Zwischen Herkunft und Zukunft: ›Heimat‹ in der Sozialdemokratie vom späten Kaiserreich zur Weimarer Republik [1 ed.] 9783666371066, 9783525371060


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German Pages [382] Year 2023

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Zwischen Herkunft und Zukunft: ›Heimat‹ in der Sozialdemokratie vom späten Kaiserreich zur Weimarer Republik [1 ed.]
 9783666371066, 9783525371060

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Anna Strommenger

Zwischen Herkunft und Zukunft ›Heimat‹ in der Sozialdemokratie vom späten Kaiserreich zur Weimarer Republik

Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft

Herausgegeben von Gunilla Budde, Dieter Gosewinkel, Christina Morina, Paul Nolte, Alexander Nützenadel, Kiran Klaus Patel, Hans-Peter Ullmann

Frühere Herausgeber Helmut Berding, Hans-Ulrich Wehler (1972–2011) und Jürgen Kocka (1972–2013)

Band 250

Anna Strommenger

Zwischen Herkunft und Zukunft ›Heimat‹ in der Sozialdemokratie vom späten Kaiserreich zur Weimarer Republik

Vandenhoeck & Ruprecht

Gedruckt mit freundlicher Unterstützung der Friedrich-Ebert-Stiftung, der Paul-Löbe-Stiftung, des DFG-Graduiertenkollegs 1919 »Vorsorge, Voraussicht, Vorhersage. Kontingenzbewältigung durch Zukunftshandeln« sowie der Fakultät für Geisteswissenschaften der Universität Duisburg-Essen. Die Dissertation wurde 2021 an der Universität Duisburg-Essen zum Erwerb des Grades Dr. phil. vorgelegt. Die mündliche Prüfung durch die Gutachter Prof. Dr. Frank Becker und Prof. Dr. Jens Jäger fand am 19. November 2021 statt. 2022 wurde die Arbeit mit dem Friedrich-Ebert-Preis der Forschungsstelle Weimarer Republik der Friedrich-Schiller-Universität Jena und des Weimarer Republik e. V. ausgezeichnet.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über https://dnb.de abrufbar. This series is peer-reviewed. © 2023 Vandenhoeck & Ruprecht, Robert-Bosch-Breite 10, D-37079 Göttingen, ein Imprint der Brill-Gruppe (Koninklijke Brill NV, Leiden, Niederlande; Brill USA Inc., Boston MA, USA; Brill Asia Pte Ltd, Singapore; Brill Deutschland GmbH, Paderborn, Deutschland; Brill Österreich GmbH, Wien, Österreich) Koninklijke Brill NV umfasst die Imprints Brill, Brill Nijhoff, Brill Hotei, Brill Schöningh, Brill Fink, Brill mentis, Vandenhoeck & Ruprecht, Böhlau, V&R unipress und Wageningen Academic. Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Umschlagabbildung: Flugblatt »Goldenes Wähler-ABC« der Vereinigten Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (VSPD) aus dem Jahr 1924 (Ausschnitt), Quelle: StALu, PGV 03 – SPD Unterbezirk Vorderpfalz, Nr. 4195. Umschlaggestaltung: SchwabScantechnik, Göttingen Satz: textformart, Göttingen Vandenhoeck & Ruprecht Verlage | www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com ISSN 2197-0130 ISBN 978-3-666-37106-6

Inhalt Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 Prologkapitel: Zur Entstehung und zu den Hintergründen eines veränderten Heimat-Diskurses zu Beginn der Weimarer Republik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 1. Räume der Heimat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 1.1 Regionale Heimat-Räume nach dem Ersten Weltkrieg: Zwischen bedrohter Ordnung und der sozialdemokratischen Chance auf Neugestaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1.1 Prekäre und bedrohte Heimat-Räume in der Pfalz und in Sachsen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1.1.1 Pfalz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1.1.2 Sachsen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1.1.3 Der Konflikt zwischen Bayern und dem Reich als Katalysator . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1.2 Gestaltbare republikanische Heimat-Räume in der Pfalz und in Sachsen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1.2.1 Pfalz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1.2.2 Sachsen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2 Heimat-Semantiken: Zwischen räumlicher Gegebenheit und Veränderbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2.1 Heimat als politisierte Landschaft . . . . . . . . . . . . . . . 1.2.1.1 Der bürgerlich besetzte Naturraum als zukünftige Heimat . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2.1.2 Der revolutionäre regionale Heimat-Raum »Pfalz« 1.2.1.3 Der sozialdemokratische Heimatstadtraum »Freital« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2.1.4 Die Großstadt als Heimat? . . . . . . . . . . . . . . . 1.2.1.5 Ein demokratisiertes Heimat-Verständnis . . . . . . 1.2.2 Eine alternative sozialistische Heimat-Ikonografie . . . . . .

54 55 55 62 68 70 70 74 78 80 80 84 87 92 95 97

1.3 Orte sozialdemokratischer Heimat-Kulturpolitik in der Weimarer Republik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 1.3.1 Die Schaffung lokaler Traditionen: Das Freitaler Heimatmuseum . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 1.3.1.1 Geschichtsverständnis und Funktion des Museums 111 5

1.3.1.2 Sammlungs- und Ausstellungspraxis . . . . . . . . . 1.3.1.3 Wirkmächtigkeit: Museumsbesuche und politische Konflikte . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3.2 Aneignung des pfälzischen Heimat-Raums durch politische Praxis: Die Naturfreundehäuser . . . . . . 1.3.2.1 Die Naturfreundehäuser als solidarische Heimat-Orte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3.2.2 Eine sozialistische Besetzung und Kartierung des Pfälzer Heimat-Raums: Das Netz der Naturfreundehäuser . . . . . . . . . . 1.3.3 Die Generierung sozialistischer Naturerkenntnis und Heimatkunde: Die Naturfreundeausstellungen . . . . . 1.3.3.1 Die Zentralisierung sozialistischen Heimat-Wissens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3.3.2 Die »Rheinische Heimat« auf der Darmstädter »Mathildenhöhe« . . . . . . . .

114 118 122 123 129 133 133 136

1.4 Überleitung: Heimat-Räume zwischen Natur und Geschichte . . . 141 2. Zeiten der Heimat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 2.1 Konjunkturen einer Idee: Zeiten besonderer Heimat-Emphase im Untersuchungszeitraum . . . . . . . . . . . . 2.1.1 Gesellschaftliche Heimat-Konjunkturen . . . . . . . . . . . 2.1.2 Prekäre Zeiten: Heimat und Moderne . . . . . . . . . . . . . 2.1.3 Besondere Berücksichtigung der Sozialdemokratie: Deutungstraditionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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2.2 Diskursive Heimat-Bilder aus Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft: Die sozialistische Heimat-Deutung des ›Weges der Arbeiter in die Moderne‹ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 2.2.1 Der ›Weg der Arbeiter in die Moderne‹ in theoretischen und autobiografischen Texten . . . . . . . 165 2.2.2 Der ›Weg der Arbeiter in die Moderne‹ in literarischen Schriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 2.3 Umkämpfte Zeiten: Zeit- und Geschichtsbezüge der sozialdemokratischen Heimat-Kulturpolitik in der Weimarer Republik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.1 Umkämpfte Vergangenheit: Eine neue Perspektive auf Heimatgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.1.1 Konzeption sozialdemokratischer Heimatgeschichtsschreibung . . . . . . . . . . . . . 2.3.1.2 Umsetzung sozialdemokratischer Heimatgeschichtsschreibung . . . . . . . . . . . . . 6

177 177 180 187

2.3.2 Umkämpfte Zukunft: Heimatkunde für die ›neuen sozialistischen Menschen‹ . . . . . . . . . . . . . 2.3.2.1 Überregionale bildungspolitische Debatten um Heimatkunde in der Sozialdemokratie . . . . . 2.3.2.2 Die Kinderbeilage »Die Welt der Kleinen« aus der »Pfälzischen Post« . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.2.3 Die Jugendweihen in Freital . . . . . . . . . . . . . .

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2.4 Überleitung: Umkämpfte Gegenwart oder Heimat als Gegenwartsaufgabe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 227 3. Zugehörigkeit und Heimat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233 3.1 Die Scharnierfunktion sozialdemokratischer Akteure in der Popularisierung der Heimat-Idee im regionalen Raum . . . 3.1.1 Hans Loschky (Ludwigshafen) . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.2 Robert Söhnel und Karl Söhnel (Freital) . . . . . . . . . . . 3.1.3 Edgar Hahnewald (Dresden) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.4 Ein gemeinsamer ideeller Hintergrund . . . . . . . . . . . . 3.1.5 Sozialdemokratische Heimat-Akteure und Männlichkeit . . 3.2 Zugehörigkeitsbilder: Sozialistische Heimat zwischen Solidarität, Gemeinschaft und Volk . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.1 Heimat als Ausdruck sozialistischer Solidarität und sicherer Lebensverhältnisse . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.1.1 Die Arbeiterbewegung als ›Heimat der ehemals Heimatlosen‹ . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.1.2 Die Kritik exklusiver Heimat-Vorstellungen . . . . . 3.2.2 Heimat als klassenübergreifende Zugehörigkeit zur demokratisierten Nation und Region . . . . . . . . . . . 3.2.2.1 Die Republik als (politische) Heimat . . . . . . . . . 3.2.2.2 Die Zugehörigkeit zu Landschaft, Stadt oder Region als Heimat . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.3 Heimat als Ausdruck naturalisierter und exklusiver Vorstellungen von Zugehörigkeit . . . . . . 3.2.3.1 Die Existenz einer ›Heimatscholle‹ . . . . . . . . . . 3.2.3.2 Leo Löwenthals Hamsun-Interpretation . . . . . . . 3.2.3.3 Implizite Vorstellungen von Heimat und Gemeinschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.4 Exkurs: Heimat und Antisemitismus: Das Heimat-Verständnis jüdischer Sozialisten . . . . . . . .

237 237 242 243 245 246 249 251 251 258 261 261 262 265 265 266 269 273

3.3 Zugehörigkeitsbezüge sozialdemokratischer Heimat-Kulturpolitik in der Weimarer Republik . . . . . . . . . . 278 3.3.1 Wandern: Die Stiftung von Heimat und Zugehörigkeit durch gemeinsame Praxis . . . . . . . . 279 7

3.3.1.1 Heimat- und zugehörigkeitsstiftende Wanderpraxis in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft . . . . . 3.3.1.2 Heimat-Medien und Zugehörigkeit . . . . . . . . . . 3.3.2 Sozialistische, republikanische oder volksbezogene Heimat-Kulturpolitik in der Weimarer Republik . . . . . . . 3.3.2.1 Die Etablierung einer neue sozialistischen ›Volks- und Heimatkultur‹ in Theorie und Praxis: Das Leipziger ABI . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.2.2 Sozialdemokratisch-republikanische Regionalkultur in der Pfalz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

279 291 302 303 315

3.4 Überleitung: Uneindeutigkeiten, Schnittmengen und Abgrenzungsversuche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 324 Epilogkapitel: Konflikte um die ›wahre Heimat‹ und Vereindeutigungsbestrebungen in der Endphase der Weimarer Republik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 327 Fazit und Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 337 1. Sozialistische Heimat im Spannungsfeld von Herkunft und Zukunft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 338 2. Die Bedeutung sozialistischer Heimat-Konzepte für die Einschätzung gesellschaftsübergreifender Heimat-Konjunkturen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 342 Anhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 347 Danksagung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 347 Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 351 Abbildungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 351 Quellen- und Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 353 Archivbestände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 353 Historische Zeitungen und Zeitschriften (Jahrgänge) . . . . . . . . . . 355 Gedruckte Quellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 355 Sekundärliteratur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 364 Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 379

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Einleitung »Haben wir eine Heimat?«1 Diese Frage beantwortete der Autor des gleichnamigen Textes, ein Sozialdemokrat und Naturfreund, 1931 wie folgt: Leichtfertig und unüberlegt wird diese Frage in unseren Kreisen noch oft verneint. – Ich möchte sie aber freudig bejaht wissen: denn sowenig ich glaube, ›daß wir Verdammte sind‹, ebensowenig kann ich annehmen, daß wir einer Heimat nicht teilhaftig wären. Auch uns ist die Heimat gegeben. – Freilich ist es nicht die Heimat jener Patentpatrioten, die da Grenzen ziehen und Schranken aufrichten, und deren Begriff ›Heimat‹ sich gründet auf das Recht des Besitzes von altersher.2

›Heimat‹, so die zugrunde liegende Argumentation, sei kein rein bürgerlicher Begriff, sondern habe auch für Sozialdemokraten Bedeutung. Allerdings unterscheide sich ihr Heimat-Verständnis von dem etablierten bürgerlichen, das sich auf politische und ökonomische Exklusion gründe.3 Der Text »Haben wir eine Heimat?« war Teil einer vielstimmigen Auseinandersetzung, die in der überregionalen Zeitschrift »Der Wanderer« des sozialistischen »Touristenvereins ›Die Naturfreunde‹« (TVdN) geführt wurde. Deren Maiausgabe von 1931 widmete sich dem Heimat-Begriff und beleuchtete seine Bedeutung für die Arbeiterbewegung. In mehreren Debattenbeiträgen betrachteten Repräsentanten verschiedener TVdN-Gauverbände die skizzierte Frage, setzten dabei unterschiedliche Schwerpunkte und kamen zu mitunter gegensätzlichen Ergebnissen: Während ein Teil der Autoren auf ein spezifisch sozialistisches Heimat1 Reumuth, S. 83. Alle Hervorhebungen in Zitaten finden sich, wenn nicht anders vermerkt, so im Original. 2 Ebd. 3 An dieser Stelle sollen zwei Anmerkungen zur Diktion in dieser Arbeit gemacht werden. Die erste Anmerkung betrifft die Verwendungsweise des Heimat-Begriffs. Die einfachen Anführungszeichen zeigen an, dass es sich bei ›Heimat‹ sowohl um einen Quellenbegriff als auch um ein aus der geschichtswissenschaftlichen Retrospektive analysiertes historisches Konzept handelt. Um an dieses Spannungsfeld zu erinnern, wird Heimat zu Beginn jedes Kapitels in einfache Anführungszeichen gesetzt, ohne diese Schreibweise jedoch durchgängig zu verwenden. Um Quellensprache und analytische Sprache in der Arbeit deutlich voneinander zu unterscheiden, werden Quellenbegriffe wie Heimatgeschichte zusammengeschrieben, wohingegen der analytische Gebrauch durch eine Schreibweise mit Bindestrich, etwa in Heimat-Begriff, angezeigt wird. Die zweite Anmerkung betrifft die Frage des Genderns. Die Arbeiterbewegung war eine männlich dominierte Bewegung, weswegen eine fortwährende Verwendung beider Geschlechter oder eines Gendersterns bei unbestimmt bleibenden Kollektiva ihrer Zusammensetzung nicht entsprechen würde. Um auf die Beteiligung weiblicher Personen hinzuweisen, werden diese als Individuen klar benannt und auch bei unbestimmten Kollektivsubstantiven immer wieder beide Geschlechter genannt.

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Verständnis abzielte und dessen Beziehung zu einer zukünftigen sozialistischen Gesellschaft herausstrich, wich der andere Teil kaum von gängigen bürgerlichen Vorstellungen ab und verortete Heimat als Teil eines »nicht partikularistisch[en] […] Ganzen«4 in der Gegenwart. Trotz der divergierenden Positionen bezogen sich die Autoren nicht aufeinander, vielmehr standen ihre Texte unverbunden nebeneinander. Die zitierte Auseinandersetzung ist nur eines von zahlreichen Beispielen für einen sich Anfang der 1930er Jahre zuspitzenden gesellschaftlichen Klärungsbedarf, was Heimat ausmache und wer Teil von ihr sei. Sie verdeutlicht, dass sich die sozialistische Arbeiterbewegung an dieser Debatte beteiligte, und vermittelt einen ersten Eindruck von der Vieldeutigkeit sozialistischer Heimat-Konzepte im frühen 20. Jahrhundert, die im Zentrum dieser Arbeit stehen. Ein solcher Befund vermag vor dem Hintergrund bisheriger Forschungsergebnisse gleich in mehrfacher Hinsicht zu irritieren: Erstens bildete Heimat in der Weimarer Republik offenkundig einen positiven, wenn auch nicht unumstrittenen Bezugspunkt der Sozialdemokratie, was angesichts des zumeist konstatierten bürgerlich-konservativen und nationalistischen Charakters des Begriffs nicht zu erwarten gewesen wäre. Zweitens fällt auf, dass das Eingangszitat die idealisierte bürgerliche Heimat infrage stellte, der nationale und ökonomische Ausschlüsse zugrunde lägen. Drittens belegt die Debatte, dass Anfang der 1930er Jahre nicht-völkische Heimat-Vorstellungen in der deutschen Gesellschaft zirkulierten, was die bislang vertretene These einer zunehmenden Politisierung und damit einhergehenden völkischen Verengung des Heimat-Diskurses in der Weimarer Republik zwar nicht widerlegt, jedoch in ein neues Licht stellt. Auch innerhalb des sozialis­ tischen Lagers existierten Kontroversen um die gesellschaftliche Bedeutung von Heimat, die sich zwischen einem milieuspezifischen und einem klassischen Begriffsverständnis bewegten. Sozialistische Heimat-Bezüge sind in der geschichtswissenschaftlichen Darstellung des sich in der Weimarer Republik verändernden Heimat-Diskurses kaum zur Kenntnis genommen worden. Ziel dieser Arbeit ist es, die Genese sozialistischer Heimat-Konzepte, deren Geschichte bis in die Zeit des Deutschen Kaiserreichs zurückreicht, zu rekonstruieren und dabei genauer zu entfalten, welche neuen Erkenntnisse sich daraus für die geschichtswissenschaftliche Einschätzung der Sozialdemokratie einerseits, der gesellschaftsübergreifenden Heimat-Konjunkturen im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert andererseits gewinnen lassen.

4 Endres, S. 85.

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Sozialistische Heimat-Konzepte: Die Operationalisierung einer erweiterten geschichtswissenschaftlichen Perspektive Die Heimat-Konjunkturen im Kaiserreich und in der Weimarer Republik lassen sich mit einem Großteil der Forschung als Reaktionen auf historische Umbruchphasen verstehen, die die deutsche Gesellschaft als Ganzes herausforderten.5 Dabei ist es in gewisser Hinsicht erstaunlich, dass bislang kaum danach gefragt wurde, inwiefern die Arbeiterbewegung ihre spezifische, durch stetige Mobilität gekennzeichnete Modernisierungserfahrung ebenfalls mittels des Heimat-­ Begriffs verhandelte.6 Denn die Auflösung vormals vertrauter, teilweise vormoderner Nahverhältnisse durch eine sich stetig verändernde Lebenswelt der Moderne7 berührte nicht nur das bürgerliche Milieu, sondern betraf die entstehende Arbeiterschaft auf besonders drastische Weise. Der sozialistische Heimat-Diskurs verweist folglich auf eine auch in der Sozialdemokratie verbreitete Auseinandersetzung mit der sich transformierenden modernen Nahwelt, die sich nicht auf eine Bejahung der Moderne beschränkte. Vor diesem Hintergrund ermöglicht eine Analyse sozialistischer Heimat-­ Bezüge erstens einen neuen und aufschlussreichen Zugang zu Fragen verbreiteter Krisenwahrnehmungen und Gesellschaftsdeutungen, politischer und kultureller Praxis in der Sozialdemokratie abseits der zentralen theoretischen Debatten und etablierten politischen Organisationsformen. Inwiefern das sozialistische wie das bürgerliche Heimat-Verständnis zu einer Idealisierung der verloren geglaubten Vergangenheit tendierte und in welchen Punkten sich sozialistische von bürgerlichen Zeitdiagnosen unterschieden, ist damit jedoch noch nicht gesagt.8 So lassen sich auf sozialistischer Seite alternative, in Kritik an der bürgerlichen Seite gewonnene Verständnisweisen des Heimat-Begriffs nachweisen, deren Analyse es erlaubt, die Spezifik des sozialistischen Verhältnisses zu Heimat herauszuarbeiten. 5 Dies wird in allen Auseinandersetzungen jüngeren Datums betont. Vgl. exemplarisch Costadura u. Ries, S. 9–17; Jäger, Heimat, S. 4; Gebhard u. a., bes. S. 11–13. 6 Vgl. zur Mobilitätserfahrung der entstehenden Arbeiterschaft mit Fokus auf das Heimatrecht Althammer, Von Pfahlbürgern und Zugvögeln. In der Forschung wurde stets die Bedeutung von Mobilität für die gesellschaftliche Auseinandersetzung mit Heimat betont, wobei nicht allein die Einwanderung, sondern auch die Auswanderung von entscheidender Bedeutung war. Vgl. ­ lthammer diesbezüglich exemplarisch Korfkamp, bes. S. 34–37; Friedreich, bes. S. 88–91; jüngst A u. Oesterhelt, bes. S. 225–228. 7 Moderne und Vormoderne werden in dieser Arbeit nicht als wertende Begriffe verstanden und auch nicht als starre Gegensätze begriffen, sondern aufgrund ihrer besonderen Bedeutung für die Geschichte von Heimat analytisch unterschieden. 8 An dieser Stelle sei darauf hingewiesen, dass der bürgerliche Heimat-Diskurs kein monoli­ thischer Block war, sondern von liberalen, konservativ-nationalistischen bis hin zu völkischen Verständnisweisen reichte. Da es an dieser Stelle um den sozialistischen Heimat-Diskurs geht, wird aus heuristischen Gründen ein idealtypisches bürgerliches Heimat-Verständnis angenommen. Zudem stehen weitere Studien zur inneren Fragmentierung des bürgerlichen Heimat-­Diskurses sowie zur divergierenden politischen Ausrichtung der Heimatbewegung in unterschiedlichen regionalen Kontexten für manche Regionen noch aus. Regional vergleichend angelegt ist mit Blick auf die Weimarer Republik Oberkrome.

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Die Berücksichtigung sozialistischer Heimat-Konzepte verändert zweitens die geschichtswissenschaftliche Einschätzung des gesamtgesellschaftlich geführten Heimat-Diskurses im Untersuchungszeitraum. Indem herausgearbeitet wird, an welchen Orten, zu welchen Zeiten und in welchen Gruppierungen sich auch die Sozialdemokratie mit Heimat auseinandersetzte, in welchen Fällen der Begriff milieuübergreifend diskutiert wurde oder zum Austragungsort gesellschaftlicher Konflikte avancierte, kann nicht nur eine stärkere gesellschaftliche Ambivalenz und Verbreitung des Begriffs jenseits der bislang fokussierten bürgerlichen Heimatbewegung nachgewiesen werden. Mit Fokus auf umstritten bleibende oder politisch lancierte alternative Heimat-Konzepte lässt sich überdies eine stärkere Sensibilität für die jeweilige Spezifik bürgerlicher und sozialistischer Heimat-Vorstellungen erzielen, um so zu einer differenzierteren Einschätzung der gesamtgesellschaftlichen Bedeutung von Heimat in der deutschen Gesellschaft des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts zu gelangen.9 Angesichts dieses doppelten Erkenntnisinteresses sind folgende Fragen für die nachfolgende Analyse zentral: Welche Spezifik zeichnete sozialistische HeimatKonzepte aus und inwiefern existierten Schnittmengen zu anderen politischen Bewegungen oder Milieus? Was kann ihre Analyse über die Rezeption und Bewältigung der als krisenhaft und kontingent erfahrenen Moderne durch die Arbeiterbewegung aussagen? Welche neuen Erkenntnisse lassen sich auf dieser Grundlage über den gesamtgesellschaftlichen Umgang mit der sich durch Industrialisierungs-, Urbanisierungs- und Demokratisierungsprozesse verändernden modernen Gesellschaft gewinnen? Gab es im Untersuchungszeitraum zwischen den in Teilen nur idealtypisch zu trennenden bürgerlichen und sozialdemokra­ tischen Gruppierungen Phasen zunehmenden Konflikts einerseits, Phasen zunehmender Kooperation andererseits? Die Untersuchung beginnt im Kaiserreich, legt ihren Fokus jedoch auf die Weimarer Republik, die sich schon den Zeitgenossen als Phase besonderer Offenheit, Gestaltbarkeit und verschiedener gesellschaftlicher »Möglichkeitshorizonte«10 darstellte. Auch in der geschichtswissenschaftlichen Forschung hat sich etabliert, die Republik nicht nur von ihrem Ende her zu denken, was eine wichtige Per­ spektiverweiterung darstellt, wenngleich das faktische Ende im Nationalsozialismus dadurch mitunter zu stark in den Hintergrund rückt.11 Für den spezifischen Untersuchungsgegenstand dieser Arbeit ist die Weimarer Republik aus drei weiteren Gründen besonders interessant. In dieser Phase veränderte sich erstens der 9 Hierin offenbart sich ein geschichtswissenschaftliches Erkenntnispotenzial der mitunter bereits totgesagten Arbeiterbewegungsgeschichte, das auch für andere Forschungsgegenstände fruchtbar gemacht werden kann. Zu denken ist hier bspw. an die Demokratiegeschichte. Vgl. zu diesem grundsätzlichen Argument Bonnell, bes. S. 1–2. 10 Vgl. zum Konzept der »Möglichkeitshoizonte« Bernhardt u. a. 11 Vgl. zur Perspektiverweiterung Rossol u. Ziemann, bes. S. 9–27; zur Offenheit vergangener Zukunft Hölscher, Die Entdeckung; ders., Zukunft des 20. Jahrhunderts; mit Blick auf das sozialistische Zukunftsverständnis ders., Weltgericht oder Revolution; mit Fokus auf das Kaiserreich und die Weimarer Republik Eley u. a, bes. S. 3–6.; Williams, Foreword.

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sozialistische Heimat-Diskurs in wesentlichen Punkten. Nach dem Ersten Weltkrieg kam es zweitens zu einem gesamtgesellschaftlichen Bedeutungszuwachs des Heimat-Begriffs und einer Aufwertung des Regionalen. Trotz dieser wichtigen Veränderungen wurde die Weimarer Republik drittens in der Forschung zu Heimat vergleichsweise wenig untersucht. Die milieuübergreifende Heimat-Konjunktur in der Weimarer Republik ist ohne den Ersten Weltkrieg nicht vorstellbar, war jedoch ebenfalls Resultat der politisch veränderten Situation infolge der Novemberrevolution.12 Da die Sozialdemokratie vor diesem Hintergrund verstärkt auf den Begriff rekurrierte, avancierte Heimat zu einem gesamtgesellschaftlich geteilten, zugleich aber politisch umstrittenen Bezugspunkt. Zwar reagierte die 1918/19 einsetzende sozialdemokratische Heimat-Emphase ebenfalls auf die prekären Nachkriegsverhältnisse, nahm in der Auseinandersetzung um die neu entstehende Form der Vergesellschaftung indessen eine spezifische Funktion ein. Im Zuge der Novemberrevolution, die sich aus sozialdemokratischer Sicht nicht nur als unsichere, sondern in erster Linie als offene, zu gestaltende Situation darstellte, nutzten die Mehrheitssozialdemokratie (MSPD)13 und die Unabhängige Sozialdemokratische Partei Deutschlands (USPD) Heimat auf unterschiedliche Weise als gesellschaftliche Integrationsvokabel. Dabei fungierte der Begriff gewissermaßen als Leerstelle für den angestrebten zukünftigen Gesellschaftszustand, den es in einer gemeinsamen Kraftanstrengung zu erreichen gelte.14 Eine solche Begriffsverwendung implizierte überdies eine Veränderung des sozialistischen Heimat-Diskurses. Während die Arbeiterbewegung den Begriff im Kaiserreich oftmals als Metapher für eine utopisch aufgeladene Gegenwelt verwendet hatte, verortete sie Heimat nach der Demokratisierung des Staates zunehmend in der Gegenwart. Dieser Prozess lässt sich durch die veränderte gesellschaftliche Position der SPD erklären, die mit der Formel ›vom Staatsfeind zur Regierungspartei‹ grob umschrieben ist.15 Infolgedessen konkretisierte sich ihr vormals utopisches Heimat-Verständnis räumlich und knüpfte sich an die erkämpfte Republik. Dadurch avancierte Heimat zu einer Gegenwartsaufgabe, was mit der Etablierung einer veränderten Praxis einherging. Anfang der 1920er Jahre begann die SPD in lokalen und regionalen Räumen eine sozialdemokra­tische Heimat-Kulturpolitik zu entwickeln, um die Regionalkultur in ihrem Sinne zu beeinflussen. Das sozialdemokratische Vorgehen stand im Kontext der milieu12 Vgl. zur Virulenz des Heimat-Begriffs in der Weimarer Republik Steber, bes. S. 276–287; zur Bedeutung des Ersten Weltkriegs Pyta, S. 180–181. 13 Bei der Abkürzung MSPD handelt es sich um keine offizielle Parteibezeichnung. Nach der Parteispaltung infolge des Ersten Weltkriegs wurde die SPD von ihren linken Kritikern teilweise als Partei der »Mehrheitssozialisten« bezeichnet. Aus Gründen der besseren Unterscheidbarkeit wird die SPD zwischen 1917 und 1922 in dieser Arbeit MSPD genannt. Wahlergebnisse aus dieser Phase und deren Kontext werden unter Nennung der offiziellen Parteibezeichnung SPD angegeben. 14 Vgl. zu diesem Argument das Prologkapitel. 15 Vgl. bspw. Schmidt, Arbeiter in der Moderne, S. 24–27; Vogt, S. 176–180.

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übergreifenden Aufwertung des Regionalen,16 verfolgte jedoch andere politische Ziele als das bürgerlich-nationalistische Milieu, das den Rekurs auf die Region häufig als Umweg zur weiteren Profilierung des Nationalen nutzte.17 Für Teile der Arbeiterbewegung dürfte das Regionale und Kommunale nach dem Scheitern der Internationale hingegen eine Art Fluchtpunkt jenseits der Nation gebildet haben. Zumindest aber vertrat die Sozialdemokratie ein demokratisches Verständnis von Region und Nation und versuchte, ihre sozialpolitischen Versprechen auf kommunalpolitischem Weg zu verwirklichen.18 Da die beschriebenen Veränderungen trotz der inhaltlichen Differenzen mit einer Annäherung zwischen sozialistischen und bürgerlichen Heimat-Konzepten einhergingen, konkurrierten verschiedene politische Milieus nunmehr um die Gestaltung derselben Heimat-Räume. Ziel der nachfolgenden Analyse ist es, diese Schnittmengen und Abgrenzungen in ihren Wechselwirkungen zu untersuchen. Die Arbeit verfolgt eine doppelte Operationalisierung ihrer Erkenntnisinteressen, die sich aus der spezifischen Bedeutung und Ausprägung von Heimat in der Sozialdemokratie ergibt: Zum einen befasst sie sich mit den spezifischen Semantiken und Bildern, die im reichs- bzw. republikweit geführten sozialistischen Diskurs mit Heimat verbunden waren, etwa die metaphorische Verwendung des Begriffs für einen auf Solidarität basierenden Zusammenschluss Gleichgesinnter, eine sozialistische Gegenwelt. Neben der überregional angelegten Analyse der diskursiven Heimat-Bezüge wird zum anderen ein Fokus auf die Ebene der Region gelegt, da sich in der Weimarer Republik auch innerhalb der SPD eine zunehmende Verknüpfung von Heimat, Region und Nation feststellen lässt, die zur Herausbildung der sozialdemokra­tischen Heimat-Kulturpolitik beitrug. Zugleich schließt dieses Vorgehen gewinnbringend an den regionalen Zugriff der meisten geschichtswissenschaftlichen Forschungsarbeiten zur Heimatbewegung an.19 Darüber hinaus ermöglicht es insbesondere die regionale Schwerpunktsetzung, die mit dem Heimat-Begriff verbundene Praxis zu rekonstruieren. Weitere Gründe sprechen dafür, die Analyse nicht auf Heimat-Semantiken zu beschränken, sondern Heimat-Praktiken miteinzubeziehen. Zum einen war die Sozialdemokratie eine Bewegung, die sich wesentlich über die praktische Verwirklichung ihrer politischen Ziele definierte, weswegen davon auszugehen ist, 16 Vgl. exemplarisch Steber, zusammenfassend S. 314–320. 17 Vgl. Weichlein, S. 239–242. 18 Die sozialdemokratische Beteiligung an Regionalkultur und Kommunalpolitik bedeutete eine Veränderung ihrer bisherigen politischen Positionen. Im Kaiserreich, insbesondere bis zur Jahrhundertwende, war die sozialdemokratische Beteiligung an Kommunalwahlen politisch nicht unumstritten und aufgrund des mitunter exklusiven Kommunalwahlrechts auf bestimmte Länder beschränkt. Beides änderte sich in der Weimarer Republik. Die sozialdemokratische Kommunalpolitik gehört nicht zu den besterforschten Bereichen der Arbeiterbewegungsgeschichte. Vgl. zur sozialdemokratischen und kommunistischen Kommunalpolitik in der Weimarer Republik Fülberth. 19 Vgl. exemplarisch Applegate; Confino, Nation as a Local Metaphor; Steber; Oberkrome; Ditt, Heimatbewegung; Schaarschmidt.

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dass dies ebenfalls für ihr Heimat-Verständnis galt. Zum anderen war Heimat auch innerhalb des bürgerlichen Milieus mit zahlreichen Praktiken verbunden. Wie Edoardo Costadura und Klaus Ries betont haben, eignete der Heimatbewegung »als politisch-soziale[r] Bewegung«20 eine praktische Dimension, die bislang allerdings noch nicht ausreichend untersucht wurde.21 Von besonderem Interesse ist dabei, dass sich die mit der Arbeiterbewegung assoziierte Praxis des revolutionären Bruchs und die mit der Heimatbewegung assoziierte Praxis des Bewahrens auf den ersten Blick als Gegensätze darstellen. Vor diesem Hintergrund kommt der verschränkten Analyse sozialistischer Heimat-Semantiken und Heimat-Praktiken eine mehrfache Korrektivfunktion zu. Auf diese Weise kann eruiert werden, ob sich der sozialistische Heimat-Diskurs in eine spezifische Form der HeimatPraxis übersetzte, ob die Sozialdemokratie aber trotz divergierender Semantiken und theoretischer Einordnungen zugleich Praktiken der Heimatbewegung übernahm, ohne diesen Vorgang umfassend zu reflektieren. Da zu dem infrage stehenden Thema kaum nennenswerte Vorarbeiten existieren, ist hinsichtlich der regionalen Ebene ein exemplarisches Vorgehen notwendig. Daher untersucht die Arbeit vorrangig zwei Regionen und nimmt beispielhaft lokale Tiefenbohrungen vor. Zudem bezieht sie zu Vergleichszwecken Beispiele aus anderen Regionen ein. Mit David Blackbourn und James Retallack legt die Studie ein weites Verständnis von Region zugrunde, um verschiedene Typen von Regionen in die Analyse einbeziehen zu können.22 Blackbourn und Retallack fassen unter den Begriff sowohl »broad zones within Germany«23 als auch »individual federal states«24 und »regions that took their identity from some combination of geography, topography, history, religion, dialect, and economics.«25 Auch Martina Steber betont, dass sich die Uneindeutigkeit des Begriffs der Region für eine Analyse der »sowohl bewusst als auch unbewusst vor sich gehen[den]«26 historischen Thematisierungen und Konstruktionen des Regionalen gerade als fruchtbar erweist.27 Ein Großteil der analysierten regionalen Beispielfälle stammt aus der Pfalz mit einem Fokus auf den Raum Ludwigshafen und Sachsen mit einem Fokus auf den Großraum Dresden, insbesondere Freital. Mehrere Gründe sprechen für eine solche Auswahl. Es war zum einen von zentraler Bedeutung, möglichst 20 Costadura u. Ries, S. 10. 21 Vgl. dazu den von der Autorin gemeinsam mit Antje Reppe, Johannes Schütz und Henrik Schwanitz veranstalteten Workshop »Heimat-Praktiken. Aneignungsformen und alltägliche Konstruktionen von Heimat in historischer Perspektive«, der vom 19.–20.05.2022 in Dresden stattfand. Die Publikation der Ergebnisse als Beiheft der HZ ist in Vorbereitung. 22 Vgl. zu diesem Regionenverständnis Retallack, S. 13; Blackbourn u. Retallack, Localism, Landscape, and the Ambiguities of Place, S. 9–13. 23 Ebd., S. 9. 24 Ebd. 25 Ebd., S. 13. 26 Steber, S. 17. 27 Vgl. ebd., S. 16–18.

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unterschiedliche Regionen auszuwählen, um trotz des beispielhaften Vorgehens Aussagen über typische und wiederkehrende Momente sozialistischer HeimatKonzepte treffen zu können. Während die Pfalz zum Freistaat Bayern gehörte, fiel die Regionalidentität in Sachsen mit der Landesidentität zusammen. Weiterhin wurde die Auswahl vor dem Hintergrund des Stadt-Land-Verhältnisses, der ungleichen Industrialisierung und damit verbundenen Arbeitsformen, verschieden ausgeprägter Aus- und Einwanderungsbewegungen, der andersgearteten Stärke und Ausrichtung der SPD, des unterschiedlichen Verhältnisses von Arbeiterbewegung und Bürgertum, divergierender politischer Wahl- und Beteiligungsmöglichkeiten der Arbeiterschaft im Kaiserreich und der Ausrichtung der regionalen Heimatbewegung getroffen. Angesichts der anfänglichen Unklarheit, in welchen Kontexten und Gruppierungen Heimat in der Arbeiterbewegung überhaupt von Relevanz war, spielte es zum anderen eine wichtige Rolle, dass die beiden Regionen eine wesentliche Gemeinsamkeit teilten: Erste Indizien, dass in der regionalen Sozialdemokratie eine diskursive und praktische Auseinandersetzung mit Heimat stattgefunden hatte.28 Hierin bestand gewissermaßen das Tertium Comparationis der beiden regionalen Fallstudien. Wie lassen sich die beiden Regionen vor diesem Hintergrund kurz charakterisieren und der Fokus auf die beiden Lokalräume Ludwigshafen und Freital begründen? Bei der Pfalz, die in der Weimarer Republik Teil des Freistaats Bayern war, handelte es sich um eine Region, die ihre Regionalidentität insbesondere über eine geteilte Geschichte legitimierte. In der Weimarer Republik konnte sie bereits auf mehrfache Zugehörigkeitswechsel zurückblicken. Ab 1792 hatte sie unter französischer Herrschaft gestanden, unter der die politischen Grenzen der Region geschaffen und eine vergleichsweise liberale Rechtsordnung eingesetzt wurden. Auf die liberale Tradition bezog sich die Bevölkerung nicht ohne Stolz und war auch daran festzuhalten bestrebt, als die Pfalz 1816 an das bayerische Königreich der Wittelsbacher angegliedert wurde. Beide Entwicklungen hatten eine gesellschaftsübergreifende Befassung mit Fragen regionaler Zugehörigkeit zur Folge, die auch durch die Anfang des 18. Jahrhunderts einsetzenden Auswanderungswellen befördert wurde. Diese Auswanderungserfahrung führte sowohl in den Exilgemeinden im Ausland als auch in der pfälzischen Herkunftsgesellschaft zu einer gesteigerten Auseinandersetzung mit Fragen von Heimat und regionaler Identität. In der Weimarer Republik verschärfte sich die Frage der Zugehörigkeit zum Deutschen Reich aus mehreren Gründen: 1. Der französischen Besatzung, unter der die Pfalz bis 1930 stand, 2. Politisch unterschiedlich gelagerter separatistischer Bewegungen, die 1923 zur kurzzeitigen Gründung der »Autonomen Pfalz« führten, 3. Der politisch wechselhaften Entwicklungen in Bayern.29

28 Diese Indizien finden sich zur Pfalz bei Applegate, bes. S. 156–157, 160, 166–167, 169; zu Sachsen bei Steinberg, »Karl Herschowitz kehrt heim«, bes. S. 52–85. 29 Die Darstellung orientiert sich an Applegate, bes. S. 15–18. Detaillierte Literaturangaben zur Pfalz und zu Sachsen finden sich in Kapitel 1.1.

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Als Region war die Pfalz weitgehend ländlich geprägt, verfügte jedoch zugleich über einige wichtige Industriestädte, zu denen Ludwigshafen gehörte, wo seit 1865 mit der Badischen Anilin- und Sodafabrik (BASF) einer der wichtigsten Chemiekonzerne ansässig war. Diese regionale Diversität korrelierte mit konfessionellen und politischen Spaltungen: Die ländlichen Gebiete waren zumeist katholischkonservativ geprägt, während die SPD in den Städten größeres Gewicht besaß. Ludwigshafen gehörte neben Kaiserslautern zu den Hauptorganisationsorten des SPD-Bezirks, der in der nationalen Bewegung einen Randbezirk darstellte. Bereits 1889 konnte Franz Josef Ehrhart, der ›Gründungsvater‹ des Bezirks, als erster sozialdemokratischer Vertreter in den Ludwigshafener Gemeinderat einziehen. Der frühe Einfluss auf die Kommunalpolitik verdankte sich einem vergleichsweise fortschrittlichen Wahlrecht, das sich wie das in Teilen liberale Bürgertum auf die vonseiten Frankreichs eingeführte Rechtsordnung zurückführen lässt. Zugleich verfolgte die SPD aufgrund ihrer reformorientierten Ausrichtung eine Politik, die oftmals auf Maximalforderungen verzichtete. Diese Traditionslinien parteiübergreifender Kooperation setzten sich in der Weimarer Republik fort und schlugen sich u. a. in einer teilweise republikanisch ausgerichteten Heimatbewegung nieder. Die Landespolitik konnte die SPD hingegen vergleichsweise wenig beeinflussen, da sie nur bis 1920 an der bayerischen Regierung beteiligt war.30 In Sachsen stellte sich die Situation in vielerlei Hinsicht anders dar. Bei der Region handelte es sich um einen Einzelstaat im Verbund des Deutschen Reichs, der nach dem Ersten Weltkrieg weder besetzt noch territorial infrage gestellt war. Auch stand die Zugehörigkeit zum Deutschen Reich nicht zur Disposition. Wenngleich Sachsen ebenfalls eine Grenzregion darstellte, lagen die Gebietsverluste des Königreichs Sachsen infolge des Wiener Kongresses 1815 über 100 Jahre zurück. Sachsen war eine Kernregion der frühen Industrialisierung, was eine oftmals radikale Veränderung der Landschaft zur Folge hatte, wenngleich ländlich geprägte Gebiete fortexistierten. Zudem führte die frühe Industrialisierung zu hohen Mobilitätsprozessen. Anders als in der Pfalz handelte es sich jedoch nicht primär um Auswanderungsprozesse. Vielmehr kamen Personen aus anderen Gebieten auf der Suche nach Arbeit in die Region, wichtig war weiterhin die Binnenmigration. Infolge dieser Entwicklungen bildete sich in Sachsen eine starke bürger­ liche Reformbewegung heraus, deren Zentrum in Dresden lag. Dazu gehörten der »Dürerbund«, der 1904 gegründete »Bund Heimatschutz«, der als Dachorganisation der verschiedenen regionalen Heimatbewegungen fungierte und 1914 in »Deutscher Bund Heimatschutz« (DBH) umbenannt wurde, sowie ab 1908 der regionale »Landesverein Sächsischer Heimatschutz« (LVSH).31

30 Die Darstellung orientiert sich an Kraft, einleitend S. 14–17. Vgl. zu Ludwigshafen Breunig; zur Heimatbewegung Applegate, bspw. S. 165–170. 31 Die Darstellung orientiert sich an Müller u. Steber, S. 647–655. Vgl. zur Region Sachsen und der regionalen Sozialdemokratie grundlegend Retallack; zur Reaktion der lokalen Heimatbewegung auf den rasanten Wandel Steinberg, Heimatschutz in der Region.

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Mit der Industrialisierung ging die frühe Entstehung einer starken Industriearbeiterschaft und Arbeiterbewegung einher. Auch im Weiteren blieb Sachsen ein Stammland der SPD, das in der Bewegung überregionale Ausstrahlungskraft besaß. Trotz – oder gerade wegen – der starken Arbeiterschaft existierten für die SPD im Kaiserreich jedoch aufgrund eines der restriktivsten Wahlsysteme sowohl auf Landes- als auch auf Gemeindeebene nur wenig Wahl- und Mitgestaltungsmöglichkeiten. Nicht zuletzt aufgrund des Fehlens einer ausschlaggebenden katholischen Bevölkerungsgruppe und damit einer relevanten Zentrumspartei zeichnete sich die sächsische Gesellschaft durch eine besonders ausgeprägte gesellschaftliche Spaltung aus. Das bürgerlich-protestantische und das proletarischsozialistische Milieu blieben auch in der Weimarer Republik stärker voneinander geschieden als in anderen Regionen. Dazu trug neben der politischen Ausrichtung des bürgerlich-protestantischen Lagers bei, dass Sachsen, insbesondere Leipzig, Kernregion der USPD war und auch darüber hinaus eine starke Linke existierte. Aufgrund der guten Wahlergebnisse konnte die Sozialdemokratie die Landespolitik stark beeinflussen und insbesondere bis 1923 – teilweise unterstützt von der KPD – eigene Vorhaben umsetzen.32 Erst die Absetzung der gewählten Regierung Erich Zeigners durch die Reichsexekution gegen Sachsen 1923 beendete das »linksrepublikanische Projekt«.33 Doch auch in der Folge blieb die SPD bis 1929 durchgehend an der Landesregierung beteiligt. Auf kommunalpolitischem Gebiet besaß sie in Städten wie Dresden hingegen weiterhin wenig Einfluss. Die sozialdemokratische Musterstadt Freital, die 1921 gegründet wurde und zum SPD GroßBezirk Dresden gehörte, stellte diesbezüglich eine wichtige Ausnahme dar.34 Trotz der genannten Unterschiede zwischen den Regionen und schwerpunktmäßig betrachteten Städten existierte zwischen Ludwigshafen und Freital eine wichtige Gemeinsamkeit: In beiden Städten beteiligte sich die SPD in der Weimarer Republik intensiv an der Kommunalpolitik, konnte sie im Falle Freitals gar maßgeblich prägen. Es ging ihr darum, die Belange der Gemeinde auf kon­ struktive Weise mitzugestalten, was in der weiterhin bürgerlich dominierten Kommunalpolitik Ludwigshafens freilich etwas anderes bedeutete als in der sozialdemokratischen Musterstadt Freital. Für beide Städte lagen zu Beginn der Analyse zugleich Hinweise auf eine sozialdemokratische Beteiligung an Formen heimatbezogener Regionalkultur wie lokalen Heimatbeilagen und Heimatmuseen vor. Vor diesem Hintergrund lässt sich in Ludwigshafen und Freital wie unter einem Brennglas beobachten, auf welche Weise sich die SPD an heimatkulturellen Initiativen beteiligte, wenn sie die Möglichkeit dazu besaß. Gleichzeitig ist davon auszugehen, dass sich die sozialdemokratische Heimat-Kulturpolitik nicht auf Orte wie Ludwigshafen und Freital beschränkte. Dafür sprechen die in dieser

32 Die Darstellung orientiert sich an Rudolph; Steinberg, Gespaltenes Sachsen?, S. 11–17; Schmeitzner, Revolution und Republik. 33 Vgl. Rudolph, S. 270. 34 Vgl. Walter, Freital.

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Arbeit ebenfalls herangezogenen Beispiele aus Dresden und anderen Regionen. Nichtsdestotrotz ergibt sich vor diesem Hintergrund für zukünftige Studien die Frage, inwiefern eine sozialdemokratische Heimat-Kulturpolitik auch in deutlich anders gelagerten Städten – etwa Großstädten oder Regionen mit besonders nationalistischer Heimatbewegung – existierte und welche Bedingungen erfüllt sein mussten, damit die SPD auf diesem Feld aktiv wurde. Thomas Welskopp hat bezüglich des Vergleichs festgehalten, dass die »Analyse eines Phänomens in mehreren Kontexten […] falsche oder voreilige Gewißheiten auf[bricht] und […] zu Fragen [drängt], die sich in der Konzentration auf den Einzelfall oft gar nicht stellen.«35 Er hat der geschichtswissenschaftlichen Praxis des Vergleichens eine dreifache Funktion zugemessen: Sie könne »1. als Korrektiv bei der Identifizierung eines Phänomens in seinem Kontext« dienen, »2. als Korrektiv der typisierenden Modellbildung« fungieren und 3. die »parallelen Beschreibungen der Einzelentwicklungen […] durch wechselseitige Kommunikation zwischen den Vergleichsgegenständen einer ständigen Prüfung im Detail« aussetzen.36 Auch wenn diese Studie keinen systematischen regionalgeschichtlichen Vergleich im engeren Sinne anstrebt, folgt sie Welskopp in der zentralen Annahme, dass die aufeinander bezogene Analyse des Phänomens Heimat in unterschiedlichen lokalen und regionalen Konstellationen wesentlich dazu beiträgt, Ergebnisse zu erarbeiten, die über den Einzelfall hinausweisen und »voreilige Gewißheiten« infrage stellen; bzw. im Falle eines bislang kaum analysierten Phänomens, wie es sozialistische Heimat-Konzepte sind, gar nicht erst entstehen lassen. Durch die parallele Analyse mehrerer Regionen möchte die vorliegende Arbeit zu einer Typisierung sozialistischer Heimat-Konzepte beitragen, ohne damit gleichwohl behaupten zu wollen eine solche umfassend erarbeiten zu können. Schon mit Blick auf die bürgerliche Heimatbewegung haben verschiedene Regionalstudien gezeigt, wenn auch nicht immer umfassend reflektiert, welche Bedeutung der Unterschiedlichkeit von Regionen für die je spezifische Ausrichtung der Heimatbewegung vor Ort zukam; mithin die umfassende Generalisierbarkeit der erzielten Ergebnisse über einige wichtige Kernpunkte hinaus infrage gestellt. Dies gilt fraglos auch für sozialistische Heimat-Konzepte. Ziel ist es daher, einige zentrale Kernpunkte und typische Verwendungsweisen herauszuarbeiten, die in den untersuchten Konstellationen wiederzufinden sind, weswegen davon auszugehen ist, dass sie auch für andere lokale und regionale Kontexte von Bedeutung sind. Für deren Ausdifferenzierung und Ergänzung sind zukünftig weitere Studien zur Sozialdemokratie in anderen Regionen notwendig. An dieser Stelle gilt es zudem zu betonen, dass mit dem Vorgehen nicht gesagt sein soll, Heimat sei in der Arbeiterbewegung grundsätzlich positiv besetzt gewesen. Wie sich zeigen wird, handelte es sich um einen umstrittenen Begriff, dem Teile der Arbeiterbewegung die eigene ›Heimatlosigkeit‹ entgegensetzten, die sie sowohl kritisierten

35 Welskopp, Stolpersteine, S. 361. 36 Ebd., S. 363.

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als auch affirmativ umdeuteten und zur Bedingung der Revolution erklärten.37 Stattdessen geht es darum zu zeigen, dass Heimat im sozialistischen Diskurs und in der Praxis der Arbeiterbewegung eine deutlich größere Rolle spielte als bislang angenommen, und die Kenntnis dieser verdeckten Geschichte wesentlich zum Verständnis der Geschichte von Heimat im Untersuchungszeitraum beiträgt. Welche Gruppierungen der Arbeiterbewegung setzten sich mit Heimat auseinander? Hier offenbarte sich ein überraschend breites Bild, weswegen bislang sowohl von sozialistischer Arbeiterbewegung als auch von Sozialdemokratie gesprochen wurde. Die mit den beiden Begriffen bezeichneten Gruppierungen wiesen zentrale Schnittmengen auf und waren gleichzeitig nicht deckungsgleich. Vielmehr ist zwischen den politischen Parteien, den gewerkschaftlichen Organisationen und der in der Weimarer Republik besondere Bedeutung gewinnenden Arbeiterkulturbewegung zu unterscheiden.38 Da sowohl regionale SPD-Bezirke und sozial­demokratische Kommunalpolitiker als auch die lokale und regionale Arbeiterkulturbewegung, insbesondere die Arbeiterbildungsbewegung, u. a. Kulturtheoretiker und SPD-Bezirksbildungsausschüsse, für den sozialistischen Heimat-Diskurs eine zentrale Rolle spielten, werden die Gruppierungen in ihrer Wechselwirkung zueinander analysiert. Ein genuines Analogon zur bürgerlichen Heimatbewegung hat die Arbeiterbewegung nicht hervorgebracht, der sozialistische TVdN entsprach einem solchen am ehesten. Er erhob nicht nur den »Heimatschutz und Naturschutz« 1910 zum Vereinszweck, sondern nahm im sozialistischen Heimat-Diskurs eine besonders zentrale Rolle ein.39 Neben dieser institutionellen existierte auch eine personelle Bündelung der Auseinandersetzung mit Heimat: Eine kleine Gruppe männlicher, um 1880 geborener Sozialdemokraten war für die sozialdemokratische Heimat-Kulturpolitik im regionalen Raum besonders wichtig und kooperierte teilweise mit der Heimatbewegung. Bei ihnen handelte es sich oftmals um Sozialdemokraten, die sich von Berufs wegen, etwa als reformpädagogische Lehrer oder Dekorationsmaler, mit Heimat auseinandersetzten. Die terminologische Differenzierung zwischen Arbeiterbewegung und Sozialdemokratie nimmt weiterhin die im Zuge des Ersten Weltkriegs erfolgte Spaltung 37 Die Studie versteht sich demnach auch als Beitrag zur Geschichte der ›Heimatlosigkeit‹, die ebenso wie eine Geschichte der ›Heimatkritik‹ für den Untersuchungszeitraum zukünftig weiter zu vertiefen wäre. 38 Vgl. zu einem aktuellen Forschungsüberblick zu den unterschiedlichen Bereichen der Labour History Hake, S. 339–347. 39 Die Naturfreundebewegung wurde 1895 vonseiten des sozialistischen Lehrers Georg ­Schmiedel, des Schmieds Alois Rohrauer und des damaligen Jurastudenten und späteren österreichischen Staatskanzlers Karl Renner ins Leben gerufen. Nach ihrer Gründung breitete sie sich in andere europäische (und amerikanische)  Länder aus, insbesondere auch ins Deutsche Reich. Wie auch andernorts erreichte sie hier ihren Höhepunkt erst in den 1920er Jahre, organisierte 1923 116.000 Mitglieder und avancierte nach der Arbeitersport- und der Arbeiterradfahrerbewegung zur drittgrößten Arbeiterkulturbewegungsorganisation. An der Naturfreunde­ bewegung waren darüber hinaus vergleichsweise viele Frauen beteiligt. Vgl. zuletzt Williams, Turning to nature in Germany, S. 67–99; ders., Friends of Nature.

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in MSPD und USPD und die Gründung der KPD auf.40 Der nachfolgende Analysefokus liegt dabei auf der Sozialdemokratie, insbesondere deren reformorientierten Teilen, die sich in der Heimat-Kulturpolitik engagierten. Das kommunistische Heimat-Verständnis wird hingegen nur punktuell vergleichend herangezogen.41 Dieser Fokus ist auf der einen Seite arbeitspragmatischen Gründen geschuldet, da zu dem hier infrage stehenden Forschungskomplex kaum Vorarbeiten existieren. Darüber hinaus sprechen jedoch wesentliche inhaltliche Gründe für die Entscheidung. Im Zentrum des Interesses steht das Verhältnis sozialistischer Heimat-Konzepte zu den bereits gut erforschten bürgerlichen Heimat-Konzepten. Ihre Beziehung zwischen Abgrenzung und Kritik, Kooperation und Annäherung reicht bis in das Kaiserreich zurück und besitzt in der Weimarer Republik demnach bereits eine jahrzehntelange Geschichte. Die erst zum Jahreswechsel 1918/19 gegründete KPD erfüllt diese Voraussetzung nicht. Ideengeschichtlich teilte sie zwar zentrale Bezugspunkte mit der sozialistischen Tradition, entwickelte jedoch gleichzeitig eigene Bezugsysteme, zu denen die Sowjetunion als ›Heimat der Werktätigen aller Länder‹ gehörte.42 Das in der Arbeit entwickelte Analyseinstrumentarium eignet sich jedoch, um kommunistische Heimat-Konzepte zukünftig weiter zu erforschen. Heimat und Sozialdemokratie: Eine Bestandsaufnahme Die Studie verortet sich an der Schnittstelle zwischen der Geschichte der Arbeiterbewegung, die derzeit als Labour History erneut Beachtung erfährt,43 der Geschichte von Heimat in der deutschen Gesellschaft, der Geschichte der politischen Kultur in der Weimarer Republik,44 insbesondere im regionalen Raum, und der Erforschung historischer Zeit- und Zukunftsbezüge. Während zu diesen Forschungsfeldern jeweils ein weitverzweigter und vielschichtiger Forschungsstand vorliegt, kann die Arbeit hinsichtlich ihres spezifischen Forschungsgegenstands auf wenig Vorarbeiten zurückgreifen. Daran hat sich seit Alon Confinos Nebenbemerkung 1997, »[w]e know next to nothing about how the Heimat idea was or was not appropriated by, say, workers and the Social Democratic Party«,45 wenig verändert. Weder Confinos Frage noch ein früherer kurzer Aufsatz zum Thema von Wolfgang Kaschuba46 wurden vonseiten der geschichtswissenschaftlichen For40 Vgl. zuletzt mit Fokus auf die unterschiedlichen Zukunftsentwürfe Berger, Zukunft der Sozialdemokratie. 41 Das anarchistische Heimat-Verständnis wird dagegen vollständig ausgeblendet, was mit der vergleichsweise geringen Bedeutung des Anarchismus in der Arbeiterbewegung in Deutschland zusammenhängt. Vgl. als Quellenbeispiel Ramus. 42 Vgl. als Quellenbeispiel Stezki u. a. 43 Neben der Entstehung zahlreicher Forschungsarbeiten lässt sich dies auch an der Gründung der »German Labour History Association« 2017 aufzeigen. Vgl. als aktuelle Studie bspw. zu Marxismus und Sozialdemokratie Morina. 44 Vgl. grundlegend Mergel. 45 Confino, Nation as a Local Metaphor, S. 243. 46 Vgl. Kaschuba, S. 11–15.

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schung aufgegriffen. Dieser blinde Fleck ist insbesondere darauf zurückzuführen, dass Heimatbewegung und Arbeiterbewegung nahezu einhellig als Gegensätze galten: So schien die konservative Rückwärtsgewandtheit der Heimatbewegung dem revolutionären Zukunftsoptimismus des Sozialismus fundamental entgegenzustehen. Auch Studien, die am Rande auf sozialistische Heimat-Konzepte hindeuten, thematisieren diese in der Regel nicht eingehender und weisen sie als eher nebensächlich aus. Ihren Fokus auf das bürgerliche Milieu und die organisierte Heimatbewegung stellen sie nicht grundlegend infrage. Kurze Thematisierungen der sozialdemokratischen Auseinandersetzung mit Heimat finden sich bei Celia Applegate, Alon Confino, Martina Steber und Swen Steinberg.47 Jan Palmowskis Studie zur DDR geht nicht auf mögliche Vorläufer der ›sozialistischen Heimat‹ ein.48 Dabei war es nicht zuletzt dem bisherigen Fokus geschuldet, dass Heimat mit Blick auf den Untersuchungszeitraum vorwiegend als ein bürgerlich-konservatives Phänomen diskutiert wurde. Auszunehmen ist davon die Forschung zum heimataffinen sozialistischen TVdN, die sich aufgrund ihrer eigenen Verortung in der Umwelt- und Naturschutzgeschichte jedoch oftmals auf das spezifische Problem des Verhältnisses von Heimat und Natur konzentriert hat.49 Angesichts dieser wenig befriedigenden Forschungslage erfolgt an dieser Stelle kein Forschungsüberblick, der die Forschungsbereiche getrennt voneinander in ihren Verästelungen nachzeichnet.50 Stattdessen werden mehrere zentrale Themenbereiche und Forschungsdebatten genannt, in denen die Bereiche Bezüge aufweisen und zu denen die vorliegende Studie neue Erkenntnisse beitragen kann. Für die historische Forschung zu Heimat lassen sich insbesondere drei solcher Problemzusammenhänge ausmachen, die mit den thematischen Forschungsschwerpunkten zum Untersuchungszeitraum koinzidieren: 1. Die Heimatbewegung als rückwärtsgewandte und nostalgische Reaktion auf die Krisenerfahrung der Moderne, 2. Heimat und die Herausbildung einer kollektiven nationalen Identität, 3. Die Radikalisierung des Heimat-Diskurses im Verlauf der Weimarer Republik.51 1. Wie bereits angedeutet, reagierte das gesellschaftsübergreifende Sprechen von Heimat auf historische Umbrucherfahrungen, die ausgeprägte gesellschaft47 Vgl. Applegate, bes. S. 156–157, 160, 166–167, 169; Confino, Germany as a culture of remembrance, S. 51–55; Steber, bes. S. 107, 211–212, 244–245, 285–287, 299–300, 309–311; Steinberg, »Karl Herschowitz kehrt heim«, bes. S. 52–85. 48 Vgl. Palmowski; zu einer aktuellen Neubetrachtung Schütz, S. 195–212. 49 Vgl. zuletzt mit einem vergleichenden Fokus auf den Wandersport Williams, Turning to nature in Germany, S. 67–99; ders., Friends of Nature; mit Fokus auf unterschiedliche Heimat-Begriffe in der Naturfreundebewegung Groß; exemplarisch für ältere Arbeiten Erdmann, Hundert Jahre Kampf; eher aus einer Tradition der Arbeiterbewegungsforschung kommend Günther. 50 Der umfangreiche Forschungsstand zu Einzelfragen der geschichtswissenschaftlichen Auseinandersetzung mit Heimat und den regionalen Konstellationen wird in den jeweiligen Kapiteln behandelt. 51 Die drei Problemzusammenhänge werden an dieser Stelle nur kurz benannt. Vgl. zu einer genaueren Auseinandersetzung Kapitel 2.1.

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liche Zukunftsunsicherheit nach sich zogen. Heimat, so der Forschungskonsens, wurde insbesondere darum gesellschaftlich verhandelt, da sich vormalig für selbstverständlich gehaltene Verständnisweisen des kollektiven Zusammenlebens gerade in der Nahwelt in Auflösung begriffen fanden.52 Vor diesem Hintergrund liegt es nahe, Heimat als Indikator von und Reaktionsphänomen auf kollektive Krisenerfahrungen zu verstehen. Diesbezüglich hat die frühe deutschsprachige Forschung lange vornehmlich den rückwärtsgewandten und antimodernen Charakter von Heimat betont und argumentiert, dass die Heimatbewegung der kollektiven Unsicherheitserfahrung zuvorderst mit konservativen Selbstversicherungsversuchen durch die Rückwendung zu einer glorifizierten Vergangenheit begegnete. Ihr Rekurs auf Heimat habe jegliche gesellschaftliche Veränderung zu sistieren versucht.53 Dagegen wurde insbesondere vonseiten der englischsprachigen Forschung die These vertreten, dass sich die Heimatbewegung spätestens in der Weimarer Republik nicht mehr gegen die Moderne an sich gerichtet, sondern deren Auswirkungen zu moderieren versucht habe. Zudem müsse zwischen den vergangenheitsorientierten Semantiken des Begriffs und seiner Funktion bzw. Funktionalisierung, die auf die gesellschaftliche Gegenwart und Zukunft gerichtet war, unterschieden werden.54 Celia Applegates grundlegende Studie zeigt diesbezüglich, dass es sich bei Heimat-Bezügen um ein »modern imagining«,55 eine spezifische Form einer »Invention of Tradition«56 handelte. Die mit dem Begriff verbundenen diskursiven Vergangenheits- und Traditionsentwürfe verwiesen folglich auf eine angestrebte gesellschaftliche Zukunft. Um diese Ambivalenz historischer Heimat-Konjunkturen sichtbar zu machen, schließt die Arbeit an aktuelle geschichtswissenschaftliche Auseinandersetzungen an, die den Umgang vergangener Gesellschaften mit historischen Kontingenzerfahrungen untersuchen. Im Zentrum dieser Diskussionen steht die Frage, in welchen Situationen sich ein gesellschaftliches Bewusstsein ausbildete, dass die Strukturen und Phänomene der Gegenwart nicht historisch zwingend sind, sondern sich auch anders darstellen könnten, und wie damit jeweils umgegangen wurde.57 Heimat-Diskurse indizieren eine solche historische Kontingenzerfahrung und lassen unterschiedliche gesellschaftliche Reaktionen auf diese greifbar 52 Vgl. dazu exemplarisch Jäger, Heimat, S. 4; Gebhard u. a., bes. S. 11–13. 53 Vgl. insbesondere die ältere Forschung, etwa Hartung. Die so beschriebenen Prozesse haben Gunther Gebhard, Oliver Geisler und Steffen Schröter 2007 unter die »Trias Verlust – Distanzierung – Reflexion« gefasst und Letztere dabei als »Rückwendung hin zur ›guten alten Zeit‹« bestimmt. Vgl. Gebhard u. a., S. 11–12. 54 Johannes von Moltke etwa fordert, »not to equate the antimodern rhetoric of a few Heimat definitions with the function of the Heimat idea in German history«. Vgl. von Moltke, S. 14. 55 Applegate, S. 8. 56 Hobsbawm u. Ranger. 57 Vgl. zur begrifflichen Unterscheidung zwischen Kontingenzerfahrung und Kontingenzbewusstsein Hoffmann, S. 55. Gleichzeitig kann die Arbeit auf den Begriff der Krise nicht verzichten, da sich die moderne Gesellschaft nicht zuletzt den Zeitgenossen als eine krisenhafte Zeit darstellte. Im Anschluss an Moritz Föllmer, Rüdiger Graf und Per Leo legt sie einen Krisenbegriff zugrunde, der ähnlich wie der Kontingenzbegriff auf die Ambivalenz gesellschaftlicher

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werden. So begegneten Heimat-Diskurse gesellschaftlicher Verunsicherung nicht zwangsläufig mit konservativen Selbstversicherungsversuchen. Insbesondere die sozialistische Reflexion auf den Verlust vergangener Lebensverhältnisse führte zu anderen Ergebnissen als zur Rückwendung zu einer idealisierten Vergangenheit. Eine solche hatte aus sozialistischer Perspektive schlichtweg nicht bestanden. Stattdessen verortete die Arbeiterbewegung Heimat als Sehnsuchtsort in der Zukunft, was gleichzeitig nicht verhinderte, dass mit ihren Heimat-Bezügen ebenfalls veränderte Formen der Traditionsbildung einhergingen. Trotz dieser semantischen Divergenzen teilten die Heimat-Konzepte aller politischen Milieus, die Diskurse ebenso wie die mit Heimat verbundenen Praktiken, den Bezug auf die gesellschaftliche Gegenwart und Zukunft. Vor diesem Hintergrund konzeptualisiert die Studie Heimat-Bezüge als diskursives und praktisches »Zukunftshandeln«, das gesellschaftlicher Kontingenzerfahrung zu begegnen und die gesellschaftliche Zukunft zu beeinflussen ver­suchte.58 Durch diese Herangehensweise kann sie die zukunftsorientierte Funktion von Heimat-Bezügen analytisch sichtbar machen. Diese Funktion konnte sich wie in der Heimatbewegung mit konservativen, teilweise auch reaktionären Inhalten verbinden und die gesellschaftliche Zukunft als Fortsetzung der Vergangenheit betrachten. Sie korrelierte im Falle der Sozialdemokratie jedoch mit einem auch inhaltlich zukunftsbezogenen Verständnis einer durch (politische) Praxis veränderbaren Heimat, die in der grundlegend neuen Gesellschaft des Sozialismus erst vollends verwirklicht wäre. In beiden Fällen war mit dem Bezug auf Heimat der Versuch verbunden, die Zukunft der deutschen Gesellschaft im politisch jeweils angestrebten Sinne zu vereindeutigen. Heimat lässt sich durch diese Herangehensweise als deutlich weniger eindeutiges Konzept analysieren, das ob seiner vagen Bestimmung eine vielstimmige, mitunter auch kontroverse Neuverhandlung sich auflösender etablierter Formen der Vergesellschaftung in Gegenwart und Zukunft zuließ. Zugleich ist damit die Frage verbunden, ob es trotz inhaltlich divergierender Heimat-Semantiken wesentliche Gemeinsamkeiten zwischen politisch konträren Heimat-Konzepten gab, die erst aus der geschichtswissenschaftlichen Rückschau sichtbar werden. 2. Mit Bezug auf das Wechselverhältnis historischer Heimat-Konjunkturen und nationaler kollektiver Identitäten hat die Forschung ihren Fokus auf die Zeit Krisen und Krisendeutungen abhebt. Vgl. zum Argument der Relevanz des zeitgenössischen Krisendiskurses für die geschichtswissenschaftliche Analyse Föllmer u. a., bes. S. 9–15, 23–41. 58 Vgl. zum Forschungsprogramm des DFG-Graduiertenkollegs 1919 »Vorsorge, Voraussicht, Vorhersage. Kontingenzbewältigung durch Zukunftshandeln« die von Frank Becker, Stefan Brakensiek und Benjamin Scheller herausgegebene Reihe »Kontingenzgeschichten«. Darin grundlegend Becker u. a.; zur Bestimmung und Unterscheidung unterschiedlicher Formen von »Zukunftshandeln« de Boer, Praktiken, Praxen, Praxisformen, bes. S. 33–34. Mit Jan-Hendryk de Boer wird »Zukunftshandeln« verstanden als »jene körperlichen, sprachlichen, dinglichen und zeiträumlichen Arrangements […], in denen die erwartete Wirkung der Praktik nach dem Verständnis der beteiligten Akteur*innen zeitlich über die jeweilige Handlungssituation hinausreicht oder erst nach dieser eintritt.«

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des Deutschen Kaiserreichs gelegt und die integrativen Tendenzen von Heimat prononciert.59 Dies wurde mit dem ab den 1990er Jahren zunächst insbesondere im englischsprachigen Raum neu einsetzenden Interesse an historischen HeimatKonjunkturen deutlich. So haben Applegate und Confino das Erklärungspotenzial von Heimat für die Herausbildung und Festigung einer deutschen nationalen Identität nach 1871 auf unterschiedliche Weise aufgezeigt. Beide Arbeiten argumentierten, dass Heimat-Bezüge es den historischen Akteuren erlaubten, die Region mit dem größeren Ganzen der Nation in Beziehung zu setzen.60 Applegate versteht Heimat in diesem Prozess als »myth about the possibility of a community in the face of fragmentation and alienation.«61 Dabei verweist sie in ihrer Studie vereinzelt auch auf die SPD in der Pfalz, bildet die These von Heimat als einem Integrationsbegriff des Nationalen jedoch vornehmlich mit Bezug auf liberale bis konservative bürgerliche Kreise, die sich in der organisierten und institutionalisierten Heimatbewegung betätigten. Ähnliches gilt für Confino und vergleichbare Studien, etwa Stebers Arbeit zum bayerischen Schwaben.62 Die Analyse sozialistischer Heimat-Konzepte ergibt hingegen ein differenzierteres Bild. Zwar waren Nation und Region auch für die Sozialdemokratie insbesondere in der Weimarer Republik häufig positive Bezugspunkte, die sie jedoch anders auffasste als das bürgerlich-konservative Milieu. Zudem lassen sich in der Arbeiterbewegung vor allem für die Zeit des Kaiserreichs andere Verknüpfungen nachweisen, die Heimat als internationalistisches Versprechen jenseits der Raumbezogenheit konzeptualisierten. Angesichts dieses Befunds untersucht diese Arbeit, mit welchen Räumen und Orten Heimat in der Sozialdemokratie verbunden wurde. Sie analysiert zudem, ob Heimat nicht nur einen integrativen, sondern ebenfalls einen konflikthaften gesellschaftlichen Bezugspunkt darstellte. Mit diesen Überlegungen schließt sie an neuere Entwicklungen in der histo­rischen Forschung zu Heimat an. So hat sich zuletzt ein zunehmendes Interesse an der tendenziellen Bedeutungsoffenheit und Polyvalenz des Begriffs und an dessen gesamtgesellschaftlicher Verbreitung ausgebildet, was ein Kommentar von Klaus Ries exemplarisch verdeutlichen kann, der 2016 – und damit etwa zwanzig Jahre nach Confinos Anmerkung – sowohl eine Schärfung des Blicks für »alternative[] Konzepte[…] des Heimatbegriffs und der Heimatbewegung« anmahnt als auch auf eine mögliche sozialistische Tradition von Heimat verweist.63 Diesbezüglich lässt sich in letzter Zeit u. a. in Überblicksdarstellungen eine Tendenz verzeichnen, die Verbreitung des Heimat-Begriffs bis hinein in das linke Lager anzufüh59 Vgl. Jäger, Heimat, S. 13–15. 60 Vgl. Applegate; Confino, Nation as a Local Metaphor. 61 Applegate, S. 19. 62 Vgl. zu den Bezügen auf die SPD, die sich auf die Zeit der Weimarer Republik beziehen und das Kaiserreich nicht berücksichtigen ebd., bes. S. 156–157, 160, 166–167, 169; Confino, Germany as a culture of remembrance, S. 51–55; Steber, bes. S. 107, 211–212, 244–245, 285–287, 299–300, 309–311. 63 Vgl. Ries, S. 49–50.

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ren, ohne dies jedoch empirisch zu belegen oder die Tragweite dieser Verbreitung genauer darzulegen.64 3. Ein wesentliches Erkenntnisinteresse der geschichtswissenschaftlichen Auseinandersetzung mit Heimat bildet die Frage, wie sich der Heimat-Diskurs über die politischen Zäsuren hinweg veränderte. Dabei liegt ein Schwerpunkt auf dem Verhältnis zwischen Heimatbewegung und Nationalsozialismus sowie der zunehmenden Radikalisierung und Essentialisierung des Heimat-Diskurses vom Kaiserreich über die Weimarer Republik bis in den Nationalsozialismus. Applegates Arbeit zeigt für die Pfalz, dass sich die Heimatbewegung den verschiedenen politischen Systemen von Kaiserreich, Weimarer Republik und Nationalsozialismus anpasste. Sie macht in diesem Zusammenhang eine zunehmende Radikalisierung der Heimatbewegung in der Weimarer Republik aus, die in der Zeit des Nationalsozialismus in Teilen jedoch ebenfalls in Konflikt mit der nationalsozialistischen Essentialisierung von Heimat geriet.65 Eindeutiger stellt sich die Veränderung für andere Regionen dar: Willi Oberkrome weist für Westfalen-Lippe und Thüringen die zunehmende »Fundamentalpolitisierung«66 der Heimatbewegung nach, die sich in ihrer Anrufung der »deutschen Landschaft« von einer konservativen hin zu einer völkischen Bewegung entwickelte. Karl Ditt argumentiert, dass die Heimatbewegung in ihrer Ablehnung gegenüber der Moderne und der Indus­ triegesellschaft zunehmend agressiver wurde und ›Volk‹ und ›Gemeinschaft‹ ins Zenrum rückte.67 Auch Steber zeigt für das bayerische Schwaben die »Ethnisierung des Politischen«68 auf. Die völkische Radikalisierung und Essentialisierung des Heimat-Diskurses wurde für die untersuchten Regionen stichhaltig nachgewiesen. Zugleich besteht die Tendenz, die vorliegenden Ergebnisse überregional zu verallgemeinern. Obgleich zur Weimarer Republik – über die genannten Studien hinaus – bislang vergleichsweise wenig Arbeiten vorliegen, wird in der Forschungsdebatte grundsätzlich die These vertreten, es habe ein völkisches Heimat-Konzept vorgeherrscht, das fast nahtlos in das nationalsozialistische Heimat-Verständnis übergegangen sei.69 Überblicksdarstellungen zur Geschichte des Heimat-Begriffs im 20. Jahrhundert liegt die These oftmals implizit zugrunde, da sie die Zeit der Weimarer Republik entweder vollkommen aussparen oder allein als Scharnierstelle zwischen der Zeit des Kaiserreichs und der Zeit des Nationalsozialismus beschreiben.70 Es scheint, als wirke in der geschichtswissenschaftlichen Auseinandersetzung mit dem Heimat-Begriff die These von der Weimarer Republik als bloßer Vorgeschichte des Nationalsozialismus unreflektiert nach. Wie erst kürzlich u. a. 64 Vgl. Weichlein, S. 141; Müller u. Steber, S. 667. 65 Vgl. Applegate, bes. S. 197–227. 66 Vgl. Oberkrome, S. 61. 67 Vgl. Ditt, Regionalismus, S. 14–20; Ders., Die westfälische Heimatbewegung 1871–1945. 68 Steber, S. 314. 69 Vgl. kritisch dazu Jäger, Heimat, S. 13–17. 70 So bei Costadura u. Ries, S. 9–17; Korfkamp, S. 54–53.

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Jens Jäger betont hat, wurde damit jedoch stets nur ein Teil der gesellschaftspolitischen Bedeutung von Heimat in der Weimarer Republik erfasst. Noch in den 1920er Jahren ließen sich »offene« Heimat-Konzepte nachweisen, die »Heimat dynamisch sahen und nicht unbedingt ausgrenzend«71 und die der Moderne als zeitgenössischem Topos weitaus weniger ablehnend gegenüberstanden.72 Die Berücksichtigung sozialistischer Heimat-Konzepte kann einen wesent­ lichen Beitrag zu einer Neubetrachtung des Heimat-Diskurses in der Weimarer Republik leisten. Sie zeigt, dass am Beginn der Weimarer Republik anders als bislang angenommen eine Pluralisierung und Ausdifferenzierung des HeimatDiskurses stand. Gleichzeitig kann eine solche Perspektiverweiterung in chronologischer Hinsicht die Frage nach der Radikalisierung auf veränderter Wissensgrundlage erneut stellen, bedeutet der Nachweis einer weiterhin bestehenden begrifflichen Offenheit von Heimat in der Weimarer Republik doch nicht, dass die völkische Verengung des Begriffs in der Zeit des Nationalsozialismus nicht stattgefunden habe. Die Berücksichtigung sozialistischer Heimat-Konzepte ermöglicht es nachzuzeichnen, aus welchen Gründen sich eine solche Essentialisierung durchsetzte und ob trotz betonter politischer Differenzen möglicherweise aus analytischer Perspektive zeitgenössisch unreflektierte Ähnlichkeiten zwischen den Heimat-Konzepten verschiedener politischer Gruppierungen bestanden. Mit einem solchen Vorgehen schließt diese Arbeit an Rudy Koshar an, der zwar eine »continuing scholarly tradition of identifiying the discourse of Heimat with racism, anti-modernism, and Nazism«73 kritisiert, jedoch gleichzeitig daran festgehalten hat, dass die Heimatbewegung durch die genannten Elemente geprägt war und ihr Verhältnis zum Nationalsozialismus weiterhin gleichermaßen klärungs- wie erklärungsbedürftig sei. Wie diese Arbeit zeigt, trägt die Analyse sozialistischer Heimat-Bezüge zur Beantwortung der aufgeworfenen Fragen bei. Dementsprechend erlaubt es die Berücksichtigung der Sozialdemokratie, gleichermaßen neues Licht auf die Frage nach der Relationierung und Besetzung verschiedener Heimat-Räume, der Rückwärtsgewandtheit historischer Heimat-Konjunkturen im Untersuchungszeitraum sowie der zunehmenden Radikalisierung des mit Heimat verbundenen Identitäts- und Zugehörigkeitsdiskurses in der Weimarer Republik zu werfen. Gemeinsam ist diesen drei Forschungskontroversen, dass sie Heimat stets im Verhältnis zur Moderne verhandeln, wobei Letztere einen wesentlichen Bezugspunkt zu Einordnung historischer Heimat-Konjunkturen darstellt.74 Während Studien wie diejenige von Werner Hartung in Bezug auf die Heimatbewegung deren »Zivilisationskritik« herausstellten und ihren vorwiegend antimodernen Charakter betonten,75 haben Applegate und Confino in der 71 Jäger, Heimat, S. 26–27. Vgl. zum Verhältnis »offener« und »geschlossener« Heimat-Konzepte auch Gebhard u. a., S. 44–45. 72 Vgl. Jäger, Heimat, S. 16–17; ähnlich auch Ries, S. 49–50. 73 Koshar, S. 113. 74 Dies betrifft neben der geschichtswissenschaftlichen auch die germanistische und kulturwissenschaftliche Forschung. Vgl. exemplarisch Blickle, S. 25–26, 29–31, 33–37; von Moltke. 75 Vgl. Hartung.

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Folge eher die ambivalente Haltung der Heimatbewegung zur Moderne herausgearbeitet.76 Ähnlich argumentiert Jennifer Jenkins in Bezug auf den Charakter der Heimatkunst. Mit Blick auf das Spannungsverhältnis von erzähltem Inhalt und ästhetischer Form kann sie zeigen, dass auch regionale Inhalte teilweise in moderner Form verarbeitet wurden.77 In diesen Arbeiten stand der uneindeutige Charakter von Heimat im Vordergrund. Letztlich ging und geht es bei dieser Diskussion immer auch um den Begriff der Moderne selbst, den Jeffrey Herf mit seiner Studie »Reactionary Modernism« als ambivalenten Begriff ausgewiesen hat, der nicht mit Fortschritt oder Aufklärung gleichzusetzen ist. Deswegen seien auch Denk- und Handlungsweisen, die sich gegen die Moderne als Idee richteten, letztlich Ausdrucksweisen derselben.78 Eng mit der Forschung zu Heimat verbunden, wenn auch nicht deckungsgleich, ist die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Formen der Regionalkultur als Teilbereich der politischen Kultur Weimars. Nicht nur der Heimat-Begriff, sondern auch das Regionale erfuhr in der Weimarer Republik eine parteiübergreifende Aufwertung.79 Damit ging eine Veränderung der Kulturpolitik in der Region einher, die nicht mehr nur von Vereinen getragen wurde, sondern sich als staatlich geförderte Heimat-Kulturpolitik etablierte. Deren Ursprünge lagen in der Zeit des Ersten Weltkriegs, sie konnte in der Weimarer Republik aber auch in republikanischer Form auftreten.80 Obgleich aktuelle Studien, etwa Siegfried Weichlein, davon ausgehen, dass sich der Rekurs auf Heimat und Region nicht auf das nationalistische Lager beschränkte, betonen sie dennoch vor allem, dass »die antiwestliche Schlagseite des Heimatbegriffs in den Weimarer Jahren seine poli­ tische Pointe« darstellte, Nationalismus und die »Kritik an der kulturellen und politischen Moderne […] in der regionalen Kultur Weimars fest verankert« war.81 Die Attraktivität des Regionalismus wird dabei durch mehrere Faktoren erklärt: Zum einen habe er es ermöglicht, nach dem verlorenen Weltkrieg am Nationalismus, gewissermaßen unter umgekehrten Vorzeichen, festzuhalten. Zum anderen habe sein vermeintlich unpolitischer Charakter versprochen, die politischen Konflikte der Gegenwart zu transzendieren.82 Ein solcher Befund kann für viele lokale und regionale Kontexte Geltungskraft beanspruchen, zumal für diejenigen, 76 Vgl. Applegate, u. a. S. 70, 105–107; Confino, Nation as a Local Metaphor, u. a. S. 131–133, 188, 212.; ders., Germany as a Culture of Remembrance. Vgl. weiterhin u. a. Williams, Turning to nature in Germany; Rollins; Lekan. 77 Vgl. Jenkins. In ähnlicher Weise verdeutlicht Elizabeth Edwards anhand der Amateurfotografie, dass die Beschäftigung mit regionalen Nahverhältnissen nicht nur mit rückwärtsgewandtem, verklärendem Impetus durch konservative Kreise erfolgte. Vgl. Edwards. 78 Vgl. grundlegend Herf; zudem Rohkrämer, Eine andere Moderne?; zur Ambivalenz der Moderne zuletzt auch Bänziger. Auf dieses Spannungsfeld wird in der Arbeit an zahlreichen Stellen genauer eingegangen. 79 Vgl. zur besonderen Konjunktur Steber, S. 276–286, 300–308. 80 Vgl. exemplarisch zur Pfalz Applegate, S. 17; zum Hintergrund auch Arbeiten zur »Reichszentrale für Heimatdienst« Wippermann; Richter. 81 Vgl. Weichlein, S. 239. 82 Vgl. ebd., S. 242.

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an deren Beispiel das Argument empirisch entwickelt wurde. Dennoch gilt es stärker zu berücksichtigen, dass es in anderen lokalen und regionalen Räumen ebenso gewichtige Versuche gab, die Republik und ihre Symbole im Kleinen zu verankern, wie bspw. Nadine Rossol am Beispiel des Reichsbanners Schwarz-Rot-Gold gezeigt hat.83 Es ist vielversprechend, diese beiden zumeist voneinander getrennten Betrachtungsweisen der regionalen politischen Kultur zusammenzuführen. Die Analyse der sozialdemokratischen Heimat-Kulturpolitik kann genau dies leisten. Sie zeigt, dass die SPD eine republikanische Regionalkultur zu entwickeln versuchte und sich dazu auf einen demokratisierten Heimat-Begriff stützte. Zudem stellte die SPD den vermeintlich unpolitischen Charakter von Heimat und Regionalismus wiederholt und dezidiert infrage. Durch das sozialdemokratische Agieren auf dem Feld, das nicht mehr wie im Kaiserreich nur in sozialistischen Alternativvereinen wie dem TVdN stattfand, sondern bei sozialdemokratischer Regierungsbeteiligung auch von staatlicher bzw. kommunaler Seite unterstützt wurde, veränderte sich auch die staatlich geförderte Heimat-Kulturpolitik. Dabei stand die Herausbildung einer sozialdemokratisch geprägten regionalen Heimat-Kulturpolitik in einem engen Wechselverhältnis zu einer (bislang) bürgerlich dominierten Regionalkultur, die nun sozialdemokratische Konkurrenz erhielt. Dieser Prozess implizierte zum einen eine zunehmende Deckungsgleichheit sozialdemokratischer und bürgerlicher Heimat-Kulturpolitik, zum anderen Konflikte über deren politische Gestaltung, über die zwischen den politischen Parteien und Milieus keinesfalls Einmütigkeit bestand. Die in den Überlegungen zur Regionalkultur bislang kaum berücksichtigte sozialdemokratische HeimatKulturpolitik gilt es näher zu untersuchen und nachzuvollziehen, welche Formen der Identitätsstiftung mit ihr verbunden waren. Darüber hinaus schließt die Arbeit an wichtige Forschungsdebatten in der historischen Auseinandersetzung mit der Sozialdemokratie an, die sich um die Frage drehen, wie trennscharf sie sich als Milieu und politische Bewegung von anderen gesellschaftlichen Gruppen abgrenzen lässt; oder, andersherum gefragt, wie groß die inhaltlichen, aber auch personellen Schnittmengen zwischen verschiedenen politischen Milieus und Bewegungen waren. Zentral ist in diesem Zusammenhang die Frage nach sozialistischen Zugehörigkeitsvorstellungen, die sich sowohl in der Auseinandersetzung mit dem Verhältnis der Sozialdemokratie zur ›Nation‹ als auch ihrer in der Weimarer Republik zunehmenden Orientierung an Begriffen wie ›Gemeinschaft‹, ›Volk‹ oder ›Volksgemeinschaft‹ niedergeschlagen haben. Zu den drei, eng aufeinander bezogenen Fragen sind zuletzt neue Arbeiten erschienen, wobei die Frage nach ›Heimat‹ dabei nicht explizit gestellt wurde.84 Alle 83 Vgl. zuletzt Rossol, Republikanische Gruppen. 84 Vgl. zu ›Nation‹ jüngst Hochman; Beneš; sowie exemplarisch für eine weitverzweigte Forschungsdebatte Berger, British and German Socialists; Berger u. Lorenz; Voigt u. Sünker; Groh u. Brandt; Vogt; vgl. zu ›Gemeinschaft‹, ›Volk‹ und ›Volksgemeinschaft‹ mit unterschiedlichen Schwerpunkten Hake; Hardtwig; Lehnert, Gemeinschaftsdenken in Europa; ders., Geschichte und Theorie des Gemeinschaftsdenkens; ders., »Staatspartei der Republik«; Retterath; Wildt, Die Ambivalenz des Volkes.

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Arbeiten können zeigen, dass sich die Begriffsverwendung verschiedener politischer Gruppierungen und Milieus in Teilen deutlich weniger scharf oder klar voneinander abgrenzte, als zu erwarten gewesen wäre. Ähnliche Schnittmengen zwischen den Gruppierungen, etwa in der Kommunalpolitik, stellen darüber hinaus Studien mit lokalem bzw. regionalem Fokus heraus, zu denen sich aufgrund der räumlichen Zugriffsebene Anknüpfungspunkte ergeben.85 Viele dieser Studien fokussieren sich auf die Semantiken, während die Praktiken nur am Rande berücksichtigt werden. Die Analyse sozialistischer Heimat-Bezüge erweitert die Ergebnisse der vorliegenden Studien demnach nicht nur durch die Analyse eines bislang kaum untersuchten Begriffs, sondern auch durch die Berücksichtigung der mit diesem verbundenen Praktiken. Heimat sezieren: Theoretische und methodische Annäherungen an ein komplexes Phänomen im Spannungsfeld von Semantik und Praxis In der Einleitung wurde bislang von Heimat-Begriff, Heimat-Konzept bzw. Heimat-Vorstellungen gesprochen. Diese »Unschärfe oder Mehrdeutigkeit«86 hängt wesentlich mit dem Untersuchungsgegenstand selbst zusammen. Bereits innerhalb des bürgerlich-konservativen Milieus ist eine ausgeprägte Vielschichtigkeit diskursiver und praktischer Heimat-Bezüge festzustellen. Milieuübergreifend gilt, dass sich Individuen oder gesellschaftliche Gruppen mittels des Rekurses auf Heimat innerhalb eines größeren Zusammenhangs verorten, der nicht unbedingt an konkrete Räume gebunden sein muss und sich ebenso wenig auf die Glorifizierung einer idealisierten Vergangenheit reduzieren lässt. Diese Verortungen können zum Gegenstand expliziter Auseinandersetzung mit dem Begriff gemacht werden, was den einfachsten Fall für die historische Analyse darstellt, bleiben in zahlreichen Fällen jedoch auch implizit und rekurrieren dann eher alltagssprachlich auf das Vertraute. Damit ist Heimat als unreflektiert benutztes Wort der Alltagssprache stets auch abseits politischer Auseinandersetzungen anzutreffen. Zugleich werden Heimat-Imaginationen politisch funktionalisiert, wobei sich für diesen Bereich von regelrechten historischen Heimat-Konjunkturen sprechen lässt.87 Vor diesem Hintergrund ringen unterschiedliche Wissenschaftsdisziplinen immer wieder aufs Neue damit, wie Heimat zu fassen sei und sich analysieren lasse. Anja Oesterhelt hat diesbezüglich jüngst zwei Pole unterschieden: »wissenschaftliche Texte, die von einem operationalisierbaren, methodisch belastbaren Heimatbegriff ausgehen, und solche, die das nicht tun.«88 Erstere versuchen, Heimat als analytische Kategorie zu entwickeln, die sich durch bestimmte Kennzeichen, etwa den Bezug auf das Kleinräumige, auszeichne. Indem sie die Kategorie teilweise stark vom Wort und dessen spezifischen historischen Bedeutungsgehalten lösen, tendieren sie dazu, Heimat zu essentialisieren und als eine Art anthro­ 85 Vgl. Schmidt, Begrenzte Spielräume. 86 Gebhard u. a., S. 9. 87 Vgl. exemplarisch Jäger, Heimat, S. 2–5. 88 Oesterhelt, S. 40.

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pologische Konstante zu unterstellen. Letztere verzichten darauf, einen inhalt­ lichen ›Kern‹ von Heimat – etwa deren Ortsbezogenheit – zu identifizieren, fragen stattdessen nach den je spezifischen historischen Funktionalisierungen und Ideologisierungen des Begriffs in verschiedenen Phasen der deutschen Geschichte.89 Die geschichtswissenschaftliche Forschung lässt sich grundsätzlich der zweiten Kategorie zuordnen, da sie spätestens seit den Arbeiten von Applegate die Historisierung von Heimat einfordert. Nichtsdestotrotz nimmt ein Großteil der vorliegenden Arbeiten implizit ebenfalls eine Verengung des Heimat-Diskurses vor, da die bürgerlich-konservative Verwendung des Begriffs in vielen Fällen Pars pro Toto genommen wurde. Ausgehend von der Heimatbewegung hat die Forschung ein idealtypisches bürgerliches Heimat-Konzept rekonstruiert, als dessen wesentliche Punkte die Orientierung an idealisierten ländlichen Idyllen und vermeintlichen Traditionen der Vergangenheit sowie die Ablehnung von Großstadt und Industrie begriffen werden. Dieses Feld semantischer Deutungen wurde nicht allein durch die Suche nach dem Wort Heimat, sondern u. a. auch am Beispiel ikonografischer Darstellungen erschlossen.90 Das Beispiel der Ikonografie zeigt, dass die gesellschaftliche Bedeutung von Heimat nicht in dem entsprechenden Wort aufgeht, sondern sich als historisches Phänomen aus einem Komplex von gesellschaftlichen Anschauungen und Deutungen zusammensetzt, die sich auch jenseits der Begriffsverwendung niederschlagen. Diesbezüglich hat Jens Jäger dafür plädiert, die historische Verwendung des Wortes Heimat von historischen Bezügen auf das Phänomen Heimat analytisch zu trennen, um davon ausgehend deren Wechselwirkung in den Blick zu nehmen.91 Sowohl Wort als auch Phänomen reagieren dabei auf spezifische gesellschaftliche Umbrucherfahrungen, variieren mithin historisch. Die Berücksichtigung sozialistischer Heimat-Konzepte stellt die beschriebene Verengung infrage, steht jedoch vor der Schwierigkeit, dass weder zur sozialis­ tischen Begriffsverwendung noch zur spezifischen Ausprägung des Konzepts oder Phänomens Heimat in der Arbeiterbewegung systematische Vorarbeiten existieren. Daher war es notwendig, eine theoretisch-methodisch reflektierte Herangehensweise an sozialistische Heimat-Konzepte zu entwickeln, die die Analyse weder auf die sozialistische Begriffsverwendung noch auf das bekannte bürgerliche Heimat-Konzept verengt, um die Ergebnisse nicht von vorneherein einzuschränken. Zur Annäherung an diesen mehrdimensionalen Problemzusammenhang geht die Studie daher von einem analytisch weit gefassten Heimat-Konzept aus, das Wort und Phänomen, begriffliche und konzeptuelle Heimat-Bezüge 89 Vgl. ebd., S. 40–54. 90 Vgl. zur Ikonografie Confino, Nation as a Local Metaphor, S. 158–209. 91 Vgl. Jäger, Heimat, bes. S. 2–9. Jens Jäger entwickelt die Unterscheidung vor dem Hintergrund der zentralen Forschungsfrage, inwiefern sich im 19. und 20. Jahrhundert über Deutschland hinaus auch in anderen europäischen Nationen ein ähnliches Phänomen wie ›Heimat‹ nachweisen lässt. In diesem Zusammenhang geht es darum, inwiefern es sich bei dem Heimat-­ Begriff um eine Spezifik der deutschen Geschichte handelt. Vgl. zur Frage der Spezifik und Übersetzbarkeit von Heimat exemplarisch auch Blickle, S. 2–6.

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gleichermaßen berücksichtigt.92 Um zu vermeiden, die Analyseergebnisse von vorneherein auf das bürgerliche Heimat-Verständnis zu verengen, lag ihr keine strikte anfäng­liche Bestimmung oder Definition von Heimat zugrunde. Zugleich beschränkte sich das Vorgehen nicht auf die Analyse sozialistischer Begriffsverwendungen, die ebenso vieles, bspw. ikonografische Heimat-Bilder, ausblenden würde. Um der Gefahr zu begegnen, das Konzept Heimat – gerade wenn das Wort nicht explizit verwendet wird – unbegrenzt auszudehnen, waren im Forschungsprozess explizite sozialistische Auseinandersetzungen mit Heimat von besonderem Interesse, da sich nur so eine möglicherweise alternative Besetzung durch die Sozialdemokratie nachvollziehen ließ. Weitaus schwieriger stellte es sich dar, mit dem Phänomen bzw. Konzept sozialistischer Heimat umzugehen, das aufgrund fehlender Vorarbeiten unbekannt war. Daher legte die Arbeit diesbezüglich die bestehenden Erkenntnisse zur Ausprägung des bürgerlichen Heimat-Konzepts zugrunde. Die Suche nach der sozialistischen Begriffsverwendung und die Orientierung an dem bürgerlichen Konzept standen im Analyseprozess in einem produktiven Spannungsverhältnis. Es ließen sich so die Wechselwirkungen zwischen beiden Gruppierungen ebenso analysieren wie die Unterschiede und Gemeinsamkeiten zwischen dem bürgerlichen und dem sozialistischen Heimat-Konzept herausarbeiten. Auf diese Weise war es möglich, sich dem sozialistischen HeimatKonzept sukzessive anzunähern und die spezifischen Bedeutungsschichten, die im sozialistischen Lager an Heimat angelagert waren, nachvollziehbar zu machen. Diese mit Heimat verbundenen Bedeutungsschichten waren für viele Zeitgenossen vermutlich evident, ließen sich aus der historischen Rückschau mitunter aber nur schwer rekonstruieren, da sie kontraintuitiv waren. Dazu gehört bspw. das lange Fortwirken der vormodernen rechtlichen und ökonomischen Bedeutungsgehalte des Heimat-Begriffs im sozialistischen Diskurs sowie die zentrale Bedeutung, die einer veränderten praktischen Bezugnahme auf Heimat zugemessen wurde.93 Erst am Ende des Forschungsprozesses lag demnach das Wissen um das spezifisch sozialistische Heimat-Verständnis vor. Die Studie nimmt sozialistische Heimat-Konzepte im Spannungsfeld diskursiver und praktischer Bezüge, Abgrenzung und Aneignung von bürgerlichen Diskursen und Praktiken, Umdeutung und Kritik in den Blick. Eine solche Herangehensweise ist zum einen dem spezifischen Forschungsgegenstand Heimat geschuldet, da das Konzept spätestens in der Heimatbewegung um die Jahrhundertwende mit zahlreichen Formen der Praxis, Handlungen und Routinen, verbunden 92 Um Missverständnissen vorzubeugen, sei an dieser Stelle angemerkt, dass mit Heimat als Phänomen oder Konzept keine vermeintlich anthropologische Konstante bezeichnet werden soll, wie sie andere Studien annehmen. Stattdessen geht es um die an den Begriff angelagerten spezifischen Bedeutungen, die in verschiedenen historischen Gesellschaften und unterschiedlichen Milieus variierten, Zeitgenossinnen und Zeitgenossen dabei auch ohne die explizite Verwendung des Worts verständlich waren. 93 Vgl. zu den vormodernen Bedeutungsgehalten jüngst Althammer, Von Pfahlbürgern und Zugvögeln; Oesterhelt, S. 12–14.

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war.94 Sie schließt zum anderen an seit geraumer Zeit geführte Diskussionen an, die die Geschichte historischer Begriffe, Ideen, Konzepte oder Semantiken und die Geschichte historischer Praxis als aufeinander bezogene Gegenstandsbereiche und Erkenntnisinteressen verstehen. So haben etwa Lutz Raphael und HeinzElmar Tenorth »Ideen als gesellschaftliche Gestaltungskraft«95 bezeichnet oder Willibald Steinmetz »Political Languages in the Age of Extremes«96 untersucht. Im Zusammenhang einer solchen Erweiterung hat Frank Becker eine politische »Kulturgeschichte der Ideen«97 prononciert und die zentrale Bedeutung der gesellschaftlichen und medialen Kontexte, in denen die Ideen standen und die durch diese wiederum selbst verändert wurden, herausgestellt. Die Wechselwirkung zwischen Ideen und Gesellschaft beschreibt Becker dabei als doppelte, da Ideen einerseits »auf die Realgeschichte gestaltenden Einfluß nehmen«, andererseits »auf soziale Veränderungen reagieren, diese Veränderungen mithin geistig verarbeiten und in neue Weltbilder integrieren.«98 Ernst Müller und Falko Schmieder haben jüngst in ähnlicher Weise auf die enge Beziehung von Ideengeschichte, Conceptual History oder Historischer Semantik einerseits und Kulturgeschichte andererseits hingewiesen. Beide, so Müller und Schmieder, beschäftigten sich »mit Bedeutung und Bedeutsamkeit sowie ihrer Genese«, untersuchten dabei die »Praxis der Artikulation und Aktualisierung von Bedeutungen«.99 Letztere erweitere die Begriffsorientierung der historischen Semantik jedoch um zuvor wenig beachtete Quellenbestände und Analysegegenstände wie Praktiken, Institutionen, Gefühle oder Gesten. Umgekehrt hat auch die Praxeologie die enge Wechselwirkung zwischen Semantiken und Praktiken betont, Thomas Welskopp bspw. Diskurse »als eine Praxisform unter anderen«100 bezeichnet. Folglich beschränkt sich der praxeologische Blick nicht (mehr) auf die Analyse routinisierter Praktiken, sondern untersucht deren Wechselwirkung mit kulturellen Deutungsmustern, Diskursen und Ideen, teilweise auch intentionalen Handlungen.101 Sowohl ein Verständnis von Begriff, Idee oder Konzept, das deren Wechselwirkung mit gesellschaftlichen Veränderungsprozessen fokussiert, als auch die Erweiterung um die Analyse historischer Praktiken bilden den theoretisch-methodischen Rahmen für die nachfolgende Analyse. Dabei wird davon ausgegangen, dass Semantik und Praxis, Idee und Handlung, diskursive und praktische Heimat-Bezüge nicht in eins fallen und doch unmittelbar aufeinander bezogen sind. Wie kann die angedeutete Wechselwirkung von Semantik und Praxis die 94 Vgl. Costadura u. Ries, S. 10. 95 Vgl. Raphael u. Tenorth. 96 Vgl. Steinmetz. 97 Vgl. Becker, »Kulturgeschichte der Ideen«? 98 Becker, Bilder von Krieg und Nation, S. 20. 99 Müller u. Schmieder, S. 12–13. An dieser Stelle steht nicht die Unterscheidung von Ideengeschichte, Historischer Semantik oder Conceptual History im Fokus des Interesses, zumal sich deren Forschungspraxis mittlerweile angenähert hat. Vgl. ebd. bes. S. 14–18. 100 Welskopp, Dualität, S. 105. Vgl. zudem ders., Banner der Brüderlichkeit, S. 56–57. 101 Vgl. exemplarisch Mergel u. Reichardt, S. 85; Alkemeyer u. a., S. 14–22.

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geschichtswissenschaftliche Analyse nachfolgend leiten? Das Vorgehen – und der theoretisch-methodische Vorschlag – dieser Arbeit unterscheidet die Analyse von Heimat-Semantiken und Heimat-Bildern von der Untersuchung von auf Heimat bezogenen Handlungen und Praktiken. Aus dieser analytischen Unterscheidung folgt allerdings nicht, dass Semantiken, Bilder, Handlungen und Praktiken nicht faktisch eng miteinander verflochten gewesen wären, weswegen die Wechselwirkung der beiden Ebenen in den verschiedenen empirischen Kapiteln berücksichtigt und thematisiert wird. Letztlich steht hinter dem vorgeschlagenen theoretisch-methodischen Vorgehen die grundsätzliche Frage, welche unterschiedlichen Semantiken mit einem Begriff oder Konzept verbunden sein können und welche intentionalen Handlungen sowie routinisierten Praktiken sich wiederum darauf bezogen oder daraus resultierten.102 Dabei lassen sich die von sozialistischer Seite entworfenen Heimat-Bilder und die Versuche einer Neudefinition des HeimatBegriffs bereits als eine Form diskursiver Praxis beschreiben. Gleichzeitig veränderte die auf Heimat bezogene Praxis die mit Heimat verbundenen Semantiken. Dies gilt sowohl für die intentionalen sozialistischen Handlungen, die das bürgerliche Vorgehen infrage stellten, als auch für die nicht reflektierte Übernahme bürgerlich konnotierter Praktiken. Einerseits resultierte die Praxis aus den mit Heimat verknüpften Ideen, andererseits brachten auf Heimat bezogene Praktiken Heimat-Bilder neu hervor. Vor diesem Hintergrund nimmt die gleichzeitige Analyse von Heimat-Semantiken und Heimat-Praktiken eine gegenseitige Korrektivfunktion ein. So lässt sich die Frage aufwerfen, aus welchen Gründen die Arbeiterbewegung trotz divergierender Heimat-Semantiken bürgerlich konnotierte Heimat-Praktiken adaptierte. Zudem kann danach gefragt werden, inwiefern sich diese Praktiken durch eine Art Eigenlogik auszeichneten, die die Sozialdemokratie trotz ihrer theoretischen Kritik der bürgerlichen Heimatbewegung unreflektiert übernahm, weswegen sich ihr Charakter als Bewegung durch den Heimat-Rekurs veränderte. Quellenkorpus Die Studie stützt sich auf ein vielschichtiges Quellenkorpus, das neben der Konsultation gedruckter Quellen Resultat der Recherchearbeit in zahlreichen Archiven wie etwa dem Stadtarchiv Ludwigshafen, dem Landesarchiv Speyer, der städtischen Sammlung Freital, dem Stadtarchiv Dresden oder dem Archiv der sozialen Demokratie ist. Der doppelten Operationalisierung der Fragestellung entsprechend beinhaltet das Korpus zum einen publiziertes Material, bei dem es sich zumeist um theoretische, historische und ästhetische Auseinandersetzungen mit Heimat handelt, die oftmals überregional rezipiert wurden. Zum anderen enthält das Korpus lokale und regionale Quellen, insbesondere aus der Pfalz mit einem Fokus auf Ludwigshafen und Sachsen mit einem Fokus auf den Großraum Dresden, speziell die sozialdemokratische Musterstadt Freital. Es umfasst 102 Vgl. zu Intentionen in der geschichtswissenschaftlichen Forschung de Boer u. Bubert.

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u. a. regionale Tageszeitungen,103 Zeitschriften verschiedener Organisationen der Arbeiterkultur- und Arbeiterbildungsbewegung, etwa des TVdN,104 Arbeiterkalender,105 Druckschriften, Maipostkarten, Fotografien und Fotoalben,106 Arbeiterliederbücher,107 theoretische Schriften zum Verhältnis der Arbeiterbewegung zu Natur und Heimat, literarische Schriften, teilweise in Mundart abgefasst, sowie Materialien zu TVdN-Wanderausstellungen zum Thema Heimat und weitere Beispiele historischer Auseinandersetzung mit der Geschichte der untersuchten Regionen.108 Während in Bezug auf Heimat-Semantiken insbesondere gedruckte, oftmals überregionale Quellenbestände von entscheidender Bedeutung sind, ermöglichen nur zusätzlich konsultierte Archivquellen eine angemessene Auseinandersetzung mit der Heimat-Kulturpolitik und den Heimat-Praktiken. Das Korpus wird, sofern vorhanden, um Nachlässe der verantwortlichen Hauptakteure erweitert, um diese fassbar zu machen.109 Dabei stellt es nicht das Ziel des Samples dar, alle sozialistischen Heimat-­ Bezüge in die Analyse einzubeziehen. Ein solches Vorgehen wäre allein aufgrund der unerwarteten Materialfülle und der fehlenden Vorarbeiten kaum zu verwirklichen. Notwendig ist daher eine Auswahl, die zentrale sozialistische HeimatKonzepte herausarbeitet und typisiert. Da sich im Forschungsprozess gezeigt hat, dass historische und pädagogische Auseinandersetzungen mit Heimat in Form sozialdemokratischer Heimatgeschichte und Heimatkunde eine besonders zen­ 103 Hier sind etwa die sozialdemokratischen Regionalzeitungen »Pfälzische Post«, »Pfälzische Freie Presse«, »Dresdner Volkszeitung« (DVZ) und »Freitaler Volkszeitung« (FVZ) zu nennen, die im Untersuchungszeitraum durchgehend erschienen, jedoch nicht alle durchgängig überliefert sind. 104 Vgl. etwa die TVdN-Zeitschriften »Der Wanderer. Monatsschrift der Reichsleitung und der Gaue Brandenburg, Niederhessen, Niedersachsen, Nordbayern, Rheinland, Saar, Schlesien, Westfalen im Touristenverein ›Die Naturfreunde‹, Reichsgruppe Deutschland (Hervorgegangen aus den Gaublättern genannter Gaue)«, »Berg frei. Mitteilungsblatt des Touristenvereins ›Die Naturfreunde‹, Gau Pfalz – Ludwigshafen am Rhein«, »Der Wanderer. Mitteilungsblatt des Gaues Sachsen im Touristenverein ›Die Naturfreunde‹ – Dresden«. Vgl zudem die Zeitschrift »Kulturwille. Mitteilungsblatt des ABI / Organ für kulturelle Bestrebungen der Arbeiterschaft«, die in der Weimarer Republik zu den wichtigsten Zeitschriften der Arbeiterbildungsbewegung gehörte. 105 Vgl. etwa den Arbeiterkalender »Der arme Konrad«, der ab Beginn des 20. Jahrhunderts mit Lücken vorliegt. 106 Vgl. insbesondere die Fotografien, die vonseiten der TVdN-Fotogruppen erstellt wurden und später in Zeitschriften, Alben, TVdN-Ausstellungen und als Ansichtskarten verwendet wurden. 107 Vgl. exemplarisch die TVdN-Liederbücher des Gaus Schwaben oder der Ortsgruppe Mannheim. 108 Vgl. etwa die sozialdemokratische Heimatbeilage zur »Pfälzischen Post«, die von 1925–1932 unter dem Titel »Bei uns daheim« publiziert wurde. 109 Insbesondere für den pfälzischen Analysefall hat sich der Nachlass des sozialdemokratischen Lehrers Hans Loschky aus dem Stadtarchiv Ludwigshafen als sehr ergiebige Quelle erwiesen. Für die zentralen Akteure in Freital und Dresden sind Nachlässe in dieser Form leider nicht überliefert.

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trale Rolle einnahmen, bilden sie zentrale Fixpunkte der Analyse. Angesichts der Unterschiedlichkeit der untersuchten Regionen lässt sich nicht in allen Fällen eine symmetrische Vergleichbarkeit der Fallstudien gewährleisten. Dennoch wurde – trotz der schwierigen Quellenlage für die Arbeiterbewegungsgeschichte  – versucht, ähnliche Quellen heranzuziehen, sofern dies möglich war. Gleichzeitig prägte sich die lokale und regionale Heimat-Kulturpolitik in den beiden Fokusregionen unterschiedlich aus. Auch deswegen werden die zentralen Fragen dieser Arbeit mitunter anhand verschiedener Fallstudien behandelt, die jedoch jeweils für einen bestimmten Typus stehen. Wenn dies besonders vielversprechend oder gar notwendig erscheint – wie bspw. im Falle der untersuchten TVdN-Heimatwanderausstellungen110 – wird in den Kapiteln zur sozialistischen Heimat-Kulturpolitik weiteres Quellenmaterial aus anderen Regionen vergleichend hinzugezogen. Durch ein solches Vorgehen werden die Ergebnisse regionaler Beispielfälle gleichzeitig mit überregionalen historischen Entwicklungen in Beziehung gesetzt. Aufbau der Arbeit: Zwischen Systematik und Chronologie Die Arbeit nähert sich ihren Forschungsfragen im Spannungsfeld von Systematik und Chronologie. Da das Hauptinteresse darin besteht, typische diskursive und praktische Heimat-Bezüge innerhalb der Sozialdemokratie herauszuarbeiten, orientiert sich der Aufbau an den systematischen Ergebnissen der Analyse und bringt diese in drei Teilen zur Darstellung. Um die wesentlichen Spezifika sozialistischer Heimat-Bezüge und deren – den historischen Akteuren nicht unbedingt selbst ins Auge fallenden – Schnittmengen mit bürgerlichen Heimat-Konzepten in den Blick nehmen und dem Wechselverhältnis diskursiver und praktischer Heimat-Bezüge gerecht werden zu können, bieten sich drei analytische Kategorien aus zwei Gründen besonders an: Raum, Zeit und Zugehörigkeit. Zum einen veränderte sich angesichts des Ersten Weltkriegs und der gesellschaftlichen Umbruchphase zu Beginn der Weimarer Republik auch unabhängig vom Heimat-Diskurs die Relevanz der Kategorien Raum, Zeit und Zugehörigkeit für das zeitgenössische Verständnis von Politik und Gesellschaft. Was Rüdiger Graf anhand der Zukunftsdiskurse für die Veränderung der »Konstruktionen historischer Zeit«111 und Jörn Retterath anhand des Volksbegriffs für die Bedeutung prekärer Zugehörigkeit ausweisen konnten,112 hat Julian Aulke zuletzt auch für die räumliche Vergesellschaftung gezeigt. Im Verlauf des Ersten Weltkriegs sahen sich »die Zeitgenossen mit einem grundsätzlich neuen Verständnis von Raum und Räumlichkeit konfrontiert«,113 was sowohl das physische Terrain als auch die Sinngebungen und Bedeutungszuschreibungen betraf.114 Angesichts 110 Vgl. zu deren Rezeption in der Presse exemplarisch N. N., Aufstieg der Naturfreunde; Baldamus; N. N., Ausstellung »Rheinische Heimat«; N. N., Rheinische Heimat. 111 Graf, S. 61. 112 Vgl. Retterath. 113 Aulke, S. 56. 114 Vgl. ebd., S. 31–32.

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dieser gesellschaftlichen Situation analysiert die Arbeit Heimat als umstrittenen gesellschaftspolitischen Bezugspunkt, der eine Neuverhandlung und Neuordnung infrage gestellter zeitlicher, räumlicher und sozialer gesellschaftlicher Verhältnisse ermöglichte. Zum anderen werden die drei analytischen Zugriffe in der Forschung immer wieder als zentrale wiederkehrende Momente von Heimat angeführt. Folgt man Wolfram Pyta, so vermag »[k]aum eine andere Kategorie […] die interaktive Dynamik zwischen sozialer Verortung, Raumbezügen und Zeitverarbeitung so auf den Begriff zu bringen wie dieser Terminus.«115 In ähnlicher Weise haben Gunther Gebhard, Oliver Geisler und Steffen Schröter zwischen den wiederkehrenden »Koordinaten von Raum, Zeit und Identität«116 unterschieden. Obwohl die hier verwendeten Analysekategorien vielfach diskutiert wurden, gibt es noch keine Arbeit, die Heimat-Konzepte unter einer solchen systematischen Perspektive vergleichend und typisierend analysiert hätte. Daher eignete sich das in der Studie entwickelte Vorgehen auch für die Analyse von Heimat-Vorstellungen anderer politischer Bewegungen oder Milieus. Die drei Hauptteile »Räume der Heimat«, »Zeiten der Heimat« und »Zugehörigkeit und Heimat« sind alle gleich strukturiert: Zunächst wird in einem ersten Kapitel die jeweilige Kategorie genutzt, um die nachfolgenden Analysen in größere historische Kontexte und Forschungskontexte einzuordnen. Anschließend werden in einem zweiten Kapitel Heimat-Semantiken anhand regionalen und überregionalen Quellenmaterials herausgearbeitet. Im abschließenden dritten Kapitel stehen praktische Heimat-Bezüge im Fokus. Hier wird die sozialdemokratische Heimat-Praxis, insbesondere die Heimat-Kulturpolitik, anhand lokaler und regionaler Fallstudien exemplarisch analysiert. Die drei Teile können unabhängig voneinander gelesen werden, bauen aber zugleich aufeinander auf. Aus ihrer Lektüre ergibt sich nach und nach ein Kaleidoskop sozialistischer Heimat-Bezüge. Die drei Teile, die jeweils von einem Zwischenfazit abgeschlossen werden, thematisieren zwar immer wieder chronologische Entwicklungen, fokussieren jedoch die systematische Darstellung der Ergebnisse. Daher rahmen zwei chronologische Scharnierkapitel die Analyse, die die Herausbildung eines veränderten Heimat-Diskurses zu Beginn der Weimarer Republik und dessen Veränderung am Ende der Weimarer Republik thematisieren.117 Einführend skizziert das Prologkapitel die Herausbildung und die Hintergründe eines veränderten Heimat-­ Diskurses zu Beginn der Weimarer Republik und hebt dabei auf die zentrale Bedeutung des Ersten Weltkriegs und der Novemberrevolution für das neu entstehende republikanisch-sozialistische Heimat-Verständnis ab. Das Epilogkapitel rückt abschließend die chronologische Entwicklung gegen Ende der Weimarer 115 Pyta, S. 173. 116 Gebhard u. a., S. 13. 117 Die Bezeichnung Prolog- und Epilogkapitel wird an dieser Stelle demnach nicht im herkömmlichen Sinne verwendet, sondern bezieht sich auf die chronologische Entwicklung zu Beginn und gegen Ende der Weimarer Republik.

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Republik ins Zentrum. Die diachrone Analyse kann zum einen eine zunehmende Annäherung sozialistischer und bürgerlicher Heimat-Konzepte nachweisen, was mit einer Verringerung des zeitlichen Ausgreifens sozialistischer Heimat-Konzepte in die Zukunft einherging. Sie baut zum anderen auf der Beobachtung auf, dass das bürgerliche Heimat-Verständnis durch die Sozialdemokratie und das in der Weimarer Republik veränderte Heimat-Verständnis wesentlich herausgefordert wurde, woraus Ende der 1920er, Anfang der 1930er Jahre zunehmende Konflikte um das ›richtige‹ Heimat-Verständnis resultierten.

Prologkapitel: Zur Entstehung und zu den Hintergründen eines veränderten Heimat-Diskurses zu Beginn der Weimarer Republik

»Kameraden! Die deutsche Republik heißt euch von Herzen willkommen in eurer Heimat!«,1 »Tapfere Krieger! In der neuen freien Heimat herzlich willkommen«,2 »Genossen […] Herzlich Willkommen! Willkommen in der lieben Heimat, die ihr allzulange entbehren mußtet. Willkommen im neugeschaffenen Vaterland!«.3 So oder ähnlich lauteten die Willkommensgrüße, die sozialdemokratische Arbeiter- und Soldatenräte am 22.11.1918 sowohl in Dresden und Umgebung als auch in Ludwigshafen und anderswo in Deutschland an die rückkehrenden Soldaten, bei denen es sich in Teilen selbst um SPD-Mitglieder handelte, richteten. Dabei war es alles andere als bloßer Zufall, dass Sozialdemokraten den Begriff ›Heimat‹ in verschiedenen lokalen und regionalen politischen Konstellationen verwendeten, um in der Umbruchphase 1918/19 das im Entstehen begriffene territoriale, politische und soziale Gefüge Weimarer Republik zu bezeichnen und gleichzeitig von dem kaiserzeitlichen Vorkriegsdeutschland der Vergangenheit abzugrenzen. Vielmehr liegt es nahe, dass sie einer Direktive folgten, die der Vollzugsrat des Arbeiter- und Soldatenrats Berlin am 18.11.1918 über seinen Nachrichtendienst ausgegeben hatte.4 Darin wurden die Bürgermeister der deutschen Städte angehalten, gemeinsam mit den lokalen Arbeiter- und Soldatenräten »einen Empfangsausschuss zu bilden, in dessen Hand die Fürsorge für die heimkehrenden Krieger« zu legen sei. Dessen erste Aufgabe sollte in der Begrüßung der Soldaten (in ihren Heimatstädten) liegen, die bereits bei ihrer Ankunft am Bahnhof zu beginnen habe und auf dem Weg in die Stadt fortzusetzen sei. Die in die Stadt führenden Straßen seien zu diesem Zweck festlich auszuschmücken und mit »Inschriften wie: ›Willkommen‹ oder ›[sic] Willkommen in der Heimat‹ oder ›[sic] Die dankbare Heimat grüsst Euch‹« zu versehen.5 Die symbolische Aufladung des Stadtraums versprach zum einen, die Strapazen des Krieges vergessen zu machen, weswegen alle Plakate, die an die Kriegs1 Rat der Volksbeauftragten, An die heimkehrenden Soldaten!, S. 2. 2 Ludwigshafen am Rhein, StALu, Fotosammlung 28225. 3 Gauvorstand der Pfalz, S. 1. 4 Vgl. stellvertretend auch für andere Städte das von Julian Aulke (S. 63–64) zitierte Schreiben im Stadtarchiv Essen StAE, Rep. 102 I, Nr. 1095, fol. 17. 5 Ebd., fol. 18.

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zeit erinnerten, entfernt werden sollten. Zum anderen, und an dieser Stelle weit wichtiger, verknüpfte der Vollzugsrat mit diesem Vorgehen die Hoffnung auf eine Reintegration der Soldaten in die deutsche Gesellschaft, die sie politisch verändert vorfanden. Diesbezüglich steht zu vermuten, dass er mit der Verwendung des Heimat-Begriffs das Ziel verfolgte, die Soldaten für die Republik zu gewinnen und dadurch eine friedliche Demobilmachung zu befördern.6 Die freudige Begrüßung des »heimkehrenden Soldaten« werde »die Grundlage schaffen, dass er sich wieder zu Hause fühlen kann, dass sein Vertrauen belebt wird zum neuen Vaterlande, an dessen Aufbau mit allen Kräften zu arbeiten ihm eine schöne Aufgabe sein soll.«7 Auch der Rat der Volksbeauftragten richtete sich zu diesem Zweck mit einem Willkommensgruß »An die heimkehrenden Soldaten«, der in den Bahnhofshallen ausgehängt werden sollte und am 22.11.1918 in zahlreichen sozialdemokratischen Tageszeitungen abgedruckt wurde.8 Darin kam dem Heimat-Begriff ebenfalls eine zentrale Rolle zu. So stellte die erst durch die Novemberrevolution zu ihrem historischen Recht gekommene Heimat einen zentralen Topos dar.9 Dementsprechend zeichnete der Rat der Volksbeauftragten das Bild einer durch die Revolution bezwungenen Vergangenheit, eines überwundenen »Vaterland[s] […], in dem ihr nichts zu sagen hattet, in dem eine Handvoll von Gewalthabern Macht und Besitz unter sich verteilt hatten.« Dem setzte er die veränderte Gegenwart eines Landes entgegen, »in dem künftig niemand etwas zu sagen und zu bestimmen hat, als das Volk selbst«. Ihr und wir, Deutschland ist frei unsre sozialistische Republik soll als freieste in den Bund der Völker treten. Ihr findet aber nicht nur alle politischen Rechte, die euch bisher vorenthalten waren, die Heimat soll auch wirtschaftlich euer Besitz und Erbe werden, indem [sic] euch nach unsrem Willen keiner mehr ausbeuten und knechten soll. […] Kommt und seid willkommen als die Männer, welche die Träger der neuen Republik und ihrer Zukunft sein sollen.10

Um die Soldaten und die lokale Bevölkerung von der angestrebten Republik zu überzeugen und ihre Beteiligung an deren weiterem Aufbau sicherzustellen, verknüpfte der »Willkommensgruß« das Argument der erkämpften politischen Freiheit mit dem Versprechen auf eine materiell bessere Zukunft, mithin die Hoffnung auf Verwirklichung des seit jeher doppelten sozialistischen Zukunftsversprechens.11 Darüber hinaus parallelisierte der Text ein am Weltkrieg unschul6 Vgl. zur Demobilmachung bspw. mit Blick auf Sachsen Hermann, S. 241–261. 7 StAE, Rep. 102 I, Nr. 1095, fol. 17. Vgl. zur symbolischen Aufladung auch Aulke, S. 63–64. 8 Vgl. bspw. den Abdruck im »Vorwärts« Rat der Volksbeauftragten, An die heimkehrenden Soldaten!, S. 3; in der DVZ Ders., An die heimkehrenden Soldaten!, S. 2; und in der LVZ Ders., An die heimkehrenden Soldaten!, S. 1. 9 Interessanterweise findet sich nach dem 2. Weltkrieg eine ähnliche Argumentation. Vgl. Schaarschmidt, S. 127. 10 Rat der Volksbeauftragten, An die heimkehrenden Soldaten!, S. 3. 11 Vgl. zum doppelten Zukunftsversprechen u. a. Hölscher, Die verschobene Revolution; Lehnert, »Staatspartei der Republik«; daran anschließend Strommenger, Neujustierung.

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diges »Volk« mit einer gleichfalls unschuldigen »Heimat«: Ähnlich wie Sozial­ demokraten und Arbeiter an ihrer Beteiligung am Ersten Weltkrieg keine Schuld trügen, dies vielmehr Kapitalisten und militaristischen Nationalisten anzulasten sei, sei auch die Heimat prinzipiell unschuldig. Angesichts der sozialdemokratischen Bewilligung der Kriegskredite war eine solche Deutung des Ersten Weltkriegs nicht ohne Paradoxie und erfüllte wohl agitatorische Zwecke. Auffällig ist jedenfalls, dass der Vollzugsrat zur Legitimation der politischen Gegenwart auf keine sachliche und nüchterne politische Sprache rekurrierte. Stattdessen knüpfte er an die Bedeutungsoffenheit des Heimat-Begriffs an – unter dem sich die zurückkehrenden Soldaten vermutlich teilweise etwas anderes vorstellten als die SPD –, um ein emotional induziertes neues Zusammengehörigkeitsgefühl hervorzubringen und ein verändertes Heimat-Verständnis zu etablieren. Es mag zunächst überraschen, dass der Heimat-Begriff ausgerechnet von sozialdemokratischer Seite in der revolutionären Umbruchphase 1918/19 prominent gemacht wurde. Vor dem Hintergrund des Ersten Weltkriegs ist dieser Umstand jedoch weniger verwunderlich. Auch wenn sich nicht zweifelsfrei belegen lässt, dass die verantwortlichen Sozialdemokraten den Heimat-Begriff aufgrund seiner potenziellen Integrationskraft gezielt wählten, ist zumindest davon auszugehen, dass sich eine Verwendung angesichts der begrifflichen Omnipräsenz während des Ersten Weltkriegs und innerhalb der deutschen Nachkriegsgesellschaft nahezu von selbst anbot  – wahrscheinlich traf beides zu.12 Unabhängig von den verfolgten Intentionen drückte sich in dem sozialdemokratischen Vorgehen, den Heimat-Begriff als gesellschaftliches Integrationsmoment zu nutzen, darüber hinaus ein veränderter Heimat-Diskurs aus, den die sozialdemokratische Begriffsverwendung ebenso indizierte wie weiter vorantrieb. Dieser neue Heimat-Diskurs hatte sich vor dem Hintergrund des Ersten Weltkriegs und der Novemberrevolution herausgebildet und prägte nicht allein die Frühphase der Weimarer Republik maßgeblich. So hatte Heimat in den Jahren zwischen 1914 und 1918 einen gesellschaftsübergreifenden Bedeutungswandel erfahren, der zwei zunächst einmal widersprüchliche Tendenzen vereinte und um das Begriffspaar »Front und Heimat«13 kreiste, das für die Zeitdiagnosen und gesellschaftlichen Alltagswahrnehmungen im Verlauf des Kriegs zunehmend bestimmend geworden war: Zum einen ging die Vorstellung einer an der (Heimat-) Front zu verteidigenden Heimat mit scharfen Grenzziehungen und einer eindeutigen Feindbestimmung einher, führte mithin zu einem nationalistischen HeimatVerständnis.14 Zum anderen hatte das Begriffspaar »Front und Heimat« gleichzeitig eine in gewissem Sinne gegenläufige Entwicklung nach sich gezogen, die sich mit Wolfram Pyta als zunehmende Enträumlichung bzw. »Delokalisierung«15 12 Vgl. zur Einschätzung der Omnipräsenz des Heimat-Begriffs exemplarisch Pyta, S. 180–181; Steber, S. 276–287. 13 Vgl. zur Kriegserfahrung der Bevölkerung Ziemann, Front und Heimat. 14 Vgl. dazu exemplarisch Steber, S. 163–186. 15 Pyta, S. 180.

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beschreiben lässt. Radikal entgegengesetzt fanden sich in der zeitgenössischen Alltagswahrnehmung der bedrohliche Frontalltag der Soldaten einerseits, eine imaginative, zu schützende heimatliche »Gegenwelt« anderseits, »auf die alles Schöne und Gute, alle Sehnsüchte und Hoffnungen projiziert wurden.«16 Dadurch avancierte Heimat »zu einem utopischen Sehnsuchtsort«,17 was wiederum begriffliche Polyvalenz implizierte, da sich die imaginierten Sehnsuchtsorte verschiedener politischer und gesellschaftlicher Gruppierungen bedeutend voneinander unterschieden.18 Während der Heimat-Diskurs nach dem Ersten Weltkrieg bislang vorwiegend als konservatives Reaktionsphänomen auf eine als bedrohlich erfahrene Gegenwart untersucht wurde, verdeutlicht das Beispiel der Sozialdemokratie, dass sich ihr die Nachkriegssituation in erster Linie als Chance politischer Veränderung darstellte. Vor diesem Hintergrund verband sich mit dem sozialdemokratischen Rekurs auf den Begriff nicht allein der Versuch, Heimat im Sinne der Delokalisierungsthese als utopische Gegenwelt zu imaginieren und nostalgische Erinnerungen an eine vermeintlich idyllische und unproblematische Vergangenheit zu pflegen. Darüber hinaus beanspruchte die Sozialdemokratie, Heimat nach der Revolution auf veränderte Weise zu verräumlichen, worauf der Rekurs auf die ›neue freie Heimat‹ oder das ›neue Vaterland‹ in den Willkommensgrüßen hinweist. Dieser Hintergrund trägt zu einer Erklärung des verbreiteten Heimat-­Bezugs im republikanischen Lager bei, den Pyta und andere bislang nur thesenhaft konstatiert haben.19 Als vermeintlich neutrale, politisch unbeschädigte Grundlage des gesellschaftlichen Neuaufbaus eignete sich der Heimat-Begriff  – statt des dem Internationalismus zu offensichtlich gegenüberstehenden Nationalismus – wohl besonders gut. Zudem basierte der sozialdemokratische Heimat-Bezug 1918/19 auf einer Deutungstradition, die bis auf das Kaiserreich zurückging. In Abgrenzung zu dem von der Arbeiterbewegung kritisierten bürgerlichen Nationalismus nach der Reichsgründung 1871 bildete sich ein sozialistisches Heimat-Verständnis heraus, das anstelle eines bereits existierenden Orts der Gegenwart zuallererst eine utopische Sehnsucht bezeichnete und den Anspruch auf materielle Sicherheit in einem erst noch zu verwirklichenden Raum der Zukunft begründete.20 Wenngleich auch Teile der SPD Heimat bereits im Kaiserreich mit der Nation oder dem

16 Ebd. 17 Ebd., S. 181. 18 Zu einer ähnlichen Einschätzung von Heimat als utopischer »Gegenwelt« zum Frontalltag kommt auch Hermann, S. 246. Vgl. zur Polyvalenz als Voraussetzung eines sich in der Weimarer Republik ausdifferenzierenden Heimat-Diskurses Steber, darin zum Ersten Weltkrieg und den »Potenziale[n] eines Begriffs« S. 184–186; zur Polyvalenz S.215; zur analogen Unbestimmtheit des Regionen-Begriffs, S. 319–320. 19 Vgl. Pyta, S. 180–183; Jäger, Heimat, S. 16–17. 20 Vgl. zum sozialdemokratischen Alternativverständnis idealtypisch Liebknecht, Zu Trutz und Schutz.

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Vaterland in eins setzten,21 ging das sozialdemokratische Begriffsverständnis in dieser territorialen Definition nicht auf, sondern bestimmte sich maßgeblich über seine sozialen Bedeutungsgehalte und den Anspruch auf eine bessere Zukunft. Nach der Revolution sah die Sozialdemokratie die Möglichkeit gekommen, ihrem Heimat-Verständnis zur Verwirklichung zu verhelfen. Vor diesem Hintergrund verbanden sich in der neu konstituierten Republik nunmehr beide sozialdemokratischen Verständnisweisen des Heimat-Begriffs – die territoriale und die soziale – auf neue Weise: Zum einen adressierte der Begriff nunmehr einen lokal, regional bzw. national spezifizierten Raum, zum anderen zeichnete sich dieser wesentlich durch seinen veränderten politischen Charakter aus. Im sozialdemokratischen Verständnis galt es diese – wenn auch zunächst regional bzw. national begrenzte – demokratische Heimat zukünftig zu einer weltumspannenden sozialistischen Heimat zu machen. Auch das sozialdemokratische Sprechen von Heimat reagierte demnach auf eine politisch, sozial und materiell prekär gewordene gesellschaftliche Wirklichkeit und thematisierte die großen gesellschaftlichen Nachkriegsfragen – wie die Demilitarisierung der Gesellschaft, die Integration der Frontsoldaten, die drohende territoriale Zersplitterung, die zerstörten Städte und die materielle Not –, die den territorialen, aber auch den sozialen Zusammenhalt infrage stellten.22 Gleichzeitig stellte sich der SPD die Nachkriegssituation als Erfolg gegen die Monarchie und als revolutionär eröffneter Möglichkeitsraum dar. Deswegen begegnete das sozialdemokratische Heimat-Verständnis den genannten gesellschaftlichen Herausforderungen nicht mit einer Rückwendung zu einer vermeintlich besseren nationalen Vergangenheit – eine solche hatte im Kaiserreich aus sozialdemokra­tischer Sicht überhaupt nicht bestanden. Stattdessen zielte die sozialdemokratische Begriffsverwendung auf die politische Legitimation der veränderten demokratischen Gegenwart und stellte zugleich eine ökonomisch veränderte sozialistische Zukunft in Aussicht. Aufgrund ihrer neuen Rolle in Staat und Gesellschaft beanspruchte die SPD zudem, die demokratisierte Heimat durch politische Praxis weiter zu verändern. Deren zukünftige Entwicklung versuchte sie durch eine gesellschaftliche Verallgemeinerung des sozialistischen HeimatVerständnisses zu beeinflussen. Demnach war die sozialdemokratische Verwendung des Heimat-Begriffs – mit Reinhart Koselleck gesprochen – Indikator und Faktor gesellschaftlichen Wandels zugleich.23 Die verbreitete sozialdemokratische Nutzung des Heimat-Begriffs war mit spezifischen Zielen und Semantiken verbunden, die von denjenigen anderer politischer Milieus abwichen. Dadurch verändert sich auch die geschichtswissenschaftliche Einschätzung des gesamtgesellschaftlichen Heimat-Diskurses in 21 Vgl. zum sozialdemokratischen Bezug auf die Nation exemplarisch Berger, British and German Socialists; Beneš; Berger u. Lorenz; Voigt u. Sünker; Groh u. Brandt; Vogt. 22 Diese Nachkriegsherausforderungen werden in Kapitel 1.1.1 mit Blick auf die Fokusregionen genauer dargestellt. 23 Vgl. Koselleck, Einleitung, S. XIV.

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der deutschen Nachkriegsgesellschaft. Bislang hat ein Großteil der Forschung dessen Omnipräsenz nach dem Ersten Weltkrieg mit einer verbreiteten Sehnsucht nach gesellschaftlicher ›Einheit und Einigkeit‹, nach politischer Ordnung und der Herstellung eines breiten gesellschaftlichen Konsenses begründet. Der Rekurs auf Heimat, so die verbreitete These, habe die Kontingenz- und Krisenerfahrung 1918/19 zu verdecken und trotz aller gesellschaftlicher Konflikte die Rückkehr zu einer widerspruchsfreien, unhinterfragten und unpolitischen nationalen ›Gemeinschaft‹ zu begründen gesucht.24 Die Berücksichtigung sozialdemokratischer Heimat-Bezüge zeigt diesbezüglich, dass sich der Heimat-Diskurs in der Anfangsphase der Weimarer Republik nicht auf die Thematisierung der territorialen Infragestellung des Deutschen Reiches sowie des materiellen Elends im regionalen und nationalen Raum beschränkte, um diesen Entwicklungen mithilfe der Beschwörung einer gleichermaßen ahistorischen wie vermeintlich unpolitischen Vorstellung von nationaler ›Einheit und Einigkeit‹ zu sistieren. Stattdessen bezeichnete Heimat im sozialdemokratischen Verständnis die demokratisierte Gegenwart, fungierte mithin als Bezeichnung politischer Veränderung, ohne diese explizit zu benennen. Die sozialdemokratischen Heimat-Bezüge verdeutlichen mithin, dass gesellschaftlich hoch umstritten war, was Heimat in der Vergangenheit ausgemacht hatte und zukünftig ausmachen sollte. Gerade in der unmittelbaren Nachkriegszeit  – einer Situation erhöhter Krisenhaftigkeit und Unsicherheit, in der alles andere als entschieden war, was die deutsche Gesellschaft charakterisierte und wodurch sie zukünftig zusammengehalten werden würde – bildete Heimat einen sowohl gesellschaftlich geteilten als auch inhaltlich umkämpften Bezugspunkt. Verschiedene politische Gruppierungen nutzten die assoziative und emotional induzierte Integrationskraft des Heimat-Begriffs demnach, um die zurückkehrenden Soldaten ebenso wie die deutsche Gesellschaft als Ganzes für ihre divergierenden politischen Ziele zu gewinnen. Aufgrund seiner milieuübergreifenden Verbreitung, die jedoch mit divergierenden Bedeutungen verbunden war, kam dem Begriff zu Beginn der Weimarer Republik eine grundlegende semantische Unschärfe und Ambivalenz zu, die seine Verwendung wiederum attraktiv machte. Über diese Unschärfe ließ sich der Anspruch auf gesellschaftliche Reintegration ebenso zum Ausdruck bringen wie die Vorstellung von Neuaufbruch und Neugestaltung, ließ sich die neugeschaffene Republik sowohl in Kontinuitätslinien stellen als auch der politische und soziale Wandel betonen. Diese Möglichkeit, die Ambivalenz und Offenheit der historischen Situation auszudrücken und sich als politische Bewegung gleichzeitig in der Frage von Deutschlands Gegenwart und Zukunft positionieren zu können, machte Heimat für verschiedene Parteien als Begrifflichkeit gerade so attraktiv.25 Gleichzeitig resultierte aus der konträren

24 Vgl. mit je unterschiedlichen Schwerpunkten etwa Steber, S. 277–278, 311; Confino, Germany as a Culture of Remembrance, S. 54–55; Weichlein, S. 242. 25 Ähnlich argumentiert Retterath hinsichtlich des Volks-Begriffs Retterath, bes. S. 133–168.

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Verwendung eine Politisierung des Begriffs, die seiner von verschiedenen Parteien zugemessenen integrativen Funktion letztlich widersprach. Wie die zitierten Beispiele zeigen, amalgamierten in der sozialdemokratischen Verwendung des Heimat-Begriffs Vorstellungen von ›Nation‹, ›Vaterland‹, ›Volksstaat‹, ›Volk‹, ›Demokratie‹ und ›Republik‹, die selbst wiederum mit unterschiedlichen politischen, sozialen und affektiven Bedeutungsgehalten verbunden waren. Angesichts dieser wenig trennscharfen Bedeutungsvielfalt meinten auch Sozialdemokraten nicht unbedingt dasselbe, wenn sie in der Anfangsphase der Weimarer Republik von Heimat sprachen. Zwar kritisierten alle sozialdemokratischen Parteien ein nationalistisches, monarchistisches und undemokratisches HeimatVerständnis, das sich durch soziale und politische Exklusivität auszeichnete und in der überwundenen Vergangenheit des Kaiserreichs lokalisiert wurde. Sie waren jedoch uneins, inwiefern Heimat sich zuallererst durch einen republikanischen oder sozialistischen Charakter auszeichnen sollte. So konnte der gemeinsame Willkommensgruß des Rats der Volksbeauftragten nur für kurze Zeit verdecken, dass sich bereits MSPD und USPD nicht darauf einigen konnten, was genau mit Heimat als Grundlage des gesellschaftlichen Neuaufbaus gemeint sein sollte. Dieser Dissens spiegelte eine der zentralen Konfliktlinien innerhalb der durch den Ersten Weltkrieg gespaltenen Arbeiterbewegung, in der sich das doppelte sozialistische Zukunftsversprechen auf politische Freiheit und materielle Sicherheit in gewissem Sinne auseinandergerissen fand: Während es der MSPD nicht schnell genug gehen konnte, die Revolution in geordnete Bahnen zu lenken, um auf dem Boden der parlamentarischen Demokratie mittels Reformen einen evolutionären Weg in Richtung sozialistischer Zukunft einzuschlagen, optierte die USPD für die Räterepublik und beharrte auf der weiter voranzutreibenden, auch auf die Ökonomie auszuweitenden Revolution, weswegen ihr die zu erreichende sozialistische Zukunft nur als radikaler Bruch mit der Vergangenheit denkbar schien.26 Daraus resultierte die Differenz, ob Heimat – im Sinne des mit dem Begriff verbundenen sozialen, politischen und materiellen Versprechens – in der republikanischen Gegenwart bereits ihre Verwirklichung und Verräumlichung gefunden habe oder aber weiterhin der Einlösung harre. Dieser Dissens zeigte sich daran, dass sowohl die MSPD als auch die USPD eigenständige Willkommensgrüße abfassten, die divergierende parteipolitische Stoßrichtungen aufwiesen. Friedrich Ebert bspw. rekurrierte in seiner »Ansprache an die Heimkehrenden Truppen« vom 10.12.1918, in der er sich nicht allein an die rückkehrenden »Genossen«, sondern das gesamte deutsche »Volk« richtete, auf Heimat. Dort hieß es: Froh begrüßen wir Euch in der Heimat. Seid willkommen von ganzem Herzen, Kameraden, Genossen, Bürger. Eure Opfer und Taten sind ohne Beispiel. Kein Feind hat Euch überwunden. Erst als die Übermacht der Gegner an Menschen und Material immer 26 Vgl. dazu u. a. Berger, Zukunft der Sozialdemokratie; Hölscher, Die verschobene Revolution; Lehnert, Reform und Revolution; Graf; Strommenger, Neujustierung.

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drückender wurde, haben wir den Kampf aufgegeben. […] Im Namen des deutschen Volkes tiefsinnigen Dank und noch einmal herzlichen Willkommengruß in der Heimat. Ihr findet unser Land nicht so vor, wie Ihr es verlassen habt. Neues ist geworden, die deutsche Freiheit ist erstanden. Die alte Herrschaft, die wie ein Fluch auf unseren Taten lag, hat das deutsche Volk abgeschüttelt. Es hat sich selbst zum Herrn über das eigene Geschick gemacht.27

Wie das Zitat verdeutlicht, nutzte Ebert Heimat als Integrationsangebot, um disparate Entwicklungen zusammenzuhalten. Die Begriffsverwendung ermöglichte es ihm, das Ende des Ersten Weltkriegs, die Novemberrevolution und die prognostizierten Aufgaben der nahen Zukunft in einen kontinuitätsstiftenden Zusammenhang zu stellen und mit der Erfahrungswelt der Frontsoldaten zu verknüpfen. Von einer in der Sozialdemokratie umstrittenen Darstellung des Ersten Weltkriegs ausgehend, betonte er den politisch veränderten, demokratischen Charakter der Heimat, wobei er den Begriff der Revolution nicht verwendete. Die zurückgekehrten Soldaten seien prädestiniert, »Träger der deutschen Zukunft« und »Deutschlands Einheit« zu werden. Um die von sozialer Armut gebeutelte und territorialer Zerrissenheit bedrohte Republik, den weiterhin prekären »Volksstaat«, abzusichern, so Eberts weiterer Appell, müssten die »fleißigen Hände« ebenso wie die »Treue zur Heimat« die »Zukunft unseres Volkes« erwirken.28 Durch Berücksichtigung der Analysekategorien Raum, Zeit und Zugehörigkeit gewinnt die Analyse weiter an Kontur: Unter den Perspektiven von Zeitlichkeit und Zugehörigkeit stellte Eberts Rede über den Heimat-Begriff nicht nur den Zusammenhang von Kriegsvergangenheit, republikanisch veränderter Gegenwart und zu erreichender Zukunft her, sondern überbrückte auch den Gegensatz von Front und Heimat, um auf diese Weise die ›Einheit des Volkes‹ zu proklamieren. Der sowohl temporale als auch identitätsstiftende Integrationsanspruch des Ebert’schen Heimat-Bezugs wird zudem über die Trias »Kameraden, Genossen, Bürger« deutlich, den man nahezu als personell spezifizierte zeitliche Abfolge von Krieg, Revolution und Republik lesen könnte, wobei sich Letztere für Ebert insbesondere durch eine klassenübergreifende Integration »aller Volksschichten« auszeichnete und Ziel der »Volksstaat« mit einheitlichem Staatsvolk ohne sich widersprechende politische Forderungen war. Mit Blick auf die Kategorie Raum gelang es Ebert, über den Heimat-Begriff räumliche Kontinuität und Veränderung zugleich zum Ausdruck zu bringen und diese miteinander in Beziehung zu setzen: Die alte Heimat habe während des Ersten Weltkrieges des Schutzes bedurft, der bis zur »Übermacht der Gegner an Menschen und Material« aufrechterhalten worden sei; die neue Heimat habe sich der »alte[n] Herrschaft« entledigt, »das deutsche Volk« habe »sich selbst zum Herrn über das eigene Geschick gemacht«, die »sozialistische Republik« sei entstanden. Verändert habe sich somit die poli­ tische Form des Gemeinwesens, wohingegen das »deutsche Volk« als ›wahrer und 27 Ebert, Ansprache an die Heimkehrenden Truppen, S. 3. 28 Ebd.

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eigentlicher‹ Träger desselben sich nunmehr erst in sein natürliches Recht gesetzt habe, mithin Kontinuität stifte.29 Wie die Rede zeigt, meinten die MSPD und insbesondere Ebert mit Heimat zuallererst die neu entstandene deutsche Republik, die auf dem Boden der parlamentarischen Demokratie weiter auszubauen, zur Heimat auch im materiellen Sinne zu machen sei, deren Zukunft sie jedoch durch zwei Entwicklungen gefährdet sahen: durch territoriale Zersplitterung und materielle Not. Dementsprechend verortete Ebert die neue Heimat im Spannungsfeld von territorialer und sozialer Prekarität, wobei er seinen Fokus auf die zu erhaltende, angestrebte Unteilbarkeit der »Deutsche[n] Republik« legte. Deswegen verknüpfte er Heimat und Nation ebenso eng miteinander wie Republik und Heimat, um bei den »Angehörige[n] aller deutschen Stämme« für eine gleichermaßen deutsche wie republika­nische Heimat, »die große unteilbare Deutsche Republik«, den »freie[n] Volksstaat Deutschland« zu werben.30 Auch gute acht Monate später, am 21.08.1919, brachte Ebert anlässlich seiner Vereidigung zum Reichspräsidenten im Reichstag vor Vertretern unterschiedlicher Parteien das Verhältnis von regionaler und nationaler Heimat zur Sprache und betonte die zu erhaltende, angestrebte nationale Einheit: »Da, in der engeren Heimat, liegt die Quelle unserer Kraft, in der weitern, in der großen Heimat, das Ziel und der Kern unserer Arbeit.«31 Dagegen wollte sich die USPD nicht mit der parlamentarischen Republik zufriedengeben. In einer ihrer zentralen Nachkriegsflugschriften, der zweiten Nummer der Leipziger Flugschriften »In der Heimat, in der Heimat …«, bezog sie sich schon mit dem Titel auf den Heimat-Begriff und thematisierte dabei ähnliche gesellschaftliche Nachkriegsprobleme wie Ebert. Doch bereits in ihrer Einschätzung des Krieges divergierten die beiden Parteien stark.32 Im Gegensatz zu Ebert verurteilten die Autoren der USPD sowohl die Kriegsursachen als auch die Kriegsfolgen entschieden: Der Krieg sei nicht geführt worden, »weil sich das Vaterland in Gefahr befand, sondern weil der deutsche Kapitalismus die Stunde gekommen glaubte, in der er seine Herrschaft über die ganze Welt aufrichten könnte.«33 Die Nutznießer des Krieges, die dessen Kosten nun auf all diejenigen abzuwälzen versuchten, die sie während des Krieges als »Proletarier im Waffenrock« und »Proletarier in der Heimat«34 wechselseitig gegeneinander aufgehetzt hätten, seien die 29 Ebd. Es zeigte sich darin ein verbreitetes sozialdemokratischen Verständnis des Staates, das diesen als neutrale Form begriff, die beliebig mit sozialdemokratischen Inhalten versehen werden könnte, ohne dass sich die Bewegung dadurch selbst verändern würde. Vgl. zu einer zeitgenössischen Kritik Pannekoek. 30 Ebert, Ansprache an die Heimkehrenden Truppen, S. 3. 31 Ders., Verhandlungen der verfassungsgebenden Deutschen Nationalversammlung, S. 2751. Vgl. dazu auch Pyta, S. 181. 32 Vgl. zur Spaltung anlässlich der Bewilligung der Kriegskredite wie auch generell zur unterschiedlichen Positionierung in Fragen des Ersten Weltkriegs Berger, Zukunft der Sozialdemokratie, bes. S. 57–60. 33 USPD, S. 4. 34 Ebd., S. 6.

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Kapitalisten. Vor diesem Hintergrund rekurrierte zwar auch die USPD auf »ein äußerlich verändertes Deutschland«,35 das die von der Front zurückkehrenden Soldaten vorfänden, schätzte dessen Neuartigkeit wie auch die zukünftigen gesellschaftlichen Herausforderungen jedoch anders ein. Sie legte ihren Fokus nicht auf die territoriale Einheit Deutschlands, sondern auf die politischen, sozialen und ökonomischen Gegenwartsprobleme. Zwar warf auch die USPD die Frage des Zusammenhangs von »Reich, […] Einzelstaaten, […] Gemeinden«36 auf, sah die »sozialistische[] Revolution«37 jedoch insbesondere vor die Aufgabe gestellt, erst noch vollendet werden zu müssen. Nur so könne der materiellen und sozialen Not, mit der sich weite Teile der Bevölkerung konfrontiert sahen, Linderung verschafft werden, was das »kapitalistische[] Bürgertum und seine[] Handlager«, zu denen auch die »Regierungssozialisten« gezählt wurden, mit allen Mitteln zu verhindern bestrebt seien. Das Wirtschaftsleben müsse sozialisiert werden, die »Gemeinschaft der Arbeitenden […] die Verfügung über die Produktionsmittel […] übernehmen«, damit nicht »der Profit des Kapitalisten […], sondern die Bedürfnisse der menschlichen Gesellschaft« die Produktion bestimmten.38 Um dies erreichen zu können, appellierte auch die USPD an die zurückgekehrten Soldaten, sich an der Neugestaltung zu beteiligen: ›In der Heimat, in der Heimat, Da gibt’s ein Wiedersehen.‹ So haben die Soldaten gesungen, als sie auszogen. Nun weilen sie wieder unter uns, nun müssen sie helfen, daß die Heimat auch für sie eine Wohnstätte der Freude, der Lebenslust, des Friedens werde. Arbeitet mit uns für den Sozialismus, tretet ein in die Reihen der Unabhängigen Sozialdemokratie, […], daß die Nationalversammlung den Willen der Revolution vollstreckt, und daß aus Deutschland ein sozialistisches Gemeinwesen wird!39

Wie das Zitat zeigt, hatte das mit Heimat verbundene Versprechen auf sichere Lebensverhältnisse aus Sicht der USPD in der Republik noch keine räumliche Verwirklichung gefunden, sondern musste zukünftig erst noch eingelöst werden. Ihre Priorisierung in dem Spannungsfeld zwischen territorialen bzw. nationalen und sozialen Bezügen lag eindeutig auf der Seite sozialer und materieller Sicherheit. In scharfem Kontrast zu Eberts Vorstellung von gegenwärtiger Harmonie und Einheit war Heimat für die USPD weiterhin umkämpft, durch Klassenkampf gespalten und von den ›Herrschenden‹ unrechtmäßig usurpiert. Erst die Zukunft könne statt des Elends Glück für alle bereithalten, erst wirklich zur Heimat im Sinne materieller und sozialer Sicherheit werden. In gewissem Sinne nutzte die USPD den Begriff somit weiterhin zur Bebilderung eines Versprechens sicherer Lebensverhältnisse und unproblematischer Zugehörigkeit in der erst noch zu erreichenden sozialistischen Zukunft. 35 Ebd., S. 4. 36 Ebd., S. 5. 37 Ebd., S. 4. 38 Ebd., S. 10–11. 39 Ebd., S. 14–15.

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Mit Blick auf die gespaltene Sozialdemokratie blieb demnach unklar, was Heimat überhaupt zum Ausdruck brachte und bringen sollte: Bezeichnete der Begriff den räumlichen Zusammenhang der Nation oder war vielmehr die Republik, demnach die soziale und politische Verfasstheit des Gemeinwesens, ausschlaggebend? MSPD und USPD besaßen divergierende Heimat-Verständnisse, die zwei Pole im Spannungsfeld nationaler und sozialer Bezüge darstellten, das sozialis­ tische Heimat-Konzepte grundsätzlich kennzeichnete.40 Diese unterschiedlichen Verständnisweisen spiegelten das uneindeutige Selbstverständnis der gespaltenen Sozialdemokratie, die nach der Revolution zwischen einer revolutionären Arbeiterpartei und einer Volks- und Regierungspartei changierte. Während sich die MSPD für eine reformorientierte Mitgestaltung der demokratisierten Heimat aussprach, nutzte die USPD den Begriff, um gesellschaftliche Missstände anzuprangern. Daher verwundert es nicht, dass es insbesondere reformorientierte Teile der Bewegung waren, die im regionalen Raum eine sozialdemokratische Form der Heimat-Kulturpolitik verfolgten. Obgleich beide Parteien mit ihrer Begriffsverwendung demnach in Teilen unterschiedliche Ziele verfolgten, verdeutlicht die Kontroverse gleichzeitig, dass die Heimat-Bezüge in beiden Fällen eine ähnliche Funktion als Transformationsbegriff in der Umbruchphase 1918/19 einnahmen. Die beiden sozialdemokratischen Parteien nutzten den Heimat-Begriff, um die infrage gestellte und damit veränderbare Form der Vergesellschaftung neu zu verhandeln und in ihrem Sinne zu gestalten. Wie diese Neuverhandlung aussah und wie sie sich im Verlauf der Weimarer Republik veränderte, wird in den drei folgenden Teilen der Arbeit mit Fokus auf die (Mehrheits-)Sozialdemokratie anhand der analytischen Kategorien Raum, Zeit und Zugehörigkeit näher dargelegt.

40 Vgl. zu einer ähnlichen Unterscheidung zwischen einem ›arealen‹ und einem ›sozialen‹ Heimat-Verständnis Kaschuba, S. 12.

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1. Räume der Heimat »Das deutsche Wort Heimat verweist auf eine Beziehung zwischen Mensch und Raum.«1 Diese gleichermaßen zutreffende wie angesichts ihrer Allgemeinheit wenig aussagekräftige Feststellung stellt in der Forschung zu ›Heimat‹ einen Allgemeinplatz dar. Er wird von geschichts- und kulturwissenschaftlichen Arbeiten ebenso vertreten wie von literaturwissenschaftlichen oder ethnologischen Studien.2 Allerdings ist damit kaum geklärt, worin diese Beziehung genau besteht, die alles andere als historisch voraussetzungslos ist und erklärungsbedürftig bleibt. Der Historiker Rolf Petri, aus dessen Feder das Zitat stammt, hat spezifizierend darauf hingewiesen, dass das mit dem Heimat-Begriff verbundene Verhältnis zwischen Menschen und Räumen diachronen Wandlungen unterliege. Auch in der synchronen Betrachtung könne es je nach Größe des räumlichen Bezugsrahmens variieren, der von konkreten Orten wie Dörfern über Region und Nation bis hin zu relativ unbestimmt bleibenden Räumen wie Landschaften reiche. Dabei bezeichne Heimat »weniger einen konkreten Ort«, sondern den Prozess von dessen »Verinnerlichung«, von »Identifikation, Erinnerung und psychologischer Verarbeitung«.3 Petri hat mit der Frage nach dem Verhältnis von Heimat und Raum einen zentralen Problemzusammenhang formuliert, der im Zentrum des ersten Teils der Arbeit zu »Räumen der Heimat« steht. Trotz der Bedeutung, die dem Verhältnis von Heimat und Raum nahezu konsensual zugeschrieben wird, hat sich die historische Forschung bislang auf einige zentrale Deutungslinien beschränkt und insbesondere diskursive Heimat-Raum-Bezüge in das Zentrum gerückt, wohingegen die ebenfalls zentralen raumbezogenen Praktiken und Handlungen weniger Berücksichtigung gefunden haben. Auch eine umfassende theoretisch-methodische Reflexion der Erkenntnispotenziale und Grenzen einer geschichtswissenschaftlichen Analyse der »Räume der Heimat« bleibt vor diesem Hintergrund ein Desiderat.4 Eine der wenigen Ausnahmen bildet Martina Stebers Studie »Ethnische Gewissheiten«, die die Frage der Heimat-Praxis gleichwohl ebenfalls nicht explizit methodologisch diskutiert.5 Dementsprechend liegt kein theoretisch-methodisches Instrumentarium vor, auf das einfach zurückgegriffen werden könnte. Vielmehr muss an dieser Stelle in Auseinandersetzung mit aktuellen Ansätzen der Raumgeschichte 1 Petri, S. 77. 2 Vgl. exemplarisch Gebhard u. a., S. 10–11; Greverus; Schmoll, Orte und Zeiten, S. 31; Eigler u. Kugele, Heimat. 3 Petri, S. 77. 4 Vgl. zu einer ähnlichen Einschätzung für die Germanistik und Kulturwissenschaften Eigler u. Kugele, Introduction, S. 1–12. 5 Vgl. Steber, bes. S. 13–18.

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und unter Rückgriff auf die dort bereits entwickelten theoretisch-methodischen Überlegungen erst eine analytische Perspektive auf die »Räume der Heimat« entwickelt werden. Die geschichtswissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Verhältnis von Geschichte und Räumlichkeit ist dabei kein Proprium aktueller Forschungsdiskussionen. So behandelte bereits Reinhart Koselleck die Frage von »Raum und Geschichte«.6 Nichtsdestoweniger hat sich infolge der als spatial turn bezeichneten Neubeschäftigung eine vielstimmige Theorie- und Methodendiskussion entwickelt.7 An dieser Stelle ist es nicht das Ziel, diese Diskussion in all ihren Verästelungen nachzuvollziehen. Vielmehr sollen aktuelle raumtheoretische Überlegungen für das spezifische Forschungsinteresse dieser Arbeit adaptiert werden. Ausgegangen wird hierzu von Susanne Raus Unterscheidung zwischen 1. Raumkonstitution und -dynamiken, 2. Subjektiven Konstruktionen von Räumen durch diskursive Deutungen sowie 3. Raumpraktiken.8 Diese Unterscheidung ermöglicht nicht allein einen multiperspektivischen und methodisch reflektierten Zugriff auf Heimat-Räume, sondern entspricht in weiten Teilen dem in dieser Arbeit verfolgten Vorgehen, Heimat im Spannungsfeld von Semantik und Praxis zu untersuchen, ohne dabei die gesellschaftsgeschichtlichen Kontexte, die das Denken und Handeln der historischen Akteure mitbestimmten, zu vernachlässigen. Um Raus Unterscheidung und das in dieser Arbeit verfolgte Vorgehen zu synthetisieren, wird die Analyse um die Unterscheidung von 1. Erfahrungs-, 2. Deutungs- oder Imaginations- sowie 3. Handlungsräumen erweitert. Auch wenn den historischen Konstruktionen von Heimat-Räumen, im Sinne von deren praktischer Nutzung, Aneignung und Gestaltung oder diskursiv entworfenen Heimat-Bildern, zentrale Bedeutung beigemessen wird, ist damit nicht gemeint, dass sich diese Prozesse unabhängig von einer auch außerhalb dieser historischen Konstruktionen vorfindlichen materiellen Welt vollzogen hätten. Die historischen Akteure entwarfen gedanklich Heimat-Räume und brachten durch ihre Praxis manche dieser Räume und Orte überhaupt erst hervor.9 In dieser Hinsicht wird Raum »als kognitive Sinnordnung verstanden, die sich durch Wahrnehmung, Austausch und Deutung in einem ständigen Prozess der Neukonstruktion befindet.«10 Gleichzeitig sind historische Raumkonstruktionen, die Aufschluss über die Sehnsüchte, Imaginationen und Ängste der sie hervor6 Vgl. Koselleck, Raum und Geschichte. 7 Vgl. zu einem Forschungsüberblick mit Fokus auf die Geschichtswissenschaften Rau, S. 17–121. 8 Vgl. ebd., S. 13–14. Rau führt die Unterscheidung an dieser Stelle ein, die hier etwas zusammengefasst wiedergegeben wird. 9 Die Unterscheidung von Raum und Ort ist in der Raumgeschichte umstritten. In dieser Arbeit wird von einer pragmatischen Unterscheidung ausgegangen, nach der es sich bei Räumen um Entitäten größerer Ausdehnung, bei Orten um kleinere, konkret lokalisierbare Entitäten handelt. Sowohl Räume als auch Orte werden einerseits als materielle Realitäten konzeptualisiert, die gleichzeitig fortwährend diskursiv gedeutet und durch unterschiedliche Formen der Praxis verändert werden. 10 Steber, S. 15.

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bringenden Gesellschaft geben,11 stets unter der Perspektive ihrer Grenzen zu betrachten. Damit sind sowohl gesellschaftliche Grenzen, die die Arbeiterbewegung vehement kritisierte, als auch physikalische Grenzen gemeint.12 Die historischen Akteure handelten in räumlichen Gefügen und veränderten diese, waren darin jedoch nicht vollkommen frei, sondern fanden eine bereits gegebene physikalische sowie diskursiv und sozial geformte Welt vor, die sie nicht nach Belieben umgestalten konnten. Wie Steber mit Bezug auf das Konzept der Region festgehalten hat, stehen die »kognitiv-emotionale sowie die rein strukturelle Ebene […] in einem ständigen Wechselprozess.«13 Wie lassen sich die theoretisch-methodischen Überlegungen für die Untersuchung sozialistischer Heimat-Räume präzisieren? Aus der analytischen Perspektive von Raumkonstitution und -wandel stellt das erste Kapitel dar, wie sich infolge des Ersten Weltkriegs und der Novemberrevolution eine veränderte Raum-Konstellation herausbildete, die sowohl die politische als auch die territoriale Form der regionalen Heimat-Räume betraf. Kapitel 1.1 befasst sich demnach mit den Erfahrungsräumen, d. h. der besonderen regionalen Nachkriegssituation in der Pfalz und in Sachsen sowie den politischen Gestaltungsmöglichkeiten der regionalen SPD. Dabei wird bereits deutlich, dass die historischen Akteure diesen Bedingungen nicht passiv ausgeliefert waren, sondern sie diskursiv und praktisch mitgestalteten, weswegen die zu Beginn der Weimarer Republik konstituierten Regionalräume in der Folge weiterer Veränderung unterlagen.14 Kapitel 1.2 analysiert die semantischen Deutungslinien sozialistischer HeimatRäume. Mit Rau geht es davon aus, dass diskursive Raumkonstruktionen sich »an gesellschaftlichen Konventionen und Diskursen« orientieren, folglich »soziale Konstruktionen« sind.15 An die skizzierten Überlegungen anschließend, fragt das Kapitel nach sozialistischen Konzeptionen von Region, Natur, Landschaft und Stadt, die einerseits gesamtgesellschaftliche Bezugspunkte darstellten und in denen sich gleichzeitig das spezifische Verhältnis der Arbeiterbewegung zur Moderne äußerte. So bezeichneten sowohl die Sozialdemokratie als auch andere politische Gruppierungen und Milieus die Pfalz oder Sachsen als Heimat, gleichwohl waren damit divergierende Heimat-Deutungen verbunden. Dabei wird die Spezifik diskursiv entworfener Heimat-Räume einerseits in sozialistische Deutungstraditionen seit dem Kaiserreich gestellt, andererseits die Kritik an bürgerlich-konservativ konnotierten Heimat-Räumen herausgearbeitet. Wie sich darin andeutet, sprach aus Heimat-Bildern stets auch ein Verständnis von Gesellschaft oder gesellschaftlicher Ordnung, weswegen zudem analysiert wird, welche sozia11 Vgl. zu den gesellschaftlichen Ängsten infolge der Novemberrevolution unter spezifisch räumlicher Perspektive Aulke, bes. S. 118–193. 12 Vgl. zu Letzterem die Unterscheidung historischer und metahistorischer Räume von Koselleck, Raum und Geschichte, S. 83–89. 13 Steber, S. 16. 14 Vgl. zum räumlichen Wandel Rau, S. 167. 15 Ebd., S. 172.

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len Bindungen an die regionalen oder sozio-kulturellen Räume mit Heimat zum Ausdruck gebracht wurden.16 Kapitel 1.3 geht abschließend auf die kleinen Orte sozialdemokratischer Heimat-Praxis und Heimat-Kulturpolitik in der Weimarer Republik ein. Der Teil »Räume der Heimat« folgt demnach einer zunehmenden räumlichen Verengung von den regionalen und nationalen Kontexten über die Deutungen dieser Kontexte bis hin zu Versuchen ihrer praktischen Gestaltung und Veränderung. Für ein solches Vorgehen kann methodisch auf wenig Vorarbeiten zurückgriffen werden, da auch zur bürgerlichen Heimatbewegung kaum Studien vorliegen, die mit Heimat verbundene Praktiken und Handlungen an eng umgrenzten und gleichzeitig exemplarischen Orten untersuchen. Daher eignet sich das Analysevorgehen ebenfalls für eine zukünftige Neubetrachtung der bürgerlichen Heimatbewegung. Anhand von Heimatmuseen, Naturfreundehäusern und Naturfreundeausstellungen fragt das Kapitel nach der praktischen Konstitution dieser Heimat-Orte, nach den Ideen, die mit ihrer Etablierung verbunden waren, sowie danach, in welche Beziehung sie zu den größeren Kontext-Räumen Region, Natur, Stadtraum oder Landschaft gestellt wurden. Unter Rückgriff auf Raus Konzept räumlicher Aneignung wird nachgezeichnet, wie die Arbeiterbewegung versuchte, sich existierender Räume zu bemächtigen und eigene Räume zu schaffen.17 Im Anschluss an André Biederbecks Unterscheidung gesellschaftlicher Allgemeinorte und sozialistischer Partikularorte wird dargestellt, worin die Spezifik der Raumaneignung in der Arbeiterbewegung lag.18 Aufgrund der besonders engen Beziehung zwischen Semantik und Praxis in der Arbeiterbewegung ist eine eindeutige analytische Trennung der Kapitel 1.2 und 1.3 dabei nicht immer möglich, vielmehr überlappt sich die Analyse.

1.1 Regionale Heimat-Räume nach dem Ersten Weltkrieg: Zwischen bedrohter Ordnung und der sozialdemokratischen Chance auf Neugestaltung Auch im lokalen und regionalen Raum verwendeten Sozialdemokraten 1918/19 den Heimat-Begriff, um sowohl die Krisenhaftigkeit der Nachkriegsphase als auch sich eröffnende sozialdemokratische Gestaltungsmöglichkeiten zu benennen. Diese doppelte Perspektive auf die regionalen Erfahrungsräume Pfalz und Sachsen wird in den folgenden beiden Teilkapiteln näher ausgeführt, die den gesellschaftsgeschichtlichen Kontext für die Analyse der Heimat-Semantiken und Heimat-Praktiken bereitstellen. Kapitel  1.1.1 befasst sich mit den spezifischen regionalen Nachkriegsherausforderungen in der Pfalz und in Sachsen. Es fragt 16 Vgl. zu Heimat als sozialem Raum Schmoll, Orte und Zeiten, S. 31–33; Jäger, Heimat, S. 8. 17 Vgl. zum Konzept der Aneignung Rau, S. 168. 18 Vgl. zu der Unterscheidung Biederbeck, S. 139–140.

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zum einen danach, inwiefern sich die »Disponibilität des Territorialen«19 infolge von Weltkrieg und Revolution, die Martina Steber mit Fokus auf das bayerische Schwaben beschrieben hat, auf die beiden Regionen auswirkte. Zum anderen untersucht es, wie konfliktiv die Auseinandersetzung um die zukünftige politische Verfasstheit der Regionalräume ausfiel und welche Bedeutung Formen regionaler Identität dabei zugeschrieben wurde. Im sozialdemokratischen Verständnis wurden die durch die Novemberrevolution neu entstandenen Heimat-Räume nicht statisch gedacht, sondern als veränderbare Orte konzeptualisiert. Insbesondere die reformorientierten Teile der SPD argumentierten, es stelle einen Zwischenschritt auf dem Weg in Richtung Sozialismus dar, die Republik auch in der Region zu verankern und diese zu einer Heimat – im Sinne regionaler Zugehörigkeit und sicherer Lebensverhältnisse – für die Arbeiterschaft zu machen. Damit gingen die Fragen einher, was eine demokratisierte Heimat auf Ebene der Region bedeutete und wie die Republik auf lokaler und regionaler Ebene gestärkt werden könne. Zu diesem Zweck versuchte die SPD nicht nur, größtmöglichen Einfluss in der Kommunal- und Landespolitik zu erlangen, sondern forcierte zudem die Beeinflussung der Regionalkultur durch die Etablierung einer sozialdemokratisch veränderten regionalen Kulturpolitik bzw. Heimat-Kulturpolitik. Dazu fand sie in den Schwerpunktregionen unterschiedliche politische Voraussetzungen vor. Vor diesem Hintergrund wird in 1.1.2 ein kurzer Überblick gegeben, über welche Möglichkeiten die pfälzische und die sächsische SPD zu Beginn der Weimarer Republik jeweils verfügte, um ihre Vorstellung von Heimat und Heimat-Kulturpolitik umzusetzen. Dabei geht es sowohl um politische Einflussmöglichkeiten auf kommunaler und auf Landesebene als auch um die politische Ausrichtung der Arbeiterbewegung. 1.1.1 Prekäre und bedrohte Heimat-Räume in der Pfalz und in Sachsen 1.1.1.1 Pfalz In der pfälzischen Sozialdemokratie spielte der Heimat-Begriff zur Thematisierung der regionalen Nachkriegsverhältnisse eine besonders zentrale Rolle. Das hatte insbesondere zwei Gründe: Es lag zum einen an dem territorial prekären Status der Pfalz, die kein eigener Staat im Verbund des Deutschen Reiches, sondern ein Regierungsbezirk im Freistaat Bayern war. Darüber hinaus wurde die Region am 01.12.1918 von französischen Truppen besetzt, wodurch ihre Zugehörigkeit zur deutschen Nation infrage stand.20 Zum anderen beförderte die reformorientierte Ausrichtung der regionalen SPD ein solches Vorgehen. In Ludwigshafen, das neben Kaiserslautern einen der Hauptorganisationsorte des pfälzischen SPDBezirks bildete, herrschte diesbezüglich in der MSPD weitverbreitete Einigkeit, 19 Steber, S. 217. 20 Vgl. Applegate, S. 121; Kraft, S. 35. Die französische Besatzung bestand bis zum 30.06.1920. Vgl. ebd., S. 14.

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wohingegen die USPD nur eine randständige Rolle spielte.21 Erstere stimmte prinzipiell mit Eberts Positionen überein, sorgte sich um die Reichseinheit, optierte gegen die Fortsetzung der Revolution und für einen geordneten Übergang in Richtung parlamentarischer Demokratie. Vor diesem Hintergrund deckten sich auch die Heimat-Bezüge der pfälzischen MSPD politisch weitgehend mit der Begriffsverwendung Eberts, wiesen aufgrund des prekären Zugehörigkeitsstatus der Pfalz gleichwohl eine zusätzliche Bedeutungsschicht auf und betonten die Bedeutung der pfälzischen Regionalidentität. Dies zeigt etwa das Vorgehen des MSPD-Gauvorstands22 in der Revolutionsphase. Dieser wandte sich am 22.11.1918 in der sozialdemokratischen Regionalzeitung »Pfälzische Post« mit einem »Aufruf an unsere Parteigenossen der Pfalz!«23 an die Öffentlichkeit und äußerte sich darin zum revolutionären Geschehen im Reich, in Bayern und der Pfalz. Der Aufruf richtete sich zuallererst an die »zurückgekehrten und noch heimkehrenden Genossen« und begrüßte sie in »der lieben Heimat, die ihr allzulange entbehren mußtet«. Auch wenn mit dem Heimat-Begriff an dieser Stelle nicht allein die deutsche Republik, sondern zuvorderst die Pfalz als parteiübergreifende regionale, sprich »engere Heimat«, gemeint war, folgte die Pfälzer Parteiführung Eberts Argumentation, indem sie den Begriff eng mit Vorstellungen eines veränderten, von ungebührlicher Herrschaft befreiten Deutschlands verknüpfte. Nach ihrer Rückkehr fänden die »Brüder und Genossen« nicht das »alte Deutschland, das Deutschland der Fürsten und Junker« vor, vielmehr sei ein »neues Deutschland […] im Werden begriffen«, dessen Existenz den »in der Heimat befindlichen Kameraden« zu verdanken sei, »die dem Militarismus den Todesstoß versetzt […] [und] die alten Götzen zerschlagen [haben], um die Freiheit zu erringen.«24 Mit dieser Gegenwartsbeschreibung verknüpfte der Gauvorstand einen Handlungsappell, sich am weiteren »Auf- und Ausbau« zu beteiligen. Um die neu entstandenen Gestaltungsmöglichkeiten nutzen zu können, sei die durch den Krieg geschwächte lokale und regionale Parteiarbeit so schnell wie möglich wieder aufzunehmen, wozu auch der Wiederaufbau aller nach Kriegsende nicht mehr bestehenden Ortsgruppen zähle. Mit starken Wahlergebnissen könne die Sozialdemokratie ihre Chance nutzen, eine wesentliche Gestaltungskraft »im neugeschaffenen Vaterland« zu werden. Um die volle sozialdemokratische Schlagkraft zu erlangen, sei es darüber hinaus entscheidend, den Streit zwischen MSPD und USPD zu beenden und Einigkeit zu beweisen; was aus der Perspektive der MSPD bedeutete, dass die USPD eine politische Kursänderung vorzunehmen 21 Vgl. zur USPD ebd., S. 30–31. 22 Zum Gauvorstand gehörten 1918 folgende Personen: »Bruno Körner, Vorsitzender; Friedrich Profit, Sekretär, Jakob Binder; Karl Fischer; Emil Gerisch; Richard Hammer; Josef Huber; Gg. Käb; Paul Kleefoot; Babette Massenbeier; Georg Michel; Albert Rauschert; Karl Rickert; Ludwig Strauch.« Vgl. Gauvorstand der Pfalz, S. 1. 23 Ebd. 24 Ebd.

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habe.25 Dementsprechend argumentierte sie, das vordringliche Ziel liege in der »Aufrechterhaltung der Ordnung und Sicherheit« und verbreitete zu diesem Zweck u. a. Eberts Apell vom 09.11.1918, in dem er die »Mitbürger« zu Ruhe und Ordnung aufrief.26 Die Verwendung des Heimat-Begriffs durch die pfälzische MSPD verknüpfte Region und Nation mit der angestrebten politischen Ordnung einer parlamentarischen Demokratie. Ein ähnliches Verständnis bestätigen Fotografien, die Transparente mit »Willkommensgrüßen« im Ludwigshafener Stadtraum zeigen.27 Den revolutionären Vorgängen in München stand sie hingegen skeptisch bis ablehnend gegenüber. Einen Tag, nachdem Kurt Eisner am 08.11.1918 den »Freistaat Bayern« ausgerufen hatte, äußerte die »Pfälzische Post« ihre Skepsis gegenüber den Ereignissen in München. Noch bevor die repressiven politischen Verhältnisse des Kaiserreichs wirklich überwunden waren, betrachtete sie die Novemberrevolution bereits unter der Perspektive des geordneten Neuaufbaus und forderte gesellschaftliche Opferbereitschaft ein.28 Die Skepsis gegenüber den revolutionären Entwicklungen in München war jedoch nicht allein der reformistischen Ausrichtung der pfälzischen MSPD geschuldet. Vielmehr machte sich in der »Pfälzischen Post« das in weiten Teilen der regionalen Parteienlandschaft verbreitete Gefühl einer unfreiwilligen Abhängigkeit von den politischen Entwicklungen im entfernten Bayern geltend. So beschrieb der Leitartikel die möglichen Auswirkungen der Revolution und des Ausgangs der Friedensverhandlungen auf den territorialen Status der Pfalz nicht ohne Koketterie: »Wir Pfälzer können uns den Luxus nicht leisten, bei dieser Revolution Subjekt zu spielen, weil wir zu sehr deren Objekt sind«.29 Diesbezüglich betrachtete der Artikel die revolutionären Ereignisse nicht in erster Linie aus einer spezifisch sozialdemokratischen, sondern zuvorderst aus einer parteiübergreifenden Perspektive aller Pfälzer. Seine Kritik richtete sich nicht zuallererst gegen die Feinde der Republik von rechts. Das Lob der »Zusammensetzung der neuen Regierung, die zum größeren Teil aus Sozialdemokaten der alten Partei besteht«,30 legt vielmehr nahe, dass die pfäl­ zische MSPD insbesondere weiter links stehende Kreise meinte, wenn sie von einer Gefährdung der Republik sprach – und mit ihrer Positionierung gegenüber den Ereignissen in München auch der revolutionären Bewegung in der Pfalz Einhalt gebieten wollte.31 Das in dem Leitartikel zum Ausdruck kommende sozialdemokratische Bekenntnis zu einer parteiübergreifenden pfälzischen Regionalidentität im Krisen25 Alle Zitate aus ebd. Vgl. zum Blick auf die USPD N. N., Die Wahlen, S. 1. 26 Vgl. dazu das entsprechende Flugblatt im Landesarchiv Speyer LASp, T 91, Nr. 105, fol. 2. Vgl. zu den verschiedenen Konfliktphasen zwischen MSPD und USPD bis 1920 Kraft, S. 29–36, 41–46, 62–65. 27 Vgl. StALu, Fotosammlung 13587; StALu, Fotosammlung 28225. 28 Vgl. den Zeitungsartikel N. N., Die revolutionäre Bewegung, S. 1. 29 Ebd. 30 Ebd. 31 Vgl. zur unmittelbaren Nachkriegs- und Revolutionsphase Kraft, S. 23–34.

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fall entstand dabei nicht ad hoc. Eine solche hatte sich vielmehr im Laufe der wechselvollen Geschichte der Region und der damit zusammenhängenden, seit dem 18. Jahrhundert virulenten Identitätsdiskurse herausgebildet. Als Grenz­ region konnte sie bereits auf mehrfache Zugehörigkeitswechsel zurückblicken. Die französische Herrschaft ab 1792 hatte die nationale Zugehörigkeit der Region infrage gestellt, aber auch eine vergleichsweise liberale Rechtsordnung eingesetzt, an der die pfälzische Bevölkerung festhalten wollte, nachdem die Pfalz 1816 bayerisch geworden war. Zugleich befeuerten Auswanderungswellen ab Beginn des 18. Jahrhunderts, die aus konfessionellen und ökonomischen Gründen erfolgten, die milieuübergreifende Auseinandersetzung mit Heimat und regionaler Identität. Eine solche war nicht allein in den Exilgemeinden im Ausland virulent, sondern auch in der pfälzischen Herkunftsgesellschaft, die sich durch die hohen Auswandererzahlen einschneidend veränderte.32 An diese Geschichte territorialer Zugehörigkeitsfragen knüpfte die Argumentation der pfälzischen MSPD 1918/19 an. Die Frage pfälzischer Zugehörigkeit blieb auch in der Folge eng mit der bayerischen Landespolitik verbunden. Dazu trug entscheidend bei, dass der pfälzische MSPD-Mann und ehemalige Volksschullehrer Johannes Hoffmann33 infolge der ersten Wahlen zum Bayerischen Landtag, die keine Mehrheit für die beiden sozialdemokratischen Parteien ergeben hatten, am 17.03.1919 zum Ministerpräsidenten einer Minderheitenregierung gewählt wurde. Nach der Ermordung des ersten bayerischen Ministerpräsidenten Kurt Eisner am 21.02.1919 waren Hoffmanns Wahl zunehmende Konflikte zwischen den Vertretern der USPD und der MSPD innerhalb des Kabinetts Eisner vorausgegangen, in dem Hoffmann die Position als Kultusminister eingenommen hatte. Hoffmanns reformorientierte Ausrichtung und Beschwörung nationaler ebenso wie regionaler Identität äußerte er am 18.03.1919, einen Tag nach seiner Wahl, im bayerischen Landtag. In seiner Rede forderte er von den Siegermächten nicht nur das »Recht auf Menschlichkeit« ein, das allen deutschen Gefangenen und den besetzten Gebieten zukommen müsse, sondern wandte sich zudem direkt an die Pfälzer: Wir senden Grüße auch über den Rhein hinüber zu unseren pfälzischen Brüdern, deren Land vom Feinde besetzt ist. (Beifall.) Kräfte sind am Werke, um die Pfalz von Bayern und vom Reiche abzusprengen und Beihilfe leistet jene Sorte von Geschäftspatrioten, die für Geld und Profit ihr Vaterland verkaufen. (Sehr richtig!) Im Unglück erst bewährt sich die Freundschaft und ich darf im Namen aller Abgeordneten sagen: Wir Bayern verlassen die Pfälzer nicht und die Pfälzer stehen treu zu Bayern und zum Reiche.34

32 Vgl. Applegate, S. 1–58; Ruppert, S. 13–31, zur Auswanderung, S. 93–95; zur Veränderung lokaler und regionaler Herkunftsgesellschaften durch hohe Auswanderungszahlen Steffens, S. 3–5. 33 Vgl. zu Hoffmann Hennig. 34 Vgl. Hoffmann, Verhandlungen, Sitzung vom 18.03.1919, S. 16–17.

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Hoffmann redete demnach nationalistischen und antifranzösischen Positionen das Wort. Zudem kritisierte er das separatistische Handeln von Teilen des pfäl­ zischen Bürgertums, die sich aus Angst vor einer sozialistischen Republik um eine Loslösung der Pfalz von Bayern bemühten, mit dem Argument des kapitalis­ tischen Ausverkaufs des Vaterlands, das sich in der pfälzischen MSPD auch in der retrospektiven Einschätzung des Ersten Weltkriegs äußerte.35 Er betonte darüber hinaus das sozialdemokratische Eintreten für die Reichseinheit und sicherte den Pfälzern die Unterstützung der bayerischen Landesregierung zu. Damit brachte er gleichzeitig implizit zum Ausdruck, dass der Zusammenhang von Region und Nation gerade keine Selbstverständlichkeit darstellte. Für die weitere Entwicklung in Bayern und der Pfalz von eminenter Bedeutung war zudem Hoffmanns Agieren im Kontext der Niederschlagung der Münchner Räterepublik. Am 07.04.1919 riefen der »Zentralrat der bayerischen Republik« und der »Revolutionäre Arbeiterrat für München« die Räterepublik aus, woraufhin zwei konkurrierende Regierungen bestanden: die Exilregierung Hoffmanns in Bamberg und die Regierung der ersten Räterepublik, die am 13.04. von der kommunistischen Räterepublik abgelöst wurde. In deren anschließender brutaler Niederschlagung – zunächst nur durch bayerische Truppen, nach deren Scheitern durch eine von Gustav Noske ausgeführte Reichsexekution mit Freikorpseinheiten aus Berlin – nahm Hoffmann eine ähnliche Rolle ein, wie sie Ebert Anfang des Jahres bei der Niederschlagung des Spartakusaufstandes in Berlin gespielt hatte.36 Wie Michael Brenner argumentiert, eignete der Niederschlagung ein antisemitisches Moment. Das von Noske und anderen Sozialdemokraten unterstützte Vorgehen leitete in der Folge einen Rechtsruck in Bayern ein, dem die Regierung Hoffmann nach dem Kapp-Putsch im März 1920 selbst zum Opfer fiel.37 Die Reaktionen der pfälzischen MSPD auf die dramatischen Entwicklungen in München bestätigten ihre Übereinstimmung mit der politischen Linie Hoffmanns. In einem Artikel aus der »Pfälzischen Post« hieß es dazu in unumwundener Klarheit: Als es der Regierung Hoffmann klar zum Bewusstsein kam, daß ohne Anwendung der äußersten Gewalt, die zu vermeiden sie lange gehofft hatte, an eine Sanierung der Verhältnisse in Bayern nicht zu denken sei, ging sie mit erfreulicher Energie an die Aufgabe.38

Das Agieren Hoffmanns wirkte sich auch mittelfristig auf die politischen Entwicklungen in der Pfalz aus. Wie sich zeigen wird, sollten sowohl seine Beteiligung an der Niederschlagung der Münchner Räterepublik als auch sein Eintreten für die Reichseinheit und die Zugehörigkeit der Pfalz zum Reich die politische Situation in der Region Anfang der 1920er Jahre noch beeinflussen. 35 Vgl. bspw. Profit, Die Zukunft der Pfalz, S. 1. 36 Vgl. zur Geschichte der Münchner Räterepublik jüngst Brenner; mit Fokus auf Johannes Hoffmann Hennig, S. 253–329. 37 Vgl. Brenner, einleitend S. 13–39. 38 N. N., Zur Lage in Bayern, S. 1.

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Die Frage von Heimat, regionaler und nationaler Zugehörigkeit blieb in der pfälzischen SPD in den Folgemonaten und Jahren von zentraler Bedeutung. Sie erhielt angesichts der separatistischen »Autonome Pfalz«-Bewegung im Mai 1919 sogar noch einmal eine verschärfte Bedeutung.39 Prominente SPD-Vertreter nutzten die Auseinandersetzung mit dem territorialen Status der Pfalz sowohl zur parteipolitischen Profilierung als auch zur Versicherung sozialdemokratischer Verlässlichkeit gegenüber den bürgerlichen Parteien, mithin zur Herausstellung eines parteiübergreifenden Konsenses. Dies lässt sich besonders anschaulich an Friedrich Profit zeigen, der das parteiübergreifend virulente Thema der »Zukunft der Pfalz« sowohl auf einer Konferenz sozialdemokratischer Vertrauensleute und Gewerkschaftsvertreter am 30.03.1919 in Neustadt als auch in einer Versammlung aller politischen Parteien am 18.05.1919 in Speyer behandelte, die vonseiten des Regierungspräsidenten der Pfalz Theodor von Winterstein eröffnet wurde.40 Profit, der Eisenbahngewerkschafter und seit 1906 amtierende Parteisekretär spielte nicht nur eine zentrale Rolle in der pfälzischen SPD, die auch darin zum Ausdruck kam, dass er seit 1908 als informeller Vorsitzender des Gauvorstands gehandelt wurde. Darüber hinaus arbeitete er ab November 1921 als sozialpoli­ tischer Referent im Berliner Staatssekretariat für die besetzten Gebiete, agierte u. a. in dieser Funktion 1919 und 1923 gegen separatistische Bewegungen in der Pfalz und wurde für seine Verdienste 1927 zum Ministerialrat im Reichsministerium für die besetzten Gebiete befördert.41 Profits Doppelfunktion als Partei- und Staatsmann zeigte sich bereits in den beiden Reden von 1919. In Neustadt grenzte er die sozialdemokratische Position von anderen Parteien ab und nutzte die parteiinterne Veranstaltung dazu, innerpfälzische politische Konflikte zu thematisieren. Er beschäftigte sich mit der zukünftigen Gestaltung der linksrheinischen Gebiete und entwickelte die sozialdemokratische Position in Abgrenzung zu pfälzischen Vertretern der Zentrumspartei. Deren separatistische Parolen »›Los von Deutschland!‹ ›Los von Preußen!‹ ›Los von Bayern!‹« seien nur ein Vorwand, um die eigenen Interessen durchzusetzen; denn während das Zentrum bis zur Revolution seine Verbundenheit mit Bayern stets besonders herausgestellt habe, kehre es diesem nun aufgrund der veränderten politischen Verhältnisse den Rücken und ziele darauf, »eine rheinische Republik zu gründen«. Dagegen stehe die Pfälzer Sozialdemokratie »[w]ie früher so […] auch heute in Deutschlands und Bayerns tiefster Not […] zu ihrem Vaterlande«. Auch sie heiße die »Revolutionserscheinungen« nicht gut, dem Zentrum diene die Kritik jedoch nur als »Mittel zum Zweck«. Daher sei die Sozialdemokratie prädestiniert dazu, »ein neues Deutschland« hervorzubringen. Zu Unrecht habe ihr der Kampf gegen »das herrschende System in Preußen-Deutschland« im 39 Vgl. dazu Applegate, S. 124–126. 40 Die erste Rede findet sich in der Pfälzischen Post abgedruckt: Profit, Die Zukunft der Pfalz, S. 1. Die zweite Rede ist erschienen in N. N., Niederschrift, S. 6–11. Vgl. diesbzgl. ­Applegate, S. 126. Eine ähnliche Versammlung fand zudem am 11.09.1919 in Zweibrücken statt. Vgl. N. N., »Die Zukunft der Pfalz« (Profits Rede S. 5–19). 41 Vgl. zu diesen und weiteren Informationen zur Biografie Profits Breunig, S. 697–706.

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Kaiserreich den »Makel der Vaterlandslosigkeit« eingebracht, zu Unrecht seien die Sozialdemokraten »als Menschen [bezeichnet worden, d. Vf.], die nicht wert seien, den Namen Deutsche zu tragen!« Die Sozialdemokratie habe sich immer für »Völkerverbrüderung und Völkerversöhnung« eingesetzt, französische und deutsche Sozialdemokraten eng zusammengearbeitet. Der Vorwurf der Vaterlandslosigkeit sei eher den bürgerlichen Parteien zu machen, die sich als »Kriegsgewinnler« gegen das ›Volk‹ versündigt hätten und daher keine wirklichen Patrioten seien.42 Angesichts dieser Entwicklungen seien weniger die bürgerlichen Parteien als sei vielmehr die gleichermaßen national gesinnte wie an der internationalen »Völkerverbrüderung« orientierte Sozialdemokratie die wahre Garantin der Zugehörigkeit der Pfalz zu Bayern und zu Deutschland. Diese Einschätzung kulminierte in den folgenden Worten Profits: »Unser Schicksal ist und bleibt mit dem unseres Landes eng verknüpft. An die Scholle gefesselt wollen wir weiter arbeiten und kämpfen.«43 Profits Bekenntnis zu Heimat und Nation wurde auf der parteipolitischen Veranstaltung mit großem Beifall bedacht, was dafür spricht, dass seine Position eine Mehrheitsmeinung in der pfälzischen MSPD darstellte.44 In seiner Rede vor Repräsentanten verschiedener Parteien am 18.05.1919 in Speyer fokussierte Profit die parteiübergreifende Regionalidentität noch stärker. Darin rechtfertigte er nicht nur die Burgfriedenspolitik von 1914, sondern proklamierte unter Bezugnahme auf die Beschlüsse der SPD-Versammlung in Kaiserslautern, dass die Sozialdemokratie auch zukünftig »unser Vaterland nicht im Stiche«45 lassen werde, das sie »als freie Bürger des deutschen Volkes«46 nach der Überwindung des kaiserzeitlichen Monarchismus mitaufbauen wolle. In bemerkenswerter Ähnlichkeit zu Wilhelm II. beschloss Profit die Rede wie folgt: Es gibt in dieser Stunde keine Parteiunterschiede. Gleichviel welcher Partei wir angehören, gleichviel welchem Stande, ob Handel oder Industrie oder Handwerk, ob wir Stadt- oder Landbewohner sind, es gibt keinen Unterschied der Parteien oder Gruppen. Wir wollen zu unserem Vaterlande halten!47

Einige Monate später beschwor Profit in analoger Weise auf einer parteiübergreifenden Versammlung in Zweibrücken, die gemeinsame »Liebe zu unserer Heimat, zu unserer Pfalz«.48 Damit war verbunden, dass er die bürgerlichen Parteien weniger scharf als in der sozialdemokratischen Versammlung kritisierte. Seine 42 Alle Zitate aus Profit, Die Zukunft der Pfalz, S. 1. Dabei handelte es sich um einen wiederkehrenden Vorwurf gegen das kapitalistische Bürgertum. 43 Ebd. 44 Vgl. ebd. Die Zustimmung ging sogar so weit, dass auf eine Diskussion des Referats ganz verzichtet wurde. Vgl. zu einer nahezu wortidentischen Formulierung im bayerischen Landtag vor dem Hintergrund der »Autonome-Pfalz«-Bewegung Goebbel, S. 88. 45 N. N., Niederschrift, S. 8. 46 Ebd., S. 7. 47 Ebd., S. 10–11. Profits Position wurde von dem Ludwigshafener Arbeitersekretär der freien Gewerkschaften Fischer (S. 16–17) und dem SPD-Landtagsabgeordneten Klement aus Kaiserslautern (S. 23–25) bekräftigt. 48 N. N., »Die Zukunft der Pfalz«, S. 6.

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Argumentation sollte wohl die politische Verlässlichkeit der pfälzischen MSPD ebenso untermauern wie ihren prinzipiellen Willen, politische Forderungen temporär zurückzustellen, wenn es die Zugehörigkeit der Pfalz zum Deutschen Reich notwendig mache.49 Bereits Celia Applegate hat mit Bezug auf diese Rede auf den parteiübergreifenden fragilen Konsens hingewiesen, der sich in Krisenphasen einstellte, mit anti-französischen Ressentiments einherging und bis zum Abzug der französischen Truppen 1930 von wiederkehrender Bedeutung war: »At the heart of this consensus was a commitment to the Germanness of the Pfalz, and the word, concept, and emotion that came to express this sense of loyalty and belonging was Heimat.«50 Zumindest in der Selbstwahrnehmung spielte die Sozialdemokratie dabei keine geringere Rolle als die der ›wahren‹ Repräsentantin der Heimat. Die grob skizzierten Konstellationen prägten die sozialdemokratische Auseinandersetzung um Heimat und regionale Zugehörigkeit in den ersten Jahren der Weimarer Republik maßgeblich. Die Heimat-Bezüge der pfälzischen SPD thematisierten zum einen den prekären territorialen Status der Pfalz, stellten den pfälzischen ›Charakter‹ der Region an keiner Stelle infrage und bekannten sich eindeutig zur Reichseinheit. Zum anderen bedeutete dies jedoch nicht, dass die SPD und andere Parteien sich deswegen in innerpfälzischen Angelegenheiten stets einig gewesen wären. Die Ausrichtung der Politik und die mit dem Regionalraum verbundenen Heimat-Semantiken blieben umstritten. Im Gegensatz zu anderen politischen Gruppierungen optierte die SPD klar für die Republik und strebte im Verlauf der Weimarer Republik weitere sozialpolitische Verbesserungen für die arbeitenden Teile der Bevölkerung an. Zudem lancierte sie eine im sozialdemokratischen Sinne veränderte pfälzische Regionalidentität. Heimat bezeichnete in der pfälzischen Sozialdemokratie folglich sowohl die Vorstellung eines naturalisierten Regionalraums Pfalz als auch dessen politische und soziale Veränderbarkeit. 1.1.1.2 Sachsen In der sächsischen Sozialdemokratie spielte die Begrifflichkeit Heimat 1918/19 eine weniger eindeutige Rolle als in der Pfalz. Die gesellschaftsgeschichtlichen Hintergründe hierfür lassen sich gut anhand eines Leitartikels aus der »Dresdner Volkszeitung« (DVZ) vom 28.11.1918 zur Nachkriegssituation veranschaulichen, in dem sich die Position der mittlerweile mehrheitssozialdemokratisch dominierten Redaktion51 niederschlug. Der Artikel »Die Gefahren für Deutschlands

49 In diesem klaren Bekenntnis unterschied sich die SPD Pfalz von anderen Bezirken der bayerischen Landespartei. In Schwaben kritisierte die SPD im März 1919 in der Frage einer großschwäbischen Abtrennung von Bayern den ganzen »Schwabenbundrummel«. In gewisser Weise lassen sich die unterschiedlichen SPD-Reaktionen jedoch darauf zurückführen, dass sie in unterschiedlichen politischen Konstellationen das gleiche Ziel der Reichseinheit verfolgten. Vgl. zu Schwaben Steber, S. 211–217. 50 Applegate, S. 126. 51 Vgl. zur Geschichte der Strömungen in der DVZ, der früheren »Sächsischen Arbeiterzeitung« Schmeitzner u. Steinberg, S. 103–130; Steinberg, »Karl Herschowitz kehrt heim«, S. 13–52.

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Einheit«52 thematisierte die drohenden Gebietsverluste im Rheinland und in den südlichen Teilen Deutschlands, u. a. der Pfalz, in denen er eine ebenso große Gefahr für die Zukunft Deutschlands sah wie die pfälzische MSPD. Zwar bildete die deutsche Nation für beide regionalen Parteigliederungen offenkundig einen positiven Bezugspunkt. Dennoch ordnete die DVZ die politischen Entwicklungen in einen anderen Deutungsrahmen ein als die »Pfälzische Post«: Während vor dem Kriege wohl jeder Deutsche den Gedanken an eine Zerschlagung des einheitlichen Deutschlands mit Entrüstung zurückgewiesen hätte, scheint jetzt in manchen Teilen unseres Landes starke Neigung zu einer Absonderung vorhanden zu sein. Man könnte es niemand verdenken, wenn er lieber eine Zerteilung Deutschlands sehen, als sich einer bolschewistischen Herrschaft fügen wollte. Zudem ist die Entente mit ihren Lockungen bereits an der Arbeit.53

Den Rekurs auf »Deutschlands Einheit« nutzte die Dresdner MSPD demnach u. a. zur Abgrenzung von ihrer Konkurrentin, der USPD, und weiter links stehenden Teilen der Arbeiterbewegung, denen sie nicht nur das Streben nach hinausgezögerten Wahlen zur Nationalversammlung vorwarf. Darüber hinaus machte sie die USPD – neben der Entente – sogar für die separatistischen Regionalbewegungen verantwortlich und warf ihr zumindest implizit ›Vaterlandsverrat‹ vor. Dieser Schwerpunkt war kein Zufall: Während die sächsische MSPD die Infragestellung von »Deutschlands Einheit« zuallererst aus der Ferne betrachten konnte, handelte es sich bei den Konflikten innerhalb der gespaltenen Sozialdemokratie um eine der zentralen regionalen Herausforderungen. Gewissermaßen stellte sich die Situation in Sachsen demnach konträr zu derjenigen in der Pfalz dar: Im Gegensatz zur Pfalz und zu Bayern war Sachsen weder als Region noch als Einzelstaat territorial infrage gestellt. Dafür zeichnete sich die Arbeiterbewegung vor Ort durch äußerste Heterogenität aus, während die MSPD in der Pfalz dominierte.54 Der innersozialistische Dissens prägte die unmittelbare Revolutions- und Nachkriegsphase 1918/19 in Sachsen maßgeblich, da durch die sächsischen Parteibezirke ein ausgeprägter Riss verlief. Als eines der Kernländer wies die SPD in Sachsen nicht nur eine entsprechende Stärke und Diversität auf, sondern nahm – im Gegensatz zur pfälzischen SPD – eine überregionale Pionierfunktion ein.55 Dazu hatte nicht zuletzt die besonders ausgeprägte Spaltung der sächsischen Gesellschaft beigetragen. Darüber hinaus war die linke Ausrichtung durch die USPD, deren Zentrum sich in Leipzig befand,56 für das Selbst- und Fremdverständnis der gesamten sächsischen Sozialdemokratie – und sei es ex negativo in Abgrenzung zur USPD – um ein Vielfaches bedeutsamer als in der Pfalz. Zwar lässt sich die MSPD im SPD-Großbezirk Dresden, der im Fokus dieser Arbeit steht und zu 52 So der Titel eines Artikels in der DVZ vom 28.11.18. Vgl. N. N., Die Gefahren für Deutschlands Einheit, S. 1. 53 Ebd. 54 Vgl. zu Sachsen Schmeitzner, Revolution und Republik. 55 Vgl. zur (Früh-)Geschichte der sächsischen Sozialdemokratie Rudolph, S. 34–168. 56 Vgl. dazu Heidenreich, S. 126–136; zur Revolutionsphase Bramke u. Reisinger.

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dem auch das später genauer zu behandelnde Freital gehörte, eher dem reformorientierten Parteispektrum zurechnen.57 Gleichzeitig existierte jedoch nicht nur in Leipzig, sondern auch in Dresden eine nicht zu verachtende linke Opposition, zu der etwa das USPD-Mitglied Hermann Fleißner gehörte, der in der sächsischen Landesregierung später als Volksbildungsminister amtierte.58 Die Spaltung der sächsischen Sozialdemokratie und ihre vergleichsweise radikale Ausrichtung führten dazu, dass die Revolutionsphase 1918/19 wenig gradlinig verlief. Der Dresdner Raum bildete den Hauptort der revolutionären Auseinandersetzungen, da die politischen Kräfteverhältnisse in der Landeshauptstadt lange unentschieden blieben. Reform und Revolution, parlamentarische Demokratie und Räterepublik waren länger als anderswo gleichermaßen glaubhaft geforderte wie gefürchtete Alternativen. Sowohl die MSPD um Wilhelm Buck, Julius Fräßdorf und Georg Gradnauer als auch die USPD um Hermann Fleißner sowie eine kleinere Gruppe von Linksradikalen um den Rätekommunisten Otto Rühle waren bestrebt, die revolutionäre Bewegung unter ihre Kontrolle zu bringen. Erst die Bildung eines »vereinigten revolutionären Arbeiter- und Soldatenrates« in der Nacht vom 09. auf den 10.11.1919 bedeutete eine erste Einigung, am 10.11. rief Fleißner die Republik Sachsen aus. Diese wurde in der »Proklamation an das sächsische Volk« in erster Linie über ihren politischen Inhalt und nicht den regionalen Charakter bestimmt: »Es lebe die soziale Republik Sachsen«.59 Dementsprechend war die Proklamation in relativ nüchterner politischer Sprache verfasst, der Rekurs auf einen affektiv besetzten Heimat-Begriff fehlte hingegen. Trotz der vorübergehenden Einigung auf die Kompromissformulierung »soziale Republik« statt »sozialistische Republik« herrschte in der gespaltenen Arbeiterbewegung weiterhin keine Einigkeit in der Frage, ob die proklamierte »Republik Sachsen« sozial oder sozialistisch, parlamentarisch demokratisch oder räterepublikanisch verfasst sein sollte. Auch die Frage, welche Bedeutung das Sächsische in Zukunft spielen sollte, war umstritten. Kurzzeitig stand sogar zur Debatte, ob zugunsten einer zunehmenden Zentralisierung nicht ganz auf einen sächsischen Staat und die der Kleinstaaterei verdächtige Betonung sächsischer Regional- oder Landesidentität zu verzichten sei. Mit Blick auf die zukünftige politische Gestalt Sachsens führten insbesondere die radikaleren Flügel, etwa der Leipziger USPD-Politiker Richard Lipinski, dieses Argument an.60 In die57 Dies lässt sich u. a. an der Veränderung in der Redaktion der DVZ aufzeigen. Vgl. Steinberg, »Karl Herschowitz kehrt heim«, S. 20–27. 58 Vgl. mit Fokus auf die Revolutionszeit Schmeitzner, Revolution und Republik, S. 67; zur Einordnung in den größeren Rahmen der sächsischen Sozialdemokratie seit der Spaltung H ­ eidenreich, S. 126–178. 59 Vgl. Schmeitzner, Revolution und Republik, S. 69–70; zu einer Einordung Rudolph, S. 169–203; Heidenreich, S. 136–147. 60 Vgl. Schmeitzner, Revolution und Republik, S. 82–83. Dies bedeutete jedoch nicht, dass ein Sozialdemokrat wie Lipinski einer stärkeren sozialdemokratischen Gestaltung der Kommunalpolitik ablehnend gegenübergestanden hätte. In Leipzig forcierte er eine solche selbst. Vgl. exemplarisch N. N., Arbeiterführer für die Stadt Leipzig 1925.

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ser Frage setzten sich allerdings die Teile der MSPD durch, die eine sächsische Landesidentität befürworteten. Die Bedeutung, die der am 14.03.1919 gewählte erste sächsische Ministerpräsident Georg Gradnauer61 einer solchen zumaß, verdeutlicht auf politischer Ebene sein – letztlich nicht erfolgreicher – Versuch, das sächsische Freistaatsgebiet im Zuge der Neugliederungs- und Neuordnungsversuche Preußens und Thüringens um Gebiete, die Sachsen 1815 infolge des Wiener Kongresses verloren hatte, zu erweitern.62 Grundsätzlich fiel in der Republik Sachsen ein regionales Selbstverständnis mit der politischen Landesebene zusammen. Auch wenn es sich bei Sachsen wie bei der Pfalz ebenfalls um eine Grenzregion handelte, war es nach dem Ersten Weltkrieg weder besetzt noch der Herrschaft eines anderen Staates im Reich unterworfen. Daher betraf die drohende territoriale Zersplitterung Deutschlands die Region nicht unmittelbar. In der Frage regionaler Bewegungen und deren potenzieller Sprengkraft für die neu entstehenden Einzelstaaten und die Republik unterschied sich Sachsen sowohl von der Region Pfalz als auch vom Freistaat Bayern bedeutend, der sich von unterschiedlichen regionalen Bewegungen heraus­gefordert sah.63 Der skizzierte Hintergrund schlug sich auch in der Verwendung des HeimatBegriffs in der Umbruchphase 1918/19 nieder, der in der sächsischen Arbeiterbewegung zwar ebenfalls zirkulierte, jedoch eine deutlich geringere und weniger eindeutig definierte politische Rolle spielte als in der Pfalz. Einen vergleichbaren Diskurs um die Zugehörigkeit der ›engeren‹ zur ›weiteren Heimat‹ gab es in Dresden mangels einer territorialen Infragestellung Sachsens und einer in gewissem Sinne unproblematischen sächsischen Regional- und Landesidentität nicht. Stattdessen kennzeichnete der innersozialistische Konflikt um die zukünftige soziale und politische Verfasstheit Sachsens die divergierende Verwendung des HeimatBegriffs in der gespaltenen Sozialdemokratie. So druckte auch die DVZ am 22.11.1918 den »Gruß an die heimkehrenden Truppen« des Rats der Volksbeauftragten ab, verzichtete jedoch bemerkenswerterweise auf die Ausformulierung eines eigenen Grußes an die sozialdemokra­ tischen Soldaten, wie ihn beispielweise die »Pfälzische Post« formuliert hatte.64 Diese auffallende Leerstelle ist vermutlich auf die unübersichtlichen Verhältnisse in Dresden zurückführen. Wahrscheinlich fehlte aufgrund der sich überschlagenden revolutionären Geschehnisse schlicht die Zeit, einen solchen zu verfassen. Zudem ist davon auszugehen, dass unter den Redakteuren der DVZ kein Dissens zur politischen Linie des Rats der Volksbeauftragten bestand. Konstantin Hermann behandelt diese Frage im Zuge seiner Auseinandersetzung mit 61 Vgl. zu Gradnauer Schmeitzner, Georg Gradnauer. 62 Vgl. Schmeitzner, Revolution und Republik, S. 95–96. 63 Vgl. zum Regionalismus in der Weimarer Republik Ditt, Regionalismus, S. 13–25; zu Bayern Steber, zur Frühphase der Weimarer Republik S. 219–220, zur Weiterentwicklung bis Anfang der 1930er S. 307–309. 64 Vgl. DVZ-Ausgabe vom 22.11.1918.

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der Rückkehr der sächsischen Soldaten leider nicht, deutet jedoch am Rande an, dass der Heimat-Begriff auch unter sächsischen Sozialdemokraten zur »Identifikationsstiftung in Verbindung mit der Republik und dem Freistaat« eine Rolle spielte.65 Diese These wird durch die Tatsache gestützt, dass Teile der Dresdner Arbeiterbewegung im Verlauf des Jahres 1919 eigene Willkommensgrüße publizierten. Dazu zählte der Prolog »An die heimgekehrten Naturfreunde«, den die örtliche Naturfreundebewegung anlässlich eines Festabends am 27.02.1919 im Volkshaus Dresden für die zurückgekehrten Mitglieder verfasste und in der internationalen Naturfreundezeitschrift »Der Naturfreund« publizierte: Ihr habt sie [die Welt, d. Vf.] mit verwüstet, Doch war’s nicht eure Wahl, Nicht hat es euch gelüstet Nach wildem Wetterstrahl. Natur, ob hier, ob dorten, Bleibt stets uns ›Mutter‹ doch! Wie schwer ist’s euch geworden Des Krieges rauhes Joch! […] Ein ehrendes Gedenken Für ihre ferne Gruft! – Nun aber laßt uns schwenken Die Hüte in die Luft. Heil euch, ihr Heimgekehrten, Uns brüderlich gesellt! Die schöne deutsche Erden Sei wieder unser Feld!66

Dem Gedicht lag ein ähnliches Verständnis des Ersten Weltkriegs zugrunde, wie es die pfälzische Sozialdemokratie geäußert hatte; es betonte die Unschuld der Naturfreunde an ihrer Kriegsbeteiligung und stellte in diesem Zusammenhang den Pazifismus der Arbeiterbewegung heraus.67 Darüber hinaus indiziert es ein sozialistisches Heimat-Verständnis, das eng an Vorstellungen von Natur und Erde geknüpft war und eine ursprüngliche Verbundenheit zwischen Arbeiterschaft und Heimat suggerierte. Auffällig sind in diesem Zusammenhang auch die geschlechtsspezifischen Konnotationen der Natur, die eine Sehnsucht nach einer ebenso stereotypen wie idealisierten mütterlichen Milde und Geborgenheit nahelegen. In der zweiten sozialdemokratischen Hochburg Sachsens, Leipzig, das an dieser Stelle als Vergleichsfall herangezogen wird, sah die Situation anders aus. Auf-

65 Vgl. Hermann, S. 247. 66 Klaar, S. 115. 67 Vgl. zu einem ähnlichen Argument N. N., Die Revolution in Sachsen, S. 10.

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grund der politischen Dominanz der USPD vertrat die »Leipziger Volkszeitung« (LVZ) weitaus radikalere Positionen als die DVZ. Die LVZ druckte nicht nur den »Willkommensgruß« des Rats der Volksbeauftragten am 22.11.1918 ab,68 sondern publizierte bereits am 21.11. eine kurze eigene Ankündigung, der am 23.11.1918 ein selbstverfasster »Willkommensgruß« folgte. Wie im Falle der Pfalz ist davon auszugehen, dass die Leipziger Sozialdemokraten den allgemein gehaltenen »Willkommensgruß« des Rats der Volksbeauftragten spezifizieren und an die regionalen Verhältnisse anpassen wollten. Allerdings unterschied sich die politische Stoßrichtung dieser Spezifikationen stark voneinander: Während die »Pfälzische Post« insbesondere die prekäre territoriale Situation der Pfalz thematisierte, forcierte die LVZ eine politische Radikalisierung der ursprünglichen Texte. In der Ankündigung hieß es: »Die Heimat freut sich der Heimkehrenden, und das soll auch öffentlich zum Ausdruck gebracht werden. Dazu braucht der Arbeiter- und Soldatenrat rotes Fahnentuch.« Es gelte, »die heimkehrenden Truppen würdig mit den Farben der sozialistischen Republik zu empfangen.«69 Die roten Fahnen sollten den Leipziger Stadtraum unzweideutig als sozialistischen Heimat-Raum ausweisen.70 Auch der selbstverfasste Artikel »Willkommen, Soldaten der Freiheit!« hob weniger auf die territoriale Gestalt als auf den politisch-sozialen Gehalt des neu errichteten Deutschlands ab.71 Entsprechend verwendete der Artikel den HeimatBegriff nicht, um regionale und nationale Loyalitäten zu bezeichnen. Stattdessen fungierte er als Synonym für das ›arbeitende Volk‹. So hieß es in dem Artikel: Wir entbieten ihnen [den rückkehrenden Soldaten, d. Vf.] den Willkommensgruß der Heimat, des Volkes. Wir grüßen Euch, Soldaten, die Ihr, müde an Leib und Seele, jetzt die Waffen niederlegt, um alsbald wieder nach Werkzeug und Spaten zu greifen, um den Dienst der Zerstörung zu vertauschen mit dem Dienst des Schaffens, des Aufbaues.72

Wie die pfälzische SPD und die DVZ grenzte sich die LVZ von bürgerlichen ›Pseudopatrioten‹ ab. Anders als jene votierte sie jedoch nicht für die parlamentarische Demokratie – die sie als Kompromiss mit den Repräsentanten des alten Systems ablehnte –, sondern für die Räterepublik, auf deren Grundlage die »Heimat« zu einer sozialistischen werden sollte. Um die rückkehrenden Soldaten für den sozialistischen Gesellschaftsentwurf zu gewinnen, rekurrierte der Artikel auf die geteilte Klassenlage von Soldaten und ›arbeitendem Volk‹. Unter Bezug auf den Topos einer ›unschuldigen Heimat‹, die die Unschuld des ›arbeitenden Volks‹ und der Soldaten am Krieg repräsentieren sollte, appellierte er an die Soldaten:

68 Vgl. Rat der Volksbeauftragten, An die heimkehrenden Soldaten!, S. 1. 69 N. N., Begrüßung der heimkehrenden Truppen, S. 5. 70 Vgl. zur performativen Bedeutung der Fahnenwahl Rossol, Republikanische Gruppen, S. 325–329. 71 N. N., Willkommen, Soldaten der Freiheit!, S. 1. 72 Ebd.

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Die Heimat, das arbeitende Volk in Stadt und Land, das aus schweren Leiden jetzt die Hoffnung der besseren Zukunft aufleuchten sieht, vertraut und hofft auf Euch und heißt Euch zum gemeinsamen Werke willkommen. Gebt uns die Hand und haltet sie fest, Soldaten der Freiheit!73

Da die Repräsentanten des überwundenen Kaiserreichs aus Sicht des Artikels nicht zur Heimat zählten, konzeptualisierte er  – wie auch die Flugschrift der USPD »In der Heimat, in der Heimat …« – die Heimat-Räume der Gegenwart als gespaltene und erst noch wirklich zu erkämpfende. Dass die Republik nicht in erster Linie sächsisch, sondern sozialistisch sein sollte, lässt sich auch an den fotografisch festgehaltenen Willkommensgrüßen zeigen: »Willkommen Volksgenossen in der sozial. Republik Sachsen.«74 Abschließend bleibt festzuhalten, dass sich in der sächsischen Sozialdemokratie zwei Heimat-Verständnisse überlappten. Einerseits bezeichneten auch Leipziger oder Dresdner Sozialdemokraten lokale, regionale oder nationale Räume als Heimat. Andererseits trat an die Seite dieses räumlichen Heimat-Verständnisses zudem eine metaphorische Verwendung des Begriffs, die ihn als Synonym für das ›arbeitende Volk‹ oder für solidarische Beziehungen nutzte. Hier heftete sich der Heimat-Begriff stärker an eine Personengruppe als an einen Raum. Während die pfälzische und die Dresdner Sozialdemokratie den erkämpften demokra­tischen Charakter der regionalen und nationalen Heimat-Räume herausstrichen, formulierte die Leipziger Sozialdemokratie ein parteispezifisches, sozialistisches Heimat-Verständnis, das nicht in erster Linie an bereits existierende Räume geknüpft war. Im Gegensatz zur Pfalz bildete Heimat in Sachsen keinen unproblematischen, parteiübergreifenden Bezugspunkt, sondern blieb innerhalb der Arbeiterbewegung umstritten. Sowohl die gespaltene sächsische Gesellschaft als auch die gespaltene Arbeiterbewegung bildeten wichtige gesellschaftsgeschichtliche Hintergründe der weiteren Entwicklung des Heimat-Diskurses und der HeimatKulturpolitik in der Weimarer Republik. 1.1.1.3 Der Konflikt zwischen Bayern und dem Reich als Katalysator Die unterschiedlichen regionalen Nachkriegsverhältnisse in der Pfalz und in Sachsen lassen sich an den regionalen Auswirkungen des Konfliktes zwischen Bayern und dem Reich, der seit der Übernahme des bayerischen Ministerpräsidentenamtes durch Gustav Ritter von Kahr 1920 schwelte und 1923 offen ausbrach, noch einmal exemplarisch verdeutlichen.75 Denn auch wenn der Konflikt auf beide Regionen bedeutsame Auswirkungen besaß, spitzte er die unterschiedlichen regionalen Problemlagen auf verschiedene Weise zu. So führte die Gefahr, die von der erstarkenden rechtsradikalen Bewegung in Bayern für die Republik und deren Einheit ausging, in der pfälzischen SPD zu einer Verschärfung des 73 Ebd. 74 Vgl. die Fotografie in Bramke u. Reisinger, S. 95. 75 Vgl. zu einer Einordnung der Entwicklungen in Bayern Winkler, S. 186–243.

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Konflikts um regionale Zugehörigkeit. Vor dem Hintergrund der Zugehörigkeit der Pfalz zu Bayern forderte sie, »Protest und Notwehr gegen den Verfassungsbruch Bayerns« zu erheben, »damit die Pfalz dem Reiche nicht verloren geht«.76 Wie schon 1918/19 beschwor sie ihre unbedingte Reichstreue und bestätigte in dem Konflikt ihre prinzipielle Übereinstimmung mit der Linie des SPD-Parteivorstands und der Reichsregierung. Gleichzeitig entstand daraus jedoch ein innersozialdemokratischer Konflikt, was insbesondere mit dem Vorgehen des vormaligen bayerischen Ministerpräsidenten Hoffmann zusammenhing. Vor dem Hintergrund der sich verschärfenden Situation in Bayern und eines sich zuspitzenden Separatismus im Rheinland ini­ tiierte Hoffmann die sogenannte »Pfalzaktion« zur Gründung eines pfälzischen Staates, um den Verbleib der Pfalz im Reichsverband zu sichern. Gegen dieses Vorgehen regte sich allerdings im SPD-Parteivorstand Widerstand, der eine französische Einmischung fürchtete. Letztlich scheiterte Hoffmanns Versuch nicht zuletzt daran, dass die französische Besatzungsmacht zwar die Gründung eines pfälzischen Staates, nicht jedoch dessen Verbleib im Deutschen Reich befürwortete, weswegen Hoffmann die Aktion abblies. Dennoch war sein Ansehen sowohl in Teilen der pfälzischen Gesellschaft als auch im SPD-Parteivorstand beschädigt. Nicht zuletzt da »sein geheimer Rivale im Pfälzer Bezirksverband der SPD, Friedrich Profit«,77 der zu dieser Zeit bereits im Reichsministerium für die besetzten Gebiete arbeitete, die Situation zur eigenen Profilierung nutzte. In dieser Funktion war Profit in die Pfalz geschickt worden, um den pfälzischen SPDBezirksvorstand von der Kritik des SPD-Parteivorstands zu überzeugen.78 Nach dem Scheitern der Aktion telegrafierte er an Ebert und äußerte scharfe Kritik am Vorgehen Hoffmanns.79 Hoffmann, der infolge der Ereignisse wegen Hochverrats angeklagt wurde, beteuerte hingegen, dass es ihm stets um das Verbleiben eines unabhängigen Einzelstaates Pfalz im Reichsverbund gegangen sei.80 In Sachsen hingegen befeuerte die Reichsexekution 1923 insbesondere innersozialistische Konflikte. Das Eingreifen der Reichsregierung und des Reichspräsidenten Ebert resultierte nicht zuletzt daraus, dass sich das von linken Parteien regierte Sachsen sowohl als Projektionsfläche der nationalistischen und rechtsradikalen Propaganda als auch als Ersatzobjekt staatlicher Machtdemonstration eignete. Die zunehmende Orientierung der nach links rückenden sozialdemokratischen Landesregierung an der KPD sah sich 1923 bereits früh der bürgerlichen Kritik ausgesetzt, mit der Aufnahme kommunistischer Minister in das Kabinett des amtierenden sozialdemokratischen Ministerpräsidenten Erich Zeigner im Oktober 1923 eskalierte die Situation weiter. Zeigner galt weiten Teilen 76 AdsD, NL Johannes Hoffmann, Mappe 24: Sachakten 1923–1930. 77 Hennig, S. 485. 78 Vgl. Breunig, S. 704. 79 Vgl. Hennig, S. 486. 80 Die Darstellung in dem Absatz orientiert sich an Kraft, S. 118–138; Breunig, S. 702–705; Hennig, S. 479–493.

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des Bürgertums als »Landesverräter«, die den Freistaat abschätzig und projektiv als »Sowjetsachsen« titulierten.81 Die seit jeher ausgeprägte Spaltung innerhalb der sächsischen Gesellschaft erreichte einen Höhepunkt, als die DDP-Landtagsfraktion so weit ging, der Landesregierung ihren Status »als ›verfassungsmäßiges und verfassungssicheres‹ Exekutivorgan«82 aberkennen und diesen nur noch der Reichsregierung zuerkennen zu wollen. Die Forderung, das Reich möge in den landespolitischen Konflikt eingreifen, wurde immer vehementer. Dass Reichspräsident Ebert und Reichskanzler Stresemann dieser Forderung mit der Entsendung tausender Reichswehrsoldaten nach Sachsen und der Amtsenthebung der Regierung Zeigner Ende Oktober 1923 Folge leisteten, hing auch mit der Situation zusammen, in der sich das Reich im Konflikt mit Bayern befand. Hatten die bayerischen Rechtsradikalen die Stärke der Reichsregierung propagandistisch an deren Umgang mit den links regierten Ländern Thüringen und Sachsen geknüpft, ermöglichte es das Vorgehen gegen Sachsen, diese Vorwürfe zu entkräften; nicht zuletzt, da ein Einschreiten in Bayern als Alternative aufgrund der Stärke der rechten Bewegung immer unwahrscheinlicher wurde.83 Eberts Vorgehen stellte nicht nur gegenüber der sächsischen Arbeiterbewegung einen ausgesprochenen Affront dar, sondern führte wegen des ungleichen Vorgehens gegenüber Sachsen und Bayern auch auf Reichsebene zum Scheitern der großen Koalition. Ähnlich wie der Konflikt zwischen Bayern und dem Reich die Frage territorialer Zugehörigkeit in der Pfalz verschärfte, heizte er auch die Spaltung innerhalb der sächsischen Gesellschaft weiter an. Zwar wurde das Reichskommissariat bereits nach 48 Stunden beendet und von einer durch den sächsischen Landtag neu gewählten Regierung abgelöst, der der Sozialdemokrat Alfred Fellisch vorstand und die auch vonseiten der DDP-Fraktion mitgewählt wurde. Doch dies vertiefte die Spaltung im sozialistischen Lager.84 Während in der Pfalz ein Großteil der Sozialdemokratie über den separatistischen Konflikt in der Pfalz geeint wurde, traf für Sachsen das Gegenteil zu. 1.1.2 Gestaltbare republikanische Heimat-Räume in der Pfalz und in Sachsen 1.1.2.1 Pfalz Der SPD-Bezirk Pfalz, der zur bayerischen Landes-SPD gehörte, nahm in der nationalen Parteiorganisation keine Vorreiterrolle ein. Er vertrat ein reformorientiertes politisches Programm und folgte darin der Linie Eberts und des SPD-Parteivorstands. In analoger Weise zeichnete sich auch die regionale Arbeiterkulturbewegung durch keine ausgeprägte Radikalität aus. Ihre Geschichte ist 81 Schmeitzner, Revolution und Republik, S. 106. 82 Ebd. 83 Vgl. ebd., S. 106–107. 84 Vgl. ebd., S. 109.

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bislang noch weitgehend ungeschrieben und findet auch in aktuellen Studien zur pfälzischen Sozialdemokratie nur am Rande Erwähnung.85 Sie kann daher an dieser Stelle nur in groben Zügen und mit Fokus auf die sozialdemokratische Heimat-Kulturpolitik skizziert werden. Für deren Konzeption und Umsetzung war insbesondere die Arbeiterbildungsbewegung verantwortlich. Bereits der 26. SPD-Gautag, der erste Nachkriegsgautag, der vom 25. bis zum 26.10.1919 stattfand, forderte zu Agitationszwecken den Ausbau der sozialdemokratischen Rednerausbildung und Kulturarbeit in der Region. Friedrich Profit wies in diesem Zusammenhang darauf hin, dass es der Partei noch an geeigneten Lehrern fehle, der »Zuzug für die Partei aus den Kreisen der Intellektuellen« allerdings auf Besserung hoffen lasse.86 Folglich ist davon auszugehen, dass die wenigen sozialdemokratischen Lehrer über einen verhältnismäßig großen Handlungsspielraum in der Parteiarbeit verfügten, was in der weiteren Argumentation wichtig werden wird. Spätestens Anfang der 1920er Jahre existierte in der Pfalz wieder ein SPD-Bezirksbildungsausschuss. Dessen Vorsitzender Paul Kleefoot gehörte in der Weimarer Republik ebenfalls zum SPD-Gauvorstand und wurde in den 1920er Jahren zum zweiten Bürgermeister Ludwigshafens gewählt.87 Neben dem SPD-Bezirksbildungsausschuss engagierte sich insbesondere die Naturfreundebewegung in der regionalen Bildungs- und Kulturarbeit der Sozialdemokratie.88 Für die sozialdemokratische Beteiligung an der regionalen Heimat-Kulturpolitik ist nicht nur die politische Ausrichtung der SPD, sondern auch ihr Verhältnis zu bürgerlichen Gruppierungen von Belang. Wie die Analyse der Heimat-Kulturpolitik in Kapitel 1.3, 2.3 und 3.3 zeigen wird, scheute die pfälzische SPD nicht vor einer milieuübergreifenden Zusammenarbeit zurück. Dies betraf zum einen die Kooperationen mit Vertretern der Volksbildungsbewegung oder der bürgerlichen Heimatbewegung.89 Zum anderen existierte eine Tradition der kommunalpolitischen Zusammenarbeit, die bis in die Zeit des Kaiserreichs zurückreichte. 1889 war der ›Gründungsvater‹ des Pfälzer SPD-Bezirks Franz Josef Ehrhart als erster und zunächst einziger Sozialdemokrat in den Ludwigshafener Gemeinderat eingezogen. Aufgrund eines innerhalb seiner Partei nicht unumstrittenen Wahlbündnisses mit dem Zentrum konnte die Anzahl der sozialdemokratischen Stadtratskandidaten 1899 auf sieben, 1904 auf acht erhöht werden und die SPD 1904 zudem den 1. Adjunkten stellen.90 Dementsprechend besaß die sozialdemokratische Kommunalpolitik zu Beginn der Weimarer Republik bereits eine 85 Vgl. zu dieser Einschätzung Kraft. Kraft selbst klammert diesen Aspekt ebenfalls nahezu vollständig aus. 86 N. N., 26. Gautag, S. 1. 87 Vgl. zum SPD-Bezirksbildungsausschuss und dessen Bedeutung für die sozialdemokratische Heimat-Kulturpolitik bes. Kapitel 2.3; zu Kleefoot Kraft, S. 214. 88 Williams geht am Rande auch auf die pfälzische Naturfreundebewegung ein. Vgl. Williams, Turning to nature in Germany, S. 106–107. 89 Auf eine solche lassen u. a. die Inserate des Pfälzerwald-Vereins in der »Pfälzischen Post« schließen. 90 Vgl. Breunig, S. 682.

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längere Geschichte. Auch nach der Revolution wurde die SPD nicht müde, ihr Zuständigkeits- und Verantwortungsgefühl für die Verhältnisse in der Gemeinde und ihren Willen zur politischen Kooperation zu betonen. Diese politischen Verhältnisse lagen nicht allein in der Reformorientierung der SPD, sondern auch in einem während des Kaiserreichs vergleichsweise liberalen Wahlrecht begründet; ein durch die französischen Rechtsinstitutionen verhältnismäßig liberales Bürgertum tat sein Übriges.91 Doch wie erfolgreich war die pfälzische Sozialdemokratie in der Weimarer Republik auf (kommunal-)politischem Gebiet? Hierüber geben u. a. die Ergebnisse der ersten Gemeindewahlen Aufschluss, die aufgrund der französischen Besatzung in der Pfalz nicht wie im übrigen rechtsrheinischen Bayern am 15.06.1919, sondern erst am 18.04.1920 stattfanden.92 Sie repräsentieren die konfessionell, industriell und politisch diverse Struktur der Pfalz, da sich das SPD-Wählerpotenzial v. a. in den großen Städten der Region zentralisierte.93 Die Ergebnisse der Wahlen zur Nationalversammlung am 19.01.1919 bestätigen diese Einschätzung, bei denen die SPD mit 37,9 Prozent zwar stärkste Partei geworden war und ihr Ergebnis gegenüber der letzten Reichstagswahl von 1912 um 5,7 Prozent verbessern konnte,94 aber selbst zusammen mit der USPD keine tragfähige Mehrheit stellte. Letztere erzielte mit 1,6 Prozent noch nicht einmal ein Viertel ihres republikweiten Ergebnisses von 7,6 Prozent. Auch bei diesen Wahlen konnte die SPD die meisten Stimmen in den kreisunmittelbaren Städten, insbesondere den industriellen Ballungszentren der Pfalz, Ludwigshafen, Kaiserslautern, Frankenthal und Pirmasens auf sich vereinen,95 wohingegen sie in den ländlichen, oftmals katholisch-konservativ geprägten Gebieten mehr als bescheiden abschnitt.96 Vor diesem Hintergrund ist davon auszugehen, dass eines der Ziele der sozialdemokratischen Heimat-Kulturpolitik darin lag, auch in den ländlichen Gebieten eine Anhänger- und Wählerschaft zu gewinnen. Bei den Kommunalwahlen 1920 verschlechterte sich das Ergebnis der SPD sogar noch. Diese Entwicklung betraf sowohl die konservativen ländlichen Gebiete als auch die industriellen Ballungszentren, hatte jedoch unterschiedliche Hintergründe. Während sie im ersten Fall vor allem an die bürgerlichen Parteien Stimmen verlor, die die kommunale Ebene oftmals weiterhin dominierten, musste die SPD im zweiten Fall, u. a. in Ludwigshafen, eine Wählerwanderung hin zur USPD

91 Vgl. zu den Rechtsinstitutionen Applegate, S. 20–26. 92 Vgl. Kraft, S. 15. 93 Vgl. zu den Ergebnissen ebd., S. 65. 94 Vgl. ebd., S. 39. Das pfälzische stimmte demnach mit dem reichsweiten Ergebnis der SPD überein, das ebenfalls bei 37,9 Prozent lag, was dort zu 1912 aber nur eine Verbesserung um 3,1 Prozent ausmachte. 95 Für die USPD galt dies ebenfalls für Ludwigshafen und die pfälzische USPD-Hochburg Pirmasens, in der sie allerdings ebenfalls nur weniger als ein Viertel der SPD-Stimmen erzielen konnte. Vgl. zur Aufschlüsselung der Wahlergebnisse der kreisunmittelbaren Städte ebd., S. 37. 96 Vgl. zu den Ergebnissen der Wahlen zur Nationalversammlung in der Pfalz ebd., S. 36–39.

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verzeichnen.97 Obgleich sich die Stimmaufteilung zuungunsten der SPD verändert hatte, konnte das sozialdemokratische Lager dort, ebenso wie in Frankenthal, eine rechnerische Mehrheit erringen.98 Auch wenn in Ludwigshafen demnach die Mehrheiten für eine sozialdemokratische Kommunalpolitik vorlagen, verhinderten innersozialdemokratische Konflikte, dass 1920 in Ludwigs­hafen der erste sozialdemokratische Oberbürgermeister der Pfalz gewählt wurde. Diesbezüglich holte die SPD die brutale Niederschlagung der Münchner Räterepublik ein: Ihr Vorschlag für das Amt des Ludwigshafener Oberbürgermeisters fiel auf den vormaligen bayerischen Ministerpräsidenten Johannes Hoffmann. Da er 1919 den Oberbürgermeister von Kaiserslautern vertreten hatte, besaß er – anders als viele andere Sozialdemokaten zu Beginn der Weimarer Republik – kommunalpolitische Führungserfahrungen, was die SPD besonders betonte. Hoffmanns Agieren in der Revolutionsphase hatte jedoch auch in der Pfalz zu einer nachhaltigen Verstimmung zwischen USPD und SPD geführt,99 weswegen die USPD es ablehnte, ihn zu wählen. Da auch die SPD nicht einlenkte und sich auf einen anderen Kandidaten einließ, wurde der Ausgang der Ludwigs­hafener Oberbürgermeisterwahlen durch die innersozialdemokratischen Konflikte entschieden und der Kandidat des bürgerlichen Lagers zum Oberbürgermeister gewählt. Der Sozialdemokrat Paul Kleefoot amtierte seit 1920 als zweiter Bürgermeister der Stadt.100 Im Verlauf der Weimarer Republik verfolgte die SPD eine Kommunalpolitik, die die Stadt Ludwigshafen und deren Zukunft ins Zentrum rückte. Dahinter stand ihre reformistisch-pragmatische Ausrichtung ebenso wie ihre Hoffnung auf demokratische Gestaltung, weswegen sie ihren Einfluss auf kommunalpolitische Belange im engeren Sinne und die Regional- und Heimat-Kulturpolitik im weiteren Sinne auszuweiten versuchte. Um sich auf diesen Feldern fester zu etablieren, grenzte sich die SPD zwar gegen die als unpatriotisch geschmähten konservativen Parteien ab. So konnte sie sich einerseits als ›wahre‹ politische Vertreterin der ›engeren Heimat‹ inszenieren, ohne andererseits gleichzeitig den revolutionären Konflikt suchen zu müssen. Wie Jürgen Schmidt am Beispiel der sozialdemokratischen Kommunalpolitik im Erfurt des Kaiserreichs gezeigt hat, kritisierte die SPD die fehlende Unabhängigkeit der bürgerlichen Parteien, übernahm aber gleichzeitig deren Argument, dass eine milieuübergreifende  – und keine klassenkämpferische – Kommunalpolitik notwendig sei. Die Sozialdemokraten verstanden sich demnach als die wahren Vertreter des Allgemeininteresses, was sich ebenfalls in ihrem Verständnis des parteiübergreifenden Charakters der regionalen Heimat und Heimat-Kulturpolitik äußerte. Das alles bedeutete nicht, dass es – gerade auch mit Blick auf die inhaltliche Ausprägung und praktische Gestaltung der Kommunalpolitik und der Heimat-Kulturpolitik – keine Konflikte zwischen SPD und den bürgerlichen Parteien gegeben hätte. Es bedeutete jedoch 97 Vgl. ebd., S. 65–66. 98 Vgl. ebd., S. 66. 99 Vgl. ebd., S. 45–47. 100 Vgl. ebd., S. 69–73.

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eine teilweise enge Kooperation mit dem bürgerlichen Milieu, eine Art ausgleichende Politik im lokalen und regionalen Raum, die nur selten auf den sozial­ demokratischen Maximalforderungen bestand. Dieses Vorgehen wurde zuallererst mit den materiellen Nöten der Stadt und ihrer Bewohner begründet, denen Abhilfe zu schaffen vorderstes Ziel der Sozialdemokratie sei.101 Mit Blick auf die Pfalz sind im Vergleich zu Sachsen noch zwei Punkte zu betonen, die die Heimat-Kulturpolitik der pfälzischen SPD maßgeblich beeinflussten. Zum einen war die SPD nur in der Anfangsphase der Weimarer Republik bis 1920 an der bayerischen Landesregierung beteiligt. In dieser Hinsicht konnte sie keine grundstürzenden Änderungen verwirklichen.102 Zum anderen handelte es sich bei der regionalen Heimat-Kulturpolitik teilweise um eine staatlich geförderte Kulturpolitik, die im Kontext der französischen Besatzung stand. Noch unter der Ministerpräsidentschaft Hoffmanns wurde von dem – mittlerweile von den Franzosen ausgewiesenen und zum bayerischen Staatskommissar für die Pfalz ernannten – Theodor von Winterstein im nahe Ludwigshafen gelegenen badischen Mannheim eine bayerische Propagandastelle eingerichtet, die »Haupthilfstelle für pfälzische Angelegenheiten«, die auch als »Pfalzzentrale« oder »Pfalzkommissariat« firmierte. Zur Förderung des Heimatgefühls wurde ein 10 Millionen Mark schwerer »Pfälzischer Hilfsfonds« eingerichtet. Winterstein privilegierte die finanzielle Unterstützung von Kulturarbeit gegenüber der Auflegung von Wirtschafts- und Sozialprogrammen und begründete dies nicht zuletzt mit der kulturpolitischen Tätigkeit der französischen Besatzungsmacht. Neben der Tätigkeit des SPD-Manns Profit im Staatssekretariat bzw. Reichsministerium für die besetzen Gebiete bildete der »Hilfsfonds« eine weitere Schnittstelle zwischen sozialdemokratischer und staatlich geförderter Heimat-Kulturpolitik, die im Kontext der französischen Besatzung der Pfalz stand und mit anti-französischen Ressentiments einhergehen konnte.103 Die sozialdemokratische Heimat-Kulturpolitik erfolgte in der Pfalz auch vor diesem politisch aufgeladenen Hintergrund. 1.1.2.2 Sachsen In vielerlei Hinsicht stellte sich die Situation in Sachsen gegensätzlich zur Pfalz dar. Die Region galt nicht nur als Wiege der Arbeiterbewegung, sondern gehörte auch in der Weimarer Republik weiterhin zu ihren Kernländern. Dementsprechend stark und divers war sie vor Ort aufgestellt, was auch die Arbeiterkulturbewegung betraf. Besonders für die überregionale Arbeiterbildungsbewegung, die in der Konzeption und Etablierung der Heimat-Kulturpolitik nicht nur in Sachsen eine zentrale Rolle einnahm, kam der Region eine Vorreiterrolle zu. Im 101 Vgl. Schmidt, Begrenzte Spielräume, S. 304–305; für die Weimarer Republik Steber, S. 226, 253–255; zudem Fülberth. 102 Vgl. aus sozialdemokratischer Perspektive Sozialdemokratische Partei Deutschlands, Bezirk Pfalz, S. 29–40 (bes. das Referat »Die Kulturreaktion in Bayern«, Redner: Hauptlehrer Loschky, Ludwigshafen a. Rh.). 103 Vgl. zur »Haupthilfstelle für pfälzische Angelegenheiten« und deren Ähnlichkeit mit der »Reichszentrale für Heimatdienst« Applegate, S. 127–131.

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Gegensatz zur pfälzischen besaß die sächsische Sozialdemokratie demnach überregionale Bedeutung. Auch die Naturfreundebewegung war in Sachsen stark aufgestellt und am linken Rand zu verorten.104 Ein weiterer wesentlicher Unterschied lag in der Stärke der USPD, insbesondere in Leipzig.105 Gleichzeitig existierte u. a. in Dresden und Freital ein pragmatisch-reformistischer SPD-Flügel, der auf eine Kooperation mit bürgerlichen Parteien, u. a. im Landtag als Ort der Kompromissbildung, setzte.106 Diese besondere innersozialistische Spannung kulminierte 1926 mit der Rechtsabspaltung der »Alten Sozialdemokratischen Partei«, zu der fast die gesamte SPD-Landtagsfraktion wechselte.107 Die Stärke der Arbeiterbewegung in Sachsen kann sowohl auf die frühe Industrialisierung der Region als auch auf die ausgeprägte Spaltung der sächsischen Gesellschaft zurückgeführt werden. Auch in der Weimarer Republik blieben das bürgerlich-protestantische und das proletarisch-sozialistische Lager stärker voneinander geschieden als in anderen Regionen, wobei neben der Ausrichtung von Bürgertum und Sozialdemokratie das Fehlen einer ausschlaggebenden katholischen Bevölkerungsgruppe und damit einer relevanten Zen­trumspartei als Vermittlungsinstanz als begünstigender Faktor der Polarisierung angeführt wird.108 Ähnlich wie die territoriale Infragestellung der Pfalz wies auch die Spaltung der sächsischen Gesellschaft eine lange Geschichte auf. Bereits zu einem frühen Zeitpunkt war infolge der Industrialisierung der Region eine relativ große Industriearbeiterschaft entstanden.109 Mit Blick auf den sozialdemokratischen HeimatDiskurs ist diese Entwicklung besonders hervorzuheben, da jene erstens zu einer starken Migration fremder Arbeiter und Arbeiterinnen in die Region führte und hohe innerregionale Bewegungsströme nach sich zog.110 Zweitens war Sachsen einem rasanten landschaftlichen Wandel unterworfen.111 Trotz oder gerade wegen eines hohen Organisationsgrads konnte die Sozialdemokratie die Politik weniger als in anderen Regionen beeinflussen. Eines der repressivsten Wahlsysteme ließ der großen Arbeiterschaft und der starken SPD im Kaiserreich sowohl auf Landes- als auch auf Gemeindeebene wenig Beteiligungsmöglichkeiten.112 Bei allen Wahlen in der Anfangsphase der Weimarer Republik erreichte das sozialistische Lager anders als in der Pfalz verlässliche Mehrheiten, die die Umsetzung eigener kulturpolitischer Bestrebungen möglich machten. Sowohl bei den Wahlen zur Nationalversammlung am 19.01.1919 als auch bei den Wahlen zur sächsischen Volkskammer am 02.02. erzielte die Sozialdemokratie eine ab104 Vgl. Zimmer, S. 38. 105 Vgl. Rudloff u. Adam, bes. S. 102–110; Bramke u. Reisinger. 106 Vgl. Pastewka. 107 Vgl. Heidenreich, S. 169. 108 Vgl. zur Geschichte dieser Spezifika seit dem Kaiserreich Retallack; zur Weimarer Republik Schmeitzner, Revolution und Republik, S. 97–98. 109 Vgl. Rudolph, S. 34–51. 110 Vgl. zur Bedeutung von Mobilität für Heimat Friedreich, S. 87–101. 111 Vgl. mit Fokus auf Freital Walter, Freital, S. 42–45. 112 Vgl. Rudolph, S. 52–64.

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solute Mehrheit.113 Am 14.03. wurde mit Georg Gradnauer – wie mit Johannes ­Hoffmann in Bayern – ein Mehrheitssozialdemokrat zum ersten Ministerpräsidenten gewählt.114 Doch während die SPD in Bayern nur bis 1920 an der Landesregierung beteiligt war, wurde Sachsen über drei Jahre ohne bürgerliche Beteiligung regiert, ab November 1920 mit der von kommunistischer Seite geduldeten Minderheitenregierung aus SPD und USPD, was in der Forschung als das »linksrepublikanische Projekt«115 bekannt geworden ist. Bis 1929 blieb die SPD durchgehend an der sächsischen Regierung beteiligt. In der Phase bis zur Reichsexekution 1923 konnten die sozialdemokratischen Landesregierungen eigene politische Vorstellungen umsetzen und insbesondere in der Innen-, Wirtschafts- und Schulpolitik Erfolge erzielen.116 Unter dem von 1920 bis 1924 amtierenden sächsischen Volksbildungsminister Hermann Fleißner stellten die Volksschulreform und der Kampf für die weltliche Schule zentrale Anliegen der Landesregierung dar.117 Diese Schwerpunktsetzung war nicht zuletzt der Bedeutung geschuldet, die Bildung in der sozialistischen Theoriebildung generell zugemessen wurde. Mit der SPD-Schulpolitik war demnach das Ziel verbunden, die heranwachsende Generation im Geist der Republik und des Sozialismus zu erziehen.118 Dabei koinzidierte die Schulpolitik mit einer Intensivierung der Arbeiterbildungsarbeit, die sich ab 1922 in der Neu- oder Wiedergründung von SPD-Bezirksbildungsausschüssen äußerte. Im Oktober 1923 konstituierte sich der Arbeiterbildungsausschuss des Bezirks Groß-Dresden, zu dem auch Freital gehörte.119 Die SPD-Kulturarbeit besaß eine lange Tradition und schlug sich bspw. in einer vielfältigen sozialdemokratischen Presse- und Medienlandschaft nieder.120 Dabei war die Situation in Dresden insofern bemerkenswert, als die DVZ nicht nur ein ambitioniertes Feuilleton enthielt, sondern ebenfalls ein breit aufgestelltes Literaturprogramm verfolgte, das der sozialdemokratische Verlag Kaden & Comp. verantwortete.121 Sowohl die Arbeiterbildungsbewegung als auch die Naturfreunde waren maßgeblich an der Herausbildung einer sozialdemokratischen Heimat-Kulturpolitik beteiligt. Zudem arbeiteten SPD und bürgerliche Parteien auf diesem Feld interessanterweise trotz der ausgeprägten Spaltung der sächsischen Gesellschaft 113 Vgl. Schmeitzner, Revolution und Republik, S. 89. 114 Vgl. Heidenreich, S. 148–149. 115 Vgl. Rudolph, S. 270. 116 Vgl. Heidenreich, S. 156. 117 Vgl. ebd., S. 179–203. Auch wenn sich die SPD mit der Abschaffung des Religionsunterrichts nicht durchsetzen konnte, wurde ihr Vorgehen von konservativ-bürgerlichen Kreisen als »Kulturkampfpolitk« aufgefasst. Vgl. dazu Schmeitzner, Revolution und Republik, S. 105. 118 Vgl. unterschiedliche zeitgenössische Entwürfe bei Lohmann, Sozialdemokratie und Schule; Haenisch. 119 Vgl. Heidenreich, S. 278; zur Bildungsarbeit im Bezirk Groß-Dresden ebd., S. 281–287. 120 Vgl. Schmeitzner u. Steinberg, S. 111. Es werden u. a. Robert Grötzsch, Franz Diederich und Edgar Hahnewald, der sozialdemokratische Kinderliteratur verfasste, genannt. 121 Vgl. ebd., S. 124–128, wo Schmeitzner und Steinberg dies als »Kulturpolitik im Verlag« bezeichnen.

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stellenweise zusammen. In Dresden beteiligten sich bspw. sozialdemokratische Kulturpolitiker wie Edgar Hahnewald an der parteiübergreifend verantworteten Volkshochschule.122 Auch in der sächsischen Wanderbewegung existierte eine vergleichsweise enge Zusammenarbeit zwischen bürgerlichen Wanderorganisationen und der sozialdemokratischen Naturfreundebewegung, die sich in der Gründung der »Interessengemeinschaft Dresdner touristischer Vereinigungen« und der gemeinsamen Herausgabe einer Zeitschrift, des »Fahrtgesells«, äußerte.123 Auf kommunalpolitischem Gebiet hingegen konnte die sächsische Sozial­ demokratie trotz ihrer beachtlichen Ergebnisse bei den Wahlen zur Nationalversammlung und zur sächsischen Volkskammer nur bedingt wirksam agieren. So erreichte sie bei den Gemeindewahlen im Februar 1919 nur in 617 Gemeinden eine nominelle Mehrheit, wohingegen die bürgerlichen Parteien in 1393 Gemeinden den Wahlausgang zu ihren Gunsten beeinflussen konnten.124 In Dresden konnten SPD und USPD zwar eine knappe nominelle Mehrheit auf sich vereinigen, Erstere kooperierte jedoch eng mit den liberalen Parteien.125 Letztlich bleibt für die kommunale Ebene festzuhalten, dass die bürgerlichen Parteien hier anders als auf Landesebene politisch bestimmend blieben.126 Daher spielte sich ein Großteil der sozialdemokratischen Kulturpolitik in der Regel im Rahmen der starken Arbeiterbildungs- oder Volkshochschulbewegung ab. Die in dieser Arbeit näher zu behandelnde sozialdemokratische Musterstadt Freital bildete diesbezüglich eine interessante Ausnahme. Hier lässt sich wie unter einem Brennglas nachvollziehen, welche Form von Heimat-Kulturpolitik die sächsische SPD verfolgte, wenn sie dazu die kommunalen Mittel besaß. Mit der Stadtgründung Freitals verwirklichte sich 1921 ein sozialdemokratisches Projekt, dessen Wurzeln bis in die Zeit des Kaiserreichs zurückreichten. Der Zusammenschluss der südwestlich von Dresden im Weißeritztal gelegenen Gemeinden Döhlen, Potschappel und Deuben provozierte in der gespaltenen sächsischen Gesellschaft schon als bloße Idee Widerspruch und war bis dahin an vehementen bürgerlichen Widerständen gescheitert.127 Nach Gründung der Stadt, die Mitte der 1920er 36.600 Einwohner hatte, lag die Kommunalpolitik fest in sozialdemokratischer Hand; bis 1927 amtierte Carl Wedderkopf als Oberbürgermeister, ihm folgte im gleichen Jahr der Sozialdemokrat, vormalige zweite Bürgermeister und studierte Wirtschafts- und Verwaltungsfachmann Gustav Klimpel.128 122 Vgl. die Akten des »Vereins Volkshochschule« im Stadtarchiv Dresden, u. a. StAD 2.3.20; StAD 2.3.21. 123 Vgl. Schindler, Chronik und Dokumentation, S. 19. 124 Vgl. Rudolph, S. 206. Rudolph gibt darüber hinaus für 294 eine Pattsituation an, während für 544 keine Ergebnisse vorliegen. 125 Vgl. ebd. 207.Ähnlich stellte sich die Situation in Leipzig dar, wo das sozialdemokratische Lager eine noch größere Mehrheit besaß, die SPD aber ebenfalls mit den Demokraten bzw. Liberalen stimmte. 126 Vgl. ebd., S. 208; zu Dresden zudem für die Jahre 1918–1933 Maaß. 127 Vgl. zur Vorgeschichte Freitals Walter, Freital, S. 39–48. 128 Vgl. ebd., S. 77; zur Einwohnerzahl, S. 41.

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Der in Freital verfolgte Munizipalsozialismus,129 der der Stadt wiederholt Vergleiche mit dem »Roten Wien«130 einbrachte, ließ Stadt- und Parteipolitik oftmals fließend ineinander übergehen. Mithilfe recht stabiler Mehrheiten bis in die beginnenden 1930er Jahre konnte die SPD ihre sozialpolitischen Versprechen machtpolitisch nahezu ungehindert umsetzen, wenngleich finanzielle Hindernisse nicht geringen Ausmaßes eine solche Umsetzung gerade gegen Ende der Weimarer Republik erschwerten.131 Wenn sich Sozialdemokraten in Freital demnach ihrer Gemeinde verpflichtet fühlten, war dies – anders als in Ludwigshafen – eine sozialdemokratische Gemeinde oder Heimatstadt,132 eine »Insel Utopia inmitten der kapitalistischen Welt«,133 die in sozialistischen Kreisen als eines der Zukunftsversprechen schlechthin firmierte. Zusammenfassend bleibt festzuhalten, dass die Sozialdemokratie in den Heimat-Räumen Pfalz, v. a. Ludwigshafen, und Sachsen, v. a. Freital, unterschiedliche Möglichkeiten der politischen Gestaltung und Verwirklichung ihrer Heimat-Vorstellungen besaß. Hinsichtlich der sozialdemokratischen Heimat-Kulturpolitik ist zudem wichtig, dass in der Pfalz zu Beginn der Weimarer Republik schon eine milieuübergreifende Regionalkultur existierte, während sich Sachsen durch eine starke sozialistische Alternativkultur auszeichnete. Inwiefern sich die herausgearbeiteten Unterschiede, d. h. die höhere Bedeutungsoffenheit des Heimat-­ Begriffs 1918/19 in Sachsen sowie die unterschiedlichen politischen Gestaltungsmöglichkeiten der Heimat-Räume, auch in den Heimat-Diskursen und in der Heimat-Kulturpolitik der 1920er niederschlugen, wird die Analyse der folgenden Kapitel zeigen.

1.2 Heimat-Semantiken: Zwischen räumlicher Gegebenheit und Veränderbarkeit Aus der Verräumlichung des sozialistischen Heimat-Verständnisses, das sich infolge des Ersten Weltkriegs und der Novemberrevolution an lokale, regionale und nationale Räume heftete, resultierten Schnittmengen zu bürgerlichen Parteien, die sich ebenfalls auf die Region oder Nation als Heimat bezogen. Vor diesem Hintergrund fokussiert das folgende Kapitel die semantischen und bildlichen

129 Vgl. zu dieser Einschätzung Lippert, Eine Insel Utopia, S. 64. 130 Vgl. zur Einordnung des Vergleichs ebd., S. 59. 131 Vgl. Walter, Freital, zu den Wahlergebnissen S. 48–53; zur SPD und der sozialistischen Kultur S. 53–76; zur Sozialpolitik S. 76–92. Diese prekäre Finanzlage resultierte u. a. aus der Abwanderung von Unternehmen nach Dresden, wo niedrigere Gewerbesteuern erhoben wurden. 132 Vgl. zur Adaption von Mack Walkers Begriff »Home Town« für die Weimarer Republik ­Domurad, bes. Kapitel 1, S. 45–102. 133 So eine zeitgenössische Einschätzung. Vgl. dazu Lippert, Eine Insel Utopia; S. 45.

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Deutungstraditionen von Heimat-Räumen in der Arbeiterbewegung.134 Dabei geht es insbesondere darum, die Spezifik sozialistischer Heimat-Bilder zu bestimmen. So konnten bspw. Fabrikschornsteine in einer natürlichen Umgebung ganz unterschiedlich konnotierte Heimat-Konzepte evozieren, von einer Kritik der Naturzerstörung im Sinne des Heimatschutzes bis zu einer kapitalismuskritischen Thematisierung der ökonomischen Ausbeutung der Natur reichen, wie sie der sozialistische TVdN formulierte. Darüber hinaus konnte die Abbildung solcher Schornsteine mit dem Argument verbunden sein, dass auch eine Industrielandschaft für die dort Lebenden Heimat bedeuten könne. Mitunter war der angedeutete Unterschied zwischen dem sozialistischen und dem bürgerlichen Milieu nur ein gradueller, da in der Weimarer Republik weder alle bürgerlichen Heimatschützer die Industrie als Symbol für die Moderne per se ablehnten,135 noch alle Sozialdemokraten der Naturverklärung oder Großstadtskepsis unverdächtig blieben.136 Für eine idealtypische Unterscheidung bürgerlicher und sozialistischer Heimat-Bilder sind die divergierenden Einordnungen industrialisierter Landschaften jedoch wesentlich. Worin die Spezifik sozialistischer Heimat-Semantiken bestand, lässt sich an sehr unterschiedlichen Beispielen und thematischen Feldern aufzeigen. Sie finden sich in literarischen Werken wie Gedichten und Landschaftsbeschreibungen, bildlichen Darstellungen, etwa Fotografien oder Maipostkarten, politischen Auseinandersetzungen sowie Fachdebatten, etwa in der Natur- und Heimatkunde. Zudem umfassten sie sowohl theoretisch verhandelte und intentional entworfene als auch alltägliche Heimat-Bilder, die unreflektierte Wünsche und Sehnsüchte zum Ausdruck brachten. Dieses komplexe Deutungsfeld wird in der Folge anhand mehrerer Tiefenbohrungen genauer aufgeschlüsselt: Das erste Teilkapitel zeigt, dass die Arbeiterbewegung Heimat-Räume als politische bzw. politisierte Landschaften konzeptualisierte, und legt dar, dass sie den Begriff auf Industrieregionen und Großstädte ausweitete. Inwiefern sich diese Konzeptionen ebenfalls bildlich niederschlugen, wird im darauffolgenden Teilkapitel zur sozialis­ tischen Heimat-Ikonografie untersucht. Im Zentrum der nachfolgenden Analyse steht dabei keine genaue Ausdifferenzierung der jeweiligen Autorenschaft oder eine zeitlich exakte Periodisierung und Kontextbeschreibung, auch wenn Unterschiede zwischen dem Kaiserreich und der Weimarer Republik angedeutet werden. Vielmehr arbeitet das Kapitel zentrale, d. h. typische und wiederkehrende Semantiken, Themen, Motive und Bilder heraus, die in verschiedenen regionalen Kontexten zirkulierten.

134 Vgl. zu einer aufeinander bezogenen Analyse von Schrift- und Bildquellen exemplarisch ­Becker, Bilder von Krieg und Nation. 135 Vgl. zur ambivalenten Haltung der Heimatbewegung gegenüber der Moderne mit Fokus auf ›Natur‹ und ›Landschaft‹ exemplarisch Lekan, bes. das Kapitel zur Weimarer Republik, S. 99–153. 136 Vgl. kritisch zum sozialistischen Naturschutz Zimmer, S. 39–45.

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1.2.1 Heimat als politisierte Landschaft Die Spezifik sozialistischer Heimat-Raum-Semantiken wird nachfolgend an vier Fallstudien exemplarisch herausgearbeitet. Ausgegangen wird von der Zeit des Kaiserreichs, als die Naturfreundebewegung das Bild eines kapitalistisch ausgebeuteten und politisch umkämpften Naturraums formulierte. Während der TVdN und sein Heimat-Verständnis im Kaiserreich vonseiten anderer Teile der Arbeiterbewegung mitunter kritisch beäugt wurde, nahm in der Weimarer Republik nicht allein die Zahl der Naturfreundemitglieder rasant zu,137 vielmehr verallgemeinerte sich auch der Heimat-Bezug. Ein solcher schlug sich in der sozialdemokratischen Beschreibung lokaler, regionaler oder nationaler Räume nieder, wie am Beispiel des Pfälzer Regionalraums sowie des Freitaler Stadtraums dargelegt wird. Abschließend wird exemplarisch gezeigt, dass die Arbeiterbewegung einerseits die prekären Lebensverhältnisse in Großstädten kritisierte, diese andererseits ebenfalls als Heimat auszuweisen versuchte. 1.2.1.1 Der bürgerlich besetzte Naturraum als zukünftige Heimat Sucht man nach einem institutionalisierten Urbild sozialistischer Heimat-Räume, wird man bei der Natur- und Heimat-Konzeption des 1895 in Wien gegründeten TVdN fündig, der als sozialistische Alternativorganisation zu bürgerlichen Wandervereinen ins Leben gerufen wurde, von denen die Arbeiterschaft oftmals ausgeschlossen war.138 Karl Renner, einer der Gründungsväter und späterer erster Staatskanzler der Republik Österreich, kritisierte den exklusiven Charakter der existierenden Natur-Räume kurz nach der Vereinsgründung in einem programmatischen Artikel von 1896: »Kein Fleckchen der Erde gehört uns. Das Haus, in dem wir wohnen, die Werkstatt, in der wir fronen, gehören anderen, die Fluren, durch die wir wandern, eignen nicht uns […]. Wir sind Fremdlinge auf dieser Erde, wir haben keinen Teil an ihr!«139 Angesichts der bestehenden bürgerlichen Eigentumsrechte an der Natur, die schon Karl Marx in seinem Artikel »Debatten über das Holzdiebstahlgesetz« angegriffen hatte,140 folgerte Renner: Nur die Straßen haben sie uns gelassen! Die staubige Landstraße, auf der wir als Arbeitslose in die Fremde zieh’n, auf der uns der Gendarm wieder heimführt, wenn wir keine Arbeit finden. Sie haben die Erde, das ewige Erbe aller ihrer Söhne, unter sich geteilt und uns vergessen – bis auf den Straßenstaub, den sie uns vergönnen.141 137 Vgl. zur Hochphase des TVdN in der Weimarer Republik zuletzt Williams, Turning to nature in Germany, S. 67–91. 138 Vgl. zur Entstehung und Organisationsgeschichte Zimmer; Linse, Die »freie Natur« als Heimat; Günther; Williams, Turning to nature in Germany, S. 67–78. 139 Renner, S. 3. Es handelte sich hierbei um einen Wiederabdruck, der Text erschien erstmals 1896. Die redaktionelle Anmerkung zum Wiederabdruck kontrastierte die überwundene Vergangenheit des Kaiserreichs und die erkämpfte Weimarer Republik. 140 Vgl. Marx, Debatten, S. 109–147. 141 Renner, S. 3.

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Renners Artikel verurteilte den arbeitsbedingten Zwang zur Mobilität, die Exploitation der Arbeiterschaft sowie ihren politischen, ökonomischen und sozialen Ausschluss aus den kapitalistisch überformten Natur-Räumen. An deren Stelle setzte er einen naturrechtlich begründeten Anspruch aller Menschen auf Teilhabe an den Reichtümern der Erde. Obgleich das kapitalistische Bürgertum versuche, die Natur durch Grenzziehungen und Eigentumstitel als ihren Besitz auszuweisen, gehöre die Erde eigentlich der Arbeiterschaft, die sie bearbeite und die unterschiedlichen Teile der Welt, etwa durch den Bau von Straßen und Telegrafen verbinde. Für Renner bildeten das Naturverständnis des kapitalistischen Bürgertums und dasjenige der Arbeiterschaft einen Dualismus, der mit gegensätzlichen Konzeptionen von Gesellschaft verbunden war. In Abgrenzung zum bürgerlichen Nationalismus zeichne sich das Natur-Verständnis der Arbeiterschaft durch Internationalismus und Solidarität aus: Eingeschlossen in eure Grenzpfähle seht ihr nicht weiter, als der Kirchturm weist. Inmitten der strahlenden, großen Welt habt ihr nicht mehr von ihr als der Wurm, der an der Scholle klebt. Oh! Wir neiden auch nicht euren Reichtum. […] Wir haben nicht Haus und Hof, uns darauf zu stützen. Aber treue Herzen haben wir; das Herz hängt am andern und eines vertraut aufs andere. Klare Köpfe haben wir; was einer weiß, das teilt er restlos den anderen mit. Kräftige Arme haben wir, die helfen einander. Fleißige Hände haben wir, und was einer erwirbt, erwirbt er für alle. Nicht am Boden hängt der Mensch, sondern Mensch am Menschen.142

Heimat konstituierte sich folglich nicht durch eine gemeinsame Herkunft, sondern durch solidarische Beziehungen zwischen Menschen. Laut Renner standen die Natur-Räume der Gegenwart unter unrechtmäßiger bürgerlicher Herrschaft. Gleichzeitig ging er von einer ursprünglichen und besonderen Verbundenheit zwischen Natur und Arbeiterschaft aus. Vor diesem Hintergrund konzeptualisierte er beide, Natur und Arbeiterschaft, als Opfer kapitalistischer Ausbeutung und Zerstörung. Dabei ging mit Renners Kritik an der kapitalistischen Ausbeutung eine Adelung der Arbeit einher. So folgerte er: Trotz der aus der Arbeit resultierenden Mühen »lieben wir, die Enterbten, unsere Mutter über alles«, »Mehr als ihr!«143 Vor diesem Hintergrund kam der Arbeiterschaft in Renners Text die Aufgabe zu, die Natur zu ihrem Recht kommen zu lassen: »Sie [die Arbeiter in aller Welt, d. Vf.] alle harren, die Mutter Erde zu einem Paradies zu machen für ihre getreuen Kinder.«144 Auffällig ist dabei sein mehrfacher Bezug auf die Erde als Mutter, der an verbreitete, mit Heimat verbundene Geschlechterstereotype anknüpfte. Er naturalisierte dadurch nicht nur die Verbundenheit zwischen Natur und Arbeiterschaft, sondern brachte gleichzeitig das ebenso stereotype wie

142 Ebd., S. 4. 143 Ebd. S. 3. 144 Ebd., S. 4.

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widersprüchliche Bild mütterlicher Schutzbedürftigkeit und Geborgenheit zum Ausdruck.145 Renners Kritik an der Exklusion der Arbeiterschaft steht stellvertretend für die Diagnose, die die Naturfreundebewegung der Moderne in ihrer kapitalistischen Form stellte. Diese habe die Arbeiterinnen und Arbeiter zu bloßen Anhängseln der Maschinen degradiert, sie ihrem Produkt dadurch entfremdet. Die einzige Naturerfahrung, die noch geblieben sei, bestehe in den leiblichen Erfahrungen von Leben und Tod. Ohne Solidarität sei der einzelne Arbeiter auf sich selbst und seine bloße Leiblichkeit zurückgeworfen.146 Daraus leitete der TVdN einen revolutionären Auftrag ab: Das gemeinsame Ziel der internationalen Arbeiterbewegung liege darin, Natur und Arbeiterschaft von der kapitalistischen Herrschaft zu befreien und so eine bessere Welt zu erkämpfen. In diesem Prozess des Klassenkampfs maßen die Naturfreunde der Naturerkenntnis und der ihrerseits entworfenen Praxis des ›sozialen Wanderns‹147 zentrale Bedeutung zu. Daher lag eines ihrer Hauptziele darin, auch der Arbeiterklasse den Naturzugang zu ermöglichen, damit diese – erholt durch Naturzugang und geschult durch Naturerkenntnis – die besetzten und geknechteten Naturräume durch revolutionäre Praxis befreien könne. Da die wandernde Durchquerung der Natur aufgrund der bestehenden Eigentumsrechte oftmals einen Bruch der bürgerlichen Eigentumsordnung implizierte, erhielt die zunächst einmal unpolitisch wirkende Wanderpraxis einen politischen Charakter. Der klassenkämpferische Anspruch des ›sozialen Wanderns‹ äußerte sich auch in dem Wanderslogan der Bewegung: Statt den bereits existierenden Wandergruß »Berg auf« der bürgerlichen Wandervereine zu übernehmen, lancierte der TVdN den oppositionellen Wandergruß »Weg frei / Berg frei«, der die Forderung nach einem freien Wegerecht prägnant zum Ausdruck brachte.148 Die Konzeption des ›sozialen Wanderns‹ war für die sozialistische Deutung der Heimat-Räume konstitutiv. Es beinhaltete einen sozialkritischen Blick auf die Naturlandschaften der Gegenwart, auf die kapitalistischen Eigentumsverhältnisse und Arbeitsformen, der jene als politisierte Landschaften kenntlich machen sollte. Der Fokus auf die Bedeutung von Arbeit implizierte dabei auch die zukünftige Veränderbarkeit der Umwelt. Ein solches Verständnis richtete sich nicht gegen die Errungenschaften der Moderne, es redete jedoch ebenso wenig einer technik­euphorischen Naturbeherrschung das Wort. So sollte die Erforschung der Naturgesetzlichkeiten der solidarischen Bearbeitung der Natur zunutze gemacht werden.149 Ulrich Linse hat mit Blick auf das mehrdeutige Naturverständnis des 145 Vgl. zu auch in anderen Milieus verbreiteten weiblichen Konnotationen von Heimat Oesterhelt, S. 102–116. 146 Vgl. dazu und zu einer Analyse Renners Williams, Turning to nature in Germany, S. 78–80. 147 Die Konzeption ›sozialen Wanderns‹ erläutert etwa ebd., S. 83–87. 148 Vgl. zum Wandergruß ebd., S. 79; zur zeitgenössischen Kritik der bürgerlichen Praxis N. N., Berg frei, S. 1–2. 149 In ihrer Skepsis gegenüber der innerhalb der sozialistischen Arbeiterbewegung verbreiteten Technikeuphorie unterschied sich die Naturfreundebewegung von anderen sozialistischen Organisationen. Vgl. zum Naturverständnis Williams, Turning to nature in Germany, S. 87–88.

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TVdN die »technische«, »soziale« und »geistige Aneignung der Natur« unterschieden.150 Ihre Gemeinsamkeit lag darin, dass Natur und Landschaft  – im Gegensatz zum idealtypisch verstandenen bürgerlich dominierten Natur- und Heimatschutz  – keine ahistorisch oder gesellschaftsunabhängig zu denkenden Bezugsgrößen waren, sondern die Veränderbarkeit der Räume für die Naturfreunde gerade konstitutiv war.151 Der Naturfreunde-Diskurs bezog das Argument einer kapitalistisch ausgebeuteten und vonseiten des Bürgertums okkupierten Erde im Kaiserreich zunächst insbesondere auf den Begriff der Natur. Dagegen spielte der Heimat-Begriff  – auch in Renners Text – zunächst keine oder nur eine untergeordnete Rolle. Dies änderte sich im Verlauf des frühen 20. Jahrhunderts, was mit dem generellen Bedeutungszuwachs des Heimat-Begriffs innerhalb der Sozialdemokratie korrelierte. Ein erstes Indiz bildet die Gründung von Naturfreundesektionen zur Naturund Heimatkunde nach der Jahrhundertwende. Infolge des Ersten Weltkriegs und in der Weimarer Republik gewann der Heimat-Begriff weiter an Bedeutung.152 So verallgemeinerte sich die Argumentation einer geknechteten, unschuldigen und besetzten Natur im Verständnis einer geknechteten, unschuldigen, bürgerlich besetzten und politisch umkämpften Heimat. In gewisser Hinsicht eignete sich der umfassendere und tendenziell emotionalere Heimat-Begriff aus Sicht der Naturfreunde wohl besser zur Bezeichnung der empfundenen Nachkriegssituation als ein Bezug auf einen allgemeinen Natur-­ Begriff. Hinzu kam, dass Heimat eher als Natur das in der Weimarer Republik verwirklicht gehoffte Ziel zunehmender materieller Sicherheit und ›Sesshaftigkeit‹ zum Ausdruck brachte. Hatte Renner noch die erzwungene Arbeitsmobi­ lität beklagt, hofften die Naturfreunde in der Weimarer Republik, auf veränderter politischer Grundlage eine Art Heimat verwirklichen zu können, die der erzwungenen Mobilität mit einem selbst gewählten ›Sesshaftwerden‹ begegnete. Vor dem Hintergrund sozialpolitischer Absicherung konnte Wandern zu einer Freizeitbeschäftigung werden, welche einer immer größeren Anzahl an Arbeiterin­nen und Arbeitern offenstand, die ihre natürliche Umwelt nun ebenfalls als Erholungs- und Bildungsraum erfahren konnten.153 Gleichzeitig beschränkte sich das Heimat-Verständnis nicht auf den (ländlichen) Naturraum, sondern bezeichnete ebenfalls industrielle Räume. Wie John A. Williams diesbezüglich herausgearbeitet hat, existierte in der Naturfreundebewegung ein »holistic ideal of the Heimat landscape as the symbol of a socially diverse nation«, die durch ihre Demokra­ tisierung nun auch die Arbeiterschaft umfasste.154

150 Vgl. Linse, Die »freie Natur« als Heimat, S. 63, 65, 70. 151 Vgl. zum bürgerlichen Heimatschutz exemplarisch Schmoll, Orte und Zeiten, bes. S. 37–38. 152 Vgl. zu dieser Veränderung auch Groß. 153 Vgl. Williams, Turning to nature in Germany, S. 73. 154 Ebd., S. 86.

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1.2.1.2 Der revolutionäre regionale Heimat-Raum »Pfalz« Mochte Ludwigshafen auch eine Industriestadt sein und Ähnliches auf die Städte Kaiserslautern und Pirmasens zutreffen, stellte die Pfalz als Regionalraum eine fast schon klassisch zu nennende Heimat-Landschaft dar. Dies betraf sowohl die weitestgehend ländliche bis kleinstädtische Prägung der Region als auch die natürliche Umgebung des Pfälzerwalds.155 Pfälzische Sozialdemokraten, unter denen sich zahlreiche Naturfreunde befanden, bezogen sich wie die bürgerliche Heimatbewegung auf die Pfalz als Heimat. Aufgrund ihrer reformorientierten Ausrichtung stellten sie den ›heimatlichen‹ Charakter der Pfalz nicht prinzipiell infrage, sondern setzten voraus, dass die Region als ›engere Heimat‹ zu verstehen sei, die zur ›weiteren, nationalen Heimat‹ gehöre. Auch die landschaftliche Umgebung des Pfälzerwalds war für sie Teil davon. Für die SPD stand demnach weniger zur Debatte, was die ›engere Heimat‹ sei. Wenngleich oder gerade weil deren territoriale Form realhistorisch umstritten war, bildete der Regionalraum einen parteiübergreifend geteilten Bezugspunkt. Statt Heimat räumlich anders als bürgerliche Parteien zu konkretisieren, kennzeichnete den sozialdemokratischen Blick ein ähnlicher sozialkritischer Fokus, wie er für den TVdN herausgearbeitet worden ist. In der sozialdemokratischen Beschreibung des regionalen Heimat-Raums lassen sich zwei wiederkehrende Punkte herausarbeiten: Sie betonte zum einen die lange revolutionäre Tradition der Pfalz, beschrieb diese zum anderen als durch industrielle Arbeit geformten und politisch umkämpften Heimat-Raum. In den sozialdemokratischen Landschaftsbeschreibungen nahm die lokale und regionale Demokratiegeschichte eine zentrale Rolle ein, die der Pfalz aus Sicht der Sozialdemokratie einen besonderen demokratischen Charakter verliehen hatte. Räumliche Bezugspunkte dieser Konzeption waren regionale Materialisierungen dieser Geschichte, zuallererst das Hambacher Schloss. Seit dem Kaiserreich versuchte die SPD, die historische Schlossruine als sozialdemokratischen Ort zu beanspruchen, um in Abgrenzung zu den Nationalliberalen oder der demokratischen Deutschen Volkspartei in der Pfalz die Vorstellung einer gleichermaßen regionalen wie parteispezifischen Zugehörigkeit zum Ausdruck zu bringen. In der Weimarer Republik verstärkte sich die bereits zuvor existierende Tendenz, dieses Vorgehen mit dem Heimat-Begriff zu verknüpfen.156 In diesem Kontext bezeichnete bspw. Friedrich Profit den pfälzischen »Boden« 1925 anlässlich einer republikanischen Verfassungsfeier auf dem Hambacher Schloss als »heiliges Land!«157 Heilig war der regionale Heimat-Raum für Profit zunächst einmal aufgrund seiner sozialen und politischen Verfasstheit. Erst durch die Demokratisierung 1918/19 sei er zu seinem historischen Recht gekommen, weswegen Profit die Verfassungsfeier in der Weimarer Republik mit den politisch-repressiven Verhältnissen des Kaiserreichs kontrastierte. Doch wie sich nun 155 Vgl. zur Struktur der Pfalz Ruppert, S. 103–128. 156 Vgl. Strommenger, »Hambach«, S. 129–143. 157 StALu, N73, 2, fol. 23.

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zeige, sei die SPD aus dem Konflikt – wenn auch verspätet – siegreich hervorgegangen und habe das Hambacher Schloss in den Besitz des ›Volkes‹ überführt.158 In Profits Beschreibung des politisierten Heimat-Raums verbanden sich überwundene Vergangenheit, demokratische Gegenwart und sozialistische Zukunft. Wie bei Ebert 1918/19 diente der Bezug auf Heimat und Region als Möglichkeit, räumliche Kontinuität ebenso wie räumlichen Wandel darzustellen. Gleichzeitig fungierte das Hambacher Schloss dabei sowohl als gesamtgesellschaftlicher als auch als spezifisch sozialdemokratischer Bezugspunkt, was das doppelte, spezifisch sozialdemokratische und milieuübergreifende Heimat-Verständnis der SPD spiegelte.159 Auch über das Hambacher Schloss hinaus stellte der Bezug auf die Revolutionsgeschichte ein kontinuierliches Moment der sozialdemokratischen Darstellung der regionalen Heimat dar. In der mehrteiligen Artikelserie »Proletarische Strömungen in der pfälzischen Bewegung von 1848/49«, die als Teil eines Themenschwerpunkts anlässlich des hundertjährigen Revolutionsjubiläums 1929 in der Parteipresse abgedruckt wurde, hieß es: Daß auch in unserer pfälzischen Heimat die radikalen Ideen aller Schattierungen besonders stark verbreitet waren und vielfach von hier aus erst in das übrige Deutschland eindrangen, ist kein Zufall: die Nähe Frankreichs hatte schon von jeher zu einem regen geistigen Verkehr geführt, der durch die dem fortschrittlichen Geist der Pfälzer schroff entgegengesetzte politische und kulturelle Haltung des jenseitigen Bayerns und die Behandlung der Pfalz als eine Art abgelegene Kolonie durch die Regierung nur noch verstärkt wurde.160

Der Autor Kurt Baumann bestimmte die Region wesentlich über ihre politischsoziale Verfasstheit. Nicht zuletzt begründete er über die vergangene Stärke der proletarischen Bewegung den politischen Gestaltungsanspruch der SPD auf Gegenwart und Zukunft. In der Artikelserie und dem Themenschwerpunkt wurde 1848/49 als Vorgeschichte der Gegenwart beschrieben. 1918/19 habe die Sozialdemokratie die temporär gescheiterten Ziele von 1832 und 1848/49 verwirklicht und eingelöst.161 Durch eine solche Beschreibung inszenierte sich die SPD nicht allein als Vollenderin der demokratischen Bewegung in der Region, vielmehr implizierte das Verständnis eines revolutionär veränderten Regionalraums auch dessen zukünftige Veränderbarkeit. Neben der demokratischen Aufladung des Pfälzer Heimat-Raums richtete sich der sozialhistorisch geschärfte Blick auf die vergangenen und gegenwärtigen Arbeitsverhältnisse. Die unterschiedlichen regionalen Arbeitsformen, die vom Weinbau über die Schuh- und Chemieindustrie reichten, waren im sozialdemokratischen Verständnis essenzieller Teil der Pfalz. Dabei beschränkte sich die 158 Ebd. 159 Vgl. zu einer näheren Diskussion Kapitel 3.3.2.2. 160 Baumann, Proletarische Strömungen, S. 9. 161 Vgl. »Bei uns daheim« (Jg. 1929).

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sozialdemokratische Beschreibung der Region nicht auf bäuerliche und ›volkstümliche‹ Arbeitsformen, die in der Heimatbewegung als besonders ursprünglich und bewahrenswert galten, was mit einem volkskundlichen Interesse einherging. Zwar fanden auch Berufe wie das Küferhandwerk Eingang in die Parteipresse.162 Zugleich wurde Industriearbeit in der sozialdemokratischen Auseinandersetzung mit dem Regionalraum nicht ausgespart und der damit verbundene Wandel des Landschaftsbilds diskutiert, ohne diesen einer konservativen Kulturkritik zu unterziehen. Statt sich auf einige pittoreske Orte als vermeintlich idealtypische Repräsentation des Heimat-Raums zu konzentrieren, ging es der pfälzischen SPD um ein realistischeres Gesamtbild desselben, das neben vergleichsweise unberührten Natur-Räumen auch Städte und regionale Industrien beinhalten sollte. Ein solchermaßen erweitertes Heimat-Verständnis lässt sich am Beispiel der Stadt Pirmasens herausarbeiten. In dem Artikel »Die Entwicklung der Pirmasenser Schuhindustrie«163 skizzierte der heimatkundlich interessierte Sozialdemokrat Jean Feldmüller die Auswirkungen der Schuhindustrie auf die Region und die Menschen, die dort arbeiteten. So beschrieb er die Veränderung der Landschaft durch die Ausweitung der Schuhindustrie vom Stadtzentrum auf die ländliche Umgebung, ohne die beschriebenen Entwicklungen als Verstoß gegen ein vermeintlich unwandelbares, gleichsam ahistorisches Naturverständnis zu kritisieren.164 Stattdessen erzählte Feldmüller die Entwicklung als lokale Aufstiegsgeschichte und betonte die »sowohl technisch wie volkswirtschaftlich bedeutende Leistung der Bevölkerung.«165 Mit Blick auf die regionale Vergangenheit thematisierte Feldmüller die prekären Familienverhältnisse, die Kinderarbeit und die Not vor Ort. So entstand eine Abgrenzungsfolie, vor deren Hintergrund sich die politisch erkämpfte Weimarer Republik zukunftsgewiss ausnahm. Nicht nur im Falle Feldmüllers sprach daraus der Stolz auf die nunmehr durch Arbeitskämpfe und städtische Sozialpolitik verbesserte sozialpolitische Lage, die es sukzessive zu vollenden gelte. Die sozialdemokratische Beschreibung des Heimat-Raums dachte dessen zukünftige Veränderbarkeit demnach immer schon mit und verknüpfte sie mit politischen Forderungen. Statt die sich wandelnden Arbeits- und Lebensverhältnisse zu kritisieren und als Argument gegen die Moderne zu verwenden, bildeten sie für Feldmüller einen Ausweis von zumindest eingeschränktem Fortschritt und 162 Vgl. etwa Zink, S. 113–114. Teilweise handelte es sich bei den Autoren dieser Texte um Vertreter der Heimatbewegung. Vgl. Applegate, S. 166–167. An dieser Stelle kann die Einordnung vernachlässigt werden, in Kapitel 2.3.1 wird genauer auf das Problem eingegangen. 163 Vgl. Feldmüller, Entwicklung der Pirmasenser Schuhindustrie; sowie ders., Arbeiterbewegung in der Pirmasenser Schuhindustrie. Die Artikel erschienen nach Art eines Fortsetzungsromans über mehrere Nummern. 164 Vgl. Feldmüller, Entwicklung der Pirmasenser Schuhindustrie, S. 112. In seinen Ausführungen, die bis in das 18. Jahrhundert zurückreichten, legte Feldmüller großen Wert auf die Frage, wie die Einführung neuer Maschinen die Produktionsweise veränderte und sich auf die Arbeits- und Lebensverhältnisse der lokalen Bevölkerung auswirkte. 165 Ebd., S. 118.

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materieller Sicherheit. Zumindest findet sich das Argument einer zunehmenden Verbesserung der Lage der Arbeiter an anderer Stelle von Feldmüllers Artikel­ serie: Eine symbolische Wertschätzung habe die Arbeiterschaft im Schusterbrunnen als Denkmal der Arbeit(er) in der Heimat gefunden.166 Auch in anderen sozialdemokratischen Beschreibungen des regionalen Heimat-Raums mischten sich Natur-, Geschichts- und Industriebezüge. Diese Vermengung ging mitunter so weit, beide in einer fast schon poetisch anmutenden Sprache zu einer – vermeintlich harmonischen – neuen ›Einheit‹ zusammenzufassen, wie folgendes Beispiel verdeutlichen kann: »In der Luft hängt ein zartes graues Gewebe, aus dünnem Nebel gebildet und vermengt mit dem dicken Rauch der Fabrikschornsteine.«167 Es ist davon auszugehen, dass sich in dieser Beschreibung des Ludwigshafener Stadtraums der Wunsch nach Anerkennung der Arbeiterschaft, nach ›Gemeinschaft‹ und Konfliktfreiheit ausdrückte. Auffällig ist zumindest, dass Not und Entbehrung in den sozialdemokratischen Beschreibungen der Gegenwart – im Gegensatz zur Auseinandersetzung mit dem Kaiserreich – vergleichsweise wenig Raum einnahmen. Aus der Perspektive der reformorientierten SPD nahm sich der Pfälzer Regionalraum in der Weimarer Republik bereits als Heimat aus, deren Verwirklichung sie auf ihre vergangenen Kämpfe zurückführte. Die politische Demokratisierung 1918/19 schlug sich demnach auch in einer veränderten Konzeption und Deutung des Pfälzer Heimat-Raums nieder.168 Trotz der zunehmenden Gegenwartsorientierung des sozialdemokratischen Heimat-Diskurses blieb gleichzeitig ein eingeschränkter Zukunftsbezug bestehen, der den gegenwärtigen Pfälzer Heimat-Raum mit der »Erde für freie Menschen«169 im Sozialismus in Beziehung setzte. 1.2.1.3 Der sozialdemokratische Heimatstadtraum »Freital« Sowohl Ludwigshafen als auch Freital waren industriell geprägte Städte mit einer starken sozialdemokratischen Arbeiterschaft. Deswegen kennzeichneten wiederkehrende Streiks und Demonstrationen das Stadtbild.170 Beiden Städten war demnach gemeinsam, dass sie keine idealtypischen Heimat-Räume darstellten. Gleichzeitig stellte sich dieses Problem in Freital auf besondere Weise. Als sozialdemokratische Musterstadt war das Projekt von Beginn an gesellschaftlich umkämpft. Hinter der Stadtgründung stand die Vorstellung, Teile des Sozialismus in der Gegenwart vorwegnehmen zu können sowie das Versprechen auf sichere Lebensverhältnisse und politische Inklusion, das den sozialdemokratischen Heimat-Begriff seit jeher ausgezeichnet hatte und sich auch im Namen der Stadt 166 Ebd., S. 123–124. 167 Loschky, Geleit »Die Welt der Kleinen« 1927. 168 Dafür spricht ebenfalls, dass Feldmüller den Oberbürgermeister der Stadt für seine Arbeit »fern jeder Parteilichkeit« lobte. Feldmüller, Entwicklung der Pirmasenser Schuhindustrie, S. 124. 169 Selbach, Naturfreund, S. 1. 170 Vgl. zu Freital Walter, Freital, S. 48–67; Lippert, Eine ideale Industriestadt, S. 263–282; zu Ludwigshafen Kraft, S. 61.

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niederschlug.171 Angesichts des Topos einer unter ungebührlicher bürgerlicher Herrschaft stehenden Heimat, sprach aus dem Projekt »Freital« der sozialdemokratische Anspruch, jene mit der Stadtgründung zu beenden. Insofern war der Freitaler Stadtraum spätestens mit seiner Gründung politisch aufgeladen. Gleichzeitig musste die Lesart einer sozialdemokratischen Heimatstadt erst begründet und gegen Widerstände durchgesetzt werden. Den besonderen Charakter Freitals behandelte der SPD-Mann Carl Wedderkopf, der von 1922 bis 1927 als erster Oberbürgermeister der Stadt amtierte. In seiner Einführung zu dem Städtebild »Freital«, das 1924 in der Reihe »Deutschlands Städtebau« aus dem Berliner »Deutscher Architektur- und Industrie-Verlag« erschien, verglich er Freital mit anderen, zumeist bürgerlich regierten deutschen Städten.172 In der Einführung rekurrierte Wedderkopf auf das ›Heimatproblem‹, das sich der jungen Stadt im Vergleich mit anderen Städten stellte, und beantwortete es wie folgt: Dieses Werk ist einer jungen Stadt gewidmet, deren Name in unserer weiteren Heimat vielen noch unbekannt ist. Eine Industriestadt, im Maschinenzeitalter gebaut, ohne die ruhmreiche Vergangenheit alter deutscher Schwesterstädte und ohne die Spuren des Glanzes verblaßter Jahrhunderte. Eine Stadt der Arbeit, nichts weiter. […] Wie kann eine solche Stadt, die der beschaulichen Muße vergangener Zeiten ermangelt, eine Stadt, die in ihrer Gesamtheit nichts als die harte Fron der Arbeit kennt, trotz aller Wirtschaftskämpfe und Wirtschaftskrisen bleibende Kulturwerte schaffen, wie es die ruhmvolle Überlieferung der deutschen Städte erheischt? Das ist die Frage, deren Lösung das vornehmste kommunalpolitische Ziel der Führer der Stadt Freital bildet. Wir wissen, daß dieses Ziel erreichbar ist, denn die harte Fron der Stadt der Arbeit wird geadelt durch einen unbeugsamen Kulturwillen. So schafft sich diese junge deutsche Stadt eine eigene Tradition.173

Wedderkopf formulierte einen zunächst einmal parteiübergreifenden Anspruch, der aufgrund der sozialdemokratischen Dominanz der Kommunalpolitik jedoch einen parteipolitischen Charakter aufwies. Seine Vorstellung, städtische Traditionen ließen sich intentional hervorbringen, stellte streng genommen einen Widerspruch zu deren Authentizitätsanspruch dar und legte so unfreiwillig den Kon­struktionscharakter jeglicher Traditionsbildung offen. Gleichzeitig maß auch er der Geschichte des Freitaler Stadtraums, d. h. der Geschichte der zusammengelegten Gemeinden und deren natürlicher Umgebung, für die zukünftige Stadttradition zentrale Bedeutung zu. Demnach stellten Sozialdemokraten wie Wedderkopf ihre utopischen Entwürfe der Zukunft Freitals von Beginn an in ein

171 Vgl. zur zeitgenössischen Veranschaulichung dieser Versprechen u. a. DARI-Städtebild zu Freital Wedderkopf; sowie die Broschüre der SPD-Stadtverordneten anlässlich der Kommunalwahl 1929 Sozialdemokratische Stadtverordnetenfraktion Freital. 172 Vgl. Wedderkopf, S. 5 (Geleitwort). 173 Ebd.

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Wechselverhältnis zur Vergangenheit der Vorgängergemeinden, als deren (vorläufiger) Kulminationspunkt die Stadtgründung angesehen wurde. Doch was war dies für eine Geschichte und inwiefern bestätigte sie das Bild eines politisierten Heimat-Raums? Vor der Industrialisierung hatte der Plauensche Grund oftmals als romantische Projektionsfläche gedient. Diese Vergangenheit berücksichtigte auch die SPD. Doch anstatt den Wandel zu beklagen, richtete sich ihr Blick auf dessen Hintergründe: die vor Ort geleistete Arbeit. In diesem Zusammenhang thematisierten sozialdemokratische Landschaftsbeschreibungen zudem die Veränderung vergangener Arbeitsformen und hoben insbesondere die verbesserten Arbeitsbedingungen hervor, die durch technischen Fortschritt und politische Kämpfe erreicht worden seien. Ein solches Verständnis zeigte sich nicht allein in den Artikeln des DARI-Städtebilds, sondern auch in dem Artikel »Das Tal der Arbeit«, der 1927, sechs Jahre nach der Stadtgründung, erschien.174 Der Autor Karl Söhnel hatte Wedderkopf bei der Erstellung des DARI-Bands als Schriftleiter unterstützt und arbeitete als Oberlehrer an der Freitaler Gewerbeund Handelsschule, bei der es sich um eines der Prestigeprojekte der Stadt handelte.175 In seinem Artikel befasste er sich mit dem Verhältnis zwischen Geschichte und Zukunft der Stadt. Der Reiz des Tals bestehe einerseits »in seinem natürlichen Aufbau, seinen von Sagen umwobenen, von Bergknappen durchwühlten Höhen, seinen schicksalsreichen Herrensitzen und seinen viele Jahrhunderte alten Siedlungen.« In der Gegenwart stelle dies jedoch nur die Hälfte des gewaltigen Eindrucks dar, der heute vom Plauenschen Grund ausgeht. Denn was ihm in unseren Tagen das entscheidende Gepräge gibt, gipfelt in der Tatsache, daß hier ein Revier von hoher landschaftlicher Schönheit zugleich erfüllt ist mit unablässiger, Werte schaffender Arbeit.176

Die natürliche Umgebung Freitals und Arbeit bildeten aus Söhnels Sicht folglich eine Symbiose. Auch Söhnels weitere Beschreibung der historischen Entwicklung der »heimatlichen Scholle«,177 wie er Freital ebenfalls nannte, konzentrierte sich auf das Wechselverhältnis zwischen Landschaft, Arbeit und Geschichte. Den Veränderungen sei nicht durch die Rückkehr zu einer fälschlicherweise idealisierten Vergangenheit zu begegnen: Was der Plauensche Grund einst war und was er heute ist, ist der Gegensatz zweier Welten, der fast keine Brücke kennt. Aus der ehemals so anmutig-landschaftlich reizvollen Talaue wurde eine Stätte ernster und harter Industrie-Arbeit, und das in wenigen Jahrzehnten!178 174 Söhnel, Tal der Arbeit. 175 Trotz intensiver Bemühungen konnte die Parteizugehörigkeit und die vollständige Biografie Karl Söhnels weder durch Recherchen im »Haus der Heimat« noch durch Recherchen im Stadtarchiv Freital abschließend rekonstruiert werden. 176 Söhnel, Tal der Arbeit, S. 178. 177 Ebd., S. 199. 178 Ebd.

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Ähnlich stellte sich der sozialdemokratische Blick auf die sich im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert herausbildenden Industrielandschaften auch in anderen Kontexten dar. Der oftmals rasante Wandel der regionalen Umgebung durch die Industrialisierung, der in Sachsen nicht allein in Freital besonders radikal ausfiel,179 führte auch innerhalb der Arbeiterbewegung zu einer Beschäftigung mit diesen Veränderungen, ging jedoch – im Gegensatz zu Teilen der bürger­lichen Heimatbewegung – mit keiner nostalgischen Rückwendung zu einer vermeintlich idyllischen Vergangenheit einher, die aus Sicht der Sozialdemokratie in dieser Form nie bestanden hatte. Zwar spielte die Auseinandersetzung mit der regionalen Vergangenheit auch in ihrer Beschreibung gegenwärtiger Heimat-Räume eine zentrale Rolle, was nostalgische Momente nicht ausschloss. Der besondere Fokus lag jedoch auf den regionalen Arbeitsverhältnissen und der Sozial-, Wirtschaftsund Politikgeschichte, um eine veränderte integrative – in diesem Falle – städtische Heimat-Identität zu schaffen, mithin eine eigene Form der Traditionsbildung zu begründen. Obgleich sich die Kommunalpolitik in Freital auf verbesserte Arbeitsverhältnisse richtete, hinterfragten die sozialdemokratischen Beschreibungen die Notwendigkeit harter körperlicher Arbeit nicht. Dazu war die Beschwörung einer Arbeiteridentität für das Stadtverständnis wohl zu bedeutsam.180 Stattdessen folgte die Betonung der landschaftsverändernden Arbeit oftmals einer (impliziten) Arbeitsmetaphysik. In Söhnels Artikel stellte das »Schicksal der Arbeit«181 ein zentrales Integrationsmoment des Texts dar. Auch die Abbildungen des Artikels legen eine solche Interpretation nahe. Sie zeigten keine Arbeiter bei harter Arbeit oder politische Arbeitskämpfe, sondern vielmehr eine fast schon harmonisch wirkende Natur-Industrie-Komposition aus der Vogelperspektive. Ein solches Stadtverständnis schlug sich zudem sprachlich nieder. So beschrieb Söhnel den lokalen Heimat-Raum mit folgenden, in poetischem Duktus gehaltenen Worten: »Neben den hochgetürmten Bergkulissen und Halden hebt sich ein Wald von Schornsteinen zum Himmel«.182 Besonders aussagekräftig für das Selbstverständnis Freitals als neu gegründeter Arbeiterstadt ist nicht nur die Namenswahl, sondern auch das von den Gründungsvätern in Auftrag gegebene Stadtwappen (Abb. 1).183 Kern des Wappens bildet eine Industrieanlage, die in das Licht der aufgehenden Sonne getaucht ist. Zur linken und rechten Seite der Fabrik befinden sich die Embleme der Industriezweige Stahlindustrie und Bergbau, die zu den bedeutendsten loka179 Vgl. zur veränderten Struktur Steinberg, Gespaltenes Sachsen?, S. 12; zur Reaktion der regionalen Heimatbewegung ders., Heimatschutz in der Region. 180 Vgl. zu einer solchen Einschätzung unabhängig von Heimat Walter, Freital, S. 39–48. 181 Söhnel, Tal der Arbeit, S. 200. 182 Ebd., S. 178. 183 Vgl. zum langwierigen Genehmigungsprozess und der wohl dahinterstehenden Verzögerungstaktik konservativ eingestellter Beamter StSaFr Materialien zum Heimatmuseum, fol. 4–5, 9–10. Vgl. zur Originalakte SHStAD, 10707, Nr. 5617.

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Abb. 1: Tagebuch für das Heimatmuseum, Freital, begonnen am 1. April 1924, Titelseite.184

len Industrien gehörten und innerhalb des Wappens zur Spezifizierung der in Freital geleisteten Arbeit dienten. Handelte es sich bei den bislang genannten Bildelementen  –  insbesondere bei der aufgehenden Sonne  – um sozialistische Symbole für die bessere Zukunft, ist die Industrieanlage ebenfalls in eine landschaftlich spezifizierte Umgebung eingebettet. Die rote Einfärbung des Gebirges ist zum einen auf die spezielle Gesteinsmischung vor Ort zurückzuführen, lässt sich jedoch gleichzeitig als politische Besetzung des Naturraums interpretieren. Auf diese Weise setzte das Stadtwappen Natur und Geschichte zueinander in Beziehung, die gemeinsam eine neue räumliche Einheit, die Stadt Freital, konstituierten. Dabei fungierte die Fabrik als zentrales Integrationsmoment. Die Bildanlage des Wappens entsprach den diskursiven und fotografischen Darstellungen Freitals in den Texten von Wedderkopf und Söhnel. Sowohl die Texte und Fotografien als auch das Wappen stellten die Auswirkungen von Arbeit auf die landschaftliche Umgebung ins Zentrum und setzten sie in ein Verhältnis zur sozialistischen Zukunft. Gleichzeitig handelte es sich um eine abstrahierende Darstellung von Arbeit, die die einzelnen Arbeiterinnen und Arbeiter nicht abbildete. In dieser Tendenz zur Idealisierung des Freitaler Heimat-Raums ähnelte das Wappen der am Beispiel Söhnels aufgezeigten Arbeitsmetaphysik. Zwischen Wedderkopfs und Söhnels Landschaftsbeschreibungen lassen sich zentrale Schnittmengen ausmachen: Heimat bezeichnete in beiden Fällen die an 184

184 Quelle: StSaFr Materialien zum Heimatmuseum, 1924–1934.

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einen konkreten Raum geknüpfte sozialdemokratische Heimatstadt185 Freital. Trotz dieser Gemeinsamkeiten zeigen sich bei genauerer Analyse ebenfalls aufschlussreiche Unterschiede zwischen den beiden Publikationen: In dem DARIStädtebild ist eine ausgeprägtere sozialdemokratische Haltung festzustellen als im Falle von Söhnels Artikel. Zwar behandelte auch das DARI-Städtebild die geologische, natur-, sozial- und kulturgeschichtliche »Vorgeschichte Freitals«,186 in weit größerem Maße ging es darin jedoch um die sozialpolitischen Errungenschaften, die sich die SPD auf die Fahnen schrieb. Dieser Unterschied lässt sich nicht zuletzt dadurch erklären, dass Söhnels Artikel in einer Sondernummer der »Mitteilungen des Landesvereins Sächsischer Heimatschutz« zum Plauenschen Grund publiziert wurde. Er war demnach Teil einer Publikation der in Dresden ansässigen Dachorganisation der bürgerlichen Heimatbewegung. Was aus der Retrospektive widersprüchlich anmuten mag, schloss sich für Sozialdemokraten in Freital – wie auch an anderen Orten Sachsens und in der Pfalz – nicht unbedingt aus: In ihrer Konzeption blieben Zukunftsemphase und Vergangenheitsorientierung in der Darstellung von Heimat-Räumen aufeinander bezogen. 1.2.1.4 Die Großstadt als Heimat? Gemessen an dem idealtypischen, an Land- und Dorfidylle orientierten bürgerlichen Heimat-Verständnis stellten Industrie- und Stadträume keine Heimat dar, sondern firmierten als deren ideeller Konterpart. Davon ausgehend hat die Forschung einen ähnlich begrenzten Heimat-Begriff vertreten.187 Rolf Petri etwa konstatiert mit Blick auf die Jahrhundertwende, dass es schwer vorstellbar sei, dass »Heimat zwischen Fabrikschloten oder auf großstädtischen Hinter­höfen stattfinden konnte, obwohl das doch auch, nach Grimm, Geburts-, Wohn- oder ständige Aufenthaltsorte gewesen sind.«188 Doch genau ein solches Verständnis des Begriffs forderte die Sozialdemokratie auf doppelte Weise heraus: Zum einen beanspruchte sie, die materiell prekären Lebensverhältnisse in den Städten zu verbessern und so erst zu einer proletarischen Heimat zu machen. Zum anderen weitete sie den Heimat-Begriff auf Städte und Industrielandschaften, auch auf Großstädte, aus.189 Ein solches Heimat-Verständnis richtete sich explizit gegen 185 Freital stellte in gewissermaßen eine sozialdemokratische Adaption von Mack Walkers Begriff des »Home Towns« dar, den Frank Domurad jüngst für die Gewerkschaftsbewegung in Hamburg fruchtbar gemacht hat. Vgl. Domurad, bes. Kapitel 1, S. 45–102. 186 Vgl. den Artikel von Bierbaum, S. 14–18. Mit dem Begriff der »Vorgeschichte« rekurrierten die sozialdemokratischen Stadtgründer evtl. auf Marx’ Diktum des Kapitalismus als »Vorgeschichte der Menschheit«. 187 Wie Antje Reppe dagegen zeigen kann, bezogen sich auch bürgerliche Heimatfeste mitunter auf die lokale Industrie Reppe, S. 55–67. 188 Petri, S. 85. 189 Zu Berlin existiert keine Arbeit, die den Topos der Großstadtheimat mit besonderer Berücksichtigung der Sozialdemokratie untersucht hätte. Vgl. zur Großstadtheimat allgemein Sieg. Besser stellt sich die Lage mit Blick auf Wien dar, das aufgrund der Sozialpolitik vor Ort als eine Art prototypischer Arbeiterheimatstadt gelten kann. Vgl. zu Wien Puchberger.

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die innerhalb der Heimatbewegung verbreitete Großstadtfeindschaft und die Verengung des Heimat-Begriffs auf ländliche und kleinstädtische Räume.190 Die sozialdemokratische Ausweitung des Heimat-Begriffs auf die Großstadt ging zum einen mit einer Kritik der unwirtlichen Lebenssituation einher. So heißt es etwa in Walter Bauers Gedicht »Heimat«: DAS Zimmer, in dem wir wohnen: Ein Viereck, umkreist von bröckelnden Wänden. Ein Fenster, aus dem man nur auf Dächer sieht; Gerüche aus den feuchten Tiefen der Höfe. Ich wache auf, ich sehe die Öffnung des Fensters Vor stählernem Himmel. Es fängt an hell zu werden. // Meine Heimat sind die Zimmer von Mietshäusern. Das Land meines Schicksals heißt: Mietshaus. Das Gebirge, dessen Kamm täglich rosig erglänzt: Der Vierte Stock. Der Fluß, der um meine Heimat rauscht: Die Wasserleitung.191

Der Heimat-Bezug in Bauers Gedicht lässt sich als relativ nüchterne Bezeichnung des Herkunfts- oder Aufenthaltsorts interpretieren, dessen Verfasstheit er kritisierte.192 Zugleich fallen die Naturbezüge ins Auge, die den Interpretationsrahmen bilden und die Unwirtlichkeit der Stadt dergestalt auf gesteigerte Weise zum Ausdruck bringen: so bspw. in der Beschreibung der »Wasserleitung« als »Fluß«. Vor dem Hintergrund der bürgerlichen Idealisierung vermeintlich unberührter Naturräume als Heimat liegt es nahe, Bauers Gedicht als Kommentar zu verstehen. Daraus sprach trotz aller Kritik ein emphatisches Heimat-Verständnis und der Anspruch, die Großstadt zu einer Heimat der Arbeiterschaft zu machen. Gleichzeitig findet sich auch in der Arbeiterbewegung an anderer Stelle das Argument der Flucht aus der Großstadt in die Natur, das in der bürgerlichen Heimatbewegung dennoch deutlich verbreiteter war.193 Zum anderen war die sozialdemokratische Ausweitung des Heimat-Begriffs, die sich bis zur Jahrhundertwende zurückzuverfolgen lässt, nicht immer mit sozialkritischen Argumenten verbunden. Ein zentrales Beispiel ist das Gedicht

190 Vgl. zur Großstadtfeindschaft Gebhard u. a., S. 22–28; Schmoll, Erinnerung an die Natur, S. 435–355. 191 Bauer, S. 939. 192 Angesichts der prekären Wohnverhältnisse in den Großstädten verwundert es nicht, dass ähnliche Fragen auch im Kontext der Wohnungsfrage diskutiert wurden. Vgl. dazu die Einleitung zur 1930 wieder aufgelegten Engels’schen Schrift »Zur Wohnungsfrage« im kommunistischen »Internationalen Arbeiterverlag« von Friedländer. 193 Vgl. bspw. das Titelblatt der Pfälzer Naturfreundezeitschrift »Berg frei«, das im Zuge der Heimat-Ikonografie untersucht wird.

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»Heimat« des Dichters Ernst Schur von 1905, das 1921 im »Vorwärts« wieder abgedruckt wurde.194 Ausgehend von der rhetorisch gestellten Frage »Ist Heimat nur Dorf und Land?/Nur die kleinen Städte?« zeichnete er darin das Bild einer Berliner Großstadtheimat, deren Charakter sich zwar durch Arbeitsmigration vom Land in die Stadt verändert habe, für die eingesessenen Berliner jedoch weiterhin Heimat (geblieben) sei und als solche erfahren werde. Heimat! Ist Heimat nur Dorf und Land? Nur die kleinen Städte? Auch über dem Meer der Mietskasernen wölbt sich der Nachthimmel mit all den Sternen. […] und Lichter leuchten aus den Stuben der guten, kleinen Menschen, überall sind sie am Werk. Ein rastlos Gewimmel. Wie Bienenfleiß. Wie Ameisenrennen unter dem unendlichen ruhigen Himmel. Gibt es nur ein Zurück? Zu Dorf und Land? Gibt es nur eine Flucht? --- Zu den kleinen Städten? Es gibt größere Zusammenhänge! Es gibt größere Organismen! Weit wie der Himmel! Und stark wie die Welt!195

Aufschlussreich an Schurs Gedicht ist nicht allein der Versuch, die Großstadt als Heimat zu etablieren. Zu diesem Zweck grenzte er sich von einem idealtypischen bürgerlichen Heimat-Verständnis ab und kritisierte dessen Rückwärtsgewandtheit und Orientierung an einer Stadt-Natur-Dichotomie. Aufschlussreich an dem Gedicht ist darüber hinaus, dass sich darin der ambivalente Charakter einer sozialdemokratisch verantworteten städtischen Heimat zeigte. Denn zum einen bedeutete das Pochen auf eine Großstadtheimat die Demokratisierung des Heimat-Begriffs. Zum anderen bestimmte Schur Heimat weniger über materielle Sicherheit und zwischenmenschliche Solidaritätsbeziehungen als vielmehr darüber, dass ihr für in Berlin geborene Menschen ›Prägekraft‹ zukomme. Dazu passt, dass er den durch »Zufall« in die Stadt »verweht[en]« Arbeitermassen – eine Umschreibung, die die erzwungene Arbeitsmobilität von der ländlichen Umgebung in die Städte beschönigte – in gewisser Hinsicht absprach, Berlin als Heimat

194 Schur, Heimat, S. 3. Der Wiederabdruck von heimatbezogenen Texten aus dem Kaiserreich wie von Schur und Renner indiziert dabei, dass ab Mitte der 1920er Jahre ein zunehmendes sozialdemokratisches Interesse an Heimat existierte. 195 Ebd.

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verstehen zu können.196 Dies stellte sich im Falle Freitals anders dar, das für die dort lebende Arbeiterschaft unabhängig von deren Herkunft zur Heimat werden sollte. Sowohl Schurs als auch das Freitaler Heimat-Verständnis implizierten jedoch potenziell die Verpflichtung, die Heimat durch (harte) Arbeit zu gestalten, und einen Appell, sie trotz ihrer materiellen Unzulänglichkeiten zu lieben. Dies äußerte sich etwa in Schurs Lob des »Bienenfleiß[es]« der »guten, kleinen Menschen«, deren Handeln er als »Ameisenrennen« bezeichnete. Demnach sprach aus Schurs Betonung der ›Prägekraft‹ der Heimat weniger ein Verständnis selbst gewählter und solidarischer Beziehungen als die Vorstellung, jener in gewisser Weise ausgeliefert zu sein. 1.2.1.5 Ein demokratisiertes Heimat-Verständnis Abschließend lassen sich mehrere Gemeinsamkeiten der Fallbeispiele festhalten, die zwischen spezifisch sozialistischen und milieuübergreifenden Deutungstraditionen changierten. Dass sie sich in so unterschiedlichen Räumen wie einem zunächst abstrakt bleibenden Naturraum, dem regionalen Raum Pfalz, dem lokalen Stadtraum Freital und der Vorstellung einer Großstadtheimat äußerten, spricht für ihre überregionale Verbreitung. Zum ersten waren die sozialdemokratischen Heimat-Räume auf besondere Weise politisiert. Im Verständnis der Sozialdemokratie waren die Landschaften nicht nur im Sinne eines historisch begründeten Regionalismus, einer regionalen Identität, wie sie sich auch in der Konzeption einer ›niedersächsischen Landschaft‹ oder einer ›deutschen Landschaft‹ vonseiten der bürgerlichen Heimatbewegung wiederfinden lässt, politisch geprägt.197 Politisch waren die Heimat-Räume in einem viel umfassenderen Sinne, der sie als politisch umkämpfte, gesellschaftliche Räume begriff.198 Eine weitere wesentliche Gemeinsamkeit lag in der Wandelbarkeit der Heimat-Räume. Diese beschrieb die Arbeiterbewegung als geronnene Verknüpfung von Natur und Geschichte, die vergangene Arbeitsprozesse hervorgebracht hatten. Dabei nutzte die SPD den Rekurs auf eine revolutionäre Vergangenheit oftmals, um die republikanische Gegenwart und sozialistische Zukunft in diese Traditionslinie zu stellen. Damit war verbunden, dass sich das sozialistische Heimat-Verständnis zwar zunehmend

196 In dem Gedicht lauteten die entsprechenden Teile wie folgt: »Die kennen dich nicht, / die der Zufall hierher geführt, / wie der achtlose Wind ein Blatt verweht. / Lassen sich treiben in dem Strom der Dinge / bis zu dem Zentrum, das sie anzieht: / Berlin!«; sowie: »Deren Jugend hier aufwuchs / zwischen all den Häusern, / die den Himmel suchen mußten, / sehnten sie sich nach der Bläue, / die kennen dich. Heimat!«. 197 Vgl. zur Auseinandersetzung mit dem Landschaftskonzept in der Heimatbewegung jeweils einleitend Lekan, S. 1–18; Oberkrome, S. 1–14; zum geschichtswissenschaftlichen Forschungskonzept der »historischen Landschaft« oder der »politischen Landschaft«, das Formen der regionalen Identität erklären will, die sich jenseits politischer Landesgrenzen bewegten, ­Gollwitzer, S. 299–324; zur ebenfalls politisch verstanden »sozialistischen Landschaft« in der DDR Schwanitz, S. 383–414. 198 Vgl. zu diesem Argument Lorenz.

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in real existierenden Räumen konkretisierte, diese jedoch nicht per se, sondern nur als demokratisierte und materiell sichere Räume wirklich als Heimat verstanden wurden. Zugleich wurde die grundsätzliche Existenz einer lokalen oder regionalen Heimat jedoch trotz einer solchen Historisierung weder im Falle Freitals noch des Pfälzer Regionalraums radikal infrage gestellt. Das sozialdemokratische Verständnis politisierter Heimat-Räume reichte bis in die unmittelbare revolutionäre Vergangenheit und unterschied sich daher von seinem bürgerlichen Konterpart, der die jüngere Geschichte, zumal die revolutionäre und republikanische, oftmals ausblendete.199 Es machte die sozialen Verhältnisse und die politische Verfasstheit der Heimat-Räume als gewordene sichtbar, was gleichzeitig die Möglichkeit ihrer zukünftigen Veränderung durch politische Praxis implizierte. Heimat-Räume wurden mithin als politisch gestaltund veränderbar begriffen, was einer statischen Heimat-Konzeption widersprach. Die Betonung der Veränderbarkeit lässt sich nicht zuletzt darauf zurückführen, dass die Sozialdemokratie die Rolle von Arbeit – und damit auch die Rolle der Arbeiterschaft – in ihrer Konzeption der Heimat-Räume besonders hervorhob und Industriearbeit nicht als Signum einer abzulehnenden Moderne kritisierte. Vor diesem Hintergrund ging sie von einer besonderen Verbundenheit zwischen Arbeiterschaft und Heimat aus, die das kapitalistische Bürgertum nur unrechtmäßig besetzt habe. Dieses Argument heftete sich an die fast synonym verwendeten Begriffe ›Natur‹, ›Boden‹, ›Region‹, ›Erde‹, ›Welt‹ oder ›Heimat‹. Damit war verbunden, dass der sozialistische Diskurs einen Fokus auf die politische und soziale Verfasstheit der Heimat-Räume legte. Heimat wurde demnach nicht als Ausdruck einer gegebenen konfliktfreien Sozialordnung der Vergangenheit begriffen, die es zu bewahren gelte, da eine solche Idylle aus sozialistischer Sicht überhaupt nicht bestanden hatte. Zentral für das sozialistische HeimatVerständnis war eher eine bestimmte sozial-politische Verfasstheit der HeimatRäume als eindeutig spezifizierte Charakteristika, wie etwa das Dörfliche oder Kleinstädtische, die den idealtypischen bürgerlichen Heimat-Begriff ausmachten. Vor diesem Hintergrund lässt sich als weitere Gemeinsamkeit festhalten, dass die Analysebeispiele eine Ausweitung des Heimat-Begriffs auf Industrieregionen und Städte implizierten. Die Ausweitung des Heimat-Begriffs bestätigte die realhistorisch erfahrene Demokratisierung der lokalen und regionalen Räume auf begrifflicher Ebene. Gleichzeitig sprach eben jene Ausweitung auch für die zunehmende Bedeutung, die dem Heimat-Begriff in der Weimarer Republik in der Arbeiterbewegung zugemessen wurde  – ansonsten hätte sich der sozialdemokratische Anspruch auf Teilhabe nicht in dem Wunsch geäußert, ebenfalls eine Heimat zu haben. Nicht überlassen wollte die Sozialdemokratie den Begriff augenscheinlich bürgerlichen Parteien. Diesbezüglich lässt sich argumentieren, dass der sozialdemokratische Versuch, Städte und Industrieregionen als Heimat auszuweisen, einerseits einem demokratischen Impuls folgte, andererseits jedoch Ausdruck 199 Vgl. bspw. Steber, S. 116–121.

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einer Suche nach einer neuen – sowohl ländlich als auch städtisch oder industriell geprägten  –, jedenfalls positiv bestimmten und integrativen gesellschaftlichen ›Einheit‹ im lokalen, regionalen und nationalen Raum war.200 In dieser veränderten gesellschaftlichen ›Einheit‹ sollten die Arbeiter endlich zu ihrem historischen Recht kommen. Vorstellungen wie diese traten zunehmend in ein Spannungsfeld zu der spezifisch sozialistischen Vorstellung der Welt als Heimat. 1.2.2 Eine alternative sozialistische Heimat-Ikonografie Die entworfenen politisierten Heimat-Landschaften waren Ausdruck der sozialdemokratischen Gesellschaftskonzeption. Diese fand ihren Niederschlag zudem in bildhaften Verdichtungen, einer spezifisch sozialistischen Heimat-Bildsprache, die sich anhand von Zeichnungen und Fotografien aufzeigen lässt.201 Insbesondere drei Gründe sprechen dafür, neben sprachlich entworfenen Heimat-Räumen auch ihr bildliches Äquivalent in die Untersuchung einzubeziehen: Erstens kann die Analyse eine Korrektivfunktion zu den bislang erzielten Ergebnissen einnehmen. Zweitens ist sie aufgrund der großen Bedeutung bildlicher Darstellungen in der sozialdemokratischen Agitation – etwa in Form von Maipostkarten – von besonderem Belang.202 Angesichts einer genuin sozialistischen Bildsprache ist die Frage von großem Interesse, wie die Arbeiterbewegung versuchte, ihr HeimatVerständnis zu verbildlichen. Drittens können die Bilder, die eine Gesellschaft von sich zeichnet, besonderen Aufschluss über ihre zentralen, oftmals nicht direkt thematisierten Konfliktlinien geben. Diese These betrifft nicht zuletzt ikonogra­ fische Bilder und wurde von Alon Confino für die bürgerliche Heimat-Ikonografie des Kaiserreichs herausgearbeitet. Im Anschluss an Erwin Panofsky geht Confino davon aus, dass in diese sowohl bewusst gewählte Symbole und Metaphern als auch unreflektiert bleibende Bildelemente Eingang fanden.203 Auch wenn an dieser Stelle keine ikonografische Analyse und ikonologische Interpretation im strengen Sinne angestrebt wird, ist davon auszugehen, dass sich auch in der sozialistischen Heimat-Ikonografie unreflektiert bleibende Bildelemente wiederfinden, die Aufschluss über das sozialistische Heimat-Verständnis geben können. Daher dienen Confinos Überlegungen in der Folge als Folie, um die sozialistische Spezifik herauszuarbeiten.

200 Diese Ambivalenz spiegelt die grundsätzliche Doppeldeutigkeit der Demokratie. Vgl. dazu Manow. 201 Da auf die Fotografien an anderer Stelle genauer eingegangen wird, stehen in diesem Teilkapitel die Zeichnungen im Vordergrund. 202 Vgl. zur Bedeutung der Broschüren zum 1. Mai Beneš, S. 29–31, 111–114; zu einem Überblick zahlreicher Maipostkarten die Anthologie von Gebhardt, Hauch von Maienblüte. 203 Vgl. zu Bildern als Zugriff auf Gesellschaftlichkeit Becker, Bilder von Krieg und Nation; zur Heimat-Ikonografie Confino, Nation as a Local Metaphor, S. 158–209.

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Confino untersucht nicht nur die Herausbildung der bürgerlichen HeimatIkonografie im Kaiserreich, sondern auch ihre gesellschaftliche Funktion. Durch die Abstraktion von lokalen Besonderheiten stellte sie eine Art idealtypische Visualisierung der deutschen Nation bereit, die die Austauschbarkeit der unterschiedlichen regionalen Räume implizierte. Neben der örtlichen Unbestimmtheit der abgebildeten Landschaft macht er einige weitere wesentliche Bildelemente der Heimat-Ikonografie aus, die immer ein ähnliches Motiv abbildete: eine Dorf- oder Kleinstadtidylle, in deren Zentrum sich oftmals ein Kirchturm befand. Der nicht weiter spezifizierte Kirchturm, der sowohl die katholische wie die evangelische Glaubensgemeinschaft repräsentieren konnte, visualisierte eine als konfliktfrei und harmonisch vorgestellte gesellschaftliche Ordnung der vormodernen Vergangenheit.204 Die Andeutung potenzieller gesellschaftlicher Konflikte wurde hingegen in der Regel vermieden, wodurch die Ikonografie eine Art Zeitlosigkeit suggerierte. Weder die dargestellte Landschaft noch die spärlich abgebildeten Personen sollten Züge der Moderne tragen und damit auf ihre eigene Historizität verweisen. Bildelemente wie Fabriken, die landschaftlichen Wandel und historische Veränderungen symbolisierten, fehlten zumeist. Auch Menschen waren in dieser durch die Industrialisierung unveränderten ›Idylle‹ nur im Ausnahmefall Bildbestandteil. Folgt man Confino, handelte es sich bei den wenigen dargestellten Personen um zeitenthobene Typen: Bauern- und Mutterfiguren ersetzten Arbeiter und Bürger – von Industriearbeitern und Kapitalisten ganz zu schweigen. Klassenbezogene, politische oder religiöse Spezifikationen hätten unweigerlich an die politischen Konfliktlinien der Gegenwart erinnert, wodurch die harmonisierte Ikonografie eine Politisierung erfahren hätte, die aus Sicht der bürgerlichen Heimatbewegung gerade vermieden werden sollte.205 Durch ihre implizite Zeitenthobenheit beanspruchte die abgebildete Ordnung, die besser als ›Gemeinschaft‹ denn als Gesellschaft beschrieben ist, ewige Gültigkeit.206 Zwar hatte eine solche konfliktfreie Vergangenheit nie existiert, woran allein schon die Existenz der Arbeiterbewegung erinnerte. Doch als »invented tradition«207 symbolisierte die Ikonografie einen emotionalisierten Gegenentwurf zu Industrialisierung, Moderne und Demokratie, dem zahlreiche Gruppierungen der Heimatbewegung anhingen. Aus ihrer Perspektive störten räumliche und soziale Mobilität sowie Klassenkonflikte die mystifizierte gesellschaftliche ›Einheit und Einigkeit‹. Gerade als nahezu leerer Signifikant oder leeres Bild,208 als polyvalentes Sehnsuchtsbild, das gleichzeitig rückwärtsgewandt und zukunfts­

204 Dazu gab es freilich auch Ausnahmen, die Confino selbst nennt und die insbesondere die Darstellung der Kriegsindustrie betrafen. Vgl. ebd., S. 165. 205 Vgl. ebd., S. 158–209. 206 Vgl. zu dieser Unterscheidung zeitgenössisch Tönnies. 207 Vgl. Hobsbawm u. Ranger. 208 Vgl. Confino, Nation as a Local Metaphor, S. 172.

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bezogen war, entfaltete die Ikonografie ihre Anziehungs- und Schlagkraft.209 Statt wirklicher Veränderung repräsentierte sie, nicht zuletzt aufgrund ihrer ästhetisch einfachen Form, die Vorstellung einer vorgeblich inklusiven und demokratisierten Landschaft, in der bereits alle gleich seien, ohne daraus die politischen und sozialen Konsequenzen ziehen zu müssen.210 Auf diese Weise versprach sie, die Konflikte der Gegenwart einzuhegen, und bekräftigte die Geltungskraft der bestehenden gesellschaftlichen Verhältnisse. Gegen eine solche Harmonisierung und Naturalisierung gesellschaftlicher Verhältnisse richtete sich die politische Praxis der Arbeiterbewegung. Auch die sozialistische Heimat-Ikonografie lässt sich als Kritik der bürgerlichen Vorstellung verstehen, es existiere bereits eine harmonische Gesellschaft. Sie nahm Elemente der sozialistischen Ikonografie und der bürgerlichen Heimat-Ikonografie auf und verknüpfte sie auf neue Weise. Dieses Vorgehen, Elemente der bürgerlichen Kultur aufzunehmen und in einen sozialistischen Deutungsrahmen einzubetten, stellte ein etabliertes Verfahren dar, auf das die Sozialdemokratie in ihrer Bild-, Text- und Liedproduktion wiederholt zurückgriff.211 Mit Blick auf den hier analysierten Gegenstand ist ein solches Vorgehen jedoch besonders bemerkenswert, da sich bürgerliche Heimat-Ikonografie und sozialistische Ikonografie – zumindest aus der geschichtswissenschaftlichen Rückschau – durch äußerste Verschiedenheit auszeichneten. Zwar arbeitete auch die sozialistische Ikonografie mit Abstraktionen, Allegorien, Metaphern und Symbolen, die jedoch keine zeitlose Ordnung repräsentierten, sondern von der sozialistischen Zukunft kündeten, sich mithin durch äußerste Zukunftsemphase auszeichneten und diese anhand bildlicher Marker zum Ausdruck zu bringen versuchten.212 Dazu gehörten einerseits Naturabbildungen, die allerdings – anders als in der bürgerlichen Heimat-Ikonografie – gesellschaftliche Veränderungsprozesse verbildlichten. Insbesondere die Birke galt in der sozialistischen Ikonografie als Künderin des Frühlingsanfangs und damit als Symbol einer ›neuen Zeit‹. Andererseits stellten Industrie- und Großstadtbezüge sowie Personen – führende Sozialdemokraten oder Arbeitermassen – wesentliche Bildelement dar. Auch sie fungierten als bildliches Versprechen der sozialistischen Zukunft.213 Auf welche Weise Bestandteile der Heimat-Ikonografie aufgenommen und durch die Verbindung mit parteigenössischen Bildelementen in einen sozialistischen Deutungsrahmen gestellt wurden, kann das folgende Beispiel (Abb.  2) verdeutlichen.

209 Vgl. ebd., S. 168–173. 210 Vgl. ebd., S. 169–170. 211 Vgl. Hake, S. 100–119. 212 Vgl. Gebhardt, Hauch von Maienblüte, S. 12. 213 Vgl. zu einer Analyse der sozialistischen Ikonografie ders., Nachwort; Beneš, S. 111.

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Abb. 2: Maipostkarte »8-Stunden-Tag!«.214

Bei der  Abbildung handelt es um eine Maipostkarte von 1911 aus dem Leipziger SPD-Verlag Rauh und Pohle.215 Sie zeigt zwei Wanderer auf dem Weg in Richtung eines Dorfes, über dem die rote Sonne des Sozialismus aufgeht. Während das heimatlich anmutende Dorf noch in der Zukunft liegt, hat zumindest einer der beiden Wanderer einen mit »8-Stunden-Tag« beschrifteten Meilenstein bereits passiert und richtet seinen Blick zu Orientierungszwecken in die Zukunft. Der zweite Wanderer, der sich kurz vor dem Meilenstein befindet, betrachtet diesen 214

214 Quelle: Stadtarchiv Rüsselsheim, Grafische Sammlung / F 513. 215 Auch Lucian Hölscher analysiert die Maipostkarte, allerdings mit Fokus auf die Zukunftsbezüge und ohne darauf einzugehen, dass das abgebildete Dorf Heimat-Assoziationen weckt. Vgl. Hölscher, Die Entdeckung, S. 245.

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ebenfalls zu Orientierungszwecken.216 Etwas versetzt zum Meilenstein säumt eine Birke als Symbol gesellschaftlichen Neubeginns den Wegesrand. Offenkundig sollte die Maipostkarte den Weg der Arbeiterbewegung in Richtung Sozialismus darstellen. Im Vergleich mit anderen Maipostkarten ist bemerkenswert, dass die hier analysierte Karte den revolutionären Prozess als Wanderung durch die Natur und das sozialistische Ziel mittels eines klassischen Motivs der bürgerlichen Heimat-Ikonografie verbildlichte. Vieles spricht dafür, dass die Karte auf die Naturfreunde-Idee des ›sozialen Wanderns‹ rekurrierte, die der Durchwanderung des Naturraums revolutionäres Potenzial zuschrieb. Damit beinhaltete die Postkarte eine Doppeldeutigkeit: Sie ließ sich einerseits als Darstellung der Praxis des ›sozialen Wanderns‹ verstehen, andererseits als metaphorischer Ausdruck des Weges der Arbeiterbewegung in Richtung Sozialismus interpretieren.217 Indem sie die Natur historisch, ja revolutionär auflud, nahm die Maipostkarte gleichzeitig eine Umdeutung bürgerlicher Bildbestände vor. Auch in der Weimarer Republik lassen sich ähnliche Beispiele einer sozialistischen Heimat-Ikonografie ausmachen. Sie beschränkte sich nicht auf die Sozialdemokratie, sondern ist bis hinein in das kommunistische Bewegungsspektrum nachzuweisen. Kurz nach der Novemberrevolution visualisierte ein Flugblatt der KPD (Abb. 3) ihr Zukunftsversprechen an die Arbeiterschaft mithilfe der Darstellung einer heimatlich anmutenden Selbstversorgeridylle, die auch in dem Dorf von 1911 hätte liegen können. Anders als die Maipostkarte war das Flugblatt nicht in erster Linie durch parteipolitisch konnotierte Bildelemente, sondern durch die Bildunterschriften als kommunistisches Flugblatt zu erkennen. Nur die Sonnenstrahlen, in welche die idyllisch dargestellte Szene eingetaucht ist, erinnern an die sozialistische Ikonografie, was darauf zurückzuführen sein könnte, dass sich das Flugblatt in der Revolutionsphase 1918/19 nicht an ein parteipolitisches Publikum richtete, sondern verschiedene gesellschaftliche Milieus zu gewinnen versuchte. Zudem verortete die KPD die dargestellte Idylle nicht am Ende eines Wanderweges, sondern kontrastierte sie mit der Gegenwart unter der »Regierung Ebert-Scheidemann«. In dem Flugblatt standen sich die prekären Nachkriegsverhältnisse und das Versprechen auf eine bessere Zukunft ohne materielle Not gegenüber. Das Bild zukünftig sicherer Lebensverhältnisse beinhaltete dabei keine visuellen Verweise darauf, dass es noch nicht verwirklicht war. Nur durch die Kontrastierung mit den MSPD-Vertretern war es als Raum der Zukunft und nicht schon der Gegenwart zu verstehen.

216 Die unterschiedliche Position der Wanderer zum Meilenstein lässt sich vermutlich darauf zurückführen, dass der Acht-Stunden-Tag 1911 im Deutschen Reich noch nicht flächendeckend eingeführt war. Vgl. Gebhardt, Nachwort. 217 Vgl. zu dieser doppeldeutigen Interpretation auch Renner, S. 3–4. Vgl. zu einer ausführlicheren Interpretation der Maipostkarte Strommenger, Zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, S. 505–515.

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Abb. 3: Flugblatt der KPD (Spartakusbund) vom Juni 1919.218

Eine ähnliche  Gegenwartsfokussierung kennzeichnete auch das 1924 wohl zu den Reichstagswahlen erschienene Flugblatt der sich nach der Vereinigung mit der USPD 1922 für knapp zwei Jahre so nennenden VSPD (Abb. 4). Aufgebaut als »Wähler ABC« findet sich unter dem Buchstaben »Z« für Zukunft eine vergleichbare Visualisierung der sicheren zukünftigen Lebensverhältnisse mittels einer heimatlichen Darstellung. Hinzu kam in diesem Fall die geschlechterstereotype Darstellung einer Kleinfamilie, wie sie als Ideal auch im bürgerlichen Lager verbreitet war. Auch das VSPD-Flugblatt nutzte zur räumlichen Visualisierung des Sozialismus demnach ein etabliertes Motiv der Heimat-Ikonografie und kein Großstadt-Motiv oder die Darstellung kämpfender Arbeitermassen. Die wieder218

218 Quelle: StALu, Depositum Archiv zur Geschichte der Arbeiterbewegung in RheinlandPfalz / Privatarchiv Dr. Klaus J. Becker, Ordner KPD 1919–1925.

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Abb. 4: Flugblatt »Goldenes Wähler-ABC« der VSPD aus dem Jahr 1924.219

kehrende Verwendung eines nicht klassisch sozialistischen Motivs in unterschiedlichen Teilen der Arbeiterbewegung spricht für  eine ausgeprägte und in gewissem Sinne unhinterfragte Verbreitung desselben. Anders als die bürgerliche legte die sozialistische Heimat-Ikonografie ihren Fokus jedoch nicht auf eine schöne und unberührte Landschaft. Durch die Abbildung von Menschen rückten deren Lebensverhältnisse, die die bürgerliche Ikonografie vollständig ausblendete, in den Mittelpunkt. Dennoch wirkte die Visualisierung – trotz der durch den Text hervorgehobenen Zukunftsemphase – fast schon wie der Wunsch nach einer Rückkehr zu den ländlichen Lebensverhältnissen der Vergangenheit. Im Vergleich mit der Postkarte aus dem Kaiserreich fällt an den beiden Flugblättern aus der Weimarer Republik auf, dass sie die heimatlich anmutende Szenerie nicht mehr visuell in der Zukunft verorteten. Stattdessen suggerierten beide Bilder eine beinahe erreichte Gegenwärtigkeit des Zukünftigen. Während die bislang analysierten Flugblätter in einem republikweiten Kontext standen, existierte im lokalen und regionalen Raum ebenfalls eine ähnliche Visualisierung. Auch in der Pfalz und in Sachsen bewegte sich diese zwischen Natur- und Gesellschaftsbezügen und integrierte Arbeits- und Industriemotive. Mit Blick auf die Pfalz lässt sie sich an dem regionalen Arbeiterkalender »Der arme Konrad« nachvollziehen. Wie der »Pfälzische Volks-Kalender« bildete »Der arme Konrad« einen sozialdemokratischen Konterpart zu bürgerlichen Heimatkalendern. Während diese in der Regel ländliche Idyllen abbildeten, stellte die SPD Arbeit als integralen Bestandteil des Regionalraums dar. Das Titelblatt von 1926 bildete verschiedene landwirtschaftliche und städtische Arbeitsformen ab, dasjenige von 1929 (Abb. 5) zeigte aufeinander bezogene Natur- und Industrielandschaften.220 Sie parallelisierten städtische Industrie- und bäuerliche Landarbeit ebenso wie Natur- und Industriebezüge. Durch die Darstellung unterschiedlicher Arbeitsformen untermauerte die SPD ihr demokratisches Heimat-Verständnis und ihren Anspruch auf Teilhabe auf den Titelblättern visuell. 219

219 Quelle: StALu, PGV 03 – SPD Unterbezirk Vorderpfalz, Nr. 4195. 220 Vgl. »Der arme Konrad. Kalender für das schaffende Volk«, Jg. 1926 und 1929, Titelblätter.

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Abb. 5: »Der arme Konrad. Kalender für das schaffende Volk«, Jg. 1929, Titelblatt.221

Auch die bildlichen  Darstellungen des Regionalraums in der Pfälzer Naturfreundezeitschrift »Berg frei« waren sozialistisch konnotiert. Ihr Zeitschriftenkopf zeigte vom 1. Jahrgang 1922 bis zum 6. Jahrgang 1927 auf der linken Seite das Ludwigshafener Naturfreundehaus als sozialistischen Bezugspunkt in der Pfälzer Landschaft, auf der rechten Orte wie die Madenburg, die als parteiübergreifende Ausflugsziele dienten und milieuübergreifende Bezugspunkte bildeten (Abb. 6). In der Konzeption der Naturfreunde konstituierten demnach sowohl die natürliche Landschaft als auch die durch Arbeit veränderte Natur den Heimat-Raum. Ab dem 7. Jahrgang von 1928 veränderte sich der Zeitschriftenkopf. Bemerkenswerterweise bildete er nun ein relativ klassisches Heimat-Motiv ab, das Stadt und Natur kontrastierte und eine erwachsene Person zeigte, die ein Kind aus der 221

221 Quelle: StALu, PGV 03 – SPD Unterbezirk Vorderpfalz, Nr. 831.

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Abb. 6: »Berg frei. Mitteilungsblatt des Touristen-Vereins ›Die Naturfreunde‹ Gau Pfalz«, Jg. 1924, Nr. 4.222

Abb. 7: »Berg frei. Mitteilungsblatt des Touristen-Vereins ›Die Naturfreunde‹ Gau Pfalz«, Jg. 1930, Nr. 4.223

schmutzigen und dunklen Stadt  in  die Natur führte, um dort Bildung und Erholung zu finden (Abb. 7).224 Anders als die Arbeiterkalender thematisierten die »Berg frei«-Titelblätter Arbeit nur implizit in Form der Stadtdarstellung. Wie in der bürgerlichen Heimatbewegung waren Städte demnach mitunter auch in der Arbeiterbewegung negativ konnotiert; der sozialistische Fokus lag allerdings stärker auf den schlechten Lebens- und Arbeitsverhältnissen der Arbeiterschaft. Die Erweiterung der Heimat-Ikonografie betraf im Falle von »Berg frei« insbesondere die Motivauswahl; etwa die Abbildung eindeutig sozialistisch konnotierter Orte wie die Naturfreundehäuser. Zugleich fällt auf, dass auf eine entsprechende Erweiterung bzw. Modernisierung von Form und Stil verzichtet wurde, da der Kopf der ersten Jahrgänge trotz des anderen Bildinhalts stilistisch kaum von bürgerlichen Zeitschriftenköpfen zu unterscheiden war. 222

223

222 Quelle: Pfälzische Landesbibliothek Speyer. 223 Quelle: Bibliothek im Archiv der sozialen Demokratie der Friedrich-Ebert-Stiftung. 224 Vgl. »Berg frei. Mitteilungsblatt des Touristen-Vereins ›Die Naturfreunde‹ Gau Pfalz«, Jg. 1918–1927, 1928–1932.

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Abb. 8: »Rheinisches Land. Nachrichtenblatt des Gaues Rheinland. TVdN«, Jg. 1926, Nr. 1.225

John A. Williams hat ähnliche Beobachtungen zum Titelblatt der Naturfreundezeitschrift »Rheinisches Land« (Abb. 8) von 1926 angestellt. Das vom eher links ausgerichteten Naturfreunde-Gau Rheinland herausgegebene Blatt macht die sozialistische Veränderung der Heimat-Ikonografie sogar noch deutlicher.226 Das Titelblatt zeigt eine innerhalb der Natur gelegene Industrielandschaft, durch die ein Wanderweg führt. Die eine Seite des Wegs säumen Birken, die andere Seite Fabrikschlote. Bildeten die Zeitschriften der Heimatbewegung oftmals die bürgerlich konnotierte Ikonografie auf ihren Zeitschriftenköpfen ab, visualisierte 225

225 Quelle: Bibliothek im Archiv der sozialen Demokratie der Friedrich-Ebert-Stiftung. 226 Vgl. »Rheinisches Land. Nachrichtenblatt des Gaues Rheinland. TVdN«; zu Williams A ­ nalyse Williams, Turning to nature in Germany, S. 86–87.

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das »Rheinische Land« – in Analogie zu dieser bürgerlichen Praxis – ihr davon abweichendes Heimat-Verständnis ebenfalls auf dem Titelblatt. Die abgebildete Natur-Kultur-Industrie-Landschaft versuchte nicht allein, die gesellschaftliche Realität im Ruhrgebiet der 1920er Jahre zu visualisieren und ein realistisches Bild des Regionalraums zu zeichnen, sondern erhob darüber hinaus den Anspruch, auch eine solche könne Heimat sein. Ähnlich wie die besprochene Maipostkarte zeichnete das Titelblatt eine Doppeldeutigkeit aus, da es sich zum einen auf die Praxis des ›sozialen Wanderns‹, zum anderen auf den revolutionären Weg zum Sozialismus beziehen ließ. Diese Darstellung konzeptualisierte Heimat als veränderbar, die es als materielles Versprechen erst noch vollständig einzulösen gelte. Vergleicht man das aus der Weimarer Republik stammende Titelblatt mit der Maipostkarte aus der Zeit des Kaiserreichs springt darüber hinaus ein Detail ins Auge, das unabhängig von der Intention der Urheber für das veränderte Selbstverständnis der Sozialdemokratie in der Weimarer Republik steht: Während der Weg in die Zukunft im Falle der Maipostkarte noch auf ein klares Ziel, den Sozialismus, zusteuerte, war der Weg im Falle des Titelblatts verschlungener und das Ende des Weges nicht mehr sichtbar. Dieser Unterschied entsprach der verbreiteten Vorstellung, man befinde sich nach der Novemberrevolution in der Weimarer Republik schon am Beginn einer ›neuen Zeit‹. Wann der Sozialismus abschließend erreicht werden könne, sei jedoch nicht mehr sicher zu sagen.227 Der Vergleich der Naturfreundezeitschriften zeigt, dass sie, anders als Ulrich Linse mit Bezug auf die nordbayerischen Naturfreunde argumentiert,228 die bürgerliche Ikonografie nicht bloß kopierten. Stattdessen erweiterten sie diese partiell um sozialistische Bildelemente und passten sie in einen parteipolitischen Deutungsrahmen ein. Abschließend lässt sich festhalten, dass die sozialistische Heimat-Ikonografie die sozialistische Ikonografie und die klassische Heimat-Ikonografie in einzelne Elemente zergliederte und diese anschließend auf veränderte Weise verband. Sie war mit Confino gesprochen »reinterpretation and thus fabrication«.229 Ähnlich wie bürgerliche Deutungen beschäftigte sich auch die sozialistische Heimat-Ikonografie zuvorderst mit dem lokalen und regionalen Raum. Diese Motive bettete sie jedoch in einen anderen Deutungsrahmen ein und betonte den gesellschaftlichen Charakter der abgebildeten Natur- und Heimat-Räume. Anders als ihr bürgerlicher Konterpart bildete sie zumeist keine idealisierte (deutsche) Landschaft ab, sondern machte die gemalten und fotografierten Heimat-Räume als Industrie-Natur-Landschaften und städtische Räume sichtbar, die durch Arbeit geformt und durch Menschenhand zu verändern seien. Ihr Fokus auf Arbeiter und Industrie widersprach den statischen Heimat-Räumen der bürgerlichen Heimatbewegung. Auch in der Darstellung von Naturabbildungen rekurrierte die

227 Vgl. zu diesem Argument den Aufsatz von Hölscher, Die verschobene Revolution, S. 225; daran anschließend Strommenger, Neujustierung, S. 75–76. 228 Vgl. Linse, Die »freie Natur« als Heimat, S. 66. 229 Confino, Nation as a Local Metaphor, S. 176.

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sozialistische Heimat-Ikonografie auf bekannte Bildelemente der sozialistischen Ikonografie. Frühlingsabbildungen repräsentierten dabei keine geschichtslose Ordnung, sondern den Anspruch auf gesellschaftliche Veränderung. An ihr zeigt sich einmal mehr, dass selbst die Natur in der sozialistischen Arbeiterbewegung historisch, ja revolutionär aufgeladen wurde. Wie im Falle der sozialdemokra­ tischen Landschaftsbeschreibungen, die am Beispiel der Städte Ludwigshafen und Freital herausgearbeitet worden sind, amalgamierten auch in diesem Fall Natur- und Gesellschaftsbezüge. Die bildhafte Verdichtung politischer Argumente macht die sozialistische Spezifik sogar noch deutlicher. Zentrale Unterschiede zur bürgerlichen Heimat-Ikonografie bestanden in der Abbildung von Menschen und Industrielandschaften sowie der Thematisierung der gesellschaftlichen Gegenwart. Zudem bediente sich die sozialistische Heimat-Ikonografie in Teilen moderner ästhetischer Stile und Formen. Ähnlich wie jene enthielt jedoch auch diese idyllische Sehnsuchtsbilder, die trotz des historisierenden Zugriffs auf die Heimat-Räume der Gegenwart unreflektiert blieben. Die Suche nach einer harmonischen Gesellschaft projizierte die Arbeiterbewegung allerdings nicht auf die Vergangenheit, die sich aus ihrer Sicht alles andere als idyllisch dargestellt hatte. Stattdessen situierte sie die idyllischen Bilder in der Zukunft oder in der Gegenwart der Weimarer Republik.

1.3 Orte sozialdemokratischer Heimat-Kulturpolitik in der Weimarer Republik Mit der Betonung historischer Wandelbarkeit verwiesen die entworfenen Heimat-Bilder implizit bereits auf ihre zukünftige Veränderbarkeit durch politische Praxis. Langfristig sollte der revolutionäre Prozess auf die existierenden HeimatRäume übergreifen, kurzfristig sollten sie durch eine sozialdemokratische Form der Heimat-Kulturpolitik sukzessive verändert werden. Dafür bedurfte es konkreter Orte, an denen diese veränderte Heimat-Praxis verfolgt werden konnte. Drei solcher Orte werden im Folgenden mittels Fallstudien näher analysiert und in ihrer Bedeutung für die Konstitution und Konstruktion sozialistischer Heimat-Räume bestimmt. Es handelt sich dabei um drei besonders zentrale Orte für die sozialdemokratische Heimat-Kulturpolitik: 1. Heimatmuseen, 2. Naturfreundehäuser, 3. Naturfreundeausstellungen. Um an die Ergebnisse des vorangehenden Kapitels anzuknüpfen, werden die drei Orte jeweils mit Blick auf eine der vorgestellten politischen Landschaften analysiert: Das erste Analysebeispiel, die Heimatmuseen, bezieht sich vor allem auf den Stadtraum Freital; das zweite, die Naturfreundehäuser, vor allem auf den Regionalraum Pfalz; das dritte, die Naturfreundeausstellungen, vor allem auf die analysierten Naturräume. Ähnlich wie die semantischen Deutungstraditionen wiesen auch die Handlungsräume Überlappungen zum bürgerlichen Heimatmilieu auf: Sowohl Heimatmuseen als auch Wanderunterkünfte und Heimatausstellungen waren in der 108

Heimatbewegung verbreitet, bevor die Arbeiterbewegung sie als Handlungsfelder entdeckte. Oftmals war die Arbeiterschaft von diesen Orten ausgeschlossen gewesen, was einen Grund für die Gründung sozialistischer Alternativorte darstellte, die jedoch gleichzeitig Ähnlichkeiten zu entsprechenden Orten der Heimatbewegung aufwiesen. Dementsprechend changierten die genannten Orte zwischen einem parteiüberübergreifenden und einem parteipolitischen Charakter. Bezüglich einer solchen Uneindeutigkeit hat André Biederbeck mit Blick auf die Arbeiterbewegung Dortmunds im frühen 20. Jahrhundert zwischen Allgemeinund Partikularorten unterschieden, was auch für die hier zu behandelnde Fragestellung passend ist.230 Vor diesem Hintergrund wird im Folgenden analysiert, wie sich die Arbeiterbewegung vormals bürgerlich konnotierte Räume und Orte aneignete und welche Umdeutung, evtl. aber auch unreflektierte Übernahme bürgerlich konnotierter Praktiken mit diesem Aneignungsprozess verbunden war. 1.3.1 Die Schaffung lokaler Traditionen: Das Freitaler Heimatmuseum Als Musterstadtgründung, die sozialdemokratische Ziele im Kleinen zu verwirklichen versprach, galt Freital in der Arbeiterbewegung als eines der Zukunftsversprechen und besaß überregionale Ausstrahlungskraft.231 Angesichts dieses Befunds verwundert es nicht, dass bisherige Forschungsarbeiten ihren Fokus auf die Zukunftsemphase und die avantgardistische Kulturpolitik der neu gegründeten Stadt legten. Dies trifft auf die bis heute maßgeblichen Arbeiten von Franz Walter232 ebenso zu wie auf andere Aufsätze zur Geschichte der Stadt.233 HansGeorg Lippert bspw. untersucht die Freitaler Stadtzentrumsplanungen und ihr Verhältnis zur avantgardistischen Architektur der Weimarer Republik, etwa zu Bruno Tauts utopischen Architekturentwürfen.234 Die Zukunftsemphase des Experiments »Freital« ist nicht zu bestreiten. Dennoch ist bislang unberücksichtigt geblieben, dass die Freitaler SPD ihre utopischen, mitunter auch pragmatischreformistischen Zukunftsentwürfe von Beginn an in ein Wechselverhältnis zur Vergangenheit ihrer neu gegründeten Heimatstadt stellte. Neben Initiativen, wie man sie von einer sozialdemokratischen Kommunalpolitik erwarten könnte, etwa der städtebaulichen Entwicklung der Stadt sowie der Etablierung eines fortschritt­ lichen Bildungs-, Wohlfahrts- und Gesundheitswesen,235 richteten die Gründungsväter bereits 1923, zwei Jahre nach der Stadtgründung, ein Heimatmuseum ein. Dazu hieß es im Artikel »Das Werden Freitals« 1927 retrospektiv: »Eine der 230 Vgl. Biederbeck, S. 139–140. 231 Vgl. Walter, Freital, S. 46, 48–92. 232 Vgl. u. a. ebd.; ders., »Parteifeinde«. 233 Vgl. dazu auch das Themenheft der »Dresdner Hefte« zu Freital hrsg. v. Lühr, Freital. 234 Vgl. Lippert, Eine Insel Utopia. 235 Vgl. als Überblick aus zeitgenössischer Sicht Völkel, S. 42–44.

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ersten Aufgaben der jungen Stadt war die Gründung eines Heimatmuseums.«236 In dem Artikel war das Heimatmuseum sozialpolitischen Errungenschaften gleichgestellt, was dafür spricht, dass es für die SPD keine Nebensache darstellte. Mit der Einrichtung des Museums griff die Freitaler SPD auf ein etabliertes Mittel der Heimatgeschichtsschreibung und lokalen Traditionsbildung zurück, stellte es jedoch in den veränderten Kontext der neugegründeten Musterstadt, die auf keine lange Geschichte zurückblicken konnte. Dabei folgte die Museumsgründung einem Trend: Bereits im Zuge der ersten Hochphase der Heimatbewegung um die Jahrhundertwende hatten Heimatmuseen die Ortsmuseen abgelöst, erst Mitte der 1920er Jahre erlebten sie jedoch ihre eigentliche Blütezeit. Orte, Städte oder Kommune, die bislang noch kein Heimatmuseum besessen hatten, richteten ein solches nun ein.237 In diesem Zusammenhang nahm der Erste Weltkrieg eine wichtige Funktion in der Popularisierung der Museen ein, die im Krieg »der patriotischen Erziehung«238 dienten. In der Weimarer Republik weitete sich mit der Vielzahl an neuen Museen auch ihre Trägerschaft tendenziell auf verschiedene Milieus aus.239 Die neu gegründeten Museen mussten sich dabei in ein Verhältnis zu der bürgerlich-konservativen Dominanz und nationalistischen Ausrichtung der Museumslandschaft setzen. Angesichts des in der Forschung bislang angenommenen, wenn nicht konservativen, so doch zumindest bürgerlichen, mithin: keineswegs sozialdemokratischen Charakters vieler Heimatmuseen240 ist die Fallstudie von mehrfachem Interesse. Zum einen spricht der Umstand, dass selbst in einer sozialdemokratischen Musterstadt ein Heimatmuseum eingerichtet wurde, für die Bedeutung und Akzeptanz, die einem solchen milieuübergreifend zugemessen wurde. Zum anderen stellt sich die Frage, aus welchen Gründen die Freitaler SPD die Einrichtung eines solchen zunächst einmal bürgerlich konnotierten Museums anstrebte und ob sie in der Folge versuchte, eine eigene Ausstellungssprache zu finden. Sicherlich wollte sie durch ihr Vorgehen auch in bürgerlichen Kreisen für die neue Stadt werben, doch die Verve, mit der sie die Konzeption und Umsetzung verfolgte, spricht gegen ein rein instrumentelles Verhältnis zu dem geplanten Museum. Auskunft über Fragen des kulturpolitischen Hintergrunds erteilt insbesondere das »Tagebuch für das Heimatmuseum«, das ein knappes Jahr nach Museumsgründung am 01.04.1924 begonnen wurde, als offizielles Dokument der Stadtverwaltung angelegt war und von Oberbürgermeister Wedderkopf unterzeichnet wurde. In dem vonseiten des Museumsleiters Robert Söhnel handschriftlich 236 Weidel, S. 51. 237 Vgl. Bendl, bes. S. 155–161; grundlegend zu Heimatmuseen in der Weimarer Republik Roth, bes. S. 35. 238 Ebd. 239 Bendl nimmt an, dass die Gestaltung weiterhin vorwiegend in bürgerlich-konservativer Hand lag. Vgl. Bendl, S. 150. Die in dieser Arbeit untersuchten Fälle zeigen hingegen ein differenzierteres Bild. 240 Vgl. zu dieser Einschätzung exemplarisch ebd.; Roth, S. 36; aus Sicht der Arbeiterbewegungsgeschichte Lieske, S. 295–296.

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geführten »Tagebuch« heißt es einleitend, dass die Museumsgründung »durch einstimmigen Beschluß des Gemeinderates«241 erfolgte. Demnach gestaltete sie sich trotz des sozialdemokratischen Hintergrunds der Stadt auf den ersten Blick wenig spezifisch. Wie im Falle anderer Heimatmuseen handelte es sich um ein kommunales Projekt, das von unterschiedlichen Parteien unterstützt wurde. Bei genauerer Hinsicht wich die Situation allerdings etwas von vielen anderen Städten ab, da die Leitung des Museums in sozialdemokratischer Hand lag: Bei dem Museumsleiter Robert Söhnel handelte es sich um einen sozialdemokratischen Stadtrat.242 Er zeichnete nicht allein für die Konzeption und Gestaltung des Museums verantwortlich, sondern stand gleichzeitig dem neu eingerichteten »Dezernat für Heimatkunde und Heimatsammlungen« vor.243 Die Wahl des Museumsleiters war Ausdruck der sozialdemokratischen Dominanz der Kommunalpolitik, die dazu führte, dass Parteipolitik und Stadtpolitik nicht immer klar voneinander zu trennen waren.244 Im Gegensatz zu vielen anderen Heimatmuseen unterlag dasjenige in Freital mithin einer zumindest impliziten sozialdemokratischen Prägung. 1.3.1.1 Geschichtsverständnis und Funktion des Museums Einleitend fasste das »Tagebuch« die Motivation für die Einrichtung des Museums wie folgt zusammen: Wir haben in unserer Stadt im allgemeinen [sic] nicht viel Zeit übrig, [sic] nur bei der Vergangenheit aufzuhalten. Unsere Kraft gilt den Nöten der Gegenwart. Fleiß und Fortschritt sollen die Bewohner unserer Stadt in eine bessere Zukunft führen. Aber gerade deshalb ist es nötig, daß wir von Zeit zu Zeit rückwärts schauen, denn die Vergangenheit kann uns Wegweiser für Gegenwart und Zukunft sein.245

Auffallend an der Passage ist der selbstreflexive Duktus, der nahelegt, dass die Einrichtung keine Selbstverständlichkeit darstellte, sondern Söhnel begründungsbedürftig schien und an die Spezifik Freitals angepasst werden sollte. Dabei setzte er die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit in ein Verhältnis zur Gegenwart und Zukunft der Stadt, da er der Geschichtskenntnis eine wichtige Orientierungsfunktion zusprach, die es erst ermögliche, den richtigen Weg in die Zukunft einzuschlagen. Interessanterweise beließ es Söhnel jedoch nicht bei der Retrospektive, sondern projektierte gleichzeitig die angestrebte Zukunft Freitals. Seine Konzeption des Heimatmuseums, damit eng zusammenhängend von Geschichte insgesamt, setzte die Erfahrung vergangener landschaftlicher Veränderungen in ein Ver241 StSaFr Materialien zum Heimatmuseum, 1924–1934, Tagebuch, S. 1. 242 Trotz Recherchen in den lokalen Freitaler Archiven, der Städtischen Sammlung Freital und dem Stadtarchiv Freital konnte keine vollständige Biografie Robert Söhnels rekonstruiert werden. Die Informationen zu Söhnel sind den Archivquellen zum Museum und der lokalen Presse entnommen. 243 StSaFr Materialien zum Heimatmuseum, 1924–1934, Tagebuch, S. 1. 244 Vgl. zu dieser Einschätzung auch Walter, Freital, S. 39–48. 245 StSaFr Materialien zum Heimatmuseum, 1924–1934, Tagebuch, S. 1.

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hältnis zu den zukünftig erst noch durch politische Praxis zu gestaltenden Entwicklungen des Stadtgebietes. In diesem Zusammenhang beschwor er das Bild einer Stadt herauf, in der die städtebaulichen Anstrengungen der SPD erfolgreich gewesen sein und das Landschaftsbild gewandelt haben würden: »Flühen, auf denen jetzt noch der Pflug des Ackermannes seine Furchen zieht, werden später bebaut sein. Wohnhäuser, Arbeitsstätten und Verwaltungsgebäude werden dort errichtet werden.«246 Söhnel lehnte die Veränderung des Stadtraums und dessen landschaftlicher Umgebung nicht ab, sondern betrachtete sie als notwendiges Ergebnis des Charakters der Stadt. Eine konsequente Umsetzung der Prinzipien »Fleiß und Fortschritt« müsse »im Gefolge haben, daß manches Alte stürzt und neues Leben wird aus den Ruinen sprießen.«247 Die erfolgten und zukünftig angestrebten sozialpolitischen Veränderungen versprachen für sozialdemokratische Kommunalpolitiker wie Söhnel oder Wedderkopf zunächst einmal eine Verbesserung der Lage der Arbeiterschaft und dadurch im weitesten Sinne Fortschritt. Diesbezüglich lag das Telos des durch politische Praxis intentional veränderbaren Heimat-Raums Freital für sie nicht in der Vergangenheit, sondern in der Zukunft. Dennoch verstand Söhnel die angestrebten Veränderungen nicht als radikalen Bruch mit dem Alten, wie ihn der revolutionäre Teil der Arbeiterbewegung forderte und man es von einem Sozialdemokraten womöglich erwarten könnte. Der Reformorientierung zahlreicher Freitaler SPD-Kommunalpolitiker entsprechend, wollte er den skizzierten Veränderungsprozess und dessen Auswirkungen auf die landschaftliche Umgebung intentional gestalten und dadurch bis zu einem gewissen Grad planbar machen. Vor diesem Hintergrund sah er eine der Hauptaufgaben des Heimatmuseums darin, »darüber zu wachen, daß nicht ohne Not, Denkmäler alter vergangener Zeit mutwillig oder aus Unverstand und Interesselosigkeit niedergerissen werden.«248 Während der bürgerlich-konservativen Heimatbewegung vorgeworfen wurde, den Erhalt ästhetischer Werte über die Lebensbedingungen der arbeitenden Bevölkerung zu stellen,249 strebte Söhnel eine Art Ausgleich zwischen zukünftiger Veränderung und zu bewahrender Vergangenheit an.250 Wie die Zitate zeigen, ähnelte sein Verständnis landschaftlicher Veränderung durch Arbeit der diskursiven Auseinandersetzung mit Freitals »Vorgeschichte«251 in anderen Kontexten. Bei der Konzeption und Gestaltung des Museums griff diese semantische Deutung auf die Praxis der Heimatgeschichtsschreibung über,

246 Ebd., S. 1–2. 247 Ebd., S. 1. 248 Ebd., S. 2. Zu den Denkmälern wurden auch Fabriken gezählt. Vgl. Söhnel, Tal der Arbeit, S. 187. Bei dem Autoren handelt es sich um Karl Söhnel. 249 So lautete der sozialdemokratische Vorwurf bereits seit dem Kaiserreich. Vgl. etwa Hillig, Heimatschutz. 250 Auch in bürgerlichen und teilweise völkischen Kreisen lässt sich in der Weimarer Republik ein Verständnis der Gestaltung landschaftlichen Wandels nachweisen. Vgl. Lekan; Oberkrome. 251 StSaFr Materialien zum Heimatmuseum, 1924–1934, Tagebuch, S. 2.

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die wiederum neue Deutungen des Freitaler Stadtraums hervorbrachte. Demnach standen Heimat-Semantiken und Heimat-Praktiken – nicht nur im Falle Freitals – in einem engen Wechselverhältnis. So war Söhnels Verweis auf die zukünftige Entwicklung Freitals wesentlicher Bestandteil seiner Museumskonzeption. In Analogie zur Stadtentwicklung wurde das Museum als ein im Werden begriffener Ort verstanden, dessen Ziel darin lag, verschiedene Schichten der gegenwärtigen und zukünftigen städtischen Vergangenheit zu bewahren, nicht jedoch letztgültig zu konservieren.252 Ein solches Verständnis von Heimatgeschichtsschreibung war für die Sozialdemokratie repräsentativ, die sich auch in anderen regionalen Kontexten gegen die »Mumifizierung«253 der Vergangenheit aussprach und die Beschäftigung mit Geschichte unter der Maßgabe der zu erreichenden Zukunft betrachtete.254 In der Museumskonzeption zeigte sich folglich ein Vorgehen, das Lucian Hölscher als Entwerfen von »Future Pasts«255 bezeichnet hat. Wie unter Rückgriff auf Hölscher argumentiert wird, diente die Projektion der zukünftigen Vergangenheit Freitals der Vereindeutigung einer noch in der Zukunft liegenden Stadtentwicklung, wodurch mögliche nicht-sozialdemokratische Alternativentwicklungen ausgeschlossen werden sollten. Söhnels Projektion einer zukünftigen Vergangenheit der Stadt schlug sich ebenfalls in der angestrebten musealen Sammlungstätigkeit nieder: »Für spätere Geschlechter« seien »alle wichtigen heimatgeschichtlichen Vorgänge der Gegenwart, insbesondere aus dem Werden und der Entwicklung unserer Stadt« aufzubewahren, wobei ein Fokus auf »der Schaffenskraft der jetzigen Bewohner«256 liegen solle. Die eminente Zukunftsorientierung der Sammlungstätigkeit lag insofern nahe, als der bedeutendste Teil der Freitaler Stadtgeschichte aus sozialdemokratischer Sicht nicht in der Vergangenheit, sondern in der Zukunft lag. Dementsprechend richtete sich das Heimatmuseums – als Teil der von den Gründungsvätern etablierten neuen städtischen Tradition – nicht zuletzt an die nachfolgende Generation, Kinder und Jugendliche aus der Arbeiterschaft, die das begonnene Projekt fortsetzen sollten und damit die Zukunft der Stadt darstellten. Bereits angedeutet wurde, welche Funktion die Verantwortlichen dem Museum zuschrieben. Vieles spricht dafür, dass dem Museum in dem von Wedderkopf geforderten Prozess der städtischen Traditionsbildung eine zentrale Rolle zugedacht war. Das Heimatmuseum sollte der Vermittlung von Heimatgeschichte und der Etablierung einer neuen lokalen Stadtidentität mit sozialdemokratischem Charakter dienen, den munizipalsozialistischen Charakter der Stadt festigen und Freital auch gegen Widerstände als Heimatstadt der Arbeiterschaft

252 Vgl. StSaFr Materialien zum Heimatmuseum, 1924–1934, Tagebuch, S. 1–2. 253 Hillig, Heimatschutz, S. 254. 254 Vgl. zu einer solchen Begründung Kampffmeyer u. Altmann. 255 Hölscher, Future Pasts. 256 StSaFr Materialien zum Heimatmuseum, 1924–1934, Tagebuch, S. 2.

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legitimieren.257 Um diesen Anspruch zu erreichen, sollte die Stadtbevölkerung in die Entstehung der Sammlung aktiv einbezogen werden, um nicht zuletzt in der Arbeiterschaft auch über einen persönlichen Zugriff »Heimatgefühl« hervorzubringen und die »Liebe zu unserer schönen und interessanten Heimat [zu] wecken und stärken.«258 Man könnte darüber hinaus argumentieren, dass es den Freitaler Sozialdemokraten darum ging, ihre politischen und beruflichen Erfolge und Erfahrungen historisch festzuhalten. Nicht zuletzt reagierten Heimatmuseen wie dasjenige in Freital auch auf das Verschwinden der vertrauten Welt – verstanden sowohl im politischen Sinne als auch mit Blick auf die alten Arbeitsformen – der ›alten sozialdemokratischen Garde‹. Dabei entsprach die Vorstellung, Traditionen ließen sich intentional herausbilden, zwar dem sozialdemokratischen Gestaltungswillen. Dennoch bildete das Argument in gewissem Sinne eine con­tradictio in adiecto, da mit Traditionen oftmals Ursprünglichkeit und Authentizität assoziiert werden, wodurch ihr Konstruktionscharakter gerade verdeckt wird. 1.3.1.2 Sammlungs- und Ausstellungspraxis Für eine Einschätzung des Museums ist es von zentraler Bedeutung, wie die tatsächlich umgesetzte Sammlungs- und Ausstellungstätigkeit aussah und inwiefern ihr ein spezifisch sozialistisches Moment zukam. Neben dem Museums-Tagebuch können darüber das Eingangsbuch des Museums, Fotografien der Innenräume und Artikel in der lokalen Presse Aufschluss geben. Wie diese Quellen zeigen, erreichten die Ausstellungsgegenstände das Museum auf unterschiedlichen Wegen, wobei ein Großteil entweder von der Stadtbevölkerung abgegeben oder vonseiten der Leitung des Museums angekauft wurde.259 Bereits 1923 machten Anzeigen in den örtlichen Tageszeitungen die Bevölkerung auf die beginnende Sammlungstätigkeit aufmerksam und forderten sie zur Beteiligung auf.260 Nach Abgabe der mannigfaltigen Gegenstände verzeichnete Söhnel sie detailliert in dem Eingangsbuch, ordnete ihnen eine laufende Nummer zu, nannte dabei die Person, aus deren Besitz das Objekt stammte, später261 auch dessen Abgabedatum, und fügte eine in der Regel ein- bis zweizeilige Gegenstandsbeschreibung hinzu. Es ist nicht nachzuvollziehen, ob es durch Söhnel zur Ablehnung von Gegenständen kam, doch scheint es eines der entscheidenden Sammlungskriterien gewesen zu sein,

257 Vgl. zur lokalen Identität auch Walter, Freital, S. 48–53; zur Stadtgestaltung Lippert, Eine Insel Utopia. 258 StSaFr Materialien zum Heimatmuseum, 1924–1934, Tagebuch, S. 2. 259 Vgl. StSaFr Materialien zum Heimatmuseum, 1923–1941, Eingangsbuch. 260 Vgl. StSaFr Materialien zum Heimatmuseum, 1924–1934, Tagebuch, S. 3. Aufgrund lückenhafter Überlieferung konnten diese Anzeigen nicht ausfindig gemacht werden. 261 Der genaue Zeitpunkt dieser Änderung lässt sich nicht mit Sicherheit feststellen, da die Teile des Eingangsbuchs zu den Jahren 1924 bis 1927 nicht vorliegen. Spätestens ab dem 01.01.1927 wurde das veränderte Vorgehen praktiziert. Vgl. StSaFr Materialien zum Heimatmuseum, 1923–1941, Eingangsbuch.

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dass deren vormalige Eigentümer in der Region Freital lebten. Auf die abgegebenen Gegenstände traf dies hingegen nicht unbedingt zu. Die künftigen musealen Objekte lassen sich grob in drei Kategorien unterteilen: Erstens handelte es sich um klassische Ausstellungsgegenstände von Heimatmuseen wie grafische Ansichten Freitals, Alltagsgegenstände und geologische Funde.262 Ein zweites wesentliches Standbein des Museums waren angekaufte oder eigens angefertigte, ebenfalls klassische Objekte von Heimatmuseen. Dabei handelte es sich um Münzsammlungen oder alte Stadtansichten, sogar ein Abguss eines Saurierskeletts, das auch in anderen Heimatmuseen in der Umgebung ausgestellt wurde, wurde angefertigt. Wie Abdrücke dieser Art zeigen, stellte die Ausstellung von Kopien kein generelles Problem dar; anders als zu vermuten wäre, standen demnach weniger Authentizität als vielmehr die Befassung mit dem lokalen Raum und dessen Reproduktion im Zentrum des heimatkundlichen Interesses. Das Museum sparte weder für den Ankauf seltener Gegenstände noch für die kunsthandwerkliche Anfertigung spezieller Exponate an Geld, was angesichts der angespannten städtischen Finanzen die Bedeutung unterstreicht, die dem Museum zugemessen wurde. Darüber hinaus wurden im Stadtrat Gelder für die Gestaltung der Museumsräume beantragt, in die auch das örtliche Handwerk, etwa durch Erstellung geeigneter Schaukästen und -vitrinen, einbezogen wurde.263 In diese zweite Rubrik fiel zudem die Anschaffung von heimatkundlichen Schriften, etwa des LVSH, und Führern durch andere Heimatmuseen, bspw. aus Meißen oder dem nahegelegenen Wilsdruff, wo die Sozialdemokratie die Einrichtung des Heimatmuseums ebenfalls mit vorantrieb.264 Die Sammlung klassischer Texte zur Heimatgeschichtsschreibung legt nahe, dass sich Söhnel teilweise an diesen milieuübergreifenden Formen orientierte. Während sich die ersten beiden Rubriken kaum von denen etablierter Heimatmuseen unterschieden, zählten weitere Abgabegegenstände zu einer dritten Rubrik, deren Existenz für eine zumindest partielle sozialdemokratische Ausrichtung des Museums spricht. So finden sich in der Abgabeliste des Heimatmuseums zahlreiche sozialistisch konnotierte Ausstellungsgegenstände, etwa »1 Flugblatt Manifest der am 5. bis 8. September in Zimmerwald b. Bern i. d. Schweiz 1915 abgehaltenen internationalen sozialistischen Konferenz« oder ein »Flugblatt von Karl Liebknecht. Begründung für seine Haltung am 2. Dezember 1914 bei der Bewilligung der Kriegskredite im Reichstage«.265 In diese dritte Rubrik fallen darüber hinaus Gegenstände aus der Arbeitswelt wie etwa eine Bergmannsblende,266 bei denen es sich oftmals um Relikte besonders wichtiger lokaler Berufe, etwa dem 262 Vgl. ebd. 263 Vgl. StSaFr Materialien zum Heimatmuseum, 1924–1934, Tagebuch, bspw. Einträge vom 06. u. 10.01.1925. 264 Vgl. StSaFr Materialien zum Heimatmuseum, 1923–1941, Eingangsbuch, undatiert, lfd. Nummer 59 und 60 für das Jahr 1923. 265 Vgl. ebd., Eintrag vom 21.03.1928, lfd. Nummer 115 für das Jahr 1928. 266 Vgl. ebd., Eintrag vom 25.10.1927, lfd. Nummer 78 für das Jahr 1927.

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des Bergmanns, handelte. Ein solcher Bezug auf Arbeit ist auch in volkskund­ lichen Kontexten anzutreffen,267 gewann durch den spezifischen Charakter Freitals als Arbeiterstadt jedoch potenziell eine darüber hinausgehende Bedeutung. Inwiefern sich nicht nur in der Sammlungstätigkeit, sondern auch in der Ausstellungsgestaltung eine spezifisch sozialdemokratische Herangehensweise niederschlug, ist nur schwer zu entscheiden. Die fotografischen Innenansichten des Museums können eine Ahnung von der Ausstellungsanordnung in den Museumsräumen vermitteln, enthalten jedoch leider keine Nahaufnahmen der ausgestellten Gegenstände. Diese Fotos wurden in zeitgenössischen Publikationen veröffentlicht.268 In dem bereits genannten DARI-Städtebild lässt sich auf zwei Seiten ein Eindruck der Ausstellung gewinnen. Ganzseitig abgebildet findet sich das »Bilderzimmer«, welches vermutlich die genannten Ansichten Freitals und der Vorgängergemeinden zeigte, jeweils halbseitig abgebildet sind ein »Urnenschrank« und das »Bergmannszimmer« (Abb. 9).269 Angesichts des sozialdemokratischen Versuchs, die Besonderheit Freitals als junge Stadt der Arbeit auch in der neu zu begründenden städtischen Tradition abzubilden, war es sicherlich kein Zufall, dass man für den Band u. a. die Ansicht des »Bergmannszimmers« auswählte. Der angedeutete sozialhistorische Fokus des Museums widmete sich dementsprechend der lokal vorherrschenden Arbeitsform und ihren Auswirkungen auf den Heimat-Raum. Dennoch legen die Fotos keinen dezidiert politischen Blick nahe, durch den sich die Inszenierung des »Bergmannszimmers« von derjenigen in volkskundlich orientierten Heimatmuseen unterschieden hätte.270 Ob die Ausstellung in Freital von diesen abweichend schlechte Arbeitsbedingungen oder Arbeitsunfälle thematisierte, lässt sich aufgrund der fehlenden fotografischen Detailaufnahmen oder Beschreibungen der Ausstellungsräume ebenso wenig entscheiden, wie die Frage, inwiefern das explizit politische Material an exponierter Stelle des Museums ausgestellt und auf besondere Weise gewürdigt wurde. Von daher ist unklar, ob bspw. das Flugblatt von der Zimmerwalder-Konferenz an prominenter Stelle zu sehen war. Zwar legte Söhnel großen Wert auf die angemessene Präsentation der Museumsexponate, wie er in dem Tagebuch festhielt, ohne dort jedoch detailliert auszuführen, was genau er darunter verstand. Ein Geschichtsverständnis wie dasjenige von Marx und Engels, das Geschichte als ›Geschichte von Klassenkämpfen‹ fasste, lag dem Museum sicherlich nicht zugrunde. Anstatt sich der Vergangenheit der Stadt mit durch den Historischen Materialismus geschärften Augen zu 267 Vgl. zum volkskundlichen Interesse an der Arbeitswelt in Heimatmuseen Roth, S. 30, 44, 255–259. 268 Sie sind in der Städtischen Sammlung Freital darüber hinaus als lose, zu einem späteren Zeitpunkt angefertigte Fotosammlung erhalten geblieben. 269 Vgl. den Artikel von Weidel, S. 51–53 (Abbildungen auf S. 53). Die Innenansichten des Museums sind städtebaulichen Errungenschaften von der Anzahl der Fotografien gleichgestellt, was für eine ähnlich hohe Gewichtung spricht. 270 Vgl. als Vergleich hierzu die Abbildungen in Bendl.

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Abb. 9: Bergmannszimmer im Heimatmuseum der Stadt Freital.271

nähern, folgten die Verantwortlichen weitgehend einem recht geläufigen Verständnis von Heimatgeschichte. Demnach scheint es trotz des sozialdemokratischen Anspruchs an das Museum und der damit einhergehenden veränderten Sammlungspraxis, die sozialistische Gegenstände einschloss, erstaunlicherweise keine umfassende Reflexion der Ausstellungsform gegeben zu haben. Dies ist besonders bemerkenswert, da zur selben Zeit in der Arbeiterkulturbewegung in anderen Zusammenhängen ausführliche Diskussionen über moderne Kunst- und Kulturformen geführt wurden.272 Vor diesem Hintergrund ist zu vermuten, dass die Ausstellungform in Heimatmuseen schlicht vorausgesetzt wurde und unhinterfragt blieb, da sie ebenso wie die Verwendung des Heimat-Begriffs eine milieuübergreifende Selbst271

271 Quelle: Wedderkopf (Hg.), Freital, Berlin-Halensee 1924, S. 53. 272 Vgl. exemplarisch Hake, S. 238–254.

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verständlichkeit besaß. Diese Annahme wird durch Söhnels Orientierung an den Führern durch andere Heimatmuseen ebenso gestützt wie durch seine Vernetzung in verschiedene heimataffine Kreise in der Region.273 1.3.1.3 Wirkmächtigkeit: Museumsbesuche und politische Konflikte Aus Sicht der verantwortlichen Sozialdemokraten lag das Ziel des Museums darin, die lokale Arbeiterschaft an die neu entstandene Musterstadt als ihre Heimat zu binden und »Heimatliebe« zu befördern. Die Eintrittspreise sollten allen Stadtbewohnern einen Besuch des Museums ermöglichen, das zeitweise in einem Schulgebäude untergebracht war.274 Vor diesem Hintergrund ist es von zentraler Bedeutung, welche Wirkmächtigkeit das Museum in den verschiedenen Adressatenkreisen tatsächlich entfalten konnte. Zwar ist nicht zu rekonstruieren, wie stark das Museum über den gesamten Zeitraum der 1920er Jahre genutzt wurde, verschiedene Quellen können jedoch zumindest punktuell einen Eindruck vermitteln. Zum einen lässt sich mittels des Abgabebuches nachvollziehen, welche gesellschaftlichen Gruppen Söhnels Aufruf nachkamen, museale Ausstellungsgegenstände abzugeben. Im Gründungsjahr reichten 116 Personen teilweise mehrere Gegenstände ein, im Jahr 1927 galt Gleiches für 94 Personen.275 Es spricht dabei für den milieuübergreifend akzeptierten Charakter des Museums, dass der Freiherr von Burgk ebenso zu den Spendern gehörte wie Freitaler Fabrikbesitzer und Handwerksmeister oder überzeugte sozialdemokratische Stadträte.276 Über die Abgabelisten hinaus erteilt das Tagebuch eingeschränkte Auskunft über die Nutzung des Museums – zumindest für die Jahre 1924 bis 1926 sind die Besucherzahlen ausgewählter Tage verzeichnet.277 An der offiziellen Eröffnung des Museums am 25.12.1925 nahmen 21  Erwachsene und 6  Kinder teil, unter den Ehrengästen befanden sich prominente Sozialdemokraten, u. a. der Kommunalpolitiker Ernst Völkel, der Teil des rechten Parteiflügels war,278 und seine Ehefrau.279 Über die Feiertage und zu Beginn des neuen Jahres besuchten weitere 73  Erwachsene und 10  Kinder die neue Ausstellung.280 Wie repräsen273 Vgl. zu den Besuchen der Heimatbewegung im Museum bspw. den Besuch von Cornelius Gurlitt verzeichnet in StSaFr Materialien zum Heimatmuseum, 1924–1934, Tagebuch, Eintrag vom 10.07.1924. 274 Sie beliefen sich auf 20 Pf. für Erwachsene und 10 Pf. für Kinder. Vgl. ebd., Eintrag vom 22.12.1924. 275 Die Zahlen wurden errechnet auf Grundlage von StSaFr Materialien zum Heimatmuseum, 1923–1941, Eingangsbuch. 276 Vgl. ebd. Wie viele Arbeiter tatsächlich zu den Spendern gehörten, ist mittels des Abgabebuchs nicht zu klären. 277 Die Jahre 1927 bis 1933 fehlen in dem Tagebuch, ihr Verbleib ließ sich nicht ermitteln. Darüber hinaus verzeichnete Söhnel die Besucherzahlen nicht durchgängig, weswegen auf keine kontinuierlichen Angaben zurückzugreifen ist. 278 Vgl. zu dieser Einschätzung Walter, »Parteifeinde«, S. 106. 279 Vgl. StSaFr Materialien zum Heimatmuseum, 1924–1934, Tagebuch, Eintrag vom 25.12.1924. 280 Vgl. ebd., S. 10–11. Die Zahlen teilen sich wie folgt auf: 26.12.1924: 27-5, 28.12.1924: 28-4, 01.01.1925: 7-1, 04.01.1925: 11-0.

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tativ diese Zahlen für die folgenden Monaten sind, ist schwierig einzuschätzen. Einerseits könnten die Neueröffnung und die Weihnachtszeit eine erhöhte Besucherzahl nach sich gezogen haben. Andererseits könnte diese in den Folgejahren aufgrund der zunehmenden Bekanntheit des Museums angestiegen sein. Insbesondere drei Besuchergruppen lassen sich durch Söhnels Aufzeichnungen unterscheiden: 1. Kinder, insbesondere Schulklassen, 2. Stadtpolitiker aus Freital sowie 3. Heimatinteressierte Kreise, worunter sowohl Mitglieder bürgerlich dominierter Vereine als auch die sozialistische Naturfreundebewegung fielen. 1927 bezog sich Söhnel in einem Jahresrückblick auf die drei Besuchergruppen und zog eine zwiegespaltene Bilanz: Zwar habe das Heimatmuseum einiges wissenschaftliches Interesse, auch über die Stadtgrenzen hinaus, wecken können,281 insgesamt seien die Besucherzahlen jedoch weiterhin verbesserungswürdig. Enttäuscht war er möglicherweise auch von bürgerlichen Reaktionen.282 Hoffnung setze er hingegen in die Jugend – die als Zukunft der Sozialdemokratie firmierte –, die Interesse an der Sammlung gefunden habe. Daher sei darauf zu hoffen, dass die nächste Generation die »von uns in Angriff genommenen heimatgeschichtlichen Bestrebungen übernimmt und die weitere Entwicklung unseres Heimatmuseums mit Liebe fördert.«283 Für die involvierten Gruppen erfüllte das Heimatmuseum unterschiedliche Zwecke. Während es den Gründungsvätern zuallererst um die Etablierung einer sozialdemokratischen Stadttradition ging, dürfte sich das Interesse der regionalen Heimatbewegung auf dem heimatkundlichen und heimatgeschichtlichen Gebiet bewegt haben;284 Interessen, die auch Söhnel als Sozialdemokrat teilte. Diese vielschichtige Gemengelage schlug sich nicht nur im schwer zu fassenden Charakter des Museums nieder, sondern führte zudem dazu, dass es 1927 selbst zu einem Konfliktthema zwischen bürgerlichen Parteien und verschiedenen Teilen der Arbeiterbewegung wurde. Leider finden sich in den Archiven keine detaillierten Angaben zu den Hintergründen des Konflikts. Daher kann nur auf Darstellungen der Regionalpresse zurückgegriffen werden. Unterschiedliche Zeitungsberichte stimmten darin überein, dass Söhnel sein Amt als Stadtrat niedergelegt habe und sich fortan auf die Leitung des Heimatmuseums konzentrieren werde. Doch die Einschätzung der Gründe wich voneinander ab. Die bürgerliche Zeitung »Glück auf« legte nahe, Söhnel sei bei der Neuwahl des Stadtrats von der »Sozialdemokratischen Partei, der er wohl über 25 Jahre angehört, fallen gelassen worden«, da »er einem Flügel seiner Partei nicht mehr radikal genug gewesen« sei. Die erneute Ernennung zum Kustos des Heimatmuseums sei Wedderkopf zu verdan281 Hier sind wohl insbesondere die Personen aus der Heimatbewegung gemeint. 282 Vgl. diesbezüglich auch N. N., Heimatschutz und Arbeiterschaft, S. 5. 283 N. N., Er bleibt uns erhalten. Der Artikel findet sich auf der ersten Seite des Museums-Tagebuchs eingeklebt. Es ist unklar, wer den Artikel zu welchem Zeitpunkt in das Buch eingeklebt hat. 284 Einschätzungen der Heimatbewegung sind in der Sammlung zum Freitaler Heimatmuseum nur indirekt über das Tagebuch überliefert.

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ken gewesen, der versucht habe, einen Kompromiss zu finden.285 Dagegen argumentierte die »Freitaler Volkszeitung« (FVZ) in einem fast zeitgleich publizierten Artikel mit dem Titel »Eine Ehrung Söhnels«, dass dessen Engagement für das Heimatmuseum wesentlich zur städtischen Traditionsbildung beigetragen habe und in der Partei hochgeschätzt sei. Söhnel sei es in kurzer Zeit gelungen, einen Ort zu schaffen, aus dem die späteren Geschlechter und besonders die heranwachsenden Generationen Liebe und Verständnis für ihre engere Heimat schöpfen können. Eine Stätte, die wie wenig andere geeignet ist, das Werden und die Bedeutung unsrer Heimatstadt aufzuzeigen.286

Während sich in dem Artikel keine Thematisierung eines innersozialdemokratischen Konflikts findet, enthält er eine Spitze gegen die bürgerlichen Parteien: Er wird es mit Humor genießen, daß Stadtgegner, die die Gründung Freitals auf das gehässigste bekämpft haben, ihn wegen seines Wirkens für die Gründung unsrer Stadt loben und preisen, weil sie glauben, auch bei dieser Gelegenheit im trüben fischen zu können. Genosse Söhnel wird das genießen mit dem Verständnis des alten Kämpen und Klassenkämpfers, dem nichts Menschliches – Allzumenschliches fremd ist.287

Welche Darstellung näher an der Wahrheit lag, ist leider nicht aufzuklären. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass Teile des linken Parteiflügels – und insbesondere die stärker werdende KPD – das Museum kritisierten oder ablehnten. Söhnel gehörte zu einem spezifischen Kreis an Sozialdemokraten, der keine Repräsentativität für die gesamte sozialistische Bewegung beanspruchen konnte. Er war nicht nur Repräsentant der in die Jahre gekommenen sozialdemokratischen Kommunalpolitiker, sondern darüber hinaus in besonderem Maße heimatinteressiert. Konflikte, wenngleich anderen Inhalts, zwischen der reformorientierten ›alten Garde‹ und der linken Opposition und Arbeiterjugend beschreibt auch Franz Walter.288 Gleichzeitig spricht ebenfalls viel dafür, dass die bürgerlichen Parteien versuchten, das Heimatmuseum für ihre Zwecke zu vereinnahmen, um politische Konfliktlinien der Stadtpolitik zu überdecken. Wie weite Teile der bürgerlichen Heimatbewegung argumentierten sie, dass sich Heimat – und damit auch das Heimatmuseum – durch einen unpolitischen Charakter auszeichne: »Der Wunsch aller Freitaler geht mit uns einig in der Hoffnung, daß Stadtrat Söhnel als Kustos des Heimatmuseums verschont bleibt von politischen Einflüssen, schließlich handelt es sich hier um ein völlig neutrales Gebiet«.289 Dieses Argument verdeckte, dass Heimat auch im bürgerlichen Verständnis ein zutiefst politisierter Begriff war, der als Chiffre für den Fortbestand einer ebenso nationalistischen wie kapitalistischen Gesellschaftsordnung fungierte. 285 Vgl. N. N., Er bleibt uns erhalten. 286 N. N., Eine Ehrung Söhnels, S. 5. 287 Ebd. 288 Vgl. Walter, Freital, S. 87–92. 289 N. N., Er bleibt uns erhalten.

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Wie die Analyse der Konzeption, Gestaltung und Nutzung des Freitaler Heimatmuseums gezeigt hat, bewegte sich dieses im Spannungsfeld von Kommunal- und Parteipolitik, klassischer Heimatgeschichtsschreibung und einer sozialdemokratischen Erweiterung derselben. Einerseits besaß das Projekt einen anderen politischen Hintergrund und Anspruch als etablierte Heimatmuseen, da es Ziel des Museums war, die Traditionsbildung für eine sozialdemokratisch regierte Arbeiterstadt voranzutreiben. Andererseits flossen in den Museumsräumen, die die Geschichte des Stadtgebiets im Kleinen zu reproduzieren vorgaben, verschiedene klassische Praktiken der musealen Heimatgeschichtsschreibung zusammen, zu denen das Sammeln, Einreichen, Abgeben, Verzeichnen, Dokumentieren, Kartieren, Ausstellen und Ansehen bzw. Rezipieren gehörte. Zwar argumentierten die SPD, die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit diene der Gestaltung von Gegenwart und Zukunft. Dabei handelte es sich jedoch um keine klassenkämpferische Praxis, vielmehr zielte auch die sozialdemokratische Heimatgeschichtsschreibung auf Einheitsstiftung und Traditionsbildung. Gleichzeitig ergab sich aufgrund der Besonderheit Freitals trotz der ähnlichen Praxis eine spezifische Verbindung von Heimatgeschichtsschreibung, Sozialpolitik und Zukunftsanspruch, da das eigentliche Versprechen der Stadt auf eine sozialistische Heimat noch in der Zukunft lag. Die sozialdemokratische Heimat-Praxis bewegte sich in Freital demnach im Spannungsfeld des Anspruchs, Heimat einerseits zu bewahren und andererseits neu zu schaffen. Vor diesem Hintergrund amalgamierten in dem Freitaler Heimatmuseum nicht nur ein milieuübergreifendes und ein spezifisch sozialistisches Heimat-Verständnis. Aufgrund seines ambivalenten Charakters war es zudem Ausdruck einer widersprüchlichen Entwicklung: Es indizierte zum einen die Annäherung zwischen der bürgerlichen und sozialdemokratischen Heimatgeschichtsschreibung. Zum anderen war umkämpft, wofür es als Ort stand: eine politisierte oder eine entpolitisierte Heimat, eine Heimat wie jede andere oder eine sozialdemokratische Heimatstadt der Arbeiterschaft. In ähnlicher Weise wie in dem Stadtwappen verknüpfte der sozialdemokratische Heimat-Bezug einen engeren, klassischen Heimat-Begriff,290 der sich auf die Erforschung von Heimatgeschichte und Naturkunde fokussierte, mit einem weiteren Heimat-Begriff, der sich auf das sozialistisch konnotierte Projekt »Freital« bezog. Aufgrund der Spezifik Freitals stellte die Museumsgründung im »Tal der Arbeit« einen gewissen Sonderfall dar, der gleichwohl dazu geeignet ist, die bisherigen Forschungsergebnisse zu Heimatmuseen in ein neues Licht zu stellen. Denn Freital kann als Brennglas fungieren, um herauszuarbeiten, dass sich die Sozialdemokratie an der Etablierung und Gestaltung von Heimatmuseen beteiligte, wenn sich ihr vor Ort die Mittel dazu boten. Auch in anderen Fällen lässt sich eine bislang wenig beachtete sozialdemokratische Mitwirkung an Heimatmuseen nachweisen. Exemplarisch sei diesbezüglich auf einige Beispiele verwiesen, die im Rahmen dieser Arbeit nicht näher betrachtet werden können, aber anzu290 Dieser im engeren Sinne verstandene klassische Heimat-Begriff ist nicht zu verwechseln mit dem Quellenbegriff »engere Heimat«, der sich auf den Regionalraum bezog.

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deuten vermögen, dass es sich bei dem Freitaler Museum trotz der Spezifik der Stadt um keinen Einzelfall handelte: Auch in Freitals Nachbargemeinde Wilsdruff wurde bspw. die Einrichtung eines Heimatmuseums vonseiten der sozialdemokratischen Kommunalpolitiker unterstützt.291 In Dresden und Leipzig empfahl die Parteipresse – so die Leipziger und Dresdner »Arbeiterführer« – der Arbeiterschaft einen Besuch der ansässigen Heimatmuseen, was eine prinzipielle Ablehnung solcher Einrichtungen ausschließt.292 Ähnlich verhielt es sich im Falle des Ludwigshafener Heimatmuseums, das in der SPD-Regionalpresse zustimmend besprochen wurde.293 Anders als von Martin Roth oder Adina Lieske angenommen,294 stand die SPD Heimatmuseen demnach teilweise durchaus offen gegenüber. Dadurch verändert sich auch die geschichtswissenschaftliche Einschätzung der Funktion der Museen. Diese hat die Forschung bislang insbesondere als rückwärtsgewandte Orte beschrieben, denen es darum ging, eine idealisierte Form der Heimat zu bewahren. Demgegenüber verdeutlicht das Freitaler Museum, dass die Praxis des Bewahrens in der Weimarer Republik von sozialdemokratischer Seite dazu genutzt wurde, ein verändertes, demokratisches Verständnis lokaler und regionaler Zugehörigkeit zu etablieren. Zugleich ging es auch der SPD dabei weniger um Kritik als um Identitätsstiftung. Dies gilt auch für andere Museen, wie das Wuppertaler Heimatmuseum, in dem ein Engels-Zimmer die lokale Traditionsbildung im sozialdemokratischen Sinne beeinflussen sollte. Dazu korrespondierte die regionale SPD unter anderem mit Eduard Bernstein, der Engels’ literarischen Nachlass verwaltete.295 Darüber hinaus finden sich auch im »Vorwärts« einige positive Berichte zu Heimatmuseen.296 Letzteres spricht, wie auch Bernsteins Beteiligung an der Einrichtung des Engels-Zimmers, für eine zumindest partielle Affirmation von Heimatmuseen im republikweiten sozialdemokratischen Diskurs. 1.3.2 Aneignung des pfälzischen Heimat-Raums durch politische Praxis: Die Naturfreundehäuser Der TVdN sprach Naturerkenntnis und Erholung in der Natur eine wichtige Rolle im Klassenkampf zu. Zentrale Bezugspunkte des dazu entworfenen ›sozialen Wanderns‹ waren zum einen die Auseinandersetzung mit der politischen und sozialen Verfasstheit der durchquerten Räume, den Arbeitsverhältnissen und lokalen Auswirkungen des Kapitalismus, zum anderen die bei den gemeinsamen Wanderungen gemachten Solidaritätserfahrungen. Umstritten blieb dabei die Frage der Gewichtung zwischen politischer Praxis einerseits, Kultur- und Bil291 Vgl. Stadt Wilsdruff, S. 1–17. 292 Vgl. etwa den Anzeigenteil in N. N., Arbeiterführer für die Stadt Leipzig 1925. 293 Vgl. Baumann, Pfälzer Erinnerungen an Robert Blum, S. 62–63. 294 Vgl. Roth, S. 25–26; Lieske, S. 295–296. 295 Vgl. N. N., Engels-Zimmer. Die Korrespondenz mit Bernstein findet sich in dem Artikel abgedruckt. 296 N. N., Heimatmuseen, S. 7.

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dungsarbeit andererseits. Ebenso wie der Wandergruß »Berg frei« richtete sich das ›soziale Wandern‹ gegen die bislang erfahrene Exklusion der Arbeiterschaft aus der bürgerlichen Wanderpraxis und beanspruchte ein Recht auf Naturzugang. In Reaktion auf ihren Ausschluss bauten die Naturfreunde eigene Unterkünfte. Die Naturfreundehäuser bildeten eine wichtige Voraussetzung, um die Vereinspraxis umsetzen zu können. Sie waren ein zweiter zentraler Ort sozialdemokratischer Heimat-Praxis und Heimat-Kulturpolitik und sollten – dem Doppelverständnis des TVdN als Wander- und Bildungsorganisation entsprechend  – als günstige Unterkünfte bei Wanderungen und als Veranstaltungsorte dienen.297 Nachfolgend wird dargestellt, inwiefern sie sich als sozialistische Aneignung des Pfälzer Heimat-Raums verstehen lassen. 1.3.2.1 Die Naturfreundehäuser als solidarische Heimat-Orte In Reaktion auf den exklusiven Charakter bürgerlicher Wanderunterkünfte hatten zahlreiche TVdN-Ortsgruppen bereits in den 1910er Jahren damit begonnen, die Einrichtung von Naturfreundehäusern zu planen, diese Bemühungen jedoch vielerorts infolge des Ersten Weltkriegs eingestellt. Erst in der Weimarer Republik begann die eigentliche Hochphase der Hausgründungen, in der Regel außerhalb der Städte in der Natur. Begünstigt wurde diese Entwicklung insbesondere von zwei Faktoren, die das Resultat vergangener politischer Auseinandersetzungen darstellten: Zum einen erhöhte sich die Mitgliederzahl und damit das Vereinsvermögen Anfang der 1920er Jahre rasant. Wulf Erdmann nennt Mitgliederzahlen von knapp 12.000 um 1918 und mehr als 100.000 1923.298 John A. Williams aktuellere Publikation führt für 1919 20.753 und für 1923 116.124 Mitglieder an, was nahezu einer Verzehnfachung entspricht.299 Der Mitgliederzuwachs lässt sich nicht zuletzt auf sozialpolitische Errungenschaften zurückführen. Durch die Einführung des Acht-Stunden-Tags verfügten Arbeiterinnen und Arbeiter über deutlich mehr freie Zeit.300 Zum anderen erhöhte die Regierungsbeteiligung der SPD auf Reichs- und Landesebene, aber auch ihr zunehmender Einfluss in der Kommunalpolitik die Möglichkeiten staatlicher und kommunaler Unterstützung des Hausbaus.301 Diese beiden Entwicklungen trugen maßgeblich dazu bei, dass die Arbeiterbewegung überhaupt über die finanziellen Mittel verfügte, die Häuser zu gründen und zu unterhalten. Auch in den Analyseregionen erfolgten in der Weimarer Republik zahlreiche Neugründungen.302 Am Beispiel der Pfalz wird in der Folge der gesellschaftspolitische Hintergrund und die Nutzungspraxis der Häuser dargestellt. Im Zentrum 297 Vgl. zum ›sozialen Wandern‹ u. a. Williams, Turning to nature in Germany, S. 70, 83–85; zu den Häusern ebd., S. 74–75. Definitionen des ›sozialen Wanderns‹ finden sich in den Analyse­ regionen u. a. bei Goll, Soziales Wandern, S. 4; Schreck, S. 3. 298 Vgl. Erdmann, Mit dem Wandern, S. 15. 299 Vgl. Williams, Turning to nature in Germany, S. 74. 300 Vgl. Erdmann, Mit dem Wandern. 301 Vgl. Williams, Turning to nature in Germany, S. 75; Coblenz, S. 109–111. 302 Vgl. zu Sachsen Schindler, Pulverhäuser.

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steht das erste pfälzische Naturfreundehaus, das die Ortsgruppe Ludwigshafen in Elmstein am 15.05.1921 nach mehrjähriger Planung einweihte. Über die Entstehungsbedingungen des Hauses berichtete Paul Selbach, Obmann der Ludwigshafener Ortsgruppe, in der internationalen Vereinszeitschrift »Der Naturfreund«: Er betonte den langen Planungsprozess, der im Juli 1919 begonnen und aufgrund der prekären finanziellen Ausgangslage des Vereins mehrere Jahre in Anspruch genommen habe. Zudem stellte Selbach heraus, dass das Haus in Elmstein nur durch einen gemeinsamen Kraftakt der Arbeiterbewegung habe erworben und baulich erweitert werden können, sodass es nun bis zu 500 Personen beherbergen könne. In diesem Zusammenhang betonte er die Opferbereitschaft der Vereinsmitglieder sowie die finanzielle Beteiligung der örtlichen Gewerkschaftsbewegung und der Arbeitersportvereine.303 Darüber hinaus führte Selbach bemerkenswerterweise jedoch noch eine weitere, weniger naheliegende Finanzierungsquelle an, ohne deren Hintergrund auszuführen: den »Hilfsfonds für die besetzten Gebiete«, der mit einer Summe von 50.000 Mark maßgeblich zum Hausbau beigetragen habe. Der »Hilfsfonds« war während der Amtszeit des vormaligen bayerischen Ministerpräsidenten und pfälzischen SPD-Manns Johannes Hoffmann als Instrument zur Förderung des pfälzischen Zugehörigkeitsempfindens zur deutschen Nation eingerichtet worden und Theodor von Winterstein unterstellt. Die Finanzierung rückte das Naturfreundehaus in den Kontext staatlich geförderter Heimat-Kulturpolitik, obgleich es in erster Linie von einem Arbeiterverein verantwortet wurde. Selbach verstand den Hausbau als kollektive Errungenschaft der Arbeiterbewegung. Auch die Einweihungsfeier am Pfingstwochenende wertete er allein schon wegen der 4.000 bis 5.000 anwesenden Personen als Erfolg. Nicht nur die Ludwigshafener Arbeiterbewegung habe starke Präsenz gezeigt, auch seien Gäste aus verschiedenen Ortsgruppen, anderen Gauen und selbst aus dem nahegelegenen Frankreich angereist. Unterschiedliche Programmpunkte der Feier betonten den internationalen und solidarischen Charakter des neu geschaffenen Orts: Teil des Programms waren – neben einer Darbietung des Ludwigshafener Arbeitergesangsvereins und einer kurzen Ansprache Selbachs – das Verlesen von Grußtelegrammen und die Festrede des österreichischen Präsidenten des Vereins »Nationalrat Gen. Volkert« aus Wien.304 Daraus lässt sich folgern, dass der Einweihungsfeier eine bedeutende identitätsstiftende Funktion auch über Staatsund Landesgrenzen hinweg zugemessen wurde und sie gegenüber bürgerlichen Parteien das Recht der Arbeiterschaft auf den Heimat-Raum Pfalz zum Ausdruck bringen sowie politische Stärke demonstrieren sollte. Artikel wie derjenige Selbachs stellten keine Ausnahme dar. Sofern möglich publizierten alle Ortsgruppen Berichte von den Einweihungsfeiern oder Fotos der Häuser in der internationalen Vereinspresse, um den Zusammenhalt und fortschreitenden Erfolg des TVdN publizistisch zu untermauern.305 Selbach und die 303 Vgl. Selbach, »Naturfreunde«-Haus, S. 85–86. 304 Vgl. ebd. 305 Dazu gehörten neben der regionalen und überregionalen Vereinspresse u. a. Kalender.

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Ludwigshafener Ortsgruppe benannten die Ziele, die der Verein mit den Hausgründungen verfolgte, zudem in ihrem 1922 erstmals erscheinenden eigenen Mitteilungsblatt »Berg frei«.306 Folgt man Selbachs Argumentation, bildete das Elmsteiner Haus die Voraussetzung, um die Vereinsziele überhaupt erfüllen zu können, die darin bestanden, »den weitesten Arbeiterkreisen die Kenntnis der Naturschönheiten zu vermitteln, ihre Liebe zur Natur zu wecken, sie für Heimat und Naturschutz zu begeistern« und auf diese Weise langfristig »auch den wirtschaftlichen und politischen Zielen der gesamten internationalen Arbeiterschaft« zu dienen.307 Er begründete die Notwendigkeit eigener Häuser damit, dass die Unterkünfte anderer Wandervereine dem Proletariat bis dato aus Kostengründen und bürgerlichem Standesdünkel verschlossen geblieben seien, was auch die oftmals vergebliche Suche eines Veranstaltungsortes beinhaltet habe. Vor diesem gesellschaftspolitischen Hintergrund solle das Elmsteiner Haus zum einen Wanderern aus dem Arbeitermilieu, insbesondere vereinszugehörigen Wandergruppen, zu erschwinglichen Preisen als Übernachtungsunterkunft dienen, zum anderen als Tagungs- und Veranstaltungsort genutzt werden. Bereits dem Hausbau wurde wesentliches Emanzipationspotenzial zugemessen, da er ein Stück Unabhängigkeit bedeutete und gleichzeitig als Ausweis des »selbstgeschaffenen Werks«308 galt. Für die Bewegung fungierten die Naturfreundehäuser im metaphorischen Sinne als sozialistische Heimat-Orte und formulierten einen Anspruch der bislang Exkludierten auf kulturelle und ökonomische Teilhabe an der Pfälzer Natur und Heimat. Diesen Anspruch äußerte Selbach an anderer Stelle noch deutlicher: »Und wie stolz ist der organisierte Naturfreund, wenn er seinen Klassengenossen in eins unserer Häuser führen kann und wenn er ihm dann erklärt: Das ist unser Werk, das haben wir aus eigener Kraft geschafft.«309 Die Naturfreunde konzeptualisierten den Hausbau demnach als Akt der Selbstermächtigung. Trotz der kapitalistischen Ausbeutung habe man aus eigener Kraft den Bau unzähliger Häuser erreicht. Obgleich die Arbeiterschaft ökonomisch benachteiligt werde, da die »Unterdrückten« zwar »die Werte« produzieren, aber ihnen die »Millionenfonds« verschlossen blieben, habe es kollektives und solidarisches Handeln ermöglicht, zum »Großgrundbesitzer« zu werden.310 Diesen Anspruch auch gegen Widerstände durchzusetzen, war das ausgewiesene Ziel des TVdN. So sei der Kampf aufzunehmen gegen jene Richtungen, die der Touristik wie überhaupt jeder kulturellen und bildenden Betätigung der Arbeiterschaft feindlich gegenüberstehen. Es ist verständlich, daß man in gewissen Kreisen die Zeiten zurückwünscht, in denen 306 Vgl. N. N., Geleit, S. 1. Die Geschichte des Pfälzer TVdN wurde noch nicht eingehend monografisch behandelt, sie wird am Rande thematisiert bei Williams, Turning to nature in Germany, S. 106–107. 307 Selbach, »Naturfreunde«-Haus, S. 86. 308 N. N., Geleit, S. 1. 309 Selbach, Naturfreund, S. 1. 310 Ebd.

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der Arbeiter, durch überlange Arbeitszeit an den Betrieb gefesselt, die kärglichen Ruhestunden im Wirtshause verbrachte und so an das Leben wenig Ansprüche stellte.311

Noch 1931 bekräftigte ein Artikel dieses Argument. Der Bau von eigenen Häusern »wurde geboren aus den Nöten der Zeit. Nicht allzulange ist es her, da man noch die Nase darüber rümpfte, ›was da alles wandert‹, und bergsteigende Arbeiter in maßlosem Standesdünkel als Bergkameraden verächtlich ablehnte.«312 Die Naturfreundearbeit habe diese Exklusion beendet. Auch Selbach betonte, dass die niedrigen Übernachtungspreise es der Arbeiterschaft ermöglichten, sowohl weitere Reisen zu unternehmen, was ihnen vormals verwehrt gewesen sei, als auch auf den monatlichen Wanderungen der Ortsgruppen »mit unserer schönen Heimat«313 vertraut zu werden. Dabei vertrat er in einer Art umgekehrter Verelendungstheorie die Ansicht, dass es die Kenntnis der landschaftlichen und kulturellen Schönheiten sei, die die Arbeiterschaft überhaupt für den sozialis­ tischen Kampf gewinnen könne. Ziel des vonseiten der Naturfreundebewegung verfolgten »praktischen Sozialismus« sei »eine freie Erde für freie Menschen«. Dementsprechend beendete Selbach den Artikel mit dem politischen Wandergruß »Berg frei!«.314 Die Naturfreundehäuser sollten in Abgrenzung von der bürgerlich-kapitalistischen Naturaneignung eine andere, inklusivere Heimat-Praxis des Wanderns und der sozialistischen Heimatkunde ermöglichen und beanspruchten gleichzeitig, das gesamte Verhältnis zur (heimatlichen) Natur zu verändern. Auch der mehrheitssozialdemokratisch ausgerichtete TVdN in der Pfalz grenzte sich immer wieder von bürgerlichen Wanderorganisationen ab: Wir Naturfreunde lieben unsere Heimat, unsere Berge und Wälder mehr als die im kapitalistischen Sinne daran interessierten Kreise. Durch die Erstellung von Naturfreundehäusern und Jugendherbergen haben wir unsere Heimat für den Wanderbetrieb erschlossen und hängen mit unserem Herzblut an der ›eigenen Scholle‹. Dennoch wissen wir aber zwischen Heimatliebe und Patriotismus einen scharfen Unterschied zu ziehen.315

Der Artikel formulierte nicht nur die Idee einer besonderen Verbundenheit zwischen Arbeiterschaft, Natur und Heimat, die auch Karl Renner kurz nach der TVdN-Gründung in Wien zum Ausdruck gebracht hatte. Er sprach der bürgerlichen und der sozialistischen Heimat-Praxis zugleich eine konträre gesellschaftspolitische Bedeutung zu. Tatsächlich traf dies jedoch nur teilweise zu: Während sich die sozialistische Naturfreundearbeit theoretisch wesentlich von ihrem bür311 N. N., Geleit, S. 1. 312 A. G. George, S. 1. 313 Selbach, Naturfreund, S. 1. 314 Ebd. 315 Siebert, Volkskunde, S. 2. Der Artikel kritisiert zudem die Ignoranz der bürgerlichen Wanderorganisationen gegenüber der Naturfreundearbeit.

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gerlichen Pendant unterschied, existierten in der Praxis Schnittstellen.316 Auch im Rekurs auf die »Scholle« – oder auf Begriffe wie »Werk«, »Wert« und »Besitz«, die Selbach nutzte – klangen ebensolche Schnittmengen zu bürgerlichen Verständnisweisen des Heimat-Raums an. Angesichts dieses widersprüchlichen Befunds ist eine Analyse der tatsäch­ lichen Naturfreunde-Praxis in Elmstein besonders interessant. Einen Überblick über die dort stattfindenden Veranstaltungen bietet zuallererst die Zeitschrift »Berg frei«. In Übereinstimmung mit dem doppelten Vereinszweck war Elmstein erschwingliche Unterkunft einerseits, Ort der Arbeiterbildung andererseits. Die Praxis bewegte sich zwischen einer zuweilen touristischen Freizeit- und Erholungspraxis und einer klassenkämpferisch konnotierten Arbeiterkulturbewegungspraxis. Wie sich aus den Veranstaltungsankündigungen der verschiedenen Pfälzer Ortsgruppen, die am Ende jeder Ausgabe von »Berg Frei« angeführt wurden, entnehmen lässt, bildete Elmstein oftmals das Ziel von Wanderungen am Wochenende.317 Dabei standen neben den durch Mitglieder geleisteten Aufbau- und Ausbesserungsarbeiten am Haus die Erholung und das gemeinsam verbrachte Wochenende im Zentrum. Dementsprechend wurde eine nachträglich angebaute Familienunterkunft auf den sprechenden Namen »Villa Sorgenfrei« getauft, die nicht zuletzt Arbeiterkindern sorgenfreie Stunden in der Natur ermöglichen sollte – ein Privileg, das die älteren Vereinsmitglieder noch nicht hatten erleben dürfen und dessen Durchsetzung sie sich gerade deshalb auf ihre politischen Fahnen schrieben. Das Naturfreundehaus bildete dabei einen Gegensatz zum städtischen Umfeld Ludwigshafens. Nach einem Unfall bei dem dort ansässigen Chemiekonzern BASF wurden betroffene Kinder in Elmstein einquartiert, um sie vor Gesundheitsschäden zu schützen.318 Als die »Villa Sorgenfrei« 1926 selbst bei einem Brand beschädigt wurde, hieß es zu deren Zweck: »Bedenkt, daß unsere Naturfreundehäuser Meilensteine sind auf dem Wege zum Aufstiege der arbeitenden Menschheit, dann muß das Unmögliche zur Wirklichkeit werden. Darum frisch ans Werk, die Pflicht ruft. Stellt euch auf Arbeitstouren zur Verfügung!«319 Dabei war das mit den Naturfreundehäusern verbundene Aufstiegsversprechen nicht zuletzt ein Bildungsversprechen. Davon zeugten die Bibliotheken der Häuser, die u. a. mit Wanderführern, naturkundlicher und sozialistischer Literatur ausgestattet wurden. In Elmstein organisierten die Naturfreunde zahlreiche Bildungsveranstaltungen, die oftmals beanspruchten, einen neuen, spezifisch sozialistischen Blick auf die Auseinandersetzung mit Heimatkunde, Heimatgeschichte 316 Zimmer unterscheidet diesbezüglich zwischen den »neoromantischen volkstümelnden ›grünen‹ Heimatschützern«, wesentlich vertreten durch die Reichsleitung der Naturfreundebewegung in Franken / Nürnberg, denen »›rote‹ naturkundliche und -wissenschaftliche Aufklärer und Freizeitpolitiker« zuvorderst in den Gauen Mittelrhein-Main, Thüringen, Sachsen, Brandenburg und Niederhessen gegenübergestanden hätten. Vgl. Zimmer, S. 38. 317 Vgl. die Veranstaltungsteile von »Berg frei«, in denen u. a. die Wanderungen abgedruckt wurden. 318 Vgl. Becker, S. 16–17; zu BASF Sanner. 319 N. N., Feuer, S. 7.

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und Regionalkultur zu vermitteln. Zudem wurden die Häuser für große Zusammenkünfte und Wochenendveranstaltungen genutzt, etwa Gaukonferenzen,320 längere Bildungsveranstaltungen, größere Feiern wie die Maifeiern oder Sonnenwendfeiern.321 Dazu trafen Naturfreunde aus verschiedenen Ortsgruppen, mitunter auch aus anderen Teilen Deutschlands und selbst aus dem Ausland zusammen, wodurch den Veranstaltungen eine zentrale Vernetzungsfunktion zukam. Dementsprechend standen bei den Feiern Ideen einer solidarischen ›Gemeinschaft‹ im Mittelpunkt, die durch die gemeinsam vollzogene Praxis gleichzeitig temporär erzeugt und greifbar gemacht werden sollte. Über die großen Bildungsveranstaltungen und Gauversammlungen in Elmstein existieren zum Teil längere Berichte. Beispielhaft herausgegriffen wird an dieser Stelle eine Veranstaltung Anfang der 1930er, die belegt, dass der TVdN in den folgenden zehn Jahren nach der Hausgründung 1921 an seinem Bildungskonzept festhielt: ein Wochenendkurs zur sozialistischen Heimatkunde. Dieser fand vom 15. bis zum 16.11.1931 unter reger Beteiligung statt: Es nahmen »131 Genossen« aus 15  Ortsgruppen teil. Der Großteil der Teilnehmer, 49  Personen, war Teil der Ludwigshafener Ortsgruppe, was neben der räumlichen Nähe mög­ licherweise einem der Hauptredner des Kurses geschuldet war: dem Ludwigshafener Volksschullehrer Hans Loschky, der zum Thema »Aufgabe und Umfang der Heimatkunde« referierte. Loschky entwarf in seinem Referat ein Verständnis von Heimatkunde, das nicht die Orientierung an alten Sitten und Gebräuchen in den Vordergrund stellte. Stattdessen verstand er Heimatkunde als Auseinandersetzung mit den Veränderungen der Moderne und ihren Auswirkungen auf den lokalen und regionalen Heimat-Raum. Die Erfindung von Radio und Flugzeug, die Loschky beispielhaft für die Technisierung der modernen Welt anführte, beeinflusse heute selbst die Arbeit des Bauern in abgelegenen Dörfern, der sich weniger an alten Bauernweisheiten als an der Lektüre der Tageszeitung orientiere. Statt zu versuchen, Vergangenes wiederzuerlangen oder allein zu reproduzieren, verändere sich in der Moderne auch die Konzeption und das Ziel der Heimatkunde: »Heute im Zeitalter des Flugzeuges und Radio besteht die Aufgabe der Heimatkunde nicht darin, alte Sitten und Trachten hervorzuholen. Solche Sachen gehören in das Museum, soweit sie überlebt sind.«322 Laut Loschky wies die Heimatkunde demnach einen starken Gegenwartsbezug auf. Die Erforschung der historischen, sozialen und politischen Verfasstheit des Regionalraums setzte die Veranstaltungsbeschreibung dabei in ein Verhältnis zum Internationalismus. So fasste das Fazit die Besonderheit sozialistischer Heimatkunde wie folgt zusammen: »Beherzigen wir die Worte: Von der Heimatkunde zur Weltkunde – vom Heimatmenschen zum Weltbürger. ›Berg frei!‹«323 320 Vgl. N. N., Gaukonferenz S. 3–4. 321 Vgl. bspw. den Veranstaltungsteil von »Berg frei« Jg. 5 (1926), Nr. 3, S. 9, in dem eine »Maifeier auf Elmstein mit Radio-Lautsprecher-Vorführungen« angekündigt wird. 322 N. N., Wochenendkurs, S. 2. 323 Ebd., S. 3.

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Die Gründung der Naturfreundehäuser diente demnach dem Zweck, einen Ort zu schaffen, an dem Arbeiterinnen und Arbeiter kostengünstig übernachten und zusammenkommen, sich mit besonderem Fokus auf die sie umgebende landschaftliche Umgebung bilden und im Vollzug dieser Praxis eine veränderte, solidarische Gemeinschafts- und Kollektiverfahrung machen konnten. Im Verständnis der Arbeiterbewegung bildeten sie zugleich eine Art temporären solidarischen Heimat-Ort politisch Gleichgesinnter in einer kapitalistischen Welt. Wie im Falle Freitals waren mit ihnen zwei Verständnisweisen von Heimat verbunden: Sie ermöglichten die Auseinandersetzung mit einer begrifflich eng, d. h. lokal oder regional gefassten Heimat, die sukzessive zur Herausbildung einer größeren, sozialistischen Heimat führen sollte. Dabei betonten die Naturfreunde das Recht der Arbeiterschaft auf Teilhabe, das sich in den Naturfreundehäusern materialisierte. Gleichzeitig reproduzierte die dort vollzogene Praxis diese Vorstellungen. Heimat-Semantiken und Heimat-Praktiken waren demnach eng aufeinander bezogen. 1.3.2.2 Eine sozialistische Besetzung und Kartierung des Pfälzer Heimat-Raums: Das Netz der Naturfreundehäuser Untersucht man die Naturfreundehäuser als Orte innerhalb des pfälzischen Heimat-Raums, lässt sich ihre Errichtung noch in einer weiteren Hinsicht als sozialistische Heimat-Praxis bzw. Heimat-Kulturpolitik begreifen. Sie materialisierten den politischen Anspruch der Naturfreundebewegung unübersehbar in der Pfälzer Landschaft und besetzten diese so mit sozialistischen Inhalten. Daher kann der Prozess des Häuserbaus als eine sozialistische Markierung und Kartierung des pfälzischen Heimat-Raums verstanden werden, die von derjenigen bürgerlicher Wandergruppen abwich und sie so herausforderte. Sowohl der örtliche TVdN als auch der bürgerlich dominerte Pfälzerwald-Verein bezogen sich auf denselben konkreten Regionalraum, verknüpften ihn jedoch mit konfligierenden Inhalten.324 Auch Jürgen Zimmer hat die Besetzung der imaginierten »Ideallandschaften« der bürgerlichen Jugendbewegung mit Naturfreundehäusern als gezieltes politisches Vorgehen beschrieben.325 In gewissem Sinne war eine solche Markierung der natürlichen Landschaft durch Naturfreundehäuser und Wegweiser die Fortsetzung eines Vorgehens, das sich in den großen Städten, in denen die Arbeiterbewegung politisch stark war, bereits etabliert hatte. So findet sich etwa in »Arbeiterführern« für verschiedene Städte eine vergleichbare politische Markierung und Kartierung des städtischen Raums, die u. a. stadtfremden Arbeiterinnen und Arbeitern eine Orientierungsfunktion bieten sollte.326

324 Bemerkenswerterweise inserierte der Pfälzerwald-Verein trotz politischer Konflikte in der sozialdemokratischen Regionalpresse. Vgl. den Inseratenteil aus der »Pfälzischen Post« zumindest seit 1914. 325 Vgl. Zimmer, S. 42; Linse, Die »freie Natur« als Heimat, S. 70–74. 326 Vgl. bspw. N. N., Arbeiterführer für die Stadt Leipzig 1925.

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Von einem ähnlichen Verständnis zeugen Artikel, die den Prozess des Naturfreundehausbaus als Denkmalsetzungen der Arbeiterbewegung konzeptualisierten. Insbesondere Mitte bis Ende der 1920er Jahre, nachdem der TVdN nicht allein in der Pfalz stetig gewachsen war und bereits weitere Häuser hatte bauen können, bildete sich eine solche Sichtweise retrospektiv heraus. So hieß es bspw. 1928 in einem Rückblick auf die bisherigen Erfolge der Bewegung: »Erinnert sei nur an die Denkmäler des Sozialismus, welche wir errichtet haben in Gestalt von Naturfreundehäusern in der Pfalz. Nicht weniger wie 10 Häuser und Hütten können wir im Gau unser eigen nennen.«327 Dabei verband sich mit der Retrospektive der Appell, die gemeinsame Arbeit fortzusetzen. Das Engagement der Vereinsmitglieder sei weiterhin notwendig, da die »Zahl der Gönner« immer noch gering ausfalle, »wenn es sich um Stätten freier Menschen handelt.«328 Das Netz an Naturfreundehäusern sollte gleichermaßen Mittel und Ausdruck der politischen Ziele des TVdN sein. Auch die Publikationspraxis, die auf die Häuser Bezug nahm, kennzeichnete eine ähnliche parteipolitische Kartierung der Landschaft. So wurden sowohl in der pfälzischen Zeitschrift »Berg frei« als auch in überregionalen Naturfreundepublikationen sowie in der SPD-Parteipresse Fotos und Zeichnungen der wichtigsten Pfälzer Häuser publiziert, um die eigene Stärke zu demonstrieren.329 Oftmals stammten diese Fotografien und Zeichnungen, die die Naturfreundehäuser als Versprechen einer ›Gemeinschaft‹ von Gleichgesinnten abbildeten, aus der Hand bzw. Kamera oder Feder von einfachen Vereinsmitgliedern, die eine solche Auseinandersetzung mit ihrer Umgebung wohl als Akt der Selbstermächtigung wahrnahmen.330 Darüber hinaus wurde das Häuser-Netz in Werbeprospekten für die Naturfreundeunterkünfte und Wanderführern bildlich reproduziert. Dies zeigt bspw. der »Pfalz-Führer«, der 1931 im regionalen Naturfreundeverlag erschien.331 Der Führer bestand aus mehreren Teilen: Wanderkarten, die ein besonderes Augenmerk auf die Verzeichnung der Naturfreundehäuser legten, Artikeln über die Pfälzer Naturfreundebewegung und die Region sowie Beschreibungen und Fotografien einzelner Naturfreundehäuser. Deren Verzeichnung sollte ortsunkundigen oder ungeübten Naturfreunden und ›Arbeiterwanderern‹ zur Orientierung dienen, wofür auch die Ausarbeitung einer 14-tägigen Wanderung spricht, die von einem Naturfreundehaus zum nächsten führte. Gleichzeitig diente die Verzeichnung ebenfalls der Demonstration politischer Stärke über das eigene Milieu hinaus, da die Naturfreunde argumentierten, dass ihre Kartierung der bürgerlichen überlegen sei. Besonders hervorgehoben wurde auch in diesem Zusammenhang, 327 Selbach, Im neuen Gewand, S. 1. Genannt werden an dieser Stelle die Häuser der Ortsgruppen in Annweiler, Edenkoben, Frankenthal, Haßloch, Kaiserslautern, Lambrecht, Ludwigshafen, Neustadt, Niederanerbach, Oggersheim, Oberstein, Pirmasens und Worms. 328 Ebd. 329 Vgl. bspw. den Abdruck von Zeichnungen in »Berg frei« Jg. 8 (1929), Nr. 2; Fotografien finden sich auch in der sozialdemokratischen Pfälzer Heimatbeilage »Bei uns daheim«. 330 Vgl. dazu mit Fokus auf die Fotografie Kapitel 3.3.1.2. 331 Vgl. Selbach, Ein Führer, S. 2.

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dass der Wanderführer durch die Zusammenarbeit verschiedener Untersektionen der örtlichen Bewegung entstanden sei: »Die Photos der einzelnen Häuser wurden von der Gau-Photosektion aufgenommen, während der 14tägige Wanderplan von unserer Wanderberatungsstelle Pfalz TVDN zusammengestellt« wurde.332 In einer Beschreibung wie dieser äußerten sich die miteinander zusammenhängenden Ziele, eine spezifisch sozialistische Kartierung des Pfälzer Heimat-Raums bereitzustellen und diese selbsttätig vornehmen zu können. Dazu müsse die Arbeiterschaft selbst in die Lage versetzt werden, eine veränderte Heimatkunde zu betreiben. Die nächste Nummer von »Berg frei«, in der sich der Wanderplan abgedruckt fand,333 bescheinigte dem Unterfangen vollen Erfolg: sowohl in parteigenössischen Kreisen als auch unter Fachleuten aus dem Führer- und Kartenwesen, mithin ganz unterschiedlichen politisch-sozialen Milieus, sei der Führer positiv rezipiert worden. Der Artikel implizierte dabei ebenfalls eine Spitze gegen die Konkurrenz. Die bürgerliche Presse hält bezüglich einer Kritik etwas zurück, sie entnimmt wohl aus der Broschüre verschiedene Angaben über die einzelnen Häuser hinsichtlich der Unterkunftsmöglichkeiten und dgl., ›vergißt‹ aber vollkommen den Führer der Naturfreunde überhaupt zu erwähnen.334

Die Kritik der bürgerlichen Rezeption indiziert Schnittmengen zwischen der bürgerlichen und der sozialistischen Kartierungspraxis und verdeutlicht gleichzeitig, dass verschiedene Wandervereine neben ausgewiesenen regionalen Sehenswürdigkeiten ganz unterschiedliche räumliche Fixpunkte zur Orientierung in der Landschaft setzten. In der Praxis wiederholte sich demnach das, was bereits mit Blick auf die begriffliche Bezeichnung der Heimat-Räume herausgestellt wurde: Verschiedene politisch-soziale Milieus bezogen sich diskursiv oder praktisch auf denselben Raum, verknüpften damit jedoch divergierende Bedeutungen und verfolgten unterschiedliche (politische) Ziele. Mit Blick auf die überregionale Ebene nahm die parteispezifische Kartierungspraxis noch zu: Auch republikweit und mit Blick auf den internationalen Wanderverkehr vermitteln u. a. Naturfreundekalender einen Eindruck des spezifischen Häusernetzwerks der Bewegung.335 Zumindest der Anspruch, »im gesamten Verbreitungsgebiet der internationalen Naturfreundebewegung« solche Unterkünfte zu schaffen, wurde wiederholt ge-

332 Ebd. 333 Vgl. Siebert, Unser Führer, S. 2. Vgl. zu einer ähnlichen Abbildung im sächsischen »Wanderer« das 6. Heft 1929, S. 49. 334 Ebd. Als weitere Rezeptionseindrücke werden u. a. ein sächsischer Naturfreund, der sich für die Wandererleichterung durch den Führer bedankte und die »Eigentümlichkeiten u. Schönheiten Ihrer Heimat« rühmte, oder die Stellungnahme der »Geographischen Verlagsanstalt und Druckerei Ludwig Ravenstein  A.  G.«, welche die Arbeit der Naturfreunde lobte und auch den erschwinglichen Preis des Führers betonte, genannt. Die Auskunft des sächsischen Naturfreunds belegt die überregionale Zusammenarbeit. 335 Vgl. TVdN, Abreißkalender 1925; TVdN, Abreißkalender 1926.

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äußert.336 Mit diesem Solidaritätsnetzwerk und der dahinterstehenden Praxis verband sich gleichzeitig eine politische Projektion auf die Landschaft: Dass die globale Heimat allen Menschen gehören solle, eine freie Erde für freie Menschen werden könne. Gerade in Konflikten zeigte sich das unterschiedliche Verständnis, wenn den teilweise militarisierten Naturvorstellungen der bürgerlichen Gegenseite die eigene friedliche Naturkonzeption entgegengesetzt wurde. Die Dresdner Naturfreunde etwa widmeten vormals militärisch genutzte Pulverhäuser in Naturfreundehäuser um und brachten ihre anti-militaristische Haltung so durch ihre Praxis für alle sichtbar in der Landschaft zum Ausdruck.337 Mit Blick auf die Pfälzer Naturfreunde zeigt sich bei genauerem Hinsehen ein ambivalentes Bild. Neben dem spezifisch sozialistischen existierte auch ein milieuübergreifender Bezug auf den Pfälzer Heimat-Raum. Diese doppelte Markierung lässt sich anhand des Zeitschriftenkopfes von »Berg frei« verdeutlichen. Auf der linken Seite war das Naturfreundehaus Elmstein, auf der rechten Seite eine der ältesten und prestigeträchtigsten Burgruinen der Pfalz abgebildet, die Madenburg bei Eschbach. Durch den Erwerb von Schlossrechten war der Naturfreundegau Pfalz Anfang der 1920er Jahre Miteigentümerin der Ruine geworden.338 Neben dem Madenburg-Verein, anderen Pfälzer Wandervereinen wie dem PfälzerwaldVerein und einigen Privatleuten hatte sich der TVdN durch den Erwerb der Rechte als wesentlicher Akteur und gleichberechtigter Partner im Wander- und Heimatvereinswesen der Pfalz profiliert und positioniert, wie das Mitteilungsblatt nicht ohne Stolz zu berichten wusste: Durch den Erwerb der Schloßrechte wollen wir einer evtl. späteren Abschließung der Burgreste Einhalt bieten und sie der Oeffentlichkeit erhalten. Manchen Spießer wird es wohl mit Wehmut erfassen, daß auch wir Proletarier uns auf der Burg breit machen und in Vorahnung kommender Dinge Besitz ergriffen haben, aber wie so oftmals im Leben, wird man sich auch hier hineinfinden müssen. Wir wollen unseren Besitz in Ehren halten zum Wohle aller naturliebenden Menschen.339

Insbesondere ging es den Naturfreunden mit dem Erwerb der Rechte demnach um die Garantie eines freien Zugangs zu den Natur- und Kulturschätzen des Pfälzerwalds. Hatten die ›Arbeiterwanderer‹ in der Vergangenheit oftmals erfahren müssen, dass ihnen ein Naturzugang aufgrund des Privatbesitzes an großen Teilen der Natur verwehrt geblieben war, schloss der Erwerb der Rechte an die vor dem Ersten Weltkrieg geführte politische Auseinandersetzung um ein freies Wegerecht an, die ihren Ausdruck u. a. in der Kampagne »Der freie Weg« gefunden hatte und auch dem Wandergruß »Berg frei« zugrunde lag.340 Zumal – hierauf verwies der Rekurs auf den »Besitz« – die Naturfreunde davon ausgingen, auf diese Weise ihre 336 A. G. George, S. 2. 337 Vgl. Schindler, Pulverhäuser. 338 Vgl. zum Zeitschriftenkopf 1.2.2. 339 N. N., Die Madenburg, S. 2. 340 Vgl. zu der Kampagne Zimmer, S. 40.

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ursprüngliche Verbundenheit mit der Natur, die das kapitalistische Bürgertum unrechtmäßig zerschnitten habe, wiederherzustellen. Vor diesem Hintergrund lässt sich argumentieren, dass es den Naturfreunden sowohl mit dem Bau ihrer Häuser als auch mit der Beteiligung an der Madenburg darum ging, den proletarischen Anspruch auf Teilhabe an der Pfälzer Heimat auf doppelte Weise geltend zu machen: Zum einen mit der Etablierung sozialistisch konnotierter Orte, zum anderen mit der sozialistischen Besetzung parteiübergreifender Orte, zu denen neben der Madenburg auch das Hambacher Schloss zählte. Das Naturfreundehause Elmstein versprach, im übertragenen Sinne einen Heimatort für die Arbeiter zu schaffen, der Besitz an der Madenburg, die Pfalz als Heimat aller ihrer Bewohner auszuweisen. Diese Praxis lief darauf hinaus, die These des proletarischen Besitzes an der ›Heimat Welt‹ für alle sichtbar und mit Bezug auf die pfälzische Landschaft materiell zu untermauern. Gleichzeitig kündigte sich in diesem Vorgehen der Wunsch nach Anerkennung und einer klassenübergreifenden ›Gemeinschaft‹ an, die in Gegensatz zur selbst gewählten ›Solidargemeinschaft‹ der Gleichgesinnten stand. Letztlich waren mit der Praxis der Naturfreunde folglich zwei Formen von Zugehörigkeit verbunden. Aus der Rückschau macht diese Verquickung von sozialistischen und parteiübergreifenden Kartierungspraktiken und Zugehörigkeitsvorstellungen die Pfalz als gleichermaßen umkämpften und geteilten Heimat-Raum sichtbar. 1.3.3 Die Generierung sozialistischer Naturerkenntnis und Heimatkunde: Die Naturfreundeausstellungen Im Verständnis des TVdN waren die Natur- und Heimat-Räume sowohl Räume der Durchwanderung als auch Räume der Erkenntnis und der politischen Gestaltung. Der Verein maß Bildung eine zentrale Rolle in der Herausbildung des proletarischen Klassenbewusstseins, damit letztlich im Klassenkampf zu. Daher war es von zentraler Bedeutung, eigene Formen des Natur- und Heimat-Erkenntnis zu entwickeln, zu denen das ›soziale Wandern‹ gehörte, das einen sozialkritischen Blick auf die durchwanderten Heimat-Räume implizierte. Die durchquerten Räume sollten auf diese Weise u. a. fotografisch eingefangen und die gewonnenen Erkenntnisse an die Arbeiterschaft weitergegeben werden. Um das bei gemeinsamen Wanderungen gewonnene Heimat-Wissen zu vermitteln, erarbeiteten die Naturfreunde Ausstellungen. Die damit verbundene Ausstellungspraxis steht nachfolgend im Fokus des Interesses. 1.3.3.1 Die Zentralisierung sozialistischen Heimat-Wissens Insbesondere ab Mitte der 1920er Jahre existierten sowohl im lokalen und regionalen als auch im republikweiten Raum TVdN-Ausstellungsprojekte, die die bei Wanderungen gesammelten, sozialistischen Heimat-Erkenntnisse zugänglich machen sollten. Im Gegensatz zu kommunalen Heimatmuseen wie in Freital, standen die Naturfreundeausstellungen explizit im Kontext sozialistischer Kul133

turpolitik und wurden oftmals an Orten der Arbeiterbewegung gezeigt. Insofern waren sie keine rein lokalen oder regionalen Projekte, sondern verwiesen auf die internationale Auseinandersetzung der Bewegung mit Fragen der sozialistischen Heimat-Praxis. In einem Artikel aus dem »Vorwärts« vom 15.08.1928 heißt es: »An Ausstellungen waren im letzten Jahre etwa 150 größerer Art zu verzeichnen, darunter die sehr wertvolle ›Unsere Heimat‹ in Karlsruhe.«341 Daneben zählten Ausstellungen der Reichsleitung wie etwa »Heimat und Wandern« von 1928 in der Städtischen Kunsthalle in Nürnberg oder »Unsere Heimat« von 1932, die als Wanderausstellungen dem Prinzip des ›wandernden Wissens‹ folgten, zwei Ausstellungen im Rheinland von 1929 im Kölner Volkshaus und in Düsseldorf sowie die später näher zu behandelnde Ausstellung »Rheinische Heimat« von 1927 auf der Darmstädter Mathildenhöhe in den Räumen der Künstlerkolonie zu den bedeutendsten Naturfreundeausstellungen.342 Vieles spricht dafür, dass in der Ausstellungsplanung spätestens ab Mitte der 1920er Jahre Zentralisierungs- und Professionalisierungsbemühungen einsetzten. Bereits ab Beginn der 1920er Jahre schlossen sich Natur- und Heimatkundesektion auf Ortsgruppen- und Gauebene zusammen, die die Ausstellungen häufig verantworteten.343 1926 fand die erste »Reichstagung für Natur- und Heimatkunde« in Hannover statt, auf der die »Reichsarbeitsgemeinschaft für Natur und Volkskunde« des TVdN gegründet wurde.344 Der Naturfreundeausstellung im Rahmen der Frankfurter Arbeiterolympiade kam ein ähnlich vernetzender Charakter zu. Sie wurde nicht nur überregional breit rezipiert. Im Zuge dieser Ausstellung kam es des Weiteren zu einer Art ungeplanten Zentralisierung. Sie basierte auf lokalen und regionalen Sammlungen, die verschiedene Gaue und Ortsgruppen zuvor separat voneinander erstellt und gelagert hatten.345 Die Ausstellung bildete demnach den bereits bestehenden Wissensaustausch zwischen den verschiedenen Ortsgruppen und Gauen ab und intensivierte ihn gleichzeitig. Demensprechend breit fiel die Ausstellung im Rahmen der Arbeiterolympiade aus. Sie umfasste die folgenden sieben Abteilungen: 1. Organisation des TVdN, 2. Die deutschen Naturfreundehäuser, 3. Die deutschen Wandergebiete, 4. Bilder der Photosektion, 5. »Was geben die Naturwissenschaften dem Naturfreund?«, 6. Kulturgeschichtliches und 7. Alpinismus, Berg und Wintersport.346 Die Ausstellung stellte demnach in den ersten Teilen die Arbeit des TVdN vor, bevor sich der zweite Teil davon ausgehend den bei Wanderungen gewonnenen Natur- und Heimat-Erkenntnissen der ›Arbeiterwanderer‹ widmete. Damit bildete der Ausstellungsaufbau ab, dass es der Arbeiterschaft erst durch ihren kollektiven Zusammenschluss möglich geworden war, die lokalen und regionalen Heimat-Räume zu durchwandern und zu erforschen. Da den Naturfreundehäusern in diesem Pro341 N. N., Aufstieg der Naturfreunde, S. 7. 342 Vgl. zum Überblick Zimmer, S. 47–48. 343 Vgl. ebd., S. 45. 344 Vgl. Linse, Die »freie Natur« als Heimat, S. 73. 345 Vgl. ebd. 346 Vgl. ebd., S. 76.

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zess eine wichtige Rolle zukam, befasste sich die zweite Abteilung mit den bereits gegründeten Naturfreundehäusern in der Republik. Der Kartierungspraxis entsprechend machte dieser Ausstellungsteil das bestehende Naturfreundenetzwerk greifbar. Wie im Falle des Freitaler Heimatmuseums sind leider keine Nahaufnahmen der Ausstellungsräume überliefert. Ein Eindruck lässt sich jedoch durch die Vereinspublizistik gewinnen. Ein Abreißkalender von 1927 etwa bildete die Abteilung »Die deutschen Naturfreundeheime« ab.347 Gleichzeitig ging aus den Ausstellungsgegenständen des Gaues Rheinland, der nach eigener Auskunft maßgeblich für die Ausstellung bei der Arbeiterolympiade in Frankfurt verantwortlich zeichnete, eine Wanderausstellung durch alle Bezirke des Gaus hervor, mithilfe derer das gewonnene und zusammengefasste Wissen gewissermaßen selbst ›auf Wanderschaft‹ ging.348 In deren Folge wurde das erste Heimatmuseum der rheinischen Naturfreunde in der Haaner Heide, einem Naturschutzpark im Bergischen Land, gegründet.349 Dazu schrieb der Gau Rheinland rückblickend: Um die Sammlungen aber zu erhalten und dauernd zugänglich zu machen, entschloß man sich zur Errichtung von natur- und heimatkundlichen Museen. Daß hierbei die Großstädte mit ihren vorhandenen Museen nicht in Frage kamen, war von vornherein klar. Die Ortsgruppe Haan im Bezirk Bergisch-Land hat als erste Gruppe den Plan des Museums durchgeführt.350

Folgt man dem Bericht, wurde das Museum im Mai unter Beisein der örtlichen Naturfreundebewegung und verschiedener Behördenvertreter eingeweiht und verfolgte das Ziel, Funde auszustellen und für die Erhaltung der bedrohten »heimischen Landschaft« einzutreten. Geschaffen wurde, so der Bericht weiter, »ein Kulturwerk, das den Anspruch hat, von allen durchwandernden Naturfreunden besucht und beachtet zu werden.«351 Vergleicht man die Museumsgründung mit derjenigen in Freital fallen trotz des unterschiedlichen Hintergrunds interessanterweise mehrere Ähnlichkeiten zwischen den beiden Heimatmuseen auf: Beide waren in einer Schule untergebracht. Auch die Anwesenheit der lokalen Lehrerschaft bei der Einweihungsfeier spricht dafür, dass die Naturfreunde mit dessen Gründung ein pädagogisches Programm verfolgten. Darüber hinaus sticht eine weitere Gemeinsamkeit hervor, die in dem Zitat implizit benannt wird: Im Gegensatz zu den großen Städten, die von der bürgerlichen Heimatbewegung dominiert wurden, existierten in Freital und Haan noch keine Heimatmuseen, bevor sie von sozialdemokratischer Seite eingerichtet wurden. Aufgrund der bislang fehlenden bürgerlichen Besetzung des Felds tat sich für die Arbeiterbewegung überhaupt eine Gestaltungsmöglichkeit auf. Bereits 1927 war von Naturfreunden an anderer 347 TVdN, Abreißkalender 1927. 348 Vgl. rückblickend N. N., Aufbauarbeit, S. 135–136. Genannt werden an dieser Stelle die Ortsgruppen Essen, Köln, Barmen, Düsseldorf, Düren und Krefeld. 349 Vgl. Linse, Die »freie Natur« als Heimat, S. 73. 350 N. N., Aufbauarbeit, S. 135. 351 Ebd., S. 136.

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Stelle, in Baden, ebenfalls ein Heimatmuseum des TVdN eingerichtet worden, das unter dem Titel »Erstes Arbeitermuseum« figurierte und 1929 als »Ortsmuseum Istein  – Rheinmuseum« Anerkennung durch das badische Kultusministerium fand.352 Die Arbeiterbewegung stieß folglich in bislang bestehende Nischen vor, gründete Heimatmuseen insbesondere in solchen Orten, die noch nicht von bürgerlicher Seite besetzt waren 1.3.3.2 Die »Rheinische Heimat« auf der Darmstädter »Mathildenhöhe« Die Spezifik sozialistischer Ausstellungsgestaltung wird nachfolgend am Beispiel der Ausstellung »Rheinische Heimat« detaillierter erörtert. Diese fand vom 10. bis zum 17.03.1929 auf der bekannten Darmstädter Künstlerkolonie »Mathildenhöhe« statt und kann zu den größeren Ausstellungen gezählt werden. Daher ist davon auszugehen, dass sie bis in die Hauptanalyseregionen, zumindest bis in die nahegelegene Pfalz, Strahlkraft erzeugte. Aufgrund ihrer vergleichsweise großen Bedeutung ist sie in den Quellen einigermaßen gut zu greifen, was auf zahlreiche kleinere Ausstellungen in den Analyseregionen weniger zutrifft.353 Für den räumlichen Fokus des Kapitels ist von besonderem Interesse, dass von der Ausstellung zwar keine Detailaufnahmen, aber zumindest Fotografien des Innenraums und Ausstellungspläne existieren, die Aufschluss über die räumliche Anlage geben können. Bereits im Vorfeld verdeutlichten die Verantwortlichen der Darmstädter Ausstellung, dass sie nicht nur eine Ausweitung der Ausstellungsgegenstände an­ visierten, um die Arbeiterschaft als Teil der Heimat sichtbar zu machen. Vielmehr strebten sie darüber hinaus eine aktive Beteiligung von Arbeiterinnen und Arbeitern an der Erforschung und Darstellung des regionalen Heimat-Raums an. Im Anschluss an die vertretene demokratische Heimat-Vorstellung sollte auch die Praxis demokratisch sein, die Arbeiterschaft nicht nur Ausstellungsobjekt sein, sondern ebenfalls Subjekt werden. Dementsprechend publizierte der zuständige Naturfreunde-Gau Mittel-Rhein-Main in seiner Vereinszeitschrift »Luginsland« neben Ausstellungsanzeigen bereits früh einen Aufruf zur Mitarbeit. Dieser richtete sich an die »Photofreunde«, die Fotosektion des Vereins, und forderte sie auf, selbstgeschossene Fotografien einzusenden, um so zum Gelingen der Ausstellung beizutragen. Folgt man der Aufforderung, standen nicht künstlerisch besonders gelungene Fotografien, sondern die Beteiligung einfacher Mitglieder, die Allgemeinverständlichkeit der Darstellung und der Bezug auf die Vereinsarbeit im Zentrum des Ausstellungskonzepts.354 Der Aufruf unterteilte die einzusendenden Fotografien in drei große Themenbereiche: Erstens Fotografien, die die Wanderpraxis der Naturfreunde veranschaulichten und dabei auch die technische Seite des Wanderns und nicht zuletzt Außen- und Innenaufnahmen der Naturfreundehäuser berücksichtigen. Eine zweite Gruppe an Fotografien, die kultur- und naturgeschichtliche Artefakte, etwa 352 Vgl. Coblenz, S. 110; Zimmer, S. 48. 353 Vgl. bspw. in der Pfalz N. N., Naturfreunde-Ausstellung »Heimat und Wandern«, S. 12. 354 Baldamus, S. 12. Vgl. zu der Ausstellung auch Zimmer, S. 47–48.

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geologische Funde, alte Wohn- und Siedlungsformen sowie Denkmäler, abbildeten. Ein dritter Themenbereich zur Entwicklung des eng mit dem Heimat-Begriff verbundenen zeitgenössischen Siedlungswesens und proletarischen Wohnens mit Innen- und Außenaufnahmen. Die Kategorisierung der Fotografien deutet darauf hin, dass sie zentrale Bereiche der Naturfreundepraxis visualisieren und diese als Teil der regionalen Heimat ausweisen sollten. So explizierte der Artikel den titelgebenden Namen »Rheinische Heimat« wie folgt: Der Name Rheinische Heimat ist Ausdruck und Richtung zugleich für die Fülle des Materials, das auf Tischen und an Wänden der großen Säle ausgelegt und aufgehängt ist, das in Reliefs und Modellen gezeigt wird und in Schaukasten verwahrt liegt.355

Die Naturfreundepraxis orientierte sich demnach an dem existierenden regionalen Heimat-Raum und wollte ihn aus sozialistischer Perspektive abbilden. In Übereinstimmung mit zentralen theoretischen Naturfreundetexten lag ein wesentliches Ziel der Ausstellung und der dahinterstehenden Sammlungstätigkeit in der Arbeiterbildung: Diese Rheinische Heimat richtig zu verstehen, in ihr das große Geschehen um Natur und Gesellschaft zu erfassen, darum geht es. Nicht Einzelgebiete sollen unserem Wissen erschlossen werden, sondern ein Ganzes soll uns die Kenntnisse von der Natur und der in ihr lebenden menschlichen Gesellschaft vermitteln, um die wir in der Schule betrogen wurden, die wir aber notwendig gebrauchen in dem Kampf für die Rückgewinnung unserer Rechte. Das ist die tiefere Bedeutung unserer Ausstellung und einzig und allein.356

Es sei kein Zufall, dass die Bourgeoisie die Arbeiter in den Volksschulen davon abhalte, tiefgehende wissenschaftliche Erkenntnisse zu erwerben. Indem der TVdN dies nachhole, die Arbeiterschaft mit Wissen über die Heimat ausstatte und Hilfe zur Selbsthilfe leiste, wappne er sie für den zukünftigen Kampf um ihre Rechte.357 Dementsprechend wurde der Natur- und Heimaterkenntnis im Emanzipationsprozess und Klassenkampf zentrale Bedeutung zugemessen und der an zahlreichen Ausstellungen beteiligte Thüringer Naturfreund Bruno Brause zustimmend zitiert: »Die Wissenschaft dem Volke, denn Wissen ist Macht!«358 Vor diesem Hintergrund betonte die Berichterstattung zur Ausstellung die vortrefflich gelungene Darstellung der »Rheinischen Heimat« und führte dies darauf zurück, dass die Ausstellung von Arbeitern für Arbeiter geschaffen worden sei. So urteilte etwa die Darmstädter SPD-Zeitung, der »Hessische Volksfreund«, unter dem Titel »Der Herzschlag der Heimat«: [D]iese Ausstellung [ist] eine Kulturtat von Menschen der Arbeit wie sie mit größerer Sachkenntnis, emsigerem Fleiße und Streben nach Wissen und Wahrheit wohl kaum 355 N. N., Ausstellung »Rheinische Heimat«, S. 17. 356 Ebd. 357 Mit diesen Rechten war auch der Besitz der Arbeiterschaft an Heimat gemeint, wie ihn Renner beschrieben hatte. Vgl. Renner. 358 N. N., Ausstellung »Rheinische Heimat«, S. 17–18.

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vom berufenen Wissenschaftler geleistet werden könnte. […] Der Herzschlag der Heimat bebt durch die Räume und Liebe zur Heimatnatur leuchtet aus der fleißigen und mühevollen Arbeit, die die Naturfreunde mit dieser Prachtleistung verbindet.359

In dem Artikel klang nicht nur ein wissenschaftskritischer Impetus an. Er argumentierte zudem, dass die Ausstellung unabhängig von ihren Inhalten einen Wert an sich darstelle, da sie von Arbeitern geschaffen worden sei. Dieses Vorgehen spiegelte den Anspruch, den die Naturfreunde auch andernorts mit der Erforschung regionaler Heimat-Räume verknüpften. Die Ausstellungen sollten nicht allein für das Proletariat konzipiert werden, sondern von Arbeitern selbst gestaltet werden, diese zum Subjekt der Heimat-Kulturpolitik gemacht werden. Mit großem Stolz wurde wiederholt berichtet, dass die Ausstellungsgegenstände von der Arbeiterschaft bei den gemeinsam unternommenen Wanderungen selbst zusammengetragen worden seien.360 In Abgrenzung zu den zumeist bürgerlich geführten Heimatmuseen sprach die Ausstellungsbesprechung davon, dass es sich bei der zunächst temporären Naturfreundesammlung um ein »Heimatmuseum im wahrsten Sinne« handele. Die Umsetzung zeige, dass »der Mensch der Arbeit […] der treueste Sohn der Heimat ist«.361 Die Besprechung in der »Frankfurter Volksstimme« betonte die vielen Arbeitsstunden, die hinter der Naturfreundepraxis steckten. Nicht allein die Naturfreundehäuser seien in unzähligen Stunden gemeinschaftlicher Arbeit aufgebaut worden, gleiches gelte auch für manche der Ausstellungsgegenstände. Bspw. habe die Erstellung eines Reliefs der Provinz Starkenburg 2500 Arbeitsstunden in Anspruch genommen. Einen besonderen Fokus legte der Artikel dabei auf die spezifische Herangehensweise der Arbeiterschaft an den Natur- und Heimat-Raum: Aber es wären keine Arbeiterwanderer, die diese Ausstellung schufen, wenn sie nicht auch die Wechselbeziehungen zwischen Natur und Arbeit zum Ausdruck bringen wollten. Deshalb ist in einer kleinen, aber interessanten Abteilung gezeigt, wie wertvolle Steine in der Stein- und in der Schmuckstein-Industrie verarbeitet werden.362

Die sozialistische Heimatkunde beinhaltete in vielen Fällen eine Auseinandersetzung mit Arbeit. Wie im Falle des Freitaler Bergmannszimmers stellt sich jedoch die Frage, wie spezifisch die Darstellung derselben ausfiel: Rekurrierte sie in volkskundlicher Manier auf ›typische‹ Arbeitsformen einer Gegend und legte einen besonderen Fokus auf verloren gegangene bäuerliche Lebens- und Arbeitsformen, das Zunftwesen und Handwerk, wie sie auch in bürgerlichen Heimatmuseen zu finden waren? Oder thematisierte die Darstellung in klassenkämp359 N. N., Rheinische Heimat, S. 29. 360 Vgl. zu diesem Argument exemplarisch Langensiepen, S. 13. In ähnlicher Weise argumentierten auch andere »Arbeiterausstellungen«, etwa die 1902 in Prag veranstaltete »Arbeiterausstellung« / »Workers’ Exhibition«. Vgl. Beneš, S. 97–98. 361 N. N., Rheinische Heimat, S. 29. 362 Ebd., S. 31.

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ferischem Stil insbesondere die Schattenseiten der Lohnarbeit, die Ausbeutung der Arbeiter als ›Arbeitskraftbehälter‹ und griff Formen des Arbeitskampfes und Streiks auf? Da von dem Teil der Ausstellung keine Nahaufnahmen existieren, lässt sich diese Frage für die »Rheinische Heimat« nicht mit Sicherheit beantworten. Eine kurze Beschreibung der Fotos verschiedener »Kunsthandwerke« legt jedoch nahe, dass sie ähnlich vorging wie die Ausstellung »Heimat und Wandern« der reformistischen Münchner Naturfreunde. John A. Williams hat diesbezüglich konstatiert, dass moderate Gruppen »often found it easy to focus on everyday work processes in lieu of a critique of capitalist exploitation.«363 Die Münchner Ausstellung habe einen Weberraum und Bilder anderer regionaler Handwerke enthalten, wohingegen sie die kritische Diskussion der zeitgenössischen Arbeitsverhältnisse vollständig ausblendete.364 Trotz dieser Schnittmengen zu heimatkundlichen Arbeitsrepräsentationen anderer Milieus grenzten sich die Naturfreunde vehement von diesen ab. Die »Rheinische Heimat« sei »etwas anderes […] als die kitschigen Dekorierungsfeste und Klubversammlungen der bürgerlichen Wandervereine«.365 Doch inwiefern traf dies jenseits des geäußerten Anspruches tatsächlich zu? Einerseits vermitteln die erhalten gebliebenen Aufnahmen der Ausstellung den Eindruck, als unterscheide sich die Herangehensweise und Formgebung des Materials nur gering­ fügig von ihren bürgerlichen Pendants. Andererseits ergibt sich eine kleine, wenn auch wesentliche Verschiebung, wenn man dem Gang durch die Ausstellung folgt. Wie dem Ausstellungplan zu entnehmen ist, bildete jener in gewisser Weise den Emanzipations- und Erkenntnisprozess der Naturfreundebewegung nach (Abb. 10366). So begann die Ausstellung mit einem Raum zum TVdN und den Naturfreundehäusern, die organisationshistorisch die Voraussetzungen für das geschaffen hatten, was in den nächsten Räumen folgte: die proletarische Erforschung und Ausstellung der Kultur-, Sozial- und Naturgeschichte der »Rheinischen Heimat«. Auch das Ende der Ausstellung außerhalb des Gebäudes mit einem Blick auf die Mathildenhöhe stellte keinen Zufall dar. Im Verständnis der Naturfreundebewegung war die Mathildenhöhe die moderne, der Gegenwart angemessene Ausdrucksform der im letzten Raum behandelten »Rheinischen Landschaft«.367 Der Gang durch die Ausstellung symbolisierte mithin die Ziele der Heimat-Kulturarbeit des TVdN. In analoger Weise weitete sich der Blick der Ausstellungsrezensionen auf den Ausstellungsort Darmstadt aus, wo gleichzeitig der Naturfreunde-Gautag stattfand. Die Beschreibung der Stadt legte ihren Fokus auf die lokalen Arbeitsverhältnisse und die Künstlerkolonie, wohingegen sie sich über die

363 Williams, Turning to nature in Germany, S. 209. 364 Ebd. 365 N. N., Rheinische Heimat, S. 32. 366 Vgl. N. N., Ausstellung »Rheinische Heimat«, S. 19. 367 Ebd.

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Abb. 10: »Luginsland. Touristen-Verein ›Die Naturfreunde‹ Gau Mittel-Rhein-Main«, Jg. 1929, Nr. 2, S. 19.368

Tradition  der »alten Geheimräte« mokierte, deren Landschaftswahrnehmung sich noch immer an der vergangenen »abgedankten Dynastie« orientiere.369 Mit Blick auf die Frage der Heimat-Räume bleiben demnach folgende Punkte festzuhalten: 1. Die Ausstellung setzte sich mit dem Heimat-Raum »Rheinische Heimat« auseinander, auf den sich auch bürgerliche Milieus beriefen; 2. Die Fotografien, Ausstellungstafeln und Reliefs vermittelten eine spezifische Deutung dieses Raums, die sich mit dem in Kapitel 1.2 herausgearbeiteten sozialistischen Verständnis von Heimat-Räumen deckte; 3. Dieser Deutungs- und Ausstellungsprozess wiederum beruhte auf einer demokratisierten Praxis der Auseinandersetzung mit der Heimat, an deren Abbildung, Vermessung und Nachbildung die Arbeiterschaft beteiligt werden sollte und war; 4. Durch diese Praxis entstanden neue Räume, wie die Ausstellungsräume. Bei deren Gestaltung wurde – ähnlich wie im Falle des Freitaler Heimatmuseums – erstaunlicherweise kaum darüber nachgedacht, ob eine sozialistische Heimatkunde einer veränderten Ausstellungsform bedürfe. Da eine solche Vernachlässigung der Darstellungsform in offensichtlichem Gegensatz zur Theoriebildung in der Arbeiterkulturbewegung und ihrem oftmals avantgardistischen Kunstverständnis, etwa dem Sprechchortheater,370 stand, ist davon auszugehen, dass die etablierten Ausstellungsformen der Heimatkunde auch innerhalb der Arbeiterbewegung eine solche Selbstverständlichkeit besaßen, dass sie aus diesem Grund schlicht unhinterfragt blieben. Ob368

368 Quelle: Bibliothek im Archiv der sozialen Demokratie der Friedrich-Ebert-Stiftung. 369 Vgl. N. N., Darmstadt, S. 15. 370 Vgl. zum Sprechchortheater zuletzt Hake, S. 222–237.

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gleich sich keine sozialistische Formgebung des mannigfaltigen Materials erkennen lässt, bildeten der Ausstellungsaufbau und die Abfolge der unterschiedlichen Ausstellungsteile den Weg in Richtung sozialistischer Zukunft nach. Sie folgten dem Anspruch der Arbeiterkulturbeweg: Durch Wissen – und, so könnte man im Falle des TVdN ergänzen, gemeinsame Heimat-Praxis – zur Macht.

1.4 Überleitung: Heimat-Räume zwischen Natur und Geschichte Wie lassen sich die Ergebnisse der drei Teilkapitel abschließend bündeln und knapp synthetisieren? Diese Frage stellt sich umso mehr, als die Analyse unterschiedliche räumliche Bezugsrahmen verschiedener Größe berücksichtigte und den Fokus von großen Regional-, National- und Natur-Räumen auf einzelne Orte wie die Naturfreundehäuser verengte. Trotz dieses vielschichtigen Zugriffs lässt sich in allen Beispielfällen ein ähnliches Spannungsfeld wiederfinden: Die sozialistischen Heimat-Räume oszillierten zwischen Natur- und Gesellschafts- bzw. Geschichtsbezügen, die nicht als Gegensätze begriffen, sondern in ein vermitteltes Verhältnis gestellt wurden. Dies zeigte sich bereits im Prozess der HeimatRaum-Konstitution infolge des Ersten Weltkriegs und der Novemberrevolution, in dem die Regional-Räume sowohl territorialer als auch politischer und sozialer Veränderung unterworfen waren. Vor diesem Hintergrund thematisierte die SPD mithilfe des Heimat-Begriffs nicht allein das Verhältnis von Region und Nation, Einzelstaat und Republik, sondern stellte die Frage nach der politischen und sozialen Verfasstheit lokaler, regionaler und nationaler Heimat-Räume ebenso wie die Frage nach deren zukünftiger Gestaltung. Das sozialistische Verständnis von Heimat-Räumen durchzog demnach ein Spannungsfeld zwischen nationalen bzw. raumbezogenen und sozialen Bezügen. Die territoriale Infragestellung der Pfalz war die zentrale politische Konstellation, vor deren Hintergrund Heimat ein milieuübergreifendes Integrationsmoment bildete. In Sachsen hingegen spiegelte der regionale Heimat-Diskurs die besondere Spaltung der sächsischen Arbeiterbewegung und Gesellschaft. Aus der gesellschaftlichen Erfahrung territorialer und politischer Wandelbarkeit folgte, dass Heimat-Räume in der Weimarer Republik weniger als bloß gegebene denn als (intentional) veränderbare wahrgenommen wurden. Mit Blick auf die Arbeiterbewegung führten die skizzierten Prozesse überhaupt erst dazu, dass sich ihr Heimat-Verständnis als Synonym für sichere Lebensverhältnisse zunehmend räumlich konkretisierte, mithin, dass die demokratisierten lokalen, regionalen und nationalen Räume auch von sozialdemokratischer Seite als ­›engere bzw. weitere Heimat‹ bezeichnet wurden. So ist das sich massiv verstärkende sozialdemokratische Interesse an Heimat als einem bereits existierenden Raum in erster Linie auf die veränderte Rolle der Partei in Staat und Gesellschaft zurückzuführen und indizierte gleichzeitig einen zunehmenden Reformismus. Als Regierungspartei zeichnete die SPD nunmehr für die Zukunft der lokal, regional 141

oder national definierten Heimat-Räume verantwortlich, die sie zu einer materiell sicheren Heimat für die Arbeiterschaft zu machen beanspruchte. Die Weimarer Republik, so fasste es zumindest der reformorientiert-pragmatische Teil auf, beendete die zuvor bestehende ›Heimatlosigkeit‹ der Arbeiterschaft und bot nunmehr die Chance politischer Gestaltung von Heimat. Der Gegensatz zwischen Natur und Geschichte kennzeichnete auch die diskursiven Deutungen der Heimat-Räume. Anders als das – idealtypisch verstandene – bürgerliche Begriffsverständnis betonte die Sozialdemokratie die Wandelbarkeit von Heimat-Räumen durch menschliche Arbeit. Ein solcher Betrachtungsschwerpunkt äußerte sich sowohl im Verständnis von Heimat als politisierter Landschaft als auch in der sozialistischen Heimat-Ikonografie. Letztere unterschied sich in wesentlichen Punkten von ihrem bürgerlichen Pendant, das die Forschung bislang Pars pro Toto genommen hat. Ein solches historisierendes Verständnis betraf Bezugsräume unterschiedlicher Größe, Natur-, Regional- und Stadt-Räume gleichermaßen. Es spricht für die Verbreitung der herausgearbeiteten Spezifika, dass die Deutung des Naturraums, des Freitaler Stadtraums und des pfälzischen Regionalraums trotz unterschiedlicher lokaler und regionaler Konstellationen erstaunlich große Ähnlichkeiten aufwiesen. Der spezifische Zugriff der Arbeiterbewegung auf Heimat zeigte sich zudem daran, dass (Groß)Stadt- und Industrieräume überhaupt als Heimat-Räume ausgewiesen wurden. Im Gegensatz zur bürgerlichen Fokussierung auf vermeintlich idyllische Dorf- oder KleinstadtRäume lancierte die Sozialdemokratie ein demokratisiertes Heimat-Verständnis. Nur ein solches, so die Argumentation, entspreche dem gegenwärtigen Stand der gesellschaftlichen Verhältnisse und bilde die existierende Heimat angemessen ab. Während die bürgerliche Ineinssetzung von Nation und Heimat dazu tendierte, historisch entstandene gesellschaftliche Verhältnisse zu naturalisieren, definierte die Sozialdemokratie Heimat wesentlich über die ihr zugrunde liegende Gesellschaftsordnung und historisierte sie auf diese Weise. Auch wenn dies grundsätzlich einer statischen Heimat-Konzeption widersprach, besaß jedoch selbst ihre Historisierung Grenzen. Denn auch im sozialistischen Heimat-Diskurs existierten ebenso unreflektiert wie unhinterfragt bleibende Naturalisierungen. Trotz der Betonung historischen Wandels ging etwa die pfälzische SPD von der grundsätzlichen Existenz einer Heimat Pfalz aus. Nicht nur in Freital rekurrierte die Arbeiterbewegung zudem auf die ›Heimatscholle‹, die den Heimat-Bezug weiter naturalisierte. Zudem tendierten die sozialdemokratischen Heimat-Semantiken insbesondere in der Weimarer Republik zur Idealisierung der demokratisierten Heimat und blendeten die weiterhin existierenden kapitalistischen Arbeits- und Ausbeutungsverhältnisse zunehmend aus. Das den sozialistischen Heimat-Diskurs durchziehende Spannungsfeld von Natur und Geschichte, Gegebenheit und Veränderbarkeit, deutet bereits an, dass Heimat-Semantiken und Praktiken eng aufeinander bezogen waren. Die Arbeiterbewegung konzeptualisierte nicht nur die gegenwärtige Verfasstheit der Heimat-Räume als Resultat vergangener Arbeitsprozesse, sondern beanspruchte, jene zukünftiger Veränderung zu unterziehen. Zu diesem Zweck wurden die existie142

renden Heimat-Räume nicht allein wandernd durchquert, sondern zudem eigene Orte geschaffen, die diese Praxis ermöglichten. Diesbezüglich hat die Arbeit beispielhaft das Freitaler Heimatmuseum, die pfälzischen Naturfreundehäuser sowie die Naturfreundeausstellungen analysiert. Besonders bemerkenswert ist, dass sich die sozialistischen Heimat-Deutungen nicht allein in diesen Orten niederschlugen, sondern dort ebenfalls neu hervorgebracht wurden. Das Freitaler Heimatmuseum fußte nicht nur auf einem spezifischen Verständnis des städtischen Heimat-Raums, sondern reformulierte dieses Verständnis unter Bezug auf die noch in der Zukunft liegende Geschichte der Musterstadt fortwährend neu. Die Naturfreundehäuser entsprachen nicht bloß dem sozialistischen Heimat-Verständnis sicherer sozialer Beziehungen und eines Rechts auf Heimat- und Naturzugang, sie fungierten gleichzeitig als Räume sozialistischer Heimat-Praxis, heimatkundlicher Bildungsveranstaltungen und solidarischer Zugehörigkeitserfahrungen. Demnach waren sie Ausdruck und Resultat vergangener Praxis und ermöglichten wiederum deren zukünftige Fortsetzung und Intensivierung. Alle Beispiele verdeutlichen demnach die enge Verflochtenheit von Heimat-Semantiken und Heimat-Praktiken. Obwohl die Arbeiterbewegung den genannten Orten eine andere Funktion zuschrieb als die Heimatbewegung, zeichnete sich ihre Praxis gleichzeitig durch eine Ambivalenz aus: Sie bewegte sich zwischen der Umdeutung und Kritik bürgerlicher Heimat-Praktiken einerseits, deren unreflektierter Adaption andererseits. Das skizzierte Wechselverhältnis zeigte sich etwa bei der Einrichtung des Freitaler Heimatmuseums, das einem anderen Zweck dienen sollte als bürgerlich dominierte Heimatmuseen, deren Ausstellungsform jedoch übernahm. Auch die Wanderpraxis der Naturfreundebewegung wich in der Theoriebildung von der bürgerlichen ab, ihre Kartierung des Heimat-Raums Pfalz unterschied sich jedoch kaum von etablierten Kartierungsformen. Die involvierten Sozialdemokraten und Naturfreunde plädierten alle dafür, die Arbeiterschaft zum Subjekt und Objekt der Heimat-Kulturpolitik zu machen, um die Heimat-Orte inklusiv zu gestalten. Die Notwendigkeit einer radikal veränderten Form wurde hingegen nicht umfassend reflektiert. Wie im Falle der Raumdeutungen spricht diese unreflektiert bleibende Ähnlichkeit für die Selbstverständlichkeit, die den HeimatSemantiken und Heimat-Praktiken milieuübergreifend zukam. Sozialistische und bürgerliche Heimat-Räume waren demnach teilweise deckungsgleich und wichen zugleich voneinander ab, was die Erfahrungs-, Deutungs- und Handlungsräume gleichermaßen betraf. Je nach räumlicher Abstraktionsebene und spezifischer politischer Konstellation überwog zwischen den beiden Milieus Kooperation oder Konflikt. Abschließend bleibt festzuhalten, dass es der Sozialdemokratie nicht darum ging, bestehende Heimat-Räume per se zu konservieren und vor Veränderung zu schützen. Ein wesentlicher Unterschied zum bürgerlichen Heimat-Verständnis lag folglich in der sozialdemokratischen Betonung der durch politisches Handeln möglichen intentionalen Veränderung derselben. Diese Veränderbarkeit implizierte bereits ein zeitliches Moment, da Heimat zum einen historisch wandelbar 143

gedacht und dieser Wandel unter anderem an Veränderungen in der Landschaft, wie etwa deren Industrialisierung, festgemacht wurde. Zugleich bewegte sich das sozialistische  – wie das bürgerliche  – Heimat-Verständnis in einem Spannungsfeld zwischen der Naturalisierung und der Historisierung gesellschaftlicher Verhältnisse. Im Gegensatz zur bürgerlichen Heimatbewegung war die Sozialdemokratie zwar weit davon entfernt, historische Heimat-Räume allein zu naturalisieren; ein solches Vorgehen hätte der Geschichtskonzeption des Historischen Materialismus auch allzu offensichtlich widersprochen. In theoretischen Texten, etwa denen der Naturfreundebewegung, gingen manche Sozialdemokraten so weit, selbst die Natur revolutionär aufzuladen und damit zu historisieren. Dennoch verhinderte diese Historisierung nicht, dass sich an anderer Stelle ahistorische Vorstellungen einer ›Heimatscholle‹ oder eines ›Heimatbodens‹ äußerten. Vor dem Hintergrund dieses ambivalenten Befunds stellt sich die Frage nach den darüber hinausgehenden Zeitbezügen sowie den Vorstellungen von Geschichte, mit denen sich der sozialistische Heimat-Diskurs verband. Nicht zuletzt beanspruchte die Arbeiterbewegung, die Herkunftsräume der Vergangenheit und Gegenwart langfristig in den Zukunftsraum einer sozialistischen ›Heimat Welt‹ zu überführen.

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2. Zeiten der Heimat Ähnlich wie der analytischen Kategorie Raum wurde auch derjenigen der Zeit in der Analyse von Heimat eine zentrale Rolle zugewiesen. Friedemann Schmoll etwa hat bzgl. der zeitlichen Dimension historischer Heimat-Diskurse festgehalten, dass diese »Fragen der Herkunft (Tradition) mit solchen der Zukunft (Heimat als Utopie eines unentfremdeten Daseins)« verknüpfen.1 Trotz dieser Bedeutung von Zeit- und Geschichtsbezügen für die Untersuchung historischer HeimatKonjunkturen existiert wie im Falle der »Räume der Heimat« auch mit Blick auf die »Zeiten der Heimat« kein theoretisch-methodisches Instrumentarium, auf das an dieser Stelle einfach zurückgegriffen werden könnte. Vielmehr muss ein solches in Auseinandersetzung mit aktuellen geschichtswissenschaftlichen Theoriediskussionen, die sich mit dem Verhältnis von Geschichte und Zeit, historischer Zeitlichkeit und den zeitlichen Implikationen historischer Semantiken und Praktiken befassen, erst entwickelt werden. Dabei erfolgt die Auseinandersetzung mit dem mittlerweile relativ umfangreichen Stand der Diskussionen unter der spezifischen Fragestellung dieser Arbeit. Spätestens seit Reinhart Kosellecks Unterscheidung verschiedener »Zeitschichten«,2 die Lucian Hölscher zuletzt mit der Einführung des Konzepts der »Zeitgärten«3 und Achim Landwehr mit dem Verweis auf die »Pluritemporalität«4 von Geschichte aktualisiert haben, reflektiert die Geschichtswissenschaft auf die Mehrdimensionalität historischer Zeit. Dabei hat die Analyse historischer Zukunftsbezüge zuletzt die größte Aufmerksamkeit erfahren. Dies betrifft sowohl die Erforschung diskursiver Entwürfe »vergangener Zukünfte«5 als auch deren praxeologische Erweiterung, zu der das vonseiten des DFG-Graduiertenkollegs 1919 »Vorsorge, Voraussicht, Vorhersage« geprägte Konzept des »Zukunftshandelns« maßgeblich beigetragen hat.6 Diesbezüglich hat Frank Becker jüngst noch einmal betont, dass die Analyse von Zukunftsvorstellungen »nur ein Teil der historischen Wirklichkeit erfasst. Menschen haben sich nicht nur voraus-denkend, sondern auch voraus-handelnd auf die Zukunft bezogen.«7 Zu analysieren sei da1 Schmoll, Orte und Zeiten, S. 31. 2 Vgl. Koselleck, Zeitschichten. 3 Vgl. Hölscher, Zeitgärten. 4 Vgl. Landwehr, bes. S. 27. 5 Vgl. Koselleck, Vergangene Zukunft; Hölscher, Die Entdeckung; zur Sozialdemokratie Welskopp, Sozialdemokratie programmiert die »neue Zeit«; Berger, Zukunft der Sozialdemokratie. 6 Vgl. zur genaueren Bestimmung des Konzepts des Zukunftshandelns die von Frank Becker, Stefan Brakensiek und Benjamin Scheller herausgegebene Reihe »Kontingenzgeschichten«; darin zuletzt de Boer, Praxisformen. 7 Becker, Die Gegenwart der Geschichte, S. 128.

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her das mehrdimensionale Wechselspiel diskursiver und praktischer Vergangenheits-, Gegenwarts- und Zukunftsbezüge.8 Der von Elke Seefried herausgegebene Band »Politische Zukünfte« hat zuletzt das Verhältnis divergierender politischer Zukunftsvorstellungen unterschiedlicher Parteien und deren Kommunikationsstrategien an (potenzielle) Anhänger in den Blick genommen.9 Ausgehend von diesen theoretisch-methodologischen Überlegungen steht im nachfolgenden zweiten Teil die vielschichtige Verwobenheit von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft im Fokus. Vor diesem Hintergrund verfolgt der Teil »Zeiten der Heimat« drei zentrale Perspektiven. Zunächst wird in Kapitel 1.1 der Frage nach gesellschaftlichen Heimat-Konjunkturen und Thematisierungsschüben nachgegangen. Ausgehend von den Überlegungen in der Einleitung wird hier aus einer Art Vogelperspektive danach gefragt, wann die deutsche Gesellschaft verstärkt über Heimat sprach und was diese Phasen einte. Mit Anselm Döring-Manteuffel und Lutz Raphael werden diese als gesellschaftliche Umbruchphasen bzw. als »Dreh- und Angelpunkte des zeithistorischen Wandels«10 verstanden, die von einer Mehrheit der deutschen Gesellschaft als besonders herausfordernd wahrgenommen wurden. In diesem Zusammenhang thematisiert das Kapitel zudem die Bedeutung der Unterscheidung zwischen Tradition und Moderne, die für Heimat-Diskurse zentral ist. Da die Geschichte der Heimat-Konjunkturen bislang mit Fokus auf bürgerlich-konservative Begriffsverwendungen geschrieben worden ist, liegt der Schwerpunkt des Kapitels abschließend auf der Frage, wie sich der geschichtswissenschaftliche Blick auf gesamtgesellschaftliche Heimat-Konjunkturen durch die Berücksichtigung sozialistischer Verwendungsweisen des Begriffs verändert. Davon ausgehend stehen im zweiten Kapitel sozialistische Heimat-Semantiken im Fokus. Ausgehend von gedrucktem und republikweit rezipiertem Quellenmaterial aus unterschiedlichen thematischen Feldern analysiert dieses Kapitel, auf welche Weise diskursive Heimat-Bezüge Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft miteinander verknüpften. Es rekonstruiert das sozialistische Motiv des ›Weges der Arbeiter in die Moderne‹, das sich vor dem Hintergrund der spezifischen Modernisierungserfahrung der Arbeiterschaft herausbildete. Dieses Motiv knüpfte an die vormodernen rechtlichen, ökonomischen und religiösen Bedeutungsgehalte des Heimat-Begriffs an. Dabei setzte es Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft auf spezifische Weise miteinander in Beziehung und stellte die Abfolge der Zeiten in einen aus sozialdemokratischer Sicht sinnhaften Zusammenhang. Abschließend fokussiert das dritte Kapitel die sozialdemokratische HeimatKulturpolitik im regionalen Raum der Pfalz und Sachsens. Anhand zweier kulturpolitischer Praxisfelder, der Heimatgeschichtsschreibung und der pädagogischen Heimatkunde, werden die Schnittstellen und Spezifika der sozialdemokratischen Heimat-Praxis mit besonderem Fokus auf inhaltliche und funktionale Zeit- und 8 Vgl. ebd. 9 Vgl. Seefried. 10 Vgl. Doering-Manteuffel u. Raphael, S. 109

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Geschichtsbezüge herausgearbeitet. Da der Vollzug dieser Praxis aus Sicht der verantwortlichen Akteure die gesellschaftliche Zukunft beeinflussen sollte, analysiert diese Arbeit sie mit Jan-Hendryk de Boer als »Zukunftshandeln«.11 Dabei ist zwischen verschiedenen Formen des Zukunftshandelns zu unterscheiden, das sich »inhaltlich bei einigen [Formen des Zukunftshandelns] stärker auf Vergangenes, bei anderen in höherem Maße auf Gegenwärtiges oder Zukünftiges [richtet].«12 Zudem orientiert sich die Analyse an Rüdiger Grafs und Benjamin Herzogs Vorschlag zur analytischen Differenzierung verschiedener Modi der Generierung von Zukunftsvorstellungen: Erwartungszukunft, Gestaltungszukunft, Risikozukunft und Erhaltungszukunft.13 Ihre Unterscheidung wird in dieser Arbeit auf die Analyse der sozialdemokratischen Heimat-Praxis bezogen. Das Kapitel analysiert demnach, wie die Sozialdemokratie über diskursive und praktische Konstruktionen der Vergangenheit, Gegenwart oder Zukunft versuchte, eine ihren politischen Zielen entsprechende gesellschaftliche Zukunft herbeizuführen.14

2.1 Konjunkturen einer Idee: Zeiten besonderer Heimat-Emphase im Untersuchungszeitraum 2.1.1 Gesellschaftliche Heimat-Konjunkturen Es ist bemerkenswert und für die oftmals nur schwer zu greifende Geschichte von Heimat womöglich sogar kennzeichnend, dass diese von Beginn an ein Spannungsverhältnis durchzieht: Der vormoderne Heimat-Begriff oszillierte zwischen transzendenten religiösen und immanenten rechtlichen Bedeutungsgehalten. Der theologische Diskurs und das religiöse Alltagsverständnis verorteten Heimat, so zeigen es unter anderem christliche Volkslieder, als utopisches Versprechen im Jenseits: Ach bietet die Welt keine Freistatt uns an, wo die Sünde nicht herrschen, nicht anfechten kann? Nein, nein, hier ist sie nicht; die Heimat der Seele ist droben im Licht. Verlasset die Erde, die Heimat zu sehn, die Heimat der Seele, so herrlich, so schön!15 11 Vgl. de Boer, Praktiken, Praxen, Praxisformen, S. 33. Die Bestimmung de Boers ist in der Einleitung zitiert. 12 Berger u. a., S. 17–18. 13 Vgl. Graf u. Herzog. 14 Vgl. zu diesem Argument unabhängig von Heimat-Bezügen und mit Fokus auf die republik­ weit geführte sozialdemokratische Debatte Strommenger, Neujustierung. 15 So in dem geistlichen Volkslied von Ludwig Joergens, das häufig im Rahmen von Beerdi­gungen gesungen wurde. Zitiert nach Graf von Krockow, S. 56. Ähnlich auch in dem Lied von Paul ­Gerhardt, in dem es heißt: »Meine Heimat ist dort droben«.

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Wie sich dem zitierten Lied entnehmen lässt, schloss die Idee einer zukünftigen Heimat im Jenseits die Suche nach einer versöhnten Heimat in der Gegenwart prinzipiell aus, obgleich – oder gerade weil – der Begriff im Diesseits extreme Ungleichheit ausdrückte. Denn das emotionalisierte religiöse Heimat-Verständnis stand einer deutlich nüchternen rechtlichen und ökonomischen Begriffsverwendung gegenüber, die mit der Exklusion eines Teils der Bevölkerung verbunden war. In letzterem Sinne brachte Heimat zum einen ökonomische Ansprüche zum Ausdruck, da der Begriff den Besitz an ›Haus und Hof‹ bezeichnete. In der Generationenfolge bedeutete dies, dass die Übernahme des elterlichen Hofes durch den ältesten Sohn die weiteren Geschwister gleichsam heimatlos machte.16 Zum anderen drückte Heimat ein Rechtsverhältnis aus. Das Heimatrecht regelte in den meisten deutschen Ländern im 19. Jahrhundert, in Bayern sogar bis 1916, die Vergabe von Bürgerrechten und die Möglichkeit, ein Gewerbe auszuüben, und begründete im Falle von Verarmung einen Versorgungsanspruch in den Gemeinden.17 In dieser Hinsicht bezeichnete Heimat zuallererst einen Rechtsstatus, diente als »terminus technicus zur Bezeichnung eines Aufenthalts- oder Bleiberechts«18 und »verbrieft[e] in diesem Sinne nicht nur emotionale, sondern soziale und wirtschaftliche Sicherheit.«19 Die Garantie sicherer Lebensverhältnisse galt jedoch nur für einen Teil der Gesellschaft, da der Erwerb der Heimat nicht jedem offenstand, sondern an bestimmte Kriterien und Verpflichtungen gegenüber der Gemeinde gebunden war. Wer diese nicht (mehr) erfüllen konnte, lief Gefahr, das Heimatrecht im Falle von Verarmung zu verlieren oder gar nicht erst verliehen zu bekommen, somit der ›Heimatlosigkeit‹ ausgesetzt zu sein. Das »Gesinde, die Tagelöhner, die Besitzlosen« waren ohnehin »von vornherein […] heimatlos«,20 wie Hermann Bausinger als einer der Ersten betont hat. Demnach begründete Heimat für einen Teil der Gesellschaft materielle Sicherheit und fungierte gleichzeitig als Ausschlussprinzip, das für Teile der Gesellschaft mit Exklusionserfahrungen einherging. Was dies konkret bedeuten konnte, lässt sich exemplarisch an der Stadt Ludwigshafen zeigen, in der – wie in der gesamten Pfalz – das bayerische Heimatgesetz von 1868 bis 1916 die Bedingungen festlegte, unter denen das Heimatrecht erworben werden konnte. Voraussetzung waren dort neben der Zugehörigkeit zum männlichen Geschlecht und einem Mindestalter von 25  Jahren entweder die Entrichtung einer Heimatgebühr oder ein zehnjähriger, seit 1896 siebenjäh16 So etwa in dem schwäbischen Sprichwort »Der Älteste kriegt die Heimat«, dessen Hofübernahme für die Geschwister gleichzeitig bedeutete, dass diese »ihrer Heimat zur Leiche gingen«. Zitiert nach ebd., S. 59. 17 Eine Ausnahme bildete Preußen, wo bereits früh das Prinzip des Unterstützungswohnsitzes galt. Vgl. zum Heimatrecht Althammer, Von Pfahlbürgern und Zugvögeln; Oesterhelt, S. 311–344; zur Besonderheit des bayerischen Falls mit Fokus auf Ludwigshafen Breunig, bes. S. 72–82; zu Sachsen Müller u. Steber, S. 650–652. 18 Petri, S. 84. 19 Lipp, S. 160. 20 Bausinger, Auf dem Weg, S. 212.

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riger, ununterbrochener Aufenthalt in der Gemeinde. In diesem Zeitraum musste der Lebensunterhalt durchgängig selbstständig verdient worden sein, was einen Antrag auf Armenunterstützung ausschloss.21 Angesichts des arbeitsbedingten Zwangs zur Mobilität widersprachen diese Anforderungen der Lebensrealität der Arbeiterschaft. Nicht nur die geringen Einkommen, die einer Entrichtung der Heimatgebühr entgegenstanden, verunmöglichten die Erlangung der Bürgerrechte. In ähnlicher Weise exklusiv wirkte der zu führende Nachweis der ununterbrochenen Tätigkeit in der Gemeinde, da die Arbeitsverhältnisse gerade im 19. Jahrhundert nur selten eine solche Stabilität bereithielten.22 In zahlreichen Fällen führte die Verarmung zur Abschiebung in die alte Heimat, die Herkunftsorte, die laut Heimatrecht für die Armenunterstützung zuständig waren, die die Arbeiter und Arbeiterinnen jedoch gerade wegen der prekären Lebens- und Arbeitsverhältnisse verlassen hatten. Um eine Rückführung zu verhindern, verheimlichten sie nicht selten ihre Verarmung. Das staatliche Vorgehen bedeutete folglich eine Einschränkung der Freizügigkeit und fesselte verarmte Personen an ihre Herkunftsgemeinde.23 Hinzu kam, dass die Verleihung des Heimatrechts oftmals durch den Gemeinderat erfolgte, in dem die bürgerlichen Parteien die Mehrheit besaßen. Diese gingen parteiisch vor und verfolgten eine bewusst enge Auslegung der rechtlichen Grundlagen, um eine politische Einflussnahme der Arbeiterschaft zu verhindern. Demnach wirkte das Heimatrecht nicht allein ökonomisch, sondern auch politisch exklusiv, was zu wiederholten Konflikten führte.24 Die Arbeiterbewegung reagierte auf das bürgerliche Vorgehen unter anderem mit der Publikation von Ratgebern, um die Arbeiterschaft über ihre Rechte aufzuklären.25 Der vormoderne Heimat-Begriff hatte seinen historischen Ort in einer stationären Gesellschaft. Seine Wirkmächtigkeit zerfiel mit der modernen Gesellschaft sukzessive. Aufgrund von Mobilitätsprozessen zuvor ungekannten Ausmaßes wurde die Armenversorgung an die veränderten gesellschaftlichen Verhältnisse angepasst.26 Vor diesem Hintergrund veränderte sich auch die gesellschaftliche Bedeutung von Heimat: Die vormodernen Bedeutungsschichten verloren ihren realen historischen Hintergrund und es bildete sich eine moderne Auffassung des Begriffs heraus. Dieser Prozess wurde oftmals als Bruch beschrieben: An die Stelle einer nüchternen rechtlichen Kategorie sei zunehmend ein emotionalisiertes Verständnis von Heimat getreten. Die meisten historischen Arbeiten führen die Geschichte des vormodernen Heimat-Begriffs allenfalls aus Vollständigkeits21 Vgl. Breunig, S. 72–82. Wie Breunig zeigt, wurde deswegen oftmals kein Antrag auf Armen­ unterstützung gestellt. 22 Vgl. zur Mobilität der Arbeiterklasse bspw. Kocka, S. 189–224. 23 Vgl. dazu Greverus, S. 63. 24 Vgl. zu dieser Einschätzung die Stadt Ludwigshafen betreffend Breunig, bes. S. 72–82; generell Althammer, Von Pfahlbürgern und Zugvögeln, 250–251. 25 Vgl. als Quellenbeispiel Ehrhart, Das bayerische Heimatgesetz. 26 Vgl. Bausinger, Auf dem Weg, S. 212; Schmoll, Orte und Zeiten, S. 33–35; Althammer, Von Pfahl­bürgern und Zugvögeln, S. 248–252.

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gründen und zu Abgrenzungszwecken an, beschreiben den vormodernen und den modernen Heimat-Begriff mithin als Kontrapunkte oder Gegensätze.27 Es ist nicht zu bestreiten, dass sich die gesellschaftliche Bedeutung des Heimat-Begriffs in der Moderne in zentralen Punkten veränderte. Dennoch ist die schroffe Entgegensetzung auf eine bislang zu geringe historische Auseinandersetzung mit dem vormodernen Heimat-Begriff zurückzuführen. Erst jüngst haben verschiedene Studien mit Fokus auf Binnenmigrationsprozesse und Auswanderungsbewegungen dessen Vielschichtigkeit herausgearbeitet und aufgezeigt, dass die gesellschaftlichen Diskussionen um Heimat als Rechtsbegriff über rein rechtliche Fragen hinauswiesen. Beate Althammer etwa zeigt anhand politischer Kontroversen um das Heimatrecht und seine Abschaffung im 19. Jahrhundert, dass diese Diskussionen stets auch mit Identitätsdiskursen verbunden waren. Von Teilen des Bürgertums wurden ›Heimatverbundenheit‹ und ›Heimatliebe‹ als wesentlicher Bestandteil des ›deutschen Nationalcharakters‹ und als Garanten politischer Stabilität verstanden. Die proletarische ›Heimatlosigkeit‹ galt ihnen nicht nur als Problem der Armenfürsorge, sondern auch als moralisches Pro­ blem des ›Sittenverfalls‹.28 Anja Oesterhelt kann zudem nachweisen, was auch die Analyse sozialistischer Heimat-Vorstellungen in dieser Arbeit ergeben hat: Die beiden zeitlichen Bedeutungsschichten überlagerten sich längere Zeit. Das sentimentale moderne Heimat-Verständnis schloss an die religiösen Konnotationen des Begriffs an und lokalisierte sie zunehmend in der Gegenwart. Auch spielte die Auseinandersetzung mit dem Heimatrecht noch in der Literatur des frühen 20. Jahrhunderts eine wichtige Rolle.29 Dies traf in besonderer Weise auf den modernen Heimat-Begriff der Arbeiterbewegung zu. Demnach lässt sich die Trennlinie zwischen vormodernem und modernem Heimat-Begriff nicht derart scharf ziehen, wie es die Forschung bislang getan hat. Die ersten Äußerungsformen des modernen bürgerlichen Heimat-Begriffs werden Ende des 18. Jahrhunderts, zumeist in der Romantik, ausgemacht. So hat unter anderem Celia Applegate darauf hingewiesen, dass der Heimat-Begriff um 1800 zunächst durch frühromantische Kreise aktualisiert wurde.30 Bildete Heimat als Rechtskategorie eine eng umrissene geografische Bezugsgröße, lässt sich die Romantik vor diesem Hintergrund als eine literarische Reflexion auf die Auflösung dieses klar definierten Raumbezugs durch zunehmende gesellschaftliche Mobilität verstehen. Zahlreiche Autoren der Zeit thematisierten das Verhältnis von Heimat und Fremde, das eigene Aufbrechen und die Sehnsucht nach der anschließenden Heimkehr.31 Letztere blieb dabei jedoch zumeist prekär. So 27 Vgl. bspw. die Diskussion der Veränderung von Heimat-Bezügen im Übergang von der »stationären zur mobilen Gesellschaft« bei Korfkamp, S. 34–37; sowie Schmoll, Orte und Zeiten, S. 35. 28 Vgl. Althammer, Von Pfahlbürgern und Zugvögeln, S. 244–245. 29 Vgl. Oesterhelt, S. 344–426. 30 Vgl. Applegate, S. 7. 31 So etwa in den Gedichten von Hölderlin oder Eichendorff. Vgl. dazu Gebhard u. a., S. 13–18.

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zeichneten sich die literarisch entworfenen Heimat-Bilder oftmals durch ihre Unerreichbarkeit aus. Wie Oesterhelt in diesem Zusammenhang argumentiert, überlagerten sich – im Anschluss an die religiöse Semantik des Begriffs – transzendente und irdische Bedeutungsgehalte.32 Das zentrale Motiv der Wanderschaft, das die eigene Bewegung durch den Raum reflektierte, als Orientierung an einem Ziel zudem zeitliche Implikationen beinhaltete und metaphorisch für das Erreichen einer zukünftigen Heimat verstanden werden kann,33 war in der weiteren Geschichte des Heimat-Begriffs von wichtiger Bedeutung und kennzeichnete auch den sozialistischen Heimat-Diskurs wesentlich. Mit den Auswanderungsbewegungen des 19. Jahrhunderts erhielt die mit der gesellschaftlichen Mobilität verbundene Entfremdungserfahrung eine veränderte Breitenwirksamkeit. Mitunter verunsicherten jene die Herkunftsgesellschaften stärker als diejenigen, die ihr Glück in der Fremde suchten.34 Vor diesem Hintergrund führte die Entfremdung durch räumliche Entfernung, die sich als Metapher für einen gesellschaftlichen Entfremdungsprozess interpretieren lässt, zu einer Infragestellung der vermeintlichen Natürlichkeit von Heimat, wodurch diese erst »reflexiv, handelnd und kommunikativ, angeeignet werden«35 konnte. Dadurch wandelten sich auch die Zeitbezüge des Begriffs: Erst infolge der Infragestellung althergebrachter – und vormals zumeist unhinterfragt bleibender – Formen gesellschaftlicher Ordnung bildete sich ein spezifisches Interesse an der gesellschaftlichen Vergangenheit heraus, die nunmehr als Tradition neu konzeptualisiert wurde. Diesen gesellschaftlichen Prozess der Re-Konzeptualisierung von Vergangenheit als Tradition haben Eric Hobsbawm und Terence Ranger als »Invention of Tradition« bezeichnet.36 Bereits Hobsbawm und Ranger legten dar, dass diese »Invention of Tradition« für die Herausbildung von Nationen und die Konstruktion nationaler kollektiver Identitäten von zentraler Bedeutung war. Eine wichtige Ausprägung fand dieser Prozess in der bürgerlich-konservativen Heimatbewegung und ihren Vorläufern, die Heimat und Nation eng miteinander verknüpften und durch den Rekurs auf vergangene Traditionen zu legitimieren versuchten. Wie Applegate und Confino gezeigt haben, erreichte die Befassung mit Heimat und Nation einen ersten Höhepunkt im Zuge der Reichsgründung 1871. Beide Arbeiten argumentieren, dass Heimat-Bezüge es den historischen Akteuren erlaubten, Partikulares – hier die Region – mit einem größeren Ganzen – hier die Nation – in Beziehung zu setzen und mit einer bestimmten Vorstellung gesellschaftlicher Ordnung zu verbinden. Dabei ging die Nationalisierung des Heimat-Begriffs mit Feindbestimmungen einher, die sich gegen die Arbeiterbewegung als ›vaterlandslose Gesellen‹ oder die jüdische Bevölkerung richteten: 32 Vgl. Oesterhelt, S. 22–33. 33 Vgl. ebd., S. 33. 34 Vgl. Steffens. 35 Gebhard u. a., S. 18. 36 Vgl. Hobsbawm u. Ranger.

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Heimatliebe [love of one’s native country / land], Heimattreue [loyalty to one’s native country], Heimaterde [home turf], and Erdverbundenheit [connection with the soil] began to be used in contrast to negative concepts such as Heimatlossein [to be homeless] or Fremdsein [to be foreign].37

Das Zitat verdeutlicht den Zusammenhang von nationaler Integration und gesellschaftlicher Exklusion. Gleichzeitig beschreibt es eine Ende des 19. Jahrhunderts zunehmende Skepsis gegenüber gesellschaftlichen Modernisierungsprozessen. In Reaktion auf diese setzten die Zeitgenossinnen und Zeitgenossen der Erfahrung einer dynamischen Welt eine nostalgische heimatliche Gegenwelt, eine »statische Kleinwelt«38 entgegen. Diese Entwicklung erreichte mit der institutionalisierten Heimatbewegung um die Jahrhundertwende ihren Höhepunkt, die in der geschichtswissenschaftlichen Forschung bislang die stärkste Aufmerksamkeit erfahren hat.39 Die bürgerlich-konservative Heimatbewegung reagierte auf die Erfahrungen von Industrialisierung, Urbanisierung und Demokratisierung und verfolgte angesichts einer sich verändernde Welt das Ziel, Zeugnisse der Vergangenheit für Gegenwart und Zukunft zu bewahren, um so die empfundene Erosion der gesellschaftlichen Ordnung aufzuhalten. Bereits ab der Mitte des 19. Jahrhunderts, insbesondere aber ab den 1870er Jahren, gründeten sich bildungsbürgerliche Vereine, die zumeist von den lokalen Honoratioren getragen wurden. Mit der Heimatbewegung popularisierte sich die Auseinandersetzung mit Heimat, was die Honoratioren kritisierten, da es ihre Deutungsmacht über Geschichte einschränkte.40 Am 30.04.1904 gründete sich die erste nationale Dachorganisation der Heimatvereine, der Bund Heimatschutz, der 1914 in DBH umbenannt wurde. Darin schlossen sich zahlreiche regionale Heimat-, Trachten-, Wanderund Naturschutzvereine zusammen und verfolgten den Vereinszweck, der »im Schutz der deutsche[n] Heimat in ihrer natürlichen und geschichtlich gewordenen Eigenart« lag.41 Mit Blick auf die Zeitbezüge lässt sich festhalten, dass die bürgerlich-konservative Heimatbewegung der Industrialisierungs- und Entfremdungserfahrung den Wunsch nach Rückkehr zu einer imaginierten, vergangenen Gesellschaftsordnung entgegensetzte. Diese Rückwärtsgewandtheit hat Hermann Bausinger mit dem Begriff der »Besänftigungslandschaft« bezeichnet, in die sich das Bürgertum flüchtete, um die gesellschaftlichen Konfliktlinien der Gegenwart zu sistieren.42 Die entworfenen Heimatidyllen der Vergangenheit waren demnach Erfindungen eines städtischen Bürgertums.43 Wie James Retallack gezeigt hat, sprach daraus 37 Ludewig, S. 22. Die eckigen Klammern stehen im Original. 38 Schmoll, Orte und Zeiten, S. 36. 39 Vgl. zu dieser Einschätzung Jäger, Heimat, S. 13. 40 Vgl. dazu bspw. Petri, S. 97; Schmoll, Erinnerung an die Natur, S. 445. 41 Ditt, Heimatbewegung, S. 138. 42 Bausinger, Auf dem Weg, S. 212; ders., Heimat. 43 Vgl. Schmoll, Erinnerung an die Natur, S. 444.

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nicht allein die bürgerliche Projektion aller Übel der Moderne auf die zur Mobilität gezwungene Arbeiterschaft; aus ihr lässt sich ebenfalls die bürgerliche Angst vor einem revolutionären Proletariat ablesen, dessen weiterer Radikalisierung das Bürgertum mit einer vermeintlichen Rückkehr zu einer vergangenen Ordnung zu begegnen versuchte.44 Obgleich eine solche idyllische Heimat für einen Großteil der ländlichen Bevölkerung nie existiert hatte, richteten sich Vertreter der Heimatbewegung in paternalistischer Weise an die Arbeiterschaft und argumentierten, der Bauer liebe seine Heimat nicht mehr, da er sie im Prozess der Industrialisierung verloren habe und zum modernen Arbeiter geworden sei.45 Die beschriebene Konstellation veränderte sich infolge des Ersten Weltkriegs wesentlich. Durch die Integration der Arbeiter in Heimat und Nation entstand die Vorstellung einer klassen- und milieuübergreifenden nationalen ›Schicksalsgemeinschaft‹, die das Ziel der Verteidigung der Heimat an der (Heimat-)Front teile.46 Einer solchen Vorstellung hingen auch nicht zu unterschätzende Teile der SPD an. Der veränderte Heimat-Diskurs während des Ersten Weltkriegs bildete eine Voraussetzung dafür, dass Heimat in der Weimarer Republik zu einem gleichermaßen geteilten wie umstrittenen Bezugspunkt avancierte. Infolge des Ersten Weltkriegs kam es zu einer gesellschaftsübergreifend zunehmenden Auseinandersetzung mit Heimat.47 Damit ging zu Beginn der Weimarer Republik eine Pluralisierung des Heimat-Diskurses und eine Ausdifferenzierung der mit dem Begriff verbundenen Praktiken und Kulturpolitik einher.48 2.1.2 Prekäre Zeiten: Heimat und Moderne Wie sich anhand dieses skizzenhaften Parforceritts durch das 19. und 20. Jahrhundert zeigen lässt, fielen die Heimat-Konjunkturen mit gesellschaftlichen Übergangsphasen zusammen, die die deutsche Gesellschaft und ihr Selbstverständnis besonders herausforderten. Angesichts der erfahrenen Auflösung althergebrachter Lebensverhältnisse wurde das Verhältnis der Gesellschaft zu ihrer Vergangenheit nunmehr selbst prekär und das Verhältnis von gesellschaftlicher Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft dadurch überhaupt erst verhandel- und gestaltbar. Diese Entwicklung bildete eine entscheidende Voraussetzung für die Unterscheidung von Tradition und Moderne, die die Geschichte des Heimat-­ Begriffs als zentrales Gegensatzpaar durchzieht. Oder anders formuliert: Ein 44 Vgl. zu dieser Projektion und deren Beziehung zu bürgerlichen Ängsten vor dem Sozialis­mus Retallack, S. 8–10. 45 Vgl. die zeitgenössische Kritik des Sozialdemokraten Hillig an Schultze-Naumburg Hillig, Heimatschutz, S. 253. 46 Vgl. zur Integration Bausinger, Auf dem Weg, S. 212–213; vgl. zu Front und Heimat Ziemann, Front und Heimat. 47 Vgl. Steber, bes. S. 276–287. 48 Vgl. Jäger, Heimat, S. 16–17.

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Verständnis von Tradition kann gesellschaftlich nur dann entstehen, wenn althergebrachte Sitten, Werte und Gebräuche gerade nicht mehr unhinterfragt bleiben, eine für selbstverständlich erachtete gesellschaftlichen Ordnung gerade nicht mehr existiert. Diese Überlegung hat Johannes von Moltke wie folgt ausbuchstabiert: »By no means confined to so-called traditional societies, they represent post-traditional ways of constructing usable pasts for a modern present.«49 Der gesellschaftliche Wunsch, Vergangenes zu bewahren, der bspw. in Heimatmuseen zum Ausdruck kam, ergibt demnach nur angesichts der Wahrnehmung eines drohenden Verlusts Sinn. Vor diesem Hintergrund lassen sich die wiederkehrenden modernen Heimat-Konjunkturen nicht allein als Indikatoren gesellschaftlicher Umbruchphasen begreifen, sondern prägten diese ebenfalls mit. Der gesellschaftliche Heimat-Diskurs versuchte auf unterschiedliche Weise, das Verhältnis der Moderne zu der ihrerseits entworfenen vergangenen Tradition und angestrebten gesellschaftlichen Zukunft zu bestimmen. Aus ihm spricht folglich implizit bereits die gesellschaftliche Distanzierung von Vergangenem, die Reflexion und Kritik erst möglich macht, aber auch zur Flucht in eine unhinterfragte und in gewissem Sinne unhinterfragbare Tradition führen kann.50 Angesichts dieses Befunds hat die Forschung wiederholt die zentrale Frage beschäftigt, inwiefern es sich bei der bürgerlich-konservativen Heimatbewegung um eine moderne Bewegung gehandelt oder sie sich durch Antimodernismus ausgezeichnet habe. Untersucht wurde die skizzierte Problematik unter anderem an den Positionen der Heimatbewegung gegenüber Großstadt und Industrie als Signa der Moderne respektive Natur, Dorf und Kleinstadt als Signa einer traditionellen Vergangenheit. In der Debatte lassen sich idealtypisch zwei gegensätzliche Positionen ausmachen: Insbesondere ältere, oftmals deutschsprachige Forschungsarbeiten, etwa der von Edeltraud Klueting herausgegebene Sammelband »Antimodernismus und Reform«, argumentierten,51 Heimat sei eine reaktionäre, antimoderne Antwort auf das »Unbehagen in der Moderne«52 gewesen. Dagegen begründeten neuere, oftmals englischsprachige Arbeiten eine andere Deutungstradition: Heimat sei als Reaktion auf die Moderne allein zeitlich gesehen Teil derselben. Darüber hinaus habe die Heimatbewegung der Moderne auch inhaltlich nicht vollständig ablehnend gegenübergestanden.53 In gewisser Hinsicht ergeben sich die divergierenden Einschätzungen daraus, dass die Arbeiten verschiedene Analyseschwerpunkte legten, Heimat teilweise nur inhaltlich, an anderer Stelle unter Berücksichtigung ihrer gesellschaftlichen Funktion und Funktionalisierung untersuchten. Bezüglich der inhaltlichen Zeitbezüge 49 Vgl. von Moltke, S. 14; zu Heimat und Moderne auch Blickle, S. 25–26, 29–31, 33–37. 50 Vgl. Gebhard u. a., S. 11. 51 Vgl. Klueting. 52 Cremer u. Klein, S. 44, die sich hier auf das seinerzeit prägende Buch P. L. Berger u. a., Das Unbehagen in der Modernität, Frankfurt a. M. 1975 beziehen. 53 Vgl. Applegate, u. a. S. 70, 105–107; Confino, Nation as a Local Metaphor, u. a. S. 131–133, 188, 212.; ders., Germany as a Culture of Remembrance. Vgl. weiterhin u. a. Williams, Turning to nature in Germany; Rollins.

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der Heimatbewegung stellte bspw. Rolf Petri heraus, der Heimat-Diskurs sei »[i]nhaltlich […] deshalb im engeren Wortsinne reaktionär, weil er eine die Vergangenheit verklärende Reaktion auf die Moderne darstellt.«54 In ähnlicher Weise argumentierten Gunther Gebhard, Oliver Geisler und Steffen Schröter, dass die Modernisierungsprozesse mit einer Priorisierung der als Tradition imaginierten Vergangenheit gegenüber Gegenwart und Zukunft in der Moderne einhergingen, Heimat in diesem Zusammenhang als Versuch der »Rückwendung hin zur ›guten alten Zeit‹«55 zu bestimmen sei. Diese Einschätzung ist hinsichtlich zahlreicher Heimat-Konzepte – insbesondere mit Blick auf das Kaiserreich – zutreffend. Gleichzeitig haben jüngere Forschungsarbeiten ihre Alleingültigkeit infrage gestellt, so bspw. Thomas Lekan, der mit Fokus auf die Naturschutzbewegung schon für das Kaiserreich argumentiert, dass es der bürgerlichen Heimatbewegung viel eher um die Beeinflussung des Weges in die Moderne als um deren vollständige Ablehnung gegangen sei. Diese Tendenz habe ihren Höhepunkt in der Weimarer Republik erreicht. Lekan weist in diesem Zusammenhang auf das Verhältnis von bürgerlich dominierter Natur- und Heimatschutzbewegung und Arbeiterschaft hin, wobei Letztere als paternalistisch verstandenes ›Fürsorgeobjekt‹ der Ersteren fungierte.56 Auch andere Studien argumentieren, dass der Fokus der Heimatbewegung in der Weimarer Republik nicht mehr auf einer rückwärtsgewandten Verklärung der Vergangenheit lag, sondern sie darauf abzielte, den mit der Moderne einhergehenden gesellschaftlichen Wandel zu moderieren. In dieser Argumentation findet sich bereits die zweite Forschungsperspektive auf Heimat und Moderne angedeutet, die ihren Schwerpunkt auf die gesellschaftliche Funktion des Heimat-Begriffs legt. So hat bspw. von Moltke eine Unterscheidung zwischen der inhaltlichen Bestimmung von Heimat und ihrer gesellschaftlichen Funktion getroffen und argumentiert: »not to equate the antimodern rhetoric of a few Heimat definitions with the function of the Heimat idea in German history«.57 In ähnlicher Weise hat Applegate Heimat als »modern imagining«58 beschrieben. In Applegates Argumentation zeigt sich, dass die Vergangenheit gesellschaftlich nicht mehr unproblematisch gegeben war, sondern als bewahrenswerte Tradition etwas von der gegenwärtigen Gesellschaft Verschiedenes darstellte. Daher musste sie im Sinne einer »Invention of Tradition« stets neu geformt und hervorgebracht werden. Wie sich nachfolgend zeigen wird, war dies kein Proprium des Bürgertums, sondern zeichnete ebenfalls das Heimat-Verständnis der Arbeiterbewegung aus. Damit stellte sich notwendigerweise die Frage danach, welche Aspekte der Vergangenheit zu bewahren oder zu vergessen seien. Die bürgerliche und die sozialistische Antwort auf diese Frage fiel alles andere als einheitlich aus. 54 Petri, S. 85 55 Gebhard u. a., S. 12 56 Vgl. Lekan, bes. S. 24. 57 Von Moltke, S. 14. 58 Applegate, S. 8.

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2.1.3 Besondere Berücksichtigung der Sozialdemokratie: Deutungstraditionen In der Darstellung der Heimat-Konjunkturen stand bislang die bürgerliche Heimatbewegung im Zentrum, während die sozialistische Auseinandersetzung mit Heimat allenfalls angedeutet wurde. Ein solches Vorgehen spiegelt die bis dato erfolgte geschichtswissenschaftliche Darstellung dieser Konjunkturen, die, von wenigen Ausnahmen abgesehen, weitgehend ohne die Berücksichtigung sozialistischer Heimat-Bezüge geschrieben worden ist. Confino benannte diese Verengung bereits in den 1990er Jahren als blinden Fleck der Forschung.59 Diesen gilt es in der Folge in einem schlaglichtartigen Überblick vom Kaiserreich zur Weimarer Republik aufzuhellen. Mit diesem Vorgehen ist die Frage verbunden, wie die Berücksichtigung sozialistischer Heimat-Konzepte den Blick auf gesamtgesellschaftliche Heimat-Konjunkturen verändert. Kennzeichnete jene ein verändertes Verständnis von Heimat und Nation, Tradition und Moderne? Zunächst ist festzuhalten, dass sich die sozialistische Thematisierung ab dem letzten Drittel des 19. Jahrhunderts zeitlich weitgehend mit den gesamtgesellschaftlichen Heimat-Konjunkturen deckte. Dabei verhandelte der sozialistische Heimat-Diskurs zwar ähnliche gesellschaftliche Veränderungsprozesse und Fragen, beantwortete diese aber anders als die, mitunter vehement kritisierte bürgerliche Gegenseite. Im Kaiserreich konstituierten sich die zentralen sozialistischen Deutungsmuster, die bis in die Weimarer Republik kennzeichnend blieben und in der Folge exemplarisch anhand wichtiger Beispiele dargestellt werden. Sie kreisten um Fragen von Mobilität, Inklusion und Exklusion, Heimatlosigkeit, Heimat, Nation und Internationalismus. Zudem befasste sich der sozialistische Diskurs mit dem Verhältnis gesellschaftlicher und landschaftlicher Veränderung, einer sich durch die Moderne auflösenden Vergangenheit und dem damit einhergehenden Anspruch, Bestandteile derselben als Traditionen zu bewahren. Auch diesbezüglich legte er allerdings andere Schwerpunkte als der bürgerliche Diskurs. Dazu gehörte der explizite Rekurs auf die vormodernen Bedeutungsgehalte des HeimatBegriffs, etwa die exkludierenden Folgen des Heimatrechts. Ein zentrales Beispiel ist die spezifische Auseinandersetzung mit dem Verhältnis von Heimat und Nation. Infolge der Reichsgründung 1871 bildete sich in Abgrenzung zum bürgerlichen Nationalismus innerhalb der Sozialdemokratie ein Heimat-Verständnis heraus, das eine Oppositionshaltung zum bestehenden Staat ausdrückte und Heimat nicht als Synonym für die deutsche Nation verwendete. In Reaktion auf den bürgerlichen Vorwurf, bei Sozialdemokratie und Arbeiterschaft handele es sich um ›vaterlandslose Gesellen‹, proklamierte Wilhelm Liebknecht anlässlich des Stiftungsfestes des Crimmitschauer Volksvereins: Das Wort ›Vaterland‹, daß Ihr im Munde führt, hat keinen Zauber für uns; Vaterland in Eurem Sinne ist uns ein überwundener Standpunkt, ein reaktionärer, kulturfeind59 Vgl. Confino, Nation as a Local Metaphor, S. 243.

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licher Begriff; die Menschheit läßt sich nicht in nationale Grenzen einsperren; unsere Heimath ist die Welt: ubi bene ibi patria – wo es uns wohl geht, d. h. wo wir Menschen sein können, da ist unser Vaterland; Euer Vaterland ist uns nur eine Stätte des Elends, ein Gefängnis, ein Jagdgrund, auf dem wir das gehetzte Wild sind und Mancher von uns nicht einmal einen Ort hat, wo er sein Haupt hinlegen kann. Ihr nennt uns, scheltend, ›vaterlandslos‹, und Ihr selbst habt uns vaterlandslos gemacht!60

Unter Bezugnahme auf den der deutschen Reichsgründung vorausgehenden deutsch-französischen Krieg zeichnete Liebknecht die Existenz zweier Welten des Bürgertums und der Arbeiterbewegung, die »jetzt schroff einander gegenüber[stehen]«.61 Dem nationalistischen – und damit exklusiven – Vaterlandsverständnis des Bürgertums setzte er die inklusive Vorstellung von der Welt als Heimat entgegen. Vieles spricht dafür, dass Liebknecht den Heimat-Begriff wählte, da er zum einen nicht zwangsläufig nationalistisch aufgeladen war und zum anderen aufgrund seiner vormodernen Bedeutung ein Versprechen auf materielle Absicherung beinhaltete. Liebknechts Vorwurf, das kapitalistische Bürgertum habe es zu verantworten, dass die Arbeiter heimatlos geworden seien, bezog sich dabei wohl auf dessen Rolle im Prozess der ursprünglichen Akkumulation und Herausbildung des Kapitalismus. Jedenfalls prägte der Vorwurf, das kapitalis­ tische Bürgertum habe die Arbeiterschaft heimatlos gemacht, das sozialistischen Heimat-Verständnis bis in die Weimarer Republik.62 Da sich die Welt für sozialdemokratische Arbeiter 1871 weder im politischen noch im sozialen oder ökonomischen Sinne als Heimat, verstanden als materielle Sicherheit, darstellte, sprach aus Liebknechts Begriffsverständnis gleichzeitig der Anspruch auf deren Einlösung in der Zukunft. In diesem Zukunftsbezug bestand einer der zentralsten Unterschiede zum bürgerlich-konservativen Heimat-Verständnis. Liebknecht verwendete den Begriff als Metapher für einen im Sozialismus zu erreichenden utopischen Sehnsuchtsort, in dem die Welt zur Heimat der Arbeiterschaft geworden sei. Folglich bildete das sozialistische Heimat-Verständnis aus Liebknechts Sicht den genauen Gegensatz zur bürgerlichen Glorifizierung des Vaterlands. Gleichzeitig bezog er sich selbst positiv auf ein politisch verändertes Deutschland in der Zukunft, was nahelegt, dass er den Staat als neutrale Form verstand, den sozialdemokratische Politik radikal verändern könne.63 Damit lokalisierte und konkretisierte er Heimat gleichzeitig. Diesen Prozess hat Wolfgang Kaschuba in Auseinandersetzung mit dem skizzierten Zitat wie folgt zusammengefasst: »Die Perspektive der Heimatlosigkeit weicht der von der ›besetzten‹ Heimat, zu deren Befreiung auch die Befreiung des Begriffs selbst zählt.«64 60 Liebknecht, Zu Trutz und Schutz, S. 4–5. 61 Ebd., S. 3. 62 In ganz ähnlicher Weise beantwortete auch die Arbeiterbewegung im Habsburger Reich die Frage »Where is my home?«. Vgl. dazu Beneš, S. 75. 63 Vgl. zur zeitgenössischen Kritik eines solchen Verständnisses Pannekoek. 64 Kaschuba, S. 15. Kaschuba schreibt das Zitat fälschlicherweise Johann Jacoby zu. Darauf hingewiesen hat erstmals Jäger, Heimat, S. 38.

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Das sozialistische Heimat-Verständnis implizierte demnach von Beginn an ein Spannungsfeld zwischen einem utopischem Sehnsuchtsort und dessen konkreter Lokalisierung. Dabei ging die räumliche Konkretisierung eines vormals utopisch verwendeten Begriffs in existierenden regionalen und nationalen Räumen mit einer Verringerung des Zukunftsbezugs, einer verstärkten Gegenwartsorientierung und einer Annäherung bürgerlicher und sozialistischer Heimat-Konzepte einher. Spätestens ab diesem Zeitpunkt bildete Heimat einen gleichermaßen geteilten wie umstrittenen Bezugspunkt. Ein Indiz dieses Annäherungsprozesses ist die sozialdemokratische Auseinandersetzung mit landschaftlichem Wandel und gesellschaftlicher Veränderung. Anders als oftmals implizit angenommen, war die Heimatbewegung keine rein bürgerliche Bewegung. Vielmehr war auch die Sozialdemokratie in deren Diskurse und Praktiken involviert, wenn auch nicht an vorderster Front. Zum einen setzte sich die Sozialdemokratie mit der Heimatbewegung auseinander, zum anderen gründete sie sozialistische Organisationen, die vergleichbare Ziele verfolgten. Ein prominentes Beispiel für den ersten Fall ist die Resonanz, die die 1904 in Dresden erfolgte Gründung des Bundes Heimatschutz von sozialdemokratischer Seite erfuhr. Kurz nach der Gründung publizierte der sozialdemokratische Dekorationsmaler Hugo Hillig in der prominenten SPD-Theoriezeitschrift »Neue Zeit« einen Artikel zum Bund Heimatschutz, dessen Verhältnis zum Dürerbund und dem hinter beiden Vereinen stehenden Paul Schultze-Naumburg. Darin setzte sich Hillig mit den Zielen des neu gegründeten Verbands auseinander, denen er wenig Innovationscharakter zumaß, da von staatlicher Seite bereits Gesetze zum Landschaftsschutz verabschiedet worden seien. Die »Heimatschutzbündler« verdrängten jedoch, dass der Durchsetzung dieser Gesetze in einer kapitalistischen Gesellschaft aufgrund der »unverletzlichen Rechte des Eigentums« überwindbare Schranken gesetzt seien. Gegen die kapitalistischen Interessen der »ostelbischen großgrundbesitzenden Geierhälse oder […] Kohlebarone des Westens«, so Hillig in einer problematischen Personalisierung des Kapitalismus, sei die Regierung machtlos. Die Mitglieder der neuen »bürgerlichen Reformbewegung« vernachlässigten es folglich, den tatsächlichen Gründen der Landschaftszerstörung auf den Grund zu gehen: »Die Heimatschutzbündler sind beileibe keine Sozialdemokraten und deswegen erwähnen sie auch den Kapitalismus so leise wie möglich.« Prinzipiell habe auch die Sozialdemokratie gegen die Idee des Landschaftserhalts und Naturschutzes nichts einzuwenden. Sie benenne jedoch den Kapitalismus als Ursache der beschriebenen Übel. Der Bund Heimatschutz hingegen verabsolutiere die bürgerliche Modernisierungserfahrung und priorisiere die Erhaltung ästhetischer Werte unzulässigerweise gegenüber den Lebens- und Arbeitsverhältnissen des Proletariats. Auch wenn Schultze-Naumburg betone, dass er keine »Altertümelei« wolle, laufe seine Herangehensweise letztlich genau darauf hinaus. Sie führe zu einer »Mumifizierung des Bestehenden«.65 Dagegen betonte Hillig 65 Alle Zitate aus Hillig, Heimatschutz, S. 254.

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die Zeitgebundenheit und Veränderbarkeit kultureller und ästhetischer Werte und argumentierte u. a. am Beispiel der Hamburger Hafengegend, dass den Lebens- und Arbeitsverhältnissen immer Priorität zugemessen werden müsse.66 Heimat-Räume und regionale Landschaften bildeten aus Sicht der Sozialdemokratie dementsprechend nichts an und für sich zu Bewahrendes, wenn dies einer Verbesserung der Lebensverhältnisse der Arbeiterschaft entgegenstand. Trotz Hilligs Kritik verdeutlicht das Beispiel gleichzeitig, dass die Sozialdemokratie um die Jahrhundertwende begann, sich mit ähnlichen Fragen wie die bürgerliche Heimatbewegung auseinanderzusetzen. Diese sozialdemokratische Auseinandersetzung blieb dabei v. a. auf bestimmte Gruppen innerhalb der Arbeiterbewegung beschränkt: Literaten oder Dekorationsmaler wie Hillig waren von Berufs wegen dazu prädestiniert, sich mit Fragen der Landschaftsveränderung auseinanderzusetzen.67 Oftmals spielte dabei das Kommunale als Bezugspunkt eine wichtige Rolle. Auch Hillig publizierte u. a. eine Schrift zum Thema »Kommunale Kunstpflege«.68 Wie weit reichten die thematischen und persönlichen Schnittstellen? Es ist in vielen lokalen und regionalen Kontexten insbesondere für die Zeit des Kaiserreichs schwierig nachzuvollziehen, ob Sozialdemokraten oder Arbeiter Mitglieder der örtlichen Heimatbewegung waren. Doch eine Vorstandsliste des Dürerbundes von 1911 belegt, dass sich das sozialdemokratische Verhältnis zur Heimatbewegung bereits im Kaiserreich nicht in deren Kritik erschöpfte, sondern mehrere Sozialdemokraten Mitglieder des ebenfalls in Dresden angesiedelten Vereins waren, der eng mit der Heimatbewegung verbunden war und die lebensreformerische Zeitschrift »Der Kunstwart« vertrieb. Die Liste führt neben Eduard Bernstein, der sich in der Weimarer Republik an der Etablierung einer sozialdemokratischen Heimat-Kultur beteiligte,69 Georg von Vollmar auf, von 1894 bis 1918 erster Vorsitzender der bayerischen SPD und wie Bernstein ein Vertreter des revisionistisch-reformorientierten Parteiflügels.70 Zumindest seit 1904/05 bestanden Kontakte zwischen von Vollmar, der sich bereits 1875 mit Fragen von kapitalistischer Naturzerstörung befasste,71 und dem Dürerbund, auch zu dessen Vorsitzendem Ferdinand Avenarius. Dies belegen mehrere Schriftwechsel in von Vollmars Nachlass im Amsterdamer IISG. 1904 beklagte sich Avenarius bei von Vollmar über eine falsche Auslegung einiger »Kunstwart«-Artikel durch einen Regierungsvertreter im Finanzausschuss des bayerischen Landtags und sandte ihm die entsprechenden Artikel »zur Orientierung und eventuellen Verwendung«72

66 Vgl. ebd. 67 Dazu gehörten etwa auch Literaten. Vgl. Hübner u. Moegelin. 68 Hillig, Kommunale Kunstpflege. 69 Auf Bitte der Barmener Sozialdemokratie beteiligte sich Bernstein an der Einrichtung eines Engels-Zimmers im Barmener Heimatmuseum. Vgl. N. N., Engels-Zimmer. 70 Vorstandsliste zitiert nach Kratzsch, S. 467. Vgl. zur Einschätzung der Zeitschrift »Der Kunstwart« Jefferies, S. 56. 71 Vgl. Kneib u. Schmidt. 72 IISG, Georg von Vollmar Papers, C Korrespondenz, 138.

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zu. Dabei beendete Avenarius den Brief »Mit dem Ausdruck herzlichster Freude über Ihre Bundesgenossenschaft«,73 womit vermutlich von Vollmars Mitgliedschaft im Dürerbund gemeint war. Die weitere Korrespondenz drehte sich um die Vorbereitung von Feierlichkeiten zu Friedrich Schillers74 100. Todestag oder Fragen der Volksbildung zur Empfehlung »geeigneten Lesestoff[s]«.75 Dabei ist nicht zu belegen, aber wahrscheinlich, dass von Vollmars Kontakt zum Dürerbund u. a. auf seine Zeit als Redakteur beim »Dresdner Volksboten« zurückzuführen ist.76 Die Bedeutung Dresdens für den überregional geführten sozialdemokratischen Heimat-Diskurs wird dadurch gestützt, dass der Feuilletonredakteur der DVZ Franz Diederich 1916 in die Feuilletonredaktion des »Vorwärts« wechselte. Diederich war ebenfalls an den Tätigkeiten des Dürerbunds beteiligt, arbeitete eng mit Avenarius zusammen und förderte junge Künstler in der Region.77 Dabei gilt es zu betonen, dass weder Bernstein oder von Vollmar noch Hillig oder Diederich im Kaiserreich eine sozialdemokratische Mehrheitsmeinung vertraten. Vielmehr stehen sie beispielhaft für eine bislang kaum beachtete Zusammenarbeit zwischen heimatinteressierten Sozialdemokraten und der bürgerlichen Heimatbewegung. Diese Schnittstellen intensivierten sich in der Weimarer Republik. So lobte ein Artikel im »Vorwärts« von 1929 Paul Schultze-Naumburg anlässlich seines 60. Geburtstags für sein Engagement und die Begründung des Heimatschutzgedankens.78 In die Zeit um die Jahrhundertwende fällt auch die Gründung des TVdN 1895 in Wien, der 1905 die erste deutsche Ortsgruppe in München folgte. Neben der sozialdemokratischen Beteiligung an der Heimatbewegung entstand mit den Naturfreunden demnach nahezu gleichzeitig eine sozialistische Alternativorganisation zur bürgerlichen Wander- und Heimatbewegung. Da die Naturfreunde in dieser Arbeit bereits in unterschiedlichen Zusammenhängen Thema waren, werden ihre Ziele an dieser Stelle nicht erneut in extenso ausgeführt. Dem Doppelverständnis als Wander- und Bildungsorganisation entsprechend, verfolgte der Verein den Zweck, auch der Arbeiterschaft das Wandern in der Natur und Natur-Erkenntnis zu ermöglichen, wobei die vergleichsweise hohe Anzahl weiblicher Mitglieder hervorzuheben ist.79 Mit der Wander- und Bildungsarbeit verknüpfte der Verein einen revolutionären Anspruch, da die Auseinandersetzung mit Natur- und Heimatkunde der Welterkenntnis und der Stärkung des proletarischen Klassenbewusstseins dienen sollte. Dementsprechend entwickelten die Naturfreunde das theoretische Konzept des ›sozialen Wanderns‹, das die Durchwanderung von Natur-Räumen in Privatbesitz einforderte, demnach bestehende Eigentumsrechte 73 Ebd. 74 Vgl. zur Bedeutung von Friedrich Schiller für die deutsche und österreichische Sozialdemokratie Beneš, bes. S. 151–158; Schmidt, Begrenzte Spielräume, S. 353–356. 75 IISG, Georg von Vollmar Papers, C Korrespondenz, 505. 76 Vgl. Kneib u. Schmidt. 77 Vgl. Steinberg, »Karl Herschowitz kehrt heim«, S. 60–71. 78 Vgl. N. N., Paul Schultze-Naumburg, S. 11. 79 Vgl. Williams, Turning to nature in Germany, S. 76–77.

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an der Natur verletzte und mit einem sozialkritisch geschärften Blick auf die poli­ tischen, sozialen und gesellschaftlichen Verhältnisse im Kapitalismus einhergehen sollte. Dieser sozialkritische, oftmals antikapitalistische Blick lag auch dem sozialistischen Verständnis von Heimatkunde, Natur- und Heimatschutz zugrunde, der ab 1910 zum Vereinszweck erhoben wurde.80 In dieser Hinsicht argumentierte der TVdN ähnlich wie Hillig und führte die Natur- und Umweltzerstörung auf den Kapitalismus als Grundursache dieser Übel zurück. Je nachdem, ob die Kapitalismuskritik der Ortsgruppen auf marxistischer Grundlage beruhte oder auf einem Antikapitalismus basierte, der sich vornehmlich gegen das personalisierte Feindbild der profitorientierten Kapitalisten richtete, bildete die Kritik Schnittstellen zu Teilen der bürgerlichen Heimatbewegung.81 Folgt man der Argumentation der Naturfreunde, konnte allein eine zukünftige Überwindung des Kapitalismus – und gerade keine nostalgische Verklärung der Vergangenheit – den benannten Übeln ein Ende machen. Trotz dieses klassenkämpferischen Impetus fiel die tatsächliche Wanderpraxis in der Weimarer Republik oft relativ harmlos aus, orientierte sich mitunter an etablierten bürgerlichen Formen des Wanderns und der Heimatkunde. Die Radikalität des Vorgehens hing dabei stark von der Ausrichtung der jeweiligen Ortsgruppen und Gauverbände ab.82 Der TVdN zeichnete sich folglich durch eine grundsätzliche Ambivalenz, ein Changieren zwischen einem spezifisch sozialistischen und einem klassischen, parteiübergreifenden Heimat-Verständnis aus. Die Gleichzeitigkeit der Gründung von sozialistischen Alternativorganisationen und der Beteiligung an der bürgerlichen Heimatbewegung war Ausdruck dieser Ambivalenz und beförderte sie gleichzeitig. Ein wichtiges Spezifikum des sozialistischen Heimat-Verständnisses war dessen Zukunftsorientierung, was eine gleichzeitige Orientierung an konkreten Räumen wie der Nation oder Region nicht ausschloss. Diesbezüglich ist u. a. von Hermann Bausinger argumentiert worden, dass die Arbeiterbewegung das vonseiten der Heimatbewegung lancierte nationale Integrationsangebot bis zum Ersten Weltkrieg nicht angenommen habe.83 Auch wenn sich dies angesichts der erzielten Analyseergebnisse weniger eindeutig darstellt, kann und soll nicht in Abrede gestellt werden, dass der Erste Weltkrieg für die Geschichte des Heimat-Begriffs und dessen sozialdemokratischer Verwendung eine zentrale Zäsur darstellte. Infolge des Ersten Weltkriegs knüpfte sich der Heimat-Begriff in weiten Teilen der Sozialdemokratie nicht nur eng an den Begriff der Nation. Vielmehr ging damit ebenfalls einher, dass sich die zuvor oppositionelle Arbeiterbewegung in Heimat und Nation integrierte  – ein Prozess, der nicht erst mit dem Ersten Weltkrieg begann, jedoch eine besonders eindrückliche Verschärfung erhielt.84 Mit dem 80 Vgl. Zimmer, S. 39. 81 Vgl. zu einem solchen Fall Steinberg, Heimatschutz in der Region. 82 Vgl. Zimmer, S. 38. 83 Vgl. Bausinger, Auf dem Weg, S. 212–213. 84 Vgl. zum Prozess der Integration bspw. Groh.

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begrifflichen Oppositionspaar von Front und Heimat sowie der Burgfriedenspolitik der Sozialdemokratie näherten sich die Heimat-Konzepte verschiedener politischer Milieus in Teilen bis zur Unterschiedslosigkeit an, nur der internationalistisch orientierte linke Teil verweigerte diesem gesellschaftlichen Konsens die Zustimmung.85 Beispielhaft kann dies an einem Zitat Rosa Luxemburgs verdeutlicht werden, die sich weiterhin vehement von einem bürgerlichen HeimatVerständnis abgrenzte, gewissermaßen das alte sozialistische Heimat-Verständnis vertrat, das in der SPD zunehmend in den Hintergrund gerückt war. Bei einer Protestversammlung 1914 gegen ein Frankfurter Gerichtsurteil von 1913, das Luxemburg wegen ihrer Agitation gegen die Kriegsgefahr verurteilte, kritisierte sie das militaristische Heimat-Verständnis des Staatsanwalts und seinen an sie gerichteten Vorwurf der Heimatlosigkeit: »Was die Heimatlosigkeit betrifft, so möchte ich mit dem Herrn Staatsanwalt nicht tauschen. Ich habe eine so große, liebe Heimat, wie sie kein preußischer Staatsanwalt besitzt.« Damit war wohl ihre politische Heimat in der Arbeiterbewegung gemeint. Gleichzeitig ging auch Luxemburg, wie vormals Wilhelm Liebknecht, davon aus, dass sich das »Vaterland« durch »die große Masse der arbeitenden Männer und Frauen« konstituiere und folglich ein sozialdemokratischer Bezugspunkt sein könne.86 Vor dem Hintergrund des Ersten Weltkriegs und angesichts des veränderten Heimat-Verständnisses bildete die Weimarer Republik die Hochphase des sozialdemokratischen Heimat-Diskurses, die mit einer gesamtgesellschaftlichen Heimat-Hausse zusammenfiel. Die zunehmende Gegenwartsorientierung und räumliche Konkretisierung des Heimat-Verständnisses der reformorientierten Sozialdemokratie hatte zur Folge, dass sich verschiedene politische Milieus auf denselben Heimat-Raum und dieselbe Heimat-Gegenwart bezogen. Gleichzeitig konnte der temporäre Heimat-Konsens nur zeitweise verdecken, dass zwischen den verschiedenen gesellschaftlichen Parteien weiterhin Dissens bestand, was Heimat genau ausmache und durch welche politische, soziale und gesellschaftliche Verfasstheit sie sich auszeichne. Zusammenfassend lässt sich mit Blick auf die hier im Zentrum stehenden Zeitbezüge festhalten, dass sich der geschichtswissenschaftliche Blick auf historische Heimat-Konjunkturen durch die Berücksichtigung des sozialistischen HeimatDiskurses in zahlreichen Punkten verändert. Für einen Großteil der heimatinteressierten Sozialdemokraten konnte Heimat aufgrund ihrer Kritik der vormodernen Herrschaftsverhältnisse sowie des Kapitalismus keine Rückwendung zu einer vermeintlich guten alten Zeit bedeuten. Vielmehr galt es, Heimat als Versprechen auf ein Leben ohne Not erst sukzessive einzulösen. Da die vormoderne Heimat aus Sicht der Arbeiterbewegung keine Idylle dargestellt hatte, zeichnete sich das sozialistische Heimat-Verständnis durch einen ausgeprägten Zukunftsbezug aus, der die prekären individuellen Herkunftsverhältnisse zu überwinden versprach. Dabei ist die Geschichte sozialistischer Heimat-Konjunkturen 85 Vgl. zum Internationalismus bspw. Berger, Zukunft der Sozialdemokratie. 86 Vgl. N. N., Dr. Rosa Luxemburg, S. 1.

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auch als eine Geschichte abnehmender Zukunftsorientierung und zunehmender Gegenwartsorientierung zu schreiben. Bereits ab der Jahrhundertwende, insbesondere jedoch in der Weimarer Republik, orientierte sich das sozialistische Heimat-Verständnis zunehmend an existierenden Räumen der Gegenwart. Diese Gegenwartsorientierung ging einher mit einer Aufspaltung des sozialistischen Zukunftshorizonts in eine nahe Zukunft einerseits, die durch Reformen zu verändern sei, und eine ferne Zukunft andererseits, in der es gelingen würde, die sozialistische Heimat zu erreichen. Stellenweise trat der Zukunftsbezug jedoch auch ganz in den Hintergrund.87 In der Weimarer Republik wurde Heimat für die reformorientierte Sozialdemokratie zu einer Gegenwartsaufgabe. Mit der gesellschaftlichen Stabilisierung Mitte der 1920er Jahre war verbunden, dass die Sozialdemokratie sich verstärkt mit der Etablierung einer sozialdemokratischen Heimat-Kulturpolitik befasste. Mit dieser war die Frage verbunden, welche Rolle Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft für das neue republikanische und prospektiv sozialistische Gemeinwesen spielen sollten.

2.2 Diskursive Heimat-Bilder aus Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft: Die sozialistische Heimat-Deutung des ›Weges der Arbeiter in die Moderne‹ Der moderne Heimat-Diskurs reagierte milieubegreifend auf den Verlust vormaliger Selbstverständlichkeiten durch die Veränderungsprozesse in der Moderne und die damit einhergehende Kontingenzerfahrung. Wie John A. Williams am Beispiel dreier natur- und heimatorientierter Reformbewegungen in der Weimarer Republik  – bürgerlicher und sozialistischer Wanderorganisationen, der Nudistenbewegung und des Heimat- und Denkmalschutzes – gezeigt hat, stellte das Sprechen über Heimat einen Versuch dar, diese Erfahrungen in einen sinnhaften Zusammenhang zu stellen. Die damit verbundenen Gesellschaftsdeutungen verfügten trotz inhaltlicher Unterschiede über eine ähnliche Grundstruktur, enthielten eine Trias von oftmals vergangenheitsidealisierender Krisendiagnose, gegenwärtigem Veränderungsanspruch an Individuum und Gesellschaft und zukünftiger Überwindung der Krise durch die Veränderung in der Gegenwart.88 In ihrer idealtypischen bürgerlichen Ausprägung waren die Darstellungen insofern rückwärtsgewandt, als sie zwar nicht unbedingt die Rückkehr zu einer idealisierten Welt der Vergangenheit proklamierten, die Praxis des Bewahrens und Erhaltens jedoch zur Voraussetzung machten, den Niedergang der ›guten alten Zeit‹ aufhalten und die Zukunft der deutschen Nation sicherstellen zu können. 87 Dies war für den sozialdemokratischen Zukunftsbezug auch jenseits des Heimat-Diskurses typisch. Vgl. dazu u. a. Welskopp, Sozialdemokratie programmiert die »neue Zeit«; mit Fokus auf die Sozialpolitik ders., Bann des 19. Jahrhunderts; Hölscher, Die verschobene Revolution. 88 Vgl. Williams, Turning to nature in Germany, S. 259.

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Wie nachfolgend gezeigt wird, bildete sich davon abweichend auch innerhalb der Arbeiterbewegung eine eigene, wiederum idealtypisch verstandene Darstellung des ›Weges der Arbeiter in die Moderne‹ heraus, die in der Forschung bislang nahezu unberücksichtigt geblieben ist. Wie im Falle des bürgerlichen Diskurses handelte es sich dabei um eine retrospektive Deutung, die sich zu einem Zeitpunkt entwickelte, als sich die kapitalistische Gesellschaftsordnung bereits in wesentlichen Punkten durchgesetzt, zahlreiche damit einhergehende gesellschaftliche Veränderungsprozesse bereits zu einem (vorläufigen) Ende gekommen waren. Anders als jener rückte die sozialistische Darstellung jedoch die Modernisierungserfahrung der Arbeiterschaft ins Zentrum, die sich von derjenigen anderer Teile der deutschen Gesellschaft wesentlich unterschied. Insbesondere die entstehende Arbeiterschaft war von den rasant ansteigenden Migrationsbewegungen, oftmals von ländlichen Gebieten in Städte, betroffen. Die Suche nach Arbeit zwang viele ehemalige Bauern, Landarbeiter, Dienstmägde und Tagelöhner, ihre ländlich geprägte Heimat, verstanden im Sinne des Herkunftsorts, zu verlassen, um in der Hoffnung auf ein besseres Leben in die Fremde zu ziehen. Der Anstieg der Mobilität führte zum einen zur Auflösung vormaliger Familien- und Dorfstrukturen. Zum anderen sah sich die Arbeiterschaft oftmals einem bislang unbekannten städtischen Lebensumfeld ausgesetzt. Alles andere als vertraut waren dieser ›mobilen Klasse‹ ihre oftmals nur vorübergehenden Aufenthaltsorte, die entstehenden Großstädte und beengten Wohnverhältnisse, an denen sie sich willkürlich zusammengewürfelt fand. Auch in den Städten zwangen die prekären Arbeits- und Lebensverhältnisse sie zu innerstädtischer Mobilität und damit einhergehenden Wohnortwechseln. Mit der Industrialisierung veränderte sich zudem die Arbeitswelt gravierend. Durch die Einführung der maschinellen Produktion ersetzten Maschinen sukzessive die menschliche Arbeitskraft, wodurch zahlreiche handwerkliche Berufe ausstarben.89 Die neuen Arbeitsverhältnisse implizierten teilweise einen Verlust an Selbstständigkeit und wurden zeitgenössisch oftmals als Entfremdung zwischen Produzent und Produkt beschrieben.90 Dies bildete den Hintergrund sozialistischer Modernisierungsdeutungen, die um die vormodernen Bedeutungsgehalte des Heimat-Begriffs, d. h. das Heimatrecht und die mit Heimat bezeichneten ökonomischen Besitzansprüche, kreisten. Sie beschrieben die Erfahrung gesellschaftlicher Veränderung als Heimatverlust und betonten zugleich, dass sich die Situation der Arbeiterschaft in der kapitalistischen Gesellschaft weiterhin durch ›Heimatlosigkeit‹ auszeichne. Elemente und Topoi der Deutungen finden sich in unterschiedlichen Textgattungen. Dazu gehören theoretische Schriften, autobiografische Berichte und literarische Texte aus 89 Vgl. Kocka, zur Mobilitätserfahrung S. 189–224, zur Veränderung der Arbeitsverhältnisse S. 225–256. 90 Diese Entfremdungserfahrung benannte bereits Karl Marx in den Ökonomisch-philoso­ phischen Manuskripten: Darin bezeichnete er die »Kellerwohnung des Armen« als eine »fremde Macht«, »die er nicht als seine Heimath […] betrachten darf, wo er sich vielmehr in dem Hause eines andern, in einem fremden Hause befindet«. Vgl. Marx, Ökonomisch-philosophische Manuskripte, S. 147.

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unterschiedlichen Teilen der Arbeiterbewegung. Bemerkenswerterweise war das zentrale Thema dieser Texte oftmals nicht die Auseinandersetzung mit Heimat, was für eine Verbreitung des Begriffs in sozialistischen Gesellschaftsdeutungen spricht. Im Folgenden werden Elemente und Topoi des ›Wegs der Arbeiter in die Moderne‹ am Beispiel theoretischer und literarischer Texte näher bestimmt. Die ebenfalls zentralen Autobiografien werden hingegen nur kurz angesprochen und im folgenden Kapitel zur sozialdemokratischen Heimatgeschichtsschreibung eingehend behandelt. 2.2.1 Der ›Weg der Arbeiter in die Moderne‹ in theoretischen und autobiografischen Texten Ein gutes Beispiel für einen theoretischen Text, in dem sich Elemente und Topoi des ›Weges der Arbeiter in die Moderne‹ finden lassen, ist der erste Teil der zweibändigen »Kultur- und Sittengeschichte des Proletariats«, die Otto Rühle 1930 publizierte.91 Trotz seiner revolutionären Positionen galt Rühle auch in gemäßigteren Teilen der Arbeiterbewegung als überregional anerkannter Theoretiker zu Themen der Arbeiterbildung und Bildungspolitik.92 Auch seine kulturtheore­ tische Monografie »Kultur- und Sittengeschichte des Proletariats« wurde in unterschiedlichen Lagern der Arbeiterbewegung breit rezipiert und gehörte zu seinen einflussreichsten Werken.93 Darin setzte sich Rühle mit der Entstehung der kapitalistischen Gesellschaft und ihren Auswirkungen auf verschiedene gesellschaftliche Klassen in Vergangenheit und Gegenwart auseinander, sein Fluchtpunkt lag in einer zukünftigen sozialistischen Kultur. Die historische Darstellung beschrieb die Entstehung der modernen Gesellschaft als eine Art Stufenabfolge verschiedener Gesellschaftsformationen, die Rühle jeweils mit einem spezifischen Menschentypus verknüpfte: 1. »Der feudale Mensch«, 2. »Der bürgerliche Mensch«, 3. »Der proletarische Mensch«.94 Während ersterer einer überkommenen, durch die historischen Entwicklungen untergegangenen, damit überholten Gesellschaftsepoche zuzurechnen sei, konstituierten letztere den Klassengegensatz in der modernen Gesellschaft: »Das Verhältnis des bürgerlichen Menschen zum feudalen ist das des Nacheinander. Das Verhältnis des proletarischen Menschen zum bürgerlichen Menschen dagegen das des Nebeneinander.«95 91 Vgl. Rühle, Illustrierte Kultur- und Sittengeschichte. Der erste Band erschien 1930 in Berlin, Reprint 1970; Band 2 wurde erst 1977 aus dem Nachlass Rühles herausgegeben. Vgl. zur Publikationsgeschichte Ritter, S. 31. 92 Vgl. zur Biografie Rühles Lühr, Otto Rühle, S. 75–77. 93 Vgl. zur Rezeptionsgeschichte Ritter, S. 17. 94 Rühle, Illustrierte Kultur- und Sittengeschichte, Bd. 1. Den drei Typen ist jeweils ein Unterkapitel der Einleitung gewidmet. Vgl. zum ›feudalen Mensch‹, S. 1–9, zum ›bürgerlichen Mensch‹, S. 10–19, zum ›proletarischen Mensch‹, S. 20–30. 95 Ebd., S. 20.

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Interessant in dem hier infrage stehenden Zusammenhang ist nun, dass Rühle an zentralen Punkten seiner historischen Darstellung auf den Heimat-Begriff rekurrierte. Den Unterschied zwischen der sozialen, ökonomischen und politischen Verfasstheit der feudalen und der modernen Gesellschaft exemplifizierte er anhand der veränderten Bedeutung von Heimat. So beschrieb Rühle die Ablösung der Gottesfürchtigkeit des »feudalen Menschen« in der modernen Gesellschaft wie folgt: »Der bürgerliche Mensch […] hatte Gott abgelöst, das Diesseits für das Jenseits gesetzt. Statt des Himmels hatte er die Erde zur Heimat des Menschen gemacht. Und sein Schicksal hatte er selbst in die Hand genommen.«96 Durch diese Argumentation machte Rühle Heimat als ehedem religiösen Begriff sichtbar und knüpfte an dessen vormoderne Bedeutungsschichten an. In Rühles Verständnis hatte die Bourgeoisie die gottesgläubige Hoffnung auf zukünftige Versöhnung im Jenseits auf die Erde geholt und Heimat ihres transzendenten Charakters entledigt, das Ziel einer versöhnten Zukunft mithin zu einer Gegenwartsfrage gemacht. Doch diese irdische Heimat war nach Rühle weder vollends befreit noch inklusiv. Stattdessen handelte es sich um eine bürgerlich besetzte Heimat, die auf der Exklusion des Proletariats beruhte. Die Auswirkungen dieser Exklusion skizzierte Rühle an anderer Stelle der »Kultur- und Sittengeschichte« und ging dabei auf das infolge der Industrialisierung veränderte Verhältnis der Arbeiterschaft zur Heimat ein. Die proletarischen Lebensverhältnisse im Kapitalismus sah er durch eine grundsätzliche »Heimatlosigkeit« gekennzeichnet: Zum Unterschied vom Bürger, der angestammt ist und die Seßhaftigkeit liebt, bringt der Proletarier die Heimatlosigkeit mit. Er ist ein Fremdling überall, wo er lebt, taucht wie ein Zugvogel bald da, bald dort auf. Sein Vorfahre, der Bauer, war bodenständig, sein Großvater, der Handwerker, erfreute sich noch der eignen Werkstatt auf meist eigenem Grunde. Aber seit zwei, drei Generationen schon ist diese Verwurzelung mit dem Heimatboden verlorengegangen. Abstammung, Zugehörigkeit, Heimatgefühl, Vaterhaus haben sich zu leeren Begriffen verflüchtigt. Der proletarische Mensch ist mobil geworden, hat die Seßhaftigkeit eingebüßt, geht als Fremder durch die Welt, ist überall ein Zugezogener.97

Rühle beschrieb die Entstehung des modernen Proletariats infolge der ursprünglichen Akkumulation demnach als Geschichte abnehmender »Seßhaftigkeit«. Zur Veranschaulichung wählte er die Abfolge »Bauer«, »Handwerker«, »Proletarier«, die in sozialistischen Deutungstraditionen auch über den hier analysierten Fall hinaus verbreitet war.98 Im Gegensatz zum »Bauern« und »Handwerker« ver96 Ebd., S. 11. 97 Ebd., S. 403. Es ist wohl kein Zufall, dass Rühle den Topos proletarischer »Heimatlosig­keit« in dem Unterkapitel zur »Wohnungsfrage« aufnimmt, die für die Kritik der prekären Lebensverhältnisse seit Engels Schrift »Zur Wohnungsfrage« einen zentralen Bezugspunkt bildete. Vgl. zu deren sozialdemokratischer Rezeption Strommenger, Friedrich Engels’ »Zur Wohnungsfrage«. 98 Vgl. Liebknecht, Auf dem Hambacher Schloß!, S. 31; wiederabgedruckt 1999 in einer Quellensammlung zur pfälzischen SPD ders., Auf dem Hambacher Schloß! Nachdruck.

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füge der »Proletarier« nicht mehr über die (Reproduktions-)Mittel, sich selbst zu versorgen. Aus dem Verlust der Werkstatt folge der arbeitsbedingte Zwang zu fortwährender Mobilität. Die damit verbundenen Wohnortwechsel führten zu »Heimatlosigkeit«. Diese resultiere aus der prinzipiellen Auswechselbarkeit des Arbeiters im Industriebetrieb, die wiederholte Arbeitslosigkeit und eine durch die erneute Arbeitssuche erzwungene Mobilität bedeuteten. Der Arbeiter sei »ein Zugezogener, ein zufälliger Bewohner einer Arbeiterwohnung in einer Miets­ kaserne.«99 Zu der damit verbundenen materiellen Unsicherheit geselle sich das Gefühl von Einsamkeit und Verlorenheit. So folgerte Rühle: Aber wenn es etwas gibt, was die ökonomische Unsicherheit zum Schrecken, die soziale Unversorgtheit zur Entblößung, das Gefühl der Verlassenheit zur Depression und Entmutigung zu steigern vermag, so tritt es dem Proletarier in Gestalt von Obdach- und Heimatlosigkeit entgegen.100

Rühles Darstellung kreiste um die kollektive Erfahrung der Auflösung vergangener Lebensverhältnisse. Sie thematisierte den Zusammenhang von Arbeit und Mobilität, Herkunft, Zugehörigkeit und Fremde sowie die Unmöglichkeit, gegenwärtig eine – wie es im sozialistischen Diskurs hieß – ›neue Heimat‹, verstanden im Sinne sicherer Lebensverhältnisse, zu finden. Den Fluchtpunkt seines Buchs stellte eindeutig die sozialistische Zukunft dar. Die Vergangenheit der Bauern und Handwerker konnte für ihn aufgrund der ebenfalls elenden Lebensverhältnisse in keiner Weise als nostalgische Projektionsfläche dienen. Am Beispiel Englands verdeutlichte er die Auswirkungen des Heimatrechts und wie die Einschränkung der Freizügigkeit durch den Versorgungsanspruch in der Heimatgemeinde im Prozess der ursprünglichen Akkumulation länderübergreifend als Mittel der Unterdrückung gedient hatte. Denn jene bedeutete eine maßgebliche Einschränkung der Beschäftigungswahl. Darüber hinaus führten die hohen Voraussetzungen zur Erlangung des Heimatrechts – Rühle nannte für England – »Geburt, eigene Wirtschaft, Wohnung, Dienst- und Lehrverhältnis während eines Zeitraums von 40  Tagen«101  – dazu, dass der »Erwerb einer neuen Heimat […] fast unmöglich«102 wurde, wodurch »der Arme […] wieder der Scholle versklavt, […] zum Leibeigenen des Arbeitgebers seiner Heimatgemeinde geworden«103 sei. Der historischen Freisetzung aus überholten, einengenden gesellschaftlichen Verhältnissen sollte und konnte die Arbeiterschaft laut Rühle nicht mit dem Wunsch nach Rückkehr und der damit einhergehenden Erneuerung überkommener Abhängigkeitsverhältnisse begegnen. Zwar bedeutete die Zerstörung der althergebrachten Lebensverhältnisse zunächst materielle Unsicherheit und Orientierungslosigkeit, beinhaltete jedoch gleichzeitig die Möglichkeit kollektiver Be99 Rühle, Illustrierte Kultur- und Sittengeschichte, S. 404. 100 Ebd. 101 Ebd., S. 67. 102 Ebd. S. 68. 103 Ebd.

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freiung. Vor diesem Hintergrund folgerte er: »Der proletarische Mensch muß von der Vergangenheit frei werden, die Gegenwart fruchtbar machen, die Aufgabe der Zukunft lösen. […] Drüben winkt der sozialistische Mensch.«104 Zur Verwirk­ lichung des Sozialismus sei die Herausbildung einer neuen genuin sozialistischen Kultur notwendig.105 Rühles Verbindung von Mobilität, ökonomischer Unsicherheit und »Heimatlosigkeit« schloss offenkundig an die vormodernen Bedeutungsgehalte des Heimat-Begriffs an, verknüpfte diese jedoch auf veränderte Weise. Den zur »Heimatlosigkeit« gezwungenen Proletariern schrieb er die Fähigkeit zu, die ehedem theologischen Versprechen von Heimat auf Erden zu verwirklichen und zukünftig eine internationalistische Heimat aller Menschen im Sozialismus zu verwirklichen. Mit dem Hinweis auf die Ambivalenz von Unsicherheit und Freiheit deutete er gleichzeitig die Gefahr einer erneuten Verzauberung, sprich Ideologisierung, der Welt an, die Marx und Engels in ihrem Fortschrittsoptimismus im »Kommunistischen Manifest« noch ausgeschlossen hatten, indem sie – zu optimistisch – prophezeiten: »Alles Ständische und Stehende verdampft, alles Heilige wird entweiht, und die Menschen sind endlich gezwungen, ihre Lebensstellung, ihre gegenseitigen Beziehungen mit nüchternen Augen anzusehen«.106 Die wahrgenommene Ambivalenz von Unsicherheit und Freiheit spricht auch aus zahlreichen Autobiografien. Franz Rehbein bspw. beschrieb die prekären Herkunftsverhältnisse seiner Kindheit in der 1911 publizierten Autobiografie wie folgt: »In einem der hintersten Winkel in Hinterpommern […] erblickte ich als Sohn eines Kleinhandwerkers das Licht der Welt. Kindheit! für viele ein wonniges Wort. Heimat! glücklich, wer sie preisen kann!«107 Ähnlich wie andere sozialdemokratische Autorinnen und Autoren kritisierte auch Rehbein, der Sohn eines Schneiders, dass die Herkunftsorte für die Arbeiterschaft in der Vergangenheit keine Heimat im Sinne sicherer Lebensverhältnisse gebildet hatten.108 Daher habe er seinen Geburtsort bereits in jungen Jahren verlassen, was ein verbreitetes Vorgehen gewesen sei: Schon seit Jahren kannte man es […] gar nicht anders, als daß die Kinder armer Leute, sobald sie schulfrei waren, für sich selbst sorgen mußten: der Wind mochte sie hinwehen, wohin er wollte. Und merkwürdig oder nicht: den allermeisten gefällt es draußen in der Fremde besser als in der Heimat.109

Für Rehbein basierte das Verlassen des Herkunftsorts einerseits auf ökonomischem Zwang. Andererseits resultierte daraus die Möglichkeit, sich in der Stadt oder durch Auswanderung auf die Suche nach einer ›neuen, zweiten Heimat‹ zu begeben, die bessere Lebensbedingungen in Aussicht stellte; wobei die Arbeiter104 Ebd., S. 30. 105 Vgl. dazu generell Hake, S. 155–173. 106 Marx u. Engels, S. 465. 107 Rehbein, S. 14. 108 Vgl. ähnlich Holek; Popp. 109 Rehbein, S. 62.

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bewegung als »Heimat in der Fremde«110 zu fungieren versprach. Eine ähnliche Darstellung des Modernisierungsprozesses und dessen Auswirkungen auf die entstehende Arbeiterschaft findet sich in zahlreichen Autobiografien sozialdemokratischer Autoren und Autorinnen. Deren individueller Fluchtpunkt war häufig der Beitritt zur Sozialdemokratie. In diesem Zusammenhang behandelten insbesondere die um die Mitte des Jahrhunderts geborenen Sozialdemokraten ihre politischen Exklusionserfahrungen im Rahmen des ›Sozialistengesetzes‹, die ihnen in der Arbeiterbewegung eine Art Heldenstatus verliehen. Wie im Falle Rühles bildete die sozialistische Zukunft den kollektiven Fluchtpunkt der Autobiografien, die der gemachten Leidenserfahrung eingeschränkten Sinn verlieh. Die Autoren und Autorinnen verknüpften ihre zunächst individuelle Lebensgeschichte demnach mit der Aussicht auf sozialistische Befreiung durch politische Organisation. Wie u. a. Rehbein unterstrich, skizzierte er keine rein individuelle Erfahrung, sondern die kollektiv geteilte Erfahrung zahlreicher Arbeiter und Arbeiterinnen seiner Generation.111 Die Anzahl der autobiografischen Berichte nahm ab der Jahrhundertwende, insbesondere in der Weimarer Republik, zu. Auch in lokalen und regionalen Kontexten erschienen nun autobiografische Berichte relativ unbekannter Sozialdemokraten. Das später folgende Kapitel 2.3.1 analysiert eines dieser regionalen Beispiele im Rahmen sozialdemokratischer Heimatgeschichtsschreibung en détail. 2.2.2 Der ›Weg der Arbeiter in die Moderne‹ in literarischen Schriften Die geteilte Modernisierungserfahrung fand ihren Ausdruck ebenfalls in literarischen Schriften, insbesondere Gedichten, Romanen und Erzählungen. Das Motiv des ›Heimatverlusts‹ und der ›Heimatlosigkeit‹ thematisierten so unterschied­liche Medien wie Gedichtbände überregional, teilweise gar international bekannter ›Arbeiterdichter‹,112 lokale bzw. regionale Parteiblätter, die neben den berühmten Arbeiterdichtern auch deren lokale Adepten abdruckten, oder Arbeiterkalender.113 Diesen literarischen Zeugnissen war gemeinsam, dass sie beschrieben, wie dem individuellen Heimatverlust durch kollektive politische Organisation begegnet wurde. Heimat bildete dabei eine Metapher für die selbst gewählte politische

110 N. N., Heimat in der Fremde, S. 5. 111 Mit diesen Überlegungen soll hier nicht an die alte Debatte angeschlossen werden, inwiefern sich Arbeiterautobiografien wesentlich von der bürgerlichen Individualbiografie unterschieden. Vielmehr geht es um die Funktion für das Selbstverständnis der Arbeiterbewegung. Vgl. zur alten Debatte bspw. Frerichs; Emmerich. 112 Aufgrund der Prolematik des Quellenbegriffs Arbeiterdichter ist die erste Verwendung in Anführungszeichen gesetzt. 113 Das zentrale Argument wird an dieser Stelle mit Fokus auf Gedichte entfaltet, auch wenn sich Erzählungen oder Romane ebenso dafür eignen würden. Zu denken ist hier etwa an Walter Bauers Roman »Ein Mann zog in die Stadt«.

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Zugehörigkeit zur Arbeiterbewegung und bezeichnete die solidarischen Beziehungen zwischen ihren Mitgliedern. Dabei spielte der Topos einer Art ›Übergangsheimat Arbeiterbewegung‹, die als ›Heimat der Heimatlosen‹ fungierte,114 eine zentrale Rolle, die die materiellen Versprechen des vormodernen HeimatVerständnisses durch Solidarität einzulösen versprach. Ein gutes Beispiel für die literarische Bearbeitung der Motive von Heimatverlust, arbeitsbedingtem Zwang zur Mobilität, politischer, sozialer und kultureller Exklusionserfahrung und der Suche nach einer besseren zukünftigen Heimat ist bspw. der Gedichtband »Im Strom der Zeit« des bekannten sozialdemokratischen Schriftstellers Ernst Preczang. Preczang, gelernter Buchdrucker, Redakteur von »In freien Stunden« sowie der Zeitungsbeilage »Volk und Zeit« des »Vorwärts« und späterer Mitinitiator der Büchergilde Gutenberg, fing nach eigener Angabe als Wandergeselle zu dichten an.115 Dementsprechend dürfte auch der 1908/1909 erstmals publizierte Gedichtband eine große Leserschaft erreicht haben. Er wurde mehrfach neuaufgelegt und erschien 1929 in fünfter, veränderter und ergänzter Auflage.116 Der Band von 1929 ist in sechs thematische Teile gegliedert,117 wobei sich grob zwei große Blöcke unterscheiden lassen: ein spezifisch sozialis­ tischer mit klassenkämpferischem Impetus einerseits, ein an milieuübergreifenden Volks- und Wanderliedern orientierter andererseits.118 Der erste thematische Teil unter dem Titel »Last und Wehr« ist dem ersten Block zuzuordnen. Die Gedichte thematisieren die Befreiung aus alten Abhängigkeitsverhältnissen, die Abkehr von der Religion, Erfahrungen von erzwungenem Abschied und Mobilität, von Not und Einsamkeit, aber auch von Zukunftsemphase und der Hoffnung auf kommende Befreiung im Sozialismus. So endet der erste Teil mit dem Ausblick auf die zu erkämpfende sozialistische Zukunft. Bemerkenswerterweise ist in diesem Teil an zwei entscheidenden Stellen von Heimat die Rede: in den Gedichten »Unser die Erde« und »Wir haben keine Heimat mehr«. Das Gedicht »Unser die Erde« stellt zwei Welten einander gegenüber: eine Welt der Not und Entbehrungen und eine Welt des natürlichen Reichtums und der Naturerkenntnis. Mit dieser Gegenüberstellung verbindet es ein politisches Argument: Obgleich die Arbeiterschaft in der Gegenwart oftmals in prekären Verhältnissen leben müsse, habe sie Anspruch auf Teilhabe an der letzteren der beiden Welten. Dabei leitet der Rekurs auf Heimat in dem Gedicht den Übergang von der ersten zur zweiten Welt ein:

114 Vgl. als Quellenbeispiel Hochdorf, S. 42. 115 Vgl. Strommenger, »Heimat Arbeiterbewegung«? 116 Preczang. 117 Die Teile sind betitelt: 1. »Last und Wehr«, 2. »Brennende Welt«, 3. »Natur und Wanderschaft«, 4. »Liebe«, 5. »Lieder vom Meer«, 6. »Ausklang«. 118 Vgl. zu einer vergleichbaren Zweiteilung die TVdN-Liederbücher, bspw. Touristenverein Die Naturfreunde, Gau Schwaben.

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Sind wir gefesselt in ewiger Haft, In ächzender Not? Ist unsere Heimat in ragenden Wänden, In düsteren Höfen, Im Reiche der Schatten? Ist’s unser Los, mit den schaffenden Händen Nur immer und immer zu ringen um Brot, Nur um Brot? Sind wir nicht Menschen? … Wir sind’s!119

Menschsein implizierte für Preczang, wie auch für den Rest der Arbeiterbewegung, nicht allein die Abwesenheit von materieller Not, sondern auch die Möglichkeit, an den natürlichen und gesellschaftlichen Reichtümern der Welt zu partizipieren, was der Kapitalismus bislang verhindere. Menschsein, so Preczang, gehe über das »[R]ingen um Brot« hinaus, weswegen auch der Arbeiterschaft das Recht auf die Produkte der Erde und die Kulturgüter zukomme. Das Ende des Gedichts untermauert den Teilhabeanspruch mit folgendem Passus: Unser der Erde blühendes Reich, Unser die Liebe, die Luft und das Leben!120

Eine nahezu identische Argumentation lag der Gründung des TVdN zugrunde, die sich vor diesem Hintergrund als praktischer Umsetzungsversuch eines solchen Anspruchs verstehen lässt. Preczangs allein rhetorisch zu verstehende, sozialkritische Frage, ob »Heimat« für die Arbeiter nur in den »düsteren Höfen« – oder, wie es ein weiterer Arbeiterdichter, Walter Bauer, an anderer Stelle in ebenso sozialkritischer Absicht formulierte: in den »Mietskasernen«121 – zu finden sei, wies dem Begriff einen doppelten Bedeutungsgehalt zu. Im Sinne der vormodernen rechtlichen Bedeutung bezeichnete Heimat die Herkunfts- oder Wohnorte. Das Gedicht kritisierte die gegenwärtig menschenfeindliche Verfasstheit derselben für die Arbeiterschaft. In einem zweiten Sinne lässt sich der Begriff in dem Gedicht ebenso als Metapher für ein Zukunftsversprechen verstehen, das eingelöst wäre, wenn Heimat auch für die Arbeiterschaft bessere Wohnverhältnisse, materielle Sicherheit und die Möglichkeit zu Naturerkenntnis bereithielte.122 Trotz des spezifischen Begriffsverständnisses enthielt Preczangs Gedichtband ebenfalls eine klassisch bürgerliche Verwendung des Heimat-Begriffs, die um die Themen Wandern und Natur kreiste.123 119 Unser die Erde, in: Preczang, S. 20–21. 120 Ebd., S. 21. 121 Bauer, S. 939. 122 Unser die Erde, in: Preczang, S. 21. Dies wird in dem Gedicht nicht explizit so benannt, doch folgt es aus der rhetorischen Frage und der Kontrastierung der Hinterhofheimat mit der Schönheit der Natur. Diesbezüglich heißt es wie folgt: »Unser ist auch das herrliche Schauen / über die schimmernde Flur, / Wo die nährenden Kräfte brauen / Heimlich im Schoße der Mutter Natur.« 123 Vgl. bes. den 3. Teil »Natur und Wanderschaft«.

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Man könnte vor diesem Hintergrund argumentieren, Preczang verfolge mit dem Gedicht das politische Ziel, eine veränderte sozialistische Heimat zu erkämpfen. Doch einer solchen Interpretation scheint das wenige Seiten später folgende Gedicht »Wir haben keine Heimat mehr« zu widersprechen, das sich als Auseinandersetzung mit der spezifischen Modernisierungserfahrung der Arbeiterschaft lesen lässt. So heißt es dort: Wir sind geflohen aus des Friedens Haus Zum großen Streite in die Welt hinaus; Uns treibt die Ungeduld mit stetem Schlag Von Stund zu Stunde und von Tag zu Tag. Ewige Wanderer ziehen wir einher – Die alte Heimat wollen wir nicht mehr. Die Mutter jammert und der Vater droht, Verdammnis hinter uns, vor uns die Not; Vor uns der Haß; die Liebe sitzt im Haus Und weint ihr Leid in stiller Kammer aus. Was zuckst du, Herz? Mach’s dir nicht gar so schwer; Denn eine Heimat findest du nicht mehr. Zum Ziele auf den traumbefangnen Blick! Wir wollen nicht und können nicht zurück. Tot ist das Alte! Nur das Neue lebt Wie jene Welle, die zum Meere strebt: Ruhlos wie sie, auf Nimmerwiederkehr. Die Heimat, ach, wir sehen sie nicht mehr. Der Donner grollt; vom Berge braust der Sturm, Die Wipfel krachen, und es schwankt der Turm. Zerbrochen ist, was uns einst heilig war, Gebetlos ziehen wir in die Gefahr. Gestürzt die Götter und der Himmel leer – Denn unsere Heimat schützen sie nicht mehr. Singt uns ein Lied in diese wilde Nacht, Ein Lied vom Leben und von hehrer Pracht, Singt uns von Schönheit und von Morgenrot, Das aus der Tiefe wie ein Krater loht, Nur keine Heimatweisen, innigschwer, Denn eine Heimat haben wir nicht mehr.124

In vielerlei Hinsicht erinnert das Gedicht an romantische Gedichte, die ähnliche gesellschaftliche Auflösungsprozesse beschrieben.125 Im Gegensatz zu diesen 124 Wir haben keine Heimat mehr, in: Preczang, S. 29. 125 Vgl. zu den Heimatbezügen in Gedichten der Romantik und dem Verhältnis von Nostalgie und Aufbruch mit Fokus auf Hölderlin bspw. Gebhard u. a., S. 14–18.

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stellte die nostalgische Rückprojektion aufgrund der ebenfalls prekären Vergangenheit hier jedoch keine Option dar. An die Stelle der nostalgischen Rückwärtsgewandtheit trat eine ausgeprägte Zukunftsemphase. Das Gedicht thematisierte ähnliche gesellschaftliche Veränderungsprozesse wie Rühles »Kultur- und Sittengeschichte«. Dazu gehörten der mit der Industrialisierung einhergehende Zwang, die alte Heimat und den Familienzusammenhang zu verlassen, der Verlust an religiöser Gewissheit durch gesellschaftliche Säkularisierungsprozesse, der Zwang zur fortwährenden Mobilität, um Arbeit zu finden, die Unmöglichkeit der Rückwendung zu einer überkommenen Vergangenheit und, davon ausgehend, die alleinige Orientierung an den Versprechen der Arbeiterbewegung und der sozialistischen Gesellschaft der Zukunft. Diese konnte ihre angemessene Ausdrucksform laut Preczangs Gedicht nicht mehr in den alten und überkommenen »Heimatweisen«, sondern nur noch in den zukunftsorientierten Liedern der frühen Arbeiterbewegung, die von der ›neuen Zeit‹ kündeten, finden. An die Stelle der zukunftsverbürgenden Götter, die eine versöhnte Heimat im Jenseits in Aussicht gestellt hatten, trat in dem Gedicht das Zukunftsversprechen des – mitunter ebenfalls religiös aufgeladenen126 – »Morgenrot[s]«, das von Preczang durch die Anspielung auf den Text von »Die Internationale«127 als internationales Versprechen ausgewiesen und einem national bornierten HeimatVerständnis implizit entgegengesetzt wurde. Kurz: Das Gedicht »Wir haben keine Heimat mehr« enthielt die Darstellung des Verlusts einer alten und prekären Herkunfts-Heimat, die nicht wiederhergestellt werden könne und solle, sondern eine neue Form der Vergesellschaftung ankündigte, die noch in der Zukunft liege. Eine solche Interpretation stützt auch das letzte Gedicht »Zukunft« des ersten Buchteils, dass die angestrebte Gesellschaft in der Ferne lokalisierte.128 Preczangs zukunftsorientiertes Heimat-Verständnis war Teil der Erstauflage von 1908. Seine darin zum Ausdruck kommende Phylogenese der Arbeiterbewegung, die Anfang des 20. Jahrhunderts abbricht, müsste realhistorisch um die Integration der Arbeiterbewegung in die Nation und die Republik erweitert werden. In weiten Teilen der Sozialdemokratie stellte sich in der Weimarer Republik weniger die Frage, ob der Erfahrung des Heimatverlusts mit einer vollständigen Absage an die Suche nach einer neuen Heimat begegnet werden müsse, als vielmehr die Frage, wie diese Suche auszusehen habe und zu welchen Zielen sie bereits gelangt sei. Diese Veränderung lässt sich interessanterweise auch in Preczangs Werk selbst feststellen. In einem unveröffentlicht gebliebenen Typoskript von 1920 maß er der Arbeiterbewegung die Bedeutung zu, eine »neue seelische Heimat«129 für 126 Vgl. zum religiösen Gehalt in einem allgemeineren Sinne Hölscher, Weltgericht oder Revolution. 127 Im Text von »Die Internationale« heißt es: »Wacht auf, Verdammte dieser Erde, / die stets man noch zum Hungern zwingt! / Das Recht wie Glut im Kraterherde / nun mit Macht zum Durchbruch dringt.« 128 Zukunft, in: Preczang, S. 71. 129 Fritz-Hüser-Institut NL Preczang, Rückblick, fol. 25.

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die Arbeiterschaft geschaffen zu haben. Der 1908 getätigten prinzipiellen Absage an Heimat folgte bei Preczang 1920 demnach die Suche nach einer neuen Heimat, die einen positiven Identifikationspunkt bildete und Identität stiften sollte. In der Weimarer Republik veränderte sich analog dazu auch die sozialdemokratische Rezeption von Preczangs Werk. So diente Preczang für die Arbeiterbewegung nunmehr selbst als Identifikationsfigur. Anders als theoretische Schriften entwickelten Gedichte wie diejenigen Preczangs aufgrund ihres emotionalen Gehalts eine solche Zugkraft: Es bestand eine Korrespondenz zwischen den im Gedicht verarbeiteten Erfahrungen und der fortbestehenden Arbeits- und Mobilitätspraxis der Arbeiterschaft. Reale politische Bewegung und die ästhetische Darstellung von Mobilität und Bewegung spiegelten sich dabei.130 Sein Lebensweg wurde zudem als Beispiel für die Möglichkeit des sozialdemokratischen ›Sesshaftwerdens‹ in der ›Heimat Weimarer Republik‹ beschrieben. So befasste sich eine Nummer des »Kulturwille« – Mitteilungsblatt des linksorientierten Leipziger Arbeiter-Bildungs-Instituts (ABI) und in der Weimarer Republik eine zentrale Zeitschrift für Arbeiterbildung131 – mit den bekanntesten Arbeiterdichtern und schrieb zu Preczangs Biografie: »[Ernst Preczang] ward nicht Preuße, sondern überzeugter Weltbürger. Das hinderte ihn nicht, seine melancholische Heimat, die Lüneburger Heide, zu lieben«.132 Bemerkenswert an diesem Zitat ist nicht allein das regionale Heimat-Verständnis und die angenommene Widerspruchsfreiheit von Weltbürgertum und ›Heimatliebe‹. Bemerkenswert ist zugleich, dass der frühkindlichen Mobilitätserfahrung Prägekraft für das weitere Leben zugesprochen wurde, die kollektiv geteilte proletarische Erfahrung von ›Heimatlosigkeit‹ und Zwang zur Mobilität an dieser Stelle jedoch (zumindest teilweise) bereits ihren Schrecken verloren zu haben schien. So stellte die Betonung proletarischer ›Heimatlosigkeit‹ an dieser Stelle eine retrospektiv geäußerte Einschätzung dar, die insbesondere zu einem Zeitpunkt wirksam wurde, als die mit dem Heimatrecht verknüpfte Form der ›Heimatlosigkeit‹ ihre historische Macht verloren hatte. Als solche handelte es sich wie im Falle der bürgerlichen Heimatbewegung um eine mitunter nostalgische Erinnerung an die Vergangenheit, um eine spezifische Form der über Heimat zum Ausdruck gebrachten ›invented tradition‹, die vergleichsweise spät auftrat, da sie erst vor dem Hintergrund der Republik entstehen konnte. Die mit dem Heimat-Begriff verbundene sozialistische Nostalgie richtete sich in besonderer Weise auf vergangene Formen der arbeitsbedingten Mobilität und rekurrierte vor dem Hintergrund sich verändernder Arbeitsverhältnisse auf das Motiv des Wanderns. Ein zentrales Beispiel findet sich in dem 1918 publizierten Gedichtband »Heimat Welt«133 von Alfons Petzold wieder, einem der bekanntes130 Vgl. zu diesem Argument Beneš, S. 20–21, 34–44; daran anschließend Strommenger, Zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. 131 Vgl. zur überregionalen Bedeutung Heidenreich, S. 251. 132 Offenburg, S. 238. 133 Petzold.

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ten österreichischen Arbeiterdichter, der auch in der deutschen Sozialdemokratie breit rezipiert wurde.134 Petzold befasste sich in dem Gedichtband einerseits mit einer sozialkritischen Erörterungen von Mobilität und sich verändernden Arbeitsverhältnissen. Andererseits finden sich darin auch Gedichte, in denen Mobilität, insbesondere in Form des Wanderns, weit weniger negativ konnotiert ist. Sowohl in dem Gedicht »Großstadtflucht« als auch in dem 1912 erstmals publizierten Gedicht »Der ewige Wanderer« erscheint die in der Gegenwart weiter bestehende Mobilität viel eher als selbst gewählte Lebensführung oder Freizeitbeschäftigung denn als Ausdruck eines Zwangs: Immer so ganz zum letzten Verstehen bereit, Ein seidener Nerv, der jede Bewegung spürt, Geb’ ich der eilenden Stunde mein schnelles Geleit Und bleibe nicht dort, wohin mich der Weg geführt. […] Fester faß ich den Stab und schreite hurtig aus – – Ich wandre auch in den Nächten, die meine Sehnsucht erhellt Und höre ich einen loben seine enge Heimat, sein Haus, So singe ich ihm entgegen mein Lied Von der Heimat: Welt.135

Diese veränderte Bedeutung des Wanderns in den Gedichten entsprach einer sozialgeschichtlich veränderten Wanderpraxis, die zu einer Freizeitbeschäftigung immer größerer Teile der Arbeiterschaft wurde. Die Möglichkeit nostalgischer Rückprojektion auf die vergangene Mobilitätserfahrung lässt sich dabei wiederum auf die Verknüpfung von individueller Lebensgeschichte und kollektiver Bewegungsgeschichte zurückführen: So diente das Motiv des Wanderns als zentrale Metapher für den Weg der Arbeiterbewegung in Richtung Sozialismus, die den individuell begonnenen Weg vollenden sollte und dabei, so die Einschätzung der reformorientierten Parteifraktionen, bereits zentrale Wegmarken passiert hatte.136 Die analysierten wissenschaftlichen, literarischen und autobiografischen Deutungen des ›Weges der Arbeiter in die Moderne‹ widersetzten sich zudem dem von bürgerlicher Seite zugemessenen Objektstatus. Die spezifisch sozialistische Modernisierungserfahrung sichtbar zu machen und damit die vonseiten der Heimatbewegung proklamierte Idylle der Vergangenheit als alles andere denn idyllisch auszuweisen, stellte wohl eines der zentralen Anliegen dar.137 Zwar stimm134 Vgl. bspw. für die Pfalz »Der arme Konrad 1924«, dem Alfons Petzolds Gedicht »Die Frage« als Motto vorangestellt ist. 135 Der ewige Wanderer, in: Petzold, S. 61. 136 Vgl. zur veränderten Wanderpraxis Kapitel 3.3.1; zur Metaphorik die in Kapitel 1.2.2 behandelte Maipostkarte; sowie Renner, S. 4. 137 Auch die Forschung hat die »ländlichen Heimatidyllen« als bürgerliche Erfindungen ausgewiesen, ohne gleichwohl die Kritik der Arbeiterbewegung einzubeziehen. Vgl. Schmoll, Erinnerung an die Natur, S. 444.

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ten die Gesellschaftsdiagnosen bis zu einem gewissen Grad überein und teilten naturgemäß wesentliche Eckpunkte, den Fokus auf Industrialisierung, Moderne, Mobilität. Zugleich beantworteten sie die Problemlagen, die die Gesellschaft als Ganzes herausforderten, jedoch auf andere Weise.138 Zentrales Ausgangsmotiv sozialdemokratischer Heimat-Deutungen bildete die Erfahrung gesellschaftlicher, d. h. sozialer und politischer Exklusion, die mit dem mehrdeutigen Begriff der ›Heimatlosigkeit‹ belegt wurde. Diese resultiere unter anderem aus dem Prozess der Industrialisierung, der die (jetzigen) Arbeiter aus ihren vormaligen Abhängigkeitsverhältnissen, mithin aus der Gebundenheit an die engen, oftmals prekären Verhältnisse in der Herkunfts-Heimat befreit habe. Doch statt wirk­licher Befreiung habe dieser historische Prozess den Arbeitern erneute Abhängigkeit und materielle Unsicherheit gebracht, sie zu ›Heimatlosigkeit‹ und fortwährender Mobilität verdammt. Vor diesem ambivalenten Hintergrund wurde der Heimatverlust im Gegensatz zu den meisten bürgerlichen Darstellungen als ein irreversibler Prozess konzeptualisiert. Eine Rückkehr zu vorindustriellen Abhängigkeitsverhältnissen war aus Sicht der Arbeiterbewegung weder möglich noch wünschenswert. Stattdessen verknüpfte sich mit der Entstehung der Arbeiterbewegung die Hoffnung auf eine kollektiv erkämpfte bessere Zukunft, die unabhängig von Fragen der Herkunft für alle Menschen gelten sollte.139 Mit Blick auf diesen Zukunftsbezug lässt sich argumentieren, dass das sozialistische Heimat-Verständnis die vormodernen Bedeutungsgehalte des Heimatrechts und des religiösen Verweises aufs Jenseits, Immanenz und Transzendenz, Herkunft und Zukunft neu zusammenführte: Eine versöhnte und inklusive Heimat aller Mensch unabhängig von Fragen der Herkunft und des Besitzes sollte es aus Sicht der Arbeiterbewegung nicht erst im Jenseits geben. Dem sozialistischen Heimat-Verständnis kam demnach eine ähnliche eschatologische Zukunftserwartung zu, wie sie Lucian Hölscher für die sozialistische Revolutionserwartung im Kaiserreich herausgearbeitet hat.140 Anhänger des Sozialismus aktualisierten die Vorstellung von Heimat als Versöhnung in säkularisierter Form und nutzten sie als Chiffre für einen revolutionären Prozess und zukünftigen Zustand. Ernst Blochs immer wieder zitiertes Diktum des ›Umbaus der Welt zur Heimat‹ aus »Das Prinzip Hoffnung«, das häufig als alleiniges Beispiel für einen utopischen Heimat-Bezug angeführt wird, besitzt hier also seinen ideengeschichtlichen Hintergrund und ist nur das vielleicht bekannteste Beispiel einer geschichtswissenschaftlich bislang kaum beachteten sozialistischen Heimat- Deutungstradition.141 138 Martina Steber nimmt für die schwäbische SPD und die regionale Naturfreundebewegung an, dass sich deren Krisendiagnose weitgehend mit derjenigen der bürgerlichen Gruppierungen deckte. Vgl. Steber, S. 285–287. Für andere Regionen und den sozialistischen Diskurs zeigt sich hingegen, dass die SPD in der Beschäftigung mit der Moderne wesentliche eigene Schwerpunkte zu setzen vermochte. 139 Vgl. zu dieser Verbindung von Herkunft und Zukunft in der Arbeiterbewegung Gerber, Klasse und Ethnie; mit Fokus auf jüdische Sozialisten Brenner, S. 23. 140 Vgl. Hölscher, Weltgericht oder Revolution. 141 Vgl. Bloch, S. 1628.

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2.3 Umkämpfte Zeiten: Zeit- und Geschichtsbezüge der sozialdemokratischen Heimat-Kulturpolitik in der Weimarer Republik Das Problem des Zusammenhangs von gesellschaftlicher Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft war nicht allein im Rahmen sozialistischer Heimat-Sematiken von Bedeutung. Da insbesondere die reformorientierte SPD Heimat in der Weimarer Republik als Gegenwartsaufgabe verstand, stellte sich darüber hinaus die Frage, welche Rolle einer veränderten Auseinandersetzung mit der regionalen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft für die Gestaltung der demokratisierten Heimat-Räume zukomme. Damit war in lokalen und regionalen Räumen die Suche nach einer sowohl sozialdemokratisch als auch republikanisch ausgerichteten Regionalkultur verbunden. Die sozialdemokratische Heimat-Kulturpolitik verfolgte u. a. das Ziel, auch im lokalen und regionalen Raum für die demokratische Republik, und – in weit eingeschränkterem Maße – den Sozialismus, zu werben. Sie grenzte sich von der bisherigen, bürgerlichen Heimat-Kulturpolitik ab. Gleichzeitig existierten zentrale inhaltliche und personelle Schnittmengen zwischen der Praxis der beiden Milieus. Während in Kapitel 1.3 die Orte der sozialdemokratischen Heimat-Praxis im lokalen und regionalen Raum im Zentrum des Interesses standen, fokussiert dieses Kapitel die unterschiedlichen Zeit- und Geschichtsbezüge, die sie auszeichneten. Die Hintergründe und politische Ausrichtung einer solchen Heimat-Kulturpolitik lassen sich an zahlreichen Praxisfeldern nachvollziehen, zu denen u. a. Architektur und Denkmalschutz, Wohnungs- und Städtebau, die naturkundliche Auseinandersetzung mit oder die ästhetische Verarbeitung von Heimat zählten.142 Einen besonderen Kristallisationspunkt fand sie jedoch in der sozialdemokratischen Heimatgeschichtsschreibung und Heimatkunde, die sich in pädagogischer Absicht an Arbeiterkinder richtete. Daher dienen diese beiden Praxisfelder im Folgenden als Beispiele für die Analyse der zugrunde liegenden Zeitbezüge und Geschichtskonzeptionen. Ein Fokus liegt dabei auf der Frage, wie sich inhalt­liche und funktionale Zeitbezüge in beiden Beispielfällen zueinander verhielten. 2.3.1 Umkämpfte Vergangenheit: Eine neue Perspektive auf Heimatgeschichte Ein zentrales Feld sozialdemokratischer Heimat-Kulturpolitik bildete die Heimatgeschichtsschreibung.143 Dabei ist es wichtig zu betonen, dass das sozialdemokra142 Die »Wohnungsfrage« war in der sozialistischen Auseinandersetzung um Heimat ein wiederkehrender Bezugspunkt, der in dieser Arbeit nicht im Fokus steht. Vgl. dazu Strommenger, Friedrich Engels’ »Zur Wohnungsfrage«. 143 Vgl. unabhängig von Heimat-Bezügen zu dem generell zunehmenden Interesse an den Geschichts- und Traditionsbezügen der Arbeiterbewegung Berger, Gewerkschaftsgeschichte; Mittag u. Unfried.

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tische Interesse an der revolutionären Geschichte der Region nicht grundsätzlich neu war. Seit dem Kaiserreich setzte sich bspw. die Pfälzer SPD mit der Geschichte des Hambacher Festes auseinander, in dessen Tradition sie sich stellte, um ihren politischen Argumenten der Gegenwart größeres Gewicht zu verleihen. In der Weimarer Republik veränderte sich diese sozialdemokratische Geschichtsschreibung jedoch in einem wichtigen Punkt: Während der Rekurs auf die Pfalz als Heimat bereits im Kaiserreich stellenweise existierte, erhielt diese Bezugnahme in der Weimarer Republik nicht nur quantitativ größere Bedeutung, sondern wurde explizit als Heimatgeschichte gelabelt.144 Diese Veränderung blieb für die Form­ gebung des historischen Materials und die Herangehensweise an Geschichtsschreibung nicht ohne Folgen. Dies zeigt sich an der sozialdemokratischen Heimatbeilage »Bei uns daheim«. Die Herausgabe von »Bei uns daheim« fügte sich in eine Entwicklung, die in der Weimarer Republik vielerorts einsetzte und die Celia Applegate als Trend zum »do-it-yourself«145 in der Heimatgeschichtsschreibung beschrieben hat. Bereits im Kaiserreich sollten heimatkundliche Beilagen zur Regionalpresse der Popularisierung des Heimatgedankens dienen, repräsentierten aber das spezifische Heimat-Verständnis des städtischen Bürgertums, das die Beilagen oftmals verantwortete. In der Weimarer Republik erfolgte vor dem Hintergrund des gesamtgesellschaftlichen Heimat-Booms in zwei Bereichen eine partielle Demokratisierung: Zum einen brachten selbst kleinere Orte oder Zeitungen ihre eigene Beilage heraus. Zum anderen weitete sich die Herausgeber- und Autorenschaft teilweise auf heimatkundlich wenig oder selbst geschulte Personen aus. Schon seit dem Kaiserreich kritisierten die Historischen Vereine solche Popularisierungsbestrebungen als Angriff auf ihren professionellen Anspruch, worin sich nicht zuletzt die Sorge vor einem Verlust ihrer Deutungshoheit über die regionale Geschichte äußerte.146 Eine sozialdemokratische Heimatbeilage spiegelte diese generelle Entwicklung und radikalisierte sie als parteipolitisches Projekt zugleich. Ihre Publikation ging auf Beratungen zwischen der Redaktion der »Pfälzischen Post«, insbesondere dem Redakteur Friedrich Steffen, und dem sozialdemokratischen Volksschullehrer Hans Loschky zurück. Loschky, der bereits die regionale Kinderbeilage »Die Welt der Kleinen« der Zeitung betreute, hatte die Idee einer Heimatbeilage aufgeworfen. Zwar zeigte sich Steffen zunächst skeptisch, in erster Linie aus finanziellen Gründen, wegen des Arbeitsaufwands und des Mangels an geschultem Personal in der Partei. Doch Loschkys Zusage, die Schriftleitung zu übernehmen, konnte die Zweifel schließlich ausräumen.147

144 Vgl. als Quellenbeispiel Herzberg, Vorwort; zur Einordnung Strommenger, »Hambach«. 145 Applegate, S. 168. 146 Vgl. ebd., S. 88. 147 Vgl. StALu, N5, 147, fol. 4–6. Friedrich Steffen und Hans Loschky arbeiteten im Bildungsausschuss des SPD-Bezirks Pfalz zusammen. Vgl. SPD Bezirk Pfalz, Bericht 1927, S. 20.

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Von 1925 bis 1932 lag »Bei uns daheim« der Ludwigshafener »Pfälzischen Post«, später auch der »Pfälzische Freie Presse« aus Kaiserslautern, zunächst in monatlichem, später in halbmonatlichem Turnus bei. Die Konzeption, Schriftleitung und redaktionelle Gestaltung der acht Jahrgänge lagen maßgeblich in Loschkys Hand. Nach einer kurzen Etablierungsphase erschienen die seitenstärksten Jahrgänge zwischen 1926 und 1930, bevor die letzten beiden Jahrgänge nicht zuletzt aus finanziellen Gründen infolge der Weltwirtschaftskrise von 1929 erneut einen geringeren Seitenumfang aufwiesen.148 Ab 1926 gab der Bildungsausschuss des SPD-Bezirks Pfalz die Beilage im regionalen Parteiverlag Gerisch & Cie. zudem als Jahresgesamtausgabe heraus. Mit der Publikation der Jahresgesamtausgaben erfolgte eine Professionalisierung der Bildungsarbeit und regionalen Kulturpolitik der SPD, zumal dieses Vorgehen ebenfalls die Kinderbeilage »Die Welt der Kleinen« umfasste. Die wenigen Forschungsarbeiten, die sich bislang am Rande mit »Bei uns daheim« befasst haben, sind hinsichtlich des Charakters der Beilage zu unterschiedlichen Einschätzungen gekommen. Applegate betont insbesondere die Ähnlichkeiten zu bürgerlichen Heimatbeilagen und begründet dies nicht allein mit zahlreichen Autoren aus der Heimatbewegung, sondern ebenfalls mit der »same unmistakable Heimat mixture of sentimental poetry, folklore, and popular science«.149 Dagegen konstatiert Stefan Mörz das »sozialdemokratische[] Gesicht«150 der Beilage, was Schnittmengen mit bürgerlichen Beilagen oder ein instrumentelles Interesse der Redakteure gleichzeitig nicht ausschließe.151 Auch wenn Applegate mit dem Verweis auf die Autorenschaft einen wesentlichen Punkt trifft, ist Mörz in einem Punkt, den auch Applegate andeutet, jedoch nicht weiter verfolgt, zuzustimmen: »Bei uns daheim« publizierte Erinnerungen altgedienter SPD-Mitglieder aus der Pfalz sowie sozial- und wirtschaftsgeschichtliche Texte, wodurch sich die Beilage von ihrem bürgerlichen Konterpart unterschied.152 In ähnlicher Weise argumentiert eine retrospektive Einschätzung aus dem Nachlass Loschkys. Darin heißt es, dass es Loschky durch die Erhellung der »spezifische[n] Entstehung und Entwicklung der Sozialdemokratischen Partei in der eigenen Heimat« darum ging, »die angestrebte Kombination der gemeinsamen Förderung von heimatlichem und politischem Bewußtsein zu erreichen« und »eine bloße Kopie« der etablierten Heimatblätter zu vermeiden.153 Dieser ambivalente, aus der historischen Rückschau nur schwierig zu greifende Charakter der Beilage macht eine detaillierte Analyse der Konzeption und Um148 Vgl. dazu die Geleitwörter zum 6. Jg. von 1930 und zum 7. Jg. von 1931. Der Seitenumfang der acht Jahrgänge gestaltete sich wie folgt: 1. Jg. (1925) rund 55 Seiten, 2. Jg. (1926) rund 75 Seiten, 3. Jg. (1927) rund 105 Seiten, 4. Jg. (1928) rund 130 Seiten, 5. Jg. (1929) rund 140 Seiten, 6. Jg. (1930) rund 145 Seiten, 7. Jg. (1931) rund 110 Seiten, 8. Jg. (1932) rund 75 Seiten. 149 Applegate, S. 166. 150 Mörz, S. 95. 151 Vgl. ebd. 152 Zu nennen wäre hier etwa der Heimatkalender »Jäger aus Kurpfalz«. 153 StALu, N5, 147, fol. 4–6.

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setzung sozialdemokratischer Heimatgeschichtsschreibung erforderlich. Während sich die Konzeption aufgrund fehlender Redaktionsprotokolle zuallererst unter Bezug auf die acht Geleitwörter der Jahresgesamtausgaben und auf einige Dokumente aus dem Nachlass Loschkys rekonstruieren lässt, basiert die Analyse der Umsetzung auf der Lektüre der insgesamt rund 850 Seiten umfassenden acht Jahrgänge von »Bei uns daheim«. Dabei sind die Zeit- und Geschichtsbezüge der Beilage von besonderem Interesse, was sich in Form dreier Fragen spezifizieren lässt: 1. Mit welcher Vergangenheit beschäftigte sich »Bei uns daheim«, welche Inhalte untersuchte sie? 2. Wie und von wem wurden diese Inhalte verschriftlicht? 3. Aus welchen Gründen erfolgte die Beschäftigung, welche Funktion wurde einer solchen Beschäftigung zugemessen? 2.3.1.1 Konzeption sozialdemokratischer Heimatgeschichtsschreibung Am 03.01.1925 erschien in der »Pfälzische Post« eine kurze Annonce mit dem Titel »Bei uns daheim«, die das baldige Erscheinen der Beilage ankündigte. Die Annonce skizzierte zum einen deren konzeptionellen Zuschnitt. Zum anderen richtete sie sich vorsorglich an potenziell zweifelnde Leser und legte dar, aus welchen Gründen eine sozialdemokratische Beschäftigung mit Heimatgeschichte notwendig sei: Ob wir wollen oder nicht: Der Heimatboden hat uns zuerst getragen, hier wohnten unsere Eltern und die ersten Worte, die über unsere Lippen kamen, hatten heimatlichen, bei uns pfälzischen Klang. Das Leben der Heimat, das uns umgebende Volkstum zog durch die Tore der Sinne ein in unsere Seele und war bestimmend bei der Formung unseres Inneren. Wohl ist es für viele mit der Bodenständigkeit vorbei und mancher schöne Zauber ist dahin, aber was die Heimat uns mitgegeben hat an wertvollem Gut, können wir nicht abschütteln, das geht mit uns durchs Leben und klingt an in heiteren und in ernsten Stunden.154

Es lässt sich nicht mit Sicherheit sagen, ob sich die Rechtfertigung in erster Linie an parteiinterne Kritiker richtete. Angesichts des verbreiteten Arguments proletarischer ›Heimatlosigkeit‹ im Kapitalismus ist zumindest gut vorstellbar, dass die Begründung in der Arbeiterbewegung auf Kritik stieß – zumal ein nicht unwesentlicher Teil derselben aufgrund eigener Mobilitätserfahrungen ursprünglich gar nicht aus der Pfalz stammte. Zwar deutete auch die Annonce die Auflösung vergangener Vergesellschaftungsformen an, ging jedoch – anders als die in Kapitel 2.2. analysierten Texte und Gedichte – nicht darauf ein, dass sich auch die Vergangenheit für die entstehende Arbeiterschaft alles andere als heimatlich dargestellt hatte, sondern sprach diesbezüglich von einem verloren gegangenen »schöne[n] Zauber«. Auch darüber hinaus deckte sich die Begründung der Beilage erstaunlich weitgehend mit den Prämissen der bürgerlichen Heimatkunde, wonach der Einzelne durch die Heimat unwiderruflich vorgeprägt sei.155 154 N. N., Ankündigung. 155 Vgl. als einen der bekanntesten Texte Spranger.

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Trotz dieser auffälligen Schnittmengen grenzte die Annonce das sozialdemokratische Projekt zugleich vom bislang praktizierten Vorgehen ab, das die Sozialund Wirtschaftsgeschichte unzulässigerweise vernachlässigt, sich weder mit der Geschichte der Arbeitsverhältnisse noch derjenigen der Arbeiterschaft befasst und auch die revolutionären Bewegungen in der Region unberücksichtigt gelassen habe. Vor diesem Hintergrund wolle die SPD »Bausteine zu einer noch zu schreibenden Wirtschaftsgeschichte der Pfalz und zugleich Beiträge zum Gesellschaftsleben der letzten Jahrzehnte« abgeben.156 »Bei uns daheim« beanspruchte demnach, eine sozialdemokratisch veränderte Konzeption von Heimatgeschichte zu etablieren. Das Ziel liege darin, die bürgerlichen Versäumnisse nachzuholen und die ungeschriebenen Teile der pfälzischen Heimatgeschichte zu erarbeiten, was eine veränderte Quellenauswahl und eine neue Methodik nach sich ziehen müsse. Zudem müsse sie diejenigen Themen behandeln, die noch für die Gegenwart von Bedeutung seien. Erst auf dieser erweiterten regionalen Wissensgrundlage könne die regionale Gegenwart  – und, wie einem späteren Geleitwort zu entnehmen ist, auch die regionale Zukunft157 – in sozialdemokratischem Sinne ge­staltet werden. Die Anlage und Konzeption der Beilage veränderte sich im Erscheinungszeitraum von 1925 bis 1932 nur unwesentlich. Auch in den folgenden sieben Geleitwörtern nahm Loschky drei Punkte immer wieder auf: die Notwendigkeit der Gegenstandserweiterung, die Frage einer veränderten Methode und das Ziel einer demokratisierten Autorenschaft. Gegenstandserweiterung und Methode Wie zentral die Gegenstandserweiterung in Loschkys Konzeption war, verdeutlicht deren prominenter Platz in den Geleitwörtern. Das Geleit zum 5. Jahrgang von 1929 argumentierte, die Beilage solle »Stoffe aufgreifen und auf Stoffgebiete hinweisen, die gern übersehen werden, deren Bearbeitung aber zum Gesamtbild der Aeußerungen und Erscheinungen unserer Heimat gehört.« Ihr Ziel liege darin, »in jedem Jahrgang etwas von dieser Besonderheit« zu behandeln und »Bausteine zur Geschichte der Arbeiterbewegung der Pfalz und damit zugleich Beiträge zum Verständnis der Lage der unteren Volksschichten« zu liefern.158 Loschky benannte die Spezifik von »Bei uns daheim« demnach explizit und argumentierte, erst die Berücksichtigung bislang vernachlässigter Seiten der regionalen Vergangenheit löse den bürgerlichen Anspruch einer umfassenden Beschäftigung mit Heimat überhaupt ein. Gleichzeitig verdeutlicht das Geleit, dass Artikel zur Geschichte der Arbeiterbewegung nur einen Teil der Beilage ausmachen, diese auch etablierte Themen der Heimatgeschichte behandeln sollte. Das Verhältnis von »Bei uns daheim« zum gesellschaftsübergreifenden Interesse an Heimat fasste Loschky im Geleit zum 6. Jahrgang von 1930 ähnlich zusammen:

156 N. N., Ankündigung. 157 Es handelt sich dabei um das Geleitwort des 3. Jahrgangs von 1927. 158 Geleitwort zum 5. Jahrgang von 1929.

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Unsere Beilage will nicht eine sein unter vielen. Sie versucht ihren eigenen Weg zu gehen und Aufgaben zu sehen und zu lösen, für die andere keinen Blick haben. Es sollte jede Heimatbeilage eine besondere Art herausarbeiten und von ihrer Seite aus einen Beitrag leisten zur Erforschung der Heimat, zugleich künden vom Leben, Schaffen und künstlerischen Gestalten um uns herum.159

In Loschkys Verständnis schlossen sich sozialdemokratische und bürgerliche Heimatgeschichte demnach nicht aus, sondern ergänzten sich. Um den spezifischen Anspruch der Beilage einzulösen, waren verschiedene Teile vorgesehen. Historische »Abhandlungen« sollten die bislang verdeckten regionalen Arbeits-, Wirtschafts- und Sozialverhältnisse erarbeiten, zu denen auch die vergangenen demokratischen und proletarischen Bewegungen gehörten. Die Untersuchung der Heimat »von der anderen«, »der gewerkschaftlichen Seite« aus ergänzte in Loschkys Konzeption die etablierte Sichtweise auf »heimatliche[] Industriezweig[e]«, die in »Bei uns daheim« ebenfalls ihren Platz haben sollte.160 Zudem sollten Erinnerungen altgedienter SPD-Mitglieder die bislang vernachlässigten Teile der Heimatgeschichte erhellen: »Auch solche Aufzeichnungen gehören zur Geschichte.«161 Indem Loschky den Erinnerungen von Sozialdemokraten, die sich vormals als Arbeiter und Handwerker verdingt hatten, – anders als bürgerliche Heimathistoriker – Geschichtswürdigkeit zusprach, weitete er den Inhalt der Heimatgeschichte über das etablierte Maß hinaus aus und beanspruchte, Heimat auf mehreren Ebenen zu demokratisieren.162 Auch das Geleitwort zum 4. Jahrgang von 1928 forderte, »das Gebiet der Erinnerungen« zu pflegen. Sie seien zum einen ein einmaliges »Stück Menschentum«, zum anderen »wertvolle Bausteine für die noch zu schreibende Geschichte des Arbeiterstandes in der Pfalz.«163 Für Loschky waren die Erinnerungen folglich ebenso doppeldeutig wie sein Gesamtvorhaben, waren sowohl Teil einer parteiübergreifenden Heimat als auch spezifisch sozialdemokratisch. Die angestrebte Gegenstandserweiterung unterschied sich dabei in zahlreichen Punkten nicht grundsätzlich von der etablierten Praxis, sondern radikalisierte einige ihrer Prinzipien. So hat Applegate mit Blick auf die partielle Demokratisierung der Heimatgeschichtsschreibung in der Weimarer Republik argumentiert, dass ein zunehmendes Interesse an Volkskunde und Alltagsgeschichte dazu führte, auch Alltagsgegenständen Geschichtswürdigkeit zuzusprechen.164 Ob159 Geleitwort zum 6. Jahrgang von 1930. 160 Ebd. Im 5. Jahrgang von 1929 war der erste Artikel erschienen, auf den Loschky sich an dieser Stelle bezog. Vgl. Feldmüller, Entwicklung der Pirmasenser Schuhindustrie. 161 Geleitwort zum 3. Jahrgang von 1927. 162 Vgl. Strommenger, Sozialdemokratische Erinnerungspraxis in der Pfalz, S. 71–81. 163 Geleitwort zum 4. Jahrgang von 1928. Bezeichnenderweise richtete sich Loschky darin an potenzielle Kritiker, vermutlich aus dem bürgerlichen Milieu. Die vorauseilende Verteidigungshaltung zeigt, dass Loschky mit der Beilage in hohem Maße auf Anerkennung seitens der Heimatbewegung zielte. 164 Vgl. Applegate, S. 49. Applegates Einordnung bezieht sich sogar schon auf die Zeit der 1860er und 1870er Jahre.

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gleich damit prinzipiell alles zur Heimatgeschichte gehören konnte, hatte sich die bürgerliche Praxis jedoch aus politischen Gründen gescheut, diesem Prinzip konsequent zu folgen: Allenfalls das Hambacher Fest von 1832 und die Revolution von 1848/49, die auch die Sozialdemokratie bereits im Kaiserreich als Bestandteile ihrer Parteitradition auszuweisen versuchte,165 fanden in der Heimatbewegung als Bezugspunkte Beachtung. Hierbei wies die bürgerliche Heimatgeschichte im Kaiserreich eine nationalistische Stoßrichtung auf, die in der Weimarer Republik teilweise durch den Bezug auf eine demokratisierte Nation abgelöst wurde.166 Dagegen ignorierte sie vergangene prekäre Arbeitsverhältnisse, Armut und politische Konflikte ebenso wie die entstehende Arbeiterbewegung in der Regel vollständig. Dies lag zuallererst daran, dass einem solchen Vorgehen seit dem Kaiserreich ein weiteres, oftmals unausgesprochenes Prinzip bürgerlicher Heimatgeschichte entgegenstand: die Absicht, regionale oder nationale Einheit zu begründen. Der dabei angeführte – nur vermeintlich – unpolitische Charakter von Heimat und Nation diente der Herrschaftsabsicherung, weswegen die bürgerliche Seite bemüht war, das vergangene Zusammenleben als möglichst harmonisch darzustellen. Daher legte sie ihren Fokus häufig auf das Spätmittelalter und die Frühe Neuzeit, während der näheren Vergangenheit kaum Beachtung zuteil wurde. Dieser zeitliche Fokus änderte sich auch in der Weimarer Republik nur teilweise.167 Die sozialdemokratische Radikalisierung der heimatgeschichtlichen Prinzipien – oder das in diesem, wie auch in anderen Fällen lancierte Argument, den bürgerlichen Anspruch überhaupt erst wirklich einzulösen168 – veränderte deren politische Stoßrichtung dabei potenziell in einem wesentlichen Punkt: Indem »Bei uns daheim« vorwiegend Inhalte der jüngeren Vergangenheit zu behandeln beabsichtigte, stellte sich die Geschichte der Pfalz als wesentlich konflikthafter dar als in bürgerlichen Beilagen. Die angekündigte Auseinandersetzung mit historischen Arbeitsverhältnissen und der Arbeiterbewegung, insbesondere jedoch der Abdruck sozialdemokratischer Erinnerungen sprengten deren Themenkreis. Da die politische Sozialisation der sich erinnernden SPD-Mitglieder in der Regel in den 1870er und 1880er Jahren stattgefunden hatte, mussten die Erinnerungen zwangsläufig zu einer Thematisierung ihrer politischen Verfolgung unter dem ›Sozialistengesetz‹ führen. Die vergangene Konflikthaftigkeit sagt gleichwohl noch nichts darüber aus, ob sich auch die Gegenwart in der Weimarer Republik aus sozialdemokratischer Sicht weiterhin konfliktär darstellte oder ob »Bei uns daheim« zur Legitimation der nunmehr republikanischen Herrschaftsverhältnisse führen sollte, mithin eine Art verspätete bürgerliche Heimatgeschichtsschreibung darstellte. 165 Vgl. Strommenger, »Hambach«. 166 Vgl. Applegate, S. 64, 89–90, 166–169, 193–196. 167 Vgl. zum Kaiserreich Confino, Nation as a Local Metaphor, S. 101–108; Applegate, bes. S. 87– 103; Steber, bes. S. 71–132; zur Weimarer Republik Applegate, bes. S. 165–167. 168 Dieses Argument, den bürgerlichen Anspruch erst wirklich einzulösen, war in der SPD verbreitet. Vgl. hinsichtlich der Kommunalpolitik Schmidt, Begrenzte Spielräume, S. 303–309.

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Als zweiten Punkt implizierte Loschkys Konzeption eine erweiterte und veränderte Methode. Er wandte sich gegen den Abdruck »verstaubte[r] Urkunden«,169 den er als überkommene Praxis der etablierten Heimatgeschichte auffasste. Deren trockene, akademische und elitäre Herangehensweise stellte die Abgrenzungsfolie zu einer gegenwartsadäquaten Erneuerung dar. Das Geleitwort zum 3. Jahrgang von 1927 widmete sich erneut der veränderten methodischen Herangehensweise und betonte, dass das »Vergangene« keinen »Selbstwert« darstelle, sondern um so wichtiger sei, »je mehr es für die Formung unseres eigenen und die des Lebens der Gegenwart Bedeutung hat.« Daraus folgerte es: Wer seine Freude daran hat, jeden Burgfelsen und jeden Gewannenstein abzutasten und zu verzeichnen, mag es tun; auf solche Arbeit können wir nicht verzichten. Aber sie darf die Heimatpflege nicht beherrschen, weil dann zur Erstarrung nur noch ein kleiner Schritt ist. Wir möchten mehr und mehr den lebendigen, den arbeitenden und werteschaffenden Menschen in den Mittelpunkt rücken.170

In Loschkys Konzeption stellte Heimat demnach eine dynamische Kategorie dar, in deren Mitte der »arbeitende Mensch« stehe. Diese Dynamik müsse sich auch in der Heimatgeschichte niederschlagen, die inhaltlichen Wandel darstellen und selbst methodischen Veränderungen unterworfen sein müsse. Ähnliches forderten auch die Naturfreunde, bei Loschky erhielt das Argument durch den Bezug auf den »werteschaffenden Menschen« jedoch eine ambivalente, politisch nur schwer einzuordnende Schlagseite. Auffällig ist jedenfalls, dass sein Rekurs auf Dynamik und seine Abgrenzung von einer überholten, erstarrten Praxis der Heimatgeschichtsschreibung eine Tendenz zur Wissenschaftskritik und einem Unmittelbarkeitskult enthielt. Autoren und Rezeption In den bisherigen Ausführungen ist bereits angeklungen, dass die Konzeption einer Demokratisierung der Praxis des Geschichteschreibens zentrale Relevanz zumaß. Dazu sollte die Arbeiterschaft nicht nur zum Objekt, sondern auch zum Subjekt derselben avancieren. Zum einen forderte Loschky eine erweiterte sozialdemokratische Autorenschaft. Die Geschichte der Arbeitsverhältnisse, der Arbeiterbewegung und ihrer demokratischen, mitunter gar revolutionären Vorläuferbewegungen sollte aus sozialdemokratischer Sicht erzählt werden.171 Es liegt daher nahe, dass es Loschky darum ging, mit Artikeln aus sozialdemokratischer Perspektive in die Heimatbewegung hineinzuwirken. Umgekehrt sollten Sozialdemokraten durch die Praxis der Heimatgeschichtsschreibung gleichzeitig in engere Auseinandersetzung mit der Heimat treten. Zum anderen war es das erklärte Ziel, eine breite Leserschaft zu erreichen und die Arbeiterschaft, wenn nicht als Autoren, so doch zumindest als aktive Rezipienten einzubinden. So forderten die 169 N. N., Ankündigung. 170 Geleitwort zum 3. Jahrgang von 1927. 171 Vgl. Geleitwort zum 6. Jahrgang von 1930.

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Geleitwörter die Leserinnen und Leser auf, Fortsetzungsartikel auszuschneiden und aufzubewahren: »An unsere Leser! Die große Abhandlung über den Bauernkrieg braucht vier bis fünf Forstsetzungen. Es wird gut sein, wenn jeder Leser die Heimatbeilage ausschneidet und aufhebt.«172 Wie viele Personen dieser Aufforderung zur aktiven Partizipation folgten, wie viele die Beilage aus politischen oder ökonomischen Gründen hingegen lieber als Brennmaterial nutzten, ist aufgrund fehlender Quellen leider nicht rekonstruieren. Die Schriftleitung zumindest beklagte sich wiederholt über den zu kleinen Kreis an Rezipienten sowie den ausbleibenden Absatz der Jahresgesamtausgaben.173 Dahingegen finden sich Rezeptionseindrücke, bspw. in Form von Rezensionen aus der Heimatbewegung und Volksbildung.174 Die zumeist positiven Besprechungen führte die Schriftleitung von »Bei uns daheim« nicht ohne Stolz an.175 Wie im Falle der Gegenstandserweiterung radikalisierte »Bei uns daheim« auch hinsichtlich des geschichteschreibenden Subjekts Tendenzen, die die bürgerliche Heimatgeschichte in der Weimarer Republik ebenfalls prägten. Dazu gehörte das bereits genannte »do-it-yourself«-Verständnis, in dessen Rahmen Kurse zur Lokalgeschichtsschreibung veranstaltet wurden.176 Über den hier verhandelten spezifischen Fall hinaus lässt sich diese Entwicklung als Indikator einer zunehmenden Pluralisierung des Feldes verstehen. Die bereits um die Jahrhundertwende zutage tretende Konkurrenz verschiedener Akteure der Heimatgeschichte spitzte sich in der Weimarer Republik zu. Die bürgerliche Seite wurde nunmehr durch die SPD als neue Akteurin auf dem Feld der regionalen Heimat-Kulturpolitik herausgefordert. Funktion Loschky radikalisierte das bürgerliche Vorgehen noch in einer dritten Hinsicht: Er schrieb sozialdemokratischer Heimatgeschichte auch eine andere Funktion zu. Für Loschky stellte die Auseinandersetzung mit Geschichte keinen Selbstzweck dar. Stattdessen solle die Analyse des Vergangenen als »Deuter des Gegenwärtigen«177 fungieren und, wie er an anderer Stelle argumentierte, »in die Zukunft deuten und dem Volke aushelfen«.178 Der Auseinandersetzung mit der regionalen Vergangenheit maß Loschky demnach eine wichtige Orientierungsfunktion für die politische Beeinflussung der Gegenwart und Zukunft zu. Erst die Kenntnis der regionalen Vergangenheit erlaube es, »größere Zusammenhänge leicht [zu] begreifen […]. Es sind die nämlichen oder verwandte Kreise, nur erweitern sie sich 172 Bei uns daheim, Blatt 3 vom 20.03.1925. 173 Es ist nicht klar, ob dies dem tatsächlich kleinen Rezipientenkreis, einem zu hohen Anspruch oder dem sozialdemokratischen Agitationsanspruch geschuldet war. 174 Vgl. die Ausschnittsammlung aus der »Pfälzischen Lehrerzeitung« in Loschkys Nachlass. 175 Vgl. Geleit zum 5. Jahrgang von 1929. 176 Vgl. Applegate, S. 168. 177 N. N., Ankündigung. 178 Geleitwort zum 3. Jahrgang von 1927.

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von der Heimat zum Reich, zum Erdteil, zur Welt.«179 Einerseits argumentierte er dabei ähnlich wie der Doyen der Heimatkunde, Eduard Spranger,180 andererseits gab er der Argumentation gleichzeitig eine veränderte Richtung: Aus Loschkys Sicht musste der sozialistische Weltbürger aus dem sozialistischen Heimatkundler hervorgehen.181 Zudem machte Loschky einen Gegensatz zwischen der Erstarrung der bürgerlichen Heimatgeschichte und deren Erneuerung durch die Sozialdemokratie aus. Er griff damit einen gängigen sozialdemokratischen Kritikpunkt an der bürgerlichen Heimatbewegung auf, die Hugo Hillig bereits 1904 für die »Mumifizierung des Bestehenden«182 kritisiert hatte. Auch das Bestreben, die Heimatkultur zu erneuern und der Gegenwart angemessene, ›neue kulturelle Formen‹ zu entwickeln, war in der Sozialdemokratie verbreitet. Loschkys vehementer Betonung gesellschaftlicher Veränderung, die sich auch in der Heimatgeschichte ausdrücken müsse, lag dabei jedoch kein marxistisches Geschichtsverständnis zugrunde. Stattdessen unterschied sich seine Konzeption insofern wesentlich von einem solchen, als es der Beilage um die Analyse des »Fortlebens« der »Sitten und Gebräuche« und um keine radikale Kritik derselben ging. In Übereinstimmung mit den reformorientierten Teilen der SPD verfolgte Loschky keinen revolutionären Bruch mit der Vergangenheit, sondern eine evolutionäre Veränderung der Gesellschaft. Zudem springt, wie im Falle des Freitaler Sozialdemokraten Söhnel, der häufige Bezug auf Vorstellungen von dem »werteschaffenden Menschen«, »Volkstum«183 und »Volk«184 sowie einer »schicksalhaft[en]«185 Verbundenheit mit dem ›Heimatboden‹ ins Auge. Vieles spricht dafür, dass der Volkschullehrer Loschky – seit 1920 SPD-Mitglied – eine pädagogische Absicht verfolgte. Die Etablierung einer sozialdemokratisch veränderten Heimatgeschichte fungierte als Möglichkeit, die Arbeiterschaft für die Heimat zu gewinnen und sie an diese zu binden. Inwiefern die langjährigen sozialdemokratischen Akteure, die Redakteure der »Pfälzischen Post«, der SPD-Bezirksbildungsausschuss, der SPD-Gauvorstand und die sich erinnernden Parteimitglieder, Loschkys Absicht teilten und wie weit ihre Schnittmengen mit der bürgerlichen Heimatbewegung gingen, ist ebenso schwierig nachzuvollziehen, wie die politischen Ziele, die sie mit der Herausgabe der Beilage beabsichtigten. Mangels Quellen lässt sich nicht abschließend klären, ob sie mit »Bei uns daheim« in erster Linie instrumentelle Zwecke, etwa die politische Aufklärung, Agitation und Mitgliederwerbung in den ländlichen Gebieten der Pfalz, verfolgten oder ein genuines Interesse an der ›engeren Heimat‹ Pfalz im Vordergrund stand. Angesichts der langjährigen Zusammenarbeit mit 179 Geleitwort zum 4. Jahrgang von 1928. 180 Vgl. Spranger. 181 Vgl. N. N., Wochenendkurs, S. 2–3. 182 Hillig, Heimatschutz, S. 254. 183 Vgl. dazu etwa die 1925 publizierte Annonce, die in leicht ergänzter Form als Geleitwort zum 2. Jahrgang von 1926 wiederabgedruckt wurde. 184 Vgl. dazu bspw. das Geleitwort zum 3. Jahrgang von 1927. 185 Vgl. dazu das Geleitwort zum 5. Jahrgang von 1929.

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Loschky ist jedoch von einer vielschichtigen Motivlage der pfälzischen Parteiführung auszugehen. Dazu gehörte nicht zuletzt die Herausbildung einer sozialdemokratischen Heimat-Kulturpolitik, mithilfe derer die milieuübergreifende Regionalkultur politisch beeinflusst und dadurch auch auf regionaler Ebene und in der ländlichen Bevölkerung für die demokratisch verfasste Republik geworben werden sollte.186 Eine genaue Analyse des Inhalts der Beilage kann zur Beantwortung dieser Frage beitragen. 2.3.1.2 Umsetzung sozialdemokratischer Heimatgeschichtsschreibung Wie wurde die sozialdemokratische Heimatgeschichtsschreibung tatsächlich umgesetzt und welche Unterschiede und Gemeinsamkeiten wies sie zum etablierten bürgerlichen Vorgehen auf? Wie die Praxis der Texterstellung und Redaktionsarbeit aussah, ist mangels überlieferter Quellen leider nicht abschließend zu rekonstruieren. Die Umsetzung des Vorhabens kann jedoch über die publizierten Inhalte und die Analyse der Autorenschaft näher bestimmt werden. Die Beilage lässt sich grob in zwei Teile untergliedern: einen literarischen und einen historischen Teil. Die Gedichte und volkstümlichen Erzählungen im ersten Teil der Beilage wurden vorwiegend von Autoren verfasst, die auch in bürgerlichen Heimatbeilagen publizierten, und kamen den dort veröffentlichen Stücken auch inhaltlich nahe. Bei den bürgerlichen Autoren und Autorinnen handelte es sich in der Regel um bekannte Vertreter der Heimatbewegung, u. a. Personen, die Anfang der 1920er Jahre in der neu gegründeten, kurzlebigen Zeitschrift »Heimaterde« an einer modernisierten Form der Heimatliteratur arbeiteten.187 Eine Ausnahme bildeten Gedichte, die die spezifische Modernisierungserfahrung der Arbeiterschaft in den Mittelpunkt stellten und an die sozialistische Deutung des ›Wegs der Arbeiter in die Moderne‹ erinnerten. Es ist davon auszugehen, dass es sich bei den Autoren von Gedichten wie »Ich habe ein Werk geschmiedet«, »Heimatlos« oder »Arbeitsgehetzt – Arbeitslos« um Sozialdemokraten handelte.188 Auch im historischen Teil der Beilage publizierten Repräsentanten der Heimatbewegung zu klassischen heimatkundlichen Themen, insbesondere Lehrer, Historiker und Volkskundler wie Kurt Baumann, Albert Becker oder Theodor Zink.189 Zugleich stellte sich die Autorenschaft in den beiden Rubriken, die sich der Geschichte der Region widmeten, deutlich uneindeutiger dar. Unter den Autoren der historischen Abhandlungen, insbesondere denen zur Sozial- und Wirtschaftsgeschichte und den revolutionären Bewegungen in der Pfalz, befanden sich neben heimatkundlich etablierten Autoren auch Sozialdemokraten.190 Wie von Loschky gefordert, beschränkte sich die Erweiterung der Heimatgeschichte 186 Vgl. Mörz, S. 95. 187 Vgl. »Heimaterde. Kleine Zeitschrift für Pfälzer Literatur und Kunst«. 188 Vgl. bspw. Lenhard; Brill. 189 Vgl. zu den Autoren Applegate, S. 166. 190 Dazu gehörte bspw. der heimatkundlich interessierte Sozialdemokrat Jean Feldmüller, der die Geschichte der Zweibrücker Schuhindustrie und der lokalen Gewerkschaftsbewegung untersuchte.

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demnach nicht allein auf die dargestellten Inhalte, sondern ebenfalls auf die geschichteschreibenden Subjekte. Bei den Autoren der Erinnerungen handelte es sich per se um altgediente SPD-Mitglieder, was gleichwohl nicht grundsätzlich ausschloss, dass diese ebenfalls Interesse an einer klassischen Auseinandersetzung mit Heimat besaßen. Sozialdemokratische und regionale Identitäts- und Zugehörigkeitsvorstellungen standen sich nicht entgegen, sondern ergänzten sich aus Sicht der historischen Akteure oftmals. Aufgrund des parteipolitischen Hintergrunds der Autoren bieten sich die Erinnerungen besonders an, um den spezifisch sozialdemokratischen Charakter von »Bei uns daheim« zu bestimmen. Daher wird in der Folge durch eine kurze Analyse der historischen Abhandlungen und eine detaillierte Analyse der Erinnerungen aufgezeigt, wo die Spezifika der Beilage lagen, an welchen Stellen jedoch auch Schnittstellen zu bürgerlichen Heimat-Vorstellungen bestanden. Ein besonderer Fokus wird dabei auf die Zeitund Geschichtsbezüge sowie das zugrunde liegende Heimat-Verständnis gelegt. Abhandlungen Mit welchen historischen Gegenständen beschäftigten sich die Abhandlungen, wer gehörte zu ihren Autoren und welcher Heimat-Begriff lag ihnen zugrunde? Um den Anspruch einer neuen sozial- und wirtschaftshistorischen Heimatgeschichtsschreibung einzulösen, legten die Texte zwei Schwerpunkte: 1. Die Auseinandersetzung mit vergangenen (industriellen) Arbeitsformen und Arbeitsverhältnissen und deren Fortwirken bis in die Gegenwart, 2. Die Befassung mit der Arbeiterbewegung und den demokratischen, mitunter revolutionären historischen Bewegungen in der Region, deren Nachfolge die Pfälzer SPD anzutreten beanspruchte. Beide Schwerpunkte skizzierten das Bild einer republikanischen Pfalz, die nach ihrer Demokratisierung auch für die Arbeiterschaft als Heimat fungieren könne. An dieser Stelle der Arbeit zeigt sich, dass die politisierte Darstellung des Pfälzer Heimat-Raums, die Kapitel 1.2.1.2 analysiert hat, in »Bei uns daheim« bewusst lanciert wurde, um kulturpolitisch in die regionale Gegenwartsgestaltung hineinzuwirken. Heimat-Semantiken und Heimat-Praktiken standen demnach in einem engen Wechselverhältnis. Existierende Heimat-Vorstellungen wirkten sich auf die Auseinandersetzung mit Heimat-Räumen aus. Gleichzeitig brachten Heimat-Praktiken die Semantiken und Bilder immer wieder neu hervor und veränderten sie dabei mitunter. Beispielhaft wird für eine nähere Analyse die Jahresgesamtausgabe von 1929 herausgegriffen, die dem sozialdemokratischen Anspruch am nächsten kam. Die historischen Artikel legten einen besonders starken Fokus auf die Sozial- und Wirtschaftsgeschichte und die Geschichte der revolutionären Bewegung in der Pfalz, was u. a. auf das Jubiläum der Revolution von 1848/49 zurückzuführen ist. Wie das Inhaltsverzeichnis der Jahresgesamtausgabe zeigt, folgte ein Großteil der Texte einem sozial- und wirtschaftshistorisch geschärften Blick auf die regionale Vergangenheit und thematisierte Gegenstände, die die bürgerliche Heimatgeschichte vernachlässigte. Die Artikel rückten sowohl die historischen demokratischen Bewegungen als auch die arbeitende Bevölkerung in den Fokus 188

des Interesses, was Artikel unter Titeln wie »Proletarische Strömungen in der pfälzischen Bewegung von 1848/49« oder »Ferdinand Lassalle und die Pfalz« verdeut­lichen.191 Zwar befassten sich auch die demokratischen Teile der Heimatbewegung mit Revolutionsjubiläen wie 1832.192 Doch der Fokus auf »proletarische Strömungen« und den Sozialdemokraten Lassalle stellte das Jubiläum in einen veränderten politischen Kontext. So führte die Ausweitung der Analyse auf Sozialdemokraten und die Arbeiterschaft zu einer Darstellung der regionalen Vergangenheit, die die Konflikthaftigkeit derselben verdeutlichte. Zudem wies »Bei uns daheim« die SPD als legitime Nachfolgerin der revolutionären Forderungen von 1848/49 aus, da es die Arbeiterbewegung und das ›Volk‹ gewesen seien, die den demokratischen Versprechen der Vergangenheit im 20. Jahrhundert zur Verwirklichung verholfen hätten. Der Konflikt, ob der bürgerliche Liberalismus oder die Sozialdemokratie die ›wahren Erben‹ von 1832 und 1848/49 seien, ging dabei bis auf die Zeit des Kaiserreichs zurück. Sowohl Parteigrößen wie Wilhelm Liebknecht als auch bedeutende Pfälzer Sozialdemokraten wie Franz Josef Ehrhart oder Wilhelm Herzberg beanspruchten das Hambacher Fest für die Parteitradition. In der Weimarer Republik fand diese Deutung jedoch ihr (vorläufiges) Telos in der erkämpften Republik und konnte so zu einem Bestandteil sozialdemokratischer Heimatgeschichte werden, die ihren Fokus auf die demokratisierte Pfalz legte und die sozialistische Zukunft zunehmend in den Hintergrund rücken ließ. Die Traditionslinie demokratischer Geschichte in der Region, die manche Artikel bis zu den Bauernkriegen zogen, zielte folglich auf die Legitimation der republikanischen Gegenwart.193 Den Eindruck einer Ausweitung des Gegenstands der Heimatgeschichte bestätigen und erweitern Fallstudien zu lokalen und regionalen Industriezweigen und Arbeitsverhältnissen sowie der politischen Organisation der Arbeiterbewegung. Dazu zählten Artikel wie »Die Entwicklung der Pirmasenser Schuhindustrie« von Jean Feldmüller,194 oder »Unser Küferhandwerk in Volkstum und Geschichte« von Theodor Zink.195 Gemeinsam war der Auseinandersetzung mit den verschiedenen lokalen Arbeitsformen und -verhältnissen, dass Arbeit eine geschichtsverändernde Kraft zugesprochen wurde, was bereits etwas über das zugrunde liegende Geschichts- und Heimat-Verständnis der Autoren aussagte. Ähnlich wie Loschky beschrieben sie die Heimat-Räume als wandelbar, durch Arbeit hervorgebracht. Gleichzeitig gilt es zu betonen, dass sich auch in diesen Artikeln die schon bei Loschky angelegte ambivalente Deutung von Arbeit wiederholte, die zwischen sozialistischen und volkskundlichen Bezügen oszillierte.

191 Vgl. exemplarisch Baumann, Proletarische Strömungen; sowie ders., Ferdinand Lassalle. 192 Vgl. Applegate, bspw. S. 165–167. Dazu gehörte auch Baumann. Seine Parteizugehörigkeit konnte nicht abschließend geklärt werden. 193 Vgl. Strommenger, »Hambach«. 194 Feldmüller, Entwicklung der Pirmasenser Schuhindustrie. 195 Zink.

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Auf der einen Seite sticht die neutrale oder positive Darstellung moderner Fabrikarbeitsverhältnisse ins Auge, die vonseiten konservativer Teile der Heimatbewegung als Signum der Moderne oftmals abgelehnt wurden. Auf der anderen Seite befasste sich »Bei uns daheim« wie die etablierte Heimatgeschichte mit einer durch die Industrialisierung größtenteils verloren gegangenen Arbeitswelt des Handwerks. Dieses Spannungsfeld spiegelte sich darin, dass die Autoren der Artikel entweder Sozialdemokraten oder volkskundlich interessierte Personen aus der Heimatbewegung waren. Zink etwa war ein ehemaliger Lehrer, der den Schuldienst 1924 quittiert hatte und in der Folge als Konservator bei der pfälzischen Landesgewerbeanstalt Kaiserslautern arbeitete. Sein Artikel zum Küferhandwerk ist wohl auf seine dortige Tätigkeit und Leitung der Abteilung »Inventarisation der pfälzischen Handwerksaltertümer« zurückzuführen.196 Dagegen handelte es sich bei Feldmüller um einen heimatkundlich interessierten Sozialdemokraten, der sich mit der »Entwicklung der Pirmasenser Schuhindustrie« auseinandersetzte. Im folgenden Jahrgang 1930 veröffentlichte er einen Folgeartikel unter dem Titel »Die Arbeiterbewegung in der Pirmasenser Schuhindustrie«, der die »Entwicklung von der gewerkschaftlichen Seite und vom Arbeiter aus«197 betrachtete, folglich die sozialdemokratische und gewerkschaftliche Perspektive ins Zentrum stellte und der Auseinandersetzung mit der regionalen Vergangenheit demnach – anders als bürgerliche Heimatbeilagen – einen politischen Charakter zuwies.198 Es war dieser Vielschichtigkeit von Inhalten und Autoren geschuldet, dass der Charakter der pfälzischen Heimat trotz des einheitsstiftenden Bezugsrahmens der Beilage inhaltlich uneinheitlich blieb: Während die Artikel zu den traditionellen Arbeitsformen und zu 1848/49 den parteiübergreifenden Charakter des Regionalraums betonten, dominierte in Feldmüllers Artikeln zu regionalen Arbeits- und Produktionsverhältnissen und der gewerkschaftlichen Politik der sozialdemokratische Blick. Heimat bedeutete für die involvierten Akteursgruppen demnach nicht dasselbe. Umso erstaunlicher ist es, dass die Artikel trotz Loschkys Forderung einer neuen Methode kaum auf Fragen der Formgebung des historischen Materials und auf die Form der Heimatgeschichte reflektierten. Hierin ähnelte »Bei uns daheim« dem sozialdemokratischen Vorgehen bei der Gestaltung des Freitaler Heimatmuseums. Zu erklären ist die auffällige Leerstelle vermutlich mit der Selbstverständlichkeit, die der etablierten Praxis über die Parteigrenzen hinweg zugeschrieben wurde. Bei Loschky ist zudem davon auszugehen, dass er in einer Art Ethnopluralismus die sozialdemokratische Heimat als Teil der parteiübergreifenden Heimat verstand, was radikale Konflikte prinzipiell ausschloss.

196 Vgl. zu Zink Applegate, S. 87–88, 92–93, 166. 197 Geleitwort 1930. 198 Vgl. Feldmüller, Entwicklung der Pirmasenser Schuhindustrie; ders., Arbeiterbewegung in der Pirmasenser Schuhindustrie. Es waren diese beiden Artikel, auf die sich Loschky in dem Geleit zu 1930 bezog.

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Erinnerungen Die in Feldmüllers Artikeln zum Ausdruck kommende spezifisch sozialdemokratische Heimatgeschichtsschreibung, die Ausweitung von Forschungsgegenstand und Autorenschaft, wird durch die Analyse der »persönlichen Erinnerungen […] der ergrauten Alten«199 noch deutlicher. Bei den Autoren handelte es sich ausnahmslos um altgediente SPD-Mitglieder, die in der Regel spätestens unter dem ›Sozialistengesetz‹ politisiert worden waren und Mitte der 1920er Jahre auf ihre Geschichte und die politische Entwicklung der Arbeiterbewegung zurückblickten. Dabei standen die Erinnerungen explizit in einen heimatkundlichen Zusammenhang und waren Teil sozialdemokratischer Heimat-Kulturpolitik. Im dritten Jahrgang 1927 wurden erstmals autobiografische Berichte publiziert. Ab diesem Zeitpunkt enthielten alle folgenden Jahrgänge zumindest eine längere Erinnerung, die nach Art eines Fortsetzungsromans über mehrere Nummern hinweg abgedruckt wurde. 1927 und 1928 waren diesbezüglich die umfangreichsten Jahrgänge. Wie mehrere Anmerkungen nahelegen, ging die Verschriftlichung oftmals auf persönliche Gespräche zurück, in denen die Schriftleitung verdiente Parteimitglieder um die Darstellung ihres Lebensweges gebeten hatte. Ob einige Sozialdemokraten diese Bitte ausschlugen, lässt sich nicht nachvollziehen. Zumindest acht SPD-Mitglieder folgten ihr jedoch und verschriftlichten ihren persönlichen und politischen Werdegang. Die Autoren hatten in der Parteiarbeit unterschiedliche Funktionen eingenommen, gehörten zumeist jedoch nicht zu den regionalen Parteigrößen wie Friedrich Profit, die auch im republikweiten Kontext in die Arbeit der SPD eingebunden waren. Sozialdemokratinnen befanden sich nicht unter den Autoren, obgleich im SPD-Bezirksvorstand mehrere Frauen vertreten waren.200 Über die Gründe lässt sich nur mutmaßen. Es ist davon auszugehen, dass die unhinterfragte Wirkung von Geschlechterstereotypen einen Ausschlag gab. Zudem lag ein Fokus der Erinnerungen auf den beruflichen Lebenswegen, den Walze-Erfahrungen und der Politisierung; Erfahrungen, von denen Frauen aufgrund rechtlicher Vorgaben oder der männlichen Dominanz in der Sozialdemokratie im 19. Jahrhundert teilweise ausgeschlossen gewesen waren.201 Neben den Erinnerungen wurden weitere kürzere Beiträge publiziert, die oftmals auf Schreibaufrufe in der Regionalpresse zurückgingen.202 Darüber hinaus zählten Artikel über teilweise verstorbene regionale Parteigrößen zu der erinne199 N. N., Ankündigung; Geleitwort zum 2. Jahrgang von 1926. 200 Zu den Erinnerungen gehörten u. a. Karl Klingel, Aus meinem Werden; Philipp Keidel, Erinnerungen eines Parteiveteranen; Josef Huber, Erinnerungen; Josef Queva, Auf geht die Saat; Josef Vogel, Aus einem Proletarierleben; Fritz Graf, Aus vergangener Zeit; Leonhard Stubenreich, Erinnerungen; Emil Gerisch, Aus des Lebens Rädergerassel. Die zentralen Themen, die aus der Lektüre aller Erinnerungen erarbeitet wurden, werden nachfolgend an einigen ausgewählten Zitaten dargestellt. 201 Vgl. zu den Männlichkeitsvorstellungen der frühen Sozialdemokratie Welskopp, Banner der Brüderlichkeit, darin bes. Kap. I.3 und II.4. 202 Kürzere Beiträge waren insbesondere in den Jg. 1929 und 1930 enthalten.

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rungspolitischen Rubrik von »Bei uns daheim«. Besonders zentrale Bedeutung erlangte in diesem Zusammenhang die Auseinandersetzung mit Ehrhart, dem Begründer des SPD-Bezirks Pfalz und ersten sozialdemokratischen Stadtratsmitglied in Ludwigshafen, der als der »rote Pfalzgraf« in die Erinnerungskultur der SPD einging.203 Auch zu Johannes Hoffmann, dem vormaligen bayerischen Ministerpräsidenten, erschienen anlässlich seines Todes mehrere Artikel.204 In diesem Zusammenhang sind zudem die Erinnerungen Philipp Keidels hervorzuheben, der in Hoffmanns Exilregierung in Bamberg tätig war.205 Der zeitliche Fokus der autobiografischen Berichte lag auf der jüngeren Vergangenheit, insbesondere der Entstehungs- und Etablierungsphase der Sozialdemokratie in der Pfalz. Der Zeit des ›Sozialistengesetzes‹, mit dem sich die Texte – teils auch anekdotisch – befassten, kam dabei nicht zufällig zentrale Bedeutung zu. Ihre politische Sozialisation unter dem Gesetz, das die Autoren selbst vorwiegend als »Ausnahmegesetz«206 bezeichneten, war neben dem Geburtsjahr eine wichtige Gemeinsamkeit der ansonsten diversen Lebenswege. Diese zeichneten sich durch unterschiedliche regionale Herkünfte und berufliche Hintergründe aus. Eine solche Mannigfaltigkeit entsprach zwar der kollektiven historischen Erfahrung, die die Lebensrealität zahlreicher Sozialdemokraten des ausgehenden 19. Jahrhunderts ausgemacht hatte; sie dürfte auch dem Anspruch, eine umfassende »Wirtschafts- und Sozialgeschichte der Pfalz«207 und neue Geschichte der Arbeiterbewegung in der Region zu schreiben, entgegengekommen sein. Sie sprengte jedoch in gewisser Weise die topozentrische, an einem eng definierten lokalen oder regionalen Heimat-Raum orientierte Herangehensweise, die nicht nur der bürgerlichen, sondern auch der sozialdemokratischen Heimatgeschichte konzeptionell zugrunde lag.208 In der Annonce zum erstmaligen Erscheinen hatte Loschky die Notwendigkeit der Beilage mit der frühen Prägung durch die Pfälzer Heimat begründet. Bemerkenswerterweise traf dies auf die meisten Autoren der Erinnerungen überhaupt nicht zu. In der Konzeption der Beilage war demnach ein Widerspruch enthalten, der eine potenzielle Sprengkraft aufwies. Aus diesem Widerspruch ergab sich – wie im Falle der Naturfreundeausstellungen oder des Freitaler Heimatmuseums – eine Spannung zwischen einer eng am Regionalraum ausgerichteten Heimatgeschichte und einem weiter gefassten Verständnis, das beständig über diese enge Fassung hinauswies und sich an sozialdemokratischen Formen der Geschichtsschreibung orientierte. Form und Inhalt der Berichte folgten keiner einheitlichen Vorgabe. Einige Autoren, insbesondere die der zuerst publizierten Lebensgeschichten, reflektierten 203 Vgl. Profit, Franz Josef Ehrhart, S. 61; Klingel, Erinnerungen, S. 90–91. Vgl. zu einer generellen Einschätzung der Bedeutung Ehrharts Breunig, u. a. S. 676–685. 204 Vgl. etwa N. N., Johannes Hoffmann, S. 10–11. 205 Vgl. Keidel, S. 85–90. 206 Klingel, Erinnerungen, S. 14. 207 N. N., Ankündigung. 208 Vgl. zur topozentrischen Anlage der Heimatgeschichtsschreibung bspw. Confino, Nation as a Local Metaphor, S. 101–108; Klueting.

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auf den Prozess des Erinnerns selbst und begründeten dabei die Geschichtswürdigkeit ihrer Erfahrungen. Dabei spricht die wahrgenommene Begründungsbedürftigkeit dafür, dass sie jene nicht für selbstverständlich hielten.209 Erstaunlicherweise fehlte – wie im Falle der Abhandlungen – jedoch eine Diskussion, wie eine spezifisch sozialdemokratische Formgebung des historischen Materials auszusehen und sich in der Form der Texte niederzuschlagen habe. Inhaltlich verortete ein Großteil der Autoren ihren Werdegang zwischen einer individuellen Lebensgeschichte und einer Kollektivgeschichte der Arbeiterbewegung, was ein etabliertes sozialdemokratisches Vorgehen spiegelte. Eng damit verbunden, sprachen die SPD-Mitglieder trotz der Unterschiedlichkeit ihrer Lebenswege und Berufsbiografien in der Regel zumindest vier Themenkomplexe an: 1. Die Kindheit und Schulzeit, 2. Die Lehrzeit und die damit einhergehende Zeit auf der Walze, 3. Die sich verändernden Arbeitsverhältnisse und deren technische Voraussetzungen, 4. Die Politisierung und die politische Tätigkeit als Mitglied der Sozialdemokratie. 1. Die Kindheit und Schulzeit Ein Großteil der Berichte setzte mit der Kindheit ein, die sie als Lebensphase großer Entbehrungen, wenn nicht gar extremer Armut beschrieben. Besonders betonten sie die prekären Arbeitsverhältnisse der Eltern, deren Entlohnung zur Ernährung der Familien oft nicht ausgereicht habe. Folgt man den autobiografischen Darstellungen, verschärfte sich diese ohnehin schon unsichere Familiensituation in zahlreichen Fällen durch den frühen Tod eines der Elternteile; spätestens zu diesem Zeitpunkt musste das Familieneinkommen durch Kinderarbeit aufgebessert werden. Die Notwendigkeit des kindlichen Zuverdiensts kritisierten die Autoren scharf, insbesondere die für den kindlichen Körper kaum zu bewältigende physische Intensität der zu verrichtenden Arbeit. Über ihre individuelle Lebensgeschichte hinaus erkannten sie in diesem Umstand eine prinzipielle Benachteiligung der Arbeiterkinder, denen aufgrund der Doppelbelastung nicht nur die Zeit zur Erledigung ihrer Schulaufgaben fehlte, sondern die darüber hinaus gezwungen waren, die Schule früher als Kinder bürgerlicher Herkunft zu verlassen. Trotz ihrer systematischen Schlechterstellung, so betonten einige Autoren, sei es ihnen gelungen, sehr gute schulische Leistungen zu erzielen; Erfolge, die sie auf ihren besonders ausgeprägten Wissensdurst zurückführten. Letzterer habe bis in ihr Erwachsenenalter angehalten und sei erst durch die Arbeiterbildungsbewegung wirklich gestillt worden.210 Mit Blick auf die Schulzeit thematisierten zahlreiche Berichte zudem die konfessionelle Spaltung in der Region, weswegen evangelische und katholische Schüler oftmals in separaten Schulen unterrichtet worden seien, sowie die Bedeutung des Religionsunterrichts im Schulalltag. Die Bezugnahme auf religiöse Themen 209 Vgl. zur Reflexion auf den Erinnerungsprozess Strommenger, Sozialdemokratische Erinnerungspraxis in der Pfalz. 210 Vgl. bspw. Vogel, S. 16; Gerisch, S. 22.

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diente dabei in erster Linie dem Beweis einer bürgerlichen Rückständigkeit, etwa in den Erinnerungen des sozialdemokratischen Landwirts Karl Klingel: »Mein Heimatdorf hatte keine idealen Schulverhältnisse. Die Großbockenheimer Volksschule seufzte damals unter der leidigen konfessionellen Trennung.«211 Davon ausgehend schilderte Klingel das Eintreten seines Vaters, eines alten 1848ers, für eine überkonfessionelle Schule und die darauffolgenden Widerstände in der Dorfgemeinschaft. In dem Vorgehen des Vaters erkannte Klingel nicht nur die Fortschrittlichkeit der 1848er gegenüber den meisten Einwohnern seines »Heimatdorf[s]«. Zudem nutzte er den Bezug auf den Vater an anderer Stelle zur Profilierung der SPD, die die Forderungen von 1848/49 sowohl fortgesetzt als auch radikalisiert habe. Damit schloss Klingel an eine verbreitete sozialdemokratische Bezugnahme auf die revolutionären Bewegungen des 19. Jahrhunderts an. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die Autoren ihre Herkunftsverhältnisse als alles andere denn als vergangene heimatliche Idylle darstellten. Heimat  – verstanden als Herkunftsort oder soziale Herkunft – war in den Erinnerungen demnach mit ersten Erfahrungen von ›Heimatlosigkeit‹ verbunden. In dieser Einschätzung stimmten sie mit überregional rezipierten Autobiografien wie derjenigen Rehbeins überein. 2. Die Lehrzeit und die damit einhergehende Zeit ›auf der Walze‹ Es spricht für die Bedeutung, die Arbeit im sozialdemokratischen Selbstverständnis zugemessen wurde, dass nahezu alle Autoren ihrer Berufsausbildung einen großen Teil ihrer Erinnerungen widmeten. Das Erlernen eines Handwerks war unter den Autoren weit verbreitet. Sie arbeiteten u. a. als Drucker und Weber, wobei prekäre Arbeitsverhältnisse mitunter die spätere Verdingung als Fabrikarbeiter notwendig machten. Die wiederkehrenden Berufswechsel zogen wiederum Ortswechsel nach sich. Als gewisser Sonderfall kann Klingel gelten, dessen Familie aus der Pfalz stammte. Aufgrund der ansonsten konservativen Ausrichtung der ländlichen Bevölkerungsteile wurde ihm in »Bei uns daheim« besondere Beachtung zuteil: Seine Erinnerungen wurden als erste publiziert.212 Er selbst schrieb zu seiner besonderen Position in der pfälzischen Sozialdemokratie mit Blick auf eine SPD-Versammlung in Mannheim 1906, zu der zahlreiche Parteigrößen wie Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg angereist waren: »Ehrhart begrüßte das Paar und stellte mich vor als den ›Renommierbauern‹ der Partei in der Pfalz.« Klingel und Ehrhart versuchten durch die Episode auch das Argument einer Rückständigkeit des SPD-Bezirks Pfalz zu entkräften: »Soweit man im aufgeklärten Norden 211 Klingel, Aus meinem Werden, S. 3. 212 Vgl. zu Klingel Strommenger, Sozialdemokratische Erinnerungspraxis in der Pfalz. Ein Auszug aus Klingels Erinnerungen wurde in Emmerichs »Proletarische Lebensläufe« abgedruckt. Vgl. Emmerich, Bd. 1, S. 266–267. Bedeutsam ist in diesem Kontext auch, dass Forschung und politisches Engagement in den 1970er und 1980er Jahren oftmals zusammenfielen. Die (Neu-)Herausgabe zahlreicher Arbeiterautobiografien erfolgte häufig im Rahmen von Geschichtswerkstätten. Ähnlich verhielt es sich mit dem Projekt »Arbeitertübingen«, dem der Aufsatz von Wolfgang Kaschuba entstammt.

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auch sei, fügte er [Ehrhart] scherzend hinzu, dahin habe man es doch noch nicht gebracht, daß man Bauern in den Reihen der Parteigenossen sitzen habe wie hier in dem nach nordischer Ansicht versumpften Süden.«213 Besonderes Augenmerk legten die SPD-Mitglieder auf ihre Berufswahl sowie die sich anschließende Lehrzeit, die oftmals damit einherging, die Heimat – auch an dieser Stelle gleichermaßen Bezeichnung für den Herkunftsort wie den Familienzusammenhang  – verlassen zu müssen. Die ökonomisch erzwungene Abnabelung unterlag vielfach einer ambivalenten Deutung, da die Heimat-Orte eine wenn auch prekäre Sicherheit versprochen und sich gleichzeitig durch Enge ausgezeichnet hatten. Vor diesem Hintergrund besaß das Verlassen der Herkunfts-Heimat einerseits etwas Bedrohliches und beinhaltete gleichzeitig ein eingeschränktes Freiheitsversprechen: Einerseits ging die persönliche Abhängigkeit in vielen Fällen von den Familien auf den Meister über, was nicht unbedingt angenehmer zu werden versprach; andererseits konnte das Verlassen der Familie befreiend wirken, da sich der neue Lebensabschnitt potenziell durch ein höheres Maß an Selbstständigkeit auszeichnete und sich die Lehrzeit im besten Falle mit einem Interesse an der neu zu erlernenden Arbeit verband. Mit besonderer Verve berichteten die Autoren von ersten Solidaritätserfahrungen zwischen Beschäftigten. Aus ihren Berichten sprachen Erfahrungen einer solidarischen ›Alternativheimat‹ in der entstehenden Arbeiterbewegung, die eine Antwort auf die zuvor erfahrene ›Heimatlosigkeit‹ zu geben versprach. Josef Vogel etwa fasste seine Politisierungserfahrungen in seinen Erinnerungen »Aus einem Proletarierleben« wie folgt zusammen: Von Politik durfte selbstverständlich der Arbeiter nichts verlauten lassen. Es war die Zeit des Sozialistengesetzes und wer sich in oder auch außerhalb der Fabrik politisch im Sinne der Arbeiterpartei betätigte oder als solcher denunziert wurde, war entlassen. […] Aber jede Schuld rächt sich auf Erden und diese Ungerechtigkeiten des Kapitalismus, der den Arbeiter nicht nur körperlich ausbeutete, sondern ihm auch seine politische Gesinnung vorschrieb, mußte zum Haß gegen die sogenannte ›göttliche Weltordnung‹ führen. Auch mich haben diese Ungerechtigkeiten vielleicht rascher wie sonst in die Reihen der Sozialisten geführt. Vertraute Kollegen übergaben mir sozialistische Broschüren und den allwöchentlich aus der Schweiz eingeschmuggelten ›Sozialdemokrat‹ zu lesen.214

Vogels Beschreibungen rekurrierten auf die Zeit des ›Sozialistengesetzes‹ und zeichneten das Bild einer konflikthaften regionalen Vergangenheit, in der sich das kapitalistische Bürgertum und die Arbeiterschaft unversöhnlich gegenüberstanden. Vor dem Hintergrund des religiösen Heimat-Verständnisses springt zudem Vogels Kritik des Kapitalismus als vermeintlich »göttlicher Weltordnung« ins Auge, die es – ebenso wie die sakralisierte bürgerliche Heimat – zu überwinden gelte. 213 Klingel, Aus meinem Werden, S. 35. 214 Vogel, S. 19.

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Neben der Berufswahl und prekären Arbeitsbedingungen erfuhr ein weiteres Thema intensive Darstellung, das die handwerklich arbeitenden Autoren als gemeinsamen Erfahrungshorizont teilten und das ideengeschichtlich an die romantische Tradition von Heimat, Wanderschaft und Fremde anknüpfte: die Zeit ›auf der Walze‹ nach Abschluss der Lehrzeit.215 Weitere Zeitspannen arbeitsbedingter Mobilität folgten bei Arbeitslosigkeit oder Unzufriedenheit mit einer Arbeitsstelle, »Reisefieber«216 wird als darüber hinausgehendes Motiv genannt. Die Erinnerungen verhandelten mehrere Themenkomplexe: 1. Die verschiedenen Orte, an denen sich die Autoren verdingten und die dort jeweils vorherrschenden Arbeitsverhältnisse. Diese Darstellung war mit der erfahrenen Solidarität unter den ›Walzebrüdern‹ sowie einer beginnenden persönlichen Politisierung eng verbunden. 2. Wie in romantischen Wanderberichten kennzeichneten oftmals Natur- und Landschaftsbeschreibungen die sozialdemokratischen Berichte der beruflichen Wanderschaft. Sie unterstrichen die Unterschiedlichkeit der europäischen Städte und Landschaften, wobei sowohl die Orte des längeren Aufenthalts als auch die durchquerten Natur-Räume Beachtung erfuhren. 3. Anders als bürgerliche Wanderberichte behandelten die Berichte immer wieder Konflikte, insbesondere mit der lokalen Polizei, die die prekäre rechtliche und ökonomische Situation unter dem historischen Heimatrecht sichtbar machten. Hierin lag ein entscheidendes sozialdemokratisches Spezifikum. 4. Vor diesem Hintergrund setzten sich die Erinnerungen mit der berufsbedingten, teilweise durch prekäre Arbeitsverhältnisse erzwungenen Mobilität auseinander, die in Phasen des Übergangs gleichzeitig ein Freiheitsversprechen auf bessere Lebensverhältnisse beinhaltete.217 Aus Sicht der Autoren führten die prekären Arbeits- und Lebensverhältnisse zu einer Suche nach einer ›neuen Heimat‹ oder ›zweiten Heimat‹, die mehr Lebensglück in Aussicht stellte. Sie verwiesen in diesem Zusammenhang ebenfalls auf all diejenigen, die nach Amerika ausgewandert waren, und reflektierten so auf die historische Bedeutung der transnationalen Migration für die Geschichte der Pfalz.218 Eine regionale Identifikation spielte für die Autoren in der beschriebenen Lebensphase keine ausgeprägte Rolle. In die Pfalz waren sie oftmals erst zu einem späteren Zeitpunkt gekommen.219

215 Vgl. zu einer gesellschaftsgeschichtlichen Einordnung von Mobilität und Handwerk Wadauer. 216 Vgl. mit Blick auf seine »Wanderjahre« Keidel, S. 63. 217 Vgl. paradigmatisch Gerisch, bes. S. 26–30, 81–93. 218 Vgl. zu dieser in der Arbeiterbewegung geläufigen Bezeichnung, die auf die Erfahrungen unter dem Heimatrecht zurückging N. N., Heimat in der Fremde, S. 5. In Klingels Erinnerungen findet sich mit Fokus auf politische Flüchtlinge bspw. folgende Passage: »Mit den nach dem unglücklichen Ausgang der 48er Erhebung nach Amerika geflüchteten Kameraden und Mitkämpfern verband den Vater ein lebhafter Briefwechsel. Allerdings bedauerte er immer, daß so viele hervorragende Männer wirtschaftliche, politische oder geistige Führer, der Heimat durch die damals einsetzende Massenauswanderung verloren gingen.« Vgl. Klingel, Aus meinem Werden, S. 3. 219 Vgl. bspw. Stubenreich, S. 34–35.

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Die Erinnerungen an die eigene Wanderung durch verschiedene Länder Europas berichteten von vergangenen, durch die zunehmende Fabrikarbeit verloren gegangenen Arbeitsformen, die für die um die Mitte des 19. Jahrhunderts geborenen Sozialdemokraten in besonderem Maße prägend gewesen waren. Es stellte wohl eines ihrer Ziele dar, diese verloren gegangene bzw. verloren gehende Arbeitswelt zu erinnern. Im Rückblick aus der Weimarer Republik erhielten ihre Beschreibungen zugleich einen nostalgischen und verklärenden Charakter der vergangenen Arbeitsverhältnisse. In gewisser Hinsicht stellten sie eine sozialdemokratische Variante der Romantisierung von Wanderschaft und Handwerk dar.220 Zugleich deutete sich in den Beschreibungen der Zeit ›auf der Walze‹ die historische Bedeutung des Wanderns für die Herausbildung der Arbeiterbewegung an. 3. Sich wandelnde Arbeitsverhältnisse und deren technische Voraussetzungen Trotz mitunter nostalgischer Momente setzten die Erinnerungen sich verändernde Arbeitsverhältnisse mit Formen des technischen Wandels in Beziehung, in dessen Einschätzung der Optimismus überwog. Aus ihren Texten sprach keine Technik- und Großstadtfeindschaft, die eine vermeintlich ahistorische Pfälzer Landschaft zu entwerfen versuchte. Vielmehr verknüpften die Berichte technische Entwicklungen häufig mit einem Fortschrittversprechen, da sie die mitunter schwere körperliche Arbeit zu erleichtern versprachen.221 Gleichwohl argumentierten einige Autoren, dass technische Neuerungen unter kapitalistischen Verhältnissen ebenfalls zu verschärfter Konkurrenz und zunehmender Arbeitslosigkeit führten  – gerade für kleinere Produzenten, die sich die Anschaffung einer Maschine nicht leisten konnten.222 Sie kritisierten darüber hinaus, dass die technischen Neuerungen nicht in dem größtmöglichen Maße zur Verbesserung der Lebensverhältnisse der Arbeiterschaft geführt hätten.223 Die schon erzielten sozialpolitischen Errungenschaften verbuchten die Autoren als Verdienst der Sozialdemokratie und ihrer eigenen politischen Tätigkeit. Ähnlich argumentierte auch der Sozialdemokrat Feldmüller in seiner sozial- und wirtschaftshistorischen Abhandlung zur Pirmasenser Schuhindustrie.224 In gewissem Sinne folgten die SPD-Mitglieder in ihren Erinnerungen demnach dem Anspruch der Schriftleitung, die heimatkundliche Auseinandersetzung mit der Pfalz auf neue wirtschafts- und sozialhistorische Füße zu stellen, da ihre autobiografischen Berichte zahlreiche bislang unbekannte Erkenntnisse zugänglich machten. Sie arbeiteten darüber hinaus die Bedeutung der Modernisierungsprozesse für die historische Entwicklung der Region heraus und skizzierten einen

220 Vgl. für ein republikweites Beispiel Kampffmeyer. 221 Vgl. etwa Klingel, Aus meinem Werden, S. 10–11; Gerisch, S. 23–24. 222 Vgl. mit Blick auf die Not des eigenen Vaters, der am Webstuhl arbeitete, Vogel, S. 16. 223 Vgl. ebd. 224 Vgl. Feldmüller, Entwicklung der Pirmasenser Schuhindustrie.

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modernisierten Heimat-Raum Pfalz, der in der Weimarer Republik auch eine Heimat für die pfälzische Arbeiterschaft geworden sei. 4. Politisierung und politische Tätigkeit als SPD-Mitglied Mit besonderer Emphase behandelten zahlreiche SPD-Mitglieder darüber hinaus ihr beginnendes politisches Engagement und die sich intensivierende politische Betätigung in der Arbeiterbewegung. Ihre Politisierung erfolgte zumeist über familiäre Beziehungen oder Arbeitskontakte und musste in der Regel gegen Widerstände der Eltern oder der Dorfgemeinschaft durchgesetzt werden.225 Neben der Auseinandersetzung mit der Polizei ›auf der Walze‹ und den ersten, teilweise unorganisiert geführten Auseinandersetzungen mit Arbeitgebern im Rahmen der Arbeitsbiografie zeichnen insbesondere die Textteile, die sich mit dem politischen Engagement in der Sozialdemokratie befassen, das Bild einer umkämpften und konfliktbehafteten Vergangenheit innerhalb und außerhalb der Pfalz. Dies gilt in besonderer Weise für die Zeit bis zum Ende des ›Sozialistengesetzes‹, die für die politische Sozialisation der Autoren und ihre frühe Betätigung innerhalb der Sozialdemokratie von prägender Bedeutung war. Dessen negativen Auswirkungen auf die politische Agitation und den gravierenden Folgen, die eine Ausweisung von Sozialdemokraten aus den ›heimatlichen Gefilden‹ auch für deren Familien hatte, wurde ein besonderer Platz eingeräumt. Josef Queva etwa schilderte, dass in Ludwigshafen zeitgleich mit Berlin eine Flugblattverteilung als Reaktion auf das neue Gesetz stattgefunden habe, was Hausdurchsuchungen und andere Formen der Repression zur Folge hatte: Wer einigermaßen rot angeschrieben war, wurde damit beglückt. In erster Linie kam natürlich ich an die Reihe. Es wurde jedoch nichts gefunden und wir konnten uns ins Fäustchen lachen. Viele Beamte gingen über ihre Kompetenz und schikanierten die Arbeiter, wo sie konnten.226

Beschreibungen wie die Quevas kritisierten zum einen das oftmals gesetzeswidrige Vorgehen der Staatsgewalt gegen die Sozialdemokratie. Zum anderen stellten er und andere Erinnerungen die Gewitztheit heraus, mit der die Sozialdemokratie in der Auseinandersetzung mit der Staatsgewalt agierte – nicht zuletzt, um die Überlegenheit der sozialdemokratischen Organisation und Solidarität gegenüber bürgerlichen Versuchen zu deren Stillstellung unter Beweis zu stellen.227 Dabei fällt auf, dass die Erinnerungen im Rückblick auf das Kaiserreich die Männlichkeit herausstellten, mit der die politischen Kämpfe geführt worden waren.228 Mit Blick auf den Heimat-Raum Pfalz war für die Darstellung der umkämpften regionalen Vergangenheit die Auseinandersetzung mit verschiedenen Wahlkämp225 Vgl. bspw. die Konflikte Klingels mit seinem Vater in Klingel, Aus meinem Werden, S. 26–27. 226 Queva, S. 51. 227 Vgl. bspw. Klingel, Aus meinem Werden, S. 18–20; Keidel, S. 65–67; Huber, S. 111; sowie die kürzeren Erinnerungen zum »Sozialistengesetz« im Jahrgang 1930. 228 Vgl. dazu grundsätzlich Welskopp, Banner der Brüderlichkeit, darin bes. Kapitel I.3 und II.4.

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fen besonders zentral. Von wiederkehrenden, oftmals auch gewalttätigen Konflikten mit der ländlichen Bevölkerung wissen die Memoiren ebenso zu berichten wie von politischen Auseinandersetzungen mit den bürgerlichen, zumeist konservativen Parteien. Zahlreiche Erinnerungen betonten das oftmals unfaire Verhalten der bürgerlichen Parteien und die Versuche der Fabrikherren, freie politische Wahlen durch Einschüchterung in den Fabriken zu unterbinden. Darüber hinaus zeichnete die Auseinandersetzung mit lokalen Arbeitskämpfen ein konflikthaftes Bild der regionalen Vergangenheit. Eine eindrucksvolle Impression der Stoßrichtung kann ein Zitat aus den Erinnerungen Vogels exemplarisch vermitteln: Gegen Ende der 80er Jahre war die Stimmung der Arbeiter in bezug [sic] auf politische Stellungnahme zu den Arbeiterfragen eine für uns immer günstigere. Es zirkulierten in der Fabrik Einzeichnungslisten für die nationalliberale Partei und wer seinen Namen nicht dafür hergab, konnte bestimmt damit rechnen, daß seines Bleibens nicht mehr lange sei. Unter den Aufsehern und Meistern gab es schmutzige und charakterlose Gesellen, die sich zu allen politischen Schandtaten hergaben, um nach oben zu gefallen. Desto mehr agitierten unsere Leute außerhalb des Betriebs und unser Anhang wurde immer größer.229

Das waren alles andere als idyllische Beschreibungen der regionalen Vergangenheit. Textpassagen dieser Art dienten der Anklage des kaiserzeitlichen Obrigkeitsstaates, der die sozialdemokratische Arbeiterschaft systematisch benachteiligt habe, und der Kritik des kapitalistischen Bürgertums. Sie beanspruchten gleichzeitig, die argumentative, politische und organisatorische Überlegenheit der SPD zu untermauern. Der solidarische Zusammenhalt und das gemeinsame Vorgehen habe es ermöglicht, sich gegen alle Widerstände durchzusetzen, etwa wenn es um die Schwierigkeit ging, in ländlichen Gebieten geeignete Räume für sozialdemokratische Wahlkampfversammlungen zu erhalten. Darüber hinaus fungierte die Darstellung der erfahrenen Repression unter dem ›Sozialistengesetz‹ als Kontrast zu den nunmehr demokratischen Verhältnissen in der Weimarer Republik, die sich vor diesem Hintergrund besonders zukunftsgewiss ausnahmen. Wiederum schrieben es die Autoren den vergangenen politischen Kämpfen zu, die Weimarer Republik zu einer Heimat für das gesamte ›Volk‹ gemacht zu haben. Zwar betrachteten nicht alle Autoren den Konflikt mit den bürgerlichen Parteien als endgültig beigelegt, reichte ihre Kritik vielmehr bis in die unmittelbare Vorgeschichte der Weimarer Republik, die Novemberrevolution zurück.230 Doch im Verständnis der reformorientierten Pfälzer SPD hatte sich der Modus der Konfliktaustragung wesentlich verändert, bewegte sich nunmehr auf dem demokratischen Boden der Republik.231 Von der republikanischen Gegenwart aus betrachtet erhielten die vergangenen Kämpfe einen Sinn, da sie einen Teil der sozialdemokratischen Forderungen verwirklicht hatten. Diese veränderte Perspektive kann erklären, 229 Vogel, S. 19. 230 Vgl. Klingel, Aus meinem Werden, S. 46; Stubenreich. 231 Vgl. Vogel, S. 16.

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aus welchen Gründen die Pfälzer Heimat nach ihrer Demokratisierung auch im sozialdemokratischen Verständnis zum positiven erinnerungskulturellen Bezugspunkt werden konnte. Indem die vergangenen Kämpfe zu einem Teil sozialdemokratischer Heimatgeschichte wurden, wirkten sie wie die bürgerliche Heimatgeschichte identitätsstiftend und legitimierten die politische Gegenwart. So verloren sie ihren Stachel. Die sozialistische Heimat der Zukunft geriet dabei zunehmend in Vergessenheit. Insofern ist »Bei uns daheim« ein gutes Beispiel für den abnehmenden Zukunftsbezug der sozialdemokratischen Beschäftigung mit Heimat. Auffällig dabei ist, dass in den Erinnerungen mehrere Geschichtskonzepte nebeneinander existierten. Hinsichtlich ihres individuellen Lebenswegs, den sie gleichzeitig als Beispiel für ihre kollektiv geteilte soziale Herkunft begriffen, verwiesen die Autoren auf die Offenheit und Zufälligkeit von Geschichte. Wiederholt betonten die alternden SPD-Mitglieder, es sei mit »des Geschickes Mächten« »kein ewiges Bündnis«232 zu schließen, um ihre Erfahrung eines kontingent erscheinenden individuellen Lebensweges zu beschreiben. Dagegen ordneten sie die Geschichte der Sozialdemokratie anders ein, betonten die Zwangsläufigkeit ihres SPD-Beitritts und die historische Notwendigkeit der vergangenen und zukünftigen Parteierfolge. Durch den SPD-Beitritt maßen die Autoren ihrem zunächst individuellen Leben einen politischen, nicht kontingenten Sinn zu. Aus Sicht der Autoren fungierte die ›Heimat Arbeiterbewegung‹ als kollektiver Schutz vor den Irrungen des Zufalls, dessen Bedrohlichkeit sie als Einzelne in der kapitalistischen Gesellschaft andernfalls ausgeliefert wären. Dementsprechend rekurrierten sie in den Teilen zum politischen Engagement in der Pfalz aufeinander und machten dadurch einen geteilten politischen Erfahrungshorizont sowie ihre gemeinsame Geschichte als Kollektivgeschichte der pfälzischen Sozialdemokratie sichtbar.233 Auch hier übersetzte sich mittels des Heimat-Begriffs individuelle Herkunft in kollektive Zukunft. Folglich lassen sich die Erinnerungen als eine Art Kollektivautobiografie und als regionale Variante der sozialdemokratischen Darstellung des ›Weges der Arbeiter in die Moderne‹ verstehen. Darüber hinaus bedeutete die Verschriftlichung der Autobiografien die Herausbildung einer kollektiven Erinnerung des SPD-Bezirks Pfalz, die – wie die bürgerliche Heimatgeschichte – von einer verschwundenen Welt der Vergangenheit, an dieser Stelle mit Fokus auf die Arbeitsverhältnisse, berichtete. Zu einer Zeit, die sich zum einen durch in der Weimarer Republik fassbar gewordene politische Errungenschaften, zum anderen durch eine Infragestellung des sozialdemokratischen Selbstverständnisses infolge politischer Konflikte mit den radikaleren Teilen der Arbeiterbewegung, zunächst der USPD, später der KPD, auszeichnete, versuchte die um 1860 bis 1870 politisierte sozialdemokratische Generation ihr politisches Erbe zu definieren und verteidigen. Den Prozess des Geschichteschreibens verstanden sie als Möglichkeit, ihr politisches Testament zu machen und ihre Erfahrungen weiterzugeben. Im Gegensatz zur regionalen Parteijugend, so be232 Diese Redewendung findet sich u. a. in den Erinnerungen von Gerisch. 233 Vgl. bspw. Klingels Rekurs auf Huber in Klingel, Aus meinem Werden, S. 22.

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tonten die Parteialtvorderen, hatten sie bis 1890 noch eine staatlich sanktionierte Verfolgung ihrer politischen Tätigkeit erlebt. Diese Erfahrung grenzten sie von den nunmehr errungenen größeren politischen und ökonomischen Freiheiten in der parlamentarisch-demokratischen Republik ab. Eine Funktion der Berichte lag demnach darin, die Jugend für die herrschenden politischen Verhältnisse und ihre vergleichsweise privilegierte Position zu sensibilisieren. Damit verbanden die Autoren den Appell an die Parteijugend, an die Errungenschaften der frühen Sozialdemokraten und ihre politische Arbeit anzuknüpfen und den eingeschlagenen Weg der sozialistischen Arbeiterbewegung fortzusetzen.234 Unterschiedliche Akteure und Deutungskonflikte In »Bei uns daheim« standen mehrere divergierende Heimat-Verständnisse teilweise unvermittelt nebeneinander: 1. Die nüchterne Bezeichnung der lokalen, regionalen oder sozialen Herkunft, 2. Die Suche nach einer ›neuen‹ oder ›zweiten Heimat‹, die bessere Lebensverhältnisse in Aussicht stellte, 3. Die ›Heimat Arbeiterbewegung‹ als Garantin von materieller Sicherheit und politischer Integration, 4. Die Weimarer Republik als Heimat, 5. Ein klassisches Heimat-Verständnis, das sich auf den pfälzischen Regionalraum bezog, der einen mit bürgerlichen Parteien geteilten und gleichzeitig umkämpften Bezugspunkt darstellte. Dabei waren sich bemerkenswerterweise selbst die an der Erstellung von »Bei uns daheim« beteiligten Sozialdemokraten nicht einig, wie die genannten Heimat-Verständnisse genau zu verstehen und zu gewichten seien. Diese These liegt zumindest nahe, wenn man sich mit innersozialdemokratischen Debatten um die Beilage befasst. Obgleich alle involvierten Sozialdemokraten eine Neuausrichtung der pfälzischen Regionalkultur und Heimat-Kulturpolitik anstrebten, legten sie dabei unterschiedliche Schwerpunkte. Eng damit verbunden, lassen sich unter den beteiligten Akteursgruppen unterschiedliche Motivationen zur Mitarbeit an »Bei uns daheim« feststellen. Für den 1888 geborenen Lehrer Loschky, der deutlich jünger war als die sich erinnernden Parteigenossen und der SPD erst 1920 beigetreten war, ging es in erster Linie um eine Beeinflussung der Pfälzer Heimatkultur, eng verbunden mit Ideenwelten der Volksbildung und Volkskunde. Durch die Verknüpfung der Heimatgeschichte mit einer sozialdemokratischen Regionalkultur hoffte er, den Heimatgedanken auch in der Arbeiterschaft zu popularisieren. Unter Betonung der ›Prägekraft‹ des Pfälzer ›Heimatbodens‹ richtete er sich in pädagogischer Absicht nicht zuletzt an die Arbeiterkinder. In seiner Praxis schien dabei mitunter ein Paternalismus auf, der auch in der bürgerlichen Heimatbewegung verbreitet war. Zugleich wollte Loschky wohl nicht nur die Arbeiterschaft für den Heimatgedanken gewinnen, sondern sich ebenfalls in der Heimatbewegung profilieren.235 So verfolgte er mit der Herausgabe der Jahresgesamtausgaben

234 Vgl. dazu etwa Klingel, Aus meinem Werden, S. 60; Queva, S. 64; Huber, S. 65. 235 Auf Loschkys Motivation und die Netzwerke, in die er eingebunden war, wird in Kapitel 3.1.1 zurückgekommen.

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das Ziel, die Heimatbeilage »losgelöst von der Zeitung, den Freunden der Heimat zugänglich zu machen.«236 Dagegen scheint bei einem Großteil der involvierten sozialdemokratischen Institutionen und der sich erinnernden Parteigenossen die Herausbildung einer regionalen sozialdemokratischen Erinnerungskultur und die Übertragung der republikweiten Parteigeschichtsschreibung auf die Ebene der Region im Zentrum gestanden zu haben. Dies wiederum musste nicht unbedingt bedeuten, dass sie der Verknüpfung dieses Anspruchs mit Heimat-Vorstellungen und einer Identifikation mit der Pfalz kritisch gegenübergestanden hätten. Auch sie stellten die Existenz einer pfälzischen Heimat und Regionalidentität zumeist nicht infrage. Indem sie ihre Lebensgeschichten in einer sozialdemokratischen Heimatbeilage publizierten, verorteten sie ihre Praxis des Geschichteschreibens im Kontext sowohl des Pfälzer Heimat-Raums als auch der SPD-Traditionsbildung und einer demokratisierten Regionalkultur. Das Changieren von »Bei uns daheim« zwischen parteipolitischer Regionalgeschichte einerseits, Heimatgeschichte andererseits sowie die damit einhergehende unterschiedliche Gewichtung der verschiedenen Heimat-Verständnisse lässt sich unter anderem an einer Episode um die Erinnerungen »Auf geht die Saat« von Queva aus Ludwigshafen-Friesenheim aufzeigen: Wie sich einer Vorbemerkung zum Text entnehmen lässt, wollte Queva seine Erinnerungen »gleich mit dem Eintritt ins politische Getriebe« beginnen, was darauf hindeutet, dass er seiner regionalen Herkunft keine zentrale Bedeutung für sein politisches Engagement zumaß. Doch dies sahen nicht alle Sozialdemokraten so: Bekannte und befreundete Genossen, die diese Blätter vor dem Druck lasen, wünschten, ich möchte mich auch vorstellen und sagen, wer ich bin und woher ich komme. Ich kann mich diesem Wunsche nicht verschließen, fasse mich aber ganz kurz.237

Es ist davon auszugehen, dass es sich dabei um Loschky und andere heimatinteressierte Sozialdemokraten handelte, bei denen der – von Queva nur kurz geschilderte – persönliche Hintergrund Interesse weckte, da es sich bei dem Kind einer Pfälzerin und eines Franzosen um eines der wenigen altgedienten SPD-Mitglieder handelte, das ursprünglich aus der Pfalz kam. Gerade mit der frühen ›Prägung‹ durch die Heimat, dem »Pfälzischen Klang«, hatte die Schriftleitung die Notwendigkeit einer sozialdemokratischen Heimatbeilage begründet.238 Ein Großteil der Autoren war jedoch, wie für die sozialdemokratische Generation üblich, erst nach einer längeren beruflich oder politisch bedingten Zeit der Mobilität im Verlauf des Erwachsenenlebens in die Pfalz gekommen. Nur der »Renommierbauer« Klingel war neben Queva ein Kind der Pfalz. Quevas Hinweis verdeutlicht demnach, dass es auch innerhalb der pfälzischen SPD keine ausgemachte Sache war, welcher Teil eines sozialdemokratischen Lebens erinnerungswürdig war: Die regionale Her236 Geleit zur Jahresgesamtausgabe von 1927. Vgl. zudem Geleitwort zum 6. Jahrgang von 1930. 237 Queva, S 13. 238 Vgl. N. N., Ankündigung.

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kunft, die kindliche Prägung im Sinne der sozialen Herkunft, die berufliche Tätigkeit oder das politische Engagement innerhalb der Partei. Diese unterschiedliche Schwerpunktsetzung, die mit potenziellen Interessenkonflikten einherging, zeigt sich ebenfalls an der Ankündigung von »Bei uns daheim« in der Kaiserslauterner »Freien Presse«. Im Gegensatz zu Loschky legte diese ihren Fokus auf die Bedeutung einer regionalen sozialdemokratischen Erinnerungskultur und verwies dabei auf »Bei uns daheim«, ohne zu erwähnen, dass es sich um eine Heimatbeilage handelte. Dort hieß es: Immer wieder fragen jüngere Parteigenossen, wie es war, als der Sozialismus in der Pfalz festen Fuß faßte, wie er sich allen Gewalten zum Trotz entwickelte und ausbreitete. Soll man solchen Genossen die vierbändige ›Geschichte der deutschen Sozialdemokratie‹ in die Hand geben, die Franz Mehring geschrieben hat?239

Der Artikel verneinte dies und forderte, eine regionale Ergänzung zu schaffen. Zentrales Argument war, die sozialdemokratische Parteigeschichte durch einen Regionalbezug für einfache Parteimitglieder greifbarer zu machen. In diesem Zusammenhang erwähnte der Artikel die »Beilage der ›Pfälzischen Post‹ in Ludwigshafen«. Darin »begann Genosse K. Klingel in Großbockenheim von seinem Werden zu erzählen«, was einen Anfang »zu einer ausführlichen Darstellung der Geschichte der pfälzischen Sozialdemokratie« darstelle.240 Der Artikel hob folglich nicht auf den heimatkundlichen Charakter der Erinnerungen ab. Vielmehr betonte er die Notwendigkeit, die sozialdemokratische Geschichtsschreibung in den regionalen Raum hinein zu erweitern, und stellte die sozialdemokratische Regionalgeschichtsschreibung auf diese Weise in die Tradition der nationalen SPD-Größen. Um dieses Ziel bestmöglich erreichen zu können, sei es notwendig, zunächst möglichst viel Quellenmaterial aus der Geschichte der Arbeiterbewegung zusammenzutragen, zu sichten und zu ordnen, das bislang oftmals nur »in kleinen Teilchen und in alle Winkel zerstreut« vorliege.241 Es seien »bedeutsame Schätze vorhanden, sie müssen nur gehoben und dargestellt werden.« Diesbezüglich appellierte die »Freie Presse« an die Parteimitglieder, selbst zum geschichteschreibenden Subjekt zu werden: »Dabei können alle Genossen mithelfen, die in vorderer Linie standen oder als aufmerksamer Beobachter die Entwicklung verfolgten.«242 Diese Form der Quellenakquise zu betreiben, hatte in der pfälzischen SPD Tradition. Im Kaiserreich forderte der »Pfälzische Post«-Redakteur Wilhelm Herzberg zur Mithilfe auf, um eine sozialdemokratische Geschichte des Hambacher Festes schreiben zu können. Da auf den Besitz von Flugschriften 239 N. N., Zur Geschichte (Der Zeitungsausschnitt findet sich in Loschkys Nachlass StaLu, N5, 147). 240 Ebd. 241 Als Quellen werden angegeben »Flugblätter, Zeichnungen, Aufrufe und ähnliche Urkunden aus der Kindheit und Jugendzeit der Sozialdemokratie […][,] Briefe von führenden Genossen«. Vgl. ebd. 242 Ebd.

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aus dem Jahr 1832 die Strafe des Hochverrats gestanden habe, seien nur wenige Quellen überliefert worden, was es enorm schwierig mache, ein umfassendes Bild des Hambacher Festes zu rekonstruieren, das auch die Positionen der radikalen Festteilnehmer berücksichtige.243 Auch die »Freie Presse« betonte, dass eine möglichst breite Beteiligung die Voraussetzung sei, um das selbstgesteckte Ziel erreichen zu können und »Bausteine, ohne die die Geschichte unserer Bewegung in der Pfalz nicht geschrieben werden kann«, zusammenzutragen. »Was wir vorhaben, wird gelingen – wenn alle unsern Aufruf beachten und zugreifen. Es handelt sich um Dienst an der Partei und am Sozialismus.«244 Das Ziel ihres Vorgehens lag aus Sicht der »Freien Presse« folglich weniger darin, einen Beitrag zur pfälzischen Heimatgeschichte zu liefern. Stattdessen diente die Auseinandersetzung mit der sozialdemokratischen Geschichte der Verwirklichung des Sozialismus. Damit griff sie ein Verständnis auf, das das Ziel sozialdemokratischer Geschichtsschreibung darin sah, »nicht allein Geschichte zu schreiben, sondern auch Geschichte zu machen«.245 Wie im Falle der sozialdemokratischen Geschichtsschreibung auf nationaler Ebene zeigte sich daran gleichzeitig, dass die Zeit des Kaiserreichs bis zu einem gewissen Grad als überwundene und abgeschlossene Vergangenheit konzeptualisiert wurde. In der Weimarer Republik glaubte die SPD einen Platz gefunden zu haben, von dem aus sie eine erste Bilanz ihres Wirkens ziehen konnte.246 Wie lassen sich die verschiedenen Formen sozialdemokratischer Heimatgeschichtsschreibung, die in diesem Kapitel am Beispiel der Heimatbeilage, in Kapitel 1.3.1 am Beispiel des Freitaler Heimatmuseums untersucht wurden, abschließend zueinander ins Verhältnis setzen? Zunächst ist mit Blick auf das Heimatmuseum und die Heimatbeilage festzuhalten, dass die Auseinandersetzung mit Heimatgeschichte in der SPD keinen Sonderfall darstellte, sondern innerhalb der beiden untersuchten Regionen und auch darüber hinaus existierte.247 Die sich in der Weimarer Republik ausbildende sozialdemokratische Heimatgeschichtsschreibung teilte mit ihrem bürgerlichen Pendant die Orientierung an konkreten lokalen und regionalen Heimat-Räumen – mithin an bereits existierenden Orten der Gegenwart. Auch die Medien der Erforschung, Veröffentlichung und Popularisierung ähnelten sich, waren Heimatmuseen und Heimatbeilagen doch klassische Vermittlungsformen. In dieser Hinsicht lagen die Unterschiede zwischen bürgerlicher und sozialdemokratischer Heimatgeschichtsschreibung auf einer deutlich subtileren Ebene, als zu Beginn der Untersuchung erwartet wurde. Trotz dieser Schnittstellen lassen sich mehrere Punkte als Spezifika einer sozialdemokratischen Herangehensweise an Heimatgeschichte benennen, die die 243 Vgl. Herzberg, Vorwort. 244 N. N., Zur Geschichte. 245 Kampffmeyer u. Altmann, Vorwort. 246 Vgl. zu einem solchen Verständnis, das die Novemberrevolution schon 1921 zur abgeschlossenen Geschichte erklärte, um den weiteren Weg in die Zukunft auf ein parlamentarisches Vorgehen festzulegen, Bernstein. 247 Vgl. zu anderen Beilagen bspw. Vorstand des Vereins Arbeiterpresse, S.59.

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bürgerliche Praxis in dreifacher Hinsicht zuspitzte: Dies betraf erstens die behandelten Inhalte. Die sozialdemokratische Heimatgeschichte setzte sich mit klassischen Inhalten auseinander, erweiterte sie jedoch um die Geschichte demokratischer und revolutionärer Bewegungen sowie vergangener Arbeitsverhältnisse und politischer Kämpfe. Diese gehörten aus ihrer Sicht zu einer umfassenden Heimatgeschichte. Aufgrund ihres Fokus auf die jüngste Vergangenheit zeichnete sie ein wesentlich konflikthafteres Bild als ihr bürgerliches Konterpart. Mit der Ausweitung des Analysegegenstands ging zweitens eine Demokratisierung der beteiligten Personen einher: Arbeiter und Sozialdemokraten sollten nicht allein zum Objekt, sondern gleichfalls zum Subjekt der Heimatgeschichtsschreibung avancieren, wobei Frauen nur an wenigen Stellen aktiv in diese Prozesse eingebunden waren. Besonders anschaulich wird dies an der Publikation der Erinnerungen in »Bei uns daheim« und deren sozialdemokratischer Autorenschaft. Drittens lag die Funktion sozialdemokratischer Heimatgeschichte in der Legitimation der republikanischen Gegenwart und der politischen Ziele der SPD. Durch die Auseinandersetzung mit der lokalen und regionalen Vergangenheit sollten Gegenwart und Zukunft in sozialdemokratischem Sinne beeinflusst werden. Über den Modus des Bewahrens der bis dato ungeschriebenen sozialdemokratischen Geschichte zielten die involvierten Akteure auf die Beeinflussung der gegenwärtigen und zukünftigen innerparteilichen und milieuübergreifenden Heimat- und Regional-Kultur. 2.3.2 Umkämpfte Zukunft: Heimatkunde für die ›neuen sozialistischen Menschen‹ Auch das zweite zentrale Praxisfeld sozialdemokratischer Heimat-Kulturpolitik stellte die Auseinandersetzung mit Heimat in den Dienst von Gegenwart und Zukunft. Die sozialdemokratische Heimatkunde richtete sich in pädagogischer Absicht an Arbeiterkinder und die Arbeiterjugend. Sie bewegte sich an der Schnittstelle parteipolitischer und milieuübergreifender Bildungsdiskurse: Einerseits schloss sie an Debatten zur Bedeutung von Bildung auf dem Weg in Richtung Sozialismus an, die einen ihrer prominentesten Ausdrücke in Wilhelm Liebknechts »Wissen ist Macht« fanden und ihren Höhepunkt in der Weimarer Republik erreichten.248 Andererseits rekurrierte sie auf Prinzipien der bürgerlichen Heimatkunde, die bis auf Jean-Jaques Rousseau und Johann Heinrich Pestalozzi zurückgingen. Das sozialdemokratische Interesse traf dabei auf eine bürgerliche Praxis der Heimatkunde, die sich seit ihren Anfängen im 19. Jahrhundert zunehmend nationalisiert hatte. Während frühe Entwürfe argumentierten, es sei kindgerecht, 248 Liebknecht, Wissen ist Macht. Vgl. zu dessen zeitgenössischer Rezeption N. N., Ausstellung »Rheinische Heimat«, S. 18. Vgl. zur Entstehung der Arbeiterbildungsbewegung im Kaiserreich Lidtke, S. 159–191; zuletzt Hake S. 155–173.; zur Weimarer Republik van der Will u. Burns, S. 74–89; Guttsman, S. 54–64; grundlegend Langewiesche, Freizeit des Arbeiters; ders., Arbeiterbildung.

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die Kinder ausgehend von der Auseinandersetzung mit der unmittelbaren Umgebung mit größeren Räumen, der Nation oder der Welt, vertraut zu machen, das Ziel der Heimatkunde mithin in der Weltkunde verorteten, wurden »Heimat und Welt […] zu Widersprüchen.«249 Zugleich griffen in der Weimarer Republik Reformpädagogen unterschiedlicher politischer Milieus Heimatkunde auf und passten sie an ihre jeweiligen Bedürfnisse an.250 Nicht zuletzt, weil sich Heimatkunde als Schulfach etablierte, wurde sie als bildungspolitisches Mittel unterschiedlicher Parteien wirksam, die divergierende, oftmals nationalistische, aber auch republikanische Staatsbürger- und Zugehörigkeitsvorstellungen vertraten.251 Gerade innerhalb der SPD, die die Ausgestaltung des Schulfachs Heimatkunde als Teil der Schul- und Bildungspolitik mitverantwortete, sofern sie in den Einzelstaaten in der Regierungsverantwortung stand, existierte ein solches Verständnis. Konrad Haenisch, der von November 1918 bis zur Regierungsumbildung 1921 als Minister des Ressorts »Wissenschaft, Kunst und Volksbildung« in der ersten, von der SPD geführten preußischen Landesregierung amtierte und zum rechten Parteiflügel gehörte, forderte in »Sozialdemokratische Kulturpolitik« die Entwicklung eines »neuen deutschen Menschentyp[s], den wir für die neuen großen Aufgaben der neuen Zeit brauchen.«252 Doch die sozialdemokratische Auseinandersetzung mit der Bedeutung von Bildung und Heimatkunde für die Zukunft der Weimarer Republik beschränkte sich nicht auf den rechten Parteiflügel und die Schulpolitik, sondern wurde in verschiedenen Teilen der Arbeiterbildungsbewegung diskutiert. Wie die Heimatgeschichte bewegte sich demnach auch die Heimatkunde der Sozialdemokratie in einem Spannungsfeld zwischen gesellschaftsübergreifenden Diskursen und Praktiken einerseits, parteipolitischer Spezifik andererseits. Zugleich bestand ein wichtiger Unterschied: Während die Konzeption der Ersteren zuvorderst im regionalen Rahmen entstand, stand Letztere im Kontext überregional, teilweise republikweit geführter bildungspolitischer SPD-Debatten. Diese befassten sich vor dem Hintergrund der veränderten sozialdemokratischen Gestaltungsmöglichkeiten der staatlichen Bildungspolitik u. a. mit dem Spannungsfeld von Schulpolitik und Arbeiterbildung.253 Anders als das Kapitel zur Heimatgeschichte beginnt dieses Kapitel daher mit republikweit geführten bildungspolitischen Kontroversen, bevor anhand zweier Fallbeispiele auf die Ausprägung der Heimatkunde im lokalen und regionalen Raum eingegangen wird: Erstens die Kinderbeilage »Die Welt der Kleinen« aus der »Pfälzischen Post«, zweitens Jugendweihen in Freital.

249 Oesterhelt, S. 441. 250 Vgl. zum Verhältnis von SPD und Reformpädagogik in der Weimarer Republik Uhlig; Franke. 251 Vgl. Reimann u. a., S. 237–280. 252 Haenisch, S. 23. 253 Vgl. als Beispiel Lohmann, Schulprogramm der Sozialdemokratie.

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2.3.2.1 Überregionale bildungspolitische Debatten um Heimatkunde in der Sozialdemokratie Welche Bedeutung Heimatkunde in der sozialistischen Bildungstheorie und -politik zugemessen wurde, lässt sich beispielhaft an den Diskussionen auf dem ersten SPD-Kulturtag aufzeigen, der vom 23. bis zum 28.03.1921 tagte. Der Kulturtag fand wohl nicht zufällig in Dresden statt: Sachsen galt seit jeher als eines der Pionierländer der Arbeiterbildung im Deutschen Reich und beeinflusste die bildungspolitischen Debatten in anderen Regionen.254 Darüber hinaus stand die sächsische Arbeiterbildungsbewegung in regem Austausch mit der österreichischen, der spätestens ab der Jahrhundertwende eine internationale Vorreiterrolle zukam.255 Auf der Tagesordnung des Kulturtags stand unter anderem die Frage, wie der Geschichtsunterricht an den staatlichen Schulen im sozialdemokratischen Sinne beeinflusst werden könne.256 Im Nachgang publizierte die »Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Lehrer und Lehrerinnen Deutschlands« die Referate und Diskussionen, um die Debatte einer größeren Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Der Geschichtsunterricht, so das Vorwort, sei »eines der brennendsten Probleme unserer Erziehung«, ihm komme eine Art Gradmesserfunktion für den Stand der Entwicklung an den Schulen zu. Aus Sicht der Arbeitsgemeinschaft war die Vermittlung eines sozialdemokratisch geschärften Blicks auf die Vergangenheit entscheidend für Gegenwart und Zukunft. Daher sollte der Kulturtag zum einen »Aufklärungsarbeit« leisten, da die »materialistische[] Geschichtsauffassung« in den schulpolitischen Debatten vonseiten bürgerlicher Parteien weiterhin »aus Unkenntnis wie aus politischer Gegnerschaft angegriffen« werde. Zum anderen ging es wohl darum, den innersozialdemokratischen Diskurs zu befördern und die eigene Positionsbestimmung voranzutreiben.257 Im ersten Referat behandelte der österreichische Sozialdemokrat, studierte Historiker und Mitbegründer der Wiener Volkshochschulbewegung, Ludo Hartmann, den Zusammenhang von »Geschichtsauffassung und Geschichtsdarstellung«. Die Kinder sollten in den Schulen lernen, »daß nichts, was besteht oder lange bestanden hat, deshalb dauernd und ewig ist« und »daß nichts, was für die Zukunft gewünscht wird, losgelöst von den historischen Vorbedingungen realisierbar ist.«258 Geschichte bedeutete Hartmann demnach ganz im Sinne des so254 Vgl. zur sächsischen Arbeiterbildungsbewegung bspw. Heidenreich, S. 50–125 zum Kaiserreich; S. 179–203 zur Schulpolitik; S. 220–287 zur Arbeiterbildung. Zur pfälzischen Arbeiterbildungsbewegung liegt keine vergleichbare Arbeit vor. 255 Vgl. zur österreichischen Arbeiterbildungsbewegung die Pionierstudien von Langewiesche, Freizeit des Arbeiters; ders., Arbeiterkultur in Österreich. Langewiesche geht darin auch auf die schwierig zu beantwortende Frage ein, inwiefern einfache Arbeiterinnen und Arbeiter die sozialdemokratischen Bildungsangebote nutzten. 256 Vgl. die im Anschluss an den Kulturtag unter dem Titel »Der neue Geschichtsunterricht« publizierten Referate von Hartmann u. Henningsen. 257 Alle Zitate aus Hartmann u. Henningsen, Vorwort, S. 5. 258 Ebd., Referat Hartmann, S. 15.

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zialdemokratischen Geschichtsverständnisses nicht Statik, sondern historische Veränderlichkeit und intentionale Veränderbarkeit. Der Vermittlung eines solchen Geschichtsverständnisses an die Kinder, so Hartmann weiter, stehe nicht allein die unzulässige Beschränkung des historischen Stoffs auf einzelne ›große Persönlichkeiten‹ entgegen. Gleiches gelte für die Nationalgeschichtsschreibung, die zwangsläufig den »welthistorischen Zusammenhang«259 vernachlässige, in dem die einzelnen Staaten stünden. Daher gelte es den Gegenstand der Geschichtsschreibung auf das ›Volk‹ auszuweiten, was dem Stand der gesellschaftlichen Entwicklung in den mittlerweile existierenden Demokratien ohnehin entspreche. Auch müsse die lokale historische Entwicklung stets in Zusammenhang mit weltweiten Entwicklungen gestellt werden. Während das erste Referat diskutierte, wie sich das sozialdemokratische Geschichtsverständnis in der Formgebung und Vermittlung des historischen Stoffes niederschlagen müsse, lässt sich anhand des zweiten Referats zeigen, welche Bedeutung die sozialdemokratische Lehrerschaft der Heimatkunde in der pädagogischen Praxis zumaß. Darin diskutierte der Lehrer Nicolaus Henningsen aus Hamburg die Frage der »Neugestaltung des Geschichtsunterrichts«260 an den Schulen aus praktischer Perspektive. Nicht kindgerecht, so Henningsen pädagogische Annahme,261 sei der in den Lehrplänen fortbestehende Fokus auf die »politische Geschichte«,262 da das kindliche Interesse zunächst darin liege, »mit allen Sinnen die Umwelt in ihren mannigfachen Teilen [zu] erfassen und bis in die Einzelheiten kennen[zu]lernen«.263 Daher sei es erforderlich, von »Heimat und Gegenwart« auszugehen, wobei Henningsen in dem Zusammenhang interessanterweise nicht nur auf die »Entstehung des Volksliedes« oder »Spuren von heimatlichen Bräuchen« rekurrierte, sondern die Zeit des Handwerks besonders herausstellte: Während einer Unterrichtsstunde »wehte von ungefähr ein Hauch aus der Zunftzeit zu uns herüber, wo man ›Lehrgeld geben‹ mußte, wo einem ›das Handwerk gelegt‹ wurde […] und wo man statt des erwarteten ›Meisterstücks‹ manchmal elend ›Stückwerk‹ sah.« Dies habe er zum Anlass genommen, mit den Kindern eine Gesellenprüfung nachzustellen und zum Abschluss das alte, mittlerweile anachronistisch gewordene Volkslied »Die Lore am Tore« zu singen; ein Vorgehen, das auf die Vorstellung zurückging, die Geschichte müsse »lebendig gemacht« werden.264

259 Ebd., S. 12. 260 Vgl. ebd., Referat Henningsen, S. 15. 261 Diese beruhte auf der Annahme, dass die Ontogenese des einzelnen Individuums einer Art verknappten Phylogenese gleiche. Vgl. ebd., S. 18. 262 Ebd., S. 17. 263 Ebd., S. 18. 264 Ebd., S. 24–25. Dies ist ein weiteres Beispiel für die besondere Bedeutung des Handwerks im sozialdemokratischen Heimat-Diskurs. Vgl. dazu bes. Kapitel 3.3.1; zur grundsätzlichen Bedeutung des Handwerks in der SPD der Weimarer Republik Domurad.

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Die Orientierung an den lokalen und regionalen Heimat-Räumen grenzte Henningsen dabei von der pädagogischen Praxis im Kaiserreich ab, die sich durch einen kriegsverherrlichenden Nationalismus ausgezeichnet habe: »Erwirb die Heimat, um sie zu besitzen,«– das wird zum Wesen der neuen Schule gehören im Gegensatz zu der Schule der Kaiserzeit, die das Wort national prägte und sich der Mittel einer wahrhaften Erziehung zur Volksgemeinschaft nie bewußt wurde.265

Mit einem abgewandelten Zitat stellte er die neu zu etablierende Herangehensweise in die Tradition Goethes, bei dem es hieß: »Was Du ererbt von deinen Vätern hast, erwirb es, um es zu besitzen«. Die Abwandlung Goethes implizierte dabei ein egalisierendes Moment, denn die Arbeiterschaft hatte in der Regel gerade nichts von ihren Eltern geerbt. Gleichzeitig sticht an Henningsens Ausführungen die Ähnlichkeit mit zentralen Werken zur Heimatkunde, etwa Sprangers »Der Bildungswert der Heimatkunde«,266 ins Auge. Dies betrifft insbesondere seine Vorstellung, »daß die starken Wurzeln aller menschlichen Kraft von der Stelle ausgehen, mit der der Mensch verwachsen ist.« Daher müsse die Schule den »Keim der natürlichen Liebe zu Heimat und Volk« legen, »ein Stück Heimatverbundensein« stiften, indem sie »ganz unabsichtlich, ganz unaufdringlich hineinführt in Eigenart, Schönheit und Kraft der heimatlichen Landschaft und ihrer Bewohner.«267 Bezeichnenderweise wurde die Frage, inwiefern sich eine solche Herangehensweise an Heimatkunde der Form nach überhaupt maßgeblich von der bürgerlichen Praxis unterscheide, mithin spezifisch sozialistisch sei, auch in der Diskussion nach den Referaten aufgeworfen.268 Zugleich beschränkten sich Heimat und Heimatkunde für Henningsen jedoch nicht auf eine romantisch verklärte Landschaft, auch wenn er sich ebenfalls stark auf Natur-Räume bezog. Stattdessen schloss Henningsen an das gerade Zitierte wie folgt an: Doch die heimatliche Umwelt bietet nicht nur Sonne, Frohsinn und Erholung, sie bietet auch Dunst, Rauch und Elend und den Rhythmus der modernen Arbeit. Wir besichtigen Werkstätten, Fabrikbetriebe, Börse, Hafen, und kommen dabei immer mehr an volkswirtschaftliche und sozialpolitische Probleme (wenn auch in der einfachsten Form) heran.269

Im Gegensatz zur bürgerlichen Heimatkunde, die die städtische Lebenswelt vieler Volksschüler ausblendete, kennzeichnete Henningsens Vorgehen die Beobachtung, dass Heimat, im Sinne des Herkunftsorts, gerade für Arbeiterkinder keine (ländliche) Idylle darstellte. Heimat verstand er nicht als spezifische landschaft­ liche Konstellation, sondern als die nähere Umwelt, die zu erkunden eine Voraussetzung der Welterkenntnis bilde. Erst von einem solchen Heimat-Verständnis 265 Hartmann u. Henningsen, Referat Henningsen, S. 25. 266 Vgl. Spranger; zu Spranger bspw. auch Gebhard u. a., S. 36–37. 267 Hartmann u. Henningsen, Referat Henningsen, S. 25. 268 Vgl. dazu den Diskussionsbeitrag des Berliner Sozialdemokraten Dr. Kawerau ebd., S. 31–32. 269 Ebd., Referat Henningsen, S. 25.

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ausgehend, ergab das Vorhaben einer sozialdemokratischen Heimatkunde Sinn. Durch die Auseinandersetzung mit technischen Fortschritten270 oder prekären Wohnverhältnissen271 sollten die Kinder erste ökonomische Erkenntnisse und Ansätze einer politischen Kritik erlangen. Eine radikale Kritik des Kapitalismus beinhaltete Henningsens Darstellung jedoch nicht, weswegen er die prekären Verhältnisse in der »heimatliche[n] Umwelt« zwar konstatierte, ohne die Möglichkeit von deren Abschaffung in den Vordergrund zu rücken. Im sozialdemokratischen Verständnis wies eine solcherart praktizierte Heimatkunde in eine bessere Zukunft; als Unterrichtsmethode glich sie der bereits thematisierten Naturfreunde-Praxis des ›sozialen Wanderns‹. Hier wie dort maßen die Verantwortlichen der veränderten Herangehensweise an den Gegenstand ebenso große Bedeutung zu wie den neuen Inhalten, die in der Jugend- und Erwachsenenbildung Themen wie »Die deutsche Revolution von 1848« oder »Lassalle und seine Zeit« umfassen sollten.272 Das Ziel der neuen »soziologischen« Methode bestehe in der Herausbildung sozialistischer Menschen. Um »die große Aufgabe der Zukunft erfüllen« zu können, benötige es Menschen »ohne aufgestapelten Wissensballast, aber mit sicherem Gefühl für das Wesentliche«, die fähig seien, »das Wesentliche aus Vergangenheit und Gegenwart zu erkennen und die Richtungslinien in die Zukunft zu ziehen.«273 Um dies erreichen zu können, müssten sich, so betonte Henningsen, auch die Lehrer verändern, da sie in zahlreichen Fällen noch unreflektiert dem ›alten Geist‹ verhaftet blieben. Daher sei eine fortwährende Infragestellung vermeintlicher Selbstverständlichkeiten der Vergangenheit vonnöten, ohne an deren Stelle ein neues sozialistisches Dogma aufzustellen. Stattdessen sei insofern für eine politische Unparteilichkeit des Lehrers einzutreten, als die Kinder zum Selberdenken erzogen werden sollten.274 Henningsen schien davon auszugehen, dass eine unbefangene Analyse der Gegenwart von sich aus zu sozialistischen Standpunkten führen würde. Die Frage der politischen Unparteilichkeit war in der pädagogischen Diskussion der sozial­ demokratischen Lehrerschaft jedoch umstritten.275

270 Vgl. am Beispiel des Druckerwesens ebd., S. 26. 271 Hierzu sollte folgende Unterrichtspraxis verfolgt werden: »Auf die ungeheuer wichtige Frage des Grunds und Bodens, der Bodenreform kommen wir [Der Lehrer und seine Schüler, d. Vf.] immer wieder zurück. In Hamburg über 5500 Familien zu sechsen und mehr in einer Einzimmerwohnung! Ein Beispiel für viele, welch grauenhaftes menschliches Elend in den deutschen Großstädten wohnt. Wie anschaulich eine ganze Zahl von Kindern diese soziale Not mit Berichten zu belegen weiß! Weiter: Mietskaserne, Gängeviertel, Wolkenkratzer, Spekulation; Grund und Boden als Gemeingut aller; Bedeutung für Nahrung, Gesundheit, Wohlstand, Heimatliebe.« Vgl. ebd., S. 27. Hier argumentierte Henningsen ähnlich wie bspw. Hugo Hillig oder Otto Rühle. 272 Vgl. ebd., S. 29. 273 Ebd., S. 30–31. 274 Vgl. ebd., S. 17. 275 Vgl. die an die Referate anschließende Debatte.

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Noch in einem weiteren Punkt deutete sich auf dem Kulturtag ein Konflikt an. Mochte es dort zunächst so scheinen, als sei die Bejahung einer heimatkundlich orientierten Bildung unter linken Pädagogen Konsens, war dies tatsächlich hoch umstritten. Dies galt etwa für den 1874 in Sachsen geborenen, zunächst sozialdemokratischen, später kommunistischen Pädagogen und Bildungstheoretiker Otto Rühle, der von 1907 bis 1913 als Wanderlehrer des Zentral-Bildungsausschusses der SPD durch das Land gereist war. Bereits im Kaiserreich hatte er sich mit den Missständen des wilhelminischen Schul- und Erziehungssystems befasst. Nachdem er die SPD wegen ihrer Haltung zum Ersten Weltkrieg verlassen hatte, entwickelte er ausgehend von diesen Erfahrungen und maßgeblich beeinflusst durch seine Frau Alice Rühle-Gerstel ab Beginn der 1920er das Programm einer sozialistisch-kommunistischen Pädagogik, welche die marxistische Theoriebildung mit der Individualpsychologie Alfred Adlers zu verknüpfen suchte.276 Dieses Programm legte Rühle in Schriften wie »Erziehung zum Sozialismus«277 von 1919 und »Kind und Umwelt. Eine sozialpädagogische Studie«278 von 1920 nieder. Trotz seines kommunistischen Hintergrunds beschäftigte er sich in diesen Schriften unter anderem mit der Bedeutung von Heimat für die Entwicklung des Kindes. Gleichzeitig grenzte er sich dabei jedoch vehement von Überlegungen ab, das Ziel der sozialistischen Erziehung und Bildung liege in der Weckung und Vermittlung von ›Heimatliebe‹. Laut Rühle verfügten die Arbeiterkinder über keine Heimat, die es ihnen durch eine demokratisierte Heimatkunde zu vermitteln gelte. Stattdessen sah er die Arbeiterkinder in der Gegenwart einer prinzipiellen ›Heimatlosigkeit‹ ausgesetzt, die sich der Kapitalismus habe zuschulden kommen lassen. Der Vorstellung von Heimatkunde, die bis in das sozialdemokratische Milieu hineinreichte, man müsse die Arbeiterkinder in der bestehenden Welt heimisch machen, entgegnete er folgendermaßen: Heimisch in seinem Hause … seinem Garten … seinem Dorfe soll der junge Erdenbürger werden, ehe er in Heimat, Vaterland und Welt weiterwandernd seine Füße setzt. Ein Programm, das frischen Schollengeruch atmet und Bodenständigkeit bekundet, tüchtig und echt, anmutig, begehrenswert – nur schade, daß es ein paar Menschenalter zu spät kommt. […]. Daß jeder sein Haus, seinen Garten und seine Heimat hatte – es war einmal. Dem modernen Proletarier und seinem Nachwuchse klingt es fast wie ein fernes, schönes Märchen.279

Durch die Industrialisierungs- und Urbanisierungsprozesse seien die einstmals sozialisierenden Heimat-Orte unwiderruflich zerstört worden, ihre konservative Beschwörung bestenfalls naiv und weltfremd. Darüber hinaus laufe der Wunsch nach Re-Etablierung der alten Verhältnisse auf die Re-Etablierung der alten Abhängigkeitsverhältnisse hinaus. Angesichts der Arbeitsmigration und der damit 276 Vgl. Lühr, Otto Rühle, S. 75–77. 277 Vgl. Rühle, Erziehung zum Sozialismus. 278 Vgl. ders., Kind und Umwelt. 279 Ebd., S. 25. (Die nicht in eckige Klammern gesetzten Punkte entstammen dem Original).

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verbundenen häufigen Wohnungswechsel schulpflichtiger Arbeiterkinder könne die Kenntnis eines konkreten Heimat-Raums ihr Elend nicht beenden. Vielmehr, so Rühle weiter, habe für das Arbeiterkind »der Begriff Heimat aufgehört, überhaupt zu existieren«.280 Für Rühle strahlte die »Heimat keine Erziehungswerte« mehr aus, sie habe sich durch das Leben in den Mietskasernen verloren: »Der ganze Komplex von Gefühlen, den der Begriff Heimat in anderen lebendig werden, in Liedern und Weisen ausklingen läßt, ist bei dem Heimatlosen ein toter Landstrich, eine Wüste.«281 Obgleich Rühle die kapitalistische Welt scharf kritisierte, veranlasste ihn diese Kritik bemerkenswerterweise nicht dazu, Heimat als Bezeichnung sicherer und solidarischer Lebensverhältnisse generell zu verwerfen. Vielmehr hatte diese allein ihren konkreten Ort verloren, war nur als Versprechen einer zukünftigen Gesellschaft noch aktuell. Deswegen setzte er dem kritisierten Heimat-Verständnis ein eigenes, zukünftig erst noch zu verwirklichendes entgegen. Denn die beschriebene ›Heimatlosigkeit‹ des Proletariats bedeutete ihm weder Internationalismus noch Freiheit, sondern in erster Linie Armut und Verlorenheit. Deswegen müsse zukünftig eine neue, internationalisierte Form der Heimat gefunden werden, die die alten Versprechen zuallererst einlöse. Für deren Verwirklichung sei das proletarische Kind  – gleichzeitig die Zukunft der Bewegung  – durch sein »Zugvogeldasein« und seine »geistige und seelische Heimatlosigkeit« besonders geeignet. »Losgelöst von Familie, Haus und Heimat wird es zum wahren Weltbürger. Die Erde ist seine Heimat, die ganze Menschheit seine Familie.« Daraus entstehe die Möglichkeit des Sozialismus, »aus tiefster Armut [werde] ein höchster Reichtum: es vollzieht sich in ihm [dem Kind] unbewußt, aber unausweichlich die Prädestination zum Sozialismus.«282 Die Heimat im Sozialismus bestimmte Rühle wie folgt: »Die Heimat wird nicht mehr von Grenzpfählen eingeschlossen und begrenzt sein, sondern im Geist von Solidarität aller Menschen die ganze Welt umfassen.«283 Um die zukünftige Heimat im Sozialismus, der für Rühle mit einer neuen Form der ›Gemeinschaft‹ verbunden war, erreichen zu können, bedürfe es einer neuen »Erziehung […] ohne die Unrast der Heimatlosigkeit, aber von der Solidarität internationaler Brüderlichkeit durchdrungen, […]. Das wird eine ideale Erziehung, eine glückliche Jugend und eine reichbeschenkte Menschheit sein!«284 Rühles pädagogische Positionen bewegten sich am linken Rand der Arbeiterbildungsbewegung. Dennoch griff er die in pädagogischen Kreisen gesamtgesellschaftlich kursierenden Heimat-Vorstellungen auf. Obgleich er diese radikal anders deutete und sich entschieden von bürgerlichen und konservativen Vorstellungen der Heimatkunde abgrenzte, bildete der Heimat-Begriff einen 280 Ebd., S. 30. 281 Ebd., S. 31. Dies entsprach Preczangs Gedicht »Wir haben keine Heimat mehr«, das in Kapitel 2.2.2 analysiert wurde. Während Preczang seine Zeitdiagnose im Kaiserreich traf und in der Weimarer Republik partiell revidierte, hielt Rühle als Kommunist an einer solchen fest. 282 Ebd., S. 31. 283 Ebd., S. 32. 284 Ebd.

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gleichermaßen geteilten wie umstrittenen Bezugspunkt verschiedener Teile der Arbeiterbewegung.285 2.3.2.2 Die Kinderbeilage »Die Welt der Kleinen« aus der »Pfälzischen Post« Am 15.03.1924 publizierte die »Pfälzische Post« eine Ankündigung des erstmaligen Erscheinens ihrer Kinderbeilage »Die Welt der Kleinen«.286 Der Entscheidung waren intensive Beratungen vorausgegangen, welche Bedeutung der Bildungsarbeit bei der Herbeiführung des Sozialismus auf republikanischem Boden zukomme. In dieser Frage folgte die pfälzische SPD der generellen sozialdemokratischen Linie. Der Artikel »Erziehung zum Sozialismus«287 vom 28.02.1924 argumentierte: »Erste Vorbedingung zur Durchführung des Sozialismus sind – es klingt so einfach und selbstverständlich – sozialistische Menschen.« Notwendig sei daher zum einen die Forcierung einer »entschiedenen Schulreform« vonseiten sozialdemokratischer Lehrer und Eltern gegen den alten militaristischen und nationalistischen Geist des Kaiserreichs. Doch der alleinige Fokus auf die Schule genüge nicht. Zum anderen müsse die Arbeiterbildungsbewegung alle Kräfte bündeln und, sofern noch nicht vorhanden, Arbeiterbildungsausschüsse konstituieren. In ähnlicher Weise wie der Dresdner Kulturtag verortete der Artikel das sozialdemokratische Vorgehen dementsprechend im Spannungsfeld staatlicher Schulpolitik und sozialistischer Arbeiterbildung. Um den Sozialismus herbeiführen zu können, müsse die SPD ihr Engagement in beiden Bereichen intensivieren. Von besonders zentraler Bedeutung sei dazu die Presse, wobei die »Bemühungen der Schriftleitungen, den belehrenden und unterhaltenden Teil ihrer Blätter wertvoll zu gestalten, […] unfruchtbar bleiben [müssen], wenn die Anteilnahme der Leserschaft gerade am Bildungswerke ihrer Presse fehlt.«288 Der Artikel war Teil einer sich intensivierenden Bildungsarbeit Mitte der 1920er Jahre, die vonseiten des regionalen SPD-Bildungsausschusses verantwortet wurde. Zu dessen Tätigkeitsfeldern zählten Wanderungen, politische Veranstaltungen, der Besuch von Museen sowie, nicht zuletzt, die Herausgabe der sozialdemokratischen Kinderbeilage zur »Pfälzischen Post«.289 Wie die Beilage »Die Welt der Kleinen« stand auch die bereits untersuchte Heimatbeilage »Bei uns daheim« im Kontext dieser kulturpolitischen Offensive. Beide Beilagen wur-

285 Auch argumentierte er in ähnlicher Weise wie die sich erinnernden Pfälzer Sozialdemokraten, dass der bisherige Kampf der Arbeiterbewegung den Arbeiterkindern die Perspektive auf eine glücklichere Kindheit eröffnet habe: »WOHL DIR, DASS DU EIN ENKEL BIST!« Vgl. ders., Erziehung zum Sozialismus, S. 22. 286 N. N., Die Welt der Kleinen. 287 N. N., Erziehung zum Sozialismus. 288 Alle Zitate des Abschnitts aus ebd. Hier sieht man auch, dass »Erziehung zum Sozialismus« sehr unterschiedliches bedeuten konnte. Dass dazu auch der Besuch von Heimatmuseen gezählt wurde, bestätigen die Fälle Freital und Ludwigshafen. 289 Vgl. zu den Mitgliedern und Aktivitäten des SPD-Bezirksbildungsausschusses SPD Bezirk Pfalz, S. 20.

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den von Hans Loschky betreut und ähnelten sich auch in anderen Punkten, die angesichts der detaillierten Auseinandersetzung mit »Bei uns daheim« an dieser Stelle nur kurz benannt werden: 1. Die Beilagen lagen der »Pfälzischen Post« und der »Pfälzischen Freien Presse« ab Mitte der 1920er Jahre bis Anfang der 1930er Jahre in unterschiedlichem Turnus bei, 2. Sie wurden darüber hinaus als Jahresgesamtausgaben publiziert, die Sonderdrucke gab der SPD-Bezirksbildungsausschuss heraus, 3. Loschky legte seine Konzeption der Beilagen in der sozialdemokratischen Tagespresse und den Geleitwörtern zu den Jahresgesamtausgaben dar, 4. Konzeption und Umsetzung der Beilagen bewegten sich zwischen einer spezifisch sozialdemokratischen und einer klassisch bürgerlichen Herangehensweise an den Gegenstand, weswegen ihr politischer Charakter nur schwer zu greifen ist, 5. Dementsprechend verfolgten die involvierten Akteure teilweise unterschiedliche Ziele mit der Herausgabe der Beilagen.290 Um die politische Ausrichtung der sozialdemokratischen Bildungspolitik besser einschätzen zu können, ist die Analyse von »Die Welt der Kleinen« als Korrektiv zu theoretischen Artikeln wie »Erziehung zum Sozialismus« besonders interessant. Während starke Abweichungen vom bildungspolitischen Programm der SPD-Parteiführung bei theoretischen Texten schnell aufgefallen wären, kamen in der regionalen Bildungspraxis die nicht reflektierten Annahmen der historischen Akteure oftmals unbemerkt zum Ausdruck. Die Konzeption der Kinderbeilage legte Loschky am 15.03.1924 anlässlich ihres erstmaligen Erscheinens in der Parteipresse dar: Die Welt der Kleinen,. [sic] so heißt unsere neue ab nächsten Montag erscheinende Wochenbeilage, die unseren Kleinen gewidmet ist. Es soll damit nicht das Beispiel anderer Zeitungen nachgeahmt werden. Den Anlaß gaben öfter an uns gerichtete Fragen, warum die Zeitung den Kindern nichts bringe.291

Hintergrund waren die prekären Einkommensverhältnisse der Arbeiterschaft. Diese machten es vielen Arbeiterfamilien unmöglich, regelmäßig Bücher anzuschaffen. Daher geselle sich zum »leiblichen […] der geistige Hunger und neue schlimme Gefahren drohen.« Vor diesem Hintergrund müsse die Beilage »trotz der Opfer, die sie der Zeitung auferlegt« »Ersatz für das gute Buch« schaffen und »Gedichte, kindertümliche Geschichten, Belehrendes, Reisebeschreibungen, Lebensbilder, Scherzfragen und Rätsel« enthalten.292 Loschky begründete die Notwendigkeit der Kinderbeilage demnach nicht mit sozialistischer Erziehung, sondern mit der Notwendigkeit, durch den Abdruck li290 Der Analyse von »Die Welt der Kleinen« liegen ähnliche Quellen zugrunde wie der Analyse von »Bei uns daheim«: die umfangreiche Beilage selbst und die Geleitwörter zu den Jahressonderdrucken, Artikel aus der sozialdemokratischen Tagespresse sowie Quellen aus Loschkys Nachlass. 291 N. N., Die Welt der Kleinen. 292 Ebd.

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terarisch wertvoller Texte zur Bildung der Arbeiterkinder beizutragen. Zwar fehlte in der Annonce ein expliziter Bezug, nichtsdestotrotz sprach aus Loschkys Argumentation implizit das parteiübergreifend lancierte Argument einer ›Bekämpfung der Schundliteratur‹, das er selbst an anderer Stelle explizierte.293 Auch die in der Beilage publizierten Texte und ihr oftmals betont unpolitischer Gestus legen eine solche Einschätzung nahe. Zudem explizierte er dieses Anliegen in der Annonce wie folgt: »Wir wollen das Kind nicht in einer bestimmten Richtung beeinflussen, das verbietet die Achtung vor seiner seelischen Eigenart«.294 Dies war ein ähnliches Argument, wie es auch auf dem Dresdner Kulturtag vorgebracht worden war, Loschky weitete es allerdings beachtlicherweise von der Schule auf die Parteipresse aus. Er grenzte sein eigenes Vorgehen von der Kinderbeilage der Chemnitzer SPD-Regionalpresse ab, die ihm als Vorbild diente, deren Ausrichtung ihm allerdings als zu politisch galt.295 Der betont unpolitische Charakter zeigte sich weiterhin an den Autoren, die in »Die Welt der Kleinen« Abdruck fanden: Die Gedichte und Erzählungen, die sich auf den Heimat-Raum Pfalz bezogen, stammten großteils aus der Feder etablierter Pfälzer Heimatliteraten. Trotz der Bedeutung, die die Sozialdemokratie Bildung und Erziehung zumaß, fehlten sozialdemokratische Autoren in der Kinderbeilage – anders als in »Bei uns daheim« – hingegen weitgehend. Auch in der Interaktion mit seinen jungen Leserinnen und Lesern sparte Loschky den politischen Hintergrund der Beilage vollkommen aus, verschleierte ihn gar: »Der Briefbote hatte in seiner Tasche keinen Platz mehr, darum wurde das kleine Blättchen in die ›Pfälzische Post‹ gesteckt.«296 In der Kinderbeilage bildete Heimat eine zentrale Begrifflichkeit. Ihr Vorgehen orientierte sich im Erscheinungszeitraum von 1924 bis 1930 an den Grundsätzen der Heimatkunde. Um »Freude und Belehrung«297 zu bringen, enthielt die Beilage regionale historische Sagen und Geschichten ebenso wie Wissen über die natürlichen Abläufe und deren naturkundliche Erforschung. Wie in »Bei uns daheim« setzte Loschky Heimat auch in die »Welt der Kleinen« mit dem Regionalraum Pfalz gleich, dessen Natur und Geschichte es als Untersuchungsobjekte an die Arbeiterkinder zu vermitteln gelte. Die Notwendigkeit eines solchen Vorgehens explizierte er in dem Geleitwort zum fünften Jahrgang von 1928: Damit wir festen Boden unter die Füße kriegen, haben wir begonnen uns in der Heimat, in der Pfalz am Rhein, gründlich umzusehen. […] Wir müssen uns zuerst um das kümmern, was vor Augen liegt, und uns bemühen es zu verstehen. Dann wird es uns leichter fallen die Ereignisse in der Ferne zu begreifen. Wir sondern uns nicht ab, im Gegenteil: wir wollen im großen Zusammenhang unseren Platz entdecken. Die Heimat ist für uns nur Ausgangspunkt, von da an streben wir weiter und sehen uns verbunden mit Welt und Menschheit.298 293 Vgl. Loschky, Tageszeitung und Kinderbeilage, S. 237–266. 294 N. N., Die Welt der Kleinen. 295 Vgl. StALu, N5, 147, fol. 2–3. 296 Loschky, Liebe Kinder, S. 1. 297 Geleitwort zum 5. Jahrgang von 1928. 298 Ebd.

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Das Zitat verdeutlicht, dass für Loschky die Kenntnis der ›engeren Heimat‹, deren historischer Veränderung und natürlicher Landschaft Voraussetzung für ein Verständnis der Welt war. In Loschkys Verständnis sollte die ›Heimaterkenntnis‹ zur ›Welterkenntnis‹ führen.299 Dieses Verständnis aktualisierte ein Vorgehen, das die Heimatkunde in ihren Anfängen im 19. Jahrhundert teilweise ausgezeichnet hatte, aufgrund ihrer zunehmenden Nationalisierung jedoch zunehmend in den Hintergrund gerückt war.300 In Loschkys Konzeption von Heimatkunde kam der aktiven Mitarbeit der Kinder zentrale Bedeutung zu. Bereits in der ersten Nummer vom 17.03.1924 richtete er sich als »Onkel Kindermann« direkt an seine zukünftigen jungen Leserinnen und Leser: »Gefällts Euch? Dann macht Euch eine Mappe, legt Blatt um Blatt hinein, sammelt die Ausschnitte und hebt sie auf. Wenn das Jahr herum ist, habt Ihr ein hübsches Buch. Das macht Euch Freude und – hat keinen Pfennig gekostet.«301 Auch darüber hinaus forderte er die Kinder auf, die Zeitungsbeilagen auszuschneiden und abzuheften, darüber hinaus selbstverfasste Geschichten einzusenden, die wiederum in einer der folgenden Zeitungsbeilagen abgedruckt und von seiner Seite kommentiert wurden. So hieß es im ersten Blatt: »Habt Ihr ein schönes Rätsel – selbstgemachte sind mir die liebsten – oder findet Ihr eine schöne Geschichte, so schickt sie ein.«302 Die aktive Beteiligung der Kinder setzte Loschky konsequent um: Am Ende des jeweiligen Blattes fanden sich Rätsel und Briefe, die von Erlebnissen der Kinder erzählten, auf die Loschky wiederum antwortete und mitunter kritische Verbesserungsvorschläge anbrachte.303 Trotz der angestrebten politischen Neutralität der Beilage ließen diese Geschichten immer wieder den parteipolitischen Hintergrund der Eltern erkennen. So in Geschichten, die von der Jugendweihe, den Naturfreundehäusern oder einer Beteiligung am sozialdemokratischen Wahlkampf berichteten.304 Mit Blick auf die inhaltlichen Zeitbezüge wird in der Beilage deutlich, dass Heimat für Loschky keine statische Idylle der Vergangenheit darstellte. Wie er an anderer Stelle explizierte, verstand er den Pfälzer Heimat-Raum als wandelbar und suchte nach einer modernen Form der Heimatkunde, die Heimat und Moderne nicht voneinander trennte, sondern miteinander in Beziehung setzte.305 Gleichzeitig bedeutete dies nicht, dass der Kinderbeilage eine sozialistische Zukunftsemphase zugrunde gelegen hätte. Stattdessen zeichnete sie ein relativ harmonisches Bild der Pfälzer Gegenwart, was bedeutete, dass Armut und Elend vergleichsweise wenig behandelt wurden. Wenn sie doch vorkamen, dann weniger in einem politischen Sinne. Vielmehr standen Not und Armut als vermeintliche Konstanten 299 Vgl. dazu auch Loschkys Vortrag bei den Naturfreunden N. N., Wochenendkurs. 300 Vgl. Oesterhelt, S. 441. 301 Loschky, Die Welt der Kleinen. 302 Ebd. 303 Dafür richtete er am Ende der Ausgabe einen »Briefkasten« ein. Vgl. bspw. Jahresgesamtausgabe 1925, S. 14. 304 Vgl. bspw. Jg. 24, »Kinderecke«, S. 20, 24, 26. 305 Vgl. N. N., Wochenendkurs.

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menschlicher Existenz im Zentrum, die durch die SPD zukünftig sukzessive zu minimieren seien, aber nie oder erst in weiter Zukunft vollkommen abgeschafft werden könnten. In den Geleitwörtern zu den Jahressonderdrucken, die das pädagogische Programm der Beilage über den Erscheinungszeitraum hinweg explizierten, las sich dies etwa wie folgt: Auf der Vorderseite des Buches sehen wir einen Knaben, der nach den Schmetterlingen greift, nach den bunten zarten Kindern der Natur. Das sei uns ein Sinnbild. […] Dann füllen die Herzen sich mit Freude, dann wird uns sein als tanzten wir auf einer blühenden Wiese und spielten im hellen Sonnenschein – mitten im Winter. Wir greifen zwar nicht nach wirklichen Schmetterlingen, aber nach dem Heiteren und Schönen und holen es zu uns in unsere engen Stüblein.306

Loschky kontrastierte in dem Zitat verschiedene Jahreszeiten. Die Lektüre der Beilage könne den Winter vertreiben und Frühling bzw. Sommer in die Herzen der Kinder einziehen lassen. Implizit verhandelte das Zitat jedoch mehr. Liest man es vor dem Hintergrund der sozialistischen Frühlingsmetaphorik und Loschkys Betonung der prekären Lebensverhältnisse der Arbeiterfamilien, erhalten seine Ausführungen eine weitere Bedeutungsschicht. So sollte »Die Welt der Kleinen« den »geistige[n] Hunger«307 stillen, der Jahressonderdruck der Beilage »so billig sein, daß auch der Ärmste es kaufen kann«.308 Da Loschky die Stillung des geistigen und des materiellen Hungers implizit gleichsetzte, wenn er von vorgestellten Schmetterlingen sprach, die den Frühling in die kargen Arbeiterwohnungen bringen könnten, bedeutete dies ebenfalls, dass er einer radikalen Umwälzung der ökonomischen Verhältnisse nicht die vorrangige Bedeutung bei der Stärkung der kindlichen Imaginationskraft zumaß. Eine solche Vermutung bestätigen die weiteren Jahreszeitbezüge in »Die Welt der Kleinen«. Bereits 1924 hatte er geschrieben, »Kind und Frühling gehören zusammen«.309 Auch dort folgte er – zumindest zum Teil – einem anderen Frühlingsverständnis als dem von der Sozialdemokratie tradierten, das den Frühling als Beginn einer neuen sozialistischen Zeit konzeptualisierte, der auf lineare Weise in eine bessere Zukunft wies.310 Dagegen verfolgte Loschky in erster Linie ein Verständnis des Frühjahrs, das dieses in die zyklische Wiederkehr der Jahreszeiten einordnete.311 Loschkys Bild der zukünftigen Gesellschaft, in die er die Kinder durch seine pädagogische Praxis integrieren wollte, radikalisiert diesen Befund. Deutlich wird dies an einem Gedenkartikel, der anlässlich des Todes von Friedrich Ebert in der Beilage publiziert wurde. Dieser Artikel stellte keine explizite Diskussion seiner 306 Geleitwort zum 1. Jahrgang von 1924. 307 N. N., Die Welt der Kleinen. 308 Ebd. 309 Loschky, Die Welt der Kleinen. 310 Vgl. zum sozialdemokratischen Zukunftsverständnis Welskopp, Sozialdemokratie programmiert die »neue Zeit«; Berger, Zukunft der Sozialdemokratie. 311 Vgl. dazu besonders die Monatsbezeichnungen in »Die Welt der Kleinen«. Statt Januar hieß es dort etwa Hartung.

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pädagogischen Thesen und der dahinterstehenden Gesellschafts- und Gemeinschaftsvorstellungen dar. Gerade deswegen brachte er diese jedoch unverstellter zum Ausdruck und offenbarte gleichzeitig sein Verständnis von Sozialdemokratie und Sozialismus: Wenn wir in ein fremdes Gebirg wandern, suchen wir uns einen Mann, der sich auskennt und uns führen kann. Und wenn die kleinen Buben spielen, wählen sie einen, der ihnen sagt, wie sie sich verteilen sollen und was jeder zu tun hat. So ähnlich ist es auch in einem Volk.312

Diese Führungsrolle übernehme nunmehr der Reichspräsident, nachdem das ›Volk‹ entschieden habe, die Fürsten abzusetzen und sich »in Zukunft den Führer selber [zu] wählen, so wie es die alten Germanen gemacht haben.«313 Loschky verfolgte u. a. mit dem Rekurs auf die Germanen eine eigenwillige, nicht besonders sozialdemokratische Lesart der Novemberrevolution, die er als solche unerwähnt ließ. Von zentraler Bedeutung ist dabei, dass es sein zentrales pädagogisches Ziel war, die Arbeiterkinder zu strebsamen Volksgenossen der Gegenwart und nicht zu gesellschaftskritischen sozialistischen Menschen der Zukunft zu erziehen. So heißt es diesbezüglich am Ende des Artikels, der den Kindern als Sinnbild und Richtschnur dienen sollte: Mit Ebert begann eine neue Zeit. Von dieser Zeit werden später einmal die Geschichtsbücher erzählen. Dann wird auch der Name Friedrich Ebert genannt. […] Wir aber wollen nicht warten. Wir beißen die Zähne zusammen und fangen heute schon an. Ebert hat uns ein Beispiel gegeben. Das soll in uns lebendig werden. Dann erfüllen wir seinen Willen und setzen ihm in unserem Herzen das schönste Denkmal.314

Wie sich dem Zitat entnehmen lässt, ging mit Loschkys Anspruch an die Kinder die Betonung der Notwendigkeit harter Arbeit einher, die bereits im Kontext Freitals thematisiert wurde. Vor dem Hintergrund des Dargestellten ist der Charakter und Gehalt der Beilage nur schwer zu bestimmen: Ist sie als genuin sozialdemokratisch zu klassifizieren? Immerhin erschien sie in der Parteipresse und wurde vonseiten des SPD-Bezirksbildungsausschusses verantwortet. Oder dominierte der volksbildnerische, an klassischer Heimatkunde im Sinne Sprangers orientierte Gestus? Immerhin wurde Heimat trotz Not und Entbehrungen als klassenübergreifende ›Einheit‹ gedacht. Wie im Falle der Heimatbeilage ist ein Teil der Antwort wieder darin zu finden, dass die verschiedenen involvierten Akteursgruppen teilweise unterschiedliche Schwerpunktziele verfolgten. Aus Sicht des SPD-Bezirksbildungsausschusses schloss die Herausgabe der Beilage theoretisch an die sozialis312 Loschky, Friedrich Ebert, S. 31. Auch wenn sich Loschky in der Beilage an Jungen und Mädchen richtete, wurden letztere an dieser Stelle nicht benannt. Dies entspricht Loschkys Vorgehen, die beiden Geschlechter auch in anderen Teilen der Beilage separat anzusprechen. 313 Ebd. 314 Ebd.

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tischen Erziehungsdiskurse an, was der Artikel »Erziehung zum Sozialismus« in der »Pfälzischen Post« belegt. Selbst Loschky rezipierte u. a. Rühles Schriften und besprach diese sogar positiv.315 Vergleicht man Loschkys bildungspolitisches Vorgehen allerdings mit Rühles, sticht ins Auge, dass er im Gegensatz zu diesem nicht von der Existenz einer proletarischen ›Heimatlosigkeit‹ ausging. Loschky stellte die Pfalz als regionalen Heimat-Raum, der sich bereits zum aktuellen Zeitpunkt erforschen und lieben lasse, an keiner Stelle infrage. Diese Einschätzung teilte er wiederum mit einem Großteil der Pfälzer SPD-Mitglieder, denen die Weimarer Republik ebenfalls als erste Verwirklichung ihrer Ziele galt. Folglich lag der Kinderbeilage  – wie der regionalen Heimat-Kulturpolitik der SPD überhaupt – ein identitätsstiftendes Moment zugrunde. Die Politik in der Region sollte durch eine eigene Form der Regionalkultur im sozialdemokratischen Sinne gestaltet werden. Aus diesem Grund zeichnete die Beilage das herausgearbeitete, übertrieben harmonische Bild der Pfälzer Gegenwart, was gleichzeitig bedeutete, dass Armut und Elend vergleichsweise wenig behandelt wurden. Mehr noch als der Herausbildung sozialistischer Menschen sollte die Beilage der Weckung und Förderung von ›Heimatliebe‹, dem ›Heimisch-Machen‹ der Arbeiterkinder in der Pfalz dienen – ein Argument, wogegen sich Rühle explizit wandte. Dies betraf nicht nur Loschky, sondern auf veränderte Weise auch den Anspruch der pfälzischen SPD, die Kinder sollten es besser haben, als es im Falle der alten Generation der Fall gewesen war, der eine Heimat, verstanden als materielle Sicherheit verbürgender Herkunftsort und Kindheitsversprechen, verwehrt geblieben sei. Symbolhaft verdichtete sich ihr Erfolg für die altgedienten Parteimitglieder in der Kinderbeilage, wie sich einer Besprechung in der Naturfreundezeitschrift »Berg frei« entnehmen lässt: Wehmütig denken wir doch zurück an unsere Kinderzeit. Da wir etwas Derartiges nicht kannten und uns daher heute umso mehr freuen dürfen, daß eine so liebe Kinderzeitung wie die ›Welt der Kleinen‹ Zeugnis gibt von dem unaufhaltsamen Vorwärtsschreiten in eine bessere und schönere Zukunft.316

Die Sozialdemokraten rechneten sich dies als politisches Verdienst an. Gleichzeitig erhofften sie sich, die junge Generation möge ihren politischen Kampf fortsetzen. Die Beilage zeichnete sich demnach durch ein merkwürdiges Spanungsfeld zwischen der Bejahung sozialistischer Bildungsdiskurse einerseits und der Orientierung an klassischer heimatkundlicher Praxis andererseits aus, verknüpfte beides wie selbstverständlich auf veränderte Weise. Daran zeigt sich die zentrale Bedeutung, mit Heimat verbundene Semantiken und Praktiken kontrastierend zu untersuchen. 315 Vgl. dazu ders., Rezension zu Rühle, S. 104. Loschky schrieb darin, dass die »neue Zeit« auch einer neuen Form der Erziehung bedürfe. Dies erfülle Rühles Buch mustergültig, zumal es sich an das »arbeitende Volk« wende. Vor dem Hintergrund der konträren pädagogischen Ansätze verwundert Loschkys Rezension. 316 N. N., Die Welt der Kleinen (Berg frei), S. 4.

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2.3.2.3 Die Jugendweihen in Freital Nachfolgend wird ein zweiter Bereich näher betrachtet, der für die sozialdemokratische Heimat-Kulturpolitik im lokalen Raum von zentraler Bedeutung war: die Jugendweihen. In der sächsischen SPD entwickelten diese eine enorme Zugkraft, was unter anderem mit der starken regionalen Arbeiterbildungsbewegung zusammenhing. Die Jugendweihen beanspruchten, eine Alternative zu bislang gefeierten religiösen Festen bereitzustellen; wie die Arbeiterbildungsbewegung argumentierte, handelte es sich um die Ersetzung der vormals unhinterfragt bleibenden ›alten Sitten und Gebräuche‹ durch eine intentional entworfene neue sozialistische Kultur.317 Obgleich sie eine vergleichbare Funktion einnahmen wie religiöse Feste, grenzte Valtin Hartig, Leiter des Leipziger ABI,318 die Jugendweihe davon ab, deren Nachbildung zu sein. Wie auch in anderen Fällen habe die Kirche weitaus ältere Volksfeste und -sitten unrechtmäßig übernommen und fälschlicherweise als religiöse Festkultur ausgegeben. Dagegen wolle die Arbeiterbewegung nun an die ältere, vorreligiöse Festkultur anschließen, sie wieder freilegen und an die modernen Lebensverhältnisse anpassen319 – gleichsam eine intentional entworfene ›Volkskultur‹ herausbilden. Wie sich Artikeln in der Parteipresse und Jugendweihbüchern entnehmen lässt, sollte die Jugendweihe den Übergang vom Kindes- und Jugend- ins Erwachsenenalter markieren. Eng damit verbunden, sollte sie den Kindern und Jugendlichen die Notwendigkeit des Kampfes für den Sozialismus vermitteln. In dem Jugendweihebuch »Der Weg wird frei!«,320 das neben dem von Anna Siemsen herausgegebenen Jugendweihebuch »Kämpfende Menschheit«321 zu den bekanntesten Jugendweihbüchern in den 1920er Jahren gehört haben dürfte, schrieb Hartig in dem Artikel »Der Sinn der Jugendweihe«, die Weihe nehme die Jugendlichen »in den Kreis der Schaffenden« auf. Die »Gemeinschaft« feiere diese Aufnahme und setze ihre Hoffnung in die neuen »Mitglieder der schaffenden Gemeinschaft«: »Ihr sollt mit eintreten in diesen Kampf, ihr sollt ihn mit mehr Erfolg fortführen. Was die Alten begonnen, das sollt ihr vollenden: den Neubau der Gesellschaft.« Dementsprechend appellierte Hartig – wie die sich erinnernden pfälzischen SPDMitglieder  – an die Arbeiterjugend, den begonnenen Kampf für »eine bessere Welt, ein glücklicheres Leben« fortzusetzen und zu vollenden.322 Wie im Folgenden am Beispiel Freitals gezeigt wird, rekurrierten die Jugendweihen dabei an entscheidenden Stellen auf Heimat und folgten Prinzipien der Heimatkunde. Die Hausse der Jugendweihen ab Mitte der 1920er Jahre fiel in einen Zeitraum der generellen Neuausrichtung und Professionalisierung der sozialdemo317 Vgl. zu diesem Argument zeitgenössisch Hartig, Jugendweihe, S. 50–51; zur sozialistischen Festkultur exemplarisch Guttsman, S. 233–253. 318 Vgl. zu Hartig Heidenreich, S. 427. 319 Vgl. Allgemeines Arbeiter-Bildungsinstitut für Leipzig, Der Weg wird frei!, S. 2. 320 Vgl. ebd. 321 Vgl. Arbeiter-Bildungsinstitut Leipzig, Kämpfende Menschheit. 322 Allgemeines Arbeiter-Bildungsinstitut für Leipzig, Der Weg wird frei!, S. 3.

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kratischen Bildungspolitik in Sachsen. Nachdem die Bildungsarbeit infolge des Ersten Weltkriegs dort wie anderswo nahezu zum Erliegen gekommen war, folgte in der Weimarer Republik deren Reorganisation, die sich ab 1924 intensivierte.323 In Sachsen ist diese Entwicklung u. a. auf das Krisenjahr 1923/24 – Stichworte: Reichsexekution, Amtsenthebung der Regierung Zeigner, Verbot der KPD und ihrer Presse – zurückzuführen, das der sächsischen Linken eine schwere Niederlage einbrachte und die Koordinaten der sächsischen Landespolitik maßgeblich verschob.324 Das jähe und gewaltsame Ende der mit der Novemberrevolution verbundenen Hoffnungen drängte die sächsische SPD in die Defensive. Vor diesem Hintergrund »begann unter namhaften Arbeiterbildnern eine Debatte, die zu einer strategischen Neubewertung von Bildung und Erziehung im Kontext sozialistischer Politik führte.«325 Aus der Defensive und angesichts fehlender revolutionärer Möglichkeiten maßen sie der Erziehung sozialistischer Menschen nun maßgeblich Bedeutung zu, um den Sozialismus zu erreichen. Im Gegensatz zum Bildungsdiskurs in der pfälzischen SPD war der Fokus auf Bildung demnach für Teile der Arbeiterbewegung eine gewisse Verlegenheitslösung. Damit einhergehend und aufgrund der unterschiedlichen politischen Ausrichtung der SPD in den beiden Regionen fielen auch die bildungspolitischen Antworten heterogen aus. Die pfälzische SPD betonte in ihrer Bildungspolitik, womöglich auch vor dem Hintergrund der gerade überwundenen separatistischen Krise, gesellschaftliche Einigkeit. Loschky vertrat die These einer unpolitischen Volksbildung und Heimatkunde, die politisch neutral sein sollte, wenn sie sich an Kinder richtete, und zielte darüber hinaus auf die Herstellung gesellschaftlicher ›Einheit‹. Dagegen dominierte aus Sicht der sächsischen Arbeiterbewegung, zumal ihrer links stehenden Teile, die gesellschaftliche Spaltung, was sich auch in ihrer Bildungskonzeption niederschlug. Sächsische Arbeiterbildungspolitiker kritisierten die Volksbildungs- und Volkshochschulbewegung und warnten davor, ihre bürgerlichen Prinzipien zu übernehmen. Dazu zählten sie die Betonung des unpolitischen Charakters der Bildungsarbeit, die beliebige, d. h. nicht parteispezifische Zusammenstellung der Bildungsveranstaltungen, insbesondere aber die Orientierung an dem Bildungsideal der ›Volksgemeinschaft‹ und der dahinterstehenden Idee.326 Die »Richtlinien der Bildungsarbeit in Sachsen« des provisorischen SPD-Landesbildungsausschuss, der sich 1924 am Rande der ersten sozialistischen Arbeiter-Kulturwoche konstituiert und ein eigenes Organ, den bereits genannten »Kulturwille«, geschaffen hatte,327 hielten fest,

323 Vgl. Heidenreich, S. 277–281. 324 Vgl. ebd., S. 162–169. 325 Ebd., S. 253. 326 Vgl. ebd., S. 254–255. 327 Vgl. zum Landesausschuss, den Bezirksbildungsausschüssen und deren Bedeutung für eine Zentralisierung und Professionalisierung der Arbeiterbildung ab der Mitte der 1920er Jahre ebd., S. 277–281.

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daß jede Bildungsbestrebung klassenmäßig bestimmt ist, im Klassenkampf steht […]. Neutrale Volksbildung gibt es nicht. Neutralität verkennt die Tatsachen des Klassenkampfes. Das Volk ist kein einheitlicher, sondern ein von Klassen zerrissener politischer Verband.328

Die Analyse der lokalen Ebene zeigt jedoch, dass die geforderte revolutionäre Bildungspolitik auch in Sachsen nicht konsequent umgesetzt wurde. In Dresden bspw. beteiligten sich Sozialdemokraten wie Edgar Hahnewald an der parteiübergreifenden Volkshochschulinitiative.329 Auch in Freital stellte sich die Situation angesichts des spezifischen Hintergrunds der Stadt uneindeutig dar, da die sozialdemokratische Bildungspolitik zwischen zwei Polen changierte: Zum einen schloss sie an die vergleichsweise radikale Ausrichtung der sächsischen Arbeiterbildungsbewegung an. Dies zeigte sich bspw. daran, dass Rühle, der aus dem nahegelegenen Pirna stammte, von der örtlichen Arbeiterjugend zu Vortragsabenden eingeladen wurde.330 Trotz dieses allgemeinen sozialistischen Hintergrunds spielte zum anderen die pädagogische Orientierung an milieuübergreifenden Bezügen eine relevante Rolle. Auch die Jugendweihen und Entlassfeiern an den Schulen bewegten sich zwischen sozialistischen und milieuübergreifenden Bezügen. In der Stadt zeichnete der sozialdemokratisch dominierte »Ausschuss zur Förderung der weltlichen Schule, Freital« für die Durchführung eines Großteils der Jugendweihen verantwortlich, nur einige Reformschulen kümmerten sich eigenständig um ihre Feiern.331 Als Besonderheit Freitals kann die selbst für Sachsen hohe Teilnehmerzahl genannt werden, die sich sowohl auf die sozialdemokratische Sozialpolitik als auch auf das dichte Netz der örtlichen Arbeiterkulturbewegung und die damit einhergehende flächendeckende Alternativkultur zurückführen lässt. Zudem führte die kommunale Bestattungspolitik, die den Bewohnerinnen und Bewohnern der Stadt ein kostenfreies Begräbnis auch ohne Kirchenzugehörigkeit zusicherte, dazu, dass sich vergleichsweise viele Eltern gegen die religiösen Varianten von Konfirmation oder Firmung und für die sozialistische Alternative der Jugendweihe entschieden.332 Welche Rolle spielte nun der Bezug auf Heimat bei den Feiern? Ähnlich wie im Kontext des von sozialdemokratischer Seite geleiteten Heimatmuseums, dessen Ziel im ›Heimisch-Machen‹ der Kinder in der sozialdemokratischen Musterstadt

328 N. N., Richtlinien, S. 153. Vgl. hier auch den Hinweis auf den Kurs »Sozialismus und Erziehung«, der vom Reichsbildungsausschuss veranstaltet und von dem zu Beginn des Kapitels behandelten Henningsen geleitet wurde. 329 Vgl. die Akten des »Vereins Volkshochschule« im Stadtarchiv Dresden, u. a. StAD 2.3.20; StAD 2.3.21. 330 Vgl. StSaFr Sammlung Jugendbewegungen (Konvolut), Eintrittskarte. 331 Vgl. die Einladungen und Programmhefte zu den Weihen in StSaFr Sammlung Jugendbewegungen, Materialien zur Jugendweihe (Konvolut). 332 Vgl. zur Festkultur in Freital Walter, Freital, S. 62–67, zu den Jugendweihen bes. S. 63–64.

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lag, spielte Heimat auch im Ablauf der Jugendweihen eine inhaltlich vergleichbare Rolle. Dies belegt unter anderem eine Analyse der zugrunde liegenden Choreografie der Feiern, die aus Programmheften und Zeitungsberichten rekonstruiert werden kann. Anhand des Ablaufs von Jugendweihen zwischen 1925 und 1931 lässt sich zeigen, dass das Spannungsverhältnis von Fremde und Heimat darin eine zentrale Rolle spielte, wobei in einigen Feiern Erstere, in anderen Letztere in der Liedauswahl im Fokus stand. Im Rahmen der Jugendweihe von 1927 etwa, die am 27.03. im großen Saal des Döhlener Hofes stattfand, nahm das von dem Leipziger Dirigenten und Komponisten Gustav Wohlgemuth komponierte Volkslied »Wie’s daheim war«333 eine zentrale Scharnierfunktion in der Vortragsfolge ein, da es unmittelbar vor der Weiherede gespielt wurde. Auf diese Weise setzte das Lied die nunmehr beendete Kindheit in der Heimatstadt mit der beginnenden Jugendzeit, die durch das sozialistisch konnotierte »Lied der Jugend« »Wann wir schreiten Seit’ an Seit’« symbolisiert wurde, in Beziehung. In der Jugendweihe von 1929, die am 24.03. am selben Ort abgehalten wurde, übernahm das von August Büchse komponierte Lied »Das Elternhaus« eine ähnliche Funktion, wohingegen erst im Anschluss an die Weiherede das Lied »Grüße an die Heimat« des Komponisten Carl Kromer folgte, der wie Wohlgemuth als Komponist von Volksliedern gesellschaftliche Breitenwirksamkeit erlangt hatte.334 Die ersten beiden Zeilen von »Grüße an die Heimat« lauten: »Nach der Heimat möcht’ ich wieder, / Nach dem teuren Vaterort«. Im Rahmen der Jugendweihfeiern rekurrierte das Lied offenkundig auf das Verlassen des Heimatortes, Heimweh und die temporäre Rückkehr in denselben. In ähnlicher Weise thematisierte die Jugendweihe von 1925 mit dem Lied »Du fernes Land« des Komponisten Gustav Adolf Uthmann – eine bekannte Figur der Arbeitersänger-Bewegung – den Auszug in die Fremde.335 Heimat wurde in den Festchoreografien demnach als Ort beschrieben, der die frühe Kindheit und Jugend geprägt habe, nun aber verlassen werden müsse. Der Umstand, dass die Volks- und Heimatlieder zumeist in der Mitte der Feiern gesungen wurden, wohingegen sozialistische Lieder die Feiern beendeten, legt nahe, dass das Telos der Choreografien in der von Hartig geforderten Fortführung des sozialistischen Weges durch die Arbeiterjugend lag. Die vergangene Prägung durch die Heimat wurde auf diese Weise mit dem Streben nach dem Sozialismus, Herkunft mit Zukunft in Beziehung gesetzt. Es lässt sich dabei argumentieren, dass die Choreografien nicht allein den individuellen Lebensweg der Jugend­lichen nachzeichnen wollten, sondern die Ontogenese des einzelnen Kindes mit der Phylogenese der Arbeiterbewegung parallelisierten. Die in der Heimatkunde ver333 Vgl. StSaFr Sammlung Jugendbewegungen, Materialien zur Jugendweihe (Konvolut), Jugendweihe 1927 (Programm). 334 Vgl. StSaFr Sammlung Jugendbewegungen, Materialien zur Jugendweihe (Konvolut), Jugendweihe 1929 (Programm). 335 Vgl. StSaFr Sammlung Jugendbewegungen, Materialien zur Jugendweihe (Konvolut), Jugendweihe 1925 (Programm).

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breitete Relationierung von kindlicher Entwicklung und Menschheitsgeschichte erhielt so eine spezifisch sozialistische Deutung. Besonders deutlich zeigte sich dies an der Jugendweihe von 1930, die mit zwei Liedern zum Frühling bzw. zur »Frühlingsahnung« begann.336 Aufgrund der sozialistischen Ikonografie und Theoriebildung, worin der Frühling als Jahreszeit des Neubeginns von der ›neuen Zeit‹ des Sozialismus kündete, kam der Anspielung Mehrdeutigkeit zu. Dies traf umso mehr zu, als die Jugendlichen die Zukunft der Sozialdemokratie und die Hoffnung auf den Sozialismus verkörperten. Die Weihe endete mit den beiden Liedern »Lebewohl« von Friedrich Silcher und »Der Sonn’ entgegen« von Uthmann. Die beiden Lieder bewegten sich wiederum nicht allein im Spannungsfeld von Volkslied und parteigenössischem Lied, sondern beinhalteten ebenfalls die angesprochene Mehrdeutigkeit: Sie konnten zum einen den individuellen Weg in die bessere Zukunft beschreiben, zum anderen den solidarischen Kampf der Arbeiterbewegung bezeichnen.337 Ein ähnliches Verständnis legt auch eine Beschreibung der Jugendweihen von 1930 in der FVZ vom 31.03.1930 nahe. In der Weiherede verglich »Genosse Lehrer Kuntzsch« die Jugendlichen »mit einem Wanderer, der schon eine Strecke des Weges das Leben durchschritten hat, jetzt aber vom Vaterhaus Abschied nehmen und seinen Weg allein weiterziehen muß.« Während es dabei im Unklaren bleiben müsse, ob der einzelne »Wanderer« sein individuelles Ziel erreichen werde, bestehe hinsichtlich des kollektiven Ziels kein Zweifel. Diesbezüglich, so die FVZ, sei es Kuntzsch wichtig gewesen, »auf die Schwäche des einzeln marschierenden Menschen hinzuweisen. Er muß sich an das große Ganze anschließen, denn vereint sind auch die Schwachen mächtig.«338 Die Texte verglichen den individuellen Werdegang der Kinder demnach nicht nur mit Aufbruch und Wanderschaft, sondern parallelisierten jenen zudem mit dem kollektiven Weg der Arbeiterbewegung – und bemühten damit eine ähnliche Metapher, wie sie auch der Darstellung des ›Wegs der Arbeiter in die Moderne‹ zugrunde lag: Erst die Lösung von der eigenen Herkunft habe es der Arbeiterschaft ermöglicht, durch kollektive Organisation eine bessere Zukunft herbeizuführen. Im sozialdemokratischen Verständnis hatte die Jugend ihre Besserstellung den bisherigen politischen Erfolgen der Arbeiterbewegung zu verdanken. Während die ältere SPD-Generation das Verlassen der Heimat bspw. in ihren Autobiografien als individuell einschneidenden, aber kollektiv unbeachteten Prozess beschrieben hatte, entwickelte sich in der Weimarer Republik eine eigene Festkultur. Mit dieser ging eine zunehmend affirmative Gegenwartsorientierung einher, die 336 Vgl. StSaFr Sammlung Jugendbewegungen, Materialien zur Jugendweihe (Konvolut), Jugendweihe 1930 (Programm). 337 Auch die Jugendweihe von 1925 im Freitaler Stadtteil Coßmannsdorf betonte die zentrale Bedeutung der bisherigen Kämpfe für die aktuelle Arbeiterjugend und die Gegenwart Freitals. Vgl. StSaFr Sammlung Jugendbewegungen, Materialien zur Jugendweihe (Konvolut), Jugendweihe Coßmannsdorf 1925 (Programm). 338 StSaFr StSaFr Sammlung Jugendbewegungen, Materialien zur Jugendweihe (Konvolut), FVZArtikel »Jugendweihen«.

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die Lebenssituation der Arbeiterschaft in Freital durch Sozialpolitik reformieren wollte, sie jedoch nicht mehr generell zu kritisieren und zu bekämpfen trachtete. Darüber hinaus verdeutlicht die Berichterstattung in der Parteipresse, dass sich die Jugendweihen an einem sozialdemokratischen Verständnis von Heimatkunde orientierten. Dieses Vorgehen ist vermutlich darauf zurückzuführen, dass es sich bei den Rednern um sozialdemokratische Lehrer handelte, die ihre pädagogische Praxis – wie der Dresdner Kulturtag oder Loschky – an dem Prinzip der Heimatkunde ausrichteten und mit sozialistischen Ideen verknüpften. Das Argument kann der FVZ-Bericht über die Weihe von 1930 veranschaulichen: Genosse Lehrer Leupoldt […] führte sie [die Kinder] in die Großstadt, in die Natur, das Kinderland und in die Welt, die weit über die Grenzen der Familie und Heimat hinausreicht, in der alle Menschen beheimatet sind. Die Stadt erdrückt die Menschen, darum geht hinaus in die Natur, wo euch Befreiung winkt! Und wenn euch das Heimweh nach dem Vaterhaus, das ihr nun verlassen müßt, bedrückt, so denkt an euer Kinderland zurück. Das Kinderland wird euch immer ein Quell der Kraft sein. Dann fühlt ihr der Mutter Liebe und des Vaters Güte wieder […]. Dann aber steht ihr auch in einer großen fremden Welt. Doch auch hier werdet ihr nie allein sein. Die Menschen, die mit euch arbeiten, leiden und kämpfen, sie alle sind eure Brüder. Kämpft mit euern Arbeitsbrüdern für die Befreiung der Menschheit, kämpft mit ihnen, damit diese Welt die unsere werde.339

In der Rede argumentierte Leupoldt in Übereinstimmung mit den Prinzipen der Heimatkunde, dass die Kinder und Jugendlichen von der Heimat ausgehend ihren Blick in die Welt richten sollten. Auch die Entgegensetzung von Stadt und Natur ähnelte dem heimatkundlichen Vorgehen. Zugleich bettete Leupoldt das Vorgehen in einen sozialistischen Deutungsrahmen, Klassensolidarität und das internationalistische Versprechen der Welt als Heimat ein. Diesbezüglich fällt auf, dass er in der Rede zwei Heimat-Verständnisse verwendete: ein engeres, an der Heimatkunde orientiertes sowie ein weiteres globales, das an den Topos ›Heimat Arbeiterbewegung‹ erinnert und im Verständnis der SPD einen ersten materiellen Niederschlag in Freital gefunden hatte. Im Gegensatz zu romantischen Texten konzeptualisierten die Beschreibungen die in die Fremde ziehenden Jugendlichen nicht als einsame Wanderer, sondern als Teil eines sozialistischen Kollektivs. Neben Leupoldts Rede verdeutlichen auch andere Artikel die pädagogische Orientierung an der ›engeren Heimat‹ und Heimatkunde. Im Rahmen der Jugendweihefeier von 1928 verglich der Redner, ebenfalls ein sozialdemokratischer Lehrer, den Weg der Kinder statt mit einer Wanderung mit einem fließenden Gewässer. Nicht nur das individuelle Leben, sondern auch die Gesellschaft sei stetig im Fluss, durch Dynamik gekennzeichnet, weswegen keine gesellschaft­ lichen und kulturellen Formen ewig und unveränderlich seien. Interessanterweise wurde dieser Gedanke am Beispiel einer Schulaufführung zum Thema »Der Bach im Heimattal« verdeutlicht, an der die Kinder in der Schule mitgewirkt hatten; 339 Ebd.

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eine Überlegung die ganz dem Prinzip der Heimatkunde folgte. Die Auseinandersetzung mit Heimatgeschichte bildete aus Sicht des Redners dabei die Voraussetzung, um sich in der Welt zurechtzufinden: »So gehet hin und werdet gute Menschen. Und seid ihr es geworden, dann denkt oft zurück an eure Heimat mit ihrem Bach im Heimattal.«340 Der Bericht handelte einerseits vom Stolz der SPD auf die ihrerseits geschaffene sozialdemokratische Heimatstadt Freital. Von besonderer Bedeutung ist an dieser Stelle jedoch, dass der Redner ähnlich wie der Pfälzer Loschky gesellschaftliche Veränderung mit Abläufen in der Natur parallelisierte. Auch wenn es bei den Jugendweihen um die sozialistischen Menschen der Zukunft ging und in zahlreichen Reden die Veränderbarkeit des Sozialen herausgestellt wurde, erinnert die Parallelisierung von Gesellschaft mit dem Lauf eines Baches, mithin natürlichen und damit unveränderlichen Prozessen, an eine gewisse Naturverfallenheit. Die heimatkundlichen Bestandteile der Jugendweihen bewegten sich demnach zwischen etablierten Formen und deren sozialdemokratischer Umdeutung. Die jeweilige Gewichtung scheint dabei nicht zuletzt in enger Relation zum politischen Hintergrund der verantwortlichen Lehrer gestanden haben. Vor dem spezifischen Hintergrund Freitals könnte es so wirken, als ließe sich der Heimat-Bezug der Jugendweihen nur auf Freitals Charakter als sozialdemokratische Heimatstadt zurückführen. Beschäftigt man sich allerdings mit den zu Beginn des Kapitels genannten Jugendweihebüchern, zeigt sich, dass auch darin verschiedene Heimat-Bezüge enthalten waren.341 Sie beinhalteten eine Mischung aus parteigenössischen Gedichten und Erzählungen bekannter ›Arbeiterdichter‹, kürzere theoretische Texte wie etwa denjenigen Hartigs, Lieder und Abbildungen, die zumeist auf eine bessere Zukunft verwiesen. Zukunftsemphase und HeimatBezüge unterschiedlicher Art schlossen sich dabei weder in den Jugendweihbüchern noch in der Freitaler Festchoreografie aus: Zum einen finden sich an einigen Stellen der Bücher Wanderlieder und Landschaftsabbildungen als Ausdruck eines eher klassischen, traditionellen Heimat-Verständnisses;342 zum anderen enthalten die Bücher ein sozialistisches Heimat-Verständnis, das Heimat als Synonym für eine zukünftig befreite Erde verwendete. Zu nennen ist diesbezüglich etwa das Gedicht »Schlag zu, o Hammer!« von Max Barthel, in dem es in Abgrenzung zur Gegenwart heißt: In jedem Radschwung schwingen wir um die erlöste Erde, Daß sie noch strahlender, noch heimatlicher werde Und alle Menschen werden Freunde, Brüder heißen.343 340 StSaFr StSaFr Sammlung Jugendbewegungen, Materialien zur Jugendweihe (Konvolut), FVZArtikel »Der Abschied von der Kindheit«. 341 Bücher wie »Der Weg wird frei!« erhielten die Jugendlichen am Tag der Jugendweihe in einer festlichen Zeremonie überreicht – so auch in Freital. Vgl. StSaFr Sammlung Jugendbewegungen, Jugendweihebuch. 342 Vgl. bspw. Allgemeines Arbeiter-Bildungsinstitut für Leipzig, Der Weg wird frei!, S. 39. 343 Ebd., S. 44–45.

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Mit einem solchen Verständnis von Heimat ging im republikweiten sozialis­ tischen Heimat-Diskurs einher, dass diese als umkämpft wahrgenommen wurde – schließlich war die »erlöste Erde« nicht das Ziel aller Parteien. Für die reformorientierten SPD-Fraktionen in Ludwigshafen und Freital waren die HeimatStädte Ludwigshafen und Freital hingegen nur noch sehr vermittelt umkämpft. In beiden Fällen zielte die Heimatkunde auf das ›Heimisch-Machen‹ der Arbeiterkinder in der Weimarer Republik. Dieses Ziel teilte »Die Welt der Kleinen« mit den Freitaler Jugendweihen oder dem lokalen Heimatmuseum, wenngleich Heimat in Ludwigshafen auch nicht eine neugegründete, sozialpolitisch fortschrittliche sozialdemokratische Musterstadt, in der die SPD die lokale Vorwegnahme der sozialistischen Zukunft sah, bezeichnete, sondern die Pfalz, die nach Loschky zwar sozialpolitisch zu verbessern, in ihrer regionalen Identität jedoch nicht infrage zu stellen sei.

2.4 Überleitung: Umkämpfte Gegenwart oder Heimat als Gegenwartsaufgabe Wiederum stellt sich die Frage, wie sich die verschiedenen analytischen Perspektiven auf die »Zeiten der Heimat« abschließend kurz synthetisieren lassen. Hierfür soll im Folgenden ein zentrales Moment in den Fokus gestellt werden, welches den Heimat-Konjunkturen, den semantischen sowie den praktischen Zeitbezügen sozialdemokratischer Heimat-Konzepte gemeinsam war: ihre zunehmende Gegenwartsorientierung, die Heimat implizit oder explizit zu einer Gegenwartsaufgabe machte. Ein solches Resultat ergibt sich erstens aus der Analyse der sozialdemokratischen Heimat-Konjunkturen vom Kaiserreich bis zur Weimarer Republik. Die Bedeutungsveränderungen und -verschiebungen im sozialistischen Diskurs deuteten sich bereits um die Jahrhundertwende an: Während Heimat infolge der Reichsgründung 1871 in Kritik am bürgerlichen Nationalismus noch vorwiegend ein Versprechen auf zukünftig sichere Lebensverhältnisse bezeichnete, verlor sich dieser Bedeutungsgehalt ab der Jahrhundertwende zwar nicht. Er geriet jedoch in Konkurrenz zu einer zunehmenden Orientierung an bereits existierenden Heimat-Räumen. Diese Entwicklung fand ihren Ausdruck u. a. in der Gründung sozialistischer Alternativorganisationen zur bürgerlichen Heimatbewegung, etwa des TVdN. Die Hochphase des gegenwartsbezogenen Heimat-Verständnisses lag jedoch in der Weimarer Republik. Infolge des Ersten Weltkriegs, insbesondere jedoch infolge der Novemberrevolution konkretisierten und materialisierten sich sozialistische Heimat-Vorstellungen in den demokratisierten regionalen und nationalen Heimat-Räumen der Gegenwart, für deren politische Gestaltung die SPD als Regierungspartei verantwortlich zeichnete. In diesem Zusammenhang erfolgte eine Aufsplitterung des Heimat-Diskurses: Aus Sicht der reformorientierten Fraktionen war Heimat in der Weimarer Republik bereits in Teilen verwirklicht, aus Sicht der linken Opposition lag sie hingegen weiterhin in der 227

Zukunft und musste als soziales und politisches Versprechen erst noch verwirklicht werden. Mit dem reformorientierten Heimat-Verständnis und der zunehmenden Gegenwartsorientierung war die Entstehung der sozialdemokratischen Heimat-Kulturpolitik verbunden, die sich in dieser Form erst in der Weimarer Republik herausbildete. Eine ähnliche Zunahme der Gegenwartsorientierung kennzeichnete ebenfalls die semantischen Bezüge auf die »Zeiten der Heimat«. Dies lässt sich an dem veränderten zeitlichen Ausgreifen der Darstellung des ›Weges der Arbeit in die Moderne‹ festmachen. Alle Deutungen desselben rekurrierten – anders als weite Teile des bürgerlichen Diskurses  – explizit auf die vormodernen Bedeutungsgehalte des Heimat-Begriffs, die mit dem Heimatrecht für die Arbeiterschaft in manchen Teilen des Deutschen Reichs noch bis ins frühe 20. Jahrhundert hinein Geltungskraft besaßen. Die Sozialdemokratie kritisierte nicht allein den exklusiven Charakter des Heimatrechts, sondern schloss auch an die theologischen Konnotationen des Begriffs an und beanspruchte, die ehedem religiösen Versprechen von Heimat auf der Erde zu verwirklichen. Die Darstellung enthielt folglich eine Trias von Heimatverlust durch Mobilität, Exklusion aus der gegenwärtigen Heimat, was die temporäre ›Übergangsheimat Arbeiterbewegung‹ notwendig mache, und einer vollständig veränderten Heimat als Zukunftsversprechen. Genau diese Zukunftsorientierung rückte in der Weimarer Republik, die für den gemäßigten Teil der SPD bereits eine Verwirklichung wichtiger politischer Ziele bedeutete, in den Hintergrund. Zwar bezogen sich auch in der Weimarer Republik die meisten Sozialdemokraten und Sozialdemokratinnen weiterhin pro forma auf eine sozialistische Zukunft, Heimat verorteten sie jedoch zunehmend in den existierenden republikanischen Räumen der Gegenwart. Nur der linke Flügel der Sozialdemokratie und die KPD hielten an einer erst noch zu verwirklichenden Heimat fest, wenngleich Letztere Heimat mitunter in der Sowjetunion, dem ›Vaterland der Werktätigen‹ lokalisierte. Vor diesem Hintergrund ist es vermutlich kein Zufall, dass die Darstellung des ›Weges der Arbeiter in die Moderne‹ in der reformorientierten SPD an Bedeutung gewann und nun insbesondere das bereits Erreichte bzw. die bereits zurückgelegten Etappen des Weges herausstellte. In gewisser Hinsicht bildete die Darstellung eine zwar verspätete, aber ebenfalls nostalgische Reaktion auf gesellschaftliche Modernisierungserfahrungen wie sie die bürgerliche Heimatbewegung um die Jahrhundertwende entworfen hatte; wie diese entstand jene zu einem Zeitpunkt, als die erfahrenen Umwälzungen bereits einige Zeit zurücklagen und ihre unmittelbare Sprengkraft verloren hatten. Im Falle der Sozialdemokratie erfuhr die nostalgische Reaktion gleichwohl eine spezifisch sozialistische Ausprägung, da sie die kollektive und solidarische Praxis in der Arbeiterbewegung betonte und nicht, wie die Romantik, den in der Fremde wandernden Einzelnen. Im Verständnis der reformorientierten Teile der SPD hatte der ›Weg der Arbeit in die Moderne‹ (vorerst) in der ›Heimat Weimarer Republik‹ gemündet, auf deren Grundlage der weitere Weg in Richtung Zukunft fortzusetzen sei. Diese Fortsetzung sollte nicht zuletzt durch kulturelle Praxis in der Gegenwart erfolgen, was 228

einer generell veränderten sozialistischen Revolutionstheorie entsprach, wonach der Sozialismus in der Gegenwart sukzessive hervorzubringen sei.344 Eng damit verbunden, wurde der sozialistischen Kultur- und Bildungsarbeit eine bedeutende Rolle auf dem Weg in Richtung Sozialismus zugeschrieben. Die Ausbildung der lokalen und regionalen sozialdemokratischen Heimat-Kulturpolitik, die in Kapitel 1.3 bereits unter der Perspektive ihrer Orte und in Kapitel 2.3 mit Fokus auf die ihr inhärenten Zeitbezüge analysiert wurde, potenzierte diese allgemeine Entwicklung. Wie am Beispiel der sozialdemokratischen Heimatgeschichtsschreibung, die inhaltlich auf die Vergangenheit bezogen war, und am Beispiel der sozialdemokratischen Heimatkunde, die inhaltlich die Zukunft in den Mittelpunkt stellte, herausgearbeitet wurde, gingen beide von der politischen Gegenwart aus. Zugleich kennzeichnete sie ein funktionaler Zukunftsbezug. Beide Formen sozialdemokratischer Heimat-Kulturpolitik zielten auf die Profilierung der SPD gegenüber anderen Parteien, um die politischen Auseinandersetzungen der Gegenwart für sich zu entscheiden und so die gesellschaftliche Zukunft im sozialdemokratischen Sinne zu beeinflussen. Zu diesem Zweck richtete sich die Heimatgeschichtsschreibung auf eine veränderte Erforschung der regionalen Vergangenheit, die sich durch eine verstärkte sozialhistorische Perspektivierung auszeichnen sollte. Insofern die Erinnerungen der altgedienten SPD-Mitglieder in »Bei uns daheim« um die Solidaritätserfahrungen in der ›Heimat Arbeiterbewegung‹ kreisten, bildeten sie eine regionale Variante des ›Weges der Arbeiter in die Moderne‹. Zugleich betonten sie die politischen Errungenschaften in der Weimarer Republik. Vor diesem Hintergrund sollte die Sichtbarmachung der eigenen Geschichte im lokalen und regionalen Raum zur sozialdemokratischen Traditionsbildung und einer demokratisierten Regionalkultur führen. Die sozialdemokratische Heimatkunde zeichnete sich gleich in mehrfacher Hinsicht durch einen Zukunftsbezug aus: So sollte die heimatkundliche Bildung dazu beitragen, den ›neuen Menschen‹ herauszubilden, da nur auf einer solchen Grundlage der Sozialismus erreicht werden könne.345 Indem sich diese Form der Heimat-Kulturpolitik in besonderer Weise an die Arbeiterkinder und Arbeiterjugend richtete, die als nachfolgende Generation die Zukunft der Bewegung darstellten oder zumindest darstellen sollten, war ihr ein weiterer Zukunftsbezug inhärent. Der Arbeiterjugend war es aus Sicht der verantwortlichen Sozialdemokraten zugedacht, den eingeschlagenen ›Weg der Arbeiterbewegung‹ zukünftig fortzusetzen und den im 19. Jahrhundert begonnenen Kampf zu vollenden.

344 Vgl. zu diesem Argument generell Hölscher, Die verschobene Revolution. 345 Vgl. zu dem in der Weimarer Republik verbreiteten Argument des ›neuen sozialistischen Menschen‹ exemplarisch Graf, S. 170–200; zur Lokalisierung des ›neuen Menschen‹ in Kollektiven wie der Jugend und einem Vergleich zu anderen politischen Bewegungen und Milieus ebd., S. 232–250.

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Trotz des parteipolitischen Anspruchs sozialdemokratischer Heimat-Kulturpolitik konnten in der Analyse sowohl für die Heimatgeschichte als auch für die Heimatkunde relativ große Schnittmengen zu anderen politischen Milieus aufgezeigt werden. Auffällig ist in diesem Zusammenhang, dass die Verantwortlichen prinzipiell nur wenig auf die Form der Heimat-Kulturpolitik reflektierten. Die sozialdemokratische Heimatgeschichte sprach sich zwar für eine Erweiterung der historischen Analysegegenstände wie auch des involvierten Personenkreises aus. Die Arbeiterschaft sollte gleichermaßen zum Objekt und Subjekt derselben avancieren. Gleichzeitig ging mit der Demokratisierung der Praxis keine umfassende Reflexion auf die Form der Heimatgeschichte und ihrer Implikationen einher: Die Praktiken zu ihrer Umsetzung, wie die Verzeichnung oder Ausstellung von Material, ähnelten denen den bürgerlichen mitunter frappierend. Auch die Kinderbeilage »Die Welt der Kleinen« orientierte sich an etablierten Prinzipien der Heimatkunde. Weniger deutlich zeigte sich dies im Falle der Freitaler Jugendweihen. Doch auch hier stellte die SPD die Adaption etablierter kultureller Formen, etwa der Volkslieder, nicht infrage. Diese Uneindeutigkeit verdeutlicht die zentrale Bedeutung, sowohl Semantiken und Praktiken zu untersuchen und die Ergebnisse miteinander zu konfrontieren. Obschon sozialistische HeimatDiskurse das bürgerlich-konservative Begriffsverständnis vehement kritisierten, übernahm die SPD etablierte Praktiken der Heimatbewegung unkritisch. Mit den von Graf und Herzog unterschiedenen Modi der Zukunftsgenerierung kann dabei herausgestellt werden, dass sich in der sozialdemokratischen Heimat-Kulturpolitik unterschiedliche Zeit- und Geschichtskonzeptionen überlappten. Während die Risikozukunft keine ausgeprägte Rolle einnahm, grundierte die Erwartungszukunft das grundsätzliche sozialistische Verhältnis zur Zukunft. In der Weimarer Republik traten an deren Seite Formen der Erhaltungs- und Gestaltungszukunft. So lässt sich die sozialdemokratische Heimatgeschichte als Erhaltungszukunft bezeichnen, die sich vom Bewahren der Parteitradition eine bessere Zukunft erhoffte. Die Heimatkunde hingegen zielte auf die Gestaltung der Zukunft in der Gegenwart. Die in der Revolutionstheorie und SPD-Programmatik zum Ausdruck kommende Erwartungszukunft des Sozialismus kennzeichnete sozialdemokratische Heimatgeschichte und Heimatkunde hingegen nur sehr bedingt. Durch die Kontrastierung der Heimat-Kulturpolitik mit dem marxistischen Geschichtsbild des Historischen Materialismus lässt sich zeigen, dass in der SPD unterschiedliche Zeit- und Geschichtskonzeptionen zirkulierten, die aus geschichtswissenschaftlicher Retrospektive auf den ersten Blick in Widerspruch zueinander stehen, was die historischen Akteure selbst wiederum bemerkenswerterweise nicht so einschätzten, zumindest nicht problematisierten. In welchem Verhältnis ihre Erhaltungs- und Gestaltungszukunftspraxis zur sozialistischen Erwartungszukunft stehen sollte, thematisierten sie gleichwohl ebenso wenig.346 346 Vgl. zum generell veränderten Wechselverhältnis von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft innerhalb des diskursiven und praktischen Zukunftsbezugs in der Weimarer Republik mit Perspektive auf republikweit geführte Diskussionen Strommenger, Neujustierung.

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Mit der sozialdemokratischen Verortung von Heimat in der Gegenwart ging einher, dass sich die SPD und bürgerliche Milieus nicht allein auf dieselben Heimat-Räume bezogen, wie im Fazit zum Kapitel »Räume der Heimat« argumentiert wurde, sondern ebenfalls auf dieselbe Heimat-Gegenwart. Während die sozialistische Heimat der Zukunft nur sehr vermittelt in Konkurrenz zum bürgerlichen Heimat-Verständnis stand, war dies im Falle der verschiedenen politischen Gegenwarts-Heimaten verstärkt der Fall. Daraus resultierte, dass Heimat als Begrifflichkeit, Konzept und Ort gesellschaftlich umkämpft war. Dies galt umso mehr, als die verschiedenen politischen Milieus und Parteien mit dem Heimat-Begriff gegensätzliche Zugehörigkeits-, Gemeinschafts- und Gesellschaftskonzeptionen zum Ausdruck brachten, die Heimat-Kulturpolitik unterschiedlicher politischer Milieus mitunter konträren Formen der Identitätsstiftung diente. Deren Ausprägung und Bedeutung wird im folgenden dritten Teil behandelt.

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3. Zugehörigkeit und Heimat Die gesellschaftliche Auseinandersetzung mit ›Heimat‹ kreist um Fragen von Identität oder Zugehörigkeit, die oftmals mit Gemeinschaftskonstruktionen oder Vorstellungen gesellschaftlicher Ordnung verbunden sind. Letztere werden im Falle regionaler oder nationaler Zugehörigkeitskonstruktionen eng an geogra­ fische oder territoriale Räume, etwa das Staatsgebiet eines Nationalstaats, geknüpft. Wenngleich Heimat-Diskurse Fragen von Identität nicht immer explizit verhandeln, sich diese auch implizit niederschlagen oder unreflektiert bleiben können, sind Zugehörigkeitsvorstellungen konstitutiv mit dem Heimat-Begriff verbunden. Dementsprechend misst die geschichtswissenschaftliche Forschung dem Verhältnis von Heimat und Zugehörigkeit zentrale Bedeutung zu. Nahezu alle Arbeiten, die nach wiederkehrenden Merkmalen historischer Heimat-Konjunkturen suchen, nennen Identität oder Zugehörigkeit als wichtige Analysekategorien.1 Wolfram Pyta hält diesbezüglich bspw. fest, dass die »Konjunktur von Heimatvorstellungen […] Aufschlüsse über die historisch bedingte soziokulturelle Nachfrage nach einer spezifischen Vergemeinschaftungsofferte [gewährt].«2 Diesbezüglich ist die Forschung oftmals implizit davon ausgegangen, dass Heimat milieuübergreifend nationale Identitätsvorstellungen zum Ausdruck brachte. Unter Berücksichtigung sozialistischer Heimat-Konzepte wird jedoch deutlich, dass das, was als »Nachfrage nach einer spezifischen Vergemeinschaftungsofferte« bereits umfassend bestimmt zu sein scheint, in der Weimarer Republik hoch umstritten blieb. Was in Pytas Worten fast wie eine Antwort wirkt, formuliert für den sozialistischen Diskurs erst die Frage, die im Zentrum dieses Kapitels steht: Welche Zugehörigkeitsvorstellungen und -praktiken verknüpfte die Sozialdemokratie mit Heimat und inwiefern unterschieden sie sich von denjenigen anderer politischer Milieus wie der bürgerlichen Heimatbewegung oder dem völkischen Heimat-Verständnis? Zur Beantwortung dieser Frage ist eine Unterscheidung zwischen Inhalten und Funktionen der mit Heimat verbundenen Zugehörigkeitsvorstellungen zentral, da auch inhaltlich divergierende HeimatSemantiken eine ähnliche identitätsstiftende und integrative Funktion besitzen können. Durch ein solches Vorgehen kann die Frage, ob den unterschiedlichen gesellschaftlichen Heimat-Vorstellungen eine geteilte »Vergemeinschaftungsofferte« zugrunde lag, die von den historischen Akteuren womöglich unbemerkt blieb, aus geschichtswissenschaftlicher Retrospektive neu aufgeworfen werden.

1 Vgl. exemplarisch Jäger, Heimat, bes. S. 4; Schmoll, Orte und Zeiten, bes. S. 31–32; Gebhard u. a., bes. S. 10; Blickle, S. 60–80. 2 Pyta, S. 173.

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Die Befassung mit kollektiver Identität hat in der Geschichtswissenschaft spätestens seit den Arbeiten von Lutz Niethammer Konjunktur und insbesondere in der Nationalismusforschung mit dem Konzept der »imagined community« zentrale Bedeutung entfaltet.3 In jüngster Zeit wurden in der geschichtswissenschaftlichen Debatte um die nationalsozialistische ›Volksgemeinschaft‹ ähnliche Probleme intensiv diskutiert.4 Philipp Lenhard weist in seiner Studie zu jüdischen Zugehörigkeitsvorstellungen im späten 18. und frühen 19. Jahrhundert auf den »Doppelcharakter« von Identität hin, den andere Studien oftmals nach einer Seite aufzulösen versuchten: [Identität] ist Reflexion über eine für selbstverständlich gehaltene soziale Ordnung, damit aber zugleich – ob willentlich oder nicht – eine kreative und sinnstiftende Umdeutung dessen, was sich unwillkürlich im Kopf des Individuums eingenistet hat. Was vordem evident schien, verwandelt sich in der Reflexion in einen bewussten Inhalt und wird damit seiner Selbstverständlichkeit entkleidet. Identität ist damit eine Einheit von gesellschaftlicher Vorgängigkeit und deren subjektiver Ausdeutung und Mitgestaltung.5

Lenhards Überlegungen dienen als Orientierung, da auch in dieser Arbeit Zugehörigkeitsvorstellungen im Zentrum stehen, die durch gesellschaftliche Veränderungen kontingent und damit verhandelbar wurden. Darüber hinaus teilen die analysierten Gruppen eine weitere Gemeinsamkeit: Sowohl bei den jüdischen Gemeinden als auch bei der Arbeiterbewegung handelte es sich um Kollektive, die im Untersuchungszeitraum weder vollständig Teil der etablierten Gesellschaft waren, noch außerhalb dieser standen, weswegen sie sich zwischen unterschiedlichen Zugehörigkeitsvorstellungen bewegten.6 Folgt man Lenhard, werden Fragen von Identität und Zugehörigkeit vonseiten der historischen Akteure gerade dann verhandelt – und so für den Historiker oder die Historikerin überhaupt in den Quellen greifbar –, wenn sie infrage gestellt sind und keine unhinterfragte gesellschaftliche Gültigkeit mehr besitzen.7 Auch die mit dem Heimat-Begriff verbundenen Diskussionen von Zugehörigkeit reagierten einerseits auf die Kontingenzerfahrung radikaler gesellschaftlicher Veränderungsprozesse. Andererseits wirkten die reaktiv entwickelten Zugehörigkeitssemantiken und -praktiken wiederum auf die Gesellschaft zurück. Mithilfe des Heimat-Begriffs verhandelten historische Akteurinnen und Akteure auf implizite oder explizite Weise eine als prekär wahrgenommene individuelle oder kollektive Zugehörigkeit, formulierten den Anspruch auf Re-Etablierung vergangener Zugehörigkeitsformen oder suchten nach neuen Formen der Zugehörigkeit. 3 Vgl. Niethammer; Anderson. 4 Vgl. grundlegend Wildt, Umstrittene »Volksgemeinschaft«. 5 Lenhard, S. 39. Vgl. zur Frage jüdischer Zugehörigkeitsvorstellungen und des Zukunftsbezugs ihrer Neuverhandlung mit Blick auf das Kaiserreich Michaelis. 6 Wenn hier auf diese Gemeinsamkeit hingewiesen wird, soll gleichwohl keine identische Position der beiden Gruppierungen in der deutschen Gesellschaft nahegelegt werden. Vgl. zur mehrfachen Exklusionserfahrung jüdischer Sozialisten Brenner, bes. S. 20. 7 Vgl. Lenhard, S. 38–39.

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Die für den Heimat-Begriff konstitutive Unterscheidung von Tradition und Moderne verdeutlicht dies mustergültig. Zwar suggeriert das Sprechen von Traditionen, es handele sich bei diesen um selbstverständliche und unhinterfragt bleibende Formen des Zusammenlebens. Letztlich ergibt die Vorstellung einer Tradition jedoch allein in modernen Gesellschaften Sinn, in denen eine solche unhinterfragte Gültigkeit gerade nicht mehr gilt.8 So stellt die gesellschaftliche Suche nach Traditionen bereits eine Reflexion, gesellschaftliche Beobachtung, teilweise auch unreflektiert bleibende Reaktion auf die Auflösung gesellschaftlicher Selbstverständlichkeit dar und formuliert – etwa als »Invention of Tradition«9 – die Sehnsucht nach Wiederherstellung einer solchen Selbstverständlichkeit auf Grundlage der Moderne. Applegate hat diesen Prozess als »myth about the possibility of a community in the face of fragmentation and alienation« beschrieben.10 Letztlich muss dies ein unmöglicher Versuch bleiben, da die mit der Moderne einhergehende Entfremdungserfahrung, die Reflexion auf die Grundlagen der Gesellschaft erst ermöglicht, nicht rückgängig gemacht werden kann. Teile des sozialistischen Heimat-Diskurses argumentierten ähnlich und forderten die Etablierung gänzlich neuer Zugehörigkeitsformen, während andere Teile eine Art sozialistische »Invention of Tradition« forcierten. Wie lassen sich die skizzierten Überlegungen zum Verhältnis von Heimat und Zugehörigkeit für die zentralen Deutungsebenen dieser Arbeit fruchtbar machen? Aus geschichtswissenschaftlicher Retrospektive ist zunächst festzuhalten, dass die Zugehörigkeit zur regionalen oder nationalen Heimat nicht für alle Sozialdemokraten von (gleicher) Bedeutung war. Für Teile der Bewegung spielte der Begriff keine Rolle. Stattdessen handelte es sich um eine spezifische Akteursgruppe, in deren Denken und Handeln die explizite Beschäftigung mit Heimat eine besonders ausgeprägte Rolle einnahm, was in abgeschwächter Form ebenfalls auf die Heimatbewegung und das bürgerliche Milieus zutrifft. Sie steht in Kapitel 3.1 im Zentrum. Für diese Akteursgruppe, deren Interesse an Heimat zumeist bis in das Kaiserreich zurückreichte, ergab sich in der Weimarer Republik die Chance, ihre Vorstellungen von Heimat und Zugehörigkeit in der Gegenwart zu verwirklichen und in den demokratisierten Heimat-Räumen zu materialisieren. Von der Analyse dieses engeren Personenkreises ausgehend, wird der Blick im darauffolgenden Kapitel 3.2 geweitet, das die mit Heimat verbundenen Zugehörigkeitssemantiken untersucht. Diese Weitung ist dem Umstand geschuldet, dass die Auseinandersetzung mit Heimat und Zugehörigkeit in der Arbeiterbewegung weit über den beschriebenen engen Kreis hinausreichte. Die Spannbreite reichte von reformorientierten Sozialdemokraten bis in das linke Partei- und Bewegungsspektrum. Auch an der sozialdemokratischen Heimat-Kulturpolitik waren zahlreiche Personengruppen aus dem Partei-, Arbeiterkultur- und Arbeiterbildungsbewegungsmilieu beteiligt. Ihre Umsetzung im lokalen und regionalen Raum war 8 Vgl. Kapitel »Zeiten der Heimat«. 9 Vgl. Hobsbawm u. Ranger. 10 Applegate, S. 19.

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darüber hinaus an republikweite Debatten zurückgebunden. Vor diesem Hintergrund prägte den sozialistischen Heimat-Diskurs eine vielstimmige und inhaltlich diverse Debatte um Zugehörigkeit. Er umfasste zudem implizit oder unreflektiert bleibende Vorstellungen von Heimat und Zugehörigkeit. Dabei kam der Frage sozialdemokratischer Zugehörigkeit in der Weimarer Republik auch über den Heimat-Begriff hinaus aus mehreren Gründen besondere Bedeutung zu. Zum einen stellte die Spaltung der SPD während des Ersten Weltkriegs das Selbstverständnis der Arbeiterbewegung infrage. Zum anderen wandelte sich durch die Demokratisierung die Rolle der SPD im Staat, was die sozialdemokratischen Zugehörigkeitsvorstellungen maßgeblich veränderte.11 Vor diesem Hintergrund bewegten sich Heimat-Semantiken zwischen sozialistischen, räumlich begründeten und volksbezogenen Zugehörigkeitsvorstellungen, die in diesem Kapitel typisierend herausgearbeitet werden. Diese Uneindeutigkeit wird zudem durch die Analyse der Zugehörigkeitspraktiken in Kapitel  3.3. deutlich. Zur Analyse der mit Heimat verbundenen Praxis existiert für die Kategorie Zugehörigkeit am meisten Forschungsliteratur; bspw. das von der Kulturanthropologin Beate Binder entwickelte Konzept der ›Beheimatungspraktiken‹.12 In der geschichtswissenschaftlichen Forschung hat eine solche Analyse bislang jedoch weniger Beachtung gefunden.13 Vor diesem Hintergrund analysiert das Kapitel, welche unterschiedlichen Formen der zugehörigkeitsbezogenen Heimat-Praxis in der Sozialdemokratie existierten bzw. welche Formen von Zugehörigkeit die sozialdemokratische Heimat-Kulturpolitik hervorzubringen beabsichtigte. Diese Frage ist insbesondere deswegen relevant, da für den idealtypischen sozialistischen Heimat-Begriff weniger die Herkunft als die gemeinsam vollzogene Praxis in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft ausschlaggebend war. In Abgrenzung zur bürgerlichen Deutungstradition nahm das Zusammenspiel von Heimat, Zugehörigkeit und Praxis im Falle des sozialistischen Heimat-Verständnisses demnach eine spezifische, besonders zentrale Bedeutung ein. Die Frage ist darüber hinaus aus einem weiteren Grund von wesentlichem Interesse: Die sozialdemokratischen Akteurinnen und Akteure reflektierten mithilfe des Heimat-Begriffs nicht allein über ihre individuelle Zugehörigkeit. Ihr Anspruch lag in der Weimarer Republik vielmehr darin, unter Rekurs auf Heimat eine veränderte kollektive sozialistische, republikanische, nationale oder regionale Identität hervorzubringen. Welche unterschiedlichen Formen von Heimat-Kulturpolitik die Sozialdemokratie dabei verfolgte, wird in dem Kapitel typisierend herausgearbeitet.

11 Vgl. zur Ambivalenz Lehnert, Sozialdemokratie zwischen Protestbewegung; ders., Sozial­ demokratie und Novemberrevolution; daran anschließend zur Selbstversicherung durch Traditionsbildung Strommenger, Neujustierung. 12 Vgl. Binder, S. 189–204. 13 Auf diese Leerstelle richtete sich der o. g. Workshop »Heimat-Praktiken« (19.–20.05.2022, Dresden).

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3.1 Die Scharnierfunktion sozialdemokratischer Akteure in der Popularisierung der Heimat-Idee im regionalen Raum An dieser Stelle stehen diejenigen sozialdemokratischen Akteure im Fokus, die maßgeblich für die Umsetzung der Heimat-Kulturpolitik im lokalen und regionalen Raum verantwortlich zeichneten und dabei mit der Heimatbewegung zusammenarbeiteten. Während die Auseinandersetzung mit Heimat bei anderen Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten eines unter weiteren politischen und kulturellen Interessen darstellte, handelte es sich bei jenen um eine kleinere Gruppe genuin heimatinteressierter Sozialdemokraten, die eine Scharnierfunktion zwischen SPD und Heimatbewegung einnahmen.14 Rekonstruiert man genauer, welche Personen in Ludwigshafen, Freital und Dresden die inhaltliche Ausrichtung und praktische Durchführung der Heimat-Kulturpolitik maßgeblich mitverantworteten und in welche Netzwerke sie eingebunden waren, zeigt sich angesichts der Unterschiedlichkeit der drei Städte ein fast schon frappierend ähnliches Bild. Was also war dieser Personengruppe, dem Ludwigshafener Hans Loschky, den Freitalern Robert Söhnel und Karl Söhnel sowie dem Dresdner Edgar Hahnewald gemeinsam? Diese Frage steht nachfolgend im Zentrum. Da Loschky einen umfangreichen Nachlass hinterlassen hat, während zu den anderen Akteuren in erster Linie ihre Publikationen vorliegen, werden die zentralen Überlegungen an seinem Beispiel extrapoliert und in der Folge mit den sächsischen Sozialdemokraten in Beziehung gesetzt.15 3.1.1 Hans Loschky (Ludwigshafen) In Ludwigshafen, das für die Ausrichtung der sozialdemokratischen HeimatKulturpolitik in der Pfalz von zentraler Bedeutung war, fungierte der in dieser Arbeit bereits in mehreren Zusammenhängen genannte, aber noch nicht eingehender charakterisierte Volksschullehrer und Reformpädagoge Hans Loschky als Scharnierstelle zwischen heimatinteressierten Akteuren verschiedener politischer Milieus. Bislang wurde Loschky in dieser Arbeit insbesondere als Initiator und Schriftleiter von »Bei uns daheim« und »Die Welt der Kleinen« vorgestellt und sich seiner Person über die inhaltliche Ausrichtung und praktische Umsetzung der Beilagen angenähert. Seine persönlichen und beruflichen Hintergründe wurden hingegen nur angedeutet. Doch wer genau war Loschky und was verband ihn

14 Vgl. zur Bedeutung einzelner heimatkundlicher Akteure als Bindglieder generell S­ cheidegger, S. 329–443. 15 Loschkys Nachlass liegt im Stadtarchiv Ludwigshafen. Mit Blick auf Hahnewald kann zurückgegriffen werden auf Steinberg, »Karl Herschowitz kehrt heim«. Für Freital liegen trotz intensiver Recherchen keine persönlichen Quellen vor.

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mit der SPD? Auskunft darüber erteilt insbesondere sein Nachlass im Stadtarchiv Ludwigshafen.16 Bereits die Anlage des Nachlasses kann erste Hinweise über die Persönlichkeit Loschkys geben. Dies betrifft zum einen die Form: Loschky legte eine umfangreiche Sammlung seiner Publikationen, Korrespondenz, Schulunterlagen und Vortragsmanuskripte an, datierte und kategorisierte sie. Ähnlich verfuhr er bezüglich selbstverfasster Zeitungsartikel, die er darüber hinaus nach Themen und Publikationsorten ordnete.17 Die Akribie, mit der er vorging, lässt vermuten, dass er seiner Tätigkeit große Bedeutung zuschrieb und – nicht nur im Falle seiner Arbeit – keine Nachlässigkeit duldete. Zum anderen geben die Themen und Publikationsorte seiner Texte auch inhaltlich Aufschluss über Loschkys Arbeit. Auf dieser Grundlage können drei verschiedene, gleichwohl miteinander in Beziehung stehende Tätigkeitsbereiche und Netzwerke unterschieden werden, in die er eingebunden war: Loschkys Tätigkeit als 1. Lehrer und Volksbildner, 2. Heimatliterat und Heimatkundler, 3. Sozialdemokrat.18 1. Lehrer: Loschky, der 1888 geboren wurde, arbeitete als Hauptlehrer an einer Volksschule im Ludwigshafener Stadtteil Mundenheim, der erst 1899 eingemeindet worden war und sich noch Anfang des 20. Jahrhunderts durch eine dörflich anmutende Struktur auszeichnete. In seiner Funktion als Lehrer hatte er nach der Jahrhundertwende die ersten heimatkundlichen Unterrichtsstunden konzipiert, wie sich anhand mehrerer Unterrichtsentwürfe nachweisen lässt.19 Als geachteter Lehrer nahm Loschky in der Mundenheimer Elternschaft wohl eine wichtige Rolle ein.20 In der Weimarer Republik engagierte er sich in mehreren parteiübergreifenden Zusammenschlüssen der Lehrerschaft, etwa in der Gartenstadtbewegung, und übernahm zumindest 1930 die Schriftleitung der parteiübergreifenden »Pfälzischen Lehrerzeitung«.21 Zudem publizierte er dort und an anderer Stelle Artikel zu Schulfragen und hielt zahlreiche Reden vor unterschiedlichem Publikum.22 An der Schnittstelle zwischen Loschkys Hintergrund als Lehrer und der Einbindung in die Heimatbewegung ist sein Engagement in der pfälzischen Volksbildungs- und Volkshochschulbewegung zu verorten. Von einem engen Austausch mit dem Leiter der Kaiserslauterner Volkshochschule, Ludwig Wagner, zeugt u. a. ein mehrjähriger Briefwechsel im Nachlass.23 Wie positive Besprechungen 16 Vgl. StALu N 5. 17 Der Nachlass besteht aus sieben Teilen: I.  Persönliches, II.  Korrespondenzen, III.  Schule, IV.  Schriftstellerisches und Rezensionstätigkeit, V.  Reden, VI.  Allgemeines, VII.  Schulgeschichtliche Sammlung. 18 Vgl. dazu auch die Festschrift Loschky, Ein Leben; zu seinem Engagement in der Bewegung des Religiösen Sozialismus Lipp. 19 Vgl. StALu, N5, III. Schule, 61. 20 Vgl. Vgl. StALu, N5, 147, fol. 4–6; Loschky, Ein Leben, S. 228–230. 21 Vgl. ebd., S. 231; bspw. »Pfälzische Lehrerzeitung«, 56. Jg (1930). 22 Vgl. etwa StALu, N5, Reden, 97. 23 Vgl. StALu, N5, II. Korrespondenzen, 22.

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von »Bei uns daheim« in der »Pfälzischen Lehrerzeitung« nahelegen, wurde die sozialdemokratische Heimatbeilage als Teil der pfälzischen Volksbildung wahrgenommen. Da es sich bei bekannten Vertretern, etwa Theodor Zink, aus dessen Feder eine positive Besprechung von »Bei uns daheim« stammte, ebenfalls um Lehrer handelte, zeigt sich hier eine Schnittstelle zwischen Heimat- und Volksbildungsbewegung.24 Es ist davon auszugehen, dass der gemeinsame berufliche Hintergrund ebenfalls dazu beitrug, dass Lehrer wie Kurt Baumann in »Bei uns daheim« publizierten.25 2. Heimatliterat und Heimatkundler: Wie sich bereits an der Entstehungsgeschichte der Heimatbeilage »Bei uns daheim« gezeigt hat, arbeitete Loschky eng mit Vertretern der Heimatbewegung zusammen. In diesem Zusammenhang bewegte er sich in Zirkeln, die sich mit pfälzischer Heimatkunst befassten, insbesondere in Kreisen, die für eine Modernisierung der Heimatliteratur eintraten. Von zentraler Bedeutung war dabei die Frage, inwiefern und auf welche Weise sich auch und gerade lokale bzw. regionale literarische Stoffe mit einer modernen Form verbinden ließen.26 In der Pfalz versuchte die Literaturzeitschrift »Heimaterde« des Literarischen Vereins der Pfalz, dessen Mitglied Loschky war,27 ein solches Programm umzusetzen. Zu diesem Zweck richteten sich die Herausgeber der »Heimaterde« bspw. an verschiedene deutsche Literaten, u. a. bekannte Vertreter wie Thomas Mann, um deren Einschätzung zur Heimatliteratur in Erfahrung zu bringen.28 Aussagekräftig an dem Vorgehen der »Heimaterde« ist nicht allein, dass Heimatliteratur und Moderne auch über die SPD hinaus nicht als Gegensätze angesehen wurden. Aussagekräftig ist ebenfalls, dass sich die Zeitschrift in der pfälzischen Heimatbewegung nicht durchsetzen und nur für einen kurzen Zeitraum erscheinen konnte.29 Dieses Scheitern beklagte Loschky in einem kurzen Artikel in »Bei uns daheim« und führte es auf die noch bestehende Unreife der Heimatbewegung zurück.30 Über Loschkys eigene Artikel zur Heimatliteratur geben die entsprechenden Artikelsammlungen in seinem Nachlass Auskunft. Dabei sticht ins Auge, dass er darin nicht klar zwischen ›Heimatdichtern‹ und ›Arbeiterdichtern‹ unterschied.31 Eine ähnliche Ambivalenz lässt sich auch mit Blick auf andere Beispielfälle feststellen.32 Dass eine Zeitschrift wie die »Heimaterde« und ihre Suche nach einer modernisierten Form der Heimatliteratur Losckys Zustimmung erfuhr, stand in engem 24 Vgl. Geleitwort zur Jahresgesamtausgabe von »Bei uns daheim« 1929; zu Zinks Rezension auch Applegate, S. 166–167. 25 Vgl. zu Kurt Baumann seinen Nachlass im Landesarchiv Speyer (LASp V 78), der aller­dings nicht eingesehen wurde; sowie Applegate, S. 166, 195, 231. 26 Vgl. zu mitunter modernen Formen und Inhalten der Heimatkunst Jenkins. 27 Vgl. Loschky, Ein Leben, S. 233. 28 Vgl. N. N., Dichter und Heimat, S. 37–43. 29 Vgl. zur Zeitschrift Applegate, S. 189–190. 30 Vgl. Loschky, Heimaterde, S. 4. 31 StaLu, N 5, IV. Schriftstellerische und Rezensionstätigkeit. 32 Vgl. bspw. die Anthologie Hübner u. Moegelin.

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Zusammenhang mit seiner Arbeit als Heimatkundler. Als solcher suchte er ebenfalls nach Möglichkeiten, die Heimatkunde an die Moderne anzupassen. Dies führte er bspw. 1931 bei einem Wochenendkurs im Naturfreundehaus Elmstein aus, wie aus dem Veranstaltungsbericht in »Berg frei« hervorgeht: Anschließend spricht Genosse Loschky über das erste Thema: Heute im Zeitalter des Flugzeuges und Radio besteht die Aufgabe der Heimatkunde nicht darin, alte Sitten und Trachten hervorzuholen. Solche Sachen gehören in das Museum, soweit sie überlebt sind. Die heutigen Formen der Arbeit und des Verkehrs verlangen, daß wir uns auf sie mit unserem Inneren und Aeußeren einstellen. Früher ist ein Mensch kaum über die Grenzen seines Dorfes hinausgekommen. Die Verkehrsmittel der Gegenwart aber bringen ihn rasch von einem Ort zum andern. Die Entfernungen sind kleiner geworden und die Völker der Erde sind sich näher gekommen. Wir treiben einem Weltbürgertum zu, in dem wir ein Bestandteil sind.33

Um sein Argument zu verdeutlichen, ging Loschky auf die sich verändernden bäuerlichen und proletarischen Lebens- und Arbeitsverhältnisse ein, die eine neue Form der Heimatkunde notwendig machten: Das Leben der Arbeiter zeichne sich gerade dadurch aus, dass sie im Gegensatz zu den Bauern keinen Hof mehr ihr eigen nennen könnten. Doch auch Letztere seien mittlerweile auf die Nutzung moderner Kommunikations- und Arbeitsmittel angewiesen. Darüber hinaus setzte Loschky die lokalen Verhältnisse der Heimat in Bezug zu den globalen. Aus dem heimatkundlichen Prinzip, vom Kleinen auszugehen, um die weiteren Zusammenhänge zu verstehen, folgerte er die Existenz eines »Weltbürgertums«, das durch die Vernetzung in der modernen Gesellschaft gleichsam ungeplant entstanden sei. Loschkys Vortrag bei den Naturfreunden stand explizit in einem parteipolitischen Kontext. Den sozialistischen Impetus brachte das Fazit des Veranstaltungsberichts unmissverständlich zum Ausdruck: »Von der Heimatkunde zur Weltkunde – vom Heimatmenschen zum Weltbürger. ›Berg frei!‹«34 Im Falle Loschkys ist hingegen weniger leicht zu beantworten, ob sein Heimat-Verständnis auch jenseits parteipolitischer Veranstaltungen als sozialistisch zu klassifizieren ist oder ob er die Arbeiterschaft durch seine Vorträge für ein milieuübergreifendes, an der Vorstellung eines einheitlichen ›Volks‹ orientiertes Heimat-Verständnis zu gewinnen versuchte. Wie Jeffrey Herf in »Reactionary Modernism« argumentiert hat, waren Modernebejahung und Technikeuphorie kein Proprium der politischen Linken, sondern verbanden sich in Teilen der deutschen Gesellschaft mit einer Ablehnung der liberalen Demokratie und des aufklärerischen Denkens, teilweise mit völkischen oder faschistischen Ideenwelten.35 Auch bei Loschky fällt die wiederkehrende vitalistische Sprache auf, die sich in der Kritik von Teilen der Heimatbewegung äußerte: Der als verstaubt und unzeitgemäß wahrgenommenen 33 N. N., Wochenendkurs, S. 2. 34 Ebd., S. 3. 35 Vgl. Herf; zudem auch Rohkrämer, Eine andere Moderne?; Esposito.

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etablierten Heimatkunde wollte er ein aus seiner Sicht gegenwartsadäquates Verständnis der Disziplin entgegensetzen. Letztlich bleibt festzuhalten, dass Loschkys Person und Denken sich Mitte der 1920er Jahre nicht eindeutig zuordnen lässt, sondern zwischen unterschiedlichen politischen und ideologischen Positionen changierte. 3. Sozialdemokrat: Wie ist nun abschließend Loschkys Rolle als Sozialdemokrat einzuordnen? Der ehemalige Leiter des Ludwigshafener Stadtarchivs, Willi Breunig, beschreibt ihn als bürgerlichen ›Überläufer‹. Loschky, vormals bürgerlicher Lehrer und Anhänger Friedrich Naumanns, sei 1920 aufgrund seines Gerechtigkeitsempfindens in die SPD eingetreten; seine politischen Positionen seien weniger als sozialistische denn als soziale angemessen zu beschreiben.36 Zwar hielt Loschky selbst Vorträge zur Frage des Sozialismus,37 darin entwickelte er jedoch ein Sozialismusverständnis, das häufig weniger an die sozialdemokratische Begriffsbestimmung erinnert als an eine solche, wie sie der Vorsitzende des Dürerbunds Avenarius vertrat.38 Für Loschkys theoretische Orientierung an Avenarius spricht ebenfalls, dass er in der Jugendbeilage der »Pfälzischen Post«, »Jugendwille«, »Einiges von Avenarius« publizierte.39 Zudem engagierte sich Loschky in der regionalen Bewegung des Religiösen Sozialismus.40 Loschkys diverse Hintergründe gingen in seine Konzeption und Umsetzung sozialdemokratischer Heimat-Kulturpolitik ein. Trotz  – oder möglicherweise sogar wegen – seiner zahlreichen nicht-sozialdemokratischen Netzwerke genoss er in der pfälzischen SPD hohes Ansehen und scheint bei der inhaltlichen Gestaltung der Zeitungsbeilagen große Freiheiten genossen zu haben. Zudem war er Teil des SPD-Bezirksbildungsausschusses, fungierte als Redner vor zahlreichen sozialdemokratischen Versammlungen wie auch als Referent im Rahmen parteipolitischer Bildungsveranstaltungen, etwa bei den Naturfreunden.41 Darüber hinaus sprechen Loschkys Texte in Veröffentlichungen der bayerischen Landes-SPD dafür, dass er eine nicht unbedeutende Rolle in der Ludwigshafener und pfälzischen SPD einnahm.42 Dass Loschky die Ausrichtung der sozialdemokratischen Heimat-Kulturpolitik verhältnismäßig stark prägen konnte, lässt sich wohl auch darauf zurückführen, dass er Lehrer war, die in der SPD hoch geachtet und gleichzeitig spärlich vorhanden waren. Bereits kurz nach Ende des Ersten Weltkriegs hatte Friedrich Profit betont, wie wichtig es sei, Teile der bürgerlich ausgerichteten Lehrerschaft für die SPD zu gewinnen, um die Bildungs- und Kulturpolitik in einem sozialdemokratischen Sinne beeinflussen zu können.43 Vor diesem Hintergrund verloren diejenigen Positionen Loschkys, die sozialdemokratischen 36 Vgl. StALu, N5, 147, fol. 1. 37 Vgl. bspw. StALu, N5, V. Reden, 97. 38 Vgl. zu Avenarius Kratzsch, S. 138. 39 Vgl. N. N., Einiges von Avenarius. 40 Vgl. Lipp, einleitend S. 3–5. 41 Vgl. exemplarisch N. N., Wochenendkurs. 42 Vgl. Loschky, Haus und Schule, S. 58–60. 43 Vgl. N. N., 26. Gautag, S. 1.

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Grundsätzen entgegenstanden, für die regionale Parteiführung möglicherweise an Gewicht. Zudem störten sich Teile der SPD aufgrund ihrer reformistischen Ausrichtung und eigenen Heimat-Emphase vermutlich auch überhaupt nicht daran. In den Reihen des Religiösen Sozialismus engagierte sich bspw. auch Karl Klingel, der seine Erinnerungen in »Bei uns daheim« publizierte.44 3.1.2 Robert Söhnel und Karl Söhnel (Freital) Auch in Freital ist ein kleiner Personenkreis auszumachen, der eine ähnliche Scharnierfunktion zwischen verschiedenen politischen, kulturellen und sozialen Milieus einnahm wie Loschky. Dazu gehörten der Leiter des Heimatmuseums und SPD-Stadtrat, Robert Söhnel, sowie Karl Söhnel, Gewerbeoberlehrer. Beide trieben die städtische Heimat-Kulturpolitik voran und agierten an der Schnittstelle von sozialdemokratisch dominierter Stadtpolitik, Stadtgesellschaft, nicht zuletzt mit Blick auf die Jugend, der lokalen SPD und ihren Kulturorganisationen sowie der Heimatbewegung. Da weder von Robert Söhnel noch von Karl Söhnel Nachlässe vorhanden sind, lässt sich zu ihrem Leben nur wenig sagen, was über die ihrerseits verfassten Texte hinausgeht.45 Robert Söhnel teilte mit Loschky die Einbindung in die Heimatbewegung und das Interesse an der Volksbildung, im Gegensatz zu diesem handelte es sich bei jenem jedoch um ein langjähriges SPD-Mitglied.46 Während Korrespondenzen zu Mitgliedern der Heimatbewegung nicht überliefert sind, lässt sich eine solche Beziehung dem Tagebuch des Heimatmuseums entnehmen. So verzeichnete das Tagebuch den Museumsbesuch von Teilen der Heimatbewegung.47 Darüber hinaus war Robert Söhnel wohl Mitglied oder zumindest Gast der »Naturwissenschaftlichen Gesellschaft ISIS Dresden«, die eine der wenigen naturwissenschaftlichen Gesellschaften war, die seit ihrer Gründung zu Beginn des 19. Jahrhunderts nicht nur dem akademisch gebildeten Adel und Bürgertum, sondern allen Interessierten offenstand.48 Karl Söhnel wiederum, über dessen Parteizugehörigkeit keine sicheren Angaben gefunden werden konnten, teilte mit Loschky den Lehrerberuf sowie die Publikationstätigkeit heimatkundlicher Texte in unterschiedlichen, parteipolitischen und parteiübergreifenden Medien. Söhnel publizierte sowohl in dem vonseiten des sozialdemokratischen Oberbürgermeisters Wedderkopf verantworteten DARI-Städtebild zu Freital als auch in den den Mitteilungsblättern des LVSH. 44 Vgl. Lipp, S. 90. 45 Weder im Archiv des Freitaler »Haus der Heimat«, der Nachfolgeinstitution des Heimatmuseums, noch im Freitaler Stadtarchiv war die Recherche nach weiteren Informationen zu den beiden Personen erfolgreich. 46 Vgl. N. N., Eine Ehrung Söhnels, S. 5. 47 Vgl. Kapitel 1.3.1. 48 Vgl. »Sitzungsberichte der naturwissenschaftlichen Gesellschaft Isis in Dresden«, 1924, S. XXV.

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Diese unterschiedlichen Publikationsorte stellten Söhnels Auseinandersetzung mit der Freitaler Heimat in konträre politische und kulturelle Kontexte.49 Zwar sprechen ihre Tätigkeiten für eine Vernetzung der beiden Akteure im heimatkundlichen Milieu. Gleichzeitig deuten Klagen, die sozialdemokratischen Heimatbemühungen würden von bürgerlicher Seite nicht angemessen gewürdigt, darauf hin, dass das Verhältnis nicht konfliktfrei und gleichberechtigt ausfiel. Darin äußerte sich zugleich der sozialdemokratische Anspruch nach bürgerlicher Anerkennung. In dem FVZ-Artikel »Heimatschutz und Arbeiterschaft« hieß es: Aus dem Benehmen des Sächsischen Vereins Heimatschutz müssen wir entnehmen, daß dieser Verein nichts mit der Arbeiterschaft zu tun haben will. […] Die nötigen Folgerungen aus diesem Verhalten gegenüber der Arbeiterschaft wird jeder selbst ziehen können.50

Die bürgerliche Skepsis lässt sich vermutlich auf den sozialdemokratischen Hintergrund der Freitaler Heimat-Kulturpolitik zurückführen. Die im Entstehen begriffene politische Heimat-Kultur einer dezidiert sozialdemokratischen Stadt lief dem Standesdünkel der Heimatbewegung im altehrwürdigen Dresden wahrscheinlich besonders zuwider. Zudem nahm Freital in der Heimatbewegung keine Pionierstellung ein. Stattdessen bildete das kulturpolitische Leben in Dresden für die Freitaler Heimatbemühungen trotz ihres sozialdemokratischen Anspruchs wohl den Hintergrund.51 3.1.3 Edgar Hahnewald (Dresden) Während sich – im Gegensatz zu Loschky – für Robert und Karl Söhnel nichts über einen möglichen literarischen Hintergrund in Erfahrung bringen lässt, kennzeichnete ein solcher die sozialdemokratische Heimat-Kulturpolitik in Dresden, wo einzelne Sozialdemokraten ebenfalls eine Art Scharnierfunktion zwischen Sozialdemokratie, Arbeiterkulturbewegung, Volksbildungsbewegung und Heimatbewegung einnahmen. So erschienen im sozialdemokratischen Verlag Kaden & Comp. literarische Bücher mit Regionalbezug. Zu den Autoren gehörte u. a. der Dresdner Sozialdemokrat Edgar Hahnewald, dessen Einbindung in die Heimatbewegung und bürgerliche Lebensreform Swen Steinberg erstmals herausgearbeitet hat.52 Bei Hahnewald handelte es sich um einen langjährigen (Lokal-) Redakteur der DVZ, Naturfreund und sozialdemokratischen Heimatliteraten, dessen Interesse an Heimat wohl nicht zuletzt berufsbedingt war. Wie im Falle 49 Vgl. Söhnel, Die wirtschaftliche Bedeutung; ders., Tal der Arbeit. 50 Vgl. N. N., Heimatschutz und Arbeiterschaft, S. 5. 51 Dafür spricht, dass Dresdner Autoren wie Cornelius Gurlitt im DARI-Städtebild publi­ziert wurden und das Freitaler Heimatmuseum besuchten.Vgl. Gurlitt. 52 Vgl. Steinberg, »Karl Herschowitz kehrt heim«, S. 60–71. Da die Heimat-Kulturpolitik der Dresdner SPD nicht in der gleichen Intensität untersucht wird wie diejenige in Ludwigshafen und Freital, orientiert sich die Darstellung an Steinbergs Buch, kann diese aber stellenweise um neue Quellen zu Hahnewalds Engagement in der Volkshochschulbewegung erweitern.

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anderer, schon im Kaiserreich heimatinteressierter Sozialdemokraten, etwa Hugo Hillig, war Hahnewald Dekorationsmaler.53 Hahnewald, der am 21.08.1884  – demnach vier Jahre früher als Loschky – geboren wurde, entstammte im Gegensatz zu diesem einer Arbeiterfamilie.54 Angesichts des politischen Engagements des Vaters verwundert es nicht, dass Hahnewald – im Gegensatz zu Loschky – langjähriges Gewerkschafts- und SPD-Mitglied war. Den Organisationen gehörte er seit 1902 respektive 1908 an.55 Bereits früh wurde Hahnewalds literarisches Talent von Franz Diederich entdeckt, der junge Literaten und Künstler aus dem Arbeitermilieu förderte.56 Diederich wurde bereits in seiner Funktion als Feuilletonredakteur der »Sächsischen Arbeiterzeitung«, späterer Feuilletonredakteur des »Vorwärts« und insbesondere als Mitglied des Dürerbunds und enger Vertrauter von Avenarius behandelt.57 Während dort die großen nationalen Linien im Zentrum standen, wird an dieser Stelle seine Bedeutung für die sozialdemokratische Heimat-Kulturpolitik im Dresdner Raum deutlich. Es zeigt sich, dass die ihn Kapitel 1.1.2.2 beschriebene Kulturpolitik der DVZ und des Verlags Kaden & Comp., zu der auch die Herausgabe von sozialdemokratischer Kinderliteratur gehörte, teilweise im Kontext überparteilicher Volksbildungsbestrebungen stand.58 Aus Hahnewalds Werk spricht ebenfalls ein besonderes Interesse an der sächsischen Heimat. Auch sein politisches Agieren in Dresden verweist auf inhaltliche und personelle Schnittstellen zur Heimatbewegung. Dies belegen insbesondere seine literarischen Schriften und Wanderbücher, mit denen er sich teilweise in pädagogischer Absicht an die Arbeiterkinder und Arbeiterjugend richtete. Zwar befasste sich Hahnewald eingehender als ein Sozialdemokrat wie Loschky mit einem sozialistisch geschärften Blick auf die ›engere Heimat‹. In diesem Zusammenhang stand bspw. seine Auseinandersetzung mit dem ›sozialen Wandern‹, zu dem er 1909 einen vielbeachteten Artikel »Vom Wandern« in der Zeitschrift »Arbeiterjugend« publizierte.59 Doch trotz dieser explizit sozialistischen Perspektive beschäftigte sich Hahnewald mit dem Thema des Wanderns in der sächsischen Natur und Heimat ebenfalls im Kontext der Heimatbewegung. Hahnewald war zum einen gleichzeitig Mitglied sowohl im TVdN als auch im LVSH und bewegte sich zudem im Umfeld des Dürerbunds.60 Zum anderen veröffentliche er Artikel und Bücher mit Lokal- oder Heimatbezug nicht nur in der Parteipresse, sondern 53 Vgl. ebd., zu Hahnewalds Auseinandersetzung mit Sachsen und dessen Verbindungen in die sächsische Heimatbewegung bes. S. 55–86. 54 Vgl. ebd., S. 13. 55 Vgl. ebd., S. 14. 56 Zu den geförderten Künstlern gehörte weiterhin der Freitaler Künstler Karl Hanusch. Vgl. Kratzsch, S. 339. 57 Vgl. Steinberg, »Karl Herschowitz kehrt heim«, S. 60. 58 Vgl. ebd., S. 60–67. 59 Vgl. Hahnewald, Vom Wandern. Dem folgte die Publikation weiterer Schriften zum Wandern, etwa ders., Der grüne Film. 60 Vgl. zur Mitgliedschaft im TVdN und LVSH Steinberg, »Karl Herschowitz kehrt heim«, S. 65. Steinberg weist an dieser Stelle darauf hin, dass auch der TVdN Mitglied des LSVH war.

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auch in Veröffentlichungen der Heimatbewegung, etwa den Mitteilungsblättern des LVSH.61 Seine Texte zirkulierten demnach in unterschiedlichen Zeitschriften und Milieus. Hierin lag eine wesentliche Gemeinsamkeit zu Loschky oder Karl Söhnel, die ihre heimatkundlichen Texte ebenfalls in unterschiedlichen Medien publizierten. Diese Textzirkulation deutet die Wandlungs- und Anpassungsfähigkeit der zentralen sozialdemokratischen Akteure an und legt nahe, dass sie ihr Engagement in unterschiedlichen gesellschaftlichen Milieus selbst nicht als Widerspruch verstanden. Gleichzeitig ist davon auszugehen, dass der Wiederabdruck teils identischer Texte im Rahmen der verschiedenen Publikationsorte mitunter konträre, zumindest widersprüchliche Bedeutungsgehalte entfaltete und verschiedenen Interpretationen offenstand. Doch nicht nur durch seine Texte und Mitgliedschaften fungierte Hahnewald als Bindeglied zwischen verschiedenen Gruppierungen. Vielmehr verband ihn eine Freundschaft zu dem Reformpädagogen Kurt Schumann, der die Dresdner Volkshochschule 1919 mit gründete.62 Zudem engagierte sich Hahnewald neben anderen Sozialdemokraten selbst in dem parteiübergreifenden Projekt, zeitweise als Vorstandsmitglied des Vereins Volkshochschule. Da in der Dresdner Volkshochschule Vertreter unterschiedlicher Parteien zusammenarbeiteten, war ihre Ausrichtung umstritten. Sie bewegte sich zwischen parteiübergreifenden Ansätzen der Volksbildung und sozialdemokratisch konnotierten Veranstaltungen, etwa Betriebsrätekurse. Diese Ambivalenz des Projekts führte zu Konflikten um das Programm und die grundsätzliche Positionierung, worauf im Epilogkapitel zurückzukommen ist.63 3.1.4 Ein gemeinsamer ideeller Hintergrund Obgleich zwischen Hans Loschky, Robert Söhnel, Karl Söhnel und Edgar Hahnewald wichtige Unterschiede bestanden, was etwa den Zeitpunkt ihres SPD-Beitritts betraf, lassen sich zwischen ihnen ebenfalls zentrale Gemeinsamkeiten ausmachen. Alle vier fungierten aufgrund ihrer heimatkundlichen, pädagogischen oder literarischen Expertise als Integrationskräfte der sozialdemokratischen HeimatKulturpolitik. Sie bewegten sich im lokalen und regionalen Raum in unterschiedlichen politischen, beruflichen, kulturellen und sozialen Umfeldern. Neben einem ausgeprägten Interesse an der regionalen Heimat teilten sie ähnliche berufliche Hintergründe sowie ein literarisches Interesse und Engagement in der Arbeiteroder Volksbildung. Bei Loschky und Karl Söhnel handelte es sich um Lehrer, Ro61 Vgl. ebd., S. 66. 62 Vgl. ebd., S. 59–60. 63 Vgl. zur Volkshochschule die umfangreichen Akten des Vereins Volkshochschule im Stadt­ archiv Dresden, deren zukünftige genauere Auswertung vielversprechend ist; zu Hahnewalds Engagement bspw. StAD 2.3.20-1020, fol. 27, 33, 34; zu den Betriebsrätekursen bspw. StAD 2.3.20-1020, fol. 18, 24, 40; zu Konflikten bspw. StAD 2.3.20-1020, fol. 83, 88, 89.

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bert Söhnel und Hahnewald waren in der Arbeiter- und Volksbildungsbewegung aktiv. Als Lehrer oder Pädagogen besaßen sie eine theoretische Orientierungsfunktion in den bildungspolitischen Debatten, da die SPD Lehrern beim Aufbau einer neuen republikanisch-sozialistischen Kultur eine zentrale Rolle zumaß. Gleichzeitig verfügte die Partei in zahlreichen Regionen über das Problem, dass ein Großteil der Lehrerschaft in der Weimarer Republik weiterhin konservativ ausgerichtet war. Während in Sachsen aufgrund der besonderen Stärke der Arbeiterbildungsbewegung eine vergleichsweise linksorientierte Lehrerschaft existierte, traf dies auf die Pfalz nicht zu, was Loschkys Gestaltungsmacht erklären kann. Auffällig ist darüber hinaus, dass in nahezu allen Fällen theoretische Überschneidungen mit Institutionen der Volksbildung oder sogar enge persönliche Kontakte zu Gruppierungen wie dem Dürerbund oder dessen Gründer Avenarius existierten. Die sozialdemokratischen Beziehungen zum Dürerbund haben mit Fokus auf Parteigrößen wie Eduard Bernstein bereits Beachtung erfahren.64 Dieses Kapitel zeigt, dass sie auch in den Analyseregionen wichtig waren: Hahnewald bewegte sich im engen Umfeld des Dürerbunds, Loschky zitierte Avenarius zustimmend. Diese Schnittstellen legen nahe, dass die analysierten Sozialdemokraten in der Heimat-Kulturpolitik ein partei- und klassenübergreifendes Volksbildungsbündnis anstrebten, das sich ebenfalls in der Zusammenarbeit mit der Volkshochschulbewegung äußerte.65 Vieles spricht dafür, dass auf Sozialdemokraten, wie die hier untersuchten, partiell zutrifft, was Andrea Ludewig für das bürgerliche Milieu wie folgt formuliert hat: »As such, Heimat was not an escapist project but a means of connecting disillusioned citizens who may have felt lost among the political mainstream of modernity.«66 Hinsichtlich dieser integrierenden Funktion hat Confino Heimat als »common denominator of variousness« bezeichnet.67 Diese Schnittstelle bedeutete gleichwohl nicht, dass die untersuchten Sozialdemokraten nach 1933 ähnliche politische Entwicklungen eingeschlagen hätten, wie sich später zeigen wird. 3.1.5 Sozialdemokratische Heimat-Akteure und Männlichkeit Jenseits ideologischer Übereinstimmungen teilten die vorgestellten Akteure noch eine weitere Gemeinsamkeit: Es handelte sich bei ihnen ausschließlich um Männer. Diese männliche Dominanz der Heimat-Kulturpolitik mag angesichts des sozialdemokratischen Anspruchs, die Frauenemanzipation zu befördern, etwas überraschen; wenngleich dieser oftmals nur unzureichend umgesetzt wurde. Sie kongruierte jedoch weitgehend mit den Geschlechterverhältnissen in der bürgerlichen Heimatbewegung. Auch wenn die Frage der Geschlechterverhältnisse noch 64 Vgl. Kapitel 2.1.3. 65 Vgl. dazu grundsätzlich Vogt, S. 110–115. 66 Ludewig, S. 23. Vgl. zu einer ähnlichen Einordnung Linse, Barfüßige Propheten. 67 Confino, Nation as a Local Metaphor, S. 54.

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nicht eingehend untersucht wurde, ist davon auszugehen, dass die Heimatbewegung eine – zumeist bürgerliche – Männerdomäne darstellte. Dafür sprechen die wenigen vorhandenen Zahlen zur Zusammensetzung unterschiedlicher Heimatvereine: Wenn Zahlen zur Beteiligung von Frauen genannt werden, schwanken diese für das Kaiserreich in der Regel zwischen 4 % und 8 %, bleiben demnach immer unterhalb der 10 %-Marke. Confino gibt den Frauenanteil des Stuttgarter Verschönerungsvereins für das Jahr 1885 mit 7,5 % an, wobei er darauf hinweist, dass es sich bei 103 von 112 weiblichen Mitgliedern um Witwen handelte, die gewissermaßen das Engagement ihres verstorbenen Mannes fortsetzten.68 William H. Rollins berechnet für die seinerseits untersuchten sieben Regionen Baden, Mecklenburg, Niedersachsen, Westfalen, Sachsen, Schleswig-Holstein und Thüringen einen Durchschnittswert von 4,7 %.69 Für den Pfälzerwald-Verein, der ebenfalls bürgerlich dominiert war, aber auch Arbeitern grundsätzlich offenstand, weist Applegate darauf hin, dass der Wanderverein nach der Jahrhundertwende aktiv um Frauen als Mitglieder warb, diese aber keine aktive Rolle im Vereinsleben einnehmen sollten und in keine entsprechenden Positionen gewählt wurden.70 Stattdessen hielten bürgerliche Frauenvereine teilweise ebenfalls Heimatveranstaltungen ab, die sich explizit an Frauen als Trägerinnen des ›Heimatgefühls‹ richteten.71 Die männliche Dominanz der Heimatbewegung korrespondierte mit geschlechterstereotypen Konnotationen des Heimat-Begriffs, Vorstellungen von Weiblichkeit und Mütterlichkeit, die einen nahezu durchgehend männlichen Blick nahelegen.72 Diese semantische Verknüpfung von Heimat und Weiblichkeit ist deutlich besser erforscht als die praktische Beteiligung von Frauen, wenn auch im Vergleich zu anderen Themen in der Auseinandersetzung mit Heimat weiterhin eher marginal.73 Bezüglich der weiblichen Konnotationen lassen sich verschiedene Aspekte unterscheiden: Dazu gehören die Assoziationen von Heimat mit Familie, Heim und Herd, die der männlich konnotierten Sphäre der Fremde und Wanderschaft gegenübergestellt wurden.74 Dabei kam den Mutterfiguren sowohl etwas Versorgendes als auch etwas Defizientes zu. Der Aspekt des Versorgens äußerte sich in Vorstellungen von mütterlicher ›Heimaterde‹ oder einem ebenfalls weiblich konnotierten ›Heimatboden‹.75 Die Ambivalenz 68 Vgl. ebd., S. 109. 69 Vgl. Rollins, Aesthetic Environtalism, zit. nach ebd., S. 243; ähnlich mit 4 % Frauen der Literarische Verein der Pfalz; zu weiblichen Autoren in der Heimatliteratur Oesterhelt, S. 111. 70 Vgl. Applegate, S. 66–67. 71 Applegate weist in diesem Zusammenhang auf einen »Pfälzer Abend« hin, der 1908 vonseiten der Frankenthal Ortsgruppe des »Vereins für Fraueninteressen« organisiert wurde. Vgl. ebd., S. 83–84. 72 Vgl. als eine der ersten Büftering; zuletzt Oesterhelt, S. 112–115; von Moltke, S. 71. 73 Vgl. Blickle, S. 107; Oesterhelt, S. 112–115. 74 Vgl. Confino, Nation as a Local Metaphor, S. 170–171; Boa u. Palfreyman, S. 26–27. 75 Anja Oesterhelt spricht in diesem Zusammenhang von Vorstellungen des »Vegetativen«. Vgl. Oesterhelt. S. 110.

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einer gleichzeitig versorgenden und schutzbedürftigen mütterlichen Heimat verstärkte sich mit dem Ersten Weltkrieg. Wie Confino argumentiert, radikalisierte der Krieg bereits bestehende Deutungen von Heimat und Weiblichkeit. Heimat wurde nun, wie die ›daheim‹ verbliebenen Frauen, zur »antithesis of war«.76 Für die Männer an der Front avancierten sie zum Sehnsuchtsort jenseits der Schlachtfelder und begründeten aufgrund ihrer Schutzbedürftigkeit gleichzeitig die Notwendigkeit des Krieges.77 Der Befund, dass es sich bei den in diesem Kapitel untersuchten Sozialdemokraten um Männer handelte, deckt sich demnach mit dem generellen Fehlen von Frauen in ähnlichen Positionen. Ein Grund der männlichen Dominanz dürfte in der Einbindung von heimataffinen Sozialdemokraten wie Loschky in die bürgerliche Bewegung gelegen haben. Zugleich hinterfragten wohl auch Sozialdemokratinnen eine solche Geschlechterverteilung häufig nicht: Da es sich bei den in der Heimatbewegung organisierten Frauen oftmals um Ehefrauen oder Witwen aus dem gehobenen Bürgertum handelte, verwundert es nicht, dass Frauen aus dem proletarischen Milieu, die in der Regel über eine geringere Bildung verfügten, in diesem Bereich noch weniger vertreten waren. Andererseits zeigt sich jenseits der hier analysierten kleinen sozialdemokratischen Gruppe ein abweichendes Bild. Sowohl in der Arbeiterbildungsbewegung als auch im TVdN beteiligten sich deutlich mehr Frauen als in bürgerlichen Vereinen. Dazu gehörten Pädagoginnen wie Anna Siemsen, die u. a. im Kontext der Jugendweihen eine wichtige Rolle in der sozialdemokratischen Auseinandersetzung mit Heimat einnahm.78 Zu betonen gilt es in diesem Zusammenhang zudem, dass Frauen in der Naturfreundebewegung eine deutlich gleichberechtigtere und aktivere Position innehatten als in bürgerlichen Wandervereinen. Insbesondere die Naturfreundejugend bemühte sich um eine Gleichberechtigung ihrer weiblichen Mitglieder. Wenngleich in genuin sozialistischen, heimataffinen Organisationen wie dem TVdN demnach eine vergleichsweise große Anzahl an Frauen beteiligt war, waren ihrer Beteiligung aber auch dort Grenzen gesetzt.79 Diese Grenzen sind nicht zuletzt darauf zurückzuführen, dass in der Arbeiterbewegung trotz des prinzipiellen Anspruchs der Gleichberechtigung beider Geschlechter zugleich relativ klassische Vorstellungen von Männlichkeit und Weiblichkeit fortexistierten. Dazu gehörte die Betonung des besonderen Kampfgeistes, u. a. im Rückblick auf das ›Sozialistengesetz‹, oder der eigenen körperlichen Kraft und Stärke als Arbeiter.80 Dahingegen wurden bei Frauen ihre besonderen mütterlichen und häuslichen Eigenschaften hervorgehoben, ihnen

76 Confino, Nation as a Local Metaphor, S. 185. 77 Vgl. ebd. 78 Vgl. bspw. als Herausgeberin Arbeiter-Bildungsinstitut Leipzig, Kämpfende Menschheit. 79 Vgl. Williams, Turning to nature in Germany, S. 76–77. 80 Vgl. zu Männlichkeit in der Arbeiterbewegung Welskopp, Banner der Brüderlichkeit, bes. Kapitel I.3 und II.4; Hake, bes. Kapitel 3 und 9.

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mitunter gar politische Unzulänglichkeit vorgehalten.81 Diese sozialdemokratischen Geschlechterstereotype kennzeichneten auch Teile des Heimat-Diskurses. Zum einen fällt auf, dass die vergangenen Mobilitäts- und Berufserfahrungen von Frauen in der sozialdemokratischen Traditionsbildung kaum eine Rolle spielten. Unter den Autoren der Erinnerungen in »Bei uns daheim« waren bspw. keine Frauen, was sich im Falle überregional rezipierter Autobiografien allerdings anders darstellte.82 Auch in anderen Texten wurden die Mobilitätserfahrungen in weiblichen Berufen, etwa von Dienstmädchen, nicht angesprochen und in ein Verhältnis zu der männlichen Praxis gesetzt. Besonders bemerkenswert ist dies, da die Berücksichtigung der Frauen und ihrer Situation in der Wanderpraxis der Gegenwart zugleich explizit eingefordert wurde.83 Zudem waren HeimatSemantiken auch im sozialistischen Diskurs mit stereotypen Geschlechtervorstellungen verbunden, was sich etwa im Bild einer ebenso schutzbedürftigen wie versorgenden Mutter Erde als Komplizin der Arbeiterschaft oder in bildlichen Darstellungen der Heimat als Familienidylle äußerte.84 Angesichts dieses in mehrfacher Hinsicht ambivalenten Befunds ist zu vermuten, dass bestimmten zugrunde liegenden Denkmustern schlicht eine solche gesellschaftliche Selbstverständlichkeit zukam, dass die Sozialdemokratie sie wiederholte, während sie andere Geschlechterstereotype hinterfragte.

3.2 Zugehörigkeitsbilder: Sozialistische Heimat zwischen Solidarität, Gemeinschaft und Volk Der sozialistische Heimat-Diskurs bewegte sich zwischen spezifisch sozialistischen und gesellschaftsübergreifenden Verständnisweisen von Zugehörigkeit. Angesichts der Vielzahl an Zugehörigkeits- und Gemeinschaftsvorstellungen, die die sozialistische Verwendung des Heimat-Begriffs in verschiedenen regionalen und republikweiten Kontexten zum Ausdruck bringen konnte, kann an dieser Stelle keine allumfängliche Darstellung erfolgen. Stattdessen werden die wichtigsten Verwendungsweisen überblicksartig herausgearbeitet. In systematischer Hinsicht lassen sich drei Idealtypen85 unterscheiden, denen jeweils ein Teilkapitel gewidmet ist: 1. Die metaphorische Umschreibung der innerhalb der Arbei-

81 Vgl. zur sozialistischen Frauenbewegung Sachse; zu Frauen in der Weimarer Republik zuletzt Planert. 82 Vgl. exemplarisch Popp. 83 Vgl. exemplarisch Kammer, Die Walze. 84 Vgl. bspw. die Analyse des »Wähler ABC« in Kapitel 1.2.2. 85 Die Dreiteilung ähnelt der hinsichtlich des Volksbegriffs getroffenen Unterscheidung zwischen ›plebs‹, ›demos‹ und ›ethnos‹, wobei der gesamtgesellschaftlich oftmals abwertend verwendete Bezug auf ›plebs‹ in der Arbeiterbewegung positiv gewendet wurde. Vgl. zu der Unterscheidung Retterath, S. 44–45, 64–65; zur Bedeutung Anfang der Weimarer Republik S. 133–158.

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terbewegung existierenden ›Solidargemeinschaft‹ als ›Heimat der Heimatlosen‹. Der Fokus auf Formen selbst gewählter Zugehörigkeit spiegelte sich ebenfalls in dem Verständnis einer zukünftigen Heimat im Sozialismus. 2. Heimat-Vorstellungen, die auf ein gesellschaftsübergreifendes, republikanisches Zugehörigkeitsverständnis abzielten. Im Zentrum dieser Vorstellungen standen die demokratisierten Regional- und Nationalräume, die durch die Novemberrevolution in den ›rechtmäßigen Besitz‹ des ›Volkes‹ übergegangen seien. 3. Während diese Zugehörigkeitsvorstellungen das historische Moment der Demokratisierung betonten und die Nation als republikanisch bestimmtes Staatsvolk konzeptualisierten, existierten darüber hinaus Heimat-Konzepte, die die nationale Zugehörigkeit zum ›deutschen Volk‹ naturalisierten, ›Heimat‹ und ›Nation‹ mithin als Abstammungsgemeinschaften auffassten. Der Rekurs auf Naturhaftigkeit oder Schicksal zur Begründung von Zugehörigkeit war dabei mit exklusiven, teilweise völkischen und antisemitischen Heimat-, Volks- und Gemeinschaftsvorstellungen verbunden. In Reaktion auf den Antisemitismus entwickelten jüdische Sozialisten spezifische Heimat-Vorstellungen, die in einem Exkurs abschließend kurz dargestellt werden. Die mit dem Heimat-Begriff assoziierten Zugehörigkeitsvorstellungen waren ähnlich ambivalent wie entsprechende Nations-, Volks- und Gemeinschaftsvorstellungen, die u. a. Jörn Retterath oder Michael Wildt analysiert haben.86 Dabei kann eine Analyse der mit Heimat verbundenen Zugehörigkeitsdiskurse die geschichtswissenschaftliche Forschungsdebatte über das sozialdemokratische Verständnis von ›Nation‹, ›Volk‹, ›Gemeinschaft‹ und ›Volksgemeinschaft‹ wesentlich erweitern. Anders als bei diesen Begriffen – oder der sozialdemokra­tischen Idee eines ›Volksstaates‹ – handelte es sich bei ›Heimat‹ um ein theoretisch weniger reflektiertes Konzept. Gerade die geringere Theoretisierung verspricht einen innovativen Aufschluss über sozialdemokratische Zugehörigkeitsvorstellungen, da in Heimat-Bezüge Vorstellungen eingingen, die von den historischen Akteuren selbst unreflektiert blieben. Daher ist es von zentraler Bedeutung, die nachfolgende Analyse nicht auf explizit gemachte Zugehörigkeitsvorstellungen zu beschränken, die die heimatinteressierten Sozialdemokraten zumeist mit sozialistischen Theoremen begründeten. Vielmehr sind ebenfalls unreflektiert bleibende Zugehörigkeitsvorstellungen in die Analyse einzubeziehen. Durch ein solches Vorgehen lässt sich danach fragen, ob Teile des sozialistischen HeimatDiskurses politische Ideologeme enthielten, die dem politischen Programm der Arbeiterbewegung zuwiderliefen und zeitgenössisch unbeachtete ideologische Schnittmengen zu einem völkischen Heimat-Verständnis aufwiesen. Zu fragen ist diesbezüglich beispielsweise, ob ›Heimat‹ und ›Gemeinschaft‹ auch in der 86 Vgl. zur Ambivalenz der Begriffe ›Volk‹, ›Gemeinschaft‹ und ›Volksgemeinschaft‹ Wildt, Die Ambivalenz des Volkes; ders., Umstrittene »Volksgemeinschaft«; Retterath; Hardtwig; mit Fokus auf die ›Betriebsgemeinschaft‹ in der Arbeitswelt Becker u. Schmidt; zur Gemeinschaftsorientierung Lehnert, Gemeinschaftsdenken in Europa; ders., Geschichte und Theorie des Gemeinschaftsdenkens.

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Sozialdemokratie den Gegenentwurf zur Moderne bildeten, wie unter Rekurs auf Ferdinand Tönnies Gegensatz von ›Gemeinschaft‹ und ›Gesellschaft‹ argu­ mentiert worden ist.87 Galt Helmuth Plessners zeitgenössisch formulierte Kritik, die Gemeinschaftsorientierung diene als »Ideologie der Ausgeschlossenen, Enttäuschten und Wartenden, des Proletariats, der Verarmten und der die Ketten noch frisch spürenden Jugend«88 demnach auch dem sozialistischen HeimatVerständnis? 3.2.1 Heimat als Ausdruck sozialistischer Solidarität und sicherer Lebensverhältnisse 3.2.1.1 Die Arbeiterbewegung als ›Heimat der ehemals Heimatlosen‹ In einem unveröffentlicht gebliebenen Typoskript mit dem Titel »Rückblick« von 1920 befasste sich der sozialdemokratische Schriftsteller Ernst Preczang mit der Rolle der Arbeiterbewegung für die Politisierung der Arbeiterschaft. Anlass der Retrospektive war Preczangs 50. Geburtstag, Ziel die Reflexion seines politischen und literarischen Werdegangs. Wie andere sozialdemokratische Autorinnen und Autoren wählte er seine persönliche Biografie als Bezugspunkt für allgemeine Entwicklungen und setzte seine individuelle Lebensgeschichte mit der kollektiven Geschichte der Arbeiterbewegung in Beziehung: Allein der »Glaube an den Sozialismus« habe einem vormals sinnlosen, im Kontext der Lohnarbeit von Entfremdungserfahrungen bestimmten Leben Sinn verliehen und so die enorme Kraftanstrengung ermöglicht, sich nach einem kräftezehrenden und stupiden Arbeitstag der Lektüre zentraler sozialistischer Werke zu widmen. Es sei gerade die langsam entstehende politische und gewerkschaftliche Arbeiterbewegung gewesen, die ihn selbst, der an dieser Stelle Pars pro Toto für zahlreiche andere Arbeiterinnen und Arbeiter stand, an eine bessere Zukunft habe glauben lassen. Dabei sei die Funktion der Arbeiterbewegung weit über politische und wirtschaftliche Auseinandersetzungen hinausgegangen, wie Preczang weiter folgerte: Die rein politische oder wirtschaftliche Wertung der Arbeiterbewegung reicht nicht aus, um ihre Bedeutung zu erklären. Für Zehntausende ist sie auch eine neue seelische Heimat geworden, wurde sie rein menschlich zu lebendig-freudevollem Daseinsgehalt. Das wird oft übersehen.89

In Preczangs Verständnis brachte der Heimat-Begriff keinen unhinterfragt bleibenden, gleichsam naturalisierten regionalen oder nationalen Zwangszusammenhang zum Ausdruck, sondern bildete eine Metapher für die selbst gewählte Zugehörigkeit zur Arbeiterbewegung, die sich über ihre gemeinsamen politischen

87 Vgl. Tönnies; Retterath, S. 62–64; Wildt, Umstrittene »Volksgemeinschaft«, S. 78. 88 Plessner, S. 26. 89 Fritz-Hüser-Institut NL Preczang, Rückblick, fol. 25–26.

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Ziele und ihre Hoffnung auf eine zukünftig sozialistische Gesellschaft definierte. Heimat bezeichnete demnach keine Ortsgebundenheit, sondern eine Beziehung zwischen Menschen und die dort erfahrene Solidarität. Wenngleich es sich dabei zunächst um einen durch Heimatverlust und Exklusionserfahrungen erzwungenen Zusammenschluss handelte, implizierte dieser gleichzeitig die Möglichkeit materieller Absicherung, die mit dem vormodernen Heimat-Begriff verknüpft gewesen, aber uneingelöst geblieben war, und zukünftiger politischer Freiheit.90 So richtete sich Preczangs Argument, die Arbeiterbewegung sei für die Arbeiterschaft nach ihrem Heimatverlust im Zuge der Industrialisierung eine neue Heimat geworden, explizit gegen ahistorische, vorwiegend raum- oder volksbezogene Verständnisweisen des Begriffs.91 Sein Heimat-Verständnis wandte sich zudem gegen die Unwirtlichkeit der bürgerlich dominierten Heimat-Räume und die damit einhergehende Exklusionserfahrung, die die Arbeiterschaft insbesondere im Kaiserreich an verschiedenen Herkunftsorten gemacht hatte. So symbolisierte die ›Heimat Arbeiterbewegung‹ für Sozialdemokraten wie Preczang ein zunächst einmal ortsunabhängig gedachtes, sicherheits- und zugehörigkeitsverbürgendes Netz, das gleichzeitig konkreter Orte wie Volkshäuser oder Naturfreundehäuser zu seiner Verwirklichung in der Gegenwart bedurfte. Sie bezeichnete nicht zuletzt das weitverzweigte sozialdemokratische Milieu mit dutzenden Vereinen, Zeitschriften und eigenen Verkehrsformen, das den Einzelnen ›von der Wiege bis zur Bahre‹ begleitete. Der Topos ›Heimat Arbeiterbewegung‹ verknüpfte politische und identitätsstiftende Momente: So wies Preczang der Arbeiterbewegung unter Rekurs auf den Heimat-Begriff eine identitätsverbürgende und gemeinschaftsstiftende Funktion zu. Dieser Fokus lässt sich nicht zuletzt darauf zurückführen, dass es sich bei Preczangs Text um eine autobiografische Retrospektive handelte, der es nicht zuletzt darum ging, das bislang durch die politischen Kämpfe Erreichte herauszustellen. Bereits im Kaiserreich hatte der sozialistische Heimat-Begriff den Anspruch auf selbst gewählte Zugehörigkeit und Solidarität bezeichnet, wenn etwa Wilhelm Liebknecht das »ubi bene, ibi patria«92 von Heimat bemühte oder Rosa Luxemburg ihre »große, liebe Heimat« in der Arbeiterbewegung dem begrenzten bürgerlichen Heimat-Verständnis und dem bürgerlichen Vorwurf sozialistischer »Heimatlosigkeit«93 entgegensetzte. Während Äußerungen wie diese im Kaiserreich auf die sozialistische Zukunft verwiesen, rückte das – auch in Liebknechts und Luxemburgs Zitaten bereits angelegte – identitätsstiftende Moment in der Weimarer Republik in den Vordergrund. Mit der zunehmend reformistischen 90 Vgl. Strommenger, »Heimat Arbeiterbewegung«? 91 Zu einer nahezu identischen Interpretation der Passage gelangt Bausinger, der Preczangs »Rückblick« gleichwohl fälschlicherweise auf 1888 statt auf 1920 datiert und über Preczangs Zitat hinaus keine weiteren Belege für seine These anführt. Vgl. Bausinger, Auf dem Weg, S. 213. 92 Liebknecht, Zu Trutz und Schutz. 93 Vgl. N. N., Dr. Rosa Luxemburg, S. 1; dazu auch Kaschuba, S. 15.

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Ausrichtung der SPD, die im Falle der Generation der um 1870 Geborenen mit einem nostalgischen Rückblick auf die Vergangenheit und der Betonung des bereits Erreichten einherging, diente der Topos zunehmend der Selbstversicherung und Identitätsstiftung. Vor diesem Hintergrund spricht vieles dafür, dass Preczang mit seinen Überlegungen zwar an vergangene Deutungen anknüpfte, der Topos ›Heimat Arbeiterbewegung‹ in seinen Texten jedoch vornehmlich eine retrospektive Deutung, eine Art sozialistische »Invention of Tradition«, darstellte.94 Im Vergleich mit der bürgerlichen Heimat-Nostalgie entwickelte sie sich zwar später heraus, übernahm jedoch eine ähnliche identitätsstiftenden Funktion. Die sozialistische »Invention of Tradition« gewann dabei zu einem Zeitpunkt an Bedeutung, als ganz unterschiedliche Milieus ihre mitunter konträren Zugehörigkeitsvorstellungen mit dem Heimat-Begriff zum Ausdruck brachten. Im Falle der Sozialdemokratie wurde eine solche Selbstdeutung der eigenen Partei- und Bewegungsgeschichte wohl nicht zufällig zu einer Zeit virulent, als das Selbstverständnis der Arbeiterbewegung durch verschiedene Spaltungen und die veränderte politische Position in der Weimarer Republik selbst infrage stand. Preczangs metaphorische Verwendung des Heimat-Begriffs war kein Einzelfall. Auch andere Autoren bezeichneten die Arbeiterbewegung als politische und soziale ›Heimat der ehemals Heimatlosen‹. Eine Biografie über Luxemburg umschrieb ihr Leben bspw. mit folgenden Worten: »Heimatlos war sie über die Grenze ihrer Heimat hinausgestürmt, um in der grenzenlosen Heimat des sozialistischen Weltgefühls Unterkunft zu finden.«95 Im sozialistischen Verständnis transzendierte die internationalistische Zugehörigkeit zur Arbeiterbewegung folglich die verschiedenen Herkunfts-Heimaten ihrer Mitglieder. Die individuelle Herkunft wurde gewissermaßen in dem zukunftsverheißenden Kollektiv Arbeiterbewegung aufgehoben. Ähnliche Darstellungen existierten auch im lokalen und regionalen Raum. Sie lagen bspw. den Erinnerungen der pfälzischen Sozialdemokraten zugrunde, die einer ähnlichen Generation wie Preczang angehörten, Mitte des 19. Jahrhunderts geboren worden waren und Mitte der 1920er auf ihre politische Sozialisation in der Arbeiterbewegung zurückblickten. In gewissem Sinne brachten sie in ihren für »Bei uns daheim« verfassten autobiografischen Berichten auf praktische Weise zum Ausdruck, welche Bedeutung sie der Zugehörigkeit zur ›Heimat Arbeiterbewegung‹ trotz ihres gleichzeitigen Zugehörigkeitsgefühls zur ›engeren Heimat‹ Pfalz auch in der Weimarer Republik weiterhin beimaßen. Indem sie sich in ihren Erinnerungen aufeinander bezogen, setzten sie ihre individuellen Biografien mit der kollektiven Geschichte der pfälzischen SPD in Beziehung. Dabei dienten die kollektivbiografisch verfassten Erinnerungen nicht zuletzt der sozialdemokratischen Identitätsvergewisserung, nostalgischen Rückblicken auf die gemeinsamen politischen Kämpfe und der

94 Vgl. Hobsbawm u. Ranger. 95 Hochdorf, S. 42.

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Legitimation des politischen Vorgehens in der Gegenwart durch parteipolitische Traditionsbildung.96 Neben Rückblicken auf die eigene Politisierung materialisierte sich die ›Heimat Arbeiterbewegung‹ in zumindest zwei weiteren Momenten: Zum einen heftete sie sich an zentrale Personen der Partei- und Bewegungsgeschichte, zum anderen wurde sie an unterschiedlichen parteispezifischen Orten festgemacht. Ersteres trifft bereits auf Preczangs »Rückblick« zu, der seinen »Glaube[n] an den Sozialismus« mit dem Verweis auf den als erhebend empfundenen Charakter der Reden von August Bebel und Wilhelm Liebknecht verknüpfte, die er als »Propheten der weltlichen Arbeiterreligion«97 bezeichnete. Auch im lokalen Raum verdichtete sich der Topos ›Heimat Arbeiterbewegung‹ symbolisch in regionalen Parteigrößen.98 In der pfälzischen Heimat-Kulturpolitik der SPD spielten bspw. der gleichermaßen liebe- wie ehrfurchtsvoll als »roter Pfalzgraf« titulierte Franz Josef Ehrhart und der kurzzeitige bayerische Ministerpräsident Johannes Hoffmann eine zentrale Rolle. Wiederholt rekurrierte die Parteipresse insbesondere auf Ehrhart.99 Weiterhin konnten auch Zeitschriften und die dahinterstehenden persönlichen Netzwerke als politische Heimat wahrgenommen werden.100 Zweitens symbolisierten unterschiedliche parteipolitisch konnotierte Orte die ›Heimat Arbeiterbewegung‹. So finden sich in Erinnerungen zahlreiche Bezüge auf Kneipen, Volkshäuser und andere Veranstaltungsorte als Orte der Heimat bzw. teilweise auch des Heimatersatzes – Letzteres korrespondierte mit einer Kritik der oftmals wenn nicht elenden, so doch beengten Wohnverhältnisse zahlreicher Arbeiterfamilien. Teilweise schwang dieser Heimat-Bezug implizit zwischen den Zeilen mit, teilweise wurde er als solcher ausbuchstabiert: »Die Halle war meine Heimat«, resümierte etwa ein süddeutscher Sozialdemokrat die Bedeutung, die er den dort abgehaltenen Veranstaltungen der örtlichen Arbeiterbewegung zumaß.101 In ähnlicher Weise repräsentierten auch die Naturfreundehäuser schon allein aufgrund ihres Entstehungsprozesses die ›Heimat Arbeiterbewegung‹. Sie seien, wie betont wurde, »Denkmäler des Sozialismus«102 und materialisierten dessen Versprechen im öffentlichen Landschaftsbild. Dementsprechend schlugen sich die mit Heimat verbundenen Zugehörigkeits- und Gemeinschaftsvorstellungen in der Gestaltung des räumlichen Umfelds nieder, was einmal mehr verdeutlicht, dass die aus analytischen Gründen getrennten Kategorien Raum, Zeit und Zugehörigkeit empirisch aufeinander bezogen blieben. Zugleich wurde Heimat im sozialistischen Diskurs nicht nur retrospektiv mit solidarischen Zugehörigkeitsbezügen verbunden, sondern auch mit Blick auf die 96 Vgl. zu einer genaueren Einordnung Kapitel 2.2 und 2.3.1. 97 Fritz-Hüser-Institut NL Preczang, Rückblick, fol. 25. 98 Vgl. etwa Baumann, Ferdinand Lassalle. 99 Vgl. etwa Klingel, Erinnerungen; Profit, Franz Josef Ehrhart. 100 Vgl. Gallus. 101 Vgl. dazu Steffens, S. 13. 102 Selbach, Im neuen Gewand, S. 1.

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Zukunft. Insbesondere in der Arbeiterjugendbewegung existierte die Vorstellung einer weiterhin umkämpften Heimat, die erst vollends von der bürgerlichen Herrschaft befreit werden müsse. Dies lässt sich bspw. an dem von Alfred Auerbach verfassten Sprechchor »Kampf um die Erde« zeigen, der an dieser Stelle herausgegriffen wird, da er Teil des Programms der Arbeiter-Olympiade von 1925 in Frankfurt a. M. war und dementsprechend eine große Reichweite besaß.103 Der Sprechchor richtete sich dabei in besonderer Weise an die Arbeiterjugend.104 Wie der Titel »Kampf um die Erde« andeutet, verhandelte der Chor das in der Arbeiterbewegung verbreitete Motiv einer kapitalistisch ausgebeuteten Erde, die rechtmäßig im Besitz der Arbeiterschaft liegen müsse, wobei Auerbach Begriffe wie »Erde«, »Welt« oder »Heimat« nahezu synonym verwendete.105 Der Prolog des Stücks verortete die Handlung in einem ähnlichen Problemzusammenhang, wie er am Beispiel von Gedichten und Autobiografien herausgearbeitet worden ist: einer sich industrialisierenden und modernisierenden Gesellschaft.106 Ähnlich wie Preczangs Gedicht »Wir haben keine Heimat mehr« oder Rühles »Kultur- und Sittengeschichte des Proletariats« thematisierte er die vormodernen Bedeutungsgehalte des Heimat-Begriffs. Anders als jene nahm der Sprechchor jedoch eine Art ursprünglicher »Erdenheimat«107 an, in der bereits Ansätze eines harmonischen Zusammenlebens existiert hätten.108 Dieser Zustand sei durch »Gier« und »Macht« zerstört worden,109 weswegen die Menschen begonnen hätten, »eine Heimat jenseits dieser Welt«, im theologischen Jenseits zu suchen.110 Seitdem bestehe ein »Riß«, der die Welt in »Herrenfeste« und »Arbeitssklaven«111 trenne. Die Existenz dieser konträren Welten von kapitalistischem Bürgertum und sozialistischer Arbeiterschaft habe der Erste Weltkrieg noch verschärft. Dieser Situation sehe sich der »neue Mensch« in der Gegenwart gegenüber und müsse die Zukunft politisch für sich entscheiden: Neuer Mensch, du siehst die Wunden offen noch an deiner Erde.

103 Vgl. Auerbach. 104 Vgl. van der Will u. Burns, S. 194–195. Darüber hinaus waren Sprechchor und Massentheater in der Arbeiterjugend besonders verbreitet. Vgl. zum Massenchorwerk Hake, S. 222–237. 105 Dies knüpft an die Parallelisierung von Begriffen wie ›Natur‹, ›Boden‹, ›Welt‹, ›Erde‹ und ›Heimat‹ an, wie sie in dieser Arbeit bereits mit Blick auf die Naturfreunde beschrieben worden ist. 106 Vgl. Kapitel 2.2. 107 Auerbach, S. 4. 108 Dies erinnerte an Ideen eines ›Urkommunismus‹. 109 Auerbach, S. 4. 110 Ebd., S. 5. 111 Ebd.

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Sie zu heilen rüste dich; mach’ dich stark und rette deine Heimat, ehe sie vergiftet. Völker, schafft den Garten Erde, der zur Freude allen Menschen ward gegeben.112

Zwar sei die Erde für die »Völker« bislang noch nie ein »Paradiesgarten« gewesen. Doch dies könne erreicht werden, wenn sich die Arbeiterschaft unterschiedlicher Nationen gegen ihre »wahren Feinde« zusammenschließe und sich die »Massen« nicht mehr »von Henkersknechten« gegeneinander aufpeitschen ließen. Und ihr seht: Kein Flammendämon wehrt euch Zugang zu dem Garten – wenn ihr ihn nicht selber träumt! Vor dem Tore steht ein weiser, güt’ger Engel, – nein – kein Engel: steht dein Bruder! Ruft: ›Völker, endlich frei und einig, stark und freudig ziehet in die Heimat ein.‹113

Heimat bildete demnach einen gegenwärtig umkämpften Ort, der gleichzeitig das Potenzial besaß, zu einem säkularen »Garten Erde« – anstelle eines reli­giösen »Garten Eden« – zu werden. Dazu müsse sich die Arbeiterschaft bewusst werden, dass der nationalistische »Kampf um die Erde« ihrem Interesse zuwiderlaufe. Die mit Heimat zum Ausdruck gebrachten Zugehörigkeitsvorstellungen bewegten sich demnach zwischen der Kritik eines nationalistischen Verständnisses und der Betonung globaler zwischenmenschlicher Solidarität, mithin der Welt als Heimat. Auffällig ist dabei, dass die Darstellung auch an dieser Stelle an die vormodernen Bedeutungsgehalte anknüpfte und die ins Jenseits verschobene Hoffnung auf bessere Lebensverhältnisse in säkularisierter Form auf die Erde projizierte.

112 Ebd., S. 6–7. 113 Ebd.

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Ausgehend vom Prolog vollzog das Stück den darin beschriebenen Konflikt genauer nach und thematisierte zunächst den »Kampf« verschiedener »Völker« »um die Erde«. Dieser habe trotz der mahnenden Worte des »Chor[s] der Alten« stattgefunden, die den internationalen Charakter von Heimat betonten: Saget ihnen, Heimat wird zuerst die Erde denen, die die alten Ketten, Vorurteile von sich werfen.114

In ähnlicher Weise forderte der »Chor der Weltverbesserer« mit mahnenden Worten, dass die Heimat nicht nur den Mächtigen gehöre, sondern rechtmäßig im Besitz des ›Volkes‹ liege: Mächtige! Lasset uns vereint beraten, nur die Freude und der Friede gibt uns wahrhaft unsere Heimat. Seid uns Brüder, wie wir euch.115

Trotz der mahnenden Worte der »Alten«, »Weltverbesserer« und anderer Parteien, so suggerierte das Stück, habe der Weltkrieg, der Kampf der ›Völker‹ um die ›Heimat Welt‹, nicht verhindert werden können. Erst der sich in der Jugend manifestierende ›neue Mensch‹ könne dem ein Ende bereiten. So proklamierte der »Chor der Jungen« abschließend: Schaffen wir der alten Erde kräftig schlagend neues Herz.116

Noch sei die »Erde ein Gefängnis«, doch die Jugend stehe bereit »zu dem großen Zukunftswerke«. Diesen Anspruch brachte auch die Gestaltung des Endes des Sprechchors zum Ausdruck: Der »Chor der Jungen« stimmte Schillers »Lied an die Freude« an, in das nach und nach alle einstimmten.117 Wie der Sprechchor in Aussicht stellte, würde eine solche veränderte Herangehensweise an die Welt diese erst zu einer Heimat für die Menschen machen und auf diese Weise die Bedeutung des Heimat-Begriffs selbst verändern, diesen seiner begrenzten, nationalen Konnotationen entledigen und der zwischenmenschlichen Solidarität zur Verwirklichung verhelfen. Der Sprechchor verhandelte zahlreiche zentrale Themen des sozialistischen Heimat-Diskurses, wozu die kapitalistische Zerstörung der Erde und der Erste Weltkrieg gehörten. Dabei war die dezidiert antimilitaristische Haltung von 114 Ebd., S. 9. 115 Ebd., S. 10. 116 Ebd., S. 28. 117 Ebd., S. 29. Vgl. zur Schiller-Begeisterung in der sozialistischen Arbeiterbewegung Beneš, S. 151–158; Schmidt, Begrenzte Spielräume, S. 353–355.

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Auer­bachs Stück in der Arbeiterjugend weit verbreitet.118 Mit Blick auf die Zugehörigkeitsvorstellungen bildete Heimat an dieser Stelle ein Synonym für sichere und solidarische zwischenmenschliche Beziehungen, die zukünftig erst vollends zu verwirklichen seien und ihren Ausdruck auch in einem veränderten Umgang mit der Erde finden sollten.119 Ein ähnliches Verständnis kennzeichnete u. a. auch Max Barthels Gedicht »Schlag zu, o Hammer!«, das bspw. im Rahmen von Jugendweihen proklamierte, dass erst die »erlöste Erde« tatsächlich »heimatlich« wäre.120 Sowohl die sich erinnernden Sozialdemokraten als auch die Arbeiterjugend nutzten Heimat als Metapher für solidarische Beziehungen in der Arbeiterbewegung. Während Erstere die erfahrene Solidarität in der Vergangenheit ins Zentrum stellten, richtete Letztere ihren Blick in die Zukunft. Letztlich offenbarten diese unterschiedlichen Vorstellungen einen Generationenkonflikt, der sich auch in anderen Zusammenhängen nachweisen lässt: Die Jugend wollte sich nicht auf die bloße Fortsetzung des von der alten Parteigarde eingeschlagenen Weges verpflichten lassen.121 Während die Frage von Zugehörigkeit für die ältere Generation weitgehend geklärt schien, kein oder kaum Widerspruch zwischen der Zugehörigkeit zur Arbeiterbewegung und zu lokalen und regionalen Räumen bestand, war sie für die Arbeiterjugend weiterhin prekär bzw. klärungsbedürftig. 3.2.1.2 Die Kritik exklusiver Heimat-Vorstellungen Ex negativo lässt sich die mit Heimat verknüpfte Vorstellung einer solidarischen ›Gemeinschaft‹, die sichere Lebensverhältnisse garantieren könne, ebenfalls an der Kritik des exklusiven Charakters bürgerlich dominierter Heimat-Räume erkennen. So bildete das Gefühl der ›Heimatlosigkeit‹ in der kapitalistischen Gesellschaft eine Konstante des sozialistischen Diskurses. Die Kritik der kapitalis­ tischen Ausbeutungs- und bürgerlichen Exklusionspraxis, die den Ausschluss des vormodernen Heimatrechts fortsetze, äußerte sich auf unterschiedliche Weise. Bemerkenswerterweise gehörte dazu auch der Rekurs auf die oftmals antisemitisch konnotierte mythische Figur des ›heimatlosen und zu ewiger Wanderschaft verdammten Juden Ahasver‹.122 So verglichen einige Sozialdemokraten die Situation der Arbeiterschaft mit ›Ahasver‹, um die prekäre Situation der heimatlosen Arbeiterinnen und Arbeiter zu beschreiben. Dieses Bild bemühte bspw. Hahnewald, der in seinem 1919 veröffentlichen Buch »Sommertage« einen Vagabunden

118 Vgl. Walter, »Republik, das ist nicht viel«. 119 Dies schloss an das Argument an, es sei die Arbeiterbewegung, die der kapitalistisch geschundenen Natur erst zu ihrem Recht verhelfe. Vgl. Renner. 120 Max Barthel, Schlag zu, o Hammer!, in: Allgemeines Arbeiter-Bildungsinstitut für Leipzig, Der Weg wird frei!, S. 44–45. 121 Vgl. Walter, »Republik, das ist nicht viel«. 122 Vgl. zur Auseinandersetzung mit ›Ahasver‹ im Kontext des Heimat-Diskurses in unterschiedlichen politischen Milieus Oesterhelt, S. 291–307; zur Kritik der antisemitischen Implikationen Mayer, S. 313–315.

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als »­Ahasver der Armut. Freundlich und gütig wie Luka in Gorkis Nachtasyl«123 beschrieb. In ähnlicher Weise charakterisierte Rühle die Situation der durch die Industrialisierung heimatlos Gewordenen. Durch die Industrialisierung sei die Seßhaftigkeit der Bevölkerung im Laufe der Jahre ungeheuer zurückgegangen […]. Ein großer Teil des Volkes ist wurzellocker, schollenlos, unstet geworden und befindet sich ewig auf Wanderschaft. Der Riese Proletariat hat sich Züge von A ­ hasver geliehen.124

Angesichts des antisemitischen Hintergrunds des Mythos stellt sich die Frage, welche Bedeutung ihm in der Arbeiterbewegung zukam.125 In beiden Fällen diente der Rekurs auf ›Ahasver‹ der Kenntlichmachung gesellschaftlich hervorgebrachter – und nicht, wie im Falle des Antisemitismus, vermeintlich essenziell jüdischer – ›Heimatlosigkeit‹. Während Hahnewalds Verwendung einen literarischen Charakter beschrieb, charakterisierte Rühles Rekurs die kollektive Lebenssituation der Arbeiterschaft. Insbesondere bei Rühles Verwendung fällt dabei auf, dass mit ihr eine Aufwertung der ›Heimatlosigkeit‹ einherging. In seinem Verständnis bildete die kollektive Exklusionserfahrung des Proletariats eine Voraussetzung der noch zu machenden Revolution.126 Auch reformorientierte Sozialdemokraten warfen der bürgerlichen Seite die Usurpation der Heimat vor, allerdings in einem veränderten Sinne. Sie kritisierten die bürgerliche Besetzung der demokratisierten regionalen oder nationalen Heimat. Bspw. beklagte sich die FVZ darüber, trotz des eigenen Engagements u. a. im Heimatmuseum von bürgerlichen Heimatforschern ausgeschlossen zu werden.127 Auch in der Pfalz kritisierten Sozialdemokraten den bürgerlichen Standesdünkel und Egoismus. So argumentierten die regionalen Naturfreunde, die bürgerliche Wanderbewegung versuche ihre alten Vorrechte durch eine Aufkündigung des gegenseitigen Beherbergungsgebots zu verteidigen.128 In ähnlicher Weise beklagte eine sächsische Naturfreundin im überregionalen »Wanderer« 1931 die weiterhin existierenden Grenzen und Schranken, die auf die fortbestehende kapitalistische Produktionsweise und das Eigentum einiger weniger an Heimat und Natur zurückzuführen seien. Daher seien Arbeiter »Lohnsklaven, Besitzlose, die sich von ihrer Hände Arbeit ernähren, und Vaterland ist eine liebevollere Bezeichnung für das Reich oder den Staat, in dem man das Glück oder Unglück hatte, in die Welt gesetzt zu werden.« Obgleich die Arbeiterschaft den bürger­lichen Vorwurf mangelnden Nationalgefühls durch ihre Opfer während des Krieges entkräftet hätte, eigne sich das »Vaterland« weiterhin nicht, »dem Proletarier Liebe 123 Hahnewald, Sommertage, S. 18, zitiert nach: Steinberg, »Karl Herschowitz kehrt heim«, S. 69. Steinberg selbst problematisiert Hahnewalds Vergleich nicht. 124 Rühle, Kind und Umwelt, S. 26. 125 In Kapitel 3.2.4 wird auf diese Frage mit Blick auf den jüdischen Sozialisten Ernst Toller zurückgekommen. 126 Vgl. Rühle, Kind und Umwelt, S. 31. 127 Vgl. N. N., Heimatschutz und Arbeiterschaft, S. 5. 128 Vgl. A. G. George, S. 1.

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einzuflößen.« Vor diesem Hintergrund kritisierte der Text den Ausschluss der Arbeiterschaft: Ein großer, dicker Strich schlingt sich um das Gebiet, das Deutschland heißt. Nun darf man aber nicht glauben, daß es mit diesem Strich abgetan ist, hauptsächlich für den Proletarier bestehen noch innerhalb seines Vaterlands so viele Grenzen, daß es ihm gar nicht so groß uns liebenswert erscheint.129

Diesbezüglich stellte der Text dem bürgerlich-kapitalistischen ein sozialdemokratisches Heimat- und Vaterlands-Verständnis gegenüber: Die natürlichen Grenzen, als da sind Flüsse, Gebirge, Meere, große Entfernungen, beherrscht der Mensch mit Hilfe der Technik, während er aus Eigennutz, Klassen- oder Rassenhaß gar nicht Lust hat, die selbsterrichteten Grenzen zu lockern. Darum muß jeder proletarische Naturfreund auch ein sozialistischer Klassenkämpfer sein, denn der Sozialismus beseitigt die unnatürlichen Grenzen und erzieht im Menschen das Verantwortungsgefühl, das Gemeingut, den Gemeinbesitz auch ohne Grenzpfähle, Verbotsschilder und Stacheldraht zu pflegen und zu achten.130

Der Text lehnte Vorstellungen von ›Vaterland‹, ›Nation‹, ›Gemeinschaft‹ und ›Heimat‹ dabei nicht grundsätzlich ab, sondern nur die kapitalistische Spaltung derselben. Während der Anfang des ersten Zitats eine nur zufällige Beziehung der Arbeiterschaft zum Geburtsort nahelegte, zeigt die Fortsetzung, dass die Naturfreundin nur die »unnatürlichen Grenzen«, d. h. Eigentumsgrenzen kritisierte, während sie neben den »natürlichen Grenzen« wie Meeren, auch die nationalen Grenzen naturalisierte und unangetastet ließ. Aus dem Zitat sprach keine generelle Kritik der Nation, nur war die Frage der proletarischen Zugehörigkeit aus Sicht der Naturfreundin auch 1931 noch nicht abschließend geklärt. Trotz der zu Beginn der Weimarer Republik ausgegebenen Versprechen, die Republik könne als Heimat des gesamten ›Volks‹ dienen, war dieser Zustand aus ihrer Sicht nicht eingetreten.131 Der Text verdeutlicht demnach den sozialdemokratischen Anspruch, Teil der nationalen Heimat zu werden, die unsichtbaren Grenzen innerhalb des umgrenzten Vaterlands zu überwinden und Letzteres so zu einer nicht gespaltenen ›Einheit‹ werden zu lassen. Anders als Rühle beantwortete ein Teil der Arbeiterbewegung die empfundene ›Heimatlosigkeit‹ demnach nicht mit einer Aufwertung des Internationalismus, sondern mit dem Versuch von deren Überwindung in einer nationalen ›Gemeinschaft‹.

129 Weiher, S. 170. 130 Ebd., S. 171. 131 Dieses Problem entwickelte sich generell zur politischen Hypothek der SPD. Vgl. Winkler.

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3.2.2 Heimat als klassenübergreifende Zugehörigkeit zur demokratisierten Nation und Region 3.2.2.1 Die Republik als (politische) Heimat Im Verständnis der reformorientierten SPD bildete die Weimarer Republik nach der Demokratisierung von Region und Nation eine Heimat für das gesamte ›Volk‹, mithin auch für die Arbeiterschaft, deren vormalige ›Heimatlosigkeit‹ in ihrer schärfsten Form sie zu beenden fähig sei. Wie im Prologkapitel und in Kapitel  1.1 gezeigt werden konnte, hatten der Rat der Volksbeauftragten und Ebert bereits kurz nach der Novemberrevolution ein solches Heimat-Verständnis lanciert, welches wiederum von der SPD im lokalen und regionalen Raum aufgegriffen wurde. Ihre Verwendung des Heimat-Begriffs zielte u. a. darauf, das republikanische Zukunftsversprechen greifbar werden zu lassen und ein Verständnis demokratischer Zugehörigkeit hervorzubringen. Bereits in diesem Zusammenhang hatte der Rekurs auf Heimat ein Doppeltes bedeutet, sowohl die politisch-soziale Verfasstheit der Republik als auch ihre territoriale Gestalt bezeichnet. Die Vorstellung von der Weimarer Republik als Heimat bewegte sich demnach an der Schnittstelle zwischen politisch-sozialen und nationalen Zugehörigkeitsvorstellungen.132 Das Changieren zwischen spezifisch sozialistischen und milieuübergreifenden Zugehörigkeitsverständnissen war kein Proprium des Heimat-Diskurse, sondern kennzeichnete u. a. auch die sozialdemokratischen Debatten um ›Volk‹ oder ›Volksgemeinschaft‹. Mit dem Heimat-Begriff erhielt die Frage politischer Zugehörigkeit angesichts dessen vormoderner Bedeutungsgehalte jedoch eine weniger theoretische denn emotionale Komponente, die auf sichere, vertraute und vor allem unhinterfragte Zugehörigkeit abzielte. In der sozialdemokratischen Einschätzung hatte die republikanische Form des Staates auch den Inhalt von Nation und Heimat verändert, der SPD mithin eine neue politische Rolle zugewiesen. Zwar habe seit jeher eine besondere Beziehung zwischen Heimat und Arbeiterschaft bestanden. Diese sei jedoch durch die Entstehung des Kapitalismus gekappt worden, erst die Revolution und Demokratisierung habe Arbeiter und Heimat zu ihrem ursprünglichen Recht kommen lassen.133 Die Nation sei bislang vom Bürgertum usurpiert worden, was zur Exklusion der Arbeiterschaft geführt habe; nach ihrer Demokratisierung könne sie auch für diese zugehörigkeitsstiftend wirken.134 Damit veränderte sich auch die Auffassung der national bestimmten Heimat, die nunmehr im ›Besitz‹ des ›Volks‹ liege und inklusiv sei. Das skizzierte – von Beginn der Weimarer Republik an gegebene – Spannungsfeld prägte die über den 132 An dieser Stelle werden die bereits erzielten Ergebnisse zu Republik, Heimat und Zugehörigkeit in aller Kürze rekapituliert. Vgl. zu einer genaueren Bestimmung Prologkapitel und Kapitel 1.1. 133 Vgl. zu diesem Argument Renner, S. 3–4; Siebert, Volkskunde, S. 2–3; Reumuth, S. 83–84. 134 Vgl. zum sozialdemokratischen Nationenverständnis Berger, British and German Socialists; Voigt u. Sünker; Groh u. Brandt; Beneš.

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Heimat-Begriff verhandelten Zugehörigkeitsvorstellungen und den sozialdemokratischen Heimat-Diskurs die Weimarer Republik hindurch. Auch im lokalen und regionalen Raum stellte es einen zentralen Bezugspunkt dar. 3.2.2.2 Die Zugehörigkeit zu Landschaft, Stadt oder Region als Heimat Das sozialdemokratische Verständnis der Republik als politischer Heimat meinte zwar insbesondere das Versprechen politischer und ökonomischer Inklusion bzw. Integration. Dennoch tendierte ein solchermaßen national spezifiziertes Heimat-Verständnis dazu, gesellschaftliche Verhältnisse und die mit ihnen verbundenen Zugehörigkeitsvorstellungen zu naturalisieren. Selbst ein Autor wie Kurt Tucholsky stellte in dem gemeinsam mit John Heartfield erstellten und satirisch betitelten Buch »Deutschland, Deutschland über alles« fest: »wenn da einer seine Heimat hat, dann hört er dort ihr Herz klopfen.«135 Es gebe »ein Gefühl jenseits aller Politik, und aus diesem Gefühl heraus lieben wir dieses Land.«136 Gleichzeitig grenzte er sein Verständnis von demjenigen »bürgerlich-militaristisch[er]«137 Gruppierungen ab: »Im Patriotismus lassen wir uns von jedem übertreffen – wir fühlen international. In der Heimatliebe von niemand – nicht einmal von jenen, auf deren Namen das Land grundbuchlich eingetragen ist. Unser ist es.« Damit aktualisierte er einerseits ein verbreitetes sozialistisches Argument. Andererseits betonte er in diesem Zusammenhang, dass in »allen Gegensätzen«, die die deutsche Gesellschaft in der Gegenwart auszeichne, »die stille Liebe zu unserer Heimat« stehe.138 Tucholsky war weit davon entfernt, die lokale, regionale oder nationale Heimat anderen Heimaten gegenüber als überlegen zu betrachten. Dennoch zeigte sich auch in seinem Heimat-Verständnis die Vorstellung einer natürlichen Verbundenheit zur Heimat, die verschiedene Milieus eine. Das Spannungsfeld zwischen einer besonderen ›Heimatverbundenheit‹ der Arbeiterschaft und einer tendenziell unpolitischen heimatlichen Landschaft wird im Folgenden anhand zentraler regionaler Beispielfälle weiter umrissen. In der Weimarer Republik wurde der demokratisierte regionale Raum in der Regel von reformorientierten Sozialdemokraten, die weniger radikal als Tucholsky waren, als Heimat konzeptualisiert und beschrieben. Angesichts der größeren sozialdemokratischen Gestaltungsmacht, u. a. in der Kommunalpolitik, lag ein lokales und regionales Zugehörigkeitsgefühl der SPD prinzipiell nicht fern. Doch die Identifikation mit lokalen und regionalen Heimat-Räumen reichte über ein rein poli­tisches Verständnis hinaus. So bezeichneten sowohl pfälzische als auch sächsische Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten die Pfalz oder Sachsen ähnlich wie das bürgerliche Milieu wie selbstverständlich als ›engere Heimat‹ oder sogar als ›Heimatscholle‹, problematisierten oder hinterfragten eine solche Bezeich135 Tucholsky, Deutschland, Deutschland, S. 226. Vgl. zudem die Wiederauflage von ders., Deutsch­land. 136 Tucholsky, Deutschland, Deutschland, S, 227. 137 Ebd. S. 230. 138 Ebd., S. 231.

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nung hingegen nur selten. Wie an verschiedenen Stellen der Arbeit gezeigt, galt ihnen dies nicht als Widerspruch zu ihrem sozialistischen Zugehörigkeitsgefühl. Der Rekurs auf die ›engere Heimat‹ implizierte dabei oftmals ein sozialdemokra­ tisches Bedürfnis nach unhinterfragter Zugehörigkeit zu den regionalen Heimat-­ Räumen, die im Kaiserreich gerade nicht selbstverständlich gewesen war. Da die sozialdemokratische Zugehörigkeit zur ›engeren Heimat‹ nur selten explizit problematisiert wurde, muss ihre Spezifik aus der Beschreibung der Heimat-Räume destilliert werden. Dazu eignet sich u. a. ein genauerer Blick auf die Sprache. In der Parteipresse äußerte sich die Betonung der eigenen Zugehörigkeit zur regionalen Heimat bspw. darin, dass sie in Mundart verfasste Lieder und Texte abdruckte. Zu nennen sind in diesem Zusammenhang Gedichte aus der Heimatbeilage »Bei uns daheim«.139 Auch die Naturfreundezeitschrift »Berg frei« druckte 1922 das Gedicht »Hämetlieb« ab, in dem es hieß: A jeder hat sei Hämet geern, Sie is sei Fundament, Sie bleibt sei Halt, sei guder Keern Bis an sei selig Grab –

Dabei setzte »Berg frei« die pfälzische Zugehörigkeit zwar voraus, dachte sie aber nicht exklusiv: Die Pfälzer Heimat wurde anderen Heimaten des »Bayer, Preuß, Schwab, Waterkant, Rheinpfalz, Alpenland, Stadt und Dorf« gleichberechtigt an die Seite gestellt und umfasste den ländlichen ebenso wie den städtischen Raum. Gleichzeitig wurde der Heimat eine enorme Prägekraft zugesprochen: Un vorad in de Hämetsproch Leiht wunner-herztraut Glück, Sie geht uns’s ganze Lewe nooch is pur von uns e Stück.140

Milieuübergreifend verbreitete Gedichte wie das zitierte beinhalteten keine gesellschaftskritischen oder sozialistischen Theoreme, sondern lancierten eine demokratisierte und klassenübergreifende Heimat-Zugehörigkeit, die sich in der Wendung »A jeder« ausdrückte.141 Auch Naturfreundeliederbücher druckten in Mundart verfasste Lieder ab. Bei vielen dieser Lieder handelte es sich um Volkslieder, was die Schnittmengen zwischen den Zugehörigkeitsvorstellungen unterschiedlicher Milieus unterstreicht.142 Mitunter wurden Volkslieder jedoch ebenfalls mit neuen sozialistischen Texten versehen oder proletarisch anmutende Heimatlieder, etwa das »Barmer Heimatlied«, verfasst, die auf die besondere Bedeutung der Arbeit abhoben. So hieß es in dem Lied: 139 Vgl. Kapitel 2.3.1. 140 N. N., Hämetlieb, S. 3. 141 Ebd. 142 Vgl. beispielhaft Touristenverein Die Naturfreunde, Gau Schwaben.

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Du trägst en eenfach Arbeedskleed, dinne Stadt es Arbeed fröh un spat, dinne Täler sinn grön, dinne Berge sinn schöan, dinne Loft is so sööt, wenn die Nägelches blöhn. […] Wo Fabriken aller Wege stonn, un Band, un Riem’, Getauen gonn. Wo et klippt un et klappt, un et rutscht on et sengt.

Im Verständnis des Lieds zeichnete sich der regionale Heimat-Raum wesentlich durch die vor Ort geleistete Arbeit aus. Trotz des industriellen Charakters beschrieb der Refrain Barmen als »Perl an dem Wopperstrang« und »schöanste de Städt’ van dem Bergischen Lang.«143 Über das Schreiben in Mundart wurde die Zugehörigkeit zur ›engeren Heimat‹ ausgedrückt und dem Dialekt gleichzeitig ein proletarischer Charakter zugewiesen, wodurch der Anspruch der Arbeiterschaft auf die regionalen Heimat-Räume unterstrichen wurde. Auch in Festansprachen oder der Auseinandersetzung mit der Geschichte der lokalen und regionalen Arbeiterbewegung äußerte sich der Anspruch auf Zugehörigkeit zur ›engeren Heimat‹. So betonte die pfälzische Parteipresse in Artikeln zu Sozialdemokraten der ersten Stunde deren besondere Verbindung zum regionalen Heimat-Raum.144 Auch wenn es sich bei der pfälzischen SPD um einen besonders heimataffinen SPD-Bezirk handelte, war dies kein Einzelfall. Bei der Analyse von Preczangs »Rückblick« wurde darauf hingewiesen, dass in der Rezeption seine Heimat-Verbundenheit herausgestellt wurde.145 Ähnliches lässt sich auch in der Auseinandersetzung der Barmener SPD mit Friedrich Engels feststellen, die seine Herkunft aus der Stadt hervorhob. In Barmen sollte 1924 nicht nur ein Engels-Zimmer im örtlichen Heimatmuseum eingerichtet werden.146 Vielmehr wurde Engels auch in anderen parteipolitischen Zusammenhängen als Kind seiner Heimat bezeichnet. So verlautbarte ein Artikel anlässlich des 100. Geburtstags von Engels 1920 in der SPD-Zeitung »Barmener Freie Presse« unter dem Titel »Persönliches von Friedrich Engels. (Ein unbekannter Brief Friedrich Engels.)«: Wir haben wohl kaum einen Brief von Engels, der so lebensfrisch geschrieben ist. Der Greis malt seinen Heimatflecken und man sieht förmlich das Patrizierhaus in der Nähe des Bahnhofs in Barmen, bergische Art mit Schieferschindeln und grünen Fensterläden. Wer die Heimat liebte wie er, kann sich nur im späten Alter so lebhaft noch an Drütschken und Mineken erinnern.147

Engels Verbundenheit mit seinem Herkunftsort ließ sich laut Artikel daraus schließen, dass »der Schluß des Briefes im rheinischen Dialekt« verfasst war. »Das beweist, daß Engels neben den fremden Sprachen, die ihm geläufig waren, die heimatliche Mundart bis ins hohe Alter beherrschte.«148 Diese Interpretation sagte 143 Alle Zitate aus TVdN, Naturfreunde Singen, S. 35. Zu einer genaueren Analyse der Praxis, neue sozialistische Texte für Volkslieder zu erstellen, vgl. Kapitel 3.3.1. 144 Vgl. Klingel, Erinnerungen; Profit, Franz Josef Ehrhart. 145 Vgl. Kapitel 2.2.2. 146 Vgl. Kapitel 1.3.1. 147 N. N., Persönliches von Friedrich Engels, S. 3. 148 Ebd.

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weniger über Engels aus als vielmehr über die zunehmende Bedeutung, die die SPD der Auseinandersetzung mit Heimat zumaß. Folglich betrachtete sie zahlreiche Gegenstände nunmehr unter einer veränderten Heimat-Perspektive. Der Bedeutungszuwachs des Rekurses auf die ›engere Heimat‹ zeigte sich demnach auch in der lokalen und regionalen SPD-Geschichtsschreibung. Gleichzeitig stand er in gewissem Widerspruch zu derjenigen sozialdemokratischen Geschichtsschreibung, die, wie im Fall der Biografie über Luxemburg, die Zugehörigkeit zur ›Heimat Arbeiterbewegung‹ als ›Heimat der Heimatlosen‹ betonte.149 3.2.3 Heimat als Ausdruck naturalisierter und exklusiver Vorstellungen von Zugehörigkeit 3.2.3.1 Die Existenz einer ›Heimatscholle‹ Abschließend steht der sozialdemokratische Rekurs auf Heimat im Zentrum, der mit naturalisierten, oftmals exklusiven Vorstellungen von Zugehörigkeit verbunden war, mitunter sogar Überschneidungen mit völkischen Heimat-Vorstellungen aufwies. Eine solche Naturalisierung bestimmte die Vorstellung, es existiere eine ›Heimatscholle‹ oder ›Schollenanbindung‹, was der radikalste Ausdruck einer unhinterfragt bleibenden Zugehörigkeit zur ›engeren Heimat‹ war. Der Gewerbeoberlehrer Karl Söhnel etwa nahm trotz der Befürwortung historischen Wandels, etwa sozialpolitischer Errungenschaften, die Existenz einer ›Heimatscholle‹ an, die er Freital gleichsam naturalisiert zugrunde legte. In seinen Stadt- und Landschaftsbeschreibungen betrachtete er neu gebaute Fabrikgebäude als »Eckpfeiler der neuen Zeit« und schrieb gleichzeitig: Nicht bodenfremd und traditionslos hebt sich dieses gewaltige Lagerhaus über das von den Vätern Ererbte hinweg, sondern man ist überrascht von seiner eigenartigen Schönheit, aus der eine im Boden der Scholle wurzelnde Heimatkunst spricht.150

Trotz der Historisierung des Stadtraums rekurrierte Söhnel wie selbstverständlich auf eine mystifizierte ›Heimatscholle‹. Mystifiziert war diese insofern, als es sich bei ihr um eine ontologische Setzung handeln musste; denn worin bzw. woraus sollte die ›Heimatscholle‹ bestehen, wenn gerade auf die Wandelbarkeit der Landschaft und der mit ihr verbundenen Zugehörigkeiten abgehoben wurde. Für Söhnel bestand das Wesen der »Scholle« in einer Art Arbeitsmetaphysik: Es war Arbeit, die das Landschaftsgebiet um Freital in den letzten Jahrhunderten geprägt und verändert hatte, und es war Arbeit, die dies weiterhin verantwortete.151 In ähnlicher Weise argumentierte auch der rechte SPD-Kommunalpolitiker Ernst 149 Vgl. Hochdorf, S. 42. 150 Söhnel, Tal der Arbeit, S. 198. Mit diesem Argument positionierte Söhnel sich zudem in der entsprechenden Auseinandersetzung in der Heimatbewegung. 151 Es ist bemerkenswert, dass Söhnel die wirtschaftliche Entwicklung Freitals dabei auch positiv an die Kriegsindustrie im Ersten Weltkrieg zurückband. Vgl. ebd., S. 198–199.

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Völkel, die Stadtgründung habe eine bereits zuvor offensichtliche Entwicklung auf ›natürliche‹ Weise abgeschlossen, ihr gleichsam die entsprechende Form gegeben.152 Daraus folgte, dass politisch-lokale Zugehörigkeit über die Bearbeitung der ›Heimatscholle‹ und gerade nicht über das sozialistische Ideal einer solidarischen Heimat begründet wurde. Auch Teile des TVdN gingen von einer ›natürlichen‹ Beziehung, wenn auch nicht immer zur ›Heimatscholle‹, so zumindest zur ›Heimaterde‹, aus. Letztere wurde oftmals mit Geschlechterstereotypen einer versorgenden Mütterlichkeit verbunden und beinhaltete so eine weitere Form der Naturalisierung.153 Demgemäß stellte sich bspw. der Berliner Naturfreund Otto Gebauer die Frage, aus welchen Gründen viele Arbeiter ihre »Heimaterde« trotz prekärer materieller Verhältnisse nicht verließen, und antwortete darauf: »Es sei so, als ob Ernst Moritz Arndt unbedingt recht haben müßte, wenn er kategorisch versichert: ›Und seien es kahle Felsen und öde Inseln und wohnte Arbeit und Mühe dort mit dir, du mußt das Land ewig lieb haben‹«.154 Auffällig ist, dass Gebauer an dieser Stelle den Nationalisten Arndt als Kronzeugen des ›Heimatgefühls‹ der Arbeiterschaft, ihrer besonderen ›Heimatverbundenheit‹ und ›Schollenverwurzelung‹ anführte. Darin wird – im Vergleich zum Kaiserreich – eine Veränderung sichtbar, da sich die Arbeiterbewegung zu dieser Zeit noch dafür aussprach, den prekären Lebensverhältnissen durch die Suche nach einer ›neuen, zweiten oder besseren Heimat‹ zu entfliehen. Und noch in einer anderen Hinsicht kann Gebauers Zitat eine Ver änderung veranschaulichen: 1909 kritisierte Hahnewald, dass die Arbeiterschaft durch den »Beruf, die Sorge ums tägliche Brot […] an die Scholle« gefesselt sei.155 Demgegenüber wandte sich Gebauer gegen das Verlassen der Herkunfts-Heimat, bejahte mithin die Fesseln der Herkunft, worin sich die Sehnsucht nach ›Sesshaftigkeit‹ und ein potenziell völkisches Moment andeutete. 3.2.3.2 Leo Löwenthals Hamsun-Interpretation Trotz des Bezugs auf die ›Heimatscholle‹ ist davon auszugehen, dass der Internationalismus explizite Bekenntnisse zu exkludierenden oder gar völkischen Heimat-Konzepten oftmals verhinderte.156 Daher kann sich die Arbeit nicht darauf beschränken, explizit gemachte sozialdemokratische Zugehörigkeitsvorstellungen zu untersuchen. Stattdessen wird zusätzlich ein indirektes Analysevorgehen

152 Vgl. Völkel, S. 42. 153 Vgl. dazu Kapitel 1.2.1 und 3.1.5. 154 Gebauer, S. 89. 155 Hahnewald, Vom Wandern, S. 76. 156 Die von sozialdemokratischer Seite explizit geäußerten exklusiven oder völkischen HeimatKonzepte bleiben an dieser Stelle ausgeklammert, da sie als bekannt vorauszusetzen sind. Vgl. als besonders zentrales Beispiel August Winnig, der zum intellektuellen Umfeld der Lensch-Cunow-Haenisch-Gruppe gehörte. Vgl. Winnig, Frührot; ders., Vom Proletariat zum Arbeitertum. Vgl. zur Bedeutung des Ersten Weltkriegs und der Idee eines »Kriegssozialismus« Vogt, S. 39–50.

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gewählt, werden all diejenigen impliziten Gemeinschafts- und Zugehörigkeitsvorstellungen analysiert, die sich gleichsam über Umwege, aus den mit Heimat verknüpften Raum- und Zeitbezügen herleiten lassen. Dazu wird auf Leo Löwenthals ideologiekritische Überlegungen zurückgegriffen, die dieser in der 1937 erstmals publizierten Auseinandersetzung mit dem literarischen Werk des norwegischen Schriftstellers Knut Hamsun ausführte. Dabei ging es Löwenthal um die regressiven Potenziale in Hamsuns Romanen, die in der Weimarer Republik auch von sozialdemokratischer Seite Zustimmung erfuhren.157 Löwenthal argumentierte, dass Hamsuns Werk von unreflektiert bleibenden Denkmustern gekennzeichnet sei, die sich teilweise mit denen völkischer Kreise überschnitten. Hamsuns vermeintliche Sozialkritik affirmiere in Wirklichkeit die bestehenden Herrschaftsverhältnisse und die damit verbundenen Zugehörigkeitskonzepte. Sein Werk stelle die gewaltförmigen Funktionsprinzipien der kapitalistischen Gesellschaft nicht infrage und besitze Ähnlichkeiten mit der faschistischen Gesellschaftsordnung. Dies verdeutlichte Löwenthal an mehreren Punkten: Er wies erstens auf Hamsuns Naturverklärung hin, die sich nicht nur gegen die Großstadt und die menschliche Zivilisation richte. Zudem herrsche in Hamsuns Landschaftsbeschreibungen Stereotypie; es gehe ihm nicht um die Repräsentation der jeweiligen landschaftlichen Besonderheiten, sondern einer naturalisierten, gleichsam ewigen Gesellschaftsordnung.158 Zweitens bezog sich Löwenthal auf die in Hamsuns Büchern wiederkehrenden Charaktere, bei denen es sich insbesondere um Bauern handele, die keine Individuen, sondern bloße Typen darstellten. Ihre Arbeit auf dem Land werde in Gegensatz zu der Industriearbeit in den Städten gestellt und verklärt.159 Drittens impliziere Hamsuns Werk die Unterwerfung der Menschen unter den Rhythmus der Natur, deren gewaltförmige Seite er affirmiere. Durch die Betonung der ewig gleichförmigen Wiederkehr der natürlichen Jahreszeiten werde die unbezwingbare Macht der Natur über die Gesellschaft unterstrichen, Letztere selbst als unhintergehbarer Herrschaftszusammenhang naturalisiert und so jeglicher Veränderungsmöglichkeit enthoben. Damit richte sich Hamsun gegen die Vorstellung einer vom (gesellschaftlichen) Naturzwang befreiten Gattung Mensch. Das Werk enthalte zwar eine Kritik an den modernen Lebensverhältnissen, schlage jedoch gleichzeitig in Affirmation um, da es die gesellschaftliche Gewaltförmigkeit und den Entbehrungsreichtum nunmehr in die Natur rückprojiziere.160 Bemerkenswerterweise verknüpfte Löwenthal sein Argument mit unterschiedlichen Heimat-Vorstellungen, die er in diesem Zusammenhang für repräsentativ hielt. So relationierte er Hamsuns Kritik der negativen Folgen der kapitalistischen 157 Vgl. erstmals Löwenthal, Knut Hamsun; sowie den Teil »Knut Hamsun«, nach dem zitiert wird, in ders., Das bürgerliche Bewußtsein, S. 245–297. 158 Vgl. ebd., bes. S. 256–262. Hierin ähnelten die Landschaftsbeschreibungen der bürgerlichen Heimat-­Ikonographie. Vgl. dazu Kapitel 1.2.2. 159 Vgl. ebd., bes. S. 273–274. 160 Vgl. ebd., bes. S. 265–267.

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Moderne mit der zeitgenössisch verbreiteten Sehnsucht nach sicheren Lebensverhältnissen, die mittels des Heimat-Begriffs zum Ausdruck gebracht wurden: Die negativen Momente der bürgerlichen Gesellschaft, von denen Hamsun ausgeht: die Trennung von Stadt und Land, der kapitalistische Betrieb, das quere Verhältnis der Menschen zur Natur, umreißen in der Tat eine Welt, aus der zu entfliehen die allgemeine Sehnsucht ist. Sie beflügeln eine Phantasie, die darauf gerichtet ist, daß die Erde wirklich die Heimat der Menschen werde.161

Davon ausgehend unterschied Löwenthal im nächsten Schritt die divergierenden Heimat-Verständnisse der »proletarischen Schichten« und des »Kleinbürgertums«: »In proletarischen Schichten pflegt das Bild von der irdischen Heimat nicht von den unmittelbaren naturalen Momenten bestimmt zu werden; sie wollen nicht das zurückgebliebene Dasein von Bauern führen.« Dagegen tendierten die »kleinbürgerlichen Schichten, einschließlich der weitesten Kreise der Intelligenz, […] dazu, das naive Symbol des naturgebundenen Lebens und der naturgebundenen Produktivität der Arbeit als Wunschtraum zu kultivieren.« Hamsuns Werk bestätige ihren Irrationalismus »einer ›natürlichen Gesellschaft‹«.162 Sein kleinbürgerliches Heimat-Verständnis transportiere die Sehnsucht nach einer vermeintlich idyllischen, bäuerlichen Ordnung der Vergangenheit. Mit Bezug auf die Verklärung des Bauern und dessen vermeintlich natürlicher Arbeits- und Lebensweise führte Löwenthal weiter aus: Der Wunsch, daß die Erde die menschliche Heimat werden möge, schlägt in eine servile Gesinnung zurück, nach der er bereits als verwirklicht erscheint und es nur der inneren Disziplin bedarf, um dessen gewahr zu werden. Das Vorbild solcher Disziplin ist der Bauer. Das politische Schlagwort von der Wurzelhaftigkeit, welche das Leben in der Heimat darstellt, die Verwendung dieser Parole als ein Zuchtmittel der Entbehrung ist kein zufälliges Produkt der autoritären Staaten, sondern bereits frühzeitig in den anti-liberalistischen Bewußtseinsformen, wie sie Hamsun repräsentiert, angelegt.163

Löwenthal kritisierte die auch innerhalb der SPD verbreitete Sehnsucht nach einer idyllischen Heimat, die mit dem Pochen auf »Wurzelhaftigkeit« und harte Arbeit einhergehe, demnach scharf. Sie diene dazu, trotz der prekären Gegenwart die Existenz einer bereits bestehenden Heimat annehmen zu können. Die Vorstellung, der Mensch sei mit der Scholle verwurzelt, gehe mit einer Aversion gegen all diejenigen einher, die sich von der Heimat lösten, um durch Auswanderung ein besseres Leben zu verwirklichen. Dagegen plädiere Hamsun, so Löwenthal weiter, auch oder gerade bei kärgsten Lebensbedingungen für ein Leben auf der ›Scholle‹. Hamsuns Charaktere verspürten nie den Drang, sich ihres Elends zu entledigen, sondern sprächen sich gerade gegen eine solche Möglichkeit der Befreiung aus. Damit stand Hamsun in Gegensatz zu sozialdemokratischen Auto161 Ebd., S. 268. 162 Ebd., S. 269. 163 Ebd., S. 270.

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biographien, die eine solche Befreiung durch das Verlassen der Herkunfts-Heimat beschrieben.164 Indem Hamsuns Charaktere die harte, aber ehrliche bäuerliche Arbeit, die zwar keine gesicherte Existenz, aber ein Gefühl der ›Schollenverbundenheit‹ mit sich bringe, verkörperten, so Löwenthal, erhielten seine Werke eine antiproletarische Pointe.165 Übertragen auf die impliziten Zugehörigkeitsvorstellungen standen die Bauern dabei für die unentrinnbare Zugehörigkeit zu einem Herkunftsraum, die Arbeiter für die Möglichkeit selbst gewählter Zugehörigkeit. Durch die bäuerlichen Charaktere, die Unentrinnbarkeit der Herkunft und die zyklische Wiederkehr des Immergleichen optierten Hamsuns Werke für die Unterwerfung unter die bestehenden Verhältnisse Aufschlussreich ist nun, wie Löwenthal die Sozialdemokratie und den seinerseits ebenfalls knapp thematisierten Heimat-Diskurs in diese Konstellation einordnete. Die veränderte Bedeutung des Heimat-Begriffs setzte er mit einer veränderten sozialdemokratischen Hamsun-Rezeption in Beziehung. Während Hamsuns autoritärer Wunsch nach gesellschaftlicher ›Einheit‹ und vermeint­ licher Idylle in der sozialdemokratischen Presse, insbesondere der »Neuen Zeit«, im Kaiserreich noch kritisch und ablehnend besprochen worden sei, herrsche mittlerweile selbst dort eine positive Rezeption seiner Werke vor. In Löwenthals Verständnis kündigte sich in der positiven Hamsun-Rezeption eine milieuübergreifende, faschistische Ideologie an: »In diesem Hymnus auf Hamsun vereinigen sich nach dem Kriege liberale Wortführer des Bürgertums mit solchen des von Hamsun so sehr gehaßten Proletariats.«166 Auch wenn weite Teile der SPD sozialkritisch argumentierten, verfügten sie nicht unbedingt über ein theoretisches Verständnis des Kapitalismus. Ähnlich wie in der sozialdemokratischen Affirmation eines klassischen Heimat-Begriffs, der auf eine Naturalisierung gesellschaftlich hervorgebrachter Verhältnisse hinauslief, beinhalteten auch die in der HamsunRezeption zum Ausdruck kommenden Zugehörigkeitsvorstellungen Schnittmengen mit anderen politischen Milieus. In diesen zentralen Beobachtungen Löwenthals liegt das über Hamsun hinausgehende Argument. Seine Analyse steht in Analogie zu einem veränderten sozialdemokratischen Heimat-Diskurs, der zunehmend von einer proletarischen ›Heimatverwurzelung‹ ausging und letztlich dazu führte, dass Gesellschaft selbst in Teilen der SPD als Naturzusammenhang vorgestellt wurde, der Kritik und intentionaler Veränderung entzogen blieb. 3.2.3.3 Implizite Vorstellungen von Heimat und Gemeinschaft Die von Löwenthal beschriebene positive Hamsun-Rezeption ist auch unter den im regionalen Kontext als Bindeglied zwischen SPD und Heimatbewegung fungierenden Sozialdemokraten nachzuweisen. Edgar Hahnewald verfasste bspw. eine entsprechende Rezension zu Hamsuns Werk.167 Auch über die direkte Ham164 Vgl. bspw. Rehbein, S. 62; zur genaueren Analyse Kapitel 2.2.1. 165 Vgl. Löwenthal, Das bürgerliche Bewußtsein, bes. S. 269–270. 166 Ebd., S. 296. Auf S. 294 findet sich eine Kritik an Eduard Bernstein. 167 Vgl. Hahnewald, Rezension zu Hamsun, S. 191–192.

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sun-Rezeption hinaus machten die von Löwenthal herausgearbeiteten Motive und Zugehörigkeitsvorstellungen einen wichtigen Bestandteil des Heimat-Diskurses der SPD im regionalen Raum aus, wie abschließend anhand zweier Punkte, die in dieser Arbeit bereits kurz angesprochen wurden, herausgearbeitet wird: 1. Der Suche nach einer neuen gesellschaftlichen Industrie-Natur-Einheit, 2. Der Orientierung an zyklischen Zeitbezügen. Die Arbeiterbewegung beanspruchte, ihre Zugehörigkeitsvorstellungen durch politische Praxis, etwa den Naturfreundehausbau, oder durch Heimat-Bilder, die Fabriken enthielten, zu materialisieren.168 Umgekehrt sprachen aus mit Heimat verknüpften Raumbildern und Zeitbezügen teilweise unreflektiert bleibende Gemeinschaftsvorstellungen. Dies wird bspw. an den bereits angesprochenen Industrie-Natur-Bezügen in Ludwigshafen und Freital deutlich, die von einem sozialkritischen Blick weitgehend abrückten. Loschky beschrieb den Ludwigshafener Stadtraum wie folgt: Auf Bäumen und Büschen liegt silbern der Reif des Spätherbstes und die weite Ebene am Rhein sieht aus als hätte ein Zauberer in der Nacht glitzernden Zucker darüber gestreut. In der Luft hängt ein zartes graues Gewebe, aus dünnem Nebel gebildet und vermengt mit dem dicken Rauch der Fabrikschornsteine. Es sind jene Tage im November gekommen, in denen es stille wird und die Natur für kurze Zeit zu ruhen beginnt.169

Karl Söhnels Beschreibungen Freitals fielen ähnlich aus: »Neben den hochgetürmten Bergkulissen und Halden hebt sich ein Wald von Schornsteinen zum Himmel«.170 Er fuhr fort: »In der hundert Meter breiten, schluchtenreichen Talfurche des Plauenschen Grundes lehnen sich die Fabriken hart an die Felsen an oder nagen sich in das Felsgestein hinein«.171 Beide fassten die Industrie-NaturRäume in einer fast schon poetisch anmutenden Sprache zu einer vermeintlich harmonischen neuen ›Einheit‹ zusammen, die Industrie und Arbeit idealisierte, deren Schattenseiten – etwa den giftigen Rauch oder dass sich in der Fabrik Arbeiter unter schlechten Verhältnissen verdingen mussten – hingegen vollständig ausblendete. Eine solche Beschreibung des pfälzischen Heimat-Raums verwundert vor dem realhistorischen Hintergrund umso mehr, als es am 21.09.1921 einen schweren Unfall in der BASF-Fabrik in Oppau gegeben hatte. Bei dem Unfall starben über 500 Personen, er zerstörte die umliegenden proletarischen Wohngegenden, weswegen mehrere hundert Kinder vorübergehend in dem Naturfreundehaus Elmstein der Ludwigshafener Naturfreunde untergebracht wurden.172 Unter Rekurs auf Löwenthals Argumentation ist davon auszugehen, dass hinter solchen Heimat-Semantiken die Sehnsucht stand, eben jene Industrie-NaturRäume könnten bereits im Kapitalismus nicht krisenhafte, sondern harmonische 168 Dies betraf sowohl die Semantiken als auch Praktiken. Vgl. Kapitel 1.2 und 1.3. 169 Loschky, Geleit 1927. 170 Söhnel, Tal der Arbeit, S. 178. 171 Ebd., S. 179. 172 Vgl. Becker, S. 16–17; zur BASF Sanner.

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Interaktionsräume sein. Die Suche nach einer neuen gesellschaftlichen ›Einheit‹ ging in Teilen so weit, die weiterhin bestehenden prekären Lebensverhältnisse, wenn nicht vollständig auszuklammern, so zumindest nicht offensiv zu kritisieren. Oftmals stellte die Beschreibung der Arbeitsverhältnisse in den lokalen und regionalen Heimat-Räumen weniger materielle Prekarität als das Ideologem der ›werteschaffenden Arbeit‹, die die Landschaft verändert habe und den Besitz des ›Volks‹ daran begründe, in den Vordergrund. Hierin bestanden Ähnlichkeiten zu der oftmals antisemitisch konnotierten Vorstellung, es existiere etwas wie eine spezifisch ›deutsche Arbeit‹.173 Wollte man eine Stereotypie in der sozialdemokratischen Beschreibung unterschiedlicher historischer und politischer Landschaften finden, ließe sie sich in der einheits- und zugehörigkeitsstiftenden Funktion der Arbeit finden. Mit der Arbeitsmetaphysik eng verbunden war, dass harte Industriearbeit oftmals als Notwendigkeit dargestellt wurde.174 Unhinterfragt und als gegeben vorausgesetzt blieben dabei nicht nur die regionale Zugehörigkeit, sondern auch die Existenz und Zugehörigkeit zu einer ›Heimatscholle‹, die gemeinschafts- und zugehörigkeitsstiftend wirke und Prägekraft für den Einzelnen entfalte. Selbst bei kärgsten Lebensverhältnissen, so die Argumentation, bleibe der Arbeiter treu auf seiner ›Scholle‹. Die durch Armut erzwungene Suche nach einer ›neuen oder zweiten Heimat‹ in der Fremde, die im Kaiserreich thematisiert wurde, wich einem sozialistischen ›Sesshaftwerden‹ in der Weimarer Republik.175 Die Historisierung der mit Heimat-Räumen verbundenen Zugehörigkeitsvorstellungen kannte demnach auch in der Arbeiterbewegung Grenzen. Trotz der oftmals explizit erfolgenden Kritik bürgerlicher Heimat-Vorstellungen und der Betonung der Wandelbarkeit von Heimat-Räumen enthielt das sozialdemokratische Heimat-Verständnis ebenfalls unreflektierte Annahmen und Naturalisierungen gesellschaftlicher Verhältnisse. Eine ähnlich naturalisierte Vorstellung von ›Gemeinschaft‹ und Zugehörigkeit, wie sie die Industrie-Natur-Räume kennzeichnete, lässt sich geradeso an einer Analyse der mit Heimat implizit verknüpften Zeitvorstellungen und Geschichtsbilder festmachen. Das sozialistische Geschichtsverständnis orientierte sich ebenfalls an Naturmetaphern, etwa Birken, die jedoch den Beginn einer ›neuen Zeit‹ symbolisierten und demnach eine zukunftsgerichtete Zeitkonzeption beinhalteten. Dadurch widersprach es der in Hamsuns Werk enthaltenen zyklischen oder zirkulären Zeitkonzeption fundamental. Dennoch existierten in der Sozialdemokratie neben den revolutionsorientierten Zeitbezügen, die die sozialistische Zukunft in den Mittelpunkt stellten, ebenfalls zyklische Zeitvorstellungen, die Naturkreisläufe wie die Abfolge der Jahreszeiten und deren Bedeutung für Heimat betonten. Ein gutes Beispiel dafür stellen Teile sowohl der Festkultur als auch der 173 Vgl. zur ›deutschen Arbeit‹ sowie zu Industrie- und Arbeitsbezügen im Begriff der ›Volksgemeinschaft‹ bzw. der ›Gemeinschaft‹ u. a. Axster u. Lelle; mit Fokus auf die ›Betriebsgemeinschaft‹ Becker u. Schmidt; Becker, »Menschenökonomie«; Luks. 174 Vgl. u. a. die Ausführungen zu Freital in Kapitel 1.2.1. 175 Vgl. bspw. bei Endres, S. 84–85.

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lokalen und regionalen Geschichtskultur dar. Die Freitaler Jugendweihen etwa enthielten sowohl Anklänge an die Wiederkehr der Jahreszeiten, die sie mit der Entwicklung der Kinder parallelisierten, als auch ein in die Zukunft gerichtetes, sozialistisches Frühlingsverständnis. Blickt man mit Löwenthal auf diese beiden Zeitvorstellungen, transportierten sie implizit gegenläufige Vorstellungen von Gesellschaft und Zugehörigkeit. Während der Jahreszeitenbezug Gesellschaft und Zugehörigkeit tendenziell naturalisierte und auf diese Weise menschlicher Veränderungsmöglichkeiten enthob, zielte das sozialistische Frühlingsverständnis auf die Kraft gesellschaftlicher Veränderung u. a. durch die Arbeiterjugend und unterstrich insbesondere die selbst gewählte Zugehörigkeit zur Arbeiterbewegung. Das Heimat-Verständnis des pfälzischen Sozialdemokraten Loschky enthielt in erster Linie eine zyklische Zeitkonzeption, die auf ein naturalisiertes Gesellschafts- und Gemeinschaftsverständnis verwies. Sowohl seine spezifische Verknüpfung von Kindheit und Frühling als auch seine Monatsbezeichnungen in der Kinderbeilage »Die Welt der Kleinen« weisen in eine ähnliche Richtung. So hatte Loschky zwar bereits 1924 konstatiert: »Kind und Frühling gehören zusammen«.176 Jedoch folgte er dabei weitgehend einem anderen Frühlingsverständnis als dem vonseiten der Sozialdemokratie tradierten, nämlich in erster Linie einem Verständnis des Frühlings, das dessen zyklische Wiederkehr betonte und damit nicht bloß die Beschreibung der Wiederkehr der Jahreszeiten meinte, sondern von den Kindern forderte, sich den natürlichen Kreisläufen, die an dieser Stelle eine naturalisierte Gesellschaftsordnung repräsentierten, anzupassen. Letzteres wird besonders deutlich, wenn man die Monatsbezeichnungen in »Die Welt der Kleinen« berücksichtigt: Dort wurde aus Januar Hartung, aus Februar Hornung etc. Loschky nutzte demnach germanische Bezeichnungen. Eine solche Jahreszeitenbenennung konnte sich in der Weimarer Republik nicht einmal annähernd durchsetzen, auch wenn es wohl 1927 einen Versuch des nationalistischen »Allgemeinen deutschen Sprachvereins«, der sich der Bekämpfung von Fremdwörtern widmete, gab, sie zu popularisieren. Dass Loschky ausgerechnet auf diese politisch markierten Begrifflichkeiten zurückgriff, ist bemerkenswert.177 Löwenthals Kritik der Naturalisierung des Gesellschaftlichen, welche er unter anderem an den zyklischen Zeitbezügen von Hamsun herausgestellt hatte, betraf demnach Teile der SPD. Diese Naturalisierungen implizierten ein Gesellschaftsverständnis, das demjenigen der ›Volksgemeinschaft‹ ähnelte. Auch wenn Sozialdemokraten wie Loschky sich zu diesem Zeitpunkt niemals selbst in die Nähe der völkischen Bewegung gestellt hätten, lassen sich durch die in diesem Kapitel geleistete Analyse ideelle Schnittstellen ausmachen. Wie unter Rekurs auf Löwenthals Überlegungen gezeigt werden konnte, deutete sich in dem sozialdemokratischen Heimat-Verständnis etwas an, das von den Autoren selbst nicht umfassend reflektiert wurde.

176 Loschky, Die Welt der Kleinen. 177 Vgl. zu nationalistischer Sprachpolitik allgemein Stukenbrock.

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Diese Schnittstellen lagen u. a. darin begründet, dass die sozialdemokratischen Heimat-Bezüge oftmals keine gesellschaftskritische Analyse einer auch nach der Novemberrevolution weiterhin kapitalistischen Welt darstellten, sondern eine Sehnsucht nach Sicherheit und Selbstverständlichkeit zum Ausdruck brachten. Dadurch war der Blick auf Heimat, etwa im Falle des ›sozialen Wanderns‹, zwar geschärft für Ungleichheit und Elend, jedoch selten mit einer tiefgehenden Theoriebildung, ökonomischen Analyse und Kritik verbunden. Ebenso wenig infrage gestellt und reflektiert wurde in der Mehrheit der Fälle das eigene Bedürfnis nach einer krisenfreien Gesellschaft, die mit der Verwendung des Heimat-Begriffs häufig zum Ausdruck gebracht wurde. Der schon bei Marx mehrdeutige Begriff der ›Entfremdung‹178 wurde unter heimatinteressierten Sozialdemokraten weniger als theoretische Kategorie der Gesellschaftsanalyse und -kritik denn als Ausdruck eines kulturellen Gefühls verwendet. In dieser Hinsicht stellte ›Entfremdung‹ ein Synonym für ›Heimatlosigkeit‹, mithin den Gegenbegriff zu Heimat dar. Damit ging mitunter die emphatische Beschwörung von Begriffen wie ›Volk‹ und ›Volksgemeinschaft‹ einher, die im sozialdemokratischen Diskurs ambivalent konnotiert waren, sich zum einen auf das ›arbeitende Volk‹, zum anderen auf das ›deutsche Volk‹ beziehen ließen, zwar noch nicht umfassend die völkischen Implikationen des NS besaßen, gleichzeitig aber die unhinterfragte Sehnsucht nach gesellschaftlicher ›Einheit‹ zum Ausdruck brachten.179 3.2.4 Exkurs: Heimat und Antisemitismus: Das Heimat-Verständnis jüdischer Sozialisten Im sozialistischen Verständnis fungierte die Arbeiterbewegung als ›Heimat der (ehemals) Heimatlosen‹. Auch unter jüdischen Sozialistinnen und Sozialisten war eine solche Einschätzung verbreitet. Wie Michael Brenner in seiner Geschichte der Münchner Räterepublik argumentiert, »bot die internationale Arbeiterbewegung die Aussicht auf eine Heimat jenseits der Gemeinschaft der Nationen, von denen die Juden oft als wurzellos zurückgewiesen wurden«.180 Antisemitische Vorwürfe jüdischer ›Heimatlosigkeit‹ oder ›unverwurzelten‹ Kosmopolitismus verfügten schon über eine lange Geschichte, als sie vor dem Hintergrund der Umbruchphase 1918/19 wieder verstärkt hervortraten.181 Vor diesem Hintergrund versprach die Arbeiterbewegung, auch deshalb eine Heimat jenseits der Abstammung zu verwirklichen, da die SPD seit dem Kaiserreich zu den Parteien gehörte, die den Antisemitismus der deutschen Gesellschaft am schärfsten kritisierten.182 178 Vgl. Marx, Ökonomisch-philosophische Manuskripte. 179 Vgl. dazu bspw. Hardtwig. 180 Brenner, S. 23. Zugleich weist er darauf hin, dass dies nur einer unter mehreren Gründen war, weswegen sich relativ viele jüdische Personen in der Arbeiterbewegung engagierten. 181 Vgl. mit Fokus auf München ebd., S. 36–39. 182 Vgl. zur sozialdemokratischen Antisemitismuskritik Dietrich.

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Doch diese Kritik verwahrte Teile der SPD nicht davor, in der Weimarer Republik selbst antisemitische Positionen zu vertreten. Dies betraf nicht nur Sozialdemokraten am äußersten rechten Rand, wie August Winnig, die sich dem nationalsozialistischen Denken annäherten oder zu Nationalsozialisten wurden.183 Vielmehr war antisemitisches Denken in der Bewegung weiter verbreitet: So hingen bspw. selbst Teile der Arbeiterbewegung Vorstellungen einer spezifisch ›deutschen Arbeit‹ an, die Arbeit und ›deutschen Volkscharakter‹ eng verknüpfte und jüdischen Arbeitern einen solchen absprach.184 Andere Sozialdemokraten verharmlosten den Antisemitismus in der deutschen Gesellschaft und in den eigenen Reihen.185 Vor diesem Hintergrund sahen sich jüdische Sozialistinnen und Sozialisten angesichts ihrer mehrfachen Exklusionserfahrung gewissermaßen einer doppelten Form der ›Heimatlosigkeit‹ ausgesetzt. Diese prekäre Situation trug einen wesentlichen Teil dazu bei, dass sich ihre Heimat-Vorstellungen zwischen sozialistischen und jüdischen Zugehörigkeitsentwürfen bewegten. Wie Brenner argumentiert, bildete »ihre jüdische Herkunft, und oftmals auch ihre eigene Reflexion darüber, […] einen Bestandteil ihrer komplexen Persönlichkeit und wurde ihnen zudem immer wieder von außen vorgehalten.«186 Dies wird nachfolgend am Beispiel Ernst Tollers exemplarisch veranschaulicht. Toller, der nach Kurt Eisners Ermordung Vorsitzender der bayerischen USPD wurde und sowohl in der ersten als auch in der zweiten Münchner Räterepublik eine zentrale Rolle spielte, befasste sich vor dem Hintergrund des Antisemitismus in mehreren seiner literarischen Werke mit der Frage von Heimat und ›Heimatlosigkeit‹. Dazu gehören das Theaterstück »Die Wandlung« und seine Autobiografie »Eine Jugend in Deutschland«. In beiden Werken tauchen zentrale Motive des sozialistischen Heimat-Verständnisses auf und sind zugleich in Tollers Reflexionen über seine jüdische Herkunft eingebettet. Toller verfasste das Theaterstück »Die Wandlung« vor dem Hintergrund des Ersten Weltkriegs.187 Das 1919 uraufgeführte Stück kreist um die Veränderung des jungen Künstlers Friedrich von einem begeisterten Kriegsteilnehmer, der zur ›deutschen Heimat‹ gehören will, aber trotz seiner Kriegsbeteiligung als Soldat nie wirklich dazugehört, zu einem sozialistischen Pazifisten. Wesentlicher Grund für die Veränderung des Protagonisten sind seine traumatisierenden Kriegserfahrungen. In Übereinstimmung mit der sozialistischen Kritik des Ersten Weltkriegs verurteilt das Stück ›Kapitalisten und Militaristen‹ dafür, dass sie das ›Volk‹ während des Krieges geopfert hätten. In einer Kriegsszene äußert sich bspw. ein Soldat 183 Vgl. zu Winnig Bonnell, S. 105–108. Winnig wurde nach seiner Befürwortung des KappPutsches 1920 aus der SPD ausgeschlossen, 1927 aber als Mitglied der ASPD aufgenommen. 184 Vgl. zur ›deutschen Arbeit‹ u. a. Axster u. Lelle; mit Fokus auf die ›Betriebsgemeinschaft‹ ­Becker u. Schmidt; Becker, »Menschenökonomie«. 185 Vgl. Ciminski u. Schmitt, S. 193–197. 186 Brenner, S. 20. 187 Die Ausführungen zu Toller beruhen auf einem noch unpublizierten Vortrag auf der GHSConference 2021. Eine ähnliche Argumentation zu »Die Wandlung« legt vor Oesterhelt, S. 304–306.

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zum Grund des Krieges: »Vaterland! Kenne kein Vaterland. Kenne Herren, die prassen und Arbeiter, die schinden.«188 Im Falle Friedrichs besitzt die empfundene ›Heimatlosigkeit‹ jedoch noch eine zusätzliche Dimension als Jude in der antisemitischen deutschen Gesellschaft.189 Dies wird in der Kriegsszene ebenfalls deutlich. Derselbe Soldat bezeichnet Friedrich als »Fremde[n]« und fährt fort: »Fluch hängt an Dir, Vaterlandsloser.«190 In der Auseinandersetzung mit der spezifischen ›Heimatlosigkeit‹ Friedrichs spielt der Rekurs auf ›Ahasver‹ eine zentrale Rolle.191 Zu Beginn thematisiert Friedrich seine eigene ›Heimatlosigkeit‹ auf diese Weise. Als er die Weihnachtsbäume in den Häusern auf der gegenüberliegenden Straßenseite sieht, fühlt er sich zerrissen, bezeichnet sich als »Ausgestossner«, »Fremder« und »[e]kler Zwitter«. Nachdem seine Mutter die Bühne betreten und ihn gefragt hat, wo er den ganzen Tag gewesen sei, folgt dazu ein Dialog: FRIEDRICH : Auf der Wanderschaft, Mutter. Auf der Wanderschaft … Wie immer. Schau mich nicht so an, Mutter … ich sagte es doch, auf der Wanderschaft. Wie Er, Ahasver, dessen Schatten zwischen geketteten Strassen kriecht, der sich in pestigen Kellerhöhlen verbirgt und nächtens draussen auf frierenden Feldern verfaulte Kartoffeln sammelt … Ja, ich suchte Ihn, meinen grossen Bruder, Ihn, den ewig Heimatlosen … MUTTER : Du versündigst dich, Friedrich. Bist du heimatlos? FRIEDRICH : Wo habe ich denn eine Heimat, Mutter. Die drüben haben eine Heimat, in der sie wurzeln. Die drüben sind eins mit sich und ihrem Boden … frei von jener Zerissenheit, die gleich eiternden Schwären Denken und Fühlen zerfrisst … Sie können lachen und frohen Herzens Tat tun. Sie haben ihr Land, in dem sie wurzeln … dem sie sich darbringen können …192

Um diese ›Heimatlosigkeit‹ zu überwinden und der deutschen Gesellschaft angehören zu können, beschließt Friedrich, seine jüdische Herkunft hinter sich zu lassen und in den Krieg zu ziehen. Reflexionen über die eigene ›Heimatlosigkeit‹ tauchen in zentralen Passagen des Stücks wieder auf, allerdings unter veränderten Vorzeichen. Als Friedrich aufgrund der Kriegsgräuel beginnt, die Integrität des ›deutschen Vaterlands‹ infrage zu stellen, bezieht er sich wiederum auf ›Ahasver‹: »Kann ein Vaterland, das das verlangt, göttlich sein? Wert seine Seele dafür zu opfern? Nein, tausendmal nein. Lieber will ich wandern, ruhelos wandern, mit dir, Ahasver!« Friedrichs aufkeimenden Zweifeln angesichts des bevorstehenden Wegs »durch Regennächte, 188 Toller, Die Wandlung, S. 28. 189 Auch wenn Friedrichs jüdische Herkunft an keiner Stelle explizit benannt wird, lassen die verhandelten Inhalte des Stücks, insbesondere Friedrichs Zugehörigkeitskonflikte und seine Exklusion als ›ewig Vaterlandsloser‹, und dessen autobiografischer Hintergrund kaum einen anderen Schluss zu. 190 Toller, Die Wandlung, S. 29. 191 Vgl. in kritischer Auseinandersetzung mit den antisemitischen Implikationen des Mythos Mayer, S. 313–315. 192 Toller, Die Wandlung, S. 17–18.

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durch verpestete Strassen« begegnet seine Schwester, indem sie ihm einen Ausweg aus seinem fortbestehenden Dilemma aufweist: »Dein Weg führt Dich zu den Menschen.« Friedrich beschließt, sich auf die Wanderschaft zu begeben: »Allein, und doch mit allen, Wissend um den Menschen.«193 Vor dem Hintergrund dieser Entscheidung löst sich Friedrichs individuelle Zerrissenheit: »Das erdgefesslte Gefäss zerbricht. […] Der Nebel teilt sich. Ich weiss den Weg zur Arbeitsstätte, Nun weiss ich ihn.«194 Da Friedrich in der Szene nur als »Der Wanderer« bezeichnet wird, steht seine Veränderung exemplarisch für eine kollektive Revolution. Diesbezüglich ist die vielfältige Wechselwirkung zwischen Elementen jüdischer und sozialistischer Zugehörigkeit hervorzuheben: Einerseits wird Friedrichs Reflexion über Zugehörigkeit durch den Antisemitismus der deutschen Gesellschaft erzwungen. Andererseits ist seine individuelle Verwandlung die Voraussetzung für die revolutionäre Umgestaltung der gesamten Gesellschaft. In einer späteren Szene mit seiner Mutter identifiziert er den Sozialismus als Teil des Judentums und kann so nicht nur seinen Zugehörigkeitskonflikt lösen, sondern auch die Bedeutung der jüdischen Tradition für die Arbeiterbewegung und die Idee einer zukünftig versöhnten Heimat aufzeigen. Gegenüber seiner Schwester formuliert er eine Variante der Vorstellung der Arbeiterbewegung als ›Heimat der Heimatlosen«: »Mir ist’s, als wäre ich in einem unendlichen Meer verwurzelt.«195 Vor diesem Hintergrund weist die Kritik des »Erdgemetzels«196 den Weg in die sozialistische Utopie einer inklusiven internationalistischen Heimat, die die geeinte Menschheit in der Zukunft erst noch einlösen muss. Wie im sozialistischen Heimat-Verständnis birgt die versehrte Erde auch in Tollers Stück das Potenzial einer befreiten Menschheit, wenn sich die Menschen und insbesondere die »Jugend aller Völker«197 für den Weg individueller Veränderung und kollektiver Revolution entscheiden. Die Frage nach Zugehörigkeit und Heimat angesichts einer antisemitischen deutschen Gesellschaft steht ebenfalls im Mittelpunkt von Tollers 1933 im Exil veröffentlichten Buch »Eine Jugend in Deutschland«. In diesem Rückblick auf die Jahre bis 1924 begreift er seine Biografie als Indikator für zentrale historische Entwicklungen des frühen 20. Jahrhunderts, das Scheitern der Weimarer Republik und des sozialistischen Internationalismus durch den Aufstieg des Nationalsozialismus. In einer der zentralen Passagen des Buchs kritisiert Toller die völkischen und antisemitischen Ausschreitungen im Rahmen der Aufführung seines Theaterstücks »Hinkemann« in Dresden. Durch den grassierenden Antisemitismus 193 Die Zitate finden sich ebd., S. 55–58. 194 Ebd., S. 69. 195 Ebd., S. 88. Dabei deuten Zitate wie »wissend, dass ich nicht Entwurzelter bin, wissend, dass ich wurzele in mir« darauf hin, dass die jüdische Zugehörigkeit trotz der Orientierung am Sozialismus weiterhin eine Rolle spielt, beides von Toller nicht mehr als Widerspruch verstanden wird. 196 Ebd., Vorwort. 197 Ebd., S. 77.

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verändern sich seine Wahrnehmung Deutschlands als Heimat sowie die Gesamtaussage des Buches: Wie die ersten Kapitel darlegen, existierten bereits in Tollers Heimatort der Kindheit und Jugend antisemitische Vorurteile und gewalttätige Übergriffe. Im Verlauf des Buches thematisiert er immer wieder die Auswirkungen des Antisemitismus, die die existierende Heimat für die jüdische Bevölkerung seit jeher zu einem prekären Ort machten. Am Ende des Buches 1933 hat dieses negative antisemitische Potenzial eine zuvor ungeahnte Qualität erreicht. Trotz dieser geschichtlichen Entwicklung hält Toller an der sozialistischen Heimat-Idee fest. Dem antisemitischen Heimat-Verständnis, das er als »Fiktion des Blutes« bezeichnet, setzt er eine Aufzählung vieler Aspekte des Begriffs entgegen: Sprache und selbst gewählte Zugehörigkeit. Als Antwort auf den zunehmenden Nationalismus und Antisemitismus formuliert er die berühmten Zeilen: Stolz und Liebe sind nicht eines, und wenn mich einer fragte, wohin ich gehöre, ich würde antworten: eine jüdische Mutter hat mich geboren, Deutschland hat mich genährt, Europa mich gebildet, meine Heimat ist die Erde, die Welt mein Vaterland.198

In dem Zitat rekapituliert Toller einerseits den sozialistischen Heimat-Begriff: die Hoffnung auf eine versöhnte und sichere, noch in der Zukunft liegende internationalistische Heimat. Andererseits fordert der ansteigende Antisemitismus diese Hoffnung zunehmend heraus. Für Toller war das sozialistische HeimatVerständnis 1933 zwar infrage gestellt, aber noch nicht vollständig widerlegt. So endet das Buch mit der Hoffnung auf eine bessere Zukunft und dem Appell an die sozialistischen »Kameraden in Deutschland« sowie an die »Jugend Europas«: »Morgen werdet ihr Deutschland sein.«199 Der affirmative Bezug auf Deutschland, der an Kurt Tucholskys, von John Heartfield montiertes Buch »Deutschland, Deutschland über alles«200 erinnert, wird von Toller in der Widmung seines Buches wiederholt: »Dem Deutschland von morgen«.201 Die Hoffnung auf ein ›neues Deutschland‹, das den Nationalsozialismus besiegen könnte, wurde durch den Holocaust, der unter Mithilfe von Teilen der Arbeiterschaft stattfand, auf radikalere Weise widerlegt, als man es sich 1933 vorstellen konnte. Zusammenfassend bleibt festzuhalten, dass jüdische Sozialisten wie Toller auf eine zukünftige internationalistische sozialistische Heimat hofften, gleichzeitig jedoch ihre prekäre individuelle Zugehörigkeit als Juden in Deutschland reflektierten. Einerseits waren sie Teil des sozialistischen Heimat-Diskurses, zu dem sie mit ihren Schriften und ihrer politischen Praxis beitrugen. Der »Kulturwille« etwa druckte neben Toller auch Texte von Mühsam und Eisner, die sich mit Heimat auseinandersetzten. Vonseiten des ABI wurde Tollers Stück »Die Wandlung« im Rahmen kulturpolitischer Veranstaltungen aufgeführt.202 Andererseits ging ihre Reflexion von Zugehörigkeit über das sozialistische Heimat-Verständnis hinaus 198 Toller, Eine Jugend in Deutschland, S. 229. 199 Ebd., S. 240–241. 200 Vgl. Tucholsky, Deutschland. 201 Toller, Eine Jugend in Deutschland, Widmung. 202 Vgl. Kapitel 3.3.2.

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und befasste sich mit der Bedeutung ihrer jüdischen Herkunft. Diese Reflexion war nicht immer selbst gewählt, sondern fand vor dem Hintergrund eines zunehmenden Antisemitismus statt, dessen Zielscheibe Sozialisten wie Toller als Juden zeitlebens waren. Der Antisemitismus, der sich auch in Teilen der Arbeiterbewegung ausbreitete, korrespondierte dabei mit einer Veränderung des sozialistischen Heimat-Begriffs: An die Stelle seiner Zukunftsorientierung traten in der Arbeiterbewegung verstärkt Vorstellungen von ›Sesshaftigkeit‹, Volksorientierung oder Arbeitsmetaphysik, die Elemente des Nationalsozialismus vorwegnahmen. Diesem ›Heimisch-Werden‹ der Arbeiterschaft um jeden Preis stellten jüdische Sozialisten eine Aufwertung der ›Heimatlosigkeit‹ entgegen, verstanden sie als Voraussetzung revolutionärer gesellschaftlicher Veränderung. Um dies zum Ausdruck zu bringen, deutete Toller bspw. die oftmals antisemitisch konnotierte mythische Figur des zu ewiger Wanderschaft verdammten Juden ›Ahasver‹ um.203

3.3 Zugehörigkeitsbezüge sozialdemokratischer Heimat-Kulturpolitik in der Weimarer Republik Die sozialdemokratische Heimat-Kulturpolitik kreiste um Fragen von Zugehörigkeit und Repräsentation, die in der politischen Kultur der Weimarer Republik auch darüber hinaus von zentraler Bedeutung waren.204 Im sozialistischen Verständnis bildete Heimat nicht allein eine Metapher für solidarische, selbst gewählte und nicht-exklusive Zugehörigkeit, sondern war in der Weimarer Republik eng mit der Idee verbunden, eine kollektiv vollzogene, gesellschaftsverändernde Praxis könne die sozialistische Heimat der Zukunft sukzessive verwirk­ lichen und bereits in der Gegenwart temporär vorwegnehmen.205 Zugleich fasste die SPD die Zugehörigkeit zu den demokratisierten regionalen Heimat-Räumen sozialdemokratisch und beteiligte sich an der Etablierung einer milieuübergreifenden demokratischen Regionalkultur. Vor diesem Hintergrund untersucht das Kapitel die Zugehörigkeitsbezüge sozialdemokratischer Heimat-Kulturpolitik in verschiedenen politischen Kontexten. Kapitel  3.3.1 widmet sich einem wiederkehrenden Moment, das die verschiedenen Aspekte des Verständnisses von Heimat und Zugehörigkeit in der Arbeiterbewegung auf besondere Weise bündelte und miteinander in Beziehung setzte: dem Wandern.206 Kapitel 3.3.2 analysiert davon ausgehend das Changieren der Heimat-Kulturpolitik zwischen spezifisch sozialistischen und milieuübergreifenden Bezügen. Es arbeitet zu203 Vgl. Oesterhelt, S. 291–307. 204 Vgl. zuletzt Rossol, Republikanische Gruppen. 205 Vgl. zu dem generell verbreiteten Argument Graf, S. 232–250. 206 Dementsrechend wurden Wandern und Arbeitsmobilität bereits in unterschiedlichen Kontexten thematisiert. Vgl. Kapitel 1.2, 1.3, 2.2, 2.3. Vgl. zur grundsätzlichen Thematik bspw. Wadauer; Althammer, Vagabunden.

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nächst die Etablierungsversuche einer neuen sozialistischen Kultur seitens des Leipziger ABI heraus, dessen Wurzeln bis in das Kaiserreich zurückreichten. In der Weimarer Republik stellte es neben dem SPD-Reichsbildungsausschuss eine der zentralen sozialdemokratischen Bildungsinstitutionen dar, weswegen ihm für die regionale Arbeiterbildungsarbeit eine Orientierungsfunktion zukam.207 Anschließend untersucht das Kapitel kontrastierend die regionale Heimat-Kulturpolitik der pfälzischen SPD, die Teil des sozialistischen Bildungsdiskurses sowie einer milieubergreifenden Regionalkultur war. Ein Fokus der Analyse liegt dabei auf der Frage, mit welchen unterschiedlichen Zugehörigkeitsvorstellungen die verschiedenen Formen sozialdemokratischer Heimat-Kulturpolitik jeweils verbunden waren. 3.3.1 Wandern: Die Stiftung von Heimat und Zugehörigkeit durch gemeinsame Praxis Die These einer engen Beziehung zwischen Heimat und Wandern bezieht sich nicht auf alle in der Arbeiterbewegung praktizierten Formen des Wanderns, sondern auf ein verbreitetes sozialistisches Motiv, das Wanderschaft bzw. Mobilität und Heimat bzw. ›Sesshaftigkeit‹ aufs Engste miteinander verknüpfte. Vor diesem Hintergrund arbeitet das erste Teilkapitel heraus, wie Heimat und Zugehörigkeit in diskursiven und praktischen Wanderbezügen verbunden wurden und auf welche Weise die vergangenen beruflichen Erfahrungen ›auf der Walze‹ aufgegriffen wurden. Daran anschließend zeigt das Kapitel in einem zweiten Schritt, welche Rolle verschiedene Medien im Rahmen dieser Praxis einnahmen, und diskutiert, inwiefern deren Herstellung und Nutzung selbst heimat- und zugehörigkeitsstiftend wirkte. 3.3.1.1 Heimat- und zugehörigkeitsstiftende Wanderpraxis in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft Um die Ausrichtung der sozialdemokratischen Wanderpraxis und ihre Bedeutung für das sozialistische Heimat-Verständnis zu verstehen, gilt es die spezifischen historischen Hintergründe des proletarischen Wanderns im 19. Jahrhundert und deren retrospektive sozialistische Deutung herauszuarbeiten. So bündelte das Motiv des Wanderns den Zusammenhang von Heimat und Zugehörigkeit auf dreifache Weise: Zum Ersten rekurrierte die Arbeiterbewegung in ihrer Auseinandersetzung mit Heimat auf vergangene Formen der Mobilitäts- und Arbeitspraxis. In der Erinnerung an diese Praxis bildeten die dabei gemachten Solidaritätserfahrungen unter den Handwerkern und in der entstehenden Arbeiterschaft einen zentralen Bezugspunkt. Zum Zweiten fungierte das Motiv des Wanderns als Metapher für den politischen Weg der Arbeiterbewegung in Richtung Sozia207 Vgl. zum ABI Heidenreich, bes. S. 61–62, 271.

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lismus, der als zunächst zeitlich situierter, historischer Prozess wohl nicht zuletzt aufgrund der vergangenen Arbeitserfahrung als Mobilitätsprozess dargestellt wurde. In der Darstellung des ›Wegs der Arbeiter in die Moderne‹ verbürgte die ›portable Übergangsheimat Arbeiterbewegung‹ nach dem proletarischen ›Heimatverlust‹ infolge der Industrialisierung die Hoffnung auf eine sozialistische Heimat in der Zukunft. Eng damit verbunden existierte zum Dritten eine Korrespondenz zwischen der metaphorisch zum Ausdruck gebrachten revolutionären Praxis und der tatsächlich vollzogenen Wanderpraxis in der Gegenwart.208 Insbesondere die in der Weimarer Republik zunehmend an Bedeutung gewinnende Praxis des ›sozialen Wanderns‹ der Naturfreunde sollte durch eine Auseinandersetzung mit den existierenden Heimat-Räumen die sozialistische Heimat der Zukunft hervorbringen und gleichzeitig als temporäre Vorwegnahme derselben in der Gegenwart fungieren. In Reaktion auf den Ausschluss aus bürgerlichen Wandervereinen und in theoretischer Abgrenzung von deren Wanderpraxis entwickelt, war mit der Idee des ›sozialen Wanderns‹ der Anspruch verbunden, die Arbeiterschaft durch Heimaterkenntnis zum Klassenkampf zu motivieren.209 Eine solche Vorstellung korrespondierte mit der grundsätzlich veränderten Annahme, die sozialistische Zukunft lasse sich durch Gegenwartspraxis sukzessive erreichen, sei in gewisser Hinsicht eine Gegenwartsaufgabe.210 Diese verschiedenen Bedeutungsschichten werden in der Folge genauer dargestellt. Heimat ›auf der Walze‹ als Vorbild für die Gegenwart In der Weimarer Republik befasste sich die Arbeiterbewegung in unterschiedlichen Kontexten mit der vergangenen Wanderpraxis ›auf der Walze‹ und ihrer Bedeutung für die Gegenwart. Laut den Erinnerungen der SPD-Mitglieder in »Bei uns daheim« war es gerade diese kollektive Arbeitspraxis gewesen, die in der Vergangenheit ein geteiltes Zugehörigkeitsempfinden – eine Art temporäre und mobile Heimat durch Solidarität – hervorgebracht hatte. Ihrer arbeitsbedingten Mobilität maßen die alternden Sozialdemokraten darüber hinaus Bedeutung für die Entstehung der Arbeiterbewegung zu. Erst das Verlassen oftmals beengter und beengender lokaler Lebensverhältnisse und der Umzug in größere Städte habe zur Politisierung, häufig durch bereits politisierte Arbeiter im Betrieb, geführt. So sei eine Vernetzung zwischen unterschiedlichen Städten, die Zirkulation revolutionärer Theorien und die Politisierung der lokalen Bevölkerung bei Rückkehr in die Herkunftsgemeinde möglich geworden.211 Aus der arbeitsbedingten Wanderpraxis sei sukzessive die Arbeiterbewegung als politische Heimat hervorgegangen. 208 Vgl. die Analyse der Ikonografie, Erzählungen, Gedichte und autobiografischen Erinnerungen (pfälzischer) Sozialdemokraten in Kapitel 2.2. und 2.3.1. 209 Vgl. zum Hintergrund des ›sozialen Wanderns‹ bes. Kapitel 1.2 und 1.3. 210 Vgl. zu diesem grundsätzlichen Argument Hölscher, Die verschobene Revolution. 211 Vgl. zu einer sozial- und gesellschaftsgeschichtlichen Einordnung zur frühen Arbeiterbewegung und ihrer Vernetzung über einzelne wandernde Sozialdemokraten Welskopp, Banner der Brüderlichkeit, S. 98–144.

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Eine solche Deutung stellte in der Weimarer Republik keine Seltenheit dar. Die Arbeiterbewegung beschäftigte sich in verschiedenen Kontexten intensiv mit der Geschichte des proletarischen und sozialistischen Wanderns und dessen Bedeutung für die gesellschaftliche Gegenwart und Zukunft. Dabei ist es wenig verwunderlich, dass der TVdN als zentrale sozialistische Wanderorganisation in dieser Auseinandersetzung eine tragende Rolle spielte. Ein wichtiges Beispiel sind Sektionen zur Geschichte des Wanderns im Rahmen der Naturfreundeausstellungen, an deren Ende zumeist die gegenwärtige Praxis des ›sozialen Wanderns‹ und die Bedeutung der dabei erfahrenen Solidarität als (vorläufiges) Telos der dargestellten Geschichte stand. Die Ausstellungen, die unter Titeln wie »Heimat und Wandern« standen, thematisierten, auf welche besondere Weise sich die Naturfreundebewegung der ›engeren Heimat‹ nähere und welche Bedeutung sie der Heimaterkenntnis für die Erreichung des Sozialismus zumesse. Dementsprechend diente die Ausstellungspraxis der Traditionsbildung sowie der Mitglieder­ werbung.212 Auch eine Sonderausgabe der ABI-Zeitschrift »Kulturwille« von Juli 1925 widmete sich der historischen Bedeutung der »Wanderschaft«213 für die Arbeiterbewegung. Der einführende Aufsatz behandelte »Wandern« und »Wanderschaft« in allgemeiner Hinsicht und leitete daraus deren Bedeutung für die politische Gegenwart ab. Er betonte diesbezüglich, dass die derzeit vor allem in der Jugend verbreitete Wanderpraxis »kein romantischer Schwarm, kein trübselig schwächliches Rückwärtssehnen«, sondern »Gegenwartswandern« sei. Letzteres spezifizierte er wie folgt: So laßt uns Wanderer sein auf der Erde, uns wandernd den Sinn für die Schönheit erhalten, den Drang nach Menschenfreiheit und Menschenwürde, daß nicht im Gefängnis der Gassen und Häuser ein dumpfes Rattendasein verdämmert. Wir wollen sie lieben, die rätselvolle, die alte, bittere, köstliche Erde. Vertrauensvoll wollen wir wandern durchs Leben. Denn Wanderer sind wir auf dieser Erde, und all unser Leben ist Wanderschaft.214

Zwar nannte der Autor den Heimat-Begriff selbst nicht. Vor dem Hintergrund der oftmals nahezu synonymen Verwendung der Begriffe Heimat, Erde oder Welt lässt sich der Artikel jedoch in diesen Diskurszusammenhang einordnen. Er thematisierte Wandern als fast schon anthropologische Konstante und griff auf die Metapher des Lebens als Wanderschaft zurück, auf die bspw. auch im Kontext der Freitaler Jugendweihen rekurriert wurde. Dabei kennzeichnete den Artikel ein Widerspruch, der für den sozialistischen Heimat-Diskurs auch in anderen 212 Vgl. zu einem solchen Ausstellungsaufbau bspw. die Ludwigshafener Naturfreundeausstellung »Heimat und Wandern«. Vgl. N. N., Naturfreunde-Ausstellung »Heimat und Wandern«, S. 12; zu einer genaueren Auseinandersetzung mit den Ausstellungen des TVdN Kapitel 1.3.3. 213 So die titelgebende Überschrift des einleitenden Aufsatzes des fränkischen Lehrers und Dichters Hermann Sendelbach. Vgl. Sendelbach, S. 129–130. 214 Vgl. ebd.

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Kontexten kennzeichnend war: Zum einen richtete er sich gegen die proletarische Erfahrung von Exklusion und Armut »im Gefängnis der Gassen und Häuser«, zum anderen forderte er gleichzeitig, »die alte, bittere, köstliche Erde« zu lieben. Andere Artikel der Ausgabe behandelten spezifische historische Hintergründe des Wanderns. Dazu gehörten die Geschichte des TVdN als sozialistischer Wander- und Heimatorganisation, die Bedeutung des Wanderns in der Kinderfreundebewegung und der Arbeiterjugend, die von der bürgerlichen Wandervogel­ bewegung abgegrenzt wurde, sowie Formen des Wanderns in anderen Ländern.215 Besondere Bedeutung kam dabei dem Artikel »Die Walze«216 zu, der nicht allein prominent an zweiter Stelle der Ausgabe platziert war, sondern republikweit zirkulierte, bspw. in der pfälzischen Naturfreundezeitschrift »Berg frei« wiederabgedruckt wurde.217 Der von R. Kammer verfasste Text untersuchte die Geschichte der »Walze«, ihre historische Bedeutung für die gegenwärtige Situation der Arbeiterschaft und skizzierte in diesem Zusammenhang die unterschied­lichen gesellschaftlichen Mobilitätsregime, etwa den vom 16. bis in das 19. Jahrhundert geltenden und von den Zünften initiierten Wanderzwang oder die durch Arbeitslosigkeit erzwungene Mobilität in der Gegenwart. Zugleich setzte er sich mit dem durch Mobilität möglich gewordenen Ausbruch aus beengten lokalen Herkunftsverhältnissen und der besonderen Gesellenkultur auseinander. Sie sei durch eine gemeinsame Wandertechnik und die Schaffung »besonderer Art Herbergen im ganzen Reich« geprägt gewesen, »die dem einzelnen Wanderer offenstanden, so lange er die geschriebenen und ungeschriebenen Gesetze für den Walzbruder einhielt.«218 Diese Herbergen symbolisierten die unter den Handwerksgesellen gepflegte und durch die Zunftgesellschaften abgedeckte gegenseitige materielle Unterstützung, die gleichzeitig an die Einhaltung bestimmter sozialer Vorgaben gebunden war. Aus der Retrospektive zeichnete der Artikel das Bild einer fast schon verschworenen vergangenen Wandergemeinschaft, die sich u. a. in Reaktion auf gesellschaftliche Diskriminierung herausgebildet habe. Dieser erfahrenen Diskriminierung stellte er den zugehörigkeitsstiftenden Charakter der Gesellenkultur entgegen, den er bspw. in den Liedern der Handwerksgesellen verdichtet sah. Die Auseinandersetzung mit der historischen Handwerks- und Wanderpraxis lässt sich zum einen als sozialdemokratische Heimat-Nostalgie beschreiben. Als verspätete Form der Romantik kreiste sie um ähnliche Themen – etwa Fremde 215 Vgl. die Artikel »Wie die Arbeiterjugend zum Wandern kam«, »Zum Wandern mit unseren Kinderfreunde-Gruppen«, »Tramps«, »Die Walze«. Weiterhin waren zahlreiche Gedichte zur Thematik enthalten. 216 Vgl. Kammer, Die Walze, S. 130–131. 217 Vgl. ders., Die Walze, S. 3–4. Der Abdruck ist ein Beleg für die Orientierung der pfälzischen Arbeiterkulturbewegung am ABI. 218 Ders., Die Walze, S. 130. Diese Herbergen trugen häufig Namen wie »Herberge zur Heimat« und brachten bereits durch ihren Namen den Anspruch auf solidarische Zugehörigkeit in einer ›portablen Heimat‹ zum Ausdruck. Durch die Naturfreundehäuser ein ähnliches Netz an Übernachtungsmöglichkeiten geschaffen zu haben, schrieb sich der TVdN auf die Fahnen.

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und Heimat, Mobilität und ›Sesshaftigkeit‹ –, wie sie Gedichte im ausgehenden 18. und 19. Jahrhundert ausgemacht hatten.219 Der Kern der sozialdemokratischen Nostalgie lag allerdings nicht in individueller Mobilitätserfahrung, sondern in der Beschreibung einer kollektiven Berufspraxis und vergangenen Arbeitswelt des Handwerks, die wesentlich über die Zugehörigkeitserfahrungen in der portablen ›Übergangsheimat‹ der Handwerksgesellen charakterisiert wurde. In der Auseinandersetzung mit dieser Vergangenheit schwang zum anderen der Versuch mit, die politische Gegenwart durch Traditionsbildung zu beeinflussen, da die Arbeiterbewegung und ihr Zugehörigkeitsverständnis in die Nachfolge der Gesellenvereine gestellt wurden. So verglich Kammers Text die Diskriminierung der zur Mobilität gezwungenen Arbeiterschaft mit derjenigen der Gesellen. Die alte »Abneigung gegen den Handwerksburschen« habe sich gesteigert, als die Vertreter des Proletariats sich auf die Wanderschaft begaben, damit die Gesellen der Zünfte verdrängten und im Gegensatz zu ihnen auch ein stark politisches Moment dadurch in die Bewegung brachten, daß sie mit Hilfe der Gewerkschaften ihre Wanderung durchführten.220

In diesem Zusammenhang rekurrierte der Artikel abschließend auf die »Wiedergeburt« der »Walze« in der deutschen Nachkriegsgesellschaft »infolge der Schwankungen auf dem Arbeitsmarkt und der zeitweiligen übergroßen Arbeitslosigkeit«. Es seien nunmehr die Gewerkschaften und Jugendherbergen, die versuchten, die Aufgabe der materiellen Absicherung von den »alten Gesellschaften« zu übernehmen und die »jugendliche[n] Walzbrüder« vor der kapitalistischen Ausbeutung zu schützen.221 Der Fluchtpunkt des Artikels lag demnach in einer Kritik der Gegenwart: Im Gegensatz zu früheren Zeiten habe die arbeitsbedingte Wanderpraxis in der Nachkriegsgesellschaft ihren Ausbildungscharakter, ihren »charakterbildenden Einfluß«222 verloren. Damit meinte Kammer die Erlernung eines Handwerks, »die Begründung echter Männlichkeit und die Beschleunigung innerer Reife«, wodurch er das arbeitsbedingte Wandern als männliche Sphäre auswies, was zwar insofern stimmte, als Frauen in der Vergangenheit vom Handwerk ausgeschlossen gewesen waren, gleichzeitig jedoch die diversen vergangenen Mobilitätserfahrungen in weiblich konnotierten Berufen, etwa von Dienstmädchen, ausblendete. Während eine solche Missachtung weiblicher Mobilitätserfahrung grundsätzlich verbreitet war,223 ist diese Kurzsichtigkeit nicht zuletzt deshalb bemerkenswert, da der Artikel mit Blick auf die Gegenwart eine Gleichberechtigung der Geschlech-

219 Vgl. zu bspw. Hölderlin Gebhard u. a., S. 5–10. 220 Kammer, Die Walze, S. 130. 221 Ebd. 222 Ebd. 223 Vgl. Oesterhelt, S. 102–105.

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ter forderte. Wie in anderen Fällen standen sich reflektierte und stereotype Geschlechterbilder auch hier gegenüber. Bezüglich der veränderten Bedeutung der »Walze« in der Gegenwart plädierte der Artikel abschließend dafür, die Berufsausbildung durch »Schulen und Akademien, Bücher und Zeitschriften [zu] ersetzen« und das Wandern und Reisen auf die Freizeit und die Ferien zu verschieben. So schloss der Artikel: Gebt dem Arbeiter und vor allem dem jugendlichen Arbeiter nicht Tage, sondern Wochen Ferien im Jahre. Dann wird die Walze vielleicht einmal verschwinden, und ein vom Kulturbewußtsein des modernen Proletariats getragenes, neu orientiertes Wandern wird dafür einsetzen, daß schließlich auch der Familie und besonders der im Schatten stehenden Frau und Mutter unvergänglich Erlebnisse verschafft.224

Die Möglichkeit, das Wandern in den Freizeitbereich zu verlegen, wertete Kammer im Vergleich zur erzwungenen Arbeitspraxis der Vergangenheit als Fortschritt. Gleichzeitig plädierte er dafür, dass das Wandern auch in dieser veränderten Form Solidaritäts- und Zugehörigkeitserfahrungen gewährleisten solle, etwa durch die Tradierung von Handwerksliedern. Kammers Ziel bestand folglich in der Beeinflussung der politischen Gegenwart. Wanderschaft als Metapher für den politischen Kampf der Arbeiterbewegung und als Gegenwartspraxis Auch unabhängig vom spezifischen Motiv der ›Walze‹ diente die Auseinandersetzung mit vergangen Formen des Wanderns der metaphorischen Umschreibung des politischen Wegs der Arbeiterbewegung, ihrer erzielten Erfolge, und, eng damit verbunden, der Festlegung des Weges in die sozialistische Zukunft durch Praxis in der Gegenwart. Ein solches Vorgehen hing damit zusammen, dass der Rekurs auf die gemeinsame historische Erfahrung der beruflichen und politischen Wanderpraxis nicht allein dazu diente, die Bedeutung und Herausbildung der Arbeiterbewegung zu erklären. Vielmehr bildete das Motiv des Wanderns auch darüber hinaus eine Möglichkeit, um den bisherigen und weiter fortzusetzenden Weg der Arbeiterbewegung von der Herkunfts-Heimat zur Zukunfts-Heimat – den Anfängen der Arbeiterbewegung über ihre ersten Erfolge in Richtung der weiterhin in der Zukunft liegenden sozialistischen Gesellschaft – metaphorisch zum Ausdruck zu bringen. Die metaphorische Umschreibung kreiste dabei um das Verhältnis von Heimatverlust durch erzwungene Mobilität, Nähe und Fremde, Erfahrungen einer solidarischen, zwischenmenschlichen Heimat und ›Sesshaftigkeit‹. Bezüglich dieses Spannungsfelds von Mobilität und ›Sesshaftigkeit‹ schrieb es sich die Arbeiterbewegung als Erfolg auf ihre Fahnen, der ziellosen, erzwungenen und vereinzelten Mobilität der einzelnen Arbeiter durch kollektive Praxis ein gemeinsames Ziel gegeben, eine Art Heimat geschaffen zu haben. Damit war einerseits die materielle Absicherung und die Erfahrung solidarischer Zugehö224 Kammer, Die Walze, S. 130.

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rigkeit gemeint. Andererseits bezog sich das Argument auf die Verlagerung des Wanderns und Reisens in den Freizeitbereich. Es sei gerade ihren vergangenen Kämpfen zu verdanken, dass sich der Charakter der Wanderpraxis in der Weimarer Republik verändert habe und die Arbeiterschaft über einen Zugang zu Heimat und Natur verfüge. Der durch die ›Heimat Arbeiterbewegung‹ und ihre ›Solidargemeinschaft‹ überwundene Zwang zu arbeitsbedingter Mobilität garantiere nunmehr vorher ungeahnten Massen an Arbeitern und Arbeiterinnen, das Wandern als gleichermaßen erkenntnisfördernde, erholsame und revolutionäre Praxis zu vollziehen. So argumentierte bspw. der TVdN bezüglich des ›sozialen Wanderns‹ in der ›engeren Heimat‹. Mit dieser Verknüpfung war ebenfalls eine besondere Betonung des aktivistischen Moments des Wanderns verbunden. Es ging weniger darum, die Natur allein zu erleben oder zu beobachten, sondern darum, durch das Wandern politisch tätig zu sein.225 Dabei konzeptualisierte die Naturfreundebewegung das ›soziale Wandern‹ in heimatlicher Umgebung als Fortsetzung der alten beruflichen Praxis auf veränderter Grundlage: Reisende Handwerksgesellen waren es, die einst weite Strecken deutschen Landes zu Fuß durchwanderten. Die dauernde Veränderung unserer Wirtschaft, die stetig fortschreitende Industrialisierung schuf neue Verhältnisse. Um die Wende des 20. Jahrhunderts war die Wandertätigkeit fast erstorben. Das eiserne Zeitalter brach an und hielt alles in seinem Bann. Da kam eine mutige Schar, die Bahnbrecher der Wanderbewegung. Unterstützung seitens des Staates und der Kommune wurden nicht gewährt. Die Bewegung der ›Naturfreunde‹ mußte sich auf eigene Füße stellen, um den großen Volksschichten die neue Richtung zu weisen.226

Der Rekurs auf die Vergangenheit diente der Legitimation des politisch eingeschlagenen Weges in die Zukunft. Zudem lag der Auseinandersetzung mit alten Formen des Wanderns die Suche nach einer neuen Gegenwartskultur zugrunde, die um Vorstellungen von Zugehörigkeit, Gemeinschaft und Heimat kreiste. Auch weitere sozialdemokratische Schriften, die sich mit der historischen Bedeutung des Wanderns für die persönliche Entwicklung ihrer Autoren oder die kollektive Geschichte der Arbeiterbewegung befassten, belegen, dass die Vergangenheit als Folie für die Gestaltung von Gegenwart und Zukunft begriffen wurde. Dabei verknüpften die Schriften das Motiv des Wanderns jedoch teilweise mit konträren Zugehörigkeitsvorstellungen, Heimat-Konzepten und politischen Positionen. Aufzeigen lässt sich die Spannbreite beispielhaft an dem 1924 im sozialdemokratischen Dietz-Verlag erschienenen Buch »Vom Zunftgesellen zum freien Arbeiter« von Paul Kampffmeyer sowie dem erstmals 1919 publizierten Buch »Frührot. Ein Buch von Heimat und Jugend« von dem Gewerkschafter

225 Vgl. zum ›sozialen Wandern‹ u. a. Williams, Turning to nature in Germany, S. 70, 83–85; Definitionen desselben finden sich in den Analyseregionen u. a. bei Goll, Soziales Wandern, S. 4; Schreck, S. 3. 226 Ebd.

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und späteren Sympathisanten des NS August Winnig.227 Beide Bücher betonten die historische Bedeutung der ›Walze‹ für die Herausbildung der Arbeiterbewegung, zogen daraus jedoch konträre Schlüsse für die politische Positionierung in der Gegenwart. Kampffmeyer stellte die Gewerkschaften in die Tradition der Zunftgesellschaften und ihrer portablen ›Übergangsheimat‹. Dabei betonte er, dass auch die Gegenwart potenziell weiterhin konflikthaft sei, und verwies diesbezüglich auf Arbeitskämpfe in Fabriken. Winnig hingegen beendete sein Buch mit der Kritik eines Streiks in seiner Herkunfts-Heimat. So beschrieb er zwar zunächst, wie er nach seiner Rückkehr von der ›Walze‹ die vormals obrigkeitshörigen Arbeiter des Erzgebirges aus ihrer der politischen Unkenntnis geschuldeten Unterwürfigkeit habe wachrütteln und zu einem Streik überzeugen können. Vor dem Hintergrund seiner anschließenden Gefängnisstrafe und der in diesem Zusammenhang entstehenden heimatkundlichen Konversationen mit dem örtlichen Amtsrichter sprach sich Winnig jedoch abschließend für die Etablierung gesellschaftlicher ›Einheit‹ aus, die die existierenden Konflikte zwischen Arbeiterschaft und kapitalistischem Bürgertum verleugnete. Aufgrund seiner Befürwortung des Kapp-Putsches wurde Winnig 1920 aller seiner Ämter enthoben und aus der SPD ausgeschlossen. Dennoch blieb er in Kontakt mit einigen Sozialdemokraten und trat 1927 der Rechtsabspaltung ASPD bei. Die Schrift »Vom Proletariat zum Arbeitertum« von 1930 verdeutlicht seine Übereinstimmung mit nationalsozialistischen Positionen.228 Angesichts dieses Befunds ist davon auszugehen, dass in der Sozialdemokratie der 1920er Jahre alles andere als politische Einhelligkeit über die historische Beziehung herrschte, die zwischen der vergangenen Wanderpraxis einerseits, der mit Heimat und Zugehörigkeit verbundenen ›Gemeinschaftskultur‹ in der Gegenwart andererseits zu ziehen sei. Während der Verweis auf die arbeitsbedingte Mobilität oftmals mit sozialpolitischen Argumenten verbunden war, konnte die verstärkte Betonung von ›Sesshaftigkeit‹ oder ›Heimkehr‹ auch ein potenziell regressives Moment beinhalten, das wie im Falle Winnigs auf Stillstellung bestehender gesellschaftlicher Konfliktlinien und Interessengegensätze abzielte. Die verschiedenen sozialdemokratischen Verständnisweisen implizierten unterschiedlich große Schnittmengen zu und Konflikte mit anderen politischen Milieus und Bewegungen. Da dem Wandern in der Weimarer Republik gesellschaftsübergreifend eine gemeinschaftsstiftende Funktion zugemessen wurde, suchten verschiedene Gruppierungen insbesondere die Jugend für die eigene Vorstellung des Wanderns zu gewinnen.229 227 Vgl. Kampffmeyer; Winnig, Frührot. Den letzten Teil des Buchs veröffentlichte Winnig 1941 unter dem Titel »Buch der Wanderschaft« erneut. Darin wird der Fokus auf die »Heimkehr« in einen nunmehr konfliktfreien Herkunftsort noch deutlicher. 228 Vgl. Winnig, Vom Proletariat zum Arbeitertum. 229 Als wichtigste bürgerliche Jugendwanderbewegung ist in diesem Zusammenhang der »Wandervogel« zu nennen. Vgl. zu einer vergleichenden Analyse Williams, Turning to nature in Germany, S. 107–146. Dieser Zusammenhang wurde auch zeitgenössisch herausgestellt. Vgl. bspw. Abele, S. 3.

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Die Erzeugung von Heimat-Zugehörigkeit in der Gegenwart Mit der auf die ›Walze‹ bezogenen Traditionsbildung und der metaphorischen Beschreibung des Wegs der Arbeiterbewegung in Richtung Sozialismus war in der Weimarer Republik die Etablierung einer Wanderpraxis verbunden, die langfristig den Sozialismus herbeiführen und kurzfristig eine neue Form kollektiver Zugehörigkeit und ›Gemeinschaftserfahrung‹ herausbilden sollte. Das von den Naturfreunden entwickelte ›soziale Wandern‹, das Heimaterkenntnis zur Voraussetzung des Sozialismus machte, war diesbezüglich die bekannteste Ausprägung.230 Dem Wandern wurde dabei als gemeinsam vollzogener politischer Praxis gleich in mehrfacher Hinsicht eine Zukunftsorientierung zugeschrieben: Zum Ersten korrespondierte das Wandern als Bewegung durch den Raum mit der politischen Praxis von Demonstrationen, wie sie anlässlich der Feiern zum 1. Mai vollzogen wurden; zum Zweiten machte die Gründung der Naturfreunde die politischen Implikationen der vermeintlich unpolitischen gesellschaftlichen Praxis des Wanderns kenntlich, da sie die Notwendigkeit eines sozialistischen Vereins mit dem bisherigen Ausschluss der Arbeiterschaft begründete; zum Dritten galt nicht nur den Naturfreunden, sondern zahlreichen Gruppierungen der Arbeiterkulturbewegung das Wandern als Möglichkeit der Erkenntnis und als Voraussetzung einer neuen sozialistischen ›Gemeinschaftskultur‹; damit verbunden sollte diese zum Vierten das langfristige Ziel des Sozialismus in der Gegenwart temporär vorwegnehmen. So endete ein Artikel aus »Berg frei« zur Fortführung des Wanderns im Freizeitbereich wie folgt: »So [durch das ›soziale Wandern‹, d. Vf.] wird die Erde uns zur Heimat, in der wir glückhaft wandern.«231 Trotz der theoretischen Zukunftsorientierung ihrer Wanderpraxis adaptierte die Arbeiterbewegung bei der Umsetzung bemerkenswerterweise vergangene kulturelle Formen, die das historische Wandern begleitet hatten. Der KulturwilleArtikel »Die Walze« etwa wies auf die alten Lieder der Handwerksgesellen hin, die »in urwüchsiger Weise das harte Leben auf den Straßen, die Freuden der Erwartung einer Herberge, Liebe und Abschied ausmalt[en]«. Die Lieder seien in der Gegenwart in ihren »letzten Ausläufern bis in die Liederbücher der Schulen gedrungen, allerdings in oft sentimentalen Formen«. Neben »beste[n] Blüten von dem Baume dieser Kunst« existiere »viel Unterirdisches«.232 Aus dieser Diagnose folgerte der Artikel jedoch nicht, dass ein Wiederanknüpfen an die alte Liedkunst abzulehnen sei, sondern sprach sich für deren Anpassung an die Gegenwart aus. Dieser Anspruch wurde in einem anderen Teil der Sondernummer umgesetzt, der Lieder und Gedichte abgedruckte, die die Wander-, Heimat- und Zugehörigkeitsthematik aufgriffen und aus der Feder von sowohl bekannten (sozialdemokratischen) Dichtern als auch deren regionalen Adepten stammten. Zu Letzteren gehörte eine Person namens Karl Riedel aus dem pfälzischen Frankenthal, was 230 Auch die Sonderausgabe des »Kulturwille« enthielt zahlreiche Artikel zur Bedeutung und Ausprägung des Wanderns in der Gegenwart. Vgl. etwa Bauer, S. 134–135. 231 Schreck, S. 3. 232 Kammer, Die Walze, S. 131.

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wiederum die Zusammenarbeit zwischen dem ABI und der pfälzischen Arbeiterbildungsbewegung belegt.233 Die Gedichte und Lieder behandelten die Fragen von Fremde und Herkunft, Heimat und Zugehörigkeit und kritisierten das als einengend und borniert beschriebene Beharren auf Grenzen.234 Auch die Augustausgabe von 1924 der sächsischen Naturfreundezeitschrift »Der Wanderer« und Arbeiterliederbücher knüpften an die Praxis an und verfassten klassenkämpferisch anmutende Wanderlieder.235 Wie Sabine Hake mit Fokus auf das Kaiserreich argumentiert hat, stellte ein solches Vorgehen eine etablierte Praxis dar und erfüllte eine klassenkämpferische Funktion: »Combining old tunes with new texts, workers’ songs openly attacked the institutions of class society«.236 Diese Funktion begann die sozialdemokratische Praxis in der Weimarer Republik einzubüßen, da der Anspruch, auf vergangener Grundlage eine neue Kultur zu schaffen, oftmals mit identitätsstiftenden Momenten verbunden war. Dies betraf die hier analysierten heimatbezogenen Lieder in besonderer Weise. Aufgrund der Bedeutung, die dem Wandern in Teilen der Sozialdemokratie für die Herausbildung einer neuen sozialistischen ›Gemeinschaftskultur‹ zugeschrieben wurde, war damit gleichzeitig der nicht immer erfolgreiche Anspruch der Arbeiterbildungsfunktionäre und Naturfreunde verbunden, möglichst viele Arbeiterinnen237 und Arbeiter sowie insbesondere die Arbeiterjugend für den proklamierten Weg zum Sozialismus zu gewinnen. Sie sollten aus der Stadt und der Kneipe hinein in die sie umgebende heimatliche Natur geführt werden und einen sozialkritischen Blick auf diese sowie die städtische Umwelt vermittelt bekommen. Wie dieser Anspruch breitenwirksam publiziert wurde, lässt sich gut an einer Person wie Hahnewald zeigen, der sowohl im wilhelminischen Deutschland als auch in der Weimarer Republik zur Thematik des Wanderns publizierte.

233 Die Gedichte und Lieder umfassten u. a. »Hilfland« von dem ehemaligen DVZ- und nunmehrigen Vorwärts-Redakteur Franz Diederich (S. 133), »Heimat« des anarchistischen Dichters, der mit dem Friedrichshagener Dichterkreises in Beziehung stand, John Henry Mackay (S. 136) sowie »Berg frei« (S. 139), »Brüder auf« (S. 146) und »Arbeiters Ferien« (S. 147). Die drei letzten Stücke waren von den unbekannten (sozialdemokratischen) Dichtern Karl Trost aus Stuttgart, Karl Riedel aus Frankenthal und Marie Frenzel aus Chemnitz verfasst und zudem in der von Karl Bröger herausgegebenen Anthologie »Jüngste Arbeiterdichtung« publiziert worden. 234 Am deutlichsten wird dies in Mackays Gedicht, in dem es heißt: »Ihr klammert euch an kleinlichen Gedanken, / An jenes Land, wo Zufall euch gebar, / Und fühlt euch wohl in seinen engen Schranken. / Ob menschlich jemals solche Liebe war? […] Doch jene, welche Blut im Herzen haben, / Sie fühlen solche Grenzen nur als Fluch! / Sie lieben auch die Heimat, doch sie breiten / Nach außen kräftig ihre Arme aus, / Und wenn sie heimwärts ihre Schritte leiten, / Wird ihnen zum Gefängnis nicht ihr Haus!« Vgl. Mackay, S. 136. 235 Vgl. N. N., Liederecke, S. 35. 236 Hake, S. 86. 237 In der Naturfreundebewegung waren vergleichsweise viele Frauen organisiert, was das Fortwirken von Geschlechterstereotypen aber nicht verhinderte. Vgl. Williams, Turning to nature in Germany, S. 76–77.

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Dazu gehörten Wanderbücher, etwa »Sächsische Heimatbilder« oder »Der grüne Film«.238 Er publizierte ebenfalls Artikel in einschlägigen Arbeiterkulturzeitschriften wie dem »Kulturwille«. In dem Artikel »Vom Wandern«, der bereits 1909 in der Zeitschrift »Arbeiter-Jugend« erschien, schrieb Hahnewald: Ja, wer da hinaus könnte, weit, weit fort, um durstigen Auges die Schönheit der Welt zu trinken! Aber so – der Beruf, die Sorge ums tägliche Brot, bannt uns an die Scholle. Und wenn die Sonne noch so sehr lockt, wir müssen arbeiten, eingekerkert in düsteren Fabriken, in dumpfen Stuben.239

In dem Artikel und der darin enthaltenen Anleitung an die Arbeiterjugend knüpfte Hahnewald an verbreitete sozialdemokratische Argumente – wie die Exklusion und prekären Lebensverhältnisse der Arbeiterschaft, deren besondere Beziehung zur Heimat sowie die Bedeutung der Heimaterkenntnis für die Welterkenntnis  – an. Darüber hinaus strich er unter Bezug auf seine Lehrlingszeit die mehrfache Zugehörigkeitserfahrung beim Wandern in der – in seinem Fall sächsischen – Heimat heraus. Er selbst habe die Wanderungen mit einem engen Freund nicht allein zur Naturerkenntnis und körperlichen Bestätigung, sondern ebenfalls zur Marx-Lektüre genutzt. An ein solches Vorgehen solle die Arbeiterjugend anknüpfen. Dabei fällt an Hahnewalds Artikel auf, dass er weder Formen prekärer Zugehörigkeit noch das Thema proletarischer ›Heimatlosigkeit‹ problematisierte. Zwar ging er zu Beginn auf die arbeitsbedingten Einschränkungen ein, betonte in der Folge jedoch die Schönheit der heimatlichen Umgebung, den »Genuß«, den die »Scholle« bereite, woraus sich weniger ein klassenkämpferischer Impetus als der Appell zu einer gewissen politischen Genügsamkeit ablesen lässt, die eine Bindung an die Heimat trotz ihrer Unzulänglichkeiten nicht infrage stellte. Er plädierte gewissermaßen dafür, aus der Not eine Tugend zu machen: »Es braucht nicht immer gleich ein Weltenflug sein. Die heimatliche Scholle ist auch schön. Man muß sie nur daraufhin einmal richtig ansehen.« Ein solches Vorgehen sei nicht nur kostengünstig, sondern ermögliche es, mehr zu sehen, »als mancher Krösus, der um die halbe Erde gereist ist, der dabei geschwitzt hat, daß er seinen Baedeker auch richtig abarbeitet.« Statt Fernreisen könne insbesondere »ein kleines Fleckchen Erde, Deine Scholle« Genuss bieten. »Und erst, wenn Du die richtig kennst, wirst Du Gewinn aus der Fremde holen können.«240 Hahnewalds Artikel folgte nicht nur heimatkundlichen Prinzipien, sondern bemühte zudem die antikapitalistische Vorstellung, das bürgerliche Interesse an Heimat und Welt sei gar nicht echt. In der Weimarer Republik schloss er an seine früheren Positionen an und publizierte knapp zwanzig Jahre später, 1926, einen 238 Hahnewald, Der grüne Film; ders., Sächsische Landschaften. Während das erste Buch im sozialdemokratischen Dresdner Verlag Kaden & Comp. erschien, wurde das zweite in der Reihe »Heimatbücher« des LVSH veröffentlicht. 239 Hahnewald, Vom Wandern S. 76. Inwiefern Hahnewald dabei eigene berufliche Wandererfahrungen thematisierte, lässt sich nicht sagen, da nicht bekannt ist, ob er im Rahmen seiner Lehrzeit ›auf die Walze‹ ging. Vgl. Steinberg, »Karl Herschowitz kehrt heim«, S. 14. 240 Alle Zitate aus Hahnewald, Vom Wandern, S. 76.

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Artikel im »Kulturwille«, der ein Jahr später in der pfälzischen Naturfreundezeitschrift »Berg frei« wiederabgedruckt wurde.241 Darin entfaltete Hahnewald ein ähnliches Bild des Wanderns, legte jedoch einen noch stärkeren Fokus auf den temporären Ausbruch aus der Stadt in die heimatliche Natur, den das Wandern ermögliche. Wandern war bei Hahnewald nur noch sehr vermittelt auf eine sozialistische Zukunft bezogen. In dieser reformistischen Ausrichtung des Wanderns spiegelte sich die verbreitete Vorstellung, in der Weimarer Republik bereits eine Art Heimat gefunden zu haben. Gleichzeitig bildete diese tendenziell reformistische Ausrichtung des Wanderns eine der Hauptkonfliktlinien zwischen den arrivierten Sozialdemokraten und der vergleichsweise revolutionären Arbeiterjugend. Dies äußerte sich etwa darin, dass Teile der Naturfreunde- und Arbeiterjugend ein eigenes Verständnis des ›sozialen Wanderns‹ und der Naturfreundearbeit entwickelten, wie sich anhand des 1904 geborenen Leiters der Dresdner Naturfreundejugend, Ernst Goll, zeigen lässt. Dieser grenzte sich von den »älteren Genossen« ab, die »in festgewurzelten Ideen und Gedankengängen« leben und den »Verein als eine Sportorganisation [betrachten], die Liebe zur Heimat erwecken und gesunde Kämpfer für den proletarischen Klassenkampf erzielen will.« Die Jugendlichen hingegen seien neuen Ideen und Gedankengängen eher zugänglich, sie suchen Lebensreform und freie Lebensgestaltung. Es herrscht unter ihnen ein neuer Wille, ihnen ist der Verein zur Lebensaufgabe geworden. Der Gedanke der Gemeinschaft steht im Vordergrund.242

Golls aussagekräftige Gemeinschaftsorientierung und ihr Verhältnis zu Heimat, wird anhand eines Fotoalbums im folgenden Teilkapitel näher analysiert. Die verschiedenen, in diesem Kapitel behandelten Beispiele machen deutlich, dass die Wanderpraxis und die mit ihr korrespondierenden Diskurse für das sozialistische Heimat-Verständnis und dessen Zugehörigkeitsbezüge eine zentrale Rolle einnahmen. Dabei gilt es zu betonen, dass nicht immer dieselben Ideen und Ziele mit einer auf ähnliche Weise vollzogenen Wanderpraxis verbunden sein mussten. Diese Ambivalenz und Vielschichtigkeit soll abschließend noch einmal mit Blick auf die Heimat-Bezüge und Zugehörigkeitsvorstellungen, die sich in den unterschiedlichen Konzeptionen und Umsetzungsweisen des Wanderns niederschlugen, herausgestellt werden: Heimat in der Retrospektive auf die ›Walze‹ bezeichnete insbesondere die dabei erfahrene solidarische Zugehörigkeit 241 Vgl. ders., Reisen. Dies ist ein weiteres Indiz für eine überregionale Zusammenarbeit der heimatinteressierten Sozialdemokraten. 242 Goll, Gedanken, S. 10. In anderen Artikeln grenzte sich Goll von der bürgerlichen Wanderjugendbewegung ab. Zwar ähnele sich die vollzogene Praxis, doch stehe sie in unterschiedlichen Kontexten und verfolge verschiedene Ziele: »Wir sehen also, der Unterschied liegt nicht in der Kleidung oder dem Gemeinschaftsleben oder auf dem Gebiete der Lebensreform, im Gegenteil, hier gehen die Wege oftmals gemeinsam. Der grundlegende Unterschied zwischen bürgerlicher und proletarischer Jugendbewegung liegt vielmehr in der entgegengesetzten Stellung zum heutigen kapitalistischen Wirtschafts- und Gesellschaftssystem.« Ders., Jugendbewegung, S. 85. Vgl. zur Jugendbewegung grundlegend Reulecke.

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und verwies damit auf eine gemeinsame soziale Herkunft. Ein solches Verständnis sprach ebenfalls aus dem Topos der ›Übergangsheimat Arbeiterbewegung‹, der bspw. der gemeinsamen Gegenwartspraxis des ›sozialen Wanderns‹ zugrunde lag. Gleichzeitig ging mit Letzterer eine zunehmende Orientierung an der konkret existierenden ›engeren Heimat‹ einher, die wiederum mit einem lokalen, regionalen oder nationalen Zugehörigkeitsverständnis verbunden war. Heimat bewegte sich demnach zwischen einem Synonym für solidarische Gemeinschaftserfahrungen einerseits, einem raumbezogenen Verständnis andererseits. Auch mit Blick auf die mit Heimat zum Ausdruck gebrachten Zugehörigkeitsvorstellungen lässt sich festhalten, dass sich diese in der Weimarer Republik zunehmend lokalisierten und konkretisierten. 3.3.1.2 Heimat-Medien und Zugehörigkeit Die sozialdemokratische Wanderpraxis war eng mit der Nutzung verschiedener kollektiv erstellter und genutzter Medien verbunden.243 Zu diesen Medien gehörten Liederbücher, auf die an dieser Stelle als Erstes kurz eingegangen wird, sowie Fotoalben, die aufgrund ihrer zunehmenden Bedeutung in der Weimarer Republik und ihres voraussetzungsreichen Herstellungsprozesses im Zentrum der weiteren Ausführungen stehen. Aus der geschichtswissenschaftlichen Rückschau vermitteln diese Medien nicht nur einen Eindruck der historischen Wanderpraxis. Eine Analyse ihrer Produktion, Zirkulation, Rezeption und Nutzung verdeutlicht, dass sie gleichzeitig selbst eine zugehörigkeitsstiftende Funktion einnahmen. Die Erzeugung eines ›Wir-Gefühls‹ durch gemeinsames Singen ist diesbezüglich das wohl bekannteste Beispiel, dessen zugehörigkeitsstiftende Bezüge u. a. mit Blick auf die Feiern zum 1. Mai herausgearbeitet wurden.244 Liederbücher Die Wanderliederbücher wurden oftmals von den Gau- oder Bezirksvorständen verschiedener Organisationen der Arbeiterkulturbewegungs,245 mitunter auch von bekannten Einzelpersonen,246 herausgegeben. Sie waren in der Regel ähnlich aufgebaut und lassen sich grob in zwei Teile unterteilen: einen spezifisch sozialistischen Teil mit revolutionären Kampfliedern und einen allgemeineren Teil, der oftmals gesamtgesellschaftlich verbreitete und bekannte Heimat- und Volkslieder enthielt.247 Diese Zweiteilung, die das in der Weimarer Republik veränderte sozialdemokratische Selbstverständnis zwischen Klassen- und Volkspartei spiegelte, lässt sich am Beispiel von Naturfreundeliederbüchern genauer bestimmen. Das Liederbuch »Berg frei. Eine Sammlung von Volks- und Wanderliedern für Naturfreunde«248 etwa, das in den 1920er Jahren aufgrund der hohen 243 Vgl. zum Medien-Begriff Becker, Bilder von Krieg und Nation, bes. S. 20. 244 Vgl. zum Singen exemplarisch Hake, S. 84–99. 245 Vgl. bspw. überlieferte Liederbücher des TVdN oder der Arbeitersportbewegung. 246 Vgl. etwa Winnig, Jungblut. 247 Hierin ähnelten sie den in Kapitel 2.2.2 analysierten Gedichtbänden. 248 Touristenverein Die Naturfreunde, Gau Schwaben.

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Nachfrage mehrfach aufgelegt wurde,249 war in folgende Teile unterteilt: »Kampflieder«, »Natur und Wandern«, »Im frohen Kreise«, »Jugend, Liebe und Leid«, »Heimat«, »Abschied«.250 Während der sozialistische Teil die klassischen Lieder der Arbeiterbewegung beinhaltete, umfasste der zweite Teil klassische Volks-, Wander- und Heimatlieder. Dazu gehörte das Lied »Wie’s daheim war«, das auch bei den Jugendweihen in Freital gesungen wurde. Auch die erwähnte Zweiteilung findet sich in verschiedenen anderen Kontexten, etwa im Rahmen des 3. Sängertags des Arbeiter-Sängerbunds 1910 im pfälzischen Pirmasens,251 was für eine Verbreitung innerhalb unterschiedlicher Gruppierungen der Arbeiterbewegung unabhängig vom jeweils besonderen regionalen Kontext spricht.252 Auch wenn die knappen Vorworte der Liederbücher dies nicht eigens thematisierten, ergibt die Analyse der Liederbücher, dass die beiden grob unterschiedenen Teile unterschiedliche, sich gleichwohl überlappende Zugehörigkeits- und Gemeinschaftsvorstellungen repräsentierten. Ein Extrembeispiel stellt diesbezüglich das von August Winnig herausgegebene Liederbuch »Jungblut. Handwerkslieder, Wanderlieder und Volkslieder«253 dar, in dessen Liedauswahl und Geleitwort sich bereits Winnigs spätere nationalsozialistische Wandlung ankündigte.254 Repräsentativer sind Liederbücher wie »Berg frei« der verschiedenen regionalen TVdN-Bezirke, die divergierende Heimat-Konzepte, Zugehörigkeits- und Gemeinschaftsvorstellungen beinhalteten, ohne dass dies aus Sicht der Verantwortlichen einen Widerspruch dargestellt hätte. Ähnlich wie die Praxis, Melodien bekannter Volkslieder mit neuen sozialistischen Liedtexten zu kombinieren, brachte auch die Integration gesamtgesellschaftlicher Volkslieder in den Deutungsrahmen der eindeutig politisch konnotierten Liederbücher den sozialistischen Anspruch zum Ausdruck, sich die bürgerlich dominierte Kultur anzueignen, diese so zu verändern und damit erst zu ihrem ›eigentlichen Recht‹ kommen zu lassen. Im Falle der Naturfreunde kam das Bedürfnis hinzu, so auf die allgemeine Wanderkultur einzuwirken und milieuübergreifende Anerkennung für ihre Praxis zu erfahren.255 Die Liederbücher sollten wesentliches Utensil der Wanderpraxis sein und galten gleichzeitig als Ausdruck der dadurch entstehenden ›Gemeinschaft‹.256 Während sich die verschiedenen Zugehörigkeitsvorstellungen aus dem inhaltlichen Aufbau und der Gestaltung der Bücher destillieren lassen, sind die Nutzungspraxis und die dadurch tatsächlich erzeugten Formen des Gemeinschafts- oder 249 Vgl. dazu Geleitwort zu ebd. 250 Vgl. die zweite Auflage des Buchs. Interessanterweise fehlte die Rubrik »Kampflieder« in der ersten Auflage, wenngleich einige Lieder aus dieser Rubrik darin bereits abgedruckt waren. 251 Vgl. Arbeiter-Sängerbund für die Pfalz. 252 Vgl. zur Tradition der Arbeitersängerbewegung und zum Arbeiterlied exemplarisch Dowe. 253 Vgl. Winnig, Jungblut. 254 In seinem Geleitwort sprach Winnig nicht nur von »Handwerkerstolz, Arbeiterstolz«, sondern ebenso von »Jung-Mauermannsblut«. 255 Vgl. zum Vorgehen Hake, S. 86; zum Bedürfnis zeitgenössisch A. G. George, S. 1–2. 256 Vgl. zur generellen Gemeinschaftsorientierung Hake, S. 222–237.

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Zugehörigkeitsgefühls nur schwierig zu rekonstruieren. Dies betrifft sowohl den Produktionsprozess der Liederbücher, an dem einfache Mitglieder beteiligt werden sollten,257 als auch die tatsächliche Nutzung bei Wanderungen. Demnach lässt sich die Frage, welche Lieder bei einzelnen Wanderungen gesungen wurden und welche Bedeutung den unterschiedlichen Liedgattungen für die Herausbildung der momenthaften ›Wandergemeinschaft‹ zukam, kaum rekonstruieren. Die Geleitwörter der Herausgeber zur Entstehung von Neuauflagen lassen die Rezeption jedoch zumindest erahnen.258 Fotoalben Die Fragen nach der Produktion, Zirkulation und Rezeption der mit sozialistischen Heimat-Konzepten verbundenen Medien und nach den darin enthaltenen verschiedenen Zugehörigkeitsdimensionen werden nachfolgend am Beispiel von Fotoalben eingehender behandelt.259 Diese Fotoalben, so die im Folgenden zu entfaltende These, waren nicht nur Ausdruck und Resultat einer kollektiv vollzogenen Wanderpraxis mit Heimat-Bezug. Vielmehr konstituierte die Praxis ihrer Herstellung im sozialistischen Verständnis wiederum kollektive Zugehörigkeit und die Alben selbst wurden zur symbolhaften Verdichtung und Repräsentation der sozialistischen Gemeinschaftserfahrung. Um diese These belegen zu können, kann sich das Kapitel nicht auf eine Inhaltsanalyse einzelner Fotografien beschränken. Die Analyse muss darüber hinaus sowohl deren medialen Kontext, d. h. die Einbindung in den Rahmen des Albums und das damit einhergehende Bildarrangement, als auch die gesellschaftsgeschichtlichen Hintergründe und historischen Voraussetzungen des Fotografierens sowie die Praxis der Erstellung und Nutzung der Alben einbeziehen.260 Die genaue Analyse eines Albums wird dazu in der Folge mit aktuellen Forschungsarbeiten zur ›Arbeiterfotografie‹, insbesondere zu den Fotosektionen des TVdN, und zur ›Heimatfotografie‹ verbunden.261 Im Fokus der Darstellung steht das Album des Vorsitzenden der Dresdner Naturfreundejugend, Ernst Goll.262 257 Vgl. Geleitwort zu Touristenverein Die Naturfreunde, Gau Schwaben. 258 Darin wird etwa immer wieder auf Veränderung der Liederbücher nach Kritik hingewiesen. 259 Vgl. zur Fotografiegeschichte grundlegend die verschiedenen Arbeiten von Jens Jäger. Zuletzt Jäger, Bildanalyse; überblickshaft ders., Fotografiegeschichte(n); zum kulturgeschichtlichen Blick auf Fotografien, der neben der Bildstruktur u. a. auch die Bildproduktion und -rezeption einbezieht, ders., Fotografie und Geschichte, S. 91–103, darin S. 188–189 zu Fotoalben. 260 Vgl. zu diesem Argument ebd. 261 Vgl. zum Forschungsstand zur Arbeiterfotografie Hesse, Die Eroberung. Hesse problematisiert darin auch den Begriff der ›Arbeiterfotografie‹ und der ›Arbeiterfotografen‹; jüngst Hesse u. Starke; zur sozialdemokratischen Naturfreundefotografie Schindler, Arbeit der Fotosektionen; zur Heimatfotografie Cronin. 262 Das Album stammt aus der Privatsammlung von Joachim Schindler, in der eine relativ große Anzahl an Alben aus der sächsischen Naturfreundebewegung, insbesondere aus Dresden und Umgebung, überliefert sind. Schindler hat die Sammlung mittlerweile in Teilen an das ISGV übergeben. Vgl. zu Goll Schindler, Arbeit der Fotosektionen, S. 25–26.

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Dass Naturfreunde wie Goll in den 1920er Jahren vermehrt fotografieren und Fotoalben herstellen konnten, war historisch voraussetzungsreich und auch in der Weimarer Republik noch alles andere als selbstverständlich. Das technische Equipment blieb für viele Arbeiterinnen und Arbeiter als Einzelpersonen unerschwinglich. Ähnliches galt bezüglich der für das Fotografieren und Entwickeln notwendigen Kenntnisse und Räumlichkeiten.263 Beiden Problemen versprachen die Fotosektionen der Naturfreunde, ebenso wie andere Institutionen der Arbeiterfotografiebewegung, durch Schulungskurse, die kollektive Nutzung des Equipments und die Einrichtung von Dunkelkammern in Volkshäusern oder Naturfreundehäusern Abhilfe zu verschaffen.264 Die Zugänglichkeit des Fotografierens und Fotografiertwerdens jenseits bedeutender Ereignisse wie Jubiläen und Hochzeiten war demnach allein schon insofern bemerkenswert, als dies auf einem System solidarischer Selbsthilfe beruhte. Gleichzeitig wies das Vorhaben, die Arbeiterschaft zum Subjekt des Fotografierens zu machen, Ähnlichkeiten zur sozialdemokratischen Heimatgeschichtsschreibung und Heimatkunde auf, denen ein vergleichbarer Anspruch zugrunde lag. Das Problem der materiellen Voraussetzungen betraf alle Fotografen aus dem Arbeitermilieu. Die unterschiedlichen Gruppierungen unterschieden sich jedoch darin, in welchen Situationen und Kontexten sie fotografierten. Während kommunistische ›Arbeiterfotografen‹ im Umfeld der zentralen Publikationsorgane »Arbeiter-Illustrierte-Zeitung« oder »Der Arbeiter Fotograf« zuallererst politische Situationen im städtischen Umfeld, etwa Demonstrationen oder Arbeitssituationen, aufnahmen,265 fotografierten die an dieser Stelle behandelten Naturfreunde zumeist im Rahmen ihrer Wanderpraxis und Kletterfahrten in der Natur, seltener auch im städtischen Umfeld, und bei längeren Fahrten und Bildungsreisen. Die Fotosektionen begleiteten folglich die auch unabhängig von etwaigen Fotografien vollzogenen Wanderungen, deren wesentliche Momente sie gleichzeitig einzufangen suchten. Zugleich ist davon auszugehen, dass die Etablierung des Fotografierens wiederum die Praxis des Wanderns veränderte.266 Die Frage, in welchen Situationen zu fotografieren sei, war mit einer fortwährenden Auseinandersetzung um die Auswahl der Fotomotive verbunden. Die Diskussion der Kriterien, die ein ›richtiges Foto‹ oder ›gutes Bild‹ auszeichneten, lag nicht zuletzt darin begründet, dass sowohl im Falle der kommunistischen als auch der – abgesehen von den sozialdemokratisch dominierten Naturfreunde-

263 Vgl. Jäger, Fotografie und Geschichte, S. 71–73. Jäger weist darauf hin, dass die Fotografiemöglichkeiten der Arbeiterschaft selbst nach Einführung verhältnismäßig günstiger Kameras beschränkt blieben. Erst in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg habe es »die ›Fotografie von Jedermann‹« gegeben. Vgl. ebd., S. 72. 264 Vgl. bspw. mit Blick auf die Freitaler Arbeiterfotografen Hesse, Ressourcen und Resonanzen; zur Einrichtung von Dunkelkammern in Naturfreundehäuser Schindler, Arbeit der Fotosektionen, S. 7. 265 Vgl. zu dieser Beobachtung Jäger, Fotografie und Geschichte, S. 119. 266 Vgl. Schindler, Arbeit der Fotosektionen, S. 7–10, 12–15, 29–30.

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fotosektionen267 weniger gut erforschten  – sozialdemokratischen Fotografen der geäußerte Anspruch und die tatsächliche Umsetzung durch einfache Vereinsmitglieder auseinanderklafften.268 In den TVdN-Fotosektionen kreiste die Auseinandersetzung um die Frage, ob die Fotografien insbesondere Naturlandschaften oder die solidarische Praxis der Naturfreunde abbilden sollten. Implizit verhandelte diese Kontroverse auch die mit den Fotografien verbundenen Zugehörigkeits- und Heimat-Vorstellungen, wie in der Folge am Beispiel der verhältnismäßig gut erforschten sächsischen TVdN-Fotosektion dargestellt wird.269 Diskussionen um die Praxis des Fotografierens schlugen sich in theoretischen Artikeln in der Vereinszeitschrift »Der Wanderer«, der Anlage und Ausrichtung von Fotografiekursen, Fotowettbewerben und Ausstellungen nieder.270 Zur Unterscheidung verschiedener Fotomotive hieß es etwa 1927 in einem Artikel anlässlich der Einrichtung einer Gau-Lichtbildstelle, die die Fotoarbeit der sächsischen Bewegung durch die Einrichtung einer Sammlung zusammenfassen und professionalisieren sollte: Die Sammlung wird zweckmäßig gegliedert, beispielsweise in: Städtebilder (Gebäude, Brunnen, Denkmäler usw.); Landschaftsaufnahmen, unterschieden nach Charakter (Lausitz, Elbsandsteingebirge, Erzgebirge, Vogtland, Flachland); Aufnahmen aus dem Naturfreundeleben (Kletterer, Wassersportler, Wintersportler, vom Hausbau usw.); Stätten der Arbeit; wissenschaftliche Aufnahmen (Pflanzen- und Tierbilder, geologische Aufnahmen usw.).271

Der sächsischen Gau-Lichtbildstelle ging es demnach darum, eine möglichst breite Fotomotivik abzudecken, die sowohl das städtische Umfeld als auch die natürliche Landschaft und heimatkundliche Denkmale einbeziehen sollte. Ähnlich argumentierte die im selben Jahr abgehaltenen »Reichstagung der Fotogruppen im Touristenverein die Naturfreunde«.272 Dazu hieß es resümierend: Aber leider sei im allgemeinen die Gruppenknipserei weit verbreitet, und es müßten die Photogruppen alles aufbieten, den Anfängern in der Photographie Ziel und Richtung zu zeigen: schöne Landschaftsbilder, Städteansichten, heimatkundliche Denkmale aus Stadt und Land, geologische Charakterbilder der Landschaft, Pflanzen und Tiere, die 267 Vgl. zum Verhältnis von Sozialdemokraten und Kommunisten in den TVdN-Fotosektionen ebd., S. 12. 268 Für die kommunistischen Fotografen problematisiert Hesse eine solche klare Trennung gleichwohl teilweise. Er argumentiert, dass auch der Alltag vieler einfacher Vereinsmitglieder wesentlich und eng mit den politischen Institutionen und Orten der Arbeiterbewegung verquickt war, was eine klare Unterscheidung von Privatem und Politischem infrage stelle. Vgl. Hesse, Ressourcen und Resonanzen, S. 196–199. 269 S. bspw. Schindler, Arbeit der Fotosektionen. 270 Vgl. zu Fotografiekursen, Fotowettbewerben und Ausstellungen exemplarisch die Ausschreibung im Rahmen der Ausstellung »Reisen und Wandern«, die 1929 in Dresden stattfand. Ein ähnliches Vorgehen wurde in Kapitel 1.3.3 herausgearbeitet. 271 Vgl. N. N., An die photographierenden Naturfreunde, S. 12. 272 Vgl. N. N., Reichstagung der Photogruppen, S. 3.

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am Wanderweg stehen, und nicht zuletzt den Menschen bei seiner Arbeit und seiner Erholung und in seinen Wohnungen, wobei manches soziologisch wichtige Moment für die Propagandatätigkeit der freiheitlichen Bewegung auszunutzen sei.273

Eine solche breite Herangehensweise entsprach den Prinzipien des ›sozialen Wanderns‹, in dessen Rahmen eine sozialkritische Herangehensweise an Heimat und Umwelt gefordert wurde. Dabei sollte es keine Rolle spielen, ob es sich bei dieser um Städte, Industrielandschaften oder die Natur handelte, was mit der Ausweitung des Heimat-Begriffs korrespondierte, die auch den in Kapitel 1.2.2 analysierten Titelblättern der Vereinszeitschriften zugrunde lag. Aus der Ausweitung des Heimat-Begriffs resultierte ein Spannungsverhältnis, das die Praxis des ›sozialen Wanderns‹ generell kennzeichnete. Stand die Erforschung und Abbildung »schöne[r] Landschaftsbilder« im Fokus oder mussten zwecks Klassenkampfs Not und Elend der gegenwärtigen Lebens- und Arbeitsverhältnisse abgebildet werden? Die Beantwortung dieser Frage bestimmte den jeweiligen Fokus der lokalen Praxis des Fotografierens. Wie dem Artikel zur Reichstagung zu entnehmen ist, »stellten sich in vielen Gauen die Naturfreunde mit ihrer Photoarbeit in den Dienst der Heimatschutzbewegung, andernorts stellten sie ihre reichhaltige Lichtbildersammlung den Bildungsausschüssen der Arbeiterschaft zur Verfügung.«274 Zwar war diese Abgrenzung nicht immer so trennscharf zu ziehen, wie der Artikel suggerierte. Dennoch deutete sich darin ein Konflikt zwischen den sächsischen TVdN-Fotogruppen an, in dem Leipzig auf der revolutionären, Dresden auf der reformistischen Seite stand. Der Artikel »Mehr soziale Reportage« eines Leipziger Naturfreunds von Juni 1931 kritisierte die vorherrschenden »Aufnahmen schöner Landschaften, Blumen und Tiere« und forderte eine stärkere Berücksichtigung der »Kehrseite«, die es selbst »im Badeort, Dorf, in der Sommerfrische, in der Stadt« gebe: Wir müssen danach trachten, den sozialen Einschlag in den Bildern aus Stadt und Land zu betonen, die Not der Arbeiterklasse, die Ausbeutung durch die kapitalistische Gesellschaft zum Ausdruck bringen. Reale Tatsachen müssen wir sprechen lassen. Unsere Bilder sollen doch mehr sein als bloße Erinnerungen. Wir müssen Kontraste schaffen, das Empfinden des Beschauers aufrütteln und damit unseren Teil beitragen, die sozialistischen Ideen zu verwirklichen.275

In dieser Auseinandersetzung wiederholte sich der Konflikt, welches Heimat-Verständnis die Arbeiterbewegung vertreten solle. Sollte der Fokus auf die regionale Zugehörigkeit gelegt werden, auch wenn die Heimat-Räume der Gegenwart sich weiterhin durch Prekarität auszeichneten? Oder waren Klassensolidarität und die Zugehörigkeit zur ›Heimat Arbeiterbewegung‹ wichtiger, implizierte Heimat notwendigerweise sichere Lebensverhältnisse? Während die sozialdemokratische 273 Ebd. 274 Ebd. 275 Scholz, S. 1.

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Heimatgeschichte und Heimatkunde sich zwar mit regionalen Arbeitsverhältnissen auseinandersetzte, diese dabei aber häufig idealisierte, kritisierte der Leipziger Naturfreund jegliche Harmonisierungsversuche und betonte die Notwendigkeit, sich als Arbeiterfotograf mit Armut zu befassen. Interessanterweise bezog der Artikel diese Kritik ebenfalls auf solche Abbildungen von Großstädten und Arbeitssituationen, die das »Anlitz [sic] der Großstadt« oder den »Bauern […] von der malerischen Seite« betrachteten, ohne die Armut, »die Mietskasernen und die lichtlosen Höfe der Städte« oder die »Beschwerlichkeit seiner [des Bauern, d. Vf.] Arbeit«, zu berücksichtigen.276 Die Kritik des Leipziger Naturfreunds richtete sich dabei vermutlich gegen den deutlich weniger radikalen Dresdner Vereinsbezirk. Dieser stellte zur fotografischen »Erfassung der Menschen und ihrer soziologischen Umwelt« fest: Diese Bilder, sei es der hagere notgewöhnte Blick des erzgebirgischen Kleinbauern oder des Bergmannes, der nach langer Schicht seine kleine heimatliche Scholle betritt, sprachen ein beredtes Zeugnis dafür, wie notwendig das Photographieren für den proletarischen Wanderer heute ist.277

Zwar bildeten auch die Dresdner Fotografien Arbeit und materielle Not ab. Dabei kamen sie jedoch einer Darstellung des bäuerlichen Lebens nahe, wie sie für Hamsuns Bücher und deren sozialdemokratische Rezeption zentral war.278 Die sich darin niederschlagende sozialdemokratische Suche nach einer neubegründeten gesellschaftlichen ›Einheit‹ oder Heimat, die sowohl Natur als auch Industrie und harte Arbeit umfasste und zu idyllisieren versuchte, kritisierten Zeitgenossen wie Leo Löwenthal mit Blick auf die Literatur, etwa Hamsun, und Walter Benjamin mit Blick auf die Fotografie.279 Bezüglich der Motivik der Einzelfotografien lässt sich festhalten, dass sich diese sowohl an Bildbeständen der Heimatfotografie als auch an solchen der Sozialfotografie orientierten.280 Die fotografische Praxis (re-)produzierte dabei teilweise die sozialistische Heimat-Ikonografie, deren Semantiken und Bildbestandteile in Kapitel 1.2.2 anhand gezeichneter Bilder herausgearbeitet wurden. Auch auf einer anderen Ebene wird das enge Wechselverhältnis von Heimat-Semantiken und Heimat-Praktiken deutlich: bei der Weiterverwendung der Fotografien in zahlreichen Kontexten wie Ausstellungen, Publikationen oder Fotoalben. Trotz der Bedeutung der Alben für die TVdN-Fotogruppen ist leider nur wenig über 276 Ebd. 277 N. N., Photokurs, S. 12. 278 Bis zu einem gewissen Grad durchzog ein solches Verständnis sogar den Artikel des Leipziger Naturfreunds, der konstatierte, die beschwerliche Arbeit des Bauern müsse im Fokus stehen, da auf diese Weise sein »Ringen mit dem Boden am besten zum Ausdruck« komme. Vgl. Scholz, S.1. 279 Vgl. zu Löwenthals Hamsuns-Kritik 3.2.3; zu Benjamin Jäger, Fotografie und Geschichte, S. 128. 280 Vgl. zur Heimatfotografie Cronin; zur Sozialfotografie, Industrie- und Arbeitsfotografie Jäger, Fotografie und Geschichte, S. 113–120; im kolonialen Kontext ders., Colony as Heimat?

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die genaue Praxis der Albenerstellung bekannt. Es lässt sich demnach nicht genau sagen, wie die Fotoauswahl getroffen wurde, wer die Bilder einklebte und beschriftete und wie häufig die Alben in der Folge tatsächlich von Einzelpersonen oder Gruppen angesehen wurden. Diese fehlende Thematisierung in den offiziellen Organen der Bewegung ist wohl nicht zuletzt darauf zurückzuführen, dass es sich bei den Alben im Gegensatz zu Ausstellungen, Lichtbildvorträgen und der Publizistik um Medien handelte, die nicht auf die öffentliche Repräsentation der Vereinsarbeit abzielten, sondern in erster Linie für den internen Gebrauch angefertigt wurden, was sowohl Gruppenalben zur Erinnerung an gemeinsame Fahrten als auch Alben von Einzelpersonen betraf. Es ist vor dem skizzierten Hintergrund der fotografischen Naturfreundepraxis davon auszugehen, dass die Alben in gemeinsamer Arbeit hergestellt und in der Gruppe angesehen wurden.281 Die Alben repräsentierten demnach nicht allein die als gemeinschaftsstiftend konzeptualisierte Wanderpraxis, sondern der Prozess ihrer Herstellung und Zirkulation trug wohl selbst zur Herausbildung einer solchen Zugehörigkeitsvorstellung bei, indem sie die vergangene Praxis symbolhaft verdichteten und erinnerten.282 Dies wird im Folgenden anhand von Golls Fotoalbum gezeigt. Der Dresdner Jugendleiter des TVdN setzte sich nicht nur in der Vereinspresse mit Themen wie dem ›sozialen Wandern‹ auseinander und kritisierte dabei die reformistische Ausrichtung der älteren Naturfreunde.283 Vielmehr hielt er die Wanderpraxis der Naturfreundejugend fotografisch fest und fertigte aus den Einzelfotografien das Album an.284 Das aus 18  beklebten Doppelseiten bestehende Album zeigt Aufnahmen der gemeinsamen politischen, kulturellen und sozialen Praxis der Dresdner Gruppe. Fotografien von Arbeitsorten oder arbeitenden Menschen finden sich hingegen nahezu keine; nur eine Fotografie unter dem Titel »Erwerbslosen-Gemeinschaften. Winter 31/32«, deren Organisator Goll war, thematisiert diesen Hintergrund. Auch reine Landschaftsaufnahmen sind in dem Album vergleichsweise selten, werden allerdings teilweise durch Postkarten ersetzt.285 Durch 281 Vgl. zu dieser Einschätzung ein Gespräch in Dresden im Juli 2019 mit Joachim Schindler, der Teile der Albumbesitzer persönlich kannte. Zu den Gruppenalben zu bestimmten Fahrten gehörte etwa das Erinnerungsalbum an die Fahrt der Dresdner Naturfreunde zu den Kriegsschauplätzen des Ersten Weltkriegs in Nordostfrankreich 1930, aus dem sich ein dezidiert politischer und antimilitaristischer Anspruch ablesen lässt. Vgl. zu dem Album Schindler, Arbeit der Fotosektionen, S. 9–10. 282 Den identitätsstiftenden Hintergrund von Fotografien betont u. a. mit Blick auf Amateurfotografen auch Jäger, Fotografie und Geschichte, S. 184–189. Vgl. zu Amateurfotografen auch Edwards. 283 Vgl. Goll, Soziales Wandern. In diesem Artikel vertrat Goll eine radikalere Interpretation des ›sozialen Wanderns‹ und sprach sich insbesondere für den Besuch von Fabrikanlagen und Heimarbeiterstätten aus. 284 Vgl. Joachim Schindlers Angaben zu Golls Album in der Privatsammlung Joachim Schindler, Fotoalben TVdN. 285 So im Falle der Fahrten in die Alpen und an den Bodensee. Da die Bindung des Albums nicht mehr intakt ist und sich die Reihenfolge der Albumseiten daher nicht mit absoluter Sicherheit rekonstruieren lässt, wird auf eine Angabe der Seitenzahlen verzichtet.

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Abb. 11: Fotoalbum Ernst Goll.286

diesen Fokus ließe es sich in die oben genannte fotografische Rubrik »Aufnahmen aus dem Naturfreundeleben« einordnen. Mit Blick auf die in der engeren Umgebung von Dresden und in Sachsen entstandenen Einzelfotografien bildete die »sächsische Heimat« in Golls Fotoalbum einen wichtigen Bezugspunkt, wie die titelgebende Überschrift des Albumteils zu Sachsen, »Aus der Heimat. 1920–1924«, zeigt (Abb. 11). In diesem HeimatBezug ähnelte das Album Alben älterer Naturfreunde. Zugleich legen die drei Fotografien auf dieser Albumseite jedoch nahe, dass die sächsische Heimat insbesondere den Hintergrund und Ausgangspunkt für das Gemeinschaftserleben und die kollektiv vollzogene kulturelle und politische Praxis der Dresdner Naturfreundejugend bildete. In allen drei Aufnahmen steht diese als »Unsere Gruppe« bezeichnet in Nahaufnahme im Vordergrund, während die landschaftliche Umgebung keinen relevanten Bildbestandteil ausmacht.287 Ähnliches gilt ebenfalls für Fotografien, die Wanderungen und politische Demonstrationen durch den sächsischen Heimat-Raum zeigen, bei denen die rote Fahne des Sozialismus und Spruchbänder wie »Kampf der Kulturreaktion« prominent mitgeführt wurden. Ein solches Vorgehen, den Regionalraum als politisch besetzte, durch Solidarität 286

286 Quelle: ISGV, Sammlung Joachim Schindler (Bestand noch unregistriert). 287 Die Überschrift des Albumteils verdeutlicht gleichzeitig, dass die Naturfreundejugend sich und ihre gemeinsame Praxis in einer sächsischen Heimat lokalisierte.

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gekennzeichnete Umgebung auszuweisen, hat Wolfgang Hesse auch mit Blick auf andere Fotoalben herausgearbeitet.288 Darüber hinaus enthielt das Album Fotografien von der Übernachtung in Naturfreundehäusern und (Gau-)Jugendtreffen in Sachsen, der Arbeiter-Olympiade und dem Internationalen Arbeiterjugendtag 1929 in Wien sowie von Bildungskursen in Gera-Tinz, Theaterspielen in der Natur und größeren Sprechchor­ aufführungen, um einige besonders wichtige Beispiele zu nennen. Auch hier lag der fotografische Fokus in vielen Fällen auf den handelnden Personen und der durch sie konstituierten und praktizierten ›Gemeinschaft‹. Dabei gilt es im Vergleich mit anderen Gruppierungen der Arbeiterbewegung zu betonen, dass Frauen auf den meisten Fotos des Albums prominent vertreten waren, mitunter ein Drittel oder gar die Hälfte der abgebildeten Personen ausmachten, was keine Selbstverständlichkeit darstellte. Der in der Mitgliedschaft des TVdN ohnehin verhältnismäßig hohe Frauenanteil traf auf die Naturfreundejugend noch einmal mehr zu.289 Ausgehend von diesem Befund zu den Motiven der Einzelfotografien wird in einem nächsten Schritt der Aufbau des Albums als Ganzes in den Blick genommen. Die Fotografien sind in dem Album chronologisch von 1924 bis 1933 angeordnet. Beginnend mit den ersten Wanderungen und politischen Demonstrationen in der sächsischen Heimat korrespondiert die chronologische Erzählstruktur mit der Ausweitung des räumlichen Bezugsrahmens in nationale und internationale Räume. Der chronologische Aufbau eines Fotoalbums ist zunächst einmal nicht bemerkenswert. Vor dem Hintergrund des verbreiteten Diskurses zum ›Weg der Arbeiter in die Moderne‹ erhält er jedoch potenziell eine darüber hinausweisende Bedeutungsebene. So lässt sich der Aufbau einerseits als praktische Verwirklichung des in dieser Arbeit bereits thematisierten Prinzips der sozialistischen Heimatkunde – von der Heimaterkenntnis zur Welterkenntnis – einordnen. Ausgehend von den Wanderungen und politischen Demonstrationen in der sächsischen Heimat und den dabei gewonnenen Erkenntnissen und Erfahrungen erweiterte die Dresdner Naturfreundejugend zunehmend ihren Erfahrungsraum, im zeitgenössischen Verständnis ›von der Heimat in die Welt‹. Während diese Interpretation nicht abwegig ist, scheint eine andere Deutung angesichts des Ausgeführten und der Theoriebildung der Naturfreundejugend plausibler. Die verschiedenen räumlichen Bezugsrahmen bildeten vorwiegend den Hintergrund für die Darstellung der Gemeinschaftserfahrung in der Gruppe. Dafür spricht nicht zuletzt, dass viele der abgebildeten Orte und Räume, die Naturfreundehäuser oder Arbeiterwohnsiedlungen in Wien, zeitgenössisch ebenfalls als Symbole der solidarischen und zugehörigkeitsstiftenden Praxis der Arbei288 Vgl. Hesse, Ressourcen und Resonanzen, S. 198. 289 Vgl. zum generell hohen Frauenanteil in der Naturfreundebewegung Williams, Turning to nature in Germany, S. 76–77. Ausnahmen in dem Album bilden die Fotografien der Volkshochschulkurse in Gera-Tinz 1928 und der Erwerbslosengemeinschaft von 1931/32, zu der Frauen wohl nicht zugelassen waren.

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terbewegung konzeptualisiert wurden. Betrachtet man das Album als Ganzes, so bildete genau dieser Gemeinschaftsbezug eines der zentralen einheitsstiftenden Momente der chronologischen Darstellung des Albums und beinhaltete gleichzeitig dessen utopisches Moment.290 Erst durch kollektive politische Praxis, so die in dem Album und der Theoriebildung zum Ausdruck kommende These, könne eine sozialistische Heimat in einer veränderten Welt erreicht werden. Die kollektive, u. a. fotografische Aneignung der Landschaft war in der zeitgenössischen Wahrnehmung dabei eine Etappe auf dem politischen Weg der Arbeiterbewegung in Richtung sozialistischer Zukunft. In einem allgemeineren Sinne verstanden, bildet Golls Album mit Blick auf das Verhältnis von Individuum, Kollektiv und Heimat ein weiteres, besonders stark ausgeprägtes Beispiel dafür, wie innerhalb der Arbeiterbewegung die individuelle mit der kollektiven Geschichte verwoben wurde. Wie in den »Bei uns daheim« publizierten Erinnerungen bildeten die regionalen Heimat-Räume in der Weimarer Republik den Hintergrund für eine Art politischer Bewegungsgeschichte, die die prekäre individuelle Herkunftsgeschichte aufzuheben versprach.291 Da die verschiedenen Fotografien das individuelle Leben und Erfahren stets an den Kontext gemeinsamer politischer Praxis zurückbanden, stellten sie das persön­ liche und private Leben wie selbstverständlich in einen größeren politischen Kontext.292 Wie im Falle der Erinnerungen zählte das Individuelle zuallererst als Teil der Bewegungsgeschichte, was im Falle der Fotografie insofern tatsächlich zutraf, als erst die kollektiven politischen Anstrengungen der Arbeiterschaft das Fotografieren ermöglicht hatten. Damit ging in weiten Teilen der TVdN-Fotosektionen ein spezifisches Verständnis der Praxis des Fotografierens wie auch der erstellten Fotografien einher. Diese galten nicht in erster Linie als Ergebnis individueller Autorenschaft, sondern als kollektives Produkt, was im Falle einer Veröffentlichung in republikweit erscheinenden Vereinspublikationen dazu führte, dass dort als Urheber nicht auf den individuellen Fotografen, sondern auf die Ortsgruppe verwiesen wurde, Fotografien gar vollständig anonym publiziert wurden.293 Golls Album war in vielerlei Hinsicht repräsentativ, wich jedoch durch seinen Schwerpunkt auf die ›Gemeinschaft‹ der Naturfreundejugend von anderen Alben ab. So bildete die Abbildung von Menschen und die Darstellung der geteilten ›Gemeinschaft‹ im Vergleich mit anderen Alben, insbesondere solchen der

290 Vgl. zum Aufbau von Alben und der enthaltenen Utopie Hesse, Ressourcen und Resonanzen, S. 205, 212–214. 291 Vgl. Kapitel 2.3.1. In gewisser Weise trifft für die Fotos und Alben ebenfalls zu, was bereits mit Blick auf die autobiografischen Erinnerungen ausgeführt wurde: Subjekt wie Objekt von Geschichtsschreibung und Fotografie zu sein, war alles andere als selbstverständlich und beinhaltete für die Verantwortlichen bereits als Anspruch und mehr noch als tatsächliche Praxis politischen Charakter und Emanzipationspotenzial. 292 Vgl. zu diesem Spannungsfeld auch Hesse, Ressourcen und Resonanzen, S. 196–199. 293 Dies traf etwa auf die Abbildung in den TVdN-Abreißkalendern zu. Vgl. exemplarisch TVdN, Abreißkalender 1925; ders., Abreißkalender 1926.

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älteren Naturfreundegeneration,294 einen im Falle von Golls Album besonders ausgeprägten Fokus, der mit der theoretischen Gemeinschaftsorientierung der Naturfreunde- und Arbeiterjugendbewegung übereinstimmte.295 Darin wiederholte sich einerseits die während der Weimarer Republik virulent bleibende Auseinandersetzung um das ›richtige Foto‹. Zum anderen lässt sich aus den unterschiedlichen Fokusbildungen in den Alben auch auf einen Generationenkonflikt sowie unterschiedliche Zugehörigkeitsvorstellungen und Heimat-Verständnisse rückschließen: Während ältere Naturfreunde oftmals Landschaftsfotografien in den Fokus ihres Interesses rückten, zählte für die Naturfreundejugend offenkundig zuallererst die Darstellung ihrer ›Gemeinschaft‹ und der dort erfahrenen Solidarität. Die Naturfreundejugend strebte die Etablierung neuer Zugehörigkeitsformen an, die ihre gegenwärtige Praxis vorwegzunehmen versprach, machte mithin ein sozialistisches Heimat-Verständnis stark. Dagegen brachten an heimatlich spezifizierten Landschaften orientierte Alben, die seltener Menschen zeigten, insbesondere ein raumbezogenes Heimat-Verständnis zum Ausdruck. In gewisser Weise dockte die in der unterschiedlichen Motivik und Anlage der Fotografien und Alben zum Ausdruck kommende Frage des Fokus auf ›Gemeinschaft‹ oder ›Landschaft‹ an die spätestens seit Beginn der Weimarer Republik virulente Frage, ob Heimat das Soziale oder Nationale priorisiere bzw. priorisieren solle, an. Ihr Niederschlag in den Alben zeigt wiederum, dass dieses Spannungsfeld in der Arbeiterbewegung bis zum Ende der Weimarer Republik bestehen blieb. 3.3.2 Sozialistische, republikanische oder volksbezogene Heimat-Kulturpolitik in der Weimarer Republik Die erzielten Ergebnisse zur Bedeutung des Wanderns werden nachfolgend in den größeren Kontext sozialdemokratischer Heimat-Kulturpolitik gestellt. Unterschiedliche Formen derselben einte, dass sie darauf hinausliefen, Zugehörigkeiten hervorzubringen oder zu legitimieren. Alles andere als einheitlich war jedoch deren Inhalt. Wie der sozialistische Heimat-Diskurs bewegte sich auch die Heimat-Kulturpolitik zwischen spezifisch sozialistischen und gesellschaftsübergreifenden Zugehörigkeitsvorstellungen. Mit besonderem Fokus auf die Festkultur wird nachfolgend in zwei Schritten dargestellt, wie sich sozialistische und republikanische Zugehörigkeitsgenerierung zueinander verhielten und welche Rolle der Bezug auf Heimat dabei jeweils einnahm. Am Beispiel des Leipziger ABI wird in einem ersten Schritt gezeigt, dass einige Kulturtheoretiker die Herausbildung einer sozialistischen ›Volks- und Heimatkultur‹ anstrebten und dazu u. a. eine Arbeiter-Kulturwoche in Leipzig ausrichteten. Davon ausgehend, wird in einem zweiten Schritt die pfälzische SPD und ihre Festkultur näher in den Blick ge294 Vgl. bspw. das Album des TVdN-Bezirks Dresden zu einer gemeinsamen Tantra-Reise oder das Album »Wanderfahrt ins Hirschberg Daubner Land«. 295 Vgl. bspw. Goll, Gedanken.

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nommen, die sich an der Praxis des ABI orientierte und gleichzeitig von dieser abwich. Angesichts ihres milieuübergreifenden Heimat-Verständnisses beteiligte sich die pfälzische SPD an der Etablierung einer republikanischen Regionalkultur. Während am Beispiel des ABI demnach die sozialistische Theoriebildung und die damit verbundene bildungspolitische Praxis im Vordergrund steht, analysiert der Teil zur pfälzischen SPD deren Umsetzung im regionalen Raum. 3.3.2.1 Die Etablierung einer neue sozialistischen ›Volks- und Heimatkultur‹ in Theorie und Praxis: Das Leipziger ABI Der Entwurf einer sozialistischen ›Volks- und Heimatkultur‹ Mit dem sozialistischen Heimat-Verständnis, das eine auf Solidarität basierende Zugehörigkeit metaphorisch zum Ausdruck brachte, ging die Frage einher, wie sich eine solche praktisch verwirklichen lasse. Im Anschluss an das veränderte Revolutionsverständnis, die sozialistische Zukunft müsse in der Gegenwart teilweise vorweggenommen und auf diese Weise sukzessive hervorgebracht werden, kreisten die Antworten um eine neue sozialistische ›Gemeinschaftskultur‹ und den ›neuen sozialistischen Menschen‹. Diese Ausrichtung an ›Gemeinschaft‹ ging mit dem Bedeutungszuwachs der Arbeiterkulturbewegung gegenüber den politischen und gewerkschaftlichen Organisationen einher.296 Weitgehend unberücksichtigt ist in der Forschung diesbezüglich bislang geblieben, dass die Orientierung an vergangenen Formen der kulturellen Praxis und die Verknüpfung mit den Begriffen ›Heimat‹ und ›Volk‹ beim Entwurf dieser veränderten kulturellen Praxis eine nicht zu verachtende Rolle spielte. Entworfen und forciert wurde ein solches Verständnis vonseiten des Leipziger ABI. Das ABI verfolgte seit der Gründung im Kaiserreich u. a. das Ziel, die Bildungs­ arbeit der regionalen Arbeiterkulturbewegungen zu koordinieren und zu zentralisieren.297 Die Vernetzung erfolgte zum einen durch die Zeitschrift »Kulturwille«,298 zum anderen durch größere Tagungen und Veranstaltungen. Valtin Hartig, seit März 1923 Geschäftsführer des ABI und bis 1926 Schriftleiter des »Kulturwille«,299 begründete die Notwendigkeit eines solchen Vorgehens damit, dass die »Erziehungsfrage« eine »Zentralfrage der Verwirklichung des Sozialismus« sei.300 Sein Ziel lag darin, die diversifizierten Formen sozialistischer Kulturpolitik – die in dieser Arbeit mit Fokus auf die Heimat-Kulturpolitik im lokalen und regionalen Raum analysiert und beschrieben worden sind – zu vereinheitlichen und ihnen eine gemeinsame politische Richtung zu geben. Bei der damit einher296 Vgl. zur Gemeinschaftsorientierung bspw. Hake, bes. S. 222–237. 297 Vgl. Heidenreich, S. 61–62. Eines der Handlungsfelder sollte in der Zentralisierung des sozialdemokratischen Bibliothekswesens liegen. Vgl. zu dessen Bedeutung, Gestaltung und Nutzung grundlegend Langewiesche, Freizeit des Arbeiters. 298 Vgl. zur zeitgenössischen Reflexion auf die Bedeutung der Zeitschrift N. N., Zukunft des Kulturwille, S. 99. 299 Vgl. zu einer Kurzbiografie Hartigs Heidenreich, S. 427. 300 Hartig, Arbeiter-Kulturwoche, S. 85.

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gehenden Suche nach »neuen Formen«301 kultureller Praxis orientierte sich das ABI an historischen Formen der ›Volkskultur‹ und ›Heimatkultur‹. Dementsprechend behandelte die 5. Nummer des 1. »Kulturwille«-Jahrgangs im Juni 1924 das Schwerpunktthema »Volkskunst«.302 Die Ausgabe untersuchte das Verhältnis zwischen ›Volks- und Heimatkunst‹ einerseits, einer neu zu schaffenden sozialistischen Kultur andererseits, und stellte auch die zwei Monate später stattfindende Kulturwoche in diesen Zusammenhang. Mehrere Artikel argumentierten, aus welchen Gründen die Etablierung einer neuen sozialistischen Kultur auf der Kenntnis vergangener ›Volkskultur‹ basieren müsse. Hartigs Geleitwort setzte die Auseinandersetzung mit »Volkskunst« gar in Beziehung zum Kampf für eine sozialistische Zukunft: Die klassenbewusste Arbeiterschaft ist wie keine andre Bevölkerungsschicht zukunftwärts gerichtet. Alle ihre Ideale weisen nach vorwärts auf die Errichtung einer neuen Gesellschaft. In ihrer Ideologie auf den Entwicklungsgedanken eingeschworen, betrachtet sie jede vorhergegangene Phase als notwendige Stufe zum Folgenden (logificatio post, d. h. Sinngebung von nachhinein, mag allerdings mancher mit Th. Lessing sagen). Sie kennt keine romantische Verklärung der Vergangenheit und wünscht keine verflossene Etappe zurück. Ihr des breiteren [sic] von Volkskunst zu sprechen, wird vielen ein sonderbares Unterfangen dünken. Da Volkskunst, soweit wir heute noch Spuren und Erzeugnisse von ihr besitzen, wesentlich in der Vergangenheit wurzelt sowie in Klassen und Ideologien, die sich feindlich zur Arbeiterbewegung verhalten, wird sie wohl kaum mehr als ein rein historisches Interesse für die Arbeiterschaft haben, könnte einer sagen. Aber das wäre falsch.303

Hartigs Argumentation ist nicht allein wegen seiner eigenwilligen Interpretation des Historischen Materialismus bemerkenswert, sondern auch wegen der vorsorglichen Entkräftung möglicher parteiinterner Kritiker. Da sein Vorgehen an dasjenige Loschkys im Kontext von »Bei uns daheim« erinnert, ist davon auszugehen, dass die lancierte Begründung innerhalb der Arbeiterbewegung umstritten war. Hartig griff vor diesem Hintergrund auf das verbreitete sozialistische Argument zurück, dass erst die Kenntnis der Vergangenheit die Gestaltung der Gegenwart und der sozialistischen Zukunft ermögliche. Zudem forderte er, Funktion und Inhalt der vergangenen »Volkskunst« zu unterscheiden. So betrachtete er diese nur insofern als Vorbild, als sie aus der Erfahrungswelt des ›Volks‹ entstanden sei und daraus ihre Überzeugungskraft gewonnen habe. In Anlehnung an die ›Volkskultur‹ gelte es, eine proletarische Kunst und Kultur zu schaffen, die ähnliches für die Gegenwart leiste. Für die »kommende Kunst der Arbeiterschaft« resultiere daraus »die bedeutsame Forderung«, dass sie »aus der Erlebniswelt eben dieser Masse schöpfen« müsse: 301 Vgl. Weißenborn, Maibräuche, S. 75. 302 Der frühe Publikationszeitpunkt als Nr. 5 des 1. Jg. (1924) legt nahe, dass der Auseinandersetzung mit »Volkskunst« eine programmatische Bedeutung zugemessen wurde. 303 Hartig, Volkskunst, S. 69.

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Unser sehnsüchtig erstrebtes Ziel ist die eigene Kunst und Kultur der Arbeiterschaft, getragen von der Arbeiterschaft, herausgewachsen aus ihr, ihrem Wesen gemäß. Gewiß kann sie nicht absichtlich geschaffen werden. Sie muß langsam wachsen mit dem politischen und wirtschaftlichen Erstarken der Klasse. Richtige Erkenntnis aber wird Irrwege vermeiden helfen. Und so mag Betrachtung seitheriger Volkskunst von Bedeutung sein zur Erreichung des Kulturziels der Arbeiterschaft. Aus dem Wissen um die Vergangenheit wächst Einsicht für die Zukunft.304

In Hartigs Verständnis diente die Auseinandersetzung mit »Volkskunst« nicht dem Versuch, zu einer aus Sicht der Arbeiterbewegung nur vermeintlich idyllischen Vergangenheit zurückzukehren. Stattdessen sollte sie dabei helfen, eine neue und zukunftsorientierte sozialistische Kultur zu etablieren.305 In deren Entstehungsprozess maß er der Arbeiterschaft, insbesondere der Arbeiterjugend, eine wichtige Rolle zu. Dem Konzept des ›sozialen Wanderns‹ folgend, begriff er Wanderungen und die dabei betriebene Auseinandersetzung mit vergangener »Volkskunst« als Voraussetzung dafür, dass die »Forscher- und Entdeckerfreude« der Arbeiterschaft geweckt werde. Beachtlich ist dabei, dass Hartig sich zum Zweck der Etablierung einer neuen sozialistischen Kultur auf volkskulturelle Traditionsbestände bezog, deren Besonderheit gerade darin bestand, dass ihre Entstehung und ihre Formen in der Vergangenheit unreflektiert geblieben waren. Bemerkenswert ist zudem, dass er davon ausging, es gäbe eine dem »Wesen« der Arbeiterschaft entsprechende Kunst, die aus ihr »herauswachsen« müsse. Darüber hinaus erinnerte die angestrebte Auseinandersetzung mit »Volkskunst« an klassische Formen der Heimatkunde. So sprach sich Hartig dafür aus, bei Wanderungen neben den sozialistischen Liedern auch Volkslieder zu singen.306 Zudem forderte er, dass sich die Arbeiterschaft »gegen die Verschandelung der Natur- und Stadtbilder durch die Auswüchse der Reklameeinrichtungen«307 richten solle. Ebensolche Formulierungen verdeutlichen, dass die zeitgenössischen Heimat-Diskurse den Kontext des Themenschwerpunkts bildeten und seiner Anlage implizit zugrunde lagen, auch wenn Hartig den Begriff nicht verwendete. Ein anderer Artikel der Ausgabe unter dem Titel »Von alter Volks- und Heimatkunst« verdeutlicht dies.308 Darin explizierte der Autor Paul Weber, der in der

304 Ebd. 305 Interessanterweise kehrten die Diskussionen um das Verhältnis von ›Volkskunst‹ und ›Arbeiterkultur‹ u. a. in den in der DDR geführten Diskussionen um eine sozialistische Kultur wieder. Vgl. zu der Auseinandersetzung um Arbeiterlied und Volkslied etwa die Positionen von Wolfgang Steinitz und Inge Lammel. Vgl. etwa Steinitz; Lammel. 306 Hartig, Volkskunst, S.69. Vgl. zur Praxis der Neuadaption alter Volkslieder Kapitel 3.3.1. Vgl. zudem in der Themenausgabe den Artikel zur Bedeutung des Volkslieds für die sozialistische Kultur von Göpel. 307 Hartig, Volkskunst, S. 69. 308 Vgl. Weber.

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Heimatbewegung aktiv war,309 in welches Verhältnis vergangene »Volkskunst« und gegenwärtige »Gemeinschaftskultur« zu setzen seien: Was der alten, an die Heimat gebundenen, aus der Heimat erwachsenen Volkskunst ihre eigentümliche Anziehungskraft in unsern Tagen verleiht, ist die Tatsache, daß sie Ausdruck einer klar umgrenzten Gemeinschaftskultur gewesen ist. Denn sie entsprang einheitlichem Fühlen und Denken einer bestimmten Schicht des Volkes, die zu einheitlicher Lebenshaltung infolge der Art ihrer Arbeit genötigt war. Darum hat sie für den modernen städtischen Arbeiter, der auch nach künstlerischer Ausprägung der Gemeinschaftskultur seines Standes steht, großes, vorbildliches Interesse.310

Laut Weber sollten die überholten Kulturformen, die aus der alten Heimat »erwachsen« seien, aufgrund ihres gemeinschaftsverbürgenden Charakters und Versprechens als Vorbild für eine neue »Gemeinschaftskultur« der modernen Arbeiterschaft dienen. Er argumentierte demnach ähnlich, wenn auch mit weniger explizit sozialistischer Stoßrichtung, wie Hartig. Ein vergleichbarer Artikel erschien auch ein Jahr später als Teil der »Kulturwille«-Schwerpunktausgabe zum Wandern, die im vorangehenden Kapitel analysiert wurde. Moschkaus »Die Augen auf vor den Resten heimatlicher Volkskunst« erklärte, die neue sozialistische Kultur lasse sich durch einen sozialistischen Blick auf die ›heimatliche Volkskultur‹ der Vergangenheit hervorbringen und stellte die Wanderpraxis so explizit in den Kontext der Heimat-Kulturpolitik.311 Die Artikel zur neuen sozialistischen Festkultur orientierten sich ebenfalls an alten Volksfesten.312 So betonte Hartig mit Blick auf die Jugendweihe, dass viele in der Gegenwart gefeierte Feste im »Volkskalender« ursprünglich heidnischen Charakters gewesen und von der christlichen Kirche nur usurpiert worden seien.313 In ähnlicher Weise führte der Leipziger Sozialdemokrat Hellmuth Weißenborn unterschiedliche historische »Maibräuche« auf sich fortwährend verändernde ökonomische und soziale Verhältnisse zurück. Dabei knüpfte die Auseinandersetzung mit dem Verhältnis von ›Volkskultur‹ und sozialistischer Kultur an Diskussionen an, die seit dem Kaiserreich geführt wurden. Auch der Sozialdemokrat Hillig hatte 1904 die These vertreten, dass sich kulturelle Formen mit veränderten ökonomischen Grundlagen wandeln müssten.314 In der Weimarer Republik wurde diese Auseinandersetzung jedoch verstärkt in den 309 Die Publikation ist demnach ein weiteres Beispiel für eine Zusammenarbeit bis in das linke Lager. Vgl. zu Weber etwa Hellmann. 310 Weber, S. 73. 311 Vgl. Moschkau. 312 Damit wurde eine tieferliegende sozialistische Bedeutung der ›Volksfeste‹ herausgestellt. Vgl. Weißenborn, Maibräuche; Geißler, Proletarische Feste; Göpel. 313 Hartig, Jugendweihe, S. 50. Hartig ordnete die Jugendweihe in die Geschichte der Frühlingsfeiern der »Mensch[en] aller Zeiten« ein und wollte sie auf diese Weise als ›wahre Erbin‹ der Volkskultur kenntlich machen. 314 Vgl. Hillig, Heimatschutz; zudem Schur, Bauernkunst. Darin widmete sich Schur ebenfalls der Frage einer bewusst geschaffenen Volkskunst.

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Kontext der identitätsstiftenden Suche nach einer neuen ›Gemeinschaftskultur‹ eingebettet. So folgerte Weißenborn: »Die neuen ökonomisch-sozialen Verhältnisse verlangen mit Macht neue Formen der Gemeinschaftsfeste und sie werden die alte Form verändern, solange Menschen Neues erstreben und zu erkämpfen wissen.«315 Diesen doppelten Prozess, neue Formen und Inhalte für eine entstehende sozialistische ›Gemeinschaftskultur‹ zu finden und sich dabei in Teilen an alten Festen zu orientieren, fasste Heinrich Geißler in seinem Artikel »Proleta­ rische Feste« wie folgt zusammen: Wie im Gesellschaftlichen völlig neue Institutionen und solche, die in alten Formen neue Inhalte finden, zusammen erst Entwicklung und Fortschritt gestalten – kennen wir auch neben jenen Volksfesten alter Zeiten, die wir mit proletarischem Inhalt erfüllen, neue proletarische Feste.316

Wie Hartig ging auch Geißler davon aus, die alten kulturellen und politischen Formen ließen sich mit »proletarischem Inhalt« füllen und so auf sozialistische Weise identitätsstiftend wirken. Dabei unterschied Geißler in seinem Artikel »Romantische und proletarische Volkskunst« zwischen einer romantischen »Kunst des Volkes« und einer proletarischen »Kunst fürs Volk«.317 Keiner der Artikel stellte hingegen prinzipiell infrage, ob die neue sozialistische Kultur überhaupt nach dem Vorbild einer vergangenen ›Volks- und Gemeinschaftskultur‹ gebildet werden sollte. Zwar sollte die neue ›Gemeinschaft‹ nicht exklusiv sein, sondern auf dem Prinzip der Solidarität basieren, wie Hartig an anderer Stelle explizierte.318 Dennoch überschnitt sich die sozialistische Suche nach einer neuen ›Volksund Gemeinschaftskultur‹ und die damit verbundene kulturelle Praxis mit den identitären Zugehörigkeitsverständnissen anderer Milieus. Die Orientierung an einer vermeintlich traditionellen ›Gemeinschaft‹ scheint zeitgenössisch schlicht eine solche Selbstverständlichkeit besessen zu haben, dass sie selbst in der Arbeiterbewegung unhinterfragt blieb.319 Diesbezüglich gilt es aus der geschichtswissenschaftlichen Retrospektive drei Punkte besonders zu betonen, die zeitgenössisch nicht reflektiert wurden: Zunächst ist erstens zu beachten, dass die Vorstellung einer einstmals einheitlichen und unhinterfragten ›Gemeinschaftskultur‹ selbst eine idealisierende Rück­ projektion darstellte. Die vergangenen Lebensverhältnisse bedeuteten oftmals Not und Entbehrung, nur ein Teil des ›Volks‹ verfügte überhaupt über die Möglichkeit, ›Volkskunst‹ zu betreiben. Durch seine Argumentation geriet das ABI zweitens an zentralen Stellen in Gegensatz zur bisherigen sozialistischen Theoriebildung. So hatte es in der Geschichte der Arbeiterbewegung wiederholt Kritik an einer 315 Weißenborn, Volkskunst, S. 75; ähnlich Geißler, Romantische und proletarische Volkskunst; Göpel. Auf vergleichbare Weise wie die Volkslieder wurden in dem Themenschwerpunkt auch Volksmärchen und Volkstänze eingeordnet. 316 Geißler, Proletarische Feste, S. 75. 317 Ders., Romantische und proletarische Volkskunst, S. 71. 318 Vgl. Hartig, Jugendweihe, S. 50. 319 Vgl. zur zeitgenössischen Kritik Plessner.

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vermeintlich authentischen ›Kultur des Volks‹ gegeben. Marx und Engels etwa beklagten im »Kommunistischen Manifest« gerade die Bewusstlosigkeit der vergangenen ›Volkssitten‹ und verstanden deren Auflösung durch den entstehenden Kapitalismus als Möglichkeit individueller intellektueller und praktischer kollektiver Befreiung.320 Ähnlich argumentierte Rühle in in seinen Schriften. Auch er nahm in seiner Analyse an, dass zumindest Teile des ›Volks‹ einstmals eine Heimat besessen hatten; im Gegensatz zu Hartig und Weber galt ihm der ›Heimatverlust‹ jedoch als irreversibel. Rühle argumentierte in seinen Schriften, dass Heimat im herkömmlichen Sinne in der gegenwärtigen Gesellschaft keine Bedeutung mehr haben könne. Eine neue Kultur dürfe nicht an die alten Kulturformen anknüpfen, sondern müsse gänzlich neue schaffen, um eine Art sozialistischer ›Weltenheimat‹ hervorzubringen. Wie Marx und Engels ging auch Rühle davon aus, dass die ›Heimatlosigkeit‹ oder ›Vogelfreiheit‹ des Proletariats dieses dazu prädestiniere, den Sozialismus erkämpfen zu können.321 Die Themenausgabe des »Kulturwille« hingegen maß der alten ›Volkskultur‹ eine Vorbildfunktion zu, wenn sie auch an die Moderne angepasst werden müsse. Sie stellt ein weiteres Beispiel für eine Orientierung an der existierenden Heimat und ein sozialdemokratisches ›Sesshaftwerden‹ in der Weimarer Republik dar; die These von der ›Vogelfreiheit‹ wurde nunmehr in kommunistischen Kreisen vertreten.322 Drittens, und dies verband die Arbeiterbildungspolitiker des ABI mit den Sozialdemokraten im lokalen und regionalen Raum, stand hinter ihrer Orientierung an heimatlicher ›Volkskultur‹ der Versuch, eine Art intentional entworfener sozialistischer ›Gemeinschaftskultur‹ zu schaffen. Auch wenn Hartig betonte, dass eine neue sozialistische Kultur nicht absichtlich geschaffen werden könne, legte sein Vorgehen doch genau dies implizit nahe. Hartigs widersprüchliches Vorgehen ist vermutlich darauf zurückzuführen, dass er seinen Schwerpunkt auf die inhaltliche Ausprägung der neuen sozialistischen Kultur legte und kaum darauf reflektierte, dass die Adaption der identitätsstiftenden Form der ›Volkskultur‹ ebenfalls deren identitäre Momente übernahm.323 Wie im Falle der sozialdemokratischen Heimatgeschichte und Heimatkunde blieb die Form überraschend unreflektiert. Zudem liegt noch eine weitere Interpretation nahe, wenn man genauer danach fragt, worin der Vorbildcharakter der ›Volkskultur‹ aus Sicht der historischen Akteure bestand: Alle Artikel betonten auf unterschiedliche Weise deren gemeinschaftsstiftende Funktion, die Ausdruck einer einheitlichen, nicht gespaltenen Gesellschaft gewesen sei. Vor diesem Hintergrund lässt sich aus der Parallelisierung der sozialistischen ›Gemeinschaftskultur‹ mit der ehemaligen ›Volkskultur‹ 320 Vgl. Marx u. Engels. 321 Vgl. bspw. Rühle, Kind und Umwelt, S. 31. 322 Vgl. etwa die kommunistische Neuauflage von Friedrich Engels »Zur Wohnungsfrage«, hrsg.v. Friedländer. 323 Auch Hartig stellte die Frage der Form demnach nicht ins Zentrum, sondern fokussierte sich auf die Suche nach einer inhaltlich neu bestimmten, sozialistischen ›Volks- und Heimat­ kultur‹.

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folgern, dass das ABI – wenn auch möglicherweise unbewusst – darauf abgezielt haben könnte, Mensch und Kultur auf moderner gesellschaftlicher Grundlage zu einer vermeintlich nicht gespaltenen Ganzheit wieder zu vereinen. Der darin zum Ausdruck kommende Wunsch nach gesellschaftlicher ›Einheit‹ resultierte dabei nicht zuletzt aus dem sozialistischen Topos der ›Entfremdung‹, die dem Kapitalismus anzulasten sei. Die Zeitdiagnose gesellschaftlicher ›Entfremdung‹ bildete dabei seit Marx ein sozialistisches Theorem, benannte in der Weimarer Republik jedoch oftmals weniger eine theoretische Kritik, sondern eine verbreitete Erfahrung bzw. ein virulentes Gefühl. In einem allgemeineren Sinne verstanden, unterstreicht das Quellenbeispiel das Wechselverhältnis von Tradition und Moderne, das in dieser Arbeit bereits an einigen Stellen diskutiert wurde: Ein gesellschaftliches Bewusstsein von Tradition kann erst dann entstehen, wenn sie gerade nicht mehr unhinterfragt gesellschaftsstrukturierend wirkt, was in der modernen Gesellschaft der Fall ist. So bedarf das Sprechen über Traditionen bereits einer Scheidung der Menschen von für selbstverständlich gehaltenen Formen kultureller Praxis, durch welche Reflexionsvermögen erst entsteht. Dagegen stellt eine in der modernen Gesellschaft bewusst geschaffene Tradition eine contradictio in adiecto dar und verweist als solche auf Momente einer »Invention of Tradition«, wie sie den Heimat-Begriff der bürgerlich-konservativen Heimatbewegung wesentlich kennzeichneten.324 Erstaunlicherweise wurde eine solche Einordnung von Hartig und den anderen Autoren jedoch nicht vorgenommen. Stattdessen bildete die ihrerseits entworfene Orientierung der neuen sozialistischen Kultur an Formen der ›Volkskultur‹ ein Analogon zum Vorgehen der Heimatbewegung. Im bürgerlichen Fall beinhaltete ein solches Vorgehen die Flucht vor den ›Zumutungen der Moderne‹ in die (vermeintlich) Sicherheit und Eindeutigkeit versprechende Tradition. Dies stellte sich in der Arbeiterbewegung komplexer dar. Gleichwohl implizierte auch ihr Wunsch, auf moderner Grundlage eine nicht gespaltene ›Gemeinschaftskultur‹ zu etablieren, die Tendenz, hinter das mit der Moderne entstandene Reflexionsvermögen und die Kritik vermeintlich authentischer Traditionen zurückzufallen. Die Leipziger Arbeiter-Kultwoche als Beispiel praktischer Umsetzung Inwiefern schlug sich der theoretisch formulierte Anspruch einer sozialistischen ›Heimat- und Gemeinschaftskultur‹ auch in der weiteren Praxis des ABI nieder? Um diese Frage zu beantworten, wird exemplarisch auf die erste »Arbeiter-Kulturwoche in Leipzig«325 eingegangen, die das ABI als eine Art Auftaktveranstaltung vom 02. bis zum 06.08.1924 veranstaltete.326 Die Kulturwoche sollte Arbeiterbildungsorganisationen aus verschiedenen Regionen zusammenführen sowie »den

324 Vgl. allgemein Hobsbawm u. Ranger; mit Fokus auf Heimat Applegate, S. 19. 325 Hartig, Arbeiter-Kulturwoche, S. 85. 326 S. die Berichterstattung im »Kulturwille« ebd.; N. N., Programm der Kulturwoche; im Nachgang N. N., Verlauf der Kulturwoche.

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Bildungsbestrebungen innere Geschlossenheit und äußere stärkere Stoßkraft«327 verleihen. Hartig begründete ihre Notwendigkeit damit, dass zwar bereits »ein breiter Kulturstrom innerhalb der Arbeiterschaft« fließe, sich bislang aber »besonders nach der Gefühlsseite hin« auslebe. Die »verschiedenen kulturellen Vereine, die notwendige Spezialaufgaben erfüllen,« existierten oftmals »ohne genügend gegenseitige Fühlungnahme« nebeneinander. »Durch letztere könnte ihre Arbeit viel fruchtbarer gemacht werden.«328 Von der Zusammenführung sozialistischer Bildungspolitiker aus unterschiedlichen Teilen Deutschland und dem Ausland versprach sich das ABI eine überregionale Verständigung u. a. über die Voraussetzungen und die Herausbildung der neuen sozialistischen Kultur und über das Verhältnis von Arbeiterbildung und staatlicher Schulpolitik.329 Ähnlich lautete die Wortwahl des SPD-Reichsbildungsausschusses, die Kulturwoche solle als Veranstaltung fungieren, »in der die grossen sozialistischen Kulturorganisationen Tagungen abhalten und in deren Rahmen ausserdem eine Anzahl hochwertiger, künstlerischer und bildender Veranstaltungen stattfinden«.330 Die Kulturwoche stand unter dem thematischen Schwerpunkt »Die kulturelle Not der Gegenwart« und umfasste ein vielfältiges kulturpolitisches Programm. Dazu gehörten die vonseiten der Arbeiterjugend organisierte Eröffnungsfeier, Vorführungen einer kompilierten Neufassung von Tollers Massenchorstücken »Die Wandlung« und »Weltfriede«, eine »Bücherausstellung«, eine Kunstausstellung sowie zahlreiche kleinere Bildungsveranstaltungen, wie Lichtbild- und Filmvorführungen, Vorträge oder Museumsbesuche. Kulminationspunkt der Woche sollte ein großes Gewerkschaftsfest sein.331 Der überregionale Anspruch der Veranstaltung schlug sich u. a. in der Auswahl der Rednerinnen und Redner nieder, zu denen der Reichsjustizminister a. D. Gustav Radbruch, der vormalige Reichsinnenminister Wilhelm Sollmann, der Reichstagspräsident Paul Löbe, Heinrich Schulz, Staatssekretär im Reichsinnenministerium, Leo Kerstenberg, Musikpädagoge und Referent im preußischen Ministerium für Volksbildung, Kunst und Wissenschaft, sowie die sozialdemokratische Reichstagsabgeordnete und Chefredakteurin der sozialdemokratischen Frauenzeitung »Die Gleichheit«,332 Clara Bohm-Schuch, gehörten. Vertreten waren demnach sozialdemokratische Politiker aus der Schul- und Bildungspolitik, bspw. aus sozialdemokratisch geführten Kultusministerien, was andeutet, dass sich die Kulturwoche – wie die Bildungs- und Kulturarbeit insgesamt  – zwischen Arbeiterbildung und staatlicher Bildungspolitik bewegte. Auch der SPD-Parteitag in Heidelberg 1925 maß der Kultur327 Hartig, Arbeiter-Kulturwoche, S. 85. 328 Ebd. 329 Vgl. zum Programm bes. N. N., Programm der Kulturwoche; das Programmheft ABI Leipzig. 330 Vgl. BHStAM, MK 15558, 28291, fol. 7. Wie das ABI-Programmheft zeigt, folgten zentrale Bildungsorganisationen dem Aufruf. Die Kulturwoche war »verbunden mit Mitteldeutschem Jugendtag, Reichskonferenz der Kinderfreunde, der Bildungsausschüsse der SPD, der sozialistischen Lehrer und sozialistischen Studenten.« Vgl. ABI Leipzig, S. 1. 331 Vgl. ebd., Titelblatt. 332 Vgl. zur »Gleichheit« Sachse.

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woche einen großen Stellenwert zu. Ihr Ertrag in dem Bericht zum »Bildungswesen« wurde wie folgt beschrieben: »Die Kulturwoche war ein erster Versuch, die sozialistischen Kulturorganisationen zu einer gemeinsamen Kundgebung zusammenzuführen und in den festlichen Veranstaltungen einer neuen sozialistischen Festkultur den Weg zu ebnen.«333 An ihr hätten neben »800 interessierten Genossen und Genossinnen aus allen Teilen des Reichs«,334 der Parteivorstand, die Gewerkschaften, Vertreter von neunzehn der zentralsten Arbeiterkulturorganisationen und sogar ausländische Vertreter teilgenommen. Der Heidelberger Parteitag wertete die Kulturwoche dabei als wesentlichen Beleg dafür, dass sich das sozialistische Bildungs- und Kulturwesen langsam von Weltkrieg und Krise erhole und 1924/25 beachtliche Entwicklungsschübe gemacht habe. Sowohl die Parteiführung als auch sozialdemokratische Regierungsmitglieder waren demnach an der Herausbildung einer erneuerten sozialistisch-republikanischen Heimat-Kultur interessiert. Das zentrale Ziel der Kulturwoche bestand darin, die verschiedenen Organisationen der Arbeiterbildungsbewegung und die Bildungsausschüsse der regionalen SPD-Bezirke zu vernetzen – nicht zuletzt, um auf die sozialdemokratische Bildungsarbeit im lokalen und regionalen Raum Einfluss zu gewinnen und die diversen Formen sozialdemokratischer Kulturpolitik zu vereinheitlichen. Hartig forderte diesbezüglich »mustergültige Veranstaltungen […], die den Besuchern Vorbild und Anregung darstellen für die eigenen Feiern in der Heimat.«335 Wie erfolgreich das ABI mit diesem Vorgehen in der Pfalz war, wird im nachfolgenden Teilkapitel genauer analysiert. Es ist jedenfalls wahrscheinlich, dass Mitglieder der SPD-Bezirksbildungsausschüsse aus den Analyseregionen an der Kulturwoche teilnahmen und es in Leipzig zu einem Zusammentreffen der verschiedenen lokal und regional aktiven, heimatinteressierten Kultur- und Bildungspolitiker kam. Dies legen zum einen Rezensionen in der regionalen Parteipresse nahe.336 Zum anderen deutet ein vonseiten des Reichsbildungsausschusses gestellter Antrag in dieselbe Richtung, für den Richard Weimann – späterer Leiter der Parteischulung, Kultur und Erziehung des ZS der SED337 – verantwortlich zeichnete. Der Antrag auf einen Zuschuss von 8520 Mark richtete sich an die Abteilung für die besetzten Gebiete des Reichministerium des Innern und argumentierte, durch die Reisekostenbezuschussung werde den sozialdemokratischen Bildungspolitikern aus den »besetzten Gebiete[n]« die Teilnahme an der Konferenz ermöglicht und so »unter unseren Volksgenossen im besetzten Gebiet das Gefühl der Zugehörig333 Vgl. Bericht zur Arbeiter-Kulturwoche im Rahmen des Berichtes zum Bildungswesen SPD Deutschland, S. 52. 334 Ebd. 335 Hartig, Arbeiter-Kulturwoche, S. 85. 336 Vgl. etwa die positive Besprechung der pfälzischen SPD-Bildungsarbeit durch den »Kulturwille« N. N., »Jugendwille«. 337 Hier wird deutlich, dass die Traditionslinien der ›sozialistischen Heimat‹ in der DDR bis in die Weimarer Republik zurückreichten.

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keit zur deutschen Volksgemeinschaft« gestärkt.338 Dabei ist nicht aufzuklären, inwiefern der Bezug auf die »besetzten Gebiete« und die »Volksgemeinschaft« aus Überzeugung oder aus strategischen Gründen gewählt wurde. Jedenfalls war dem Antrag, der neben über 120 Vertretern aus dem Ruhrgebiet und der Rheinprovinz auch neun Vertreter aus der bayerischen Pfalz auflistete,339 kein Erfolg beschieden. Er wurde unter Verweis auf die fehlenden Mittel und die kurzfristige Antragstellung abgelehnt. Im Falle der Pfälzer Vertreter lehnte auch das bayerische Ministerium für Unterricht und Kultus eine Bezuschussung ihrer Reisekosten wegen knapper Mittel ab und verwies auf die grundsätzliche Unmöglichkeit, Veranstaltungen in den ›nichtbesetzten Gebieten‹ aus dem Fonds für die ›besetzten Gebiete‹ zu finanzieren.340 Ob die neun sozialdemokratischen Bildungs- und Kulturpolitiker aus der Pfalz letztlich an der Kulturwoche teilnehmen konnten, lässt sich demnach anhand des vorliegenden Quellenmaterials nicht abschließend entscheiden. Allerdings ist es nicht unwahrscheinlich, dass sie aus der Pfalz anreisten und ihre Heimat-Kulturpolitik in der Folge an den in Leipzig geführten Diskussionen auszurichten versuchten. An welchen Stellen der Kulturwoche tauchte nun der Rekurs auf ›Heimatund Volkskultur‹ auf und inwiefern wurde versucht, darüber Zugehörigkeit herzustellen? Bereits die Beschreibung des abschließenden Gewerkschaftsfests verdeutlicht die Orientierung an Formen einer veränderten sozialistischen ›Gemeinschaftskultur‹. Dieses war »in Form eines grossen Volksfestes geplant […] und [sollte] zeigen […], wie man unter Ausschaltung alles Minderwertigen und Kitschigen ein Fest der Masse echt volkstümlich gestalten kann«.341 Inwiefern das Gewerkschaftsfest etablierten Volks- und Heimatfesten tatsächlich nahekam und diese mit der sozialistischen Festkultur zu verbinden suchte, lässt sich nicht abschließend verifizieren, da keine genauen Beschreibungen oder Fotografien erhalten geblieben sind. Dass den theoretischen Diskussionen um das sozialistische Bildungsideal in der nachträglichen Berichterstattung größere Bedeutung zugemessen wurde als der gemeinsam vollzogenen Praxis, könnte darauf hinweisen, dass die Veranstalter mit der wenig sozialistischen Ausrichtung der Veranstaltung unzufrieden waren.342 338 Vgl. BHStAM, MK 15558, 28291, fol. 8. Es ist diesbezüglich nicht zu entscheiden, inwiefern eine solche Begründung zuallererst taktischen Überlegungen oder eigener Überzeugung geschuldet war. Applegate geht ebenfalls kurz auf den Antrag ein, ohne ihn allerdings eingehender zu untersuchen. Vgl. Applegate, S. 169. Dass die Antragsstellung auch erfolgreich sein konnte, zeigt das Naturfreundehaus Elmstein. Vgl. Kapitel 1.3.2. 339 Diese setzten sich wie folgt zusammen: zwei Vertreter des SPD-Bezirksbildungsausschusses Pfalz, vier Vertreter der größten Pfälzer örtlichen SPD-Bildungsausschüsse in Ludwigshafen, Kaiserslautern, Pirmasens und Speyer sowie jeweils ein Vertreter der regionalen Arbeiterjugend-Vereine, der Arbeitsgemeinschaft sozialistischer Lehrer und der Arbeitsgemeinschaft der Kinderfreunde. Vgl. BHStAM, MK 15558, 28291, fol. 11. 340 Vgl. ebd., fol. 13. 341 Ebd., fol. 7. Vgl. weiterhin N. N., Programm der Kulturwoche. 342 Vgl. N. N., Verlauf der Kulturwoche. Die darin retrospektiv geäußerte Kritik bezog sich evtl. auf das Fest.

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Auch unabhängig von dem Gewerkschaftsfest spielten Heimat-Bezüge und der Bezug auf den Lokalraum Leipzig eine wichtige Rolle. Dies betraf zum einen Diskussionen um die Bedeutung der Heimatkunde für das sozialistische Bildungsund Erziehungsverständnis.343 In diesem Zusammenhang ging es zudem um die Frage des Verhältnisses der sozialistischen Bildungspolitik zu staatlicher und kommunaler Schulpolitik, zu der der sozialdemokratische Lehrer und pädagogische Experte Richard Lohmann referierte.344 Darüber hinaus existierten auch in der begleitenden Kunstausstellung und in Presserzeugnissen Heimat-Bezüge. Wie sich dem publizierten Ausstellungsführer entnehmen lässt, bezogen sich Teile der Ausstellung auf ein sozialistisches Heimat-Verständnis und grenzten sich deutlich von einem konservativen ab. Diesbezüglich spielte zum einen das Motiv proletarischer ›Heimatlosigkeit‹ angesichts erzwungener Mobilität eine Rolle. Das Werk von Hans Baluschek aus Berlin zeigte »[a]n der Peripherie der Großstadt […] ein paar heruntergekommene Vagabunden […]. Sorglose Sommervögel, ihrer Klasse entwurzelt, heimatlos dem Elend der Straße preisgegeben.« Während Baluscheks Werk sich aus sozialkritischer Perspektive auf die negativen Auswirkungen des Kapitalismus fokussierte, stellte das Werk von Georg Scholz aus Baden die Kritik des bürgerlichen Heimat-Verständnisses der Kleinstadthonoratioren ins Zen­ trum: Der Satiriker Scholz widme sich in seinem Bild »Kriegerverein« den »romantischen Kleinstädte[n] seiner Heimat mit ihrer bornierten Spießigkeit.«345 Die Bilder, die im Rahmen der Heimat-Kulturpolitik der Kulturwoche standen, vermittelten beide ex negativo Vorstellungen von Zugehörigkeit und Heimat. Die Darstellung der Vagabunden und ihrer ›Heimatlosigkeit‹ wurde damit begründet, dass sie »ihrer Klasse entwurzelt« seien. Implizit sprach daraus der Topos von der ›Heimat Arbeiterbewegung‹, die Sicherheit garantieren und ›Heimatlosigkeit‹ beenden könne. Auch die Kritik des borniert bürgerlichen Heimat-Verständnisses und der damit verbundenen Zugehörigkeitsvorstellungen sprach sich ex negativo für die sozialistische Konzeption internationalistischer, solidarischer Zugehörigkeit aus. Bei Kenntnis der engen Beziehung zwischen Antimilitarismus und Heimat, die sich vor dem Hintergrund des Ersten Weltkriegs in der USPD und der Arbeiterjugend herausgebildet hatte, fällt in den Beschreibungen der Kulturwoche noch etwas anderes ins Auge: Die während der Woche gemeinsam verfolgte Praxis kreiste um die Fragen von Weltkrieg und Proletariat, wobei auch der Rekurs auf den Heimat-Begriff vorkam. Zum einen zeigte sich ein solches Verständnis bei 343 Vgl. ebd. 344 Vgl. ebd., S. 146–147. Der Titel des Vortags lautete: »Das sozialistische Bildungswesen im Verhältnis zur Bildungsarbeit von Staat und Gemeinde«. Lohmann plädierte für eine strikte Trennung zwischen sozialistischer und staatlicher Bildungspolitik, optierte jedoch gleichzeitig für die Beteiligung an Letzterer, um auf diesem Wege die gesellschaftlichen Grundlagen für den Übergang in Richtung Sozialismus zu schaffen. 345 ABI Leipzig, S. 14. Die Reproduktionen der Bilder finden sich auf S. 20 und S. 16. Vgl. zur Kunstausstellung weiterhin Bauer, Kunstausstellung; ders., Die Kunstausstellung der 1. Arbeiter-Kulturwoche.

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den großen antimilitaristischen Antikriegsdemonstrationen, die den Auftakt der Woche bildeten und vonseiten der Arbeiterjugend angeführt wurden. Zum anderen betraf dies ebenfalls das uraufgeführte Massenchorwerk von Toller, das aus den Stücken »Die Wandlung« und »Weltfriede« kompiliert war. Darin leitete Toller aus der historischen Erfahrung des Krieges die Notwendigkeit des sozialistischen Internationalismus und eines entsprechenden Heimat-Verständnisses ab. An der entscheidenden Stelle des Stückes heißt es: So kommt es zur Schlacht aller gegen alle, […], besiegt, ergebnislos kommen die Schiffe schwer beschädigt in die Heimat zu dem enttäuschten Volk. Aus den vergeblichen Opfern aber keimt der Gedanke zu friedlicher Verständigung aller.346

Vor dem Hintergrund der bisherigen Ausführungen zum Wechselverhältnis von sozialistischer Theorie und Praxis lässt sich argumentieren, dass das Chorwerk die proletarischen Erfahrungen von Krieg und Not nachzustellen versuchte, um durch diese Praxis eine neue, geläuterte ›Gemeinschaft‹ und Zugehörigkeitserfahrung herauszubilden und emotional erfahrbar zu machen.347 Demnach sprachen die Verantwortlichen der Aufführung wohl ein kathartisches Moment zu, dass sich allerdings nicht auf die individuelle Lektüre eines Kunstwerks beschränken, sondern gesellschaftlich in der kollektiven Praxis wirksam werden sollte. Ähnliches betraf ebenfalls die antimilitaristischen Demonstrationen durch Leipzig, die im Zuge der Kulturwoche stattfanden. Vor dem Hintergrund der in Kapitel 1.3.2 herausgearbeiteten sozialistischen Kartierungspraxis des öffentlichen Raumes und der damit verbundenen Zugehörigkeitskonzepte lässt sich argumentieren, dass in den antimilitaristischen Demonstrationen ein eigenes sozialistisches Verständnis von Heimat und Zugehörigkeit in den öffentlichen Raum getragen wurde. Gleichzeitig formulierten die Demonstrationen einen sozialistischen Anspruchs auf den Heimat-Raum.348 In diesem Kontext versuchte die SPD zudem, Leipzig als Heimat-Raum der Arbeiterbewegung auszuweisen: So druckten die »Kulturwille«-Sondernummern zur Kulturwoche Artikel zur Geschichte der Leipziger Arbeiterbewegung ab.349 Im Vorfeld der Veranstaltung wurde ebenfalls ein Aufruf an die ›Leipziger Genossen‹ publiziert, Gäste zu beherbergen und auf diese Weise den Anspruch einer solidarischen ›Gemeinschaft‹ auch durch die eigene Praxis zum Ausdruck zu bringen.350 In der Festchoreografie zeigte sich 346 N. N., Massenfestspiel, S. 103. Vgl. zur Aufführung N. N., Die Wandlung. Vgl. zur Bedeutung von Heimat-Bezügen im Massensprechchor weiterhin das in Kapitel 3.2.1 analysierte Stück Auerbach. 347 Vgl. zum Argument der performativen Gemeinschaftsinszenierung generell Hake, S. 222–237. 348 Vgl. zum sozialdemokratischen Verständnis von Leipzig als Heimat-Raum u. a. den Leipziger Arbeiterführer von 1925. In dessen Einführung machte Richard Lipinski das sozialistische »Heimatrecht« auf die Stadt geltend und knüpfte damit offenkundig an die vormodernen Bedeutungsgehalte des Heimat-Begriffs an. Vgl. N. N., Arbeiterführer für die Stadt Leipzig 1925. 349 Vgl. bspw. Lipinski. 350 Vgl. N. N., Quartiere.

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demnach trotz der Orientierung an vergangener ›Volkskultur‹ eher ein sozialis­ tisches als ein parteiübergreifendes republikanisches Heimat- und Zugehörigkeitsverständnis. Dies sah im Falle der nun zu analysierenden regionalen Festund Heimatkultur anders aus. 3.3.2.2 Sozialdemokratisch-republikanische Regionalkultur in der Pfalz Die regionale Arbeiterkulturbewegung brachte ihre Heimat-Kulturpolitik mit den Vorgaben des ABI in Verbindung, was u. a. daran nachzuweisen ist, dass Teile der pfälzischen SPD an der Leipziger Kulturwoche teilnahmen oder zumindest teilnehmen wollten. Die Orientierung an Formen sozialistischer Zugehörigkeitsproduktion bedeutete gleichwohl nicht, dass der SPD-Bezirk Pfalz die Konzepte des ABI oder des sozialdemokratischen Reichsbildungsausschusses351 eins zu eins übernommen und in der regionalen Heimat-Kulturpolitik umgesetzt hätte.352 Vielmehr verknüpfte er jene mit lokal- oder regionalbezogenen Zugehörigkeitskonstruktionen. Bereits im Verlauf der Arbeit hat sich gezeigt, dass es der Sozialdemokratie in unterschiedlichen lokalen und regionalen Konstellationen darum ging, durch ihre Heimat-Kulturpolitik eine sowohl sozialdemokratisch als auch republikanisch geprägte Regionalkultur zu entwickeln. Mit diesem Vorgehen beabsichtigte der reformorientierte Parteiflügel, die Republik auf Ebene der Region zu verankern. In der Heimat-Kulturpolitik der pfälzischen SPD waren Bezüge auf die regionale Demokratie- und Revolutionsgeschichte dabei von zentraler Bedeutung. Erinnert sei hier an die sozialdemokratische Heimatgeschichte, die revolutionäre Bewegungen als wesentlichen Teil der Pfälzer Heimat ausmachte. Mit dem Hambacher Schloss besaß jene auch national bedeutsame Geschichte eine Materialisierung in der regionalen Landschaft, die sowohl in der sozialdemokratischen als auch in der parteiübergreifenden, in der Weimarer Republik oftmals republikanischen regionalen Festkultur von großer Bedeutung war.353 Angesichts dieses Doppelcharakters ist es von besonderem Interesse, auf welche Weise die SPD das Hambacher Schloss zur Konstruktion kollektiver, sowohl sozialdemokratischer als auch republikanischer Zugehörigkeit nutzte und welche Rolle der Bezug auf Heimat dabei spielte. Unter Rückgriff auf die bereits erzielten Ergebnisse wird in der Folge gezeigt, welche Bedeutung dem praktischen Bezug auf das Hambacher Schloss bei der Konstruktion einer sozialdemokratisch-republikanischen HeimatZugehörigkeit und Regionalkultur zukam. 351 Interessanterweise gab der SPD-Reichsbildungsausschuss zur Vereinheitlichung der sozialistischen Festkultur Mitte der 1920er Jahre Broschüren mit Reden und Festabläufen heraus, was an das zentralisierende Vorgehen des ABI erinnert. Vgl. etwa Zentralbildungsausschuß der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands; Sozialdemokratische Partei Deutschlands, Zentralbildungsausschuß. 352 Dies zeigt sowohl die Analyse der Jugendweihen in Freital (Kapitel 2.3.2.3) als auch die hier im Fokus stehende pfälzische SPD. 353 Vgl. zum republikanischen Charakter Applegate, S. 166, 169.

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Zur Beantwortung dieser Frage ist es wichtig, die Entwicklung sozialdemokratischer Bezüge auf das Hambacher Schloss seit dem Kaiserreich zu kennen, als sich das Abhalten von sozialistischen Feiern und parteipolitisch konnotierten Aktionen als bewährtes Mittel sozialdemokratischer Zugehörigkeitsstiftung etablierte. Zum fünfzigjährigen Jubiläum des Hambacher Festes 1882, das in die Zeit des ›Sozialistengesetzes‹ fiel, hatte eine kleine Gruppe von SPD-Mitgliedern um Franz Josef Ehrhart versucht, auf dem Hambacher Schloss eine rote Fahne zu hissen, um dieses so als sozialdemokratischen Ort auszuweisen.354 Die klandestine Aktion war, ebenso wie ein ähnlicher Versuch anlässlich eines sozialdemokratischen Wahlsiegs 1909, vonseiten der Staatsgewalt mit Festnahmen und Gefängnisstrafen beantwortet worden.355 Auch die Veranstaltung von Maifeiern hatte zum Ziel, das Hambacher Schloss durch politische Praxis als Symbol der regionalen Revolutionsgeschichte und Bestandteil der Parteigeschichte zu deklarieren.356 Ähnlich ging die sozialdemokratische Geschichtsschreibung vor, die darzulegen versuchte, aus welchen Gründen es sich bei der Sozialdemokratie um die einzig ›wahre Erbin‹ der Forderungen von 1832 handelte.357 Selbst Parteigrößen wie Wilhelm Liebknecht bezogen sich auf die historische Schlossruine als Symbol der Revolutionsgeschichte und Teil der sozialdemokratischen Geschichte. Liebknecht bezeichnete die Aktion von 1882 einige Jahre später »als symbo­lische Ankündigung, daß die Sozialdemokratie von der gesammten [sic] feudalen und bürgerlichen Welt Besitz ergreifen will und wird.«358 Alle diese Formen der sozialdemokratischen Hambach-Bezugnahme einte ein spezifisch sozialistischer Anspruch.359 Trotz ihrer parteipolitischen Ausrichtung mischten sich in die Bezugnahme auf das Hambacher Schloss als revolutionären Ort bereits im Kaiserreich positive Bezüge auf die deutsche Nation und die Pfalz als Heimat. So beschrieb Ehrhart den Hambach-Veteran Johann Philipp Becker in einem Text zum Hambacher Fest nicht nur als Revolutionär, sondern betonte, wie wichtig diesem als Pfälzer ein Wiedersehen mit der »teuren Heimat«360 gewesen sei. Auch die 1904 erschienene Monografie »Das Hambacher Fest« des damaligen Chefredakteurs der »Pfälzischen Post«, Wilhelm Herzberg, verortete sich im Kontext der Heimat- und Nationalgeschichtsschreibung.361 Ein solcher Rekurs auf Heimat zeigte sich darüber hinaus im Umfeld des Landesparteitags der Sozialdemokratischen Partei Bayerns, der vom 18. bis zum 20.07.1914 in Neustadt tagte. Für den Nachmittag des 20.07.

354 Vgl. u. a. Ehrharts zweiteilige Retrospektive Ehrhart, Das Hambacher Fest 1; ders., Das Hambacher Fest 2. 355 Vgl. zu einer Abschrift der Verteidigung Ehrharts und des Beschuldigtenverhörs LASp H 3, Nr. 12 325; zu 1909 N. N., Polizeiliches und Gerichtliches. 356 Vgl. im Rückblick StALu, N73, 2. 357 Vgl. Herzberg. 358 Liebknecht, Auf dem Hambacher Schloß!, S. 31. 359 Vgl. zuletzt Strommenger, »Hambach«. 360 Ehrhart, Das Hambacher Fest 2, S. 180. 361 Vgl. Herzberg, Vorwort.

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war ein »Ausflug mit Musik nach der historischen Hambacher Schloßruine« geplant, der den angereisten Genossen durch die gemeinsame Wanderung neben der parteigeschichtlichen Tradition auch »die herrliche Umgebung« der Pfalz und deren zentrale Sehenswürdigkeit näherbringen sollte. Die Ausrichtung des »Pfälzer Abend« am zweiten Veranstaltungstag mit »Rezitationen in Pfälzer Mundart«, »Alte Pälzer Tänz« und Gesang indizierte ebenfalls das Heimatinteresse der pfälzischen SPD.362 Demnach existierten trotz der genuin sozialdemokratischen Traditionsbildung bereits im Kaiserreich Schnittstellen zu anderen politischen Parteien und Milieus. Der sozialdemokratische Hambach-Bezug veränderte sich in der Weimarer Republik in mehrfacher Hinsicht. Zum einen waren die SPD-Veranstaltungen keinen staatlichen Eingriffen mehr ausgesetzt. Spektakuläre Einbruchsversuche zum Hissen des Banners der internationalen Arbeiterbewegung, wie sie die Veranstaltungen von 1882 und 1909 gekennzeichnet hatten, waren nach der Novemberrevolution nicht mehr erforderlich. Diese Veränderung wertete die SPD als Erfolg ihrer vergangenen politischen Kämpfe. Zum anderen büßten die Feiern zunehmend ihren parteipolitischen Hintergrund ein. Zwar fanden auf dem Hambacher Schloss weiterhin sozialistische Veranstaltungen statt. In den Fokus rückte es jedoch als demokratischer Ort, als Symbol der Republik. In der parteiübergreifenden Kooperation bei Veranstaltungen bestand ein wesentlicher Unterschied zum Kaiserreich.363 Wie Detlef Lehnert und Nadine Rossol gezeigt haben, kennzeichnete eine solche Ambivalenz die sozialdemokratische Festkultur in der Weimarer Republik insgesamt. Während die SPD mit Verfassungsfeiern, die teilweise vonseiten des parteiübergreifenden Reichsbanners Schwarz-Rot-Gold aus SPD, DDP und Zentrum organisiert wurden, einen zumindest eingeschränkten republikanischen Konsens und ein gemeinsames Zugehörigkeitsverständnis mit einem Teil der bürgerlichen Parteien öffentlichkeitswirksam zum Ausdruck brachte, verwiesen Revolutions- und Maifeiern auf den sozialistischen Charakter der Arbeiterbewegung und das damit einhergehende Zugehörigkeitsverständnis. Wie Lehnert und Rossol argumentieren, waren die divergierenden Zugehörigkeitsvorstellungen mit unterschiedlichen zeitlichen Perspektiven verknüpft, da die Verfassungsfeiern auf die zu gestaltende Gegenwart, die Revolutionsfeiern hingegen auf die sozialis­ tische Zukunft abhoben. Um diesen Doppelcharakter symbolisch zu verdichten, sollten bei allen Revolutions- und Verfassungsfeiern die rote Parteifahne der Zukunft und die schwarz-rot-goldene Fahne der Gegenwart nebeneinander wehen.

362 Die Teilnehmerkarte befindet sich im Nachlass von Friedrich Profit im Stadtarchiv Ludwigshafen. Vgl. StALu N 73, 4. Auf dem Titelblatt war eine Abbildung des Hambacher Schlosses abgedruckt. Im Programm findet sich zudem das Lied »Wie’s daheim war«, das auch Bestandteil anderer Festprogramme, etwa der Freitaler Jugendweihen, war. 363 Dieser und der vorherige Absatz sind weitgehend übernommen aus Strommenger, »Hambach«.

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In den Feiern verdichteten sich folglich verschiedene Zugehörigkeitssemantiken und -praktiken, Zeitbezüge und die symbolische Aufladung von Räumen.364 Mit dieser grundsätzlich veränderten politischen Ausrichtung ging einher, dass sich die sozialdemokratische Festkultur verstärkt am Heimat-Begriff bzw. der Pfalz als regionalem Heimat-Raum orientierte und Teil der sozialdemokratischen Heimat-Kulturpolitik wurde. So intensivierten sich die seit dem Kaiserreich existierenden Heimat-Bezüge und veränderten ihren Charakter. Heimat wurde nunmehr verstärkt als parteiübergreifender und regionale Identität stiftender Bezugspunkt verstanden, der sich auch für die SPD nicht mehr durch Prekarität auszeichne, da sie den Regionalraum demokratisiert habe. Besonders deutlich wird dies an der ersten großen parteiübergreifenden Feier auf dem Hambacher Schloss, der Verfassungsfeier am 08. und 09.08.1925, die die SPD nach der am 15.10.1924 erfolgten Gründung eines regionalen Ablegers des Reichsbanners gemeinsam mit der DDP und dem Zentrum organisierte.365 Da sich die Veranstaltung nicht allein an SPD-Anhänger, sondern an alle Pfälzer Republikaner richtete, kam dem Rekurs auf Heimat und Nation wichtige Bedeutung zu. So begründete die »Pfälzische Post« die Teilnahme an der Kundgebung damit, dass die Pfälzer »Stolz auf die ruhmreiche Vergangenheit ihrer engeren Heimat«366 seien. Der Zweck der Verfassungsfeier lag demnach in der politischen Legitimation der Republik, während der Sozialismus als Ziel selbst in sozialdemokratischen Publikationen kaum erwähnt wurde. Dies war 1922 bei der sozialdemokratischen Kundgebung anlässlich der 90-Jahr-Feier des Hambacher Fests noch anders gewesen. Ein Aufruf in der »Pfälzischen Post« vom 27.05.1922 unterstrich den sozialistischen Charakter der Feier.367 Eine gemeinsame Feier mit anderen Parteien fand nicht statt. Stattdessen beanspruchte die sozialdemokratische Kundgebung, an die sozialistische Tradition aus dem Kaiserreich anzuknüpfen. Andererseits wies die Parteipresse das Hambacher Schloss und die regionale Umgebung auch in diesem parteispezifischen Kontext als »eure Heimat«368 aus. Dieser verstärkte Heimat- und Gegenwartsbezug wurde auch daran offenbar, dass die SPD zwar bei sozialistischen Feiern immer noch die rote Fahne mitführte, diese jedoch in einem veränderten 364 Vgl. Lehnert, »Staatspartei der Republik«; Rossol, Republikanische Gruppen, bes. S. 325–333; dies., Performing the Nation. Weiter links stehende Kreise kritisierten, die sozialdemokra­ tischen Feiern dienten allein der identitären Selbstvergewisserung. Ernst Toller etwa schrieb in einer Rede anlässlich des Revolutionsjubiläums von 1925 Folgendes: »Sozialismus, Revolution wurden bunte Flitter, die den Festtag verschönern, hinwelkend schon in der Nacht zum Alltag«, »eine Mumie ward diese Revolution«. Vgl. Toller, Deutsche Revolution, S. 5–6. Bemerkenswert ist die Kritik Tollers im Rahmen dieser Arbeit auch deshalb, da sich alle sozialdemokratischen Kulturpolitiker dagegen verwahrten, ›überkommene kulturelle Formen‹ zu ›mumifizieren‹, ihnen dies nichtsdestoweniger von kommunistischer Seite vorgehalten wurde. 365 Vgl. zum Ablauf der Verfassungsfeier Kreutz; zur Reichsbannergründung Kraft, S. 181. 366 N. N., Auf zum Hambacher Fest. 367 N. N., Auf zur sozialistischen Kundgebung. 368 N. N., »Zum Arbeiter-Jugendtag«.

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republikanischen Kontext stand und sich so ihre politische Botschaft wandelte. Bei den Verfassungsfeiern trat an ihre Stelle zunehmend die schwarz-rot-goldene Fahne, wodurch Republik, Heimat und Nation – und weniger der zukünftig zu erreichende Sozialismus – zu positiven Bezugspunkten der sozialdemokratischen Praxis avancierten.369 Verfassungsfeiern und sozialistische Feiern richteten sich demnach einmal parteiübergreifend an alle Republikbefürworter, das andere Mal speziell an das sozialdemokratische Milieu. Trotz ihrer unterschiedlichen Adressatenkreise ähnelten sich die beiden Feiern im Aufbau und in ihrer Art des Heimat-Bezugs. Sie begründeten eine gleichermaßen sozialdemokratische wie republikanische Zugehörigkeit, die eng an den regionalen Heimat-Raum Pfalz gebunden wurde, über die geteilte politische Verfolgung in der Vergangenheit, die nunmehr überwunden sei, über die gemeinsamen politischen Ziele für die Zukunft und die kollektive Verteidigung der Republik in der Gegenwart. Ein solches Argument verdeutlichen sowohl Presseberichte als auch Reden, wie am Beispiel des Hambach-Jubiläums 1922 und der Verfassungsfeier 1925 gezeigt wird. Anlässlich des Hambach-Jubiläums 1922 rief die »Pfälzische Post« die »Parteigenossen und Genossinnen« zur »sozialistischen Kundgebung auf dem Hambacher Schloß« auf. Vor 90 Jahren, in den »Zeiten der schwärzesten Reaktion«, so der Aufruf, »zogen Tausende auf das Hambacher Schloß, um zu demonstrieren gegen Unterdrückung und politische Entrechtung, für Freiheit und ein einiges Deutschland.« Doch mittlerweile habe sich die Situation nicht zuletzt aufgrund der vergangenen Kämpfe der SPD verändert: Die Fürsten sind verschwunden, wir haben ein einiges Deutschland, die Republik. Diese zu verteidigen und auszubauen ist jetzt unsere Aufgabe. Wir fordern aber neben der politischen Gleichberechtigung auch die wirtschaftliche, den Sozialismus! Dafür haben wir noch schwer zu kämpfen. [...] [Daher gilt] es zu demonstrieren für die einige Republik, für den Sozialismus!370

Am deutlichsten wird der beschriebene Prozess der Zugehörigkeitsproduktion jedoch an Friedrich Profits auch als Zeitungsartikel publizierter Rede »Eine verunglückte Schloßbeleuchtung« im Rahmen der Verfassungsfeier 1925, in der er im Rückblick auf das Jahr 1909 Folgendes konstatierte: Es war einmal. – Was ich heute, am Vorabend der Verfassungsfeier, die meine Pfälzer Landsleute auf historischem Boden begehen und mit einer Beleuchtung der alten Hambacher Schloßruine einleiten, erzähle, ist kein Märchen, aber dennoch steht am Anfang ›Es war einmal‹. Es war einmal eine Zeit, da wußte man noch nichts von einer Deutschen Republik oder von einer republikanischen Verfassung des Deutschen Reiches; auch nichts von einem Reichspräsidenten. Da gab es noch keine Verfassungsfeiern auf dem Hambacher

369 Vgl. Strommenger, »Hambach«, bes. S. 138–140. 370 N. N., Auf zur sozialistischen Kundgebung.

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Schloß mit Schloßbeleuchtung und Festansprachen, an denen alt und jung, Männer und Frauen sich begeistern konnten. Es war die Zeit, da Deutschland noch Monarchie war und die angestammten Fürstenthrone jedem ›braven‹ Deutschen als das Höchste, Idealste und Erhabenste galten, das anzustaunen für ihn eine Herzenslabe war.371

Indem Profit sich mit diesen Worten an die gesamte pfälzische Bevölkerung richtete, ordnete er das Hambacher Fest nicht mehr in eine parteipolitische, sondern in eine demokratische Tradition ein. Dennoch maß er der SPD in dem geschilderten Demokratisierungsprozess die zentrale Rolle zu. Es sei in erster Linie ihren Kämpfen zu verdanken, dass die reaktionäre Vergangenheit überwunden und das demokratische Potenzial in der Gegenwart eingelöst worden sei. Um dies zu verdeutlichen, rekurrierte er auf die illegal abgehaltene Beleuchtung des Hambacher Schlosses und das dortige Hissen der roten Fahne anlässlich des Wahlsiegs 1909. Gleichzeitig rief Profits Rede ins Gedächtnis, dass die erkämpfte Republik Opfer gefordert habe, derer es zu gedenken gelte. Er selbst habe »wegen ›Einbruch in kgl. Eigentum‹« eine achttägige Gefängnisstrafe verbüßen müssen, ein junger Sozialdemokrat sei bei dem Versuch, die rote Fahne, die nur kurz auf dem Hambacher Schloss geweht hatte, auf einem Kraftstrommast zu hissen, tödlich verunglückt.372 Die Erinnerung an die repressive Vergangenheit diente Profit in erster Linie als Kontrastfolie zur Gegenwart, um das bereits Erreichte herauszustellen und die Rolle der SPD in diesem Prozess zu betonen. Die weiterhin nicht eingelöste sozialdemokratische Forderung nach einer Umwälzung der ökonomischen Verhältnisse sowie die fortbestehenden Ungleichheiten und prekären Lebensverhältnisse, für die die SPD inzwischen mitverantwortlich zeichnete, sofern sie in der Regierungsverantwortung stand, thematisierte Profit hingegen nicht. Auch auf die sozialistische Zukunft ging er nicht mehr ein, was beispielhaft für die veränderte Bezugnahme steht: Im sozialdemokratischen Verständnis hatte die Arbeiterbewegung im Kaiserreich die Erbschaft des Hambacher Festes angetreten, um seine politischen Forderungen zu verwirklichen, über diese hinauszuwachsen und zukünftig den Sozialismus zu erkämpfen. Seitdem, so argumentierte sie in der Weimarer Republik, sei die Revolutionsgeschichte weiter vorangeschritten, habe die SPD ihre Ziele schon teilweise erreicht. Diese Form der Selbsthistorisierung ging mit einem sukzessiven Abschied von der sozialistischen Zukunft einher. Folglich knüpfte Profit die Verteidigung der Republik in der Gegenwart eng an die regionale Heimat Pfalz. Der Doppelcharakter als zwar sozialdemokratisch dominierte, gleichzeitig aber parteiübergreifende Veranstaltung schlug sich auch darin nieder, dass er nicht die sozialdemokratischen »Genossen«, sondern alle »Republikaner der Pfalz« ansprach.373 Zur Veranschaulichung der veränderten politischen Verhältnisse kontrastierte Profit die vergangene Verfolgung abschließend mit der nunmehr gemeinsam voll371 Profit, Eine verunglückte Schloßbeleuchtung; zudem das Manuskript StALu, N73, 2, fol. 20. 372 Ebd., fol. 22–23. 373 Ebd., fol. 23.

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zogenen Praxis, der legalen Zusammenkunft der pfälzischen Republikaner zu einer großen »Schloßbeleuchtung«: Verfassungsfeier auf dem Hambacher Schloß! Republikaner der Pfalz, gedenkt dabei all derer, die in jahrzehntelanger mühevoller Arbeit – oft mit dem Leben bezahlt – euch den Weg zu dieser Verfassungsfeier freigemacht haben. Hut ab! Der Boden, auf dem ihr steht, ist heiliges Land!374

Das Ende von Profits Rede vermittelte diesbezüglich insbesondere eines: Die sozialdemokratische Zugehörigkeit zum Heimat-Raum Pfalz musste ebenso erkämpft werden wie dessen demokratische Form. Vor diesem Hintergrund sei die demokratisierte Gegenwart nicht als Selbstverständlichkeit zu verstehen, sondern müsse weiter verteidigt werden. Das Ende der Rede besaß demnach appellativen Charakter, es fasste eine historische Erfahrungswelt von Teilen der Anwesenden zusammen und implizierte gleichzeitig die Fortsetzung der Geschichte durch Praxis in der Gegenwart und Zukunft. Dabei machte die Rede die veränderten politischen Verhältnisse im regionalen Heimat-Raum für die Anwesenden ebenso sicht- wie greifbar. Die Teilnahme an einer Feier auf dem Hambacher Schloss mit Republikanern und Republikanerinnen unterschiedlicher Parteien veranschaulichte die gewandelte Form des Staates in der gemeinsam vollzogenen Praxis. Im sozialdemokratischen Verständnis bildete das Hambacher Fest ein Vorbild für die kulturelle Praxis und Regionalkultur der Gegenwart. Dafür spricht u. a. die Bezeichnung der Verfassungsfeier 1925 im »Vorwärts« als »Hambacher Fest 1925«,375 die die Gegenwart als ›Reenactment‹ der Vergangenheit auswies.376 Bereits angesprochen findet sich darin das Verhältnis von diskursiv entworfenen Zugehörigkeitsbildern und ihrer Hervorbringung durch kollektive Praxis. Die Generierung von Heimat-Zugehörigkeiten im Rahmen der politischen Feste beschränkte sich nicht allein auf den Inhalt der Reden, sondern erfolgte gleichermaßen performativ, etwa durch das gemeinsame Singen von Liedern. Hierin lag eine der zentralen Analogien zu den analysierten Jugendweihen, der Arbeiter-­ Kulturwoche und weiteren Beispielfällen. So sollten die Festveranstaltungen durch die Betonung des bereits Erreichten weniger theoretisch denn agitatorisch und emotional kollektive Zugehörigkeitsempfindungen hervorbringen, die Gegenwart legitimieren und in die Zukunft weisen. Der genaue Ablauf ist aufgrund fehlender Fotografien aus Zeitungsartikeln, unveröffentlichten Manuskripten und Programmheften herausarbeiten. Die Beschreibungen der Praxis bei den verschiedenen Feiern legen nahe, dass die mit dem pfälzischen HeimatRaum verbundenen Zugehörigkeitspraktiken bereits auf der Reise aus den unterschiedlichen Teilen der Pfalz zum Veranstaltungsort begannen und sich bei der

374 Ebd., fol. 22–23. 375 N. N., Ein Hambacher Fest. 376 Vgl. ähnlich die bürgerliche Gruppe »Die Hambacher« bei Applegate, S. 169.

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Wanderung auf den Hügel des Hambacher Schlosses fortsetzten.377 Diese Praxis ähnelte der Wander- und Demonstrationspraxis der Naturfreundebewegung. Die Durchquerung des Heimat-Raums glich durch die Mitführung roter Fahnen, später v. a. schwarz-rot-goldener Fahnen, einer Demonstration, war zumindest eine politisierte Form der Wanderung. Es ist davon auszugehen, dass die in der gemeinsamen Praxis erfahrene Zugehörigkeit durch die Reden und das gemeinsame Singen von Liedern verstärkt wurde.378 Dabei beanspruchten die Feiern auf dem Hambacher Schloss, zu denen laut Presseberichten teilweise mehr als 15.000 Personen zusammgekommen sein sollen,379 die Zugehörigkeit der Sozialdemokratie zum regionalen Heimat-Raum diskursiv und praktisch zum Ausdruck zu bringen und die republikanische Gegenwart zu legitimieren. Zugleich ist in der Weimarer Republik mit Blick auf die an die Reden anschließenden Festveranstaltungen teilweise nur schwer zwischen politischer Veranstaltung und Volks- bzw. Heimatfest zu unterscheiden. Nichtsdestotrotz stellte die pfälzische SPD »den sozialdemokratischen Abwehrkampf gegen die reaktionären Kräfte der Weimarer Republik« in die Tradition des Hambacher Fests, um ihm politische Stärke und historisches Gewicht zu verleihen, wie Alexander Kraft argumentiert hat.380 Damit sprach aus dem sozialdemokratischen Bezug auf das Hambacher Schloss auch die Demonstration politischer Stärke gegenüber anderen politischen Parteien, Bewegungen und Milieus, die sich ebenfalls diskursiv und praktisch auf denselben regionalen Heimat-Raum bezogen. Der parteiübergreifende Bezug auf ein und denselben Ort implizierte seit Beginn der Weimarer Republik eine potenzielle Konflikthaftigkeit, da sich die Zugehörigkeitsvorstellungen der verschiedenen politischen Milieus zwar überlappten, aber selbst bei gemeinsam veranstalteten Feiern mitunter nicht deckungsgleich waren. Diese gesellschaftlichen Konflikte wurden bspw. über Fragen der Beflaggung ausgetragen. Welche große, nicht nur symbolische Bedeutung dieser zugeschrieben wurde, zeigte sich an Konflikten um die Beflaggung in Neustadt während der Verfassungsfeier: Die SPD versuchte durchzusetzen, dass die gesamte Stadt schwarz-rot-gold beflaggt werde, was der Stadtrat unter Rekurs auf den politischen Charakter der Kundgebung ablehnte und durch die Absenz der konservativen Parteien am Abstimmungstag verhinderte.381 Im Nachgang der Veranstaltung beklagte die sozialdemokratische Presse das Agieren des Stadtrats. Dass insbesondere die Arbeiterschaft ihre Häuser schwarz-rot-gold beflaggt habe, beweise, dass sie der einzig verlässliche Träger und Schutz der Republik sei. Angesichts der nächtlichen nationalsozialistischen Angriffe auf die Häuser der

377 Vgl. bspw. zum Kaiserreich aus der Retrospektive StALu, N73, 2; zur Weimarer Republik N. N., Verfassungsfeier; N. N., Ein Hambacher Fest. 378 Vgl. zu diesem Argument generell mit Fokus auf die Maifeiern Hake, S. 86; Schneider, S. 307. 379 Vgl. Kraft, S. 110. 380 Ebd. 381 Vgl. Kreutz, S. 70–71; zeitgenössisch N. N., Der Kampf.

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jüdischen Bürger Neustadts sei dieser Schutz notwendiger denn je.382 Ähnliche Konflikte um die Symbole der Weimarer Republik äußerten sich ebenfalls in anderen Regionen, teilweise bereits seit Mitte der 1920er Jahre.383 Vor dem Hintergrund der sich ab Ende der 1920er Jahre zuspitzenden gesellschaftlichen und politischen Konflikte wurde das Hambacher Schloss zunehmend zu einem umkämpften politischen Symbol der Weimarer Republik und der damit verbundenen Konstruktion von Zugehörigkeit.384 Letztlich stellte sich die gesellschaftlich virulenter werdende Frage, für welche Gesellschaftskonzeption Hambach stand oder stehen sollte und inwiefern sich für diese Konzeption eine gesellschaftliche Mehrheit finden ließ. Spätestens die Vorbereitungen zum 100-jährigen Jubiläum des Hambacher Fests 1932 verdeutlichten endgültig, dass die von sozialdemokratischer Seite forcierte, von demokratischen Parteien geteilte Konzeption einer republikanischen pfälzischen Heimat in die Krise geraten war. Auf diese Konflikte, die gleichermaßen eine Umkämpftheit des Heimat-Begriffs wie auch eine Umkämpftheit der Macht über die Heimat-Räume bedeuteten, hat bereits Applegate hingewiesen: Die Vorbereitungen zu den Jubiläumsfeierlichkeiten anlässlich des 100-jährigen Jubiläums des Hambacher Festes liefen in der Pfalz bereits seit Ende der 1920er Jahre unter Beteiligung verschiedener politischer Milieus. Die bürgerlichen Gruppierungen der Heimatbewegung, etwa der Historische Verein der Pfalz oder der Pfälzerwald-Verein, planten verschiedene Veranstaltungen, die sozialdemokratische Heimatbeilage »Bei uns daheim« widmete sich der regionalen Demokratiegeschichte mit besonderer Intensität, publizierte Artikel über Ereignisse und Personen von 1832 sowie 1848/49 und druckte teilweise Quellen der beiden Ereignisse ab. Spätestens nachdem der Reichsinnenminister Joseph Wirth beschlossen hatte, das Jubiläum für einen nationalen Festakt in Hambach zu nutzen, erhielt es auch über die Pfalz hinausgehende Bedeutung. Die Vorbereitung wurde der Arbeitsgemeinschaft der Pfälzischen Presse übertragen, die Organisation in die Hände von Franz Hartmann, dem Vorsitzenden des parteiübergreifenden Volksbildungsverbands und überzeugten Demokraten, übertragen, der eine parteiübergreifende Veranstaltung plante, die der Republik die Treue schwören und gesellschaftliche Konflikte hinter sich lassen sollte. Die ursprünglich geplante Feier wurde jedoch bereits im Vorfeld durch tiefgehende politische Konfliktlinien geprägt, denen die verantwortlich Zeichnenden durch den Rekurs auf ein konservatives Nationenverständnis zu begegnen versuchten.385 382 Vgl. N. N., Verfassungsfeier. Der »Vorwärts« wies darauf hin, dass an manchen Häusern anstelle der schwarz-rot-goldenen Fahne die blau-weiße Fahne Bayerns gehisst wurde. Vgl. N. N., Ein Hambacher Fest. Vgl. zu einer ähnlichen Kritik der SPD an den bürgerlichen Parteien unabhängig von Hambach im Jahr 1929 Sozialdemokratische Partei Deutschlands, Bezirk Pfalz, Eröffnungsrede Richard Hammer, S. 4. 383 Vgl. zu ähnlichen ›Fahnenkonflikten‹ in Schwaben Steber, S. 310; generell Rossol, Republikanische Gruppen, bes. S. 325–330. 384 Vgl. zur Bedeutung der symbolischen Aufladung des Raums und der Symbole der Weimarer Republik Rossol, Performing the Nation; Ziemann, Contested commemorations. 385 Die Darstellung der Ereignisgeschichte orientiert sich an Applegate, S. 193–196.

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Schon vor 1932 wurde immer klarer, dass Hambach als republikanisches Symbol nicht (mehr) integrativ wirkte und die pfälzische Gesellschaft über keinen konsensual geteilten Bezugspunkt (mehr) verfügte. Dies wog umso schwerer, als es sich bei der Festveranstaltung um mehr als bloße Symbolik drehte und die Konflikte um das Fest unterschiedliche Vorstellungen von Gesellschaft implizierten. Konservative und katholische Kreise richteten sich gegen den demokratischen und aufklärerischen Charakter des Hambacher Festes. Die Kommunisten verweigerten der Veranstaltung die Teilnahme, da sie den Geist von Hambach verwässert sahen. Auch die SPD lehnte eine Teilnahme aufgrund der politischen Ausrichtung der Veranstaltung ab und initiierte keine eigene Kundgebung. Stattdessen begleitete sie das Jubiläum in der Parteipresse, betonte dabei insbesondere die Gefahr des Nationalsozialismus und stellte infrage, dass die übrigen Parteien dieser mit den angemessenen Mitteln begegneten. Die gewaltsamen nationalsozialistischen Störungen der Jubiläumsveranstaltung am 06.05.1932 und die antisemitischen Angriffe gegen die am Hambacher Fest beteiligten Juden Heinrich Heine und Carl Ludwig Börne waren der bedrohliche Ausweis für die konstatierte Bedrohung der Republik. Nur die demokratischen Teile der Heimatbewegung hofften laut Applegate weiterhin auf eine geeinte Gesellschaft.386 Ende der 1920er bzw. Anfang der 1930er Jahre begann eine neue Phase der politischen Umkämpftheit des Heimat-Begriffs, die mit dessen zunehmend völkischer Besetzung einherging und im Epilogkapitel im Zentrum steht.

3.4 Überleitung: Uneindeutigkeiten, Schnittmengen und Abgrenzungsversuche Wie lassen sich die Ergebnisse der drei Kapitel zur Frage von Heimat und Zugehörigkeit abschließend kurz zusammenfassen? Die mit Heimat verbundenen Zugehörigkeitsvorstellungen und -praktiken zeichneten sich in allen Fällen durch eine ausgeprägte Polyvalenz und Unschärfe aus. Diese Mehrdeutigkeit und Uneindeutigkeit lag in erster Linie darin begründet, dass die sozialdemokratische Begriffsverwendung seit jeher zwischen einem spezifisch sozialistischen und einem gesellschaftsübergreifenden, nationalen oder demokratischen HeimatVerständnis changierte. Aus dieser Unschärfe resultierten zum einen bemerkenswerte Schnittmengen zwischen der Sozialdemokratie und anderen Milieus, zum anderen gegenseitige Abgrenzungsversuche und politische Konflikte. Mit Blick auf die kleine Gruppe heimatinteressierter Sozialdemokraten, die im regionalen Raum als Bindeglied zwischen der Arbeiterbewegung und bürgerlich dominierten Gruppierungen der Heimat- und Volksbildungsbewegung fungierten, lässt sich festhalten, dass sie ihre Person ebenso wie ihre Beschäftigung mit Heimat selbst an einer solchen Schnittstelle verorteten. Die durchweg männlichen 386 Ebd., S. 195–196.

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Akteure verstanden sich als Sozialdemokraten und als Teil der Heimatbewegung, weswegen sie deren Programm grundsätzlich wohlwollend gegenüberstanden, gleichzeitig jedoch die Notwendigkeit einer sozialdemokratischen Erweiterung desselben betonten. Ihr Selbstverständnis und ihre Praxis bewegten sich zwischen der Suche nach Anerkennung durch die Heimatbewegung einerseits, der Betonung einer spezifisch sozialdemokratischen Herangehensweise an Heimat und Zugehörigkeit andererseits. Nicht zuletzt aufgrund der engen Zusammenarbeit mit der bürgerlichen Heimatbewegung gerieten Sozialdemokraten wie Loschky oder Robert Söhnel auch in den eigenen Reihen in die Kritik. Die sozialistischen Kritiker vertraten entweder ein spezifisch sozialistisches Heimat- und Zugehörigkeits-Verständnis oder verwahrten sich generell gegen eine Beschäftigung mit heimatlichen Themen. Die skizzierten Schnittmengen und Konflikte durchzogen ebenfalls die mit dem Heimat-Begriff verbundenen Zugehörigkeits-Semantiken. In Kapitel 3.2 wurde die Perspektive über den kleinen Personenkreis hinaus ausgeweitet und der Diskurs von Naturfreunden, Theoretikern zu Kultur- und Bildungsfragen, Akteuren aus der Arbeiterbildung und sozialdemokratischen Kommunalpolitikern betrachtet. Angesichts des mannigfachen Hintergrunds der involvierten Personengruppen verwundert es nicht, dass sich auch die Zugehörigkeitsvorstellungen unterschieden, die sie mit der Verwendung des Heimat-Begriffs zum Ausdruck brachten. Wie das Kapitel typisierend herausarbeiten konnte, bildete Heimat in der Sozialdemokratie eine Metapher für selbst gewählte Zugehörigkeit zu einer solidarischen Gruppe von Gleichgesinnten, der Arbeiterbewegung als ›Heimat der ehemals Heimatlosen‹, bezeichnete jedoch ebenfalls die Zugehörigkeit zum (republikanisch bestimmten) ›Volk‹ oder den demokratisierten lokalen, regionalen oder nationalen Heimat-Räumen. Mitunter transportierte die Begriffsverwendung aber auch Zugehörigkeitsvorstellungen, die an ein völkisches Heimat-Verständnis erinnern und mit naturalisierten Gemeinschaftsvorstellungen verbunden waren. Diese stark divergierenden Verständnisweisen lassen sich oftmals unterschiedlichen Gruppierungen innerhalb der Arbeiterbewegung zuordnen. Zugleich gilt es zu betonen, dass es mitunter dieselben Personen sein konnten, die in unterschiedlichen Kontexten divergierende Verständnisweisen von Heimat und Zugehörigkeit äußerten. Aus der geschichtswissenschaftlichen Retrospektive fällt dabei auf, dass diese Divergenz zeitgenössisch nicht als problematisch wahrgenommen oder als Widerspruch begriffen wurde. Dies lässt sich nicht zuletzt darauf zurückführen, dass Heimat nicht nur bewusst gemachte Inhalte thematisierte, sondern ebenfalls unreflektiert bleibende gesellschaftliche Sehnsüchte nach Harmonie zum Ausdruck brachte, die von den historischen Akteurinnen und Akteuren mitunter unbemerkt blieben. Das sozialistische Verständnis gesellschaftlicher ›Entfremdung‹ in der Moderne trug dazu bei, sofern es keine tiefgreifende theoretische Analyse und Kritik des Kapitalismus, sondern eher eine Art Kulturkritik implizierte. Ein solcher Befund deutet darauf hin, dass die unscharfe Begriffsverwendung mit gesellschaftsübergreifend geteilten Bedeutungsgehalten 325

verbunden war, die von den Zeitgenossinnen und Zeitgenossen selbst nicht reflektiert wurden, zumindest unhinterfragt blieben. Angesichts der unterschiedlichen mit Heimat verbunden Zugehörigkeitsdiskurse und Zugehörigkeitssemantiken verwundert es nicht, dass Heimat zu einem umstrittenen Konzept avancierte. Dies galt umso mehr, als die Heimat-Semantiken mit dem Anspruch verbunden waren, die Zugehörigkeitsvorstellungen praktisch umzusetzen. Heimat-Semantiken und Heimat-Praktiken standen dabei in einem engen Wechselverhältnis und bedingten sich gegenseitig. Wie Kapitel 3.3 an verschiedenen Beispielen exemplarisch zeigen konnte, verfolgte die Sozial­ demokratie einerseits eigene Formen der Praxis, um sozialistische und heimatbezogene Zugehörigkeit hervorzubringen, wofür die Arbeit des Leipziger ABI und die Arbeiter-Kulturwoche, aber auch die Jugendweihen als Teil der sozialistischen Festkultur oder die Besetzung des Stadt- und Landschaftsbilds durch sozialis­ tische ›Denkmäler‹ wie die Naturfreundehäuser besonders zentrale Beispiele sind. Andererseits arbeitete die Sozialdemokratie mit bürgerlichen Parteien zusammen, um ein demokratisches Heimat-Verständnis bzw. republikanisches Verständnis regionaler Zugehörigkeit zu etablieren und auf die Regionalkultur einzuwirken. Beachtlicherweise orientierte sich die Praxis trotz der Unterschiede in allen Fällen an – wenn auch unterschiedlichen – Verständnisweisen von Heimat als integrativem Bezugspunkt und an Vorstellungen von vergangenen Formen der ›Volkskultur‹ und ›Heimatkultur‹. Sowohl die Orientierung der Wanderpraxis an der ›Walze‹ als auch die Kulturpolitik des ABI sowie die sozialdemokratische Regionalkultur um das Hambacher Schloss gaben vor, sich an einer traditionellen Vergangenheit auszurichten, in der sie ein Vorbild für die kulturelle Praxis der Gegenwart und eine Legitimationsgrundlage gegenüber anderen Parteien suchten. Diese Orientierung an der Vergangenheit ist gerade deswegen so bemerkenswert, da von sozialdemokratischer Seite gleichzeitig die Notwendigkeit der Suche nach ›neuen kulturellen Formen‹, die der Gegenwart angemessen seien, gefordert wurde. Welchem Pol in diesem Spannungsfeld der Vorrang gegeben wurde, hing wesentlich von der politischen Ausrichtung der Sozialdemokratie vor Ort ab – interessanterweise bedeutete beides den meisten involvierten Akteuren jedoch noch nicht einmal einen Widerspruch. In diesem Zusammenhang wurde innerhalb der Sozialdemokratie und anderer sozialistischer Gruppierungen die Suche nach einer neuen Form der identitätsstiftenden ›Gemeinschaftskultur‹ laut, in deren Zusammenhang der Rekurs auf Heimat wichtig war. Da die inhaltlich divergierenden Formen sozialdemokratischer Heimat-Kulturpolitik die Funktion einte, Zugehörigkeit zu stiften, blendeten sie alle die weiterhin prekären Verhältnisse in der Weimarer Republik aus oder beschönigten sie als wesentlichen Bestandteil der neuen Heimat. Wie insbesondere das dritte Kapitel angedeutet hat, zog die Mehrdeutigkeit sozialdemokratischer Heimat-Kulturpolitik gleichzeitig gesellschaftliche Konflikte nach sich, die sich gegen Ende der Weimarer Republik verschärften. Dass es sich bei dem analysierten Hambach-Jubiläum um keinen regionalen Einzelfall handelte, wird im Epilogkapitel dargelegt. 326

Epilogkapitel: Konflikte um die ›wahre Heimat‹ und Vereindeutigungsbestrebungen in der Endphase der Weimarer Republik

Anhand des Hambach-Jubiläums wurde gezeigt, dass Heimat gegen Ende der Weimarer Republik zu einem umkämpften Bezugspunkt verschiedener poli­ tischer Parteien, Bewegungen und Milieus wurde. Die Naturfreundebewegung etwa beantwortete den oftmals gegen sie erhobenen bürgerlichen Vorwurf, sie politisiere das Wandern, mit einem entsprechenden Gegenvorwurf. Ein Artikel in »Berg frei« Anfang der 1930er Jahre betonte, die bürgerlichen Wandervereine hätten die Verträge zur gegenseitigen Nutzung der Wanderunterkünfte zwischen den verschiedenen Vereinen aufgekündigt und damit zur Rückkehr der Politik in die Berge maßgeblich beigetragen. Doch dies habe den Bau weiterer Naturfreundehäuser nurmehr befeuert, nicht zuletzt unter Mithilfe der ›parteiischen Natur‹: »Naturverbunden mit der Heimatscholle begannen ähnlich wie dem Riesen Antäus aus der Mutter Erde neue Kräfte uns zuzufließen.«1 Auch in Freital zeichneten sich Ende der 1920er Jahre Konflikte um das Heimatmuseum ab.2 Zudem wurde in Dresden um die politische Ausrichtung der Volkshochschule gestritten. Gegen das Projekt wurde bspw. der Vorwurf des Marxismus erhoben.3 Zudem existierten auch innerhalb der Volkshochschule Konflikte um die Programmplanung und den Ausschluss ehemaliger Dozenten.4 Über die partei- und gesellschaftsübergreifenden Konflikte hinaus schlug sich die skizzierte Entwicklung ebenfalls in innersozialistischen Kontroversen nieder. Mit zunehmender Verve diskutierten etwa die Naturfreunde, was unter Heimat zu verstehen sei und wie sich das eigene Verständnis von demjenigen anderer Milieus unterscheide. Hierfür ist die zu Beginn der Arbeit genannte Ausgabe des »Wanderers« ein hervorragendes Beispiel. Die Zeitschrift der TVdN-Reichsleitung repräsentierte einerseits die Vereinslinie und enthielt aufgrund der Mitherausgabe durch acht Gauverbände andererseits divergierende politische Positionen. Dieses Spannungsverhältnis schlug sich in dem 1931 publizierten Themenschwerpunkt zum sozialistischen Heimat-Verständnis deutlich nieder. Zum einen konnte die Ausgabe als Versuch gelten, sich auf ein gemeinsames Heimat-Verständnis zu 1 2 3 4

A. G. George, S. 1. Vgl. Kapitel 1.3.1. Vgl. bspw. StAD 2.3.20, fol. 83. Vgl. bspw. StAD 2.3.21, Bd. 1.

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verständigen. Zum anderen kennzeichnete die publizierten Artikel jedoch alles andere als Einigkeit.5 So waren in der Schwerpunktausgabe nahezu alle sozialistischen Verständnisweisen von Heimat vertreten, die in der Arbeit thematisiert wurden. Die publizierten Artikel trugen Titel wie »Haben wir eine Heimat?«,6 »Unser Lebensraum«,7 »Heimatgefühl«8 oder »Erwanderte Heimat«9 und näherten sich dem Begriff demnach auf unterschiedliche Weise und mit divergierender politischer Stoßrichtung. Sie thematisierten die (Un-)Möglichkeit einer proletarischen Heimat ebenso wie die emotionale Verbundenheit mit verschiedenen Heimat-Räumen, wobei sie die kulturpolitische Bedeutung und zugehörigkeitsstiftende Funktion einer Erwanderung derselben im Zuge des ›sozialen Wanderns‹ herausstellten. Einige Artikel fokussierten die ursprüngliche Verbundenheit zwischen ›ausgebeuteter Arbeiterschaft‹ und ›ausgebeuteter Heimat‹, während andere die sozialistische Liebe zur ›Heimatscholle‹ mystifizierten. Unterschiedlich explizit fiel dabei auch die Abgrenzung zu bürgerlichen Verständnisweisen des Heimat-Begriffs aus. Der Bochumer Naturfreund Kurt Reumuth reklamierte in dem bereits in der Einleitung genannten Artikel »Haben wir eine Heimat?« das proletarische Recht auf Heimat. Wie vor dem Hintergrund der geleisteten Analyse deutlich wird, bezog er sich damit unverkennbar auf die vormodernen Bedeutungsgehalte des Begriffs. So beantwortete er die seinerseits aufgeworfene Frage damit, »daß wir von altersher nicht nur ein Recht auf Heimat haben, sondern auch ein Recht uns ihrer zu erfreuen.« Daher sei dieses Recht geltend zu machen denen gegenüber, die jeden wahren Heimatgefühls bar, in ihr nur den Nährboden ureigenen Profits sehen. Mit dieser Geltendmachung auf Recht und Freude an der Heimat stehen wir schon mitten drin in den kulturpolitischen Auseinandersetzungen unserer Tage.10

Die ursprüngliche Verbundenheit und das proletarische »Recht auf Heimat« grenzte Reumuth dabei explizit von den »Patentpatrioten« ab, die ihr HeimatVerständnis auf Besitz gründeten, wobei sein Vorwurf, dem kapitalistischen Bürgertum fehle es an »Heimatgefühl«, die Kritik des Kapitalismus unzulässig personalisierte. Bezüglich der sozialistischen ›Heimatverbundenheit‹ fuhr er fort: Ob unser Heimatgefühl uns führt zu schönstem Wiesengrunde, oder mitten hinein zwischen Fabriken, Schächten und Häusermassen, ob uns eine ›gottgewollte‹ kapitalistische Weltordnung auch arm und lieblos in diesem Wirrwarr wirtschaftlicher Unordnung herumstößt, so daß unser Heimatgefühl in tiefstem Herzen verschrumpft und zu ver-

5 Vgl. Nr. 5 des 3. Jg. der Zeitschrift »Der Wanderer« vom Mai 1931. 6 Reumuth. 7 Endres. 8 Gebauer. 9 Bulan. 10 Reumuth, S. 83.

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kümmern droht, gerade darum müssen wir ausziehen und uns die Heimat aufs neue erobern. […]. Wenn wir uns bemühen, […], dann werden wir zugleich die verschüttete Quelle unseres Heimatgefühls freilegen und wir werden aus ihr neue Kraft gewinnen gleich dem sagenhaften Antäus,11 der, so oft er den Boden der Heimat berührte, sich immer aufs neue [sic] stärkte. Wir wollen die Heimat uns als ganzen, als heiligen Besitz erobern, dann wird einst im Sozialismus die Erde unser Vaterland sein.12

Durch die Kritik der mit dem vormodernen Heimat-Begriff zum Ausdruck gebrachten Besitzverhältnisse an ›Haus und Hof‹, die das Proletariat in der Vergangenheit nicht allein ›heimatlos‹ gemacht hätten, sondern die sich in der kapitalistischen Gesellschaft auf veränderte Weise fortsetzten, richtete sich Reumuth gegen das bürgerlich-kapitalistische Heimat-Verständnis. Der Betonung nationaler Grenzen und patriotischer Borniertheit setzte er eine Vorstellung von Heimat entgegen, die die solidarischen Beziehungen zwischen Menschen ins Zentrum rückte und die erst im Sozialismus vollends zu verwirklichen sei. Gleichzeitig ging Reumuth von einer gleichsam natürlichen proletarischen Verbundenheit mit der Heimat aus, die es wiederzuerlangen gelte. Gegen Reumuths Artikel mutete das Heimat-Verständnis des Münchner Naturfreunds Fritz Endres deutlich weniger sozialistisch an. Unter dem Titel »Unser Lebensraum« grenzte zwar auch er sich von den bürgerlichen Vereinen ab: Die sozialistische Auseinandersetzung mit Heimat verfalle »nicht mehr in die Auffassung vieler örtlicher Verschönerungsvereine, daß gerade unsere Heimat die schönste Gegend des Landes ist.« Andererseits ging er wie die Heimatbewegung in mystifizierender Weise davon aus, dass die Arbeiterschaft »mit ihr [der Heimat] verwachsen und […] ein Teil von ihr [sei].« In einer Art Frühform des Ethnopluralismus folgerte Endres: Diese Heimatliebe wird nicht partikularistisch sein: sie strebt zum Ganzen. In der erkannten und erwanderten Heimat liegt der Schlüssel zur Welt. Der Weg zur Welt führt aber durch die Volksgemeinschaft. Wie ein Baum, der tief in die Erde seine Wurzeln geschlagen hat, […], so wird ein Mensch, der in der Heimat wurzelt, seinen Platz ausfüllen im Getriebe der Welt und des Alltags. Er strebt vom Engen ins Weite, von der Familie zum Volk und durch das Volk zur Menschheit, deren Lebensraum die Gesamtheit der verschiedenen miteinander verschlungenen Heimaten ist.13

11 Es ist interessant, dass sich Reumuth – ebenso wie der eingangs zitierte A. G. George – zur Benennung des ›Riesen Proletariat‹ auf den ›Riesen Antäos / Antaios‹ bezog, dem nachgesagt wurde, er gewinne mit jeder Berührung des heimatlichen Bodens stärkere Kräfte. Zu erklären ist die Wahl durch einen weiteren Artikel des Themenschwerpunkts, dem Wiederabdruck des Artikels »Die Entdeckung der Heimat« des bürgerlichen Wissenschaftspopularisierers Raoul Heinrich Francé. Gleichwohl nahm Reumuth dabei eine leichte Umdeutung von Francés Argumentation vor, hatte dieser Antäos / Antaios doch nicht mit dem Proletariat, sondern mit der Heimaterfahrung ›jedes Menschen‹ gleichgesetzt. Vgl. Francé. 12 Reumuth, S. 83–84. 13 Endres, S. 85.

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Vordergründig beschrieb Endres kein exklusives Heimat-Verständnis, sondern grenzte sich gerade von partikularistischen Deutungen ab. Sein Rekurs auf die »Volksgemeinschaft« erscheint vor dem Hintergrund einer auch in der Sozialdemokratie zu verzeichnenden Sehnsucht nach einer neuen Natur-Industrie-Einheit und deren Implikationen jedoch in einem anderen Licht. Die auch in der Sozialdemokratie mystifizierte Sehnsucht nach Konfliktfreiheit und gesellschaftlicher ›Einheit‹, die fortbestehende gesellschaftliche Konfliktlinien verdrängte, beinhaltete teilweise Schnittmengen zu einem völkischen Heimat-Verständnis.14 Ein weiterer Fokus der Ausgabe lag auf der Frage der Wandelbarkeit historischer und gegenwärtiger Heimat-Räume sowie auf dem Verhältnis von Heimat und sozialistischer Zugehörigkeit. Die Artikel der beiden Naturfreunde Otto Gebauer und Willi Bulan aus Berlin kreisten um diese Themenkomplexe. Gebauer plädierte dafür, trotz prekärer Lebensverhältnisse an der Heimat festzuhalten. Er schrieb zunächst: Ja, mannigfaltig sind die Fäden, die das Herz eines Menschen an seine Heimat fesseln! Und dennoch … dennoch läßt sich nicht alles erklären, weshalb dem Menschen im allgemeinen [sic] die Heimaterde so teuer ist. Sollten es nur Gewohnheit, gemeinsame Sprache, gemeinsame Interessen, Vertrautsein mit den Eigenschaften seiner Mitmenschen sein? Der Arbeiter namentlich hätte tatsächlich oft nicht die geringste Ursache, an dem Fleck Erde, auf dem er augenblicklich steht, festzuhalten. Die Heimat wird ihm mitunter durch unerträgliche Wirtschafts- und Gesellschaftsverhältnisse verbittert.15

Von dieser Feststellung ausgehend sprach er sich jedoch nicht für die Suche nach einer ›neuen oder zweiten Heimat‹ aus, die bessere Verhältnisse in Aussicht stellte. Während ein solches Argument in der Arbeiterbewegung des Kaiserreichs verbreitet war, plädierte Gebauer unter Rekurs auf den Nationalisten Ernst Moritz Arndt für die Akzeptanz der prekären Lebensverhältnisse, da sie Teil der Heimat seien. Gebauer argumentierte in seinem Text ganz im Sinne des in der Arbeit herausgearbeiteten Motivs zunehmender proletarischer ›Sesshaftigkeit‹ und der Liebe zur ›Heimatscholle‹. Wie der Literat Hamsun, der Lehrer Loschky oder die Freitaler Kommunalpolitiker folgerte er, die Heimat müsse trotz mitunter karger Lebensverhältnisse geliebt werden. Zugespitzt formuliert, äußerte sich in Gebauers Text ein Heimat-Verständnis, das zwar einerseits die überwundene vergangene Benachteiligung der Arbeiterschaft benannte, ihr jedoch andererseits ›veränderte Ketten‹ anlegte und dies sogar als selbst gewählte Befreiung verstand. Anders als von Marx und Engels im »Kommunistischen Manifest« vermutet, hatte das Proletariat nicht nur mehr zu verlieren als seine Ketten, es affirmierte Letztere mitunter sogar.

14 Vgl. zu einer solchen Synthese von Natur und Industrie im Heimatschutz Williams, Turning to nature in Germany, S. 240; zu »Einheit« und »Ethnonationalismus« Steber, S. 314–320. 15 Gebauer, S. 89 (Punktauslassungen im Original). Verwiesen sei auf die genauere Analyse von Gebauers Text in Kapitel 3.2.3.1.

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Dagegen betonte Bulan die Veränderbarkeit der Heimat und eines sich wandelnden Zugehörigkeitsgefühls: Heimat. Man erinnert sich beim Klang des Wortes an den Erdenfleck, auf dem wir unsere Kinderjahre verlebten, wo wir zuerst mit all den tausend Dingen vertraut wurden, die des Menschen Umwelt bedeuten und sind. Man erinnert sich … Der Großstadtmensch kann sich nur erinnern. Seine Heimat ändert fast täglich ihr Aussehen. Jenes vierstöckige Haus, […] jene lange, von Mietskasernen eingegrenzte Straße, […], auf der wir spielten und Lebenserkenntnis sammelten, war meine Heimat. An Sonntagen – dann und wann einmal – erweiterte sich diese Heimat.16

In seinen Ausführungen bildete die Ausdehnung des Heimat-Begriffs auf die Großstadt einen wichtigen Bezugspunkt. Die von dort ausgehende, zunehmende Erweiterung der Heimat in der Kindheit durch Wochenendausflüge, Heimatkunde in der Schule und alte Geschichten aus den Herkunftsorten der Eltern erhob Bulan dabei zum Prinzip. Das ›soziale Wandern‹ führe nicht nur zur Kenntnis verschiedener Länder und der dort herrschenden kapitalistischen Ungerechtigkeiten. Auch der Heimat-Begriff dehne sich auf diese Weise auf die Welt als Heimat aus: So lernte ich als Naturfreund meine Heimat kennen und lieben. Wenn mich das Wandern in andere Länder führt, wenn ich auf die hohen Berge der Alpenländer steige oder am Ostseestrand dem Rauschen der Wellen lausche, wenn ich andere Städte besuche, und auf anderen Flüssen fahre, mit der Eisenbahn an kleinen Dörfern vorübereile, immer wieder erinnere ich mich meiner Heimat, der Wälder und Seen, der Städte und Dörfer – und jener Straße, jenes vierstöckigen Hauses, in dem ich meine Jugendzeit erlebte.17

Im Gegensatz zu Gebauers ›Fesselung an die Scholle‹, einer naturalisierten Verbundenheit mit der lokalen ›Gemeinschaft‹, plädierte Bulan für eine stetige Erweiterung der Heimat, was eine Verbundenheit mit allen Menschen implizierte. Das Fremde und das Eigene waren in Bulans Verständnis nicht voneinander zu trennen, sondern miteinander vermittelt.18 Wie die Analyse der vier wichtigsten Texte der Themenausgabe des »Wanderers« gezeigt hat, waren sich die Autoren uneinig, worin die zentralen Eckpunkte eines sozialistischen Heimat-Verständnisses bestehen sollten. Auch wenn dabei kein offener Widerspruch ausgetragen wurde, widmeten sich die Texte der näheren begrifflichen Bestimmung von Heimat auf mitunter konträre Weise und kreisten um die in dieser Arbeit behandelten Fragen von Heimat-Räumen, zeitlichen Heimat-Bezügen und mit Heimat verbundenen Zugehörigkeits- und Gemeinschaftsvorstellungen. Diese Fragen beantworteten sie alles andere als einheitlich. 16 Bulan, S. 92 (Punktauslassungen im Original). 17 Ebd. 18 Die Idee, das Selbst im Fremden zu erkennen, ging bis auf die Romantik zurück und fand eine wesentliche Ausprägung bei Hölderlin. Vgl. bspw. Gebhard u. a. S. 13–18.

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Auch über die »Wanderer«-Ausgabe hinaus herrschte keine Einigkeit darüber, welche Räume als Heimat gelten konnten und inwiefern sie durch ihre territoriale oder soziale Verfasstheit zu einer ebensolchen wurden. Die Antworten reichten von einer klassischen Ausrichtung an Natur-, Regional- und Nationalräumen über die Orientierung an sozialistischen Partikularorten wie den Naturfreundehäusern bis hin zu dem Argument, Heimat habe als utopisches Versprechen in dieser Welt noch keinen Ort. Letzteres leitet bereits dazu über, dass Ähnliches für die Zeitbezüge galt. Diesbezüglich blieb umstritten, welche Bedeutung die (vormoderne) Heimat der Vergangenheit für Gegenwart und Zukunft haben sollte und um welche Vergangenheit oder Tradition es sich dabei überhaupt handelte. Die Uneinigkeit schlug sich ebenfalls in den Zugehörigkeitskonzepten nieder, die sich zwischen historisierenden und naturalisierenden Bezügen bewegten. So waren mit Heimat zumindest zwei sich zwar teilweise überlappende, aber eigentlich ausschließende Zugehörigkeitsvorstellungen verbunden: die Zugehörigkeit zu einer regional oder national definierten Heimat einerseits, die selbst gewählte, internationalistische Zugehörigkeit zur metaphorisch als Heimat bezeichneten Arbeiterbewegung, die sich über soziale Verhältnisse bestimmte, andererseits. Mit Blick auf die chronologische Entwicklung des sozialistischen Heimat-Diskurses in der Weimarer Republik zeigt die Ausgabe von 1931 mehrerlei: Erstens war Heimat zwischen Sozialdemokraten 1931 noch bzw. wieder umstritten und changierte wie zu Beginn der Weimarer Republik zwischen einer eher sozialen und einer eher raumbezogenen Bestimmung. Zweitens waren in der Ausgabe nahezu alle Verständnisweisen, die in der Arbeit thematisiert wurden, noch vertreten. Obgleich Teile der Arbeiterbewegung um 1931 weiterhin an einem sozialistischen Heimat-Verständnis festhielten, deutet die Sehnsucht nach einer konfliktfreien ›Volksgemeinschaft‹ zugleich auf eine sich zuspitzende Krisenwahrnehmung und affirmative Krisenlösungsversuche hin. Vor diesem Hintergrund wiesen einige Artikel eine gedankliche Nähe zu völkischen Heimat-Verständnisweisen auf. Drittens hatte den sozialistischen Heimat-Diskurs seit dem Kaiserreich eine gewisse Offenheit und begriffliche Ambivalenz ausgemacht, die auch die Anfangsphase der Weimarer Republik kennzeichneten. Sie waren Mitte der 1920er Jahre jedoch vorübergehend in den Hintergrund getreten. Dies äußerte sich bspw. in der sozialdemokratischen Heimat-Kulturpolitik, die auf eine Legitimation der republikanischen Gegenwart abzielte, und der damit verbundenen Annäherung an die Praxis der Heimatbewegung. Ende der 1920er bzw. Anfang der 1930er Jahre gewannen Konflikte um die Bedeutung und Relevanz des Begriffs wieder an verschärfter Bedeutung. Reumuths Frage »Haben wir eine Heimat?« implizierte darüber hinaus viertens, dass es der Sozialdemokratie im Laufe der Weimarer Republik nicht gelungen war, ihr mit Heimat verbundenes Versprechen auf materielle Sicherheit einzulösen, eine ökonomisch inklusive Heimat für die Arbeiterschaft zu schaffen.19 19 Vgl. zum grundsätzlichen Argument gescheiterter Hoffnungen als Hypothek für die Wei­marer Republik Winkler.

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Die Kontroverse im »Wanderer« betraf zunächst einmal die Auseinandersetzungen in der Arbeiterbewegung selbst. Der Eindruck eines zwar gesellschaftsübergreifend für wichtig befundenen, letztlich jedoch nur schwer zu fassenden und kaum endgültig zu konkretisierenden Heimat-Begriffs verstärkt sich jedoch unter Berücksichtigung anderer politischer Gruppierungen und gesellschaftlicher Milieus. Die Auseinandersetzung mit Heimat reichte in der Weimarer Republik von bürgerlichen Parteien und der Heimatbewegung über Sozialdemokraten und Kommunisten bis hin zur völkischen und entstehenden nationalsozialistischen Bewegung. Es war vermutlich nicht zuletzt dieser ambivalenten Situation und ideellen Schnittmengen zu anderen gesellschaftlichen Gruppierungen geschuldet, dass sich der TVdN in der Themenausgabe seines Heimat-Verständnisses vergewisserte. Diesbezüglich ist davon auszugehen, dass die Themenausgabe ebenfalls auf wesentliche Veränderungen im Heimat-Verständnis des nicht-­sozialistischen Milieus reagierte. Auch die bürgerliche Heimatbewegung forcierte eine Klärung des Heimat-Begriffs und richtete sich dabei nicht zuletzt gegen das sozialistische Heimat-Verständnis, worauf Williams in seiner Auseinandersetzung mit unterschiedlichen Wanderorganisationen hingewiesen hat. Auch die bürgerliche Heimatbewegung versuchte, mittels der Verwendung des Begriffs ein Integrationsangebot an die Arbeiterschaft zu formulieren und bekam durch die sozialistische Bezugnahme auf Heimat unliebsame Konkurrenz. Der Versuch der begrifflichen Vereindeutigung Ende der 1920er, Anfang der 1930er formulierte vor diesem Hintergrund einen Anspruch auf Deutungshoheit. Eng damit verbunden radikalisierte sich die Heimatschutzbewegung Ende der 1920er Jahre in zahlreichen Regionen.20 Die oftmals völkische Radikalisierung führte wiederum zu sozialdemokratischen Reaktionen und Abgrenzungsbemühungen. Zu dieser Entwicklung passt die erwähnte Klage der Naturfreunde, die bürgerlichen Wandervereine erhöben gegenüber dem TVdN den Vorwurf der Politisierung des vormals unpolitischen Wandersports, dabei seien es doch gerade sie, die die Politik durch ihre Exklusionspraxis in die Berge getragen hätten. Folgt man dem Dargestellten, hatte sich der gesellschaftliche Heimat-Bezug von der Anfangsphase der Weimarer Republik bis zum Beginn der 1930er Jahre um 180 Grad gedreht. In der Umbruchphase 1918/19 waren es die Bedeutungsoffenheit und begriffliche Ambivalenz, die den Heimat-Begriff für verschiedene Gruppierungen und ihre sich teilweise überlappenden, gleichwohl nicht identischen politischen Ziele interessant gemacht und zu einem regelrechten HeimatBoom geführt hatten. Der Begriff wurde in dieser Phase auch von verschiedenen Fraktionen der SPD aufgrund der begrifflichen Unschärfe und Offenheit verwendet, um für den eigenen gesellschaftlichen Zukunftsentwurf zu werben. In der Endphase der Weimarer Republik war es genau diese Bedeutungsoffenheit und Ambivalenz, die für die Zeitgenossinnen und Zeitgenossen zunehmend zum Problem wurde. Anders ist der sich Ende der 1920er, Anfang der 1930er Jahre 20 Vgl. Williams, Turning to nature in Germany, S. 234–240; mit Blick auf Sachsen S­ teinberg, »Karl Herschowitz kehrt heim«, S. 82–83.

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zuspitzende gesellschaftliche Klärungsbedarf, was Heimat ausmache und wer Teil von ihr sei, nicht zu erklären. Diesbezüglich ist es fast schon frappierend, wie verbreitet Kontroversen und Konflikte dieser Art waren. Sie zeigten sich sowohl im lokalen und regionalen Raum als auch in Gruppierungen wie dem Dürerbund, der seine politische Neutralität und seine Distanz zu parteipolitischen Konflikten stets betont hatte. Seit der Jahrhundertwende hatten verschiedene poli­ tische Parteien dort zusammengearbeitet und – ihrer Selbsteinschätzung gemäß – eine gemeinsame Sache vertreten. Ab Ende der 1920er Jahre erhielten auch in dessen betont unpolitischen – freilich immer schon politischen – Gestus politische Kontroversen zunehmend Einzug. Ende der Weimarer Republik zerbrach er selbst an ihnen.21 Ende der Weimarer Republik versuchten demnach unterschiedliche Gruppierungen, die Bedeutung des Heimat-Begriffs zu verengen und zu vereindeutigen. Die Frage, wie diese Veränderung zu erklären ist, lässt selbstverständlich keine monokausalen Erklärungen zu. Dennoch sind zwei Punkte zu betonen, die für die veränderte Funktion des Heimat-Begriffs in der deutschen Gesellschaft besonders wichtig waren: die seit Beginn der Weimarer Republik bestehende politische Konkurrenz um Heimat einerseits, die lange Zeit unterschwellig divergierenden Verständnisweisen des Begriffs in der Sozialdemokratie, aber auch in anderen Milieus, andererseits. Seit Beginn der Weimarer Republik existierte eine politische Konkurrenz um Heimat. Diese betraf nicht allein die begriffliche Ebene und das damit einhergehende sozialdemokratische Pochen auf einem demokratisierten Heimat-Verständnis, sondern ebenfalls die unterschiedlichen politischen Zukünfte, die auf denselben lokalen, regionalen oder nationalen Heimat-Raum projiziert wurden, und die damit verbundene Praxis zu deren Umsetzung. Zwar sahen die zentralen Akteure sozialdemokratischer Heimat-Kulturpolitik keinen Widerspruch in ihrer Tätigkeit. Dies betraf zum einen ihre eigenen Zugehörigkeitsvorstellungen als Freitaler, Ludwigshafener, Sachsen, Pfälzer oder Deutsche einerseits, als Sozialisten oder Sozialdemokraten andererseits. Ähnliches galt zum anderen für ihre Tätigkeit in unterschiedlichen Vereinen, Parteien und Gruppierungen der Heimatbewegung. Doch trotz eines solchen Selbstverständnisses verstanden sie ihre Tätigkeit teilweise als Konkurrenz oder Korrektiv zu bürgerlichen HeimatAktivitäten, was zu mehr oder weniger schwerwiegenden Konflikten führte. So war es ein Resultat der sich Mitte der 1920er Jahre herausbildenden und zunehmend konkreter werdenden sozialdemokratischen Heimat-Kulturpolitik, dass sich das bürgerliche und das sozialdemokratische Heimat-Verständnis einerseits annäherten, die Inhalte des Heimat-Begriffs andererseits gesellschaftlich immer umstrittener wurden. Die neu entstandenen Vorstellungen von Heimat forderten

21 Vgl. Kratzsch, bes. S. 364. Bemerkenswerterweise handelte es sich u. a. um Konflikte zu ökonomischen Fragen, denen die sozialdemokratischen Mitglieder im Gegensatz zu den bürgerlichen Mitgliedern wesentliche Bedeutung zumaßen.

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die etablierten, klassischen gewissermaßen heraus, da sie sich auf die gleichen Räume bezogen, was verschiedene Klärungs- und Vereindeutigungsversuche nach sich zog. Mochte die Hochphase sozialdemokratischer Heimat-Kulturpolitik Mitte der 1920er Jahre, die mit der Konsolidierungsphase der Weimarer Republik zusammenfiel, noch überdecken oder zumindest unwichtiger erscheinen lassen, dass weder innerhalb der Sozialdemokratie Einigkeit über die Bedeutung von Heimat herrschte noch ihr Verhältnis zur bürgerlichen Heimatbewegung eindeutig bestimmt war, erlangte diese Frage vor dem Hintergrund sich erneut krisenhaft zuspitzender gesellschaftlicher Verhältnisse Ende der 1920er Jahre zentrale Bedeutung. Andersherum betraf eine solche Entwicklung ebenfalls die bürgerliche Heimatbewegung und ihr Verhältnis zur sozialdemokratischen Heimat-Kulturpolitik, die an einigen Orten zu einer ernstzunehmenden Konkurrenz geworden war, sofern die unterschiedlichen politischen Milieus nicht eng zusammenarbeiteten. Die wechselseitige Konkurrenz führte zu einer zunehmenden Politisierung der Auseinandersetzung mit Heimat und zu einer sich steigernden gegenseitigen Abgrenzung. Sozialdemokratische, republikanische, konservative, kommunistische oder völkische Heimat- und Zugehörigkeitsvorstellungen standen sich gegenüber.22 Auch wenn sich die Sozialdemokratie um eine Abgrenzung vom bürgerlichkonservativen Heimat-Verständnis bemühte, war auch sie weit von einer konsensualen Klärung dessen entfernt, was sie selbst unter Heimat verstand. Sowohl in der Arbeiterbewegung als auch gesamtgesellschaftlich zirkulierten zahlreiche unterschiedliche Verständnisweisen des Heimat-Begriffs. Angesichts der Vielzahl an involvierten Personen und Heimat-Vorstellungen vermag eine solche Entwicklung und die Zuspitzung gegen Ende der Weimarer Republik nicht zu verwundern. Zwar existierte in der sozialdemokratischen Konzeption von Heimat seit Beginn ein Spannungsverhältnis zwischen sozialen und raumbezogenen Bedeutungsgehalten. Dennoch blieben die unterschiedlichen Verständnisweisen Mitte der 1920er Jahre, nicht zuletzt durch die Heimat-Kulturpolitik, zeitweise verdeckt oder konnten zumindest in den Hintergrund treten. Vor dem Hintergrund einer sich zuspitzenden gesellschaftlichen Krise Ende der 1920er Jahre wurde zunehmend deutlich, dass mit Heimat nicht dasselbe gemeint war und teilweise auch in der Vergangenheit nicht gemeint gewesen war. Dieses Missverständnis der Vergangenheit führte, einmal entdeckt, dazu, dass sich die verschiedenen Gruppierungen voneinander abgrenzten. Die Radikalisierung ihrer Verständnisweisen von Heimat erhielt nicht zuletzt deswegen eine solche Wucht, da es sich dabei nicht um reine Bezeichnungsfragen handelte, sondern dahinter unterschiedliche Gesellschaftsvorstellungen standen. Letztlich galt für die Sozialdemokratie Ähnliches wie das, was Applegate mit Bezug auf die Entwicklung der

22 Vgl. zum völkischen bzw. nationalsozialistischen Heimat-Verständnis bes. Oberkrome; Schaar­ schmidt.

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pfälzischen Heimatbewegung wie folgt formuliert hat: »Those who shared a language of Heimat shared it only in a limited sense«.23 Die unterschiedlichen Lebenswege der zentralen involvierten Sozialdemokraten nach 1933 bestätigen eine solche Einschätzung. Der Pfälzer Loschky setzte seine heimatpädagogische Tätigkeit unter dem Nationalsozialismus fort. Auch wenn er nie Mitglied der NSDAP war, beteiligte er sich in den 1930er und 1940er Jahren an der Kinderbeilage »Wir sprechen deutsch«, die sich in wesentlichen Punkten von der sozialdemokratischen Kinderbeilage »Die Welt der Kleinen« unterschied. Seine Tätigkeit während des Nationalsozialismus verhinderte nach Ende des Zweiten Weltkriegs nicht, dass er in der regionalen SPD und Ludwigshafener Stadtgesellschaft weiterhin hoch geachtet blieb: Am 12.12.1977 wurde er auf Ratsbeschluss zum Ehrenbürger der Stadt ernannt.24 Er ist ein Beispiel für einen heimataffinen Sozialdemokraten, der seine Tätigkeit über mehrere Systemwechsel verfolgte und dabei immer partiell an die jeweilige politische Gegenwart anpasste. Edgar Hahnewald und Otto Rühle mussten nach der nationalsozialistischen Machtübernahme ins Exil fliehen, wo beide starben. Hahnewald zumindest hielt zeitlebens an seinem Verständnis der sächsischen Heimat fest, entschied sich aber wohl bewusst gegen eine Rückkehr nach Ende des Zweiten Weltkriegs.25 Über Robert Söhnel und Karl Söhnel sind keine Angaben zu finden. Es existierte in Freital jedoch eine Gruppe von Sozialdemokraten, die in der Weimarer Republik sozialisiert worden waren und ihr sozialistisches Heimat-Verständnis in der DDR zu verwirklichen suchten. Zu ihnen gehörte der 1904 in Freital geborene Hellmuth Heinz, der in der DDR die Leitung des Freitaler Heimatmuseums übernahm, das mittlerweile in »Haus der Heimat« umbenannt worden war. Die Kenntnis dieser personellen Kontinuitäten verdeutlicht, dass die Geschichte der ›sozialistischen Heimat DDR‹ bis in die Zeit der Weimarer Republik zurückreicht. Sie begann demnach, anders als bislang angenommen, nicht erst nach dem Zweiten Weltkrieg.26 Es bleibt die lohnenswerte Aufgabe zukünftiger Forschungsarbeiten, diese personellen, ideellen, kulturellen und politischen Kontinuitäten genauer zu untersuchen. Auch die Beantwortung der Frage, was Lebensläufe wie derjenige Loschkys über die Bedeutung von Heimat im Nationalsozialismus aussagen können, bleibt ein Desiderat.

23 Applegate, S. 181. 24 Vgl. zum nie erfolgten NSDAP-Beitritt Lipp, S. 19; zur Beteiligung an »Wir sprechen deutsch« u. a. Loschky, Ein Leben, S. 170. Es könnte fast schon als Fortsetzung der unterschiedlichen Heimat-Verständnisse durchgehen, dass sieben Jahre zuvor Ernst Bloch zum Ehrenbürger der Stadt ernannt worden war. Sein Verständnis von Heimat könnte zu demjenigen Loschkys kaum gegensätzlicher ausfallen. 25 Vgl. Steinberg, »Karl Herschowitz kehrt heim« S. 153–154. 26 Ein weiteres Beispiel ist Richard Weimann, späterer Leiter der Parteischulung, Kultur und Erziehung des ZS der SED. Vgl. dazu Kapitel 3.3.2.1.

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Fazit und Ausblick »Haben wir eine Heimat?«1 Diese 1931 gestellte Frage bildete den Einstieg in die Arbeit. Während sie vonseiten des Verfassers, des Naturfreundes Reumuth, vehement bejaht wurde, lässt sich die Frage vor dem Hintergrund der in dieser Arbeit geleisteten Analyse sozialistischer Heimat-Semantiken und Heimat-Praktiken weniger eindeutig beantworten. Stattdessen muss die Antwort aus geschichtswissenschaftlicher Perspektive mehrdimensional ausfallen: So hatte das in dem Zitat zum Ausdruck kommende sozialistische Bedürfnis, eine Heimat zu haben, erstens selbst einen historischen Zeitkern. Wie in der Arbeit gezeigt werden konnte, existierte ein solches Bedürfnis zwar bereits im Kaiserreich, intensivierte und veränderte sich jedoch in der Weimarer Republik. Dabei war es keineswegs voraussetzungslos, dass die sozialistische Sehnsucht nach materieller Sicherheit und unproblematischer Zugehörigkeit ausgerechnet mittels des Heimat-Begriffs zum Ausdruck gebracht wurde. Vielmehr beruhte ein solches Vorgehen auf den vormodernen ökonomischen Bedeutungsgehalten des Begriffs, die im modernen sozialistischen Diskurs fortwirkten. Zweitens bezeichnete Heimat in der Arbeiterbewegung einen zeitlich situierten Prozess: Die sozialdemokra­tischen Akteurinnen und Akteure gingen von einem proletarischen Recht auf Heimat aus und argumentierten, diese könne im umfassenden Sinne des Wortes erst durch kollektive solidarische Praxis hergestellt werden. Umstritten blieb dabei, ob die Arbeiterschaft in der Weimarer Republik bereits über eine Heimat verfügte. Diesbezüglich nahmen unterschiedliche Fraktionen ein mehr oder weniger an Heimat an, wobei die linken darauf beharrten, dass die Verwirklichung der mit dem Begriff verbundenen Versprechen noch in der Zukunft liege. Letzteres weist bereits darauf hin, dass die Arbeiterbewegung drittens nicht eine, sondern gewissermaßen mehrere Heimaten hatte. Die verschiedenen Heimat-Semantiken und Heimat-Praktiken überschnitten sich zwar in zentralen Punkten, deckten sich jedoch nicht vollständig. Die Omnipräsenz des Heimat-Begriffs und die begriffliche Demokratisierung infolge der Ablösung von der bürgerlich-konservativen Heimatbewegung führten zur Existenz unterschiedlicher Heimat-Vorstellungen, die gleichzeitig alle auf gesellschaftliche Verwirklichung drängten. Vor diesem vielschichtigen Hintergrund soll abschließend keine umfassende Rekapitulation der erzielten Analyseergebnisse erfolgen. Für eine Zusammenfassung der zentralen Resultate der drei Hauptteile sei auf die jeweilige resümierende Überleitung verwiesen. Stattdessen werden die Ergebnisse an dieser Stelle in einem ersten Schritt noch einmal unter der titelgebenden Perspektive 1 Reumuth, S. 83.

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von Herkunft und Zukunft gebündelt. Davon ausgehend wird in einem zweiten Schritt dargelegt, welche Bedeutung den herausgearbeiteten sozialistischen Heimat-Konzepten für die geschichtswissenschaftliche Einschätzung der gesamtgesellschaftlichen Heimat-Konjunkturen im Untersuchungszeitraum zukommt. In diesem Zusammenhang wird ebenfalls der Beitrag der erzielten Ergebnisse zur Geschichte der Weimarer Republik herausgestellt.

1. Sozialistische Heimat im Spannungsfeld von Herkunft und Zukunft Die sozialistische Verwendung des Heimat-Begriffs setzte sich in zahlreichen Zusammenhängen auf unterschiedliche Weise mit dem Spannungsfeld von Herkunft und Zukunft auseinander.2 Dabei sind verschiedene Verständnisweisen von Herkunft und Zukunft nachzuweisen. Herkunft etwa ließ sich sowohl im Sinne individueller als auch einer kollektiv geteilten Abstammung oder Provenienz verstehen. Der Begriff konnte darüber hinaus eine räumlich, zeitlich oder sozial definierte Herkunft bezeichnen. Nicht weniger vieldeutig stellte sich das Verständnis im Falle der Zukunft dar. Der Begriff verwies zum einen schlicht auf die lineare Zeitenfolge von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Zum anderen implizierte er vor dem Hintergrund der marxistischen Geschichtsphilosophie in der Arbeiterbewegung die Hoffnung auf eine zukünftig befreite Gesellschaft im Sozialismus. Neben ihren je verschiedenen Begriffsdimensionen standen Herkunft und Zukunft zudem in unterschiedlichen Beziehungen zueinander. In den sozialistischen Deutungen von Heimat-Räumen äußerte sich zum einen ein gesellschaftlich verbreitetes Verständnis von Heimat, das die räumliche Herkunft in den Vordergrund rückte. Damit konnte sowohl der individuelle Herkunftsort als auch die Zugehörigkeit zu einer Region oder Nation gemeint sein. Vor dem Hintergrund der vormodernen Bedeutungsgehalte des Heimat-Begriffs erhielten diese zunächst nüchternen Herkunftsbeschreibungen in der Arbeiterbewegung jedoch eine weitere, spezifisch sozialistische Bedeutungsschicht, die die kollektiv gemachte historische Exklusionserfahrung thematisierte und kritisierte. So regelte das historische Heimatrecht die Versorgungsansprüche im Falle von Verarmung, für die in einigen Teilen Deutschlands, etwa der bayerischen Pfalz, bis in das 20. Jahrhundert die Herkunftsgemeinden zuständig waren. Für Arbeiterinnen und Arbeiter, die ihre Herkunftsorte auf der Suche nach einer besseren individuellen Zukunft in einer fremden Stadt, einer ›neuen Heimat‹ oder ›zweiten Heimat‹ verlassen hatten, konnte dies die unfreiwillige Rückführung durch Abschiebung in die ›alte Heimat‹ bedeuten. Nicht weniger exklusiv wirkte Heimat

2 Vgl. zur generellen Bedeutung des Begriffspaars für die Geschichte der Arbeiterbewegung ­Gerber, Klasse und Ethnie; mit einem Fokus auf jüdische Sozialisten Brenner, bes. S. 20.

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als Bezeichnung des ökonomischen Besitzes an ›Haus und Hof‹, von dem die Arbeiterschaft zumeist qua Geburt ausgeschlossen war. Vor diesem historischen Hintergrund beschrieben Autobiografien die individuelle Herkunfts-Heimat als schicksalhaften Zwangszusammenhang, in den man zufällig hineingeboren wurde und dem man bis zum Beitritt zur Sozialdemokratie schutzlos ausgeliefert gewesen war. Mit der staatlichen Demokratisierung etablierte sich infolge der Novemberrevolution ein neues sozialdemokratisches Verständnis der Herkunftsräume, die nunmehr als politisch befreite Heimat-Räume konzeptualisiert wurden. Wie Kapitel 1.2 gezeigt hat, äußerte sich dieses Verständnis in den Beschreibungen unterschiedlicher Heimat-Räume, zu denen die Nation und Regionen wie die Pfalz ebenso gehörten wie Städte wie Freital. Zugleich benannte der Heimat-Begriff ein sozialistisches Verständnis von räumlicher Herkunft, das eine ursprüngliche Verbundenheit zwischen Arbeiterschaft und ›Heimaterde‹ oder ›Heimatboden‹ annahm. Insbesondere der TVdN argumentierte, der ursprüngliche Besitz des ›Volks‹ an den natürlichen Reichtümern müsse zukünftig nur wieder in sein Recht gesetzt werden. Durch diese Argumentation erwiderte die Arbeiterbewegung den bürgerlichen, mit Heimat verknüpften Besitzanspruch und betonte, dass es sich bei der Arbeiterschaft um die eigentliche Erbin der Heimat handele. Dem bürgerlichen Verständnis von Heimat und Besitz qua Herkunft setzte die Sozialdemokratie folglich ein Verständnis von Heimat und Herkunft entgegen, das weiter in die Vergangenheit zurückzureichen vorgab und darüber seine gesellschaftliche Gültigkeit für Gegenwart und Zukunft zu belegen versuchte. Im sozialdemokratischen Verständnis war eine praktische Verwirklichung sozialistischer HeimatRäume in einer Musterstadt wie Freital auf besondere Weise gelungen. Beide Verständnisweisen von Heimat und Herkunft beinhalteten dabei ein zeitliches Moment. Wie die Auseinandersetzung mit den »Zeiten der Heimat« gezeigt hat, war es eines der mit sozialistischen Heimat-Bezügen verbundenen zentralen Versprechen, den im vormodernen Heimatrecht zum Ausdruck kommenden gesellschaftlichen Ausschluss der Arbeiterschaft zu beenden. Wie u. a. Kapitel 2.2 und 3.3 zeigen konnten, wurde die gemeinsame Praxis und die dabei erfahrene Solidarität in der ›Heimat Arbeiterbewegung‹ der proletarischen ›Heimatlosigkeit‹ in der kapitalistischen Welt diskursiv und praktisch entgegengesetzt. Der Anspruch, die herkunftsbezogene Exklusion in der gesellschaftlichen Zukunft zu beenden, implizierte dabei das Versprechen einer Zukunft unabhängig von Fragen der Herkunft, wobei das »Proletariat […] die Möglichkeit zu bieten [schien], die Herkunft gegen die Zukunft einzutauschen.«3 Um dieses Ziel zu erreichen, so argumentierten Teile der Arbeiterbewegung in der Weimarer Republik, sei es notwendig, sich auf die kollektiv geteilte soziale Herkunft zu beziehen, was in der identitätsstiftenden Vorstellung von der ›Heimat Arbeiterbewegung‹ zum Ausdruck kam. Die heimataffinen Teile der reformorientierten Sozial3 Gerber, Karl Marx in Paris, S. 108.

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demokratie folgerten, dass die Arbeiterschaft in den, mit anderen politischen Milieus geteilten, demokratisierten Heimat-Räumen der Gegenwart schon eine (erste) Heimat gefunden habe. Ein solches Verständnis schlug sich in der HeimatKulturpolitik der SPD nieder, die darauf abzielte, eine gleichermaßen sozialdemokratische wie republikanische Regionalkultur zu etablieren und die politische Gegenwart so zu legitimieren. Angesprochen ist damit bereits das enge Verhältnis von »Heimat und Zugehörigkeit«. Diesbezüglich stellte sich insbesondere in der Weimarer Republik die Frage, welche Form der Herkunft in den Fokus gestellt werden sollte: die lokale, regionale oder nationale, die sich mit derjenigen anderer politischer Milieus überschnitt, oder die soziale, die den spezifischen Hintergrund der Arbeiterschaft herausstellte. Diese Frage betraf zunächst die individuelle Herkunft von Sozialde­ mokraten wie Loschky oder Hahnewald, die als Bindeglied zwischen Sozialdemokratie und Heimatbewegung fungierten. Auch für das ihrerseits angestrebte Verhältnis kollektiver Herkunft und Zukunft war dieses Spannungsfeld zentral. Während sich das Verständnis einer sozialen Herkunft gleichzeitig auf das ›werktätige Volk‹ beziehen konnte, existierte insbesondere gegen Ende der Weimarer Republik zudem eine Vorstellung von Herkunft und Heimat, die sich in einem nationalen oder völkischen Sinne auf das ›Volk‹ bezog. Hinsichtlich der diachronen Entwicklung des Verhältnisses zwischen Herkunft und Zukunft im sozialistischen Heimat-Diskurs hat die Analyse der Arbeit folgende zentralen Veränderungen vom Kaiserreich zur Weimarer Republik herausarbeiten können: Im Kaiserreich versprach das spezifisch sozialistische Heimat-Verständnis, individuelle Herkunft, im Sinne der exklusiven Heimatorte, durch gemeinsame Praxis in eine bessere kollektive Zukunft zu transformieren. Während die Herkunfts-Heimat das Versprechen materiell sicherer Lebensverhältnisse und Zugehörigkeit nicht (mehr) einlösen konnte, was eine individuelle Auslieferung an die Herkunft bedeutete, lag der Kern des sozialistischen HeimatVerständnisses darin, dass es zukünftig sichere Lebensverhältnisse für alle Menschen in einer sozialistischen Heimat versprach. Auf dem politischen Weg dorthin sollte die Arbeiterbewegung als ›Übergangsheimat‹ fungieren, die materielle Auslieferung an die Herkunft beenden und solidarische Zugehörigkeit stiften. Dieses Heimat-Verständnis, das die zeitliche Abfolge von der Herkunft zur Zukunft in den Fokus stellte, verlor in der Weimarer Republik an Bedeutung, wenn es auch nicht vollständig verloren ging. Diese Veränderung lag nicht zuletzt darin begründet, dass Herkunft und Zukunft im sozialistischen Heimat-Verständnis in der Weimarer Republik zunehmend gleichberechtigt nebeneinanderstanden. In der ›Heimat Weimarer Republik‹ hatte sich ein Teil der mit dem Heimat-Begriff verbundenen Versprechen aus Sicht der reformorientierten SPD bereits erfüllt. Wenngleich die sozialistische Zukunft weiterhin von Bedeutung blieb, war die Partei Teil der bestehenden Heimat geworden, hatte sich in diese integriert. Die SPD argumentierte, dass ihre politischen Kämpfe der Vergangenheit den Versprechen des – aufgrund einer kollektiv geteilten sozialen Herkunft erfolgten – politischen Zusammenschlusses zu ihrem 340

Recht verholfen hatten, weswegen die radikal veränderte sozialistische Heimat der Zukunft in den Hintergrund treten konnte. Damit ging einher, dass sich die SPD für ihre gemeinsame politische und regionale Herkunft zu interessieren begann, was sich u. a. in der Praxis der sozialdemokratischen Heimatgeschichtsschreibung niederschlug, die die Geschichte der regionalen Arbeiterbewegung mit heimatkundlichen Mitteln erforschte. Im Freitaler Heimatmuseum und der pfälzischen Heimatbeilage »Bei uns daheim« stellte die SPD ihre regionale Geschichte in den Fokus. Die Praxis der Heimat-Kulturpolitik bewegte sich dabei zwischen einer Ausweitung der republikweiten sozialdemokratischen Traditionsbildung in den regionalen Raum einerseits, einer Orientierung an klassischen Formen der Heimatgeschichte andererseits. Der Bezug auf eine zukünftige Heimat im Sozialismus wurde in der Weimarer Republik vorwiegend von den weiter links stehenden Teilen der Arbeiterbewegung, etwa der Arbeiterjugend, vertreten. Er äußerte sich darüber hinaus in der sozialistischen Festkultur, bspw. Massenchorwerken, denen gemeinsam war, dass sie versprachen, die Zukunft in der Gegenwart durch gemeinsame Praxis vorwegzunehmen. Die geteilte soziale Herkunft wurde im sozialistischen Heimat-Verständnis lange als Garant einer besseren Zukunft wahrgenommen, was sich noch in der Weimarer Republik in der nunmehr vorwiegend kommunistischen Vorstellung äußerte, das Proletariat sei aufgrund seiner ›Heimatlosigkeit‹ dazu prädestiniert, die Revolution zu machen und eine internationale ›Weltenheimat‹ aller Menschen zu verwirklichen. In Abgrenzung zu diesem Verständnis der Welt als Heimat entwickelte sich im Verlauf der Weimarer Republik ein weiteres Verständnis von Herkunft als Zukunft heraus – das völkische. Wie im nationalen fielen auch im völkischen Heimat-Verständnis Herkunft und Zukunft in eins. Vorstellungen von nationaler Herkunft oder ethnischer Abstammung, die das völkische Verständnis durch seine Mythologisierung von ›Blut und Boden‹ radikalisierte, garantierten eine Zugehörigkeit zur Heimat und ihren materiellen und ideologischen Versprechen, allerdings nur qua ethnischer Abstammung. Selbst in Teilen der Arbeiterbewegung verbreitete sich ein solches Heimat-Verständnis, das mitunter nur schwer von anderen auf das ›arbeitende Volk‹ bezogenen Verständnisweisen des HeimatBegriffs zu unterscheiden ist. Während das sozialistische Heimat-Verständnis den Anspruch aller Menschen auf die Reichtümer der Heimat zum Ausdruck brachte, bedeutete Besitz im völkischen Heimat-Verständnis nun wiederum Exklusion – freilich nicht der deutschen Arbeiter und Arbeiterinnen, die sich die Inklusion in die ›volksgemeinschaftliche Heimat‹ teilweise erkaufen konnten, sondern all derjenigen, die nunmehr als ›volksfremde Feinde der Heimat‹ galten. Mit dem sozialistischen Heimat-Verständnis war zu Beginn der Weimarer Republik der Anspruch verbunden gewesen, der proletarischen ›Heimatlosigkeit‹ in der kapitalistischen Welt ein Ende zu machen. Im Übergang zum Nationalsozialismus kam den Argumenten von ›Sesshaftigkeit‹ und ›Verwurzelung‹ mit der ›Heimatscholle‹ auch in der Arbeiterbewegung zunehmende Bedeutung zu. Die Zukunft des ›Volks‹ und der ›Nation‹ war in Teilen der Sozialdemokratie an die Stelle der Zukunft der Arbeiterbewegung getreten. 341

2. Die Bedeutung sozialistischer Heimat-Konzepte für die Einschätzung gesellschaftsübergreifender Heimat-Konjunkturen Die Analyse hat gezeigt, dass der sozialistische Heimat-Diskurs auf die Modernisierungserfahrungen der Arbeiterschaft reagierte, denen er auf unterschied­liche Weise begegnete. Einen zentralen Bezugspunkt bildete dabei der Anspruch, den gesellschaftlichen Umwälzungsprozessen durch kollektive politische Praxis zu begegnen und sie auf diese Weise intentional zu gestalten. Insbesondere die Arbeiterinnen und Arbeiter sollten in der Heimat-Kulturpolitik zum Subjekt gemacht werden, was sich etwa an der Naturfreundefotografie, der sozialdemokratischen Heimatbeilage »Bei uns daheim« oder dem Freitaler Heimatmuseum zeigen lässt. Obgleich es für das sozialistische Heimat-Verständnis keine Rückkehr zu einer vergangenen Heimat geben konnte, da sich die Vergangenheit und Herkunftsorte alles andere als idyllisch ausgenommen hatten, orientierten sich Sozialdemokraten in der Weimarer Republik nicht mehr vorwiegend an einer sozialistischen Heimat der Zukunft. Vielmehr verband sich ihr verhalten geäußerter Zukunftsanspruch mit der Herausbildung eigener Traditionen, die die Bedeutung der Arbeiterschaft in der Geschichte der Heimat herausarbeiteten. Durch die Kritik der als gleichermaßen exklusiv wie verstaubt wahrgenommenen bürgerlichen Beschäftigung mit Heimatgeschichte wollten die beteiligten Sozialdemokraten ein verändertes Heimat-Verständnis etablieren. Ihre sozialdemokratische HeimatKulturpolitik beanspruchte nicht zuletzt, Heimat gesellschaftsübergreifend zu beeinflussen. Aus geschichtswissenschaftlicher Retrospektive bleibt diesbezüglich festzuhalten, dass die sozialdemokratische Praxis nicht nur die politische Ausrichtung der milieuübergreifenden Heimat-Kulturpolitik veränderte und diese demokratisierte. Zugleich veränderte sich durch ein solches Vorgehen auch die politische Ausrichtung der Arbeiterbewegung, in deren Diskurs Vorstellungen von ›Volk‹ und ›heimatbezogener Sesshaftigkeit‹ an Bedeutung gewannen. Auch wenn die Sozialdemokratie in der Weimarer Republik weiterhin betonte, ihr Heimat-Verständnis unterscheide sich von dem bürgerlich-konservativen, adaptierte sie etablierte Praktiken der Heimatbewegung, ohne auf diesen Vorgang umfassend zu reflektieren, und übernahm dadurch auch Teile der damit verbundenen Ideenwelten und Ideologien. Dieser ambivalente, dadurch umso interessantere Befund verdeutlicht noch einmal die Bedeutung, die einer parallelen Analyse sozialistischer Heimat-Semantiken und Heimat-Praktiken, ihrer Schnittmengen und Unterschiede zum bürgerlich-konservativen Heimat-Verständnis, zukommt, da die jeweils erzielten Ergebnisse eine wechselseitige Korrektivfunktion einnehmen können. Wie lässt sich vor diesem Hintergrund die Frage nach der gesamtgesellschaftlichen Rezeption und Reaktion auf die Erfahrungen von Veränderlichkeit und Veränderbarkeit in der Moderne beantworten? Und welche Rolle spielen die Ergebnisse zu sozialistischen Heimat-Konzepten für eine geschichtswissenschaftliche Einschätzung der gesamtgesellschaftlichen Bedeutung und Ausprägung 342

historischer Heimat-Konjunkturen? Wie in der Arbeit gezeigt werden konnte, existierten in der Arbeiterbewegung zwei zentrale Heimat-Konzepte: ein spezifisch sozialistisches sowie eines, das an gesellschaftsübergreifend etablierte Topoi anschloss. Die Schnittstellen zwischen Sozialdemokratie und bürgerlicher Heimatbewegung waren dabei stellenweise weit ausgeprägter, als es zu Beginn des Forschungsprozesses erwartet wurde. Vor diesem Hintergrund verändern die erzielten Ergebnisse die geschichtswissenschaftlichen Thesen zur Zusammensetzung der Heimatbewegung und regen zu einer Re-Evaluation von deren Geschichte an. So wird der Begriff einer bürgerlichen Heimatbewegung durch die Ergebnisse uneindeutig. Statt von bürgerlicher muss in den untersuchten Fällen von einer bürgerlich dominierten Heimatbewegung gesprochen werden. Die Kenntnis sozialistischer Heimat-Konzepte verändert als zweiten wesentlichen Punkt die geschichtswissenschaftliche Einschätzung der Radikalisierung des Heimat-Diskurses in der Weimarer Republik. So lässt sich die These von der Weimarer Republik als bloßer Übergangszeit in das nationalsozialistische Heimat-Verständnis und als einer Zeit völkischer Verengung nicht vollumfassend aufrechterhalten, sondern muss modifiziert werden. Die schlichte Existenz sozialistischer Heimat-Konzepte zeigt erstens, dass noch bis zum Ende der Weimarer Republik nicht-völkische Verständnisweisen von Heimat in der deutschen Gesellschaft von Bedeutung waren. Dabei indizierten der parteiübergreifende Rekurs auf Heimat und die zunehmende Bedeutung des Begriffs trotz der unterschiedlichen semantischen Konnotationen eine gesamtgesellschaftlich wahrgenommene Krisenhaftigkeit. Zweitens trugen die sozialistischen Heimat-Konzepte zur Politisierung von Heimat in der deutschen Gesellschaft bei. Diesbezüglich soll an dieser Stelle noch einmal kurz rekapituliert werden, was im Epilogkapitel länger ausgeführt wurde. Die Pluralisierung des Heimat-Begriffs führte einerseits zu einer engeren Zusammenarbeit zwischen heimatinteressierten Akteuren verschiedener politischer Milieus. Insbesondere Mitte der 1920er Jahre kooperierten diese teilweise in der Umsetzung der regionalen Heimat-Kulturpolitk. Andererseits ergaben sich aus dem gewachsenen sozialdemokratischen Interesse an Heimat und Heimat-Kulturpolitik im engeren Sinne jedoch gleichzeitig verschärfte Konflikte sowie eine Politisierung des Begriffs.4 Dass die Heimatbewegung als parteiübergreifende, aber in gewisser Hinsicht selbstreferentielle Bewegung insbesondere ab Ende der 1920er Jahre keine Integrationskraft mehr entfalten konnte, bestätigt diesen Trend. Die Geschichte kontrovers diskutierter Heimat-Konzepte gegen Ende der Weimarer Republik ist demnach auch eine Geschichte sozialdemokratischer und bürgerlicher Behauptungsversuche. Während die Konkurrenzsituation in dieser Arbeit insbesondere aus der Perspektive der Sozialdemokratie dargestellt wurde, wäre eine solcherart veränderte Perspektive auf Heimat in der Weimarer Repu4 Damit soll selbstredend nicht gesagt sein, dass Heimat im Kaiserreich kein politisierter Begriff gewesen wäre. Da zu dieser Zeit jedoch weniger sozialdemokratisches Interesse an der ›engeren Heimat‹ bestand, war Letztere weniger explizit umkämpft.

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blik ebenfalls eine fruchtbare Analyseperspektive für einen neuen Blick auf die Geschichte der bürgerlichen Heimatbewegung und die völkische Radikalisierung des Heimat-Diskurses. Dass jene die sozialdemokratische Konkurrenz zur Kenntnis nahm, wurde in dieser Arbeit an einigen Stellen angedeutet.5 Die gegenseitige Rezeption belegt die zentrale Bedeutung der erzielten Ergebnisse für die Geschichte von Heimat in der deutschen Gesellschaft: Die sozialistischen Heimat-Konzepte sind nicht allein ein separates Additivum, sondern tragen wesentlich zum Verständnis der Veränderungen im gesamtgesellschaftlichen Heimat-­Diskurs bei. Heimat brachte nicht nur den Wunsch nach gesellschaft­ licher Sicherheit oder ›Einheit‹ zum Ausdruck, sondern war Teil politischer Auseinandersetzungen, weswegen der Begriff selbst zu einem zunehmend umkämpften politischen Bezugspunkt avancierte. Das bedeutete letztlich, dass der als Integrationsvokabel verwendete HeimatBegriff das Gegenteil von Integration nach sich zog. Die mit Heimat explizit oder implizit verbundene Sehnsucht nach einer zukünftigen Gesellschaft frei von Not oder Konflikten, die sich durch sichere Lebensverhältnisse auszeichnen sollte, erfüllte sich nicht  – und konnte in der weiterhin kapitalistischen Gesellschaft der Weimarer Republik auch nicht vollends erfüllt werden. Dabei bedeutete der Rekurs auf Heimat auch in der Sozialdemokratie oftmals eine tendenziell mythologisierende Sicht auf die gesellschaftlichen Krisenphänomene, anstelle einer theoretisch exakten und politisch nüchternen Analyse derselben. Dass die deutsche Gesellschaft sich und ihre Probleme mithilfe des Begriffs mehr oder weniger bewusstlos selbst verhandelte, für diese jedoch keine Lösung fand, führte zu einer zunehmenden Radikalisierung, wofür sich der Heimat-Begriff wohl – ebenso wie der Begriff des ›Volks‹ – so gut eignete, da er Klarheit suggerierte, aber eigentlich mit zutiefst ambivalenten und unreflektierten Deutungen und Erwartungen aufgeladen war. Die mit Heimat benannten gesellschaftlichen Konfliktlinien ließen sich auf diese Weise nicht sistieren oder gar lösen. Vielmehr wurden die Konflikte in der Krisenphase ab Ende der 1920er Jahre nunmehr in und über die Begrifflichkeit selbst ausgetragen. Diese Erkenntnis wirft abschließend eine Frage auf, die schwierig zu beantworten ist: Lag den unterschiedlichen politischen Heimat-Konzepten eine zentrale Gemeinsamkeit zugrunde, die von den historischen Akteurinnen und Akteuren selbst nicht reflektiert wurde, die sich jedoch aus der geschichtswissenschaft­lichen Rückschau mit zeitlichem Abstand destillieren lässt? Diese Frage ist angesichts der bemerkenswerten parteiübergreifenden Verbreitung von Heimat-­Bezügen umso drängender. Vor dem Hintergrund der erzielten Ergebnisse fällt die Antwort zweigeteilt aus: Auf der einen Seite brachte Heimat in allen politischen Gruppie5 Wie die bürgerlich dominierte Heimatbewegung auf das Aufkommen der Naturfreundebewegung, insbesondere jedoch auf die Etablierung der sozialdemokratischen Heimat-Kulturpolitik reagierte, ist bislang kaum thematisiert worden. Dies wäre, ebenso wie die Analyse der völkischen oder kommunistischen Heimat-Bezüge, eine lohnenswerte Aufgabe für zukünftige Forschungsarbeiten.

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rungen und Milieus die Sehnsucht und Suche nach sicheren Lebensverhältnissen, teilweise sogar nach gesellschaftlicher Konflikt- oder Krisenfreiheit zum Ausdruck. Mitunter ging damit auch in der Sozialdemokratie das Argument einher, die moderne Gesellschaft zeichne sich durch ›Entfremdung‹ aus. Auf der anderen Seite bestanden in Teilen sehr große Unterschiede, welche Charakteristika diesem zukünftigen gesellschaftlichen Zustand aus der ideellen Antizipation zugemessen wurden und wie eine solche gesellschaftliche Zukunft zu erreichen sei. Nicht zuletzt widerlegen die gegensätzlichen weiteren Lebenswege der involvierten Personen, die im Epilogkapitel dargelegt wurden, eine allumfassende Gemeinsamkeit. Da das Heimat-Verständnis mancher Sozialdemokraten Anfang der 1930er Jahre kaum noch von einem völkischen oder nationalsozialistischen zu unterscheiden war, andere hingegen ins Exil fliehen mussten und darauf beharrten, dass die Versprechen der Heimat erst im Sozialismus bzw. Kommunismus erreicht wären, setzten sich die unterschiedlichen Heimat-Verständnisse fort. Die Überlegungen im letzten Absatz leiten dazu über, was die Ergebnisse dieser Arbeit zur Geschichtsschreibung der Weimarer Republik und der Offenheit ihrer vergangenen Zukunft beitragen können. Anders als zunächst zu vermuten gewesen wäre, bestätigen die Polyvalenz und Unschärfe verschiedener HeimatKonzepte die prinzipielle Offenheit der Entwicklungen in der Weimarer Republik. Dies betraf mehrere Punkte: Schon genannt wurde in diesem Zusammenhang, dass sich bis zum Ende der Weimarer Republik nicht-völkische Verständnis­ weisen des Heimat-Begriffs nachweisen lassen. Darüber hinaus blieben die mit dem Begriff zum Ausdruck gebrachten Zugehörigkeiten oftmals uneindeutig und die Übergänge zwischen den verschiedenen Gruppierungen und Milieus teilweise fließend. Diese Ergebnisse verändern den geschichtswissenschaftlichen Blick auf die politische Regionalkultur ebenso wie auf das Verhältnis von Tradition und Moderne in der Gesellschaft der Weimarer Republik in einem umfassenderen Sinne. So ergibt sich angesichts der sozialdemokratischen Beeinflussung der Regionalkultur durch Heimat-Kulturpolitik ein deutlich komplexeres Bild der regionalen politischen Kultur in der Weimarer Republik, als es bislang vonseiten der Forschung gezeichnet wurde. Die Beschäftigung mit den kleinen Räumen, das Interesse an Regionalkultur und Kommunalpolitik war nicht per se konservativ oder rückwärtsgewandt, sondern im Falle der Sozialdemokratie auf eine demokratische Gegenwart und – allerdings oftmals nur noch pro forma – eine sozialistische Zukunft bezogen. Die SPD war bestrebt, in die regionale politische Kultur einzuwirken, um die Republik in der Region zu verankern, wodurch sich der politische Charakter der milieuübergreifenden Regionalkultur veränderte. Dabei ›übersetzte‹ sie gewissermaßen republikweit geführte sozialdemokratische Debatten, passte sie an die jeweiligen regionalen Verhältnisse an und kombinierte sie mit etablierten heimatkundlichen Praktiken. Damit gingen Umdeutungsprozesse einher, die wiederum Zentralisierungsbemühungen wie diejenigen des ABI nach sich zogen, mithin auf die Ebene der Republik zurückwirkten. Es wäre zweifelsohne lohnenswert, sich der regionalen Kultur im Spannungsfeld zur politischen 345

Kultur der Republik in zukünftigen Forschungsarbeiten mit anderem thema­ tischen Schwerpunkt zu widmen. Hinsichtlich der in der Einleitung aufgeworfenen Frage nach dem Gegensatz zwischen zukunftsgewisser Arbeiterbewegung und nostalgischer Heimatbewegung verdeutlichen die Analyseergebnisse, dass sich Vergangenheits- und Traditionsbezüge einerseits, Modernebejahung und Zukunftsorientierung andererseits nicht gegenseitig ausschlossen. Die aus geschichtswissenschaftlicher Retrospektive zunächst evident scheinende Unterscheidung wurde aus zeitgenössischer Perspektive oftmals nicht als Widerspruch wahrgenommen. Heimat war im sozialistischen Verständnis sowohl auf Vergangenes als auch auf Gegenwärtiges und Zukünftiges bezogen. Die darin zum Ausdruck kommende Wechselwirkung historischer Bezüge auf Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, Tradition und Moderne, verspricht für weitere Analysen zur Geschichte der Weimarer Republik von Bedeutung zu sein.

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Anhang

Danksagung Als ich die Arbeit an der Dissertation, die diesem Buch zugrunde liegt, begann, begegneten mir häufig Zweifel, ob ›Heimat‹ in der Sozialdemokratie überhaupt eine Rolle gespielt habe. Um so wichtiger waren die Förderung und Unterstützung, die mein Projekt von unterschiedlicher Seite erfahren hat. Herzlich bedanken möchte ich mich bei allen, auch den nicht namentlich Genannten, die mich mit fachlicher Expertise und wertvollem Rat, klugen Fragen und kollegialen Gesprächen, emotionaler Bestärkung und kleinen Gesten unterstützt haben. Einige Personen und Institutionen haben zum Gelingen dieser Arbeit selbstredend auf besondere Weise beigetragen. An erster Stelle möchte ich mich herzlich bei Frank Becker bedanken, der die Entstehung meiner Dissertation an der Universität Duisburg-Essen als Erstbetreuer mit wertvollen Anregungen, Ideen und kritischen Kommentaren auf­ geschlossen begleitet hat. Sein Vertrauen und seinen Rat zur Fokussierung, der zum richtigen Zeitpunkt erfolgte, weiß ich sehr zu schätzen. Jens Jäger hat nicht nur die Zweitbegutachtung übernommen, sondern während meines Studiums an der Universität zu Köln auch mein Interesse an der Geschichte von ›Heimat‹ geweckt. Dafür gilt ihm ebenso mein herzlicher Dank wie für seinen hilfreichen Rat, seine Ermutigung und wichtigen Hinweise, die meine Auseinandersetzung mit ›Heimat‹ seitdem kontinuierlich begleiten. Den Herausgebern der »Kritischen Studien zur Geschichtswissenschaft«, stellvertretend Gunilla Budde und Christina Morina, danke ich für die Aufnahme meiner Studie als 250. Band der Schriftenreihe ebenso wie für hilfreiche Überarbeitungshinweise. Christina Morina danke ich zudem für wichtigen Rat und zeitliche Freiräume bei der Erstellung der Publikation nach dem Wechsel an die Universität Bielefeld sowie für die ebenso anregende wie wertschätzende Arbeits­ atmosphäre am Arbeitsbereich Zeitgeschichte. Meine Dissertation ist als wissenschaftliche Mitarbeiterin im DFG-Graduierten­ kolleg 1919 »Vorsorge, Voraussicht, Vorhersage. Kontingenzbewältigung durch Zukunftshandeln« entstanden. Ich danke den Sprechern des Kollegs, Stefan Brakensiek und Benjamin Scheller, und dem Leitungsgremium, neben Frank Becker insbesondere Ralf-Peter Fuchs und Ute Schneider, für wertvolle inhaltliche Anregungen, sowie dem Koordinator, Olav Heinemann. Vor allem aber gilt mein herzlicher Dank den Kollegiatinnen und Kollegiaten der zweiten Kohorte für das besondere Arbeitsumfeld, das sich durch intensiven Wissensaustausch ebenso auszeichnete wie durch kollegiale Zugewandtheit. Jan-Hendryk de Boer 347

hat dieses Arbeitsklima als Post-Doc wesentlich geprägt und sein vielfältiges Wissen mit uns Doktoranden vorbehaltlos geteilt. Ihm danke ich zudem, ebenso wie Anna Maria Schmidt und Claudia Berger, für die Unterstützung in der Endphase der Dissertation. Von zentraler Bedeutung für den Erfolg der Dissertation waren insbesondere diejenigen, die Teile des Manuskripts gelesen und kommentiert haben. Ich danke (in alphabetischer Reihenfolge) Claudia Berger, Jan-Hendryk de Boer, ­Philipp Lenhard, Niklaas Machunsky, Jörg Moschner, Anna Maria Schmidt, ­Jürgen Schmidt und Jan Schröder herzlich für ihre konzise Kritik und wichtigen Anregungen, von denen die Arbeit sehr profitiert hat. Für anregende Diskussionen danke ich zudem den Kolleginnen und Kollegen des Historischen Instituts Duisburg-Essen und des Instituts für Wirtschafts- und Sozialgeschichte der Universität Wien, letzteren ebenso für die herzliche Aufnahme während meines Gastaufenthalts, sowie den Veranstaltern und Teilnehmern verschiedener Kolloquien und Konferenzen, bei denen ich meine Arbeit vorgestellt habe. Danken möchte ich weiterhin den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der besuchten Archive und Bibliotheken für ihren sachkundigen Rat und die Hilfsbereitschaft. Besonderer Dank gebührt Klaus Jürgen Becker, der mir als Experte für die pfälzische Arbeiterbewegung im Stadtarchiv Ludwigshafen stets mit Rat und Tat zur Seite stand und das Cover meines Buches zur Verfügung stellte. Stellvertretend für die immer freundliche und kompetente Unterstützung im Archiv der sozialen Demokratie und der Bibliothek der Friedrich-Ebert-­ Stiftung sei Olaf Guercke gedankt, der die kurzfristige Anfertigung reproduktionsfähiger Abbildungen ermöglichte. Den Abschluss und die Drucklegung der Dissertation ermöglichten eine Reihe von Institutionen, denen ich zu Dank verpflichtet bin. Die Stiftung Bildung und Wissenschaft gab mir durch ein Promotionsabschlussstipendium die Möglichkeit, die Dissertation in Ruhe abzuschließen, und gewährte in Reaktion auf die Corona-Pandemie eine unkomplizierte Verlängerung. Der Forschungsstelle Weimarer Republik an der Universität Jena und dem Weimarer Republik e.V. danke ich für die Würdigung meiner Arbeit durch die Auszeichnung mit dem Friedrich-Ebert-Preis 2022. Für die großzügige Förderung der Drucklegung danke ich insbesondere der Friedrich-Ebert-Stiftung, stellvertretend Anja Kruke und Stefan Müller, der Paul-Löbe-Stiftung, stellvertretend Detlef Lehnert, dem ich zudem wichtige Hinweise kurz vor Drucklegung verdanke, sowie dem DFG-Graduiertenkolleg 1919 und dem Dekanat der Fakultät für Geisteswissenschaften der Universität Duisburg-Essen. Vandenhoeck & Ruprecht, insbesondere Daniel Sander, Julia Roßberg und Matthias Ansorge, danke ich für die gute Zusammenarbeit. Für die Entstehung der Dissertation waren die kritischen Diskussionen und vergnüglichen Unternehmungen mit meinen Freundinnen und Freunden von unschätzbarem Wert. Einige von ihnen sind bereits namentlich genannt worden, alle anderen wissen hoffentlich wofür. Danken möchte ich zudem meinen Eltern und meiner Schwester, Dieter Strommenger, Charlotte Müller-Strommenger und Paula Strommenger, die mich immer unterstützt und ermutigt sowie durch neu348

gierige Nachfragen und kurzfristiges Korrekturlesen zum Gelingen der Dissertation beigetragen haben. Der Dank, der Nils Johann gebührt, lässt sich schwer in Worte fassen. Er hat nicht nur die Höhen und Tiefen des Promotionsprozesses am engsten begleitet, sondern das gesamte Manuskript gelesen und kommentiert. Ohne seine Ermutigung, seine kritischen Einwände und seinen analytischen Blick wäre die Arbeit nicht die geworden, die sie ist. Ich danke ihm für seine Liebe, seine Geduld, sein Vertrauen und seine fortwährende Unterstützung.

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Abkürzungsverzeichnis SPD Sozialdemokratische Partei Deutschlands KPD Kommunistische Partei Deutschlands MSPD Mehrheitssozialdemokratie USPD Unabhängige Sozialdemokratische Partei Deutschlands VSPD Vereinigte Sozialdemokratische Partei Deutschlands ASPD Alte Sozialdemokratische Partei Deutschlands DVP Deutsche Volkspartei DDP Deutsche Demokratische Partei TVdN Touristenverein Die Naturfreunde ABI Arbeiter-Bildungsinstitut Leipzig LVSH Landesverein Sächsischer Heimatschutz DBH Deutscher Bund Heimatschutz DVZ Dresdner Volkszeitung LVZ Leipziger Volkszeitung FVZ Freitaler Volkszeitung HZ Historische Zeitschrift ISGV Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde BASF Badische Anilin- und Sodafabrik

Abbildungsverzeichnis Abbildung 1

Tagebuch für das Heimatmuseum, Freital, begonnen am 1. April 1924, Titelseite. Quelle: StSaFr Materialien zum Heimatmuseum, 1924–1934. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91

Abbildung 2

Maipostkarte »8-Stunden-Tag!«. Quelle: Stadtarchiv Rüsselsheim, Grafische Sammlung / F 513. . . . . . . . . . . . . 100

Abbildung 3

Flugblatt der KPD (Spartakusbund) vom Juni 1919. Quelle: StALu, Depositum Archiv zur Geschichte der Arbeiterbewegung in Rheinland-Pfalz / Privatarchiv Dr. Klaus J. Becker, Ordner KPD 1919–1925. . . . . . . . . . . . 102

Abbildung 4

Flugblatt »Goldenes Wähler-ABC« der VSPD aus dem Jahr 1924. Quelle: StALu, PGV 03 – SPD Unterbezirk Vorderpfalz, Nr. 4195. . . . . . . . . . . . . . . 103

Abbildung 5

»Der arme Konrad. Kalender für das schaffende Volk«, Jg. 1929, Titelblatt. Quelle: StALu, PGV 03 – SPD Unterbezirk Vorderpfalz, Nr. 831. . . . . . . . . . . . . . . 104

Abbildung 6

»Berg frei. Mitteilungsblatt des Touristen-Vereins ›Die Naturfreunde‹ Gau Pfalz«, Jg. 1924, Nr. 4. Quelle: Pfälzische Landesbibliothek Speyer. . . . . . . . . . . . . 105

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Abbildung 7

»Berg frei. Mitteilungsblatt des Touristen-Vereins ›Die Naturfreunde‹ Gau Pfalz«, Jg. 1930, Nr. 4. Quelle: Bibliothek im Archiv der sozialen Demokratie der Friedrich-Ebert-Stiftung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105

Abbildung 8

»Rheinisches Land. Nachrichtenblatt des Gaues Rheinland. TVdN«, Jg. 1926, Nr. 1. Quelle: Bibliothek im Archiv der sozialen Demokratie der Friedrich-Ebert-Stiftung. . . . . . 106

Abbildung 9

Bergmannszimmer im Heimatmuseum der Stadt Freital. Quelle: Wedderkopf (Hg.), Freital, Berlin-Halensee 1924, S. 53. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117

Abbildung 10 »Luginsland. Touristen-Verein ›Die Naturfreunde‹ Gau Mittel-Rhein-Main«, Jg. 1929, Nr. 2, S. 19. Quelle: Bibliothek im Archiv der sozialen Demokratie der Friedrich-Ebert-Stiftung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140 Abbildung 11 Fotoalbum Ernst Goll. Quelle: ISGV, Sammlung Joachim Schindler (Bestand noch unregistriert). . . . . . . . . . 299

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Quellen- und Literaturverzeichnis Archivbestände Stadtarchiv Ludwigshafen PGV 3: Parteiarchiv des SPD-Bezirks Pfalz StALu, PGV 03 – SPD Unterbezirk Vorderpfalz, Nr. 4195, »Goldenes Wähler-ABC« der Vereinigten SPD (VSPD) aus dem Jahre 1924 StALu, PGV 03 – SPD Unterbezirk Vorderpfalz, Nr. 828, »Der arme Konrad. Kalender für das schaffende Volk«, Jg. 1926 StALu, PGV 03 – SPD Unterbezirk Vorderpfalz, Nr. 831, »Der arme Konrad. Kalender für das schaffende Volk«, Jg. 1929 N 5: Nachlass Hans Loschky (es wurde der gesamte NL konsultiert, an dieser Stelle sind einige der wesentlichen Quellen daraus exemplarisch gelistet) StALu, N5, II. Korrespondenzen, 22: Korrespondenz Hans Loschky und Ludwig Wagner StALu, N5, III. Schule, 61, Präparation Schuljahr 1905/06 StALu, N5, V. Reden, 97, Die Heimat im Unterricht StALu, N5, V. Reden, 97, Vortrag Hans Loschky »Sozialismus als Kulturbewegung« (Vortrag gehalten in der V. S.P. am 9. März 1923) StALu, N5, VI. Allgemeines, 147, Typoskript »Arbeit in der SPD« N 73: Nachlass Friedrich Profit StALu N73, 4, Programmheft zum Landesparteitag der SPD Bayern am 18., 19. und 20. Juli 1914 StALu, N73, 2, Friedrich Profit Rede-Msk. »Eine verunglückte Schlossbeleuchtung«, »Ein Nachwort nach 22 Jahren« Fotosammlung Stadtarchiv Ludwigshafen StALu, Fotosammlung 13587 (Fotografie »Ein herzlich Willkommen«) StALu, Fotosammlung 28225 (Fotografie »Tapfere Krieger«) StALu, Depositum Archiv zur Geschichte der Arbeiterbewegung in RheinlandPfalz / Privatarchiv Dr. Klaus J. Becker, Ordner KPD 1919–1925, Flugblatt der KPD (Spartakusbund) vom Juni 1919

Landesarchiv Speyer LASp T 91, Nr. 105, Friedrich Ebert, Flugblatt Mitbürger! 09.11.1918 LASp H 3, Nr. 12 325

Bayerisches Hauptstaatsarchiv München BHStAM, MK 15558, 28291, Antrag auf Reisemittel »Arbeiter-Kulturwoche« durch den SPD-Reichsbildungsausschuss

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Städtische Sammlungen Freital Materialien zum Heimatmuseum (Konvolut) StSaFr Materialien zum Heimatmuseum, Robert Söhnel, Tagebuch für das Heimat­ museum. Begonnen am 1. April 1924. Freital 1924–1934 StSaFr Materialien zum Heimatmuseum, Robert Söhnel: Heimat-Museum der Stadt Freital. Eingangsbuch I. Freital 1923–1941 StSaFr Materialien zum Heimatmuseum, Acta des Königl. Hauptstaatsarchives zu Dresden das Wappen und die Farben der Stadt »Freital« betreffend. StSaFr Sammlung Jugendbewegungen (Konvolut) StSaFr Sammlung Jugendbewegungen, Materialien zur Jugendweihe, Artikel »Der Abschied von der Kindheit. Freitaler Schulentlassungsfeiern« aus FVZ vom 22.03.1928 StSaFr Sammlung Jugendbewegungen, Materialien zur Jugendweihe, Artikel »Jugendweihen« aus FVZ vom 31.03.1930 StSaFr Sammlung Jugendbewegungen, Materialien zur Jugendweihe, Jugendweihe 1925 Coßmannsdorf. Sprech-Chor der Eltern (Programmheft) StSaFr Sammlung Jugendbewegungen, Materialien zur Jugendweihe, Ausschuss zur Förderung der Weltlichen Schule Freital Jugendweihe 1925 (Programm) StSaFr Sammlung Jugendbewegungen, Materialien zur Jugendweihe, Ausschuss zur Förderung der Weltlichen Schule Freital Jugendweihe 1927 (Programm) StSaFr Sammlung Jugendbewegungen, Materialien zur Jugendweihe, Ausschuss zur Förderung der Weltlichen Schule Freital Jugendweihe 1929 (Programm) StSaFr Sammlung Jugendbewegungen, Materialien zur Jugendweihe, Ausschuss zur Förderung der Weltlichen Schule Freital Jugendweihe 1930 (Programm) StSaFr Sammlung Jugendbewegungen, Materialien zur Jugendweihe, Jugendweihebuch »Der Weg zur Gemeinschaft« (1927, signiert) StSaFr Sammlung Jugendbewegungen, Eintrittskarte zum Vortragsabend »Die Theorie und Praxis der sozialen Revolution« von Otto Rühle April 1924

Stadtarchiv Dresden StAD 2.3.20–1020, Verein Volkshochschule: Vorstand und Mitgliederversammlung StAD 2.3.20–1021, Verein Volkshochschule: Beschwerden, Oberbürgermeister, Schulamt, 3 Bände

Sächsisches Hauptstaatsarchiv Dresden SHStAD, 10707, Nr. 5617, Gemeindewappen Freital

Privatsammlung Joachim Schindler (mittlerweile übergeben an ISGV) ISGV, Sammlung Joachim Schindler, Fotoalbum Ernst Goll (Bestand noch unregistriert) (weitere TVdN- Fotoalben wurden eingesehen)

Stadtarchiv Essen StAE, Rep. 102 I, Nr. 1095, Schreiben Nachrichtendienst des Vollzugsrats des Arbeiterund Soldatenrats Berlin an Bürgermeister der Stadt. Berlin 18. November 1918

Fritz-Hüser-Institut NL Preczang, Rückblick, Ungedrucktes Typoskript von 1920

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Stadtarchiv Rüsselsheim Stadtarchiv Rüsselsheim, Grafische Sammlung / F 513, Maipostkarte »8-Stunden-Tag!«

AdsD, FES Bonn AdsD, NL Johannes Hoffmann, Mappe 24: Sachakten 1923–1930

IISG, Amsterdam IISG, Georg von Vollmar Papers, C Korrespondenz, 138 IISG, Georg von Vollmar Papers, C Korrespondenz, 505

Historische Zeitungen und Zeitschriften (Jahrgänge) Vorwärts (bes. Jg. 1918, 1919) DVZ (bes. Jg. 1918, 1919) LVZ (bes. Jg. 1918, 1919) FVZ (Einzelne Artikel) Pfälzische Post (bes. Jg. 1918, 1919) Pfälzische Freie Presse (bes. Jg. 1918, 1919) Der Wanderer. Monatsschrift der Reichsleitung und der Gaue Brandenburg, Niederhessen, Niedersachsen, Nordbayern, Rheinland, Saar, Schlesien, Westfalen im Touristenverein »Die Naturfreunde«, Reichsgruppe Deutschland (Jg. 1930–1933) Der Wanderer. Mitteilungsblatt des Gaues Sachsen im Touristenverein »Die Naturfreunde« (Jg. 1922–1933) Berg frei. Mitteilungsblatt des Touristenvereins »Die Naturfreunde«, Gau Pfalz (Jg. 1922–1932) Die Welt der Kleinen. Kinderbeilage der Pfälzischen Post (Jg. 1924–1931) Bei uns daheim. Aus Vergangenheit und Gegenwart der Pfalz. Heimatbeilage der Pfälzischen Post (Jg. 1925–1932) Kulturwille. Mitteilungsblatt des Arbeiter-Bildungsinstituts Leipzig / Organ für kulturelle Bestrebungen der Arbeiterschaft (Jg. 1924–1933) (besonders zentrale Artikel oder Artikel aus anderen Jahrgängen sind unter gedruckte Quellen gelistet)

Arbeiterkalender und Arbeiterführer Der Arme Konrad. Kalender für das schaffende Volk, hrsg. vom Landesausschuss der SPD Bayern (Jg. 1902–1933, mit Unterbrechung) Pfälzischer Volks-Kalender (Jg. 1898) Arbeiterführer für Leipzig (Jg. 1925–1931) und Dresden (Jg. 1925–1927)

Gedruckte Quellen Abele, G., Jugend und Naturfreundebewegung, in: Berg frei. Mitteilungsblatt des TVdN Gau Pfalz, Jg. 4, 1925, H. 6, S. 3.

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ABI Leipzig, 1. Arbeiter-Kulturwoche und Gewerkschaftsfest. Mitteldeutscher Jugendtag. Fuehrer durch die Kunstausstellung. Leipzig, 2.–6. Aug. 1924, Leipzig 1924. Allgemeines Arbeiter-Bildungsinstitut für Leipzig (Hg.), Der Weg wird frei! Zur Jugendweihe, Leipzig [1925]. Arbeiter-Bildungsinstitut Leipzig (Hg.), Kämpfende Menschheit. Ein Geschenkbuch zur Jugendweihe, Leipzig [1925]. Arbeiter-Sängerbund für die Pfalz, Fest-Buch zum Dritten Sängertag vom 14. bis 16. Mai 1910 in Pirmasens, Ludwigshafen a. Rh. 1910. Auerbach, A., Kampf um die Erde. Weihespiel von Alfred Auerbach zur Internationalen Arbeiter-Olympiade, Frankfurt a. M. 1925. Baldamus, A., Die Photofreunde und die Ausstellung in Darmstadt, in: Luginsland – TVdN Mittelrhein-Main, Jg. 10, 1929, H. 1, S. 12. Barthel, M., Schlag zu, o Hammer!, in: Kulturwille. Mitteilungsblatt des ABI / Organ für kulturelle Bestrebungen der Arbeiterschaft, Jg. 1, 1924, H. 7, S. 109. Bauer, M., Die steinerne Musik der Städte, in: Kulturwille. Mitteilungsblatt des ABI /  Organ für kulturelle Bestrebungen der Arbeiterschaft, Jg. 2, 1925, H. 7, S. 134–135. Bauer, O., Die Kunstausstellung der Arbeiter-Kulturwoche in Leipzig, in: Kulturwille. Mitteilungsblatt des ABI / Organ für kulturelle Bestrebungen der Arbeiterschaft, Jg. 1, 1924, H. 7, S. 133. –, Die Kunstausstellung der 1. Arbeiter-Kulturwoche in Leipzig, in: Kulturwille. Mitteilungsblatt des ABI / Organ für kulturelle Bestrebungen der Arbeiterschaft, Jg. 1, 1924, H. 8, S. 148. Bauer, W., Heimat, in: Sozialistische Monatshefte, Jg. 38, 1932, H. 11, S. 939. Baumann, K., Ferdinand Lassalle und die Pfalz, in: Bei uns daheim. Aus Vergangenheit und Gegenwart der Pfalz, Jg. 5, 1929, H. 23, S. 89–90. –, Proletarische Strömungen in der pfälzischen Bewegung von 1848/49, in: Bei uns daheim. Aus Vergangenheit und Gegenwart der Pfalz, Jg. 5, 1929, H. 3 u. 4, S. 9–10, 13–15. –, Pfälzer Erinnerungen an Robert Blum, in: Bei uns daheim. Aus Vergangenheit und Gegenwart der Pfalz, Jg. 8, 1932, S. 62–63. Becker, A., Splitter. 100 Jahre Schreibmaschine, 60 Jahre Postkarte, 500 Jahre Steinkohle, in: Bei uns daheim. Aus Vergangenheit und Gegenwart der Pfalz, Jg. 5, 1929, H. 23, S. 92. Bernstein, E., Die deutsche Revolution, ihr Ursprung, ihr Verlauf und ihr Werk. 1. Band: Geschichte der Entstehung und ersten Arbeitsperiode der deutschen Republik, Berlin-Fichtenau 1921. Bierbaum, G., Zur Vorgeschichte Freitals, in: C. W. Wedderkopf (Hg.), Freital, BerlinHalensee 1924, S. 14–18. Brill, W., Arbeitsgehetzt  – Arbeitslos, in: Bei uns daheim. Aus Vergangenheit und Gegenwart der Pfalz, Jg. 6, 1930, H. 20, S. 78. Bulan, W., Erwanderte Heimat, in: Der Wanderer. Monatsschrift der Reichsleitung und der Gaue Brandenburg, Niederhessen, Niedersachsen, Nordbayern, Rheinland, Saar, Schlesien, Westfalen im Touristenverein »Die Naturfreunde«, Reichsgruppe Deutschland (Hervorgegangen aus den Gaublättern genannter Gaue), Jg. 3, 1931, H. 5, S. 92. Ebert, F., Ansprache an die Heimkehrenden Truppen (10. Dezember 1918), in: Vorwärts vom 11. Dezember 1918, Nr. 340, S. 3.

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Personenregister Adler, Alfred  211 Althammer, Beate  150 Applegate, Celia  22 f., 25–27, 31, 62, 150 f., 155, 178 f., 235, 247, 323, 335 Arndt, Ernst Moritz  266, 330 Auerbach, Alfred  255, 258 Aulke, Julian  36 Avenarius, Ferdinand  159 f., 241, 246 Baluschek, Hans  313 Barthel, Max  226, 258 Bauer, Walter  93, 169, 171 Baumann, Kurt  85, 187, 239 Bausinger, Hermann  148, 152, 161 Bebel, August  254 Becker, Albert  187 Becker, Frank  33, 145 Becker, Johann Philipp  316 Benjamin, Walter  297 Bernstein, Eduard  122, 159, 246 Biederbeck, André  54, 109 Binder, Jakob  56 Blackbourn, David  15 Bloch, Ernst  176, 336 de Boer, Jan-Hendryk  24, 147 Bohm-Schuch, Clara  310 Börne, Carl Ludwig  324 Brause, Bruno  137 Brenner, Michael  59, 273 Breunig, Willi  241 Büchse, August  223 Buck, Wilhelm  64 Bulan, Willi  330 f. Burgk, Freiherr von  118 Confino, Alon  21 f., 25, 27, 97 f., 107, 151, 156, 246–248 Costadura, Edoardo  15 Diederich, Franz  160, 244 Ditt, Karl  26

Döring-Manteuffel, Anselm  146 Ebert, Friedrich  45–47, 56 f., 59, 69 f., 101, 217 f., 261 Ehrhart, Franz Josef  17, 71, 149, 189, 192, 194, 254, 316 Eisner, Kurt  57 f., 274 Endres, Fritz  329 f. Engels, Friedrich  122, 168, 264 f., 308, 330 Erdmann, Wulf  123 Feldmüller, Jean  86 f., 189 f., 197 Fellisch, Alfred  70 Fischer, Karl  56 Fleißner, Hermann  64, 76 Fräßdorf, Julius  64 Gebauer, Otto  266, 330 f. Gebhard, Gunther  37, 155 Geisler, Oliver  37, 155 Geißler, Heinrich  307 Gerber, Jan  339 Gerisch, Emil  56, 191 Goethe, Johann Wolfgang von  209 Goll, Ernst  290, 293, 298, 301 f. Gradnauer, Georg  64 f., 76 Graf, Fritz  191 Graf, Rüdiger  36, 147, 230 Gurlitt, Cornelius  118 Haenisch, Konrad  206 Hahnewald, Edgar  77, 222, 237, 243–246, 258 f., 266, 269, 288–290, 336, 340 Hake, Sabine  288 Hammer, Richard  56 Hamsun, Knut  267–269, 330 Hartig, Valtin  220, 223, 303–305, 307 f., 310 Hartmann, Franz  323 Hartmann, Ludo  207 Hartung, Werner  27

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Heartfield, John  262, 277 Heine, Heinrich  324 Heinz, Hellmuth  336 Henningsen, Nicolaus  208–210 Herf, Jeffrey  28, 240 Hermann, Konstantin  65 Herzberg, Wilhelm  189, 203, 316 Herzog, Benjamin  147, 230 Hillig, Hugo  158–160, 186, 244, 306 Hobsbawm, Eric  151 Hoffmann, Johannes  58 f., 69, 73, 124, 192, 254 Hölscher, Lucian  113, 145, 176 Huber, Josef  56, 191 Jacoby, Johann  157 Jäger, Jens  27, 31 Jenkins, Jennifer  28 Kahr, Gustav Ritter von  68 Kampffmeyer, Paul  285 Kaschuba, Wolfgang  21, 157 Keidel, Philipp  191 f. Kerstenberg, Leo  310 Kleefoot, Paul  56, 71, 73 Klimpel, Gustav  77 Klingel, Karl  191, 194, 202 f., 242 Klueting, Edeltraud  154 Körner, Bruno  56 Koselleck, Reinhart  52, 145 Koshar, Rudy  27 Kraft, Alexander  322 Kromer, Carl  223 Landwehr, Achim  145 Lassalle, Ferdinand  189, 210 Lehnert, Detlef  317 Lekan, Thomas  155 Lenhard, Philipp  234 Liebknecht, Karl  115, 194 Liebknecht, Wilhelm  156 f., 162, 166, 189, 205, 252, 254, 316 Lieske, Adina  122 Linse, Ulrich  82, 107 Lipinski, Richard  64 Lippert, Hans-Georg  109 Löbe, Paul  310

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Loschky, Hans  128, 178 f., 181 f., ­184–187, 189 f., 192, 201–203, ­214–218, 227, 237–241, 245, 248, 270, 272, 325, 330, 336, 340 Löwenthal, Leo  266–270, 272, 297 Ludewig, Andrea  246 Luxemburg, Rosa  162, 194, 252 f., 265 Mann, Thomas  239 Marx, Karl  80, 164, 168, 273, 308, 330 Massenbeier, Babette  56 Mehring, Franz  203 Michel, Georg  56 Moltke, Johannes von  154 f. Mörz, Stefan  179 Moschkau, Rudolf  306 Müller, Ernst  33 Naumann, Friedrich  241 Niethammer, Lutz  234 Noske, Gustav  59 Oberkrome, Willi  26 Oesterhelt, Anja  30, 150 Palmowski, Jan  22 Panofsky, Erwin  97 Pestalozzi, Johann Heinrich  205 Petri, Rolf  51, 92, 155 Petzold, Alfons  174 f. Plessner, Helmuth  251 Preczang, Ernst  170–174, 251–255, 264 Profit, Friedrich  56, 60 f., 69, 71, 74, 84, 191, 319–321 Pyta, Wolfram  37, 41 f., 233 Queva, Josef  191, 198, 202 Radbruch, Gustav  310 Ramus, Pierre  21 Ranger, Terence  151 Raphael, Lutz  33, 146 Rauschert, Albert  56 Rau, Susanne  52, 54 Rehbein, Franz  168 f. Renner, Karl  20, 80–82, 126 Retallack, James  15, 152

Retterath, Jörn  36, 250 Reumuth, Kurt  9, 328 f., 332, 337 Rickert, Karl  56 Riedel, Karl  287 Ries, Klaus  15, 25 Rohrauer, Alois  20 Rollins, William H.  247 Rossol, Nadine  29, 317 Roth, Martin  122 Rousseau, Jean-Jaques  205 Rühle-Gerstel, Alice  211 Rühle, Otto  64, 165–167, 173, 211 f., 219, 222, 255, 259, 308, 336 Schiller, Friedrich  160, 257 Schindler, Joachim  298 Schmidt, Jürgen  73 Schmiedel, Georg  20 Schmieder, Falko  33 Schmoll, Friedemann  145 Scholz, Georg  313 Schröter, Steffen  37, 155 Schultze-Naumburg, Paul  158, 160 Schulz, Heinrich  310 Schumann, Kurt  245 Schur, Ernst  94 f. Seefried, Elke  146 Selbach, Paul  124–127 Siemsen, Anna  220, 248 Silcher, Friedrich  224 Söhnel, Karl  89–91, 237, 242, 245, 265, 270, 336 Söhnel, Robert  111, 113 f., 116, 119, 237, 242, 245 f., 325, 336 Sollmann, Wilhelm  310 Spranger, Eduard  186, 209 Steber, Martina  15, 22, 25 f., 51, 53, 55

Steffen, Friedrich  178 Steinberg, Swen  22, 243 Steinmetz, Willibald  33 Strauch, Ludwig  56 Stresemann, Gustav  70 Stubenreich, Leonhard  191 Taut, Bruno  109 Tenorth, Heinz-Elmar  33 Toller, Ernst  274–278, 310, 314 Tönnies, Ferdinand  251 Tucholsky, Kurt  262, 277 Uthmann, Gustav Adolf  223 Vogel, Josef  191, 195, 199 Völkel, Ernst  118, 266 Volkert, Karl  124 Vollmar, Georg von  159 f. Wagner, Ludwig  238 Walter, Franz  109, 120 Weber, Paul  305, 308 Wedderkopf, Carl  77, 88, 91, 110, 113, 119 Weichlein, Siegfried  28 Weimann, Richard  311, 336 Weißenborn, Hellmuth  306 Welskopp, Thomas  19, 33 Wildt, Michael  250 Williams, John A.  83, 106, 123, 139, 163 Winnig, August  274, 286, 292 Winterstein, Theodor von  60, 74, 124 Wohlgemuth, Gustav  223 Zeigner, Erich  18, 69 Zink, Theodor  187, 189, 239

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