatz 1 Nummer 2, 3. Konzessionen zu audiovisuellen Mediendiensten oder Hörfunkmediendiensten im Sinne des § 116 Absatz 1 Nummer 3, 4. Konzessionen zu finanziellen Dienstleistungen im Sinne des § 116 Absatz 1 Nummer 4, 5. Konzessionen zu Krediten und Darlehen im Sinne des § 116 Absatz 1 Nummer 5, 6. Dienstleistungskonzessionen, die an einen Konzessionsgeber nach § 101 Absatz 1 Nummer 1 oder § 101 Absatz 1 Absatz 1 Nummer 2 aufgrund eines auf Gesetz oder Verordnung beruhenden ausschließlichen Rechts vergeben werden, 7. Dienstleistungskonzessionen, die an ein Unternehmen aufgrund eines ausschließlichen Rechts vergeben werden, das diesem im Einklang mit den nationalen und unionsrechtlichen Rechtsvorschriften über den Marktzugang für Tätigkeiten nach § 102 Absatz 2 bis 6 gewährt wurde; ausgenommen hiervon sind Dienstleistungskonzessionen für Tätigkeiten, für die die Unionsvorschriften keine branchenspezifischen Transparenzverpflichtungen vorsehen; Auftraggeber, die einem Unternehmen ein ausschließliches Recht im Sinne dieser Vorschrift gewähren, setzen die Europäische Kommission hierüber binnen eines Monats nach Gewährung dieses Rechts in Kenntnis, 8. Konzessionen, die hauptsächlich dazu dienen, dem Konzessionsgeber im Sinne des § 101 Absatz 1 Nummer 1 die Bereitstellung oder den Betrieb öffentlicher Kommunikationsnetze oder die Bereitstellung eines oder mehrerer elektronischer Kommunikationsdienste für die Öffentlichkeit zu ermöglichen, 9. Konzessionen im Bereich Wasser, die a) die Bereitstellung oder das Betreiben fester Netze zur Versorgung der Allgemeinheit im Zusammenhang mit der Gewinnung, dem Transport oder der Verteilung von Trinkwasser oder die Einspeisung von Trinkwasser in diese Netze betreffen oder b) mit einer Tätigkeit nach Buchstabe a im Zusammenhang stehen und einen der nachfolgend aufgeführten Gegenstände haben: aa) Wasserbau-, Bewässerungs- und Entwässerungsvorhaben, sofern die zur Trinkwasserversorgung bestimmte Wassermenge mehr als 20 Prozent der Gesamtwassermenge ausmacht, die mit den entsprechenden Vorhaben oder Bewässerungs- oder Entwässerungsanlagen zur Verfügung gestellt wird, oder bb) Abwasserbeseitigung oder -behandlung, 10. Dienstleistungskonzessionen zu Lotteriedienstleistungen, die unter die Referenznummer des Common Procurement Vocabulary 92351100-7 falRafii

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§ 149 | Besondere Ausnahmen len, und die einem Unternehmen auf der Grundlage eines ausschließlichen Rechts gewährt werden, 11. Konzessionen, die Konzessionsgeber im Sinne des § 101 Absatz 1 Nummer 2 und Nummer 3 zur Durchführung ihrer Tätigkeiten in einem nicht der Europäischen Union angehörenden Staat in einer Weise vergeben, die nicht mit der physischen Nutzung eines Netzes oder geografischen Gebiets in der Union verbunden ist, oder 12. Konzessionen, die im Bereich der Luftverkehrsdienste auf der Grundlage der Erteilung einer Betriebsgenehmigung im Sinne der Verordnung (EG) Nr. 1008/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24. September 2008 über gemeinsame Vorschriften für die Durchführung von Luftverkehrsdiensten in der Gemeinschaft (ABl. L 293 vom 31.10.2008, S. 3) vergeben werden, oder von Konzessionen, die die Beförderung von Personen im Sinne des § 1 des Personenbeförderungsgesetzes betreffen. I. Inhaltsübersicht . . . . . . . . . . . II. Die Ausnahmetatbestände im Einzelnen . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Konzessionen zu Rechtsdienstleistungen (Nr. 1) . . . . . . . . . . . 2. Konzessionen zu Forschungsund Entwicklungsdienstleistungen (Nr. 2) . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Konzessionen zu audiovisuellen Mediendiensten oder Hörfunkmediendiensten (Nr. 3) . . . . . . . 4. Konzessionen zu finanziellen Dienstleistungen (Nr. 4) . . . . . . 5. Konzessionen zu Krediten und Darlehen (Nr. 5) . . . . . . . . . . . . 6. Dienstleistungskonzessionen an einen öffentlichen Konzessionsgeber aufgrund eines ausschließlichen Rechts (Nr. 6) . . . . . . . . .

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7. Dienstleistungskonzessionen an einen privaten Konzessionsgeber aufgrund eines ausschließlichen Rechts (Nr. 7) . . . . . . . . . . . . . 8. Konzessionen für öffentliche Kommunikationsnetze und Kommunikationsdienste (Nr. 8) 9. Konzessionen im Bereich Wasser (Nr. 9) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10. Lotteriekonzessionen (Nr. 10) . . 11. Konzessionen von Sektorenauftraggebern in Drittländern (Nr. 11) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12. Konzessionen im Bereich der Luftverkehrsdienste und der öffentlichen Personenbeförderung (Nr. 12) . . . . . . . . . . . . . .

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I. Inhaltsübersicht 1 § 149 enthält für die Konzessionen die besonderen Ausnahmen vom Anwen-

dungsbereich des Abschnittes 3 Unterabschnitt 3 und ergänzt insoweit die allgemeinen Ausnahmebestimmungen in §§ 107 und 109, die für sämtliche öffentlichen Aufträge und Konzessionen anwendbar sind. Die Vorschrift dient der Umsetzung der Ausnahmeregelungen insbesondere der Art. 10 ff. der Konzessionsvergaberichtlinie 2014/23/EU und knüpft teilweise wortgleich an die Aus1114

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Besondere Ausnahmen | § 149

nahmebestimmungen in § 116 GWB für öffentliche Aufträge und in § 137 GWB im Sektorenbereich an.1 Bei Konzessionsvergaben in den Bereichen Verteidigung und Sicherheit sind über § 150 weitere Ausnahmen zu berücksichtigen (vgl. § 150 Rz. 1 ff.). Für die Konzessionsgeber im Sektorenbereich gem. § 101 Abs. 1 Nr. 2 und Nr. 3 (vgl. § 101 Rz. 3) gelten zudem über den Verweis in § 154 Nr. 5–7 die besonderen Ausnahmen in den §§ 138–140 (§ 154 Rz. 13 ff.). Die Tatbestände des § 149 GWB sind als Ausnahmebestimmungen vom Anwen- 2 dungsbereich vergaberechtlicher Regelungen entsprechend der ständigen Rechtsprechung des EuGH eng auszulegen und abschließend. Sie sind nicht analogiefähig.2 Der Auftraggeber trägt die Beweislast für das Vorliegen der den Ausnahmetatbestand erfüllenden Umstände.3 Auch bei § 149 stellt sich wie bei allen Ausnahmebestimmungen die Frage, ob 3 Vergabestellen bei der Vergabe von Konzessionen, die unter die Ausnahmebestimmungen fallen, vollständig frei sind oder aufgrund der Grundfreiheiten des AEUV einen vergaberechtlichen Mindeststandard zu beachten haben.4 Nach der ständigen Rechtsprechung des EuGH müssen bei der Vergabe von Aufträgen und Konzessionen, die nicht unter die Vergaberichtlinien fallen, an denen allerdings ein grenzüberschreitendes Interesse besteht (sog. Binnenmarktrelevanz), die Grundsätze der Gleichbehandlung, Transparenz, Nichtdiskriminierung und Verhältnismäßigkeit beachtet werden. Diese erfordern, dass ein Mindestmaß an Öffentlichkeit hergestellt wird, um die Vergabe dem Wettbewerb zu öffnen und eine Nachprüfungsmöglichkeit bestehen muss, um die unparteiische Durchführung des Vergabeverfahrens überprüfen zu können.5 Es ist noch nicht abschließend geklärt, ob in sämtlichen der in § 149 aufgeliste- 4 ten Fälle bei Vorliegen eines grenzüberschreitenden Interesses die Grundfreiheiten beachtet werden müssen.6 Angesichts der im Verhältnis zu öffentlichen Aufträgen deutlich geringeren Verfahrensanforderungen und der Zielsetzung bei Erlass der Konzessionsvergaberichtlinie, durch klare Vorgaben für Rechtsicherheit zu sorgen,7 lässt sich durchaus in Zweifel ziehen, ob die Grundfreiheiten weiterhin zur Schließung einer vermeintlichen Regelungslücke herangezogen werden können oder die Richtlinienvergaben als abschließend zu verstehen sind. 1 2 3 4

BT-Drucks. 18/6281, S. 127 ff. Germelmann in Burgi/Dreher, Vergaberecht, 3. Aufl., § 149 Rz. 16, 24 f. Fandrey in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, GWB-Kommentar, § 149 Rz. 1. Vgl. zu den Voraussetzungen Ruhland in Gabriel/Krohn/Neun, Handbuch des Vergaberechts, § 5 Rz. 57 ff. sowie die Kommentierung zu § 105 Rz. 96. 5 Vgl. etwa EuGH v. 13.4.2010 – Rs. C-91/08, NZBau 2010, 382 (384 f.). 6 Dafür Tugendreich/Heller in Müller-Wrede, GWB, § 149 Rz. 3; Germelmann in Burgi/ Dreher, Vergaberecht, 3. Aufl., § 149 Rz. 10 ff.; differenzierend Fandrey in Kulartz/ Kus/Portz/Prieß, GWB-Kommentar, § 149 Rz. 2, der eine Betrachtung von Fallgruppe zu Fallgruppe vorschlägt. 7 Erwägungsgrund 1 der Richtlinie 2014/23/EU.

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§ 149 | Besondere Ausnahmen Eindeutig ist jedenfalls bei Vorliegen eines ausschließlichen Rechtes gem. § 149 Nr. 6 und 7 die Durchführung eines vergaberechtlichen Auswahlverfahrens bereits aus praktischen Gründen nicht sinnvoll.1 Dagegen sieht der Gesetzgeber etwa in Bezug auf Konzessionen im Bereich Wasser nach § 149 Nr. 9 (vgl. Rz. 18 ff.) ausdrücklich vor, dass die Grundsätze des Europäischen Primärrechts der Transparenz, Gleichbehandlung und Verhältnismäßigkeit Beachtung finden müssen.2 Im Zweifel wird man Vergabestellen unter Berücksichtigung der bisherigen Rechtsprechung des EuGH daher die Durchführung eines richtlinienkonformen transparenten Auswahlverfahrens empfehlen müssen. 5 Entschärft wird die Bedeutung der Fragestellung durch die Entscheidung, den

EU-Schwellenwert einheitlich für Bau- und Dienstleistungskonzessionen mit 5.225 Mill. € anzusetzen. Der Unionsgesetzgeber geht davon aus, dass Konzessionen erst ab diesem hohen Vertragswert eine klare länderübergreifende Bedeutung zukommen und ein Regelungsbedürfnis auslösen.3 Liegt der Vertragswert mithin deutlich entfernt von dem Schwellenwert, spricht dies tendenziell gegen das Vorliegen einer Binnenmarktrelevanz. Allerdings bleibt stets eine umfassende Prüfung der Gesamtumstände der Konzessionsvergabe erforderlich.

II. Die Ausnahmetatbestände im Einzelnen 6 Die Ausnahmetatbestände des § 149 in den Nr. 1–8 entsprechen im Wesentli-

chen der Regelung in § 116. Die weiteren Ausnahmen in den Nr. 9–12 enthalten spezielle Ausnahmen für Konzessionen. 1. Konzessionen zu Rechtsdienstleistungen (Nr. 1)

7 Die Ausnahmebestimmung in § 149 Nr. 1 für Konzessionen zu Rechtsdienstleis-

tungen entspricht der Bereichsausnahme in § 116 Abs. 1 Nr. 1. Sie dient der Umsetzung von Art. 10 Abs. 8 lit. d) der RL 2014/23/EU. Es wird auf die Kommentierung in § 116 verwiesen (vgl. § 116 Rz. 13 ff.).

2. Konzessionen zu Forschungs- und Entwicklungsdienstleistungen (Nr. 2) 8 Die Ausnahmebestimmung in § 149 Nr. 2 für Konzessionen zu Forschungs- und

Entwicklungsdienstleistungen entspricht der Bereichsausnahme in § 116 Abs. 1 Nr. 2. Sie dient der Umsetzung von Art. 25 der RL 2014/23/EU. Es wird auf die Kommentierung in § 116 verwiesen (vgl. § 116 Rz. 40 ff.).

1 Vgl. Erwägungsgrund 33 der Richtlinie 2014/23/EU; Fandrey in Kulartz/Kus/Portz/ Prieß, GWB-Kommentar, § 149 Rz. 5. 2 BT-Drucks. 18/6281, S. 128. 3 Vgl. Erwägungsgrund 23 der Richtlinie 2014/23/EU.

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3. Konzessionen zu audiovisuellen Mediendiensten oder Hörfunkmediendiensten (Nr. 3) Die Ausnahmebestimmung in § 149 Nr. 3 für Konzessionen zu audiovisuellen Me- 9 diendiensten oder Hörfunkmediendiensten entspricht der Bereichsausnahme in § 116 Abs. 1 Nr. 3. Sie dient der Umsetzung von Art. 10 Abs. 8 lit. b) der RL 2014/ 23/EU. Es wird auf die Kommentierung in § 116 verwiesen (vgl. § 116 Rz. 50 ff.). 4. Konzessionen zu finanziellen Dienstleistungen (Nr. 4) Die Ausnahmebestimmung in § 149 Nr. 4 für Konzessionen zu finanziellen 10 Dienstleistungen entspricht der Bereichsausnahme in § 116 Abs. 1 Nr. 4. Sie dient der Umsetzung von Art. 10 Abs. 8 lit. e) der RL 2014/23/EU. Es wird auf die Kommentierung in § 116 verwiesen (vgl. § 116 Rz. 57 ff.). 5. Konzessionen zu Krediten und Darlehen (Nr. 5) Die Ausnahmebestimmung in § 149 Nr. 5 für Konzessionen zu Krediten und 11 Darlehen entspricht der Bereichsausnahme in § 116 Abs. 1 Nr. 5. Sie dient der Umsetzung von Art. 10 Abs. 8 lit. f) der RL 2014/23/EU. Es wird auf die Kommentierung in § 116 verwiesen (vgl. § 116 Rz. 67 ff.). 6. Dienstleistungskonzessionen an einen öffentlichen Konzessionsgeber aufgrund eines ausschließlichen Rechts (Nr. 6) Die Bereichsausnahme in § 149 Nr. 6 nimmt Dienstleistungskonzessionen vom 12 Anwendungsbereich der Konzessionsvergaberegelungen aus, die an einen Konzessionsgeber nach § 101 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 aufgrund eines auf Gesetz oder Verordnung beruhenden ausschließlichen Rechts vergeben werden. Das ausschließliche Recht (vgl. zum Begriff § 100 Rz. 18 ff.) muss somit entweder einem öffentlichen Auftraggeber ohne Sektorenbezug oder einem öffentlichen Sektorenauftraggeber (vgl. zur Abgrenzung § 101 Rz. 3) zustehen. Der Sinn der Vorschrift besteht darin, dass die Durchführung eines Vergabeverfahrens überflüssig ist, wenn der Konzessionsnehmer aufgrund seines ausschließlichen Rechts von vornherein feststeht. Die Vorschrift dient der Umsetzung von Art. 10 Abs. 1 Unterabs. 1 der RL 2014/23/EU. Sie knüpft an die Regelung in § 116 Abs. 1 Nr. 6 an (vgl. § 116 Rz. 75 ff.). 7. Dienstleistungskonzessionen an einen privaten Konzessionsgeber aufgrund eines ausschließlichen Rechts (Nr. 7) Im Unterschied zur Bereichsausnahme in § 149 Nr. 6 gilt § 149 Nr. 7 für Unter- 13 nehmen, denen ein ausschließliches Recht im Einklang mit den nationalen und unionsrechtlichen Rechtsvorschriften zur Ausübung einer Sektorentätigkeit Rafii

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§ 149 | Besondere Ausnahmen gem. § 102 Abs. 2–6 gewährt wurde. Gemeint sind insbesondere private Sektorenauftraggeber gem. § 101 Abs. 1 Nr. 3 (vgl. zum Begriff § 101 Rz. 3). 14 Nach der Richtlinienvorgabe in Art. 10 Abs. 2 Unterabs. 1 der RL 2014/23/EU

sind bei der Anwendung der Ausnahmevorschrift besondere branchenspezifische Transparenzpflichten des Unionsrechts vorrangig zu berücksichtigen. Allerdings geht die Regelung in § 149 Nr. 7 über die Richtlinie insoweit hinaus, dass die Dienstleistungskonzession nach dem Wortlaut der Vorschrift ausgeschrieben werden muss, wenn das Unionsrecht keine branchenspezifischen Transparenzpflichten vorsehen sollte. Die Richtlinie fordert in diesen Fällen zur Gewährleistung der Transparenz demgegenüber lediglich eine Zuschlagsbekanntmachung im Anschluss an die Konzessionsvergabe gem. Art. 32. Angesichts der Ratio der Ausnahmeregelung, die eine überflüssige Durchführung eines Vergabeverfahrens verhindern will (vgl. bereits Rz. 12), erscheint es sinnvoll, die Vorschrift in § 149 Nr. 7 entsprechend der Richtlinienvorgabe auszulegen und lediglich eine Bekanntmachung im Anschluss an die Konzessionsvergabe im Amtsblatt der EU zu fordern, da eine Benachteiligung potentieller anderer Anbieter nicht zu befürchten ist und zudem gem. § 151 Satz 2 iVm § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 KonzVgV in diesen Fällen ohnehin auf eine Bekanntmachung der Vergabeabsicht verzichtet werden kann (§ 151 Rz. 12). Auch die Gesetzesbegründung enthält keinen Hinweis darauf, dass eine Verschärfung der Richtlinienvorgaben beabsichtigt gewesen ist.1

15 Unabhängig von den vorgenannten Ausführungen müssen nach dem Wortlaut

des § 149 Nr. 7 Auftraggeber, die an ein Unternehmen ein ausschließliches Recht zur Erfüllung einer Sektorentätigkeit vergeben, die Europäische Kommission innerhalb eines Monats nach Gewährung dieses Rechts über den Vorgang in Kenntnis setzen, damit die Kommission die Rechtmäßigkeit des Vorgangs überprüfen kann. Nach der Richtlinienvorgabe ist Adressat der Meldepflicht der Mitgliedstaat, der ein ausschließliches Recht erteilt, Art. 10 Abs. 2 Unterabs. 2 der RL 2014/23/EU.2 In der Praxis dürfte die Unterscheidung keine besondere Rolle spielen. 8. Konzessionen für öffentliche Kommunikationsnetze und Kommunikationsdienste (Nr. 8)

16 Entsprechend der Ausnahmebestimmung in § 116 Abs. 2 (vgl. § 116 Rz. 82 ff.)

sind vom Anwendungsbereich der §§ 148 ff. Konzessionen ausgenommen, die hauptsächlich dazu dienen, dem Konzessionsgeber i.S.d. § 101 Abs. 1 Nr. 1 die

1 Vgl. Tugendreich/Heller in Müller-Wrede, GWB, § 149 Rz. 90, die von einem Redaktionsversehen des Gesetzgebers ausgehen. Demgegenüber nimmt Germelmann in Burgi/Dreher, Vergaberecht, 3. Aufl., § 149 Rz. 66, aufgrund des Wortlauts eine Verschärfung der nationalen Regelung gegenüber der Richtlinie an. 2 Diese Abweichung besonders betonend Tugendreich/Heller in Müller-Wrede, GWB, § 149 Rz. 91. Vgl. auch Erwägungsgrund 33 der Richtlinie 2014/23/EU.

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Bereitstellung oder den Betrieb öffentlicher Kommunikationsnetze oder die Bereitstellung eines oder mehrerer elektronischer Kommunikationsdienste für die Öffentlichkeit zu ermöglichen. Die Regelung beruht auf Art. 11 der Richtlinie 2014/23/EU. Wie sich aus Art. 11 Unterabs. 2 der RL 2014/23/EU ergibt, sind die Begriffe „öf- 17 fentliches Kommunikationsnetz“ und „elektronischer Kommunikationsdienst“ entsprechend der Richtlinie 2002/21/EG auszulegen. Die Gesetzesbegründung verweist als Beispiele für öffentliche Kommunikationsnetze auf öffentliche Telekommunikationsnetze i.S.d. § 3 Nr. 16a und 27 TKG sowie als Beispiele für elektronische Kommunikationsdienste auf Telekommunikationsdienste gem. § 3 Nr. 17a und 24 TKG.1 Diskutiert wird die Anwendbarkeit der Bereichsausnahme zudem auf Konzessionen für Breitbandnetze.2 9. Konzessionen im Bereich Wasser (Nr. 9) Nach der Bereichsausnahme in § 149 Nr. 9 können Konzessionen ohne die Be- 18 achtung der speziellen Vorgaben für die Konzessionsvergabe beauftragt werden, die die Bereitstellung oder das Betreiber fester Netze zur Trinkwasserversorgung der Allgemeinheit im Zusammenhang mit der Gewinnung, dem Transport oder der Verteilung von Trinkwasser betreffen bzw. die im Einzelnen in der Vorschrift genannten weiteren Bezüge zur Trinkwasserversorgung aufweisen.3 Der Ausnahmetatbestand setzt Art. 12 der Richtlinie 2014/23/EU um. Die von der Bereichsausnahme erfassten Wasserkonzessionen unterliegen nicht 19 den Verfahrensregelungen über die Konzessionsvergabe im GWB und in der KonzVgV. Entsprechend der bisherigen Rechtsprechung des EuGH müssen Wasserkonzessionen allerdings auch zukünftig im Einklang mit den Vorgaben des Europäischen Primärrechts vergeben werden.4 Etwas anderes kann lediglich gelten, wenn die Voraussetzungen des In-House-Geschäfts gem. § 108 Abs. 1–5 (vgl. § 108 Rz. 5 ff.) bzw. der öffentlich-öffentlichen Zusammenarbeit gem. § 108 Abs. 6 erfüllt sind (vgl. § 108 Rz. 72 ff.). In diesen Fällen liegt eine rein verwaltungsinterne Maßnahme vor, die auch nicht an den Anforderungen des primären Unionsrechts zu messen ist.5 1 BT-Drucks. 18/6281, S. 128. 2 Opitz, NVwZ 2014, 753 (758); Tugendreich/Heller in Müller-Wrede, GWB, § 149 Rz. 97, m.w.N.; siehe zu den verschiedenen Geschäftsmodellen und deren vergaberechtlicher Qualifizierung Bary, NZBau 2014, 208. 3 Siehe zum Begriff des „Zusammenhangs“ mit der Trinkwasserversorgung in § 149 Nr. 9 lit. b) VK Sachsen v. 12.4.2017 – 1/SVK/003-17, Rz. 80 ff., juris. 4 EuGH v. 10.9.2009 – Rs. C-206/08, EuZW 2009, 810 (812 ff.), m.w.N.; Fandrey in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, GWB-Kommentar, § 149 Rz. 9 f.; a.A. Jacob/Schmidt, RdE 2016, 114 (119 f.). 5 EuGH v. 13.11.2008 – Rs. C-324/07, ZfBR 2009, 78 (80 f.); v. 13.10.2005 – Rs. C-458/03, ZfBR 2006, 75 (80).

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§ 149 | Besondere Ausnahmen 20 Die Herausnahme der Konzessionen im Bereich Wasser vom Anwendungs-

bereich der Regelungen über die Konzessionsvergabe war in den ursprünglichen Entwürfen der Richtlinie von der Kommission nicht vorgesehen und ist Folge eines politischen Kompromisses.1 Sie wird vom Richtliniengeber mit der Argumentation gerechtfertigt, Konzessionen in der Wasserwirtschaft würden häufig spezifische und komplexe Regelungen zugrunde liegen, die besonderer Aufmerksamkeit bedürften, da Wasser als öffentliches Gut für alle Bürger von grundlegendem Wert sei.2 Die erhöhte Flexibilität des Vergabeverfahrens ermögliche es, die bestmögliche Trinkwasserversorgung der Bürgerinnen und Bürger, insbesondere in ländlichen Regionen, sicherzustellen.3 In Art. 53 Unterabs. 3 der Richtlinie 2014/23/EU ist eine Überprüfung der wirtschaftlichen Auswirkungen des Ausnahmetatbestandes auf den Binnenmarkt durch die Europäische Kommission bis zum 18.4.2019 vorgesehen, so dass die weitere Entwicklung beobachtet werden muss.4 10. Lotteriekonzessionen (Nr. 10)

21 Gemäß § 149 Nr. 10 unterliegen Dienstleistungskonzessionen zu Lotteriedienst-

leistungen, die unter die CPV-Codes 92351100-7 fallen und die einem Unternehmen auf der Grundlage eines ausschließlichen Rechts gewährt wurden, ebenfalls nicht dem Anwendungsbereich der Regelungen über die Konzessionsvergabe. Die Bestimmung setzt Art. 10 Abs. 9 der Richtlinie 2014/23/EU um.

22 Der Begriff des ausschließlichen Rechts bezieht sich nach der ausdrücklichen

Klarstellung des Richtliniengebers in Art. 10 Abs. 9 der Richtlinie 2014/23/EU nicht auf den Begriff des ausschließlichen Rechts in Art. 7 Abs. 2, sondern auf die Definition in Art. 5 Nr. 10. Ausschließliche Rechte sind danach Rechte, die auf Grundlage eines Gesetzes oder einer Verwaltungsvorschrift gewährt wurden und die Möglichkeit anderer Wirtschaftsteilnehmer zur Ausübung dieser Tätigkeit wesentlich einschränken. Diese Maßgaben sind in § 100 Abs. 2 umgesetzt worden (vgl. § 100 Rz. 18 ff.). Es können somit auch mehrere Unternehmen Rechtsinhaber sein, soweit der Marktzutritt für andere Wirtschaftsteilnehmer erheblich eingeschränkt ist.5 Aus Art. 10 Abs. 9 Unterabs. 2 der Richtlinie 2014/ 23/EU folgt schließlich, dass die Gewährung eines solchen ausschließlichen Rechts im Amtsblatt der Europäischen Union zu veröffentlichen ist, auch wenn diese Anforderung in § 149 Nr. 10 nicht umgesetzt worden ist.

1 Vgl. Mitteilung der Kommission vom 19.3.2014 – COM(2014) 177 final, S. 6; s. aus dem Schrifttum Jacob/Schmidt, RdE 2016, 114 (116 ff.); Sudbrock, KommJur 2014, 41 (42); Dierkes/Skrobanek, ZfW 2013, 187. 2 Erwägungsgrund 40 der Richtlinie 2014/23/EU. 3 BT-Drucks. 18/6281, S. 128. 4 Germelmann in Burgi/Dreher, Vergaberecht, 3. Aufl., § 149 Rz. 81. 5 Tugendreich/Heller in Müller-Wrede, GWB, § 149 Rz. 134 f.

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Besondere Ausnahmen | § 149

Problematisch ist, ob der Anwendungsbereich der Bereichsausnahme dem 23 Wortlaut entsprechend allein auf die Lotteriedienstleistungen im Sinne der genannten CPV-Codes beschränkt ist oder auf die benachbarten CPV-Nummern betreffend Dienstleistungen des Spiel- und Wettbetriebs, Dienstleistungen von Spiel- und Wetteinrichtungen, Dienstleistungen von Spielkasinos und Dienstleistungen von Wetteinrichtungen erstreckt werden kann. Die Befürworter einer erweiterten Auslegung verweisen auf den Sinn und Zweck der Ausnahmebestimmung, das Recht der Mitgliedstaaten nicht beschränken zu wollen, zum Schutz der öffentlichen und sozialen Ordnung die Ausgestaltung des Spiel- und Wettbetriebes, etwa durch Genehmigungen, selbst organisieren und kontrollieren zu können. Dieser Schutzzweck bestehe auch bei den sonstigen Spiel- und Wetttätigkeiten und gebiete eine weite Auslegung.1 Dieser Ansicht ist zuzugeben, dass die Beschränkung der Bereichsausnahme ausschließlich auf Lotteriedienstleistungen angesichts der vorgenannten Zielsetzung nicht einleuchtend ist. Allerdings wird bereits in der Erläuterung der Richtlinienbestimmung ausdrücklich nur auf das Erfordernis der Ausnahme des Betriebes von Lotterien abgestellt.2 Von einem gesetzgeberischen Versehen kann daher nicht ausgegangen werden. Aufgrund des eindeutigen Wortlauts und der grundsätzlichen Verpflichtung, Bereichsausnahmen vom Anwendungsbereich vergaberechtlicher Regelungen eng auszulegen, ist ein erweiterndes Begriffsverständnis abzulehnen.3 Das OVG NRW hat die Auslegung der Bereichsausnahme in Bezug auf Glücksspielrechtliche Erlaubnisse für den Betrieb von Spielhallen gemäß den §§ 24 GlüStV, 16 AG GlüStV NRW offen gelassen, da nach Auffassung des Gerichts bereits begrifflich keine Dienstleistungskonzession vorlag.4 11. Konzessionen von Sektorenauftraggebern in Drittländern (Nr. 11) § 149 Nr. 11 stellt die Vergabe von Konzessionen für die Durchführung von Tä- 24 tigkeiten in einem nicht der Europäischen Union angehörenden sog. Drittstaat durch Sektorenauftraggeber i.S.d. § 101 Abs. 1 Nr. 2 und 3 (vgl. § 101 Rz. 3) vom Anwendungsbereich des Kartellvergaberechts frei, soweit bei der Tätigkeit keine physische Nutzung eines Netzes oder geographischen Gebietes in der Union erfolgt. Die Vorschrift dient der Umsetzung von Art. 10 Abs. 10 der Richtlinie 2014/23/EU. Sie entspricht der Bereichsausnahme für Sektorentätigkeiten in § 137 Abs. 2 Nr. 2 (vgl. § 137 Rz. 15 f.). 1 Fandrey in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, GWB-Kommentar, § 149 Rz. 12; Dietlein/Peters, ZfWG 2015, 158 (163 f.). 2 Erwägungsgrund 35 der Richtlinie 2014/23/EU; auch die Gesetzesbegründung verweist zur Konkretisierung der Vorschrift allein auf den Erwägungsgrund 35, BT-Drucks. 18/ 6281, S. 128. 3 So auch Germelmann in Burgi/Dreher, Vergaberecht, 3. Aufl., § 149 Rz. 95; Tugendreich/ Heller in Müller-Wrede, GWB, § 149 Rz. 133. 4 OVG NRW v. 8.6.2017 – 4 B 307/17, Rn. 77 ff., juris.

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§ 149 | Besondere Ausnahmen 12. Konzessionen im Bereich der Luftverkehrsdienste und der öffentlichen Personenbeförderung (Nr. 12) 25 Die Bereichsausnahme in § 149 Nr. 12 beruht auf Art. 10 Abs. 3 der Richtlinie

2014/23/EU und hat zum Ziel, eine Überschneidung der Konzessionsvergaberegelungen im Bereich der Luftverkehrsdienste und im Bereich der öffentlichen Personenverkehrsdienste zu verhindern.1

26 Im Bereich der Luftverkehrsdienste bezieht sich die Ausnahme auf Konzessio-

nen, die auf der Grundlage der Erteilung einer Betriebsgenehmigung im Sinne der Verordnung (EG) Nr. 1008/20082 vergeben werden. Die Verordnung regelt gem. Art. 1 Abs. 1 die Genehmigung von Luftfahrtunternehmen der Gemeinschaft, das Recht von Luftfahrtunternehmen der Gemeinschaft, innergemeinschaftliche Flugdienste durchzuführen, und die Preisfestsetzung für innergemeinschaftliche Flugdienste. Kein in der Gemeinschaft niedergelassenes Unternehmen darf Fluggäste, Post und/oder Fracht im gewerblichen Luftverkehr befördern, wenn ihm keine Betriebsgenehmigung nach Art. 3 Abs. 1 erteilt worden ist. Die Betriebsgenehmigung selbst erfüllt aber nicht die Voraussetzungen einer Konzession (vgl. zum Konzessionsbegriff § 105 Rz. 6 ff.). Die Ausnahmebestimmung in § 149 Nr. 12 bezieht sich auf die Auferlegung gemeinwirtschaftlicher Verpflichtungen durch einen Mitgliedstaat nach Art. 16 der Verordnung, die dazu dienen, dass Flugunternehmen wirtschaftlich unrentable Strecken, etwa in Randgebieten, bedienen. Im Gegenzug kann dem verpflichteten Unternehmen das Recht gem. Art. 16 Abs. 9 der Verordnung eingeräumt werden, die Strecke exklusiv bedienen zu dürfen. Dieses Recht muss nach den Vorgaben in Art. 16 Abs. 10 i.V.m. Art. 17 der Verordnung in einem öffentlichen Ausschreibungsverfahren allen Luftfahrtunternehmen in der Gemeinschaft angeboten werden. Das Kartellvergaberecht ist auf dieses Verfahren nicht anwendbar.

27 Im Bereich der Personenverkehrsdienste sind Konzessionen von der Bereichs-

ausnahme erfasst, die dem Anwendungsbereich des § 1 PBefG unterliegen. Hierzu zählen Konzessionen über die entgeltliche oder geschäftsmäßige Beförderung von Personen mit Straßenbahnen, mit Oberleitungsomnibussen und mit Kraftfahrzeugen. Als Straßenbahnen gelten nach der Definition in § 4 Abs. 2 PBefG auch Hoch- und Untergrundbahnen, Schwebebahnen und ähnliche Bahnen besonderer Bauart. Für Konzessionen in diesen Bereichen gilt das Verfahren nach § 8b PBefG und Art. 5 Abs. 3 der Verordnung (EG) Nr. 1370/2007.3

28 Dagegen müssen Dienstleistungskonzessionen über öffentliche Personenver-

kehrsleistungen im Eisenbahnverkehr, die dem Anwendungsbereich des § 1

1 Germelmann in Burgi/Dreher, Vergaberecht, 3. Aufl., § 149 Rz. 106. 2 Verordnung (EG) Nr. 1008/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24.9. 2008 über gemeinsame Vorschriften für die Durchführung von Luftverkehrsdiensten in der Gemeinschaft (ABl. Nr. L 293 vom 31.10.2008, S. 3). 3 BT-Drucks. 18/6281, S. 129.

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Besondere Ausnahmen für die Vergabe von Konzessionen | § 150

PBefG nicht unterfallen, nach den für Konzessionen geltenden Regelungen in Teil 4 des GWB und der KonzVgV beauftragt werden. Allerdings gelten die Sonderregelungen in § 131 Abs. 2 und 3 für öffentliche Aufträge über den Verweis in § 154 Nr. 3 entsprechend (vgl. § 131 Rz. 10 ff. und § 154 Rz. 6). Der Gesetzgeber hat sich insoweit entschieden, mit der Bezugnahme auf § 1 PBefG die Bereichsausnahme gegenüber den Vorgaben der Richtlinie enger zu fassen.1 Die Richtlinie verweist auf die Verordnung (EG) Nr. 1370/2007,2 die in Art. 1 Abs. 2 nicht zwischen Eisenbahnverkehr und sonstigem öffentlichen Personenverkehr differenziert. Der deutsche Gesetzgeber wollte damit an der bestehenden Rechtslage zur Vergabe von Personenverkehrsdiensten festhalten.3

§ 150 Besondere Ausnahmen für die Vergabe von Konzessionen in den Bereichen Verteidigung und Sicherheit Dieser Teil ist nicht anzuwenden auf die Vergabe von Konzessionen in den Bereichen Verteidigung und Sicherheit, 1. bei denen die Anwendung der Vorschriften dieses Teils den Konzessionsgeber verpflichten würde, Auskünfte zu erteilen, deren Preisgabe seines Erachtens den wesentlichen Sicherheitsinteressen der Bundesrepublik Deutschland zuwiderläuft, oder wenn die Vergabe und Durchführung der Konzession als geheim zu erklären sind oder von besonderen Sicherheitsmaßnahmen gemäß den geltenden Rechts- oder Verwaltungsvorschriften begleitet sein müssen, sofern der Konzessionsgeber festgestellt hat, dass die betreffenden wesentlichen Interessen nicht durch weniger einschneidende Maßnahmen gewahrt werden können, wie beispielsweise durch Anforderungen, die auf den Schutz der Vertraulichkeit der Informationen abzielen, die Konzessionsgeber im Rahmen eines Konzessionsvergabeverfahrens zur Verfügung stellen, 2. die im Rahmen eines Kooperationsprogramms vergeben werden, das a) auf Forschung und Entwicklung beruht und b) mit mindestens einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union für die Entwicklung eines neuen Produkts und gegebenenfalls die späteren Phasen des gesamten oder eines Teils des Lebenszyklus dieses Produkts durchgeführt wird, 1 BT-Drucks. 18/6281, S. 129. 2 Verordnung (EG) Nr. 1370/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23.10. 2007 über öffentliche Personenverkehrsdienste auf Schiene und Straße und zur Aufhebung der Verordnungen (EWG) Nr. 1191/69 und (EWG) Nr. 1107/70 des Rates. 3 Siehe Gesetzesbegründung zu § 131, BT-Drucks. 18/6281, S. 117 f.

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§ 150 | Besondere Ausnahmen für die Vergabe von Konzessionen 3. die die Bundesregierung an eine andere Regierung für in unmittelbarem Zusammenhang mit Militärausrüstung oder sensibler Ausrüstung stehende Bau- und Dienstleistungen oder für Bau- und Dienstleistungen speziell für militärische Zwecke oder für sensible Bau- und Dienstleistungen vergibt, 4. die in einem Staat, der nicht Vertragspartei des Übereinkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum ist, im Rahmen des Einsatzes von Truppen außerhalb des Gebiets der Europäischen Union vergeben werden, wenn der Einsatz erfordert, dass diese Konzessionen an im Einsatzgebiet ansässige Unternehmen vergeben werden, 5. die durch andere Ausnahmevorschriften dieses Teils erfasst werden, 6. die nicht bereits gemäß den Nummern 1 bis 5 ausgeschlossen sind, wenn der Schutz wesentlicher Sicherheitsinteressen der Bundesrepublik Deutschland nicht durch weniger einschneidende Maßnahmen garantiert werden kann, wie beispielsweise durch Anforderungen, die auf den Schutz der Vertraulichkeit der Informationen abzielen, die Konzessionsgeber im Rahmen eines Konzessionsvergabeverfahrens zur Verfügung stellen, oder 7. die besonderen Verfahrensregeln unterliegen, a) die sich aus einem internationalen Abkommen oder einer internationalen Vereinbarung ergeben, das oder die zwischen einem oder mehreren Mitgliedstaaten der Europäischen Union und einem oder mehreren Staaten, die nicht Vertragsparteien des Übereinkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum sind, geschlossenen wurde, b) die sich aus einem internationalen Abkommen oder einer internationalen Vereinbarung im Zusammenhang mit der Stationierung von Truppen ergeben, das oder die Unternehmen eines Mitgliedstaates der Europäischen Union oder eines anderen Staates betrifft, oder c) die für eine internationale Organisation gelten, wenn diese für ihre Zwecke Beschaffungen tätigt oder wenn ein Mitgliedstaat der Europäischen Union Aufträge nach diesen Regeln vergeben muss. I. Zweck der Norm . . . . . . . . . . . II. Inhalt der Vorschrift . . . . . . . . 1. Wahrung wesentlicher Sicherheitsinteressen (Nr. 1) . . . . . . . . 2. Kooperationsprogramme mit anderen EU-Mitgliedstaaten (Nr. 2) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Konzessionen an eine andere Regierung (Nr. 3) . . . . . . . . . . . 4. Konzessionen an im Einsatzgebiet ansässige Unternehmen (Nr. 4) .

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5. Durch andere Ausnahmevorschriften erfasste Konzessionen (Nr. 5) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Nur durch eine Ausnahme garantierbare Wahrung von Sicherheitsinteressen (Nr. 6) . . . 7. Konzessionen, die besonderen Verfahrensregeln unterliegen (Nr. 7) . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Besondere Ausnahmen für die Vergabe von Konzessionen | § 150

I. Zweck der Norm Die Vorschrift dient der Umsetzung der Vorgaben von Artikel 10 Abs. 5 bis 7 1 der Richtlinie 2014/23/EU des Europäischen Parlaments und des Rates v. 26.2. 2014 über die Konzessionsvergabe1. Auch wenn die praktische Relevanz recht gering sein dürfte, setzt die Richtlinie 2 voraus, dass in den Bereichen Verteidigung und Sicherheit die Vergabe von Konzessionen erfolgen kann. Daher gelten grundsätzlich auch hier ihre Regelungen.2 Der Vorschrift ist überwiegend ein Vorsorgecharakter beizumessen, wonach sichergestellt werden soll, dass die Ausnahmevorschriften weitgehend parallel zur Auftragsvergabe geregelt werden.3 Es handelt sich um Konzessionen, deren vertragliche Regelung Bau- oder Dienst- 3 leistungskonzessionen umfassen, die im unmittelbaren Zusammenhang mit Militärausrüstung oder Ausrüstung im Rahmen eines Verschlusssachenauftrags stehen bzw. um Bau- und Dienstleistungen speziell für militärische Zwecke oder Bau- und Dienstleistungen, die im Rahmen eine Verschlusssachenauftrags vergeben werden.4 Zu diesem Zweck sind die Begriffe „wesentliche Sicherheitsinteressen“, „Militärausrüstung“, „sensible Ausrüstung“, „sensible Bauleistungen“ und „sensible Dienstleistungen“ im Sinne der Richtlinie 2009/81/EG5 zu verstehen.6

II. Inhalt der Vorschrift § 150 normiert insgesamt 7 Ausnahmetatbestände, die den Richtlinienvorgaben 4 des Artikels 10 Absatz 5 (umgesetzt in Nr. 7), Absatz 6 Buchst. a bis e (umgesetzt in den Nrn. 1 bis 5) und Absatz 7 (umgesetzt in Nr. 6) entsprechen. In den folgenden Fällen gilt Teil 4 des GWB nicht: 1. Wahrung wesentlicher Sicherheitsinteressen (Nr. 1) 5 Der Auftraggeber darf auf die Ausnahme zurückgreifen, wenn a) die Anwendung der Konzessionsvergabevorschriften den Konzessionsgeber verpflichten würde, Auskünfte zu erteilen, deren Preisgabe seines 1 2 3 4

ABl. L 94 v. 28.3.2014, S. 1. S. Artikel 10 Abs. 5 und Abs. 6 Richtlinie 2014/23/EU. S. Fandrey in Kulartz/Kus/Portz/Pries, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 150 Rz. 1. S. Gesetz zur Modernisierung des Vergaberechts BT-Drucks. 18/6281 v. 8.10.2015, Begründung zu § 150. 5 Richtlinie 2009/81/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 13.7.2009 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe bestimmter Bau-, Liefer- und Dienstleistungsaufträge in den Bereichen Verteidigung und Sicherheit, ABl. L 216 v. 20.8.2009, S. 76. 6 Erwägungsgrund 34 Richtlinie 2014/23/EU.

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§ 150 | Besondere Ausnahmen für die Vergabe von Konzessionen Erachtens den wesentlichen Sicherheitsinteressen der Bundesrepublik Deutschland zuwiderläuft. Grundlage der Ausnahme ist, dass die Anwendung der vergaberechtlichen Vorgaben ursächlich für die Verpflichtung zur Informationserteilung durch den Auftraggeber sein muss. Ergibt sich eine Pflicht zur Informationserteilung aus anderen Vorschriften als des Vergaberechts, rechtfertigt dies einen Rückgriff auf die Ausnahme nicht. Beim Rückgriff auf diese Ausnahme hat der Auftraggeber einen Spielraum bei der Einschätzung, ob die Preisgabe von Informationen „seines Erachtens“ den betroffenen wesentlichen Sicherheitsinteressen zuwiderläuft. 6

Die Vorschrift darf jedoch nur dann angewendet werden, sofern der Konzessionsgeber zunächst festgestellt hat, dass die Wahrung der betreffenden wesentlichen Sicherheitsinteressen nicht durch weniger einschneidende Maßnahmen (Grundsatz der Verhältnismäßigkeit) als den Rückgriff auf den Ausnahmetatbestand möglich ist.

7

Die Anwendung dieses Ausnahmetatbestandes ist insbesondere dann unverhältnismäßig, wenn der öffentliche Auftraggeber in den Vergabeunterlagen Vorgaben machen kann, die dem Schutz der Vertraulichkeit von Informationen Rechnung tragen. Hier ist vor allem an Mindestvorgaben der Eignung zu denken. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ist auch dann verletzt, wenn der öffentliche Auftraggeber den Schutz der Vertraulichkeit durch Anforderungen garantieren kann, die er im Rahmen eines Vergabeverfahrens zur Verfügung stellt.

8

Der Sache nach entspricht diese Ausnahme derjenigen des § 107 Abs. 2 Nr. 1 für die Vergabe von öffentlichen Aufträgen und Konzessionen. Ausweislich der Gesetzesbegründung1 übernimmt die Norm aus Gründen der Klarstellung zwar die Ausnahme des Art. 346 Abs. 1 Buchst. a des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union, einer gesonderten Norm – wie hier geschaffen – hätte es nicht zwingend bedurft. Im Übrigen sei auf die Kommentierung zu § 107 Abs. 2 Nr. 1 verwiesen. b) die Vergabe und Durchführung der Konzession als geheim zu erklären ist.

9

Die Vorgabe verlangt die Geheim-Erklärung auf einer objektiven Grundlage, denn es geht um im nationalen Interesse liegende Sicherheitsbelange. Im öffentlichen Interesse geheimhaltungsbedürftige Tatsachen, Gegenstände oder Erkenntnisse, unabhängig von ihrer Darstellungsform werden gemäß des Gesetzes über die Voraussetzungen und das Verfahren von Sicherheitsüberprüfungen des Bundes2 in verschiedene Kategorien eingestuft, die in § 4 1 S. Gesetz zur Modernisierung des Vergaberechts-VergRModG, BT-Drucks. 18/6281 v. 8.10.2015, Begründung zu § 107 Absatz 2 Nr. 1. 2 Sicherheitsüberprüfungsgesetz-SÜG v. 20.4.1994 (BGBl. I, 867), zuletzt geändert durch Artikel 2 des Gesetzes v. 3.12.2015 (BGBl. I 2015, 2161).

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Besondere Ausnahmen für die Vergabe von Konzessionen | § 150

Abs. 2 SÜG festgelegt sind. Die Einstufung erfolgt nach § 4 Abs. 1 Satz 2 SÜG entsprechend der Schutzbedürftigkeit von einer amtlichen Stelle. Nach Sinn und Zweck der Ausnahmevorschrift kommen drei Einstufungskategorien in Betracht, die den Verzicht auf die Anwendung vergaberechtlicher Vorschriften rechtfertigen: VS-VERTRAULICH, GEHEIM, STRENG GEHEIM. Als Grundlage zur Rechtfertigung der Ausnahme kommen daneben entsprechende Vorschriften der Länder in Betracht. Die zu vergebende Konzession muss eine Geheimhaltungsbedürftigkeit begründen und von einer amtlichen Stelle muss eine Einstufung mit mindestens VS-VERTRAULICH erfolgen. c) die Vergabe und Durchführung der Konzession von besonderen Sicherheitsmaßnahmen gemäß den geltenden Rechts- oder Verwaltungsvorschriften begleitet sein muss. Als besondere Sicherheitsmaßnahmen kommen z.B. erforderliche Sicher- 10 heitsüberprüfungen in Betracht. Solche sind nach § 1 SÜG1 durchzuführen, wenn im Rahmen der Konzession Personen mit sicherheitsempfindlichen Tätigkeiten betraut werden. Dem Wortlaut der Vorschrift ist zu entnehmen, dass sich die besonderen Sicherheitsmaßnahmen aus geltenden Rechts- oder Verwaltungsvorschriften ergeben müssen. Die Alternativen b) und c) finden sich auch in § 117 Nr. 3 für die Vergabe öf- 11 fentlicher Aufträge und Wettbewerbe, die Verteidigungs- und Sicherheitsaspekte umfassen. Auf dessen Kommentierung wird im Weiteren verwiesen. 2. Kooperationsprogramme mit anderen EU-Mitgliedstaaten (Nr. 2) Die Vergabe von Konzessionen kann ohne Anwendung des Teils 4 des GWB er- 12 folgen, wenn sie im Rahmen eines Kooperationsprogramms geschieht, das auf Forschung und Entwicklung beruht und mit mindestens einem anderen Mitgliedstaat für die Entwicklung eines neuen Produkts und ggf. für spätere Phasen des Produktlebenszyklus durchgeführt wird. Voraussetzung des Kooperationsprogramms ist, dass es auf Forschung und Ent- 13 wicklung (Grundlagenforschung, angewandte Forschung und experimentelle Entwicklung) beruht und dass es ausschließlich um die Entwicklung neuer Produkte geht.2

1 Gesetz über die Voraussetzungen und das Verfahren von Sicherheitsüberprüfungen des Bundes-SÜG v. 20.4.1994 (BGBl. I, 867), zuletzt geändert durch Artikel 2 des Gesetzes v. 3.12.2015 (BGBl. I 2015, 2161). 2 Im Einzelnen hierzu: Generaldirektion „Internal Market and Services“ der Europäischen Kommission, Guidance Note „Defence- and security-specific exclusions“, Ziff. 15.

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§ 150 | Besondere Ausnahmen für die Vergabe von Konzessionen 3. Konzessionen an eine andere Regierung (Nr. 3) 14 Vergaberechtsfrei sind Konzessionen, die die Bundesregierung als Konzessions-

geber an eine andere Regierung vergibt. Die Konzessionen müssen im unmittelbaren Zusammenhang mit Militärausrüstung oder sensibler Ausrüstung stehende Bau- und Dienstleistungen oder für Bau- und Dienstleistungen speziell für militärische Zwecke oder für sensible Bau- und Dienstleistungen vergeben werden. Sensible Konzessionen sind solche für Sicherheitszwecke, bei denen Verschlusssachen verwendet werden oder die Verschlusssachen erfordern und/oder beinhalten.1

15 Die Regelung findet sich als Ausnahme der Vergabe verteidigungs- und sicher-

heitsspezifischer öffentlicher Aufträge in § 145 Nr. 4 Buchst. b–d. Auf die dortige Kommentierung wird ergänzend Bezug genommen. 4. Konzessionen an im Einsatzgebiet ansässige Unternehmen (Nr. 4)

16 Konzessionen, die in einem Staat, der nicht Vertragspartner über den europäi-

schen Wirtschaftsraum ist, im Rahmen eines Truppeneinsatzes außerhalb der Europäischen Union an ein im Einsatzgebiet ansässiges Unternehmen vergeben werden. Der Truppeneinsatz muss die Konzessionsvergabe erfordern.

17 Für die Vergabe von verteidigungs- und sicherheitsspezifischen öffentlichen

Aufträgen findet sich diese Ausnahme in § 145 Nr. 3 GWB. Auf die Kommentierung dort wird verwiesen. 5. Durch andere Ausnahmevorschriften erfasste Konzessionen (Nr. 5)

18 Diese Vorschrift setzt Art. 10 Abs. 6 Buchst. e der Richtlinie 2014/23/EU um.

Damit wird klargestellt, dass die besonderen Ausnahmevorschriften für die Vergabe von Konzessionen im Bereich Verteidigung und Sicherheit neben den sonstigen Ausnahmen2 für Konzessionen gelten.

6. Nur durch eine Ausnahme garantierbare Wahrung von Sicherheitsinteressen (Nr. 6) 19 Sofern keiner der Ausnahmetatbestände der Nummern 1 bis 5 anwendbar ist, ist

die Konzessionsvergabe ohne Anwendung des Teils 4 des GWB zulässig, wenn der Schutz wesentlicher deutscher Sicherheitsinteressen nur durch den Rückgriff auf diese Ausnahme garantiert werden kann. Umgesetzt wird damit Art. 10 Abs. 7 der Richtlinie 2014/23/EU. 1 S. Erwägungsgrund 34 Richtlinie 2014/23/EU i.V.m. Artikel 1 Nummer 7 Richtlinie 2009/81/EG. 2 S. §§ 107 bis 109 und 149 GWB.

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Besondere Ausnahmen für die Vergabe von Konzessionen | § 150

Der Schutz der wesentlichen Sicherheitsinteressen muss die Inanspruchnahme 20 der Ausnahme erfordern. Demzufolge ist abzuwägen, ob der Schutz der wesentlichen Sicherheitsinteressen das Interesse an einem ordnungsgemäßen Vergabeverfahren überwiegt. Vor dem Rückgriff auf diese Ausnahme sind weniger einschneidende Maßnahmen, wie etwa die Vorgabe von Anforderungen durch den Konzessionsgeber im Vergabeverfahren, die auf den Schutz der Vertraulichkeit gerichtet sind, zu prüfen. Nur wenn solche Maßnahmen nicht zum Ziel führen, ist die Inanspruchnahme der Ausnahme erforderlich und der Konzessionsgeber darf von ihr Gebrauch machen. Für die Vergabe von öffentlichen Aufträgen und Wettbewerben findet sich eine 21 entsprechende Regelung in § 117 Nr. 1 GWB. Auf die Erläuterungen dort wird im Weiteren verwiesen. 7. Konzessionen, die besonderen Verfahrensregeln unterliegen (Nr. 7) Die Konzessionsvergabe ohne Anwendung des Teils 4 des GWB ist zulässig, 22 wenn deren Vergabe besonderen Verfahrensregeln unterliegt. Damit wird im Falle unterschiedlicher Verfahrensregeln klargestellt, dass diejenigen Regeln, die sich aus internationalen Abkommen ergeben oder für eine internationale Organisation gelten, Vorrang haben. 23 Im Einzelnen geht es um besondere Verfahrensregeln, die a) sich aus einem internationalen Abkommen/Vereinbarung ergeben, das/ die zwischen einem oder mehreren Mitgliedstaaten der Europäischen Union und einem oder mehreren Statten, die nicht Vertragsparteien des Übereinkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum sind, ergeben; b) sich aus einem internationalen Abkommen/Vereinbarung im Zusammenhang mit der Stationierung von Truppen ergeben, das oder die Unternehmen eines Mitgliedstaates der Europäischen Union oder eines anderen Staates betrifft; c) für eine internationale Organisation gelten, wenn diese für ihre Zwecke Beschaffungen tätigt oder wenn ein Mitgliedstaat der Europäischen Union Aufträge nach diesen Regeln vergeben muss.

Für die Vergabe verteidigungs- und sicherheitsspezifischer öffentlicher Aufträge 24 findet sich in § 145 Nr. 7 GWB eine vergleichbare Regelung. Auf die Kommentierung dort wird im Weiteren verwiesen.

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§ 151 | Verfahren

§ 151 Verfahren Konzessionsgeber geben die Absicht bekannt, eine Konzession zu vergeben. Auf die Veröffentlichung der Konzessionsvergabeabsicht darf nur verzichtet werden, soweit dies aufgrund dieses Gesetzes zulässig ist. Im Übrigen dürfen Konzessionsgeber das Verfahren zur Vergabe von Konzessionen vorbehaltlich der aufgrund dieses Gesetzes erlassenen Verordnung zu den Einzelheiten des Vergabeverfahrens frei ausgestalten. I. Inhaltsübersicht . . . . . . . . . . II. Bekanntmachung der Konzessionsvergabeabsicht (Satz 1) . 1. Bekanntmachungsformen und Inhalte . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Form und Modalitäten der Bekanntmachung . . . . . . . . . . III. Verzicht auf die Veröffentlichung (Satz 2) . . . . . . . . . . .

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1. Nur ein Unternehmen zur Leistungserbringung in der Lage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Erfolglos durchgeführtes vorausgegangenes Konzessionsvergabeverfahren . . . . . . . . . . . IV. Grundsatz der Freiheit der Verfahrensgestaltung (Satz 3) .

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I. Inhaltsübersicht 1 § 151 enthält mit der Freiheit der Verfahrensgestaltung sowie der Pflicht zur Be-

kanntmachung der Vergabeabsicht die wesentlichen Grundsätze des Konzessionsvergabeverfahrens. Die Vorschrift setzt die allgemeinen Grundsätze in Art. 30 Abs. 1 und Abs. 2 i.V.m. Art. 3 sowie in den Art. 31 und 32 der Richtlinie 2014/23/EU um. Des Weiteren sind die für alle Vergaben gleichermaßen geltenden Grundsätze der Gleichbehandlung, der Transparenz, des Wettbewerbs sowie der Verhältnismäßigkeit aus § 97 Abs. 1 und Abs. 2 GWB zu beachten (vgl. § 97 Rz. 11 ff.).1 Die Regelungen sollen der Zielsetzung des Richtliniengebers entsprechend einerseits einen klaren Rechtsrahmen für die Vergabe von Konzessionen vorsehen, den Konzessionsgebern auf der anderen Seite allerdings einen möglichst großen Spielraum bei der Festlegung und Durchführung des Verfahrens belassen und übermäßige bürokratische Hindernisse vermeiden.2

II. Bekanntmachung der Konzessionsvergabeabsicht (Satz 1) 2 Als Grundvoraussetzung, um das Konzessionsvergabeverfahren dem Wett-

bewerb zu öffnen, hebt § 151 Satz 1 das Erfordernis der Bekanntmachung der Vergabeabsicht besonders hervor. Die Pflicht zur Bekanntmachung der Konzes-

1 BT-Drucks. 18/6281, S. 130. 2 Vgl. die Erwägungsgründe Nr. 2, 8 und 68 der Richtlinie 2014/23/EU.

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sionsvergabeabsicht in § 151 Satz 1 greift die Formulierung in Art. 31 Abs. 1 der Richtlinie 2014/23/EU auf. Die Konkretisierungen der Bekanntmachungsvorgaben ergeben sich aus den Re- 3 gelungen der §§ 19 ff. KonzVgV. 1. Bekanntmachungsformen und Inhalte Die Konzessionsverordnung unterscheidet vier verschiedene Formen der Be- 4 kanntmachungen. Die ursprüngliche Absicht einer Konzessionsvergabe ist mit der Konzessionsbekanntmachung gem. § 19 Abs. 1 KonzVgV zu veröffentlichen. Bei Konzessionen über soziale und andere besondere Dienstleistungen i.S.d. § 153 (vgl. § 153 Rz. 1 ff.) tritt an die Stelle der Konzessionsbekanntmachung nach § 22 Abs. 1 KonzVgV die Vorinformation. Die Vergabebekanntmachung1 gem. § 21 Abs. 1 VgV erfolgt im Anschluss an die Vergabe einer Konzession. Schließlich ist im Falle der Vertragsänderung an einer bereits vergebenen Konzession während der Vertragslaufzeit gem. § 154 Nr. 3 i.V.m. § 132 Abs. 5 nach § 21 Abs. 2 KonzVgV die Bekanntmachung über Änderungen einer Konzession erforderlich. Von diesen Formen der Bekanntmachung ist die Berichtigungsbekanntmachung zu unterscheiden, die erforderlich wird, wenn fehlerhafte Angaben in einer der vorgenannten Bekanntmachungen korrigiert werden müssen. Die Mindestangaben der unterschiedlichen Bekanntmachungsarten werden in 5 der Richtlinie 2014/23/EU in den Anhängen V–VIII sowie XI benannt. Die einzelnen Bestimmungen in der KonzVgV beschränken sich demgegenüber im Wesentlichen darauf, auf die jeweils anzuwendenden Muster, die sog. Standardformulare, aus den Anhängen der Durchführungsverordnung (EU) 2015/19862 zu verweisen, die von den Konzessionsgebern verwendet werden müssen.3 Inhaltliche Vorgaben enthalten lediglich § 13 Abs. 2 Nr. 1 KonzVgV, der die Angabe der Beschreibung der Konzession sowie der Teilnahmebedingungen in der Konzessionsbekanntmachung vorschreibt, sowie § 19 Abs. 3 KonzVgV, der für die Konzessionsbekanntmachung ausdrücklich die Angabe der Vergabekammer fordert, an die sich Unternehmen zur Nachprüfung geltend gemachter Vergabeverstöße wenden können. Auch für die Berichtigung einer Bekanntmachung muss gem. Art. 33 Abs. 1 der Richtlinie 2014/23/EU ein Standardformular verwendet werden. 1 Die Richtlinie 2014/23/EU verwendet in der deutschen Sprachfassung in Art. 32 den Begriff der Zuschlagsbekanntmachung. 2 Durchführungsverordnung (EU) 2015/1986 der Kommission vom 11.11.2015 zur Einführung von Standardformularen für die Veröffentlichung von Vergabebekanntmachungen für öffentliche Aufträge und zur Aufhebung der Durchführungsverordnung (EU) Nr. 842/2011. 3 Die Standardformulare können auf der Internetseite SIMAP des Amtes für Veröffentlichungen der Europäischen Union abgerufen werden.

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§ 151 | Verfahren 6 Den Konzessionsgebern steht es gem. Art. 31 Abs. 2 der Richtlinie 2014/23/EU

offen, über die zwingenden Mindestangaben hinaus in der Konzessionsbekanntmachung jede andere von ihnen für sinnvoll erachtete Information anzugeben. In Betracht kommen insbesondere Hinweise über den zeitlichen oder organisatorischen Ablauf des Konzessionsvergabeverfahrens.1 Machen Konzessionsgeber von dieser Möglichkeit Gebrauch, sind sie an die abgegebenen Erklärungen allerdings auch gebunden und können hiervon erst im Anschluss an eine Berichtigungsbekanntmachung abweichen. 2. Form und Modalitäten der Bekanntmachung

7 Neben der vorgenannten Verpflichtung, Bekanntmachungen einschließlich ihrer

Berichtigungen im Format der Standardformulare zu erstellen, enthält § 23 KonzVgV in Umsetzung von Art. 33 der Richtlinie 2014/23/EU weitere formale Vorgaben über die Modalitäten der Veröffentlichung von Bekanntmachungen.

8 Nach § 23 Abs. 1 KonzVgV sind Bekanntmachungen dem Amt für Veröffent-

lichungen der Europäischen Union mit elektronischen Mitteln zu übermitteln. Die Bekanntmachungen werden anschließend im Amtsblatt der Europäischen Union veröffentlicht. Die Konzessionsgeber können eine oder mehrere Amtssprachen der Organe der Europäischen Union für die Veröffentlichung vorgeben. Nur diese Sprachfassungen sind verbindlich. In den übrigen Amtssprachen wird lediglich eine kurze Zusammenfassung der wesentlichen Bestandteile der Konzession veröffentlicht (Art. 33 Abs. 3 der Richtlinie 2014/23/EU). Der Konzessionsgeber erhält als Nachweis gem. § 23 Abs. 2 KonzVgV bzw. Art. 33 Abs. 2 der Richtlinie 2014/23/EU eine Bestätigung des Amtes für Veröffentlichungen der Europäischen Union über den Eingang der Bekanntmachung und der Veröffentlichung der übermittelten Information.

9 Die Konzessionsgeber dürfen gem. § 23 Abs. 3 KonzVgV (Art. 33 Abs. 4 der

Richtlinie 2014/23/EU) frühestens 48 Stunden nach Erhalt der Bestätigung des Amtes für Veröffentlichungen der Europäischen Union Bekanntmachungen auf nationaler Ebene veröffentlichen.2 Die Bekanntmachungen dürfen keine zusätzlichen Informationen gegenüber dem an das Amt für Veröffentlichungen versandten Angaben enthalten. Zudem muss in der nationalen Bekanntmachung das Datum der Übermittlung der Bekanntmachung an das Amt für Veröffentlichungen der Europäischen Union angegeben werden.

1 Tugendreich/Heller in Müller-Wrede, GWB, § 151 Rz. 21. Eine Pflicht zur Übermittlung eines Organisations- und Zeitplans ergibt sich zudem aus § 13 Abs. 3 KonzVgV. 2 In Betracht kommen u.a. die Internetseite www.bund.de, Vergabeplattformen des Bundes und der Länder, die Internetseite des Konzessionsgebers, Zeitungen, etc., vgl. Fandrey in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, GWB-Kommentar, § 151 Rz. 4.

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III. Verzicht auf die Veröffentlichung (Satz 2) § 151 Satz 2 lässt Ausnahmen von der grundsätzlichen Transparenzpflicht nur 10 zu, soweit dies aufgrund des Gesetzes zulässig ist. Die Regelung verweist auf die Ausnahmebestimmungen in § 20 Abs. 1 und Abs. 2 KonzVgV. Diese dienen der Umsetzung der Vorgaben in Art. 31 Abs. 4 und 5 der Richtlinie 2014/23/EU. Nach Erwägungsgrund 51 der Richtlinie liegt der Regelung die Zielsetzung zugrunde, dass ein Verzicht auf die Veröffentlichung einer Konzessionsvergabe nur unter sehr außergewöhnlichen Umständen möglich sein und sich auf Fälle beschränken soll, in denen von Beginn an klar ist, dass eine Veröffentlichung nicht zu mehr Wettbewerb führen kann. 1. Nur ein Unternehmen zur Leistungserbringung in der Lage Konzessionsgeber können von einer Veröffentlichung gem. § 20 Abs. 1 11 KonzVgV zunächst absehen, wenn aus einer der abschließend in § 20 Abs. 1 Satz 1 KonzVgV aufgelisteten Gründen die Leistung nur von einem bestimmten Unternehmen erbracht werden kann. Die Ausnahmen in § 20 Abs. 1 Satz 1 KonzVgV entsprechen im Wesentlichen 12 den Gründen in § 14 Abs. 4 Nr. 2 VgV, aufgrund derer öffentliche Aufträge im Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb vergeben werden können.1 Im Einzelnen muss eine Bekanntmachung nicht erfolgen, wenn das Ziel der Konzession in der Erschaffung oder dem Erwerb eines einzigartigen Kunstwerks oder einer einzigartigen künstlerischen Leistung liegt (Nr. 1), aus technischen Gründen kein Wettbewerb entstehen kann (Nr. 2), ein ausschließliches Recht besteht (Nr. 3) oder Recht des geistigen Eigentums oder andere als die in § 101 Abs. 2 i.V.m. § 100 Abs. 2 Satz 1 definierten ausschließlichen Rechte zu beachten sind. Nach der Rückausnahme in § 20 Abs. 1 Satz 2 gelten die Ausnahmen in Satz 1 13 Nr. 2 bis 4 allerdings nur dann, wenn es keine sinnvolle Alternative oder Ersatzlösung gibt und der fehlende Wettbewerb nicht das Ergebnis einer künstlichen Einengung der Parameter der Konzessionsvergabe ist.2 Sowohl die Gründe für das Vorliegen einer der Ausnahmen als auch das Nichtvorliegen der Voraussetzungen der Rückausnahme sollte von den Konzessionsgebern gem. § 6 KonzVgV dokumentiert werden.

1 Siehe hierzu Kulartz in Kulartz/Kus/Marx/Portz/Prieß, Kommentar zur VgV, § 14 Rz. 43 ff. 2 Vgl. zu den Anforderungen an die Rechtmäßigkeit der Bestimmung des Leistungsgegenstandes OLG Düsseldorf v. 1.8.2012 – VII-Verg 10/12, NZBau 2012, 785 (789).

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§ 151 | Verfahren 2. Erfolglos durchgeführtes vorausgegangenes Konzessionsvergabeverfahren 14 Nach der zweiten Ausnahmeregelung in § 20 Abs. 2 KonzVgV kann von einer

erneuten Konzessionsbekanntmachung abgesehen werden, wenn bei einem vorausgegangenen Verfahren keine oder keine geeigneten Teilnahmeanträge oder Angebote eingereicht wurden, sofern die ursprünglichen Bedingungen des Konzessionsvertrages nicht grundsätzlich geändert werden. Die vorgenannten Voraussetzungen sollten von den Konzessionsgebern ordnungsgemäß dokumentiert werden, da die Europäische Kommission die Vorlage eines Verfahrensberichts verlangen kann (vgl. § 20 Abs. 2 Satz 1 KonzVgV a.E.).

15 Der Begriff der fehlenden Eignung eines Teilnahmeantrages oder Angebotes

wird in § 20 Abs. 2 Satz 2 KonzVgV näher definiert. Danach ist ein Teilnahmeantrag ungeeignet, wenn der Bewerber gem. § 154 Nr. 2 i.V.m. den §§ 123 bis 126 auszuschließen ist oder ausgeschlossen werden könnte (vgl. § 154 Rz. 3 ff.) oder er die in § 152 Abs. 2 i.V.m. § 122 festgelegten Eignungskriterien nicht erfüllt (vgl. § 152 Rz. 9 ff.). Weiterhin ist ein Angebot ungeeignet, wenn es ohne wesentliche Abänderung den Anforderungen der Vergabeunterlagen offensichtlich nicht entsprechen kann. Dasselbe gilt für einen Teilnahmeantrag, der ein entsprechendes Angebot enthält. Dem liegt der Gedanke zugrunde, dass in diesen Fällen der Teilnahmeantrag bzw. das Angebot an so schweren Mängeln leidet, dass eine erneute Einbeziehung des am ursprünglichen Verfahren beteiligten Unternehmens nicht gerechtfertigt wäre.1

16 Des Weiteren dürfen die ursprünglichen Bedingungen des Konzessionsvertra-

ges nicht grundlegend geändert werden. Wann eine grundlegende Änderung in diesem Sinne vorliegt, beurteilt sich anhand derselben Grundsätze, unter denen gem. § 154 Nr. 3 i.V.m. § 132 eine wesentliche Änderung einer Konzession während der Vertragslaufzeit anzunehmen ist (vgl. hierzu die Kommentierungen zu § 132 und § 154 Rz. 8 ff.).2

IV. Grundsatz der Freiheit der Verfahrensgestaltung (Satz 3) 17 § 151 Satz 3 statuiert den Grundsatz der Freiheit der Verfahrensgestaltung und

greift damit den einleitenden Verfahrensgrundsatz in Art. 30 Abs. 1 der Richtlinie 2014/23/EU auf. Die auffälligste Ausprägung dieses Grundsatzes besteht darin, dass der Konzessionsgeber nicht an die in § 119 aufgelisteten Verfahrensarten für die Vergabe öffentlicher Aufträge gebunden ist (vgl. § 119 Rz. 5 ff.).3

1 Siehe zur vergleichbaren Regelung in § 14 Abs. 4 Nr. 1 VgV Kulartz in Kulartz/Kus/ Marx/Portz/Prieß, Kommentar zur VgV, § 14 Rz. 40. 2 EuGH v. 4.6.2009 – Rs. C-250/07, NZBau 2009, 602 (605) unter Verweis auf EuGH v. 19.6.2008 – Rs. C-454/06, NJW 2008, 3341 (3342 f.). 3 BT-Drucks. 18/6281, S. 130.

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Er kann das Verfahren nach seinen Bedürfnissen frei gestalten und in einer 18 oder mehreren Phasen durchführen. Der Konzessionsgeber darf zudem Verhandlungen mit den Bietern führen, wobei allerdings während der Verhandlungen der Konzessionsgegenstand, die Zuschlagskriterien und die Mindestanforderungen nicht geändert werden dürfen, § 12 Abs. 2 Satz 2 und Satz 3 KonzVgV. Die Freiheit der Verfahrensgestaltung unterliegt mehreren Einschränkungen.1 19 Zunächst sind gem. § 97 Abs. 1 und 2 bei der Konzessionsvergabe entsprechend der Richtlinienvorgabe in Art. 31 Abs. 2 i.V.m. Art. 3 Abs. 1 die allgemeinen Grundsätze der Nichtdiskriminierung, der Transparenz, der Verhältnismäßigkeit zu beachten. Der Grundsatz des Wettbewerbs ist zwar in Art. 3 Abs. 1 nicht ausdrücklich genannt, wird aber über zahlreiche weitere Verweise in der Richtlinie in Bezug genommen.2 Die weiteren Anforderungen aus § 97 Abs. 3 und Abs. 4 (vgl. § 97 Rz. 68 ff.) müssen dem Grunde nach ebenfalls berücksichtigt werden, auch wenn § 97 Abs. 4 seinem Wortlaut nach nur für öffentliche Aufträge gilt.3 Neben den allgemeinen vergaberechtlichen Grundsätzen sind im Konzessionsvergabeverfahren die Anforderungen aus § 152 einzuhalten sowie die über die Verweisregelung in § 154 in Bezug genommenen Vorschriften anzuwenden. Die weiteren Einzelheiten des Verfahrens werden in der KonzVgV geregelt, auf 20 die in § 151 Satz 3 hingewiesen wird. In der KonzVgV werden auch die vorgenannten allgemeinen Grundsätze des Verfahrens näher konkretisiert. Allgemein empfiehlt die KonzVgV den Konzessionsgebern in § 12 Abs. 1 Satz 2 das Verfahren anhand der Vorschriften der VgV zum Ablauf des Verhandlungsverfahrens mit Teilnahmewettbewerb auszurichten. Im Einzelnen sind, neben den bereits beschriebenen Anforderungen an die Bekanntmachungen (vgl. Rz. 2 ff.), insbesondere folgende Verfahrensvorgaben der KonzVgV zu beachten: In der Konzessionsbekanntmachung hat der Konzessionsgeber den Bietern 21 gem. § 13 Abs. 2 Nr. 1 KonzVgV eine Beschreibung des Konzessionsgegenstandes4 und der Teilnahmebedingungen5 vorzunehmen. Die Zuschlagskrite1 Vgl. auch Siegel, NVwZ 2016, 1672 (1674 f.). 2 BT-Drucks. 18/6281, S. 130. Siehe insb. Art. 37 Abs. 3 Satz 2 und Art. 38 Abs. 1 Satz 2 der RL 2014/23/EU. 3 Nach den Erwägungsgründen 1, 4 und 63 soll ein Ziel der Richtlinie 2014/23/EU darin bestehen, den Zugang von kleineren und mittleren Unternehmen (KMU) zu sämtlichen Konzessionsmärkten der Union zu erleichtern. A.A. aber Bergmann in Burgi/Dreher, Vergaberecht, 3. Aufl., § 151 Rz. 15. 4 Die Anforderungen an die Leistungsbeschreibung ergeben sich aus § 152 Abs. 1 i.V.m. § 121 bzw. § 15 KonzVgV. 5 Die Festlegung der Eignungskriterien und Nachweise hat unter Beachtung der Vorgaben in § 152 Abs. 2 i.V.m. § 122 bzw. §§ 24 ff. KonzVgV zu erfolgen.

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§ 151 | Verfahren rien und die gegebenenfalls festgelegten Mindestkriterien müssen ebenfalls vor Angebotsabgabe den Bietern bekannt gemacht werden, wobei die KonzVgV das Bekanntmachungsmedium nicht ausdrücklich vorschreibt. Eine nachträgliche Änderung der Zuschlagskriterien ist nach § 31 Abs. 2 KonzVgV unter den in der Vorschrift genannten Voraussetzungen zulässig.1 Die Kommunikation mit den Bietern, inkl. der Bereitstellung der Vergabeunterlagen und Übermittlung der Teilnahmeanträge und Angebote hat grundsätzlich mithilfe elektronischer Mittel zu erfolgen, vgl. §§ 7 ff., 17, 28 KonzVgV. 22 Bei der Verfahrensgestaltung ist der Konzessionsgeber entsprechend dem

Grundsatz in § 151 Satz 3 prinzipiell frei, allerdings muss er den Bietern gem. § 13 Abs. 3 KonzVgV vorab einen Organisations- und Zeitplan über das von ihm geplante Verfahren sowie einen unverbindlichen Schlusstermin mitteilen. Hierbei sind insbesondere die Mindestfristen aus § 27 KonzVgV zu berücksichtigen. Zur Gewährleistung der Gleichbehandlung der Bieter sind Änderungen an den bekannt gemachten Angaben nur zulässig, wenn diese allen Teilnehmern mitgeteilt wurden.2 Während des gesamten Verfahrens hat der Konzessionsgeber zudem, in Konkretisierung der Verpflichtung aus den allgemeinen Grundsätzen (vgl. Rz. 19), das Diskriminierungsverbot aus § 12 Abs. 3 KonzVgV bei der Weitergabe von Informationen einzuhalten.

23 Das Verfahren endet grundsätzlich mit der Erteilung des Zuschlags auf das

wirtschaftlichste Angebot anhand der bekannt gemachten Kriterien (vgl. hierzu § 152 Rz. 13 ff.). Eine Zuschlagserteilung auf das Angebot eines Bieters, das die Eignungskriterien nicht erfüllt oder bei dem Ausschlusskriterien vorliegen, ist unzulässig. Nach Abschluss des Verfahrens müssen alle Bieter gem. § 154 Nr. 4 i.V. m § 134 (vgl. § 154 Rz. 12) bzw. § 30 KonzVgV über die Entscheidung informiert werden. Eine Aufhebung des Verfahrens kommt unter den in § 32 KonzVgV genannten Gründen in Betracht, die sich an den Anforderungen in § 63 VgV orientieren. Insofern ist auch bei Konzessionsverfahren eine Aufhebung zum Schein oder ohne sachlich gerechtfertigten Grund unzulässig.3

24 Zur Gewährleistung der Transparenz ist das gesamte Konzessionsvergabeverfah-

ren gem. § 6 KonzVgV fortlaufend zu dokumentieren und ein Vergabevermerk anzufertigen.

1 Allerdings müssen eventuell durchgeführte Verhandlungen mit den Bietern beendet sein, § 12 Abs. 2 Satz 3 KonzVGV. 2 Ergibt sich die Information aus der Konzessionsbekanntmachung, die im Amtsblatt der Europäischen Union veröffentlicht wurde, muss auch die Änderung auf diesem Wege publiziert werden, § 16 Abs. 3 Satz 3 KonzVgV. 3 Vgl. zu den entsprechenden Anforderungen nach der VgV Portz in Kulartz/Kus/Marx/ Portz/Prieß, Kommentar zur VgV, § 63 Rz. 16 ff.

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§ 152 Anforderungen im Konzessionsvergabeverfahren (1) Zur Leistungsbeschreibung ist § 121 Absatz 1 und 3 entsprechend anzuwenden. (2) Konzessionen werden an geeignete Unternehmen im Sinne des § 122 vergeben. (3) Der Zuschlag wird auf der Grundlage objektiver Kriterien erteilt, die sicherstellen, dass die Angebote unter wirksamen Wettbewerbsbedingungen bewertet werden, sodass ein wirtschaftlicher Gesamtvorteil für den Konzessionsgeber ermittelt werden kann. Die Zuschlagskriterien müssen mit dem Konzessionsgegenstand in Verbindung stehen und dürfen dem Konzessionsgeber keine uneingeschränkte Wahlfreiheit einräumen. Sie können qualitative, umweltbezogene oder soziale Belange umfassen. Die Zuschlagskriterien müssen mit einer Beschreibung einhergehen, die eine wirksame Überprüfung der von den Bietern übermittelten Informationen gestatten, damit bewertet werden kann, ob und inwieweit die Angebote die Zuschlagskriterien erfüllen. (4) Die Vorschriften zur Auftragsausführung nach § 128 und zu den zwingend zu berücksichtigenden Ausführungsbedingungen nach § 129 sind entsprechend anzuwenden. I. Inhaltsübersicht . . . . . . . . . . . II. Leistungsbeschreibung (Abs. 1) 1. Inhaltliche Anforderungen an die Leistungsbeschreibung . . . . . 2. Leistungsbeschreibung als Bestandteil der Vergabeunterlagen . III. Eignung (Abs. 2) . . . . . . . . . . . IV. Zuschlag (Abs. 3) . . . . . . . . . . 1. Wirtschaftlicher Gesamtvorteil . 2. Inhaltliche Anforderungen an die Festlegung der Zuschlagskriterien . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Objektivität der Zuschlagskriterien . . . . . . . . . . . . . . .

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8 9 13 14 17

b) Sachzusammenhang und keine Wahlfreiheit . . . . . . . . c) Berücksichtigung qualitativer, umweltbezogener und sozialer Aspekte . . . . . . . . . . . . . . . . d) Beschreibung der Kriterien . . e) Angabe der Rangfolge der Zuschlagskriterien . . . . . . . . 3. Bekanntgabe der Zuschlagskriterien . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Auftragsausführung (Abs. 4) . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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I. Inhaltsübersicht Durch § 152 werden die zentralen Gestaltungsbereiche des Vergabeverfahrens 1 bei der Konzessionsvergabe geregelt. Der Gesetzgeber hat sich entschieden, bezüglich der Bestimmungen über die Leistungsbeschreibung, die Eignung sowie die Auftragsausführung im Wesentlichen die entsprechende Anordnung der Rafii

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§ 152 | Anforderungen im Konzessionsvergabeverfahren Vorgaben für öffentliche Aufträge anzuordnen. Lediglich für den Zuschlag und die Zuschlagskriterien enthält § 152 Abs. 3 eine eigenständige Regelung.

II. Leistungsbeschreibung (Abs. 1) 2 Hinsichtlich der Anforderungen an die Leistungsbeschreibung im Konzessions-

vergabeverfahren erklärt § 152 Abs. 1 die Vorschriften in § 121 Abs. 1 über die inhaltlichen Anforderungen an die Leistungsbeschreibung sowie in formaler Hinsicht die Zuordnung der Leistungsbeschreibung zu den Vergabeunterlagen gem. § 121 Abs. 3 für entsprechend anwendbar. Die Norm dient der Umsetzung des Art. 36 Abs. 1 Satz 1 der Richtlinie 2014/23/EU.1 1. Inhaltliche Anforderungen an die Leistungsbeschreibung

3 Aufgrund des Verweises in § 152 Abs. 1 i.V.m. § 121 Abs. 1 werden an die Leis-

tungsbeschreibung bei Konzessionsvergaben dieselben Anforderungen wie bei der Vergabe öffentlicher Aufträge gestellt. Die Konzessionsgeber müssen den Auftragsgegenstand möglichst genau und umfassend beschreiben, um zu gewährleisten, dass alle Bieter die Leistung im gleichen Sinne verstehen und die Abgabe miteinander vergleichbarer Angebote erwartet werden kann. Die Leistungsbeschreibung kann konstruktiv unter Auflistung der konkreten Leistungsanforderungen in einem Leistungsverzeichnis oder funktional unter Beschreibung der zu lösenden Aufgabe erstellt werden.2 Im Übrigen wird auf die Kommentierung zu § 121 verwiesen.

4 Die Anforderungen an die Leistungsbeschreibung werden in § 15 KonzVgV

näher konkretisiert. Damit werden die weiteren Vorgaben aus Art. 36 der Richtlinie 2014/23/EU umgesetzt. § 15 Abs. 1 KonzVgV legt fest, dass die Merkmale der zu erbringenden Leistung durch technische und funktionelle Anforderungen zu formulieren sind. Die Leistungsbeschreibung darf dabei nicht diskriminierend und ohne sachliche Rechtfertigung wettbewerbsbeschränkend gefasst werden. In § 15 Abs. 2 KonzVgV werden, in nicht abschließender Auflistung, die in der Regel in Betracht zu ziehenden Merkmale der Leistungsbeschreibung aufgeführt. § 15 Abs. 3 KonzVgV stellt klar, dass der Grundsatz der produktneutralen Ausschreibung auch bei der Vergabe von Konzessionen beachtet werden muss. Durch § 15 Abs. 4 KonzVgV wird schließlich der Ausschluss von Angeboten untersagt, die nicht den in der Leistungsbeschreibung genannten technischen und funktionellen Anforderungen entsprechen, wenn der Bieter die Gleichwertigkeit der von ihm vorgeschlagenen Lösung nachweisen kann.

1 BT-Drucks. 18/6281, S. 131. 2 Vgl. die Gesetzesbegründung zu § 121, BT-Drucks. 18/6281, S. 100.

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Anforderungen im Konzessionsvergabeverfahren | § 152

Keine Vorgabe enthalten sowohl die KonzVgV als auch die Richtlinie 2014/23/EU 5 zum Umgang mit Nebenangeboten, die begrifflich nicht der auf Hauptangebote bezogenen Regelung in § 15 Abs. 4 KonzVgV unterfallen.1 Zunächst dürften unter Berücksichtigung der Neuregelungen für öffentliche Aufträge in § 35 Abs. 2 Satz 3 VgV und § 8 Abs. 2 Nr. 3 Satz 6 VOB/A-EU Nebenangebote auch dann vom Konzessionsgeber für zulässig erklärt werden können, wenn der Preis das alleinige Zuschlagskriterium bildet. Es ist kein Grund ersichtlich, für den Konzessionsgeber strengere Anforderungen zu stellen, als für öffentliche Auftraggeber.2 Fraglich ist aber, ob Nebenangebote auch dann gewertet werden müssen, wenn 6 die Vergabeunterlagen keine Angaben zu deren Zulassung enthalten und auch keine Mindestkriterien festlegen. Nach hier vertretener Einschätzung würde eine Wertung der Nebenangebote auf dieser Grundlage gegen das Wettbewerbsprinzip, den Gleichbehandlungsgrundsatz und das Wirtschaftlichkeitsprinzip verstoßen. Fehlt es bereits an genau bestimmten Mindestkriterien besteht die vom BGH beschriebene Gefahr, dass der Zuschlag auf ein Angebot erteilt werden muss, das preislich nur geringfügig unterhalb der auf Grundlage des Amtsvorschlages erstellten Hauptangebote liegt, qualitativ aber deutlich schlechter ist.3 Im Ergebnis spricht auch das Unionsrecht für diese Einschätzung. Zwar werden in Erwägungsgrund 48 der Richtlinie 2014/24/EU Auftraggeber ausdrücklich ermutigt, wegen der Bedeutung von Innovationen Nebenangebote (bzw. nach dem Sprachgebrauch der Richtlinie Varianten) so oft wie möglich zuzulassen. Die Richtlinie 2014/24/EU sieht in Art. 45 Abs. 2 und 3 allerdings vor, dass im Falle der Zulässigkeit von Nebenangeboten die öffentlichen Auftraggeber Mindestanforderungen benennen müssen und nur solche Nebenangebote zu berücksichtigen sind, die die verlangten Mindestanforderungen erfüllen. In Erwägungsgrund 48 heißt es hierzu weiterhin: „Die öffentlichen Auftraggeber sollten folglich darauf aufmerksam gemacht werden, dass die Mindestanforderungen für Varianten definiert werden müssen, bevor angegeben wird, dass Varianten eingereicht werden können.“ Schließlich erscheint es nicht angezeigt, Konzessionsgeber die Verpflichtung aufzuerlegen, gegebenenfalls auf qualitativ erheblich abweichende Nebenangebote den Zuschlag erteilen zu müssen, die sie nicht durch eine entsprechende Erklärung und die Festlegung von Mindestkriterien zulassen wollten.4 Der Verweis in § 152 Abs. 1 erstreckt sich ausdrücklich nicht auf die Regelung 7 in § 121 Abs. 2, wonach bei der Beschaffung von Leistungen, die zur Nutzung 1 Vgl. zur Abgrenzung von Haupt- und Nebenangeboten Ohlerich in Gabriel/Krohn/ Neun, Handbuch des Vergaberechts, § 26 Rz. 4 ff. 2 Vgl. zur Unzulässigkeit von Nebenangeboten im Falle des Preises als alleiniges Zuschlagskriterium nach altem Recht BGH v. 7.1.2014 – X ZB 15/13, NZBau 2014, 185 (186 ff.). 3 BGH v. 7.1.2014 – X ZB 15/13, NZBau 2014, 185 (186 f.). 4 So im Ergebnis auch Tugendreich/Heller in Müller-Wrede, GWB, § 152 Rz. 18 ff.

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§ 152 | Anforderungen im Konzessionsvergabeverfahren durch natürliche Personen bestimmt sind, die Zugänglichkeitskriterien für Menschen mit Behinderung oder die Konzeption für alle Nutzer („Design für alle“) zu berücksichtigen sind (vgl. § 121 Rz. 72 ff.). Warum § 121 Abs. 2 aus dem Verweis ausgenommen wurde, wird in der Gesetzesbegründung nicht näher erläutert. Darin heißt es schlicht, es sollten die in § 121 für öffentliche Aufträge geregelten Anforderungen an die Leistungsbeschreibung für Konzession entsprechend zur Anwendung kommen.1 Gegen ein Redaktionsversehen spricht aber neben dem eindeutigen Wortlaut in § 152 Abs. 1 die Formulierung in Art. 36 der Richtlinie 2014/23/EU. Danach „können“ die Merkmale für die vertragsgegenständlichen Leistungen in der Leistungsbeschreibung soziale Anforderungen vorsehen, wie u.a. das Kriterium der Barrierefreiheit für Menschen mit Behinderungen oder das Kriterium „Design für alle“.2 Der Gesetzgeber wollte mithin offenbar entsprechend der Richtlinienvorgabe einen größeren Spielraum für die Konzessionsgeber bei der Erstellung der Leistungsbeschreibung vorsehen, als dies auf Grundlage des Art. 42 Abs. 1 Unterabs. 4 und Unterabs. 5 der Richtlinie 2014/24/EU bei öffentlichen Aufträgen erfolgt ist.3 2. Leistungsbeschreibung als Bestandteil der Vergabeunterlagen 8 In formaler Hinsicht muss die Leistungsbeschreibung gem. § 152 Abs. 1 i.V.m.

§ 121 Abs. 3 den Vergabeunterlagen beigefügt werden. Zu den weiteren Bestandteilen der Vergabeunterlagen gehören neben der Leistungsbeschreibung gem. § 16 KonzVgV der Entwurf der Vertragsbedingungen, Vorlagen für die Einreichung von Unterlagen durch Bewerber oder Bieter, also insbesondere vom Konzessionsgeber erstellte Formblätter, sowie Informationen über allgemeingültige Verpflichtungen. Aus § 17 KonzVgV ergibt sich die Verpflichtung, in der Konzessionsbekanntmachung oder spätestens der Aufforderung zur Angebotsabgabe eine elektronische Adresse angeben zu müssen, unter der die Vergabeunterlagen vollständig, uneingeschränkt, unentgeltlich und direkt abrufbar sind.

III. Eignung (Abs. 2) 9 Gemäß § 152 Abs. 2 ist die Eignungsprüfung bei Konzessionen in entsprechen-

der Anwendung des § 122 vorzunehmen. Die Vorschrift setzt Art. 38 Abs. 1 der Richtlinie 2014/23/EU um. Zwar stimmen die Vorgaben für Konzessionen in Art. 38 Abs. 1 der Richtlinie 2014/23/EU und für öffentliche Aufträge in Art. 58

1 BT-Drucks. 18/6281, S. 131. 2 Diesen Umstand betont auch besonders die Gesetzesbegründung zu § 15 KonzVgV, BRDrucks. 87/16, 288 f. 3 Die Sinnhaftigkeit dieser Ausnahme wird in der Literatur bezweifelt, vgl. nur Tugendreich/Heller in Müller-Wrede, GWB, § 152 Rz. 2 und Burgi/Wolff in Burgi/Dreher, Vergaberecht, 3. Aufl., § 152 Rz. 10.

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Abs. 1 der Richtlinie 2014/24/EU nicht wortgleich überein, allerdings war der Gesetzgeber (zutreffend) der Auffassung, dass kein wesentlicher Unterschied zwischen den Anforderungen an die Eignungsprüfung in den Richtlinien bestünde und im Übrigen auch kein sachlicher Grund für eine Anordnung unterschiedlicher Regelungen bei Konzessionen und bei öffentlichen Aufträgen bestünde.1 Aus diesem Grund sollen die in § 122 vorgesehenen Anforderungen vollständig auch bei Konzessionen zur Anwendung kommen.2 Zur Vermeidung von Wiederholungen wird auf die Kommentierung zu § 122 verwiesen. Inhaltlich müssen die Konzessionsgeber bei der Festlegung der Eignungskrite- 10 rien die abschließend in § 122 Abs. 2 Satz 2 genannten Kategorien beachten. Hierbei handelt es sich um die Befähigung und Erlaubnis zur Berufsausübung, die wirtschaftliche und finanzielle Leistungsfähigkeit sowie die technische und berufliche Leistungsfähigkeit. Die Eignungskriterien müssen gem. § 122 Abs. 4 Satz 1 mit dem Auftragsgegenstand in Verbindung stehen und angemessen sein. § 25 Abs. 2 KonzVgV gibt in Umsetzung von Art. 38 Abs. 1 Satz 2 der Richtlinie 2014/23/EU zudem vor, dass die Eignungskriterien nicht diskriminierend sein dürfen und die Konzessionsgeber die Kriterien anhand des Zwecks festlegen müssen, die Fähigkeit der Konzessionsnehmer zur Durchführung der Konzession in Anbetracht des Konzessionsgegenstandes sicherzustellen und den Wettbewerb zu gewährleisten.3 Nach den Verfahrensvorgaben in § 13 Abs. 2 Nr. 1 bzw. § 25 Abs. 1 Satz 1 KonzVgV sind die Eignungskriterien grundsätzlich in der Konzessionsbekanntmachung gem. § 19 KonzVgV zu veröffentlichen. In der Literatur wird zum Teil die Frage aufgeworfen, ob die technische Leis- 11 tungsfähigkeit Gegenstand der Eignungskriterien sein darf, weil der Wortlaut des Art. 38 Abs. 1 der Richtlinie 2014/23/EU die technische Leistungsfähigkeit nicht erwähnt. Aus diesem Grund wird die deutsche Umsetzung in § 152 Abs. 2 i.V.m. § 122 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 teilweise als Einengung des Bieterwettbewerbs gegenüber der Richtlinienvorgabe aufgefasst, deren Unionsrechtskonformität zweifelhaft sei.4 Allerdings steht dem entgegen, dass Art. 26 Abs. 2 Unterabs. 2 Satz 1 der Richtlinie 2014/23/EU in Bezug auf die zulässigen Vorgaben für die Nachweisführung bei Bietergemeinschaften auf die technische und berufliche Eignung als Bestandteil der Anforderungen aus Art. 38 Abs. 1 hinweist. Bei systematische Auslegung der Richtlinie ist somit die technische Leistungsfähigkeit potentieller Bestandteil der Teilnahmebedingungen in Art. 38 Abs. 1, so dass die deutsche Umsetzung der Richtlinie nicht zu beanstanden ist. 1 So auch Burgi/Wolff in Burgi/Dreher, Vergaberecht, 3. Aufl., § 152 Rz. 12. 2 BT-Drucks. 18/6281, S. 131. Auch die Begriffe der Teilnahmebedingungen in Art. 38 Abs. 1 der Richtlinie 2014/23/EU und der Eignungskriterien in Art. 58 Abs. 1 der Richtlinie 2014/24/EU sind synonym zu verwenden. 3 BR-Drucks. 87/16, S. 294. 4 Tugendreich/Heller in Müller-Wrede, GWB, § 152 Rz. 34.

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§ 152 | Anforderungen im Konzessionsvergabeverfahren 12 Gemäß § 26 Abs. 1 KonzVgV ist die Eignung von den Konzessionsgebern auf-

grund der Vorlage von Eigenerklärungen und Nachweisen zu prüfen. Konkretere Vorgaben zu den einzureichenden Belegen entsprechend den §§ 48 ff. VgV für öffentliche Aufträge enthält die KonzVgV nicht. Damit besteht für die Konzessionsgeber ein deutlich größerer Spielraum, welche Unterlagen sie für die Nachweisführung verlangen wollen. Der Konzessionsgeber ist daher auch nicht verpflichtet, die Einheitliche Europäische Eigenerklärung gem. §§ 48 Abs. 3, 50 VgV als vorläufigen Beleg für die Eignung akzeptieren zu müssen.1 Allerdings ergibt sich aus den allgemeinen vergaberechtlichen Grundsätzen die Anforderung, dass keine ungerechtfertigt hohen Anforderungen an die Nachweisführung gestellt werden dürfen. Gemäß § 26 Abs. 2 KonzVgV muss der Konzessionsgeber in der Konzessionsbekanntmachung angeben, mit welchen Unterlagen die Unternehmen die Nachweise zu erbringen haben.

IV. Zuschlag (Abs. 3) 13 Die Regelungen über den Zuschlag in § 152 Abs. 3 dienen der Umsetzung des

Art. 41 Abs. 1 und 2 der Richtlinie 2014/23/EU.2 Anders als die anderen Vorschriften in § 152 verweist § 152 Abs. 3 hinsichtlich der Anforderungen an die Zuschlagskriterien nicht schlicht auf die Vorgaben für öffentliche Aufträge in § 127, sondern enthält eine eigenständige Regelung, die sich im Wesentlichen am Wortlaut der Richtlinienvorgabe orientiert. 1. Wirtschaftlicher Gesamtvorteil

14 Der auffälligste Unterschied zwischen der Regelung in § 152 Abs. 3 und § 127

liegt zunächst darin, dass bei der Konzessionsvergabe das Angebot den Zuschlag erhalten muss, das den größten wirtschaftlichen Gesamtvorteil erwarten lässt. Demgegenüber ist bei öffentlichen Aufträgen der Zuschlag nach § 127 Abs. 1 Satz 1 auf das wirtschaftlichste Angebot zu erteilen, das sich gem. § 127 Abs. 1 Satz 3 nach dem besten Preis-Leistungs-Verhältnis bestimmt (vgl. § 127 Rz. 12 ff.).

15 Der Begriff des wirtschaftlichen Gesamtvorteils ist bisher in den Richtlinien

ohne Vorbild. Die Formulierung beruht auf der Vorgabe in Art. 41 Abs. 1 der Richtlinie 2014/23/EU. In Erwägungsgrund 73 der Richtlinie 2014/23/EU wird hierzu erläuternd ausgeführt: „Öffentliche Auftraggeber oder Auftraggeber sollten die Angebote unter Heranziehung eines oder mehrerer Zuschlagskriterien prüfen. Zur Sicherstellung der Gleichbehandlung und Transparenz sollten Kriterien für die Konzessionsvergabe stets einigen allgemeinen Standards entsprechen. Diese Standards können auch

1 Vgl. auch Goldbrunner, VergabeR 2016, 365 (379). 2 BT-Drucks. 18/6281, S. 131.

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nicht rein wirtschaftliche Faktoren berücksichtigen, die aus der Sicht des öffentlichen Auftraggebers oder des Auftraggebers den Wert eines Angebots beeinflussen und es ihm ermöglichen, einen wirtschaftlichen Gesamtvorteil zu ermitteln.“ Wie sich aus der vorzitierten Richtlinienbegründung ergibt, sollen bei der Konzessionsvergabe in weiterem Umfang als bei der Vergabe öffentlicher Aufträge sog. sekundäre Zwecke in die Zuschlagsentscheidung einfließen können (vgl. zu dem Begriff Rz. 24 ff.). Aus den Erwägungen zur Richtlinie ergibt sich weiterhin, dass die Bestimmung des wirtschaftlichen Gesamtvorteils auf der Grundlage eines oder mehrerer Zuschlagskriterien zu erfolgen hat. Die Anzahl wie auch die genaue Ausgestaltung der Zuschlagskriterien kann der Konzessionsgeber grundsätzlich nach seinem Ermessen frei wählen. Der Hinweis auf qualitative, umweltbezogene oder soziale Belange in § 152 Abs. 3 Satz 3 ist nicht abschließend.1 Im Gegensatz zur Rechtslage bei öffentlichen Aufträgen gem. § 127 Abs. 1 Satz 3 und Satz 4 ist der Konzessionsgeber grundsätzlich nicht verpflichtet, den Preis oder die Kosten als Zuschlagskriterium vorzusehen.2 Ebenso ist aufgrund der Besonderheiten der Konzessionsvergabe irrelevant, ob der ökonomische Vorteil beim Konzessionsgeber selbst oder bei den Nutzern der Leistung eintritt.3 Die Freiheit des Konzessionsgebers bei der Festlegung der Zuschlagskriterien 16 findet ihre Grenzen in den nachfolgend dargestellten weiteren Vorgaben aus § 152 Abs. 3. 2. Inhaltliche Anforderungen an die Festlegung der Zuschlagskriterien Die inhaltlichen Anforderungen an die Zuschlagskriterien ergeben sich aus § 152 17 Abs. 3 Satz 1–4. Sie beruhen auf der Zielsetzung der Richtlinie, zur Gewährleistung der Gleichbehandlung und Transparenz die Beachtung einiger allgemeiner Standards bei der Zuschlagsentscheidung vorzugeben.4 Ergänzt werden die Vorgaben aus § 152 Abs. 3 durch die Bestimmung in § 31 Abs. 1 KonzVgV. a) Objektivität der Zuschlagskriterien Gemäß § 152 Abs. 3 Satz 1 müssen die Zuschlagskriterien objektiv sein und eine 18 Bewertung der Angebote unter wirksamen Wettbewerbsbedingungen ermöglichen. Kriterien sind objektiv, wenn sie an tatsächlich feststellbare und nachprüf1 Dicks in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 152 Rz. 21, weist daher darauf hin, dass jedenfalls die in § 152 Abs. 3 Satz 3 genannten Kriterien bei der Bestimmung des wirtschaftlichen Gesamtvorteils herangezogen werden dürfen. 2 Ein vollständiges Außerachtlassen der Kosten ist insbesondere dann unzulässig, wenn die Nutzer die Leistung in Anspruch nehmen müssen und ein Wettbewerbsdruck zur Reduzierung der Entgelte auf dem jeweiligen Markt nicht besteht, Burgi/Wolff in Burgi/Dreher, Vergaberecht, 3. Aufl., § 152 Rz. 31. 3 Tugendreich/Heller in Müller-Wrede, GWB, § 152 Rz. 49. 4 Vgl. Erwägungsgrund 73 der Richtlinie 2014/23/EU.

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§ 152 | Anforderungen im Konzessionsvergabeverfahren bare Eigenschaften und Merkmale der Leistung anknüpfen und möglichst weitgehend frei von subjektiven Bewertungsmaßstäben gehalten werden.1 Einer subjektiven Einschätzung unterliegende Kriterien, wie z.B. die Ästhetik oder Zweckmäßigkeit, sind dennoch nicht generell untersagt. In diesen Fällen sollten Konzessionsgeber allerdings durch Unterkriterien oder konkrete Beschreibungen eine größtmögliche Objektivierung der Wertung herbeiführen.2 In der Regel kann auf die Aufzählung der zulässigen Kriterien bei öffentlichen Aufträgen in Art. 67 Abs. 2 der Richtlinie 2014/24/EU bzw. § 58 Abs. 2 Satz 2 VgV auch bei der Konzessionsvergabe zurückgegriffen werden, bei der entsprechend den Zielsetzungen der Konzessionsvergaberichtlinie den Konzessionsgebern ein größerer Gestaltungsspielraum zugestanden werden soll.3 19 Nach der Richtlinienvorgabe in Art. 41 Abs. 1 i.V.m. Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2014/23/EU sind die Zuschlagskriterien unter Berücksichtigung der Grundsätze der Gleichbehandlung, Nichtdiskriminierung, Transparenz und Verhältnismäßigkeit festzulegen. Der Gesetzgeber hat auf eine ausdrückliche Auflistung dieser Grundsätze verzichtet und auf die auch bei Konzessionen bestehende Bindung an die allgemeinen Grundsätze aus § 97 verwiesen.4 Aus dem Transparenz- und Gleichbehandlungsgebot folgt insoweit insbesondere die Pflicht, die Zuschlagskriterien so eindeutig und verständlich zu formulieren, dass alle mit der üblichen Sorgfalt handelnden Bieter in die Lage versetzt werden, sicher und in vollem Umfang zu wissen, auf welcher Grundlage das Angebot mit dem größten wirtschaftlichen Gesamtvorteil ermittelt wird.5 20 Mit dem besonders betonten Aspekt der Gewährleistung eines wirksamen Wettbewerbs wird den Konzessionsgebern untersagt, ohne sachlich begründete Notwendigkeit die Zuschlagskriterien so eng zu fassen, dass sie nur von einem eingeschränkten Bieterkreis erfüllt werden können. Weiterhin lässt sich dem Wettbewerbsgedanken die grundsätzliche Verpflichtung der Konzessionsgeber entnehmen, bei der Festlegung der Zuschlagskriterien das Ziel der Eröffnung eines größtmöglichen Wettbewerbs der Bieter um das Angebot mit dem größten wirtschaftlichen Gesamtvorteil zu verfolgen. Das Recht des Konzessionsgebers, im Rahmen seiner Beschaffungsautonomie die Zuschlagskriterien in einer Weise bestimmen zu dürfen, die eine optimale Deckung seines Bedarfs erwarten lässt, bleibt dabei unberührt.6 1 Dicks in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 152 Rz. 10. 2 Wiedemann in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 127 Rz. 76. 3 Vgl. Erwägungsgrund 2 der Richtlinie 2014/23/EU. 4 BT-Drucks. 18/6281, S. 131. 5 EuGH v. 10.5.2012 – Rs. C-368/10, NZBau 2012, 445 (455); OLG Düsseldorf v. 21.10. 2015 – VII-Verg 28/14, NZBau 2016, 235 (238 f.); OLG Celle v. 10.3.2016 – 13 U 148/ 15, NZBau 2016, 381 (383); Mutschler-Siebert/Kern in Gabriel/Krohn/Neun, Handbuch des Vergaberechts, § 30 Rz. 30 ff., 57 ff. 6 Vgl. hierzu OLG Düsseldorf v. 1.8.2012 – VII-Verg 10/12, NZBau 2012, 785 (789).

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Ebenso wie bei öffentlichen Aufträgen ist auch bei Konzessionen der Preis als 21 alleiniges Zuschlagskriterium grundsätzlich zulässig (vgl. § 127 Rz. 30 ff.). Den größten wirtschaftlichen Gesamtvorteil für den Konzessionsnehmer kann abhängig vom Konzessionsgegenstand sowohl das Angebot mit dem höchsten Preis (etwa bei einer Konzessionsabgabe) als auch das Angebot mit dem niedrigsten Preis (z.B. im Hinblick auf Entgeltzahlungen der Nutzer der Leistung) bieten.1 In Übertragung der höchstrichterlichen Rechtsprechung bei der Vergabe öffentlicher Aufträge steht die Rechtmäßigkeit einer alleinigen Preiswertung allerdings in Zweifel, wenn der Konzessionsgeber eine funktionale oder teilfunktionale Ausschreibung durchführt, weil eine ausschließlich am Preis ausgerichtete Wertung der Angebote die qualitativen Elemente der angebotenen Leistungen nicht berücksichtigt.2 Für die Zulässigkeit einer reinen Preiswertung auch in diesen Fällen kann seit der Vergaberechtsreform auf die Entscheidung des Gesetzgebers in § 35 Abs. 2 Satz 3 VgV bzw. § 8 Abs. 2 Nr. 3 Satz 6 EU VOB/A angeführt werden, die Zulassung von Nebenangeboten auch dann zu gestatten, wenn der Preis als alleiniges Zuschlagskriterium vorgesehen ist, sofern Mindestanforderungen festgelegt worden sind.3 Die Entscheidung der Rechtsfrage ist vor diesem Hintergrund offen. b) Sachzusammenhang und keine Wahlfreiheit Gemäß § 152 Abs. 3 Satz 2 müssen die Zuschlagskriterien mit dem Konzessi- 22 onsgegenstand in Verbindung stehen und dürfen dem Konzessionsgeber keine uneingeschränkte Wahlfreiheit einräumen. Das Kriterium des Sachzusammenhangs zum Konzessionsgegenstand darf nach der Rechtsprechung nicht zu eng verstanden werden. In der Formulierung des EuGH muss sich ein Zuschlagskriterium nicht auf eine „echte innere Eigenschaft eines Erzeugnisses, also ein Element, das materiell Bestandteil von ihm ist“, beziehen.4 Auch das OLG Düsseldorf hat entschieden, dass sich die Zuschlagskriterien nicht unmittelbar aus dem Leistungsgegenstand ergeben müssten, um eine Verbindung zum Auftragsgegenstand aufzuweisen. Es genüge, wenn sie sich auf die ausgeschriebene Leis1 Dicks in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, 4. Aufl., § 152 Rz. 8, 13. 2 OLG Düsseldorf v. 11.12.2013 – VII-Verg 22/13, NZBau 2014, 374 (377); für eine Übertragung der Rechtsprechung auf Konzessionen Dicks in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, 4. Aufl., § 152 Rz. 13. 3 Allerdings legt es die Gesetzesbegründung den Auftraggebern nahe, entweder qualitätsbezogene Zuschlagskriterien zu bestimmen oder die Mindestanforderungen besonders sorgfältig festzulegen, BR-Drucks. 87/16, 113; s. zur Unzulässigkeit von Nebenangeboten bei Vergabeverfahren mit dem Preis als alleiniges Zuschlagskriterium BGH v. 7.1.2014 – X ZB 15/13, NZBau 2014, 185 (186 f.); kritisch zur Neuregelung Dicks, VergabeR 2016, 309 (315). 4 EuGH v. 4.12.2003 – Rs. C-448/01, EuZW 2004, 81 (85); v. 10.5.2012 – Rs. C-368/10, EuZW 2012, 592 (597).

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§ 152 | Anforderungen im Konzessionsvergabeverfahren tung lediglich beziehen würden. Damit sei insbesondere nicht zu beanstanden, wenn bei der Angebotswertung auch mittelbare und teils sogar sekundäre Ziele der Ausschreibung berücksichtigt würden.1 23 Im Übrigen kann zur Vermeidung von Wiederholungen auf die Kommentie-

rung zu § 127 Abs. 3 Satz 1 verwiesen werden (§ 127 Rz. 81 ff.).

c) Berücksichtigung qualitativer, umweltbezogener und sozialer Aspekte 24 Nach § 152 Abs. 3 Satz 3 können die Zuschlagskriterien u.a. qualitative, umwelt-

bezogene oder soziale Belange umfassen. Auch Aspekte der Innovation können gem. § 97 Abs. 3 einbezogen werden (vgl. § 97 Rz. 68 ff.). Bei den umweltpolitischen und sozialen Zielen handelt es sich um Faktoren, die nicht unmittelbar zur Leistungserbringung erforderlich sind, sondern sich nur mittelbar auf den Leistungsgegenstand beziehen. Sie werden daher auch als sog. Sekundärzwecke bezeichnet.2 Die Richtlinie 2014/23/EU enthält in den Erwägungsgründen 64–66 eine beispielhafte Aufzählung möglicher umweltbezogener und sozialer Aspekte.

25 Nach Erwägungsgrund 64 soll es Konzessionsgebern gestattet sein, zur besseren

Einbeziehung sozialer und umweltbezogener Überlegungen bei der Festlegung der Zuschlagskriterien jede Phase des Lebenszyklus der Bau- oder Dienstleistung zu berücksichtigen. Dies könne bei einer Ware den gesamten Prozess von der Rohstoffgewinnung bis zur Entsorgung des Produktes betreffen, selbst wenn derartige Faktoren kein materieller Bestandteil der Leistungen seien. Weiterhin könnten Kriterien bezüglich des Erzeugungsprozesses eine Rolle spielen, beispielhaft wird auf die Verwendung energieeffizienter Maschinen verwiesen. Ausdrücklich genannt sind zudem die Verwendung fair gehandelter Waren oder ökologische Aspekte wie die Abfallminimierung und Ressourceneffizienz.3

26 Im Hinblick auf soziale Aspekte des Produktionsprozesses verweist Erwägungs-

grund 65 etwa auf beschäftigungspolitische Maßnahmen zur Förderung der Teilnahme von Frauen am Erwerbsleben, zur Vereinbarkeit von Arbeit und Privatleben oder die besondere Bevorzugung benachteiligter Menschen über das bereits aufgrund nationaler Regelungen vorgegebene Maß hinaus.

27 Schließlich können nach Erwägungsgrund 66 Maßnahmen zum Schutz der Ge-

sundheit der am Produktionsprozess beteiligten Beschäftigten, die Förderung der sozialen Integration benachteiligter Personen oder die Aus- und Weiterbildung benachteiligter Personen, soweit ein Zusammengang zu der zu erbringenden Bau- oder Dienstleistung besteht, Berücksichtigung finden. Auch die Förderung der Beschäftigung von Langzeitarbeitslosen oder die Ausbildung Jugend-

1 OLG Düsseldorf v. 19.11.2014 – Verg 30/14, ZfBR 2015, 287 (287 f.). 2 OLG Düsseldorf v. 19.11.2014 – Verg 30/14, ZfBR 2015, 287 (287 f.); Dicks in Kulartz/ Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 152 Rz. 19. 3 Siehe hierzu auch EuGH v. 10.5.2012 – Rs. C-368/10, EuZW 2012, 592 (597).

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licher im Zuge der Ausführung der zu vergebenden Konzession können taugliche Zuschlagskriterien bilden. Bei der Festlegung der vorgenannten Zuschlagskriterien ist aber darauf zu ach- 28 ten, dass sie die erforderliche Objektivität und insbesondere den Sachzusammenhang zum Konzessionsgegenstand aufweisen müssen (vgl. Rz. 18 ff.). Soziale Kriterien, die allein auf eine allgemeine Verbesserung der Arbeitsbedingungen in einem Unternehmen ohne Bezug zu der konkret zu erbringenden Leistung abstellen, sind unzulässig. d) Beschreibung der Kriterien Gemäß § 152 Abs. 3 Satz 4 müssen die Zuschlagskriterien eine Beschreibung 29 enthalten, die eine wirksame Überprüfung der von den Bietern übermittelten Informationen ermöglicht, ob und inwieweit die Angebote die Zuschlagskriterien erfüllen. Die Vorschrift setzt Art. 41 Abs. 2 Unterabs. 2 und Unterabs. 3 der Richtlinie 2014/23/EU um und knüpft vom Wortlaut her an die Vorgabe in § 127 Abs. 4 Satz 1 (vgl. § 127 Rz. 86 ff.) an.1 Sinn und Zweck der Richtlinienvorgabe ist, wie der Gesetzeswortlaut nur unvollständig wiedergibt, den Konzessionsgeber dazu zu verpflichten, sich bereits bei der Festlegung der Zuschlagskriterien Gedanken darüber zu machen, welche Informationen er von den Bietern benötigt und welche Nachweise er daher anfordern muss, um eine möglichst effiziente Überprüfung der Richtigkeit der Bieterangaben in Bezug auf die Einhaltung der Zuschlagskriterien gewährleisten zu können.2 Selbstverständlich muss diese Prüfung anschließend auch tatsächlich durchgeführt werden.3 Soweit nach der deutschen Gesetzesfassung eine Beschreibung der Zuschlagskri- 30 terien gefordert wird, ergibt sich das Erfordernis, für alle Bieter gleichermaßen verständliche, eindeutige Zuschlagskriterien festzulegen, bereits aus den gem. § 152 Abs. 3 Satz 1 zu berücksichtigenden Grundsätzen des Wettbewerbs, der Gleichbehandlung und der Transparenz (vgl. Rz. 18 ff.). Nur eindeutige, für alle Bieter in derselben Weise verständliche Zuschlagskriterien informieren die Bieter hinreichend über die für die Zuschlagsentscheidung relevanten Aspekte und lassen die Abgabe miteinander vergleichbarer Angebote erwarten. e) Angabe der Rangfolge der Zuschlagskriterien Legt der Konzessionsgeber mehrere Zuschlagskriterien fest, sieht § 31 Abs. 1 31 KonzVgV in Umsetzung von Art. 41 Abs. 3 der Richtlinie 2014/23/EU vor, dass 1 Der Hinweis in der Gesetzesbegründung auf § 127 Abs. 5 ist offenkundig unzutreffend, BT-Drucks. 18/6281, S. 131. 2 Vgl. zu diesem Erfordernis auch Wiedemann in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 127 Rz. 75. 3 Vgl. Erwägungsgrund 73 der Richtlinie 2014/23/EU.

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§ 152 | Anforderungen im Konzessionsvergabeverfahren die Zuschlagskriterien in absteigender Rangfolge anzugeben sind. Die Regelung steht im Gegensatz zu der Vorgabe in § 58 Abs. 3 VgV (Art. 67 Abs. 5 Unterabs. 3 der Richtlinie 2014/24/EU), der für öffentliche Aufträge die bloße Angabe einer Reihenfolge nur dann erlaubt, wenn eine Gewichtung aus objektiven Gründen nicht möglich ist.1 Daraus ergibt sich im Umkehrschluss, dass Konzessionsgeber in der Regel nicht verpflichtet sind, eine Gewichtung der Zuschlagskriterien vorzunehmen und diese den Bietern mitzuteilen. 32 In der Literatur ist umstritten, ob der Verzicht auf eine Gewichtung und eine Be-

schränkung auf die Angabe einer Rangfolge ohne Vorliegen objektiver Gründe mit den vergaberechtlichen Grundsätzen der Gleichbehandlung und Transparenz vereinbar ist. Die Bewertung eines Angebotes auf der Grundlage mehrerer Zuschlagskriterien setze notwendigerweise voraus, dass sich der Konzessionsgeber darüber im Klaren sei, mit welchem Gewicht die jeweiligen Kriterien in die Bewertung einfließen sollten. Die Anwendung einer solchen Gewichtung ohne vorherige Bekanntgabe an die Bieter sei allerdings unzulässig.2 Des Weiteren sei für die Bieter auf Grundlage der bloßen Angabe einer Rangfolge in der Regel nicht ersichtlich, welche konkrete Bedeutung einem Zuschlagskriterium vom Konzessionsgeber beigemessen werde. Damit werde ein exakter Zuschnitt des Angebotes auf den genauen Bedarf des Konzessionsgebers unmöglich.3 Dem wird entgegengehalten, dass eine Gewichtung der Zuschlagskriterien bei Konzessionen wegen der nötigen Verfahrensflexibilität nicht erforderlich sei.4

33 Welchen Weg die höchstrichterliche Rechtsprechung einschlagen wird, lässt sich

derzeit noch nicht sicher beurteilen. In seiner Rechtsprechung hat der EuGH bislang auf das zwingende Erfordernis der Angabe einer Gewichtung von Zuschlagskriterien verzichtet und anstelle dessen gefordert, dass alle Kriterien, die vom Auftraggeber bei der Bestimmung des wirtschaftlich günstigsten Angebots berücksichtigt werden und ihre relative Bedeutung den potentiellen Bietern zum Zeitpunkt der Vorbereitung ihrer Angebote bekannt sein müssten.5 Lediglich dann, wenn der Auftraggeber Gewichtungen verwenden wolle, müssten diese den Bietern vor Angebotsabgabe bekannt gemacht werden.6 Demgegenüber entnimmt das OLG Düsseldorf aus dem Gebot der Gleichbehandlung und Transparenz die grundsätzliche Pflicht zur vollständigen und rechtzeitigen Bekannt-

1 In Erwägungsgrund 90 der Richtlinie 2014/24/EU wird insbesondere auf die Situation verwiesen, wenn die Gewichtung insbesondere wegen der Komplexität des Auftrags nicht im Voraus festgelegt werden kann. 2 Tugendreich/Heller in Müller-Wrede, GWB, § 152 Rz. 67 f. 3 Vgl. zu diesem Argument auch Dicks in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 152 Rz. 15. 4 Schröder, NZBau 2015, 351 (354); Burgi/Wolff in Burgi/Dreher, Vergaberecht, 3. Aufl., § 152 Rz. 34. 5 EuGH v. 24.1.2008 – Rs. C-532/06, NZBau 2008, 262 (264). 6 EuGH v. 14.7.2016 – Rs. C-6/15, NZBau 2016, 772 (774).

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gabe der Zuschlagskriterien und Unterkriterien, deren Gewichtung sowie der Methode zur Ermittlung des wirtschaftlich günstigsten Angebots.1 Der Auffassung, die einen grundsätzlichen Verzicht auf die Angabe einer Ge- 34 wichtung für unzulässig hält, ist zuzugestehen, dass ein gewisser Wertungswiderspruch zwischen den Richtlinien 2014/24/EU und 2014/23/EU besteht. Bei öffentlichen Aufträgen hält es der Richtliniengeber gem. Erwägungsgrund 90 der Richtlinie 2014/24/EU aus Gründen der Transparenz und Gleichbehandlung für grundsätzlich geboten, Gewichtungen vorzusehen, während bei Konzessionen nach der Richtlinie 2014/23/EU generell die Angabe einer Rangfolge genügen soll, obwohl auch dort die vergaberechtlichen Grundsätze der Gleichbehandlung und Transparenz Beachtung finden müssen. Allerdings kann wegen des eindeutigen Wortlauts des Art. 41 Abs. 3 der Richtlinie 2014/23/EU eine generelle Unzulässigkeit von Wertungskriterien, die auf eine Gewichtung verzichten, nicht angenommen werden. Angesichts der zurzeit noch unsicheren Rechtslage und unter Berücksichtigung der praktischen Vorzüge, die Unterschiede zwischen den Angeboten besser herausarbeiten zu können und voraussichtlich Angebote zu erhalten, die den eigenen Bedarf besser abbilden, ist Konzessionsgebern allerdings zu einer Festlegung und Angabe von Gewichtungen zu raten.2 Die Rangfolge der Zuschlagskriterien kann gem. § 31 Abs. 2 Satz 1 KonzVgV 35 (Art. 41 Abs. 3 Unterabs. 2 der Richtlinie 2014/23/EU) geändert werden, wenn sich im Zuge des Vergabeverfahrens herausstellen sollte, dass ein Angebot eine innovative Lösung mit außergewöhnlich hoher funktioneller Leistungsfähigkeit enthält, die der Konzessionsgeber nicht vorhersehen konnte.3 Aus § 12 Abs. 2 KonzVgV (Art. 37 Abs. 6 Satz 2 der Richtlinie 2014/23/EU) ergibt sich allerdings, dass die Änderung der Zuschlagskriterien nicht während der Verhandlungen erfolgen darf.4 Sollte sich die Erkenntnis über eine innovative Lösung, die der Konzessionsgeber nicht bedacht hat, erst im Laufe der Verhandlungen zeigen, muss der Konzessionsgeber nach den Vorgaben der KonzVgV die Verhandlungen formal beenden und die Bieter anschließend gem. § 31 Abs. 2 Satz 2 KonzVgV über die geänderte Rangfolge der Zuschlagskriterien informieren. Anschließend muss den Bietern die Möglichkeit eingeräumt werden, neue Angebote unter Beachtung der geänderten Vorgaben abzugeben. Sollten die Zuschlagskriterien in einer Konzessionsbekanntmachung gem. § 19 KonzVgV veröffentlicht worden sein, 1 OLG Düsseldorf v. 15.7.2015 – VII-Verg 11/15, NZBau 2016, 55 (59). 2 So auch die nachdrückliche Empfehlung von Dicks in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 152 Rz. 15; ebenso Siegel, NVwZ 2016, 1672 (1676). 3 Die Vereinbarkeit dieser Regelung mit dem Unionsprimärrecht bezweifelnd Goldbrunner, VergabeR 2016, 365 (382 f.). 4 Kritisch zu der Regelung Dicks in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, 4. Aufl., § 152 Rz. 18, der eine Überprüfung der Auslegung der Richtlinie 2014/23/EU durch den EuGH anregt.

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§ 152 | Anforderungen im Konzessionsvergabeverfahren müssen die Änderungen gem. § 31 Abs. 2 Satz 3 KonzVgV in einer neuen Konzessionsbekanntmachung bekannt gemacht werden. 3. Bekanntgabe der Zuschlagskriterien 36 Die Zuschlagskriterien sind gem. § 13 Abs. 2 Nr. 2 KonzVgV in der Konzessi-

onsbekanntmachung, der Aufforderung zur Angebotsabgabe oder in anderen Vergabeunterlagen anzugeben. Da die Vergabeunterlagen gem. § 17 KonzVgV mit der Aufforderung zur Angebotsabgabe abrufbar sein müssen, sind die Zuschlagskriterien den Bietern spätestens zu diesem Zeitpunkt bekanntzugeben.

V. Auftragsausführung (Abs. 4) 37 Durch § 152 Abs. 4 wird schließlich die entsprechende Anwendung der recht-

lichen Vorgaben in §§ 128 f. über die Auftragsausführung und die Ausführungsbedingungen bei Konzessionen angeordnet. Eine direkte Vorgabe in den Richtlinien lag der Norm nach der Gesetzesbegründung nicht zugrunde. Allerdings würde in den Erwägungsgründen 64–66 der Richtlinie 2014/23/EU die Befugnis von Konzessionsgebern vorausgesetzt, die Bedingungen für die Konzessionsausführung festzulegen. Des Weiteren seien keine sachlichen Gründe ersichtlich, die Ausführungsbedingungen bei öffentlichen Aufträgen und Konzessionen unterschiedlich zu regeln.1 Hierzu ist anzumerken, dass die Vorschriften über die Durchführung von Konzessionen in Titel III der Richtlinie 2014/23/EU lediglich die Vergabe von Unteraufträgen, Vertragsänderungen während der Vertragslaufzeit und die Kündigung von Konzessionen betreffen. Allerdings ist in Art. 30 Abs. 3 der Richtlinie 2014/23/EU eine Bestimmung zu Anforderungen an die Durchführung von Konzessionsverträgen enthalten, die der § 128 zugrunde liegenden Vorschrift in Art. 18 Abs. 2 der Richtlinie 2014/24/EU entspricht.2 Es lag also eine Richtlinienvorgabe vor.3

38 Inhaltlich ergibt sich aus § 152 Abs. 4 i.V.m. 128 Abs. 1 zunächst nur die ohne-

hin bestehende Verpflichtung für den Konzessionsnehmer, alle geltenden rechtlichen Verpflichtungen am Ausführungsort der Leistung einzuhalten. Sanktionen für den Fall der Nichtbefolgung sind im GWB nicht vorgesehen, sondern ergeben sich aus den jeweils anzuwendenden Spezialgesetzen.4 Nach § 152 Abs. 4 i.V.m. § 128 Abs. 2 haben Konzessionsgeber allerdings die Möglichkeit, über spezielle allgemeine und besondere Vertragsbedingungen in den Konzessionsverträgen zusätzlich zivilrechtlich Druck auf die Konzessionsnehmer zur Be1 BT-Drucks. 18/6281, S. 131 f. 2 BT-Drucks. 18/6281, S. 113. 3 Tugendreich/Heller in Müller-Wrede, GWB, § 152 Rz. 85; Wiedemann in Kulartz/Kus/ Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 128 Rz. 10. 4 BT-Drucks. 18/6281, S. 113.

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Konzessionen über soziale und andere besondere Dienstleistungen | § 153

achtung der Vorschriften auszuüben.1 Eine Verpflichtung der Konzessionsgeber zur Aufnahme von Ausführungsbedingungen kann sich gem. § 152 Abs. 4 i.V.m. § 129 allerdings nur auf Grundlage eines Bundes- oder Landesgesetzes ergeben.2 Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Kommentierungen zu § 128 und § 129 Bezug genommen.

§ 153 Vergabe von Konzessionen über soziale und andere besondere Dienstleistungen Für das Verfahren zur Vergabe von Konzessionen, die soziale und andere besondere Dienstleistungen im Sinne des Anhang IV der Richtlinie 2014/23/EU betreffen, sind die §§ 151 und 152 anzuwenden. § 153 stellt entsprechend der Regelung in § 130 für öffentliche Aufträge klar, dass 1 ein Konzessionsvergabeverfahren auch dann durchzuführen ist, wenn die Konzession eine soziale oder andere besondere Dienstleistung im Sinne des Anhang IV der Richtlinie 2014/23/EU betrifft.3 Für das Verfahren erklärt § 153 ausdrücklich die Regelungen in §§ 151 f. für anwendbar. Darüber hinaus sind die Vorschriften anzuwenden, auf die in § 154 verwiesen wird, so dass bei der Konzessionsvergabe einheitliche Bestimmungen unabhängig vom Konzessionsgegenstand gelten. Die Höhe des EU-Schwellenwertes richtet sich ebenfalls nach der für alle Konzessionen geltenden Vorgabe in § 106 Abs. 2 Nr. 4 (vgl. § 106 Rz. 24). Auf untergesetzlicher Ebene sind weiterhin die Anforderungen der KonzVgV zu 2 beachten, die in § 22 KonzVgV lediglich geringfügige Erleichterungen bei der Veröffentlichung von Bekanntmachungen für die Vergabe von Konzessionen über soziale und andere besondere Dienstleistungen enthält. Zwar hätte der Gesetzgeber aufgrund der Richtlinienvorgabe die Möglichkeit gehabt, in weit größerem Umfang Erleichterungen für die Vergabe von Konzessionen über soziale und andere besondere Dienstleistungen vorzusehen.4 Die Richtlinie 2014/23/EU 1 Eine Auflistung der potentiell in Betracht kommenden Bedingungen findet sich bei Wiedemann in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 128 Rz. 19. 2 Die KonzVgV enthält eine entsprechende Regelung nicht. In NRW ist bei öffentlichen Aufträgen das Tariftreue- und Vergabegesetz (TVgG NRW) zu beachten. Das TVgG NRW findet allerdings bei Konzessionen gem. § 2 Abs. 5 keine Anwendung. 3 Anhang IV der Richtlinie 2014/23/EU ist inhaltlich deckungsgleich mit den CPV-Codes in Anhang XIV der Richtlinie 2014/24/EU (s. Anlage zur Kommentierung zu § 130; vgl. auch § 130 Rz. 11 ff.). 4 In der Gesetzesbegründung zum GWB, BT-Drucks. 18/6281, S. 132, hatte der Gesetzgeber noch angedeutet, dass etwaige Erleichterungen für die Vergabe von Konzessionen über soziale und andere besondere Dienstleistungen auf Verordnungsebene festgelegt werden würden.

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§ 153 | Konzessionen über soziale und andere besondere Dienstleistungen erklärt nämlich in Art. 19 lediglich die Verpflichtung zur Veröffentlichung der Vorinformation in Art. 31 Abs. 3 und der Vergabebekanntmachung in Art. 32 (vgl. zu den Begriffen § 151 Rz. 4 ff.) sowie die Vorschriften über das Nachprüfungsverfahren für anwendbar. Zudem müssen die allgemeinen vergaberechtlichen Grundsätze der Gleichbehandlung, Transparenz und Verhältnismäßigkeit gem. Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie Beachtung finden.1 Der Verordnungsgeber hat sich allerdings auf den Standpunkt gestellt, dass die Regelungen im GWB und der KonzVgV ein ausreichend hohes Maß an Flexibilität für die Konzessionsgeber vorsehen, gleichzeitig aber die Vereinbarkeit mit den allgemeinen Grundsätzen sowie ein Mindestmaß an Einheitlichkeit und Rechtssicherheit im Vergabeverfahren gewährleisten würden, das Konzessionsgebern und Bietern gleichermaßen zugutekomme. Aus diesem Grund sei die einheitliche Anwendung aller Vorschriften der KonzVgV auch bei sozialen und anderen besonderen Dienstleistungen anzuordnen.2 3 Für die Aufgabenträger, die eine soziale Dienstleistung beschaffen wollen, ist

aber vor Einleitung eines Vergabeverfahrens zu prüfen, ob die Auswahl lediglich eines Leistungserbringers mit den sozialrechtlichen Vorgaben in Einklang steht. Dies gilt insbesondere für die Leistungserbringung im sog. sozialrechtlichen Dreiecksverhältnis (vgl. § 130 Rz. 10).3 Obliegt die Auswahl der Leistungserbringer nach der Regelungsstruktur des jeweils einschlägigen Sozialgesetzbuches nicht dem Aufgabenträger, sondern den zum Abruf der Leistung Berechtigten nach ihrer Wahl, darf der Aufgabenträger über eine vergaberechtliche Auswahlentscheidung geeignete Leistungserbringer nicht von der Leistungserbringung ausschließen und somit zugleich das Wahlrecht der Leistungsberechtigten verkürzen. Er hat sich dann darauf zu beschränken, ein offenes Zulassungssystem vorzusehen, das die wesentlichen Bedingungen der Leistungserbringung festlegt (vgl. § 130 Rz. 7 ff.). Ein solches Zulassungssystem unterliegt nicht dem Anwendungsbereich des Vergaberechts,4 so dass sich ein Regelungskonflikt zwischen dem unionsrechtlich determinierten Vergaberecht und dem Sozialrecht nicht stellt.5

1 2 3 4

Vgl. die Erwägungsgründe 53 und 54 der Richtlinie 2014/23/EU. BR-Drucks. 87/16, S. 291. Siehe auch Rixen in Burgi/Dreher, Vergaberecht, 3. Aufl., § 153 Rz. 5 f. So ausdrücklich für die Leistungserbringung nach dem SGB V EuGH v. 2.6.2016 – Rs. C410/14, EuZW 2016, 705; vgl. auch allgemein Erwägungsgrund 13 der RL 2014/23/EU sowie Gesetzesbegründung zum GWB, BT-Drucks. 18/6281, S. 76. 5 Siehe zum Ganzen Glahs/Rafii, SRa 2016, 169 ff.

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Sonstige anwendbare Vorschriften | § 154

§ 154 Sonstige anwendbare Vorschriften Im Übrigen sind für die Vergabe von Konzessionen einschließlich der Konzessionen nach § 153 folgende Vorschriften entsprechend anzuwenden: 1. § 118 hinsichtlich vorbehaltener Konzessionen, 2. die §§ 123 bis 126 mit der Maßgabe, dass a) Konzessionsgeber nach § 101 Absatz 1 Nummer 3 ein Unternehmen unter den Voraussetzungen des § 123 ausschließen können, aber nicht ausschließen müssen, b) Konzessionsgeber im Fall einer Konzession in den Bereichen Verteidigung und Sicherheit ein Unternehmen von der Teilnahme an einem Vergabeverfahren ausschließen können, wenn das Unternehmen nicht die erforderliche Vertrauenswürdigkeit aufweist, um Risiken für die nationale Sicherheit auszuschließen; der Nachweis kann auch mithilfe geschützter Datenquellen erfolgen, 3. § 131 Absatz 2 und 3 und § 132 mit der Maßgabe, dass a) § 132 Absatz 2 Satz 2 und 3 für die Vergabe von Konzessionen, die Tätigkeiten nach § 102 Absatz 2 bis 6 betreffen, nicht anzuwenden ist und b) die Obergrenze des § 132 Absatz 3 Nummer 2 für Bau- und Dienstleistungskonzessionen einheitlich 10 Prozent des Wertes der ursprünglichen Konzession beträgt, 4. die §§ 133 bis 135, 5. § 138 hinsichtlich der Vergabe von Konzessionen durch Konzessionsgeber im Sinne des § 101 Absatz 1 Nummer 2 und 3 an verbundene Unternehmen, 6. § 139 hinsichtlich der Vergabe von Konzessionen durch Konzessionsgeber im Sinne des § 101 Absatz 1 Nummer 2 und 3 an ein Gemeinschaftsunternehmen oder durch Gemeinschaftsunternehmen an einen Konzessionsgeber im Sinne des § 101 Absatz 1 Nummer 2 und 3 und 7. § 140 hinsichtlich der Vergabe von Konzessionen durch Konzessionsgeber im Sinne des § 101 Absatz 1 Nummer 2 und 3 für unmittelbar dem Wettbewerb ausgesetzte Tätigkeiten. I. Inhaltsübersicht . . . . . . . . . II. Vorbehaltene Konzessionen (Nr. 1) . . . . . . . . . . . . . . . . III. Ausschlussgründe (Nr. 2) . . IV. Personenverkehrsleistungen im Eisenbahnverkehr und Vertragsänderungen (Nr. 3) .

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1. Personenverkehrsleistungen im Eisenbahnverkehr . . . . . . . . . . . 2. Vertragsänderungen . . . . . . . . . V. Kündigung von Konzessionen (Nr. 4) . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Konzessionsvergabe an verbundene Unternehmen (Nr. 5) . . . .

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§ 154 | Sonstige anwendbare Vorschriften VII. Konzessionsvergabe durch oder an ein Gemeinschaftsunternehmen (Nr. 6) . . . . . . .

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VIII. Ausnahme für unmittelbar dem Wettbewerb ausgesetzte Tätigkeiten (Nr. 7) . . . . . . . . .

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I. Inhaltsübersicht 1 In Anknüpfung an die Bestimmungen in §§ 151, 152 erfolgt in § 154 die Über-

nahme weiterer wesentlicher Verfahrensregelungen der Richtlinie 2014/23/ EU.1 Die Regelung findet auch bei der Vergabe von Konzessionen über soziale oder andere besondere Dienstleistungen gem. § 153 Anwendung. Während die in § 154 Nr. 1–4 in Bezug genommenen Vorschriften weitestgehend bei der Vergabe von sämtlichen Konzessionen anwendbar sind, gelten die Vorgaben in § 154 Nr. 5–7 lediglich für Konzessionsgeber im Sektorenbereich. Aus der Perspektive der Anwenderfreundlichkeit ist zu kritisieren, dass in § 154 Nr. 3 und 4 Verweise auf Regelungen zusammengefasst wurden, die in keinem inhaltlichen Zusammenhang zueinander stehen.2

II. Vorbehaltene Konzessionen (Nr. 1) 2 Gemäß § 154 Nr. 1 findet die Regelung in § 118 zu vorbehaltenen Aufträgen bei

der Konzessionsvergabe entsprechende Anwendung. Die Vorschrift dient der Umsetzung von Art. 24 der Richtlinie 2014/23/EU.3 Konzessionsgeber, die die Vergabe von Konzessionen geschützten Werkstätten und Wirtschaftsteilnehmern vorbehalten wollen, deren Hauptziel die soziale und berufliche Integration von Menschen mit Behinderung oder von benachteiligten Personen ist, müssen diese Absicht in dem Standardformular für die Vergabebekanntmachung angeben. Im Übrigen wird auf die Kommentierung zu § 118 Bezug genommen.

III. Ausschlussgründe (Nr. 2) 3 Durch die Regelung in § 154 Nr. 2 werden entsprechend Art. 38 Abs. 4–10 der

Richtlinie 2014/23/EU die Ausschlussgründe der §§ 123 f. auf den Bereich der Konzessionsvergabe übertragen. Die Vorgaben zur Selbstreinigung (§ 125) bzw. der Höchstdauer eines Ausschlusses (§ 126) sind bei Konzessionen ebenfalls anwendbar.4 Auf die entsprechenden Kommentierungen wird verwiesen.

1 BT-Drucks. 18/6281, S. 132. 2 Kritisch zur Gesetzessystematik auch Germelmann in Burgi/Dreher, Vergaberecht, 3. Aufl., § 154 Nr. 1, 2 Rz. 7 ff. 3 BT-Drucks. 18/6281, S. 132. 4 Siehe hierzu auch die Erwägungsgründe 69–71 der Richtlinie 2014/23/EU.

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Sonstige anwendbare Vorschriften | § 154

Für private Konzessionsgeber im Sektorenbereich gem. § 101 Abs. 1 Nr. 3 (vgl. 4 § 101 Rz. 3) ist nach § 154 Nr. 2 lit. a) eine Besonderheit zu beachten. Danach hat bei Vorliegen eines absoluten Ausschlussgrundes in § 123 ein Ausschluss nicht zwingend zu erfolgen (vgl. § 123 Rz. 70 ff.), sondern steht wie bei den fakultativen Ausschlussgründen in § 124 im Ermessen des Konzessionsgebers (vgl. § 124 Rz. 195 ff.). Die Regelung entspricht § 142 Nr. 2 für die Vergabe öffentlicher Aufträge im Sektorenbereich (vgl. § 142 Rz. 5). § 154 Nr. 2 lit. b) hält für Konzessionsgeber in den Bereichen Verteidigung und 5 Sicherheit (vgl. zum Begriff § 104 Rz. 15 ff.) eine weitere Erleichterung bereit. Danach genügt als Ausschlussgrund, wenn das Unternehmen nicht die erforderliche Vertrauenswürdigkeit aufweist, um Risiken für die nationale Sicherheit auszuschließen. Die Regelung entspricht § 147 (vgl. § 147 Rz. 15 ff.).

IV. Personenverkehrsleistungen im Eisenbahnverkehr und Vertragsänderungen (Nr. 3) In § 154 Nr. 3 werden die Vorschriften für öffentliche Aufträge über Personen- 6 verkehrsleistungen im Eisenbahnverkehr gem. § 131 und Auftragsänderungen gem. § 132 im Wesentlichen auch auf die Konzessionsvergabe übertragen. 1. Personenverkehrsleistungen im Eisenbahnverkehr Nach der Ausnahmebestimmung in § 149 Nr. 12 sind lediglich Konzessionen 7 über Personenverkehrsleistungen gem. § 1 PBefG vom Anwendungsbereich der Konzessionsvergaberegelungen ausgenommen. Dagegen unterliegen Konzessionen über Personenverkehrsleistungen im Eisenbahnverkehr grundsätzlich dem Anwendungsbereich der §§ 148 ff. (vgl. § 149 Rz. 27 f.). Der Verweis in § 154 Nr. 3 sorgt für einen Gleichlauf mit den Sonderregelungen zur Vergabe von öffentlichen Aufträgen über Personenverkehrsleistungen im Eisenbahnverkehr in § 131. Auf die Kommentierung zu § 131 wird verwiesen. Eine Übernahme der Wahlfreiheit der Verfahrensarten gem. § 131 Abs. 1 war wegen des ohnehin bestehenden Grundsatzes der freien Verfahrensgestaltung bei Konzessionen gem. § 151 S. 3 (vgl. § 151 Rz. 17 ff.) entbehrlich. 2. Vertragsänderungen Durch den Verweis in § 154 Nr. 3 auf die Regelung in § 132 wird in Umsetzung 8 von Art. 43 der Richtlinie 2014/23/EU gesetzlich normiert, dass wesentliche Änderungen einer Konzession während der Vertragslaufzeit unter den in § 132 benannten Voraussetzungen ein erneutes Vergabeverfahren erfordern. Die Pflicht zur Neuausschreibung bei wesentlichen Vertragsänderungen ergab sich zuvor aus der Rechtsprechung des EuGH, der in der Rechtssache „Wall“ aus den Rafii

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§ 154 | Sonstige anwendbare Vorschriften Grundfreiheiten des AEUV und den aus ihnen folgenden Grundsätzen der Transparenz und Gleichbehandlung bei Konzessionen unter denselben Voraussetzungen wie bei öffentlichen Aufträgen eine Pflicht zur Neuausschreibung hergeleitet hatte.1 9 Hinsichtlich der Bedingungen, unter denen bei Änderungen an einer Konzes-

sion während der Vertragslaufzeit eine Neuausschreibung erforderlich wird, kann grundsätzlich auf die Kommentierung zu § 132 verwiesen werden. Es sind lediglich zwei Abweichungen zu beachten:

10 Zunächst bezieht sich der Verweis auf § 132 gem. § 154 Nr. 3 lit. a) bei Konzes-

sionen über Sektorentätigkeiten i.S.d. § 102 Abs. 2 bis 6 nicht auf die Regelungen in § 132 Abs. 2 Satz 2 und Satz 3. Damit darf bei Vorliegen der Voraussetzungen in § 132 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 und 3 (vgl. § 132 Rz. 36 ff.) auch dann eine Änderung der Konzession ohne erneutes Vergabeverfahren vorgenommen werden, wenn sich durch die Änderung der Wert der Konzession um mehr als 50 % des Wertes der ursprünglichen Konzession erhöht hat. Durch die Vorschrift wird die Vorgabe in Art. 43 Abs. 1 Satz 2 und 3 der Richtlinie 2014/23/ EU umgesetzt. Sie knüpft an die entsprechende Bestimmung bei öffentlichen Aufträgen in § 142 Nr. 3 (vgl. § 142 Rz. 6) an.

11 Eine weitere Änderung ergibt sich gem. § 154 Nr. 3 lit. b) bei der de-minimis-

Regelung in § 132 Abs. 3 Nr. 2 (vgl. § 132 Rz. 50). Anders als bei öffentlichen Aufträgen gilt bei Konzessionen einheitlich eine Wertgrenze i.H.v. 10 % des ursprünglichen Auftragswertes. Auch für Konzessionen über soziale oder andere besondere Dienstleistungen wurde, anders als bei öffentlichen Aufträgen in § 130 Abs. 2 (vgl. § 130 Rz. 24 ff.), keine Erhöhung der Wertgrenze vorgesehen.

V. Kündigung von Konzessionen (Nr. 4) 12 § 154 Nr. 4 erklärt die Vorschriften zur Kündigung von Aufträgen (§ 133),2 zur

Informations- und Wartepflicht (§ 134) und zur Unwirksamkeit von Verträgen (§ 135) bei der Konzessionsvergabe für entsprechend anwendbar. Die Vorschrift dient der Umsetzung des Art. 44 der Richtlinie 2014/23/EU sowie der Anpassung an die in Art. 46 f. der Richtlinie 2014/23/EU vorgesehenen Ände-

1 EuGH v. 13.4.2010 – Rs. C-91/08, NZBau 2010, 382 (385). 2 Die Regelung greift die Rechtsprechung des EuGH auf, wonach bei Vergabeverstößen zwar keine zwingende Kündigungspflicht des geschlossenen Konzessionsvertrages besteht, das nationale Recht aber Rechtsschutzmöglichkeiten vorsehen muss, damit die Ausübung der aus den Grundfreiheiten erwachsenden Rechte nicht praktisch unmöglich gemacht oder übermäßig erschwert wird, EuGH v. 13.4.2010 – Rs. C-91/08, NZBau 2010, 382 (387).

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Sonstige anwendbare Vorschriften | § 154

rungen der Rechtsmittelrichtlinien 89/665/EWG1 und 92/13/EWG2.3 Damit wird die Konzessionsvergabe bei den Fehlerfolgen dem allgemeinen Vergaberecht grundsätzlich gleichgestellt.4 Zu beachten ist allerdings, dass die aus § 154 Nr. 2 und Nr. 3 folgenden Modifikationen bei den zwingenden Ausschlussgründen und den Auftragsänderungen (Rz. 3 ff. und 8 ff.) bei der Anwendung der Kündigungsgründe berücksichtigt werden müssen.5 Im Übrigen kann auf die Kommentierungen zu den einzelnen Vorschriften verwiesen werden.

VI. Konzessionsvergabe an verbundene Unternehmen (Nr. 5) Die Regelung in § 154 Nr. 5 erstreckt für Konzessionsgeber im Sektorenbereich 13 gem. § 101 Abs. 1 Nr. 2 und Nr. 3 (vgl. § 101 Rz. 3) die besondere Ausnahme in § 138 für die Vergabe von öffentlichen Aufträgen an verbundene Unternehmen auf die Konzessionsvergabe. Sie setzt Art. 13 der Richtlinie 2014/23/EU um. Problematisch ist, dass der Wortlaut in § 154 Nr. 5 allein auf die Vergabe von Konzessionen durch Konzessionsgeber an verbundene Unternehmen gem. § 138 Abs. 1 Nr. 1, nicht aber auf die Vergabe von Konzessionen durch Gemeinschaftsunternehmen gem. § 138 Abs. 1 Nr. 2 verweist. Angesichts des Wortlauts muss davon ausgegangen werden, dass letztere nicht der Privilegierung unterfallen.6 In formaler Hinsicht ist auf die Befugnis der Europäischen Kommission gem. Art. 15 der Richtlinie 2014/23/EU hinzuweisen, von den Konzessionsgebern Angaben u.a. über die vergebenen Konzessionen verlangen zu können. Im Übrigen wird auf die Kommentierung zu § 138 verwiesen.

VII. Konzessionsvergabe durch oder an ein Gemeinschaftsunternehmen (Nr. 6) Gemäß § 154 Nr. 6 gilt die Ausnahmevorschrift in § 139 entsprechend bei der 14 Vergabe von Konzessionen durch Konzessionsgeber i.S.d. § 101 Abs. 1 Nr. 2 1 Richtlinie des Rates vom 21.12.1989 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Anwendung der Nachprüfungsverfahren im Rahmen der Vergabe öffentlicher Liefer- und Bauaufträge (89/665/EWG). 2 Richtlinie 92/13/EWG des Rates vom 25.2.1992 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Anwendung der Gemeinschaftsvorschriften über die Auftragsvergabe durch Auftraggeber im Bereich der Wasser-, Energie- und Verkehrsversorgung sowie im Telekommunikationssektor. 3 Der Verweis in der Gesetzesbegründung allein auf Art. 44 der Richtlinie 2014/23/EU ist offensichtlich unvollständig, BT-Drucks. 18/6281, S. 133. 4 Siegel, NVwZ 2016, 1672 (1675). 5 Knauff in Burgi/Dreher, Vergaberecht, 3. Aufl., § 154 Nr. 3, 4 Rz. 9 ff. 6 Germelmann in Burgi/Dreher, Vergaberecht, 3. Aufl., § 154 Nr. 5–7 Rz. 8.

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§ 154 | Sonstige anwendbare Vorschriften und 3 an ein Gemeinschaftsunternehmen oder durch Gemeinschaftsunternehmen an einen Konzessionsgeber gem. § 101 Abs. 1 Nr. 2 und 3. Die Regelung beruht auf Art. 14 der Richtlinie 2014/23/EU. Die Mitteilungspflichten gem. Art. 15 der Richtlinie 2014/23/EU auf Anfrage der Europäischen Kommission bestehen auch bei der Konzessionsvergabe durch oder an Gemeinschaftsunternehmen. Weiterhin wird auf die Kommentierung zu § 139 verwiesen.

VIII. Ausnahme für unmittelbar dem Wettbewerb ausgesetzte Tätigkeiten (Nr. 7) 15 Nach § 154 Nr. 7 i.V.m. § 140 sind schließlich Konzessionen vom Anwendungs-

bereich der Konzessionsvergaberegelungen ausgenommen, die Konzessionsgeber gem. § 101 Abs. 1 Nr. 2 und 3 im Sektorenbereich vergeben, wenn die Tätigkeiten unmittelbar dem Wettbewerb auf Märkten ausgesetzt sind, die keiner Zugangsbeschränkung unterliegen. Die Vorschrift setzt Art. 16 der Richtlinie 2014/23/EU um. Auf die Kommentierung zu § 140 wird verwiesen.

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Kapitel 2 Nachprüfungsverfahren Abschnitt 1 Nachprüfungsverfahren Vorbemerkungen zu §§ 155–184 Das Kapitel 2 des 4. Teils regelt das Nachprüfungsverfahren durch die Vergabe- 1 kammern (§§ 160 ff.) sowie das Verfahren vor den Vergabesenaten der Oberlandesgerichte als gerichtlicher Kontrollinstanz (§§ 171 ff.). Das Kapitel 2 stellt im Hinblick auf den dort geregelten Rechtsschutz einen wesentlichen Baustein der vergaberechtlichen Vorschriften im GWB dar, mit dem den unionsrechtlichen und auch verfassungsrechtlichen Bedenken Rechnung getragen wird, die gegen die zuvor geltende Ausgestaltung angemeldet wurden (s. dazu Einleitung Rz. 4). Umgesetzt werden in diesem Abschnitt die sich insbesondere aus den Rechtsmittelrichtlinien (Einleitung Rz. 7, 10) ergebenden Anforderungen an eine gerichtliche Kontrolle von Auftrags- und Konzessionsvergaben (§§ 171 ff.) durch öffentliche Auftrag- und Konzessionsgeber i.S.d. § 98 ff. GWB oberhalb der maßgeblichen Schwellenwerte (§ 106). Dies gilt auch im Anwendungsbereich des SGB V (§ 69 Abs. 3 SGB V, s. § 103 Rz. 225 ff.). Der gerichtlichen Überprüfung vorgeschaltet ist ein Nachprüfungsverfahren vor 2 der Vergabekammer (§§ 160 ff.). Notwendig ist jedoch stets, dass es tatsächlich um einen dem Kartellvergaberecht unterfallenden Auftrag geht. Ansonsten ist der Nachprüfungsantrag bereits unzulässig, so dass sich weitere materielle Fragen jedenfalls im Rahmen der vergaberechtlichen Nachprüfung gar nicht erst stellen. Die Zuständigkeit der Vergabenachprüfungsinstanzen kann nicht durch Auftraggeber und/oder Unternehmen freiwillig begründet werden1. Selbst rechtsirrig ist dies nicht möglich (z.B. bei falscher Schwellenwertberechnung2, s. noch § 155 Rz. 18). Nicht mehr ausdrücklich geregelt ist im Kapitel 2 das Verfahren vor den Vergabeprüfstellen (§ 103 a.F.), deren Einrichtung allerdings ohnehin den Ländern freigestellt war. Auch ohne diese durch das Vergaberechtsmodernisierungsgesetz 2009 (Einleitung Rz. 4 ff.) gestrichene Regelung besteht für die Länder die Möglichkeit, ihre Vergabeprüfstellen, soweit überhaupt vorhanden, beizubehalten oder auch neue Vergabeprüfstellen einzurichten (s. noch § 155 Rz. 15).

1 Kus in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum Vergaberecht, § 155 Rz. 18. 2 OLG Naumburg v. 4.10.2007 – 1 Verg 7/07, ZfBR 2008, 86.

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Vor §§ 155–184 | Vorbemerkungen 3 Bei dem Verfahren vor der Vergabekammer handelt es sich um Verwaltungs-

verfahren im Sinne der Verwaltungsverfahrensgesetze des Bundes und der Länder (zum Vergabeverfahren selbst s. Vorb. zu §§ 97–154 Rz. 18 ff.). Die darin enthaltenen Vorschriften finden ergänzend Anwendung, wenn im GWB, im sonstigen Bundesrecht oder im einschlägigen Landesrecht zu den jeweils maßgeblichen Punkten keine speziellen und abschließenden Regelungen enthalten sind (s. insb. noch § 160 Rz. 7 ff.)1. Demgegenüber handelt es sich bei der sofortigen Beschwerde zum OLG (§§ 171 ff.) um eine gerichtliche Kontrolle, die sowohl aus unionsrechtlichen Gründen (s. insb. Art. 2 Abs. 9 der Rechtsmittelrichtlinien, dazu Einleitung Rz. 7) als auch aus verfassungsrechtlichen Gründen geboten ist, da die subjektiven Rechte der Bieter (s. insb. § 97 Rz. 106 ff. sowie § 168 Rz. 10 ff.) die verfassungsrechtlichen Garantien des Art. 92 GG und, soweit Hoheitsakte ergehen, des Art. 19 Abs. 4 GG mit der Folge auslösen, dass Gerichtsschutz auch nach deutschem Verfassungsrecht zu gewähren ist2.

4 Das Nachprüfungsverfahren, so wie es im Kapitel 2 des 4. Teils des GWB ge-

regelt ist, bildet den verfahrensrechtlichen Rahmen, um die subjektiven Rechte von Unternehmen im Sinne von § 97 Abs. 6 (dazu § 97 Rz. 106 ff.) zu gewährleisten und durchzusetzen. In erster Linie geht es dabei um die Gewährung von Primärrechtsschutz, also die Verhinderung von Benachteiligungen einzelner Unternehmen und damit in der Regel einhergehend um die Verhinderung der Vergabe des betreffenden Auftrages an einen Wettbewerber. Daher greifen die Rechtsschutzmöglichkeiten des Nachprüfungsrechts grundsätzlich nur so lange ein, wie der Auftrag noch nicht wirksam an einen Wettbewerber des (vermeintlich) benachteiligten Unternehmens vergeben ist. Hingegen kann im Rahmen eines Nachprüfungsverfahrens ein bereits wirksam erteilter Zuschlag nicht mehr aufgehoben werden (§ 168 Abs. 2 Satz 1, s. § 168 Rz. 30 ff.). Dabei obliegt der Vergabekammer und ggf. dem Beschwerdesenat beim OLG die Prüfung, ob tatsächlich durch Zuschlagserteilung ein wirksamer Vertrag zustande gekommen ist (s. insb. § 135). Eine Fortsetzung des Verfahrens ohne die Möglichkeit, das primäre Rechtsschutzziel (Verhinderung der Auftragserteilung an einen Wettbewerber) zu erreichen, kommt nur nach Maßgabe von § 168 Abs. 2 Satz 2 in Betracht (Fortsetzungsfeststellungsantrag, dazu § 168 Rz. 39 ff.).

5 Sekundärleistungsansprüche, die Unternehmen zustehen können, weil sie im

Rahmen des Vergabeverfahrens rechtsfehlerhaft behandelt wurden (Kostenerstattung für die Angebotserstellung, Ersatz des entgangenen Gewinns), können nicht im Rahmen eines Nachprüfungsverfahrens durchgesetzt werden. Für derartige Ansprüche sind ausschließlich die ordentliche Gerichte zuständig (s. § 156 Rz. 13 sowie die Kommentierung zu § 181). Ebensowenig besteht die Möglichkeit, vor der Vergabekammer die Rückabwicklung von vergaberechts-

1 Dreher in Immenga/Mestmäcker, GWB, vor §§ 97 ff. Rz. 162 ff. 2 BVerfG v. 13.6.2006 – 1 BvR 1160/03, BVerfGE 116, 135 (150); Pietzcker, ZHR 162 (1998), 427 (439).

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Vorbemerkungen | Vor §§ 155–184

widrigen Verträgen durchzusetzen. Dies gilt selbst dann, wenn der betreffende Vertrag aus vergaberechtlichen Gründen unwirksam war1; jedoch die in § 135 Abs. 2 und Abs. 3 geregelten Fristen abgelaufen sind (zu Auftragsänderungen während der Vertragslaufzeit s. § 160 Rz. 21 sowie § 132, zur Kündigungsmöglichkeit in besonderen Fällen s. § 168 Rz. 34 sowie § 133). Die materiellen Rechte, um deren Gewährleistung es in den Nachprüfungsver- 6 fahren des GWB geht, sind im Kapitel 2 des 4. Teils selbst nicht geregelt. Die diesbezüglichen Bestimmungen finden sich ohnehin nur teilweise im GWB selbst. Soweit dies der Fall ist, sind die betreffenden Regelungen im Wesentlichen im ersten Kapitel 1 des 4. Teils enthalten, der insbesondere die allgemeinen Grundsätze für die Vergabe öffentlicher Aufträge und Konzessionen sowie die Auftraggeber und die Verträge regelt, die der Nachprüfung gemäß dem Kapitel 2 unterliegen. Eine andere und davon strikt zu trennende Frage ist, ob und ggf. welche Auftraggeber außerhalb des Anwendungsbereichs der vergaberechtlichen Vorschriften des GWB verpflichtet sind, subjektive Rechte von Unternehmen zu beachten und welche Vorschriften derartige Rechte vermitteln können. Dies ist vor allem bei Vergaben unterhalb der Schwellenwerte gemäß § 106 im Hinblick auf die unionsrechtlichen Grundfreiheiten und den verfassungsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz (Diskriminierungsverbot) von Bedeutung (s. Einleitung Rz. 5 f., 28 ff.). Die Verletzung derartiger Rechte unterfällt jedoch nicht den Nachprüfungsverfahren gemäß dem Kapitel 2 des 4. Teils (zu den Einzelheiten des Rechtsschutzes bei Vergaben unterhalb der Schwellenwerte und sonstigen vom Kartellvergaberecht ausgenommenen Verträgen s. Einleitung Rz. 15 ff.; zur Kündigungsmöglichkeit nach § 133 s. § 133 Rz. 10 ff.). Bei den der vergaberechtlichen Nachprüfung unterfallenden Vergaben, also bei 7 Bau-, Liefer- und Dienstleistungsaufträgen (§ 103) sowie Konzessionen (§ 105) der Auftraggeber i.S.v. § 98 oberhalb der Schwellenwerte, sollen die Nachprüfungsmöglichkeiten effektiven Rechtsschutz für die geschützten subjektiven Rechte derjenigen Unternehmen vermitteln, die zulässigerweise ein Nachprüfungsverfahren eingeleitet haben. Sowohl das Verfahren vor der Vergabekammer als auch die sich daran gegebenenfalls anschließende sofortige Beschwerde zum OLG dienen der Durchsetzung subjektiver Rechte, nicht hingegen einer bloßen objektiven Beanstandung. Dies bedeutet im Kern, dass ein Unternehmen nicht erfolgreich dagegen vorgehen kann, wenn etwaige vergaberechtliche oder sonstige Vorschriften verletzt sind, die nicht ihren Schutz bezwecken. Dies gilt etwa für bloße Ordnungsvorschriften oder für Mitteilungspflichten, die dem Auftraggeber nach Zuschlagserteilung obliegen, die jedoch die Vergabeentscheidung selbst nicht beeinflusst haben. Ebensowenig kann sich ein Unternehmen darauf berufen, dass subjektive Rechte i.S.v. § 97 Abs. 6 verletzt sind, wenn sie im konkreten Fall (nur) einem anderen Unternehmen zustehen (im Einzelnen § 168 Rz. 11). 1 Vgl. OLG Karlsruhe v. 12.11.2008 – 15 Verg 4/08, VergabeR 2009, 200.

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Vor §§ 155–184 | Vorbemerkungen 8 Nicht ausdrücklich geregelt ist, welche vergaberechtlichen Bestimmungen sub-

jektive Rechte darstellen und damit eine Antragsbefugnis für das Nachprüfungsverfahren vermitteln und bei welchen Bestimmungen dies nicht der Fall ist (im Einzelnen § 97 Rz. 106 ff.). Dies entspricht der Handhabung, wie sie auch aus dem sonstigen Verwaltungsverfahrensrecht sowie dem Verwaltungsprozessrecht bekannt ist. Dort ist ebenfalls das Erfordernis einer Klagebefugnis und die Notwendigkeit einer Rechtsverletzung grundsätzlich nur „abstrakt“ geregelt (s. insb. §§ 42 Abs. 2, 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO)1. Auch dort bestehen in den einzelnen Rechtsbereichen nicht selten Streitigkeiten zu der Frage, welche Vorschriften eine geschützte Rechtsposition vermitteln und bei welchen dies nicht der Fall ist. Gleichwohl ist dies letztlich durch eine sachgerechte Auslegung der jeweiligen Vorschriften ermittelbar. Abgesehen davon würde eine – wohl auch kaum abschließende – Aufzählung von bieterschützenden Vorschriften nicht genügen, da es für die Antragsbefugnis auf die Möglichkeit einer Rechtsverletzung und für die Begründetheit eines Nachprüfungsantrags auf die tatsächliche Rechtsverletzung im konkreten Fall ankommt. Entscheidend ist letztlich, dass dem Unternehmen, das einen Nachprüfungsantrag stellt, durch den behaupteten Vergaberechtsverstoß ein Schaden entstanden ist bzw. zu entstehen droht (Art. 1 Abs. 3 der Rechtsmittelrichtlinien, Einleitung Rz. 7). Es muss also ein hinreichender Ursachenzusammenhang zwischen Rechtsverstoß und dem daraus entstandenen oder drohenden Schaden feststellbar sein. Bei der Verletzung von Vorschriften, die allgemein oder im konkreten Fall das betreffende Unternehmen nicht schützen, scheidet dies zwangsläufig aus und kann daher – unionsrechtskonform – einem Nachprüfungsantrag nicht zum Erfolg verhelfen.

9 Eine Sonderstellung nimmt in diesem Zusammenhang das Verfahren vor der

nur fakultativ einzurichtenden Vergabeprüfstelle (s. § 155 Rz. 15) sowie die Tätigkeit der Aufsichtsbehörden ein, die nicht nur auf Antrag sondern auch von Amts wegen tätig werden können (§ 155 Rz. 7). Dementsprechend sind dort Fragen der Antragsbefugnis o. ä. irrelevant. Vielmehr kann jedermann vermeintliche Vergaberechtsverstöße bei der Vergabeprüfstelle oder der Aufsichtsbehörde zur Anzeige bringen, unabhängig davon, ob er davon selbst betroffen ist oder nicht.

10 Das Nachprüfungsverfahren nach dem GWB ist zweistufig ausgestaltet. Zu-

nächst bedarf es einer Überprüfung durch die Vergabekammer. Danach kann mittels der sofortigen Beschwerde das Oberlandesgericht angerufen werden. Unabhängig davon besteht die Möglichkeit zur Anrufung der Vergabeprüfstelle, sofern eine solche eingerichtet ist, oder der für den öffentlichen Auftraggeber zuständigen Aufsichtsbehörde (§ 155 Rz. 5 ff.). Diese zweistufige Ausgestaltung ist unionsrechtlich nicht notwendig. Sie ist allerdings ohne weiteres möglich (s. insb. Art. 2 Abs. 7 und 8 der Rechtsmittelrichtlinien). Auch im Übrigen hält die 1 Dazu etwa von Nicolai in Redeker/v. Oertzen, VwGO, § 42 Rz. 43 f., 48 ff.; W.-R. Schenke/ R. P. Schenke in Kopp/Schenke, VwGO, § 42 Rz. 78 ff.

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Vorbemerkungen | Vor §§ 155–184

Ausgestaltung des Nachprüfungsverfahrens im nationalen Recht den durch die unionsrechtlichen Anforderungen gesetzten Rahmen in allen wesentlichen Eckpunkten ein. Während die Ausgestaltung und die Tätigkeit der Vergabekammern in weiten 11 Teilen derjenigen der früheren Vergabeüberwachungsausschüsse entspricht, liegen die wesentlichen Unterscheide zu den zuvor geltenden sog. haushaltsrechtlichen Lösung in der Möglichkeit der sofortigen Beschwerde zum Oberlandesgericht (s. Art. 2 Abs. 9 der Rechtsmittelrichtlinien) sowie dem Zuschlagsverbot des § 169 Abs. 1. Letzteres führt dazu, dass nach der Information des öffentlichen Auftraggebers über den Nachprüfungsantrag durch die Vergabekammer bis zum Abschluss des Verfahrens der Zuschlag nicht erteilt werden darf (s. insb. Art. 2 Abs. 3 der Rechtsmittelrichtlinien, § 169 Rz. 7 ff.). Ergänzt wird dieses Zuschlagsverbot durch die insbesondere in dessen Vorfeld wirkende Informationsund Wartepflicht gemäß § 134 sowie die Regelung zur Unwirksamkeit bzw. zur schwebenden Wirksamkeit in § 135. Das gesamte Nachprüfungsverfahren stellt sich in seinen wesentlichen Schritten 12 wie folgt dar: – Anrufung der Vergabeprüfstelle (soweit eingerichtet, s. § 155 Rz. 15) oder 13 einer zuständigen Aufsichtsbehörde, fakultativ: Geprüft wird hier auf Antrag oder von Amts wegen die Einhaltung der von öffentlichen Auftraggebern anzuwendenden Vergabevorschriften. Allerdings können nur Auftraggeber, die über die Verpflichtungen aus dem 4. Teil des GWB hinausgehend einer (rechts- oder fachaufsichtlichen) Kontrolle unterworfen sind, nach Maßgabe der Möglichkeiten und Grenzen dieser Aufsicht zur Aufhebung von rechtswidrigen Maßnahmen und zur Durchführung von rechtmäßigen Maßnahmen verpflichtet werden. Dies gilt bei der Tätigkeit von Vergabeprüfstellen in gleicher Weise wie bei sonstigen Aufsichtsbehörden. Von Bedeutung ist diese Möglichkeit daher im Wesentlichen nur bei den öffentlichen Auftraggebern i.S.v. § 99 Nr. 1 bis 3. Dementsprechend war bis zum Inkrafttreten des Vergaberechtsmodernisierungsgesetzes 2009 (Einleitung Rz. 4 ff.) die in § 103 a.F. enthaltene Bestimmung (Vergabeprüfstellen) auch auf diese Auftraggeber beschränkt. Neben einer anordnenden Tätigkeit können Vergabeprüfstellen oder Aufsichtsbehörden die in ihren Zuständigkeitsbereich fallenden öffentlichen Auftraggeber auch bei der Anwendung der Vergabevorschriften beraten und Streitigkeiten schlichten, also auch als Mediator tätig werden. – Antrag an die Vergabekammer (§§ 160 ff.): Die Vergabekammer trifft ihre 14 Sachentscheidung auf Antrag eines antragsbefugten Unternehmens, d.h. wenn ein Unternehmen die Verletzung von eigenen Rechten nach § 97 Abs. 6 dargelegt hat und mit seinen erhobenen Rügen nicht gemäß § 160 Abs. 3 ausgeschlossen ist. Die Vergabekammer entscheidet, ob eine Verletzung des Antragstellers in seinen Rechten tatsächlich vorliegt und trifft zuReidt

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§ 155 | Grundsatz gleich geeignete Maßnahmen, um diese Rechtsverletzung und damit verbundene – bereits eingetretene oder zu erwartende – Schädigungen des Antragstellers zu verhindern bzw. zu beseitigen. Nach einem wirksam erteilten Zuschlag (§ 127) kann sie allenfalls noch die Feststellung treffen, ob eine Rechtsverletzung des Antragstellers vorgelegen hat (§ 168 Abs. 2 Satz 2). Das während der Dauer des Verfahrens bestehende Zuschlagsverbot (§ 169 Abs. 1) kann auf besonderen Antrag des Auftraggebers oder des Unternehmens, das den Zuschlag erhalten soll, durch die Vergabekammer aufgehoben werden, mit der Folge, dass der Zuschlag wirksam erteilt werden darf (§ 169 Abs. 2). Gegen diese in das Nachprüfungsverfahren bei der Vergabekammer integrierte Entscheidung kann das Oberlandesgericht als Beschwerdegericht angerufen werden, um bei einer Stattgabe das Zuschlagsverbot wiederherzustellen (Antrag des Unternehmens, das den Nachprüfungsantrag gestellt hat) oder bei einer Ablehnung der Vergabekammer das Zuschlagsverbot aufzuheben (Antrag des Auftraggebers, nicht hingegen das Unternehmens, das den Zuschlag erhalten soll). Im Weiteren entfällt das Zuschlagsverbot gemäß § 169 Abs. 4, wenn der Auftraggeber das Vorliegen der Voraussetzungen des § 117 Nr. 1 bis 3 oder § 150 Nr. 1 oder 6 geltend macht, fünf Werktage nach Zustellung eines entsprechenden Schriftsatzes durch die Vergabekammer an den Antragsteller. Das Oberlandesgericht als Beschwerdegericht kann in diesem Fall allerdings das Zuschlagsverbot wiederherstellen. 15 – Sofortige Beschwerde zum Oberlandesgericht (§§ 171 ff.) Gegen die

Hauptsacheentscheidung der Vergabekammer gemäß § 168 Abs. 1 kann durch jeden der Verfahrensbeteiligten (Antragsteller, Antragsgegner, Beigeladene) sofortige Beschwerde eingelegt werden, sofern der Beschwerdeführer durch die Entscheidung selbst beschwert ist. Auch im Rahmen des Beschwerdeverfahrens kommt eine Vorabentscheidung über den Zuschlag in Betracht (§ 176).

§ 155 Grundsatz Unbeschadet der Prüfungsmöglichkeiten von Aufsichtsbehörden unterliegt die Vergabe öffentlicher Aufträge und von Konzessionen der Nachprüfung durch die Vergabekammern. I. 1. 2. II.

Einführung Inhaltsübersicht . . . . . . . . . Entstehungsgeschichte . . . . Möglichkeiten der Vergabeüberwachung . . . . . . . . . . 1. Aufsichtsbehörden . . . . . . .

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... ... ... ...

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2. Vergabeprüfstellen . . . . . . . . . . 3. Vergabekammern . . . . . . . . . . . III. Verhältnis der Nachprüfungsmöglichkeiten zueinander . . . . IV. Divergierende Entscheidungen

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Grundsatz | § 155

I. Einführung 1. Inhaltsübersicht § 155 regelt die prinzipielle Zuständigkeit der Vergabekammern für die Über- 1 prüfung der Vergabe öffentlicher Aufträge und von Konzessionen. Er schreibt verbindlich die sachliche Nachrangigkeit der Einschaltung von Aufsichtsbehörden fest. 2. Entstehungsgeschichte Der Gesetzestext (§ 102 a.F.), der zunächst § 112 des Regierungsentwurfs des 2 Vergaberechtsänderungsgesetzes (Einleitung Rz. 7) entsprach, wurde durch das Vergaberechtsmodernisierungsgesetz 2009 (Einleitung Rz. 4 ff.) dahingehend geändert, dass der Verweis auf die Prüfungsmöglichkeiten von Vergabeprüfstellen entfiel. Es handelte sich dabei um eine Folgeänderung zu der vollständigen Streichung von § 103 a.F., der die Tätigkeit der fakultativ einzurichtenden Vergabeprüfstellen durch Bund und Länder behandelte (s. noch Rz. 15).Gemäß der Begründung des Gesetzesentwurfs der Bundesregierung zum Vergaberechtsmodernisierungsgesetz 2009 blieb trotz dieser Streichung die grundsätzliche Prüfungsmöglichkeit durch Vergabeprüfstellen erhalten, also auch ohne ausdrückliche Erwähnung im GWB. Der Sache nach ist dies folgerichtig, da es sich bei der Tätigkeit der Vergabeprüfstellen um eine besonders ausgestaltete aufsichtsbehördliche Prüfung handelt, deren Organisation und inhaltliche Ausgestaltung dem Bund und den Ländern obliegt. Dementsprechend regelte § 103 Abs. 1 Satz 2 a.F. ausdrücklich, dass die Vergabeprüfstellen auch bei den Fach- und Rechtsaufsichtsbehörden angesiedelt sein können. § 155 (§ 102 a.F.) ist durch das VergaberechtsmodernisierungsG 2016 (Einlei- 3 tung Rz. 10 f.) weitestgehend unverändert geblieben. Neu ist lediglich, dass sich die Nachprüfungsmöglichkeiten nunmehr auch auf die Vergabe von Konzessionen beziehen. Diese Erweiterung beruht auf Artikel 46 und 47 der Richtlinie 2014/23/EU und der damit einhergehenden Notwendigkeit, auch die Konzessionsvergabe umfassend in die vergaberechtliche Nachprüfung einzubeziehen.

II. Möglichkeiten der Vergabeüberwachung § 155 nennt zwei verschiedene Möglichkeiten der Überwachung bei der Ver- 4 gabe öffentlicher Aufträge i.S.v. § 103 und von Konzessionen i.S.v. § 105. Diese kann zum einen durch die Aufsichtsbehörden und zum anderen durch die Vergabekammern erfolgen (zu der Tätigkeit der früher in § 103 a.F. geregelten Vergabeprüfstellen s. Rz. 2 sowie Rz. 15). Der Hinweis auf die Tätigkeit der Aufsichtsbehörden ist dabei rein deklaratorischer Natur. Der Tätigkeitsbereich von Reidt

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§ 155 | Grundsatz Aufsichtsbehörden in Bund und Ländern wird durch die Regelung weder eigenständig begründet, noch wird er erweitert oder eingeengt1. 1. Aufsichtsbehörden 5 Nachgeordnete Bundes- und Landesbehörden unterliegen einer Rechts-, Fach-

und Dienstaufsicht2. Die Dienstaufsicht ist dabei vorliegend zu vernachlässigen. Sie erstreckt sich auf den Aufbau, die innere Ordnung, die allgemeine Geschäftsführung und die Personalangelegenheiten nachgeordneter Behörden3. Die Fachaufsicht bezieht sich auf die rechtmäßige und zweckmäßige Wahrnehmung der den nachgeordneten Behörden obliegenden Aufgaben4. In Selbstverwaltungsangelegenheiten, also im Rahmen des eigenen Wirkungskreises einer juristischen Person des öffentlichen Rechts, besteht lediglich eine Rechtsaufsicht, die sich auf die Rechtmäßigkeit der Aufgabenwahrnehmung bezieht, nicht hingegen auf die Zweckmäßigkeit der Aufgabenerfüllung. Dies ist etwa bei der allgemeinen Aufsicht über Gemeinden der Fall5.

6 Im Rahmen der jeweiligen Aufsicht besteht insbesondere die Möglichkeit zur

Beanstandung getroffener oder auch geplanter Maßnahmen und Entscheidungen einer nachgeordneten Behörde, zur Anordnung von zu treffenden Maßnahmen oder Entscheidungen sowie ggf. auch zur Ersatzvornahme6. Diese Aufsichtsmöglichkeiten können auch im Bereich des Vergaberechts (oberhalb, aber auch unterhalb7 der Schwellenwerte gemäß § 106 Abs. 1) von Bedeutung sein. Sie unterscheiden sich allerdings nicht von den Aufsichtsmöglichkeiten bei sonstigem Staatshandeln8. Entscheidend für den Bereich des öffentlichen Auftragswesens ist allerdings, dass Aufsichtsbehörden in diesem Sinne nicht für alle Auftraggeber i.S.v. § 98 existieren. Bei juristischen Personen des Privatrechts (§ 99, § 99 Rz. 19 f.) ist dies nicht der Fall. Dies gilt auch für juristische Personen des Privatrechts, die von der öffentlichen Hand beherrscht werden (§ 99 Nr. 2, s. dazu § 99 Rz. 44 ff.). Allerdings kann dort über die entsprechenden Kontroll- und Aufsichtsgremien (z.B. Gesellschafterversammlung, Aufsichtsrat) zumindest mittelbar Einfluss auf die Rechtmäßigkeit des Vergabeverhaltens genommen werden9.

1 Gause in Willenbruch/Wieddekind, Kompaktkommentar Vergaberecht, § 102 Rz. 5; Stockmann in Immenga/Mestmäcker, GWB, § 102 Rz. 5. 2 S. etwa Stockmann in Immenga/Mestmäcker, GWB, § 102 Rz. 7 ff. 3 Z.B. § 12 Landesorganisationsgesetz NW. 4 Z.B. § 13 Landesorganisationsgesetz NW. 5 Z.B. § 116 Abs. 1 Gemeindeordnung NW, § 20 Abs. 1 Landesorganisationsgesetz NW. 6 S. im Einzelnen etwa §§ 118 ff. Gemeindeordnung NW. 7 Noch in Byok/Jaeger, Kommentar zum Vergaberecht, § 102 Rz. 15; Kus in Kulartz/Kus/ Portz/Prieß, Kommentar zum Vergaberecht, § 155 Rz. 21. 8 Dazu im Einzelnen etwa Burgi in Erichsen, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 7 Rz. 39 ff.; für den Bereich des Vergaberechts Heiermann/Ax, Rechtsschutz bei der Vergabe öffentlicher Aufträge, 12 ff. 9 Noch in Byok/Jaeger, Kommentar zum Vergaberecht, § 102 Rz. 17.

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Grundsatz | § 155

Des Weiteren ist von Bedeutung, dass die Ausübung der Rechts- und Fachauf- 7 sicht im Ermessen der jeweiligen Aufsichtsbehörde steht1. Schutz- und Zielrichtung ist dabei die Rechtmäßigkeit des Staatshandelns als solche, nicht hingegen die Wahrung subjektiver Rechte von bestimmten Unternehmen2. Demgemäß erfolgt die Rechts- und Fachaufsicht von Amts wegen3, wenn auch häufig aufgrund von Hinweisen, die von dritter Seite zu den Aufsichtsbehörden gelangen. Ein Rechtsanspruch darauf, dass eine Rechts- oder Fachaufsichtsbehörde in bestimmter Weise tätig wird, besteht jedoch in der Regel nicht4. Der Anspruchsinhalt erschöpft sich im Regelfall darin, dass sich die zuständige Aufsichtsbehörde mit dem Vorbringen von Betroffenen oder sonstigen Dritten befassen muss. Anträge auf Einschreiten der Aufsichtsbehörden können dementsprechend formlos gestellt werden. Ebenfalls bestehen keine besonderen Fristen. Die Möglichkeiten, über die Rechts- und Fachaufsichtsbehörden auf die Recht- 8 mäßigkeit des Vergabeverhaltens von öffentlichen Auftraggebern einzuwirken, sind dennoch nicht zu unterschätzen5. Ihr Vorteil gegenüber einer Anrufung der Vergabekammer liegt zum einen darin, dass für die Tätigkeit von Aufsichtsbehörden keine besonderen Kosten entstehen. Zudem sind die Aufsichtsbehörden, sei es als Rechtsaufsicht, sei es als Fachaufsicht (Rz. 5), berechtigt, die Einhaltung der Vergabevorschriften durch die ihnen nachgeordneten Behörden in vollem Umfang zu überprüfen, also ohne eine Beschränkung auf subjektive Rechte i.S.v. § 97 Abs. 6. Ebenfalls ist es für die aufsichtsbehördliche Tätigkeit ohne Bedeutung, ob ein Unternehmen im Hinblick auf einen möglichen Vergaberechtsverstoß tatsächlich in seinen Rechten verletzt ist, ob eine Antragsbefugnis gegeben ist oder ob etwaige Rügen i.S.v. § 160 Abs. 3 präkludiert sind (§ 160 Rz. 42 ff.). Im Rahmen der Fachaufsicht kann zudem auch die Zweckmäßigkeit einer Ver- 9 gabe überprüft und dementsprechend ggf. auch durch die Aufsichtsbehörde gestoppt werden, selbst wenn ein Rechtsverstoß nicht besteht oder jedenfalls zweifelhaft ist. Dies schließt die Möglichkeit ein, die Erteilung des Zuschlags auf ein bestimmtes Angebot zu untersagen oder anzuordnen, etwaige Kündigungsmöglichkeiten, die ein bereits abgeschlossener Vertrag bietet, auszunutzen. Auch insofern geht die aufsichtsbehördliche Tätigkeit also über die Möglichkeiten der Vergabekammer hinaus (s. hierzu § 168 Abs. 2 Satz 1, § 168 Rz. 30 ff.). Ebenso ist die Aufsichtsbehörde grundsätzlich berechtigt, die Durchführung 10 rechtmäßiger Maßnahmen im Rahmen eines Vergabeverfahrens anzuordnen, etwa bestimmte Bieter, bei denen Ausschlussgründe vorliegen, auszuschließen oder auch anzuordnen, das Vergabeverfahren fortzusetzen, obgleich die Vergabe1 2 3 4 5

Kus in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum Vergaberecht, § 155 Rz. 21. Stockmann in Immenga/Mestmäcker, GWB, § 102 Rz. 5. Kus in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum Vergaberecht, § 155 Rz. 21. W.-R. Schenke/R. P. Schenke in Kopp/Schenke, VwGO, Anhang zu § 42 Rz. 81. Gause in Willenbruch/Wieddekind, Kompaktkommentar Vergaberecht, § 102 Rz. 6.

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§ 155 | Grundsatz stelle selbst beabsichtigt, es durch Aufhebung oder in sonstiger Weise zu beenden, oder auch anzuordnen, den Zuschlag auf ein bestimmtes Angebot zu erteilen. Erst recht kann die Aufsichtsbehörde auf den Hinweis eines Unternehmens hin anordnen, überhaupt ein Vergabeverfahren durchzuführen, wenn die ihr nachgeordnete Vergabestelle beabsichtigt, davon in unzulässiger Weise abzusehen. 11 Bei ihrer rechts- oder fachaufsichtlichen Tätigkeit hat die zuständige Aufsichts-

behörde neben den subjektiven Interessen von Unternehmen und dem Gemeinwohlinteresse an einem zweck- und rechtmäßigen Vergabeverhalten auch die Belange der Vergabestelle selbst zu berücksichtigen. Dies kann es aus aufsichtsbehördlicher Sicht rechtfertigen, insbesondere aus Gründen der Verhältnismäßigkeit oder aus sonstigen übergeordneten Gründen des Allgemeinwohls bestimmte Anordnungen trotz eines (möglichen) Vergaberechtsverstoßes gegenüber einer nachgeordneten Vergabestelle nicht zu treffen und sich auf Anordnungen im Hinblick auf zukünftige Vergabevorgänge zu beschränken. Ebenso hat sie die Möglichkeit, gegenüber einer ihr nachgeordneten Vergabestelle und auch gegenüber Unternehmen, die sich an sie wenden, beratend und streitschlichtend tätig zu werden (so ausdrücklich auch § 103 Abs. 2 Satz 2 a.F. zur Tätigkeit der Vergabeprüfstellen).

12 Sofern nicht ein Fall der uneingeschränkten Fachaufsicht vorliegt (Rz. 5), stellt

eine Anordnung der Aufsichtsbehörde gegenüber der nachgeordneten Behörde in der Regel ein Verwaltungsakt i.S.v. § 35 Satz 1 VwVfG des Bundes und der Länder dar1. Die Vergabestelle selbst kann gegen eine Anordnung ihrer Aufsichtsbehörde nicht die Vergabekammer anrufen, da es bei deren Anordnung nicht um eine Nachprüfung der Vergabe im Sinne des Kartellvergaberechts geht, sondern um die Kontrolle der Rechtmäßigkeit und ggf. auch der Zweckmäßigkeit staatlichen Handelns. Zudem wären auch die Anforderungen des § 160 Abs. 2 für die Vergabestelle selbst nicht erfüllbar. Daher hat sie nur die Möglichkeit, die allgemeinen Rechtsschutzmöglichkeiten gegen Verwaltungsakte auszunutzen (Widerspruch, §§ 68 ff. VwGO; Anfechtungsklage, §§ 74 ff. VwGO). Ebenfalls greifen die sonstigen verfahrensrechtlichen Bestimmungen des verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes. Insbesondere haben Widerspruch und Klage gegen Entscheidungen der Aufsichtsbehörde aufschiebende Wirkung, sofern nicht durch Bundes- oder Landesrecht gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO etwas anderes geregelt ist oder nicht gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO die sofortige Vollziehung der aufsichtsbehördlichen Entscheidung angeordnet wurde, gegen die dann wiederum die Möglichkeiten des vorläufigen Rechtsschutzes gemäß § 80 Abs. 5 VwGO bestehen.

13 Ist die Anordnung der Aufsichtsbehörde bestandskräftig oder sofort vollziehbar,

muss sie durch die Vergabestelle beachtet werden. Ansonsten greifen die allgemeinen verwaltungsvollstreckungs- und organisationsrechtlichen Durchsetzungsmög-

1 U. Stelkens in Stelkens/Bonk/Sachs, Verwaltungsverfahrensgesetz, § 35 Rz. 181 f.

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lichkeiten, insbesondere also die Möglichkeiten zum Selbsteintritt bzw. zur Ersatzvornahme1. Allerdings ändert dies nichts daran, dass ein ggf. entgegen einer aufsichtsbehördlichen Weisung erteilter Zuschlag grundsätzlich wirksam ist,2 da § 169 Abs. 1 im Bereich der Verwaltungsaufsicht nicht anwendbar ist. Etwas anderes gilt nur dann, wenn besondere Nichtigkeitsgründe eingreifen, sei es unmittelbar aus dem Bereich des Vergaberechts (s. neben § 169 Abs. 1 insbesondere § 135), sei es aus dem allgemeinen Zivilrecht (s. insbesondere § 138 und § 311b BGB). Da die Einschaltung der Aufsichtsbehörde nicht Voraussetzung dafür ist, die 14 Vergabekammer anzurufen, muss ein Unternehmen deren Entscheidung auch nicht abwarten, wenn es die zuständige Aufsichtsbehörde eingeschaltet hat. Dementsprechend kann dies auch parallel zu einem Nachprüfungsantrag erfolgen3. Wird die Aufsichtsbehörde auf Verlangen eines Unternehmens gar nicht oder nicht in dem von einem Unternehmen gewünschten Sinne tätig, besteht regelmäßig nicht die Möglichkeit, dagegen gesondert auf dem Verwaltungsrechtsweg vorzugehen, also ein aufsichtsbehördliches Tätigwerden mittels Widerspruch und Verpflichtungsklage zu erzwingen4. Hierfür sind die Rechtsschutzmöglichkeiten vor der Vergabekammer vorrangig (s. auch § 103 Abs. 3 Satz 1 a.F. zur Tätigkeit der Vergabeprüfstellen). Ohnehin hätte eine solche Möglichkeit im Hinblick auf die Dauer verwaltungsverfahrens- und verwaltungsgerichtlicher Auseinandersetzungen sowie in Ermangelung eines Zuschlagsverbotes i.S.v. § 169 Abs. 1 allenfalls theoretische Bedeutung. 2. Vergabeprüfstellen Die Tätigkeit von Vergabeprüfstellen ist wegen ihrer Bedeutungslosigkeit im 15 GWB nicht mehr ausdrücklich geregelt5. Gleichwohl besteht diese Möglichkeit weiterhin, sofern der Bund oder einzelne Länder Vergabeprüfstellen für sämtliche Auftragsvergaben, für bestimmte Arten von Aufträgen oder für Aufträge ab einer bestimmten Größenordnung einrichten (s. Rz. 2). Für die Tätigkeit der Vergabeprüfstellen wird im Einzelnen auf die Kommentierung zu § 103 a.F. in der 2. Auflage dieses Kommentars verwiesen. Im Wesentlichen entspricht die Tätigkeit von Vergabeprüfstellen, sofern sie fortbestehen oder neu eingerichtet 1 S. etwa aus dem Bereich der Kommunal- und Körperschaftsaufsicht § 120 Gemeindeordnung NW, § 20 Landesorganisationsgesetz NW. 2 Sura in Langen/Bunte, Kommentar zum deutschen und europäischen Kartellrecht, § 102 Rz. 10. 3 Gause in Willenbruch/Wieddekind, Kompaktkommentar Vergaberecht, § 102 Rz. 5, 8; von einem Fall konkurrierender Zuständigkeiten spricht Sura in Langen/Bunte, Kommentar zum deutschen und europäischen Kartellrecht, § 102 Rz. 9. 4 Stockmann in Immenga/Mestmäcker, GWB, § 102 Rz. 10. 5 Kus in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum Vergaberecht, § 155 Rz. 22 Thiele in Müller-Wrede, Kompendium des Vergaberechts, Kap. 28, Rz. 9; Stockmann in Immenga/Mestmäcker, GWB, § 102 Rz. 4.

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§ 155 | Grundsatz wurden, derjenigen von Rechtsaufsichtsbehörden (s. Rz. 5)1. Zwar kann das Antragsrecht von Unternehmen oder sonstigen Dritten stärker ausgestaltet werden als dies typischerweise bei der Anrufung von Aufsichtsbehörden der Fall ist (Rz. 7), jedoch ändert dies nichts daran, dass das Rechtsschutzsystem des Kartellvergaberechts beachtet werden muss. So wäre es etwa ohne besondere bundesgesetzliche Regelung nicht möglich, einem Antrag an eine fakultativ eingerichtete Vergabeprüfstelle die Wirkung eines § 169 Abs. 1 vergleichbaren Zuschlagsverbots beizumessen (s. hierzu auch die Kommentierung zu § 170). Ebenso wenig könnte die Anrufung der Vergabekammer davon abhängig gemacht werden, dass zuvor die Entscheidung einer Vergabeprüfstelle eingeholt wird (so ausdrücklich bereits § 103 Abs. 3 a.F.)2. 16 Des Weiteren wäre es nicht möglich, vom Bund oder einem Land eingerichteten

Vergabeprüfstellen die Kompetenz einzuräumen, gegenüber öffentlichen Auftraggebern, die keiner staatlichen Rechts- oder Fachaufsicht unterworfen sind, verbindliche Anordnungen im Hinblick auf ihre Vergabetätigkeit zu treffen. Dementsprechend beschränkte § 103 Abs. 1 Satz 1 a.F. die Tätigkeit von Vergabeprüfstellen ausdrücklich auf die Auftraggeber i.S.v. § 99 Nr. 1 bis 3(§ 98 Nr. 1 bis 3 a.F.)3. Außerhalb der Rechts- und Fachaufsicht ist die vergaberechtliche Kontrolle der Tätigkeit von öffentlichen Auftraggebern also durch das Rechtsschutzsystem der §§ 160 ff. begrenzt, das allein dem Schutz antragsbefugter Unternehmen im Hinblick auf deren Rechte i.S.v. § 97 Abs. 6 dient (zu darüber hinausgehenden wettbewerbsrechtlichen und sonstigen Ansprüchen, die nicht der Prüfung durch die Vergabekammern unterfallen, s. § 156 Rz. 7 ff.). 3. Vergabekammern

17 Für die Tätigkeit der Vergabekammern finden sich die maßgeblichen Detail-

regelungen zur organisatorischen Ausgestaltung in den §§ 156 bis 159 und zum Verfahren vor der Vergabekammer in den §§ 160 bis 169.

18 Zuständig ist die Vergabekammer nur dann, wenn es sich tatsächlich um einen

Auftrag handelt, der in den Anwendungsbereich des Kartellvergaberechts fällt (zu Aufträgen im Anwendungsbereich des SGB V s. § 69 Abs. 3 SGB V, dazu § 103 Rz. 225 ff.; zu Bodenabfertigungsdiensten nach § 19c LuftVG s. § 156 Rz. 5). Ist dies nicht der Fall, ist ein Nachprüfungsantrag unzulässig4. Die Vergabekammer muss ihn in einem solchen Fall als unzulässig ablehnen. Erfolgt dies nicht, kann die Entscheidung ggf. durch die Beschwerde zum OLG (§§ 171 ff.) angegriffen werden. Dies gilt selbst dann, wenn die Vergabestelle im Rahmen ihrer Ausschreibung rechtsirrig davon ausgegangen ist, dass die betref-

1 2 3 4

Stockmann in Immenga/Mestmäcker, GWB,4. Aufl. 2007, § 102 Rz. 3. Stockmann in Immenga/Mestmäcker, GWB, § 102 Rz. 3. Noch in Byok/Jaeger, Kommentar zum Vergaberecht, § 102 Rz. 15. S. etwa OLG Naumburg v. 17.1.2014 – 2 Verg 6/13, VergabeR 2014, 480.

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fende Auftragsvergabe dem Kartellvergaberecht unterfällt, etwa weil sie den Schwellenwert (§ 106 Abs. 1, s. dazu § 106 Rz. 10) falsch berechnet hat1 oder wenn sie trotz Unterschreitung des Schwellenwertes freiwillig unionsweit ausschreibt2. Andererseits findet der Rechtsschutz durch die Vergabekammern und Vergabesenate uneingeschränkt Anwendung, wenn ein öffentlicher Auftraggeber zu Unrecht von einem EU-weiten Ausschreibungsverfahren abgesehen hat (unzulässige Direktvergabe, de facto-Vergabe, s. dazu auch § 154 Abs. 1 Nr. 2)3. Ebenfalls zum Gegenstand einer Überprüfung durch die Vergabekammer gemacht werden kann die Aufhebung einer Ausschreibung (s. noch § 168 Rz. 25 ff.)4. Dies ändert jedoch nichts daran, dass für einen öffentlichen Auftraggeber keine Zuschlagspflicht besteht (vgl. auch § 63 Abs. 1 Satz 2 VgV). Er kann daher insbesondere nicht verpflichtet werden, bei Aufgabe oder wesentlicher Veränderung seiner Beschaffungsabsicht gleichwohl ein eingeleitetes Vergabeverfahren mit einer Zuschlagserteilung zugunsten eines bestimmten Bieters abzuschließen (s. Vorbem. zu §§ 97 bis 154 Rz. 14; § 168 Rz. 25 ff.).

III. Verhältnis der Nachprüfungsmöglichkeiten zueinander Die Prüfungsmöglichkeiten von Aufsichtsbehörden und ggf. auch von Vergabe- 19 prüfstellen bestehen unabhängig von der Nachprüfung durch die Vergabekammern. Daraus ergibt sich zum einen, dass kein Vorrangverhältnis dergestalt besteht, dass Unternehmen zunächst die Aufsichtsbehörden oder Vergabeprüfstellen einschalten müssen, bevor sie die Vergabekammern anrufen5. Dies kann auch landesrechtlich nicht abweichend geregelt werden (§ 170, s. auch Rz. 15 f.). Des Weiteren ergibt sich aus der Formulierung „unbeschadet“, dass die Überprüfung eines konkreten Vergabeverfahrens auch parallel durch die verschiedenen Nachprüfungsbehörden (Aufsichtsbehörde, Vergabeprüfstelle, Vergabekammer) erfolgen kann6. Dies gilt unabhängig davon, ob die Tätigkeit der Aufsichtsbehörde oder Vergabeprüfstelle von Amts wegen oder aufgrund einer Initiative desjenigen Unternehmens erfolgt, das parallel dazu ein Nachprüfungsverfahren bei der Vergabekammer angestrengt hat. In letzterem Fall fehlt insbesondere nicht das notwendige Sachentscheidungsinteresse für das Verfahren bei der Vergabekammer. Dies folgt neben dem Wortlaut des § 155 auch aus den verfahrensrechtlichen Wirkungen einer Nachprüfung durch die Vergabekam1 S. etwa OLG Naumburg v. 4.10.2007 – 1 Verg 7/07, ZfBR 2008, 86; VK Brandenburg v. 30.5.2007 – 1 VK 15/07. 2 Kus in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum Vergaberecht, § 155 Rz. 18. 3 S. etwa Stockmann in Immenga/Mestmäcker, GWB, § 102 Rz. 16; Kus in Kulartz/Kus/ Portz/Prieß, Kommentar zum Vergaberecht, § 155 Rz. 7, 18. 4 EuGH v. 2.6.2005 – C-15/04, NZBau 2005, 472; EuGH v. 18.6.2002 – C-92/00, NZBau 2002, 458; BGH v. 18.2.2003 – X ZB 43/02, VergabeR 2003, 313. 5 Otting in Bechtold, GWB 6.A., § 102 Rz. 5. 6 Stockmann in Immenga/Mestmäcker, GWB, § 102 Rz. 21 f.

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§ 155 | Grundsatz mer, insbesondere aus dem Zuschlagsverbot des § 169 Abs. 1, das allein dem Verfahren gemäß den §§ 160 ff. zukommt. 20 Allenfalls kann die Antragsbefugnis für ein Verfahren vor der Vergabekammer

fehlen oder wegfallen, wenn die Aufsichtsbehörde oder Vergabeprüfstelle eine Anordnung gegenüber dem Auftraggeber getroffen hat, die den Belangen des Unternehmens Rechnung trägt und der Auftraggeber diese Beanstandung oder Weisung auch respektiert (zu den Rechtsschutzmöglichkeiten des Auftraggebers Rz. 12; zur notwendigen Antragsbefugnis s. auch § 160 Rz. 14 ff.)1.

IV. Divergierende Entscheidungen 21 Wie dies bei der parallelen Prüfung von ganz oder teilweise identischen Sach-

und Rechtsfragen immer der Fall ist, stellt sich auch bei der vergaberechtlichen Nachprüfung die Frage, wie bei widersprüchlichen Entscheidungen zu verfahren ist. So ist es etwa denkbar, dass die Rechts- oder Fachaufsichtsbehörde ein bestimmtes Vergabeverhalten des Auftraggebers für rechtmäßig hält, während die Vergabekammer oder ggf. der Vergabesenat des OLG eben dieses Verhalten als vergaberechtswidrig beanstandet.

22 In diesem Fall ist für den Auftraggeber im Ergebnis die jeweils weiterreichende

Entscheidung maßgeblich. Er kann sich also nicht darauf verlassen und darauf berufen, dass durch eine von mehreren Nachprüfungsbehörden ein bestimmtes Vergabeverhalten nicht beanstandet wurde2.

23 Die Vergabekammer trifft ihre Entscheidung gemäß §§ 168 Abs. 3 Satz 1 durch

Verwaltungsakt.3 Wird gegenüber dem Auftraggeber durch diese Entscheidung bzw. durch eine entsprechende Entscheidung des Vergabesenats beim OLG ein bestimmtes Vergabeverhalten bestands- bzw. rechtskräftig untersagt, ist sie durch den Auftraggeber zwingend zu beachten. Sie kann anderenfalls mit den Möglichkeiten des Verwaltungsvollstreckungsrechts durchgesetzt werden (§ 168 Rz. 82 ff.).4 Der Auftraggeber darf also einen Zuschlag nicht auf der Grundlage eines Vergabeverfahrens erteilen, das die Vergabekammer für rechtswidrig und in Bezug auf das antragstellende Unternehmen für rechtsverletzend hält. Daran ändert auch der Umstand nichts, dass möglicherweise die zuständige Aufsichtsbehörde oder eine Vergabeprüfstelle einen Verstoß weder gegen subjektive Rechte, noch gegen objektives Vergaberecht festgestellt hat oder jedenfalls dagegen nicht im Rahmen ihres Entschließungs- und Auswahlermessens einschreitet (Rz. 11). Will der Auftraggeber die Entscheidung der Vergabekammer nicht

1 So auch Boesen, Vergaberecht, § 103 Rz. 19. 2 Anders etwa Heuvels in Loewenheim/Meessen/Riesenkampff, Kartellrecht, § 102 Rz. 4, ohne allerdings die unterschiedlichen Prüfungsmaßstäbe zu berücksichtigen. 3 Leinemann, Die Vergabe öffentlicher Aufträge, Rz. 1757. 4 Thiele in Müller-Wrede, Kompendium des Vergaberechts, Kap. 28, Rz. 82.

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Vergabekammern | § 156

akzeptieren, so bleibt ihm nur die Möglichkeit, den Vergabesenat beim OLG anzurufen (§ 171). Entscheidet auch dieser zu Lasten des Auftraggebers, ist er endgültig daran gebunden. Zusätzlich muss der Auftraggeber allerdings auch die rechtsverbindlichen An- 24 ordnungen seiner Rechts- oder Fachaufsichtsbehörde oder auch einer in ihren Kompetenzen vergleichbaren Vergabeprüfstelle (Rz. 15 f.) beachten. Verneint die Vergabekammer und ggf. auch der Vergabesenat einen Verstoß gegen materielles Vergaberecht zu Lasten eines antragstellenden Unternehmens, ergeht jedoch gleichwohl die verbindliche Anordnung einer Aufsichtsbehörde oder einer Vergabeprüfstelle, bestimmte Änderungen im Rahmen des Vergabeverfahrens – insbesondere bei einem Verstoß gegen nicht bieterschützende Vorschriften i.S. von § 97 Abs. 6 (§ 97 Rz. 106 ff.) – vorzunehmen, ist auch diese, in einem solchen Fall also weiterreichende, Entscheidung zu beachten. Dem Auftraggeber verbleibt ggf. nichts anderes, als gegen eine solche Entscheidung, sofern sie überhaupt als Verwaltungsakt ergeht, Rechtsmittel einzulegen (s. Rz. 12). Lässt der Auftraggeber die aufsichtliche Entscheidung hingegen bestandskräftig werden, muss er sie beachten, da anderenfalls die aufsichtlichen Vollstreckungsmöglichkeiten drohen. Allerdings ändern auch diese im Regelfall nichts an der Wirksamkeit eines gleichwohl erteilten Zuschlags (s. Rz. 13).

§ 156 Vergabekammern (1) Die Nachprüfung der Vergabe öffentlicher Aufträge und der Vergabe von Konzessionen nehmen die Vergabekammern des Bundes für die dem Bund zuzurechnenden öffentlichen Aufträge und Konzessionen, die Vergabekammern der Länder für die diesen zuzurechnenden öffentlichen Aufträge und Konzessionen wahr. (2) Rechte aus § 97 Abs. 6 sowie sonstige Ansprüche gegen öffentliche Auftraggeber, die auf die Vornahme oder das Unterlassen einer Handlung in einem Vergabeverfahren gerichtet sind, können nur vor den Vergabekammern und dem Beschwerdegericht geltend gemacht werden. (3) Die Zuständigkeit der ordentlichen Gerichte für die Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen und die Befugnisse der Kartellbehörden zur Verfolgung von Verstößen insbesondere gegen §§ 19 und 20 bleiben unberührt. I. II. III. IV.

Inhaltsübersicht . . . . . . . . . . . Entstehungsgeschichte . . . . . . . Zuständigkeit (§ 156 Abs. 1) . . Ausschließlichkeit des Vergaberechtsschutzes (§ 156 Abs. 2) . . 1. Rechte aus § 97 Abs. 6 . . . . . . .

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2. Sonstige Ansprüche . . . . . . . . . V. Zuständigkeit der ordentlichen Gerichte und Kartellbehörden (§ 156 Abs. 3) 1. Ordentliche Gerichte . . . . . . . . 2. Befugnisse der Kartellbehörden .

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§ 156 | Vergabekammern I. Inhaltsübersicht 1 § 156 Abs. 1 regelt die sachliche Zuständigkeit der Vergabekammern des Bundes

und der Länder. Die Vorschrift wird durch die § 159 weiter konkretisiert. Absatz 2 regelt die Ausschließlichkeit des Vergaberechtsschutzes durch die Nachprüfungsbehörden und die zuständigen Beschwerdegerichte. Absatz 3 beinhaltet zum einen eine Klarstellung hinsichtlich der Zuständigkeit der ordentlichen Gerichte für die Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen. Zum anderen sieht die Vorschrift einen Vorbehalt für die Verfolgung von Kartellverstößen durch die Kartellbehörden vor.

II. Entstehungsgeschichte 2 § 104 a.F. knüpfte an die Regelung des § 57c HGrG an. Der Gesetzestext des Ab-

satzes 1 entsprach § 114 Abs. 1 des Regierungsentwurfs zum Vergaberechtsänderungsgesetz 1998 (Einleitung Rz. 7). Auch Absatz 2 geht im Wesentlichen darauf zurück. Die Einbeziehung der „sonstigen Ansprüche gegen öffentliche Auftraggeber“ erfolgte dabei auf einen Vorschlag des Bundesrates. Mit dem Vergaberechtsmodernisierungsgesetz 2009 (Einleitung Rz. 4 ff.) wurden in Absatz 2 – als Folge der Aufhebung von § 103 – die Vergabeprüfstellen gestrichen. Der bisherige Absatz 2 Satz 2 wurde zu Absatz 3. Dieser wurde zudem um einen klarstellenden Verweis auf die §§ 19, 20 erweitert. § 156 in der nunmehr vorliegenden Fassung des VergaberechtsmodernisierungsG 2016 (Einleitung Rz. 10 f.) ergänzt § 104 a.F. um die Zuständigkeit für den Bereich der Vergabe von Konzessionen, da auch diese nunmehr vom GWB-Vergaberecht erfasst sind (vgl. § 155 Rz. 3). Im Übrigen ist die Regelung jedoch unverändert.

III. Zuständigkeit (§ 156 Abs. 1) 3 § 156 Abs. 1 unterscheidet hinsichtlich der Zuständigkeit der Vergabekammern

nach öffentlichen Aufträgen und Konzessionen, die dem Bund zuzurechnen sind, und öffentlichen Aufträgen und Konzessionen, die den Ländern zugerechnet werden. Der danach für die Abgrenzung maßgebliche Begriff der Zurechnung wird durch § 159 konkretisiert1. Im Grundsatz gilt danach, dass für Aufträge, die vom Bund oder einem dem überwiegenden Einfluss des Bundes unterliegenden öffentlichen Auftraggeber vergeben werden, die Vergabekammern des Bundes zuständig sind (§ 159 Abs. 1). Entsprechendes gilt für die Zuständigkeit der Vergabekammern der Länder bei Auftraggebern, die dem jeweiligen Land zuzuordnen sind (§ 159 Abs. 2). Im Übrigen richtet sich die Zuständigkeit der

1 Vor Inkrafttreten des Vergaberechtsmodernisierungsgesetzes 2009 fand sich eine entsprechende Regelung in § 18 VgV; Grundlage hierfür war § 127 Nr. 5.

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Vergabekammern | § 156

Vergabekammern der Länder grundsätzlich nach dem Sitz des Auftraggebers (§ 159 Abs. 3 Satz 1) oder bei länderübergreifenden Beschaffungen nach der erfolgten Benennung (§ 159 Abs. 3 Satz 2).

IV. Ausschließlichkeit des Vergaberechtsschutzes (§ 156 Abs. 2) Nach Absatz 2 können die Rechte aus § 97 Abs. 6 sowie sonstige auf die Vor- 4 nahme oder das Unterlassen einer Handlung in einem Vergabeverfahren gerichtete Ansprüche gegen öffentliche Auftraggeber nur vor den Vergabekammern und dem Beschwerdegericht geltend gemacht werden. Die Vorschrift begründet eine abschließende Rechtswegzuweisung. Andere 5 Rechtsschutzmöglichkeiten, insbesondere Anträge auf Erlass einstweiliger Verfügungen, die auf Unterlassung einer Handlung in einem Vergabeverfahren abzielen1, kommen hinsichtlich der erfassten Rechte und Ansprüche mithin nicht in Betracht, d.h. der Primärrechtsschutz in Vergabesachen ist ausschließlich und abschließend (zu Sekundäransprüchen und Befugnissen der Kartellbehörde s. Rz. 13 ff.)2. Voraussetzung ist allerdings immer, dass überhaupt eine konkrete Vergabe, also eine Beschaffungsmaßnahme oberhalb der Schwellenwerte vorliegt (s. § 155 Rz. 18) und keine Sonderregelungen existieren, wie etwa für Bodenabfertigungsdienste an Flughäfen (s. § 19c LuftVG und die Verordnung über die Bodenabfertigungsdienste im Luftverkehr, BADV)3. 1. Rechte aus § 97 Abs. 6 Mit den Rechten aus § 97 Abs. 6 ist der Anspruch der Bewerber bzw. Bieter auf 6 Einhaltung der Bestimmungen über das Vergabeverfahren gemeint, also aller Regelungen, die das Vergabeverfahren als solches betreffen (s. § 97 Rz. 106 ff.). Diese Regelungen können sich aus dem gesamten Vergaberecht, vor allem also aus dem GWB, der Vergabeverordnung, der Sektorenverordnung, der Vergabeverordnung Verteidigung und Sicherheit, der Konzessionsvergabeverordnung, der VOB/A, den europäischen Vergaberechtsregeln aus dem AEUV sowie den Vergaberichtlinien und den Rechtsmittelrichtlinien (Einleitung Rz. 4 ff.) ergeben4. Erfasst ist dabei auch der geltend gemachte Anspruch, dass überhaupt ein dem Kartellvergaberecht unterfallendes Verfahren durchgeführt wird.5 Dies gilt auch in Fällen, in denen sich diese Notwendigkeit nicht unmittelbar aus 1 OLG Köln v. 24.10.2016 – 11 W 54/16, NZBau 2017, 181. 2 OLG Schleswig v. 6.7.1999 – 6 U Kart 22/99, BauR 2000, 1046. 3 Reidt in Grabherr/Reidt/Wysk, Luftverkehrsgesetz, § 19c Rz. 43 ff.; Boldt/Luft, VergabeR 2015, 758. 4 Hofmann/Horn in Burgi/Dreher, § 156 Rz. 8; Kus in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum Vergaberecht, § 156 Rz. 10. 5 S. etwa BGH v. 18.6.2012 – X ZB 9/11, VergabeR 2012, 839.

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§ 156 | Vergabekammern dem Vergaberecht ergibt, sondern anderweitige Vorschriften ein Kartellvergabeverfahren erfordern.1 2. Sonstige Ansprüche 7 Absatz 2 erfasst zudem sonstige Ansprüche, wenn sich diese gegen öffentliche

Auftraggeber richten und auf die Vornahme oder das Unterlassen einer Handlung in einem Vergabeverfahren gerichtet sind. Solche Ansprüche können sich etwa aus §§ 823 Abs. 2, 1004 BGB oder aus einem vorvertraglichen Vertrauensverhältnis (§ 311 Abs. 2 i.V.m. § 241 Abs. 2, culpa in contrahendo) in Verbindung mit § 1004 BGB ergeben2.

8 Die Regelung wurde auf Vorschlage des Bundesrates in das Vergaberechtsände-

rungsgesetz 1998 aufgenommen. In der Begründung wurde ausgeführt, dass das mit der Vorschrift verfolgte Ziel, den Primärrechtsschutz in Vergabesachen auf einen eigenständigen ausschließlichen Rechtsweg zu konzentrieren, nur erreicht werden könne, wenn auch die mit den Rechten aus § 97 Abs. 6 konkurrierenden Ansprüche, die auf anderen Normen beruhen, in die Vorschrift einbezogen werden3.

9 Absatz 2 steht damit in einem gewissen Widerspruch zu § 160 Abs. 2, der für

die Zulässigkeit von Nachprüfungsanträgen die Geltendmachung einer Verletzung der Rechte aus § 97 Abs. 6 durch die Nichtbeachtung von Vergabevorschriften, nicht hingegen von sonstigen Vorschriften voraussetzt. Nicht jede Norm, die anlässlich einer Auftragsvergabe eine Rolle spielt, ist jedoch ohne hinreichende Anknüpfungsnorm zugleich eine Vorgabevorschrift. Die Durchsetzung sonstiger Ansprüche genügte dem Wortlaut des § 160 Abs. 2 nach somit nicht zur Begründung der Antragsbefugnis. Wie dieser Widerspruch aufzulösen ist, ist umstritten.4 Zum Teil wird vertreten, § 160 Abs. 2 erweiternd dahin auszulegen, dass auch die Geltendmachung sonstiger Ansprüche zur Begründung der Antragsbefugnis genügt5. Für diese Auffassung spricht das hinter Absatz 2 stehende Ziel der Rechtswegkonzentration. Nach der Gegenauffassung ist Absatz 2 im Hinblick auf § 160 Abs. 2 eng zu interpretieren: Die ausschließliche Zuständigkeit der Vergabekammern nach Absatz 2 reiche daher nur soweit, wie ein Nachprüfungsantrag nach § 160 Abs. 2 zulässigerweise gestellt werden kann6.

1 Vgl. OLG Düsseldorf v. 19.10.2011 – VII-Verg 51/11, VergabeR 2012, 65; a.A. OLG Jena v. 11.12.2009 – 9 Verg 2/08, VergabeR 2010, 705. 2 So auch OLG Schleswig v. 6.7.1999 – 6 U Kart 22/99, BauR 2000, 1046. 3 BT-Drucks. 13/9340, S. 39. 4 S. im Einzelnen Hofmann/Horn in Burgi/Dreher, § 156 Rz. 14 ff. 5 Kus in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum Vergaberecht, § 104 Rz. 12; in diese Richtung wohl auch OLG Düsseldorf v. 26.7.2002 – Verg 22/02. 6 Byok/Bormannt in Byok/Jaeger, Kommentar zum Vergaberecht, § 104 Rz. 14; so wohl auch OLG Düsseldorf v. 16.6.2008 – VII-Verg 13/08: „Im Übrigen beschränkt sich die Überprüfung der Vergabeentscheidung nach § 97 Abs. 7, § 104 Abs. 2 GWB darauf, ob

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Vergabekammern | § 156

Nach einer differenzierenden Ansicht fallen unter die sonstigen Ansprüche i.S.v. Absatz 2 solche Ansprüche, die sich inhaltlich nicht von den unmittelbaren vergaberechtlichen Ansprüchen unterscheiden, also insbesondere Ansprüche auf Unterlassung bzw. Beseitigung von Verstößen gegen Vergabevorschriften aus §§ 823 Abs. 2, 1004 BGB. Andere Ansprüche hingegen werden danach von Absatz 2 nicht erfasst1. Dieser Auffassung ist zuzustimmen. Denn das mit der Vorschrift verfolgte Konzentrationsziel ist zwar sachgerecht. Denn das Vergabenachprüfungsverfahren mit seiner zeitlichen und inhaltlichen Straffung (s. insbes. § 167) dient nicht dazu, sämtliche Rechtsfragen zwischen den Beteiligten zu klären, nur weil sie anlässlich eines Vergabeverfahrens auftreten (s. noch § 160 Rz. 29 ff.).2 Absatz 2 erfasst daher nur solche sonstigen Ansprüche, die auf die Vornahme 10 oder das Unterlassen einer Handlung in einem Vergabeverfahren gerichtet sind. Vergabeverfahren meint jedes materielle Beschaffungsverhalten eines öffentlichen Auftraggebers; nicht erforderlich ist, dass es sich um ein geregeltes bzw. förmliches Verfahren handelt3. Das Verfahren muss bereits begonnen haben – einen vorbeugenden Rechtsschutz sehen die §§ 160 ff. nicht vor4 – und darf noch nicht beendet sein. Der Beginn des Vergabeverfahrens liegt in dem „erste[n] Schritt zur Herbeiführung eines konkreten Vertragsabschlusses“ (s. auch § 160 Rz. 17 ff.5. Bei förmlichen Vergabeverfahren mit Vergabebekanntmachung ist dies die Absendung der Bekanntmachung an das Veröffentlichungsorgan (vgl. § 37 VgV). Beendet ist das Vergabeverfahren, wenn der Zuschlag wirksam erteilt worden ist oder sich das Verfahren auf andere Weise i.S.v. § 168 Abs. 2 Satz 2 erledigt hat (s. § 168 Rz. 40 ff.)6. Auf Vornahme oder Unterlassung einer Handlung in einem Vergabeverfahren 11 ist ein Anspruch gerichtet, wenn er den Ablauf des Vergabeverfahrens sachlich tangiert7, also etwa auf die Berücksichtigung des Angebotes des Antragstellers in der Wertung oder die Nichterteilung des Zuschlages auf das Angebot eines

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der Auftraggeber die Bestimmungen über das Vergabeverfahren eingehalten hat. Weitere Gesichtspunkte sind nicht Gegenstand des Nachprüfungsverfahrens.“; ebenso OLG Düsseldorf v. 16.6.2008 – VII-Verg 7/08; OLG Düsseldorf v. 26.5.2008 – VII-Verg 14/08, ZfBR 2008, 823. Stockmann in Immenga/Mestmäcker, GWB, § 104 Rz. 14 ff; Hofmann/Horn in Burgi/ Dreher, § 18 Rz. 20. Vgl. OLG München v. 19.7.2012 – Verg 8/12, VergR 2012, 856; OLG Düsseldorf v. 17.2. 2016 – VII-Verg 37/14, ZfBR 2016, 829; OLG Düsseldorf v. 27.6.2016 – VII-Verg 7/12. BGH v. 1.2.2005 – X ZB 27/04, BGHZ 162, 116 = MDR 2005, 973. OLG Koblenz v. 15.8.2014 – 1 Verg 7/14, MDR 2014, 1337 = VergabeR 2014, 826; OLG Düsseldorf v. 10.3.2014 – VII-Verg 11/14, VergabeR 2014, 621. OLG Naumburg v. 8.10.2009 – 1 Verg 9/09 m.w.N. BGH v. 19.12.2000 – X ZB 14/00, BGHZ 146, 202 = MDR 2001, 524 = MDR 2001, 767. Vgl. OLG Düsseldorf v. 10.4.2002 – Verg 6/02, VergabeR 2002, 668; OLG Düsseldorf v. 4.5.2009 – Verg 68/08, VergabeR 2009, 905.

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§ 156 | Vergabekammern Wettbewerbers gerichtet ist. Davon zu unterscheiden sind Ansprüche, die nicht den Ablauf des Verfahrens betreffen. Hierzu zählen etwa Sekundäransprüche wegen eines in einem Vergabeverfahren begangenen Rechtsverstoßes (s. Rz. 13). 12 Sonstige Ansprüche i.S.v. Absatz 2 sind stets nur Ansprüche gegen öffentliche

Auftraggeber. Ansprüche von Bietern oder Bewerbern untereinander werden hiervon hingegen nicht erfasst1. Derartige Ansprüche können daher auch nicht zum Gegenstand eines Vergabenachprüfungsverfahrens gemacht werden.

V. Zuständigkeit der ordentlichen Gerichte und Kartellbehörden (§ 156 Abs. 3) 1. Ordentliche Gerichte 13 Unberührt von der ausschließlichen Zuständigkeit der Vergabekammern für

Vergaberechtsverstöße im Rahmen des Primärrechtsschutzes bleibt die Inanspruchnahme des ordentlichen Rechtswegs für Schadensersatzansprüche, gleich nach welcher Anspruchsgrundlage (sog. Sekundärrechtsschutz2). Dem entspricht es, dass die Zuständigkeit der Vergabekammer grundsätzlich mit Erteilung des Zuschlags endet (vgl. § 168 Abs. 2 Satz 1, s. dazu § 168 Rz. 30 ff.), also Rechtsschutz durch die Vergabekammer nur während eines Vergabeverfahrens gewährt wird, nicht hingegen bereits im Vorfeld oder nach Abschluss eines Beschaffungsvorgangs. 2. Befugnisse der Kartellbehörden

14 Von der ausschließlichen Zuständigkeit der Vergabekammern und -senate nach

Absatz 2 unberührt bleiben auch die Befugnisse der Kartellbehörden. Die Kartellbehörden können somit ungeachtet der Zuständigkeiten der Vergabekammern ein Verfahren nach den §§ 54 ff. einleiten3. Die Vorschrift macht damit deutlich, dass das Kartellvergaberecht das materielle Kartellrecht nicht verdrängt4. Dies gilt sowohl für Kartellrechtsverstöße, die mit Vergaberechtsverstößen konkurrieren, als auch für sonstige Kartellrechtsverstöße. Zulässig ist die Einleitung eines Kartellverfahrens daher auch mit dem Ziel, einen öffentlichen Auftraggeber zu verpflichten, einen Auftrag in einer bestimmten Art und Weise oder an ein bestimmtes Unternehmen zu erteilen. 1 BGH v. 3.7.2008 – I ZR 145/05, BGHZ 177, 150 = MDR 2008, 1289; Hofmann/Horn in Burgi/Dreher, § 156 Rz. 10. 2 BGH v. 19.12.2000 – X ZB 14/00, BGHZ 146, 202 = MDR 2001, 524 = MDR 2001, 767. 3 Zum kartellbehördlichen Verwaltungsverfahren gemäß den §§ 54 ff. s. etwa Schmidt in Immenga/Mestmäcker, GWB, § 54 Rz. 2 ff.; allgemein zur Dispositions- und Offizialmaxime Schmitz in Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 22 Rz. 1 ff. 4 Stockmann in Immenga/Mestmäcker, GWB, § 104 Rz. 31.

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Besetzung, Unabhängigkeit | § 157

Absatz 3 betrifft lediglich die Befugnisse der Kartellbehörden. Den Bietern oder 15 Bewerbern in einem Vergabeverfahren steht es selbstverständlich frei, ein entsprechendes Verfahren bei der Kartellbehörde anzuregen. Dies ändert allerdings nichts daran, dass Primärrechtsschutz hinsichtlich der von Absatz 2 erfassten Rechte und Ansprüche für die Bewerber bzw. Bieter ausschließlich durch die Vergabekammern und -senate zu erlangen ist.

§ 157 Besetzung, Unabhängigkeit (1) Die Vergabekammern üben ihre Tätigkeit im Rahmen der Gesetze unabhängig und in eigener Verantwortung aus. (2) Die Vergabekammern entscheiden in der Besetzung mit einem Vorsitzenden und zwei Beisitzern, von denen einer ein ehrenamtlicher Beisitzer ist. Der Vorsitzende und der hauptamtliche Beisitzer müssen Beamte auf Lebenszeit mit der Befähigung zum höheren Verwaltungsdienst oder vergleichbar fachkundige Angestellte sein. Der Vorsitzende oder der hauptamtliche Beisitzer müssen die Befähigung zum Richteramt haben; in der Regel soll dies der Vorsitzende sein. Die Beisitzer sollen über gründliche Kenntnisse des Vergabewesens, die ehrenamtlichen Beisitzer auch über mehrjährige praktische Erfahrungen auf dem Gebiet des Vergabewesens verfügen. Bei der Überprüfung von verteidigungs- oder sicherheitsspezifischen Aufträgen im Sinne des § 104 können die Vergabekammern abweichend von Satz 1 auch in der Besetzung mit einem Vorsitzenden und zwei hauptamtlichen Beisitzern entscheiden. (3) Die Kammer kann das Verfahren dem Vorsitzenden oder dem hauptamtlichen Beisitzer ohne mündliche Verhandlung durch unanfechtbaren Beschluss zur alleinigen Entscheidung übertragen. Diese Übertragung ist nur möglich, sofern die Sache keine wesentlichen Schwierigkeiten in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht aufweist und die Entscheidung nicht von grundsätzlicher Bedeutung sein wird. (4) Die Mitglieder der Kammer werden für eine Amtszeit von fünf Jahren bestellt. Sie entscheiden unabhängig und sind nur dem Gesetz unterworfen. I. 1. 2. II.

Einführung Inhaltsübersicht . . . . . . . . . . . Entstehungsgeschichte . . . . . . Unabhängigkeit der Vergabekammern, eigene Verantwortung (§ 157 Abs. 1) . . . . . . . . III. Besetzung der Vergabekammern (§ 157 Abs. 2) . . . . . . . .

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IV. Übertragung, Entscheidung durch nur ein Mitglied der Vergabekammer (§ 157 Abs. 3) . . . V. Amtsdauer, Unabhängigkeit der einzelnen Kammermitglieder (§ 157 Abs. 4) . . . . .

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§ 157 | Besetzung, Unabhängigkeit I. Einführung 1. Inhaltsübersicht 1 § 157 Abs. 1 regelt die sachliche Weisungsungebundenheit der Vergabekam-

mern bei ihrer Tätigkeit. Abs. 2 regelt die Besetzung der Vergabekammern und die erforderlichen Qualifizierungen ihrer Mitglieder. Abs. 3 sieht vor, dass das Verfahren von der Kammer auf eines ihrer Mitglieder zur alleinigen Entscheidung übertragen werden kann. Abs. 4 bestimmt die Amtsdauer für die Mitglieder der Vergabekammer und schreibt deren – auch kammerinterne – persönliche Weisungsfreiheit fest. 2. Entstehungsgeschichte

2 § 157 ist seit seinem erstmaligen Inkrafttreten durch das Vergaberechtsände-

rungsG 1998 (Einleitung, Rz. 4 ff.) nur geringfügig im Rahmen des VergabemodernisierungsG 2016 (Einleitung Rz. 10 f.) durch die Ergänzung des Satzes 5 in Abs. 2 geändert worden. Dabei geht es um die Sonderregelung für die Besetzung der Vergabekammer bei verteidigungs- oder sicherheitsspezifischen Aufträgen.

II. Unabhängigkeit der Vergabekammern, eigene Verantwortung (§ 157 Abs. 1) 3 § 157 Abs. 1 ist an Art. 97 Abs. 1 GG und § 25 DRiG angelehnt. Die Vergabe-

kammern sind danach in Bezug auf ihre fachliche Tätigkeit weisungsungebunden (sachliche Unabhängigkeit; zur persönlichen Unabhängigkeit der einzelnen Kammermitglieder gem. Abs. 4 Satz 2 Rz. 24). Sie unterliegen also nur der allgemeinen Dienstaufsicht1. Trotz dieses gerichtsähnlichen Charakters2 sind die Vergabekammern im nationalen Recht lediglich eine Verwaltungsinstanz, also Teil der Exekutive3. Sie sind nicht Rechtsprechung i.S.v. Art. 92 GG (zur haftungsrechtlichen Bedeutung dieser Einordnung Rz. 7)4. 1 OLG Bremen v. 12.3.2007 – Verg 3/06, VergabeR 2007, 812; Stockmann in Immenga/ Mestmäcker, GWB, § 105 Rz. 5 ff; Portz in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum Vergaberecht, § 105 Rz. 6. 2 S. etwa OLG Bremen v. 12.3.2007 – Verg 3/06, VergabeR 2007, 812; OVG Hamburg v. 30.6.2005 – 1 Bs 182/05, NVwZ 2005, 1447; Stockmann in Immenga/Mestmäcker, GWB, § 105 Rz. 3; Schweda in Langen/Bunte, Kommentar zum deutschen und europäischen Kartellrecht, § 105 Rz. 2; Kus in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum Vergaberecht, § 102 Rz. 14; Leinemann, Die Vergabe öffentlicher Aufträge, Rz. 1635. 3 S. etwa BSG v. 22.4.2008 – B 1 SF 1/08 R, VergabeR 2008, 693 (697); Kus in Kulartz/Kus/ Portz, Kommentar zum Vergaberecht, § 102 Rz. 14. 4 BSG v. 22.4.2008 – B 1 SF 1/08 R, VergabeR 2008, 693 (697); Stockmann in Immenga/ Mestmäcker, GWB, § 105 Rz. 3; Schweda in Langen/Bunte, Kommentar zum deutschen und europäischen Kartellrecht, § 105 Rz. 2; Heuvels in Loewenheim/Meessen/Riesenkampff, Kartellrecht, § 105 GWB Rz. 1; Pietzcker, ZHR 162 (1998), 427 (438 f.).

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Besetzung, Unabhängigkeit | § 157

Unabhängig davon sind die Vergabekammern jedoch „Gerichte“ i.S.d. Art. 267 4 AEUV1. Daraus folgt ihre Vorlageberechtigung an den Europäischen Gerichtshof. Das einer Überprüfung durch das Oberlandesgericht (§ 171 ff.) vorgeschaltete Verfahren einer Nachprüfung durch die Vergabekammer wäre im nationalen Recht nicht notwendig gewesen. Sie wird weder durch die Rechtsmittelrichtlinien (Einleitung Rz. 7), noch durch sonstiges Unionsrecht, noch durch nationales Verfassungsrecht gefordert. Andererseits steht höherrangiges Recht einer solchen Ausgestaltung auch nicht entgegen. Art. 2 Abs. 9 der Rechtsmittelrichtlinien verlangt lediglich, dass eine behauptete rechtswidrige Maßnahme der Nachprüfungsstelle oder ein behaupteter Verstoß bei der Ausübung der übertragenen Befugnisse zum Gegenstand einer Klage oder einer Nachprüfung bei einer anderen von dem öffentlichen Auftraggeber und der Nachprüfungsstelle unabhängigen Stelle, die ein Gericht i.S.d. Art. 267 AEUV ist, gemacht werden kann. Die „Gerichtsähnlichkeit“ der Vergabenachprüfung wird dadurch verstärkt, dass 5 es sich bei der Vergabekammer um einen Ausschuss i.S.v. § 88 VwVfG (des Bundes und der Länder) handelt, so dass die §§ 89 bis 93 VwVfG Anwendung finden, soweit nicht für die Tätigkeit der Vergabekammer Sonderregelungen des GWB eingreifen2. Anzuwenden sind daher insbesondere die Vorschriften zur Sitzungsordnung (§ 89 VwVfG), zur Beschlussfassung (§ 91 VwVfG) sowie zur Niederschrift über die Sitzung der Vergabekammer (§ 93 VwVfG). Ebenfalls sind die Ausschlusstatbestände des § 20 Abs. 4 und die Befangenheitsregelungen des § 21 VwVfG anzuwenden3. Nicht einschlägig hingegen sind aufgrund der Spezialregelung in § 157 Abs. 2 die Vorschriften zur Beschlussfähigkeit, soweit es um die Möglichkeit geht, in einer anderen als der in § 157 Abs. 2 ge1 EuGH v. 18.9.2014 – C-549/13, NZBau 2014, 647. 2 OVG Hamburg v. 30.6.2005 – 1 Bs 182/05, NVwZ 2005, 1447; BayObLG v. 29.9.1999 – Verg 4/99; OLG Jena v. 22.12.1999 – 6 Verg 3/99, VergabeR 2000, 349; Thiele in MüllerWrede, Kompendium des Vergaberechts, Kap. 28, Rz. 28; a.A. OLG Dresden v. 26.6.2012 – Verg 003/12; OLG Düsseldorf v. 23.1.2006 – VIII-Verg 96/05, NZBau 2006, 598; Portz/ Steck in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum Vergaberecht, § 157 Rz. 14, die der Auffassung sind, dass die Bestimmungen des VwVfG über Ausschüsse i.S.v. § 88 VwVfG nicht zur funktional rechtsprechenden Funktion der Vergabekammern passen. 3 OVG Hamburg v. 30.6.2005 – 1 Bs 182/05, NVwZ 2005, 1447; OLG Naumburg v. 17.1. 2000 – 1 Verg 2/99, ZVgR 2000, 170; OLG Jena v. 22.12.1999 – 6 Verg 3/99, VergabeR 2000, 349; Weyand, IBR-online-Kommentar, Vergaberecht, § 105 Rz. 10 ff.; Noch in Byok/Jaeger, Kommentar zum Vergaberecht, § 105 Rz. 19 f.; dies galt bereits für die früheren Vergabeüberwachungsausschüsse, so dass Analogien etwa zu § 54 VwGO bzw. §§ 41 ff. ZPO nicht gezogen werden mussten; so aber z.B. VÜA Hessen v. 22.10.1997 – VÜA 10/97 und VÜA Sachsen-Anhalt v. 17.11.1997 – 1 VÜ 6/95, WuW 1999, 798; ebenfalls für eine entsprechende Anwendung der VwGO unter Hinweis auf das förmliche Ablehnungsrecht des § 42 ZPO i.V.m. § 54 I VwGO und die richterähnliche Unabhängigkeit der Mitglieder der Vergabekammer OLG Düsseldorf v. 23.1.2006 – VII Verg 96/05, NZBau 2006, 598; Heuvels in Loewenheim/Meessen/Riesenkampff, Kartellrecht, § 105 GWB, Rz. 5.

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§ 157 | Besetzung, Unabhängigkeit nannten (vollständigen) Besetzung zu entscheiden (zu den Ausgestaltungsmöglichkeiten mittels der Geschäftsordnung nach § 158 Abs. 1 Satz 3 bzw. gemäß § 158 Abs. 2 Satz 1 s. § 158 Rz. 12 ff.).Für eine analoge Anwendung von Vorschriften der Prozessordnungen, vor allem der VwGO besteht daneben schon mangels einer Regelungslücke weder ein Bedürfnis noch die Möglichkeit, solange und soweit für das von der Vergabekammer durchzuführende Verwaltungsverfahren in dem vorrangig geltenden Verwaltungsverfahrensrecht ausreichende Regelungen zur Verfügung stehen. 6 Für mögliche Fälle eines Ausschlusses (§ 20 VwVfG) oder für den Fall einer

Besorgnis der Befangenheit (§ 21 VwVfG) bedeutet dies, dass die Vergabekammer selbst über den Ausschluss des betreffenden Kammermitglieds zu entscheiden hat (§ 20 Abs. 4 VwVfG). Dies gilt sowohl in Fällen, wenn sich ein Mitglied der Vergabekammer selbst für i.S.v. § 20 VwVfG ausgeschlossen oder i.S.v. § 21 VwVfG für befangen hält, als auch in Fällen, in denen dies durch einen Verfahrensbeteiligten geltend gemacht wird. Eines Rückgriffs auf § 54 VwGO bedarf es dabei nicht.1 Die zu treffende Entscheidung über die Mitwirkung eines möglicherweise Ausgeschlossenen oder Befangenen ergeht gemäß § 20 Abs. 4 VwVfG durch die Vergabekammer selbst. Dies hat dabei zwar ohne das betreffende Kammermitglied zu erfolgen, wohl allerdings gemäß § 157 Abs. 2 Satz 1 in voller Besetzung, also durch drei Mitglieder. Dementsprechend hat also ein Vertreter des an der Entscheidung nicht zu beteiligenden Kammermitglieds mitzuwirken.2 Die Entscheidung über den Ausschluss oder die Befangenheit des Kammermitglieds ist für die Verfahrensbeteiligten als bloße Zwischenentscheidung nicht eigenständig anfechtbar (s. auch § 168 Rz. 12 f.).3

7 Ob den Mitgliedern der Vergabekammern das richterliche Haftungsprivileg

des § 839 Abs. 2 BGB (Spruchrichterprivileg) zusteht4, ist zumindest nicht zweifelsfrei, da die Tätigkeit der Vergabekammern nicht Rechtsprechung i.S.v. Art. 92 GG sondern Verwaltungstätigkeit ist (s. Rz. 4)5. Auch bei sonstigen Aus-

1 Ebenso Hofmann/Horn in Burgi/Dreher, § 157 Rz. 25 ff.; a.A. Portz/Steck in Kulartz/Kus/ Portz/Prieß, Kommentar zum Vergaberecht, § 157 Rz. 16 ff. 2 Vgl. VK Schwerin v. 31.6.2016 – 1 VK 02/16; im Ergebnis ebenso Portz/Steck in Kulartz/ Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum Vergaberecht, § 157 Rz. 19; a.A. OLG Naumburg vom 31.1.2011 – 2 Verg 1/11; Hofmann/Horn in Burgi/Dreher § 157 Rz. 28; Entscheidung des für die Einsetzung der Vergabekammer zuständigen Organs. 3 OLG Naumburg v. 31.1.2011 – 2 Verg 1/11; OLG Düsseldorf v. 23.1.2006 – VII-Verg 96/ 05; OLG Jena v. 22.12.1999 – 6 Verg 3/99, NZB 2000, 349; Portz/Steck in Kulartz/Kus/ Portz/Prieß, Kommentar zum Vergaberecht, § 157 Rz. 22; Hofmann/Horn in Burgi/Dreher, § 157 Rz. 28. 4 So etwa Stockmann in Immenga/Mestmäcker, GWB, § 105 Rz. 6; Schweda in Langen/ Bunte, Kommentar zum deutschen und europäischen Kartellrecht, § 105 Rz. 2; Horn/ Graef, NZBau 2002, 142; Braun, ZVgR 2000, 111. 5 So auch Portz/Steck in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum Vergaberecht, § 157 Rz. 5, die die Situation jedoch als unbefriedigend empfinden.

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Besetzung, Unabhängigkeit | § 157

schüssen i.S.v. § 88 VwVfG (vgl. Rz. 6) wird in der Regel keine derartige Analogie gezogen. Im Gesetzgebungsverfahren zum VergaberechtsmodernisierungsG 2016 sprach sich der Bundesrat dafür aus, an § 157 Abs. 4 GWB einen Satz anzufügen, in dem § 839 Abs. 2 BGB für entsprechend anwendbar erklärt wird1.Die Bundesregierung lehnte dies jedoch auf Grund mangelnden Schutzbedürfnisses ab2. Die Frage hat allerdings letztlich keine besondere praktische Tragweite, da gegen Entscheidungen der Vergabekammern als Teil der Exekutive über die Möglichkeit zur sofortigen Beschwerde gemäß § 171 der Weg zu den Gerichten eröffnet ist. Hält sich ein Beteiligter durch die Entscheidung einer Vergabekammer für beschwert, muss er diese Rechtsmittelmöglichkeit ausnutzen. Ansonsten kann er bereits im Hinblick auf § 839 Abs. 3 und § 254 Abs. 2 BGB in der Regel keine Haftungsansprüche geltend machen3. Handelt es sich um Pflichtverletzungen außerhalb der eigentlichen Entscheidungsfindung, insbesondere um eine verzögerte Bearbeitung, die gerade bei vergaberechtlichen Nachprüfungen gemäß § 167 eine besondere Rolle spielen kann, kommt das Spruchrichterprivileg wegen § 839 Abs. 2 Satz 2 BGB ohnehin nicht zur Anwendung4.

III. Besetzung der Vergabekammern (§ 157 Abs. 2) Die gesetzlich geregelte Besetzung der Vergabekammern verstärkt ebenfalls de- 8 ren Bedeutung und gerichtsähnliche Funktion (Rz. 4). Die Regelung gilt uneingeschränkt für alle Vergabekammern, also unabhängig davon, ob es sich um Kammern des Bundes oder der Länder handelt. Abweichende Landesregelungen zur Besetzung der Vergabekammern sind nach der Streichung von § 158 Abs. 2 Satz 2 durch das Vergaberechtsmodernisierungsgesetz 2009 nicht mehr möglich (s. auch § 170). Werden die Besetzungsanforderungen nicht eingehalten, ist die Entscheidung der Vergabekammer, die als Verwaltungsakt ergeht (§ 168 Abs. 3 Satz 1, dazu § 168 Rz. 63), zwar nicht nichtig (§ 44 Abs. 3 Nr. 3 VwVfG), jedoch liegt ein Verfahrensfehler vor, der die Entscheidung rechtswidrig macht (zu Zwischenentscheidungen bei möglichen Ausschluss- oder Befangenheitsgründen für einzelne Kammermitglieder s. Rz. 6 f.)). Allerdings führt dies wegen § 46 VwVfG im Rahmen einer sofortigen Beschwerde gemäß den §§ 171 ff. nicht zu einer Änderung der Entscheidung der Vergabekammer, wenn sie inhaltlich richtig war. Ein Unternehmen kann also nicht verlangen, dass eine aus Sicht des Vergabesenats beim OLG zutreffende Entscheidung der Vergabekammer allein 1 2 3 4

BR-Drucks. 367/15, S. 10 f. BT-Drucks. 18/6281, S. 170. S. nur Sprau in Palandt, Bürgerliches Gesetzbuch, § 839 Rz. 68 ff. Sprau in Palandt, Bürgerliches Gesetzbuch, § 839 Rz. 67; s. auch OLG Bremen v. 12.3. 2007 – Verg 3/06, VergabeR 2007, 812.

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§ 157 | Besetzung, Unabhängigkeit deshalb aufgehoben wird, weil die Kammer nicht in einer vorschriftsgemäßen Besetzung entschieden hat1. 9 § 157 Abs. 2 unterscheidet zwischen zwingenden Anforderungen an die Beset-

zung der Vergabekammern, die keine Ausnahme zulassen, und solchen, bei denen unter besonderen Umständen Abweichungen in Betracht kommen.

10 Zwingend ist, dass die Kammer in einer Besetzung mit drei Mitgliedern ent-

scheidet, von denen ein Mitglied ehrenamtlicher Beisitzer sein muss. Die anderen Mitglieder der Vergabekammer sind hauptamtlich tätig. Dies bedeutet allerdings nicht, dass sie ausschließlich mit Verfahren vor der Vergabekammer befasst sein müssen. Vielmehr können sie innerhalb der Behörde, in die die Vergabekammer organisatorisch eingegliedert ist, auch weitere Funktionen wahrnehmen2. Von der gesetzlich vorgesehenen Besetzung ist eine Ausnahme nur zulässig, wenn ein Fall der Übertragung gemäß § 157 Abs. 3 vorliegt (Rz. 14 ff.).In § 105 Abs. 2 Satz 5 ist abweichend von Satz 1 geregelt, dass die Vergabekammern bei der Überprüfung von verteidigungs- oder sicherheitsspezifischen Aufträgen i.S.d. § 104 auch in der Besetzung mit einem Vorsitzenden und zwei hauptamtlichen Beisitzern entscheiden können. Eine zwingende Verpflichtung dazu besteht jedoch nicht. Grund für die Regelung ist, dass Vergabeunterlagen, die Verschlusssachen umfassen, nur von sicherheitsgeprüften Personen bearbeitet werden dürfen (s. auch § 164). Sicherheitsgeprüfte ehrenamtliche Beisitzer stehen jedoch häufig nicht kurzfristig bereit3.

11 Ebenfalls zwingend ist, dass die nicht ehrenamtlichen Mitglieder der Vergabe-

kammer Lebenszeitbeamte sein und die Befähigung zum höheren Verwaltungsdienst haben oder vergleichbar fachkundige Angestellte sein müssen (vgl. § 19 BBG und die entsprechenden Regelungen in den Landesbeamtengesetzen). Aus dem Umstand, dass § 157 Abs. 2 nur vom ehrenamtlichen Beisitzer spricht, ergibt sich, dass das ehrenamtliche Kammermitglied nicht den Vorsitz haben kann.

12 Zwingend ist des Weiteren, dass eines der hauptamtlichen Mitglieder der Kam-

mer die Befähigung zum Richteramt i.S.v. § 5 DRiG haben muss4. Dies soll in der Regel der Vorsitzende sein. In Ausnahmefällen kann also davon abgewichen werden. Allerdings muss dafür ein besonderer Grund bestehen (z.B. besondere theoretische und praktische Kenntnisse in der Vergabeüberwachung bei einem

1 Heuvels in Loewenheim/Meessen/Riesenkampff, Kartellrecht, § 105 GWB, Rz. 3; Noch in Byok/Jaeger, Kommentar zum Vergaberecht, § 105 Rz. 7; Portz/Steck in Kulartz/Kus/ Portz/Prieß, Kommentar zum Vergaberecht, § 157 Rz. 42. 2 Hofmann/Horn in Burgi/Dreher, § 157 Rz. 17; Noch in Byok/Jaeger, Kommentar zum Vergaberecht, § 105 Rz. 8; einschränkend Portz/Steck in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum Vergaberecht, § 157 Rz. 41. 3 Portz/Steck in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum Vergaberecht, § 157 Rz. 48. 4 Noch in Byock/Jaeger, Kommentar zum Vergaberecht, § 105 Rz. 11; Stockmann in Immenga/Mestmäcker, GWB, § 105 Rz. 16.

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Besetzung, Unabhängigkeit | § 157

nicht mit der Befähigung zum Richteramt ausgestatteten Vorsitzenden einer Vergabekammer)1. Eine Sollregelung enthält auch § 157 Abs. 2 Satz 4, nach dem die Beisitzer über 13 umfassende Kenntnisse des Vergabewesens verfügen sollen, die ehrenamtlichen Beisitzer dabei auch über mehrjährige praktische Erfahrungen.

IV. Übertragung, Entscheidung durch nur ein Mitglied der Vergabekammer (§ 157 Abs. 3) Grundsätzlich entscheidet die Vergabekammer in der in § 157 Abs. 2 Satz 1 ge- 14 nannten Besetzung mit drei Mitgliedern. Gemäß Abs. 3 Satz 1 kann das Verfahren allerdings auf ein Mitglied der Kammer zur alleinigen Entscheidung übertragen werden. Die Regelung dient einer Beschleunigung und Entlastung im Rahmen des sehr engen Prüfungs- und Entscheidungsprogramms (§ 167 Rz. 4 ff.)2. Eine alleinige Entscheidung kommt nur durch den Vorsitzenden oder einen 15 hauptamtlichen Beisitzer in Betracht. Das Verfahren kann hingegen nicht dem ehrenamtlichen Mitglied der Vergabekammer zur alleinigen Entscheidung übertragen werden. Allerdings ist es möglich, dass die alleinige Entscheidung durch jemanden getroffen wird, der nicht die Befähigung zum Richteramt hat. Dies ist zwar rechtlich bei der Vergabekammer als Verwaltungsbehörde unbedenklich, da sich an deren Entscheidung eine Überprüfungsmöglichkeit durch ein ordentliches Gericht anschließt (§§ 171 ff.; s. auch zu den diesbezüglichen Anforderungen an eine unabhängige Stelle, die ein Gericht i.S.d. Art. 267 AEUV sein muss, Art. 2 Abs. 9, 2. Unterabsatz der Rechtsmittelrichtlinien sowie vorstehend Rz. 5), kann allerdings die den Vergabekammern zugedachte – insbesondere rechtliche – Autorität beeinträchtigen. In der Entscheidungspraxis der Vergabekammern wird daher von dieser Möglichkeit auch eher selten Gebrauch gemacht. Die Übertragung darf zwar ohne mündliche Verhandlung (§ 166) erfolgen, je- 16 doch nur durch die vollständige Kammer i.S.v. § 157 Abs. 2 Satz 1bzw. Satz 53. Dabei ist allerdings eine Beschlussfassung auch im schriftlichen Verfahren möglich (§ 90 Abs. 1 Satz 2 VwVfG). Die Vergabekammer muss daher für eine Übertragung zur alleinigen Entscheidung nicht zusammenkommen. Dies entbindet 1 Allgemein zu Sollvorschriften etwa Sachs in Stelkens/Bonk/Sachs, Verwaltungsverfahrensgesetz, § 40 Rz. 26 ff.; Kopp/Ramsauer, Verwaltungsverfahrensgesetz, § 40 Rz. 64. 2 S. dazu die Empfehlung des Wirtschaftsausschusses und des Ausschusses für Städtebau, Wohnungswesen und Raumordnung zum Vergaberechtsänderungsgesetz, BR-Drucks. 646/2/97, S. 19; Schweda in Langen/Bunte, Kommentar zum deutschen und europäischen Kartellrecht, § 105 Rz. 7; Noch in Byok/Jaeger, Kommentar zum Vergaberecht, § 105 Rz. 25. 3 Stockmann in Immenga/Mestmäcker, GWB, § 105 Rz. 13; Portz in Kulartz/Kus/Portz, Kommentar zum Vergaberecht, § 105 Rz. 33; Noch in Byok/Jaeger, Kommentar zum Vergaberecht, § 105 Rz. 23.

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§ 157 | Besetzung, Unabhängigkeit unter Berücksichtigung der tatbestandlichen Voraussetzungen für die Übertragung (Rz. 21) jedoch nicht davon, dass sich die einzelnen Kammermitglieder den erforderlichen Überblick über das Verfahren und die relevanten Sach- und Rechtsfragen verschaffen. Für die Übertragung ist keine besondere Form vorgesehen. Der Beschluss ist allerdings in der Verfahrensakte schriftlich zu dokumentieren und den Beteiligten des Nachprüfungsverfahrens mitzuteilen1. 17 Eine pauschale Übertragung zur alleinigen Entscheidung ohne Berücksichtigung

des konkreten Einzelfalls (z.B. Vorabübertragung verschiedener Fallgruppen) ist nicht zulässig2. In einem konkreten Nachprüfungsfall kann die Übertragung auch unter Berücksichtigung von fachspezifischen Kenntnissen, arbeitsmäßiger Belastung usw. erfolgen, da es sich bei der Vergabekammer nicht um eine gerichtliche Instanz handelt (Rz. 4). Dementsprechend muss nicht dem Erfordernis des gesetzlichen Richters (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG) Rechnung getragen werden. Eine abstrakte Regelung in einem Geschäftsverteilungsplan dazu, welchem hauptamtlichen Mitglied der Vergabekammer welche Fälle übertragen werden, ist daher entbehrlich3.

18 § 157 Abs. 3 enthält keine Regelungen, wann die Übertragung zur alleinigen Ent-

scheidung erfolgen darf. Daraus ist zu schließen, dass eine Übertragung auch noch nach der mündlichen Verhandlung gemäß § 166 möglich ist. Dies gilt insbesondere dann, wenn sich eine Fortsetzung der mündlichen Verhandlung als erforderlich erweisen sollte4. Allerdings dürften in einem solchen Fall regelmäßig die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 157 Abs. 3 Satz 2 (Rz. 21) nicht erfüllt sein.

19 Da die Entscheidung durch die gesamte Kammer der Regelfall ist und die Ent-

scheidung durch nur ein Mitglied die Ausnahme darstellt, ist eine Rückübertragung – auch gegen den Willen des Mitglieds, dem die Sache zur alleinigen Entscheidung übertragen wurde5 – auf die gesamte Kammer jederzeit möglich, wenn sie dies (mehrheitlich) beschließt, etwa weil sich bei der alleinigen Bearbeitung des Verfahrens herausgestellt hat, dass sich der Fall dazu entgegen der ursprünglichen Einschätzung nicht eignet6.

1 Portz/Steck in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum Vergaberecht, § 157 Rz. 50. 2 Noch in Byok/Jaeger, Kommentar zum Vergaberecht, § 105 Rz. 28. 3 Vgl. BVerwG v. 18.10.1990 – 3 C 19/88, NJW 1991, 1370; OVG Hamburg v. 24.9.1993 – Bs IV 177/93, MDR 1994, 93 = NJW 1994, 274 (275); Redeker in Redeker/v. Oertzen, VwGO, § 6 Rz. 2. 4 Portz/Steck in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum Vergaberecht, § 157 Rz. 52. 5 Stockmann in Immenga/Mestmäcker, GWB, § 105 Rz. 27 insofern a.A. Portz/Steck in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum Vergaberecht, § 157 Rz. 51; Noch in Byok/ Jaeger, Kommentar zum Vergaberecht, § 105 Rz. 24; Heuvels in Loewenheim/Meessen/ Riesenkampff, Kartellrecht, § 105 GWB Rz. 7. 6 Stockmann in Immenga/Mestmäcker, GWB, § 105 Rz. 24; Hofmann/Horn in Burgi/Dreher, § 157 Rz. 56; differenzierend Heuvels in Loewenheim/Meessen/Riesenkampff, Kartellrecht, § 105 GWB Rz. 7 (nur mit Zustimmung des betroffenen Kammermitglieds).

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Besetzung, Unabhängigkeit | § 157

Der Beschluss der Kammer über die Übertragung ist unanfechtbar1. Es kommt 20 also nur die Einlegung von Rechtsmitteln in der Hauptsache in Betracht (sofortige Beschwerde zum OLG gemäß den §§ 171 ff.), die allerdings nur dann Erfolg haben kann, wenn die getroffene Entscheidung auch sachlich unrichtig ist. Eine unzulässige Übertragung der Sache zur alleinigen Entscheidung durch ein Mitglied der Kammer genügt dafür als Verfahrensfehler (§ 46 VwVfG) nicht (vgl. Rz. 8). Die tatbestandlichen Voraussetzungen für die Übertragung sind in § 157 21 Abs. 3 Satz 2 geregelt. Wenn diese Voraussetzungen erfüllt sind, ist die Übertragung zulässig, nicht jedoch erforderlich. Möglich ist eine Übertragung, wenn die Sache keine wesentlichen Schwierigkeiten in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht aufweist und nicht von grundsätzlicher Bedeutung sein wird.2 Dabei ist die ex-ante-Perspektive maßgeblich, wie sich bereits aus der Formulierung „sein wird“ ergibt3. Keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art liegen vor, wenn es sich um eine durchschnittliche und überschaubare Angelegenheit mit typischen Sachverhalts- und geklärten Rechtsfragen handelt. Eine grundsätzliche Bedeutung ist anzunehmen, wenn die in dem Verfahren angesprochenen Rechtsfragen ganz oder teilweise noch nicht geklärt sind und über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung haben4. Komplexe Sachverhalte mit schwierigen Rechtsfragen oder unübersichtlichen und umfangreichen Tatsachengrundlagen scheiden hingegen aus. Insbesondere Fälle, in denen Nachprüfungsanträge offensichtlich unbegründet oder unzulässig sind, bieten sich daher für eine Übertragung auf ein Mitglied der Kammer zur alleinigen Entscheidung am ehesten an5.

V. Amtsdauer, Unabhängigkeit der einzelnen Kammermitglieder (§ 157 Abs. 4) § 157 Abs. 4 Satz 1 regelt die Amtszeit der (hauptamtlichen und ehrenamtli- 22 chen) Mitglieder der Vergabekammern für Bund und Länder verbindlich. Die gesetzlich geregelte Amtszeit von 5 Jahren sichert die Kontinuität der Spruch1 Noch in Byok/Jaeger, Kommentar zum Vergaberecht, § 105 Rz. 23; Portz/Steck in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum Vergaberecht, § 157 Rz. 50; vgl. auch OLG Düsseldorf v. 23.1.2006 – VII-Verg 96/05, NZBau 2006, 598; Schweda in Langen/Bunte, Kommentar zum deutschen und europäischen Kartellrecht, § 105 Rz. 7. 2 Thiele in Müller-Wrede, Kompendium des Vergaberechts, Kap. 28, Rz. 32. 3 Portz/Steck in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum Vergaberecht, § 157 Rz. 53. 4 Stockmann in Immenga/Mestmäcker, GWB, § 105 Rz. 26; Portz/Steck in Kulartz/Kus/ Portz/Prieß, Kommentar zum Vergaberecht, § 157 Rz. 53; zu den vergleichbaren Anforderungen im Verwaltungsprozess Redeker in Redeker/v. Oertzen, VwGO, § 6 Rz. 6 und § 124 Rz. 15 ff. 5 So auch Portz/Steck in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum Vergaberecht, § 157 Rz. 55.

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§ 157 | Besetzung, Unabhängigkeit praxis und die Unabhängigkeit der Kammermitglieder1, die nicht aufgrund ihrer Entscheidungspraxis oder aus reinen Zweckmäßigkeitserwägungen abberufen werden können2. Weder eine längere noch eine kürzere Amtszeit ist zulässig3. Allerdings kommt ein vorzeitiger Abbruch während der laufenden Amtszeit im Einverständnis mit dem betreffenden Kammermitglied in Betracht4. Eine erneute Bestellung ist zulässig, allerdings wiederum nur für die gesetzlich festgelegte Amtsdauer5. 23 Nicht geregelt ist, anders als etwa für Richter (§§ 26 ff. DRiG), die in Ausnahme-

fällen erforderliche Versetzung oder Amtsenthebung. Da die Bestellung zum Mitglied einer Vergabekammer ein Verwaltungsakt i.S.v. § 35 Satz 1 VwVfG ist, greifen neben den beamtenrechtlichen Sondertatbeständen6 auch die §§ 48 f. VwVfG ein7. So kann etwa die Bestellung eines Kammermitglieds widerrufen werden, wenn die für die Bestellung zuständige Behörde (dazu § 158 Rz. 8 u. Rz. 16 ff.) aufgrund nachträglich eingetretener Tatsachen nicht berechtigt wäre, die Bestellung zum Kammermitglied vorzunehmen und wenn ohne den Widerruf das öffentliche Interesse gefährdet würde8. Bei der möglichen Befangenheit von Kammermitgliedern im Einzelfall oder auch über einzelne konkrete Vergabeverfahren hinaus ist allerdings der Vorrang der §§ 20 und 21 VwVfG zu berücksichtigen (s. Rz. 6)9.

24 § 157 Abs. 4 Satz 2 betont noch einmal die Weisungsunabhängigkeit. Die ei-

genständige Bedeutung der Regelung liegt darin, dass § 157 Abs. 1 die sachliche Weisungsunabhängigkeit der Vergabekammer regelt, während § 157 Abs. 4

1 Noch in Byok/Jaeger, Kommentar zum Vergaberecht, § 105 Rz. 29; Heuvels in Loewenheim/Meessen/Riesenkampff, Kartellrecht, § 105 GWB Rz. 8; Thiele in Müller-Wrede, Kompendium des Vergaberechts, Kap. 28, Rz. 31. 2 OVG Hamburg v. 30.6.2005 – 1 Bs 182/05, NVwZ 2005, 1447. 3 Stockmann in Immenga/Mestmäcker, GWB, § 105 Rz. 7; Bork-Galle in Heuvels/Höß/ Kuß/Wagner, Vergaberecht, § 105 GWB Rz. 14; Portz/Steck in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum Vergaberecht, § 157 Rz. 56. 4 Heuvels in Loewenheim/Meessen/Riesenkampff, Kartellrecht, § 105 GWB Rz. 8; Stockmann in Immenga/Mestmäcker, GWB, § 105 Rz. 7. 5 Heuvels in Loewenheim/Meessen/Riesenkampff, Kartellrecht, § 105 GWB Rz. 8; Stockmann in Immenga/Mestmäcker, GWB, § 105 Rz. 7; Portz/Steck in Kulartz/Kus/Portz/ Prieß, Kommentar zum Vergaberecht, § 157 Rz. 56. 6 Vgl. Noch in Byock/Jaeger, Kommentar zum Vergaberecht, § 105 Rz. 9. 7 OVG Hamburg v. 30.6.2005 – 1 Bs 182/05, NVwZ 2005, 1447; Weyand, IBR-onlineKommentar, Vergaberecht, § 105 Rz. 28 ff.; Heuvels in Loewenheim/Meessen/Riesenkampff, Kartellrecht, § 105 GWB Rz. 8. 8 So auch Portz/Steck in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum Vergaberecht, § 157 Rz. 57. 9 OVG Hamburg v. 30.6.2005 – 1 Bs 182/05, NVwZ 2005, 1447; s. auch OLG Düsseldorf v. 23.1.2006 – VII-Verg 96/05, NZBau 2006, 598; Portz/Steck in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum Vergaberecht, § 157 Rz. 16 f.

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Einrichtung, Organisation | § 158

Satz 2 auf die persönliche Unabhängigkeit und Weisungsungebundenheit des einzelnen Kammermitglieds bei seiner Tätigkeit innerhalb der Kammer abzielt. Dies schließt sowohl externe als auch interne Anordnungen (z.B. durch den Vorsitzenden der Kammer) aus, in einer bestimmten Weise zu entscheiden1.

§ 158 Einrichtung, Organisation (1) Der Bund richtet die erforderliche Anzahl von Vergabekammern beim Bundeskartellamt ein. Einrichtung und Besetzung der Vergabekammern sowie die Geschäftsverteilung bestimmt der Präsident des Bundeskartellamts. Ehrenamtliche Beisitzer und deren Stellvertreter ernennt er auf Vorschlag der Spitzenorganisationen der öffentlich-rechtlichen Kammern. Der Präsident des Bundeskartellamts erlässt nach Genehmigung durch das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie eine Geschäftsordnung und veröffentlicht diese im Bundesanzeiger. (2) Die Einrichtung, Organisation und Besetzung der in diesem Abschnitt genannten Stellen (Nachprüfungsbehörden) der Länder bestimmen die nach Landesrecht zuständigen Stellen, mangels einer solchen Bestimmung die Landesregierung, die die Ermächtigung weiter übertragen kann. Die Länder können gemeinsame Nachprüfungsbehörden einrichten. I. 1. 2. II. 1. 2. 3. 4.

Einführung Inhaltsübersicht . . . . . . . . . . . Entstehungsgeschichte . . . . . . Vergabekammern des Bundes Anzahl der Vergabekammern . Besetzungen der Kammern . . . Geschäftsverteilung . . . . . . . . Geschäftsordnung . . . . . . . . .

. . . . . . .

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5. Genehmigung, Veröffentlichung III. Vergabekammern der Länder 1. Einrichtung, Organisation und Besetzung . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Besetzung der Vergabekammern in den Ländern . . . . . . . . . . . . 3. Gemeinsame Vergabekammer . .

_ _ __ 15

16 19 20

I. Einführung 1. Inhaltsübersicht § 158 Abs. 1 regelt die Einrichtung der Vergabekammern des Bundes, deren Be- 1 setzung und interne Organisation. Abs. 2 enthält die entsprechenden Regelun1 Stockmann in Immenga/Mestmäcker, GWB, § 105 Rz. 5; Bork-Galle in Heuvels/Höß/ Kuß/Wagner, Vergaberecht, § 105 GWB Rz. 1; Noch in Byok/Jaeger, Kommentar zum Vergaberecht, § 105 Rz. 32; Portz/Steck in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum Vergaberecht, § 157 Rz. 28, 57.

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§ 158 | Einrichtung, Organisation gen für die Nachprüfungsbehörden der Länder. Ebenfalls bestimmt er, dass die Länder gemeinsame Nachprüfungsbehörden einrichten können. 2. Entstehungsgeschichte 2 In § 158 (106 a.F.) wurde jedoch durch das VergaberechtsmodernisierungsG

2016 (Einleitung Rz. 10 f.) lediglich die Bezeichnung des zuständigen Bundesministeriums angepasst.

3 Zuvor wurde durch das Vergaberechtsmodernisierungsgesetz 2009 (Einleitung

Rz. 4 ff.) § 106 Abs. 2 Satz 2 a.F. gestrichen, nach dem bei der Besetzung der Vergabekammern der Ländern gewährleistet sein müsse, dass mindestens ein Mitglied die Befähigung zum Richteramt besitze und nach Möglichkeit gründliche Kenntnisse des Vergabewesens vorhanden sein sollen. Diese Regelung schloss die Möglichkeit ein, dass die Länder die Besetzung der Vergabekammern abweichend von § 106 Abs. 2 Satz 2 bis 4 a.F. regeln. Folge ist, dass § 105 Abs. 2 Satz 2 bis 4 a.F. und nunmehr § 158 einheitlich für Bund und Länder gilt, ohne dass letztere abweichende Regelungen treffen dürfen. Grund dieser Änderung war, dass Unternehmen häufig mit der Qualität der Entscheidungen der Vergabekammern der Länder unzufrieden waren, was auch auf deren Besetzung zurückgeführt wurde1.

II. Vergabekammern des Bundes 4 Die Vergabekammern des Bundes sind gemäß § 158 Abs. 1 Satz 1 beim Bundes-

kartellamt einzurichten. Für sofortige Beschwerden gegen Entscheidungen der Vergabekammern des Bundes ist der Vergabesenat beim Oberlandesgericht Düsseldorf zuständig (§ 171 Abs. 3). Sowohl die Einrichtung der Vergabekammern als auch deren Besetzung und die Geschäftsverteilung erfolgen durch den Präsidenten des Bundeskartellamtes. 1. Anzahl der Vergabekammern

5 Die Anzahl der einzurichtenden Vergabekammern richtet sich nach der Erfor-

derlichkeit. Insofern besteht ein organisatorischer Entscheidungsspielraum. Allerdings ist zu gewährleisten, dass die in § 167 geregelte Verfahrensdauer grundsätzlich eingehalten werden kann2. Derzeit sind beim Bundeskartellamt in Bonn zwei Vergabekammern eingerichtet.

1 So die Begründung des Regierungsentwurfs zum Vergaberechtsmodernisierungsgesetz, BT-Drucks. 16/10771, S. 22 (42); s. dazu auch die gegenläufige Stellungnahme des Bundesrates, BT-Drucks. 16/10771, S. 22 (33). 2 Stockmann in Immenga/Mestmäcker, GWB, § 106 Rz. 5; Hofmann/Horn in Burgi/Dreher, § 158 Rz. 5;

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Einrichtung, Organisation | § 158

2. Besetzungen der Kammern Gemäß § 157 Abs. 2 entscheiden die Vergabekammern mit einer Besetzung 6 durch drei Mitglieder. Dies bedeutet nicht, dass die einzelnen Vergabekammern nicht auch mehr Mitglieder haben können, die nach einer bestimmten Geschäftsverteilung in unterschiedlicher Zusammensetzung entscheiden1. Dies wird durch § 158 Abs. 1 Satz 3 bestätigt, in dem ausdrücklich von den Stellvertretern der ehrenamtlichen Beisitzer die Rede ist. Hauptamtlich i.S.v. § 157 Abs. 2 bedeutet nicht, dass die hauptamtlichen Mit- 7 glieder ausschließlich in einer oder mehreren Vergabekammern tätig sind. Es handelt sich vielmehr um den Gegenbegriff zur Ehrenamtlichkeit und zu den damit jeweils verbundenen gesetzlichen Anforderungen (s. auch § 157 Rz. 10)2. Für die hauptamtlichen Mitglieder der Vergabekammern stellt § 158 Abs. 1 über 8 die Qualifizierungsanforderungen des § 157 Abs. 2 Satz 2 hinausgehend (§ 157 Rz. 9 ff.) keine besonderen Anforderungen. Demgegenüber sind die ehrenamtlichen Mitglieder und deren Stellvertreter auf Vorschlag der Spitzenorganisationen der öffentlich-rechtlichen Kammern zu ernennen. Dies sind u.a. die Bundesarchitektenkammer, die Bundesingenieurkammer, der Deutsche Handwerkskammertag, der Deutsche Industrie- und Handelstag, der Verband der Landeswirtschaftskammern und die Wirtschaftsprüferkammer. Mit ihren Vorschlägen können sich die Berechtigten initiativ an den Präsidenten des Bundeskartellamts wenden. Erfolgt dies nicht oder unzureichend, kann dieser sich seinerseits an die betreffenden Spitzenorganisationen mit der Bitte wenden, ihr Vorschlagsrecht auszuüben. An eingehende Vorschläge ist der Präsident des Bundeskartellamts gebunden, d.h. er kann niemanden zum ehrenamtlichen Mitglied einer Vergabekammer bestellen, der nicht durch eine der Spitzenorganisationen benannt worden ist. Andererseits muss er niemanden ernennen, der nicht die in § 157 Abs. 2 Satz 4 genannten Anforderungen erfüllt, also nicht über gründliche Kenntnisse des Vergabewesens verfügt (§ 157 Rz. 13)3. Werden durch die Spitzenorganisationen mehr Personen vorgeschlagen als erforderlich, steht dem Präsidenten des Bundeskartellamts ein Auswahlermessen zu, sofern sich die Spitzenorganisationen nicht auf eine einvernehmliche Reihenfolge der Vorschläge verständigt haben4. Das Vorschlagsrecht bezieht sich nur auf die Personen, die als ehrenamtliche 9 Beisitzer ernannt werden können, nicht hingegen auf die Besetzung einzelner 1 S. auch § 1 Abs. 1 der Geschäftsordnung der Vergabekammern des Bundes, Anhang III; Schweda in Langen/Bunte, Kommentar zum deutschen und europäischen Kartellrecht, § 105 Rz. 4. 2 Noch in Byok/Jaeger, Kommentar zum Vergaberecht, § 105 Rz. 8. 3 Stockmann in Immenga/Mestmäcker, GWB, § 106 Rz. 6. 4 Noch in Byok/Jaeger, Kommentar zum Vergaberecht, § 106 Rz. 5; Heuvels in Loewenheim/Meessen/Riesenkampff, Kartellrecht, § 106 Rz. 4; Stockmann in Immenga/Mestmäcker, GWB, § 106 Rz. 6; Hofmann/Horn in Burgi/Dreher, § 158 Rz. 7 f.

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§ 158 | Einrichtung, Organisation Vergabekammern mit bestimmten Geschäftsbereichen. Allerdings hat der Präsident des Bundeskartellamts bei seinen Organisationsentscheidungen die jeweiligen spezifischen Kenntnisse der vorgeschlagenen ehrenamtlichen Kammermitglieder zu berücksichtigen. Dies gilt sowohl für deren praktische Erfahrungen auf dem Gebiet des Vergabewesens (§ 157 Abs. 2 Satz 4) als auch für die Bereiche, in denen die vorgeschlagenen Personen praktischen Erfahrungen gesammelt haben. 3. Geschäftsverteilung 10 Die Geschäftsverteilung wird durch den Präsidenten des Bundeskartellamts ge-

regelt. Dies bezieht sich auf die Geschäftsverteilung zwischen den einzelnen Vergabekammern. Die Geschäftsverteilung muss sich an sachgerechten Kriterien orientieren. Maßgeblich können dabei besondere bereichsspezifische Erfahrungen (z.B. besondere vergaberelevante Kenntnisse im Hoch- oder Tiefbau), aber auch die unterschiedlichen Fallzahlen in verschiedenen Vergabebereichen, die damit verbundene Auslastung usw. sein1. Ebenso ist eine Verteilung nach der Reihenfolge der Eingänge o.Ä. möglich.

11 Nicht hingegen bezieht sich die Geschäftsverteilung auf die Verteilung inner-

halb der Vergabekammer, die daher von ihr selbst zu organisieren ist. Dies gilt sowohl für die Federführung (Einsetzung als Berichterstatter) als auch für die Frage, welchem Kammermitglied ggf. ein Verfahren zur alleinigen Entscheidung übertragen wird (§ 157 Rz. 14 ff.)2. Da es sich bei den Vergabekammern nicht um Gerichte handelt (§ 157 Rz. 4), sind an die Geschäftsverteilung nicht die Anforderungen zu stellen, die das Gerichtsverfassungsgesetz für die externe und interne Geschäftsverteilung enthält (§ 21e und § 21g GVG)3. 4. Geschäftsordnung

12 Ebenfalls zuständig ist der Präsident des Bundeskartellamts für den Erlass einer

Geschäftsordnung (zu den entsprechenden Länderregelungen Rz. 17)4. Zu deren Erlass ist er verpflichtet. Insofern besteht also kein Entscheidungsspielraum dem Grunde nach5. Allerdings ist der Inhalt der Geschäftsordnung nicht weiter präzisiert. Es sind daher alle Regelungen zu treffen, die für eine reibungslose Tätigkeit der Vergabekammern geboten sind und für die eine Bekanntmachung gegenüber der Allgemeinheit angezeigt ist.

1 Portz/Steck in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum Vergaberecht, § 157 Rz. 10. 2 Portz/Steck in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum Vergaberecht, § 157 Rz. 10; s. für die dem Bund zuzurechnenden Aufträge § 2 Abs. 2 und § 3 der Geschäftsordnung der Vergabekammern des Bundes, abgedruckt im Anhang III; ebenso für die Verteilung innerhalb eines gerichtlichen Spruchkörpers § 21g GVG. 3 Stockmann in in Immenga/Mestmäcker, GWB, § 106 Rz. 7. 4 Abgedruckt in Anhang III. 5 Stockmann in Immenga/Mestmäcker, GWB, § 106 Rz. 8.

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Einrichtung, Organisation | § 158

Die Geschäftsordnung ist reines Innenrecht, das die Organisation und den Ver- 13 fahrensablauf innerhalb der Vergabekammern regelt1. Es kann dahinstehen, ob es sich dabei um Verwaltungsvorschriften oder um einen Regelungstyp eigener Art handelt. In jedem Fall hat eine Geschäftsordnung das außenwirksame materielle Recht (formelle Gesetze, Rechtsverordnungen, Satzungen) strikt einzuhalten2 und auch die unionsrechtlichen Anforderungen insbesondere der Vergaberichtlinien und der Rechtsmittelrichtlinien (Einleitung Rz. 7) zu beachten. Dies bedeutet insbesondere, dass die Geschäftsordnung keine Bestimmungen enthalten darf, die den Vorschriften im 4. Teil des GWB zuwiderlaufen. Da es sich bei der Tätigkeit der Vergabekammern um eine verwaltungsbehördliche Tätigkeit handelt (§ 157 Rz. 3 ff.; § 160 Rz. 6) können auch die gemäß § 1 VwVfG anwendbaren Vorschriften des Verwaltungsverfahrensgesetzes (des Bundes oder der Länder) nicht abbedungen oder modifiziert werden. Gleichwohl erlassene Bestimmungen der Geschäftsordnung sind unwirksam und daher auch für die interne Organisation und den Verfahrensablauf der Vergabekammern unbeachtlich. Unzutreffend ist vor diesem Hintergrund zumindest in der Begründung der Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 12.6.20013, der sich u.a. mit der Unterschrift von Beschlüssen der Vergabekammern befasst (dazu noch § 168 Rz. 76 f.). Der BGH verweist für die Frage, durch wen der Beschluss der Vergabekammer unterschrieben werden muss, auf die Organisation der Vergabekammern und damit auf den Regelungsbereich der maßgeblichen Geschäftsordnung. Dies ist allerdings im Hinblick auf die Regelung in § 37 Abs. 3 VwVfG (des Bundes und der Länder), die für die Vergabekammern bindend ist, unzutreffend (zur Verwaltungsaktqualität die Entscheidung der Vergabekammer § 168 Rz. 63; zur behördlichen Tätigkeit s. auch § 157 Rz. 3 ff.). Daran ändert in Bezug auf diese Entscheidung des BGH auch der Umstand nichts, dass es nicht um eine Vergabekammer des Bundes sondern eines Landes ging, für die § 158 Abs. 2 und nicht Abs. 1 der Vorschrift einschlägig ist. Denn auch für die Vergabekammern der Länder und deren Organisation ist das außenwirksame materielle Rechte beachtlich. Die in dem entschiedenen Fall maßgeblichen Ausführungsvorschriften des Thüringer Landesrechts enthielten keine Regelung, nach der die Tätigkeit der Vergabekammern des Landes Thüringen insgesamt oder auch nur in diesem Punkt nicht dem (Landes-)Verwaltungsverfahrensgesetz unterfällt. Dementsprechend war in dem entschiedenen Fall § 37 Abs. 3 VwVfG (Land) zu beachten, ohne dass das dort zuständige Landesverwaltungsamt eine

1 Noch in Byok/Jaeger, Kommentar zum Vergaberecht, § 106 Rz. 7; Heuvels in Loewenheim/Meessen/Riesenkampff, Kartellrecht, § 106 Rz. 3; Portz/Steck in Kulartz/Kus/ Portz/Prieß, Kommentar zum Vergaberecht, § 106 Rz. 15. 2 Vgl. Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 24 Rz. 12 ff.; Stelkens/Schmitz in Stelkens/ Bonk/Sachs, Verwaltungsverfahrensgesetz, § 1 Rz. 181. 3 BGH v. 12.6.2001 – X ZB 10/01, VergabeR 2001, 286; ebenso OLG Düsseldorf v. 5.10. 2001 – Verg 18/01, VergabeR 2002, 89.

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§ 158 | Einrichtung, Organisation widersprechende und damit gegen höherrangiges Recht verstoßende Geschäftsordnungsregelung wirksam treffen konnte1. 14 Geregelt werden können in der Geschäftsordnung hingegen die für die interne

Organisation und den Verfahrensablauf der Vergabekammern maßgeblichen Einzelheiten, soweit sie nicht durch materielles Recht bereits normiert sind. Geschäftsordnungsregelungen sind ebenfalls zulässig, soweit das materielle Rechte konkretisierungsfähig und eine abstrakte Regelung für die Tätigkeit der Vergabekammern möglich ist. Dies betrifft etwa die Zahl der Mitglieder der Vergabekammern, allgemeine Grundsätze für die Übertragung zur alleinigen Entscheidung gemäß § 157 Abs. 3 (§ 157 Rz. 14 ff.), die Einzahlung von Kostenvorschüssen (§ 163 Rz. 34), die Ladungsfrist, die Konkretisierung von § 93 VwVfG zum Ablauf der mündlichen Verhandlung oder in Ergänzung zu § 37 VwVfG den Aufbau und Inhalt der Entscheidung der Vergabekammern nach § 168 Abs. 3 Satz 12.

5. Genehmigung, Veröffentlichung 15 Die Geschäftsordnung bedarf der Genehmigung durch das Bundesministerium

für Wirtschaft und Energie. Dabei handelt es sich um eine rechts- und fachaufsichtliche Kontrolle. Erst nach erteilter Genehmigung darf die Geschäftsordnung erlassen und zur Herstellung der notwendigen Publizität veröffentlicht werden.

III. Vergabekammern der Länder 1. Einrichtung, Organisation und Besetzung 16 § 158 Abs. 2 trägt dem Grundsatz der Länderexekutive gemäß Art. 83 f. GG

Rechnung3. Die Länder führen danach die für das Nachprüfungsverfahren maßgeblichen bundesrechtlichen Bestimmungen als eigene Angelegenheit aus, soweit nichts Abweichendes bestimmt ist. Letzteres ist im Hinblick auf die Besetzung der Vergabekammern gemäß § 157 Abs. 2 der Fall (s. Rz. 6). Solange sie die bundesrechtlichen Vorgaben einhalten (§ 170), haben die Länder jedoch im Übrigen freie Hand. § 158 Abs. 2 bezieht sich von seinem Wortlaut her ganz allgemein auf die Nachprüfungsbehörden des zweiten Abschnitts des 4. Teils (§§ 155 ff.). Nachdem § 103 a.F. durch das Vergaberechtsmodernisierungsgesetz 2009 (Einleitung Rz. 7) aufgehoben wurde, sind damit nur noch die Vergabekammern gemeint. Die Einrichtung von gesonderten Vergabeprüfstellen ist den Ländern gleichwohl freigestellt (§ 155 Rz. 3). Sie unterliegen dabei keinen beson1 Ebenso Noch in Byok/Jaeger, Kommentar zum Vergaberecht, § 106 Rz. 45. 2 S. zu den Geschäftsordnungenregelungen für die Vergabekammern des Bundes Anhang III. 3 Noch in Byok/Jaeger, Kommentar zum Vergaberecht, § 106 Rz. 42.

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Einrichtung, Organisation | § 158

deren Anforderungen und Einschränkungen durch das Kartellvergaberecht. Allerdings dürfen Vergabeprüfstellen keine Kompetenzen eingeräumt werden, die das Rechtsschutzsystem des Kartellvergaberechts unterlaufen. Es darf sich in erster Linie also nur um eine besondere Form der rechts- oder fachaufsichtlichen Prüfung sowie um eine beratende oder streitschlichtende Tätigkeit handeln. Die Zuständigkeit für die Einrichtung, Organisation und Besetzung der Vergabe- 17 kammern bestimmt sich – unter Beachtung insbesondere von § 157 – nach dem jeweiligen Landesrecht. § 158 Abs. 2 Satz 1 regelt daher lediglich eine Auffangzuständigkeit der jeweiligen Landesregierung. Da § 158 Abs. 1 für die Länder nicht einschlägig ist, kann das Landesrecht auch bestimmen, ob, durch wen und mit welchem Inhalt die Geschäftsordnungen für die Vergabekammern der Länder erlassen werden. Wird dies nicht durch Landesrecht ausdrücklich geregelt, kann gleichwohl für die interne Organisation des Verfahrensablaufs durch die Vergabekammern selbst oder durch die Behörden, denen sie angegliedert sind, eine Geschäftsordnung erlassen werden, da damit kein materielles außenwirksames Recht gesetzt wird. Allerdings ist dabei das Gesetzesrecht zu beachten, das durch Geschäftsordnungen (zumindest ohne entsprechende gesetzliche Ermächtigung) nicht übergangen oder modifiziert werden darf (s. bereits Rz. 13) Die Landesregierungen können gemäß § 158 Abs. 2 Satz 1 ihre „Auffangzustän- 18 digkeit“ nach § 158 Abs. 2 Satz 1 weiter übertragen.1 Dies gilt ebenfalls mit der Einschränkung, dass dem jeweils landesrechtliche Vorgaben nicht entgegenstehen dürfen. 2. Besetzung der Vergabekammern in den Ländern Die bis zum Inkrafttreten des Vergaberechtsmodernisierungsgesetzes 2009 in 19 § 158 Abs. 2 Satz 2 enthaltene Regelung, die den Ländern die Möglichkeit einräumte, die Besetzung der Vergabekammern abweichend von § 157 Abs. 2 Satz 2 bis 4 zu regeln (s. Rz. 3), ist entfallen. Daher muss die Besetzung der Vergabekammern derjenigen entsprechen, die auch für die Vergabekammern des Bundes gilt (s. Rz. 6 ff.)2. 3. Gemeinsame Vergabekammer Gemäß § 158 Abs. 2 Satz 2 können die Länder gemeinsame Vergabekammern 20 als Nachprüfungsbehörden i.S.d. 2. Abschnitts einrichten. Da den Vergabekammern hoheitliche Kompetenzen zustehen, bedarf dies einer besonderen gesetzlichen Grundlage in den beteiligten Ländern. Ein derartiger Zusammenschluss 1 Schweda in Langen/Bunte, Kommentar zum deutschen und europäischen Kartellrecht, § 106 Rz. 4. 2 Portz/Steck in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum Vergaberecht, § 157 Rz. 19; Wiedemann, VergabeR 2009, 302 (307).

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§ 159 | Abgrenzung der Zuständigkeit der Vergabekammern kann unter Kosten- und Effizienzgesichtspunkten sinnvoll sein. Insbesondere ermöglicht er die Bildung von länderübergreifenden Vergabekammern mit jeweils besonderen bereichsspezifischen Kenntnissen (z.B. im Bereich der Bauvergabe)1. Gleichwohl ist es bislang noch nicht zur Einrichtung von gemeinsamen Vergabekammern durch mehrere Länder gekommen.

§ 159 Abgrenzung der Zuständigkeit der Vergabekammern (1) Die Vergabekammer des Bundes ist zuständig für die Nachprüfung der Vergabeverfahren 1. des Bundes; 2. von öffentlichen Auftraggebern im Sinne des § 99 Nummer 2, von Sektorenauftraggebern im Sinne des § 100 Absatz 1 Nr. 1 in Verbindung mit § 99 Nummer 2 und Konzessionsgebern im Sinne des § 101 Absatz 1 Nummer 1 in Verbindung mit § 99 Nummer 2, sofern der Bund die Beteiligung überwiegend verwaltet oder die sonstige Finanzierung überwiegend gewährt hat oder über die Leitung überwiegend die Aufsicht ausübt oder die Mitglieder des zur Geschäftsführung oder zur Aufsicht berufenen Organs überwiegend bestimmt hat, es sei denn, die an dem Auftraggeber Beteiligten haben sich auf die Zuständigkeit einer anderen Vergabekammer geeinigt; 3. von Sektorenauftraggebern im Sinne des § 100 Absatz 1 Nummer 2 und von Konzessionsgebern im Sinne des § 101 Absatz Nummer 3, sofern der Bund auf sie einen beherrschenden Einfluss ausübt; ein beherrschender Einfluss liegt vor, wenn der Bund unmittelbar oder mittelbar die Mehrheit des gezeichneten Kapitals des Auftraggebers besitzt oder über die Mehrheit der mit den Anteilen des Auftraggebers verbundenen Stimmrechte verfügt oder mehr als die Hälfte der Mitglieder des Verwaltungs-, Leitungs- oder Aufsichtsorgans des Auftraggebers bestellen kann; 4. von Auftraggebern im Sinne des § 99 Nummer 4, sofern der Bund die Mittel überwiegend bewilligt hat; 5. die im Rahmen der Organleihe für den Bund durchgeführt werden; 6. in Fällen, in denen sowohl die Vergabekammer des Bundes als auch eine oder mehrere Vergabekammern der Länder zuständig sind. (2) Wird das Vergabeverfahren von einem Land im Rahmen der Auftragsverwaltung für den Bund durchgeführt, ist die Vergabekammer dieses Landes 1 Schweda in Langen/Bunte, Kommentar zum deutschen und europäischen Kartellrecht, § 106 Rz. 5; Heuvels in Loewenheim/Meessen/Riesenkampff, Kartellrecht, § 106 Rz. 8.

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Abgrenzung der Zuständigkeit der Vergabekammern | § 159

zuständig. Ist in entsprechender Anwendung des Absatzes 1 Nummer 2 bis 5 ein Auftraggeber einem Land zuzuordnen, ist die Vergabekammer des jeweiligen Landes zuständig. (3) In allen anderen Fällen wird die Zuständigkeit der Vergabekammern nach dem Sitz des Auftraggebers bestimmt. Bei länderübergreifenden Beschaffungen benennen die Auftraggeber in der Vergabebekanntmachung nur eine zuständige Vergabekammer. I. 1. 2. II. 1. 2. 3.

Einführung Inhaltsübersicht . . . . . . . . Entstehungsgeschichte . . . Zuständigkeitsabgrenzung § 159 Abs. 1 Nr. 1 . . . . . . . § 159 Abs. 1 Nr. 2 . . . . . . . § 159 Abs. 1 Nr. 3 . . . . . . .

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4. 5. 6. 7. 8. 9.

§ 159 Abs. 1 Nr. 4 . § 159 Abs. 1 Nr. 5 . § 159 Abs. 1 Nr. 6 . § 159 Abs. 2 Satz 1 § 159 Abs. 3 Satz 1 § 159 Abs. 3 Satz 2

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I. Einführung 1. Inhaltsübersicht § 159 regelt die Zuständigkeitsabgrenzung zwischen den Vergabekammern des 1 Bundes einerseits und den Vergabekammern der Länder andererseits. Nicht maßgeblich ist die Regelung für die Zuständigkeitsabgrenzung zwischen der Tätigkeit der Vergabekammern und der Tätigkeit der Behörden und Gerichte außerhalb des Kartellvergaberechts, insbesondere also der Kartellbehörden und der Rechts- und Fachaufsichtsbehörden sowie der Zivilgerichte, Verwaltungsgerichte und Sozialgerichte. Hierfür ist § 156 Abs. 2 und Abs. 3 maßgeblich (s. § 156 Rz. 5 u. Rz. 13 ff.). § 159 bestimmt des Weiteren nicht, welche Vergabekammer des Bundes zuständig ist. Dafür ist die Geschäftsverteilung gemäß § 2 der Geschäftsordnung der Vergabekammern des Bundes maßgeblich. Ebenso wenig regelt § 159, welche Vergabekammer auf Landesebene zuständig ist, wenn dort mehrere Vergabekammern eingerichtet sind. Dort richtet sich die Zuständigkeitsabgrenzung nach den einschlägigen landesrechtlichen Bestimmungen (§ 158 Abs. 2, s. § 158 Rz. 16). 2. Entstehungsgeschichte § 159 wurde durch das Vergaberechtsmodernisierungsgesetz 2009 (Einleitung 2 Rz. 4 ff.) eingeführt. In der ursprünglichen Fassung des 4. Teils des GWB war eine über § 156 Abs. 1 hinausgehende Zuständigkeitsabgrenzung nach nicht enthalten, was in nicht wenigen Fällen zu Abgrenzungsschwierigkeiten und Zuständigkeitsproblemen geführt hat. Dem wurde durch den Erlass der Vergabeverordnung im Jahr 2001 dahingehend Rechnung getragen, dass § 18 VgV a.F. die Reidt

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§ 159 | Abgrenzung der Zuständigkeit der Vergabekammern erforderliche Zuständigkeitsabgrenzung, insbesondere für Zweifelsfälle, regelte. Ergänzend dazu bestimmte § 17 VgV a.F., dass der Auftraggeber in der Vergabebekanntmachung und den Vergabeunterlagen die Anschrift der zuständigen Vergabekammer anzugeben hat (s. nunmehr § 37 Abs. 3 VgV)1. § 18 VgV a.F. wurde mit nur wenigen Änderungen als § 106a a.F. in den Abschnitt 2 des 4. Teils des GWB übergenommen. § 159 Abs. 3 Satz 2 (106a Abs. 3 Satz 2 a.F.), der in § 18 VgV a.F. nicht enthalten war, wurde erst aufgrund der Stellungnahme des Bundesrates2 aufgenommen, um mit dem darin geregelten konstitutiven Benennungsrecht verbleibende Abgrenzungsschwierigkeiten zu beseitigen. Dieses Ziel wurde durch diese Ergänzung jedoch nur mit Abstrichen erreicht (s. noch Rz. 24 ff.). 3 Durch das VergaberechtsmodernisierungsG 2016 (Einleitung Rz. 10 f.) wurde

§ 106a a.F. nur geringfügig verändert. Die Aufzählung weiterer Auftraggeber in § 159 Nr. 2 und Nr. 3 beruht auf der neu eingeführten Differenzierung zwischen öffentlichen Auftraggebern, Sektorenauftraggebern und Konzessionsgebern in den §§ 98 ff. Ebenfalls neu ist § 159 Abs. 1 Nr. 6, mit dem eine bis dahin bestehende Rechtsuntersicherheit ausgeräumt wurde.

II. Zuständigkeitsabgrenzung 4 § 159 enthält Bestimmungen zur Abgrenzung der Zuständigkeit der Vergabe-

kammern zwischen Bund und Ländern. Sie gilt auch in den Fällen, in denen sich ein Unternehmen gegen eine aus seiner Sicht vermeintlich zu Unrecht unterlassenen Ausschreibung wendet. Die Vorschrift ergänzt § 156 Abs. 13, der pauschal regelt, dass die Nachprüfung der Vergabe öffentlicher Aufträge, die dem Bund zuzurechnen sind, den Vergabekammern des Bundes und der Vergabe öffentlicher Aufträge, die den Ländern zuzurechnen sind, den Vergabekammern der Länder obliegt. Die Zurechnung von Aufträgen zum Bund oder zu einzelnen Ländern kann allerdings vor allem dann Schwierigkeiten bereiten, wenn es sich um öffentliche Auftraggeber handelt, die vom Bund und einem oder mehreren Ländern gemeinsam errichtet, beherrscht oder finanziert werden oder wenn es um gemeinsame Aufträge mehrerer öffentlicher Auftraggeber geht. Die Regelung hat in solchen Fällen für die Rechts- und Verfahrenssicherheit erhebliche Bedeutung (zur Angabe der Vergabekammer in der Vergabebekanntmachung und den Verdingungsunterlagen s. insbes. § 37 Abs. 3VgV).

5 Die in § 159 Abs. 1 Nr. 1 bis 5 geregelten Fälle beziehen sich durchgängig auf

dem Bund zuzurechnende Auftragsvergaben und eine daran anknüpfende Zu-

1 Zur fehlenden Verbindlichkeit der Benennung VK Baden-Württemberg v. 16.5.2013 – 1 VK 12/13, ZfBR 2013, 600. 2 BT-Drucks. 16/10117, S. 34. 3 Portz/Steck in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum Vergaberecht, § 159 Rz. 1.

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Abgrenzung der Zuständigkeit der Vergabekammern | § 159

ständigkeit der Vergabekammern des Bundes. Der Umstand, dass § 159 Abs. 1 anders als § 156 Abs. 1 und § 158 Abs. 1 Satz 1 von der Vergabekammer im Singular spricht, hat keine besondere Bedeutung. Die Regelung hat insbesondere nicht zur Folge, dass für sämtliche dem Bund zuzurechnenden Aufträge nur eine einzige Vergabekammer zuständig sein dürfte. Gemeint ist vielmehr lediglich, dass bei dem Bund zuzurechnenden Aufträgen die Zuständigkeit beim Bundeskartellamt und den dort tatsächlich eingerichteten Vergabekammern liegt. Die interne Aufteilung von Nachprüfungsverfahren auf diese Kammern obliegt der Geschäftsverteilung durch den Präsidenten des Bundeskartellamtes (s. § 158 Rz. 10). Entsprechendes gilt für § 159 Abs. 2 Satz 2, wenn dort von der Vergabekammer 6 des jeweiligen Landes die Rede ist. Dies bedeutet nicht, dass die Länder lediglich berechtigt wären, jeweils nur eine Vergabekammer einzurichten. Vielmehr können sie auch mehrere Vergabekammern, insbesondere nach Maßgabe einer unterschiedlichen örtlichen Zuständigkeit, vorsehen. Deren landesinterne Zuständigkeitsabgrenzung wird durch § 159 nicht geregelt. Aus der Vorschrift kann also nur abgeleitet werden, ob eine Vergabekammer des Bundes oder eines bestimmten Landes zuständig ist. Bei Nachprüfungsanträgen, die bei dem Bund zuzurechnenden Aufträgen an das Bundeskartellamt gerichtet werden, zieht dies keine besonderen Rechtsfolgen nach sich, da es nur um eine Frage der behördeninternen Geschäftsverteilung geht und ein gestellter Nachprüfungsantrag durch die Vergabekammer beim Bundeskartellamt bearbeitet wird, die nach der internen Geschäftsverteilung dafür zuständig ist. Hingegen kann dies bei der Anrufung einer nach dem maßgeblichen Landesrecht unzuständigen Vergabekammern anders sein. Hier folgt ggf. aus der, vor allem örtlichen, landesrechtlichen Unzuständigkeit der Vergabekammer auch die Unzulässigkeit des dort gestellten Nachprüfungsantrags (zur Möglichkeit einer Verweisung an die zuständige Vergabekammer s. § 161 Rz. 8). § 159 Abs. 2 Satz 2 bestimmt für die in § 159 Abs. 1 Nr. 2 bis 5 geregelten Fälle, 7 die sich auf die dem Bund zuzurechnenden Aufträge beziehen, dass die Regelung entsprechend gilt, wenn nach den dort genannten Kriterien ein Auftraggeber einem bestimmten Land zuzuordnen ist. Für § 159 Abs. 1 Nr. 1 gilt letztlich nichts anderes. Wenn es um den Auftrag eines Landes geht, ist die nach dem Recht des betreffenden Landes zuständige Vergabekammer anzurufen. Dies ergibt sich bereits aus § 156 Abs. 1. Die Zuständigkeit der Vergabekammer, die im Rahmen eines Nachprüfungsver- 8 fahrens entschieden hat, ist von Amts wegen durch die Vergabekammer selbst zu klären. Sie ist im Rahmen eines Beschwerdeverfahrens (§ 171 ff.) überprüfbar (zur Möglichkeit einer Verweisung s. § 161 Rz. 8). Da es sich bei der Tätigkeit der Vergabekammern um eine verwaltungsbehördliche Tätigkeit handelt und spezialgesetzlich im 4. Teil des GWB nichts anderes bestimmt ist (s. in diesem Zusammenhang auch § 170), ist § 46 VwVfG des Bundes und der Länder zu beReidt

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§ 159 | Abgrenzung der Zuständigkeit der Vergabekammern achten. Danach kann die Aufhebung eines Verwaltungsaktes nicht allein deshalb beansprucht werden, weil er unter Verletzung von Vorschriften u.a. über die örtliche Zuständigkeit zustande gekommen ist, wenn offensichtlich ist, dass die Verletzung die Entscheidung in der Sache nicht beeinflusst hat. Hat also eine örtlich unzuständige Vergabekammer entschieden, ist deren Entscheidung allerdings nach Prüfung durch den Vergabesenat beim OLG inhaltlich zutreffend, scheidet eine Aufhebung der Vergabekammerentscheidung aus. Etwas anderes gilt dann, wenn es nicht um die örtliche Zuständigkeit geht, sondern um die sachliche Zuständigkeit, weil anstelle der Vergabekammer eines bestimmten Landes die Vergabekammer eines anderen Landes oder des Bundes entschieden hat. In diesem Fall muss die Entscheidung durch den Beschwerdesenat aufgehoben werden (s. auch § 161 Rz. 7 ff.)1. 1. § 159 Abs. 1 Nr. 1 9 § 159 Abs. 1 Nr. 1 regelt i.V.m. § 156 Abs. 1 in Bezug auf die öffentlichen Auf-

traggeber nach § 99 Nr. 1 die Zuständigkeitsabgrenzung zwischen den Vergabekammern des Bundes und der Länder. Da es um Vergaben geht, bei denen der Bund oder die Länder einschließlich der ihnen zuzurechnenden Gebietskörperschaften (§ 99 Rz. 11) jeweils alleinige Auftraggeber sind, handelt es sich um einen hinsichtlich der Abgrenzung in der Regel unproblematischen Fall. 2. § 159 Abs. 1 Nr. 2

10 § 159 Abs. 1 Nr. 2, ggf. i.V.m. § 159 Abs. 2 Satz 2, bezieht sich auf öffentliche

Auftraggeber i.S.v. § 99 Nr. 2 GWB, Sektorenauftraggeber und Konzessionsgeber, die an die Definition des öffentlichen Auftraggebers nach § 99 Nr. 2 GWB anknüpfen. Die Vorschriften regeln, dass die Vergabekammern des Bundes oder eines bestimmten Landes zuständig sind, wenn der Bund oder ein Land den betreffenden Auftraggeber nach § 99 Nr. 2 GWB durch Verwaltung, Finanzierung oder Bestimmung der Geschäftsführungs- oder Aufsichtsorgane beherrscht. Die unterschiedlichen Kriterien der Beherrschung stehen dabei gleichgewichtig und gleichberechtigt nebeneinander2. Erfolgt die Beherrschung durch den Bund und einen oder mehrere andere öffentliche Auftraggeber nach § 99 Nr. 1 oder 3, ist die Vergabekammer des Bundes zuständig, wenn die Beherrschung durch den Bund im Verhältnis zu den anderen Auftraggebern überwiegt3, also über 50 % liegt (zu der Definition der Beherrschung gemäß § 159 Abs. 1 Nr. 3 s. Rz. 15). Entsprechendes gilt (mit oder ohne Beteiligung des Bundes) für das Verhältnis mehrerer Länder und ihrer Vergabekammern zueinander 1 S. hierzu OLG Düsseldorf v. 19.12.2007 – Verg 51/07, VergabeR 2008, 73 (81 f.). 2 OLG Düsseldorf v. 19.12.2007 – Verg 51/07, VergabeR 2008, 73 (82); VK Kiel v. 27.1. 2009 – VK-SH 19/08; VK Leipzig v. 19.12.2008 – 1/SVK/064-08. 3 Stockmann in Immenga/Mestmäcker, GWB, § 106a Rz. 4.

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Abgrenzung der Zuständigkeit der Vergabekammern | § 159

(§ 159 Abs. 2 Satz 2). Hier ist die Zuständigkeit der Vergabekammern eines Landes gegeben, wenn dieses den betreffenden Auftraggeber (überwiegend) beherrscht (zum Auseinanderfallen von Verwaltung, Bestimmung der Organe und Finanzierung s. noch Rz. 14). Abweichend davon können sich die an dem öffentlichen Auftraggeber Beteilig- 11 ten allerdings auf die Zuständigkeit einer anderen Vergabekammer einigen. Beteiligte in diesem Sinne sind diejenigen, die Tätigkeiten i.S.v. § 159 Abs. 1 Nr. 2 wahrnehmen, also den Auftraggeber i.S.v. § 99 Nr. 2 verwalten, finanzieren, leiten oder die Mitglieder der Geschäftsführung oder der Aufsichtsorgane bestimmen1. Die Einigung ist im Hinblick darauf, dass sie in erster Linie Zuständigkeitsunsicherheiten vermeiden soll, dahingehend beschränkt, dass es sich um eine der Vergabekammern handeln muss, die zumindest für eine der den Auftraggeber nach § 99 Nr. 2 GWB beherrschenden Stellen zuständig ist. Die Beteiligten können also nicht etwa die Zuständigkeit einer gänzlich anderen Vergabekammer vereinbaren2. Während in den Fällen, in denen die Beherrschungsverhältnisse eindeutig sind, die Einigungsmöglichkeit vergleichsweise geringe Relevanz haben dürfte, hat sie größere Bedeutung für die Verfahrenssicherheit, wenn die überwiegende Beherrschung zweifelhaft ist. Daraus folgt zugleich, dass § 159 Abs. 1 Nr. 2 vor allem über seinen Wortlaut 12 hinausgehend Bedeutung hat. Denn bei wörtlichem Verständnis ist die Regelung nur dann einschlägig, wenn eine überwiegende Beherrschung durch den Bund oder durch ein Land (§ 159 Abs. 2 Satz 2) feststeht, dann jedoch eine Einigung mit den weiteren Beteiligten dahingehend erfolgt, dass nicht die für den Beherrschenden an sich zuständige Vergabekammer maßgeblich sein soll, sondern die für einen der anderen Beteiligten zuständige Vergabekammer. Hingegen wäre die Regelung nicht einschlägig, wenn sich eine eindeutige Beherrschung nicht feststellen lässt. Gleichwohl entspricht es dem Sinn und Zweck der Regelung, dass gerade in diesen Fällen eine Einigung auf die Zuständigkeit einer bestimmten Vergabekammer möglich sein soll3. Eine Einigung über die Zuständigkeit der Vergabekammer setzt den Konsens 13 der Beteiligten voraus. Notwendig ist also die Zustimmung aller beherrschenden Stellen. Es reicht daher nicht aus, wenn der Auftraggeber nach § 99 Nr. 2 sich ohne Beteiligung der ihn beherrschenden Stellen eine Vergabekammer aussucht und diese in der Vergabebekanntmachung und den Vergabeunterlagen angibt. Allerdings kann die Einigung zwischen den Beteiligten auch stillschweigend oder konkludent sowie vorab für alle anstehenden Vergabeverfahren 1 Portz/Steck in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum Vergaberecht, § 159 Rz. 134. 2 Portz/Steck in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum Vergaberecht, § 159 Rz. 14. 3 S. zu dieser Problematik etwa OLG Düsseldorf v. 19.12.2007 – Verg 51/07, VergabeR 2008, 73 einerseits und LSG Baden-Württemberg v. 28.12.2008 – L 11KR 4810/08 andererseits.

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§ 159 | Abgrenzung der Zuständigkeit der Vergabekammern des beherrschten Auftraggebers erfolgen1. Der Zustimmung von Unternehmen, die ggf. einen Nachprüfungsantrag stellen wollen, bedarf es nicht. Dies folgt bereits daraus, dass der Auftraggeber die Vergabekammer, auf die sich die Beteiligten geeinigt haben, in der Vergabebekanntmachung angeben muss (s. insbes. § 37 Abs. 3 VgV). 14 Liegt eine Einigung nicht vor, etwa weil die Vergabestelle zu Unrecht kein förm-

liches Vergabeverfahren eingeleitet hat (unzulässige Direktvergabe, de-factoVergabe, zur Zulässigkeit eines Nachprüfungsverfahrens in diesem Fall § 160 Rz. 63 ff.), kann der Antragsteller zur Wahrung effektiven Rechtsschutzes zwischen den Vergabekammern, die für die den Auftraggeber nach § 99 Nr. 2 beherrschenden Stellen zuständig sind, wählen, sofern sich nicht eindeutig eine überwiegende Beherrschung durch den Bund oder ein bestimmtes Land feststellen lässt und sich auch nicht aus § 159 Abs. 3 die alleinige Zuständigkeit einer Vergabekammer ergibt (s. noch Rz. 22)2. Dies gilt auch dann, wenn Verwaltung, Finanzierung und ggf. auch die Bestimmung der Aufsichtsorgane dahingehend auseinanderfallen, dass der Bund oder ein bestimmtes Land für eine dieser Aufgaben zuständig ist und ein anderes Land für eine der anderen Aufgaben (z.B. wenn die überwiegende Finanzierung durch den Bund erfolgt und die Aufsicht bei einem oder mehreren Ländern liegt)3.

3. § 159 Abs. 1 Nr. 3 15 § 159 Abs. 1 Nr. 3, ggf. i.V.m. § 159 Abs. 2 Satz 2, bezieht sich auf die Sektoren-

auftraggeber nach § 100 Abs. 1 Nr. 2 GWB (§ 99 Rz. 100 ff.) und Konzessionsgeber im Sinne des § 101 Abs. 1 Nr. 3 GWB. Er regelt ähnlich wie Nr. 2, dass ein Auftrag dann dem Bund zuzurechnen ist, wenn er den Auftraggeber nach § 100 Abs. 1 Nr. 1 oder § 101 Abs. 1 Nr. 1 beherrscht. Bei einer gemeinsamen Beherrschung kommt es darauf an, ob der Anteil des Bundes überwiegt. § 159 Abs. 1 Nr. 3 enthält eine Legaldefinition des beherrschenden Einflusses, die an die Mehrheit des gezeichneten Kapitals des Auftraggebers, die Mehrheit der Anteile oder die überwiegende Bestellung der Mitglieder des Verwaltungs-, Leitungsoder Aufsichtsorgans anknüpft. Im Wesentlichen gelten hier die vorstehenden Ausführungen zu § 159Abs. 1 Nr. 2 (Rz. 10; s. auch § 99 Rz. 13 ff. zu § 99 Nr. 2) sinngemäß. 1 A.A. Portz/Steck in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum Vergaberecht, § 159 Rz. 13. 2 OLG Düsseldorf v. 19.12.2007 – Verg 51/07, VergabeR 2008, 73 (82 f.); Brauer, NZBau 2009, 297 (298); s. insb. zum Gebot der Wahrung effektiven Rechtsschutzes in diesem Zusammenhang auch OLG Koblenz v. 5.9.2002 – 1 Verg 2/02, VergabeR 2002, 617; VK Lüneburg v. 20.9.2004 – 203-VgK 46/2004; VK Hamburg v. 21.4.2004 – VgK FB 1/04. 3 OLG Düsseldorf v. 19.12.2007 – Verg 51/07, VergabeR 2008, 73 (82); VK Schleswig-Holstein v. 27.1.2009 – VK-SH 19/08; ebenso VK Baden-Württemberg v. 19.12.2008 – 1 VK 67/08.

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Abgrenzung der Zuständigkeit der Vergabekammern | § 159

Anders als bei § 159 Abs. 1 Nr. 2 können sich die Beteiligten aufgrund des eindeu- 16 tigen Gesetzeswortlautes hier nicht auf die Zuständigkeit einer Vergabekammer einigen1, d.h. die Zuständigkeit ergibt sich allein aus der Beherrschung des Auftraggebers durch den Bund oder ein bestimmtes Land (§ 159Abs. 2 Satz 2), bei paritätischen oder zumindest nicht eindeutigen Beteiligungsverhältnissen aus § 159 Abs. 3 (Rz. 22)2. Im Einzelfall kommt daher zur Wahrung effektiven Rechtsschutzes auch hier ein Wahlrecht des Antragstellers in Betracht (vgl. Rz. 14). 4. § 159 Abs. 1 Nr. 4 Für die staatlich subventionierten Auftraggeber nach § 99 Nr. 4 (§ 99 17 Rz. 98 ff.) bestimmt § 159 Abs. 1 Nr. 4, dass der betreffende Auftrag dem Bund zuzurechnen ist, wenn er die Mittel überwiegend bewilligt hat. Bei einer überwiegenden Bewilligung durch ein Land, ist dessen Vergabekammer zuständig (§ 159 Abs. 2 Satz 2). Fehlt es an einer überwiegenden Bewilligung durch den Bund oder ein Land, greift § 159 Abs. 3 ein. Eine Einigung der bewilligenden Stellen (Bund, Länder) scheidet hingegen außerhalb des Regelungsbereichs von § 159 Abs. 1 Nr. 2 aus (vgl. Rz. 11). 5. § 159 Abs. 1 Nr. 5 Die Regelung bestimmt, dass in Fällen der Organleihe durch den Bund bzw. 18 durch ein Land (§ 159 Abs. 2 Satz 2) der Auftrag dem Bund bzw. dem Land zuzurechnen ist, zu dessen Gunsten das betreffende Organ tätig wird. Das ausgeliehene Organ ist also, soweit die Inanspruchnahme erfolgt, nicht nur funktionell, sondern auch organisatorisch dem ausleihenden Verwaltungsträger zugeordnet3. Dies ist in dem Verhältnis vom Bund zu den Ländern etwa bei der Wahrnehmung der polizeilichen Aufgaben der See- und der überregionalen Schifffahrt der Fall, bei der die Wasserschutzpolizeien der Länder teilweise im Wege der Organleihe tätig werden4. Ähnliches gilt für die Hochbauaufgaben des Bundes, sofern sie von den Finanzbauverwaltungen der Länder durchgeführt werden5. 6. § 159 Abs. 1 Nr. 6 § 159 Abs. 1 Nr. 6 wurde durch das VergaberechtsmodernisierungsG 2016 neu 19 eingefügt (s. Rz. 3). Geregelt wird darin die Zuständigkeit der Vergabekammer des Bundes, wenn die Nachprüfung von Vergabeverfahren sowohl in die Zu1 A.A. Kratzenberg, NZBau 2001, 119 (122) zu § 18 VgV a.F.; offen gelassen bei OLG Düsseldorf v. 19.12.2007 – Verg 51/07, VergabeR 2008, 73 (83). 2 Portz/Steck in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum Vergaberecht, § 159 Rz. 15. 3 Portz/Steck in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum Vergaberecht, § 159 Rz. 18. 4 Gröpel in Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 89 Rz. 115. 5 Weyand, IBR-online-Kommentar, Vergaberecht, § 106a Rz. 17.

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§ 159 | Abgrenzung der Zuständigkeit der Vergabekammern ständigkeit der Vergabekammer des Bundes als auch in die Zuständigkeit von Vergabekammern der Länder fällt. Sie ist hingegen gemäß § 159 Abs. 2 Satz 2 nicht bei der parallelen Zuständigkeit mehrerer Vergabekammern der Länder anwendbar. Hier verbleibt es daher bei Abs. 3 Satz 2 (Rz. 24 ff.). Die Zuständigkeitskonzentration bei einer Vergabekammer dient der Verfahrenskonzentration und -beschleunigung vor allen in Fällen, in denen aufgrund der Zuständigkeit unterschiedlicher Beschwerdeinstanzen die Gefahr besteht, dass es bei parallelen Nachprüfungsverfahren zu divergierenden Entscheidungen kommt. Durch § 159 Abs. 1 Nr. 6 wird gewährleistet, dass alle Nachprüfungsanträge bei derselben Vergabekammer gestellt werden1. 7. § 159 Abs. 2 Satz 1 20 In Fällen der Auftragsverwaltung durch die Länder (Art. 85 GG) sind die Ver-

gabekammern des ausführenden Landes zuständig, nicht hingegen die Vergabekammern des Bundes. Dies ist insbesondere im Bereich des Fernstraßenbaus und bei den in diesem Zusammenhang vergebenden Aufträgen von Bedeutung (s. insbesondere Art. 90 Abs. 2–4 GG). Die Vergabekammer des entsprechenden Landes ist zuständig, wenn dieses im Rahmen der Bundesauftragsverwaltung tätig wird. Dies gilt unabhängig davon, welche Gebietskörperschaft der richtige Antragsgegner im Nachprüfungsverfahren, bzw. der Auftraggeber im vergaberechtlichen Sinne ist2. Im Fernstraßenbau ist dies außer in den Fällen des Art. 90 Abs. 2 GG (Bundesautobahnen) sowie des Art. 90 Abs. 4 GG (Übernahme in die bundeseigene Verwaltung auf Antrag eines Landes) das jeweilige Land, nicht der Bund3.

21 Absatz 2 Satz 1 ist lex specialis gegenüber Absatz 1, so dass die Vergabekammer

des jeweiligen Landes auch dann zuständig ist, wenn das Fernstraßenvorhaben überwiegend vom Bund finanziert wird4. 8. § 159 Abs. 3 Satz 1

22 Die Vorschrift enthält eine am ehesten bei de-facto-Vergaben bedeutsame Auf-

fangzuständigkeit5, nach der sich in allen anderen, also in allen nicht in § 159 Abs. 1 und Abs. 2 sowie Abs. 3 Satz 2 geregelten Fällen die Zuständigkeit nach dem Sitz des Auftraggebers richtet. Nicht geregelt in diesem Sinne sind insbesondere die Fälle, in denen keine überwiegende Beherrschung, Finanzierung

1 BT-Drucks. 18/6281, S. 134; zu einer solchen Fallkonstellation, die nunmehr ausgeschlossen ist, s. etwa OLG Düsseldorf v. 1.8.2012 – VII-Verg 15/12, VergabeR 2013, 42. 2 BGH v. 20.3.2014 – X ZB 18/13, VergabeR 2014, 538; OLG München v. 9.4.2015 – Verg 1/15. 3 OLG München v. 9.4.2015 – Verg 1/15, NZBau 2015, 446. 4 Portz/Steck in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum Vergaberecht, § 159 Rz. 21. 5 Portz/Steck in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum Vergaberecht, § 159 Rz. 24; Stockmann in Immenga/Mestmäcker, GWB, § 106a Rz. 11.

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Abgrenzung der Zuständigkeit der Vergabekammern | § 159

oder Subventionierung des öffentlichen Auftraggebers durch den Bund oder ein einzelnes Land vorliegt, also paritätische Verhältnisse gegeben sind. Dies wird man auch dann annehmen müssen, wenn die überwiegende Beherrschung oder Subventionierung durch den Bund oder ein bestimmtes Land nicht eindeutig ist (s. Rz. 10); in derartigen Fällen kommt die Auffangzuständigkeit nach § 159 Abs. 3 Satz 1 subsidiär zur Anwendung. Dies gilt lediglich im Falle des § 159 Abs. 1 Nr. 2 (Rz. 14) sowie des § 159 Abs. 3 Satz 2 (Rz. 24 ff.) nicht, wenn sich die Beteiligten auf die Zuständigkeit einer Vergabekammer geeinigt haben1. Ebenfalls ist bei einer Beteiligung des Bundes die vorrangige Zuständigkeit nach § 159 Abs. 1 Nr. 6 (Rz. 19) zu beachten. Hat ein Auftraggeber mehrere Sitze, steht dem Antragsteller im Rahmen des 23 § 159 Abs. 3 Satz 1 ein Wahlrecht (vgl. Rz. 14) zu. Er ist hingegen nicht zwingend an eine möglicherweise einschränkende Angabe des Auftraggebers nach § 37 Abs. 3 VgV gebunden, da diese außerhalb der gesetzlich vorgesehenen Einigungsmöglichkeit nach § 159 Abs. 1 Nr. 2 (Rz. 11) keine zuständigkeitsbegründende Wirkung hat2. 9. § 159 Abs. 3 Satz 2 § 159 Abs. 3 Satz 2 bezieht sich auf länderübergreifende Beschaffungen. Ge- 24 meint sind damit Auftragsvergaben, bei denen mehrere Auftraggeber aus verschiedenen Ländern zusammenwirken. Dies ist etwa im Bereich des Schienenpersonennahverkehrs (SPNV) bei landesgrenzenüberschreitenden Verkehren anzutreffen3. Gemäß der gesetzlichen Regelung benennen die beteiligten Auftraggeber in der 25 Vergabebekanntmachung nur eine zuständige Vergabekammer. Vermieden werden soll damit, dass verschiedene Vergabekammern angerufen werden (vgl. auch Rz. 19). Erfolgt eine derartige Benennung, ist sie konstitutiv und für die Unternehmen bindend4. Die Anrufung einer Vergabekammer, die in der Bekanntmachung nicht genannt ist, wäre unzulässig, selbst wenn das Schwergewicht der Leistungen in einem Land erbracht wird, dem die genannte Vergabekammer nicht angehört (zur Möglichkeit einer Verweisung s. § 161 Rz. 8) 1 So auch Portz/Steck in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum Vergaberecht, § 159 Rz. 24. 2 VK Baden-Württemberg v. 16.5.2013 – 1 VK 12/13, ZfBR 2013, 600; Brauer, NZBau 2009, 297 (298). 3 Dieses Beispiel wird auch in der Stellungnahme des Bundesrates zum Regierungsentwurf für das Vergaberechtsmodernisierungsgesetz 2009 ausdrücklich genannt, BT-Drucks. 16/10117, S. 34; s. zu der Problematik vor Inkrafttreten von § 106a Abs. 3 Satz 2 a.F. etwa OLG Koblenz v. 5.9.2002 – 1 Verg 2/02, VergabeR 2002, 617; VK Lüneburg v. 20.9.2004 – 203-VgK 46/2004. 4 Brauer, NZBau 2009, 297 (298).

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§ 159 | Abgrenzung der Zuständigkeit der Vergabekammern 26 Wird entgegen der Regelung in § 159 Abs. 3 Satz 2 keine Vergabekammer be-

nannt, verbleibt es bei länderübergreifenden Beschaffungen mehrerer öffentlicher Auftraggeber bei der Regelung in § 159 Abs. 3 Satz 1. Ein Unternehmer hat in diesem Fall also die Wahl, an welche Vergabekammer es sich mit seinem Nachprüfungsbegehren richtet1. Auf das Schwergewicht der Leistungen in dem einen oder anderen Land kommt es nicht an. Dies wäre mit der Gewährung effektiven Rechtsschutzes, gerade bei Unsicherheiten über dieses Schwergewicht, insbesondere im Hinblick auf die Herbeiführung des Zuschlagsverbotes gemäß § 169 Abs. 1 nicht vereinbar2. Nichts anderes gilt in den Fällen, in denen öffentliche Auftraggeber bei einer länderübergreifenden Beschaffung vergaberechtswidrig von der Durchführung eines Vergabeverfahrens absehen (de-facto-Vergabe/unzulässige Direktvergabe, s. Rz. 14).

27 Nicht anwendbar ist § 159 Abs. 3 Satz 2 in den Fällen, in denen es nicht um eine

länderübergreifende Beschaffung geht, also um eine Auftragsvergabe durch verschiedenen Ländern zuzurechnende öffentliche Auftraggeber, sondern um eine gemeinsame Vergabe von Bund und einem oder mehreren Ländern. In diesem Fall ist die gleichwohl in der Vergabebekanntmachung erfolgte Angabe einer bestimmten Vergabekammer nicht konstitutiv. Wird etwa bei einer gemeinsamen Vergabe von Bund und einem oder mehreren Ländern die Vergabekammer eines Landes angegeben, muss ein Unternehmen gleichwohl gemäß § 159 Abs. 1 Nr. 6 die Vergabekammer des Bundes anrufen (s. Rz. 19).

28 Ebenfalls keine Bedeutung hat § 159 Abs. 3 Satz 2 in den Fällen, in denen es

nicht um eine länderübergreifende Beschaffung geht, sondern um eine Beschaffung innerhalb eines Landes, das allerdings mehrere Vergabekammern mit örtlich unterschiedlichen Zuständigkeiten hat (z.B. Nordrhein-Westfalen). Schreiben beispielsweise mehrere Kommunen, für die unterschiedliche Vergabekammern zuständig sind, gemeinsam die Beschaffung bestimmter Leistungen aus, hat ein Unternehmen, dass sich im Rahmen des Vergabeverfahrens in seinen Rechten verletzt fühlt, die Möglichkeit, sich an eine der in Betracht kommenden Vergabekammern zu wenden, sofern dies im Landesrecht nicht abweichend geregelt ist. 1 OLG Düsseldorf v. 19.12.2007 – Verg 51/07, VergabeR 2008, 73 (83); OLG Koblenz v. 5.9.2002 – 1 Verg 2/02; VK Sachsen v. 19.12.2008 – 1/SVK/064-08; Brauer, NZBau 2009, 297 (298). 2 So bereits für die Rechtslage vor Inkrafttreten von § 106a Abs. 3 Satz 2 a.F. etwa OLG Koblenz v. 5.9.2002 – 1 Verg 2/02, VergabeR 2002, 617; VK Baden-Württemberg v. 19.12.2008 – 1 VK 67/08; VK Brandenburg v. 14.3.2003 – VK 14/03; VK Hamburg v. 21.4.2004 – VgK FB 1/04; Weyand, IBR-online-Kommentar, Vergaberecht, § 106a Rz. 49 f.; a.A. für die frühere Rechtslage OLG Bremen v. 17.8.2000 – Verg 2/2000; VK Lüneburg v. 20.9.2004 – 203-VgK-46/2004, dort auch zur Möglichkeit einer Verweisung an die zuständige Vergabekammer nach bereits erfolgter Zustellung des Nachprüfungsantrags an den öffentlichen Auftraggeber.

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Abschnitt 2 Verfahren von der Vergabekammer

§ 160 Einleitung, Antrag (1) Die Vergabekammer leitet ein Nachprüfungsverfahren nur auf Antrag ein. (2) Antragsbefugt ist jedes Unternehmen, das ein Interesse an dem öffentlichen Auftrag oder der Konzession hat und eine Verletzung in seinen Rechten nach § 97 Abs. 6 durch Nichtbeachtung von Vergabevorschriften geltend macht. Dabei ist darzulegen, dass dem Unternehmen durch die behauptete Verletzung der Vergabevorschriften ein Schaden entstanden ist oder zu entstehen droht. (3) Der Antrag ist unzulässig, soweit 1. der Antragsteller den geltend gemachten Verstoß gegen Vergabevorschriften vor Einreichen des Nachprüfungsantrags erkannt und gegenüber dem Auftraggeber nicht innerhalb einer Frist von zehn Kalendertagen gerügt hat; der Ablauf der Frist nach § 134 Absatz 2 bleibt unberührt 2. Verstöße gegen Vergabevorschriften, die aufgrund der Bekanntmachung erkennbar sind, nicht spätestens bis Ablauf der in der Bekanntmachung benannten Frist zur Bewerbung oder Angebotsabgabe gegenüber dem Auftraggeber gerügt werden, 3. Verstöße gegen Vergabevorschriften, die erst in den Vergabeunterlagen erkennbar sind, nicht spätestens bis zum Ablauf der Frist zur Bewerbung oder Angebotsabgabe gegenüber dem Auftraggeber gerügt werden, 4. mehr als 15 Kalendertage nach Eingang der Mitteilung des Auftraggebers, einer Rüge nicht abhelfen zu wollen, vergangen sind. Satz 1 gilt nicht bei einem Antrag auf Feststellung der Unwirksamkeit des Vertrages nach § 135 Abs. 1 Nr. 2. § 134 Abs. 1 Satz 2 bleibt unberührt. I. Einführung 1. Inhaltsübersicht . . . . . . . . . . . . 2. Entstehungsgeschichte . . . . . . . II. Antragserfordernis (§ 160 Abs. 1) 1. Verwaltungsverfahren . . . . . . . . 2. Beginn des Verwaltungsverfahrens, Möglichkeit zur Antragsrücknahme . . . . . . . . . . . . . . . III. Antragsbefugnis (§ 160 Abs. 2) 1. Unternehmen . . . . . . . . . . . . . 2. Erforderlichkeit eines konkreten Vergabevorgangs . . . . . . . . . . .

__ _ __ _ _ 1 2

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10 14 15 17

3. Interesse am Auftrag . . . . . . . . 4. Geltendmachung einer Verletzung von Rechten nach § 97 Abs. 6 durch Nichtbeachtung von Vergabevorschriften a) Rechtliche Konzeption . . . . . b) Nichtbeachtung von Vergabevorschriften . . . . . . . . . . . . . c) Verletzung eigener Rechte nach § 97 Abs. 6 . . . . . . . . . . 5. Darlegung eines zumindest drohenden Schadens (§ 160 Abs. 2 Satz 2) . . . . . . . . . . . . . . 6. Geltendmachung . . . . . . . . . . .

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_ _ _ __ 29 31 32 35 41

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§ 160 | Einleitung, Antrag IV. Rügeobliegenheit, Präklusion (§ 160 Abs. 3) . . . . . . . . . . . . . 1. Erkannte Verstöße gegen Vergabevorschriften (§ 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1) . . . . . . . . . . . . . . . a) Positive Kenntnis . . . . . . . . . b) Innerhalb von 10 Kalendertagen . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Unberührtheit der Frist nach § 134 Abs. 2 . . . . . . . . . . . . . 2. Aufgrund der Vergabebekanntmachung erkennbare Verstöße (§ 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2) . . . . . 3. Aufgrund der Vergabeunterlagen erkennbare Verstöße (§ 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3) . . . . . 4. Entbehrlichkeit der Rüge a) de-facto-Vergabe, unzulässige Direktvergabe (§ 160 Abs. 3 Satz 2) . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Entbehrlichkeit einer Rüge bei bereits anhängigem Nachprüfungsverfahren . . . . . . . .

_ __ _ _ _ _ _ _ 42 48 51 56 57

5. 6.

58 60

63 68

7. 8.

c) Entbehrlichkeit der Rüge bei Wiederholung des Vergaberechtsverstoßes . . . . . . . . . . d) Eindeutig fehlender Abhilfewille . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Sonstige Fälle, drohende Zuschlagserteilung . . . . . . . . Form und Inhalt der Rüge . . . . . Zeitlicher Abstand zwischen Rüge und Stellung eines Nachprüfungsantrags . . . . . . . . . . . . a) Zeitlicher Mindestabstand . . b) Höchstfrist aa) Keine Abhilfe (§ 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4), Belehrung . . . . . . . . . . . bb) Verwirkung . . . . . . . . . . Unzulässigkeit eines Nachprüfungsantrags wegen Rechtsmissbrauchs . . . . . . . . . . . . . . . Rügeobliegenheit und Angebotsabgabe . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

_ _ __ __ 69 70 71 72 76 77

__ _ _ 79 90 95 97

I. Einführung 1. Inhaltsübersicht 1 § 160 regelt in Abs. 1 ein zwingendes Antragserfordernis für das Verfahren vor

der Vergabekammer (Dispositionsmaxime). Abs. 2 enthält Bestimmungen zur Antragsbefugnis und zur diesbezüglichen Darlegungslast. Abs. 3 regelt eine besondere Rügeobliegenheit des antragstellenden Unternehmens gegenüber dem öffentlichen Auftraggeber, deren Missachtung die Antragsbefugnis regelmäßig ausschließt. 2. Entstehungsgeschichte

2 In der Begründung des Regierungsentwurfs zum Vergaberechtsänderungsgesetz

1998 (Einleitung Rz. 4 ff.)1 wird hervorgehoben, dass es sich beim Vergabenachprüfungsverfahren um ein antragsgebundenes Verfahren handeln soll. Die Antragsberechtigung ergebe sich dabei aus objektiven Kriterien und könne auch dann gegeben sein, wenn eine Ausschreibung rechtswidrig unterblieben ist. § 107 Abs. 3 a.F. enthalte eine Präklusionsregelung unter dem Gesichtspunkt von Treu und Glauben zur Vermeidung unnötiger Verfahren. Erkennt ein Unter1 BT-Drucks. 13/9340, 17.

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nehmen Fehler im Vergabeverfahren, muss es dem Auftraggeber Gelegenheit geben, diese Fehler zu korrigieren. Spekuliert es stattdessen bei einem erkannten Fehler, weil dieser sich möglicherweise zu seinen Gunsten auswirken könnte, soll es nicht die Rechtmäßigkeit des Vergabeverfahrens einfordern dürfen, wenn diese Spekulation nicht aufgeht. § 107 Abs. 1 und Abs. 2 a.F. sind durch das Vergaberechtsmodernisierungs- 3 gesetz 2009 (Einleitung Rz. 7) unverändert geblieben. Die beiden Sätze des früheren § 107 Abs. 3 sind ebenfalls praktisch unverändert in § 107 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 und Nr. 2 übernommen worden. Neu hinzukam eine fristgebundene Rügeobliegenheit bei Vergaberechtsverstößen, die sich nicht aus der Vergabebekanntmachung gemäß § 107 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 a.F. ergeben, sondern erst in den Vergabeunterlagen erkennbar waren (§ 107 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 a.F.). Für diesen Fall galt zuvor lediglich die allgemeine Obliegenheit, Verstöße gegen Vergabevorschriften unverzüglich zu rügen (§ 107 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 a.F.). Ergänzt wurde zudem § 107 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 a.F., der eine Frist zur Einleitung eines Nachprüfungsverfahrens binnen 15 Kalendertagen vorsah, wenn der öffentliche Auftraggeber einem Unternehmen mitgeteilt hat, einer Rüge nicht abhelfen zu wollen. Auch damit wurde eine frühere Regelungslücke geschlossen, da vor Inkrafttreten des Vergaberechtsmodernisierungsgesetzes 2009 zwar die Obliegenheit einer fristgebundenen und unverzüglichen Rüge gegenüber dem öffentlichen Auftraggeber bestand, nicht hingegen eine Frist, innerhalb derer ein Nachprüfungsverfahren eingeleitet werden musste. Unternehmen hatten daher die Möglichkeit, zunächst eine Rüge gegenüber dem Auftraggeber zu erheben, dann allerdings abzuwarten, wie das Vergabeverfahren ausgeht. Das Regelungsziel, Spekulationen von Unternehmen zu vermeiden (vgl. Rz. 2) wurde also vor Inkrafttreten von § 107 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 a.F. nur unvollständig erreicht. Spätestens seit dem Urteil des EuGH vom 28.10.2010 (C-406/08) bestand Unsi- 4 cherheit bezüglich der Unionsrechtskonformität des Erfordernisses aus § 107 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 a.F., behauptete Rechtsverstöße unverzüglich zu rügen, bevor der Nachprüfungsantrag gestellt wird.1 Der Bundesrat hatte bereits im Gesetzgebungsverfahren zum Vergaberechtsmodernisierungsgesetz 2009 versucht, in § 107 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 a.F. eine Ersetzung des Wortes „unverzüglich“ durch die Wörter „innerhalb einer Woche“ zu erreichen2. Dem war die Bundesregierung jedoch im Rahmen ihrer Gegenäußerung mit dem – unionsrechtlich wohl unzureichenden – Argument entgegengetreten, dass sie den Begriff unverzüglich i.S.v. § 121 Abs. 1 BGB für hinreichend bestimmt halte und damit den Umständen des Einzelfalls besser Rechnung getragen werden könne. Hingegen wurde der Forderung des Bundesrates, in § 107 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 a.F. die Rügefrist bis zum Ablauf der Angebotsfrist zu erstrecken, im Rahmen des Vergaberechts1 Stumpf, EuWZ 2014, 337; Eiermann, NZBau 2016, 15; s. auch bereits Rz. 46 ff. der 3. Auflage dieses Kommentars. 2 BR-Drucks. 349/08, S. 16.

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§ 160 | Einleitung, Antrag modernisierungsgesetzes 2009 gefolgt1. Die durch das Vergaberechtsmodernisierungsgesetz 2009 ebenfalls neu aufgenommene Regelung in § 107 Abs. 3 Satz 2 a.F. stellte in Anknüpfung an die überwiegende Rechtsprechung klar, dass eine Rügeobliegenheit nicht besteht, wenn ein Auftrag rechtswidrig ohne Vergabeverfahren an ein Unternehmen vergeben wurde (§ 101b Abs. 1 Nr. 2 a.F., § 135 Abs. 1 Nr. 2 n.F.). Die für den Auftraggeber gemäß § 101a Abs. 1 a.F. (§ 134 Abs. 1 n.F.) bestehenden Informationspflichten ließ dies unberührt. 5 Durch das VergaberechtsmodernisierungsG 2016 (Einleitung Rz. 10 f.) wurde

das Wort „unverzüglich“ (§ 107 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 a.F.) nunmehr in § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 durch „innerhalb einer Frist von zehn Kalendertagen“ ersetzt. Damit sind die unionsrechtlichen Bedenken gegen die frühere Fassung ausgeräumt. Bei den sonstigen Änderungen der Vorschrift durch das VergaberechtsmodernisierungsG 2016 handelt es sich im Wesentlichen nur um redaktionelle Anpassungen.

II. Antragserfordernis (§ 160 Abs. 1) 1. Verwaltungsverfahren 6 Bei dem Verfahren vor der Vergabekammer handelt es sich um ein Verwal-

tungsverfahren i.S. von § 9 VwVfG des Bundes und der Länder. Dies ergibt sich neben der Tätigkeit der Kammer als einem Teil der Exekutive i.S. von § 1 Abs. 1 VwVfG (§ 157 Rz. 3) daraus, dass die Vergabekammer durch Erlass eines Verwaltungsaktes entscheidet (§ 168 Abs. 3 Satz 1, § 168 Rz. 63)2.

7 Die Bestimmungen über das Verfahren vor den Kartellbehörden (§§ 54 ff.) sind

demgegenüber nicht unmittelbar anwendbar, weil die Vergabekammer nicht Kartellbehörde i.S.v. § 48 ist. Die dortigen Bestimmungen sind daher nur dann heranzuziehen, wenn und soweit sie ausdrücklich für anwendbar erklärt werden, wie dies in § 168 Abs. 3 Satz 3 und § 175 Abs. 2 der Fall ist.

8 Bei der Vergabekammer handelt es sich um einen Ausschuss i.S.v. § 88 VwVfG,

so dass die §§ 89 bis 93 VwVfG Anwendung finden, sofern nicht Spezialvorschriften des GWB oder des maßgeblichen Verwaltungsverfahrensgesetzes (Bund/Land) etwas Abweichendes bestimmen (s. § 157 Rz. 5).

9 Das Verfahren vor der Vergabekammer ist kein förmliches Verwaltungsverfah-

ren i.S.d. §§ 63 ff. VwVfG, weil die entsprechenden Vorschriften nicht gemäß § 63 Abs. 1 VwVfG für anwendbar erklärt worden sind3. Es handelt sich daher

1 BT-Drucks. 16/10117, S. 42. 2 S. etwa OLG Bremen v. 12.3.2007 – Verg 3/06; OLG Jena v. 26.10.1999 – 6 Verg 3/99, NZBau 2000, 354; Boesen, Vergaberecht, § 102 Rz. 4. 3 Vgl. Sachs in Stelkens/Bonk/Sachs, Verwaltungsverfahrensgesetz, § 63 Rz. 28; Ritgen in Knack/Henneke, Verwaltungsverfahrensgesetz, vor § 9 Rz. 73 ff.

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Einleitung, Antrag | § 160

um ein nichtförmliches Verfahren, so dass lediglich die sonstigen das Verwaltungsverfahren betreffenden Vorschriften des VwVfG ergänzend zu den Bestimmungen im 4. Teil des GWB anwendbar sind1. Allenfalls kann man aufgrund der umfangreichen Verfahrensvorschriften in den §§ 155 ff. von einem förmlichen Verfahren im weiteren Sinne sprechen. 2. Beginn des Verwaltungsverfahrens, Möglichkeit zur Antragsrücknahme § 160 Abs. 1 ist eine Bestimmung i.S.v. § 22 Satz 2 Nr. 2 VwVfG, nach der ein 10 Verwaltungsverfahren nur auf Antrag hin eingeleitet werden darf. Die Einzelheiten zu Form und Inhalt des zu stellenden Nachprüfungsantrags sind in § 161 geregelt. Die Einleitung eines Nachprüfungsverfahrens durch die Vergabekammer ohne einen wirksamen Antrag ist unzulässig (s. demgegenüber zur Tätigkeit der Vergabeprüfstellen und Aufsichtsbehörden § 155 Rz. 5 ff., 15 f.)2. Innerhalb des Verfahrens gilt allerdings § 168 Abs. 1 Satz 2. Danach ist die Vergabekammer nicht an bestimmte Sachanträge gebunden (zur Bedeutung dieser Regelung § 168 Rz. 16). Das Nachprüfungsverfahren vor der Vergabekammer beginnt noch nicht mit der 11 Antragstellung selbst, sondern wird erst auf der Grundlage des Antrags durch die Vergabekammer eingeleitet, indem sie sich mit diesem Antrag i.S. von § 9 VwVfG befasst, also eine nach außen wirkende Tätigkeit aufnimmt, die auf die Prüfung der Voraussetzungen, die Vorbereitung und den Erlass der von ihr gemäß § 168 Abs. 3 Satz 1 durch Verwaltungsakt zu treffenden Entscheidung gerichtet ist. Die gegenteilige Auffassung3 überzeugt nicht. § 22 VwVfG, auf den in diesem Zusammenhang abgehoben wird, bezieht sich nur auf die Frage, ob und wann die zuständige Behörde, hier also die Vergabekammer, ein Verwaltungsverfahren (Nachprüfungsverfahren) einleiten muss. Die Vorschrift beantwortet indes nicht die Frage, ab wann ein Verwaltungsverfahren tatsächlich vorliegt. Dies ist in § 9 VwVfG geregelt, der für ein Verwaltungsverfahren die nach außen wirkende Tätigkeit der Behörde zwingend voraussetzt, d.h. bis dahin liegt ein Verwaltungsverfahren noch nicht vor. Insbesondere genügt also für dessen Beginn nicht die vollständige Passivität der Behörde. Die in § 167 Abs. 1 Satz 1 geregelte 1 OLG Naumburg v. 17.1.2000 – 1 Verg 2/99, ZVgR 2000, 170; Ritgen in Knack/Henneke, Verwaltungsverfahrensgesetz, vor § 9 Rz. 73ff; a.A. OLG Jena v. 22.12.1999 – 6 Verg 3/ 99, VergabeR 2000, 349, das – ohne weitere Begründung – die Vorschriften über das förmliche Verfahren heranzieht. 2 Horn/Hofmann in Burgi/Dreher, § 160 Rz. 8; Möllenkamp in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum Vergaberecht, § 160 Rz. 18 f.; Schweda in Langen/Bunte, Kommentar zum deutschen und europäischen Kartellrecht, § 107 Rz. 2. 3 BGH v. 9.2.2004 – X ZB 44/03, MDR 2004, 872 = VergabeR 2004, 201; OLG Düsseldorf v. 5.7.2000 – Verg 5/99, NZBau 2001, 106; OLG Düsseldorf v. 13.4.1999 – Verg 1/99, BauR 1999, 751 (758); ebenso etwa Dreher in Immenga/Mestmäcker, GWB, § 107 Rz. 5; Möllenkamp in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum Vergaberecht, § 160 Rz. 21 Schweda in Langen/Bunte, Kommentar zum deutschen und europäischen Kartellrecht, § 107 Rz. 3.

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§ 160 | Einleitung, Antrag Fünf-Wochen-Frist ändert daran nichts.1 Denn § 167 Abs. 1 Satz 1 stellt gerade nicht auf den Beginn des Verwaltungsverfahrens sondern – mit Blick auf die Eindeutigkeit der Fristberechnung völlig zu Recht – auf die Stellung des Nachprüfungsantrages ab (§ 167 Rz. 7). Auch die mögliche „Willkür der Behörde“2 rechtfertigt keine andere Betrachtung. Käme es darauf an, könnte die Vergabekammer auch aus anderweitigen Gründen eine Information über den Nachprüfungsantrag gemäß § 169 Abs. 1 (§ 169 Rz. 8) sowie dessen Übermittlung in Kopie gemäß § 163 Abs. 2 Satz 3 (§ 163 Rz. 15 ff.) unterlassen, etwa mit der Behauptung, der Antrag sei offensichtlich unzulässig oder unbegründet. Die Vergabekammer hat die Amtspflicht, die erforderlichen Schritte umgehend durchzuführen (§ 163 Rz. 17 f.). Eine Missachtung dieser Pflicht kann wie jede willkürliche und damit rechtswidrige Handlung von Staatsorganen Amtshaftungsansprüche gemäß § 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG auslösen (zum Spruchrichterprivileg gemäß § 839 Abs. 2 s. § 157 Rz. 7). Der Frage, wann das Nachprüfungsverfahren im Rechtssinne beginnt, kommt mit Blick auf § 167 Abs. 1 Satz 1 allerdings nur Bedeutung für die Zulässigkeit eines Fortsetzungsfeststellungsantrags zu (§ 168 Rz. 54). Selbst wenn dieser jedoch unzulässig ist, besteht die Möglichkeit, einen Schadensersatzanspruch unmittelbar zivilgerichtlich geltend zu machen. 12 Der Verfahrensgegenstand, also der Gegenstand der konkreten Befassung der

Vergabekammer, wird durch den gestellten Antrag bestimmt (Dispositionsmaxime)3. Dieser umreißt den zur Entscheidung gestellten konkreten Lebenssachverhalt und das Ziel des Antragstellers4. In diesem Rahmen ist die Kammer in ihrer Entscheidung weitgehend frei (dazu noch § 168 Rz. 16). Dies ändert indes nichts an dem bestehenden Antragserfordernis.

13 Der Nachprüfungsantrag kann bis zur Bestandskraft der Entscheidung der Ver-

gabekammer jederzeit zurückgenommen werden, also auch noch während eines laufenden Beschwerdeverfahrens (§§ 171 ff.). Einer Zustimmung der weiteren Verfahrensbeteiligten dazu bedarf es nicht. Dies gilt auch für eine Antragsrücknahme nach der mündlichen Verhandlung und der Stellung der Sachanträge im Verhandlungstermin, da § 92 Satz 2 VwGO weder unmittelbar noch mangels Regelungslücke analoge Anwendung findet (zur Antragsrücknahme aufgrund eines zwischen den Verfahrensbeteiligten abgeschlossenen Vergleichs s. § 168 Rz. 49)5.

1 So aber Schweda in Langen/Bunte, Kommentar zum deutschen und europäischen Kartellrecht, § 107 Rz. 3. 2 OLG Düsseldorf v. 13.4.1999 – Verg 1/99, BauR 1999, 751 (758). 3 Dreher in Immenga/Mestmäcker, GWB, § 107 Rz. 5. 4 Schmitz in Stelkens/Bonk/Sachs, Verwaltungsverfahrensgesetz, § 9 Rz. 108; Ritgen in Knack/Henneke, Verwaltungsverfahrensgesetz, § 22 Rz. 5. 5 OLG Düsseldorf v. 9.11.2009 – Verg 35/09; OLG Frankfurt v. 10.4.2008 – 11 Verg 10/07; OLG Naumburg v. 17.8.2007 – 1 Verg 5/07; Thiele in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum Vergaberecht, § 168 Rz. 74 ff.; Byok in Byok/Jaeger, Kommentar zum Vergaberecht, § 107 Rz. 6.

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Erfolgt eine Antragsrücknahme im Nachprüfungsverfahren, endet das Verfahren mit deren Eingang bei der Vergabekammer. Eine Entscheidung der Vergabekammer über die Beendigung des Verfahrens hat dann nur noch deklaratorische Bedeutung. Hingegen ist die ebenfalls auszusprechende Kostenentscheidung (s. § 168 Rz. 75) auch materiell relevant1. Erfolgt die Rücknahme des Nachprüfungsantrags erst im Beschwerdeverfahren, wird der Beschluss der Vergabekammer insgesamt gegenstandslos und damit unbeachtlich2. Die Beschwerde selbst wird mit der Rücknahme des Nachprüfungsantrags unzulässig, weil es an dem erforderlichen Beschwerdegegenstand fehlt (vgl. § 171 Abs. 1).

III. Antragsbefugnis (§ 160 Abs. 2) Die von Amts wegen zu prüfende Antragsbefugnis erfordert, dass der Antrag 14 durch ein Unternehmen gestellt wird, das ein Interesse am Auftrag hat und eine Verletzung in seinen Rechten nach § 97 Abs. 6 durch Nichtbeachtung von Vergabevorschriften geltend macht. Ergänzend ist ein zumindest drohender Schaden für das Unternehmen durch die behauptete Rechtsverletzung darzulegen. Diese Voraussetzungen müssen zum Zeitpunkt der Entscheidung durch die Vergabekammer im Hinblick auf jeden Vergaberechtsverstoß erfüllt sein, auf den der Nachprüfungsantrag erfolgreich gestützt werden soll (s. noch Rz. 29 ff.).3 Wenn dies nicht der Fall ist, ist der Antrag unzulässig oder nur teilweise zulässig4. 1. Unternehmen Die Antragsbefugnis für das Verfahren vor der Vergabekammer steht nur exis- 15 tenten Unternehmen zu, also nicht dem öffentlichen Auftraggeber selbst oder sonstigen Dritten, die ein (ideelles) Interesse an der Ordnungsgemäßheit von Vergabeverfahren haben (z.B. Unternehmensverbände)5. Ebenfalls nicht an1 Zur Kostenentscheidung, wenn der Auftraggeber das Nachprüfungsverfahren insbesondere durch Fehlinformationen selbst veranlasst hat, s. OLG München v. 2.9.2015 – Verg 6/15, VergabeR 2015, 843; OLG Frankfurt v. 15.7.2015 – 11 Verg 1/15, VergabeR 2015, 841. 2 OLG Brandenburg v. 18.5.2010 – Verg W 1/08; OLG Düsseldorf v. 9.11.2009 – Verg 35/ 09; zur Kostenentscheidung BGH v. 24.3.2009 – X ZB 29/08, MDR 2009, 760 = VergabeR 2009, 607. 3 OLG Schleswig v. 30.6.2005 – Verg 5/05; Jennert in Müller-Wrede, Kompendium des Vergaberechts, Kap. 27, Rz. 14; Byok in Byok/Jaeger, Kommentar zum Vergaberecht, § 107 Rz. 10. 4 OLG Naumburg v. 15.3.2001 – 1 Verg 11/00; Möllenkamp in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum Vergaberecht, § 160 Rz. 28. 5 Möllenkamp in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum Vergaberecht, § 160 Rz. 32; Dreher in Immenga/Mestmäcker, GWB, § 107 Rz. 10; Schweda in Langen/Bunte, Kommentar zum deutschen und europäischen Kartellrecht, § 107 Rz. 5.

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§ 160 | Einleitung, Antrag tragsbefugt sind die Aufsichtsbehörden der jeweiligen Vergabestelle. Mehrere Unternehmen, die sich jeweils eigenständig an einem Vergabeverfahren beteiligen, können auch gemeinsam einen Nachprüfungsantrag stellen (subjektive Antragshäufung)1. Ebenso kann die Vergabekammer die Nachprüfungsverfahren mehrerer Unternehmen verbinden, wenn dies aus ihrer Sicht zweckmäßig ist (zu Bietergemeinschaften s. Rz. 34). 16 Der Begriff des Unternehmens ist im 4. Teil des GWB nicht gesondert definiert.

Er ist daher im allgemeinen kartellrechtlichen Sinne zu verstehen. Danach handelt es sich unabhängig von der Rechtsform um ein Unternehmen, wenn eine Tätigkeit im geschäftlichen Verkehr stattfindet, die auf den Austausch von Waren oder gewerblichen Leistungen gerichtet ist und sich nicht auf die Deckung des privaten Verbrauchs beschränkt (zu Personenmehrheiten Rz. 34). Verkürzt formuliert genügt also jedwede Tätigkeit im geschäftlichen Verkehr (funktionaler Unternehmensbegriff)2. Hierzu zählt auch die Tätigkeit von Freiberuflern und von staatlichen oder staatlich beherrschten Unternehmen, soweit sie sich am Wirtschaftsleben beteiligen. Nicht unter den Unternehmensbegriff fällt die hoheitliche Tätigkeit der öffentlichen Hand sowie die Tätigkeit von Verbrauchern, soweit sie allein im privaten Interesse handeln (zu den möglichen Vertragspartnern des öffentlichen Auftraggebers s. auch § 103 Rz. 45 ff.). 2. Erforderlichkeit eines konkreten Vergabevorgangs

17 Unverzichtbare Voraussetzung für die Antragsbefugnis ist, dass überhaupt ein

konkreter Vergabevorgang (allgemein zum Begriff des öffentlichen Auftrags einschließlich der in Betracht kommenden Sonderfälle, wie etwa die Verlängerung bereits abgeschlossener Verträge s. § 132 Rz. 13 ff.) vorliegt, der unter das Kartellvergaberecht fällt. Ansonsten kann ein rechtlich geschütztes Interesse an einem zu vergebenden Auftrag von vornherein nicht bestehen. Der Antrag ist dann, unbeschadet weiterer fehlender Zulässigkeitsvoraussetzungen (z.B. fehlender Zuständigkeit der Vergabekammer), unzulässig. Eine materiell-rechtliche Prüfung im Hinblick auf Rechte aus § 97 Abs. 6 sowie sonstige Ansprüche gegen den Auftraggeber (§ 156 Abs. 2) findet dann nicht statt.

18 Nicht notwendig ist es dabei allerdings, dass es sich um ein förmliches Vergabe-

verfahren i.S.v. § 119 GWB handelt. Auch in den Fällen, in denen der Auftraggeber zu Unrecht kein Vergabeverfahren durchführt, gleichwohl jedoch die Er-

1 OLG Düsseldorf v. 30.4.2008 – VII Verg 23/08; Möllenkamp in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum Vergaberecht, § 160 Rz. 32; einschränkend Schweda in Langen/Bunte, Kommentar zum deutschen und europäischen Kartellrecht, § 107 Rz. 5. 2 Marx in Jestaedt/Kemper/Marx/Prieß, Das Recht der Auftragsvergabe, 149; im Einzelnen BGHZ 67, 81 (84) Krauß in Langen/Bunte, Kommentar zum deutschen und europäischen Kartellrecht, § 1 Rz. 32; Huber in Frankfurter Kommentar, § 1 Rz. 25; Emmerich, Kartellrecht, 17 ff.

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teilung eines Auftrags bereits erfolgt ist oder zumindest erfolgen soll (unzulässige Direktvergabe/de-facto-Vergabe, s. § 135 Abs. 1 Nr. 2, dazu § 135 Rz. 13 ff.), ist ein Nachprüfungsverfahren zulässig, insbesondere die Antragsbefugnis eines Unternehmens, das sich dagegen zur Wehr setzen will, gegeben1. Es genügt dafür ein bereits eingeleiteter, jedoch noch nicht durch wirksamen Vertragsabschluss beendeter oder wegen Aufgabe der Beschaffungsabsicht eingestellter Güterbeschaffungsvorgang oberhalb der Schwellenwerte gemäß § 106 (zur Aufhebung oder sonstigen Beendigung des Vergabeverfahrens s. § 168 Rz. 40 ff.). Ob ein konkreter Vergabevorgang, der einem Nachprüfungsverfahren vor der 19 Vergabekammer zugänglich ist, bereits begonnen hat, richtet sich nach materiellen Kriterien. Diese hat das Oberlandesgericht Düsseldorf2 wie folgt umschrieben: „Der öffentliche Auftraggeber hat sich zur Deckung eines akuten Bedarfs oder eines zukünftigen Bedarfs, dessen Deckung er aber schon in der Gegenwart vorbereiten und organisieren will, zur Beschaffung von Waren, Bau- oder Dienstleistungen entschlossen und beginnt mir organisatorischen und/oder planerischen Schritten, zu regeln, auf welche Weise (insbesondere mit welcher Vergabeart) und mit welchen gegenständlichen Leistungsanforderungen das Beschaffungsvorhaben eingeleitet und durchgeführt und wie die Personen oder der Personenkreis des oder der Leistenden ermittelt und dann ausgewählt werden soll – dies alles mit dem ins Auge gefassten Ziel, dass am Ende dieser organisatorischen Schritte ein Vertragsabschluss steht. Abzugrenzen ist der so umschriebene Beginn eines konkreten Vergabeverfahrens u.a. gegenüber Unternehmenskontakten oder sonstigen Aktivitäten des öffentlichen Auftraggebers, die sich auf eine Markterkundung oder Marktbeobachtung ohne konkrete Beschaffungsinitiative beschränken.“ Sind die vorstehenden Voraussetzungen (noch) nicht erfüllt, ist ein Nachprü- 20 fungsantrag unzulässig3. Vorbeugender Rechtsschutz ohne einen bereits statt1 S. etwa BGH v. 18.6.2012 – X ZB 9/11, VergabeR 2012, 839; OLG Naumburg v. 17.1.2014 – 2 Verg 6/13; OLG Karlsruhe v. 16.11.2016 – 15 Verg 5/16, VergabeR 2017, 165; Möllenkamp in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum Vergaberecht, § 160 Rz. 50; Schweda in Langen/Bunte, Kommentar zum deutschen und europäischen Kartellrecht, § 107 Rz. 6. 2 OLG Düsseldorf v. 20.6.2001 – Verg 3/01, VergabeR 2001, 329; ebenso etwa OLG Koblenz v. 15.8.2014 – 1 Verg 7/14, MDR 2014, 1337 = VergabeR 2014, 829; OLG München v. 19.7.2012 – Verg 8/12, VergabeR 2012, 856; OLG Schleswig v. 1.4.2010 – 1 Verg 5/09; OLG Naumburg v. 8.10.2009 – 1 Verg 9/09, VergabeR 2010, 219; BayObLG v. 22.1.2002 – Verg 18/01, VergabeR 2002, 244; i. E. ähnlich BGH v. 19.12.2000 – X ZB 14/00, MDR 2001, 524 = MDR 2001, 767 = VergabeR 2001, 71; OLG Jena v. 22.11.2000 – 6 Verg 8/00, VergabeR 2001, 53; OLG Schleswig v. 6.11.2001 – 6 Kart U 44/01, ZfBR 2002, 189. 3 BGH v. 1.2.2005 – X ZB 27/04, MDR 2005, 973 = NZBau 2005, 290, Möllenkamp in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum Vergaberecht, § 160 Rz. 54 f.

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§ 160 | Einleitung, Antrag findenden Vergabevorgang wird durch die Vergabekammern nicht gewährt1. In derartigen Fällen kommt (allenfalls) vorbeugender Rechtsschutz in anderweitigen Verfahren und nach anderen Rechtsgrundlagen in Betracht, etwa ein vorbeugender Unterlassungsanspruch nach § 1004 BGB, der dann allerdings vor den Zivilgerichten geltend zu machen ist. 21 Die Antragsbefugnis fehlt im weiteren nach Abschluss des Vergabeverfahrens

durch wirksame Zuschlagserteilung (§ 168 Abs. 2 Satz 1, § 168 Rz. 30 ff.)2 oder bei einer sonstigen tatsächlichen Erledigung des Vergabevorgangs vor Beginn des Nachprüfungsverfahrens. Ein gleichwohl nach Erledigung gestellter Antrag ist außer im Fall der Aufhebung unzulässig (s. § 168 Rz. 25 f., zur Aufhebung oder sonstigen Beendigung eines Vergabeverfahrens sowie zur Möglichkeit eines Fortsetzungsfeststellungsantrags). Geht es um eine dem Zuschlag nachfolgende wesentliche Vertragsänderung (§ 132), handelt es sich um einen neuen und eigenständig zu betrachtenden Vergabevorgang. Daher sind etwaige dagegen bestehende vergaberechtliche Bedenken grundsätzlich auch in einem eigenständigen Nachprüfungsverfahren geltend zu machen. 3. Interesse am Auftrag

22 Die Antragsbefugnis setzt voraus, dass das antragstellende Unternehmen ein In-

teresse an dem betreffenden Auftrag hat. Dabei geht es um ein tatsächliches wirtschaftliches Interesse3. Dieses Interesse ist durch das Unternehmen geltend zu machen. Das ergibt sich zwar nicht unmittelbar aus § 160 Abs. 2 Satz 1, jedoch mittelbar daraus, dass ihm nur in diesem Fall ein Schaden i.S.v. § 160 Abs. 2 Satz 2 drohen kann.

23 Sinn und Zweck der Antragsbefugnis, die in der gesetzlichen Formulierung fast

wörtlich Art. 1 Abs. 3 der Rechtsmittelrichtlinien (Einleitung Rz. 7) entspricht, ist es, den Kreis der potentiellen Antragsteller einzuengen, um Popularrechtsmittel zu vermeiden4. An den Nachweis eines Interesses an dem betreffenden Auftrag sind in der Regel jedoch keine besonders hohen Anforderungen zu stellen, wenn das betreffende Unternehmen ein Angebot oder eine Bewerbung ab1 OLG Koblenz v. 15.8.2014 – 1 Verg 7/14, MDR 2014, 1337 = VergabeR 2014, 829; OLG Naumburg v. 13.5.2003 – 1 Verg 2/03, NZBau 2004, 62; BayObLG v. 22.1.2002 – Verg 18/ 01, VergabeR 2002, 244; Horn/Hofmann in Burgi/Dreher § 160 Rz. 11; Dreher in Immenga/Mestmäcker, GWB, § 107 Rz. 19. 2 BGH v. 19.12.2000 – X ZB 14/00, MDR 2001, 524 = MDR 2001, 767 = VergabeR 2001, 71; KG v. 19.4.2012 – Verg 7/11; Leinemann, Die Vergabe öffentlicher Aufträge, Rz. 1652. 3 Dreher in Immenga/Mestmäcker, GWB, § 107 Rz. 15; Noch, ZfBR 1997, 221 (224). 4 Dreher in Immenga/Mestmäcker, GWB, § 107 Rz. 15; zu der vergleichbaren Regelung des §§ 42 Abs. 2 VwGO von Nicolai in Redeker/v. Oertzen, VwGO, § 42 Rz. 44; W.-R. Schenke/R. P. Schenke in Kopp/Schenke, VwGO, § 42 Rz. 59 ff.

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gegeben hat1. Das Interesse an dem konkreten Auftrag fehlt jedoch trotz Angebotsabgabe etwa dann, wenn bei einer Einzellosvergabe ein Unternehmen einen Nachprüfungsantrag nur hinsichtlich eines bestimmten Einzelloses stellt, obgleich es dieses Einzellos gar nicht angeboten hat oder sich aus einer Auslegung des eingereichten Angebotes ergibt, dass das Unternehmen ausschließlich daran interessiert war, einen Zuschlag auf eine Gesamtvergabe für alle Lose zu erhalten2. Ebenfalls fehlt das eigene Interesse an dem Auftrag, wenn eine Bietergemeinschaft einen Nachprüfungsantrag stellt, obgleich nicht sie, sondern nur ein einzelnes Mitglied der Bietergemeinschaft zuvor ein (eigenständiges) Angebot abgegeben hat (zu Bietergemeinschaften s. noch Rz. 34)3. Vorlieferanten oder Nachunternehmen haben kein eigenes Interesse am Auf- 24 trag i.S.v. § 160 Abs. 2 und sind daher auch nicht antragsbefugt4. Denn gemeint ist in § 160 Abs. 2 ein unmittelbares eigenes Interesse an dem ausgeschriebenen Auftrag. Ein solches unmittelbares eigenes Interesse haben Vorlieferanten oder Nachunternehmen nicht. Sie haben lediglich ein Interesse an einem Auftrag des Bieters, nicht aber an einem eigenen Auftrag durch den öffentlichen Auftraggeber. Es besteht daher nur ein nicht ausreichendes mittelbares Interesse i.S. eines Rechtsreflexes. Demgemäß haben Vorlieferanten oder Nachunternehmen in Bezug auf das konkrete Vergabeverfahren auch keine eigenen Rechte i.S.v. § 97 Abs. 65. Etwaige Bedenken, ob dies mit den Rechtsmittelrichtlinien (Einleitung Rz. 7) im Einklang steht, sind unbegründet. Art. 1 Abs. 3 der beiden Richtlinien ist dahingehend zu verstehen, dass ein unmittelbares eigenes Interesse an einem bestimmten öffentlichen Auftrag gemeint ist. Stellt der potentielle Auftragnehmer – aus welchen Gründen auch immer – selbst keinen Nach1 BVerfG v. 29.7.2004 – 2 BvR 2248/03, VergabeR 2004, 597; BGH v. 10.11.2009 – X ZB 8/ 09; BGH v. 26.9.2006 – X ZB 14/06, NZBau 2006, 800; OLG Brandenburg v. 12.1.2016 – Verg W 4/15; Möllenkamp in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum Vergaberecht, § 160 Rz. 43. 2 OLG Koblenz v. 8.2.2001 – 1 Verg 5/00, VergabeR 2001, 123; s. auch OLG Brandenburg v. 27.11.2008 – Verg W 15/08, VergabeR 2009, 652 (656); OLG Frankfurt/Main v. 5.3. 2002 – 11 Verg 2/01, VergabeR 2002, 394. 3 BayObLG v. 20.8.2001 – Verg 11/01, VergabeR 2002, 77. 4 BVerfG v. 23.4.2009 – 1 BvR 3424/08, VergabeR 2009, 777 (779); OLG Düsseldorf v. 5.11. 2014 – VII Verg 20/14, VergR 2015, 473; OLG Düsseldorf v. 14.5.2008 – VII Verg 27/08, ZfBR 2008, 820 (822); OLG Rostock v. 31.3.2004 – 17 Verg 15/03; Dicks, ZfBR 2010, 235 (237); Möllenkamp in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum Vergaberecht, § 160 Rz. 48; Jennert in Müller-Wrede, Kompendium des Vergaberechts, Kap. 27 Rz. 18; a.A. Byok in Byok/Jaeger, Kommentar zum Vergaberecht, § 107 Rz. 39. 5 OLG Rostock v. 22.2.2000 – 17 W 1/00, BauR 2000, 1586; VK Bund v. 12.10.2000 – VK 232/00, WuW 2001, 334; Schweda in Langen/Bunte, Kommentar zum deutschen und europäischen Kartellrecht, § 107 Rz. 5; Horn/Hofmann in Burgi/Dreher, § 160 Rz. 26; Leinemann, Die Vergabe öffentlicher Aufträge, Rz. 1642; a.A. Byok in Byok/Jaeger, Kommentar zum Vergaberecht, § 107 Rz. 39; Dreher in Immenga/Mestmäcker, GWB, § 107 Rz. 18.

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§ 160 | Einleitung, Antrag prüfungsantrag, muss sich ein (potentieller) Vorlieferant oder Nachunternehmer ggf. zivilrechtlich an diesen halten. 25 Fraglich kann des Weiteren sein, wann das Interesse an dem Auftrag bestehen

muss. In keinem Fall ausreichend ist ein Interesse an dem Auftrag erst nach Erledigung des Vergabeverfahrens, etwa nach Zuschlagserteilung oder nach Aufhebung des Vergabeverfahrens (zum Begriff der Erledigung § 168 Rz. 40 ff.). Ebensowenig genügt ein ansonsten erst nachträglich, also nach einem Vergabefehler des öffentlichen Auftraggebers entstandenes Interesse. Das Nachprüfungsverfahren soll nicht Unternehmen schützen, die vorweg etwaige Fristen versäumt haben, ohne dass dem Auftraggeber bis dahin ein Fehler unterlaufen war. So hat etwa ein Unternehmen, das in einem fehlerfrei durchgeführten Teilnahmewettbewerb gemäß § 3 Abs. 1 Satz 2 VOB/A keinen Teilnahmeantrag abgegeben hat, keine Antragsbefugnis, wenn es einen Fehler des sich anschließenden weiteren Vergabeverfahrens rügt. Nichts anderes gilt bei einem einstufigen Vergabeverfahren, wenn der Auftraggeber erst nach Ablauf der Angebotsfrist einen Fehler gemacht hat, das antragstellende Unternehmen aber gar kein Angebot abgegeben hat, ohne dass die Nichtbeteiligung in einem ursächlichen Zusammenhang mit diesem Fehler des Vergabeverfahrens steht1. Erst recht ist ein Unternehmen nicht antragsbefugt, das zum Zeitpunkt eines (vermeintlichen) Vergaberechtsverstoßes noch gar nicht existierte2. Auch in den Fällen, in denen Unternehmen die ausgelaufene Bindefrist für sein Angebot nicht verlängert hat, weil es an diesem Angebot nicht mehr festhalten möchte, kann das Interesse am Auftrag fehlen3.

26 Die Abgabe eines Angebotes ist nicht immer zwingende Voraussetzung dafür,

ein Nachprüfungsverfahren einleiten zu können. Sie ist vor allem dann entbehrlich, wenn der Nachprüfungsantrag bereits vor Ablauf der Angebotsfrist gestellt wurde oder im Hinblick auf § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 (Rz. 79 ff.) sogar bereits vor Angebotsabgabe gestellt werden musste4 oder wenn die Erstellung eines Angebotes aus Sicht des Antragstellers gar nicht möglich war, weil die Verdingungsunterlagen eine ordnungsgemäße Angebotskalkulation nicht zuließen5 oder ein Angebot durch die Vergabestelle dezidiert nicht gewünscht war (z.B. weil sie den Antragsteller vom Vergabeverfahren ausgeschlossen oder im Rahmen eines Teil1 OLG Rostock v. 24.9.2001 – 17 W 11/01, VergabeR 2002, 193 (m. Anm. Reidt); OLG Koblenz v. 25.5.2000 – 1 Verg 1/00, NZBau 2000, 445. 2 OLG Düsseldorf v. 24.6.2010 – VII Verg 21/10. 3 Vgl. OLG München v. 23.6.2009 – Verg 8/09, VergabeR 2009, 942 (944); a.A. OLG Frankfurt/Main v. 24.2.2009 – 11 Verg 19/08; Dicks, ZfBR 2010, 235 (241). 4 VK Brandenburg v. 8.9.2009 – VK 33/09. 5 OLG Düsseldorf v. 14.1.2009 – VII Verg 59/08, VergabeR 2009, 619 (621); OLG Düsseldorf v. 25.1.2005 – VII Verg 93/04; OLG Saarbrücken v. 7.5.2008 – 1 Verg 5/07, ZfBR 2008, 733; OLG Koblenz v. 25.5.2000 – 1 Verg 1/00, NZBau 2000, 445; VK Nordbayern v. 30.11.2009 – 21. VK-3194-40/09; Dreher in Immenga/Mestmäcker, GWB, § 107 Rz. 16; Byok in Byok/Jaeger, Kommentar zum Vergaberecht, § 107 Rz. 18.

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nahmewettbewerbs nicht zur Angebotsabgabe aufgefordert hat)1. Entsprechendes gilt, wenn der Auftraggeber gar kein Vergabeverfahren durchgeführt hat, obgleich dies notwendig gewesen wäre, so dass das betreffende Unternehmen gar nicht damit rechnen durfte, auf ein etwaiges Angebot den Zuschlag zu erhalten2. Ferner bedarf es dann nicht der Abgabe eines Angebotes, wenn ein Unterneh- 27 men die Grundlagen der Ausschreibung angreift und dies bei Obsiegen des Unternehmens zu einer Wiederholung des Vergabeverfahrens oder jedenfalls zur Rückversetzung in den Stand des Vergabeverfahrens vor der Angebotsabgabe führen muss3. Es ist in derartigen Fällen auch nicht notwendig, dass das Unternehmen im Rahmen seines Nachprüfungsantrags darlegt, wie sein Angebot ausgesehen hätte4 (s. auch Rz. 35 ff. zur Darlegung eines drohenden Schadens). Dies würde letztlich von den Anforderungen her auf dasselbe hinauslaufen wie eine Verpflichtung des Unternehmens, in jedem Fall ein Angebot abzugeben, da der Bearbeitungsaufwand dahinter allenfalls geringfügig zurückbliebe. Eine solche Forderung ist allerdings in Fällen, in denen die Zielsetzung des Unternehmens dahin geht, wegen eines grundlegenden Mangels der Ausschreibung („Wurzelschaden“) eine Neuausschreibung oder zumindest eine Rückversetzung des Ausschreibungsverfahrens in den Stand vor der Angebotsabgabe zu erreichen, nicht gerechtfertigt. Denn wenn der Antragsteller mit seinem Begehren durchdringt, sind sowohl die Ausarbeitung eines Angebotes als auch die Darlegung, wie das Angebot ausgesehen hätte, überflüssig und nutzlos. Die Antragsbefugnis nach § 160 Abs. 2 verlangt jedoch keine nutzlosen und damit dem betreffenden Unternehmen auch nicht zumutbaren Ausführungen5. Es kann in derartigen Fällen schon allein aufgrund des Umstandes, dass ein Nachprüfungsverfahren mit dem Ziel eingeleitet wurde, eine Neuausschreibung oder jedenfalls eine neue Aufforderung zur Angebotsabgabe zu erreichen, in der Regel davon ausgegangen wer1 OLG Düsseldorf v. 13.4.1999 – Verg 1/99, NZBau 2000, 45; s. auch OLG Dresden v. 16.10.2001 – WVverg 0007/01, ZfBR 2002, 298. 2 OLG Celle v. 29.10.2009 – 13 Verg 8/09, NZBau 2010, 194 (199); BayObLG v. 22.1.2002 – Verg 18/01, VergabeR 2002, 244; OLG Düsseldorf v. 20.6.2001 – Verg 3/01, VergabeR 2001, 329; KG v. 5.1.2000 – Kart Verg 11/99, BauR 2000, 1579; Leinemann, Die Vergabe öffentlicher Aufträge, Rz. 1641; Dreher in Immenga/Mestmäcker, GWB, § 107 Rz. 16. 3 OLG Düsseldorf v. 9.7.2003 – Verg 26/03; OLG Düsseldorf v. 18.10.2000 – Verg 3/00, VergabeR 2001, 45; OLG Koblenz v. 25.5.2000 – 1 Verg 1/00, NZBau 2000, 445; OLG Rostock v. 24.9.2001 – 17 W 11/01, VergabeR 2002, 193 (m. Anm. Reidt); Dreher in Immenga/Mestmäcker, GWB, § 107 Rz. 17; Dicks, ZfBR 2010, 235 (241). 4 OLG Düsseldorf v. 9.7.2003 – Verg 26/03; OLG Düsseldorf v. 18.10.2000 – Verg 3/00, VergabeR 2001, 45; Möllenkamp in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum Vergaberecht, § 160 Rz. 94; a.A. OLG Rostock v. 24.9.2001 – 17 W 11/01, VergabeR 2002, 193 (m. Anm. Reidt); OLG Koblenz v. 25.5.2000 – 1 Verg 1/00, NZBau 2000, 445; Byok in Byok/ Jaeger, Kommentar zum Vergaberecht, § 107 Rz. 18; Schweda in Langen/Bunte, Kommentar zum deutschen und europäischen Kartellrecht, § 107 Rz. 6. 5 OLG Düsseldorf v. 14.1.2009 – VII Verg 59/08, VergabeR 2009, 619 (621); VK Nordbayern v. 30.11.2009 – 21. VK-3194-40/09.

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§ 160 | Einleitung, Antrag den, dass das betreffende Unternehmen sich an dem neuen Vergabeverfahren beteiligen wird, wenn es dies plausibel darlegt und geltend macht1. Jedoch trägt der Antragsteller selbst das Risiko, nicht den Auftrag zu erhalten, wenn er lediglich einen Nachprüfungsantrag stellt, ohne gleichzeitig ein Angebot einzureichen, und sich der Antrag dann späterhin als unzulässig oder jedenfalls als unbegründet erweist (zur Möglichkeit einer Angebotsabgabe trotz der Beanstandung von Vergabefehlern des Auftraggebers Rz. 97). 28 Auch wenn es für die Zulässigkeit eines Nachprüfungsantrags nicht stets not-

wendig ist, dass das Unternehmen zuvor ein Angebot abgegeben hat, müssen die sonstigen Zulässigkeitsvoraussetzungen für den Nachprüfungsantrag erfüllt sein. Dies gilt insbesondere für die Erfüllung der Rügeobliegenheiten nach § 160 Abs. 3 (Rz. 42 ff.)2. 4. Geltendmachung einer Verletzung von Rechten nach § 97 Abs. 6 durch Nichtbeachtung von Vergabevorschriften a) Rechtliche Konzeption

29 Die rechtliche Konzeption des § 160 Abs. 2 ist der Formulierung in § 42 Abs. 2

VwGO und dessen Verhältnis zu § 113 Abs. 1 VwGO vergleichbar3. Danach genügt für die Zulässigkeit eines Antrags die Möglichkeit einer Rechtsverletzung. Erst im Rahmen der Begründetheit des Rechtsmittels ist dann zu prüfen, ob eine Rechtsverletzung tatsächlich vorliegt.4 Ebenso wie bei § 113 VwGO erfolgt dies bei dem Verfahren vor der Vergabekammer im Rahmen der Begründetheitsprüfung (§ 168).

30 Die Antragsbefugnis ist Sachentscheidungsvoraussetzung (s. bereits Rz. 14).

Wenn sie fehlt, ist der Antrag unzulässig. Dabei genügt allerdings die substantiierte Geltendmachung einer Rechtsverletzung, ohne dass es darauf ankommt, ob sie wirklich vorliegt („grober Filter“)5. Dies muss schlüssig aufgezeigt werden. Die Geltendmachung einer Rechtsverletzung ist dabei mehr als ein bloßes Behaupten. Aus dem Vorbringen des antragstellenden Unternehmens muss sich die konkrete Möglichkeit einer Rechtsverletzung ergeben. Dies ist nicht der

1 So im Ergebnis auch OLG Düsseldorf v. 14.5.2008 – VII Verg 27/08; OLG Düsseldorf v. 18.10.2000 – Verg 3/00, VergabeR 2001, 45; OLG Celle v. 29.10.2009 – 13 Verg 8/09, NZBau 2010, 194 (199); OLG Jena v. 28.1.2004 – 6 Verg 11/03; Reidt, Anm. zu OLG Rostock v. 24.9.2001 – 17 W 11/01, VergabeR 2002, 193 (195). 2 OLG Dresden v. 16.10.2001 – WVerg 0007/01, ZfBR 2002, 298. 3 So etwa auch Byok in Byok/Jaeger, Kommentar zum Vergaberecht, § 107 Rz. 939. 4 Jennert in Müller-Wrede, Kompendium des Vergaberechts, Kap. 27, Rz. 22; Möllenkamp in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum Vergaberecht, § 160 Rz. 91. 5 BGH v. 31.1.2017 – X ZB 10/16, VergabeR 2017, 364; OLG Düsseldorf v. 4.5.2009 – VII Verg 68/08, VergabeR 2009, 905 (909); Möllenkamp in Kulartz/Kus/Portz, Kommentar zum Vergaberecht, § 160 Rz. 45; Kulartz, BauR 1999, 724 (727 f.).

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Fall, wenn offensichtlich und eindeutig nach keiner Betrachtungsweise eigene Rechte des Unternehmens nach § 97 Abs. 6 verletzt sein können1. b) Nichtbeachtung von Vergabevorschriften Die Möglichkeit einer Verletzung von eigenen Rechten des Antragstellers 31 kommt nur dann in Betracht, wenn Vergabevorschriften nicht beachtet worden sind. Gemeint sind damit alle Bestimmungen des Vergaberechts, die materielles außenwirksames Recht darstellen. Dazu gehören vor allem die Regelungen des 4. Teils des GWB, die Vergabeverordnung sowie die über § 2 VgV zum Außenrecht erstarkte VOB/A, die Sektorenverordnung, die Vergabeverordnung Verteidigung und Sicherheit, die Konzessionsvergabeverordnung sowie sonstige Rechtsvorschriften, für die es eine vergaberechtliche Anknüpfungsnorm gibt (s. § 97 Rz. 106 ff.; zu den sonstigen Ansprüchen i.S.v. § 156 Abs. 2 s. § 156 Rz. 7 ff.)2. c) Verletzung eigener Rechte nach § 97 Abs. 6 Allein die Verletzung von Vergabebestimmungen genügt für die Antragsbefugnis 32 nicht. Es muss vielmehr um die mögliche Verletzung eigener Rechte des Antragstellers nach § 97 Abs. 6 gehen. Diese eigenen (subjektiven) Rechte stellen einen Ausschnitt der gesamten Vergabevorschriften dar. Das Verfahren vor der Vergabekammer ist also – wie sich bereits aus der Beschränkung der in Betracht kommenden Antragsteller (Rz. 15 f.) ergibt – kein objektives Beanstandungsverfahren. Entsprechend der sonstigen deutschen Rechtstradition bei Rechtsmitteln gegen- 33 über der öffentlichen Hand haben Unternehmen keinen allgemeinen Überprüfungsanspruch hinsichtlich des Verhaltens von öffentlichen Auftraggebern. Auch unionsrechtlich wird dies nicht verlangt. Unternehmen können daher nur erfolgreich geltend machen, dass Vorschriften verletzt sind, die ihrem eigenen Schutz zu dienen bestimmt sind (subjektive Rechte)3. Es genügt also nicht die Missachtung einer Norm, die lediglich Ordnungsfunktion hat oder lediglich die 1 BGH v. 31.1.2017 – X ZR 10/16, VergabeR 2017, 364; BGH v. 10.11.2009 – X ZB 8/09, VergabeR 2009, 898; BGH v. 26.9.2006 – X 7 B 14/06, NZBau 2006, 800; OLG Celle v. 10.3.2016 – 13 Verg 5/15, VergabeR 2016, 514; OLG Düsseldorf v. 29.4.2015 – VII-Verg 35/14, VergabeR 2015, 678; OLG Koblenz v. 4.2.2009 – 1 Verg 4/08, VergabeR 2009, 682 (685); Möllenkamp in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum Vergaberecht, § 160 Rz. 77; zur Geltendmachung einer Rechtsverletzung i.S.v. § 42 Abs. 2 VwGO s. z.B. von Nicolai in Redeker/v. Oertzen, VwGO, § 42 Rz. 48; W.-R. Schenke/R. P. Schenke in Kopp/Schenke, VwGO, § 42 Rz. 59 m.w.N. 2 S. etwa OLG Düsseldorf v. 7.11.2012 – VII-Verg 11/12, NZBau 2013, 187; OLG Düsseldorf v. 7.12.2012 – VII-Verg 69/11, VergabeR 2013, 593; OLG Düsseldorf v. 13.8.2008 – VII-Verg 42/07. 3 OLG Koblenz v. 4.2.2009 – 1 Verg 4/08, VergabeR 2009, 682 (685); Möllenkamp in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum Vergaberecht, § 160 Rz. 77; Marx in Jestaedt/ Kemper/Marx/Prieß, Das Recht der Auftragsvergabe, 149.

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§ 160 | Einleitung, Antrag Interessen der Allgemeinheit wahren soll (z.B. Schutz der öffentlichen Haushalte, Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit). Ebenso wenig können Unternehmen (subjektive) Rechte Dritter geltend machen, selbst wenn diese Dritten tatsächlich in Rechten verletzt sein sollten, die ihnen eine Antragsbefugnis i.S.v. § 160 Abs. 2 vermitteln würden1. Da zu den subjektiven Rechten i.S.v. § 97 Abs. 6 auch die Bestimmungen gehören, aus denen sich ergibt, ob überhaupt ein und ggf. welches Vergabeverfahren durchzuführen ist (§ 97 Rz. 114 ff.), kann ein Nachprüfungsverfahren auch ohne ein laufendes förmliches Vergabeverfahren eingeleitet werden (unzulässige Direktvergabe/de-facto-Vergabe). 34 Bei Personenmehrheiten, die keine juristische Person sind (Vereinigungen, ins-

besondere BGB-Gesellschaften), die gemeinsam als Bietergemeinschaft oder bereits als Konsortium (Unternehmenszusammenschluss)2 ein Angebot abgegeben haben, ist sowohl die Personenmehrheit insgesamt3, als auch jedes einzelne Mitglied, das Unternehmen i.S.v. § 160 Abs. 2 ist (Rz. 15 f.), antragsbefugt4. § 160 Abs. 2 enthält insofern keine weitergehenden Beschränkungen. Die Vorschrift bezieht sich vielmehr auf jedes Unternehmen und dessen (jeweils eigene) Rechte. Allerdings muss sich das einzelne Unternehmen das Verhalten der anderen Mitglieder seiner Bietergemeinschaft und auch der Bietergemeinschaft in ihrer Gesamtheit zurechnen lassen. Dies gilt insbesondere für die Ausschlusstatbestände des § 160 Abs. 3 (dazu Rz. 42 ff.). Auch ist bzw. wird der Antrag in der Regel unzulässig, was von Amts wegen seitens der Vergabekammer zu berücksichtigen ist, wenn die Bietergemeinschaft auseinanderfällt. Denn in diesem Fall kann der Bietergemeinschaft, die sich gemeinsam um einen bestimmten Auftrag beworben hat, in der Regel kein Schaden mehr drohen, da sie aus in ihrem eigenen Verantwortungsbereich liegenden Gründen (gemeinsam) den Auftrag in der Regel nicht mehr erhalten kann5. Das allein den Nachprüfungsantrag

1 OLG Dresden v. 9.11.2001– WVerg 0009/01, VergabeR 2002, 138. 2 Zur Zulässigkeit von Bietergemeinschaften s. etwa OLG Düsseldorf v. 24.9.2014 – VIIVErg 17/14, VergabeR 2015, 443; OLG Düsseldorf v. 17.2.2014 – VII-Verg 2/14, NZBau 2014, 715; OLG Schleswig v. 15.4.2014 – 1 Verg 4/13; OLG Saarbrücken v. 22.6.2016 – 1 Verg 2/16. 3 OLG Frankfurt v. 5.3.2002 – 11 Verg 2/01, VergabeR 2002, 394; BayObLG v. 21.5.1999 – Verg 1/99, WuW 1999, 1037; s. auch EuGH v. 8.9.2005 – C-129/04, VergabeR 2005, 748. 4 OLG Hamburg v. 10.10.2003 – 1 Verg 2/03, ZfBR 2004, 296; OLG Rostock v. 24.9.2001 – 17 W 11/01, VergabeR 2002, 193 (m. Anm. Reidt); VK Berlin v. 31.5.2000 – VK-B2-15/ 00; Schweda in Langen/Bunte, Kommentar zum deutschen und europäischen Kartellrecht, § 107 Rz. 5; Erdl, Der neue Vergaberechtsschutz, Rz. 506; s. auch EuGH v. 6.5. 2010 – C-145/08 und 149/08, VergabeR 2010, 506; a.A. OLG München v. 14.1.2015 – Verg 15/14, VergabeR 2015, 713; OLG Düsseldorf v. 23.7.2013 – Verg 4/13; OLG Düsseldorf v. 18.11.2009 – VII Verg 19/09; OLG Dresden v. 23.7.2013 – Verg 4/13; Dicks, ZfBR 2010, 235 (237); Möllenkamp in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum Vergaberecht, § 160 Rz. 33; Dreher in Immenga/Mestmäcker, GWB, § 107 Rz. 11. 5 Vgl. OLG Karlsruhe v. 15.10.2008 – 15 Verg 9/08, VergabeR 2009, 164; offengelassen OLG Hamburg v. 12.12.2000 – 1 Verg 1/00, NZBau 2001, 460.

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stellende Mitglied einer Bietergemeinschaft hat ggf. nachzuweisen, dass die Bietergemeinschaft als solche im Falle eines Obsiegens im Rahmen des Nachprüfungsverfahrens weiterhin bereit wäre, sich an dem Vergabeverfahren zu beteiligen und ggf. auch die ausgeschriebene Leistung zu erbringen oder aber das Unternehmen alleine berechtigt wäre, den Zuschlag zu erhalten1. Vor diesem Hintergrund ist daher der Unterschied zu der Gegenauffassung, nach der eine Antragsbefugnis nur der Bietergemeinschaft insgesamt zustehen soll2 nicht besonders groß. Denn auch nach dieser Auffassung ist jedenfalls anerkannt, dass sich die Bietergemeinschaft durch eines ihrer Mitglieder vertreten lassen kann, dieses dann also in Verfahrensstandschaft (Prozessstandschaft) für die anderen Mitglieder tätig wird3. Unerheblich für die Antragsbefugnis ist dabei, ob das Eingehen der Bietergemeinschaft selbst vergaberechtswidrig gewesen sein könnte4. 5. Darlegung eines zumindest drohenden Schadens (§ 160 Abs. 2 Satz 2) § 160 Abs. 2 fordert für die Antragsbefugnis nicht nur die Möglichkeit der Ver- 35 letzung eines subjektiven Rechts, sondern auch die Darlegung der Möglichkeit eines daraus resultierenden Schadens. Dies soll der Durchführung unnötiger Nachprüfungsverfahren entgegenwirken. Etwaige Rechtsverstöße von öffentlichen Auftraggebern müssen sich zumindest nach dem eigenen Vortrag des Antragstellers5 zu seinem Nachteil auch ausgewirkt haben oder noch mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu seinem Nachteil auswirken können.6 Wenn dies nicht der Fall ist, fehlt es an der erforderlichen Antragsbefugnis, so dass der Nachprüfungsantrag unzulässig ist. Dies ist etwa anzunehmen, wenn anstelle eines erforderlichen offenen Verfahrens gemäß § 119 Abs. 2 ein nicht offenes Verfahren gemäß § 119 Abs. 3 durchgeführt wird, das betreffende Unternehmen jedoch zur Angebotsabgabe aufgefordert wurde. In diesem Fall ist dem Unterneh1 Vgl. EuGH v. 24.5.2016 – C-396/14, NVwZ 2016, 1545. 2 S. etwa OLG Düsseldorf v. 18.11.2009 – VII-Verg 19/09; Möllenkamp in Kulartz/Kus/ Portz/Prieß, Kommentar zum Vergaberecht, § 160 Rz. 33. 3 OLG München v. 14.1.2015 – Verg 15/14, VergabeR 2015, 713; OLG Frankfurt/Main v. 23.1.2007 – 11 Verg 11/06; OLG Düsseldorf v. 27.11.2013 – VIII-Verg 30/13, NZBau 2014, 121; OLG Düsseldorf v. 18.11.2009 – VII-Verg 19/09; OLG Dresden v. 23.7.2013 – Verg 4/13; Dreher in Immenga/Mestmäcker, GWB, § 107 Rz. 11; Jennert in MüllerWrede, Kompendium des Vergaberechts, Kap. 27, Rz. 18. 4 OLG Düsseldorf v. 5.10.2016 – Verg 24/16, VergabeR 2017, 90: VK Thüringen v. 14.1. 2015 – 250-4003-7807/2014-E-011-G; Möllenkamp in Kus/Kulartz/Portz/Prieß, Kommentar zum Vergaberecht, § 160 Rz. 33. 5 BGH v. 18.5.2004 – X ZB 7/04, MDR 2004, 1351 = VergabeR 2004, 473 (475); OLG Düsseldorf v. 15.1.2009 – Verg 77/08. 6 OLG Düsseldorf v. 15.6.2010 – Verg 10/10, VergabeR 2011, 84; Jennert in Müller-Wrede, Kompendium des Vergaberechts, Kap. 27, Rz. 23.

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§ 160 | Einleitung, Antrag men in der Regel kein Schaden entstanden und droht ihm auch nicht1. Entsprechendes gilt, wenn der Auftraggeber zwar möglicherweise zu Unrecht von einer EU-weiten Ausschreibung abgesehen hat, der Antragsteller jedoch bereits nach seinem eigenen Vortrag dennoch in der Lage war, ein Angebot abzugeben2. Anders kann die Situation jedoch sein, wenn ein Unternehmen in einem zu Unrecht durchgeführten nicht offenen Verfahren zwar zur Angebotsabgabe aufgefordert wurde, dieses Verfahren jedoch nicht ohne weiteres durch Zuschlagserteilung beendet werden darf und daher eine Neuausschreibung zu erwarten ist3. Dies ist etwa dann denkbar, wenn die Wahl des Verfahrens durch andere Unternehmen, die nicht zur Angebotsabgabe aufgefordert wurden, gerügt wurde und daher ein Nachprüfungsverfahren des betreffenden Unternehmens in Betracht kommt. In diesem Fall ist es auch einem zur Angebotsabgabe aufgeforderten Unternehmen nicht zuzumuten, ein Angebot abzugeben und sich an einem möglicherweise ergebnislosen Vergabeverfahren zu beteiligen. Vielmehr kann es sich in diesem Fall gegen die Wahl des falschen Vergabeverfahrens ebenfalls zur Wehr setzen. Erst recht gilt dies, wenn anstelle eines EU-weiten nur ein nationales Vergabeverfahren4 oder anstelle eines offenen oder nicht offenen Verfahrens ein Verhandlungsverfahren gewählt wurde. Da im Verhandlungsverfahren der Inhalt der Angebote verhandelbar ist, ist auch ein am Verhandlungsverfahren beteiligtes Unternehmen der Gefahr ausgesetzt, im Rahmen von Verhandlungen von einem Mitbieter unterboten zu werden, was bei einem offenen oder nicht offenen Verfahren nicht der Fall wäre. Dadurch können seine Zuschlagschancen beeinträchtigt werden5. 36 Einem antragstellenden Unternehmen droht in der Regel kein Schaden, wenn es

zwar vergaberechtliche Verstöße rügt, jedoch gleichwohl bereits nach seinem eigenen Vortrag evident keine Aussicht auf Erteilung des Zuschlags hat, selbst wenn der geltend gemachte Vergabeverstoß ausgeräumt würde6. Ebenfalls liegt 1 OLG Jena v. 8.5.2008 – 9 Verg 2/08, VergabeR 2008, 653; OLG Saarbrücken v. 22.10.1999 – 5 Verg 2/99; vgl. auch BayObLG v. 21.5.1999 – Verg 1/99. 2 OLG München v. 5.11.2009 – Verg 15/09, VergabeR 2010, 677; OLG Karlsruhe v. 16.12. 2009 – 15 Verg 5/09, VergabeR 2010, 685; OLG Düsseldorf v. 4.5.2009 – VII Verg 68/08, VergabeR 2009, 905 (909); OLG Koblenz v. 8.12.2008 – 1 Verg 4/08; VK Hessen v. 30.3. 2009 – 69d-VK-66/2008; a.A. KG v. 17.10.2002 – 2 KartVerg 13/02, VergabeR 2003, 50. 3 BGH v. 10.11.2009 – X ZB 8/09, VergabeR 2009, 898. 4 OLG München v. 2.6.2016 – Verg 15/15, VergabeR 2016, 775. 5 BGH v. 10.11.2009 – X ZB 8/09, VergabeR 2009, 898; OLG Celle v. 24.9.2014 – VgK 17/ 2014, ZfBR 2015, 19; s. dazu auch Dicks, ZfBR 2010, 235 (237 ff.). 6 KG Berlin v. 18.10.2012 – Verg 7/12; OLG Rostock v. 6.7.2011 – 17 Verg 4/11; OLG Brandenburg v. 9.2.2010 – Verg W 10/09, VergabeR 2010, 516; OLG Düsseldorf v. 15.1.2009 – Verg 77/08; OLG Düsseldorf v. 19.3.2001 – Verg 7/01, VergabeR 2001, 221; OLG Koblenz v. 25.5.2002 – 1 Verg 1/00, NZBau 2000, 445; Byok in Byok/Jaeger, Kommentar zum Vergaberecht, § 107 Rz. 44; strenger etwa Möllenkamp in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum Vergaberecht, § 160 Rz. 101 (echte Chance auf die Zuschlagserteilung).

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nicht allein darin ein Schaden, dass ein Bieter an seinem Angebot festgehalten wird, auch wenn es sich möglicherweise nachträglich als ungünstig erweist1. Darüber hinausgehend dürfen an die Antragsbefugnis jedoch keine hohen Anforderungen gestellt werden2. Es genügt, wenn der gerügte Vergaberechtsverstoß überhaupt geeignet ist, die Chance des Antragstellers auf den Zuschlag zu beeinträchtigen3. Dies kann auch bei Bietern der Fall sein, deren Angebote in der Wertungsreihenfolge weit hinten platziert sind, solange bei Beseitigung des gerügten Vergaberechtsverstoßes eine realistische Chance auf den Zuschlag nicht mehr ausgeschlossen erscheint.4 Dies hängt entscheidend davon ab, wogegen sich der Antragsteller wendet (z.B. nur gegen die Wertung der Angebote oder gegen die Wertungskriterien oder sonstige Bestandteile der Ausschreibungsunterlagen). Eine ins Detail gehende Prüfung ist dabei nicht geboten und auch nicht zulässig. Ebenfalls ist es für die Antragsbefugnis in der Regel ohne Bedeutung, ob das An- 37 gebot des Antragstellers zwingend ausgeschlossen werden muss (z.B. wegen Unvollständigkeit)5. Allerdings kann es in diesem Fall an einer tatsächlichen Rechtsverletzung zu Lasten des Antragstellers fehlen, die zwar nicht im Rahmen von § 160 Abs. 2 für die Antragsbefugnis, wohl allerdings für die Entscheidung der Vergabekammer gemäß § 168 Abs. 1 (§ 168 Rz. 12 ff.) beachtlich ist6. Letzteres gilt allerdings dann nicht, wenn nicht nur das Angebot des Antragstellers, sondern auch alle anderen Angebote zwingend auszuschließen wären oder das Vergabeverfahren aus anderen Gründen zu wiederholen wäre. Ob sämtliche Angebote dabei an dem gleichen oder aber an unterschiedlichen Ausschlussgründen leiden, ist ohne Bedeutung7. Denn in diesem Fall führt die Notwendigkeit, sämtliche An1 VK Bund v. 2.7.2012 – VK 3-66/12, ZfBR 2012, 822. 2 OLG München v. 19.7.2012 – Verg 8/12; BVerfG v. 29.7.2004 – 2 BvR 2248/03, VergabeR 2004, 597; BGH v. 1.2.2005 – X ZB 27/04, MDR 2005, 973 = NZBau 2005, 290; OLG Celle v. 29.10.2009 – 13 Verg 8/09; Dreher in Immenga/Mestmäcker, GWB, § 107 Rz. 31 ff.; Schweda in Langen/Bunte, Kommentar zum deutschen und europäischen Kartellrecht, § 107 Rz. 11. 3 S. etwa OLG Schleswig v. 22.5.2006 – 1 Verg 5/06, NZBau 2007, 257 (258); VK Brandenburg v. 8.9.2009 – VK 33/09; Möllenkamp in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum Vergaberecht, § 160 Rz. 86. 4 OLG Saarbrücken v. 27.6.2016 – 1 Verg 2/16, VergabeR 2016, 786; KG v. 18.12.2012 – Verg 7/12; Leinemann, Die Vergabe öffentlicher Aufträge, Rz. 1645. 5 BVerfG v. 29.7.2004 – 2 BvR 2248/03, VergabeR 2004, 597; BGH v. 18.5.2004 – X ZB 7/ 04, MDR 2004, 1351 = VergabeR 2004, 473; OLG Frankfurt v. 9.7.2010 – 11 Verg 5/10; Möllenkamp in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum Vergaberecht, § 160 Rz. 89; s. auch EuGH v. 19.6.2003 – C-249/01, Slg. 2003, I-06319; a.A. Schweda in Langen/Bunte, Kommentar zum deutschen und europäischen Kartellrecht, § 107 Rz. 12 und nunmehr wohl auch EuGH v. 21.12.2016 – C-355/15, VergabeR 2017, 159. 6 OLG Jena v. 11.1.2007 – 9 Verg 9/06, ZfBR 2007, 380 (383). 7 BGH v. 10.11.2009 – X ZB 8/09, VergabeR 2009, 898; BGH v. 26.9.2006 – X ZB 14/06, VergabeR 2007, 59; OLG Koblenz v. 16.3.2016 – 1 Verg 8/13, VergabeR 2016, 492; OLG Düsseldorf v. 30.11.2009 – Verg 41/09; OLG Koblenz v. 3.4.2008 – 1 Verg 1/08; OLG

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§ 160 | Einleitung, Antrag gebote auszuschließen dazu, dass sich eine Rechtsverletzung auch zu Lasten des Antragstellers auswirkt und die damit verbundene Schädigung der betroffenen Interessen des Antragstellers verhindert werden kann, etwa mittels einer Wiederholung der Ausschreibung. Hierbei hat der Antragsteller dann eine zweite Chance. In diesem Fall ist es daher weder mit dem Gleichbehandlungsgebot des § 97 Abs. 2 noch mit dem Gebot effektiven Rechtschutzes vereinbar, wenn der Antragsteller mit seinem Angebot aufgrund eines Ausschlussgrundes unberücksichtigt bleibt, hingegen zwischen den verbleibenden Bietern, deren Angebote ebenfalls ausgeschlossen werden müssen, entschieden wird, wem der Auftrag erteilt wird1. 38 Anders ist die Situation dann, wenn aus dem Kreis der Bieter zumindest ein

wertbares Angebot vorliegt2. In diesem Fall verbleibt es dabei, dass ein bei dem Antragsteller vorliegender Ausschlussgrund zwar regelmäßig nicht dessen Antragsbefugnis entfallen lässt, allerdings dazu führen kann, dass es an einer tatsächlichen Rechtsverletzung i.S.v. § 168 Abs. 1 fehlt, die es rechtfertigt, dem Nachprüfungsantrag stattzugeben. Er ist in diesem Fall vielmehr unbegründet. Die praktische Schwierigkeit für den Antragsteller liegt dabei in der Regel darin, dass er sich zu gleichartigen oder auch anders gelagerten Ausschlussgründen in den Angeboten seiner Mitbewerber mangels Kenntnis in der Regel nicht äußern kann. Hier greift, jedenfalls soweit es um gleichgelagerte oder jedenfalls offensichtliche Ausschlussgründe geht, die für die Vergabekammer bestehende Amtsermittlungspflicht (§ 163). Dies bedeutet allerdings nicht, dass die Vergabekammer bei Vorliegen eines Ausschlussgrundes im Angebot des Antragstellers verpflichtet wäre, gleichsam ins Blaue hinein auch sämtliche anderen Angebote dahingehend zu überprüfen, ob dort ebenfalls irgendwelche Ausschlussgründe bestehen. Sie muss dafür zumindest gewisse Anhaltspunkte haben (s. zum Amtsermittlungsgrundsatz und dessen Grenzen § 163 Rz. 6)3.

39 Eine ebenso großzügige Handhabung im Hinblick auf einen drohenden Schaden

ist notwendig, wenn eine förmliche Ausschreibung gar nicht stattfand oder die Ausschreibung nach dem Vortrag des Antragstellers in den Stand vor Angebotsabgabe zurückversetzt werden muss, etwa wegen einer nicht hinreichend eindeutigen und erschöpfenden Leistungsbeschreibung (s. etwa § 31 VgV) und deshalb gar kein Angebot abgegeben wurde4. Dies gilt auch dann, wenn ein Un-

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Karlsruhe v. 6.2.2007 – 17 Verg 5/06, VergabeR 2007, 388; OLG Frankfurt v. 19.12.2006 – 11 Verg 7/06, VergabeR 2007, 376; Jennert in Müller-Wrede, Kompendium zum Vergaberecht, Kap. 27, Rz. 25. Anders jetzt wohl EuGH v. 21.12.2016 – C-355/15, VergabeR 2017, 159. OLG Koblenz v. 16.3.2016 – 1 Verg 8/13, VergabeR 2016, 492; OLG Düsseldorf v. 30.11. 2009 – Verg 41/09; OLG Jena v. 11.1.2007 – 9 Verg 9/06, ZfBR 2007, 380 (383). OLG Jena v. 11.1.2007 – 9 Verg 9/06, ZfBR 2007, 380 (383). OLG Celle v. 30.10.2014 – 13 Verg 8/14, VergabeR 2015, 244; OLG Celle v. 29.10.2009 – 13 Verg 8/09; OLG Düsseldorf v. 14.1.2009 – VII Verg 59/08, VergabeR 2009, 619 (621); Möllenkamp in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum Vergaberecht, § 160 Rz. 92.

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ternehmen im Rahmen eines Teilnahmewettbewerbs bei einer beschränkten Ausschreibung nicht aufgefordert wurde, ein Angebot abzugeben und sich gegen diese Entscheidung zur Wehr setzt. In derartigen Fällen reicht es für die Antragsbefugnis regelmäßig aus, wenn das betreffende Unternehmen – die ordnungsgemäße Durchführung des Vergabeverfahrens unterstellt – zu dem Kreis der Bieter gehören könnte, die für eine Auftragserteilung grundsätzlich und ernsthaft in Betracht kommen (s. dazu auch Rz. 40). Für den „entstandenen Schaden“ i.S.d. § 160 Abs. 2 ist bedeutsam, ob dieser 40 durch Maßnahmen i.S.v.§ 168 Abs. 1 (dazu § 168 Rz. 22 ff.) wieder beseitigt werden kann. Das ist insbesondere nach dem wirksamen Vertragsabschluss über die zu vergebende Leistung nicht mehr möglich (Zuschlag gem. § 168 Abs. 2, dazu § 168 Rz. 30 ff.). Dies führt dazu, dass ein erst nach wirksamem Vertragsabschluss gestellter Nachprüfungsantrag unzulässig ist. Eine Erledigung i.S.v. § 168 Abs. 2 Satz 2 liegt in diesem Fall nicht vor (§ 168 Rz. 40). Ein Feststellungsantrag nach dieser Vorschrift kommt nur in Betracht, wenn die Zuschlagserteilung (Vertragsabschluss) nach Einleitung des Nachprüfungsverfahrens erfolgt ist (zum Beginn des Nachprüfungsverfahrens Rz. 11). Ansonsten ist nur die unmittelbare Geltendmachung eines etwaigen Schadensersatzanspruches möglich (s. § 181). Entsprechendes gilt in der Regel bei einer Erledigung des Vergabeverfahrens aus sonstigen Gründen (§ 168 Rz. 45, dort auch zur Erledigung durch Aufhebung). Ebenso fehlt es an einem Schaden i.S.v. § 160 Abs. 2, wenn nur Fragen des Vertragsvollzugs in Rede stehen, nicht hingegen solche des Vergaberechts (z.B. Vergütungsfragen)1. 6. Geltendmachung Das antragstellende Unternehmen hat selbst die Verletzung von subjektiven 41 Rechten i.S.v. § 97 Abs. 6 geltend zu machen und einen zumindest möglichen Schaden durch die Verletzung von Vergabevorschriften darzulegen. Diese Darlegungslast bezieht sich nur auf die dem Unternehmen bereits im Vorfeld einer etwaigen Akteneinsicht gemäß § 165 bekannten Umstände. Dementsprechend sind die Anforderungen auch mit Blick auf Sinn und Zweck der Antragsbefugnis als Zulässigkeitsvoraussetzung (Rz. 23) eher niedrig. Allerdings ist es zumindest erforderlich, dass das Unternehmen darlegt, selbst in der Lage zu sein, den Auftrag auszuführen, um den es geht oder der ggf. nach Auffassung des Unternehmens hätte ausgeschrieben werden müssen2.

1 VK Baden-Württemberg v. 2.2.2010 – 1 Verg 75/09. 2 OLG Brandenburg v. 27.11.2008 – Verg W 15/08, VergabeR 2009, 652 (656); Jennert in Müller-Wrede, Kompendium des Vergaberechts, Kap. 27, Rz. 21.

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§ 160 | Einleitung, Antrag IV. Rügeobliegenheit, Präklusion (§ 160 Abs. 3) 42 § 160 Abs. 3 schränkt den Rechtsschutz des Kartellvergaberechts durch den Un-

ternehmen auferlegte Rügeobliegenheiten ein. Es handelt sich dabei um von Amts wegen von den Vergabekammern zu prüfende1 (materielle) Präklusionsregelungen, die dazu führen, dass eine Nichtbeachtung Nachprüfungsanträge hinsichtlich der nicht rechtzeitig gerügten Verstöße; zu Ausnahmen von der Rügeobliegenheit Rz. 63 ff.) unzulässig macht2. Daher enthält § 160 Abs. 3 keine Rechtspflicht sondern eine Obliegenheit der Unternehmen, d.h. eine Pflicht der Unternehmen gegen sich selbst3. Sie beruhen im Kern darauf, dass öffentliche Auftraggeber und Bieter eine Vertrauensgemeinschaft mit wechselseitigen Rechten und Pflichten bilden. Dies verbietet zwar einerseits öffentlichen Auftraggebern, schutzwürdige Rechte von Bietern zu missachten. Andererseits dürfen Unternehmen nicht darauf spekulieren, dass erkannte oder jedenfalls (bewusst oder unbewusst) akzeptierte Vergaberechtsverstöße nicht zu ihren Lasten, sondern allenfalls zu Lasten ihrer Wettbewerber gehen und sie selbst daraus möglicherweise sogar Vorteile ziehen. Diesem Grundgedanken einer Vertrauensgemeinschaft entspricht es, dass in den Fällen, in denen ein öffentlicher Auftraggeber von der Durchführung eines Vergabeverfahrens abgesehen hat (defacto-Vergabe, unzulässige Direktvergabe) gemäß § 160 Abs. 3 Satz 2 i.V.m. § 135 Abs. 1 Nr. 2 (s. § 135 Rz. 13 f.) keine Rügeobliegenheit besteht.4 Denn in diesem Fall hat sich eine Vertrauensgemeinschaft mit wechselseitigen Rechten und Pflichten von öffentlichem Auftraggeber einerseits und Unternehmen andererseits gar nicht bilden können. Dies ändert jedoch nichts daran, dass auch in diesem Fall alle anderen Zulässigkeitsvoraussetzungen erfüllt sein müssen. Davon befreit § 160 Abs. 3 Satz 2 nicht.

43 Eines ausdrücklichen Hinweises auf die Rügeobliegenheit in der öffentlichen

Bekanntmachung oder den Vergabeunterlagen bedarf es nicht. Da es sich um Präklusionsregelungen handelt, wird dies weder durch die Vergabe- und Rechtsmittelrichtlinien (Einleitung Rz. 7; s. jedoch auch im Zusammenhang mit § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 Rz. 79 ff.) noch durch die Vorschriften des nationalen Rechts gefordert. Den Unternehmen wird daher abverlangt, dass sie die rechtlichen Grundlagen hinreichend kennen (zur ebenfalls nicht bestehenden Notwendig-

1 OLG Celle v. 2.9.2004 – 13 Verg 11/04, NZBau 2005, 52; Wiese in Kulartz/Kus/Portz/ Prieß, Kommentar zum Vergaberecht, § 160 Rz. 131. 2 BR-Drucks. 646/2/97, S. 21 f.; s. etwa OLG Rostock v. 6.3.2009 – 17 Verg 1/09, VergabeR 2009, 660 (668). 3 Wiese in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum Vergaberecht, § 160 Rz. 127; Dreher in Immenga/Mestmäcker, GWB, § 107 Rz. 35; Byok in Byok/Jaeger, Kommentar zum Vergaberecht, § 107 Rz. 57; zum Begriff der Obliegenheit s. etwa Heinrichs in Palandt, Bürgerliches Gesetzbuch, vor § 241 Rz. 13. 4 Schweda in Langen/Bunte, Kommentar zum deutschen und europäischen Kartellrecht, § 107 Rz. 300.

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keit einer Angabe der Frist von 15 Kalendertagen gemäß § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 in der Vergabebekanntmachung s. Rz. 88)1. Gleichwohl ist ein solcher Hinweis selbstverständlich zulässig. Er muss dann aber inhaltlich zutreffend und darf nicht irreführend sein. Die Anforderungen aus Art. 1 Abs. 4 der Rechtsmittelrichtlinien (Einleitung 44 Rz. 7) sind gewahrt. Danach können die Mitgliedstaaten verlangen, dass derjenige, der ein Nachprüfungsverfahren anzustrengen beabsichtigt, den öffentlichen Auftraggeber über den behaupteten Verstoß und die beabsichtigte Nachprüfung unterrichtet. Dies schließt es im Rahmen des nationalen Umsetzungsspielraums ein, dass ein Verstoß gegen eine solche Regelung sanktioniert werden darf. Ansonsten läuft eine derartige Verpflichtung im Ergebnis leer, was auch unionsrechtlich nicht gefordert wird2. Anders als bei § 107 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 a.F. bestehen bezüglich der Präklusions- 45 regelungen in § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 bis Nr. 3 keine Bedenken hinsichtlich der Unionsrechtskonformität. Nr. 4 der Vorschrift regelt ohnehin einen anderen Fall. Dort wird keine Rügeobliegenheit geregelt, sondern die Verpflichtung, nach erfolgter Rüge binnen 15 Kalendertagen einen Nachprüfungsantrag bei der Vergabekammer zu stellen, wenn der Auftraggeber mitgeteilt hat, der Rüge nicht abhelfen zu wollen. Art. 1 Abs. 4 der Rechtsmittelrichtlinien bezieht sich von seinem Wortlaut her auf behauptete Vergaberechtsverstöße, von deren vorhergehender Mitteilung an den öffentlichen Auftraggeber die Zulässigkeit eines Nachprüfungsantrags abhängig gemacht werden kann. Im strengen Wortsinn handelt es sich in den Fällen von § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 und Nr. 3 nicht um Vergaberechtsverstöße, die behauptet werden können. Denn die Behauptung eines Vergaberechtsverstoßes setzt dessen Kenntnis voraus. Dieser Fall ist bereits in § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 geregelt. Demgegenüber behandeln Nr. 2 und Nr. 3 keine erkannten, sondern lediglich erkennbare Vergaberechtsverstöße, die vor Ablauf der in beiden Regelungen enthaltenen Rügefristen den betroffenen Unternehmen nicht zwangsläufig auch positiv bekannt waren und daher auch nicht bis zu diesem Zeitpunkt behauptet werden konnten3. Allerdings muss der öffentliche Auftraggeber davon ausgehen können, dass sich ein Unternehmen bis zum Ablauf der Bewerbungs- oder Angebotsfrist in ausreichendem Maße mit der Bekanntmachung bzw. den Vergabeunterlagen beschäftigt hat. Beanstandet 1 OLG Koblenz v. 10.6.2010 – 1 Verg 3/10; a. A. Jaeger, NZBau 2009, 558 (560); Greiffenhagen, VergabeR 2002, 438. 2 EuGH v. 11.10.2007 – C-241/06, Slg. 2007, I-8415, NZBau 2007, 798; EuGH v. 12.12.2002 – C-470/99, Slg. 2002, I-11617; vgl. auch EuGH v. 28.1.2010 – C-406/08, NZBau 2010, 183, Rz. 26; OLG Koblenz v. 10.6.2010 – 1 Verg 3/10; OLG Celle v. 11.2.2010 – 13 Verg 16/09; Dreher in Immenga/Mestmäcker, GWB, § 107 Rz. 44; Möllenkamp in Kulartz/ Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum Vergaberecht, § 160 Rz. 135; Jennert in Müller-Wrede, Kompendium des Vergaberechts, Kap. 27, Rz. 39. 3 Jaeger, NZBau 2009, 558 (560).

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§ 160 | Einleitung, Antrag es die Unterlagen gleichwohl nicht, ergibt sich daraus bei verständiger Betrachtungsweise, dass die Unterlagen seitens des betreffenden Unternehmens akzeptiert werden. Lässt sich das Unternehmen auf dieser Grundlage auf ein Vergabeverfahren ein, muss es das Verfahren auch in seinem Fortgang und mit seinem Ergebnis akzeptieren, sofern es von den Vergaberechtsverstößen Kenntnis hatte oder hätte haben müssen.1 Dementsprechend bewegen sich auch die Präklusionsregelungen in § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 und Nr. 3 im Umsetzungsspielraum von Art. 1 Abs. 4 der Rechtsmittelrichtlinien2. 46 Ein Nachprüfungsantrag ist im Falle der Präklusion einer Rüge nicht insgesamt

unzulässig3. Vielmehr gilt dies nur für die konkreten Vergaberechtsverstöße, die das betreffende Unternehmen hätte rügen müssen, jedoch nicht rechtzeitig gerügt hat4. Dies schließt auch die aus dem Verstoß resultierenden Folgen ein (z.B. bei Präklusion der Rüge von fehlenden Mindestanforderungen bei Nebenangeboten auch deren Wertbarkeit)5. Alle verbleibenden Verstöße, einschließlich etwaiger Folgefehler, können nach wie vor uneingeschränkt geltend gemacht werden und dann ggf. auch Gegenstand der Begründetheitsprüfung durch die Vergabekammer sein.6

47 Dementsprechend sind Rügen allerdings auch immer nur auf das betreffende

Vergabeverfahren bezogen und wirken nicht fort. Hat ein Unternehmen im Rahmen eines Vergabeverfahrens einen Vergaberechtsverstoß moniert, kann es nicht im Rahmen eines anderweitigen Vergabeverfahrens desselben Auftraggebers einschließlich etwaiger Auftragsänderungen i.S.v. § 132 oder auch nur bei einer Wiederholung von Verfahrensschritten des bisherigen Verfahrens auf die Rüge verzichten. Diese hat in dem anderen Verfahren bzw. zu dem wiederholten Verfahrensschritt vielmehr ebenfalls zu erfolgen, selbst wenn es sich nach Auffassung des Unternehmens um den gleichen Rechtsverstoß handelt. Das gilt selbst dann, wenn es um die erneute Ausschreibung desselben Auftrags geht

1 EuGH v. 28.1.2010 – C-406/08, NZBau 2010, 183 Rz. 32. 2 S. hierzu EuGH v. 28.1.2010 – C-406/08, NZBau 2010, 183 Rz. 32 ff.; EuGH v. 11.10.2007 – C-241/06, Slg. 2007, I-8415, NZBau 2007, 798; OLG München v. 4.4.2008 – Verg 4/08, NZBau 2008, 542 (543); VK Hessen v. 30.7.2009 – 69d VK 25/2009; Otting, VergabeR 2008, 68; a.A. Jaeger, NZBau 2009, 558 (560). 3 OLG Rostock v. 6.3.2009 – 17 Verg 1/09, VergabeR 2009, 660 (668); OLG Celle v. 31.7. 2008 – 13 Verg 3/08; BayObLG v. 20.8.2001 – Verg 9/01, NZBau 2002, 348; Dreher in Immenga/Mestmäcker, GWB, § 107 Rz. 46; Wiese in Kulartz/Kus/Portz, Kommentar zum Vergaberecht, § 160 Rz. 127. 4 S. etwa OLG Celle v. 31.7.2008 – 13 Verg 3/08; OLG Düsseldorf v. 18.6.2007 – Verg 35/ 06, VergabeR 2007, 200, 204; OLG Stuttgart v. 11.7.2000 – 2 Verg 5/00, NZBau 2001, 462; BayObLG v. 12.4.2000 – Verg 1/00, NZBau 2000, 481; s. auch EuGH v. 11.10.2007 – C241/06, Slg. 2007, I-8415, NZBau 2007, 798. 5 OLG Celle v. 11.2.2010 – 13 Verg 16/09. 6 Jennert in Müller-Wrede, Kompendium des Vergaberechts, Kap. 27, Rz. 41.

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(z.B. nach einer zwischenzeitlichen Aufhebung des Vergabeverfahrens)1. Ebenso genügt es nicht, den öffentlichen Auftraggeber vor Beginn eines Vergabeverfahrens oder vor einem erst noch bevorstehenden Vergaberechtsverstoß auf diesen hinzuweisen. Dieser Hinweis ersetzt eine spätere Rüge nicht2. Eine erhobene Rüge kann gegenüber dem öffentlichen Auftraggeber wieder zurückgenommen werden3. Es gelten dafür dieselben Anforderungen wie bei der Rüge selbst (Rz. 72 ff.). Eine erneute Erhebung ist möglich, kann allerdings an den Präklusionsfristen des § 160 Abs. 3 Satz 1 (Rz. 56 ff.) scheitern. 1. Erkannte Verstöße gegen Vergabevorschriften (§ 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1) Gemäß § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 ist der Nachprüfungsantrag unzulässig, wenn 48 der Antragsteller den gerügten Verstoß bereits vor Einreichung seines Nachprüfungsantrags erkannt und nicht gegenüber dem Auftraggeber innerhalb von 10 Kalendertagen gerügt hat. Eine Rüge gegenüber einem Dritten, z.B. der Aufsichtsbehörde des Auftraggebers, genügt nicht4. Ausreichend ist es jedoch, wenn der öffentliche Auftraggeber einen Empfangsbevollmächtigten für Rügen benannt hat und sie an diesen gerichtet werden5. Die Pflicht zur Rüge innerhalb von 10 Kalendertagen besteht generell, also auch 49 in den Fällen des § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 und Nr. 3. Ein Unternehmen kann also bei positiver Kenntnis von einem Vergaberechtsverstoß nicht bis zum Ablauf der Bewerbungsfrist oder der Angebotsfrist abwarten, um eine Rüge zu erheben. Vielmehr handelt es sich bei diesen zusätzlichen Fristen um die äußersten zeitlichen Grenzen für Rügen in den dort geregelten Fällen. Sie entbinden nicht von der ergänzend zu wahrenden Anforderungen des § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 16. 1 OLG Koblenz v. 18.9.2003 – 1 Verg 4/03, VergabeR 2003, 709; OLG Düsseldorf v. 15.6. 2000 – Verg 6/00, NZBau 2000, 440; Dreher in Immenga/Mestmäcker, GWB, § 107 Rz. 46, 83. 2 OLG Düsseldorf v. 4.5.2009 – VII Verg 68/08, VergabeR 2009, 905 (910); OLG Koblenz v. 18.9.2003 – 1 Verg 4/03, VergabeR 2003, 709; VK Südbayern v. 24.4.2009 – Z3-3194-109; VK Nordbayern v. 4.10.2007 – 21. VK. 3194-41/2007; VK Sachsen v. 8.6.2006 – 1/ SVK/050-06; VK Hessen v. 2.12.2004 – 69d VK-72/2004; einschränkend OLG Brandenburg v. 19.2.2008 – Verg W 22/07; Möllenkamp in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum Vergaberecht, § 160 Rz. 147. 3 OLG Dresden v. 25.2.2014 – Verg 9/13; OLG Karlsruhe v. 25.7.2014 – Verg 5/13. 4 OLG Brandenburg v. 11.5.2000 – Verg 1/00, NZBau 2001, 226; Schröder, VergabeR 2002, 229 (231); Möllenkamp in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum Vergaberecht, § 160 Rz. 177. 5 OLG Dresden v. 3.7.2000 – 6 Verg 3/00, NZBau 2000, 539; Möllenkamp in Kulartz/Kus/ Portz/Prieß, Kommentar zum Vergaberecht, § 160 Rz. 177; Dreher in Immenga/Mestmäcker, GWB, § 107 Rz. 55; Jennert in Müller-Wrede, Kompendium des Vergaberechts, Kap. 27, Rz. 50. 6 Kadenbach in Willenbruch/Wieddekind, Kompaktkommentar Vergaberecht, § 107 Rz. 49; Wiese in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum Vergaberecht, § 160 Rz. 138;

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§ 160 | Einleitung, Antrag 50 Aus der Formulierung in § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1, dass es um vor Einreichen

des Nachprüfungsantrags erkannte Verstöße geht, ergibt sich, dass zusätzliche Vergaberechtsverstöße, auf die sich der Antragsteller nach Antragseinreichung ergänzend berufen will, weil er sie zuvor noch nicht erkannt hat, keiner gesonderten Rüge bedürfen (s. zu dieser Konsequenz auch im Hinblick auf die Rügepflicht nach § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 und 3 Rz. 68). a) Positive Kenntnis

51 Der Begriff „erkannt“ ist so zu verstehen, dass der Antragsteller positive Kennt-

nis von dem Vergaberechtsverstoß haben muss. Da es dabei um die Kenntnis des Verstoßes geht, bezieht sich diese positive Kenntnis sowohl auf den tatsächlichen Sachverhalt als auch auf dessen rechtliche Bedeutung.1 Wenn das betreffende Unternehmen nur den Sachverhalt kennt, ist damit allein noch nicht die Kenntnis eines (Rechts-)Verstoßes gegeben2. Dies gilt auch dann, wenn ein Unternehmen lediglich vermutet, es könnte ein Vergaberechtsverstoß vorliegen und dies zur Veranlassung nimmt, eine juristische Prüfung durchführen zu lassen3. Allerdings ist es für die Notwendigkeit der Rüge nach § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 nicht zwingend notwendig, dass die Rechtswidrigkeit des Vergabeverhaltens eindeutig feststeht. Für die Rügeobliegenheit reicht es vielmehr aus, wenn ein Unternehmen den Sachverhalt kennt und daraus für sich, ggf. auch erst nach entsprechender juristischer Beratung, die Schlussfolgerung gezogen hat, dass dieser einen Vergaberechtsverstoß begründet. Ein Verstoß muss also nach der subjektiven Einschätzung des Unternehmens vorliegen4. Hingegen sind bloße Verdachtsrügen oder Rügen ins Blaue hinein nicht erforderlich5. Um eine Verdachtsrüge in diesem Sinne handelt es allerdings nicht, wenn dem Unternehmen zwar der Vergaberechtsverstoß bekannt ist, nicht hingegen dessen konkrete Auswirkungen. Hat ein Unternehmen etwa Kenntnis davon, dass das Angebot eines Mitwerbers ausgeschlossen werden muss, besteht die Pflicht zur Rüge be-

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s. hierzu auch die Begründung zum Regierungsentwurf des Vergaberechtsmodernisierungsgesetzes, BT-Drucks. 16/10117, 22. OLG Dresden v. 23.4.2009 – WVerg 11/08, VergabeR 2010, 106; Dicks, ZfBR 2010, 235 (242); Byok in Byok/Jaeger, Kommentar zum Vergaberecht, § 107 Rz. 74. OLG Düsseldorf v. 13.6.2001 – Verg 2/01, VergabeR 2001, 415; Boesen, Vergaberecht, § 107 Rz. 59. OLG Düsseldorf v. 9.2.2009 – VII Verg 66/08, VergabeR 2009, 956 (958); OLG Naumburg v. 3.9.2009 – 1 Verg 4/09, VergabeR 2009, 933 (939); Dicks, ZfBR 2010, 235 (242). OLG Düsseldorf v. 4.5.2009 – VII Verg 68/09, VergabeR 2009, 905 (910); OLG Dresden v. 23.4.2009 – Wverg 11/08, VergabeR 2010, 106; Dreher in Immenga/Mestmäcker, GWB, § 107 Rz. 68. S. etwa OLG Celle v. 5.7.2007 – 13 Verg 8/07; OLG Düsseldorf v. 27.7.2006 – Verg 23/06; Byok in Byok/Jaeger, Kommentar zum Vergaberecht, § 107 Rz. 74.

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reits ab diesem Zeitpunkt und nicht erst dann, wenn das Unternehmen erfährt, dass dem Mitbewerber der Zuschlag erteilt werden soll1. Der Nachweis der positiven Kenntnis ist vielfach schwierig, wenn nicht gar un- 52 möglich. Dies wirft die Frage auf, ob nicht auch ein Kennenmüssen der konkreten Umstände und ihrer rechtlichen Bedeutung ausreicht. Dies ist jedoch nach dem klaren Gesetzeswortlaut nicht der Fall2. Zudem ist der Abgrenzung zu § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 und Nr. 3 zu entnehmen, dass es in § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 nur um tatsächlich erkannte Verstöße geht, also ein Kennenmüssen nicht ausreicht3. Ein Unternehmen ist dabei nicht verpflichtet, sich bestimmte Informationen zu beschaffen4. Auch müssen auf Seiten eines Unternehmens, unabhängig von seiner Größe, keine besonderen organisatorischen Maßnahmen getroffen werden, um etwaige Vergaberechtsverstöße von öffentlichen Auftraggebern zu erkennen, etwa mittels einer (auf Fragen des Vergaberechts spezialisierten) Rechtsabteilung, deren Einbindung in die Prüfung der Vergabeunterlagen oder auch nur generell mittels frühzeitiger Prüfung der Vergabeunterlagen, um etwaige Vergaberechtsverstöße möglichst schnell geltend machen zu können. Obgleich für Unternehmen im Hinblick auf § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 keine be- 53 sonderen Organisations- oder Handlungspflichten bestehen, kann es jedoch für die Beweislage bedeutsam sein, wenn dem Unternehmen der Sachverhalt als solcher bekannt und die daraus resultierende Rechtswidrigkeit bei objektiver Betrachtung eindeutig ist. Zwar ist es für die Rügeobliegenheit nicht erforderlich, dass ein Vergaberechtsverstoß bei objektiver Betrachtung tatsächlich vorliegt und damit der Nachprüfungsantrag im Ergebnis auch begründet sein wird. Entscheidend ist vielmehr, ob das betreffende Unternehmen subjektiv einen Vergaberechtsverstoß für gegeben hält. Allerdings ist dies bei eindeutigen Verstößen, etwa aufgrund einer gefestigten Rechtsprechung zu bestimmten Fragen, sehr viel eher anzunehmen als bei nicht eindeutig geklärten Rechtsfragen oder einem nicht eindeutigen Sachverhalt. Entsprechendes gilt, wenn sich selbst bei 1 OLG Brandenburg v. 19.1.2009 – Verg W 2/09, VergabeR 2009, 820. 2 BGH v. 26.9.2006 – X ZB 14/06; NZBau 2006, 800 (803); OLG Düsseldorf v. 10.9.2009 – Verg 12/09, VergabeR 2010, 83 (88); OLG Düsseldorf v. 4.5.2009 – VII Verg 68/09, VergabeR 2009, 905 (910); OLG Naumburg v. 18.7.2006 – 1 Verg 4/06, ZfBR 2006, 707 (709); Wiese in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum Vergaberecht, § 160 Rz. 140; Dreher in Immenga/Mestmäcker, GWB, § 107 Rz. 63. 3 S. etwa OLG Düsseldorf v. 13.6.2001 – Verg 2/2001, VergabeR 2001, 415; VK Düsseldorf v. 7.7.2000 – VK 12/2000-L, NZBau 2001, 46; Boesen, Vergaberecht, § 107 Rz. 59; Sturmberg, BauR 1998, 1063 (1068); Kulartz, BauR 1999, 724 (728). 4 OLG Naumburg v. 3.9.2009 – 1 Verg 4/09, VergabeR 2009, 933 (940); OLG München v. 23.6.2009 – Verg 8/09, VergabeR 2009, 942 (945); OLG Düsseldorf v. 16.2.2005 – VII Verg 74/04, VergabeR 2005, 364; OLG Düsseldorf v. 18.7.2001 – Verg 16/01, VergabeR 2001, 419; Dreher in Immenga/Mestmäcker, GWB, § 107 Rz. 63; zu Unrecht strenger etwa OLG Rostock v. 6.3.2009 – 17 Verg 1/09, VergabeR 2009, 660 (668); VK Hessen v. 30.7.2009 – 69d VK 25/2009.

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§ 160 | Einleitung, Antrag einer „Parallelwertung in der Laiensphäre“ als offensichtlich aufdrängt, dass ein bestimmter Sachverhalt einen Vergaberechtsverstoß darstellt1. 54 Der Antragsteller muss nicht nachweisen, wann er im Vorfeld seines Nachprü-

fungsantrags einen Vergaberechtsverstoß erkannt und ob er ihn sodann rechtzeitig (s. Rz. 56 ff.) gerügt hat. Vielmehr obliegt es dem öffentlichen Auftraggeber, ggf. auch dem oder den beigeladenen Unternehmen, die positiven Kenntnis des Vergaberechtsverstoßes auf Seiten des Antragstellers nachzuweisen2. Jedoch wird dem öffentlichen Auftraggeber oder ggf. dem oder den beigeladenen Unternehmen eine Beweiserleichterung zugestanden, wenn die Unkenntnis des Antragstellers vom Vergaberechtsverstoß nur als ein mutwilliges Sichverschließen vor der Erkenntnis dieses Vergaberechtsverstoßes verstanden werden kann3.

55 Für die Frage, ob positive Kenntnis von einem Vergaberechtsverstoß vorliegt

oder jedenfalls als bewiesen gelten muss, kann es auch auf die Frage ankommen, bei welcher Person innerhalb des antragstellenden Unternehmens die positive Kenntnis gegeben sein muss. Dies sind diejenigen (natürlichen) Personen, die berechtigt sind, darüber zu entscheiden, ob eine Rüge erfolgen soll oder nicht und dementsprechend auch berechtigt wären, für das Unternehmen verbindliche Erklärungen abzugeben4. Dabei handelt es sich in der Regel um die Mitglieder der Geschäftsführung. Nicht ausreichend ist demgegenüber die positive Kenntnis von Vergaberechtsverstößen lediglich bei Mitarbeitern des Unternehmens, etwa bei Mitarbeitern der Rechtsabteilung, die nicht berechtigt sind, für das Unternehmen Erklärungen abzugeben.5 Ebensowenig genügt positive Kenntnis von einem Vergaberechtsverstoß bei externen Beratern des antragstellenden Unternehmens, zum Beispiel bei beauftragten Rechtsanwälten oder Ingenieurbüros. Der Umstand, dass Mitarbeiter eines Unternehmens in derartigen 1 OLG Düsseldorf v. 4.5.2009 – VII Verg 68/09, VergabeR 2009, 905 (910); OLG München v. 16.4.2009 – Verg 3/09, NZBau 2009, 467; OLG Frankfurt/Main v. 15.7.2008 – 11 Verg 4/08; OLG Celle v. 5.7.2007 – 13 Verg 8/07, VergabeR 2007, 794; Dreher in Immenga/ Mestmäcker, GWB, § 107 Rz. 61 ff. 2 BGH v. 1.2.2005 – X ZB 27/04, MDR 2005, 973 = NZBau 2005, 290; OLG Naumburg v. 3.9.2009 – 1 Verg 4/09, VergabeR 2009, 933 (939); Wiese in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum Vergaberecht, § 160 Rz. 201; Maier, VergabeR 2004, 176 (178 f.); Dreher in Immenga/Mestmäcker, GWB, § 107 Rz. 66. 3 BGH v. 26.9.2006 – X ZB 14/06, NZBau 2006, 800 (803); OLG Koblenz v. 5.7.2003 – 1 Verg 2/03; OLG München v. 23.6.2009 – Verg 8/09, VergabeR 2009, 942 (945); OLG Naumburg v. 14.12.2004 – 1 Verg 17/04; Dicks, ZfBR 2010, 235 (242).Wiese in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum Vergaberecht, § 160 Rz. 145; Schweda in Langen/Bunte, Kommentar zum deutschen und europäischen Kartellrecht, § 197 Rz. 15. 4 OLG Koblenz v. 6.9.2006 – 1 Verg 6/06; BayObLG v. 22.1.2002 – Verg 18/01, VergabeR 2002, 244; VK Baden-Württemberg v. 20.5.2009 – 1 VK 18/09; Wiese in Kulartz/Kus/ Portz/Prieß, Kommentar zum Vergaberecht, § 160 Rz. 141. 5 Horn/Hofmann in Burgi/Dreher, § 160 Rz. 46; a.A. Jennert in Müller-Wrede, Kompendium des Vergaberechts, Kap. 27, Rz. 60.

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Fällen regelmäßig Informationspflichten gegenüber der Geschäftsführung haben, ist unerheblich, da eine solche unternehmensinterne Pflichtverletzung die erforderliche positive Kenntnis nicht zu ersetzen vermag1. Dies gilt auch für ein etwaiges eigenes Organisationsverschulden der Geschäftsführung, da es auf ein Kennenmüssen des Vergaberechtsverstoßes gerade nicht ankommt. Allerdings können solche Umstände für die Beweislage von Relevanz sein (Rz. 53). b) Innerhalb von 10 Kalendertagen Ein positiv erkannter Vergaberechtsverstoß muss gegenüber dem öffentlichen 56 Auftraggeber innerhalb von 10 Kalendertagen gerügt werden, wenn das Unternehmen nicht mit seiner Rüge präkludiert sein will (zu Form und Inhalt Rz. 72 ff.)2. Die Frist beginnt mit der positiven Kenntnis von dem jeweiligen Vergaberechtsverstoß (Rz. 51 ff.). Für die Fristberechnung ist § 31 VwVfG i.V.m. den §§ 187 ff. BGB maßgeblich (s. § 167 Rz. 7). Die Rüge muss daher bis zum Ablauf von 10 Kalendertagen beim Auftraggeber so eingegangen sein, dass er davon Kenntnis nehmen kann3. c) Unberührtheit der Frist nach § 134 Abs. 2 Gemäß § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 2. Halbsatz bleibt der Ablauf der Frist nach 57 § 134 Abs. 2 unberührt. Dort ist geregelt, dass nach Ablauf der Wartepflicht von 15 bzw. 10 Kalendertagen der Vertrag durch Zuschlagserteilung abgeschlossen werden darf (§ 134). Die Regelung in § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 2. Halbsatz stellt insofern klar, dass die Rügefrist daran nichts ändert. Der Zuschlag kann also nach Fristablauf in jedem Fall erteilt werden. Ein Unternehmen kann sich gegen die Zuschlagserteilung mithin nicht darauf berufen, dass die Rügefrist von 10 Kalendertagen gemäß § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 noch nicht abgelaufen sei. Wird nach Maßgabe dieser Frist zwar rechtzeitig gerügt, ist jedoch im Einklang mit § 134 Abs. 2 zwischenzeitlich der Zuschlag wirksam erteilt worden, kann und muss der öffentliche Auftraggeber sich mit der Rüge nicht mehr befassen, da er ihr schon wegen des zwischenzeitlich erfolgten Zuschlags gar nicht mehr abhelfen kann. Auch die Vergabekammer hat insofern gemäß § 168 Abs. 2 Satz 1 keine Möglichkeit mehr (§ 168 Rz. 30 ff.). Ist daher die Information gemäß § 134 Abs. 1 erfolgt, ist die in Abs. 2 der Vorschrift geregelte Frist von 14 bzw. 10 Kalendertagen vorrangig. Unabhängig davon, wann ein Unternehmen von ei1 BayObLG v. 22.1.2002 – Verg 18/01, VergabeR 2002, 244; anders wohl Schröder, VergabeR 2002, 229 (232). 2 OLG Düsseldorf v. 4.5.2009 – VII Verg 68/08, VergabeR 2009, 905 (910); OLG Rostock v. 6.3.2009 – 17 Verg 1/09, VergabeR 2009, 660 (668); OLG München v. 17.9.2007 – Verg 10/07. 3 Vgl. OLG München v. 19.12.2013 – Verg 12/13, NzBau 2014, 389; Wiese in Kulartz/Kus/ Portz/Prieß, Kommentar zum Vergaberecht, § 160 Rz. 153.

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§ 160 | Einleitung, Antrag nem vermeintlichen Vergaberechtsverstoß positive Kenntnis erlangt hat, muss er daher neben der in § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 2. Halbsatz geregelten Frist auch die Frist gemäß § 134 Abs. 2 beachten, wenn er mit seiner Rüge und vor allem auch mit einem Nachprüfungsantrag nicht zu spät sein möchte. Sollte im Hinblick auf den Ablauf der Frist gemäß § 134 Abs. 2 unmittelbar eine Zuschlagserteilung drohen, ist ein Unternehmen zur Erreichung des Zuschlagsverbots gemäß § 169 Abs. 1 (§ 169 Rz. 7 ff. und damit im Ergebnis für die Sicherstellung eines effektiven Rechtsschutzes ggf. berechtigt, unmittelbar im Anschluss an die Rüge oder bei entsprechender zeitlicher Dringlichkeit sogar gänzlich ohne Rüge einen Nachprüfungsantrag zu stellen (zum Wegfall des Rügeerfordernisses in besonderen Fällen s. Rz. 63 ff.)1. 2. Aufgrund der Vergabebekanntmachung erkennbare Verstöße (§ 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2) 58 § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 bezieht sich, ergänzend zu Nr. 1 der Vorschrift (Rz. 48 ff.),

auf Verstöße gegen Vergabevorschriften, die aufgrund der Bekanntmachung des Vergabeverfahrens erkennbar waren. Entscheidend ist dabei allein die veröffentlichte Vergabebekanntmachung (s. insb. §39 VgV)2. Auf die Vergabeunterlagen, die den interessierten Unternehmen zur Verfügung gestellt werden (s. insbesondere § 41 VgV), kommt es demgegenüber nicht an (s. hierzu Rz. 60). Für die Erkennbarkeit ist auf die Erkenntnismöglichkeit eines durchschnittlich fachkundigen und die übliche Sorgfalt anwendenden Bieters abzustellen3. Maßgeblich ist also nicht der subjektive Maßstab des betreffenden Unternehmens4, sondern der objektive Maßstab eines sorgfältig handelnden und prüfenden Unternehmens, das mit den wichtigsten Regeln der öffentlichen Auftragsvergabe vertraut ist, ohne dafür besonderen Rechtsrat, sei es durch eine eigene Rechtsabteilung, sei es durch externe Rechtsberater, einholen zu müssen. Noch weitergehende Anforderungen würden die Effektivität des Bieterschutzes übermäßig einschränken (Rz. 44)5. 1 Vgl. EuGH vom 12.3.2015 – C 538/13. 2 OLG Karlsruhe v. 16.10.2009 – 15 Verg 5/09, VergabeR 2010, 685; BayObLG v. 12.4.2000 – Verg 1/00, NZBau 2000, 481; Wiese in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum Vergaberecht, § 160 Rz. 155; Fürmann, VergabeR 2010, 420 (425). 3 EuGH v. 12.3.2015 – C-538/13; BGH v. 26.9.2006 – X BR 14/06, NZBau 2006, 800 Rz. 34; OLG Jena v. 31.8.2009 – 9 Verg 6/09; OLG Stuttgart v. 11.7.2000 – 2 Verg 5/00, NZBau 2000, 462; BayObLG v. 23.11.2000 – Verg 12/00; VK Hessen v. 13.5.2009 – 69d VK 10/ 2009; VK Bund v. 14.12.2004 – VK-2-208/04; Jaeger, NZBau 2009, 558 (561); Kühnen, NZBau 2004, 427 (431); Maier, VergabeR 2004, 176 (177); Schweda in Langen/Bunte, Kartellrecht, § 107 Rz. 12, 19; offen lassend OLG Naumburg v. 8.10.2010 – 1 Verg 9/ 09, VergabeR 2010, 219 (224); OLG Celle v. 11.2.2010 – 13 Verg 16/09. 4 So etwa noch OLG Düsseldorf v. 18.10.2006 – Verg 35/06, VergabeR 2007, 200; OLG Frankfurt v. 15.7.2008 – 11 Verg 4/08. 5 Vgl. EuGH v. 11.10.2007 – C-241/06, Slg. I-8415, NZBau 2007, 798; Jaeger, NZBau 2009, 558 (561).

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Allerdings ist zu berücksichtigen, dass es „den“ durchschnittlichen Bieter nicht gibt und daher die Frage, ob Verstöße gegen Vergabevorschriften erkennbar waren, nicht für alle Vergaben und Vergabegegenstände in gleicher Weise beantworten werden kann. Es kommt vielmehr auf die konkrete Vergabe an sowie darauf, an welchen Bieterkreis sich das Vergabeverfahren richtet. So ist von einem für die Leistungserbringung geeigneten durchschnittlichen Bieter zu erwarten, dass er die üblichen technischen Anforderungen, Gepflogenheiten, Begrifflichkeiten u.s.w. kennt1. Im weiteren ist von jedem Unternehmen, dass sich an einem Vergabeverfahren beteiligt, zu verlangen, dass es die Bekanntmachung sorgfältig liest und auch den Text der einschlägigen Verfahrensordnungen zur Kenntnis nimmt. Ergeben sich dabei Ungereimtheiten oder Widersprüchlichkeiten, so muss das Unternehmen ihnen nachgehen, auch wenn es die Rechtslage nicht genau kennt. Insofern ist daher ein realistischer und realitätsnaher Maßstab zugrunde zu legen, der einerseits die Anforderungen an Unternehmen nicht überspannt, andererseits jedoch auch nicht dazu führt, dass die Präklusionsregelung in § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 weitestgehend leer läuft2. Liegen diese Voraussetzungen vor, ist es, anders als bei § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1, ohne Bedeutung, ob das antragstellende Unternehmen den Vergaberechtsverstoß tatsächlich erkannt hat. Es genügt, wenn das Unternehmen den Verstoß hätte erkennen müssen. Das Ende der Rügefrist ist in § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 exakt bestimmt. Es kann 59 durch den öffentlichen Auftraggeber weder vorverlagert3 noch zeitlich hinausgeschoben werden. Die Rüge muss spätestens bis zum Ablauf der Angebotsoder Bewerbungsfrist gegenüber dem öffentlichen Auftraggeber erfolgen, also beim öffentlichen Auftraggeber eingegangen sein (vgl. Rz. 56). Etwaige Verlängerungen der Bewerbungs- oder Angebotsfrist sind nach dem klaren Gesetzeswortlaut („in der Bekanntmachung benannte Frist“) nicht zu berücksichtigen4. Mit dem Ablauf der Angebots- oder Bewerbungsfrist ist zudem nur das äußerste Ende der Rügefrist markiert. Unabhängig davon gilt § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 (s. Rz. 48 ff.).5 3. Aufgrund der Vergabeunterlagen erkennbare Verstöße (§ 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3) § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 bezieht sich auf die Fälle, in denen Verstöße gegen Ver- 60 gabevorschriften nicht bereits aus der öffentlichen Bekanntmachung erkennbar sind (Rz. 58 f.), sondern erst anhand der Vergabeunterlagen. Was zu den Ver1 2 3 4

Vgl. OLG Naumburg v. 30.4.2014 – 2 Verg 2/14. S. etwa OLG Jena v. 16.9.2013 – 9 Verg 3/13, ZfBR 2013, 824. OLG Düsseldorf v. 17.2.2010 – Verg 42/09. KG v. 11.7.2000 – BauR 2000, 1620;; vgl. auch VK Hessen v. 30.7.2009 – 69d VK 25/2009; a.A. Jaeger, NZBau 2001, 289 (296). 5 OLG Düsseldorf v. 17.2.2010 – Verg 42/09; Jennert in Müller-Wrede, Kompendium des Vergaberechts, Kap. 27, Rz. 67.

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§ 160 | Einleitung, Antrag gabeunterlagen gehört, ergibt sich aus den dafür maßgeblichen vergaberechtlichen Bestimmungen (s. insbes. § 29 VgV, § 8 EU VOB/A). Dazu gehören insbesondere die Aufforderung zur Angebotsabgabe, die Bewerbungsbedingungen sowie die Vertragsunterlagen. 61 Für Verstöße gegen Vergabevorschriften, die erst in den Vergabeunterlagen er-

kennbar sind, gelten die Ausführungen zu den Vergaberechtsverstößen, die bereits aufgrund der Bekanntmachung erkennbar sind, entsprechend (s. Rz. 58 f.). Dies gilt insbesondere für den Maßstab, der für die Erkennbarkeit anzulegen ist. Geht trotz Erkennbarkeit eines Verstoßes gegen Vergabevorschriften aus Sicht eines sorgfältig handelnden und prüfenden Unternehmens, nicht spätestens bis zum Ablauf der Angebots- bzw. Bewerbungsfrist eine Rüge beim öffentlichen Auftraggeber ein (vgl. Rz. 56), ist das betreffende Unternehmen mit der Geltendmachung des betreffenden Vergaberechtsverstoßes zu einem späteren Zeitpunkt ausgeschlossen1.

62 In § 107 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 a.F. war dabei die in der Bekanntmachung benannte

Frist maßgeblich. In § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 wurden durch das VergaberechtsmodernisierungsG 2016 die Wörter „in der Bekanntmachung“ gestrichen. Damit erweitert sich der Anwendungsbereich der Vorschrift auch auf die Angebotsphase bei Vergabeverfahren mit vorgeschaltetem Teilnahmewettbewerb.2 Damit ist gewährleistet, dass auch im Vergabeverfahren mit vorgeschaltetem Teilnahmewettbewerb eine Rügeobliegenheit der ausgewählten Teilnehmer in Bezug auf die in den Vergabeunterlagen erkennbare Vergabeverstöße bis zum Ablauf der Angebotsfrist besteht, da die Angebotsfrist in Verhandlungsverfahren und nicht offenen Verfahren mit Teilnahmewettbewerb regelmäßig nicht in der Bekanntmachung benannt wird.3 Da, anders als in § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 (Rz. 59), nicht (mehr) auf die in der Bekanntmachung benannte Frist abgestellt wird, sind spätere Verlängerungen der Bewerbungs- oder Angebotsfrist zu berücksichtigen. Maßgeblich ist daher nicht die in der Bekanntmachung oder in der Aufforderung zur Angebotsabgabe genannte Frist sondern die letzte hierzu ggf. erfolgte Verlängerung. 4. Entbehrlichkeit der Rüge a) de-facto-Vergabe, unzulässige Direktvergabe (§ 160 Abs. 3 Satz 2)

63 Eine Rüge ist, anders als die Erfüllung der sonstigen Zulässigkeitsvoraussetzun-

gen, gemäß § 160 Abs. 3 Satz 2 entbehrlich, wenn der Nachprüfungsantrag auf die Feststellung der Unwirksamkeit eines ohne Vergabeverfahren abgeschlosse-

1 OLG Naumburg v. 8.10.2009 – 1 Verg 9/09, VergabeR 2010, 219 (224); OLG Celle v. 11.2. 2010 – 13 Verg 16/09. 2 BT-Drucks. 18/6281, S. 135. 3 BT-Drucks. 18/6281, S. 135.

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nen Vertrages gerichtet ist. Die Unwirksamkeit eines Vertrages in diesem Fall ergibt sich aus § 135 Abs. 1 Nr. 2. Man spricht in diesem Fall von einer de-factoVergabe oder einer unzulässigen Direktvergabe. Die Unwirksamkeit besteht nur dann, wenn sie im Rahmen eines Nachprüfungsverfahrens festgestellt wurde. Dies wiederum ist nur innerhalb der Fristen möglich, die in § 135 Abs. 2 geregelt sind. Ein solcher Nachprüfungsantrag kann gestellt werden, ohne dass zuvor eine Rüge gegenüber dem öffentlichen Auftraggeber erfolgt ist. Wird der Nachprüfungsantrag nach Ablauf der in § 135 Abs. 2 geregelten Fristen gestellt, ist er zwar nicht mangels einer fehlenden Rüge unzulässig, wohl allerdings deshalb, weil die Unwirksamkeit des Vertrages in diesem Fall in der Regel nicht mehr festgestellt werden kann. Etwas anderes kommt in Betracht, wenn der Vertrag an anderen zu seiner Unwirksamkeit führenden Mängeln leidet (z.B. einem Verstoß gegen die Beurkundungspflicht gemäß § 311b BGB). Wenn § 135 Abs. 2 dem Nachprüfungsantrag noch nicht entgegensteht, ist ausnahmsweise eine Verwirkung des Rechts auf Nachprüfung denkbar (s. im Einzelnen Rz. 90 ff.). Für die Entbehrlichkeit der Rüge kommt es darauf an, dass das antragstellende 64 Unternehmen den abgeschlossenen Vertrag für unwirksam hält, weil es sich nach seiner Auffassung um einen Auftrag handelt, der nicht unmittelbar an ein Unternehmen hätte erteilt werden dürfen, ohne andere Unternehmen am Vergabeverfahren zu beteiligen und ohne dass dies aufgrund Gesetzes gestattet ist. Ob dies tatsächlich der Fall ist, hat für die Entbehrlichkeit der Rüge keine Bedeutung. Die Frage, ob der abgeschlossene Vertrag gemäß § 135 Abs. 1 Nr. 2 unwirksam ist oder nicht, ist gerade Gegenstand der Prüfung durch die Vergabekammer und damit keine Frage der Zulässigkeit des Nachprüfungsantrags sondern vielmehr dafür maßgeblich, ob der Nachprüfungsantrag begründet ist. Nicht entbehrlich ist eine Rüge nach Maßgabe von § 160 Abs. 3 Satz 1, wenn es dem Antragsteller nicht nur um die Feststellung der Unwirksamkeit geht, sondern zusätzlich um andere Fragen, etwa um eine Losaufteilung (z.B. weil das Unternehmen die Leistungen eines direkt vergebenen Vertrags gar nicht in vollem Umfang erbringen kann). Nicht einschlägig ist § 160 Abs. 3 Satz 2 in den Fällen, in denen lediglich die fal- 65 sche Vergabeart gewählt wurde (z.B. anstelle des offenen oder nicht offenen Verfahrens das Verhandlungsverfahren), jedoch mehrere Unternehmen an dem Vergabeverfahren beteiligt waren, also insbesondere eine eigene Bewerbung oder ein eigenes Angebot abgeben durften (s. § 135 Rz. 13 ff.). In diesem Fall muss das Unternehmen, das sich benachteiligt fühlt, die Wahl der Vergabeart rechtzeitig gemäß § 160 Abs. 3 Satz 1 rügen, wenn es mit seinem Nachprüfungsantrag hinsichtlich dieses Vergaberechtsverstoßes nicht präkludiert sein möchte1. 1 OLG Dresden v. 27.1.2009 – Verg 10/08; OLG Brandenburg v. 15.9.2009 – Verg W 13/08 (Wahl eines Verwaltungsverfahrens nach dem VwVfG).

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§ 160 | Einleitung, Antrag 66 Der Wortlaut des § 160 Abs. 3 Satz 2 bezieht sich auf Fälle, in denen es um die

Feststellung der Unwirksamkeit des Vertrages wegen einer unzulässigen defacto-Vergabe bzw. Direktvergabe geht. Gemeint sind damit die Fälle, in denen ein derartiger Vertrag bereits abgeschlossen wurde. Die Regelung ist allerdings von ihrem Sinn und Zweck her auch auf die Fälle auszudehnen, in denen ein öffentlicher Auftraggeber eine unzulässige Direktvergabe beabsichtigt, den Vertrag jedoch noch nicht mit dem dafür vorgesehenen Unternehmen abgeschlossen hat. Auch in diesem Fall ist ein Nachprüfungsantrag zulässig, ohne dass es einer vorhergehenden Rüge bedarf.

67 Durch § 160 Abs. 3 Satz 3 wird klargestellt, dass die Informationspflichten, die

für öffentliche Auftraggeber gemäß § 134 Abs. 1 Satz 2 bestehen, unberührt bleiben. Die Freistellung von der Rügeobliegenheit hat also nicht zur Folge, dass gleichzeitig die öffentlichen Auftraggeber von ihren Informationspflichten entbunden wären, an die wiederum die Fristen für die Geltendmachung der Unwirksamkeit in § 135 Abs. 2 anknüpfen1. b) Entbehrlichkeit einer Rüge bei bereits anhängigem Nachprüfungsverfahren

68 Entbehrlich ist eine gesonderte Rüge des Weiteren, wenn ein Nachprüfungsver-

fahren bereits anhängig ist und das Unternehmen im Rahmen des Nachprüfungsverfahrens (z.B. aufgrund der Akteneinsicht gemäß § 165) Kenntnis von weiteren Vergaberechtsverstößen erhält2. In diesem Fall genügt es, wenn der erkannte Vergaberechtsverstoß unmittelbar und so rechtzeitig gegenüber der Vergabekammer geltend gemacht wird, dass er ohne Verzögerung des Nachprüfungsverfahrens berücksichtigt werden kann3. Da die Vergabekammer ihrerseits den Schriftsatz an den öffentlichen Auftraggeber weiterleitet, ist damit im Ergebnis nur eine gesonderte Geltendmachung gegenüber dem öffentlichen Auftraggeber außerhalb des Nachprüfungsverfahrens entbehrlich. Dies gilt auch in den Fällen, in denen das Nachprüfungsverfahren auf der Grundlage eines nicht oder verspätet gerügten Vergabemangels eingeleitet wurde, also ohne die Geltend-

1 Jaeger, NZBau 2009, 558 (562). 2 BGH v. 26.9.2006 – X ZB 14/06, VergabeR 2007, 59 (65); OLG Celle v. 11.2.2010 – 13 Verg 16/09; KG v. 18.3.2010 – 2 Verg 12/09; OLG Düsseldorf v. 9.2.2009 – VII Verg 66/ 08; OLG Frankfurt/Main v. 8.12.2009 – 11 Verg 6/09; OLG Karlsruhe v. 20.3.2009 – 15 Verg 2/09; OLG Celle v. 12.5.2005 – 13 Verg 5/05; OLG Düsseldorf v. 23.2.2005 – Verg 92/04; BayObLG v. 20.8.2001 – Verg 9/01, NZBau 2002, 348; Dreher in Immenga/Mestmäcker, GWB, § 107 Rz. 119; Wiese in Kulartz/Kus/Portz, Kommentar zum Vergaberecht, § 107 Rz. 136; Schweda in Langen/Bunte, Kommentar zum deutschen und europäischen Kartellrecht, § 107 Rz. 22. 3 S. etwa OLG Frankfurt v. 2.12.2014 – 11 Verg 7/14, VergabeR 2015, 591; OLG Brandenburg v. 10.1.2012 – Verg W 18/11.

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machung des noch nachträglich erkannten Mangels unzulässig wäre1. Von der Vergabekammer zu prüfen ist dann lediglich der nachträglich geltend gemachte Vorgaberechtsverstoß, für den die Rügepflicht nicht bestand. c) Entbehrlichkeit der Rüge bei Wiederholung des Vergaberechtsverstoßes Ebenfalls entbehrlich ist eine gesonderte Rüge vor Einleitung des Nachprüfungs- 69 verfahrens, wenn bereits innerhalb des laufenden Vergabeverfahrens gerügte Verstöße wiederholt werden oder sich fortsetzen (z.B. unzulässige Verhandlungen mit einem einzelnen Bieter im offenen oder nicht offenen Verfahren, § 119 Abs. 3 und 4)2. Dies gilt allerdings nicht in den Fällen, in denen der öffentliche Auftraggeber ein anderes oder neues Vergabeverfahren durchführt und in diesem Verfahren den früher bereits gerügten Vergaberechtsverstoß wiederholt. In diesem Fall bedarf es einer erneuten Rüge (s. bereits Rz. 47). d) Eindeutig fehlender Abhilfewille Der Sinne und Zweck einer Rüge liegt darin, dem öffentlichen Auftraggeber vor 70 Einleitung eines Nachprüfungsverfahrens Gelegenheit zu geben, den geltend gemachten Vergaberechtsverstoß auszuräumen. Daher wird man eine Rüge im Vorfeld der Einreichung eines Nachprüfungsantrags dann als entbehrlich ansehen müssen, wenn der öffentliche Auftraggeber bereits im Hinblick auf einen bestimmten Vergaberechtsverstoß eindeutig und unmissverständlich erklärt hat, dass er sein Vergabeverhalten nicht ändern wird3. In Betracht zu ziehen ist dies beispielsweise dann, wenn bereits ein anderes Unternehmen den betreffenden Verstoß gerügt hat und der Auftraggeber daraufhin gegenüber allen Bietern unmissverständlich klargestellt hat, dass er sein Verhalten in diesem Punkt als rechtmäßig ansieht und daher nicht beabsichtige, es zu ändern. Hingegen reicht

1 OLG Brandenburg v. 6.10.2006 – Verg W 6/06, NZBau 2007, 329; OLG Koblenz v. 26.10. 2005 – 1 Verg 4/05, VergabeR 2006, 392; OLG Celle v. 12.5.2005 – 13 Verg 5/05; OLG Celle v. 23.2.2001 – 13 Verg 3/01, VergabeR 2001, 252; Dreher in Immenga/Mestmäcker, GWB, § 107 Rz. 121; Jennert in Müller-Wrede, Kompendium des Vergaberechts, Kap. 27, Rz. 45. 2 BayObLG v. 12.4.2000 – Verg 1/00, NZBau 2000, 481; Dreher in Immenga/Mestmäcker, GWB, § 107 Rz. 126; Wiese in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum Vergaberecht, § 160 Rz. 186. 3 OLG Brandenburg v. 14.1.2013 – Verg W 13/12, ZfBR 2013, 818; OLG Düsseldorf v. 16.2. 2005 – Verg 74/04, VergabeR 2005, 364; OLG Saarbrücken v. 29.5.2002 – 5 Verg 1/01, VergabeR 2002, 493; OLG Stuttgart v. 11.7.2000 – 2 Verg 5/00, NZBau 2001, 462; Dreher in Immenga/Mestmäcker, GWB, § 107 Rz. 124; Wiese in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum Vergaberecht, § 160 Rz. 185; einschränkend OLG Saarbrücken v. 22.6.2016 – 1 Verg 2/16.

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§ 160 | Einleitung, Antrag allein die aus Sicht eines Unternehmens gegebene Offensichtlichkeit des Vergaberechtsverstoßes nicht aus, um auf eine Rüge verzichten zu können1. e) Sonstige Fälle, drohende Zuschlagserteilung 71 Angesichts des Umstandes, dass es abgesehen von § 160 Abs. 3 Satz 2 keine ge-

setzlich geregelten Fälle gibt, in denen eine Rüge verzichtbar ist, wird man über die vorstehend behandelten Fälle hinausgehend bei weiteren Ausnahmen zurückhaltend sein müssen. Eine Rechtsschutzverkürzung dahingehend, dass aufgrund einer Rüge unwiederbringliche Nachteile drohen, insbesondere eine wirksame Auftragserteilung an einen Konkurrenten, wird man wegen der Informations- und Wartepflicht gemäß § 134 sowie der Regelungen zur Unwirksamkeit gemäß § 135 in der Regel nicht annehmen können2. Allerdings sind solche Fälle nicht völlig ausgeschlossen. In Betracht zu ziehen ist dies am ehesten dann, wenn es nicht um Vergaberechtsverstöße geht, die sich aus der Bekanntmachung oder den Vergabeunterlagen ergeben und die daher unter § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 und 3 fallen (s. Rz. 58 ff.), sondern erst nach Angebotsabgabe auftreten oder die deshalb nicht von § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 und 3 erfasst sind, weil sie für einen durchschnittlich fachkundigen und sorgfältig agierenden Bieter zu dem Zeitpunkt noch nicht erkennbar waren. In derartigen Fällen ist der betreffende Bieter ggf. nicht gemäß § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 und 3 präkludiert. Es greift dann zwar regelmäßig die Rügepflicht gemäß § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 (s. vorstehend Rz. 48 ff.), jedoch kann eine solche Rüge, auch wenn sie die Frist von 10 Kalendertagen (Rz. 56) wahrt, zu spät kommen, weil vor Ablauf der Frist von 10 Kalendertagen bereits die Wartefrist gemäß § 134 Abs. 2 endet. In derartigen Fällen kann es zur Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes notwendig sein, bereits parallel oder ggf. auch ohne Rüge einen Nachprüfungsantrag zu stellen, um eine Aussetzung des Vergabeverfahrens gemäß § 169 Abs. 1 zu erreichen, die allein durch eine Rüge nicht bewirkt wird. 5. Form und Inhalt der Rüge

72 Die gegenüber dem Auftraggeber vor Einleitung des Nachprüfungsverfahrens zu

erhebende Rüge unterliegt keinen besonderen formellen Anforderungen3. Sie ist daher auch mündlich oder telefonisch möglich4, wenngleich sich für einen

1 OLG Brandenburg v. 14.1.2013 – Verg W 13/12, ZfBR 2013, 818. 2 Wiese in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum Vergaberecht, § 160 Rz. 187. 3 KG v. 15.4.2002 – KartVerg 3/02, VergabeR 2002, 398; VK Südbayern v. 21.4.2009 – Z33-3194-1-09-02/09; Schröder, VergabeR 2002, 229 (230). 4 OLG München v. 10.12.2009 – Verg 16/09, VergabeR 2010, 247 (253); OLG Düsseldorf v. 29.3.2006 – VII Verg 77/05, VergabeR 2006, 509; OLG Dresden v. 7.8.2001 – WVerg 0005/01; VK Düsseldorf v. 7.7.2000 – VK 12/2000, NZBau 2001, 46; OLG Brandenburg v. 11.5.2000 – Verg 1/00, NZBau 2001, 226; VK Südbayern v. 12.6.2009 – Z3-3-3194-1-

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entsprechenden Nachweis die Schriftform einschließlich Telefax empfiehlt. Ebenfalls kommt eine Rüge in elektronischer Form in Betracht, sofern der öffentliche Auftraggeber hierfür einen Zugang geöffnet hat, etwa mittels der Angabe einer e-mail-Anschrift in der Vergabebekanntmachung (§ 3a Abs. 1 VwVfG; s. dazu § 163 Rz. 35 f.). Für den Zugang der Rüge ist das betreffende Unternehmen darlegungs- und beweispflichtig1. Dies gilt nicht nur für den Zugang als solchen, sondern auch für die Einhaltung der Fristen gemäß § 160 Abs. 3 Satz 1. Für Rügen einer Bietergemeinschaft gelten die Ausführungen zur Antrags- 73 berechtigung entsprechend (Rz. 15, 34). Sie müssen also der Bietergemeinschaft insgesamt zurechenbar sein2. Auf die Rüge durch einen Bevollmächtigten ist § 14 Abs. 1 Satz 3 VwVfG entsprechend anzuwenden, nicht hingegen § 174 Abs. 1 BGB, da es sich um eine Erklärung handelt, die für die Zulässigkeit eines dem Verwaltungsrecht zuzuordnenden Nachprüfungsverfahrens erforderlich ist. Besondere zivilrechtliche Wirkungen für den anzubahnenden Vertrag oder für das vorvertragliche Rechtsverhältnis im Übrigen hat sie hingegen nicht3. Der Begriff Rüge muss nicht unbedingt verwendet werden. Ebensowenig ist es 74 erforderlich, dass die Bestimmungen benannt werden, die das rügende Unternehmen für verletzt hält. Zum Ausdruck kommen muss jedoch, welchen Sachverhalt das Unternehmen für vergaberechtswidrig hält und zu dem es dem öffentlichen Auftraggeber vor Anrufung der Vergabekammer die Möglichkeit einer Selbstkorrektur geben möchte4. Die Formulierung der Rüge als Hinweis gegenüber der Vergabestelle ist zwar möglich, jedoch muss nach dem objektiven Empfängerhorizont zumindest durch Auslegung eindeutig erkennbar sein, dass nicht nur eine Anregung zur Optimierung eines (rechtmäßigen) Vergabeverfahrens gegeben werden soll, sondern ein Rechtsfehler geltend gemacht wird, der beseitigt werden soll. Bloße Nachfragen zu den Ausschreibungsunterlagen, Bitten um Aufklärung zu einzelnen Aspekten der Ausschreibung o. ä. genügen nicht5.

1 2 3 4

5

20-05/09; VK Bund v. 4.8.1999 – VK 2-16, NZBau 2000, 112; Dreher in Immenga/Mestmäcker, GWB, § 107 Rz. 53; Jennert in Müller-Wrede, Kompendium des Vergaberechts, Kap. 27, Rz. 49. Heuvels in Loewenheim/Meessen/Riesenkampff, Kartellrecht, § 107 Rz. 28. OLG München v. 14.1.2015 – Verg 15/14, VergabeR 2015, 713. VK Baden-Württemberg v. 21.12.2004 – 1 VK 83/04; VK Bund v. 5.9.2001 – VK 1-23/01; Dreher in Immenga/Mestmäcker, GWB, § 107 Rz. 54; a.A. Wiese in Kulartz/Kus/Portz/ Prieß, Kommentar zum Vergaberecht, § 160 Rz. 183. S. etwa OLG Brandenburg v. 16.3.2010 – Verg W 6/10; OLG Frankfurt/Main v. 8.12.2009 – 11 Verg 6/09; KG v. 20.8.2009 – 2 Verg 4/09; OLG Karlsruhe v. 20.3.2009 – 15 Verg 2/ 09; OLG Jena v. 31.8.2009 – 9 Verg 6/09; OLG München v. 5.11.2009 – Verg 15/09, VergabeR 2010, 677; VK Bund v. 21.10.1999 – VK 2-26/99, NZBau 2000, 108; Schröder, VergabeR 2002, 229 (230); Willenbruch, NVwZ 1999, 1062 (1066); Schweda, in Langen/Bunte, Kommentar zum deutschen und europäischen Kartellrecht, § 107 Rz. 21. S. etwa OLG Frankfurt/Main v. 8.12.2009 – 11 Verg 6/09.

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§ 160 | Einleitung, Antrag Hingegen ist es nicht erforderlich, dem öffentlichen Auftraggeber die Einleitung eines Nachprüfungsverfahrens anzudrohen oder auch nur in sonstiger Weise konkret in Aussicht zu stellen, wenn er der Rüge nicht nachkommt1. 75 Die Rüge muss keine Begründung, insbesondere keine detaillierte rechtliche

Würdigung enthalten2. Sie darf allerdings auch nicht völlig pauschal und undifferenziert sein oder sich gar auf den bloßen Hinweis beschränken, dass das Vergabeverfahren rechtsfehlerhaft sei. Maßstab für die Konkretheit der Rüge ist immer, dass der öffentliche Auftraggeber die Möglichkeit haben muss, sich selbst zu korrigieren.3 Dies setzt zwangsläufig voraus, dass er erkennen kann, welche vermeintlichen Fehler er abstellen soll. Dabei muss das Unternehmen dem öffentlichen Auftraggeber nicht darlegen, wie dies erfolgen kann oder soll. Ohnehin wäre der Auftraggeber an eine solche Forderung nicht gebunden. Dies gilt namentlich dann, wenn verschiedene Möglichkeiten in Betracht kommen, um den Vergaberechtsverstoß abzustellen. 6. Zeitlicher Abstand zwischen Rüge und Stellung eines Nachprüfungsantrags

76 Beim zeitlichen Abstand zwischen einer Rüge und der Stellung eines Nachprü-

fungsantrags muss unterschieden werden zwischen dem zeitlichen Mindestabstand zwischen Rüge und Nachprüfungsantrag sowie der maximalen Zeitdauer, die zwischen einer Rüge und der Stellung des Nachprüfungsantrags verstreichen darf. Entsprechendes gilt in den Fällen, in denen ein Nachprüfungsantrag ohne vorhergehende Rüge eingereicht werden kann (s. Rz. 62 ff.). a) Zeitlicher Mindestabstand

77 Ein zeitlicher Mindestabstand zwischen einer Rüge gegenüber dem öffentlichen

Auftraggeber und der Einreichung eines Nachprüfungsantrags bei der Vergabekammer ist gesetzlich nicht geregelt. Allerdings liegt der Sinn und Zweck der Rügeobliegenheit darin, dem öffentlichen Auftraggeber die Möglichkeit zu geben, selbst etwaige Vergaberechtsverstöße auszuräumen. Dies setzt eine dafür hinreichende Frist voraus. Dem würde es ersichtlich nicht Rechnung tragen, wenn der Nachprüfungsantrag der Rüge generell unmittelbar noch folgen dürfte. Andererseits ist jedoch zu berücksichtigen, dass allein die Rüge des Vergabe-

1 OLG Düsseldorf v. 18.7.2001 – Verg 16/01, VergabeR 2001, 419; KG v. 4.4.2002 – KartVerg 5/02, VergabeR 2002, 235; KG v. 22.8.2001 – KartVerg 3/01, VergabeR 2001, 392; Dreher in Immenga/Mestmäcker, GWB, § 107 Rz. 60. 2 OLG Frankfurt/Main v. 24.6.2004 – 11 Verg 15/04; BKartA; v. 9.4.2001 – VK 1-7/01, VergabeR 2001, 238; Wiese in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum Vergaberecht, § 160 Rz. 172. 3 OLG München v. 10.12.2009 – Verg 16/09, VergabeR 2010, 246 (253); Jennert in MüllerWrede, Kompendium des Vergaberechts, Kap. 27, Rz. 54.

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rechtsverstoßes nicht zu dem Zuschlagsverbot gemäß § 169 Abs. 1 (dazu § 169 Rz. 7 ff.) führt. Das damit verbundene Risiko wird jedoch insbesondere durch die Informations- und Wartepflicht gemäß § 134 i.V.m. der dazu in § 135 Abs. 1 Nr. 1 geregelten Rechtsfolge relativiert. Sofern daher keine besonderen Umstände des Einzelfalls vorliegen, hat dies zur Folge, dass zwischen der Rüge und der Einreichung des Nachprüfungsantrags zumindest eine kurze Frist zu liegen hat1. Dies gilt erst recht dann, wenn der öffentliche Auftraggeber ausdrücklich eine Überprüfung ankündigt und gleichzeitig erklärt, bis zu deren Abschluss den Zuschlag nicht zu erteilen (zu Sonderfällen s. Rz. 57 f., 71)2. Wird ein Nachprüfungsantrag ohne eine angemessene Frist seit der erhobenen 78 Rüge oder sogar bereits vor der Rüge eingereicht, ohne dass die Rüge ausnahmsweise entbehrlich war (Rz. 63 ff.), ist er unzulässig. Allerdings kann er zulässig werden, wenn bis zu einer Entscheidung der Vergabekammer die ordnungs- und fristgemäße Rüge nachgeholt wird bzw. eine angemessene Frist abgelaufen ist und der öffentliche Auftraggeber bis dahin auf die Rüge nicht reagiert oder sogar erklärt hat, dass er sein Vergabeverhalten für rechtmäßig halte. In einem solchen Fall wäre es eine bloße Förmlichkeit, wenn der Nachprüfungsantrag als unzulässig abgelehnt würde, das Unternehmen jedoch die Möglichkeit hätte, sogleich erneut einen Antrag zu stellen3. b) Höchstfrist aa) Keine Abhilfe (§ 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4), Belehrung Gemäß § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 ist ein Nachprüfungsantrag (offensichtlich)4 79 unzulässig, wenn mehr als 15 Kalendertage nach Eingang der Mitteilung des öffentlichen Auftraggebers, einer Rüge nicht abhelfen zu wollen, vergangen sind. Anders als § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 bis Nr. 3 regelt Nr. 4 der Vorschrift also keine Rügeobliegenheit, sondern setzt eine erfolgte Rüge voraus5. Dabei erfasst 1 VK Bund v. 9.4.2001 – VK 1-7/01, VergabeR 2001, 238; VK Sachsen v. 23.5.2001 – 1/ SVK/34-01, ZVgR 2001, 41; Dreher in Immenga/Mestmäcker, GWB, § 107 Rz. 60; Maier, NZBau 2004, 196 (197); tendenziell auch OLG München v. 7.8.2007 – Verg 8/07, VergabeR 2007, 802; VK Bund v. 10.1.2007 – VK 1-151/06; anders etwa OLG Naumburg v. 25.10.2005 – 1 Verg 5/05, NZBau 2006, 58; KG v. 15.4.2002 – KartVerg 3/02, VergabeR 2002, 398; OLG Frankfurt v. 16.5.2000 – 11 Verg 1/99, NZBau 2001, 101; Wiese in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum Vergaberecht, § 160 Rz. 193; Byok in Byok/Jaeger, Kommentar zum Vergaberecht, § 107 Rz. 99. 2 OLG Bremen v. 5.3.2007 – Verg 4/2007. 3 So i. E. auch OLG München v. 7.8.2007 – Verg 8/07; KG v. 15.4.2002 – KartVerg 3/02, VergabeR 2002, 398; s. insofern zu der vergleichbaren Situation bei der Untätigkeitsklage nach § 75 VwGO Kothe in Redeker/v. Oertzen, VwGO, § 75 Rz. 11; a.A. VK Bund v. 9.4. 2001 – VK 1-7/01, VergR 2001, 238. 4 VK Baden-Württemberg v. 4.1.2010 – 1 VK 74/09. 5 Vgl. auch Dicks, ZfBR 2010, 235 (242).

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§ 160 | Einleitung, Antrag § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 alle drei in den vorangehenden Nummern behandelten Fälle. 80 Nicht einschlägig ist die Regelung in den Fällen, in denen es keiner Rüge be-

darf, vor allem also bei einer unzulässigen Direktvergabe (§ 160 Abs. 3 Satz 2, s. Rz. 63) oder im Vorfeld eines Vergabeverfahrens (s. Rz. 17 ff.). Dies gilt nach dem eindeutigen Gesetzeswortlaut auch dann, wenn zwar keine Rügeobliegenheit bestand, jedoch gleichwohl über die für das betreffende Unternehmen bestehende Obliegenheit hinausgehend dennoch eine Rüge erfolgt ist (z.B. wenn ein Unternehmen vor der Einreichung eines Nachprüfungsantrags gegenüber dem öffentlichen Auftraggeber gerügt hat, dass eine unzulässige Direktvergabe stattfinde). Selbst wenn der öffentliche Auftraggeber dem Unternehmen dazu mitteilt, dass er der Rüge nicht abhelfen will, ist § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 nicht einschlägig1. Denn § 160 Abs. 3 Satz 2 besagt ausdrücklich, dass in den Fällen, in denen es um die Feststellung der Unwirksamkeit des Vertrages nach § 135 Abs. 1 Nr. 2 geht, § 160 Abs. 3 Satz 1 nicht gilt. Allerdings kann nach einer Mitteilung des öffentlichen Auftraggebers, an einer aus Sicht des Unternehmens unzulässigen Direktvergabe festhalten zu wollen, eine Verwirkung des Anspruchs auf Nachprüfung in Betracht kommen (s. Rz. 90 ff.).

81 Der öffentliche Auftraggeber ist nicht verpflichtet, auf eine bei ihm eingehende

Rüge zu reagieren, insbesondere gegenüber dem rügenden Unternehmen eine Erklärung abzugeben. Es kann durchaus gute Gründe dafür geben, dies nicht zu tun. Vor allem kann dadurch ein etwaiges Nachprüfungsverfahren zu einem unpassenden Zeitpunkt vermeidbar sein2. Dem Auftraggeber soll also lediglich die Möglichkeit eingeräumt werden, eine Selbstkorrektur vorzunehmen. Davon muss er weder Gebrauch machen, noch muss er eine Erklärung dazu abgeben, warum und aus welchen Gründen dies nicht erfolgt. Erklärt der öffentliche Auftraggeber allerdings nicht gegenüber dem rügenden Unternehmen, dass er der Rüge nicht abhelfen will, greift auch die in § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 geregelte Rechtsfolge nicht.3 Auch eine Verwirkung des Anspruchs auf Nachprüfung für das betreffende Unternehmen scheidet dann ebenfalls regelmäßig aus (s. Rz. 92).

82 Ebenso wie sich eine (verspätete) Rüge immer auf den jeweiligen Vergaberechts-

verstoß bezieht, also nicht pauschal zur Zulässigkeit oder Unzulässigkeit eines Nachprüfungsantrags führt (s. Rz. 46), erstreckt sich auch § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 immer nur auf den jeweiligen Vergaberechtsverstoß und die betreffende Erklärung des öffentlichen Auftraggebers.4 Es ist daher bei mehreren Rügen für jeden einzelnen Verstoß gesondert festzustellen, ob und wann der öffentliche Auftraggeber mitgeteilt hat, einer Rüge nicht abhelfen zu wollen. Erfolgen die 1 2 3 4

OLG Düsseldorf v. 7.11.2012 – VII-Verg 11/12, NZBau 2013, 187. Vgl. Byok, NVwZ 2009, 551 (555); Dieckmann, AbfallR 2009, 82 (86). OLG München v. 29.9.2009 – Verg 12/09, VergabeR 2010, 238 (241). OLG Karlsruhe v. 8.1.2010 – 15 Verg 1/10.

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diesbezüglichen Erklärungen des Auftraggebers nicht zeitgleich, gelten für die verschiedenen Vergaberechtsverstöße gegebenenfalls unterschiedliche Fristen. Allerdings können dann, wenn das Nachprüfungsverfahren bereits anhängig ist, auch noch nicht gegenüber dem öffentlichen Auftraggeber gerügte Verstöße in dieses Verfahren eingeführt werden, sofern sie nicht bereits präkludiert sind. Einer gesonderten Rüge bedarf es in diesem Fall nicht (Rz. 68). Erst recht können die Vergaberechtsverstöße in das Verfahren einbezogen werden, die zwar gerügt wurden, zu denen jedoch durch den öffentlichen Auftraggeber keine Mitteilung gemäß § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 erfolgt ist. Erfolgte eine Mitteilung des Inhalts, dass der Rüge nicht abgeholfen werden soll, muss der betreffende Vergaberechtsverstoß binnen 15 Kalendertagen in das bereits laufende Nachprüfungsverfahren eingeführt werden, wenn er nicht präkludiert sein soll. Für die Fristberechnung sind § 31 Abs. 1 und Abs. 3 VwVfG i.V.m. § 187 83 Abs. 1 und § 188 Abs. 2 BGB maßgeblich1. Die Frist endet mit Ablauf des fünfzehnten Tages nach Zugang der Mitteilung bei dem betreffenden Unternehmen.2 Der Tag des Eingangs selbst zählt dabei nicht mit (zu Einzelheiten der Fristberechnung s. § 167 Rz. 7). Eine Verlängerung der Frist ist, auch wenn sie zwischen dem öffentlichen Auftraggeber und dem rügenden Unternehmen vereinbart wurde, unbeachtlich und führt nicht zur Zulässigkeit eines nach Fristablauf gestellten Nachprüfungsantrags. Dies ergibt sich neben dem klaren Gesetzeswortlaut auch daraus, dass die Fristenregelung des § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 nicht nur den öffentlichen Auftraggeber sondern auch die anderen an der Ausschreibung beteiligten Unternehmen schützen soll, vor allem das für die Zuschlagserteilung vorgesehene Unternehmen. Hinsichtlich der Form der Mitteilung bestehen keine besonderen Anforderun- 84 gen. Ebenso wie die Rüge selbst kann die Mitteilung daher schriftlich, mündlich oder auch elektronisch erfolgen (Rz. 72). Während für den Eingang und die Fristgemäßheit der Rüge das betreffende Unternehmen darlegungs- und beweispflichtig ist, liegt die Darlegungs- und Beweislast für den Eingang der Mitteilung beim öffentlichen Auftraggeber. Der Inhalt der Mitteilung kann sich auf die Erklärung beschränken, einer Rüge 85 nicht abhelfen zu wollen. Einer Begründung dafür bedarf es nicht. Jedoch muss die Erklärung als solche klar und unmissverständlich sein. Dementsprechend wird die Frist des § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 nicht ausgelöst, wenn insofern Unklarheiten verbleiben oder es sich gar um eine bloße Eingangsbestätigung, einen Zwischenbescheid o. ä. des öffentlichen Auftraggebers handelt. Anders als für die Entscheidung der Vergabekammer (§ 168 Abs. 3 Satz 3 i.V.m. 86 § 61, s. § 168 Rz. 73) ist für die Mitteilung gemäß § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 nicht 1 Dicks, ZfBR 2010, 339 (341); Wiese in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum Vergaberecht, § 160 Rz. 181, vgl. auch OLG Brandenburg v. 8.9.2008 – VK 33/09. 2 OLG Karlsruhe v. 8.1.2010 – 15 Verg 1/10.

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§ 160 | Einleitung, Antrag geregelt, ob es einer Rechtsbehelfsbelehrung des öffentlichen Auftraggebers bedarf, um die Rechtswirkungen des § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 auszulösen. Im Wortsinne handelt es sich bei § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 und der dort genannten Frist von 15 Kalendertagen nicht um eine Rechtsbehelfsfrist. Denn die Regelung bestimmt nicht, dass nach Ablauf dieser Frist ein Nachprüfungsantrag nicht mehr gestellt werden darf. Die Regelung beschränkt sich als reine Präklusionsvorschrift vielmehr darauf, dass die Vergaberechtsverstöße, die unter § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 fallen, in einem Nachprüfungsverfahren nicht mehr erfolgversprechend geltend gemacht werden können. Allerdings wird man im Hinblick auf die Effektivität des Rechtsschutzes sehen müssen, dass sich daraus vom praktischen Ergebnis her kaum Unterschiede ergeben1. Auch wenn dies für die Rügefristen gemäß § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 bis Nr. 3 in ähnlicher Weise gilt, wird lediglich bei der Erklärung zur Nichtabhilfe gemäß § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 eine Belehrung über die Nachprüfungsfrist verlangt, um die Präklusionswirkung eintreten zu lassen2, nicht jedoch für § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 bis 33. 87 Aus Gründen des nationalen Rechts einschließlich des nationalen Verfassungs-

rechts ist ein solches Verständnis an sich nicht notwendig. Denn weder aus dem 4. Teil des GWB selbst, noch aus dem allgemeinen Verwaltungsrecht, noch aus der Rechtsweggarantie des Art. 19 Abs. 4 GG oder aus dem Rechtsstaatsprinzip folgt eine solche Belehrungspflicht4. Eine Belehrungspflicht besteht nach nationalem Recht vielmehr nur dann, wenn sie einfachgesetzlich vorgeschrieben ist. Dies ist im Hinblick auf § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 bis Nr. 4 nicht der Fall.

88 Allerdings stützt sich die Rechtsprechung, die im Hinblick auf § 160 Abs. 3

Satz 1 Nr. 4 eine Belehrung fordert auch nicht auf die Vorgaben des nationalen Rechts sondern des Unionsrechts. Ziffer VI.4.3) des Standardformulars für die Auftragsvergabe (Anhang II. der Durchführungsverordnung (EU) 2015/1986), die gemäß Art. 1 der Verordnung die Verwendung der Standardformulare bindend vorschreibt, fordert, dass „genaue Angaben zu den Fristen für die Einlegung von Rechtsbehelfen“ zu machen sind. Entsprechendes ergibt sich etwa aus Anhang V, Teil B, II.13 der Richtlinie 2004/18/EG. Hält man daher die in § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 genannte Frist von 15 Kalendertagen für eine Rechtsbehelfsfrist, muss dies folglich auch Gegenstand der Vergabebekanntmachung sein5.Andernfalls kann der betreffende Vergaberechtsverstoß nicht aufgrund einer Präklusion bei späterem Vorbringen von der Vergabekammer unbeachtet 1 VK Bund v. 30.10.2009 – VK 2-180/09; Jaeger, NZBau 2009, 558 (562). 2 OLG Düsseldorf v. 12.6.2013 – Verg 7/13; OLG Brandenburg v. 13.9.2011 – Verg W 10/ 11; OLG Celle v. 4.3.2010 – 13 Verg 1/10. 3 OLG Koblenz v. 10.6.2010 – 1 Verg 3/10; OLG München v. 4.4.2008 – Verg 04/08. 4 S. etwa BVerwG v. 21.9.1972 – VII B 18.72, DVBl 1973, 313 (314); Czybulka/Kluckert in Sodan/Ziekow, Verwaltungsgerichtsordnung, § 58 Rz. 7; W.-R. Schenke in Kopp/Schenke, Verwaltungsgerichtsordnung, § 58 Rz. 2. 5 Dirkens, VergabeR 2013, 411 (412).

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bleiben1. Allerdings ist es auch unionsrechtlich nicht notwendig, eine bestimmte Rechtsbehelfsfrist zu nennen. Es genügen vielmehr genaue Hinweise in Bezug auf die Frist für die Einlegung von Rechtsbehelfen. Daher reicht es aus, in der Vergabebekanntmachung auf § 160 Abs. 3 hinzuweisen. Um vergleichbare Risiken, die bestehen, wenn man auch die sich aus § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 bis 3 ergebenden Fristen als Rechtsbehelfsfristen einordnet, zu vermeiden, empfiehlt es sich dabei, insgesamt auf die Fristenregelungen in § 160 Abs. 3 Satz 1 hinzuweisen, also nicht nur auf die sich aus Nr. 4 der Vorschrift ergebende Frist von 15 Kalendertagen. Im Hinblick auf § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 ist es darüber hinausgehend nicht erforderlich, in der Mitteilung über die Nichtabhilfe zu einer Rüge nochmals auf die Frist von 15 Kalendertagen hinzuweisen. Allerdings ist dies gleichwohl zulässig. Zudem kann eine solche Mitteilung die Präklusion gemäß § 130 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 in den Fällen bewirken, in denen auf die Frist nicht bereits in der Bekanntmachung hingewiesen wurde. Der Hinweis wird dann also in der Mitteilung über die Nichtabhilfe nachgeholt. Die Präklusionsregelung des § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 richtet sich in erster Linie 89 gegen das Unternehmen, dass eine Rüge erhoben hat und dem dazu durch den öffentlichen Auftraggeber mitgeteilt wurde, dass dieser nicht abgeholfen werden soll. Die Regelung gilt darüber hinaus jedoch auch gegenüber den anderen Unternehmen, die sich an einem Ausschreibungsverfahren beteiligen. Erforderlich ist allerdings, dass der öffentliche Auftraggeber den anderen Unternehmen den Inhalt der Rüge zur Kenntnis gibt und auch ihnen mitteilt, dass eine Abhilfe nicht beabsichtigt ist. In diesem Fall ist es zwar für die anderen Unternehmen, die selbst nicht gerügt haben, einerseits verzichtbar, noch eine eigene Rüge gegenüber dem öffentlichen Auftraggeber zu erheben (vgl. Rz. 70). Andererseits gilt dann für sie auch die Frist von 15 Kalendertagen gemäß § 169 Abs. 3 Satz 1 Nr. 42. bb) Verwirkung Aufgrund der Regelungen in § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 und § 135 hat die Frage, 90 ob ein Unternehmen sein Recht auf Nachprüfung verwirken kann, gegenüber der zuvor geltenden Rechtslage deutlich an Bedeutung verloren3. Zuvor spielte die Frage nicht selten eine erhebliche Rolle. Denn es existierte keine zeitliche Beschränkung, bis wann ein Nachprüfungsantrag gestellt werden kann. Die äußerste Grenze dabei war lediglich ein wirksamer Vertragsabschluss (§ 168 Abs. 2 Satz 1, s. dazu § 168 Rz. 30 ff.). Wegen der möglichen Unwirksamkeit einer unzulässigen Direktvergabe insbesondere aufgrund eines möglichen Verstoßes gegen § 138 BGB war selbst diese Begrenzung jedoch nicht eindeutig. Hierfür exis1 OLG Celle v. 12.5.2010 – 13 Verg 3/10; OLG Celle v. 4.3.2010 – 13 Verg 1/10, VergabeR 2010, 653; Dicks, ZfBR 2010, 235 (242); Lindenthal, VergabeR 2006, 1 (7). 2 Wiese in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum Vergaberecht, § 160 Rz. 195. 3 Noch weitergehend Wiese in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum Vergaberecht, § 160 Rz. 200.

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§ 160 | Einleitung, Antrag tiert nunmehr mit § 135 Abs. 2 eine klare Regelung). Daher ist eine Verwirkung des Rechts auf Nachprüfung nur noch in besonderen Ausnahmefällen denkbar. 91 Die Verwirkung eines Rechts leitet sich aus dem allgemeinen Grundsatz von

Treu und Glauben (§ 242 BGB) ab. Danach kommt eine Verwirkung in Betracht, wenn der Berechtigte ein ihm zustehendes Recht über längere Zeit nicht geltend gemacht und der Verpflichtete sich darauf eingerichtet hat und nach dem gesamten Verhalten des Berechtigten einrichten durfte, dass dieses Recht auch in Zukunft nicht geltend machen wird.1 Mit der Verwirkung soll die illoyal verspätete Geltendmachung von Rechten gegenüber dem Verpflichteten ausgeschlossen werden. Dabei ist das Verhalten des Berechtigten nach objektiven Gesichtspunkten zu beurteilen. Auf die subjektive Willensrichtung des Berechtigten kommt es nicht an. Verwirkung kann daher auch gegen den Willen des Berechtigten und selbst dann eintreten, wenn der Berechtigte keine Kenntnis von seiner Berechtigung hat. Hierin kommt der rechtliche Unterschied zwischen der Verwirkung und einem stillschweigenden Verzicht zum Ausdruck2.

92 Erfolgt eine Rüge durch ein Unternehmen, kann dessen Anspruch auf Nach-

prüfung vor diesem Hintergrund in aller Regel nicht verwirken. Der öffentliche Auftraggeber ist zwar nicht verpflichtet, auf diese Rüge zu reagieren (s. Rz. 81). Gegebenenfalls kann dies zur Vermeidung eines Nachprüfungsverfahrens durchaus auch sinnvoll sein, da eine Mitteilung gemäß § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 das betreffende Unternehmen dazu zwingt, entweder auf die betreffende Beanstandung zu verzichten oder aber innerhalb von 15 Kalendertagen ein Nachprüfungsverfahren einzuleiten. Dies kann die Fortsetzung eines Vergabeverfahrens aus Sicht eines öffentlichen Auftraggebers zur Unzeit blockieren. Allerdings führt das Absehen von einer Mitteilung gemäß § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 zwangsläufig dazu, dass der öffentliche Auftraggeber nicht damit rechnen darf, dass ein Nachprüfungsantrag nicht mehr gestellt wird. Er muss damit vielmehr bis zum Abschluss des Vergabeverfahrens jederzeit noch damit rechnen. Ein Vertrauen darauf, dass dies nicht erfolgt, kann sich in der Regel nicht bilden. Möchte der öffentliche Auftraggeber dies Risiko vermeiden, steht ihm die Möglichkeit der Mitteilung gemäß § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 offen. Nutzt er sie nicht, kann er sich gegenüber dem Unternehmen nicht auf eine Verwirkung, also auf die treuwidrige Einleitung eines Nachprüfungsverfahrens berufen.

93 Entsprechende Überlegungen gelten bei einer unzulässigen Direktvergabe. De-

ren Unwirksamkeit kann vor der Vergabekammer gemäß § 135 Abs. 2 nur bin-

1 OLG Brandenburg v. 15.9.2009 – Verg W 13/08; OLG Dresden v. 23.4.2009 – WVerg 11/ 08, VergabeR 2010, 106 (108). 2 S. etwa OLG Karlsruhe v. 13.6.2008 – 15 Verg 3/08, NZBau 2008, 537 (540); ähnlich OLG Celle v. 29.10.2009 – 13 Verg 8/09; OLG Naumburg v. 3.9.2009 – 1 Verg 4/09, VergabeR 2009, 933 (940); OLG Düsseldorf v. 30.4.2008 – VII Verg 23/08; OLG Dresden v. 11.9. 2003 – WVerg 7/03, NZBau 2004, 352; OLG Frankfurt/Main v. 7.9.2004 – 11 Verg 11/04, NZBau 2004, 692; Wagner/Görs, NVwZ 2007, 900 (902).

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Einleitung, Antrag | § 160

nen 30 Kalendertagen ab Kenntnis des Verstoßes, jedoch nicht später als sechs Monate nach Vertragsschluss geltend gemacht werden. Die Kenntnisnahme kann der öffentliche Auftraggeber dadurch erreichen, dass er den Vertragsschluss im Amtsblatt der Europäischen Union bekannt macht (§ 135 Abs. 2 Satz 2). Macht er dies nicht, muss er bis sechs Monate nach dem Vertragsschluss noch mit einem auf Feststellung der Unwirksamkeit des Vertrages gerichteten Nachprüfungsverfahren rechnen. Ein schutzwürdiges Vertrauen besteht in diesem Fall nicht. Erfolgt die Bekanntmachung, ergibt sich aus der gesetzlichen Wertung des § 135 Abs. 2 Satz 1, dass eine Verwirkung in aller Regel ausscheidet, der öffentliche Auftraggeber also bis 30 Kalendertage nach der Bekanntmachung oder sonstigen Kenntnisnahme durch ein Unternehmen noch mit einem Nachprüfungsantrag rechnen muss, ohne dass dieser Antrag als Verstoß gegen den Grundsatz von Treu und Glauben angesehen werden kann. Etwas anderes kommt in den Fällen in Betracht, in denen das betreffende Unter- 94 nehmen ausdrücklich oder jedenfalls stillschweigend gegenüber dem öffentlichen Auftraggeber erklärt hat, ein Nachprüfungsverfahren nicht einleiten zu wollen oder dies durch die Rücknahme von erhobenen Rügen (s. Rz. 47) zum Ausdruck gebracht hat. Dabei handelt es sich allerdings der Sache nach in der Regel nicht um einen Fall der Verwirkung des Antragsrechts, sondern um einen diesbezüglichen Verzicht (vgl. Rz. 91). 7. Unzulässigkeit eines Nachprüfungsantrags wegen Rechtsmissbrauchs Unabhängig davon, ob ein Unternehmen vermeintliche Vergaberechtsverstöße 95 rechtzeitig gerügt hat und auch unabhängig von einer etwaigen Verwirkung kann ein Nachprüfungsantrag auch deshalb unzulässig sein, weil er rechtsmissbräuchlich gestellt wurde. Ein Rechtsmissbrauch liegt insbesondere in den Fällen des § 180 Abs. 2 vor (s. § 180 Rz. 7 ff.). Dazu gehört auch der Fall, dass ein Nachprüfungsantrag in der Absicht gestellt wird, ihn später gegen Geld oder andere Vorteile zurückzunehmen1. Allerdings kommt es hier maßgeblich immer auf die konkreten Umstände des 96 Einzelfalls an. So ist es nicht rechtsmissbräuchlich, wenn zunächst ohne Missbrauchsabsicht ein Nachprüfungsantrag gestellt wurde und sich die Parteien im Rahmen des Verfahrens sodann zur Vermeidung einer streitigen Entscheidung und für die Wiederherstellung des Rechtsfriedens einvernehmlich verständigen, ggf. also auch dahingehend, dass Antragsteller und Beigeladener bei der Auftragsdurchführung kooperieren o. ä. Die Beweislast dafür, dass ein Nachprüfungsantrag rechtsmissbräuchlich gestellt wurde, liegt bei demjenigen, der sich darauf beruft, regelmäßig also beim öffentlichen Auftraggeber oder ggf. auch einem dem Verfahren beigeladenen Unternehmen. Im Zweifel ist davon auszugehen, dass ein Fall des Rechtsmissbrauchs nicht vorliegt. 1 OLG Düsseldorf v. 14.5.2008 – Verg 27/08, ZfBR 2008, 820.

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§ 161 | Form, Inhalt 8. Rügeobliegenheit und Angebotsabgabe 97 Ein Unternehmen ist ungeachtet der Rüge eines (vermeintlichen) Vergabe-

rechtsverstoßes nicht daran gehindert, ein Angebot oder eine Bewerbung abzugeben (zu der Frage, ob es notwendig ist, ein Angebot abzugeben, um einen Nachprüfungsantrag zu stellen. s. Rz. 26)1. Dies ist mit Blick auf die Antragsbefugnis für ein späteres Nachprüfungsverfahren nicht treuwidrig2. Denn für den Fall, dass der Vergaberechtsverstoß nach Auffassung der Vergabekammer nicht vorliegt, muss das Unternehmen gleichwohl in der Lage sein, ein fristgerechtes Angebot oder eine Bewerbung einzureichen. Allerdings kann es in solchen Fällen durchaus sein, dass die Antragsbefugnis aus anderen Gründen fehlt. Rügt das betreffende Unternehmen etwa eine zu kurze Angebotsfrist, hat es aber gleichwohl ein Angebot abgegeben, kann es an einem entstandenen oder drohenden Schaden i.S.v. § 160 Abs. 2 Satz 2 fehlen (vgl. Rz. 35 ff.).

§ 161 Form, Inhalt (1) Der Antrag ist schriftlich bei der Vergabekammer einzureichen und unverzüglich zu begründen. Er soll ein bestimmtes Begehren enthalten. Ein Antragsteller ohne Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt, Sitz oder Geschäftsleitung im Geltungsbereich dieses Gesetzes hat einen Empfangsbevollmächtigten im Geltungsbereich dieses Gesetzes zu benennen. (2) Die Begründung muss die Bezeichnung des Antragsgegners, eine Beschreibung der behaupteten Rechtsverletzung mit Sachverhaltsdarstellung und die Bezeichnung der verfügbaren Beweismittel enthalten sowie darlegen, dass die Rüge gegenüber dem Auftraggeber erfolgt ist; sie soll, soweit bekannt, die sonstigen Beteiligten benennen. I. 1. 2. II.

Einführung Inhaltsübersicht . . . . . . . . . . . . Entstehungsgeschichte . . . . . . . Formelle Mindestanforderungen (§ 161 Abs. 1) 1. Schriftform, ergänzende Anwendung des Verwaltungsverfahrensgesetzes . . . . . . . . . . 2. Zuständigkeit, Verweisung durch die angerufene Vergabekammer .

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_ _ 3 6

3. Sonstige verfahrensrechtliche Bestimmungen . . . . . . . . . . 4. Pflicht zur unverzüglichen Begründung . . . . . . . . . . . . 5. Bestimmtes Begehren . . . . . 6. Benennung eines Empfangsbevollmächtigten . . . . . . . . III. Antragsbegründung (§ 161 Abs. 2) . . . . . . . . . . 1. Antragsgegner . . . . . . . . . .

... ... ... ... ... ...

_ __ _ __ 14 15 18 20 21 22

1 BGH v. 10.11.2009 – X ZB 8/09; Wiese in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum Vergaberecht, § 160 Rz. 133; Leinemann, Die Vergabe öffentlicher Aufträge, Rz. 1640; Byok in Byok/Jaeger, Kommentar zum Vergaberrecht, § 107 Rz. 104. 2 BGH v. 10.11.2009 – X ZB 8/09; KG v. 18.3.2010 – 2 Verg 12/09.

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2. Sachverhaltsdarstellung, Rechtsverletzung . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Bezeichnung der verfügbaren Beweismittel . . . . . . . . . . . . . .

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Form, Inhalt | § 161 4. Darlegung der rechtzeitigen Rüge 5. Benennung sonstiger Beteiligter . IV. Folgen von Verstößen bei formellen Anforderungen . . . .

__ _ 32 34 36

I. Einführung 1. Inhaltsübersicht § 161 Abs. 1 bestimmt die formalen Anforderungen an den Nachprüfungs- 1 antrag. Abs. 2 der Vorschrift regelt die inhaltlichen Mindestanforderungen, die an die Antragsbegründung zu stellen sind. 2. Entstehungsgeschichte § 161 ist seit seinem erstmaligen Inkrafttreten mit dem Vergaberechtsänderungs- 2 gesetz 1998 (Einleitung Rz. 4 ff.) unverändert geblieben. Lediglich durch das VergaberechtsmodernisierungsG 2016 (Einleitung Rz. 10 f.) wurde die Überschrift geändert, um klarzustellen, dass § 161 nicht nur Vorgaben zur Form, sondern auch zum Inhalt enthält.1 In der Begründung zum Regierungsentwurfs des Vergaberechtsänderungsgesetzes 19982 wurde darauf hingewiesen, dass sich die Vorschrift an entsprechenden Regelungen für den Inhalt von Klageschriften (vgl. § 253 Abs. 2 ZPO, § 82 VwGO) orientiere. Die Festlegung des Mindestinhalts der Begründung in der Antragsschrift diene der Beschleunigung des Nachprüfungsverfahrens. Entsprechendes gelte für die anderen in der Vorschrift genannten Anforderungen. Eine Verletzung mache den Antrag unzulässig, soweit es nicht nur um Sollbestimmungen gehe.

II. Formelle Mindestanforderungen (§ 161 Abs. 1) 1. Schriftform, ergänzende Anwendung des Verwaltungsverfahrensgesetzes § 161 Abs. 1 orientiert sich hinsichtlich der Formvorschriften an den entsprechen- 3 den Regelungen für den Inhalt von Klageschriften im Verwaltungsprozess (§ 82 VwGO) und im Zivilprozess (§ 253 ZPO; s. Rz. 2). Ungeachtet dessen handelt es sich jedoch gleichwohl um einen Antrag an eine Verwaltungsbehörde, so dass für den Antrag über die ausdrücklichen vergaberechtlichen Anforderungen hinausgehend nicht die verwaltungs- oder zivilprozessualen Anforderungen gelten, sondern die Bestimmungen der Verwaltungsverfahrensgesetze des Bundes und der Länder (§ 160 Rz. 6 ff.). Soweit allerdings die spezialgesetzlichen Bestimmungen 1 BT-Drucks. 18/6281. 2 BT-Drucks. 13/9340.

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§ 161 | Form, Inhalt des GWB sich inhaltlich mit den prozessualen Regelungen in der Verwaltungsgerichtsordnung und der Zivilprozessordnung decken, kann die diesbezügliche Rechtsprechung und Literatur zumindest zur Auslegung herangezogen werden. 4 § 161 Abs. 1 Satz 1 regelt für den Nachprüfungsantrag ausdrücklich die Schrift-

form. Der Antrag kann also abweichend von § 22 VwVfG nicht mündlich oder zur Niederschrift bei der Vergabekammer gestellt werden1. Der Antrag ist grundsätzlich in deutscher Sprache einzureichen. Ansonsten kann die Vergabekammer eine Übersetzung verlangen, ggf. auch auf Kosten des Antragstellers selbst eine Übersetzung beschaffen (§ 23 Abs. 1 und 2 VwVfG). Ein in anderer Sprache eingereichter Antrag führt also – mangels entsprechender Regelung – nicht zu dessen Unzulässigkeit, verzögert jedoch den Verfahrensfortgang und damit insbesondere die Sicherstellung des Zuschlagsverbotes gemäß § 169 Abs. 12. Das Schriftformerfordernis bedeutet im Weiteren, dass der Nachprüfungsantrag durch den Antragsteller bzw. einen seiner Vertreter oder einen durch ihn Bevollmächtigten in der Regel handschriftlich unterschrieben sein muss3. Eine Vollmacht muss dem Antrag nicht beigefügt sein. Sie ist nur auf Verlangen der Vergabekammer nachzuweisen (§ 14 Abs. 1 Satz 3 VwVfG).

5 Eine Ausnahme vom Unterschriftserfordernis kommt dann in Betracht, wenn

aus der Antragsschrift oder den ihr beigefügten Unterlagen eindeutig und unmissverständlich erkennbar ist, dass der Antrag von dem antragstellenden Unternehmen herrührt (Urheberschaft) und mit dessen Willen an die Vergabekammer gelangt ist (Verkehrswille). Dies ist etwa dann in Betracht zu ziehen, wenn ein dem Antrag beigefügtes Anschreiben oder Begleitschreiben handschriftlich unterzeichnet ist4. Auch kann die Unterschrift gegebenenfalls auf Nachfrage der Vergabekammer hin nachgeholt werden5. Die Art der Übermittlung eines Nachprüfungsantrags an die Vergabekammer ist unerheblich. Er kann also insbesondere persönlich oder durch Boten übergeben oder per Post oder per Telefax bei der Vergabekammer eingehen6.

1 Heuvels in Loewenheim/Meessen/Riesenkampff, Kartellrecht, § 108 Rz. 2; Schweda in Langen/Bunte, Kommentar zum deutschen und europäischen Kartellrecht, § 109 Rz. 2. 2 A.A. Nowak in Plünder/Schellenberg, Vergaberecht, § 108 Rz. 7; Möllenkamp in Kulartz/ Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum Vergaberecht, § 161 Rz. 10, der auf § 184 GVG abstellt, nach dem die Gerichtssprache – ausnahmslos – deutsch ist. 3 OLG Dresden v. 16.10.2001 – WVerg 0007/01, ZfBR 2002, 298; Möllenkamp in Kulartz/ Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum Vergaberecht, § 161 Rz. 8 f.; Heuvels in Loewenheim/ Meessen/Riesenkampff, Kartellrecht, § 108 Rz. 2; Dreher in Immenga/Mestmäcker, GWB, § 108 Rz. 3. 4 OLG Düsseldorf v. 18.7.2001 – Verg 16/01, VergabeR 2001, 419. 5 OLG Dresden v. 16.10.2001 – WVerg 0007/01, ZfBR 2002, 298; Möllenkamp in Kulartz/ Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum Vergaberecht, § 161 Rz. 13. 6 Dreher in Immenga/Mestmäcker, GWB, § 108 Rz. 3; Byok in Byok/Jaeger, Kommentar zum Vergaberecht, § 108 Rz. 2; Möllenkamp in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum Vergaberecht, § 161 Rz. 11.

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Form, Inhalt | § 161

2. Zuständigkeit, Verweisung durch die angerufene Vergabekammer Der Antrag ist bei der Vergabekammer einzureichen. Eine Einreichung bei 6 dem öffentlichen Auftraggeber, der das Vergabeverfahren durchführt, genügt also nicht1. Ebenfalls muss es sich um die im konkreten Fall zuständige Vergabekammer handeln, um die Zulässigkeit des Nachprüfungsantrags herbeizuführen. Dies ist von Amts wegen durch die Vergabekammer zu prüfen. Eine unzutreffende Angabe in der Vergabebekanntmachung entfaltet insofern keine Bindungswirkung (s. § 159 Rz. 27 f.).2 Ist die Vergabekammer unzuständig, muss sie gleichwohl einen bei ihr eingehenden Nachprüfungsantrag entgegennehmen (§ 24 Abs. 3 VwVfG). Sie darf dies also nicht unter Verweis auf ihre tatsächliche oder vermeintliche Unzuständigkeit verweigern. Allerdings sind in diesem Zusammenhang die verschiedenen Fälle einer möglichen Verweisung in den Blick zu nehmen. Hierbei ist wie folgt zu differenzieren: Hält sich die angerufene Vergabekammer zu Unrecht für zuständig und ent- 7 scheidet über den Nachprüfungsantrag, hat es dabei, außer bei einer rechtlich unhaltbaren Annahme der Zuständigkeit, sein Bewenden. Eine sofortige Beschwerde (§§ 172 ff.) kann daher nicht allein auf die fehlende örtliche Zuständigkeit der Vergabekammer gestützt werden3. Hält sich die angerufene Vergabekammer für örtlich oder sachlich unzuständig, 8 kommt eine Verweisung an eine andere Vergabekammer in Betracht, die die angerufene Kammer für zuständig hält. Da es sich bei der angerufenen Vergabekammer nicht um ein Gericht sondern um eine Behörde handelt, scheidet eine Verweisung unter unmittelbarer Heranziehung des § 83 VwGO, § 17a Abs. 2 GVG jedoch aus4. Das Verwaltungsverfahrensrecht selbst regelt lediglich eine Beratungs- und Auskunftspflicht gegenüber dem Antragsteller (§ 25 VwVfG), nicht hingegen die Zulässigkeit einer Verweisung. Gleichwohl ist die Möglichkeit der Verweisung im Vergabenachprüfungsverfahren – auch Landesgrenzen überschreitend oder von bzw. an die Vergabekammern des Bundes – anerkannt5. Dem steht insbesondere nicht der Beschleunigungsgrundsatz des § 167 entgegen. Im Gegenteil spricht das Gebot der Beschleunigung eher für als gegen eine Verweisungsmöglichkeit. Denn würde ein Nachprüfungsantrag wegen der 1 Dreher in Immenga/Mestmäcker, GWB, § 108 Rz. 5. 2 S. etwa OLG Schleswig v. 28.6.2016 – 54 Verg 2/16, VergabeR 2017, 68; VK Baden-Württemberg v. 16.5.2013 – 1 VK 12/13, ZfBR 2013, 680. 3 OLG Schleswig v. 28.6.2016 – 54 Verg 2/16, VergabeR 2017, 68. 4 OLG München v. 26.11.2008 – Verg 21/08; VK Sachsen v. 19.12.2008 – 1/SVK/064-08. 5 OLG Schleswig v. 28.6.2016 – 54 Verg 2/16, VergabeR 2017, 68; OLG Dresden v. 26.6. 2012 – Verg 3/12; OLG München v. 26.11.2008 – Verg 21/08; OLG Bremen v. 17.8.2000 – Verg 2/00; VK Sachsen v. 19.12.2008 – 1/SVK/064-08; Ohlerich in Kulartz/Kus/Portz/ Prieß, Kommentar zum Vergaberecht, § 159 Rz. 30; Weyand, IBR-online-Kommentar, Vergaberecht, § 114 Rz. 19; Jennert in Müller-Wrede, Kompendium des Vergaberechts, Kap. 27, Rz. 76.

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§ 161 | Form, Inhalt (vermeintlichen) Unzuständigkeit der angerufenen Vergabekammer abgelehnt, wäre im Zweifelsfall damit zu rechnen, dass – ggf. erst nach einem Beschwerdeverfahren – ein erneuter Nachprüfungsantrag bei der tatsächlich zuständigen Vergabekammer eingereicht würde. Im Zweifel würde dies eher zu einer Verschleppung des gesamten Verfahrens und damit auch des Zuschlagsverbotes gemäß § 169 Abs. 1 führen als zu einer Beschleunigung. 9 Hält sich die Vergabekammer, an die das Nachprüfungsverfahren verwiesen

wurde, ihrerseits für unzuständig, stellt sich die Frage nach der Bindungswirkung einer erfolgten Verweisung. Eine solche könnte sich aus § 17a Abs. 2 GVG ergeben, dessen unmittelbare Anwendung jedoch ausscheidet. Für eine Bindungswirkung in entsprechender Anwendung dieser Bestimmung spricht der Grundsatz der Beschleunigung gem. § 167. Denn jede Rück- oder Weiterverweisung des Antrags würde zu einer erneuten Verzögerung des Nachprüfungsverfahrens führen. Daher ist es geboten die Verweisungsmöglichkeiten im Interesse einer zügigen Beendigung des Nachprüfungsverfahrens zu begrenzen und einer erfolgten Verweisung Bindungswirkung zuzusprechen1.

10 Aus den gleichen Gründen scheiden gesonderte Rechtsmittel gegen einen Ver-

weisungsbeschluss, insbesondere in Form eines etwaigen Zwischenverfahrens, in der Regel aus. Es wäre mit dem Beschleunigungsgrundsatz des § 167 unvereinbar, wenn in einem zeitaufwendigen Zwischenverfahren zunächst die Zuständigkeit der Vergabekammer geprüft werden müsste, bevor in der Sache entschieden werden kann (vgl. § 44a VwGO)2. Die Rechtsprechung lässt eine Anfechtung der Verweisung daher lediglich in den Fällen zu, in denen sie offensichtlich willkürlich erfolgt ist3. Nur dann ist dementsprechend auch eine Beschwerde an den Vergabesenat möglich, die sich gegen die Verweisung richtet. In diesen – seltenen – Fällen wird der Verweisung auch die sonst gegebene Bindungswirkung (Rz. 9) abgesprochen4. Daher ist dann auch eine Weiter– oder Rückverweisung möglich. In allen anderen Fällen kann die Fehlerhaftigkeit der Verweisung nur im Rahmen einer Beschwerde gegen die Sachentscheidung der 1 So i.E. auch OLG Jena v. 16.7.2007 – 9 Verg 4/07, VergabeR 2008, 269; VK Bund v. 26.3. 2009 – VK 3-43/09; VK Bund v. 29.1.2009 – VK 3-200/08; VK Bund v. 9.5.2007 – VK 126/07; VK Bund v. 8.6.2006 – VK 2 114/06, VergabeR 2007, 100 (106 f.); Ohlerich in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum Vergaberecht, § 159 Rz. 31; Weyand, IBR-online-Kommentar, Vergaberecht, § 114 Rz. 290 f. 2 OLG Schleswig v. 28.6.2016 – 54 Verg 2/16, VergabeR 2017, 68; OLG Dresden v. 26.2. 2012 – Verg 3/12; OLG Düsseldorf v. 19.12.2007 – Verg 51/07; OLG Düsseldorf v. 18.1. 2005 – VII Verg 104/04; LSG Nordrhein-Westfalen v. 28.4.2009 – L 21 KR 40/09 SFB; VK Baden-Württemberg v. 19.12.2008 – 1 VK 67/08; VK Sachsen v. 19.12.2008 – 1/SVK/ 064-08; Weyand, IBR-online-Kommentar, Vergaberecht, § 116 Rz. 30. 3 LSG Nordrhein-Westfalen v. 28.4.2009 – L 21 KR 40/09 SFB. 4 OLG Jena v. 16.7.2007 – 9 Verg 4/07, VergabeR 2008, 269; VK Bund v. 26.3.2009 – VK 343/09; VK Bund v. 23.1.2009 – VK 3-194/08; Ohlerich in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum Vergaberecht, § 159 Rz. 30.

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Form, Inhalt | § 161

Vergabekammer geltend gemacht werden, an die das Nachprüfungsverfahren verwiesen wurde (vgl. § 44a VwGO). Vielfach führt sie dann nur zu einem unbeachtlichen Verfahrensfehler (§ 46 VwVfG; zur Entscheidung durch eine unzuständige Vergabekammer s. § 159 Rz. 8)1. Eine Verweisung durch die Vergabekammer an ein Gericht (z.B. bei einer Auf- 11 tragsvergabe unterhalb der Schwellenwerte) kommt nicht in Betracht. Eine (auch nur analoge) Anwendung des § 83 VwGO i.V.m. § 17a Abs. 2 GVG scheidet aus.2 Denn zum einen ist die Vergabekammer als Verwaltungsbehörde nicht Normadressat dieser Bestimmungen, zum anderen würde eine entsprechende Anwendung nur die Verweisung an eine andere Vergabekammer erlauben (Rz. 8 f.), nicht hingegen an ein Gericht. Denn es ist nicht ersichtlich, dass eine gewaltenübergreifende Zuweisung von Verfahren durch Exekutivorgane an die Gerichte ermöglicht werden sollte. Auch der Beschleunigungsgrundsatz des § 167 vermag eine Verweisung durch die Vergabekammer an ein Gericht nicht zu rechtfertigen, da dieser nicht gilt, wenn der Rechtsweg zu den Vergabekammern gar nicht eröffnet ist.3 Ebenso scheidet im umgekehrten Fall die Verweisung von einem Gericht an 12 eine Vergabekammer aus. Auch hier kommt eine analoge Anwendung von § 17a Abs. 2 GVG nicht in Betracht.4 Beabsichtigt die Vergabekammer ein bei ihr angestrengtes Nachprüfungsverfah- 13 ren an eine andere Vergabekammer zu verweisen, sind die Beteiligten vorher anzuhören. Dies ergibt sich bereits aus § 28 Abs. 1 VwVfG sowie ganz allgemein aus den Anforderungen, die für ein rechtsstaatliches Verfahren gelten (s. auch Rz. 37 f.). Ein die Vergabekammer bindendes Widerspruchsrecht steht den Beteiligten jedoch nicht zu. Zudem führt der etwaige Verstoß gegen die Pflicht zur Anhörung in der Regel nicht zu besonderen Rechtsfolgen, sofern die Verweisung nicht offensichtlich willkürlich erfolgt ist und schon aus diesem Grunde keine Bindungswirkung erzeugt (s. Rz. 10). 3. Sonstige verfahrensrechtliche Bestimmungen Soweit nicht ausdrücklich etwas anderes bestimmt ist, gelten die Vorschriften 14 des Verwaltungsverfahrensrechts, wie etwa die Regelung der für das Verfahren maßgeblichen Amtssprache (§ 23 VwVfG) oder die Regelung zur Vertretung 1 OLG Düsseldorf v. 19.12.2007 – Verg 51/07. 2 VK Brandenburg v. 10.2.2003 – VK 80/02; Weyand, IBR-online-Kommentar, Vergaberecht, § 114 Rz. 16. 3 OVG Weimar v. 18.11.2004 – 2 EO 1329/04, NVwZ 2005, 235; VG Frankfurt/Oder v. 20.2.2009 – 4 L 186/08. 4 OLG Celle v. 4.5.2001 – 13 Verg 5/00, VergabeR 2001, 325; VG Köln v. 29.8.2008 – 7 L 1205/08; VK Baden-Württemberg v. 26.1.2007 – 1 VK 82/06; VK Brandenburg v. 10.2. 2003 – VK 80/02; Weyand, IBR-online-Kommentar, Vergaberecht, § 114 Rz. 16.

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§ 161 | Form, Inhalt durch Bevollmächtigte und Beistände gemäß § 14 VwVfG1. Wie in anderen Verwaltungsverfahren auch, besteht anders als in dem Verfahren der sofortigen Beschwerde gemäß den §§ 170 ff. kein Anwaltszwang2. 4. Pflicht zur unverzüglichen Begründung 15 Während sich aus § 161 Abs. 2 die Anforderungen an den Inhalt der Begrün-

dung eines Nachprüfungsantrages ergeben (Rz. 21), regelt § 161 Abs. 1 die Unverzüglichkeit der Begründung. Unverzüglich ist dabei nach allgemeinem Verständnis so zu verstehen, dass die Begründung ohne schuldhaftes Zögern erfolgen muss (vgl. § 121 Abs. 1 Satz 1 BGB). Die früher bei § 107 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 a.F. bestehenden unionsrechtlichen Bedenken (§ 160 Rz. 5) sind hier nicht einschlägig. Denn bei unionsrechtskonformer Auslegung geht es hier allein darum, dass der Nachprüfungsantrag nicht bereits bei Einreichung begründet werden muss, sondern eine (ergänzende) Begründung auch noch nachgereicht werden darf. Zudem muss sich die Begründung nur auf Sachverhaltsangaben beziehen, nicht auf Rechtsausführungen (Rz. 24). Hinzu kommt der gemäß § 163 geltende Untersuchungsgrundsatz.

16 Die Unverzüglichkeit bezieht sich auf den Mindestinhalt der Antragsbegrün-

dung gemäß Abs. 2. In der Regel führt dies dazu, dass die Begründung bereits weitestmöglich in der Antragsschrift enthalten sein muss3. Anders kann dies nur dann sein, wenn dem antragstellenden Unternehmen bestimmte Informationen nicht oder noch nicht vorliegen. In diesem Fall muss die Begründung nachgeholt bzw. ergänzt werden, sobald es dem Antragsteller möglich ist. Dies gilt vor allem für in der Antragsschrift noch nicht geltend gemachte Rechtsverletzungen, die sich erst aus der Akteneinsicht (§ 165) ergeben haben. Rechtsausführungen dürfen hingegen bis zur Entscheidung der Vergabekammer jederzeit erfolgen (s. dazu noch Rz. 24 sowie § 167 Rz. 26 ff.).

17 Auch wenn die Anforderungen an die Antragsschrift selbst, insbesondere auch

im Hinblick auf die Möglichkeit zur späteren Vertiefung des Sach- und Rechtsvortrags nach erfolgter Akteneinsicht, nicht überspannt werden dürfen4, muss die in der Antragsschrift selbst enthaltene Begründung bereits so umfassend sein, dass die Vergabekammer prüfen kann, ob der Antrag offensichtlich un-

1 Vgl. auch OLG Düsseldorf v. 13.4.1999 – Verg 1/99, BauR 1999, 751 (759). 2 Möllenkamp in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum Vergaberecht, § 161 Rz. 9; Schweda in Langen/Bunte, Kommentar zum deutschen und europäischen Kartellrecht, § 108 Rz. 4. 3 Schweda in Langen/Bunte, Kommentar zum deutschen und europäischen Kartellrecht, § 108 Rz. 5; Heuvels in Loewenheim/Meessen/Riesenkampff, Kartellrecht, § 108 Rz. 2. 4 OLG München v. 7.8.2007 – Verg 8/07, ZfBR 2007, 718; VK Südbayern v. 11.2.2009 – Z33-3194-1-01-01/09; VK Brandenburg v. 7.4.2008 – VK 7/08; Möllenkamp in Kulartz/Kus/ Portz/Prieß, Kommentar zum Vergaberecht, § 161 Rz. 23.

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zulässig oder unbegründet ist (s. § 163 Rz. 20 ff.)1. Ansonsten erfolgt keine Information des Auftraggebers gemäß § 169 Abs. 1, so dass es nicht zu einem Zuschlagsverbot kommt. Dementsprechend ist dann auch eine Akteneinsicht bei der Vergabekammer gemäß § 165 nicht möglich. Ein Unternehmen kann also nicht einen vollständig unbegründeten Antrag ins Blaue hinein stellen, um anlässlich einer etwaigen Akteneinsicht festzustellen, ob unter Umständen eine Verletzung von Rechten i.S.v. § 97 Abs. 6 (dazu § 97 Rz. 106 ff.) vorliegen könnte2. Allerdings dürfen auch hierbei keine allzu strengen Anforderungen gestellt werden. Zwar reichen pauschale und unsubstantiierte Behauptungen ohne jedwede Grundlage nicht aus, zumal auch die Untersuchungspflicht der Vergabekammer gemäß § 163 Abs. 1 nicht nur einen formal zulässigen Nachprüfungsantrag voraussetzt, sondern auch ein Mindestmaß an substantiierten Sachvortrag erfordert (s. § 163 Rz. 8 f.). Jedoch ist immer auch zu berücksichtigen, dass die an einem Nachprüfungsverfahren beteiligten Unternehmen oftmals nur sehr begrenzte Kenntnis von möglichen Vergaberechtsverstößen haben und auch nur haben können3. Grund hierfür ist insbesondere, dass das Vergabeverfahren zwischen den Bietern als Geheimwettbewerb ausgestaltet ist4. Gemäß § 55 Abs. 2 Satz 2 VgV findet die Angebotsöffnung ohne Beteiligung der Bieter statt. Sie haben daher in der Regel nicht einmal Kenntnis davon, wie ihr Angebot im Vergleich zu den Angeboten ihrer Wettbewerber positioniert ist. Dies spricht bereits im Hinblick auf die notwendige Effektivität des Rechtsschutzes und die notwendige Transparenz von Vergabeverfahren für eine eher großzügige Möglichkeit zur Akteneinsicht (s. § 165 Rz. 3 ff.), erst recht aber dafür, im Hinblick auf Unverzüglichkeit und Umfang der Antragsbegründung einen großzügigen Maßstab anzulegen. Dies gilt vor allem dann, wenn eine ggf. bereits erfolgte Information des öffentlichen Auftraggebers gemäß § 134 Abs. 1 nur sehr knapp und wenig aussagekräftig erfolgt ist, so wie dies in der Vergabepraxis häufig anzutreffen ist. Insofern korrespondieren Informationen des öffentlichen Auftraggebers einerseits und Anforderungen an den Begründungsinhalt eines Nachprüfungsantrags andererseits. Bei einer nur spärlichen Information der Bieter kann nur ein eher spärlich begründeter Nachprüfungsantrag erwartet 1 S. etwa VK Brandenburg v. 7.4.2008 – VK 7/08; Heuvels in Loewenheim/Meessen/Riesenkampff, Kartellrecht, § 108 Rz. 5; Jennert in Müller-Wrede, Kompendium des Vergaberechts, Kap. 27, Rz. 82. 2 OLG Saarbrücken v. 20.4.2016 – 1 Verg 1/16, VergabeR 2016, 639; OLG München v. 7.8. 2007 – Verg 8/07, ZfBR 2007, 718 (719); VK Südbayern v. 11.2.2009 – Z3-3-3194-1-0101/09; VK Brandenburg v. 7.4.2008 – VK 7/08; Möllenkamp in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum Vergaberecht, § 161 Rz. 24. 3 OLG München v. 29.9.2009 – Verg 12/09, VergabeR 2010, 238 (241); OLG Karlsruhe v. 20.3.2009 – 15 Verg 2/09; Möllenkamp in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum Vergaberecht, § 161 Rz. 24. 4 S. etwa OLG Düsseldorf v. 13.4.2006 – Verg 10/06, NZBau 2006, 810; OLG Düsseldorf v. 16.9.2003 – Verg 52/03, VergabeR 2003, 690.

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§ 161 | Form, Inhalt werden. Alles andere wäre mit der notwendigen Effektivität des zu gewährenden Rechtsschutzes nicht vereinbar. 5. Bestimmtes Begehren 18 Der Antrag soll gemäß § 161 Abs. 1 Satz 2 ein bestimmtes Begehren (Sach-

antrag) enthalten. Dabei muss es sich in der Regel um ein Leistungsbegehren (z.B. zur Angebotsabgabe aufgefordert zu werden) handeln, ggf. auch um ein Feststellungsbegehren kombiniert mit einem Leistungsbegehren (z.B. Feststellung, dass ein erteilter Zuschlag gemäß § 101b unwirksam ist und die Angebotswertung wiederholt werden muss)1. Da es nur um eine Soll-Vorschrift geht, führt das Fehlen eines bestimmten Begehrens nicht zur Unzulässigkeit des Antrags2. Auch wenn sich daher aus dem Nachprüfungsantrag nicht zwingend ergeben muss, wie die geltend gemachte Rechtsverletzung beseitigt werden soll, muss jedoch deutlich werden, welche Rechtsverletzung nach Auffassung des antragstellenden Unternehmens beseitigt werden muss3.

19 Mit der fehlenden Notwendigkeit eines bestimmten Begehrens korrespondiert

§ 168 Abs. 1 Satz 2. Danach ist die Vergabekammer selbst bei einem gestellten (Sach-)antrag nicht an diesen gebunden. Vielmehr kann sie auch auf andere Weise der begehrten Beseitigung einer von ihr festgestellten Rechtsverletzung Rechnung tragen (§ 168 Rz. 16). 6. Benennung eines Empfangsbevollmächtigten

20 § 161 Abs. 1 Satz 3 enthält eine gegenüber § 15 VwVfG spezielle Regelung. Da-

nach hat ein ausländischer Antragsteller einen inländischen Empfangsbevollmächtigten zu benennen. Dazu bedarf es keiner besonderen Aufforderung durch die Vergabekammer. Genügt der Antrag eines ausländischen Antragstellers diesen Anforderungen nicht, ist er unzulässig4. In diesem Fall greift also nicht lediglich die in § 15 Satz 2 VwVfG geregelte Bekanntgabefrist für Schriftstücke. Mit Blick auf die Beschleunigungsanforderungen, die an das Nachprü-

1 Dreher in Immenga/Mestmäcker, GWB, § 108 Rz. 9 ff. 2 OLG Düsseldorf v. 18.7.2001 – Verg 16/01, VergabeR 2001, 419; Dreher in Immenga/ Mestmäcker, GWB, § 108 Rz. 6; Möllenkamp in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum Vergaberecht, § 161 Rz. 15; Jennert in Müller-Wrede, Kompendium des Vergaberechts, Kap. 27, Rz. 77. 3 OLG Koblenz v. 10.8.2000 – 1 Verg 2/00, NZBau 2000, 535; Heuvels in Loewenheim/Meessen/Riesenkampff, Kartellrecht, § 108 Rz. 7 f.; Schweda in Langen/Bunte, Kommentar zum deutschen und europäischen Kartellrecht, § 109 Rz. 2; Byok in Byok/Jaeger, Kommentar zum Vergaberecht, § 108 Rz. 3. 4 Dreher in Immenga/Mestmäcker, GWB, § 108 Rz. 23; Heuvels in Loewenheim/Meessen/ Riesenkampff, Kartellrecht, § 108 Rz. 6; Boesen, Vergaberecht, § 108 Rz. 9.

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fungsverfahren zu stellen sind, ist dies sachlich gerechtfertigt und auch mit Blick auf die Rechtsmittelrichtlinien (Einleitung Rz. 7) unbedenklich.

III. Antragsbegründung (§ 161 Abs. 2) § 161 Abs. 2 regelt den Mindestinhalt der Antragsbegründung (zur Schriftform 21 und Sprache Rz. 4). In der Regel muss diese bereits in der Antragsschrift selbst enthalten sein, sofern dem nicht durch das antragstellende Unternehmen nicht zu vertretende Hindernisse entgegenstehen (Rz. 16). Jedoch sind – unter Beachtung etwaiger Fristsetzungen gemäß § 167 Abs. 2 Satz 2 (§ 167 Rz. 26 ff.) sowie der Präklusionsregelungen des § 160 Abs. 3 (§ 160 Rz. 42 ff.) – bis zur Entscheidung der Vergabekammer jederzeit Ergänzungen und Vertiefungen möglich. 1. Antragsgegner Zwingend zu benennen ist in dem Nachprüfungsantrag der Antragsgegner, also 22 der öffentliche Auftraggeber, um dessen Vergabeverfahren es geht. Die Benennung des Antragsgegners muss zumindest so präzise sein, dass seine Information gemäß § 169 Abs. 1 sowie die Übermittlung einer Kopie des Nachprüfungsantrags gemäß § 163 Abs. 2 Satz 3 möglich sind (zur Information des „falschen“ Antragsgegners im Hinblick auf die Auslösung des Zuschlagsverbotes s. § 169 Rz. 12). Unschädlich ist dabei allerdings eine ungenaue Angabe (z.B. Benennung der Behörde anstelle der betreffenden Körperschaft selbst, vgl. § 78 Abs. 1 Nr. 2 Halbsatz 2 VwGO). Entscheidend ist, dass zumindest im Wege der Auslegung ermittelbar ist, gegen wen sich der Nachprüfungsantrag richten soll1. Dies gilt auch gerade in Fällen, in denen selbst der Vergabestelle nicht völlig klar ist, wer der zutreffende Antragsgegner ist, so wie dies für den Bereich der Bundesauftragsverwaltung für den Fernstraßenbau (außer Bundesautobahnen und Fällen des Art. 90 Abs. 4 ff.) bis zu dem Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 20.3. 20142 der Fall war und dementsprechend Streit bestand, ob der Bund oder das jeweilige Land der richtige Antragsgegner ist (vgl. § 159 Rz. 20). In derartigen Fällen wird man von einem Antragsteller nicht mehr erwarten können als von der Vergabestelle selbst.3 1 OLG Düsseldorf v. 5.10.2016 – Verg 24/16, VergabeR 2017, 90; OLG Schleswig v. 25.1. 2013 – 1 Verg 6/12, NZBau 2013, 395; OLG Celle v. 24.9.2014 – VgK 17/2014, ZfBR 2015, 199; VK Hessen v. 12.8.2014 – 69d –VK-11/2014; Heuvels in Loewenheim/Meessen/Riesenkampff, Kartellrecht, § 108 Rz. 10; Jennert in Müller-Wrede, Kompendium des Vergaberechts, Kap. 27, Rz. 83; Schweda in Langen/Bunte, Kommentar zum deutschen und europäischen Kartellrecht, § 108 Rz. 4; VK Hessen v. 12.8.2014 – 69d-VK-11/2014. 2 X ZB 18/13, VergabeR 2014, 538; s. auch OLG München v. 9.4.2015 – Verg 1/15, NZBau 2015, 446. 3 Vgl. OLG Rostock v. 9.10.2013 – 17 Verg 6/13, VergabeR 2014, 442.

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§ 161 | Form, Inhalt 23 Wir ein Auftrag für eine Mehrheit von Auftraggebern ausgeschrieben, die ein-

heitlich handelnd einen gemeinsamen Auftrag vergeben wollen, sind diese jeweils im Nachprüfungsantrag zu benennen. Es handelt sich dann um den Fall einer notwendigen Streitgenossenschaft. Allerdings kommt in diesem Fall ebenfalls eine Rubrumsberichtigung von Amts wegen in Betracht, wenn sich aus dem Nachprüfungsantrag selbst ergibt, dass sich der Nachprüfungsantrag gegen sämtliche Auftraggeber richten soll1. Ansonsten besteht die Möglichkeit, den Nachprüfungsantrag nachträglich auch auf die anderen Auftraggeber zu erweitern. Diese Erweiterung entfaltet ihre Wirkung allerdings erst mit ihrer Vornahme. Sie ist daher insbesondere bei einer unterbliebenen Ausschreibung nicht geeignet, eine ggf. bereits vorher abgelaufene Ausschlussfrist (s. hier insbesondere § 135 Abs. 2) zu überwinden.2 2. Sachverhaltsdarstellung, Rechtsverletzung

24 In der Antragsbegründung muss der Sachverhalt einschließlich der behaupteten

Rechtsverletzung dargelegt werden. Dies hat zumindest so umfassend erfolgen, dass die Vergabekammer die Antragsbefugnis (§ 160 Rz. 14 ff.; s. bereits vorstehend Rz. 17) feststellen kann. Fehlt es daran, ist der Antrag sowohl wegen eines Verstoßes gegen § 161 als auch gegen § 160 Abs. 2 Satz 2 unzulässig3. Ungeachtet des Untersuchungsgrundsatzes gemäß § 163 (dazu § 163 Rz. 6) folgt daraus, dass die diesbezügliche Darlegungslast bei dem antragstellenden Unternehmen liegt4. Allerdings dürfen dabei die Anforderungen nicht überspannt werden (s. bereits Rz. 17). Dies gilt nicht zuletzt auch deshalb, weil es in vergaberechtlichen Nachprüfungsverfahren nicht zwingend einer anwaltlichen Vertretung bedarf (Rz. 14)5. Nicht nötig für die Zulässigkeit des Antrags ist es, dass der Antragsteller die einzelnen Rechtsvorschriften benennt, die nach seiner Auffassung verletzt sind. Es genügt, wenn der Antragsteller den aus seiner Sicht relevanten Sachverhalt darstellt und im Weiteren ausführt, durch welche Handlungen oder Unterlassungen der Vergabestelle er sich fehlerhaft behandelt fühlt6, so dass die Vergabekammer in die Lage versetzt wird, die Antragsbefugnis festzustellen7. Ob es 1 S. etwa OLG Frankfurt v. 2.12.2014 – 11 Verg 7/14, VergabeR 2015, 591. 2 OLG Naumburg v. 6.12.2012 – 2 Verg 5/12, VergabeR 2013, 438. 3 Instruktiv insofern OLG Koblenz v. 10.8.2000 – 1 Verg 2/00, NZBau 2000, 534; VK Baden-Württemberg v. 21.8.2009 – 1 VK 40/09; Heuvels in Loewenheim/Meessen/Riesenkampff, Kartellrecht, § 108 Rz. 11 f. 4 Braun, BB 1999, 1069 (1070). 5 OLG Saarbrücken v. 20.4.2016 – 1 Verg 1/16, VergabeR 2016, 639. 6 OLG Düsseldorf v. 18.7.2001 – Verg 16/01, VergabeR 2001, 419; Dreher in Immenga/ Mestmäcker, GWB, § 108 Rz. 7, 16; Schweda in Langen/Bunte, Kommentar zum deutschen und europäischen Kartellrecht, § 109 Rz. 4. 7 Möllenkamp in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum Vergaberecht, § 161 Rz. 23; VK Hamburg v. 13.6.2014 – Vgk FB 4/14.

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sich dabei tatsächlich um geschützte Rechte des Antragstellers i.S.v. § 97 Abs. 6 handelt und ob diese Rechte im konkreten Fall verletzt sind, obliegt der nachfolgenden Begründetheitsprüfung durch die Vergabekammer. Durch die Darlegungen des Unternehmens in seiner Antragsbegründung werden zugleich dem Untersuchungsgrundsatz des § 163 Grenzen gezogen. Die Vergabekammer muss nicht ins Blaue hinein Sachverhaltsermittlungen vornehmen. Vielmehr hat sie den Sachverhalt nur in dem durch den Antragsteller als entscheidungserheblich dargestellten Rahmen und mit Blick auf die von ihm behaupteten Rechtsverletzungen zu untersuchen (§ 163 Rz. 7 ff.). 3. Bezeichnung der verfügbaren Beweismittel Was unter den Begriff der Beweismittel fällt, ergibt sich aus § 26 Abs. 1 25 VwVfG1. Dazu gehören insbesondere Auskünfte jeder Art – die Anhörung von Beteiligten – die Vernehmung von Zeugen und Sachverständigen – die Einholung von schriftlichen Äußerungen von Beteiligten, Sachverständigen und Zeugen – die Beiziehung von Urkunden und Akten – die Einnahme des Augenscheins. Der Katalog des § 26 VwVfG ist nicht abschließend. In Betracht kommen alle 26 zum Beweis streitiger Sachverhaltsfragen geeigneten Beweismittel. Der Antragsteller muss die verfügbaren, d.h. die ihm bekannten, Beweismittel bezeichnen. Vom Wortlaut her ist die Regelung strenger als § 26 Abs. 2 Satz 2 VwVfG, der lediglich verlangt, dass die Beteiligten die ihnen bekannten Beweismittel angeben sollen. Dies wirft Abgrenzungsfragen zum Untersuchungsgrundsatz gemäß § 163 auf: Hierbei ist zunächst von Bedeutung, dass die fehlende Angabe von verfügbaren 27 Beweismitteln den Antrag nicht unzulässig macht. Sie kann allenfalls dazu führen, dass bestimmte Umstände nicht nachgewiesen werden und dies zu Lasten des Antragstellers geht, der sich darauf beruft (s. § 163 Rz. 9)2. Wie dies auch sonst bei Beweismitteln der Fall ist, sind sie zudem nur dann von Bedeutung, wenn Sachverhaltsfragen streitig oder unklar sind. Bei Einreichung des Nachprüfungsantrags steht dies zumeist noch nicht fest. Ergibt sich auch aus dem Verlauf des Nachprüfungsverfahrens nicht, dass bestimmte Punkte vom Sach1 Heuvels in Loewenheim/Meessen/Riesenkampff, Kartellrecht, § 108 Rz. 14; Jennert in Müller-Wrede, Kompendium des Vergaberechts, Kap. 27, Rz. 87. 2 Allgemein zu den Folgen fehlender Mitwirkung s. Clausen in Knack/Henneke, Verwaltungsverfahrensgesetz, § 26 Rz. 106 f.; Kopp/Ramsauer, Verwaltungsverfahrensgesetz, § 24 Rz. 50, § 26 Rz. 43 f.

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§ 161 | Form, Inhalt verhalt her strittig sind, bedarf es auch keiner Bezeichnung von Beweismitteln. Dies ist etwa dann der Fall, wenn die entscheidungserheblichen Umstände bereits der Vergabeakte entnommen werden können oder nicht bestritten werden. 28 Sind allerdings Sachverhaltsfragen ungeklärt, stellt sich die Frage, welche Bedeu-

tung die Verpflichtung zur Bezeichnung von verfügbaren Beweismitteln hat. Dabei sind zunächst die Beweismittel auszugrenzen, die das antragstellende Unternehmen nicht kennt. Diese Beweismittel sind für das Unternehmen nicht i.S.v. § 161 Abs. 2 Satz 3 verfügbar. Ergeben sich diese Beweismittel durch die Sachverhaltserforschung der Vergabekammer, hat sie sich ihrer zu bedienen, wenn sie dies zur Aufklärung des Sachverhalts für erforderlich hält.

29 Es verbleiben dann noch die Beweismittel, deren Inanspruchnahme für die Auf-

klärung der strittigen und entscheidungserheblichen Sachverhaltsfragen erforderlich ist, die jedoch durch den Antragsteller nicht bezeichnet wurden, obwohl sie ihm bekannt waren. In diesem Fall kann es zweifelhaft sein, ob die Vergabekammer die entsprechenden Beweise erheben darf oder sogar erheben muss.

30 Die Zulässigkeit der Beweiserhebung ist auch in diesen Fällen, soweit sie nicht

zu einer unangemessenen Verfahrensverzögerung führt, gegeben1. Denn bei dem Nachprüfungsverfahren handelt es sich um ein durch den Untersuchungsgrundsatz geprägtes Verwaltungsverfahren, nicht hingegen um ein durch den Beibringungsgrundsatz gekennzeichnetes Verfahren, wie es aus der Zivilprozessordnung bekannt ist. Daraus folgt, dass die Verfahrensbeteiligten in Bezug auf die Sachverhaltsaufklärung lediglich Mitwirkungslasten haben. Diese sind zwar im Nachprüfungsverfahren gegenüber den allgemeinen Bestimmungen des Verwaltungsverfahrensrechts verstärkt (Rz. 24), jedoch ändert das nichts an diesem prinzipiellen Verständnis. Die notwendige Bezeichnung von verfügbaren Beweismitteln beruht auf der Verpflichtung der Verfahrensbeteiligten, zur Förderung und Beschleunigung des Verfahrens beizutragen. Dies wird auch durch § 166 Abs. 2 und § 163 Abs. 1 bestätigt. Daraus folgt im Ergebnis, dass die Vergabekammer grundsätzlich auch auf Beweismittel zugreifen darf, die der Antragsteller nicht bezeichnet hat, obgleich sie ihm bekannt waren.2 Dies gilt namentlich dann, wenn sich die entsprechenden Aufklärungsmaßnahmen aus dem Sachvortrag oder aus den beigezogenen Unterlagen aufdrängen.

31 Andererseits endet die Verpflichtung zur Erforschung des Sachverhalts dort, wo

die Mitwirkungslast der Beteiligten einsetzt. Bezeichnet daher der Antragsteller bestimmte Beweismittel nicht und drängen sich diese der Vergabekammer auch nicht auf, dann muss sie auch keine vertieften Sachverhaltsermittlungen zu den betreffenden Punkten vornehmen. Dieses Zusammenspiel von Untersuchungs-

1 I. E. ebenso Heuvels in Loewenheim/Meessen/Riesenkampff, Kartellrecht, § 108 Rz. 14 f.; Boesen, Vergaberecht, § 108 Rz. 23 ff.; Byok in Byok/Jaeger, Kommentar zum Vergaberecht, § 108 Rz. 10. 2 Byok in Byok/Jaeger, Kommentar zum Vergaberecht, § 108 Rz. 10.

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grundsatz einerseits und Mitwirkungslast der Verfahrensbeteiligten andererseits gilt allgemein im Verwaltungsverfahrens- und Verwaltungsprozessrecht1. Erst recht ist es in dem auf eine schnelle Entscheidung angelegten Nachprüfungsverfahren von Bedeutung. Die Vergabekammer kann also zumeist davon ausgehen, dass die Antragsbegründung und die Bezeichnung der verfügbaren Beweismittel durch das antragstellende Unternehmen vollständig sind, dieses also – schon im eigenen Interesse – seiner Mitwirkungslast hinreichend nachkommt. Daher muss sie in der Regel außer in sich dafür aufdrängenden Fällen nicht von Beweismitteln Gebrauch machen, die der Antragsteller nicht bezeichnet hat, obgleich ihm dies möglich gewesen wäre. 4. Darlegung der rechtzeitigen Rüge Des Weiteren ist in der Antragsbegründung darzulegen, dass die erforderlichen 32 Rügen gemäß § 160 Abs. 3 (dazu § 160 Rz. 42 ff.) erfolgt sind. Dies schließt Angaben auch dazu ein, wann dies erfolgt ist.2 Die Ausführungen müssen so präzise sein, dass die Vergabekammer insofern die Zulässigkeit des Nachprüfungsantrags feststellen und dementsprechend auch klären kann, ob das Antragsbegehren auf bestimmte gerügte Verstöße gestützt werden kann oder nicht (vgl. § 160 Rz. 75; zum zeitlichen Abstand zwischen Rüge und Antragstellung § 160 Rz. 76). Nicht notwendig sind Ausführungen zu der Rechtsfrage, ob die Rüge des Antragstellers rechtzeitig erfolgt ist oder nicht. Diese Prüfung obliegt der Vergabekammer, setzt allerdings die dafür notwendigen Angaben des Antragstellers vor allem dann voraus, wenn sich die Rechtzeitigkeit der Rüge im Hinblick auf den geltend gemachten Vergaberechtsverstoß nicht als offensichtlich aufdrängt. Entbehrlich ist die Darlegung einer rechtzeitigen Rüge dann, wenn eine solche 33 gar nicht erforderlich war. Dies gilt insbesondere in Fällen einer unzulässigen Direktvergabe/de-facto-Vergabe (§ 160 Abs. 3 Satz 2, s. dazu § 160 Rz. 63)3. In diesem Fall muss sich allerdings aus dem Nachprüfungsantrag ergeben, warum es einer vorhergehenden Rüge nicht bedurfte. 5. Benennung sonstiger Beteiligter Die Regelung des § 161 Abs. 2 Halbs. 2 ist ungenau. Gemeint sind in der Bestim- 34 mung Unternehmen, deren Interessen durch die von der Vergabekammer zu treffende Entscheidung schwerwiegend berührt werden können (§ 162 Rz. 9 ff.). 1 S. etwa Kothe in Redeker/v. Oertzen, VwGO, § 86 Rz. 7 ff. mit ausführlichen Nachweisen zur Rechtsprechung und Literatur. 2 VK Baden-Württemberg v. 1.9.2009 – 1 VK 46/09; Byok in Byok/Jaeger, Kommentar zum Vergaberecht, § 108 Rz. 11; Jennert in Müller-Wrede, Kompendium des Vergaberechts, Kap. 27, Rz. 89. 3 OLG Karlsruhe v. 20.3.2009 – 15 Verg 2/09; OLG Düsseldorf v. 2.10.2008 – Verg 25/08; Weyand, IBR-online-Kommentar, Vergaberecht, § 107 Rz. 254 ff. m.w.N.

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§ 161 | Form, Inhalt Die betreffenden Unternehmen werden allerdings erst durch die noch ausstehende Beiladung Verfahrensbeteiligte (§ 162 Rz. 5). Bei den Unternehmen, die der Antragsteller benennen soll, handelt es sich daher um solche, die dem Verfahren noch beigeladen werden sollen1. 35 Aus der Formulierung der Vorschrift („soll“) folgt, dass es sich dabei nicht um

eine Verpflichtung handelt, die die Zulässigkeit des Nachprüfungsantrags in Frage stellt. Die möglichst frühzeitige Benennung soll lediglich dem das gesamte Nachprüfungsverfahren durchziehenden Beschleunigungsgrundsatz Rechnung tragen.

IV. Folgen von Verstößen bei formellen Anforderungen 36 Genügt ein eingereichter Nachprüfungsantrag den Anforderungen des § 161

nicht, ist er in der Regel unzulässig, soweit es nicht um bloße Soll-Anforderungen geht (Rz. 18), deren Nichteinhaltung im konkreten Fall unbeachtlich ist. Erweist sich ein Nachprüfungsantrag als unzulässig, ist er in der Regel zurückzuweisen. Ergibt sich die Unzulässigkeit bereits aus der eingegangenen Antragsschrift, ohne dass es dazu einer weiteren vertieften Prüfung bedarf, hat die Zurückweisung zu erfolgen, ohne dass zuvor gemäß § 169 Abs. 1 das Zuschlagsverbot für den öffentlichen Auftraggeber ausgelöst wird.

37 Allerdings ist hierbei zu berücksichtigen, dass die Vergabekammer als Behörde

eine Beratungs- und Auskunftspflicht gegenüber dem Antragsteller hat (§ 25 VwVfG). Zudem ist auch hier wiederum das Beschleunigungsgebot in den Blick zu nehmen. In der Regel dient es nicht der Beschleunigung, einen lediglich formell unzureichenden Nachprüfungsantrag zurückzuweisen, da in diesem Fall damit gerechnet werden muss, dass ein nachgebesserter Antrag eingereicht wird und sich dementsprechend das Verfahren länger hinzieht als dies bei einer Nachbesserung des zunächst eingereichten Nachprüfungsantrags der Fall wäre. Dies gilt jedenfalls dann, wenn es sich um formelle Mängel des Nachprüfungsantrags handelt, die ohne Weiteres nachgebessert werden können (z.B. die fehlende Unterschrift bei einem gestellten Nachprüfungsantrag, s. Rz. 4 f., oder eine nicht hinreichend genaue Bezeichnung des Antragsgegners). Selbst bei unzureichenden Sachverhaltsdarstellungen, etwa bei nicht weiter substantiierten Behauptungen zu einer vermeintlich fehlerhaften Angebotswertung, sind Nachbesserungen zumeist möglich.

38 In einem solchen Fall ist die Vergabekammer nicht ohne weiteres berechtigt, den

Nachprüfungsantrag zurückzuweisen. Sie hat vielmehr die Verpflichtung, den Antragsteller auf den formalen Fehler hinzuweisen und ihm Gelegenheit zur kurzfris-

1 Möllenkamp in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum Vergaberecht, § 161 Rz. 41; Byok in Byok/Jaeger, Kommentar zum Vergaberecht, § 108 Rz. 12.

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Verfahrensbeteiligte, Beiladung | § 162

tigen Abhilfe einzuräumen1. Dieser Hinweis kann vielfach direkt nach Eingang des Nachprüfungsantrags erfolgen, also vor einer Information des Antragsgegners zur Auslösung des Zuschlagsverbots gemäß § 169 Abs. 1, wenn der Mangel offensichtlich ist. Denkbar ist es allerdings auch, dass sich ein solcher Mangel erst im weiteren Verlauf des Nachprüfungsverfahrens herausstellt (z.B. bei der Frage, ob eine bestimmte Rüge rechtzeitig erfolgt ist oder nicht). In diesem Fall kann ein Hinweis auf einen bestehenden Nachbesserungsbedarf auch im weiteren Verlauf des Verfahrens erfolgen, ggf. also auch noch in der mündlichen Verhandlung (§ 166).

§ 162 Verfahrensbeteiligte, Beiladung Verfahrensbeteiligte sind der Antragsteller, der Auftraggeber und die Unternehmen, deren Interessen durch die Entscheidung schwerwiegend berührt werden und die deswegen von der Vergabekammer beigeladen worden sind. Die Entscheidung über die Beiladung ist unanfechtbar. I. Einführung 1. Inhaltsübersicht . . . . . . . . . . . . 2. Entstehungsgeschichte . . . . . . . II. Antragsteller, Antragsgegner . . III. Weitere Unternehmen . . . . . . . 1. Begriff des Unternehmens . . . . . 2. Materieller Maßstab für die Beiladung . . . . . . . . . . . . . . . . a) Mögliches Berührtsein von Interessen . . . . . . . . . . . . . . b) Interessen . . . . . . . . . . . . . . c) Schwerwiegendes Berührtsein d) Rechte aus § 97 Abs. 6 . . . . .

__ __ _ _ __ __ 1 2 4 5 8 9

10 11 12 19

3. Verfahren a) Entscheidung über die Beiladung . . . . . . . . . . . . . . . . b) Notwendige Beiladung, einfache Beiladung . . . . . . . . aa) Notwendige Beiladung . . bb) Einfache Beiladung (Ermessensbeiladung) . . c) Zeitpunkt und Dauer der Beiladung . . . . . . . . . . . . . . d) Stellung des Beigeladenen . . . e) Rechtsschutz . . . . . . . . . . . . f) Analoge Anwendung von § 161 Abs. 1 Satz 2 . . . . . . . . g) Aufwendungen des Beigeladenen (Erstattungsfähigkeit) . . .

_ __ _ __ _ _ _ 20 21 22 24 26 30 34 37 38

I. Einführung 1. Inhaltsübersicht § 162 regelt, wer an einem Nachprüfungsverfahren beteiligt ist einschließlich der 1 Möglichkeit zur Beiladung bestimmter Unternehmen. 1 OLG München v. 7.8.2007 – Verg 8/07, ZfBR 2007, 718; OLG Thüringen v. 23.1.2003 – 6 Verg 11/02, NZBau 2003, 639; VK Sachsen v. 31.1.2007 – 1/SVK/124-06; Dreher in Immenga/Mestmäcker, GWB, § 108 Rz. 8.

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§ 162 | Verfahrensbeteiligte, Beiladung 2. Entstehungsgeschichte 2 § 162 ist seit seiner Einführung durch das Vergabeänderungsgesetz 1998 (Einlei-

tung Rz. 4 ff.) unverändert geblieben. In der Begründung zum Regierungsentwurf zum Vergaberechtsänderungsgesetz 19981 wird darauf hingewiesen, dass die Festlegung des Kreises der Verfahrensbeteiligten mit dem Ziel der Beschleunigung des Vergabeverfahrens erfolgen soll.

3 Die Beiladung, die sowohl auf Antrag als auch von Amts wegen erfolgen könne,

soll die Beteiligung all derer sicher stellen, die durch eine für sie nachteilige Entscheidung der Vergabekammer eine Verletzung ihrer eigenen Rechte erfahren und – bei Nichtbeteiligung – ein weiteres Überprüfungsverfahren beantragen könnten. Hingewiesen wird dabei insbesondere auf die Unternehmen, deren Angebote für die Auftragsvergabe in die engere Wahl kommen. Der Begriff „schwerwiegend berührt“ soll es ermöglichen, hierbei eine andere Auslegung zu wählen, als bei dem in § 67 Abs. 1 Nr. 32 GWB verwendeten Begriff „erheblich betroffen“.3

II. Antragsteller, Antragsgegner 4 Es versteht sich von selbst, dass das antragstellende Unternehmen (zur Antrags-

befugnis bei Bietergemeinschaften s. § 160 Rz. 15, 34 und der öffentliche Auftraggeber Beteiligte (bei einer Mehrheit von Auftraggebern, die gemeinsam handeln s. § 161 Rz. 23) des Nachprüfungsverfahrens sind (vgl. § 13 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG). Man kann dabei von geborenen Verfahrensbeteiligten sprechen. Für die Beteiligtenfähigkeit, die Handlungsfähigkeit sowie die Einschaltung von Bevollmächtigten und Beiständen gelten die allgemeinen Regelungen in den Verwaltungsverfahrensgesetzen von Bund und Ländern (§§ 11 ff. VwVfG).

III. Weitere Unternehmen 5 § 162 sieht die Möglichkeit vor, dass weitere Unternehmen durch die Vergabe-

kammer dem Verfahren beigeladen werden, wenn deren Interessen durch die zu treffende Entscheidung schwerwiegend berührt werden. Diese Unternehmen sind erst dann Verfahrensbeteiligte, wenn sie tatsächlich beigeladen worden sind (§ 161 Rz. 34)4. Man kann sie als gekorene Verfahrensbeteiligte bezeichnen.

1 BT-Drucks. 13/9340. 2 Nunmehr § 54 Abs. 2 Nr. 3. 3 Schweda in Langen/Bunte, Kommentar zum deutschen und europäischen Kartellrecht, § 109 Rz. 2. 4 Schweda in Langen/Bunte, Kommentar zum deutschen und europäischen Kartellrecht, § 109 Rz. 5; Heuvels in Loewenheim/Meessen/Riesenkampff, Kartellrecht, § 106 GWB Rz. 3.

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Verfahrensbeteiligte, Beiladung | § 162

Die Beiladung ist auch in § 54 Abs. 2 Nr. 3 für das Verfahren vor den Kartell- 6 behörden geregelt. Ebenfalls findet sich der Begriff in § 65 VwGO. Demgegenüber spricht § 13 Abs. 2 VwVfG nicht von einer Beiladung sondern von einer Hinzuziehung. Die gegenüber § 13 VwVfG abweichende Begrifflichkeit ist gerechtfertigt, weil es 7 sich bei § 162 um eine spezielle Regelung handelt, die den Besonderheiten des vergaberechtlichen Nachprüfungsverfahrens Rechnung trägt (s. insb. Rz. 11). Ebenfalls unterscheidet sich die Beiladung nach § 162 hinsichtlich ihrer Voraussetzungen von der Beiladung gemäß § 54 Abs. 2 Nr. 3 (s. bereits Rz. 3).1 1. Begriff des Unternehmens Beigeladen werden können nur (an dem ausgeschriebenen Auftrag unmittelbar 8 interessierte, Rz. 10 ff.) Unternehmen, nicht hingegen Verbände oder sonstige Dritte, die ein nur mittelbares Interesse an dem Verlauf und Ausgang des Nachprüfungsverfahrens haben2. Für den Begriff des Unternehmens gelten dabei dieselben Anforderungen wie für den Antragsteller (dazu § 160 Rz. 15 f.)3. Die fehlende Möglichkeit zur Beiladung von Dritten, die nicht schwerwiegend in ihren Interessen berührt sind, bedeutet nicht, dass sie nicht, auch ohne Zustimmung des Verfahrensbeteiligten, im Rahmen des Nachprüfungsverfahrens von der Vergabekammer als Maßnahme der Amtsermittlung (§ 163) angehört werden könnten. Dies ist etwa dann anzunehmen, wenn durch die Nachprüfungsentscheidung berührte Dritte, die keine Unternehmen i.S.v. § 162 sind, zur Aufklärung des Sachverhalts beitragen können oder wenn die Auswirkungen auf deren Interessen möglicherweise für die Nachprüfungsentscheidung Bedeutung haben.4 2. Materieller Maßstab für die Beiladung Voraussetzung für die Beiladung ist, dass Interessen von anderen Unternehmen 9 als dem Antragsteller durch die von der Vergabekammer zu treffende Entscheidung schwerwiegend berührt werden. 1 Dreher in Immenga/Mestmäcker, GWB, § 109 Rz. 5; Byok in Byok/Jaeger, Kommentar zum Vergaberecht, § 109 Rz. 9. 2 Freund, NZBau 2005, 266; Lausen, VergabeR 2002, 117 (118); Schweda in Langen/Bunte, Kommentar zum deutschen und europäischen Kartellrecht, § 109 Rz. 1; a.A. OLG Düsseldorf v. 13.2.2007 – VII Verg. 2/07, VergabeR 2007, 406, allerdings für einen Sonderfall; VK Lüneburg v. 2.2.2000 – 203-VgK-01/2000; Dreher in Immenga/Mestmäcker, GWB, § 109 Rz. 11im Hinblick auf Zulieferer und Nachunternehmer. 3 Freund, NZBau 2005, 266. 4 A.A. OLG Düssendorf v. 13.2.2007 – VII Verg. 2/07, VergabeR 2007, 406, das in diesem Fall eine Beiladung für notwendig hält.

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§ 162 | Verfahrensbeteiligte, Beiladung a) Mögliches Berührtsein von Interessen 10 Es genügt entgegen dem insofern missverständlichen Wortlaut die Möglichkeit

der Interessenberührung (Rz. 11 ff.)1. Diese muss im konkreten Fall unter sachgerechter Berücksichtigung aller Umstände möglich erscheinen. Eine tatsächliche Betroffenheit durch die Entscheidung der Vergabekammer muss noch nicht definitiv feststehen. Dies ist regelmäßig vor Abschluss des Nachprüfungsverfahrens noch offen. Allerdings ist ein Berührtsein von Interessen und damit eine Beiladung regelmäßig ausgeschlossen, wenn der Bewerber bereits vor Beginn des Nachprüfungsverfahrens aus dem Vergabeverfahren ausgeschieden ist (z.B. wegen eines erfolgten Ausschlusses oder bei nicht mehr bestehendem Angebot, etwa weil die Bindefrist durch das Unternehmen nicht verlängert wurde)2. b) Interessen

11 Im Unterschied zu § 13 VwVfG spricht § 162 nur von Interessen, nicht hin-

gegen von rechtlichen Interessen. Die Interessen, die eine Beiladung rechtfertigen können, müssen also nicht zwingend durch eine Rechtsnorm des öffentlichen oder privaten Rechts geschützt sein. Es genügt vielmehr ein bloßes wirtschaftliches Interesse3. Dies gilt namentlich für die wirtschaftliche Chance, den Zuschlag zu erhalten4. Allerdings ist dies immer im Zusammenhang mit der Notwendigkeit zu sehen, dass es sich um eine schwerwiegende Interessenberührung handeln muss (Rz. 17). c) Schwerwiegendes Berührtsein

12 Schwerwiegend berührt werden Interessen i.S.v. § 162 dann, wenn sie durch die

Entscheidung der Vergabekammer negativ betroffen sein können. Es muss sich um eine für das beizuladende Unternehmen möglicherweise nachteilige Entscheidung der Vergabekammer handeln, die dieses Unternehmen veranlassen könnte, gegen die veränderte Fortsetzung des Vergabeverfahrens vorzugehen. Dies soll aus Gründen der Verfahrensökonomie und der Beschleunigung vermieden werden5. 1 Dittmann in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum Vergaberecht, § 162 Rz. 10; Schweda in Langen/Bunte, Kommentar zum deutschen und europäischen Kartellrecht, § 109 Rz. 3; Thiele in Müller-Wrede, Kompendium des Vergaberechts, Kap. 28, Rz. 38. 2 S. etwa OLG Rostock v. 9.9.2003 – 17 Verg 11/03; Byok in Byok/Jaeger, Kommentar zum Vergaberecht, § 109 Rz. 9; Schweda in Langen/Bunte, Kommentar zum deutschen und europäischen Kartellrecht, § 109 Rz. 3. 3 Heuvels in Loewenheim/Meessen/Riesenkampff, Kartellrecht, § 106 GWB Rz. 5. 4 Lausen, VergabeR 2002, 117 (119); s. auch Clausen in Knack/Henneke, Verwaltungsverfahrensgesetz, § 13 Rz. 38; Bonk/Schmitz in Stelkens/Bonk/Sachs, Verwaltungsverfahrensgesetz, § 13 Rz. 32. 5 Heuvels in Loewenheim/Meessen/Riesenkampff, Kartellrecht, § 106 GWB Rz. 7; Dreher in Immenga/Mestmäcker, GWB, 109 Rz. 10; Schneevogel/Horn, NVwZ 1998, 1242 (1245).

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Verfahrensbeteiligte, Beiladung | § 162

Daraus folgt, dass Unternehmen, die ein gleiches Interesse wie der Antragstel- 13 ler haben, in der Regel nicht zwingend beizuladen sind, weil sie durch die Entscheidung der Vergabekammer typischerweise nicht negativ betroffen sein können. Allenfalls wirkt die Entscheidung für sie mittelbar begünstigend, wenn dem Nachprüfungsantrag stattgegeben wird. Wenn dies hingegen nicht erfolgt, stehen diese Unternehmen nicht besser und nicht schlechter dar, als wenn das Nachprüfungsverfahren gar nicht durchgeführt worden wäre. Auch § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 spricht für dieses Verständnis (s. noch Rz. 31). Für die Beiladung kommen daher in erster Linie Unternehmen in Betracht, die 14 nach dem Stand des Vergabeverfahrens eine größere Chance als das antragstellende Unternehmen haben, den Zuschlag zu erhalten1. Diese Unternehmen können etwa bei einer durch die Vergabekammer für erforderlich gehaltenen Veränderung der Zuschlagskriterien in ihrer Chance, den Zuschlag zu erhalten, beeinträchtigt sein. Erst recht gilt dies in den Fällen, in denen von anderen Unternehmen gezielt beantragt wird, den Bieter vom Vergabeverfahren auszuschließen, der nach dem Willen der Vergabestelle den Zuschlag erhalten soll. Anders als für die Beiladung im Kartellverwaltungsverfahren gemäß § 54 Abs. 2 15 Nr. 3 ist für § 162 eine unmittelbare negative Betroffenheit erforderlich. Eine lediglich mittelbare Berührung von Interessen genügt hingegen nicht. Dies zeigt bereits der Kreis der Beiladungsfähigen in § 54 Abs. 2 Nr. 3 einerseits und in § 162 andererseits. Auch wenn für die Beiladung ein bloßes wirtschaftliches Interesse genügt (Rz. 11), 16 müssen die Beizuladenden zumindest potentiell eigene Rechte i.S.v. § 97 Abs. 6 in Bezug auf das konkrete Vergabeverfahren haben. Dies entspricht dem Sinn und Zweck der Regelung, aus Gründen der Verfahrensökonomie und der Beschleunigung weitere Nachprüfungsverfahren zu vermeiden2. Demgemäß fallen etwa Muttergesellschaften, Zulieferer u.s.w. in aller Regel nicht in den Kreis der Beizuladenden (zur fehlenden Antragsbefugnis solcher Unternehmen s. § 160 Rz. 24)3. Während § 54 Abs. 2 Nr. 3 für eine Beiladung fordert, dass Interessen erheblich 17 berührt werden, ist für die Beiladung gemäß 162 eine schwerwiegende Berührung notwendig. Dieser Wortlaut spricht für höhere Anforderungen an die Beiladung4. Dabei ist für die Ausfüllung des unbestimmten Rechtsbegriffs „schwerwiegend“ auch in den Blick zu nehmen, dass eine Beiladung die Verfahrenskosten für die unterlegene Partei erheblich erhöhen kann (zum Anspruch auf Erstattung der Aufwendungen der Rechtsverfolgung s. § 182 Abs. 4). Dies kann insbesondere bei um Rechtsschutz nachsuchenden Unternehmen eine Hemm1 2 3 4

Lausen, VergabeR 2002, 117 (119). Dreher in Immenga/Mestmäcker, GWB, § 109 Rz. 10. OLG Düsseldorf v. 22.10.2010 – VII-Verg 43/10. Byok in Byok/Jaeger, Kommentar zum Vergaberecht, § 109, Rz. 9; Heuvels in Loewenheim/Meessen/Riesenkampff, Kartellrecht, § 109 GWB Rz. 5.

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§ 162 | Verfahrensbeteiligte, Beiladung schwelle dafür sein, einen Nachprüfungsantrag zu stellen und insofern den Rechtsschutz verkürzen. Andererseits ist jedoch der Sinn und Zweck des § 162 zu sehen, zusätzliche Nachprüfungsverfahren zu vermeiden. Dies spricht für eine zumindest nicht allzu enge Auslegung, damit möglichst alle an dem Ausschreibungsverfahren Beteiligten durch die Entscheidung der Vergabekammer gebunden sind (zur Stellung des Beigeladenen im Verfahren s. Rz. 30 ff.). 18 Im Ergebnis ist der personelle Kreis der für eine Beiladung gemäß § 162 in Be-

tracht kommenden Unternehmen enger zu ziehen als bei § 54 Abs. 2 Nr. 3. Für die Qualität der Betroffenheit wird man demgegenüber ebenso wie bei § 54 Abs. 2 Nr. 3 sehen müssen, dass die hinreichend konkrete Möglichkeit einer Beeinträchtigung genügt, was insofern einen eher großzügigen Maßstab rechtfertigt. Gleichwohl verbleibt es dabei, dass – ebenso wie im Kartellverwaltungsverfahren – sowohl qualitative als auch quantitative Kriterien zur Ausfüllung des unbestimmten Rechtsbegriffs „schwerwiegend“ heranzuziehen sind. In Fällen einer notwendigen Beiladung (Rz. 22 ff.) wird man dabei allerdings ohne weitere Prüfung immer von einer schwerwiegenden Betroffenheit ausgehen müssen. d) Rechte aus § 97 Abs. 6

19 § 162 spricht für die Beiladung von Interessen der betreffenden Unternehmen,

nicht hingegen von Rechten i.S. von § 97 Abs. 6. Da allerdings die Beiladung aus Gründen der Verfahrensbeschleunigung und der Verfahrensökonomie weitere Nachprüfungsverfahren vermeiden soll (Rz. 17), können die Interessen i.S. des § 162 nur dann rechtserheblich sein, wenn es zugleich um Rechte aus § 97 Abs. 6 geht und dem betreffenden Unternehmen bei einer antragsgemäßen Veränderung des Vergabeverfahrens oder ggf. auch durch deren Unterlassen aufgrund der Entscheidung der Vergabekammer ein Schaden droht. Nur in einem solchen Fall muss ernsthaft damit gerechnet werden, dass dieses Unternehmen ein weiteres Nachprüfungsverfahren einleitet, um so seinen eigenen Rechtsstandpunkt zur Geltung zu bringen. 3. Verfahren a) Entscheidung über die Beiladung

20 § 162 regelt die verfahrensmäßigen Voraussetzungen für die Beiladung nicht. Sie

ist daher sowohl von Amts wegen möglich als auch auf Antrag derjenigen Unternehmen, die beigeladen werden möchten (§ 13 Abs. 2 Satz 1 VwVfG)1. Dies gilt unabhängig davon, ob es sich um eine einfache oder um eine notwendige Beiladung handelt. 1 Freund, NZBau 2005, 266 (267); Heuvels in Loewenheim/Meessen/Riesenkampff, Kartellrecht, § 106 GWB Rz. 9; Dreher in Immenga/Mestmäcker, GWB, § 109 Rz. 13; Dittmann in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum Vergaberecht, § 162 Rz. 17.

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Verfahrensbeteiligte, Beiladung | § 162

b) Notwendige Beiladung, einfache Beiladung Das Verwaltungsverfahrensgesetz unterscheidet in § 13 Abs. 2 VwVfG zwischen 21 einer im Ermessen der Behörden stehenden Hinzuziehung und einer Hinzuziehung, die zwingend erfolgen muss. Im Kartellverwaltungsverfahren ist diese Regelung zu beachten, da § 54 Abs. 2 Nr. 3 insofern nicht abschließend ist1. Man wird dies für das Verfahren vor der Vergabekammer nicht anders sehen können2. aa) Notwendige Beiladung Notwendig ist die Beiladung ohne jedweden Entscheidungsspielraum der Ver- 22 gabekammer, wenn der Ausgang des Nachprüfungsverfahrens rechtsgestaltende Wirkung für ein drittes Unternehmen hat3. Eine rechtsgestaltende Wirkung ist dann gegeben, wenn die in Betracht kom- 23 mende Entscheidung unmittelbar Rechte eines dritten Unternehmens begründet, ändert oder aufhebt4. Ob der Ausgang des Verfahrens tatsächlich rechtsgestaltende Wirkung hat, ist für die Notwendigkeit der Beiladung unerheblich, da dies erst bei Abschluss des Verfahrens feststeht. Es genügt die konkrete Möglichkeit einer rechtsgestaltenden Wirkung der Nachprüfungsentscheidung für ein drittes Unternehmen5. Denkbar ist eine solche Möglichkeit vor allem dann, wenn der Antragsteller geltend macht, dass ein drittes Unternehmen, das den Zuschlag erhalten soll, ausgeschlossen werden muss oder aus sonstigen Gründen den Auftrag nicht erhalten darf. bb) Einfache Beiladung (Ermessensbeiladung) Sofern kein Fall der notwendigen Beiladung vorliegt, steht sie im Verfahrens- 24 ermessen der Vergabekammer6. Dieses Verfahrensermessen knüpft allerdings erst an die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 162 an, d.h. eine Beiladung ist auch als Ermessensentscheidung nur dann zulässig, wenn die Interessen des 1 Bracher in Frankfurter Kommentar, § 54 GWB Rz. 66. 2 BayObLG v. 21.5.1999 – Verg 1/99, NVwZ 1999, 1138; Freund, NZBau 2005, 266 (267); Lausen, VergabeR 2002, 117 (121); Boesen, Vergaberecht, § 109 Rz. 14; Heuvels in Loewenheim/Meessen/Riesenkampff, Kartellrecht, § 106 GWB Rz. 10; Dreher in Immenga/ Mestmäcker, GWB, § 109 Rz. 14. 3 Dittmann in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum Vergaberecht, § 162 Rz. 12; Schweda in Langen/Bunte, Kommentar zum deutschen und europäischen Kartellrecht, § 109 Rz. 6. 4 Lausen, VergabeR 2002, 117 (121); Dreher in Immenga/Mestmäcker, GWB, § 109 Rz. 14; allgemein Bonk/Schmitz in Stelkens/Bonk/Sachs, Verwaltungsverfahrensgesetz, § 13 Rz. 40. 5 Bonk/Schmitz in Stelkens/Bonk/Sachs, Verwaltungsverfahrensgesetz, § 13 Rz. 42; Clausen in Knack/Henneke, Verwaltungsverfahrensgesetz, § 13 Rz. 49. 6 Byok in Byok/Jaeger, Kommentar zum Vergaberecht, § 109 Rz. 2; Schweda in Langen/ Bunte, Kommentar zum deutschen und europäischen Kartellrecht, § 109 Rz. 6.

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§ 162 | Verfahrensbeteiligte, Beiladung beizuladenden Unternehmens durch die Entscheidung der Vergabekammer schwerwiegend berührt werden können (Rz. 9 ff.)1. 25 Auf der Ermessensebene kann die Vergabekammer alle insofern relevanten As-

pekte berücksichtigen. Besondere Bedeutung hat dabei der das Nachprüfungsverfahren prägende Beschleunigungsgrundsatz (§ 167). Auch Kostengesichtspunkte können eine Rolle spielen (Rz. 17)2.Bei Unternehmen, bei denen mit großer Wahrscheinlichkeit mit einem weiteren Nachprüfungsverfahren gerechnet werden muss, spricht zumeist vieles für eine Beiladung. Auch die Wahrung von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen kann bei der Entscheidung über die Beiladung Bedeutung haben. Zwar sieht § 165 Abs. 2 Einschränkungen für die Möglichkeit zur Akteneinsicht vor (§ 165 Rz. 14 ff.), jedoch werden nicht selten die betroffenen Punkte auch schriftsätzlich sowie in der mündlichen Verhandlung behandelt. Geht es dabei für die Vergabestelle, den Antragsteller oder auch für sonstige Dritte um besonders wichtige und sensible Fragen, spricht dies für eine größere Zurückhaltung hinsichtlich einer Beiladung. Dies gilt namentlich dann, wenn ein Antrag auf Beiladung offensichtlich in ganz erheblichem Umfang auch dadurch motiviert ist, derartige Informationen zu erhalten. c) Zeitpunkt und Dauer der Beiladung

26 Die Beiladung setzt ein laufendes Nachprüfungsverfahren voraus. Vorher ist

sie noch nicht möglich, etwa als vorsorgliche Beiladung o. ä. für ein potentielles Nachprüfungsverfahren.

27 In Betracht kommt die Beiladung durch die Vergabekammer nur bis zu deren

Entscheidung gemäß § 168 Abs. 3 Satz 1 (§ 168 Rz. 63 ff.)3. Innerhalb des Nachprüfungsverfahrens hat die Beiladung umgehend zu erfolgen, sobald sich die Vergabekammer ein Bild davon machen konnte, ob durch eine im Rahmen des Verfahrens in Betracht kommende Entscheidung Interessen von anderen Unternehmen schwerwiegend berührt sein können. Wird durch ein Unternehmen etwa geltend gemacht, ein anderer Bieter müsse von dem Ausschreibungsverfahren ausgeschlossen werden, hat die Beiladung in der Regel umgehend nach der Information des Auftraggebers gemäß § 169 Abs. 1 zu erfolgen. Dies ergibt sich sowohl aus dem Beschleunigungsgebot des § 167 GWB einschließlich der Vorgabe, das Nachprüfungsverfahren in der Regel innerhalb einer Frist von fünf Wochen abzuschließen, als auch aus dem – auch für den Beigeladenen geltenden – Gebot des effektiven Rechtschutzes. Letzteres umfasst insbesondere, dass auch ein beizuladendes Unternehmen innerhalb der Entscheidungsfrist von fünf

1 Freund, NZBau 2005, 266 (267). 2 Bungenberg in Pünder/Schellenberg, Vergaberecht, § 109 Rz. 10. 3 A. A. Dreher in Immenga/Mestmäcker, GWB, § 109 Rz. 16; Weyand, IBR-online-Kommentar, Vergaberecht, § 109 Rz. 15, die eine Beiladung durch die Vergabekammer bis zur Unanfechtbarkeit ihrer Entscheidung für möglich halten.

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Verfahrensbeteiligte, Beiladung | § 162

Wochen hinreichend Gelegenheit zur Akteneinsicht sowie zu dem aus seiner Sicht gebotenen Sach- und Rechtsvortrag haben muss. Wird der Nachprüfungsantrag zurückgenommen, endet die Beiladungswir- 28 kung1. Dies gilt sowohl für die einfache als auch für die notwendige Beiladung. Das beigeladene Unternehmen kann nicht verlangen, dass der Nachprüfungsantrag aufrechterhalten oder das Verfahren ohne einen entsprechenden Antrag fortgesetzt wird. Die Durchführung des Verfahrens liegt also auch bei erfolgter Beiladung im ausschließlichen Dispositionsbereich des Antragstellers2. Die Beiladung kann durch die Vergabekammer wieder aufgehoben werden, 29 wenn sie zu der Auffassung gelangt, dass die diesbezüglichen Voraussetzungen nicht mehr vorliegen3. d) Stellung des Beigeladenen Sobald ein Unternehmen beigeladen worden ist, hat es innerhalb des Nachprü- 30 fungsverfahrens die Stellung eines Verfahrensbeteiligten. Das Unternehmen kann daher ebenso wie der Antragsteller und der Antragsgegner Anträge stellen, tatsächliche und rechtliche Ausführungen machen, Akteneinsicht nehmen (§ 165) sowie alle sonstigen Angriffs- und Verteidigungsmittel geltend machen, um seine eigenen Interessen wahrzunehmen. Es ist also nicht darauf beschränkt, einen der anderen Beteiligten zu unterstützen4. Ein beigeladenes Unternehmen ist ebenso wie der Antragsteller und der An- 31 tragsgegner an die Entscheidung der Vergabekammer gebunden. Gegen die Entscheidung der Vergabekammer kann es Rechtsmittel einlegen, sofern es durch die Entscheidung beschwert ist (dazu § 171 Rz. 24 ff.)5. Es ist auch nicht gehindert, in Bezug auf einen von ihm gerügten Vergaberechtsverstoß einen eigenen Nachprüfungsantrag zu stellen, wenn die diesbezüglichen verfahrensrechtlichen Voraussetzungen erfüllt sind6. Insbesondere fehlt es in diesem Fall nicht an dem notwendigen Sachentscheidungsinteresse, da das Nachprüfungsverfahren, zu dem ein Unternehmen beigeladen worden ist, ohne dessen Mitwirkung jederzeit 1 Bungenberg in Pünder/Schellenberg, Vergaberecht, § 109 Rz. 22. 2 Heuvels in Loewenheim/Meessen/Riesenkampff, Kartellrecht, § 109 GWB Rz. 4; Dreher in Immenga/Mestmäcker, GWB, § 109 Rz. 21; Tahal in Willenbruch/Bischoff, Kompaktkommentar Vergaberecht, § 109 Rz. 7; vgl. für die Beiladung im Verwaltungsprozess Redeker in Redeker/v. Oertzen, VwGO, § 66 Rz. 6 ff. 3 Dittmann in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum Vergaberecht, § 162 Rz. 22. 4 Freund, NZBau 2005, 266 (268); Schweda in Langen/Bunte, Kommentar zum deutschen und europäischen Kartellrecht, § 109 Rz. 9; Heuvels in Loewenheim/Meessen/Riesenkampff, Kartellrecht, § 109 GWB Rz. 4. 5 Dreher in Immenga/Mestmäcker, GWB, § 109 Rz. 25; Dittmann in Kulartz/Kus/Portz/ Prieß, Kommentar zum Vergaberecht, § 162 Rz. 25. 6 Freund, NZBau 2005, 266 (267); Lausen, VergabeR 2002, 117 (123).

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§ 162 | Verfahrensbeteiligte, Beiladung beendet werden kann (Rz. 28) und gegebenenfalls bis zur nachträglichen Einleitung eines eigenen Nachprüfungsverfahrens durch den Beigeladenen der Zuschlag bereits erteilt worden ist. Ebenfalls muss ein Unternehmen selbst bei erfolgter Beiladung die Frist gemäß § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 beachten, die durch eine Beiladung weder gewahrt noch gehemmt wird (§ 160 Rz. 79 ff.). 32 Das beigeladene Unternehmen muss den Verfahrensstand des Nachprüfungs-

verfahrens so übernehmen, wie es ihn nach der erfolgten Beiladung vorfindet (s. allerdings zum Zeitpunkt der Beiladung Rz. 27). Es hat keinen Anspruch auf Wiederholung früherer Verfahrenshandlungen1. Ist das beigeladene Unternehmen der Auffassung, dass es aufgrund einer erst sehr spät erfolgten Beiladung nicht mehr in der Lage war, sich sachgerecht zu äußern, kann es dies nur im Rahmen eines Beschwerdeverfahrens gemäß den §§ 171 ff. geltend machen, sofern es auch materiell beschwert ist.

33 Es ist nicht möglich, dass ein Unternehmen auf die Stellung als Beigeladener

verzichtet. Ist die (einfache oder notwendige) Beiladung erfolgt, dann ist die damit einhergehende Bindungswirkung seitens der Vergabekammer gerade gewollt. Dem kann sich das betreffende Unternehmen nicht einseitig entziehen. e) Rechtsschutz

34 Die Beiladungsentscheidung der Vergabekammer ist gemäß § 162 Satz 2 un-

anfechtbar, also nicht gesondert überprüfbar. Das gilt sowohl für eine positive als auch für eine negative Entscheidung über die Beiladung2. Dies ist auch mit Blick auf die tatsächlichen und rechtlichen Folgen unbedenklich:

35 Wird ein Unternehmen nicht beigeladen, obgleich es dies beantragt hat, dann

kann es ggf. mit einem eigenen Nachprüfungsantrag die Vergabekammer anrufen, wenn es sich durch das Vergabeverfahren des öffentlichen Auftraggebers in eigenen Rechten aus § 97 Abs. 6 beschwert fühlt und ihm ein Schaden droht. Die Entscheidung der Vergabekammer gemäß § 168 Abs. 3 entfaltet in diesem Fall für das nicht beigeladene Unternehmen keine Bindungswirkung. Die Beiladung kann zudem auch durch das Oberlandesgericht im Beschwerdeverfahren noch nachgeholt werden (§ 174 Rz. 3)3.

1 Schweda in Langen/Bunte, Kommentar zum deutschen und europäischen Kartellrecht, § 109 Rz. 9; vgl. zur Beiladung im Kartellverwaltungsverfahren Bechtold/Bosch in Bechtold/Bosch,§ 54 GWB Rz. 6 ff. 2 OLG Karlsruhe v. 25.11.2008 – 15 Verg 13/08; OLG Frankfurt v. 28.6.2005 – 11 Verg 9/ 05, VergabeR 2006, 144; Dreher in Immenga/Mestmäcker, GWB, § 109 Rz. 17; Weyand, IBR-online-Kommentar, Vergaberecht, § 109 Rz. 23; Dittmann in Kulartz/Kus/Portz/ Prieß, Kommentar zum Vergaberecht, § 163 Rz. 28. 3 OLG Koblenz v. 29.12.2004 – 1 Verg 6/04; OLG Naumburg v. 9.12.2004 – 1 Verg 21/04; OLG Düsseldorf v. 26.6.2002 – Verg 24/02, NZBau 2002, 639; Freund, NZBau, 2005, 266; Leinemann, Die Vergabe öffentlicher Aufträge, Rz. 189.

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Untersuchungsgrundsatz | § 163

Erfolgt aus Sicht eines der anderen Verfahrensbeteiligten zu Unrecht eine Beila- 36 dung, dann ist dies hinzunehmen. Die Wahrung der Interessen der weiteren Beteiligten ist vor allem durch § 165 Abs. 2 und 3 hinreichend gewahrt. f) Analoge Anwendung von § 161 Abs. 1 Satz 2 § 161 Abs. 1 Satz 2 sieht vor, dass ein ausländischer Antragsteller einen Emp- 37 fangsbevollmächtigten in der Bundesrepublik Deutschland zu benennen hat (§ 161 Rz. 20). Der Sinn und Zweck dieser Vorschrift, das Nachprüfungsverfahren möglichst zu beschleunigen, greift auch für beizuladende Unternehmen ein. Daher kann in entsprechender Anwendung dieser Regelung einem beizuladenden Unternehmen mit der Beiladungsentscheidung aufgegeben werden, einen inländischen Empfangsbevollmächtigten zu benennen1. g) Aufwendungen des Beigeladenen (Erstattungsfähigkeit) Zur Erstattungsfähigkeit der Kosten, die dem Beigeladenen aufgrund seiner Be- 38 teiligung an dem Nachprüfungsverfahren entstanden sind, wird auf die Ausführungen zu § 182 verwiesen.

§ 163 Untersuchungsgrundsatz (1) Die Vergabekammer erforscht den Sachverhalt von Amts wegen. Sie kann sich dabei auf das beschränken, was von den Beteiligten vorgebracht wird oder ihr sonst bekannt sein muss. Zu einer umfassenden Rechtmäßigkeitskontrolle ist die Vergabekammer nicht verpflichtet. Sie achtet bei ihrer gesamten Tätigkeit darauf, dass der Ablauf des Vergabeverfahrens nicht unangemessen beeinträchtigt wird. (2) Die Vergabekammer prüft den Antrag darauf, ob er offensichtlich unzulässig oder unbegründet ist. Dabei berücksichtigt die Vergabekammer auch einen vorsorglich hinterlegten Schriftsatz (Schutzschrift) des Auftraggebers. Sofern der Antrag nicht offensichtlich unzulässig oder unbegründet ist, übermittelt die Vergabekammer dem Auftraggeber eine Kopie des Antrags und fordert bei ihm die Akten an, die das Vergabeverfahren dokumentieren (Vergabeakten). Der Auftraggeber hat die Vergabeakten der Kammer sofort zur Verfügung zu stellen. Die §§ 57 bis 59 Abs. 1 bis 5 sowie § 61 gelten entsprechend.

1 Dreher in Immenga/Mestmäcker, GWB, § 109 Rz. 27.

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§ 163 | Untersuchungsgrundsatz I. Einführung 1. Inhaltsübersicht . . . . . . . . . . . . 2. Entstehungsgeschichte . . . . . . . II. Grundsatz der Amtsermittlung (§ 163 Abs. 1) . . . . . . . . . . . . . 1. Verpflichtung zur Sachverhaltserforschung . . . . . . . . . . . . . . . 2. Erforderliche Ermittlungen a) Eigenverantwortlichkeit der Verfahrensbeteiligten . . . . . . b) Umfang der Ermittlungen, Beweiswürdigung . . . . . . . . . c) Verhältnismäßigkeit . . . . . . . 3. Folgen mangelhafter Sachverhaltserforschung . . . . . . . . . III. Übermittlung einer Kopie des Nachprüfungsantrags an den Auftraggeber (§ 163 Abs. 2 Satz 3) . . . . . . . . . . . . . . . . . .

__ _ _ _ __ _ 1 2 3 4 5

7 10 13

_ 14

1. Umgehende Durchführung der notwendigen Schritte . . . . . . . . 2. Prüfung der offensichtlichen Unzulässigkeit oder Unbegründetheit (Vorprüfung) . . . . . . . . a) Vorgaben aus dem Verfahrensablauf . . . . . . . . . . . . . . b) Prüfungsdichte . . . . . . . . . . c) Schutzschrift (§ 163 Abs. 2 Satz 2) . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Weitere Übermittlungsvoraussetzungen, Kostenvorschuss . . . 4. Art und Weise der Übermittlung 5. Verfahrensfortgang bei nicht erfolgter Übermittlung . . . . . . . IV. Anforderung der Vergabeakten (§ 163 Abs. 2 Satz 3 und 4) . . . . V. Entsprechende Geltung der §§ 57 bis 59 Abs. 1 bis 5 (§ 163 Abs. 2 Satz 5) . . . . . . . .

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I. Einführung 1. Inhaltsübersicht 1 § 163 Abs. 1 regelt für das Nachprüfungsverfahren den Untersuchungsgrund-

satz, der jedoch gleichzeitig durch die Mitwirkungslast der Verfahrensbeteiligten sowie die Pflicht zur beschleunigten Durchführung des Nachprüfungsverfahrens (s. auch § 167) relativiert wird. Abs. 2 der Vorschrift behandelt die Übermittlung einer Kopie des Nachprüfungsantrages an die Vergabestelle einschließlich der dafür bestehenden Voraussetzungen, die Anforderung der Vergabeakten sowie die Möglichkeiten zur Sachverhaltsermittlung und Beweiserhebung. 2. Entstehungsgeschichte

2 § 110 a.F. wurde mit dem VergaberechtsmodernisierungsG 2016 in § 163 un-

verändert übernommen. § 110 a.F. wurde aber zuvor durch das Vergaberechtsmodernisierungsgesetz 2009 (Einleitung Rz. 4 ff.) neu gefasst. Dabei handelte es sich allerdings weitgehend um redaktionelle Änderungen. So wurde § 110 Abs. 1 a.F., entsprechend der Begründung zum Regierungsentwurf der Ursprungsfassung dahingehend ergänzt, dass die Vergabekammer sich bei ihrer Tätigkeit auf das beschränken könne, was von den Beteiligten vorgebracht wird oder ihr sonst bekannt sein muss. Zudem sei sie nicht zu einer umfassenden Rechtmäßigkeitskontrolle verpflichtet. In der Begründung des Regierungs-

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entwurfs zum Vergaberechtsmodernisierungsgesetz 2009 wurde des Weiteren betont, dass die Vergabekammer nicht allen denkbaren Möglichkeiten zur Aufklärung des Sachverhalts von Amts wegen nachgehen müsse und sich neben dem Vortrag der Beteiligten auf das beschränken könne, was „dem sorgfältig ermittelnden Beamten zur Kenntnis gelangt“. Dies schließe „beispielsweise Indizien wie Pressemeldungen“ ein1. Durch das Vergaberechtsmodernisierungsgesetz 2009 wurde § 110 Abs. 2 a.F. des Weiteren um eine ausdrückliche Bestimmung ergänzt, nach der die Vergabekammer einen vorsorglich hinterlegten Schriftsatz (Schutzschrift) zu berücksichtigen hat. Auch dies sei allerdings nur eine Klarstellung2. Anders als nach der zuvor geltenden Rechtslage muss der Nachprüfungsantrag seit dem Vergaberechtsmodernisierungsgesetz 2009 dem Auftraggeber nach der Prüfung, ob er offensichtlich unzulässig oder unbegründet ist, nicht mehr förmlich zugestellt werden. Es genügt nunmehr die Übermittlung einer Kopie des Antrags an den öffentlichen Auftraggeber. Die Auslösung des Zuschlagsverbotes gemäß § 169 Abs. 1. ist von dieser Übermittlung an den Auftraggeber nicht abhängig. Dafür genügt seither eine entsprechende Information des Auftraggebers in Textform über den Antrag auf Nachprüfung. Allerdings darf auch diese Information nur dann erfolgen, wenn der Nachprüfungsantrag nicht offensichtlich unzulässig oder unbegründet ist (s. § 169 Rz. 8).

II. Grundsatz der Amtsermittlung (§ 163 Abs. 1) § 163 Abs. 1 Satz 1 entspricht inhaltlich im Wesentlichen dem in § 24 VwVfG 3 des Bundes und der Länder allgemein für das Verwaltungsverfahren geregelten Untersuchungsgrundsatz. Unabhängig von der den Verfahrensbeteiligten, insbesondere dem Antragsteller, auferlegten Beibringungslast (s. insbesondere § 161 Rz. 24, § 167 Rz. 24 ff.) prägt dieser Grundsatz – ebenso wie andere Verwaltungsverfahren auch – das Nachprüfungsverfahren3. Soweit § 163 keine besonderen Regelungen trifft, ist daher für die Sachverhaltsermittlung das Verwaltungsverfahrensgesetz des Bundes oder des betreffenden Landes ergänzend heranzuziehen4. Soweit § 24 VwVfG durch das GWB verdrängt wird, kann die Regelung zumindest zur Auslegung der GWB-Vorschriften herangezogen werden5.

1 2 3 4 5

BT-Drucks. 16/10117, S. 22. S. insbesondere BT-Drucks. 16/10117, S. 22 (42). BGH v. 19.12.2000 – X ZB 14/00, MDR 2001, 524 = MDR 2001, 767 = NZBau 2001, 151. Heuvels in Loewenheim/Meessen/Riesenkampff, Kartellrecht, § 110 Rz. 1. Ebenso für das kartellrechtliche Verwaltungsverfahren Bracher in Frankfurter Kommentar, § 57 GWB Rz. 5.

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§ 163 | Untersuchungsgrundsatz 1. Verpflichtung zur Sachverhaltserforschung 4 Gemäß § 163 Abs. 1 Satz 1 erforscht die Vergabekammer den Sachverhalt von

Amts wegen. Daraus folgt, dass die Vergabekammer insofern kein Ermessen hat. Dies muss vielmehr in dem erforderlichen Umfang erfolgen. Dabei ist der jeweilige Verfahrensstand zu beachten. Geht es zunächst nur um die Zulässigkeit des Nachprüfungsantrags, ist der Sachverhalt nur so weit zu ermitteln, wie dies für die Prüfung der Zulässigkeit notwendig ist. Hingegen sind noch keine Sachverhaltsermittlungen im Hinblick auf eine etwaige Begründetheit oder Unbegründetheit des Nachprüfungsantrags notwendig. Erst wenn die Zulässigkeit des Nachprüfungsantrags aus Sicht der Vergabekammer feststeht, sind weitergehende Sachverhaltsermittlungen im Hinblick auf die Begründetheitsprüfung anzustellen. Begrenzt wird dies dabei zusätzlich durch § 163 Abs. 1 Satz 2 dahingehend, dass sich die Sachverhaltsaufklärung auf den Vortrag der Beteiligten sowie auf das beschränken kann und in der Regel auch beschränken muss (Rz. 5), was der Vergabekammer ansonsten bekannt ist oder jedenfalls bekannt sein muss. Hinsichtlich der Rechtsfragen ergibt sich eine Begrenzung aus § 163 Abs. 1 Satz 3 dahingehend, dass keine umfassende Rechtmäßigkeitskontrolle anzustellen ist, d.h. die Vergabekammer muss nur – dies jedoch vollständig und abschließend – prüfen, ob der Antragsteller auf der Grundlage des von ihm vorgetragenen Sachverhalt in seinen Rechten verletzt ist. Es bedarf also weder der Prüfung einer möglichen Rechtsverletzung über den vom Antragsteller selbst vorgetragenen Sachverhalt hinaus, noch muss sich die Vergabekammer mit der Frage befassen, ob sonstige Unternehmen möglicherweise in ihren Rechten verletzt sind oder gar Vergabevorschriften missachtet wurden, die keine subjektiven Rechte i.S.v. § 97 Abs. 6 begründen. 2. Erforderliche Ermittlungen a) Eigenverantwortlichkeit der Verfahrensbeteiligten

5 Die Vergabekammer muss nur den für ihre Entscheidung notwendigen Sach-

verhalt ermitteln. Dabei ist zu beachten, dass der Antragsteller gemäß § 161 Abs. 1 seinen Nachprüfungsantrag unverzüglich begründen muss. Die Vergabekammer kann in der Regel davon ausgehen, dass in der Begründung des Nachprüfungsantrags die wesentlichen entscheidungsrelevanten Punkte zumindest dem Grunde nach angesprochen sind (§ 161 Rz. 24)1. Maßgeblicher Sachverhalt sind dabei die tatsächlichen Umstände, die von den Beteiligten mit der ihnen jeweils möglichen Substantiierung vorgebracht werden oder die zwar von den Beteiligten nicht selbst angesprochen werden, jedoch der Vergabekammer aus sonstigen Gründen, z.B. aufgrund von Pressemitteilungen (s. Rz. 2) oder auch

1 OLG München v. 27.6.2007 – Verg 07/07; VK Münster v. 31.10.2007 – VK 23/07; VK Südbayern v. 19.2.2008 – Z3-3-3194-1-02-01/08.

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aus anderen Nachprüfungsverfahren, bekannt sind und die gleichzeitig in einem inhaltlichen Zusammenhang mit dem Gegenstand des Nachprüfungsverfahrens stehen1. Dabei hat die Vergabekammer auch zu berücksichtigen, dass im Nachprüfungsverfahren kein Anwaltszwang besteht und daher auch Ermittlungen zu aus juristischer Sicht nicht eindeutig vorgetragenen Umständen notwendig sein können.2 Andererseits muss die Vergabekammer nicht etwaigen Sachverhaltsfragen nachgehen, die zwar von den Verfahrensbeteiligten angesprochen sind, die jedoch keinen entscheidungserheblichen Bezug zu subjektiven Rechten des Antragstellers gemäß § 97 Abs. 6 haben und auch nicht aus sonstigen Gründen entscheidungsrelevant sind. Letzteres ist in der Regel dann nicht der Fall, wenn der Antragsteller mit dem betreffenden Vortrag gemäß § 160 Abs. 3 präkludiert ist (s. § 160 Rz. 42 ff.). Denn das Nachprüfungsverfahren dient der Verwirklichung subjektiver Bieterrechte und nicht einer hiervon losgelösten abstrakten Sicherstellung der Rechtmäßigkeit des Vergabeverfahrens3. Da dem Nachprüfungsantrag auf der Grundlage von nicht zu berücksichtigendem Vortrag ohnehin nicht stattgegeben werden kann, müssen insofern auch keine möglicherweise unklaren Einzelheiten des Sachverhalts aufgeklärt werden. Diese Einschränkungen der Untersuchungspflichten der Vergabekammer er- 6 geben sich bereits aus dem Sinn und Zweck des verwaltungsverfahrensrechtlichen Untersuchungsgrundsatzes selbst4. Ergänzend dazu folgen sie auch aus § 163 Abs. 1 Satz 2 sowie aus der Regelung, dass die Vergabekammer nicht zu einer umfassenden Rechtmäßigkeitskontrolle verpflichtet ist (§ 163 Abs. 1 Satz 3). Auch wenn der Gesetzeswortlaut die Vergabekammer lediglich berechtigt, sich auf den Vortrag der Beteiligten oder das, was ihr bekannt sein muss, zu beschränken und damit eine umfassende Rechtmäßigkeitskontrolle durch den Gesetzeswortlaut des § 163 Abs. 1 Satz 3 zumindest nicht ausgeschlossen ist, ergibt sich sowohl für die Sachverhaltsermittlung als auch für die Rechtsprüfung regelmäßig eine weitgehende Beschränkung aus § 163 Abs. 1 Satz 4. Danach achtet die Vergabekammer bei ihrer gesamten Tätigkeit darauf, dass der Ablauf des Vergabeverfahrens nicht unangemessen beeinträchtigt wird.5 Ebenfalls folgt eine diesbezügliche Einschränkung aus dem Umstand, dass es sich beim Nachprüfungsverfahren um ein antragsgebundenes Streitverfahren handelt, bei dem es um die Klärung geht, ob der Antragsteller in seinen Rechten verletzt ist und das allein zur Zielsetzung hat, eine solche Rechtsverletzung zu beseitigen (§ 168 1 Horn/Hofmann in Burgi/Dreher, § 163 Rz. 6 f. 2 Maier, NZBau 2004, 667 (668); Ohlerich in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum Vergaberecht, § 163 Rz. 5. 3 OLG München v. 9.8.2010 – Verg 13/10; OLG Brandenburg v. 3.11.2011 – Verg W 4/11. 4 S. dazu etwa Ritgen in Knack/Henneke, Verwaltungsverfahrensgesetz, § 24 Rz. 3; Kallerhoff in Stelkens/Bonk/Sachs, Verwaltungsverfahrensgesetz, § 24 Rz. 1. 5 Just in Schulte/Just, Vergaberecht, § 110 Rz. 7.

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§ 163 | Untersuchungsgrundsatz Abs. 1; zur fehlenden Antragsbindung gemäß § 168 Abs. 1 Satz 2 s. § 168 Rz. 16)1. Fehlt es, etwa aufgrund einer Rücknahme durch den Antragsteller, an dem notwendigen Nachprüfungsantrag, scheidet eine weitere Sachverhaltsaufklärung durch die Vergabekammer aus. b) Umfang der Ermittlungen, Beweiswürdigung 7 Der Umfang der Sachverhaltsermittlungen ist begrenzt durch den Verfahrens-

gegenstand. § 168 Abs. 1 Satz 2 ändert nichts daran, dass das Verfahren auf den zur Entscheidung gestellten Sachverhalt und das durch den Antragsteller verfolgten Ziels beschränkt ist. Es dürfen und müssen daher keine Ermittlungen der Vergabekammer dahingehend angestellt werden, ob etwa ein anderes Unternehmen, das keinen Nachprüfungsantrag gestellt hat, in subjektiven Rechten gemäß § 97 Abs. 6 verletzt ist. Nicht beschränkt ist hingegen die Amtsermittlung der Vergabekammer aufgrund des begrenzten Umfangs der zulässigen Akteneinsicht durch die Verfahrensbeteiligten gemäß § 165. Auch Unterlagen, die insbesondere wegen darin enthaltener Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse nicht sämtlichen Verfahrensbeteiligten zugänglich gemacht werden, sind daher Grundlage und Gegenstand der Amtsermittlung und dementsprechend auch der Entscheidung der Vergabekammer gemäß § 168 zugrunde zu legen. Die Amtsermittlung geht insofern also weiter als der zulässige Umfang der Akteneinsicht. Dies ändert allerdings nichts daran, dass das Vergabenachprüfungsverfahren nicht der allgemeinen Rechtsmäßigkeitskontrolle dient, sondern allein dem Rechtsschutz des Antragstellers und daher auf den durch ihn vorgegebenen Verfahrensgegenstand beschränkt ist.2

8 Innerhalb dieses Rahmens ergibt sich der Umfang der Sachverhaltsermittlung

aus dem materiellen Vergaberecht. Es ist in der Regel (nur) alles das aufzuklären, was für die dem Antragsgegner vorgeworfene und nicht gemäß § 160 Abs. 3 präkludierte Verletzung von subjektiven Rechten des Antragstellers (s. auch § 160 Rz. 29 ff.3 gemäß § 97 Abs. 6 maßgeblich und für die Überzeugungsbildung der Vergabekammer notwendig ist (zu den Möglichkeiten der Beweiserhebung Rz. 12; zu den in Betracht kommenden Beweismitteln § 161 Rz. 25 ff.). Der das Nachprüfungsrecht prägende Beschleunigungsgrundsatz (§ 163 Abs. 1 Satz 4, § 167) führt dabei nicht zu geringeren Anforderungen an die Sachverhaltsermittlung und Überzeugungsbildung als dies bei anderen Verwaltungsver-

1 OLG München v. 10.12.2009 – Verg 16/09, VergabeR 2010, 246 (259); OLG Koblenz v. 4.2.2009 – 1 Verg 4/08, VergabeR 2009, 682; OLG Karlsruhe v. 24.7.2007 – 17 Verg 6/07; OLG Frankfurt v. 8.2.2005 – 11 Verg 24/04, VergabeR 2005, 384; VK Südbayern v. 19.2. 2008 – Z3 3-3194-1-02-01/08; VK Münster v. 31.10.2007 – VK 23/07; Dreher in Immenga/Mestmäcker, GWB, § 110 Rz. 10; Maier, NZBau, 2004, 667 (668). 2 Ähnlich Horn/Hofmann in Burgi/Dreher, § 163 Rn. 13 ff. 3 OLG Celle v. 11.2.2010 – 13 Verg 16/09, VergabeR 2010, 669; OLG München v. 9.8.2010 – Verg 13/10.

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Untersuchungsgrundsatz | § 163

fahren der Fall ist. Es handelt sich also nicht um ein Eilverfahren mit reduzierten Anforderungen an die Ermittlungspflichten und die Überzeugungsbildung der Vergabekammer1. Die Vergabekammer muss daher mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit von der Richtigkeit des ihrer Entscheidung zugrunde gelegten Sachverhalts überzeugt sein. Zeigt sich bei der Beurteilung, dass im konkreten Fall der Sachverhalt auch anders sein kann als vorgetragen, muss weiter ermittelt werden. Dies gilt erst recht dann, wenn sich ein anderer Tatbestand aufdrängt. Hingegen muss die Vergabekammer über die Richtigkeit ihrer Entscheidungsgrundlage keine absolute Gewissheit erlangt haben2. Zugleich besteht der Untersuchungsgrundsatz während des gesamten Nachprüfungsverfahrens, also auch noch nach Abschluss der mündlichen Verhandlung, so dass die Kammer ggf. wieder in die mündliche Verhandlung eintreten muss, sofern hierfür ein Erfordernis besteht3. Für das Nachprüfungsverfahren gilt dabei wie für jedes Verwaltungsverfahren, 9 sofern nichts anderes geregelt ist, der Grundsatz der freien Beweiswürdigung4. Die Vergabekammer ist daher nicht an bestimmte Beweisregeln gebunden. Sie ist in der Bewertung und Würdigung der Tatsachen, die sie ihrer rechtlichen Entscheidung zu Grunde legt, frei5. Wegen des Grundsatzes der Amtsermittlung gibt es zwar keine formelle Darlegung- und Beweislast, jedoch gleichwohl eine materielle Beweislast.6 Die Unaufklärbarkeit bestimmter Umstände wirkt sich daher zu Lasten der Partei aus, die sich darauf beruft.7 c) Verhältnismäßigkeit § 163 Abs. 1 Satz 4 enthält eine besondere Ausprägung des Verhältnismäßig- 10 keitsgrundsatzes, der bei der Amtsermittlung der Vergabekammer ebenso zu beachten ist wie bei allen anderen staatlichen Tätigkeiten. Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz erfordert insbesondere die Wahl der zur Sachverhaltsaufklärung zur Verfügung stehenden mildesten Mittel, d.h. der Mittel, die die Positionen der Betroffenen und der Allgemeinheit am wenigsten beeinträchtigen8. 1 BKartA v. 1.2.2001 – VK 1-1/01, VergabeR 2001, 143; Gröning, ZIP 1999, 52 (58). 2 Boesen, Vergaberecht, § 110 Rz. 21 ff.; allgemein Kallerhoff in Stelkens/Bonk/Sachs, Verwaltungsverfahrensgesetz, § 24 Rz. 20 ff. 3 OLG Düsseldorf v. 16.12.2015 – VII-Verg 24/15, ZfBR 2016, 728. 4 Ramm, VergabeR 2007, 739 (744 f.). 5 VK Hessen v. 10.2.2015 – 69d VK-25/2014; Boesen, Vergaberecht, § 110 Rz. 22; Schweda in Langen/Bunte, Kommentar zum deutschen und europäischen Kartellrecht, § 110 Rz. 5. 6 VK Bund v. 3.2.2014 – VK 2-1/14; VK Bund v. 5.11.2012 – VK 3-120/12, ZfBR 2013, 204; Bungenberg in Pünder/Schellenberg, Vergaberecht, § 110 Rz. 23. 7 Dreher in Immenga/Mestmäcker, GWB, § 110 Rz. 20. 8 Heuvels in Loewenheim/Meessen/Riesenkampff, Kartellrecht, § 110 Rz. 1; zur Begrenzung von erforderlichen Ermittlungen gemäß § 57 für das Kartellverwaltungsverfahren Bracher in Frankfurter Kommentar, § 57 GWB Rz. 17 ff.; allgemein zum Verhältnis-

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§ 163 | Untersuchungsgrundsatz 11 Gesteigertes Gewicht misst § 163 Abs. 1 Satz 4 dabei der zügigen Weiterfüh-

rung des Vergabeverfahrens und der Auftragsvergabe bei. Darauf ist folglich besonders zu achten, wenn es um die Frage geht, ob bestimmte Sachverhaltsermittlungen noch verhältnismäßig sind. So braucht die Vergabekammer keine Nachforschungen anzustellen, die sehr zeitintensiv sind oder sehr nachhaltig in schutzwürdige Positionen von Verfahrensbeteiligten oder sonstigen Dritten eingreifen (zum Geheimnisschutz § 165 Rz. 36 ff.), gleichwohl jedoch kaum die Aussicht bieten, nachhaltig zur Aufklärung des Sachverhalts beizutragen. Sie darf und muss sich vielmehr auf das bei vernünftiger Betrachtungsweise wirklich Erforderliche beschränken1. Auch muss die in § 167 Abs. 1 genannte Entscheidungsfrist zur Sachverhaltsermittlung nicht vollständig ausgenutzt werden. Diese ist zwar ohnehin sehr eng bemessen (§ 167), jedoch kann es durchaus Fälle geben, in denen sie gleichwohl nicht vollständig ausgeschöpft werden muss.

12 Andererseits gibt der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz auch unter Berücksichti-

gung von § 163 Abs. 1 Satz 4 keine Rechtfertigung für eine nur oberflächliche Sachverhaltsermittlung. In jedem Fall muss die Vergabekammer daher prüfen, ob und ggf. welche Aufklärungsmaßnahmen sie durchführen oder aus welchen Gründen sie davon ggf. in der konkreten Situation Abstand nehmen will. 3. Folgen mangelhafter Sachverhaltserforschung

13 Die nach Auffassung eines der Verfahrensbeteiligten unzureichende Sachver-

haltsaufklärung ist nicht eigenständig anfechtbar oder zu erzwingen. Es besteht daher lediglich die Möglichkeit, gegen eine auf einer unzureichenden Sachverhaltsermittlung beruhende Entscheidung der Vergabekammer sofortige Beschwerde gemäß den §§ 171 ff. einzulegen, wenn zugleich auch eine materielle Beschwer gegeben ist2.

III. Übermittlung einer Kopie des Nachprüfungsantrags an den Auftraggeber (§ 163 Abs. 2 Satz 3) 14 Die Vergabekammer übermittelt den Nachprüfungsantrag in Kopie der Ver-

gabestelle, wenn er nicht offensichtlich unzulässig oder unbegründet ist. Anders als nach der Rechtslage vor Inkrafttreten des Vergaberechtsmodernisierungsgesetzes 2009 (Rz. 2) knüpft das Zuschlagsverbot jedoch nicht mehr an diese Übermittlung bzw. an die nach altem Recht notwendige Zustellung des Nach-

mäßigkeitsgrundsatz bei der Amtsermittlung Kallerhoff in Stelkens/Bonk/Sachs, Verwaltungsverfahrensgesetz, § 24 Rz. 36 ff. 1 Ohlerich in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum Vergaberecht, § 163 Rz. 24. 2 Ohlerich in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum Vergaberecht, § 163 Rz. 23; vgl. auch Kallerhoff in Stelkens/Bonk/Sachs, Verwaltungsverfahrensgesetz, § 24 Rz. 7, 58 ff.

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Untersuchungsgrundsatz | § 163

prüfungsantrags an. Vielmehr ist für die Auslösung des Zuschlagsverbotes lediglich die in § 169 Abs. 1 geregelte Information in Textform notwendig. Die Übermittlung einer Kopie des Nachprüfungsantrags erfolgt unabhängig davon, auch wenn die gesetzlichen Anforderungen jeweils identisch sind (keine offensichtliche Unzulässigkeit oder Unbegründetheit, s. § 169 Rz. 8 ff.). 1. Umgehende Durchführung der notwendigen Schritte Der Information in Textform gemäß § 169 Abs. 1, schon im Hinblick auf die 15 identischen Anforderungen (Rz. 14) aber auch der Übermittlung einer Kopie des Nachprüfungsantrages an den Auftraggeber, kommt zur Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes für den Antragsteller wesentliche Bedeutung zu. Nur sie kann nach Ablauf der Frist gemäß § 134 Abs. 1 in der Regel gewährleisten, dass die Zuschlagserteilung unterbleibt (§ 169 Rz. 7 ff.). § 163 Abs. 2 Satz 1 bestimmt keinen Zeitraum für die Prüfung durch die Ver- 16 gabekammer, ob ein dort eingegangener Nachprüfungsantrag offensichtlich unzulässig oder unbegründet ist. Entsprechendes gilt für die Übermittlung einer Kopie des Antrags an der Auftraggeber sowie die Information in Textform gemäß § 169 Abs. 1, die für den Antragsteller von vorrangiger Bedeutung ist. Allerdings sieht Art. 2 Abs. 1 der Rechtsmittelrichtlinien (Einleitung Rz. 7) vor, dass vorläufige Maßnahmen zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes „so schnell wie möglich“ eingreifen müssen. Dies ist daher jedenfalls dann von Bedeutung, wenn eine durch die Vergabekammer nicht mehr rückgängig zu machende Auftragsvergabe an einen Konkurrenten des Antragstellers droht (§ 168 Abs. 2 Satz 1, dazu § 168 Rz. 30 ff.). Da der Vergabekammer für die Übermittlung gemäß § 163 Abs. 2 Satz 3 und die Information in Textform gemäß § 169 Abs. 1 kein Ermessensspielraum eingeräumt ist und sie daher eine Kopie des Antrags an den Auftraggeber übermitteln und in Textform über den Antrag auf Nachprüfung informieren muss, wenn er nicht offensichtlich erfolglos sein wird, ist die Regelung so zu verstehen, dass die Offensichtlichkeitsprüfung und die sich daran anschließenden Schritte sofort zu erfolgen haben, zumindest aber so rechtzeitig, dass nicht vor Auslösung des Zuschlagsverbotes eine wirksame Zuschlagserteilung erfolgen kann (zur Wartefrist s. § 134 Abs. 2)1. Nicht in Betracht kommt es daher, die Offensichtlichkeitsprüfung in den allgemeinen Geschäftsgang einzuordnen und ggf. erst nach mehreren Tagen zu entscheiden, ob der Antrag dem Auftraggeber in Kopie übermittelt wird und eine Information in Textform gemäß § 169 Abs. 1 erfolgt, um das Zuschlagsverbot auszulösen. In der Regel wird diese Entscheidung noch am Tag des Antragseingangs oder spätestens am darauffolgenden Tag zu treffen sein2. 1 Bungenberg in Pünder/Schellenberg, Vergaberecht, § 110 Rz. 27. 2 Heuvels in Loewenheim/Meessen/Riesenkampff, Kartellrecht, § 110 Rz. 10; Kadenbach in Willenbruch/Wieddekind, Kompaktkommentar Vergaberecht, § 110 Rz. 7.

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§ 163 | Untersuchungsgrundsatz 2. Prüfung der offensichtlichen Unzulässigkeit oder Unbegründetheit (Vorprüfung) 17 Nach Antragseingang hat die Vergabekammer zunächst eine Prüfung dahin-

gehend vorzunehmen, ob der Nachprüfungsantrag offensichtlich unzulässig oder unbegründet ist. Davon hängt es ab, ob das Vergabeverfahren ausgesetzt und damit verzögert wird oder nicht. Zwar soll ein Vergabeverfahren nicht ohne Not unterbrochen werden, was auch die Rechtsmittelrichtlinien (Einleitung Rz. 7) nicht fordern (s. insbesondere Art. 2 Abs. 3–5 der Rechtsmittelrichtlinien), andererseits soll aber auch nicht der Fall eintreten, dass die notwendigen Schritte zur Auslösung des Zuschlagsverbots bewusst unterbleiben und sodann entgegen der ursprünglichen Einschätzung der Vergabekammer ein den Antragsteller in seinen subjektiven Rechten verletzender Zuschlag erteilt wird.

18 Diese Grundsätze sind für die Beantwortung der Frage maßgeblich, wie umfang-

reich die Vorprüfung der Vergabekammer sein muss. Im Zweifelsfall ist eine Kopie des Nachprüfungsantrags zu übermitteln und die Information in Textform gemäß § 169 Abs. 1 vorzunehmen, da der Antrag dann nicht offensichtlich unzulässig oder unbegründet ist. Dass in diesem Fall in der Regel die Erfolgsaussichten ebenfalls offen sind und erst recht noch nicht die Feststellung getroffen werden kann, dass der Antrag offensichtlich zulässig und begründet ist, spielt keine Rolle (zum weiteren Verfahrensgang bei einem aus Sicht der Vergabekammer offensichtlich unzulässigen oder unbegründeten Nachprüfungsantrag s. Rz. 38). a) Vorgaben aus dem Verfahrensablauf

19 Gemäß § 163 Abs. 2 Satz 3 erfolgt die Anforderung der Vergabeakten ebenso

wie die Übermittlung einer Kopie des Nachprüfungsantrages sowie die Information in Textform gemäß § 169 Abs. 1 zur Auslösung des Zuschlagsverbots (§ 169 Rz. 7 ff.) erst nach der Vorprüfung durch die Vergabekammer. Daraus folgt für diese Prüfung, dass sie grundsätzlich allein anhand des Nachprüfungsantrages zu erfolgen hat, also ohne weitergehende Sachverhaltsermittlungen (zur Berücksichtigung einer Schutzschrift s. Rz. 27 ff.). Nur wenn sich aus dem Nachprüfungsantrag selbst dessen offensichtliche Unzulässigkeit oder Unbegründetheit ergibt, darf in der Regel daher von einer Übermittlung sowie einer Information in Textform gemäß § 169 Abs. 1 abgesehen werden. Eine Anhörung der Vergabestelle sowie weiterer (zukünftiger) Verfahrensbeteiligter i.S.v. § 109 hat zu unterbleiben1. Das insofern notwendige Gegengewicht für rechtsmissbräuchliche Nachprüfungsanträge enthält § 180.

1 Gabriel, NJW 2009, 2011 (2015).

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Untersuchungsgrundsatz | § 163

b) Prüfungsdichte Maßgebliches Kriterium für die Prüfungsdichte der Vergabekammer bei ihrer 20 Vorprüfung ist die Offensichtlichkeit. Es muss also evident sein, dass der Nachprüfungsantrag keinen Erfolg haben wird1. Da zum Zeitpunkt der Vorprüfung durch die Vergabekammer in der Regel nur 21 der Nachprüfungsantrag vorliegt (Rz. 19), kann sich die Erfolglosigkeit des Antrags zumeist nicht aus einer eigenen Sachverhaltsermittlung und -würdigung der Vergabekammer ergeben. Vielmehr ist der durch den Antragsteller dargelegte Sachverhalt grundsätzlich als wahr zu unterstellen2, sofern er sich nicht als eindeutig falsch aufdrängt oder die Vergabekammer etwa aus vorherigen Nachprüfungsverfahren bereits konkrete Sachverhaltskenntnisse hat. Offensichtlich unzulässig kann der Nachprüfungsantrag sein, wenn er die for- 22 mellen Anforderungen des § 161 nicht einhält. Ebenfalls kann er offensichtlich unzulässig sein, wenn der Zuschlag nach gesichertem Kenntnisstand der Vergabekammer bereits wirksam an einen anderen Bieter erteilt wurde, die geltend gemachten Verstöße gegen Vergabevorschriften eindeutig nicht fristgerecht gerügt worden sind (§ 160 Abs. 3 Satz 1, s. dazu § 160 Rz. 42 ff.)3, der maßgebliche Schwellenwert eindeutig nicht erreicht ist oder die Frist zur Stellung des Nachprüfungsantrags gemäß § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 (§ 160 Rz. 79 ff.) bereits abgelaufen ist. Bei der materiellen Bewertung des durch den Antragsteller in seiner Antrags- 23 schrift dargestellten Sachverhalts und der gerügten Vergaberechtsverstöße kommt es für die offensichtliche Unzulässigkeit oder Unbegründetheit sowohl auf die maßgeblichen vergaberechtlichen Bestimmungen als auch auf deren Auslegung durch die Vergabekammern und Vergabesenate an. Ist eine von dem Antragsteller zugrunde gelegte Rechtsauffassung zwar mit guten Gründen vertretbar, wird sie jedoch in ständiger Rechtsprechung nicht geteilt, dann führt dies zur offensichtlichen Unzulässigkeit oder Unbegründetheit des Nachprüfungsantrags, sofern sich nicht aus der Antragsbegründung wesentliche neue Erwägungen in rechtlicher Hinsicht ergeben. Die insofern deutlich strengeren Anforderungen in der Rechtsprechung zu § 80 Abs. 1 VwGO4 können hier nicht herangezogen werden. Denn zum einen enthält § 80 Abs. 1 VwGO keine § 163 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 169 Abs. 1 entsprechende Regelung, zum anderen ist das Verwaltungsverfahrens- und Verwaltungsprozessrecht nicht durch einen § 167 1 S. etwa OLG Jena v. 22.7.2015 – 2 Verg 2/15, NZBau 2015, 796; VK Baden-Württemberg v. 4.1.2010 – 1 VK 74/09; VK Berlin v. 27.3.2007 – VK-B 1-06/07; Ohlerich in Kulartz/ Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum Vergaberecht, § 163 Rz. 38; 2 Vgl. etwa VK Schleswig-Holstein v. 5.9.2007 – VK-SH 21/07. 3 S. etwa VK Arnsberg v. 18.1.2008 – VK 1/08; Schweda in Langen/Bunte, Kommentar zum deutschen und europäischen Kartellrecht, § 110 Rz.14. 4 S. dazu etwa Redeker in Redeker/v. Oertzen, VwGO, § 80 Rz. 11.

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§ 163 | Untersuchungsgrundsatz vergleichbaren Beschleunigungsgrundsatz geprägt. Zudem spricht § 163 Abs. 2 Satz 1 nicht nur von der offensichtlichen Unzulässigkeit sondern auch von der offensichtlichen Unbegründetheit. Es ist also auch eine, wenn auch am Offensichtlichkeitsmaßstab ausgerichtete, materiell-rechtliche Vorprüfung der Vergabekammer notwendig, damit ein Vergabeverfahren nicht unnötig verzögert wird. 24 Die Vorprüfung der Vergabekammer darf nur dann dazu führen, dass eine Ko-

pie des Nachprüfungsantrags wegen offensichtlich fehlender Erfolgsaussichten nicht an den Auftraggeber übermittelt wird und auch die Information in Textform gemäß § 169 Abs. 1 unterbleibt, wenn sich dies eindeutig aus den vergaberechtlichen Bestimmungen oder einer gefestigten Rechtsprechung ergibt1. Ist dies nicht der Fall, dann ist der Antrag zumindest nicht offensichtlich unzulässig oder unbegründet. Dies gilt jedenfalls dann, wenn die Rechtsauffassung des Antragstellers von plausiblen und vertretbaren Erwägungen getragen ist. Insofern ist die Vorprüfung der Vergabekammer mit einer Schlüssigkeitsprüfung vergleichbar. Sie weicht davon allerdings aufgrund des Offensichtlichkeitsmaßstabs dahingehend ab, dass die maßgeblichen Rechtsfragen in diesem Stadium des Nachprüfungsverfahrens noch nicht vollständig geklärt werden müssen und durch die Vergabekammer wegen des damit verbundenen Zeitaufwandes in der Regel auch noch gar nicht im Einzelnen geklärt werden dürfen.

25 Ist der Nachprüfungsantrag nach Auffassung der Vergabekammer offensichtlich

unzulässig oder unbegründet, handelt es sich jedoch um einen heilbaren Fehler, etwa um eine in formeller Hinsicht unzureichende Antragsschrift, empfiehlt es sich, dass die Vergabekammer von der Durchführung des Nachprüfungsverfahrens zwar zunächst absieht, jedoch dem Antragsteller die Möglichkeit einräumt, den Antrag nachzubessern2. Ansonsten muss sie damit rechnen, dass das betreffende Unternehmen nach der Ablehnung seines Antrags einen erneuten Nachprüfungsantrag stellt. Dies wäre ohne weiteres möglich. Insbesondere würde ein nachgebesserter Antrag nicht an dem fehlenden Rechtsschutzinteresse des Unternehmens scheitern. Eine Pflicht der Vergabekammer zu einem derartigen Hinweis an das antragstellende Unternehmen besteht allerdings in der Regel nicht. Es geht insofern vielmehr in erster Linie um das Gebot, ein Nachprüfungsverfahren zweckmäßig durchzuführen (s. dazu §§ 10, 25 VwVfG).

26 Übermittelt die Vergabekammer gemäß § 163 Abs. 2 Satz 3 eine Kopie des

Nachprüfungsantrags an den Auftraggeber und löst sie durch dessen Information in Textform gemäß § 169 Abs. 1 das Zuschlagsverbot aus, obwohl der Nachprüfungsantrag offensichtlich unzulässig oder unbegründet ist, treten die entsprechenden Wirkungen gleichwohl ein. Ebenso wenig ist dies mit Rechts-

1 Vgl. OLG Düsseldorf v. 13.4.1999 – Verg 1/99, BauR 1999, 751 (759); VK Hessen v. 28.1. 2014 – 69d VK-01/2014; Dreher in Immenga/Mestmäcker, GWB, § 110 Rz. 28. 2 Ohlerich in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum Vergaberecht, § 163 Rz. 45.

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Untersuchungsgrundsatz | § 163

mitteln gesondert angreifbar. Vielmehr muss dann die abschließende Entscheidung der Vergabekammer abgewartet werden. Damit zeitlich verbundene Verzögerungen sind durch den Auftraggeber sowie ggf. beigeladene Unternehmen hinzunehmen (zur vorzeitigen Gestattung des Zuschlags s. § 169 Abs. 2). Berücksichtigt werden kann die offensichtliche Unzulässigkeit oder Unbegründetheit des Nachprüfungsantrags in diesem Fall allerdings aus Billigkeitsgründen bei der Gebührenfestsetzung durch die Vergabekammer gemäß § 182.1 c) Schutzschrift (§ 163 Abs. 2 Satz 2) Mit dem Vergaberechtsmodernisierungsgesetz 2009 (Einleitung Rz. 4 ff.) wurde 27 durch die Neuregelung in § 163 Abs. 2 Satz 2 ausdrücklich klargestellt, dass die Vergabekammer auch einen vorsorglich hinterlegten Schriftsatz (Schutzschrift) bei ihrer Vorprüfung berücksichtigt. Diese Möglichkeit war allerdings auch vorher bereits anerkannt2. Daher wird in der Begründung des Vergaberechtsmodernisierungsgesetzes 2009 ausdrücklich darauf hingewiesen, dass es sich lediglich um eine klarstellende Regelung handele (Rz. 2). Aus diesem Grunde ist es auch unerheblich, dass § 163 Abs. 2 Satz 2 lediglich von einer Schutzschrift des Auftraggebers spricht. Ebenso ist es möglich, dass ein voraussichtlich gemäß § 162 beizuladendes Unternehmen eine Schutzschrift hinterlegt. Dies gilt insbesondere in den Fällen, in denen das betreffende Unternehmen bereits für die Zuschlagserteilung ausgewählt wurde. Zu hinterlegen ist der Schriftsatz bei der für ein mögliches Nachprüfungsverfah- 28 ren zuständigen Vergabekammer. Sofern mehrere Vergabekammern zuständig sein können (s. hierzu § 159 Rz. 15, 23), sollte die Schutzschrift bei allen in Betracht kommenden Vergabekammern hinterlegt werden. Eine Pflicht der Vergabekammer, ihre Zuständigkeit vorab zu prüfen und die Schutzschrift ggf. an eine andere Vergabekammer weiterzuleiten, die zusätzlich oder allein zuständig ist, besteht nicht. Eingereicht werden kann eine Schutzschrift jederzeit. Allerdings wird dies regel- 29 mäßig nur dann sinnvoll sein, wenn konkrete Anhaltspunkte dafür bestehen, dass ein Nachprüfungsverfahren durch ein bestimmtes Unternehmen oder möglicherweise durch mehrere Unternehmen eingeleitet werden soll und wenn absehbar ist, welche vermeintlichen Mängel des Vergabeverfahrens dabei beanstandet werden. Anhaltspunkte dafür bestehen regelmäßig dann, wenn beim Auftraggeber Rügen von einem oder mehreren Unternehmen eingegangen sind, denen der Auftraggeber nicht abgeholfen hat. Die Schutzschrift muss sich je1 OLG Frankfurt v. 2.1.2013 – 11 Verg 10/13. 2 S. dazu etwa Heuvels in Loewenheim/Meessen/Riesenkampff, Kartellrecht, § 110 Rz. 13; Brauer, NZBau 2009, 297 (298 f. unter Hinweis auf die geringe praktische Relevanz); Byok, NVwZ 2009, 531 (555); Ohlerich in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum Vergaberecht, § 163 Rz. 47; Erdl, VergabeR 2001, 270 ff.

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§ 163 | Untersuchungsgrundsatz doch nicht auf den möglichen Nachprüfungsantrag eines bestimmten Unternehmens beziehen. Sie kann vielmehr auch den Fall abdecken, dass ein Nachprüfungsantrag von einem noch nicht konkret feststehenden Unternehmen oder auch von mehreren Unternehmen droht. 30 Wie jeder andere Schriftsatz auch, der in einem Nachprüfungsverfahren bei der

Vergabekammer eingereicht wird, kann auch eine Schutzschrift Ausführungen sowohl zum Sachverhalt als auch zur Rechtslage enthalten. Die Vergabekammer berücksichtigt eine eingereichte Schutzschrift bei ihrer Offensichtlichkeitsprüfung gemäß § 163 Abs. 2 Satz 1. Der dabei einzuhaltende Prüfungsmaßstab wird allerdings nicht verändert. Es verbleibt also auch bei Vorliegen einer Schutzschrift dabei, dass die Vergabekammer zunächst nur prüft, ob der Nachprüfungsantrag offensichtlich unzulässig oder unbegründet ist1. Sofern dies nicht der Fall ist, ist der Nachprüfungsantrag gemäß § 163 Abs. 2 Satz 3 dem Auftraggeber in Kopie zu übermitteln. Zudem ist er in diesem Fall zur Auslösung des Zuschlagsverbotes gemäß § 169 Abs. 1 über den Nachprüfungsantrag in Textform zu informieren (Rz. 14 ff.)

31 Ist der Sachverhalt unter Zugrundelegung von Nachprüfungsantrag einerseits

und Schutzschrift andererseits streitig, kann und darf dies nicht im Rahmen der Vorprüfung gemäß § 163 Abs. 2 Satz 1 aufgeklärt werden. In der Regel ist dann der Vortrag des Antragstellers zugrunde zu legen, es sei denn, er ist eindeutig falsch, ohne dass dies einer vertiefenden Prüfung bedarf, etwa weil der Auftraggeber hierfür hinreichend aussagekräftige Unterlagen vorgelegt hat.

32 Für die rechtliche Bewertung des Nachprüfungsantrags gilt dies sinngemäß. Die

Vorprüfung der Vergabekammer ist nicht das Verfahrensstadium, um sich mit divergierenden Rechtsansichten vertieft auseinanderzusetzen. Auch bei vorliegender Schutzschrift darf also die Übermittlung des Nachprüfungsantrags nur dann unterbleiben, wenn dieser – den Sachvortrag des Antragstellers dabei in der Regel als zutreffend unterstellt (s. Rz. 21) – aufgrund eindeutiger rechtlicher Bestimmungen und zumeist einer bereits gefestigten Rechtsprechung ohne verbleibende nennenswerte Zweifel und ohne besonders vertiefte Prüfung unzulässig oder unbegründet ist. 3. Weitere Übermittlungsvoraussetzungen, Kostenvorschuss

33 § 163 Abs. 2 Satz 3 enthält keine weiteren Voraussetzungen für die Übermitt-

lung einer Kopie des Nachprüfungsantrages an den Auftraggeber sowie für die Information in Textform gemäß § 169 Abs. 1 zur Auslösung des Zuschlagsverbots. Von Bedeutung kann in diesem Zusammenhang allerdings § 182 Abs. 1 i.V.m. den Regelungen des Verwaltungskostengesetzes (VwKostG) sein. Ge-

1 Byok, NVwZ 2009, 551 (555); Ohlerichin in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum Vergaberecht, § 163 Rz. 48.

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Untersuchungsgrundsatz | § 163

mäß § 16 VwKostG kann eine Amtshandlung, die auf Antrag vorzunehmen ist, von der Zahlung eines angemessenen Vorschusses oder von einer angemessenen Sicherheitsleistung bis zur Höhe der voraussichtlich entstehenden Kosten abhängig gemacht werden. Da es sich beim Nachprüfungsverfahren um ein antragsgebundenes Verwaltungsverfahren handelt (§ 160 Rz. 6 ff.), ist diese Regelung hier einschlägig1. Dementsprechend sieht etwa die Geschäftsordnung der Vergabekammern des 34 Bundes2 in § 4 Abs. 1 zulässigerweise vor, dass die Übermittlung an den Auftraggeber erst erfolgt, wenn eine Vorschusszahlung in Höhe der Mindestgebühr nachgewiesen ist. Da die Information gemäß § 169 Abs. 1 von denselben Voraussetzungen abhängt wie die Übermittlung (Rz. 14) und zudem bereits mit der Information die Verpflichtung der Vergabekammer verbunden ist, das Nachprüfungsverfahren durchzuführen, ist sie in gleicher Weise von der Zahlung eines angemessenen Vorschusses oder von einer angemessenen Sicherheitsleistung abhängig, wenn sie von der Vergabekammer geltend gemacht wird. Sollte der Antragsteller nicht bereits von sich aus den entsprechenden Vorschuss geleistet haben, weil er mit der diesbezüglichen Handhabung der Vergabekammer nicht vertraut ist, muss die Kammer ihn darauf umgehend hinweisen und kann vor der Übermittlung einer Kopie des Nachprüfungsantrags an den Auftraggeber und der Information in Textform gemäß § 169 Abs. 1 den Vorschuss anfordern. Regelmäßig genügt ein Nachweis der Zahlung, etwa durch Vorlage eines Überweisungsbelegs oder einer Quittung oder auch bei einer anwaltlichen Vertretung eine anwaltliche Zusage für die Kostendeckung, ohne dass der Betrag bereits bei der Vergabekammer eingegangen oder dem angegebenen Konto gutgeschrieben sein müsste3. 4. Art und Weise der Übermittlung Gemäß § 163 Abs. 2 Satz 3 übermittelt die Vergabekammer dem Auftraggeber 35 eine Kopie des Nachprüfungsantrags, sofern er nicht offensichtlich unzulässig oder unbegründet ist. Eine Zustellung des Nachprüfungsantrags, so wie sie vor Inkrafttreten des Vergaberechtsmodernisierungsgesetzes 2009 (s. Rz. 2 ff. sowie Einleitung Rz. 4 ff.) noch notwendig war, muss nicht mehr erfolgen. Insbesondere müssen daher auch nicht die strengen formellen Anforderungen des Verwaltungszustellungsgesetzes des Bundes gewahrt werden. Dies ist folgerichtig, da das Zuschlagsverbot gemäß § 169 Abs. 1 nicht mehr daran geknüpft ist, dass der Nachprüfungsantrag dem Auftraggeber zugestellt wurde. Vielmehr genügt 1 Ebenso Willenbruch, NVwZ 1999, 1062 (1066); einschränkend Byok in Byok/Jaeger, Kommentar zum Vergaberecht, § 110 Rz. 27. 2 Abgedruckt in Anhang III. 3 Byok in Byok/Jaeger, Kommentar zum Vergaberecht, § 110 Rz. 27; Ohlerich in Kulartz/ Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum Vergaberecht, § 163 Rz. 54.

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§ 163 | Untersuchungsgrundsatz eine Information des Auftraggebers über den Antrag auf Nachprüfung in Textform. Der Antrag selbst muss also dem Auftraggeber noch nicht vorliegen, um gemäß § 169 Abs. 1 eine wirksame Zuschlagserteilung zu verhindern (s. § 169 Rz. 7). Auf diese Weise wird das Zuschlagsverbot schneller erreicht, da eine Verzögerung bei der Zustellung oder auch etwaige Zustellungsmängel ohne Bedeutung sind. Sowohl die Übermittlung einer Kopie des Nachprüfungsantrags als auch die Information in Textform gemäß § 169 Abs. 1 hängen in gleicher Weise davon ab, dass die Vergabekammer den Nachprüfungsantrag nicht für offensichtlich unzulässig oder unbegründet hält. Liegen diese Voraussetzungen vor, muss also beides erfolgen (s. bereits Rz. 14). 36 Für die Form der Übermittlung bestehen keine besonderen Anforderungen.

Die Kopie des Antrags kann also insbesondere auf dem Postweg oder per Telefax übermittelt werden1. Ebenfalls ist eine Übermittlung in elektronischer Form möglich, wenn der Auftraggeber hierfür einen Zugang eröffnet hat (§ 3a VwVfG). Eröffnet ist ein derartiger Zugang dann, wenn der öffentliche Auftraggeber einen derartigen Kommunikationsweg mit der ausdrücklichen oder stillschweigenden Möglichkeit bereitstellt, ihn auch zu nutzen. Dies ist regelmäßig der Fall, wenn im Briefkopf oder in sonstigen schriftlichen Unterlagen eine EMail-Adresse ohne besondere einschränkende Zusätze angegeben wird2.

37 Erfolgt die Übermittlung durch die Vergabekammer (nicht), besteht dagegen

ebenso wie gegen die Information gemäß § 169 Abs. 1 oder deren Unterlassen kein besonderes Rechtsmittel.3 Daher kann weder die Vergabestelle gegen die Übermittlung des Nachprüfungsantrags oder die Information gemäß § 169 Abs. 1 gesondert vorgehen, etwa dagegen sofortige Beschwerde gemäß § 171 einlegen4, noch kann der Antragsteller die Übermittlung oder die Information durch ein gesondertes Rechtsmittel erzwingen (s. auch Rz. 26)5. 5. Verfahrensfortgang bei nicht erfolgter Übermittlung

38 Wenn die Vergabekammer den Nachprüfungsantrag dem Auftraggeber nicht ge-

mäß § 163 Abs. 2 Satz 3 in Kopie übermittelt, weil sie den Antrag für offensichtlich unzulässig oder unbegründet hält, stellt sich die Frage nach dem weiteren

1 Ohlerich in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum Vergaberecht, § 163 Rz. 54. 2 S. im Einzelnen etwa Schmitz in Stelkens/Bonk/Sachs, Verwaltungsverfahrensgesetz, § 3a Rz. 10 ff. 3 Heuvels in Loewenheim/Meessen/Riesenkampff, Kartellrecht, § 110 Rz. 14; von einer Rechtsschutzlücke spricht Schweda in Langen/Bunte, Kommentar zum deutschen und europäischen Kartellrecht, § 110 Rz. 11. 4 OLG Düsseldorf v. 18.1.2000 – Verg 2/00, NZBau 2000, 596. 5 OLG Dresden v. 4.7.2002 – WVerg 0011/02, VergabeR 2002, 544; Gröning, VergabeR 2002, 435; Thiele in Müller-Wrede, Kompendium des Vergaberechts, Kap. 28, Rz. 47; differenzierend Byok in Byok/Jaeger, Kommentar zum Vergaberecht, § 110 Rz. 28 ff., der in Einzelfällen wohl eine sofortige Beschwerde für möglich hält.

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Untersuchungsgrundsatz | § 163

Fortgang des Nachprüfungsverfahrens. Entsprechendes gilt, wenn die Vergabekammer den Auftraggeber nicht gemäß § 169 Abs. 1 über den Nachprüfungsantrag in Textform informiert. Der Fall ist im GWB nicht ausdrücklich geregelt. Ebensowenig geregelt ist der Fall, dass zwar die Übermittlung einer Kopie des Nachprüfungsantrags gemäß § 163 Abs. 2 Satz 3 erfolgt, nicht aber eine Information gemäß § 169 Abs. 1 oder der umgedrehte Fall, dass zwar die Information gemäß § 169 Abs. 1 erfolgt, nicht aber eine Übermittlung des Nachprüfungsantrags. In diesen Fällen ist zunächst maßgeblich, dass das Zuschlagsverbot an die In- 39 formation in Textform gemäß § 169 Abs. 1 anknüpft (§ 169 Rz. 7 sowie vorstehend Rz. 14). Das Zuschlagsverbot wird also auch dann durch eine entsprechende Information ausgelöst, wenn die Übermittlung einer Kopie des Nachprüfungsantrags nicht oder, was eher anzunehmen ist, erst verspätet erfolgt. Wird lediglich eine Kopie des Nachprüfungsantrags gemäß § 163 Abs. 2 Satz 3 40 übermittelt, erfolgt allerdings keine Information des öffentlichen Auftraggebers durch die Vergabekammer in Textform über den Antrag auf Nachprüfung gemäß § 169 Abs. 1, bedarf es ggf. der Auslegung. Die Übermittlung des Nachprüfungsantrags kann in diesem Fall die Information gemäß § 169 Abs. 1 einschließen. Regelmäßig wird sich dies aus dem Begleitschreiben oder einer Begleitverfügung der Vergabekammer ergeben. Allerdings kann die Übermittlung in diesem Fall auch allein deshalb erfolgen, um den Auftraggeber davon in Kenntnis zu setzen, dass bei der Vergabekammer zwar ein Nachprüfungsantrag eingegangen ist, die Vergabekammer diesen allerdings für offensichtlich unzulässig oder unbegründet hält und daher das Zuschlagsverbot des § 169 Abs. 1 gerade nicht auslösen möchte. Auch dies wird sich regelmäßig aus einem Begleitschreiben oder einer Begleitverfügung der Vergabekammer ergeben. Erfolgt weder die Übermittlung einer Kopie des Nachprüfungsantrags gemäß 41 § 163 Abs. 2 Satz 3 noch eine gesonderte Information des öffentlichen Auftraggebers in Textform gemäß § 169 Abs. 1, hat der Antragsteller grundsätzlich nur die Möglichkeit, gemäß § 171 Abs. 2 nach Ablauf von fünf Wochen sofortige Beschwerde zum Oberlandesgericht einzulegen, da in diesem Fall sein Antrag als abgelehnt gilt. Allerdings ist § 171 Abs. 2 auf den Fall zugeschnitten, dass der Nachprüfungsantrag dem Auftraggeber in Kopie übermittelt und er zudem gemäß § 169 Abs. 1 in Textform informiert wurde, also ein Zuschlagsverbot besteht. Der Antragsteller ist in diesem Fall also gesichert. Demgegenüber ist es für den Antragsteller in der Regel nicht akzeptabel, fünf Wochen abwarten zu müssen, ohne dass der Auftraggeber gehindert wäre, den Zuschlag zu erteilen und die ausgeschriebene Leistung zu vergeben. Eine solche Verzögerung stünde mit Art. 2 Abs. 9 der Rechtsmittelrichtlinien (Einleitung Rz. 7) nicht im Einklang. Die Vergabekammer ist daher verpflichtet, bei offensichtlicher Unzulässigkeit oder Unbegründetheit ohne weitere Durchführung des Nachprüfungsverfahrens (Anforderung der Vergabeakten, Einräumung der Möglichkeit zur Akteneinsicht, Beiladung, Durchführung einer mündlichen Verhandlung) ihre Sachentscheidung Reidt

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§ 163 | Untersuchungsgrundsatz gemäß § 168 Abs. 3 über den gestellten Nachprüfungsantrag zu treffen1. Dies hat mit Blick auf das fehlende Zuschlagsverbot sofort zu erfolgen. Der Antragsteller hat dann die Möglichkeit, gegen diese Entscheidung sofortige Beschwerde einzulegen (§§ 171 ff.; zur Möglichkeit einer sofortigen Beschwerde bereits zu einem früheren Zeitpunkt, wenn die Vergabekammer untätig bleibt s. § 171 Rz. 14)2. Gemäß § 173 Abs. 1 Satz 3 kann er in diesem Fall zusätzlich beantragen, dass seine sofortige Beschwerde Suspensiveffekt erhält. Es geht in diesem Fall allerdings nicht um eine Verlängerung des Zuschlagsverbotes gemäß § 169 Abs. 1, sondern um dessen erstmalige Anordnung. Des Weiteren sind im Falle eines Fehlverhaltens der Vergabekammer Amtshaftungsansprüche gemäß § 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG denkbar (s. in diesem Zusammenhang auch § 157 Rz. 7)3.

IV. Anforderung der Vergabeakten (§ 163 Abs. 2 Satz 3 und 4) 42 Sofern die Voraussetzungen für die Übermittlung des Nachprüfungsantrages an

den Auftraggeber vorliegen (Rz. 14), fordert die Vergabekammer – in der Regel bereits mit der Übermittlung einer Kopie des Antrags – bei dem Auftraggeber die Akten an, die das Vergabeverfahren dokumentieren. Das Gesetz bezeichnet diese Unterlagen als Vergabeakten. Sie dienen als Grundlage für die Sachverhaltsermittlung der Vergabekammer (Rz. 3 ff.) und die sich daran anschließende rechtliche Bewertung.

43 Zu den Vergabeakten zählen sämtliche Unterlagen, die im Zusammenhang mit

dem Vergabeverfahren und seiner Vorbereitung entstanden sind4. Der Auftraggeber selbst hat in der Regel keine eigene Entscheidungs- und Bewertungskompetenz, welche Unterlagen für die Entscheidungsfindung der Vergabekammer von Bedeutung sind und welche nicht. Neben den Ausschreibungsbedingungen und ggf. bereits eingegangenen Angeboten sind daher auch Unterlagen im Zusammenhang mit der Vorbereitung des Vergabeverfahrens (z.B. Kostenermittlungen im Hinblick auf den Schwellenwert gemäß § 106 Abs. 1, interne Prüfungen zur Vergabeart und Losaufteilung gemäß § 97 Abs. 4), Vermerke über Auf-

1 KG Berlin v. 15.4.2004 – 2 Verg 6/04; OLG Stuttgart v. 4.11.2002 – 2 Verg 4/02; OLG Düsseldorf v. 18.1.2000 – Verg 2/00, NZBau 2000, 596; OLG Düsseldorf v. 13.4.1999 – Verg 1/99, BauR 1999, 751 (752); VK Südbayern v. 19.2.2008 – Z3 3-3194-1-02-01/08; VK Kiel v. 5.9.2007 – VK-SH 21/07. 2 Byok in Byok/Jaeger, Kommentar zum Vergaberecht, § 110 Rz. 29, der die Entscheidung über die offensichtliche Unzulässigkeit bzw. Unbegründetheit selbst als gem. § 116 a.F. (§ 171 n.F.) anfechtbare Endentscheidung ansieht. 3 So auch Gröning, VergabeR 2002, 435 (438). 4 Schweda in Langen/Bunte, Kommentar zum deutschen und europäischen Kartellrecht, § 110 Rz.18; Dreher in Immenga/Mestmäcker, GWB, § 110 Rz. 35; zur Dokumentationspflicht des Auftraggebers s. etwa OLG Brandenburg v. 3.8.1999 – 6 Verg 1/99, NZBau 2000, 39; Ohlerich in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum Vergaberecht, § 163 Rz. 59.

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Untersuchungsgrundsatz | § 163

klärungsgespräche, der Vergabevermerk1 sowie sonstige interne Stellungnahmen des Auftraggebers (nicht jedoch die „Handzettel“ der Mitglieder eines Wertungsgremiums2), die im Zusammenhang mit dem Vergabeverfahren erstellt wurden und die für dessen Ausgestaltung und Durchführung von Bedeutung sein können, der Vergabekammer zur Verfügung zu stellen3. Wird die Vergabeakte während eines laufenden Nachprüfungsverfahrens ergänzt (z.B. der Vergabevermerk wegen Dokumentationsmängeln oder aus sonstigen Gründen fortgeschrieben) sind die entsprechenden Unterlagen jedenfalls dann, wenn sie für das Nachprüfungsverfahren relevant sein können, nachträglich und unaufgefordert der Vergabekammer zu übersenden. § 163 enthält anders als etwa § 99 Abs. 1 VwGO keine Beschränkungen für die 44 Verpflichtung des Auftraggebers zur Vorlage von Unterlagen. Die §§ 57 bis 59 Abs. 1 bis 5, auf die § 163 Abs. 2 Satz 5 verweist, differenzieren nicht zwischen den unterschiedlichen Auftraggebern, die in § 98 zusammengefasst werden. Damit geht die Verpflichtung zur Aktenvorlage bei der Vergabekammer als „gerichtsähnlicher Instanz“ (§ 157 Rz. 3) weiter als gemäß § 99 VwGO bei einem Verwaltungsgericht. In der Regel besteht allerdings für eine Beschränkung insbesondere aus Gründen der Geheimhaltung wegen § 165 Abs. 2 und 3 (dazu § 165 Rz. 21 ff.) auch keine Veranlassung. Dennoch sind durchaus Fälle denkbar, in denen ein besonderes Geheimhal- 45 tungsinteresse besteht, dem nicht allein durch die Beschränkungsmöglichkeiten für die Akteneinsicht gemäß § 165 Abs. 2 und 3 sowie durch die Pflichten im Zusammenhang mit der Aufbewahrung vertraulicher Unterlagen gemäß § 164 Rechnung getragen werden kann (z.B. Verteidigungsaufträge). Jedenfalls dann, wenn es sich bei der Vergabestelle um eine Behörde handelt, ist die Übermittlung der Vergabeakten letztlich als ein spezialgesetzlich, jedoch nicht abschließend geregelter Fall der Amtshilfe anzusehen. Das spricht dafür, auch die Grenzen der Amtshilfe gemäß § 5 Abs. 2 VwVfG heranzuziehen. Danach müssen insbesondere Urkunden und Akten nicht vorgelegt werden, wenn die Vorgänge nach einem Gesetz oder ihrem Wesen nach geheim gehalten werden müssen4. Dabei handelt es sich trotz des insofern unklaren Wortlauts des § 5 Abs. 2 VwVfG um ein striktes Amtshilfeverbot5. Die Vergabestelle hat dies dann ggf. der Vergabekammer mitzuteilen (§ 5 Abs. 5 VwVfG). Sofern die Vergabekammer die Gründe für die (teilweise) Verweigerung einer Vorlage von Vergabeakten nicht akzeptiert, entscheidet die für die Vergabestelle fachlich zuständige Aufsichtsbehörde darüber, ob und ggf. welche Unterlagen vorgelegt werden müssen6. 1 2 3 4 5 6

S. etwa OLG Naumburg v. 12.4.2012 – 2 Verg 1/12. OLG München v. 29.9.2014 – Verg 9/14, ZfBR 2015, 195. Dreher in Immenga/Mestmäcker, GWB, § 110 Rz. 35. S. dazu Schmitz in Stelkens/Bonk/Sachs, Verwaltungsverfahrensgesetz, § 5 Rz. 27 ff. Schmitz in Stelkens/Bonk/Sachs, Verwaltungsverfahrensgesetz, § 5 Rz. 27. Schmitz in Stelkens/Bonk/Sachs, Verwaltungsverfahrensgesetz, § 5 Rz. 38 ff.

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§ 163 | Untersuchungsgrundsatz 46 Ein solches Amtshilfeverbot könnte mit einer grundsätzlich möglichen Be-

schlagnahme der jeweiligen Vergabeunterlagen durch die Vergabekammer (§ 163 Abs. 2 Satz 5 i.V.m. § 58, s. Rz. 49) im Konflikt stehen. Angesichts des strikten Verbotscharakters des § 5 Abs. 2 VwVfG und der Bindung möglicher Ermittlungsmaßnahmen an den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (Rz. 10 ff.) hat bei Vorliegen eines Amtshilfeverbotes eine Anordnung der Beschlagnahme jedoch zu unterbleiben. Die der Beschlagnahme entgegenstehenden Belange wiegen in diesem Fall schwerer als diejenigen, zu deren Wahrnehmung die Beschlagnahme erfolgen soll.1

47 Der Auftraggeber hat die Vergabeakten der Vergabekammer sofort zur Ver-

fügung zu stellen (§ 163 Abs. 2 Satz 4). Sofort bedeutet, dass umgehend nach Eingang der Aufforderung die Unterlagen zusammengestellt und auf dem schnellstmöglichen Weg an die Vergabekammer überbracht werden müssen2.

48 Eine Einschränkung gilt dann, wenn die Vergabekammer selbst eine Übersen-

dung der Vergabeakten nicht in vollem Umfang anfordert. Dies ist vor allem dann in Betracht zu ziehen, wenn die gesamten Vergabeakten einschließlich der eingegangenen Angebote sehr umfangreich sind, das Nachprüfungsverfahren jedoch auf Gesichtspunkte gestützt wird, die mit den eingegangenen Angeboten nichts zu tun haben (z.B. die Wahl eines fehlerhaften Vergabeverfahrens). In diesem Fall kann die Vergabekammer eine Übersendung der Vergabeakten in nur eingeschränktem Umgang anfordern. Die Verpflichtung des Auftraggebers, die zunächst noch nicht vorzulegenden Vergabeakten nachträglich der Vergabekammer auf entsprechende Anforderung hin zur Verfügung zu stellen, bleibt davon unberührt.

V. Entsprechende Geltung der §§ 57 bis 59 Abs. 1 bis 5 (§ 163 Abs. 2 Satz 5) 49 Die §§ 57 bis 59 Abs. 1 bis 5 gelten für das Nachprüfungsverfahren vor der Ver-

gabekammer entsprechend.3 Es geht dabei um die Regelungen zur Sachverhaltsermittlung (s. dazu bereits Rz. 4) und Beweiserhebung (§ 57), zur Beschlagnahme (§ 58; s. dazu Rz. 46) und zu Auskunftsverlangen (§ 59).

1 S. dazu Bracher in Frankfurter Kommentar, § 57 GWB Rz. 18 ff. 2 Schweda in Langen/Bunte, Kommentar zum deutschen und europäischen Kartellrecht, § 110 Rz. 17; vgl. zum Begriff „sofort“ in Abgrenzung zu „unverzüglich“ auch OLG Düsseldorf v. 13.4.1999 – Verg 1/99, BauR 1999, 751 (756); a.A. Byok in Byok/Jaeger, Kommentar zum Vergaberecht, § 110 Rz. 38, der für das Zurverfügungstellen ein Bereithalten am Ort des Auftraggebers ausreichen lässt, also keine Übermittlung an die Vergabekammer für notwendig hält. 3 Hierzu Leinemann, Die Vergabe öffentlicher Aufträge, Rz. 1703 ff.

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Aufbewahrung vertraulicher Unterlagen | § 164

Auf die einschlägigen Erläuterungen zu diesen Vorschriften zum Kartellverwal- 50 tungsverfahren kann hier verwiesen werden1. Sie haben für das Nachprüfungsverfahren vor den Vergabekammern in der Regel keine besondere praktische Relevanz. Daneben greifen auch die Bestimmungen des Verwaltungsverfahrensgesetzes ein, wenn die Verweisregelungen zu bestimmten Punkten nicht abschließend oder lückenhaft sind (s. in diesem Zusammenhang zu Geheimhaltungsfragen Rz. 45).

§ 164 Aufbewahrung vertraulicher Unterlagen (1) Die Vergabekammer stellt die Vertraulichkeit von Verschlusssachen und anderen vertraulichen Informationen sicher, die in den von den Parteien übermittelten Unterlagen enthalten sind. (2) Die Mitglieder der Vergabekammern sind zur Geheimhaltung verpflichtet; die Entscheidungsgründe dürfen Art und Inhalt der geheim gehaltenen Urkunden, Akten, elektronischen Dokumente und Auskünfte nicht erkennen lassen. I. 1. 2. II. III.

Einführung Inhaltsübersicht . . . . . . . . . . . . Entstehungsgeschichte . . . . . . . Anwendungsbereich . . . . . . . . Sicherstellung der Vertraulichkeit (§ 164 Abs. 1) . . . . . . . . . .

__ _ _ 1 2 3 7

IV. Geheimhaltungspflicht, Berücksichtigung der Vertraulichkeit in den Entscheidungsgründen (§ 164 Abs. 2) . . . . . . . . . . . . . 1. Geheimhaltungspflicht . . . . . . . 2. Entscheidungsgründe . . . . . . . .

___ 9 10 11

I. Einführung 1. Inhaltsübersicht § 164 regelt die Anforderungen an die Aufbewahrung vertraulicher Unterlagen 1 durch die Vergabekammer. Absatz 1 der Vorschrift bestimmt dabei, dass die Vergabekammer die Vertraulichkeit von Informationen sicherzustellen hat, die in den von den Verfahrensbeteiligten übermittelten Unterlagen enthalten sind. § 164 Abs. 2 regelt, dass die Mitglieder der Vergabekammer zur Geheimhaltung verpflichtet sind und in den Entscheidungsgründen der von der Vergabekammer zu treffenden Entscheidungen der Inhalt der vertraulichen Unterlagen nicht erkennbar sein darf. 1 S. etwa die Kommentierung bei Bechtold/Bosch, GWB, §§ 57 ff.; Bracher in Frankfurter Kommentar, §§ 57 GWB ff.

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§ 164 | Aufbewahrung vertraulicher Unterlagen 2. Entstehungsgeschichte 2 § 164 ist als § 110a a.F. durch das Gesetz zur Änderung des Vergaberechts für

den Bereich Verteidigung und Sicherheit (Einleitung Rz. 4 ff.) in das GWB aufgenommen worden. Die Vorschrift dient der Umsetzung von Art. 59 Abs. 10 der Richtlinie 2009/81/EG. Durch das VergaberechtsmodernisierungsG 2016 (Einleitung Rz. 10 f.) ist die Regelung nicht geändert worden.

II. Anwendungsbereich 3 § 164 bezieht sich bereits nach seiner systematischen Stellung auf das Vergabe-

nachprüfungsverfahren, nicht hingegen auf das Vergabeverfahren (s. dafür insbesondere §§ 6 ff. VSVgV). Die Regelung ist allerdings mangels einer eigenständigen Regelung in den §§ 171 ff. im Beschwerdeverfahren entsprechend anzuwenden1.

4 Obgleich § 164 der Umsetzung der Richtlinie 2009/81/EG dient2, ist die Vor-

schrift nicht auf die Vergabe von verteidigungs- und sicherheitsspezifischen Aufträgen (§ 104) beschränkt. Erfasst werden vielmehr auch sonstige Aufträge, in denen Verschlusssachen und andere vertrauliche Informationen Bedeutung haben. Dies ergibt sich bereits daraus, dass sich die Regelung im 4. Teil des GWB und nicht in der VSVgV befindet3.

5 Für den Begriff der Verschlusssache kann auf die Definition in § 4 Abs. 1 des Si-

cherheitsüberprüfungsgesetzes des Bundes (SÜG) zurückgegriffen werden. Danach sind Verschlusssachen im öffentlichen Interesse geheimhaltungsbedürftige Tatsachen, Gegenstände oder Erkenntnisse, unabhängig von ihrer Darstellungsform.

6 § 164 Abs. 1 erfasst daneben allerdings auch andere vertrauliche Informatio-

nen, die in den von den Parteien übermittelten Unterlagen, also vor allem in den Vergabeakten (dazu § 163 Rz. 43) und in den von den Parteien eingereichten Schriftsätze enthalten sind. Ganz überwiegend wird vertreten, dass es sich dabei um solche vertrauliche Informationen handeln muss, die zwar nicht als Verschlusssachen eingestuft sind, diesen in ihrem Vertraulichkeitsgehalt und ihrer Schutzbedürftigkeit jedoch vergleichbar sind, etwa weil eine Klassifizierung nach dem SÜG noch nicht erfolgt ist4. Bloße Betriebs- oder Geschäftsgeheim-

1 S. etwa Wittschurky in Burgi/Dreher, § 164 Rz. 6; Dicks in Ziekow/Völlink, Vergaberecht, § 110a Rz. 3; Kardenbach in Willenbruch/Wieddekind, Vergaberecht, § 110a Rz. 5. 2 BT-Drucks. 17/7275, S. 18. 3 Kadenbach in Willenbruch/Wieddekind, Vergaberecht, § 110a Rz. 1; Wittschurky in Burgi/Dreher, § 164 Rz. 7. 4 So etwa Thiele in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum Vergaberecht, § 164 Rz. 4; Wittschurky in Burgi/Dreher, § 164 Rz. 9; Schweda in Langen/Bunte, Kartellrecht, § 110a Rz. 3; im Hinblick auf § 164 Abs. 1 und Abs. 2 differenzierend Kadenbach in Willenbruch/Wieddekind, Vergaberecht, § 110a Rz. 2, 4.

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Aufbewahrung vertraulicher Unterlagen | § 164

nisse (§ 165 Rz. 37 ff.) sollen hingegen zumindest von § 164 Abs. 1 nicht erfasst sein. Der Wortlaut der Regelung erfordert eine derartige Einschränkung allerdings nicht. Der Sache nach ist zudem auch nicht erkennbar, warum die Vergabekammer nicht verpflichtet sein soll, Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse vertraulich zu behandeln (§ 164 Abs. 1) und Geheimhaltung zu wahren sowie dies auch in den Entscheidungsgründen ihrer Beschlüsse entsprechend zu beachten (§ 164 Abs. 2). Davon zu unterscheiden ist die Frage der Anforderungen, die dabei jeweils zu stellen sind. Diese ergeben sich für Verschlusssachen nicht unmittelbar aus § 164, sondern im Wesentlichen aus Vorschriften außerhalb des GWB (s. allerdings § 157 Abs. 2 Satz 5 zur Möglichkeit einer Entscheidung zur Besetzung mit einem Vorsitzenden und zwei hauptamtlichen Besitzern, wenn es um die Überprüfung von verteidigungs- oder sicherheitsspezifischen Aufträgen i.S.d. § 104 geht, § 157 Rz. 10). Es kann also das Erfordernis bestehen, dass entsprechende Nachprüfungsverfahren nur von im Sinne des SÜG sicherheitsüberprüften Personen bearbeitet werden. Dies gilt dabei nicht nur für die Mitglieder der Vergabekammer selbst, sondern auch für sonstige Mitarbeiter der Vergabekammer (z.B. Geschäftsstellenbeamte) sowie für die Verfahrensbevollmächtigten der Beteiligten1.

III. Sicherstellung der Vertraulichkeit (§ 164 Abs. 1) Unabhängig von den Anforderungen, die sich vor allem aus Vorschriften außer- 7 halb des Vergaberechts ergeben (s. vorstehend Rz. 6) hat die Vergabekammer nach § 164 Abs. 1 die Vertraulichkeit von Verschlusssachen und anderen vertraulichen Informationen (Rz. 5 f.) sicherzustellen. Dies bedeutet, dass Unbefugte zu diesen Unterlagen oder Informationen keinen Zugang erhalten dürfen. Befugt sind, wie sich aus Absatz 2 der Vorschrift ergibt, die Mitglieder der Vergabekammer (einschließlich der Mitarbeiter der Vergabekammer) sowie die Verfahrensbeteiligten, letztere jedoch nur, soweit sie nicht durch § 165 Abs. 2 aus Gründen des Geheimschutzes oder zur Wahrung von Betriebs- oder Geschäftsgeheimnissen von einer Kenntnisnahme ausgeschlossen sind (§ 165 Rz. 21 ff.). Hinzu kommen ggf. die Anforderungen, die sich vor allem durch Vorschriften außerhalb des Vergaberechts ergeben, vor allem aus den SÜG. Die Sicherstellung der Vertraulichkeit bedarf nach Maßgabe von § 164 Abs. 1 8 hinreichender organisatorischer Maßnahmen, etwa dahingehend, dass die zu dem Nachprüfungsverfahren gehörenden Unterlagen nur in verschlossenen Räumen, gesicherten Schränken o.ä. aufbewahrt werden.

1 Wittschurky in Burgi/Dreher, § 164 Rz. 14 ff.; Dreher in Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, § 110a Rz. 19 f.

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§ 164 | Aufbewahrung vertraulicher Unterlagen IV. Geheimhaltungspflicht, Berücksichtigung der Vertraulichkeit in den Entscheidungsgründen (§ 164 Abs. 2) 9 § 164 Abs. 2 ist nahezu wortgleich § 99 Abs. 2 Satz 10 VwGO nachgebildet.

1. Geheimhaltungspflicht 10 In § 164 Abs. 2 Halbs. 1 werden die Mitglieder der Vergabekammer zur Ge-

heimhaltung verpflichtet. Sie dürfen also vertrauliche Informationen nicht verbreiten. Dies knüpft einerseits an die Verschlusssachen und anderen vertraulichen Informationen in Absatz 1 der Vorschrift an (Rz. 5 f.). Von § 164 Abs. 2 werden jedoch auch Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse im Allgemeinen erfasst, so dass die Geheimhaltungspflicht auch hierfür gilt1. Es ergäbe keinen Sinn, einerseits Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse gemäß § 165 Abs. 2 bei der Akteneinsicht auszuklammern, wenn gleichzeitig die Mitglieder der Vergabekammer berechtigt wären, derartige Geheimnisse zu verbreiten. 2. Entscheidungsgründe

11 § 164 Abs. 2 Halbs. 2 bestimmt, dass die Entscheidungsgründe Art und Inhalt

der geheim gehaltenen Unterlagen nicht erkennen lassen dürfen. Dabei handelt es sich um eine Ergänzung bzw. Einschränkung zu der Begründungspflicht für die Vergabekammerentscheidung nach § 168 Abs. 3 (§ 168 Rz. 71). Erfasst sind dabei sämtliche Entscheidungsgründe der Vergabekammer, also sowohl bei Endentscheidungen i.S.v. § 168 Abs. 3, als auch bei Zwischenentscheidungen (z.B. über die Versagung der Akteneinsicht oder die Beiladung von Unternehmen).

12 Die Entscheidungsgründe sind daher so abzufassen, dass sie einerseits aus sich

heraus hinreichend verständlich sind, insbesondere also den Entscheidungstenor verständlich machen, gleichzeitig allerdings den Inhalt von geheimhaltungsbedürftigen Umständen nicht erkennen lassen. Denn der Sinn einer beschränkten Akteneinsicht oder auch die sonstige Wahrung von Vertraulichkeit liefe leer, wenn die geheimhaltungsbedürftigen Umstände in den Entscheidungsgründen einer Vergabekammerentscheidung im Einzelnen dargelegt und ausgebreitet würden.

1 So wohl auch Kadenbach in Willenbruch/Wieddekind, Vergaberecht, § 110a Rz. 4.

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Akteneinsicht | § 165

§ 165 Akteneinsicht (1) Die Beteiligten können die Akten bei der Vergabekammer einsehen und sich durch die Geschäftsstelle auf ihre Kosten Ausfertigungen, Auszüge oder Abschriften erteilen lassen. (2) Die Vergabekammer hat die Einsicht in die Unterlagen zu versagen, soweit dies aus wichtigen Gründen, insbesondere des Geheimschutzes oder zur Wahrung von Fabrikations-, Betriebs- oder Geschäftsgeheimnissen, geboten ist. (3) Jeder Beteiligte hat mit Übersendung seiner Akten oder Stellungnahmen auf die in Absatz 2 genannten Geheimnisse hinzuweisen und diese in den Unterlagen entsprechend kenntlich zu machen. Erfolgt dies nicht, kann die Vergabekammer von seiner Zustimmung auf Einsicht ausgehen. (4) Die Versagung der Akteneinsicht kann nur im Zusammenhang mit der sofortigen Beschwerde in der Hauptsache angegriffen werden. I. 1. 2. II. 1.

2. III. 1. 2.

__

Einführung 1 Inhaltsübersicht . . . . . . . . . . . . 2 Entstehungsgeschichte . . . . . . . Recht zur Akteneinsicht (§ 165 Abs. 1) Besonderheiten gegenüber § 29 Abs. 1 VwVfG und gegenüber sonstigen Vorschriften zur 3 Akteneinsicht . . . . . . . . . . . . . . Gegenstand der Akteneinsicht, 9 Durchführung . . . . . . . . . . . . . Versagung und Beschränkung der Akteneinsicht Unzulässigkeit oder offensichtliche Unbegründetheit des Nachprüfungsantrags . . . . . . . . 14 Keine generelle Beschränkung der Akteneinsicht auf die durch den

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3. 4. IV. V.

1. 2.

Antragsteller bereits geltend gemachten Vergaberechtsverstöße Abwägung der wechselseitigen Belange . . . . . . . . . . . . . . . . . Überwiegende wichtige Gründe Hinweispflichten (§ 165 Abs. 3) . . . . . . . . . . . . Entscheidung der Vergabekammer, Rechtsfolgen bei unrichtiger Entscheidung über die Beschränkung oder Nichtbeschränkung der Akteneinsicht (§ 165 Abs. 4) Ungerechtfertigte Versagung der Akteneinsicht . . . . . . . . . . Missachtung von wichtigen Gründen gemäß § 165 Abs. 2 .

. . . .

. .

_ __ _ 17 21 31 39

_ _ 45 46

I. Einführung 1. Inhaltsübersicht § 165 regelt die Akteneinsicht. Abs. 1 der Vorschrift bestimmt dabei ein prinzi- 1 pielles Akteneinsichtsrecht für die Verfahrensbeteiligten i.S.v. § 162. § 165 Abs. 2 enthält dazu Ausnahmetatbestände aus wichtigen Gründen. Beispielhaft, also nicht abschließend, werden hierbei der Geheimschutz sowie die WahReidt

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§ 165 | Akteneinsicht rung von Fabrikations-, Betriebs- oder Geschäftsgeheimnissen genannt. Nach § 165 Abs. 3 haben die Verfahrensbeteiligten auf die aus ihrer Sicht bestehenden Geheimhaltungserfordernisse hinweisen, um so die Effizienz der Ausnahmeregelung in Abs. 2 sicherzustellen. § 165 Abs. 4 befasst sich mit den Rechtsschutzmöglichkeiten bei Versagung der Akteneinsicht. 2. Entstehungsgeschichte 2 § 165 ist identisch mit § 111 a.F. Der Gesetzestext ist seit dem Vergaberechts-

änderungsgesetz 1998 (Einleitung Rz. 4 ff.) unverändert geblieben. In der Begründung des Regierungsentwurfs zum Vergaberechtsänderungsgesetz 19981 wird darauf hingewiesen, dass das Akteneinsichtsrecht für einen effektiven Rechtsschutz im öffentlichen Auftragswesen zentrale Bedeutung habe und eine entscheidende Voraussetzung für die Verbesserung der Transparenz des Vergabeverfahrens sei. Nach der zuvor geltenden Rechtslage sei es noch so gewesen, dass die Vergabeakten den Beteiligten in der Regel nicht oder allenfalls eingeschränkt bekannt und zugänglich gewesen seien. Zur Wahrung von Geheimnissen müsse die Vergabekammer die Sensibilität und Schutzbedürftigkeit des vorgelegten Materials zweifelsfrei erkennen können. Ob wichtige Gründe vorliegen, die einer Einsichtnahme entgegenstehen, habe sie zu entscheiden. Mit der Regelung, dass weder die teilweise noch die vollständige Versagung des Akteneinsichtsrechts isoliert anfechtbar sei, sollen eine Zersplitterung des Verfahrens und Verfahrensverzögerungen vermieden werden.

II. Recht zur Akteneinsicht (§ 165 Abs. 1) 1. Besonderheiten gegenüber § 29 Abs. 1 VwVfG und gegenüber sonstigen Vorschriften zur Akteneinsicht 3 § 165 Abs. 1 entspricht im Wesentlichen § 29 Abs. 1 Satz 1 VwVfG des Bundes

und der Länder. Die Vorschrift enthält allerdings einige Abweichungen. So geht § 165 Abs. 1 von seinem Wortlaut her davon aus, dass allen Verfahrensbeteiligten i.S.v. § 1622 im Interesse eines effektiven Rechtsschutzes generell und umfassend ein Anspruch auf Akteneinsicht zusteht. Dies entspricht auch ausweislich der Gesetzesmaterialien dem Ziel der Regelung, die dem in § 97 Abs. 1 geregelten und auch unionsrechtlich vorgegebenen Transparenzgebot (§ 97 Rz. 25) Rechnung trägt. Eine Einschränkung dahingehend, dass der Anspruch generell nur besteht, soweit die Kenntnis des Akteninhalts zur Geltendmachung oder Verteidigung rechtlicher Interessen erforderlich ist, enthält die Vorschrift hingegen 1 BT-Drucks. 13/9340. 2 Schweda in Langen/Bunte, Kommentar zum deutschen und europäischen Kartellrecht, § 111 Rz. 1; Ramm, VergabeR 2007, 739.

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Akteneinsicht | § 165

nicht. Eine Erforderlichkeit in diesem Sinne wird also aufgrund der Stellung als Verfahrensbeteiligter im Nachprüfungsverfahren unwiderlegbar vermutet. Dies ist daher auch für die Vergabekammer bindend (s. hierzu allerdings noch Rz. 17 ff.)1. Das umfassende Akteneinsichtsrecht trägt damit zugleich auch dem gerichtsähnlichen Charakter des Nachprüfungsverfahrens vor der Vergabekammer Rechnung (§ 157 Rz. 3). Auch im verwaltungsgerichtlichen Verfahren haben die Verfahrensbeteiligten gemäß § 100 VwGO ein umfassendes Akteneinsichtsrecht in die gemäß § 99 VwGO dem Verwaltungsgericht vorzulegenden Akten2. In § 165 Abs. 1 fehlt der in § 29 Abs. 1 Satz 2 VwVfG enthaltene Ausschluss für 4 Entwürfe zu Entscheidungen sowie die Arbeiten zu ihrer unmittelbaren Vorbereitung. Gleichwohl ist den Verfahrensbeteiligten zwar volle Akteneinsicht insbesondere in die der Vergabekammer zur Verfügung zu stellenden Akten i.S.v. § 163 Abs. 2 (Vergabeakten, dazu § 163 Rz. 43) sowie in die von den anderen Verfahrensbeteiligten eingereichten Schriftsätze und sonstigen Unterlagen (s. noch Rz. 9) zu gewähren, nicht jedoch in Entscheidungsentwürfe, Voten u.ä. der Vergabekammer.3 Insofern ergänzt § 29 Abs. 1 Satz 2 VwVfG die Regelung in § 165 Abs. 14. Des Weiteren fehlt in § 165 Abs. 1 auch eine § 29 Abs. 1 Satz 3 VwVfG ver- 5 gleichbare Regelung. Dies ist folgerichtig, weil aufgrund des durch § 109 begrenzten Kreises der Verfahrensbeteiligten eine derartige Bestimmung für das Nachprüfungsverfahren nicht erforderlich ist (zu weiteren Abweichungen von § 29 VwVfG s. u.a. Rz. 10). Für das Verhältnis von § 165 zu den allgemeinen Informations- und Einsichts- 6 rechten, insbesondere nach den Umweltinformationsgesetzen des Bundes und der Länder und den Informationsfreiheitsgesetzen des Bundes und der Länder ist zu differenzieren: Soweit es um Ansprüche gegen die Verfahrensbeteiligten, also Antragsteller, 7 Antragsgegner oder Beigeladene, außerhalb des, ggf. auch (noch) anhängigen, Nachprüfungsverfahrens geht, sind die in diesen Gesetzen geregelten Informations- und Einsichtsrechte grundsätzlich anwendbar. Sie werden nicht durch § 165 verdrängt, da die Vorschrift einen Anspruch auf Akteneinsicht nur gegenüber der Vergabekammer regelt. Allerdings bestehen derartige Ansprüche gegen die Verfahrensbeteiligten nur dann und insoweit, wie sie informationspflichtige 1 OLG Thüringen v. 26.10.1999 – 6 Verg 3/99, BauR 2000, 95 (96). 2 Redeker in Redeker/v. Oertzen, VwGO, § 100 Rz. 1. 3 Schweda in Langen/Bunte, Kommentar zum deutschen und europäischen Kartellrecht, § 111 Rz. 4. 4 So auch Dreher in Immenga/Mestmäcker, GWB, § 111 Rz. 13; Kus in Kulartz/Kus/Portz/ Prieß, Kommentar zum Vergaberecht, § 165 Rz. 38; Boesen, Vergaberecht, § 111 Rz. 3; Griem, WuW 1999, 1182 (1184); a.A. Byok in Byok/Jaeger, Kommentar zum Vergaberecht, § 111 Rz. 4.

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§ 165 | Akteneinsicht Stellen i.S.d. jeweiligen Gesetzes sind, z.B. gemäß § 1 Abs. 1 IFG1 oder gemäß § 2 Abs. 1 UIG2 Bund. Des Weiteren enthalten die bundes- und landesrechtlichen Vorschriften zu Informationsansprüchen und Einsichtsrechten ihrerseits Ablehnungsgründe, insbesondere zum Schutz öffentlicher und privater Belange (s. z.B. §§ 8 und 9 UIG Bund, §§ 4–6 IFG Bund). Dies gilt insbesondere im Hinblick auf die Wahrung von Betriebs- und Geschäftsheimnissen3. 8 Soweit es um die Tätigkeit der Vergabekammer geht, sind Informations- und

Einsichtsrechte gemäß den Informationsfreiheitsgesetzen von Bund und Ländern während des Nachprüfungsverfahrens verdrängt4. Im Hinblick auf die diesbezüglichen landesrechtlichen Bestimmungen ergibt sich dies bereits aus dem Vorrang des Bundesrechts, das das Verfahren vor der Vergabekammer abschließend regelt (s. § 170). Soweit es um das Informationsfreiheitsgesetz des Bundes geht, ist § 165 für die Tätigkeit der Vergabekammer speziell (§ 1 Abs. 3 IFG Bund)5. Dem stehen weder unions-, noch verfassungsrechtliche Gründe entgegen. Unionsrechtliche Regelungen für allgemeine Informationsansprüche gegenüber staatlichen Stellen der Mitgliedstaaten existieren, anders als für das Umweltinformationsrecht, nicht6. Verfassungsrechtlich ist die Einräumung von Informationsansprüchen, so wie sie in den Informationsfreiheitsgesetzen geregelt sind, ebenfalls nicht gefordert7. Soweit es um Informationsansprüche gegenüber der Vergabekammer nach Maßgabe der Umweltinformationsgesetze des Bundes und der Länder geht, gilt aus verfassungsrechtlicher Sicht nichts anderes. Allerdings basieren die umweltbezogenen Informationsansprüche auf der Richtlinie 2003/4/EG vom 28.1.2003 (Umweltinformationsrichtlinie)8. Auch wenn es sich bei den Vergabekammern von Bund und Ländern um informationspflich-

1 S. dazu Schoch, Informationsfreiheitsgesetz, § 1 Rz. 72 ff. 2 S. dazu Reidt/Schiller in Landmann/Rohmer, Umweltrecht, § 2 UIG Rz. 4 ff. 3 S. etwa zu § 9 Abs. 1 Nr. 3 UIG Bund Reidt/Schiller in Landmann/Rohmer, Umweltrecht, § 9 UIG Rz. 18 ff.; zu § 6 IFG Bund Schoch, Informationsfreiheitsgesetz, § 6 Rz. 40 ff. 4 Glahs, NZBau 2014, 75; Kus in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum Vergaberecht, § 165 Rz. 17; Dreher in Immenga/Mestmäcker, GWB. § 111 Rz. 9; für Ansprüche bei Vergabeverfahren außerhalb des Kartellvergaberechts s. VG Stuttgart v. 17.5.2011 – 13 K 3505/09. 5 Losch, VergabeR 2008, 739 (748); Schoch, Informationsgesetz, § 1 Rz. 342; Jastrow/ Schlatmann, Iinformationsgesetz, Teil C, § 1 Rz. 62; i. E. wohl auch Rossi, IFG, § 1 Rz. 104 ff., der eine Spezialität annimmt, soweit die bereichsspezifische Regelung (auch) dem Schutz des Anspruchsgegenstandes dient, was hier im Hinblick auf § 111 Abs. 2 anzunehmen ist. 6 Schoch, Informationsfreiheitsgesetz, Einl. Rz. 88; Schomerus/Tolkmitt, DÖV 2007, 985 (987); Schmitz/Jastrow, NVwZ 2005, 984 (986 f.). 7 Kloepfer, Informationsrecht, § 10 Rz. 15; Schoch, Informationsfreiheitsgesetz, Einl. Rz. 59. 8 ABl. L Nr. 41, Aus. S. 26; zu den vergabe- und gemeinschaftsrechtlichen Grundlagen umweltbezogener Informationsansprüche Reidt/Schiller in Landmann/Rohmer, Umweltrecht, Vorb. UIG Rz. 15 ff.

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Akteneinsicht | § 165

tige Stellen handelt, da sie keine Gerichte sind (s. insbesondere § 2 Abs. 1 Nr. 1 UIG Bund), stehen, jedenfalls während eines laufenden Nachprüfungsverfahrens, etwaigen über § 165 hinausgehenden Informationsansprüchen die in den Umweltinformationsgesetzen geregelten Ausschlusstatbestände entgegen, insbesondere der Schutz der Vertraulichkeit der Beratungen nach § 8 Abs. 1 Nr. 21 sowie der Schutz der Rechte am geistigen Eigentum sowie von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen der Verfahrensbeteiligten (vgl. insb. § 9 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 und 3 UIG Bund)2. 2. Gegenstand der Akteneinsicht, Durchführung § 165 Abs. 1 bezieht sich auf Akten. Gemeint sind damit zwar in erster Linie, 9 aber nicht nur, die Vergabeakten gemäß § 163 Abs. 2 Satz 1. Dies ergibt sich bereits aus einem Vergleich der jeweiligen Formulierung. Unter Akten i.S.v. § 165 Abs. 1 fallen vielmehr sämtliche der Vergabekammer zur Entscheidung vorliegenden Unterlagen, also sowohl die Akten der Kammer selbst als auch die beigezogenen Vergabeakten, eingereichten Schriftsätze usw. (s. auch Rz. 4)3. Die Einsichtnahme in die Akten kann nur bei der Vergabekammer erfolgen. 10 Andere Möglichkeiten der Einsichtnahme sieht die Vorschrift nicht vor. Im Unterschied zu § 29 Abs. 3 Satz 2 VwVfG kommt daher zur Erleichterung der Akteneinsicht für nicht ortsansässige Verfahrensbeteiligte eine Übersendung der Vergabeakten im Original an den betreffenden Verfahrensbeteiligten oder dessen Bevollmächtigten oder auch nur an eine andere Behörde am Ort des Verfahrensbeteiligten nicht in Betracht (s. allerdings noch Rz. 13)4. Insofern ist § 165 Abs. 1 auch abschließend und speziell. Dies ist der Beschleunigung des Nachprüfungsverfahrens geschuldet (s. insb. § 167). Die Akteneinsicht findet in den Amtsräumen der Vergabekammer statt5. Die 11 Mitglieder der Vergabekammer müssen bei der Akteneinsicht nicht anwesend sein. Gleichwohl muss jedoch die Vergabekammer bzw. deren Geschäftsstelle die erforderlichen organisatorischen Maßnahmen treffen, damit die Vergabeakten vollständig erhalten bleiben, also keine Unterlagen entnommen oder be1 Reidt/Schiller in Landmann/Rohmer, Umweltrecht, § 8 UIG Rz. 23 ff. 2 Reidt/Schiller in Landmann/Rohmer, Umweltrecht, § 8 UIG Rz. 15 ff. 3 Ramm, VergabeR 2007, 739; Kus in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum Vergaberecht, § 165 Rz. 38; Vavra in Burgi/Dreher, § 165 Rz. 5; Leinemann, Die Vergabe öffentlicher Aufträge, Rz. 1712; vgl. insofern zur Gerichtsakte Redeker in Redeker/v. Oertzen, VwGO, § 100 Rz. 1; W.-R. Schenke in Kopp/Schenke, VwGO, § 100 Rz. 3. 4 Vavra in Burgi/Dreher, § 165 Rz. 8; Ramm, VergabeR 2007, 739; Dreher in Immenga/ Mestmäcker, GWB, § 111 Rz. 8; einschränkend Boesen, Vergaberecht, § 111 Rz. 4; Kus in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum Vergaberecht, § 165 Rz. 40; Leinemann, Die Vergabe öffentlicher Aufträge, Rz. 1713. 5 Dreher in Immenga/Mestmäcker, GWB, § 111 Rz. 8; vgl. auch Kallerhoff in Stelkens/ Bonk/Sachs, Verwaltungsverfahrensgesetz, § 29 Rz. 78.

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§ 165 | Akteneinsicht schädigt werden und vor allem auch dem Geheimnisschutz gemäß § 165 Abs. 2 (dazu noch Rz. 36 ff.) hinreichend Rechnung getragen wird, soweit dies im Einzelfall geboten ist. Letzteres erfordert in der Regel eine Entnahme oder Schwärzung der geheimhaltungsbedürftigen Teile der Akten. 12 Die Verfahrensbeteiligten haben gemäß § 165 Abs. 1 einen Anspruch auf die –

allerdings kostenpflichtige – Erstellung von Ausfertigungen, Auszügen oder Abschriften aus den Akten der Vergabekammer, was nach den Bestimmungen der Verwaltungsverfahrensgesetze nicht ohne weiteres der Fall wäre1. Ein Ermessensspielraum der Vergabekammer besteht insofern nicht2. Die Höhe der Kosten für Ausfertigungen, Auszüge oder Abschriften aus den Vergabeakten richtet sich nach den Verwaltungskostenregelungen des Bundes und der Länder3.

13 Der Anspruch auf die Erteilung von Ausfertigungen, Auszügen oder Abschriften

besteht nicht nur ergänzend zur eigenen Einsichtnahme. Vielmehr können die Verfahrensbeteiligten auch ohne vorhergehende eigene Akteneinsicht diesen Anspruch geltend machen, also verlangen, dass sie Ablichtungen der gesamten bei der Vergabekammer vorliegenden Akte oder von Auszügen daraus erhalten, sofern dem nicht ganz oder teilweise Versagungsgründe gemäß § 165 Abs. 2 (Rz. 31 ff.) entgegenstehen. Viele Vergabekammern verfahren in der Praxis so, dass sie von vornherein insbesondere den auswärtigen Verfahrensbeteiligten anbieten, ihnen Kopien der Akten auf dem Postweg oder per Telefax zu übermitteln, die sie als nicht geheimhaltungsbedürftig einstufen und die sie für verfahrensrelevant halten. Die Verfahrensbeteiligten können sich auf diesen der Vereinfachung und Beschleunigung dienenden Weg einlassen. Sie müssen dies allerdings nicht. Wenn sie es wünschen, muss ihnen auch Einsicht in die Originalakten bei der Vergabekammer gewährt werden.

III. Versagung und Beschränkung der Akteneinsicht 1. Unzulässigkeit oder offensichtliche Unbegründetheit des Nachprüfungsantrags 14 Die Akteneinsicht ist dem Antragsteller regelmäßig zu versagen, wenn der ge-

stellte Nachprüfungsantrag zweifelsfrei unzulässig ist4. Etwas anderes gilt also

1 Vgl. Kallerhoff in Stelkens/Bonk/Sachs, Verwaltungsverfahrensgesetz, § 29 Rz. 84 f.; Kopp/Ramsauer, Verwaltungsverfahrensgesetz, § 29 Rz. 41a. 2 Vavra in Burgi/Dreher, § 165 Rz. 8; Ramm, VergabeR 2007, 739 f. hält allerdings bei umfangreichen Akten unter dem Gesichtspunkt der Unzumutbarkeit für die Vergabekammer eine Beschränkung auf das Recht zur Einsichtnahme für zulässig; ebenso Dreher in Immenga/Mestmäcker, GWB, § 111 Rz. 14. 3 Vgl. Kallerhoff in Stelkens/Bonk/Sachs, Verwaltungsverfahrensgesetz, § 29 Rz. 88. 4 S. etwa BayObLG v. 12.12.2001 – Verg 19/01; BayObLG v. 19.12.2000 – Verg 7/00; KG Berlin v. 13.9.2012 – Verg 4/12; VK Rostock v. 26.8.2014 – 2 VK 10/14; VK Südbayern v.

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Akteneinsicht | § 165

dann, wenn und soweit die Akteneinsicht notwendig ist, um die Zulässigkeit des Nachprüfungsantrags zu klären1. Ggf. ist die Akteneinsicht also in gestaffelter Form zu gewähren. Sofern dem Antragsteller wegen Unzulässigkeit seines Nachprüfungsantrags die 15 Akteneinsicht vollständig versagt wird, hat dies regelmäßig auch für ein ggf. bereits beigeladenes Unternehmen zu gelten. Es würde dem Gebot der Chancengleichheit und der Verfahrensfairness widersprechen, dem Antragsteller die Akteneinsicht zu versagen, sie hingegen einem beigeladenen Unternehmen einzuräumen. Davon zu unterscheiden ist die Frage, in welchem Umfang die Akteneinsicht in einzelne Unterlagen nach Maßgabe von § 165 Abs. 2 versagt wird. Dies kann bei den Verfahrensbeteiligten in jeweils unterschiedlichem Umfang der Fall sein (s. Rz. 26). Die vorstehenden Ausführungen gelten in gleicher Weise, wenn der gestellte 16 Nachprüfungsantrag offensichtlich unbegründet ist2 und die Vergabekammer aus diesem Grunde den Antrag nicht einmal gemäß § 163 Abs. 2 Satz 3 übermittelt und auch nicht durch eine Information in Textform gemäß § 169 Abs. 1 das Zuschlagsverbot auslöst (s. § 163 Rz. 14) oder wenn sie wegen offensichtlicher Unbegründetheit beabsichtigt, gemäß § 166 Abs. 1 Satz 3 nach Lage der Akten, also ohne mündliche Verhandlung, zu entscheiden (§ 166 Rz. 13 ff.)3. 2. Keine generelle Beschränkung der Akteneinsicht auf die durch den Antragsteller bereits geltend gemachten Vergaberechtsverstöße Die Vergabesenate und Vergabekammern vertreten überwiegend die Auffas- 17 sung, dass auch bei einem zulässigen Nachprüfungsantrag Akteneinsicht nur in dem Umfang zu gewähren sei, wie dies zur Durchsetzung der subjektiven Rechte des jeweiligen Verfahrensbeteiligten erforderlich ist4. Es komme daher auf die „Themen“ an, die der Antragsteller selbst benennt. Nicht (rechtzeitig) Gerügtes sei nicht entscheidungsrelevant und vermöge folglich kein Aktenein-

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19.2.2008 – Z3-3-9194-1-02-01/08; VK Potsdam v. 28.2.2007 – 2 VK 8/07; VK Hamburg v. 25.7.2007 – VK BSU-8/07; VK Saarbrücken v. 19.1.2007 – 3 Verg. 05/2006; Dreher in Immenga/Mestmäcker, GWB, § 111 Rz. 22. OLG Brandenburg v. 22.12.2011 – Verg W 14/11; OLG Frankfurt v. 12.12.2014 – 11 Verg 8/14, NZBau 2015, 514; VK Saarbrücken v. 19.1.2007 – 3 VK 05/2006; VK Potsdam v. 17.5.2002 – VK 23/02; Eiermann, NZBau 2016, 13 (16); Ramm, VergabeR 2007, 739 (740); Byok in Byok/Jaeger, Kommentar zum Vergaberecht, § 111 Rz. 6. VK Brandenburg v. 27.3.2008 – VK 5/08; VK Baden-Württemberg v. 11.1.2008 – 1 VK 52/07; VK Schleswig-Holstein v. 28.11.2006 – VK-SH 25/06; Ramm, VergabeR 2007, 740. So z.B. VK Schleswig-Holstein v. 17.3.2006 – VK-SH 2/06. Vgl. BGH v. 31.1.2017 – X ZB 10/16, VergabeR 2017, 364; OLG Naumburg v. 1.6.2011 – 2 Verg 3/11; OLG Celle v. 24.9.2014 – 13 Verg 9/14, NZBau 2014, 787; OLG Brandenburg v. 30.1.2014 – Verg W 2/14, NZBau 2014, 525; anders OLG Jena v. 8.10.2015 – 2 Verg 4/ 15, ZfBR 2016, 415: Versagung nur als Ausnahmetatbestand.

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§ 165 | Akteneinsicht sichtsrecht zu begründen. Denn dieses Recht diene nicht dazu, ein Unternehmen in die Lage zu versetzen, hypothetische Vergaberechtsmängel aufzudecken, um sie anschließend zum Gegenstand einer Rüge machen zu können1. 18 Daran ist zutreffend, dass ein Nachprüfungsantrag, der zwar nicht in Gänze, al-

lerdings hinsichtlich einzelner Vergaberechtsverstöße unzulässig ist, auch nicht zu einer vollständigen Akteneinsicht berechtigt (s. vorstehend Rz. 14 ff.). Dies ist etwa in den Fällen anzunehmen, in denen Rügen zu bestimmten Punkten zweifelsfrei verfristet sind.

19 In allen anderen Fällen ist jedoch ein derartiges Verständnis bereits im Hinblick

auf den Gesetzeswortlaut in § 165 Abs. 1 und Abs. 2 problematisch. Es ist im Übrigen auch nicht erkennbar, warum der Umfang des Akteneinsichtsrechts insbesondere hinter § 100 VwGO zurückbleiben sollte. § 165 Abs. 1 regelt von seinem Wortlaut her ein unbeschränktes Akteneinsichtsrecht der Beteiligten und schafft damit ebenso wie § 100 VwGO die grundsätzliche Möglichkeit, (zusätzliche) Mängel in der Tätigkeit öffentlicher Auftraggeber, also (überwiegend) staatlicher Stellen, aufzudecken2. § 165 Abs. 1 Satz 2 bestimmt sodann, dass die Vergabekammer die Einsicht in die Unterlagen zu versagen hat, soweit dies aus wichtigen Gründen geboten ist. Die vollständige oder allenfalls teilweise eingeschränkte Akteneinsicht ist danach die Regel, deren Versagung die Ausnahme3. Eine vollständige oder teilweise Versagung ist dabei nur dann möglich, wenn sie aus wichtigen Gründen geboten ist. § 165 Abs. 2 nennt die Fälle, in denen dies „insbesondere“ der Fall ist.

20 Der Gesetzeswortlaut entspricht dabei auch dem in den Gesetzesmaterialien

zum Ausdruck kommenden Sinn und Zweck der Regelungen. Dort wird ausdrücklich auf die Bedeutung des Akteneinsichtsrechts für einen effektiven Rechtsschutz sowie für die Verbesserung der Transparenz in Vergabeverfahren hingewiesen (s. Rz. 2). Auch unionsrechtlich ist ein solches Verständnis geboten. Erforderlich ist danach, wie auch in § 97 Abs. 1 zum Ausdruck kommt, die Durchführung transparenter Vergabeverfahren. Dies schließt es ein, dass die an dem Verfahren beteiligten Unternehmen den gesamten Vergabe- und Entscheidungsprozess des öffentlichen Auftraggebers nachvollziehen und auch prüfen können. Dies beinhaltet durchaus auch die Möglichkeit etwaige Mängel in einem Konkurrenzangebot erst aufdecken zu können, sofern dem nicht Fabrikati1 So ausdrücklich OLG Jena v. 11.1.2007 – 9 Verg 9/06, VergabeR 2007, 207; ebenso etwa OLG Naumburg v. 11.6.2003 – 1 Verg 6/03; VK Ansbach v. 3.5.2007 – 21 VK-3194-19/ 07; VK Hamburg v. 25.7.2007 – VK BSU-8/07; Losch, VergabeR 2008, 739 (744). 2 Dreher in Immenga/Mestmäcker, GWB, § 111 Rz. 15 f.; Glahs, NZBau 2014, 75 (79). 3 OLG Jena v. 8.10.2015 – 2 Verg 4/15, ZfBR 2016, 415; Dreher in Immenga/Mestmäcker, GWB, § 111 Rz. 12 f.; Losch, VergabeR 2008, 739 (745); Schweda in Langen/Bunte, Kommentar zum deutschen und europäischen Kartellrecht, § 111 Rz. 6 m.w.N.; a.A. Kus in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum Vergaberecht, § 165 Rz. 22 ff.; s. auch BVerfG v. 13.4.2010 – 1 BvR 3515/08, NVwZ 2010, 954 zum finanzgerichtlichen Verfahren.

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ons-, Betriebs- oder Geschäftsgeheimnisse oder sonstige wichtige Gründe im konkreten Fall entgegenstehen. Im sechsten Erwägungsgrund der Rechtsmittelrichtlinien (Einleitung Rz. 7) wird ausdrücklich darauf hingewiesen, dass „den betroffenen Bietern die relevanten Informationen übermittelt werden (sollen), die für sie unerlässlich sind, um eine wirksame Nachprüfung zu beantragen“. Es ist offensichtlich, dass sowohl das Gebot des effektiven Rechtsschutzes als auch das Erfordernis der Transparenz weitgehend leerlaufen, wenn ein Auftraggeber die unterlegenen Bieter nur sehr knapp und zumeist formelartig gemäß § 134 Abs. 1 davon unterrichtet, dass sie den Auftrag nicht erhalten sollen, so wie dies in der Vergabepraxis sehr häufig anzutreffen ist und ihnen gleichzeitig das Recht zur Akteneinsicht abgesprochen wird, um sich selbst ein Bild darüber machen zu können, ob die Vergabeentscheidung in Ordnung ist oder nicht. Dies gilt umso mehr deshalb, weil selbst anderweitig erlangte Informationen über Angebote von Konkurrenten nicht ohne weiteres im Rahmen eines Nachprüfungsverfahrens verwertet werden können1. 3. Abwägung der wechselseitigen Belange Auch wenn – entgegen der überwiegenden Entscheidungspraxis der Vergabe- 21 kammern und Vergabesenate – das Akteneinsichtsrecht nicht auf die von einem Antragsteller bereits geltend gemachten Vergaberechtsverstöße beschränkt werden darf (Rz. 19), ändert dies nichts daran, dass auch die Interessen der anderen Verfahrensbeteiligten berücksichtigt werden müssen. Die Kenntnis der Vergabeakten ist zwar wichtig für die Geltendmachung von 22 Ansprüchen durch den Antragsteller sowie für die Stellungnahmen der Beigeladenen. Jede Einschränkung des Rechts auf Akteneinsicht bewirkt also eine graduelle Zurücknahme von Rechtsschutz. Sie ist ein Schritt weg von der Gleichbehandlung der um den Zuschlag konkurrierenden Unternehmen und eine Minderung der Transparenz der Auftragsvergabe2. Allerdings ist auch zu sehen, dass bei Vergabeverfahren häufig sehr sensible Bereiche angesprochen sind. Dies gilt vor allem auf Seiten der beteiligten Unternehmen, und zwar unabhängig davon, ob sie Verfahrensbeteiligte sind oder nicht. Zu denken ist dabei etwa an die Ertragslage der anbietenden Unternehmen, deren Bezugsquellen, Kalkulationsgrundlagen, technische Details bei Funktionalausschreibungen, neue technische Verfahrensweisen, betriebswirtschaftliche Konzepte u. ä. oder auch an personenbezogene Daten von Mitarbeitern. Auch auf Seiten des Auftrag1 Zur fehlenden Verwertbarkeit rechtswidrig erlangter Informationen und dem sich daraus ggf. ergebenden Ausschlussgrund für das betreffende Unternehmen s. OLG Brandenburg v. 6.10.2005 – Verg W 7/05, WRP 2005, 1550; i.E. offen gelassen OLG Jena v. 16.7.2007 – 9 Verg 4/07, VergabeR 2008, 269; für das Verwaltungsverfahren allg. Kallerhoff in Stelkens/Bonk/Sachs, Verwaltungsverfahrensgesetz, § 24 Rz. 31 ff. 2 BGH v. 31.1.2017 – X ZB 10/16, VergabeR 2017, 364; OLG München v. 28.4.2016 – Verg 3/16, VergabeR 2016, 679; OLG Jena v. 26.10.1999 – 6 Verg 3/99, NZBau 2000, 354.

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§ 165 | Akteneinsicht gebers selbst können sensible und daher geheimhaltungsbedürftige Informationen (z.B. im Verteidigungswesen) in Betracht kommen1. Dies schließt auch die vertrauliche Korrespondenz zwischen dem Auftraggeber und dessen externen Beratern, insbesondere dessen Anwälten, ein2. 23 Dementsprechend regelt § 165 Abs. 2, dass die Vergabekammer die Einsicht in

die Vergabeakten versagen muss, soweit dies aus wichtigen Gründen geboten ist. Beispielhaft, also nicht abschließend, werden dafür der Geheimnisschutz auf Seiten des Auftraggebers sowie die Wahrung von Fabrikations-, Betriebs- oder Geschäftsgeheimnissen auf Bieterseite genannt (dazu Rz. 37). Auch ist es vielfach nicht ausgeschlossen, dass ein Nachprüfungsverfahren nur deshalb eingeleitet wird oder ein Unternehmen nur deshalb einen Antrag auf Beiladung stellt, weil es auf diese Weise Informationen sammeln möchte, an die es ansonsten nicht ohne weiteres käme. Dementsprechend ist die Einsicht zwingend zu versagen, wenn wichtige Gründe i.S. von § 165 Abs. 2 vorliegen3. Die Regelung ist also enger als § 29 Abs. 2 VwVfG, der der Behörde ein Ermessen einräumt, wenn auch nur unter engen Voraussetzungen4. Die Prüfung und eventuelle Versagung der Akteneinsicht erfolgt durch die Vergabekammer selbst. Ein in-camera-Verfahren o. ä. bei einer anderen Vergabekammer, einer anderen Behörde oder einem Gericht zu der Frage, ob die Akteneinsicht ganz oder teilweise zu versagen ist und der gleichzeitigen Folge, dass ggf. die zuständige Vergabekammer selbst die betreffenden Unterlagen nicht zu Gesicht bekommt (s. zum Verwaltungsprozess § 99 VwGO), ist nicht vorgesehen (zur Verwertbarkeit des gesamten Akteninhalts s. Rz. 30)5.

24 Die Möglichkeit zur Versagung der Einsichtnahme bezieht sich auf Unterlagen.

Darunter fallen nur die Teile der Akten gemäß § 165 Abs. 1 (Rz. 19), bei denen wichtige Gründe vorliegen, die eine Versagung der Einsichtnahme rechtfertigen. Die Versagung kann dergestalt erfolgen, dass die betreffenden Unterlagen von der Akteneinsicht ausgeschlossen werden oder aber dadurch, dass mittels Schwärzungen die insofern relevanten Informationen unkenntlich gemacht werden. Eine vollständige Verweigerung der Akteneinsicht ist demgegenüber in der Regel nicht erforderlich und damit rechtswidrig (Rz. 28; zu den Folgen der rechtswidrigen Versagung Rz. 45)6. 1 BGH v. 10.5.1995 – 1 Str 764/94, NJW 1995, 2301; OLG Düsseldorf v. 28.12.2007 – VII Verg 40/07, VergabeR 2008, 281. 2 OLG Düsseldorf v. 4.3.2009 – VII Verg 67/08, NZBau 2009, 334. 3 OLG Düsseldorf v. 28.12.2007 – VII Verg 40/07, VergabeR 2008, 281. 4 Kallerhoff in Stelkens/Bonk/Sachs, Verwaltungsverfahrensgesetz, § 29 Rz. 56 ff. 5 OLG Düsseldorf v. 28.12.2007 – VII Verg 40/07, VergabeR 2008, 281; Kus in Kulartz/ Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum Vergaberecht, § 165 Rz. 21; missverständlich zum Begriff des in-camera-Verfahrens BGH v. 31.1.2017 – X ZB 10/16, VergabeR 2017, 364. 6 VK Lüneburg v. 6.9.2016 – VgK-39/2016; Losch, VergabeR 2008, 739 (745); Leinemann, Die Vergabe öffentlicher Aufträge, Rz. 1712.

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Wie sich aus dem Begriff „geboten“ ergibt, ist eine Abwägung vorzunehmen1. 25 Da es um die Ausfüllung unbestimmter Rechtsbegriffe auf Tatbestandsseite, nicht hingegen um einen der Vergabekammer zustehenden Ermessensspielraum geht (vgl. § 114 VwGO), unterliegt die Abwägung der Vergabekammer der vollen gerichtlichen Nachprüfung (zu den Rechtsfolgen einer unrichtigen Entscheidung Rz. 45 ff.)2. Eine das Akteneinsichtsrecht ausschließende oder begrenzende Entscheidung ist zu begründen3. Maßstab für die Entscheidung über die Gestattung oder Versagung der Akten- 26 einsicht sind die jeweils kollidierenden Rechte und Rechtsgüter sowie die Umstände des Einzelfalls.4 Die Abwägung durch die Vergabekammer hat dabei im Verhältnis zu jedem Verfahrensbeteiligten gesondert zu erfolgen, da die jeweilige Interessenlage und Schutzwürdigkeit unterschiedlich sein kann. Daraus folgt zwangsläufig, dass für einzelne Beteiligte das Akteneinsichtsrecht umfangreicher oder auch geringer sein kann als für andere Beteiligte des Nachprüfungsverfahrens (Teilbarkeit des Akteneinsichtsrechts)5. Entscheidend für die Frage, ob die Akteneinsicht beschränkt oder gar vollstän- 27 dig versagt wird, ist insbesondere, ob und inwieweit die betreffenden Unterlagen entscheidungserheblich sein können6, welche anderen Möglichkeiten bestehen, um demjenigen, der Akteneinsicht nehmen möchte, die für das Nachprüfungsverfahren relevanten Sachverhaltsumstände zugänglich zu machen und wie gewichtig andererseits die gegenläufigen konkreten Geheimhaltungsinteressen bei verständiger Würdigung sind7. In der Regel darf die Beschränkung der Akteneinsicht nicht so weit gehen, dass 28 den Beteiligten nur noch die formalen Bestandteile der Akten zugänglich gemacht werden, die sie zumeist ohnehin bereits kennen (Vergabebekanntmachung 1 OLG München v. 28.4.2016 – Verg 3/16, VergabeR 2016, 679; OLG Naumburg v. 1.6. 2011 – 2 Verg 3/11; OLG Brandenburg v. 30.1.2014 – Verg W 2/14, NZBau 2014, 525; OLG Düsseldorf v. 4.3.2009 – VII Verg 67/08, NZBau 2009, 334; OLG Jena v. 11.1.2007 – 9 Verg 9/06, VergabeR 2007, 207; VK Ansbach v. 3.5.2007 – 21.VK-3194-19/07; Weyand, IBR-online Kommentar, Vergaberecht § 111 Rz. 30; Leinemann, Die Vergabe öffentlicher Aufträge, Rz. 1716. 2 OLG Düsseldorf v. 28.12.2007 – VII Verg 40/07, VergabeR 2008, 281; Byok in Byok/Jaeger, Kommentar zum Vergaberecht, § 111 Rz. 7. 3 Dreher in Immenga/Mestmäcker, GWB, § 111 Rz. 34. 4 OLG München v. 28.4.2016 – Verg 3/16, VergabeR 2016, 679; Thiele in Müller-Wrede, Kompendium des Vergaberechts, Kap. 28, Rz. 64 f. 5 Gröning, NZBau 2000, 366 (370). 6 OLG Naumburg v. 11.6.2003 – Verg 6/03; OLG Jena v. 12.12.2001 – 6 Verg 5/01, VergabeR 2002, 305; OLG Düsseldorf v. 29.12.2001 – Verg 22/01, NZBau 2002, 578; VK Schleswig-Holstein v. 17.3.2006 – VK-SH 2/06. 7 OLG München v. 28.4.2016 – Verg 3/16, VergabeR 2016, 679; OLG Naumburg v. 1.6. 2011 – 2 Verg 3/11; zu den Kriterien im einzelnen Gröning, NZBau 2000, 366 (368); allgemein Kallerhoff in Stelkens/Bonk/Sachs, Verwaltungsverfahrensgesetz, § 30 Rz. 20 ff.;

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§ 165 | Akteneinsicht u.s.w., Formalbestandteile des „gegnerischen“ Angebots u. ä.). Notwendig ist im Regelfall vielmehr auch die Zugänglichkeit der wertungsrelevanten Unterlagen, die in den meisten Fällen auch die Entscheidung der Vergabekammer letztlich tragen1. 29 Grundsätzlich nicht bedeutsam für die Abwägungsentscheidung, ob und ggf. in

welchem Umfang die Akteneinsicht versagt wird, sind die Erfolgsaussichten des Verfahrens2. Etwas anderes gilt dann, wenn der Antrag bereits unzulässig oder offensichtlich unbegründet ist (s. Rz. 20). Entsprechendes gilt, wenn ein Missbrauch des Akteneinsichtsrechts und der daraus zu gewinnenden Informationen ernsthaft zu besorgen ist. In derartigen Konstellationen kann es gerechtfertigt sein, die Akteneinsicht vollständig zu versagen3.

30 Wird die Akteneinsicht ganz oder – in der Regel – teilweise versagt, ändert dies

nichts an der Verwertbarkeit des Akteninhaltes für die Entscheidung, sofern er zumindest in den Grundzügen vorgetragen wurde (vgl. § 175 Abs. 2 i.V.m. § 72 Abs. 2 Satz 3 für das Beschwerdeverfahren)4. Die Vergabekammer entscheidet in einem solchen Fall unter Berücksichtigung des vollständigen Akteninhalts auch ohne vorhergehende Akteneinsicht aller oder einiger Verfahrensbeteiligter in die betreffenden Unterlagen (Rz. 26; zur Berücksichtigung der geheimhaltungsbedürftigen Punkte in den Entscheidungsgründen und ihre Darstellung s. § 164 Rz. 11 f.). Dies ist dem Umstand geschuldet, dass an dem Vergabeverfahren eine Mehrzahl von Unternehmen beteiligt ist, deren Interessen gewahrt werden müssen. Ohne Berücksichtigung des vollständigen Akteninhaltes könnte die Vergabekammer keine sachgerechte Entscheidung treffen. Ihre Prüfungspflicht liefe dann praktisch leer5. Dies gilt vor allem dann, wenn – wie in der Praxis der Vergabekammern weitgehend praktiziert – die Akteneinsicht entgegen den vorstehenden Ausführungen (Rz. 17) sehr restriktiv gehandhabt wird. Geht es etwa um die Frage, welches das wirtschaftlichste Angebot ist, wird den jeweiligen Unternehmen häufig nichtmals teilweise Einsicht in die Konkurrenzangebote gewährt. Wird deren für die Wirtschaftlichkeitsprüfung maßgeblicher Inhalt auch nicht vorgetragen, wäre der Vergabekammer, wenn sie den Akteninhalt in diesem Fall außer Betracht zu lassen hätte, eine sinnvolle Sachentscheidung nicht 1 OLG Jena v. 26.10.1999 – 6 Verg 3/99, NZBau 2000, 354. 2 Vgl. BVerfG v. 13.4.2010 – 1 BvR 3515/08, NVwZ 2010, 954. 3 S. etwa OLG Jena v. 26.10.1999 – 6 Verg 3/99, NZBau 2000, 354; vgl. auch EuGH v. 14.2. 2008 – Rs. C-450/06, Slg. 2008, S. I-581. 4 EuGH v. 14.2.2008 – Rs. C-450/06, Slg. 2008, S. I-581; BGH v. 31.1.2017 – X ZB 10/16, VergabeR 2017, 364. 5 Gröning, NZBau 2000, 759 (761); Ramm, VergabeR 2007, 739 (741); wohl ebenso OLG Düsseldorf v. 29.1.2001 – Verg 22/01, NZBau 2002, 578; vgl. auch OVG Münster v. 23.11. 2000 – 13 E 276/00, NVwZ 2001, 820; BVerfG v. 27.10.1999 – 1 BvR 385/90, BVerfGE 101, 106, jeweils auch zu den verfassungsrechtlichen Grundlagen; a.A. Dreher in Immenga/Mestmäcker, GWB, § 111 Rz. 31; Griem, WuW 1999, 1182 (1187 f.).

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mehr möglich. Sie wäre dann regelmäßig veranlasst, den Nachprüfungsantrag unter Verweis auf Beweislasterwägungen zurückzuweisen. Dies allerdings wäre weder mit dem Gebot der Transparenz noch mit dem Gebot effektiven Rechtsschutzes in Einklang zu bringen.1 4. Überwiegende wichtige Gründe Wichtige Gründe können nur solche sein, die bei einer Abwägung der wider- 31 streitenden Interessen überwiegen2. Dies können Interessen sowohl auf Seiten der an dem Verfahren beteiligten Unternehmen (Antragsteller, Beigeladene, s. § 162) als auch Interessen von an dem Verfahren (noch) nicht beteiligten Unternehmen sowie Interessen des Auftraggebers selbst sein. Dabei ist, insbesondere auf Seiten des Antragstellers, dessen rechtlich geschütz- 32 tes Interesse an einem transparenten und diskriminierungsfreien Vergabeverfahren sowie das für ihn streitende Gebot effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) zu sehen. Dem stehen auf Seiten des Antragsgegners insbesondere der Geheimschutz (Rz. 36 ff.) sowie auf Seiten der Beigeladenen und der übrigen an dem Vergabeverfahren beteiligten Unternehmen vor allem deren Fabrikations-, Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse (Rz. 37) gegenüber. Soweit es um eine Akteneinsicht durch den Beigeladenen geht, gelten diese Versagungsgründe auch im Hinblick auf den Antragsteller. Dabei ist zu berücksichtigen, dass diese Belange für alle beteiligten Unternehmen grundrechtlich insbesondere durch Art. 12 Abs. 1 GG und Art. 14 Abs. 1 GG geschützt werden und daher die Preisgabe von Geheimnissen einen Grundrechtseingriff darstellt, der verhältnismäßig sein muss3. Soweit es um persönliche Daten geht, etwa weil die jeweiligen Angebote Personenprofile der vorgesehenen Mitarbeiter enthalten, greift ergänzend das aus Art. 1 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 2 Abs. 1 GG abzuleitende Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung4. Auf der Ebene des Unionsrechts gilt insofern nichts anderes. Ebenso wie im 33 bundesdeutschen Verfassungsrecht sind insbesondere Betriebs- und Geschäfts1 Ramm, VergabeR 2007, 739 (741). 2 Das OLG Jena v. 26.10.1999 – 6 Verg 3/99, NZBau 2000, 354 spricht sogar – sehr weitgehend – von dem Erfordernis eines eindeutigen Übergewichts zugunsten des Geheimnisschutzes, wenn die Akteneinsicht verweigert werden soll; zustimmend etwa Byok in Byok/Jaeger, Kommentar zum Vergaberecht, § 111 Rz. 1043; Leinemann, Die Vergabe öffentlicher Aufträge, Rz. 1716; demgegenüber zu Recht kritisch Gröning, NZBau 2000, 366 (367). 3 BVerfG v. 1.10.1997 – 2 BvR 1178, 1179, 1191/86, BVerfGE 77, 1 (46); BVerwG v. 20.12. 2001 – 6 C 7.01, BVerwGE 115, 315 (325 f.); Dreher in Immenga/Mestmäcker, GWB, § 111 Rz. 29; Jarass in Jarass/Pieroth, Grundgesetz, Art. 12 Rz. 14; Reidt/Schiller in Landmann/Rohmer, Umweltrecht, Vorb. UIG Rz. 58. 4 Grundlegend BVerfG v. 15.12.1983 – 1 BvR 219 u.a. 83, BVerfGE 65, 1 (41 ff.); Reidt/ Schiller in Landmann/Rohmer, Umweltrecht Vorb. UIG Rz. 59.

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§ 165 | Akteneinsicht geheimnisse im primären Unionsrecht zwar nicht ausdrücklich geregelt, allerdings auch dort insbesondere durch Art. 339 AEUV1 geschützt. Ihre Schutzwürdigkeit ist im Übrigen vom EuGH als allgemeiner Rechtsgrundsatz anerkannt2. Auch die europäische Grundrechte-Charta schützt neben der uneingeschränkten Achtung des Rechts auf einen wirksamen Rechtsbehelf und ein faires Verfahren (Art. 47 Abs. 1 und Abs. 2; s. hierzu insbesondere auch den 36. Erwägungsgrund der Rechtsmittelrichtlinien, Einleitung Rz. 7) auch das Eigentumsrecht des Einzelnen einschließlich des geistigen Eigentums (Art. 17 der Grundrechte-Charta)3. Zwar entfaltet die europäische Grundrechte-Charta aus sich heraus keine Rechtsverbindlichkeit, da sie kein primäres Unionsrecht ist. Dennoch kommt ihr als Rechtserkenntnisquelle für die Reichweite des Grundrechtsschutzes in der Europäischen Union4 und die Auslegung der Unionsgrundrechte Bedeutung zu5. Entsprechend hat sich auch der EuGH wiederholt auf die Grundrechte-Charta berufen6. Ebenso wie im nationalen Verfassungsrecht ist auch hier eine Einschränkung der gewährleisteten Rechte nur nach Maßgabe des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes gerechtfertigt (Art. 52 Abs. 1 Satz 2 Grundrechte-Charta)7, so dass insofern ein dem deutschen Grundrechtsschutz vergleichbares Schutzniveau besteht. Dies ist insbesondere für die Frage bedeutsam, inwieweit das nationale Recht im Lichte der Anforderungen des Unionsrechts ausgelegt werden muss. 34 Bei den unterschiedlichen, jeweils auch verfassungsrechtlich und durch Unions-

recht geschützten Positionen kommt keinem der widerstreitenden Interessen ein prinzipieller Vorrang zu8. Dies gilt für das Interesse des Antragstellers auf Akteneinsicht als Bestandteil eines effektiven Rechtsschutzes und als Ausdruck eines transparenten und chancengleichen Vergabeverfahrens ebenso wie für die Interessen der anderen Verfahrensbeteiligten auf Wahrung von unternehmeri1 S. zum Berufsgeheimnis Wegener in Caliess/Ruffert, EUV/AEUV, Rz. 1 ff. 2 S. etwa EuGH v. 14.2.2008 – Rs. C-450/06, Slg. 2008, S. I-581. 3 S. hierzu etwa auch EuGH v. 28.4.1998 – Rs. C-200/96, Slg. 1998, S. I-1953; Calliess in Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 17 EU-GR-Charta Rz. 6; Reidt/Schiller in Landmann/ Rohmer, Umweltrecht, Vorb. UIG Rz. 36. 4 Allg. zum unionsrechtlichen Grundrechtschutz Schorkopf in Grabitz/Hilf/Nettesheim, Recht der Europäischen Union, Art. 6 EU Rz. 56 ff. 5 Schorkopf in Grabitz/Hilf/Nettesheim, Recht der Europäischen Union, Art. 6 EU Rz. 56 ff. 6 S. etwa EuGH v. 29.1.2008 – Rs. C-275/06, Slg. 2008, S. I-271 (Schutz des geistigen Eigentums, des Privatlebens und personenbezogener Daten, Art. 7, 8 und 17 Abs. 2 EUGR-Charta); EuGH v. 18.12.2007 – Rs. C-341/05, Slg. 2007, S. I-11767 (Recht auf arbeitsrechtliche Kollektivmaßnahmen, Art. 28 EU-GR-Charta); EuGH v. 27.6.2006 – Rs. C540/03, Slg. 2006, S. I-5769 (Schutz der Familie, Art. 7 und 24 EU-GR-Charta). 7 Zur Kontrolldichte durch den EuGH s. Calliess in Calliess/Ruffert, EUV/AEUVArt. 17 EU-GR-Charta Rz. 33 ff. und allg. Kingreen ebd. Art. 52 EU-GR Charta Rz. 65 ff. 8 OLG München v. 28.4.2016 – Verg 3/16, VergabeR 2016, 679; a.A. OLG Jena v. 8.10.2015 – 2 Verg 4/15, ZfBR 2016, 415.

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schen Geheimnissen1. Es bedarf daher in der Regel einer jeweils einzelfallbezogenen Abwägung der widerstreitenden Interessen, sofern die ernsthafte Möglichkeit im Raum steht, dass zu schützende Geheimnisse bestehen und daher hinsichtlich der betreffenden Unterlagen die Akteneinsicht ganz oder teilweise beschränkt werden muss. Hierbei spielen auch etwaige erfolgte oder nicht erfolgte Hinweise gemäß § 165 Abs. 3 eine Rolle (s. noch Rz. 42). § 165 Abs. 2 nennt beispielhaft wichtige Gründe, die eine Versagung der Ein- 35 sichtnahme in die Akten rechtfertigen können. Auch dabei genügt es allerdings nicht, dass derartige Gründe überhaupt vorliegen. Vielmehr ist es notwendig, dass diese Gründe im konkreten Fall so gewichtig sind, dass sie das Interesse an einer Akteneinsicht als rechtsstaatlicher Voraussetzung für eine ordnungsgemäße Verfahrensbeteiligung überwiegen (zu dem erforderlichen Hinweis durch denjenigen, der sich auf den wichtigen Grund beruft, s. Rz. 40). Unter Geheimschutz fallen alle diejenigen Akteninhalte, die aufgrund eines Ge- 36 setzes oder ihrem Wesen nach geheim gehalten werden müssen. Vielfach geht es dabei zwar um Fälle, in denen es von vornherein keiner Ausschreibung bedarf (s. insbesondere §§ 107, 109). Allerdings unterliegt auch die Frage, ob zulässigerweise von einer Ausschreibung abgesehen wird, der Nachprüfung (dazu § 160 Rz. 18). Von Bedeutung für den Geheimschutz sind auch datenschutzrechtliche Bestimmungen sowie Regelungen, die sich auf die innere Sicherheit beziehen2. § 165 Abs. 2 nennt weiterhin beispielhaft Fabrikations-, Betriebs- oder Ge- 37 schäftsgeheimnisse. Es handelt sich insofern um eine Konkretisierung des Geheimhaltungsanspruchs nach § 30 VwVfG3. Fabrikations- und Betriebsgeheimnisse betreffen in erster Linie betrieblich-technische Vorgänge und Erkenntnisse. Geschäftsgeheimnisse beziehen sich auf den kaufmännischen Bereich4. Eine exakte Differenzierung ist letztlich entbehrlich, weil die Begriffe regelmäßig gemeinsam verwendet werden und daher dem gleichen Schutzanspruch unterliegen. Unter Fabrikations-, Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse fallen daher insbesondere Informationen über Ertragslagen, Geschäftsbücher, Kundenlisten, Bezugsquellen, Marktstrategien, Unterlagen zur Kreditwürdigkeit, Kalkulationsunterlagen5, Pa-

1 OLG Düsseldorf v. 28.12.2007 – VII Verg 40/07, VergabeR 2008, 281 (286). 2 S. im Einzelnen Kallerhoff in Stelkens/Bonk/Sachs, Verwaltungsverfahrensgesetz, § 29 Rz. 56 ff.; Ritgen in Knack/Henneke, Verwaltungsverfahrensgesetz, § 29 Rz. 42 ff. 3 S. dazu Kallerhoff in Stelkens/Bonk/Sachs, Verwaltungsverfahrensgesetz, § 30 Rz. 7 ff.; Ritgen in Knack/Henneke, Verwaltungsverfahrensgesetz, § 30 Rz. 8 ff. 4 BGH v. 31.1.2017 – X ZB 10/16, VergabeR 2017, 364; OLG Düsseldorf v. 28.12.2007 – VII Verg 40/07, VergabeR 2008, 281 (285); VG Berlin v. 16.2.2016 – Az. 2 K 246.13 (z.B. Preiskalkulationen); Kadenbach in Willenbruch/Wieddekind, Kompaktkommentar Vergaberecht, § 111 Rz. 11; Weyand, IBR-online Kommentar, Vergaberecht, § 111 Rz. 24 ff.; Reidt/Schiller in Landmann/Rohmer, Umweltrecht, § 9 UIG Rz. 22. 5 VK Schleswig-Holstein v. 14.5.2008 – VK-SH 6/08.

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§ 165 | Akteneinsicht tentanmeldungen, Fabrikationsgeheimnisse sowie sonstige Entwicklungs- und Forschungsprojekte.1 38 Der Begriff des Geheimnisses ist dadurch gekennzeichnet, dass es um Umstände

geht, die nur einem begrenzten Personenkreis bekannt sind und bei denen sich das zu schützende Unternehmen wünscht, dass diese nicht unkontrolliert verbreitet werden. Des Weiteren müssen die betreffenden Umstände Gegenstand eines berechtigten Geheimhaltungsinteresses sein2. Dabei sind vor allem im Hinblick auf einen unverfälschten Wettbewerb auch eventuelle zukünftige Vergabeverfahren desselben oder auch anderer öffentlicher Auftraggeber zu berücksichtigen3. Ausgeschlossen sind solche Umstände, bei denen lediglich rein willkürlich eine Geheimhaltung gefordert wird. Entscheidend ist, ob ein verständiger Unternehmer Informationen dieser Art geheim halten würde. Ebenfalls ausgeschlossen sind alle Informationen, die bereits offenkundig sind4. Warum dies der Fall ist, ist dabei ohne Bedeutung5.

IV. Hinweispflichten (§ 165 Abs. 3) 39 Korrespondierend mit § 165 Abs. 2 regelt Abs. 3 der Vorschrift Hinweispflich-

ten sowie die Verpflichtung zur Kenntlichmachung von Unterlagen, die Geheimnisse enthalten und daher gemäß § 165 Abs. 2 von der Akteneinsicht ausgeschlossen sein sollen. In der Praxis erfolgt dies regelmäßig durch einen entsprechenden „Sperrvermerk“ oder eine sonstige auffällige Kennzeichnung in den betreffenden Unterlagen oder Teilen davon, häufig auch durch die Einreichung gesonderter Schriftsätze für die Vergabekammer und die anderen Verfahrensbeteiligten, in denen jeweils entsprechende Schwärzungen oder (gekennzeichnete) Auslassungen enthalten sind.

40 Die Hinweispflicht erstreckt sich auf Akten und Stellungnahmen, die der betref-

fende Beteiligte an die Vergabekammer übermittelt. Gemeint sind also nicht die Akten i.S. von § 165 Abs. 1 (Rz. 9). Es geht vielmehr nur um die jeweils eigenen Unterlagen des betreffenden Beteiligten6. Die Beteiligten müssen und können in

1 Leinemann, Die Vergabe öffentlicher Aufträge, Rz. 1718. 2 OLG Düsseldorf v. 28.12.2007 – VII Verg 40/07, VergabeR 2008, 281; VK Schleswig-Holstein v. 14.5.2008 – VK-SH 6/08; Kallerhoff in Stelkens/Bonk/Sachs, Verwaltungsverfahrensgesetz, § 30 Rz. 13; Breuer, Schutz von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen im Umweltrecht, NVwZ 1986, 171 (172). 3 EuGH v. 14.2.2008 – Rs. C-450/06, Slg. 2008, S. I-581. 4 Kallerhoff in Stelkens/Bonk/Sachs, Verwaltungsverfahrensgesetz, § 30 Rz. 21; Ritgen in Knack/Henneke, Verwaltungsverfahrensgesetz, § 30 Rz. 25. 5 Gröning, NZBau 2000, 366 (367); Reidt/Schiller in Landmann/Rohmer, Umweltrecht, § 9 UIG Rz. 20 f. 6 Gröning, NZBau 2000, 366 (367); Kus in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum Vergaberecht, § 165 Rz. 68.

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der Regel nicht auf Geheimnisse in Unterlagen hinweisen, die andere Beteiligte bei der Vergabekammer einreichen. Allerdings bleibt ihnen dies unbenommen, um eine entsprechende Prüfung der Vergabekammer gemäß § 165 Abs. 2 sicherzustellen. So kann etwa ein Beigeladener die Vergabekammer darauf hinweisen, dass in den seitens des Auftraggebers vorzulegenden Vergabeakten für ihn zu schützende Betriebsgeheimnisse enthalten sind und in welchen Unterlagen dies konkret der Fall ist. Die Hinweispflicht bezieht sich im Weiteren nur auf die in Abs. 2 genannten 41 Geheimnisse. Dies bedeutet, dass eine Hinweispflicht nicht für sämtliche wichtigen Gründe besteht, sondern nur für Fabrikations-, Betriebs- oder Geschäftsgeheimnisse. Jedoch lässt dies die Möglichkeit unberührt, auch auf andere wichtige Gründe hinzuweisen, damit die Vergabekammer diese prüft und bewertet1. Für diese Fälle greift indes nicht die Zustimmungsfiktion des § 165 Abs. 3 Satz 2. Allerdings kann zumindest im Einzelfall ein fehlender Hinweis darauf, dass die entsprechenden Unterlagen nicht durch die weiteren Verfahrensbeteiligten eingesehen werden sollen, als konkludente Zustimmung ausgelegt werden2. Erfolgt durch den betroffenen Verfahrensbeteiligten bei den von ihm selbst vor- 42 gelegten Unterlagen keine Kennzeichnung der in § 165 Abs. 2 genannten Geheimnisse, kann die Vergabekammer gemäß § 165 Abs. 3 Satz 2 von seiner Zustimmung zur uneingeschränkten Akteneinsicht durch alle weiteren Verfahrensbeteiligten ausgehen. In diesem Fall besteht mithin in der Regel ein Recht und auch eine Pflicht zur Offenbarung etwaiger Geheimnisse, d.h. die Vergabekammer kann und muss aufgrund der gesetzlichen Regelung allein aus dem Schweigen jedenfalls dann, wenn keine besonderen Umstände vorliegen, auf das Einverständnis des Betroffenen schließen. Diese Zustimmungsfiktion gilt allerdings nur hinsichtlich desjenigen, der die be- 43 treffenden Akten oder Stellungnahmen übermittelt hat. Legt der Auftraggeber gemäß seiner Verpflichtung aus § 163 Abs. 2 die Vergabeakten vor und weist er dabei nicht auf besondere Geheimnisse hin, kann und darf die Vergabekammer daraus lediglich schließen, dass der Auftraggeber insofern nicht selbst den Schutz von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen geltend macht. Hingegen ist nicht die Schlussfolgerung möglich, dass die in den Vergabeakten befindlichen Angebote und sonstigen Unterlagen von Unternehmen ebenfalls nicht schutzbedürftig sind3. In Bezug auf diese Betroffenen kann die Vergabekammer also nicht von deren Zustimmung zur Akteneinsicht ausgehen. Dies bedeutet zugleich, dass allein fehlende Hinweise und Kennzeichnungen die Vergabekammer nicht von der Prüfung entbinden, ob nicht möglicherweise doch ein Geheim1 Heuvels in Loewenheim/Meessen/Riesenkampff, Kartellrecht, § 111 GWB Rz. 11. 2 Vgl. Kallerhoff in Stelkens/Bonk/Sachs, Verwaltungsverfahrensgesetz, § 30 Rz. 17; Clausen in Knack/Henneke, Verwaltungsverfahrensgesetz, § 30 Rz. 20; insofern eher restriktiv EuGH v. 14.2.2008 – Rs. C-450/06, Slg. 2008, S. I-581. 3 Byok in Byok/Jaeger, Kommentar zum Vergaberecht, § 111 Rz. 14.

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§ 165 | Akteneinsicht nisschutz erforderlich ist1. Dies gilt vor allem auch im Hinblick auf Unternehmen, die (noch) gar nicht an dem Nachprüfungsverfahren beteiligt sind und die sich daher in der Regel nicht zu etwaigen Fabrikations-, Betriebs- oder Geschäftsgeheimnissen gegenüber der Vergabekammer äußern. 44 § 165 Abs. 3 fordert lediglich – die Vergabekammer nicht bindende2 – Hinweise

und Kennzeichnungen für die Geheimnisse i.S.v. Abs. 2. Die Vergabekammer hat dann selbst zu prüfen, ob die geltend gemachten Geheimhaltungsgründe im Rechtssinne so gewichtig sind, dass sie das Interesse an einer uneingeschränkten Akteneinsicht überwiegen (Rz. 25 ff.)3. Über den Gesetzeswortlaut hinausgehend folgt daraus, dass diejenigen, die sich auf derartige wichtige Gründe berufen, dies zumindest bei einer entsprechenden Nachfrage auch in einer Weise begründen müssen, die es der Vergabekammer ermöglicht, eine entsprechende Abwägung vorzunehmen (Glaubhaftmachung i.S.v. § 294 ZPO)4. Dies umfasst in der Regel sowohl die Darlegung, dass ein Geheimnis vorliegt, als auch Erläuterungen zu den Nachteilen, die für den Betroffenen mit dessen Preisgabe verbunden wären.

V. Entscheidung der Vergabekammer, Rechtsfolgen bei unrichtiger Entscheidung über die Beschränkung oder Nichtbeschränkung der Akteneinsicht (§ 165 Abs. 4) 1. Ungerechtfertigte Versagung der Akteneinsicht 45 Der Fall, dass die Akteneinsicht durch eine entsprechende Entscheidung der

Vergabekammer zu Unrecht beschränkt wurde, ist in § 165 Abs. 4 ausdrücklich geregelt. Danach ist eine solche Entscheidung nicht isoliert anfechtbar.5 Vielmehr ist sie als reine Zwischenentscheidung zunächst hinzunehmen. Wenn die

1 Gröning, NZBau 2000, 366 (367); Kus in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum Vergaberecht, § 165 Rz.68; Griem, WuW 1999, 1182 (1185); offen lassend Thiele in MüllerWrede, Kompendium des Vergaberechts, Kap. 28, Rz. 66. 2 Kus in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum Vergaberecht, § 165 Rz. 68 f. 3 OLG Düsseldorf v. 5.3.2008 – VII Verg 12/08; OLG Jena v. 26.10.1999 – 6 Verg 3/99, NZBau 2000, 354; Schweda in Langen/Bunte, Kommentar zum deutschen und europäischen Kartellrecht, § 111 Rz. 6. 4 OLG München v. 28.4.2016 – Verg 3/16 – VergabeR 2016, 679; OLG Düsseldorf v. 5.3. 2008 – VII Verg 12/08; Weyand, IBR-online Kommentar, Vergaberecht, § 111 Rz. 28; Kus in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum Vergaberecht, § 165 Rz. 70; Ramm, VergabeR 2007, 739 (742); Gröning, NZBau 2000, 365 (367); von einer diesbezüglichen Darlegungs- und Beweislast spricht Schweda in Langen/Bunte, Kommentar zum deutschen und europäischen Kartellrecht, § 111 Rz. 6; allgemein Kallerhoff in Stelkens/ Bonk/Sachs, Verwaltungsverfahrensgesetz, § 29 Rz. 64. 5 OLG Jena v. 13.10.2015 – 2 Verg 6/15, ZfBR 2016, 415; OLG Düsseldorf v. 4.3.2009 – Verg 67/08; Eiermann, NZBau 2016, 13, 17.

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Hauptsachenentscheidung der Vergabekammer denjenigen, dem die (uneingeschränkte) Akteneinsicht verwehrt wurde, beschwert, kann er gegen diese Entscheidung mit der sofortigen Beschwerde gemäß den §§ 171 ff. vorgehen. In dem Beschwerdeverfahren kann er dann auch geltend machen, dass ihm eine weitergehende Akteneinsicht als bei der Vergabekammer gewährt werden müsse1. Der notwendige effektive Rechtsschutz ist damit gewährleistet. 2. Missachtung von wichtigen Gründen gemäß § 165 Abs. 2 Nicht gesetzlich geregelt ist hingegen der Fall, dass die Vergabekammer zu Un- 46 recht die Akteneinsicht nicht beschränkt. Hinsichtlich der Rechtsfolgen gelten daher die Vorschriften des Verwaltungsverfahrensgesetzes. Die zu Unrecht nicht beschränkte Akteneinsicht stellt einen Verfahrensfehler 47 dar, der allerdings in aller Regel nicht zur Nichtigkeit der Entscheidung der Vergabekammer gemäß § 168 Abs. 3 führt (§ 44 VwVfG). Vielmehr hat dieser Fehler zumeist keine Folgen i.S.v. § 46 VwVfG, da die Akten der Vergabekammer vorlagen und von dieser in der Regel auch der getroffenen Entscheidung zu Grunde gelegt werden durften (Rz. 30). Daher bleibt ein solcher Verstoß, wenn er eingetreten ist, in Bezug auf das Nachprüfungsverfahren zumeist folgenlos2. Allerdings können sich aus einer solchen fehlerhaften Verfahrensweise strafund vor allem auch haftungsrechtliche Konsequenzen ergeben (zur haftungsrechtlichen Stellung der Mitglieder der Vergabekammer § 157 Rz. 7)3. Zu unterscheiden von der Frage, welche Konsequenzen ein eingetretener Verfah- 48 rensfehler hat, ist, ob und wie dieser vorab verhindert werden kann. Dies gilt gerade vor dem Hintergrund, dass es im Bereich des Geheimnisschutzes für die Betroffenen oftmals um Rechtspositionen von erheblicher wirtschaftlicher oder auch persönlicher Bedeutung geht. Während bei einer rechtmäßigen Versagung der Akteneinsicht durch das Beschwerdeverfahren gemäß den §§ 171 ff. nachträglich ein hinreichend effektiver Rechtsschutz gewährleistet werden kann, ist dies bei der zu Unrecht erfolgten Gewährung von Akteneinsicht nicht mehr der Fall. Hier ist effektiver Rechtsschutz nur in der Weise möglich, dass die Entscheidung der Vergabekammer, Akteneinsicht zu gewähren, ihrerseits einer gerichtlichen Prüfung zugeführt werden kann, noch bevor die Akteneinsicht vollzogen ist.4 1 OLG Brandenburg v. 30.1.2014 – Verg W 2/14, NZBau 2014, 525; OLG Düsseldorf v. 28.12.2007 – VII Verg 40/07, VergabeR 2008, 281 (282); OLG Jena v. 8.6.2000 – 6 Verg 2/00, NZBau 2001, 16. 2 Vgl. OLG Düsseldorf v. 5.3.2008 – VII-Verg 12/08. 3 Dreher in Immenga/Mestmäcker, GWB, § 111 Rz. 36; Kadenbach in Willenbruch/Bischoff, Kompaktkommentar Vergaberecht, § 111 Rz. 16 f.; Kallerhoff in Stelkens/Bonk/ Sachs, Verwaltungsverfahrensgesetz, § 30 Rz. 27 ff.; zur Möglichkeit eines Fortsetzungsfeststellungsantrags OLG Düsseldorf v. 5.3.2008 – VII Verg 12/08. 4 Ebenso Leinemann, Die Vergabe öffentlicher Aufträge, Rz. 1719.

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§ 165 | Akteneinsicht 49 Ebenso wie im Fall der versagten Akteneinsicht, für den mittels der sofortigen

Beschwerde in der Hauptsache (§ 165 Abs. 4, Rz. 45) ein gerichtliche Überprüfungsmöglichkeit besteht, muss dies folglich auch für den umgedrehten Fall gelten, wenn der Betroffene der Auffassung ist, dass seine Geheimhaltungsrechte durch eine Preisgabe der Unterlagen an die (anderen) Verfahrensbeteiligten verletzt werden. Dieser aus der Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG abzuleitende Anspruch macht bestimmte verfahrensmäßige Schritte der Vergabekammer zwingend erforderlich. So ist in den Fällen, in denen Geheimhaltungsrechte eines Verfahrensbeteiligten oder auch eines sonstigen Dritten verletzt werden könnten, dem Betroffenen vorab mitzuteilen, dass die Unterlagen im Rahmen der Akteneinsicht gegenüber (anderen) Beteiligten des Nachprüfungsverfahrens offenbart werden sollen1. Dies gilt insbesondere in den Fällen, in denen ein Beteiligter bestimmte Unterlagen gemäß § 165 Abs. 3 (Rz. 40) substantiiert als geheimhaltungsbedürftig bezeichnet hat.

50 Die Entscheidung der Vergabekammer als Teil der Exekutive muss des Weite-

ren einer gerichtlichen Überprüfung zugänglich sein, die im Vorfeld der Gewährung einer Akteneinsicht in die streitigen Unterlagen stattzufinden hat. Anders als in dem in § 165 Abs. 4 geregelten Fall kann dies nicht die sofortige Beschwerde in der Hauptsache sein. Notwendig ist vielmehr eine eigenständige gerichtliche Überprüfungsmöglichkeit im Hinblick auf die von der Vergabekammer beabsichtigte Gewährung der Akteneinsicht. Dies bedeutet, dass es einer besonderen (Zwischen-)Entscheidung der Vergabekammer bedarf, wenn es um die Gewährung der Akteneinsicht in (potentiell) geheimhaltungsbedürftige Unterlagen geht und diese Entscheidung sodann eigenständig gerichtlich überprüfbar sein muss2. Diese gerichtliche Überprüfungsmöglichkeit ist mit der sofortigen Beschwerde gemäß § 171 Abs. 1 in analoger Anwendung gegeben, zumal die Vorschrift ganz allgemein von Entscheidungen der Vergabekammer spricht3.

51 Im Hinblick auf die notwendige Effektivität des Rechtsschutzes muss der zeitli-

che Abstand zwischen der Entscheidung der Vergabekammer über die Gewährung der Akteneinsicht und deren tatsächlicher Durchführung so bemessen sein, dass dem Betroffenen die Möglichkeit verbleibt, das Oberlandesgericht anzurufen, damit dieses – ggf. zunächst durch eine eigene Zwischenentscheidung – da-

1 Kus in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum Vergaberecht, § 165 Rz. 77. 2 BGH v. 31.1.2017 – 7 B 10/16, VergabeR 2017, 364. 3 BGH v. 31.1.2017 – 7 B 10/16, VergabeR 2017, 364; OLG München v. 28.4.2016 – Verg 3/ 16, VergabeR 2016, 679; OLG Jena v. 8.10.2015 – 2 Verg 4/15, ZfBR 2016, 415; OLG Frankfurt v. 12.12.2014 – 11 Verg 8/14, NZBau 2015, 514; OLG Düsseldorf v. 28.12. 2007 – VII Verg 40/07, VergabeR 2008, 281 (282 f.); Losch, VergabeR 2008, 739 (749); Ramm, VergabeR 2007, 739 (743); Byok in Byok/Jaeger, Kommentar zum Vergaberecht, § 111 Rz. 18; Kus in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum Vergaberecht, § 165 Rz. 74 ff.; Dreher in Immenga/Mestmäcker, GWB, § 111 Rz. 34.

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Mündliche Verhandlung | § 166

rüber befinden kann, ob die Akteneinsicht (jedenfalls vorläufig) zu unterbleiben hat (vgl. § 168 Rz. 13)1.

§ 166 Mündliche Verhandlung (1) Die Vergabekammer entscheidet aufgrund einer mündlichen Verhandlung, die sich auf einen Termin beschränken soll. Alle Beteiligten haben Gelegenheit zur Stellungnahme. Mit Zustimmung der Beteiligten oder bei Unzulässigkeit oder bei offensichtlicher Unbegründetheit des Antrags kann nach Lage der Akten entschieden werden. (2) Auch wenn die Beteiligten in dem Verhandlungstermin nicht erschienen oder nicht ordnungsgemäß vertreten sind, kann in der Sache verhandelt und entschieden werden. I. 1. 2. II. 1. 2. 3. 4. III.

Einführung Inhaltsübersicht . . . . . . . . . . . . Entstehungsgeschichte . . . . . . . Mündliche Verhandlung Entscheidungsgrundlage . . . . . . Beschränkung auf einen Termin Ladung, Verlauf . . . . . . . . . . . . Zeitpunkt der Entscheidung . . . Absehen von der mündlichen Verhandlung . . . . . . . . . . . . . . 1. Zustimmung der Verfahrensbeteiligten . . . . . . . . . . . . . . . .

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4 6 7 12 13 14

2. Unzulässigkeit des Nachprüfungsantrags . . . . . . . . . . . . . 3. Offensichtliche Unbegründetheit des Nachprüfungsantrags . 4. Vorhergehende Anhörung . . . 5. Keine entsprechende Anwendung bei offensichtlicher Begründetheit . . . . . . . . . . . . . . IV. Fehlerhaftes Absehen von der mündlichen Verhandlung, fehlerhafte Durchführung der mündlichen Verhandlung . . .

. . . .

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I. Einführung 1. Inhaltsübersicht § 166 Abs. 1 regelt die grundsätzliche Notwendigkeit einer mündlichen Verhand- 1 lung vor einer Entscheidung der Vergabekammer sowie die dazu bestehenden Ausnahmen. Abs. 2 der Regelung bestimmt, dass bei Abwesenheit auch ohne die betreffenden Beteiligten verhandelt und sodann auch entschieden werden kann. 1 Byok in Byok/Jaeger, Kommentar zum Vergaberecht, § 111 Rz. 19; ebenso Ramm, VergabeR 2007, 739 (743), der eine Frist von drei bis fünf Tagen für angemessen hält; weitergehend Kus in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum Vergaberecht, § 165 Rz. 77, der eine Aussetzung des Nachprüfungsverfahrens bis zur Entscheidung des Vergabesenats für erforderlich hält.

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§ 166 | Mündliche Verhandlung 2. Entstehungsgeschichte 2 § 166 entspricht dem § 112 a.F. und ist seit dem Gesetzgebungsverfahren zum

Vergaberechtsänderungsgesetz 1998 (Einleitung Rz. 4 ff.) im Wesentlichen unverändert geblieben.

3 In der Begründung zum Regierungsentwurf des Vergaberechtsänderungsgeset-

zes 19981 wird darauf hingewiesen, dass die in der Regel notwendige mündliche Verhandlung auch aus mehreren Terminen bestehen könne, jedoch so gut vorbereitet sein sollte, dass ein einziger Verhandlungstermin genügt.

II. Mündliche Verhandlung 1. Entscheidungsgrundlage 4 § 166 Abs. 1 Satz 1 sieht vor, dass die Vergabekammer aufgrund einer mündli-

chen Verhandlung entscheidet. Eine Entscheidung nach Aktenlage ist daher – jedenfalls im Grundsatz (zu den Ausnahmen Rz. 13 ff.) – nicht zulässig.

5 Gemäß § 166 Abs. 1 Satz 2 haben alle Beteiligten i.S.v. § 162 Gelegenheit zur

Stellungnahme, d.h. sie können sich über ihren schriftlichen Sach- und Rechtsvortrag hinausgehend auch in der mündlichen Verhandlung äußern (zum Verlauf der mündlichen Verhandlung Rz. 7 ff.). Dadurch wird in dem gerichtsähnlich (s. § 157 Rz. 3) ausgestalteten Nachprüfungsverfahren dem Anspruch der Beteiligten auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) Rechnung getragen2. 2. Beschränkung auf einen Termin

6 Die mündliche Verhandlung soll sich auf einen Termin beschränken, um so eine

Entscheidung innerhalb der Frist des § 167 Abs. 1 Satz 1 zu ermöglichen3. Die Regelung dient der Durchsetzung des Beschleunigungsgrundsatzes4. Die Formulierung „soll“ bedeutet in diesem Zusammenhang, dass die Durchführung eines zweiten Termins nur dann in Erwägung zu ziehen ist, wenn besondere Umstände des Einzelfalls dies ausnahmsweise gebieten5. Erfolgen Hinweise auf weitere Vergaberechtsverstöße erst nach Abschluss der mündlichen Verhandlung, ist diese ggf. wieder zu eröffnen6. Denn der Sachverhalt, der der Entschei-

1 BT-Drucks. 13/9340. 2 OLG Düsseldorf v. 2.3.2005 – VII Verg 70/04; VK München v. 19.2.2008 – Z 3-3-3194-102-01/08; Schweda in Langen/Bunte, Kommentar zum deutschen und europäischen Kartellrecht, § 112 Rz. 2; Bungenberg in Pünder/Schellenberg, § 112 Rz. 1. 3 BT-Drucks. 13/9340, S. 19; Ohlerich in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum Vergaberecht, § 166 Rz. 7. 4 VK München v. 19.2.2008 – Z 3-3-3194-1-02-01/08. 5 Ohlerich in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum Vergaberecht, § 166 Rz. 7. 6 OLG Düsseldorf v. 16.12.2015 – VII-Verg 24/15, ZfBR 2016, 728.

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Mündliche Verhandlung | § 166

dung der Vergabekammer zugrunde gelegt wird, muss in der Regel dort behandelt worden sein. Es gilt also der Grundsatz der Unmittelbarkeit1. Soll die Entscheidung daher auf Sachverhaltsumstände gestützt werden, die der mündlichen Verhandlung noch nicht zu Grunde lagen, bedarf es in der Regel eines zweiten Verhandlungstermins. Praktisch scheidet dies allerdings zumindest dann im Normalfall aus, wenn die Vergabekammer von den Fristsetzungsmöglichkeiten gemäß § 167 Abs. 2 Gebrauch macht (dazu § 167 Rz. 26 ff.). Die Notwendigkeit eines weiteren Verhandlungstermins kommt jedoch neben dem Auftreten möglicher neuer Vergaberechtsverstöße etwa dann in Betracht, wenn sich anlässlich des ersten Termins ergibt, dass es noch einer (weiteren) Zeugenvernehmung, der Beiziehung zusätzlicher Unterlagen (z.B. aus einem früheren Vergabeverfahren) oder sonstiger Maßnahmen zur Sachverhaltsaufklärung bedarf. 3. Ladung, Verlauf Der 4. Teil des GWB enthält keine besonderen Regelungen zur Ausgestaltung 7 und zum Verlauf der mündlichen Verhandlung. Die §§ 63 ff. VwVfG des Bundes und der Länder finden keine unmittelbare Anwendung, weil es sich nicht um ein förmliches Verwaltungsverfahren handelt (§ 160 Rz. 9). Vielmehr greift § 10 VwVfG ein, nach dem das (nicht förmliche) Verwaltungsverfahren nicht an bestimmte Formen gebunden ist, soweit keine besonderen Rechtsvorschriften bestehen. Es ist einfach, zweckmäßig und zügig durchzuführen. Gleichwohl können sich gewisse Anhaltspunkte für die Ausgestaltung der mündlichen Verhandlung und deren Vorbereitung aus den Vorschriften über das förmliche Verfahren (§§ 63 ff. VwVfG) sowie aus den Prozessordnungen ergeben. Vorrangig finden jedoch die Vorschriften über Ausschüsse in den § 88 ff. VwVfG Anwendung (§ 160 Rz. 8, § 157 Rz. 5). Soweit die Regelungen des GWB und des Verwaltungsverfahrensgesetzes nicht entgegenstehen, können durch Geschäftsordnung Regelungen zur einheitlichen Ausgestaltung des Verfahrens geschaffen werden (§ 158 Rz. 12)2. Die für die mündliche Verhandlung erforderliche, wenn auch nicht unbedingt 8 förmliche, Ladung muss mit angemessener Frist erfolgen3. Angemessen ist in 1 Gause in Willenbruch/Wieddekind, Kompaktkommentar Vergaberecht, § 112 Rz. 2; Dreher in Immenga/Mestmäcker, GWB, § 112 Rz. 2; Ohlerich in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum Vergaberecht, § 163 Rz. 5; vgl. insofern zur mündlichen Verhandlung im Verwaltungsprozess gemäß § 101 VwGO Kothe in Redeker/v. Oertzen, VwGO, § 101 Rz. 2; W.-R. Schenke in Kopp/Schenke, VwGO, § 101 Rz. 1 und § 96 Rz. 1 ff. 2 S. zur Geschäftsordnung der Vergabekammern des Bundes, abgedruckt in Anhang III, Noch in Byok/Jaeger, Kommentar zum Vergaberecht, § 106 Rz. 6 ff. 3 VK Südbayern v. 14.8.2015 – Z3-3-3194-1-33-05/15, ZfBR 2016, 415 (Ladung per Telefax); Ohlerich in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum Vergaberecht, § 166 Rz. 8; zur Ladungsfrist s. § 6 Abs. 2 der Geschäftsordnung der Vergabekammern des Bundes, abgedruckt in Anhang III.

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§ 166 | Mündliche Verhandlung der Regel eine Frist von mindestens drei Tagen.1 Ein Hinweis auf § 166 Abs. 2 ist zwar aus Rechtsgründen nicht notwendig, jedoch aus Gründen der Verfahrensfairness zumindest geboten (vgl. § 67 Abs. 1 VwVfG)2. 9 Die mündliche Verhandlung ist wie jedes Verwaltungsverfahren, für das nichts

anderes gesetzlich geregelt ist, nicht öffentlich (vgl. auch § 68 Abs. 1 Satz 1 VwVfG)3. Es dürfen also nur die Verfahrensbeteiligten gemäß § 162 mit ihren Bevollmächtigten und Beiständen (§ 14 VwVfG) teilnehmen. Wie sich aus dem Begriff „Verhandlung“ sowie aus der Möglichkeit der Beteiligten zur Stellungnahme (§ 166 Abs. 1 Satz 2) ergibt, ist die Sach- und Rechtslage im Termin zu erörtern. Ebenfalls können Zeugen und Sachverständige zur mündlichen Verhandlung geladen und angehört werden (§ 163 Abs. 2 Satz 4 i.V.m. § 57). Die allen Beteiligten (Antragsteller, Antragsgegner, Beigeladene) eingeräumte Gelegenheit zur Stellungnahme ist zum einen durch den Gegenstand des Nachprüfungsverfahrens begrenzt. Zum anderen kann die Vergabekammer die Gelegenheit zur Stellungnahme auf die Gesichtspunkte beschränken, die aus ihrer Sicht entscheidungserheblich sind. Die Vergabekammer kann in der mündlichen Verhandlung die Möglichkeit zur Stellungnahme für die Beteiligten thematisch strukturieren und sowohl im Hinblick auf Vortragsinhalt als auch Vortragszeit begrenzen.

10 Für die Ordnung in der Sitzung gilt § 89 VwVfG, für die Protokollierung § 93

VwVfG. Diesbezügliche Präzisierungen in der Geschäftsordnung sind möglich (Rz. 7).

11 Die mündliche Verhandlung kann auch dann stattfinden, wenn die Beteiligten

nicht erscheinen bzw. bei juristischen Personen nicht ordnungsgemäß vertreten sind (§ 166 Abs. 2). Dies setzt allerdings eine vorhergehende ordnungsgemäße Ladung voraus (s. auch Rz. 8)4. Wenn diese nicht erfolgt ist, darf nicht verhandelt bzw. aufgrund einer etwaigen verfahrensfehlerhaften Verhandlung nicht entschieden werden. Diese Anforderung gilt in Bezug auf alle Verfahrensbeteiligten, also nicht nur für Antragsteller und Antragsgegner, sondern auch für die dem Verfahren Beigeladenen. Im Nachprüfungsverfahren vor der Vergabekammer besteht, anders als gem. § 175 Abs. 1 Satz 1 im Beschwerdeverfahren, kein Anwaltszwang5.

1 Gröning in Burgi/Dreher, § 166 Rz. 6; Maier, NZBau 2004, 667 (669). 2 Ohlerich in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum Vergaberecht, § 166 Rz. 8; noch strenger Boesen, Vergaberecht, § 112 Rz. 34, der einen solchen Hinweis für unverzichtbar hält; Bungenberg in Pünder/Schellenberg, Vergaberecht, § 112 Rz. 22. 3 Boesen, Vergaberecht, § 112 Rz. 5; Ohlerich in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum Vergaberecht, § 166 Rz. 9; Bungenberg in Pünder/Schellenberg, Vergaberecht, § 112 Rz. 13; Gause in Willenbruch/Wieddekind, Kompaktkommentar Vergaberecht, § 112 Rz. 2. 4 Bungenberg in Pünder/Schellenberg, Vergaberecht, § 112 Rz. 22. 5 Byok in Byok/Jaeger, GWB, § 112 Rz. 10; Schweda in Langen/Bunte, Kommentar zum deutschen und europäischen Kartellrecht, § 112 Rz. 5; Ohlerich in Kulartz/Kus/Portz/ Prieß, Kommentar zum Vergaberecht, § 166 Rz. 10.

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Mündliche Verhandlung | § 166

4. Zeitpunkt der Entscheidung § 166 regelt ebensowenig wie § 168, wann die Entscheidung, die aufgrund der 12 mündlichen Verhandlung ergeht, erlassen werden muss. Daher sind allein die zeitlichen Vorgaben aus § 167 zu beachten (dazu § 167 Rz. 4 ff.). Insbesondere muss die Entscheidung nicht in der mündlichen Verhandlung oder im unmittelbaren Anschluss daran ergehen. In der Praxis ist dies auch nicht üblich. Vielmehr wird die Entscheidung der Vergabekammer den Beteiligten in der Regel erst mit der Zustellung gemäß § 168 Abs. 3 Satz 3 i.V.m. § 61 (§ 168 Rz. 78 ff.) bekannt gegeben. Den §§ 116 ff. VwGO oder den §§ 310 f. ZPO vergleichbare Vorgaben gibt es für die Entscheidung der Vergabekammer schon wegen des besonderen zeitlichen Rahmens gemäß § 113, aber auch wegen ihres Charakters als Verwaltungsakt (§ 168 Abs. 3 Satz 1, s. dazu § 168 Rz. 63), nicht (zur Entscheidungsfrist s. § 167 Rz. 4 ff.).

III. Absehen von der mündlichen Verhandlung Gemäß § 166 Abs. 1 Satz 3 kann bei Zustimmung der Beteiligten oder bei Un- 13 zulässigkeit oder offensichtlicher Unbegründetheit des Nachprüfungsantrags nach Lage der Akten, also ohne mündliche Verhandlung, entschieden werden. 1. Zustimmung der Verfahrensbeteiligten In Betracht kommt zum einen der Fall, dass sämtliche Verfahrensbeteiligten ge- 14 mäß § 162, also auch die Beigeladenen, einem Verzicht auf die mündliche Verhandlung zugestimmt haben1. Mangels anderweitiger Regelung kann dies formlos erfolgen2. Allein der Umstand, dass sich die Beteiligten außerhalb der mündlichen Verhandlung schriftsätzlich zu einem inhaltlichen Hinweis der Vergabekammer äußern können, genügt jedoch selbst dann, wenn dies erfolgt, nicht als Zustimmung3. Erforderlich ist in sich dafür anbietenden Fällen vielmehr eine entsprechende konkrete Nachfrage der Vergabekammer. Eine einmal erfolgte Zustimmung ist nicht widerruflich4.

1 Byok in Byok/Jaeger, GWB, § 112 Rz. 5; Bungenberg in Pünder/Schellenberg, Vergaberecht, § 112 Rz. 18. 2 Bungenberg in Pünder/Schellenberg, Vergaberecht, § 112 Rz. 18; a.A. Boesen, Vergaberecht, § 112 Rz. 21; Ohlerich in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum Vergaberecht, § 166 Rz. 19. 3 OLG Düsseldorf v. 16.12.2015 – VII-Verg 24/15, ZfBR 2016, 728. 4 Gause in Willenbruch/Wieddekind, Kompaktkommentar Vergaberecht, § 112 Rz. 6; Ohlerich in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum Vergaberecht, § 166 Rz. 19.

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§ 166 | Mündliche Verhandlung 2. Unzulässigkeit des Nachprüfungsantrags 15 Zum anderen kann – ohne Zustimmung der Beteiligten – die Vergabekammer

von einer mündlichen Verhandlung absehen, wenn sie den Nachprüfungsantrag für unzulässig hält, ohne dass es dabei auf den Grund der Unzulässigkeit im Einzelnen ankommt. Diese Möglichkeit kommt insbesondere in Betracht, wenn die Vergabekammer gar nicht erst das Zuschlagsverbot gemäß § 169 Abs. 1 durch Information des Auftraggebers in Textform ausgelöst (§ 169 Rz. 7 ff.) und ihm auch keine Kopie des Nachprüfungsantrags gemäß § 163 Abs. 2 Satz 3 übermittelt hat (§ 163 Rz. 14). Allerdings besteht diese Möglichkeit auch dann, wenn die Vergabekammer zwar diese Schritte ergriffen hat, jedoch aufgrund ihrer zwischenzeitlichen Prüfung zu dem Ergebnis gelangt ist, dass der Nachprüfungsantrag unzulässig ist1. Auf die Offensichtlichkeit kommt es dabei anders als beim Fall der Unbegründetheit nicht an2. Daher ist die Vergabekammer auch dann berechtigt, von einer mündlichen Verhandlung abzusehen, wenn die Frage der Zulässigkeit zwischen den Verfahrensbeteiligten streitig ist.

16 Allerdings muss die Vergabekammer nicht von der mündlichen Verhandlung

absehen. Dies steht vielmehr in ihrem Verfahrensermessen3. In der Regel ist eine mündliche Verhandlung jedenfalls dann durchzuführen, wenn die Unzulässigkeit des Antrags nicht völlig eindeutig ist und die mündliche Verhandlung daher einen zusätzlichen Erkenntnisgewinn4 verspricht. Dies ist etwa dann anzunehmen, wenn der Antragsteller mehrere Rügen geltend gemacht hat und ggf. bei einzelnen Rügen noch aufgeklärt werden muss, ob sie i.S.v. § 160 Abs. 3 präkludiert sind oder nicht5. 3. Offensichtliche Unbegründetheit des Nachprüfungsantrags

17 Letztlich kommt ein Absehen von der mündlichen Verhandlung auch dann in

Betracht, wenn die Vergabekammer den Nachprüfungsantrag für offensichtlich

1 S. etwa VK Brandenburg v. 30.5.2007 – 1 VK 15/07 (Unterschreitung des Schwellenwertes); Ohlerich in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum Vergaberecht, § 166 Rz. 20. 2 OLG Brandenburg v. 5.10.2004 – Verg W 12/04, VergabeR 2005, 138; VK Schleswig-Holstein v. 23.8.2012 – VK-SH 21/12; Ohlerich in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum Vergaberecht, § 166 Rz. 20 Schweda in Langen/Bunte, Kommentar zum deutschen und europäischen Kartellrecht, § 113 Rz. 3. 3 OLG Brandenburg v. 30.4.2013 – Verg W 3/13; BayObLG v. 20.8.2001 – Verg 11/01, VergabeR 2002, 77; VK Schleswig-Holstein v. 23.8.2012 – VK-SH 21/12; VK München v. 19.2.2008 – Z 3–3-3194–1-02–01/08; VK Schleswig-Holstein v. 5.7.2007 – VK-SH 13/07. 4 OLG Schleswig v. 30.6.2005 – 6 Verg 5/05; VK Hessen v. 20.11.2014 – 69d VK-27/2014; VK Hessen v. 12.2.2014 – 69d VK-55/2013; VK Schleswig-Holstein v. 23.8.2012 – VK-SH 21/12; VK Brandenburg v. 23.6.2009 – VK 26/09; VK Leipzig v. 10.8.2006 – 1/SVK/079– 06; VK Schleswig-Holstein v. 17.3.2006 – VK-SH 02/06. 5 OLG Celle v. 31.7.2008 – 13 Verg 3/08; Ohlerich in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum Vergaberecht, § 166 Rz. 21.

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unbegründet hält. Dieser Fall überschneidet sich häufig mit dem Fall der fehlenden Zulässigkeit. Denn bei offensichtlicher Unbegründetheit wird es häufig auch an der erforderlichen Antragsbefugnis fehlen. Ungeachtet dessen ist der Entscheidungsmaßstab bei § 166 Abs. 1 Satz 3 ein an- 18 derer als bei § 163 Abs. 2 Satz 1 (dazu § 163 Rz. 20 ff.)1. Denn nach § 163 Abs. 2 wird bei einem offensichtlich unbegründeten Nachprüfungsantrag dem Auftraggeber gar nicht erst eine Kopie des Antrags gemäß § 110 Abs. 2 Satz 3 übermittelt und auch nicht durch eine Information über den Nachprüfungsantrag das Zuschlagsverbot des § 169 Abs. 1 ausgelöst; zum Fortgang des Nachprüfungsverfahrens in einem solchen Fall s. § 163 Rz. 38 ff.). Der entscheidende Unterschied hinsichtlich der Offensichtlichkeit liegt im Zeitpunkt der jeweiligen Prüfung und der unterschiedlichen Prüfungstiefe. Bei der Entscheidung, ob von einer mündlichen Verhandlung wegen offensichtlicher Unbegründetheit abgesehen werden kann, liegen der Vergabekammer schon die Vergabeakten sowie die schriftlichen Stellungnahmen der Verfahrensbeteiligten vor. Die sich daraus ergebenden tatsächlichen und rechtlichen Informationen bilden die Grundlage für die Prüfung, ob der Nachprüfungsantrag offensichtlich unbegründet ist (s. demgegenüber § 163 Rz. 20 ff.). Dies wird man im Wesentlichen dann annehmen können, wenn der maßgebliche Sachverhalt unstreitig oder aus Sicht der Vergabekammer hinreichend aufgeklärt ist und die mündliche Verhandlung daher insofern keinen besonderen Erkenntnisgewinn verspricht (vgl. Rz. 16). Ebenfalls wird zumeist eine eindeutige Rechtslage erforderlich sein2, wenngleich sich der Begriff der Offensichtlichkeit in erster Linie auf die äußeren Umstände, also auf den entscheidungserheblichen Sachverhalt, bezieht. Wenn die Vergabekammer den Antrag für offensichtlich unbegründet hält und 19 nach dem vorliegenden Sach- und Rechtsvortrag der Verfahrensbeteiligten sowie unter Berücksichtigung ggf. gesetzter Fristen gemäß § 167 Abs. 2 Satz 2 davon ausgeht, dass die mündliche Verhandlung keine entscheidungserheblichen neuen Erkenntnisse mehr liefert, darf sie – ebenso wie bei Unzulässigkeit des Nachprüfungsantrags (Rz. 15) ohne Zustimmung der Beteiligten – von der Durchführung der mündlichen Verhandlung absehen. Sie ist ebenso wie bei der fehlenden Zulässigkeit des Antrags dazu allerdings nicht verpflichtet (Rz. 16). Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass die Zurückweisung eines Nachprüfungsantrags ohne mündliche Verhandlung die Ausnahme darstellen soll, nicht hingegen den Regelfall3. Wenn die Vergabekammer sich veranlasst sieht, ihre den Nachprüfungsantrag zurückweisende Entscheidung umfänglich begründen zu

1 OLG Koblenz v. 22.3.2001 – Verg 9/00, VergabeR 2001, 407. 2 VK Hessen v. 25.6.2013 – 69d VK-13/2013; VK Schleswig-Holstein v. 17.3.2006 – VK-SH 02/06. 3 OLG Schleswig v. 20.3.2008 – 1 Verg 6/07; Ohlerich in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum Vergaberecht, § 166 Rz. 22; Maier, NZBau 2004, 667 (669).

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§ 166 | Mündliche Verhandlung müssen, ist dies tendenziell ein Indiz dafür, dass es an der notwendigen Offensichtlichkeit fehlt1. 4. Vorhergehende Anhörung 20 Sowohl bei Unzulässigkeit als auch bei offensichtlicher Unbegründetheit des An-

trags besteht keine gesetzliche Verpflichtung der Vergabekammer, die Verfahrensbeteiligten vorher zu der Absicht anzuhören, von einer mündlichen Verhandlung abzusehen. Allerdings ist dies zulässig und aus Gründen der Verfahrensfairness vor allem gegenüber dem Antragsteller in der Regel auch geboten. 5. Keine entsprechende Anwendung bei offensichtlicher Begründetheit

21 Alle Fälle des Verzichts auf eine mündliche Verhandlung dienen der Verfahrens-

beschleunigung, die gerade bei aussichtslosen Nachprüfungsanträgen wegen des Zuschlagsverbots gemäß § 169 Abs. 1 noch eher geboten ist als dies ansonsten der Fall ist. Im umgedrehten Fall, also bei offensichtlicher Begründetheit des Nachprüfungsantrags, besteht kein derartiges Beschleunigungsbedürfnis, weil das weitere Vergabeverfahren ohnehin aufgrund der erforderlichen Nachbesserungen durch den öffentlichen Auftraggeber verzögert wird. Dementsprechend ist die Möglichkeit, von der mündlichen Verhandlung abzusehen, nicht analog auf den Fall anzuwenden, dass der Nachprüfungsantrag offensichtlich begründet ist, d.h. bei einem nach Auffassung der Vergabekammer (offensichtlich) begründeten Nachprüfungsantrag muss in jedem Fall mündlich verhandelt werden.

IV. Fehlerhaftes Absehen von der mündlichen Verhandlung, fehlerhafte Durchführung der mündlichen Verhandlung 22 Bei § 166 handelt es sich um eine Verfahrensvorschrift für das Nachprüfungs-

verfahren. Dementsprechend richten sich mangels gesonderter Regelungen im 4. Teil des GWB die Folgen etwaiger Verfahrensfehler nach den §§ 45 ff. VwVfG des Bundes und der Länder. In aller Regel greift hier § 46 VwVfG ein, so dass die Entscheidung der Vergabekammer nur gleichzeitig mit einer materiellen Beschwer durch den Inhalt der Entscheidung mit der sofortigen Beschwerde gemäß den §§ 171 ff. erfolgversprechend angefochten werden kann2. Eine Verletzung des rechtlichen Gehörs vor der Vergabekammer wird regelmäßig durch die mündliche Verhandlung vor dem Beschwerdegericht nachgeholt3.

1 OLG Schleswig v. 20.3.2008 – 1 Verg 6/07. 2 So im Ergebnis wohl auch OLG Schleswig v. 20.3.2008 – 1 Verg 6/07; Thiele in MüllerWrede, Kompendium des Vergaberechts, Kap. 28 Rz. 73. 3 OLG Brandenburg v. 30.4.2013 – Verg W 3/13.

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Beschleunigung | § 167

§ 167 Beschleunigung (1) Die Vergabekammer trifft und begründet ihre Entscheidung schriftlich innerhalb einer Frist von fünf Wochen ab Eingang des Antrags. Bei besonderen tatsächlichen oder rechtlichen Schwierigkeiten kann der Vorsitzende im Ausnahmefall die Frist durch Mitteilung an die Beteiligten um den erforderlichen Zeitraum verlängern. Dieser Zeitraum soll nicht länger als zwei Wochen dauern. Er begründet diese Verfügung schriftlich. (2) Die Beteiligten haben an der Aufklärung des Sachverhalts mitzuwirken, wie es einem auf Förderung und raschen Abschluss des Verfahrens bedachten Vorgehen entspricht. Den Beteiligten können Fristen gesetzt werden, nach deren Ablauf weiterer Vortrag unbeachtet bleiben kann. I. 1. 2. II. 1.

Einführung Inhaltsübersicht . . . . . . . . . . . . Entstehungsgeschichte . . . . . . . Verfahrensdauer (§ 167 Abs. 1) Grundsätzliche zeitliche Vorgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Fristberechnung, Verlängerung der Verfahrensdauer a) Berechnung der Entscheidungsfrist . . . . . . . . . . . . . . b) Besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten . . c) Erforderlichkeit eines Ausnahmefalls . . . . . . . . . . . . . . d) Zeitpunkt der Verlängerung . e) Verlängerung um den erforderlichen Zeitraum, regelmäßige Beschränkung auf maximal zwei Wochen . . . . .

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4

7 8

11 13

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f) Mehrfache Verlängerung der Entscheidungsfrist . . . . . . . . g) Zuständigkeit . . . . . . . . . . . h) Form der Verlängerung, Begründungspflicht . . . . . . . i) Rechtsfolgen einer rechtswidrigen Fristverlängerung . . . . III. Mitwirkungslasten der Verfahrensbeteiligten (§ 167 Abs. 2) 1. Pflicht zur Förderung des Verfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Ausschlussfristen . . . . . . . . . . . a) Zulässigkeit einer Fristsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Angemessenheit der gesetzten Frist . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Unbeachtlichkeit des Vortrags d) Fehlerfolgen, Berücksichtigung durch das Oberlandesgericht .

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__ _ __ _ 24 26 27 28 30 33

I. Einführung 1. Inhaltsübersicht § 167 Abs. 1 legt die regelmäßige Dauer des Nachprüfungsverfahrens mit fünf 1 Wochen fest. Diese Frist kann im Ausnahmefall verlängert werden. Abs. 2 der Vorschrift regelt die Mitwirkungspflichten der Verfahrensbeteiligten sowie die Möglichkeit der Vergabekammer, Ausschlussfristen zu setzen.

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§ 167 | Beschleunigung 2. Entstehungsgeschichte 2 Die Vorschrift entspricht im Wesentlichen § 113 der Ursprungsfassung des Ver-

gaberechtsänderungsgesetzes 1998 (Einleitung Rz. 4 ff.). In der Begründung des Regierungsentwurfs zum Vergaberechtsänderungsgesetz1 wird darauf hingewiesen, dass es sich um die zentrale Regelung für die Durchführung des Nachprüfungsverfahrens handele, die vor allem Investitionsblockaden verhindern solle. Zugleich wird betont, dass voraussichtlich nur in seltenen Fällen die Entscheidungsfrist verlängert werden müsse. Dafür seien besondere Gründe erforderlich.

3 Durch das Vergaberechtsmodernisierungsgesetz 2009 (Einleitung Rz. 7) wurde

§ 113 Abs. 1 a.F. um die jetzt in Satz 3 der Vorschrift enthaltene Regelung ergänzt. Danach soll der Zeitraum für die Verlängerung der Entscheidungsfrist nicht länger als zwei Wochen dauern. In der Begründung des Regierungsentwurfs zum Vergaberechtsmodernisierungsgesetz 2009 wird darauf hingewiesen, dass dies der weiteren Beschleunigung diene2. Der Bundesrat hatte in seiner Stellungnahme zum Regierungsentwurf zwar empfohlen, diese Ergänzung nicht aufzunehmen, weil die Verlängerung neben der rechtlichen und tatsächlichen Komplexität der Nachprüfungsverfahren häufig auch von dem Verhalten der Verfahrensbeteiligten (Anträge auf Verlängerung von Fristen zur Abgabe von Stellungnahmen, Anträge auf Verschiebung des Termins der mündlichen Verhandlung) abhänge, jedoch hat sich die Bundesregierung dem nicht angeschlossen. Sie hat darauf hingewiesen, dass es sich bei der Regelung ohnehin nur um eine Sollvorschrift handele. Zudem sei es seit dem Jahr 2003 lediglich in rund 21 bis 27 % der Fälle zu einer Verlängerung der Entscheidungsfrist gekommen, die im Durchschnitt nur eine Woche bis maximal zwei Wochen betragen habe. Durch das VergaberechtsmodernisierungsG 2016 (Einleitung Rz. 10 f.) wurde § 113 a.F. unverändert als § 167 übernommen.

II. Verfahrensdauer (§ 167 Abs. 1) 1. Grundsätzliche zeitliche Vorgaben 4 Gemäß § 167 Abs. 1 Satz 1 soll binnen fünf Wochen ab Eingang des Nachprüfungs-

antrags das gesamte Verfahren abgewickelt werden. Etwas anderes gilt nur in den Fällen des § 168 Abs. 2, dessen Satz 2 die Anwendung von § 167 Abs. 1 ausschließt (zur Erledigung des Verfahrens während dieser Frist s. § 168 Rz. 40 ff.). Dieser macht eine straffe Verfahrensorganisation und Verfahrensführung unverzichtbar. Dabei ist zu berücksichtigen, dass der Antrag in der Regel zunächst nur vorläufig und erst nach Akteneinsicht (§ 165) ergänzend begründet werden muss (§ 161 Rz. 17). Die Vergabekammer muss die Erforderlichkeit von Beiladungen prüfen 1 BT-Drucks. 13/9340. 2 BT-Drucks. 16/10117, S. 23.

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Beschleunigung | § 167

und soweit geboten auch vornehmen, was bereits eine zumindest grobe Auseinandersetzung mit der gesamten Angelegenheit erfordert, die zumeist erst nach Aktenübersendung durch den öffentlichen Auftraggeber möglich ist (zur Aktenübersendung § 163 Rz. 42 ff.). Aufgrund der Notwendigkeit des rechtlichen Gehörs ist den weiteren Verfahrensbeteiligten, also neben dem Antragsteller auch dem Antragsgegner und den beigeladenen Unternehmen, Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben, was auch durch die beigeladenen Unternehmen in der Regel erst nach vorhergehender Akteneinsicht zu erwarten ist. Für diese wiederum bedarf es zuvor einer Prüfung von Geheimhaltungsinteressen (dazu § 165 Rz. 21 ff.), was bei komplexen Vergabevorgängen einen beträchtlichen Aufwand bedeuten kann. Sodann hat die Vergabekammer im Rahmen des Untersuchungsgrundsatzes den Erfordernissen an die Sachverhaltsermittlung einschließlich etwaiger erforderlicher Beweiserhebungen Rechnung zu tragen (dazu § 163 Rz. 4 ff.). Anschließend ist nach vorhergehender rechtzeitiger Ladung der Verfahrensbeteiligten (§ 166 Rz. 7) mündlich zu verhandeln, innerhalb der Vergabekammer zu beraten und sodann zu entscheiden. Die Entscheidung muss schriftlich und mit Begründung abgesetzt werden, wie 5 sich sowohl aus § 167 Abs. 1 Satz 1 als auch aus § 168 Abs. 3 Satz 3 i.V.m. § 61 ergibt (zu Form und Inhalt der Entscheidung § 168 Rz. 63 ff.). Getroffen ist die Entscheidung erst dann, wenn sie gegenüber den Verfahrensbeteiligten wirksam wird, d.h. mit ihrer Zustellung1. Dies folgt auch aus § 171 Abs. 2 i.V.m. § 172 Abs. 1, nach dem der Nachprüfungsantrag endgültig und für die Vergabekammer unwiderruflich2 als abgelehnt gilt, wenn nicht binnen fünf Wochen die Entscheidung getroffen wurde. Dies ist für den Antragsteller nur dann rechtssicher festzustellen, wenn auf die tatsächlich erfolgte Zustellung als nach außen erkennbarem Umstand abgestellt wird. Ansonsten weiß er nicht, ob die Beschwerdefrist des § 172 Abs. 1 bereits mit Ablauf der Fünf-Wochen-Frist zu laufen begonnen hat oder ob dies erst nach der (verspäteten) tatsächlichen Zustellung der Fall ist. Einer Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand bedarf es in derartigen Fällen nicht3. Gleichwohl lässt die Rechtsprechung es in der Regel genügen, wenn innerhalb der Entscheidungsfrist des § 167 Abs. 1 Satz 1 die Entscheidung der Vergabe1 Anders hingegen Ohlerich in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum Vergaberecht, § 167 Rz. 21, 24 f.; Byok in Byok/Jaeger, Kommentar zum Vergaberecht, § 113 Rz. 2 f., der zwar keine Zustellung, zumindest aber eine Bekanntgabe (per Telefax) fordert, da eine „Entscheidung“ nur bei Außenwirksamkeit vorliege; Heuvels in Loewenheim/Meessen/Riesenkampff, Kartellrecht, § 113 Rz. 3; Dreher in Immenga/Mestmäcker, GWB, § 113 Rz. 10. 2 OLG München v. 4.4.2008 – Verg 4/08, NZBau 2008, 543 (543); OLG Düsseldorf v. 12.3. 2003 – Verg 49/02; OLG Düsseldorf v. 5.10.2001 – Verg 18/01, VergabeR 2002, 89; Schweda in Langen/Bunte, Kommentar zum deutschen und europäischen Kartellrecht, § 113 Rz. 7; Heuvels in Loewenheim/Meessen/Riesenkampff, Kartellrecht, § 113, Rz. 1; Ohlerich in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum Vergaberecht, § 167 Rz. 6 f.; a.A. OLG Rostock v. 17.10.2001 – 17 W 18/90, VergR 2002, 85; KG v. 7.11.2001 – KartVerg 8/01, VergabeR 2002, 96; Boesen, Vergaberecht, § 113 Rz. 35 ff. 3 So aber OLG Düsseldorf v. 5.10.2001 – Verg 18/01, VergabeR 2002, 89.

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§ 167 | Beschleunigung kammer vollständig, also einschließlich der erforderlichen Unterschriften (s. hierzu § 168 Rz. 76 f.), abgesetzt und zumindest deren Zuleitung an die Geschäftsstelle zum Zwecke der Zustellung aktenkundig ist1. Aus den vorstehenden Gründen ist dem allerdings nicht zuzustimmen. 6 Diese gesamten Bearbeitungsschritte erfordern die Einrichtung einer genügen-

den Anzahl von Vergabekammern auf Bundes- und Länderebene. Dies schließt eine ggf. notwendige bedarfsbezogene Anpassung ein. Unabhängig davon ist eine permanente Ablauf- und Terminkontrolle durch die Vergabekammer unverzichtbar (zu den Mitwirkungspflichten der Verfahrensbeteiligten Rz. 24). Ansonsten sind Qualitätsdefizite in Bezug auf die Entscheidungen der Vergabekammern zu besorgen und entsprechend hohe Eingangszahlen bei den Beschwerdegerichten zu erwarten, was durch die Ausgestaltung der Vergabekammern als „gerichtsähnliche Instanzen“ (dazu § 157 Rz. 3) gerade vermieden werden soll. Alternativ ist eine Flucht in die Verlängerungsmöglichkeiten des § 167 Abs. 1 Satz 2 zu befürchten, was dem Beschleunigungsgrundsatz, der das gesamte Nachprüfungsverfahren prägt, widerspräche2.

2. Fristberechnung, Verlängerung der Verfahrensdauer a) Berechnung der Entscheidungsfrist 7 Die Frist von fünf Wochen für das Nachprüfungsverfahren ist prinzipiell zwin-

gend, wie sich auch aus den Rechtsfolgen des § 171 Abs. 2 ergibt. Für die Fristberechnung ist § 31 Abs. 1 und Abs. 3 VwVfG i.V.m. § 187 Abs. 1 und § 188 Abs. 2 BGB (sog. Ereignisfrist) maßgeblich3. Die Entscheidungsfrist beginnt daher zwingend mit Antragseingang, ggf. also auch per Telefax (selbst wenn dies nur vorab erfolgt, also anschließend noch eine postalische Übermittlung erfolgt) 4 bei der Vergabekammer, und zwar unabhängig davon, ob die formellen Anforderungen des § 161 an den Antrag erfüllt sind oder nicht. Denn auch ein unzulässiger Antrag ist ein gestellter Antrag, mit dem nach den gesetzlichen Bestimmungen verfahren werden muss5. Auch die Übermittlung des Antrags an

1 OLG Naumburg v. 13.10.2006 – 1 Verg 6/06, VergabeR 2007, 125 (127); OLG Saarbrücken v. 29.4.2003 – 5 Verg 4/02, VergabeR 2003, 429 (430); OLG Düsseldorf v. 5.10.2001 – Verg 18/01, VergabeR 2002, 89 (92 f.); Gröning in Burgi/Dreher, § 167 Rz. 6, der allerdings recht anschaulich unter Rz. 11 f. auf die aus einem unklaren Fristende resultierenden Probleme eingeht. 2 In diesem Sinne auch Gröning, ZIP 1999, 52 (58). 3 OLG Dresden v. 17.6.2005 – WVerg 8/05, VergabeR 2005, 812; Gröning in Burgi/Dreher, § 167 Rz. 7; Ohlerich in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum Vergaberecht, § 167 Rz. 10. 4 OLG Frankfurt v. 24.9.2013 – 11 Verg 12/13, NZBau 2014, 247; Gröning in Burgi/Dreher, § 167 Rz. 4. 5 Byok in Byok/Jaeger, Kommentar zum Vergaberecht, § 113 Rz. 1.

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den Antragsgegner ist für den Fristbeginn unerheblich1. Die Frist endet fünf Wochen nach Eingang des Antrags mit Ablauf des Wochentages, an dem der Eingang bei der Vergabekammer erfolgte, oder – wenn es sich bei dem letzten Tag der Frist um einen Samstag, Sonntag oder um einen gesetzlichen Feiertag nach Bundes- oder Landesrecht am Ort der Vergabekammer oder des Antragstellers handelt (vgl. § 193 BGB) – am nächsten folgenden Werktag (zur notwendigen abschließenden Entscheidung innerhalb dieser Frist s. § 168 Rz. 5). Sie darf nur in besonders gelagerten Fällen verlängert werden. Eine Aussetzung des Verfahrens, etwa wegen der Vorgreiflichkeit eines anderweitig anhängigen Rechtsstreits oder wegen eines parallel laufenden Nachprüfungsverfahrens eines anderen Unternehmens, ist daneben nicht vorgesehen und daher auch nicht zulässig. Die an eine Verlängerung der Entscheidungsfrist von fünf Wochen gestellten Anforderungen sind durch § 167 Abs. 1 Satz 2 sehr hoch gesteckt. Dies verstärkt den Ausnahmecharakter einer solchen Verlängerung, die also nicht zum Regelfall werden darf. Insbesondere eine gleichsam routinemäßige Verlängerung der Entscheidungsfrist zu den bei der Vergabekammer eingehenden Nachprüfungsanträgen ist unzulässig. b) Besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten Voraussetzung für eine Verlängerung der Verfahrensdauer ist zunächst, dass be- 8 sondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten vorliegen. Rechtliche Schwierigkeiten sind im Rahmen der juristischen Bewertung des 9 konkreten Vergabefalls denkbar, etwa bei komplexen Vergabevorgängen oder bei besonderen und eher selten stattfindenden Vergaben, zu denen es noch keine umfangreiche Rechtsprechung gibt (z.B. bei Durchführung eines wettbewerblichen Dialogs gemäß § 119 Abs. 6 oder bei einer Innovationspartnerschaft gemäß § 119 Abs. 7) oder wenn ansonsten umfangreiche und noch nicht im Einzelnen geklärte Rechtsfragen von der Vergabekammer zu prüfen sind2. Besondere tatsächliche Schwierigkeiten können in der Vergabe selbst ihre Ur- 10 sache haben, aber auch in dem Nachprüfungsverfahren. Letzteres ist vor allem dann möglich, wenn es in dem Nachprüfungsverfahren besonders viele Beteiligte gibt, denen jeweils Gehör gewährt werden muss, oder bei der Notwendigkeit zur Einschaltung von Sachverständigen3. Ebenfalls können sich tatsächliche Schwierigkeiten aus einer Überlastung der Vergabekammer ergeben4. Dies gilt 1 Ohlerich in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum Vergaberecht, § 167 Rz. 8. 2 Heuvels in Loewenheim/Meessen/Riesenkampff, Kartellrecht, § 113 Rz. 7. 3 Gröning, ZIP 1999, 52 (58); Ohlerich in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum Vergaberecht, § 167 Rz. 13. 4 Ebenso Dreher in Immenga/Mestmäcker, GWB, § 113 Rz. 11; Ohlerich in Kulartz/Kus/ Portz/Prieß, Kommentar zum Vergaberecht, § 167 Rz. 13; a.A. Boesen, Vergaberecht, § 113 Rz. 20.

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§ 167 | Beschleunigung indes nur für eine nicht vorhersehbare kurzzeitige Überlastung im Ausnahmefall, z.B. bei Krankheit oder bei einer unerwartet hohen Zahl von Eingängen in kurzer Zeit. Keinesfalls ermöglicht § 167 Abs. 1 Satz 2 eine – dann praktisch regelmäßige – Verlängerung der Verfahrensdauer aufgrund permanenter Überlastung1. c) Erforderlichkeit eines Ausnahmefalls 11 Neben den besonderen tatsächlichen oder rechtlichen Schwierigkeiten ist zusätz-

lich gemäß § 167 Abs. 1 Satz 2 ein Ausnahmefall erforderlich, d.h. selbst bei besonderen tatsächlichen oder rechtlichen Schwierigkeiten ist die Frist von fünf Wochen in der Regel einzuhalten.

12 Allerdings ist der Übergang zwischen den besonderen tatsächlichen oder recht-

lichen Schwierigkeiten und dem Vorliegen eines Ausnahmefalls fließend, was die ergänzende Hervorhebung der Erforderlichkeit eines Ausnahmefalls entbehrlich erscheinen lässt. Immerhin liegt darin ein zusätzlicher Appell an die Vergabekammer, die gesetzlich geregelte Frist in der Regel einzuhalten. d) Zeitpunkt der Verlängerung

13 Die Verlängerung des Entscheidungszeitraums muss zwingend vor Ablauf der

gesetzlich oder in einer vorangegangenen Verlängerungsentscheidung (Rz. 15) festgelegten Entscheidungsfrist erfolgen (zu den formellen und inhaltlichen Anforderungen Rz. 16 ff.)2. Dies schließt den Zugang der entsprechenden Mitteilung bei allen Verfahrensbeteiligten ein (s. auch Rz. 17)3. Nach der Rechtsprechung genügt es allerdings, wenn die Verfügung über die Verlängerung vom Vorsitzenden der Vergabekammer, der für die Entscheidung zuständig ist (Rz. 16), vor Fristablauf unterzeichnet und ordnungsgemäß in den Geschäftsgang gegeben wurde, um den Verfahrensbeteiligten die Verlängerung mitzuteilen4. Besondere Formvorschriften bestehen für die Mitteilung dafür nicht. Ins1 In diese Richtung jedoch OLG Düsseldorf v. 2.1.2012 – VII-Verg 70/11, NZBau 2012, 318; Byok in Byok/Jaeger, Kommentar zum Vergaberecht, § 113 Rz. 4, der auch die Belastung mit mehreren anhängigen Verfahren, Urlaubsabwesenheit etc. ausreichen lässt; a.A. OLG Brandenburg v. 30.11.2004 – Verg W 10/04. 2 OLG Frankfurt v. 24.9.2013 – 11 Verg 12/13, NZBau 2014, 247; Ohlerich in Kulartz/Kus/ Portz/Prieß, Kommentar zum Vergaberecht, § 167 Rz. 16; a.A. Gröning in Burgi/Dreher, § 167 Rz. 11. 3 Boesen, Vergaberecht, § 113 Rz. 29; Byok in Byok/Jaeger, Kommentar zum Vergaberecht, § 113 Rz. 4. 4 KG v. 6.11.2003 – 2 Verg 12/03, VergabeR 2004, 253; OLG Düsseldorf v. 9.6.2010 – VIIVerg 9/10; OLG Frankfurt v. 24.9.2013 – 11 Verg 12/13, NZBau 2014, 247; ebenso etwa Ohlerich in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum Vergaberecht, § 167 Rz. 16; Leinemann, Die Vergabe öffentlicher Aufträge, Rz. 1747.

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besondere gilt für die Mitteilung als reine Verfahrenshandlung (Rz. 19) nicht § 168 Abs. 3 Satz 3 GWB mit der dort geregelten Pflicht zur förmlichen Zustellung1. Die Notwendigkeit zur Mitteilung der Verlängerung des Entscheidungszeitraums vor Ablauf der gesetzlichen Entscheidungsfrist ergibt sich aus § 171 Abs. 2, nach dem ein Nachprüfungsantrag als abgelehnt gilt, wenn nicht innerhalb der gesetzlichen Frist über ihn entschieden wurde. Dabei handelt es sich um eine unwiderlegbare und nicht rückholbare gesetzliche Fiktion, durch die die Entscheidung der Vergabekammer endgültig ersetzt und die Beschwerdefrist in Gang gesetzt wird2. e) Verlängerung um den erforderlichen Zeitraum, regelmäßige Beschränkung auf maximal zwei Wochen § 167 Abs. 1 Satz 2 besagt, dass der Entscheidungszeitraum um den erforderli- 14 chen Zeitraum verlängert werden darf. Dies wird durch § 167 Abs. 1 Satz 3 dahingehend ergänzt, dass dieser erforderliche Zeitraum nicht länger als zwei Wochen dauern soll (s. Rz. 3). Dabei handelt es sich um eine Soll-Vorschrift. Dies bedeutet einerseits, dass in den Fällen, in denen dies notwendig ist, die Verlängerung der Entscheidungsfrist auch länger als zwei Wochen sein kann. Andererseits ist bereits dem Wortlaut des § 167 Abs. 1 Satz 3 zu entnehmen, dass die Verlängerung kürzer als zwei Wochen sein muss, wenn dies im konkreten Fall genügt. Die Verlängerung muss also immer so kurz wie möglich sein. f) Mehrfache Verlängerung der Entscheidungsfrist Gesetzlich nicht ausdrücklich geregelt ist, ob die Entscheidungsfrist nur einmal 15 oder ggf. auch mehrfach verlängert werden darf. Letzteres ist zu bejahen3, wobei sowohl für jede einzelne Fristverlängerung als auch für die Fristverlängerungen insgesamt der Maßstab der Erforderlichkeit gewahrt bleiben muss (Rz. 14)4. Auf diese Weise kann die Vergabekammer sich selbst durch möglichst kurze Fristen in die Pflicht nehmen und auch den Verfahrensbeteiligten gemäß § 167 Abs. 2 Satz 2 entsprechend kurze Fristen setzen (dazu Rz. 26 ff.). Ansonsten bestünde 1 Heuvels in Loewenheim/Meessen/Riesenkampff, Kartellrecht, § 113 Rz. 5; Gause in Willenbruch/Wieddekind, Kompaktkommentar Vergaberecht § 113 Rz. 6; Ohlerich in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum Vergaberecht, § 167 Rz. 17. 2 OLG Düsseldorf v. 20.6.2001 – Verg 3/01, VergabeR 2001, 329; Otting in Bechtold, GWB 6. A., § 113 Rz. 5; Dreher in Immenga/Mestmäcker, GWB, § 113 Rz. 12 ff. (nur zwei weitere Verlängerungen); ebenso Heuvels in Loewenheim/Meessen/Riesenkampff, Kartellrecht, § 113 Rz. 5; a.A. Boesen, Vergaberecht, § 113 Rz. 29 (35 ff.). 3 S. etwa OLG Düsseldorf v. 7.3.2012 – VII-Verg 82/11; OLG Saarbrücken v. 5.7.2006 – 1 Verg 6/05. 4 So etwa auch Gröning in Burgi/Dreher, § 167 Rz. 15 f.; Dreher in Immenga/Mestmäcker, GWB, § 113 Rz. 11, 13; a.A. Heuvels in Loewenheim/Meessen/Riesenkampff, Kartellrecht, § 113 Rz. 8; Boesen, Vergaberecht, § 113 Rz. 27.

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§ 167 | Beschleunigung die Gefahr, dass von vornherein – gewissermaßen versorglich – unnötig lange Fristverlängerungen erfolgen, was dem Beschleunigungsgebot gerade widerspräche. g) Zuständigkeit 16 Für die Verlängerung der Frist und die entsprechende Mitteilung (Rz. 17 f.) ist

nicht die gesamte Vergabekammer als Ausschuss (§ 166 Rz. 7) zuständig. Vielmehr entscheidet der Vorsitzende darüber alleine, ohne dass es dazu eines Mehrheitsbeschlusses bedarf1. h) Form der Verlängerung, Begründungspflicht

17 Die Verlängerung der Entscheidungsfrist erfolgt durch Mitteilung an alle Ver-

fahrensbeteiligten i.S.v. § 162. Die dafür bestehenden Anforderungen führen zugleich dazu, dass eine stillschweigende oder konkludente Verlängerung der Entscheidungsfrist ausscheidet2. Die erforderliche Mitteilung muss den konkreten Zeitraum angeben, um den die Entscheidungsfrist verlängert wird.

18 Die Begründung der Verlängerung muss sich sowohl auf das Vorliegen der ent-

sprechenden Voraussetzungen beziehen als auch die Erforderlichkeit des Verlängerungszeitraums darlegen. Neben der Information der Verfahrensbeteiligten liegt darin eine Selbstkontrolle der Vergabekammer und der gleichzeitige Appell, die gesetzlichen Vorgaben einzuhalten. Dementsprechend darf sich die Begründung nicht auf eine formelhafte Wiedergabe des Gesetzeswortlauts oder auf allgemeine Ausführungen beschränken. Sie muss vielmehr darlegen, warum es im konkreten Fall der Verlängerung bedarf. Andererseits dürfen bei dieser bloßen Verfahrenshandlung (Rz. 19) die Anforderungen nicht überspannt werden. Keinesfalls wird man die inhaltlichen Anforderungen an die Begründung mit denjenigen gleichsetzen können, die für die Begründung der Entscheidung selbst bestehen.

19 Bei der Mitteilung über die Fristverlängerung handelt es sich um eine bloße

Verfahrenshandlung ohne Regelungswirkung, nicht hingegen um einen Verwaltungsakt i.S.v. § 35 VwVfG des Bundes und der Länder. Dafür fehlt es an einer Regelung mit unmittelbar nach außen gerichteter Rechtswirkung3.

1 Ohlerich in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum Vergaberecht, § 167 Rz. 14; Leinemann, Die Vergabe öffentlicher Aufträge, Rz. 1747. 2 OLG Düsseldorf v. 20.6.2001 – Verg 3/01, VergabeR 2001, 329; Dreher in Immenga/ Mestmäcker, GWB, § 113 Rz. 11. 3 Vgl. U. Stelkens in Stelkens/Bonk/Sachs, Verwaltungsverfahrensgesetz, § 35 Rz. 148 ff.; Henneke in Knack/Henneke, Verwaltungsverfahrensgesetz, § 35 Rz. 100.

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i) Rechtsfolgen einer rechtswidrigen Fristverlängerung Wird die Entscheidungsfrist verlängert, obgleich die diesbezüglichen tatbestand- 20 lichen Voraussetzungen nicht vorliegen oder geht die Dauer der Verlängerung über den erforderlichen zusätzlichen Zeitraum hinaus, ist die diesbezügliche Mitteilung des Vorsitzenden der Vergabekammer gleichwohl beachtlich1. Sie ist als bloße Verfahrenshandlung nicht selbständig anfechtbar (vgl. § 44a VwGO).2 Die Ablehnungsfiktion des § 171 Abs. 2 greift nicht ein3. Neben den – allerdings sehr beschränkten – Möglichkeiten der Dienstaufsicht 21 besteht für den Antragsgegner und/oder das Unternehmen, das den Zuschlag erhalten soll, in diesem Fall allenfalls die Möglichkeit, einen Antrag auf vorzeitige Gestattung der Zuschlagserteilung gemäß § 169 Abs. 2 zu stellen (dazu § 169 Rz. 34 ff.)4. Ebenfalls kann sich der Antragsgegner auf § 169 Abs. 4 berufen und das Vorliegen der Voraussetzungen nach § 117 Nummer 1 bis 3 oder § 150 Nummer 1 oder 6 geltend machen (s. § 169 Rz. 79 ff.). In diesem Fall entfällt das Zuschlagsverbot des § 169 Abs. 1 automatisch, ohne dass es wie bei § 169 Abs. 2 einer gesonderten Entscheidung der Vergabekammer bedarf. Für den Antragsteller führt eine ggf. unzulässige Verlängerung der Entschei- 22 dungsfrist in der Regel zu keinen besonderen Problemen, so dass es bereits an einer damit verbundenen Beschwer fehlen dürfte5. Wenn dies in besonders gelagerten Fällen anders sein sollte, ist ausnahmsweise die Möglichkeit in Betracht zu ziehen, eine Untätigkeitsbeschwerde gemäß § 171 Abs. 2 einzulegen, obgleich der Antrag weder abgelehnt wurde, noch als abgelehnt gilt (Rz. 20; s. auch § 171 Rz. 14)6. Der Vergabesenat hat dann – neben der Beschwer und dem besonderen Rechtsschutzinteresse – zu klären, ob die Frist zu Recht durch die Vergabekammer verlängert wurde. Ist dies nicht der Fall, hat er bei Vorliegen auch der übrigen Zulässigkeitsvoraussetzungen in der Sache zu entscheiden. Erfolgte 1 KG v. 19.4.2012 – Verg 7/11; OLG Düsseldorf v. 7.3.2012 – VII-Verg 82/11; Byok in Byok/Jaeger, Kommentar zum Vergaberecht, § 113 Rz. 6; Dreher in Immenga/Mestmäcker, GWB, § 113 Rz. 14; Ohlerich in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum Vergaberecht, § 167 Rz. 15. 2 Thiele in Müller-Wrede, Kompendium des Vergaberechts, Kap. 28, Rz. 74; ebenso Byok in Byok/Jaeger, Kommentar zum Vergaberecht, § 113 Rz. 4, der zum gleichen Ergebnis kommt, obwohl er von einem Verwaltungsakt ausgeht. 3 KG v. 19.4.2012 – Verg 7/11; OLG Düsseldorf v. 2.1.2012 – Verg 70/11, NZBau 2012, 318; OLG Naumburg v. 13.8.2007 – 1 Verg 8/07, VergabeR 2008, 290 (291); OLG Koblenz v. 31.8.2001 – 1 Verg 3/01, NZBau 2001, 641. 4 OLG Düsseldorf v. 7.3.2012 – VII-Verg 82/11; OLG Naumburg v. 13.8.2007 – 1 Verg 8/ 07, VergabeR 2008, 290 (291); OLG Koblenz v. 31.8.2001 – 1 Verg 3/01, NZBau 2001, 641; Heuvels in Loewenheim/Meessen/Riesenkampff, Kartellrecht, § 113 Rz. 9; Weyand, IBR-online-Kommentar, Vergaberecht, § 113 Rz. 11. 5 Byok in Byok/Jaeger, Kommentar zum Vergaberecht, § 113 Rz. 6. 6 So im Ergebnis auch Dicks, ZfBR 2010, 339 (345); Boesen, Vergaberecht, § 113 Rz. 34.

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§ 167 | Beschleunigung die Fristverlängerung hingegen zu Recht, ist die Beschwerde als unzulässig abzulehnen, es sei denn, es liegen bis zum Entscheidungszeitpunkt des Beschwerdesenats die Voraussetzungen für eine „normale“ sofortige Beschwerde vor1. 23 Der Antragsteller ist allerdings nicht verpflichtet, vorsorglich eine Untätig-

keitsbeschwerde für den Fall zu erheben, dass die Fristverlängerung rechtswidrig sein könnte. Denn es handelt sich typischerweise wegen der damit einhergehenden Verlängerung des Verbotes, einem anderen Unternehmen den Zuschlag zu erteilen, um eine für ihn begünstigende Entscheidung. Selbst wenn daher die Fristverlängerung rechtswidrig sein sollte, führt dies wegen des begünstigenden Charakters dieser Verfahrenshandlung und ihrer fehlenden selbständigen Anfechtbarkeit nicht dazu, dass dem Antragsteller § 171 Abs. 2 Halbs. 2 i.V.m. § 172 Abs. 1 Alternative 2, also eine etwaige Verfristung der Beschwerde gegen die Entscheidung der Vergabekammer nach Ablauf des (objektiv rechtswidrigen) Verlängerungszeitraums, entgegengehalten werden kann (s. bereits Rz. 20)2.

III. Mitwirkungslasten der Verfahrensbeteiligten (§ 167 Abs. 2) 1. Pflicht zur Förderung des Verfahrens 24 Mit den engen zeitlichen Vorgaben für die Vergabekammer gemäß § 167 Abs. 1

korrespondieren Mitwirkungslasten der Verfahrensbeteiligten. Nicht nur die Vergabekammer, sondern auch die Beteiligten des Verfahrens müssen also auf dessen Förderung und Beschleunigung bedacht sein.

25 § 167 Abs. 2 Satz 1 ist in erster Linie ein Programmsatz, der an verschiedenen

Stellen des 4. Teils des GWG konkretisiert wird (s. insbesondere § 160 Abs. 3, § 163 Abs. 1 Satz 2, § 165 Abs. 1, § 166 Abs. 1). Kommt ein Beteiligter seiner Verpflichtung zur Förderung des Verfahrens nicht nach, reduziert dies zugleich die Untersuchungspflichten der Vergabekammer. So brauchen die Nachprüfungsinstanzen insbesondere verspätetem Vorbringen (s. auch noch Rz. 30 ff.) nicht mehr nachzugehen3. Kündigt ein Verfahrensbeteiligter weitere Konkretisierungen des Sachverhaltes und etwaige neue Beweismittel an, kommt er dieser Ankündigung jedoch nicht nach, ist die Vergabekammer in der Regel nicht

1 Vgl. insofern zur Untätigkeitsklage gemäß § 75 VwGO Kothe in Redeker/v. Oertzen, VwGO, § 75 Rz. 11. 2 OLG Naumburg v. 13.8.2007 – 1 Verg 8/07, VergabeR 2008, 290 (291). 3 OLG Frankfurt v. 7.8.2007 – 11 Verg 3/07; OLG Düsseldorf v. 19.11.2003 – Verg 22/03; VK Bund v. 5.12.2013 – VK2-106/13; VK Bund v. 12.4.2013 – VK1-15/13; VK Düsseldorf v. 15.8.2008 – VK-18/2008-L; BKartA v. 29.7.2008 – VK 1–81/08; Ohlerich in Kulartz/ Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum Vergaberecht, § 167 Rz. 34; Schweda in Langen/Bunte, Kommentar zum deutschen und europäischen Kartellrecht, § 113 Rz. 8.

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selbst zu vertieften Untersuchungen verpflichtet. Sie kann derartigen, in der Regel ins Blaue hinein erfolgten, Vortrag vielmehr unberücksichtigt lassen1. 2. Ausschlussfristen Besondere und eigenständige Bedeutung hat § 167 Abs. 2 Satz 2. Danach kön- 26 nen den Beteiligten für ihren Sach- und Rechtsvortrag durch die Vergabekammer Ausschlussfristen gesetzt werden. a) Zulässigkeit einer Fristsetzung Ausschlußfristen gemäß § 167 Abs. 2 Satz 2 können gesetzt werden, d.h. dies 27 muss nicht zwingend erfolgen. Vielfach ist dies allerdings zur Verfahrenssteuerung und -kontrolle zweckmäßig. Dies gilt sowohl für eine etwaige ergänzende Antragsbegründung durch den Antragsteller nach erfolgter Akteneinsicht als auch für den Sach- und Rechtsvortrag des Antragsgegners und der ggf. dem Verfahren beigeladenen Unternehmen. b) Angemessenheit der gesetzten Frist Die dem jeweiligen Verfahrensbeteiligten gesetzte Frist muss angemessen sein, 28 um einen qualifizierten Sach- und Rechtsvortrag zu ermöglichen2. Andererseits sind dabei allerdings auch die zeitlichen Vorgaben des § 167 Abs. 1 zu beachten. Die Vergabekammer muss also in der Regel noch die Möglichkeit haben, innerhalb der gesetzlichen oder ausnahmsweise innerhalb der gemäß § 167 Abs. 2 verlängerten Entscheidungsfrist die Stellungnahmen der Parteien zu würdigen, mündlich zu verhandeln und sodann eine schriftlich begründete Entscheidung zu erlassen3. Die jeweiligen Fristsetzungen müssen dem Grundsatz der Verfahrensgerechtig- 29 keit Rechnung tragen. Die Vergabekammer darf also nicht ohne besonderen Grund einzelnen Beteiligten besonders lange und anderen Beteiligten besonders kurze Fristen setzen. Dies schließt es gleichwohl nicht aus, dass die Fristen unterschiedlich lang sein können. Dies hängt u.a. vom Zeitpunkt der Fristsetzung sowie dem bis dahin bereits vorliegenden Sach- und Rechtsvortrag des Beteiligten ab. In jedem Fall muss die einem Verfahrensbeteiligten gesetzte Frist eindeutig bestimmt sein.

1 BGH v. 19.12.2000 – X ZB 14/00, VergabeR 2001, 71; OLG Düsseldorf v. 29.12.2001 – Verg 22/01, NZBau 2002, 578; VK Düsseldorf v. 15.8.2008 – VK-18/2008-L; kritisch Dreher, NZBau 2001, 244 (246). 2 Heuvels in Loewenheim/Meessen/Riesenkampff, Kartellrecht, § 113 Rz. 11. 3 Ohlerich in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum Vergaberecht, § 167 Rz. 38.

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§ 167 | Beschleunigung c) Unbeachtlichkeit des Vortrags 30 Nach Ablauf einer gesetzten Frist erfolgter Vortrag des betreffenden Verfahrens-

beteiligten kann gemäß § 167 Abs. 2 Satz 2 unbeachtet bleiben. Dies ist allerdings keine zwingende Rechtsfolge, d.h. die Vergabekammer ist nicht verpflichtet, diesen Vortrag als unbeachtlich zurückzuweisen1. Das ist vielmehr nur dann gerechtfertigt, wenn der ergänzende Vortrag zu Verzögerungen, etwa wegen der Notwendigkeit zusätzlicher Sachverhaltsaufklärungen, führen würde. Bei Sachund Rechtsvortrag vor der mündlichen Verhandlung ist dies in der Regel zu verneinen, sofern sich nicht aus dem Vortrag neue Ermittlungs- und ggf. auch Beweiserhebungspflichten für die Vergabekammer ergeben (zum Untersuchungsgrundsatz s. § 163). Ebenfalls ist von Bedeutung, ob der betreffende Verfahrensbeteiligte überhaupt in der Lage war, zu einem bestimmten Punkt bereits früher vorzutragen. Dies ist etwa dann nicht der Fall, wenn erst neue Ausführungen eines anderen Beteiligten dazu Veranlassung gegeben haben.

31 Bloße Ausführungen zur Rechtslage führen niemals zu einer Verzögerung der

Entscheidung. Die Vergabekammer muss in jedem Fall eine den rechtlichen Anforderungen entsprechende Entscheidung treffen, also unabhängig davon, ob und wann einer der Verfahrensbeteiligten auf bestimmte rechtliche Aspekte hingewiesen hat.

32 Die Fristsetzung ist an keine besondere Form gebunden. Insbesondere bedarf es

daher keiner Zustellung der diesbezüglichen Mitteilung2. Aus § 167 Abs. 2 Satz 2 wird man jedoch zumindest herleiten müssen, dass die Folge der Fristsetzung anzugeben ist, also die Möglichkeit zur Nichtberücksichtigung von verfristeten Vortrag3. d) Fehlerfolgen, Berücksichtigung durch das Oberlandesgericht

33 Bei der Fristsetzung der Vergabekammer handelt es sich um eine bloße Verfah-

renshandlung, die, ebenso wie die Entscheidung über die Berücksichtigung verspäteten Vorbringens, nicht gesondert anfechtbar ist4. Es kommt daher nur die sofortige Beschwerde gemäß den §§ 171 ff. für diejenigen Verfahrensbeteiligten

1 VK Bund v. 9.8.2012 – VK1-79/12; Schweda in Langen/Bunte, Kommentar zum deutschen und europäischen Kartellrecht, § 113 Rz. 8; Weyand, IBR-online-Kommentar, Vergaberecht, § 113 Rz. 31. 2 Zustimmend Heuvels in Loewenheim/Meessen/Riesenkampff, Kartellrecht, § 113 Rz. 12; a.A. Boesen, Vergaberecht, § 113 Rz. 48, jedoch ohne Begründung, woraus sich ein Zustellungserfordernis ergeben soll. 3 In analoger Anwendung von § 87b Abs. 3 Nr. 3 VwGO; i.E. ebenso Ohlerich in Kulartz/ Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum Vergaberecht, § 167 Rz. 39. 4 Ohlerich in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum Vergaberecht, § 167 Rz. 43; Schweda in Langen/Bunte, Kommentar zum deutschen und europäischen Kartellrecht, § 113 Rz. 8.

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Entscheidung der Vergabekammer | § 168

in Betracht, die durch die Entscheidung der Vergabekammer materiell beschwert sind. Dort ist auch verspäteter Vortrag der Parteien zu berücksichtigen (s. auch § 172 Rz. 18).1

§ 168 Entscheidung der Vergabekammer (1) Die Vergabekammer entscheidet, ob der Antragsteller in seinen Rechten verletzt ist und trifft die geeigneten Maßnahmen, um eine Rechtsverletzung zu beseitigen und eine Schädigung der betroffenen Interessen zu verhindern. Sie ist an die Anträge nicht gebunden und kann auch unabhängig davon auf die Rechtmäßigkeit des Vergabeverfahrens einwirken. (2) Ein wirksam erteilter Zuschlag kann nicht aufgehoben werden. Hat sich das Nachprüfungsverfahren durch Erteilung des Zuschlags, durch Aufhebung oder durch Einstellung des Vergabeverfahrens oder in sonstiger Weise erledigt, stellt die Vergabekammer auf Antrag eines Beteiligten fest, ob eine Rechtsverletzung vorgelegen hat. § 167 Abs. 1 gilt in diesem Fall nicht. (3) Die Entscheidung der Vergabekammer ergeht durch Verwaltungsakt. Die Vollstreckung richtet sich, auch gegen einen Hoheitsträger, nach den Verwaltungsvollstreckungsgesetzen des Bundes und der Länder. Die §§ 61 und 86a Satz 2 gelten entsprechend. I. 1. 2. II. 1. 2. 3.

III. 1. 2.

Einführung Inhaltsübersicht . . . . . . . . . . . . Entstehungsgeschichte . . . . . . . Prüfungsprogramm der Vergabekammer (§ 168 Abs. 1 Halbs. 1) Rechtskontrolle . . . . . . . . . . . . Entscheidungserheblicher Zeitpunkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rechtsverletzung a) Bieterschützende Vorschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Subjektive Beeinträchtigung . Entscheidungsmöglichkeiten, Entscheidungsinhalt Verfahrensentscheidungen . . . . Bindung an eine Verletzung von Rechten des Antragstellers . . . .

__ _ _ __ _ _ 1 2

4 8

10 11

12 14

3. Keine Bindung an gestellte Anträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Weitergehende Einwirkungsmöglichkeiten . . . . . . . . . . . . . 5. Geeignete Maßnahmen . . . . . . . IV. Keine Aufhebung eines wirksam erteilten Zuschlags (§ 168 Abs. 2 Satz 1) 1. Begriff des Zuschlags . . . . . . . . 2. Inhaltliche Grenze für die Entscheidungsmöglichkeiten der Vergabekammer . . . . . . . . . . . . V. Feststellung der Rechtswidrigkeit (§ 168 Abs. 2 Satz 2 und 3) 1. Erledigung . . . . . . . . . . . . . . . . a) Begriff . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Fallkonstellationen . . . . . . . . c) Zeitpunkt der Erledigung . . .

_ __ _ _ __ __ _ 16 17 22

30 34 39 40 41 50 54

1 Ohlerich in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum Vergaberecht, § 167 Rz. 44; a.A. Horn in Müller-Wrede, GWB-Vergaberecht, § 113, Rz. 13.

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§ 168 | Entscheidung der Vergabekammer 2. Antrag . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Fortsetzungsfeststellungsinteresse . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Wegfall des Beschleunigungsgebotes, keine Ablehnungsfiktion . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Rechtsmittel . . . . . . . . . . . . . VI. Entscheidung durch Verwaltungsakt (§ 168 Abs. 3 Satz 1) 1. Form der Entscheidung . . . . .

. . . .

.

_ _ __ _ 56 59 61 62

63

2. Entscheidungsinhalt . . . . . . . a) Entscheidungstenor . . . . . . b) Entscheidungsbegründung . c) Rechtsmittelbelehrung . . . . d) Kostenentscheidung . . . . . e) Unterschrift . . . . . . . . . . . 3. Zustellung . . . . . . . . . . . . . . 4. Verstoß gegen formelle Anforderungen . . . . . . . . . . . . . . .

. . . . . . . .

__ __ __ _ __ 69 70 71 73 75 76 78 80

VII. Vollstreckung der Entscheidung 82

I. Einführung 1. Inhaltsübersicht 1 § 168 Abs. 1 regelt das Entscheidungsprogramm und den Prüfungsmaßstab

der Vergabekammer. Abs. 2 der Vorschrift bestimmt Grenzen für die Entscheidungsmöglichkeiten der Vergabekammer bei wirksam erfolgter Zuschlagserteilung und regelt die Möglichkeit einer sog. Fortsetzungsfeststellungsentscheidung. § 168 Abs. 3 regelt die Rechtsnatur der Entscheidung sowie deren Durchsetzung. 2. Entstehungsgeschichte

2 Die Vorschrift des § 168 entspricht weitestgehend dem Regierungsentwurf zum

Vergaberechtsänderungsgesetz 1998 (Einleitung Rz. 4 ff.). In der Begründung des Regierungsentwurfs1 wurde hervorgehoben, dass die Vergabekammer eine weitgehende Entscheidungskompetenz habe, um ihr eine flexible Reaktion zu ermöglichen, die einerseits in effektiver Weise die Belange der Bieter schützt, anderseits jedoch auch dem öffentlichen Interesse an einer möglichst zügigen Auftragsvergabe gerecht wird. Zu § 168 Abs. 2 wird betont, es sei ein Prinzip des deutschen Vergaberechts, dass mit dem Zuschlag das Vergabeverfahren beendet werde und die Aufhebung eines Vertrages nicht mehr möglich sei. Die Regelung in § 168 Abs. 3, nach der die Vergabekammer durch Verwaltungsakt entscheidet, wird damit begründet, dass es sich bei der Vergabekammer nicht um ein Gericht handele und daher eine hinreichende Durchsetzbarkeit der Entscheidung sichergestellt werden müsse.

3 Durch das Vergaberechtsmodernisierungsgesetz 2009 (Einleitung Rz. 7) wurde

§ 168 Abs. 2 lediglich dahingehend geändert, dass nunmehr statt von einem bereits erteilten Zuschlag von einem wirksam erteilen Zuschlag die Rede ist. Da-

1 BT-Drucks. 13/9340, S. 19.

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bei handelt es sich einerseits um eine bloße redaktionelle Klarstellung, da auch zuvor bereits eine Sachentscheidung der Vergabekammer über den gestellten Nachprüfungsantrag nicht mehr in Betracht kam, wenn der Zuschlag bereits wirksam erteilt war. Anderseits knüpft die Gesetzesformulierung nunmehr an § 135 an, der die Unwirksamkeit von Verträgen aus vergaberechtlichen Gründen regelt. Diese Unwirksamkeit wird durch die Regelung auch auf die Zuschlagserteilung als solche erstreckt1. Des Weiteren wurde durch das Vergaberechtsmodernisierungsgesetz 2009 § 168 Abs. 3 Satz 3 dahingehend ergänzt, dass neben § 61 auch § 86a Abs. 2 entsprechend gilt. Damit wird der dort geregelte und über das Verwaltungsvollstreckungsgesetz des Bundes und die Verwaltungsvollstreckungsgesetze der Länder hinausgehende Zwangsgeldrahmen für Entscheidungen der Vergabekammer anwendbar gemacht. Begründet wird dies damit, dass sich in der Vergabepraxis gezeigt habe, dass einzelne öffentliche Auftragsgeber die Anordnungen der Vergabekammern schlicht ignorieren und in diesen Fällen der ansonsten bestehende Zwangsgeldrahmen zu gering sei, um eine wirksame Durchsetzung der Vergabekammerentscheidungen zu gewährleisten2. Durch das VergaberechtsmodernisierungsG 2016 (Einleitung Rz. 10 f.) wurde § 168 inhaltlich nicht geändert.

II. Prüfungsprogramm der Vergabekammer (§ 168 Abs. 1 Halbs. 1) 1. Rechtskontrolle Die Vergabekammer hat zu prüfen, ob der Antragsteller eines zulässigen Nach- 4 prüfungsantrags in seinen Rechten verletzt ist. Gemeint sind damit die subjektiven Rechte im Sinne von § 97 Abs. 6 (dazu § 97 Rz. 106 ff.). Die Notwendigkeit einer tatsächlichen Rechtsverletzung, die über die für die Zulässigkeit des Antrags ausreichende Möglichkeit einer Rechtsverletzung (§ 160 Abs. 2, dazu § 160 Rz. 29) hinausgeht, entspricht den auch ansonsten aus dem Verwaltungsverfahrens- und Verwaltungsprozessrecht bekannten Gegebenheiten (s. insbesondere §§ 42 Abs. 2, 113 Abs. 1 VwGO)3. Insbesondere gilt dies für Fälle mit mehreren Beteiligten, hier also vor allem für Fälle mit mehreren (möglicherweise) in ihren Rechten oder Interessen betroffenen Unternehmen, in denen der Notwendigkeit einer Rechtsverletzung besondere Bedeutung zukommt4. 1 BT-Drucks. 16/10117, S. 23. 2 BT-Drucks. 16/10117, S. 23. 3 OLG Düsseldorf v. 28.1.2015 – Verg 31/14, NZBau 2015, 503; zum Verwaltungsprozessrecht s. etwa von Nicolai in Redeker/v. Oertzen, VwGO, § 42 Rz. 43 ff., 102 ff.; W.-R. Schenke/R. P. Schenke in Kopp/Schenke, VwGO, § 113 Rz. 24 ff. 4 Zu den maßgeblichen Fragen in diesem Zusammenhang für den Bereich des Verwaltungsprozessrechts s. etwa Redeker in Redeker/v. Oertzen, VwGO, § 80a Rz. 1 ff.; W.R. Schenke in Kopp/Schenke, VwGO, § 80a Rz. 1 ff.

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§ 168 | Entscheidung der Vergabekammer 5 Die Vergabekammer muss über die Frage, ob eine Rechtsverletzung zum Nach-

teil des Antragstellers vorliegt, selbst und abschließend entscheiden. Eine Aussetzung des Verfahrens, etwa wegen der Vorgreiflichkeit eines anderweitig anhängigen Rechtsstreits, ist nicht möglich (zur Möglichkeit von verfahrensbezogenen Zwischenentscheidungen s. Rz. 13)1. Dem steht der Beschleunigungsgrundsatz des § 167 entgegen.

6 Während für die Zulässigkeit des Nachprüfungsantrages gemäß § 160 Abs. 2

die Möglichkeit ausreicht, dass der Antragsteller in zumindest einer ihn schützenden Vorschrift verletzt sein kann (§ 160 Rz. 29), ist die Prüfung im Rahmen der Begründetheit umfassender und tiefer. Geprüft werden müssen alle den Antragsteller schützenden Vorschriften, also nicht nur diejenigen, die der Antragsteller geltend gemacht hat und die für die Bejahung der Zulässigkeit herangezogen wurden, sofern sie in einem sachlichen Zusammenhang mit dem Nachprüfungsantrag und dessen inhaltlicher Zielrichtung stehen (s. noch Rz. 18). Ungeachtet dessen greifen auch für Vorschriften, auf die sich der Antragsteller nicht konkret beruft, die Rügeobliegenheiten des § 160 Abs. 3 (dazu §§ 160 Rz. 42 ff.), d.h. diejenigen Verstöße, die durch den Antragsteller hätten gerügt werden müssen, jedoch nicht rechtzeitig gerügt worden sind, können dem Antrag grundsätzlich nicht zum Erfolg verhelfen (zu Ausnahmen von der Rügeobliegenheit § 160 Rz. 63 ff.; s. noch Rz. 19).

7 Die Prüfung der Vergabekammer beschränkt sich – anders als dies bei einer

Fachaufsicht der Fall wäre (dazu § 155 Rz. 6) – im Wesentlichen (zu Ausnahmen Rz. 17 ff.) auf eine etwaige Rechtsverletzung zu Lasten des Antragstellers2. Es geht also um eine diesbezügliche Rechtskontrolle, nicht hingegen um eine Prüfung der Zweckmäßigkeit des Vergabeverfahrens und der in dessen Rahmen getroffenen Entscheidungen. Insbesondere darf die Vergabekammer bei bestehenden Wertungsspielräumen nicht eigene Wertungen oder gar Zweckmäßigkeitserwägungen an die Stelle derjenigen der Vergabestelle setzen3. Sie hat vielmehr nur zu prüfen, ob die zu überprüfende Entscheidung mit wertendem Charakter von dem zuzutreffenden Sachverhalt ausgeht und vertretbar ist. Ob auch eine andere Wertungsentscheidung vertretbar gewesen wäre, spielt keine Rolle.

1 OLG Düsseldorf v. 11.3.2002 – Verg 43/01, VergabeR 2002, 404. 2 S. etwa BayObLG v. 21.5.1999 – Verg 1/99, NVwZ 1999, 1138; Schweda in Langen/Bunte, Kommentar zum deutschen und europäischen Kartellrecht, § 114 Rz. 3. 3 S. etwa OLG Düsseldorf v. 24.9.2014 – VII-VErg 17/14, VergabeR 2015, 443; OLG Düsseldorf v. 14.4.2005 – Verg 93/04, VergabeR 2005, 513; OLG Koblenz v. 5.9.2002 – 1 Verg 2/02, VergabeR 2002, 617; VK Schleswig-Holstein v. 28.11.2006 – VK-SH 25/06; Dreher in Immenga/Mestmäcker, GWB, § 114 Rz. 18; Byok in Byok/Jaeger, Kommentar zum Vergaberecht, § 114 Rz. 5; Thiele in Müller-Wrede, Kompendium des Vergaberechts, Kap. 28, Rz. 79; vgl. zur diesbezüglich vergleichbaren Situation bei Ermessensentscheidungen und deren gerichtlicher Überprüfung gemäß § 114 VwGO Redeker in Redeker/v. Oertzen, VwGO, § 114 Rz. 11 ff.

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Dies gilt selbst dann, wenn die Vergabekammer selbst einer anderen Wertung zuneigt oder eine solche für näherliegend hält (s. auch Rz. 16). 2. Entscheidungserheblicher Zeitpunkt Für die Frage, ob der Antragsteller in eigenen Rechten i.S.v. § 97 Abs. 6 verletzt 8 ist, ist die Sach- und Rechtslage entscheidend, die zum Zeitpunkt der Entscheidung der Vergabekammer gilt. Etwas anderes gilt jedoch dann, wenn die materiell-rechtlichen bieterschützenden Vorschriften, einschließlich etwaiger Übergangsvorschriften, Abweichendes bestimmen1. Dies kann dazu führen, dass der Antragsteller zwar zum Zeitpunkt der Einlei- 9 tung des Nachprüfungsverfahrens noch beschwert war, jedoch zum Zeitpunkt der Entscheidung durch die Vergabekammer nicht mehr beschwert ist, etwa weil die Vergabestelle zwischenzeitlich ihr Verfahren nachgebessert oder die Ausschreibung ohne Zuschlagserteilung beendet hat (s. Rz. 43 f.). Die Vergabekammer hat dies dann entsprechend zu berücksichtigen. Für den Antragsteller kommt dann ggf. eine Rücknahme des Nachprüfungsantrags in Betracht oder auch die Möglichkeit, das Nachprüfungsverfahren für erledigt zu erklären (Rz. 46)2. Ebenfalls kann ein Fortsetzungsfeststellungsantrag gemäß § 168 Abs. 2 Satz 2 (Rz. 39 ff.) in Betracht kommen3. 3. Rechtsverletzung a) Bieterschützende Vorschriften Eine zentrale Frage für die Nachprüfung durch die Vergabekammer ist, welche 10 Vorschriften des formellen und materiellen Vergaberechts bieterschützenden Charakter haben. Man spricht insofern von subjektiven Rechten, die von den lediglich objektivrechtlich bedeutsamen Vorschriften des Vergaberechts abzugrenzen sind4. Der Begriff entspricht weitgehend dem aus dem klassischen Verwaltungsrecht bekannten subjektiv-öffentlichen Recht5. Die insofern abweichende Terminologie ist jedoch gerechtfertigt, weil es im Bereich des öffentlichen Auftragswesens zwar auch, jedoch nicht ausschließlich um Rechte gegen1 OLG Düsseldorf v. 26.11.2008 – Verg 54/08; Dreher in Immenga/Mestmäcker, GWB, § 114 Rz. 20; allgemein Sachs in Stelkens/Bonk/Sachs, Verwaltungsverfahrensgesetz, § 44 Rz. 16 ff.; vgl. auch OLG Schleswig v. 6.7.1999 – 6 U Kart 22/99, ZVgR 1999, 249. 2 Leinemann, Die Vergabe öffentlicher Aufträge, Rz. 1756, Byok in Byok/Jaeger, Kommentar zum Vergaberecht, § 114 Rz. 19. 3 S. etwa VK Sachsen-Anhalt v. 15.1.2008 – VK 2 LVwA LSA – 28/07; VK Lüneburg v. 26.6.2007 – VgK-29/2007; Dreher in Immenga/Mestmäcker, GWB, § 114 Rz. 42. 4 Boesen, EuZW 1998, 552 (554); Gröning, ZIP 1999, 52 (54). 5 Dazu Sachs in Stelkens/Bonk/Sachs, Verwaltungsverfahrensgesetz, § 40 Rz. 131 ff.; von Nicolai in Redeker/v. Oertzen, VwGO, § 42 Rz. 50 ff.

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§ 168 | Entscheidung der Vergabekammer über dem Staat geht (zu den öffentlichen Auftraggebern). Zu den weiteren Einzelheiten wird insbesondere auf die Kommentierung zu § 97 Abs. 6 sowie zu § 160 verwiesen. b) Subjektive Beeinträchtigung 11 Es genügt nicht, dass eine bieterschützende Vorschrift missachtet wird. Der An-

tragsteller muss sich auf diese Verletzung vielmehr auch konkret berufen können, d.h. die Vorschrift muss zu seinen eigenen Lasten verletzt sein. Ansonsten ist er nicht in seinen Rechten verletzt. Dies ist etwa dann nicht der Fall, wenn ein Unternehmen zwar zu Recht einen Fehler bei der Angebotsbewertung rügt, allerdings selbst gar kein Angebot abgegeben hat, oder wenn ein Unternehmen beanstandet, dass anstelle eines offenen Verfahrens ein nicht offenes Verfahren gewählt wurde (zu dieser Unterscheidung s. § 119), obgleich es selbst zur Angebotsabgabe aufgefordert wurde (s. dazu bereits § 160 Rz. 35).

III. Entscheidungsmöglichkeiten, Entscheidungsinhalt 1. Verfahrensentscheidungen 12 Regelmäßig endet ein Nachprüfungsverfahren mit einer Sachentscheidung der

Vergabekammer. Nur in Sonderfällen kommt eine Beendigung des Nachprüfungsverfahrens ohne Sachentscheidung in Betracht. Dies ist vor allem dann denkbar, wenn der Nachprüfungsantrag durch den Antragsteller zurückgenommen wurde oder wenn sich das Nachprüfungsverfahren erledigt hat, ohne dass ein Feststellungsantrag gemäß § 168 Abs. 2 Satz 2 gestellt worden ist (Rz. 39 ff.). In diesen Fällen ergeht lediglich eine Kostenentscheidung (s. dazu Rz. 75). Eine Vorlage von Rechtsfragen an das Bundesverfassungsgericht (Art. 100 Abs. 1 GG) scheidet aus, da es sich bei der Vergabekammer um eine Verwaltungsbehörde und nicht um ein Gericht handelt (s. § 157 Rz. 3)1. Hingegen ist eine Vorlage an den EuGH wegen des weitergehenden Gerichtsbegriffs in Art. 267 AEUV möglich2, wenn auch im Regelfall aufgrund des für die Vergabekammer geltenden Beschleunigungsgebotes nicht sinnvoll. Eine Aussetzung des Verfahrens im Hinblick auf den Ausgang eines anderweitig anhängigen Rechtsstreits scheidet hingegen mangels einer entsprechenden Ermächtigung für die Vergabekammer aus3.

1 Antweiler in Burgi/Dreher, § 168 Rz. 46; Dreher in Immenga/Mestmäcker, GWB, § 114 Rz. 19. 2 EuGH v. 18.9.2014 – Rs. C-549/13; EuGH v. 19.6.2003 – Rs. C-315/01; Dreher in Immenga/Mestmäcker, GWB, § 114 Rz. 19. 3 OLG Düsseldorf v. 11.3.2002 – Verg 43/01, NZBau 2003, 55; VK Baden-Württemberg v. 16.1.2009 – 1 VK 65/08; VK Baden-Württemberg v. 30.12.2008 – 1 VK 51/08; VK Sachsen v. 29.8.2008 – 1/SVK/042–08.

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Ebenfalls scheidet eine Sachentscheidung der Vergabekammer dann aus, wenn 13 sie den Nachprüfungsantrag an eine andere Vergabekammer verweist (s. dazu im Einzelnen § 161 Rz. 8). Zwischenentscheidungen, insbesondere zur Zulässigkeit des Nachprüfungsantrags und zum Verfahren selbst, sind gesetzlich nicht geregelt. Ihre Zulässigkeit ist gleichwohl gegeben, teilweise sogar unverzichtbar (z.B. im Hinblick auf Ausschluss- oder Befangenheitsgründe bei einzelnen Kammermitgliedern, s. § 157 Rz. 6; zur Akteneinsicht s. § 165 Rz. 46 ff.). Allerdings ist zu berücksichtigen, dass das Nachprüfungsverfahren generell durch den Beschleunigungsgrundsatz des § 167 dominiert wird. Daher ist davon auszugehen, dass eine gesonderte Zwischenentscheidung etwa über die Zulässigkeit des Nachprüfungsantrags in der Regel ausscheidet1. Großzügiger wird dies allerdings dann gesehen, wenn es um die Frage geht, ob sich das Nachprüfungsverfahren erledigt hat, damit danach ggf. ohne besonderen Zeitdruck über einen Fortsetzungsfeststellungsantrag entschieden werden kann2. Eine Sachentscheidung kommt letztlich auch nicht mehr in Betracht, wenn bereits die Ablehnungsfiktion gemäß § 171 Abs. 2 GWB (s. auch § 171 Rz. 14) eingetreten ist3. In diesem Fall kommt eine (erneute) Sachentscheidung nicht in Betracht. Ist ein entsprechendes Begehren des Antragstellers als neuer Nachprüfungsantrag auszulegen, ist er unzulässig und dementsprechend abzulehnen. 2. Bindung an eine Verletzung von Rechten des Antragstellers Nur wenn die Vergabekammer eine Verletzung von Rechten des Antragstellers 14 festgestellt hat, die noch nicht ausgeräumt ist (z.B. eine inhaltlich unzureichende Vorabinformation gem. § 134 Abs. 4)4, trifft sie die geeigneten Maßnahmen, um diese Rechtsverletzung zu beseitigen und eine Schädigung der betroffenen Interessen zu verhindern (s. auch Rz. 45 zur ggf. eintretenden Erledigung). Dies muss dann auch erfolgen. Die Vergabekammer hat insofern keinen Ermessensspielraum5. Die Vergabekammer ist bei ihrer Entscheidung an die Rechtsverletzung des 15 Antragstellers gebunden. Sie kann diesbezügliche Feststellungen oder gar das Nachprüfungsverfahren als solches nicht zum Anlass nehmen, um Maßnahmen 1 OLG Düsseldorf v. 28.12.2007 – VII Verg 40/07, VergabeR 2008, 281; OLG Düsseldorf v. 18.1.2005 – VII Verg 104/04. 2 S. etwa OLG Thüringen v. 16.7.2003 – 6 Verg 3/03; VK Thüringen v. 9.1.2006 – 3604002-20-063-05-ef-s; VK Rheinland-Pfalz v. 12.5.2005 – VK 17/05; VK Baden-Württemberg v. 24.3.2004 – 1 VK 14/04. 3 OLG München v. 4.4.2008 – Verg 4/08, NZBau 2008, 542. 4 OLG Celle v. 12.5.2016 – 13 Verg 10/15, NZBau 2016, 711; OLG Düsseldorf v. 12.1.2015 – Verg 29/14, ZfBR 2015, 502; OLG Schleswig v. 25.1.2013 – 1 Verg 6/12, NZBau 2013, 395. 5 Dreher in Immenga/Mestmäcker, GWB, § 114 Rz. 21; Boesen, Vergaberecht, § 114 Rz. 13.

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§ 168 | Entscheidung der Vergabekammer zu treffen, die keinen Bezug zu dieser Rechtsverletzung haben, also nur abstrakt die Rechtmäßigkeit des Vergabeverfahrens sichern oder gezielt Rechtsverletzungen zu Lasten Dritter, die keinen eigenen Nachprüfungsantrag gestellt haben, verhindern bzw. beseitigen sollen (zu den Einwirkungsmöglichkeiten gemäß § 168 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 2 s. noch Rz. 17 ff.)1. 3. Keine Bindung an gestellte Anträge 16 Obgleich die Vergabekammer in der mündlichen Verhandlung auf die Stellung

sachgerechter Anträge hinwirken soll, ist sie an gestellte Anträge nicht gebunden2. Dies bedeutet, dass die Vergabekammer darin frei ist, wie sie die Rechtsverletzung und eine damit verbundene Schädigung der betroffenen Interessen des Antragstellers beseitigt bzw. verhindert. Dies kann in der vom Antragsteller gewünschten Weise, aber auch auf andere Art erfolgen, solange das gesetzlich geforderte Ziel erreicht wird. Insbesondere darf die Vergabekammer also hinter dem Begehren des Antragstellers zurückbleiben3. Macht zum Beispiel ein Antragsteller geltend, dass er aufgrund einer fehlerhaften Anwendung der Zuschlagskriterien durch den öffentlichen Auftraggeber in seinen Rechten verletzt sei und er den Zuschlag erhalten müsse, kann die Vergabekammer, sofern sie eine fehlerhafte, nicht nachvollziehbare oder nicht dokumentierte4 Anwendung der Zuschlagskriterien feststellt, in der Regel nur entscheiden, dass der öffentliche Auftraggeber eine Neubewertung der abgegebenen Angebote vornehmen muss. Denn sie hat lediglich eine rechtliche Kontrollkompetenz (s. Rz. 7), die auch die Wertungsspielräume des Auftraggebers respektieren muss5. Sie kann sich hingegen nicht an die Stelle des öffentlichen Auftraggebers setzen und für ihn die erforderlichen Entscheidungen treffen oder ihm über den Gesetzeswortlaut hinaus Fristen und Ausschreibungen auferlegen6. Selbst in Fällen, in denen lediglich eine Entscheidung in Betracht kommt, also keinerlei Bewertungsspielräume mehr bestehen, die verschiedene und jeweils rechtmäßige Ergebnisse er-

1 OLG München v. 10.12.2009 – Verg 16/09, VergabeR 2010, 246 (259); Byok in Byok/Jaeger, Kommentar zum Vergaberecht, § 114 Rz. 14; Boesen, Vergaberecht, § 114 Rz. 32; Thiele in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum Vergaberecht, § 168 Rz. 15 ff.. 2 Schweda in Langen/Bunte, Kommentar zum deutschen und europäischen Kartellrecht, § 114 Rz. 2 ff. 3 Byok in Byok/Jaeger, Kommentar zum Vergaberecht, § 114 Rz. 14; Heuvels in Loewenheim/Meessen/Riesenkampff, Kartellrecht, § 114 Rz. 4. 4 S. etwa VK Hessen v. 27.5.2009 – 69d-VK-11/2009. 5 OLG Düsseldorf v. 1.6.2016 – VII-Verg 6/16, VergabeR 2016, 751; OLG Düsseldorf v. 13.4.2016 – VII-Verg 47/15, NZBau 2016, 656; OLG Koblenz v. 15.10.2009 – 1 Verg 9/09; OLG Karlsruhe v. 20.3.2009 – 15 Verg 2/09; VK Hessen v. 2.2.2009 – 69d-VK65/2008. 6 Vgl. hierzu und zu den evtl. Rechtsfolgen einer Kompetenzüberschreitung der Vergabekammer OLG Düsseldorf v. 10.3.2014 – VII-Verg 11/14, VergabeR 2014, 621.

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möglichen, darf sie nur gegenüber dem Auftraggeber konkrete Anordnungen treffen, nicht hingegen für ihn gegenüber Dritten1. 4. Weitergehende Einwirkungsmöglichkeiten Gemäß § 168 Abs. 1 Satz 2 kann die Vergabekammer auch unabhängig von ge- 17 stellten Anträgen auf die Rechtmäßigkeit des Vergabeverfahrens einwirken. Dies bedeutet indes nicht, dass sie losgelöst von dem angestrengten Nachprüfungsverfahren Regelungsmöglichkeiten in Bezug auf Art und Weise der Vergabe hat. Vielmehr bleibt auch in diesem Fall das Antragsziel, über das der Antragsteller kraft seiner Dispositionsbefugnis bestimmt (dazu § 160 Rz. 12), maßgeblich. Daraus folgt zunächst, dass durch die Entscheidung der Vergabekammer keine Verschlechterung der Situation des Antragstellers im Rahmen des Vergabeverfahrens herbeigeführt werden darf. Denn dies würde dem übergeordneten Ziel des Vergabenachprüfungsverfahrens gem. § 168 Abs. 1 Satz 1 widersprechen, geeignete Maßnahmen zu treffen, um eine Rechtsverletzung zu Lasten des Antragstellers zu beseitigen2. Soweit es um Einwirkungen der Vergabekammer unabhängig von gestellten An- 18 trägen geht, die (auch) zu Gunsten des Antragstellers wirken, müssen sie – abgesehen von immer möglichen Hinweisen und Empfehlungen – in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Rechtsschutzziel des Antragstellers stehen3. Noch weitergehende Einschränkungen ergeben sich daraus, dass der Vergabekammer durch § 168 Abs. 1 Satz 2 nicht die Kompetenz zu einer allgemeinen Rechtmäßigkeitskontrolle eingeräumt wird4. Es geht vielmehr darum, dass die Vergabekammer zur Sicherstellung der Rechtmäßigkeit des Vergabeverfahrens auch solche Maßnahmen ergreifen darf, die vom Antragsteller nicht ausdrücklich beantragt wurden, die aber deshalb notwendig sind, weil allein die vom Antragsteller begehrte Entscheidung den konkret gerügten Vergaberechtsverstoß nicht ausräumen oder aber weitere Nachprüfungsverfahren anderer Unternehmen nach sich ziehen würde. Ein typisches Beispiel hierfür ist der Fall, dass ein Unternehmen die Wiederholung der Angebotswertung hinsichtlich seines Angebotes beantragt. Stellt die Vergabekammer fest, dass die Angebotswertung tatsächlich fehlerhaft war, bedarf es in der Regel einer Neubewertung sämtlicher An1 Dreher in Immenga/Mestmäcker, GWB, § 114 Rz. 27; Thiele in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum Vergaberecht, § 168 Rz. 8 ff.; Otting in Bechtold, GWB 6. A., § 114 Rz. 4; Braun, BB 1999, 1069 (1071). 2 OLG Rostock v. 5.7.2006 – 17 Verg 7/06; VK Münster v. 31.10.2007 – VK 23/07; Dreher in Immenga/Mestmäcker, GWB, § 114 Rz. 13. 3 Vgl. OLG Dresden v. 29.5.2001 – W Verg 0003/01, VergabeR 2001, 311; offen gelassen OLG Naumburg v. 15.3.2001 – 1 Verg 11/00, NZBau 2001, 579; Antweiler in Burgi/Dreher, § 168 Rz. 47; unklar Byok in Byok/Jaeger, Kommentar zum Vergaberecht, § 114 Rz. 14; weitergehend Dreher in Immenga/Mestmäcker, GWB, § 114 Rz. 17. 4 OLG Koblenz v. 4.2.2009 – 1 Verg 4/08; OLG Düsseldorf v. 16.3.2005 – Verg 5/08; Thiele in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum Vergaberecht, § 168 Rz. 15 f.

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§ 168 | Entscheidung der Vergabekammer gebote1. Dies gilt insbesondere dann, wenn sich die Neubewertung allein des Angebots des Antragstellers möglicherweise auf die Bieterreihenfolge auswirkt. 19 Die weitergehenden Einwirkungsmöglichkeiten der Vergabekammer setzen stets

voraus, dass ein zulässiger Nachprüfungsantrag vorliegt und es um rechtzeitig gerügte, also nicht präkludierte Vergaberechtsverstöße geht, sofern nicht im Einzelfall eine Rüge gegenüber dem Auftraggeber vor Einleitung des Nachprüfungsverfahrens entbehrlich war (s. dazu § 160 Rz. 63 ff.)2. Ist der Nachprüfungsantrag insgesamt unzulässig, kann er nur abgelehnt werden. Eine isolierte Entscheidung auf der Grundlage von § 168 Abs. 1 Satz 2 kommt in diesem Fall nicht in Betracht. Ist der Nachprüfungsantrag zwar zulässig, sind jedoch einzelne vom Antragsteller geltend gemachte Vergaberechtsverstöße nicht oder nicht rechtzeitig gerügt worden und ist eine Rüge im konkreten Fall auch nicht entbehrlich, können diese ebenfalls nicht Gegenstand weitergehender Einwirkungsmöglichkeiten der Vergabekammer sein.

20 Die Vergabekammer kann unabhängig von gestellten Anträgen auf die Recht-

mäßigkeit des Verfahrens einwirken. Dies muss allerdings nicht zwingend erfolgen. Sie hat dabei vor allem die Verfahrensökonomie zu berücksichtigen. Ebenfalls muss sie sich mit der Frage auseinandersetzen, ob die Korrektur eines Vergabefehlers zu Lasten des Antragstellers überhaupt möglich ist, ohne zugleich auch eine darüber hinausgehende Anordnung zu treffen (s. Rz. 18).

21 Möglich ist ein Einwirken auch bereits im Vorfeld der Entscheidung gemäß § 168

Abs. 3, ggf. also auch durch vorläufige Maßnahmen (z.B. Anordnung, Informationsgespräche mit einzelnen Bietern zu bestimmten Punkten zu unterlassen). Nicht zu den weitergehenden Einwirkungsmöglichkeiten der Vergabekammer gehört es im Rahmen eines Nachprüfungsverfahrens jedoch, dem Auftraggeber aufzugeben, einen durch Zuschlag abgeschlossenen Vertrag wieder zu kündigen. Dies gilt selbst dann, wenn die Voraussetzungen des § 133 (s. § 133 Rz. 33 ff.) vorliegen. Denn § 168 Abs. 2 Satz 1 steht auch dem entgegen (s. Rz. 34). 5. Geeignete Maßnahmen

22 Die von der Vergabekammer zu treffenden Maßnahmen müssen geeignet sein,

um die festgestellte Rechtsverletzung zu beseitigen und eine Schädigung der be-

1 S. etwa OLG Düsseldorf v. 16.12.2016 – VII-Verg 25/15, NZBau 2016, 232; OLG Schleswig v. 30.4.2015 – 1 Verg 7/14, VergabeR 2016, 97. 2 S. etwa OLG Celle v. 11.2.2010 – 13 Verg 16/09, VergabeR 2010, 669; OLG München v. 10.12.2009 – Verg 18/09; OLG Karlsruhe v. 24.7.2007 – 17 Verg 6/07; OLG Düsseldorf v. 12.3.2003 – Verg 49/02; BayObLG v. 24.10.2000 – Verg 6/00, ZfBR 2001, 118; Dreher in Immenga/Mestmäcker, GWB, § 114 Rz. 16; Boesen, Vergaberecht, § 114 Rz. 30 ff.; Thiele in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum Vergaberecht, § 168 Rz. 22 f.; a.A. Schweda in Langen/Bunte, Kommentar zum deutschen und europäischen Kartellrecht, § 114 Rz. 3; Heuvels in Loewenheim/Meessen/Riesenkampff, Kartellrecht, § 114 Rz. 15 f.

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troffenen Interessen zu verhindern. Die Vergabekammer hat dabei für ihre Anordnung einen weiten Entscheidungsspielraum, der neben den Interessen des Antragstellers auch die Belange des öffentlichen Auftraggebers sowie der anderen Unternehmen berücksichtigen muss. Die Anordnung muss danach – wie jede andere Verwaltungsentscheidung auch – verhältnismäßig sein, also nicht weiter als nötig in das Vergabeverfahren eingreifen, um die Interessen des Antragstellers und ggf. weitere damit im Zusammenhang stehende Belange (Rz. 17) zu sichern1. Soweit in § 168 Abs. 1 Satz 1 davon die Rede ist, dass eine Schädigung der be- 23 troffenen Interessen verhindert werden muss, weicht der Wortlaut von § 160 Abs. 2 Satz 2 ab, der neben drohenden und damit in der Regel noch verhinderbaren Schäden auch von bereits entstandenen Schäden spricht, die naturgemäß nicht mehr verhindert werden können. Gemeint ist im Ergebnis allerdings letztlich dasselbe. Es geht darum, dass Auswirkungen von Rechtsverletzungen zum Nachteil des Antragstellers verhindert oder beseitigt werden müssen, soweit dies materiell-rechtlich noch möglich ist. Dies ist vor der wirksamen Zuschlagserteilung praktisch immer der Fall. Maßnahmen, die dieses Ziel nicht zu erreichen vermögen, sind ungeeignet. In der Regel hat sich die Entscheidung der Vergabekammer auf die Anordnung 24 zu beschränken, dass etwaige fehlerhafte Schritte des Vergabeverfahrens, die zu einer Verletzung von Rechten des Antragstellers geführt haben, unter Berücksichtigung der rechtlichen Maßgaben der Vergabekammer wiederholt werden müssen, während die rechtmäßigen Verfahrensschritte unberührt bleiben2. In Betracht kommt auch die Anordnung, etwaige Umstände (z.B. Preisnachlässe einzelner Bieter nach Angebotsabgabe) im weiteren Vergabeverfahren unberücksichtigt zu lassen3. Im weitestreichenden Fall kann eine Verpflichtung zur Beendigung des gesamten Vergabeverfahrens angeordnet werden, etwa dann, wenn bereits die Ausschreibung auf einer falschen Grundlage beruhte und der Antragsteller dadurch in seinen Rechten verletzt ist (z.B. unzulässige Durchführung eines nicht offenen Verfahrens, bei dem der Antragsteller nicht zur Abgabe 1 OLG Naumburg v. 12.4.2012 – 2 Verg 1/12; OLG Karlsruhe v. 20.3.2009 – 15 Verg 2/09; OLG Rostock v. 1.9.1999 – 17 W (Verg) 1/99, ZVgR 2000, 18 (22); Dreher in Immenga/ Mestmäcker, GWB, § 114 Rz. 24; Thiele in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum Vergaberecht, § 168 Rz. 13 f.; Byok in Byok/Jaeger, Kommentar zum Vergaberecht, § 114 Rz. 3; Antweiler in Burgi/Dreher, § 168 Rz. 38; Boesen, Vergaberecht, § 114 Rz. 15; Thiele in Müller-Wrede, Kompendium des Vergaberechts, Kap. 28, Rz. 80. 2 Schweda in Langen/Bunte, Kommentar zum deutschen und europäischen Kartellrecht, § 114 Rz. 5. 3 S. etwa OLG München v. 13.3.2009 – Verg 2/02, NZBau 2009, 341; OLG Düsseldorf v. 15.11.2000 – Verg 15/00, WuW/E Verg 413; KG v. 3.11.1999 – KartVerg 3/99, NZBau 2000, 209; VK Bund v. 9.9.1999 – VK 2-24/99, NZBau 2000, 110 (112); Byok in Byok/ Jaeger, Kommentar zum Vergaberecht, § 114 Rz. 6.

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§ 168 | Entscheidung der Vergabekammer eines Angebots aufgefordert wurde)1. Ein Anspruch auf Aufhebung besteht jedoch auch dann nicht, sondern nur auf eine den vergaberechtlichen Anforderungen genügende Korrektur, also auf Beseitigung des Vergaberechtsverstoßes.2 Dies gilt selbst dann, wenn der Auftraggeber für diese Korrektur letztlich nur die Möglichkeit hat, das beanstandete Vergabeverfahren zu beenden. 25 Die Anordnung, einem bestimmten Unternehmen den Zuschlag zu erteilen,

scheidet ebenso aus, wie die Verpflichtung umgehend mit einem förmlichen Vergabeverfahren zu beginnen3. Denn die Entscheidung, die Beschaffungsabsicht gänzlich aufzugeben oder den Beschaffungsgegenstand zu modifizieren, so dass es ggf. einer Neuausschreibung bedarf, steht allein dem öffentlichen Auftraggeber zu. Ein durch die Vergabekammer mittels Verwaltungsakt angeordneter Kontrahierungszwang würde dem widersprechen.4 Möglich ist allerdings die Anordnung der Vergabekammer gegenüber dem öffentlichen Auftraggeber, ein bestimmtes Unternehmen vom weiteren Vergabeverfahren auszuschließen, sofern dessen Teilnahme den Antragsteller des Nachprüfungsverfahrens in seinen Rechten verletzen würde (z.B. weil das auszuschließende Unternehmen ein unvollständiges oder verspätetes Angebot abgegeben hat oder die sich aus den Vergabeunterlagen ergehenden Eignungsanforderungen nicht erfüllt)5.

26 Der öffentliche Auftraggeber kann durch die Vergabekammer weder verpflichtet

werden, einem bestimmten Unternehmen den Zuschlag zu erteilen (s. Rz. 24),

1 OLG Schleswig v. 13.2.2001 – 6 Verg 1/2001, VergabeR 2001, 214; VK Bund v. 26.8.1999 – VK 2 – 20/99, NZBau 2000, 398; Dreher in Immenga/Mestmäcker, GWB, § 114 Rz. 24; Thiele in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum Vergaberecht, § 168 Rz. 11; Byok in Byok/Jaeger, Kommentar zum Vergaberecht, § 114 Rz. 4; einschränkend wohl Schweda in Langen/Bunte, Kommentar zum deutschen und europäischen Kartellrecht, § 114 Rz. 5. 2 BGH v. 10.11.2009 – X ZB 8/09, NZBau 2010, 124. 3 OLG Düsseldorf v. 10.3.2014 – VII-Verg 11/14, VergabeR 2014, 621. 4 BGH v. 18.2.2003 – X ZB 43/02, BGHZ 154, 32; BGH v. 5.11.2002 – X ZR 232/00, VergabeR 2003, 163; OLG Celle v. 10.1.2008 – 13 Verg 11/07; OLG München v. 12.7.2005 – Verg 8/05, VergabeR 2005, 802; OLG Frankfurt v. 28.6.2005 – 11 Verg 21/04, VergabeR 2006, 131; VK Baden-Württemberg v. 8.9.2006 – 1 VK 49/06; Schweda in Langen/Bunte, Kommentar zum deutschen und europäischen Kartellrecht, § 114 Rz. 5; a.A. OLG Naumburg v. 13.10.2006 – 1 Verg 7/06; ebenfalls für die ausnahmsweise Zulässigkeit einer Anordnung zur Zuschlagserteilung, wenn diese die einzig rechtmäßige Entscheidung ist, OLG München v. 15.3.2012 – Verg 2/12; OLG Düsseldorf v. 13.7.2005 – VII Verg 19/05; VK Münster v. 30.4.2009 – VK 4/09; Dreher in Immenga/Mestmäcker, GWB, § 114 Rz. 22; Thiele in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum Vergaberecht, § 168 Rz. 10. 5 EuGH v. 18.6.2002 – Rs. C-92/00, Slg. 2002, S. I-5553; OLG Frankfurt v. 11.10.2016 – 11 Verg 12/16; OLG Düsseldorf v. 10.5.2000 – Verg 5/00, NZBau 2000, 541; Thiele in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum Vergaberecht, § 114 Rz. 9; Boesen, Vergaberecht, § 114 Rz. 23.

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noch dazu, das Vergabeverfahren durch Zuschlagserteilung abzuschließen1. Der Umstand, dass das materielle Vergaberecht einzelne Aufhebungsgründe regelt (s. insbes. § 63 Abs. 1 Satz 1 VgV), ändert daran nichts. Liegen deren Voraussetzungen vor, handelt es sich um eine rechtmäßige Aufhebung des betreffenden Vergabeverfahrens mit der gleichzeitigen Folge, dass den Unternehmen, die sich an der Ausschreibung beteiligt haben, in der Regel keine Ansprüche auf Entschädigung oder Schadensersatz zustehen. Hingegen kommen solche Ansprüche in Betracht, wenn die betreffenden Voraussetzungen nicht vorliegen. Dennoch handelt es sich um eine wirksame Beendigung des Vergabeverfahrens, die ein ggf. bereits anhängiges Nachprüfungsverfahren erledigt (s. Rz. 43)2. Auch der Umstand, dass eine Aufhebungsentscheidung in einem Nachprüfungs- 27 verfahren überprüft werden kann3, ändert daran nichts. Denn diese Prüfung ist auf die Frage beschränkt, ob die Aufhebungsvoraussetzungen vorlagen oder nicht. Allein dies kann daher durch die Vergabekammer festgestellt werden4. Dementsprechend besteht auch kein Anspruch des Antragstellers darauf, dass ein Vergabeverfahren aufgehoben wird, wenn die betreffenden Voraussetzungen vorliegen. Besteht eine andere Möglichkeit des Auftraggebers, einen vergaberechtskonformen Zustand zu gewährleisten, muss der Antragsteller dies hinnehmen (s. bereits Rz. 24)5. In Betracht kommt allerdings in eng begrenzten Ausnahmefällen eine Entschei- 28 dung der Vergabekammer dahingehend, dass der öffentliche Auftraggeber verpflichtet wird, das Vergabeverfahren fortzusetzen, wenn die Aufhebung rechts1 BGH v. 20.3.2014 – X 2B 18/13, NZBau 310; BGH v. 5.11.2002 – X ZR 232/00, NZBau 2003, 168; BGH v. 8.9.1998 – X ZR 99/96, NJW 1998, 3640; OLG Celle v. 10.3.2016 – 13 Verg 5/15, NZBau 2016, 385; Burgi, NZBau 2003, 16; Burbulla, ZfBR 2009, 134; Byok in Byok/Jaeger, Kommentar zum Vergaberecht, § 114 Rz. 9, der jedoch in Ausnahmefällen eine Anweisung der Zuschlagserteilung als möglich erachtet, wenn dies die einzig rechtmäßige Entscheidung darstellt; Heuvels in Loewenheim/Meessen/Riesenkampff, Kartellrecht, § 114 Rz. 5; Schweda in Langen/Bunte, Kommentar zum deutschen und europäischen Kartellrecht, § 114 Rz. 6; zumindest unklar insofern VK Rheinland-Pfalz v. 13.8. 2009 – VK 1-39/09, wenn es dort heißt, dass „die Antragstellerin einen Anspruch auf Fortsetzung des Verfahrens und ggf. auf Zuschlagserteilung“ hat. 2 EuGH v. 18.6.2002 – Rs. C-92/00, Slg. 2002, S. I-5553; BGH v. 20.3.2014 – X ZB 18/13, NZBau 2014, 310; OLG Celle v. 10.3.2016 – 13 Verg 5/15, NZBau 2016, 385; dazu etwa Reidt/Gersdorf, VergabeR 2002, 580 ff.; Portz, ZfBR 2002, 551 ff.; Priess, NZBau 2002, 433 ff. 3 BGH v. 20.3.2014 – X ZB 18/13, NZBau 2014, 310; BGH v. 18.2.2003 – X ZB 43/02, BGHZ 154, 32; OLG Dresden v. 10.7.2003 – WVerg 15/02, NZBau 2003, 573; Burbulla, ZfBR 2009, 134; Conrad, NZBau 2007, 287. 4 Burbulla, ZfBR 2009, 134; Conrad, NZBau 2007, 287 (288); Heuvels in Loewenheim/Meessen/Riesenkampff, Kartellrecht, § 114 Rz. 6 ff. 5 BGH v. 10.11.2009 – X ZB 8/09, NZBau 2010; 124; OLG Düsseldorf v. 12.1.2015 – Verg 29/14, ZfBR 2015, 502; OLG Düsseldorf v. 16.12.2009 – Verg 32/09.

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§ 168 | Entscheidung der Vergabekammer irrtümlich erfolgt ist, weil der öffentliche Auftraggeber der Auffassung war, die Ausschreibung aufheben zu müssen1, oder wenn dies nur zum Schein erfolgt, also nur vorgeschoben ist, der öffentliche Auftraggeber jedoch tatsächlich die Vergabe weiter betreiben möchte (z.B. wenn eine Aufhebung nur deshalb erfolgt, weil ein durch den Auftraggeber gewünschtes Unternehmen ein unvollständiges und daher auszuschließendes Angebot abgegeben hat oder wenn eine vergaberechtswidrige Diskriminierung bezweckt ist)2. Die Anordnung einer Kontrahierungspflicht des öffentlichen Auftraggebers durch die Vergabekammer ist jedoch auch in diesen Fällen nicht zulässig. 29 Geht die Anordnung der Vergabekammer über das notwendige und damit ver-

hältnismäßige Maß hinaus, ist dies für den Auftraggeber und ggf. auch für nach § 162 zu beteiligende Unternehmen rechtsverletzend. Es besteht dann die Möglichkeit, gegen derartige unverhältnismäßige Anordnungen der Vergabekammer mit der sofortigen Beschwerde nach § 171 vorzugehen3. Ggf. ist eine solche Entscheidung auch nichtig, was selbst bei unterlassener Einlegung einer sofortigen Beschwerde zur Folge hat, dass die Entscheidung nicht befolgt werden muss und auch nicht vollstreckt werden kann4.

IV. Keine Aufhebung eines wirksam erteilten Zuschlags (§ 168 Abs. 2 Satz 1) 1. Begriff des Zuschlags 30 Der Begriff des Zuschlags (s. auch § 127) hat im Vergaberecht eine zentrale Be-

deutung. Er bildet die Zäsur für die Möglichkeit der Vergabekammer und damit auch für Konkurrenzunternehmen, noch auf das Vergabeverfahren einwirken zu können. Dementsprechend können Konkurrenzunternehmen auch nicht erreichen, dass ein wirksam erteilter Zuschlag rückgängig gemacht wird. Sie sind dann auf die Geltendmachung von Sekundäransprüchen in Form von Schadensersatz beschränkt (s. Rz. 60 sowie § 181 Rz. 12 ff.)5.

1 BGH v. 18.2.2003 – X ZB 43/02, NVwZ 2003, 1149; Scharen, NZBau 2003, 585; Burbulla, ZfBR 2009, 134. 2 BGH v. 20.3.2014 – X ZB 18/13, NZBau 2014, 310; OLG Celle v. 10.3.2016 – 13 Verg 5/ 15, NZBau 2016, 385; OLG Düsseldorf v. 16.2.2005 – VII Verg 72/04; OLG Düsseldorf v. 19.11.2003 – Verg 59/03, ZfBR 2004, 202; OLG München v. 12.7.2005 – Verg 8/05, VergabeR 2005, 802; Burbulla, ZfBR 2009, 134; Thiele in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum Vergaberecht, § 168 Rz. 12. 3 OLG Düsseldorf v. 15.11.2000 – Verg 15/00. 4 OLG Düsseldorf v. 10.3.2014 – VII-Verg 11/14, VergabeR 2014, 621. 5 Thiele in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum Vergaberecht, § 168 Rz. 44; Schweda in Langen/Bunte, Kommentar zum deutschen und europäischen Kartellrecht, § 114 Rz. 11.

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Im deutschen Vergaberecht ist der Zuschlag gleichbedeutend mit der Annahme 31 des Vertragsangebotes eines Bieters, d.h. mit wirksamer Zuschlagserteilung ist die zu beauftragende Leistung tatsächlich und rechtlich vergeben (s. dazu auch § 127)1. Es gelten insofern die allgemeinen Grundsätze des Vertragsrechts (§§ 145 ff. BGB)2. Daher ist ggf. durch Auslegung (§§ 133, 157, 242 BGB) zu ermitteln, ob die Erklärung der Vergabestelle als die Annahme des Vertragsangebotes eines bestimmten Bieters zu verstehen ist3. Auch sind die (zivilrechtlichen) Unwirksamkeitsgründe sowie beispielsweise kommunalrechtliche Form- und Vertretungsregelungen4 für die Frage maßgeblich, ob die wirksame Annahme eines Vertragsangebotes vorliegt (Rz. 36). Dies bedeutet zugleich, dass allein die interne Willensbildung des Auftraggebers, 32 also z.B. die Entscheidung der Gemeindevertretung oder des Vergabeausschusses einer Stadt, nicht für die Zuschlagserteilung genügt. Sie stellt im Rechtssinne noch keine Annahme des Vertragsangebotes dar5. Ebensowenig genügt für den Zuschlag eine das Angebot des Bieters erweiternde, einschränkende oder ändernde Annahme6. Eine solche Erklärung gilt gemäß § 150 Abs. 2 BGB als Ablehnung des unterbreiteten Angebots, verbunden mit einem neuen Antrag. Der Vertrag kommt in diesem Fall erst mit der wirksamen Annahme durch das Unternehmen zustande. Zu diesem Zeitpunkt liegt dann auch erst der Zuschlag im vergaberechtlichen Sinne vor7. Auch die Entscheidung eines Preisgerichts im Rahmen eines Planungswettbewerbs (s. insbes. §§ 69 ff. VgV) stellt noch keine Zuschlagserteilung dar und ist dieser lediglich vorgelagert (vgl. § 79 Abs. 5 VgV)8. Handelt es sich um ein beurkundungsbedürftiges Rechtsgeschäft, erfolgt der 33 Zuschlag erst mit der Beurkundung bzw. mit Vollzug des beurkundungsbedürftigen Rechtsgeschäfts (§ 311b Abs. 1 Satz 2 BGB; s. noch Rz. 36). Demgegenüber ist es unerheblich, wenn im Anschluss an die mündliche oder schriftliche An1 BGH v. 19.12.2000 – X ZB 14/00, VergabeR 2001, 71; KG v. 7.6.2000 – Kart Verg 3/00, NZBau 2000, 531; Thiele in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum Vergaberecht, § 168 Rz. 36; Byok in Byok/Jaeger, Kommentar zum Vergaberecht, § 114 Rz. 16. 2 S. etwa OLG Düsseldorf v. 14.3.2001 – Verg 30/00, VergabeR 2001, 226; Dreher in Immenga/Mestmäcker, GWB, § 114 Rz. 30 ff.; zum Verhältnis von Zuschlag und Auftragserteilung ausführlich Reidt, BauR 2000, 22 ff. 3 OLG Düsseldorf v. 23.5.2007 – Verg 14/07; OLG Rostock v. 16.5.2001 – 17 W 1/01, 2/01, VergabeR 2001, 315; OLG Jena v. 8.6.2000 – 6 Verg 2/00, NZBau 2001, 163. 4 OLG Celle v. 29.10.2009 – 13 Verg 8/09, NZBau 2010, 194 (199). 5 OLG Dresden v. 11.7.2000 – W Verg 5/00, BauR 2001, 235. 6 Byok in Byok/Jaeger, Kommentar zum Vergaberecht, § 114 Rz. 16. 7 OLG Düsseldorf v. 5.7.2000 – Verg 5/99, NZBau 2001, 106; BayObLG v. 10.10.2000 – Verg 5/00, VergabeR 2001, 55; Thiele in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum Vergaberecht, § 168 Rz. 41; Byok in Byok/Jaeger, Kommentar zum Vergaberecht, § 114 Rz. 16. 8 OLG Koblenz v. 26.5.2010 – 1 Verg 2/10; a.A. OLG Düsseldorf v. 31.3.2004 – VII-Verg 4/ 04.

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§ 168 | Entscheidung der Vergabekammer nahme des Vertragsangebotes noch eine ergänzende urkundliche Fixierung erfolgt. Diese dient dann lediglich Beweiszwecken, ändert jedoch nichts daran, dass bereits vorher der Vertrag wirksam abgeschlossen wurde1. 2. Inhaltliche Grenze für die Entscheidungsmöglichkeiten der Vergabekammer 34 § 168 Abs. 2 enthält eine strikte Grenze für die Entscheidungsmöglichkeiten der

Vergabekammer. Sie kann einen wirksam erteilten Zuschlag nicht mehr aufheben. Dies gilt unabhängig davon, ob das durchgeführte Vergabeverfahren rechtmäßig oder rechtswidrig war2. Das Vergabeverfahren ist also mit der Zuschlagserteilung abgeschlossen, ohne dass die Vergabekammer rückwirkende Einflussmöglichkeiten hat (zur Feststellung der Rechtswidrigkeit Rz. 39 ff.; zu nachträglichen Kündigungsmöglichkeiten in besonderen Fällen s. § 133). Folglich hat die Vergabekammer auch nicht die Möglichkeit, einen öffentlichen Auftraggeber anzuweisen, einen wirksam abgeschlossenen Vertrag zu beenden. Dies gilt selbst dann, wenn eine Vertragsbeendigung notwendig sein sollte, um einen vom Europäischen Gerichtshof festgestellten Unionsrechtsverstoß auszuräumen oder sonstige Gründe i.S.v. § 133 vorliegen (s. auch Rz. 21)3. Für diesbezügliche Auseinandersetzungen sind also allein die ordentlichen Gerichte oder – sollte es sich um einen öffentlich-rechtlichen Vertrag handeln – die Verwaltungsgerichte zuständig.

35 Wenn der Zuschlag bereits vor Stellung des Nachprüfungsantrags erteilt wurde,

ist der Antrag, anders als ggf. bei einer erfolgten Aufhebung (s. Rz. 27), unzulässig, weil das Antragsziel (Beseitigung der Rechtsverletzung des Antragstellers) durch die Vergabekammer nicht mehr erreicht werden kann (§ 160 Rz. 21)4. Die im Vergabeverfahren unterlegenen Bieter können in diesem Fall nur unmittelbar Schadensersatz geltend machen (§ 181 Rz. 13 ff.; zur Zuschlagserteilung nach der Information des öffentlichen Auftraggebers über den Nachprüfungsantrag s. § 169 Rz. 31). Unionsrechtlich ist dies unbedenklich. Die Rechtsmittelrichtlinien (Einleitung Rz. 7) gehen selbst davon aus, dass unter bestimmten Voraussetzungen auch dann ein Auftrag wirksam vergeben werden kann, wenn er gegen die Anforderungen des (europäischen) Vergaberechts verstößt. Dies gilt

1 OLG Rostock v. 16.5.2001 – 17 W 1/01, 2/01, VergabeR 2001, 315. 2 OLG Düsseldorf v. 14.10.2009 – Verg 24/09; Thiele in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum Vergaberecht, § 168 Rz. 44, 48 f. 3 OLG Frankfurt v. 3.5.2016 – VergabeR 2016, 672; OLG Düsseldorf v. 23.5.2007 – Verg 14/07; VK Düsseldorf v. 12.3.2008 – VK 2/2008; Dreher in Immenga/Mestmäcker, GWB, § 114 Rz. 39; zur Verpflichtung der Mitgliedstaaten, geeignete Maßnahmen zur Beseitigung eines Gemeinschaftsrechtsverstoßes im Vergaberecht zu treffen s. EuGH v. 18.7. 2007 – Rs. T-503/04, NZBau 2007, 594. 4 BGH v. 19.12.2000 – X ZB 14/00, VergabeR 2001, 71; BayObLG v. 10.10.2000 – Verg 5/ 00, VergabeR 2001, 55.

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insbesondere dann, wenn die Stillhaltefrist abgewartet wurde und auch die Frist für die Beantragung einer Nachprüfung abgelaufen ist, ohne dass ein Nachprüfungsantrag gestellt wurde (s. insbesondere Art. 2a und Art. 2c der Rechtsmittelrichtlinien; s. auch § 134 sowie § 135). In derartigen Fällen können die Rechte betroffener Unternehmen auf die Gewährung von Schadensersatz beschränkt werden (s. Art. 2 Abs. 6 und Abs. 7 der Rechtmittelrichtlinien)1. Maßgeblich ist dabei allerdings, dass es sich um einen wirksamen und endgülti- 36 gen Zuschlag handeln muss. Ob und wann dies der Fall ist, richtet sich neben § 1352 und § 169 Abs. 1 nach allgemeinem Vertragsrecht3. Zu beachten sind im Weiteren etwa auch die Formvorschriften des Verwaltungsverfahrensgesetzes für öffentlich-rechtliche Verträge (Vorb. zu §§ 97–154 Rz. 23 ff.)4 sowie die kommunalrechtlichen Vertretungs- und Formvorschriften, die in der Regel dazu führen, dass Erklärungen, durch die eine Gemeinde verpflichtet werden soll, der Schriftform bedürfen und vom Bürgermeister, häufig auch noch von einem weiteren Mitglied der Verwaltung, unterschrieben und zum Teil mit Dienstsiegel versehen werden müssen, sofern es sich nicht um ein Geschäft der laufenden Verwaltung handelt, was bei Aufträgen oberhalb der Schwellenwerte zumeist nicht der Fall ist5. Erklärungen der Gemeinde, insbesondere also auch die Annahme von Vertragsangeboten, die diesen Anforderungen nicht genügen, sind schwebend unwirksam oder sogar nichtig. In jedem Fall führen sie nicht zu einer wirksamen und endgültigen Zuschlagserteilung6. Die Bestimmungen über sonstige Körperschaften der Länder (z.B. Landkreise, Zweckverbände) enthalten ähnliche Vorschriften. Sie führen dazu, dass ein wirksamer Zuschlag in der Regel nicht mündlich oder gar konkludent erteilen werden kann. Daneben kommt etwa ein Verstoß gegen ein gesetzliches Verbot i.S.v. § 134 BGB7, ein Verstoß 1 BGH v. 19.12.2000 – X ZB 14/00, VergabeR 2001, 71. 2 Zur Frage, ob die dort geregelte Frist verlängerbar ist, s. OLG Düsseldorf v. 5.10.2016 – Verg 24/16, VergabeR 2017, 90. 3 Thiele in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum Vergaberecht, § 168 Rz. 50 ff.; Schweda in Langen/Bunte, Kommentar zum deutschen und europäischen Kartellrecht, § 114 Rz. 11. 4 OLG Düsseldorf v. 11.3.2002 – Verg 43/01, VergabeR 2002, 404. 5 S. etwa § 68 Abs. 2 Niedersächsisches Kommunalverfassungsgesetz; § 57 Abs. 2 Kommunalverfassung des Landes Brandenburg; § 64 Abs. 1 Gemeindeordnung NW; § 81b Abs. 1 GO Sachsen-Anhalt; OLG Brandenburg v. 11.12.2001 – Verg W 6/01, NZBau 2002, 624; s. allerdings auch OLG Brandenburg v. 29.1.2002 – Verg W 8/01, NZBau 2002, 625. 6 OLG Dresden v. 21.7.2000 – WVerg 0005/00, WuW/E Verg 384; Schumacher in Schumacher u.a. Kommunalverfassungsrecht Brandenburg, Loseblattsammlung, § 57 Anm. 4.5 f.; Gern, Deutsches Kommunalrecht, Rz. 370. 7 OLG Düsseldorf v. 21.4.2010 – VII Verg 55/09, NZBau 2010, 390 (im Hinblick auf einen möglichen Verstoß gegen die Notifizierungspflicht durch die EU-Kommission bei Beihilfen); OLG Düsseldorf v. 12.1.2000 – Verg 4/99, NZBau 2000, 391.

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§ 168 | Entscheidung der Vergabekammer gegen § 138 BGB1 oder auch ein Verstoß gegen Formvorschriften wie § 311b BGB in Betracht2. 37 Hingegen reicht es für die Unwirksamkeit eines bereits abgeschlossenen Vertra-

ges nicht aus, wenn dieser nachträglich beendet wurde3, unter einer aufschiebenden Bedingung steht oder mit einem Rücktrittsrecht für den Auftraggeber abgeschlossen wurde4. Denn derartige Umstände lassen die Wirksamkeit des abgeschlossenen Vertrages als solche unberührt. Für die Anordnung, von einem vertraglich vorgesehenen Rücktrittsrecht Gebrauch zu machen oder den Eintritt einer bestimmten Bedingung zu verhindern, besteht keine Ermächtigungsgrundlage (vgl. Rz. 21, 34). Insbesondere § 168 Abs. 1 Satz 2 reicht dafür nicht aus, da es bei einer derartigen Anordnung nicht um eine Einwirkung auf die Rechtmäßigkeit des Vergabeverfahrens ginge. Gegenstand der Einwirkung wäre in diesem Fall nicht das Vergabeverfahren sondern der bereits abgeschlossene Vertrag als solcher sowie der Umgang des öffentlichen Auftraggebers mit diesem bereits abgeschlossenen Vertrag. Keine Nichtigkeit des Vertrages ergibt sich außer in den Fällen des § 135 und des § 169 Abs. 1 in der Regel aus einem Verstoß gegen Vorschriften, die allein für das Vergabeverfahren relevant sind. Das gilt auch für bieterschützende Vorschriften i.S.v. § 97 Abs. 6, da § 168 Abs. 2 Satz 1 bestimmt, dass ein Verstoß gegen vergaberechtliche Bestimmungen für einen bereits abgeschlossenen Vertrag unbeachtlich ist, sofern keine speziellen Unwirksamkeits- oder Nichtigkeitsgründe bestehen5. Etwas anderes kommt – insbesondere über die Regelung des § 138 BGB – in besonderen Ausnahmefällen in Betracht, wenn es sich um ganz massive Verstöße gegen Vergaberecht handelt, durch die gezielt bestimmte Unternehmen benachteiligt werden sollen oder wenn der Auftraggeber mit dem Auftragnehmer kollusiv zusammengewirkt hat6.

38 Erweist sich ein erteilter Zuschlag als nichtig, heißt dies nicht zwangsläufig, dass

einem gestellten Nachprüfungsantrag stattzugeben ist. Dies bedeutet vielmehr zunächst nur, dass die Vergabekammer überhaupt prüfen darf, weil dem nicht § 168 Abs. 2 Satz 1 entgegensteht. Kommt sie trotz Nichtigkeit des Vertrages (z.B. mangels Beurkundung) zu dem Ergebnis, dass der Antragsteller nicht in eigenen Rechten verletzt ist (z.B. weil dessen Angebot zu Recht ausgeschlossen wurde), muss sie den Nachprüfungsantrag ablehnen.

1 S. etwa OLG Brandenburg v. 16.12.2015 – 4 U 77/14, NZBau 2016, 184; OLG Saarbrücken v. 17.8.2016 – 1 C 159/14; OLG Düsseldorf v. 7.8.2013 – VIII-Verg 14/13; OLG Düsseldorf v. 30.4.2008 – Verg 23/08. 2 S. etwa VK Bund v. 13.7.2001 – VK 1 - 19/01, VergabeR 2001, 433; OLG Schleswig v. 6.7. 1999 – 6 U Kart 22/99, ZVgR 1999, 249; Dreher in Immenga/Mestmäcker, GWB, § 114 Rz. 40. 3 VK Lüneburg v. 3.7.2009 – VgK-30/2009. 4 OLG Düsseldorf v. 12.1.2000 – Verg 4/99, NZBau 2000, 391. 5 VK Bund v. 13.7.2001 – VK 1 - 19/01, VergabeR 2001, 433. 6 BGH v. 19.12.2000 – X ZB 14/00, VergabeR 2001, 71; KG v. 26.10.1999 – Kart Verg 8/99, NZBau 2000, 262; OLG Schleswig v. 6.7.1999 – 6 U Kart 22/99, ZVgR 1999, 249.

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V. Feststellung der Rechtswidrigkeit (§ 168 Abs. 2 Satz 2 und 3) Für den Fall, dass sich das Nachprüfungsverfahren erledigt, sieht § 168 Abs. 2 39 Satz 2 vor, dass die Vergabekammer auf Antrag eines Beteiligten feststellen muss, ob aufgrund des durch den Antragsteller beanstandeten Vergaberechtsverstoßes eine Rechtsverletzung vorgelegen hat oder nicht, die ohne das erledigende Ereignis dem Nachprüfungsantrag zum Erfolg verholfen hätte (Fortsetzungsfeststellungsantrag1). Ein Feststellungsantrag, der auf ein anderes Ziel gerichtet ist (z.B. Antrag auf Feststellung der Vertragsnichtigkeit2 oder Antrag auf Feststellung, welche Vergabeart statthaft gewesen wäre3), ist unzulässig. 1. Erledigung Voraussetzung für einen Fortsetzungsfeststellungsantrag bei der Vergabekam- 40 mer ist, dass sich das Nachprüfungsverfahren erledigt hat. Ob das Nachprüfungsverfahren zulässig war oder nicht, ist dabei nach dem Gesetzeswortlaut unerheblich. Gleichwohl wird ganz überwiegend davon ausgegangen, dass der gestellte Nachprüfungsantrag zulässig gewesen sein muss4. Zudem würde es bei einem von vornherein unzulässigen Nachprüfungsantrag regelmäßig auch an dem erforderlichen Fortsetzungsfeststellungsinteresse (Rz. 59) fehlen. a) Begriff § 168 Abs. 2 Satz 2 spricht von einer Erledigung durch Erteilung des Zuschlags, 41 durch Aufhebung oder durch Einstellung des Vergabeverfahrens oder von einer Erledigung in sonstiger Weise. Eine Erledigung durch Erteilung des Zuschlags liegt vor, wenn der betreffende 42 Auftrag wirksam vergeben wurde. Ist der abgeschlossene Vertrag unwirksam, 1 Zur Terminologie s. etwa VK Sachsen-Anhalt v. 15.1.2008 – VK 2 LVwA LSA 28/07; VK Lüneburg v. 26.6.2007 – VgK-29/2007; Dreher in Immenga/Mestmäcker, GWB, § 114 Rz. 48; Heuvels in Loewenheim/Meessen/Riesenkampff, Kartellrecht, § 114 Rz. 17; Thiele in Müller-Wrede, Kompendium des Vergaberechts, Kap. 28, Rz. 84 f.; s. auch aus dem Bereich des Verwaltungsprozessrechts Redeker in Redeker/v. Oertzen, VwGO, § 113 Rz. 40 f. 2 OLG Düsseldorf v. 4.5.2009 – VII Verg 68/08, VergabeR 2009, 905 (920); OLG Celle v. 8.12.2005 – 13 Verg 2/05. 3 VK Hessen v. 21.3.2003 – 69d VK-11/2003. 4 S. etwa OLG Celle v. 30.10.2014 – 13 Verg 8/14, NZBau 2014, 780; OLG Karlsruhe v. 7.5. 2014 – 15 Verg 4/13; OLG Düsseldorf v. 30.4.2014 – VII-Verg 35/13, NZBau 2014, 589; VK Hessen v. 13.5.2009 – 69d VK 10/2009; VK Brandenburg v. 16.5.2007 – 1 VK 13/07; VK Sachsen-Anhalt v. 15.1.2008 – VK 2 LVwA LSA-28/07; VK Nordbayern v. 27.6.2008 – 21. VK-3194-10/08; VK Lüneburg v. 30.6.2008 – VgK 07/2008; Dreher in Immenga/ Mestmäcker, GWB, § 114 Rz. 54; Thiele in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum Vergaberecht, § 168 Rz. 83.

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§ 168 | Entscheidung der Vergabekammer liegt ein erledigendes Ereignis hingegen nicht vor (s. bereits Rz. 36 zu § 168 Abs. 2 Satz 1). 43 Eine Erledigung des Nachprüfungsverfahrens durch Aufhebung ist gegeben,

wenn der Auftraggeber eine entsprechende Entscheidung getroffen hat. Es muss sich zudem um eine rechtmäßige Aufhebung handeln. Maßgeblich sind dafür die Regelungen zur Aufhebung insbesondere in § 63 VgV sowie in § 17 EU VOB/A (zu nicht von den geregelten Aufhebungsgründen gedeckten Fällen s. Rz. 44 sowie Rz. 27).

44 Eine Einstellung des Vergabeverfahrens bezieht sich auf die Fälle, für die eine

Aufhebung nicht ausdrücklich geregelt ist. Darunter fällt vor allem die Einstellung eines Verhandlungsverfahrens1. Begrifflich kann man unter die Einstellung auch die insbesondere nicht von § 63 Abs. 1 Satz 1 VgV und § 17 EU Abs. 1 VOB/A gedeckte Beendigung einer Ausschreibung fassen. Überwiegend wird darin allerdings wohl eine Beendigung in sonstiger Weise gesehen. Besondere Bedeutung kommt dem indes nicht zu, da in allen vier in § 168 Abs. 2 Satz 2 genannten Fällen eine Erledigung vorliegt.

45 Die Erledigung in sonstiger Weise umfasst als Auffangtatbestand alle Fälle, die

nicht unter die wirksame Erteilung des Zuschlags, die Aufhebung oder die Einstellung des Vergabeverfahrens gefasst werden können, jedoch gleichwohl dazu führen, dass das Vergabeverfahren bereits sein Ende gefunden hat. In diesen Fällen ergibt eine auf das Vergabeverfahren bezogene Sachentscheidung der Vergabekammer keinen Sinn mehr, insbesondere können schutzwürdige Ziele des Antragstellers in Bezug auf das Vergabeverfahren selbst nicht mehr erreicht werden. Auch in Fällen der Erledigung in sonstiger Weise muss das Nachprüfungsbegehren allerdings gegenstandslos geworden sein2.Eine Erledigung in sonstiger Weise liegt vor, wenn der Auftraggeber den beanstandeten Mangel des Vergabeverfahrens vor Abschluss des Nachprüfungsverfahrens beseitigt hat und dem Antragsteller dadurch die Beschwer genommen wird (Nachbesserung, s. auch Rz. 14)3. Allerdings liegt eine Erledigung durch Nachbesserung dann nicht vor, wenn der Antragsteller diese für unzureichend hält (z.B. eine durch den öffentlichen Auftraggeber vorgenommene Neubewertung der Angebote), eine Nachbesserung gar nicht möglich ist bzw. ihrerseits mit einem Vergaberechtsverstoß

1 Heuvels in Loewenheim/Meessen/Riesenkampff, Kartellrecht, § 114 Rz. 18; Kullack/ Schüttpelz in Heiermann/Riedel/Rusam, Handkommentar zur VOB, § 114 GWB Rz. 45. 2 S. etwa OLG München v. 19.7.2012 – Verg 8/12, NZBau 2012, 658; VK Lüneburg v. 2.12. 2008 – VgK-41/08. 3 S. etwa OLG Celle v. 12.5.2016 – 13 Verg 10/15, NZBau 2016, 711; OLG Düsseldorf v. 12.1.2015 – Verg 29/14, ZfBR 2015, 502; OLG Düsseldorf v. 18.2.2013 – VII-Verg 39/12; OLG Schleswig v. 25.1.2013 – 1 Verg 6/12, NZBau 2013, 395; OLG Koblenz v. 26.5.2010 – 1 Verg 2/10; Thiele in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum Vergaberecht, § 168 Rz. 80; Schweda in Langen/Bunte, Kommentar zum deutschen und europäischen Kartellrecht, § 114 Rz. 18.

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verbunden ist (z.B. bei einer Nachbesserung der Angebotswertung, die aber im Vergabevermerk nicht hinreichend dokumentiert ist, weil dieser nicht fortgeschrieben wurde, ggf. also auch parallel zum Nachprüfungsverfahren)1. In diesem Fall kann er im Rahmen des laufenden Nachprüfungsverfahrens geltend machen, dass er noch immer in seinen Rechten verletzt sei, ohne dass ihm eine Erledigung des Nachprüfungsverfahrens entgegengehalten werden könnte2. Ebenfalls liegt keine Erledigung vor, wenn diese noch nicht endgültig ist (z.B. der begehrte Ausschluss eines Wettbewerbers, wenn dieser zwar erfolgt ist, allerdings der Wettbewerber dagegen seinerseits Rechtsmittel eingelegt hat3. Eine Erledigung in sonstiger Weise liegt des Weiteren dann vor, wenn Antrag- 46 steller und Antragsgegner übereinstimmend das Nachprüfungsverfahren für erledigt erklären4. Ob tatsächlich ein erledigendes Ereignis vorliegt, ist ohne Belang. Dies folgt aus der Dispositionsbefugnis der Beteiligten, die der Sachprüfung und Sachentscheidung der Vergabekammer vorgelagert ist5. Verzichten die Beteiligten auf eine Sachentscheidung, führt dies also ohne weitere Prüfungsmöglichkeit der Vergabekammer dazu, dass das Nachprüfungsverfahren gegenstandslos wird6. Eine Zustimmung der Beigeladenen zu einer übereinstimmenden Erledigungserklärung von Antragsteller und Antragsgegner ist nicht erforderlich7. Deren etwaiger Widerspruch gegen die übereinstimmende Erledigungserklärung führt also nicht dazu, dass noch eine Sachentscheidung der Vergabekammer ergehen könnte oder dürfte. Soweit sich Beigeladene im Zusammenhang mit dem Vergabeverfahren des Auftraggebers selbst beschwert fühlen, verbleibt ihnen daher nur die Möglichkeit, selbst einen Nachprüfungsantrag zu stellen8. Ebenfalls liegt eine Erledigung in sonstiger Weise vor, wenn die Voraussetzun- 47 gen für eine (rechtmäßige) Aufhebung oder Einstellung des Vergabeverfahrens (Rz. 43 f.) nicht vorliegen9. Denn auch die rechtswidrige Aufhebung oder Ein1 Vgl. hierzu BGH v. 8.2.2011 – X ZB 4/10; OLG Karlsruhe v. 31.1.2014 – 15 Verg 10/13, VergabeR 2014, 598; OLG Naumburg v. 20.9.2012 – 2 Verg 4/12, VergabeR 2013, 55. 2 OLG Düsseldorf v. 26.11.2008 – Verg 54/08. 3 KG v. 20.2.2014 – Verg 10/13, VergabeR 2014, 566. 4 Thiele in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum Vergaberecht, § 168 Rz. 74, 79.; a.A. Dreher in Immenga/Mestmäcker, GWB, § 114 Rz. 43. 5 Zur Geltung der Dispositionsmaxime im Nachprüfungsverfahren s. Sellmann/Augsberg, NVwZ 2005, 1255 (1255 f.). 6 VK Arnsberg v. 12.2.2008 – VK 44/07; VK Saarland v. 20.8.2007 – 1 VK 1/2007; VK Schleswig-Holstein v. 7.3.2007 – VK-SH 3/07; zur Kostenentscheidung bei übereinstimmender Erledigungserklärung s. OLG München v. 8.7.2015 – Verg 4/15, VergabeR 2015, 846; OLG Naumburg v. 20.9.2012 – 2 Verg 4/12, VergabeR 2013, 55. 7 Sellmann/Augsberg, NVwZ 2005, 1255 (1259); Thiele in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum Vergaberecht, § 168 Rz. 79. 8 VK Hessen v. 10.3.2003 – 69d VK 06/2003; VK Südbayern v. 30.1.2001 – 09-05/00. 9 OLG Düsseldorf v. 16.2.2005 – Verg 72/04; VK Saarland v. 1.10.2007 – 1 VK 2/2007; Dreher in Immenga/Mestmäcker, GWB, § 114 Rz. 44.

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§ 168 | Entscheidung der Vergabekammer stellung ist grundsätzlich wirksam und führt somit zur Gegenstandslosigkeit des Nachprüfungsverfahrens, solange sie sich nicht als nichtig erweist1 oder im Wege des Primärrechtsschutzes revidiert wird (s. zur Aufhebung der Aufhebung Rz. 9, 27). Eine Anordnung, das Vergabeverfahren fortzusetzen, kommt für die Vergabekammer nur ausnahmsweise in Betracht und auch dann nicht mit dem Inhalt, dass der Auftraggeber verpflichtet wird, das Vergabeverfahren überhaupt oder gar mit dem Zuschlag an ein bestimmtes Unternehmen zu beenden (s. Rz. 25). Der Auftraggeber hat also stets die Wahl, den Auftrag zu erteilen oder, ggf. gegen Schadensersatz, davon Abstand zu nehmen2. 48 Keine Erledigung in sonstiger Weise liegt vor, wenn lediglich die durch den öf-

fentlichen Auftraggeber festgesetzte Bindefrist abgelaufen ist, da diese auch verlängert werden kann3. Gleichfalls nicht ausreichend ist es, wenn der Antragsteller lediglich sein im Nachprüfungsverfahren ursprünglich verfolgtes Ziel aufgibt (z.B. weil er seinen ursprünglich verfolgten Antrag, die Vergabestelle zu verpflichten, ihm den Zuschlag zu erteilen, nach Akteneinsicht für nicht mehr erfolgversprechend hält)4. Ebenfalls handelt es sich nicht um ein erledigendes Ereignis, wenn der Antragsteller seinen Nachprüfungsantrag vor der Vergabekammer oder im Beschwerdeverfahren zurücknimmt, was bis zur Bestandskraft der Vergabekammerentscheidung jederzeit möglich ist (s. § 160 Rz. 13)5. In diesem Fall fehlt es zudem an einem noch anhängigen Verfahren, in dessen Rahmen eine Umstellung von dem ursprünglichen Leistungs- auf ein Feststellungsbegehren i.S.v. § 168 Abs. 2 Satz 2 möglich wäre, über das durch die Vergabekammer entschieden werden könnte. Eine Erledigung in sonstiger Weise liegt auch dann noch nicht vor, wenn eine vorzeitige Gestattung des Zuschlags gemäß § 169 Abs. 2 erfolgt ist. In diesem Fall tritt Erledigung erst dann ein, wenn tatsächlich auf dieser Grundlage der Zuschlag wirksam erteilt wurde6.

49 Ob ein zwischen den Parteien geschlossener Vergleich vor der Vergabekammer

zur Erledigung des Nachprüfverfahrens führen kann, ist nach dem Inhalt des

1 Thiele in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum Vergaberecht, § 168 Rz. 60. 2 BGH v. 20.3.2014 – X ZB 18/13, NZBau 2014, 310; VK Schleswig-Holstein v. 14.9.2005 – VK SH-21/05. 3 OLG Jena v. 22.12.1999 – 6 Verg 3/99, VergabeR 2000, 349; v. 13.10.1999 – 6 Verg 1/99, NZBau 2001, 39; VK Sachsen v. 21.8.2002 – 1/SVK/77-02; Kus in Kulartz/Kus/Portz/ Prieß, Kommentar zum Vergaberecht, § 169 Rz. 52 f.; Byok in Byok/Jaeger, Kommentar zum Vergaberecht, § 114 Rz. 19; Dreher in Immenga/Mestmäcker, GWB, § 114 Rz. 43. 4 OLG Naumburg v. 4.9.2001 – 1 Verg 8/01, ZVgR 2001, 69; Dreher in Immenga/Mestmäcker, GWB, § 114 Rz. 43. 5 OLG Brandenburg v. 18.5.2010 – Verg W 1/08 (auch zu den Voraussetzungen und Folgen der Antragsrücknahme erst im Beschwerdeverfahren); s. auch BGH v. 24.3.2009 – X ZB 29/08; a.A. Thiele in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum Vergaberecht, § 168 Rz. 74; Byok in Byok/Jaeger, Kommentar zum Vergaberecht, § 114 Rz. 19; zur Rücknahme des Nachprüfungsantrags allgemein Sellmann/Augsberg, NVwZ 2005, 1255 (1256 ff.). 6 OLG Celle v. 29.8.2003 – 13 Verg 15/03.

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Vergleichs zu beurteilen1. Dieser ist dafür entscheidend, ob der Vergleich zu einem erledigenden Ereignis führt oder nicht. Auf Grund der Dispositionsmaxime ist ein Vergleich grundsätzlich möglich, bindet jedoch nur die daran beteiligten Parteien, nicht hingegen sonstige Dritte2. Ist der Vergleich mit einer darin vereinbarten Antragsrücknahme verbunden3, fehlt es bereits an einem Verfahren, in dem nach Antragsrücknahme noch eine Erledigung eintreten könnte (Rz. 48). Im Hinblick auf eine Umstellung auf einen Fortsetzungsfeststellungsantrag (Rz. 56 ff.) wird es zudem in der Regel an einem Feststellungsinteresse fehlen4. Ein Vergleich, der nicht vor der Nachprüfungskammer geschlossen wird, hat keine unmittelbar verfahrensbeendende Wirkung5. Es kommt also auch dann darauf an, was die Vergleichsparteien konkret vereinbart haben. Zu beachten ist im Weiteren die fehlende Bindung von nicht an der Vergleichsvereinbarung beteiligten Dritten. Dies gilt insbesondere im Hinblick darauf, dass diese durch den Inhalt des Vergleichs und dessen Umsetzung in eigenen Rechten i.S.v. § 97 Abs. 6 verletzt sein können und daher ggf. berechtigt sind, dies auch eigenständig geltend zu machen. In Betracht kommt dies etwa in Fällen, in denen im Vergleichswege Einzelheiten der beauftragten Leistung, Kriterien der Angebotswertung o.ä. verändert werden oder auch nur das Angebot des Antragstellers neu bewertet werden soll, nicht hingegen auch die Angebote anderer Bieter. Dies setzt daher den Möglichkeiten eines Vergleichs im Nachprüfungsverfahren entsprechende Grenzen. b) Fallkonstellationen Wenn ein erledigendes Ereignis eingetreten ist und der ursprüngliche Antrag 50 durch den Antragsteller weiterverfolgt wird, muss über ihn entschieden werden. Er ist zwangsläufig (als unbegründet oder bereits als unzulässig) abzulehnen6. Wird bei Vorliegen eines erledigenden Ereignisses der ursprüngliche Antrag 51 nicht aufrechterhalten und durch einen der Beteiligten (Rz. 56) ein Fortsetzungsfeststellungsantrag nach § 168 Abs. 2 Satz 2 gestellt, ist allein über diesen zu entscheiden. Sofern der Antragsteller seinen ursprünglichen Antrag trotz eines erledigenden Ereignisses als Hauptantrag aufrechterhält, ist zunächst dieser Antrag abzulehnen (Rz. 50). Sodann ist über den Fortsetzungsfeststellungsantrag 1 Ablehnend Dreher in Immenga/Mestmäcker, GWB, § 114 Rz. 43; allgemein zum Vergleich im Nachprüfungsverfahren Conrad, ZfBR 2014, 658; Dreher/Glöckle, NZBau 2015, 459 (529). 2 OLG Frankfurt v. 16.10.2012 – 11 Verg 9/11, NZBau 2012, 795. 3 Zur Verbindung dieser beiden Rechtsinstitute Dreher/Glöckle, NZBau 2015, 459 (460 f.). 4 Thiele in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum Vergaberecht, § 168 Rz. 79. 5 Vgl. Dreher/Glöckle, NZBau 2015, 459 (459 f.). 6 Dreher in Immenga/Mestmäcker, GWB, § 114 Rz. 48; Byok in Byok/Jaeger, Kommentar zum Vergaberecht, § 114 Rz. 20; a.A. Boesen, Vergaberecht, § 114 Rz. 81.

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§ 168 | Entscheidung der Vergabekammer eines der Beteiligten, ggf. auch über den Fortsetzungsfeststellungsantrag, den der Antragsteller selbst hilfsweise gestellt hat, zu entscheiden. 52 Wenn kein erledigendes Ereignis vorliegt, gleichwohl jedoch durch einen der

Beteiligten ein Fortsetzungsfeststellungsantrag gestellt wird, ist wiederum zunächst über den ursprünglichen Antrag zu befinden, wenn dieser aufrechterhalten wurde (zur übereinstimmenden Erledigungserklärung von Antragsteller und Antragsgegner s. Rz. 46). Über den Feststellungsantrag ist ebenfalls zu entscheiden. Er ist jedoch in der Regel bereits als unzulässig abzulehnen, es sei denn, er wurde lediglich hilfsweise gestellt1. In diesem Fall ist gar nicht mehr über ihn zu befinden.

53 Wenn kein erledigendes Ereignis vorliegt, der ursprünglich durch den Antrag-

steller verfolgte Antrag nicht aufrechterhalten wird und stattdessen nur noch ein Feststellungsantrag durch einen der Beteiligten (Rz. 56) gestellt wird, ist dieser als unzulässig abzulehnen. In diesem Fall fehlt es an den objektiven Voraussetzungen des § 168 Abs. 2 Satz 2. Überdies ist das in einem solchen Fall noch mögliche Leistungsbegehren vorrangig2. Etwas anderes gilt nur dann, wenn Antragsteller und Antragsgegner übereinstimmend das Nachprüfungsverfahren für erledigt erklärt haben (Rz. 47). In diesem Fall liegt eine Erledigung in sonstiger Weise vor, die es ermöglicht, einen Fortsetzungsfeststellungsantrag zu stellen. c) Zeitpunkt der Erledigung

54 Die Erledigung muss grundsätzlich nach Beginn des Nachprüfungsverfahrens

eingetreten sein (zum Beginn des Nachprüfungsverfahrens als Verwaltungsverfahren i.S.v. § 9 VwVfG § 160 Rz. 10)3. Ein Nachprüfungsantrag, der sich bereits vor Beginn des Nachprüfungsverfahrens, wenn auch möglicherweise erst nach Antragstellung, erledigt hat, ist (offensichtlich) unzulässig4. Über ihn muss der öffentliche Auftraggeber daher nicht gemäß § 169 Abs. 1 zur Auslösung des Zuschlagsverbotes informiert werden (s. im Einzelnen § 169 Rz. 7 ff., § 163 Rz. 14).

1 So im Ergebnis wohl auch OLG Naumburg v. 4.9.2001 – 1 Verg 8/01, ZVgR 2001, 69. 2 OLG Naumburg v. 4.9.2001 – 1 Verg 8/01, ZVgR 2001, 69. 3 BGH v. 19.12.2000 – X ZB 14/00, VergabeR 2001, 71; OLG Düsseldorf v. 23.5.2007 – Verg 14/07; KG v. 7.6.2000 – Kart Verg 3/00, NZBau 2000, 531; VK Sachsen-Anhalt v. 15.1.2008 – VK 2 LVwALSA 28/07; VK Brandenburg v. 10.6.2005 – VK 18/05; Dreher in Immenga/Mestmäcker, GWB, § 114 Rz. 60; anders Höfler, NJW 2000, 120 (121); differenzierend Meyer, WuW 1999, 567 (569 ff.). 4 OLG Düsseldorf v. 4.5.2009 – VII Verg 68/08, VergabeR 2009, 905 (909); Schweda in Langen/Bunte, Kommentar zum deutschen und europäischen Kartellrecht, § 114 Rz. 12; a.A. Thiele in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum Vergaberecht, § 168 Rz. 83; Gröning, ZIP 1999, 52 (56); Byok in Byok/Jaeger, Kommentar zum Vergaberecht, § 114 Rz. 19; Antweiler, NZBau 2005, 35 (37), die eine Einreichung des Nachprüfungsantrags bei der Vergabekammer genügen lassen, um eine Erledigung des Nachprüfungsverfahrens zu bejahen.

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Etwas anderes gilt dann, wenn sich der Antragsteller gegen die Aufhebung einer 55 Ausschreibung wendet. In diesem Fall ist die nachfolgende Umstellung auf einen Feststellungsantrag, der auf die Prüfung der Frage gerichtet ist, ob die Aufhebung oder sonstige Beendigung des Vergabeverfahrens in Übereinstimmung mit den vergaberechtlichen Anforderungen erfolgt ist, auch dann zulässig, wenn die Entscheidung des Auftraggebers über die Aufhebung oder sonstige Beendigung des Vergabeverfahrens bereits vor Beginn des Nachprüfungsverfahrens erfolgt ist1. 2. Antrag Allein die Erledigung (Rz. 40 ff.) genügt nicht dafür, dass die Vergabekammer 56 eine Fortsetzungsfeststellungsentscheidung trifft. Dies bedarf vielmehr eines gesonderten Antrages2. Dieser Antrag kann anders als im Verwaltungsprozess3 nicht nur durch den Antragsteller sondern durch jeden Verfahrensbeteiligten i.S. von § 162 gestellt werden, auch als Hilfsantrag4. Auch hierbei ist allerdings die Dipositionsbefugnis des Antragstellers zu be- 57 rücksichtigen. Der Fortsetzungsfeststellungsantrag kann nur in einem noch anhängigen, wenn auch erledigten Nachprüfungsverfahren gestellt werden. Nimmt der Antragsteller den Nachprüfungsantrag zurück, kommt auch ein Fortsetzungsfeststellungsantrag nicht mehr in Betracht (s. Rz. 48). Dieser muss also vor einer etwaigen Antragsrücknahme gestellt und auch durch die Vergabekammer beschieden worden sein. Für den Fortsetzungsfeststellungsantrag bestehen keine besonderen Formerfor- 58 dernisse. Er kann daher schriftlich, aber auch im Rahmen der mündlichen Verhandlung (§ 166) mündlich gestellt werden5. 3. Fortsetzungsfeststellungsinteresse Unabhängig davon, dass jeder Verfahrensbeteiligte die Feststellung beantragen 59 kann, ob eine Rechtsverletzung vorgelegen hat oder nicht, ist dafür ein entspre1 EuGH v. 2.6.2005 – C 15/04; BGH v. 18.2.2003 – X ZB 43/02; OLG Celle v. 10.3.2016 – 13 Verg 5/15, NZBau 2016, 385; OLG Düsseldorf v. 27.7.2005 – Verg 108/04; VK RheinlandPfalz v. 13.8.2009 – VK 1-39/09; VK Südbayern v. 17.8.2004 – 20-04/04; Burbulla, ZfBR 2009, 134; Conrad, NZBau 2007, 287; Jasper/Pooth, NZBau 2003, 261; a.A. Antweiler, NZBau 2005, 35; Heuvels in Loewenheim/Meessen/Riesenkampff, Kartellrecht, § 114 Rz. 17. 2 Thiele in Müller-Wrede, Kompendium des Vergaberechts, Kap. 28, Rz. 84. 3 Redeker in Redeker/v. Oertzen, VwGO, § 113 Rz. 43. 4 Dreher in Immenga/Mestmäcker, GWB, § 114 Rz. 51, 57; Byok in Byok/Jaeger, Kommentar zum Vergaberecht, § 114 Rz. 20. 5 Byok in Byok/Jaeger, Kommentar zum Vergaberecht, § 114 Rz. 20; Boesen, Vergaberecht, § 114 Rz. 70.

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§ 168 | Entscheidung der Vergabekammer chendes Rechtsschutzinteresse erforderlich (Fortsetzungsfeststellungsinteresse)1. Dieses muss zum Zeitpunkt der Entscheidung der Vergabekammer vorliegen. Fällt ein ursprünglich möglicherweise gegebenes Feststellungsinteresse bis zu diesem Zeitpunkt weg, führt dies zur Unzulässigkeit des Fortsetzungsfeststellungsantrags2. Als hinreichendes Feststellungsinteresse ist jedes nach vernünftigen Erwägungen und nach Lage des Falles anzuerkennende Interesse rechtlicher, wirtschaftlicher oder auch ideeller Art ausreichend, wobei die beantragte Feststellung geeignet sein muss, die Rechtsposition des Antragstellers in einem der genannten Bereiche zu verbessern und eine Beeinträchtigung seiner Rechte auszugleichen oder wenigstens zu mildern3. 60 Für den Antragsteller ergibt sich ein solches Fortsetzungsfeststellungsinteresse

häufig aus der Möglichkeit eines zumindest nicht aussichtslosen Schadensersatzanspruchs4. Dafür hat die Entscheidung der Vergabekammer, auch wenn sie nicht zwingende Voraussetzung für eine Schadensersatzklage ist5, gemäß § 179 Bindungswirkung (dazu § 179 Rz. 3 ff.). Dasselbe Interesse kann aus der umgekehrten Perspektive für den Antragsgegner oder auch für beigeladene Unternehmen bestehen6. Des Weiteren ist ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse wegen einer (konkreten) Wiederholungsgefahr in Bezug auf einen nach Auffassung des Antragstellers vor Erledigung begangenen Vergaberechtsverstoß in Betracht zu ziehen7. Eine Wiederholungsgefahr fehlt in derartigen Fällen allerdings

1 OLG München v. 19.7.2012 – Verg 8/12; NZBau 2014, 658; OLG Koblenz v. 4.2.2009 – 1 Verg 4/08, VergabeR 2009, 682; OLG Düsseldorf v. 22.5.2002 – Verg 6/02, NZBau 2002, 583; OLG Düsseldorf v. 5.7.2000 – Verg 5/99, NZBau 2001, 106; VK Lüneburg v. 30.6. 2008 – VgK-07/2008; VK Bund v. 21.5.2008 – VK 2-40/08; Boesen, Vergaberecht, § 114 Rz. 73 ff.; Thiele in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum Vergaberecht, § 168 Rz. 84 f.; Byok in Byok/Jaeger, Kommentar zum Vergaberecht, § 114 Rz. 21; anders Dreher in Immenga/Mestmäcker, GWB, § 114 Rz. 55, der dieses Feststellungsinteresse im Sinne eines allgemeinen Rechtsschutzbedürfnisses versteht. 2 VK Bund v. 21.5.2008 – VK 2-40/08. 3 S. etwa OLG Düsseldorf v. 24.9.2014 – VII-Verg 19/14, VergabeR 2015, 597; OLG Karlsruhe v. 7.5.2014 – 15 Verg 4/13; OLG Sachsen-Anhalt v. 23.4.2009 – 1 Verg 7/08, VergabeR 2009, 793; OLG Frankfurt v. 6.5.2003 – 11 Verg 3/02, VergabeR 2003, 349; Thiele in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum Vergaberecht, § 168 Rz. 85; Byok in Byok/ Jaeger, Kommentar zum Vergaberecht, § 114 Rz. 21. 4 S. etwa OLG Düsseldorf v. 30.4.2014 – VII-Verg 35/13, NZBau 2014, 589; OLG Celle v. 23.2.2010 – 13 Verg 1/10; OLG Düsseldorf v. 4.5.2009 – VII Verg 68/08, VergabeR 2009, 905 (920); OLG Düsseldorf v. 5.7.2000 – Verg 5/99, NZBau 2001, 106; VK Nordbayern v. 27.6.2008 – 21. VK-3194-10/08; Thiele in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum Vergaberecht, § 168 Rz. 86 ff., Thiele in Müller-Wrede, Kompendium des Vergaberechts, Kap. 28, Rz. 84. 5 OLG Naumburg v. 23.12.2014 – 2 U 74/14, ZfBR 2015, 509. 6 Dreher in Immenga/Mestmäcker, GWB, § 114 Rz. 50 f. 7 OLG Celle v. 30.10.2014 – 13 Verg 8/14, NZBau 2014, 780; OLG Brandenburg v. 29.1. 2013 – Verg W 9/12; OLG Düsseldorf v. 4.5.2009 – VII Verg 68/08, VergabeR 2009, 905

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zumeist dann, wenn der Antragsgegner ausdrücklich erklärt, dass er die Leistung nicht mehr oder nur in einem völlig umgestaltenen Verfahren vergeben will1. Ebenfalls reicht es für ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse nicht aus, wenn der Verfahrensbeteiligte, der den Fortsetzungsfeststellungsantrag gestellt hat, damit lediglich eine für ihn günstige Kostenentscheidung der Vergabekammer erreichen möchte2. Denn wenn sich das Nachprüfungsverfahren zugunsten des Antragstellers erledigt, in erster Linie also durch eine Abhilfeentscheidung der Vergabestelle zu seinen Gunsten, hat sie ohnehin die Kosten des Verfahrens sowie die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen des Antragstellers zu erstatten3. Eines gesonderten Fortsetzungsfeststellungsantrags bedarf es dafür nicht. 4. Wegfall des Beschleunigungsgebotes, keine Ablehnungsfiktion Gemäß § 168 Abs. 2 Satz 3 gilt für das Fortsetzungsfeststellungsverfahren § 167 61 Abs. 1 nicht. Dies ist folgerichtig, weil für die Fortsetzungsfeststellungsentscheidung der Vergabekammer kein besonderer und von sonstigen Verwaltungsverfahren abweichender Zeitdruck mehr besteht4. Der Wegfall des Beschleunigungsgebotes schließt auch die an das Beschleunigungsgebot anknüpfende Ablehnungsfiktion des § 171 Abs. 2 ein5. Voraussetzung ist allerdings, dass tatsächlich ein erledigendes Ereignis vorliegt (Rz. 40 ff.), zumindest in Form von übereinstimmenden Erledigungserklärungen durch Antragsteller und Antragsgegner (Rz. 46). Auch bei Wegfall des Beschleunigungsgebotes nach § 167 Abs. 1 verbleibt es jedoch dabei, dass das Verfahren zügig durchzuführen ist (§ 10 Satz 2 VwVfG). 5. Rechtsmittel Die Fortsetzungsfeststellungsentscheidung der Vergabekammer ist eine Ent- 62 scheidung i.S.v. § 168 Abs. 3 Satz 1 und § 171 Abs. 1. Rechtsmittel ist also die sofortige Beschwerde.

1 2 3 4 5

(920); OLG Düsseldorf v. 22.5.2002 – Verg 6/02, NZBau 2002, 583; VK Nordbayern v. 27.6.2008 – 21. VK-3194-10/08; s. Thiele in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum Vergaberecht, § 168 Rz. 85, 95, Thiele in Müller-Wrede, Kompendium des Vergaberechts, Kap. 28, Rz. 84. OLG Koblenz v. 4.2.2009 – 1 Verg 4/08, VergabeR 2009, 682; Dicks, ZfBR 2010, 339 (342 ff.). VK Brandenburg v. 9.9.2005 – VK 33/05; VK Bund v. 21.5.2008 – VK 2-40/08; i.E. auch OLG Düsseldorf v. 2.3.2005 – VII Verg 70/04; VK Lüneburg v. 2.12.2008 – VgK-41/08; VK Lüneburg v. 26.6.2007 – VgK-29/2007. VK Köln v. 19.8.2009 – VK VOB 11/2009. Thiele in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum Vergaberecht, § 168 Rz. 100. OLG Naumburg v. 4.9.2001 – 1 Verg 8/01, ZVgR 2001, 69; Byok in Byok/Jaeger, Kommentar zum Vergaberecht, § 114 Rz. 24.

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§ 168 | Entscheidung der Vergabekammer VI. Entscheidung durch Verwaltungsakt (§ 168 Abs. 3 Satz 1) 1. Form der Entscheidung 63 § 168 Abs. 3 Satz 1 regelt ausdrücklich, dass die Vergabekammer durch Verwal-

tungsakt i.S.v. § 35 VwVfG (des Bundes bzw. des Landes, zu dem die Vergabekammer gehört) entscheidet. Dies liegt bei einem Verwaltungsverfahren auf der Hand, zumal eine Entscheidung durch Urteil wegen der Behördenqualität der Vergabekammer nicht in Betracht kommt.

64 Die formellen Anforderungen, die an die Entscheidung der Vergabekammer

als Verwaltungsakt zu stellen sind, haben nicht unerhebliche Bedeutung. Zwar können Verfahrens- und Formfehler in den meisten Fällen geheilt werden (§ 45 VwVfG) oder sind nach § 46 VwVfG unbeachtlich, jedoch gibt es auch Verfahrensfehler, die sich im Rahmen der vergaberechtlichen Nachprüfung in besonderer Weise auswirken. Dies gilt insbesondere für formelle Anforderungen, die ggf. die Wirksamkeit der Entscheidung als solche in Frage stellen und damit die Ablehnungsfiktion des § 171 Abs. 2 Halbs. 2 auslösen können. Dies ist etwa im Zusammenhang mit der ordnungsgemäßen Unterzeichnung der Nachprüfungsentscheidung wiederholt aktuell geworden (s. noch Rz. 76 f.; zur Unzuständigkeit der entscheidenden Vergabekammer s. § 161 Rz. 7 f.).

65 Welche konkreten Anforderungen an die Nachprüfungsentscheidung der Ver-

gabekammer zu stellen sind, ergibt sich aus einer Zusammenschau verschiedener Rechtsquellen und der zwischen ihnen bestehenden Rangfolge. An erster Stelle stehen dabei die aus der Verfassung abzuleitenden rechtsstaatlichen Mindestanforderungen, die losgelöst von jeder einfachgesetzlichen Ausgestaltung verlangen, dass die von der Vergabekammer zu treffende Entscheidung hinreichend bestimmt sein und ihre Authentizität feststehen muss. Bei den einfachgesetzlichen Anforderungen gelten vorrangig die Bestimmungen im 4. Teil des GWB. Danach erfolgt die Entscheidung zwingend durch Erlaß eines Verwaltungsaktes (§ 35 VwVfG, s. Rz. 63), der schriftlich ergehen und begründet werden muss (§ 167 Abs. 1 Satz 1). Im Rahmen der einfachgesetzlichen Bestimmungen gilt für die formellen Anforderungen an die Entscheidung der Vergabekammer des Weiteren § 168 Abs. 3 Satz 3 i.V.m. § 61. § 61 ist jedoch nur insoweit maßgeblich, wie der 4. Teil des GWB, im Wesentlichen also die §§ 167 und 168, keine abschließenden Regelungen enthalten. Daher ergibt sich aus dieser Vorschrift zusätzlich im Wesentlichen nur, dass die Entscheidung der Vergabekammer mit einer Rechtsmittelbelehrung zu versehen ist und nach den Vorschriften des Verwaltungszustellungsgesetzes zugestellt werden muss1. Soweit der 4. Teil des GWB und der in § 168 Abs. 3 Satz 3 in Bezug genommene § 61 keine abschließenden Regelungen enthalten, gelten ergän-

1 Schweda in Langen/Bunte, Kommentar zum deutschen und europäischen Kartellrecht, § 114 Rz. 9.

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Entscheidung der Vergabekammer | § 168

zend spezialgesetzliche Regelungen des Bundes oder der Länder. Existieren spezielle Bestimmungen für die Entscheidung der Vergabekammer nicht oder sind sie wiederum nicht abschließend, ist auf das Verwaltungsverfahrensgesetz des Bundes und auf die Verwaltungsverfahrensgesetze der Länder für die in ihrem jeweiligen Verantwortungsbereich tätigen Vergabekammern zurückzugreifen (vgl. § 1 Abs. 1 und Abs. 3 VwVfG)1. Dies ist die zwingende Konsequenz daraus, dass es sich bei der Vergabekammer um eine Behörde i.S. von § 1 Abs. 4 VwVfG handelt, die im Rahmen eines Verwaltungsverfahrens tätig wird (§ 160 Rz. 6) und durch Erlass eines Verwaltungsaktes i.S.v. § 35 VwVfG entscheidet. Ebenfalls von Bedeutung sein können für die Tätigkeit der Vergabekammern 66 des Bundes und der Länder ihre jeweiligen Geschäftsordnungen. Als reines Innenrecht können sie allerdings die vorstehend genannten materiell-rechtlichen Anforderungen nicht abbedingen oder modifizieren (s. dazu § 158 Rz. 13; zur Unterzeichnung der Vergabekammerentscheidung s. noch Rz. 76). Die vorstehend aufgeführten Bestimmungen gelten für die Entscheidungen der 67 Vergabekammer unmittelbar. Eine zusätzliche Heranziehung anderer Vorschriften, insbesondere der Verwaltungsgerichtsordnung oder der Zivilprozessordnung, kommt nur dann in Betracht, wenn die Voraussetzungen für eine analoge Anwendung derartiger Bestimmungen vorliegen, insbesondere also eine Regelungslücke besteht. Dies ist allerdings hinsichtlich der wesentlichen formellen Anforderungen an Vergabekammerentscheidungen nicht der Fall. Auch bei Erledigung des Nachprüfungsverfahrens (Fortsetzungsfeststellungs- 68 entscheidung, Sachentscheidung über den Nachprüfungsantrag, Einstellung des Verfahrens einschließlich Kostenentscheidung bei Erledigung ohne zusätzlichen Fortsetzungsfeststellungsantrag, s. Rz. 40 ff.) ergeht eine Entscheidung durch Verwaltungsakt. Daher gelten auch die ansonsten für die Entscheidung der Vergabekammer maßgeblichen Anforderungen (Rz. 63 ff.) in gleicher Weise. 2. Entscheidungsinhalt Die Entscheidung der Vergabekammer muss schriftlich ergehen und begründet 69 werden (§ 167 Abs. 1 Satz 1). Sie ist darüber hinaus mit einer Rechtsmittelbelehrung zu versehen (§ 168 Abs. 3 Satz 3 i.V.m. § 61). Eine Gliederung für den Aufbau der Vergabekammerentscheidung ist teilweise in den Geschäftsordnungen der Vergabekammern enthalten.

1 S. etwa VK Münster v. 9.9.2009 – VK 7/09.

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§ 168 | Entscheidung der Vergabekammer a) Entscheidungstenor 70 Damit eine Begründung der Entscheidung überhaupt möglich ist, bedarf es einer

hinreichend bestimmten Regelung (§ 37 Abs. 1 VwVfG)1. Das bedeutet insbesondere für eine dem Nachprüfungsantrag ganz oder teilweise stattgebende Entscheidung, dass eine präzise und damit ggf. auch vollstreckbare Tenorierung erfolgen muss. Für den Antragsgegner muss – zumindest unter Hinzunahme der Entscheidungsbegründung, die wie auch sonst bei Verwaltungsakten zur Auslegung herangezogen werden kann – eindeutig erkennbar sein, wie er sich zu verhalten hat. b) Entscheidungsbegründung

71 Die Begründung der Entscheidung muss die wesentlichen tatsächlichen und

rechtlichen Gründe darlegen, auf denen sie beruht. Die Anforderungen an Umfang und Vollständigkeit sind dabei einzelfallabhängig. Je umfangreicher und präziser der Sachvortrag der Verfahrensbeteiligten war, desto höhere Ansprüche sind an die Entscheidungsbegründung zu stellen. Andererseits ist die Vergabekammer nicht verpflichtet, sich auch mit fernliegenden oder gar abwegigen Ausführungen der Verfahrensbeteiligten detailliert zu befassen2.

72 Ist die Begründung unzureichend, führt dies zu einem Verfahrensfehler, der al-

lerdings nicht gesondert beanstandet werden kann (§ 46 VwVfG). Vielmehr kommt lediglich die Einlegung der sofortigen Beschwerde gemäß den §§ 171 ff. in Betracht. c) Rechtsmittelbelehrung

73 Die Entscheidung muss eine Rechtsmittelbelehrung enthalten (§ 168 Abs. 3 Satz 3

i.V.m. § 61). Weder in § 168 Abs. 3 noch in § 61 ist geregelt, wie die Belehrung aussehen muss. Aus dem Wortlaut des § 61 wonach „über das zulässige Rechtsmittel“ belehrt werden muss, hat die Rechtsprechung gefolgert, dass sich die Rechtsmittelbelehrung auf alle Umstände zu erstrecken habe, die Voraussetzung für ein zulässiges Rechtsmittel sind, wie z.B. den bestehenden Anwaltszwang3. Im Übrigen wird man hierfür § 58 Abs. 1 VwGO analog heranziehen können4. Danach muss die Belehrung darüber informieren, dass gegen die Entscheidung

1 S. etwa OLG Schleswig v. 13.2.2001 – 6 Verg 1/2001, VergabeR 2001, 214; Thiele in Müller-Wrede, Kompendium des Vergaberechts, Kap. 28, Rz. 81. 2 OLG Schleswig v. 13.2.2001 – 6 Verg 1/2001, VergabeR 2001, 214; Dreher in Immenga/ Mestmäcker, GWB, § 114 Rz. 70; Boesen, Vergaberecht, § 114 Rz. 89 f.; allgemein U. Stelkens in Stelkens/Bonk/Sachs, Verwaltungsverfahrensgesetz, § 39 Rz. 43 ff. 3 OLG Celle v. 31.5.2007 – 13 Verg 1/07, VergabeR 2007, 692. 4 So auch Heuvels in Loewenheim/Meessen/Riesenkampff, Kartellrecht, § 114 Rz. 11; Schweda in Langen/Bunte, Kommentar zum deutschen und europäischen Kartellrecht, § 114 Rz. 9.

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Entscheidung der Vergabekammer | § 168

der Vergabekammer die sofortige Beschwerde zulässig und bei welchem Gericht sie einzulegen ist. Ebenfalls muss über die dafür einzuhaltende Frist belehrt werden. Obgleich sich dies nicht aus dem Wortlaut des § 58 VwGO ergibt, gilt die Belehrungspflicht auch für zwingende Formvorschriften, die sich für die sofortige Beschwerde aus § 172 Abs. 2 bis 4 ergeben1. Ist die Rechtsmittelbelehrung unterblieben oder fehlerhaft, gilt nicht die Jah- 74 resfrist gemäß § 58 Abs. 2 VwGO2. Vielmehr greift § 172 Abs. 1 Alternative 2 ein, nach dem die Beschwerdefrist selbst bei einer gänzlich fehlenden Entscheidung innerhalb der 5-Wochen-Frist des § 167 Abs. 1 für den Antragsteller zu laufen beginnt, da sein Antrag in diesem Fall als abgelehnt gilt. Für den Antragsgegner und die weiteren Verfahrensbeteiligten gilt diese Fristenregelung entsprechend, da nicht erkennbar ist, warum ihnen eine längere Frist eingeräumt sein sollte als dem Antragsteller. d) Kostenentscheidung Gemäß § 182 ist durch die Vergabekammer über die Kosten des Verfahrens zu 75 entscheiden. Die Entscheidung soll, soweit möglich, zusammen mit der Sachentscheidung ergehen (§ 13 Bundesgebührengesetz). Sie kann allerdings auch in einem gesonderten Beschluss erfolgen, muss also nicht zwingend bereits in der Nachprüfungsentscheidung enthalten sein (s. im Einzelnen § 182 Rz. 4 ff., 21)3. Die aufschiebende Wirkung einer sofortigen Beschwerde gemäß § 173 Abs. 1 gegen die Entscheidung der Vergabekammer über den Nachprüfungsantrag erstreckt sich nicht auf die Kostenentscheidung (s. § 173 Rz. 4). Der Kostenerstattungsanspruch wird daher mit der Entscheidung der Vergabekammer fällig (s. im Einzelnen die Kommentierung zu § 182). e) Unterschrift Es muss bereits aus verfassungsrechtlichen Gründen sichergestellt sein, dass es 76 sich bei der Entscheidung der Vergabekammer nicht nur um einen Entwurf handelt und dass der Inhalt der Entscheidung mit dem Willen des Entschei1 Redeker in Redeker/v. Oertzen, VwGO, § 58 Rz. 9; ebenso BSG v. 11.2.1958 – 10 RV 123/ 56, BSGE 7, 1 (2 f.); anders BVerwG v. 27.2.1976 – IV C 74.74, BVerwGE 50, 248 (250). 2 Ebenso Heuvels in Loewenheim/Meessen/Riesenkampff, Kartellrecht, § 114 Rz. 11; Boesen, Vergaberecht, § 114 Rz. 95; Wilke; NZBau 2005, 326; offen lassend: Antweiler in Burgi/Dreher, § 168 Rz. 78; a.A. OLG Celle v. 31.5.2007 – 13 Verg 1/07, VergabeR 2007, 692; Thiele in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum Vergaberecht, § 168 Rz. 107; Jaeger in Byok/Jaeger, § 117 Rz. 7; Schweda in Langen/Bunte, Kommentar zum deutschen und europäischen Kartellrecht, § 114 Rz. 9. 3 Dreher in Immenga/Mestmäcker, GWB, § 114 Rz. 69; Boesen, Vergaberecht, § 114 Rz. 91; s. auch § 8 Abs. 1 der Geschäftsordnung der Vergabekammern des Bundes, Anhang II.

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§ 168 | Entscheidung der Vergabekammer dungsorgans, also der Vergabekammer, übereinstimmt (Authentizität). Um diesen Anforderungen zu genügen, ist es unverzichtbar, dass die Entscheidung der Vergabekammer unterschrieben wird. Aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht notwendig ist es hingegen, dass die Entscheidung der Vergabekammer durch sämtliche Mitglieder unterschrieben wird, die an ihr mitgewirkt haben1. 77 Ob über diese Erfordernisse hinausgehend weitere Anforderungen an die Unter-

zeichnung der Vergabekammerentscheidung bestehen, richtet sich nach einfachem Recht. Weder der 4. Teil des GWB noch der in § 168 Abs. 3 Satz 3 in Bezug genommene § 61 enthalten hierzu besondere Erfordernisse. Maßgeblich sind daher nach der unter Rz. 65 dargestellten Normenhierarchie sonstige spezialgesetzliche Regelungen des Bundes oder der Länder zum Nachprüfungsrecht2 und, sofern solche nicht bestehen, die Regelungen der Verwaltungsverfahrensgesetze des Bundes und der Länder, die sich auf die formellen Anforderungen an einen Verwaltungsakt beziehen. Da spezielle bundes- und landesrechtliche Ausführungsbestimmungen zur Unterzeichnung der Vergabekammerentscheidung in der Regel nicht existieren, findet ersatzweise § 37 Abs. 3 VwVfG Anwendung, nach dem ein schriftlicher Verwaltungsakt die Unterschrift oder die Namenswiedergabe des Behördenleiters, seines Vertreters oder seines Beauftragten enthalten muss. Zumeist ist daher bei einer Kollegialentscheidung nur die Unterschrift des Vorsitzenden des Kollegiums, also hier des Vorsitzenden der Vergabekammer, notwendig3. An dieser gesetzlichen Bestimmung können etwaige Regelungen in der Geschäftsordnung der betreffenden Vergabekammer nichts ändern, da sie das außenwirksame materielle Recht nicht außer Kraft setzen können (s. Rz. 66 sowie § 158 Rz. 13)4. Vielmehr kann die Geschäftsordnung insofern allenfalls die ohnehin geltende materielle Rechtslage (deklaratorisch) bestätigen. 3. Zustellung

78 Die Bekanntgabe der Nachprüfungsentscheidung durch die Vergabekammer ge-

genüber den Verfahrensbeteiligten erfolgt mittels Zustellung gemäß § 168 Abs. 3 Satz 3 i.V.m. § 61 nach den Vorschriften des Verwaltungszustellungsgesetzes des Bundes (zur nach § 61 Abs. 1 Satz 3 notwendigen Benennung eines Zustel-

1 BGH v. 12.6.2001 – X ZB 10/01, VergabeR 2001, 286; Byok in Byok/Jaeger, Kommentar zum Vergaberecht, § 114 Rz. 26. 2 S. zu den Ausführungsbestimmungen der Länder Anhang II.1. 3 Dreher in Immenga/Mestmäcker, GWB, § 114 Rz. 70; U. Stelkens in Stelkens/Bonk/ Sachs, Verwaltungsverfahrensgesetz, § 37 Rz. 99. 4 So aber wohl BGH v. 12.6.2001 – X ZB 10/01, VergabeR 2001, 286; noch anders etwa OLG Düsseldorf v. 5.10.2001 – Verg 18/01, VergabeR 2002, 89, nach dessen Auffassung die Entscheidung durch alle Mitglieder der Vergabekammer, die an der Entscheidung mitgewirkt haben, unterzeichnet werden müsse; ebenfalls anders OLG Jena v. 28.2.2001 – 6 Verg 8/00, VergabeR 2001, 159, das § 117 Abs. 1 Satz 4 VwGO analog anwendet.

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Entscheidung der Vergabekammer | § 168

lungsbevollmächtigten s. § 161 Rz. 20, § 162 Rz. 37)1. Spätestens mit Einleitung der Zustellung kann die Vergabekammer ihre eigene Entscheidung nicht mehr aufheben, auch wenn zwischenzeitlich der Nachprüfungsantrag zurückgenommen wurde. In diesem Fall bleibt ggf. nur noch die Möglichkeit, sofortige Beschwerde gegen die Entscheidung der Vergabekammer einzulegen und den Nachprüfungsantrag im Beschwerdeverfahren zurückzunehmen, wenn die Bestandskraft der Vergabekammerentscheidung vermieden werden soll2. Die Zustellung kann gemäß § 61 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 5 Abs. 4 VwZG auch per 79 Telefax erfolgen. Ebenfalls ist eine elektronische Zustellung nach Maßgabe von § 5 Abs. 4 bis 7 VwZG möglich. Es muss allerdings eindeutig sein, dass die Übermittlung per Telefax oder in elektronischer Form zum Zwecke der Zustellung erfolgt. Es darf sich also nicht nur um eine Vorabübersendung oder die Übersendung eines Entwurfs handeln. Dafür ist der per Telefax oder in elektronischer Form zu übermittelnden Entscheidung ein Empfangsbekenntnis beizufügen3. Ist die Zustellung fehlerhaft erfolgt, ist gemäß § 8 VwZG regelmäßig auf den Zeitpunkt abzustellen, zu dem der Empfänger den Beschluss der Vergabekammer nachweislich erhalten hat (zu damit verbundenen Problemen im Hinblick auf die Entscheidungsfrist von fünf Wochen s. § 167 Rz. 4 ff.). 4. Verstoß gegen formelle Anforderungen Es hängt von der Art und Schwere des Verstoßes gegen formelle Anforderungen 80 ab, welche Konsequenzen sich daraus ergeben. Die meisten Verfahrens- und Formfehler sind gemäß § 46 VwVfG unbeachtlich (z.B. eine nicht ausreichende Begründung der Entscheidung, Rz. 72). Für eine nicht ordnungsgemäße Rechtsmittelbelehrung wird auf Rz. 73 f. verwiesen. Leidet die Entscheidung der Vergabekammer unter einem der in § 44 VwVfG 81 genannten Nichtigkeitsgründe oder ist die Entscheidung mangels der notwendigen Unterschrift von vornherein gar nicht wirksam erlassen4, greift die Ablehnungsfiktion des § 171 Abs. 2 und damit einhergehend auch die Beschwerdefrist des § 172 Abs. 1. Der Antrag gilt also nach Ablauf der Fünf-Wochen-Frist des § 167 Abs. 1 als abgelehnt, so dass binnen weiterer zwei Wochen die sofortige Beschwerde beim Oberlandesgericht eingelegt werden muss. Allerdings entfaltet auch die nicht unterschriebene oder nichtige Entscheidung der Vergabe1 Dreher in Immenga/Mestmäcker, GWB, § 114 Rz. 72; Byok in Byok/Jaeger, Kommentar zum Vergaberecht, § 114 Rz. 25; Boesen, Vergaberecht, § 114 Rz. 96 ff. 2 VK Münster v. 9.9.2009 – VK 7/09; zur Möglichkeit, den Nachprüfungsantrag im Beschwerdeverfahren zurückzunehmen, s. BGH v. 24.3.2009 – X ZB 29/08. 3 BGH v. 10.11.2009 – X ZB 8/09, VergabeR 2010, 210; OLG Celle v. 17.7.2009 – 13 Verg 3/ 09, ZfBR 2009, 700; BayObLG v. 10.10.2000 – Verg 5/00, VergabeR 2001, 55; OLG Stuttgart v. 11.7.2000 – 2 Verg 5/00, NZBau 2001, 462. 4 OLG Düsseldorf v. 5.10.2001 – Verg 18/01, VergabeR 2002, 89.

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§ 168 | Entscheidung der Vergabekammer kammer zumindest den Rechtsschein einer wirksamen Entscheidung, so dass derjenige, der durch die (tatsächlich unwirksame) Entscheidung (vermeintlich) beschwert ist, dagegen sofortige Beschwerde einlegen kann. Ihm kann in diesem Fall nicht entgegengehalten werden, dass aufgrund der Unwirksamkeit der Entscheidung eine Beschwer tatsächlich nicht vorliegt1.

VII. Vollstreckung der Entscheidung 82 In § 168 Abs. 3 Satz 2 ist ausdrücklich die Geltung des Vollstreckungsrechts des

Bundes und der Länder2 auch gegen Hoheitsträger angeordnet. Dies gilt allerdings nicht für die Kostenerstattung zugunsten der obsiegenden Verfahrensbeteiligten. Diese richtet sich nach § 182 Abs. 4.

83 Die Entscheidung der Vergabekammer ist ein vollstreckbarer Verwaltungsakt

(vgl. § 6 VwVG, wenn sie wirksam ist, also insbesondere nicht an einem besonders schwerwiegenden Mangel leidet)3. Als Vollstreckungsmittel sind in § 9 VwVG bzw. den entsprechenden Vollstreckungsregelungen der Länder, denen die Vergabekammer angehört, die Ersatzvornahme, das Zwangsgeld und der unmittelbare Zwang vorgesehen. Praktische Bedeutung hat in erster Linie die Festsetzung eines Zwangsgeldes gem. § 11 VwVG. Allerdings ist der Zwangsgeldrahmen gemäß § 11 Abs. 3 VwVG (bis 25 000,00 Euro) eher gering und daher kaum geeignet, die erforderliche Druckwirkung zu erzeugen. Für die Verwaltungsvollstreckungsgesetze der Länder gilt überwiegend nichts anderes. Aus diesem Grunde verweist § 168 Abs. 3 Satz 3 ergänzend auf § 86a Satz 2, der einen Zwangsgeldrahmen von 1 000,00 Euro bis 10 Mio. Euro vorsieht (s. bereits Rz. 3)4. Dieser ist aufgrund dieses Verweises auch für die Vollstreckung von Entscheidungen der Vergabekammer maßgeblich5. Ausschlaggebend für diese Regelung des Gesetzgebers war der Umstand, dass in der Praxis Entscheidungen der Vergabekammern bisweilen schlichtweg ignoriert wurden6. Die Gesetzesbegründung nimmt hierzu ausdrücklich Bezug auf ein Verfahren, in dem die Bundeswehr mehrere tausend Paar Kampfstiefel beschaffen ließ, ohne ein Vergabeverfahren durchzuführen, obwohl die Vergabekammer und das Beschwerdegericht zuvor entschieden hatten, dass hierfür eine europaweite Ausschreibung durchzuführen sei7.

1 OLG Jena v. 28.2.2001 – 6 Verg 8/00, VergabeR 2001, 159; OLG Düsseldorf v. 22.1.2001 – Verg 24/00, VergabeR 2001, 154. 2 S. im Einzelnen Bischoff, VergabeR 2009, 433 ff. 3 OLG Naumburg v. 20.9.2012 – 2 Ver 4/12, VergabeR 2013, 55. 4 BT-Drucks. 16/10117, S. 23; dazu auch Brauer, NZBau 2009, 297 (299). 5 VK Arnsberg v. 6.2.2014 – 22/13/15/12/V, NZBau 2014, 254. 6 BT-Drucks. 16/10117, S. 23. 7 BKartA v. 12.12.2002 – VK 1 – 83/02; nachgehend OLG Düsseldorf v. 30.4.2003 – VII Verg 67/02, VergabeR 2003, 435; zum Vollstreckungsverfahren s. BKartA v. 17.11.2004 – VK 1 – 83/02.

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Entscheidung der Vergabekammer | § 168

Grundlage für die Verwaltungsvollstreckung ist der dem Nachprüfungsantrag 84 ganz oder zumindest teilweise stattgebende Beschluss der Vergabekammer, sofern er wirksam sowie bestandskräftig oder jedenfalls sofort vollziehbar ist, oder die Beschwerdeentscheidung des Oberlandesgerichts. Erforderlich ist, dass die Entscheidung nicht befolgt wird. Dafür müssen zumindest konkrete Anhaltspunkte vorliegen1. Zuständig für die Vollstreckung ist in beiden Fällen die Vergabekammer, sofern das Verwaltungsvollstreckungsgesetz des betreffenden Landes nichts Abweichendes bestimmt (vgl. § 7 Abs. 1 VwVG)2. Das Zwangsmittel ist zunächst anzudrohen (vgl. § 13 Abs. 1 VwVG), sofern 85 nicht die besonderen Voraussetzungen des § 6 Abs. 2 VwVG bzw. der entsprechenden Landesvorschrift vorliegen3. Allerdings kann gemäß § 13 Abs. 2 VwVG die Androhung bereits in der Entscheidung der Vergabekammer gemäß § 168 Abs. 3 Satz 1 enthalten sein. Die Androhung des Zwangsmittels muss hinreichend bestimmt erfolgen. Bei der Androhung eines Zwangsgeldes bedeutet dies, dass auch der konkrete Betrag genannt werden muss (vgl. § 13 Abs. 5 VwVG)4. Der Auftraggeber kann sich gegen die Androhung oder Festsetzung des 86 Zwangsmittels mit der sofortigen Beschwerde zum OLG gemäß den §§ 171 ff.5 zur Wehr setzen (vgl. § 18 VwVG). Kommt der Auftraggeber dem Beschluss der Vergabekammer bzw. der Beschwer- 87 deentscheidung des Oberlandesgerichts nicht nach und leitet die Vergabekammer nicht von Amts wegen Vollstreckungsmaßnahmen ein6, kann das Unternehmen, das in dem Nachprüfungsverfahren (ganz oder teilweise) obsiegt hat, bei der Vergabekammer die Einleitung von Vollstreckungsmaßnahmen beantragen7. Für ein anderes Unternehmen besteht diese Möglichkeit nicht, auch wenn es eine dem obsiegenden Antragsteller vergleichbare Interessenlage hat und daher ebenfalls von der Durchführung von Vollstreckungsmaßnahmen profitieren würde. 1 BKartA v. 2.9.2011 – VK3-62/11. 2 BKartA v. 2.9.2011 – VK3-62/11; OLG Düsseldorf v. 28.1.2002 – Verg 23/01; KG v. 24.10. 2001 – Kart Verg 10/01, VergabeR 2002, 1000; OLG Düsseldorf v. 29.12.2000 – Verg 31/ 00, VergabeR 2001, 62; Bischoff, VergabeR 2009, 433 (433); Thiele in Kulartz/Kus/Portz/ Prieß, Kommentar zum Vergaberecht, § 168 Rz. 116, 119 und 121; Byok in Byok/Jaeger, Kommentar zum Vergaberecht, § 114 Rz. 28. 3 KG v. 24.10.2001 – Kart Verg 10/01, VergabeR 2002, 1000; OLG Düsseldorf v. 29.12.2000 – Verg 31/00, VergabeR 2001, 62; VK Arnsberg v. 6.2.2014 – 22/13/15/12/V, NZBau 2014, 254; Byok in Byok/Jaeger, Kommentar zum Vergaberecht, § 114 Rz. 38. 4 KG v. 24.10.2001 – Kart Verg 10/01, VergabeR 2002, 1000; Thiele in Kulartz/Kus/Portz/ Prieß, Kommentar zum Vergaberecht, § 168 Rz. 150. 5 OLG Düsseldorf v. 10.3.2014 – VII-Verg 11/14, VergabeR 2014, 593; Schweda in Langen/ Bunte, Kommentar zum deutschen und europäischen Kartellrecht, § 114 Rz. 9. 6 Dreher in Immenga/Mestmäcker, GWB, § 114 Rz. 76; a.A. Bischoff, VergabeR 2009, 433 (434) m.w.N. (nur auf Antrag). 7 BKartA v. 2.9.2011 – VK3-62/11; Schweda in Langen/Bunte, Kommentar zum deutschen und europäischen Kartellrecht, § 114 Rz. 9.

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§ 168 | Entscheidung der Vergabekammer § 18 VwVG bezieht sich zwar nur auf Rechtsmittel gegen die Androhung oder Festsetzung von Zwangsmitteln, jedoch ist ein derartiger Antrag für die Effektivität des Rechtsschutzes auch zugunsten des obsiegenden Antragstellers (s. insbesondere noch Rz. 88) unverzichtbar. Ob sich die Zulässigkeit des Antrags dabei aus einer erweiternden Auslegung der vollstreckungsrechtlichen Bestimmungen1 oder aus den Bestimmungen über das Nachprüfungsverfahren (§§ 160 ff.)2 ergibt, ist in der Regel nicht von praktischer Bedeutung. Unzulässig ist allerdings ein erneuter Nachprüfungsantrag, mit dem wiederum nur das ursprüngliche Ziel des Antragstellers verfolgt wird und mit dem lediglich eine Wiederholung der Entscheidung der Vergabekammer erreicht werden könnte. Jedoch kann ein solcher Antrag ggf. so ausgelegt werden, dass nicht eine wiederholende Entscheidung sondern eine Vollstreckung der ursprünglichen Entscheidung begehrt wird3. Davon zu unterscheiden ist der Fall, dass nicht der Vergaberechtsverstoß in Rede steht, über den die Vergabekammer bereits entschieden hat, sondern eine andere Missachtung vergaberechtlicher Bestimmungen durch den Auftraggeber von dem betroffenen Unternehmen geltend gemacht wird, über die die Vergabekammer noch nicht entschieden hat. Gibt die Vergabekammer dem Antrag eines Unternehmens auf Einleitung von Vollstreckungsmaßnahmen nicht statt, ist dagegen die sofortige Beschwerde zum OLG gemäß den §§ 171 ff. zulässig. 88 Aus der Notwendigkeit einer etwaigen Vollstreckung der Nachprüfungsent-

scheidung ergibt sich, dass ein Zuschlag nach Abschluss des Nachprüfungsverfahrens unter Missachtung dieser Entscheidung nicht ohne weiteres nichtig ist4. Das Zuschlagsverbot gemäß § 169 Abs. 1 wirkt also zeitlich nicht über die Bestandskraft der Nachprüfungsentscheidung hinaus. Auch § 135 Abs. 1 Nr. 2 bezieht sich nur auf Auftragsvergaben ohne Beteiligung anderer Unternehmen, nicht hingegen auf Fälle, in denen andere Unternehmen zwar an dem Vergabeverfahren beteiligt werden, jedoch eine Zuschlagserteilung unter Verletzung von Rechten dieser Unternehmen erfolgt. Ansonsten bedürfte es der Vollstreckung nicht (s. auch § 169 Rz. 18). Allerdings kann ein unter Verstoß gegen die Entscheidung der Vergabekammer erfolgter Zuschlag insbesondere gegen § 138 BGB verstoßen und damit nichtig sein, wenn etwa derjenige, der den Zuschlag erhält, diese Umstände kennt und trotzdem den Vertrag abschließt (vgl. in diesem Zusammenhang o. Rz. 36; hinsichtlich der Zuschlagserteilung ohne vorhergehende Unterrichtung der unterlegenen Bewerber s. § 135 Rz. 8 ff.).

89 Ein gemäß § 135 Abs. 1 Nr. 1 zur Unwirksamkeit des Vertrages führender Ver-

stoß gegen § 134 kommt in Betracht, wenn es einer erneuten Vorabinformation

1 So KG v. 24.10.2001 – Kart Verg 10/01, VergabeR 2002, 1000. 2 So wohl OLG Düsseldorf v. 29.12.2000 – Verg 31/00, VergabeR 2001, 62; Byok in Byok/ Jaeger, Kommentar zum Vergaberecht, § 114 Rz. 30 ff. 3 OLG Düsseldorf v. 29.12.2000 – Verg 31/00, VergabeR 2001, 62. 4 So wohl auch OLG Düsseldorf v. 29.12.2000 – Verg 31/00, VergabeR 2001, 62; a.A. BayObLG v. 1.10.2001 – Verg 6/01, VergabeR 2002, 63; Boesen, EuZW 1998, 551 (558).

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Aussetzung des Vergabeverfahrens | § 169

der unterlegenen Bieter bedurfte, auch wenn sich an der Vergabeentscheidung als solcher trotz einer Befolgung des Beschlusses der Vergabekammer nichts geändert hat (z.B. bei einer Pflicht zur Neubewertung der Angebote, die dazu führt, dass auch der bisher bereits vorgesehene Bieter den Zuschlag erhalten soll). Eine Verwaltungsvollstreckung scheidet aus, wenn der Auftraggeber nicht der 90 Entscheidung der Vergabekammer nachkommt, weil er insgesamt von der Vergabe absieht (zur Erledigung Rz. 40 ff.). Es folgt also aus der Entscheidung der Vergabekammer keine Pflicht, das Vergabeverfahren (rechtmäßig) weiter zu betreiben (z.B. durch eine angeordnete Neubewertung der Angebote). Dies gilt auch für den Fall, dass die Vergabekammer die rechtswidrige Aufhebung einer Ausschreibung rückgängig gemacht hat (s. dazu Rz. 28), die Vergabestelle das Verfahren jedoch gleichwohl nicht weiterbetreibt, da eine Verpflichtung der Vergabestelle zur Zuschlagserteilung auch in diesem Fall nicht besteht1. Allerdings kann ein solches Verhalten der Vergabestelle Schadensersatzansprüche auslösen (s. § 181)2.

§ 169 Aussetzung des Vergabeverfahrens (1) Informiert die Vergabekammer den öffentlichen Auftraggeber in Textform über den Antrag auf Nachprüfung, darf dieser vor einer Entscheidung der Vergabekammer und dem Ablauf der Beschwerdefrist nach § 172 Abs. 1 den Zuschlag nicht erteilen. (2) Die Vergabekammer kann dem Auftraggeber auf seinen Antrag oder auf Antrag des Unternehmens, das nach § 134 vom Auftraggeber als das Unternehmen benannt ist, das den Zuschlag erhalten soll, gestatten, den Zuschlag nach Ablauf von zwei Wochen seit Bekanntgabe dieser Entscheidung zu erteilen, wenn unter Berücksichtigung aller möglicherweise geschädigten Interessen sowie des Interesses der Allgemeinheit an einem raschen Abschluss des Vergabeverfahrens die nachteiligen Folgen einer Verzögerung der Vergabe bis zum Abschluss der Nachprüfung die damit verbundenen Vorteile überwiegen. Bei der Abwägung ist das Interesse der Allgemeinheit an einer wirtschaftlichen Erfüllung der Aufgaben des Auftraggebers zu berücksichtigen, bei verteidigungs- oder sicherheitsrelevanten Aufträgen im Sinne des § 104 sind zusätzlich besondere Verteidigungs- und Sicherheitsinteressen zu berücksichtigen. Die Vergabekammer berücksichtigt dabei auch die allgemei1 S. insbesondere EuGH v. 18.6.2002 – Rs. C 92/00, Slg. 2002, S. I-5553; BGH v. 10.11.2014 – X ZB 18/13, NZBau 2014, 310; OLG Celle v. 10.3.2016 – 13 Verg 5/15, NZBau 2016, 385; dazu Reidt/Gersdorf, VergabeR 2002, 580 ff. 2 Zum Schadensersatzanspruch im Falle der (rechtswidrigen) Aufhebung Bauer in Heiermann/Riedel/Rusam, Handkommentar zur VOB, § 17 VOB/A Rz. 29 ff.; Franßen in Byok/Jaeger, Kommentar zum Vergaberecht, § 126 Rz. 29 und 68 f.

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§ 169 | Aussetzung des Vergabeverfahrens nen Aussichten des Antragstellers im Vergabeverfahren, den Auftrag zu erhalten. Die Erfolgsaussichten des Nachprüfungsantrags müssen nicht in jedem Falle Gegenstand der Abwägung sein. Das Beschwerdegericht kann auf Antrag das Verbot des Zuschlags nach Absatz 1 wiederherstellen; § 168 Abs. 2 Satz 1 bleibt unberührt. Wenn die Vergabekammer den Zuschlag nicht gestattet, kann das Beschwerdegericht auf Antrag des Auftraggebers unter den Voraussetzungen der Sätze 1 bis 4 den sofortigen Zuschlag gestatten. Für das Verfahren vor dem Beschwerdegericht gilt § 176 Abs. 2 Satz 1 und 2 und Absatz 3 entsprechend. Eine sofortige Beschwerde nach § 171 Abs. 1 ist gegen Entscheidungen der Vergabekammer nach diesem Absatz nicht zulässig. (3) Sind Rechte des Antragstellers aus § 97 Abs. 6 im Vergabeverfahren auf andere Weise als durch den drohenden Zuschlag gefährdet, kann die Kammer auf besonderen Antrag mit weiteren vorläufigen Maßnahmen in das Vergabeverfahren eingreifen. Sie legt dabei den Beurteilungsmaßstab des Absatzes 2 Satz 1 zugrunde. Diese Entscheidung ist nicht selbständig anfechtbar. Die Vergabekammer kann die von ihr getroffenen weiteren vorläufigen Maßnahmen nach den Verwaltungsvollstreckungsgesetzen des Bundes und der Länder durchsetzen; die Maßnahmen sind sofort vollziehbar. § 86a Satz 2 gilt entsprechend. (4) Macht der Auftraggeber das Vorliegen der Voraussetzungen nach § 117 Nummer 1 bis 3 oder § 150 Nummer 1 oder 6 geltend, entfällt das Verbot des Zuschlages nach Absatz 1 fünf Werktage nach Zustellung eines entsprechenden Schriftsatzes an den Antragsteller; die Zustellung ist durch die Vergabekammer unverzüglich nach Eingang des Schriftsatzes vorzunehmen. Auf Antrag kann das Beschwerdegericht das Verbot des Zuschlages wiederherstellen. § 176 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 sowie Abs. 3 und 4 finden entsprechende Anwendung. I. Einführung 1. Inhaltsübersicht . . . . . . . . . . . . 2. Entstehungsgeschichte . . . . . . . II. Zuschlagsverbot, Suspensiveffekt (§ 169 Abs. 1) . . . . . . . 1. Voraussetzungen und Beginn des Zuschlagsverbots . . . . . . . 2. Ende des Zuschlagsverbotes . . a) Vollständige Ablehnung des Nachprüfungsantrags . . . . . b) Stattgabe . . . . . . . . . . . . . . c) Teilweise Stattgabe . . . . . . . d) Ablauf der Beschwerdefrist . e) Erledigung des Nachprüfungsverfahrens . . . . . . . . .

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8 16 17 18 22 24 29

3. Auswirkung auf die Bindefrist . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Verbotsgesetz . . . . . . . . . . . . . III. Vorzeitige Gestattung des Zuschlags (§ 169 Abs. 2) . . . . 1. Einschränkung des effektiven Rechtsschutzes, unionsrechtliche Vorgaben . . . . . . . . . . . . 2. Antragsteller . . . . . . . . . . . . . 3. Zeitpunkt, Form und Frist für den Antrag . . . . . . . . . . . . . . 4. Anhörung der anderen Verfahrensbeteiligten, Aufklärung der für die vorzeitige Gestattung relevanten Umstände . . . . . . .

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Aussetzung des Vergabeverfahrens | § 169 5. Entscheidungsprogramm der Vergabekammer a) Allgemeine Anforderungen . . b) Offensichtliche Unzulässigkeit oder Unbegründetheit des Nachprüfungsantrags . . . c) Überwiegend wahrscheinliche Unbegründetheit des Nachprüfungsantrags . . . . . . d) Offene Erfolgsaussichten . . . . e) Offensichtliche oder zumindest überwiegend wahrscheinliche Begründetheit des Nachprüfungsantrags . . . . . . . . . . 6. Entscheidungsinhalt . . . . . . . . . 7. Form und Inhalt der Entscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8. Zwei-Wochen-Frist . . . . . . . . . 9. Rechtsschutzmöglichkeiten . . . . a) Antragsteller oder sonstige Verfahrensbeteiligte i.S.v. § 162 . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Form und Frist . . . . . . . bb) Entscheidungsprogramm des Beschwerdegerichts . cc) Mündliche Verhandlung, Entscheidungsinhalt . . . . dd) Anwaltszwang . . . . . . . . ee) Folgen der Entscheidung

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IV.

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1. 2. 3.

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V.

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1. 2. 3. 4. 5.

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6.

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7. 8.

b) Auftraggeber und Unternehmen, das nach § 134 für die Zuschlagserteilung benannt wurde . . . . . . . . . . . . . . . . . Entfall des Zuschlagsverbots bei Aufträgen gemäß § 117 Nummer 1 bis 3 sowie § 150 Nummer 1 oder 6 Auslösung des Zuschlagsverbots Beseitigung des Zuschlagsverbots Rechtsfolgen für das anhängige Nachprüfungsverfahren . . . . . . Rechtsschutzmöglichkeiten a) Antragsteller . . . . . . . . . . . . b) Öffentlicher Auftraggeber . . . Sonstige Maßnahmen (§ 169 Abs. 3) . . . . . . . . . . . . . Rechte aus § 97 Abs. 6 . . . . . . . Rechtsgefährdung . . . . . . . . . . . Besonderer Antrag . . . . . . . . . . Entscheidungsprogramm . . . . . In Betracht kommende Maßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . Form und Inhalt der Entscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rechtsschutzmöglichkeiten . . . . Vollstreckung . . . . . . . . . . . . .

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92 93 94 99 103 105 106 107 108

I. Einführung 1. Inhaltsübersicht § 169 Abs. 1 regelt das Zuschlagsverbot des öffentlichen Auftraggebers nach sei- 1 ner Information in Textform über den Nachprüfungsantrag durch die Vergabekammer bis zum Ablauf der Beschwerdefrist. Abs. 2 der Vorschrift sieht die Möglichkeit einer vorzeitigen Zuschlagserteilung einschließlich der Möglichkeiten zur Anrufung des Beschwerdegerichts im Rahmen des vorläufigen Rechtschutzes vor. § 169 Abs. 3 enthält Bestimmungen für weitere Verfahrensentscheidungen der Vergabekammer, wenn allein das Zuschlagsverbot für einen effektiven Rechtsschutz im Rahmen des Nachprüfungsverfahrens nicht genügen sollte. § 169 Abs. 4 bestimmt, dass in Fällen des § 117 Nummer 1 bis 3 oder § 150 Nummer 1 oder 6 (keine Anwendbarkeit des Kartellvergaberechts bei Aufträgen, die u.a. dem Geheimnisschutz unterliegen), das Zuschlagsverbot bereits Reidt

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§ 169 | Aussetzung des Vergabeverfahrens bei Geltendmachung der fehlenden Ausschreibungspflicht durch den öffentlichen Auftraggeber entfällt. Das Zuschlagsverbot kann in diesem Fall allerdings durch das Beschwerdegericht wieder hergestellt werden. 2. Entstehungsgeschichte 2 § 169 wurde mit seinen wesentlichen Regelungsinhalten als § 115 a.F. bereits mit

dem Vergaberechtsänderungsgesetz 1998 (Einleitung Rz. 4 ff.) eingeführt. In der dortigen Gesetzesbegründung1 wurde zu § 115 Abs. 1 a.F. und dem darin enthaltenen Zuschlagsverbot darauf hingewiesen, dass es sich dabei um ein Verbotsgesetz i.S.v. § 134 BGB handele und daher ein unter Missachtung der Vorschrift erteilter Zuschlag nichtig sei.

3 Die Norm wurde durch das Vergaberechtsmodernisierungsgesetz 2009 (Einlei-

tung Rz. 7) erheblich umgestaltet. Seither ist das Zuschlagsverbot des § 169 Abs. 1 nicht mehr davon abhängig, dass der Nachprüfungsantrag durch die Vergabekammer dem öffentlichen Auftraggeber zugestellt wurde. Stattdessen genügt nunmehr eine Information des Auftraggebers durch die Vergabekammer in Textform. Dies dient der Vereinfachung2 und vermeidet zugleich, dass bei etwaigen Zustellungsmängeln das Zuschlagsverbot nicht oder erst verspätet eintritt.

4 Das Verfahren zur Vorabentscheidung über den Zuschlag in § 169 Abs. 2 sollte

durch das Vergaberechtsmodernisierungsgesetz 2009 aufgewertet werden. In der Begründung des Regierungsentwurfs wurde darauf hingewiesen, dass Anträge gemäß § 169 Abs. 2 bislang in der Vergabepraxis kaum eine Rolle gespielt hätten. Zur Aufwertung der Vorabentscheidungsmöglichkeit gemäß § 169 Abs. 2 wurde das diesbezügliche Antragsrecht daher vom öffentlichen Auftraggeber auf das Unternehmen erweitert, das den Zuschlag erhalten soll. Zudem wurden die für die Interessenabwägung der Vergabekammer maßgeblichen Aspekte weiter konkretisiert. Hierfür sind die Sätze 2 bis 4 neu in § 169 Abs. 2 aufgenommen worden. Insbesondere § 169 Abs. 2 Satz 2 war dabei im Gesetzgebungsverfahren in hohem Maße umstritten. Der ursprüngliche Vorschlag der Bundesregierung ging noch weiter. Er zielte darauf ab, dass ein überwiegendes Interesse der Allgemeinheit (stets) vorliege, wenn die wirtschaftliche Erfüllung der Aufgaben des Auftraggebers gefährdet sei3. Dem ist der Bundesrat insbesondere mit unionsrechtlichen Bedenken unter Hinweis auf Art. 2d Abs. 3 Satz 3 und 4 der Richtlinie 2007/66/EG (Rechtsmittelrichtlinie, Einleitung Rz. 7) entgegengetreten. Zugleich hat er betont, dass oberster Abwägungsgrund im Rahmen der nur ausnahmsweise denkbaren Zuschlagserteilung trotz laufenden Nachprüfungsverfahrens die Erfolgsaussicht des Nachprüfungsantrags sein müsse4. Die Bundesregierung hat 1 2 3 4

BT-Drucks. 13/9340. BT-Drucks. 16/10117, S. 23. BT-Drucks. 16/10117, S. 23. BT-Drucks. 16/10117, S. 35 f.

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Aussetzung des Vergabeverfahrens | § 169

dem zwar widersprochen1, jedoch hat sie sich mit ihrem Standpunkt nicht vollständig durchsetzen können. Zwar sind gemäß dem ursprünglichen Regierungsentwurf die Sätze 3 und 4 in § 169 Abs. 2 aufgenommen worden, jedoch wurde Satz 2 der Vorschrift dahingehend relativiert, dass das Interesse der Allgemeinheit an einer wirtschaftlichen Erfüllung der Aufgaben des Auftraggebers lediglich zu berücksichtigen sei. Den durch den Bundesrat geltend gemachten unionsrechtlichen Bedenken kann dabei, jedenfalls bei unionsrechtskonformer Auslegung und Anwendung der Regelung zur Vorabentscheidung, hinreichend Rechnung getragen werden. Im Zuge der Umsetzung von Art. 56 Abs. 5 der Richtlinie 2009/81/EG wurde im Jahr 2011 Abs. 2 Satz 2 der Vorschrift dahin gehend erweitert, dass unter Bezug auf § 104 (§ 99 Abs. 7 a.F.) zusätzlich besondere Verteidigungs- und Sicherheitsinteressen in der Abwägung nach Abs. 2 Satz 1 zu berücksichtigen sind.2 Mit dem VergaberechtsmodernisierungsG 2016 (Einleitung Rz. 10 f.) ist dies lediglich redaktionell angepasst worden. § 169 Abs. 3 ist durch das Vergaberechtsmodernisierungsgesetz 2009 (Einleitung 5 Rz. 7) dahingehend ergänzt worden, dass die dort geregelten vorläufigen Maßnahmen nach den Verwaltungsvollstreckungsgesetzen des Bundes und der Länder durchgesetzt werden können. Zugleich wird dafür auf den Zwangsgeldrahmen des § 86a Satz 2 verwiesen (§ 169 Abs. 3 Satz 4 und 5). Absatz 4 der Vorschrift wurde durch das Vergaberechtsmodernisierungsgesetz 6 2009 (Einleitung Rz. 7) aufgenommen. Er bezieht sich auf Auftragsvergaben, die unter § 117 Nummer 1 bis 3 oder § 150 Nummer 1 oder 6 (§ 100 Abs. 2 lit. d) a.F.) fallen und daher vom Anwendungsbereich des Kartellvergaberechts ausgenommen sind. Gleichwohl kann dies im Einzelfall zweifelhaft sein und es rechtfertigen, dass Unternehmen gegen eine in diesem Bereich geplante Auftragsvergabe ohne öffentliche Ausschreibung ein Nachprüfungsverfahren anstrengen. Um in diesen Fällen den Suspensiveffekt des § 169 Abs. 1 zu beseitigen, genügt es, wenn der Auftraggeber das Vorliegen der entsprechenden Voraussetzungen gegenüber der Vergabekammer geltend macht, die den entsprechenden Schriftsatz dem Antragsteller zuzustellen hat. Ursprünglich entfiel das Zuschlagsverbot in diesem Fall zwei Kalendertage nach Zustellung. In diesem Zeitrahmen hat der Antragsteller Gelegenheit, über einen Antrag an das Beschwerdegericht das Zuschlagsverbot wiederherstellen zu lassen. Die Frist wurde im Jahr 2011 wegen unionsrechtlicher und verfassungsrechtlicher Bedenken auf fünf Werktage verlängert, da einige Oberlandesgerichte – wie zuvor auch schon der Bundesrat3 – die Rechtmäßigkeit der Frist in Zweifel gezogen hat4. 1 BT-Drucks. 16/10117, S. 42. 2 BT-Drucks. 17/7275, S. 18. 3 BT-Drucks. 16/10117, S. 36; BT-Drucks. 17/7275, 21 f., wobei der Bundesrat für die Streichung des kompletten Absatzes war. 4 Vgl. OLG Düsseldorf v. 8.6.2011 – VII-Verg 49/11, NZBau 2011, 501; OLG Koblenz v. 15.9.2010 – 1 Verg 7/10, NZBau 2010, 778.

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§ 169 | Aussetzung des Vergabeverfahrens II. Zuschlagsverbot, Suspensiveffekt (§ 169 Abs. 1) 7 § 169 Abs. 1 ist eine für die Effektivität des Bieterschutzes entscheidende Rege-

lung. Sie stellt sicher, dass ein Unternehmen, das einen Nachprüfungsantrag gestellt hat, tatsächlich effektiven Rechtsschutz erhält und nicht nur auf Sekundäransprüche beschränkt wird. 1. Voraussetzungen und Beginn des Zuschlagsverbots

8 Das Zuschlagsverbot setzt voraus, dass die Vergabekammer den öffentlichen

Auftraggeber in Textform über den Antrag auf Nachprüfung informiert. § 169 Abs. 1 regelt dabei nicht, unter welchen Voraussetzungen diese Information zu erfolgen hat1. Dafür ist § 163 Abs. 2 maßgeblich. Die Vergabekammer hat also zu prüfen, ob der eingereichte Nachprüfungsantrag offensichtlich unzulässig oder unbegründet ist. Verneint sie dies, hat sie nicht nur dem öffentlichen Auftraggeber eine Kopie des Antrags zu übermitteln (§ 163 Abs. 2 Satz 3) sondern ihn auch gemäß § 169 Abs. 1 in Textform zu informieren. Beides ist also von identischen Voraussetzungen abhängig und unterliegt den gleichen zeitlichen Vorgaben (s. im Einzelnen § 163 Rz. 14 ff.). Der Vorteil der bloßen Information i.S.v. § 169 Abs. 1 liegt darin, dass sie einfacher und vor allem auch schneller erfolgen kann als die Übermittlung einer Kopie des Nachprüfungsantrags. Dies gilt insbesondere bei umfangreichen Nachprüfungsanträgen, ggf. verbunden mit zahlreichen Anlagen. Gleichwohl kann in sich dafür anbietenden Fällen die Übermittlung mit der Information verbunden werden. Zu erfolgen hat die Information durch die Vergabekammer (zum Unterlassen der Information s. § 163 Rz. 38). Eine Information durch den Antragsteller genügt nicht, um das Zuschlagsverbot des § 169 Abs. 1 auszulösen.2 Ob die Vergabekammer für die in Rede stehende Streitigkeit zuständig ist oder nicht, ist für den Eintritt des Zuschlagsverbots irrelevant3.

9 Zu erfolgen hat die Information in Textform. Es genügt dabei die Mitteilung

der Vergabekammer an den öffentlichen Auftraggeber, dass bei ihr ein Nachprüfungsantrag eingegangen ist. Hierfür reicht der Zugang beim Antragsgegner aus. Eine tatsächliche Kenntnisnahme des zuständigen Mitarbeiters ist nicht erforderlich4. Angaben zum Inhalt des Nachprüfungsantrags oder sonstige weitere Informationen sind für die Auslösung des Zuschlagsverbots nicht notwendig (s. noch Rz. 11). Dazu dient die Übermittlung einer Kopie des Antrags gemäß § 163 Abs. 2 Satz 3. Allerdings muss sich aus der Information ausdrücklich oder zumindest konkludent hinreichend eindeutig ergeben, dass es um eine Informa-

1 Dreher in Immenga/Mestmäcker, GWB, § 115 Rz. 16. 2 Vgl. OLG Frankfurt v. 6.3.2013 – 11 Verg 7/12. 3 OLG Düsseldorf v. 30.4.2008 – VII Verg 3/08; VK Bund v. 18.9.2008 – VK 3–122/08; Weyand, IBR-online-Kommentar, Vergaberecht, § 115 Rz. 16. 4 OLG Düsseldorf v. 27.3.2013 – VII-Verg 53/12, ZfBR 2015, 408.

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tion zur Auslösung des Zuschlagsverbotes geht (s. noch Rz. 11). Teilt die Vergabekammer dem öffentlichen Auftraggeber etwa mit, dass bei ihr ein Nachprüfungsantrag eingegangen ist, der aus ihrer Sicht offensichtlich unzulässig oder unbegründet ist (§ 163 Abs. 2 Satz 1 und 2), führt dies nicht zur Auslösung des Zuschlagsverbots. Für den Begriff der Textform kann auf § 126b BGB zurückgegriffen werden. 10 Die Textform wurde durch das Gesetz zur Anpassung der Formvorschriften des Privatrechts und anderer Vorschriften an den modernen Rechtsgeschäftsverkehr vom 13.7.2001 eingeführt und ermöglicht eine Lockerung der Formvorschriften für Dokumente, denen geringe Beweisfunktion zukommt. Sie erfordert die Fixierung einer Mitteilung durch lesbare Schriftzeichen, verzichtet gegenüber der Schriftform jedoch auf die eigenhändige Unterschrift des Ausstellers und die Urkundenform, also die zwangsläufige Bindung an das Papier1. Der Textform genügen damit auch in elektronischer Form festgehaltene Schriftzeichen, soweit das Speichermedium geeignet ist, die Daten dauerhaft zu sichern. Das ist z.B. bei einer Speicherung auf einer Festplatte oder CD-ROM der Fall. Eine Fixierung auf Papier durch Anfertigung eines Ausdrucks ist für die Erfüllung des Formerfordernisses nicht erforderlich2. Dadurch ist für die Information der Einsatz moderner Techniken wie Fax, Computerfax und E-Mail möglich3. Tonaufzeichnungen genügen hingegen nicht der Textform, da das in ihnen enthaltene gesprochene Wort nicht in lesbaren Zeichen vorliegt4. Weiterhin muss die Mitteilung den Erklärenden, also den Aussteller erkennen lassen. Dies kann beispielsweise durch eine faksimilierte Unterschrift, aber auch durch einen Briefkopf oder eine Nennung im Text erfolgen5. Wichtig ist in jedem Fall, dass der Empfänger den Aussteller eindeutig identifizieren kann, da die Erklärung sonst inhaltlich unbestimmt ist6. Ein gesonderter Hinweis darauf, dass die Information über den Nachprüfungs- 11 antrag das Zuschlagsverbot auslösen soll, ist von Gesetzes wegen nicht erforderlich und daher auch entbehrlich. Der Gesetzgeber geht also davon aus, dass öffentlichen Auftraggebern die Folgen einer Information gemäß § 169 Abs. 1 bekannt sind. Gleichwohl ist ein Hinweis auf die Bedeutung und Wirkung des Zuschlagsverbots in der Information der Vergabekammer zweckmäßig und in der Praxis auch üblich. Er stellt zudem unmissverständlich klar, dass die Ver1 Schmitz in Stelkens/Bonk/Sachs, Verwaltungsverfahrensgesetz, § 3a Rz. 3. 2 Einsele in Münchener Kommentar zum BGB, § 126b Rz. 6; die Möglichkeit zu Speicherung und Ausdruck muss jedoch gegeben sein, so dass eine „nur-lese-Datei“ nicht der Textform genügt, Hertel in Staudinger Kommentar zum BGB, § 126b Rz. 27 f. 3 Kus in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum Vergaberecht, § 169 Rz. 21; Schweda in Langen/Bunte, Kommentar zum deutschen und europäischen Kartellrecht, § 115 Rz. 4. 4 Einsele in Münchener Kommentar zum BGB, § 126b Rz. 4. 5 Einsele in Münchener Kommentar zum BGB, § 126b Rz. 7. 6 Hertel in Staudinger Kommentar zum BGB, § 126b Rz. 30.

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§ 169 | Aussetzung des Vergabeverfahrens gabekammer den bei ihr eingegangenen Nachprüfungsantrag nicht für offensichtlich unzulässig oder unbegründet hält (vgl. Rz. 9). 12 Ausgelöst wird das Zuschlagsverbot allerdings nur dann, wenn die Information

in Textform durch die Vergabekammer gegenüber dem zutreffenden Antragsgegner erfolgt. Informiert die Vergabekammer z.B. versehentlich einen anderen Auftraggeber, besteht kein Zuschlagsverbot. Insbesondere verstößt dann der Auftraggeber durch die Zuschlagserteilung nicht gegen ein gesetzliches Verbot i.S.v. § 134 BGB (s. Rz. 31), wenn er den Zuschlag erteilt, so dass dieser vorbehaltlich etwaiger anderweitiger Nichtigkeitsgründe wirksam ist. Es liegt dabei also weitgehend in der Risikosphäre des Antragstellers selbst, dass insofern keine Fehler passieren. Dies gilt umso mehr deshalb, weil die Vergabekammer sich an den Antragsgegner halten kann und auch halten muss, den der Antragsteller selbst in seinem Nachprüfungsantrag angibt. Insbesondere hat die Vergabekammer insofern keine besonderen Ermittlungspflichten. Es besteht vielmehr allenfalls die allgemeine behördliche Hinweispflicht gemäß § 22 VwVfG, sofern es nicht wegen einer offensichtlichen Falschbezeichnung um eine bloße Rubrumsberichtigung geht (vgl. hierzu auch § 161 Rz. 22). Andererseits kann sich jedoch der Antragsteller auf die Angaben verlassen, die sich aus der Vergabebekanntmachung und den sonstigen Vergabeunterlagen ergeben. Dies gilt gerade an den Fällen, in denen es problematisch sein kann, wer Auftraggeber ist (z.B. bei einer Mehrzahl von Auftraggebern, s. § 161 Rz. 23, oder in Fällen der Auftragsverwaltung, s. § 161 Rz. 22, oder auch in vergleichbaren Problemlagen). Der öffentliche Auftraggeber kann sich in derartigen Fällen also in der Regel nicht darauf berufen, es sei die falsche Vergabestelle in Textform informiet worden, weil die diesbezügliche Angabe in der Vergabebekanntmachung fehlerhaft gewesen sei, so dass für ihn kein Zuschlagsverbot eingetreten sei.1

13 Die Regelungssystematik des Zuschlagsverbots ist mit der aufschiebenden Wir-

kung gemäß § 80 Abs. 1 VwGO vergleichbar. Daher wird teilweise auch von einem Suspensiveffekt gesprochen2. Dies ist zwar einerseits zutreffend, andererseits unterscheidet sich das Zuschlagsverbot des § 169 Abs. 1 von § 80 Abs. 1 VwGO dadurch, dass der Information des öffentlichen Auftraggebers über den Nachprüfungsantrag eine Evidenzprüfung der Vergabekammer gemäß § 163 Abs. 2 vorgeschaltet ist (§ 163 Rz. 20 ff.)3. Insofern enthält § 169 Abs. 1 also auch Elemente der einstweiligen Anordnung gemäß § 123 VwGO und des § 80a

1 S. hierzu auch Horn/Hofmann in Burgi/Dreher, § 161 Rz. 16. 2 S. etwa BT-Drucks. 16/10117, S. 24 zum Regierungsentwurf des Vergaberechtsmodernisierungsgesetzes 2009; Dreher in Immenga/Mestmäcker, GWB, § 115 Rz. 21; Kus in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum Vergaberecht, § 169 Rz. 24; Schnorbus, BauR 1999, 77 (80); Braun, BB 1999, 1069 (1072). 3 Zu der Frage, ob ein offensichtlich unzulässiger Widerspruch gem. § 80 Abs. 1 VwGO aufschiebende Wirkung entfaltet, s. etwa Redeker in Redeker/v. Oertzen, VwGO, § 80 Rz. 11 ff.

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VwGO bei sofort vollziehbaren Entscheidungen im mehrpoligen Verwaltungsverhältnis. Dort bedarf es jeweils einer der Aussetzung bzw. einstweiligen Anordnung vorgeschalteten Prüfung des entsprechenden Antrags. Insgesamt ist es wegen der strukturellen Unterschiede zu anderen Ausgestaltungen des vorläufigen Rechtsschutzes und zur Vermeidung von Missverständnissen sinnvoll, im Rahmen des § 169 Abs. 1 den eigenständigen Begriff des Zuschlagsverbotes zu verwenden, zumal damit zugleich auch der Rechtscharakter der Vorschrift verdeutlicht wird (zu § 169 Abs. 1 als Verbotsgesetz s. Rz. 31 f.)1. Die Vergabestelle ist durch § 169 Abs. 1 lediglich gehindert, nach der Informa- 14 tion über den Nachprüfungsantrag den Zuschlag zu erteilen. Ihr ist es hingegen nicht untersagt, das Vergabeverfahren bis zur Zuschlagserteilung weiter zu betreiben, also etwa Angebotsbewertungen oder Aufklärungsgespräche durchzuführen u. ä., sofern nicht eine dem entgegenstehende Anordnung der Vergabekammer gemäß § 169 Abs. 3 erfolgt (s. dazu u. Rz. 98)2. Da der Zuschlag i.S. des § 169 Abs. 1 als die endgültige Annahme des Vertragsangebotes eines bestimmten Bieters zu verstehen ist (s. § 168 Rz. 30, wird man auch eine Annahmeerklärung unter der aufschiebenden Bedingung, dass der gestellte Nachprüfungsantrag durch die Vergabekammer bzw. durch den Vergabesenat endgültig abgelehnt wird, als zulässig ansehen können, sofern die Effektivität des Rechtsschutzes zugunsten des Unternehmens, das einen Nachprüfungsantrag gestellt hat, sichergestellt bleibt und auch die Anforderungen des § 134 in hinreichender Weise gewahrt sind (s. auch § 168 Rz. 37)3. Ein vor der Information durch die Vergabekammer in Textform bereits erteilter 15 Zuschlag unterfällt nicht dem Zuschlagsverbot des § 169 Abs. 1. Dies gilt auch dann, wenn der Nachprüfungsantrag zwar bereits gestellt wurde, dann jedoch z.B. pflichtwidrig durch die Vergabekammer die Information über den Antrag nicht erfolgt ist (Rz. 12; s. auch § 163 Rz. 14; zu etwaigen Nichtigkeitsgründen für den abgeschlossenen Vertrag außerhalb der vergaberechtlichen Bestimmungen § 168 Rz. 36 f.). 2. Ende des Zuschlagsverbotes Das Zuschlagsverbot endet nach dem Gesetzeswortlaut mit der Entscheidung 16 der Vergabekammer und dem Ablauf der Beschwerdefrist nach § 172 Abs. 1. Dabei sind folgende Konstellationen zu unterscheiden: 1 So auch Boesen, Vergaberecht, § 115 Rz. 9. 2 VK Bund v. 6.7.2007 – VK 3-58/07; Schneevogel/Horn, NVwZ 1998, 1242 (1244); Boesen, Vergaberecht, § 115 Rz. 10; Weyand, IBR-online-Kommentar, Vergaberecht, § 115 Rz. 22; Schweda in Langen/Bunte, Kommentar zum deutschen und europäischen Kartellrecht, § 115 Rz. 2. 3 A.A. Byok in Byok/Jaeger, Kommentar zum Vergaberecht, § 115 Rz. 8; wohl auch Kus in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum Vergaberecht, § 169 Rz. 47.

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§ 169 | Aussetzung des Vergabeverfahrens a) Vollständige Ablehnung des Nachprüfungsantrags 17 Auf den Fall einer vollständigen Ablehnung des Nachprüfungsantrags ist § 169

Abs. 1 an sich zugeschnitten. Der Antragsteller soll die Möglichkeit haben, gegen eine ablehnende Entscheidung der Vergabekammer sofortige Beschwerde einzulegen. Die geforderte Effektivität des Vergaberechtsschutzes gebietet es daher das Zuschlagsverbot bis zum Ablauf der Beschwerdefrist andauern zu lassen1. Legt der Antragsteller die sofortige Beschwerde fristgemäß ein, so verlängert sich das Zuschlagsverbot nochmals bis zum Ablauf von zwei Wochen nach Ende der Beschwerdefrist (§ 173 Abs. 1 Satz 2)2. Es wird dann durch die Möglichkeiten im Rahmen der sofortigen Beschwerde gemäß § 173 Abs. 1 Satz 3, Abs. 2 abgelöst. Wäre dies nicht der Fall, bestünde die Gefahr, dass die gerichtliche Überprüfung wegen einer zwischenzeitlichen Zuschlagserteilung leerliefe. b) Stattgabe

18 Wird dem Nachprüfungsantrag in vollem Umfang stattgegeben und legt der öf-

fentliche Auftraggeber keine sofortige Beschwerde dagegen ein, muss er der Entscheidung der Vergabekammer und den darin getroffenen Anordnungen (§ 168 Rz. 70 ff.) Folge leisten. Unter Beachtung dieser Anforderungen darf er dann auch den Zuschlag erteilen. Es besteht also auch in diesem Fall kein permanentes Zuschlagsverbot. Der zeitliche und sachliche Geltungsanspruch des § 169 Abs. 1 reicht selbst bei einer Missachtung der Nachprüfungsentscheidung durch den Auftraggeber (s. § 168 Rz. 88), nicht über den Zeitpunkt der Bestandskraft der Nachprüfungsentscheidung hinaus3. Dies wäre auch sinnwidrig, da mit dem Nachprüfungsverfahren lediglich eine Rechtsverletzung zu Lasten des Antragstellers beseitigt, nicht hingegen die Zuschlagserteilung durch den Auftraggeber dauerhaft verhindert werden soll (zur Vollstreckung der Entscheidung der Vergabekammer § 168 Rz. 82 ff.). Die notwendigen Schritte, insbesondere die (ggf. erneute) Unterrichtung nach § 134 (z.B. nach einer Wiederholung der Angebotswertung), können bereits vor Ablauf der Frist für die sofortige Beschwerde durchgeführt werden.

19 Wenn der Antragsteller der Auffassung ist, dass die modifizierte Durchführung

bzw. Weiterführung des Vergabeverfahrens oder auch ein neues Vergabeverfahren wiederum mit Rechtsfehlern behaftet ist, kann er dagegen erneut mit einem Nachprüfungsverfahren vorgehen. Ein solcher neuer Nachprüfungsantrag kann

1 Schweda in Langen/Bunte, Kommentar zum deutschen und europäischen Kartellrecht, § 115 Rz. 3; zu Ausnahmen s. auch Leinemann, Die Vergabe öffentlicher Aufträge, Rz. 1728 ff. 2 OLG Düsseldorf v. 17.2.2016 – VII-Verg 37/14, ZfBR 2016, 829; Kus in Kulartz/Kus/ Portz/Prieß, Kommentar zum Vergaberecht, § 169 Rz. 33. 3 A.A. Schweda in Langen/Bunte, Kommentar zum deutschen und europäischen Kartellrecht, § 115 Rz. 3; Kus in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum Vergaberecht, § 169 Rz. 48.

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wiederum das Zuschlagsverbot gemäß § 169 Abs. 1 auslösen. Ein Rückgriff auf das Zuschlagsverbot eines bereits abgeschlossenen Nachprüfungsverfahrens ist dafür weder erforderlich noch möglich. Dies gilt erst recht dann, wenn der Auftraggeber nicht nur den durch die Vergabekammer festgestellten Beanstandungen Rechnung trägt sondern darüber hinausgehend auch in weiteren Punkten die Ausschreibungsunterlagen modifiziert. Selbst wenn der öffentliche Auftraggeber gegen eine Entscheidung zu seinen 20 Lasten sofortige Beschwerde eingelegt hat, ist er nicht daran gehindert, gleichwohl – gewissermaßen vorsorglich – unter Beachtung der Entscheidung der Vergabekammer das Vergabeverfahren fortzusetzen. Der Antragsteller ist dadurch nicht beschwert. Dem Auftraggeber wird allerdings spätestens nach Erteilung eines mit der Entscheidung der Vergabekammer konformen Zuschlags das Rechtsschutzinteresse für die Weiterführung des Beschwerdeverfahrens fehlen. Ebenfalls ist es für die Weiterführung bzw. erneute Durchführung des Vergabe- 21 verfahrens unter Beachtung der Entscheidung der Vergabekammer unerheblich, wenn die weiteren Verfahrensbeteiligten gemäß § 162 Beschwerde eingelegt haben. Zwar kann durch eine Veränderung des Vergabeverfahrens gemäß der Entscheidung der Vergabekammer für diese eine eigene Betroffenheit ausgelöst werden (z.B. durch eine Wiederholung der Angebotswertung, ggf. sogar nach Maßgabe geänderter Wertungskriterien). Allerdings ist der Auftraggeber auch außerhalb der Vergabenachprüfung nicht gehindert, im Rahmen des rechtlich Zulässigen das Vergabeverfahren zu modifizieren, d.h. auch in diesem Fall haben die am Vergabeverfahren beteiligten Unternehmen keinen Anspruch darauf, dass Veränderungen nicht erfolgen. Erst recht muss dies dann gelten, wenn diese Veränderungen erfolgen, um den Anordnungen der Vergabekammer und damit den Rechtmäßigkeitsanforderungen des Vergaberechts zu genügen. Die dem Nachprüfungsverfahren beigeladenen Unternehmen müssen daher ggf. die Vergabekammer selbst und eigenständig anrufen und ihren subjektiven Vergaberechtsschutz auslösen, wenn sie sich durch die veränderte Durchführung des Vergabeverfahrens in ihren Rechten aus § 97 Abs. 6 verletzt fühlen. Dabei ist auch im Hinblick auf derartige Veränderungen für die dem Nachprüfungsverfahren Beigeladenen oder auch sonstige Unternehmen die Rügeobliegenheit des § 160 Abs. 3 einschließlich der Antragsfrist gemäß § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 (§ 160 Rz. 42 ff., 79 ff.) zu beachten. c) Teilweise Stattgabe Nicht ausdrücklich geregelt ist der Fall, dass einem Nachprüfungsantrag nur 22 teilweise stattgegeben wird. Dies ist etwa denkbar, wenn der Antragsteller das Vergabeverfahren in verschiedenen Punkten für rechtswidrig hält und/oder ein ganz konkretes Antragsziel verfolgt (z.B. Erteilung des Zuschlags an ihn selbst, Ausschluss eines Wettbewerbers), die Vergabekammer seinem Begehren jedoch nicht in allen Punkten stattgibt. Reidt

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§ 169 | Aussetzung des Vergabeverfahrens 23 Der Antragsteller muss auch in diesem Fall die Möglichkeit haben, sein Begeh-

ren vollständig durchzusetzen. Aus diesem Grunde ist eine nur teilweise Stattgabe des Nachprüfungsantrags rechtlich im Grundsatz genauso zu sehen wie die vollständige Ablehnung des Antrags (s.o. Rz. 18). d) Ablauf der Beschwerdefrist

24 Mit dem Ablauf der Beschwerdefrist ist in § 169 Abs. 1 die Beschwerdefrist für

den Antragsteller gemeint, wenn dieser mit seinem Nachprüfungsantrag ganz oder teilweise (Rz. 17) nicht durchdringt. Die Beschwerdefrist für den öffentlichen Auftraggeber als Antragsgegner bei einem Erfolg des Nachprüfungsantrags ist demgegenüber bedeutungslos. Solange nicht auf seine Beschwerde oder die Beschwerde eines anderen Verfahrensbeteiligten hin die Entscheidung der Vergabekammer durch das Oberlandesgericht aufgehoben wurde, ist die Entscheidung der Vergabekammer gem. § 168 für den Auftraggeber verbindlich. Der Auftraggeber darf daher zwar ohne besondere Fristbindung gemäß § 169 Abs. 1 den Zuschlag im Falle seines (vollständigen) Unterliegens erteilen, jedoch darf dies nur unter Beachtung der Entscheidung der Vergabekammer erfolgen (zu den diesbezüglichen Vollstreckungsmöglichkeiten § 168 Rz. 82 ff.). Auch muss er die weiteren Anforderungen, die im Vorfeld der Zuschlagserteilung bestehen, einhalten. Dies gilt insbesondere für die Anforderungen des § 134 an eine (ggf. erneute) Unterrichtung der Bieter, deren Angebote nicht berücksichtigt werden sollen.

25 Um sicherzustellen, dass die Beschwerdefrist für den Antragsteller nach § 172

Abs. 1 tatsächlich abgelaufen ist, muss sich der Auftraggeber, soweit notwendig, bei der Vergabekammer und beim Beschwerdegericht hinreichend informieren, bevor er den Zuschlag erteilt (zur Zustellung der Nachprüfungsentscheidung gem. § 61 s. § 168 Rz. 78 f.). Ansonsten besteht die Gefahr, dass der erteilte Zuschlag wegen eines Verstosses gegen § 169 Abs. 1 nicht zu einem wirksamen Vertrag führt (Rz. 31).

26 Schwierigkeiten können sich ergeben, wenn die Nachprüfungsentscheidung

nichtig ist oder sie dem Antragsteller nicht ordnungsgemäß zugestellt wurde (vgl. § 168 Rz. 81). In diesem Fall beginnt die Beschwerdefrist des § 172 Abs. 1 nicht zu laufen. Dies könnte auf den ersten Blick dafür sprechen, dass das Zuschlagsverbot weiter besteht und der öffentliche Auftraggeber ein erhebliches Risiko hinsichtlich der etwaigen Nichtigkeit des abgeschlossenen Vertrages trägt1. Allerdings verweist § 169 Abs. 1 umfassend auf die Beschwerdefrist nach § 172 Abs. 1, also sowohl auf dessen 1. als auch dessen 2. Alternative. Ist die Entscheidung der Vergabekammer nichtig oder wurde sie dem Antragsteller nicht ordnungsgemäß zugestellt, beginnt die Frist des § 172 Abs. 1 Alt. 1, die auf die (ordnungsgemäße) Zustellung der Entscheidung abstellt, nicht zu laufen. Dann aller1 So Dreher in Immenga/Mestmäcker, GWB, § 115 Rz. 40; Kus in Kulartz/Kus/Portz/ Prieß, Kommentar zum Vergaberecht, § 169 Rz. 32.

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dings greift die Frist des § 172 Abs. 1 Alt. 2, nach der die Zwei-Wochen-Frist auch dann zu laufen beginnt, wenn die Vergabekammer nicht innerhalb der Frist des § 167 Abs. 1, also in der Regel innerhalb von fünf Wochen, über den Nachprüfungsantrag entschieden hat. Jedenfalls nach Ablauf dieser Frist besteht das Zuschlagsverbot und damit auch das Risiko der eventuellen Nichtigkeit nicht mehr, sofern der Antragsteller nicht sofortige Beschwerde gegen die Nachprüfungsentscheidung eingelegt und das Oberlandesgericht ggf. ergänzend die aufschiebende Wirkung dieser Beschwerde verlängert hat (§ 173 Rz. 3, 11)1. Ein ähnliches Problem kann sich dann ergeben, wenn die Nachprüfungsent- 27 scheidung zwar ordnungsgemäß zugestellt wurde, jedoch keine oder eine nicht den rechtlichen Anforderungen genügende Rechtsmittelbelehrung enthält (s. § 168 Rz. 73). Man wird diesen Fall mit einer nicht ordnungsgemäßen Zustellung gleichstellen müssen. Denn wenn die Rechtsmittelfrist gemäß § 172 Abs. 1 Alt. 2 selbst dann zu laufen beginnt, wenn eine Nachprüfungsentscheidung dem Antragsteller gar nicht zugestellt wurde und es damit an einer Entscheidung einschließlich Rechtsmittelbelehrung insgesamt fehlt, kann für den Fall einer erfolgten Zustellung mit einer lediglich ungenügenden Rechtsmittelbelehrung nichts anderes gelten. Da in jedem Fall allerdings zwischen dem Ablauf der Rechtsmittelfrist gemäß 28 § 172 Abs. 1 Alt. 1 einerseits und Alt. 2 andererseits eine zeitliche Diskrepanz bestehen kann, ergibt sich mit Blick auf das Zuschlagsverbot für den Auftraggeber ein Risiko. Er kann dieses nur dadurch ausschließen, dass er entweder die Ordnungsgemäßheit der Zustellung und Rechtsmittelbelehrung an den Antragsteller hinreichend prüft oder aber den Ablauf der im konkreten Fall längeren Frist vorsorglich abwartet. e) Erledigung des Nachprüfungsverfahrens Zumindest nicht eindeutig in § 169 Abs. 1 geregelt ist des Weiteren der Fall, dass 29 sich ein bereits eingeleitetes Nachprüfungsverfahren erledigt (zum Begriff der Erledigung § 168 Rz. 40 ff.). Im Regelfall spielt dies auch keine Rolle, da bei einer Erledigung zumeist ohnehin kein Zuschlag mehr in Betracht kommt, der durch das Nachprüfungsverfahren verhindert werden könnte oder müsste. Dies gilt insbesondere für die in § 168 Abs. 2 Satz 2 ausdrücklich genannten Fällen. Es sind allerdings auch Erledigungskonstellationen denkbar (Erledigung in sonstiger Weise), in denen die Frage nach dem Ende des Zuschlagsverbotes von Bedeutung sein kann. Dies gilt etwa für den Fall, dass der öffentliche Auftraggeber bei einem anhängigen Nachprüfungsverfahren dem Antragsbegehren bereits vor einer Sachentscheidung der Vergabekammer vollständig nachkommt (§ 168 Rz. 46). In 1 Schweda in Langen/Bunte, Kommentar zum deutschen und europäischen Kartellrecht, § 115 Rz. 7 ff.; a.A. Kus in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum Vergaberecht, § 169 Rz. 32.

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§ 169 | Aussetzung des Vergabeverfahrens diesem Fall greift bei der Umstellung des Antrags auf ein Fortsetzungsfeststellungsbegehren gemäß § 168 Abs. 2 Satz 3 nicht einmal die Beschleunigungsregelung des § 167 Abs. 1 ein, so dass nicht innerhalb einer Frist von fünf Wochen über den Antrag entschieden werden muss. Es ist daher für solche Fälle der Erledigung, die mit dem Zuschlagsverbot des § 169 Abs. 1 ersichtlich nicht gemeint sind, davon auszugehen, dass das Zuschlagsverbot sofort entfällt1. Erforderlich ist es allerdings, dass das erledigende Ereignis objektiv vorliegt (vgl. § 168 Rz. 61), was ggf. durch die Vergabekammer und das Oberlandesgericht nachzuprüfen ist. Liegt ein erledigendes Ereignis tatsächlich nicht vor, trägt der Auftraggeber das Risiko der etwaigen Nichtigkeit eines erteilten Zuschlags (Rz. 31). Zudem hat es im Vorfeld der Zuschlagserteilung die Anforderungen des § 134 zu berücksichtigen, so dass der Effektivität des Rechtsschutzes, ggf. also auch gegenüber nicht an den Verfahren beteiligten Unternehmen (s. etwa für den Fall eines Vergleichs § 168 Rz. 49), hinreichend Rechnung getragen ist. 3. Auswirkung auf die Bindefrist 30 Durch das Zuschlagsverbot begründete Verzögerungen des Vergabeverfahrens

können zu Problemen hinsichtlich der Bindefrist führen (s. etwa § 10a EU Abs. 8 und 9 VOB/A). Es stellt sich daher die Frage, ob diese Frist durch das Zuschlagsverbot gemäß § 169 Abs. 1 ebenfalls ausgesetzt ist. Dies ist zu verneinen2. Aus dem Gesetz ergibt sich dazu nichts. Selbst wenn eine Aussetzung dieser Frist für den Auftraggeber wünschenswert ist, können die Bieter nicht an die Kalkulation ihres Angebots, die Freihaltung von personellen und technischen Kapazitäten usw. über den in der Ausschreibung festgelegten Zeitraum hinaus gegen ihren Willen gebunden werden. Neben einer vorsorglichen Berücksichtigung etwaiger Nachprüfungen bei der Bemessung der Bindefrist kommt lediglich deren nachträgliche Verlängerung in Betracht. Dazu muss der Auftraggeber aus Gründen der Gleichbehandlung allen Bietern, die zu diesem Zeitpunkt in die engere Wahl kommen, ein entsprechendes Angebot auf Verlängerung der Fristen unterbreiten. Bieter, die dieses Angebot ausschlagen, es also nicht einmal konkludent annehmen (insbesondere der Antragsteller des Nachprüfungsverfahrens durch dessen Fortsetzung3), müssen im Fortgang des Vergabeverfahrens nicht mehr berücksichtigt werden4.

1 OLG Düsseldorf v. 29.11.2005 – VII-Verg 82/05, VergabeR 2006, 424; Kus in Kulartz/ Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum Vergaberecht, § 169 Rz. 43 ff. 2 S. etwa BayObLG v. 21.5.1999 – Verg 1/99, NVwZ 1999, 1138; Gröning, ZIP 1998, 370 (377); Dreher in Immenga/Mestmäcker, GWB, § 115 Rz. 33 ff., der jedoch eine Hemmung de lege ferenda fordert; Kus in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum Vergaberecht, § 169 Rz. 52. 3 S. etwa OLG Rostock v. 25.9.2013 – 17 Verg 3/13. 4 OLG Naumburg v. 13.5.2003 – 1 Verg 2/03, VergabeR 2003, 588; Kus in Kulartz/Kus/ Portz/Prieß, Kommentar zum Vergaberecht, § 169 Rz. 52.

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4. Verbotsgesetz Gemäß § 169 Abs. 1 darf der Zuschlag nach der Information des öffentlichen 31 Auftraggebers in Textform über den Nachprüfungsantrags nicht erteilt werden. Die Vorschrift stellt ein Verbotsgesetz i.S.v. § 134 BGB dar. Ein entgegen dieser Regelung erteilter uneingeschränkter Zuschlag (zu den Möglichkeiten eines bedingten Zuschlags § 168 Rz. 37) ist nichtig1. Dies gilt selbst dann, wenn dem Nachprüfungsantrag im Ergebnis nicht stattgegeben wird und auch unabhängig davon, ob sich der Auftraggeber des Verstoßes bewusst ist oder nicht2. Sofern es einer kontinuerlichen Aufgabenerfüllung bedarf, kommt für die vo- 32 raussichtliche Dauer des Nachprüfungsverfahrens (einschließlich ggf. notwendiger Nachlaufzeiten) eine Interimsvergabe in Betracht, insbesondere an den bisherigen Auftragnehmern. Diese stellt keinen Verstoß gegen das Zuschlagsverbot des § 169 Abs. 1 dar, wenn sie einen anderen Gegenstand hat als das durch die Nachprüfung verzögerte Vergabeverfahren, weil die Leistung nur teilweise bzw. zeitlich begrenzt vergeben wird3. Die Interimsvergabe ist das mildere Mittel gegenüber einer vorzeitigen und dann endgültigen Zuschlagsgewährung nach § 169 Abs. 24. Daher kann nur in besonders gelagerten Fällen eine Zuschlagserteilung nach § 169 Abs. 2 anstelle einer Interimsvergabe gestattet werden. Das Verbot gilt allerdings nur bis zum Ende des Nachprüfungsverfahrens. Selbst 33 bei einer dem Nachprüfungsantrag stattgebenden Entscheidung gilt danach nur § 168 Abs. 3 Satz 2 (dazu § 168 Rz. 82 ff. sowie vorstehend Rz. 24)5. Die Begrenzung des Zuschlagsverbotes und der damit verbundenen Nichtigkeitsfolge auf die Phase des Nachprüfungsverfahrens, ggf. einschließlich des Beschwerdeverfahrens (dazu § 173), erscheint gesetzgeberisch nicht ganz geglückt. Näher gelegen hätte es, einen Zuschlag, der die Entscheidung der Vergabekammer nicht respektiert, auch nach Abschluss des Nachprüfungsverfahrens dem Verdikt der Nichtigkeit zu unterstellen6. Gleichwohl ist die gesetzliche Regelung zu respektieren (zur möglichen Nichtigkeit des Vertrages aus anderen Gründen § 168 Rz. 36, 38)7. 1 OLG Düsseldorf v. 17.2.2016 – VII-Verg 37/14, ZfBR 2016, 829; Gröning, ZIP 1999, 52 (56); Boesen, EuZW 1998, 551 (558); Schnorbus, BauR 1999, 70 (80); Thiele in MüllerWrede, Kompendium des Vergaberechts, Kap. 28, Rz. 50; einschränkend OLG Schleswig v. 4.11.2014 – 1 Verg 1/14, NZBau 2015, 186. 2 OLG Düsseldorf v. 27.3.2013 – VII-Verg 53/12, ZfBR 2015, 408; Dreher in Immenga/ Mestmäcker, GWB, § 115 Rz. 29. 3 OLG Brandenburg v. 6.3.2012 – Verg W 16/11, ZfBR 2012, 520. 4 OLG Düsseldorf v. 20.7.2015 – VII-Verg 37/15, NZBau 2015, 709; s. auch OLG Frankfurt v. 30.1.2014 – 11 Verg 15/13. 5 So wohl auch Antweiler in Burgi/Dreher, § 169 Rz. 23. 6 So im Ergebnis BayObLG v. 1.10.2001 – Verg 6/01, VergabeR 2002, 63; Boesen, EuZW 1998, 551 (558 f.). 7 Anders Boesen, Vergaberecht, § 115 Rz. 12, der in diesem Fall § 118 Abs. 3 analog (173 Abs. 3 n.F.) anwenden will, was jedoch wegen § 114 Abs. 3 (168 Abs. 3 n.F.) schon an der erforderlichen Regelungslücke scheitern dürfte.

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§ 169 | Aussetzung des Vergabeverfahrens III. Vorzeitige Gestattung des Zuschlags (§ 169 Abs. 2) 34 § 169 Abs. 2 sieht ein Verfahren zur vorzeitigen Gestattung des Zuschlags vor.

Antragsberechtigt dafür ist zum einen der öffentliche Auftraggeber selbst, zum anderen das Unternehmen, das nach den §§ 127, 134 vom Auftraggeber als das Unternehmen benannt ist, das den Zuschlag erhalten soll. Die Möglichkeit einer Antragstellung auch durch ein Unternehmen ändert allerdings nichts daran, dass sich das Entscheidungsprogramm abschließend nach § 169 Abs. 2 Satz 1 bis 4 richtet. Zudem sind die unionsrechtlichen Anforderungen zu berücksichtigen, die sich insbesondere aus Art. 2d Abs. 3 Satz 3 und 4 der Rechtsmittelrichtlinien (Einleitung Rz. 7) ergeben. Die Bedeutung der vorzeitigen Zuschlagsgestattung war vor Inkrafttreten des Vergaberechtsmodernisierungsgesetzes 2009 sehr gering (s. bereits Rz. 4). Dies hat sich auch seither nicht nennenswert geändert (zur Möglichkeit einer Interimsvergabe s. Rz. 32).

35 Der Zeitrahmen, der für das Nachprüfungsverfahren durch § 167 gesetzt ist, lässt

eine diesbezügliche Entscheidung kaum zu. Die gemäß § 169 Abs. 2 in jedem Fall notwendige Abwägungsentscheidung provoziert vielmehr eher das Risiko einer unnötigen Mehrbelastung der Vergabekammer. Nicht selten ist daher die Fallkonstellation anzutreffen, dass die Vergabekammer sich mit einem derartigen Antrag gar nicht besonders befasst und stattdessen die Hauptsacheentscheidung gemäß § 168 trifft, zumal ihr für eine Vorabentscheidung gemäß § 169 Abs. 2 keine gesonderte Frist gesetzt ist. Folge ist dann, dass sich der Antrag auf Gestattung auf vorzeitige Zuschlagserteilung erledigt (s. nachfolgend Rz. 43).

36 In der Mehrzahl der Fälle dürfte es im Übrigen auch entbehrlich sein, ein Ver-

fahren zur vorzeitigen Gestattung der Zuschlagserteilung durchzuführen. In der Begründung zum Regierungsentwurf des Vergaberechtsmodernisierungsgesetzes 2009 wurde darauf hingewiesen, dass es seit 2003 lediglich in rund 21 bis 27 % der Fälle zu einer Überschreitung der 5-Wochenfrist gemäß § 167 Abs. 1 Satz 1 gekommen sei1. In der ganz überwiegenden Zahl der Fälle konnte daher der gesetzlich vorgesehene Zeitrahmen eingehalten werden. Eine nennenswerte Beschleunigung im Vergleich dazu ist durch § 169 Abs. 2 schon im Hinblick auf die notwendige Tätigkeit der Vergabekammer selbst nicht zu erwarten (s. dazu nachfolgend unter Rz. 47). Hinzu kommt, dass das Beschwerdegericht, sollte eine vorzeitige Zuschlagsgestattung erfolgen, das Zuschlagsverbot gemäß § 169 Abs. 1 wieder herstellen kann, sofern das Unternehmen, das das Nachprüfungsverfahren eingeleitet hat, dies beantragt (§ 169 Abs. 2 Satz 5). In diesem Zusammenhang verweist § 169 Abs. 2 Satz 7 seit Inkrafttreten des Vergaberechtsmodernisierungsgesetzes 2009 auch auf § 176 Abs. 3, nach dem der Vergabesenat innerhalb von fünf Wochen nach Eingang des Antrags zu entscheiden hat, ohne dass allerdings an die Überschreitung dieser Frist durch den Vergabesenat besondere rechtliche Konsequenzen geknüpft wären (s. § 176 Rz. 17). Hält man

1 BT-Drucks. 16/10117, S. 42.

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sich gleichzeitig vor Augen, dass die Vergabekammern ohnehin in der ganz überwiegenden Zahl der Fälle die 5-Wochenfrist des § 167 Abs. 1 einhalten und zudem die Verlängerung der Entscheidungsfrist gemäß § 167 Abs. 1 Satz 2 im Durchschnitt nur eine bis maximal zwei Wochen beträgt1, zeigt sich das geringe praktische Bedürfnis für eine derartige Regelung und belegt zugleich, dass es nur in Ausnahmefällen gerechtfertigt ist, darauf zurückzugreifen. 1. Einschränkung des effektiven Rechtsschutzes, unionsrechtliche Vorgaben Eine vorzeitige Gestattung des Zuschlags führt zu einer Einschränkung des ef- 37 fektiven Rechtsschutzes der Bieter. Dennoch ist eine vorzeitige Entscheidung im nationalen Verfahrens- und Prozessrecht nichts Neues. Die Ausgestaltung des § 169 Abs. 2 entspricht vielmehr weitgehend §§ 80, 80a VwGO, denen die Vorschrift erkennbar nachgebildet ist (s. bereits Rz. 13). Ein wesentlicher Unterschied liegt jedoch darin, dass die Entscheidung der Vergabekammer einen rechtsverbindlichen und damit endgültigen Zuschlag ermöglichen soll (§ 169 Abs. 2 Satz 5, 2. Halbs.), wenn auch unter dem Vorbehalt einer – ebenfalls summarischen – Prüfung dieser vorzeitigen Gestattung durch das Oberlandesgericht. Demgegenüber belässt der vorläufige Rechtsschutz gem. den §§ 80, 80a VwGO auf Seiten des Begünstigten wegen des vorläufigen Charakters der Entscheidung erhebliche Risiken. Wird die vorläufige Entscheidung im Nachhinein korrigiert, dann kann dies für den Begünstigten einschneidende Folgen haben (z.B. vollständiger oder teilweiser Rückbau von baulichen Anlagen, die auf der Basis einer von dritter Seite angefochtenen Baugenehmigung realisiert wurden, die gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO i.V.m. § 212a BauGB sofort vollziehbar war). Derartige Risiken bestehen für den Auftraggeber bei der vorzeitigen Gestattung des Zuschlags gemäß § 169 Abs. 2 auf der Ebene des Primärrechtsschutzes nicht. Denn die vorzeitige Gestattung des Zuschlages setzt das Zuschlagsverbot gemäß § 169 Abs. 1 verbindlich und dauerhaft außer Kraft, so dass ein abgeschlossener Vertrag grundsätzlich wirksam ist und auch wirksam bleibt (s. allerdings § 133)2. Möglich sind in diesem Fall ansonsten nur noch Sekundäransprüche des Antragstellers, wenn sich im Ergebnis herausstellt, dass eine Verletzung von bieterschützenden Vorschriften zu seinem Nachteil vorlag und ihm daraus ein Schaden entstanden ist3. Es geht also letztlich um eine Vorwegnahme der Hauptsache4, wie sie aus dem Bereich des Verwaltungsverfah1 BT-Drucks. 16/10117, S. 42. 2 OLG Frankfurt v. 26.1.2017 – 11 Verg 1/17, NZBau 2017, 309. 3 Vgl. VK Baden-Württemberg v. 12.6.2014 – 1 VK 24/14; Gröning, ZIP 1998, 370 (375), spricht in diesem Zusammenhang von einem sinnverkehrten Eilverfahren. 4 OLG Frankfurt v. 26.1.2017 – 11 Verg 1/17, NZBau 2017, 309; VK Berlin v. 27.4.2010 – VK-B 2-3 E II; Schweda in Langen/Bunte, Kommentar zum deutschen und europäischen Kartellrecht, § 115 Rz. 13.

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§ 169 | Aussetzung des Vergabeverfahrens rens- und Verwaltungsprozessrechts weniger bei den §§ 80, 80a VwGO bekannt ist als vielmehr bei der einstweiligen Anordnung gemäß § 123 VwGO. Dabei gilt, dass ein Anordnungsanspruch, der die Hauptsacheentscheidung vorwegnimmt, nur unter besonders engen Voraussetzungen besteht. Es muss in der Regel ein nicht mehr gut zu machender Schaden drohen1. 38 Soweit es um die vorzeitige Gestattung der Zuschlagserteilung geht, ergeben sich

vergleichbar enge, wenn nicht sogar noch strengere Anforderungen aus den Rechtsmittelrichtlinien (Einleitung Rz. 7). Art. 1 Abs. 3 der Rechtsmittelrichtlinien verlangt, dass zumindest jeder Person ein Nachprüfungsverfahren zur Verfügung stehen muss, die ein Interesse an einem bestimmten Auftrag hat oder hatte und der durch einen behaupteten Vergaberechtsverstoß ein Schaden entstanden ist bzw. zu entstehen droht (s. auch § 160). Art. 2 regelt sodann im Einzelnen die Ausgestaltung des Bieterschutzes. Gemäß Art. 2d) der Richtlinie tragen die Mitgliedstaaten dafür Sorge, dass ein Vertrag grundsätzlich unwirksam ist oder für unwirksam erklärt wird, wenn u.a. ein Bieter, der eine Nachprüfung beantragt hat, nicht mehr die Möglichkeit hat, vor Abschluss des Vertrages Rechtsschutz zu erlangen und damit ein Verstoß gegen die materiellen Vergaberichtlinien (Einleitung Rz. 7) einhergeht. Gerade Letzteres soll in dem Nachprüfungsverfahren erst festgestellt werden. Wegen der Ausgestaltung im deutschen Recht, nach der ein bereits wirksam erteilter Zuschlag im Rahmen der vergaberechtlichen Nachprüfung nicht mehr aufgehoben werden kann (§ 168 Abs. 2 Satz 1, s. dazu § 168 Rz. 30 ff.), muss gewährleistet sein, dass vor Abschluss der Prüfung, ob ein Verstoß gegen materielles Vergaberecht vorliegt, der Auftrag nicht erteilt werden darf. Art. 2d) Abs. 3 sieht hierzu einen Ausnahmefall vor. Danach können die Mitgliedstaaten vorsehen, dass die von dem öffentlichen Auftraggeber unabhängige Nachprüfungsstelle einen Vertrag dann nicht als unwirksam erachten kann, selbst wenn er rechtswidrig vergeben wurde, wenn die Nachprüfungsstelle nach Prüfung aller einschlägigen Aspekte zu dem Schluss kommt, dass zwingende Gründe eines Allgemeininteresses es rechtfertigen, die Wirkung des Vertrages zu erhalten. Wirtschaftliche Interessen an der Wirksamkeit eines Vertrages dürfen nur als zwingende Gründe gelten, wenn die Unwirksamkeit in Ausnahmesituationen unverhältnismäßige Folgen hätte (zur Möglichkeit einer Interimsvergabe s. Rz. 32). Dabei dürfen wirtschaftliche Interessen in unmittelbarem Zusammenhang mit dem betreffenden Vertrag jedoch nicht als zwingende Gründe eines Allgemeininteresses gelten. Zu den wirtschaftlichen Interessen in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Vertrag gehören u.a. die durch die Verzögerung bei der Ausführung eines Vertrages verursachten Kosten, die durch die Einleitung eines neuen Vergabeverfahrens verursachten Kosten, die

1 W.-R. Schenke in Kopp/Schenke, VwGO, § 123 Rz. 13 ff.; s. auch zur Vorwegnahme der Hauptsache im Zivilprozessrecht Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, § 916 Rz. 5 ff. sowie zur Vorwegnahme der Hauptsache im Verfassungsprozessrecht Schneider in Burkiczak/Dollinger/Schorkopf, BVerfGG, § 32 Rz. 329 ff.

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durch den Wechsel des Wirtschaftsteilnehmers, der den Vertrag ausführt, verursachten Kosten und die Kosten, die durch rechtliche Verpflichtungen aufgrund der Unwirksamkeit verursacht wurden. Da das deutsche Recht in zulässiger Ausnutzung des bestehenden Umsetzungsspielraums nicht die Möglichkeit vorsieht, dass die Vergabekammern und Vergabesenate einen gegen materielles Vergaberecht verstoßenden Vertrag nachträglich für unwirksam erklären und stattdessen ein öffentlicher Auftrag erst dann wirksam und verbindlich vergeben werden darf, wenn kein Nachprüfungsverfahren eingeleitet wurde oder die Vergabenachprüfungsinstanzen festgestellt haben, dass kein Vergaberechtsverstoß zu Lasten des betreffenden Antragstellers vorliegt (s. in diesem Zusammenhang insbesondere die Regelungen zur Informations- und Wartepflicht in § 134 sowie zur Unwirksamkeit in § 135; s. ebenfalls zur Kündigung in besonderen Fällen § 133), bedeutet dies, dass eine vorzeitige Gestattung der Zuschlagserteilung und damit verbunden eine Einschränkung des effektiven Bieterrechtsschutzes nur in den durch Art. 2d) Abs. 3 gezogenen Grenzen möglich ist1. Das Entscheidungsprogramm des § 169 Abs. 2, das die Vergabekammer zugrunde zu legen hat, berücksichtigt diese unionsrechtlichen Anforderungen explizit nicht. Allerdings handelt es sich zumindest um eine Entscheidung, bei der die widerstreitenden Interessen miteinander abzuwägen sind. Daher bestehen gegen die Regelung im Ergebnis auch keine unionsrechtlichen Bedenken. Sie ist allerdings in dem restriktiven Sinne von Art. 2d) Abs. 3 der Rechtsmittelrichtlinien auszulegen2. 2. Antragsteller Gestellt werden kann der Antrag auf vorzeitige Gestattung des Zuschlags durch 39 den öffentlichen Auftraggeber, um dessen Auftragsvergabe es in dem anhängigen Nachprüfungsverfahren geht. Ebenfalls ist es möglich, dass das Unternehmen den Antrag stellt, das nach 40 § 134 vom Auftraggeber als das Unternehmen benannt ist, das den Zuschlag erhalten soll. Ist eine Information gemäß § 134 Abs. 1 (noch) nicht erfolgt, kommt die Antragstellung durch ein Unternehmen daher nicht in Betracht. Dies gilt selbst dann, wenn die Angebotsprüfung bereits so weit fortgeschritten ist, dass eine Mitteilung gemäß § 134 Abs. 1 schon möglich wäre. Dementsprechend spielt es auch keine Rolle, ob ein entsprechend chancenreiches Unternehmen bereits dem Nachprüfungsverfahren beigeladen wurde oder nicht (zur Beiladung s. § 162 Rz. 5 ff.; zur Beiladung s. auch noch nachfolgend unter Rz. 42)3. 1 In diesem Sinne auch die Gegenäußerung des Bundesrates zum Regierungsentwurf des Vergaberechtsmodernisierungsgesetzes, BT-Drucks. 16/10117, S. 35 f.; ebenso Kühnen, NZBau 2009, 357 (358). 2 So auch Kühnen, NZBau 2009, 357 (358). 3 Kus in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum Vergaberecht, § 169 Rz. 59; Stoye/ v. Münchhausen, VergabeR 2008, 871 (875).

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§ 169 | Aussetzung des Vergabeverfahrens 41 Ebenfalls scheidet die Antragstellung durch ein Unternehmen gemäß § 169

Abs. 2 Satz 1 dann aus, wenn es keiner Information und dementsprechend auch keiner Benennung nach § 134 bedarf. Dies ist dann der Fall, wenn die Informationspflicht als solche entfällt (§ 134 Abs. 3).

42 Der Antrag auf vorzeitige Gestattung der Zuschlagserteilung setzt zwar die Aus-

setzung des Vergabeverfahrens, also ein Zuschlagsverbot i.S.v. § 169 Abs. 1 und dementsprechend auch ein bereits anhängiges Nachprüfungsverfahren voraus. Nicht notwendig ist es allerdings, dass das Unternehmen, das einen Antrag auf vorzeitige Gestattung der Zuschlagserteilung gemäß § 169 Abs. 2 Satz 1 stellen möchte, bereits dem Nachprüfungsverfahren förmlich beigeladen wurde. Denn eine derartige Einschränkung enthält § 169 Abs. 2 Satz 1 nicht. Sie ergibt sich auch nicht aus dem Sinn und Zweck der Regelung. Ziel ist es, dem für die beabsichtigte Zuschlagserteilung ausgewählten Unternehmen ein eigenes Antragsrecht einzuräumen. Dieses Antragsrecht kann die Vergabekammer nicht dadurch unterlaufen, dass sie von einer Beiladung absieht oder diese erst ganz am Ende des Nachprüfungsverfahrens vornimmt (zum Zeitpunkt der Beiladung s. § 162 Rz. 26 ff.). 3. Zeitpunkt, Form und Frist für den Antrag

43 Der Antrag gemäß § 169 Abs. 2 Satz 1 ist an keine besondere Form und Frist

gebunden1. Es muss lediglich bereits ein Zuschlagsverbot i.S.v. Abs. 1 bestehen (s. Rz. 7). Der Antrag kann also auch noch im Rahmen der mündlichen Verhandlung (§ 166) gestellt werden. In jedem Fall muss er allerdings gestellt werden, solange das Nachprüfungsverfahren noch nicht durch eine Entscheidung der Vergabekammer abgeschlossen ist2. Ergeht die Hauptsacheentscheidung der Vergabekammer zu einem Zeitpunkt, zu dem über den Antrag gemäß § 169 Abs. 2 noch nicht entschieden wurde, so erledigt sich dieser (zur Erledigung der vorzeitigen Zuschlagsgestattung durch eine nachfolgende Hauptsacheentscheidung s. nachfolgend Rz. 72)3. Danach greift § 176 ein. Einer gesonderten Begründung des Antrags bedarf es nicht4. Gleichwohl ist sie in der Regel geboten, um die Voraussetzungen für die vorzeitige Gestattung zu belegen. Zudem muss 1 A.A. hinsichtlich der Form Schweda in Langen/Bunte, Kommentar zum deutschen und europäischen Kartellrecht, § 115 Rz. 14. 2 OLG Naumburg v. 15.12.2000 – 1 Verg 11/00, NZBau 2001, 642; Jaeger in Byok/Jaeger, Kommentar zum Vergaberecht, § 115 Rz. 15. 3 BayOLG v. 16.7.2004 – Verg 16/04, VergabeR 2005, 141; VK Arnsberg v. 21.12.2009 – VK 41/09; Opitz, NZBau 2005, 213 (214); Kus in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum Vergaberecht, § 169 Rz. 34. 4 Boesen, Vergaberecht, § 115 Rz. 23; a.A. Kus in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum Vergaberecht, § 169 Rz. 59; Schweda in Langen/Bunte, Kommentar zum deutschen und europäischen Kartellrecht, § 115 Rz. 14.

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bereits ein Unternehmen ausgewählt sein, das den Zuschlag erhalten soll und dementsprechend auch benannt werden1. 4. Anhörung der anderen Verfahrensbeteiligten, Aufklärung der für die vorzeitige Gestattung relevanten Umstände § 169 Abs. 2 sieht eine Anhörung der anderen Verfahrensbeteiligten vor einer 44 Entscheidung der Vergabekammer über die vorzeitige Gestattung des Zuschlags nicht vor. Eine entsprechende Verpflichtung ergibt sich allerdings aus § 28 Abs. 1 VwVfG, wenn man in der Vorabentscheidung einen Verwaltungsakt sieht. Dies ist zu bejahen, da im Unterschied zu §§ 80, 80a VwGO, wo diese Frage streitig ist, der gestattete Zuschlag endgültig wirkt (§ 169 Abs. 2 Satz 5, 2. Halbs.; Rz. 37)2. Im Übrigen wird selbst im Rahmen des verwaltungsprozessualen vorläufigen Rechtsschutzes überwiegend und zu Recht eine Anhörungspflicht der weiteren Verfahrensbeteiligten bejaht3. Die Durchführung einer mündlichen Verhandlung (§ 166) ist nicht erforderlich4. Die beigeladenen Verfahrensbeteiligten i.S.v. § 162 müssen bei einem Antrag auf vorzeitige Gestattung des Zuschlags nicht erneut beigeladen werden. Es handelt sich vielmehr um ein einheitliches Verfahren, bei dem die erfolgte Beiladung auch für das Verfahren hinsichtlich der vorzeitigen Gestattung der Zuschlagserteilung wirkt. Neben einer Anhörung der anderen Verfahrensbeteiligten kann und muss die 45 Vergabekammer selbst die erforderlichen Ermittlungen anstellen, die für die nach § 169 Abs. 2 zu treffende Entscheidung notwendig sind. Es versteht sich aufgrund von Sinn und Zweck der vorzeitigen Gestattung von selbst, dass diese Ermittlungen nicht so umfangreich sein müssen wie für das Hauptsacheverfahren. Ansonsten wäre die Möglichkeit zur vorzeitigen Gestattung des Zuschlags von vornherein ohne praktische Bedeutung. Maßstab für die Sachverhaltsermittlung der Vergabekammer muss daher die Möglichkeit zur umgehenden Entscheidung über den diesbezüglichen Antrag sein5. Nur das, was für eine umgehende Entscheidung noch ohne nennenswerte Verzögerungen ermittelt werden kann, ist daher zu berücksichtigen. Wenn der damit vorliegende Sachverhalt noch unvollständig ist und Lücken aufweist, ist das im Rahmen des Entscheidungsprogramms zu berücksichtigen (Rz. 47 ff.). Im Zweifel geht eine solche Entscheidung nach Lage der Akten also zu Lasten desjenigen, der eine vorzeitige Zuschlagserteilung anstrebt. 1 VK Berlin v. 18.3.2010 – VK-B2-3/10E. 2 So im Ergebnis auch Willenbruch, NVwZ 1999, 1062 (1067); Kus in Kulartz/Kus/Portz/ Prieß, Kommentar zum Vergaberecht, § 169 Rz. 59. 3 Redeker in Redeker/v. Oertzen, VwGO, § 80a Rz. 5, § 80 Rz. 27 ff. mit Nachweisen zum Meinungsstand. 4 VK Berlin v. 18.3.2010 – VK-B2-3/10E. 5 OLG Celle v. 19.8.2003 – 13 Verg 20/03.

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§ 169 | Aussetzung des Vergabeverfahrens 5. Entscheidungsprogramm der Vergabekammer a) Allgemeine Anforderungen 46 Die Vergabekammer kann den vorzeitigen Zuschlag gestatten, wenn unter Be-

rücksichtigung aller möglicherweise geschädigten Interessen sowie des Interesses der Allgemeinheit an einem raschen Abschluss des Vergabeverfahrens die nachteiligen Folgen einer Verzögerung der Vergabe bis zum Abschluss der Nachprüfung die damit verbundenen Vorteile überwiegen. Es handelt sich also um ein komplexes Abwägungsprogramm, das insbesondere den zu § 80 Abs. 5 VwGO entwickelten Anforderungen vergleichbar ist. Durch das Vergaberechtsmodernisierungsgesetz 2009 (Rz. 4) wurde dieses Abwägungsprogramm um drei erläuternde Grundsätze ergänzt1. Sie sind für die von der Vergabekammer zu treffende Entscheidung allerdings nicht abschließend (s. insb. Rz. 38 zu den unionsrechtlichen Anforderungen).

47 Gemäß § 169 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 1 ist bei der von der Vergabekammer an-

zustellenden Abwägung das Interesse der Allgemeinheit an einer wirtschaftlichen Erfüllung der Aufgaben des Auftraggebers zu berücksichtigen (zu der weitergehenden Regelung im Regierungsentwurf zum Vergaberechtsmodernisierungsgesetz 2009 s. vorstehend Rz. 4). Bei diesem Entscheidungsgesichtspunkt geht es in erster Linie um eine sparsame Verwendung von Haushaltsmitteln2. Dabei ist allerdings zu berücksichtigen, dass wirtschaftliche Interessen nur dann eine Missachtung von (möglicherweise) bestehenden Vergaberechtsverstößen zu Lasten eines antragstellenden Unternehmens rechtfertigen, wenn ansonsten unverhältnismäßige Folgen zu erwarten wären. Wirtschaftliche Interessen in unmittelbarem Zusammenhang mit dem betreffenden Vertrag sind dabei generell unbeachtlich (Rz. 38)3. Dies gilt also insbesondere für mögliche Nachtragsforderungen des zu beauftragenden Unternehmens wegen einer verspäteten Vergabe (s. bereits zur Bindefrist Rz. 30). Entscheidungsrelevant können also nur über den ausgeschriebenen Vertrag hinausgehende wirtschaftliche Nachteile zu Lasten des öffentlichen Auftraggebers sein4.

48 § 169 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 2 stellt klar, dass bei Aufträgen im Sinne des § 104 zu-

sätzlich die besonderen Verteidigungs- und Sicherheitsinteressen zu berücksichtigen sind. Diese Aufträge sind zu unterscheiden von den Aufträgen im Sinne des § 169 Abs. 4 i.V.m. § 117 Nr. 1–3 und § 150 Nr. 1 und 6, die vom Anwendungsbereich des 4. Teils des GWB ausgeschlossen sind (s. Rz. 79 ff.). Die Beschränkung auf besondere Verteidigungs- und Sicherheitsinteressen verdeut1 Kühnen, NZBau 2009, 357 (358). 2 Kühnen, NZBau 2009, 357 (358). 3 Eine Einbeziehung der Mehrkosten des konkreten Vertrages stünde im Gegensatz zu gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben aus den Vergaberichtlininen Stoye/v. Münchhausen, VergabeR 2008, 871 (876 f.). 4 Kus in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum Vergaberecht, § 169 Rz. 77.

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licht den auch hier bestehenden Ausnahmecharakter der Aufhebung des Zuschlagsverbots1. Gemäß § 169 Abs. 2 Satz 3 berücksichtigt die Vergabekammer bei ihrer Ent- 49 scheidung über einen Antrag auf vorzeitige Gestattung der Zuschlagserteilung auch die allgemeinen Aussichten des Antragstellers im Vergabeverfahren, den Auftrag zu erhalten2. Mit dem Antragsteller ist hier das Unternehmen gemeint, das den Nachprüfungsantrag gestellt hat, nicht hingegen das für die Zuschlagserteilung vorgesehene Unternehmen, das innerhalb dieses Verfahrens einen Antrag gemäß § 169 Abs. 2 an die Vergabekammer gerichtet hat. Berücksichtigt werden sollen gemäß § 169 Abs. 2 Satz 3 nicht die Erfolgsaussichten in dem angestrengten Nachprüfungsverfahren (dazu noch nachfolgend unter Rz. 50). Vielmehr geht es um die allgemeinen, also über das Nachprüfungsverfahren hinausgehenden, Aussichten, letztendlich den Zuschlag zu erhalten3. Macht ein Unternehmen in einem Nachprüfungsverfahren etwa geltend, dass die Angebotswertung fehlerhaft erfolgt sei, ist es jedoch mit seinem Angebot so weit abgeschlagen, dass es auch bei einer Neubewertung keine ernsthafte Zuschlagschance hat, spricht dies eher für eine vorzeitige Zuschlagsgestattung an seinen Konkurrenten, als wenn es um ein Unternehmen geht, das ernsthafte Zuschlagschancen hat und zu dessen Gunsten sich eine Änderung der Bieterreihenfolge nach erneuter Angebotswertung auswirken könnte. Je geringer die allgemeinen Chancen des unterlegenen Bieters auf den ausgeschriebenen Auftrag sind, desto gewichtiger ist also tendenziell das öffentliche Interesse, dass das Beschaffungsvorhaben des Auftraggebers umgehend in die Tat umgesetzt werden darf und die Auftragserteilung nicht bis zum Abschluss des Nachprüfungsverfahrens hinausgeschoben werden muss4. Geht es allerdings nicht oder nicht nur um die Angebotswertung, sondern auch um die Ausschreibung als solche (z.B. um die notwendige Eindeutigkeit der Leistungsbeschreibung oder der Zuschlagskriterien), ist die Platzierung des antragstellenden Bieters kaum aussagefähig. Dies gilt nicht zuletzt deshalb, weil in diesem Fall ein Nachprüfungsantrag sogar gestellt werden könnte, ohne dass das antragstellende Unternehmen überhaupt ein Angebot abgegeben hat (s. dazu § 160 Rz. 26 f.). In derartigen Fällen gibt § 169 Abs. 2 Satz 3 der Vergabekammer in der Regel praktisch keine Leitlinie für die von ihr zu treffende Abwägungsentscheidung5. 1 Dreher in Immenga/Mestmäcker, GWB, § 115 Rz. 58; Schweda in Langen/Bunte, Kommentar zum deutschen und europäischen Kartellrecht, § 115 Rz. 20; BT-Drucks. 17/ 7275, S. 18 bezeichnet die Einfügung nur als Klarstellung. 2 OLG Frankfurt v. 26.1.2017 – 11 Verg 1/17, NZBau 2017, 308; OLG Düsseldorf v. 20.7. 2015 – VII-Verg 37/15, NZBau 2015, 709; VK Hessen v. 27.4.2009 – 69d. VK – 10/2009. 3 Kus in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum Vergaberecht, § 169 Rz. 66. 4 Kühnen, NZBau 2009, 357 (359); Leinemann, Die Vergabe öffentlicher Aufträge, Rz. 1735. 5 Kühnen, NZBau 2009, 357 (359).

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§ 169 | Aussetzung des Vergabeverfahrens 50 § 169 Abs. 2 Satz 4 besagt, dass die Erfolgsaussichten des Nachprüfungs-

antrags nicht in jedem Fall Gegenstand der Abwägung sein müssen. Aus der Formulierung folgt, dass insoweit ein Regel-Ausnahmeverhältnis dahingehend besteht, dass die Erfolgsaussichten in der Regel zu berücksichtigen sind und nur ausnahmsweise davon abgesehen werden darf1. Eine solche Ausnahme ist dann anzunehmen, wenn die Prüfung der Erfolgsaussichten die Erteilung des Vorabzuschlags ungebührlich verzögern und damit dem überwiegenden Interesse der Allgemeinheit an einem raschen Abschluss des Vergabeverfahrens nicht ausreichend Rechnung tragen würde2. Dabei ist zu beachten, dass auch eine Berücksichtigung der Erfolgsaussichten eines Nachprüfungsantrags nicht mit dessen abschließender Prüfung gleichzusetzen ist. Ansonsten käme die Vorabentscheidung der Entscheidung in der Hauptsache gleich und würde erstere schon dem Grunde nach entbehrlich machen (vgl. hierzu auch Rz. 37). Es geht also bei einer Berücksichtigung der Erfolgsaussichten im Verfahren zur Vorabentscheidung über die Zuschlagserteilung immer nur um eine überschlägige Prüfung3. Davon gänzlich abzusehen, wird man nur in sehr seltenen Ausnahmefällen als zulässig ansehen können4.

51 Im Hinblick darauf, dass die Erfolgsaussichten des Nachprüfungsantrags jeden-

falls in der Regel Gegenstand der Abwägung durch die Vergabekammer bei einer Entscheidung gemäß § 169 Abs. 2 sein müssen, ergibt sich das nachfolgend skizzierte Wertungsschema. Dabei ist als generelle Vorgabe ergänzend zu berücksichtigen, dass eine Gestattung der vorzeitigen Zuschlagserteilung die Ausnahme sein muss5. Sie ist aus unionsrechtlichen Gründen nur dann zulässig, wenn nach Prüfung aller einschlägigen Aspekte zwingende Gründe eines Allgemeininteresses dies rechtfertigen. Wirtschaftliche Interessen in unmittelbarem Zusammenhang mit dem ausgeschriebenen Vertrag selbst müssen dabei unberücksichtigt bleiben. Zwingende Gründe in diesem Sinne sind allerdings nicht nur solche, die den vorzeitigen Abschluss des ausgeschriebenen Vertrages als alternativlos erscheinen lassen6. Sie müssen jedoch zumindest von ganz erhebli-

1 VK Hessen v. 27.4.2009 – 69d. VK – 10/2009; Kühnen, NZBau 2009, 357 (359); Stoye/ v. Münchhausen, VergabeR 2008, 871 (876); Kus in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum Vergaberecht, § 169 Rz. 68. 2 Kus in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum Vergaberecht, § 169 Rz. 68. 3 Stoye/v. Münchhausen, VergabeR 2008, 871 (876). 4 In diesem Sinne auch Kühnen, NZBau 2009, 357 (359). 5 OLG Frankfurt v. 26.1.2017 – 11 Verg 1/17, NZBau 2017, 309; Kus in Kulartz/Kus/Portz/ Prieß, Kommentar zum Vergaberecht, § 169 Rz. 57; Weyand, IBR-online-Kommentar, Vergaberecht, § 115 Rz. 31/2; Schweda in Langen/Bunte, Kommentar zum deutschen und europäischen Kartellrecht, § 115 Rz. 1, 15. 6 So z.B. wenn ansonsten die Sicherheitslage im Bund oder einem Bundesland ernsthaft bedroht wäre, OLG Jena v. 14.11.2001 – 6 Verg 6/01, VergabeR 2002, 165; von gravierenden, nicht anders abwendbaren Notsituationen spricht Kus in Kulartz/Kus/Portz/ Prieß, Kommentar zum Vergaberecht, § 169 Rz. 88.

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chem und übergeordnetem Gewicht sein, die zudem dem Allgemeininteresse dienen1. Zu den Aspekten, die bei der Prüfung zu berücksichtigen sind, ob die Gestattung einer vorzeitigen Zuschlagserteilung gerechtfertigt ist oder nicht, gehört auch der damit verbundene tatsächliche Zeitvorteil, mit dem bei realistischer Einschätzung gerechnet werden darf2. Je geringer dieser Zeitvorteil ausfällt, desto weniger spricht dafür, im Vorfeld der Hauptsacheentscheidung die Zuschlagserteilung zu gestatten (s. bereits Rz. 36). Bei der Bestimmung des Zeitvorteils sind in erster Linie die Verzögerungen durch das Nachprüfungsverfahren einzubeziehen, also der Zeitraum zwischen frühstmöglicher Zuschlagserteilung bei vorzeitiger Gestattung und der Zuschlagserteilung bei regulärem Fortgang des Verfahrens3. Auf mögliche Verzögerungen durch ein nachfolgendes Beschwerdeverfahren kommt es in der Regel nicht an, da dieses zum Entscheidungszeitpunkt noch hypothetisch ist und zudem § 176 für das Beschwerdeverfahren eine eigenständige Regelung trifft4. b) Offensichtliche Unzulässigkeit oder Unbegründetheit des Nachprüfungsantrags Wenn nach dem Stand des Nachprüfungsverfahrens unter Berücksichtigung der 52 Stellungnahmen der Verfahrensbeteiligten dem Nachprüfungsantrag offensichtlich nicht stattzugeben ist, sind die durch die vorzeitige Zuschlagserteilung möglicherweise geschädigten Interessen vergleichsweise gering zu bewerten5. Die Offensichtlichkeit der fehlenden Erfolgsaussichten ist dabei wegen des Verfahrensfortschritts nicht mit der Offensichtlichkeit gemäß § 163 Abs. 2 im Vorfeld der Information über den Nachprüfungsantrag gleichzusetzen (dazu Rz. 8 ff. sowie § 163 Rz. 20). Dies allein bedeutet jedoch noch nicht, dass das Interesse der Allgemeinheit an 53 einem raschen Abschluss des Vergabeverfahrens überwiegt. Erst recht ergibt sich daraus noch nicht, dass zwingende Gründe eines Allgemeininteresses die vorzeitige Auftragsvergabe rechtfertigen. Allerdings sind die Anforderungen, die an die vorzeitige Zuschlagserteilung in diesem Fall zu stellen sind, zumindest tendenziell niedriger. Sie machen zwar ein besonderes Beschleunigungsinteresse im Hinblick auf die Auftragsvergabe nicht entbehrlich, jedoch muss dieses nicht ein solches Gewicht haben, wie bei einem voraussichtlich erfolgreichen Nachprüfungsantrag, insbesondere dann, wenn der Antragsteller auch gute Aussichten hat, den Auftrag letztendlich zu erhalten (s. Rz. 56) oder wenn sich die Erfolgsaussichten des Nachprüfungsantrags jedenfalls als offen darstellen. 1 Zum Begriff der zwingenden Gründe eines Allgemeininteresses s. Holoubek in Schwarze, EU-Kommentar, Art. 56/57 AEUV Rz. 107 ff.; EuGH v. 25.7.1991 – C-288/89, Slg. 1991, S. I-4007 (Aufzählung bereits anerkannter Allgemeininteressen). 2 OLG Frankfurt v. 26.1.2017 – 11 Verg 1/17, NZBau 2017, 309. 3 Kus in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum Vergaberecht, § 169 Rz. 84. 4 Kus in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum Vergaberecht, § 169 Rz. 82. 5 Vgl. Leinemann, Die Vergabe öffentlicher Aufträge, Rz. 1735.

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§ 169 | Aussetzung des Vergabeverfahrens c) Überwiegend wahrscheinliche Unbegründetheit des Nachprüfungsantrags 54 Wenn aufgrund der gegebenen Sachlage und deren (vorläufiger) rechtlicher Be-

wertung zwar überwiegende Gründe dafür sprechen, dass dem Nachprüfungsantrag nicht stattgegeben wird, jedoch aufgrund der bis dahin erfolgten Aufarbeitung der Sach- und Rechtslage durch die Vergabekammer nicht ganz unwesentliche Zweifel daran verbleiben, bedarf es einer im Vergleich zu b) intensiveren Prüfung, ob die Interessen an einer vorzeitigen Zuschlagserteilung überwiegen. Der Auftraggeber und/oder das Unternehmen, das den Antrag gemäß § 169 Abs. 2 gestellt hat, haben in diesem Fall eine entsprechende Darlegungslast. d) Offene Erfolgsaussichten

55 Wenn der Ausgang des Nachprüfungsverfahrens aus Sachverhaltsgründen oder

wegen der nicht eindeutigen rechtlichen Bewertung offen ist und aufgrund der bestehenden Komplexität der Sachlage im Rahmen des Verfahrens gemäß § 169 Abs. 2 eine weitere Sachverhaltsaufklärung und/oder rechtliche Prüfung mit dem Sinn und Zweck des Verfahrens nicht vereinbar wäre (s. Rz. 37), kommt praktisch nur eine Interessenabwägung in Betracht. Dabei hat das Ziel, nach Möglichkeit ein rechtmäßiges Vergabeverfahren zu gewährleisten, einen entsprechend hohen Stellenwert. Nur ausnahmsweise ist daher in einem solchen Fall die vorzeitige Gestattung einer Zuschlagserteilung möglich, wenn dafür unter Abwägung aller einschlägigen Aspekte besonders gewichtige Gründe auf Seiten des Auftraggebers oder der Allgemeinheit sprechen. e) Offensichtliche oder zumindest überwiegend wahrscheinliche Begründetheit des Nachprüfungsantrags

56 Bei einem offensichtlich zu erwartenden oder auch nur überwiegend wahr-

scheinlichen Erfolg des Nachprüfungsantrags kommt in aller Regel eine vorzeitige Gestattung der Zuschlagserteilung nicht in Betracht1. Sie würde den Sinn und Zweck des Nachprüfungsverfahrens und das Gebot effektiven (Primär-) Rechtsschutzes leer laufen lassen. Indes ist dies nicht völlig ausgeschlossen, wenn ansonsten der Allgemeinheit massive Nachteile nicht nur drohen, sondern äußerst wahrscheinlich sind und auch durch eine Korrektur oder Wiederholung des Nachprüfungsverfahrens nicht hinreichend kompensiert werden könnten. Dies ist durch den Auftraggeber und/oder das Unternehmen, das den Antrag gemäß § 169 Abs. 2 Satz 1 gestellt hat, detailliert darzulegen. Von Bedeutung kann bei dieser Interessenabwägung u.a. auch die Schwere des Vergabefehlers sein2 sowie die damit verbundene Frage, wie wahrscheinlich es ist, dass sich an der

1 Vgl. OLG Düsseldorf v. 20.7.2015 – VII-Verg 37/15, VergabeR 2015, 797. 2 Vgl. dazu OLG Düsseldorf v. 20.7.2015 – VII-Verg 37/15, NZBau 2015, 709.

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Bieterauswahl zugunsten des Unternehmens, das den Nachprüfungsantrag gestellt hat (§ 169 Abs. 2 Satz 3, s. Rz. 49), tatsächlich etwas ändert. Insgesamt sind die Anforderungen sehr hoch anzusetzen. Es muss sich – unabhängig davon, dass für eine Zuschlagserteilung generell nach „Prüfung aller einschlägigen Aspekte zwingende Gründe eines allgemeinen Interesses“ vorliegen müssen (Rz. 38) – um eine besondere Ausnahmesituation handeln1. 6. Entscheidungsinhalt Mit der Entscheidung gemäß § 169 Abs. 2 kann dem Auftraggeber entweder die 57 vorzeitige Erteilung des Zuschlags binnen zwei Wochen nach Bekanntgabe dieser Entscheidung (dazu Rz. 60) gestattet oder aber diese Gestattung versagt werden2. Der Entscheidungsinhalt ist nicht anders, wenn der Antrag auf vorzeitige Ge- 58 stattung des Zuschlags nicht durch den öffentlichen Auftraggeber sondern durch das Unternehmen gestellt wurde, das gemäß der Information nach § 134 den Zuschlag erhalten soll (Rz. 40). Auch in diesem Fall kann also die Gestattung nur zugunsten des Auftraggebers erfolgen. Es liegt daher auch in der alleinigen Entscheidungszuständigkeit und –verantwortlichkeit des öffentlichen Auftraggebers, ob er von diesem Recht Gebrauch macht oder davon im Hinblick auf mögliche Schadensersatzansprüche unterlegener Bieter (s. Rz. 73) oder aus sonstigen Gründen absieht. Ein Rechtsanspruch des Unternehmens, das den Antrag gemäß § 169 Abs. 2 Satz 1 gestellt hat, gegen den öffentlichen Auftraggeber, den vorzeitigen Zuschlag zu erteilen, besteht ebensowenig wie auch sonst kein Anspruch auf Zuschlagserteilung besteht. 7. Form und Inhalt der Entscheidung § 169 Abs. 2 Satz 1 trifft keine besonderen Regelungen zu Form und Inhalt der 59 Entscheidung gemäß § 169 Abs. 2. Man wird daher § 168 Abs. 3, also die Regelung zur Entscheidung der Vergabekammer über den Nachprüfungsantrag, sinngemäß anzuwenden haben, zumal auch § 169 Abs. 2 Satz 1 ausdrücklich von einer Entscheidung der Vergabekammer spricht. Danach ist die Entscheidung als Verwaltungsakt durch die Vergabekammer zu begründen, mit einer Rechtsmittelbelehrung zu versehen und nach den Vorschriften des Verwaltungszustellungsgesetzes zuzustellen (dazu § 168 Rz. 78 f.)3. 1 VK Arnsberg v. 11.9.2008 – VK 19/08; Weyand, IBR-online-Kommentar, Vergaberecht, § 115 Rz. 32/1. 2 Schweda in Langen/Bunte, Kommentar zum deutschen und europäischen Kartellrecht, § 115 Rz. 12. 3 A.A. bzgl. des Zustellungserfordernisses Jaeger in Byok/Jaeger, Kommentar zum Vergaberecht, § 115 Rz. 27; Dreher in Immenga/Mestmäcker, GWB, § 115 Rz. 68; Boesen, Vergaberecht, § 115 Rz. 64 f., der sogar die Begründungspflicht in Zweifel zieht.

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§ 169 | Aussetzung des Vergabeverfahrens 8. Zwei-Wochen-Frist 60 Der Auftraggeber darf den Zuschlag gemäß § 169 Abs. 2 Satz 1 erst zwei Wo-

chen nach Bekanntgabe der vorzeitigen Gestattung erteilen. Die Fristberechnung richtet sich dabei nach § 31 VwVfG (§ 167 Rz. 7). Zudem entbindet die Gestattung des vorzeitigen Zuschlags nicht davon, die anderen Bieter, vor allem also diejenigen, die nicht Beteiligte des Nachprüfungsverfahrens (§ 162) sind, gemäß § 134 zu informieren, wenn dies nicht bereits erfolgt ist.

61 Durch die Zwei-Wochen-Frist soll dem Unternehmen, das den Nachprüfungs-

antrag gestellt hat, Gelegenheit gegeben werden, das Beschwerdegericht anzurufen, damit dieses das Zuschlagsverbot wiederherstellen kann (§ 169 Abs. 2 Satz 5, Rz. 63 ff.)1. Daraus ergibt sich zugleich, dass die Bekanntgabe an den Antragsteller gemeint ist, da es um dessen Rechtsschutzmöglichkeiten geht. Eine Bekanntgabe an den Auftraggeber und/oder an das Unternehmen, das den Antrag gemäß § 169 Abs. 2 Satz 1 gestellt hat, oder auch nur eine Berechnung der Zwei-Wochen-Frist anhand der Bekanntgabe der Entscheidung an eine dieser Parteien genügt daher nicht2.

62 Ein vor Fristablauf erteilter Zuschlag fällt unter das bis dahin noch fortwir-

kende Zuschlagsverbot gemäß § 169 Abs. 1 und ist daher nichtig (Rz. 31). Der Auftraggeber muss folglich sorgsam prüfen, wann die Zustellung der Gestattung bei dem Antragsteller erfolgt ist. Dies gilt auch für die Ordnungsgemäßheit der Zustellung sowie für die gemäß § 168 Abs. 3 i.V.m. § 61 erforderliche Rechtsmittelbelehrung (zu den Problemen einer fehlerhaften Zustellung oder Rechtsmittelbelehrung Rz. 26 ff.). 9. Rechtsschutzmöglichkeiten

63 Gemäß § 169 Abs. 2 Satz 8 ist gegen die Entscheidung der Vergabekammer über

die Gestattung eines vorzeitigen Zuschlags die sofortige Beschwerde nach § 171 nicht zulässig. Dies gilt für sämtliche Verfahrensbeteiligten. Daher greift lediglich der spezielle Rechtsschutz, der in § 169 Abs. 2 Satz 5–7 geregelt ist. a) Antragsteller oder sonstige Verfahrensbeteiligte i.S.v. § 162

64 Gemäß § 169 Abs. 2 Satz 5 kann das Beschwerdegericht, gemeint ist damit das

Gericht gemäß § 171 Abs. 3, auf Antrag das Zuschlagsverbot wiederherstellen. Der Gesetzeswortlaut sieht für einen solchen Antrag keine Beschränkung auf 1 Schweda in Langen/Bunte, Kommentar zum deutschen und europäischen Kartellrecht, § 115 Rz. 12; Jaeger in Byok/Jaeger, Kommentar zum Vergaberecht, § 115 Rz. 27. 2 Antweiler in Burgi/Dreher, § 169 Rz. 46; Storr in Loewenheim/Meessen/Riesenkampff, Kartellrecht, § 115 Rz. 20; a.A. Jaeger in Byok/Jaeger, Kommentar zum Vergaberecht, § 115 Rz. 27, der die Mitteilung an den Auftraggeber als maßgeblich erachtet.

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das Unternehmen vor, das den Nachprüfungsantrag gestellt hat1. Dies ist folgerichtig, da auch andere Unternehmen durch die vorzeitige Gestattung der Zuschlagserteilung beschwert sein können, soweit es sich nicht um das Unternehmen handelt, das für die Zuschlagserteilung vorgesehen ist. Da diese Unternehmen im Hinblick auf die Hauptsacheentscheidung gemäß § 171 beschwerdeberechtigt sein können, muss dies auch für die gerichtliche Überprüfung der Vorabentscheidung über den Zuschlag gelten2. Hier wie dort bedarf es allerdings einer eigenen Beschwer des betreffenden Verfahrensbeteiligten, da es anderenfalls an dem erforderlichen Rechtsschutzinteresse fehlt3. aa) Form und Frist Der Antrag auf Wiederherstellung des Zuschlagsverbots ist an keine Frist ge- 65 bunden. Allerdings läuft das Zuschlagsverbot zwei Wochen nach Bekanntgabe der vorzeitigen Gestattung des Zuschlags ab (Rz. 60). Der erteilte Zuschlag kann gemäß dem ausdrücklichen Hinweis in § 169 Abs. 2 Satz 5 Halbs. 2 auf § 168 Abs. 2 Satz 1 nicht mehr aufgehoben werden. Da der Antrag auf Wiederherstellung des Zuschlagsverbotes gemäß § 169 Abs. 2 Satz 5 keine über die Zwei-Wochen-Frist hinausgehende Aussetzung des Vergabeverfahrens herbeiführt (s. demgegenüber § 173 Abs. 1 Satz 1 für die Beschwerde gegen die Entscheidung über den Nachprüfungsantrag4, muss der Antrag an das Beschwerdegericht schnellstmöglich und unter Hinweis auf die Gefahr einer Zuschlagserteilung gestellt werden, wenn diese verhindert werden soll. Da das Verfahren beim Oberlandesgericht keine Aussetzung des Vergabeverfahrens herbeiführt, muss das Gericht zur Vermeidung des Zuschlags entweder selbst noch innerhalb der Zwei-Wochen-Frist entscheiden oder aber eine Zwischenverfügung treffen, nach der das Zuschlagsverbot zumindest vorläufig bis zur Entscheidung des Gerichts gemäß § 169 Abs. 2 Satz 5 wiederhergestellt wird5. Für Form und Inhalt des Antrags an das Beschwerdegericht verweist § 169 66 Abs. 2 Satz 7 auf § 176 Abs. 2 Satz 1 und 2. Danach ist der Antrag schriftlich zu stellen und gleichzeitig zu begründen. Die vorzutragenden Tatsachen sowie der Grund für die Eilbedürftigkeit sind glaubhaft zu machen (s. im Einzelnen § 176 Rz. 8). 1 Leinemann, Die Vergabe öffentlicher Aufträge, Rz. 1736. 2 Dreher in Immenga/Mestmäcker, GWB, § 115 Rz. 74; Kus in/Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum Vergaberecht, § 169 Rz. 98; Tilmann, WuW 1999, 342 (344). 3 Jaeger in Byok/Jaeger, Kommentar zum Vergaberecht, § 115 Rz. 30. 4 Opitz, NZBau 2005, 213 (214); Leinemann, Die Vergabe öffentlicher Aufträge, Rz. 1737 plädiert für eine analoge Anwendung von § 118 Abs. 1 Satz 3 (§ 173 Abs. 1 Satz 3 n.F.) GWB. 5 OLG Düsseldorf v. 30.4.2008 – VII-Verg 23/08, VergabeR 2008, 835; Kus in Kulartz/Kus/ Portz/Prieß, Kommentar zum Vergaberecht, § 169 Rz. 101; Dreher in Immenga/Mestmäcker, GWB, § 115 Rz. 71.

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§ 169 | Aussetzung des Vergabeverfahrens bb) Entscheidungsprogramm des Beschwerdegerichts 67 In § 169 Abs. 2 Satz 5 ist das Entscheidungsprogramm des Beschwerdegerichts

nicht ausdrücklich geregelt. Allerdings verweist § 169 Abs. 2 Satz 6 für den umgedrehten Fall, dass die Vergabekammer den Zuschlag nicht gestattet hat, auf die Voraussetzungen, die in § 169 Abs. 2 Satz 1 bis 4 geregelt sind. Daraus folgt, dass diese Kriterien auch im Rahmen einer Entscheidung des Beschwerdegerichts gemäß § 169 Abs. 2 Satz 5 zugrunde zu legen sind1. cc) Mündliche Verhandlung, Entscheidungsinhalt

68 Das Beschwerdegericht kann über den Antrag auf Wiederherstellung des Zu-

schlagsverbotes ohne mündliche Verhandlung entscheiden (§ 169 Abs. 2 Satz 7 i.V.m. § 176 Abs. 3 Satz 2). Gleichwohl ist die Durchführung einer mündlichen Verhandlung zulässig.

69 Aus dem Verweis in § 169 Abs. 2 Satz 7 auf § 176 Abs. 3 folgt des Weiteren, dass

die Entscheidung des Beschwerdegerichts zu begründen ist. Ebenfalls ist sie unverzüglich längstens innerhalb von fünf Wochen nach Eingang zu treffen2. Anders als bei § 167 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 171 Abs. 2 Halbs. 2 (s. dazu § 167 Rz. 7) gilt der Antrag, dass Verbot des Zuschlags wiederherzustellen, jedoch nach Ablauf von fünf Wochen nicht als abgelehnt (s. § 176 Rz. 17). Dies ändert indes nichts daran, dass jedenfalls dann, wenn das Beschwerdegericht keine besondere Zwischenentscheidung getroffen hat, bereits zwei Wochen nach Bekanntgabe der Entscheidung gemäß § 169 Abs. 2 Satz 1 durch die Vergabekammer der Zuschlag erteilt werden darf. Ohne eine solche Zwischenentscheidung wird sich daher der Antrag auf Wiederherstellung des Zuschlagsverbots gemäß § 169 Abs. 2 Satz 5 in der Regel erledigen. Jedenfalls vom praktischen Ergebnis her kommt dies einer (fiktiven) Ablehnung des Antrags gleich. dd) Anwaltszwang

70 Da § 169 Abs. 2 Satz 7 umfassend auf § 176 Abs. 3 verweist, also auch auf § 175,

besteht – anders als nach der Rechtslage vor Inkrafttreten des Vergaberechtsmodernisierungsgesetzes 2009 (Einleitung Rz. 4 ff.) – für das Verfahren gemäß § 169 Abs. 2 Satz 5 Anwaltszwang. Der Antrag, das Zuschlagsverbot wiederherzustellen, kann also nicht durch das betreffende Unternehmen selbst gestellt werden (s. im Einzelnen § 175 Rz. 3). Entsprechendes gilt für die anderen Verfahrensbeteiligten3.

1 OLG Frankfurt v. 26.1.2017 – 11 Verg 1/17, VergabeR 2017, 309. 2 Kus in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum Vergaberecht, § 169 Rz. 92 und 95. 3 Kus in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum Vergaberecht, § 169 Rz. 96.

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ee) Folgen der Entscheidung Bestätigt das Beschwerdegericht die vorzeitige Gestattung des Zuschlags, bleibt 71 es bei dessen Zulässigkeit (zu dem Fall, dass das Gericht gar nicht oder jedenfalls nicht binnen zwei Wochen nach der Entscheidung der Vergabekammer gemäß § 169 Abs. 2 Satz 1 entscheidet, s. Rz. 69). Etwas anderes kommt dann in Betracht, wenn zwischenzeitlich die Vergabe- 72 kammer gem. § 168 entschieden hat. Die Hauptsacheentscheidung der Vergabekammer wird allein durch die vorzeitige Gestattung des Zuschlags nicht entbehrlich, weil sich das Nachprüfungsverfahren allein dadurch noch nicht i.S.v. § 168 Abs. 2 Satz 1 erledigt (dazu § 168 Rz. 40 ff.). Die Vergabekammer muss also das Verfahren – auch unter Berücksichtigung der Beschleunigungsanforderungen gem. § 167 – weiter betreiben, solange sie keine Kenntnis von einer tatsächlichen Erledigung, in der Regel durch Zuschlagserteilung, hat. Ist eine Hauptsacheentscheidung gemäß § 168 Abs. 3 ergangen, bevor der Zuschlag erteilt wurde, geht sie dann, wenn sie dem Nachprüfungsantrag ganz oder zumindest teilweise stattgibt, der Entscheidung über die vorzeitige Gestattung vor. Diese wird also mit der Hauptsacheentscheidung der Vergabekammer gegenstandslos. Der Auftraggeber muss in diesem Fall gemäß § 176 einen erneuten Antrag auf Vorabentscheidung über den Zuschlag stellen1. Wurde hingegen der Zuschlag erteilt, kann das Verfahren vor der Vergabekam- 73 mer aufgrund der eingetretenen Erledigung gemäß § 168 Abs. 2 allenfalls noch als Fortsetzungsfeststellungsverfahren weitergeführt werden (dazu § 168 Rz. 39 ff.). Ebenfalls kommt bei Vorliegen eines Vergaberechtsverstoßes unmittelbar die Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen in Betracht (dazu § 181 Rz. 13 ff.; zu Kündigungsmöglichkeiten in besonderen Fällen nach Zuschlagserteilung s. § 133). Stellt das Beschwerdegericht das Zuschlagsverbot hingegen wieder her, verbleibt 74 es bei den Anforderungen gemäß § 169 Abs. 1. b) Auftraggeber und Unternehmen, das nach § 134 für die Zuschlagserteilung benannt wurde Gibt die Vergabekammer dem Antrag auf vorzeitige Gestattung des Zuschlags 75 nicht statt, kann der öffentliche Auftraggeber gemäß § 169 Abs. 2 Satz 6 einen entsprechenden Antrag an das Beschwerdegericht richten. Die vorstehenden Erläuterungen (Rz. 33 ff.) gelten dafür sinngemäß. Das gerichtliche Entscheidungsprogramm richtet sich gemäß dem ausdrücklichen Gesetzeswortlaut nach § 169 Abs. 2 Satz 1–4. § 169 Abs. 2 Satz 6 bestimmt, dass das Beschwerdegericht auf Antrag des Auftrag- 76 gebers den sofortigen Zuschlag gestatten kann. Anders als in § 169 Abs. 2 Satz 1 1 OLG Naumburg v. 15.12.2000 – 1 Verg 11/00, NZBau 2001, 642; so wohl auch Boesen, Vergaberecht, § 115 Rz. 41.

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§ 169 | Aussetzung des Vergabeverfahrens ist dort das Unternehmen, das nach § 134 vom Auftraggeber als das Unternehmen benannt ist, das den Zuschlag erhalten soll, nicht erwähnt. Auch aus der Begründung des Regierungsentwurfs zum Vergaberechtsmodernisierungsgesetz 2009, mit dem die Erweiterung in § 169 Abs. 2 Satz 1 eingeführt wurde (s. Rz. 4), ergibt sich dazu nichts1. Eine Erweiterung des Kreises möglicher Antragsteller für das Verfahren vor dem Beschwerdegericht wird dort nicht erwähnt. Man wird daraus die Schlussfolgerung ziehen müssen, dass es sich nicht um ein bloßes Redaktionsversehen handelt, bei dem lediglich die Folgeänderung in § 169 Abs. 2 Satz 6 versehentlich unterblieben ist. Zudem ist der Gesetzeswortlaut eindeutig. Er gestattet einen Antrag des zur Zuschlagserteilung vorgesehenen Unternehmens an das Beschwerdegericht gemäß § 169 Abs. 2 Satz 6 nicht. Er wäre daher unzulässig. 77 Wenn das Beschwerdegericht dem Antrag des öffentlichen Auftraggebers auf

vorzeitige Gestattung des Zuschlags stattgibt, kann dieser sofort erteilt werden. Eine Zwei-Wochen-Frist wie bei der Entscheidung der Vergabekammer ist in diesem Fall mangels weiterer Rechtsschutzmöglichkeiten für die anderen Verfahrensbeteiligten nicht einzuhalten2.

78 Auch in diesem Fall gilt allerdings, dass die vorzeitige Gestattung gemäß § 169

Abs. 2 Satz 6 dann nicht eingreift, wenn zwischenzeitlich die Entscheidung der Vergabekammer gemäß § 168 in der Hauptsache vorliegt und diese einer Zuschlagserteilung entgegensteht (Rz. 72). In diesem Fall muss der Auftraggeber gemäß § 171 sofortige Beschwerde einlegen und gemäß § 176 ggf. eine Vorabentscheidung über den Zuschlag durch das Oberlandesgericht beantragen.

IV. Entfall des Zuschlagsverbots bei Aufträgen gemäß § 117 Nummer 1 bis 3 sowie § 150 Nummer 1 oder 6 1. Auslösung des Zuschlagsverbots 79 Aufträge gemäß § 117 Nummer 1 bis 3 sowie gemäß § 150 Nummer 1 und 6 fal-

len nicht in den Anwendungsbereich des Kartellvergaberechts (s. § 117 Rz. 9 ff.; § 150 Rz. 4 ff.). Sie müssen daher nicht EU-weit ausgeschrieben werden. Zudem sind die Vergabekammern und Vergabesenate nicht für eine Überprüfung zuständig. Eine solche Zuständigkeit kann auch nicht dadurch begründet werden, dass der öffentliche Auftraggeber ohne eine diesbezügliche Rechtspflicht ein EU-weites Ausschreibungsverfahren durchführt (s. § 155 Rz. 18).

80 Dennoch ist es Unternehmen nicht untersagt, einen Nachprüfungsantrag an die

Vergabekammer zu stellen. Dies kann insbesondere in den Fällen gerechtfertigt sein, in denen Zweifel bestehen, ob die Voraussetzungen des § 117 Nummer 1 bis 3 oder des § 150 Nummer 1 oder 6 überhaupt vorliegen. Die vergaberecht-

1 BT-Drucks. 16/10117, S. 23. 2 Kus in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum Vergaberecht, § 169 Rz. 103 f.

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liche Nachprüfung beschränkt sich dann darauf, ob die jeweiligen Voraussetzungen gegeben sind1. Geht der öffentliche Auftraggeber davon zu Unrecht aus und unterlässt er aus diesem Grunde ein EU-weites Ausschreibungsverfahren, liegt darin ein Vergaberechtsverstoß zu Lasten der davon betroffenen Unternehmen. Ob ein bestimmter Auftrag unter § 117 Nummer 1 bis 3 oder unter § 150 Num- 81 mer 1 oder 6 fällt, kann schon im Hinblick auf die zahlreichen unbestimmten Rechtsbegriffe, die in der Vorschrift Verwendung finden, zweifelhaft sein. Zumindest ist dies häufig nicht in einer Weise offensichtlich, dass die Vergabekammer berechtigt wäre, von der Auslösung des Zuschlagsverbots gemäß § 169 Abs. 1 abzusehen, wenn ein Unternehmen einen Nachprüfungsantrag mit der Begründung einreicht, eine an sich erforderliche Ausschreibung sei unterblieben. Das Gebot effektiven Rechtsschutzes gebietet es in derartigen Fällen vielmehr häufig, zunächst das Zuschlagsverbot auszulösen, um so eine Schaffung vollendeter Tatsachen zu verhindern. 2. Beseitigung des Zuschlagsverbots Zwar unterliegt die Auslösung des Zuschlagsverbots gemäß § 169 Abs. 1 auch in 82 den von Abs. 4 der Vorschrift geregelten Fällen keinen besonderen oder zusätzlichen Voraussetzungen. Allerdings kann das Zuschlagsverbot durch den öffentlichen Auftraggeber hier selbst wieder beseitigt werden. Dafür genügt ein entsprechender Schriftsatz an die Vergabekammer, nachdem der öffentliche Auftraggeber gemäß § 169 Abs. 1 über den Antrag auf Nachprüfung in Textform informiert wurde. Da in § 169 Abs. 4 Satz 1 ausdrücklich von einem Schriftsatz des öffentlichen 83 Auftraggebers an die Vergabekammer die Rede ist, genügt es nicht, wenn lediglich mündlich geltend gemacht wird, dass die Voraussetzungen nach § 117 Nummer 1 bis 3 oder nach § 150 Nummer 1 oder 6 vorliegen. Hingegen ist die Art und Weise der Übermittlung des Schriftsatzes an die Vergabekammer ohne Bedeutung (s. zu den Übermittlungsmöglichkeiten § 163 Rz. 35 ff.). Eine besondere Frist für den öffentlichen Auftraggeber, sich auf § 169 Abs. 4 zu 84 berufen, besteht nicht. Dies kann also während der gesamten Dauer des Nachprüfungsverfahrens erfolgen. Ebenso ist der öffentliche Auftraggeber berechtigt, etwa bei zweifelhafter Rechtslage, gänzlich davon abzusehen, sich auf diese Möglichkeit zu berufen oder, sofern dies erfolgt ist, vor Abschluss des Nachprüfungsverfahrens tatsächlich den Zuschlag zu erteilen. Die Vergabekammer hat gemäß § 169 Abs. 4 Satz 1 Halbs. 2 den Schriftsatz des 85 öffentlichen Auftraggebers, mit dem die Voraussetzungen des § 117 Nummer 1 bis 3 oder § 150 Nummer 1 oder 6 geltend gemacht werden, unverzüglich nach 1 OLG Düsseldorf v. 8.6.2011 – VII-Verg 49/11; VergabeR 2011, 843; OLG Koblenz v. 15.9. 2010 – 1 Verg 7/10, NZBau 2010, 778.

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§ 169 | Aussetzung des Vergabeverfahrens Eingang dem Antragsteller zuzustellen. Sie hat weder das Recht, noch die Pflicht, zuvor noch zu prüfen, ob die betreffenden Voraussetzungen tatsächlich erfüllt sind1. Daraus folgt zugleich, dass der öffentliche Auftraggeber keine weitere Begründung in seinen Schriftsatz aufnehmen muss. Es genügt vielmehr, wenn er sich darauf beruft, dass die Voraussetzungen des § 117 Nummer 1 bis 3 oder des § 150 Nummer 1 oder 6 vorliegen. Der Begriff unverzüglich macht deutlich, dass die Zustellung ohne schuldhaftes Zögern zu erfolgen hat (vgl. § 121 Abs. 1 Satz 1 BGB, s. auch § 160 Rz. 4). Da die Vergabekammer keine besondere Prüfungspflicht hat, bedeutet dies in der Regel, dass die Zustellung an den Antragsteller des Nachprüfungsverfahrens sofort zu veranlassen ist, sobald sich die Vergabekammer davon überzeugt hat, dass sich der öffentliche Auftraggeber in einem bei ihr eingegangenen Schriftsatz zu einem anhängigen Nachprüfungsverfahren auf die Voraussetzungen des § 117 Nummer 1 bis 3 oder des § 150 Nummer 1 oder 6 beruft. Er muss dabei lediglich geltend machen, dass die Voraussetzungen des § 117 Nummer 1 bis 3 oder des § 150 Nummer 1 oder 6 vorliegen und dass aus diesem Grunde das Zuschlagsverbot des § 169 Abs. 1 entfallen soll. Für die Zustellung gilt § 168 Abs. 3 Satz 3 i.V.m. § 61, d.h. die Zustellung ist nach den Vorschriften des Verwaltungszustellungsgesetzes des Bundes vorzunehmen (vgl. § 168 Rz. 78 f.). Da lediglich der Schriftsatz des öffentlichen Auftraggebers zuzustellen ist, nicht hingegen eine gesonderte und eigenständige Entscheidung, ist eine Rechtsmittelbelehrung durch die Vergabekammer nicht erforderlich. Allerdings ist es zulässig und im Hinblick auf die Verfahrensfairness in der Regel auch geboten, den Antragsteller des Nachprüfungsverfahrens auf die Rechtsschutzmöglichkeiten des § 169 Abs. 4 Satz 2 hinzuweisen. 86 Das Zuschlagsverbot entfällt fünf Werktage nach Zustellung des Schriftsatzes

des öffentlichen Auftraggebers bei dem Antragsteller des Nachprüfungsverfahrens. Für die Fristbestimmung gilt § 31 VwVfG (vgl. Rz. 60). Erfolgt die Zustellung nicht oder nicht ordnungsgemäß, entfällt das Zuschlagsverbot des § 169 Abs. 1 nicht oder zumindest verspätet (vgl. § 168 Rz. 79). Ein zuvor bereits erteilter Zuschlag verstößt dann gegen § 169 Abs. 1 und ist aus diesem Grunde nichtig (Rz. 31).

87 Sofern dem Nachprüfungsverfahren bereits andere Unternehmen beigeladen

sind, müssen sie ebenfalls über den Schriftsatz des öffentlichen Auftraggebers gemäß § 169 Abs. 4 Satz 1 unterrichtet werden. Ihnen gegenüber ist eine förmliche Zustellung hingegen nicht erforderlich. Ebenso wenig muss ihnen gegenüber eine bestimmte Frist vor der Zuschlagserteilung abgewartet werden. 3. Rechtsfolgen für das anhängige Nachprüfungsverfahren

88 Die Geltendmachung der Voraussetzungen des § 117 Nummer 1 bis 3 oder des

§ 150 Nummer 1 oder 6 und auch die Zustellung des entsprechenden Schriftsat1 Brauer, NZBau 2009, 297 (299); Stoye/v. Münchhausen, VergabeR 2008, 871 (877).

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zes durch die Vergabekammer an den Antragsteller des Nachprüfungsverfahrens lassen die sonstigen Verpflichtungen des öffentlichen Auftraggebers unberührt. Insbesondere verbleibt es dabei, dass er der Vergabekammer gemäß § 163 Abs. 2 Satz 4 die Vergabeakten zur Verfügung zu stellen hat (s. § 163 Rz. 42 ff., auch zu diesbezüglichen Einschränkungen). Ebenso ist die Vergabekammer weiterhin verpflichtet, das Nachprüfungsverfahren zu betreiben und dabei auch den durch § 167 Abs. 1 gesetzten Zeitrahmen einzuhalten. Etwas anderes gilt erst dann, wenn sich durch die tatsächlich erfolgte Zuschlagserteilung das Nachprüfungsverfahren erledigt hat (vgl. zur vorzeitigen Gestattung des Zuschlags gemäß § 169 Abs. 2 vorstehend unter Rz. 33 ff.). In diesem Fall verbleibt es allerdings bei der Möglichkeit, des Antragstellers, einen Feststellungsantrag gemäß § 168 Abs. 2 Satz 2 zu stellen (§ 168 Rz. 39 ff.). 4. Rechtsschutzmöglichkeiten a) Antragsteller § 169 Abs. 4 Satz 2 bestimmt, dass das Beschwerdegericht das Zuschlagsverbot 89 auf Antrag wieder herstellen kann. Antragsberechtigt ist dabei allein das Unternehmen, das den Nachprüfungsantrag gestellt hat und dem dementsprechend auch der Schriftsatz des öffentlichen Auftraggebers gemäß § 169 Abs. 4 Satz 1 zugestellt werden musste. Für dieses Verfahren gelten gemäß § 169 Abs. 4 Satz 3, § 176 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 sowie Abs. 3 und 4 entsprechend. Es kann daher für das Verfahren auf die diesbezügliche Kommentierung sowie auf die vorstehenden Ausführungen unter Rz. 63 ff. zur vorzeitigen Gestattung des Zuschlags gemäß § 169 Abs. 2 verwiesen werden (zum materiellen Prüfungsmaßstab s. Rz. 80). Nach dem Vergaberechtsmodernisierungsgesetz 2009 entfiel das Zuschlagsver- 90 bot bereits zwei Kalendertage nach Zustellung des entsprechenden Schriftsatzes (s. Rz. 6). Die Frist für den Antragsteller, gegenüber dem Beschwerdegericht geltend zu machen, dass entgegen den Behauptungen des öffentlichen Auftraggebers doch ein ausschreibungspflichtiger Auftrag vorliegt, der nicht unter § 117 Nummer 1 bis 3 oder unter § 150 Nummer 1 oder 6 fällt, war also extrem kurz und daher im Hinblick auf die gebotene Effektivität des Rechtsschutzes in hohem Maße bedenklich (vgl. zur Kritik des Bundesrates im Gesetzgebungsverfahren zum Vergaberechtsmodernisierungsgesetz 2009 Rz. 6). Insbesondere an Wochenenden, also bei einer Zustellung am Freitag, lief die Frist faktisch leer, da der Auftraggeber am Montag einen Zuschlag erteilen konnte. Um den sich daraus ergebenden unionsrechtlichen und rechtsstaatlichen Bedenken zu begegnen wurde die Frist auf fünf Werktage verlängert (s. Rz. 6). Dies ist umso mehr deshalb gerechtfertigt, weil es nicht genügt, dass der Antragsteller des Nachprüfungsverfahrens gemäß § 169 Abs. 4 Satz 2 einen Antrag an das Beschwerdegericht stellt. Dieses muss vielmehr innerhalb dieser Frist auch entscheiden oder aber zumindest eine Zwischenverfügung erlassen (vgl. zum Fall der vorzeitigen Reidt

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§ 169 | Aussetzung des Vergabeverfahrens Gestattung der Zuschlagserteilung gemäß § 169 Abs. 2 vorstehend unter Rz. 65). Zudem ist auch hier zu berücksichtigen, dass das antragstellende Unternehmen sich nicht selbst an das Beschwerdegericht richten kann sondern – anders als in dem Verfahren vor der Vergabekammer – Anwaltszwang besteht (§ 176 Abs. 3 i.V.m. § 175, s. vorstehend unter Rz. 70). b) Öffentlicher Auftraggeber 91 Keine besonderen Rechtsschutzmöglichkeiten sind für den öffentlichen Auftrag-

geber für den Fall vorgesehen, dass die Vergabekammer zu Unrecht von einer Zustellung des Schriftsatzes gemäß § 169 Abs. 4 Satz 1 absieht. In diesem (theoretischen) Fall wird man nicht annehmen können, dass auch ohne Zustellung des Schriftsatzes an den Antragsteller des Nachprüfungsverfahrens das Zuschlagsverbot des § 169 Abs. 1 entfällt, etwa weil der öffentliche Auftraggeber selbst den Antragsteller darüber informiert hat, dass er sich auf einen Fall des § 117 Nummer 1 bis 3 oder des § 150 Nummer 1 oder 6 beruft (vgl. vorstehend zur fehlerhaften Zustellung des Schriftsatzes Rz. 86). Denn die Einschränkung des effektiven Rechtsschutzes ist zu Lasten des Antragstellers allein daran geknüpft, dass eine Zustellung durch die Vergabekammer, also durch eine von dem öffentlichen Auftraggeber unabhängige Instanz, erfolgt. Stattdessen wird man für einen solchen Fall dem öffentlichen Auftraggeber das Recht einräumen müssen, selbst in entsprechender Anwendung von § 169 Abs. 4 Satz 2 und § 169 Abs. 2 Satz 6 einen Antrag an das Beschwerdegericht zu richten, die sofortige Zuschlagserteilung zu gestatten.

V. Sonstige Maßnahmen (§ 169 Abs. 3) 92 Wenn die Rechte des Antragstellers i.S.v. § 97 Abs. 6 auf andere Weise als durch

den drohenden Zuschlag gefährdet sind, darf die Vergabekammer auf dessen besonderen Antrag hin nach Maßgabe der Entscheidungskriterien aus § 169 Abs. 2 Satz 1 auch mit weiteren vorläufigen Maßnahmen in das Vergabeverfahren eingreifen. Auch wenn ein diesbezüglicher Hinweis im Gesetzestext fehlt, ist darüber hinaus anerkannt, dass das Beschwerdegericht im Beschwerdeverfahren ebenfalls unter analoger Anwendung des § 169 Abs. 3 zum Erlass weiterer vorläufiger Maßnahmen befugt ist1.

1 OLG Brandenburg v. 10.1.2013 – Verg W 8/12; OLG Düsseldorf v. 30.4.2008 – VII Verg 23/08, VergabeR 2008, 835; OLG Naumburg v. 31.7.2006 – 1 Verg 6/06, ZfBR 2006, 811; Wiedemann, VergabeR 2009, 302 (317); Kus in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum Vergaberecht, § 169 Rz. 107; Schweda in Langen/Bunte, Kommentar zum deutschen und europäischen Kartellrecht, § 115 Rz. 31.

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Aussetzung des Vergabeverfahrens | § 169

1. Rechte aus § 97 Abs. 6 Betroffen sein müssen subjektive Rechte des Antragstellers i.S.v. § 97 Abs. 6 (s. 93 § 97 Rz. 106 ff.). Eine Beeinträchtigung in sonstigen Rechtspositionen reicht also nicht aus. Es muss sich dabei um Rechte des Antragstellers handeln, d.h. dieser muss sich in dem konkreten Fall auf die in Rede stehenden subjektiven Bieterrechte auch berufen können. Es genügt also auch hier nicht, wenn ein Dritter in subjektiven Rechten gefährdet ist. Dies gilt auch im Hinblick auf ggf. bereits dem Nachprüfungsverfahren beigeladene andere Unternehmen, so dass diese nicht antragsberechtigt sind1. 2. Rechtsgefährdung Subjektive Rechte des Antragstellers müssen in der Regel auf andere Weise als 94 durch den drohenden Zuschlag gefährdet sein. Allerdings wird auch der Fall erfasst, dass der Auftraggeber das Zuschlagsverbot nach § 169 Abs. 1 ignoriert2. Gefährdung ist mehr als die bloße Möglichkeit und weniger als eine bereits feststehende Rechtsverletzung. Es kommt daher auf die ernsthafte Wahrscheinlichkeit einer Beeinträchtigung an. Die Gefährdung ist dabei vor dem Hintergrund zu sehen, dass § 169 Abs. 3 eine 95 ordnungsgemäße Entscheidung der Vergabekammer gemäß § 168 sichern soll3. Es ist daher zu gewährleisten, dass dem Antragsteller nicht der gesetzlich vorgesehene Primärrechtsschutz genommen wird4. Dies ergibt sich sowohl aus der systematischen Stellung der Bestimmung als auch aus dem in § 169 Abs. 3 Satz 2 geregelten Beurteilungsmaßstab, der auf das Entscheidungsprogramm des § 169 Abs. 2 Satz 1 verweist (s. noch Rz. 103). Daraus folgt zum einen, dass etwaige geltend gemachte Rechtsverstöße außer- 96 halb des Vergaberechts auch im Rahmen des § 169 Abs. 3 keine Rolle spielen. Dies gilt insbesondere für dem Vergabeverfahren vorgelagerte Sachverhalte, bei denen keine subjektiven Bieterrechte i.S.v. § 97 Abs. 6 in Rede stehen, weil Bestimmungen über das Vergabeverfahren nicht betroffen sind (z.B. Bildung eines unzulässigen Nachfragekartells, vgl. § 156 Rz. 6 ff.). In einem solchen Fall greifen allein die wettbewerbsrechtlichen oder allgemeinen zivilrechtlichen Anspruchsmöglichkeiten. Aber auch darüber hinaus ist zu sehen, dass sich § 169 Abs. 3 Satz 1 nur auf 97 Rechte des Antragstellers im Vergabeverfahren bezieht. Gemeint ist damit eine Rechtsgefährdung in dem konkreten Vergabeverfahren, für das das Nachprü1 Kus in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum Vergaberecht, § 169 Rz. 106. 2 OLG Düsseldorf v. 16.11.2016 – VII Verg 40/16, NZBau 2017, 308. 3 OLG Düsseldorf v. 16.11.2016 – VII Verg 40/16, NZBau 2017, 308; Weyand, IBR-onlineKommentar, Vergaberecht, § 115 Rz. 113. 4 Dreher in Immenga/Mestmäcker, GWB, § 115 Rz. 80.

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§ 169 | Aussetzung des Vergabeverfahrens fungsverfahren anhängig ist. Demgemäß kann z.B. nicht über § 169 Abs. 3 erreicht werden, dass die Vergabekammer die Einleitung eines neuen Vergabeverfahrens durch den Auftraggeber untersagt. Insbesondere gilt dies selbstverständlich dann, wenn dieses neue Verfahren gerade dazu dienen soll, etwaige gerügte oder auch sonstige Vergabefehler zu beseitigen. Fühlt sich der Antragsteller durch ein solches neues Verfahren in Rechten beeinträchtigt, muss er dagegen ggf. erneut und eigenständig vorgehen. Ebenfalls kann die Vergabekammer dem Auftraggeber auf der Grundlage des § 169 Abs. 3 weder aufgeben, das Vergabeverfahren vollständig abzubrechen, noch kann sie den Auftraggeber dazu zwingen, ein Vergabeverfahren weiterzuführen, wenn der Auftraggeber die Ausschreibung ohne Zuschlagserteilung beenden möchte. Dies gilt selbst dann, wenn die diesbezüglichen Voraussetzungen (s. etwa § 63 Abs. 1 Satz 1 VgV) nicht vorliegen. Denn in beiden Fällen handelt es sich nicht um vorläufige Maßnahmen i.S.v. § 169 Abs. 3 Satz 1, sondern um endgültige Entscheidungen, die gerade nicht vorgesehen sind1. 98 Möglich sind im Rahmen des § 169 Abs. 3 daher in erster Linie Maßnahmen

hinsichtlich solcher Handlungen des öffentlichen Auftraggebers, die nicht unmittelbar den nach der Information über den Nachprüfungsantrag gemäß § 169 Abs. 1 ohnehin unwirksamen Zuschlag betreffen, die jedoch dazu geeignet sind, für Konkurrenzunternehmen des Antragstellers die Aussichten auf eine Zuschlagserteilung in unzulässiger Weise zu erhöhen2. Dazu kann etwa die vorläufige Untersagung gehören, mit einzelnen Unternehmen Aufklärungsgespräche zu führen, ihnen Unterlagen zur Verfügung zu stellen oder sonstige Maßnahmen zu treffen, die letztlich für das weitere Verfahren zu einem Wettbewerbsvorsprung führen könnten (s. auch Rz. 14)3. 3. Besonderer Antrag

99 Weitere vorläufige Maßnahmen kann die Vergabekammer nach dem Gesetzes-

wortlaut nur auf besonderen Antrag des Antragstellers, nicht hingegen eines weiteren Verfahrensbeteiligten, hin treffen (s. aber noch Rz. 100)4. Der Antrag ist nur solange zulässig, wie die Vergabekammer für das Verfahren zuständig ist, also bis zum Abschluss des Nachprüfungsverfahrens (vgl. Rz. 43)5. Er setzt ein hinreichendes Rechtsschutzinteresse voraus. Dies macht es erforderlich, dass der Antragsteller mit einer Entscheidung gemäß § 169 Abs. 3 seine Rechtsposi1 A.A. Willenbruch, NVwZ 1999, 1062 (1064). 2 Thiele in Müller-Wrede, Kompendium des Vergaberechts, Kap. 28, Rz. 59. 3 Byok in Byok/Jaeger, Kommentar zum Vergaberecht, § 115 Rz. 36; Boesen, Vergaberecht, § 115 Rz. 61 f. 4 Kus in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum Vergaberecht, § 169 Rz. 106; Dreher in Immenga/Mestmäcker, GWB, § 115 Rz. 81; a.A. Boesen, Vergaberecht, § 115 Rz. 58. 5 Kus in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum Vergaberecht, § 169 Rz. 107.

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Aussetzung des Vergabeverfahrens | § 169

tion tatsächlich verbessern kann.1 Danach muss er, soweit ein Beschwerdeverfahren (noch) anhängig ist, an das Beschwerdegericht gerichtet werden (s. vorstehend Rz. 92). Wenn ein Antrag gemäß § 169 Abs. 3 gestellt wurde, muss sich die Vergabekammer unter Berücksichtigung der Entscheidungskriterien des § 169 Abs. 2 Satz 1 zwingend mit der Frage auseinandersetzen, ob sie vorläufige Maßnahmen trifft oder nicht. Sie kann dies also nicht allein mit der Erwägung auf sich beruhen lassen, dass ein rechtswirksamer Zuschlag ohnehin nicht erteilt werden könne (Rz. 31) und etwaige weitere Vergaberechtsverstöße noch im weiteren Verfahren berücksichtigt werden können, wenngleich dies durchaus beachtliche Gesichtspunkte im Rahmen des § 169 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. § 169 Abs. 2 Satz 1 sind. Möglich ist es für die Vergabekammer allerdings auch, ohne einen Antrag von 100 Amts wegen oder auch auf Anregung eines anderen Verfahrensbeteiligten auf die Rechtmäßigkeit des Vergabeverfahrens einzuwirken, was sich zwar nicht aus § 169 Abs. 3, aber aus § 168 Abs. 1 ergibt (dazu § 168 Rz. 17 ff.). Dies schließt auch nur vorläufig wirkende Maßnahmen ein. Allerdings muss sich die Vergabekammer ohne einen entsprechenden Antrag nicht gezielt mit der Möglichkeit derartiger Maßnahmen auseinandersetzen, sofern sich diese nicht im Einzelfall als notwendig aufdrängen. Der nach § 169 Abs. 3 Satz 1 erforderliche besondere Antrag kann gezielt die 101 Maßnahmen benennen, die durch die Vergabekammer getroffen werden sollen. Notwendig ist dies indes nicht, da die Vergabekammer auch in diesem Fall nicht an den gestellten Antrag gebunden ist (vgl. § 168 Abs. 2, dazu § 168 Rz. 16). Es genügt folglich eine Darlegung der nach Ansicht des Antragstellers zu besorgenden Gefährdung seiner subjektiven Rechte gemäß § 97 Abs. 6 und die Formulierung des Anliegens, dass die Vergabekammer dagegen mit vorläufigen Maßnahmen einschreitet. Der Antrag ist an keine besondere Form oder Frist gebunden. Auch bedarf er 102 keiner besonderen Begründung. Eine solche ist allerdings schon im eigenen Interesse des Antragstellers in aller Regel sinnvoll. 4. Entscheidungsprogramm Gemäß § 169 Abs. 3 Satz 2 hat die Vergabekammer bei ihrer Entscheidung, ob 103 sie vorläufige Maßnahmen trifft oder nicht, den Beurteilungsmaßstab des § 169 Abs. 2 Satz 1 zugrunde zu legen. Der Verweis ist ungenau. Es kann sich dabei nur um eine sinngemäße Heranziehung des Beurteilungsmaßstabs gemäß § 169 Abs. 2 Satz 1 handeln. Dies ergibt sich bereits daraus, dass es im Rahmen von § 169 Abs. 2 um die vorzeitige Gestattung des endgültigen Zuschlags geht, während sich § 169 Abs. 3 lediglich auf vorläufige Maßnahmen bezieht. Zudem geht 1 VK Hessen v. 7.3.2008 – 69d. VK-11/2008.

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§ 169 | Aussetzung des Vergabeverfahrens es bei § 169 Abs. 3 um Schutzmaßnahmen zugunsten des Antragstellers, der das Nachprüfungsverfahren beantragt hat, während § 169 Abs. 2 eine Vorabentscheidung zu seinen Lasten betrifft. Gemeint ist daher mit dem Verweis nur, dass eine Abwägung der widerstreitenden Interessen zu erfolgen hat. 104 Der Entscheidungsmaßstab zugunsten derartiger Maßnahmen ist sehr viel

großzügiger als im Rahmen von § 169 Abs. 2 (s. dazu Rz. 67). Denn während die Maßnahmen gemäß § 169 Abs. 3 die Rechte des Antragstellers wahren sollen und demgemäß der Effektivität des Rechtsschutzes dienen, soll diese im Rahmen von § 169 Abs. 2 gerade eingeschränkt werden. 5. In Betracht kommende Maßnahmen

105 Die Vergabekammer kann durch vorläufige Maßnahmen in das Vergabeverfah-

ren eingreifen. Diese dürfen nicht weiter reichen als eine mögliche endgültige Entscheidung der Vergabekammer1. Es muss sich zudem um Maßnahmen vor Abschluss des Vergabeverfahrens, also in der Regel vor einer wirksamen Zuschlagserteilung, handeln (z.B. Verbot, den Submissionstermin durchzuführen) 2. Des Weiteren muss es um Maßnahmen im Zusammenhang mit der konkreten Vergabe gehen. Es scheiden daher etwaige Regelungen aus, die außerhalb des Vergaberechts stehen oder die keinen Bezug zu dem konkreten Vergabeverfahren haben (Rz. 97). Auch muss es sich um hinreichend bestimmte und damit vollstreckungsfähige Anordnungen handeln (s. noch Rz. 108 f.)3. Im äußersten Fall kann dies eine Entscheidung sein, mit der dem Auftraggeber aufgegeben wird, bis zum Abschluss des Nachprüfungsverfahrens keine Aktivitäten mehr hinsichtlich der Auftragsvergabe zu entfalten (keine interne Angebotsbewertung o.ä.).4

6. Form und Inhalt der Entscheidung 106 § 169 Abs. 3 regelt nicht, in welcher Weise die Entscheidung der Vergabekam-

mer zu ergehen hat. Da sie gerade dann, wenn bestimmte Maßnahmen gegenüber dem Auftraggeber angeordnet werden, Regelungscharakter hat, der ggf. auch einer Durchsetzung und Vollstreckung bedarf, wird man diese Entscheidung letztlich nicht anders behandeln können als Entscheidungen der Vergabekammer gemäß § 169 Abs. 2 Satz 1 (Rz. 59) und § 168 Abs. 3, zumal in beiden

1 OLG Düsseldorf v. 20.10.2008 – VII-Verg 46/08, VergabeR 2009, 173; Weyand, IBR-online-Kommentar, Vergaberecht, § 115 Rz. 113. 2 VK Brandenburg v. 23.2.2010 – VK 8/10. 3 Boesen, Vergaberecht, § 115 Rz. 67; Dreher in Immenga/Mestmäcker, GWB, § 115 Rz. 83. 4 Schweda in Langen/Bunte, Kommentar zum deutschen und europäischen Kartellrecht, § 115 Rz. 31.

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Aussetzung des Vergabeverfahrens | § 169

Fällen ebenfalls von einer Entscheidung der Vergabekammer die Rede ist1. Die Entscheidung muss daher schriftlich erfolgen und mit einer Begründung versehen sein. Aufgrund des vorläufigen Charakters der Entscheidung sowie der fehlenden selbständigen Anfechtbarkeit (Rz. 107) sind jedoch an die Begründung keine besonders hohen Anforderungen zu stellen (s. im Übrigen zur Entscheidung der Vergabekammer § 168 Rz. 63 ff. sowie vorstehend unter Rz. 59). 7. Rechtsschutzmöglichkeiten Gesonderte Rechtsschutzmöglichkeiten gegen vorläufige Entscheidungen der 107 Vergabekammer nach § 169 Abs. 3 bestehen nach Satz 3 der Regelung nicht2. Dies gilt für alle Verfahrensbeteiligten i.S.v. § 162 und auch unabhängig davon, ob dem Antrag stattgegeben wurde oder nicht. 8. Vollstreckung Gemäß § 169 Abs. 3 Satz 4 kann die Vergabekammer die von ihr getroffenen 108 weiteren vorläufigen Maßnahmen vollstrecken. Anzuwenden sind dabei ebenso wie bei § 168 Abs. 3 die Verwaltungsvollstreckungsgesetze des Bundes und der Länder (s. § 168 Rz. 82 ff.). Die Regelung in § 169 Abs. 3 Satz 4 Halbs. 2, nach der die von der Vergabekammer angeordneten vorläufigen Maßnahmen sofort vollziehbar sind, hat deshalb eigenständige Bedeutung, weil Entscheidungen über vorläufige Maßnahmen nicht generell unanfechtbar sind. Allerdings bestimmt § 169 Abs. 3 Satz 3 bestimmt lediglich, dass sie nicht selbständig anfechtbar sind. Vorläufige Maßnahmen können aber auch über die Hauptsacheentscheidung gemäß § 168 Abs. 3 hinausgehend Wirkung entfalten (z.B. die Anordnung, mit einem Bieter bis zur Bestandskraft der Entscheidung der Vergabekammer keine Gespräche zu führen). Wird durch den öffentlichen Auftraggeber eine zu seinen Lasten gehende Hauptsacheentscheidung der Vergabekammer mittels der sofortigen Beschwerde angefochten und erstreckt sich diese Beschwerde auch auf die vorläufige Maßnahme, ergibt sich die Vollstreckbarkeit der angeordneten vorläufigen Maßnahme – trotz laufenden Beschwerdeverfahrens – noch immer aus § 169 Abs. 3 Satz 4 Halbs. 2. Ebenso wie im Rahmen von § 168 Abs. 3 gilt abweichend von den Verwaltungs- 109 vollstreckungsgesetzen des Bundes und der Länder § 86a Satz 2 mit der dort geregelten Spanne für Zwangsgelder zwischen 1 000 Euro und 10 000 000 Euro (s. § 168 Rz. 83).

1 I.E. wohl auch Dreher in Immenga/Mestmäcker, GWB, § 115 Rz. 83 f., a.A. Boesen, Vergaberecht, § 115 Rz. 62, 67. 2 Schweda in Langen/Bunte, Kommentar zum deutschen und europäischen Kartellrecht, § 115 Rz. 32.

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§ 170 | Ausschluss von abweichendem Landesrecht

§ 170 Ausschluss von abweichendem Landesrecht Soweit dieser Unterabschnitt Regelungen zum Verwaltungsverfahren enthält, darf hiervon durch Landesrecht nicht abgewichen werden. I. Einführung 1. Inhaltsübersicht . . . . . . . . . . . . 2. Entstehungsgeschichte . . . . . . .

__ 1 2

II. Ausschluss landesrechtlicher Regelungen zum Verwaltungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . III. Materielles Recht . . . . . . . . . . .

__ 4 8

I. Einführung 1. Inhaltsübersicht 1 § 170 regelt eine Sperrwirkung für landesrechtliche Vorschriften, soweit es um

den zweiten Unterabschnitt des zweiten Abschnitts im 4. Teil des GWB geht, also um die §§ 160 bis 169. 2. Entstehungsgeschichte

2 § 170 übernimmt den bisherigen § 115a a.F. unverändert. § 115a a.F. wurde

durch das Vergaberechtsmodernisierungsgesetz 2009 (Einleitung Rz. 7) in den 4. Teil des GWB eingefügt. Der Gesetzesentwurf der Bundesregierung1 sah zunächst vor, die Regelung als § 132 a.F. neu aufzunehmen. Aufgrund einer Empfehlung des Bundesrates wurde die Regelung jedoch inhaltlich unverändert an das Ende des zweiten Unterabschnitts verschoben. Damit sollte klargestellt werden, dass die Länder in anderen Fällen, in denen das GWB Regelungen zum Verwaltungsverfahren enthält, davon abweichen dürfen, sofern dort nicht seinerseits etwas Abweichendes geregelt ist. Dem hat sich die Bundesregierung angeschlossen2.

3 Ausweislich der Begründung des Regierungsentwurfs will der Bundesgesetz-

geber mit § 170 von der Möglichkeit des Art. 84 Abs. 1 Satz 5 GG3 Gebrauch machen, um eine bundeseinheitliche Regelung des Verwaltungsverfahrens vor der Vergabekammer sicherzustellen. Die Regelung war im Hinblick auf die Änderung des Art. 84 GG durch die Förderalismusreform4 notwendig geworden. Durch sie sollen Abweichungen im Verfahrensablauf vermieden werden, die ein hohes Maß an Rechtsunsicherheit zur Folge hätten. Für deren Vermeidung be-

1 BT-Drucks. 16/10117. 2 BT-Drucks. 16/10117. 3 S. zu den Voraussetzungen der Ausnahmevorschrift Pieroth in Jarass/Pieroth, Grundgesetz, Art. 84 Rz. 11 ff. 4 Gesetz v. 28.8.2006, BGBl. I 2006, 2034.

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Ausschluss von abweichendem Landesrecht | § 170

stehe deshalb ein besonderes Bedürfnis i.S.v. § 84 Abs. 1 Satz 5 GG, weil sich Unternehmen länderübergreifend bei öffentlichen Auftraggebern auf Landesebene und kommunaler Ebene bewerben und das Erfordernis, sich auf eine Vielzahl unterschiedlicher landesrechtlicher Regelungen des Nachprüfungsverfahrens einzustellen, eine erhebliche wirtschaftliche Belastung – insbesondere für kleine und mittlere Unternehmen – darstellen bzw. die Wahrnehmung des Rechtsschutzes faktisch behindern würde. Die Zustimmung des Bundesrates zu der Regelung (Art. 84 Abs. 1 Satz 6 GG) wurde eingeholt1.

II. Ausschluss landesrechtlicher Regelungen zum Verwaltungsverfahren § 170 beschränkt sich nach seinem Wortlaut ausschließlich auf den zweiten Un- 4 terabschnitt des zweiten Abschnitts. Hierbei ist versehentlich die notwendige redaktionelle Anpassung im Rahmen des VergaberechtsmodernisierungsG 2016 unterblieben. Gemeint ist nunmehr der Abschnitt 2, der aus den §§ 160 bis 1705 besteht. Soweit Regelungen zum Verwaltungsverfahren außerhalb dieses Abschnitts existieren, bleiben sie von § 170 unberührt. Dies gilt sowohl für den 4. Teil des GWB als auch für das GWB insgesamt. Bedeutung hat dies etwa für die Frage, ob die Länder neben den Vergabekammern auch Vergabeprüfstellen einrichten dürfen, die seit Inkrafttreten des Vergaberechtsmodernisierungsgesetzes 2009 (Einleitung Rz. 4 ff.) in § 103 nicht mehr gesondert geregelt sind (s. hierzu § 155 Rz. 15). § 170 bezieht sich auf sämtliche für das Verfahren vor der Vergabekammer 5 maßgeblichen Verfahrensregelungen. Die Länder können also nicht beispielsweise die Antragsgebundenheit des Nachprüfungsverfahrens (§ 160 Abs. 1), die Notwendigkeit einer mündlichen Verhandlung (§ 166) oder die Notwendigkeit, innerhalb einer Frist von fünf Wochen ab Eingang des Nachprüfungsantrags zu entscheiden (§ 167 Abs. 1 Satz 1), aufheben oder auch nur modifizieren. Soweit das Verwaltungsverfahren nicht in den §§ 160 bis 169 selbst oder mittels 6 eines ausdrücklichen Verweises auf Vorschriften außerhalb des Abschnitts 3 geregelt ist (s. insbesondere § 163 Abs. 2 Satz 5 und § 168 Abs. 3 Satz 3), steht § 170 divergierendem Landesrecht nicht entgegen. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass es sich bei den §§ 160 bis 169 um spezialgesetzliche Vorschriften zum Verwaltungsverfahren handelt. Soweit diese nicht abschließend sind, gelten das Verwaltungsverfahrensgesetz des Bundes sowie die jedenfalls teilweise unterschiedlichen Verwaltungsverfahrensgesetze der Länder. Die Ländergesetze gelten gemäß § 1 Abs. 3 VwVfG (Bund), wenn es, wie hier beim 4. Teil des GWB, um die Ausführung von Bundesrecht durch die Länder geht und die öffentlich1 Zustimmungs-Beschluss des Bundesrats v. 13.2.2009 – BR-Drucks. 35/09.

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§ 170 | Ausschluss von abweichendem Landesrecht rechtliche Verwaltungstätigkeit der Behörden, also auch der Vergabekammern, landesrechtlich durch ein Verwaltungsverfahrensgesetz geregelt ist. 7 Folge ist, dass nur die wesentlichen Verfahrensgrundsätze bundeseinheitlich

durch die §§ 160 bis 169 ausgestaltet sind. Details, die der Abschnitt 2 selbst nicht regelt, z.B. Einzelheiten zum Verlauf der mündlichen Verhandlung (s. § 166), können also durchaus divergieren. Entsprechendes gilt für die Verwaltungsvollstreckung, für die § 168 Abs. 3 Satz 2 lediglich bestimmt, dass sie auch gegen Hoheitsträger möglich ist. Im Übrigen richten sich die Einzelheiten nach den Verwaltungsvollstreckungsgesetzen des Bundes und der Länder.

III. Materielles Recht 8 § 170 bezieht sich nicht auf materiell-rechtliche Regelungen des Abschnitts 2

oder des 4. Teils des GWB insgesamt. Gleichwohl sind die Länder nicht berechtigt, das materielle Kartellvergaberecht, etwa die Grundsatzbestimmungen in § 97, aufzuheben oder auch nur zu modifizieren. Dies schließt auch die Regelungen im Abschnitt 1 des Abschnitts 2 (§§ 155 bis 159) ein, soweit sie keine verfahrensrechtlichen, sondern materiell-rechtliche Bestimmungen enthalten. Dies gilt insbesondere für die Aufgabenzuweisung in § 156 sowie die Vorschriften zur Besetzung und Unabhängigkeit der Vergabekammern in § 157.

9 Eine gesonderte Regelung dazu, dass die Länder keine abweichenden materiell-

rechtlichen Bestimmungen treffen dürfen, ist nicht erforderlich. Die materiellrechtlichen Vorschriften beruhen auf der Kompetenz des Bundes zur konkurrierenden Gesetzgebung gemäß § 74 Abs. 1 Nr. 11 (Recht der Wirtschaft) und Nr. 16 GG (Verhütung des Missbrauchs wirtschaftlicher Machtstellung) sowie im Hinblick auf das Beschwerdeverfahren auf Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG (gerichtliches Verfahren)1. Abweichende Landesregelungen sind daher gemäß Art. 72 Abs. 1 GG im Hinblick auf das materielle Kartellvergaberecht nicht möglich. Abweichungen kommen nur in Betracht, solange und soweit der Bund von seiner konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz keinen Gebrauch gemacht hat2. Daher bestehen Regelungsmöglichkeiten zum materiellen Recht insbesondere unterhalb der Schwellenwerte gemäß § 106 Abs. 1 (s. zu den Schwellenwerten s. § 106; zur Auftragsvergabe unterhalb der Schwellenwerte s. Einl. Rz. 15 ff. sowie in den Grenzen des § 129).

1 BT-Drucks. 16/10117, S. 14. 2 S. zu Voraussetzungen, Reichweite und Rechtsfolgen der „Sperrwirkung“ etwa Pieroth in Jarass/Pieroth, Grundgesetz, Art. 72 Rz. 11 ff.

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Abschnitt 3 Sofortige Beschwerde Vorbemerkung zu §§ 171–179

I. Überblick Gegen die Entscheidung der Vergabekammer kann sofortige Beschwerde zum 1 OLG eingelegt werden. Das Beschwerdeverfahren ist in den §§ 171 bis 179 geregelt. Der Verfahrensweg von einer Verwaltungsbehörde zum OLG ist demjenigen in Kartellsachen nachgebildet. Der Gesetzgeber geht davon aus, dass sich das kartellrechtliche Verfahren bewährt hat1. Daneben bestehen für die Zuweisung der Zuständigkeit an die OLG auch materielle Gründe, da der Auftraggeber bei der Vergabe von Aufträgen zivilrechtlich tätig wird (vgl. Vor §§ 97–154 Rz. 16 f.). Die Zuständigkeit des OLG als erster (und ohne Berücksichtigung der Vorlagepflicht nach § 179 Abs. 2 letzter) Instanz rechtfertigt sich unter dem Gesichtspunkt der Beschleunigung des Verfahrens. Darüber hinaus geht der Gesetzgeber davon aus, dass bereits das Verfahren vor der Vergabekammer gerichtsähnlich ausgestaltet ist. Schließlich hätte im Falle einer Zuständigkeit der Landgerichte im Interesse der Wahrung der Rechtseinheit ein weiteres Rechtsmittel vorgesehen werden müssen2. Die Möglichkeit, Entscheidungen der Vergabekammer durch ein Gericht überprüfen zu lassen, ist aufgrund der Regelung in Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG zwingend erforderlich. Auch Art. 2 Abs. 9 RL 89/ 665/EWG (Rechtsmittelrichtlinie) und Art. 2 Abs. 9 RL 92/13/EWG (SektorenRechtsmittelrichtlinie) fordern die Eröffnung des Rechtswegs zu einem Gericht im Sinne des Art. 267 AEUV, soweit es sich bei der Eingangsinstanz um eine Nachprüfungsstelle handelt, die selbst kein Gericht ist. Allerdings hat der EuGH die Vergabekammern als Gerichte im Sinne des Art. 267 AEUV anerkannt3, so dass sich allein aus den genannten Vorschriften der Rechtsmittelrichtlinien keine Notwendigkeit ergibt, gegen Entscheidungen der Vergabekammern ein Rechtsmittel zu einem Gericht vorzusehen. Das in §§ 171 bis 179 geregelte Beschwerdeverfahren entspricht in wesentlichen 2 Bestimmungen den Vorschriften über die kartellrechtliche Beschwerde nach §§ 63 bis 73. Unterschiede bestehen insbesondere im Hinblick darauf, dass der Gesetzgeber in allen Instanzen eine Beschleunigung des Vergabenachprüfungsverfahrens erreichen will. So ist die Beschwerdefrist in § 172 Abs. 1 gegenüber § 66 Abs. 1 Satz 1 von einem Monat auf zwei Wochen verkürzt. Die sofortige Beschwerde muss nach § 172 Abs. 2 Satz 1 zugleich, d.h. innerhalb der ZweiWochen-Frist, begründet werden. Hingegen bestimmt § 66 Abs. 3 Satz 1 für die 1 BT-Drucks. 13/9340, S. 20. 2 BT-Drucks. 13/9340, S. 20. 3 EuGH v. 18.9.2014 – Rs. C-549/13, ECLI:EU:C:2014:2235 Tz. 23 – Bundesdruckerei.

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Vor §§ 171–179 | Vorbemerkungen kartellrechtliche Beschwerde eine Begründungsfrist von zwei Monaten, deren Verlängerung möglich ist. Darüber hinaus sehen § 173, § 176 und § 177 besondere Beschleunigungsmaßnahmen vor. 3 Nach der von dem Bundesministerium für Wirtschaft und Energie aufgrund der

Mitteilungspflicht nach § 184 veröffentlichten Statistik ist die Anzahl der Beschwerden, die jährlich eingelegt werden, seit mehreren Jahren in der Tendenz rückläufig. Erst im Jahr 2016 stiegen die Beschwerden wieder an. Die höchste Zahl stammt aus dem Jahr 2004 mit 314 neuen Beschwerden. 2014 wurden 162 Beschwerden bei den OLG eingelegt, 2015 waren es 159, im Jahr 2016 180 Beschwerden.

II. Rechtsnatur des Beschwerdeverfahrens 4 Bei dem Verfahren der sofortigen Beschwerde nach § 171 handelt es sich um ein

Verwaltungsstreitverfahren, da sein Gegenstand die Rechtmäßigkeit der Entscheidung der Vergabekammer bildet, die durch Verwaltungsakt ergeht (§ 168 Abs. 3 Satz 1). Auch insoweit entspricht die vergaberechtliche sofortige Beschwerde der kartellrechtlichen Beschwerde nach §§ 63 ff., die ebenfalls ein Verwaltungsstreitverfahren darstellt1. § 171 Abs. 3 Satz 1, der die Zuständigkeit der Oberlandesgerichte für die sofortige Beschwerde regelt, enthält eine bundesrechtliche Sonderzuweisung i.S.d. § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO2. Das GWB bestimmt lediglich die wesentlichen Grundzüge des Beschwerdeverfahrens. Im Übrigen verweist es hinsichtlich verschiedener Teilfragen auf einzelne Bestimmungen des kartellrechtlichen Beschwerdeverfahrens (§ 175 Abs. 2) und über die Verweisung in § 175 Abs. 2 auf § 73 Nr. 2 zu Vorschriften der ZPO. Auch unter Zuhilfenahme dieser Verweisung lassen sich jedoch nicht alle prozessualen Fragen klären. Soweit Lücken bestehen, sind diese unter analoger Anwendung der Bestimmungen zur kartellrechtlichen Beschwerde auszufüllen, da dieses Verfahren der vergaberechtlichen Beschwerde am nächsten steht. Ergänzend kann auf andere Verfahrensordnungen zurückgegriffen werden. Aufgrund der Einordnung des vergaberechtlichen Beschwerdeverfahrens als Verwaltungsstreitverfahren dürften sich regelmäßig die Vorschriften der VwGO als am sachnächsten erweisen3, allerdings verbietet sich eine starre Vorgehensweise. Vielmehr muss im jeweiligen Einzelfall überprüft werden, ob die Regelungen der VwGO oder dieje-

1 Kühnen in Loewenheim/Meessen/Riesenkampff/Kersting/Meyer-Lindemann, Kartellrecht, § 63 Rz. 1. 2 Stockmann in Immenga/Mestmäcker, GWB, § 116 Rz. 29. 3 OLG Düsseldorf v. 28.12.2007 – VII Verg 40/07, VergabeR 2008, 281 (283); Jaeger in Byok/Jaeger, Kommentar zum Vergaberecht, § 120 Rz. 16; a.A. Wiese in Kulartz/Kus/ Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 175 Rz. 41, wonach vorrangig auf die ZPO abzustellen ist.

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nigen der ZPO sachdienlich sind1. Die Rechtsprechung tendiert zu einer Heranziehung der ZPO, was möglicherweise allein darin liegt, dass diese Verfahrensordnung den OLG vertraut ist.

§ 171 Zulässigkeit, Zuständigkeit (1) Gegen Entscheidungen der Vergabekammer ist die sofortige Beschwerde zulässig. Sie steht den am Verfahren vor der Vergabekammer Beteiligten zu. (2) Die sofortige Beschwerde ist auch zulässig, wenn die Vergabekammer über einen Antrag auf Nachprüfung nicht innerhalb der Frist des § 167 Abs. 1 entschieden hat; in diesem Fall gilt der Antrag als abgelehnt. (3) Über die sofortige Beschwerde entscheidet ausschließlich das für den Sitz der Vergabekammer zuständige Oberlandesgericht. Bei den Oberlandesgerichten wird ein Vergabesenat gebildet. (4) Rechtssachen nach den Absätzen 1 und 2 können von den Landesregierungen durch Rechtsverordnung anderen Oberlandesgerichten oder dem Obersten Landesgericht zugewiesen werden. Die Landesregierungen können die Ermächtigung auf die Landesjustizverwaltungen übertragen. I. 1. 2. II. III. 1.

Einleitung Inhaltsübersicht . . . . . . . . . . Entstehungsgeschichte . . . . . Sofortige Beschwerde . . . . . . Beschwerdearten . . . . . . . . . Anfechtungsbeschwerde (§ 171 Abs. 1 Satz 1) a) Gegenstand der Anfechtungsbeschwerde . . . . . . . aa) Hauptsacheentscheidungen . . . . . . . . . . . bb) Kostenentscheidungen cc) Zwischen- und Nebenentscheidungen . . . . .

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__ __ _ __ _ 1 2 3 4

5 6 7

2. 3. IV. V. VI. VII. VIII.

b) Weitere Zulässigkeitsvoraussetzungen . . . . . . . Untätigkeitsbeschwerde (§ 171 Abs. 2) . . . . . . . . . . . Feststellungsbeschwerde . . . Beschwerdeberechtigung (§ 171 Abs. 1 Satz 2) . . . . . Beschwer . . . . . . . . . . . . . . Form/Frist . . . . . . . . . . . . Rücknahme der Beschwerde Beschwerdegericht (§ 171 Abs. 3 und 4) . . . . . .

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8

_ __ __ __ _ 12 14 18 21 24 27 28 30

1 OLG Naumburg v. 17.8.2007 – 1 Verg 5/07, VergabeR 2008, 291; Jaeger in Byok/Jaeger, Kommentar zum Vergaberecht, § 120 Rz. 16; Stockmann in Immenga/Mestmäcker, GWB, § 120 Rz. 25; Wiese in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 175 Rz. 41 ff.

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§ 171 | Zulässigkeit, Zuständigkeit I. Einleitung 1. Inhaltsübersicht 1 § 171 Abs. 1 bestimmt die sofortige Beschwerde als zulässiges Rechtsmittel ge-

gen Entscheidungen der Vergabekammern. Die Vorschrift regelt den Kreis der Beschwerdeberechtigten (§ 171 Abs. 1 Satz 2) und die Beschwerdearten. Weiterhin wird das zuständige Gericht bestimmt (§ 171 Abs. 3). Abs. 4 enthält eine Ermächtigung an die Landesregierungen, Vergabesachen einem anderen OLG oder dem Obersten Landesgericht zuzuweisen. 2. Entstehungsgeschichte

2 Die Regelung fand sich ursprünglich in § 116 GWB. Durch Art. 2c GKV –

OrgWG v. 15.12.20081 wurde § 116 Abs. 3 Satz 1 ein zweiter Halbsatz hinzugefügt, der durch Art. 3 AMNOG vom 22.12.2010 wieder aufgehoben wurde2. Seit Inkrafttreten des Vergaberechtsmodernisierungsgesetzes3 findet sich die Bestimmung in § 171.

II. Sofortige Beschwerde 3 Während im kartellrechtlichen Verfahren das Rechtsmittel der Beschwerde vor-

gesehen ist (§ 63 Abs. 1 Satz 1), spricht § 171 Abs. 1 Satz 1 von der sofortigen Beschwerde. Diese Unterscheidung rechtfertigt sich, da die Beschwerdefrist gegenüber § 66 Abs. 1 Satz 1 von einem Monat auf zwei Wochen verkürzt ist (§ 172 Abs. 1) und die Beschwerdebegründung innerhalb der zweiwöchigen Beschwerdefrist vorgelegt werden muss, eine gesonderte Beschwerdebegründungsfrist, wie sie § 66 Abs. 3 Satz 1 im kartellrechtlichen Verfahren vorsieht, folglich entfällt. Die ZPO kennt ebenfalls das Rechtsmittel der sofortigen Beschwerde, welches in § 567 geregelt ist. Eine analoge Anwendung dieser Vorschrift auf die sofortige Beschwerde nach § 171 verbietet sich jedoch. Soweit die Regelung der §§ 171 ff. Lücken enthalten, sind vielmehr zunächst die Vorschriften des Kartellbeschwerdeverfahrens analog heranzuziehen (Vor §§ 171–179 Rz. 4).

III. Beschwerdearten 4 Im vergaberechtlichen Beschwerdeverfahren existiert die sofortige Beschwerde

gegen Entscheidungen der Vergabekammer nach § 168 („Anfechtungsbeschwerde“, dazu Rz. 5 ff.). Darüber hinaus ist die sofortige Beschwerde nach § 171 1 BGBl. I 2008, 2426. 2 BGBl. I 2010, 2262. 3 BGBl. I 2016, 203.

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Abs. 2 auch dann zulässig, wenn die Vergabekammer über einen Antrag auf Nachprüfung nicht innerhalb der Frist des § 167 Abs. 1 entschieden hat („Untätigkeitsbeschwerde“, s. hierzu Rz. 14 ff.). Eine Feststellungsbeschwerde ist nur in eng umgrenzten Ausnahmefällen statthaft (vgl. u. Rz. 18 ff.). 1. Anfechtungsbeschwerde (§ 171 Abs. 1 Satz 1) a) Gegenstand der Anfechtungsbeschwerde Gegenstand der Anfechtungsbeschwerde sind nach § 171 Abs. 1 „Entscheidun- 5 gen der Vergabekammer“. Das Gesetz regelt nicht näher, welche Entscheidungen hiermit gemeint sind. aa) Hauptsacheentscheidungen Statthaft ist die Anfechtungsbeschwerde gegen Hauptsacheentscheidungen der 6 Vergabekammer nach § 168 Abs. 1. Auch die Feststellungsentscheidung der Vergabekammer nach § 168 Abs. 2 Satz 2 unterliegt der Anfechtungs-, nicht etwa einer Feststellungsbeschwerde1. Eine teilweise Anfechtung der Hauptsacheentscheidung der Vergabekammer ist zulässig. Entscheidet die Vergabekammer beispielsweise über die Vergabe mehrerer Lose, kann der Beschwerdeführer die Entscheidung nur bezüglich einzelner Lose angreifen. Dies hat zur Folge, dass die Entscheidung im Übrigen bestandskräftig wird2. Auch kann der Beschwerdeführer die Feststellungen der Vergabekammer zu einzelnen Vergaberechtsverstößen akzeptieren und nur im Übrigen angreifen. Soweit die Entscheidung der Vergabekammer Nebenbestimmungen enthält, können diese unter Umständen isoliert mit der sofortigen Beschwerde angegriffen werden. Dies ist dann der Fall, wenn es sich bei der Nebenbestimmung um eine ergänzende Regelung handelt, ohne welche die eigentliche Entscheidung der Vergabekammer ebenfalls rechtmäßig hätte ergehen können. Eine isolierte Anfechtung scheidet hingegen aus, wenn die Nebenbestimmung integrierender, nicht aus dem zu regelnden Gesamtzusammenhang zu lösender Bestandteil der Entscheidung ist3. Die Abgrenzung entspricht den im Verwaltungsverfahrensrecht geltenden Grundsätzen4. Nebenbestimmungen können insbesondere in einzelnen Maßnahmen liegen, die die Vergabekammer nach § 168 Abs. 1 Satz 1 anordnet. Gibt die Vergabekammer dem Auftraggeber beispielsweise auf, die Wertung der Angebote unter bestimmten Maßgaben zu wiederholen, besteht die Möglichkeit, dass ein Beteiligter an dem Verfahren vor der Vergabekammer zwar die Verpflichtung zur Wiederholung der Angebotswertung akzeptiert, jedoch einzelne 1 2 3 4

Vavra in Dreher/Motzke, Beck’scher Vergaberechtskommentar, § 116 GWB Rz. 8. OLG München v. 21.5.2010 – Verg 2/10, VergabeR 2010, 992 (998). Stockmann in Immenga/Mestmäcker, GWB, § 116 Rz. 6, 9. Hierzu von Nicolai in Redeker/v. Oertzen, VwGO, § 42 Rz. 14 ff.

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§ 171 | Zulässigkeit, Zuständigkeit Aspekte, nach denen die Angebotswertung nach Auffassung der Vergabekammer zu erfolgen hat, für unzutreffend erachtet. Diese Maßgaben können isoliert angefochten werden, soweit die übrigen Maßgaben selbstständig Bestand haben können. bb) Kostenentscheidungen 7 § 99 Abs. 1 ZPO, der die isolierte Anfechtung der Kostenentscheidung grund-

sätzlich ausschließt, findet im vergaberechtlichen Beschwerdeverfahren keine Anwendung. Vielmehr gilt über § 182 Abs. 1 Satz 2 die Vorschrift des § 22 Abs. 1 VwKostG in der am 14.8.2013 geltenden Fassung1, wonach Kostenentscheidungen zusammen mit der Sachentscheidung oder selbstständig angefochten werden können2. Eine isolierte Anfechtung der Kostenentscheidung ist demnach statthaft3. Ebenso anfechtbar sind Kostenentscheidungen, die ohne Entscheidung in der Hauptsache, etwa nach Rücknahme des Nachprüfungsantrags, ergehen4. Auch sind einzelne Teile der Kostenentscheidung isoliert anfechtbar5. Anfechtbar ist somit die Entscheidung der Vergabekammer nach § 182 Abs. 3 Satz 5, wer die Verfahrenskosten zu tragen hat6. Daneben ist die sofortige Beschwerde gegen die Festsetzung der Höhe der Gebühr der Vergabekammer nach § 182 Abs. 2 statthaft7. Das Gleiche gilt für die Entscheidung über die Tragung der Kosten eines anderen Beteiligten oder eines Beigeladenen (§ 182 Abs. 4 Satz 1 und 2) und darüber, ob die Hinzuziehung eines Rechtsanwalts notwendig war (§ 182 Abs. 4 Satz 4 i.V.m. § 80 Abs. 3 Satz 2 VwVfG)8. cc) Zwischen- und Nebenentscheidungen

8 Das GWB enthält vereinzelt Regelungen, die die Anfechtung bestimmter Ent-

scheidungen der Vergabekammer ausdrücklich ausschließen. So ist die Entschei-

1 Das VwKostG ist am 15.8.2013 außer Kraft getreten (Art. 5 Abs. 1 Gesetz zur Strukturreform des Gebührenrechts des Bundes vom 7.8.2013, BGBl. I 2013, 3153), gilt für die Kosten der Vergabekammer aufgrund der Verweisung in § 182 Abs. 1 Satz 2 jedoch fort. 2 BGH v. 25.10.2011 – X ZB 5/10, MDR 2012, 314 = NZBau 2012, 186; OLG Düsseldorf v. 18.1.2000 – Verg 2/00, NZBau 2000, 596; BayObLG v. 6.6.2002 – Verg 12/02, VergabeR 2003, 109. 3 BayObLG v. 29.9.1999 – Verg 5/99, NZBau 2000, 99; OLG Dresden v. 5.4.2001 – WVerg 8/00, WuW/E Verg 497. 4 BGH v. 25.10.2005 – X ZB 22/05, MDR 2006, 838 = NZBau 2006, 196. 5 OLG Düsseldorf v. 20.7.2000 – Verg 1/00, NZBau 2000, 486; OLG Naumburg v. 6.4.2005 – 1 Verg 2/05, VergabeR 2005, 676. 6 OLG München v. 13.11.2006 – Verg 13/06, VergabeR 2007, 266. 7 Vavra in Dreher/Motzke, Beck’scher Vergaberechtskommentar, § 116 GWB Rz. 9 ff. 8 OLG Stuttgart v. 19.7.2000 – 2 Verg 4/00, NZBau 2000, 543; BayObLG v. 19.9.2003 – Verg 11/03, VergabeR 2004, 259; OLG Düsseldorf v. 3.1.2011 – VII Verg 42/10, VergabeR 2011, 648.

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dung, das Verfahren dem Vorsitzenden oder dem hauptamtlichen Beisitzer zur alleinigen Entscheidung zu übertragen, unanfechtbar (§ 157 Abs. 3 Satz 1). Das Gleiche gilt für Entscheidungen über die Beiladung (§ 162 Satz 2). Die Versagung der Akteneinsicht kann nur im Zusammenhang mit der Hauptsache durch sofortige Beschwerde angegriffen werden (§ 165 Abs. 4). Entscheidungen der Vergabekammer im Verfahren nach § 169 Abs. 2 unterliegen nicht der sofortigen Beschwerde (§ 169 Abs. 2 Satz 8). Vorläufige Maßnahmen nach § 169 Abs. 3 sind nicht selbstständig anfechtbar (§ 169 Abs. 3 Satz 3). Regelungen über die Anfechtbarkeit sonstiger Zwischen- und Nebenentscheidungen enthält das GWB nicht. Den genannten Vorschriften in §§ 157 Abs. 3 Satz 1, 162 Satz 2, 165 Abs. 4, 169 Abs. 2 Satz 8 und 169 Abs. 3 Satz 3 lässt sich kein allgemeines Prinzip entnehmen, wonach die Einlegung einer sofortigen Beschwerde gegen Zwischen- und Nebenentscheidungen stets ausscheidet. Vielmehr ist für jeden Einzelfall eine differenzierte Betrachtung erforderlich1. Zu beachten ist allerdings der Grundsatz der Beschleunigung des Vergabenachprüfungsverfahrens. Dieser führt dazu, dass bezüglich des überwiegenden Teils der Zwischen- und Nebenentscheidungen die Statthaftigkeit einer sofortigen Beschwerde ausscheidet. So ist die Entscheidung der Vergabekammer, den Vergabenachprüfungsantrag 9 dem Auftraggeber nach § 163 Abs. 2 Satz 3 zu übermitteln, nicht selbstständig anfechtbar2. Ein Beschwerdeverfahren mit dem Inhalt festzustellen, ob ein Vergabenachprüfungsverfahren wegen offensichtlicher Unzulässigkeit oder Unbegründetheit des Antrags nicht durchgeführt werden muss, würde die Nachprüfung eher verzögern als beschleunigen. Anders ist der Fall zu betrachten, dass die Vergabekammer die Übermittlung des Nachprüfungsantrags wegen dessen offensichtlicher Unzulässigkeit oder Unbegründetheit ablehnt. Eine derartige Entscheidung führt zur Beendigung des Nachprüfungsverfahrens und muss daher schon im Hinblick auf Art. 19 Abs. 4 GG einer gerichtlichen Überprüfung zugänglich sein3. Wird gegen die Ablehnung der Übermittlung sofortige Beschwerde eingelegt, muss der Nachprüfungsantrag unverzüglich durch das Beschwerdegericht zugestellt werden4. Bis zur Zustellung durch das Beschwerdegericht kann der Auftraggeber den Zuschlag wirksam erteilen, da § 169 Abs. 1 noch nicht eingreift. Ist die Zustellung durch das Beschwerdegericht erfolgt, kann die aufschiebende Wirkung auf Antrag nach § 173 Abs. 1 Satz 3 hin verlängert werden (§ 173 Rz. 5). Trifft die Vergabekammer keine Entscheidung über die Übermittlung des Vergabenachprüfungsantrags, scheidet eine sofor1 Vavra in Dreher/Motzke, Beck’scher Vergaberechtskommentar, § 116 GWB Rz. 21; Stockmann in Immenga/Mestmäcker, GWB, § 116 Rz. 9; Ulbrich in Kulartz/Kus/Portz/ Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 171 Rz. 26. 2 OLG Düsseldorf v. 18.1.2000 – Verg 2/00, NZBau 2000, 596; Ulbrich in Kulartz/Kus/ Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 171 Rz. 28. 3 OLG Düsseldorf v. 13.4.1999 – Verg 1/99, NZBau 2000, 45; v. 18.1.2000 – Verg 2/00, NZBau 2000, 596; vgl. § 163 Rz. 41; a.A. KG v. 31.3.2007 – 2 Verg 6/07, VergabeR 2007, 551. 4 OLG Koblenz v. 25.3.2002 – 1 Verg 1/02, VergabeR 2002, 384.

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§ 171 | Zulässigkeit, Zuständigkeit tige Beschwerde aus, da kein angreifbarer Akt vorliegt1. Vielmehr muss der Antragsteller den Ablauf der Fünf-Wochen-Frist des § 167 Abs. 1 Satz 1 abwarten. Erst danach kann er Untätigkeitsbeschwerde einlegen. 10 Selbstständig anfechtbar sind die Anordnung oder Ablehnung von Vollstre-

ckungsmaßnahmen durch die Vergabekammer (§ 168 Abs. 3 Satz 2)2, das Anordnen des Ruhens oder die Aussetzung des Verfahrens3 und, anders als die Versagung (§ 165 Abs. 4), die Gewährung von Akteneinsicht zugunsten eines Dritten, wenn geltend gemacht wird, dass durch die Gewährung der Akteneinsicht die Rechte des Beschwerdeführers in einer durch die Hauptsacheentscheidung nicht wiedergutzumachender Weise beeinträchtigt werden4.

11 Hingegen scheidet die Anfechtung der Fristverlängerung nach § 167 Abs. 1

Satz 2 aus5 (vgl. Rz. 17). Das Gleiche gilt hinsichtlich der Ablehnung der Verlängerung der einem Beteiligten nach § 167 Abs. 2 Satz 2 gesetzten Stellungnahmefrist6, der Verweisung des Verfahrens an eine andere Vergabekammer, soweit keine offensichtliche Willkür vorliegt7, der Ablehnung eines Befangenheitsantrags8 und Beweisanordnungen9. Für Entscheidungen der Vergabekammer nach § 169 Abs. 2 Satz 1 sieht § 169 Abs. 2 Satz 5 und 6 gesonderte Rechtsmittel vor. Eine sofortige Beschwerde gegen diese Entscheidungen ist unzulässig (§ 169 Abs. 2 Satz 8). Die Entscheidung der Vergabekammer, ein Vorabentscheidungsersuchen an den EuGH nach Art. 267 AEUV zu richten (dazu § 179 Rz. 21), ist, entsprechend den zivilverfahrensrechtlichen Regelungen, nicht durch sofortige Beschwerde angreifbar. Auch die Vergabekammer muss die eigentlichen Prozessentscheidungen ohne Steuerung von außen treffen können. Hierzu zählt auch die Entscheidung über ein Vorabentscheidungsersuchen10.

1 OLG Dresden v. 4.7.2002 – WVerg 11/02, VergabeR 2002, 544; Gröning, VergabeR 2002, 435. 2 OLG Düsseldorf v. 29.12.2000 – Verg 31/00, VergabeR 2001, 62 (63); v. 10.3.2014 – VII Verg 11/14, VergabeR 2014, 621; KG v. 24.10.2001 – KartVerg 10/01, VergabeR 2002, 100 (101). 3 OLG Düsseldorf v. 11.3.2002 – Verg 43/01, VergabeR 2002, 404. 4 BGH v. 31.1.2017 – X ZB 10/16, NZBau 2017, 230 (234); OLG Düsseldorf v. 28.12.2007 – VII Verg 40/07, VergabeR 2008, 281 (283); OLG Frankfurt v. 12.12.2014 – 11 Verg 8/ 14, VergabeR 2015, 476 (479); Kullack/Schüttpelz in Heiermann/Riedl/Rusam, Handkommentar zur VOB, § 116 GWB Rz. 6; Stockmann in Immenga/Mestmäcker, GWB, § 116 Rz. 10; a.A. OLG Hamburg v. 2.12.2004 – 1 Verg 2/04; Ulbrich in Kulartz/Kus/ Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 171 Rz. 36. 5 OLG Naumburg v. 13.8.2007 – 1 Verg 8/07, VergabeR 2008, 290. 6 Ulbrich in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 171 Rz. 35. 7 OLG Düsseldorf v. 18.1.2005 – VII Verg 104/04; OLG Dresden v. 26.6.2012 – Verg 3/12, VergabeR 2013, 517. 8 OLG Düsseldorf v. 23.1.2006 – Verg 96/05, NZBau 2006, 598. 9 Ulbrich in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 171 Rz. 33. 10 OLG München v. 18.10.2012 – Verg 13/12, VergabeR 2013, 514.

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b) Weitere Zulässigkeitsvoraussetzungen Voraussetzung für die Zulässigkeit der Anfechtungsbeschwerde ist, dass eine 12 angreifbare Entscheidung der Vergabekammer (vgl. Rz. 5 bis 11) zumindest einem der Beteiligten bekannt gemacht wurde. Ist eine Entscheidung der Vergabekammer ausnahmsweise nichtig, kann diese aus Gründen der Rechtssicherheit trotz allem mit der Anfechtungsbeschwerde angegriffen werden1. Die Nichtigkeit einer Entscheidung der Vergabekammer bestimmt sich in analoger Anwendung des § 44 VwVfG2. Die Anfechtungsbeschwerde des § 171 Abs. 1 Satz 1 steht auch demjenigen zu, 13 dessen Antrag durch die Vergabekammer abgelehnt wurde und umfasst somit diejenigen Fälle, die im Kartellrecht (§ 63 Abs. 3 Satz 1) und im allgemeinen Verwaltungsrecht (§ 42 Abs. 1, 2. Alt. VwGO) als Verpflichtungsbeschwerde bzw. Verpflichtungsklage bezeichnet werden. Ein gesondertes Rechtsmittel für den Fall, dass die Vergabekammer einen Antrag ablehnt, ist für die vergaberechtliche Beschwerde nicht erforderlich, da das Beschwerdegericht grundsätzlich über die Beschwerde selbst entscheidet (§ 178 Satz 2), während das Gericht im kartellrechtlichen Beschwerdeverfahren lediglich die Verpflichtung der Kartellbehörde ausspricht, eine dem Antrag stattgebende Verfügung zu erlassen (§ 71 Abs. 4). 2. Untätigkeitsbeschwerde (§ 171 Abs. 2) Das Kartellrecht (§ 63 Abs. 3 Satz 2) sowie das allgemeine Verwaltungsrecht 14 (§ 75 VwGO) sehen ein Rechtsmittel für den Fall vor, dass über einen Antrag bzw. einen Widerspruch nicht in angemessener Frist entschieden wird. Dem ist § 171 Abs. 2 nachgebildet. Danach ist die sofortige Beschwerde auch dann zulässig, wenn die Vergabekammer über einen Antrag auf Nachprüfung nicht innerhalb der Fünf-Wochen-Frist des § 167 Abs. 1 Satz 1, bzw. in der nach § 167 Abs. 1 Satz 2 verlängerten Frist entschieden hat. § 171 Abs. 2, 2. Halbs. stellt die Fiktion auf, dass der Antrag in diesem Fall als abgelehnt gilt3. Hierin liegt der wesentliche Unterschied zu § 75 VwGO, der dem Antragsteller lediglich die Möglichkeit gibt, über die Erhebung der Untätigkeitsklage das Verfahren zu beschleunigen. Solange er diese Möglichkeit nicht nutzt, wird das Verwaltungsverfahren fortgesetzt4. Das Vergabenachprüfungsverfahren endet hingegen mit Ablauf der Frist des § 167 Abs. 1 ohne Zutun der Vergabekammer oder der Parteien mit einer den Antragsteller belastenden Entscheidung: sein Antrag gilt als abgelehnt. Legt er hiergegen keine Untätigkeitsbeschwerde ein, wird die (fin1 OLG Düsseldorf v. 22.1.2001 – Verg 24/00, VergabeR 2001, 154; Stockmann in Immenga/ Mestmäcker, GWB, § 116 Rz. 7. 2 OLG Düsseldorf v. 10.3.2014 – VII Verg 11/14, VergabeR 2014, 621. 3 Stockmann in Immenga/Mestmäcker, GWB, § 116 Rz. 7. 4 Kothe in Redeker/v. Oertzen, VwGO, § 75 Rz. 1.

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§ 171 | Zulässigkeit, Zuständigkeit gierte) Ablehnung des Antrags mit Ablauf der Beschwerdefrist bestandskräftig, selbst wenn die Vergabekammer das Nachprüfungsverfahren über diesen Zeitraum hinaus fortsetzt. Die Ablehnungsfiktion tritt auch dann ein, wenn die Vergabekammer nach Ablauf der Frist des § 167 Abs. 1 eine Hauptsacheentscheidung trifft. Diese Entscheidung ist aufgrund der bereits vorher eingetretenen Ablehnungsfiktion gegenstandslos, kann jedoch trotz allem gesondert mit der sofortigen Beschwerde angefochten werden, um den mit ihr verbundenen Rechtsschein einer Hauptsacheentscheidung auszuräumen1. Der Antragsteller ist somit zur Einlegung der Untätigkeitsbeschwerde gezwungen. Nach anderer Auffassung kann eine Hauptsacheentscheidung der Vergabekammer zumindest so lange ergehen, wie die Beschwerdefrist gegen die fingierte Ablehnungsentscheidung noch nicht abgelaufen ist2. Dies führt jedoch zumindest dann, wenn die Vergabekammer dem Nachprüfungsantrag stattgibt, zu Widersprüchen. Wiedereinsetzung in die versäumte Beschwerdefrist gegen die fingierte Ablehnung kann regelmäßig nicht gewährt werden, da sich die Fiktion unmittelbar aus dem Gesetz ergibt3. Ein Wiedereinsetzungsantrag kann hingegen begründet sein, wenn innerhalb der Entscheidungsfrist zwar ein Beschluss der Vergabekammer ergeht, sich aber herausstellt, dass dieser nichtig ist4. Das Ziel der Untätigkeitsbeschwerde ist identisch mit demjenigen der Anfechtungsbeschwerde. Sie richtet sich gegen die fingierte Ablehnung des Nachprüfungsantrags. Der Begriff „Untätigkeitsbeschwerde“ ist daher ungenau. Es handelt sich um eine besondere Form der Anfechtungsbeschwerde, für die das Gesetz eigene Regelungen aufstellt. 15 Eine Untätigkeitsbeschwerde ist in analoger Anwendung des § 171 Abs. 2 auch

dann zulässig, wenn entgegen den gesetzlichen Bestimmungen keine Vergabekammern eingerichtet wurden. In diesem Fall kann in laufenden Vergabeverfahren direkt sofortige Beschwerde zum OLG eingelegt werden, ohne dass es eines Antrags bei der nicht existierenden Vergabekammer oder des Ablaufs der 5Wochen-Frist des § 167 Abs. 1 bedürfte5. Anders dürfte dies zu beurteilen sein, wenn eine Vergabekammer zwar eingerichtet, aber nicht personell besetzt ist. In diesem Fall wird mit Einreichung des Nachprüfungsantrags die Frist des § 167 Abs. 1 Satz 1 ausgelöst, deren Ablauf die Ablehnung des Antrags fingiert (§ 171 Abs. 2 Halbs. 2), wogegen Untätigkeitsbeschwerde nach § 171 Abs. 2 eingelegt werden kann6. Ein solcher Zustand ist zwar unhaltbar, muss von den Beteiligten

1 OLG Düsseldorf v. 22.1.2001 – Verg 24/00, VergabeR 2001, 154; v. 5.10.2001 – Verg 18/ 01, VergabeR 2002, 89 (93); OLG Dresden v. 17.6.2005 – WVerg 8/05, VergabeR 2005, 812; a.A. OLG Rostock v. 17.10.2001 – 17 Verg W 18/01, VergabeR 2002, 85; KG v. 7.11. 2001 – KartVerg 8/01, VergabeR 2002, 95. 2 Stockmann in Immenga/Mestmäcker, GWB, § 116 Rz. 12 ff. 3 OLG Dresden v. 17.6.2005 – WVerg 8/05, VergabeR 2005, 812. 4 OLG Düsseldorf v. 5.10.2001 – Verg 18/01, VergabeR 2002, 89 (94). 5 OLG Saarbrücken v. 22.10.1999 – 5 Verg 4/99, NZBau 2000, 158. 6 KG v. 24.10.2013 – Verg 11/13, VergabeR 2014, 179.

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jedoch wohl hingenommen werden. Eine unmittelbare sofortige Beschwerde an das OLG setzt demnach voraus, dass entweder kein Gesetz zur Einrichtung einer Vergabekammer existiert oder diese nicht erreichbar ist, beispielweise über keine Adresse verfügt. Die Ablehnung des Nachprüfungsantrags gilt als fingiert, wenn die Vergabe- 16 kammer innerhalb der Frist des § 167 Abs. 1 keine Entscheidung trifft. § 171 Abs. 2 bezieht sich ausschließlich auf Hauptsacheentscheidungen der Vergabekammer. Im Verfahren über Feststellungsanträge nach § 168 Abs. 2 Satz 2 findet § 167 Abs. 1 keine Anwendung (§ 168 Abs. 2 Satz 3), so dass auch die Ablehnungsfiktion nicht eingreift1. Das Gleiche gilt für Nebenentscheidungen, wie Entscheidungen über Kostenanträge2. Dem Nichtvorliegen einer Entscheidung steht es gleich, wenn eine unwirksame Entscheidung ergeht3 oder eine Entscheidung nicht wirksam zugestellt wird (§ 172 Rz. 4). Die Voraussetzungen für die Wirksamkeit der Entscheidungen der Vergabekammer sind in § 168 Rz. 63 ff. dargestellt. Nach herrschender Meinung ist die Anwendung des § 171 Abs. 2 ausgeschlossen, wenn eine Entscheidung fristgerecht ergeht, aber den Beteiligten erst nach Fristablauf zugestellt wird4. Dies ergebe sich aus dem Wortlaut des § 172 Abs. 1, der für den Beginn der Beschwerdefrist hinsichtlich der Anfechtungsbeschwerde auf die Zustellung der Entscheidung der Vergabekammer, hinsichtlich der Untätigkeitsbeschwerde jedoch allein auf den Ablauf der Frist des § 167 Abs. 1 abstellt. Für das Vorliegen einer Entscheidung genüge demnach, dass diese abgefasst, unterschrieben und zumindest auf den Weg an die Geschäftsstelle gebracht wurde5. Die herrschende Auffassung führt zu Widersprüchen, wenn eine Zustellung unterbleibt. Für die Frage, ob die Frist des § 171 Abs. 2 eingehalten ist, kann es nicht auf gerichtsinterne Sachverhalte ankommen. Die Parteien müssen erkennen können, ob der Antrag als abgelehnt gilt oder nicht. Entgegen der herrschenden Meinung muss daher auch die Zustellung der Entscheidung innerhalb der 5-Wochen-Frist erfolgen. Der Antrag auf Einleitung eines Nachprüfungsverfahrens gilt nicht als abge- 17 lehnt, wenn die 5-Wochen-Frist des § 167 Abs. 1 durch die Vergabekammer 1 BayObLG v. 10.10.2000 – Verg 5/00, VergabeR 2001, 55 (56); zur Zulässigkeit einer „Untätigkeitsbeschwerde“, wenn die Vergabekammer die Entscheidung über einen Feststellungantrag unangemessen verzögert OLG Bremen v. 12.3.2007 – Verg 3/06, VergabeR 2007, 812. 2 OLG Dresden v. 14.3.2005 – WVerg 3/05, VergabeR 2005, 546; KG v. 10.8.2011 – Verg 5/ 11, VergabeR 2012, 254. 3 OLG Düsseldorf v. 22.1.2001 – Verg 24/00, VergabeR 2001, 154; v. 5.10.2001 – Verg 18/ 01, VergabeR 2002, 89 (90). 4 OLG Naumburg v. 13.10.2006 – 1 Verg 6/06, VergabeR 2007, 125; Vavra in Dreher/ Motzke, Beck’scher Vergaberechtskommentar, § 116 GWB Rz. 29; Ulbrich in Kulartz/ Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 171 Rz. 46; Stockmann in Immenga/Mestmäcker, GWB, § 116 Rz. 12. 5 OLG Saarbrücken v. 29.4.2003 – 5 Verg 4/02, VergabeR 2003, 429.

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§ 171 | Zulässigkeit, Zuständigkeit verlängert wird. Aus Gründen der Rechtssicherheit kommt es allein auf das Vorliegen einer Fristverlängerung an, nicht hingegen darauf, ob diese rechtmäßig ist, also insbesondere die Voraussetzungen des § 167 Abs. 1 Satz 2 und 3 vorlagen. Anderenfalls wäre der Antragsteller gezwungen, vorsorglich in jedem Fall einer Fristverlängerung sofortige Beschwerde einzulegen, um zu verhindern, dass sein Nachprüfungsantrag als abgelehnt gelten könnte, weil sich die Fristverlängerung später als unzulässig herausstellt1. Erforderlich ist jedoch stets, dass tatsächlich eine ausdrückliche Fristverlängerung vorliegt. Sonstige verfahrensleitende Maßnahmen, wie beispielsweise die Anberaumung eines Termins zur mündlichen Verhandlung ohne ausdrückliche Fristverlängerung, können nicht in eine solche umgedeutet werden2. Die Entscheidung über die Fristverlängerung muss den Parteien noch innerhalb der laufenden Frist zugestellt werden3. Entgegen der herrschenden Meinung genügt es nicht, dass die Entscheidung innerhalb der Frist abgefasst, unterschrieben und auf den Weg an die Geschäftsstelle gebracht wurde4. Eine Verlängerung nach Fristablauf ist unzulässig5. Verlängert die Vergabekammer die Frist zunächst, erklärt aber nachträglich, das Nachprüfungsverfahren sei abgeschlossen, da sie die Fristverlängerung für unzulässig hält, kann der Antragsteller Untätigkeitsbeschwerde einlegen6. 3. Feststellungsbeschwerde 18 Solange eine Anfechtungs- oder Untätigkeitsbeschwerde zulässig ist, scheidet

eine Feststellungsbeschwerde, die lediglich mit dem Ziel eingelegt wird, die Rechtswidrigkeit oder Rechtmäßigkeit des Vergabeverfahrens feststellen zu lassen, aufgrund ihrer Subsidiarität aus (zu der Möglichkeit, einen Feststellungs-

1 Oben § 167 Rz. 20; OLG Koblenz v. 31.8.2001 – 1 Verg 3/01, NZBau 2001, 641; OLG Brandenburg v. 30.11.2004 – Verg W 10/04, NZBau 2005, 238; OLG Naumburg v. 13.8.2007 – 1 Verg 8/07, VergabeR 2008, 290; OLG Düsseldorf v. 2.1.2012 – VII Verg 70/11, VergabeR 2012, 643 (645); a.A. Stockmann in Immenga/Mestmäcker, GWB, § 116 Rz. 14, wonach die Fristverlängerung in Extremfällen, in denen sie „ihre Rechtswidrigkeit auf der Stirn trägt“, unbeachtlich sei. 2 OLG Düsseldorf v. 20.6.2001 – Verg 3/01, VergabeR 2001, 329. 3 Oben § 167 Rz. 13; Boesen, Vergaberecht, § 113 Rz. 29; Hölzl in Münchener Kommentar zum Europäischen und Deutschen Wettbewerbsrecht, § 113 GWB Rz. 9; a.A. Ohlerich in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 167 Rz. 16; Dreher in Immenga/Mestmäcker, GWB, § 113 Rz. 10; Gröning in Dreher/Motzke, Beck’scher Vergaberechtskommentar, § 113 GWB Rz. 10. 4 So aber KG v. 6.11.2003 – 2 Verg 12/03, VergabeR 2004, 253; OLG Düsseldorf v. 9.6.2010 – VII Verg 9/10, VergabeR 2010, 971 (973); v. 7.8.2013 – VII Verg 14/13, NZBau 2014, 57 (59); OLG Frankfurt v. 24.9.2013 – 11 Verg 12/13, ZfBR 2014, 283. 5 Oben § 167 Rz. 13; OLG Frankfurt v. 24.9.2013 – 11 Verg 12/13, ZfBR 2014, 283 (284); Ulbrich in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 171 Rz. 49; Stockmann in Immenga/Mestmäcker, GWB, § 116 Rz. 14. 6 KG v. 6.11.2003 – 2 Verg 12/03, VergabeR 2004, 253.

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antrag neben der Anfechtungs- oder Untätigkeitsbeschwerde zu stellen, vgl. § 178 Rz. 13). Hat der Auftraggeber vor Abschluss des Verfahrens vor der Vergabekammer den Zuschlag aufgrund einer Entscheidung nach § 169 Abs. 2 erteilt, muss der Antragsteller den Antrag auf Nachprüfung des Verfahrens für erledigt erklären. Auf Antrag stellt die Vergabekammer in diesem Fall fest, ob eine Rechtsverletzung vorgelegen hat (§ 168 Abs. 2 Satz 2). Gegen eine derartige Feststellungsentscheidung ist die sofortige Beschwerde zulässig1. Hierbei handelt es sich um eine Anfechtungsbeschwerde, da die Aufhebung der (feststellenden) Entscheidung der Vergabekammer begehrt wird (vgl. oben Rz. 6). Eine Feststellungsbeschwerde gegen eine derartige Entscheidung ist unstatthaft. Auch während des Beschwerdeverfahrens ist eine Zuschlagserteilung möglich, 19 wenn ein Antrag auf Verlängerung der aufschiebenden Wirkung nach § 173 Abs. 1 Satz 3 nicht gestellt bzw. abgelehnt wird oder einem Antrag auf Vorabentscheidung nach § 176 entsprochen wird. Erteilt der Auftraggeber in diesen Fällen den Zuschlag, ist die Hauptsache für erledigt zu erklären. Allerdings kann beantragt werden, dass das Beschwerdegericht feststellt, ob das Unternehmen, das die Nachprüfung beantragt hatte, durch den Auftraggeber in seinen Rechten verletzt wurde (§ 178 Satz 3) (§ 178 Rz. 10 ff.). In diesem Fall wird das Beschwerdeverfahren als Fortsetzungsfeststellungsbeschwerde fortgesetzt. Es verbleibt der Fall, dass der Auftraggeber den Zuschlag nach Bekanntmachung 20 der Entscheidung der Vergabekammer, jedoch vor Einlegung der sofortigen Beschwerde erteilt. Dies ist möglich, wenn die Vergabekammer oder das Beschwerdegericht einem Antrag auf Zuschlagserteilung nach § 169 Abs. 2 Satz 1 oder Satz 6 stattgegeben hat, das Verfahren vor der Vergabekammer danach durch eine Entscheidung abgeschlossen wird, in der keine Verstöße gegen das Vergaberecht feststellt werden2 und erst in zeitlicher Folge hierauf der Zuschlag erteilt wird. Da die Zuschlagserteilung im Zeitpunkt des Erlasses der Entscheidung der Vergabekammer noch nicht erfolgt war, liegt keine feststellende Entscheidung nach § 168 Abs. 2 Satz 2 vor. Eine Aufhebung dieser Entscheidung kann im Beschwerdeverfahren jedoch nicht mehr erreicht werden, da auch das Beschwerdegericht den zwischenzeitlich (vor Einlegung der Beschwerde) erteilten Zuschlag nicht aufzuheben vermag (§ 178 Satz 4 i.V.m. § 168 Abs. 2 Satz 1). In diesen Fällen ist es in analoger Anwendung des § 178 Satz 3 zulässig, eine „echte“ Feststellungsbeschwerde zu erheben und zu beantragen festzustellen, dass das Unternehmen, das die Nachprüfung beantragt hatte, durch den Auftraggeber in seinen Rechten verletzt wurde (§ 178 Rz. 12)3. Das Feststellungsinteresse an einer derartigen Beschwerde ergibt sich aus der Bindungswirkung der Entscheidung des 1 Vavra in Dreher/Motzke, Beck’scher Vergaberechtskommentar, § 116 GWB Rz. 8. 2 Stellt die Vergabekammer Rechtsverstöße fest, scheidet eine Zuschlagserteilung aus, da die Entscheidung der Vergabekammer einer Eilentscheidung nach § 169 Abs. 2 vorgeht (§ 169 Rz. 72). 3 Vavra in Dreher/Motzke, Beck’scher Vergaberechtskommentar, § 123 GWB Rz. 7.

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§ 171 | Zulässigkeit, Zuständigkeit Beschwerdegerichts für die ordentlichen Gerichte im Rahmen einer Schadensersatzklage (§ 179 Abs. 1). Auf die Feststellungsbeschwerde finden die §§ 171 bis 179 mit Ausnahme der Regelungen über die aufschiebende Wirkung (§ 173 Abs. 1 und 2) und die Vorabentscheidung (§§ 176 und 177) Anwendung.

IV. Beschwerdeberechtigung (§ 171 Abs. 1 Satz 2) 21 Berechtigt zur Einlegung der sofortigen Beschwerde sind die am Verfahren vor

der Vergabekammer Beteiligten (§ 171 Abs. 1 Satz 2). Diese Vorschrift gilt sowohl für die Anfechtungs-, als auch für die Untätigkeits- sowie die Feststellungsbeschwerde. Der Kreis der Verfahrensbeteiligten ergibt sich aus § 162. Beschwerdeberechtigt sind somit der Antragsteller, der Auftraggeber1 und diejenigen Unternehmen, welche die Vergabekammer zu dem Verfahren beigeladen hat, weil deren Interessen durch die Entscheidung schwerwiegend berührt werden2. Soweit eine Beiladung erfolgte, spielt es für die Beschwerdeberechtigung keine Rolle, ob die Voraussetzungen des § 162 Satz 1 vorlagen3. Die Entscheidung der Vergabekammer bleibt auch im Beschwerdeverfahren bindend (§ 162 Satz 2). Die Beschwerdebefugnis des Beigeladenen ist unabhängig von dem prozessualen Verhalten des Auftraggebers. § 67 ZPO findet keine Anwendung4.

22 Umstritten ist die Beschwerdeberechtigung eines Unternehmens, dessen Beila-

dung durch die Vergabekammer zu Unrecht nicht erfolgte oder das durch die Entscheidung der Vergabekammer erstmalig beschwert wurde. Hierzu existiert eine Vielzahl von Meinungen. Für das kartellrechtliche Beschwerdeverfahren wird die Auffassung vertreten, dass eine Beiladung durch die Kartellbehörde auch nach Erlass einer Hauptsacheentscheidung zumindest bis zur Einlegung der Beschwerde zulässig sei5. Teilweise wird analog hierzu der Vergabekammer das Recht zugesprochen, eine Beiladung nach § 162 nachzuholen6. Andererseits wird dem Vergabesenat das Recht zuerkannt, eine zu Unrecht unterbliebene Beiladung selbst vorzunehmen7. Hiergegen spricht allerdings der Wortlaut des § 174, der von einer Identität der Beteiligten in den Verfahren vor der Vergabe1 Aufgrund der Regelung in Art. 2 Abs. 9 RL 89/665/EWG ist es aus europarechtlicher Sicht nicht nötig, auch dem Auftraggeber das Recht zur gerichtlichen Überprüfung der Entscheidung der Vergabekammer zu gewähren (EuGH v. 21.10.2010 – Rs. C-570/ 08, ECLI:EU:C:2010:621 – Lefkosias). 2 Vgl. zur Beiladung durch die Vergabekammer § 162 Rz. 5 ff. 3 OLG Naumburg v. 2.8.2012 – 2 Verg 3/12, VergabeR 2013, 123 (126). 4 OLG Naumburg v. 26.7.2012 – 2 Verg 2/12, VergabeR 2013, 218 (221). 5 BGH v. 10.4.1984 – KVR 8/83, MDR 1984, 1004 = WuW/E 2077, 2080; KG v. 21.2.1989 – Kart 19/88, WuW/E 4363. 6 Jaeger in Byok/Jaeger, Kommentar zum Vergaberecht, § 119 Rz. 3. 7 OLG Düsseldorf v. 13.11.2000 – Verg 14/00, VergabeR 2001, 59 (60); v. 26.6.2002 – Verg 24/02, VergabeR 2002, 671; v. 13.2.2007 – VII Verg 2/07, VergabeR 2007, 406; LSG Ba-

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kammer und dem Vergabesenat ausgeht. Als Ausweg wird angeboten, demjenigen, der durch die Entscheidung der Vergabekammer erstmalig in eigenen Rechten verletzt ist, in analoger Anwendung des § 42 Abs. 2 VwGO ein eigenes Beschwerderecht einzuräumen, ohne dass es hierfür einer vorherigen Beiladung durch die Vergabekammer oder den Vergabesenat bedürfte1. Ausgangspunkt einer Lösung ist Art. 19 Abs. 4 GG. Demnach muss demjenigen 23 Unternehmen, das durch die Entscheidung der Vergabekammer belastet ist, die Möglichkeit einer gerichtlichen Überprüfung eröffnet werden. Dem genügt allein das Recht der Vergabekammer, eine Beiladung auch noch nach Erlass einer Hauptsacheentscheidung im laufenden Beschwerdeverfahren auszusprechen, nicht. Entgegen Art. 19 Abs. 4 GG bestünde keine Rechtsschutzmöglichkeit, wenn die Vergabekammer die nachträgliche Beiladung zu Unrecht ablehnen sollte2. Auch ist dies mit der Stellung der Vergabekammer, die einem erstinstanzlichen Gericht vergleichbar ist, nicht vereinbar, da die Angelegenheit parallel bei dem Vergabesenat im Beschwerdeverfahren und der Vergabekammer zum Zweck der Beiladung anhängig wäre und zudem eine Verzögerung des Verfahrens eintreten könnte3. Gegen die Berechtigung des Vergabesenats, seinerseits eine Beiladung auszusprechen, spricht der klare Wortlaut des § 174. Die Lösung muss sich an den Grundsätzen des effektiven Rechtsschutzes und der Verfahrensbeschleunigung orientieren. Um unnötige Verzögerungen zu vermeiden, muss dem Beschwerdegericht das Recht zugestanden werden, Beiladungen selbst und gegen eine anderslautende Entscheidung der Vergabekammer auszusprechen, auch wenn dies mit § 174 nur schwer vereinbar ist. In Ergänzung ist einem nicht beteiligten Unternehmen, das durch die Entscheidung der Vergabekammer beschwert wird, das Recht zu gewähren, unmittelbar sofortige Beschwerde einzulegen. Da die unterlassene Beiladung nicht anfechtbar ist (§ 162 Satz 2), muss dies auch für diejenigen Unternehmen gelten, deren Beiladung durch die Vergabekammer stillschweigend oder ausdrücklich – etwa durch Ablehnung eines entsprechenden Antrags – abgelehnt wurde. Dies erfordert auch Art. 1 Abs. 3 Rechtsmittelrichtlinie (RL 89/665/EWG), wonach das Nachprüfungsverfahren jeder Person zur Verfügung stehen muss, die ein Interesse an einem bestimmten Auftrag hat und der durch einen behaupteten Verstoß ein Schaden entstanden ist bzw. zu entstehen droht. Die Einlegung der sofortigen Beschwerde setzt in diesen Fällen eine materielle Beschwer voraus. Schwierigkeiten bestehen hinsichtlich des Beginns der Beschwerdefrist, da die Entscheidung der Vergabekammer den-Württemberg v. 23.1.2009 – L 11 WB 5971/08, VergabeR 2009, 452 (455); OLG Düsseldorf v. 29.3.2017 – VII-Verg 7/17; Lausen, VergabeR 2002, 117 (119 f.). 1 OLG Karlsruhe v. 25.11.2008 – 15 Verg 13/08, ZfBR 2009, 493; Kullack/Schüttzpelz in Heiermann/Riedl/Rusam, Handkommentar zur VOB, § 116 GWB Rz. 11; Stockmann in Immenga/Mestmäcker, GWB, § 116 Rz. 17 ff. 2 Boesen, Vergaberecht, § 116 Rz. 42; für das kartellrechtliche Verfahren BGH v. 7.11.2006 – KVR 37/05, NJW 2007, 607. 3 Stockmann in Immenga/Mestmäcker, GWB, § 116 Rz. 17 ff.

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§ 171 | Zulässigkeit, Zuständigkeit dem nicht beigeladenen Unternehmen nicht zugestellt wird. Um zu verhindern, dass ein längerer Schwebezustand eintritt, in dem Ungewissheit über die Bestandskraft der Entscheidung der Vergabekammer entsteht, müssen nicht beigeladene Unternehmen, die durch die Entscheidung der Vergabekammer beschwert werden, in analoger Anwendung des § 172 Abs. 1 die sofortige Beschwerde innerhalb von zwei Wochen ab dem Zeitpunkt der letzten Zustellung der Entscheidung der Vergabekammer an einen der Beteiligten einlegen1. Schwierigkeiten, die dadurch entstehen, dass die nicht beteiligten Unternehmen von der Entscheidung der Vergabekammer keine Kenntnis erlangen und somit zur Einhaltung der Frist nicht in der Lage sind, sind durch Gewährung einer Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand zu lösen (vgl. § 172 Rz. 7).

V. Beschwer 24 Voraussetzung für die Zulässigkeit der Beschwerde ist neben dem Vorliegen der

Beschwerdebefugnis, dass der Beschwerdeführer durch die angefochtene Entscheidung unmittelbar oder mittelbar beeinträchtigt ist („Beschwer“). Die Beschwer ist grundsätzlich formal zu bestimmen2. Soweit dem ursprünglichen Antrag des Beschwerdeführers entsprochen wurde, ist er durch die Entscheidung der Vergabekammer nicht beschwert, auch wenn beispielsweise die Begründung der Entscheidung der Rechtsauffassung des Beschwerdeführers nicht entspricht oder für ihn nachteilige Feststellungen enthält3. Dies gilt sowohl für die Beschwer des Antragstellers als auch für diejenige des Auftraggebers. Gilt der Antrag auf Durchführung eines Vergabenachprüfungsverfahrens nach § 171 Abs. 2 als abgelehnt, liegt auf Seiten des Auftraggebers keine Beschwer vor. Hatte der Beschwerdeführer vor der Vergabekammer keinen eindeutigen Antrag gestellt, was nach § 161 Abs. 1 Satz 2 zulässig ist, ist durch das Beschwerdegericht anhand seiner Einlassung vor der Vergabekammer zu ermitteln, welches Ziel verfolgt wurde, um feststellen zu können, ob eine Beschwer vorliegt4. Die gleichen Grundsätze gelten für den Beigeladenen. Die Beschwer des Beigeladenen hängt nicht davon ab, dass er vor der Vergabekammer einen Antrag gestellt hat5, vielmehr ist seine Beschwerde zulässig, wenn sich aus seinen Einlassungen vor der Vergabekammer folgern lässt, dass er durch die Entscheidung der Vergabekammer formal beschwert ist.

1 A.A. Jaeger in Byok/Jaeger, Kommentar zum Vergaberecht, § 116 Rz. 30 ff. 2 Vavra in Dreher/Motzke, Beck’scher Vergaberechtskommentar, § 116 GWB Rz. 35; Ulbrich in Kulartz/Kus/Portz, Kommentar zum Vergaberecht, § 171 Rz. 63; Stockmann in Immenga/Mestmäcker, GWB, § 116 Rz. 22. 3 OLG München v. 9.4.2015 – Verg 1/15, NZBau 2015, 446 (448). 4 Vavra in Dreher/Motzke, Beck’scher Vergaberechtskommentar, § 116 GWB Rz. 36; Stockmann in Immenga/Mestmäcker, GWB, § 116 Rz. 23. 5 OLG München v. 21.5.2010 – Verg 2/10, VergabeR 2010, 992 (999).

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Eine Beschwer kann auch dann bestehen, wenn sich ein Beteiligter im Verfahren 25 vor der Vergabekammer nicht eingelassen hat1. So zeigt der Auftraggeber, der zu einem Antrag nach § 160 Abs. 1 gegenüber der Vergabekammer zwar keine Stellungnahme abgibt, andererseits aber der Rechtsauffassung des Antragstellers nicht ausdrücklich zustimmt, dass er dem Antrag entgegentritt. Handelt es sich bei dem Antragsteller um den zweitplatzierten Bieter und äußert sich der Erstplatzierte, der von der Vergabekammer an dem Verfahren beteiligt wurde, ihr gegenüber nicht, ist er durch deren Entscheidung, welche feststellt, dass es sich bei dem Angebot des Antragstellers um das wirtschaftlichste im Sinne des § 127 Abs. 1 Satz 1 handelt, trotz allem beschwert, da seine Aussicht, den Zuschlag zu erhalten, zunichte gemacht wurde. In diesen Fällen genügt das Vorliegen einer materiellen Beschwer2. Nur dann, wenn sich die Zielsetzung eines an dem Verfahren Beteiligten auch nicht aus den Begleitumständen des Vergabenachprüfungsverfahrens ergibt, fehlt es an einer Beschwer, wenn der Beteiligte in dem Nachprüfungsverfahren keine Anträge stellt und sich auch im Übrigen nicht zur Sache einlässt3. Neben der formalen Beschwer muss eine materielle Beschwer vorliegen4. Dies ist der Fall, wenn der Beschwerdeführer geltend machen kann, in seinen rechtlichen Interessen nachteilig berührt zu sein, was er allerdings nicht ausdrücklich vortragen muss, da die materielle Beschwer bei Vorliegen der formalen Beschwer nur in Ausnahmefällen nicht gegeben sein wird. An einer Beschwer für eine Anfechtungs- oder Untätigkeitsbeschwerde fehlt es, 26 wenn das Vergabeverfahren durch Zuschlagserteilung oder Aufhebung der Ausschreibung5 seine Beendigung gefunden hat6. Endet das Vergabeverfahren nach Erlass der Entscheidung der Vergabekammer und vor Ablauf der Beschwerdefrist, ist ausnahmsweise eine Feststellungsbeschwerde zulässig (vgl. § 171 Rz. 18).

VI. Form/Frist Die Formalien der Beschwerdeeinlegung und die einzuhaltende Frist ergeben 27 sich aus § 172. 1 Vavra in Dreher/Motzke, Beck’scher Vergaberechtskommentar, § 116 GWB Rz. 35; Ulbrich in Kulartz/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 171 Rz. 64; Stockmann in Immenga/Mestmäcker, GWB, § 116 Rz. 22. 2 OLG Dresden v. 14.4.2000 – WVerg 1/00, BauR 2000, 1590 (1591); OLG Jena v. 16.7. 2003 – 6 Verg 3/03, VergabeR 2003, 600 (602); OLG Naumburg v. 2.8.2012 – 2 Verg 3/12, VergabeR 2013, 123 (126). 3 Stockmann in Immenga/Mestmäcker, GWB, § 116 Rz. 23. 4 Stockmann in Immenga/Mestmäcker, GWB, § 116 Rz. 24. 5 Für den Entfall der Beschwer bei Aufhebung der Ausschreibung OLG Frankfurt v. 16.5. 2000 – 11 Verg 1/99, NZBau 2001, 101. 6 Vgl. hierzu hinsichtlich der Unzulässigkeit der Einleitung eines Nachprüfungsverfahrens in diesen Fällen § 168 Rz. 35.

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§ 171 | Zulässigkeit, Zuständigkeit VII. Rücknahme der Beschwerde 28 Nicht geregelt ist die Rücknahme der Beschwerde. Vor den Vergabesenaten gilt

die Dispositionsmaxime, so dass die Beschwerde ebenso wie der Antrag vor der Vergabekammer und die Beschwerde im kartellrechtlichen Verfahren1 zurückgenommen werden kann2. Nach LSG Baden-Württemberg gilt für die Rücknahme der sofortigen Beschwerde zumindest dann, wenn die §§ 171 ff. aufgrund der Verweisung in § 142a Abs. 1 SGG a.F. Anwendung fanden, § 269 Abs. 1 ZPO analog. Danach bedarf die Rücknahme nach der mündlichen Verhandlung vor dem Beschwerdegericht der Zustimmung des Beschwerdegegners3. Für das Beschwerdeverfahren nach §§ 171 ff. wird diese Auffassung abgelehnt. Danach kann die Beschwerde ohne Zustimmung des Beschwerdegegners zurückgenommen werden4. Im Vorlageverfahren nach § 179 Abs. 2 ist die Rücknahme der Beschwerde nach Auffassung des BGH in analoger Anwendung des § 565 Satz 2 ZPO nach Beginn der mündlichen Verhandlung nur mit Einwilligung des Beschwerdegegners möglich5.

29 Auch der Antrag auf Nachprüfung kann noch in der Beschwerdeinstanz zu-

rückgenommen werden. Dem stehen weder die Entscheidung der Vergabekammer noch eine etwaige mündliche Verhandlung des Beschwerdegerichts entgegen. Ausgeschlossen ist die Rücknahme des Nachprüfungsantrags erst, wenn eine formell bestandskräftige sachliche Entscheidung über den Antrag vorliegt. § 269 Abs. 1 ZPO findet auf die Rücknahme des Vergabenachprüfungsantrags keine Anwendung6.

VIII. Beschwerdegericht (§ 171 Abs. 3 und 4) 30 Sachlich zuständig für die Entscheidung über die sofortige Beschwerde sind die

OLG (§ 171 Abs. 3 Satz 1)7. Auch diese Zuständigkeit ist dem kartellrechtlichen Verfahren nachgebildet (§ 63 Abs. 4). Es handelt sich um eine Sonderzuweisung nach § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO (hierzu Vor §§ 171–179 Rz. 4). Die örtliche Zu-

1 K. Schmidt in Immenga/Mestmäcker, GWB, § 63 Rz. 44. 2 OLG Düsseldorf v. 20.7.2000 – Verg 2/99, NZBau 2001, 165; Stockmann in Immenga/ Mestmäcker, GWB, § 116 Rz. 27; a.A. OLG Dresden v. 29.5.2001 – WVerg 3/01, VergabeR 2001, 311. 3 LSG Baden-Württemberg v. 23.1.2009 – L 11 WB 5971/08, VergabeR 2009, 452. 4 OLG Naumburg v. 13.2.2012 – 2 Verg 14/11. 5 BGH v. 4.4.2017 – X ZB 3/17. 6 BGH v. 24.3.2009 – X ZB 29/08, MDR 2009, 760 = VergabeR 2009, 607 (608); OLG Jena v. 12.7.2013 – 9 Verg 1/13. 7 Von Dezember 2008 bis Dezember 2010 waren für sofortige Beschwerden über Entscheidungen von Vergabekammern, die Rechtsbeziehungen nach § 69 SGB V betrafen, an Stelle der Oberlandesgerichte die Landessozialgerichte zuständig. Vgl. hierzu Vorauflage.

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Zulässigkeit, Zuständigkeit | § 171

ständigkeit bestimmt sich nach dem Sitz der Vergabekammer, deren Entscheidung angefochten wird. In beiden Fällen handelt es sich um ausschließliche Zuständigkeiten. Eine Prorogation, wie sie § 38 ZPO für den Zivilprozess vorsieht, ist ausgeschlossen. Durch die Konzentration der vergaberechtlichen Verfahren bei den OLG soll die besondere Fachkompetenz der entscheidenden Spruchkörper sichergestellt sowie die Spezialisierung und Zügigkeit der Verfahren gefördert werden1. Dem gleichen gesetzgeberischen Zweck dient Abs. 3 Satz 2, wonach bei den ein- 31 zelnen OLG jeweils ein spezieller Vergabesenat gebildet werden muss. Der Gesetzgeber hat sich nicht dazu entschieden, vorzuschreiben, dass die Kartellsenate im Sinne des § 91 Satz 1 auch für Vergaberechtsstreitigkeiten zuständig sind. Zwar besteht selbstverständlich die Möglichkeit, Kartell- und Vergabesachen im Rahmen der Geschäftsverteilung dem gleichen Senat zuzuweisen, jedoch kann auch eine andere Verteilung zweckmäßig sein2. Eine weitere Verstärkung der Konzentrationswirkung ermöglicht Abs. 4, wonach 32 die Entscheidung über die sofortige Beschwerde von den Landesregierungen durch Rechtsverordnung anderen OLG oder dem Obersten Landesgericht zugewiesen werden kann. Gegenwärtig existiert in keinem Bundesland ein Oberstes Landesgericht. Der Wortlaut des § 171 Abs. 4 weicht bewusst von § 92 Abs. 1 ab, wonach Länder, in denen mehrere OLG errichtet sind, Kartellsachen einem oder einigen der OLG oder dem Obersten Landesgericht nur dann zuweisen können, soweit dies der Rechtspflege in Kartellsachen, insbesondere der Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung, dienlich ist. Auch Länder, in denen mehrere OLG bestehen, haben die Möglichkeit, lediglich eine Vergabekammer einzurichten. Für sofortige Beschwerden gegen deren Entscheidungen wäre nach Abs. 3 Satz 1 dasjenige OLG zuständig, in dessen Bezirk der Sitz dieser Vergabekammer liegt. Es dürften sich kaum Kriterien der Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung finden, die es rechtfertigen würden, die Zuständigkeit eines anderen OLG desselben Landes zu begründen. Um den Ländern die Möglichkeit zu geben, trotz allem die Zuständigkeit eines anderen OLG oder des Obersten Landesgerichts zu begründen, wurde die einschränkende Voraussetzung des § 92 Abs. 1 Satz 1, wonach die Konzentration auf ein Gericht der Rechtspflege dienen muss, in § 171 Abs. 4 Satz 1 nicht übernommen3. Ländern mit mehreren OLG steht es daher frei, die Zuständigkeit für Beschwerden gegen Entscheidungen der Vergabekammer ohne Rücksichtnahme auf deren Sitz einem beliebigen OLG oder dem Obersten Landesgericht zuzuweisen. Umstritten ist, ob § 171 Abs. 4 Satz 1 auch eine länderübergreifende Konzentration gestattet4. Alle Bundesländer, in de1 2 3 4

BT-Drucks. 13/9340, S. 20. BT-Drucks. 13/9340, S. 20. BT-Drucks. 13/9340, S. 42. Bejahend Stockmann in Immenga/Mestmäcker, GWB, § 116 Rz. 32; verneinend Boesen, Vergaberecht, § 116 Rz. 71.

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§ 172 | Frist, Form, Inhalt nen mehrere OLG bestehen, haben von der Ermächtigung in § 171 Abs. 4 Satz 1 Gebrauch gemacht. 33 Die Landesregierungen können gemäß § 171 Abs. 4 Satz 2 die Befugnis zum Er-

lass einer Verordnung nach § 171 Abs. 4 Satz 1 auf die Landesjustizverwaltung weiter übertragen. Art. 80 Abs. 1 Satz 4 GG sieht vor, dass eine derartige Übertragung durch Rechtsverordnung zu erfolgen hat.

§ 172 Frist, Form, Inhalt (1) Die sofortige Beschwerde ist binnen einer Notfrist von zwei Wochen, die mit der Zustellung der Entscheidung, im Fall des § 171 Absatz 2 mit dem Ablauf der Frist beginnt, schriftlich bei dem Beschwerdegericht einzulegen. (2) Die sofortige Beschwerde ist zugleich mit ihrer Einlegung zu begründen. Die Beschwerdebegründung muss enthalten: 1. die Erklärung, inwieweit die Entscheidung der Vergabekammer angefochten und eine abweichende Entscheidung beantragt wird, 2. die Angabe der Tatsachen und Beweismittel, auf die sich die Beschwerde stützt. (3) Die Beschwerdeschrift muss durch einen Rechtsanwalt unterzeichnet sein. Dies gilt nicht für Beschwerden von juristischen Personen des öffentlichen Rechts. (4) Mit der Einlegung der Beschwerde sind die anderen Beteiligten des Verfahrens vor der Vergabekammer vom Beschwerdeführer durch Übermittlung einer Ausfertigung der Beschwerdeschrift zu unterrichten. I. 1. 2. II. 1. 2. 3. 4.

Einführung Inhaltsübersicht . . . . . . . . Entstehungsgeschichte . . . Frist (§ 172 Abs. 1) . . . . . Anfechtungsbeschwerde . . Untätigkeitsbeschwerde . . Notfrist . . . . . . . . . . . . . . Unselbständige Anschlussbeschwerde . . . . . . . . . . . III. Form . . . . . . . . . . . . . . .

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IV. Beschwerdebegründung (§ 172 Abs. 2) . . . . . . . . . . . . . V. Anwaltszwang (§ 172 Abs. 3) 1. Grundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Unterschrift . . . . . . . . . . . . . . . 3. Juristische Personen des öffentlichen Rechts . . . . . . . . . . . . . . 4. Unterzeichnung der Beschwerdebegründung . . . . . . . . . . . . . . . VI. Unterrichtung der übrigen Beteiligten (§ 172 Abs. 4) . . . . .

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Frist, Form, Inhalt | § 172

I. Einführung 1. Inhaltsübersicht § 172 regelt in Abs. 1 die Beschwerdefrist und deren Beginn. Abs. 2 enthält nä- 1 here Bestimmungen über den Inhalt der Beschwerdebegründung. Abs. 3 postuliert einen Anwaltszwang. Schließlich sind die anderen Beteiligten des Verfahrens vor der Vergabekammer gemäß Abs. 4 von der Einlegung der Beschwerde zu unterrichten. 2. Entstehungsgeschichte Bei Inkrafttreten des 4. Teils des GWB durch das Vergaberechtsänderungsgesetz 2 am 1.1.1999 fand sich die Regelung in § 117. Die Vertretungsregel des § 117 Abs. 3 Satz 1 wurde durch Art. 7 Abs. 11 Gesetz v. 26.3.20071 mit Wirkung zum 1.6.2007 geändert. Durch das Vergaberechtsmodernisierungsgesetz2 wurde die Bestimmung zu § 172.

II. Frist (§ 172 Abs. 1) In Abweichung von § 66 Abs. 1 Satz 1 beträgt die Frist für die Einlegung der so- 3 fortigen Beschwerde in Vergabesachen zwei Wochen. Der Fristbeginn ist für die Anfechtungs- sowie die Untätigkeitsbeschwerde unterschiedlich geregelt. 1. Anfechtungsbeschwerde Zur Anfechtungsbeschwerde vgl. auch § 171 Rz. 5 ff. Die Frist für die Einlegung 4 der sofortigen Beschwerde gegen eine Entscheidung der Vergabekammer beginnt mit deren Zustellung. Maßgeblich ist das für die jeweilige Vergabekammer einschlägige Verwaltungszustellungsgesetz. Soweit dieses eine Zustellung per Telefax vorsieht, ist im Fall der Übermittlung der Entscheidung der Vergabekammer per Telefax für den Fristbeginn zu unterscheiden, ob hierin eine Zustellung oder lediglich eine Vorabinformation der Beteiligten liegen soll. Ist letzteres der Fall, was dadurch erkennbar werden kann, dass der Übermittlung per Telefax kein Empfangsbekenntnis beigefügt war, beginnt die Frist erst mit der förmlichen Zustellung der Entscheidung zu laufen3. Für die Berechnung der Beschwerdefrist gelten §§ 175 Abs. 2, 73 Nr. 2 GWB, 222 ZPO, 187 bis 193 BGB. Danach ist der Tag der Zustellung nicht mitzurechnen (§ 187 Abs. 1 BGB). Ent1 BGBl. I 2007, 358. 2 BGBl. I 2016, 203. 3 BGH v. 10.11.2009 – X ZB 8/09, VergabeR 2010, 210; OLG Celle v. 17.7.2009 – 13 Verg 3/ 09, NZBau 2010, 68.

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§ 172 | Frist, Form, Inhalt scheidend ist der Tag der Zustellung an den jeweiligen Beteiligten, so dass für unterschiedliche Beteiligte unterschiedliche Fristen laufen können. Unterbleibt eine Zustellung fehlerhaft, beginnt die Beschwerdefrist nicht zu laufen. Dies gilt auch dann, wenn der Zustellungsadressat in anderer Weise Kenntnis von dem Inhalt der Entscheidung der Vergabekammer erlangt hat. Allerdings kann in diesen Fällen die Beschwerde auch ohne bzw. ohne wirksame Zustellung eingelegt werden1. Im Fall der fehlerhaften Zustellung der Entscheidung der Vergabekammer beginnt nach Ablauf der Frist des § 167 Abs. 1 die Beschwerdefrist nach § 172 Abs. 1, 2. Alt. zu laufen. Wird diese Frist versäumt, ist eine Anfechtung der Entscheidung der Vergabekammer ausgeschlossen (vgl. § 171 Rz. 14). 5 Nach § 168 Abs. 3 Satz 3 i.V.m. § 61 Abs. 1 Satz 1 ist die Entscheidung der Ver-

gabekammer mit einer Rechtsmittelbelehrung zu versehen. Ist diese Belehrung unterblieben oder unrichtig erteilt, beginnt die Beschwerdefrist nicht zu laufen. Nach der wohl herrschenden Auffassung beträgt die Beschwerdefrist in diesen Fällen gem. § 58 Abs. 2 VwGO analog ein Jahr ab Zustellung der Entscheidung der Vergabekammer2. Allerdings ist dieser Fall einer nicht ordnungsgemäßen Zustellung der Entscheidung der Vergabekammer gleichzustellen (vgl. § 168 Rz. 74), so dass nach Ablauf der Fünf-Wochen-Frist des § 167 Abs. 1 die Beschwerdefrist nach § 172 Abs. 1, 2. Alt. zu laufen beginnt. 2. Untätigkeitsbeschwerde

6 Zur Untätigkeitsbeschwerde vgl. auch § 171 Rz. 14 ff. Die Rechtsmittelfrist des

§ 172 Abs. 1 gilt auch für die sofortige Beschwerde gegen die fingierte Ablehnung des Nachprüfungsantrags nach § 171 Abs. 23. Das Fehlen einer Rechtsmittelbelehrung (§ 168 Abs. 3 Satz 3 i.V.m. § 61 Abs. 1 Satz 1) spielt keine Rolle, da die Ablehnung kraft Gesetzes als eingetreten gilt4. In den Fällen des § 171 Abs. 2 beginnt die Beschwerdefrist mit Ablauf der Fünf-Wochen-Frist des § 167 Abs. 1 Satz 1 bzw. der nach § 167 Abs. 1 Satz 2 verlängerten Frist. Der Fristbeginn berechnet sich nach § 187 Abs. 2 BGB, da die Notfrist für die Einlegung der sofortigen Beschwerde mit Ablauf der Entscheidungsfrist der Vergabekammer und folglich mit Beginn des auf den letzten Tag dieser Frist folgenden Tages Null Uhr beginnt5. Die Frist für die Einlegung der sofortigen Beschwerde endet mit

1 Stockmann in Immenga/Mestmäcker, GWB, § 117 Rz. 5. 2 OLG Celle v. 31.5.2007 – 13 Verg 1/07, VergabeR 2007, 692; Ulbrich in Kulartz/Kus/ Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, § 172 Rz. 14; Jaeger in Byok/Jaeger, Kommentar zum Vergaberecht, § 117 Rz. 7; Kullack/Schüttpelz in Heiermann/Riedl/Rusam, Handkommentar zur VOB, § 117 GWB Rz. 5. 3 OLG Düsseldorf v. 5.10.2001 – Verg 18/01, VergabeR 2002, 89 (94). 4 OLG Düsseldorf v. 5.10.2001 – Verg 18/01, VergabeR 2002, 89 (94); OLG Dresden v. 17.6.2005 – WVerg 8/05, VergabeR 2005, 812. 5 Vavra in Dreher/Motzke, Beck’scher Vergaberechtskommentar, § 117 GWB Rz. 9 mit Berechnungsbeispiel.

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Frist, Form, Inhalt | § 172

dem Ablauf desjenigen Tages der übernächsten Woche, der durch seine Benennung dem Anfangstag der Frist vorhergeht (§ 188 Abs. 2, 2. Hs. BGB). Das GWB sieht keine Verpflichtung der Vergabekammer vor, dem Antragsteller mitzuteilen, wann sein Antrag bei der Kammer eingegangen ist. Es empfiehlt sich daher mit oder unmittelbar nach Antragstellung die Vergabekammer um die Mitteilung des Zeitpunkts des Zugangs des Antrags zu bitten, um den Beginn der Beschwerdefrist in Fällen des § 171 Abs. 2 berechnen zu können. 3. Notfrist § 172 Abs. 1 bestimmt, dass es sich bei der Frist zur Einlegung der sofortigen Be- 7 schwerde um eine Notfrist handelt. Insoweit besteht eine Parallele zu § 569 Abs. 1 ZPO. Ein Rückgriff auf diese Vorschrift ist jedoch nicht zulässig. Insbesondere gelten für die Form, die Einlegung und die Begründung der sofortigen Beschwerde vorrangig die Vorschriften des GWB (Vor §§ 171–179 Rz. 4). Der Begriff der Notfrist, der der VwGO fremd ist, ergibt sich hingege