Erläuternde und ergänzende Auslegung letztwilliger Verfügungen im System privatautonomer Rechtsgestaltung: Zugleich ein Beitrag zur Abgrenzung von Anfechtung, Umdeutung und Wegfall der Geschäftsgrundlage [1 ed.] 9783428471331, 9783428071333


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German Pages 265 Year 1991

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Erläuternde und ergänzende Auslegung letztwilliger Verfügungen im System privatautonomer Rechtsgestaltung: Zugleich ein Beitrag zur Abgrenzung von Anfechtung, Umdeutung und Wegfall der Geschäftsgrundlage [1 ed.]
 9783428471331, 9783428071333

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CORDULA STUMPF

Erläuternde und ergänzende Auslegung letztwilliger Verfügungen im System privatautonomer Rechtsgestaltung

Schriften zum Bürgerlichen Recht Band 144

Erläuternde und ergänzende Auslegung letztwilliger Verfügungen im System privatautonomer Rechtsgestaltung Zugleich ein Beitrag zur Abgrenzung von Anfechtung, Um deutung und Wegfall der Geschäftsgrundlage

Von

Dr. Cordula Stumpf

DUßcker & Humblot . Berliß

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Stumpf, Cordula: Erläuternde und ergänzende Auslegung letztwilliger Verfügungen im System privatautonomer Rechtsgestaltung: zugleich ein Beitrag zur Abgrenzung von Anfechtung, Umdeutung und Wegfall der Geschäftsgrundlage / von Cordula Stumpf. - Berlin: Duncker und Humblot, 1991 (Schriften zum Bürgerlichen Recht; Bd. 144) Zug!.: Würzburg, Univ., Diss., 1989 ISBN 3-428-07133-6

NE:GT

Alle Rechte vorbehalten

© 1991 Duncker & Humblot GmbH, Berlin 41

Fremddatenübernahme: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin 61 Druck: Druckerei Gerike GmbH, Berlin 36 Printed in Germany ISSN 0720-7387 ISBN 3-428-07133-6

Vorwort Diese Arbeit hat im Sommersemester 1989 der Juristischen Fakultät der Bayerischen Julius-Maximilians-Universität Würzburg als Dissertation vorgelegen. Sie wurde im März 1989 abgeschlossen, Literatur und Rechtsprechung sind bis Mai 1989 berücksichtigt. Meinem verehrten Lehrer, Herrn Professor Kuchinke, danke ich für die Anregung des Themas und die Betreuung der Arbeit. Die Arbeit wurde gefördert durch ein Promotionsstipendium des Freistaates Bayern nach dem Bayerischen Gesetz zur Förderung des wissenschaftlichen und künstlerischen Nachwuchses. Würzburg, Trier, im Mai 1991

Cordula Stumpf

Inhaltsverzeichnis A. Einleitung: Die Problematik

13

B. Hauptteil: . Tatbestand, Inhaltsermittlung und Wirksamkeits-, insbesondere Formprüfung von Verfügungen von Todes wegen

15

I. Begriff der Auslegung ... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

17

11. Der Tatbestand der letztwilligen Verfügung als Auslegungsgegenstand ...

19

1. Das Verhältnis von objektiven und subjektiven Tatbestandsmerkmalen ....

20

a) Die Willenstheorie .......................................................

20

b) Die Erklärungstheorie ...................................................

20

c) Der Kompromiß des BGB ..............................................

21

d) Die Theorie von der Geltungserklärung ................................

22

e) Die letztwillige, insbesondere testamentarische Verfügung als Geltungserklärung ...........................................................

28

2. Die subjektiven Tatbestandsmerkmale .....................................

31

a) Der Handlungswille .....................................................

32

b) Das Erklärungsbewußtsein ........................ ......................

33

c) Die Zurechenbarkeit bei fehlendem subjektiven Erklärungsbewußtsein

40

aa) Anwendungsbereich der Zurechenbarkeit .........................

40

bb) Erfordernis der Zurechenbarkeit ...................................

41

cc) Der Zurechnungsmaßstab ..........................................

43

d) Erklärungsbewußtsein, Zurechenbarkeit und Anfechtung bei der letztwilligen Verfügung ......................................................

45

aa) Erklärungsbewußtsein und Zurechenbarkeit bei der letztwilligen Verfügung als Geltungserklärung ..................................

46

bb) Die Anfechtung von Rechtsgeschäften unter Lebenden bei unbewußt fehlendem Erklärungsbewußtsein .........................

50

cc) Funktion der Anfechtung letztwilliger Verfügungen .............

53

a) Testamentsanfechtung ..........................................

54

Anfechtung beim Erbvertrag ...................................

59

y) Anfechtung beim gemeinschaftlichen Testament.............

61

ß)

Inhaltsverzeichnis

8

dd) Die Anfechtung letztwilliger Verfügungen bei unbewußt fehlendem Erklärungsbewußtsein .........................................

64

e) Fallkonstellationen zum Tatbestand der letztwilligen Verfügung.....

67

aa) Die Erklärung läßt objektiv nicht auf einen Rechtsfolgewillen schließen ............................................................

67

bb) Der objektive Erklärungstatbestand ist gegeben, es fehlt aber Erklärungsbewußtsein, und die Willenserklärung ist dem Erklärenden nicht zurechenbar ..............................................

68

cc) Der objektive Erklärungstatbestand ist gegeben, es fehlt Erklärungsbewußtsein, die Willenserklärung ist dem Erklärenden aber zuzurechnen .........................................................

69

a) Unbewußt fehlendes Erklärungsbewußtsein ..................

69

ß)

Bewußt fehlendes Erklärungsbewußtsein .....................

70

dd) Objektiver Erklärungstatbestand und Erklärungsbewußtsein liegen vor, aber nicht die Voraussetzungen der Zurechnung .... ........

74

f) Der Geschäftswille ......................................................

75

aa) Die Frage des "Ob" als Tatbestandsfrage .........................

76

bb) Die Frage des "Wie" als Auslegungsfrage ........................

78

cc) Trennung von Tatbestand und Auslegung auch bei der letztwilligen Verfügung ...........................................................

86

dd) Die Aufteilung der Willenserklärung in einzelne Verfügungen als Auslegungsfrage ....................................................

88

ee) Unterscheidung von Auslegungsgegenstand und Auslegungsmitteln ...............................................................

94

3. Unterscheidung von Tatbestand und Wirksamkeit der Willenserklärung ...

96

a) Die Bedeutung der Wirksamkeitsvoraussetzungen ....................

96

b) Insbesondere: Unterscheidung von Tatbestand und Formgültigkeit der Willenserklärung .........................................................

97

4. Die Ermittlung des Tatbestandes im Verfahren vor Gericht..............

104

a) Das Tatsachenmaterial ...................................................

105

b) Die rechtliche Würdigung; insbesondere: Das Verkehrsverständnis ..

106

5. Definition des Tatbestandes der Willenserklärung

109

III. Die Inhaltsermittlung .........................................................

111

1. Ziel der erläuternden und ergänzenden Auslegung: Ermittlung des Geschäftswillens als maßgeblicher Inhalt der Willenserklärung ..........

111

2. Auslegungsbedürftigkeit und Auslegungsfähigkeit ........................

112

a) Abgrenzung von Eindeutigkeitstheorie und Andeutungstheorie ......

112

Inhaltsverzeichnis b) Auslegungsbedürftigkeit -

9

die Eindeutigkeitstheorie .................

113

aa) Die Theorie .........................................................

113

bb) Kritik ................................................................

115

cc) Praktische Auswirkungen ..........................................

119

c) Auslegungsfähigkeit widersprüchlicher Erklärungen ..................

122

3. Der Auslegungsmaßstab ........ ...... ........ ....... ... ....... .............

123

a) Rechtsgeschäfte unter Lebenden........................................

125

aa) Nicht empfangsbedürftige Willenserklärungen....................

127

a) Subjektive Auslegung ..........................................

128

Widerruf .. ........ ................. ..... ... ...... ...............

130

y) Anfechtung ... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

131

bb) Empfangsbedürftige Willenserklärungen.... ...... ........... .....

132

a) Objektiv-normative Auslegung aus dem Empfangerhorizont ..

132

Anfechtung ...... .... .............. ........ ..... ........... .....

134

y) Subjektive Auslegung ..........................................

137

ß)

ß)

Ö) ,,Falsa demonstratio non nocet" als Anwendungsfall subjek-

tiver Auslegung .................................................

138

b) Verfügungen von Todes wegen.........................................

142

aa) Testament ........................... ........... .....................

142

a) Subjektive Auslegung ..........................................

142

Widerruf ........................................................

145

y) Anfechtung .....................................................

145

ß)

Ö) ,,Falsa demonstratio non nocet" als Anwendungsfall subjek-

tiver Auslegung.................................................

145

bb) Erbvertrag ...........................................................

147

a) Die einzelnen Verfügungen ........... ...... ...................

147

ß)

Insbesondere: Unentgeltliche Verträge........................

148

cc) Gemeinschaftliches Testament.....................................

152

a) Gleichzeitiges Testament.......................................

152

ß)

Wechselbezügliches Testament....... ..... ....................

153

y) Einseitig abhängiges Testament ...............................

154

ö) Gegenseitiges Testament .......................................

154

e) Widerruf und Anfechtung......... .............................

155

c) Prozessuale Vermutung für die Verkehrsbedeutung als Ausfluß privatautonomer Selbstverantwortung ..... ....... ......... ... ..... ......... ...

156

4. Die Zurechenbarkeit eines objektiv-normativen Auslegungsergebnisses

156

5. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Auslegung: Verlautbarung der Willenserklärung bzw. Errichtung der letztwilligen Verfügung...................

159

Inhaltsverzeichnis

10

6. Urkundliche und außerurkundliche Auslegungsmittel .....................

161

7. Ergänzende Auslegung ......................................................

166

a) Begriff....................................................................

168

b) Voraussetzung: Lücke der rechtsgeschäftlichen Regelung ............

169

aa) Anfängliche und nachträgliche Lücken ............................

171

bb) Die Planwidrigkeit der Lücke......................................

173

cc) Das Verhältnis von Lücke und Irrtum ................... ..........

174

a) Testament............... ............... ................. ........

175

aa) Tatbestandsdefizite ........................ ...............

175

Rechtsfolgendefizite .....................................

178

y() Insbesondere: Der Rechtsirrtum .........................

179

ÖÖ) Die vergessene Verfügung ................. . . . . . . . . . . . . .

181

ßß)

&) Diskrepanz zwischen Tatbestand und Rechtsfolgen-

anordnung ................................................

ß)

181

1;1;) Gesinnungswandel des Erblassers....................... 182 Nicht empfangsbedürftige Willenserklärungen unter Lebenden

182

y) Empfangsbedürftige Willenserklärungen unter Lebenden und

von Todes wegen und wechselbezügliche Verfügungen im gemeinschaftlichen Testament .................................

183

Ö) Vertrag unter Lebenden ........................................

183

e) Erbvertrag und gemeinschaftliches Testament................

184

c) Methode ..................................................................

185

aa) Testament ...........................................................

185

bb) Nicht empfangsbedürftige Willenserklärung unter Lebenden ....

189

cc) Vertrag unter Lebenden ............................................

189

dd) Erbvertrag ...........................................................

196

ee) Gemeinschaftliches Testament.....................................

197

d) Folgerungen für Zulässigkeit und Anwendungsbereich der ergänzenden Auslegung ................................................................

198

aa) § 242 BGB ................................................. .........

198

bb) § 157 BGB ........ ...... ............................................

198

cc) § 133 BGB

201

dd) Gesetzliche Auslegungsvorschriften wie § 2069, § 2077, § 21022105, § 2169 BGB u. a. .... .................................. ......

204

ee) Anpassungsregeln für Rechtsgeschäfte unter Lebenden ..........

205

ff) § 2084 BGB .........................................................

206

gg) Systematisch-teleologisches Argument zugunsten der Gerechtigkeitsentscheidung des Erklärenden ......................... . . . . . . . 207 hh) Gewohnheitsrecht ...................................................

208

Inhaltsverzeichnis ii) Richterliche Rechtsfortbildung ..................................... jj) Zusammenfassung: Zulässigkeit der ergänzenden Auslegung aus der Privatautonomie des Erklärenden .............................. e) Abgrenzung der ergänzenden Auslegung gegenüber anderen Möglichkeiten der Irrtumskorrektur .............................................. aa) Ergänzende und erläuternde Auslegung........................... bb) Ergänzende Auslegung und dispositives Gesetzesrecht .......... cc) Ergänzende Auslegung und Fehlen der Geschäftsgrundlage ..... dd) Ergänzende Auslegung und Anfechtung .................. . . . . . . . .

11 209 209 211 211 216 219 222

IV. Die Wirksamkeit der Willenserklärung, insbesondere die Formprüfung 225 1. Die gesetzlichen Formvorschriften für Verfügungen von Todes wegen.

225

2. Die Formzwecke bei letztwilligen Verfügungen .......................... a) Warnfunktion ............................................................ b) Beratungsfunktion ...... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Selbständigkeitsfunktion ................................................. d) Echtheitsfunktion ........................................................ e) Streitvermeidungsfunktion ........... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . f) KlarsteIlungsfunktion .................................................... g) Sicherstellungs- und Beweisfunktion ...................................

227 227 229 230 230 231 231 232

3. Der Umfang der Formbedürftigkeit ........................................

235

4. Formstrenge und privatautonome Gestaltungsfreiheit ..................... a) Die subjektive Auffassung .............................................. aa) Drittverantwortung gegenüber dem Rechtsverkehr als Schranke der Privatautonomie ................................................ bb) falsa demonstratio non nocet ....................................... b) Die Andeutungstheorie .................................................. aa) Subjektiver Auslegungsmaßstab und objektive Andeutung ...... bb) Die Bedürfnisse des Wirtschaftsverkehrs ......................... cc) Widerspruch zwischen Andeutung und unschädlicher Falschbezeichnung ......................................................... dd) Abschlußklarheit und Inhaltsklarheit als Ausfluß der Formzwecke ee) Andeutungserfordernis und Freibeweis ............................ ff) Die Unschärfe der ,,Andeutung" als Abgrenzungsmerkmal ...... c) Die strenge Formgebundenheit bei Formen im Verkehrsinteresse .... d) Formgebot und ergänzende Auslegung .................................

236 236 237 239 241 242 243 243 244 247 248 248 251

c. Schluß: Zusammenfassung der Ergebnisse

253

Literaturverzeichnis

256

A. Einleitung: Die Problematik Bei der Auslegung von Verfügungen von Todes wegen, einem der klassischen Probleme der Rechtswissenschaft 1 von zugleich anhaltender Aktualität gerade in jüngster Zeit 2, brechen wie in kaum einem Rechtsgebiet des Bürgerlichen Rechts auch in den Einzelfragen Grundfragen juristischer Methodik und der allgemeinen Rechtsgeschäftslehre auf. Gerade Testamente sind aus verschiedenen Gründen häufig auslegungsbedürftig. Bei eigenhändigen Testamenten führt schon der Umstand, daß sie meist ohne rechtskundige Beratung formuliert werden, in zahlreichen Fällen zu Unklarheiten, zumal selbst manche grundlegenden Sätze des Erbrechts nur unvollkommen im Bewußtsein der Bevölkerung verankert sind, zum Beispiel die Unmöglichkeit einer Einzelrechtsnachfolge. 3 Bei allen Testamentsformen können sich Auslegungsprobleme daraus ergeben, daß das Testament oft lange Zeit vor dem Erbfall gemacht wird, so daß sich die Verhältnisse bei Eintritt des Erbfalls wesentlich geändert haben können. 4 Zwar hat der Erblasser ein grundsätzlich (anders beim Erbvertrag) unbeschränktes Widerrufsrecht und die Freiheit neuen Testierens, doch bestehen die Probleme in der Praxis vor allem darin, daß der Erblasser die Veränderungen nach Testamentserrichtung oft nicht bemerkt oder jedenfalls nicht berücksichtigt. Außerdem berufen sich erfahrungsgemäß Prozeßparteien oder Beteiligte im Erbscheinsverfahren häufig auf eine abweichende Auslegung oder Nichtigkeit einer letztwilligen Verfügung, um ihre Prozeßlage zu verbessern, da in erbrechtlichen Verfahren oftmals ganz erhebliche Vermögensinteressen eine Rolle spielen. In allen diesen Fällen kommt der Methodik der Auslegung entscheidende Bedeutung zu. Die in Wissenschaft und Rechtsprechung am lebhaftesten diskutierten Probleme ranken sich um mehrere große Komplexe.

Zum einen sind dies Fragen rund um den Erklärungstatbestand der Willenserklärung, wie zum Beispiel das Erklärungsbewußtsein bei der letztwilligen Verfügung samt der Anwendung von §§ 116-118 BGB, die Ambivalenz des GeschäftsVgl. Lange / Kuehinke § 33 I 1, S. 359. Vgl. z. B. BGH, Besehl. v. 9.4.1981 - IVa ZB 4/80 = BGHZ 80, 242; BGH, Besehl. v. 9.4.1981 - IV a ZB 6/80 = BGHZ 80, 246; BGH, Urt. v. 8.12.1982 IVa ZR 94/81 = BGHZ 86, 41 = FamRZ 1983,383 = JZ 1983,709 = NJW 1983,672 = Rpfleger 1983, 111; BGH, Urt. v. 27.2.1985 - IV a ZR 136/83 = BGHZ 94, 36 = FamRZ 1985,587 = JZ 1985,746 = NJW 1985, 1554; BGH, Urt. v. 28.1.1987 - IVa ZR 191/85 = FamRZ 1987,475. 3 Leipold, ErbR, Rn. 279. 4 Leipold, ErbR, Rn. 279. 1

2

14

A. Einleitung

willens als inhalts bestimmendes Tatbestandsmerkmal der Willenserklärung und die damit verbundene Frage nach Einheit oder Trennung von Feststellung des Erklärungstatbestandes und Auslegung, oder das Verhältnis des Erklärungstatbestandes zum Formgebot. Dieser Komplex ist der zur Zeit am wenigsten umstrittene, doch sind hier die Grundlagen für das Verständnis der letztwilligen Verfügung und ihrer Auslegung zu suchen. Der zweite große Fragenkomplex betrifft die Inhaltsermittlung, also die eigentliche Auslegung. Hier spielen zum Beispiel die Auslegungsbedürftigkeit samt Eindeutigkeitstheorie, die Anfechtung wegen Inhalts- und Erklärungsirrtums angesichts eines subjektiven Auslegungsmaßstabs beim Testament, Einzelfragen des Auslegungsmaßstabs bei den verschiedenen letztwilligen Verfügungen oder der für die Auslegung maßgebliche Zeitpunkt eine Rolle, dann vor allem die vielen noch ungeklärten Probleme der aus der Praxis heraus entwickelten, aber noch kaum ins allgemeine System privatautonomer Rechtsgestaltung eingepaßten ergänzenden Auslegung, damit zusammenhängend die Abgrenzung der ergänzenden Auslegung gegenüber erläuternder Auslegung, dispositivem Gesetzesrecht, Anfechtung und der Lehre vom Wegfall der Geschäftsgrundlage. Dieser Fragenkomplex steht im Mittelpunkt der Auseinandersetzung, doch wird die Lösung hier überwiegend im Blick auf das Einzelproblem, nicht aus dem Gesamtkonzept der Willenserklärung in der allgemeinen Rechtsgeschäftslehre heraus gesucht, so daß eine Harmonisierung dieser Streitfragen nach wie vor kaum gelungen ist. Die dritte Problemgruppe bei der Auslegung letztwilliger Verfügungen bezieht sich auf das Formgebot, das Verhältnis der Form zum Erklärungstatbestand und zum maßgeblichen Inhalt der Willenserklärung. Letztlich geht es dabei um die Frage, in welchem Maß die Form den maßgeblichen Inhalt der Willenserklärung einzuschränken vermag, ob einer subjektiven, einer objektiven Auffassung oder der vermittelnden Andeutungstheorie zu folgen ist. Dazu gehören Einzelfragen wie das Verhältnis der Andeutungstheorie zur Lehre von der unschädlichen Falschbezeichnung (falsa demonstratio non nocet) oder zur ergänzenden Auslegung, und, als Folge der jeweiligen Auffassungen, das Verhältnis von Auslegung und Umdeutung. Auch diese Fragen werden aber überwiegend isoliert gesehen. Mit dem vorliegenden Beitrag soll daher versucht werden, die genannten Einzelfragen in einen Zusammenhang untereinander und in das allgemeine System privatautonomer Rechtsgestaltung einzufügen und die Lösungen für diese Fragen aus der allgemeinen Rechtsgeschäftslehre heraus zu entwickeln.

B. Hauptteil: Tatbestand, Inhaltsermittlung und Wirksamkeits-, insbesondere Formprüfung von Verfügungen von Todes wegen Ausgehend von Wesen und Funktion der letztwilligen Verfügung, die ein jedes Konzept von der Testamentsauslegung letztlich bestimmen, soll zunächst der Auslegungsgegenstand herausgearbeitet werden, der zur Auslegungsmethode führt. An diese Auslegungsfragen schließt sich sodann die Formprüfung an. Gerade die Auslegungsdiskussion leidet immer wieder an der begrifflichen Ungenauigkeit der Argumentation und mehr oder weniger verschwommenen Wertungen, die letztlich das Ergebnis bestimmen. Eine Besinnung auf die Grundlagen sollte daher nicht für einen Rückfall in die verpönte Begriffsjurisprudenz gehalten, sondern als Beitrag zur Klärung der Gedankenführung und Verständigung angesehen werden. Gegenüber dem auf der Lehre von der Interessenjurisprudenz fußenden Mißtrauen gegenüber jeder juristischen Argumentation, die auf das Wesen von Rechtsfiguren abstellt, hat außerdem bereits Flume I zu bedenken gegeben, daß aus dem Wesen der Rechtsfiguren für diese die rechtlichen Probleme entstehen und deshalb auch im Hinblick auf dieses Wesen die Lösungen der Probleme zu suchen sind. Gerade weil insbesondere die Testamentsauslegung immer von irgendeinem Vorverständnis beeinflußt sein wird, ist es erforderlich, dieses Vorverständnis offenzulegen und auf sachliche Grundlagen zu stützen. Nur durch einen Rückgriff auf die inneren Strukturen der Willenserklärung und ihre Funktion innerhalb der Rechtsordnung ist es auch möglich, gegensätzliche Wertungen wie z. B. das Selbstbestimmungsrecht des Erblassers einerseits und Verkehrsschutzinteressen andererseits strukturgerecht miteinander in Einklang zu bringen. 2 Die Beschränkung auf die strukturgerechten und strukturbedingten Prüfungskriterien führt zur Aufteilung der Testamentsauslegung in die verschiedenen Prüfungsschritte der Ermittlung des Auslegungsgegenstandes, der Inhaltsermittlung (d. h. der Auslegung im engeren Sinn) und der Formprüfung. Diese Aufteilung ist kein bloßer und überflüssiger Formalismus; vielmehr unterliegen diese drei Prüfungsschritte verschiedenen Strukturen und damit auch verschiedenen Bewertungskriterien. Die Trennung dieser Prüfungsschritte, zusammen mit der Begrenzung auf die als strukturgemäß erkannten jeweiligen Beurteilungskriterien, Aume, AT 11, § 4,8, S. 60. Für eine Rückbesinnung auf die allgemeine Rechtsgeschäftslehre zur Lösung der Probleme bei der Testamentsauslegung hat neuerdings auch Leipold, Festschr. MüllerFreienfels, S. 421 ff., plädiert. I

2

16

B. Vorbemerkung zum Hauptteil

verhindert eine Beliebigkeit der Argumentation, erhöht die Nachvollziehbarkeit des Ergebnisses, damit die Akzeptanz bei den Verfahrens beteiligten und damit den Rechtsfrieden, und sie erlaubt eine bessere Kalkulierbarkeit künftiger Entscheidungen und dient damit auch der Rechtssicherheit. Mit dieser Trennung und gesonderten Betrachtung von Auslegungsgegenstand, Inhaltsermittlung und Formprüfung sollen aber noch keine inhaltlichen Gewichtungen verbunden werden, etwa zugunsten eines größeren Auslegungsspielraums und zulasten einer Formstrenge durch "Befreiung" der Auslegung von der Formprüfung. 3 Konsequenzen für das Verhältnis von Erklärungstatbestand, Auslegung und Form können vielmehr erst dann gezogen werden, wenn die Strukturen, Maßstäbe und Anforderungen von Auslegungsgegenstand, Inhaltsermittlung und Formprüfung ermittelt sind.

3

Vgl. in diesem Sinne etwa Brox, JA 1984,549.

I. Begriff der Auslegung Der Begriff der ,,Auslegung" ist zunächst kein typisch juristischer Fachbegriff. Grundlage ist vielmehr die sinnliche Vorstellung des Entfaltens, des Auseinanderlegens zum Zweck einer genaueren Betrachtung. Daraus ergibt sich die übertragene Bedeutung des Interpretierens, der Deutung oder Sinnermittlung. 1 Rechtsgeschäftsauslegung bedeutet daher, den rechtlich maßgeblichen Inhalt des Geschäfts zu ermitteln. 2 Auslegende Tätigkeit kann zunächst in zweifachem Sinn verstanden werden. Auslegung im engeren Sinn zielt auf die Erkenntnis des Inhalts der Willenserklärung, wogegen Auslegung im weiteren Sinn auch die Ergänzung, Berichtigung und Anpassung umfaßt3, also die gesamte Behandlung der Erklärung von der erstmaligen Konfrontation bis zum fertigen Ergebnis. Zum Teil wird mit "Auslegung" auch ein bestimmtes methodisches Vorgehen bezeichnet. So wird zum Beispiel gesagt, auch der Auslegungsgegenstand, also der für die Auslegung maßgebliche Erklärungstatbestand, sei durch Auslegung zu ermitteln; 4 oder, Aufgabe einer Auslegung sei nicht nur, den Inhalt einer Willenserklärung zu ermitteln, sondern auch festzustellen, ob ein willentliches Verhalten die Bedeutung einer Willenserklärung habe. Hier wird der Begriff der Auslegung in einem viel weiteren Sinn verstanden; ebenso, wenn gesagt wird, bei der Auslegung gehe es um dreierlei: die Ermittlung, ob ein willentliches Verhalten die Bedeutung einer Willenserklärung hat; was quantitativ zum Inhalt einer Willenserklärung gehört; und welchen Sinn die Willenserklärung qualitativ besitzt. Diese drei Schritte der Ermittlung des Auslegungsgegenstandes (qualitativ und quantitativ) und der Inhaltsermittlung haben lediglich ein bestimmtes methodisches Vorgehen gemeinsam, nämlich aus einer zunächst ungeordneten Masse von verschiedenen Lebensäußerungen durch wertende Betrachtung die rechtlich maßgebliche Erklärungssubstanz herauszuschälen (ebenso wie bei der Auslegung im engeren Sinne, der Inhaltsermittlung, aus einer zunächst ungeordneten Vielfalt von Verständnismöglichkeiten durch wertende Betrachtung die rechtlich Brox, Irrtumsanfechtung, S. 92. Dies gilt für erläuternde und ergänzende Auslegung gleichermaßen. Ohne besonderen Hinweis ist aber im folgenden mit" Auslegung" immer nur die erläuternde Auslegung gemeint. Für einen engeren Begriff der Auslegung im Zusammenhang mit der streitschlichtenden Funktion des Richters Bailas S. 29 ff.; diese Auffassung ist aber vereinzelt geblieben. 3 Brox, Irrtumsanfechtung, S. 1Ol. 4 Soergel / Hefermehl § 133 Rn. 9; Kellmann JuS 1971, 609; Larenz, Auslegung, S. 82; Larenz, AT, § 19 m, S. 354; Lüderitz, S. 25; MK / Mayer-Maly § 133 Rn. 39. 1

2

2 Stumpf

18

I. Begriff der Auslegung

maßgebliche Bedeutung gewonnen wird). Man mag alle Verfahren, die diese Merkmale aufweisen, als "Auslegung" bezeichnen. Der Klarheit förderlicher ist es jedoch, mit "Auslegung" nur die Inhaltsermittlung zu bezeichnen und im übrigen im Gegensatz dazu von der Ermittlung des Auslegungsgegenstandes zu sprechen. Die Trennung hat nicht nur terminologische, sondern auch inhaltliche Bedeutung, denn die Ermittlung des Auslegungsgegenstandes erfolgt nach einem objektiv-normativen Maßstab, während bei der Inhaltsermittlung der Auslegungsmaßstab je nach Art der Willenserklärung wechselt und zum Beispiel beim Testament ein subjektiver Auslegungsmaßstab anzulegen ist. 5 Hier ist daher im folgenden mit "Auslegung" immer nur die Auslegung im engeren Sinne der Ermittlung des rechtlich maßgeblichen Inhalts der Erklärung gemeint. Weiterhin wird zwischen erläuternder und ergänzender Auslegung unterschieden. In beiden Fällen geht es um die Ermittlung des rechtlich maßgeblichen Inhalts der Erklärung; im Falle der erläuternden Auslegung wird der wirkliche Geschäftswille des Erklärenden (nach einem subjektiven oder objektiven Maßstab) ermittelt, im Falle der ergänzenden Auslegung nach traditionellem Verständnis demgegenüber ein hypothetischer, mutmaßlicher Wille. Neben dem Begriff der erläuternden Auslegung wird bisweilen auch der Begriff der "einfachen Auslegung"6 oder der "eigentlichen Auslegung"7 oder der "klarstellenden Auslegung"8 in Abgrenzung zur ergänzenden Auslegung verwendet. Im Prinzip hat es hier keine praktische Bedeutung, welcher Bezeichnung man folgt. Der Begriff der "einfachen Auslegung" verführt allerdings dazu, mit der ergänzenden Auslegung im Gegensatz dazu eine ,,komplizierte Auslegung" zumindest unbewußt zu assoziieren; der ,,klarstellenden Auslegung" würde auf seiten der ergänzenden Auslegung eine "verwirrende Auslegung" gegenüberstehen. Um solche Assoziationen von vornherein zu vermeiden, empfiehlt es sich daher, lieber von der erläuternden Auslegung im Gegensatz zur ergänzenden Auslegung zu sprechen, eine Bezeichnung, die sich im übrigen auch schon eingebürgert hat. 9

5 S. im einzelnen dazu unten. 6 Brox, AT, Rn. 123; Soergel/Hefermehl § 133 Rn. 27; Keymer, S. 94; Leipold JZ 1983, 711; MK / Mayer-Maly § 133 Rn. 6; ders., § 157 Rn. 30 f. 7 Pal/Heinrichs § 157 Anm. 2a; Henckel AcP 159, 106(107); Larenz, Auslegung, S. 92; Mangold NJW 1961, 2284. 8 Stötter, Irrtum, S. 181(184). 9 Erman / Brox § 133 Rn. 13; MK / Leipold § 2084 Rn. 36; Schlüter § 22 11, S. 123; Soergel / Wolf § 157 Rn. 3.

11. Der Tatbestand der letztwilligen Verfügung als Auslegungsgegenstand § 133 BGB ist, anders als die meisten anderen Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuches, nicht aufgeteilt in eine Tatbestandsseite und eine Rechtsfolgenanordnung; vielmehr geht § 133 BGB bereits von der Auslegung als einer bekannten Rechtstechnik aus und ordnet lediglich ein bestimmtes methodisches Vorgehen an. Ähnliches gilt für § 157 BGB, dessen Anwendungsbereich sich entgegen seinem Wortlaut nicht auf Verträge beschränkt.! Aus diesem Grund sind die Voraussetzungen der erläuternden wie der ergänzenden Auslegung nicht ohne weiteres aus dem Gesetz ersichtlich. Ausgelegt werden soll aber auf jeden Fall die "Willenserklärung" bzw. "Verträge". Jeder Auslegung vorausgehen muß daher die Frage nach dem Auslegungsgegenstand.

Dieser Auslegungsgegenstand ist zunächst das auszulegende Rechtsgeschäft. Jedes Rechtsgeschäft besteht aber aus mindestens einer Willenserklärung. Auch bei Rechtsgeschäften, die sich aus mehreren Willenserklärungen zusammensetzen, insbesondere dem Vertrag, erfolgt die Auslegung in der Weise, daß zunächst jede einzelne Willenserklärung ausgelegt und dann die ausgelegten Willenserklärungen miteinander verglichen werden. Auslegungsgegenstand ist daher zunächst die einzelne Willenserklärung. Was aber macht den Tatbestand einer Willenserklärung aus? Bei der Suche nach dem Wesen einer Willenserklärung geht man meist analytisch so vor, daß man zwischen dem objektiven Teil, dem Erklärungsakt, und dem subjektiven Teil, dem Willen, unterscheidet. 2 Letzterer wird herkömmlicherweise (mit den Verfassern des BGB) weiter unterteilt in den Handlungswillen (Betätigungswillen), den Erklärungswillen (Erklärungsbewußtsein) und den Geschäftswillen. 3 Im einzelnen sind aber sowohl das Verhältnis zwischen objektiven und subjektiven Tatbestandsvoraussetzungen als auch die einzelnen subjektiven Tatbestandselemente selbst nach wie vor umstritten.

S. u. Erman/Brox vor § 116 Rn. 1; Soergel/Hefermehl vor § 116 Rn. 6. 3 Erman/Brox vor § 116 Rn. 2; Brox, AT, Rn. 82 ff.; Staud/Dilcher vor §§ 116144 Rn. 16; Soergel/Hefermehl vor § 116 Rn. 6; RGRK/Krüger-Nieland vor § 116 Rn. 2. !

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H. Auslegungsgegenstand

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1. Das Verhältnis von objektiven und subjektiven Tatbestandsmerkmalen Die maßgeblichen Positionen zum grundsätzlichen Verhältnis zwischen subjektiven und objektiven Elementen der Willenserklärung werden üblicherweise als Willenstheorie, Erklärungstheorie sowie Theorie von der Willenserklärung als Geltungserklärung bezeichnet.

a) Die Willenstheorie Die Willenstheorie wurde entscheidend von Savigny geprägt, der auch die danach maßgebliche klassische Definition der Willenserklärung formuliert hat: "Denn eigentlich muß der Wille an sich als das einzig Wichtige und Wirksame gedacht werden und nur, weil er ein inneres, unsichtbares Ereignis ist, bedürfen wir eines Zeichens, woran er von anderen erkannt werden könne, und dieses Zeichen, wodurch sich der Wille offenbart, ist eben die Erklärung. Daraus folgt aber, daß die Übereinstimmung des Willens mit der Erklärung nicht etwas Zufälliges, sondern ihr naturgemäßes Verhältnis ist." 1 Diese grundsätzliche Berücksichtigung des subjektiven Willens des Erklärenden ist Ausfluß der Privatautonomie, von der auch unser Grundgesetz ausgeht. 2

b) Die Erklärungstheorie Damit sollen aber nicht die Vorstellungen des 18. und 19. Jahrhunderts gutgeheißen werden, wonach das bürgerliche Selbstbewußtsein, der Glaube an die Vernunft des Einzelnen und an die schöpferische Kraft seines Willens zu der Überzeugung kommt, daß dem Gemeinwohl am besten durch die Freigabe des Willens, durch die Entfesselung des Einzelegoismus gedient sei. Die Willensherrschaft kann daher nicht uneingeschränkt gelten, was auch im vorigen Jahrhundert bereits erkannt wurde. Der Handelnde tritt mit seiner Willenserklärung nämlich der Rechtsgemeinschaft und (bei empfangs bedürftigen Willenserklärungen) seinen Geschäftspartnern gegenüber und will von diesen verstanden werden. Umgekehrt vertraut der Geschäftspartner bei seinen Dispositionen auf Richtigkeit und Bestand der Willenserklärung, so wie sie verlautbart wurde. Wegen dieses Vertrauensschutzes stellte daher die gemeinrechtliche Erklärungstheorie die Erklärung als das maßgebliche Wesenselement der Willenserklärung in den Vordergrund. Danz formulierte die Definition: "Man wird daher die Willenserklärung, welche ein Tatbestandsmoment für ein Rechtsgeschäft gibt, definieren können als das Verhalten einer Person, welches nach der Erfahrung des Verkehrs unter Würdigung aller Umstände regelmäßig den Schluß auf einen bestimmten Willen gestattet, ohne 1

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v. Savigny III, S. 258.

Brox, Irrtumsanfechtung, S. 87.

1. Objektive und subjektive Tatbestandsmerkmale

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Rücksicht darauf, ob dieser Schluß im einzelnen zutrifft, d. h. also ob wirklich ein solcher innerer Wille, wie er sich aus der vorliegenden Willenserklärung ergibt, bei der Person vorhanden gewesen ist oder nicht." 3 c) Der Kompromjß des BGB Das BGB löste den Konflikt zwischen freier Entfaltung des Erklärenden und Vertrauensschutz des Empfängers pragmatisch, ohne auf den Geltungsgrund der Willenserklärung einzugehen4, und verteilte das Risiko von Willensmängeln in einem Komprorniß: Zum Schutz des Empfängers gilt die Erklärung vorläufig so, wie der Empfänger sie verstehen mußte (nicht etwa so, wie er sie tatsächlich verstanden hat; Irrtümer des Empfängers können die Bedeutung der Willenserklärung nicht beeinflussen, das fordert der Schutz des Erklärenden). Das besagt die Lehre von der objektiven Auslegung bzw. von der Auslegung nach dem Empfängerhorizont. Sie läßt sich aus § 119 BGB entnehmen: Die irrige Willenserklärung kann nicht so gelten, wie sie gewollt ist, dann wäre ein Anfechtungsrecht des Erklärenden sinnlos; die irrige Erklärung kann aber auch nicht unwirksam sein, dann wäre das Anfechtungsrecht überflüssig. Ein endgültiges Festhalten am objektiven Erklärungswert würde aber die Interessen des Erklärenden zu stark beeinträchtigen. Daher kann der Erklärende die irrige Erklärung durch Anfechtung vernichten, § 119 BGB. Um den Empfänger in seinem Vertrauen auf die Willenserklärung aber nicht schutzlos zu lassen, gibt das Gesetz ihm einen Anspruch auf Ersatz des Vertrauensschadens gegen den Erklärenden, § 122 BGB. Beim Testament steht dem Erklärenden kein Empfänger gegenüber. Die Anfechtungsgründe sind daher in § 2078 BGB um den Motivirrtum erweitert, die Schadensersatzpflicht gemäß § 122 BGB entfällt. Anfechtungsberechtigt ist allerdings nicht der Erblasser (was nach dem Tode nicht mehr möglich und vor dem Erbfall wegen des freien Widerrufsrechts gemäß § 2253 I BGB nicht nötig ist), sondern gemäß § 2080 BGB dritte Personen. Darin zeigt sich bereits, daß die erbrechtlichen Anfechtungsvorschriften nicht allein die Funktion eines Interessenausgleichs zwischen Erklärendem und Empfänger haben können, sondern anderen Wertungen unterliegen müssen. Überdies bezieht sich die gesetzliche Regelung der Willensmängel in den Anfechtungsvorschriften des Allgemeinen Teils nur auf Mängel des Geschäftswillens, nicht aber auf Mängel des Handlungswillens oder des Erklärungswillens. Das ist bereits ein Hinweis darauf, daß der Vertrauens schutz des Empfängers, den die Väter des BGB ja mithilfe der Anfechtungsvorschriften in das richtige Verhältnis gegenüber dem Willen des Erklärenden setzen wollten, auch nur im Danz, S. 14. Mot. I, S. 457; Prot. I, S. 715; Erman/Brox vor § 116 Rn. 1; Flurne, AT 11, § 4, 6, S. 56; Hanau AcP 165 (1965), 220 (221); Soergel/Hefermehl vor § 116 Rn. 11; MK/ Kramer vor § 116 Rn. 5; Pawlowski, AT, Rn. 426. 3

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II. Aus1egungsgegenstand

Bereich des Geschäftswillens eine Rolle spielt, nicht aber unbedingt auch im Bereich des Handlungswillens oder des Erklärungsbewußtseins. Sofern man den Geschäftswillen nicht zu den konstitutiven Tatbestandselementen der Willenserklärung rechnets, hat das zur Folge, daß der Vertrauensschutz nicht das für die Geltung, d. h. den Tatbestand der Willenserklärung maßgebliche Kriterium sein kann.

d) Die Theorie von der Geltungserklärung Eine dogmatische Durchdringung der Frage nach dem Geltungsgrund der Willenserklärung wurde erst wieder versucht mit der Theorie von der Willenserklärung als Geltungserklärung. 6 Diese Theorie ist heute ganz überwiegend anerkannt. 7 Da auch letztwillige Verfügungen aus Willenserklärungen bestehen, liegt es nahe, von dieser Theorie auszugehen, wenn die Auslegungsproblematik auf grundsätzlichem Weg gelöst werden soll. 8 Was macht also den Geltungsgrund der Willenserklärung, verstanden als Geltungserklärung, aus? Dem Wesen des Rechts, das eine Ordnung des menschlichen Lebens darstellt, entspricht es, die Willenserklärung als einen Sozialakt zu begreifen, der nicht einen Willen deklaratorisch kundgibt oder mitteilt, sondern konstitutiv einen bestimmten auf Begründung, Änderung oder Aufhebung eines Rechtsverhältnisses gerichteten Rechtsfolgewillen als rechtlich bindend in Geltung setzt. Als Geltungserklärung ist die Willenserklärung kein dualistisches Gebilde aus Wille + Erklärung, sondern eine Wesenseinheit. Kommt es für das Vorliegen einer Willenserklärung auf den nach außen in Geltung gesetzten Willen an, so liegt der innere (psychologische) Wille außerhalb des Tatbestandes einer Willenserklärung. Von der Erklärungstheorie, mit der sie den Gegensatz zur Willenstheorie gemeinsam hat, unterscheidet sich die Theorie von der Geltungserklärung dadurch, daß sie die Interessen des Erklärenden nicht völlig außer acht läßt, sondern im Rahmen der Zurechenbarkeit berücksichtigt. Dadurch kann der Tatbestand der Willenserklärung unbelastet von Wertungsfragen allein nach dem Wesen der Willenserklärung bestimmt werden, und umgekehrt können Wertungsfragen und Interessenabwägungen im Rahmen von Zurechenbarkeit und Auslegung sachgerecht und ohne Rücksicht auf die Rechtsnatur der Willenserklärung entschieden werden. 9 Vor allem aber haben Erklärungstheorie und die Theorie von der Wildazu s. sogleich Larenz, Auslegung, S. 45; S. 69 und durchgehend; Larenz, AT, § 19 I, S. 332 ff. 7 Canaris, Vertrauenshaftung, § 33 I 1, S. 413; Staud / Dilcher vor § 116 Rn. 10, Rn. 31; Soergel/Hefennehl vor § 116 Rn. 3ff; Pawlowski, AT, Rn. 429; Stathopoulos, Festschr. Larenz, S. 357 ff. m. zahlr. w. N.; Wieacker JZ 1967,385. Kritisch Brox, Irrtumsanfechtung, S.92; Manigk ArchRW Phi! 26 (1932, 1933), S. 359 ff.; in neuerer Zeit Schapp, S. 1 ff. 8 Kuchinke JZ 1985,748(749). 5

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1. Objektive und subjektive Tatbestandsmerkmale

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lenserklärung als Geltungserklärung auch unterschiedliche Ausgangspunkte. 10 Für die Erklärungstheorie war maßgeblich für das objektive Verständnis der Erklärung der Vertrauens schutz des Empfängers; sie ist daher auf nicht empfangsbedürftige Willenserklärungen wie zum Beispiel das Testament nicht ohne weiteres übertragbar. Die Theorie von der Willenserklärung als Geltungserklärung, die den Tatbestand ebenfalls objektiv faßt, begründet dies dagegen nicht mit dem Vertrauensschutz, sondern mit dem Verantwortungsprinzip.ll Der Geltungsgrund der Willenserklärung wird nämlich nicht mehr außerhalb ihrer gesucht, sondern aus dem Wesen der Willenserklärung heraus anhand ihrer Sachstrukturen bestimmt. 12 Welchen Geltungsgrund geben aber die Sachstrukturen der Willenserklärung vor? Die Willenserklärung, verstanden als Geltungserklärung, ist als ein Versprechen ein sozialer Akt eigener Art, dessen Aktsinn es ist, daß der Versprechende sich hiermit bindet. 13 Daß aber der Mensch zu solchen Akten fähig ist und jeder ihren Sinn versteht, ist wieder darin begründet, daß der Mensch ein Wesen ist, das ein Sollen kennt und sich selbst unter ein Gebot zu stellen vermag, in seiner moralischen Existenz oder seinem Personsein. Je größer das ethische Grundkönnen der Person ist, also die Fähigkeit des Menschen, Versprechen zu geben, Verpflichtungen einzugehen, mit der eigenen Person für etwas einzustehen, umso größer ist ihre sittliche Potenz, das Gewicht ihres Menschentums. 14 Diese Fähigkeit ist, ebenso wie die Fähigkeit des Menschen zur Übernahme von Verantwortung, ein von der menschlichen Existenz unabtrennbares Faktum. 15 Dies gilt nicht nur für das Versprechen, also die Verpflichtungserklärung, die zahlenmäßig wohl häufigste Art der Willenserklärung, sondern in gleichem Maße auch für die Rechtsübertragung. Diese setzt nicht nur die Herrschaftsmacht an dem Gegenstand voraus, die eine Übertragung überhaupt erst ermöglicht und die allein dem Menschen eigentümlich ist, sondern darüberhinaus die Fähigkeit, die Zuordnung der Gegenstände zum Menschen zu gestalten, die ebenfalls Hur dem Menschen eigentümlich ist und wegen ihrer sozialen Relevanz wiederum entscheidend auf dem ethischen Grundkönnen der Person beruht. Der Geltungsgrund der Willenserklärung als Akt sozialer Kommunikation liegt daher in der privatautonomen Selbstbestimmung, die auf der Personhaftigkeit, letztlich auf der Würde des Menschen beruht. 16. 17 Zu weit geht daher die Kritik bei Staud / Dilcher vor § 116 Rn. 10. Ebenso Staud / Dilcher vor § 116 Rn. 31. II Larenz, AT, § 19 I, S. 336. 12 So nunmehr Larenz, Richtiges Recht, S. 62; Reinach, S. 59; Wieacker JZ 1967, 385(388). 13 Reinach S. 51; S. 59. Diese Bindung ist eine rechtliche und nicht nur moralische, vgl. Larenz, Festschr. G. Husserl, S. 132(139). 14 nach Hartmann, S. 666. 15 Larenz, Richtiges Recht, S. 63. 9

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11. Auslegungsgegenstand

Der Selbstverwirklichung als Ausfluß der Privatautonomie steht die Selbstverantwortung, ebenfalls als Ausfluß der Privatautonomie, gegenüber. 18 Das ergibt sich weniger aus § 119 und § 157 BGB als vielmehr aus der Privatautonomie selbst, denn die Freiheit der Selbstverwirklichung würde ohne die Verantwortung für die in Selbstverwirklichung gesetzte Erklärung leerlaufen. 19 Die Willenserklärung ist ein sozialer Gestaltungsakt. Wie es im sozialen Raum kein Handeln ohne Verantwortung gibt, so trifft auch den, der eine Geltungserklärung abgibt, eine Verantwortung für die von ihm gewählten Ausdrucksmittel. Diese Verantwortung ist aber zunächst keine Verantwortung dem anderen gegenüber (eine solche kann allerdings zusätzlich hinzukommen, zum Beispiel bei der Berücksichtigung des Vertrauens schutzes des Empfängers im Rahmen der Auslegung), sondern Verantwortung sich selbst gegenüber, Selbstverantwortung. Die Privatautonomie, aus der sich die Freiheit zur Selbstbestimmung ergibt, beruht selbst ja auf dem ethischen Grundkönnen des Menschen zur Übernahme von Verantwortung. Wer andererseits die Freiheit in Anspruch nimmt, auf dem risikoreichen Parkett des rechtsgeschäftlichen Verkehrs seine Rechtsverhältnisse privatautonom zu regeln, trägt eben zunächst auch das Risiko, also die Verantwortung dafür, daß sein Verhalten von seiner Umwelt als Rechtsgeschäft erkannt und gewürdigt wird. Diese Selbstverantwortung ist also umgekehrt auch unmittel16 Köhler, AT, § 14 I, 11, S. 105ff; Larenz, AT, § 2 I, S. 33 f.; ähnlich M. Reinicke JA 1980,455, wo die Privatautonomie auch auf Art. 2 I und Art. 14 GG gestützt wird. 17 Als ein solcher privatautonomer Akt, der letztlich auf der Würde des Menschen beruht, ist die Willenserklärung auch ganz unabhängig davon denkbar, ob es eine positive Rechtsordnung gibt. Daher kann der Zurechnungsgrund der Willenserklärung auch nicht in der Geltungsverleihung durch die staatliche Rechtsordnung liegen (so früher aber Larenz, Auslegung, S. 53ff), das Rechtsgeschäft ist vielmehr seiner Wesensart nach nicht ein Geschöpf der positiven Rechtsordnung, sondern ihr vorgegeben (so nunmehr auch Larenz, Auslegung, Nachdruck 1966, Nachwort S. 108). Zu dem rechtsgeschäftlichen Akt muß auch nicht etwa als Geltungsgrund die staatliche Anerkennung hinzutreten (so aber F1ume, AT 11, § 1, 2, S.2; § 4, 7, S.58; Larenz, Auslegung, Nachdruck 1966, Nachwort S. 108). Diese hat vielmehr Bedeutung nicht für die Geltung der Willenserklärung, sondern nur für ihre praktische Verwirklichung (so nunmehr auch Larenz, Richtiges Recht, S. 60; Wieacker JZ 1967, 385(388». Konsequenter ist es daher, die Geltung der Willenserklärung völlig von der staatlichen Anerkennung zu lösen und allein nach ihren wesensgemäßen, sachlogischen, materialen Strukturen zu bestimmen (zur Durchschlagekraft der Sachstrukturen gegenüber einer abweichenden staatlichen Regelung vgl. außerdem Wieacker JZ 1967,385(388». 18 Bydlinski, Privatautonomie, S. 162 (I72ff); Bydlinski JZ 1975, 1(5); Canaris, Systemdenken, S. 55; F1ume, AT 11, § 4, 8, S. 59ff; Pal / Heinrichs vor § 116 Anm. 4 b; Köhler, AT, § 12 I, 11, S. 105ff; Kramer, Grundfragen, S. 151; S. 170; MK/Kramer § 119 Rn. 83; Larenz, Auslegung, S.70f; Larenz, AT, § 2 11 c, S. 37; § 19 I, S. 336; § 19 m, S. 354 ff.; Schmidt-Salzer JR 1969,282 (288); M. Wolf, Entscheidungsfreiheit, S. 75 ff. 19 Ebenso Larenz, AT, § 2 IV, S.44. Für eine Herleitung der Selbstverantwortung aus dem Vertrauensschutzgrundsatz (wobei allerdings nicht immer zwischen Selbstverantwortung und Fremdverantwortung unterschieden wird) Brehmer JuS 1986,440 (442); Bydlinski, Privatautonomie, S. 162 (l72ff); Bydlinski JZ 1975, 1(5); Pal / Heinrichs vor § 116 Anm~ 4b; Kramer, Grundfragen, S. 170; MK / Kramer § 119 Rn. 83.

1. Objektive und subjektive Tatbestandsmerkmale

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barer Ausfluß der privatautonomen Freiheit. Denn Freiheit besteht nur da, wo es Entscheidungsalternativen gibt; echte Alternativen gibt es aber nur, wenn unterschiedliche Entscheidungen auch unterschiedliche Folgen auslösen, d. h. wenn der Erklärende neben der Möglichkeit der Geltung auch die Möglichkeit der Nichtgeltung einkalkulieren muß. Wird dem Erklärenden dieses Risiko mithilfe nachträglichen richterlichen Ausgleichs allzusehr vom Staat abgenommen, so besteht die Gefahr, daß die privatautonome Gestaltung durch den Bürger nur in den für wünschenswert gehaltenen Fällen (in denen die getroffene Lösung "vernünftig" erscheint) aufrecht erhalten bleibt, in den nicht erwünschten Fällen dagegen durch Hoheitsakte (im Wege richterlicher Korrektur eines für "unvernünftig" gehaltenen Ergebnisses aufgrund eines behaupteten, von der objektiven Verkehrsbedeutung abweichenden subjektiven Willens) ersetzt wird. Dann wäre aber die Willenserklärung nicht mehr Instrument privatautonomer Rechtsgestaltung durch den Einzelnen, sondern nur noch äußerer Anlaß für den Hoheitsakt durch Richterspruch; ein Ergebnis, das mit der Wertung unseres BGB und dem Grundgesetz, vor allem Art. 2 I und Art. 14 GG, sicherlich nicht übereinstimmen würde. Und auch die gute Absicht, mit Hilfe eines nachträglichen Ausgleichs den wahren Willen des Erklärenden zur Geltung zu bringen, würde damit letztlich ins Gegenteil verkehrt. 20 Selbstbestimmung muß daher, um nicht leerzulaufen, Selbstverantwortung bedingen. Diese Selbstverantwortung ist - anders als die Fremdverantwortung etwa einem Erklärungsempfanger gegenüber - unmittelbarer Ausfluß der Privatautonomie. Nach diesem Geltungsgrund der Privatautonomie, konkretisiert in Selbstbestimmung und Selbstverantwortung, bestimmt sich somit die Geltung, der Tatbestand der als Geltungserklärung verstandenen Willenserklärung. Für die Frage nach dem Tatbestand der Willenserklärung kommt es dagegen noch nicht auf den Vertrauensschutz eines etwaigen Empfangers an; Vertrauensschutzgesichtspunkte spielen vielmehr erst im Rahmen der Auslegung, das heißt der Inhaltsermittlung eine Rolle. Vertrauensschutz ist nichts anderes als Ausfluß einer Verantwortung des Erklärenden gegenüber dem Adressaten seiner Erklärung, also Ausfluß von Fremdverantwortung im Gegensatz zu der beschriebenen Selbstverantwortung. Da die Willenserklärung als Akt sozialer Kommunikation und als Instrument zur Gestaltung sozialer Beziehungen den Erklärenden mit seiner Umwelt verbindet, muß diese Fremdverantwortung natürlich auch bei der Beurteilung einer Willenserklärung eine Rolle spielen. Dies geschieht jedoch erst bei der Feststellung des maßgeblichen Inhalts der Willenserklärung, also bei der Auslegung, nicht schon bei der Tatbestandsermittlung. 21 Denn es gibt zwar 20 Vgl. dazu auch Kuchinke JZ 1985, 748 (749), der aus diesen Gründen ebenfalls eine objektive Fassung des Erklärungstatbestandes fordert (dort allerdings weitergehend auch auf einen bereits inhaltlich angefüllten Erklärungstatbestand bezogen, dazu s. u.). 21 BGH, Urt. v. 7.6.1984 IX ZR 66/83 = BGHZ 91,324 = BB 1984, 1317 = JR 1985, 12 = JZ 1984, 984 = NJW 1984, 2279 = WM 1984, 1018; Brehmer JuS 1986, 440 (442); Bydlinski, Privatautonomie, S. 162 (Inff); Bydlinski JZ 1975, 1(5); Pal /

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II. Auslegungsgegenstand

ein Vertrauen darauf, daß eine bestimmte, existente Willenserklärung in einer bestimmten Art und Weise zu verstehen ist, nicht aber ein Vertrauen darauf, daß eine bestimmte Willenserklärung existiert. Niemand darf sich darauf verlassen, daß ein anderer aktiv gestaltend am Rechtsverkehr teilnimmt, genauso wie sich grundsätzlich umgekehrt niemand darauf verlassen darf, daß ein anderer seine aktive Teilnahme am Rechtsverkehr unterläßt. Erst wenn Willenserklärungen bestehen und dadurch Rechtsbeziehungen begründet worden sind, kann ein Vertrauen derer, die an diesen Rechtsbeziehungen beteiligt sind, darüber bestehen, in welcher Weise sie von diesen Rechtsbeziehungen betroffen werden. Denn erst wenn Rechtsbeziehungen begründet worden sind und Beteiligte dadurch betroffen werden können, kann die Privatautonomie dieser Beteiligten beeinträchtigt werden und deshalb ein Vertrauensschutz gerechtfertigt sein. Allein dadurch, daß ein anderer in den Rechtsverkehr eintritt, wird jedoch die Privatautonomie der anderen Verkehrsteilnehmer noch nicht tangiert. Weiterhin ist aber auch fraglich, daß eine Bindung nicht eintreten soll, wenn der Empfanger tatsächlich nicht vertraut. Das würde bedeuten, daß der Erklärende dem Empfanger, der auf der Geltung der Erklärung besteht, entgegenhalten kann, dieser habe ihm ja von Anfang an nicht getraut, deshalb sei er auch nicht gebunden; eine Konsequenz, die das Funktionieren des Rechtsverkehrs überhaupt gefährden würde, weil mit einer solchen Einlassung in Streitfällen immer gerechnet werden müßte und damit das für einen funktionierenden Rechtsverkehr erforderliche Vertrauen gerade untergraben würde. 22 Außerdem bleibt die Frage, warum denn der Empfänger gewöhnlich auf das ihm gegebene Versprechen vertraut. Sicher vertraut er doch nicht deshalb, weil erdie Absicht des anderen kennt, sein Vertrauen zu erregen; vielmehr vertraut er doch, weil er den anderen für einen zuverlässigen Menschen hält, der für das, was er versprochen hat, einsteht. Er vertraut, weil der andere sich ihm gegenüber durch ein Versprechen gebunden hat. Sein Vertrauen kann daher selbst nicht erst der Grund der Bindung sein. 23 Außerdem versagt der Vertrauensschutzgrundsatz als Begründung der Geltung bei Willenserklärungen, die keinen Empfänger haben und daher auch keinen Vertrauenstatbestand setzen können. Wer sagt, bei solchen Erklärungen fehle es eben bei mangelndem Erklärungsbewußtsein am Tatbestand der Willenserklärung, greift damit bei den nicht empfangsbedürftigen Willenserklärungen auf den Willen als Zurechnungsgrund zurück, schafft also verschiedene Zurechnungsmaßstäbe für empfangsbedürftige Heinrichs vor § 116 Anm. 4b; Kramer, Grundfragen, S. 170; MK / Kramer § 119 Rn. 83 setzen zwar einerseits die Theorie von der Geltungserklärung voraus, greifen aber andererseits bei der Frage nach dem Erklärungsbewußtsein (also ebenfalls einer Tatbestandsfrage ) auf einen Vertrauensschutz (also ein außerhalb der Willenserklärung selbst liegendes Kriterium) zurück. 22 Larenz, Richtiges Recht, S. 62. Hier liegt wohl auch der Grund, warum die Zurechenbarkeit auch von denjenigen, die sie mit dem Vertrauensprinzip rechtfertigen, letztlich nicht subjektiv vom Empfänger her und überwiegend nicht einmal vom objektiven Empfängerhorizont her, sondern aus der Sicht des Erklärenden bestimmt wird. 23 Larenz, Richtiges Recht, S. 62.

1. Objektive und subjektive Tatbestandsmerkmale

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(Vertrauen) und nicht empfangsbedürftige (Wille) Erklärungen, kommt damit also letztlich zu zwei verschiedenen Arten von Willenserklärungen und hat damit den Dualismus von Wille und Erklärung nicht bewältigt, sondern umgekehrt sogar gefestigt. Außerdem werden mit dieser Anknüpfung an äußere Wertungen doch wieder Interessenabwägungen in den Tatbestand der Willenserklärung eingeführt; ein einheitlicher, nur an der Struktur der Willenserklärung selbst orientierter Begriff der Willenserklärung für alle Rechtsgeschäfte gleichermaßen, wie er der Konzeption des BGB zugrunde liegt, müßte aufgegeben werden, die Errungenschaften der Theorie von der Willenserklärung als Geltungserklärung wären damit wieder preisgegeben. Dafür besteht aber kein Bedürfnis, wenn man den Geltungsgrund der Willenserklärung nicht außerhalb dieser, sondern in ihr selbst, in dem spezifischen Sinn eines derartigen Aktes sieht. Damit ist auch ein Vertrauensschutz der anderen Verkehrsteilnehmer, der ja immer die Privatautonomie des Erklärenden einschränken würde und daher nur im Interesse eines gleichwertigen Rechtsgutes, also im Interesse der Privatautonomie anderer, gerechtfertigt wäre, bei der Frage nach der Existenz, nach dem Tatbestand der Willenserklärung, noch nicht angebracht. Es bleibt daher dabei, daß sich der Tatbestand der Willenserklärung nur nach der Privatautonomie des Erklärenden, also dessen Selbstbestimmung und Selbstverantwortung richtet. Diese Selbstverantwortung, die aus der Privatautonomie selbst resultiert, nicht dagegen Vertrauensschutzgesichtspunkte legen auch den Grund dafür, daß der Tatbestand der Willenserklärung (nicht notwendig auch schon ihr Inhalt!) grundsätzlich objektiv-normativ zu fassen ist. 24 Selbstbestimmung und Selbstverantwortung sind ja widerstreitende Kriterien. Ginge es nur nach der Selbstbestimmung, so dürfte nur das subjektiv Gewollte berücksichtigt werden; ginge es nur nach der Selbstverantwortung, so dürfte nur das objektive Verständnis des Verkehrs berücksichtigt werden, der Erklärende müßte das Risiko dafür tragen, daß seine Erkl,:uung das Verkehrsverständnis trifft. Insofern kehrt der alte Dualismus zwischen "Wille" und "Erklärung" (die beiden Begriffe verstanden als Chiffren für subjektives bzw. objektives Verständnis der Willenserklärung) auch bei der monistisch als Geltungserklärung verstandenen Willenserklärung wieder; sie beziehen sich allerdings vorläufig nur auf das "Ob", nicht auf das "Wie" der Willenserklärung. Für die Frage nach dem Tatbestand der Willenserklärung kommt es daher darauf an, wie die Privatautonomie des Erklärenden (die ja das allein maßgebliche Kriterium für die Geltung der Willenserklärung ist) am besten verwirklicht werden kann, durch Betonung der Selbstbestimmung oder durch Betonung der Selbstverantwortung. Es hat sich gezeigt, daß eine allzu subjektive Bestimmung der Willenserklärung nur vordergründig den wirklichen Willen des Erklärenden am besten trifft, in Wirklichkeit aber seine Privatautonomie nachhaltig gefährden kann. Deshalb hat 24

Soergel / Hefermehl vor § 116 Rn. 16.

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II. Auslegungsgegenstand

hier die Selbstverantwortung die Frage nach der Existenz der Willenserklärung zu bestimmen. Denn die Willenserklärung funktioniert nur dann als Akt sozialer Kommunikation, wenn sie der Umwelt auch als solcher erkennbar ist; das Risiko dieser Erkennbarkeit trägt nach dem Grundsatz der Selbstverantwortung grundsätzlich der Erklärende. Für die Frage, ob eine Erklärung als Willenserklärung existiert oder nicht, gibt es auch nur zwei mögliche Antworten. Sie erfordert also für den Erklärenden grundsätzlich keine allzu komplizierte Prognose. Wenn sich jemand mit seiner Willenserklärung in den rechtsgeschäftlichen Verkehr begibt, kann ihm daher insoweit die Kenntnis des Verkehrsverständnisses zugemutet werden, ohne daß dadurch seine Selbstbestimmung unangemessen beeinträchtigt würde.

e) Die letztwillige, insbesondere testamentarische Verfügung als Geltungserklärung Die Theorie von der Willenserklärung als Geltungserklärung wird in der Diskussion durchwegs anband der empfangsbedürftigen Willenserklärung unter Lebenden erörtert; Testamente werden dann meist nur im Anschluß daran auf die Auslegung hin überprüft. Der Tatbestand der Willenserklärung hat aber nicht nur Bedeutung als Vorfrage zur Auslegungsproblematik, zur Bestimmung des Auslegungsgegenstandes, sondern spielt darüber hinaus eine eigenständige Rolle, zum Beispiel für die Umdeutbarkeit. Denn eine Willenserklärung, die ihrem Tatbestand nach gegeben ist, aber an einem anderen Wirksarnkeitserfordernis scheitert, etwa der Form, ist zwar nichtig, aber unter Umständen in eine andere Erklärung umdeutbar. Fehlt es dagegen bereits am Tatbestand der Willenserklärung, dann liegt überhaupt keine Willenserklärung vor, auch keine nichtige, und es scheidet darum auch eine Umdeutung aus. 25 Das Verdienst der Theorie von der Willenserklärung als Geltungserklärung liegt darin, einen für alle Willenserklärungen gemeinsamen Geltungsgrund aus der Sachstruktur der Willenserklärung heraus entwickelt zu haben. Mit der Trennung von Tatbestand und Zurechenbarkeit hat sie im Einzelfall unterschiedliche Wertungen im Rahmen der Zurechenbarkeit ermöglicht, gleichzeitig aber einen für alle Willenserklärungen gleichermaßen gültigen Maßstab für den Tatbestand der Willenserklärung eröffnet. Damit können alle bürgerlichen Rechtsgeschäfte, egal ob empfangsbedürftig oder nicht, ob schuldrechtlicher, sachenrechtlicher, familienrechtlicher oder erbrechtlicher Art, hinsichtlich ihres Tatbestandes auf den gemeinsamen Grund der Willenserklärung zurückgeführt werden, von dem ja auch die Konzeption des BGB ausgeht. Besonderheiten der einzelnen Erklärung wirken sich dann nicht auf den Tatbestand der Willenserklärung aus, sondern nur auf ihre Zurechenbarkeit (oder, 25 Zur prinzipiellen Unterscheidung von nichtigen Rechtsgeschäften und rechtlich bedeutungslosen Naturvorgängen vgl. Larenz, Festschr. G. Husserl, S. 132 (140).

1. Objektive und subjektive Tatbestandsmerkmale

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wenn zusätzliche Wertungsgesichtspunkte hinzukommen wie Vertrauensschutz des Empfängers oder Schutz des Rechtsverkehrs, auf Auslegung oder FormpTÜfung).26 Zwar ist das Testament in Voraussetzungen und Wirkungen verschieden von dem schuldrechtlichen Verpflichtungsvertrag unter Lebenden, der sich aus zwei empfangsbedürftigen Willenserklärungen unter Lebenden zusammensetzt und an den bei der Diskussion um die Rechtsnatur der Willenserklärung meist gedacht wird. Es ist eine nicht empfangs bedürftige Willenserklärung; es ist keine vertragsmäßige, sondern eine einseitige Erklärung, und es ist nicht auf eine Verpflichtung, sondern auf Rechtsübertragung gerichtet. 27 Die einer Willenserklärung wesensgemäßen Sachstrukturen weist das Testament aber genauso auf wie die vertragliche Verpflichtungserklärung unter Lebenden. Es beruht gleichermaßen auf der Freiheit des Menschen, seine Beziehungen zur Umwelt privatautonom zu gestalten; der Grundsatz der Privatautonomie hat in der Testierfreiheit sogar eine besondere gesetzliche Normierung erfahren, vgl. § 2302 BGB. Die Empfangsbedürftigkeit hat Auswirkungen auf den Vertrauensschutz des Empfängers. Der Vertrauensschutz ist aber (im Gegensatz zur Erklärungstheorie) nicht bestimmend für das Wesen der Willenserklärung, sondern spielt, wie auch die gesetzliche Regelung der §§ 119 ff. BGB zeigt, erst bei der Bestimmung des Geschäftswillens, das heißt bei der Auslegung eine Rolle. Damit wirkt sich aber auch die Unterscheidung zwischen empfangsbedürftigen und nicht empfangsbedürftigen Willenserklärungen erst bei der Auslegung, nicht schon bei der Bestimmung des Tatbestandes der Willenserklärung aus. Ähnliches gilt für die Unterscheidung zwischen einseitigen und vertragsmäßigen Erklärungen. Die auf Rechtsübertragung gerichteten Akte sind zwar ihrem Sinngehalt nach etwas anderes als Verpflichtungsgeschäfte, die eine Rechtsübertragung erst versprechen; aber sowohl die Rechtsübertragung als auch das Versprechen sind soziale Akte mit unmittelbarer rechtlicher Wirksarnkeit. 28 Wenn die Geltungserklärung ihren Sinn darin hat, als Akt sozialer Gestaltung den in ihr sich zur Geltung bringenden Rechtsfolgewillen unmittelbar zu verwirklichen 29 , so ist die unmittelbare Rechtsübertragung erst recht eine Geltungserklärung in diesem Sinne. 26 Damit ist der Vorteil, der mit der Abstraktion des Rechtsgeschäfts und der Willenserklärung gewonnen wurde (nämlich einheitliche Grundelemente für alle Bereiche des bürgerlichen Rechts zu schaffen und damit das bürgerliche Recht zu systematisieren), erhalten und die damit gleichzeitig verbundene Gefahr (nämlich im Hinblick auf das abstrakte System die Eigenart des jeweiligen konkreten Geschäfts aus dem Auge zu verlieren) gebannt; vgl. dazu Flume, AT 11, § 2,5, S. 31 ff. 27 Auch beim Vermächtnis, wo gemäß § 2174 BGB ein schuldrechtlicher Anspruch des Vermächtnisnehmers gegen den Erben entsteht, verpflichtet sich der Erblasser zu nichts, sondern überträgt Rechtspositionen; nur die Verteilung unter den Bedachten wird hierdurch modifiziert. 28 Larenz, Festschr. G. Husserl, S. 132 (141). 29 So Larenz, AT, § 19 I, S. 334.

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H. Auslegungsgegenstand

Auch die in einem Testament enthaltene Willenserklärung ist somit eine Geltungserklärung in diesem Sinne. 30 Auch sie unterliegt daher bei der Bestimmung ihres Tatbestandes nicht dem Vertrauens schutz (weder positiv noch negativ in der Weise, daß bei fehlendem Vertrauensschutz, insbesondere bei der nicht empfangsbedürftigen Willenserklärung, der Tatbestand dann notwendig subjektiv zu bestimmen wäre), sondern allein der Privatautonomie des Erklärenden in ihrer Ausprägung von Selbstbestimmung und Selbstverantwortung; die Privatautonomie anderer Verkehrsteilnehmer wird allein durch das Sein oder Nichtsein einer letztwilligen Verfügung (ohne Rücksicht auf ihren Inhalt) genausowenig betroffen wie durch das Sein oder Nichtsein anderer Willenserklärungen auch. Das Verantwortungsprinzip (im Sinne der beschriebenen Selbstverantwortung) hat auch gegenüber der Selbstbestimmung bei der letztwilligen Verfügung denselben Stellenwert wie bei der empfangsbedürftigen, verpflichtenden Willenserklärung unter Lebenden. Auch ein Erblasser trägt zunächst das Risiko dafür, daß seine letztwillige Verfügung als solche von seiner Umwelt erkannt wird; und nur darauf, nicht auch schon auf den Inhalt bezieht sich der Tatbestand der Willenserklärung. Diese Selbstverantwortung gilt für die Verfügung von Todes wegen sogar eher in noch stärkerem Maße als für die Willenserklärung unter Lebenden, denn die Verfügung von Todes wegen ist gemäß ihrer Funktion, die Angelegenheiten des Erblassers nach seinem Tod zu ordnen, auf den Vollzug durch andere viel stärker angewiesen als die Willenserklärung unter Lebenden, deren Schicksal nach dem Erklärungsakt der Erklärende immer noch beobachten und gegebenenfalls fördern kann. Wegen dieses Stellenwerts der Selbstverantwortung gegenüber der Selbstbestimmung ist auch der Tatbestand der testamentarischen Verfügung unabhängig von einem inneren Willen objektiv-normativ zu bestimmen. Es stehen hier auch die erbrechtlichen Gesetzesvorschriften nicht entgegen. Das Zusammenspiel von freier Widerrufsmöglichkeit durch den Erblasser (§ 2253 ff. BGB) und erweiterter Anfechtung (§ 2078 ff. BGB), aber nicht durch den Erblasser, sondern durch andere, an der Errichtung des Geschäfts nicht beteiligte Personen (§ 2080 BGB) unter Ausschluß der Schadensersatzpflicht nach § 122 BGB (§ 2078 III BGB) beim Testament ist zwar ein Anzeichen dafür, daß der subjektive Erblasserwille und objektive Interessen wohl nach anderen Wertungsgesichtspunkten auszubalancieren sind als bei empfangsbedürftigen Rechtsgeschäften unter Lebenden. Dies betrifft aber allein die Zurechenbarkeitsund Auslegungsproblematik, läßt aber keine Rückschlüsse zu auf die Rechtsnatur und den Tatbestand der letztwilligen Verfügung; vielmehr setzen diese Vorschriften bereits eine letztwillige Verfügung voraus. Auch § 2084 BGB setzt eine letztwillige Verfügung bereits voraus, sagt also nur etwas aus über die Inhaltser30

So auch MK / Leipold § 2084 Rn. 1.

2. Die subjektiven Tatbestandsmerkmale

31

mittlung (die eigentliche Bewertungsfrage), nichts aber über den Tatbestand der letztwilligen Verfügung (also die Existenzfrage). So ist § 2084 BGB neben seinem direkten Anwendungsbereich nach der Rechtsprechung und herrschender Ansicht zwar entsprechend anzuwenden, wenn eine rechtsgeschäftliehe Erklärung des Erblassers zweifelsfrei feststeht, die rechtliche Natur aber zweifelhaft ist, z. B. ob eine letztwillige Verfügung oder eine Schenkung unter Lebenden gegeben ist 31 ; denn hier geht es nicht um die Existenz der Willenserklärung, sondern ihre rechtliche Einordnung. Dagegen ist § 2084 BGB nicht, auch nicht entsprechend, anwendbar, wenn Zweifel darüber bestehen, ob der Erblasser eine letztwillige Verfügung treffen oder nur einen unverbindlichen Wunsch äußern wollte 32, ebensowenig zu Abgrenzung von letztwilliger Verfügung und reinem Entwurf 33 ; denn in diesen Fällen geht es um die Existenzfrage, die § 2084 BGB nicht regelt, sondern voraussetzt. Auch der Tatbestand der letztwilligen Verfügung als Geltungserklärung ist somit objektiv zu bestimmen.

2. Die subjektiven Tatbestandsmerkmale Welches sind aber nun die einzelnen Merkmale, die nach dem Verständnis der Willenserklärung als Geltungserklärung den Tatbestand der Willenserklärung ausmachen? Streitig ist dabei nicht, daß jedenfalls irgendein äußeres Erklärungsverhalten vorliegen muß und ein innerer Wille 'allein nicht genügt. 1 Wenn in einem arbeits31 BGH, Vrt. v. 20.3.1952 IV ZR 153/51 = LM § 2084 BGB Nr. 3; BGH, Vrt. v. 1.6.1983 - IV a ZR 35/82 = NJW 1984,46 (48); BGH, Vrt. v. 11.1.1984 - IV a ZR 30/82 = FamRZ 1985, 693 (695); BayObLG, Besch!. v. 10.5.1960 - BReg. 1 Z 212/59 = BayObLGZ 1960, 192 (195); BayObLG, Beseh!. v. 14.12.1966 - BReg. 1 b Z 75/66 = BayObLGZ 1966, 408 (413); Soergel/Darnrau § 2084 Rn. 2; Pal/ Edenhofer § 2084 Anm. 3 b; RGRK / Johannsen § 2084 Rn. 28; Lange / Kuehinke § 33 II 1 e, S. 561; Jauemig / Stümer § 2084 Rn. 28. 32 BGH, Vrt. v. 8.6.1965 V ZR 78/63 = LM § 2084 Nr. 13; BayObLG, Beseh!. v. 26.2.1963 - BReg. 1 Z 72/62 = BayObLGZ 1963, 58; OLG Frankfurt, Besch!. v. 13.8.1970 - 6 W 239/70 = Rpfleger 1970, 392; KG, Beseh!. v. 12.2.1959 - 1 W 42/59 = JR 1959,223 = NJW 1959, 1441; Kipp/Coing § 21 Vb, S. 148; Pal/Edenhofer § 2084 Anm. 3c m. w. N.; Planck/Flad § 2084; Lange / Kuchinke § 33 II 1 b, S. 561. 33 BayObLG, Besch!. v. 26.2.1963 BReg. 1 Z 72/62 = BayObLGZ 1963,58; BayObLG, Besch!. v. 21. 7.1970 - BReg. 1 a Z 108/69 = BayObLGZ 1970, 173; OLG Frankfurt, Besch!. v. 13.8.1970 - 6 W 239/70 = Rpfleger 1970, 392; OLG Stuttgart, Beseh!. v. 11.2.1963 - 8 Wz/l963 = Rpfleger 1964,148; Lange/Kuchinke § 33 II 1 b, S. 561; Pal / Edenhofer § 2084 Anm. 3 d. 1 Brox, AT, Rn. 81; Staud / Dilcher vor § 116 Rn. 9; Soergel / Hefermehl vor § 116 Rn. 15; RGRK/Krüger-Nieland vor § 116 Rn. 1; Leipold JZ 1983, 711; Leipold, Festsehr. Müller-Freienfels, S. 421 ff. Auch die Rechtsprechung kann dahin verstanden werden, daß sie von einem erklärten, nieht von einem inneren Willen ausgeht; sie faßt lediglich den Erklärungstatbestand

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11. Auslegungsgegenstand

gerichtlichen Prozeß behauptet wird, der Arbeitgeber habe zum Arbeitnehmer gesagt, er solle sich zum Teufel scheren, und dies sei als fristlose Kündigung aufzufassen gewesen, dann ist in dem Prozeß zuerst festzustellen, ob diese Äußerung überhaupt gefallen ist, also ein äußerer Erklärungstatbestand vorliegt, bevor untersucht werden kann, ob darin eine Kündigung zu sehen ist. 2 Wenn ein Erblasser überhaupt kein Testament errichtet hat, greift gesetzliche Erbfolge ein, auch wenn der Erblasser subjektiv sehr detaillierte Vorstellungen von seiner Vermögensnachfolge hatte und diese im Prozeß auch dargelegt und bewiesen werden könnten. 3 Streitig sind vielmehr die subjektiven Tatbestandsmerkmale, also Handlungs-, Erklärungs- und Geschäftswille.

a) Der Handlungswille Unter dem Handlungswillen versteht man einen bewußten Willensakt, der auf die Vornahme eines äußeren Verhaltens gerichtet ist. 4 Vereinzelt wird ein subjektiver Handlungswille nicht als konstitutives Tatbestandselement der Willenserklärung angesehen, vielmehr der Handlungswille aus Verkehrsschutzgründen objektiv bestimmt; ein fehlender Handlungswille soll danach nur durch AnfechtungS beziehungsweise ein ,,rechtsgestaltendes Gegenrecht" 6 geltend zu machen sein. Bestimmt man aber den Tatbestand der Willenserklärung allein nach den ihr immanenten Strukturen, dann kann der Verkehrsschutz als äußeres Kriterium hier noch keine Rolle spielen. So wie der Vertrauens schutz des Empfängers die Privatautonomie des Adressaten der Willenserklärung schützt und daher bei der Bestimmung des Tatbestandes der Willenserklärung noch kein maßgebliches Kriterium sein kann, so schützt der Verkehrsschutz das Vertrauen der übrigen Verkehrsteilnehmer auf eine bestimmte Bedeutung der Willenserklärung, also letztlich die Privatautonomie der nicht unmittelbar beteiligten Verkehrsteilnehmer. Auch deren Privatautonomie ist aber allein durch die Tatsache, daß jemand in den Rechtsverkehr eintritt, noch nicht berührt; sie kann erst berührt sein durch die Art und Weise, in der jemand gestaltend in den Rechtsverkehr eingreift. Verkehrsschutz kann daher bei der Frage nach der Existenz der Willensnoch inhaltlich neutral und ermittelt, ausgehend von diesem Tatbestand, den Inhalt unabhängig von der Verkehrsbedeutung des Wortlauts, beim Testament nach einem subjektiven Maßstab (s. dazu unten genauer). 2 Köhler, AT, § 1611, S. 166. 3 Im Fall BGH, Besch\. v. 9.4.1981- IVa ZB 4/80 = BGHZ 80, 242 lag demgegenüber ein Testament vor. Zur Frage, ob auch jede Einzelverfügung als gesonderter Tatbestand aufzufassen ist (der dann gesondert erklärt werden müßte) oder nicht, s. u. 4 Erman/Brox vor § 116 Rn. 2; Staud 1Dilcher vor §§ 116-144, Rn. 16; Soergell Hefermehl vor § 116 Rn. 15; RGRK 1Krüger-Nieland vor § 116 Rn. 3; Wolf, Grundlagen, 67. S Jauemigl Jauemig vor § 116 Anm. 3a. 6 Brehmer JuS 1986,440 (443).

2. Die subjektiven Tatbestandsmerkmale

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erklärung noch nicht die Privatautonomie des Erklärenden einschränken, kann also noch kein maßgebliches Kriterium bei der Feststellung des Tatbestandes der Willenserklärung sein. 7 Damit stimmt die ganz überwiegende Auffassung überein, wonach für eine Willenserklärung auf jeden Fall ein Handlungswille erforderlich ist. 8 Nach allgemeiner Auffassung muß nämlich für eine Willenserklärung eine Handlung gegeben sein. Eine Handlung aber ist ein äußeres Verhalten, das in einem Tun oder Unterlassen bestehen kann und von einem natürlichen Willen getragen wird. 9 Auch die Theorie von der Willenserklärung als Geltungserklärung fordert diesen Handlungswillen, obwohl sie ansonsten den Tatbestand der Willenserklärung objektiv faßt. Das ist kein Widerspruch, denn Geltungsgrund für die Geltungserklärung ist ja die Privatautonomie, letztlich die Würde des Menschen; ohne einen Handlungswillen wäre die Willenserklärung gar nicht einem Menschen als menschliches Verhalten zurechenbar, kein Akt menschlicher Gestaltung, sondern blindes Zufallsereignis. Für ein Zufallsereignis kann auch keinem Menschen eine Selbstverantwortung auferlegt werden, so daß eine objektive Bestimmung des Handlungswillens auch aus diesem Grund ausscheidet. Keine Handlungen sind daher Reflexbewegungen oder durch vis absoluta erzwungenes Verhalten; sie können daher auch keine Willenserklärungen sein. \0 Letzteres ist auch bei Verfügungen von Todes wegen denkbar. Wenn ein Testament aufgrund unwiderstehlicher Gewalt (durch gewaltsames Führen der Hand) aufgesetzt wurde, fehlt es an einem konstitutiven Merkmal einer Willenserklärung. Keine Handlung und somit auch keine Willenserklärung ist auch die ErklärungsfaIschung. 11 In diesen Fällen scheidet daher nicht nur eine Auslegung, sondern auch eine Anfechtung oder eine Umdeutung aus. b) Das Erklärungsbewußtsein Sehr umstritten ist der Erklärungswille, d. h. das Bewußtsein des Handelnden, daß seine Handlung irgendeine rechtserhebliche Erklärung darstellt. 12 Die Vertreter der Ansicht, wonach ein subjektives Erklärungsbewußtsein als konstitutive Tatbestandsvoraussetzung der Willenserklärung anzusehen sei 13, so 7 Der Schutz des Rechtsverkehrs ist vielmehr einer der Zwecke der gesetzlichen Formvorschriften und daher bei der Formprüfung zu berücksichtigen; s. dazu unten. 8 Brox, AT, Rn. 82; Staud/ Dilcher vor § 116 Rn. 17; Soergel / Hefermehl vor § 116 Rn. 15; Wolf, Grundlagen, S. 67. 9 Bartholomeyczik, Festschr. Ficker, S. 51 ff.; Flume, AT 11, § 4,3, S. 47; Soergel/ Hefermehl vor § 116 Rn. 15; Hübner, AT, Rn. 326; Larenz, AT, § 19 I, S. 333. \0 Flume, AT 11, § 4, 2a, S. 46; Larenz, AT, § 19 I, S. 333. 11 Soergel / Hefermehl vor § 116 Rn. 16. 12 Erman/Brox vor § 116 Rn. 3; RGRK/Krüger-Nieland vor § 116 Rn. 4.

3 Stumpf

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11. Auslegungsgegenstand

daß bei seinem Fehlen Nichtigkeit (richtigerweise: eine nicht existente Willenserklärung) anzunehmen und allenfalls analog § 122 BGB oder aus culpa in contrahendo eine Haftung des Erklärenden auf Ersatz des Vertrauensschadens zu begründen sei, berufen sich dabei hauptsächlich auf folgende Argumente: -

Der Wortlaut des § 119 BGB setzte voraus, daß der Erklärende eine Erklärung dieses Inhalts nicht habe abgeben wollen, woraus zu schließen sei, daß immerhin eine Erklärung vorliegen müsse. Dieser Schluß ist aber nicht haltbar. Eine Erklärung dieses Inhalts hat man doch in zwei Fällen nicht abgeben wollen, nämlich wenn man eine Erklärung anderen Inhalts abgeben wollte, aber auch, wenn man gar keine Erklärung abgeben wollte. 14 § 119 BGB sagt vielmehr gar nicht, was unter einer anfechtbaren Willenserklärung zu verstehen sei; dieser Begriff wird dort vorausgesetzt, aber nicht definiert. 15

-

Weiterhin wird ein argumentum a minori ad maius aus § 118 BGB vorgetragen: Wenn schon bei einer bewußt abgegebenen Scherzerklärung, bei der sich der Erklärende lediglich über die Rechtserheblichkeit irrte, Nichtigkeit eintritt, müsse dies erst recht in den sonstigen Fällen fehlenden Erklärungsbewußtseins gelten; denn bei diesen seien die Zurechnungsfaktoren regelmäßig schwächer, und daher sei die Verschlechterung der Stellung des Irrenden (z. B. wegen § 119 I, 2. HS BGB oder wegen § 121 BGB) noch weniger gerechtfertigt als im Falle des § 118 BGB. 16 Dagegen wird vorgebracht, der Fall des § 118 BGB verhielte sich zum fehlenden Erklärungsbewußtsein nicht wie das Größere zum Kleineren, vielmehr seien die beiden Dinge unvergleichbar; im Fall des § 118 BGB habe der Erklärende im Unterschied zum mangelnden Erklärungsbewußtsein die Nichtgeltung seiner Erklärung gewollt; es bestehe daher von vornherein kein Anlaß, ihm ein Wahlrecht zwischen Anfechtung unnd Aufrechterhaltung des Geschäfts zu geben. 17 Hieran ist richtig, daß der Streit um das Erklärungsbewußtsein die Fälle des unbewußt fehlenden Erklärungsbewußtseins zum Inhalt hat, während § 118 BGB einen Fall des bewußt fehlenden Erklärungsbewußtseins regelt. 18

I3 Canaris, Vertrauenshaftung, § 34 I 6, S.427; Staud/ Coing, Einl. zu § 104 ff. Rn. 21; Staud/Dilcher vor § 116 Rn. 18, 27, 80, 83; Fabricius JuS 1966, I (8); Frotz S. 429 ff.; Hübner,AT,Rn. 388; ThieleJZ 1969,405 (407); Wieacker JZ 1967,385 (388). 14 Bartholomeyczik, Festsehr. Ficker, S. 73 f.; Bydlinski JZ 1975, 1 (2); MK / Kramer § 119 Rn. 82. 15 Soergel / Hefermehl vor § 116 Rn. 13; MK / Kramer § 119 Rn. 82. 16 Canaris, Vertrauenshaftung, § 44 11 4, S. 550. 17 Bydlinski JZ 1975, 1 (3); Flume, AT 11, § 20, 3, S. 414; Jauemig / Jauemig vor § 116 Anm. 3b; Köhler, AT, § 14 III 3, S. 130; MK/Kramer § 118 Rn. 9; Larenz, AT, § 19 III, S. 356 f.; Medicus, BR, Rn. 130.

2. Die subjektiven Tatbestandsmerkmale

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Andererseits zeigt die Tatsache, daß gerade das Argument aus § 118 BGB seit Jahrzehnten heiß umkämpft wird 19, daß mit der gesetzlichen Regelung hier vielleicht besser überhaupt nicht argumentiert werden sollte. Zum einen unterscheidet das Gesetz bei den Willensmängeln überhaupt nicht zwischen Erklärungs- und Geschäftswillen; zum anderen ist die Regelung der §§ 116118 BGB nicht nur mit den allgemeinen Grundlagen zu Geltung und Tatbestand der Willensmängel nicht abgestimmt, sondern weist auch in sich Wertungswidersprüche auf. 20 -

Vor allem aber werden prinzipielle Bedenken vorgetragen, wonach, wenn das Erklärungsbewußtsein fehle, keine privatautonome Gestaltung in Selbstbestimmung vorliege. Der Gedanke der Selbstverantwortung, mit dem die Gegenansicht operiere, könne fehlende Selbstbestimmung nicht ersetzen, sondern nur eine vorhandene, wenn auch fehlerhafte Selbstbestimmung ergänzen, solange man sich innerhalb des Bereichs der privatautonomen Selbstbindung und damit der Rechtsgeschäftslehre bewege. Daher sei das Problem des mangelnden Erklärungsbewußtseins nicht in die Rechtsgeschäftslehre, sonddem in die Rechtsscheinslehre einzuordnen. 21 Hier schlägt letztlich die alte Willenstheorie wieder durch, wonach die rechtsgeschäftliche Willenserklärung nichts anderes sein sollte als die Verlautbarung des inneren Willens des Erklärenden; fehlendes Erklärungsbewußtsein, d. h. ein unzureichender Wille, muß dann in der Tat den Tatbestand der Willenserklärung entfallen lassen (und die Frage der Zurechenbarkeit kann sich nach diesem Konzept dann gar nicht mehr stellen).

18 Medicus, AT, Rn. 591 meint demgegenüber, in den Fällen der §§ 116-118 BGB wisse der Erklärende, daß das Erklärte nach allgemeinem Verständnis als im Rechtsverkehr erheblich erscheint, er wolle aber die Nichtgeltung; er habe daher Erklärungsbewußtsein, aber verbunden mit einem Willensvorbehalt. Dies setzt jedoch einen weiteren Begriff des Erklärungsbewußtseins voraus, als er üblicherweise vertreten wird. Hier wird als Erklärungsbewußtsein angesehen nicht die Kenntnis, daß ein bestimmtes Verhalten nach allgemeinem Verständnis im Verkehr als erheblich angesehen wird, sondern die Kenntnis, daß die Erklärung im konkreten Fall eine rechtliche Bindung erzeugt (bzw. der auf eine rechtliche Bindung der konkreten Erklärung gerichtete Wille). Wie hier BGH, Urt. v. 24.1.1980 - III ZR 169/78 = NJW 1980, 1572 (1573); Soergel/Hefermehl vor § 116 Rn. 12; Köhler, AT, § 14 III 2, S. 128. Zum Teil werden die §§ 116-118 BGB auch als Fälle des bewußten Mangels des Geschäftswillens, nicht des Erklärungsbewußtseins, angesehen, vgl. z. B. Erman / Brox vor § 116 Rn. 16-18; Soergel / Hefermehl vor § 116 Rn. 50 ff.; Pal / Heinrichs vor § 116 Anm.4c. Allerdings geht es in den §§ 116- 118 BGB weniger um den Inhalt als um die rechtliche Bindungswirkung der Erklärung; für die Frage, ob (nicht: mit welchem Inhalt) ein Geschäftswille besteht, sind aber Erklärungsbewußtsein und Geschäftswille ohnehin gleichzubehandeln; insoweit richtig Soergel / Hefermehl vor § 116 Rn. 13. Wie hier wohl Staud / Otte vor §§ 2064 - 2086 Rn. 12 ff. 19 Vgl. in letzter Zeit Canaris NJW 1984, 2281. 20 Soergel/Hefermehl§ 116Rn.2;Köhler,AT,§ 14II2,S.126;MK/Kramer§ 116 Rn. 12; Larenz, AT, § 20 I a, S. 364. 21 Canaris, Vertrauenshaftung, § 34 I 6, S. 427 f.

3*

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H. Auslegungsgegenstand

Die Frage, ob das Prinzip der Selbstbestimmung ein positives Erklärungsbewußtsein fordert, hängt also letztlich davon ab, wie strenge Anforderungen an eine selbstbestimmte Rechtsgestaltung angelegt werden, wie eng also die selbstbestimmte Rechtsgestaltung definiert wird. Zwischen selbstbestimmtem und nicht selbstbestimmtem Verhalten besteht also keine scharfe Grenze, sondern ein fließender Übergang; denn gerade die gesetzlichen Vorschriften über die Willensmängel zeigen ja, daß auch willensfehlerhafte Akte nach der Wertung des Gesetzes noch als privatautonom - selbstbestimmt - wirksam gesetzte Akte angesehen werden; der Streit um das Erklärungsbewußtsein ist daher nur ein graduelles Problem. 22 Der Idealfall der selbstbestimmten Willenserklärung ist sicher zu sehen in dem hinsichtlich Rechtsgeltung und inhaltlicher Ausgestaltung finalen Akt, bei dem die faktische Zielrichtung in jeder Hinsicht mit der Absicht des Erklärenden übereinstimmt. Im alltäglichen Rechtsleben ist sicher dieser Idealfall auch der zahlenmäßige Regelfall. Man kann hier von einem Volltatbestand der Willenserklärung sprechen. Der Streit entzündet sich erst an der Frage, ob dieser ideale Tatbestand auch der abschließende und einzige Tatbestand selbstbestimmter Gestaltung sein soll 23 , oder ob nicht vielmehr Selbstbestimmung auch dann noch gegeben ist, wenn ein bewußter und gewollter (insofern also durchaus selbstbestimmter) Akt vorliegt, der in seiner Rechtsgeltung oder inhaltlichen Zielrichtung dann aber von der Absicht des Erklärenden abweicht. Man kann hier von einem Mindesttatbestand der Willenserklärung sprechen 24, der ebenfalls privatautonome Rechtsgestaltung verwirklicht und lediglich nicht dieselbe Bestandskraft hat wie der VOlltatbestand, weil der Willensmangel zur Anfechtung und damit zur Vernichtung der Willenserklärung führen kann. 25 -

Daß die selbstbestimmte Gestaltung des Rechts durch die Bürger als solche institutionell nicht gefährdet ist, wenn an die Selbstbestimmung geringere als die idealen Anforderungen gestellt werden, zeigt bereits die Tatsache, daß die allermeisten Willenserklärungen gar keine Willensmängel aufweisen, also die Selbstbestimmung im Rechtsalltag recht reibungslos funktioniert.

-

Auch in den wenigen Grenzfallen, in denen das Erklärungsbewußtsein fehlt, wird allerdings der individuellen Selbstbestimmung des Erklärenden letztlich besser Rechnung getragen, wenn ein positives Erklärungsbewußtsein für eine selbstbestimmte Handlung nicht gefordert wird. Denn in diesem Fall kann dennoch von einer existenten Willenserklärung ausgegangen werden, sofern

22 Noch weitergehend nur für eine Frage terminologischer Opportunität Brox, Irrtumsanfechtung, S. 47; MKI Kramervor § 116 Rn. 18; Kramer, Grundfragen, S. 146m. w. N. 23 SO Z. B. Staud I Dilcher vor §§ 116-144 Rn. 26. 24 MK/Kramer vor § 116 Rn. 17; Pawlowski, AT, Rn. 446. 25 SO Z. B. MK/Kramer vor § 116 Rn. 17.

2. Die subjektiven Tatbestandsmerkmale

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der Erklärende mit der Rechtsverbindlichkeit seines Aktes rechnen konnte und mußte (ihm dieser Akt also zurechenbar ist; insoweit wird daher auch auf der Ebene des Erklärungsbewußtseins die Selbstbestimmung berücksichtigt); der Erklärende behält aber (womit wiederum seiner Selbstbestimmung Rechnung getragen wird) über die Anfechtungsmöglichkeit die Entscheidungsfreiheit darüber, ob er die Geltung will oder nicht. 26 Nach der Gegenansicht wäre demgegenüber der Akt ein juristisches Nichts, die daraus resultierende Rechtsscheinshaftung könnte keinesfalls mehr die mit dem Geschäft eigentlich verbundenen Folgen, sondern allenfalls eine Schadensersatzpflicht des Erklärenden auslösen; obwohl doch sehr zweifelhaft ist, ob dies der Erklärende gewollt hätte, wenn ihm die Situation klar gewesen wäre. In vielen Fällen wird doch dem Willen des Erklärenden bei Erklärungsabgabe (oder einem realen nachträglichen Willen) viel eher die Aufrechterhaltung und Durchführung des Geschäfts entsprechen. Für eine Berücksichtigung eines solchen Willens über die Anfechtungsmöglichkeit ist aber kein Raum mehr, wenn man bei fehlendem Erklärungsbewußtsein bereits den Tatbestand der Willenserklärung verneint, auch eine Umdeutung ist nicht möglich. Der Weg über die Rechtsscheinshaftung erweist sich also als ein recht unflexibles Instrument gegenüber dem ursprünglichen und nachträglichen wirklichen Willen des Erklärenden, worin sich aber doch gerade die Selbstbestimmung des Erklärenden auch ausdrückt (während der wirkliche Wille des Erklärenden im Zeitpunkt der Erklärungsabgabe nach der Gegenansicht immerhin über die Anfechtung Beachtung findet). Demnach scheint die Selbstbestimmung des Erklärenden besser verwirklicht zu werden, wenn ein positives Erklärungsbewußtsein für den Erklärungstatbestand nicht gefordert wird. -

Auch in diesem Fall ist außerdem ein selbstbestimmter Akt in der Erklärungshandlung durchaus vorhanden, die ja einen Handlungswillen voraussetzt. Dieser Handlungswille ist in der Tat unverzichtbar, wenn eine selbstbestimmte Handlung vorliegen soll.

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Nach der hier vertretenen Ansicht soll die Selbstverantwortung die Selbstbestimmung daher auch nicht ersetzen, sondern in der Tat nur ergänzen. Die Willenserklärung baut nicht nur auf dem Gedanken der Selbstbestimmung, sondern auch auf dem Gedanken der Selbstverantwortung auf. Diese Selbstverantwortung ist auch nicht Ausfluß eines Vertrauensschutzes, sondern notwendiger unmittelbarer Bestandteil der Privatautonomie. Weil es hier nicht

26 Die Anfechtungsrisiken sind nicht größer als bei den auf den Geschäftswillen, also auf den Inhalt bezogenen Willensmängeln gemäß § 119 ff. BGB auch, obwohl dort zweifelsfrei ein selbstbestimmter Erklärungsakt und somit eine existente Willenserklärung vorausgesetzt wird. Die konkrete Kritik von Canaris NJW 1984, 2281, keine zu übermäßigen Anforderungen an die Anfechtungserklärung zu stellen, erscheint aber berechtigt.

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11. Auslegungsgegenstand

um das Vertrauensprinzip, also Fremdverantwortung geht, sondern um das Verantwortungsprinzip als Selbstverantwortung, ist der Fall des fehlenden Erklärungsbewußtseins daher auch richtig im Bereich der Rechtsgeschäftslehre (und nicht in einer Rechtsscheinslehre) angesiedelt. Wer ohne Erklärungsbewußtsein eine Geltungserklärung abgegeben hat, haftet daher nicht wegen des Setzens eines Vertrauenstatbestandes auf Ersatz eines Vertrauensschadens; vielmehr ist er wegen des Prinzips der privatautonomen Selbstverantwortung zunächst auch an die von ihm in die Welt gesetzten Rechtsfolgen gebunden, deren er sich zunächst nicht bewußt ist, die er aber verursacht hat. Das Prinzip der Selbstbestimmung ist dadurch gewährleistet, daß ihm der Erklärungsakt zurechenbar sein muß, außerdem dadurch, daß er die von ihm verursachten Rechtsfolgen durch Anfechtung vernichten kann. 27 Die Anknüpfung an das Verantwortungs- statt an das Vertrauensprinzip bei der Bestimmung des Tatbestandes der Willenserklärung hat auch praktische Konsequenzen: Wer ein Erklärungsbewußtsein nur aus Vertrauensschutzgründen nicht für ein konstitutives Tatbestandsmerkmal der Willenserklärung hält, muß umgekehrt ein Erklärungsbewußtsein fordern in den Fällen, in denen ein Vertrauensschutz nicht geboten ist. Folgerichtig wird zum Teil auch gesagt, der Tatbestand einer Willenserklärung sei ausgeschlossen, wenn der Empfänger das Fehlen eines Erklärungsbewußtseins kannte; ebenso sei im Fall fehlenden Erklärungsbewußtseins bei nicht empfangsbedürftigen Willenserklärungen der Tatbestand einer Willenserklärung nicht gegeben. 28 Hier tritt faktisch die alte Erklärungstheorie wieder zum Vorschein. Nach der Erklärungstheorie setzt der Erklärende einen Vertrauenstatbestand im Rechtsverkehr und insbesondere gegenüber seinem Geschäftspartner; Zurechnungsgrund ist danach also das Vertrauensprinzip. 29 Demnach wäre die Erklärung dem Erklärenden auch bei fehlendem Erklärungsbewußtsein nur dann zuzurechnen, wenn er einen Vertrauenstatbestand gesetzt, also Vertrauen erweckt hat. Eine reinrassige Erklärungstheorie muß die Zurechnung demnach nach dem subjektiven Verständnis des konkreten Empfängers bestimmen; außerdem muß in Fällen, in denen kein Vertrauen erweckt werden kann, eine Zurechnung ausscheiden. 27 Ebenso BGH, Urt. v. 7.6.1984 IX ZR 66/83 = BGHZ 91, 324 = BB 1984, 1317 = JR 1985, 12 = JZ 1984,984 = NJW 1984,2279 = WM 1984, 1018; Soergel/ Hefermehl vor § 116 Rn. 12 ff.; MK / Kramer vor § 116 Rn. 17. 28 Vgl. z. B. Gudian AcP 169,232; Pal/ Heinrichs vor § 116 Anm. 4b. 29 Für eine Anknüpfung an Vertrauensschutzgesichtspunkte trotz Bekenntnisses zur Geltungstheorie BGH, Urt. v. 7.6.1984 - IX ZR 66/83 = BGHZ 91, 324 = BB 1984, 1317 = JR 1985, 12 = JZ 1984,984 = NJW 1984,2279 = WM 1984, 1018; Brehmer JuS 1986,440 (442); Bydlinski, Privatautonomie, S. 162 (172 ff.); Bydlinski JZ 1975, 1(5); Pal/Heinrichs vor § 116 Anm.4b; Kramer, Grundfragen, S.170; MK/Kramer § 119 Rn. 83.

2. Die subjektiven Tatbestandsmerkmale

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Nach der Theorie von der Willenserklärung als Geltungserklärung ist demgegenüber Grund der Bindung allein die Freiheit und Verantwortung, also die Privatautonomie, des Erklärenden. Vertrauensschutz ist demgegenüber nichts anderes als Verantwortung des Erklärenden gegenüber der Privatautonomie des Erklärungsempfängers; diese ist aber bei der Frage nach dem "Ob" der Willenserklärung noch gar nicht berührt. 30 Daher kommt es auch für die Frage des Erklärungsbewußtseins noch nicht auf einen Vertrauenstatbestand an. Vielmehr ist auch in den Fällen, in denen ein Vertrauensschutz nicht eingreift (also insbesondere, wenn der Empfänger das Fehlen des Erklärungsbewußtseins kennt, und bei der nicht empfangsbedürftigen Willenserklärung) aus Gründen der Selbstverantwortung ein positives Erklärungsbewußtsein als konstitutive Tatbestandsvoraussetzung der Willenserklärung nicht zu fordern. Die Zurechenbarkeit, die der Selbstbestimmung des Erklärenden wieder zu ihrem Recht verhilft, bestimmt sich folgerichtig auch nur aus der Sicht des Erklärenden. Diese Gesichtspunkte sprechen dafür, die Existenz einer Willenserklärung nicht vom Vorliegen eines Erklärungsbewußtseins abhängig zu machen, und zwar ohne Unterschied, ob es sich um eine ausdrückliche oder konkludente Willenserklärung handelt und ohne Unterschied, ob ein Vertrauenstatbestand besteht oder nicht. Nach der überwiegenden neueren Lehre 31 kann daher sowohl bei ausdrücklichen als auch bei konkludenten Willenserklärungen mangelndes Erklärungsbewußtsein nicht dazu führen, dem Verhalten, sofern es zurechenbar ist, den Charakter der Willenserklärung zu nehmen. Mangelndes Erklärungsbewußtsein berechtigt aber genau wie der Erklärungsirrtum nach § 119 I BGB zur Anfechtung. In der Rechtsprechung war die Frage, ob ein Erklärungsbewußtsein zum Tatbestand der Willenserklärung gehört, lange Zeit offengelassen worden. 32 Mitunter wurde auch gesagt, Kernstück des objektiven Erklärungstatbestandes sei der auf eine bestimmte Rechtsfolge gerichtete Wille des Erklärenden, der sogenannte Rechtsfolgewille. 33 Gleichzeitig wurde aber betont, daß entscheidend jedenfalls nicht ein verborgen gebliebener innerer Wille des Erklärenden sei, sondern es darauf ankomme, wie der Erklärungsgegner nach Treu und Glauben und unter S. o. Brox, Irrtumsanfechtung, S. 50ff.; Brox, AT, Rn. 135; Erman/Brox vor § 116 Rn. 3; Bydlinski JZ 1975, 1; v. Craushaar AcP 174,6; Emmerich JuS 1984,971; Flume, AT II, § 20,3, S. 414 f.; Gudian AcP 169, 232; Soergel / Hefermehl vor § 116 Rn. 13; Jauernig / Jauernig vor § 116 Rn. 3; Köhler, AT, § 14 II 2, S. 126; Kramer, Grundfragen, S. 169 ff.; MK/Kramer vor § 116 Rn. 17; § 119 Rn. 78 ff.; Kramer Jura 1984, 235 (239); Larenz, Auslegung, S. 82 ff.; Larenz, AT, § 19 III, S. 357. 32 BGH, Urt. v. 20. 10. 1952-IVZR44/52=NJW 1953,58; BGH, Urt. v. 11.7.1968 - II ZR 157/65 = NJW 1968,2102. 33 BGH, Urt. v. 22.6.1956 I ZR 198/54 = BGHZ 21, 102 (106 f.); BGH, Urt. v. 17.5.1971 - VII ZR 146/69 = BGHZ 56, 204 (210). 30 31

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11. Auslegungsgegenstand

Berücksichtigung aller Begleitumstände die Äußerung verstehen durfte. 34 In neuerer Zeit wurde ausdrücklich eine Willenserklärung auch bei fehlendem Erklärungsbewußtsein bejaht, wenn sie als solche dem Erklärenden zugerechnet werden kann. 35 Damit hat die im Schrifttum herrschende Lehre sich auch auf seiten der Rechtsprechung durchgesetzt. 36 c) Die Zurechenbarkeit bei fehlendem subjektiven

Erklärungsbewußtsein

Das einschränkende Erfordernis der Zurechenbarkeit hat die Aufgabe, die Verbindung zwischen Erklärung und Erklärendem wieder herzustellen, die durch die objektive Bestimmung des Tatbestandes der Willenserklärung durch den Verzicht auf das Erklärungsbewußtsein als konstitutives Tatbestandselement unterbrochen worden war. Die Zurechenbarkeit soll begründen, warum den Erklärenden die Rechtsfolgen seiner Erklärung treffen, und damit gegenüber der Selbstverantwortung die Selbstbestimmung des Erklärenden einbeziehen. aa) Anwendungsbereich der Zurechenbarkeit Hier wird allerdings meist auf das Risiko einer vertraglichen Bindung hingewiesen, die Zurechenbarkeit also als ein Mittel zum Schutz des Erklärenden vor ungewollter vertraglicher Bindung angesehen. Es ginge zu weit, jemandem das Risiko aufzubürden, daß sein Verhalten von anderen als eine Willenserklärung gedeutet wird, wenn er selbst mit dieser Deutung überhaupt nicht rechnen konnte; so wird begründet, daß die Willenserklärung im Fall fehlenden Erklärungsbewußtseins dem Erklärenden zurechenbar sein müsse. 37 Hier wird jedoch die Funktion der Zurechenbarkeit unnötig eingeengt. Das Problem der Geltung der Willenserklärung kann sich nämlich auch dann stellen, 34 BGH, Urt. v. 22.6.1956 1 ZR 198/54 = BGHZ 21, 102 = NJW 1956, 1313; BGH, Urt. v. 14.3.1963 - VII ZR 257/61 = LM § 150 BGB Nr.6; BGH, Urt. v. 17.5.1971 - VII ZR 146/69 = BGHZ 56, 204 (210); BGH, Urt. v. 23.2.1976 - II ZR 177/74 = LM § 182 BGB Nr. 9 = WM 1976,448; BAG, Urt. v. 5.2.1971 3 AZR 28/70 = NJW 1971, 1422; BAG, Urt. v. 2.3.1973 - 3 AZR 325/72 = DB 1973, 1129. 35 BGH, Urt. v. 7.6.1984 IX ZR 66/83 = BGHZ 91, 324 = BB 1984, 1317 = JR 1985, 12 = JZ 1984, 984 = NJW 1984, 2279 = WM 1984, 1018; a. A. noch OLG Düsseldorf, Urt. v. 1.2.1982 - 5 U 150/81 = OLGZ 1982, 240 (allerdings in einem Fall, in dem schon der objektive Erklärungstatbestand fehlte). 36 Die Befürchtung der Gegenansicht, die Anfechtbarkeit könne für die Rechtsprechung allzuleicht zum Vehikel werden, einer Partei eine rechtsgeschäftliche Bindung zu imputieren, an die sie nicht gedacht hat (vgl. Canaris NJW 1984, 2281 f.), kann, worauf Canaris a. a. o. selbst hingewiesen hat, gebannt werden, wenn man die objektive Seite des Tatbestandes der Willenserklärung sehr präzise faßt sowie keine übermäßigen Anforderungen an die Anfechtungserklärung stellt, die ja wie jede andere Willenserklärung der Auslegung zugänglich ist. 37 Larenz, AT, § 19 III, S. 356.

2. Die subjektiven Tatbestandsmerkmale

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wenn die Erklärung keine vertragliche Bindung nach sich zieht; Beispiel ist auch hier wieder das Testament. Auch bei einem Testament, das bei objektiver Betrachtung eine letztwillige Verfügung enthält, aber ohne Erklärungsbewußtsein abgegeben wurde (z. B. in einem Brieftestament), stellt sich die Frage, ob und warum es etwa dennoch gelten soll, auch wenn die Gefahr einer ungewollten vertraglichen Bindung für den Erblasser hier nicht besteht. Hier kann die Geltung eines solchen Testaments (bei grundsätzlicher Bejahung der Selbstverantwortung auch beim Testament, s.o.) nur bei Zurechenbarkeit ihre Berechtigung in der Privatautonomie des Erblassers haben. Die Frage nach der Zurechenbarkeit der Willenserklärung, als Frage nach dem Geltungsgrund, ist daher umfassender für alle Willenserklärungen, ausdrückliche und konkludente, empfangsbedürftige und nicht empfangsbedürftige, gleichermaßen zu stellen. bb) Erfordernis der Zurechenbarkeit Vereinzelt wird das Erfordernis der Zurechenbarkeit grundsätzlich bestritten. 38 Der Tatbestand der Willenserklärung abstrahiere vom wirklichen Willen; das Gesetz trage dem Primat des Willens dadurch Rechnung, daß es jede Erklärung, die eine rechtliche Regelung enthalte, als willens getragen behandele. Den Ausnahmefall eines unzureichenden Willens könne der Erklärende durch ein Gegenrecht entsprechend der Anfechtung geltend machen. Im Grunde liegt auch hier nur ein gradueller Unterschied zur herrschenden Ansicht, nur in der anderen Richtung: Während die Ansicht, die ein positives Erklärungsbewußtsein forderte, die Selbstbestimmung des Erklärenden nur bei einem auch hinsichtlich der Rechtsgeltung finalen Akt als gewahrt ansah, während die herrschende Ansicht demgegenüber die Selbstbestimmung des Erklärenden gewahrt sah, wenn sich die Finalität auf die Handlung bezog und der Erklärende mit der Rechtsgeltung rechnen konnte und mußte (mit der Möglichkeit der Anfechtung bei fehlendem Erklärungsbewußtsein), sieht nunmehr die Ansicht, die eine Zurechenbarkeit nicht fordert, die Selbstbestimmung bereits bei vollkommen normativer Bestimmung des Tatbestandes der Willenserklärung allein durch die Anfechtungsmöglichkeit als gewahrt an. 39 38 Brehmer JuS 1986,440. Die dort für eine prinzipielle Ablehnung der Zurechenbarkeit in Anspruch Genommenen, Soergel / Hefermehl vor § 116 Rn. 12 ff., Rn. 49; Jauernig / Jauernig vor § 116 Anm. 3b; Kellmann JuS 1971,612 wenden sich aber allenfalls gegen eine subjektive Ausprägung der Zurechnung. 39 Da von den Vertretern dieser Ansicht ein positiver Handlungswille ebenfalls nicht gefordert wird. Dazwischen wäre noch denkbar die Variante, das Selbstbestimmungsrecht des Erklärenden als erfüllt anzusehen durch positiven Handlungswillen und Anfechtbarkeit im Fall fehlenden Erklärungsbewußtseins ohne das Erfordernis einer Zurechnung. Allerdings wäre diese Variante, wenn sie überhaupt auf das Verantwortungsprinzip gestützt werden kann (Vertrauensschutz oder Verkehrsschutz scheiden als objektive Kriterien auf der

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11. Auslegungsgegenstand

Diese Auffassung wird aber der Willenserklärung als Geltungserklärung nicht gerecht, sie geht vielmehr nur noch von der Fiktion einer Willenserklärung aus. Sieht man die Willenserklärung als Instrument privatautonomer Gestaltung an, dann muß auch jede einzelne Willenserklärung auf Selbstbestimmung und Selbstverantwortung beruhen, nicht nur die Idee der Willenserklärung "an sich". Mit derselben Berechtigung könnte ansonsten gesagt werden, z. B. beim Verzug des Schuldners gehe das Gesetz davon aus, daß die Leistung nicht rechtzeitig erbracht sei; den Ausnahmefall, daß die Leistung doch erbracht worden sei, könne der Schuldner ja durch ein Gegenrecht geltend machen. An diesem Beispiel zeigt sich, daß mit derlei Fiktionen nicht nur die Behauptungs- und Beweislast, sondern hier sogar die Last eines aktiv Tätigwerdens beliebig verschoben werden kann - ein Umstand, der dazu zwingen sollte, mit nicht ausdrücklich im Gesetz vorgesehenen Fiktionen sparsam umzugehen. Wird überdies eine Zurechenbarkeit grundsätzlich nicht gefordert, dann entfallt damit gleichzeitig die Begründung der objektiven Tatbestandsermittlung aus dem Verantwortungsprinzip. Die "objektive" Auffassung rechnet jede Erklärung, die den Eindruck einer rechtsgeschäftlichen Regelung erweckt, zunächst dem Erklärenden zu und überläßt ihm das volle Risiko, sich von der Erklärung wieder zu lösen. Die herrschende Ansicht rechnet die Erklärung dem Erklärenden nur zu, wenn er dafür auch verantwortlich war (also entweder Erklärungsbewußtsein, sozusagen "Erklärungsvorsatz" , hatte, oder doch zumindest damit rechnen mußte, daß sein Verhalten als Rechtsgeschäft aufgefaßt werden würde, ,,Erklärungsfahrlässigkeit"); nur in diesem Fall trägt er die Last, sich gegebenenfalls von seiner Erklärung wieder durch Anfechtung lösen zu müssen. Ist er dagegen für die Erklärung nicht verantwortlich, dann fehlt es am Tatbestand der Willenserklärung, sie kann von vornherein keine Geltung entfalten. Die Gegenauffassung muß, da sie die Verantwortlichkeit als Grund objektiv-normativer Tatbestandsbestimmung gerade ablehnt, demgegenüber auf den Verkehrsschutz als Begründung für einen objektiv zu fassenden Tatbestand zurückgreifen. Es wurde aber bereits gezeigt, daß der Verkehrsschutz als nicht strukturimmanentes Kriterium bei der Tatbestandsbestimmung noch keine Rolle spielen kann. Damit darf auf das Erfordernis der Zurechenbarkeit zugunsten eines rein objektiven Verständnisses von der Willenserklärung mithilfe von Fiktionen nicht verzichtet werden. 40 Der privatautonome Ausgleich zwischen Selbstbestimmung und Selbstverantwortung erfolgt also dadurch, daß aufgrund der Selbstverantwortung der Tatbestand der Willenserklärung grundsätzlich objektiv bestimmt wird, dies aber nur, Tatbestandsebene ohnehin aus), wegen einer Überbetonung der Selbstverantwortung gegenüber der Selbstbestimmung wohhl abzulehnen. 40 Im übrigen richtet sich die Kritik gegen eine Zurechnung der Willenserklärung hauptsächlich gegen eine subjektive Zurechnung, der gegenüber eine objektive Auffassung propagiert wird; ihre eigentliche Bedeutung hat diese Kritik daher bei der Frage des Zurechnungsmaßstabs.

2. Die subjektiven Tatbestandsmerkma!e

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wenn dem Erklärenden die Willenserklärung auch zuzurechnen ist, wodurch (außer durch die Anfechtung) die Selbstbestimmung gewährleistet wird. cc) Der Zurechnungsmaßstab Verantwortlichkeit wiederum wird im Zivilrecht grundsätzlich nach dem Maßstab von Vorsatz und Fahrlässigkeit gemessen, vgl. § 276 I BGB. Dem "Erklärungsvorsatz", d. h. dem Wisssen und Wollen des Erfolgs der rechts geschäftlichen Erklärung 41 , würde also das Erklärungsbewußtsein entsprechen. "Erklärungsfahrlässigkeit" würde die Außerachtlassung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt bedeuten. 42 Nach dem Gesetz würde also ein objektiver Sorgfaltsmaßstab gelten; Grund hierfür ist im Rahmen des § 276 I BGB das Prinzip des Vertrauensschutzes. 43 Auf den Vertrauens schutz kommt es aber bei der Frage nach der Geltung der Willenserklärung nicht an, s. o. Dennoch ist auch eine Willenserklärung dem Erklärenden nicht nach subjektivem Verschulden zuzurechnen. Da Geltungsgrund der Willenserklärung die die Würde des Menschen mit ausmachende Fähigkeit zu Selbstbestimmung und Selbstverantwortung darstellt, aber die individuelle Fähigkeit zu Selbstbestimmung und Selbstverantwortung bei den einzelnen Menschen unterschiedlich stark ausgeprägt ist, andererseits aber die Geltung der Willenserklärung als sozialer Gestaltungsakt nicht von der sittlichen Potenz des Erklärenden im Einzelfall abhängen kann, kann die Zurechnung der Willenserklärung nur nach einem objektiv-normativen Maßstab erfolgen. Zurechenbarkeit setzt daher voraus, daß der Erklärende bei Anwendung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt hätte erkennen und vermeiden können, daß seine Erklärung oder sein Verhalten nach Treu und Glauben und mit Rücksicht auf die Verkehrssitte als Willenserklärung aufgefaßt werden durfte. 44 Dabei ist also nicht auf ein subjektives Empfängerverständnis abzustellen, weil es auf Vertrauensschutzgesichtspunkte nicht ankommt, s. o. Entscheidend ist aber auch nicht das objektivnormative Verständnis des Empfängers, es ist also nicht danach zu fragen, ob die Erklärung für den Erklärenden erkennbar und vermeidbar vom Empfänger 41 Zur Definition des Vorsatzes vgl. z. B. MK/Hanau § 276 Rn. 49; Pal/Heinrichs § 276 Anm. 3 a; Staud / Löwisch § 276 Rn. 12, im Anschluß an Mot. I, 280. 42 Vgl. § 276 I 2 BGB, der für das gesamte Zivilrecht gilt, BGH, Urt. v. 23.12.1953 - VI ZR 166/52 =LM § 276 BGB (Be) Nr. 2; RGRK / Alff § 276 Rn. 2; Pa! / Heinrichs § 276 Anm. 1 b; Jauernig / Vollkommer § 276 Anm. 2b. 43 BGH, Urt. v. 7.7.1980 II ZR 199/79 = NJW 1980,2464 (2465). MK / Hanau § 276 Rn. 78; Pal / Heinrichs § 276 Anm. 4 B a; Staud / Löwisch § 276 Rn. 16. 44 Ganz h. M., vgl. z. B. BGH, Urt. v. 22.6.1956 I ZR 198/54 = BGHZ 21, 102 = NJW 1956, 1313; BGH, Urt. v. 7.6.1984 - IX ZR 66/83 = BGHZ 91,324 = BB

1984, 1317 = JR 1985, 12 = JZ 1984, 984 = NJW 1984, 2279 = WM 1984, 1013; Ahrens JZ 1984,986 (987); Brox, Irrtumsanfechtung, S. 50 ff.; Erman / Brox vor § 116 Rn. 3; Bydlinski JZ 1975, 1; Gudian AcP 169,232; Pal / Heinrichs vor § 116 Anm. 4 b; Hübner, Festschr. Nipperdey I, S. 373 (388); MK / Kramer, § 119 Rn. 81 ff.; Larenz, Auslegung, S. 82 ff.; Larenz, AT, § 19 III, S. 354 ff.

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11. Auslegungsgegenstand

redlicherweise als Willenserklärung aufgefaßt werden durfte. Maßgeblich ist vielmehr hier das Verkehrsverständnis, es ist also zu prüfen, ob es für den Erklärenden objektiv voraussehbar und vermeidbar war, daß seine Erklärung im Rechtsverkehr als Willenserklärung aufgefaßt werden durfte; d. h. es ist festzustellen, ob die Würdigung der Erklärung als Willenserklärung nach dem Verkehrsverständnis dem Erklärenden zuzurechnen ist. Der Grund hierfür liegt allerdings noch nicht in Verkehrsschutzgesichtspunkten, die als äußeres Kriterium bei der Tatbestandsbestimmung ja noch keine Rolle spielen können. Der Grund liegt vielmehr im Wesen der Willenserklärung selbst. Der Tatbestand der Willenserklärung, also die Frage nach ihrer Existenz, ist von einem Empfänger noch gänzlich unabhängig (dessen Privatautonomie kann erst durch die Art und Weise, in der die Willenserklärung eine Rechtsbeziehung zwischen ihm und dem Erklärenden begründet, betroffen werden). Der Tatbestand der Willenserklärung zeigt vielmehr nichts anderes an, als daß der Erklärende in den Rechtsverkehr eintritt und sich den Regeln des Rechtsverkehrs unterstellen will. Deshalb kann es auch bei der Zurechnung nur auf das Verkehrsverständnis ankommen. Angesichts dieses objektiven Erklärungsfahrlässigkeitsmaßstabs greift auch die Kritik gegen eine Erklärungsfahrlässigkeit weitgehend ins Leere. -

Es wird z. B. gesagt, da nach dem Gesetz in § 119 I BGB bei Inhalts- und Erklärungsirrtum für subjektive Vorstellungen des Erklärenden kein Raum sei, könne für den Erklärungswillen nichts anderes gelten. 45 Dies verkennt bereits, daß es um subjektive Vorstellungen hier gar nicht geht. Es kommt nicht darauf an, ob für den individuellen Erklärenden nach seiner Vorstellungswelt voraussehbar und vermeidbar war, daß seine Erklärung als rechtserheblich aufgefaßt werden würde, entscheidend ist vielmehr, ob dies nach dem Verkehrsverständnis aus der Situation des Erklärenden heraus voraussehbar und vermeidbar war. Im übrigen handelt es sich bei den im Gesetz genannnten Fällen um Defizite des Geschäftswillens, der dem Erklärungswillen nicht unbedingt gleichzustellen ist. Zwar ist es richtig, daß es eine Willenserklärung ohne konkreten Inhalt ebensowenig gibt wie ein Erklärungsbewußtsein ohne Geschäftswillen 46 ; doch können sich aus der Tatsache, daß das Erklärungsbewußtsein sich auf die rechtliche Verbindlichkeit bezieht, der Geschäftswille dagegen auf den Inhalt der Erklärung, durchaus Unterschiede ergeben, weil eine Verantwortlichkeit bezüglich des Inhalts der Erklärung sich wesentlich differenzierter gestalten muß als bezüglich der Existenzfrage, wo es nur zwei mögliche Antworten gibt (s. dazu unten genauer).

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Weiterhin wird gegen eine "Erklärungsfahrlässigkeit" vorgebracht, auch der Erklärungsempfänger könne sich nicht auf seine subjektiven Vorstellungen 45

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Kellmann JuS 1971,609 (615). Soergel / Hefermehl vor § 116 Rn. 17.

2. Die subjektiven Tatbestandsmerkmale

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berufen, sondern müsse sich den objektiven Erklärungstatbestand selbst dann entgegenhalten lassen, wenn er ohne ,,Empfangsbewußtsein" schuldlos vom Zugang einer Willenserklärung keine Kenntnis erlangt habe, § 130 BGBY Auch hier wird nicht beachtet, daß die Erklärungsfahrlässigkeit gar nicht nach einem subjektiven Maßstab gemessen wird, sondern eine objektive Verantwortlichkeit verlangt wird - genauso wie nach § 130 BGB eine Erklärung beim Empfänger nur dann zugegangen ist, wenn sie so in den Bereich des Empfängers gelangt, daß dieser unter normalen Verhältnissen die Möglichkeit hat, von der Erklärung Kenntnis zu nehmen; 48 gefordert wird also durchaus so etwas wie eine objektive Empfängerverantwortlichkeit für seinen Bereich. Aus demselben Grund führt die Zurechnung über eine objektive Erklärungsfahrlässigkeit auch nicht zu einer SchlechtersteIlung des Sorgfältigen gegenüber dem Fahrlässigen,49 weil es auf eine individuelle Sorgfalt überhaupt nicht ankommt. -

Gewichtiger ist vielmehr die umgekehrte Kritik von Schubert 50 gegen eine zu sehr an objektiven Kriterien ausgerichtete Zurechenbarkeit, der damit die Willenserklärung als Instrument privatautonomer Gestaltung zu sehr richterlicher Bewertungsmacht unterworfen sieht; eine Sorge, die auch bei Canaris 51 deutlich wird und beide dazu veraniaßt, auf dem Erfordernis eines subjektiven Erklärungsbewußtseins zu bestehen. 52 Diese Gefahr wird jedoch gebannt, wenn der objektive Tatbestand der Willenserklärung wirklich präzise gefaßt wird und an die Anfechtungserklärung keine strengeren Anforderungen gestellt werden als an alle anderen Willenserklärungen auch. 53 d) Erklärungsbewußtsein, Zurechenbarkeit und Anfechtung bei der letztwilligen Verfügung

Gilt dies alles nun auch für die testamentarische Verfügung? Auch dort spielt das Erklärungsbewußtsein eine praktische Rolle, zum Beispiel bei der Abgrenzung zwischen verbindlichem Testament und unverbindlichem Entwurf, oder bei der Abgrenzung zwischen einem Brieftestament und einer unverbindlichen brieflichen Ankündigung, in einer bestimmten Weise verfügen zu wollen. Das Erklärungsbewußtsein wird dort als Testierwille 54 oder Testierabsicht 55 bezeichnet; 47 Kellmann JuS 1971,609 (615). 48 BGH, Urt. v. 3.11.1976 - VIII ZR 140/75 = BGHZ 67, 271 (275); BGH, Urt. v. 13.2.1980 - VIII ZR 5/79 = NJW 1980,990; BGH, Urt. v. 27.10.1982 - V ZR 24/82 = NJW 1983,929 (930). 49 So Brehmer JuS 1986,440 (444). 50 Schubert JR 1985, 15 (16). 51 Canaris NJW 1984,2281. 52 Zu dieser Gefahr (in anderem Zusammenhang) auch Medicus, AT, Rn. 344. 53 Canaris NJW 1984,2281 (2282). 54 Staud/Otte vor §§ 2064-2086 Rn. 9. 55 Staud / Firsching § 2247 Rn. 8.

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H. Auslegungsgegenstand

dieser Testierwille soll nicht etwa ein spezifischer Wille sein, letztwillig verfügen zu wollen (dann wäre er auf den - formellen - Inhalt des Geschäfts gerichtet und damit dem Geschäftswillen, nicht dem Erklärungsbewußtsein zuzurechnen), sondern nur auf die Herbeiführung von Rechtsfolgen überhaupt abzielen, also der rechtsgeschäftliche Wille unter Absehung von seinem konkreten Inhalt sein; 56 das ist aber nichts anderes als das Erklärungsbewußtsein. Dieser animus testandi wird zum Teil als konstitutive Geltungsvoraussetzung des Testaments angesehen; 57 ob eine Erklärung vom Testierwillen getragen ist, soll gemäß § 133 BGB durch Auslegung ermittelt werden. 58 Die genannten Entscheidungen zum Testierwillen sind allerdings ausnahmslos vor dem Urteil des Bundesgerichtshofs vom 7.6.1984 59 ergangen, in dem der Bundesgerichtshof für Rechtsgeschäfte unter Lebenden ausdrücklich klarstellte, daß ein Erklärungsbewußtsein nicht als konstitutive Tatbestandsvoraussetzung zu fordern ist; eine neuere Entscheidung zum Testierwillen ist, soweit ersichtlich, noch nicht ergangen. Die genannten Entscheidungen können daher nur noch mit Vorsicht herangezogen werden. aa) Erklärungsbewußtsein und Zurechenbarkeit bei der letztwilligen Verfügung als Geltungserklärung Die Frage, ob die Rechtslage für Rechtsgeschäfte unter Lebenden, wonach ein Erklärungsbewußtsein nicht als konstitutive Tatbestandsvoraussetzung der Willenserklärung anzusehen ist, auf Verfügungen von Todes wegen zu übertragen ist, ist daher auch hier wieder aus der Struktur der testamentarischen Verfügung heraus zu beantworten. Sieht man die letztwillige Verfügung wie alle Willenserklärungen als Geltungserklärung an, und beantwortet man weiterhin die Frage nach dem Erklärungsbewußtsein nicht willenstheoretisch oder nach Vertrauensgrundsätzen, sondern aus dem Geltungsgrund der Willenserklärung heraus nach den privatautonomen Prinzipien von Selbstbestimmung und Selbstverantwortung, dann kann für letztwillige Verfügungen insoweit grundsätzlich nichts anderes gelten als für Rechtsgeschäfte unter Lebenden. Das bedeutet insbesondere, daß außerhalb der Willenserklärung selbst liegende Bewertungskriterien, vor allem Staud/Otte vor §§ 2064-2086 Rn. 9. RG, Urt. v. 17.2.1910 - IV 241/09 = JW 1910,291; BayObLG, Beseh!. v. 26.2.1963 - BReg. 1 Z 72/62 = BayObLGZ 1963, 58; BayObLG, Beseh!. v. 21. 7.1970 -BReg. laZ 108/69 = BayObLGZ 1970,173 (178); BayObLG, Beseh!. v. 13.7.1977 - BReg. 1 Z 51/77 = Rpfleger 1977,438; BayObLG, Beseh!. v. 28.12.1979 - BReg. 1 Z 75/79 = Rpfleger 1980,189; Pali Edenhofer § 2247 Anm. 2; Staud/Firsehing § 2247 Rn. 8; Staud/Otte vor §§ 2064-2086 Rn. 10. 58 BGH, Urt. v. 11.10.1951 IV ZR 17 150 = LM § 133 BGB (B) Nr. 1; BayObLG, Beseh!. v. 21. 7. 1970, BReg. 1 a Z 108 169 = BayObLGZ 1970, 173; Staud I Firsching § 2247 Rn. 9 (mit vielen weiteren Nachweisen speziell zum Brieftestament); Staud I Otte vor §§ 2064-2086 Rn. 10. 59 BGH, Urt. v. 7.6.1984 IX ZR 66/83 = BGHZ 91, 324 = BB 1984, 1317 = IR 1985, 12 = JZ 1984,984 = NJW 1984,2279 = WM 1984, 1018. 56 57

2. Die subjektiven Tatbestandsmerkmale

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ein Vertrauensschutz des Empfängers oder Verkehrsschutzinteressen, bei der Bestimmung des Tatbestandes der Willenserklärung noch außer acht zu bleiben haben. Zu anderen Ergebnissen könnte es daher allenfalls noch kommen, wenn das Verhältnis von Selbstbestimmung und Selbstverantwortung bei letztwilligen Verfügungen anders zu bestimmen wäre als bei Rechtsgeschäften unter Lebenden, wenn also insbesondere die Selbstverantwortung hier hinter der Selbstbestimmung zurückzutreten hätte. Es ist aber zu bedenken, daß es sich hier, beim Tatbestand der Willenserklärung, um eine Verantwortung des Erklärenden gegenüber sich selbst handelt, nicht um eine Verantwortung anderen gegenüber, wie sie etwa bei der Inhaltsermittlung im Rahmen des Vertrauensschutzes des Empfängers eine Rolle spielt. Es geht hier lediglich darum, daß der Erklärende, der sich mit seiner Erklärung an seine Umwelt wendet, grundsätzlich selbst dafür sorgen muß, daß seine Willenserklärung auch als solche registriert wird. Diese Verantwortung trägt aber ein Erblasser eher in noch stärkerem Maße als jemand, der eine Willenserklärung unter Lebenden abgibt, denn das Testament, das erst nach dem Tod des Erblassers wirksam wird, ist ja erst recht auf den Vollzug durch die Rechtsgemeinschaft angewiesen; der Erblasser muß also hier erst recht dafür sorgen, daß sein Testament auch von der Rechtsgemeinschaft als solches erkannt wird. Diese Selbstverantwortung ist Ausfluß der Privatautonomie. Ihr steht die Selbstbestimmung gegenüber, die durch die Selbstverantwortung nicht völlig verdrängt werden darf. Daher erfüllt auch eine letztwillige Verfügung bei fehlendem Testierwillen (sofern sie objektiv den Eindruck erweckt, mit Testierwillen abgegeben worden zu sein) nur dann den Tatbestand einer Willenserklärung, wenn sie dem Erblasser zuzurechnen ist. Da auch unter den Erblassern die individuelle Fähigkeit zu Selbstbestimmung und Selbstverantwortung, die den Geltungsgrund der Willenserklärung ausmacht, unterschiedlich stark ausgeprägt sein kann, die Geltung der Willenserklärung aber nicht von dieser individuellen Fähigkeit im Einzelfall abhängen kann (sonst müßte - als Vorfrage zur Prüfung des Tatbestandes einer letztwilligen Verfügung - vom Richter immer erst das Maß der sittlichen Reife des konkreten Erblassers festgestellt werden, ein Gedanke, der mit der Privatautonomie wohl kaum zu vereinbaren sein dürfte), kann daher auch die Zurechnung der letztwilligen Verfügung nur nach einem objektivnormativen Maßstab erfolgen. 60 Dem könnte entgegengehalten werden eine Wertung des Gesetzes, dem subjektiven Erblasserwillen stärker als bei Rechtsgeschäften unter Lebenden Beachtung 60 Nichts anderes als diese Selbstverantwortung im oben beschriebenen Sinne (die mit der privatautonomen Selbstbestimmung untrennbar verbunden ist und diese mit gewährleistet) ist gemeint, wenn bei der Frage der analogen Anwendung des § 2084 BGB zur Abgrenzung von Testament und Entwurf hingewiesen wird auf die Gefahr, daß dem Erblasser ein Wille unterstellt werden könnte, den er tatsächlich nicht gehabt hat, vgl. BayObLG, Beschl. v. 26.2.1963 - BReg. 1 Z 72/62 = BayObLGZ 1963,58 (61 f.) m. zahlr. w. N.

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11. Auslegungsgegenstand

zu verhelfen, die z. B. in § 2078 11 oder § 2084 BGB Ausdruck gefunden hat. Diese Wertung bezieht sich jedoch auf den Inhalt der Willenserklärung und kann auf die Existenzfrage nicht übertragen werden. Grund für diesen Vorrang des Erblasserwillens ist nämlich die Tatsache, daß beim Testament dem Erblasser kein Erklärungsempflinger gegenübersteht und deshalb hier kein Vertrauensschutz zu beachten ist. 61 Auf einen Vertrauensschutz kommt es aber bei der Existenzfrage noch nicht an, s. o. Aus diesem Grund ist auch nach allgemeiner Auffassung § 2084 BGB nicht entsprechend anzuwenden bei der Abgrenzung zwischen Verfügung von Todes wegen und unverbindlichem Wunsch oder Entwurf. 62 Es sind allerdings Fälle denkbar, in denen ausnahmsweise die Selbstverantwortung des Erblassers eine subjektive Bestimmung des Testierwillens fordert. Zu denken ist hier an Fälle, in denen der Erblasser aus einer Zwangslage heraus die Verkehrsbedeutung gerade vermeiden und die als rechtsverbindlich gewollte Erklärung als unverbindlichen Wunsch chiffrieren mußte, um sie überhaupt aufrecht erhalten zu können; Beispiel hierfür sind die Testamente rassisch verfolgter Personen während des Dritten Reiches. 63 Hier würde man bei einer objektivnormativen Bestimmung des Tatbestandes nie zu einer existenten Willenserklärung gelangen; auch die Zurechenbarkeit hilft ja nur, objektiv existente Willenserklärungen, für die der Erblasser nicht verantwortlich ist, auszuschalten; sie kann aber nicht umgekehrt zur Existenz von Willenserklärungen allein aufgrund subjektiven Erklärungsbewußtseins trotz entgegenstehender objektiver Verkehrsbedeutung führen. Dennoch liegt auch in diesen Fällen der Chiffrierung aufgrund einer Notsituation zweifellos ein privatautonomer Gestaltungsakt vor. Der Unterschied zu den Regelfallen liegt bei der Selbstverantwortung. Im Regelfall privatautonomer Gestaltung ist der Tatbestand, die bloße Existenz der Willenserklärung, nichts anderes als die Eintrittskarte in den Rechtsverkehr, mit der der Erklärende anzeigt, daß er am Rechtsverkehr teilnehmen und sich den Regeln des Rechtsverkehrs unterstellen will. Das bedeutet aber auch, daß der Erklärende die Regeln des Rechtsverkehrs grundsätzlich so zu nehmen hat, wie sie sind, und nicht nach einer individuellen ,,Rosinentheorie" ein Sonderrecht für seine privatautonome RechtsgestaItung in Anspruch nehmen kann; dies wäre nicht mehr eine Teilnahme am allgemeinen Rechtsverkehr. 64 Diese Selbstverantwortung fordert also grundsätzlich, daß der Erblasser seine Willenserklärung hinsicht61 Kipp / Coing § 21 m I, S. 139; Staud / Dilcher §§ 133, 157 Rn. 32; Pal / Edenhofer § 2084 Anm. 1a; Hack S. 22 ff.; Soergel/ Hefermehl § 133 Rn. 11. 62 BGH, Urt. v. 8.6.1965 V ZR 78/63 = LM § 2084 BGB Nr. 13; BayObLG,

Beschl. v. 26.2.1963 - BReg. 1 Z 72/62 = Bay ObLGZ 1963,58 (61); KG, Beschl. v. 12.2.1959 - 1 W 42/59 = NJW 1959, 1441; OLG Frankfurt, Beschl. v. 13.8.1970 - 6 W 239/70 = Rpfleger 1970, 392. 63 Vgl. z. B. BGH, Urt. v. 14.4.1976 IV ZR 61/74 = WM 1976,744. 64 Davon zu unterscheiden ist die Gestaltungsfreiheit, die das dispositive Recht bietet. Im Rahmen des dispositiven Rechts bewegt sich der Erklärende ja gerade innerhalb der vom Recht vorgesehenen Möglichkeiten.

2. Die subjektiven Tatbestandsmerkmale

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lieh der Rechtsgeltung am Verkehrsverständnis orientiert, wenn die Willenserklärung vom Rechtsverkehr als Rechtsgestaltungsakt akzeptiert werden soll. Diese privatautonome Selbstverantwortung kann aber nicht zu einer objektiv-normativen Beurteilung führen, wenn eine privatautonome Gestaltung, gerade weil sie in der Verkehrsbedeutung als rechtsverbindlich abgegeben wird, unwirksam wäre (weil die staatliche Rechtsordnung die Privatautonomie bestimmter Personen beschränkt); denn hier liegen die Gründe für ein Abweichen von der Verkehrsbedeutung ja nicht in einer Sorglosigkeit des Erblassers gegenüber seiner Willenserklärung, sondern umgekehrt in dem besonderen Bemühen, der Willenserklärung trotz äußerer Hindernisse zum Erfolg zu verhelfen. In diesen Fällen ist daher der Erblasser seiner Erklärungsverantwortung ausnahmsweise nicht durch eine Orientierung an der Verkehrsbedeutung, sondern umgekehrt durch ein Abweichen von der Verkehrsbedeutung nachgekommen. 65 Die Privatautonomie des Erblassers erfordert daher in diesen Fällen ausnahmsweise eine subjektive Bestimmung des Tatbestandes der Willenserklärung. Allerdings ist selbstverantwortetes Handeln hier ja nur zu bejahen, weil bewußt auf eine Zwangslage reagiert wurde; daher ist bei der subjektiven Tatbestandsbestimmung in diesen Fällen ein positives Erklärungsbewußtsein zu fordern, Erklärungs"fahrlässigkeit" würde nicht genügen. Außerdem gilt diese Ausnahme nicht für alle Fälle, in denen eine rechtsverbindliche Erklärung als unverbindliche Mitteilung chiffriert wird; entscheidend ist immer, ob das Abweichen vom Verkehrsverständnis von der Erklärungsverantwortung geboten ist, was nur bei besonderen Zwangslagen der Fall sein wird. Für den Regelfall bleibt es daher dabei, daß die Frage nach der rechtlichen Geltung der Willenserklärung auch bei letztwilligen Verfügungen aus Gründen der privatautonomen Selbstverantwortung objektiv-normativ zu bestimmen ist; wegen der privatautonomen Selbstbestimmung ist die letztwillige Verfügung bei fehlendem Erklärungsbewußtsein aber dem Erblasser als Willenserklärung zuzurechnen, wenn der Erblasser bei Anwendung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt hätte erkennen und vermeiden können, daß seine Erklärung nach der Verkehrsanschauung als Willenserklärung aufzufassen war. Auch hier wird weiterhin das Selbstbestimmungsrecht des Erblassers dadurch sichergestellt, daß bei fehlendem Erklärungsbewußtsein die Willenserklärung angefochten werden kann. 65 Diese Fallgruppe bestätigt auch das oben gefundene Ergebnis, daß die Privatautonomie, die den Geltungsgrund der Willenserklärung abgibt, ihrerseits ihren Geltungsgrund nicht in der positiven Rechtsordnung hat, sondern als rechtslogisches apriori der staatlichen Rechtsordnung vorgegeben ist. Deshalb bestimmt sich auch hier die Erklärungsverantwortung nicht nach den damaligen staatlichen Gesetzen, sondern nur nach dem Wesen der Privatautonomie (also letztlich nach der Menschenwürde); die staatliche Rechtsordnung kann nicht das Wesen, die Existenz der Willenserklärung bestimmen, sondern nur ihre Rechtswirksamkeit.

4 Stumpf

50

H. Auslegungsgegenstand

Im Erbrecht ist § 119 BGB durch § 2078 I BGB ersetzt, anfechtungsberechtigt ist dort allerdings nicht der Erblasser, sondern gemäß § 2080 BGB dritte Personen. Dennoch ist auch beim Testament im Falle unbewußt fehlenden Erklärungsbewußtseins die Anfechtung der richtige Weg. bb) Die Anfechtung von Rechtsgeschäften unter Lebenden bei unbewußt fehlendem Erklärungsbewußtsein Die Anfechtungsregeln des Allgemeinen Teils haben nicht nur den Zweck, das Irrtumsrisiko zwischen Erklärendem und Erklärungsempfänger sachgerecht zu verteilen und dem Erklärenden eine durch die rechtsgeschäftliche Bindung verlorengegangene Handlungsfreiheit wiederzueröffnen; die §§ 119 ff. BGB können darüber hinaus verstanden werden als Instrumentarium zum Schutz einer privatautonomen, d. h. von Selbstbestimmung und Selbstverantwortung getragenen Willenserklärung. Wegen des Vertrauensschutzes des Empfangers läßt allerdings das Gesetz im Rechtsverkehr unter Lebenden eine Anfechtung nur zu, wenn schwerwiegende Gründe vorliegen, wenn also das Interesse des Anfechtenden an der Beseitigung seiner Willenserklärung höher zu bewerten ist als das Interesse des Erklärungsempfängers an der Aufrechterhaltung der Erklärung; deshalb wird ein Motivirrtum unter Lebenden nur unter den Voraussetzungen der §§ 119 11 und 123 BGB anerkannt, und der Anfechtungsgegner erhält auch bei einem tauglichen Anfechtungsgrund Ersatz seines Vertrauensschadens gemäß § 122 BGB. Die Anfechtung unter Lebenden hat also den Zweck, in bestimmten, vom Gesetz als schutzwürdig anerkannten Fällen die Privatautonomie des Erklärenden gegenüber einem Vertrauensschutz des Empfängers, also gegenüber dessen Privatautonomie zu schützen. Dieser Zweck des Schutzes der Privatautonomie des Erklärenden ermöglichte auch die analoge Anwendung des § 119 I BGB auf den Fall des fehlenden Erklärungsbewußtseins. Eine Analogie setzt eine planwidrige Regelungslücke im Gesetz sowie Vergleichbarkeit des Sachverhalts voraus. 66 Der Fall des fehlenden Erklärungsbewußtseins ist im Gesetz, abgesehen von den Fällen der §§ 116-118 BGB67, die aber keine systematische Regelung enthalten und sogar untereinander Wertungswidersprüche aufweisen, nicht geregelt. Der Gesetzgeber des Bürgerlichen Gesetzbuches hat das Erklärungsbewußtsein als psychologischen Tatbestand zwar gekannt, das rechtliche Problem des fehlenden Erklärungsbewußtseins aber nicht gesehen. 68 Damit liegt eine planwidrige und somit ausfüllungsfähige Gesetzeslücke vor. 69 Wegen der Vergleichbarkeit Vgl. z. B. Larenz, Methodenlehre, Kap. 5, 2a, b, S. 354 ff., S. 366 ff. 67 S. dazu u. 68 Ennan / Brox vor § 116 Rn. 3; Staud / Dilcher vor §§ 116-144 Rn. 3. 69 Ebenso Brox, Irrtumsanfechtung, S. 53.

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2. Die subjektiven Tatbestandsmerkmale

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des Sachverhalts ist auch eine analoge Anwendung des § 119 I BGB auf den Fall des fehlenden Erklärungsbewußtseins geboten. Die Vergleichbarkeit ergibt sich aus dem Zweck der Anfechtung. Im Fall des fehlenden Erklärungsbewußtseins geht es - anders als bei direkter Anwendung der §§ 119 ff. BGB - noch nicht um einen Schutz der Privatautonomie des Erklärenden gegenüber einem Vertrauensscchutz des Empfängers; auf der Tatbestandsebene streiten vielmehr allein Selbstbestimmung und Selbstverantwortung, also die verschiedenen Aspekte der Privatautonomie des Erklärenden gegeneinander. 70 Vergleichbar ist die Sachlage aber insofern, als es in beiden Fällen darum geht, jedenfalls die Privatautonomie des Erklärenden zu schützen, einmal gegen äußere Interessen, einmal durch sachgerechtes Ausbalancieren der Privatautonomie selbst; denn auch wenn Selbstbestimmung und Selbstverantwortung des Erklärenden nicht im richtigen Verhältnis stehen, ist letztlich seine Privatautonomie in Gefahr. Dem Unterschied der beiden Fallgruppen wird folgerichtig dadurch Rechnung getragen, daß bei Fehlern des Geschäftswillens (dem direkten Anwendungsbereich des § 119 BGB) gegenüber äußeren Interessen (der Privatautonomie des Empfängers) die Privatautonomie des Erklärenden nur ausnahmsweise in bestimmten, vom Gesetz als schutzwürdig anerkannten Fällen die Anfechtung rechtfertigt, während im Fall des fehlenden Erklärungsbewußtseins die Anfechtung immer eröffnet ist (also unabhängig davon, ob die Diskrepanz zwischen objektiver und zurechenbarer ,,Erklärung" und dem subjektiven Verständnis des Erklärenden bei der Erklärungshandlung, beim Verständnis der Erklärungsbedeutung oder bereits im Vorfeld bei der Willensbildung unterlaufen ist). Denn während Privatautonomie des Erklärenden und Privatautonomie des Empfängers sich grundsätzlich gleichberechtigt gegenüberstehen (beide beruhen ja letztlich auf der Würde des Menschen, für die es keine individuell unterschiedliche Gewichtung geben kann), geht innerhalb der Privatautonomie die Selbstbestimmung der Selbstverantwortung grundsätzlich vor. In der Selbstbestimmung verwirklicht sich die privatautonome Freiheit des Menschen, seine Beziehungen zu seiner Umwelt zu gestalten; die Selbstverantwortung ist daraus nur die notwendige Folge, ohne die die Selbstbestimmung zur Hybris entarten oder zur Scheinfreiheit ab sinken würde. Wegen dieses prinzipiellen Vorrangs der Selbstbestimmung kann daher die Selbstverantwortung nie auf Dauer die Selbstbestimmung zurückdrängen. Die Anfechtung im Weg analoger Anwendung des § 119 I BGB ist daher in allen Fällen des fehlenden Erklärungsbewußtseins eröffnet. Auf eine verständige Würdigung des Falles wie bei der direkten Anwendung des § 119 I BGB kann es allerdings hier nicht ankommen, da in den Fällen fehlenden Erklärungsbewußtseins ein Vertrauensschutz des Empfängers (anders 70 Wer auch auf der Ebene des Erklärungsbewußtseins bereits mit einem Vertrauensschutz argumentiert, findet hier nicht nur die für eine Analogie erforderliche Parallelität, sondern darüberhinaus eine Identität des Sachverhalts; dadurch bleiben aber die systematischen Bedenken gegen Vertrauensschutzgesichtspunkte auf der Tatbestandsebene unbe-

rührt. 4*

lI. Auslegungsgegenstand

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als bei den Fehlern des Geschäftswillens in direkter Anwendung des § 119 I BGB) nicht zu berücksichtigen ist und auch die Selbstverantwortung, die einen objektiven Maßstab rechtfertigen könnte, bei der Anfechtung (auf der Tatbestandsebene, die ja gerade der Verwirklichung der Selbstbestimmung dient) gerade hinter der Selbstbestimmung zurücktritt. Es ist jedoch auch hier der Vertrauensschaden analog § 122 BGB zu ersetzen. Die Vorschrift enthält nämlich auch in ihrem direkten Anwendungsbereich (auch soweit sie sich auf § 119 BGB, also auf Fehler des Geschäftswillens bezieht) keine Verschuldenshaftung, ist also nicht Ausdruck einer Fremdverantwortung des Erklärenden gegenüber der Privatautonomie des Empfängers, sie enthält vielmehr eine Veranlassungshaftung. 71 Die Berufung auf die Veranlassung soll allerdings nicht den Verzicht auf ein wertendes Zurechnungserfordernis bedeuten, was in der Tat als Erklärung des Schadensersatzanspruchs unzureichend wäre, 72 sondern lediglich den Gegensatz zur Verschuldenshaftung verdeutlichen. 73 Geltungsgrund des Schadensersatzanspruchs aus § 122 BGB ist vielmehr letztlich wieder das Prinzip der Selbstverantwortung: Soweit sich die Vorschrift auf § 119 BGB bezieht, also auf Fehler des Geschäftswillens, liegt ihr die Überlegung zugrunde, daß der Mangel der Erklärung allein aus der Sphäre des Irrenden stammt, weil grundsätzlich er es allein ist, der den Irrtum und damit gleichzeitig die Gefahr der Erweckung von durch die Anfechtung enttäuschtem Vertrauen beherrschen könnte. 74 Hinsichtlich des Geschäftswillens tritt somit die Selbstverantwortung gegenüber der Selbstbestimmung zwar auf der Auslegungsebene zurück,75 und auch die Anfechtung nach § 119 BGB dient dem Schutz der Selbstbestimmung des Erklärenden gegenüber einem Vertrauensschutz des Empfängers, aber nach der Wertung von § 122 BGB kommt wenigstens hinsichtlich des negativen Interesses die Selbstverantwortung wieder zum Tragen. Soweit § 122 BGB sich auf § 118 BGB, also einen gesetzlich geregelten Einzelfall des fehlenden Erklärungsbewußtseins bezieht, liegt der Vorschrift ebenfalls die Wertung zugrunde, daß derjenige, der den Anschein erweckt, in den Rechtsverkehr eingetreten zu sein, im Interesse des Geschäftspartners für diesen Eindruck auch RG, Urt. v. 27.5.1905 - 1 665/04 = RGZ 60,344 (345); RG, Urt. v. 25.2.1913 = RGZ 81, 395 (399); BGH, Urt. v. 14.3.1969 - V ZR 8/65 = LM § 122 BGB Nr. 1 = MDR 1969,647 = NJW 1969, 1380; Canaris JZ 1976, 132; Staud/ Dilcher § 122 Rn. 2; Pal / Heinrichs § 122 Anm. 1 a. 72 Canaris, Vertrauenshaftung, § 38, S. 479 ff.; Flume, AT II, § 21,7; Frotz S. 474; MK/Kramer § 122 Rn. 2. 73 Im ersten Entwurf setzte die Haftung noch Fahrlässigkeit voraus, war also praktisch ein Sonderfall der culpa in contrahendo; erst im zweiten Entwurf wurde die Vorschrift als Risikozuweisung an' den Erklärenden verstanden; vgl. MK / Kramer § 122 Rn. 2. Über die Zurechenbarkeit der Willenserklärung findet allerdings mittelbar eine Verantwortlichkeitsprüfung doch Beachtung; § 122 BGB fügt sich also nahtlos in das System privatautonomer Rechtsgestaltung ein; der Gegensatz zwischen "Delikts-" und "Veranlassungsprinzip" ist also nicht so groß, wie es zunächst erscheint. 74 MK / Kramer § 122 Rn. 2. 71

- m 403/12

75 S. u.

2. Die subjektiven TatbestandsmerkmaIe

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geradesteht. 76 Allein durch den Bestand oder Nichtbestand einer Willenserklärung unabhängig von ihrem Inhalt ist allerdings grundsätzlich die Privatautonomie des Empfängers oder anderer Personen noch nicht berührt, ein Vertrauensschutz also noch nicht geboten; deshalb ist Haftungsgrund hier nicht die Vernichtung (Anknüpfungspunkt also nicht die Anfechtungserklärung), sondern das Erwecken eines Vertrauens auf den Bestand der Willenserklärung (Anknüpfungspunkt also die Willenserklärung selbst); darum ist hier nicht das positive, sondern nur das negative Interesse zu ersetzen;77 und darum beschränkt sich § 122 BGB auch nicht auf den Empfänger der Willenserklärung, sondern gewährt den Schadensersatz jedem, der auf den Bestand der Willenserklärung vertraut. Auch hier zeigt sich wieder, wie nahtlos sich § 122 BGB in das System privatautonomer Rechtsgestaltung einfügt, wonach die Selbstverantwortung auf der Tatbestandsebene, wo sich der Eintritt des Erklärenden in den Rechtsverkehr realisiert, auch gegenüber dem gesamten Rechtsverkehr und nicht nur gegenüber dem Erklärungsempfanger gilt. Es ist jedoch immer zu beachten, daß die Selbstverantwortung, der § 122 BGB Ausdruck verleiht, immer nur in Beziehung zur Selbstbestimmung zu sehen ist. Deswegen kann zum Beispiel § 122 BGB nicht der allgemeine Rechtsgedanke entnommen werden, daß derjenige, der auf den Bestand einer Willenserklärung redlicherweise vertraut, bei Unwirksamkeit gegen den anderen einen Schadensersatzanspruch hätte, selbst wenn der Unwirksamkeitsgrund aus dessen Sphäre kommt. 78 Wegen dieser Verankerung im Prinzip der Selbstverantwortung kann § 122 BGB auch immer nur bei der Anfechtung einer eigenen Willenserklärung, nicht bei der Anfechtung fremder Willenserklärungen in Betracht kommen; eine Konsequenz, die in § 2078 III BGB vom Gesetz auch gezogen wird. Die Verankerung des § 122 BGB im Prinzip der privatautonomen Selbstverantwortung führt auch dazu, daß § 122 BGB anwendbar ist, wenn eine vom Erklärenden vorbereitete, aber noch nicht abgegebene Erklärung durch ein Versehen eines anderen abgesandt wird und dadurch der (zurechenbare) Schein einer gültigen Erklärung entsteht. 79 § 122 BGB ist also auch bei fehlendem Erklärungsbewußtsein heranzuziehen. cc) Funktion der Anfechtung letztwilliger Verfügungen Die Anfechtung letztwilliger Verfügungen knüpft an die allgemeinen Vorschriften über die Anfechtung einer Willenserklärung an. Die Vorschriften über die Testamentsanfechtung in den § 2078 ff. BGB und über die Anfechtung des 76 Ebenso im Ergebnis Flume, AT II, § 10,5, S. 132; Larenz, AT, § 20 11 c, S. 386; ähnlich (Zurechnung über das Risikoprinzip) Canaris, Vertrauenshaftung, § 38, S. 481. 77 Soergel / Hefermehl § 122 Rn. 1; MK / Kramer § 122 Rn. 1. 78 Staud / Dilcher § 122 Rn. 3; Soergel/ Hefermehl § 122 Rn. 2; Pa! / Heinrichs § 122 Anm.lb. 79 Larenz, AT, § 2111 a, S. 417 ff.

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11. Auslegungsgegenstand

Erbvertrages in den § 2281 ff. BGB sind Spezialvorschriften, die den allgemeinen Regeln der § 119 ff. BGB vorgehen und von jenen lediglich ergänzt werden. 80 Die Funktion der Anfechtung letztwilliger Verfügungen muß sich daher in erster Linie anhand dieser Spezialvorschriften bestimmen. Dabei ist zwischen Testamenten einerseits und Erbverträgen und gemeinschaftlichen Testamenten andererseits zu unterscheiden. a) Testamentsanfechtung

Die Testamentsanfechtung kann anders als die Anfechtung von Rechtsgeschäften unter Lebenden 81 nicht den Sinn haben, die Privatautonomie des Erblassers gegenüber einer Privatautonomie des Empfangers zu schützen; denn beim Testament als nicht empfangs bedürftiger Willenserklärung gibt es keinen Erklärungsempfanger, somit auch keinen Vertrauensschutz eines Empfangers; der Privatautonomie des Erblassers ist daher beim Testament bereits durch einen subjektiven Auslegungsmaßstab Rechnung zu tragen. 82 Die Testamentsanfechtung hat aber auch nicht den Sinn, die Privatautonomie des Erklärenden gegenüber einem Interesse des Bedachten zu schützen. Der Bedachte hat nämlich an der Verfügung nur ein wirtschaftliches, nicht aber ein rechtliches Interesse; 83 angesichts der Testierfreiheit (vgl. § 2302 BGB) und des uneingeschränkten Widerrufsrechts des Erblassers erlangt der Bedachte keinerlei Anspruch 84, auch keine Anwartschaft auf die testamentarische Verfügung oder aus der testamentarischen Verfügung. 85 Folgerichtig scheidet hier ein Vertrauensschutz des Bedachten aus. Dies bestätigt die gesetzliche Wertung, wonach der subjektive Erblasserwille Vorrang haben soll, wie zum Beispiel die uneingeschränkte Berücksichtigung des Motivirrtums in § 2078 11 BGB zeigt; bei der Testamentsanfechtung kommt es weiterhin im Gegensatz zu § 119 I BGB nur auf den subjektiven Standpunkt des Erblassers an, nicht auf eine verständige 80 Brox, ErbR, Rn. 226; Pal 1Edenhofer § 2078 Anm. 1; Lange 1Kuchinke § 35 I 1 a, S. 607; Schlüter § 24 I 1, S. 141. 81 Die sich im Regelfall auf empfangsbedürftige Willenserklärungen bezieht; in den seltenen Fällen nicht empfangsbedürftiger Willenserklärungen unter Lebenden, die wie das Testament subjektiv auszulegen sind, stellt sich das Problem der Anfechtung ebensowenig wie beim Testament; s. dazu unten genauer. 82

S. u.

Auf die Unentgeltlichkeit des letztwilligen Erwerbs als wirtschaftliches Kriterium kommt es daher entgegen Brox, ErbR, Rn. 226; Keymer, S. 3; Oertmann, Geschäftsgrundlage, S. 90; Schmidt, Motivirrtum, S. 20 nicht an. 84 Leipold, ErbR, Rn. 326. 85 Entsprechend gibt es keine Vormerkung eines Vermächtnisanspruchs zu Lebzeiten des Erblassers, ganz überwiegende Ansicht, vg!. BGH, Besch!. v. 19.1.1954 - V ZB 28/53 = BGHZ 12, 115 = DNotZ 1954,264 = JZ 1954,436; PalI Bassenge § 883 Anm. 2g, bb; Staud/Gursky § 883 Rn. 50; Erman I Hagen § 883 Rn. 13; Staud/Kanzleiter § 2286 Rn. 7; Lange I Kuchinke § 27 IV 2a, S. 432; Planckl Strecker § 883 Anm. lc; MK/Wacke § 883 Rn. 28. 83

2. Die subjektiven Tatbestandsmerkmale

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Würdigung des Falles 86; und schließlich ist in § 2078 III BGB der Ersatz eines Vertrauensschadens ausdrücklich ausgeschlossen. Auch hier wird also die Privatautonomie des Erblassers bereits durch einen subjektiven Auslegungsmaßstab berücksichtigt. 87 Die Testamentsanfechtung dient weiterhin auch nicht einem besonderen Schutz der Privatautonomie der Anfechtungsberechtigten. Diese Anfechtungsberechtigten haben allerdings - anders als die nur testamentarisch Bedachten - an der Verfügung bzw. ihrer Beseitigung nicht nur wirtschaftliche, sondern auch rechtliche Interessen; ohne die Verfügung hat der Anfechtungsberechtigte ja eine Rechtsposition aufgrund einer anderen, fehlerfreien Zuwendung oder aufgrund gesetzlichen Erbrechts. 88 Die Rechtsposition des früher testamentarisch Bedachten ist allerdings relativ schwach; sie beruht auf der Testierfreiheit des Erblassers und kann daher von der Testierfreiheit des Erblassers auch wieder vernichtet werden. Von dem rein wirtschaftlichen Interesse des nunmehr testamentarisch Bedachten unterscheidet sich seine Rechtsposition nur dadurch, daß sie vom Gesetz ausdrücklich als rechtliches Interesse anerkannt worden ist; das wirtschaftliche Interesse eines testamentarisch Bedachten erstarkt also im Fall einer nachfolgenden letztwilligen Verfügung zu einer begrenzten Rechtsposition aufgrund des Anfechtungsrechts. Stärker ist demgegenüber die Stellung dessen, der ohne die letztwillige Verfügung gesetzlicher Erbe würde. Dessen Rechtsposition beruht auf dem Grundsatz der Verwandtenerbfolge, der zu den tragenden Prinzipien des deutschen Erbrechts gehört. 89 Zwar ist der Konflikt zwischen Familienerbrecht und Testierfreiheit vom Gesetz letztlich zugunsten der Privatautonomie entschieden worden; doch behauptet sich die Rechtsstellung des von der gesetzlichen Erbfolge Begünstigten außer in der Anfechtungsberechtigung noch zusätzlich im Pflichtteilsrecht. 90 Das Interesse derer, die ohne die Verfügung aufgrund gesetzlicher Erbfglge erben würden, ist daher erst recht ein rechtliches und nicht nur ein wirtschaftliches. Die Folgen der Anfechtung sprechen zunächst (neben der Anfechtungsberechtigung nicht durch den Erblasser selbst, sondern durch die in § 2080 BGB genannten Personen) auch dafür, daß diese Anfechtung gerade dem Schutz der Interessen der Anfechtungsberechtigten dienen soll, denn die Testamentsanfechtung führt gegenüber der Anfechtung unter Lebenden ja nicht zu einer Wiedergewinnung der Gestaltungsfreiheit, weil diese der Erblasser bis zu seinem Tod ohnehin 86 KG, Urt. v. 1.12.1975-12 U 1117/75 =FamRZ 1977,271 (273); Pal/Edenhofer § 2078 Anm. 2a; Schlüter § 24 I 3d, S. 145. 87 BGH, Urt. v. 29.11.1951 IV ZR 71/51 = NJW 1952,419 (420); Fischer IhJB 71. Bd, S. 187; Keymer, S. 3; Leipold, ErbR, Rn. 326; Schlüter § 24 I 3d, S. 145. 88 MK / Leipold § 2078 Rn. 2. 89 Brox, ErbR, Rn. 21; Kipp / Coing § 1 II 2, S. 6 f.; Schlüter § 14 III 1, S. 93. 90 Vgl. Mot. V, 386 ff.; Lange, 2. Denkschr., S. 207 ff.; Leipold AcP 180 (1980), 160 (197).

11. Auslegungsgegenstand

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uneingeschränkt behält und nach seinem Tod nicht mehr ausüben kann. Der Schutz der Anfechtungsberechtigten könnte dann in einer inhaltlichen Richtigkeitsgewähr der getroffenen Verfügung liegen: Die Rechtsposition der Anfechtungsberechtigten ist zwar der Willensfreiheit des Erblassers ausgeliefert, aber eben nur, soweit die getroffene Verfügung in vollem Umfang vom Willen des Erblassers getragen ist und auf einer mit der Wirklichkeit übereinstimmenden Motivation des Erblasser beruht; dieser Gesichtspunkt der fehlenden Richtigkeitsgewähr kann dann auch den besonderen Anfechtungsgrund des § 2078 11 BGB stützen. 91 Dieser Gesichtspunkt der Richtigkeitsgewähr zeigt aber auch bereits, daß die Privatautonomie der Anfechtungsberechtigten hier nicht im Wege des Vertrauensschutzes (etwa im Sinne der aus dem Horizont der Anfechtungsberechtigten heraus zu verstehenden Bedeutung und somit einer objektiv-normativen Auslegung) zu verwirklichen ist; das rechtlich geschützte Interesse der Anfechtungsberechtigten geht vielmehr nur dahin, daß ihre jederzeit zerstörbare Rechtsposition jedenfalls nur durch eine rechtlich richtige Willenserklärung zerstört wird. Anders als in den Vertrauensschutzfällen läuft das Interesse der Anfechtungsberechtigten dem privatautonomen Interesse des Erklärenden also nicht entgegen, sondern es hat genau die gleiche Zielrichtung wie dieses, ja es ist gerade auf eine uneingeschränkte privatautonome Gestaltung durch den Erblasser gerichtet. Daher schränken die rechtlichen Interessen der Anfechtungsberechtigten die Privatautonomie des Erblassers nicht ein, sondern verstärken sie eher noch. § 2078 11, III BGB und die nicht erforderliche verständige Würdigung des Falles bestätigen dieses Ergebnis. Aus diesem Grunde steht auch das Interesse der Anfechtungsberechtigten einer subjektiven Auslegung nicht entgegen. Genau hier liegt aber auch der Grund, warum die Funktion der Anfechtung letztlich nicht ein besonderer Schutz der Anfechtungsberechtigten sein kann. Diesem Schutz, ihrem Interesse auf eine uneingeschränkt privatautonome Gestaltung durch den Erblasser, wird ja durch einen subjektiven Auslegungsmaßstab bereits Rechnung getragen! Damit wird ja bereits das subjektiv vom Erblasser Gewollte ermittelt, zu einem Irrtum, d. h. einem Auseinanderfallen von "Wille" und ,,Erklärung" (d. h. subjektivem Geschäftswillen und als maßgeblich ermitteltem Geschäftswillen) kann es bei einem subjektiven Auslegungsmaßstab gar nicht mehr kommen. Eine Anfechtung läuft also hier ins Leere. Es stimmt auch nicht uneingeschränkt, daß eine Anfechtung jedenfalls in den Fällen noch Bedeutung hätte, in denen festgestellt werden kann, daß die Verfügung auf einem Irrtum beruht, aber nicht zu klären ist, welche positive Verfügung der Erblasser ohne den Irrtum getroffen hätte. 92 Vielmehr ist in diesen Fällen, MK / Leipold § 2078 Rn. 2. So Brox, ErbR, Rn. 196; Schlüter § 24 VII, S. 151; die ebenfalls hierfür zitierten Entscheidungen RG, Urt. v. 21.2.1924 - N 274/23 = RGZ 108,83 (85) und OGH, Urt. v. 1.10.1948 -1 ZS 85/48 =OGHZ 1,156 kommen (richtigerweise) zur ergänzenden Auslegung; auch BGH, Urt. v. 23.4.1951 - IV ZR 17/51 = MDR 1951,474 (nur Leitsatz) betont vor allem den Vorrang der Auslegung gegenüber der Anfechtung. 91

92

2. Die subjektiven Tatbestandsmerkmale

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in denen nur festgestellt werden kann, was der Erblasser nicht wollte (nämlich die Verkehrsbedeutung der Erklärung), aber nicht zu klären ist, was der Erblasser stattdessen wollte, in denen ein positiver Geschäftswille also nicht festgestellt werden kann, die erläuternde Auslegung also ergebnislos bleibt, weiterhin danach zu fragen, ob ein Motivirrtum (eine Lücke) vorliegt und welcher Sinn dem Erblasserwillen für die nicht vorgestellte Situation am besten entspricht; der erläuternden Auslegung hat also die ergänzende Auslegung nachzufolgen. 93 Wenn auch die ergänzende Auslegung nicht möglich ist, weil kein Motivirrtum (keine Lücke) vorliegt, dann bleibt in diesen wohl eher seltenen Fällen die Auslegung ergebnislos; das bedeutet, es kann kein maßgeblicher Geschäftswille ermittelt werden, es fehlt an einem rechtlich maßgeblichen Inhalt der letztwilligen Verfügung, sie kann ohne Inhalt ihre Funktion als privatautonomer Gestaltungsakt nicht erfüllen und ist bereits aus diesem Grunde nichtig. Mit welchem Inhalt sollte sie auch bis zur Anfechtung gelten? Im Fall der endgültig fehlgeschlagenen Auslegung bedarf es daher gar keiner Anfechtung mehr. Nur wenn die ergänzende Auslegung wegen eines Motivirrtums (einer Lücke) eröffnet ist, aber kein Geschäftswille für die vom Erblasser nicht vorgestellte tatsächliche Situation zu finden ist, gilt die Willenserklärung mit dem für die irrtümlich vorgestellte Situation gewollten Inhalt (sofern sie nicht faktisch unmöglich geworden ist und ein solcher Wille zu ermitteln ist); in diesem Fall hat daher die Anfechtung wegen Motivirrtums nach § 2078 11 BGB einen eigenständigen Anwendungsbereich behalten. Die Testamentsanfechtung hat auch nicht die Funktion, innerhalb der Privatautonomie des Erblassers der Selbstbestimmung gegenüber der Selbstverantwortung zu ihrem angestammten Vorrang zu verhelfen. Denn anders als beim Erklärungsbewußtsein tritt bei der Bestimmung des Geschäftswillens, um den es bei der Anfechtung zunächst ja geht, die Selbstverantwortung ohnehin gegenüber der Selbstbestimmung zurück,94 so daß der Geschäftswille beim Testament sowieso subjektiv zu bestimmen ist. Auch unter diesem Gesichtspunkt bedarf es daher einer Testamentsanfechtung nicht. Die Testamentsanfechtung könnte daher allenfalls noch dem Schutz der Privatautonomie des Erblassers gegenüber einem Schutz des Rechtsverkehrs dienen. Aber auf einen Verkehrsschutz kommt es bei der Inhaltsbestimmung noch nicht an; 95 daher ist auch unter diesem Gesichtspunkt das Testament subjektiv, nicht objektiv auszulegen.

93 So auch BGH, Vrt. v. 8.12.1982 - IV a ZR 94/81 = BGHZ 86, 41 (46) = JZ 1983,709; OLG Zweibrücken, Beschl. v. 17.1.1986 - 3 W 253/85 = Rpfleger 1986, 479 (480); Pal / Edenhofer § 2084 Anrn. 1 b, aa, allerdings zu weitgehend ohne Beschränkung auf den Fall des Motivirrtums (der Lücke); s. u. genauer. 94 S. dazu unten genauer. 95 S. u.

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11. Auslegungsgegenstand

Damit zeigt sich: Der Privatautonomie des Erblassers (und hier der Selbstbestimmung gegenüber der Selbstverantwortung) ist durch eine subjektive Testamentsauslegung bereits hinreichend Rechnung getragen. Die Testamentsanfechtung wegen Inhalts- und Erklärungsirrtums ist damit nicht mehr notwendig, und, da es zu einem Auseinanderfallen von subjektiv Gewolltem und maßgeblich Erklärtem nicht kommen kann, auch gar nicht möglich. 96 Die Testamentsanfechtung wegen Inhalts- und Erklärungsirrtums hat damit in ihrem direkten Anwendungsbereich ihre Funktion verloren; sie ist angesichts der subjektiven Testamentsauslegung überflüssig. Sie hat allenfalls noch eine Funktion als Ausdruck bestimmter gesetzlicher Wertungen, nämlich zum einem zum Vorrang des subjektiven Erblasserwillens gegenüber Interessen des Bedachten, zum anderen die Aufwertung des wirtschaftlichen Interesses des in einer früheren Verfügung Bedachten zu einem begrenzten rechtlichen Interesse, das sich auch in einer Stärkung der prozessualen Position des Anfechtungsberechtigten niederschlägt. Das ändert aber nichts daran, daß eine Testamentsanfechtung in diesen Fällen in der Sache nichts anderes ist als eine Anregung zur subjektiven Auslegung. 97 Dem steht auch nicht die ausdrückliche gesetzliche Regelung der §§ 2078 ff. BGB entgegen. Vielmehr sind die Verfasser des Bürgerlichen Gesetzbuches von der damaligen Auslegungspraxis ausgegangen, die noch sehr dem Wortlaut verhaftet war. Seinerzeit war die Anfechtung ein nützliches Sicherheitsventil. Nachdem aber die Auslegungsmethode durch Rechtsprechung und Lehre fortentwikkelt worden ist, stellt sich das Verhältnis von Auslegung und Anfechtung verändert dar. Dem subjektiven Erblasserwillen ist möglichst zum Erfolg zu verhelfen; dieser Wertung des Gesetzes, die natürlich nach wie vor zu beachten ist, wird die richtig verstandene Auslegung eher gerecht als die Anfechtung. Insoweit hat der Hinweis auf die reformatorische Wirkung der Auslegung gegenüber der kassatorischen Wirkung der Anfechtung hier seine Berechtigung. 98 Demgegenüber hat die Anfechtung wegen Motivirrtums noch eine eigenständige Funktion in den Fällen, in denen nur der Motivirrtum, aber kein positiver Geschäftswille des Erblassers, der auch die irrtümlich nicht erkannte Situation 96 So auch jeweils für den Einzelfall OGH, Urt. v. 1. 10. 1948 1 ZS 85/48 = OGHZ I, 156 f.; BGH, Urt. v. 23.4.1951 - IV ZR 17/51 = LM § 2078 BGB Nr. 1 (nur LS) = LM § 2100 BGB Nr. 1; BGH, Urt. v. 29.9.1977 - 11 ZR 214/75 = NJW 1978,264; BayObLG, Besch!. 5.12.1966 - BReg. 1a Z 32/66 = BayObLGZ 1966,390 (394 ff.); KG, Besch!. v. 15.6.1971 - 1 W 14/71 = NJW 1971, 1992. Brox, Irrtumsanfechtung, S. 140; Brox, ErbR, Rn. 196; Pal/Edenhofer § 2078 Anm. 1; § 2084 Anm. 1; Leipold, ErbR, Rn. 322; Schlüter § 24 III, S. 150 f. 97 Meist wird demgegenüber der Vorrang der Auslegung gegenüber der Anfechtung mit den unbefriedigenden vernichtenden Wirkungen der Anfechtung gegenüber der reformatorischen Wirkung der Auslegung begründet im Anschluß an Siber, RG-Festgabe III, S. 350 (379), z. B. BGH, Urt. v. 23.4.1951 - IV ZR 17/51 = LM § 2078 BGB Nr. 1 (nur LS) = LM § 2100 BGB Nr. I; Brox, ErbR, Rn. 196; Kipp / Coing § 24 III 2, 3, S. 171 f.; Pa1l Edenhofer § 2078 Anm. 1; § 2084 Anm. 1; Leipold, ErbR, Rn. 322; MK / Leipold § 2078 Rn. 4; Schlüter § 24 III, S. 150 f.; Jauernig / Stürner § 2078 Anm. 1. 98 Brox, Irrtumsanfechtung, S. 140.

2. Die subjektiven Tatbestandsmerkmale

59

erfaßt, ermittelt werden kann. Da es sich auch in diesen Fällen um eine Fremdanfechtung handelt, hat auch diese Anfechtung vor allem die Aufgabe der inhaltlichen Richtigkeitsgewähr.

13) Anfechtung beim Erbvertrag Etwas anders liegen die Dinge beim Erbvertrag und beim gemeinschaftlichen Testament. Hinsichtlich einseitiger letztwilliger Verfügungen im Erbvertrag behält der Erblasser das freie Widerrufsrecht gemäß § 2299 BGB. Ebenso wie beim Testament bedarf es daher hier einer Anfechtung durch den Erblasser nicht. 99 Andere könnten zwar solche Verfügungen nach § 2078 ff. BGB anfechten; doch kann es angesichts der subjektiven Auslegung der einseitigen Verfügung im Erbvertrag 100 auch hier zu einem Inhalts- oder Erklärungsirrtum gar nicht mehr kommen. Die Anfechtung wegen Inhalts- oder Erklärungsirrtums hat hier wie beim einfachen Testament ihren direkten Anwendungsbereich verloren; es bleibt allenfalls die Anfechtung wegen Motivirrtums, wenn sich nur dieser, aber kein entsprechender Wille des Erblassers ermitteln läßt. Bei den erbvertragsmäßigen Verfügungen steht dem Erblasser ein Erklärungsempfänger gegenüber, dessen Privatautonomie einen (im Vergleich zu Rechtsgeschäften unter Lebenden allerdings begrenzten) Vertrauensschutz und damit grundsätzlich eine objektive Auslegung gebietet. 101 Daraus ergibt sich die Funktion der Anfechtung, hier - ebenso wie bei der vertraglichen Willenserklärung unter Lebenden - einen Ausgleich zugunsten der Privatautonomie des Erklärenden gegenüber der durch Vertrauensschutz berücksichtigten Privatautonomie des Empfängers zu ermöglichen. Das gilt auch dann, wenn der Erbvertrag nicht gemäß § 2281 BGB durch den Erblasser selbst, sondern gemäß § 2285 BGB nach dessen Tod durch Dritte angefochten wird. Hier dient die Anfechtung zwar nicht mehr dazu, dem Erblasser seine Testierfreiheit wieder zu verschaffen; aber auch hier verstärkt das Interesse der Anfechtungsberechtigten lediglich die Privatautonomie des Erblassers und stellt sicher, daß gegenüber einem Vertrauensschutz des Vertragspartners nur eine in voller privatautonomer Freiheit gesetzte Verfügung letztlich Bestand haben kann. Wegen dieser Antinomie zwischen Privatautonomie des Erblassers und Vertrauensschutz des Vertragspartners kommt daher der Anfechtung der erbvertragsmäßigen Verfügung - anders als der Testamentsanfechtung - auch wegen Inhalts- und Erklärungsirrtums nach wie vor eine eigenständige Bedeutung zu.

99

Pal / Edenhofer § 2281 Anm. 2; Staud / Kanzleiter § 2281 Rn. 4; Lange / Kuchinke

§ 37 VII, S. 663. 100 S. u. 101 S. u.

60

11. Auslegungsgegenstand

Beim Erbvertrag ist nun ebenfalls denkbar, daß eine oder beide Parteien einem Motivirrtum unterliegen, aber nicht geklärt werden kann, welche positive Regelung bei Kenntnis des Irrtums getroffen worden wäre, eine ergänzende Auslegung also eröffnet ist, aber scheitert. In diesem Fall behält die Anfechtung wegen Motivirrtums gemäß § 2281 in Verbindung mit § 2078 11 BGB ebenfalls einen selbständigen Regelungsbereich. Hier taucht nun die Besonderheit auf, daß die ergänzende Auslegung der empfangsbedürftigen Willenserklärung (also auch der vertragsmäßigen Verfügung im Erbvertrag) nur eröffnet ist beim beiderseitigen Motivirrtum, während die Anfechtung nach § 2281, § 2078 11 BGB auch beim einseitigen Motivirrtum gegeben ist. Das ergibt einen dritten direkten Anwendungsbereich der Anfechtung, nämlich beim einseitigen Motivirrtum des Erblassers. Dieser ungewöhnliche Fall einer Anfechtung einer empfangsbedürftigen Willenserklärung wegen einseitigen Motivirrtums beruht darauf, daß hier der Gesetzgeber wie in § 119 11 und § 123 BGB von seiner generellen Wertung abgewichen ist und der Privatautonomie des Erklärenden nicht Gleichrang, sondern Vorrang vor einem Vertrauensschutz des Empfängers eingeräumt hat. Hinsichtlich des Schadensersatzanspruchs muß entsprechend dem Normzweck des § 122 BGB differenziert werden: § 2281 und § 2285 BGB verweisen zwar auf § 2078 BGB und damit auf dessen Absatz III, wo die Anwendung des § 122 BGB generell ausgeschlossen wird. Die Verweisung in § 2281 BGB ist aber insoweit teleologisch zu reduzieren. § 2078 III BGB betrifft nämlich den Fall, daß die Erklärung von einem anderen als dem Erklärenden angefochten wird (derselbe Fall kehrt wieder in § 2285 BGB; diese beiden Fälle sind also zu vergleichen); § 2281 BGB steht demgegenüber in derselben Situation wie § 122 BGB, nämlich daß die Erklärung vom Erklärenden selbst angefochten wird. In diesem Fall aber ist § 122 BGB Ausdruck der Selbstverantwortung des Erklärenden für seine Erklärung. Diese Selbstverantwortung ist unmittelbarer Ausfluß privatautonomer Rechtsgestaltung und muß daher unabhängig davon gelten, ob es sich um eine Willenserklärung unter Lebenden oder eine Verfügung von Todes wegen handelt; sie ist allen Willenserklärungen gemeinsam. Eine solche Haftung aufgrund selbstverantworteter Rechtsgestaltung kann aber umgekehrt nicht eingreifen in den Fällen der Fremdanfechtung. Haftungsgrund ist ja nicht die Vernichtung der Willenserklärung, sondern das positive Erwecken eines Vertrauens durch die Willenserklärung selbst; Anknüpfungspunkt der Haftung ist daher die Willenserklärung, nicht die Anfechtung (sonst wäre nicht das negative Interesse, sondern das Erfüllungsinteresse zu ersetzen); diese Willenserklärung stammt aber in den Fällen der Fremdanfechtung nicht vom Anfechtenden, er kann somit für die Willenserklärung auch keine Selbstverantwortung übernehmen. 102 Bei der Anfechtung einer vertragsmäßigen Verfügung in einem Erbver102 Deshalb, und nicht aus Billigkeitsgründen, handelt es sich hier nur um eine Eigenhaftung; vgl. aber Dittmann/Reimann/Bengel § 2281 Rn. 32; vor § 2274 Rn. 31;

2. Die subjektiven Tatbestandsmerkmale

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trag ist daher nur bei der Eigenanfechtung durch den Erblasser Schadensersatz nach § 122 BGB zu leisten. 103.104 Da nach der gesetzlichen Wertung aber dem subjektiven Willen des Erklärenden hier größere Bedeutung zukommt als bei Willenserklärungen unter Lebenden, ist auch beim Erbvertrag der Motivirrtum als Anfechtungsgrund anerkannt 105, und auf eine verständige Würdigung des Falles wie in § 119 BGB kommt es nicht an. y) Anfechtung beim gemeinschaftlichen Testament

Die Anfechtung beim gemeinschaftlichen Testament ist gesetzlich nicht besonders geregelt. Beim gemeinschaftlichen Testament handelt es sich grundsätzlich um selbständige Einzelverfügungen der Ehegatten; 106 somit sind prinzipiell einschlägig die allgemeinen Vorschriften zur Testamentsanfechtung in § 2078 ff. BGB. Eigene einseitige Verfügungen braucht ein Ehegatte daher (wie ein einfaches Testament) auch nicht anzufechten, er kann sie gemäß § 2253 ff. BGB widerrufen. 107 Nach dem Tod eines Ehegatten kann dessen einseitige Verfügung grundsätzlich durch den überlebenden Ehegatten oder durch Dritte gemäß § 2078 ff. BGB angefochten werden; 108 angesichts der subjektiven Auslegung der einseitigen Verfügung auch im gemeinschaftlichen Testament lO9 kann aber genau wie beim Einzeltestament die Anfechtung wegen Inhalts- oder Erklärungsirrtums auch hier nicht mehr zum Zug kommen. Es bleibt auch hier allenfalls Planck/Flad § 2078 Anm.4; Staud/Kanzleiter § 2281 Rn. 37; v. Lübtow, ErbR I, S.448. 103 Ebenso Dittmann I Reimann I Bengel vor § 2274 Rn. 31; § 2281 Rn. 32; Planckl Flad § 2078 Anm.4; Staudl Kanzleiter § 2281 Rn. 37; v. Lübtow, ErbR I, S.448. Gegen jeden Schadensersatz bei der Anfechtung erbvertragsmäßiger Verfügungen Brox, ErbR, Rn. 245; Kipp I Coing § 24 VI, S. 181; MK I Musielak § 2281 Rn. 20. Für Schadensersatz in allen Fällen erbvertragsmäßiger Verfügungen Pal I Edenhofer § 2283 Anm. 2; Jauernig I Stürner § 2281 Anm. 4; Soergel I Wolf § 2281 Rn. 6. 104 Der Ersatz des Vertrauensschadens umfaßtjedoch nicht den Wert der erbvertraglichen Zuwendung; die Kritik bei MK I Musielak § 2281 Rn. 20, daß der Bedachte keine Anwartschaft erwirbt und nicht auf eine erbvertragliche Zuwendung vertrauen darf, greift daher insoweit nicht. Hinsichtlich des Vertrauensinteresses gibt Musielak einen Anspruch aus culpa in contrahendo; dieser setzt jedoch ein Verschulden des Erblassers voraus und schließt auch in diesem Fall einen Anspruch aus § 122 BGB nicht notwendig aus. 105 Dittmann I Reimann I Bengel vor § 2274 Rn. 31; MK I Musielak § 2281 Rn. 6; Soergel/Wolf § 2281 Rn. 8. 106 Pal I Edenhofer vor § 2265 Anm. 2; Staud 1Kanzleiter vor § 2265 Rn. 11; Lange I Kuchinke § 38 I, S. 672. 107 RG, Urt. v. 16.1O.1911-IV 594/10 = RGZ 77,165 (169); RG, Urt. v. 24.6.1915 - IV 27/15 = RGZ 87, 95 (97);Staud/Kanzleiter § 2271 Rn. 70; Lange/Kuchinke § 35 m 2 e, S. 618; MK 1Musielak § 2271 Rn. 35. 108 Pal I Edenhofer § 2271 Anm. 4 a; RGRK 1Johannsen § 2271 Rn. 42; Staud 1Kanzleiter § 2271 Rn. 66; Lange 1Kuchinke § 38 m 2, S. 684. 109 S. u.

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II. Auslegungsgegenstand

die Anfechtung wegen Motivirrtums, wenn nur dieser, aber kein den Motivirrtum überwindender Erblasserwille ermittelt werden kann. Demgegenüber gebieten wechselbezügliche Verfügungen in einem gemeinschaftlichen Testament einen Vertrauensschutz des anderen Ehegatten, sie sind daher bei nicht übereinstimmendem Verständnis der Ehegatten objektiv-normativ auszulegen. 110 Außerdem ist aus diesem Grunde eine Selbstanfechtung eigener wechselbezüglicher Verfügungen nur entsprechend § 2281 i. V. m. § 2078 ff. BGB möglich 111 (nach dem Tod des anderen Ehegatten, zu dessen Lebzeiten gibt § 2271 BGB ein Widerrufsrecht). Im übrigen können aber wechselbezügliche Verfügungen sowohl vom überlebenden anderen Ehegatten als auch von Dritten grundsätzlich gemäß § 2078 ff. BGB angefochten werden, allerdings erst - wie ja immer bei der Testamentsanfechtung - nach dem Tod des Verfügenden. 112 Auch hier ist aber § 2285 BGB entsprechend zu beachten. 113 Bei der Anfechtung der eigenen wechselbezüglichen Verfügung ist allerdings wiederum Schadensersatz entsprechend § 122 BGB zu leisten. Zwar kann diese Anfechtung nur nach dem Tod des anderen Ehegatten erfolgen; dessen Vertrauen kann aber zu diesem Zeitpunkt nicht mehr erschüttert werden; seinem Interesse an der Gültigkeit der Verfügung des anderen (anfechtenden) Ehegatten wird auch über die Wechselbezüglichkeit vom Gesetz in der Sonderregelung des § 2270 I BGB Rechnung getragen. Seine Erben aber werden von der Wertung des § 122 BGB nicht erfaßt; sie rücken wegen § 2270 I BGB, wodurch auch die Verfügung des anderen Ehegatten vernichtet wird, überhaupt erst in die Erbenstellung ein; die Wertung des § 122 BGB kann aber nicht so weit gehen, Personen, die durch S. u. Der Gesetzgeber hat das gemeinschaftliche Testament erst im zweiten Entwurf in das BGB aufgenommen und dabei die besondere Vertrauensschutzsituation übersehen, so daß eine Regelungslücke vorliegt; die Sachlage ist auch derjenigen beim Erbvertrag zu vergleichen. RG, Urt. v. 16.10.1911 - IV 594/10 = RGZ 77, 165 (168); RG, Besch!. v. 11.12.1930 - IV B 27/30 = RGZ 132, 1 (4); BGR, Urt. v. 4.7.1962 - V ZR 206/ 60 = BGHZ 37, 333; BGR, Urt. v. 3.11.1969 - III ZR 52/67 = FamRZ 1970,79; Dittmann / Reimann / Bengel § 2271 Anm. 60: Hack S. 130 f.; RGRK / Johannsen § 2271 Rn. 44; Staud / Kanzleiter § 2271 Rn. 69; Keymer S. 5; Lange / Kuchinke § 35 III 2e, S. 618; § 38 II 6a, S. 681; v. Lübtow, ErbR I, S. 513 f.; MK/Musielak § 2271 Rn. 36; Soergel / Wolf § 2271 Rn. 29. 112 BGR, Urt. v. 23.4.1986 IV a ZR 97/85 = FamRZ 1986,980; OLG Frankfurt, Urt. v. 23.5.1958 - 3 U 196/57 = MDR 1959,393; OLG Köln, Besch!. v. 20.10.1969 - 2 Wx 125/69 = OLGZ 1970, 114 (116); Pa! / Edenhofer § 2271 Anm. 4 a, aa; Lange / Kuchinke § 35 III 2 e, S. 618; § 38 II b, S. 683. 113 Streitig ist in diesem Zusammenhang, ob § 2285 BGB auch anzuwenden ist, wenn Dritte vor oder nach dem Tod des Überlebenden die Verfügungen des Erstverstorbenen im gemeinschaftlichen Testament anfechten; dafür RG, Besch!. v. 11.12.1930 - IV B 27/30 = RGZ 132, 1(4); KG, Besch!. v. 5.2.1968 - 1 W 2180/67 = FamRZ 1968, 218; LG Karlsruhe, Besch!. v. 14.2.1958 - 7 T 91/57 = NJW 1958,714; LG Berlin, Besch!. v. 5.12.1975 - 83 T 34/75 = FamRZ 1976,293 (297); Pa! /Edenhofer § 2285 Anm. 1; Erman / Hense § 2281 Rn. 17; dagegen Dittmann / Reimann / Bengel § 2271 Rn. 59; Staud/Kanzleiter § 2271 Rn. 67; v. Lübtow, ErbR I, S.516; MK/Musielak § 2271 Rn. 41; Jauernig / Stürner § 2271 Anm.2 d, bb; Soergel/Wolf § 2271 Rn. 30. 110 111

2. Die subjektiven Tatbestandsmerkmale

63

die Anfechtung überhaupt erst Erben werden, zusätzlich auch noch mit einem Schadensersatzanspruch wegen der Anfechtung zu bedenken. Denkbar bleibt aber ein Anspruch z. B. der aufgrund der ursprünglichen Verfügung des anderen Ehegatten Berufenen, ebenso der aufgrund der angefochtenen Verfügung Berufenen. Zwar gibt § 122 BGB keinen Anspruch auf das Erfüllungsinteresse, aber auch ein reiner Vertrauensschaden ist hier denkbar" wenn etwa diese Personen die Kosten der Errichtung des gemeinschaftlichen Testaments übernommen haben oder im Hinblick auf das gemeinsame Testament Ausgleichszahlungen an andere Personen erfolgt sind. Das Vertrauen dieser Personen unterfallt auch entgegen dem Grundsatz, daß der testamentarisch Bedachte nur ein wirtschaftliches, kein rechtliches Interesse an der Verfügung hat, dem Schutzbereich des § 122 BGB; denn diese Vorschrift ist Ausfluß der privatautonomen Selbstverantwortung des Erklärenden gegenüber dem gesamten Rechtsverkehr; deshalb erhebt sie das Interesse der durch die Verfügung Betroffenen unabhängig davon, ob es sich zunächst um ein rechtliches oder bloß wirtschaftliches Interesse handelt, in den Grad eines rechtlichen Interesses. Weil es sich bei § 122 BGB um einen Ausdruck der privatautonomen Selbstverantwortung des Erklärenden gegenüber dem Rechtsverkehr handelt, kommt ein Schadensersatzanspruch nach § 122 BGB bei der Fremdanfechtung durch Dritte oder durch den anderen Ehegatten grundsätzlich nicht in Betracht. Die Anfechtung beim gemeinschaftlichen Testament hat somit, je nach Konstellation, eine unterschiedliche Funktion: Hinsichtlich der einseitigen Verfügung wird sie bei Inhalts- und Erklärungsirrtum von der subjektiven Auslegung verdrängt wie beim einfachen Testament. Ein eigenständiger Anwendungsbereich bei der einseitigen Verfügung ist auch hier nur denkbar beim Motivirrtum, wenn kein positiver Wille im Weg der ergänzenden Auslegung festgestellt werden kann. Die Anfechtung der eigenen wechselbezüglichen Verfügung dient dem Schutz der Privatautonomie des Verfügenden, insbesondere der Wiedergewinnung seiner Gestaltungsfreiheit, gegenüber einem Vertrauensschutz des anderen Ehegatten; insofern entspricht die Funktion der Anfechtung der beim Erbvertrag hinsichtlich der vertragsmäßigen Verfügung, hier hat die Anfechtung also gegenüber einer objektiven Auslegung noch eine selbständige Bedeutung. 114 Da die wechselbezügliche Verfügung objektiv auszulegen ist, kommt diese selbständige Bedeutung auch der Fremdanfechtung gemäß § 2078 BGB zu.

114 Sie geht allerdings in ihrer Wirkung noch darüber hinaus, weil gemäß § 2270 I BGB mit der Anfechtung der eigenen Verfügung auch die Verfügung des anderen Ehegatten beseitigt werden kann, ohne daß diese auf einem Willensmangel beruhen muß; vgl. Keymer S. 71.

11. Auslegungsgegenstand

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dd) Die Anfechtung letztwilliger Verfügungen bei unbewußt fehlendem Erklärungsbewußtsein Lassen alle diese verschiedenen Fallkonstellationen nun eine grundsätzliche Funktion der Anfechtung erkennen, die auch bei letztwilligen Verfügungen eine analoge Anwendung im Fall fehlenden Erklärungsbewußtseins erlaubt? Unter Lebenden hatte die Anfechtung ja den Zweck, der Privatautonomie des Erklärenden gegenüber einem Vertrauensschutz des Empfängers wieder zu ihrem Recht zu verhelfen; dieser Schutz der Privatautonomie des Erklärenden hatte eine entsprechende Anwendung auf den Fall des fehlenden Erklärungsbewußtseins ermöglicht, wo ebenfalls die Privatautonomie des Erklärenden zu schützen ist, wenn auch nicht gegenüber der Privatautonomie des Empfängers, sondern durch das richtige Ausbalancieren von Selbstbestimmung und Selbstverantwortung. Aber auch bei Willenserklärungen unter Lebenden gibt es vereinzelt nicht empfangsbedürftige Willenserklärungen, die subjektiv auszulegen sind und wo eine Anfechtung deshalb, soweit es um Mängel des Geschäftswillens geht, gegenstandslos ist. 115 Der Tatbestand ist aber auch bei der nicht empfangsbedürftigen Willenserklärung objektiv zu bestimmen, weil es auf einen Vertrauensschutz nicht ankommt (weder positiv noch negativ in der Weise, daß bei fehlendem Empfänger der Tatbestand notwendig subjektiv zu bestimmen wäre), sondern weil allein die Privatautonomie des Erklärenden entscheidet und weil innerhalb der Privatautonomie des Erklärenden die Selbstverantwortung gegenüber der Selbstbestimmung die objektive Feststellung des Tatbestandes fordert. Angesichts dieser objektiven Tatbestandsbestimmung erfordert bei fehlendem Erklärungsbewußtsein die Privatautonomie eine analoge Anwendung der §§ 119 ff. BGB, um der Selbstbestimmung letztlich gegenüber der Selbstverantwortung wieder zum Erfolg zu verhelfen; der ursprüngliche Zweck der Anfechtung, die Privatautonomie des Erklärenden zu gewährleisten, kommt also auf der Ebene des Erklärungsbewußtseins wieder zum Tragen. An dieser Stelle erhebt sich die Frage, ob es dann nicht sinnvoller ist, auch in diesen Fällen den Tatbestand wie den Inhalt der Willenserklärung subjektiv zu bestimmen, anstatt erst den Tatbestand objektiv zu bestimmen und dann wieder eine Anfechtung zuzulassen; doch trägt bei der objektiven Tatbestandsbestimmung immerhin der Erklärende das Anfechtungsrisiko, wie es die Selbstverantwortung gebietet, die allen Willenserklärungen gleichermaßen innewohnt; bei nicht empfangs bedürftigen Willenserklärungen die Selbstverantwortung gegenüber der Selbstbestimmung zurücktreten zu lassen und auch den Tatbestand der Willenserklärung subjektiv zu bestimmen würde bedeuten, einen einheitlichen Tatbestand für alle Willenserklärungen aufzugeben. Das entspricht aber weder der Funktion der Willenserklärung noch der Konzeption des Bürgerlichen Gesetzbuchs, wonach die Willenserklärung als einheitlicher sozialer Gestaltungsakt den Grundbaustein für alle bürgerlichen Rechtsgeschäfte 115

S. u.

2. Die subjektiven Tatbestandsmerkmale

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gleichennaßen abgibt. Ausfluß dieser Selbstverantwortung ist auch § 122 BGB, der Erklärende hat also, auch wenn ihm kein Empfänger gegenübersteht, demjenigen, der auf den Bestand der Willenserklärung vertraut, das negative Interesse zu ersetzen. Da es aber hier um die Durchsetzung der Selbstbestimmung des Erklärenden gegenüber seiner Selbstverantwortung geht und nicht um eine Abwägung zwischen Interessen des Erklärenden gegenüber Interessen eines anderen, kommt es auf eine verständige Würdigung des Falles wie in § 119 I BGB beim fehlenden ErklärungsbewuBtsein nicht an, und die Anfechtung ist auch nicht auf bestimmte Willensmängel beschränkt, sondern greift in allen Fällen des fehlenden Erklärungsbewußtseins ein. Eine ähnliche Situation begegnet nun auch beim Testament: Auch da hat angesichts der subjektiven Auslegung die Anfechtung wegen Inhalts- und Erklärungsirrtums ihren ursprünglichen Anwendungsbereich hinsichtlich des Geschäftswillens verloren; der Tatbestand ist jedoch auch hier objektiv zu bestimmen, so daß der ursprüngliche Zweck der Anfechtung, die Privatautonomie des Erblassers zu gewährleisten, auch hier wieder zum Tragen kommt und eine entsprechende Anwendung der Anfechtungsregeln fordert. 116 Hier sind allerdings nicht § 119 ff. BGB, sondern § 2078 ff. BGB entsprechend anzuwenden. Das hat zur Folge, daß ein Vertrauensschaden analog § 122 BGB wegen § 2078 III BGB nicht zu ersetzen ist; damit hat das Gesetz die Wertung des § 122 BGB ausdrücklich für Testamente zurückgenommen. Diese Wertung ist auch auf der Tatbestandsebene zu beachten. Sie ist auch systemgerecht, denn das Testament wird ja nicht vom Erblasser selbst angefochten (er kann gemäß § 2253 ff. BGB frei widerrufen, unabhängig von irgendwelchen Willensmängeln), sondern von Dritten; eine Schadensersatzverpflichtung als Ausfluß einer Selbstverantwortung des Erblassers scheidet daher hier aus. Die einseitige Verfügung im Erbvertrag unterscheidet sich nicht von der testamentarischen Einzelverfügung; daher ist auch hier die Anfechtung in ihrem direkten Anwendungsbereich wegen des Vorrangs der subjektiven Auslegung gegenstandslos geworden, lebt aber auf der Tatbestandsebene angesichts des dort geltenden objektiven Maßstabs wieder auf in ihrer ursprünglichen Funktion, die Privatautonomie des Erklärenden sicherzustellen. Angesichts der Wertung des § 2078 III BGB (auch die einseitige Verfügung im Erbvertrag wird ja nicht vom Erblasser, sondern nach dessen Tod von Dritten angefochten) entfällt aber auch hier ein Schadensersatz nach § 122 BGB. Die vertragsmäßige Verfügung im Erbvertrag ist demgegenüber objektiv auszulegen. Hier hat daher die Anfechtung wegen Inhalts- und Erklärungsirrtums neben der Anfechtung wegen einseitigen Motivirrtums oder wegen zweiseitigen 116 So auch Soergel / Damrau § 2078 Rn. 3; RGRK / Johannsen § 2078 Rn. 24; a. A. Staud / Otte § 2078 Rn. 10 (folgerichtig nach der dort vertretenen Auffassung, die ein positives Erklärungsbewußtsein als konstitutives Tatbestandsmerkmal fordert und deshalb bei fehlendem Testierwillen eine existente Willenserklärung verneint).

5 Stumpf

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11. Auslegungsgegenstand

Motivirrtums bei fehlgeschlagener ergänzender Auslegung noch einen direkten Anwendungsbereich, nämlich die Aufgabe, die Privatautonomie des Erblassers gegenüber der Privatautonomie des Empfängers zu schützen. Die analoge Anwendung der Anfechtungsregeln auf den Fall des fehlenden Erklärungsbewußtseins ist daher hier genauso zu begründen wie bei empfangsbedürftigen Willenserklärungen unter Lebenden. Die Wertung des § 2078 III BGB paßt aber hier nicht, vielmehr greift die Selbstverantwortung des Erblassers für seine Verfügung hier wieder ein; es ist daher ein Vertrauensschaden analog § 122 BGB auch im Fall fehlenden Erklärungsbewußtseins zu ersetzen. Einseitige Verfügungen im gemeinschaftlichen Testament sind genauso zu behandeln wie einseitige Verfügungen im Erbvertrag, also genauso wie die einfache testamentarische Verfügung; auch wenn die Anfechtung also im Bereich des Geschäftswillens ihren direkten Anwendungsbereich auch hier bezüglich des Inhalts- und Erklärungsirrtums verloren hat, lebt sie in ihrer Funktion, die Privatautonomie des Erklärenden zu gewährleisten, in den Fällen des fehlenden Erklärungsbewußtseins wieder auf. Weil es sich hier um eine Fremdanfechtung handelt, scheidet allerdings auch hier wegen der Wertung des § 2078 III BGB Schadensersatz nach § 122 BGGB aus. Die Selbstanfechtung der eigenen wechsel bezüglichen Verfügung im gemeinschaftlichen Testament nach dem Tod des anderen Ehegatten dient dazu, die Bindungswirkung aufgrund einer fehlerhaften Verfügung abzuschütteln und die volle Testierfreiheit wiederzugewinnen. Dieser Schutz der Privatautonomie gebietet daher auch eine analoge Anwendung auf den Fall des fehlenden Erklärungsbewußtseins. Da es sich hier um eine Selbstanfechtung handelt, ist Schadensersatz gemäß § 122 BGB wegen des Prinzips der Selbstverantwortung möglich. Eine Sonderstellung in der direkten Anwendung nimmt schließlich die Anfechtung der wechselbezüglichen Verfügung im gemeinschaftlichen Testament durch den anderen Ehegatten oder durch Dritte wegen Inhalts- oder Erklärungsirrtums ein; hier handelt es sich um den einzigen Fall einer Fremdanfechtung, die ihre Funktion auch in Bezug auf den Geschäftswillen behalten hat, weil die wechsel bezügliche Verfügung objektiv auszulegen ist und es daher zu einem Auseinanderfallen von subjektivem und objektivem Geschäftswillen kommen kann. Diese Fremdanfechtung hat dieselbe Funktion, die auch sonst die Fremdanfechtung hätte, wenn sie nicht durch den Vorrang der Auslegung überflüssig wäre, zum Beispiel beim Testament: Sie dient dem Interesse der Anfechtungsberechtigten an einer fehlerfreien privatautonomen Verfügung. Sofern sich die Anfechtungsberechtigung aus einer früheren letztwilligen Verfügung herleitet, erhebt sie das wirtschaftliche Interesse des damals Bedachten zu einem begrenzten rechtlichen Interesse daran, daß seine aufgrund der Testierfreiheit des Erblassers gewonnene Position jedenfalls nur durch eine in voller Verfügungsfreiheit gesetzte Verfügung des Erblassers wieder vernichtet wird. Sofern die Anfechtungsberechtigung auf einem gesetzlichen Erbrecht beruht, wird das entsprechende rechtliche Interesse

2. Die subjektiven Tatbestandsmerkmale

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durch die Anfechtung verstärkt. Dieser Zweck der Sicherstellung der Privatautonomie des Erklärenden gebietet auch hier eine analoge Anwendung der Anfechtung auf den Fall des fehlenden Erklärungsbewußtseins. Da es sich um eine Fremdanfechtung handelt, scheidet § 122 BGB wegen § 2078 III BGB aus. Damit zeigt sich: Der Zweck der Anfechtung, eine uneingeschränkte privatautonome Gestaltungsfreiheit des Erklärenden zu gewährleisten, hat in allen Fällen letztwilliger Verfügungen zu einer analogen Anfechtung im Fall des fehlenden Erklärungsbewußtseins geführt, unabhängig von den unterschiedlichen Fallgestaltungen der Anfechtung in ihrer direkten Anwendung. Dieses einheitliche Ergebnis ist auch systemgerecht. Die Frage, um welche Art von Willenserklärung (auch, um welche Art von letztwilliger Verfügung) es sich handelt, ist nämlich bereits eine inhaltliche, wenn auch formell-inhaltliche Frage; sie kann daher für den Tatbestand, die reine Existenz der Willenserklärung, noch keine Bedeutung haben, sondern wirkt sich erst auf der Auslegungsebene aus. Unterschiede ergeben sich nur hinsichtlich des Schadensersatzes nach § 122 BGB, der nur in den Fällen der Anfechtung einer eigenen Willenserklärung, nicht aber in den Fällen der Fremdanfechtung in Betracht kommt; Grund hierfür ist die Selbstverantwortung, die eben nur für die eigene Willenserklärung übernommen werden kann; eine Wertung, die das Gesetz auch für den Geschäftswillen hinsichtlich der Anfechtung (d. h. der Korrektur der Willenserklärung, bei der zunächst auf der Inhaltsebene die Selbstbestimmung gegenüber der Selbstverantwortung im Vordergrund steht) übernommen hat, die aber für das Erklärungsbewußtsein erst recht gilt.

e) Fallkonstellationen zum Tatbestand der letztwilligen Veifügung Daraus ergeben sich für den Tatbestand der Willenserklärung folgende denkbaren Fallkonstellationen: aa) Die Erklärung läßt objektiv nicht auf einen Rechtsfolgewillen schließen Im ersten Fall läßt die Erklärung bereits objektiv (nach dem Verkehrsverständnis) nicht auf die Verwirklichung eines Rechtsfolgewillens schließen. E schreibt z. B. an A in einem Brief: "Ich beabsichtige, demnächst ein Testament mit ungefähr folgendem Inhalt zu errichten ... ", ohne auf Details einzugehen. ll7 Hier fehlt es bereits am objektiven Tatbestand einer Willenserklärung, es liegt daher keine (auch keine nichtige) Willenserklärung vor, selbst wenn der Erblasser subjektiv ein (in der Erklärung nicht zum Ausdruck gekommenes) Erklärungsbe1I1 Vgl. aueh BayObLG, Besehl. v. 26.2.1963 BReg. 1 Z 72/62 = BayObLGZ 1963,58; OLG Stuttgart, Besehl. v. 11.2.1963 - 8 W 2/63 = Rpfleger 1964, 148; OLG Frankfurt, Besehl. v. 13.8.1970 - 6 W 239/70 = Rpfleger 1970, 392.

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11. Auslegungsgegenstand

wußtsein hatte. 118 Eine Umdeutung kommt, weil es bereits an einer existenten Willenserklärung fehlt, ebenfalls nicht in Betracht. bb) Der objektive Erklärungstatbestand ist gegeben, es fehlt aber Erklärungsbewußtsein, und die Willenserklärung ist dem Erklärenden nicht zurechenbar Im nächsten Fall läßt die Erklärung objektiv auf die Verwirklichung eines Rechtsfolgewillens schließen, der Erklärende hatte aber subjektiv kein Erklärungsbewußtsein und mußte auch nicht nach der Verkehrsauffassung davon ausgehen, daß seine Äußerung als rechtsgeschäftliche Erklärung verstanden werden würde. Ein solcher Fall wäre etwa gegeben, wenn in dem bekannten Fall der Trierer Weinversteigerung der Fremde, der zur Begrüßung des Freundes im Versteigerungssaal die Hand hebt und damit objektiv ein Versteigerungsgebot abgibt, in Wirklichkeit gar nicht steigern will und auch nicht davon ausgehen muß, ein Gebot abzugeben, weil etwa nach seinen heimatlichen Verkehrsgepflogenheiten auf entsprechenden Versteigerungen nur durch Zuruf geboten werden kann. Auch beim Testament ist ein solcher Fall vorstellbar, wenn etwa eine eigenhändige Erbfolgeanordnung des Erblassers vorliegt, der Erblasser diese aber in Wirklichkeit nur als Entwurf abgefaßt und in den Papierkorb geworfen hatte und nur die Putzkraft aus falsch verstandener Fürsorge um das Dokument dieses wieder zu den Unterlagen des Erblassers gelegt hatte. 119 Hier ist zwar der objektive Tatbestand einer Willenserklärung gegeben, diese kann dem Erblasser jedoch nicht zugerechnet werden. Auch dieses nullum kann keine Rechtsfolgen auslösen. 120

118 Ebenso Ahrens JZ 1984, 986 (987). Wer ein subjektives Erklärungsbewußtsein fordert, aber auch genügen läßt, kann in diesen Fällen (sofern überhaupt irgendeine Erklärung abgegeben wurde) zu einer gültigen Willenserklärung gelangen; hier stellt sich dann allerdings weiterhin die Formfrage. 119 Vgl. auch RG, Urt. v. 17.2.1942 VII 7/42 = RGZ 169,254. 120 A. A. Brehmer JuS 1986,440; Kellmann JuS 1971,609, wonach eine existente, aber anfechtbare bzw. durch Gestaltungsrecht zu vernichtende Willenserklärung vorliegt; Wahlrecht und Risiko der Geltung liegen also beim Erklärenden bzw., beim Testament, beim Anfechtungsberechtigten. Wie hier die streng subjektive Auffassung, die ein Erklärungsbewußtsein fordert, z. B. Canaris NJW 1984,2281; Schubert JR 1985, 15, sowie die bisherige Rspr. zum Testierwillen.

2. Die subjektiven Tatbestandsmerkmale

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cc) Der objektive Erklärungstatbestand ist gegeben, es fehlt Erklärungsbewußtsein, die Willenserklärung ist dem Erklärenden aber zuzurechnen In einer weiteren Fallgruppe läßt die Erklärung objektiv auf die Verwirklichung eines Rechtsfolgewillens schließen, der Erblasser hatte subjektiv kein Erklärungsbewußtsein, mußte aber nach der Verkehrsanschauung davon ausgehen, daß seine Äußerung als rechtsgeschäftliche Erklärung gewertet werden müßte. Hier ist zu unterscheiden zwischen den Fällen bewußt fehlenden Erklärungsbewußtseins und den Fällen unbewußt fehlenden Erklärungsbewußtseins. a) Unbewußt fehlendes Erklärungsbewußtsein

Ein Fall unbewußt fehlenden Erklärungsbewußtseins ist bei Rechtsgeschäften unter Lebenden zum Beispiel gegeben, wenn im Trierer Weinversteigerungsfall der Fremde durch Handheben ein Gebot abgibt, ohne es zu wissen, weil er nur seinen Freund begrüßen will, in Wirklichkeit aber sowohl am Ort der Versteigerung als auch in der Heimat des Fremden das Bieten durch Handheben üblich ist. Für das Testament ist hier als Beispiel denkbar der Fall, daß ein Erblasser in einem Brief detaillierte und verbindlich wirkende Erbfolgeanordnungen trifft, aber davon ausgeht, ein Privatbrief könne nur rechtlich irrelevante Informationen enthalten, obwohl er als normaler Verkehrsteilnehmer hätte voraussehen und vermeiden können (zumindest durch Erkundigung), daß sein Schreiben als Brieftestament aufzufassen war. Grundsätzlich ist hier der objektive Tatbestand einer Willenserklärung gegeben und dieser dem Erblasser auch zuzurechnen. Im Fall unbewußt fehlenden Erklärungsbewußtseins kann sich bei Willenserklärungen unter Lebenden der Erklärende von seiner derart nicht beabsichtigten Erklärung aber durch Anfechtung entsprechend § 119 BGB lösen, verbunden allerdings mit einer eventuellen Schadensersatzpflicht gemäß § 122 BGB. Auch beim Testament ist der objektive Tatbestand einer Willenserklärung gegeben und dieser dem Erblasser auch zuzurechnen. Die gemäß § 2080 BGB Anfechtungsberechtigten können aber das Testament analog § 2078 BGB anfechten; ein Schadensersatz gemäß § 122 BGB ist nach der Wertung des § 2078 III BGB ausgeschlossen, weil es sich um eine Fremdanfechtung handelt und der Anfechtende nicht die Selbstverantwortung für den Erblasser übernehmen kann; dasselbe gilt für die einseitige Verfügung im Erbvertrag und im gemeinschaftlichen Testament. Die eigene vertragsmäßige Verfügung im Erbvertrag und die eigene wechselbezügliche Verfügung im gemeinschaftlichen Testament kann bei fehlendem Erklärungsbewußtsein vom Erblasser angefochten werden; hier greift aber die Selbstverantwortung, die in § 122 BGB Ausdruck gefunden hat, wieder ein; es ist also gegebenenfalls Schadensersatz zu leisten. 121

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11. Auslegungsgegenstand

ß)

Bewußt fehlendes Erklärungsbewußtsein

Diese Lösung für die Fälle unbewußt fehlenden Erklärungsbewußtseins wird vom Gesetz für Fälle bewußt fehlenden Erklärungsbewußtseins in den §§ 116118 BGB modifiziert. 122 -

Die Mentalreservation ist in § 116 S. 1 BGB geregelt. Sie betrifft genau unseren Fall, daß die Erklärung objektiv auf die Verwirklichung eines Rechtsfolgewillens schließen läßt, dem Erklärenden der Rechtsbindungswille fehlte, ihm die Erklärung aber zuzurechnen ist. Ein Beispiel hierfür wäre der Fall, daß eine Mutter ihrer Tochter nur zur Beruhigung der schwerkranken Großmutter den Familienschmuck schenkt und übereignet. 123 Auch der böse Scherz, bei dem der andere auf die nicht ernst gemeinte Erklärung hereinfallen soll, gehört hierher. 124 Beim Testament ist ein Fall des § 116 S. 1 BGB zum Beispiel gegeben, wenn ein Erblasser nur, um das Drängen erbbegieriger Angehöriger loszuwerden, "zum Schein" ein Testament errichtet, ohne den Scheincharakter im Testament anklingen zu lassen.

§ 116 S. 1 BGB stellt hier nur klar, was nach dem Gesagten ohnehin allgemeinen Grundsätzen entspricht, nämlich daß auch in diesem Fall die Geltung der Willenserklärung vom Fehlen des Erklärungsbewußtseins nicht beeinträchtigt wird. 125 § 116 S. 1 BGB gilt daher auch gleichermaßen für empfangsbedürftige und nicht empfangsbedürftige Willenserklärungen. 126 121 Zum selben Ergebnis müßten hier die Vertreter der streng objektiven Auffassung kommen (Brehmer JuS 1986,440; Kellmann JuS 1971,609). Nach der streng subjektiven Auffassung (Canaris NJW 1984,2281; Schubert JR 1985, 15 und alle, die ein subjektives Erklärungsbewußtsein bzw. einen subjektiven Testierwillen fordern) liegt keine existente Willenserklärung vor. Bei empfangsbedürftigen Willenserklärungen ist Schadensersatz aus culpa in contrahendo zu leisten (verschuldensabhängig mit individuell-objektivem Sorgfaltsmaßstab) oder analog § 122 BGB (verschuldensunabhängig, u. U. auch bei nicht empfangsbedürftigen Willenserklärungen). Bei Geschäften unter Lebenden besteht der Unterschied zwischen den Auffassungen daher v. a. im Risiko der Anfechtung (ebenso Ahrens JZ 1984,986 f.). Beim Testament muß derjenige, der sich auf fehlendes Erklärungsbewußtsein beruft, nach der hier vertretenen Ansicht anfechten, nach der subjektiven Auffassung dagegen lediglich im Prozeß darlegen und notfalls beweisen, daß Testierwille fehlte (vgl. Staud/Otte vor §§ 2064-2084 Rn. 10); im FGG-Verfahren trägt er die objektive Feststellungslast. 122 Zu der Frage, ob die §§ 116-118 BGB das Erklärungsbewußtsein oder den Geschäftswillen betreffen, s. o. Fn. 18 zu diesem Kapitel; auch Larenz, AT, § 19 III, S. 344. 123 Allein die gute Absicht ändert an der Wirkungslosigkeit des Vorbehalts nichts, Staud / Di1cher § 116 Rn. 5; Flume, AT 11, § 20, I, S. 403; Pal / Heinrichs § 116 Anm. 2. 124 Staud/Di1cher § 116 Rn. 5; Flume, AT 11, § 20, I, S.403; Soergel/Hefermehl § 116 Rn. 6; Pal / Heinrichs § 116 Anm. 4a; Jauemig / Jauernig § 116 Anm. 2 b. 125 Soergel / Hefermehl § 116 Rn. 1; Pal / Heinrichs § 116 Anm. 1. Die Vorschrift ist nur insofern ungenau, als es hier nicht um Nichtigkeit, sondern um die Nichtexistenz der Willenserklärung geht. 126 Soergel / Hefermehl § 116 Rn. 3; Pal / Heinrichs § 116 Anm. 2 b. A. A. Brox, ErbR, Rn. 252; Lange ThJb 87, 1 (7); v. Lübtow, ErbR I, S. 306, da es beim Testament

2. Die subjektiven Tatbestandsmerkmale

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Demgegenüber überrascht zunächst § 116 S. 2 BGB.127 Auf den ersten Blick sieht es so aus, als würde hier Vertrauensschutzgrundsätzen Rechnung getragen; folgerichtig wird daher zum Teil gesagt (und zusätzlich mit dem Wortlaut der Vorschrift begründet), § 116 S. 2 BGB sei auf nicht empfangsbedürftige Willenserklärungen nicht anwendbar. 128 Der Gesichtspunkt, der Erklärungsgegner verdiene bei Kenntnis der Mentalreservation keinen Schutz, überzeugt aber nicht; denn die Kenntnis des Vorbehalts kann der Erklärungsgegner nicht vom Erklärenden, sondern nur aus anderer Quelle erlangt haben (sonst wäre der Vorbehalt nicht mehr geheim); es ist daher schwer einzusehen, warum der Erklärungsgegner selbst bei schriftlichen (aber genauso bei sonstigen) Willenserklärungen nicht darauf vertrauen darf, daß der Erklärende sich auf jeden Fall an dem festhalten lassen muß, was er tatsächlich als die von ihm gewollte Rechtslage erklärt hat. 129 Dies spricht dafür, daß der Grund des § 116 S.2 BGB wohl gar nicht in einem Vertrauensschutz zu sehen ist. Darauf deutet auch der enge systematische Zusammenhang mit § 116 S. 1 BGB hin, der ebenfalls die Geltung der Willenserklärung auf der Tatbestandsebene unabhängig von Vertrauensschutzgrundsätzen regelt. Diese Gesichtspunkte sprechen vielmehr dafür, daß § 116 S. 2 BGB nur einen speziellen Fall des Fehlens des objektiven Tatbestandes zum Gegenstand hat, daß nämlich die Erklärung bereits objektiv nicht auf die Verwirklichung eines Rechtsfolgewillens schließen läßt (entgegen der Vorstellung des Erklärenden, sonst liegt ein Fall des § 118 BGB vor); denn dies führt in der Tat dazu, daß der Empfänger, ohne vom Erklärenden darauf hingewiesen worden zu sein, den Vorbehalt erkennt, und läßt den Tatbestand der Willenserklärung entfallen. 130 Diese Auslegung führt allerdings dazu, in den Fällen, in denen eine Erklärung objektiv auf die Verwirklichung eines Rechtsfolgewillens schließen läßt und der Empfanger den geheimen Vorbehalt aus anderen Gründen kennt, § 116 als nicht empfangsbedürftiger Willenserklärung keinen Vertrauensschutz gebe. Auf einen Vertrauensschutz kommt es jedoch nach der hier vertretenen Auffassung im Rahmen des § 116 BGB, der zur Tatbestandsebene gehört, noch nicht an (weder positiv noch negativ). Auch die Vertreter dieser Auffassung schränken im übrigen ein, daß die Rechtsordnung frivoles Verhalten des Erblassers nicht fördern dürfe. Das kann als Hinweis auf das Verantwortungsprinzip zu verstehen sein; allerdings geht es hier auf der Tatbestandsebene nicht um Fremdverantwortung gegenüber Bedachten, sondern nur um Selbstverantwortung gegenüber der eigenen Willenserklärung. In diese Richtung geht deutlicher der Hinweis, der Erblasser dürfe mit dem Testament kein Spiel treiben, es dürfe nicht leichtfertigem Testieren Tür und Tor geöffnet werden (Soergel / Stein § 1937 Rn. 18). Gegen das Abgrenzungsmerkmal des frivolen Verhaltens wegen der Unsicherheit dieser Wertung auch Lange / Kuchinke § 34 I 1 b, S. 593. 127 Auch Soergel/ Hefermehl § 116 Rn. 2; Larenz, Auslegung, S. 89; Larenz, AT, § 20 I, S. 364.

128 Soergel / Hefermehl § 116 Rn. 3; Pal/ Heinrichs § 116 Anm. 3; MK / Kramer

§ 116 Rn. 10.

129 Soergel / Hefermehl § 116 Rn. 2. 130 Auch hier wäre es aber genauer, wenn das Gesetz statt von Nichtigkeit von Nichtgeltung sprechen würde.

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11. Auslegungsgegenstand

s. 2 BGB nicht anzuwenden. 131 Umgekehrt bedeutet dies allerdings, daß auch bei § 116 S. 2 BGB im Gegensatz zum Wortlaut der Vorschrift kein Unterschied zu machen ist zwischen empfangsbedürftigen und nicht empfangsbedürftigen Willenserklärungen. 132 -

Ebenso ist § 118 BGB zu verstehen 133, der sich von § 116 BGB dadurch unterscheidet, daß hier der Erklärende von der Erkennbarkeit der Nichtemstlichkeit ausgeht. Hier wird es im Regelfall bereits am objektiven Tatbestand der Erklärung fehlen, wenn nämlich die Erklärung objektiv bereits nicht auf die Verwirklichung eines Rechtsfolgewillens schließen läßt; dann hat auch § 118 BGB nur klarstellende Bedeutung. 134 Denkbar ist jedoch auch der Fall, daß die Erklärung objektiv auf die Verwirklichung eines Rechtsfolgewillens schließen läßt, der Erklärende jedoch subjektiv diesen Rechtsfolgewillen nicht hatte und subjektiv davon ausging, der Mangel des Rechtsfolgewillens sei erkennbar. Wenn der Erklärende nach der Verkehrsauffassung nicht davon ausgehen mußte, daß der Mangel des Rechtsfolgewillens erkennbar sei, dann fehlt es an der Zurechenbarkeit; auch in diesem Fall stellt dann § 118 BGB nur klar, was nach allgemeinen Grundsätzen ohnehin gilt. 135

13l Ähnlich Larenz, Auslegung, S. 89; Larenz, AT, § 20 I, S. 364. Soergel / Hefennehl § 116 Rn. 2 weist hin auf die geringe praktische Bedeutung der Vorschrift. Eine mehr am Wortlaut und weniger an der Systematik des Gesetzes orientierte Lösung könnte dazu kommen, daß das Gesetz in § 116 S. 2 BGB die Selbstverantwortung des Erklärenden auf der Tatbestandsebene für die empfangsbedürftige Willenserklärung modifiziert, nämlich auf den Empfänger beschränkt (anstatt nach allgemeinen Grundsätzen das Verkehrsverständnis zugrundezulegen). Das führt jedoch nicht zu einem anderen Ergebnis; sofern der Empfänger den Vorbehalt kennt und der objektive Erklärungstatbestand entsprechend diesem modifizierten Begriff der Selbstverantwortung insoweit aus dem Empfängerhorizont heraus zu beurteilen ist, wäre auch nach diesem Ansatz bereits der objektive Erklärungstatbestand nicht gegeben. Das spricht dafür, nicht ohne Not vom allgemeinen Konzept der Selbstverantwortung als Strukturelement der Willenserklärung abzuweichen. 132 Das ist überwiegend anerkannt für die Auslobung, vgl. Staud / Dilcher § 116 Rn. 8; Flurne, AT 11, § 20, I, S.404; Soergel/Hefennehl § 116 Rn. 7; Pal/Heinrichs § 116 Anm.3 b (a. A. Köhler, AT, § 14 III 1, S. 126; MK / Kramer § 116 Rn. 10), gilt aber allgemein für die nicht empfangsbedürftige Willenserklärung; Ennan / Brox § 116 Rn. 3; Soergel / Hefennehl § 116 Rn. 7. A. A. für das Testament Lange / Kuchinke § 34 I 1 b, S. 593 unter Bezug auf Prot. V 46 f.; der Gesetzgeber hatte dabei allerdings den damaligen Stand der Dogmatik vor Augen. 133 Für einen Sonderfall des fehlenden Erklärungsbewußtseins halten § 118 BGB auch Köhler, AT, § 14 III 3d, S. 129; MK/Kramer § 118 Rn. 9; Larenz, AT, § 19 I1I, S. 356. 134 Soergel / Hefennehl § 116 Rn. 1. Auch hier ist es allerdings wieder ungenau, wenn das Gesetz von Nichtigkeit statt von Nichtexistenz spricht. 135 Im ersten Entwurf war bestimmt, daß die nicht ernstlich gemeinte Willenserklärung gültig sei, wenn dem Erklärenden hinsichtlich der Erwartung, der Mangel der Ernstlichkeit werde nicht verkannt werden, grobe Fahrlässigkeit vorzuwerfen sei; diese Regelung,

2. Die subjektiven Tatbestandsmerkmale

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Seinem Wortlaut nach gilt dann allerdings § 118 BGB auch noch in den Fällen, in denen der Mangel des Rechtsfolgewillens objektiv nicht erkennbar war (der objektive Tatbestand der Willenserklärung also gegeben ist), der Erklärende nach der Verkehrsauffassung auch davon ausgehen mußte, daß seine Äußerung als rechtsgeschäftliche Erklärung gewertet werden würde (die Erklärung also auch zurechenbar ist) und der Erklärende nur subjektiv davon ausgeht, der Mangel der Emstlichkeit sei erkennbar. Nach allgemeinen Grundsätzen liegt hier eine existente Willenserklärung vor, denn auf die subjektiven Vorstellungen des Erklärenden kommt es aus Gründen der Erklärungsverantwortlichkeit nicht an. Auch Vertrauensschutz des Empfängers scheidet als Grund für die Regelung des § 118 BGB von vornherein aus, vielmehr wird hier der Erklärende über das normale Maß hinaus geschützt und von einem Teil seiner Erklärungsverantwortung entlastet. Für diese letzte der drei denkbaren Fallgruppen des § 118 BGB ist daher der Tatbestand der Vorschrift systemwidrig zu weit gefaßt und daher insoweit nicht anwendbar. 136 Der Erklärende kann aber hier wegen mangelnden Erklärungsbewußtseins anfechten, macht sich aber (wie auch im Fall des § 118 BGB) unter Umständen schadensersatzpflichtig nach § 122 BGB. Da auch § 118 BGB von Vertrauensschutzgrundsätzen unabhängig ist, gilt das Gesagte gleichermaßen für empfangsbedürftige und nicht empfangsbedürftige Willenserklärungen, also auch für alle Verfügungen von Todes wegen. I37 Auch bei Anwendung des § 118 BGB auf testamentarische Verfügundie in Richtung der Zurechenbarkeit nach heutigem Verständnis gegangen wäre, wurde jedoch von der zweiten Kommission als ,,Anomalie" gestrichen und § 122 BGB auch für den Fall des Verschuldens als genügend angesehen; nach Flurne, AT 11, § 20, 3, S. 413, m. w. N.; ein schönes Beispiel, wie unklar im Grunde die dogmatischen Grundlagen damals noch waren. 136 Für eine Aufklärungspflicht, wenn der Erklärende erkennt, daß der Gegner die Erklärung als ernstlich gewollt ansieht, und Ausschluß der Berufung auf § 118 BGB über § 242 BGB RG, Urt. v. 24.11.1941 - 11 97/41 = RGZ 168,204; Canaris, Vertrauenshaftung, § 26 I 3, S.283; Staud/Dilcher § 118 Rn. 7; Soergel/Hefermehl § 118 Rn. 6; Rn. 8; PalIHeinrichs § 118 Anm. 2; Larenz, AT, § 20 I b, S. 365. Im Rahmen einer näher am Wortlaut des Gesetzes als an der Systematik orientierten Lösung wäre auch das Ergebnis denkbar, § 118 BGB als einen Fall anzusehen, in dem das Gesetz den Erklärenden ausnahmsweise von einem Teil seiner Selbstverantwortung entlastet und ihn dafür mit dem (im Prinzip der Selbstverantwortung begründeten) Schadensersatz nach § 122 BGB belegt, der allerdings als negatives Interesse hinter dem Erfüllungsinteresse in der Regel zurückbleibt, dieses jedenfalls nicht übersteigt. Diese Erleichterung des Gesetzes ist aber allenfalls historisch zu erklären, denn im ersten Entwurf wurde hier die Nichtigkeit ebenso wie beim Inhaltsirrtum mit dem Willensdogma begründet; im zweiten Entwurf wurde in § 119 BGB vom Willensdogma abgerückt, § 118 BGB jedoch insoweit unverändert gelassen. Wegen dieses gedanklichen Bruchs und der obsolet gewordenen Verankerung des § 118 BGB in der Willenstheorie angesichts des nunmehr anerkannten Verständnisses der Willenserklärung als Geltungserklärung empfiehlt sich daher eher eine einschränkende Auslegung des § 118 BGB. Ebenso Brox, Irrtumsanfechtung, S. 53. 137 RG, Urt. v. 11.5.1922 IV 331/21 = RGZ 104, 320 (322); Soergell Hefermehl § 118 Rn. 4; PalI Heinrichs § 118 Anm. 1; § 1937 Anm. 2.

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H. Auslegungsgegenstand gen ist aber der Ersatzanspruch aus § 122 BGB wegen der Wertung des § 2078 III BGB ausgeschlossen. 138

-

§ 118 BGB unterscheidet sich von § 117 BGB dadurch, daß er (auch) das mißlungene Scheingeschäft erfaßt, also den Fall, daß der Erklärende vergeblich erwartet, der Empfanger werde den Scheincharakter erkennen. 139 Bei § 117 BGB erkennt also der Empfänger den Scheincharakter, bei § 118 BGB kennt er ihn nicht. Von § 116 BGB unterscheidet sich § 117 BGB demgegenüber im "Vorsatzbereich" des Erklärenden: Bei § 116 BGB soll der Empfänger die Erklärung ernst nehmen, bei § 117 BGB nicht. 140 Im Fall des Scheingeschäfts fehlt es an einem äußeren Tatbestand, der auf einen Rechtsbindungsoder Erklärungswillen schließen läßt. 141 Damit liegt bereits objektiv eine Willenserklärung nicht vor. 142 Auch § 117 BGB hat daher nur klarstellende Bedeutung. 143

Da die spezielle Situation, die § 117 BGB regeln will, nur bei empfangsbedürftigen Willenserklärungen auftreten kann, ist § 117 BGB auf das nicht empfangsbedürftige Testament nicht anzuwenden. 144 Die allgemeinen Grundsätze, deren Ausprägung für empfangsbedürftige Willenserklärungen § 117 BGB darstellt, sind aber selbstverständlich auch beim Testament heranzuziehen. 145 Nach alledem zeigt sich, daß die vom Gesetz geregelten Fälle des bewußten Fehlens des Erklärungsbewußtseins systemkonform liegen oder jedenfalls systemkonform auszulegen sind. Sie führen daher nicht zu anderen Ergebnissen als die für das unbewußte Fehlen des Erklärungsbewußtseins entwickelten Grundsätze. dd) Objektiver Erklärungstatbestand und Erklärungsbewußtsein liegen vor, aber nicht die Voraussetzungen der Zurechnung Schließlich ist noch der Fall denkbar, daß die Erklärung objektiv auf die Verwirklichung eines Rechtsfolgewillens schließen läßt, der Erblasser auch sub138 Brox, ErbR, Rn. 253; Kipp / Coing § 24 VIII, S. 181; Staud / Dilcher § 118 Rn. 4; Planck / Flad vor § 2078 Anm. 2 a; Lange / Kuchinke § 34 I 1c, S. 594; v. Lübtow, ErbR I, S. 306. 139 Staud/Di1cher § 118 Rn. 2; Flume, AT H, § 20,3, S.413; Soergel/Hefermehl § 118 Rn. 8. 140 Flume AT 11, § 20, 2a, S. 405; Pal/Heinrichs § 116 Anm. 4a,b. 141 Auf den Geschäftswillen bezogen ebenso Soergel / Hefermehl § 117 Rn. 1, der aber allgemein Erklärungs- und Geschäftswillen gleich behandelt. 142 Soergel / Hefermehl § 116 Rn.!. 143 Es geht aber auch hier nicht um die nichtige Erklärung, sondern um die Nichterklärung, so auch Soergel / Hefermehl § 116 Rn. 1. 144 BayObLG, Besch!. v. 12.5.1976 - BReg. 1 Z 109n5 = FamRZ 1977,347 (348); Soergel / Hefermehl § 117 Rn. 2; Pal / Heinrichs § 117 Anm. 2 a. 145 Das zeigt gerade auch die Entscheidung BayObLG, Besch!. v. 12.5.1976 - BReg. 1 Z 109/75 = FamRZ 1977,347, wo letztendlich trotz fehlenden subjektiven Rechtsbindungswillens der Erblasser ein gültiges Testament angenommen wurde.

2. Die subjektiven Tatbestandsmerkmale

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jektiv ein Erklärungsbewußtsein hatte, aber objektiv nach der Verkehrsanschauung gar nicht davon ausgehen mußte, daß seine Äußerung als rechtsgeschäftliche Erklärung verstanden werden würde. Beispiel hierfür wäre im Trierer Weinversteigerungsfall die Variante, daß der Fremde die Hand hebt, weil er tatsächlich bieten will, obwohl er nach seiner heimatlichen Verkehrssitte, wonach nur durch Zuruf zu bieten wäre, gar nicht von einem wirksamen Gebot durch Handheben auszugehen brauchte. Im Testamentsrecht wäre denkbar der Sachverhalt, daß der Erblasser eine letztwillige Verfügung abgibt und dies auch will in einem Zusammenhang, in dem normalerweise nicht mit letztwilligen Verfügungen gerechnet werden muß. 146 Hier wäre es nun falsch, eine Willenserklärung zu verneinen, weil es ja an der objektiven Zurechenbarkeit fehle. Denn seiner Erklärungsverantwortung ist der Erblasser ja dadurch nachgekommen, daß er eine objektiv als Geltungserklärung zu verstehende Willenserklärung abgegeben hat. Es besteht daher kein Anlaß, die privatautonome Selbstbestimmung (objektiver Tatbestand und Erklärungsbewußtsein liegen ja vor) aus Gründen der Erklärungsverantwortung zurückzudrängen. Der Satz, daß für den Tatbestand der Willenserklärung kein subjektives Erklärungsbewußtsein zu fordern sei, wird daher nur dann richtig verstanden, wenn damit gesagt wird, daß ein fehlendes subjektives Erklärungsbewußtsein durch die objektiv-normative Zurechnung ersetzt werden kann. Dies gilt in gleichem Maße für die empfangsbedürftige und die nicht empfangsbedürftige Willenserklärung. Im übrigen unterscheidet sich diese Fallgruppe nicht von der vorhergehenden, ist also auch genauso zu lösen. 147 f) Der Geschäftswille

Als drittes der subjektiven Tatbestandselemente einer Willenserklärung wird üblicherweise der Geschäftswille genannt. Dieser Geschäftswille wird unterschiedlich definiert: Als Wille, der darauf gerichtet ist, durch die Erklärung bestimmte Rechtsfolgen herbeizuführen, oder als die auf einen bestimmten wirtschaftlichen, rechtlich gesicherten Erfolg gerichtete Absicht, oder aber als Wille, einen bestimmten wirtschaftlichen Erfolg herbeizuführen. 148 Auf jeden Fall aber wird als Geschäftswille der Wille in seiner Bezogenheit auf den Inhalt des Erklärungsaktes erfaßt. Hier soll unter dem Geschäftswillen der Wille, mit der Erklärung bestimmte Rechtsfolgen herbeizuführen, verstanden werden. Im Gegensatz zum Erklärungsbewußtsein geht es beim Geschäftswillen nicht darum, irgendeine, sondern eine ganz konkrete Rechtsfolge herbeizuführen. 149 Vgl. RG, Urt. v. 17.7.1942 - VII 7/42 = RGZ 169,255. Die anderen Auffassungen, sowohl die streng subjektive als auch die streng objektive Auffassung, kommen hier zum selben Ergebnis. 148 Flurne, AT II, § 4, 2c, S.47; § 4,5, S. 51, m. w. N. 149 Erman 1Brox vor § 116 Rn. 4; Brox, AT, Rn. 84; Staudl Dilcher vor § 116 Rn. 21; Flurne, AT II, § 4, 2c, S. 47; Jauemig 1Jauemig vor § 116 Anm. 3c. 146

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II. Auslegungsgegenstand

Mängel des Geschäftswillens können daher auch, anders als beim Erklärungsbewußtsein, auf zweierlei Art auftreten: Es ist möglich, daß der Erklärende überhaupt keinen konkreten Geschäftswillen gebildet hat; darüber hinaus ist es hier aber auch möglich, daß der Erklärende einen Geschäftswillen gebildet hat, der aber inhaltlich von der maßgeblichen Erklärungsbedeutung abweicht. Für den Tatbestand der Willenserklärung sind diese beiden Fragen zu unterscheiden. aa) Die Frage des "Ob" als Tatbestandsfrage Die Frage nach dem "Ob" des Geschäftswillens kann nur parallel zum Erklärungsbewußtsein beantwortet werden. Einen bestimmten rechtlichen Erfolg herbeiführen will nur, wer überhaupt einen rechtlichen Erfolg herbeiführen, also rechtsgeschäftlich handeln will. Insoweit ist es richtig, wenn gesagt wird, es gebe keinen Geschäftswillen ohne Erklärungsbewußtsein und kein Erklärungsbewußtsein ohne Geschäftswillen. 150 Wegen diese Gleichlaufs von Erklärungsbewußtsein und Geschäftswillen ist daher auch ein Geschäftswille als konstitutive Tatbestandsvoraussetzung nicht zu fordern. 151 Zwischen Handlungswille, Erklärungsbewußtsein und Geschäftswille besteht eine Stufenfolge vom Allgemeinen zum Speziellen: Das Erklärungsbewußtsein als Bewußtsein, irgendeine Rechtsfolge auszulösen, umfaßt den allgemeineren Handlungswillen, also das reine Bewußtsein menschlichen willensgetragenen Verhaltens; der Geschäftswille als Bewußtsein, eine ganz bestimmte Rechtsfolge auszulösen, umfaßt wiederum das Erklärungsbewußtsein. Wenn lediglich der allgemeine Handlungswille als notwendiges Tatbestandsmerkmal angesehen wurde, nicht aber das demgegenüber speziellere Erklärungsbewußtsein, kann nun eigentlich der noch speziellere Geschäftswille erst recht kein konstitutives Tatbestandsmerkmal sein. 152 Das bedeutet, daß eine Willenserklärung als existent anzusehen ist, wenn sie objektiv den Eindruck erweckt, mit irgendeinem konkreten Geschäftswillen verlautbart worden zu sein, und dieser Eindruck dem Erklärenden zurechenbar ist. 153 150 Soergel 1Hefennehl vor § 116 Rn. 13. Hier liegt auch der Grund, warum die §§ 116-118 BGB z. T. auch als Fälle eines fehlenden Geschäftswillens angesehen werden. Aus denselben Gründen erklärt sich auch das Phänomen, daß oft Rechtsbindungswille und Geschäftswille als separate Elemente einer Willenserklärung vorgestellt, letztlich aber doch vennengt werden, vgl. z. B. Eisenhardt JZ 1986, 875 (879). 151 BGH, Urt. v. 7.6.1984 IX ZR 66/83 = BGHZ 91,324 = BB 1984, 1317 = JR 1985, 12 = JZ 1984,984 = NJW 1984,2279 = WM 1984, 1018. 152 Jauernig 1Jauernig vor § 116 Anm. 3 c. 153 BGH, Urt. v. 7.6.1984 IX ZR 66/83 - BGHZ 91, 324 = BB 1984, 1317 == JR 1985, 12 = JZ 1984, 984 = NJW 1984,2279 = WM 1984, 1018; Ennan/Brox vor § 116 Rn. 3; Soergel/Hefennehl vor § 116 Rn. 8; Rn. 13; PaliHeinrichs vor § 116 Anm. 4 b; MK 1Kramer § 119 Rn. 81 ff. Hinsichtlich des objektiven Erklärungstatbestandes kommt es aber auch hier nicht auf einen Empfängerhorizont, sondern nur auf das Verkehrsverständnis an, denn entspre-

2. Die subjektiven Tatbestandsmerkmale

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Der Erklärende kann aber, wenn er in Wirklichkeit überhaupt keinen konkreten Geschäftswillen hat, analog § 119 BGB seine Willenserklärung anfechten, ist dann aber auch gemäß § 122 BGB zum Schadensersatz verpflichtet. 154 Beim Testament ist - entsprechend der Funktion der erbrechtlichen Anfechtung einer inhaltlichen Richtigkeitsgewähr - bei völlig fehlendem Geschäftswillen trotz objektiven Erklärungstatbestandes (d. h. einer Erklärung, die den Eindruck erweckt, mit irgendeinem konkreten Geschäftswillen verlautbart worden zu sein) und nonnativer Zurechenbarkeit den gemäß § 2080 BGB Anfechtungsberechtigten die Anfechtung entsprechend § 2078 BGB 155 (insbesondere ohne die Schadensersatzpflicht nach § 122 BGB) eröffnet. 156 Bei Erbvertrag und gemeinschaftlichem Testament entspricht die Rechtslage ebenfalls der im Fall fehlenden Erklärungsbewußtseins. Wegen dieses völligen Gleichlaufs von Erklärungsbewußtsein und Geschäftswille hinsichtlich des "Ob" ist daher auch die Frage nach der reinen Existenz eines konkreten Geschäftswillens praktisch bedeutungslos. Dieses Ergebnis hält auch einer Überprüfung an den Grundstrukturen der Willenserklärung stand. Auch hinsichtlich der Beurteilung des Geschäftswillens ist zunächst die Privatautonomie des Erklärenden maßgeblich, die sich aus Selbstbestimmung und Selbstverantwortung zusammensetzt. Die Selbstverantwortung geht auch hier der Selbstbestimmung zunächst vor, sie fordert, daß das Risiko, daß die Willenserklärung als konkreter rechtlicher Gestaltungsakt von der Rechtsgemeinschaft erkannt wird, zunächst vom Erklärenden zu tragen ist. 157 Es geht hier nur um die Alternachend der Funktion des Tatbestandes der Willenserklärung, der lediglich den Eintritt des Erklärenden in den Rechtsverkehr anzeigt, also nur dessen Privatautonomie unterworfen ist, nicht aber die Privatautonomie anderer berührt, ist ein Vertrauensschutz hier noch unerheblich; das gilt auch für die Frage des Geschäftswillens hinsichtlich des "Ob" (dazu s. sogleich). 154 Der direkte Anwendungsbereich des § 119 BGB betrifft nur den Fall, daß ein anderer als der objektiv erklärte Geschäftswille gebildet wurde. § 119 I 2. Alt. BGB steht nicht entgegen, denn beim Erklärungsirrtum hat der Erklärende eine Willenserklärung mit einem konkreten Inhalt abgeben wollen, doch ist ihm die Umsetzung dieses Willens technisch mißlungen, so daß der äußere Erklärungstatbestand seinem Inhalt nach nicht dem wirklich gebildeten Geschäftswillen entspricht; Soergel / Hefermehl § 119 Rn. 11. Bei gänzlich fehlendem konkreten Geschäftswillen ist deshalb auch die Anfechtung ohne Beschränkung auf die Fallgruppen des § 119 BGB möglich. 155 Auch § 2078 BGB meint in seiner direkten Anwendung nur den Fall, daß ein anderer als der objektiv erklärte Geschäftswille gebildet wurde, nicht aber den Fall, daß überhaupt kein konkreter Geschäftswille vorliegt. Das gilt auch für § 2078 11 BGB, der diesen Willensmangel lediglich ins Vorfeld der Willensbildung verlagert. 156 Der Anfechtung geht hier auch nicht die Auslegung vor, die bei der Frage nach dem "Wie" des Geschäftswillens angesichts des subjektiven Auslegungsmaßstabs die Anfechtung überflüssig macht; denn hier auf der Tatbestandsebene geht es eben noch nicht darum, einen maßgeblichen Geschäftswillen zu ermitteln, sondern nur darum, ob die Willenserklärung überhaupt den objektiven Eindruck macht, irgendeinen konkreten Inhalt zu haben (was nur in seltenen Ausnahmefällen zu verneinen sein dürfte). 157 Da es beim Tatbestand um die Eintrittskarte des Erklärenden in den Rechtsverkehr geht, ist auch hinsichtlich der Frage, ob die Erklärung den objektiven Eindruck macht,

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11. Auslegungsgegenstand

tive, ob die Erklärung den Eindruck macht, einen konkreten rechtlichen Inhalt zu haben, oder nicht. Deshalb ist das Risiko dieser Prognose nicht allzu hoch und daher auch dem Erklärenden zumutbar. Die Selbstbestimmung fordert dann jedoch, daß dieser objektive Eindruck dem Erklärenden zurechenbar sein muß, und gibt das Anfechtungsrecht entsprechend § 119 BGB (die Analogie rechtfertigt sich daher auch hier aus dem Sinn der Anfechtung, die Privatautonomie des Erklärenden zu gewährleisten). Das gilt in gleicher Weise auch für die letztwillige Verfügung. Hinsichtlich der Frage des "Ob" des Geschäftswillens ist auch die Privatautonomie des Empfängers oder anderer Personen noch nicht berührt, Vertrauensschutz oder Verkehrsschutzinteressen bleiben hier also noch außer Betracht. Allerdings wird grundsätzlich die Willenserklärung durch den Geschäftswillen mit einem bestimmten Inhalt erfüllt, die derart inhaltlich angefüllte Willenserklärung kann ihre Funktion als sozialer Gestaltungsakt übernehmen und Rechtsbeziehungen zwischen dem Erklärenden und seiner Umwelt begründen, mit dieser Einwirkung auf die Rechtsverhältnisse anderer grundsätzlich aber auch deren Privatautonomie beeinträchtigen. Das gilt jedoch noch nicht für die Frage, ob die Willenserklärung überhaupt irgendeinen konkreten Inhalt hat, sondern erst für die Frage, welchen konkreten Inhalt die Willenserklärung hat; denn noch nicht durch irgendeinen Inhalt, sondern eben erst durch den konkret maßgeblichen Inhalt wird die Rechtsbeziehung zum Empfänger oder zu anderen Personen konkret beeinflußt. Das aber ist erst die Frage des "Wie" des Geschäftswillens. bb) Die Frage des "Wie" als Auslegungsfrage Anders als beim Erklärungsbewußtsein stellt sich beim Geschäftswillen also nicht nur die Frage, ob ein konkreter Geschäftswille vorliegt oder nicht, sondern es fragt sich darüber hinaus, mit welchem Inhalt der Geschäftswille vorliegt, welche Rechtsfolgen die Willenserklärung auslösen soll; also nicht nur die Frage des "Ob", sondern zusätzlich die Frage des "Wie". Diese Ermittlung des maßgeblichen Geschäftswillens 158 ist aber nichts anderes als die Frage, mit welchem Inhalt die Willenserklärung gelten soll, also nichts anderes als die Auslegung der Willenserklärung. Damit wird also die Frage nach dem Tatbestand der Willenserklärung, nach ihrer Existenz, nach dem Auslegungsgegenstand bereits verlassen; denn die Frage nach dem Auslegungsgegenstand geht jeder Auslegung vor. 159 Die Frage, was überhaupt die Willenserklärung ausmacht, die der Ausleirgendeinen konkreten rechtlichen Inhalt zu haben, auf das Verkehrsverständnis, nicht z. B. auf einen Empfangerhorizont abzustellen. 158 Hiermit ist noch nicht notwendig die Ermittlung des subjektiven Geschäftswillens des Erklärenden gemeint; ob der maßgebliche Geschäftswille, der den Inhalt der Willenserklärung festlegt, subjektiv oder objektiv zu bestimmen ist, ist vielmehr eine Frage des jeweiligen Auslegungsmaßstabs; dazu s. u. 159 Ebenso Bemard S. 22 f.; Staud / Dilcher §§ 133, 157 Rn. 15; Soergel / Hefermehl § 133 Rn. 9; Pal / Heinrichs § 133 Anm. 3 a; Anm. 7 a (die dort angegebenen Zitate BGH,

2. Die subjektiven Tatbestandsmerkmale

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gung dann zugänglich sein soll, muß jeder Auseinandersetzung mit der Willenserklärung vorangehen. Denn erst wenn geklärt ist, was im einzelnen zur Willenserklärung zu rechnen ist, kann der Inhalt dieser Willenserklärung ermittelt werden. Das bedeutet, daß der Auslegungsgegenstand noch inhaltlich neutral zu fassen ist; eine Bestätigung des Ergebnisses, daß ein konkreter Geschäftswille kein konstitutives Tatbestandselement der Willenserklärung sein kann. Würde eine Bestimmung des Geschäftswillens für den Tatbestand der Willenserklärung, also eine inhaltliche Begrenzung des Auslegungsgegenstandes gefordert werden, so könnte diese folglich erst durch die Auslegung, d. h. durch die Ermittlung des Inhalts der Willenserklärung geschehen; die Feststellung des Tatbestandes wäre somit abhängig von der Auslegung der Willenserklärung, könnte also erst im Anschluß an diese erfolgen. Ein Auslegungsgegenstand, der wegen einer inhaltlichen Begrenzung erst im Anschluß an eine (wenn auch u. U. versteckte) Auslegung festgestellt werden kann, ist aber wertlos; seine Funktion, nämlich festzustellen, worauf die Auslegung sich beziehen soll und welches Material sie umfassen soll, kann ein solcher Auslegungsgegenstand nicht erfüllen. In jedem bereits inhaltsbestimmten Auslegungsgegenstand ist also bereits eine solche Auslegung verborgen. Das bedeutet, daß auf der Tatbestandsebene ein subjektiver Geschäftswille des Erklärenden noch keine Beachtung finden darf. Aber auch wenn umgekehrt gesagt wird, es sei bei der Auslegung von der "Erklärung", vom "Text" der Urkunde auszugehen 160, so kann sich darin bereits ein inhaltliches V orverständnis im Vorfeld der Auslegung verstecken, das die Auslegung umgekehrt nicht in subjektiver, sondern in objektiver Richtung beeinflußt, nämlich im Sinne einer Verkehrsbedeutung der Erklärung. Auch dies ist aber nichts anderes als eine vorweggenommene Auslegung; denn die Wörter und Zeichen, aus denen sich der Text zusammensetzt, haben für sich genommen noch keinerlei Aussagewert. 161 Die Zeichen eines Textes gewinnen vielmehr ihren Aussagewert erst durch Konvention. 162 Wer sagt, es sei zur Begrenzung der Auslegung von der Erklärung, vom Text auszugehen, meint daher in Wirklichkeit, von den vielen Bedeutungen, die eine solche Worthülse haben kann, sei doch Urt. v. 23.2. 1956 - 11 ZR 207/54 = BGHZ 20, 109 (111) und BGH, Urt. v. 14.3. 1956 - VI ZR 336/54 = LM § 157 BGB (Gf) NT. 2 beziehen sich allerdings nicht auf den Gegensatz zwischen Auslegungsgegenstandsenniulung und Inhaltsennittlung, sondern zwischen Tatsachenfeststellung und rechtlicher Würdigung); Köhler, AT, § 1611, S. 166. 160 Vgl. z. B. Leipold JZ 1983,711 (712). 161 Der Naturalismus, wonach einem sprachlichen Zeichen von Natur aus eine bestimmte Bedeutung zukommt, prägt allerdings immer noch das Sprachverständnis weiter Bevölkerungskreise, auch von Juristen, ist aber in der Sprachphilosophie überwunden; vgl. Koch / Rüßmann S. 159. 162 Dies nicht verstanden im Sinne des semantischen Intentionalismus, daß etwa zwischen den Mitgliedern einer Sprachgemeinschaft explizite und fönnliche Vereinbarungen getroffen würden, sondern im Sinne des semantischen Konventionalismus; vgl. Koch/Rüßmann S. 158, m. w. N. Der Intentionalismus hat aber Bedeutung z. B. zur Erklärung eines individuellen Sondersprachgebrauchs.

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der konventionelle Sprachgebrauch, der Verkehrssprachgebrauch maßgeblich, und steht damit auf dem Boden des semantischen Konventionalismus - nur eben mit der Maßgabe, daß die Verkehrsbedeutung nicht die einzig wahre, sondern nur eine von mehreren Verständnismöglichkeiten ist. Überdies kann es vorkommen, daß mehrere Konventionen in Betracht gezogen werden müssen. Auch sprachliche Konventionen unterliegen im Laufe der Zeit einem gewissen Wandel. Umgangssprache und Fachsprache können auseinanderfallen. Innerhalb einer Sprachgemeinschaft kann es unterschiedliche Sprachgruppen mit unterschiedlichen Konventionen geben. Paradebeispiel unterschiedlicher Konvention sind schließlich die vielen verschiedenen Sprachen, die auf dieser Erde von Menschen gesprochen werden (von den verschiedenen Systemen averbaler Kommunikation, von Verkehrsschildern bis zu Piktogrammen zur Kennzeichnung von Flughafen-Serviceeinrichtungen, ganz zu schweigen). 163 Selbst wenn also der konventionelle Sprachgebrauch zugrunde gelegt werden soll, muß daher oft erst ermittelt werden, welche Bedeutung der konventionelle Sprachgebrauch im Einzelfall überhaupt hergibt. Das aber ist gerade die Aufgabe der Auslegung. Außerdem muß ja vorher auch noch begründet werden, ob überhaupt dieser Verkehrs sprachgebrauch zugrunde zulegen ist oder nicht abweichende Definitionen aufgrund eines Sondersprachgebrauchs des Erklärenden oder einer Chiffrierung; das sind ebenfalls Auslegungsfragen. Die Forderung, es sei vom "Text", von der ,,Erklärung" bei der Auslegung auszugehen, geht in diesem Fall ins Leere, solange nicht geklärt ist, welches Verständnis diesem "Text" zugrundegelegt werden soll. Wird aber das maßgebliche Verständnis des "Textes" schon auf der Ebene des Auslegungsgegenstandes bestimmt, etwa im Sinne des allgemeingültigen, des Verkehrsverständnisses, und im Anschluß daran noch ausgelegt, dann wird diese eigentliche Auslegung in ihrem Ergebnis vorwegbestimmt durch die vorgezogene, versteckte, oft vielleicht sogar unbewußte Inhaltsbestimmung auf der Tatbestandsebene, wo aber die Kriterien dafür, was das maßgebliche Verständnis des "Textes" ausmachen soll, noch nicht deutlich gemacht werden. Bei einer derartigen vorgezogenen Inhaltsbestimmung auf der Tatbestandsebene (unabhängig davon, ob ein objektives oder subjektives Vorverständnis dabei zugrunde gelegt wird) werden somit die Gründe, die das Ergebnis der Auslegung letztlich bestimmen, nicht ins Bewußtsein gehoben, also auch nicht in der Entscheidung offengelegt; die Gründe, die auf der eigentlichen Auslegungsebene das Ergebnis dann stützen sollen, wirken nicht umsonst aus diesem Grunde in mancher Entscheidung eher nachgeschoben als wirklich tragend. 164 Vgl. Koch/Rüßmann S. 188 ff. Weil es eine naturgegebene Bedeutung eines Textes nicht gibt, kann ein Text auch nicht von Natur aus eindeutig oder mehrdeutig sein; vielmehr kann erst durch Auslegung ermittelt werden, welche Bedeutung dem Text zukommt und was unter Eindeutigkeit überhaupt zu verstehen ist. Diese Bedenken gegen die sogenannte Eindeutigkeitstheorie lassen aber deren grundliegendes Anliegen, der Rechtssicherheit gegenüber einem weitreichenden Subjektivismus Nachdruck zu verleihen, unberührt; s. u. 163

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2. Die subjektiven Tatbestandsmerkmale

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Die Forderung, die Auslegung habe vom Text der Erklärung auszugehen, enthält das beschriebene inhaltliche Vorverständnis auf der Tatbestandsebene aber natürlich nur, wenn eine vorweggenommene inhaltliche Verkehrsbedeutung die nachfolgende Auslegung in irgendeiner Weise beschränken soll. Sie ist aber richtig insofern, als die Auslegung vom Erklärungstatbestand auszugehen hat und dieser in der Tat objektiv zu bestimmen ist; denn eine Willenserklärung liegt tatbestandiich ja bereits dann vor, wenn sie, unabhängig von einem subjektiven Erklärungsbewußtsein, objektiv, d. h. nach dem Verständnis des Rechtsverkehrs den Eindruck erweckt, mit einem rechtlichen Bindungswillen verlautbart worden zu sein. Diese objektive Bestimmung bezieht sich aber nur auf die Frage, ob überhaupt eine rechtliche Bindung eintreten soll oder nicht, aber noch nicht auf einen konkreten Inhalt. -

Demgegenüber wird gesagt, es lasse sich zwar theoretisch trennen, ob eine Erklärung vorliege, und welchen Inhalt sie habe; im praktischen Einzelfall entscheide aber unter Umständen erst der mögliche Inhalt darüber, ob (insoweit) überhaupt eine Willenserklärung vorliege. 165 Da es nur Willenserklärungen bestimmten Inhalts gebe, ließen sich Dasein und Inhalt der Willenserklärung nicht voneinander trennen; eine Willenserklärung ohne konkreten· Inhalt gebe es ebensowenig wie ein Erklärungsbewußtsein ohne Geschäftswillen. Auch sei der für eine Willenserklärung erforderliche Rechtsbindungswille erst durch Auslegung festzustellen. Der Gleichlauf von Erklärungsbewußtsein und Geschäftswille besteht aber ja nur hinsichtlich der Frage, ob überhaupt irgendein konkreter Geschäftswille vorliegt, nicht aber hinsichtlich der Frage, mit welchem konkreten Inhalt der Geschäftswille vorliegt. Zwar gibt es nur Willenserklärungen bestimmten Inhalts; doch ist die Frage nach dem "Ob" einer rechtsgeschäftlichen Betätigung durchaus (nicht nur theoretisch) von der Frage nach dem "Wie" zu trennen. 166 Da die Ermittlung des Auslegungsgegenstandes und die InhaltsermiUlung verschiedenen Maßstäben unterliegen können, ist eine solche Trennung nicht nur möglich, sondern unter diesem Gesichtspunkt sogar geboten. 167

165 Soergel / Hefermehl vor § 116 Rn. 17; § 133 Rn. 9; Jauernig / Jauemig vor § 116 Anm. 4 b; § 133 Anm. 1 a; Kellmann JuS 1971,609; Larenz, Auslegung, S. 82; Larenz, AT, § 19 11 b, S. 342; Lüderitz S. 25; MK/Mayer-Maly § 133 Rn. 39. 166 Vgl. dazu das anschauliche Beispiel bei Köhler, AT, § 1611, S. 166: Zunächst ist zu klären, ob der Arbeitgeber zum Arbeitnehmer gesagt hat, er solle sich zum Teufel scheren; das ist die Ermittlung des Auslegungsgegenstandes. Dazu gehört bereits neben der reinen Tatsachenfeststellung die weitere Frage, ob diese Erklärung den objektiven (maßgeblich ist hierbei das Verkehrsverständnis, nicht der Empfängerhorizont) Eindruck erweckte, mit Rechtsbindungswillen abgegeben zu sein, und dieser Eindruck dem Arbeitgeber zuzurechnen ist. .. Sodann ist durch Auslegung zu ermitteln, ob diese Außerung als fristlose Kündigung aufzufassen war; maßgeblich ist hierbei, da es sich um eine empfangsbedürftige Willenserklärung handelt, der Empfängerhorizont. Auch dieses Verständnis muß dem Arbeitgeber allerdings zurechenbar sein.

6 Stumpf

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11. Auslegungsgegenstand So ist es zwar richtig, daß bei unrichtiger Bestimmung des Auslegungsgegenstandes auch die Feststellung der Bedeutung der Erklärung in der Regel fehlgehen wird. 168 Doch sagt dies noch nicht umgekehrt, daß auch die Bedeutung der Willenserklärung bereits Voraussetzung wäre für die Ermittlung des Auslegungsgegenstandes. Das ergibt sich insbesondere nicht aus dem Beispiel, daß jemand "ja" sagt, was erst im Zusammenhang als Antwort auf eine Kaufofferte als Willenserklärung, also als rechtsgeschäftlicher Erklärungstatbestand zu erkennen ist. 169 Zwar vollzieht sich ein Erklärungsakt nicht im leeren Raum, sondern steht als Verhalten in der Rechtsgemeinschaft in Beziehung zu anderen Umständen, die ihm seinen Sinn geben. Doch hindert dies doch nicht, die Erklärung "ja" in mehreren Stufen hintereinander zunächst daraufhin abzuklopfen, ob sie als Rechtsgeschäft zu gelten hat (wofür selbstverständlich der Zusammenhang heranzuziehen ist; Gegenbeispiel wäre etwa die Antwort ,ja" auf eine Abendeinladung); dafür kommt es nur darauf an, ob sie (im konkreten Zusammenhang) nach allgemeinem Verkehrsverständnis als rechtlich verbindliche Erklärung zu werten ist, und ob der Erklärende, falls er subjektiv eine Rechtsverbindlichkeit nicht wollte, diesen Eindruck voraussehen und vermeiden konnte. Sodann ist in einem nächsten Schritt zu prüfen, was inhaltlich zu gelten hat (die Verpflichtung, eine bestimmte Kaufsache abzunehmen, einen bestimmten Kaufpreis zu zahlen, mit dem Anspruch auf Mängelgewährleistung, etc.); dafür ist im vorliegenden Beispiel, weil es sich um eine empfangs bedürftige Willenserklärung handelt, das objektiv-normative Verständnis aus dem Horizont des konkreten Empfängers maßgeblich (für dessen Ermittlung es wiederum auf den Zusammenhang ankommt); es sei denn, die beiden Parteien haben einander subjektiv verstanden, dann gilt nämlich ihr übereinstimmendes subjektives Verständnis; bei einer nicht empfangsbedürftigen Willenserklärung (Auslobung, Testament) käme es hinsichtlich des Inhalts von vornherein nur auf das subjektive Verständnis des Erklärenden an. 170 Die beiden Prüfungsstufen sind also ihrer Struktur nach völlig unabhängig voneinander und können dementsprechend auch durchaus zu unabhängigen Ergebnissen führen. Dennoch ist aber ein widersprüchliches Ergebnis ausgeschlossen. Wenn auf der Tatbestandsebene eine existente Willenserklärung anzunehmen ist, kann auf der Inhaltsebene nicht mehr eine Willenserklärung überhaupt verneint werden; auch dann nicht, wenn der Empfänger einer empfangsbedürftigen Willenserklärung redlicherweise nicht von einer exi-

167 Dieser Gesichtspunkt hat besondere Bedeutung beim Testament, wo der Erklärungstatbestand objektiv (nach dem Verkehrsverständnis), der maßgebliche Inhalt dagegen subjektiv (nach dem Verständnis des Erblassers) zu bestimmen ist. 168 Soergell Hefermehl vor § 116 Rn. 18. 169 Vgl. Soergell Hefermehl vor § 116 Rn. 18. 170 S. dazu unten genauer.

2. Die subjektiven Tatbestandsmerkmale

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stenten Willenserklärung auszugehen brauchte, oder wenn bei der nicht empfangsbedürftigen Willenserklärung der Erklärende weder ein konkretes Rechtsfolgenbewußtsein noch einen konkreten Geschäftswillen hatte. Dennoch läßt sich auch in diesem Fall, sofern nicht ohnehin wegen mangelnden Erklärungsbewußtseins angefochten wird, eine ordnungsgemäße Auslegung durchführen, d. h. grundsätzlich ein maßgeblicher Geschäftswille ermitteln. Läßt sich, vor allem bei subjektiver Auslegung, z. B. beim Testament, kein konkreter Geschäftswille ermitteln, so muß die erläuternde Auslegung hier ergebnislos bleiben. Die Willenserklärung ist dann mangels eines tauglichen Inhalts nichtig, nicht mangels eines Tatbestandes nicht existent. 171 Handelt es sich um einen Fall objektiv-normativer Auslegung aus dem Empfängerhorizont heraus, mußte der Empfänger aber redlicherweise nicht von einer existenten Willenserklärung ausgehen (ein Fall, der angesichts der am Verkehrsverständnis orientierten Tatbestandsermittlung einerseits und der normativen Komponente der Auslegung aus dem Empfängerhorizont andererseits nur auf seltene Ausnahmefälle beschränkt sein dürfte, in denen sich der Empfänger in einer außergewöhnlichen Situation befindet), dann scheidet auch hier eine erläuternde Auslegung aus. Denn wenn der Empfänger redlicherweise nicht von einer existenten Willenserklärung auszugehen brauchte, konnte er erst recht nicht mit einem konkreten rechtlichen Inhalt dieser Erklärung rechnen. Auch hier ergibt also die Auslegung die Nichtigkeit der Willenserklärung, weil kein maßgeblicher Inhalt der Willenserklärung ermittelt werden kann, die Willenserklärung ist aber existent. Zu einem widersprüchlichen Ergebnis kann es daher auch bei unabhängiger Prüfung von Tatbestandsermittlung und Inhaltsermittlung nicht kommen. Noch klarer wird dies in den umgekehrten Fällen, wenn auf der Tatbestandsebene keine existente Willenserklärung anzunehmen ist, der Erklärende aber (in den Fällen subjektiver Auslegung) konkrete inhaltliche Vorstellungen hatte, bzw. (in den Fällen objektiv-normativer Auslegung) der Empfänger eine bestimmte inhaltliche Bedeutung redlicherweise verstehen mußte; wenn nämlich überhaupt keine Willenserklärung existiert, kommt es auf ihre inhalt1iche Ausfüllung (egal nach welchem Maßstab) gar nicht mehr an, zu einem Widerspruch kann es daher hier überhaupt nicht mehr kommen. Das gilt sogar dann, wenn bei einer empfangsbedürftigen Willenserklärung beide Parteien übereinstimmend von einem bestimmten inhaltlichen Regelungsgehalt ausgehen; wenn es bereits am Tatbestand einer Willenserklärung fehlt, kommt es auf die inhaltliche Regelung nicht mehr an. Das hindert die Parteien natürlich nicht, eine solche Regelung einvernehmlich trotzdem durchzufüh171 Faßt man auch den Rechtsirrtum nicht als Inhalts-, sondern als Motivirrtum, d. h. als Lücke i. S. d. ergänzenden Auslegung, dann wäre hier weiterzufragen, welche inhaltliche Regelung der Erklärende gewollt hätte, wenn er gewußt hätte, daß er eine rechtsmaßgebliche Willenserklärung in die Welt gesetzt hat; das kann auch die Nichtigkeit der Willenserklärung sein. S. dazu unten genauer.

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11. Auslegungsgegenstand

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ren; nur im Streitfall könnte sich keine der Parteien auf eine rechtliche Verbindlichkeit berufen (sofern nicht die Durchführungshandlungen als konkludente - Willenserklärungen anzusehen sind). -

Die Probleme mit dem Rechtsbindungswillen schließlich treten nur auf, wenn man für den Erklärungstatbestand einen subjektiven Rechtsbindungswillen fordert. Die besseren Gründe sprechen aber dafür, daß ein subjektiver Rechtsbindungswille als konstitutives Tatbestandsmerkrnal der Willenserklärung nicht zu fordern ist.

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Auch aus der Wertung des Gesetzes läßt sich nicht unbedingt entnehmen, daß das Gesetz der Auslegung einen bereits inhaltlich ausgefüllten Erklärungstatbestand zugrunde legen wollte. § 133 BGB läßt sich zwar dahingehend verstehen, daß nur ein wirklich erklärter Wille zu ermitteln sei; 172 nur welcher Wille dann als der erklärte anzusehen sein soll, ist damit überhaupt noch nicht gesagt; die Erklärungszeichen als solche sind ja bedeutungsneutral, sie gewinnen ihre Bedeutung erst durch Konvention oder Definition, dies zu ermitteln ist aber bereits Auslegung. Wenn unter dem erklärten Willen die Verkehrsbedeutung der in der Erklärung verwendeten Worte und Zeichen verstanden wird (was einen Rückgriff auf den sprachphilosophisch überwundenen Naturalismus bedeutet, sofern diese Verkehrsbedeutung als die einzig mögliche, natürliche, eindeutige angesehen wird), wird damit die eigentliche Aufgabe übergangen, den maßgeblichen Geschäftswillen, die maßgebliche Erklärungsbedeutung klar zu bestimmen. Gerade bei der Testamentsauslegung führt diese Vorgehensweise zu einem unlösbaren Widerspruch zwischen dem objektiven Maßstab des inhaltlich bereits aufgefüllten Erklärungstatbestandes und dem beim Testament anerkanntermaßen subjektiven Auslegungsmaßstab - ein Ergebnis, das kaum dem Sinn des § 133 BGB entsprechen kann.

-

Auch wenn bei § 133 BGB seiner Entstehungsgeschichte nach der übereinstimmende Wille der Vertragsparteien im Vordergrund stand 173, ist für eine derartige Willensübereinstimmung kein nach außen zutage getretener Wille erforderlich. Auch bei der objektiv-normativen Auslegung der empfangsbedürftigen Willenserklärung kommt es nicht darauf an, mit welchem Inhalt die Willenserklärung dem anderen gegenüber "erklärt" wurde (was sollte das auch bedeuten, angesichts der grundsätzlichen Neutralität von Erklärungszeichen?), auch nicht darauf, was der andere tatsächlich verstanden hat, sondern,

Vgl. Leipold, Festsehr. Müller-Freienfels, S. 421 (432). Leipold, Festsehr. Müller-Freienfels, S. 421 (433). Das historische Argument kann jedoch nur bedingt herangezogen werden, sofern man mit dem BVerfG bei der Gesetzesauslegung einen verobjektivierten, nicht den subjektiven historischen Willen des Gesetzgebers für maßgeblich hält, vgl. z. B. BVerfG, Beschl. v. 29.5.1987 - 1 BvR 1135/86 = NJW 1987, 3246, m. w. N.; es verliert außerdem mit zunehmendem zeitlichen Abstand vom Gesetzgebungsverfahren an Gewicht, je weiter die Dogmatik fortschreitet. 172

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2. Die subjektiven Tatbestandsmerkmale

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was er redlicherweise als das vom Erklärenden Gemeinte verstehen durfte. Und wenn auch bei der empfangsbedürftigen Willenserklärung das übereinstimmende subjektive Verständnis der Parteien entscheidet, kommt es auch hier nicht darauf an, ob sie ihr subjektives Verständnis irgendwie nach außen kundgetan haben, sondern nur darauf, wie sie persönlich eben die Willenserklärung verstanden haben. Man kann eben nicht eine bestimmte Bedeutung, einen bestimmten Inhalt erklären; einen Inhalt, eine Bedeutung gewinnt die Erklärung erst durch das entsprechende Verständnis, und erst Konvention und Defmition erlauben es dem Erklärenden, durch Verwendung des konventionellen oder definierten Zeichens beim Empfänger ein bestimmtes Verständnis hervorzurufen und damit die Kommunikation zu eröffnen. Daran kann und will auch § 133 BGB nichts ändern. -

Auch wenn man die Erklärung noch inhaltlich neutral faßt und erst im Rahmen der Auslegung mit einer maßgeblichen Bedeutung anfüllt, bleibt im übrigen noch Raum für die Anfechtung, die dadurch also nicht gegenstandslos wird. 174 Die Anfechtungsregeln haben den Zweck, die Diskrepanz zwischen dem wahren, subjektiven Geschäftswillen des Erklärenden und dem objektiv maßgeblichen Inhalt des Geschäfts aufzulösen; es handelt sich hier aber um einen Konflikt auf der Inhaltsebene, nicht auf der Tatbestandsebene, nämlich um den Konflikt zwischen der Privatautonomie des Erklärenden und einem Vertrauensschutz, letztlich der Privatautonomie des Empfängers. Aus diesem Grund mußten Willens- und Erklärungstheorie, die diesen Konflikt auf der Ebene des Tatbestandes der Willenserklärung löse.n wollten, scheitern. Auf der Inhaltsebene aber behält die Anfechtung ihr Anwendungsgebiet außer bei beachtlichem Motivirrtum in all den Fällen, in denen der maßgebliche Erklärungsinhalt nicht subjektiv, sondern nach anderen Maßstäben zu bestimmen ist, subjektiver und maßgeblicher Geschäftswille also auseinanderfallen können. In den Fällen, in denen subjektiv auszulegen ist (zum Beispiel beim Testament), hat die Anfechtung wegen Inhalts- und Erklärungsirrtums in der Tat ihren unmittelbaren Anwendungsbereich verloren; das liegt aber nicht am inhaltlich neutralen Auslegungsgegenstand, sondern daran, daß die Konzeption des Bürgerlichen Gesetzbuchs insoweit durch die fortgeschrittene Dogmatik überholt worden ist.

-

Hauptargument für den inhaltlich neutralen Auslegungsgegenstand ist aber auch hier wieder die Struktur der Willenserklärung als Geltungserklärung. Sie ist keine Kundgabe eines Wollens, keine "Erklärung" eines "Willens", sondern ein einheitlicher Akt unmittelbarer Rechtsgestaltung. Ziel der Auslegung einer Willenserklärung kann es demnach niemals sein, das Verhältnis zwischen erklärtem und wirklichem Willen darzustellen; Ziel muß und kann es nur sein, unter den verschiedenen Bedeutungen einer Erklärung die rechtsmaßgebliche zu ermitteln. 175 Das aber setzt wiederum voraus, daß der Erklä174

So die Befürchtung von Leipold, Festschr. Müller-Freienfels, S. 421 (434).

II. Auslegungsgegenstand

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rungstatbestand, dessen rechtmaßgebliche Bedeutung durch die Auslegung ermittelt werden soll, nicht selbst schon mit einem bestimmten inhaltlichen (objektiven oder subjektiven) Vorverständnis belastet ist. -

Befreit man die Frage nach dem Erklärungstatbetand von einem inhaltlichen Vorverständnis, so erledigt sich damit auch das Problem, der Auslegung einen bereits inhaltlich vorgeprägten Auslegungsgegenstand unterlegen zu müssen; Auslegungsgegenstand ist dann vielmehr die existente, rechtlich relevante, aber inhaltlich noch neutrale Willenserklärung, deren Inhalt im Rahmen der Auslegung dann (ohne Rücksicht auf ein bereits vorher hineingemogeltes subjektives oder objektives inhaltliches Vorverständnis) gemäß den allgemeinen Auslegungs grundsätzen ermittelt wird.

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Wenn schließlich gesagt wird, auch der Auslegungsgegenstand sei durch Auslegung zu ermitteln, so versteckt sich darin noch eine terminologische Ungenauigkeit; dem liegt nämlich zugrunde, unter ,,Auslegung" nicht nur die Ermittlung des maßgeblichen Inhalts der Willenserklärung zu verstehen (mit welcher Methode auch immer), sondern auch eine bestimmte Methode wertender Betrachtung zunächst ungeordneten Erklärungsmaterials (mit weichem Ziel auch immer); also zwei völlig verschiedene Dinge. Sowohl der Ermittlung des Auslegungsgegenstandes als auch der Inhaltsermittlung liegt eine solche wertende Betrachtung zugrunde 176 (die allerdings trotzdem unterschiedlichen Kriterien, insbesondere einem unterschiedlichen Bewertungsmaßstab folgen kann); es empfiehlt sich jedoch, aus Gründen begrifflicher Klarheit hier lieber nicht von Auslegung zu sprechen.

In diesem Sinne bleibt es daher bei der Trennung von Auslegungsgegenstandsermittlung und Inhaltsermittlung. cc) Trennung von Tatbestand und Auslegung auch bei der letztwilligen Verfügung Dieser inhaltlich neutrale Tatbestand der Willenserklärung gilt auch für die letztwillige Verfügung. Es ist hier also nicht etwa ein qualifizierter Erklärungstatbestand zu ermitteln, insbesondere noch nicht auf der Tatbestandsebene danach zu fragen, ob es sich bei der Willenserklärung um eine letztwillige Verfügung handelt oder um ein Rechtsgeschäft unter Lebenden, auch nicht, ob eine vertragsmäßige oder eine Einzelverfügung vorliegt, oder ob in einem gemeinschaftlichen Testament Wechselbezüglichkeit anzunehmen ist. Alle diese Fragen der rechtli175

Kuchinke, Nachprütbarkeit, S. 155 f.; Kuchinke JZ 1985,748 (749); Larenz, AT,

§ 19 II b, S. 342.

176 BGH, Urt. v. 8.6.1965 V ZR 78/63 = LM § 2084 BGB Nr. 13; Kellmann JuS 1971,609; Larenz, Auslegung, S. 89; Larenz, AT, § 19 II b, S. 342; MK/Mayer-Maly § 133 Rn. 39.

2. Die subjektiven Tathestandsmerkmale

87

chen Einordnung sind zwar für die Beurteilung des Auslegungsmaßstabs bedeutsam. Es handelt sich jedoch dabei nicht mehr um ein Problem des Tatbestandes, nämlich des Bestehens der Willenserklärung, sondern bereits um eine Frage des (allerdings formellen, nicht materiellen) Inhalts der Willenserklärung. Das gilt erst recht, wenn man berücksichtigt, daß die Rechtsnatur der Willenserklärung sich nicht nur auf den materiellen Auslegungsmaßstab auswirkt, sondern darüber hinaus vielerlei unmittelbare materiell-rechtliche Auswirkungen haben kann, etwa (wie bei der Abgrenzung von Rechtsgeschäften unter Lebenden und Verfügungen von Todes wegen) unterschiedliche Formerfordernisse nach sich ziehen kann; also nicht nur eine formell-methodische, sondern auch eine materiell-inhaltliche Komponente aufweist. Diese Seite der Rechtsnatur der Willenserklärung kann erst recht nur zum Inhalt, nicht mehr zum Tatbestand der Willenserklärung gehören. Wer etwas rechtsgeschäftlich erklärt, wird zwar seinen (subjektiv oder objektivnormativ zu bestimmenden) Geschäftswillen in erster Linie auf die materiellrechtlichen Folgen seiner Erklärung richten und weniger auf den rechtlichen Weg, auf dem diese Folgen herbeigeführt werden sollen - ein Gedanke, der auch § 140 BGB zugrunde liegt. Ihm wird aber der rechtliche Weg auch nicht völlig gleichgültig sein; wenn jemand eine bestimmte Art eines Rechtsgeschäftes wählt, tut er dies ja in der Regel aus dem Bemühen heraus, damit seine Absichten am besten verwirklichen zu können - deshalb fordert auch § 140 BGB die Ermittlung eines hypothetischen Willens des Erklärenden. Der Geschäftswille umfaßt somit nicht nur die materielle Gestaltung, sondern auch die formelle Frage, mit welchen rechtlichen Mitteln diese materielle Gestaltung erreicht werden soll. 177 Daher ist es auch strukturgerecht, wenn nach überwiegender Auffassung § 2084 BGB, der ja eine Auslegungsregel darstellt, 178 auf die Frage nach der Rechtsnatur der Willenserklärung entsprechend angewendet wird. 179 Ob ein bestimmtes Rechtsgeschäft vorliegt, läßt sich im übrigen oft erst nach Kenntnis des materiellen Inhalts des Geschäfts abgrenzen; die Unterscheidung zwischen Bürgschaft, Schuldbeitritt oder Garantie, aber auch die Abgrenzung zwischen Schenkung unter Lebenden und Verfügung von Todes wegen läßt sich erst vornehmen, wenn geklärt ist, welche materielle Regelung eigentlich gewollt ist. Die materielle Komponente der Rechtsnatur der Willenserklärung läßt sich daher erst im Anschluß an die materielle Inhaltsbestimmung ermitteln. 177 Das sagt aber noch nichts darüber aus, ob deshalb auch in heiden Fällen derselbe Auslegungsmaßstab heranzuziehen ist. Entscheidend ist vielmehr das jeweilige Maß des Vertrauensschutzes. 178 RGRK / Johannsen § 2084 Rn. 25; Staud / Otte § 2084 Rn. I. 179 BGH, Urt. v. 1.6.1983 -IVaZR 35/82 = NJW 1984,46; BGH, Urt. v. 11.1.1984 - IV a ZR 30/82 = FamRZ 1985, 693 (695); Kipp / Coing § 21 V b, S. 147; Pal/ Edenhofer § 2084 Anm. 3 b; Lange / Kuchinke § 33 III 1 a, S. 564; MK / Leipold § 2084 Rn. 28.

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11. Auslegungsgegenstand

Aber auch die formell-methodische Komponente der rechtlichen QualifIkation der Willenserklärung als Vorfrage zur Auslegung ist bereits eine inhaltliche, wenn auch inhaltsbezogen methodische Frage. Denn für die Bestimmung des Auslegungsmaßstabs als inhaltliche Frage kommt auf jeden Fall als zusätzliches bestimmendes Element (neben Selbstbestimmung und Selbstverantwortung als Komponenten der Privatautonomie des Erklärenden) die Privatautonomie des Geschäftspartners in Gestalt eines Vertrauensschutzes hinzu, die bei der Prüfung immer zu berücksichtigen ist (positiv oder negativ, das heißt die Prüfung kann auch dazu führen, daß Vertrauens schutz im konkreten Fall nicht zu gewähren ist; er ist aber trotzdem auf der Inhaltsebene immer zulässiges und notwendiges Beurteilungskriterium). Damit ist auch die Rechtsnatur der Willenserklärung in ihrer formell-methodischen Funktion als Vorfrage zum Auslegungsmaßstab keine Tatbestands-, sondern Auslegungsfrage. Es ist auch nicht etwa unerheblich, ob die rechtliche Einordnung zum Erklärungstatbestand zu rechnen ist oder nicht, sofern sie nur vor der materiellen Auslegung und damit vor der Festlegung des Auslegungsmaßstabs geprüft wird; sondern dies hat wiederum Bedeutung für den Maßstab, der bei der Beurteilung der rechtlichen Einordnung der Willenserklärung anzulegen ist. Gehörte die rechtliche Einordnung nämlich zum Erklärungstatbestand, so wäre sie mit diesem auf jeden Fall objektiv-normativ (nach dem Verkehrsverständnis) zu bestimmen; ist sie dagegen eine davon unabhängige Vorfrage zur Auslegung, so ist weiter zu fragen, ob sie dem jeweiligen Auslegungsmaßstab unterliegt (beim Testament also zum Beispiel subjektiv zu beantworten wäre) oder als Vorfrage zur Auslegung einem eigenen Bewertungsmaßstab unterworfen ist. dd) Die Aufteilung der Willenserklärung in einzelne Verfügungen als Auslegungsfrage Zum Erklärungstatbestand gehört auch noch nicht die Frage, wieviele Einzelverfügungen die Gesamterklärung, also zum Beispiel das Testament, enthält. Ausgangspunkt der Auslegung ist allerdings, entsprechend dem System des Gesetzes, die einzelne Willenserklärung und nicht etwa das gesamte Rechtsgeschäft wie zum Beispiel der Vertrag. IBO Auch bei einem Vertrag ist zunächst der Inhalt der jeweiligen Einzelerklärungen zu ermitteln, und dieser sodann zu vergleichen: Stimmen der beiden Erklärungen inhaltlich überein, so ist der Vertrag zustande gekommen; stimmen sie nicht überein, so handelt es sich um einen Dissens. 1BI Beim einseitigen Rechtsgeschäft (wie beim mehrseitigen Geschäft IBO Zum Verhältnis von Rechtsgeschäft und Willenserklärung vgl. z. B. Flume, AT 11, § 2, S. 23 ff.; Soergel / Hefermehl vor § 116 Rn. 2; Pal / Heinrichs vor § 104 Anm. 1b; Köhler, AT, § 12 III, S. 107 ff. lBI Wie hier Staud / Dilcher §§ 133, 157 Rn. 1; Rn. 9; Soergel / Hefermehl § 133 Rn. 9ff; Wieser JZ 1985,407 (408); mit stärkerer Betonung des Gesamtrechtsgeschäfts demgegenüber Pawlowski, AT, Rn. 426 ff.; Soergel / Wolf § 157 Rn. 2; Rn. 29.

2. Die subjektiven Tatbestandsmerkmale

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auch) bedeutet das aber noch nicht, daß damit auch schon jede einzelne Verfügung als Willenserklärung anzusehen wäre. Vielmehr kann eine einheitliche Willenserklärung auch durchaus mehrere verschiedene inhaltliche Regelungen enthalten. 182 Eine einheitliche Willenserklärung ist vielmehr bereits dann gegeben, wenn eine Person ihre Privatautonomie manifestiert; dieser gesamte Manifestationsakt stellt dann eine einheitliche Willenserklärung dar. 183 Auslegungsgegenstand sind somit insbesondere beim Testament nicht die einzelnen testamentarischen Verfügungen, sondern die gesamte, die einzelnen Verfügungen umfassende testamentarische Willenserklärung. Für die ergänzende Testamentsauslegung ist dies auch durch die gesetzlichen Ergänzungsvorschriften belegt. Im Wege der ergänzenden Testamentsauslegung kann nämlich nicht nur eine Verfügung als unwirksam behandelt werden (vgl. z. B. § 2077, § 2169 I, § 2268, § 2279 11 BGB) oder modifiziert werden (vgl. z. B. § 2101, § 2102, § 2103, § 2169 11, § 2170, § 2173 BGB), sondern das Testament kann sogar um vollständig neue Verfügungen, z. B. Erbeinsetzungen, erweitert werden (vgl. z. B. § 2069, § 2104, § 2105 I und 11 BGB). Wenn dies aber noch Auslegung einer Willenserklärung sein soll (wenn auch ergänzende), kann die zu ergänzende Willenserklärung nur das gesamte Testament erfassen. Aber auch für die erläuternde Auslegung ist Auslegungsgegenstand die Gesamt-Willenserklärung. Die Aufteilung in Einzelverfügungen ist nämlich bereits eine inhaltliche Frage, allerdings eine formell-inhaltliche, keine materiell-inhaltliche Frage. Diese formell-inhaltliche Frage ist aber meist von dem materiellen Inhalt z. B. des Testaments gar nicht zu unterscheiden. Soll die Erblasseranordnung, es solle "gesetzliche Erbfolge" gelten, nur ein Verweis auf die gesetzliche Regelung sein und damit eine einzige Verfügung? Oder soll diese Erblasseranordnung ausschließlich eine Einsetzung der nichtehelichen Tochter sein, oder auch eine gleichzeitige Enterbung der Mutter bedeuten, oder umgekehrt, jedenfalls aber aus zwei Verfügungen bestehen? 184 Soll die gleiche Anordnung in einem anderen Fall 185 in einer einzigen Verfügung die Einsetzung aller nach dem Gesetz Berufenen bedeuten oder in jeweils getrennten Verfügungen die Einsetzungen der Nachkommen der voll- und halbbürtigen Geschwister, was soviele Verfügungen wie Bedachte bedeuten würde, oder soll in dem Ausdruck "gesetzliche Erbfolge" eine Einsetzung der Nachkommen der vollbürtigen und eine Enterbung der Nachkommen der halbbürtigen Geschwister zu sehen sein, also zwei Verfügungen?

182 Demgemäß werden z. B. bei Köhler, AT, § 12 III 1, S. 108 nur Kaufvertrag und Übereignung als Beispiele für Rechtsgeschäfte mit mehreren Willenserklärungen aufgeführt, ·also Geschäfte, die aus Erklärungen verschiedener Personen bestehen. 183 Ebenso Flume, AT 11, § 2, 3 a, S. 25 f. 184 BGH, Besch!. v. 9.4.1981 IVa ZB 6/80 = BGHZ 80, 246. 185 RG, Urt. v. 11.3.1909 IV 304/08 = RGZ 70, 391.

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H. Auslegungsgegenstand

Das Problem stellt sich erst recht, wenn der Erblasser, was in der Regel der Fall sein wird, nicht "gesetzliche Erbfolge" anordnet, sondern ausdrücklich von der gesetzlichen Regelung abweicht; wenn der Erblasser zwei Kinder A und B hat und in einem Testament A bedenkt, von B aber gar nichts schreibt: Enthält das Testament dann nur eine einzige Verfügung zugunsten des A, oder daneben noch eine zweite Verfügung, den Ausschluß des B? Diese Beispiele zeigen, daß die Frage, wieviele Einzelverfügungen das Testament enthält, erst im Anschluß an die materielle Auslegung entschieden werden kann. Das kann aber nur bedeuten, daß Auslegungsgegenstand nicht die in dem Testament enthaltenen Einzelverfügungen sein können, die vor der materiellen Auslegung noch gar nicht bestimmbar sind, sondern eben nur das Testament in seiner Gesamtheit. Eine einheitliche testamentarische Willenserklärung ist aber nur dann gegeben, wenn sich die Selbstbestimmung des Erblassers einheitlich manifestiert, wenn also ein äußerlich einheitlicher objektiver Erklärungstatbestand gegeben ist. Das wird in aller Regel die Testamentsurkunde sein, kann aber auch andere Formen der Verlautbarung umfassen, etwa bei Testamentserrichtung abgegebene mündliche Erklärungen oder ein im selben Zusammenhang errichtetes maschinenschrift1iches Beiblatt zum eigenhändigen Testament; derartige Erklärungen sind dann zwar formnichtig, aber die Formfrage ist von der Frage nach dem Auslegungsgegenstand zu trennen. 186 Erklärungen aber, die nicht im selben äußeren Erklärungsakt zusammengefaßt sind (zeitlich durch gleichzeitige Abgabe oder räumlich durch Aufnahme in dieselbe Urkunde), stellen keine einheitliche Manifestation der Selbstverwirklichung des Erklärenden dar und sind daher als verschiedene Willenserklärungen anzusehen, also auch getrennt auf ihre Tauglichkeit als Auslegungsgegenstand und ihren Inhalt zu untersuchen; auch § 139 und § 2085 BGB können dann keine Anwendung finden. Praktisch geworden ist das Problem der Einzelverfügungen in einem einheitlichen Testament auf der Tatbestandsebene in einem Fall, in dem Eheleute in einem Entwurf zu einem gemeinschaftlichen Testament einander zu Alleinerben und die Kinder zu Erben des Letztversterbenden einsetzten, bei der Reinschrift aber den ersten Teil, die gegenseitige Erbeinsetzung, vergaßen. 187 Hier werden verschiedene Lösungen vorgeschlagen: Die gegenseitige Erbeinsetzung sei gar nicht erklärt worden, es fehle also am Tatbestand der Willenserklärung und damit an einem Auslegungsgegenstand; 188 sie sei erklärt, aber nicht formwirksam; 189 sie sei gültig. 190 Die erste Frage, die hier beantwortet werden muß, lautet daher: Ist die gegenseitige Erbeinsetzung erklärt worden? Wenn bereits die Erklärung 186 187 188 189 190

S. u.

BGH, Beschl. v. 9.4.1981 - IV a ZB 4/80 = BGHZ 80, 242. Leipold JZ 1983, 711; Wieser JZ 1985, 407. So die Lösung des BGH. Brox JA 1984,557.

2. Die subjektiven Tatbestandsmerkmale

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verneint wird, so gibt es dafür verschiedene BegTÜndungsmöglichkeiten, die auch auf unterschiedlichen Voraussetzungen beruhen: -

Zum einen ist es möglich, nicht von einer Trennung zwischen Auslegung und FormpTÜfung auszugehen und deshalb den Auslegungsgegenstand von vornherein auf das urkundliche Erklärungsmaterial zu begrenzen, und weiterhin (im Wege der Eindeutigkeitstheorie) dieses urkundliche Erklärungsmaterial auch inhaltlich bereits auf der Tatbestandsebene zu bestimmen. Bei diesen Voraussetzungen folgt in der Tat zwingend, daß die Ehegaueneinsetzung erstens außerurkundliches Material darstellt und zweitens auch außerhalb der Verkehrsbedeutung des Urkundentextes liegt (diese umfaßt hier nur eine Einsetzung der Kinder), also aus dem solcherart eng gefaßten Rahmen des Erklärungstatbestandes herausfallt. 191 Bedenken gegen diese Lösung können daher allenfalls hinsichtlich ihrer Voraussetzungen bestehen. Die Bedenken gegen einen bereits inhaltlich aufgefüllten Tatbestand der Willenserklärung wurden bereits beschrieben. Ähnlich sind auch die Bedenken gegen eine Vermischung von Auslegung und Form zu sehen, sofern man annimmt, daß die Auslegung und die FormpTÜfung verschiedenen Kriterien unterliegen. Eine solche Vermischung kann leicht zu einer Rückwärtsbetrachtung führen; wenn erst ein Testamentsinhalt ermittelt wird (aufgrund welchen Auslegungsgegenstandes?) und erst dann gefragt wird, ob dieser Inhalt auch "erklärt" sei, ergeben sich nämlich die umgekehrten Probleme wie bei einem bereits inhaltlich ausgefüllten Auslegungsgegenstand, daß nämlich (abgesehen davon, daß die Grundlagen der Auslegung nicht deutlich gemacht werden) die "Erklärung", das heißt der objektive Erklärungstatbestand nicht aus der Struktur der Willenserklärung heraus, also eigengesetzlich bestimmt, sondern den Erfordernissen des jeweiligen Auslegungsergebnisses angepaßt wird und damit ihren ordnenden und klärenden Charakter gerade verliert. Allerdings ist eine Kontrolle des Auslegungsergebnisses an der Testamentsurkunde im Anschluß an die Auslegung durchaus geboten, um zu gewährleisten, daß die (beim Testament ja subjektive) Auslegung nicht jeden Bezug zur Urkunde in ihrer Verkehrsbedeutung verliert (und dem erstaunten Verfahrensbeteiligten nur mehr als Juristenzauberei erscheint). Die dargestellten Bedenken sind daher nur formeller, methodischer Natur, es wird dadurch das Gebot einer nachträglichen Kontrolle des Auslegungsergebnisses aber nicht aus den Augen verloren. Nur ist diese Kontrolle, sofern man zwischen Auslegungsgegenstand, Inhaltsermittlung und FormpTÜfung trennt, nicht Aufgabe der ,,Erklärung", also des Tatbestandes der Willenserklärung, sondern vielmehr Aufgabe der FormpTÜfung.

191

Leipold JZ 1983, 711.

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11. Auslegungsgegenstand Entnimmt man dem Gesetz die Wertung, einer privatautonomen Gestaltung durch die Partei(en) grundsätzlich Vorrang einzuräumen, dann vertraut nach diesem Konzept das Gesetz eben prinzipiell der privatautonomen Gestaltung der Parteien, und auf welchem Weg sie sich verständlich machen, ist zunächst gleichgültig; Hauptsache, sie verstehen einander. 192 Nur wenn das Gesetz neben der Privatautonomie des Erklärenden und der Privatautonomie des Empfangers noch andere Rechtsgüter für schützenswert hält, zum Beispiel die Privatautonomie dritter, nur mittelbar durch das Geschäft betroffener Rechtsverkehrsteilnehmer oder anderer Personen, oder damit zusammenhängende Interessen wie ein reibungsloses Funktionieren des Rechtsverkehrs, Rechtssicherheit, Beweisklarheit, etc., führt es besondere Instrumente zum Schutz dieser Interessen ein, etwa Registereintragungen, behördliche Genehmigungen, oder Formvorschriften. Wenn nun Formvorschriften bestehen, dann müssen diese natürlich auch eingehalten werden, das Auslegungsergebnis muß also mit der formgerechten Urkunde übereinstimmen, damit die Interessen, die das Gesetz mit der jeweiligen Formvorschrift schützen will, auch wirklich geschützt werden. Eine nachträgliche Kontrolle des Auslegungsergebnisses auf der Ebene der Formprüfung ist daher durchaus geboten. Nur ob eine Erklärung vorliegt, ist nicht "rückwärts" im Hinblick auf einen bestimmten Inhalt (also ein bestimmtes Auslegungsergebnis), sondern "vorwärts" im Hinblick auf die Struktur der Willenserklärung zu bestimmen.

-

Zum anderen wird im Beispielsfall die Erklärung der gegenseitigen Erbeinsetzung verneint, indem zwar nicht notwendigerweise eine Beschränkung des Erklärungstatbestandes auf urkundliches Erklärungsmaterial für erforderlich gehalten, jedoch ebenfalls die Frage nach der Erklärung inhaltlich bestimmt wird. Je nachdem, wie hoch die inhaltlichen Anforderungen an die Erklärung gestellt werden, ist sie dann im konkreten Fall zu bejahen oder abzulehnen; sie wird im Beispielsfall deshalb abgelehnt, weil für den Erklärungstatbestand nicht nur ein subjektiver Rechtsgeltungswille, sondern darüber hinaus auch bereits ein auf die konkrete Rechtsfolge gerichteter Geschäftswille gefordert wird. 193 Aber hier ist verräterisch, daß dieser Geschäftswille erst durch "empirische Auslegung" ermittelt werden soll. Damit tritt das Problem eines bereits inhaltlich aufgefüllten Erklärungstatbestandes, daß nämlich bereits auf der Ebene des Auslegungsgegenstandes die letztlich entscheidende Auslegung bereits vorweggenommen wird, auch hier wieder deutlich zutage.

-

Auch das Argument, eine vergessene Einzelverfügung von Todes wegen könne genauso wenig gültig sein wie ein ganz und gar vergessenes Testament, deshalb sei im Beispielsfall die gegenseitige Erbeinsetzung nicht erklärt worden, 194 kann widerlegt werden. Natürlich muß für die Geltung der Einzelverfü192

193 194

Larenz, AT, § 1911 a, S. 338 f. Wieser JZ 1985,407. Wieser JZ 1985,407.

2. Die subjektiven Tatbestandsmerkmale

93

gung insoweit dasselbe gelten wie für ein ganzes Testament; nur ist die Frage nach der ,,Erklärung" von der Frage nach der "Geltung", also der letztendlichen rechtlichen Wirksamkeit zu unterscheiden. Diese Wirksamkeit kann erst im Anschluß an die Bestimmung von Tatbestand und Inhalt der Willenserklärung festgestellt werden. Für die Frage der "Erklärung" ist es aber durchaus ein Unterschied, ob das ganze Testament vergessen wurde, also überhaupt kein objektiver Erklärungstatbestand vorliegt, an dem die Auslegung ansetzen kann; oder ob ein Testament vorliegt und nur inhaltlich unzureichend gefaßt wurde. Die Vorstellung von dem zunächst inhaltlich neutralen Erklärungstatbestand, der erst durch die Auslegung angefüllt wird, mag zunächst auf gefühlsmäßige Vorbehalte stoßen; man mag die Gefahr sehen, diese zunächst leere Erklärungshülse könne mit einem beliebigen Inhalt gefüllt werden, der mit der vom Erblasser angestrebten Regelung gar nichts zu tun habe, und darum auf dem Erfordernis eines Geschäftswillens schon auf der Tatbestandsebene bestehen. Diese Gefahr kann jedoch bei entsprechenden Anforderungen an die Auslegungsmethode gebannt werden. Zum einen besteht dieses Problem nicht in den Fällen subjektiver Auslegung, denn hier wird ja (was auch begründet, also transparent und damit nachvollziehbar gemacht werden muß!) gerade der wirkliche Wille des Erklärenden festgestellt. Dieser subjektive Wille wird in den Fällen, in denen das Gesetz aus Gründen der Rechtssicherheit und des Verkehrs schutzes bestimmte Formerfordernisse anordnet, dann nachträglich im Wege der Formkontrolle auch wieder in das Verkehrsverständnis eingebunden; damit wird auch die Gefahr eines unbekümmert leichtfertigen Testierens durch Verwendung von Chiffren, Sondersprachgebrauch etc. gebannt. In den Fällen objektiv-normativer Auslegung wird die Verbindung zwischen

dem subjektiven Verständnis des Erklärenden und einem als maßgeblich ermittelten, unter Umständen vom wirklichen Willen des Erklärenden abweichenden Inhalt der Erklärung auf der Auslegungsebene wieder hergestellt über die Zurechenbarkeit, wonach der Erklärende nur für eine Erklärungsbedeutung verantwortlich ist, mit der er auch rechnen konnte, zum anderen mit der Anfechtungsmöglichkeit. Die Rückkoppelung des Auslegungsergebnisses am allgemeinen Verkehrsverständnis im Interesse von Rechtssicherheit und Verkehrs schutz erfolgt auch hier wieder (außer über das normative Element bei der Auslegung aus dem Empfängerhorizont heraus) durch die Beachtung der gesetzlichen Form.

Alle diese Gründe sprechen somit dafür, im Beispielsfall die gegenseitige Erbeinsetzung der Ehegatten als erklärt anzusehen, weil mit dem Testament ein Erklärungstatbestand vorliegt, dessen Inhalt dann erst auf der Auslegungsebene ermittelt wird; ob die gegenseitige Erbeinsetzung der Ehegatten dann - im Wege erläuternder oder ergänzender Auslegung - maßgeblicher Inhalt dieser Erklärung sein kann oder nicht, und ob sie letztlich nach der Formprüfung

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11. Auslegungsgegenstand

wirksam ist oder nicht, ist also kein Problem des Tatbestandes, sondern ein Problem von Auslegung und Formprufung. Auch dies zeigt: Auf der Tatbestandsebene kann sich das Problem, wieviele Einzelverfügungen ein Testament enthält, nur dann stellen, wenn man bereits einen konkreten Geschäftswillen, der auf ganz bestimmte Rechtsfolgen gerichtet ist, zum Erklärungstatbestand rechnet. Wer demgegenüber einen Geschäftswillen nicht als konstitutives Tatbestandsmerkmal fordert und damit, sofern überhaupt eine Erklärung vorliegt, unabhängig von Art und Zahl der Einzelverfügungen zu einem existenten Erklärungstatbestand kommt, für den verlagert sich das Problem der Einzelverfügungen auf die Auslegungsebene; dort kann dann, nachdem geklärt ist, welche materiellen Rechtsfolgen ausgelöst werden sollen, die Frage, wieviele Einzelanordnungen diese materielle Regelung enthält, auch sachgerecht gelöst werden. 195 ee) Unterscheidung von Auslegungsgegenstand und AuslegungsmiUeln Die Trennung zwischen Auslegungsgegenstand und Inhaltsermiulung ist allerdings nicht identisch mit der Trennung von Tatsachenfeststellung und rechtlicher Würdigung 196; denn zu den Tatsachen kann nicht nur der Auslegungsgegenstand gehören, sondern auch Umstände, die nur als Auslegungsmiuel zu qualifizieren sind, wie zum Beispiel Begleitumstände und Entstehungsgeschichte des Rechtsgeschäfts. 197 Umgekehrt enthält auch die Ermittlung des Auslegungsgegenstandes rechtliche Wertungen, zum Beispiel die Beurteilung der Frage, ob das äußere Erklärungsmaterial objektiv auf die Verwirklichung eines Rechtsfolgewillens schließen läßt, sowie die Beurteilung der objektiven Zurechenbarkeit. Auslegungsgegenstand und Auslegungsmiuel müssen allerdings auseinandergehalten werden. Leonhard 198 wird als Gegner einer solchen Unterscheidung herangezogen. 199 Jedoch ist fraglich, ob dort wirklich Auslegungsgegenstand und AuslegungsmiUel 195 Auch das Problem, ob bei der Pflichtteilsentziehung die Angabe des Entziehungsgrundes in das Testament aufzunehmen ist (vgl. dazu BGH, Urt. v. 14.1.1965 - III ZR 131/63 = NJW 1965,584; BGH, Urt. v. 27.2.1985 - IVa ZR 136/83 = BGHZ 94,36; dazu Kuchinke JZ 1985,748), ist deshalb noch keine Frage des Erklärungstatbestandes; in diesem Fall kommt es vielmehr darauf an, ob auch die Angabe des Pflichtteilsentziehungsgrundes vom Formzwang mit umfaßt wird. 196 Mißverständlich Staud / Dilcher §§ 133, 157, Rn. 15; Pal / Heinrichs § 133 Anm. 3 a; Anm.7 a. 197 Richtig daher bei Häsemeyer, Form, S. 123 die Alternative zwischen Auslegung und der (dieser vorausgehenden) Sachverhaltsfeststellung für das "Substrat der Auslegung", wozu dort sowohl Auslegungsgegenstand als auch Auslegungsmittel gerechnet werden; die Bedeutung dieser Abgrenzung liegt dann in der Tat nur auf prozessualem Gebiet, nämlich in der Begrenzung der revisionsrichterlichen Nachprüfung. Wie hier auch Köhler, AT, § 16 II, S. 166; Larenz, AT, § 19 II b, S. 342. 198 Leonhard AcP 120, 14 (20 ff.).

2. Die subjektiven Tatbestandsmerkmale

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in einen Topf geworfen werden sollen. Leonhard könnte vielmehr auch dahingehend zu verstehen sein, daß er den Auslegungsgegenstand zusätzlich zur Schlußformel des Geschäfts um die Vertragsverhandlungen erweitert wissen will, die von der von ihm bekämpften Ansicht zu den Auslegungsmitteln gerechnet werden; ob er daneben Auslegungsmittel überhaupt leugnen will, wird nicht ohne weiteres deutlich. Larenz 200 wendet sich weiterhin gegen Flume 20I , wonach (im Zusammenhang mit dem Eigenschaftsirrtum) all das Inhalt einer Erklärung sein soll, was im Hinblick auf den bestimmten Geschäftstypus als bei einem solchen Vertrag gewöhnlich gemeint und daher als miterklärt anzusehen sei. Aber auch hier geht es letztlich nicht um die Trennung von Auslegungsgegenstand und Auslegungsmitteln, sondern um die Frage, inwieweit der Geschäftstyp den maßgeblichen Inhalt des Geschäfts beeinfIußt, inwieweit also der Geschäftswille typisiert zu verstehen ist; also eine reine Auslegungsfrage. Auch Häsemeyer selbst 202 lehnt in Wirklichkeit die Trennung von Auslegungsgegenstand und Auslegungsmitteln nicht ab,203 sondern erweitert lediglich den Auslegungsgegenstand um außerurkundliche Tatsachen. Er meint damit aber offenbar nur außerurkundliche Erklärungen, nicht sonstige außerurkundliche Umstände; letztere erscheinen als Auslegungsmittel. 204 Soweit ersichtlich ist also die Unterscheidung von Auslegungsgegenstand und Auslegungsmitteln unbestritten; streitig ist lediglich, was zum Auslegungsgegenstand, was zu den Auslegungsmitteln zu rechnen ist. Die Unterscheidung von Auslegungsgegenstand und Auslegungsmiueln hat Bedeutung für die FormpfÜfung, 205 denn nur der Auslegungsgegenstand unterliegt dem Maßstab der formwirksamen Erklärung; außerhalb der formgebundenen Erklärung liegende Umstände können aber grundsätzlich als Mittel der Auslegung verwendet werden. 206

199 Häsemeyer, Form, S. 122. Larenz, AT, § 20 11 b, S. 380. 201 Flume, AT 11, § 24, 2 c, S. 479. 202 Häsemeyer, Form, S. 123 (127); S. 154 (155, 157); S. 265 (266). 203 So aber Bernard S. 23 entsprechend dem Wortlaut von Häsemeyer, Form, S. 157. 204 Wie insb. das Beispiel "Ehefrau" und die dazugehörigen Ausführungen Häsemeyer, Form, S. 266 zeigen. 205 Bernard S. 23; Larenz, AT, § 1911 c, S. 343. 206 RG, Urt. v. 27.10.1904- VI601/03 =RGZ59, 217 (219); RG, Urt. v. 12.12.1907 - IV 221/07 = RGZ 67, 204 (214); RG, Urt. v. 25.9.1912 - III 277 /12 = RGZ 80, 400 (403); Larenz, AT, § 1911 c, S. 343; Lüderitz S. 181. 200

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11. Auslegungsgegenstand 3. Unterscheidung von Tatbestand und Wirksamkeit der Willenserklärung

Nach alledem zeigt sich, daß der taugliche Auslegungsgegenstand nicht gleichzusetzen ist mit der wirksamen Willenserklärung. Der Tatbestand der Willenserklärung beantwortet also nur die Frage nach der Existenz der Willenserklärung, nicht die Frage nach ihrer Wirksamkeit. Beide Fragen unterliegen auch völlig verschiedenen Strukturprinzipien. Auf der Tatbestandsebene steht allein die Privatautonomie des Erklärenden zur Diskussion, die sich mit seinem Eintreten in den Rechtsverkehr manifestiert. Dieser Privatautonomie des Erklärenden kann auf der Inhaltsebene die Privatautonomie desjenigen, zu dem durch die Willenserklärung Rechtsbeziehungen hergestellt werden, gegenüberstehen. Damit ist zwar nach der Wertung unseres Gesetzes für den Vorrang der privatautonomen Rechtsgestaltung durch die. Parteien in der Regel die Willenserklärung auch wirksam; doch kann das Gesetz an die Willenserklärung zusätzliche Wirksamkeitserfordernisse stellen, wenn es außer der Privatautonomie der Beteiligten noch weitere Interessen schützen will (etwa Verkehrsschutzinteressen durch Formvorschriften) oder in bestimmten Fällen ein unausgewogenes Verhältnis zwischen Privatautonomie des Erklärenden und Privatautonomie seines Geschäftspartners ausgeglichen werden soll (zum Beispiel im Minderjährigenrecht oder im Anwendungsbereich des AGBG). Diese unterliegen dann aber ihrem eigenen Normzweck, also völlig anderen Beurteilungskriterien. a) Die Bedeutung der Wirksamkeitsvoraussetzungen Dementsprechend ist der Tatbestand der Willenserklärung auch unabhängig von irgendwelchen Wirksamkeitsvoraussetzungen zu bestimmen. 1 Ein tauglicher Auslegungsgegenstand liegt vielmehr bereits dann vor, wenn alle Wesensmerkmale einer Willenserklärung vorliegen, also das, was Zitelmann die Begriffserfordernisse nennt. 2 Die objektiven Voraussetzungen im Zitelmannsehen Sinne, also zusätzliche äußere Wirksamkeitsvoraussetzungen, sind demnach für Tatbestand und Auslegung der Willenserklärung nicht erforderlich; sie sind vielmehr erst im Anschluß an die Auslegung zu prüfen. 3 Die Unterscheidung zwischen Existenz und Wirksamkeit hat auch praktische Bedeutung; eine existente, aber ungültige Willenserklärung ist nämlich zunächst der Auslegung und sodann der Umdeutung zugänglich,4 kann somit durchaus noch Rechtswirkungen entfalten; eine nicht existente Willenserklärung ist dage1 Was im einzelnen zu diesen äußeren Wirksamkeitsvoraussetzungen zu rechnen ist, ist umstritten; s. u. 2 Zitelmann, Rechtsgeschäfte, S. 30 f. 3 Häsemeyer, Form, S. 29; Soergel/Hefermehl vor § 116 Rn. 6; 18; 41; Pal I Heinrichs vor § 104 Anm. 1 c; Jauernig I Jauernig vor § 116 Anm. 5; vor § 104 Anm. 1 c. 4 BGH, Urt. v. 12.11.1981 III ZR 57/80 = WM 198~,_1?5 (156).

3. Tatbestand und Wirksamkeit der Willenserklärung

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gen rechtlich völlig irrelevant. Sie kann im Gegensatz zu einer nichtigen Willenserklärung auch keine Rechtsfolgen aus ungerechtfertigter Bereicherung oder auch keinen Schadensersatz auslösen. 5 Außerdem besteht bei einer ungültigen Willenserklärung im Gegensatz zur nicht existenten Willenserklärung immer noch die Chance, daß sie durch nachträgliches Hinzutreten der Wirksamkeitsvoraussetzung noch gültig werden kann. 6

b) Insbesondere: Unterscheidung von Tatbestand und Formgültigkeit der Willenserklärung Nichts anderes als solch eine äußere Wirksamkeitsvoraussetzung ist insbesondere ein gesetzliches Formgebot. Auch dieses beruht auf besonderen gesetzlichen Vorschriften, die erhöhte Anforderungen an die Wirksamkeit einer Willenserklärung stellen, als sie ohne diese Vorschriften gelten würden. Sie entscheiden hinsichtlich ihrer Rechtsfolge über Gültigkeit oder Nichtigkeit der Willenserklärung (§ 125 BGB), und sie unterliegen ihren eigenen Strukturgesetzen, nämlich ihren jeweiligen Formzwecken. 7 Bei formbedürftigen Rechtsgeschäften beantwortet sich damit auch die Frage, ob die Definition des Erklärungstatbestandes wegen der Formgebundenheit des Geschäfts zu modifizieren ist, oder, anders ausgedrückt, ob der Auslegungsgegenstand auf die förmliche Urkunde zu beschränken ist oder nicht, in gleicher Weise wie bei anderen Wirksamkeitsvoraussetzungen auch. Die Frage wird im Schrifttum überwiegend nicht in den Zusammenhang mit den anderen Wirksamkeitsvoraussetzungen gestellt. Sie wird zum Teil bejaht, 8 wobei allerdings trotz entsprechender Formulierung nicht immer deutlich wird, ob die Form wirklich bereits den Auslegungsgegenstand oder nicht vielmehr erst die Auslegung begrenzen soll; ob zum Beispiel auch eine Umdeutung ausgeschlossen werden soll, erscheint mitunter eher zweifelhaft. 5 Pal / Heinrichs vor § 104, Anrn.4 b, cc; Jauemig / Jauemig vor § 104 Anrn. 3 b; Wolf, AT, § 7 V, S. 340. 6 z. B. durch Genehmigung eines Dritten, Jauernig / Jauemig vor § 104 Anrn. 1 c. 7

S. u.

Staud / Dilcher §§ 133, 157 Rn. 16; Pal / Heinrichs § 126 Anrn. 2 b; § 133 Anrn. 2; Anrn.5 c; Larenz, AT, § 1911 c, S. 344. In der älteren Literatur und Rechtsprechung wurden Auslegungsgegenstand, Inhaltsermittlung und Formprüfung noch gar nicht voneinander getrennt, vgl. RG, Urt. v. 30.6.1913 - IV 168/13 = JW 1913,992 (Nr. 20); RG, Urt. v. 20.12.1915 - IV 199/ 15 = JW 1916,405 (Nr. 9); RG, Urt. v. 3.4.1939 - IV 165/38 = RGZ 160, 109 (111); BGH, Urt. v. 22.2.1956 - IV ZR 239/55 = LM § 2084 BGB Nr.7; BGH, Urt. v. 14.1.1965 - m ZR 131/63 = FarnRZ 1965, 212 = NJW 1965, 584; BGH, Urt. v. 4.12.1969 - m ZR 31/68 = WM 1970,221; BGH, Urt. v. 19.1.1972 - IV ZR 1208/ 68 = WM 1972,313; Kipp/Coing § 21 m 1, S. 139; Leonhard AcP 120,21; Enn/ Nipperdey § 205 12, S. 1249; Oertrnann, AT, § 133 Anrn. 2 a; Siber, RG-Festgabe m, S.355. 8

7 Stumpf

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11. Auslegungsgegenstand

Von anderen wird die Frage ausdrücklich verneint, also urkundliches und außerurkundliches Erklärungsrnaterial gleichennaßen zum Auslegungsgegenstand gerechnet. 9 Diesem strukturgerechten Konzept, das die Fonnvorschriften entsprechend ihrer Funktion den anderen äußeren Wirksamkeits voraussetzungen gleichstellt, könnten allerdings einige praktische Argumente entgegenstehen. -

So könnte etwa der Grundsatz der Grundsatz der Prozeßökonomie dagegen sprechen, von einem weiten Auslegungsgegenstand auszugehen, bei der Auslegung dann mühsam allen Umständen und Beweismitteln, die für einen behaupteten wirklichen Willen sprechen, nachzugehen, um dann festzustellen, der so ennittelte Wille sei wegen des Fonnmangels nicht wirksam geworden. IO Hier hilft aber das prozessuale Instrument der Wahrunterstellung, das es erlaubt, auch bei einem weiten Begriff des Auslegungsgegenstandes und einem entsprechenden behaupteten wirklichen Willen des Erblassers zunächst einmal zu prüfen, ob dieser (unterstellte) Wille im Testament fonngerecht zum Ausdruck kommt und - falls dies zu verneinen ist - auf eine Ennittlung des subjektiven Willens zu verzichten, da er mangels fonngültiger Erklärung ohnehin nicht zur Geltung kommen könnte. 11 Das reduziert den Unterschied in den praktischen Auswirkungen der verschiedenen Auffassungen beträchtlich. Es hebt ihn allerdings nicht vollständig auf. Ist nämlich ein Teil der Willenserklärung urkundlich niedergelegt, ein Teil dagegen außerurkundlich, also fonnnichtig erklärt (Beispiel: Der Erblasser setzt in einer eigenhändig ge- und unterschriebenen Urkunde Azurn Alleinerben ein und bestimmt gleichzeitig in einem weiteren maschinenschriftlichen Schriftstück ein Vennächtnis für B), so handelt es sich nach der hier vertretenen Auffassung um einen Fall der Teilnichtigkeit. 12 Diese ist bei Rechtsgeschäften unter Lebenden nach § 139 BGB, bei testamentarischen Verfügungen nach § 2085 BGB zu beurteilen. Im Testamentsrecht wird daher mehr noch als bei Rechtsgeschäften unter Lebenden im Regelfall doch die urkundlich verfügte Erklärung "übrigbleiben". In diesen Fällen kann daher auch eine letztlich überflüssige Beweisaufnahme über außerurkundliches Erklärungsmaterial mit dem prozessualen Mittel der Wahrunterstellung vennieden werden.

9 Bernard S.22 (23); S.80 (82 f.); Danz S. 182; Häsemeyer, Form, S. 123 (127); S. 154 (155,157); S. 265 (266); Häsemeyer JuS 1980, 1 (7); Lüderitz S. 25; offengelassen in BGH, Urt. v. 28.1.1987 - IVa ZR 191/85 = FamRZ 1987, 475, wo zwar die Berücksichtigung außerurkundlicher Umstände angesprochen wird, aber nicht klargestellt wird, ob diese nun als Auslegungsgegenstand oder Auslegungsminel herangezogen werden sollen. IO Kuchinke JZ 1985, 748; Leipold, ErbR, Rn. 280; MK / Leipold § 2084 Rn. 1; Leipold JZ 1983, 711. 11 Leipold JZ 1983,711; nunmehr ausdrücklich klargestellt in BGH, Urt. v. 28.1.1987 - IVa ZR 191/85 - FamRZ 1987,475. 12 So auch Bernard S. 81 m. vielen w. N. in Fn. 5.

3. Tatbestand und Wirksamkeit der Willenserklärung

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Es darf aber nicht vergessen werden, daß einer solchen Wahrunterstellung in jedem Fall die Feststellung vorausgehen muß, daß der urkundliche Teil des Erklärungstatbestandes trotz Nichtigkeit des außerurkundlichen Teils des Erklärungstatbestandes gelten soll; denn § 2085 BGB ist nur eine Auslegungsregel, die gegenüber einem abweichenden wirklichen Willen des Erblassers zurücktritt. 13 Die Berücksichtigung des subjektiven Willens des Erblassers an dieser Stelle ist auch strukturgerecht. Es handelt sich hier nämlich nicht mehr um eine Tatbestandsfrage, sondern um eine Wirksamkeitsfrage, um die Formwirksamkeit. Die Formprüfung steht aber nicht wie die Frage nach dem Tatbestand der Willenserklärung allein unter dem Gesichtspunkt der Privatautonomie in der Spannung zwischen Selbstbestimmung und Selbstverantwortung, sondern vielmehr in der Spannung zwischen Privatautonomie des Erklärenden und Formzweck, wobei innerhalb der Privatautonomie die Selbstverantwortung hier gegenüber der Selbstbestimmung zurücktritt. 14 Soweit der Formzweck nicht zum Zuge kommt, entscheidet daher der subjektive Erblasserwille. Im übrigen ist die Frage nach dem Verhältnis einzelner Erklärungsteile zueinander eine inhaltsbezogene Frage; ob ein Teil der Erklärung ohne den anderen gelten soll, läßt sich nicht ohne Kenntnis des Inhalts der jeweiligen Erklärungsteile beantworten. Wegen dieses inhaltlichen Bezugs läßt sich daher die Frage, ob ein Teil der Erklärung auch ohne den anderen gelten soll, also die Wirksamkeitsfrage, strenggenommen nur im Anschluß an die Auslegung beantworten. Auch hier kann aber das Prozeßrecht zur Verfahrensvereinfachung beitragen. Denn wer behauptet, der Erblasser hätte die für sich genommen wirksame Verfügung nicht ohne den formunwirksamen Teil getroffen, hat dafür die Beweislast; 15 in diesem Fall kann dann zwar nicht die Beweisaufnahme darüber, ob der urkundliche Teil auch ohne den außerurkundlichen Teil der Erklärung gelten soll, eingespart werden (bei Unterstellung des außerurkundlichen Erklärungstatbestandes und Unterstellung eines bestimmten Inhalts der Erklärung), aber es kann doch immerhin sowohl die Beweisaufnahme über das außerurkundliche Erklärungsmaterial selbst sowie die Inhaltsermiulung, also die zentrale Auslegung, vermieden werden, die zusammen den "arbeitsintensivsten" Teil der Beschäftigung mit dem Testament ausmachen dürften. Und der Nachteil zusätzlicher Arbeit, die sich durch das Problem der Teilnichtigkeit ergeben kann, wird ja ausgeglichen durch den Vorteil, dem Erblasserwillen differenzierter Rechnung tragen zu können, ohne deshalb Verantwortungsgesichtspunkte oder Formzwecke wie z. B. den 13 BayObLG, Beschl. v. 22.12.1960 1 Z 8/60 = BayObLGZ 60, 490 (499); Pal/ Edenhofer § 2085 Anm. 1. 14 S. u. 15 RG, Urt. v. 5.3.1906 IV 470/05 = RGZ 63, 23 (27); RG, Urt. v. 14.2.1927 - IV 766/26 = RGZ 116, 148 (151); BGH, Urt. v. 16.9.1959 - V ZR 20/59 = LM § 2085 BGB Nr. 2; Pal/ Edenhofer § 2085 Anm. 1; Staud /Otte § 2085 Rn. 2. Im FGG-Verfahren tritt an die Stelle der Beweislast die objektive Feststellungslast.

7*

11. Auslegungsgegenstand

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Verkehrsschutz hintanstellen zu müssen; und genau das ist ja schließlich der gesetzliche Auftrag an denjenigen, der das Testament auf Inhalt und Form zu überprüfen hat. Außerdem ist festzuhalten, daß zum Erklärungstatbestand nur außerurkundliche Erklärungen jeder Form, nicht aber sonstige außerurkundliche Umstände gehören können, außerdem nur Erklärungsmaterial, das in einem einheitlichen Erklärungsakt abgefaßt wurde. Weiterhin ist, wenn man einen weiten Auslegungsgegenstandsbegriff zugrundelegt, auch im Fall der Formnichtigkeit des außerurkundlichen Erklärungsteils weiter nach der Umdeutung zu fragen. Zwar setzt Umdeutung grundsätzlich Gesamtnichtigkeit des Rechtsgeschäfts voraus. 16 Tritt aber bei Teilnichtigkeit eines Rechtsgeschäfts nach § 139 oder § 2085 BGB Gesamtnichtigkeit ein, so kann das nichtige Geschäft unter den Voraussetzungen des § 140 BGB in ein anderes Rechtsgeschäft umgedeutet werden. 17 Und wird nach § 139 oder § 2085 BGB unter Abtrennung des nichtigen Teils das Restgeschäft aufrechterhalten, so kann der nichtige Teil gegebenenfalls nach § 140 BGB für sich allein in ein anderes Rechtsgeschäft umgedeutet werden. 18 Die Gegenansicht kann demgegenüber zu einer Umdeutung nicht mehr kommen. Abgesehen von diesen Gesichtspunkten der Teilnichtigkeit und einer möglichen Umdeutung, die aber dem Interesse einer differenzierten Verwirklichung des Erblasserwillens bei gleichzeitiger Beachtung des Formgebots dienen (und praktisch wohl eher in Ausnahmefällen zu abweichenden Ergebnissen führen dürften), führt der weite Auslegungsgegenstandsbegriff wegen der Möglichkeit der Wahrunterstellung nicht zu einem erheblich größeren prozessualen Aufwand gegenüber dem engen, an der Urkunde orientierten Auslegungsgegenstandsbegriff. Es ist also zu unterscheiden zwischen der gedanklichen Prüfungsreihenfolge, die den Sinn hat, die jeweils maßgeblichen Kriterien sauber auseinanderzuhalten und damit die Auslegungsarbeit im Interesse von Rechtssicherheit und Rechtsklarheit exakt begründbar und nachvollziehbar zu machen, und der prozessualen Vorgehensweise, die - bei Beachtung der dogmatischen Grundsätze - dann auch vereinfacht vorgehen kann; die Instrumente dafür hat aber das Prozeßrecht, nicht das materielle Recht zu liefern. -

Zum anderen könnten erkenntnispsychologische Gesichtspunkte dafür sprechen, die Begrenzung durch die Form nicht erst im Anschluß an einen weiten Auslegungsgegenstand und eine (beim Testament) subjektive Inhaltsermittlung, sondern vielmehr in einem möglichst frühen Stadium der Beurteilung eintreten zu lassen. 19 Die Erfahrung zeigt, daß sich der Entscheidungsprozeß 16

Soergel / Hefennehl § 140 Rn. 27. Ansonsten gilt § 139 BGB: MK / Mayer-Maly

§ 139 Rn. 6 ff. 17 18 19

Ennan / Brox § 140 Rn. 6; Soergel / Hefennehl § 140 Rn. 28. Soergel/ Hefennehl § 140 Rn. 28. Kuchinke JZ 1985, 748 (749).

3. Tatbestand und Wirksamkeit der Willenserklärung eines Erblassers in der Regel langsam vollzieht und verschiedene Phasen durchläuft; in aller Regel werden außenstehende Personen in irgendeiner häufig nur losen - Form beteiligt. Verlagert man das Gewicht auf diese außerhalb der Testamentsurkunde zugänglichen Umstände, weil diese den wirklichen Erblasserwillen vermitteln (der durch einen weiten Auslegungsgegenstandsbegriff, der urkundliche und außerurkundliche Umstände erfaßt, auch leichter eröffnet wäre), dann ist im nachhinein der Schritt zu der Annahme eines hinreichenden Anhaltspunktes im Testament leichter zu machen, als wenn man von vornherein nur das Testament als Instrument der Bekundungen des Erblasserwillens ansieht und außerurkundliche Umstände nur als Auslegungsmittel versteht. Schon um die schöne eigene Auslegungsarbeit nicht im nachhinein bei der Formprüfung wieder zunichte zu machen, könnte man geneigt sein, im Testament einen Anhaltspunkt für einen bestimmten Erblasserwillen zu finden, wenn man zu diesem Zeitpunkt bereits die maßgebliche Überzeugung gewonnen hat; die Formprüfung wird demgegenüber leichter negativ ausfallen, wenn die Nachforschungen bereits in dem Bewußtsein angestellt werden, daß der Erblasserwille keine Existenz außerhalb der Erklärung hat. Es besteht also die Gefahr, daß gerade dann, wenn die Formprüfung von der Ermittlung des Auslegungsgegenstandes und der Inhaltsermittlung abgekoppelt wird, um sie von strukturfremden Wertungskriterien zu befreien und eine möglichst sachgerechte Entscheidung ohne Kompromißcharakter zu ermöglichen, diese Formprüfung durch ein bestimmtes Vorverständnis überlagert wird, durch das doch wieder formfremde Wertungen in die Formprüfung gelangen, was in der Tat für ein Abweichen vom Strukturprinzip sprechen könnte. Andererseits ist mit einer Ausnahme vom Prinzip, mit der man einem Sonderproblem besonders gerecht werden will, immer auch die Gefahr der Aufweichung des gesamten Prinzips verbunden; die erste Ausnahme kann leicht weitere Ausnahmen nach sich ziehen, nach jeder Richtung, wenn diese das allgemeine oder das jeweils persönliche Gerechtigkeitsempfinden erfordert; und schon ist man wieder beim grundlegenden Problem der Auslegung angelangt, daß letztlich Billigkeitserwägungen im Einzelfall die allgemeingültige Auslegungsrichtschnur ersetzen und im konkreten Rechtsstreit das Auslegungs- und damit das Prozeßergebnis nicht hinreichend voraussehbar, also nicht kalkulierbar machen. Zwar steht die Behandlung eines jeden Rechtsfalles letztlich im Spannungsfeld zwischen dem harten Prinzip, der Struktur der Rechtsordnung, im Interesse von Rechtssicherheit und Rechtsklarheit, und der weichen flexiblen Einzelfallgerechtigkeit; doch wird gerade im Bereich der Testamentsauslegung derzeit wohl eher im Bereich der prinzipiellen Klarheit als im Bereich der Einzelfallgerechtigkeit ein Defizit empfunden. Das spricht dafür, gerade bei der Testamentsauslegung lieber Ordnungsmodelle aufzuzeigen, Strukturen zu klären und die jeweils maßgeblichen Gesichtspunkte sauber Schritt für Schritt in der Prüfung deutlich zu machen, und

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II. Auslegungsgegenstand diese Vorgehensweise dem im Einzelfall vielleicht befriedigerenden, aber auch undeutlicheren Komprorniß vorzuziehen. Jeder Komprorniß trägt ja in sich wiederum die Gefahr der Beliebigkeit der Argumentation, je nach dem letztlich gewünschten Ergebnis, und fördert die Verwendung von Floskeln als Begründungsersatz. Nicht umsonst haben die vergangenen Jahrzehnte, solange die Wissenschaft und Rechtsprechung nicht zwischen Ermittlung des Auslegungsgegenstandes, Inhaltsermittlung und Formprüfung trennte, im Bereich der Testamentsauslegung keinen Fortschritt gebracht, obwohl die mangelnde Kalkulierbarkeit der Prozeßergebnisse (im Interesse der Einzelfallgerechtigkeit) durchaus als unbefriedigend empfunden wurde. Dieser Gesichtspunkt spricht dafür, trotz der angesprochenen erkenntnispsychologischen Bedenken an der Trennung von Auslegungsgegenstand, Inhaltsermittlung und Formprüfung festzuhalten und damit auch zunächst von einem weiten Auslegungsgegenstand auszugehen, der urkundliches und außerurkundliches Erklärungsmaterial erfassen kann. Im übrigen können die genannten erkenntnispsychologischen Bedenken auch als Argument nicht gegen die Trennung von Auslegung und Form, sondern gegen das unsichere Kriterium der Andeutung im Rahmen der Formprüfung verstanden werden; je klarer die Kriterien der Formprüfung definiert werden, umso weniger wird auch ein etwaiges Vorverständnis sich praktisch auswirken können. Die genannten Bedenken müssen daher dann im Bereich der Formprüfung zu besonderer Vorsicht veranlassen; es gilt, sich eines möglichen Vorverständnisses, der Lust zur positiven Entscheidung aufgrund eines bestimmten Auslegungsergebnisses bewußt zu werden, sich davon frei zu machen und die Formprüfung allein aufgrund ihrer eigengesetzlichen Wertungen vorzunehmen. Die neuere Rechtsprechung zeigt im übrigen, daß die psychische Standfestigkeit der Richter auch nicht unterschätzt werden darf; gerade die neueren Entscheidungen 20 belegen eindrucksvoll, daß die befürchteten Hemmungen, einen bestimmten subjektiven Testamentsinhalt nachher für form unwirksam zu halten, offenbar nicht bestehen.

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Ein drittes praktisches Argument gegen einen weiten Auslegungsgegenstandsbegriff ist die damit unter Umständen verbundene Mißbrauchsgefahr. 21 Ein Erbprätendent, der sich vom Urkundenwortlaut nicht den gewünschten Erfolg verspricht, könnte bei einem weiten Auslegungsgegenstand leichter dazu verführt werden, außerurkundliches Erklärungsmaterial nach Bedarf zusammenzutragen, um damit seine Prozeßlage zu verbessern; da erfahrungsgemäß der Entscheidungsprozeß bei Nachfolgeregelungen oft allmählich verläuft und mit Rücksprachen und Andeutungen im Kreis der Angehörigen, Mitgesellschafter, Freunde oder anderer Personen verbunden ist, wird sich derartiges günstiges außerurkundliches Erklärungsmaterial auch in vielen Fällen finden lassen, ohne daß damit regelrechte Manipulationen verbunden wären.

20 z. B. BGH, Beseh!. v. 9.4.1981 - IVa ZB 4/80 = BGHZ 80, 242; BGH, Beseh!. v. 9.4.1981 - IVa ZB 6/80 = BGHZ 80, 246. 21 Kuchinke JZ 1985,748 (750).

3. Tatbestand und Wirksamkeit der Willenserklärung

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Auch diese Gefahr kann aber auch bei Aufrechterhaltung des weiten Auslegungsgegenstandsbegriffs gebannt werden. Denn auch wenn der Auslegungsgegenstand unabhängig vom Formgebot verstanden wird, ist dazu nicht schrankenlos Außerurkundliches zu rechnen. Zum einen kann zum Erklärungstatbestand nur Erklärungsmaterial gehören, nicht sonstige außerurkundliche Umstände; Erklärungsmaterial muß aus Äußerungen des Erblassers bestehen, die auch im übrigen der Definition des Tatbestandes der Willenserklärung genügen. 22 Zum zweiten ist ein einheitlicher Erklärungstatbestand nur dann gegeben, wenn die Erklärung auch in einem einheitlichen Manifestationsakt verlautbart worden ist, also ein gewisser Mindestzusammenhang zwischen den einzelnen Erklärungsteilen besteht. Zum dritten greift hier die prozessuale Vermutung der Vollständigkeit und Richtigkeit der Urkunde; 23 das bedeutet eine Umkehr der Beweislast dahingehend, daß derjenige, der sich auf außerurkundliches Erklärungsmaterial beruft, dieses sowie den Zusammenhang mit der Urkunde darlegen und notfalls beweisen muß; im Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit (zum Beispiel im Erbscheinsverfahren) trägt er insoweit die objektive Feststellungslast. Das spricht dafür, daß den Erfordernissen der Praxis auch bei Annahme eines weiten Auslegungsgegenstandes Rechnung getragen werden kann. Sofern der Auslegungsgegenstand unabhängig vom Wirksamkeitserfordernis der Form gesehen und damit auch außerurkundliches Erklärungsmaterial prinzipiell zum Auslegungsgegenstand gerechnet wird, wird aber zum Teil der Form insoweit eine begrenzende Funktion eingeräumt, als ein unwiderleglicher Erfahrungssatz aufgestellt wird, daß die Partei abrede in der Urkunde vollständig und richtig enthalten sei. 24 Das kommt praktisch einer Verengung des Auslegungsgegenstandes auf die förmliche Urkunde gleich, die dagegen angeführten Bedenken greifen daher auch hier ein. Außerdem fragt sich, wie ein derartiger Erfahrungssatz zu begründen wäre, oder ob aus der Praxis nicht eher ein umgekehrter Erfahrungssatz zu begründen wäre, daß Rechtsgeschäfte häufig außer der urkundlich niedergelegten Schlußformel noch eine Reihe von Nebenabreden enthalten. Bleibt man demgegenüber bei der prozessualen Vermutung der Vollständigkeit der Urkunde, dann bedarf es eines solchen Erfahrungssatzes nicht; diese Vermutung beruht vielmehr allenfalls auf der Erfahrung, daß Parteien allein den Urkundeninhalt als rechtsverbindliches Erklärungsmaterial behandelt wissen wollen; doch ist hier immerhin der Beweis des Gegenteils eröffnet. Im übrigen ist zu bedenken, daß auch einem solcherart weit verstandenen Auslegungsgegenstand eine auslegungsbegrenzende Funktion zukommt. Alles Erklärungsmaterial, das bereits zum Auslegungsgegenstand gerechnet wird, also selbst der Auslegung unterliegt, kann selbst nicht mehr Auslegungsmittel sein, also nicht mehr zur 22

S.

U.

RG, Urt. v. 4.2.1908 - 11315/07 = RGZ 68,15; BGH, Urt. v. 11.11.1977V ZR 105/75 = MDR 1978,567; Bemard S. 27; Zöller / Stephan vor § 415 Rn. 5. 24 Jauemig / Jauemig § 126 Anm. 3 b. 23

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II. Auslegungsgegenstand

Ennittlung und Begründung eines subjektiven Erblasserwillens herangezogen werden; das insbesondere auch dann nicht, wenn es wegen des Fonngebots letztlich nichtig ist. Alle diese Argumente sprechen somit dafür, es bei der strukturgerechten Trennung von Auslegungsgegenstand und Fonnprüfung zu belassen. Diese Frage, ob der Erklärungstatbestand mit Rücksicht auf das Fonngebot auf die Urkunde zu beschränken ist, oder ob demgegenüber entsprechend der allgemeinen Definition der Willenserklärung auch außerurkundliches Erklärungsmaterial zum Erklärungstatbestand zu rechnen ist, ist wiederum nicht zu verwechseln mit der Unterscheidung von Tatsachenfeststellung und rechtlicher Würdigung. Die Ennittlung aller urkundlichen und außerurkundlichen Erklärungen und sonstiger Umstände ist Tatsachenennittlung, für die im streitigen Verfahren der Beibringungsgrundsatz gilt, im Erbscheinsverfahren § 12 FGG; das gilt unabhängig davon, ob diese Erklärungen und Umstände dann als Auslegungsgegenstand oder Auslegungsmiuel zu qualifizieren sind. Erst diese Einordnung und die eigentliche Inhaltsenniulung stellen sich dann als rechtliche Würdigung dar. 25

4. Die Ermittlung des Tatbestandes im Verfahren vor Gericht Damit liegen die materiellen Elemente fest, die den Tatbestand der Willenserklärung und damit den Auslegungsgegenstand bestimmen. Daraus ergibt sich auch das Verfahren, mithilfe dessen nun der maßgebliche Auslegungsgegenstand fixiert wird. Zum einen ist das Erklärungsmaterial zu enniueln, das den Erklärungstatbestand ausmacht. Insoweit handelt es sich um eine reine Tatsachenfeststellung. Als Hilfsmittel für die Feststellung des Erklärungstatbestandes dienen Begleitumstände. 1 Die Schwierigkeiten liegen in der sachgerechten Erfassung und Umgrenzung des Erklärungstatbestandes und der maßgeblichen Begleitumstände, da die Bedeutung einer Erklärung als rechtsgeschäftliche Geltungserklärung sich oft erst aus dem Zusammenhang ergibt. 2 Das leitet über zu der zweiten Aufgabe, die sich bei der Ennittlung des Auslegungsgegenstandes stellt, zu der rechtlichen Würdigung: Die Tatsachen, die den Erklärungstatbestand ausmachen, sind daraufhin zu untersuchen, ob sie objektiv den Eindruck erwecken, mit Rechtsgeltungswillen vorgetragen zu sein, und ob sie gegebenenfalls dem Erklärenden als Willenserklärung zurechenbar sind. Diese beiden Prüfungsschriue sind, da der Charakter einer Erklärung als Rechtsgestaltungsakt sich erst aufgrund einer nonnativen Wertung ergibt, ande25 1

2

Soergel/ Hefennehl § 133 Rn. 16. Soergel / Hefennehl vor § 116 Rn. 18. Soergel/ Hefennehl vor § 133 Rn.' 16.

4. Ermittlung des Tatbestandes im Verfahren vor Gericht

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rerseits diese Wertung nicht ohne das entsprechende Tatsachenmaterial erfolgen kann, nicht voneinander zu trennen.

a) Das Tatsachenmaterial Im streitigen Verfahren gilt zunächst hinsichtlich des Tatsachenstoffs der Beibringungsgrundsatz; 3 nur Erklärungsmaterial, das die Parteien vortragen, kommt damit überhaupt in Betracht. Außerdem muß dieses im Bestreitensfall auch bewiesen werden. Hier greift außerdem die Vermutung der Vollständigkeit und Richtigkeit der Urkunde ein, s. o. Wer sich also auf außerurkundliches Erklärungsmaterial beruft, hat dieses auch zu beweisen. Außerdem hat sich gezeigt, daß eine einheitliche Willenserklärung und damit ein einheitlicher Auslegungsgegenstand auch bei der Anerkennung von außerurkundlichem Erklärungsmaterial nur dann anzunehmen ist, wenn die Erklärungsteile derart in einem räumlichen oder zeitlichen Zusammenhang stehen, daß sie sich als einheitliche Verlautbarung eines rechtsgeschäftlichen Gestaltungswillens darstellen. Auf diese Weise läßt sich unproblematisch eine sachgerechte Begrenzung des Erklärungsmaterials erreichen. Der letzte Gedanke greift auch im Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit, wo gemäß § 12 FGG der Amtsermittlungsgrundsatz gilt; hier ist das Gericht grundsätzlich zu einer umfassenden Sachaufklärung verpflichtet, doch kann sich diese, sofern es um eine einheitliche Willenserklärung geht, nur auf Äußerungen des Erklärenden beziehen, die miteinander in einem solchen räumlichen oder zeitlichen Zusammenhang stehen, daß sie als einheitliche Erklärung erscheinen. Auch dann ist aber das Gericht nicht zu uferlosen Nachforschungen "ins Blaue hinein" verpflichtet. Vielmehr gilt für die Ermittlungen des Gerichts ein pflichtgemäßes Ermessen; das Gericht trägt zwar damit grundsätzlich die Verantwortung für die Vollständigkeit des Tatsachenmaterials, ist aber an Beweisanträge, Behauptungen oder sonstiges Verhalten der Beteiligten nicht gebunden. Der Umfang der Ermittlungen ist gesetzlich nur durch das Wort "erforderlich" bestimmt. 4 Das Gericht hat daher die Ermittlungen so lange fortzusetzen, bis es sich eine Überzeugung vom Vorliegen oder Nichtvorliegen der entsprechenden Tatsachen gebildet hat; danach braucht es nicht mehr etwa noch in Betracht kommendes weiteres Material heranzuziehen, es sei denn, es erwartet von ihm wichtige abweichende Folgerungen. 5 Insbesondere Nachforschungen nach außerurkundlichem Erklärungsmaterial sind daher in der Regel nur veranlaßt, wenn sich dafür im Verfahren konkrete Anhaltspunkte ergeben. 6 Und auch die Nachforschungen 3 Baumbach / Lauterbach / Albers / Hartmann Grdz. § 128 Anm. 3; Jauemig, Zivilprozeßrecht, § 25 IV, S. 74; Schönke / Kuchinke § 8 I 2, S. 24; Stein / Jonas / Leipold vor § 128 Rn. 75 ff.; Thomas / Putzo Ein!. I 1; Rosenberg / Schwab § 78 11, S. 454. 4 Keidel / Kuntze / Winkler § 12 Rn. 85, m. w. N. 5 BayObLG, Besch!. v. 20.7.1979 BReg. 1 Z 119/78 = BayObLGZ 1979,232 (237); BayObLG, Besch!. v. 20.3. 1980-BReg. 1 Z 18/80 = BayObLGZ 1980,95 (99).

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11. Auslegungsgegenstand

selbst werden in der Regel über die Beteiligten erfolgen; der Gang der Ermittlungen unterscheidet sich daher faktisch oftmals gar nicht so sehr von dem des streitigen Verfahrens. 7 Im FGG-Verfahren gibt es nun allerdings, bedingt durch die Untersuchungsmaxime, keine Verpflichtung und auch keine Last der Beteiligten, Beweise zu erbringen; das Gericht trägt die Verantwortung für den Umfang der Beweisaufnahme. 8 Darüber hinaus stellt § 12 FGG die Wahl der Beweismittel in das pflichtgemäße Ermessen des Gerichts; dabei hat es die Wahl zwischen dem Strengbeweis mit den Beweismitteln der ZPO und dem Freibeweis. 9 Das Gericht muß eine förmliche Beweisaufnahme aber dann durchführen, wenn durch formlose Ermittlungen eine genügende Aufklärung nicht zu erreichen ist sowie dann, wenn es auf die Erweisbarkeit bestimmter Einzeltatsachen ankommt, deren Feststellung für die Entscheidung ausschlaggebend ist. 10 Unterläßt es die so geforderte Beweisaufnahme, so liegt eine Verletzung des § 12 FGG vor. 11 Kann die Tatsache dann nicht bewiesen werden, so geht dies nach den Grundsätzen der objektiven Feststellungslast zulasten desjenigen Beteiligten, dem diese Tatsache zugute käme. 12 Allerdings können das Verfahrensrecht oder das materielle Recht eine andere Verteilung der objektiven Feststellungslast vorsehen, zum Beispiel über Tatsachen- oder Rechtsvermutungen. Insbesondere der Vermutung der Vollständigkeit und Richtigkeit der Urkunde kommt daher auch im Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit Bedeutung zu.

b) Die rechtliche Würdigung; insbesondere: Das Verkehrsverständnis Schwieriger als die Tatsachenfeststellung ist der normative Teil der Ermittlung des Auslegungsgegenstandes. Zum einen ist zu klären, ob das objektive Erklärungsmaterial den Eindruck erweckt, mit Rechtsbindungswillen vorgetragen worden zu sein; entscheidend ist nach dem Gesagten das Verkehrsverständnis. Weiterhin ist zu untersuchen, ob die solcherart ermittelte Erklärung dem Erklärenden als Willenserklärung zurechenbar ist, d. h. ob der Erklärende damit rechnen konnte und mußte, daß seine Erklärung vom Rechtsverkehr als Willenserklärung BGH, Besch!. v. 5.3.1963 - V ZB 7/63 = BGHZ 40, 54 (57). Zur Infonnationslast der Beteiligten vg!. Bännann § 15 III 2, S. 105 f.; § 17 11, S. 122; Jansen, 1. Bd., § 12 Rn. 6, m. w. N.; Kollhosser § 5, S. 111 ff.; Lindacher JuS 1978,577 (581). 8 Bassenge I Herbst § 15 Anm. I b; Bumiller I Winkler § 15 Anm. 1; Habscheid § 21 11, S. 154; Keidel I Kuntzel Winkler § 12 Rn. 85 ff. 9 Habscheid § 2111 1, S. 156; Jansen, 1. Bd., § 12 Rn. 39; Keidel I KuntzeIWinkler § 15 Rn. 3, m. w. N. 10 OLG Stuttgart, Besch!. v. 4.8.1980 8 W 21/80 = MDR 1980, 1030 (1031); Bumiller I Winkler § 15 FGG Anm. 1. 11 KG, Besch!. v. 31.8.1961 1 W 1267/61 = NJW 1961,2066; Jansen 1. Bd. § 12 Rn. 39; Keidel I Kuntzel Winkler § 15 Rn. 4, m. w. N. 12 Bännann § 16 I 4 b; Habscheid § 21 III 2, S. 163 f.; Jansen, 1. Bd. § 12 Rn. 9; Keidel I Kuntze / Winkler § 12 Rn. 190. 6 7

4. Ennittlung des Tatbestandes im Verfahren vor Gericht

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aufgefaßt werden würde. Schließlich ist, sofern der Erklärungstatbestand aus mehreren Teilen besteht, zu prüfen, ob zwischen diesen Teilen der erforderliche Zusammenhang besteht. Ob das objektive Erklärungsmaterial den Eindruck der Rechtsverbindlichkeit erweckt, bestimmt sich nach dem Verkehrsverständnis. Denn dieses Tatbestandserfordernis ist Ausfluß der Selbstverantwortung des Erklärenden, der mit der Willenserklärung am Rechtsverkehr teilnimmt und daher grundsätzlich das Risiko dafür trägt, daß seine Willenserklärung vom Rechtsverkehr auch als rechtlicher Gestaltungsakt aufgefaßt wird. Das Verkehrsverständnis als die Bedeutung, die die Sprachgemeinschaft durch Konvention den sprachlichen Ausdruckszeichen unterlegt, kann sich allerdings im Lauf der Zeit wandeln. Bei der Rechtsgeschäftsauslegung kommt dem zeitlichen Anknüpfungspunkt zwar etwas weniger Gewicht zu als im Rahmen der Gesetzesauslegung, weil Gesetze in der Regel über längere Zeiträume Bestand haben. Doch gerade letztwillige Verfügungen werden oftmals Jahrzehnte vor dem Erbfall erstellt und können nach dem Erbfall noch über Generationen hinweg ihre Wirkung entfalten, so daß auch im Bereich der Rechtsgeschäftsauslegung die Frage jedenfalls bei letztwilligen Verfügungen ihre Bedeutung hat. Für die Gesetzesauslegung ist anerkannt, daß hierbei die entstehungszeitliche, nicht die zeitgenössische Sprachkonvention maßgeblich ist. 13 Das gilt auch für die Rechtsgeschäftsauslegung, denn angesichts der Funktion des Tatbestandes der Willenserklärung als Eintrittskarte in den Rechtsverkehr kann es nur auf das Verständnis des Rechtsverkehrs im Zeitpunkt dieses Eintritts ankommen; das ist aber allein der Zeitpunkt, in dem die Willenserklärung in die Welt gesetzt, also verlautbart wird, nicht etwa ein späterer Zeitpunkt des Wirksam werdens, erst recht nicht der Zeitpunkt der Auslegung durch den Richter. 14 Schwieriger ist die Festlegung der Sprachgruppe, deren Konvention das Verkehrsverständnis bestimmen soll. Grundsätzlich kann es hier nicht auf irgendwelche Sondergruppen, sondern nur auf die allgemeine Umgangssprache ankommen, weil der Erklärende mit seiner Willenserklärung in den allgemeinen, nicht in einen Sonderrechtsverkehr eintritt; wenn die Willenserklärung aber vom allgemeinen Rechtsverkehr als Rechtsgestaltungsakt anerkannt werden soll, kann der 13 Larenz, Methodenlehre, S. 305 ff.; Koch / Rüßmann S. 188 (189). Es geht hier nur um die Sprachkonvention, aufgrund derer die Wortbedeutung des Gesetzes zu ennitteln ist, noch nicht um die historische Auslegung, d. h. die Frage, ob die Intentionen des historischen Gesetzgebers oder ein verobjektivierter gesetzesgeberischer Wille zu gelten haben. 14 Auch wenn es hier nur um die Frage der rechtlichen Relevanz, noch nicht um den Inhalt der Willenserklärung geht, kann ein unterschiedliches Sprachverständnis in Ausnahmefällen praktische Bedeutung haben; die briefliche Fonnulierung ,,kraft meiner väterlichen Autorität wünsche ich folgende Regelung ..." wäre um die Jahrhundertwende wohl als unbedingt verbindliche Anordnung angesehen worden; nach heutigem Verständnis könnte dahinter zunächst nur ein Appell, eine moralisch, aber nicht rechtlich bindende Bitte zu sehen sein.

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H. Auslegungsgegenstand

Erklärende - so fordert es seine Selbstverantwortung - auch kein Sonderverständnis für die Beurteilung dieser Frage in Anspruch nehmen. 15 Das bedeutet aber nicht, daß ein derart weitgefaßtes Verkehrsverständnis sich mit sprachlichen Minimalanforderungen begnügen müßte im Sinne eines kleinsten gemeinsamen Nenners, der von allen Mitgliedern des jeweiligen Sprachraums, egal welcher Alters- und Bildungsstufe, beherrscht wird. Entscheidend ist vielmehr die allgemeine Umgangssprache in ihrem Vollbestand, nicht nur Rand- oder Rudimentärbereiche der Sprache; denn nur diese Sprache in ihrem Vollbestand ist die Sprache des allgemeinen Rechtsverkehrs. 16 Diese Sprache läßt sich auch im Streitfall vor Gericht problemlos feststellen, so daß also nicht etwa zu befürchten ist, daß der Richter bei jedem Testament, bei dessen Tatbestand es auf das Verkehrsverständnis ankommt, etwa erst eine Repräsentativumfrage durchführen müßte. Vielmehr sind sowohl Richter als auch Verfahrensbeteiligte meist Mitglieder derselben Sprachgemeinschaft und werden daher in der ganzen überwiegenden Anzahl der Fälle in ihrem Empfinden darüber, ob eine bestimmte Erklärung rein sprachlich als Rechtsgestaltungsakt erscheint oder nicht, ohnehin übereinstimmen; in Zweifelsfällen können Wörterbücher und andere Nachschlagewerke der Sprache konsultiert werden. 17 Eine Ausnahme vom Grundsatz, daß nur die allgemeine Verkehrssprache maßgeblich ist und ein Sonderjargon bestimmter Gruppen außer Betracht zu bleiben hat, ist aber zu machen für Fachsprachen, besonders die juristische, aber unter Umständen auch für einen besonderen kaufmännischen Sprachgebrauch oder technische Bezeichnungen. Zwar handelt es sich auch hier um einen Sondersprachgebrauch bestimmter Personen, nämlich Berufsgruppen; doch unterscheidet sich die Fachsprache von dem einfachen Sondersprachgebrauch dadurch, daß sie nicht einfach Ausdrucksweisen der allgemeinen Umgangssprache durch andere ersetzt, sondern von der allgemeinen Umgangssprache ausgeht und diese zur besseren Begriffsschärfe ausdifferenziert. 18 Diese Fachsprache ersetzt daher auch 15 Diese allgemeine Umgangssprache macht auch nicht an staatlichen Grenzen halt; wenn also eine Erklärung in deutscher Sprache abgegeben wird, ist nicht nur die allgemeine Umgangssprache im Geltungsbereich des BGB maßgeblich oder umgekehrt z. B. österreichische Spezialschmankerln, sondern die allgemeine Umgangssprache im gesamten deutschen Sprachraum; denn Tatbestand und Inhalt der Willenserklärung sind wegen ihrer Funktion als Instrument privatautonomer Gestaltung noch unabhängig von staatlicher Gewährleistung; erst auf der Wirksamkeitsebene entscheidet sich, ob die jeweilige staatliche Rechtsordnung die Willenserklärung als Rechtsgestaltungsakt anerkennt. Das bedeutet, daß es auf den Errichtungsort für das Verkehrsverständnis hier nicht ankommt. 16 Das bedeutet aber nicht unbedingt, daß auch der Erklärende die Sprache in ihrem Vollbestand aktiv beherrschen müßte; es wird nur seine - u. U. sprachlich unbeholfene - Erklärung an der ganzen deutschen Sprache gemessen; so auch im Ergebnis BayObLG, Besch!. v. 26.2.1963 - BReg. 1 Z 72/62 = BayObLGZ 1963, 58. 17 So (für die Gesetzesauslegung) auch Koch / Rüßmann S. 190. 18 Der kaufmännische Sprachgebrauch hat neben dem fachsprachlichen Zweck klarerer Begrifflichkeit auch den Zweck, umgekehrt im Interesse eines zügigen Handelsverkehrs die Verständigung zu vereinfachen, und ist zum dritten auch einfach historisch gewachsen, ist daher nur zum Teil Fachsprache, zum Teil Sondersprachgebrauch.

5. Defmition des Tatbestandes der Willenserklärung

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nicht einfach die allgemeine Umgangssprache, sondern ist als Teil der Vollsprache mitzuberücksichtigen; aus diesem Grund sind ja auch juristische, technische und andere Fachausdrücke in den allgemeinen Wörterbüchern der deutschen Sprache zu finden. Besonders die juristische Fachsprache ist hier auch deswegen zu berücksichtigen, weil der Erklärende mit seiner Willenserklärung gerade in den Rechtsverkehr eintritt, nicht nur in einen gesellschaftlichen oder Wirtschaftsverkehr, und nur die juristisch angefüllte Sprache eben die Sprache des Rechtsverkehrs darstellt. Das bedeutet aber nicht, daß der Erklärende sich deshalb juristisch korrekt auszudrücken hätte, was ihm als Laie oft gar nicht möglich sein wird; gemeint ist lediglich, daß neben der allgemeinen Umgangssprache auch die juristische Fachsprache mitanzulegen ist; jedoch erübrigt sich dadurch nicht die Wertung im Einzelfall. Je stärker allerdings Juristen an der Erstellung der Willenserklärung beteiligt sind, umso mehr wird auch der Rechtsverkehr ein juristischtechnisches Verständnis bei der Frage nach der Rechtsverbindlichkeit der Willenserklärung zugrundelegen.

5. Definition des Tatbestandes der Willenserklärung Nach all dem ist der Tatbestand der Willenserklärung als Geltungserklärung wie folgt zu fassen: Der Tatbestand einer Willenserklärung setzt eine Handlung voraus (das heißt ein äußeres Verhalten, das in einem Tun oder Unterlassen bestehen kann und von einem natürlichen Handlungswillen getragen ist), die objektiv auf die Verwirklichung eines Rechtsfolgewillens schließen läßt, 1 und entweder von einem subjektiven Erklärungsbewußtsein getragen oder dem Erklärenden zuzurechnen ist, sofern er mit einer solchen Deutung nach den Umständen objektiv rechnen mußte. 2 Dieser Tatbestand der Willenserklärung ist auch der Gegenstand der Auslegung. Auslegungsgegenstand ist also nicht der Wille als eine Tatsache des inneren Seelenlebens,3 sondern die Erklärung als sinnhafter Akt. 4

1 Soergel/ Hefermehl vor § 116 Rn. 13; Kellmann JuS 1971,609; Kramer, Grundfragen, S. 171; Larenz, AT, § 19 III, S. 357. 2 BGH, Vrt. v. 7.6.1984 IX ZR 66/83 = BGHZ 91,324 = BB 1984, 1317 = JR 1985,12 = JZ 1984,984 = NJW 1984,2279 = WM 1984, 1018; Erman/ Brox vor § 116 Rn. 3; Soergel/Hefermehl vor § 116 Rn. 13; Pal/Heinrichs vor § 116 Anm. 4 b; MK/ Kramer § 119 Rn. 81 ff.; Larenz, AT, § 19 III, S. 357. 3 So v. Tuhr Bd. 11, S. 534. 4 Staud/Dilcher §§ 133, 157 Anm. 1; Anm. 15; Flurne, AT 11, § 16,3 b, S.31O; Larenz, AT, § 19 II b, S. 342 (das Zitat Bemard S. 24 könnte auf einem Mißverständnis beruhen, da auch Bemard von der Geltungserklärung ausgeht und lediglich außerurkundliches Erklärungsmaterial mitberücksichtigt).

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H. Auslegungsgegenstand

Der Geltungsgrund der Willenserklärung, der allein ihren Tatbestand bestimmt, liegt ausschließlich in der Privatautonomie des Erklärenden in ihren Ausprägungen von Selbstbestimmung und Selbstverantwortung; andere Kriterien wie Vertrauensschutz eines Geschäftspartners oder Verkehrsschutzinteressen spielen demgegenüber auf der Tatbestandsebene noch keine Rolle. Dieser Tatbestand ist allen Willenserklärungen gemeinsam. Er gilt daher insbesondere auch für letztwillige Verfügungen.

IH. Die Inhaltsermittlung Ist der Tatbestand der Willenserklärung festgestellt und damit der Auslegungsgegenstand ermittelt, kann die eigentliche Auslegung beginnen.

1. Ziel der erläuternden und ergänzenden Auslegung: Ermittlung des Geschäftswillens als maßgeblicher Inhalt der Willenserklärung Das Ziel der erläuternden Auslegung ist es, den rechtlich maßgeblichen Inhalt der Willenserklärung festzustellen. l Das geschieht gemäß dem Verständnis der Willenserklärung als Geltungserklärung dadurch, daß der inhaltlich noch neutrale Tatbestand der Willenserklärung angefüllt wird mit dem Geschäftswillen des Erklärenden. 2 Insofern ist es auch richtig, wenn verkürzt gesagt wird, die Testamentsauslegung diene der Feststellung des Erblasserwillens. 3 Damit ist aber noch nicht notwendig die Feststellung des subjektiv vom Erblasser Gewollten gemeint; maßgeblich kann vielmehr bei der Auslegung einer Willenserklärung auch ein objektiv-normativ zu verstehender Geschäftswille sein, der aber dennoch dann den maßgeblichen Geschäftswillen der Erklärung bildet. Entscheidend für die Frage, ob der Geschäftswille subjektiv oder objektiv-normativ zu bestimmen ist, ist der jeweilige Auslegungsmaßstab. 4

1 BGH, Urt. v. 29.5.1980 IV ZR 26/80 = LM § 2247 BGB Nr. 6; Brox, ErbR, Rn. 194; Brox, Irrtumsanfechtung, S. 93; S. 101; Soergel/Hefermehl § 133 Rn. 1; MK/ Leipold § 2084 Rn. 1; Leipold JZ 1983, 711 (712).

2 Vom Standpunkt der Erklärungstheorie würde demgegenüber der maßgebliche Inhalt bereits durch die Erklärung, genauer: durch ein objektives Verständnis der in der Erklärung verwendeten Zeichen, im Interesse eines Vertrauens schutzes des Empfangers bestimmt. Die Willenstheorie würde wie hier formulieren, aber unter dem maßgeblichen Geschäftswillen nur den subjektiven Willen des Erklärenden anerkennen und Vertrauensschutz grundsätzlich nicht berücksichtigen. 3 z. B. BGH, Urt. v. 30.4.1953 IV ZR 244/52 = LM § 2084 BGB Nr. 5; Brox, AT, Rn. 123; Brox JA 1984,549 (552); Schlüter § 22 I 1, S. 121. 4 Weil der Geschäftswille sowohl subjektiv als auch objektiv zu bestimmen sein kann, je nach dem maßgeblichen Auslegungsmaßstab, können die Bedenken von Leipold JZ 1983,711 gegen BGH, Besch!. v. 9.4.1981 - IVa ZB 4/80 = BGHZ 80, 242 gegen ein zu subjektiv verstandenes Auslegungsziel wohl ausgeräumt werden; Auslegungsziel und Auslegungskriterien sind vielmehr auseinanderzuhalten; so auch MK / Leipold § 2084 Rn. 1.

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III. Inhaltsennittlung

Nichts anderes ist auch das Ziel der ergänzenden Auslegung. Auch sie hat den Zweck, den maßgeblichen Inhalt der Willenserklärung zu ermitteln; sie unterscheidet sich von der erläuternden Auslegung lediglich dadurch, daß sie bei der Ermittlung des maßgeblichen Geschäftswillens auch das Vorfeld der Willensbildung miteinbezieht. 2. Auslegungsbedürftigkeit und Auslegungsfähigkeit Eine Auslegung kommt allerdings nur dann in Betracht, wenn die Willenserklärung auch auslegungsfähig ist. Zum Teil wird auch unterschieden zwischen der Auslegungsbedürftigkeit, die bei Eindeutigkeit der Willenserklärung entfallen soll, und Auslegungsfähigkeit, die bei Widersprüchlichkeit der Willenserklärung nicht gegeben sein soll. I

a) Abgrenzung von Eindeutigkeitstheorie und Andeutungstheorie Die Eindeutigkeitstheorie, wonach bei eindeutigem Inhalt eine Willenserklärung nicht auslegungsbedürftig sein soll, ist von der Andeutungstheorie, wonach der ermittelte Inhalt einer Willenserklärung in der Urkunde zumindest andeutungsweise enthalten sein muß, klar zu unterscheiden. 2 Während die Andeutungstheorie moderner Rechtssprechung und Dogmatik entstammt, ist die Eindeutigkeitstheorie römisch-rechtlichen Ursprungs 3 und über das gemeine Recht 4 in unser heutiges Recht eingeflossen. Darüber hinaus haben die beiden Theorien einen völlig unterschiedlichen Anwendungsbereich, der allerdings erst deutlich wird, wenn man mit der neueren Rechtsprechung Auslegung und Formprüfung unterscheidet: Die Eindeutigkeitstheorie bezieht sich auf die Auslegungsfähigkeit der Willenserklärung, die Andeutungstheorie auf die Formkontrolle. Im Rahmen dieser unterschiedlichen Prüfungsstufen hängen die beiden Theorien allerdings funktional zusammen: Die Eindeutigkeitstheorie will wie die Andeutungstheorie das Auslegungsmaterial den formgerechten Erklärungen entnehmen und folgerichtig bei einer Verdichtung der ,,Andeutung" zur ,,Eindeutigkeit" begleitende Umstände schlechthin nicht berücksichtigen. 5 Insofern ist es daher auch nicht verwunderlich, wenn sich Pal 1Heinrichs § 133 Anm. 3 b. Ebenso Lange 1 Kuchinke § 33 III 3 a, S. 567 f.; Lüderitz S. 181 ff. 3 Sie hat bereits in den Digesten ihren Niederschlag gefunden, vgl. D. 32,25,1: Cum in verbis nulla ambiguitas est, non debet admitti voluntatis quaestio. 4 Allerdings nur als Beweisregel, vgl. Windscheid 1Kipp I, § 84, S. 446. 5 Bemard S. 28; Häsemeyer, Fonn, S. 128. Brox JA 1984, 549 (550) meint sogar, die Rspr. des RG und des BGH habe die Eindeutigkeitstheorie aus der Andeutungstheorie gefolgert; die dort genannten Entscheidungen belegen diesen Befund aber nicht, allenfalls BGH, Urt. v. 14.1.1965 - III ZR 131/63 = LM § 2078 BGB Nr. 10 = MDR 1965, 274 = NJW 1965, 584 läßt einen Zusammenhang anklingen; ein solcher Zusammenhang I

2

2. Auslegungsbedürftigkeit und Auslegungsfähigkeit

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in der Rechtsprechung die Erwägungen zur Eindeutigkeit des Wortlauts nicht wesentlich von denen zum Andeutungserfordemis unterscheiden, 6 oder wenn die beiden Probleme lange miteinander vermischt wurden, indem (unscharf) gefragt wurde, ob der Wortlaut des Testaments die "Grenze" der Auslegung sei. Beide Theorien versuchen Fälle zu lösen, in denen dem subjektiven Erblasserwillen ein objektiv anderer Urkundentext gegenübersteht und der Richter vor der Aufgabe steht, diese widerstreitenden subjektiven und objektiven Komponenten in Einklang zu bringen. Die Eindeutigkeitstheorie will den Konflikt zwischen "Wille" und ,,Erklärung" lösen (basiert also letztlich auf dem dualistischen Verständnis der Willenserklärung), der (dieses dualistische Konzept der Willenserklärung zugrunde gelegt) bei jeder Willenserklärung gleichermaßen auftreten kann und daher auch vom Geltungsgrund der Willenserklärung her zu entscheiden ist. Die Andeutungstheorie will den Konflikt zwischen Wille und Form bewältigen, der nur bei formgebundenen Geschäften auftreten kann und daher vom grundsätzlichen Verständnis der gesetzlichen Form her zu lösen ist. Der Unterschied wird zwar insbesondere bei letztwilligen Verfügungen kaum praktisch werden, da die Formvorschriften hier strengere Voraussetzungen an die Verlautbarung eines Geschäftswillens stellen, als es für eine Willenserklärung nach allgemeinen Regeln erforderlich ist. 7 Wenn jedoch zum Erklärungstatbestand auch außerurkundliches Erklärungsmaterial gehören kann, so ist es möglich, daß etwas ordnungsgemäß erklärt wurde, also zu einer existenten Willenserklärung führt, aber nicht der gesetzlichen Form genügt, die Willenserklärung also nichtig macht. In diesem Fall stellt sich die Frage der Umdeutbarkeit. Außerdem ergibt sich aus dem Unterschied zwischen Eindeutigkeitstheorie und Andeutungstheorie die Konsequenz, daß der Streit und die jeweiligen Argumente um die Eindeutigkeitstheorie nicht ohne weiteres auf die Andeutungstheorie zu übertragen sind und umgekehrt, vor allem der Verzicht auf die eine der Theorien nicht notwendigerweise auch die andere entbehrlich machen muß. 8 b) Auslegungsbedürftigkeit -

die Eindeutigkeitstheorie

aa) Die Theorie Die Eindeutigkeitstheorie wurde vor allem von der Rechtsprechung häufig herangezogen; 9 allerdings wurde nur in wenigen Fällen der Wortlaut im Ergebnis allein rechtfertigt aber noch nicht die Forderung, nunmehr nach Aufgabe der Eindeutigkeitstheorie durch die Rechtsprechung auch das Fonngebot aufzugeben; s. dazu u. 6 Häsemeyer, Fonn, S. 129. 7 So auch BGH, Vrt. v. 28.1.1987 IV a ZR 191/85 = FamRZ 1987,475 (476). 8 A. A. Brox JA 1984,549 (550). 9 RG, Vrt. v. 6.4.1905 IV 494/04 = JW 1905, 336; RG, Vrt. v. 11.3.1909IV 304/08 = RGZ 70,391 (393); RG, Vrt. v. 4.7.1910 - IV 487/09 = JW 1910,801; RG, Vrt. v. 19.9.1910 - IV 506/09 = Recht 1910 Nr. 3532; RG, Vrt. v. 23.9.1915 - IV 116/15 = LZ 1915 Nr. 11; RG, Vrt. v. 23.3.1916 - IV 419/15 = Warn 1916 8 Stumpf

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III. Inhaltsennittlung

als eindeutig bezeichnet. 10 Die Eindeutigkeitstheorie war aber auch im Schrifttum lange Zeit herrschend und hat auch nach der Kehrtwendung durch den Bundesgerichtshof Befürworter behalten. 11 Nach dieser Theorie sind eindeutig und somit nicht auslegungsbedürftig oder auslegungsfähig (hier schwankt die Terminologie) Begriffe, die nach allgemeinem Sprachgebrauch eindeutig und klar sind und daher von jedermann in derselben Weise verstanden werden, es sei denn, daß sich aus der letztwilligen Verfügung ergibt, daß der Erblasser den Begriff anders verstanden wissen will. Die Verkehrsbedeutung der in dem Testament verwendeten Begriffe soll also die Auslegung begrenzen, bei grundsätzlicher Bejahung eines subjektiven Auslegungsmaßstabs für die Testamentsauslegung. Begründet wird dies mit den Argumenten der Rechts- und Beweissicherheit, der Gefahr der nachträglichen Verfälschung des Erblasserwillens, der Gefahr der Förderung von Erbstreitigkeiten und schließlich dem Argument einer erzieherischen Wirkung auf den Erblasser im Hinblick auf sorgfältiges Testieren. Außerdem dürfte ein Grund für die Eindeutigkeitstheorie für die Rechtsprechung darin zu sehen sein, daß die Frage der Eindeutigkeit immer als revisibel angesehen wurde, während die allgemeine Auslegung grundsätzlich dem Tatrichter vorbehalten bleibt. 12 Nach dieser Ansicht ist bei eindeutigem Wortlaut keine Auslegung möglich, das heißt die Willenserklärung gilt in der Verkehrsbedeutung ihres Wortlauts und ist bei abweichendem subjektiven Erblasserwillen allenfalls der Anfechtung zugänglich. Nr. 111; RG, Urt. v. 9.11.1918 - V 244/18 = JW 1919,103; RG, Urt. v. 10.3.1919 - VI 331/18 = RGZ 95,125; RG, Urt. v. 13.1.1932-1148/31 = HRR 1932 Nr. 1123; RG, Urt. v. 14.10.1936 - V 69/36 = JW 1937, 392; RG, Urt. v. 24.6.1938 - III 183/37 = RGZ 158, 119 (124); RG, Urt. v. 3.4.1939 - IV 165/38 = RGZ 160, 109 (111); u. v. a. m. BGH, Urt. v. 24.4.1951 - IV ZR 4/50 = LM § 2065 BGB Nr. 1 = NJW 1951,959; BGH, Urt. v. 11.10.1951 - IV ZR 17/50 = LM § 133 BGB (B) NT. 1; BGH, Urt. v. 22.2.1956 - IV ZR 239/55 = LM § 2084 BGB NT. 7; BGH, Urt. v. 10.10.1957 VII ZR 419/56 = BGHZ 25, 318 (319); BGH, Urt. v. 8.1.1958 - IV ZR 219/57 = BGHZ 26,204 (211); BGH, Urt. v. 12.2.1958 - V ZR 185/56 = LM § 157 BGB (C) Nr. 6; BGH, Urt. v. 28.2. 1958 - IV ZR 287/57 = LM § 2084 BGB Nr. 10; BGH, Urt. v. 10.2: 1960 - V ZR 39/58 = BGHZ 32, 60 (63); BGH, Urt. v. 21.12.1960 - V ZR 54/60 = WM 1961, 407 (408); BGH, Urt. v. 8.5.1962 - VI ZR 105/61 = WM 1962, 906 (908); BGH, Urt. v. 23.1.1963 - V ZR 82/61 = LM § 2018 BGB Nr. 1; BGH, Urt. v. 4. 12. 1969-IIIZR 31/68 = WM 1970,221 (222); BGH, Urt. v. 19.1.1972 - IV ZR 1208/68 = WM 1972,313; u. a. m. BayObLG, Beschl. v. 17.2.1965 - BReg. 1b Z 299/64 = NJW 1965, 1916; BayObLG, Beschl. v. 10.12.1985 - 1 Z 59/85 = FamRZ 1986, 606; OLG Hamm, Beschl. v. 17.10.1973 - 15 W 285/72 = NJW 1974, 60. 10 Häsemeyer, Fonn, S. 129. 11 Pa! / Edenhofer § 2084 Anm. 1 a; Pa! / Heinrichs § 133 Anm. 3 b; Jauemig / Jauernig § 133 Anm. 1 a; Kuchinke JZ 1985,748 (749); Leipold, ErbR, Rn. 280; MK / Leipold § 2084 Rn. 10; Leipold JZ 1983,711; Schlüter § 22 I 1, S. 121. 12 BGH, Urt. v. 10.2.1960 V ZR 39/58 = BGHZ 32, 60 (63).

2. Auslegungsbedürftigkeit und Auslegungsflihigkeit

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bb) Kritik Die Kritik sieht in der Eindeutigkeitstheorie vor allem einen Widerspruch zu § 133 BGB, wonach gerade nicht an dem buchstäblichen Sinne des Ausdrucks zu haften ist. 13 -

Außer § 133 BGB gibt es allerdings noch § 157 BGB; das Zusammenspiel der beiden Vorschriften kann je nach dem Grad des gebotenen Vertrauensschutzes einen subjektiven oder objektiven Auslegungsmaßstab fordern. Zu einem Widerspruch kann die Eindeutigkeitstheorie deshalb nur dann führen, wenn das danach maßgebliche Verständnis, die objektive Verkehrsbedeutung, nicht mit dem maßgeblichen Auslegungsmaßstab identisch ist. 14 Besonders deutlich wird dieser Widerspruch bei den subjektiv auszulegenden Willenserklärungen, zum Beispiel bei Testamenten. Wenn einerseits der Wortlaut, das heißt dessen Verkehrsbedeutung (die verwendeten Wörter als solche sind ja zunächst nur leere Ausdruckshülsen, die erst durch ein ganz bestimmtes Verständnis ihre Bedeutung bekommen) die Auslegung begrenzen soll, andererseits grundsätzlich die Ermittlung des subjektiven Erblasserverständnisses bejaht wird, dann kann es zu einer solchen subjektiven Auslegung nach der Festlegung auf die Verkehrsbedeutung des Wortlauts gar nicht mehr kommen.

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Außerdem stellt sich im Rahmen der Eindeutigkeitstheorie das Problem, daß die Frage, ob eine Erklärung eindeutig ist oder nicht, ihrerseits oft nicht eindeutig, sondern erst durch Auslegung zu ermitteln ist. Darin liegt die Gefahr, die Eindeutigkeit entweder stillschweigend zu bejahen oder abzulehnen und damit die letztlich entscheidende Wertung nicht offenzulegen, oder aber bei der Frage nach der Eindeutigkeit die letztlich tragenden Wertungen der Auslegung vorwegzunehmen; das erklärt manche Schwierigkeit der Rechtsprechung in der Vergangenheit, das Ergebnis der Eindeutigkeit oder Nichteindeutigkeit im Einzelfall plausibel zu begründen, ohne den Eindruck der Willkürlichkeit zu erwecken.

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Gegen die Eindeutigkeitstheorie spricht weiterhin die Erwägung, daß keine schutzwürdigen Belange anderer Personen erkennbar sind, die eine solche Einschränkung rechtfertigen könnten. 15

13 Brox, Irrtumsanfechtung, S. 108 (142); Brox, AT, Rn. 125; Brox, ErbR, Rn. 197; Brox JA 1984, 549 (552); Kipp / Coing § 21 IV 1b, S. 144; Soergel / Damrau § 2084 Rn. 6; Soergel / Hefennehl § 133 Rn. 27; Rn. 48; Häsemeyer, Fonn, S. 127; Häsemeyer JuS 1980, 1 (7); Heck AcP 112, 1 (45); RGRKIJohannsen § 2084 Rn. 3; Kramer, Grundfragen, S. 138 f.; v. Lübtow, ErbR I, S. 265 (268); Lüderitz S. 182; MK / MayerMaly § 133 Rn. 42; Smid JuS 1987,283 (286). 14 Das ist allerdings regelmäßig der Fall; auch wenn nicht subjektiv, sondern objektiv auszulegen ist, entscheidet nämlich nicht dasVerkehrsverständnis, sondern der objektivnonnative Empfangerhorizont; s. u. 15 Brox, ErbR, Rn. 197.

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III. Inhaltsermittlung

Sofern eine Willenserklärung subjektiv auszulegen ist, ist das Vertrauen eines Geschäftspartners nicht geschützt. Aber auch wenn eine Willenserklärung im Interesse des Vertrauensschutzes eines Geschäftspartners objektiv-normativ auszulegen ist, kommt es nicht auf das allgemeine Verkehrsverständnis an, das die Eindeutigkeitstheorie zugrundelegt, sondern auf den (objektivnormativen) Empfängerhorizont. Geschützt werden könnte angesichts des Maßstabes des allgemeinen Verkehrsverständnisses durch die Eindeutigkeitstheorie allenfalls das Vertrauen des allgemeinen Rechtsverkehrs. In der Tat ist ja die Rechts- und Beweissicherheit, der Verkehrs schutz das Hauptanliegen der Eindeutigkeitstheorie. Allerdings ist zu bedenken, daß hierdurch ja die Privatautonomie des Erklärenden eingeschränkt wird. Nach der Wertung des Gesetzes ist eine solche Einschränkung nur im Interesse eines zumindest gleichgewichtigen Rechtsgutes möglich. Deshalb kann Vertrauensschutz eine subjektive Auslegung begrenzen, weil er der Verwirklichung der Privatautonomie eines Geschäftspartners des Erklärenden dient, die der Privatautonomie des Erklärenden prinzipiell gleichrangig gegenübersteht. Auch Verkehrsschutzgesichtspunkte wie zum Beispiel die Beweissicherheit sind allerdings nicht Selbstzweck, sondern schützen die Privatautonomie der anderen Teilnehmer am Rechtsverkehr, die durch die Erklärung nicht unmittelbar, sondern nur mittelbar betroffen sind; sie können daher durchaus auch die Privatautonomie des Erklärenden begrenzen. 16 Nach Struktur der Willenserklärung und Wertung des Gesetzes findet aber diese Begrenzung noch nicht auf der Inhaltsebene statt. Die Privatautonomie der nicht mittelbar durch die Willenserklärung Betroffenen steht der Privatautonomie des Erklärenden nämlich nicht gleichrangig gegenüber. Das Gesetz geht davon aus, daß die Parteien eines Rechtsgeschäfts kraft ihrer Privatautonomie unmittelbar eine Regelung in Geltung setzen können, durch die Rechtsbeziehungen zwischen dem Erklärenden und seiner Umwelt begründet werden; derjenige, dessen Privatautonomie durch diese Rechtsbeziehung unmittelbar beeinträchtigt wird, muß in seinem Vertrauen darauf, in welcher Weise er betroffen wird, geschützt werden. Der Inhalt der Willenserklärung, durch die die Rechtsbeziehung entsteht, wird also bestimmt durch das Spannungsverhältnis zwischen Privatautonomie des Erklärenden und Privatautonomie der anderen Partei, in der Regel des Empfängers der Willenserklärung. Ein solches Spannungsverhältnis besteht zwischen den nur mittelbar Betroffenen oder den überhaupt nur potentiell betroffenen übrigen Mitgliedern des Rechtsverkehrs und dem Erklärenden nicht. Das Gesetz trägt hier der Erfahrung Rechnung, daß eine Rechtsbeziehung vielerlei rechtliche RefIexwirkungen auslösen kann, die oft zunächst gar nicht zu übersehen sind. Wollte 16 Zu weit geht daher der Hinweis bei Brox, ErbR, Rn. 197, daß wegen fehlenden Vertrauensschutzes bei der Testamentsauslegung auch das Formgebot zurückzudrängen sei.

2. Auslegungsbedürftigkeit und Auslegungsfähigkeit

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man jede noch so geringe Berührung mit den Rechtskreisen nicht unmittelbar Beteiligter zur Einschränkung der Privatautonomie des Erklärenden genügen lassen, so bliebe von dieser oft nicht mehr viel übrig. Daher muß jeder Rechtsverkehrsteilnehmer wegen der Gemeinschaftsbezogenheit des Rechtsverkehrs Reflexe aus Transaktionen anderer auf seine eigene Privatautonomie grundsätzlich hinnehmen: Wer eine Sache kaufen will und während der Verhandlungen erfahren muß, daß der Verkäufer die Sache anderweitig veräußert hat, muß es hinnehmen, daß er von diesem Verkäufer diese Sache nicht mehr erlangen kann. Nur wenn in besonderen Fällen die Privatautonomie nur mittelbar betroffener Rechtsverkehrsteilnehmer oder das Funktionieren des Rechtsverkehrs insgesamt besonderen Schutz brauchen, stellt das Gesetz zusätzliche Anforderungen an das Rechtsgeschäft; dazu gehören vor allem behördliche Genehmigungen, Registereintragungen und Formvorschriften. Der Verkehrsschutz wirkt hier aber nicht mehr auf die Inhaltsbestimmung ein, weil es eben nicht mehr um den Inhalt, die Ausgestaltung der Rechtsbeziehung des Erklärenden zu seinem Geschäftspartner (meist dem Erklärungsempfänger) geht, sondern der Verkehrsschutz ist ein eigenständiges Kriterium, an dem die existente und inhaltlich ausgefüllte Willenserklärung zu messen ist. Wegen dieser Eigenständigkeit kann der Verkehrsschutz umgekehrt auch nicht durch einen subjektiven Auslegungsmaßstab eingeschränkt werden. Auch bei der letztwilligen Verfügung ist der Verkehrsschutz, vor allem die Rechts- und Beweissicherheit, einer der wichtigsten Formzwecke und spielt daher bei der Formprüfung eine gewichtige Rolle. Das setzt allerdings die Feststellung des Gegenstands und Inhalts dessen, was gesichert werden soll, voraus; die Formprüfung schließt sich daher erst als dritte Prüfungsstufe an Tatbestandsfeststellung und Inhaltsermittlung an. -

Auch die Gefahr der nachträglichen Verfälschung des Erblasserwillens und die Gefahr der Förderung von Erbstreitigkeiten sind Gesichtspunkte, die einer subjektiven Auslegung entgegenstehen können, die aber erst bei der Formprüfung ihre Rolle spielen. Die Verhinderung von Erbstreitigkeiten dient dem Rechtsfrieden, der allen Rechtsverkehrsteilnehmern bei ihrer privatautonomen Entfaltung gleichermaßen zugute kommt. Auch hier handelt es sich also um eine besondere Ausprägung des Verkehrsschutzes, der im Rahmen der Formprüfung genauer zu untersuchen ist. Die Gefahr der nachträglichen Verfälschung des Erblasserwillens hat bereits bei der Frage um den inhaltlich ausgefüllten oder neutralen Auslegungsgegenstand eine Rolle gespielt; die dort angeführten Argumente gelten hier in gleicher Weise.

-

Mit Hilfe der Eindeutigkeitstheorie könnte schließlich sorgfältiges Testieren gefördert werden. Das meint nichts anderes als die Selbstverantwortung des Erblassers für seine Willenserklärung, die in der Tat als Ausfluß seiner

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III. Inhaltsennittlung Privatautonomie zusammen mit der Selbstbestimmung nicht nur den Tatbestand, sondern auch den Inhalt der Willenserklärung bestimmt. Allerdings tritt auf der Inhaltsebene die Selbstverantwortung gegenüber der Selbstbestimmung zurück, weil es hier gegenüber der Tatbestandsfrage nicht nur zwei mögliche Antworten gibt, für die dem Erklärenden als juristischem Laien noch eine ungefähre Prognose möglich ist; hier gibt es vielmehr eine Vielzahl von möglichen Inhalten, deren genaue Bestimmung nicht nur Laien, sondern auch gestandenen Juristen oft Schwierigkeiten macht (sonst wäre die Auslegungsdiskussion nicht seit Kaiser Hadrians Zeiten bis auf den heutigen Tag aktuell geblieben); dafür kann dem Erklärenden nicht die Verantwortung aufgebürdet werden, um nicht seine Selbstbestimmung auszuhöhlen. Ein erhöhtes Maß an Selbstverantwortung auf der Inhaltsebene käme allenfalls für letztwillige Verfügungen in Betracht, weil hier die inhaltliche Ausfüllung der Willenserklärung erst nach dem Tod des Erklärenden durch die Rechtsgemeinschaft erfolgt und den Erklärenden daher hier eine erhöhte Sorgfaltspflicht dafür treffen könnte, daß er von seiner Nachwelt auch so verstanden wird, wie er verstanden werden möchte. Aber auch dieser Gesichtspunkt geht erst in die Formprüfung ein, denn mit den Formzwecken der Beratungsfunktion (bei notariellen Verfügungen) und der KlarsteIlungsfunktion will das Gesetz gerade dieser erhöhten Sorgfaltspflicht Rechnung tragen. Es wäre auch strukturwidrig, wenn das erhöhte Maß an inhaltlicher Selbstverantwortung bei letztwilligen Verfügungen bereits auf der Inhaltsebene berücksichtigt würde; das würde nämlich bedeuten, daß die maßgeblichen Kriterien von Selbstbestimmung und Selbstverantwortung je nach Art der Willenserklärung unterschiedlich gewichtet würden, der Geltungsgrund der Willenserklärung, die Privatautonomie des Erklärenden, also je nach Art der Willenserklärung unterschiedlich zu bestimmen wäre; das wäre aber mit dem Konzept der Willenserklärung als Geltungserklärung, das für alle Willenserklärungen gleichermaßen gilt, kaum zu vereinbaren. Zu differenzieren ist auf der Inhaltsebene vielmehr nicht die Privatautonomie des Erklärenden selbst, die bei allen Willenserklärungen gleich ausgestaltet sein muß, sondern der Vertrauensschutz, das heißt die Frage, ob die Privatautonomie des Erklärenden durch die Privatautonomie des Geschäftspartners eine Einschränkung erfährt.

Das bedeutet, daß die genannten Argumente nicht im Wege der Eindeutigkeit die Auslegung begrenzen können, aber im Rahmen der Formprüfung zu berücksichtigen sind. Auch die Rechtsprechung hat angesichts dieser Argumente nach anfänglichem Zögern 17 in neuerer Zeit die Eindeutigkeitstheorie aufgegeben. 18 IVa ZB 4/80 = BGHZ 80, 242 = JA 1981,622 = 17 BGH, Beseh!. v. 9.4.1981 NJW 1981, 1736 (gegen OLG Frankfurt, Vorlagebeseh!. v. 20.5.1980 - 20 W 59/80 =Rpfleger 1980,415).

2. Auslegungsbedürftigkeit und Auslegungsfähigkeit

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cc) Praktische Auswirkungen Der Streit um die Eindeutigkeitstheorie hat aber geringere Auswirkungen, als es auf den ersten Blick erscheinen könnte. 19 Der Gedanke, der der Eindeutigkeitstheorie zugrunde liegt, kann nämlich außer im Rahmen der Formprüfung auch schon bei der Inhaltsermittlung für die Beweislastverteilung Bedeutung haben insoweit, als bei der Auslegung auch bei Anwendung eines subjektiven Auslegungsmaßstabs grundsätzlich von dem nach allgemeinem Sprachgebrauch "eindeutigen" Wortlaut der Erklärung auszugehen ist und derjenige, der sich auf eine abweichende Bedeutung beruft, diese auch zu beweisen hat. Das gilt nicht nur für Fälle, in denen - wie bei letztwilligen Verfügungen - eine urkundlich verkörperte Willenserklärung vorliegt und deshalb die prozessuale Vermutung der Vollständigkeit und Richtigkeit der Urkunde eingreifpo Grund hierfür ist vielmehr bei der Auslegung aller Willenserklärungen gleichermaßen die Selbstverantwortung des Erklärenden, die zwar auf der Inhaltsebene insoweit gegenüber der Selbstbestimmung zurücktritt, als letztere und damit die subjektiv gemeinte Bedeutung letztlich beachtlich bleibt; sie behält aber insoweit ihre Bedeutung, als der Erklärende, wenn er sich an die Rechtsgemeinschaft wendet, das Risiko dafür trägt, im Sinne der Verkehrsbedeutung verstanden zu werden. Dies führt auch zu praktisch brauchbaren Ergebnissen, indern angesichts der Beweislast die Versuchung für Erbprätendenten, sich auf einen abweichenden Sondersprachgebrauch des Erblassers zu berufen, eingeschränkt werden dürfte, andererseits grundsätzlich dem subjektiven Willen des Erklärenden dennoch Rechnung getragen werden kann. Grundsätzlich nichts anderes gilt auch für notarielle Testamente. Hat ein Notar die Erklärung beurkundet, kann aber eine erhöhte Vermutung dafür sprechen, daß objektiver Erklärungsinhalt und subjektiver Geschäftswille des Erblassers übereinstimmen. 21 Unterschiede bestehen daher nur in den Fällen, in denen dennoch ein von der objektiven Verkehrsbedeutung abweichender subjektiver Geschäftswille des Erblassers festgestellt wird.

18

BGH, Urt. v. 8.12.1982 -

IVa ZR 94/81 = BGHZ 86, 41 = FamRZ 1983, 383

= JZ 1983,709 = NJW 1983,672 = Rpfleger 1983, 111; BGH, Urt. v. 27.2.1985 IVa ZR 136/83 = BGHZ 94,36 = FamRZ 1985,587 = JZ 1985,746 = NJW 1985,

1554; BayObLG, Besehl. v. 7.2.1984 - BReg. 1 Z 106/83 = FamRZ 1984,825; OLG Zweibrücken, Besehl. v. 17.1.1986 - 3 W 253/85 = Rpfleger 1986,479; KG, Besehl. v. 17.10.1986 - 1 W 732/85 = FamRZ 1987,413 (414). 19 Leipold, ErbR, Rn. 280. 20 Soergel / Hefennehl § 133 Rn. 27, m. w. N. 21 BGH, Urt. v. 10.6.1966 V ZR 70/63 = WM 1966, 1022; OLG Köln, Besehl. v. 14.7.1982 - 2 Wx 19/82 = Rpfleger 1982,424; Pal/ Edenhofer § 2084 Anm. 1 a; RGRK / Krüger-Nieland / Zöller § 133 Rn. 26; Jauemig / Stümer § 2084 Anm. 2 b.

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III. Inhaltsennittlung

Hält man mit der Eindeutigkeitstheorie die eindeutige Verkehrsbedeutung der Erklärung für ein Auslegungshindernis, dann gilt in diesen Fällen die Willenserklärung in der Verkehrsbedeutung; der abweichende subjektive Erblasserwille kann im Wege der Anfechtung berücksichtigt werden, die zur gesetzlichen Erbfolge führt. Schränkt man dagegen die Auslegungsfähigkeit der Willenserklärung nicht durch die negative Auslegungsvoraussetzung der Eindeutigkeit ein, so kommt man zu einer existenten Willenserklärung in der Bedeutung entsprechend dem subjektiven Geschäftswillen des Erblassers, die jedoch, wenn dieser subjektive Erblasserwille in der Urkunde nicht zum Ausdruck gekommen ist, gegen das Formgebot verstößt und deshalb gemäß § 125 BGB nichtig ist,22 ohne die Möglichkeit einer Anfechtung. Die nichtige Willenserklärung ist jedoch grundsätzlich einer Umdeutung gemäß § 140 BGB zugänglich; § 140 BGB setzt keine gleichartigen Rechtsgeschäfte voraus und unterscheidet insbesondere nicht zwischen Rechtsgeschäften unter Lebenden und Verfügungen von Todes wegen. 23 Bei einer testamentarischen Zuwendung 24 wird dabei hauptsächlich eine Umdeutung in ein Schenkungsversprechen unter Lebenden in Betracht kommen. 25 Ein Schenkungsversprechen unter Lebenden bedarf allerdings gemäß § 2301 I BGB ebenfalls der Testamentsform, wenn es unter einer Überlebensbedingung erteilt wird. Fraglich ist allerdings, ob § 2301 BGB auf ein formnichtiges Testament, das ja 22 Sofern man das Fonngebot aufrechterhält, d. h. entweder der Andeutungstheorie folgt oder eine noch strengere Fonngebundenheit fordert. Die Kritiker der Andeutungstheorie, die diese im Hinblick auf die Verwirklichung des Erblasserwillens für zu streng halten, kommen hier nicht zur Formnichtigkeit, sondern zu einer wirksamen Willenserklärung im Sinne des subjektiv vom Erblasser Gemeinten. 23 BGH, Urt. v. 13.11.1963 - V ZR 56/62 = BGHZ 40,218 (224); Kipp / Coing, § 21 V c, S. 149; Soergel / Damrau § 2084 Rn. 18; Planck/ Flad § 2084; RGRK/ Johannsen § 2084 Rn. 30; Lange / Kuchinke § 33 V I a, S. 578; MK / Leipold § 2084 Rn. 34; Staud / Otte § 2084 Rn. 1. 24 Bei der vertragsmäßigen Zuwendung in einem Erbvertrag und bei wechselbezüglichen Verfügungen im gemeinschaftlichen Testament taucht der Konflikt zwischen dem subjektiven Erblasserwillen und der objektiven Verkehrsbedeutung angesichts des dortigen objektiven Auslegungsmaßstabs anband des Empflingerhorizonts (der zwar nicht mit dem allgemeinen Verkehrsverständnis identisch ist, diesem aber sehr häufig entsprechen wird) in aller Regel nicht auf. Nur wenn derartige Erklärungen ausnahmsweise bei übereinstimmendem Verständnis der Parteien ebenfalls subjektiv auszulegen sind, kann auch dort eine vom subjektiven Verständnis abweichende ,,Eindeutigkeit" i. S. d. Verkehrsbedeutung relevant werden und ggf. zu Formnichtigkeit und Umdeutung führen; vgl. dazu BGH, Urt. v. 29.11.1977 - VI ZR 51/76 = NJW 1978, 421. 25 Vgl. z. B. BGH, Urt. v. 23.2.1983 - IVa ZR 186/81 = BGHZ 87, 19 = FamRZ 1983,476 = JR 1983,287 = MDR 1983,472 = NJW 1983,1487, dazu Kuchinke FamRZ 1984, 109; BGH, Urt. v. 1.6.1983 - IVa ZR 35/82 = NJW 1984,46; BGH, Urt. v. 5.3.1986 - IVa ZR 141/84 = NJW 1986,2107; BGH, Urt. v. 12.11.1986 - IVa ZR 77 /85 = JZ 1987,361 = NJW 1987, 840, dazu Leipold JZ 1987,362. Dagegen z. B. testamentarisches Wohnrecht (Vennächtnis) als Leihvertrag unter Lebenden bei BGH, Urt. v. 20.6. 1984-IVaZR 34/83 =NJW 1985, 1533; Testamentarisches Vennächtnis als Schuldanerkenntnis bei OLG München, OLGE 35, 374; weitere Beispiele bei Staud / Otte § 2084 Rn. 6.

2. Auslegungsbedürftigkeit und Auslegungsfähigkeit

121

dann erst recht nicht dem Formgebot des § 518 BGB genügt, überhaupt anzuwenden ist. Nach dem systematischen Zusammenspiel von § 518 und § 2301 BGB wäre es nämlich genauso möglich, daß § 2301 BGB ein wirksames, das heißt insbesondere ein formgültiges Schenkungsversprechen voraussetzt; fehlt es daran, kann § 2301 BGB nicht mehr eingreifen, sondern es bleibt bei der Regel des § 518 BGB und somit auch bei der erleichterten Heilungsmöglichkeit nach § 518 11 BGB.26 Wenn demgegenüber auch beim formunwirksamen Geschäft die Anwendung von § 2301 I BGB gefordert wird, so kann diese Klippe durch einen Vollzug gemäß § 2301 11 BGB umschifft werden, der allerdings nach überwiegender Auffassung noch zu Lebzeiten des Zuwendenden bewirkt werden muß. 27 Zum anderen kann die Überlebensbedingung auch verneint werden. 28 In beiden Fällen ist dann zwar für ein Schenkungsversprechen gemäß § 518 I BGB grundsätzlich notarielle Beurkundung erforderlich, doch sind die Heilungsvoraussetzungen in § 518 11 gegenüber § 2301 11 BGB erleichtert, denn für eine Heilung nach § 518 11 BGB genügt im Gegensatz zu § 2301 11 BGB auch eine Leistung, die erst nach dem Tode des Schenkers aus dessen Vermögen bewirkt wird. 29 Je nachdem, wie strenge Anforderungen an ein Schenkungsversprechen unter Lebenden und seine Heilung gemäß § 518 11 BGB gestellt werden, wird man entweder eine Umdeutung bejahen und damit dem wirklichen Willen des Erblassers konsequent zum Erfolg verhelfen; oder man wird eine Umdeutung nicht für möglich halten, zur gesetzlichen Erbfolge gelangen und damit das gesetzliche Formgebot konsequent (d. h. in der Sanktion unabhängig von einer Anfechtung des Bedachten) verwirklichen. Die Alternative lautet somit bei dieser Lösung nicht "Verkehrsbedeutung oder gesetzliche Erbfolge", sondern "subjektiver Erblasserwille oder gesetzliche Erbfolge". Dem grundsätzlich subjektiven Maßstab der Testamentsauslegung und damit der Privatautonomie des Erblassers (s. u.) wird also Rechnung getragen, ohne aber auf der anderen Seite das Formgebot zu vernachlässigen. Hält man sich zur Veranschaulichung den bekannten Beispielsfall vor Augen, daß jemand seinem Zechkumpan seine "Bibliothek" zuwendet, damit aber den Weinkeller meint, so müßte die Eindeutigkeitstheorie hier dazu kommen, daß der Zechkumpan gemäß der eindeutigen Verkehrsbedeutung des Wortlauts 30 die Bibliothek bekommt, mit der er unter Umständen gar nichts anfangen kann und was auch der Erblasser nicht wollte. Wenn der gesetzliche Erbe anficht (eine Entscheidung, die von den verschiedensten Faktoren abhängig 26 Kuchinke FamRZ 1984, 109 (111). 27 z. B. BGH, Urt. v. 10.5.1978 - IV ZR 51/77 = WM 1978,895 (896); BGH, Urt. v. 23.2.1983 - IVa ZR 186/81 = BGHZ 87, 19 = FamRZ 1983,476 = JR 1983,287 = MDR 1983,472 = NJW 1983, 1487; Lange / Kuchinke § 33 V 1 b, S. 579; Kuchinke FamRZ 1984, 109, m. w. N. 28 z. B. BGH, Urt. v. 1.6.1983 - IVa ZR 35/82 = NJW 1984,46. 29 BGH, Urt. v. 5.3.1986 - IVa ZR 141/84 = NJW 1986, 2107; BGH, Urt. v. 12.11.1986 - Na ZR 77 /85 = JZ 1987,361 = NJW 1987,840. 30 In diesem klaren Fall die Eindeutigkeit zu verneinen hieße die Eindeutigkeit als Abgrenzungskriterium praktisch aufzugeben.

III. Inhaltsennittlung

122

sein kann, jedenfalls aber aus der Sicht des gesetzlichen Erben und nicht aus der Sicht des Erblassers oder des Bedachten erfolgen wird), tritt gesetzliche Erbfolge ein, der Zechkumpan bekommt also gar nichts (was im Ergebnis als Sanktion für wenig verantwortungsvolles Testieren entsprechend dem Verantwortungsprinzip durchaus richtig sein kann). Diejenigen Kritiker der Eindeutigkeitstheorie, die sich auch gegen den Formzwang (vor allem in Gestalt der Andeutungstheorie) wenden, kommen hier zu dem Ergebnis, daß gemäß dem subjektiven Erblasserwillen der Zechkumpan den Weinkeller bekommt - ein Ergebnis, das sicherlich der privatautonomen Entscheidung des Erblassers am besten entspricht, andererseits aber von den gesetzlichen Formvorschriften wenig übrigläßt; denn mit dieser Methode läßt sich leicht jeder beliebigen Äußerung jeder beliebige Sinn geben, sofern interessierte Verfahrensbeteiligte nur die entsprechenden Darlegungen und Beweise beibringen, was in vielen Fällen keine großen Schwierigkeiten machen wird. 31 Diese Methode verführt also unter Umständen zu Verzerrungen im Prozeß. Nach der hier vertretenen Auffassung hat die Willenserklärung zwar den Sinn der Zuwendung des Weinkellers (sofern es sich um ein Testament handelt, das subjektiv auszulegen ist, oder sie als erbvertragliehe Zuwendung auch vom Empfänger als Zuwendung des Weinkellers zu verstehen war, s. u.); sie trifft damit den wirklichen Willen des Erblassers, entspricht jedoch nicht dem Zweck der gesetzlichen Form, für alle Beteiligten und den Rechtsverkehr insgesamt Klarheit und Beweis über das Rechtsgeschäft zu schaffen (neben anderen Formzwecken, s. u.); das kann aber nur durch Verwendung eines allgemein verständlichen Sprachgebrauchs erreicht werden. 32 Die Verfügung ist daher gemäß § 125 BGB nichtig; die Nichtigkeit ist also hier - strukturgerecht unmittelbare Folge des Formverstoßes. Dem subjektiven Erblasserwillen kann allenfalls noch durch eine Umdeutung in ein anderes Rechtsgeschäft mit geringeren Formanforderungen Rechnung getragen werden. Wenn das (wie hier) nicht möglich ist, bleibt es bei der Nichtigkeit, unabhängig von einem Tätigwerden Dritter. Damit ergibt sich: Die Eindeutigkeit als inhaltliche Frage kann nicht als negative Auslegungsvoraussetzung die Auslegung begrenzen; damit ist jede Willenserklärung, die ihrem Tatbestand nach gegeben ist, auch auslegungsfähig. Die Verkehrsbedeutung des Wortlauts der Erklärung hat aber auch im Rahmen der Auslegung für die Beweislastverteilung Bedeutung. c) Auslegungsfähigkeit widersprüchlicher Erklärungen Mit denselben Gründen löst sich auch die Frage, ob in sich widersprüchliche Erklärungen auslegungsfähig sind. Der Ansicht, die bei widersprüchlichen Erklärungen bereits die Auslegungsfähigkeit verneint 33 , liegt nämlich ebenfalls das 31

32

s. o.

Im einzelnen s. u.

3. Auslegungsmaßstab

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dualistische Verständnis der Willenserklärung als Wille + Erklärung zugrunde. Geht man dagegen von der Willenserklärung als monistischer Geltungserklärung aus, dann entscheidet sich die Frage, ob eine Verfügung in sich widersprüchlich ist, nicht vor der Auslegung, sondern erst im Wege der Auslegung. Erst wenn die Auslegung einen widersprüchlichen Inhalt der Willenserklärung ergibt, kann dies zur Nichtigkeit der Willenserklärung wegen Perplexität führen; denn nichtig ist nicht nur eine Willenserklärung, bei der es an einer äußeren Wirksamkeitsvoraussetzung fehlt, sondern auch eine Willenserklärung, die zwar existent ist, aber mangels eines Inhalts ihre Funktion als Geltungserklärung nicht erfüllen kann. 34 Auslegungsfähig sind demnach grundsätzlich auch widerspruchsvolle und scheinbar widersinnige Erklärungen. 35

3. Der Auslegungsmaßstab Sofern man die Inhaltsermittlung nicht von vornherein im Wege der Auslegungsfähigkeit auf das allgemeine Verkehrsverständnis beschränkt, stellt sich nun die weitere Frage, welcher Maßstab denn dann an die Auslegung anzulegen ist. In Betracht kommt hierbei außer dem allgemeinen Verkehrsverständnis das subjektive Verständnis des Erklärenden, das subjektive Verständnis eines anderen, zum Beispiel des Empfängers der Willenserklärung oder einer sonst unmittelbar durch die Willenserklärung betroffenen Person, oder ein objektiv modifiziertes Verständnis aus dem Blickwinkel eines der Beteiligten. Die praktische Bedeutung dieser Unterscheidung liegt auf der Hand, wenn man sich den einfachen Beispielsfall vor Augen hält, daß A dem B einen Kaufpreis von 200 DM anbietet, A aber 100 DM meint, B dagegen 300 DM versteht. Nach dem Auslegungsmaßstab bestimmt sich also, wer das Irrtumsrisiko zu tragen hat. Auch der jeweils maßgebliche Auslegungsmaßstab ergibt sich dabei aus den Strukturprinzipien, denen die Willenserklärung als Geltungserklärung unterliegt, sowie, damit zusammenhängend, aus den Wertungen des Gesetzes. Die Privatautonomie des Erklärenden im Wechselspiel zwischen Selbstbestimmung und Selbstverantwortung spielt dabei auf jeden Fall eine Rolle; sie ist auf jeder Stufe der Prüfung der Willenserklärung von Bedeutung, denn die Willenserklärung ist ja gerade das Instrument privatautonomer Rechtsgestaltung. Die Balance zwischen Selbstbestimmung und Selbstverantwortung des Erklärenden kann aller33 z. B. Jauemig / Jauemig § 133 Anm. I b (das dort angegebene Urteil BGH, Urt. v. 23.2.1956 - 11 ZR 207/54 = BGHZ 20, 109 (110) belegt diese Ansicht allerdings nicht; ohnehin kann die ältere Rechtsprechung angesichts des Wandels zur Eindeutigkeitstheorie auch hier nur noch mit Vorsicht herangezogen werden). 34 Vgl. den gesetzlich geregelten Fall in § 306 BGB; Soergel/ Hefermehl § 140 Rn. 3. 35 BGH, Urt. v. 21.5.1953 IV ZR 230/53 = LM § 2258 BGB Nr. 1; BGH, Urt. v. 23.2.1956 - 11 ZR 207/54 = BGHZ 20,109 (110); BGH, Urt. v. 8.7.1981 - IV a ZR 188/80 = FamRZ 1981, 1173 = LM § 2258 BGB Nr. 2 = MDR 1982,38 = NJW 1981,2745; BGH, Urt. v. 27.2.1985 - IVa ZR 121/83 = NJW 1986, 1035.

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III. Inhaltsennittlung

dings auf den verschiedenen Prüfungsstufen unterschiedlich ausfallen, je nach dem Grad der vom Erklärenden geforderten und ihm zumutbaren Verantwortlichkeit für seine Willenserklärung (im Sinne der beschriebenen Selbstverantwortung, noch nicht im Sinne einer möglicherweise hinzutretenden Fremdverantwortung gegenüber anderen Teilnehmern am Rechtsverkehr). Diese Balance verschiebt sich nun hier bei der Inhaltsvermittlung gegenüber dem Vorrang der Selbstverantwortung auf der Tatbestandsebene: Hier auf der Auslegungsebene geht es nun um die Ermittlung des maßgeblichen Geschäftswillens. Es gibt daher, anders als auf der Tatbestandsebene bei der . Frage nach dem Erklärungsbewußtsein, nicht nur die beiden möglichen Antworten ,ja" oder "nein"; bei der Frage nach dem "Wie" auf der Inhaltsebene gibt es vielmehr theoretisch unendlich viele Möglichkeiten; das Irrtumsrisiko ist daher hier auch unendlich viel höher. Hierfür dem Erklärenden die Verantwortung im Sinne einer Selbstverantwortung aufzuerlegen hieße seine Selbstbestimmung aushöhlen. Deshalb muß bei der Inhaltsermittlung die Selbstbestimmung des Erklärenden gegenüber seiner Selbstverantwortung vorgehen. Das bedeutet, daß die Auslegung von Willenserklärungen prinzipiell nach einem subjektiven Maßstab zu erfolgen hat, sofern dem nicht andere Kriterien entgegenstehen. Als solches begrenzendes Kriterium kommt aber nun die Privatautonomie eines Geschäftspartners in Gestalt eines Vertrauensschutzes ins Spiel. Denn während die reine Existenz einer Willenserklärung lediglich anzeigt, daß damit jemand in den Rechtsverkehr eintritt (wodurch allein die Interessen des Erklärenden, nicht aber Interessen anderer Personen berührt werden), erzeugt die jeweilige inhaltliche Gestaltung dieser Willenserklärung bestimmte rechtliche Wirkungen, durch die Rechtsbeziehungen zwischen dem Erklärenden und seiner Umwelt begründet werden. Damit aber ist die Privatautonomie derer, die in diese Rechtsbeziehungen eingebunden werden, tangiert. Der Privatautonomie des Erklärenden tritt somit hier die Privatautonomie der Geschäftspartner gegenüber. Beide sind gleichermaßen vom Schutz des Art. 2 I, Art. 14 GG erfaßt; auch nach der Wertung des Bürgerlichen Gesetzbuches, wie sie in § 133, § 157, § 119ff. BGB Ausdruck gefunden hat, sind die Privatautonomie des Erklärenden und die Privatautonomie des Empfängers grundsätzlich gleichermaßen schutzwürdig und sollen möglichst in einen harmonischen Ausgleich gebracht werden. Wegen dieser sozialen Bezogenheit der Willenserklärung in ihrem Inhalt unterliegt daher die Auslegung neben der Privatautonomie des Erklärenden zusätzlich einer Fremdverantwortung gegenüber dem Geschäftspartner. Dieses zusätzliche Bewertungskriterium offenbart sich in einem Vertrauensschutz des Betroffenen. Sofern Vertrauensschutz eingreift, findet daher keine subjektive, sondern eine objektive Auslegung aus dem Horizont des Betroffenen heraus statt. Dieser Vertrauensschutz ist allerdings bei verschiedenen Willenserklärungen sehr unterschiedlich stark ausgeprägt, je nachdem, ob dem Erklärenden ein schutzwürdiger Partner gegenübersteht oder nicht, und welches Maß an Vertrauensschutz im Einzelfall geboten ist.

3. Auslegungsmaßstab

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Das Spannungsverhältnis zwischen privatautonomer Entfaltung des Erklärenden und einem Vertrauensschutz des Empfängers wird dabei oft in die Frage gekleidet, in welchem Verhältnis § 133 und § 157 BGB zueinander stehen, wobei § 133 BGB als Ausprägung eines subjektiven Auslegungsmaßstabs unter weitgehender Berücksichtigung der privatautonomen Entfaltung des Erklärenden, § 157 BGB demgegenüber als Ausprägung eines objektiven Auslegungsmaßstabs unter Berücksichtigung des Vertrauensschutzes des Empfängers angesehen wird. Die formale tatbestandliehe Abgrenzung, wonach für Verträge § 157 BGB, sonst § 133 BGB gelten soll, hat in jüngerer Zeit, soweit ersichtlich, keine Anhänger mehr gefunden. Nach der heute herrschenden Ansicht I gilt § 157 BGB entgegen seinem Wortlaut nicht nur für Verträge, sondern auch für empfangsbedürftige einseitige Rechtsgeschäfte und einzelne Willenserklärungen. Umgekehrt ist § 133 BGB nicht nur auf Willenserklärungen, sondern auch auf Verträge und Rechtsgeschäfte jeder Art anzuwenden. Die beiden Vorschriften sind daher von ihrer Anwendung her gleich und betonen nur unterschiedliche Aspekte, nämlich § 133 BGB die Verwirklichung des Geschäftswillens des Erklärenden, § 157 BGB die objektive Bedeutung der Erklärung für Geschäftspartner und Rechtsverkehr. Die beiden Vorschriften sind daher stets nebeneinander heranzuziehen; sie ergänzen sich gegenseitig. Wie das Spannungsverhältnis zwischen der privatautonomen Entfaltung des Erklärenden und dem Vertrauensschutz des Partners aufzulösen ist, kann sich also nur aus dem Maß des erforderlichen Vertrauensschutzes bei der jeweiligen Willenserklärung ergeben. Es ist daher zu unterscheiden:

a) Rechtsgeschäfte unter Lebenden Bei Rechtsgeschäften unter Lebenden ist eine subjektive Auslegung berechtigt und geboten, wenn außer dem Erklärenden keine Person vorhanden ist, deren Interessen geschützt werden müßten, oder wenn zwar generell eine andere Person, vor allem der Erklärungsempfänger, zu schützen ist, diese aber im Einzelfall ausnahmsweise nicht schutzbedürftig ist. 2 Es fragt sich daher, wessen Privatautonomie so schutzbedürftig ist, daß sie die Privatautonomie des Erklärenden zu begrenzen vermag, welchen Personen gegenüber also der Erklärende die beschriebene Fremdverantwortung trägt, die einen Vertrauensschutz begründet. Es liegt auf der Hand, daß nicht jeder, der auf einen bestimmten Inhalt einer fremden Willenserklärung vertraut, deshalb auch schon in diesem Vertrauen geschützt werden muß; dies würde die Privatautonomie des Erklärenden völlig aushöhlen. Nur wer durch die Erklärung in seiner eigenen Privatautonomie eingeschränkt I BGH, Urt. v. 14.7.1956 V ZR 223/54 = BGHZ 21, 319 (328); BGH, Urt. v. 3.2.1967 - VI ZR 114/65 = BGHZ 47,75 (78); Staud/ Dilcher §§ 133, 157 Anm. 7; Flume, AT 11, § 16, 3 a, S. 308; Soergel / Hefermehl § 133 Rn. 2; Rn. 29; Pal / Heinrichs § 157 Anm. 1; Medicus, AT, Rn. 320. 2 Brox, AT, Rn. 128.

126

III. Inhaltsennittlung

wird, bedarf vielmehr eines solchen Schutzes. Da die Privatautonomie ein rechtliches, kein wirtschaftliches Kriterium ist, genügt folgerichtig auch nur eine rechtliche, nicht schon eine wirtschaftliche Betroffenheit, um einen Vertrauensschutz auszulösen. Rechtlich betroffen ist aber in erster Linie der Empfanger der Willenserklärung, denn zwischen ihm und dem Erklärenden wird durch die Willenserklärung eine Rechtsbeziehung hergestellt; deshalb geht das Gesetz ja auch zu seinem Schutz, sofern ein Empfanger vorhanden ist, von der Empfangsbedürftigkeit der Willenserklärung aus, vgl. § 130 BGB. Es ist daher hinsichtlich des Vertrauensschutzes zwischen empfangsbedürftigen und nicht empfangsbedürftigen Willenserklärungen zu unterscheiden. Zum anderen wird teilweise gesagt, außer durch das Prinzip des Vertrauensschutzes werde die reine Willenserforschung eingeschränkt durch das Erfordernis einer Erklärung dieses Willens; gleichviel, ob man die Willenserklärung als einheitlich konstitutiven Akt ansehe oder am Dualismus von Wille und Erklärung festhalte, könne Gegenstand der Auslegung im Interesse der Rechtssicherheit nur der in der Erklärung zum Ausdruck gebrachte, nicht ein geheimgehaltener innerer Wille sein, der rechtsgeschäftliche Wille könne daher nur insoweit berücksichtigt werden, wie er im Erklärungstatbestand in irgendeiner Form Ausdruck gefunden habe. 3 Rechtssicherheit und Verkehrs schutz sind Kriterien, die die übrigen, nicht unmittelbar an dem Geschäft beteiligten Mitglieder des Rechtsverkehrs schützen sollen. Auch deren Privatautonomie kann durch einen entsprechenden Regelungsgehalt einer Willenserklärung mittelbar beeinträchtigt sein. Aber nach der Wertung des Gesetzes hat insoweit die Privatautonomie der unmittelbar Beteiligten Vorrang. Bei der privatautonomen Regelung durch die Parteien ist es der Rechtsgemeinschaft grundsätzlich gleichgültig, in welcher Weise sich die Parteien geeinigt haben; die Regelung wird vielmehr bereits dadurch in Geltung gesetzt, daß die Parteien sich geeinigt haben. Für die Beurteilung, ob eine Einigung vorliegt, genügt aber allein das Verständnis der Parteien. Entsprechendes gilt für die einzelne Willenserklärung. Der inhaltlichen Gestaltung des Rechtsgeschäfts trägt die Rechtsordnung dadurch hinreichend Rechnung, daß sie an bestimmte Inhalte bestimmte Rechtsfolgen knüpft, bei Mißbilligung der vereinbarten Inhalte auch Nichtigkeit, vgl. § 138 oder § 134 BGB. Sofern die Rechtsgemeinschaft ausnahmsweise erhöhte Anforderungen an die inhaltliche Sicherung des Rechtsgeschäfts stellt, etwa weil ein größerer Personenkreis außer den unmittelbar an dem Rechtsgeschäft Beteiligten durch die Auswirkungen der Regelung berührt wird, fordert die Rechtsordnung zusätzliche Sicherungen, wie zum Beispiel Registereintragungen 4 oder die Einhaltung bestimmter Formvorschriften. 5 Soergel / Hefennehl § 133 Rn. 10 m. w. (älteren) N. Ausdruck des Verkehrsschutzes durch eine Registereintragung ist es z. B., wenn im Recht der Kapitalgesellschaften -(AG, GmbH) nach der Eintragung der Gesellschaft im Handelsregister Willensmängel einer Gründungs- oder Beitrittserklärung nicht mehr geltend gemacht werden können; vgl. Soergel / Hefennehl vor § 116 Rn. 63. 3

4

3. Auslegungsmaßstab

127

Dieses Formproblem ist dann aber von der Frage nach der Willenserklärung und ihrer Auslegung, das heißt nach Erklärungstatbestand und Erklärungsinhalt, streng zu trennen; denn während der Erklärungstatbestand sich allein nach der Privatautonomie, das heißt Selbstbestimmung und Selbstverantwortung des Erklärenden bestimmt, der Erklärungsinhalt zusätzlich nach dem Vertrauensgrundsatz, ist die Formfrage allein aus dem Zweck der jeweiligen Formvorschrift heraus zu beantworten. Der Befürchtung, es könne ein von der "Erklärung" (das heißt der Verkehrsbedeutung der in der Erklärung verwendeten Worte) abweichender Wille ermittelt werden, wird im Interesse des Vertrauens schutzes durch eine objektiv-normative Auslegung aus dem Empfängerhorizont heraus Rechnung getragen; das Verantwortungsprinzip ist beachtet dadurch, daß auch bei der Ermittlung des Geschäftswillens die Bedeutung dem Erklärenden zurechenbar sein muß, er also mit der durch die objektive Auslegung gefundenen Erklärungsbedeutung rechnen konnte. Die Verkehrssicherheit ist demgegenüber kein Kriterium, das die Auslegung zulasten der privatautonomen Selbstbestimmung der Parteien auf die Verkehrsbedeutung beschränken könnte. Der Hinweis auf die objektive Erklärung des Willens hat aber insofern seine Berechtigung, als selbstverständlich nicht ein rein innerer, nur gedachter Wille ausgelegt werden kann, sondern ein objektiver Erklärungstatbestand verlautbart worden sein muß. Das ist aber aus der Sicht des Auslegenden unproblematisch, denn dieser findet ja einen äußeren Erklärungstatbestand vor und schließt von diesem auf die maßgebliche Bedeutung zurück. Es bleibt damit dabei, daß die Auslegung nur der Privatautonomie des Erklärenden und der Privatautonomie des Erklärungsempfangers unterliegt, dem Vertrauensschutz, nicht aber der Privatautonomie anderer Verkehrsteilnehmer, dem Verkehrsschutz. Der Verkehrsschutz ist vielmehr nach der Wertung des Gesetzes zusätzlichen Sicherungen wie Formvorschriften, Registereintragungen oder behördlichen Genehmigungen vorbehalten und dann jeweils dort zu untersuchen. Hinsichtlich des Vertrauensschutzes ist aber zwischen empfangsbedürftigen und nicht empfangsbedürftigen Willenserklärungen zu unterscheiden. aa) Nicht empfangsbedürftige Willenserklärungen Bei nicht empfangsbedürftigen Willenserklärungen unter Lebenden ist kein Empfänger vorhanden, der zu schützen wäre. Den Erklärenden kann daher in diesen Fällen auch keine Fremdverantwortung gegenüber einer Privatautonomie des Empfängers treffen. Andere Personen als ein Empfänger, zu denen allein aufgrund der nicht empfangsbedürftigen Willenserklärung unmittelbare Rechts5 Besonders stark ausgeprägt ist der Verkehrsschutzcharakter der Form im Wertpapierrecht; so können z. B. Willensmängel im Begebungsvertrag einem gutgläubigen Zweiterwerber eines Wechsels nicht mehr entgegengehalten werden, vgl. Baumbach / Hefermehl Art. 17 WG Rn. 30 ff.

128

III. Inhaltsennittlung

beziehungen begründet würden und deren Privatautonomie somit durch die Willenserklärung unmittelbar tangiert werden könnte, sind nicht ersichtlich. Die Auslegung der nicht empfangsbedürftigen Willenserklärung unter Lebenden bestimmt sich daher allein nach der Privatautonomie des Erklärenden. a) Subjektive Auslegung

Auch insoweit steht der Selbstbestimmung aber wieder die Selbstverantwortung des Erklärenden für seine Erklärung gegenüber. Anders als bei der Frage nach dem Tatbestand, also Sein oder Nichtsein der Willenserklärung, gibt es aber bei der Frage nach dem maßgeblichen Inhalt der Willenserklärung theoretisch unendlich viele Möglichkeiten. Hier die Verantwortung des Erklärenden für die richtige Bedeutung der Erklärung zu fordern, ihm also das volle Risiko einer Abweichung zwischen dem subjektiv Gewollten und dem nach der Verkehrsbedeutung zu Verstehenden aufzubürden hieße daher in vielen Fällen, die Selbstbestimmung des Erklärenden bis zur Bedeutungslosigkeit zurückzudrängen. Zwar hätte auch in diesen Fällen der Erklärende die Möglichkeit der Anfechtung, wodurch die Selbstbestimmung wiederhergestellt würde, ähnlich wie beim Erklärungsbewußtsein auf der Tatbestandsebene. Anders als beim Erklärungsbewußtsein ist aber hier angesichts der weitaus zahlreicheren Möglichkeiten auch das Irrtumsrisiko ungleich höher; die Anfechtung wäre daher auch weitaus häufiger erforderlich, um die zurückgedrängte Selbstbestimmung wiederherzustellen, und würde den Ausnahmecharakter eines Notfallkorrektivs, den sie nach der Wertung des Gesetzes trägt, verlieren. Und selbst dann könnte die Anfechtung wegen ihrer rein kassatorischen Wirkung nicht zur Herstellung des wirklich gewollten, von der Verkehrsbedeutung abweichenden Inhalts führen, die Selbstbestimmung also gar nicht richtig verwirklichen. Der Gedanke der Selbstverantwortung kann daher bei der Ermittlung des Geschäftswillens nur die umgekehrte Funktion haben, dem Erklärenden nur die Verantwortung für solche Bedeutungen aufzuerlegen, die ihm zurechenbar sind; also die Funktion, eine objektive Auslegung zu begrenzen. 6 Wegen des Vorrangs der Selbstbestimmung gegenüber der Selbstverantwortung ist somit die nicht empfangsbedürftige Willenserklärung unter Lebenden subjektiv auszulegen; maßgeblich ist also der wirkliche Geschäftswille, auch wenn dieser vom verkehrsüblichen Verständnis abweicht. So ist zum Beispiel beim Stiftungsgeschäft unter Lebenden allein der Stifterwille beachtlich. 7 Wenn zur Auslobung, § 657 BGB, gesagt wird, sie sei trotz ihrer Nichtempfangsbedürftigkeit nach der Verkehrsauffassung auszulegen, 8 dann liegt 6

S. u.

Soergel / Neuhoff § 80 Rn. 2. 8 Köhler, AT, S. 170; Kornblum JuS 1981,801; MK/Seiler § 657 Rn. 7; Staud/ Wittmann § 657 Rn. 3. 7

3. Auslegungsmaßstab

129

der Grund hierfür in der Bekanntmachungsbedürftigkeit; denn der Zweck dieser besonderen Form liegt vor allem im Verkehrs schutz. Diese Formfrage ist aber, wie bei anderen formbedürftigen Geschäften auch, von der Auslegungsfrage zu unterscheiden. Auch bei Dereliktion, § 959 BGB, ist nur nach dem tatsächlichen Willen des Handelnden zu fragen. 9 Die Willenserklärung bei der Eigentumsaufgabe von beweglichen Sachen nach § 959 BGB (die wie andere sachenrechtliche Rechtsgeschäfte aus einer Willenserklärung und einer Besitzveränderung besteht), ist nämlich ebenfalls eine nicht empfangsbedürftige Willenserklärung. Anders ist die Rechtslage bei der Dereliktion von Grundstücken, § 928 I BGB; hier handelt es sich um eine empfangs bedürftige Willenserklärung. Empfanger ist das zuständige Grundbuchamt des Bundeslandes, in dem das Grundstück liegt; 10 aufgrund des alleinigen Aneignungsrechts des Fiskus gemäß § 928 11 BGB verdichtet sich hier das allgemeine Interesse eines jeden Rechtsverkehrsteilnehmers an einer Aneignung zu einer konkreten Rechtsbeziehung zwischen Aufgebendem und Fiskus; da auch die öffentliche Hand, sofern sie als Privatrechtssubjekt handelt, allen anderen Privatrechtssubjekten gleichzustellen ist (abgesehen von besonderen öffentlich-rechtlichen Bindungen wie zum Beispiel die Beachtung von Grundrechten auch im fiskalischen Bereich), ist daher auch hier das Vertrauen des Fiskus auf einen bestimmten Inhalt der Eigentumsaufgabe schützenswert. Aber die Erbschaftsannahme ist wiederum nach überwiegender Auffassung eine nicht empfangsbedürftige Willenserklärung unter Lebenden; 11 auch sie ist daher, unabhängig davon, ob sie ausdrücklich oder schlüssig erklärt ist, subjektiv auszulegen. 12 Im Prozeß ist allerdings auch bei einer solchen subjektiven Auslegung zunächst von der Verkehrsbedeutung der Erklärung auszugehen; es besteht, da die Willenserklärung sich an die Rechtsgemeinschaft richtet, eine Vermutung dafür, daß der Erklärende sich wie andere Verkehrsteilnehmer auch eines verkehrsüblichen Sprachgebrauchs bedient; insoweit greift hinsichtlich der Beweislast also die Selbstverantwortung des Erklärenden ein. Vorrang der Selbstbestimmung und subjektive Auslegung meint daher nur, daß eine Behauptung, der Erklärende habe mit seiner Erklärung eine vom allgemeinen Verständnis abweichende Bedeutung verbunden, überhaupt beachtlich ist. Wer allerdings einen abweichenden subjektiven Willen behauptet, muß ihn im Bestreitensfall auch beweisen, wobei der Selbstinterpretation einer Partei nur eingeschränkter Erkenntniswert zukommen kann. 13 Staud/Gursky § 959 Rn. 1, m. w. N. MK / Kanzleiter § 928 Rn. 3. 11 Brox, ErbR, Rn. 301; Pal/Edenhofer § 1943 Anm. 2a; Soergel/ Hefermehl vor § 116 Rn. 69; RGRK/Iohannsen § 1943 Rn. 2; v. Lübtow, ErbR 11, S.676; Staud/ Otte / Marotzke § 1943 Rn. 3; Erman / Schlüter § 1943 Rn. 2; differenzierend in Abgrenzung zur pro herede gestio Lange / Kuchinke § 8 11 2, S. ISO. 12 Manigk, Verhalten, S. 389 ff.; a. A. Staud / Otte / Marotzke § 1943 Rn. 6. 13 S. o. 9

10

9 Stumpf

130

III. Inhaltsennittlung ~)

Widerruf

Die Tatsache, daß bei der Auslegung nicht empfangsbedürftiger Willenserklärungen unter Lebenden der Privatautonomie des Erklärenden grundsätzlich keine schutzwürdigen Interessen anderer entgegenstehen, wirkt sich auch auf die Rückgängigmachung dieser Willenserklärungen aus. Da ein Vertrauen anderer auf Inhalt und Bestand der Willenserklärung hier nicht als schützenswert anzuerkennen ist, sondern es allein auf die privatautonome Selbstbestimmung des Erklärenden ankommt, müßten diese nicht empfangsbedürftigen Willenserklärungen unter Lebenden, genau wie das Testament, wo das Gesetz diese Konsequenz gezogen hat, frei widerruflich sein. Entsprechend sieht auch § 81 11 BGB die Widerrufsmöglichkeit durch den Stifter vor; § 81 11 BGB bestätigt somit die Wertung des Gesetzes zugunsten der privatautonomen Selbstbestimmung des Erklärenden. Auch die Auslobung kann bis zur Vornahme der Handlung frei widerrufen werden, § 658 BGB, weil niemand der Auslobung zuzustimmen braucht oder aus ihr verpflichtet wird, so daß ein Vertrauen auf den Bestand der Auslobung bis zur Ausführung der Handlung nicht schützenswert ist. 14 Die in § 658 11 BGB getroffene Regelung, daß der Auslobende auf seine Befugnis zum Widerruf verzichten kann, ist nur eine besondere Ausprägung des Grundsatzes der Privatautonomie. 15 Für die Eigentumsaufgabe bei beweglichen Sachen ist im Gesetz keine Widerrufsmöglichkeit vorgesehen. Im Schrifttum wird diese Frage, soweit ersichtlich, nicht erörtert. Es spricht aber nichts dagegen, auch hier (bis zur Aneignung, ab diesem Zeitpunkt ist die Privatautonomie des Aneignenden zu beachten) entsprechend der Privatautonomie des Erklärenden einen freien Widerruf analog § 81 11, § 658 BGB zuzulassen, der auch konkludent durch Wiederansichnehmen (auch ohne Irrtum 16) möglich ist. Auch bei der Erbschaftsannahme, § 1943 BGB, sieht das Gesetz keinen Widerruf vor; allerdings ist dort in § 1954ff. BGB ausdrücklich die Anfechtung geregelt, was dafür sprechen könnte, daß ein freier Widerruf außerhalb der Anfechtungsgründe unzulässig sei; dafür spricht auch § 1949 BGB, wo ein besonderer Motivirrtum für beachtlich erklärt wird, der allerdings entgegen der allgemeinen Systematik 17 nicht zur Anfechtung berechtigt, sondern entsprechend dem gemeinen Recht zur Nichtigkeit führt. MK / Seiler § 658 Rn. 1. MK / Seiler § 658 Rn. 8. 16 Das ist der Unterschied zur Anfechtung, als die MK / Quack § 959 Rn. 9 die einfache Wiedererlangung des Eigenbesitzes vor einer Aneignung qualifiziert. I7 Kipp/Coing § 89 V, S. 508; MK/Leipold § 1949 Rn. 1; Staud/ Otte/Marotzke § 1949 Rn. 3; Lange / Kuchinke § 8 VII 1 d, S. 167. 14 15

3. Auslegungsmaßstab

131

Dieser Befund \8 zeigt aber auch bereits, daß der gesetzlichen Regelung hier kein allzugroßer systematischer Erkenntniswert zukommt. Daher gebietet es auch hier die privatautonome Selbstbestimmung des Annehmenden, der kein gleichgewichtiges Rechtsgut einschränkend gegenübersteht, \9 ein Widerrufsrecht entsprechend § 8111, § 658 BGB zuzulassen, allerdings angesichts der besonderen Regel des § 1944 BGB nur bis zum Ablauf der Ausschlagungsfrist (ähnlich wie auch der Stifter nur bis zur Genehmigung, der Auslobende bis zur Vornahme der ausgelobten Handlung, der Dereligierende bis zur Aneignung und der Testator bis zum Erbfall widerrufen kann, also jeweils so lange, bis zusätzliche Vertrauensgesichtspunkte eingreifen). y) Anfechtung

Die subjektive Auslegung und die Widerrufmöglichkeit bei nicht empfangsbedürftigen Willenserklärungen unter Lebenden müssen sich weiterhin auf die Anfechtung auswirken. Angesichts des subjektiven Auslegungsmaßstabs kann es hier zu einem Inhalts- oder Erklärungsirrtum, also zu einem Auseinanderfallen von subjektiv Gewolltem und maßgeblich Erklärtem, nicht mehr kommen, 20 denn hier wird ja gerade das subjektiv Gewollte als maßgeblicher Inhalt ermittelt. 2\ Nicht empfangs bedürftige Willenserklärungen unter Lebenden können daher grundsätzlich nicht wegen Willensmängeln, sondern nur wegen Mängeln in der Willensbildung angefochten werden, denn die Motivation, die einem bestimmten Geschäftswillen zugrunde liegt, wird auch von der subjektiven erläuternden Auslegung nicht erfaßt. Aber auch der Anfechtung wegen Motivirrtums geht grundsätzlich die ergänzende Auslegung vor; sofern also ein Motivirrtum (eine Lücke im Sinn der ergänzenden Auslegung) vorliegt und auch für diesen Fall ein entsprechender Geschäftswille des Erklärenden zu ermitteln ist, kann es auch zu einer Anfechtung wegen Motivirrtums nicht mehr kommen (s. u.). Die Anfechtung wegen Motivirrtums hat daher nur noch Bedeutung, wenn zwar ein Motivirrtum festgestellt werden kann, aber kein positiver Geschäftswille, der auch die irrtümlich nicht vorgestellte Situation mit umfaßt (s. u. genauer). Allerdings ist hier kein Grund ersichtlich, warum die Anfechtung wegen Motivirrtums hier auf die besonderen Fälle von § 119 11 und § 123 BGB zu beschränken sein sollte. Diese Beschränkung bezweckt bei empfangsbedürftigen Willenserklärungen unter Lebenden einen abgewogenen Interessenausgleich zwischen der Privatautonomie des Erklärenden und der Privatautonomie des Empfängers; für \8 Wie auch andere Unstimmigkeiten, z. B. die Anfechtbarkeit einer Fristversäumung in § 1956 BOB, vgl. dazu MK / Leipold § 1956 Rn. 1 ff. \9 Sofern man die Erbschaftsannahme als nicht empfangsbedürftig ansieht; andernfalls wäre die Privatautonomie des Empfängers zu berücksichtigen, vgl. § 130 BOB; Lange / Kuchinke § 8 IV 1, S. 156. 20 So für die Dere1iktion auch Staud / Oursky § 959 Rn. 1. 2\ Pal/ Heinrichs § 119 Anm. 3 a.

9*

132

III. Inhaltsermittlung

einen solchen Interessenausgleich ist aber bei der nicht empfangsbedürftigen Willenserklärung unter Lebenden, wo die Privatautonomie des Erklärenden gerade nicht durch die Privatautonomie eines Empfängers begrenzt werden kann, kein Raum. Die allein maßgebliche Privatautonomie des Erklärenden gebietet es vielmehr, wie bei der Testamentsanfechtung, wo der Gesetzgeber in § 2078 11 BGB diese Konsequenz gezogen hat, jeden Motivirrtum für beachtlich zu erklären. 22 Aus demselben Grund kann es bei der nicht empfangsbedürftigen Willenserklärung unter Lebenden auch nicht auf eine verständige Würdigung des Falles wie in § 119 I BGB ankommen. Da es sich hier um eine Selbstanfechtung handelt, kommt eine Haftung aus § 122 BGB als Ausfluß der Selbstverantwortung des Erklärenden grundsätzlich in Betracht. 23 Angesichts der Widerrufsmöglichkeit kann allerdings die Anfechtung wegen Motivirrtums nur noch in den Fällen Bedeutung erlangen, in denen ein Widerruf aus bestimmten Gründen ausgeschlossen ist, wie zum Beispiel bei der Auslobung im Fall eines Widerrufsverzichts gemäß § 658 11 BGB 24 oder bei der Dereliktion beweglicher Sachen nach der Aneignung durch einen anderen. 25 bb) Empfangsbedürftige Willenserklärungen Empfangsbedürftige Willenserklärungen berühren grundsätzlich auch die Interessen des Empfängers, denn er ist es, zu dem in aller Regel durch die Willenserklärung eine Rechtsbeziehung mit dem Erklärenden hergestellt wird (deshalb sind empfangs bedürftige Willenserklärungen ja empfangsbedürftig). Mit jeder Rechtsbeziehung aber wird die Privatautonomie der Beteiligten betroffen und durch die Privatautonomie dessen, mit dem sie sich rechtlich verbunden haben, begrenzt. Der Empfänger der Willenserklärung muß daher in der Lage sein, sich auf die durch die Erklärung geschaffene Rechtslage einzustellen. a) Objektiv-normative Auslegung aus dem Empfängerhorizont

Wegen des Vertrauensschutzes des Empfängers sind empfangsbedürftige Willenserklärungen daher häufig objektiv-normativ auszulegen,26 das heißt die Be22 Ein Schritt in diese Richtung ist es, wenn das Gesetz bei der Erbschaftsannahme den Irrtum über den Berufungsgrund für beachtlich erklärt; systematisch konsequenter wäre es allerdings, wenn nicht nur dieser, sondern jeder Motivirrtum wie in § 2078 n BGB ausschlaggebend wäre und nicht zur Nichtigkeit (vgl. § 1949 BGB), sondern zur Anfechtbarkeit führen würde. Gegen eine Anerkennung eines jeden Motivirrtums MK / Leipold § 1954 Rn. 3 mit dem formalen Argument, daß §§ 1954 ff. BGB keine Verweisung auf § 2078 n BGB enthalten. 23 S. o. 24 MK / Seiler § 658 Rn. 9. 25 MK/Quack § 959 Rn. 9.

3. Auslegungsmaßstab

133

deutung der Willenserklärung ist so zu fassen, wie sie sich aus der Sicht des Empfängers darstellt: sogenannte Auslegung aus dem Empfängerhorizont heraus. Dabei kommt es allerdings nicht auf das tatsächliche Verständnis des Empfängers an, sondern der Empfänger ist seinerseits nach Treu und Glauben verpflichtet, unter Berücksichtigung aller ihm erkennbaren Umstände, die von Bedeutung sein können, danach zu forschen, was der Erklärende gemeint hat. 27 Zum Teil wird auch gesagt, entscheidend sei, wie eine vernünftige Person in der Lage des Empfängers die Erklärung nach Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte verstehen mußte oder durfte. 28 Andererseits ist eine solche objektivnormative Auslegung aus dem Empfängerhorizont heraus auch nicht gleichzusetzen mit einer objektiv-normativen Auslegung entsprechend dem allgemeinen Verkehrsverständnis, 29 bei dem es nicht auf eine Empfängerperspektive ankommt, sondern allein auf den allgemeinen Sprachgebrauch. Der Grund für eine derartige objektiv-normative Auslegung liegt in einer angemessenen Risikoverteilung, also einer Harmonisierung von Privatautonomie des Erklärenden und Privatautonomie des Empfängers. 3o Der Empfänger soll nicht das Risiko eines Irrtums des Erklärenden tragen; deshalb gilt grundsätzlich nicht die vom Erklärenden subjektiv gewollte, sondern die objektiv-normative Bedeutung. Aber auch der Empfänger kann sich irren und die Erklärung falsch verstehen; dieses Risiko soll nicht der Erklärende tragen, denn auch der Empfänger trägt neben seiner privatautonomen Gestaltungsfreiheit eine Fremdverantwortung gegenüber der Privatautonomie des Erklärenden; beide Rechtsgüter sind gleichwertig und stehen daher zueinander in Wechselwirkung. Deshalb ist die Erklärung auch nicht nach dem subjektiven Verständnis des Empfängers, sondern objektiv-normativ auszulegen. 26 St. Rspr. u. allg. M., vgl. z. B. RG, Urt. v. 8.12.1914 III 299/14 = RGZ 86, 86 (88); RG, Urt. v. 25.1.1921 - II 313/20 = RGZ 101, 246 (247); RG, Urt. v. 19.2.1931- VI 389/30 = RGZ 131, 343 (350); BGH, Urt. v. 3.2.1967 - VI ZR 114/ 65 = BGHZ 47,75 (78); Brox, AT, Rn. 134; Staud / Dilcher §§ 133, 157 Rn. 30; Soergel / Hefermehl § 133 Rn. 22; Larenz, AT, § 19 II a, S. 337 ff.; Medicus, AT, Rn. 323. 27 Larenz, AT, § 19 II a, S. 340. 28 Brox, AT, Rn. 134; Medicus, AT, Rn. 323. 29 Wieser JZ 1985,407. 30 Das ist auch der Grund, warum mitunter von einer Auslegung nach § 242 BGB gesprochen wird, vgl. z. B. BGH, Urt. v. 26.2.1954 - V ZR 68/52 = BGHZ 12,357 (375). Die aus § 242 BGB zu beantwortende Frage nach dem rechtlichen Sollen stellt sich an sich erst, wenn sich aus dem rechtlichen Wollen der Parteien, das durch Auslegung ihrer Erklärungen zu ermitteln ist, ausreichende Anhaltspunkte für eine Entscheidung der Streitfrage nicht gewinnen lassen. Jedoch unterliegt die Risikoverteilung im Rahmen objektiv-normativer Auslegung und die nach § 242 BGB ähnlichen Wertungen, weil es in beiden Fällen letztlich um den Ausgleich und die gegenseitige Begrenzung gleichberechtigter widerstreitender privatautonomer Interessen verschiedener Teilnehmer am Rechtsverkehr geht. Vgl. Flume, AT II, § 16, 3a, S. 309; Erman/ Hefermehl § 157 Rn. 1; Soergel/Hefermehl § 133 Rn. 3; Pal/Heinrichs § 242 Anm. 2a; Soergel/Wolf § 157 Rn. 76 ff.

134

III. Inhaltsennittlung

Die Willenserklärung ist aber auch hier ein Akt privatautonomer Rechtsgestaltung, die nur im Interesse des Vertrauensschutzes eingeschränkt ist; entscheidend bleibt daher stets das (objektiv-normativ zu bestimmende) Verständnis der Parteien, nicht eine davon losgelöste objektiv vernünftige Bedeutung. Da hier neben der Privatautonomie des Erklärenden nur die Privatautonomie des Erklärungsempfängers, nicht aber die Privatautonomie anderer Verkehrsteilnehmer geschützt wird, also nur Vertrauensschutz-, nicht auch schon Verkehrsschutzgesichtspunkte bei der Auslegung eingreifen, ist entscheidend auch nicht unbedingt der allgemeine Verkehrssprachgebrauch. Prozessual kommt es allerdings für die normative Erklärungsbedeutung zunächst zwar auf den allgemeinen Sprachgebrauch und das Verständnis eines durchschnittlichen Verkehrsteilnehmers an; denn auch hier wird entsprechend der privatautonomen Selbstverantwortung des Erklärenden vermutet, daß der Erklärende den allgemeinen Sprachgebrauch benutzt, der Empfanger also auch von der Verkehrsbedeutung der Erklärung ausgehen durfte. Aber der verkehrsüblichen Bedeutung geht im Zweifel diejenige Bedeutung vor, die der Empfanger bei hinreichender Aufmerksamkeit aufgrund aller ihm erkennbaren Umstände als die vom Erklärenden gemeinte Bedeutung erkennen mußte. Denn nur auf die in dieser Bedeutung verstandene Erklärung durfte er vertrauen; auf seine eigene Unachtsamkeit kann er sich nicht berufen. 31

ß) Anfechtung Ob sich der objektiv-normativ ermittelte Inhalt mit dem subjektiven Willen des Erklärenden deckt, ist dann nur noch insofern von Bedeutung, als der Erklärende seine Willenserklärung gemäß § 119ff. BGB anfechten kann. 32 Die privatautonome Selbstbestimmung, die im Wege der objektiv-normativen Auslegung durch das Vertrauensprinzip, also eine Fremdverantwortung des Erklärenden gegenüber der Privatautonomie des Empfängers zurückgedrängt worden war, wird also durch die Möglichkeit der Anfechtung wieder hergestellt. Allerdings erkennt das Gesetz unter Lebenden nur bestimmte Anfechtungsgründe an. Inhalts- und Erklärungsirrtum, also die Fälle, in denen der subjektive Geschäftswille mit dem objektiv-normativ maßgeblichen Geschäftswillen gar nicht übereinstimmt, berechtigen in vollem Umfang zur Anfechtung, § 119 I BGB; hier wäre der Inhalt der Willenserklärung überhaupt nicht mehr positiv von der Selbstbestimmung des Erklärenden gedeckt (nur noch negativ über die Zurechenbarkeit), der Fehler der selbstbestimmten Gestaltung daher derart gewichtig, daß seine Korrektur gegenüber der Privatautonomie des Empfängers den Vorrang haben muß. Die Privatautonomie des Empfängers wird aber auch hier dadurch berück31 BGH, Urt. v. 26.10.1983 IVa ZR 80/82 = IR 1984, 192 = NJW 1984, 721; OLG Nümberg, Urt. v. 13.7.1983 - 4 U 150/83 = DNotZ 1984,327 (328). 32 Aume, AT 11, § 21,2, S. 418; Keymer S. 85; Medicus, AT, Rn. 745.

3. Auslegungsmaßstab

135

sichtigt, daß Anfechtungsvoraussetzung auch eine verständige Würdigung des Falles ist; auch die Anfechtung selbst soll also aus der Sicht des Empfangers nachvollziehbar sein. Der Motivirrtum unter Lebenden berechtigt dagegen nur ausnahmsweise in den engen Grenzen von § 11911 und § 123 BGB zur Anfechtung; hier stimmen subjektiver Geschäftswille und objektiv maßgeblicher Geschäftswille überein, nur ist der subjektive Geschäftswille fehlerhaft gebildet. Für die eigene Willensbildung ist aber, anders als für das objektive Verständnis aus dem Empfängerhorizont heraus, grundsätzlich jeder selbst verantwortlich; nur wenn ganz schwerwiegende Gründe der fehlerhaften Willensbildung zugrundeliegen, bewertet das Gesetz auch hier ausnahmsweise das Interesse des Anfechtenden an der Beseitigung seiner Willenserklärung höher als das Interesse des Erklärungsempfängers an der Aufrechterhaltung der Willenserklärung. Das Gesetz setzt also mit der Anfechtung nicht die Privatautonomie des Erklärenden uneingeschränkt gegen die Privatautonomie des Empfängers wieder durch, sondern balanciert die beiden gleichwertigen Rechtsgüter miteinander aus. Auch das Anfechtungsrisiko bleibt beim Anfechtenden, damit allerdings gleichzeitig auch die Wahl, das zunächst nicht gewollte Geschäft durch Nichtanfechtung doch noch gelten zu lassen; das ist sachgerecht, da das Abweichen von subjektivem Willen und objektiv-normativer Bedeutung ja durch den Erklärenden verursacht wurde, also in seiner Sphäre entstanden ist. 33 Insoweit greift also das Verantwortungsprinzip ein; auch das ist jedoch sachgerecht, denn der Erklärende trägt ja Verantwortung nur für die Bedeutung, die ihm zurechenbar ist, so daß letztlich (trotz der Anfechtungsfrist nach § 121 BGB und der verschuldensunabhängigen Schadensersatzpflicht nach § 122 BGB) der Privatautonomie des Erklärenden in ihrer Ausprägung von Selbstbestimmung und Selbstverantwortung sowie dem Vertrauensschutz ausgewogen nach der Wertung des Gesetzes Rechnung getragen wird. 34 Bei einer objektiv-normativen Auslegung in diesem Sinne kann es nicht vorkommen, daß Dissens anzunehmen wäre, weil die Parteien eine der Erklärungen unterschiedlich verstanden haben. Ein Dissens liegt nur dann vor, wenn die beiden Vertragserklärungen der Parteien nicht übereinstimmen; das setzt voraus, daß zunächst jede der Vertragserklärungen gesondert auszulegen ist (auch bei Verträgen ist ja Auslegungsgegenstand die Willenserklärung, nicht der Vertrag, s.o.). Bei der Auslegung aber kann es zu einem Konflikt zweier maßgeblicher Verständnishorizonte nicht kommen, denn maßgeblich sind nicht die beiden subjektiven Auffassungen der Parteien, sondern nur der eine objektivnormative Verständnismaßstab. Erst wenn die beiden nach diesem Maßstab ausgelegten Willenserklärungen nicht übereinstimmen (was auch bei einem einheitlichen, von beiden Parteien unterschriebenen Text auftreten kann), ist ein Dissens gegeben. 35 33

34

Brox, AT, Rn. 134; Soergel/Hefermehl § 133 Rn. 1. Medicus, AT, Rn. 324 (325 f.).

136

III. Inhaltsennittlung

Aus demselben Grund ist die Willenserklärung bei unterschiedlichem Verständnis der Parteien auch nicht wegen Perplexität nichtig. 36 Objektiver Erklärungsinhalt ist nicht dasjenige Verständnis, das der Adressat und der Erklärende von der Erklärung haben mußten, sondern was der Adressat als das vom Erklärenden Gemeinte verstehen mußte. Diese Bedeutung gilt zwar nur dann, wenn sie dem Erklärenden zurechenbar ist; diese Zurechenbarkeit ist aber nicht gleichzusetzen mit dem subjektiven Verständnis des Erklärenden, sondern fragt ebenfalls normativ danach, ob er unter Berücksichtigung der für ihn erkennbaren Umstände mit einem entsprechenden Verständnis des Adressaten rechnen konnte. 37 Auch im Fall falscher Übermittlung ist daher die vom Empfänger zu verstehende Bedeutung dem Erklärenden zuzurechnen, dessen Freiheit privatautonomer Gestaltung durch das Anfechtungsrecht nach § 120 BGB wieder hergestellt wird. Dieses Ergebnis wird belegt durch die Fälle der falsa demonstratio bei übereinstimmendem Verständnis der Parteien, wo subjektiv auszulegen ist (s. u.); das kann umgekehrt nur bedeuten, daß im Fall unterschiedlichen Verständnisses der Parteien objektiv-normativ auszulegen ist, nicht aber Perplexität eintritt; sonst gäbe es nämlich gar keinen Anwendungsbereich objektiv-normativer Auslegung. Bei einer objektiv-normativen Auslegung im beschriebenen Sinne kann es schließlich nicht vorkommen, daß die Erklärung einer Partei wegen ihrer Mehrdeutigkeit oder ihres Widersinns die Funktion einer Willenserklärung nicht erfüllt und daher mangels eines bestimmten Inhalts nicht auslegungsfahig sein könnte. 38 Erst die Auslegung kann vielmehr Eindeutigkeit oder Mehrdeutigkeit der Erklärung ergeben. Eine normative Auslegung in diesem Sinne kann auch nicht durch den Wortlaut (das heißt durch die Verkehrsbedeutung des Wortlauts der Erklärung) eingeschränkt werden; 39 denn entweder ergibt die Auslegung die Verkehrsbedeutung, oder aber es geht ihr die Bedeutung vor, die der Empfänger als die vom Erklärenden gemeinte erkennen mußte. Richtig ist allerdings, wenn gesagt wird, an die Stelle einer von den Parteien getroffenen rechtsgeschäftlichen Regelung dürfe nicht eine andere, auch nicht eine ihren Interessen besser entsprechende, gesetzt werden. 40

Wieser JZ 1985, 407 (408). So Stathopoulos, Festsehr. Larenz, S. 357 (369); Wieser, Einführung, Rn. 60. 37 F1ume, AT II, § 16, 3e, S. 311; Larenz, AT, § 19 II a, S. 341; Medieus, AT, Rn. 326. 38 So die ältere Rspr. vor Aufgabe der Eindeutigkeitstheorie (z. B. BGH, Urt. v. 23.2.1956 - II ZR 207/54 - BGHZ 20, 109 (111»; Soergel / Hefennehl § 133 Rn. 23. 39 So die ältere Rspr., z. B. BayObLG, Beseh!. v. 31. 7.1973 BReg. 2 Z 37/73 = NJW 1974,282, vor Aufgabe der Eindeutigkeitstheorie; Soergel / Hefennehl § 133 Rn. 4 (vg!. aber Rn. 17). 40 RG, Urt. v. 5.10.1936 VI 66/36 = JW 1937, 217; BGH, Urt. v. 14.12.1954 - I ZR 65/53 = BGHZ 16, 4 (8); Soergel / Hefennehl § 133 Rn. 4. 35

36

3. Auslegungsrnaßstab

137

y) Subjektive Auslegung

Es gibt allerdings auch bei den empfangsbedürftigen Willenserklärungen Fälle, in denen der Empfänger nicht schutzwürdig ist und es daher beim Regelfall des subjektiven Auslegungsmaßstabs (s.o.) verbleibt: Hat nämlich der Erklärungsempfänger die Willenserklärung in dem vom Erklärenden gemeinten Sinn verstanden, so gilt der von ihnen übereinstimmend gewollte Sinn. 41 Eine Diskrepanz zwischen dem wirklichen und dem in Geltung gesetzten Willen liegt nicht vor. Es hat nämlich nicht etwa der übereinstimmende innere (psychologische) Wille der Parteien den Vorrang vor dem erklärten Willen. Es werden vielmehr die Worte oder Zeichen, durch die ein bestimmter Rechtsfolgewille zur Geltung gebracht wird, so verstanden, wie die Parteien sie verstanden haben. 42 Denn der Geschäftswille gehört nicht zum Tatbestand der Willenserklärung (s.o.); der Tatbestand der Erklärung sagt daher nur aus, daß etwas rechtsgeschäftlich erklärt worden ist, aber noch nicht, mit welchem Inhalt etwas rechtsgeschäftlich erklärt worden ist. Es ist daher auch bei der subjektiven Auslegung nicht nötig, daß sich der vereinbarte Sinn noch irgendwie mit dem Wortlaut der Erklärung (das heißt mit dem Verkehrsverständnis des Wortlauts ) in Einklang bringen läßt. 43 Es handelt sich hier im Grunde gar nicht um eine Ausnahme von dem Satz, daß eine empfangsbedürftige Willenserklärung so auszulegen ist, wie der Empfänger sie als vom Erklärenden gemeint verstehen mußte, sondern nur um eine besondere Ausprägung dieses Satzes für den Fall, daß der Empfänger den Erklärenden richtig verstanden hat. 44 Sofern also das subjektive Verständnis der Parteien über die Bedeutung der Willenserklärung übereinstimmt, gilt dieses, unabhängig davon, ob es auch mit der Verkehrsbedeutung übereinstimmt; denn die Rechtsordnung hat keinen Anlaß, den Beteiligten eine andere Bedeutung der Erklärung aufzunötigen als die, die sie heide gemeint haben; 45 maßgeblich ist allein die privatautonome Gestaltung durch die Parteien; es gibt keinen Grund, 41 RG, Vrt. v. 29.10.1907 III 151/07 = RGZ 86, 427 (429); RG, Vrt. v. 8.6.1920 - II 549/19 = RGZ 99, 147; BGH, Vrt. v. 23.2.1956 - 11 ZR 207/54 = BGHZ 20, 109 (110) = NJW 1956,665; BGH, Vrt. v. 14.3.1956 - VI ZR 336/54 = LM § 157 BGB (Gt) Nr. 2; BGH, Vrt. v. 27.10.1972 - V ZR 20/71 = WM 1972, 1422 (1424); BGH, Vrt. v. 13.7.1973 - V ZR 186/71 = DB 1973, 1791 (1792); BGH, Vrt. v. 18.3.1975 - VI ZR 228/73 = LM § 133 BGB (D) Nr.7 = MDR 1975,747; BGH, Vrt. v. 15.3.1978 - VIII ZR 180/76 = BGHZ 71,75 (77) = NJW 1978, 1050; BGH, Vrt. v. 26.4.1978 - VIII ZR 236/76 = BGHZ 71, 243 (247); BGH, Vrt. v. 10.7.1981 - V ZR 51/80 = NJW 1982,31; BGH, Vrt. v. 26.10.1983 - IVa ZR 80/82 = IR 1984, 192 = NJW 1984, 721. Brox, AT, Rn. 131; Flurne, AT II, § 16, 3a, S. 308; Keyrner, S. 84; Larenz, AT, § 19 11 a, S. 338; Medicus, AT, Rn. 327; Rn. 745; E. Wolf, AT, § 9 A 11 b; Wieser, JZ 1985, 407. 42 Soergel / Heferrnehl § 133 Rn. 17. 43 Soergel / Heferrnehl § 133 Rn. 17; s. o. 44 Ebenso Reinicke JA 1980,455. 45 Larenz, AT, § 19 IIa, S. 338; Wieser JZ 1985,407 (408).

138

III. Inhaltsennittlung

bei übereinstimmendem Verständnis der Parteien die Privatautonomie des Erklärenden einzuschränken. Nur wenn der Empfänger die Willenserklärung subjektiv anders versteht als der Erklärende, bedarf es der objektiv-normativen Auslegung, um die Privatautonomie des Empfängers gegenüber der des Erklärenden in einen gerechten Ausgleich zu bringen. Das hat methodisch zur Folge, daß im Prozeß auch bei der Auslegung der einzelnen empfangsbedürftigen Willenserklärung, auch der Vertragserklärung, immer zuerst das subjektive Verständnis der Parteien zu ermitteln und zu vergleichen ist und nur, wenn insoweit eine Diskrepanz besteht, eine objektiv-normative Auslegung vorzunehmen ist; denn wenn das subjektive Verständnis der Parteien übereinstimmt, ist für eine abweichende Auslegung des Vertragswortlauts kein Raum mehr. 46 Aber auch wenn ein subjektives Verständnis eines Beteiligten zu ermitteln ist, besteht zunächst eine Vermutung dafür, daß dieses mit der Verkehrsauffassung übereinstimmt; wer ein abweichendes subjektives Verständnis behauptet, hat dies zu beweisen. Dabei ist der Indizwert der Selbstinterpretation einer Partei nicht allzuhoch anzusetzen; ihr kann vor allem dann Bedeutung zukommen, wenn sie dem eigenen Interesse zuwiderläuft oder in engem zeitlichen und sachlichen Zusammenhang mit der auszulegenden Erklärung steht. 47 Das gilt auch im Rahmen der Amtsermittlung im Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit; außerdem trägt auch dort die objektive Feststellungslast für ein von der allgemeinen Verkehrsbedeutung abweichendes subjektives Verständnis derjenige, der sich auf dieses Verständnis beruft. ö) "Falsa demonstratio non nocet" als Anwendungsfall

subjektiver Auslegung

Der Satz, daß auch empfangsbedürftige Willenserklärungen bei übereinstimmendem Parteiverständnis nicht normativ-objektiv, sondern subjektiv auszulegen sind, ist der eine Teil des Anwendungsbereichs des Satzes "falsa demonstratio non nocet". Diese Regel hat zwei völlig verschiedene Anwendungsbereiche. Zum einen soll sie den hier vorliegenden Fall der subjektiven Auslegung empfangs bedürftiger Willenserklärungen bei übereinstimmendem Verständnis der Parteien erklären helfen; zum anderen soll eine unrichtige Falschbezeichnung Formgebote überwinden können. Diese beiden Fälle haben ihrer Struktur nach nichts miteinander gemeinsam und müssen daher auch in ihrem jeweiligen Zusammenhang untersucht werden. 48 Worauf gründet sich nun dieser Satz, daß eine Falschbezeichnung unschädlich sei? Er ist nicht aus einer Gesetzesnorm abgeleitet wie etwa das Verbot des 46 BGH, Urt. v. 28.2.1962 VIII ZR 250/61 = LM § 133 BGB (B) Nr. 7; Soergel/ Hefennehl § 133 Rn. 18. 47 Soergel / Hefennehl § 133 Rn. 18; Lüderitz, S. 337. 48 Bernard S. 95 ff.; Wieling Jura 1979,524; Wieser JZ 1985,407 (408).

3. Auslegungsmaßstab

139

venire contra factum proprium aus § 242 BGB. Es handelt sich auch nicht um einen verbindlichen Satz des römischen und gemeinen Rechts, der seine Bedeutung mit Inkrafttreten des Bürgerlichen Gesetzbuches beibehalten hätte; im römischen Recht gab es zwar einen Satz dieses Wortlauts, jedoch nur im Vermächtnisrecht und mit der viel eingeschränkteren Bedeutung, daß bei der Bestimmung des vermachten Gegenstandes eine zusätzliche, der richtigen Bezeichnung entgegenstehende falsche Bezeichnung nicht schade; im gemeinen Recht hatte die Regel gar keine feste Bedeutung mehr. Es handelt sich auch nicht um Gewohnheitsrecht mangels der dafür erforderlichen opinio iuris necessitatis, denn die Regel war immer umstritten. 49 Vielmehr liegt der Geltungsgrund dieses Satzes in der Wertung des Gesetzes zugunsten der Privatautonomie, wie sie zum Beispiel in § I 16ff. BGB zum Ausdruck kommt; dort werden sowohl die selbstbestimmte Rechtsgestaltung des Erklärenden als auch das Vertrauen des Empfängers als schützenswerte Rechtsgüter anerkannt. In den Fällen der falsa demonstratio hat zwar der Erklärende objektiv etwas anderes erklärt, als er subjektiv gewollt hat, der Empfänger hat aber erkannt, was der Erklärende gewollt hat; es besteht also gar kein Vertrauen des Empfängers in einen objektiven Erklärungswert, ein Vertrauensschutz ist daher hier überflüssig. 50 Das ist aber genau die Wertung des Gesetzes, die auch ohne "falsa demonstratio non nocet" bereits zu der subjektiven Auslegung geführt hat. Die Regel von der unschädlichen Falschbezeichnung ist daher hier unnötig, aber auch unschädlich. 51 Angesichts dieser Wertung des Gesetzes bedarf es des Satzes von der unschädlichen Falschbezeichnung nicht einmal dann, wenn man mit der Eindeutigkeitstheorie die Verkehrsbedeutung der Erklärung als Auslegungsgrenze ansieht. Noch deutlicher wird die Funktionslosigkeit dieses Satzes auf der Auslegungsebene aber dann, wenn man einen inhaltlich neutralen Auslegungsgegenstand zugrunde legt und die Auslegung auch nicht über eine Eindeutigkeit auf die Verkehrsbedeutung begrenzt; dann ist die Falschbezeichnung unschädlich weniger deshalb, weil der Empfänger, wenn er den Erklärenden richtig verstanden hat, weniger schutzwürdig wäre, sondern vielmehr, weil der Wortlaut der Erklärung zunächst ja inhaltlich neutral ist und erst mit einer bestimmten Bedeutung angefüllt werden muß; das ist auch bei einer objektiv-normativen Betrachtung grundsätzlich nicht die Verkehrsbedeutung, sondern die Bedeutung, die aus der Sicht des Empfängers als die vom Erklärenden gemeinte zu verstehen war. 52 Bei übereinstimmendem Verständnis der Parteien wird der Wortlaut eben mit der von den Parteien verstandenen Bedeutung angefüllt. Von einer falsa oder recta demonstratio kann also danach eigentlich gar keine Rede sein. 53 "Falsa demonstratio non nocet" besagt Wieling Jura 1979, 524 (526 f.). Medicus, AT, Rn. 327; Wieling Jura 1979,524 (526). 51 M. Reinicke JA 1980,458; Scherer, S. 81; Wieling Jura 1979,524. 52 Prozessual gilt zwar eine Vermutung für die Verkehrsbedeutung, diese kann aber widerlegt werden; s. o. 53 Soergel/ Hefermehl § 133 Rn. 17. 49

50

140

III. Inhaltsennittlung

daher nichts anderes als Anwendung eines subjektiven Auslegungsmaßstabs; wann dieser eingreift, bestimmt sich aber nach den allgemeinen Regeln. Diese Grundsätze greifen nicht nur dann ein, wenn etwas anders als der objektiven Verkehrsbedeutung entsprechend erklärt wurde, also die Erklärung und die Verkehrsbedeutung qualitativ nicht übereinstimmen, sondern auch dann, wenn die objektive Verkehrsbedeutung quantitativ über das subjektiv Gewollte hinausgeht oder aber dahinter zurückbleibt. Erfaßt sind damit vor allem auch Fälle, in denen die objektive Verkehrsbedeutung gegenüber dem subjektiv Gewollten eine "Lücke" aufweist (sofern es sich noch um eine einheitliche Willenserklärung handelt). Diese Lücke ist im Weg der erläuternden, nicht der ergänzenden Auslegung zu schließen, weil es sich hier um ein Defizit in der Rechtsfolgenanordnung der Willenserklärung, nicht auf der Tatbestandsseite der Willenserklärung handelt. Die ergänzende Auslegung käme demgegenüber erst zum Zuge, wenn ein Fehler im Vorfeld der Willensbildung den Geschäftswillen lükkenhaft machte. Sofern die erläuternde Auslegung nach einem subjektiven Maßstab vorgeht, weil es keinen Empfänger gibt oder beide Parteien dasselbe verstanden haben, kann es durch Auseinanderfallen von subjektivem Verständnis und objektiver Verkehrsbedeutung ein Defizit des Erklärten gegenüber dem Gewollten nicht geben; denn als maßgeblich erklärt wird ja gerade das Gewollte ermittelt. Auch hier ist es nicht entscheidend, ob man dazu den Grundsatz der unschädlichen Falschbezeichnung heranzieht oder nicht. 54 Haben die Parteien einer empfangsbedürftigen Willenserklärung einander nicht verstanden und greift darum eine objektiv-normative Auslegung ein, so ist eine Lücke in dem Sinne, daß der maßgebliche Geschäftswille quantitativ hinter dem subjektiven Geschäftswillen zurückbleibt, im Wege der Anfechtung geltend zu machen. Auch hier geht also nicht etwa eine ergänzende Auslegung der Anfechtung vor. Auch für die ergänzende Auslegung gilt nämlich in gleicher Weise wie für die erläuternde Auslegung der Vorrang der Selbstbestimmung gegenüber der Selbstverantwortung hinsichtlich der Privatautonomie des Erklärenden und ebenso die Berücksichtigung der Privatautonomie des Empfängers im Wege einer Fremdverantwortung des Erklärenden gegenüber dem Empfänger, die sich in einem Vertrauensschutz äußert. Eine ergänzende Auslegung in der Weise, daß bei quantitativem Defizit des objektivnormativ maßgeblichen gegenüber dem subjektiven Geschäftswillen gefragt würde, was der Erklärende erklärt hätte, wenn er das Defizit erkannt hätte, würde letztlich wieder zu einer subjektiven Auslegung führen, also Privatautonomie des Erklärenden und Privatautonomie des Empfängers nicht durch gegenseitige Fremdverantwortung zu einem Ausgleich bringen, sondern der Privatautonomie des Erklärenden den Vorrang eimäumen; das würde aber gegen die Wertung des Gesetzes verstoßen, wonach die Privatautonomie der Parteien, die an einer Rechtsbeziehung in gleicher Weise unmittelbar beteiligt sind, gleichen Stellenwert genießt. Das bedeutet, daß es in den Fällen objektiv-normativer Auslegung, 54

Vgl. z. B. BGH, Besehl. v. 9.4.1981 -

IV a ZB 4/80 = BGHZ 80, 242.

3. Auslegungsmaßstab

141

in denen die objektive Bedeutung quantitativ hinter dem subjektiven Geschäftswillen zurückbleibt, bei dem im Wege der erläuternden Auslegung ermittelten objektiv-normativen Verständnis bleibt; der Erklärende wird in seiner Privatautonomie aber insoweit hinreichend geschützt, als auch diese Bedeutung ihm zuzurechnen sein muß und er die Möglichkeit der Anfechtung hat. Eine ergänzende Auslegung kann daher, soweit es um Lücken des Geschäftswillens geht, nur noch dann in Betracht kommen, wenn dem ein Fehler in der Willensbildung zugrundeliegt, es sich also um einen Motivirrtum handelt. 55 Das zur falsa demonstratio Gesagte gilt gleichermaßen bei unbewußtem und bewußtem Abweichen der gemeinten von der objektiv-normativen Bedeutung. Zum Teil wird allerdings angenommen, bei bewußter Falschbezeichnung sei diese nicht unschädlich gemäß dem Satz "falsa demonstratio non nocet" oder nach allgemeinen Auslegungsregeln, sondern es liege ein Scheingeschäft im Sinne von § 117 BGB vor. 56 Das setzt allerdings voraus, daß Erklärungsbewußtsein und Geschäftswille in eins gesetzt werden 57, denn § 117 BGB betrifft nicht den Fall, daß ein anderer Inhalt ein und desselben Rechtsgeschäfts gewollt ist, sondern daß dieses Rechtsgeschäft überhaupt nicht gewollt ist, allenfalls ein anderes, verdecktes Rechtsgeschäft; also einen Fall des fehlenden Erklärungsbewußtseins, während es hier bei der Auslegung um den Geschäftswillen geht (s.o.). Sofern man Erklärungsbewußtsein und Geschäftswillen unterscheidet, ist daher auch bei bewußter Falschbezeichnung nicht der Anwendungsbereich des § 117 BGB eröffnet. 58 Für die Frage, wie der Empfänger den Erklärenden verstehen mußte und verstanden hat, ist es aber unerheblich, ob der Erklärende von der objektiven Bedeutung abgewichen ist oder nicht und ob er dies bewußt getan hat oder nicht; entscheidend ist allein das Verständnis des Empfängers; auch eine bewußte Falschbezeichnung steht also einer subjektiven Auslegung im Sinne des wirklich Gewollten nicht entgegen. 59 Zwischen den beiden Auffassungen besteht allerdings kein praktischer Unterschied: Wendet man die allgemeinen Auslegungsgrundsätze an, so führt die subjektive Auslegung zu dem von beiden Parteien übereinstimmend gemeinten Inhalt; über § 117 11 BGB ergibt sich bei der Gegenansicht dasselbe Ergebnis.

S. U. Flume, AT H, § 16 lid, S. 301; Soergel/Hefermehl § 133 Rn. 17; Wieser JZ 1985,407. 57 So auch Soergel / Hefermehl vor § 116 Rn. 17. 58 Staud/Di1cher, § 119 Rn. 13; Pal / Heinrichs § 117 Anm. 2a; RGRK/ Krüger-Nieland/ Zöller § 133 Rn. 7; § 119 Rn. 20 ff.; § 125 Rn. 9. 59 Auch auf die Fallgruppen, die z. B. Reinicke JA 1980,455 (457) und Wieling Jura 1979,524 gebildet haben, kommt es aus diesem Grund nicht an. 55

56

142

III. Inhaltsennittlung

b) Verfügungen von Todes wegen Auch Verfügungen von Todes wegen sind zunächst prinzipiell subjektiv auszulegen, weil auch hier inhaltlich derartig viele Gestaltungsmöglichkeiten bestehen, daß der Erblasser hierfür nicht die Verantwortung übernehmen kann, und deshalb die Selbstbestimmung die Selbstverantwortung verdrängt. Auch hier kann aber die Privatautonomie des Erblassers begrenzt werden durch eine Fremdverantwortung gegenüber der Privatautonomie eines Geschäftspartners, die sich in einem Vertrauensschutz äußert. Dieser Vertrauensschutz ist unterschiedlich stark zu berücksichtigen, je nachdem, ob es sich um einseitige Testamente, Erbverträge oder gemeinschaftliche Testamente von Ehegatten handelt. aa) Testament Beim Testament stehen nur die Interessen des Erklärenden auf dem Spiel, hier gibt es keine Person, deren Privatautonomie eine Einschränkung der Privatautonomie des Erblassers rechtfertigen könnte. a) Subjektive Auslegung

Testamente sind keine empfangsbedürftigen Willenserklärungen, 60 so daß kein Empfänger auf einen bestimmten Testamentsinhalt vertrauen kann. Erklärungsempflinger ist insbesondere nicht die Urkundsperson, denn zwischen ihr und dem Erblasser werden ja durch das Testament keine Rechtsbeziehungen begründet; es kommt daher auch für die Auslegung des Testaments nicht auf das subjektive oder objektiv-normative Verständnis des Notars an 61 (der Notar kann aber als Zeuge zur Aufklärung des Erblasserverständnisses im Prozeß beitragen). Empfänger des Testaments ist auch nicht etwa der Bedachte; auch dessen Privatautonomie wird durch das Testament nicht beeinträchtigt. Hierfür ist allerdings nicht entscheidend, daß die testamentarisch Bedachten unentgeltlich erwerben. 62 Bei der Entgeltlichkeit oder Unentgeltlichkeit handelt es sich nämlich nur um ein wirtschaftliches, kein rechtliches Kriterium; wirtschaftliche Interessen werden aber vom Recht grundSätzlich nur anerkannt, wenn sie in rechtliche Kriterien gegossen werden. Ein solches rechtliches Kriterium wäre die privatautonome Gestaltungsfreiheit der Bedachten, die ja auch der Verfolgung wirtschaftli60 Brox, AT, Rn. 129; Pal / Edenhofer § 2084Anm. 1a; Leipold, ErbR,Rn. 280; Medicus, AT, Rn. 322; Schlüter § 22 I 3b, S. 122. 61 BGH, Vrt. v. 23.4.1951 IV ZR 17/51 = MDR 1951, 474; BGH, Vrt. v. 21.12.1960 - V ZR 54/60 = DNotZ 1961, 396; KG, Beschl. v. 21.6.1954 - 1 W 1948/54 = DNotZ 1955,408 (411). 62 So aber Brox, AT, Rn. 129; Brox, ErbR, Rn. 195; Brox, Irrtumsanfechtung, S. 137; Brox JZ 1966,761 (765); Brox JA 1984,549 (552); Keymer, S. 3; S. 86; Schlüter § 22 I 3a, S. 122; Schmidt, Motivirrtum, S. 20; Oertmann, Geschäftsgrundlage, S. 90.

3. Auslegungsmaßstab

143

cher Zwecke dienen kann; nur auf diese kommt es also an. Sie ist hier aber nicht beeinträchtigt. Da der Erblasser das Testament gemäß § 2253 I BGB jederzeit grundlos widerrufen kann und uneingeschränkte Testierfreiheit hat, § 2302 BGB, kann der Bedachte sich nicht darauf verlassen, daß das Testament jemals auf seine Rechtsverhältnisse einwirkt; 63 er erlangt keinerlei Anspruch,64 auch keine Anwartschaft auf die testamentarische Verfügung oder aus der testamentarischen Verfügung. 65 Auch nach der gesetzlichen Wertung hat die privatautonome Entfaltung des Erblassers Vorrang vor den Interessen des Bedachten. Sie kommt, außer in § 2253 I und § 2302 BGB, zum Beispiel zum Ausdruck in § 2078 11 BGB, wo über § 11911 und § 123 BGB hinaus jeder Motivirrtum des Erblassers berücksichtigt wird; überdies wird die Testamentsanfechtung nur von der subjektiven Kenntnis des Erblassers, nicht wie in § 119 I BGB von einer verobjektivierenden verständigen Würdigung des Falles abhängig gemacht. 66 Die Testamentsanfechtung führt gemäß § 2078 III BGB auch nicht zu einer Schadensersatzpflicht. Nach dieser Wertung des Gesetzes wird also das Vertrauen des Bedachten anders als bei empfangsbedürftigen Rechtsgeschäften unter Lebenden, wo die Anfechtungsvorschriften Privatautonomie des Erklärenden und Privatautonomie des Empfängers als gleichberechtigte Schutzgüter miteinander harmonisieren beim Testament nicht als schützenswert angesehen. 67 Dem könnte entgegengehalten werden, daß erweiterte Anfechtungsmöglichkeiten nur sinnvoll sind, wenn dem Erblasserwillen nicht schon bei der Auslegung Rechnung getragen wird, was erst recht für einen objektiveren Auslegungsmaßstab bei der Testamentsauslegung sprechen könnte. Dennoch liegt dieser gesetzlichen Regelung - strukturgerecht - die Wertung zugrunde, der Privatautonomie des Erblassers den Vorrang einzuräumen, da die Privatautonomie des Bedachten nicht beeinträchtigt ist und daher die des Erblassers nicht zu begrenzen vermag; daß aufgrund dieser Wertung hauptsächlich das Anfechtungsinstrumentarium gegenüber Rechtsgeschäften unter Lebenden erweitert wurde, liegt vor allem daran, daß die Rechtsgeschäftslehre und vor allem die Auslegungstechnik in den Anfangszeiten des BGB noch nicht so entwickelt waren wie heute und daher aus der damaligen Sicht die Anfechtung als der geeignetste Weg angesehen wurde. 68 Auch wenn die Ansätze des Bürgerlichen Gesetzbuches zu Auslegung 63 Leipold, ErbR, Rn. 280; Staud/Otte vor §§ 2064-2086 Rn. 5; Schlüter § 22 13, S.122. 64 Leipold, ErbR, Rn. 326. 65 S. O. 66 Brox, Irrtumsanfechtung, S. 137; Brox, ErbR, Rn. 195; Pal/ Edenhofer § 2078 Anm. 2a; Lange/Kuchinke § 35 11 b, S. 607 f.; Schlüter § 22 I 3b, S. 122; § 24 I 3d, S.145. 67 Brox, Irrtumsanfechtung, S. 137; Brox, ErbR, Rn. 194; Soergel/Darnrau § 2084 Rn. 5; Staud/ Dilcher §§ 133, 157 Rn. 32; Flume, AT II, § 16,5, S. 331; Flume, Festschr. Juristentag, S. 190; Pal / Heinrichs § 133 Anm. 4 e; Keuk S. 23; Lange / Kuchinke § 35 11 b, S. 607; Medicus, AT, Rn. 322; Staud/Otte vor §§ 2064-2086 Rn. 5. 68 Brox, Irrtumsanfechtung, S. 141.

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III. Inhaltsennittlung

und Anfechtung durch die fortgeschrittene Dogmatik heute in manchem unvollständig oder obsolet geworden sind, so bleibt doch die Wertung des Gesetzes, die diesen Ansätzen zugrundeliegt, auch für die heutige Rechtsanwendung verbindlich. Aus demselben Grund (und nicht etwa nur deswegen, weil ein Anwendungsbereich für die Anfechtung auch bei subjektiver Auslegung in dem Fall bliebe, in dem nur ein Irrtum des Erblassers ermittelt werden kann, nicht aber positiv das wirklich Gewollte 69) ist die Gefahr, daß durch einen subjektiven Auslegungsmaßstab die Anfechtung überflüssig wird, kein Argument gegen die subjektive Auslegung. 70 Der privatautonomen Entfaltung des Erblassers steht hier auch nicht die Privatautonomie des Anfechtungsberechtigten entgegen. Der Anfechtungsberechtigte hat zwar, anders als der Bedachte, ein rechtliches, nicht nur ein wirtschaftliches Interesse an der letztwilligen Verfügung; die Privatautonomie des Anfechtungsberechtigten ist jedoch nicht im Wege des Vertrauensschutzes zu verwirklichen, sie geht vielmehr nur dahin, daß seine durch die privatautonome Gestaltungsfreiheit des Erblassers jederzeit zerstörbare Position jedenfalls nur durch eine wirklich privatautonom, das heißt insbesondere in Selbstbestimmung gesetzte Willenserklärung des Erblassers wieder zerstört wird. Das Interesse des Anfechtungsberechtigten steht der privatautonomen Entfaltung des Erblassers also nicht entgegen, sondern ist ebenfalls gerade auf uneingeschränkte privatautonome Gestaltung durch den Erblasser gerichtet. 71 Es gibt also beim Testament niemanden außer dem Erblasser, dessen privatautonome Gestaltungsfreiheit durch das Testament so unmittelbar berührt wäre, daß er in seinem Vertrauen auf einen bestimmten Inhalt des Testaments zu schützen wäre. Wegen dieses fehlenden Vertrauensschutzes ist daher ein Testament rein subjektiv auszulegen und unabhängig von einem Empfängerhorizont nur nach dem Verständnis des Erblassers zu fragen; die privatautonome Gestaltung durch den Erblasser kommt hier (abgesehen von der Formfrage) voll zum Tragen. 72 Auch § 2084 BGB zeigt schließlich das Bestreben des Gesetzgebers, ebenso wie § 2085 BGB, dem individuellen Erblasserwillen möglichst zum Erfolg zu verhelfen. 73 69 70

So z. B. Brox, Irrtumsanfechtung, S. 99.

A. A. Lehmann/Hübner, AT, § 30 VI 2, S. 210.

71 S. o. Einem weitergehenden Einfluß des Prinzips der Verwandtenerbfolge auf Anfechtung und Auslegung (vgl. dazu Lange IhJb 82, 1 (7 ff.); Leipold AcP 180, 160) steht der Vorrang der Testierfreiheit entgegen, der in dem dispositiven Charakter der gesetzlichen Erbfolge zum Ausdruck kommt; Kipp / Coing § 16, S. 109 ff.; Weiter S. 62 f. 72 BGH, Urt. v. 8.12.1982 IVa ZR 94/81 - BGHZ 86, 41 (45); Brox, AT, Rn. 129; Brox, ErbR, Rn. 195; Brox, Irrtumsanfechtung, S. 99; Pal / Edenhofer § 2084 Anrn. 1a; Soergel / Hefennehl § 133 Rn. 11; Rn. 48; Pal / Heinrichs § 133 Anrn.4e; Leipold, ErbR, Rn. 280; Jauemig / Stümer § 2084 Anm. 2 a.

3. Auslegungsmaßstab

145

ß) Widerruf Dem entspricht es, wenn Testamente - wie nicht empfangsbedürftige Willenserklärungen unter Lebenden auch - frei widerruflich sind, § 2253 BGB; die Privatautonomie des Erklärenden gebietet es, daß der Erblasser sich nicht nur in eine Rechtsbeziehung begeben, sondern diese auch wieder ohne Beschränkung auf Anfechtungsgründe, Fristen etc. lösen kann, wenn wie hier die Privatautonomie anderer nicht entgegensteht. y) Anfechtung

Ebenso macht allerdings die Widerrufsmöglichkeit die Selbstanfechtung wegen Inhalts- und Erklärungsirrtums überflüssig; die Fremdanfechtung wegen Inhaltsund Erklärungsirrtums ist angesichts des subjektiven Auslegungsmaßstabs ebenfalls gegenstandslos. Der uneingeschränkten Herrschaft der Privatautonomie des Erklärenden wird vom Gesetz weiterhin durch die volle Anerkennung des MotiErklärenden wird vom Gesetz weiterhin durch die volle Anerkennung des Motivirrtums als Anfechtungsgrund in § 2078 11 BGB Rechnung getragen: Die Beauf einem Ausgleich zwischen Privatautonomie des Erklärenden und Privatautonomie des Empfängers, der hier ebenso wie bei nicht empfangsbedürftigen Willenserklärungen unter Lebenden nicht angezeigt ist. Der Motivirrtum wird auch von der erläuternden Auslegung noch nicht erfaßt; er ist jedoch nichts anderes als eine ,,Lücke" in dem Gesamtkonzept des Testaments und kann daher über die ergänzende Auslegung berücksichtigt werden. Auch die ergänzende Auslegung geht aber, wenn sich ein entsprechender positiver Erblasserwille feststellen läßt, der Anfechtung vor. 74 Damit hat die Anfechtung beim Testament weitgehend ihren direkten Anwendungsbereich verloren; 75 das entspricht ihrer prinzipiellen Funktion, das Irrtumsrisiko zwischen gleichberechtigten Partnern auszubalancieren, was beim Testament nicht vorkommen kann. Sie behält ihre Bedeutung aber als Ausdruck der gesetzlichen Wertung zugunsten der Selbstbestimmung des Erblassers und damit die direkte Anwendung im Fall des Motivirrtums, wenn eine positive Regelung nicht gefunden werden kann, sowie die entsprechende Anwendung bei fehlendem Erklärungsbewußtsein. Ö) "Falsa demonstratio non nocet" als Anwendungsfall

subjektiver Auslegung

Angesichts des subjektiven Auslegungsmaßstabs ist beim Testament auch kein Raum für eine Anwendung des Satzes "falsa demonstatio non nocet". Zum einen ermittelt die Auslegung, einen inhaltlich neutralen Auslegungsgegenstand zu73

74 75

Brox, Irrtumsanfechtung, S. 137. S. o.

So auch Lange / Kuchinke § 33 III 3 b, S. 569.

10 Stumpf

146

III. Inhaltsennittlung

grundegelegt, überhaupt erst die eine, einzig maßgebliche Bedeutung der Willenserklärung, so daß von einer falsa oder recta demonstratio gar nicht gesprochen werden kann; zum anderen bedeutet der Satz von der unschädlichen Falschbezeichnung nichts anderes als eine gesetzliche Wertung zugunsten der Privatautonomie des Erklärenden, der mit dem subjektiven Auslegungsmaßstab ohnehin schon umfassend Rechnung getragen wird. Nach diesen allgemeinen Grundsätzen entscheidet sich auch die Streitfrage, ob die Fälle der falsa demonstratio durch Auslegung oder im Wege der Anfechtung zu lösen sind. Nach der hier vertretenen Auffassung kommt nur die Auslegung in Betracht, 76 die angesichts des beim Testaments geltenden subjektiven Auslegungsmaßstabs die vom Erblasser gemeinte Bedeutung als maßgeblichen Inhalt der Willenserklärung zu ermitteln hat; ob dieser Erklärung daneben noch eine Verkehrsbedeutung, nach sonstigem Sprachgebrauch des Erblassers oder anderen Maßstäben noch eine andere Bedeutung zukommen könnte, ist angesichts der hier allein entscheidenden Privatautonomie des Erblassers unerheblich und kann seine "demonstratio" nicht richtig oder falsch machen; die vom Erblasser gemeinte Bedeutung gilt vielmehr allein kraft seiner Privatautonomie und innerhalb dieser aufgrund der Selbstbestimmung. Die Selbstverantwortung begründet lediglich eine prozessuale Vermutung dafür, daß subjektives Verständnis des Erblassers und Verkehrssprachgebrauch sich decken; diese Vermutung kann aber widerlegt werden. Die Gegenansicht 77 kann in einzelnen Fällen zur Anfechtung nur dann kommen, wenn die Falschbezeichnung in diesen Fällen nicht als unschädlich angesehen wird, was verschiedene Differenzierungen notwendig macht, zum Beispiel ob der Erblasser einem bestimmten Sondersprachgebrauch folgt oder nicht oder ob die Falschbezeichnung absichtlich oder unabsichtlich geschieht. All das setzt wiederum voraus, daß es Falschbezeichnungen im Gegensatz zu richtigen Bezeichnungen überhaupt geben kann, daß also der gemeinten Bedeutung eine objektiv "richtige" (im Sinne des Verkehrs sprachgebrauchs) gegenübergestellt wird; vorausgesetzt wird also ein inhaltlich bereits fixierter Auslegungsgegenstand im Sinne der Verkehrsbedeutung. Spezifische "falsa demonstratio"-Fälle setzen also die Eindeutigkeitstheorie voraus. Abgesehen von den strukturellen Bedenken, die dagegen bereits vorgebracht wurden, scheint diese Verschachtelung von Theorien mit jeweiligem Ausnahmecharakter das Verfahren doch unnötig zu komplizieren: Betrachtet man, wie es oft geschieht, die Auslegung vom 76 Ebenso Bernard S.98; Brox, Irrtumsanfechtung, S. 111; Brox, ErbR, Rn. 197; Soergel / Darnrau § 2084 Rn. 9; Pal / Edenhofer § 2078 Anm. 1; § 2084 Anm. 1 b; Flume, AT 11, § 16, 5, S.332 (335); § 21, 10, S.430; Flume NJW 1983, 2007; Häsemeyer, Fonn, S. 125 ff.; Soergel/ Hefennehl § 133 Rn. 24; Kramer, Grundfragen, S. 140 f.; v. Lübtow, ErbR I, S. 267; Lüderitz S. 183 ff. 77 Foer, Falsa demonstratio, S.68; Larenz, AT, § 1911 c, S. 343 f.; MK/Leipold § 2084 Rn. 16.

3. Auslegungsmaßstab

147

Empfangerhorizont als Grundsatz, die subjektive Testamentsauslegung als Ausnahme, davon die Nichtzulässigkeit der Auslegung bei Eindeutigkeit als Ausnahme und wiederum die unschädliche Falschbezeichnung als Ausnahme von der Eindeutigkeitsregel, und bedenkt man die Vielzahl der Fallgruppen, Abgrenzungen und Differenzierungen, die mit jedem dieser Schritte verbunden sind, so ist die Unübersichtlichkeit der Auslegungsdiskussion nicht mehr verwunderlich. Bei Verzicht auf das Vor-Urteil des inhaltlich fixierten Auslegungsgegenstandes und Beschränkung auf die allein maßgeblichen Beurteilungskriterien von Privatautonomie des Erklärenden und Privatautonomie des Empfangers (oder des anderen Ehegatten bei der wechselbezüglichen Verfügung im gemeinschaftlichen Testament), jeweils in ihrer Ausprägung von Selbstbestimmung und Selbstverantwortung, werden alle diese Merksätze und Theorien überflüssig. Nach den Erfahrungen der Vergangenheit konnte damit aber ohnehin keine dauerhafte Klarheit gewonnen werden, so daß dieser Abschied von Altvertrautem weniger als Verlust eines irgendwie hilfreichen Instrumentariums als vielmehr als Befreiung von unnötigem Ballast empfunden werden sollte. Eine etwas weniger variantenreiche, straffer gegliederte und auf allgemeingültigen Beurteilungskriterien statt auf vielerlei Einzelfallgruppierungen beruhende Auslegungsdoktrin kann bei besserer Transparenz des Systems auch zu gleichermaßen sachgerechten Ergebnissen gelangen. Nach dieser Auffassung ist allerdings bei der Testamentsauslegung immer die subjektive Ansicht des Erblassers maßgeblich, ob sie sich mit der Verkehrsbedeutung deckt oder nicht (Beweisbarkeit vorausgesetzt), oder, in der herkömmlichen Sprache, die Falschbezeichnung immer unschädlich. Dennoch wird auch hier Verkehrsschutzgesichtspunkten ausreichend Rechnung getragen, wenn auch nicht auf der Auslegungsebene, sondern bei der Formprüfung. Wegen dieser subjektiven Auslegung erschöpft sich also beim Testament die Problematik von Auslegung und Irrtum in der Überschneidung des Prinzips der Selbstbestimmung mit dem Formproblem. 78 bb) Erbvertrag Im Erbvertrag können die verschiedensten Verfügungen enthalten sein, für die je nach Ausmaß des zu beachtenden Vertrauensschutzes unterschiedliche Auslegungsmaßstäbe gelten können. a) Die einzelnen Verfügungen

Soweit im Erbvertrag Rechtsgeschäfte unter Lebenden enthalten sind, gelten die allgemeinen Grundsätze. Nicht empfangsbedürftige Willenserklärungen sind daher subjektiv, empfangsbedürftige Willenserklärungen objektiv auszulegen. 79 78 79

10"

Aume, AT 11, § 16, 5, S. 331. Brox, Irrtumsanfechtung, S. 160 ff.; Brox, ErbR, Rn. 217 ff.

148

ill. Inhaltsennittlung

Soweit im Erbvertrag einseitige Verfügungen von Todes wegen enthalten sind, sind diese nach Testamentsgrundsätzen subjektiv auszulegen, denn hier ist ein Vertrauensschutz des Vertragspartners nicht geboten; 80 dem entspricht die gesetzliche Regelung in § 2299 11 I BGB. Vertragsmäßige Verfügungen sind als empfangsbedürftige Willenserklärungen nach überwiegender Ansicht nach denselben Grundsätzen auszulegen wie empfangsbedürftige Willenserklärungen unter Lebenden; es gilt also wegen des Vorrangs der Selbstbestimmung gegenüber der Selbstverantwortung grundsätzlich ein subjektiver Auslegungsmaßstab, der auch bei übereinstimmendem Verständnis der Parteien zur Anwendung kommt, ansonsten wegen der wechselseitigen Fremdverantwortung gegenüber der Privatautonomie des Vertragspartners ein objektiv-normativer Auslegungsmaßstab mit Anfechtungsmöglichkeit. 81 Nach der gesetzlichen Wertung könnte der Vertrauensschutz des Empfängers hier aber einen geringeren Stellenwert haben als bei Rechtsgeschäften unter Lebenden; dafür spricht ~ie uneingeschränkte Anfechtungsmöglichkeit wegen Motivirrtums nach § 2281 I i. V. m. § 2078 11 BGB, die nicht erforderliche verständige Würdigung, sowie der gemäß § 2281 i. V. m. § 2078 III BGB entfallende Schadensersatz (bei Fremdanfechtung, s.o.). In der Tat bekommt nach dieser gesetzlichen Wertung die Privatautonomie des Erblassers größeres Gewicht gegenüber der Privatautonomie des Empfangers, das prinzipielle Gleichgewicht zwischen beiden wird also bei letztwilligen Verfügungen zugunsten des Erblassers verschoben. 82 Diese Wertung findet aber nicht auf der Auslegungsebene, sondern erst auf der Anfechtungsebene statt; das ist auch systemgerecht, denn erst auf der Anfechtungsebene wird der endgültige Ausgleich zwischen Privatautonomie des Erklärenden und Privatautonomie des Empfängers hergestellt, dort sind folglich auch diese Nuancen zu berücksichtigen. Die Grundsätze von Privatautonomie des Erklärenden und Fremdverantwortung gegenüber der Privatautonomie des Empfängers selbst, wie sie die Auslegungsebene bestimmen, werden durch diese ,,Feinabstimmung" des Gesetzes noch nicht berührt.

ß) Insbesondere: Unentgeltliche Verträge Zum Teil wird weiterhin zwischen entgeltlichen und unentgeltlichen Verträgen unterschieden. 83 Demnach sollen die für empfangsbedürftige Willenserklärungen 80 Brox, Irrtumsanfechtung, S. 160 ff.; Brox, ErbR, Rn. 218; Keymer, S.85; MK 1 Leipold § 2084 Rn. 22; Schlüter § 25 VII I, S. 167. 81 BGH, Urt. v. 28.5.1958 - IV ZR 328/57, bei Johannsen WM 1969, 1223; Kipp 1 Coing § 21 VII, S. 150 f.; Soergell Damrau § 2084 Rn. 22; Pal 1Edenhofer § 2084 Anm. la; MK/Leipold § 2084 Rn. 23; Schlüter § 22 I 3b, S. 123; Jauemig 1Stümer § 2084 Anm. 2a. 82 MK 1Leipold § 2078 Rn. 8.

3. Auslegungsmaßstab

149

unter Lebenden geltenden Auslegungsmaßstäbe nur bei entgeltlichen Erbverträgen anwendbar sein, da nur hier das Vertrauen des Partners schutzwürdig sei; unentgeltliche Erbverträge seien dagegen wie Testamente immer subjektiv auszulegen. Begründet wird dies mit der Wertung des Gesetzes, auch beim Erbvertrag grundsätzlich allein auf den Erblasserwillen abzustellen; dies komme vor allem in § 2281 BGB zum Ausdruck, wo für die Anfechtung eines Erbvertrages auf die Testamentsanfechtung verwiesen wird. In der Tat kann der Erblasser eine erbvertragsmäßige Verfügung unter denselben Gründen anfechten wie ein Testament, insb. auch wegen jeglichen Motivirrtums. Der Grund für diese Regelung muß aber nicht unbedingt mit den die Testamentsanfechtung tragenden Erwägungen, nämlich fehlendem Vertrauensschutz des Partners, übereinstimmen; vielmehr ist beim Erbvertrag das Vertrauen auf die Bestandskraft der Verfügung gerade typisch und oft entscheidend für die Wabl der Verfügungsform. 84 Überdies hat die Anfechtung eines Erbvertrages durch den Erblasser ebenso wie die Selbstanfechtung von Rechtsgeschäften unter Lebenden hauptsächlich den Zweck, dem Erblasser die Willensfreiheit wiederzugeben, die er durch die bindende Verfügung eingebüßt hatte (die vertragsmäßige Verfügung kann, anders als das Testament, nicht frei widerrufen werden!), während die Testamentsanfechtung demgegenüber vor allem den Zweck einer inhaltlichen Richtigkeitsgewähr hat, s. o. Wenn nun dennoch der Erbvertrag vom Erblasser aus denselben Gründen angefochten werden kann wie ein Testament, so kann das demnach nur eine prinzipielle Abschwächung der rechtlichen Bindung, letztlich eine Art eingeschränkte Widerruflichkeit, bedeuten, die ihre Rechtfertigung im Schutz der Testierfreiheit findet und insofern dem allgemeinen Mißbehagen des Gesetzes gegenüber jeglicher Bindung des Erblassers entspricht. 85 Das Gesetz kennt also ein Vertrauen des anderen Vertrags schließenden auf den Bestand des Vertrages, gewährt ihm aber einen geringeren Schutz gegenüber der Verfügungsfreiheit des Erblassers. 86 Dies alles gilt aber für entgeltliche und unentgeltliche Verfügungen gleichermaßen.

Auch bei Verträgen unter Lebenden werden empfangsbedürftige Willenserklärungen grundsätzlich objektiv-normativ ausgelegt (bei nicht übereinstimmendem Verständnis der Parteien) ohne Rücksicht auf die Entgeltlichkeit des Vertrages; für den Schenkungsvertrag gelten hinsichtlich des Auslegungsmaßstabs keine Ausnahmen gegenüber anderen empfangsbedürftigen Willenserklärungen, ebensowenig für Leihe oder unentgeltliche Verwahrung. Denn Grund des Vertrauensschutzes sind nicht wirtschaftliche Interessen, sondern das rechtliche Kriterium 83

Brox, Irrtumsanfechtung, S. 160 ff.; Brox, ErbR, Rn. 219; Lange / Kuchinke § 33

m 6 c, S. 575 f.

MK / Leipold § 2078 Rn. 8. MK / Leipold § 2078 Rn. 8. 86 MK/Musielak § 2281 Rn. 1; a. A. Dietz S. 85; Erman/Hense § 2279 Rn. 1 (ohne Begründung). 84

85

150

III. Inhaltsennittlung

der Privatautonomie des Empfängers, die immer dann zu berücksichtigen ist, wenn sie durch eine neue Rechtsbeziehung unmittelbar beeinträchtigt werden kann; das ist bei einer empfangs bedürftigen Willenserklärung immer der Fall, unabhängig davon, ob sie eine entgeltliche oder unentgeltliche Zuwendung oder überhaupt eine völlige andere Regelung enthält (zum Beispiel bei familienrechtlichen Willenserklärungen). Entscheidend ist allein die rechtliche Auswirkung auf die Handlungsfreiheit des Erklärungsempfängers, die bei der erbvertragsmäßigen Verfügung schon allein durch die vertragsmäßige Bindung besteht. 87 Vor allem aber bestehen gegen eine Anknüpfung an die wirtschaftlichen Konsequenzen des konkreten Vertrages für die Wahl des Auslegungsmaßstabs prinzipielle Bedenken. Zwar unterliegt die Auslegung, anders als die Tatbestandsermittlung, einer Interessen- und Risikoabwägung unter Vertrauensschutzgesichtspunkten; doch werden auch hier nur rechtlich relevante Interessen und Risiken abgewogen. Welche Interessen und Risiken rechtlich relevant sind, kann sich aber nur aus dem Gesetzeswortlaut, der Wertung des Gesetzes und aus der Struktur der Willenserklärung ergeben (grammatische, teleologische und systematische Auslegung des Gesetzes). Danach sind maßgeblich auf der Auslegungsebene allein die Privatautonomie des Erklärenden in Selbstbestimmung und Selbstverantwortung sowie die Privatautonomie des Empfängers, die eine gegenseitige Fremdverantwortung begründen, nicht aber objektive Vernunfterwägungen oder wirtschaft1iche Interessen (s.o.). Würde die Privatautonomie eines oder beider Beteiligter durch objektive Vernunfterwägungen oder rein wirtschaftliche, nicht vom Recht als relevant anerkannte Interessen eingeschränkt, so würde dies einen Verstoß gegen die Privatautonomie und somit einen Verstoß gegen die Wertung des Gesetzes bedeuten. Dabei kann auch ein auf diese Weise gewonnener subjektiver Auslegungsmaßstab (etwa bei einem unentgeltlichen Vertrag) gegen die Privatautonomie verstoßen, in diesem Fall gegen die Privatautonomie des Erklärungsempfängers. Außerdem bestehen auch praktische Bedenken wegen der Schwierigkeit, die wirtschaftliche Interessenbalance zwischen den Parteien objektiv zu bestimmen. Hier einen zusätzlichen Bewertungsspielraum durch den Richter zu eröffnen würde bedeuten, die ohnehin mit genügend Unwägbarkeiten versehene Auslegung privatautonomer Gestaltungen mit einem zusätzlichen Vorhersehbarkeitsrisiko zu belasten. Weiterhin gilt im streitigen Verfahren der Beibringungsgrundsatz, der Richter ist also auf das Tatsachenmaterial angewiesen, das die Parteien vorlegen. Im FGG-Verfahren gilt zwar gemäß § 12 FGG der Grundsatz der Amtsermittlung, doch faktisch ist auch hier der Richter bei der Feststellung der Tatsachen weitge87 Vgl. z. B. bei der Leihe die Verpflichtung des Entleihers nach § 601 BGB; bei der unentgeltlichen Verwahrung die Verpflichtung des Hinterlegers nach § 693 BGB, (dazu vgl. Staud / Reuter vor § 688 Rn. 3; Pal / Thomas vor § 688 Anm. 1;) bei der Schenkung § 528 BGB.

3. Auslegungsmaßstab

151

hend abhängig von der Information durch die Beteiligten. Eine Feststellung der wirtschaftlichen Interessenlage als Vorfrage der Auslegung würde daher auch den Verfahrensbeteiligten zusätzlichen Spielraum der prozessualen Einflußnahme eröffnen. Auch wenn die Entgeltlichkeit oder Unentgeltlichkeit eines Vertrages in vielen Fällen relativ einfach festzustellen sein wird, kann sich doch auch in dieser Frage bei entsprechendem Interesse heftiger Streit entzünden, der vermieden werden kann, wenn die Frage nicht entscheidungserheblich ist. Überdies wäre nicht einzusehen, warum bei grundsätzlicher Anerkennung wirtschaftlicher Kriterien diese auf die Entgeltlichkeit oder Unentgeltlichkeit des Vertrages beschränkt sein sollten und nicht zum Beispiel auch die Frage, ob ein Erbvertrag Versorgungscharakter hat oder eher einen Ausgleich für geleistete Dienste darstellen soll, für den Auslegungsmaßstab Berücksichtigung finden sollte; hier aufgrund allgemeingültiger Kriterien eine sachgerechte Abgrenzung der relevanten von den nicht relevanten wirtschaftlichen Gesichtspunkten zu finden, dürfte eher schwierig sein. Das alles bedeutet natürlich nicht, daß wirtschaftliche Kriterien wie Entgeltlichkeit oder Versorgungscharakter eines Vertrages überhaupt keine Rolle zu spielen hätten, nur können sie nicht den Auslegungsmaßstab bestimmen, sondern erst bei der eigentlichen Auslegung als Auslegungsmittel berücksichtigt werden. Es ist auch nicht zu befürchten, daß die Einzelfallgerechtigkeit aufs Spiel gesetzt würde, wenn eine empfangsbedürftige Willenserklärung in einem unentgeltlichen Vertrag grundsätzlich objektiv-normativ ausgelegt wird. Denn wenn das Gesetz in diesen Fällen einen Vertrag vorsieht im Gegensatz zu einer einseitigen Erklärung, hat dies unter anderem den Zweck, den Empfanger der unentgeltlichen Zuwendung vor ungewollten Zuwendungen zu schützen. Aus der Sicht des Empfangers ist es daher durchaus von Bedeutung, "was auf ihn zukommt", wenn er einen solchen Vertrag abschließt. Zwar hat der durch Erbvertrag eingesetzte Erbe immer noch dasselbe Ausschlagungsrecht wie der testamentarisch Bedachte oder der gesetzliche Erbe, doch ist dies nur ein letzter Notnagel, den die Parteien oft gerade vermeiden wollen, wenn sie den Erbvertrag statt des Testaments wählen. Außerdem schließt die Ausschlagung die Erbfolge völlig aus, kann aber nicht mehr zu einer Modifizierung im Sinne des abweichenden normativen Empfangerverständnisses führen. Der Empfanger kann allenfalls seine eigene Vertragserklärung anfechten, sofern er darin ebenfalls letztwillig verfügt hat (nicht die Erklärung des Erblassers, denn bei diesem ist ja im Fall subjektiver Auslegung kein Irrtum gegeben); auch diese Anfechtung kassiert aber nur, führt aber nicht zu der im Sinne objektiv-normativen Empfangerverständnisses richtigen Lösung. Hat der Empfänger selbst nicht letztwillig verfügt, ist der Motivirrtum, auf dem seine eigene Vertragserklärung beruht, unbeachtlich und überhaupt keine Anfechtung möglich. Dem könnte entgegengehalten werden, hier sei die Privatautonomie des Empfängers überbetont gegenüber der Privatautonomie des Erblassers, der vom Gesetz hier doch das größere Gewicht eingeräumt werde. Dagegen spricht,

152

III. InhaItsennittlung

daß die objektiv-nonnative Bedeutung nicht mit der subjektiven Empfängerbedeutung übereinstimmt, das Risiko eines Irrtums des Empfängers also bei diesem verbleibt, und im übrigen auch die objektiv-nonnative Bedeutung nur dann beachtlich ist, wenn sie dem Erblasser zuzurechnen ist, im übrigen durch die erweiterte Anfechtung der vertragsmäßigen Verfügung im Irrtumsfall die Privatautonomie des Erblassers nahezu uneingeschränkt wieder hergestellt werden kann. Diese Überlegungen sprechen somit dafür, bei vertragsmäßigen Verfügungen nicht zwischen entgeltlichen und unentgeltlichen Verträgen zu unterscheiden, sondern den Vertrauensschutz und damit auch den Auslegungsmaßstab nur nach rechtlichen Kriterien zu bestimmen und empfangsbedürftige Willenserklärungen bei übereinstimmendem Verständnis subjektiv, sonst objektiv-nonnativ, nicht empfangs bedürftige Willenserklärungen dagegen immer subjektiv auszulegen. Auch vertragsmäßige Verfügungen in einem Erbvertrag sind somit (außer bei übereinstimmendem Verständnis der Parteien) unabhängig von wirtschaftlichen Kriterien wegen des Vertrauensschutzes des Empfängers objektiv-nonnativ auszulegen. 88 cc) Gemeinschaftliches Testament Im gemeinschaftlichen Testament verfügen Ehegatten gemeinschaftlich, aber jeder einseitig über ihr Vennögen. Das gemeinschaftliche Testament ist daher kein Vertrag, sondern eine doppelte, wenn auch weitgehend verknüpfte einseitige Verfügung von Todes wegen. 89 Bei den in einem gemeinschaftlichen Testament getroffenen Verfügungen handelt es sich daher grundsätzlich um nicht empfangsbedürftige Willenserklärungen. Dennoch spielt der Vertrauens schutz hier eine recht unterschiedliche Rolle. 0.) Gleichzeitiges Testament

Das gemeinschaftliche Testament kann ein gleichzeitiges Testament sein, das heißt eine rein äußerliche Verbindung inhaltlich verschiedener Einzelverfügungen, deren Inhalt in keiner Weise aufeinander abgestimmt ist: eine bloße "Testiergemeinschaft"; 90 ein Beispiel hierfür ist in der Regel der Fall, daß jeder Ehegatte seine eigenen Kinder aus jeweils erster Ehe bedenkt. 91 In diesen Fällen besteht kein größerer Vertrauens schutz als bei Einzeltestamenten. Die Verfügungen eines solchen gemeinschaftlichen Testaments sind daher auch wie Einzeltestamente immer subjektiv auszulegen. 92 Im Ergebnis ebenso v. Lübtow, ErbR I, S. 417. PaI/Edenhofer vor § 2265 Anm. 1; Anm.2; RGRKIJohannsen § 2265 Rn. 8; Staud / Kanzleiter vor § 2265 Rn. 11; Lange / Kuchinke § 22 I 3, S. 338. 90 MK / Musielak vor § 2265 Rn. 15. 91 Pal / Edenhofer vor § 2265 Anm. 3 a; Staud / Kanzleiter vor § 2265 Rn. 34. 88

89

3. Auslegungsmaßstab

153

13) Wechselbezügliches Testamemt Das gemeinschaftliche Testament kann aber auch ein wechselbezügliches (auch korrespektives oder abhängiges) Testament sein. Hier sind die Verfügungen eines jeden Ehegatten in ihrer Wirksamkeit von der Geltung der Verfügungen des anderen Ehegatten abhängig, vgl. § 2270 BGB. Auch solche wechselbezügliche Verfügungen sind aber nicht empfangsbedürftig, 93 sondern bleiben äußerlich einseitige letztwillige Verfügungen. Ihre starke inhaltliche Verbindung gebietet aber hier dennoch einen Vertrauens schutz des anderen Ehegatten, dessen Verfügung gemäß § 2270 I BGB in ihrem Bestand vom Bestand der Verfügung des anderen Ehegatten abhängt und dessen Widerrufsrecht gemäß § 2271 BGB eingeschränkt ist. Wechselbezügliche Verfügungen im gemeinschaftlichen Testament sind daher wie empfangsbedürftige Willenserklärungen unter Lebenden bei übereinstimmendem Verständnis der Parteien subjektiv auszulegen; bei nicht übereinstimmendem Verständnis gebietet aber der Vertrauens schutz des anderen Ehegatten eine objektiv-normative Auslegung, entscheidend ist also die Bedeutung, die der jeweils andere Ehegatte als die vom Erklärenden gewollte verstehen konnte und durfte. 94 Die Bedenken, die gegen die Entgeltlichkeit oder Unentgeltlichkeit als maßgebliches Kriterium für den Vertrauensschutz bestehen, könnten aber nun auch hier gegen die Wechselbezüglichkeit geltend gemacht werden; auch damit wird ja vom Abgrenzungsmerkmal der Empfangsbedürftigkeit abgewichen. Aber auch die Wechselbezüglichkeit ist, anders als die Entgeltlichkeit, wie die Empfangsbedürftigkeit ein rechtliches, kein wirtschaftliches Kriterium. Sie stellt sogar über die Empfangsbedürftigkeit hinaus nicht nur eine äußere, sondern sogar eine inhaltliche Verbindung zum Geschäftspartner her; daß der Vertrauensschutz hier nicht sogar größer ist als bei der empfangsbedürftigen Willenserklärung unter Lebenden, liegt nur an der besonderen Ausgestaltung der wechselbezüglichen Verfügung im Gesetz, da insbesondere gemäß § 2271 i. V. m. § 2296 BGB zu Lebzeiten beider Ehegatten der jederzeitige Widerruf ohne besonderen Grund möglich bleibt. Schon die Form des Widerrufs in § 2271 I i. V. m. § 2296 11 BGB, der nur dem anderen gegenüber erfolgen kann, zeigt aber wieder das starke Gewicht des Vertrauensschutzes. Besonders deutlich aber wird die unmittelbare Beeinträchtigung der Privatautonomie des anderen Ehegatten durch die wechselbezügliche Verfügung in § 2270 I BGB, wonach diese Verfügung sogar das Schicksal der eigenen Verfügung des anderen Ehegatten bestimmt; hierdurch ist 92 Brox, lrrtumsanfechtung, S. 164; Brox, ErbR,Rn. 224; Staud / Kanzleiter vor § 2265 Rn. 45; MK / Leipold § 2084 Rn. 24. 93 Schlüter § 22 I 3b, S. 123. 94 BGH, Urt. v. 26.4.1951-IV ZR4/50=NJW 1951,959; Brox, lrrtumsanfechtung, S. 163; Brox, ErbR, Rn. 223; Brox JA 1984,549 (552); Johannsen WM 1972,62 (68); Staud / Kanzleiter vor § 2265 Rn. 45; Lange / Kuchinke § 33 III 6 b, S. 575; MK / Leipold § 2084 Rn. 24; MK/Musielak § 2269 Rn. 15; Staud/Otte vor §§ 2064-2086 Rn. 134.

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III. Inhaltsennittlung

auf jeden Fall eine Fremdverantwortung gegenüber der Privatautonomie des anderen Ehegatten in Gestalt eines Vertrauensschutzes geboten. y) Einseitig abhängiges Testament

Das gemeinschaftliche Testament kann auch in der Weise ausgestaltet sein, daß nur eine der Verfügungen von der anderen abhängig ist, einseitige Abhängigkeit. 95 Insoweit besteht aber hinsichtlich des Vertrauensschutzes genau dieselbe Situation wie bei der gegenseitigen Abhängigkeit, allerdings nur hinsichtlich der Auslegung der Verfügung, von der die andere abhängig ist; auch diese "herrschende" Verfügung ist daher subjektiv bei übereinstimmendem Verständnis der Ehegatten, sonst objektiv-normativ aus dem Horizont des anderen Ehegatten heraus auszulegen. Die Verfügung, die von der anderen abhängig ist, rechtfertigt allerdings einen solchen Vertrauensschutz nicht, denn der andere Ehegatte hat in diesem Fall seine Verfügung ja unabhängig von dieser Verfügung getroffen. Bei der "dienenden" Verfügung muß daher die subjektive Testamentsauslegung nach allgemeinen Grundsätzen ohne einen Vertrauensschutz eingreifen. 8) Gegenseitiges Testament

Schließlich gibt es noch das gegenseitige (reziproke) gemeinschaftliche Testament, bei dem die Ehegatten einander gegenseitig bedenken, jedoch ohne inneres Beziehungsverhältnis, so daß die Verfügungen des einen Ehegatten ohne Rücksicht auf die Verfügungen des anderen Ehegatten getroffen werden. 96 Hier wird zum Teil vertreten, wie bei den wechselbezüglichen Verfügungen auf das Verständnis bei der bzw. des jeweils anderen Ehegatten Rücksicht zu nehmen. 97 Auch diese gegenseitige Einsetzung hat aber wie die Entgeltlichkeit beim Erbvertrag nur wirtschaftliche, aber keine rechtliche Bedeutung; der eingesetzte Ehegatte steht rechtlich nicht anders als ein sonst testamentarisch Bedachter, dem vom Gesetz grundsätzlich noch keine schutzwürdige Rechtsposition zugebilligt wird, s. o. Die gegenseitige Erbeinsetzung ist daher als rein wirtschaftliches Kriterium kein taugliches Merkmal zur Bestimmung des zu berücksichtigenden Vertrauens. Vielmehr sind gegenseitige gemeinschaftliche Testamente in der Regel wechsel95 Pal / Edenhofer vor § 2265 Anm. 3 c; Staud / Kanzleiter vor § 2265 Rn. 36; MK / Musielak § 2270 Rn. 3. 96 Pal / Edenhofer vor § 2265 Anm. 3 b; MK / Musielak vor § 2265 Rn. 16. 97 BGH, Urt. v. 26.4. 1951 - IV ZR 4/50 = NJW 1951,959; BGH, Urt. v. 20. 10. 1952 - IV ZR 99/52 = LM § 242 BGB (A) Nr. 7; Keymer S. 85; Schlüter § 22 I 3b, S. 123, allerdings jeweils ohne nähere Begründung.

3. Auslegungsmaßstab

155

bezüglich (vgl. § 227011 BGB), müssen es aber nicht sein; wie es auch umgekehrt wechselbezügliche Verfügungen gibt, die nicht gegenseitig sind. 98 Sind gegenseitige Verfügungen wechselbezüglich, so sind sie nach dem übereinstimmenden subjektiven Verständnis der Ehegatten beziehungsweise nach dem objektiv-normativen Verständnis des anderen Ehegatten auszulegen; sind sie nicht wechselbezüglich, so sind sie immer subjektiv auszulegen wie einfache Testamente. 99 E) Widerruf und Anfechtung

Aus dieser Auslegungssituation ergibt sich für Widerruf und Anfechtung von gemeinschaftlichen Testamenten folgendes: Sofern eine Verfügung nicht wechselbezüglich ist und somit allein die Privatautonomie des Erklärenden entscheidet, hat dieser wie bei nicht empfangsbedürftigen Willenserklärungen unter Lebenden und bei einfachen Testamenten ein freies Widerrufsrecht. 100 Eine Selbstanfechtung, und angesichts des subjektiven Auslegungsmaßstabs auch eine Fremdanfechtung wegen Inhalts- oder Erklärungsirrtums, ist daher überflüssig. Eine Fremdanfechtung wegen Motivirrtums müßte an sich ohne Beschränkung auf die Gründe von § 11911 und § 123 BGB zulässig sein, doch eröffnet ein Motivirrtum die ergänzende Auslegung, und auch diese geht der Anfechtung vor. 101 Bei wechselbezüglichen Verfügungen ist ein Vertrauens schutz des anderen Ehegatten zu beachten. Dem entspricht das eingeschränkte Widerrufsrecht zu Lebzeiten des anderen Ehegatten in § 2271 I BGB und das Verbot des Widerrufs nach dem Tod des anderen Ehegatten in § 2271 11 BGB. Andererseits kann es beim objektiv-normativen Auslegungsmaßstab zu einem Auseinanderfallen von subjektivem und maßgeblichem Geschäftswillen und somit zu einem Inhalts- oder Erklärungsirrtum kommen. Damit ist der Anwendungsbereich der Anfecht.!ng bei der wechselbezüglichen Verfügung eröffnet. Entsprechend der besonderen Wertung des Gesetzes beim Erbvertrag zugunsten einer stärkeren Berücksichtigung der Privatautonomie des Erblassers im Vergleich zur Privatautonomie des Empfangers in § 2281 Ii. V. m. § 2078 11 BGB (s.o.), die hier entsprechende Anwendung findet 102, kann auch wegen Motivirrtums ohne Rücksicht auf die Grenzen der § 119 11 und § 123 BGB angefochten werden. MK / Musielak vor § 2265 Rn. 17. Ebenso Pal / Edenhofer § 2084 Anm. 1a; RGRK / Johannsen § 2084 Rn. 10; Lange / Kuchinke § 33 III 6 b, S. 575. 100 RG, Urt. v. 16.1O.1911-IV 594/10 = RGZ 77,165 (169); RG, Urt. v. 24.6.1915 - IV 27/15 = RGZ 87, 95 (97). 98 99

101

S. u.

RG, Urt. v. 16.10.1911 - IV 594/10 = RGZ 77, 165 (168); RG, Besehl. v. 11.12.1930 - IV B 27/30 = RGZ 132, 1 (4); BGH, Urt. v. 4.7.1962 - V ZR 206/ 60 = BGHZ 37, 333; BGH, Urt. v. 3.11.1969 - III ZR 52/67 = FamRZ 1970,79; Haek S. 130 f.; Keymer S. 5, m. w. N.; im einzelnen s. o. 102

156

III. Inhaltsennittlung

Auch einer verständigen Würdigung des Falles durch den Erblasser bedarf es nicht. Im Fall der Selbstanfechtung ist allerdings, als Ausfluß der privatautonomen Selbstverantwortung, gegebenenfalls Schadenersatz nach § 122 BGB zu leisten. 103

c) Prozessuale Vermutung für die Verkehrsbedeutung als Ausfluß privatautonomer Selbstverantwortung Die prinzipiell subjektive Auslegung (sofern nicht Vertrauensschutz eingreift) war geboten durch den Vorrang der Selbstbestimmung gegenüber der Selbstverantwortung auf der Auslegungsebene angesichts des hier erhöhten Irrtumsrisikos, s. o. Die Selbstverantwortung wird dadurch aber nicht funktionslos. Sie hat ihre Bedeutung nämlich auf prozessualem Gebiet: Auch wenn das subjektive Verständnis des Erklärenden maßgeblich ist, fordert es die Selbstverantwortung, daß hierfür zunächst die allgemeine Verkehrsbedeutung zugrunde gelegt wird; der Erklärende trägt zunächst die Verantwortung dafür, daß seine Willenserklärung, mit der er sich an den Rechtsverkehr wendet, auch in der verkehrsüblichen Bedeutung verstanden wird. 104 Die Selbstbestimmung des Erklärenden wird gewahrt dadurch, daß ein abweichendes subjektives Verständnis des Erklärenden beachtlich ist; es muß aber dargelegt und gegebenenfalls bewiesen werden; im Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit gelten die Grundsätze zur objektiven Feststellungslast.

4. Die Zurechenbarkeit eines objektiv-normativen Auslegungsergebnisses Wie die Selbstverantwortung hat auch die Fremdverantwortung gegenüber der Privatautonomie des Empfängers (oder des anderen Ehegatten bei der wechselbezüglichen Verfügung im gemeinschaftlichen Testament) zwei Seiten: Sie kann einerseits dazu führen, daß etwas anderes als das subjektiv Gewollte als maßgeblich anzusehen ist; eine solche Folge der Selbstverantwortung war die objektivnormative Bestimmung des Tatbestandes der Willenserklärung auch bei fehlendem Erklärungsbewußtsein; aus der Fremdverantwortung resultierte aus diesem Grund der objektiv-normative Auslegungsmaßstab aus dem Empfängerhorizont heraus. Andererseits ist eine solche Abweichung von der Selbstbestimmung auch wirklich nur geboten und zulässig bei Verantwortlichkeit des Erklärenden; die Abweichung von der selbstbestirnmten Gestaltung muß dem Erklärenden also zuzurechnen sein. Deshalb war bei objektiv-normativer Bestimmung des Tatbestandes der Willenserklärung danach zu fragen, ob der Erklärende bei fehlendem 103

S. o.

Kipp / Coing § 21 IV 1, S. 145; Soergel / Damrau § 2084 Rn. 6; Lange / Kuchinke § 33 III 3 b, S. 568; Staud / Otte vor § 2064 Rn. 58. 104

4. Zurechenbarkeit

157

Erklärungsbewußtsein damit rechnen konnte und mußte, daß seine Erklärung dennoch als rechtsgeschäftliche Willenserklärung aufgefaßt werden würde. Ebenso ist auch auf der Auslegungsebene eine objektiv-normative Auslegung aus Gründen der Fremdverantwortung nur zulässig, wenn der Erklärende dafür auch verantwortlich ist, also damit rechnen kann und muß, daß der Empfänger die Willenserklärung in dem objektiv-normativ ermittelten Sinn zu verstehen hat; auch der durch Auslegung ermittelte Inhalt der Willenserklärung muß also dem Erklärenden zurechenbar sein. 1 Der Grund liegt auch hier wieder in der Privatautonomie des Erklärenden, die ja letztlich den Geltungsgrund der Willenserklärung darstellt; hier auf der Inhaltsebene ist nun zu gewährleisten, daß sie nicht von der Privatautonomie des Empfangers verdrängt, sondern mit dieser in einen gleichberechtigten Ausgleich gebracht wird. Deshalb fordert zwar einerseits die Fremdverantwortung gegenüber der Privatautonomie des Empfängers einen Vertrauensschutz, aber andererseits eben nur, wenn der Erklärende dafür auch verantwortlich ist. Diese Zurechenbarkeit eines objektiv-normativ ermittelten Inhalts kann allerdings vermutet werden, wenn auf der Tatbestandsebene das Erklärungsbewußtsein positiv gegeben ist, der Tatbestand also nicht nicht seinerseits objektivnormativ ermittelt werden muß. 2 Das ist nun keine Vermischung von Tatbestand und Inhaltsermittlung, die ja dem vorliegenden Konzept von der Willenserklärung widersprechen würde. Dem liegt vielmehr die Überlegung zugrunde, daß bei positivem Bewußtsein des Erklärenden, eine rechtsverbindliche Geltungserklärung abzugeben, auch eine erhöhte Sorgfalt für den Inhalt der Erklärung vorliegen wird; wer weiß, daß er rechtsverbindlich handelt, dem darf zugemutet werden, daß er entweder für ein übereinstimmendes Verständnis der Parteien sorgt oder daß er sich zumindest auf den maßgeblichen Empfängerhorizont einstellt. 3 Im Prinzip liegt dieser Wertung wieder die Selbstverantwortung zugrunde, die ja sogar bei subjektiver Auslegung eine prozessuale Vermutung für die Verkehrsbedeutung rechtfertigt. Dort wie hier kann aber diese Vermutung widerlegt werden, das fordert das Prinzip der Selbstbestimmung, dem bei der Auslegung ja letztlich zum Erfolg zu verhelfen ist. Diese Zurechenbarkeit auf der Inhaltsebene wird nur in seltenen Fällen problematisch sein. Sie wird meist anhand des Schulfalles erörtert, daß in einem Lokal aufgrund einer älteren (und billigeren) Speisekarte, die ein Dritter dort zurückgelassen hat, Speisen bestellt und verzehrt werden. Dieser Fall wird unterschiedlich gelöst: 1 Bydlinski, Privatautonomie, S. 160; Flume, AT 11, § 16, 3c, S. 311; Soergel / Hefermehl § 133 Rn. 21; Larenz, Auslegung, S. 72 ff.; Larenz, AT, § 1911 a, S. 341; Medicus, AT, Rn. 326; a. A. Kellmann JuS 1971,614. 2 Flume, AT 11, § 16, 3e, S. 311; Larenz, AT, § 19 11 a, S. 341. 3 Larenz, AT, § 19 Ha, S. 341.

158

III. Inhaltsennittlung

-

Zum einen wird gesagt, bei der Auslegung von Willenserklärungen müßten zugunsten des Erklärenden zumindest solche Umstände außer Betracht bleiben, die dieser in keiner Weise erkennen konnte und die daher in die Sphäre des Erklärungsempfangers gehören, wenn sie von ihm auch nicht nach § 276ff. BGB zu vertreten sind; auf dasselbe soll es hinauslaufen, wenn man den Sinn einer bloßen Zustimmungserklärung ohne eigenen sachlichen Inhalt aus dem Sinn der zugrundeliegenden Offerte bestimmt; danach bräuchte der Gast seine Bestellung nur so gegen sich gelten zu lassen, wie er sie nach der ihm vorliegenden Speisekarte allein verstehen konnte; danach wäre ein Vertrag zu dem niedrigeren Preis zustande gekommen. 4

-

Zum anderen wird hier Dissens angenommen, weil auch dem Wirt die vom Gast verstandene und allein zu verstehende Bedeutung seiner Annahmeerklärung nur dann zurechenbar sei, wenn auch er sie hätte erkennen können, das heißt wenn er hätte bemerken können, daß sich die Bestellung des Gastes auf die falsche Karte bezog; das ist nicht der Fall, wenn der Dritte sie eben erst zurückgelassen hatte und sie der gültigen ähnelte. 5

-

Geht man hier der Reihe nach vor, so ist zunächst das Angebot des Gastes zu untersuchen (die Speisekarte ist nur eine invitatio ad offerendum). G hatte positives Erklärungsbewußtsein, der Tatbestand der Willenserklärung ist gegeben. Inhaltlich wollte G subjektiv einen niedrigeren, Weinen höheren Preis; da das Verständnis der Parteien nicht übereinstimmt, ist, weil es sich um eine empfangsbedürftige Willenserklärung handelt, objektiv-normativ aus dem Empfangerhorizont auszulegen, also danach zu fragen, was Wals das von G Gemeinte verstehen durfte. Aus der Sicht des W durfte dieser mit einer Bestellung zum gültigen, höheren Preis rechnen, weil es keine generelle und laufende Nachforschungspflicht eines Gastwirts nach ungültigen, ohne sein Wissen ins Lokal gelangten Speisekarten gibt. 6 Die Auslegung ergibt also ein Angebot des G zum höheren Preis. Dieses muß dem G zuzurechnen sein; das ist hier nicht der Fall, denn ein Gast braucht nicht damit zu rechnen, daß in einem Lokal andere Preise als auf der Karte, die er in Händen hält, verbindlich sind. Es ist also keine Fremdverantwortung des G gegeben, durch die seine Privatautonomie eingeschränkt werden könnte; es bleibt daher bei der grundsätzlich subjektiven Auslegung, hier also bei einem Angebot des G zu dem von ihm vorgestellten niedrigen Preis. Mit der Bereitstellung der Speisen hat W konkludent die Annahme erklärt; auch diese ist als empfangsbedürftige Willenserklärung mangels übereinstimmenden Verständnisses der Parteien objektiv-normativ auszulegen; aus dem Empfangerhorizont des G durfte dieser die Annahme zu den in der ihm 4 5

6

Medicus, AT, Rn. 326. Larenz, AT, § 19 IIa, S. 342. Medicus, AT, Rn. 325.

5. Maßgeblicher Zeitpunkt

159

vorliegenden Karte angegebenen Preisen verstehen; die objektiv-normative Auslegung ergibt also eine Annahme des W zum niedrigen Preis. Diese ist dem W aber nicht zuzurechnen, denn ein Wirt braucht nicht damit zu rechnen, daß in seinem Lokal frühere Speisekarten seines Lokals durch Dritte auftauchen. Auch hier trifft W also keine Fremdverantwortung für eine objektivnormative Auslegung, es bleibt daher bei der prinzipiell subjektiven Auslegung und somit bei einer Annahme zu dem von W vorgestellten höheren Preis. Beide Willenserklärungen fallen also inhaltlich auseinander, damit ist ein Dissens gegeben, ein Vertrag also nicht zustande gekommen; die Leistungen müssen nach Bereicherungsrecht ausgeglichen werden. Die Zurechenbarkeit muß also in einem Vertrag für jede der beiden Willenserklärungen geprüft werden, sonst wäre die Privatautonomie eines der Vertragspartner verletzt. 7 Diese Zurechnung spielt immer dann eine Rolle, wenn aus Gründen der Fremdverantwortung gegenüber der Privatautonomie des Geschäftspartners nicht subjektiv, sondern objektiv-normativ auszulegen ist. Aus diesem Grund kommt es beim Testament auf eine inhaltliche Zurechnung nicht an. Diese Zurechnung kann aber auch im Bereich der letztwilligen Verfügungen Bedeutung haben bei vertragsmäßigen Verfügungen in einem Erbvertrag oder bei wechselbezüglichen Verfügungen im gemeinschaftlichen Testament.

5. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Auslegung: Verlautbarung der Willenserklärung bzw. Errichtung der letztwilligen Verfügung Gegenstand der Auslegung ist die Ermittlung des maßgeblichen Inhalts der Willenserklärung. Entsprechend der Funktion der Willenserklärung als Geltungserklärung, die nicht nur die Verlautbarung eines Willens darstellt, sondern unmittelbar durch ihre Geltung Rechtsfolgen auslöst, kann maßgeblicher Zeitpunkt für die Auslegung nur der Zeitpunkt sein, in dem die Willenserklärung als Geltungserklärung verlautbart wird. Bei subjektiver Auslegung ist daher entscheidend der Wille des Erklärenden im Zeitpunkt der Verlautbarung der Willenserklärung, bei objektiv-normativer Auslegung kommt es darauf an, wie der Empfänger (der andere Ehegatte bei wechselbezüglichen Verfügungen im gemeinschaftlichen Testament) die Willenserklärung als vom Erklärenden bei Verlautbarung gemeint verstehen durfte.

f"Das schließt nicht aus, daß es auch im vorliegenden Beispielsfall zu einem anderen Ergebnis kommen kann, wenn man anders wertet, etwa bei der objektiv-normativen Auslegung des Angebots des G annimmt, es gelte der niedrigere Preis, weil W für die in seinem Lokal ausliegende Karten verantwortlich sei und deshalb nach Treu und Glauben der niedrigere Preis als von G gemeint zu verstehen sei.

160

III. Inhaltsennittlung

Das gilt vor allem auch dann, wenn der Zeitpunkt der Wirksamkeit gegenüber der Verlautbarung der Willenserklärung hinausgeschoben ist; denn ihre Funktion als Geltungserklärung tritt die Willenserklärung nicht erst mit Wirksamwerden, sondern bereits mit ihrer Geltung, ihrer Existenz, an. Auch eine aufschiebend bedingte Willenserklärung ist eine existente Willenserklärung, für deren Inhalt es auf den Zeitpunkt der Verlautbarung, nicht auf den Zeitpunkt des Eintritts der Bedingung ankommt. Besondere Bedeutung hat diese Frage bei letztwilligen Verfügungen, vor allem beim Testament erlangt. Nach dem Gesagten kann es auch hier nur auf den Erblasserwillen im Zeitpunkt der Testamentserrichtung ankommen. 1 Hier wird demgegenüber zum Teil ein Erblasserwille post testamentum für beachtlich gehalten,2 allerdings meist im Zusammenhang mit der ergänzenden Auslegung. Begründet wird diese Ansicht mit dem Argument, die Ermittlung eines hypothetischen Willens bei der ergänzenden Auslegung sei mehr oder weniger spekulativ und führe, je nach dem gewünschten Ergebnis im Einzelfall, zu widersprüchlichen Entscheidungen; die Ermittlung eines posttestamentarischen realen Willens dagegen führe zu nachvollziehbaren Entscheidungen und sei daher im Interesse der Rechtssicherheit erforderlich. Abgesehen davon, daß diese Bedenken hinsichtlich der erläuternden Auslegung nicht greifen, andererseits aber sowohl erläuternde als auch ergänzende Auslegung denselben Strukturprinzipien der Willenserklärung als Geltungserklärung unterliegen, spricht außer diesen prinzipiellen, aus der Natur der Willenserklärung als Geltungserklärung herrührenden Bedenken gegen die Beachtlichkeit des posttestamentarischen Geschäftswillens auch die Formbedürftigkeit des Widerrufs von Testamenten, § 2254, § 2258 BGß. 3 Die Formzwecke des Testamentsrechts würden durch die Zulassung formloser Änderungen verfehlt; der bewußten Verwendung mehrdeutiger Ausdrücke als Blankett für spätere formlose Verfügungen (bedeutsam z. B. bei der erbvertragsmäßig bindenden Verfügung) würde Vorschub geleistet; angesichts der praktisch unbegrenzten Zahl mehrdeutiger Ausdrucksweisen würde eine gänzliche Verunsicherung der Praxis eintreten, weil gegenüber jedem Nachweis eines Erblasserwillens im Zeitpunkt der Testa1 RG, Besehl. v. 22.4.1920 IV B 2/20 = RGZ 99, 82 (85); RG, Besehl. v. 2.11.1933 - IV B 43/33 = RGZ 142, 171 (175); BGH, Urt. v. 30.9.1959 - V ZR 66/58 = BGHZ 31,13 (16 f.); BGH, Urt. v. 22.3.1972 - IV ZR 134/70 = WM 1972, 780 (781); Brox, Irrtumsanfechtung, S. 156 f.; Kipp 1Coing § 21 IV 3, S. 146; Soergell Damrau § 2084 Rn. 8; RGRKI Johannsen § 2084 Rn. 7; Rn. 22; Johannsen WM 1972, 62 (65); MKI Leipold § 2084 Rn. 21; Rn. 48; Lüderitz S. 214; Staudl Otte vor §§ 20642086 Rn. 76 ff.; Rn. 92 f. 2 Flurne, AT 11, § 16, S. 536; Foer AeP 153,527 ff.; Keuk S. 105 ff.; Lange IhJb 82, 11 ff.; Sonnenschein S. 91 ff. 3 Brox, ErbR, Rn. 200; Soergel 1Damrau § 2084 Rn. 8; Häsemeyer S. 283; Lange 1 Kuehinke § 33 III 5 b, S. 573; Leipold, ErbR, Rn. 304; MK 1Leipold § 2084 Rn. 48; Lüderitz S. 214; Staud 1Otte vor §§ 2064-2086 Rn. 77.

6. Urkundliche und außerurkundliche Auslegungsmittel

161

mentserrichtung die Behauptung einer späteren Willensänderung erheblich wäre. Neben den strukturellen Bedenken greifen somit alle Gründe, die für eine strenge Befolgung des Formgebots sprechen, auch gegen die Beachtlichkeit eines Erblasserwillens post testamentum. Aus diesen Gründen wird auch von den Befürwortern eines beachtlichen posttestamentarischen Geschäftswillens einschränkend gesagt, Ansatzpunkt sei nach wie vor das Testament, das weiterzudenken sei, und der spätere reale Wille sei nur beachtlich, wenn er nicht in Widerspruch zum Testament stehe. Durch diese Einschränkung reduziert sich der Abstand zur herrschenden Ansicht beträchtlich. Auch nach überwiegender Ansicht können nämlich spätere Äußerungen des Erblassers oder andere posttestamentarische Umstände eine Indizfunktion für den Erblasserwillen im Zeitpunkt der Testamentserrichtung haben. 4

6. Urkundliche und außerurkundliche Auslegungsmittel Nach der Struktur der Willenserklärung läßt sich auch die Frage entscheiden, ob außerurkundliches Material als Mittel zur Auslegung herangezogen werden darf oder nicht. Dabei ist zwischen außerurkundlichen Erklärungen des Erblassers und sonstigen außerurkundlichen Umständen zu unterscheiden. Außerurkundliche Erklärungen des Erblassers können bereits zum Auslegungsgegenstand gehören, sofern sie die Tatbestandsvoraussetzungen einer Willenserklärung erfüllen; ob außerurkundliche und urkundliche Erklärungen eine einheitliche Willenserklärung bilden und als solche auszulegen sind, bestimmt sich danach, ob sie in einem hinreichenden zeitlichen, räumlichen und inhaltlichen Zusammenhang stehen. I Eine solche außerurkundliche Erklärung, die bereits zum Auslegungsgegenstand zu rechnen ist, ist wie der gesamte Tatbestand der Willenserklärung zunächst nach dem Verkehrsverständnis auszulegen, kann selbst aber nicht mehr Auslegungsmittel für eine etwa abweichende subjektive Auslegung sein. 2 Allerdings können Privatrechtsgeschäfte wie Gesetze grammatisch, systematisch und teleologisch ausgelegt werden, so daß etwa ein Zusammenhang zwischen verschiedenen Teilen des Erklärungstatbestandes im Wege der systematischen Auslegung berücksichtigt werden kann. 4 RG, Urt. v. 16.1.1911 IV 332/10 = JW 1911,283; RG, Besch!. v. 2.11.1933 - IV B 43/33 = RGZ 142, 171 (174); BGH, Urt. v. 21.3.1962 - V ZR 157/61 = FamRZ 1962,256 (257); BGH, Urt. v. 3.7.1964 - V ZR 57/62 = FamRZ 1964,501 (503); BGH, Urt. v. 16.11.1976 - IV ZR 133/75, bei Johannsen WM 1977, 273; Kipp / Coing § 21 IV 3, S. 146 f.; Soergel! Damrau § 2084 Rn. 8; Lange / Kuchinke § 33 III 5 b, S. 574; MK / Leipold § 2084 Rn. 20 f.; Rn. 49; Staud/ütte vor §§ 2064 2086 Rn. 49. I S.o. 2 Zur Trennung von Auslegungsgegenstand und Auslegungsmitteln s. o.

11 Stumpf

162

III. Inhaltsennittlung

Wegen dieser Trennung von Auslegungsgegenstand und Auslegungsmitteln kommen daher als Auslegungsmittel nur noch außerurkundliche Erklärungen, die mangels eines hinreichenden Zusammenhangs nicht zum Erklärungstatbestand zu rechnen sind, sowie sonstige außerurkundliche Umstände in Betracht. Nach dem vorliegenden Konzept von der Willenserklärung müssen diese auch als Auslegungsmittel herangezogen werden. Die Privatautonomie des Erklärenden, die die Inhaltsermittlung regiert, gebietet es, den maßgeblichen Geschäftswillen des Erklärenden möglichst fehlerfrei und lückenlos aufzudecken; sie fordert daher auch die Heranziehung des gesamten dazu beitragenden Materials. Grund hierfür ist innerhalb der Privatautonomie des Erklärenden dessen Selbstbestimmung, die auf der Auslegungsebene der Selbstverantwortung grundsätzlich vorgeht. Die Se1bstverantwortung kann hinsichtlich der Auslegungsmittel nur soweit Bedeutung haben, als der Erklärende das Risiko trägt, daß seine Willenserklärung grundsätzlich vom Rechtsverkehr im Sinne der Verkehrsbedeutung verstanden wird und Umstände, aus denen sich ein abweichender Wille ergibt, nachgewiesen werden müssen. Auch in den Fällen, in denen die Privatautonomie des Erklärenden durch die Privatautonomie des Empfängers der Willenserklärung eingeschränkt werden kann, äußert sich diese Einschränkung nur darin, daß der maßgebliche Geschäftswille nicht nach einem subjektiven, sondern nach einem objektiv-normativen Maßstab zu ermitteln ist; die Privatautonomie des Empfängers kann aber nicht zu einer Einschränkung des Ermittlungsmaterials führen. Sie gebietet eher umgekehrt ebenfalls eine möglichst lückenlose Aufklärung, denn je mehr Fakten zur Verfügung stehen, umso genauer kann der maßgebliche Empfängerhorizont festgestellt werden. Außerdem ist auch hier wieder die Fremdverantwortung zu berücksichtigen, die auch der Empfänger gegenüber der Privatautonomie des Erklärenden trägt. Entscheidend ist ja auch bei der objektivnormativen Auslegung nicht das subjektive Verständnis des Empfängers, sondern es kommt darauf an, wie er unter Berücksichtigung aller ihm erkennbaren Umstände die Willenserklärung als vom Erklärenden gemeint verstehen durfte; diese Fremdverantwortung des Empfängers gebietet es daher, auch bei der Auslegung aus dem Empfängerhorizont heraus alle Umstände zur Auslegung heranzuziehen, die dem Empfänger erkennbar waren. Für eine Beschränkung auf urkundliches Material als Auslegungsmittel könnte daher allenfalls bei formbedürftigen Rechtsgeschäften noch das Formgebot sprechen. Formprüfung und Inhaltsermittlung sind aber streng zu unterscheiden, die Form kann sich daher auf die Auslegung noch nicht auswirken. Auch aus diesem Grunde sind daher außerurkundliche Umstände als Auslegungsmittel zuzulassen, ist die Auslegung nicht auf den Urkundentext zu beschränken. 3 3 RG, Urt. v. 12.2.1937 -III 105/36 = RGZ 154,42 (44 f.); BGH, Urt. v. 11.10.1951 - IV ZR 17/50 = LM § 133 BGB (B) Nr. 1; BGH, Urt. v. 20.2.1953 - V ZR 102/ 51 = LM § 133 BGB (B) Nr. 3; BGH, Urt. v. 31.3.1973 - IV ZR 34/72, bei Johannsen WM 1977,273; BGH, Urt. v. 20.12.1974 - V ZR 132/73 = BGHZ 63, 360 (362 f.);

6. Urkundliche und außerurkundliche Auslegungsmittel

163

Die Trennung zwischen Auslegung und Formprüfung hat vor allem den Vorzug dogmatischer Klarheit, denn die Auslegung unterliegt anderen Kriterien als die Formprüfung; bei der Inhaltsermittlung kommt es nur auf die Privatautonomie des Erklärenden an, die allenfalls durch die Privatautonomie eines gleichberechtigten Geschäftspartners eingeschränkt werden kann, s. o. Bei der Formprüfung entscheidet dagegen der Zweck der jeweiligen Formvorschrift. 4 Andererseits wird dieser Trennung von Auslegung und Form gerade vorgeworfen, sie sei aus dogmatischen Gründen nicht haltbar, weil sie bei der Auslegung von einem inneren Willen ausgehe, während nach der Konzeption des Bürgerlichen Gesetzbuchs nur ein erklärter Wille ausgelegt werden könne, so wie auch die Formprüfung von der Erklärung auszugehen habe. 5 Einigkeit besteht also insoweit, als die Lösung vom grundsätzlichen Verständnis der Willenserklärung her zu erfolgen hat. 6 Beide Auffassungen berufen sich auch auf die Theorie von der Willenserklärung als Geltungserklärung; es ist also nicht so, daß etwa der Bundesgerichtshof zur Willenstheorie zurückgekehrt 7 oder umgekehrt die Gegenansicht auf die alte Erklärungstheorie eingeschwenkt wäre. Der Unterschied scheint vielmehr hauptsächlich darin zu bestehen, daß auf der einen Seite von einem inhaltlich neutralen BGH, Urt. v. 18.3.1975 - VI ZR 228/73 = LM § 133 BGB (D) Nr. 7; BGH, Urt. v. 29.5.1980 - IV a ZR 26/80 = LM § 2247 BGB Nr. 6 m. w. N.; BGH, Urt. v. 4.6.1980 - V ZR 67/79 = WM 1980, 1171; BGH, Urt. v. 26.3.1981 - IV a ZR 141/80 = LM § 288 ZPO Nr. 5; BGH, Beschl. v. 9.4.1981 - IVa ZB 4/80 = BGHZ 80,242; BGH, Beschl. v. 9.4.1981 - IVa ZB 6/80 = BGHZ 80, 246 (250); BGH, Urt. v. 8.12.1982 - IVa ZR 94/81 = BGHZ 86,41 = FamRZ 1983, 383 = JZ 1983, 709 = NJW 1983, 672 (673) = Rpfleger 1983,111; BGH, Urt. v. 27.2.1985 - IVa ZR 136/83 = BGHZ 94,36 = FamRZ 1985,587 = JZ 1985,746 =NJW 1985, 1554; BGH, Urt. v. 28.1.1987 - IVa ZR 191/85 = FamRZ 1987,475. BayObLG, Beschl. v. 7.2.1984 - BReg. 1 Z 106/83 = FamRZ 1984, 825; KG, Beschl. v. 17.10.1986 - 1 W 732/85 = FamRZ 1987,413; OLG Zweibrücken, Beschl. v. 17.1.1986 - 3 W 253/85 = Rpfleger 1986,479. Bemard, S.I; S.21 (30ff.); Brox, ErbR, Rn. 197; Brox, AT, Rn. 124; Erman/Brox § 133 Rn. 10 ff.; Brox JA 1984, 549 (552); Pal / Edenhofer § 2084 Anm. 1 b; Staud / Di1cher §§ 133, 157 Rn. 15 ff.; Häsemeyer, Form, S. 155 ff.; Soergel / Hefermehl § 133 Rn. 28; Rn. 48; Pal / Heinrichs § 133 Anm. 5c; Jauernig/ Jauernig § 126Anm. 3a; § 133 Anm. 1 c; Keymer, S. 90; Larenz, AT, § 19 II b, S. 342; Lüderitz, S. 180 f.; S. 325 ff. m. w. N. aus der älteren Rspr.; MK / Mayer-Maly § 133 Rn. 3 f; Medicus, AT, Rn. 330; Wieser JZ 1985,407 (408). 4 S. u. Diese Formzwecke fordern in aller Regel, daß nur die Verfügung, die rechtsgeschäftliche Regelung selbst, formgerecht erklärt wird. Es gibt aber auch Formvorschriften, die das Formgebot aus besonderen Gründen auf andere Umstände ausdehnen, die eigentlich als Auslegungsmittel zu qualifizieren sind, z. B. in § 2336 II BGB der Pflichtteilsentziehungsgrund; s. dazu BGH, Urt. v. 14.1.1965 - III ZR 131/63 = NJW 1965,584; BGH, Urt. v. 27.2.1985 - IVa ZR 136/83 = BGHZ, 94, 36; Kuchinke JZ 1985,748. 5 Kuchinke JZ 1985,748; Leipold JZ 1983,711; Leipold, Festsehr. Müller-Freienfels S. 421 ff. 6 Ebenso Bernard S. 23 Fn. 35; Kuchinke JZ 1985,748 (749); Leipold JZ 1983,711. 7 Ausdrücklich klarstellend BGH, Urt. v. 28.1.1987 IVa ZR 191/85 = FamRZ 1987,475. 11*

164

III. Inhaltsennittlung

Auslegungsgegenstand ausgegangen wird, auf der anderen Seite dagegen bereits der Auslegungsgegenstand mit einer bestimmten Bedeutung versehen wird, die die Auslegung dann bestätigen, von der sie aber auch abweichen kann. Nun ist die Theorie von der Willenserkärung als Geltungserklärung im Hinblick auf die Einzelprobleme der Auslegung noch wenig aufbereitet worden, so daß von einem direkten Widerspruch einer der beiden Auffassungen gegenüber der Theorie von der Geltungserklärung wohl nicht gesprochen werden kann. Ein inhaltlich angefüllter Auslegungsgegenstand wird sich allerdings letztlich doch entweder am subjektiven Willen oder an einer objektiven Verkehrsbedeutung orientieren müssen und damit in die Gefahr geraten, doch auf die Willenstheorie oder die Erklärungstheorie zumindest im Ergebnis hinauszulaufen. Im übrigen wird auch von den Stimmen, die sich gegen eine Trennung von Auslegung und Form aussprechen, das Formgebot wie von der Rechtsprechung nur auf den Auslegungsgegenstand, nicht auf die Auslegungsmittel bezogen; die Heranziehung außerurkundlichen Materials als Hilfe zur Auslegung ist daher im Grundsatz unbestritten. 8 Es wird hier allerdings die Gefahr gesehen, daß durch eine weitgehende Berücksichtigung außerurkundlichen Materials letztlich doch auch das auf den Auslegungsgegenstand bezogene Formgebot aufgeweicht werden könnte. Es bleiben daher außer diesen dogmatischen Überlegungen vor allem praktische Gesichtspunkte, die außerurkundliche Umstände als Auslegungsmittel ausschließen könnten. Es sind dies im wesentlichen dieselben Gründe, wie sie bereits gegen den außerurkundlichen Auslegungsgegenstand vorgebracht wurden. Der Gefahr unnötiger Beweiserhebungen kann aber auch hier mit dem prozessualen Mittel der Wahrunterstellung weitgehend begegnet werden. Gewichtig sind aber auch hier die erkenntnispsychologischen Bedenken, daß die Formstrenge im Anschluß an eine subjektive Auslegung aufgeweicht werden könnte und eine subjektive Auslegung angesichts der vielfältigen Interessen der Verfahrensbeteiligten und oft verschlungener Entscheidungsprozesse der Erblasser auch zu einer Verfälschung des Erblasserwillens führen kann. Der Bundesgerichtshof, der sich im übrigen mit den kritischen Argumenten ausführlich auseinandergesetzt hat, 9 hat sich hierzu nicht geäußert. Auffällig ist aber gleichzeitig eine weitere Beobachtung in der neueren Rechtsprechung, nämlich die Zurückhaltung bei der Anwendung der Andeutungstheorie und die Betonung des Formgebots; das auch dann, wenn sich in der jeweiligen Urkunde durchaus "Anhaltspunkte", die nach den milderen Maßstäben früherer Entscheidungen durchaus genügt hätten, 10 hätten finden las8 BGH, Urt. v. 26.4.1951 IV ZR 4/50 = NJW 1951,959 (960); BGH, Urt. v. 25.10.1965 - III ZR 47/64 = BB 1965, 1427 = LM § 2254 BGB Nr. 1 = MDR 1966, 126 = NJW 1966,201; Kipp/Coing § 21 IV 2, S. 145; Lange/Kuchinke § 33 III 3d, S.571; Leipold, ErbR, Rn. 281; MK/Leipold §2084 Rn. 17ff.; Staud/Otte vor §§ 2064 -2086 Rn. 26; Rn. 59 ff. 9 BGH, Urt. v. 28.1.1987 IVa ZR 191/85 = FamRZ 1987,475. 10 Vgl. z. B. BGH, Urt. v. 29.4.1951 - IV ZR 17/51 = LM § 2100 BGB Nr. 1; RG, Urt. v. 25.9.1912 - III 277 /12 = RGZ 80, 400 (403).

6. Urkundliche und außerurkundliehe Auslegungsmittel

165

sen. II Die Gefahr einer aufgrund einer freieren subjektiven Auslegung sich einschleichenden unbewußten Voreingenommenheit des Richters bei der anschließenden Fonnprüfung, d. h. bei der Frage, ob das gefundene Auslegungsergebnis in der Urkunde noch "angedeutet" ist oder nicht, muß nämlich nicht unbedingt gegen die Trennung von Auslegung und Fonnprüfung sprechen, sondern kann auch ein Argument gegen die Andeutungstheorie sein, deren Schwäche ja bekanntlich in der schwankenden, nicht immer kalkulierbaren praktischen Anwendung liegt. Die Gefahr einer Verfälschung des Erblasserwillens durch eine zu freie Auslegung könnte also behoben werden auch durch eine Abkehr von der Andeutungstheorie - aber nicht im Sinne einer weitgehenden Subjektivierung des Fonngebots, wie sie von den Kritikern der Andeutungstheorie überwiegend vorgeschlagen wird, 12 sondern im Sinne einer wieder strengeren und konsequenteren Fonnprüfung. Nachdem nach der Trennung von Auslegung und Fonn die Andeutungstheorie bei der Fonnprüfung nicht mehr die bisherige unglückliche Kompromißfunktion zwischen subjektivem Geschäftswillen des Erblassers und objektivem Fonnzwang zu tragen hat, wäre hierfür der Weg frei; der Erblasserwille wird ja nun auf der Auslegungsebene bereits umfassend festgestellt, die Fonnprüfung kann sich daher voll auf die Fonnzwecke konzentrieren. 13 Im übrigen hat gerade die neuere Rechtsprechung gezeigt, daß die psychologische Standfestigkeit des Richters auch nicht unterschätzt werden darf. 14 Außerdem spricht gegen die Beschränkung der Auslegung auf urkundliches Material die Überlegung, daß dann dieses urkundliche Erklärungsmaterial gleichzeitig als Auslegungsgegenstand und als Auslegungsmittel herangezogen würde, was mit der Trennung von Auslegungsgegenstand und Auslegungsmitteln nicht zu vereinbaren wäre. Schließlich kann bei Beschränkung auf den Urkundentext eine Bedeutung der Willenserklärung überhaupt nur gewonnen werden, wenn man von einem inhaltlich bereits mit einem Vorverständnis ausgefüllten Aus1egungsgegenstand ausgeht. Selbst in diesem Fall kann aber eine konsequente Beschränkung auf die fonngerechte Urkunde in Wirklichkeit gar nicht stattfinden; denn selbst dann läßt sich die Bedeutung, die dem Urkundentext beigelegt wird (im Sinne einer subjektiven Bedeutung oder im Sinne eines objektiven Verkehrsverständnisses) letztlich nur außerhalb der Urkunde gewinnen; was der Verkehr genau unter "Gesamtvennögen" versteht, 15 geht aus der Testamentsurkunde nicht hervor und bedarf zumindest eines Rückgriffs auf den Umstand, daß zum Nachlaß ein Unternehmen gehört, das neben Sachgütern auch einen wirtschaftlich relevanII Vgl. z. B. BGH, Besehl. v. 9.4.1981 IVa ZB 4/80 = BGHZ 80, 242; BGH, Besehl. v. 9.4.1981 - IVa ZB 6/80 = BGHZ 80, 246; BGH, Urt. v. 27.2.1985 - IVa ZR 136/83 = BGHZ 94,36.

12 13

S. S.

U. U.

Vgl. z. B. BGH, Besehl. v. 9.4.1981 - IV a ZB 4/80 = BGHZ 80, 242; BGH, Besehl. v. 9.4.1981 - IVa ZB 6/80 = BGHZ 80, 246. 15 BGH, Urt. v. 22.2.1956 IV 239/55 = LM § 2084 BGB Nr.7. 14

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III. Inhaltsennittlung

ten good will und Finnenwert aufweist, sodann das Verständnis kaufmännischer Kreise. 16 Damit können Auslegungsmittel sowohl der erläuternden als auch der ergänzenden Auslegung alle Erklärungen und Umstände sein, die nicht bereits dem Auslegungsgegenstand zuzurechnen sind, unabhängig davon, ob sie in einer fonngerechten Urkunde enthalten sind oder nicht. 17 Der Inhalt einer fonnbedürftigen Willenserklärung ist somit genauso zu ennitteIn wie der Inhalt einer fonnfreien Willenserklärung. Erst im Anschluß an die Inhaltsennittlung ist die Fonnfrage zu stellen, also zu prüfen, ob der durch Auslegung ennittelte Inhalt auch fonngerecht erklärt wurde.

7. Ergänzende Auslegung Neben der erläuternden Auslegung ist inzwischen auch die ergänzende Auslegung überwiegend anerkannt. Sie wurde hauptsächlich als ergänzende Vertragsauslegung unter Lebenden einerseits und als ergänzende Testamentsauslegung andererseits entwickelt. Bei der Testamentsauslegung hat sie auch ihre größte praktische Bedeutung erlangt. Dennoch sind bei der ergänzenden Auslegung noch mehr als im Rahmen der erläuternden Auslegung noch immer viele Fragen ungeklärt oder umstritten. Das hat seinen Grund vor allem darin, daß die ergänzende Auslegung hauptsächlich aus praktischer Notwendigkeit geboren wurde, aber nach wie vor nur unzureichend in das allgemeine System privatautonomer Rechtsgestaltung eingebettet ist. Deutlich wird das schon daran, daß eine allgemeine Doktrin der ergänzenden Auslegung für alle Rechtsgeschäfte gleichennaßen außerhalb von Testament und Vertrag unter Lebenden bisher, soweit ersichtlich, nicht konzipiert wurde, obwohl sie nach herrschender Auffassung bei allen Rechtsgeschäften anwendbar sein soll 1; ein weiteres Indiz liefert die Beobachtung, daß in der Diskussion unter dem Stichwort "Wesen und Funktion" weitgehend nur gesagt wird, die ergänzende Auslegung diene dazu, Lücken des Rechtsgeschäfts zu schließen, indem ein hypothetischer Wille ennittelt werde - daß also eigentlich nur Voraussetzungen und Methode umschrieben werden und im übrigen darauf verwiesen wird, daß die ergänzende Auslegung ja jedenfalls allgemein anerkannt sei. 16 Vgl. auch die Kritik von Häsemeyer, Fonn, S. 134 an BGH, Urt. v. 27.5.1957VII ZR 410/56 = BB 1957,944 = WM 1957, 1222 oder das Beispiel von Häsemeyer, Fonn, S. 149 des Erblassers, der "meine Frau" einsetzt (was Kenntnis der außerurkundlichen Tatsachen voraussetzt, daß der Erblasser verheiratet ist und mit wem). 17 RG, Urt. v. 27.10.1904- VI 601/03 = RGZ59, 217 (219); RG, Urt. v. 12.12.1907 - IV 221/07 = RGZ 67, 204 (214); RG, Urt. v. 25.9.1912 - III 277 /12 = RGZ 80, 400 (403); u. a. 1 Brox, AT, Rn. 136; Brox, ErbR, Rn. 198; Brox JR 1960, 324; Soergel / Wolf § 157 Nr. 115.

7. Ergänzende Auslegung

167

Diese Vorgehensweise ist zunächst erstaunlich, wenn man bedenkt, wie weitgehend die ergänzende Auslegung das ursprüngliche Rechtsgeschäft verändern kann und eine ausdrückliche gesetzliche Ermächtigung hierzu nicht existiert. Sie ist allerdings verständlich, wenn man die Fälle betrachtet, die zur Entwicklung der ergänzenden Auslegung geführt haben. Klassisches Beispiel ist etwa der Fall, daß ein Mietvertrag auch die Verpflichtung zur Lieferung von Wasserdampf enthält, die Energiepreise jedoch aufgrund des inzwischen ausgebrochenen Krieges ins Unermeßliche steigen und dadurch die vertragliche Balance von Leistung und Gegenleistung empfindlich gestört wird 2; oder daß ein testamentarisches Geldvermächtnis oder eine Geldzuwendung im Rahmen einer Teilungsanordnung durch Inflation faktisch wertlos wird und dadurch das Verhältnis der Zuwendungen an die verschiedenen Bedachten durcheinandergerät. 3 In beiden Fällen paßt die rechtsgeschäftliche Regelung, weil sie lückenhaft ist, nicht mehr zu der veränderten Wirklichkeit. Im ersten Fall wäre der Vermieter an die Lieferung des nunmehr so teuren Dampfes zum vertraglich vereinbarten niedrigen Preis gebunden, er könnte nicht einmal den Vertrag anfechten, da es sich insoweit nur um einen unbeachtlichen Motivirrtum handelt. 4 Im zweiten Fall käme zwar eine Anfechtung nach § 2078 11 BGB in Betracht 5, doch hat die ergänzende Auslegung gegenüber der Anfechtung grundsätzlich den Vorteil, die Verfügung nicht zu vernichten und gesetzliche Erbfolge eintreten zu lassen (so daß also im Beispielsfall der Vermächtnisnehmer ebenfalls leer ausginge), sondern eine behutsame Anpassung an die veränderten Umstände zu ermöglichen. In solchen Fällen, in denen das Gerechtigkeitsgefühl einfach nach einer Schließung der Lücke verlangt, wird man gerne geneigt sein, die Frage nach Wesen und grundsätzlicher Zulässigkeit der ergänzenden Auslegung mit dem Hinweis zu beantworten, daß sie ja jedenfalls nunmehr allgemein anerkannt sei, und sich sodann freudig der Lückenfüllung selbst zuwenden. Die übergangene Besinnung auf die Grundlagen der ergänzenden Auslegung macht sich allerdings bemerkbar, wenn es dann um die Einzelfragen geht, etwa wann exakt eine Lücke gegeben ist, die die ergänzende Auslegung eröffnen kann, oder wenn es um den Auslegungsmaßstab geht; hier scheinen dann oft nur noch generalklauselartige Formulierungen den Konflikt zwischen der Privatautonomie des Erklärenden bzw. der Parteien und der richterlichen Gerechtigkeitsentscheidung überwinden zu können. Auch die immer noch umstrittene Abgrenzung der ergänzenden Auslegung gegenRG, Urt. v. 21. 9.1920 - III 143/20 = RGZ 100, 129. RG, Urt. v. 9.10.1924 - V 150/24 = JW 1925,359 f. 4 Der Marktpreis ist nach st. Rspr. keine Eigenschaft i. S. d. § 119 II BGB, vgl. z. B. RG, Urt. v. 9.11.1906 - II 173/06 = RGZ 64, 266 (269); RG, Urt. v. 5.12.1911 III 646/10 = Gruchot 56,582; BGH, Urt. v. 21.2.1952 - IV ZR 103/51 = LM § 779 BGB Nr.2; BGH, Urt. v. 18.12.1954 - II ZR 296/53 = BGHZ 16,54 (57); BGH, Urt. v. 14.11.1962 - V ZR 66/61 = WM 1963,252; BGH, Urt. v. 31.1.1979 - I ZR 77 /77 = LM § 123 BGB Nr. 52 = MDR 1979, 730. 5 Sofern man mit der Rspr. und h. L. die "unbewußten Vorstellungen", d. h. Motive den bewußten Vorstellungen ausdrücklich oder faktisch gleichsetzt. 2

3

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III. Inhaltsennittlung

über gesetzlichen Auslegungs- und Ergänzungsregeln, der Anfechtung (auch wegen Motivirrtums), der Umdeutung und der Lehre vom Wegfall der Geschäftsgrundlage hat hier ihren Grund. Gerade hier wuchern mancherlei Fallgruppen und Differenzierungen, die einem unbefangenen Betrachter (auch dem Studenten oder der Partei im Prozeß) das Verständnis nicht unbedingt erleichtern, sondern die Zusammenhänge eher verdunkeln und damit der Rechtsakzeptanz eher schaden als nützen. Nicht nur aus systematischem Interesse, sondern auch aus diesen praktischen Überlegungen heraus fragt sich daher, wie sich die ergänzende Auslegung in die allgemeine Auslegungslehre einfügt. a) Begriff

Dies setzt, um Mißverständnisse zu vermeiden, eine Darstellung dessen voraus, was derzeit unter ergänzender Auslegung verstanden wird. Ergänzende Auslegung wird gemeinhin verstanden als Ausfüllung einer Lücke der rechtsgeschäftlichen Regelung durch Ermittlung eines hypothetischen Willens. 6 Schon die Bezeichnung "Ergänzende Auslegung" erscheint auf den ersten Blick nicht überaus glücklich, scheint sie doch einen Widerspruch zu enthalten, da Auslegen bedeutet, etwas bereits in der Willenserklärung Vorhandenes aus dieser herauszuholen, wogegen Ergänzen besagt, daß etwas noch nicht in der Willenserklärung Enthaltenes von außen dazugelegt wird. 7 Dieser Widerspruch wird überwiegend gelöst, indem die ergänzende Auslegung als zwei stufiges Verfahren begriffen wird, das sich aus der Ermittlung einer im Rechtsgeschäft vorhandenen Willensrichtung und einer Ergänzung zusammensetze 8 ; ergänzende Vertrags auslegung sei die Ergänzung eines regelungsbedürftigen Punktes danach, was die Parteien bei einer angemessenen Abwägung ihrer Interessen nach Treu und Glauben als redliche Vertragspartner vereinbart hätten, wenn sie den von ihnen nicht geregelten Fall bedacht hätten 9; ergänzende Testamensauslegung sei die Zusammenfassung der Feststellung einer sich aus dem Testament ergebenden Willensrichtung des Erblassers sowie der entsprechenden Änderung der Rechtsfolgen. Die ergänzende Auslegung wird also grundsätzlich der Auslegung zugeordnet. 10 6 Vgl. z. B. BGH, Urt. v. 29.4.1982 III ZR 154/80 = NJW 1982, 2184; Brox, AT, Rn. l36; Keymer, S. 97; Lange 1Kuchinke § 33 III 3 d, S. 570; Leipold, ErbR, Rn. 301; Soergel/ Wolf § 157 Rn. 103. 7 Brox, Irrtumsanfechtung, S. 117. 8 Brox, Irrtumsanfechtung, S. 117; Pal 1Edenhofer § 2084 Anm. 1d; Aume, AT II, § 16,4 a, S. 323; Lange 1Kuchinke § 33 III 3 d, S. 570; Soergel 1Wolf § 157 Rn. 104. 9 Vgl. z. B. BGH, Urt. v. 19.6.1980 III ZR 182/78 = WM 1980, 1258 (1259) m.w.N. 10 BGH, Urt. v. 29.9.1977 -IIZR214/75 =NJW 1978,264; BGH, Urt. v. 19.6.1980 - III ZR 182/78 = WM 1980, 1258 (1259); BayObLG, Beschl. v. 16.5.1988 - BReg. 1 Z 47/87 = BayObLGZ 1988, 165 (169). Pal 1Edenhofer § 2084 Anm. 1 d; Pal 1Heinrichs § 157 Anm. 2 a; Keymer S. 82; Leipold, ErbR, Rn. 301; MK/Leipold § 2084 Rn. 36.

7. Ergänzende Auslegung

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Diese Zuordnung ist geboten, um die ergänzende Auslegung nicht von vornherein unzulässig zu machen. Vor allem im älteren Schrifttum ist der ergänzenden Auslegung nämlich immer wieder vorgeworfen worden, eine Ergänzung durch den Richter verlasse den Rahmen des privatautonom gesetzten Rechtsgeschäfts und habe als objektive Ergänzung außerhalb des dispositiven Gesetzesrechts oder der erbrechtlichen Ergänzungsregeln keine gesetzliche Grundlage. II Deshalb wird die ergänzende Auslegung nunmehr ganz überwiegend als Weiterentwicklung einer im Rechtsgeschäft bereits angelegten Willensrichtung verstanden. Damit ist aber lediglich die Absage an eine vom Rechtsgeschäft losgelöste Ergänzung, noch nicht die Festlegung auf einen bestimmten Auslegungsmaßstab gemeint; dieser kann vielmehr bei den verschiedenen Rechtsgeschäften auch unterschiedlich sein. Mit dieser Zuordnung zur Auslegung löst sich auch der Widerspruch unabhängig von der Zahl der Arbeitsschritte, sofern man unter Auslegung die Ermittlung des maßgeblichen Inhalts des Rechtsgeschäfts versteht. 12 Denn auf welche Weise dieser maßgebliche Inhalt ermittelt wird, sagt der so verstandene Begriff der Auslegung ja noch nicht aus, das ist vielmehr eine Frage der Methode. Es ist daher auch begrifflich denkbar, den maßgeblichen Inhalt eben durch Ergänzung zu gewinnen, ohne daß hierin ein Widerspruch zu sehen wäre; die methodische Frage, ob dies auch zulässig ist, ist hiervon zu unterscheiden.

b) Voraussetzung: Lücke der rechtsgeschäftlichen Regelung Voraussetzung der ergänzenden Auslegung ist nach allgemeinem Verständnis eine Lücke der rechtsgeschäftlichen Regelung. 13 Der Lückenbegriff stammt aus der Gesetzesauslegung und ist dort Voraussetzung der Gesetzesanalogie. Ergänzungsfähige Lücken in einem Gesetz sind weitgehend anerkannt. 14 Auch eine privatrechtliche Willenserklärung kann lückenhaft sein, die Wahrscheinlichkeit einer Lücke ist hier grundsätzlich sogar größer als bei einem Gesetz. Denn bei der Ausarbeitung eines Gesetzes steht der gesamte Sachverstand II Bickel S. 171 f.; Keuk S. 26; v. Lübtow, ErbR I, S.296; Lüderitz S. 392 ff. mit ausführlicher Darstellung des älteren Streitstandes; Sandrock S. 14 ff.; Siber, RG-Festgabe III, S. 350 (359).

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S. o.

Für die Vertragsauslegung z. B. BGH, Urt. v. 22.4.1953 - 11 ZR 143/52 = BGHZ 9, 273 (277); Brox, AT, Rn. 136 (137); PaliHeinrichs § 157 Anm.2 b; Jauemigl Jauemig § 157 Anm. 2 a; MK 1Mayer-Maly § 157 Rn. 29 ff. Für die Testarnentsauslegung Lange 1Kuchinke § 33 III 3 d, S. 570; Staud 1Otte vor §§ 2064 -2086 Rn. 91. Allgemein Soergell Wolf § 157 Rn. 123. 14 Brox, Irrtumsanfechtung, S. 119; Canaris, Lücken, S. 155; Larenz, Methodenlehre, S.352. Gegen den Lückenbegriff als Abgrenzungsinstrument Koch 1Rüßmann S. 254. I3

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III. Inhaltsennittlung

mindestens eines Ministeriums zur Seite, so daß schon faktisch sehr viel größere Chancen bestehen, die geschichtliche Entwicklung der zu regelnden Problematik mit in die Überlegungen mit einzubeziehen, dadurch aus den Fehlern der Vergangenheit zu lernen und hilfreiche Anregungen zu verwerten, außerdem die zu erwartenden Konsequenzen aufgrund des juristischen und sachlichen Sachverstands und Erfahrungswissens weitgehend zu berücksichtigen. Wer demgegenüber eine private Willenserklärung abgibt, kann dies grundsätzlich ohne jede juristische oder sachliche Hilfe tun; er wird vor allem wirtschaftlich denken und aus Unkenntnis Konsequenzen übersehen (zum Beispiel Pflichtteilsansprüche im Erbrecht). Er wird häufig nur den konkreten Fall vor Augen haben, denn ihm fehlt häufig (gerade als Testator) die Erfahrung aus der Beschäftigung mit vergleichbaren Fällen, was zu einem vergleichsweise unentwickelten Problem bewußtsein führt; er wird daher für nicht geschaute Probleme auch keine Vorsorge treffen. Selbst wenn er den möglichen Konflikt erkennt, wird er ihn bei Abgabe der Willenserklärung oft für unwahrscheinlich halten und deshalb entsprechende Vorsorge unterlassen. Selbst wenn der privatrechtlich Erklärende Rechtsrat erhält, ist doch in der Regel nur ein einziger Jurist beteiligt, während bei der Ausarbeitung eines Gesetzentwurfs ein ganzer Stab von Fachleuten zur Verfügung steht. Schließlich wird eine private Willenserklärung in der Regel in einem einzigen Akt errichtet, während die Gesetzgebung aus gutem Grund einem aufwendigen Verfahren unterliegt, das vielfältige Möglichkeiten der Rückkoppelung, Kontrolle und rechtzeitigen Korrektur bietet. Dies alles wird nur zum Teil aufgewogen durch den Umstand, daß die Willenserklärung, anders als das Gesetz, keine abstrakt-generelle, sondern meist eine konkret-individuelle Regelung enthält, der zu regelnde Sachverhalt sich also überschaubarer und die Fehlerprognose einfacher darstellt. Je umfassender aber der Regelungsgehalt der privatrechtlichen Willenserklärung ist, umso näher rückt sie an die abstrakte und generelle Natur des Gesetzes heran; Beispiele sind die Gründungsverträge von Handelsgesellschaften 15 oder die letztwillige Verfügung. Die Übertragung des Lückenbegriffs vom Gesetz auf das Rechtsgeschäft liegt daher nahe. Wesentlich schwieriger wird aber die Bestimmung der Konturen der Lücke. Dieser Begriff ist ja als Voraussetzung (und damit gleichzeitig als Bestimmung und Begrenzung) der ergänzenden Auslegung nur tauglich, wenn damit nur ganz bestimmte Fehler des Rechtsgeschäfts erfaßt sein sollen. Andernfalls würde die ergänzende Auslegung ausufern und ihre Bedeutung als praktisch handhabbares Instrument verlieren. 16 Dennoch ist die ,,Lücke" bis heute unscharf, schillernd und manchmal auch verwirrend geblieben. 17 Vgl. z. B. BGH, Urt. v. 23.11.1978 - II ZR 20/78 = NJW 1979, 1705. Zur begrenzenden Funktion des L~.ckenbegriffs, um zu verhindern, daß die ergänzende Auslegung zu einer richterlichen Anderung oder Erweiterung des Rechtsgeschäfts aufgrund allgemeiner Billigkeitserwägungen mißbraucht wird, s. Soergel / Wolf § 157 Rn. 124. 15

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7. Ergänzende Auslegung

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Zur praktischen Handhabung hat man zu folgenden Umschreibungen gefunden: Eine Vertragslücke soll dann vorliegen, wenn die Vertragsparteien über ein bestimmtes Lebensverhältnis eine abschließende Vereinbarung getroffen, aber dabei bestimmte Fragen nicht geregelt haben, sei es, daß sie diese bewußt in der Erwartung offenließen, daß sie darüber schon noch einig würden, sei es, daß sie an einen bestimmten Fall nicht gedacht haben. 18 Ähnlich soll eine Lücke im Testament eine planwidrige Unvollständigkeit sein. 19 Gerade bei dieser Formulierung wird die Parallele zur Gesetzeslücke wieder besonders deutlich. aa) Anfängliche und nachträgliche Lücken Dabei soll es keine Rolle spielen, ob die Lücke von Anfang an bestand oder erst später entstanden ist, weil die Umstände sich anders entwickelt haben als vorgesehen; es soll also primäre und sekundäre beziehungsweise ursprüngliche und nachträgliche Lücken geben. 20 Eine nachträgliche Lücke ist immer dann gegeben, wenn nach Errichtung des Rechtsgeschäfts sich die Sachlage in einer Weise ändert, die die Parteien beziehungsweise der Erklärende nicht bedacht haben, und die dazu führt, daß die rechtsgeschäftliche Regelung nicht mehr auf die veränderte Wirklichkeit paßt. Die nachträglichen Umstände können tatsächlicher Art sein, etwa Tod des persönlich haftenden Gesellschafters einer Kommanditgesellschaft 21 oder Vorversterben des testamentarisch Bedachten, die zwischenzeitliche Veräußerung des testamentarisch vermachten Gegenstandes (für die § 2169 III BGB nicht gilt) oder Zweitheirat des Erblassers bei testamentarischer Einsetzung der "Ehefrau".22 Aber auch Änderungen der politischen Verhältnisse 23, der Rechts- und Wirtschaftslage 17 MK / Mayer-Maly § 157 Rn. 30. Deshalb halten Lüderitz S.41O und Sonnenberger S. 165 die Vertrags lücke für ein Scheinproblem, das auch nur zu Scheinlösungen führen könne. 18 BGH, Urt. v. 12.12.1952 - V ZR 99/51 = LM § 157 BGB (0) Nr. 1; BGH, Urt. v. 19.2.1979 - 11 ZR 225/77 = WM 1979,889 (891). 19 MK / Leipold § 2084 Rn. 39. Ähnlich Lange / Kuchinke § 33 III 3 d, S. 570. 20 Zur Testamentsauslegung: BGH, Urt. v. 29.9.1977 - 11 ZR 214/75 = NJW 1978, 264; Brox, ErbR, Rn. 199; Pal / Edenhofer § 2084 Anm. 4 d, cc; Lange / Kuchinke § 33 III 3 d, S. 570; MK /Leipold § 2084 Rn. 42; Staud/ Otte vor §§ 2064-2086 Rn. 91. Zur Vertragsauslegung: BGH, Urt. v. 18.12.1954 - 11 ZR 76/54 = BGHZ 16,71 (76); BGH, Urt. v. 7.2.1957 -11 ZR 249/55 = BGHZ 23, 282 (285); BGH, Urt. v. 20.11.1975 - III ZR 112/73 = WM 1976,251 (253); BGH, Urt. v. 19.6.1980 - III ZR 182/78 = NJW 1981,219 = WM 1980, 1258 (1259); BGH, Urt. v. 29.4.1982 - III ZR 154/ 80 = BGHZ 84, 7; Pal / Heinrichs § 157 Anm. 2 b; Jauemig / Jauemig § 157 Anm. 2 a; RGRK / Piper § 157 Rn. 99. Allgemein: Brox, AT, Rn. 137. Für eine Beschränkung auf nachträgliche Lücken beim Testament (ohne Begründung) Kipp / Coing § 21 III 5 a, S. 142; RGRK / Johannsen § 2084 Rn. 20; dagegen Staud / Otte vor §§ 2064-2086 Rn. 91. 21 BGH, Urt. v. 23.11.1978 - 11 ZR 20/78 = NJW 1979, 1705. 22 RG, Urt. v. 10.12.1931 - IV 261/31 = RGZ 134,277.

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III. Inhaltsennittlung

sollen das Rechtsgeschäft lückenhaft machen 24, etwa wenn sich die Wirtschaftsordnung durch Inflation oder Währungsreform umgestaltet 25 oder wenn sich einschlägige Rechtsvorschriften ändern wie etwa im Erbrecht die Einführung des Erbersatzanspruchs für das nichteheliche Kind durch das NEheiG. 26 Während bei der ergänzenden Vertragsauslegung nachträgliche Lücken grundsätzlich auch Veränderungen nach Wirksamwerden des Vertrages betreffen können und das Hauptanwendungsgebiet der ergänzenden Auslegung ausmachen, sollen bei der ergänzenden Testamentsauslegung nur Veränderungen bis zum Eintritt des Erbfalls 27 , genauer, bis zur Wirksamkeit der letztwilligen Verfügung beachtlich sein. 28 Ein wirksames Testament könne nicht vor Eintritt der Veränderung so, nachher anders gedeutet werden, dem stünde die Rechtssicherheit entgegen; außerdem stehe bereits der erklärte reale Wille einer Berücksichtigung späterer Umstände entgegen, denn der Erblasser wisse ja, daß er mit seinem Testament gerade die Rechtslage im Zeitpunkt des Wirksamwerdens gestalte. Spätere Veränderungen können danach nicht mehr über die Auslegung, sondern nur noch über die Anfechtung nach § 2078 11 BGB berücksichtigt werden. Hier zeigt sich, daß die Lücke nicht nur begrifflich bestimmt wird, sondern daß über den Lückenbegriff auch bereits eine Zulässigkeitsbegrenzung der ergänzenden Auslegung versucht wird. Die Grundsatzdiskussion kehrt also in der Auseinandersetzung um die Lücke wieder. Die Frage nach der nachträglichen Lücke kann daher eigentlich erst nach Klärung der Zulässigkeitsfrage beantwortet werden. Unproblematisch ist demgegenüber die ursprüngliche Lücke. Eine ursprüngliche Lücke in einem Vertrag soll zum Beispiel vorliegen, wenn in einem Praxistauschvertrag kein Konkurrenzverbot vereinbart wird. 29 Ein Testament kann von Anfang an lückenhaft sein, wenn der Bedachte vor Testamentserrichtung verstorBGH, Urt. v. 7.2.1957 - II ZR 249/55 = BGHZ 23, 282. Brox, Irrtumsanfechtung, S. 150 f. m. w. N.; Pal / Heinrichs § 157 Anm. 2 b. 25 Vgl. hierzu die Eingangsbeispiele, v. a. RG, Urt. v. 21.9.1920 III 143/20 = RGZ 100, 129. 26 Vgl. dazu z. B. Lindacher FamRZ 1974,345; speziell für den Erbvertrag Giencke FamRZ 1974,241. 27 Soergel / Damrau § 2084 Rn. 13. 28 OLG Köln, Beschl. v. 11.4.1969 2 Wx 22/69 = OLGZ 1969,290 (291); Pal/ Edenhofer § 2084 Anm. 1 d; Ennan / Hense § 2084 Rn. 8; MK / Leipold § 2084 Rn. 59. A. A. BGH, Urt. v. 30.4.1953 - IV ZR 244/52 = LM § 2084 BGB Nr.5; Schlüter § 22 11, S. 125. Erbfall und Wirksamkeit des Testaments können auseinander fallen, wenn z. B. die Verfügung aufschiebend bedingt ist (OLG Köln, Beschl. v. 11.4.1969 - 2 Wx 22/69 = OLGZ 1969, 290) oder Nacherbfolge angeordnet ist (z. B. BGH, Urt. v. 30.4.1953 - IV ZR 244/52 = LM § 2084 BGB Nr. 5) oder bei hinausgeschobener Fälligkeit eines Vennächtnisses oder einer Auflage (BGH, Urt. v. 25.1.1971 - III ZR 171/67 = WM 1971,533); vgl. MK/Leipold § 2084 Rn. 59. 29 BGH, Urt. v. 18.12.1954 11 ZR 76/54 = BGHZ 16,71. 23

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7. Ergänzende Auslegung

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ben ist, ohne daß der Erblasser davon erfahren hat. 30 Eine ursprüngliche Lücke ist also dann gegeben, wenn der Erklärende irrtümlich die objektive Lage zur Zeit der Errichtung des Rechtsgeschäfts falsch bewertet. 31 bb) Die Planwidrigkeit der Lücke Eine Lücke soll weiterhin nicht vorliegen, wenn die getroffene Regelung bewußt abschließend sein soll. Haben die Vertragsparteien die Regelungsbedürftigkeit einer Frage erkannt, aber von ihrer Beantwortung absichtlich Abstand genommen, liegt eine nach dem Grundsatz der Privatautonomie und Vertragsfreiheit zu respektierende Entscheidung der Parteien vor, aber keine der Vertragsergänzung zugängliche Lücke. Die Lücke im Vertrag muß also planwidrig sein. 32 Andererseits wird gesagt, es solle gleichgültig sein, ob die Regelung im Vertrag versehentlich oder bewußt unterlassen wurde. Auch bei bewußter Unterlassung einer Regelung durch die Parteien, also offenem Einigungsmangel, soll die Vertragslücke nicht anhand des dispositiven Gesetzesrechts, sondern im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung geschlossen werden; es genüge, wenn feststehe, daß die Parteien jedenfalls die gesetzliche Regelung nicht wollten. 33 Ausschlaggebend ist also auch hier wieder das grundlegende Verständnis von der ergänzenden Auslegung, das letztlich auch das Verhältnis zum dispositiven Gesetzesrecht bestimmt. 30 Weitere Beispiele: BGH, Urt. v. 29.9.1977 11 ZR 214/75 = LM § 139 HGB Nr.9 BI. 4; BGH, Urt. v. 8.12.1982 - IVa ZR 94/81 = BGHZ 86, 41 = FamRZ 1983, 383 = JZ 1983,709 = NJW 1983,672 = Rpfleger 1983, 111; Johannsen WM 1972,66. 31 Brox, ErbR, Rn. 199; Pal / Heinrichs § 157 Anm. 2 b. 32 RG, Urt. v. 3.1.1928 III 152/27 = RGZ 119, 355; BGH, Urt. v. 18.12.1954 - 11 ZR 76/54 = BGHZ 16,76; BGH, Urt. v. 20.12.1956 - VII ZR 279/56 = BGHZ 23,53 (55); BGH, Urt. v. 10.6.1965 - 11 ZR 6/63 = NJW 1965, 1960; BGH, Urt. v. 4.10.1967 - VIII ZR 105/66 =BB 1968, 12 =WM 1967, 1250; BGH, Urt. v. 1.6.1979 - V ZR 80/77 = BGHZ 74, 376; BGH, Urt. v. 24.4.1985 - IVb ZR 17/84 = NJW 1985, 1835 (allerdings mit der Begründung, wenn der Vertrag alle Beziehungen für die Zukunft abschließend regeln solle, könne er auch nicht bei beiderseitigem Irrtum über einen künftigen Umstand geändert werden; damit würde die ergänzende Vertragsauslegung in den allermeisten Fällen unzulässig, denn ein Vertrag ist doch in der Regel dazu konzipiert, bestimmte Rechtsbeziehungen abschließend zu regeln, sonst hätte er keine befriedende Wirkung). Brox, AT, Rn. 137; Jauemig/ Jauemig § 157 Anm. 2 a; Larenz NJW 1963,737 (738); RGRK / Piper § 157 Rn. 100. 33 BGH, Urt. v. 12.12.1952 V ZR 99/51 = LM § 157 BGB (D) Nr. 1; BGH, Urt. v. 28.6.1982 - 11 ZR 226/81 = LM § 722 BGB Nr. 1 = NJW 1982,2816; BAG, Urt. v. 16.11.1979 - 2 AZR 1052/77 = DB 1980,934. Brox, AT, Rn. 136; Pal/Edenhofer § 157 Anm. 2 b. Offengelassen in BGH, Urt. v. 19.3.1975 - VIII ZR 262/73 = NJW 1975, 1116 mit Darstellung des älteren Streitstandes.

174

III. Inhaltsermittlung

Auch eine testamentarische Lücke soll nur geschlossen werden können, wenn die Unvollständigkeit planwidrig ist, also der Erblasser nicht bewußt nur über Teile seines Vermögens testiert und im übrigen gesetzliche Erbfolge eintreten läßt (vgl. § 2088 BGB). Daher sind ursprüngliche Lücken trotz Kenntnis des Erblassers von den bei der Testamentserrichtung gegebenen Fakten nicht der ergänzenden Auslegung zugänglich. 34 Es muß also ermittelt werden, ob der Erblasser einen Punkt bewußt (dann insoweit gesetzliche Erbfolge) oder unbewußt (dann ergänzende Auslegung) ungeregelt gelassen hat. Da der Erblasser hierzu nach dem Erbfall nicht mehr befragt werden kann, ist die Systemwidrigkeit anhand einer wertenden Beurteilung festzustellen, ob sich das Testament nach seinem Gesamtbild und seinen Zielen als lückenhaft darstellt oder nicht. 35 So soll zum Beispiel in einem Fall, in dem der testamentarisch Bedachte, der kein Abkömmling des Erblassers war (also § 2069 BGB nicht anwendbar war), vorverstorben war, ermittelt werden, ob der Erblasser die Erbschaft nur dem Bedachten als Einzelperson zuwenden wollte (keine systemwidrige Lücke), oder ob die Erbschaft etwa mittelbar dem Zweck dienen sollte, die Familie des Bedachten zu versorgen (systemwidrige Lücke), so daß im Wege der ergänzenden Auslegung diese Familienangehörigen als Ersatzerben anzusehen wären. 36 ce) Das Verhältnis von Lücke und Irrtum Diese wertende Ermittlung der Lücke wird auch noch anders umschrieben: Ob eine solche Lücke bestehe, müsse durch Auslegung des Rechtsgeschäfts ermittelt werden; nur dürfe diese Auslegung nicht bei der Ermittlung des Geschäftswillens stehen bleiben, sie müsse darüber hinaus die Motive und Umstände erforschen, die zu dem Geschäftswillen geführt haben. Eine ausfüllungsbedürftige Lücke liege dann vor, wenn beim Vertragsschluß beide Parteien und bei einem einseitigen Rechtsgeschäft der Erklärende einen bestimmten Umstand nicht oder in falscher Weise berücksichtigt haben. 37 Oder, noch deutlicher: Bei der ergänzenden Auslegung ermittelt man zunächst, ob der Erklärende bei der Willensbildung von einem unrichtigen Wertungsmoment oder Motiv ausgegangen ist; wenn das der Fall ist, muß gefragt werden, was der Erklärende bei richtiger Wertung gewollt und dementsprechend erklärt hätte. 38 Mitunter wird die ergänzende Auslegung sogar ganz offen als "berichtigende Auslegung wegen Motivirrtums des Erblassers" bezeichnet. 39 Das bedeutet, daß die "Lücke" nichts anderes als ein Motivirrtum ist. 34 Brox, ErbR, Rn. 199; Pal / Edenhofer § 2084 Anm. 1 d; Lange / Kuehinke § 33 III 5 d, S. 570; MK / Leipold § 2084 Rn. 39 ff. 35 Pal / Edenhofer § 2084 Anm. 1 d; MK / Leipold § 2084 Rn. 39. 36 RG, Besehl. v. 22.4.1920 - IV B 2/20 = RGZ 99,82; MK / Leipold § 2084 Rn. 53. 37 Brox, AT, Rn. 137. 38 Brox, ErbR, Rn. 198. 39 Brox, Irrtumsanfeehtung, S. 151/152.

7. Ergänzende Auslegung

175

Dieser Befund wird bestätigt, wenn man die verschiedenen Möglichkeiten der Fehlerhaftigkeit eines Rechtsgeschäfts genauer betrachtet. a) Testament

Das Testament stimmt nur im Idealfall in seinen tatsächlichen Voraussetzungen hundertprozentig mit der Wirklichkeit überein und regelt für diese abschließend die Rechtsfolgen, so daß einem fehlerfreien und vollständigen Tatbestand vollständige und fugenlos passende Rechtsfolgenanordnungen gegenüberstehen. Demgegenüber kann ein Testament in der Rechtswirklichkeit die verschiedensten Defizite aufweisen. Zum einen kann ein Testament schon von seinem Tatbestand her unvollständig sein, das heißt nicht alle Aspekte der Lebenswirklichkeit erfassen, die in seinen Anwendungsbereich fallen. Zum anderen ist es denkbar, daß das Testament für seine Rechtsfolgenanordnung einen vollständigen Tatbestand zugrundelegt, der aber nicht mit der Lebenswirklichkeit übereinstimmt. Weiterhin gibt es Fälle, in denen der Tatbestand entsprechend den Erfordernissen des Testaments vollständig und fehlerfrei ist, aber nicht für alle Fälle dieses Tatbestandes Rechtsfolgen gesetzt werden, also die Rechtsfolgenanordnung unvollständig ist. Schließlich ist an Fälle zu denken, in denen der Tatbestand vollständig und richtig erfaßt ist und auch einer umfassenden Rechtsfolgenanordnung gegenüber steht, jedoch in mancher Hinsicht Tatbestand und Rechtsfolge nicht zusammenpassen. aa) Tatbestandsdefizite

Bei den Tatbestandsdefiziten liegt es nun nahe, bei der Unvollständigkeit eine Lücke, bei der Nichtübereinstimmung mit der Lebenswirklichkeit dagegen einen Irrtum anzunehmen. Diesen Weg ist zum Beispiel von Lübtow gegangen. 40 Dagegen sprechen allerdings folge~de Überlegungen: -

Ein Testament muß, anders als zum Beispiel ein Urteil, nicht den Tatbestand aufführen, den es seiner Rechtsfolgenanordnung zugrundelegt. Um die Tatsachen festzustellen, die der Erblasser bei seiner Rechtsfolgenanordnung berücksichtigt hat, muß daher von der Rechtsfolgenanordnung auf den Tatbestand zurückgeschlossen werden. Selbst wenn ein solcher Tatbestand aber gefordert würde, bliebe das Problem, daß die Wahrnehmung der Lebenswirklichkeit sich in allen Bewußtseinsstufen abspielt und entsprechend auch die Wertungen, die der Testator seinem Testament zugrundelegt, nicht alle in scharfer und bewußter Weise ablaufen, sondern oft auch als halbbewußte oder unbewußte Tatsachen das Vorstellungsbild des Testators prägen, ohne daß er diese Tatsachen deshalb in den Tatbestand seines Testaments aufnehmen würde. 40

v. Lübtow, ErbR I, S. 303.

176

III. Inhaltsennittlung

-

Überdies kann zwischen bewußten und unbewußten Tatsachenvorstellungen des Erblassers nicht scharf abgegrenzt werden, vielmehr herrschen hier fließende Übergänge in allen Schattierungen. Bei dem Streit um die "unbewußten Vorstellungen" im Rahmen des § 207811 BGB hat diese Problematik Eingang in die juristische Diskussion gefunden. Da im vorliegenden Zusammenhang der Wortlaut des § 2078 11 BGB nicht entgegensteht, sprechen diese Abgrenzungsschwierigkeiten dafür, nicht zwischen bewußten und unbewußten Tatsachen zu unterscheiden. Auch für die Qualität einer Äußerung als privatautonome Regelung spielt es keine Rolle, in welcher Bewußtseinsebene der Erklärende bestimmte Tatsachen berücksichtigt hat; entscheidend ist nur, ob er sie überhaupt berücksichtigt hat oder nicht. Für die Frage nach der Vollständigkeit des vom Erblasser zugrundegelegten Tatbestandes kann es somit nicht auf den Bewußtseinsgrad ankommen.

-

Vollständigkeit des Tatbestandes kann weiterhin nur meinen, daß im Hinblick auf die gesetzten Rechtsfolgen alle dafür entscheidenden Tatsachen erfaßt worden sind; gemeint sein kann demgegenüber nicht eine vollständige Abbildung der Lebenswirklichkeit. Zum einen ließe sich schon rein mengenmäßig eine vollkommene Wirklichkeitsabbildung nicht bewältigen, selbst wenn man neben der sprachlichen Darstellung noch andere Medien heranziehen würde. Vor allem aber gibt es keine objektive Lebenswirklichkeit als solche; diese wird vielmehr nur in der subjektiven individuellen Wahrnehmung eines jeden einzelnen Menschen greifbar. Menschliche Wahrnehmung von Tatsachen ist aber immer auch schon wertend, so daß auch ein und dieselbe Lebenssituation nie von allen Menschen identisch wahrgenommen wird; das zeigen zum Beispiel die oft divergierenden Aussagen mehrerer (auch am Geschehen selbst nicht beteiligter) Zeugen vor Gericht, selbst wenn es sich um einfache Geschehensabläufe wie z. B. einen Auffahrunfall im Straßenverkehr handelt. Ebenso wertet auch ein Testator die Lebenswirklichkeit, die er als Tatbestand seinen Rechtsfolgeanordnungen zugrundelegen will. Wenn ein Erblasser an einem sonnigen Sonntag-Nachmittag nach einem gehaltvollen Mittagessen und einem Ruhestündchen beschließt, in dieser Zeit der Muße endlich das schon lange geplante Testament zu errichten, so sind sowohl der Sonnenschein als auch der Kalbsrahmbraten als auch der Mittagsschlaf Aspekte der Lebenswirklichkeit, die der Testator auch wahrgenommen hat, die er aber gleichwohl in seinem Testament kaum erwähnen wird, da sie für den Gegenstand, den er regeln will, keine Bedeutung haben. Insoweit ist das Testament in seinem Tatbestand im Vergleich zur Lebenswirklichkeit unvollkommen, es ist aber nicht lückenhaft oder irrtumsbehaftet, denn der Erblasser hat nur Umstände weggelassen, die für den geregelten Gegenstand keine Bedeutung haben. Umgekehrt wird der Testator deshalb den Umstand erwähnen, daß der ihm gehörende Betrieb einen Jahresgewinn von 500000 DM abwirft, wenn er diesen Betrieb einem seiner Kinder zuwenden will und diese Zuwendung zu den Zuwendungen an die anderen Kinder in einem bestimmten Verhältnis

7. Ergänzende Auslegung

177

stehen soll. Nicht immer aber läßt sich so klar entscheiden, welche Tatsachen für die Rechtsfolgenanordnung Bedeutung haben oder nicht. Sind die Kinder des Erblassers zwischen 8 und 10 Jahre alt, wird der Erblasser die Schulfreunde seiner Kinder kaum in seine Überlegungen einbeziehen. Sind die Töchter aber zwischen 28 und 30 Jahre alt und mit ihren Freunden inzwischen verheiratet, so wird der Erblasser die Familienverhältnisse der Töchter, also auch die Schwiegersöhne berücksichtigen. Ein wirtschaftlich denkender Testator wird z. B. den Betrieb, in dem sich bisher keine der Töchter engagiert hat, am ehesten der Tochter zuwenden, deren Mann seit mehreren Jahren im Management dieses Betriebes tätig ist, und damit dem Stamm der Familie, in dem eine lebendige Verbindung mit dem Betrieb am ehesten gewährleistet ist; den anderen Töchtern wird er eher die Grundstücke und Wertpapiere zukommen lassen. Wie aber, wenn die Töchter zwischen 18 und 20 Jahre alt und verlobt sind? Verbindungen in diesem Alter können dauerhaft sein, müssen es aber nicht sein. Wenn nun der Erblasser ohne nähere Gründe der Tochter A, die Jura studiert und mit einem (nicht im Betrieb mitarbeitenden) Braumeister liiert ist, die Brauerei zuwendet, der Ökotrophologie studierenden B.die Grundstükke und der Assyrologin C die Wertpapiere, im Zeitpunkt des Wirksam werdens des Testaments A sich aber wider Erwarten von ihrem Braumeister getrennt hat, so kann es im nachhinein schwierig sein festzustellen, ob der Erblasser der A den Betrieb im Hinblick auf ihr Jurastudium oder im Hinblick auf ihren Braumeister zugewendet hat. Im Streitfall wird A sich auf ihr Jurastudium berufen, während B, die inzwischen von Ökotrophologie auf Betriebswirtschaft umgesattelt hat, das Gewicht des Braumeisters bei der väterlichen Entscheidung betonen wird. Das Beispiel zeigt, daß es häufig gar nicht möglich ist festzustellen, ob der vom Erblasser zugrundegelegte Tatbestand im Hinblick auf die Rechtsfolge vollständig ist, aber nicht mit der Lebenswirklichkeit übereinstimmt, oder ob der zugrundegelegte Tatbestand im Hinblick auf die Rechtsfolge unvollständig ist. Im Beispiel könnte man das vom Erblasser zugrundegelegte Tatsachenmaterial für unvollständig halten, weil der Erblasser weder die Auflösung der Verbindung der A mit dem Braumeister noch den Fachwechsel der B einbezogen hat. Gleichzeitig könnte man aber auch sagen, das vorgestellte Tatsachenmaterial sei vollständig gewesen, nur stimmten einige der vorgestellten Tatsachen nicht mit der Wirklichkeit überein; der Erblasser ging von einer Verlobung der A aus, nur vom falschen Verlobten, wenn A nunmehr mit einem Architekten verlobt ist, und der Erblasser bedachte auch das Studium der B, ging aber vom falschen Studiengang aus. Das bedeutet, daß die ersten beiden Fallgruppen, die Tatbestandsdefizite, nämlich der unvollständige und der fehlerhafte Tatbestand, in Wirklichkeit identisch sind.

12 Stumpf

178

III. Inhaltsennittlung

Nach allgemeinem Verständnis wäre aber im Fall der Unvollständigkeit des Tatbestandes eine Lücke gegeben, die die ergänzende Auslegung eröffnet (sofern die Lücke planwidrig ist, also die Verlobung der A und der Studiengang der B für den Erblasser überhaupt eine Rolle gespielt haben). Gleichzeitig handelt es sich aber auch um einen klassischen Fall des Motivirrtums, nämlich um einen Fehler in der Willensbildung; der Erblasser irrt nicht darüber, daß er A die Brauerei und B die Grundstücke zuwenden will, er irrt aber über die Voraussetzungen, unter denen er diesen Geschäftswillen gebildet hat; sofern dieser Irrtum für den gebildeten Geschäftswillen kausal war, wäre daher auch die Anfechtung nach § 2078 11 BGB eröffnet. Das bedeutet, daß Defizite im vom Erblasser zugrundegelegten Tatbestand, seien es Unvollständigkeiten oder Abweichungen zur Lebenswirklichkeit, immer gleichzeitig eine Lücke im Sinn der ergänzenden Auslegung und einen Motivirrtum im Sinn der Irrtumsregeln begründen, unabhängig davon, ob die entsprechende Tatsache vom Erblasser bewußt, halbbewußt oder unbewußt berücksichtigt wurde. Das Erfordernis, daß die entsprechende Tatsache aber vom Erblasser jedenfalls irgendwie für seine Rechtsfolgenanordnung berücksichtigt worden sein muß und er ohne das Defizit anders testiert hätte, ist aber nichts anderes als die Planwidrigkeit der Lücke oder die Kausalität zwischen Irrtum und Verfügung. Auch diese beiden Kriterien sind also identisch. 41

J3J3) Rechtsfolgendefizite Auf der Rechtsfolgenseite ist es nun ebenfalls denkbar, daß der Erblasser entweder nicht für das gesamte relevante vollständige und richtige Tatsachenmaterial eine Rechtsfolge setzt, oder aber zwar für den vollständigen und richtigen Tatbestand auch umfassende Rechtsfolgeanordnungen trifft, die aber zum vorgestellten Tatbestand nicht passen. Eine unvollständige Rechtsfolgenanordnung wäre zum Beispiel gegeben, wenn der Erblasser der Tochter A statt des gesamten Brauereibetriebs nur das Betriebsgrundstück zuwendete, obwohl er meinte, ihr die gesamte Brauerei zukommen zu lassen. Eine Lücke im Sinne der ergänzenden Auslegung könnte hier nur eine ursprüngliche Lücke sein, das heißt eine irrtümlich falsche Bewertung der objektiven Lage durch den Erklärenden zur Zeit der Errichtung des Rechtsgeschäfts. 42 Das ist hier nicht der Fall, denn der Erblasser bewertet nicht die objektive Lage falsch, sondern findet nur eine unzureichende Rechtsfolgenanordnung. Demgegenüber wäre hier ein Inhaltsirrtum anzunehmen, wenn eine objektivnormative erläuternde Auslegung die Zuwendung des Betriebsgrundstücks ergä41

42

Ebenso Brox, Irrtumsanfechtung, S. 145 ff. Brox, ErbR, Rn. 199.

7. Ergänzende Auslegung

179

be, obwohl der Erklärende subjektiv den gesamten Betrieb zuwenden will; denn ein Inhaltsirrtum ist nichts anderes als das Auseinanderfallen von subjektivem Geschäftswillen und maßgeblicher Erklärungsbedeutung. 43 Beim subjektiv auszulegenden Testament kann es demgegenüber zu einem Inhaltsirrtum nicht mehr kommen, denn hier wird gerade der subjektive Geschäftswille als maßgeblicher Erklärungsinhalt ermittelt. Aufgrund erläuternder Auslegung maßgeblicher Erklärungsinhalt wäre daher im Beispielsfall die Zuwendung der Brauerei, unabhängig von der gewählten Formulierung. Der Fall der unvollständig gesetzten Rechtsfolge ohne Tatbestandsdefizit kann daher beim Testament wie bei allen subjektiv auszulegenden Willenserklärungen nicht auftreten, weil hier gerade die vom Erklärenden aufgrund des von ihm vorgestellten Tatbestandes wirklich gewollte Rechtsfolge ermittelt wird. yt) Insbesondere: Der Rechtsirrtum

Etwas schwieriger wird der Fall, wenn der Erblasser der Tochter A statt des gesamten Brauereibetriebs nur das Betriebsgrundstück zuwendete in der Annahme, mit der Übertragung des Grundstücks gehe automatisch auch der gesamte Betrieb über. Dieser Fall läßt sich nämlich gleichzeitig als Tatbestandsdefizit oder als Rechtsfolgendefizit auffassen. Ein Rechtsfolgendefizit wäre etwa dahingehend zu begründen, daß der Erblasser der Tochter ja auf jeden Fall die gesamte Brauerei zuwenden wollte und das Tatsachenmaterial (Tochter luristin, Schwiegersohn Braumeister, Wert der Brauerei im Verhältnis zum anderen Vermögen etc.) ja richtig gewürdigt habe, so daß dieser Fall nicht anders zu beeurteilen sei als der vorhergehende, die Lösung also über den Inhaltsirrtum beziehungsweise beim subjektiv auszulegenden Testament bereits über die erläuternde Auslegung zu erfolgen habe. Gleichzeitig könnte man aber auch ein Tatbestandsdefizit annehmen, da zu den Tatsachen nicht nur Beruf und Familienverhältnisse der Tochter oder der Wert des zugewendeten Gegenstands, sondern auch die objektive allgemeine Rechtslage gehöre, die nach deutschem Recht zwischen Betrieb und Betriebsgrundstück unterscheidet; als Tatbestandsdefizit wäre der Fall dann als ergänzungsfähige Lücke beziehungsweise als Motivirrtum zu qualifizieren. Diese Ambivalenz des Irrtums über die Rechtslage schlägt sich auch nieder in der Rechtsprechung zum Rechtsfolgenirrtum, wonach einerseits ein Inhaltsirrtum zu bejahen ist, wenn das Rechtsgeschäft nicht die erstrebten, sondern davon wesentlich verschiedene Rechtsfolgen erzeugt. 44 Andererseits ist nach der Rechtsprechung § 119 I BGB nicht anwendbar (das heißt es liegt ein dort unbeachtlicher Motivirrtum vor), wenn das Rechtsgeschäft außer den erstrebten Wir43 Soergel/Hefennehl § 119 Rn. 17; Pal/Heinrichs § 119 Anm. 5; RGRK/KrügerNieland § 119 Rn. 3; Rn. 24. 44 RG, Urt. v. 3.6.1916 V 70/16 = RGZ 88, 278 (284); RG, Urt. v. 21.10.1916 - V 204/16 = RGZ 89, 29 (33); OLG Zweibrücken, Urt. v. 14.7.1976 - 1 U 238/ 75 = VersR 1977, 806.

12*

180

III. Inhaltsermittlung

kungen noch andere, nicht erkannte und nicht gewollte Nebenfolgen hervorbringt. 45 Die Kasuistik belegt, daß nach diesen Umschreibungen im Einzelfall nur sehr schwer abzugrenzen sein kann. 46 Dieser Umstand und die damit verbundene Rechtsunsicherheit, vor allem aber auch die einheitliche Fehlerstruktur bei diesen Rechtsfolgenirrtümern sprechen für eine einheitliche Lösung, wobei wiederum stärkere Gründe dafür sprechen, hier ein Rechtsfolgendefizit und damit einen Inhaltsirrtum bzw. eine über die subjektive erläuternde Auslegung zu suchende Lösung anzunehmen. Zumal aus der Sicht des juristischen Laien liegen allgemeine rechtliche Zusammenhänge auf derselben Ebene wie die rechtliche Regelung, die er mit seiner Willenserklärung erzielen will, und sind jedenfalls etwas anderes als mit den Sinnen wahrnehmbare Tatsachen; das Grundstück, das in der Brauerei produzierte Bier und den Schwiegersohn kann der Erblasser sehen, sie sind nachweisbar, die objektive Rechtslage wie die konkret-individuelle Regelung sind dagegen das Ergebnis allgemeiner oder individueller Normierung. Im übrigen sind allgemeine und individuelle Normierung auch gar nicht voneinander zu trennen. Wenn ein Arbeitnehmer und ein Arbeitgeber einen Aufhebungsvertrag schließen, ist Inhalt dieser individuellen Regelung, daß alle Rechte und Pflichten aus dem Arbeitsvertrag enden sollen. Welche Rechte und Pflichten das sind, bestimmt sich außer aus dem Arbeitsvertrag nach dem objektiven allgemeinen Recht, das damit auch den Inhalt der konkreten Aufhebungserklärung bestimmt; dadurch wird ein Irrtum über die allgemeine Rechtslage auch zu einem Irrtum über den Inhalt der eigenen Willenserklärung. 47 Wer eine Erbschaft ausschlägt, setzt mit dieser individuellen Regelung auch die Wirkungen der Ausschlagung nach dem allgemeinen Recht in Kraft; auch der Verlust des Pflichtteilsrechts nach dem Gesetz wird damit Bestandteil der konkreten Willenserklärung. 48 Der Rechtsirrtum wäre danach als Rechtsfolgendefizit über die subjektive Auslegung oder den Inhaltsirrtum zu lösen. Das gilt auch dann, wenn aufgrund einer Veränderung der Rechtslage das Rechtsfolgendefizit erst nachträglich auftritt, etwa durch Einfügung des Erbersatzanspruchs für das nichteheliche Kind durch das NEheiG. Hier wird zum Teil eine Lücke angenommen und die ergänzende Auslegung eröffnet. 49 Die Ambivalenz des Rechtsirrtums zwischen Tatbestand und Rechtsfolgenanordnung macht sich also auch hier bemerkbar. Nach dem Gesagten spricht die Fehlerstruktur auch hier dafür, das Hauptgewicht des Defizits einheitlich nicht bei der Tatsachenvorstellung, sondern bei der Rechtsfolge anzunehmen und die Lösung bei der 45 RG, Urt. v. 5.11.1931 VIII 344/31 = RGZ 134, 195 (197f.); OLG Hamm, Besch!. v. 16.7.1981 - 15 W 42/81 = OLGZ 1982,42 (49). 46 Vg!. die Nachweise bei Staud / Dilcher § 119 Rn. 31 ff.; Pal / Heinrichs § 119 Anm.5 d. 47 A. A. BAG, Urt. v. 16.2.1983 7 AZR 134/81 = NJW 1983,2958. 48 Ebenso OLG Hamm, Besch!. v. 16.7.1981 15 W 42/81 = OLGZ 1982,42. 49 S. O.

7. Ergänzende Auslegung

181

subjektiv auszulegenden Willenserklärung über die erläuternde Auslegung, ansonsten über die Anfechtung wegen Inhaltsirrtums zu suchen.

öö) Die vergessene Verfügung In den Bereich der unvollkommenen Rechtsfolgenanordnung gehört auch die vergessene Verfügung, wenn etwa der Erblasser in voller Kenntnis der Sachlage die Zuwendung der Brauerei an A ganz vergessen und lediglich die Zuwendungen an Bund C aus dem Entwurf in die Reinschrift übertragen hat.

Wenn man auch hier wieder unter einer Lücke im Sinne der ergänzenden Auslegung nur eine irrtümlich falsche Bewertung der objektiven Lage durch den Erblasser versteht, ist eine Lücke hier nicht gegeben und damit die ergänzende Auslegung nicht eröffnet, denn die objektive Lage ist vom Erblasser ja ganz richtig beurteilt worden. 50 In der Irrtumsterminologie würde es sich hier, vorausgesetzt als Auslegungsgegenstand die gesamte Willenserklärung und nicht die einzelne Verfügung 51 , um einen Erklärungsirrtum handeln, wenn der Inhalt der Willenserklärung objektiv-normativ zu bestimmen ist; denn aufgrund eines Fehlers im Erklärungsakt stimmen subjektiv gewollte und maßgebliche Regelung nicht überein. 52 Beim subjektiv auszulegenden Testament wird als maßgebliche Regelung allerdings der subjektive Geschäftswille ermittelt, so daß es einen Erklärungsirrtum hier nicht geben kann. Damit ist auch der Fall der vergessenen Verfügung bei der subjektiv auszulegenden Willenserklärung über die erläuternde Auslegung zu lösen. 53 u:) Diskrepanz zwischen Tatbestand und Rechtsfolgenanordnung

Schließlich bleibt als letzte Fallgruppe die vollständige Rechtsfolgenanordnung, die einem vollständigen und richtigen Tatbestand gegenübersteht, auf diesen aber nicht richtig paßt. Dieser Fall wäre etwa gegeben, wenn aufgrund einer Verwechslung B die Brauerei und A die Grundstücke erhält, oder wenn der Erblasser der A die Brauerei vermacht, aber eine Erbeinsetzung mit Teilungsanordnung meint. Auch hier liegt keine Fehlbewertung der objektiven Lage und somit keine Lücke im Sinne der ergänzenden Auslegung vor, wohl aber ein Erklärungsirrtum Ebenso Lange / Kuchinke § 33 III 5 d, S. 570. Sonst würde es bereits an einer "Erklärung" fehlen, s. o. 52 Flume, AT 11, § 23, 4 a, S. 457; Soergel / Hefermehl § 119 Rn. 11; Pal / Heinrichs § 119 Anm. 4; RGRK / Krüger-Nieland § 119 Rn. 3; Larenz, Auslegung, S. 68; SchmidtRimpler, Festsehr. Lehmann I, S. 213 (219). 53 Ebenso BGH, Beschl. v. 9.4.1980 IVa ZB 4/80 = BGHZ 80, 242. Dort ging es zwar um ein gemeinschaftliches Testament, doch waren die einzelnen Willenserklärungen aufgrund übereinstimmenden Verständnisses der Ehegatten subjektiv auszulegen, 50 51

s. o.

III. Inhaltsermittlung

182

(im ersten Fall) bzw. ein Inhaltsirrtum (im zweiten Fall) bei objektiv-normativer erläuternder Auslegung. Bei der subjektiven Testamentsauslegung wäre auch hier bereits das wirklich Gewollte als maßgeblicher Inhalt zu ermitteln, so daß es zu einem Irrtum nicht mehr kommt. 54 Auch auf der Rechtsfolgenseite sind also Unvollständigkeit und Fehler gleich zu behandeln. ~~)

Gesinnungswandel des Erblassers

Nicht in diese Fallgruppe einzuordnen ist allerdings der Gesinnungswandel des Erblassers, obwohl man auch hier annehmen könnte, daß vorgestellter Tatbestand und angeordnete Rechtsfolge nicht mehr zueinander paßten. Für die Frage nach der maßgeblichen Gesinnung, das heißt dem Geschäftswillen des Erblassers, kommt es aber nur auf den Zeitpunkt der Testamentserrichtung an. 55 Nachträgliche Fehler dieser Art auf der Rechtsfolgenseite kann es also im Gegensatz zur nachträglichen Lücke auf der Tatbestandsseite nicht geben, sie können nur über ein neues Testat beachtlich werden. Damit ergibt sich für das Verhältnis von Lücke und Irrtum beim Testament: Tatbestandsdefizite sind grundsätzlich gleichzeitig Motivirrtum und Lücke im Sinne der ergänzenden Auslegung. Rechtsfolgendefizite können nur bei objektivnormativer erläuternder Auslegung auftreten und begründen einen Erklärungsoder Inhaltsirrtum, eine Lücke im Sinne der ergänzenden Auslegung ist hier nicht gegeben. 56

ß) Nicht empfangsbedürftige Willenserklärungen unter Lebenden Bei nicht empfangsbedürftigen Willenserklärungen unter Lebenden ist die ergänzende Auslegung und insbesondere der Lückenbegriff im Verhältnis zum Irrtum, soweit ersichtlich, nicht erörtert worden. Es spricht jedoch nichts dagegen, das für das Testament gefundene Ergebnis auch auf die nicht empfangs bedürftige Willenserklärung unter Lebenden zu übertragen. Die Struktur von Tatbestandsdefiziten und Rechtsfolgendefiziten ist bei allen Willenserklärungen gleich, da diese Defizite unabhängig von der Rechtsnatur der Willenserklärung ihren Grund in der Vorstellungswelt des Erklärenden haben. Die Rechtsnatur der Willenserklärung wirkt sich lediglich auf den Auslegungsmaßstab aus und damit auf die Frage, ob es wegen einer objektiv-normativen Auslegung ein Rechtsfolgendefizit in Gestalt eines Inhalts- oder Erklärungsirrtums geben kann oder die wirklich gewollte Rechtsfolge bereits im Wege der erläuternden Auslegung zu finden ist. 54 55 56

Im Ergebnis ebenso Lange / Kuchinke § 35 III 1 c, S. 611 f. S. o.

Ebenso für die anfängliche Lücke MK / Leipold § 2084 Rn. 42.

7. Ergänzende Auslegung

183

y) Empfangsbedürftige Willenserklärungen unter Lebenden und von Todes wegen und wechselbezügliche Verfügungen im gemeinschaftlichen Testament

Mit dieser Maßgabe gilt das gefundene Ergebnis daher gleichzeitig auch für empfangs bedürftige Willenserklärungen unter Lebenden und von Todes wegen und für die wechselbezügliche Verfügung im gemeinschaftlichen Testament. ö) Vertrag unter Lebenden

Bei einem Vertrag unter Lebenden ist aber neben dem einseitigen Tatbestandsoder Rechtsfolgendefizit auch noch ein beiderseitiges Tatbestands- oder Rechtsfolgendefizit vorstellbar. Das einseitige Rechtsfolgendefizit begründet bei der vertraglichen Willenserklärung, die wegen des Vertrauensschutzes des Empfängers objektiv-normativ auszulegen ist, nach dem Gesagten einen Inhalts- oder Erklärungsirrtum und berechtigt damit zur Anfechtung nach § 119 I BGB. Beim beiderseitigen "Rechtsfolgenirrtum", sofern er zu einem gleichgearteten Geschäftswillen bei beiden Parteien führt, ist entsprechend dem subjektiven Verständnis beider Parteien jede der Vertragserklärungen erläuternd auszulegen, so daß von einem Rechtsfolgendefizit und damit von einem Irrtum hier nicht gesprochen werden kann. Ein beiderseitiger Rechtsfolgenirrtum, der zu einem unterschiedlichen Geschäftswillen der beiden Parteien führt, ist nicht anders zu beurteilen als der einseitige Rechtsfolgenirrtum; das aufgrund objektiv-normativer Auslegung gefundene Auslegungsergebnis kann hier also wegen Inhaltsoder Erklärungsirrtums angefochten werden. Eine Lücke im Sinne der ergänzenden Auslegung ist in keinem dieser Fälle gegeben, sofern man den Irrtum über die allgemeine Rechtslage nicht als Tatbestandsdefizit, sondern als Rechtsfolgendefizit ansieht und damit bereits über die subjektive (erläuternde) Auslegung oder bei objektiv-normativer Auslegung über die Anfechtung wegen Inhaltsirrtums löst. Eine Lücke soll aber bei offenem Dissens vorliegen, wenn feststehe, daß die Parteien jedenfalls die gesetzliche Regelung nicht wollten. 57 Hier ist, bezogen auf die einzelnen Willenserklärungen, weder ein Tatbestandsdefizit noch ein Rechtsfolgendefizit gegeben, denn beide Parteien kennen hier sowohl die relevanten Tatsachen als auch die richtige Bedeutung beider Willenserklärungen. Allenfalls könnte man ein Tatbestandsdefizit dahingehend konstruieren, daß die Parteien, wenn sie die gesetzliche Regelung auf keinen Fall wollten, von einer künftigen Einigung auch über den strittigen Punkt ausgegangen seien. Aber auch in diesem Fall fehlt es an der Planwidrigkeit der Lücke beziehungsweise der Kausalität 57

S. o.

184

III. Inhaltsermittlung

zwischen Motivirrtum und Regelung; denn auch wenn die Parteien gewußt hätten, daß eine künftige Einigung nicht zustande kommt, wäre über den strittigen Punkt bei Vertrags schluß keine Einigung erzielt worden; das ist der Unterschied zwischen offenem und verdecktem Dissens. Wenn hier dennoch die Lücke bejaht und die ergänzende Auslegung eröffnet wird, werden also die Korrekturmöglichkeiten der ergänzenden Vertragsauslegung gegenüber der Auslegung der einzelnen Willenserklärung erweitert, indem sie nicht nur Vorstellungsdefizite ausgleichen, sondern auch eine unterbliebene Einigung der Parteien ersetzen soll. Ob dies zulässig und geboten ist, kann sich aber nicht aus einem erweiterten Lückenbegriff ergeben. Das einseitige Tatbestandsdefizit ist auch hier nichts anderes als ein Motivirrtum, der allerdings unter Lebenden uneingeschränkt nur bei der nicht empfangsbedürftigen Willenserklärung, bei der empfangsbedürftigen Willenserklärung dagegen nur im Rahmen von § 119 11 und § 123 BGB beachtlich ist. Beim Vertrag soll nun eine Lücke nicht beim einseitigen, sondern nur beim gemeinsamen gleichartigen Motivirrtum gegeben sein, wie überhaupt bei der ergänzenden Vertragsauslegung nicht auf die einzelne Willenserklärung, sondern auf das gesamte Rechtsgeschäft abgestellt wird. Auch insofern ist also der Lückenbegriff hier ein anderer als bei der einseitigen Willenserklärung. Auch dieser Unterschied ist wieder im grundsätzlichen Verständnis der ergänzenden Auslegung begründet, das der ergänzenden Vertragsauslegung eine weiterreichende Korrekturfunktion einräumt als der ergänzenden Auslegung einseitiger Willenserklärungen. E) Erbvertrag und gemeinschaftliches Testament

Beim Erbvertrag stellt sich der Irrtum grundsätzlich nicht anders dar als beim Vertrag unter Lebenden. Ein Tatbestandsdefizit ist daher auch hier ein Motivirrtum, ein beiderseitiges Tatbestandsdefizit ein beiderseitiger Motivirrtum. Ob ein Rechtsfolgendefizit vorliegt, hängt vom Maßstab der erläuternden Auslegung ab. Ein Rechtsfolgendefizit kann es demnach bei der einseitigen, nicht vertragsmäßigen Verfügung unter Lebenden oder von Todes wegen im Erbvertrag nicht geben, da hier bereits die erläuternde Auslegung die wirklich gewollte Rechtsfolge ermittelt. Die vertragsmäßige Verfügung im Erbvertrag ist bei gemeinsamem Verständnis der Partner ebenfalls entsprechend diesem gemeinsamen Verständnis subjektiv auszulegen, so daß es auch hier zu einem Rechtsfolgendefizit nicht kommen kann. Nur ein einseitiges Rechtsfolgendefizit bei der vertragsmäßigen Verfügung, das zu einem unterschiedlichen Verständnis der Erklärung bei Erklärendem und Vertragspartner führt, ist beachtlich, es begründet einen Inhalts- oder Erklärungsirrtum.

7. Ergänzende Auslegung

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Wann beim Erbvertrag eine Lücke vorliegt, die die ergänzende Auslegung eröffnet, ist demgegenüber noch weitgehend ungeklärt; allenfalls die Frage, auf wessen hypothetischen Willen abzustellen ist, also der Auslegungsmaßstab wird hier diskutiert. Einigkeit dürfte aber auch hier jedenfalls insoweit bestehen, als nicht Defizite im Geschäftswillen selbst, sondern nur Defizite im Vorfeld des Geschäftswillens eine Lücke eröffnen können; auch hier sind daher nur Tatbestandsdefizite, nicht Rechtsfolgendefizite als Lücken denkbar. Ob das einseitige oder nur das zweiseitige Tatbestandsdefizit eine Lücke ergeben kann, kann aber auch hier wieder nur das grundsätzliche Verständnis der ergänzenden Auslegung beantworten. Entsprechendes gilt für das gemeinschaftliche Testament. c) Methode

Nur generalklauselartig geklärt ist auch die Methode der ergänzenden Auslegung. Auch hier wird zwischen den verschiedenen Rechtsgeschäften, vor allem zwischen Testamenten und Verträgen unter Lebenden unterschieden. aa) Testament Bei der ergänzenden Testamentsauslegung ist nach der Rechtsprechung und überwiegenden Ansicht der hypothetische Erblasserwille zu ermitteln mit der Frage, wie er testiert hätte, wenn er die veränderte Situation erkannt hätte. 58 Ermittelt wird also ein unwirklicher, irrealer Wille, den der Erblasser tatsächlich nicht gehabt hat, den er aber nach seiner Willensrichtung bei Errichtung der Verfügung gehabt hätte, wenn er vorausschauend später eingetretene Ereignisse bedacht hätte. 59 Man muß sich also stets in den früheren Zustand zurückversetzen und von dort in die damalige Zukunft schauen. Da es um einen irrealen Willen geht, kann seine Ermittlung nur eine normative Berücksichtigung sein. 60 Ergänzende Auslegung zielt also nicht darauf ab, den 58 RG, Beseh!. v. 2.11.1933 IV B 43/33 = RGZ 142, 171 (175); BGH, Urt. v. 15.12.1956 - IV ZR 238/56 = BGHZ 22,357; BGH, Urt. v. 23.1.1963 - V ZR 82/ 61 = NJW 1963, 1150 (1151); BayObLG, Beseh!. v. 5.12.1966 - BReg. 1a Z 32/66 = BayObLGZ 1966, 391 (394); OLG Karlsruhe, Beseh!. v. 28.10.1980 - 11 W 96/ 79 = OLGZ 1981, 399 (407); Brox, ErbR, Rn. 199; Pa! / Edenhofer § 2084 Anm. 1d; Lange / Kuehinke § 33 m 3 d, S. 570; MK / Leipold § 2084 Rn. 43; Jauemig / Stümer § 2084 Anm. 2 d. 59 So für die nachträgliche Lücke RG, Beseh!. v. 22.4.1920 IV B 2/20 = RGZ 99,82 (85); RG, Urt. v. 19.3.1925 - IV 526/24 = RGZ 110,302 (306); RG, Urt. v. 10.12.1931 - IV 261/31 = RGZ 134,277 (280); BGH, Urt. v. 20.10.1952 - IV ZR 99/52 = DNotZ 1953, 100; BGH, Urt. v. 21.3.1962 - V ZR 157/61 = FamRZ 1962, 256 (257); Brox, Irrtumsanfechtung, S. 106 ff.; Brox, AT, Rn. 136 ff.; Brox, ErbR, Rn. 198; Lange / Kuehinke § 33 m 3 d, S. 570 f.; Leipold, ErbR, Rn. 302; Sehlüter § 22 11, S. 123. 60 Leipold, ErbR, Rn. 302.

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III. Inhaltsennittlung

bei Testamentserrichtung realen Willen zu ermitteln. Aus dem vorhandenen Geschäftswillen ist nur zu folgern, wie der Erblasser - unterstellt, er hätte die Lücke in seiner letztwilligen Verfügung gekannt - diese geschlossen hätte. Der real vorhandene Geschäftswille ist daher für die Richtung bestimmend, die bei der Ergänzung der lückenhaften Verfügung einzuschlagen ist. 61 Wegen der Gefahr, daß durch die ergänzende Auslegung, mit der ja die reale Gestaltung des Erblassers verlassen wird, die privatautonome Rechtssetzung durch einen richterlichen Akt ersetzt wird, wird stattdessen zum Teil auf den realen Erblasserwillen post testamentum abgestellt. 62 Diese Auffassung hat sich aber nicht dauerhaft durchsetzen können. 63 Stattdessen soll in dem Bemühen, die ergänzende Auslegung noch als Inhaltsermittlung einer privatautonomen Regelung zu verstehen, ein subjektiver Maßstab angelegt werden; die Willensrichtung des Erblassers soll weitergedacht werden, weder für eine Berücksichtigung eines Empfängerhorizontes noch für objektive Gerechtigkeitsgesichtspunkte soll Raum sein. 64 Obwohl die ergänzende Auslegung von Rechtsgeschäften methodisch der Analogie im Rahmen der Gesetzesauslegung entspricht,65 kann die Methode der Gesetzesauslegung hier nicht herangezogen werden. Der Richter kann zum Gesetzgeber, er darf aber nicht zum Erblasser werden. Der Gesetzgeber hat es aus guten Gründen abgelehnt, dem Richter den gestaltenden Eingriff in die Verfügung zu erlauben. 66 Zum einen sind Gesetzgebung und Rechtsprechung Organe der einen Staatsgewalt, während der Erblasser als privates Rechtssubjekt und der Richter als Hoheitsträger verschiedene Personen darstellen und unterschiedliche Interessen verkörpern. Zum anderen kann der Gesetzgeber die Entwicklung richterlicher Rechtsfortbildung mitverfolgen und gegebenenfalls durch eine Gesetzesänderung eingreifen, während das Privatrechtssubjekt eine ergänzende Rechtsgeschäftsauslegung durch den Richter nicht mehr korrigieren kann. Schließlich ist nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts bei der Gesetzesauslegung nicht nach dem subjektiven, sondern nach dem verobjektivierten Willen des Gesetzgebers zu fragen 67 , während bei der Rechtsgeschäftsauslegung grundsätzlich der subjektive Geschäftswille des Erklärenden beachtlich ist. Vor allem aber darf die ergänzende Auslegung, solange sie noch Auslegung, das heißt Inhaltsermittlung der Willenserklärung sein will, wie die erläuternde Auslegung nur an der Privatautonomie gemessen werden; sie könnte allenfalls durch die 61 Sehlüter § 22 II, S. 123. 62 Foer AeP 153 (1954), S.492; Keuk S. 69 ff.; Lange Wb 82 (1932), S. 1 (10 ff.). 63 Zu den strukturellen Bedenken und dem Fonnproblem s. o. 64

MK / Leipold § 2084 Rn. 44 ff.

65 Brox, Irrtumsanfeehtung, S. 153; Brox, ErbR, Rn. 194 (201); vgl. Larenz, Metho-

denlehre, S. 354 ff.; insb. zur Lüekenproblematik bei der Gesetzesauslegung (im Hinblick auf § 2078 11 BGB) ausführlich Heinz S. 69 ff. 66 Schlüter § 22 11, S. 124. 67 BVerfG, Beschl. v. 29.5.1987 - 1 BvR 1135/86 = NJW 1987,3246, m. zahlr. w.N.

7. Ergänzende Auslegung

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Privatautonomie eines Erklärungsempfängers oder des anderen Ehepartners beim gemeinschaftlichen Testament eingeschränkt werden; beim einfachen Testament als nicht empfangsbedürftiger Willenserklärung ist aber für einen solchen Vertrauensschutz kein Platz. Auch innerhalb der Privatautonomie des Erklärenden muß hier wie bei der erläuternden Auslegung die Selbstverantwortung gegenüber der Selbstbestimmung zurücktreten, weil es auch hier unendlich viele Möglichkeiten der Willensbildung gibt; dem Erblasser das Risiko der richtigen Willensbildung (das bedeutet beim Testament auch insbesondere das Risiko der perfekten Prognose) aufzuerlegen hieße seine Selbstbestimmung aushöhlen. Vor allem die Änderung äußerer Verhältnisse, aber auch den zur Zeit der Testamentserrichtung vorhandenen Bestand näherer und entfernterer Umstände, die sich als für das Testament bedeutsam herausstellen, hat der Erblasser noch weniger in der Hand als seinen eigenen Geschäftswillen. Damit kann auch die ergänzende Testamentsauslegung grundsätzlich nur nach einem subjektiven Maßstab erfolgen; eine objektive ergänzende Auslegung würde gegen die Privatautonomie des Erblassers verstoßen und die gewillkürte durch eine richterliche Erbfolge ersetzen. 68 Deutlich wird das an folgendem Lehrbuchbeispiel: 69 Der Erblasser hat laut Testament Y zu seinem Alleinerben eingesetzt, weil er irrtümlich annimmt, daß X ihn verleumdet habe. Hier ist das unrichtige Motiv (Verleumdung durch X) im Wege der ergänzenden Auslegung durch das richtige Motiv (keine Verleumdung durch X) zu ersetzen. "So führt eine richtig verstandene Auslegung zu dem allein befriedigenden Ergebnis, daß X Erbe ist. Selbst derjenige, der dieser Auslegungsmethode nicht folgen zu können glaubt, weil X im Testament nicht als Erbe eingesetzt worden sei, wird hier schwerlich eine Testamentsanfechtung des gesetzlichen Erben (z. B. des dem Erblasser unbekannten Neffen) durchgreifen lassen, denn es würde dem Erblasserwillen nicht entsprechen, daß - wenn schon nicht der Freund X - so doch jedenfalls der Freund Y, nicht aber der unbekannte Neffe Erbe sein soll."70 Zum einen wird hier, wenn der Neffe wirklich dem Erblasser unbekannt ist, übersehen, daß insoweit der Erblasser einem zweiten Motivirrtum erlegen ist, der nach der zitierten auslegungsfreundlichen Ansicht eigentlich ebenfalls durch ergänzende Auslegung korrigiert werden müßte, so daß eventuell durchaus der Neffe, vielleicht neben X und/ oder Y, zum Zug kommen könnte. Aber auch wenn man als feststehenden Willen des Erblassers zugrundelegt, daß alle gesetzlichen Erben ausgeschlossen sein sollen, so wäre doch in diesem Beispiel zumindest als weitere Möglichkeit in Betracht gekommen, daß der Erblasser bei richtiger Kenntnis der Sachlage X und Y als Miterben einsetzen wollte. Weshalb die MK / Leipold § 2084 Rn. 46. Nach Brox, Irrtumsanfechtung, S. 145; ein rechtlich gleich gelagerter Fall findet sich bei Brox, ErbR, Rn. 194. 70 Brox, Irrtumsanfechtung, S. 145. 68

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III. Inhaltsennittlung

Alleineinsetzung des X hier das allein befriedigende Ergebnis aus den verschiedenen denkbaren Möglichkeiten sein soll, wird nicht so recht klar; vor allem dem Y, der ja immerhin im Testament als Alleinerbe eingesetzt wurde, dürfte dies nur schwer begreiflich zu machen sein. Anders wäre es, wenn ein entsprechender Wille des Erblassers im gerichtlichen Verfahren festgestellt werden kann, doch würde dann kein hypothetischer, sondern ein realer Geschäftswille des Erblassers ermittelt, es würde sich also gar nicht mehr um ergänzende, sondern um erläuternde Auslegung handeln. Dieses Beispiel zeigt sehr schön, wie der hypothetische Erblasserwille eben letztlich doch nicht aus dem Testament heraus entwickelt wird und mangels hinreichender faktischer Anhaltspunkte oft auch gar nicht aus dem Testament heraus entwickelt werden kann, sondern daß das als gerecht empfundene Ergebnis letztlich doch in mehr oder weniger freier Rechtsschöpfung gefunden und allenfalls nachträglich mühsam mit Argumenten aus dem Testament begründet wird. 71 Das Gesetz trägt dieser Lebenserfahrung Rechnung, indem es beim Testament den Motivirrtum im Interesse der Privatautonomie des Erblassers zwar für beacht1ich erklärt, dafür aber in § 2078 11 BGB lediglich die kassatorische Anfechtung, kein reformatorisches Mittel zur Verfügung gestellt hat. Zwar war bei Inkrafttreten des Bürgerlichen Gesetzbuches die ergänzende Auslegung noch unbekannt, doch zeigen Vorschriften wie § 2101-2105, § 2169 11, § 2170, § 2173, § 20662076 BGB, daß das Gesetz durchaus auch reformatorische Regelungen bereithält, wenn es einen entsprechenden hypothetischen Erblasserwillen (wenn auch in typisierter Form) für gegeben hält. Beim Testament wird das praktische Problem, einen hypothetischen Willen zu ermitteln, besonders deutlich, weil der Erblasser im Prozeß über seine Willensbildung nicht mehr befragt werden kann. Angesichts dieses Dilemmas hat sich die Rechtsprechung weitgehend um eine zurückhaltende Anwendung der ergänzenden Auslegung bemüht und damit Zustimmung gefunden. 72 Diese Zurückhaltung wurde allerdings oft mit der Formgebundenheit des Testaments begründet und mithilfe der Andeutungstheorie gelöst. Nunmehr, nachdem auch die Rechtsprechung zwischen Auslegung (also auch ergänzender Auslegung) und Formprüfung unterscheidet, stellt sich heraus, daß das Problem der Ermittlung des hypothetischen Willens bereits der ergänzenden Auslegung selbst immanent ist, die Andeutungstheorie, die ja die Formfrage lösen will, das Problem daher schon aus diesem Grunde nicht bewältigen kann. Die Lösung ist vielmehr auch hier im grundlegenden Verständnis der ergänzenden Auslegung selbst zu suchen.

71 Kritisch zu dem genannten Beispiel auch Soergel I Damrau § 2084 Rn. 15; MK I Leipold § 2084 Rn. 47; Staud I Otte vor §§ 2064- 2086 Rn. 90. 72 Z. B. MK/Leipold § 2084 Rn. 46; Staudl Otte vor §§ 2064-2086 Rn. 100 f.

7. Ergänzende Auslegung

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bb) Nicht empfangs bedürftige Willenserklärung unter Leberiden Eine ergänzende Auslegung nicht empfangsbedürftiger Willenserklärungen unter Lebenden ist bisher weitgehend unerörtert geblieben. Angesichts der uneingeschränkten Widerrufsmöglichkeit und der Beachtlichkeit des Motivirrtums wird die Frage sicher auch nicht häufig praktisch werden. Doch bleibt - abgesehen von dem systematischen Interesse - auch hier der Fall denkbar, daß ein Widerruf ausgeschlossen ist (zum Beispiel wenn eine umfangreiche Forschungsarbeit ausgelobt werden und nicht von vornherein wegen des Widerrufsrisikos jede Attraktivität verlieren soll) und der Erklärende bei richtiger Kenntnis der Sachlage nicht die Nichtigkeit, sondern eine Willenserklärung mit anderem Inhalt gewollt hätte. Eine ergänzende Auslegung nicht empfangsbedürftiger Willenserklärungen unter Lebenden müßte wie die Testamentsauslegung nach einem subjektiven Maßstab erfolgen, weil auch hier der Privatautonomie des Erklärenden keine gleichwertigen Rechtsgüter entgegenstehen. Sie wäre auch eröffnet, weil bei der nicht empfangsbedürftigen Willenserklärung unter Lebenden der Motivirrtum beachtlich und eine ,,Lücke" nichts anderes als ein Motivirrtum ist. Allerdings bestehen auch hier praktische Schwierigkeiten, weil der Erklärende im nachhinein im Prozeß kaum noch unbefangen seinen hypothetischen Geschäftswillen im Zeitpunkt der Abgabe der Willenserklärung in der ex-anteBetrachtung erläutern wird, sondern zwangsläufig beeinflußt sein wird von der inzwischen erfolgten Entwicklung. Der Selbstinterpretation einer Partei, der bereits bei der erläuternden Auslegung mit Vorsicht zu begegnen war, kommt daher bei der Ermittlung eines vergangenen hypothetischen Geschäftswillens noch geringerer Erkenntniswert zu. Faktisch wird hier doch häufig der spätere reale Wille statt des früheren hypothetischen Willens den Ausschlag geben. cc) Vertrag unter Lebenden Bei der ergänzenden Vertragsauslegung sollten diese praktischen Schwierigkeiten, einen einigermaßen wahrscheinlichen hypothetischen Willen im Zeitpunkt der Abgabe der Willenserklärung zu ermitteln, eigentlich am geringsten sein, denn hier stehen in aller Regel alle Vertragsparteien auch im Prozeß zur Verfügung. Es bleibt daher auch hier allenfalls die Gefahr von Einseitigkeiten einer Selbstinterpretation. Hier dürfte der Grund dafür liegen, warum die ergänzende Vertragsauslegung nicht, wie es eigentlich allgemeiner Systematik entsprechen würde 73, in eine ergänzende Auslegung der jeweils vertragsbegTÜndenden Willenserklärungen aufgeteilt wird, sondern es hier bei der ergänzenden Auslegung "des Vertrages" 73

Ebenso Lüderitz S. 399; dagegen Larenz, AT, § 29 I, S. 539.

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III. Inhaltsennittlung

nur auf den Willen beider Parteien gemeinsam ankommen soll. Nach überwiegender Ansicht soll zur Ermittlung des hypothetischen Willens der Parteien von den im Vertrag getroffenen Wertungen auszugehen und zu fragen sein, was die Parteien bei Kenntnis der Lücke vernünftigerweise vereinbart hätten. 74 Die Ergänzung sei also aus dem realen subjektiven Willen heraus zu entwickeln. 75 Es sei aber der Vertrag als Normengefüge aus sich heraus nach Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte folgerichtig weiterzuentwickeln; es komme also nicht darauf an, wie die Lücke von den konkreten Parteien geschlossen worden wäre 0), zu welcher Regelung zum Beispiel die eine die andere überredet hätte. 76 Bei der Ermittlung des hypothetischen Parteiwillens sei nicht festzustellen, was jeder unter Berücksichtigung seines eigenen Interesses vermutlich gewollt hätte, sondern was beide Parteien, und zwar bei redlicher Denkweise als einen gerechten Interessenausgleich gewollt oder akzeptiert hätten. Der hypothetische Parteiwille sei also ein am Gedanken der ausgleichenden Vertragsgerechtigkeit orientiertes normatives Kriterium; doch dürfe das nicht so verstanden werden, als werde ein vertragsfremder Maßstab angelegt, vielmehr sei vom Vertrag als einer gegebenen Regelung auszugehen und zu fragen, was im Sinne dieser Regelung liegt und was ein verständig und redlich denkender Vertragspartner daher als durch den Vertrag gefordert gelten lassen muß. 77 Wie der Richter die Wertungen der Parteien bei der Lückenausfüllung zu Ende denken muß, hänge vom Einzelfall ab. Deshalb seien alle Umstände des Falles (Motive, Verkehrssitten, Interessenlage) zu berücksichtigen, oft helfe der Vertragszweck weiter. 78 Bei all diesen Formulierungen wird das Bemühen deutlich, die ergänzende Auslegung am Willen der Parteien zu orientieren und damit gegen eine objektive richterliche Bewertung abzugrenzen, die gegen die Privatautonomie der Parteien verstoßen würde und deshalb unzulässig wäre. 79 Gleichzeitig wird jedoch in der Sache weitgehend nicht dem Willen der Parteien der Ausschlag gegeben, vielmehr rücken Gesichtspunkte wie Treu und Glauben, Verkehrssitte, die Interessenlage und die Überlegung, was die Parteien "vernünftigerweise", "bei redlicher Denkweise" vereinbart hätten, in den Vordergrund. 80 Auch hier zeigt sich somit dasselbe Dilemma wie bei der ergänzenden Testamentsauslegung oder der ergänzenden Brox, Irrtumsanfechtung, S. 132; Brox, AT, Rn. 138; Brox JZ 1966,761 (765). Keuk S. 56; S. 85 ff.; Keymer S. 96; Larenz, AT, § 29 I, S. 538 ff.; Sandrock S. 92; Schmidt, Motivirrtum, S. 116 f. 76 Jauernig/ Jauernig § 157 Anm. 2c. 77 Larenz, AT, § 29 I, S. 539. 78 Brox, AT, Rn. 140. 79 Vgl. die ältere Kritik, die sich deshalb grundSätzlich gegen die ergänzende Auslegung von Rechtsgeschäften wendet, z. B. Endemann, Lehrbuch III 1, S. 258; Endemann, ErbR, S. 29; Heckel AcP 159, 106 (117); v. Lübtow, ErbR I, S. 296; Pilz S. 26; S. 91; S. 98; aber auch z. B. Medicus, AT, Rn. 344; sehr ausführlich Lüderitz S. 397 ff.; S. 410 (413); S.418. 80 Anschaulich z. B. BGH, Vrt. v. 13.7.1960 V ZR 90/59 = LM § 133 BGB (C) Nr.17. 74 75

7. Ergänzende Auslegung

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Auslegung nicht empfangs bedürftiger Willenserklärungen unter Lebenden, daß nämlich ein am Willen der Parteien orientierter Auslegungsmaßstab gefordert werden muß, um die ergänzende Auslegung nicht von vornherein unzulässig zu machen, faktisch aber eine Weiterentwicklung des Parteiwillens oft durch eine an Treu und Glauben orientierte Rechtsschöpfung ersetzt wird, weil man glaubt, einen realitätsnahen subjektiven hypothetischen Willen der Parteien nicht ermitteln zu können oder damit in vielen Fällen nur das Scheitern statt einer Anpassung des Vertrages zu erreichen (weil nämlich die Parteien sich bei Kenntnis der wirklichen Umstände nicht hätten einigen können). Neben den genannten Versuchen, den Konflikt durch "weiche", zwischen objektiver Interessenabwägung und subjektivem Parteiwillen pendelnde Formulierungen zu harmonisieren, hat sich Flume 81 in konsequenter Anerkennung der Sachzwänge dafür ausgesprochen, das Rechtsgeschäft als Typus zu begreifen, so daß die ergänzende Regelung nicht für "diesen Vertrag", sondern für "einen solchen Vertrag" zu finden sei; maßgeblich seien daher Verkehrssitte und Analogie zu ähnlichen Typen. Aber auch Flume muß sich entgegenhalten lassen 82 , daß der Typus dem Vertrag als privatautonomem Rechtsgeschäft letztlich nicht gerecht wird. Den umgekehrten Ansatz über den subjektiven Parteiwillen hat in jüngerer Zeit wieder Keymer versucht. 83 Er meint, eine subjektive ergänzende Vertragsauslegung sei möglich, wenn der Vertrag eine Regelung enthält, die im Wege der Analogie auf die nicht geregelte Situation übertragbar ist. Zwar sei auch dieser Analogieschluß ein heteronomer Eingriff, da er eine Wertung durch Dritte verlange; dies sei jedoch unschädlich, da immerhin die als analogiefähig bewertete Regelung autonom sei; insoweit könne man tatsächlich von einer positiven Steuerungsfunktion des realen Parteiwillens für die ergänzende Auslegung 84 sprechen. Für ihn ist der subjektive Auslegungsmaßstab gleichzeitig das Abgrenzungsmerkmal zur Lehre vom Wegfall der Geschäftsgrundlage; sofern nämlich eine solche vertragsinterne Analogie nicht möglich sei, sei der Vertrag nach der Lehre vom Fehlen oder Wegfall der Geschäftsgrundlage nach einem objektiven Maßstab zu ergänzen. Aber auch dieser Versuch, die weichen Ergänzungskriterien etwas zu erhärten, die ergänzende Auslegung auf das privatautonome Rechtsgeschäft zurückzuführen und ihr auf diese Weise Legitimität zu verschaffen, muß letztlich ein Komprorniß bleiben. Zum einen wird dieser Ansatz auf wenige Glücksfälle beschränkt bleiben, in denen der Vertrag eine ähnliche Regelung vorsieht. In den allermeisten Fällen wird der Vertrag aber eine Lücke enthalten, die die Parteien überhaupt nicht bedacht und deshalb weder so noch ähnlich in den Vertrag aufgenommen haben. Zum anderen räumt Keymer selbst ein, daß auch 81

82 83

84

Flurne, AT 11, § 16, 4d, S. 327; Flurne, Festschr. Juristentag I, S. 190 (197 f.). Brox, JZ 1966,761 (765 f.); Larenz, AT, § 29 I, S. 532. Keymer S. 101. Mayer-Maly, Festsehr. Flume S. 625.

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III. Inhaltsermittlung

diese Lösung nicht ohne eine heteronome Bewertung der Analogiefähigkeit auskommt. Hinzuzufügen wäre, daß auch die Kausalität beziehungsweise Planwidrigkeit der Lücke heteronom beurteilt wird; ob auch die Parteien den Analogieschluß von der bedachten auf die nicht bedachte Regelung vollzogen hätten, läßt sich aus dem Vertrag nicht mehr entwickeln. Vom grundsätzlichen subjektiven Maßstab kann nach diesen Überlegungen nicht mehr viel übrig bleiben. Es zeigt sich also, daß alle Ansätze, die einerseits einen am Willen der Parteien orientierten Maßstab der ergänzenden Auslegung fordern müssen, andererseits aus praktischen Gründen aber glauben, eine vom Willen der Parteien losgelöste objektive Bewertung vornehmen zu müssen, gerade wegen dieses dem Grundkonzept immanenten Widerspruchs nicht zu einer einheitlichen Lösung kommen. Es fragt sich aber weiter, ob dieser Interessenwiderspruch hier wirklich so besteht. Die Gefahr, daß die ergänzende Auslegung aufgrund einer (bewußt oder unbewußt) zur Einseitigkeit neigenden Selbstinterpretation der Parteien bei der Ermittlung des hypothetischen Parteiwillens in eine Sackgasse führen oder aber mit einem offenen Einigungsmangel enden würde, ist nämlich nur gegeben, wenn man nicht nur einerseits jede der Vertragserklärungen für sich getrennt auslegt, sondern andererseits auch noch unter einer am Parteiwillen orientierten Auslegung gleichzeitig einen subjektiven Auslegungsmaßstab versteht; indem man also für jede der Vertragserklärungen fragt: "Wie hätte der Erklärende eine der wirklichen Motivationslage entsprechende Willenserklärung erklärt?" und die so festgestellten Erklärungsinhalte dann vergleicht. Das würde in der Tat in vielen Fällen nicht zu einer übereinstimmenden Willensrichtung der Parteien, sondern zu einem Einigungsmangel führen. Nachdem sich aber gezeigt hat, daß auch die Ermittlung einer beiden Parteien gemeinsamen Willensrichtung dieses Problem nur scheinbar lösen konnte, fragt sich weiter, ob dann die Lösung nicht doch bei einer genaueren Betrachtung des Auslegungsmaßstabs gesucht werden muß. Eine unbefangene Anwendung der allgemeinen Auslegungsprinzipien zeigt nämlich, daß sich das Problem der ergänzenden Vertragsauslegung auch ganz strukturgerecht bewältigen läßt. Zum einen besteht ein Vertrag nach allgemeinen Regeln aus zwei übereinstimmenden Willenserklärungen; der maßgebliche Vertragsinhalt wird also festgestellt, indem der Inhalt der vertragsbegründenden Willenserklärungen ermittelt und verglichen wird; stimmt er überein, ist der Vertrag mit diesem Inhalt zustandegekommen, stimmt er nicht überein, so handelt es sich um einen Dissens. Für die erläuternde Auslegung ist das ganz überwiegend anerkannt. Sofern die ergänzende Auslegung zur Auslegung, also zur Inhaltsermittlung gerechnet wird, darf insoweit aber eigentlich nichts anderes gelten. Die beschriebenen Sachzwänge (Einseitigkeit oder Scheitern des Vertrages) sind kein strukturelles Argument dagegen. Vor allem aber bestehen diese Sachzwänge bei einem objektiv-normativen Auslegungsmaßstab gar nicht in der befürchteten Form. Auch bei der erläuternden Auslegung wird nicht in jedem Fall nur das subjektiv von den Parteien

7. Ergänzende Auslegung

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Gewollte ermittelt, sondern vielmehr bei unterschiedlicher Willenslage objektivnormativ ausgelegt, wie es die Privatautonomie des jeweils anderen gebietet; ohne diesen objektiv-normativen Maßstab würde auch die erläuternde Auslegung häufig zu einem einseitigen Vertragsinhalt oder 85 zu einem Dissens führen. Es fragt sich daher, ob nicht auch bei der ergänzenden Vertragsauslegung die Probleme durch einen objektiv-normativen Maßstab gelöst werden können. Entscheidend ist dafür, sofern man die ergänzende Auslegung als Auslegung, also als Inhaltsermittlung ernst nimmt, auch hier allein die Privatautonomie der Parteien. Entsprechend der erläuternden Auslegung, wo der objektiv-normative Auslegungsmaßstab bei nicht übereinstimmender Willenslage der Parteien durch die gegenseitige Fremdverantwortung gefordert war, könnte man auch hier einen objektiv-normativen Maßstab annehmen beim nur einseitigen Motivirrtum, weil ja hier die Motivationslage der Parteien nicht übereinstimmt. Demgegenüber blieb es bei der erläuternden Auslegung bei übereinstimmender Willens lage beim subjektiven Auslegungsmaßstab; das müßte bedeuten, daß auch hier beim beiderseitigen und gleichartigen Motivirrtum ein subjektiver Auslegungsmaßstab zu wählen wäre. Doch ist hier weiterzufragen, ob die Gründe für die beschriebene Lösung bei der erläuternden Auslegung auch für die ergänzende Auslegung gelten. Das Wechselspiel zwischen subjektivem und objektiv-normativem Maßstab bei der erläuternden Auslegung war ja bestimmt durch das Maß an Fremdverantwortung gegenüber der Privatautonomie des Empfängers, das die Privatautonomie des Erklärenden einzuschränken vermochte. Es ist daher auch hier danach zu fragen, ob auch im Fall des beiderseitigen und übereinstimmenden Motivirrtums eine Fremdverantwortung gegenüber der Privatautonomie des Geschäftspartners zu berücksichtigen ist oder nicht. Hier zeigt sich nun der Unterschied zwischen erläuternder und ergänzender Auslegung. Bei der erläuternden Auslegung war bei übereinstimmender Willenslage die Privatautonomie des anderen Vertragspartners nur deshalb nicht berührt, weil gerade das auch von ihm Gewollte auch Vertragsinhalt wurde. Das ist aber beim Motivirrtum, auch bei übereinstimmendem Motivirrtum der Parteien, nicht der Fall, weil der Motivirrtum eben nur das Vorfeld, nicht den Geschäftsinhalt selbst betrifft. Hinzukommt wegen dieses Auseinanderfallens von Vorstellung und Geschäftsinhalt, daß hier die Gemeinsamkeit der Vorstellung nicht unbedingt auch zur Gemeinsamkeit der rechtlichen Lösung führen muß, weil auf der Motivationsebene die Arbeit des Sich-Einigens eben gerade noch nicht bewältigt ist. Da aber auch bei der ergänzenden Auslegung der Inhalt des Rechtsgeschäfts bestimmt wird, ist hier auch die Privatautonomie des Empfängers relevant, dessen Rechtsverhältnisse durch die mit diesem Inhalt festgestellte Willenserklärung unmittelbar berührt werden. Damit kommt bei der ergänzenden Auslegung empfangs bedürftiger Willenserklärungen auch bei übereinstimmender Motivationslage der Parteien die Fremd85 Wenn man nicht bei der einzelnen Willenserklärung, sondern beim Vertrag ansetzen würde.

13 Stumpf

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III. Inhaltsermittlung

verantwortung gegenüber der Privatautonomie des Empfängers ins Spiel, begrenzt die Privatautonomie des Erklärenden und führt zu einem objektiv-normativen Maßstab der Auslegung. Auch diese objektiv-normative Auslegung orientiert sich aber, wie bei der erläuternden Auslegung, immer noch am Parteiwillen, sie berücksichtigt lediglich den Empfängerhorizont. Auf die ergänzende Auslegung übertragen, wäre also danach zu fragen, wie der Empfänger die veränderte Motivationslage seines Partners zu berücksichtigen gehabt hätte: Welche Regelung durfte der Partner angesichts der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Erklärenden erwarten, wenn dieser statt des falschen das richtige Motiv zugrunde gelegt hätte? Dabei ist also einerseits von der subjektiven Vorstellung des Erklärenden auszugehen, wie sie sich dem Empfänger darstellt, andererseits sind auch nur solche Änderungen zu berücksichtigen, mit denen der Erklärende rechnen muß. Er kann dabei beim Erklärenden dasselbe Maß an Einigungsbereitschaft und wirtschaftlicher oder sozialer Vernunft erwarten wie bei dem ursprünglichen Vertragsschluß (aber auch nicht mehr), umgekehrt fordert seine eigene Fremdverantwortung, daß auch beim Empfänger dasselbe Maß an Einigungsbereitschaft und Vernunft zugrundezulegen ist wie beim Abschluß des ursprünglichen Vertrages (aber ebenfalls nicht mehr). Eine aufgrund der späteren Entwicklung eingetretene Verbesserung oder - praktisch häufiger in der Prozeßsituation - Verschlechterung der Beziehungen der Parteien hätte bei diesem Ansatz ebenso außer Betracht zu bleiben wie Verschiebungen der wirtschaftlichen Interessenlage aufgrund der eingetretenen Veränderung. Maßstab bliebe insoweit der ursprüngliche Vertragsschluß. Bei diesem in der Privatautonomie der Parteien verankerten Verständnis der ergänzenden Vertrags auslegung müßte weiterhin die so ausgelegte Willenserklärung dem Erklärenden zurechenbar sein, weil das objektiv-normative Verständnis der empfangsbedürftigen Willenserklärung auf der Fremdverantwortung des Erklärenden beruht, der Erklärende dafür also auch verantwortlich sein muß. Die objektiv-normativ ergänzend ausgelegte Willenserklärung ist also an der Privatautonomie des Erklärenden zu messen, indem gefragt wird, ob der Erklärende damit rechnen mußte, daß der Empfänger die Willenserklärung bei Motivationsänderung in der ermittelten Weise verstehen mußte. Die solcherart ausgelegten Willenserklärungen sind dann zu vergleichen; stimmen sie überein, so ist der Vertrag mit dem ergänzten Inhalt zustande gekommen. Stimmen sie nicht überein, so handelt es sich um einen Dissens. Es kann auch vorkommen, daß der ergänzte Vertrag nicht mehr allen Wirksarnkeitserfordernissen genügt (zum Beispiel der Form des § 313 BGB beim Grundstückskaufvertrag); dann wäre weiter eine Umdeutung zu prüfen. Das Schicksal einer ergänzend ausgelegten empfangsbedürftigen Willenserklärung unter Lebenden ist also nicht anders zu beurteilen als das einer erläuternd ausgelegten Willenserklärung. Die ergänzende Auslegung bestimmt wie die erläuternde Auslegung nur den maßgeblichen Inhalt der Willenserklärung, sagt aber noch nichts aus über ihre letztendliche Gültigkeit; diese bestimmt sich vielmehr nach allgemeinen Regeln.

7. Ergänzende Auslegung

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Wenn also zum Beispiel A der Gemeinde G bestimmte Grundstücke zum Straßenbau übereignet, die Straße aber wider Erwarten nicht gebaut wird,86 so liegt insoweit ein gemeinsamer Motivirrtum vor, damit gleichzeitig eine die ergänzende Auslegung eröffnende Lücke. Bei der Auslegung ist daher zunächst zu fragen, wie die Gemeinde eine von diesem Motivirrtum freie Willenserklärung des A hätte verstehen müssen, entsprechend seiner ursprünglichen Bindungswilligkeit und seiner ursprünglichen Risikoabwägung. Dabei durfte G wohl davon ausgehen, daß A eine Übereignung mit einem Rückübertragungsanspruch entsprechend allgemeinen Enteignungsregeln vereinbart hätte, wenn der Verkauf nur zur Abwehr einer drohenden Enteignung erfolgt wäre. Umgekehrt durfte G davon ausgehen, daß bei einem freiwilligen Verkauf unabhängig von einem Enteignungsverfahren A die Übereignung auch unabhängig von der späteren Verwendung des Grundstücks durch die Gemeinde erklärt hätte; das auch dann, wenn er vielleicht in der einen oder anderen Weise zum Vertragsschluß gedrängt wurde, denn insoweit gilt die Vertragsfreiheit und die Privatautonomie der Parteien, die es ihnen wegen der damit verbundenen Selbstverantwortung gegenüber den eigenen Interessen auf der Inhaltsebene grundsätzlich freistellt, den anderen zu bedrängen oder sich vom anderen bedrängen zu lassen oder nicht; Korrekturen nimmt das Gesetz dann erst auf der nächsten Stufe vor, entweder im Weg einer Anfechtung nach § 123 BGB oder im Weg einer gesetzlichen Inhaltskontrolle (zum Beispiel über § 138 BGB) oder über die Gerechtigkeitskorrektur nach § 242 BGB. Entsprechend durfte A die Erklärung der G als Übereignung mit Einräumung eines Rückübertragungsanspruchs nach Enteignungsregeln verstehen, sofern die Transaktion zur Abwendung einer Enteignung erfolgte, ansonsten als Übereignung ohne Rückübertragungsanspruch. Hinsichtlich der Zurechenbarkeit bestehen hier keine Bedenken. Da der Verkauf im Beispielsfall zwar auf Drängen der G, aber nicht zur Abwehr eines drohenden Enteignungsverfahrens geschah, das hier nicht zulässig gewesen wäre, hätten die ergänzend ausgelegten Willenserklärungen der Parteien darin übereingestimmt, daß auch, wenn das Grundstück nicht der ursprünglichen Zweckbestimmung zugeführt wurde, keine Rückübertragung erfolgen sollte. Ob dieser so ergänzte Vertrag der Form des § 313 BGB genügte, und ob dieser Vertrag wegen des Drängens der Gemeinde über § 242 BGB zu korrigieren gewesen wäre, wäre weiter zu prüfen. Das Beispiel zeigt, daß auch eine klare Anwendung der allgemeinen Strukturprinzipien nicht unbedingt zu abweichenden Ergebnissen führen muß. Allerdings wäre bei diesem Verständnis der ergänzenden Vertragsauslegung eine wirkliche Verankerung in der Privatautonomie der Parteien gewährleistet, andererseits würden wegen der genaueren Kriterien sowohl die Schwierigkeiten der praktischen Ermittlung eines hypothetischen Willens reduziert als auch Einseitigkeiten, die nicht bereits im aufgrund der ursprünglichen Motivation geschlossenen Vertrag angelegt waren, weitgehend vermieden. 86 Vgl. BGH, Urt. v. 29.4.1982 - III ZR 154/80 = NJW 1982,2184. \3*

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III. Inhaltsennittlung dd) Erbvertrag

Beim Erbvertrag besteht Einigkeit nur insoweit, als ebenfalls nicht eine objektive richterliche Billigkeitskontrolle, sondern eine Weiterentwicklung des Willens gefordert wird. Umstritten ist, inwieweit dabei nur auf die Person des Erblassers oder auch auf den Vertragspartner abzustellen ist. Zum Teil wird gesagt, zumindest beim zweiseitigen Erbvertrag komme es auf den Willen beider Erblasser an. 87 Teilweise sagt man, bei einseitigen Verfügungen entscheide die Willensrichtung des Erblassers, bei vertragsmäßigen Verfügungen die Willensrichtung beider Vertragsteile. 88 Bei der vertragsmäßigen Verfügung wird auch differenziert: Soweit die auszulegende Verfügung in sachlichem Zusammenhang mit einer vertragsmäßigen Verfügung des anderen Teils stehe, liege eine gemeinsame Zwecksetzung vor, es sei daher auf die gemeinsame Willensrichtung abzustellen; im übrigen bleibe aber auch bei der vertragsmäßigen Verfügung der Vertragspartner außer Betracht, weil die durch ergänzende Auslegung zu gewinnende Rechtsfolge außerhalb des realen vertraglichen Konsenses liege. 89 Stellt man auch hier nicht auf den gesamten Erbvertrag, sondern auf die einzelne Vertragserklärung ab, und beurteilt man auch hier den Auslegungsmaßstab nach dem Spannungsverhältnis zwischen Privatautonomie des Erklärenden und Privatautonomie des Empfängers, dann kann für die einseitige Verfügung nur die Willensrichtung des Erblassers allein maßgebend sein, weil die Privatautonomie des Erblassers hier nicht durch die Privatautonomie des Vertragspartners eingeschränkt wird. Demgegenüber ist die vertragsmäßige Verfügung im Erbvertrag objektiv-normativ aus dem Empfangerhorizont heraus auszulegen, es ist also zu fragen, wie der Empfanger die Erklärung des Erblassers bei richtiger Motivation verstehen mußte und durfte; denn hier begrenzt die Fremdverantwortung des Erklärenden gegenüber der Privatautonomie des Empfängers seine eigene Privatautonomie. Diese wird jedoch hinreichend geschützt, weil auch den Empfänger eine Fremdverantwortung gegenüber der Privatautonomie des Erklärenden trifft und es daher nicht darauf ankommt, wie der Empfanger die Willenserklärung bei richtiger Motivationslage nach seinem eigenen Interesse subjektiv versteht, sondern wie er sie nach der ursprünglichen Interessenbalance verstehen mußte. Außerdem muß auch die objektiv-normativ ergänzend ausgelegte Willenserklärung dem Erklärenden zurechenbar sein. 90 Das gilt unabhängig davon, ob ein sachlicher Zusammenhang mit einer Erklärung des Vertragspartners besteht; der Gedanke, daß die gemeinsame Zwecksetzung eine Rolle spielt, kommt aber hier dennoch zum Tragen, weil hier wie bei der vertraglichen Willenserklärung unter RGRK 1Johannsen § 2084 Rn. 10; Sehlüter § 22 11, S. 124. KG, Besehl. v. 11.7.1966-1 W 1583/66 = OLGZ 1966,506; Staud/Kanzleiter vor § 2274 Rn. 30. 89 MK 1Leipold § 2084 Rn. 52. 90 Ähnlieh Kipp/Coing § 21 V, S. 106; Planek/Flad § 157 Anm. 1; Planek/Greiff § 2279 Anm. 2a; v. Lübtow, ErbR I, S. 417; Strohal, Erbrecht I, S. 368. 87 88

7. Ergänzende Auslegung

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Lebenden die objektiv-normative Auslegung eingreift ohne Rücksicht darauf, ob die Motivation der Parteien übereinstimmt oder nicht. Hier wie beim Vertrag unter Lebenden steht nämlich auch bei übereinstimmender Motivationslage noch die Leistung der vertraglichen Einigung aus, die bei der ergänzenden Auslegung entsprechend dem durch die ursprüngliche Einigung vorgegebenen Maßstab im Wege der gegenseitigen Fremdverantwortung mitzuberücksichtigen ist. ee) Gemeinschaftliches Testament Ähnlich ist der Meinungsstand zum maßgeblichen Auslegungsmaßstab beim gemeinschaftlichen Testament. Auch hier geschieht die ergänzende Auslegung durch Weiterentwicklung des realen Willens. Hier wird überwiegend angenommen, bei den einseitigen Verfügungen entscheide nur der Wille des Erblassers, bei den wechselbezüglichen Verfügungen komme es dagegen auf die Willensrichtung beider Ehegatten an. 91 Auch hier ist die auszulegende Willenserklärung vom Gesamttestament zu unterscheiden 92 und der Auslegungsmaßstab nach dem Verhältnis der Privatautonomie der Ehegatten zu bestimmen. Wie beim Erbvertrag ist auch hier die Privatautonomie des Erklärenden bei der einseitigen Verfügung nicht durch die Privatautonomie des anderen Ehegatten begrenzt, so daß hier nur nach dem Willen des Erklärenden zu ergänzen ist. Bei der wechselbezüglichen Verfügung ist demgegenüber auch die Privatautonomie des anderen Ehegatten tangiert, diese ist daher objektiv-normativ nach dem Empfangerhorizont auszulegen. Das gilt unabhängig davon, ob es sich um die Verfügung des erstversterbenden oder um die Verfügung des letztversterbenden Ehegatten handelt. Es ist also auch hier zu fragen, wie der andere Ehegatte die Verfügung des Erklärenden bei richtiger Motivationslage verstehen mußte und durfte; dies muß dem Erklärenden zurechenbar sein. Auch hier gilt diese Auslegung nicht nur bei verschiedener Motivationslage, sondern auch bei übereinstimmender Motivation der Ehegatten (bei der wechselbezüglichen Verfügung), da auch hier die durch ergänzende Auslegung zu gewinnende Rechtsfolge außerhalb des realen Konsenses steht und die Wertung von der seinerzeit gegebenen Willensübereinstimmung auszugehen hat. 93

91 BGH, Urt. v. 20.10.1952 - IV ZR 99/52 = LM § 242 BGB (A) Nr. 7; BayObLG, Besehl. v. 17.4.1962 - BReg. 1 Z 180/61 = BayObLGZ 1962, 137 (142); Staud/ Kanzleiter vor § 2265 Rn. 45. Auf die Willensriehtung beider Ehegatten abstellend RGRK / Johannsen § 2084 Rn. 10. 92 Ebenso MK / Leipold § 2084 Rn. 51. 93 Im Ergebnis ebenso MK / Leipold § 2084 Rn. 51.

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III. Inhaltsennittlung

d) Folgerungen tür Zulässigkeit und Anwendungsbereich der ergänzenden Auslegung Welches grundsätzliche Verständnis von der ergänzenden Auslegung lassen nun die gefundenen Konturen erkennen, und welche Folgerungen lassen sich daraus für den Anwendungsbereich der ergänzenden Auslegung ziehen? aa) § 242 BGB Der Auslegungsmaßstab hat bereits gezeigt, daß ein objektives Verständnis von der ergänzenden Auslegung sich nicht durchgesetzt hat, also die Auffassung, ergänzende Rechtsgeschäftsauslegung sei in Wirklichkeit nichts anderes als Gesetzesergänzung für die Fälle, in denen dispositives Recht nicht zur Verfügung stehe, sie sei daher als objektive Interessenabwägung auf § 242 BGB zu stützen. 94 Diese Auffassung ist, wie bereits die ältere Kritik ergeben hat,95 nicht mit dem Grundsatz der Privatautonomie zu vereinbaren. Auch eine ergänzende Auslegung, die auf § 133 oder § 157 BGB gestützt wird, aber einem objektiven Auslegungsmaßstab folgt, ist als absichtliche oder unbewußte Falschbezeichnung einer normativen Rechtsfortbildung aus denselben Gründen abgelehnt worden. 96 Der grundsätzlich am Parteiwillen orientierte Auslegungsmaßstab der ergänzenden Auslegung ist daher als unabdingbare Zulässigkeitsvoraussetzung heute ganz überwiegend anerkannt. 97 bb) § 157 BGB Es bietet sich daher an, die ergänzende Auslegung auf die allgemeinen Auslegungsvorschriften, also § 133 und § 157 BGB zu stützen, wobei, entsprechend dem jeweiligen Auslegungsmaßstab bei der erläuternden Auslegung, § 133 BGB eher bei nicht empfangsbedürftigen Willenserklärungen, vor allem bei der ergänzenden Testamentsauslegung herangezogen wird, 98 während die ergänzende Vertragsauslegung hauptsächlich auf § 157 BGB gegründet wird. 99 Mangold NJW 1961,2284. 95 Z. B. Endemann, Lehrbuch III 1, S. 258; Endemann, ErbR, s. 29; Leonhard, AS, S.72; v. Lübtow, ErbR I, S. 296. 96 Henckel AcP 159, 106 (117); Keymer S. 94; Lüderitz S. 395; Pilz S. 26; S.91; S. 98. Es kann daher auch nicht im Wege der ergänzenden Auslegung ein vernünftiger, billiger und pflichtbewußter Wille des Erblassers konstruiert werden; Lange / Kuchinke § 33 III 5 c, S. 574, m. w. N. 97 Pa! / Edenhofer § 2084 Anm. 4 b; Keuk S. 56; MK / Leipold § 2084 Rn. 43; Staud / Otte vor §§ 2064-2086 Rn. 86. 98 Vgl. z. B. Brox, ErbR, Rn. 198; Leipold, ErbR, Rn. 301. 99 Z. B. BGH, Urt. v. 22.4.1953 - 11 ZR 143/52 = BGHZ 9, 273 (277) = NJW 1953,937; Brox, Irrtumsanfechtung, S. 131; Pal / Heinrichs § 157 Anm. 2; Larenz NJW 1963, 737. 94

7. Ergänzende Auslegung

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In der Tat kann § 157 BGB jedenfalls nicht als Grundlage der ergänzenden Testamentsauslegung dienen. Die Vorschrift kann zwar nicht nur auf Verträge, sondern auch auf einseitige empfangsbedürftige Willenserklärungen angewendet werden. Ihr Zweck liegt aber im Empfängerschutz, sie ist Ausdruck der Fremdverantwortung des Erklärenden gegenüber der Privatautonomie des Empfängers; aus diesem Grunde ist sie auf nicht empfangsbedürftige Willenserklärungen, also auch auf Testamente, nicht ohne weiteres anwendbar, denn nicht empfangsbedürftige Willenserklärungen begründen grundsätzlich keinen Vertrauensschutz. § 157 BGB ist daher auch für die ergänzende Auslegung nicht empfangsbedürftiger Willenserklärungen, insbesondere für die ergänzende Testamentsauslegung, keine geeignete Rechtsgrundlage. wo Es ist aber auch fraglich, ob § 157 BGB die ergänzende Auslegung der empfangsbedürftigen Willenserklärung, also insbesondere der Vertragserklärung eröffnen kann. Die ergänzende Auslegung besteht ja darin, über den realen Geschäftswillen hinaus die Motivationslage des Erklärenden zu erforschen und gegebenenfalls einen hypothetischen Geschäftswillen zu ergänzen. Da § 157 BGB Ausdruck der Fremdverantwortung des Erklärenden gegenüber der Privatautonomie des Empfängers ist, müßte also die ergänzende Auslegung der empfangsbedürftigen Willenserklärung dann durch die Fremdverantwortung des Erklärenden gegenüber dem Empfänger geboten sein. Nach der Wertung des Bürgerlichen Gesetzbuches soll aber zum Schutz der Privatautonomie des Empfängers der Motivationsfehler bei der empfangsbedürftigen Willenserklärung grundsätzlich gerade unbeachtlich sein (außer im Rahmen von § 11911 und § 123 BGB), das heißt das Risiko einer falschen Motivation vom Erklärenden jeweils selbst zu tragen sein. Das kann aber nur zur Folge haben, daß durch einen Motivirrtum auch höchstens die Privatautonomie des Erklärenden, nicht die Privatautonomie des Empfängers beeinträchtigt sein kann. Etwas anderes könnte allenfalls beim beiderseitigen Motivirrtum gelten, weil hier auch der Empfänger den Einfluß der Willenserklärung auf seine eigene Privatautonomie falsch wertet und dementsprechend zu falschen Reaktionen veranlaßt wird. Aus diesem Grund wird wohl folgerichtig bei der ergänzenden Vertragsauslegung überwiegend nur der beiderseitige Motivirrtum als Lücke anerkannt. Aber auch hier bestehen Bedenken, die Zulässigkeit der ergänzenden Auslegung über § 157 BGB zu eröffnen. Denn der eigentliche Schaden für die Privatautonomie des Empfängers entsteht beim beiderseitigen Motivirrtum nicht durch die Willenserklärung des Erklärenden, sondern erst durch die eigene Willenserklärung des Empfängers, mit der dieser auf die Willenserklärung des Erklärenden reagiert. Es wäre daher systemgerechter, den Motivirrtum des Empfängers auch erst bei dieser seiner eigenen Willenserklärung zu berücksichtigen. Vor allem aber ist auch die Verhältnismäßigkeit zwischen dem wo RGRK/Johannsen § 2084 Rn. 1; MK/Leipold § 2084 Rn. 5; v. Lübtow, ErbR I, S.271.

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III. Inhaltsennittlung

Schutz der Privatautonomie des Erklärenden und dem Schutz der Privatautonomie des Empfängers zu beachten. Nach der Wertung des Gesetzes kann nämlich die Privatautonomie des Empfängers die Privatautonomie des Erklärenden lediglich begrenzen, aber nicht völlig verdrängen oder ersetzen, wenn nicht die Willenserklärung ihre Funktion als Mittel selbstbestimmter Rechtsgestaltung verlieren soll. Gerade die Gefahr, daß bei der Ersetzung eines realen durch einen hypothetischen Geschäftswillen die privatautonome Gestaltung des Erklärenden durch eine aufgrund einer Interessenabwägung gefundene Gestaltung ersetzt und verdrängt wird, ist aber bei der ergänzenden Auslegung besonders groß, sie ist ihr wegen der Ermittlung eines hypothetischen Willens auch immanent. Diese Gefahr wird auch immer wieder betont. 101 Wenn nun der Privatautonomie des Empfängers auch auf andere Weise hinreichend Rechnung getragen werden kann, ohne daß die Privatautonomie des Erklärenden in Gefahr ist, ist die ergänzende Auslegung durch § 157 BGB nicht mehr geboten; dann kann die Zulässigkeit der ergänzenden Auslegung aber auch nicht mehr auf § 157 BGB gestützt werden. Gerade beim Vertrag (und bei der einseitigen nicht empfangsbedürftigen Willenserklärung ist ja § 157 BGB ohnehin nicht heranzuziehen) gibt es mit § 242 BGB und der daraus entwickelten Lehre vom Fehlen oder Wegfall der Geschäftsgrundlage aber eine ausdrückliche gesetzliche Ermächtigung dazu, im Interesse des anderen Vertragspartners die Willenserklärung in Notfällen zu korrigieren. Das Gesetz 102 hat also durchaus die Notwendigkeit erkannt, in Ausnahmefällen vom Vorrang der privatautonomen Regelung durch die Parteien abzurücken, wenn die Gefahr besteht, daß aufgrund wirtschaftlichen Ungleichgewichts, unlauterer Geschäftsmethoden, äußerer Veränderungen oder eben aufgrund fehlerhafter Wertungen die privatautonome Regelung der Parteien nicht nach dem gegenseitigen Korrektiv der normalen Vertragsbalance funktioniert. Nach überwiegender Auffassung ist im Fall des beiderseitigen Motivirrtums die Lehre vom Fehlen der Geschäftsgrundlage auch anwendbar. 103 Da auch § 242 BGB es gebietet, grundsätzlich vom Vertrag der Parteien auszugehen und diesen nur soweit wie nötig anzupassen, 104 weil auch diese Vorschrift die Privatautonomie der Parteien nicht außer Kraft setzen, sondern nur im Notfall korrigieren will, ist der Anwen101 MK/Leipold § 2084 Rn. 46; Medicus, AT, Rn. 344; Rn. 877; Staud/Otte vor §§ 2064-2086 Rn. 100. 102 § 242 BGB gilt entgegen seinem Wortlaut nicht nur für die Art und Weise der geschuldeten Leistung, sondern als Ausfluß der gegenseitigen Fremdverantwortung beider Parteien des Schuldverhältnisses auch für die gesamte Ausübung vertraglicher Rechte und Pflichten, BGH, Urt. v. 23.9.1982 - VII ZR 183/80 = BGHZ 85, 48. 103 Hinzukommen muß allerdings die Unzumutbarkeit der Erfüllung, Medicus, AT, Rn. 860 m. w. N. Doch wäre nach der bisherigen Praxis die Rspr. bei Zumutbarkeit des Ergebnisses wohl auch nicht zu einer ergänzenden Vertragsauslegung bereit. 104 BGH, Urt. v. 22.1.1971 V ZR 98/68 = WM 1971, 509 (510 f.); BGH, Urt. v. 14.10.1977 - V ZR 253/74 = NJW 1978,695; BGH, Urt. v. 8.2.1984 - VIII ZR 254/82 =NJW 1984, 1747; PailHeinrichs § 242 Anm. 6 B f; Medicus, Festschr. Flume I, S. 629 (637 ff.); Jauemig 1Vollkommer § 242 Anm. 4a.

7. Ergänzende Auslegung

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dungsbereich der ergänzenden Vertragsauslegung und der Korrektur über § 242 BGB notgedrungen teilweise identisch und die Abgrenzung beider Institute bis heute umstritten. 105 Das gilt umso mehr, als der Maßstab der ergänzenden Vertragsauslegung sich in der praktischen Anwendung häufig nicht nur am Parteiwillen orientiert, sondern an objektiven Gesichtspunkten wie Treu und Glauben und Redlichkeit, also an Kriterien, die gerade für die Wertung des § 242 BGB charakteristisch sind. Das spricht dafür, daß die ergänzende Auslegung von § 157 BGB nicht geboten ist, sondern die in Fällen beiderseitigen Motivirrtums erforderliche Korrektur ebenso über die Lehre vom Fehlen der Geschäftsgrundlage, also über § 242 BGB erfolgen kann. Ein bestätigendes Indiz für diese Auffassung ist es im übrigen, wenn der Sinn des § 157 BGB in diesem Zusammenhang nicht darin gesehen wird, die Privatautonomie des Empfängers gegenüber der Privatautonomie des Erklärenden hinreichend zu berücksichtigen, sondern gesagt wird, § 157 BGB weise den Richter nicht an, einen historisch wirklichen Bewußtseinswandel der Parteien zu erforschen und zur Geltung zu bringen, sondern Vertragsnormen so zu gestalten, wie sie unter Berücksichtigung der Parteiwahrnehmungen Treu und Glauben entsprechen. 106 Die Gestaltung nach Treu und Glauben ist aber bereits der Kernbereich des § 242 BGB.I07 ce) § 133 BGB Die ergänzende Auslegung kann ihren Grund daher in Bezug auf die allgemeinen Auslegungsvorschriften allenfalls noch in § 133 BGB haben, letztlich also von der Privatautonomie des Erklärenden geboten sein. 108 Denn aufgrund der fehlerhaften Wertung setzt der Erklärende eine Regelung, die er bei richtiger Wertung nicht oder anders gesetzt hätte, so daß die irrtumsbehaftete Willenserklärung aufgrund des Fehlers in der Willensbildung nicht uneingeschränkt von der privatautonomen Selbstbestimmung des Erklärenden getragen ist. Auch die privatautonome Selbstverantwortung steht der Beseitigung des Motivirrtums nicht im Weg. Die Willensbildung, das heißt das Vorfeld der Willenserklärung liegt zwar grundsätzlich im privaten Bereich des Erklärenden, für den er (auch im Interesse eines Schutzes dieses privaten Bereichs) grundsätzlich eine Selbstverantwortung tragen könnte. Doch gilt hier mehr noch als beim Geschäftswillen, daß es hinsichtlich des Tatsachenmaterials unzählige Möglichkeiten der Veränderung und Fehleinschätzung gibt, die der Erklärende unmöglich alle überschauen kann, für die er deshalb auch nicht das Risiko tragen kann. Daher war bei der 105 Larenz, AS I, § 10 I, S. 119; Medicus, AT, Rn. 879, m. w. N.; Medicus, Festschr. Flume I, S. 629 (633 ff.). 106 Brox, Irrtumsanfechtung, S. 130. 107 Pa! / Heinrichs § 242 Anm. I b; MK / Roth § 242 Rn. 31 ff. 108 Ebenso Keymer S. 93; MK/Leipold § 2084 Rn. 37; Staud/Otte vor §§ 20642086 Rn. 86; Sandrock S. 13 f.

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III. Inhaltsennittlung

nicht empfangsbedürftigen Willenserklärung der Motivirrtum auch ein beachtlicher Anfechtungsgrund; hier steht nämlich der uneingeschränkten Verwirklichung der Privatautonomie des Erklärenden auch nicht die Privatautonomie eines Empfängers entgegen. Bei der empfangsbedürftigen Willenserklärung ist allerdings der Vertrauensschutz des Empfängers am unveränderten Bestand der Willenserklärung mit dem Inhalt, wie er ihn als vom Erklärenden gemeint verstehen durfte, zu beachten. Daraus hat das Gesetz die Konsequenz gezogen, das Risiko für einen Motivirrtum grundsätzlich dem Erklärenden zuzuweisen. Dem Empfanger einer Willenserklärung kann es zwar zugemutet werden, den Geschäftswillen des Erklärenden, so wie er ihn verstehen konnte, zu erforschen, ihm kann es aber nicht zugemutet werden, auch die Willensbildung des Erklärenden zu erforschen; dies wäre auch nur unter Eindringen in die persönliche Sphäre des Erklärenden (was mit dessen Interessen kollidieren würde) oder in vielen Fällen faktisch gar nicht möglich. Weil die Willensbildung des Erklärenden also nicht der Fremdverantwortung des Empfängers gegenüber der Privatautonomie des Erklärenden unterfallen kann, ist der einseitige Motivirrtum bei der empfangsbedürftigen Willenserklärung unter Lebenden prinzipiell unbeachtlich. Ausnahmen macht das Gesetz allerdings in § 11911 und § 123 BGB. Im Rahmen des § 123 BGB liegt der Grund für den Motivirrtum des Erklärenden in unlauteren Geschäftsmethoden des Empfängers oder eines Dritten, von denen der Empfanger wußte oder nur schuldhaft nicht wußte; der Motivirrtum ist ihm hier also erkennbar, und das Risiko hierfür ist ihm ausnahmsweise auch zumutbar. Die Regelung des § 119 11 BGB ist ein vom allgemeinen System abweichendes Zugeständnis an die Bedürfnisse des Rechtsverkehrs, die auch erst in der zweiten Kommission in das Bürgerliche Gesetzbuch aufgenommen wurde. 109 Das bedeutet, daß wegen des entgegenstehenden Vertrauensschutzes des Empfängers bei der empfangsbedürftigen Willenserklärung unter Lebenden der einseitige Motivirrtum keine ergänzende Auslegung eröffnen kann. Das stimmt mit der überwiegenden Ansicht zur "Lücke" überein. Der Vertrauensschutz des Empfängers, der die Beachtlichkeit des einseitigen Motivirrtums bei der empfangsbedürftigen Willenserklärung grundsätzlich ausschließt, könnte aber nicht entgegenstehen, wenn der Empfänger demselben Motivirrtum unterliegt wie der Erklärende. Denn hier haben beide sich von identischen Vorstellungen leiten lassen, was dafür sprechen könnte, daß hier der Empfänger dem Erklärenden die Berufung auf diese gemeinsame Vorstellung nicht verwehren dürfe. Dennoch bleibt auch hier der Empfanger, anders als im Fall des übereinstimmenden Geschäftswillens, in seinem Vertrauen auf die empfangsbedürftige Willenserklärung schutzbedürftig, weil in dieser nicht nur Tatsachenvorstellungen, sondern eben auch rechtliche Regelungen stecken; diese kommen aber beim Vertrag nur durch eine Einigung, ein Aushandeln der unterschiedlichen Parteiinteressen zustande. Eine bestimmte Tatsachenvorstellung muß daher 109

Staud / Dilcher § 119 Rn. 37.

7. Ergänzende Auslegung

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noch nicht zwangsläufig eine ganz bestimmte Rechtsfolge nach sich ziehen. Bei der ergänzenden Vertragsauslegung wird nun eine bereits erzielte vertragliche Einigung aufgelöst und durch eine andere vertragliche Bindung ersetzt. Der Schutz des Empfängers gebietet es daher, wenn schon nicht die Zulässigkeit der ergänzenden Vertrags auslegung völlig zu verneinen, so doch zumindest den Empfängerhorizont auch beim Maßstab der ergänzenden Auslegung der empfangsbedürftigen Willenserklärung zu berücksichtigen. Hier findet dann § 157 BGB auch im Rahmen der ergänzenden Auslegung die ihm zukommende Funktion, nämlich den Auslegungsmaßstab zu bestimmen. Die Vorschrift als Ausdruck der Fremdverantwortung des Erklärenden gegenüber dem Empfänger fordert es also, auch bei der ergänzenden Auslegung der empfangsbedürftigen Willenserklärung nicht danach zu fragen, wie der Erklärende bei richtiger Kenntnis erklärt hätte, sondern wie der Empfänger bei richtiger Motivation die Willenserklärung erwarten durfte, wobei die ursprüngliche Einigungsbereitschaft und die ursprünglich erzielte Interessenbalance zugrundezu1egen ist. Nur mit dieser Einschränkung wäre also auch die Beachtlichkeit des beiderseitigen Motivirrtums mit der Privatautonomie des Empfängers vereinbar. Wenn die Privatautonomie des Erklärenden über § 133 BGB die ergänzende Auslegung beim Motivirrtum begründen soll, muß aber weiterhin nicht nur der Tatbestand der Beachtlichkeit des Motivirrtums, sondern auch die Rechtsfolge der Anpassung der Willenserklärung durch die Privatautonomie des Erklärenden geboten sein. Dies gilt wiederum für die einseitige und die empfangsbedürftige Willenserklärung gleichermaßen. Im Grundsatz ist dieses Erfordernis leicht zu bejahen, denn nichts verwirklicht ja die Selbstbestimmung des Erklärenden besser, als seine Willenserklärung aufrechtzuerhalten und den mit dem Willensmangel behafteten Inhalt zu ersetzen durch einen Inhalt, der mit dem Geschäftswillen und der Motivation des Erklärenden voll übereinstimmt. Daher ist auch die Anpassung durch die ergänzende Auslegung im Grundsatz von der Privatautonomie des Erklärenden durchaus geboten. Die von der Privatautonomie des Erklärenden gedeckte Anpassung der Willenserklärung wird allerdings verlassen, wenn der angepaßte Inhalt der Willenserklärung nicht mehr auf der richtigen Motivation beruht. Diese Gefahr ergibt sich in der Praxis daraus, daß die Anpassung nicht durch den Erklärenden selbst, sondern durch den Richter erfolgt, der sich in die Motivationslage des ihm nicht näher vertrauten Erklärenden immer nur bis zu einem gewissen Grad hineinversetzen kann; bei der Testamentsauslegung ist der Erblasser dem Richter sogar völlig unbekannt und kann auch nicht mehr am Verfahren beteiligt werden. Bei der nicht empfangsbedürftigen Willenserklärung unter Lebenden wird die Gefahr, die richtige Motivation des Erklärenden bei Abgabe der Willenserklärung zu verfehlen, vergrößert durch den Umstand, daß hier zwar der Erklärende im Prozeß über seine Motivation befragt werden kann, aber dabei zwangsläufig bewußt oder unbewußt die inzwischen erfolgte Entwicklung in seine Überlegungen einbeziehen wird. Bei der empfangsbedürftigen Willenserklärung ist der Empfängerschutz zu bedenken. Die Tatsa-

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III. Inhaltsennittlung

ehe, daß die ergänzende Auslegung nicht mehr auf § 133 BGB als Ausdruck der Privatautonomie des Erklärenden gestützt werden kann, wenn die Anpassung die richtige Motivation für den Zeitpunkt der Abgabe der Willenserklärung verfehlt, andererseits aber erhebliche praktische Probleme bestehen, die wirkliche Motivation zu treffen, ist der Grund, warum bei der ergänzenden Auslegung so eindringlich darauf hingewiesen wird, daß auf jeden Fall an der Willensrichtung des Erklärenden anzusetzen sei. dd) Gesetzliche Auslegungsvorschriften wie § 2069, § 2077, § 2102-2105, § 2169 BGB u. a. Die ergänzende Testamentsauslegung wird weiterhin auf zahlreiche gesetzliche Auslegungsvorschriften gestützt. Beispielsweise § 2069, § 2077, § 2102-2105, § 2169, § 2170, § 2173 BGB zeigen, daß sogar der Gesetzgeber selbst in einigen Fällen eine ergänzende Auslegung als die sachgerechteste Lösung ansieht; diese Vorschriften sollen daher nichts anderes als eine Anleitung des Richters zu ergänzender Auslegung sein. IIO Es wird auch gesagt, aus diesen Bestimmungen lasse sich auch kein Umkehrschluß ableiten dahingehend, daß der Gesetzgeber über diese Regeln hinaus keine ergänzende Auslegung gewollt habe. Vielmehr können im Gesetz nur die typischen Fälle abstrakt-generell geregelt werden, nicht jedoch sämtliche Einzelfalle, die in der Praxis vorkommen; die Lösung der untypischen Fälle müsse daher dem Richter überlassen bleiben. 111 Die ergänzende Testamentsauslegung wird also mit einer Analogie zu den genannten Vorschriften begründet. Eine Analogie setzt eine planwidrige Lücke in der gesetzlichen Regelung bei Vergleichbarkeit des Sachverhalts voraus. 112 Fraglich ist allerdings bereits die Lücke. Die ergänzende Auslegung und speziell die ergänzende Testamentsauslegung sind zwar im Gesetz nicht ausdrücklich geregelt. Sofern man die ergänzende Auslegung aber auf § 157 oder § 133 BGB stützt, unterfallt sie dem direkten Regelungsbereich dieser Vorschriften; ein gesetzliches Regelungsdefizit wäre dann nicht gegeben. Aber auch wenn man die Regelungslücke für gegeben hält, weil man die ergänzende Auslegung nicht auf § 157 oder § 133 BGB stützen zu können glaubt, ist fraglich, ob diese Lücke planwidrig ist. Die Planwidrigkeit läßt sich bejahen mit dem genannten Argument, daß der Gesetzgeber eben nur die typischen Fälle regeln könne. Allerdings könnte man umgekehrt die Planwidrigkeit auch verneinen, denn allein aus der Tatsache, daß die ergänzende Auslegung sich allgemeingültig schlecht normieren läßt, läßt Brox, Irrtumsanfechtung, S. 120. RG, Besch!. v. 22.4.1920 - IV B 2/20 = RGZ 99, 82; RG, Vrt. v. 19.3.1925 - IV 256/24 = RGZ 110, 302 (306); BGH, Vrt. v. 15.12.1956 - IV ZR 238/56 = BGHZ 22,357; RGRK/Johannsen § 2084 Rn. 19. 112 Larenz, Methodenlehre, S. 365 ff. 110 111

7. Ergänzende Auslegung

205

sich noch nicht unbedingt ein allgemeiner Regelungsbedarf ableiten, den der Gesetzgeber übersehen habe. Vielmehr ließe sich umgekehrt auch sagen, mit der uneingeschränkten Anerkennung des Motivirrtums als Anfechtungsgrund in § 2078 11 BGB sei das Problem vielleicht in veralteter Weise, aber jedenfalls abschließend gesetzlich geregelt. Schließlich ist auch die Vergleichbarkeit der Situation als letzte Analogievoraussetzung problematisch. Die gesetzlichen Fälle haben gemeinsam, daß sie typische Fälle regeln, in denen nach allgemeiner Lebenserfahrung auch ein typischer Erblasserwille angenommen werden kann. Demgegenüber hat es die ergänzende Testamentsauslegung häufig mit untypischen Fällen zu tun, für die es dementsprechend auch keine allgemeine Lebenserfahrung gibt (sonst wären sie wohl ebenfalls vom Gesetzgeber aufgenommen worden). Die Kriterien, dennoch einen hypothetischen Erblasserwillen zu ermitteln, sind aus diesem Grunde nicht nur unschärfer als in den Fällen des Gesetzes (was für eine Vergleichbarkeit vielleicht gerade noch genügen würde), sondern es stehen wegen der Einzelfallbezogenheit im Gegensatz zu den Fällen des Gesetzes überhaupt keine allgemeingültigen Kriterien in Gestalt der allgemeinen Lebenserfahrung zur Verfügung. Diese Gesichtspunkte sprechen dafür, daß die ergänzende Testamentsauslegung mit einer Analogie zu den gesetzlichen Auslegungsregeln nicht begründet werden kann. ee) Anpassungsregeln für Rechtsgeschäfte unter Lebenden Das Verhältnis der ergänzenden Testamentsauslegung zu den gesetzlichen Auslegungsvorschriften entspricht dem Verhältnis der ergänzenden Vertragsauslegung zum dispositiven Gesetzesrecht, denn auch die erbrechtlichen Auslegungsregeln sind dispositive Lösungsvorschläge des Gesetzgebers, von denen der Erblasser aber abweichen kann. Entsprechend wird die ergänzende Auslegung auch mit einer Analogie zum allgemeinen dispositiven Gesetzesrecht begründet, indem auf die Anpassung durch den Richter bei der Minderung gemäß § 472 BGB oder auf Fälle freier richterlicher Anpassung bei der Festsetzung von Unterhaltspflichten oder bei § 847 BGB verwiesen wird; 113 überhaupt zeige das Gesetz, daß der Richter heute nicht mehr nur die traditionelle Rolle der Streitentscheidung zu erfüllen, sondern zunehmend auch Sachgestaltungsaufgaben zu übernehmen habe, wie zum Beispiel § 343, § 655 BGB, § 4 AbzG zeigten; besonders deutlich werde dies im Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit, wie zum Beispiel die HausratsVO belege. 114 Aber auch hier ist Voraussetzung einer Analogie wieder eine systemwidrige Regelungslücke und ein vergleichbarer Sachverhalt. Ob hinsichtlich der ergänzenden Auslegung überhaupt eine gesetzliche Regelungslücke vorliegt und ob diese 113 114

Brox, Irrtumsanfechtung, S. 126. Brox, Irrtumsanfechtung, S. 128.

206

III. Inhaltsennittlung

gegebenenfalls system widrig ist, ist hier genauso problematisch wie bei der Analogie zu den erbrechtlichen Auslegungsregeln. Aber auch die Vergleichbarkeit der Situation ist hier eher noch fraglicher. Wie bei den erbrechtlichen Auslegungsregeln ist vom Gesetz eine richterliche Anpassung nur in den typischen Fällen eröffnet, in denen eine Lösung anhand der allgemeinen Lebenserfahrung möglich erscheint, während die ergänzende Auslegung die richterliche Anpassung generell auf alle, also vor allem auch die untypischen Fälle ausdehnen will, für die eine solche Lebenserfahrung nicht existiert. Überdies aber geht es in den gesetzlich geregelten Fällen ganz überwiegend nur um die Festsetzung oder Anpassung von Geldsummen, während die ergänzende Auslegung darüber weit hinausgeht und prinzipiell jede Rechtsfolge eröffnen kann. Diese Argumente sprechen dafür, daß die ergänzende Auslegung auch nicht auf eine Analogie zu gesetzlichen Anpassungsregeln für Rechtsgeschäfte unter Lebenden gestützt werden kann. ff) § 2084 BGB Speziell für die Begründung der ergänzenden Auslegung letztwilliger Verfügungen könnte weiterhin § 2084 BGB herangezogen werden. Unabhängig von dem im einzelnen umstrittenen Verhältnis des § 2084 BGB gegenüber den allgemeinen Auslegungsnormen ist § 2084 BGB aber für die ergänzende Testamentsauslegung keinesfalls unmittelbar anzuwenden. Denn § 2084 BGB ist nicht als primäre Auslegungsnorm anzusehen, sondern als Norm, die eine Auslegung bereits voraussetzt und nur bei mehreren Auslegungsmöglichkeiten entscheidet. 115 Es könnte daher allenfalls der Zweck des § 2084 BGB herangezogen werden, in erster Linie das Testament aufrechtzuerhalten, anstatt vorschnell auf die gesetzliche Regelung zurückzugreifen. 116 Doch begegnen auch dieser Analogie neben den problematischen Voraussetzungen der Regelungslücke und ihrer Systemwidrigkeit - Bedenken wegen der Vergleichbarkeit des Sachverhalts. Auch hier ist nämlich weiterzufragen, ob der Zweck des § 2084 BGB so weit geht, einen realen Willen des Erblassers durch einen hypothetischen Willen zu ersetzen; immerhin bezieht sich die Vorschrift in ihrem direkten Anwendungsbereich nur auf den Fall, daß zwei oder mehr Möglichkeiten einer erläuternden Auslegung gegeben sind, also eine der Möglichkeiten auf jeden Fall den wirklichen Willen des Erblassers wiedergibt. Das spricht dafür, daß § 2084 BGB auch die ergänzende Auslegung nur rechtfertigen kann, sofern diese den für die veränderte Situation realen Willen des Erblassers trifft.

115

116

Soergel / Damrau § 2084 BGB Rn. 5; Rn. 17; MK / Leipold § 2084 Rn. 38. MK / Leipold § 2084 Rn. 38.

7. Ergänzende Auslegung

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gg) Systematisch-teleologisches Argument zugunsten der Gerechtigkeitsentscheidung des Erklärenden Zur Begründung der ergänzenden Auslegung kommt weiterhin außer einzelnen Gesetzesvorschriften auch ein systematisch-teleologisches Argument in Betracht. Man könnte sagen, aus der Grundentscheidung des Gesetzgebers für den Vorrang der privatautonom gestalteten Erbregelung (vgl. §§ 1937 - 1941; §§ 2084 - 2086; § 2253, § 2254; § 2302 BGB) ergebe sich, daß der Gesetzgeber davon ausgeht, daß die testamentarische Regelung nach Ansicht des Erblassers eine gerechte Gestaltung der Verhältnisse enthält; in gewisser Weise könnte daher doch vorsichtig die Interessenlage zu berücksichtigen sein, was am besten mithilfe der ergänzenden Auslegung geschieht. 117 Ähnlich könnte man für den Vertrag aus dem Vorrang der Privatautonomie, wie ihn grundsätzlich ja auch die Rechtsgeschäfte unter Lebenden kennen, eine gesetzliche Vermutung für eine gerechte Gestaltung der Verhältnisse durch die Parteien und damit ebenso eine Interessenabwägung im Rahmen der Auslegung begründen. Denn der Vertragsmechanismus, der in der Regel eine sachgerechte Lösung im Weg gegenseitiger Interessenbegrenzung ermöglicht, funktioniert nicht, wenn ein wesentlicher Umstand nicht in die Wertung der Parteien aufgenommen worden ist; diese Vertragsgerechtigkeit ist daher, weil eine neuerliche Einigung zur Irrtumskorrektur wegen der inzwischen erfolgten Interessenverschiebung oft nicht möglich ist, durch einen hoheitlichen Eingriff im Interesse der Parteien wiederherzustellen. 118 In dieses systematisch-teleologische Argument fließen also letztlich all die praktischen Überlegungen und Gerechtigkeitserwägungen ein, die die ergänzende Rechtsgeschäftsauslegung ursprünglich ins Leben gerufen haben. Diese Billigkeitserwägungen verlieren aber an Gewicht, wenn dem Gerechtigkeitsvorteil der ergänzenden Auslegung auch Gerechtigkeitsnachteile gegenüberstehen, oder wenn die Gerechtigkeitsvorteile auch auf andere Weise erzielt werden können, wo die gegen die ergänzende Rechtsgeschäftsauslegung angeführten Bedenken nicht eingreifen. Gerechtigkeitsnachteile sind denkbar zum Beispiel beim Erbvertrag, denn hier hat die Anfechtung gegenüber der ergänzenden Auslegung den Vorteil, schon zu Lebzeiten des Erblassers und unter dessen Beteiligung klare Verhältnisse zu schaffen. 119 Denselben Gerechtigkeitsvorteil wie die ergänzende Auslegung kann in manchen Fällen die Teilanfechtung bringen. 120 Keymer S. 93; Sandrock S. 13 f. Brox, Irrtumsanfechtung, S. 126. 119 BGH, Urt. v. 31.10.1962 V ZR 129/62 = NJW 1963, 246; BGH, Urt. v. 17.9.1970 - III ZR 158/67, bei Johannsen WM 1972,642 (646); Heinz S. 26; S. 29. 120 Sehr anschaulich RG, Urt. v. 11.3.1909 -IV 304/08 = RGZ 70,391 (Teilanfechtung) und BGH, Besch!. v. 9.4.1981 - IV a ZB 6/80 = BGHZ 80, 246 (ergänzende 117 118

208

III. Inhaltsermittlung

Vor allem aber kann nunmehr die erläuternde Auslegung in der Ausprägung, die sie durch Rechtsprechung und Wissenschaft inzwischen erlangt hat, in all den Fällen helfen, in denen die erforderliche Willensrichtung im Testament zu finden ist und die daher überhaupt nur mit der Privatautonomie des Erblassers zu vereinbaren ist. 121 Eine Anpassung dagegen, die objektive Gerechtigkeit verwirklichen will, kann dagegen nicht, auch nicht aufgrund teleologischer Erwägungen, auf die Auslegung gestützt werden, weil sie über das ,,ziel" der privatautonomen Regelung dann gerade hinausgeht; hier kann allenfalls noch eine Korrektur über § 242 BGB in Frage kommen. hh) Gewohnheitsrecht Der Hinweis, die ergänzende Auslegung sei nunmehr allgemein anerkannt, könnte weiterhin in das juristische Argument gegossen werden, daß die Zulässigkeit der ergänzenden Auslegung inzwischen gewohnheitsrechtlich begründet sein könnte. Gewohnheitsrecht setzt allerdings nicht nur eine longa consuetudo, sondern auch eine opinio iuris necessitatis voraus. Die lange Gewohnheit könnte wohl hinsichtlich der ergänzenden Vertragsauslegung unter Lebenden und hinsichtlich der ergänzenden Testamentsauslegung bejaht werden, denn beide Institute wurden bereits vom Reichsgericht entwickelt und von der Rechtsprechung seitdem immer wieder herangezogen. Eine allgemeine Doktrin der ergänzenden Auslegung hat sich allerdings bisher nicht entfalten können. Daher wäre wohl eine ergänzende Auslegung außerhalb von Testament und schuldrechtlichem Austauschvertrag schon aus diesem Grund nicht auf Gewohnheitsrecht zu stützen. Problematisch ist weiterhin auch für Testament und Austauschvertrag unter Lebenden die Meinung von der Rechtsnotwendigkeit, denn vor allem in der älteren Literatur wurde die Zulässigkeit der ergänzenden Auslegung ja grundsätzlich bestritten. 122 In jüngerer Zeit wird die Kritik angesichts der praktischen Notwendigkeit richterlicher Anpassung in vielen Fällen zwar weniger radikal formuliert, doch werden auch heute noch schwerwiegende Bedenken in Bezug auf die Privatautonomie des Erklärenden angemeldet. 123

Auslegung); in beiden Fällen hatte der Erblasser "gesetzliche Erbfolge" angeordnet, aber über die gesetzlichen Erben geirrt (zu der Frage, ob der Rechtsirrtum nicht über die erläuternde Auslegung bzw. den Inhaltsirrtum statt über die ergänzende Auslegung und den Motivirrtum zu lösen sein sollte, s.o.). 121 S. u. 122 S. o. 123 Z. B. MK/Leipold § 2084 Rn. 46; Medicus, AT, Rn. 344; Staud/Otte vor §§ 2064-2086 Rn. 90; Rn. 100.

7. Ergänzende Auslegung

209

Mangels einer allgemeinen opinio iuris necessitatis kann die ergänzende Rechtsgeschäftsauslegung daher nicht auf Gewohnheitsrecht gestützt werden. ii) Richterliche Rechtsfortbildung Schließlich wird die ergänzende Rechtsgeschäftsauslegung damit begründet, daß der Richter auch das Gesetz ergänzend auslegen darf; dann müsse aber die ergänzende Auslegung des Privatrechtsgeschäfts erst recht zulässig sein. 124 Zwischen erläuternder und ergänzender Gesetzesauslegung bestehe ohnehin nur ein gradueller Unterschied; Zwischenstufen seien zum Beispiel die Konkretisierung allgemeiner Rechtsgrundsätze, die teleologische Reduktion und die Analogie. Hier zeigt sich aber auch bereits die Divergenz zwischen Gesetzesauslegung und Rechtsgeschäftsauslegung, denn die Konkretisierung allgemeiner Rechtsgrundsätze, die teleologische Reduktion und die Analogie sind beim Rechtsgeschäft nicht ohne weiteres zulässig, sondern nur, wenn das Gesetz dazu ausdrücklich ermächtigt, etwa in § 242 BGß. Vor allem aber handelt es sich bei der Gesetzesauslegung, anders als bei der Rechtsgeschäftsauslegung, nicht um eine Willenserforschung, sofern man der Auffassung des Bundesverfassungsgerichts folgt, wonach bei der Gesetzesauslegung nur der verobjektivierte Wille des Gesetzgebers, nicht aber der historische subjektive Wille zu beachten ist. Schließlich sind Gesetzesauslegung und Rechtsgeschäftsauslegung auch deshalb nicht vergleichbar, weil der Gesetzgeber im Gegensatz zum Privatrechtssubjekt die richterliche Rechtsfortbildung laufend beobachten und gegebenenfalls jederzeit korrigieren kann. Mit einer Parallele zur Gesetzesauslegung kann daher die ergänzende Rechtsgeschäftsauslegung nicht begründet werden. jj) Zusammenfassung: Zulässigkeit der ergänzenden Auslegung aus der Privatautonomie des Erklärenden

Damit ergibt sich für die Zulässigkeit der ergänzenden Rechtsgeschäftsauslegung zusammenfassend: Die ergänzende Rechtsgeschäftsauslegung ist grundsätzlich von der Privatautonomie des Erklärenden geboten und damit im Rahmen des § 133 BGB auch grundsätzlich zulässig. Die Privatautonomie des Erklärenden, und hier wiederum seine Selbstbestimmung, fordert es, nicht nur den wirklichen Geschäftswillen, sondern auch den aufgrund richtiger Motivation gebildeten Geschäftswillen zu verwirklichen. Die ergänzende Rechtsgeschäftsauslegung ist damit bei der nicht empfangsbedürftigen Willenserklärung grundsätzlich bei jedem Motivirrtum, bei der empfangsbedürftigen Willenserklärung beziehungsweise der wechselbezüglichen 124

Brox, Irrtumsanfechtung, S. 123; Larenz NJW 1963,737 (739).

14 Stumpf

210

III. Inhaltsennittlung

Verfügung im gemeinschaftlichen Testament dagegen wegen der dort zu berücksichtigenden Privatautonomie des Empfängers nur bei beiderseitigem Motivirrtum eröffnet. Andererseits hält sich die ergänzende Rechtsgeschäftsauslegung nur dann im Rahmen der Privatautonomie des Erklärenden, wenn sie wirklich den bei richtiger Motivation maßgeblichen Geschäftswillen des Erklärenden trifft und nicht an die Stelle des weiterentwickelten Geschäftswillens des Erklärenden eine an Gerechtigkeit und Billigkeit orientierte Entscheidung setzt. Die in diesem Rahmen zulässige ergänzende Auslegung erfolgt deshalb grundsätzlich nach einem subjektiven Maßstab. Bei der empfangsbedürftigen Willenserklärung ist allerdings, auch bei übereinstimmendem Motivirrtum, die Privatautonomie des Empfängers tangiert und deshalb ein objektiv-normativer Auslegungsmaßstab aus dem Empfängerhorizont heraus anzulegen; auch dieser objektiv-normative Auslegungsmaßstab bleibt aber - wie bei der erläuternden Auslegung der empfangsbedürftigen Willenserklärung auch - an der Privatautonomie der Parteien orientiert. Anband dieses Verständnisses von der ergänzenden Auslegung lösen sich nunmehr auch die noch offenen Einzelfragen. Zum einen ist dies die Frage, ob bei der ergänzenden Testamentsauslegung auch Veränderungen nach Wirksamwerden des Testaments eine beachtliche Lükke eröffnen können. Da eine Lücke nichts anderes ist als ein Motivirrtum, also eine Fehlvorstellung über Tatsachen, die für die Rechtsfolgenanordnung relevant sind, andererseits aber nur Tatsachen bis zum Wirksam werden für das Testament relevant sein können (s.o.), ist eine Vorstellung des Erblassers über spätere Veränderungen gar kein für das Testament beachtliches Motiv, diesbezügliche Fehlvorstellungen sind damit auch kein für das Testament beachtlicher Motivirrtum. Ein Irrtum über Veränderungen nach Wirksamwerden des Testaments kann daher auch keine ergänzende Testamentsauslegung eröffnen. Zum anderen beantwortet sich nunmehr die Frage, ob bei der ergänzenden Vertragsauslegung auch der offene Einigungsmangel als Lücke anzuerkennen ist. Um die Auslegung eröffnen zu können, müßte der Dissens an sich vor der Auslegung festgestellt werden; er wird aber bei strukturgerechter Auslegungsmethode erst im Anschluß an die (erläuternde oder ergänzende) Auslegung durch Vergleich der Auslegungsergebnisse bei den vertragsbegründenden Willenserklärungen ermittelt. DafÜberhinaus haben die Parteien im Fall des offenen Dissenses keine Fehlvorstellungen über die ihrer Regelung zugrundeliegenden Tatsachen, es liegt also kein Motivirrtum vor. Vielmehr haben die Parteien hier volle Kenntnis von Tatbestand und Rechtsfolge, es fehlt lediglich an der Übereinstimmung ihrer Willenserklärungen. Mit einer privatautonom begründeten Auslegung kann diese Einigung aber nicht ersetzt werden. Privatautonome Selbstbestimmung bedeutet nämlich nicht nur die Freiheit, einen Sachverhalt rechtlich zu gestalten, sondern auch die Freiheit, eine rechtliche Regelung zu unterlassen. Eine fehlende Einigung der Parteien durch einen Hoheitsakt zu ersetzen ist daher nicht nur von der

7. Ergänzende Auslegung

211

Privatautonomie der Parteien nicht geboten, sondern würde sogar gegen sie verstoßen. Auch privatautonome Selbstverantwortung meint lediglich, daß der Erklärende grundsätzlich das Risiko für seine Willenserklärung trägt, sie kann aber nicht bedeuten, daß der Erklärende zu einer nicht gewollten Einigung gezwungen wird. Auch die Fremdverantwortung gegenüber dem Empfanger kann es nicht gebieten, eine fehlende Einigung der Parteien durch Richterspruch zu ersetzen, denn angesichts der privatautonomen Freiheit, eine Regelung zu treffen oder auch zu unterlassen, hat grundsätzlich niemand einen Anspruch darauf, daß ein anderer sich mit ihm einigt. 125 Nur in Ausnahmefällen kann Treu und Glauben eine entsprechende Korrektur einmal gebieten, doch ist damit bereits der Anwendungsbereich des § 242 BGB eröffnet, der erst im Anschluß an die Auslegung nach eigenständigen Maßstäben Gerechtigkeit und Billigkeit verwirklicht; auch § 242 BGB ist aber selbst keine eigenständige Anspruchsgrundlage, die Vorschrift kann lediglich den Anspruchsinhalt erweitern oder Nebenpflichten begründen. 126

e) Abgrenzung der ergänzenden Auslegung gegenüber anderen Möglichkeiten der Irrtumskorrektur Aus dem dargelegten Verständnis der ergänzenden Rechtsgeschäftsauslegung ergibt sich nun auch ihr Verhältnis zu den anderen Möglichkeiten der Irrtumsregulierung und damit der exakte Anwendungsbereich der ergänzenden Auslegung. aa) Ergänzende und erläuternde Auslegung

Im Verhältnis zwischen ergänzender und erläuternder Auslegung gibt es nach der derzeit ganz überwiegenden Auffassung 127 keine Überschneidung im tatbestandlichen Anwendungsbereich. Die erläuternde Auslegung ermittelt den realen Geschäftswillen, die ergänzende Auslegung die Motivationslage und beim Motivirrtum den aus der richtigen Motivation folgenden Geschäftswillen. Fehlvorstellungen im tatsächlichen Bereich sind als Motivirrtum allenfalls über die ergänzende, nicht aber über die erläuternde Auslegung zu berichtigen. Fehlvorstellungen über die Rechtsfolge sind demgegenüber bei der nicht empfangsbedürftigen Willenserklärung über die erläuternde Auslegung zu lösen, bei der empfangsbedürftigen Willenserklärung und der wechselbezüglichen Verfügung im gemeinschaftlichen Testament bei nicht übereinstimmendem Geschäftswillen der Parteien ist die Fehlvorstellung ebenfalls durch erläuternde Auslegung zu ermitteln 125 Eine Ausnahme ist der Kontrahierungszwang aus § 826 BGB, der aber auf wenige Sonderfälle beschränkt ist; vgl. Larenz, AS, § 4 I, S. 42 ff. 126 BGH, Urt. v. 23.4.1981 VII ZR 196/80 = NJW 1981, 1779; BGH, Urt. v. 21.10.1983 - V ZR 166/82 = NJW 1984,730. 127 A. A. z. B. Mangold NJW 1961,2284, wonach die Auslegung der mehrdeutigen Willenserklärung bereits ergänzende Auslegung sein soll; diese Auffassung hat sich aber nicht durchgesetzt.

14*

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III. Inhaltsennittlung

und als Inhalts- oder Erklärungsirrtum gegebenenfalls im Wege der Anfechtung zu lösen. Es ist also grundsätzlich immer der reale Geschäftswille aufgrund der realen Motivation zu ermitteln. Dann ist weiter danach zu fragen, ob die reale Motivation richtig ist oder ob ein Motivirrtum vorliegt. Liegt ein Motivirrtum nicht vor, dann kann es zu einer ergänzenden Auslegung nicht mehr kommen, unabhängig davon, ob ein realer Geschäftswille festgestellt werden konnte oder nicht; konnte ein realer Geschäftswille festgestellt werden, dann gilt dieser als maßgeblicher Geschäftsinhalt; konnte ein realer Geschäftswille nicht festgestellt werden, dann ist die Auslegung fehlgeschlagen, ein maßgeblicher Inhalt der Willenserklärung kann nicht ermittelt werden, die Willenserklärung kann ihre Funktion als Geltungserklärung nicht erfüllen und ist darum nichtig. Liegt ein Motivirrtum vor, so greift die ergänzende Auslegung ein und fragt, wie die richtige Motivation des Erklärenden gelautet hätte und wie er den Inhalt der Willenserklärung bei dieser richtigen Motivation gefaßt hätte. Läßt sich ein solcher Wille ermitteln, so ist dieser als maßgeblicher Inhalt der Erklärung anzusehen (und weiterzufragen, ob die Wirksamkeitserfordernisse, insbesondere das Formgebot, in Bezug auf diesen Inhalt erfüllt sind). Läßt sich ein solcher Geschäftswille nicht ermitteln, so ist der aufgrund der erläuternden Auslegung gefundene reale, aber auf einer fehlerhaften Motivation beruhende Geschäftswille als maßgeblicher Inhalt der Erklärung anzusehen. Eine aufgrund eines Motivirrtums gebildete, aber einen realen Geschäftswillen enthaltende Willenserklärung beruht zwar nicht uneingeschränkt auf der vollen privatautonomen Selbstbestimmung des Erklärenden; das ändert aber nichts daran, daß sie zunächst einmal einen - wenn auch fehlerhaften - Inhalt hat und mit diesem Inhalt ihre Funktion als Geltungserklärung erfüllen kann. Das gilt auch dann, wenn die Verfügung aufgrund eines Motivirrtums unmöglich wird, etwa wenn der Bedachte vorverstorben ist (§ 1923 I BGB). Die Privatautonomie des Erklärenden ist hinreichend geschützt dadurch, daß dem Erklärenden auch in den Fällen, in denen ein positiver Wille nicht festgestellt werden kann, in den gesetzlich zugelassenen Fällen (§ 119 11, § 123, § 2078 11, § 2281 BGB und generell bei der nicht empfangsbedürftigen Willenserklärung unter Lebenden) die Anfechtung wegen Motivirrtums bleibt. Aber auch in den Fällen, in denen eine Anfechtung wegen Motivirrtums nicht möglich ist, dürfte die Verwirklichung des immerhin real gebildeten Geschäftswillens der privatautonomen Selbstbestimmung besser Rechnung tragen als die Vernichtung dieser Regelung; denn mit der Erklärung hat der Erklärende immerhin zu erkennen gegeben, daß er eine individuelle Regelung gegenüber dem dispositiven Recht bevorzugt. Das entspricht auch der Wertung des Bürgerlichen Gesetzbuches, das im Gegensatz zum gemeinen Recht aus diesen Gründen bei Willensmängeln die Anfechtbarkeit statt der automatischen Nichtigkeit vorsieht. Außerdem kann der beiderseitige Motivirrtum bei der empfangsbedürftigen Willenserklärung bei Unzumutbarkeit der realen Regelung unter Umständen auch nach der Lehre vom Wegfall der Geschäftsgrundlage korrigiert werden.

7. Ergänzende Auslegung

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Nun wird zum Verhältnis zwischen erläuternder und ergänzender Auslegung gesagt, die erläuternde Auslegung habe der ergänzenden Auslegung voranzugehen; \28 nur wenn es dem Richter nicht gelinge, sich trotz der Auswertung aller zur Aufdeckung des Erblasserwillens dienlichen Umstände vorn wirklichen Willen zu überzeugen, müsse er sich notfalls mit der Ermittlung des mutmaßlichen Willens begnügen. 129 Diese Formulierung dürfte wohl aus dem nachträglichen Blickwinkel des Richters zu verstehen sein, der die beiden Schritte der Ermittlung des Geschäftswillens bei realer Motivation und die Ermittlung des Geschäftswillens bei richtiger, aber ftktiver Motivation in einer einzigen Formulierung zusammenfaßt und bei entsprechenden Anhaltspunkten für einen Motivirrtum gleich nach dem ,,richtigen", d. h. für die richtige Motivation geltenden Geschäftswillen fragt. Angesichts der neueren Entwicklung der erläuternden Auslegung einerseits und dem Erfordernis, die ergänzende Auslegung im Rahmen des wirklichen Parteiwillens zu halten, könnten sich nun aber doch Berührungspunkte zwischen erläuternder und ergänzender Auslegung ergeben. Es hat sich gezeigt, daß die ergänzende Auslegung unzulässig wird, sobald der ermittelte mutmaßliche Geschäftswille nicht mehr die richtige Motivation des Erklärenden trifft, und daß andererseits die Gefahr, die richtige Motivation des Erklärenden zu verfehlen, aus faktischen Gründen relativ groß ist. Hier könnte nun eine Lösung darin gesehen werden, daß die reale Willensrichtung, die nach herrschender Auffassung Voraussetzung auch der ergänzenden Auslegung ist, um diese an die privatautonome Regelung des Erklärenden anzubinden, 130 durch erläuternde Auslegung ermittelt werden muß. Wenn aber die Bindung der ergänzenden Auslegung an die Privatautonomie des Erklärenden. ernst genommen werden soll, dann muß auch die Bindung des ermittelten hypothetischen Willens an die reale Willensrichtung eine enge sein. Anerkannt ist, daß das Anwendungsgebiet der ergänzenden Auslegung um so kleiner ist, je größer das Gebiet der erläuternden Auslegung ist, und umgekehrt; endet die erläuternde Auslegung schon bei einern enggefaßten psychologischen Willen, so bleibt viel Raum für eine ergänzende Auslegung; ist aber durch die erläuternde Auslegung ein weiterer Wille zu erforschen, so bleibt für eine ergänzende Auslegung weniger Platz. \31 Wenn nun im Interesse einer Begründung der ergänzenden Auslegung in der Privatautonomie des Erklärenden der hypothetische Wille eng an die reale Willensrichtung des Erklärenden anzuknüpfen ist, so führt dieser Gedanke in radikaler Brox, Irrtumsanfechtung, S. 117 f.; Brox, AT, Rn. 136. BGH, Urt. v. 8.7.1981 - IVa ZR 188/80 = LM § 2258 BGB Nr. 2 = MDR 1982, 38 = NJW 1981,2745; BGH, Urt. v. 8.12. 1982 - IVa ZR 94/81 = BGHZ 86, 41 = FamRZ 1983,383 = JZ 1983,709 = NJW 1983,672 = Rpfleger 1983, 111; Lange/ Kuchinke § 33 III 3 b, S. 566. 130 RGRK / Johannsen § 2084 Rn. 22; Lange / Kuchinke § 33 III 3 d, S. 570; MK / Leipold § 2084 Rn. 44 ff.; Staud / Otte vor §§ 2064- 2086 Rn. 88; Schlüter § 22 II, S. 124. 131 Brox, Irrtumsanfechtung, S. 118. 128 129

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III. Inhaltsermittlung

Konsequenz dazu, daß eine ergänzende Auslegung nur dann zulässig ist, wenn der hypothetische Geschäftswille sich unmittelbar aus der realen Willensrichtung ergibt, mit anderen Worten, wenn bereits die erläuternde Auslegung mit der Ermittlung der realen Willensrichtung zum Ziel führt. 132 Dem könnte entgegengehalten werden, daß die Willensrichtung als Grundlage der ergänzenden Auslegung etwas anderes sei als der Geschäftswille als Gegenstand der erläuternden Auslegung, daß nämlich der Geschäftswille nur die konkrete, reale, einklagbare und gegebenenfalls vollstreckbare Rechtsfolge umfasse, während die Willensrichtung notwendig etwas Allgemeineres sei. Doch darf diese Willensrichtung, wenn sie wirklich die ergänzende Auslegung auf die privatautonome Regelung des Erklärenden begrenzen soll, nicht allzu allgemein verstanden werden. Entsprechend wird die Willensrichtung auch umschrieben als die reale Einstellung, von der der Erblasser bei Testamentserrichtung ausging. 133 Sie wird zwar gleichzeitig auch als die Motivation des Erblassers bezeichnet, doch an das weitere Erfordernis gekoppelt, daß diese Willensrichtung konkret weiterzuentwickeln sei. 134 Damit ist mit der Willensrichtung also durchaus der konkrete Geschäftswille aufgrund der objektiv richtigen Motivation gemeint. Dieser kann nun in vielen Fällen weniger hypothetisch sein, als es traditionell angenommen wird. Wenn der Erblasser dem X als Hoferben seinen D-Hof, dem Y als Hoferben den A-Hof und dem Z sein sonstiges Vermögen zuwendet, dann aber zur Abwendung der Enteignung den D-Hof veräußert und den Erlös in mehrere Grundstücke, ein Gut und ein Bankguthaben investiert,135 dann kann als realer Geschäftswille aufgrund der realen (objektiv unrichtigen) Motivation zunächst nur die Zuwendung der beiden Höfe und des sonstigen Vermögens angenommen werden, wovon die Zuwendung des D-Hofes fehlgeschlagen ist. Man könnte den realen Geschäftswillen aber auch weiter fassen in dem Sinne, daß die Zuwendungen an X, Y und Z in einem bestimmten Verhältnis zueinander stehen und primär aus den angeführten Gegenständen, hilfsweise aus den Surrogaten bestehen sollten; dieser reale Geschäftswille würde dann auch die irreale, aber richtige Motivation nach Veräußerung des D-Hofes umfassen. Wenn der Erblasser in einem anderen Beispiel seine Ehefrau bedenkt, diese aber vorverstirbt,136 dann kann man als realen Geschäftswillen lediglich die (fehlgeschlagene) Einsetzung der Ehefrau ansehen. Man könnte unter dem realen Willen im Zeitpunkt der Testamentserrichtung aber auch die Einsetzung der Ehefrau und ihres Stammes verstehen. Hierzu sind allerdings, wie immer bei der erläuternden Auslegung, besondere Anhaltspunkte erforderlich, die einen solchen Im Ergebnis ebenso Soergel / Damrau § 2084 Rn. 15. Lange / Kuehinke § 33 III 3 d, S. 570; MK / Leipold § 2084 Rn. 45. 134 Lange / Kuehinke § 33 III 3 d, S. 570; MK / Leipold § 2084 Rn. 46. 135 BGH, Urt. v. 8.12.1982 - IVa ZR 94/81 = BGHZ 86/41 = FamRZ 1983,383 = JZ 1983,709 = NJW 1983,672 = Rpfleger 1983, 111. 136 BayObLG, Besehl. v. 16.5.1988 - BReg 1 Z 47/87 = BayObLGZ 1988, 165. 132

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7. Ergänzende Auslegung

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realen Geschäftswillen begründen können, etwa entsprechende Äußerungen des Erblassers, oder wenn die gesamte Konstellation darauf hinweist, daß letztlich der Nachlaß beider Ehegatten an einen Verwandten der Ehefrau fallen sollte. Es würden also die allgemeinen Grundsätze der erläuternden Auslegung eingreifen. Diese sind nämlich ohnehin identisch mit dem, was auch bisher schon im Rahmen der ergänzenden Auslegung für die Willensrichtung postuliert wird, nämlich daß sie zwar anband der Willenserklärung zu ermitteln ist, aber auf den Wortlaut weder unmittelbar noch andeutungsweise begrenzt ist und zur Feststellung auch Umstände außerhalb des Testaments herangezogen werden können. 137 In letzter Konsequenz würde das bedeuten, daß die Ermittlung des mutmaßlichen Geschäftswillens (der dann ein realer ist) nur zulässig ist, wenn im Weg der erläuternden Auslegung ein entsprechender realer Geschäftswille auch für den Fall der objektiv richtigen, aber fiktiven Motivation festgestellt werden kann. Damit würde die ergänzende Auslegung, soweit ein solcher Geschäftswille ermittelt werden kann, durch die erläuternde Auslegung überflüssig; sofern ein solcher Geschäftswille nicht ermittelt werden kann, wäre sie unzulässig, weil sie den von der Privatautonomie des Erklärenden gesteckten Rahmen verläßt. Aber auch die derzeit herrschende Meinung läßt für den Fall, daß eine "Willensrichtung" nicht festgestellt werden kann, eine ergänzende Auslegung nicht zu. Das vorliegende Konzept führt also faktisch nicht zu abweichenden Resultaten. Es hat allerdings den Vorteil, statt an dem unscharfen Kriterium der "Willensrichtung" am konkret faßbaren Geschäftswillen anzuknüpfen und damit die ergänzende Auslegung sicherer in der Privatautonomie des Erklärenden zu begründen; außerdem läßt sich ein realer Geschäftswille wesentlich leichter auf das Formgebot hin untersuchen als nur ein hypothetischer Wille, sofern das Formgebot sich überhaupt auf die ergänzende Auslegung erstreckt. 138 Letztlich wird hier aber nur offengelegt, was die Praxis faktisch bereits vollzieht, wenn auch unter Rückgriff auf einen sogenannten hypothetischen Willen; dieser war erforderlich, solange die erläuternde Auslegung von der Eindeutigkeitstheorie regiert wurde. Nachdem aber nunmehr auch für die erläuternde Auslegung die Grundsätze überwiegend anerkannt sind, wie sie schon lange für die ergänzende Auslegung galten (außerurkundliche Umstände als Auslegungsmittel, keine Beschränkung auf die Verkehrsbedeutung des Wortes etc.), ist dieser Rückgriff auf einen hypothetischen Willen entbehrlich geworden. 139

BReg 1 Z 47/87 = BayObLGZ 1988, 165 137 BayObLG, Besehl. v. 16.5.1988 (169); Soergel / Damrau § 2084 Rn. 14; RGRK / Johannsen § 2084 Rn. 22; MK / Leipold § 2084 Rn. 45. 138

S.

U.

Vgl. BGH, Urt. v. 8.7.1981 - IVa ZR 188/80 = LM § 2258 BGB Nr. 2 = MDR 1982,38 = NJW 1981, 2745; BGH, Urt. v. 8.12.1982 - IVa ZR 94/81 = BGHZ 86/ 41 = FamRZ 1983,383 = JZ 1983,709 = NJW 1983,672 = Rpfleger 1983, 111. 139

216

III. Inhaltsermittlung

Auch nach bisherigem Verständnis darf die ergänzende Auslegung schließlich nicht in Widerspruch zum tatsächlichen Parteiwillen oder Vertragsinhalt stehen. 140 Das bedeutet aber nichts anderes, als daß letztlich das Ergebnis der erläuternden Auslegung die Grenze der ergänzenden Auslegung bestimmt. Dann ist es aber nur noch ein kleiner Schritt zu der Konsequenz, daß auch die ergänzende Auslegung letztlich nur einen realen Geschäftswillen ermitteln kann. Das Gesagte gilt zunächst für die Testamentsauslegung und die Auslegung der nicht empfangsbedürftigen Willenserklärung unter Lebenden. Es bestehen aber keine Schwierigkeiten, diese Lösung auf alle Fälle zu übertragen, bei denen ein subjektiver Auslegungsmaßstab gilt. Nun hat sich gezeigt, daß bei der ergänzenden Auslegung der empfangsbedürftigen Willenserklärung bei beiderseitig übereinstimmendem Motivirrtum, anders als bei übereinstimmendem Geschäftswillen bei der erläuternden Auslegung, immer objektiv-normativ aus dem Empfängerhorizont heraus auszulegen ist. Wenn nun die ergänzende Auslegung in der erläuternden Auslegung aufgeht wie gezeigt, könnte hierin ein Konflikt liegen. Hier ist zu unterscheiden: Unproblematisch sind die Fälle, in denen trotz des gemeinsamen Motivirrtums ein gemeinsamer Geschäftswille auch für die objektiv richtige Tatsachenlage gegeben ist; hier stimmt die Interessenlage der Parteien überein, die Privatautonomie beider Parteien wird am besten durch diesen subjektiven Geschäftswillen verwirklicht, es ist daher subjektiv auszulegen. Problematischer sind die Fälle des gemeinsamen Motivirrtums, in denen zwar ein gemeinsamer Geschäftswille für die irrtümlich angenommene Situation, nicht aber ein gemeinsamer Geschäftswille für die richtige Tatsachenlage zu finden ist. Hier würde die Ermittlung des realen Geschäftswillens des Erklärenden in dem weiteren Sinne, daß er auch die Veränderung umfaßt, die Privatautonomie des Empfängers beeinträchtigen, weil damit eine Einigung unterstellt würde, die in Wirklichkeit gar nicht stattgefunden hat. Damit muß es hier wegen des Vertrauensschutzes des Empfängers bei einem objektivnormativen Auslegungsmaßstab aus dem Empfängerhorizont heraus bleiben. Auch in diesem Fall handelt es sich dann aber um die Ermittlung eines realen Geschäftswillens; nur wird dabei ein anderer Maßstab angelegt. bb) Ergänzende Auslegung und dispositives Gesetzesrecht Nach traditioneller Auffassung ist es Aufgabe der ergänzenden Auslegung, eine Willenserklärung bzw. ein Rechtsgeschäft so zu erweitern, daß die darin enthaltene Regelung auf eine irrtümlich nicht angenommene tatsächliche Situation anwendbar wird und damit eine Bedeutung bekommt, die sie nach ihrem 140 BGH, Urt. v. 14.12.1977 VIII ZR 34/76 = JZ 1978, 148 = LM § 157 BGB (D) Nr. 31 = BB 1978, 123; BGH, Urt. v. 1.2.1984 - VIII ZR 54/83 = BGHZ 90,69 (77); Demburg DJZ 1904, 1 ff.; Pal/Heinrichs § 157 Anm. 2e, aa; Lange/Kuchinke § 33 III 3 d, S. 570.

7. Ergänzende Auslegung

217

durch erläuternde Auslegung ennittelten Inhalt nicht hat. Aufgrund dieser Funktion tritt die ergänzende Auslegung notwendigerweise auch in Konkurrenz zu den Nonnen des dispositiven Gesetzesrechts, die ebenfalls dem Zweck dienen, das Rechtsgeschäft inhaltlich zu ergänzen. 141 Erörtert wird diese Problematik durchwegs anband des Rechtsgeschäfts unter Lebenden, und hier bezieht sich die Diskussion meist auf die dispositiven Regeln des Schuldrechts. Zum Verhältnis zwischen ergänzender Auslegung und Gesetzesrecht werden v~rschiedene Positionen vertreten. Zum Teil wird gesagt, die ergänzende Vertragsauslegung gehe dem dispositiven Gesetzesrecht vor, sogar wenn die spezielle vertragliche Regelung bewußt unterlassen wurde; dies fordere die Privatautonomie der Parteien, die mit ihren Willenserklärungen ja zeigten, daß sie jedenfalls die gesetzliche Regelung gerade nicht wollten. 142 Demgegenüber wird teilweise für einen generellen Vorrang des dispositiven Rechts gegenüber der ergänzenden Auslegung plädiert, weil sonst das dispositive Recht praktisch obsolet würde. 143 Überwiegend wird, wenn auch nach unterschiedlichen Kriterien, differenziert: Zum Teil wird gesagt, das dispositive Recht sei anzuwenden, sofern die gesetzlichen Regeln auf den Einzelfall paßten. Um dies zu ennitteln, wird auf die Rechtsfolge abgestellt; so sei bei Mangelhaftigkeit einer verkauften Sache Mängelgewährleistung nach § 459 ff. BGB heranzuziehen, wenn die Parteien die Sache irrtümlich für mangelfrei hielten, bei Kenntnis des Mangels aber die gesetzlichen Rechtsfolgen gewollt hätten; dagegen sei ergänzend auszulegen, wenn die Parteien bei Kenntnis des Mangels Nachbesserung gewollt hätten. 144 Diese Abgrenzung ist aber nur eine scheinbare; da in jedem Fall nach dem hypothetischen Parteiwillen gefragt wird, wird hier faktisch in allen Fällen ergänzend ausgelegt, was nur mitunter auch zu den im Gesetz vorgesehenen Rechtsfolgen führen kann. Im Ergebnis wird daher auch nach diesem Konzept das dispositive Recht von der ergänzenden Auslegung verdrängt. Zum Teil nimmt man an, je größer die Annäherung an einen gesetzlichen Vertragstyp sei, desto stärker sei dessen gesetzliche Regelung heranzuziehen; je geringer die Annäherung sei, umso eher sei ergänzend auszulegen. 145 Bei GesellKeymer S. 95. BGH, Urt. v. 12.12.1952 - V ZR 99/51 = LM § 157 BGB (D) Nr. 1; BGH, Urt. v. 19.3.1975 - VIII ZR 262/73 = NJW 1975, 1116; BGH, Urt. v. 28.6.1982 II ZR 226/81 = LM § 722 BGB Nr. 1 = NJW 1982, 2816; BAG, Urt. v. 16.11.1979 - 2 AZR 1052/77 =DB 1980,934; Brox, AT, Rn. 136; Pal / Edenhofer § 157 Anm. 2 b; Jauemig / J auemig § 157 Anm. 2 a; MK / Ulmer § 722 Rn. 1. 143 BGH, Urt. v. 3.4.1957 IV ZR 291/56 = LM § 133 BGB (A) Nr. 5; BGH, Urt. v. 25.5.1983 - IVa ZR 182/81 = BGHZ 87, 309 (321); BGH, Urt. v. 1.2.1984VIII ZR 54/83 = BGHZ 90, 69 (75). 144 Brox, AT, Rn. 136. 141

142

218

III. Inhaltsennitt1ung

schafts verträgen gehe aber die ergänzende Auslegung dem dispositiven Recht generell vor, weil das Gesetz hier in der Regel veraltet sei. 146 Diese Auffassung ist aber - mit der gesellschaftsrechtlichen Ausnahme - nichts anderes als ein Plädoyer für den Vorrang des dispositiven Rechts; denn dessen Vorschriften sind, soweit sie auf dem Gebiet des Schuldrechts liegen (und im Schuldrecht findet sich innerhalb des Bürgerlichen Gesetzbuches die wohl größte Zahl dispositiver Regeln), in der Regel auf einen bestimmten Vertragstypus bezogen, also auch nur für diesen anwendbar. Wenn also im Bereich eines bestimmten Vertragstypus dessen dispositives Recht herangezogen, im übrigen aber ergänzend ausgelegt wird, so folgt man damit nur dem Anwendungsbereich der dispositiven Rechtsvorschriften. Im Ergebnis wird daher nach dieser Auffassung die ergänzende Auslegung durch die dispositiven Rechtsregeln, soweit diese anwendbar sind, verdrängt; eine echte Konkurrenz findet (mit der gesellschaftsrechtlichen Ausnahme) auch hier nicht statt. Nach einer weiteren Auffassung wird gesagt, da sowohl die ergänzende Auslegung als auch das dispositive Gesetzesrecht heteronome Regelungen enthielten, könne der entscheidende Ansatz für eine sinnvolle Differenzierung nur in der Verschiedenheit der Ergänzungsmaßstäbe liegen. 147 Hier ist allerdings bereits die Voraussetzung unrichtig, denn die ergänzende Auslegung ist nur als Ermittlung einer autonomen Regelung überhaupt zulässig; zum anderen wird auch das dispositive Gesetzesrecht unter Umständen durch Unterlassung einer entgegenstehenden individuellen Regelung in den Willen der Parteien aufgenommen und damit autonomer Regelungsinhalt. 148 Die Abgrenzungsfrage besteht daher hier nicht zwischen heteronomen Regelungen, sondern umgekehrt zwischen autonomen Regelungen; hierfür könnte nun allerdings der Ergänzungsmaßstab ein Abgrenzungskriterium sein. Folgt man zur ergänzenden Auslegung der subjektiven Auffassung, dann geht die ergänzende Auslegung dem dispositiven Recht vor, weil sie eine Ergänzung schafft, die zwar nicht vom Erklärenden beziehungsweise den Parteien des Rechtsgeschäfts vereinbart, aber aus dem Geschäftsinhalt sowie aus der Willensund Interessenlage des Erklärenden oder der Parteien entwickelt worden ist und deshalb eine subjektiv-individuelle Beschaffenheit besitzt. Das dispositive Recht beruht dagegen auf einer allgemeinen, auf den abstrakten Falltypus ausgerichteten Wertentscheidung und weist daher einen objektiv-generellen Charakter auf. Wegen des Vorrangs des rechtsgeschäftlichen Willens vor dem objektiven Recht, 145 BGH, Urt. v. 16.5.1974 VII ZR 214/72 = NJW 1974, 1322 (1323); Flume, AT 11, § 16, 4b, S.324; Jauemig/ Jauemig § 157 Anm.2b; Larenz, AT, § 29 11, S. 546 ff.; Larenz NJW 1963, 737; MK / Mayer-Maly § 157 Rn. 39; Sandrock S.24 (34 ff.). 146 BGH, Urt. v. 23.1l.l978 11 ZR 20/78 = LM § 157 (D) Nr. 33 = NJW 1979, 1705 (1706); Jauemig/Jauemig § 157 Anm. 2b; RGRK/Piper § 157 Rn. 102. 147 Keymer S. 97. 148 Larenz, AS, § 6 I, S. 76 ff.; Medicus, AT, Rn. 340.

7. Ergänzende Auslegung

219

der sich aus der Privatautonomie ergibt, führt der Wesensunterschied zu einer Verdrängung des dispositiven Rechts durch die ergänzende Auslegung. 149 Diese Wertung gilt auch für die Testamentsauslegung, wo demnach der subjektive Erblasserwille, auch der im Wege der ergänzenden Auslegung ermittelte, Vorrang hat gegenüber den gesetzlichen Auslegungsregeln, und gegenüber der gesetzlichen Erbfolge sowieso. Diese Wertung ist auch die Wertung des Gesetzes, wonach die Regeln wie zum ,Beispiel §§ 2066 - 2076 BGB nur "im Zweifel" gelten; damit deuten diese Normen selbst an, daß sie erst in letzter Linie gelten wollen. 150 cc) Ergänzende Auslegung und Fehlen der Geschäftsgrundlage Fraglich ist weiterhin das Verhältnis zwischen ergänzender Auslegung und der Lehre vom Fehlen oder Wegfall der Geschäftsgrundlage, die beide die Funktion haben, die Willenserklärung oder das Rechtsgeschäft an veränderte Umstände anzupassen. Auch mithilfe des Instituts vom Fehlen der Geschäftsgrundlage wird versucht, bei Fehlvorstellungen der Parteien über die künftige Entwicklung die privatautonom gesetzte Regelung möglichst nicht der Anfechtung anheimfallen zu lassen, sondern so weit wie möglich durch Anpassung an die gewandelte Situation zu retten. Die Lehre vom Fehlen oder Wegfall der Geschäftsgrundlage ist im einzelnen sehr umstritten. Die unterschiedlichen Ansichten über das Verhältnis zwischen ergänzender Auslegung und der Lehre vom Wegfall der Geschäftsgrundlage beruhen allerdings überwiegend auf dem jeweils unterschiedlichen Verständnis von der ergänzenden Auslegung. Zum Teil wird hier überhaupt kein Unterschied gemacht. Sowohl bei Fehlen als auch bei Wegfall der Geschäftsgrundlage soll im Wege der ergänzenden Auslegung der hypothetische Wille der Parteien ermittelt und damit der Vertrag an die veränderten Verhältnisse angepaßt werden. 151 Dem liegt aber wohl ein engerer Begriff der ergänzenden Auslegung zugrunde, als er üblicherweise verwendet wird; mit ergänzender Auslegung ist ·hier offenbar nur die Methode der Ermittlung eines hypothetischen Willens gemeint, unabhängig von bestimmten Voraussetzungen und Aufgaben. Damit kann es sich aber um eine echte Konkurrenzaussage hier gar nicht handeln. Zum Teil wird die ergänzende Auslegung hier ähnlich abgegrenzt wie gegenüber dem dispositiven Gesetzesrecht: Da ergänzende Auslegung und Anpassung bei Wegfall der Geschäftsgrundlage gleichermaßen eine heteronome Regelung enthielten, könne die Abgrenzung nicht über den Tatbestand, sondern nur über 149 BGH, Urt. v. 25.6.1980 VIII ZR 260/79 = NJW 1980,2347; Keymer S. 111; Pilz S. 24 f. ISO Medicus, AT, Rn. 341. 151 Brox, ErbR, Rn. 198.

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III. Inhaltsermittlung

die Verschiedenheit der Ergänzungsmaßstäbe erfolgen. 152 Auch hier gilt aber, daß eine ergänzende Auslegung nur zulässig sein kann, wenn sie sich als Ermittlung der autonomen Regelung der Parteien darstellt. Unbilligkeiten einer eindeutigen rechts geschäftlichen Regelung eröffnen keine Lücke und damit keine ergänzende Auslegung. 153 Demgegenüber ist in der Tat die Anpassung bei Fehlen der Geschäftsgrundlage eine heteronome Regelung. Es besteht zwischen den beiden Instrumenten also durchaus ein Unterschied. Allerdings handelt es sich um einen Unterschied der Methode, nicht des Tatbestandes. Der Tatbestand von ergänzender Auslegung und Wegfall der Geschäftsgrundlage ist vielmehr in der Tat identisch hinsichtlich des beiderseitigen Irrtums über die Geschäftsgrundlage, also des beiderseitigen Motivirrtums. 154 Der Unterschied in der Methode führt allerdings notwendig zu einem unterschiedlichen Ergänzungsmaßstab. Während die ergänzende Auslegung einem subjektiven oder (bei der empfangsbedürftigen Willenserklärung und der wechselbezüglichen Verfügung im gemeinschaftlichen Testament) einem objektiv-normativen Ergänzungsmaßstab aus dem Empfangerhorizont heraus folgt, also immer am Geschäftswillen der Parteien orientiert ist, ISS geschieht die Anpassung bei Fehlen der Geschäftsgrundlage losgelöst vom Partei willen nach heteronomen Kriterien wie Treu und Glauben. 156 Da die Auslegung das rechtliche Wollen, § 242 BGB demgegenüber das rechtliche Sollen bestimmt,157 eine normative Bewertung des Geschäftsinhalts aber nicht ohne vorherige Festlegung des maßgeblichen Geschäftsinhalts erfolgen kann, geht die Auslegung der Lehre vom Wegfall der Geschäftsgrundlage prinzipiell vor. 158 Das gilt auch für die ergänzende Auslegung, sofern auch für die irrtümlich nicht erkannte Tatsachenlage ein (realer) Geschäftswille, die "Willensrichtung" ermit-

,

152 Keymer S. 97. 153 RG, Urt. v. 20.5.1930 - 11 459/29 = RGZ 129, 80 (88); BGH, Urt. v. 7.2.1957 - 11 ZR 249/55 = BGHZ 23, 282 (285); BGH, Urt. v. 1.6.1979 - V ZR 80/77 = BGHZ 74, 370 (373ff.); BGH, Urt. v. 3.2.1984 - V ZR 191/82 = BB 1984, 694 (695); BAG, Urt. v. 8.11.1972 - 4 AZR 15/72 = NJW 1973,822. Staud/Dilcher §§ 133,157 Rn. 44; Flume, AT 11, § 16 4d, S. 326; Erman/Hefermehl § 157 Rn. 19; Jauemig/Jauemig § 157 Anm. 2a. 154 Ebenso MK / Roth § 242 Rn. 545. 155 Sonst wäre sie nicht aus der Privatautonomie der Parteien zu begründen und damit unzulässig, s. o. Dementsprechend ist eine ergänzende Auslegung bei den Verträgen, die kein analogiefähiges Störungsprogramm enthalten (die keinen konkreten Geschäftswillen auch für die veränderte Situation erkennen lassen), in Wirklichkeit bereits eine Anpassung nach der Lehre von der Geschäftsgrundlage; Keymer S. 101; Medicus, AT, Rn. 879. 156 Pal / Heinrichs § 242 Anm. 2a; Anm. 6 B f; Keymer S. 102 f. Zum Teil wird bei der Anpassung im Fall der fehlenden Geschäftsgrundlage auch darauf abgestellt, was die Parteien bei richtiger Kenntnis der Wirklichkeit vereinbart hätten (vgl. Medicus, BR, Rn. 168; Medicus, Festsehr. Flume I, S. 629 ff.); hier ist dann jedoch ein Unterschied zur ergänzenden Auslegung nicht mehr zu erkennen. 157 Oertmann, Verkehrssitte, S. 314. 158 BGH, Urt. v. 22.4.1953 - 11 ZR 143/52 = BGHZ 9, 273 (277); BGH, Urt. v. 14.12.1954 - I ZR 65/53 = BGHZ 16,4 (8); Pal / Heinrichs § 242 Anm. 2a; Erman / Sirp § 242 Rn. 13.

7. Ergänzende Auslegung

221

telt werden kann. Ist das der Fall, so hat das vertragliche, privatautonome Störungsprogramm funktioniert; einer heteronomen Anpassung über § 242 BGB bedarf es nicht. 159 Läßt sich ein solcher Geschäftsinhalt für die irrtümlich nicht erkannte Tatsachenlage nicht ermitteln, ist aber ein Geschäftsinhalt für die irrtümlich angenommene Situation vorhanden,l60 so ist die ergänzende Auslegung gescheitert; es gilt daher die Willenserklärung mit der motivirrtumsbehafteten Bedeutung, allerdings mit der Möglichkeit der Anfechtung wegen Motivirrtums, sofern das Gesetz dies zuläßt. Hier stellt sich also nicht mehr die Frage der Konkurrenz zwischen ergänzender Auslegung und Anpassung bei Fehlen der Geschäftsgrundlage, sondern nur noch die Frage der Konkurrenz zwischen Anfechtung wegen Motivirrtums oder Aufrechterhaltung des irrtümlichen Geschäfts einerseits und Anpassung nach der Lehre vom Fehlen der Geschäftsgrundlage andererseits. 161 Die Lehre vom Wegfall der Geschäftsgrundlage ist hauptsächlich für den gegenseitigen schuldrechtlichen Vertrag entwickelt worden. Ihre Anwendbarkeit außerhalb des Schuldrechts, vor allem im Erbrecht, ist sehr umstritten. 162 Umstritten ist auch die Anwendung dieser Lehre auf einseitige Rechtsgeschäfte, insbesondere Testamente, 163 je nach dem jeweiligen Verständnis dieser Lehre. Lehnt man eine Anwendung der Lehre von der Geschäftsgrundlage im Erbrecht oder bei nicht empfangsbedürftigen Willenserklärungen grundsätzlich ab, so kann insoweit überhaupt kein Konkurrenzverhältnis zwischen ergänzender Auslegung und Wegfall der Geschäftsgrundlage bestehen. Geht man von einer Anwendbarkeit dieser Lehre auch im Erbrecht und / oder auch bei einseitigen Willenserklärungen aus, dann wird das Spannungsverhältnis auch hier weniger vom grundlegenden Verständnis der Lehre von der Geschäftsgrundlage als vielmehr vom grundlegenden Verständnis der ergänzenden Auslegung bestimmt. Sieht man auch im Erbrecht und bei der nicht empfangsbedürftigen Willenserklärung den Grund der ergänzenden Auslegung in der Privatautonomie des Erklärenden, dann muß auch hier die ergänzende Auslegung einer objektiven Billigkeitskontrolle nach § 242 BGB vorgehen; ordnet man die ergänzende Auslegung der Auslegung, also der Inhaltsermittlung zu, dann muß diese einer normativen Überprüfung dieses Inhalts an Treu und Glauben vorgehen. 159

MK / Roth § 242 Rn. 534.

160 Fehlt es auch daran, so ist überhaupt kein maßgeblicher Inhalt der Willenserklärung

festzustellen, sie kann daher ihre Funktion als privatautonome Geltungserklärung nicht erfüllen und ist nichtig, s. o. 161 Für eine Anwendung der Lehre von der Geschäftsgrundlage erst bei gescheiterter ergänzender Auslegung auch BGH, Vrt. v. 14.10.1977 - V ZR 253/74 = NJW 1978, 695; BGH, Vrt. v. 3.7.1981 - V ZR 100/80 = BGHZ 81, 135 (143); BGH, Vrt. v. 29.4.1982 - m ZR 154/80 = NJW 1982,2184; Pal / Heinrichs § 157 Anm. 2b; Jauernig / Jauemig § 157 Anm. 2c; Keymer S. 113; Soergel / Wolf § 157 Rn. 107. 162 Darstellung des Streitstandes bei Keymer S. 162 ff. 163 Gegen eine Anwendung der Lehre von der Geschäftsgrundlage auf einseitige Rechtsgeschäfte z. B. MK/Leipold § 2084 Rn. 40; für die Anwendung, insb. auf Vermächtnisse, MK / Roth § 242 Rn. 531.

222

III. lnhaltsennittlung dd) Ergänzende Auslegung und Anfechtung

Aus dem Gesagten ergibt sich auch das Verhältnis der ergänzenden Auslegung zur Anfechtung. Die Anfechtung wegen Inhalts- oder Erklärungsirrtums hat mit der ergänzenden Auslegung schon gar keinen gemeinsamen Anwendungsbereich, denn der Inhaltsund der Erklärungsirrtum sind Rechtsfolgenfehler der Willenserklärung, während die ergänzende Auslegung nur beim (einseitigen oder zweiseitigen) Motivirrtum, also einem Tatbestandsfehler der Willenserklärung eröffnet ist. Soweit die Anfechtung wegen Motivirrtums eröffnet ist (in § 119 11, § 123, § 2078 11 BGB 164), stimmt der Tatbestand der Anfechtung mit dem der ergänzenden Auslegung bei der einseitigen Willenserklärung allerdings überein. Bei der empfangsbedürftigen Willenserklärung ist die ergänzende Auslegung jedoch nur beim beiderseitigen Motivirrtum eröffnet, so daß auch nur insoweit eine Tatbestandsübereinstimmung zur Anfechtung gegeben ist. Beim Testament schließlich ist eine ergänzende Auslegung nicht möglich bei Fehlvorstellungen über Tatsachen nach Wirksamwerden des Testaments; in diesem Fall könnte aber die Anfechtung gegeben sein. Nur soweit der Tatbestand von ergänzender Auslegung und Anfechtung wegen Motivirrtums übereinstimmt, ist also überhaupt eine Konkurrenzsituation gegeben. In diesen Fällen des übereinstimmenden Tatbestandes kann die Abgrenzung nur nach der Rechtsfolge vorgenommen werden. Die Anfechtung kassiert, die ergänzende Auslegung reformiert. 165 Die sich im Rahmen des wirklichen Geschäftswillens des Erklärenden haltende ergänzende Auslegung kann daher der Privatautonomie des Erklärenden besser gerecht werden als die Anfechtung, die zu der gesetzlichen Regelung führt (zur gesetzlichen Erbfolge oder zum Bereicherungsausgleich im Schuldrecht), die mit der Willenserklärung gerade vermieden werden soll. Der privatautonomen Selbstbestimmung steht hier auch nicht die Selbstverantwortung gegenüber, die eine Vernichtung der fehlerhaften Erklärung fordern könnte; denn eine Verantwortung des Erklärenden für den gesamten Motivbereich, das heißt das ganze weite der Willenserklärung zugrundeliegende Tatsachenmaterial anzunehmen hieße die Selbstbestimmung aushöhlen. Nach der Wertung des Gesetzes gibt es aber eine Fremdverantwoqung gegenüber dem Erklärungsempfanger im Fall des einseitigen Motivirrtums, die durch eine ergänzende Auslegung nicht unterlaufen werden darf. Auch diese Fremdverantwortung ist aber in der eigentlichen Konkurrenzsituation des gemeinsamen Motivirrtums 164 Sofern man die "unbewußten Vorstellungen" den bewußten Tatsachenvorstellungen ausdrücklich oder im Ergebnis gleichsetzt und damit § 2078 11 BGB auf alle Fälle des Motivirrtums anwendet. Vgl. zum Streitstand Lange / Kuchinke § 35 III 2 c, S. 613. 165 Siber, RG-Festschr. III, S. 350 (378). Ähnlich Lange / Kuchinke § 35 11 2, S. 611: "Die Anfechtung kann nur vernichten, nicht aufbauen."

7. Ergänzende Auslegung

223

nicht gegeben. Hier ist der Motivirrtum beiden Parteien gemeinsam, es sind daher beide gleichermaßen schutzbedürftig, Privatautonomie des Erklärenden und Privatautonomie des Empfängers stehen hier gleichberechtigt nebeneinander; die gegenseitige Fremdverantwortung kann sich daher hier nur im Auslegungsmaßstab, nicht im grundsätzlichen Anwendungsbereich niederschlagen. Auch hier kann aber - bei Beachtung eines objektiv-normativen Auslegungsmaßstabs - dann der Privatautonomie beider Parteien durch eine ihrem objektiv-normativen Willen entsprechende Auslegung besser Rechung getragen werden als durch die Vernichtung der Willenserklärung. Damit geht die ergänzende Auslegung der Anfechtung prinzipiell vor. 166 Es ist also zu fragen, ob sich ein Geschäftswille, eine "Willensrichtung" auch für die irrtümlich nicht erkannte Situation ermitteln läßt. Folgt man dabei der These, daß die ergänzende Auslegung einen realen Geschäftswillen ermittelt, wie es auch dem neueren Konzept von der erläuternden Auslegung entspricht, dann ist in den Fällen, in denen sich auch für die nicht angenommene tatsächliche Lage ein solcher Geschäftswille finden läßt (zum Beispiel wenn mit der Einsetzung der Ehefrau auch die Einsetzung ihres Stammes real gewollt ist 167), der Tatsachenirrtum gar nicht kausal für die Verfügung, denn der Erklärende hätte ohne den Irrtum genauso verfügt (er hätte auch bei Vorversterben der Ehefrau ihren Stamm, z. B. ihren Neffen bedacht); hier wäre also eigentlich gar kein Anfechtungstatbestand (hier: § 2078 11 BGB) gegeben. Folgt man dieser These nicht, fordert man demzufolge für die ergänzende Auslegung die Ermittlung eines hypothetischen oder irrealen Willens (was im Hinblick auf die Privatautonomie der Parteien problematisch ist, s.o.), so müßte man wegen des beschriebenen Vorrangs der Auslegung vor der Anfechtung zum selben Ergebnis kommen. Die ergänzende Auslegung führt bereits zum Ziel, das privatautonome Störungsprogramm hat sich bewährt. Nur wenn sich ein solcher Geschäftswille nicht finden läßt, bleibt demnach Raum für die Anfechtung wegen Motivirrtums. Das gilt auch - im Gegensatz zur erläuternden Auslegung ohne Motivirrtum - beim subjektiven Auslegungsmaßstab. Während bei der erläuternden Auslegung der Fall, daß sich ein positiver Wille nicht ermitteln läßt (der wegen der prozessualen Vermutung für die Verkehrsbedeutung selten sein dürfte, s.o.), zwangsläufig zur Nichtigkeit, nicht zur Anfechtbarkeit führen mußte, ist hier mit dem wirklichen, aber auf die falschen Tatsachen bezogenen Geschäftswillen ein Inhalt vorhanden, der die Willenserklärung funktionsfähig macht und lediglich irrtumsbehaftet ist. Wenn also im Beispielsfall zwar die Einsetzung der Ehefrau, aber keine allgemeinere Rechtsfolge, die auch das Vorversterben der 166 BGH, Urt. v. 23.4.1951 IV ZR 17/51 = LM § 2100 BGB Nr. 1; BGH, Urt. v. 29.9.1977 -IIZR 214/75 =NJW 1978,264(266); BayObLG, Besch!. v. 5.12.1966 - BReg. 1a Z 32/66 = BayObLGZ 1966,390 (394); PalI Edenhofer § 2078 Anm. 1; Lange I Kuchinke § 35 III 2 d, S. 615; MK/Leipold § 2078 Rn. 9. Bedenken bei Schubert I Czub JA 1980, 258; dagegen Staud I Otte § 2078 Rn. 7. 167 BayObLG, Besch!. v. 16.5.1988 BReg. 1 Z 47/87 = BayObLGZ 1988, 165.

224

III. Inhaltsennittlung

Ehefrau erfaßt, zu ennitteln wäre, so ist diese Einsetzung der Ehefrau eine funktionsfahige und nur fehlerhafte Willenserklärung (die allerdings wegen recht1icher Unmöglichkeit nicht vollzogen werden kann). Wäre dagegen auch die Einsetzung der Ehefrau nicht zweifelsfrei festzustellen, dann wäre überhaupt kein maßgeblicher Inhalt vorhanden; eine inhaltslose Willenserklärung ist als Geltungserklärung aber nicht möglich. Der Unterschied wirkt sich auch faktisch aus in den Fällen, in denen die motivirrtumsbehaftete Willenserklärung nicht aufgrund des Irrtums unmöglich wird, etwa wenn ein Geldvennächtnis ausgesetzt wird und später eine Geldentwertung eintritt.

IV. Die Wirksamkeit der Willenserklärung, insbesondere die Formprüfung Ist der Inhalt der Willenserklärung im Wege der Auslegung ermittelt, so ist damit noch nicht gesagt, daß diese Willenserklärung auch schon wirksam ist. Entsprechend dem Konzept von der Willenserklärung als Geltungserklärung stellt die Auslegung nur fest, mit welchem Inhalt die Willenserklärung gilt; von den Gültigkeitsmerkmalen sind aber die Wirksamkeitsvoraussetzungen zu unterscheiden. Was im einzelnen zu diesen äußeren Wirksamkeitsvoraussetzungen zu zählen ist, ist umstritten.! Dazu rechnen zum Beispiel Geschäftsfahigkeit und Testierfreiheit oder eventuell erforderliche Genehmigungen, aber auch inhaltsbezogene Wirksamkeitsvoraussetzungen wie die Übereinstimmung mit den Gesetzen oder den guten Sitten. An diesen inhaltsbezogenen Wirksamkeitsvoraussetzungen wird deutlich, daß die Wirksamkeit erst im Anschluß an die Auslegung geprüft werden kann; erst wenn festgestellt ist, mit welchem Inhalt die Willenserklärung überhaupt gilt, kann weiter gefragt werden, ob dieser Inhalt dem Wirksamkeitserfordernis genügt. Eine solche inhaltsbezogene Wirksamkeitsvoraussetzung ist auch das Formgebot bei letztwilligen Verfügungen; daher kann die letztwillige Verfügung auch erst im Anschluß an die Auslegung auf die Form hin untersucht werden. Dabei ist vom Zweck der jeweiligen Formvorschrift auszugehen. 2

1. Die gesetzlichen Formvorschriften für Verfügungen von Todes wegen Das geltende Recht geht vom Grundsatz der Formfreiheit aus, das heißt ein Rechtsgeschäft bedarf nur dann einer Form, wenn dies ausdrücklich vorgesehen ist. Alle modemen Rechte stehen auf diesem Standpunkt, der z. B. in Art. 11 Schweizer Obligationenrecht und § 883 Österr. ABGß ausdrücklich ausgesprochen ist. Im BGB ist eine entsprechende Vorschrift nicht enthalten, weil man sie für überflüssig hielt und deshalb der entsprechende § 91 des Entwurfs gestrichen wurde. t Dieser Grundsatz der Formfreiheit ist Ausfluß der gesetzlichen t Vg1.F1ume, AT 11, § 30,3, S. 549; Pal/Heinrichs vor § 104 Anm. lc; Jauemig/ Jauernig vor § 104 Anm. lc; Larenz, AT, § 18 I, S. 316. 2 Für eine Differenzierung nach dem jeweiligen Formzweck auch Köhler, AT, § 16 IV 4; Medicus, AT, Rn. 331; Larenz, AT, § 19 II c, S. 344. t Vgl. zur Formfreiheit Mot. I, S. 178 ff.; Flume, AT 11, § 15 12, S. 246; WeIter, S. 8.

!5 Stumpf

226

IV. Fonnprüfung

Wertung, der privatautonomen Gestaltung durch die Bürger möglichst Freiraum zu verschaffen, im Interesse eines möglichst reibungslos funktionierenden Rechtsverkehrs, aber auch im Hinblick auf Art. 2 I GG und das Subsidiaritätsprinzip.2 Nur ausnahmsweise, wenn die Gefahr besteht, daß eine Partei ihre Interessen selbst nicht wirkungsvoll genug wahrnehmen kann, oder wenn außer den Interessen der Parteien noch zusätzliche Interessen anderer ins Spiel kommen, macht das Gesetz die Wirksamkeit eines Rechtsgeschäfts von der Einhaltung einer bestimmten Form abhängig. Die Formvorschriften verfolgen also zusätzliche Zwecke, die über das Spannungsverhältnis zwischen Privatautonomie des Erklärenden und Privatautonomie des Empflingers, wie es die Auslegung bestimmt, hinausgehen. Für das Testament sieht daher § 2231 BGB entweder das öffentliche Testament vor, das gemäß § 2232 BGB entweder vor einem Notar oder durch Übergabe einer Schrift an einen Notar errichtet wird, daneben das privatschriftliche Testament gemäß § 2247 BGB. Außerdem gibt es verschiedene außerordentliche Testamentsformen (§ 2249, § 2250 1,11, III, § 2251 BGB; §§ 10, 11 KonsularG). Ein Erbvertrag ist gemäß § 2276 BGB zur Niederschrift eines Notars bei gleichzeitiger Anwesenheit beider Parteien zu schließen. Für das gemeinschaftliche Testament von Ehegatten sind die allgemeinen Testamentsformen in § 2266, § 2267 BGB etwas erleichtert. Allen gesetzlichen Formvorschriften ist gemeinsam, daß sie zwingendes Recht enthalten, nicht bloße Empfehlungen des Gesetzgebers. 3 Bloße Empfehlungen würde der Rechtsverkehr nicht genügend annehmen, wie die Erfahrungen der Praxis mit immer wieder vorkommenden Versuchen der Parteien, das bestehende Formgebot zu unterlaufen, belegen; auch Tendenzen in der Wissenschaft, das Formgebot aufzuweichen, werden unter anderem mit den Bedürfnissen des Wirtschaftsverkehrs begründet. 4 Mit bloßen Empfehlungen würden somit die vom Gesetzgeber verfolgten Ziele nicht erreicht; als Sanktion für die Nichtbeachtung der Form ordnet daher § 125 BGB Nichtigkeit des Rechtsgeschäfts an. 5 Den gesetzlichen Formzwecken steht die Privatautonomie der Parteien gegenüber, die ja durch die gesetzliche Form eingeengt wird. Entscheidend für die Auflösung dieses Konflikts kann daher nur der Stellenwert sein, der dem jeweiligen Formzweck gegenüber der Privatautonomie der Beteiligten zukommt. 6 2 MK/Förschler § 125 Rn. 2; Pal/Heinrichs § 125 Anm. 1; Köbl DNotZ 1983,207 (208). 3 Staud / Dilcher § 125 Rn. 28 ff. 4 Z. B. Brox, JA 1984,549 ff. 5 Köbl DNotZ 1983,207 (210). 6 Köhler § 16 IV 4; Larenz, AT, § 1911 c, S. 344; Lüderitz S. 194 ff.; Medicus, AT, Rn. 331. Für einen teleologischen Ansatz auch die Rspr. zu § 313 BGB, z. B. BGH, Urt. v. 23.9.1977 - V ZR 90/75 = BGHZ 69, 266 (269); BGH, Urt. v. 6.4.1979 - V ZR 72/74 = BGHZ 74, 346 (351 f.); BGH, Urt. v. 23.2.1979 - V ZR 99/77 = DNotZ

2. Fonnzwecke bei letztwilligen Verfügungen

227

Zum Teil wird die Relevanz der Formzwecke für die Lösung einzelner Formprobleme grundsätzlich geleugnet. 7 Da das Gesetz in § 125 BGB alle Formen zusammenfasse und gleich behandele, habe die Herausarbeitung einzelner Formzwecke keinen Wert. Dem ist aber entgegenzuhalten, daß § 125 BGB nur die Rechtsfolgen eines Formmangels für alle Formvorschriften gleichermaßen regelt; § 125 BGB sagt aber nichts über die vorrangige Frage, was jede einzelne Formvorschrift anordnet und unter welchen Voraussetzungen daher überhaupt ein Formverstoß vorliegt. 8

2. Die Formzwecke bei letztwilligen Verfügungen Es fragt sich daher, welche Formzwecke insbesondere die Formvorschriften für letztwillige Verfügungen verfolgen.

a) Warn/unktion Beim Testament soll die vorgeschriebene Form zunächst den Erblasser vor Übereilung schützen. I Der Erblasser soll durch die Form gezwungen sein, sich über den Inhalt seiner Verfügung von Todes wegen selbst klar zu werden 2 und sich schwerwiegende Vermögensverschiebungen genau zu überlegen: die sogenannte Warnfunktion. Dieser Warnzweck ist beim privatschriftlichen Testament erreicht, wenn der Erblasser seine letztwillige Verfügung eigenhändig niedergeschrieben und in dem Sinne verstanden hat, den er ihr beilegen wollte; 3 umgekehrt wird aber dieser Warnzweck auch nur dann erfüllt, wenn der Erblasser nach seinen Überlegungen davon ausgehen kann, daß der Inhalt der Urkunde so, wie er ihn abfaßt, auch gelten wird, wenn also der Erblasser nicht im Vertrauen darauf, der Richter werde im Streitfall schon durch Auslegung den richtigen Willen ermitteln, sorglos spontane Gedankenblitze niederschreibt, womöglich noch in einem vom allgemeinen Sprachgebrauch abweichenden Privatjargon. Neben der Warnfunktion soll also durch die Testamentsform verantwortliches Testieren gefördert werden. 4 Gerade diese Warnfunktion steht daher auch der Anerkennung eines Sonderwort1979,406 = NJW 1979, 1495; BGH, Urt. v. 27.4.1979 - V ZR 175/77 = NJW 1979, 1498; BGH, Urt. v. 30.4.1982 - V ZR 104/81 = DNotZ 1982,619 = WM 1982,715. 7 Häsemeyer, Fonn, S. 164 (154); gegen ihn Bemard S. 31. Zur entsprechenden Problematik prozessualer Fonnvorschriften Hagen JZ 1972,505. 8 Hagen DNotZ 1984,267 (268). I Brox JA 1984,549 (553). 2 Bemard S. 50 ff.; Brox JA 1984,549 (554). 3 Brox JA 1984, 549 (553). 4 BGH, Beschl. v. 9.4.1981 IVa ZB 4/80 = BGHZ 80, 242; BGH, Beschl. v. 9.4.1981 - IVa ZB 6/80 = BGHZ 80, 246; Lange/Kuchinke § 33 III 4, S. 571 f. IS*

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IV. Formprüfung

schatzes des Erblassers entgegen. Gerade in dem Beispiel, in dem mit der zugewendeten Bibliothek der Weinkeller gemeint ist, ist es nicht ersichtlich, aus welchem Grunde die Privatautonomie des Erblassers, der ja im täglichen Leben auch gezwungen ist, sich allgemeinverständlich auszudrücken, eine Bezeichnung des Weinkellers als Bibliothek erfordern könnte. Gegenüber diesem Formzweck, daß der Erblasser veraniaßt werden soll, sich über den Inhalt seiner Verfügung klar zu werden und seinen Willen möglichst deutlich zum Ausdruck zu bringen, wird eingewandt, falsche Erklärungen würden durch die Formvorschrift nicht verhindert; auch der irrende Erblasser sei sich über den Inhalt seiner Verfügung klar und bemühe sich möglicherweise intensiv um eine besonders deutliche Ausdrucksweise. 5 Die Irrtumskorrektur ist aber nicht vorrangige Aufgabe der Form, sondern der Auslegung und der Anfechtung; Irrtümer können auch durch die Form gar nicht ausgeschlossen werden. Vielmehr hat die Wamfunktion der Form ihren Zweck bereits dann erfüllt, wenn die Zahl der möglichen Irrtümer durch sorgfaItiges Testieren eingeschränkt und überhaupt bedächtig und abgewogen testiert wird. Ansonsten könnte man, wenn nur möglichst hohe, ja eigentlich ideale Ansprüche an die Formzwecke gestellt werden, den Formzwang insgesamt aushöhlen, weil Ideale im menschlichen Leben bekanntlich nie erreicht werden. Mit dieser selben Methode könnte man zum Beispiel auch das gesamte Vertragsrecht in Frage stellen mit dem Argument, die vielen Fälle von Vertragsstörungen aus der Praxis zeigten, daß der Vertrag ein untaugliches Instrument des Leistungs- und Güteraustausches sei; ein Ergebnis, dem vernünftigerweise angesichts der weitaus zahlreicheren Fälle funktionierender Verträge niemand zustimmen wird. Auch wenn Irrtümer des Erblassers nicht völlig ausgeschlossen werden können, hat daher angesichts der weitaus zahlreicheren Fälle irrtumsfreier letztwilliger Verfügungen die Warnfunktion der Form durchaus ihre Berechtigung. Im übrigen sind die Formzwecke nur gesetzgeberisches Motiv, nicht Tatbestandsmerkmale der Formvorschriften. 6 Die Wirksamkeit eines formbedürftigen Rechtsgeschäfts entscheidet sich also nicht danach, ob im Einzelfall die Formzwecke erfüllt sind oder nicht. Ein Rückgriff auf die hinter einer Formvorschrift stehenden Zwecke darf also nicht zu einem Beiseiteschieben des Formgebots selbst führen. Weiterhin wird gesagt, die Warnfunktion sei nur bei Verpflichtungsgeschäften praktisch. 7 Dagegen läßt sich einwenden, daß bei Verfügungsgeschäften ein durch die unbedachte Willenserklärung entstandener Schaden für den Erklärenden weitaus gravierender sein kann, weil mit der Verfügung die Rechtsänderung unmittelbar eintritt und damit das Vermögen unmittelbar beeinträchtigt wird, was durch einen späteren Bereicherungsausgleich oft nur ungenügend wettgemacht wird. Vor allem aber soll die Form in ihrer Wamfunktion nicht nur das 5

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Brox JA 1984,549 (554). Bemard S. 33 m. v. w. N. Jauemig / Jauemig § 125, Anm. 1c, aa.

2. Fonnzwecke bei letztwilligen Verfügungen

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Vennögen des Erklärenden schützen, sondern mit dem Schutz vor unbedachten Erklärungen auch eine innere Richtigkeitsgewähr im Rechtsverkehr bieten, die Zufriedenheit mit den eigenen und fremden Willenserklärungen erhöhen und damit Stabilität und Rechtsfrieden sichern helfen. Gerade dieser Aspekt trifft aber für letztwillige Verfügungen mindestens genauso zu wie für Verpflichtungsgeschäfte unter Lebenden. 8 b) Beratungsfunktion Die Wamfunktion wird beim notariellen Testament und Erbvertrag noch verstärkt durch die Beratungsfunktion. 9 Nach der Kritik 10 soll diese keine große Rolle spielen, weil der Erblasser das notarielle Testament ja auch durch Übergabe einer verschlossenen Schrift errichten könne, § 2232 BGB. Im selben Zusammenhang wird allerdings darauf hingewiesen, daß dies gemäß § 2233 I BGB nicht für den testierfahigen Minderjährigen gilt; ein Indiz, daß das Gesetz die Bedeutung der notariellen Beratung für den Schutz des Erblassers offensichtlich doch nicht für so gering hält. Außerdem dürfte die Testamentserrichtung durch Übergabe einer verschlossenen Schrift im Vergleich zum offenen, nach Beratung errichteten notariellen Testament die zahlenmäßig geringe Ausnahme sein, die daher als Argumentationsstütze für die Gesamtheit der notariellen Testamente kaum tauglich sein dürfte. II Der weitaus häufigste und Regelfall des notariellen Testaments ist vielmehr die Errichtung nach mehr oder weniger ausführlicher Beratung durch den Notar. Warum diese Beratung keine große Rolle spielen soll, ist nicht ersichtlich. Erblasser suchen vielmehr häufig den Notar auf, weil sie die Folgen (z. B. Steuern oder Pflichtteilsansprüche) ihrer Verfügungen nicht übersehen oder weil ein erstrebter wirtschaftlicher Erfolg eine komplizierte rechtliche Gestaltung erfordert, die den Rechtsunkundigen überfordern würde, vor allem bei verschachtelten Familieninteressen oder komplizierten Vennögenslagen, zum Beispiel der Nachfolge in einen Betrieb; das dazu erforderliche rechtliche Instrumentarium (z. B. Vor- und Nacherbschaft oder Erbeinsetzung mit Nießbrauchsvennächtnis) würde dem Laien ohne Beratung überhaupt nicht zur Verfügung stehen. 12 Gerade wegen dieser Beratung stellt das Gesetz neben dem privatschriftlichen Testament auch die notarielle Errichtung bereit, so daß nicht einfach mit dem Hinweis auf das privatschriftliche Testament auch für das notarielle Testament die Beratungsfunktion verneint werden kann. In der Bevölkerung sind vielmehr die verschiedenen Ebenso WeIter S. 13. § 17, § 30 BeurkG. Bernard S. 43; Jauernig / Jauernig § 125 Anm. 1c, cc. 10 Brox JA 1984, 549 (553). II Auch in der unübersehbaren Rspr. zu Testamentsauslegung und -anfechtung hatte, soweit ersichtlich, nur BGH, Urt. v. 4.12.1969 - III ZR 31/68 = WM 1970,221 ein durch Übergabe einer verschlossenen Schrift errichtetes Testament zum Gegenstand. 12 Bernard S. 43. 8

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IV. Formprufung

Testamentsfonnen durchaus bekannt. Die Praxis zeigt, daß in komplizierten oder einfach nur unklaren Fällen das notarielle Testament wegen der damit verbundenen Beratung bewußt gegenüber dem privatschriftlichen Testament bevorzugt wird, obwohl mit einem notariellen Testament zumindest im Zeitpunkt der Errichtung zunächst einmal höhere Kosten verbunden sind. Vor allem im Hinblick auf diese Beratungsfunktion lehnte im Gesetzgebungsverfahren die zweite Kommission das eigenhändige Testament überhaupt ab. Erst die Reichstagskommission empfahl mit 12 gegen 8 Stimmen dessen Einführung. 13 c) Selbständigkeits/unktion

Mit der Warnfunktion und der Beratungsfunktion hängt der Selbständigkeitszweck zusammen. 14 Der Erblasserwille soll also möglichst frei von einer Beeinflussung durch Dritte gebildet werden. Auch dieser Zweck tritt naturgemäß beim notariellen Testament stärker hervor als beim eigenhändigen Testament, da vor dem Notar der Erblasser in der Regel allein erscheint und daher zumindest in der konkreten Situation der Testamentserrichtung nicht einem eventuellen Druck interessierter Personen unterliegt. Aber auch durch das eigenhändige Testament soll zumindest sichergestellt werden, daß in der Errichtung selbst niemand seinen Willen an die Stelle des Erblasserwillens setzen kann; daher genügt allein die eigenhändige Unterschrift wie in § 126 BGB hier nicht. Der Erblasser soll zumindest gezwungen werden, das Testament als seinen eigenen letzten Willen schwarz auf weiß niederzuschreiben. Auch dieser Zweck erschöpft sich aber nicht im Errichtungsakt. Die Fonn will nämlich nicht nur die Selbständigkeit des Erblassers bei Abfassung des Testaments schützen, sondern auch spätere Angriffe auf das Testament wegen behaupteter mangelnder Selbständigkeit möglichst abwehren. Je weiter aber ein durch Auslegung ennittelter Geschäftswille des Erblassers vom allgemeinen Sprachgebrauch der im Testament verwendeten Fonnulierungen entfernt ist, umso größer wird die Versuchung für enttäuschte Hinterbliebene sein, nachträglich ihre Position mit dem Hinweis auf angebliche Druck- oder Überredungssituationen zu verbessern.

d) Echtheits/unktion Weiterhin ist der Echtheitszweck zu beachten. Es soll sichergestellt sein, daß die Erklärung auch wirklich vom Erblasser herrührt. 15 Um diesbezügliche BeBernard S. 45 m. w. N. BGH, Beschl. v. 9.4.1981 - IVa ZB 4/80 = BGHZ 80, 242; BGH, Besehl. v. 9.4.1981 - IVa ZB 6/80 = BGHZ 80, 246. 15 BGH, Besehl. v. 9.4.1981 IVa ZB 4/80 = BGHZ 80, 242; BGH, Besehl. v. 9.4.1981 - IVa ZB 6/80 = BGHZ 80, 246; MK/Burkart § 2247 Rn. 24 ff.; Staud/ Firsehing § 2247 Rn. 51 ff.; Soergel / Harder § 2247 Rn. 22 ff.; Weiter S. 14; S. 32. 13

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2. Fonnzwecke bei letztwilligen Verfügungen

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weisschwierigkeiten zu venneiden, kennt zum Beispiel das niederländische Recht ein privatschriftliches Testament in unserem Sinne nicht. 16 Aus demselben Grund kann nach englischem Recht ein Testament ohne Zeugen nicht wirksam errichtet werden. 17 Auch hier fmdet die Echtheit in der Errichtung ihr Gegenstück in der Echtheit in der Verwirklichung des Testaments. Je näher eine Auslegung am verkehrsüblichen Sprachgebrauch der Erklärung zu haften hat, umso geringer ist die Gefahr nachträglicher Verfälschung des Erblasserwillens durch Berufung auf einen Sondersprachgebrauch oder Irrtümer des Erblassers.

e) Streitvermeidungsfunktion Dieser Gedanke leitet über zum Streitvenneidungszweck, der jeder Urkunde und insbesondere dem Testament zukommt. 18 Je näher der wirksame Erklärungsinhalt sich am Verkehrssprachgebrauch des Urkundenwortlauts zu halten hat, umso eher kann Streit über den Testamentsinhalt vennieden werden; der Erblasser wird bei der Abfassung seines Testaments oft gerade auch diesen Streitvenneidungszweck vor Augen haben und sich daher vernünftigerweise möglichst nah am Verkehrssprachgebrauch halten. Je weniger der Testamentsinhalt von der Verkehrsbedeutung abweicht, umso schwieriger und unwahrscheinlicher wird eine Berufung auf eine abweichende Bedeutung durch interessierte Verfahrensbeteiligte im Prozeß.

f) KlarsteIlungsfunktion Bedeutsam ist weiterhin die Klarstellungsfunktion der Testamentsfonn. 19 Dagegen wird eingewandt, der Gesetzgeber messe der Klarstellungsfunktion der Fonn keine große Bedeutung bei; wenn er überhaupt das eigenhändige Testament zulasse, nehme er damit zwangsläufig Falschbezeichnungen durch den Erblasser in Kauf. Eine Klarstellung sei auch nicht im Interesse Dritter erforderlich, denn der testamentarisch Bedachte sei in seinem Vertrauen auf das im Testament Erklärte nicht schutzwürdig. 20 Auch hier wird wieder mit dem 16 Das holographische Testament, Art. 979, Art. 980 BW , muß vom Erblasser eigenhändig ge- und unterschrieben und dem Notar vor zwei Zeugen überreicht werden; das eigenhändige Testament, Art. 982 BW, darf nur weniger bedeutende Vorschriften über Kleidung, Wäsche und Hausrat sowie Begräbnisanordnungen und eine eingeschränkte Testamentsvollstreckung enthalten. Das geheime Testament, Art. 987 BW, muß zwar nicht notwendig vom Erblasser selbst geschrieben, aber von ihm unterzeichnet und dem Notar unter vier Zeugen übergeben werden. In allen diesen Fällen ist sichergestellt, daß der Erblasser den niedergelegten Willen öffentlich als seinen eigenen kundtun muß. 17 Vgl. Lange/Kuchinke § 19 I 2, S. 311 f., m. w. N. 18 Pal/Edenhofer § 2231 Anm. 1; Wolf/Gangel JuS 1983,663 (665). 19 Bemard S. 31 ff.; Kipp / Coing § 19 IV 1, S. 129; Häsemeyer, Fonn, S. 164 ff.; Jauemig/Jauemig § 125 Anm.lb; Lange/Kuchinke § 16 IV 3, S.282; Lüderitz, S. 201 ff. (207 ff.). 20 Brox JA 1984, 549 (553).

232

IV. Fonnprüfung

Hinweis auf das eigenhändige Testament die KlarsteIlungsfunktion auch gleich für das notarielle Testament mit abgelehnt, obwohl der Gesetzgeber das notarielle Testament gerade auch im Hinblick auf eine erhöhte Klarheit neben dem privatschriftlichen Testament zur Verfügung stellt. Außerdem bedeutet die KlarsteIlungsfunktion der Testamentsform nicht, daß dadurch Bedachte in ihrem Vertrauen auf den Bestand einer letztwilligen Verfügung geschützt werden sollen; Vertrauensschutz (des Empfängers oder des anderen Ehegatten bei der wechselbezüglichen Verfügung im gemeinschaftlichen Testament) war vielmehr neben der Privatautonomie des Erklärenden bereits das maßgebliche Kriterium für die Auslegung. Hier wird also der "Dritte" mit dem ,,zweiten" verwechselt. Mit der KlarsteIlungsfunktion ist vielmehr gemeint, daß der vom Erblasser erklärte Geschäftswille im Interesse des Rechtsverkehrs möglichst deutlich zum Ausdruck kommen soll; insofern ist durchaus eine KlarsteIlung im Interesse Dritter erforderlich. Außerdem zeigt sich an der KlarsteIlungsfunktion, daß das Formgebot auch der Verwirklichung des wahren Erblasserwillens nicht etwa diametral entgegensteht und deshalb im Interesse einer möglichst weitgehenden und effektiven Verwirklichung des Erblasserwillens zurückgedrängt werden müßte, sondern umgekehrt, daß die gesetzliche Form sogar auch besonders der Verwirklichung des Erblasserwillens dient und ihn vor nachträglicher Verfälschung schützt. 21 Diesem Gedanken kommt besondere Bedeutung bei der Gewichtung zwischen subjektiver Testamentsauslegung und objektiver Formstrenge zu. Mit dem Formgebot im Hinblick auf den KlarsteIlungszweck verarbeitet das Gesetz die alte Lebenserfahrung, daß mehrere unmittelbar an einem Geschehen Beteiligte dieses sehr unterschiedlich wahrnehmen können, dies umso mehr, wenn sie vielleicht selbst in irgendeiner Weise an einem bestimmten Ergebnis interessiert sind (sei es auch nur, weil wegen unbewußter Wertungen ein Sachverhalt selektiv wahrgenommen wird). Daher kommt einer Urkunde, sei sie auch nur privatschriftlich, erhöhte Richtigkeitsgewähr zu; für das notarielle Testament gilt das in umso stärkerem Maße. Das prozessuale Spiegelbild dieser Erfahrung ist die Vermutung der Vollständigkeit und Richtigkeit der Urkunde. Das rechtfertigt es jedoch noch nicht, die KlarsteIlungsfunktion der Form auf diesen prozessualen Aspekt zu verkürzen. g) Sicherstellungs- und Beweis/unktion Mit der KlarsteIlungsfunktion einher geht die Sicherstellungs- und Beweisfunktion der gesetzlichen Form, denn wenn der Erblasserwille im Testament seinen Niederschlag gefunden hat, lassen sich im Streitfall eher Beweisaufnahmen über das vom Erblasser Gewollte vermeiden, als wenn auch ein solcher Erblasserwille 21

Kuchinke JZ 1985, 748 (749).

2. Fonnzwecke bei letztwilligen Verfügungen

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maßgeblich ist, der keinerlei Anhalt im Testament hat, das heißt nicht mit dem üblichen Sprachgebrauch des Testamentswortlauts zu vereinbaren ist. 22 Nach der Kritik 23 soll nun auch der Beweissicherungsfunktion nach dem Willen des Gesetzgebers keine entscheidende Bedeutung zukommen; mit der Zulassung des Motivirrtums als Anfechtungsgrund nach § 2078 11 BGB habe der Gesetzgeber mit Beweisaufnahmen über einzelne Motive des Erblassers gerechnet, für die es im Testament keine Anhaltspunkte gibt. Zum einen gibt es aber beim Testament wegen des subjektiven Auslegungsmaßstabs keine Anfechtung nach § 2078 I BGB mehr, so daß nur noch die Anfechtung wegen Motivirrtums in den Fällen Bedeutung hat, in denen die ergänzende Auslegung nicht zum Ziel führt, s. o. Zum anderen geht es bei der Anfechtung nur um die Vernichtung, bei der Auslegung (und der Formprüfung des Auslegungsergebnisses) dagegen um die positive Feststellung der maßgeblichen Willenserklärung. Weiterhin wird gesagt,24 auch mit der Andeutungstheorie ließen sich Beweisaufnahmen über außerhalb der Urkunde liegende Umstände nicht vermeiden; sofern nämlich der behauptete Erblasserwille nur die geringste Andeutung in der Testamentsurkunde gefunden habe, müsse das Gericht über die für diesen Willen vorgetragenen Tatsachen Beweis erheben. Das ist richtig, andererseits ist aber auch nur über die angedeuteten Tatsachen Beweis zu erheben, die allein noch entscheidungserheblich sein können. 25 Daher ist der Umfang der notwendigen Beweisaufnahme doch eingeschränkt gegenüber der rein subjektiven Auffassung, die jeden subjektiven Erblasserwillen ohne Beschränkung auf die Testamentsurkunde gelten lassen will. Es läßt sich sogar umgekehrt sagen: Je strenger der Formzwang verstanden wird, umso mehr außerurkundliches Material wird als nicht entscheidungserheblich ausgesondert und damit nicht mehr einer Beweisaufnahme unterworfen. Besonders bei letztwilligen Verfügungen kommt dem Sicherstellungszweck der Form noch eine besondere Bedeutung zu. Da die Verfügung erst nach dem Tode des Erblassers bekannt und wirksam wird und auf den Vollzug durch dritte Personen angewiesen ist, bleibt für diese Vollzugspersonen ohne eine Verkörperung der Erklärung häufig unklar, ob eine Verfügung von Todes wegen überhaupt existiert, und welchen Inhalt sie hat. 26 Auch bei anderen Geschäften, bei denen ohne ein deutliches Seriositätsindiz, ohne dauerhaften Ausdruck die Ermittlung von Existenz und Inhalt überdurchschnittlichen Schwierigkeiten unterläge, z. B. beim Schenkungsversprechen, fordert daher das Gesetz eine strengere Form. 27

22 23 24

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Bemard S. 45 ff.; Heinz S. 100; Kuchinke JZ 1985, 748 (749). Brox JA 1984, 549 (554). Brox JA 1984, 549 (554). Vgl. BGH, Urt. v. 28.1.1987 - IVa ZR 191/85 = FamRZ 1987,475. Bernard S. 46. Bernard S. 45.

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IV. Fonnprüfung

Bei vielen Fonnvorschriften mit Sicherstellungszweck steht schließlich das Interesse Dritter im Vordergrund, sich Klarheit über bestimmte Rechtsverhältnisse verschaffen zu können. 28 Das ist immer dort der Fall, wo rechtsgeschäftliche Regelungen auch für andere als die unmittelbar an dem Geschäft Beteiligten Bedeutung haben können. Das gilt gerade im Erbrecht in hohem Maße, wie zum Beispiel § 1945; § 1955; § 2282; § 2290 IV; § 2291 11; § 2296 11 2; § 2348; § 2351 BGB belegen, ganz besonders aber die Fonnvorschriften, die die Errichtung der letztwilligen Verfügung betreffen. 29 Die Fonn bezweckt hier also auch die Transparenz wichtiger Rechtsverhältnisse für Dritte, die Voraussetzung für ein reibungsloses Funktionieren des Rechtsverkehrs darstellt, damit Dritte, die durch die Auswirkungen des Rechtsgeschäfts betroffen werden, ihrerseits für ihre Dispositionen eine verläßliche Grundlage haben. Diesem Zweck dient die Testamentsfonn sogar auf zweifache Weise, zum einen durch die Urkunde selbst, zum anderen dadurch, daß die Urkunde abzuliefern ist, § 2259, § 2300 BGB.30 Darüber hinaus dient das Testament auch als Grundlage für die Erteilung eines Erbscheins, vgl. § 2356 I BGB, und damit für die Eintragung ins Grundbuch, § 35 I GBO; 31 ein bindender notarieller Erbvertrag genügt sogar gemäß § 35 I 2 GBO in der Regel allein für die Eintragung ins Grundbuch. Demgegenüber wird gesagt, die Interessen Dritter verlangten eine Andeutung (oder einen noch stärkeren Fonnzwang) nicht, denn soweit sich die Erklärung an einen Dritten richtet, komme es nach den allgemeinen Auslegungsregeln ohnehin auf dessen Verständnismöglichkeit an. 32 Hier wird aber der "Dritte" mit dem ,,zweiten" verwechselt; derjenige, der, ohne Partei des Rechtsgeschäfts zu sein, von seinen Auswirkungen mittelbar betroffen wird, wird gleichgesetzt mit dem Empfanger der empfangsbedürftigen Willenserklärung (in der Regel also der anderen Partei des Rechtsgeschäfts). Diese Gleichsetzung entspricht aber nicht der Wertung des Gesetzes, das bei dem Ausgleich der verschiedenen Interessen durchaus eine Feinabstufung vornimmt und demjenigen, der dem Erklärenden als Vertragspartner gegenübersteht, eine stärkere Stellung einräumt als dem nur mittelbar durch das Geschäft betroffenen Verkehrsteilnehmer, weil seine Privatautonomie durch die Willenserklärung auch unmittelbarer tangiert wird als die der anderen Verkehrsteilnehmer. Deshalb war bei der Auslegung nur das subjektive Verständnis des Erklärenden und das objektiv-nonnative Verständnis des 28 Dritte in diesem Sinne sind bei Verfügungen von Todes wegen besonders auch (wenn auch nicht ausschließlich) die gesetzlichen Erben, deren Schutz die Fonn mithin auch dient; sie schafft damit zugleich einen Ausgleich zwischen den erbrechtlichen Grundprinzipien von Verwandtenerbfolge und Testierfreiheit; vgl. Prot. V, S.7171; Mugdan V, S. 901; Picenoni S. 33; ablehnend Weiter S. 20. 29 Bemard S. 47. 30 Bemard S. 47; Häsemeyer, Fonn, S. 183. 31 Zu weiteren Anwendungsbereichen des Erbscheins s. Lange/Kuchinke § 41 I3b, S. 780 f. 32 Medicus, AT, Rn. 331.

3. Umfang der Formbedürftigkeit

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Empfängers zu berücksichtigen. Der Verkehrsschutz, also der Schutz der Privatautonomie der nicht unmittelbar beteiligten Verkehrsteilnehmer, der deshalb die Auslegung nicht bestimmen konnte, ist aber nun mit dem Sicherstellungszweck einer der wichtigsten Formzwecke.. Nichts anderes als dieser Sicherstellungszweck ist gemeint, wenn gesagt wird, die Formvorschriften dienten auch dazu, Vorüberlegungen und Entwürfe von der maßgeblichen Verfügung exakt abzugrenzen. 33 Damit wird nun nicht die Tatbestandsermittlung mit der Formprüfung vermengt. Wenn bei der Ermittlung des Tatbestands und der Inhaltsermittlung gesagt wurde, daß dort Verkehrsschutzinteressen keine Rolle zu spielen hätten, so zeigt sich nunmehr, daß Existenz und Inhalt der Willenserklärung deshalb nicht unabhängig vom Interesse des Rechtsverkehrs zu sehen sind, sondern daß die Form die Existenz und den Inhalt der Willenserklärung für den Rechtsverkehr sichert. Während bei der Feststellung des Tatbestandes der Willenserklärung allein maßgebliches Kriterium die Privatautonomie des Erklärenden war (in ihrer Ausprägung von Selbstbestimmung und Selbstverantwortung), während bei der Inhaltsermittlung neben die Privatautonomie des Erklärenden die Privatautonomie eines möglichen Empfangers trat (oder des anderen Ehegatten bei der wechselbezüglichen Verfügung im gemeinschaftlichen Testament), die das Maß des erforderlichen Vertrauensschutzes und damit die Grenze für die privatautonome Entfaltung des Erklärenden bestimmte, tritt nun bei der Formprüfung die Privtautonomie Dritter hinzu, deren Dispositionen durch die Auswirkungen der Willenserklärung betroffen sein können, und die das Maß des erforderlichen Verkehrsschutzes und damit eine weitere Grenze für die privatautonome Entfaltung des Erklärenden bestimmt. 34

3. Der Umfang der Formbedürftigkeit Die Formzwecke bestimmen nicht nur den qualitativen, sondern auch den quantitativen Umfang der Formbedürftigkeit. Diese Frage, die zum Beispiel bei § 313 BGB recht problematisch werden kann, ist bei den Vorschriften über letztwillige Verfügungen vergleichsweise einfach zu beantworten. Nach § 2231 BGB muß das Testament formgerecht erklärt sein; das kann nur die Rechtsfolgenanordnung der Willenserklärung sein, die als Geltungserklärung unmittelbare rechtliche Wirkung erzeugt. Beim Erbvertrag gilt dies gemäß § 2276 BGB für jede der vertragsbegründenden Willenserklärungen (wobei als zusätzliches Erfordernis die gleichzeitige Anwesenheit beider Teile hinzukommt). Die Tatbestandsseite, also die Motive, bestimmt den maßgeblichen Inhalt der Verfügung nicht, BGH, Beschl. v. 9.4.1981 - IVa ZB 4/80 = BGHZ 80, 242 = NJW 1981, 1736. Entsprechend der Trennung von Tatbestandsermittlung, Auslegung und Formprüfung läßt sich auch der Sicherstellungszweck der Form unterteilen in AbschlußkIarheit, Inhaltsklarheit und Beweissicherung; diese Unterteilung hat jedoch nach der hier vertretenen Auffassung keine praktischen Folgen. Ebenso Bemard S. 48. 33

34

236

IV. Fonnprüfung

sondern geht ihm voraus; daher unterliegt sie auch grundsätzlich nicht dem Formgebot (und deshalb kommt es folgerichtig bei der Anfechtung nach § 2078 11 BGB auf eine Andeutung nicht an 1). Eine Ausnahme hierzu findet sich zum Beispiel in § 233611 BGB. Der Pflichtteilsentziehungsgrund ist zwar nur Motiv, nicht Bestandteil der Rechtsfolgenanordnung der Willenserklärung. Wegen des erhöhten Bedürfnisses nach Klarheit und Beweisbarkeit fordert der Formzweck des § 2336 BGB jedoch ausnahmsweise die Aufnahme auch des Pflichtteilsentziehungsgrundes in die Urkunde. 2

4. Formstrenge und privatautonome Gestaltungsfreiheit Die Privatautonomie des Erklärenden forderte auf der Auslegungsebene die uneingeschränkte Berücksichtigung des wirklichen Geschäftswillens des Erklärenden oder lediglich die Einschränkung durch die Privatautonomie des Empfangers im Wege einer objektiv-normativen Auslegung. Die Formzwecke fordern demgegenüber, daß die Willenserklärung im Verkehrssprachgebrauch in der Urkunde niedergelegt ist. Zur Harmonisierung dieses Konflikts stehen verschiedene Modelle bereit.

a) Die subjektive Auffassung Zum einen könnte die Privatautonomie des Erklärenden den Vorrang haben gegenüber den Formzwecken. Daraus wird gefolgert, daß der wirkliche Geschäftswille letztlich doch nicht in der Urkunde enthalten sein müsse. 1 Diese Auffassung dürfte aber angesichts der dargestellten Bedeutung der Formzwecke für letztwillige Verfügungen mit der Funktion des gesetzlichen Formgebots nicht zu vereinbaren sein. Überwiegend wird denn auch von den Vertretern dieser subjektiven Auffassung gesagt, es sei zwar die Form zu wahren, doch genüge dafür neben dem Vorliegen einer Urkunde und der objektiven Erfüllung der Formzwecke das subjektive Bemühen des Erklärenden, seine Willenserklärung formgerecht niederzulegen. 2 Der Formzweck ist aber nicht Tatbestandsmerkmal; darauf, ob der Zweck der Formvorschrift im konkreten Fall erreicht wird, kommt es also nicht an; es kann daher nicht auf diese Weise unter Berufung auf den Formzweck die Formvorschrift umgangen werden. Selbst wenn man aber an der konkreten Erfüllung des 1 BGH, Urt. v. 14. 1. 1965 - m ZR 131/63 = NJW 1965, 584; Pal / Edenhofer § 2078 Anm. 5; Johannsen WM 1972, 647.

2 Vgl. BGH, Urt. v. 27.2.1985 IVa ZR 136/83 = BGHZ 94, 36 = JZ 1985,746; Kuchinke JZ 1985, 748. 1 Brox JA 1984, 549 (554). 2 Bemard S. 104; Flume NJW 1983, 2007; Häsemeyer JuS 1980, 6 f.; Jauemig / Jauemig § 126 Anm. 3a; MK/Mayer-Maly § 133 Rn. 53.

4. Fonnstrenge und Gestaltungsfreiheit

237

Fonnzwecks ansetzt, fragt sich, wie etwa der Sicherstellungszweck objektiv erreicht werden soll, wenn die Urkunde in ihrer allgemein üblichen Verkehrsbedeutung nicht den wirklichen Willen des Erblassers enthält, weil dieser zum Beispiel einem Sondersprachgebrauch gefolgt ist. Auch für Beweiszwecke ist eine Urkunde, die einen vom allgemeinen Verkehrssprachgebrauch abweichenden Inhalt verbriefen soll, untauglich, weil es der weiteren Beweisaufnahme über das subjektive Verständnis des Erklärenden weiterhin bedarf. Das Erfordernis der objektiven Erfüllung der Fonnzwecke, wenn gleichzeitig das subjektiv Gewollte nicht in der Verkehrsbedeutung der Urkunde enthalten ist, ist daher ein Widerspruch in sich. aa) Drittverantwortung gegenüber dem Rechtsverkehr als Schranke der Privatautonomie Abgesehen davon ist aber auch fraglich, ob überhaupt die Prämisse richtig ist, daß die Verwirklichung der Privatautonomie der Parteien dem Formzwang vorzugehen habe. Es hat sich ja gezeigt, daß die Form nicht unbedingt der Verwirklichung der Privatautonomie des Erklärenden entgegensteht, sondern umgekehrt diese auch schützt; 3 auch die strenge Beachtung des Formgebots dient damit auch der Privatautonomie des Erklärenden. Außerdem ist immer zu bedenken, daß ja nicht alle Willenserklärungen formbedürftig sind. Wenn das Gesetz also eine besondere Form anordnet, um (insbesondere durch den Sicherstellungs- und Beweiszweck) auch die Privatautonomie der nicht unmittelbar an dem Rechtsgeschäft beteiligten Verkehrsteilnehmer zu schützen, so wird die Privatautonomie des Erklärenden hier mit der Privatautonomie der anderen Verkehrsteilnehmer durchaus um ein gleichwertiges Rechtsgut begrenzt. Zu der Selbstverantwortung gegenüber der eigenen Willenserklärung und der Fremdverantwortung gegenüber der Privatautonomie eines Erklärungsempfangers tritt also nach der Wertung des Gesetzes beim fonnbedürftigen Rechtsgeschäft. eine Drittverantwortung gegenüber dem Rechtsverkehr hinzu. Beim nicht formbedürftigen Rechtsgeschäft besteht diese Drittverantwortung nicht, so wie bei der nicht empfangsbedürftigen Willenserklärung die Fremdverantwortung gegenüber dem Empfanger nicht besteht; so wie dort dann ein subjektives Verständnis des Erklärenden gilt unabhängig vom Empfangerhorizont, so gilt hier das Auslegungsergebnis unabhängig vom Verkehrssprachgebrauch. Ist ein Rechtsgeschäft aber formbedürftig, so hat die Drittverantwortung umso stärkeres Gewicht, je stärker die Willenserklärung auch auf weiter entfernte Kreise des Rechtsverkehrs einzuwirken vermag.

3

Kuchinke JZ 1985,749; Staud/Otte vor §§ 2064-2086 Rn. 39.

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IV. Fonnprüfung

Diese Drittverantwortung ergibt sich wiederum aus der Struktur der Willenserklärung als Geltungserklärung. Die Willenserklärung als Geltungserklärung ist ein sozialer Gestaltungsakt. Das Merkmal des Gestaltungsakts war bestimmend für den Tatbestand der Willenserklärung und die Inhaltsermittlung; die soziale Komponente, die bereits bei der objektiv-normativen Auslegung eine Rolle gespielt hatte, ist nun auch Grund für die Drittverantwortung des Erklärenden gegenüber dem Rechtsverkehr. Mit der Willenserklärung eröffnet der Erklärende seine Teilnahme am Rechtsverkehr. Damit kann er seiner Disposition neben anderen Motiven auch bestimmte Rechtsverhältnisse anderer zugrundelegen, muß aber damit rechnen, bei Fremdverantwortung gegenüber einem Empfanger die Verantwortung für diesbezügliche Motivirrtümer übernehmen zu müssen; er wird daher an möglichst großer Klarheit und Transparenz der Rechtsverhältnisse anderer, soweit sie ihn betreffen, interessiert sein. Genauso kann umgekehrt das soziale Gefüge des Rechtsverkehrs nur gelingen, wenn der Erklärende im Interesse der anderen Verkehrsteilnehmer seine eigenen Rechtsverhältnisse möglichst klar und transparent gestaltet, soweit sie andere betreffen können. Da es aber weder dem interessierten Verkehrsteilnehmer zugemutet werden kann, detaillierte Nachforschungen über die Rechtsverhältnisse anderer, nicht mit ihm in unmittelbarer Geschäftsverbindung stehender Personen anzustellen, umgekehrt auch dem Erklärenden nicht zugemutet werden kann, Nachforschungen anderer, mit denen er nicht in Geschäftsbeziehung steht, in seine Rechtsverhältnisse zu dulden, kann Klarheit und Transparenz im Interesse des Rechtsverkehrs nur gewährleistet werden, wenn alle sich dem Verständnis des Rechtsverkehrs unterwerfen und nur dieses insoweit maßgeblich ist. Damit die Privatautonomie des Erklärenden aber nicht verdrängt wird, kann sie durch diese Drittverantwortung gegenüber dem Rechtsverkehr nur begrenzt werden, wenn das Gesetz mit den Formvorschriften eine spezielle Ermächtigung dazu gibt. Es fragt sich daher, welches Gewicht dieser Drittverantwortung im Verhältnis zur Privatautonomie des Erklärenden bei der letztwilligen Verfügung zukommt, wie groß also die Auswirkungen der letztwilligen Verfügung auch auf weiter entfernte Verkehrskreise sind. Letztwillige Verfügungen haben Langzeitwirkung und können die Verhältnisse nicht nur der nächsten, sondern auch noch späterer Generationen über Jahrzehnte hinweg bestimmen. Außerdem betreffen letztwillige Verfügungen ganze Vermögensmassen, es können also zum Beispiel nicht nur die dinglichen Verhältnisse an verschiedenen Grundstücken, Geldforderungen und -verpflichtungen, sonstige Schuldverhältnisse wie Aufträge oder Mietverhältnisse betroffen werden, sondern auch Beteiligungen an Personenhandelsgesellschaften und Kapitalgesellschaften. Alle an diesen Verhältnissen Beteiligten oder wiederum mittelbar davon Betroffenen werden durch die letztwillige Verfügung in ihren Rechtsverhältnissen berührt. Der Einfluß der letztwilligen Verfügung nicht nur über einen langen Zeitraum, sondern auch für einen großen Personenkreis wird besonders deutlich dadurch, daß die letztwillige Verfügung Grundlage für den Erbschein ist, der den Erben uneingeschränkt gegenüber dem gesamten

4. Fonnstrenge und Gestaltungsfreiheit

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Rechtsverkehr legitimiert. Der Erbvertrag kann für das Grundbuch (vgl. § 35 I 2 GBO) sogar selbst diese Legitimation leisten. Die letztwillige Verfügung hat also (anders als andere, auch formbedürftige Willenserklärungen, etwa die Bürgschaft, die Auswirkungen im wesentlichen nur auf die unmittelbar Beteiligten hat) beträchtliche Folgen für den Rechtsverkehr. Dem Erblasser kommt damit auch eine beträchtliche Drittverantwortung zu. Die subjektive Auffassung kann daher nicht mit einem prinzipiellen Vorrang der Privatautonomie des Erklärenden gegenüber dem Formgebot gerechtfertigt ,werden. bb) falsa demonstratio non nocet Bei prinzipiellem Vorrang des Formgebots könnte der subjektive Geschäftswille daher nur noch über den Grundsatz "falsa demonstratio non nocet" zu berücksichtigen sein. Dieser Grundsatz wird nämlich nicht nur zur Begründung eines subjektiven Auslegungsmaßstabs, sondern auch zur Überwindung des Formgebots herangezogen. Klassischer Anwendungsbereich ist im Rahmen des § 313 BGB die Parzellenverwechslung. 4 Vor allem von Seiten des Schrifttums ist aber auch immer wieder gefordert worden, den Grundsatz der unschädlichen Falschbezeichnung auch auf letztwillige Verfügungen zu übertragen. 5 Überwiegend wird allerdings zwischen irriger und bewußter Falschbezeichnung unterschieden; nur die irrige Falschbezeichnung soll unschädlich sein. Bei bewußter Falschbezeichnung soll dagegen das absichtlich falsch beurkundete Geschäft als Scheingeschäft nach § 117 BGB nichtig, das verdeckte Geschäft (§ 11711 BGB) wegen Formmangels gemäß § 125 BGB ebenfalls nichtig sein. 6 Die Rechtsprechung der letzten Jahre hat geschwankt. Der Bundesgerichtshof hat zunächst die Formwirksarnkeit auch für die Fälle irrtümlicher Falschbezeichnung verneint,7 nachdem bereits in der Literatur kritische Stimmen zur falsa demonstratio laut geworden waren, die entweder dieser Regel für formbedürftige 4 RG, Urt. v. 1.4.1905 V 448/04 = RGZ 60, 338; RG, Urt. v. 20.9.1905 - V 58/05 = RGZ 61, 264; RG, Besehl. v. 16.3.1910 - V 23/10 = RGZ 73, 154 (157); RG, Urt. v. 13.12.1924 - V 652/23 = RGZ 109,334; RG, Besehl. v. 24.9.1931 VB 7/31 = RGZ 133, 279 (281); BGR, Urt. v. 14.7.1969 - V ZR 122/66 = NJW 1969,2043 (2045); BGR, Urt. v. 25.5.1973 - V ZR 26/71 = WM 1973,869 (870). 5 Brox, ErbR, Rn. 197; Brox JA 1984,549 (556); Flume, AT 11, § 16, 2e, S. 306 f.; § 16, 5, S. 334; Soergel / Refennehl § 133 Rn. 22 f. Daß die Anwendung der falsademonstratio-Regel auf das Testament "prima vista" eine Selbstverständlichkeit sei (so Weiter S. 81 f.), geht angesichts des Rechtsprechungsbefundes zu weit; s. sogleich. 6 Bernard S. 100; Brox, AT, Rn. 357; Flume, AT 11, § 20, 2a, S.406; Räsemeyer, Fonn, S. 141; Medicus, AT, Rn. 330; Reinieke JA 1980,455 (458). 7 BGR, Urt. v. 23.3.1979 - V ZR 24/77 = BGRZ 74,116 = DB 1979, 1115 = DNotZ 1979,403 = JA 1980,47 = NJW 1979, 1350 = WM 1979, 578; BGR, Urt. v. 13.6.1980 = V ZR 119/79 = DNotZ 1981, 235 = WM 1980, 1013; BGR, Besehl. v. 9.4.1981 - IVa ZB 4/80 = BGHZ 80, 242; BGR, Besehl. v. 9.4.1981 - IVa ZB 6/ 80 = BGHZ 80, 246.

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IV. Fonnprüfung

Rechtsgeschäfte jegliche Geltung absprachen 8 oder an diesem Grundsatz jedenfalls dann nicht festhalten wollten, wenn die Formvorschrift Dritte (z. B. bei § 566 BGB) oder ein öffentliches Interesse an der Kundgabe (z. B. bei § 34 GWB) schützen will. 9 Die Zweifel des Bundesgerichtshofes an der Regel "falsa demonstratio non nocet" hatten in der Fachöffentlichkeit den Eindruck erweckt, daß damit das Ende dieses Satzes im Rahmen beurkundgspflichtiger Rechtsgeschäfte eingeläutet worden sei. 10 Für den Grundstückskaufvertrag hat der Bundesgerichtshof dann überraschend 11 die Regel von der unschädlichen Falschbezeichnung doch wieder bekräftigt, allerdings nur aus Praktikabilitätserwägungen zur Beruhigung des Wirtschaftsverkehrs und ausdrücklich jedenfalls nur für die gegenwärtige Situation. 12 Ob diese Kehrtwendung für den Grundstückskaufvertrag nach wie vor aufrechtzuerhalten ist, und ob sie auch auf letztwillige Verfügungen zu übertragen ist, wurde höchstrichterlich, soweit ersichtlich, bisher offengelassen. 13 Dieser Überblick 14 zeigt, daß jedenfalls von einer gefestigten Rechtsprechung zugunsten der Regel "falsa demonstratio non nocet" nicht die Rede sein kann. Diese Schwankungen der Rechtsprechung haben ihren Grund in dem unsicheren dogmatischen Fundament der Lehre von der unschädlichen Falschbezeichnung. Es wurde gezeigt, daß dieser Grundsatz in der heutigen Bedeutung nicht rechtshistorisch oder gewohnheitsrechtlich zu begründen ist und auch nicht auf einer speziellen gesetzlichen Ermächtigung beruht, sondern lediglich ein griffiges Schlagwort ist für den prinzipiell subjektiven Auslegungsmaßstab, der sich wiederum aus der Struktur der Willenserklärung und der Wertung des Gesetzes ergibt. Auch diese Begründung kann aber nicht genügen, wenn der Satz von der unschädlichen Falschbezeichnung das Formgebot begrenzen soll, denn Auslegung und FormpTÜfung sind zu unterscheiden. 15 Zur Aufrechterhaltung der falsademonstratio-Lehre im Rahmen der FormpTÜfung kann auch nicht - jedenfalls im Hinblick auf letztwillige Verfügungen - auf die Formzwecke zurückgegriffen werden, denn es hat sich gezeigt, daß die Zwecke der Formen für letztwillige Verfügungen gerade umgekehrt eine strenge Formgebundenheit in der Weise fordern, daß der formgerechte Inhalt der Willenserklärung der Verkehrsbedeutung des Urkundenwortlauts entsprechen muß. 16 Wieling AcP 172, 297 (307). BGH, Urt. v. 17.12.1985 - KZR 4/85 = NJW-RR 1986,724; Larenz,.AT, § 19 11 c, S. 344; MK / Mayer-Maly § 133 Rn. 28. 10 Köhler JR 1984, 14 (15); Linden MittBayNot 1981, 172. 11 Köhler JR 1984, 14 (15). 12 BGH, Urt. v. 25.3.1983 V ZR 268/81 = BGHZ 87, 150. 13 Für Testamente hätte z. B. BGH, Urt. v. 27.2.1985 IVa ZR 136/83 = BGHZ 94,36 und BGH, Urt. v. 28.1.1987 -IVa ZR 191/85 = FamRZ 1987,475 Gelegenheit geboten, das gefundene subjektive Auslegungsergebnis über den Grundsatz der unschädlichen Falschbezeichnung mit dem Fonngebot zu vereinbaren. 14 Vgl. auch die Rechtsprechungsübersicht bei Scherer, S. 46 ff.. 15 S. o. 8

9

4. Fonnstrenge und Gestaltungsfreiheit

241

Es bleibt daher als einziges Argument für die Beibehaltung des Satzes "falsa demonstratio non nocet" die Kontinuität der Rechtsprechung und die Beruhigung des Wirtschaftsverkehrs. Nach den Schwankungen der letzten Jahre kann es vorsichtigerweise aber kein allzu großes Vertrauen in die Aufrechterhaltung der falsa-demonstratio-Lehre durch die Rechtsprechung mehr geben, so daß auch der Hinweis auf die Kontinuität der Rechtsprechung durch die jüngere Rechtsentwicklung an Gewicht verloren hat. Außerdem fmden sich im Bereich der letztwilligen Verfügungen ohnehin kaum ausdrückliche Bekenntnisse zur unschädlichen Falschbezeichnung in der Rechtsprechung,17 so daß es hier eher ein Bruch der Rechtsprechungskontinuität wäre, nun plötzlich den Satz von der unschädlichen Falschbezeichnung zur Überwindung des Formgebots anzuwenden. Der Wirtschaftsverkehr schließlich dürfte bei letztwilligen Verfügungen - anders als vielleicht bei Grundstückskaufverträgen - eher ein Interesse an klaren Formen als an einer Aufrechterhaltung von (u. U. recht ungesicherten) Vermögensverschiebungen um jeden Preis haben. Im übrigen ist der erhoffte Beruhigungseffekt nicht einmal für Grundstückskaufverträge eingetreten. 18 Mangels einer sachlichen Begründung ist somit auch im Rahmen der Formprüfung der Satz "falsa demonstratio non nocet" nicht mehr als eine klarstellende Bezeichnung für eine bestimmte Fallkonstellation; 19 es können daraus aber keine rechtlichen Folgerungen abgeleitet werden. 20 Die Lehre von der unschädlichen Falschbezeichnung kann daher auch nichts am prinzipiellen Vorrang der erbrechtlichen Form gegenüber dem subjektiven Geschäftswillen des Erblassers ändern.

b) Die Andeutungstheorie Zur Harmonisierung von subjektiver Auslegung und Formstrenge wird von der Rechtsprechung die Andeutungstheorie herangezogen. 21 Diese Andeutungstheorie hat auch im Schrifttum Zustimmung gefunden. 22 Danach muß der Wille 16 Sogar in BGH, Urt. v. 25.3.1983 V ZR 268/81 = BGHZ 87, 150 wurde die unschädliche Falschbezeichnung nicht wegen, sondern trotz der Fonnzwecke aufrechterhalten. 17 Lediglich in BGH, Beschl. v. 9.4.1981 IVa ZB 6/80 = BGHZ 80, 246 = NJW 1981, 1736 wurde die unschädliche Falschbezeichnung erwähnt, aber mit der Begründung abgelehnt, es fehle an der Bezeichnung. 18 Vgl. die lebhafte Diskussion dazu, z. B. Brox JA 1984,549; Hagen DNotZ 1984, 284; Köbl DNotZ 1983,598 ff.; Köhler JR 1984, 14 f.; Wieling JZ 1983,760. 19 Reinicke JA 1980, 455 (462). 20 Staud / Otte vor §§ 2064- 2086 Rn. 32 ff.; Wieling AcP 172, 297 ff.; Wieling Jura 1979,524 ff.; Wieling JZ 1983,760. 21 Nachweise bei Brox JA 1984,549; Häsemeyer, Fonn S. 125 ff. 22 Wolf/Gangel JuS 1983,664 (665); MK/Leipold § 2084 Rn. 9; Pal/Edenhofer § 2084 Anm. 1 c; Schlüter § 22 I 2; Ennan / Hense § 2084 Rn. 2; RGRK / Johannsen § 2084 Rn. 22; Johannsen WM 1972,62; RGRK / Krüger-Nieland / ZölIer § 133 Rn. 4, Rn. 12, Rn. 17; Staud/Dilcher § 125 Rn. 6; § 133 Rn. 16, Rn. 20; Wieling Jura 1979, 524 (527); Wieling JZ 1983,760 (761); Scherer S. 75 und durchgehend.

16 Stumpf

242

IV. Formprüfung

des Erblassers in der letztwilligen Verfügung selbst wenigstens andeutungsweise oder versteckt zum Ausdruck gekommen sein, andernfalls ermangelt er der gesetzlichen Form und ist gemäß § 125 BGB nichtig. Der durch Auslegung ermittelte Erblasserwille soll nur dann formgültig erklärt sein, wenn er im Testament eine hinreichende Stütze findet. Die Auslegung muß eine wenn auch noch so geringe Grundlage in der vorliegenden formgültigen Erklärung des Erblassers finden; der Erblasserwille muß in der Erklärung irgendeinen, wenn auch noch so unvollkommenen Ausdruck oder wenigstens irgendeinen Anhalt gefunden haben. Auch die Andeutungstheorie hat aber Kritik aus verschiedenen Richtungen erfahren. aa) Subjektiver Auslegungsmaßstab und objektive Andeutung Zum einen wird gesagt, die Auslegung und Aufrechterhaltung des Auslegungsergebnisses entspreche dem Erblasserwillen mehr als die gesetzliche Erbfolge; dies gelte in besonderem Maße für das Erbrecht, da hier Interessen Dritter nicht entgegenstünden. 23 Es hat sich aber gezeigt, daß der subjektive Auslegungsmaßstab einerseits und das Formgebot andererseits auseinanderzuhalten sind; wenn also auf den Erblasserwillen abgestellt wird, wird lediglich ein bestimmtes Ergebnis vorweggenommen, aber nicht begründet. Die Betonung eines der beiden widerstreitenden Kriterien im Konflikt zwischen Erblasserwille und Form ist noch keine Abwägung dieser Kriterien zur Lösung des Konflikts. 24 Auch die Behauptung, daß Interessen Dritter nicht entgegenstünden, ist in dieser Weise zu allgemein formuliert, denn es hat sich ja gezeigt, daß die Form gerade auch dem Schutz der nicht unmittelbar, sondern nur mittelbar durch das Rechtsgeschäft Betroffenen dient. Richtig ist lediglich, daß beim Testament als nicht empfangsbedürftiger Willenserklärung kein Vertrauensschutz des Empfängers zu berücksichtigen ist; das hat jedoch bereits zum subjektiven Auslegungsmaßstab geführt und kann daher bei der Abwägung zwischen dieser subjektiven Auslegung und der Form nicht ein zweites Mal den Ausschlag geben. So wie der Verkehrsschutz auf der Auslegungsebene noch keine Rolle spielen konnte, kann umgekehrt der Vertrauensschutz des Empfängers (positiv oder negativ) auf der Formebene nicht mehr relevant sein, weil sonst die tragenden Unterschiede zwischen Auslegung und Form gerade wieder verwischt würden.

23 Brox, Irrtumsanfechtung, S. 109 (111); Brox, ErbR, Rn. 197; Erman/Brox § 125 Rn. 16; Brox JA 1984,549 (553); Soergel/Damrau § 2084 Rn. 9; Reinicke JA 1980, 455 (460). 24 Der Hinweis auf § 133 BGB (Brox, Irrtumsanfechtung, S. 142) verfangt daher hier ebenfalls nicht; Scherer, S. 74.

4. Fonnstrenge und Gestaltungsfreiheit

243

bb) Die Bedürfnisse des Wirtschafts verkehrs Das Postulat eines prinzipiellen Vorrangs des Parteiwillens gegenüber der Form wird allerdings auch damit begründet, daß ein reibungslos funktionierender Wirtschaftsverkehr die Verdrängung des Formgebots fordere. Zwar würden die Formfunktionen auch durch jeden Parteifehler beeinträchtigt, doch überwiege das Interesse an der Erhaltung auch nur subjektiv formgerecht geschlossener Geschäfte, denn nur so würden viele praktisch häufige und mitunter trotz redlichen Parteibemühens kaum vermeidbare Fehlerquellen ausgeschaltet. 25 Bei diesen Erwägungen wird allerdings vorwiegend an den Grundstückskaufvertrag gedacht. Für letztwillige Verfügungen schränken demgegenüber sogar die Vertreter dieser Auffassung ein: Die erbrechtlichen Formen sind Formen (auch) im Verkehrsinteresse, Geschäftsformen aus Verkehrsinteresse verlangen aber eine weite Formunterworfenheit rechts geschäftlicher Regelungen. 26 cc) Widerspruch zwischen Andeutung und unschädlicher Falschbezeichnung Weiterhin wird der Andeutungstheorie entgegengehalten, sie stehe im Widerspruch zum Grundsatz der unschädlichen Falschbezeichnung. 27 Dieser Widerspruch besteht in der Tat darin, daß die Andeutungstheorie einen Ausdruck des subjektiven Auslegungsergebnisses im Wortlaut (das heißt in der Verkehrsbedeutung des Wortlauts) der Urkunde fordert, während "falsa demonstration non nocet" besagt, daß das subjektive Auslegungsergebnis auch dann gelten könne, wenn es nicht mit dem Urkundenwortlaut (der Verkehrsbedeutung des Urkundenwortlauts ) übereinstimmt. Die Unvereinbarkeit dieser beiden Sätze kann zur Folge haben, daß entweder keiner der beiden Sätze gilt, oder daß einer der beiden Sätze nicht gelten kann; das muß aber nicht unbedingt die Andeutungstheorie sein. 28 Die Tatsache, daß der Satz von der unschädlichen Falschbezeichnung nicht auf einer sachlichen Häsemeyer, Fonn, S. 286. Häsemeyer, Fonn, S. 184. 27 Flume NJW 1983,2007; Häsemeyer, Fonn S. 132; Reinicke / Tiedtke, KaufR. S. 9. 28 Köhler IR 1984, 14 (15) versucht demgegenüber eine Hannonisierung der beiden Sätze über eine deklaratorische Urkundenberichtigung als Urkundennachtrag, mit der auch für Außenstehende der Urkundeninhalt klargestellt wird; ein entsprechender Berichtigungsanspruch des einen Vertragspartners gegen den anderen soll sich aus § 242 BGB ergeben. Abgesehen davon, daß die Auslegung hier praktisch durch einen nachträglichen Auslegungsvertrag ersetzt wird (vgl. dazu z. B. Lange / Kuchinke § 33 IV, S. 576 ff.), der wiederum, da er gerade im Streitfall nicht mehr zustandekommen wird, über einen problematischen Kontrahierungszwang über § 242 BGB konstruiert wird, ist v. a. fraglich, wie eine solche Berichtigung bei Verfügungen von Tpdes wegen zu bewerkstelligen wäre, wo der Konflikt erst nach dem Tod des Erblassers auftritt (vorher gibt es ja die Berichtigung durch Widerruf). 25

26

16*

IV. Fonnprüfung

244

Begründung beruht, spricht vielmehr für einen Vorrang der Andeutungstheorie gegenüber dem Satz von der unschädlichen Falschbezeichnung und für die Aufgabe des Satzes von der falsa demonstratio. 29 dd) Abschlußklarheit und Inhaltsklarheit als Ausfluß der Formzwecke Weiterhin wird gesagt, es fehle andererseits auch der Andeutungstheorie an einer sachlichen Begründung, denn die Formzwecke erforderten eine Andeutung nicht. 30 Auch wenn man die grundsätzliche Bedeutung der Formzwecke bejahe, sei entscheidend für den Formzweck nämlich nicht das fertige Erklärungsprodukt, sondern der Erklärungsvorgang; es komme daher nicht darauf an, ob der Erklärungswortlaut in seiner Verkehrsbedeutung den ermittelten Willen wiedergebe; ausschlaggebend sei vielmehr, ob die Zwecke der einzelnen Formvorschrift bei der Erstellung der Erklärung erreicht worden seien, das heißt ob der Erblasser seinen Willen in der förmlichen Erklärung vollständig und richtig zum Ausdruck bringen wollte. Darauf, ob ihm dies gelungen sei, komme es nicht an. Daraus werden dann Differenzierungen für verschiedene Fallgestaltungen abgeleitet. Eine versehentliche Unvollständigkeit oder Unrichtigkeit der Urkunde ist danach unschädlich, wenn sie auf einer unzutreffenden Festsetzung der Formgrenzen durch die Partei(en), irrtümlicher Nichtberücksichtigung einzelner Abreden, individuellem Sprachgebrauch oder irrtümlicher Falschbezeichnung beruhen. Unzulässig seien dagegen bewußte Unvollständigkeiten, Verschlüsselungen, bewußte Falschbezeichnungen und Scheinbeurkundungen; förmlichen Erklärungen dürfe auch nicht nachträglich ein neuer Sinn unterlegt werden. Auch hier fragt sich aber wieder, ob überhaupt die Prämisse für alle diese Differenzierungen richtig ist oder ob nicht vielmehr die Formzwecke dann am besten verwirklicht werden, wenn sie nicht nur errichtungsbezogen, sondern auch inhaltsbezogen in der Weise verstanden werden, daß der Inhalt der Willenserklärung mit der Verkehrsbedeutung des Urkundenwortlauts übereinstimmt. Die Warnfunktion soll nicht nur unbedachte Verfügungen verhindern, sondern auch verantwortliches Testieren fördern; das wird aber nur erreicht, wenn der Formzwang sich auch auf den Inhalt der letztwilligen Verfügung bezieht. Ein Sonderwortschatz des Erblassers ist daher abzulehnen. Der Formzweck, verantwortliches Testieren zu fördern, spricht allerdings in den Fällen nicht für die Nichtigkeit der Verfügung, in denen die Abweichung vom allgemeinen Sprachgebrauch vom Erblasser nicht zu verantworten ist, er also diesbezüglich weder vorsätzlich noch fahrlässig gehandelt hat (die Abgrenzung von bewußter und unbewußter Abweichung ist aus diesem Grunde zu eng). Darüber hinaus haben 29

Wieling JZ 1983, 760 f.

Bernard S. 21 (27), S. 82; Flurne, AT II, § 16,5, S. 331 (334); Häsemeyer, Fonn, S. 122 ff.; S. 155 ff.; S. 264 ff.; Jauernig / Jauernig § 126 Anm. 3 a; Lüderitz S. 183; S. 194; Medicus, AT, Rn. 331. 30

4. Fonnstrenge und Gestaltungsfreiheit

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aber, wie gezeigt, die Warnfunktion, und in noch stärkerem Maß die Beratungsfunktion, auch die Aufgabe einer erhöhten Richtigkeitsgewähr und damit der Förderung des Rechtsfriedens. Auch diese Aufgabe ist eine nicht nur errichtungsbezogene, sondern inhaltsbezogene Aufgabe.

Eine sachkundige" Beratung wird völlig in Frage gestellt, wenn der Notar das Gewollte nicht zu erkennen vermag. 31 Dem wird entgegengehalten, auch bei der Andeutung oder gar der Verkehrsbedeutung werde nicht auf das Verständnis des Notars abgestellt. 32 Das ist richtig für den Auslegungsmaßstab; der Notar dagegen soll nicht auslegen, sondern beraten. Diese Beratung ist aber nur möglich und sinnvoll, wenn auch der richtige Gegenstand besprochen wird, sonst reden Erblasser und Notar aneinander vorbei. Der Hinweis auf die Heilungsmöglichkeit in § 313 S.2 und § 518 11 BGB, mit der sogar das Gesetz auf die Beratung verzichte,33 verfängt bei letztwilligen Verfügungen nicht, wo es eine solche Heilungsmöglichkeit aus guten Gründen nicht gibt. Auch der Selbständigkeitszweck bezieht sich nicht nur auf den Errichtungsakt, sondern hat gerade aus der ex-post-Situation des Richters zusätzlich die Funktion, nachträgliche Angriffe auf einen unerwünschten Testamentsinhalt wegen mangelnder Selbständigkeit des Erblassers abzuwehren und damit den Erblasserwillen zu schützen; denn je sicherer die Form die Selbständigkeit des Erblassers im Errichtungsakt gewährleisten kann, desto schwerer wird es im nachhinein sein, die Selbständigkeit des Erblassers anzuzweifeln. Am sichersten wird aber die Selbständigkeit gewährleistet, wenn der Richter sich auf die Verkehrsbedeutung der vorliegenden Urkunde verlassen kann, weil abweichende Bedeutungen ohnehin formnichtig wären.

Ebenso darf auch der Echtheitszweck nicht nur formal verstanden werden dahingehend, daß die Verfügung vom Erblasser selbst errichtet sein muß, sondern es soll auch sichergestellt werden, daß möglichst der echte, der wirkliche Wille des Erblassers verwirklicht wird. Dies ist in Gefahr aber nicht nur durch eine zu weitgehende Berücksichtigung eines objektiven Verständnisses gegenüber einem subjektiven Erblasserverständnis, sondern der wirkliche Wille des Erblassers kann auch dadurch gefährdet werden, daß später Verfahrensbeteiligte, um ihre Prozeßsituation zu verbessern, einen abweichenden subjektiven Erblasserwillen dartun. 34 Da aber davon auszugehen ist, daß die Mehrheit der Erblas31 Medicus, AT, Rn. 331. 32 Medicus, AT, Rn. 331. 33 Medicus, AT, Rn. 331. 34 Sehr deutlich Weiter S. 16: "Der Zweck der Fonnvorschriften kann nicht daran gemessen werden, ob sie in jedem Einzelfall zu billigen Ergebnissen kommen. Zu sehr steht gerade diesem Gedanken das Gebot entgegen, generell Rechtssicherheit auf einem besonders gefährdeten Rechtsgebiet zu schaffen und zu gewährleisten: Die Erfahrungstatsache, daß es bei einem Erbfall bekanntlich keine nicht interessierten Beteiligten gibt, macht es nötig, der Begehrlichkeit Grenzen zu setzen, Klarheit zu schaffen durch einen in feste Fonnen gegossenen letzten Willen".

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IV. FonnpTÜfung

ser dem Sprachgebrauch der Mehrheit der Bevölkerung, also dem Verkehrssprachgebrauch folgt, wird diese letztere Gefahr die wahrscheinlichere sein gegenüber der Gefahr einer Verfälschung des Erblasserwillens durch ein zu objektives Verständnis. Auch diese Überlegungen sprechen dafür, einen Sonderwortschatz des Erblassers nicht anzuerkennen. Auch der Echtheitszweck hat also eine starke inhaltliche Komponente. Noch deutlicher wird diese inhaltliche Bedeutung beim Streitvermeidungszweck. Am ehesten ist Streit über den Testamentsinhalt ausgeschlossen, wenn eine Diskussion über mögliche Bedeutungen des Testaments außerhalb der Verkehrsbedeutung von vornherein abgeschnitten werden, weil ein solcher Testamentsinhalt ohnehin nicht form wirksam erklärt wäre. Auch die Klarstellungsfunktion der Form will nicht nur Abschlußklarheit, sondern auch Inhaltsklarheit bewirken. Die Gefahr einer nachträglichen Verfälschung des Erblasserwillens durch Behauptung eines von der Verkehrsbedeutung abweichenden subjektiven Erblasserwillens besteht ja nicht nur wegen eines möglichen wirtschaftlichen Eigeninteresses von Hinterbliebenen; auch die Erinnerung an Äußerungen und Absichten des Erblassers ist ja im Zeitpunkt des gerichtlichen Verfahrens nicht immer verläßlich gesichert. Zum einen ist es ein bekanntes psychologisches Phänomen, daß menschliche Wahrnehmung äußere Tatsachen nicht objektiv und wertneutral erfaßt, sondern je nach subjektiver Befindlichkeit (Vorurteilen, Erfahrungen, Wünschen, Erwartungen) des Wahrnehmenden die wahrzunehmenden Tatsachen auswählt, gewichtet und bewertet. So speichern auch die Bekannten und Verwandten eines Erblassers nicht alle seine Äußerungen computermäßig ab oder behalten die für den Erblasser wichtigen Äußerungen im Gedächtnis, sie behalten vielmehr die für sie persönlich aus irgendeinem Grunde interessanten Äußerungen des Erblassers im Gedächtnis. Zum anderen kann die Herausbildung eines bestimmten Erblasserwillens sich über Jahre hinziehen und während dieses Prozesses mit vielen, auch widersprüchlichen Äußerungen des Erblassers verbunden sein, die nicht unbedingt den letztlich entscheidenden Erblasserwillen im Zeitpunkt der Errichtung der letztwilligen Verfügung wiedergeben müssen; dabei ist die Bildung dieses Erblasserwillens als inneres Geschehen der Wahrnehmung der Mitmenschen weit weniger zugänglich als ein äußerer Vorgang. Schließlich können auch zwischen Errichtung und Eröffnung der letztwilligen Verfügung Jahrzehnte vergehen, die eine ohnehin mit Unwägbarkeiten belastete Erinnerung an den Erblasser allmählich abschwächen, aber auch verändern können. Berücksichtigt man auch hier, daß die Mehrheit der Erblasser dem Sprachgebrauch der Mehrheit der Bevölkerung folgt, so ist auch der Klarstellungszweck am ehesten erfüllt, wenn der Urkundeninhalt nur in seiner Verkehrsbedeutung als maßgeblich angesehen wird. Die Sicherstellungs- und Beweisfunktion schließlich ist ihrer Natur nach bereits auf Inhaltsklarheit gerichtet und fordert eine strenge Bindung an die Verkehrsbedeutung des Urkundenwortlauts. Ein Urkundenbeweis hat nur dann wirkliche

4. Formstrenge und Gestaltungsfreiheit

247

Beweiskraft, wenn der Urkundenwortlaut auch in seiner Verkehrsbedeutung gilt; eine Urkunde, deren Wortlaut einen beliebigen Sinn ausdrücken kann (der den wirklichen Erblasserwillen darstellt), verliert jeglichen Sicherstellungswert. Das gilt für letztwillige Verfügungen in besonderem Maße, weil der Erblasser nach seinem Tod als Informationsquelle nicht mehr zur Verfügung steht. 35 Diese Übersicht ergibt: Die Formzwecke sind nicht nur grundsätzlich für die Errichtung der Urkunde anzuerkennen, sie fordern vielmehr jedenfalls für Verfügungen von Todes wegen nicht nur Abschlußklarheit, sondern auch Inhaltsklarheit der formgerechten Urkunde. Sie beziehen sich daher nicht nur auf den Errichtungsakt, sondern auch auf die spätere Wirksamkeit der Willenserklärung. Danach genügt es auch nicht, daß der Erblasser subjektiv die Form wahren wollte; entscheidend ist, ob sie auch objektiv gewahrt ist. ee) Andeutungserfordernis und Freibeweis Gegen die Andeutungstheorie wird weiter ins Feld geführt, sie widerspreche dem Grundsatz der freien Beweiswürdigung im Zivilverfahren und dem Grundsatz des Freibeweises im Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit. 36 Diese Argumentation behauptet jedoch nur ein Ergebnis ohne Begründung, denn ob die Andeutungsformel zu rechtfertigen ist und damit die Beweisführung über einen subjektiven Erblasserwillen unter Hinweis auf die Formnichtigkeit von vornherein als nicht entscheidungserheblich verhindern kann, ist gerade das Problem. 37 Außerdem wird hier der Unterschied zwischen materiellem Recht und Verfahrensrecht übersehen. Die Frage, ob eine Willenserklärung einer gesetzlichen Form genügt, ist eine rein materielle Frage; nur wenn es zur Beantwortung dieser Frage auf Tatsachenermittlungen ankommt, kann darüber eine Beweiserhebung erforderlich sein. Liegt aber die fragliche Urkunde unstreitig vor, dann ist die Frage, ob der maßgebliche Inhalt der Willenserklärung formgerecht erklärt ist, eine reine Rechtsfrage, die nur normativ, nicht durch eine Beweisführung beantwortet werden kann. Der maßgebliche Inhalt der Willenserklärung kann dabei durchaus mit allen Beweismitteln bewiesen werden, die auch frei zu würdigen sind; nur bei der formbedürftigen Willenserklärung muß ein solcher Inhalt, wenn er, als wahr unterstellt, ohnehin nicht der Form genügen würde, als nicht entscheidungserheblich wegen des Grundsatzes der Prozeßökonomie auch nicht mehr unnötig bewiesen werden.

35 36 37

Scherer S. 75. Hack S. 36. Scherer S. 74.

248

IV. Formprüfung

ff) Die Unschärfe der ,,Andeutung" als Abgrenzungsmerkmal Die Andeutungstheorie ist allerdings problematisch wegen ihrer Folgen, die sich aus der Unschärfe des Kriteriums des Angedeutetseins ergeben. Es gibt keine objektiven Kriterien, die in Grenzfällen die Frage beantworten, ob der Wille des Erklärenden in der formgebundenen Erklärung nun einen unvollkommenen Anhalt gefunden hat oder nicht. Deshalb ist es auch in der Rechtsprechung immer wieder zu widersprüchlichen Entscheidungen vergleichbarer Fälle gekommen. 38 Der Andeutungstheorie ist daher wiederholt vorgeworfen worden, sie entscheide letztlich nur nach Einzelfallgerechtigkeit; es liege im Belieben des Richters, ob er eine Andeutung für ein gefundenes Auslegungsergebnis finden wolle oder nicht. 39 Da es keine klaren Kriterien für die" wenn auch unvollkommene Andeutung" gibt, besteht allerdings die Gefahr, daß über der Einzelfallgerechtigkeit die Vorhersehbarkeit ,und Kontinuität der gerichtlichen Entscheidungen beeinträchtigt und Rechtsunsicherheit erzeugt wird. Außerdem muß einem Erblasser, der sichergehen will, daß nach seinem Tode sein letzter Wille auch wirklich beachtet wird und nicht durch einen Hinweis auf eine fehlende Andeutung verkürzt wird, bei dieser Rechtslage geraten werden, sein Testament möglichst in epischer Breite abzufassen; denn je mehr er schreibt, umso mehr wächst die Chance, daß der Richter später bei der Suche nach der Andeutung des Erblasserwillens in dem langen Text fündig wird. Die Andeutungstheorie bevorzugt also den weitschweifigen Erblasser gegenüber demjenigen, der knapp formuliert. 40 Nun ist zwar eine knappe Ausdrucksweise aus der Sicht des Richters wünschenswert, aber kein Rechtswert an sich. 41 Aber es ist nicht zu übersehen, daß der Chancenvorteil des weitläufig Schreibenden gegenüber dem knapp Formulierenden ein zufälliger, kein sachlich begründeter Vorteil ist. 42 Die Schwäche der Andeutungstheorie liegt also nicht darin, daß sie einen subjektiven Erblasserwillen unzulässig verkürzen würde, das Problem liegt vielmehr in der unsicheren praktischen Anwendung, die allerdings in dem kompromißhaften Begriff der Andeutung selbst begründet liegt. c) Die strenge Formgebundenheit bei Formen im Verkehrsinteresse

Auch diese Probleme lassen sich aber vermeiden, wenn man sich von dem Versuch einer Kompromißlösung, die nicht gelingen kann, freimacht. Die vorangegangenen Überlegungen haben gezeigt, daß die Zwecke der erbrechtlichen Vgl. die Nachweise bei Brox JA 1984,549 (555). Brox JA 1984,549 (555); Häsemeyer,Form, S. 127; S. 270 ff.; Reinicke JA 1980, 455 (461); Smid JuS 1987,283 (286). 40 Brox, Irrtumsanfechtung, S. 109; Brox, ErbR, Rn. 197; Brox JA 1984, 549 (555); MK / Mayer-Maly § 133 Rn. 49. 41 Wieling Jura 1979, 524 (530). 42 Reinicke JA 1980,455 (463). 38 39

4. Fonnstrenge und Gestaltungsfreiheit

249

Formvorschriften nicht nur Abschlußklarheit, sondern auch Inhaltsklarheit fordern, weil es sich um Formen im Verkehrsinteresse handelt. Der maßgebliche Inhalt der Willenserklärung genügt daher nur dann der Form, wenn er der Verkehrsbedeutung des Urkundenwortlauts entspricht. Das nur subjektive Bemühen des Erblassers oder der Parteien, der Form genügt zu haben, würde diese Formvorschriften zur Disposition der Parteien stellen 43, was mit dem Hauptzweck der erbrechtlichen Form, dem Verkehrsschutz, nicht zu vereinbaren wäre. 44 Es gibt auch keinen Grund, einen von der Verkehrsbedeutung abweichenden subjektiven Erblasserwillen um jeden Preis zur Geltung bringen zu wollen. 45 Die Wertung des Gesetzes in § 2078, §§ 2084-2086 BGB und anderen Vorschriften, den subjektiven Erblasserwillen gegenüber empfangsbedürftigen Rechtsgeschäften unter Lebenden zu bevorzugen, hat bereits bei der Auslegung Berücksichtigung gefunden; sie hat ihren Grund darin, daß beim Testament dem Erblasser kein Empfanger gegenübersteht und den Erblasser somit keine Fremdverantwortung gegenüber der Privatautonomie des Empfangers trifft; diese Abwägung zwischen Privatautonomie des Erklärenden und Privatautonomie eines Empfangers ist aber die zentrale Aufgabe der Inhaltsermittlung. Die Freiheit von einer Fremdverantwortung gegenüber einem Empfanger entlastet den Erblasser aber nicht automatisch auch von seiner Drittverantwortung gegenüber dem Rechtsverkehr, wenn das Gesetz eine solche Drittverantwortung durch Formvorschriften vorsieht. Diese Drittverantwortung ist vielmehr unabhängig von der Fremdverantwortung gegenüber dem Empfanger zu sehen, so wie auch die Fremdverantwortung gegenüber dem Empfanger von der Selbstverantwortung des Erklärenden zu unterscheiden war. Entsprechend hat auch die Rechtsprechung in den letzten Jahren wieder zu einer stärkeren Betonung des Formgebots gefunden. Klare Aussagen zur Formstrenge finden sich in den beiden Beschlüssen des Bundesgerichtshofs vom 9. April 1981. 46 Später 47 kommt der Bundesgerichtshof zur Formnichtigkeit, obwohl bei etwas liberalerer Auffassung die Voraussetzungen für eine "wenn auch nur unvollkommene Andeutung" hier spielend erfüllt gewesen wären: durch den Hinweis auf eine genau bezeichnete Aktennotiz, ein ebenso genau bezeichnetes Schreiben, vor allem aber durch den Hinweis auf "die in den Jahren 1974 und 1975 erfolgten Beleidigungen, üblen Nachreden und Verleumdungen"; in anderen Entscheidungen waren schon viel dunklere Andeutungen als ausreichend angesehen worden. Dieses Ergebnis des Gerichts hat Zustimmung gefunden. 48 Auch 43

Reinicke JA 1980,455 (459).

Vgl. zu dem Erfordernis, das Fonngebot im strikten Sinne zu verstehen, auch sehr eindringlich Kipp / Coing § 19 111, IV, S. 128 ff.; v. a. auch zu der bereits von Heck AcP 112, 1 (182 ff., 191) beschriebenen "Triebsandgefahr". 45 Staud/Otte vor §§ 2064-2086 Rn. 30. 46 BGH, Beschl. v. 9.4.1981 IVa ZB 4/80 = BGHZ 80, 242 und BGH, Beschl. v. 9.4.1981 - IVa ZB 6/80 = BGHZ 80, 246. 47 BGH, Urt. v. 27.2.1985 IVa ZR 136/83 = BGHZ 94, 36. 44

250

IV. Fonnprüfung

in jüngerer Zeit hat der Bundesgerichtshof einen Rückgriff auf die Andeutungstheorie mit auffalliger Zurückhaltung vermieden. 49 Diese Tendenz, die auch für andere Formvorschriften zu beobachten ist, 50 wurde inzwischen ausdrücklich bestätigt. 51 Dieser Lösung mag entgegengehalten werden, daß eine noch so ausgefeilte subjektive Auslegung nichts nütze, wenn dann doch aller Wille des Erblassers, der außerhalb der Verkehrsbedeutung des Urkundentextes liege, der Formnichtigkeit zum Opfer falle; denn dann werde der Richter sich auf die Verkehrsbedeutung der Urkunde beschränken und lediglich prüfen, ob diese den wirklichen Willen des Erblassers enthalte oder nicht. In der Tat ist diese Wahrunterstellung wegen des Grundsatzes der Prozeßökonomie nicht nur zulässig, sondern sogar geboten. Dennoch behält aber die subjektive Auslegung ihre praktische Bedeutung bei allen (nicht empfangsbedürftigen, aber auch, bei übereinstimmendem Verständnis der Parteien, bei empfangsbedürftigen) Willenserklärungen, die keinem Formzwang unterliegen oder für die Formvorschriften gelten, die andere Formzwecke als einen Verkehrsschutz verfolgen. Und bei letztwilligen Verfügungen ist das Ergebnis keineswegs so neu, wie es auf den ersten Blick erscheint. Es deckt sich vielmehr haargenau mit dem Ergebnis, wie es unter der Herrschaft der Eindeutigkeitstheorie jahrzehntelang praktiziert wurde. Das ist kein Zufall, denn Hauptargument für die Eindeutigkeitstheorie war und ist ja der Verkehrs schutz; die Bedenken gegen die Eindeutigkeitstheorie richten sich nur dagegen, den Verkehrs schutz bereits im Rahmen der Auslegung zu berücksichtigen, sowie gegen den Begriff der Eindeutigkeit als Abgrenzungskriterium. Ungeachtet dieser methodischen Vorbehalte gelten aber die dort für den Verkehrsschutz geltend gemachten Argumente im Rahmen der Formprüfung uneingeschränkt. Diese Auffassung kann allerdings gegenüber einer subjektiveren Auffassung häufiger zur Formnichtigkeit der letztwilligen Verfügung führen. Nach den praktischen Erfahrungen der Vergangenheit dürfte dieses Schicksal aber hauptsächlich eigenhändige Testamente treffen. 52 Erblassern, die Zweifel haben, ob sie mit ihrer Formulierung das Verkehrsverständnis treffen, wäre daher (wie auch schon zu Zeiten der Anwendung der Eindeutigkeitstheorie durch die Rechtsprechung) zu raten, eine rechtsanwaltliche oder notarielle Beratung in Anspruch zu nehmen. Das ist zwar zunächst mit einem gewissen Kostenaufwand verbunden, doch können zum Beispiel mit einem Erbvertrag die Kosten des Erbscheins auch wieder eingespart werden. Im übrigen wird nach den Erfahrungen der Praxis der verbleibende Kostenaufwand von der Bevölkerung gern in Kauf genommen, Kuchinke JZ 1985, 748. BGH, Urt. v. 28.1.1987 - IVa ZR 191/85 = FamRZ 1987,475. 50 BGH, Urt. v. 17.12.1985 - KZR 4/85 = NJW-RR 1986,724 (726) zu § 34 GWB, m. v. w. N. auch zu anderen Fonnvorschriften. 51 Von Schmidt-Kessel, WM Sonderbeilage 8/88, S. 1 (7). 52 Nach den Feststellungen von Schulte S. 179 f. sind etwa 4% der eigenhändigen Testamente wegen Fonnmangels nichtig; vgl. auch WeIter S. 7. 48

49

4. Formstrenge und Gestaltungsfreiheit

251

wenn dadurch das Risiko späterer Streitigkeiten ausgeschlossen werden kann. Diese Lösung führt auch nicht zu einer Bevorzugung des wohlhabenden Erblassers, da die Bundesgebührenordnung für Rechtsanwälte (BRAGO) ebenso wie das Gesetz über die Kosten in Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (Kostenordnung) die Gebühren in durchaus sozialer Weise staffeln. Die Mindestgebühr von 15 DM (§ 11 11 BRAGO, § 33 KostO) dürfte von jedermann, der etwas zu vererben hat, aufzubringen sein. Kommt es dennoch einmal zur Formnichtigkeit der letztwilligen Verfügung, so kann in manchen Fällen immer noch die Umdeutung helfen (im einzelnen s. dazu oben).

d) Formgebot und ergänzende Auslegung Dieses Konzept gilt grundsätzlich auch für die ergänzende Auslegung. Im Rahmen der Andeutungstheorie wird allerdings gesagt, ergänzende Auslegung und Formgebot seien nicht miteinander vereinbar; wenn die ergänzende Auslegung einen nur hypothetischen, irrealen Willen ermittele, könne dieser in der Urkunde gar nicht enthalten sein. 53 Das muß an sich für die strenge Formgebundenheit erst recht gelten. Geht man jedoch davon aus, daß auch eine zulässige ergänzende Auslegung nur einen realen Geschäftswillen ermitteln kann, der die irrtümlich nicht erkannte Situation mitumfaßt, dann besteht ein solcher prinzipieller Widerspruch zwischen Auslegung und Formgebot nicht mehr. Dennoch kann es faktisch vorkommen, daß dieser weitere Geschäftswille aus der Verkehrsbedeutung des Urkundenwortlauts nicht zu entnehmen ist, etwa wenn darin der Erblasser nur seine Ehefrau einsetzt, in Wirklichkeit aber ihren Stamm auch bedenken will. 54 Eine Möglichkeit wäre es, hier ausnahmsweise nicht von der Verkehrsbedeutung des Urkunden wortlauts auszugehen, sondern aus faktischen Gründen eine Andeutung genügen zu lassen und dafür keinen allzu strengen Maßstab anzulegen. Systemgerechter erscheint es jedoch, weiter zu fragen, ob das Formgebot sich überhaupt auf die ergänzende Auslegung erstreckt und deshalb ein solcher Kompromiß überhaupt erforderlich ist. Hauptsächlicher Formzweck für letztwillige Verfügungen ist die Gewährleistung der Drittverantwortung des Erblassers gegenüber nicht unmittelbar, sondern mittelbar durch die Willenserklärung betroffenen Teilnehmern am Rechtsverkehr, also der Verkehrsschutz. Fraglich ist jedoch, ob diese Drittverantwortung im Fall des Motivirrtums dem Erklärenden überhaupt zuzumuten ist. Die Zurechenbarkeit, die bei der Selbstverantwortung im Interesse der Selbstbestimmung und bei der Fremdverantwortung im Interesse der Privatautonomie des Erklärenden geboten war, muß auch im Rahmen der Drittverantwortung vorliegen. Bei der erläuternden Auslegung ist sie jedoch regelmäßig gegeben; denn jemand, der sich in 53 54

Vgl. Lange/Kuchinke § 33 III 3d, S. 571. BayObLG, Beschl. v. 16.5.1988 - BReg I Z 47/87 = BayObLGZ 1988, 165.

252

IV. Fonnprüfung

den Rechtsverkehr begibt und dabei im Interesse des Rechtsverkehrs besondere Formen zu beachten hat, muß damit rechnen, im Sinne der Verkehrsbedeutung verstanden zu werden. 55 Das gilt jedoch nicht für den Motivirrtum. Zwar ist es auch hier für den Erklärenden voraussehbar, daß der Rechtsverkehr seine Willenserklärung nur so verstehen wird, wie sie sich aufgrund des Motivirrtums darstellt. Das ist für den Erklärenden aber nicht vermeidbar, da sich der Fehler hier gerade nicht in der Rechtsfolgenanordnung der Willenserklärung selbst, sondern im Vorfeld der zugrundeliegenden Tatsachen befindet, auf die der Erklärende selbst keinen Einfluß hat. Der Formzweck des Verkehrsschutzes steht daher einer Berücksichtigung des Motivirrtums im Wege der ergänzenden Auslegung nicht entgegen. Das bedeutet, daß ein realer Geschäftswille des Erblassers, der sowohl für eine irrtümlich angenommene, objektiv unrichtige Tatsachenlage als auch für die irrtümlich nicht erkannte objektiv richtige Tatsachenlage im Weg der ergänzenden Auslegung wie beschrieben ermittelt werden kann, nicht formgerecht erklärt sein muß, also weder aus der Verkehrsbedeutung der Urkunde zu entnehmen noch im Urkundentext in seiner Verkehrsbedeutung angedeutet sein muß.

55 Auch hier kann allerdings die Zurechenbarkeit in besonderen Zwangs situationen ausnahmsweise entfallen, wenn der Erklärende seiner Erklärungsverantwortung auch gegenüber den anderen Verkehrsteilnehmern nur durch bewußtes Abweichen vom Verkehrssprachgebrauch nachkommen kann; vgl. BGH, Urt. v. 14.4.1976 - IV ZR 61/ 74 = WM 1976,744. Im Ergebnis ebenso Smid JuS 1987,283 (287).

C. Schluß: Zusammenfassung der Ergebnisse Die wichtigsten Ergebnisse lassen sich in folgenden Thesen zusammenfassen: I. Die im Zusammenhang mit der Auslegung letztwilliger Verfügungen stehenden Einzelfragen lassen sich dauerhaft nur lösen aufgrund eines Gesamtkonzepts, das im Wesen der Willenserklärung zu suchen ist. Die vorliegende Untersuchung geht dabei vom Verständnis der Willenserklärung als Geltungserkärung aus. 11. Bei der Auslegung der Willenserklärung ist zwischen der Ermittlung des Auslegungsgegenstandes, der Inhaltsermittlung (der eigentlichen Auslegung) und der Formprüfung zu unterscheiden, denn diese Prüfungsschritte unterliegen unterschiedlichen Beurteilungskriterien. Diese gedankliche Unterscheidung aus materiell-rechtlichen Gründen ist aber zu trennen von der Prüfungsreihenfolge im Prozeß, die nach den Regeln des Verfahrensrechts von der materiell-rechtlich gebotenen Prüfungsreihenfolge abweichen kann.

m.

Der Tatbestand der Willenserklärung unterliegt ausschließlich der Privatautonomie des Erklärenden in ihrer Ausprägung von Selbstbestimmung und Selbstverantwortung. Er ist wegen der Selbstbestimmung grundsätzlich subjektiv zu fassen; die Selbstverantwortung gebietet jedoch "eine objektivnormative Bestimmung des Erklärungsbewußtseins im Sinne des Verkehrsverständnisses, das allerdings wiederum wegen der Selbstbestimmung dem Erklärenden zuzurechnen sein muß. Die Selbstbestimmung fordert außerdem die Möglichkeit der Anfechtung wegen fehlenden Erklärungsbewußtseins.

IV. Die Auslegung der Willenserklärung unterliegt ebenfalls der Privatautonomie des Erklärenden in Gestalt von Selbstbestimmung und Selbstverantwortung. Die Selbstverantwortung tritt jedoch hier gegenüber der Selbstbestimmung zurück, was zu einem prinzipiell subjektiven Auslegungsmaßstab führt. Sie hat nunmehr nur prozessuale Bedeutung, indem sie eine Vermutung dafür begründet, daß das subjektive Verständnis des Erklärenden mit der Verkehrsbedeutung übereinstimmt. Die Privatautonomie des Erklärenden kann allerdings nunmehr begrenzt werden durch eine Fremdverantwortung gegenüber der Privatautonomie des Empfängers (oder des anderen Ehegatten bei der wechselbezüglichen Verfügung im gemeinschaftlichen Testament), die der Privatautonomie des Erklärenden auf der Inhaltsebene prinzipiell gleichrangig gegenübertritt und im Wege eines Vertrauensschutzes des Empfängers zu einer objektiv-normati-

254

C. Schluß: Zusammenfassung der Ergebnisse

ven Auslegung aus dem Empfangerhorizont heraus führen kann. Die Privatautonomie des Erklärenden wird in diesen Fällen geschützt dadurch, daß die objektiv-normative Bedeutung im Sinne des Empfängerhorizonts dem Erklärenden zuzurechnen sein muß, sowie durch die Möglichkeit der Anfechtung wegen Inhalts- oder Erklärungsirrtums. In den Fällen der subjektiven Auslegung hat die Anfechtung wegen Inhalts- oder Erklärungsirrtums demgegenüber ihren direkten Anwendungsbereich verloren; sie hat Bedeutung nur noch als Ausdruck einer gesetzlichen Wertung zugunsten der Privatautonomie des Erklärenden. V. Die ergänzende Auslegung ermittelt im Gegensatz zur erläuternden Auslegung nicht den Geschäftswillen aufgrund der richtigen Motivation, sondern den maßgeblichen Geschäftswillen in Fällen des Motivirrtums. Sie ist nur zulässig, wenn sie ebenfalls in der Privatautonomie des Erklärenden verankert ist. Das bedeutet, daß ein realer Geschäftswille zu ermitteln sein muß, der auch die irrtümlich nicht vorgestellte tatsächliche Situation mitumfaßt. Auch hier kann die Fremdverantwortung gegenüber der Privatautonomie des Empfängers zu einem objektiv-normativen Auslegungsmaßstab im Sinne des Empfangerhorizonts führen; außerdem ist die ergänzende Auslegung bei der empfangsbedürftigen Willenserklärung und der wechselbezüglichen Verfügung im gemeinschaftlichen Testament aus Gründen der Fremdverantwortung nur beim beiderseitigen Motivirrtum eröffnet. Die ergänzende Auslegung hat mit der Anfechtung wegen Motivirrtums bei letztwilligen Verfügungen und nicht empfangsbedürftigen Willenserklärungen unter Lebenden sowie unter den Voraussetzungen von § 11911 und § 123 BGB den Anwendungsbereich gemeinsam, allerdings bei der empfangsbedürftigen Willenserklärung und der wechselbezüglichen Verfügung im gemeinschaftlichen Testament nur bei beiderseitigem Motivirrtum und beim Testament nur bei Fehlvorstellungen in Bezug auf den Zeitraum vor Wirksam werden des Testaments. Die ergänzende Auslegung geht der Anfechtung prinzipiell vor; letztere behält aber ihre Bedeutung, wenn durch ergänzende Auslegung ein positiver Geschäftswille nicht ermittelt werden kann. Die ergänzende Auslegungen hat mit der Anpassung nach § 242 BGB bei Fehlen der Geschäftsgrundlage den Anwendungsbereich gemeinsam, sofern man letztere auch im Erbrecht und auf einseitige Willenserklärungen anwendet. Während die ergänzende Auslegung einen realen Willen ermittelt, gewährt § 242 BGB eine objektive Billigkeitskontrolle; die ergänzende Auslegung geht daher der Anpassung nach § 242 BGB vor, schließt sie aber nicht aus. VI. Der Umfang der Formgebundenheit bestimmt sich nach dem Zweck der jeweiligen Formvorschrift. Die Formvorschriften für letztwillige Verfügun-

C. Schluß: Zusammenfassung der Ergebnisse

255

gen bezwecken neben anderen Anliegen hauptsächlich einen Verkehrs schutz; sie begründen daher eine Drittverantwortung des Erklärenden gegenüber der Privatautonomie der nicht unmittelbar am Rechtsgeschäft beteiligten Verkehrsteilnehmer, die die Privatautonomie des Erklärenden begrenzt. Diese Drittverantwortung fordert nicht nur Abschlußklarheit, sondern auch Inhaltsklarheit; das subjektive Bewußtsein des Erklärenden, die Form gewahrt zu haben, kann daher nicht genügen; die Andeutungstheorie ist wegen ihres Kompromißcharakters und der Unschärfe der Abgrenzung abzulehnen; die erbrechtliche Form ist vielmehr nur gewahrt, wenn der maßgebliche Inhalt der Willenserklärung der Verkehrsbedeutung des Urkundenwortlauts entspricht. Dem kann auch der Grundsatz "falsa demonstratio non nocet" nicht entgegengesetzt werden. Eine formnichtige Willenserklärung kann aber gegebenenfalls im Wege der Umdeutung aufrechterhalten werden. Diese Lösung führt mit anderer Methode praktisch zu demselben Ergebnis, wie es bisher im Wege der Eindeutigkeitstheorie erzielt wurde. Auch die Drittverantwortung gegenüber der Privatautonomie der anderen Verkehrsteilnehmer kann die Privatautonomie des Erklärenden nur bei Zurechenbarkeit begrenzen; diese Zurechenbarkeit ist allerdings bei der erläuternden Auslegung regelmäßig gegeben. Sie entfällt jedoch im Fall des Motivirrtums; der Formzwang steht daher der ergänzenden Auslegung nicht entgegen.

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