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German Pages 352 Year 2015
Ricarda Drüeke, Susanne Kirchhoff, Thomas Steinmaurer, Martina Thiele (Hg.) Zwischen Gegebenem und Möglichem
Band 15
Editorial Die Reihe Critical Media Studies versammelt Arbeiten, die sich mit der Funktion und Bedeutung von Medien, Kommunikation und Öffentlichkeit in ihrer Relevanz für gesellschaftliche (Macht-)Verhältnisse, deren Produktion, Reproduktion und Veränderung beschäftigen. Dies kann sowohl aus sozial- wie kulturwissenschaftlicher Perspektive erfolgen, wobei sich deren Verbindung als besonders inspirierend erweist. Das Spektrum der Reihe umfasst aktuelle wie historische Perspektiven, die theoretisch angelegt oder durch eine empirische Herangehensweise fundiert sind. Die Herausgeberinnen orientieren sich dabei an einer kritischen Gesellschaftsanalyse, die danach fragt, in welcher Weise symbolische und materielle Ressourcen zur Verfügung gestellt bzw. vorenthalten werden und wie soziale und kulturelle Einschluss- und Ausschlussprozesse gestaltet sind. So verstandene kritische Kommunikations- und Medienwissenschaft schließt die Analyse der sozialen Praktiken der Menschen, ihrer Kommunikations- und Alltagskulturen ein und fragt danach, wie gesellschaftliche Dominanzverhältnisse reproduziert, aber auch verschoben und unterlaufen werden können. Als relevante Dimensionen gesellschaftlicher Ungleichheit und sozialer Positionierung werden insbesondere Geschlecht, Ethnie, soziale und kulturelle Differenz sowie deren Intersektionalität in den Blick genommen. Die Reihe wird herausgegeben von Elisabeth Klaus, Margreth Lünenborg, Jutta Röser und Ulla Wischermann.
Ricarda Drüeke, Susanne Kirchhoff, Thomas Steinmaurer, Martina Thiele (Hg.)
Zwischen Gegebenem und Möglichem Kritische Perspektiven auf Medien und Kommunikation Festschrift für Elisabeth Klaus
gefördert durch Universität Salzburg, Fachbereich Kommunikationswissenschaft der Universität Salzburg und Stiftungs- und Förderungsgesellschaft der Universität Salzburg
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Inhalt
Aus gegebenem Anlass Möglichkeiten kritischer Wissenschaft
Ricarda Drüeke, Susanne Kirchhoff, Thomas Steinmaurer, Martina Thiele | 9
Kritische Gesellschaftsperspektiven Von der Analyse von Dichotomien zu einer dialektischen Kommunikationswissenschaft? Überlegungen zu einem vernachlässigten Thema
Friedrich Krotz | 23 »Border Thinking« Intersektionalität als kosmopolitische Intervention?
Edgar Forster | 37 Kritische Medienkulturanalyse als Gesellschaftsanalyse Anerkennung und Resonanz in mediatisierten Öffentlichkeiten
Tanja Thomas | 51 Nicht ohne einander Feminismus und Medien – eine Beziehungsanalyse
Ulla Wischermann | 65
Strukturen und Akteur_innen Die 68erinnen – eine eigenständige Journalistinnengeneration? Konturen eines kaum untersuchten Forschungsfeldes
Susanne Kinnebrock | 75 Handeln und Zusammenwirken von MedienmanagerInnen Zum Erklärungspotential der Akteur-Struktur-Dynamiken
Claudia Riesmeyer | 89
Eine Pionierin, aber keine Feministin Herta Herzogs Leben und Werk aus Sicht der kommunikationswissenschaftlichen Geschlechterforschung
Martina Thiele | 103
Analyse von Frames und Diskursen »The power to name« Anwendungsmöglichkeiten von Metaphernanalysen in der kommunikationswissenschaftlichen Geschlechterforschung
Susanne Kirchhoff | 119 Repräsentation, Ressourcen, Realitäten Überlegungen zu einem alternativen Ansatz in der Analyse von Gender-Frames in der Medienberichterstattung
Maren Beaufort und Josef Seethaler | 133
Journalismus in der Verantwortung Ökologie der Mediengesellschaft Betrachtungen des soziokulturellen und medialen Wandels im Lichte von Nachhaltigkeit
Irene Neverla | 153 Integraler Journalismus Mediale Anforderungen an eine Weltinnen- und Weltfriedenspolitik
Claus Eurich | 165 Friedensjournalismus – ein Oxymoron?
Ingrid A. Lehmann | 177 Feministische Gegenöffentlichkeiten im zerfallenden Jugoslawien der 1990er Jahre
Doris Gödl | 191
Öffentlichkeiten und Cultural Citizenship Öffentlichkeit weiter denken
Boris Romahn | 209 Dispositive in vernetzten Öffentlichkeiten
Thomas Steinmaurer | 223
»Taking cultural production into our own hands« Kulturelle Bedeutungsprozesse im Kontext zeitgenössischer Kunst
Siglinde Lang und Elke Zobl | 237 Rethinking cultural citizenship Zur Teilhabe in der (digitalen) Mediengesellschaft
Margreth Lünenborg | 251
Mediale Diskurse zu Ungleichheiten WikiLeaks in der Medienberichterstattung Hegemoniale, antifeministische und feministische Mediendiskurse
Johanna Dorer | 265 Sprachliche Inklusion versus virtuellen Backlash Über Antifeminismen im Internet
Ricarda Drüeke und Corinna Peil | 275 Die »Affäre Strauss-Kahn« Facetten einer Debatte zu Gewalt, Macht und Geschlecht
Brigitte Geiger | 289
Mediale Rezeptions- und Aneignungspraktiken Media audiences and cultures of femin inity Meanings and pleasures revisited
Barbara O’Connor | 305 Häusliche Aneignungsweisen des Internets »Revolutioniert Multimedia die Geschlechterbeziehungen?« revisited
Jutta Röser und Ulrike Roth | 319 Wenn Teenager Mütter werden Zur Repräsentation prekärer junger Mütter im Reality-TV
Irmtraud Voglmayr | 333 Autor_innen | 345
Aus gegebenem Anlass: Möglichkeiten kritischer Wissenschaft
Aus gegebenem Anlass Möglichkeiten kritischer Wissenschaft Ricarda Drüeke, Susanne Kirchhoff, Thomas Steinmaurer, Martina Thiele »Skepsis gegenüber Dualismen und Versuche von Grenzverschiebungen und Grenzverwischungen sind für alle emanzipatorischen Projekte geboten, da solche Entgegensetzungen Differenzen essentialisieren und soziale Prozesse als naturgegebene Phänomene erscheinen lassen. Erst das Bewußtsein über die soziale, kulturelle Konstruiertheit solcher Entgegensetzungen ermöglicht es, die Schnitt- und Bruchstellen der verschiedenen Positionierungen wie Gender, Race/Ethnie, Klasse/ Schicht in diesen Diskursen zu behandeln.« (Klaus 2005a: 25)
Dem Titel der vorliegenden Festschrift folgend, lässt sich der Horizont zwischen dem »Gegebenen und dem Möglichen« sowohl als eine Programmatik wie auch als eine Verortung des wissenschaftlichen Werkes von Elisabeth Klaus verstehen. Als eine Programmatik insofern, als er auf die Antrittsvorlesung des jungen Theodor W. Adorno als Privatdozent 1930 verweisend1 einen Möglichkeitsraum benennt, der mit dem Anspruch einer wissenschaftlichen Praxis verbunden ist. Für Adorno war dies in seinen frühen Schriften die Idee, auf eine »dialektische Kommunikation« zwischen Philosophie und soziologischer Forschung abzuzielen, die sich um »Schlüssel« bemüht, »vor denen die Wirklichkeit aufspringt« (Adorno 1973: 340). Für ihn liegt »die Idee der Wissenschaft (in der) Forschung« und jene der »Philosophie (in der) Deutung« (ebd.: 334). Und seine Dialektik umfasst daher auch die 1 Diese Spur verdanken wir Edgar Forster, der in seinem Beitrag Möglichkeiten der Erschließung wissenschaftlichen Wissens – bei Adorno und daran anschließend bei anderen Autor_innen – thematisiert.
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»Relation zwischen Realitätsdeutung [. . .] und der [. . .] praktischen Veränderung einer Wirklichkeit« (Müller-Doohm 2006: 91). Von einem derartigen Forschungsentwurf aus lassen sich auch Entwicklungslinien und Bezugspunkte herstellen, die sich in den Arbeiten von Elisabeth Klaus wiederfinden. Denn sowohl der Weg des dialektischen Denkens als auch die Programmatik, damit neue Denkmöglichkeiten und alternative Strukturen und Prozesse von Kommunikation in der Gesellschaft aufzuzeigen, charakterisieren – zwischen den Polen des »Gegebenen und Möglichen« – ihre Arbeiten. Mit Elisabeth Klaus’ Habilitationsschrift Kommunikationswissenschaftliche Geschlechterforschung. Zur Bedeutung der Frauen in den Massenmedien und im Journalimus (Klaus 1998a; 2005a) ist die Etablierung der Gender Media Studies auch im deutschsprachigen Raum entscheidend vorangekommen. Denn neben einer Forschungssynopse, die Daten zu Kommunikator_innen, Medieninhalten sowie Rezeptions- und Aneignungsweisen kritisch prüft, sind mit der Unterscheidung von Gleichheitsansatz, Differenzansatz und (De-)Konstruktion, der Kennzeichnung von Journalismus als zweigeschlechtlichem System sowie der Definition von Öffentlichkeit als gesellschaftlichem Verständigungsprozess und Chance zur Teilhabe theoretische Grundlagen einer feministischen Medienforschung gelegt worden. Die einzelnen Beiträge der Festschrift zu Ehren von Elisabeth Klaus knüpfen daran an. Sie loten ebenfalls die Möglichkeiten kritischer Wissenschaft zwischen Gegebenem und Möglichem aus.
Kritische Gesellschaftsperspektiven Kritische Wissenschaft zielt darauf ab, Gegebenes, den Status quo, zu hinterfragen und Handlungsspielräume aufzuzeigen. Konkret bedeutet das, die mit Kategorisierungen und Grenzziehungen verbundenen Inklusionen und Exklusionen unter Berücksichtigung der eigenen Position zu benennen und scheinbar unauflösliche Dichotomien mittels Dialektik in Zweifel zu ziehen. Friedrich Krotz stellt ausgehend von Elisabeth Klaus’ Arbeiten zum Verhältnis von Öffentlichkeit und Privatheit Überlegungen zur Analyse von Dichotomien an und re-aktualisiert die Relevanz dialektischen Denkens. Es kann, so Krotz, unter Einbeziehung der Machtfrage sowohl der Reflexion als auch der Analyse dienen, mit dem Ziel, kommunikatives Handeln beschreibbar und verstehbar zu machen. Ein grenzüberschreitendes Denken fordert auch Edgar Forster in seiner Auseinandersetzung mit der Intersektionalitätsforschung und ihrem Analysepotenzial. Einen Ausgangspunkt bildet dabei die Kritik an der Fixierung auf die Verschränkung von Kategorien. Im Anschluss an die Ausführungen von Gudrun-Axeli Knapp, die die Intersektionalitätsforschung als ein »travelling concept« beschreibt, schlägt Forster »border thinking« als analytischen Rahmen vor.
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Die Notwendigkeit kritischer Medienkulturanalyse und feministischer Gesellschaftskritik steht im Mittelpunkt der Beiträge von Tanja Thomas und Ulla Wischermann. Ausgehend von den Begriffen der Resonanz und der Anerkennung zeigt Tanja Thomas am Beispiel der Eurovision Song Contest-Gewinnerin Conchita Wurst, wie in populärkulturellen öffentlichen Diskursen Wert- und Norm orientierungen ausgehandelt werden. Dabei legt sie feministische Theorien ihrem Verständnis von kritischer Medienkulturanalyse als Gesellschaftsanalyse zugrunde, die – ganz im Sinne von Elisabeth Klaus – einen Beitrag für eine emanzipatorische wie demokratische Gesellschaft leisten soll. Feministische Gesellschaftskritik, so Ulla Wischermann in ihrem Beitrag, ist eine notwendige gesellschaftliche Intervention. Unter Berücksichtigung aktueller feministischer, aber auch antifeministischer (Medien-)Diskurse arbeitet Wischermann heraus, wie diese häufig gesellschaftliche Rahmenbedingungen und Kontextuierungen (wie Neoliberalismus und Globalisierung oder die Erosion der Arbeitsverhältnisse) ausblenden und weitgehend ohne Bezug zur Frauen- und Geschlechterforschung auskommen. Zen trale Aufgabe der Gender Studies, so Wischermann, bleibt, gesellschaftliche Entwicklungen aus der Geschlechterperspektive kritisch zu kommentieren, politisch zu intervenieren und zugleich die Erfahrungen der Subjekte wieder stärker zum Ausgangspunkt ihrer Betrachtungen zu machen.
Strukturen
und
Akteur_innen
Elisabeth Klaus hat einerseits die Strukturen in den Blick genommen und Medienunternehmen als gendered organizations beschrieben, andererseits sich den dort Tätigen selbst zugewandt, beispielsweise den frühen Journalistinnen (vgl. Klaus 1992), Kriegsberichterstatterinnen und Friedenaktivistinnen (vgl. Klaus/ Wischermann 2010; Klaus/Gruber 2014) sowie denen, die sich nach 1945 als »Trümmerfrauen in diesem Beruf« bezeichnet haben (vgl. Klaus 1993). Gemeinsam mit Ulla Wischermann hat Elisabeth Klaus 2013 den Band Journalistinnen publiziert und damit eine Berufs- und Sozialgeschichte vorgelegt, die von 1848 bis 1990 reicht. Dabei markieren manche Jahre historische Zäsuren. So »1968« – ein Datum, das für gesellschaftlichen Wandel steht, für das Aufkommen neuer sozialer Bewegungen, die auch im Journalismus Spuren hinterlassen haben. Diesen Spuren geht Susanne Kinnebrock in ihrem Beitrag zu den Journalistinnen der 68er-Generation nach. Anhand von Selbstzeugnissen arbeitet sie heraus, dass für diese Frauen bei allen Unterschieden in der beruflichen Position als Gemeinsamkeit gelten kann, dass sie ihr »Grenzgängertum«, den Spagat zwischen Familien- und Erwerbsarbeit, thematisierten, ihre Rolle als Frau im Journalismus reflektierten und damit die gesellschaftlich relevanten Aspekte des vermeintlich Privaten in den Blick rückten.
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Einer spezifischen Gruppe von Kommunikator_innen widmet sich Claudia Riesmeyer, die sich mit dem Erklärungspotential der Akteur-Struktur-Dynamiken für die Journalismusforschung auseinandersetzt. Medienmanager_innen gehören bislang, so die Autorin, zu den »Stiefkindern« der Kommunikationswissenschaft, was erstaunt, da Medienmanager_innen maßgeblich die Handlungsspielräume und Arbeitsmöglichkeiten von Journalist_innen definieren und Entscheidungen treffen, die sich auf das Medienangebot und die Medienvielfalt unmittelbar auswirken. Doch nicht nur Journalist_innen und Medienmanager_innen sollte wissenschaftliche Aufmerksamkeit zuteilwerden, sondern entsprechend der feministischen Forderung nach Reflexion auch den Kommunikationswissenschaftler_innen selbst. Für die Klassiker-Reihe der Zeitschrift Medien & Kommunikationswissen schaft hat Elisabeth Klaus 2008 die Frage gestellt: What do we really know about Herta Herzog? (Klaus 2008) Martina Thiele knüpft in ihrem Beitrag Eine Pionie rin, aber keine Feministin an diese Frage an und stellt zur Diskussion, was Herta Herzog aus kommunikationswissenschaftlicher und feministischer Sicht interessant macht. Drei Aspekte sind hier aufschlussreich: Herzogs Minderheitenposition als Wissenschaftlerin und Marktforscherin und die trotz geschlechtsspezifischer Benachteiligungen erfolgte Karriere, ihre Forschungsgegenstände, schließlich die von ihr präferierten Methoden.
Analyse von Frames und Diskursen Die Relevanz medialer Diskurse für kollektive Bedeutungskonstruktionen ist ein weiteres wiederkehrendes Thema der Forschungsarbeiten von Elisabeth Klaus – u. a. anlässlich der Berichterstattung über den Kosovo-Krieg 1999 (vgl. Klaus/ Goldbeck/Kassel 2002), der Darstellung verschleierter Frauen nach 9/11 (vgl. Klaus/Drüeke/Kirchhoff 2012) und der Rezeption von Castingshows (vgl. Klaus 2010). Dabei geht sie u. a. davon aus, dass einerseits das System der Zweigeschlechtlichkeit in vielfältiger Weise in Diskurse eingeschrieben ist und dass andererseits mediale Diskurse als Bausteine des »Doing Gender« genutzt werden. Zugleich müssen Analysen von Mediendiskursen den Besonderheiten der »media logic« Rechnung tragen (vgl. Klaus/Kassel 2005: 338). Methodologische Überlegungen zur Analyse von Mediendiskursen, die diese Herausforderungen aus unterschiedlichen Perspektiven aufgreifen, bilden jeweils den Ausgangspunkt der Beiträge von Susanne Kirchhoff, Josef Seethaler und Maren Beaufort. So betrachtet Susanne Kirchhoff die Prozesse des »Doing Gender« mit einem metapherntheoretischen Hintergrund. Anhand des alltäglichen metaphorischen Sprachgebrauchs und der Auseinandersetzung mit Metaphern in feministischen Blogs diskutiert sie die kognitive Funktion von Metaphern als Mittel der Strukturierung von Wirklichkeit. Zugleich betont Kirchhoff, dass Metaphern und ihre
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jeweiligen Bedeutungen diskursiv erzeugt und verbreitet werden und beleuchtet die Zusammenhänge von Metaphern und Gender. Der Beitrag schließt mit einigen Überlegungen zur Anwendung von Metaphernanalysen in der kommunikationswissenschaftlichen Geschlechterforschung. Josef Seethaler und Maren Beaufort stellen dagegen in ihrem Beitrag Überlegungen zur Analyse von Genderframes als Mittel medialer Bedeutungskonstruktion an und fragen nach medial kodierten Zuschreibungen der Kategorie Geschlecht. Dies erfolgt mit Bezug auf ein Modell, das sich u. a. auf den Framing-Ansatz stützt. Anhand einer exemplarischen empirischen Analyse erfolgt eine Validierung des Modells, was dann Aussagen über genderspezifische Rahmungen erlaubt.
Journalismus
in der Verantwortung
Aufgabe des Journalismus in einer demokratischen Gesellschaft ist die Herstellung und Bereitstellung von Themen zur öffentlichen Diskussion. Angesichts dessen, was in der Kommunikationswissenschaft unter »Mediatisierung« diskutiert wird und eng verbunden ist mit der Etablierung neuer Technologien, stellt sich die Frage nach der sozialen Verantwortung des Journalismus umso dringlicher. Sie stellt sich auch angesichts aktueller Kriege und Konflikte. Elisabeth Klaus hat 2005 eine Systematisierung des Forschungsbereichs Medien und Krieg vorgeschlagen und dabei u. a. journalistische und mediale Leistungen in den Blick genommen (vgl. Klaus 2005). Um diese und verantwortliches journalistisches Handeln geht es auch in den Beiträgen von Irene Neverla, Claus Eurich, Ingrid Lehmann und Doris Gödl. Ausgehend von aktuellen gesellschaftlichen Entwicklungen wie der Verschmelzung von Mensch und digitaler Medientechnik erarbeitet Irene Neverla einen Ansatz zur Ökologie der Mediengesellschaft und damit eine kritisch-gesellschaftsanalytische Forschungsperspektive. Erfasst werden sowohl individuelle Handlungsperspektiven als auch gesellschaftliche Strukturperspektiven, um so sozialen Wandel analysierbar zu machen. Einen kommunikationsökologischen Ansatz verfolgt ebenso Claus Eurich. Er fordert angesichts der negativen Folgen einer zunehmenden Kommerzialisierung des Mediensystems ein Innehalten und mehr »integrale Vernunft«. Unter »integralem Journalismus«, auch als Ziel der Journalist_innenaus- und weiterbildung, versteht Eurich ein in der Tradition des Friedensjournalismus und der gewaltfreien Kommunikation stehendes ethisches Bewusstsein, das auf Leitwerten wie Wahrhaftigkeit, Empathie, Ambiguitätstoleranz, Kontextualisierung sowie der Fähigkeit zur Reflexion basiert. Die Möglichkeiten eines auf Frieden zielenden Journalismus erörtert Ingrid Lehmann in ihrem Beitrag Medien und Frieden – ein Oxymoron? Sie sieht Gefahren, gerade auch für die Medienarbeit von Hilforganisationen, insbesondere in den durch digitale Medien vielfältiger gewordenen Kommunikationsmöglichkeiten
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der Konfliktparteien. Wie wichtig eine friedensorientierte Medienarbeit und das Entstehen alternativer Öffentlichkeiten in Krisen- und Konfliktregionen sind, zeigt auch der Beitrag von Doris Gödl zu feministischen Gegenöffentlichkeiten im ehemaligen Jugoslawien. Am Beispiel der heftig geführten Auseinandersetzungen um die Anerkennung von Vergewaltigungen in Kriegen als Kriegsverbrechen arbeitet Gödl heraus, wie der »ethnische Nationalismus« in hegemonialen Öffentlichkeiten durch die trans- und internationale Gegenmacht feministischer Öffentlichkeiten herausgefordert wird.
Öffentlichkeiten
und
Cultural Citizenship
Die Auseinandersetzung mit hegemonialen und feministischen Öffentlichkeiten ist ein zentrales Anliegen der Arbeiten von Elisabeth Klaus. Mit dem von ihr entwickelten Drei-Ebenen-Modell von Öffentlichkeit greift sie Nancy Frasers Kritik an einer einheitlichen bürgerlichen Öffentlichkeit auf und schlägt eine Konzeption von Öffentlichkeit als »gesellschaftlicher Selbstverständigungsprozess« vor (vgl. Klaus 2006). Dies öffnet das Konzept für Kommunikationsformen und Akteur_innen außerhalb des Felds elitärer Diskursformationen. Ausgehend von Überlegungen zum Potential verschiedener Theorien und Modelle von Öffentlichkeit zeigt Boris Romahn in seinem Beitrag auf, wo und wie Elisabeth Klaus Öffentlichkeit theoretisch weiterentwickelt hat. Zentrale Idee ist, Öffentlichkeit stärker in ihrer Vielfalt als im Singular und folglich auf mehreren Ebenen angesiedelt zu betrachten. Dabei wird deutlich, dass sich Öffentlichkeiten gerade auch aus Alltagshandeln oder der Rezeption populärer Unterhaltungsmedien generieren. Durch technische Entwicklungen werden Öffentlichkeiten zunehmend komplexer, differenzierter und flexibler. So wirft Thomas Steinmaurer einen kritischen Blick auf digitale Netzwerkstrukturen und darin wirksame Dispositive. Da daraus ableitbare Einflusskräfte nicht ohne Auswirkung auf Öffentlichkeitsprozesse bleiben, sind alternative bzw. kritisch-reflexive Zugänge gefragt. Daher spielen auch zunehmend künstlerische Produktionen eine Rolle für die Konstituierung von alternativen Öffentlichkeiten und Gegenöffentlichkeiten. Sie können Bedeutungskonstruktionen hinterfragen und neue Handlungsräume eröffnen (vgl. Klaus/Zobl 2012). An diese Überlegungen anschließend stellen Elke Zobl und Siglinde Lang kulturelle Produktionen als Interventionsform in das Zentrum ihrer Analyse. Dabei wird nach dem Potential künstlerischer Produktionen für die Bedeutungsverschiebung in Öffentlichkeitsprozessen gefragt. Anhand der Produktion »hunt oder der totale Februar« des Theaters am Hausruck werden Aushandlungs- sowie Partizipationsprozesse im Rahmen des Mitgestaltens von Öffentlichkeit(en) diskutiert. In engem Zusammenhang mit Fragen der Herstellung von Öffentlichkeit steht das Konzept des »Cultural Citizenship«, das Elisabeth Klaus und Margreth
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Lünenborg (2004; 2012) für die kommunikationswissenschaftliche Theoriebildung und Forschung fruchtbar gemacht haben. Lünenborg widmet sich in ihrem Beitrag drei zentralen Fragen der aktuellen, disziplinenübergreifend geführten Debatte. Sie fragt, was »Cultural Citizenship« bedeutet, wenn (national)staatliche Ordnungen an Bedeutung verlieren und räumliche Strukturen dynamisiert werden, welche Relevanz Emotionen und Affekte in einem historisch als rational entworfenen Konzept von Citizenship haben, und schließlich, welche Chancen und Risiken die so genannten neuen und sozialen Medien für die Verwirklichung von »Cultural Citizenship« bieten.
Mediale Diskurse zu Ungleichheiten Elisabeth Klaus hat sich in ihren Arbeiten aus verschiedenen Perspektiven mit Ungleichheiten beschäftigt, so beispielsweise mit medialen Repräsentationen von Migrant_innen (vgl. Klaus/Drüeke 2011) oder mit der Analysekategorie Klasse (vgl. Klaus 2015) und dem sogenannten »Unterschichtenfernsehen« (Klaus/Röser 2008). Gleichzeitig gilt es für eine gesellschafstheoretische Fundierung solcher Debatten theoretische Ansätze weiterzuentwickeln, wie das etwa in der Verbindung von kritischer politischer Ökonomie und Cultural Studies vorgeschlagen (vgl. Klaus/Thiele 2007) oder im Zuge der Intersektionalitätsforschung diskutiert wurde (vgl. Klaus 2014). An diese Forschungen zu Inklusions- und Exklusionsprozesse in und durch Medien schließen die drei folgenden Beiträge an. Der diskursanalytisch orientierte Beitrag von Johanna Dorer widmet sich dem Phänomen medialer Zuschreibungen von Geschlechterdichotomien anhand der medialen Berichterstattung über WikiLeaks und dessen Sprecher Julian Assange. Die Autorin kommt dabei zu dem Schluss, dass es feministischen Bewegungen kaum gelungen ist, das Problem der sexuellen Gewalt zu thematisieren, und Mainstream-Medien vor allem antifeministische Positionen vertraten. Antifeministische Diskurse im Internet sind ebenfalls das Thema des Beitrags von Ricarda Drüeke und Corinna Peil. Anhand aktueller Debatten um die sprachliche Gleichbehandlung durch das Binnen-I und die Sichtbarmachung von Frauen in der österreichischen Bundeshymne werden die Kontroversen und Anfeindungen, die diese Ereignisse insbesondere im Internet auslösten, nachgezeichnet. Dabei zeigt sich, dass Gender-Themen derzeit umkämpft sind und dass gerade in Kommentaren in den Online-Ausgaben österreichischer Tageszeitungen, Blogs und Foren offen antifeministische Positionen vertreten werden. Die Affäre Strauss-Kahn, die Brigitte Geiger in ihrem Beitrag diskursanalytisch untersucht, wurde zu einer internationalen Angelegenheit und berührte verschiedene Ebenen von Öffentlichkeit, schließlich war Dominique Strauss-Kahn Chef des IWF und bis zu der Anklage, die schwarze Hotel-Angestellte Nafissatou
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Diallo vergewaltigt zu haben, aussichtsreicher Präsidentschaftskandidat der französischen Sozialist_innen. Geiger legt dar, wie die Verhaftung Strauss-Kahns international den medialen Diskurs zu Geschlecht, Gewalt und Ungleichheit aktualisierte. Während jedoch die Geschlechterfrage einen relativ breiten Raum einnahm, wurden race und globale ökonomische Ungleichheit im dominanten (deutschsprachigen) Mediendiskurs nur selten explizit thematisiert.
Mediale Rezeptions- und Aneignungspraktiken Die Cultural Studies haben den Blick der Wissenschaft auf die alltäglichen Prozesse der Medienrezeption und -aneignung gelenkt, auf die Relevanz populärer Medienformate als symbolische Ressourcen der Gesellschaft und auf die Dynamik des Prozesses der Bedeutungskonstruktion zwischen Produzent_innen und Rezipient_innen. Ganz im Sinne dieser Tradition hat Elisabeth Klaus in ihrer Auseinandersetzung mit Genres für die Auflösung des Dualismus von Informa tion und Unterhaltung zugunsten einer prozessorientierten Analyse plädiert, die die Aneignungspraktiken der Rezipient_innen mit einbezieht (vgl. u. a. Klaus 2002 und Klaus/Lünenborg 2002). Die Orientierung an den Bedeutungszuschreibungen und Handlungsweisen der Rezipient_innen zeigt sich auch in ihren Arbeiten zur Einführung neuer Medientechnologien, in denen sie u. a. herausarbeitet, wie im häuslichen Kontext Geschlecht die Aneignungspraktiken bestimmt und zugleich durch sie hergestellt wird (vgl. Klaus 2007). Die Relevanz der sozialen Kategorie Geschlecht für Medienrezeption und -aneignung hat sie jedoch vor allem in vielfältiger Weise in ihrer Auseinandersetzung mit dem Vergnügen an populären Medienformaten und der Bedeutung des Medienkonsums für die Lebensbewältigung herausgearbeitet (vgl. z. B. Klaus/Röser 1996; Klaus 1998b; Klaus 2009; Klaus/O’Connor 2010; Klaus 2012). Ausgehend von gemeinsamen Arbeiten mit Elisabeth Klaus (2000) zu Gender und Rezeption von Soap Operas diskutiert Barbara O’Connor die Entwicklung der Rezeptionsforschung. Sie fragt, ob die Veränderungen in den Medien und in der Beziehung von Produzent_innen und Rezipient_innen – bis hin zur Auflösung der Dichotomie in den sogenannten »Produsern« – auch Einfluss auf Vergnügen und Bedeutungskonstruktion haben und plädiert dafür, dass die feministische Rezep tionsforschung die Veränderungen im Gefüge der Medien und im Zusammenspiel zwischen Medien und Publikum stärker wahrnehmen müsse. Mit eben solchen Veränderungen beschäftigen sich auch Jutta Röser und Ulrike Roth, die in ihren Untersuchungsergebnissen die besondere Relevanz des häuslichen Kontextes für die Aushandlung der Geschlechterverhältnisse rund um die Aneignung des Internets zeigen. Der häusliche Kontext stellt sich dabei für die Autorinnen als ambivalent dar, weil er zwar einerseits internetferneren Frauen einen Zugang ermöglicht,
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aber andererseits auch dazu angetan ist, geschlechtsbezogene Differenzen in den Handhabungsweisen von Technologie zu bestärken und die geschlechtsstereotype Aufteilung von Reproduktionsaufgaben zu unterstützen. Nach Medieninhalten, ihrem Potenzial, einerseits Wissen zu vermitteln, andererseits zur Stigmatisierung sozialer Gruppen beizutragen, sowie möglichen Lesarten und Aneignungen fragt Irmtraud Voglmayr in ihrem Beitrag Wenn Teenager Mütter werden – Prekäre Lebenswelten in den Medien. Anknüpfend an die Studien zu Reality TV (vgl. Klaus 2012) und sozialer Ungleichheit in den Medien– speziell dem sogenannten »Unterschichtenfernsehens« (Klaus/Röser 2008) – zeigt Voglmayr, wie von Folge zu Folge Wissensvermittlung in den Hintergrund gerät und stattdessen ein klassenspezifischer Habitus des »schwangeren Unterschichtenmädchens« behauptet wird. Prekäre junge Mütter erfahren daher weniger eine »anerkennende Sichtbarkeit« (Schaffer 2008), als dass durch ein solches TV-Format erneut Klassengrenzen gezogen werden. Elisabeth Klaus hat sich in ihren Arbeiten aus verschiedenen Perspektiven mit Medien und Kommunikation beschäftigt und dabei stets eine kritische Position eingenommen. Die Differenz zwischen Gegebenem und Möglichem macht für sie Wissenschaft zu einer »spannenden« und im positiven Sinne herausfordernden Angelegenheit. Immer auf der Suche nach neuen Wegen und anderen Blickrichtungen hat sie die Kommunikationswissenschaft durch ihre Forschungen zu Öffentlichkeiten und zu Inklusionen und Exklusionen in und durch Medien »ein Stück weit« verändert. Mit der vorliegenden Festschrift möchten wir uns als Herausgeber_innen und Kolleg_innen bei Elisabeth Klaus für jegliche Art der intellektuellen Inspiration bedanken – außerdem bei allen Autor_innen, die mit ihren Beiträgen das Spannungsfeld zwischen Gegebenem und Möglichem betreten haben. Ganz herzlich bedanken möchten wir uns auch bei der Stiftungs- und Förderungsgesellschaft der Paris-Lodron-Universität Salzburg, dem Rektorat und dem Fachbereich Kommunikationswissenschaft, die durch großzügige finanzielle Unterstützung den Druck dieses Bandes ermöglicht haben.
Literatur Adorno, Theodor W. (1973): Die Aktualität der Philosophie. In: ders.: Gesammelte Schriften. Hrsg. von Rolf Tiedemann unter Mitarbeit von Gretel Adorno. Bd. 1. Frankfurt am Main: Suhrkamp, S. 325–345. Gruber, Laura/Klaus, Elisabeth (2014): »Die Waffen nieder« – Bertha von Suttners Leben gegen den Krieg. In: Einsichten und Perspektiven. Bayerische Zeit schrift für Politik und Geschichte 1, S. 40–51.
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Klaus, Elisabeth (1992): Auf der Suche nach den frühen Journalistinnen. In: Romy Fröhlich (Hg.): Der andere Blick. Aktuelles zur Massenkommunikation aus weiblicher Sicht. Bochum: Brockmeyer, S. 55–80. Klaus, Elisabeth (1998a): Kommunikationswissenschaftliche Geschlechterforschung. Zur Bedeutung der Frauen in den Massenmedien und im Journalismus. Westdeutscher Verlag. Opladen: Westdeutscher Verlag. Klaus, Elisabeth (1998b): Melodramas versus Sports? – The Gendered Use of Media. In: Margret Brügmann/Rita Polm (Hg.): Look Now! Women and Media in the Nineties. Münster: Unrast, S. 47–59. Klaus, Elisabeth (2002): Der Gegensatz von Information ist Desinformation, der Gegensatz von Unterhaltung ist Langeweile. In: Irene Neverla/Elke Grittmann/Monika Pater (Hg.): Grundlagentexte zur Journalistik. Konstanz: UVK, S. 619–640 (leicht gekürzter Nachdruck aus: Rundfunk und Fernsehen 3, S. 402–417). Klaus, Elisabeth (2005a): Kommunikationswissenschaftliche Geschlechterfor schung. Zur Bedeutung der Frauen in den Massenmedien und im Journalismus. Akt. u. korr. Neuaufl. Wien: Lit. Klaus, Elisabeth (2005b): Medien und Krieg. Eine Systematisierung des For schungsbereichs. In: Medien Journal 29 (3), S. 6–19. Klaus, Elisabeth (2006): Öffentlichkeit als Selbstverständigungsprozess. Das Beispiel Brent Spar. In: Ulrike Röttger (Hg.): PR-Kampagnen. Über die Inszenierung von Öffentlichkeit. 3., überarbeitete und erweiterte Auflage. Wiesbaden: VS, S. 51–74. Klaus, Elisabeth (2007): Das Fräulein vom Amt und die Quasselstrippe. Genderingprozesse bei der Einführung und Durchsetzung des Telefons. In: Jutta Röser (Hg.): MedienAlltag. Domestizierungsprozesse alter und neuer Medien. Wiesbaden: VS, S. 139–153. Klaus, Elisabeth (2008): What do we really know about Herta Herzog? – Eine Spurensuche. In: Medien & Kommunikationswissenschaft 56 (2), S. 227–252 (= Reihe Klassiker der Kommunikations- und Medienwissenschaft heute). Klaus, Elisabeth (2009): Janice Radway. »Frauengenres« und alltägliche Produktion von Gender. In: Andreas Hepp/Friedrich Krotz/Tanja Thomas (Hg.): Schlüsselwerke der Cultural Studies. Wiesbaden: VS, S. 290–303. Klaus, Elisabeth (2012): Reality-TV zwischen Unterhaltung und Information, zwischen Disziplinierung und Ermächtigung. In: Andreas Dörner/Ludgera Vogt (Hg.): Unterhaltungsrepublik Deutschland. Medien, Politik und Entertainment. Bonn: bpb: Bundeszentrale für politische Bildung, S. 96–111 (= bpb Schriftenreihe, Bd. 1258). Klaus, Elisabeth (2014): Öffentliche Aufmerksamkeit für Praxen der Intersektionalität am Beispiel Angela Davis. In: Medien Journal 38 (3), S. 33–47.
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Kritische Gesellschaftsperspektiven
Von der Analyse von Dichotomien . . .
Von der Analyse von Dichotomien zu einer dialektischen Kommunikationswissenschaft? Überlegungen zu einem vernachlässigten Thema Friedrich Krotz
Vorhaben Dualismus, Binarität, Dichotomie, Duplizität, Opposition, Widerspruch, Gegen überstellung, Ambivalenz, duales Paradox, Auseinandersetzung von Gegensätzen und so weiter – es sind viele Begriffe, die sprachlich zur Verfügung stehen, um zwei Dinge, zwei Gedanken, zwei Entwicklungsrichtungen eines Sachverhalts, zwei Aspekte oder zwei »was auch immer« einander gegenüberzustellen. Sie alle finden auch in der Kommunikationswissenschaft in argumentativen Texten An wendung. Ausgangspunkt dafür sind jeweils zwei inhaltlich aufeinander bezoge ne, etwa als konfligierend verstandene Konzepte wie Öffentlichkeit und Privatheit oder Information und Unterhaltung, die sich im Wandel von Medien und Kultur in sich verändern, und die insbesondere in ihrer aufeinander bezogenen Entwicklung immer neu verstanden werden müssen. Dies wirft die Frage danach auf, warum in der Kommunikationswissenschaft mit der Dialektik eine Art des Denkens, die sich besonders um solche Verhältnisse gekümmert hat, und mit der sich etwa die Phi losophie über zwei Jahrtausende hinweg immer wieder neu beschäftigt hat, völlig ausgeblendet ist. Wie immer man Dialektik definiert – dass es dabei um reale oder begrifflich gefasste Gegensätze geht, aus deren vorgestellter oder tatsächlicher Opposition sich dann jenseits von Idealismus oder Materialismus etwas Neues entwickelt, be schreibt ein allgemein bekanntes Muster sozialen Geschehens, das eigentlich jede und jeder als dialektisch identifizieren wird. In der Philosophie, in der Geistesge schichte, in der Soziologie, aber auch in den für die Entwicklung der Kommuni kations- und Medienwissenschaft grundlegenden Schriften der Frankfurter Schule spielte und spielt Dialektik eine große Rolle, wird aber als Konzept heute weitge hend ignoriert und nicht zielführend eingesetzt. Diese fehlende Beschäftigung der Kommunikations- und Medienwissenschaft mit einem Konzept von Entwicklung
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und Erkenntnis erscheint gerade heute als Defiz it, weil sich die Medien im derzeiti gen Mediatisierungsschub (vgl. z. B. Krotz/Despotovic/Kruse 2014) immer weiter entwickeln, immer weitere Mediendienste hervorbringen und immer eindringli cher Teil des sozialen Lebens und der handelnden Subjekte werden, die umgekehrt die Medien auch zu einem Teil ihres Lebensraums machen, indem sie sich dort hin ein projizieren. Und diese Entwicklung ist bereits derart nachhaltig, dass sich die Informatik bekanntlich schon wieder alle Mühe gibt, die Medientechnik und deren Einflüsse auf menschliche Kommunikation möglichst unsichtbar zu machen – dies ist Teil des Prozesses: sie verschwinden damit zwar aus der Sicht der Menschen, aber bleiben hoch relevant. Hier sollen nun also Überlegungen zur Dialektik in den Kommunikationswis senschaften entwickelt werden. Dabei soll insbesondere auf die dafür brauchbaren Arbeiten von Elisabeth Klaus beispielhaft Bezug genommen werden. Elisabeth Klaus hat sich immer wieder mit Dichotomien beschäftigt und aus ihnen neue Ein sichten über die Funktionsweise und die soziale Bedeutung und Entwicklung der Medien für die Individuen und ihre Formen von Alltag und Zusammenleben abge leitet. Dabei hat sie – und dies macht eine Besonderheit ihrer Arbeit aus – solche Dichotomien als komplexe Wirklichkeitsbeschreibungen verstanden und sie nicht etwa auf nominale Begriffe mit graduellen Unterschieden oder bloß verschiedene Sichtweisen reduziert, sie aber auch nicht verabsolutiert. Sie hat sie vielmehr im mer wieder in den Kontext anderer relevanter Dichotomien, etwa Genderkatego rien gerückt und in Bezug darauf analysiert, aus den beobachtbaren Gegensätzen auf die Entwicklung der Medien in Alltag und Gesellschaft geschlossen und da bei auch die Rolle und die Traditionen der Kommunikationswissenschaft reflek tiert. Insofern ist Klaus’ Vorgehen nicht nur wegen der jeweiligen Ergebnisse und Schlussfolgerungen interessant, sondern auch als ein Beispiel für komplexe Analy sen, die einerseits der Sache selbst in ihrer Entwicklung in einer differenzierten und umfassenden Weise gerecht werden, andererseits aber auch nicht völlig freihändig und regellos stattfinden. Klaus orientiert sich in ihrem Vorgehen vielmehr implizit, so die hier vertretene These, an dialektischen Überlegungen, ein Vorgehen, das sich für solche Überlegungen anbietet. Konkret soll also im nächsten Abschnitt zunächst die Argumentation von Klaus im Hinblick auf die Dichotomie Öffentlichkeit/Privatheit skizziert und gezeigt werden, dass es sich hier um einen Entwurf handelt, der über die Analyse einer Dichotomie deutlich hinausgeht, dialektisch strukturiert ist und durch eine expli zite Konzeption – vielleicht, dies ist nicht Teil des vorliegenden Aufsatzes – noch weiter entwickelt werden kann. Im dritten Abschnitt sollen dann einige allgemeine Überlegungen zur Dialektik vorgestellt werden, die aber gleichzeitig den Anspruch des vorliegenden Textes auf das reduzieren, was in dem hier vorliegenden Kontext möglich ist. Denn es wäre die Aufgabe einer ganzen Horde von PhilosophInnen, SoziologInnen und Kommunikationswissenschaftlerinnen, die Rolle der Dialektik
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im Hinblick auf Kommunikationswissenschaft zu analysieren und herauszuarbei ten. Hier kann es nur darum gehen, die Idee und Möglichkeit einer Art »kleiner kommunikationsbezogener Dialektik« zu entwickeln, die sich bei der Analyse kommunikativen und medienbezogenen Handelns bewähren kann. Dies wird im vierten Abschnitt umgesetzt.
Die Analyse der Dichotomie Öffentlichkeit/Privatheit von Elis ab eth Klaus Zu den Dichotomieanalysen von Klaus zählen Studien über den Gegensatz von Öffentlichkeit und Privatheit (vgl. Klaus 2001) sowie von Unterhaltung und Infor mation als Genres der Medien (vgl. Klaus 1996; Klaus/Lünenborg 2002). Zudem finden sich in ihren Arbeiten immer wieder Hinweise auf relevante solche dualen Verhältnisse. Wie geht Klaus bei derartigen Untersuchungen vor? – dies soll hier am Beispiel der Analyse des Gegensatzes von Öffentlichkeit und Privatheit (vgl. Klaus 2001; hierauf beziehen sich auch die in diesem Abschnitt angegebenen Sei tenzahlen) kurz umrissen werden. Dabei steht vor allem die Komplexität, Reich haltigkeit und die Realitätsbezogenheit der Analyse von Klaus im Vordergrund. Ausgangspunkt von Klaus ist »die Diskussion um das Eindringen des Privaten in den öffentlichen Raum« (ebd.: 15) und komplementär dazu die Inszenierung von Pri vatheit in der Öffentlichkeit – beides kann im Zusammenhang mit der Fernsehsendung BIG BROTHER sowie dem Genre Reality TV diskutiert werden. Öffentlichkeit und Privatheit werden dazu als soziale »Grundkategorien« des Lebens in der Demokratie bezeichnet. Ihr Vorhaben begründet Klaus mit der Absicht, dafür zu sorgen, dass zwei Gefahren, die mit dieser Diskussion verbunden sind, prophylaktisch verhindert werden: Die Selbstversicherung der bürgerlichen Elite, dass ihr eigener kultureller Geschmack wichtig und relevant ist, und die Bestätigung der Kritiker, dass »Medienfrauen und Zuschauerinnen« eigentlich nichts anderes hinbekommen und wünschen, als dass sie jetzt bei Fernsehtrash gleichberechtigt mitwirken können. Ihr Ziel ist es dement sprechend, die Hintergründe des historisch so festgelegten Gegensatzes zwischen Öffentlichkeit und Privatheit herauszuarbeiten und dies mit der gesellschaftlichen Entwicklung zu verbinden – dazu führt sie dann auch gleich eine Reihe von weiterer Dichotomien ein – Mann/Frau, Beruf/Familie, Haushalt als Reich der Notwendigkei ten/Öffentlichkeit als Reich der Freiheit u. a. Öffentlichkeit defin iert sich dann als der rationale und von partikularen Interessen freie Diskurs der Staatsbürger, in dem sich das Allgemeininteresse manifestiert und der alle Lebensbereiche betrifft und so zum zentralen Begriff der Aufklärung wird: als Diskurssphäre des Staatsbürgers, über die das Zusammenleben der Menschen geregelt wirtd und die von der privaten Sphäre abgegrenzt ist, in der sich das Familienleben entwickelt. Dieses Öffentlichkeitsideal impliziert damit zugleich auch, dass die Sklaven und Untergebenen im Haushalt von
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diesem Reich der Freiheit ebenso ausgeschlossen sind wie die Frauen, deren Reich ja gerade der dazu komplementäre Haushalt sein soll. In Bezug darauf beschreibt Klaus also die historische Entstehung und Entwick lung von Öffentlichkeit und betont dabei insbesondere die Bedeutung der Schrif ten von Hannah Arendt (2007), die auch die Frankfurter Schule und insbesondere Habermas’ bekannte Habilitationsschrift (vgl. Habermas 1990) beeinflusst haben. Sie verweist zudem auf die feministische Kritik und notwendige Ergänzung der zugehörigen Untersuchungen (vgl. Klaus 2001: 17). Insgesamt macht Klaus damit deutlich, dass Öffentlichkeit als Reich der Freiheit prinzipiell an die Ungleichheit der Geschlechter und Klassen gebunden ist, und bezieht zudem dabei auch die Reflexion der Leistung der Sozialwissenschaften und insbesondere der Kommuni kationswissenschaft mit ein. In einer dialektischen Sprechweise macht sie damit deutlich, dass der von ihr behandelte Gegensatz als integrales Moment im Sinne Hegels und Marxens auf die Totalität der demokratischen Gesellschaft und zudem auf den Alltag der Menschen verweist, zugleich aber auch die Klassengesellschaft und die Genderungleichheit perpetuiert. In dem darauf folgenden Abschnitt verweist Klaus auf das dabei bereits er kennbare Paradox, dass Frauen einerseits von einer Teilhabe ausgeschlossen sind, andererseits aber auch einer kritischen und sensiblen Geschichtsschreibung im mer wieder als Träger dieser Entwicklung auffallen, was eigentlich nicht ignoriert werden kann. Und dennoch – dass die Idee einer solchen Öffentlichkeit Ideologie bleibt, stellt sich nach Klaus spätestens im 19. Jahrhundert heraus, als die sozialen Emanzipationsbewegungen in ihren Bemühungen um Partizipation an der Macht der bürgerlichen Klasse scheitern: Der Dualismus Öffentlichkeit/Privatheit wird so zu einem eigentlich unhaltbaren Versprechen und einem bloßen legitimatorischen Mythos und reproduziert sich, dialektisch gesehen, nun auf einer höheren Stufe. In der Konsequenz kann man sagen, dass das Denken in als unveränderlich gedach ten Gegensätzen ein Element der europäischen Philosophie, aber auch einer pa triarchalischen Logik ist, mittels derer die bürgerlichen Eliten ihre ökonomischen Privilegien sichern wollen (vgl. Klaus 2001: 17). Dies hat dann die Frauenbewe gung in der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts enthüllt, als Teil einer Gesellschaft, in der der bruchlose Übergang von der Durchsetzung bürgerlicher Öffentlichkeit in eine postdemokratische Gesellschaft unter der Prämisse einer Ko lonialisierung der Lebenswelten stattgefunden hat, sich also die Gegensätze neu ausgeprägt haben. An dieser Stelle nimmt Klaus’ Analyse nun eine andere Wendung, insofern sie sich von dem Entwicklungsprozess abwendet und in einer kommunikations wissenschaftlich ausgerichteten konzeptionellen Absicht zwischen verschiedenen Öffentlichkeiten differenziert: sie unterscheidet komplexe, also professionelle und indirekte massenmediale Öffentlichkeit, wie sie die Kommunikationswissenschaft
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untersucht, von einfacher, also begründeter und gleichberechtigt angelegter Öf fentlichkeit, zu der auch geheime partikularisierte Öffentlichkeiten wie Frauenöf fentlichkeiten gehören, und setzt dazwischen noch mittlere Öffentlichkeiten, die als statuarisch geregelt und über Sachkompetenz entstehend zustande kommen. Gleichzeitig verbindet Klaus den Gegensatz von Öffentlichkeit und Privatheit mit zahlreichen anderen Dualismen, die für die spezifische Ausformung von Öffent lichkeit und Privatheit von Relevanz sind und damit in Zusammenhang stehen oder damit gestärkt und gesichert werden: Politisches und Persönliches, Information und Unterhaltung, Verstand und Emotion; dahinter finden sich dann die bereits ge nannten Dualismen wie Mann/Frau, Beruf/Familie, die so zugleich als für die Ge sellschaft strukturbildende Relationen deutlich werden. Insgesamt begreift Klaus dieses System von Öffentlichkeiten als vernetztes hierarchisches System und zieht daraus komplexe Schlussfolgerungen. Der anfänglich konstatierte Dualismus zwi schen Öffentlichkeit und Privatheit, der der Ausgangspunkt der Analyse war, be steht dann auch heute weiter, aber in einer neuen Form, insofern Privatheit jetzt in Teilen zu einer Voraussetzung für spezifische Öffentlichkeitsformen wird, die sich erst darüber konstituieren können. Auch die direkten Folgen dieser so beschriebe nen Struktur von Öffentlichkeit lassen sich nach Klaus dann wieder als Dualismen darstellen, hinter denen die Sicherung gesellschaftlicher Machtverteilungen steht. Dies wird deutlich über die damit verbundenen Werturteile, die ideologisch Unter scheidungen sichern wie zwischen Hoch- und Populärkultur oder elaborierte und restringierte Sprachcodes. Offensichtlich kann man sagen, dass diese Analyse nicht so sehr von Dichoto mien als unveränderlichen Konzepten und Gegenüberstellungen geprägt ist, son dern von deren fortschreitender Entwicklung; sie werden als eigentlich dialektische Gegensätze behandelt. Eine zentrale, dahinter stehende Kategorie ist Macht. Der Text selbst ist jedoch nicht dialektisch strukturiert, und auch die üblichen dialekti schen Begriffe, wie sie seit Hegel und Marx bekannt sind, werden nicht verwendet. Gleichwohl sind Ansatz und Vorgehen dialektisch: Wir zitieren hier Platon: »Wer Gegensätzliches zusammen schauen kann, ist ein Dialektiker; wer es nicht kann, ist es nicht.« (Zit. nach Müller 1974: 10) Jede konkrete Wirklichkeit ist da nach dadurch begrenzt, dass es etwas gibt, was sie nicht ist (vgl. ebd.: 11). So ein Abgrenzendes existiert sowohl in der Zeit, weil alles vergänglich ist, als auch in synchroner Hinsicht, weil jede Benennung von etwas immer für etwas Spezifi sches steht, was erst dadurch identifiz iert werden kann, dass es etwas gibt, was es nicht ist. Und »Indem wir diese Kreise [gemeint ist eine Visualisierung von Momenten eines Sachverhaltes, F. K.] vergleichend unterscheiden und durch ihre Unterschiede verbinden, denken wir dialektisch, denken wir philosophisch kon kret« (Müller 1974: 27, Hervorhebung im Original). Ergänzend und im Vorgriff auf die Überlegungen im nächsten Kapitel ist zu dem festzuhalten, dass der Konflikt zwischen den Gegensätzen Privatheit und Öf
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fentlichkeit auch bei Klaus nicht durch die Entwicklung gelöst wird. Aber was geschieht, ist, dass die vorher äußerlich einander gegenüber gestellten Gegensätze Privatheit und Öffentlichkeit, die historisch ja gerade in unterschiedlichen Lebens bereichen entstehen bzw. sich dort abspielen, als Resultat der Entwicklung als in terne Relationen eines gemeinsamen medienbezogenen Alltags verstanden werden, in dem die alte Gegenüberstellung ihre Bedeutung verliert, aber neue Gegenüber stellungen relevant werden: die alte, massenmedial geprägte Öffentlichkeit entwi ckelt sich zu einem Konvolut von Massenmedien, die vor allem verkauft werden sollen bzw. deren Einschaltquoten erhöht werden sollen, insofern sie den Gegen satz zwischen Privat und Öffentlich aufheben, und die durch das alte Grundrecht auf die Kontrolle der eigenen Daten geschützte Privatheit (z. B. durch das immer wieder durchgesetzte Briefgeheimnis) wird durch die wahnwitzige Datensammelei im Netz ausgehebelt, insofern die im Grunde erzwungenen Einverständniserklä rungen der User belanglos werden. Als neue, politisch relevante Gegensätze ent stehen Fragen danach, was über wen für wen transparent werden darf und soll, und wessen Relevanzen bei Veröffentlichungsprozessen berücksichtigt werden sollen – das alte, der Debatte um Öffentlichkeit/Privatheit implizit unterliegende Zentral thema ist auch das Zentralthema der neuen Fragestellungen.
Kritik der Dialektik heute: phil os op hisch überh öht, praktisch entmündigt und machtp ol it isch eing em eind et Soweit also dialektische Orientierungen und Vorgehensweisen in der Argumen tation von Klaus. Wir sollten uns in der Konsequenz nun eigentlich der Frage zu wenden, was genau Dialektik ist und was wir von ihr erwarten können. Als So zialwissenschaftlerinnen und Sozialwissenschaftler sind wir dabei aber an einer praktisch in der Wissenschaft anwendbaren Dialektik interessiert, während die riesigen Mengen an Literatur, die darüber vorliegen, im wesentlichen auf andere Fragestellungen hin ausgerichtet sind. Der Diskurs um die Dialektik ist so gesehen philosophisch überhöht und Nichtphilosophen schon fast hegemonial versperrt, weil jene sich in der Folge dafür inkompetent fühlen. Die Dialektik bleibt so weit gehend unfruchtbar für konkrete praktische Fragen, auch wenn sie sich aus wis senschaftlichen Überlegungen ableiten lassen, und sie ist obendrein machtpolitisch eingemeindet, so die im Folgenden begründete These. Dies schließt aber nicht aus, wie ich ebenfalls hoffe deutlich machen zu können, dass man einen Neustart ver sucht und eine sozusagen »kleine, auf konkrete sozialwissenschaftliche Fragen be zogene« Dialektik entwickelt. Das Konzept »Dialektik« geht wie vieles auf Platon zurück und bezeichnet bei ihm Denken und Sprechen als Auseinandersetzung, um Wahrheit zu finden,
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um also zu erkennen. Hieraus entwickelte und rechtfertigte sich die typische Sub jekt-Objekt-Dialektik, die das erkennende Subjekt und das zu erkennende Objekt betrachtete und bis hin zu Hegel und Marx und ihren Followern dafür dialektische Regeln aufstellte: reale Widersprüche, die berühmte Aufhebung der Gegensätze auf einer neuen Ebene als Ergebnis von deren Kampf, zugleich auch als Inter nalisierung deren ursprünglich externer Gegensätzlichkeit, und verbunden damit eine Prozessorientierung und Begriffe und Konzepte wie Totalität, Umschlag vom Quantitativen ins Qualitative und dergleichen. Wichtig ist auch die in der Dialektik angelegte These, dass die formale Logik als Regelsystem (auch zusammen mit der ausschließlich auf formale Logik rekurrierenden Mathematik) alleine nicht aus reicht, um die Wirklichkeit angemessen zu beschreiben – hierauf wird weiter unten noch eingegangen. Das alles ist nicht falsch; es handelt sich dabei ja um Konzepte, die durch aus zur Beschreibung und zum Verständnis realer Wirklichkeit eingesetzt werden können und weiterhelfen – suggestiv sind sie allemal, wie ihre Bekanntheit auch bei jenen bestätigt, die von Dialektik nichts genaueres wissen und sie gleichwohl ablehnen. Aber auf diesen Grundlagen hat sich seit Platon und insbesondere seit Hegel bekanntlich eine einerseits enge, andererseits überbordende komplexe und uneinheitliche Theorie niedergelassen, die ganz unterschiedliche Anwendungsbe reiche untersucht und dort of kaum vergleichbare Konzepte von Dialektik verfolgt. Häufig wird das Verhältnis von formaler Logik und Dialektik auch so missverstan den, dass ebenso wie die Logik die Dialektik aus einer Reihe von Regeln besteht, die ordnungsgemäß angewandt werden müssen; es wurde und wird bis heute ver sucht, entsprechende Grundlagen und Regeln zu entwickeln. Das alles geschieht auch in einer spezifischen philosophisch geprägten Sprache, die – ähnlich wie die Systemtheorie – ein eigenes, gleichzeitig aber keineswegs immer gleichartig ver wendetes Vokabular besitzt. Hinzu kommt der Versuch, der Natur eine Dialektik zu unterstellen – was ja sein kann, aber bisher ebenfalls nicht zu einem Konsens geführt hat und obendrein die Dinge weiter kompliziert. Und der sogenannte reale Sozialismus in der europäischen Nachkriegszeit hat immer auch versucht, seine eigene Sichtweise der Dialektik durchzusetzen, was dann auch keineswegs immer auf der Ebene des besten Arguments geschah, sondern sich auf Machtverhältnisse berief. Auf der anderen Seite hat der in den Naturwissenschaften so beliebte lo gische Positivismus in der Popperschen Version Dialektik auf eine Art Trial-andError-Verfahren reduziert und sie für letztlich überflüssig erklärt – mal abgesehen davon, dass sich die meisten Naturwissenschaftler für solche Fragen ohnehin nicht interessieren. Dialektik kann auch als bloßes Regelsystem, das sich von außen be schreiben lässt, nicht überleben, weil sie dann nicht mehr reflexiv vorgehen kann und so an ihren eigenen Grenzen verkümmert. All dieses zusammen rechtfertigt unseres Erachtens die oben formulierte These, dass die Dialektik zu einem weitgehend versteinerten Fachgebiet geworden ist, um
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das sich mangels Potenzial kaum mehr jemand kümmert. Belege dafür liefert auch das Buch von Röd (1974), auf das ich im Folgenden eingehe und das die komplexe Geschichte der Wissenschaft von der Dialektik sachkundig, aber auch in gewisser Weise kritisch, in zwei Bänden darstellt. Trotz dieser kritischen Grundposition ist aber festzuhalten, dass man aus Röds Arbeit nicht ohne Weiteres eine Ablehnung der Dialektik ableiten kann; auch Röd macht schon vor vier Jahrzehnten deutlich, dass es sich gleichwohl lohnt, sich mit Dialektik auseinanderzusetzen, wobei aller dings viel Ballast abgeworfen werden muss. Röd definiert »dialektisch« als Thema seiner zweibändigen philosophischen Annäherung als ein Verhältnis, »das zwischen zwei einander wechselseitig bedin genden Momenten eines Ganzen besteht, wobei das Ganze durch die Beziehung zwischen den Momenten bestimmt wird und gleichzeitig die Momente vom Gan zen bedingt sind. Es handelt sich also um zwei Arten wechselseitiger Bedingun gen: einmal zwischen den Momenten, zum anderen zwischen den Momenten auf der einen und dem Ganzen, dem die Momente angehören und das sie konstituieren, auf der anderen Seite.« (Röd 1974a: 13) Dies ist zweifelsohne eine einengende Definition, insofern sie etwa den klassischen Begriff der Totalität umgeht, aber in seiner Darstellung versucht Röd im weiteren Verlauf seiner Analyse, die verschie denen Theorien zur Dialektik aufzubereiten und sachlich zu erläutern. Hilfreich ist sein Ansatz insbesondere deswegen, weil er in seiner knappen Ein leitung auf Basis der generellen Aussage »die Dialektik gibt es nicht« (ebd.: 9) drei Felder benennt, für die verschiedene Typen von Dialektik entwickelt und diskutiert worden sind: 1) Dialektik als Ontologie, die also nach der Bestimmung des Seienden fragt. Von einem idealistischen Standpunkt aus ist dann das Konzept der Begrifflichkeit relevant, weil jeder Begriff durch das bestimmt ist, was er nicht begreift – die sich weiter entwickelnde Wirklichkeit widerspricht dann der Setzung, die im Begriff angelegt ist. Von einem materialistischen Standpunkt aus ist es die Wirklichkeit als Bewegung, die sich durch Widersprüche entwickelt. Im Sinne eines aristotelischen Konzepts von Wirklichkeit als Wandel und Begrifflichkeit müssen für ein solches Verständnis von Dialektik dann also auch die Begriffe verflüssigt werden, um in Bezug zu einer sich wandelnden Wirklichkeit stehen zu können. 2) Dialektik als Methodologie: Hier muss sich Dialektik an den Regeln des lo gischen Denkens orientieren und sie regelkonform überschreiten. Dialektik bleibt dann aber auf die sogenannten logischen vier Grundgesetze bezogen – nämlich den Aussagen, a ist a, a und non a können nicht gleichzeitig gelten, a ist nicht non an, und Leibniz’ Satz vom zureichenden Grund (vgl. Müller 1974: 61 ff.). Dies impliziert zwar, dass die formale Logik Grenzen in der Erfassung von Wirklichkeit beinhaltet, die nur außerlogisch aufgehoben werden können (vgl. Müller 1974: 65 ff.), legt aber die Dialektik implizit doch auf ein starres und undialektisches Verhältnis zu diesen Grundgesetzen fest. Dementsprechend kann der Versuch, kon
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sistente und handhabbare Regeln einer dialektischen Logik zu generieren, wie dies etwa im real existierenden Sozialismus der UdSSR oder der DDR versucht wurde, nicht erfolgreich sein (vgl. hierzu: Röd 1974b: 75 ff.). 3) Schließlich Dialektik als Erfahrungsstruktur. Dies ist nach Röd (1974b) das Feld, auf dem sich in der neuzeitlichen Philosophie dialektische Strukturen ge funden haben. Dabei stand und steht das Erkenntnisproblem im Vordergrund, also das Verhältnis von erkennendem Subjekt und zu erkennendem Objekt, die sich in dialektischer Perspektive gegenseitig bedingen. Diese im Rahmen klassischer Philosophie entwickelte Darstellung von Röd eignet sich aus zwei Gründen für eine weitere Berücksichtigung auch durch andere Wissen schaften. Einmal, weil sie im Rahmen ihrer Voraussetzungen ganz unterschiedliche Verständnisweisen von Dialektik referiert und diskutiert, und zum zweiten, weil sie einer regelgeleiteten Dialektik welcher Art auch immer eine klare Absage erteilt. Beides mag hilfreich sein, einen Neustart einer Dialektik zu entwickeln. Dies vor allem auch deswegen, weil Röd die Kernargumente der verschiede nen Dialektikbefürworter herausarbeitet, und dabei keine eigenen Positionen zu verteidigen hat, auf die er dann seine Arbeit konzentriert. Insbesondere verweist er interessanter Weise darauf, dass Jean Paul Sartre, sonst eigentlich nicht Experte für marxistische oder hegelianische Gedanken, in Abgrenzung zu seinen großen Vorgängern eine Subjekt-Subjekt-Dialektik entwickelt und damit ein Thema der vorhegelianischen Dialektik wieder aufgenommen hat, die sich insbesondere für eine kommunikationswissenschaftliche Verwendung eignet, wie ich im nächsten Abschnitt argumentieren werde. In eine ähnliche Richtung weist die Studie von Barbara Kuchler (2005), die dem Verschwinden der Dialektik aus der Soziologie nachgeht. Es handelt sich bei ihrem lesenswerten Band um eine nicht dialektische Untersuchung der Dialektik, die sich in ihrer Struktur an den drei Luhmannschen Sinndimensionen Sach-, Sozial- und Zeitdimension orientiert (vgl. Kuchler 2005: 7). Ihrem Verständnis nach »ist es der zentrale theoretische Impuls der Dialektik, Verhältnisse als Selbstverhältnisse zu den ken, d. h. die Realität nicht als das Verhältnis des einen Dings (oder auch des einen Subjekts) zum anderen zu verstehen, die einfach nebeneinander stehen und nachträg lich irgendwelche Relationen zueinander eingehen, sondern als ein Verhältnis zu sich selbst.« (Ebd.: 14) Kuchler will also den Bezug auf das vermeintliche Andere in das Selbstverhältnis des Einen einbeziehen, und dies erzeugt die Bewegung, um die es geht. Dies nimmt, wie oben bereits angemerkt, den Ansatz von Klaus auf, nämlich sozialwissenschaftliche Analysen mit Dichotomien zu beginnen. Mit diesem Vorhaben diskutiert Kuchler dann die Rolle der Dialektik in der Soziologie als Theorie gesellschaftlicher Differenzierung, als Sozialtheorie und als Prozesstheorie. Dies geschieht auf der Basis einer differenzierten Kenntnis dialek tischer Argumentationen vor allem bei Hegel, Marx und Sartre, die vom Selbstver ständnis der Soziologie aus beurteilt werden.
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Während nach Kuchler vor allem die Prozesstheorie dialektische Überlegungen beinhaltet – beispielsweise Ulrich Becks reflexive Modernisierung – sieht sie die meisten Probleme in dem ungeklärten Bezug der Sozial- und Gesellschaftstheorie auf die Dialektik. Dabei hebt sie hervor, dass die gängigen Dialektikmodelle von Hegel und Marx, soweit sie sie behandelt, dafür nichts hergeben, während das von Sartre entwickelte Modell einer Subjekt-Subjekt-Dialektik, in der also nicht das Verhältnis des Einzelnen zum Allgemeinen, sondern das Verhältnis gleichberech tigter Subjekte zueinander im Vordergrund steht, zwar prinzipiell eine interessante Alternative anbietet, die aber nicht hinreichend ausgearbeitet ist. Zusammenfassend lassen sich die Ergebnisse von Röd und Kuchler nun in dem Sinn als hilfreich verstehen, als dass beide nach Wegen suchen, wie dialektische Über legungen in den Sozialwissenschaften sinnvoll verwendet werden können. Beide sehen auch keine prinzipiellen Hindernisse dafür und meinen, dass die Dialektik spätestens seit Hegel und dann Marx im Grunde einfach eine andere Richtung genommen hat. Wir behaupten daran anschließend, dass das ein Grund dafür ist, sich mit der Dia lektik auseinanderzusetzen. Nicht als universelles Werkzeug, aber doch immerhin als Instrument, das sich innerhalb sozialwissenschaftlicher Disziplinen auf verschiede nen Feldern und wie jede gute Theorie für unterschiedliche Zwecke einsetzen lässt. Wir beziehen uns dabei auf ein Verständnis von Dialektik als Instrument, mit dessen Hilfe etwas beschrieben und analysiert werden kann. Es muss also, wenn man eine dialektische Kommunikationswissenschaft andenken will, ein eigenständiges Mo dell entwickelt werden. Dies kann auf der Basis von Kuchler sowie des Sartreschen Dialektikverständnisses und in Abgrenzung zu den systematischen und institutiona lisierten Dialektiktheorien Hegels, Marxens und des Marxismus geschehen, verlangt aber umgekehrt auch ein spezifis ches und brauchbares Theorieverständnis.
Dialektik als Struktur menschlicher Erfahrung, soz ial er Entw ickl ung und zwis chenm enschl ic her Komm un ik at ion Auf der Basis der obigen Überlegungen formulieren wir nun abschließend drei Thesen. 1. Dialektik kann als Subjekt-Objekt-Dialektik in der Kommunikationswissen schaft als Reflexionsinstrument für Erkenntnisprozesse dienen. 2. Dialektik kann in der Kommunikationswissenschaft als Instrument einer Ana lyse von Prozessen und einander gegenüberstehender Gegensätze dienen. 3. Dialektik kann als Instrument dazu dienen, bestimmte zentrale Prozessphäno mene der Kommunikationswissenschaft, beispielsweise kommunikatives Han deln, zu beschreiben und zu analysieren.
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Zu 1. Diese These ergibt sich aus der bisherigen Praxis der Dialektik als Subjekt-Ob jekt-Dialektik. Prinzipiell wäre es hierfür jedoch notwendig, den hinter den heu tigen Dialektiktheorien stehenden philosophischen Apparat zu verstehen. Dies ist jedoch im Sinne einer »kleinen« Dialektik nicht notwendig, wenn ein entsprechen des Theorieverständnis zugrunde gelegt wird. Die dafür geeignete Position hat Stuart Hall formuliert. Den Cultural Studies (vgl. Krotz 2015) ging und geht es danach aller Empirie zum Trotz nicht um den Aufbau eines festgefügten theoretischen Gebäudes, dessen Pflege den Exegeten überlassen bleibt, sondern um Theoretisierung – also um Theorieentwicklung längs des historischen und politischen Geschehens wie auch umgekehrt um eine Rekon struktion dieses Geschehens mit Hilfe der vorhandenen theoretischen Überlegun gen und Instrumente. Damit also um die theoretische Begleitung der Entwicklung, die aber auch die damit verbundenen praktischen und politischen Fragen berück sichtigen soll und immer auch auf einen Beitrag zur weiteren Entwicklung mit dem Ziel von mehr sozialer Gerechtigkeit gerichtet ist. In Worten Stuart Halls: »Ich bin nicht an Theorie, sondern am fortwährenden Theoretisieren interessiert.« (Zit. n. Lutter/Reisenleiter 1998: 49) Theorie ist dementsprechend in der Perspektive der Cultural Studies sich entwickelnde Theorie, die immer wieder neu am realen Ge schehen und dessen Kritik anknüpft, und immer wieder neu das mit einbezieht, was in der Wissenschaft kritisch gedacht und entwickelt wird. Hier könnte dement sprechend ein undogmatisches Konzept von Dialektik als kollektiver, manchmal auch individueller, im Denken sich entwickelnder Erkenntnisprozess anknüpfen – es würde Widersprüche und Kontexte als Totalität berücksichtigen, ebenso wie die Regeln formaler Logik und abstrakten Denkens – an den je geeigneten Stellen. Auch Hegel hat so begonnen, was man sehr deutlich sieht, wenn man seine frühe Schrift »Wer denkt abstrakt« liest (Baum/Meist 1998). Zu 2. Hier verweisen wir auf die Argumentationen von Klaus (2001) wie oben darge stellt, sowie auf Kuchler (2005) und auch auf die Ergebnisse der prozessorientier ten Mediatisierungsforschung (vgl. Krotz/Despotovic/Kruse 2014), die sich frei lich auch keiner dialektischen Struktur oder Ausdrucksweise bedient. Zu 3. Ein neues Verständnis von kommunikativem Handeln durch dessen dialektische Analyse erscheint darüber hinaus als etwas Neues, was die Kommunikationswis senschaft durch die Dialektik gewinnen kann. Hier ist die Frage, inwiefern man von einer solchen Dialektik sprechen kann. Soweit ich diese Sachverhalte verstehe, kann man das im Sinne einer dialektischen Logik nicht. Immerhin beschäftigt sich aber z. B. Joachim Israel im Zusammenhang mit Handlungen mit der Dialektik
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von Absicht und Regeln (vgl. Israel 1979: 217 ff.); dies sollte sich erweitern lassen zu einem Konzept der Kommunikation zwischen zwei Subjekten, die je einerseits den anderen als einen externen anderen betrachten, aber, insofern sie miteinander situativ kommunizieren und auf Verständigung zielen, den anderen als Subjekt an erkennen und respektieren müssen. Hier lässt sich in der Beschreibung vermutlich auch am Alfred Schütz’schen Prozess des Typisierens einerseits und der Anerken nung der Einzigartigkeit des jeweils anderen in einem jenseits von Typisierungen stattfindenden Gespräch andererseits anknüpfen. Das dafür geeignete Konzept von Dialektik hat Sartre angedacht und sich dabei explizit auf soziale Sachverhalte und Sozialität bezogen. Seine Subjekt-SubjektDialektik geht nicht, wie in der klassischen Subjekt-Objekt-Dialektik des Erken nens, von einem Subjekt und einem Objekt aus, die voneinander unabhängig und nur extern über den Erkenntnisprozess miteinander verbunden sind. Stattdessen werden die beiden Subjekte als Teil eines gemeinsamen Ganzen, einer Totalität gedacht, zwischen denen dadurch eine in dieser Sichtweise interiore Beziehung besteht, die auch nur von denen erkannt, erlebt und – wohl unter den gegebenen Bedingungen – gestaltet werden kann, die diesem gemeinsamen Ganzen angehö ren. Es ist mithin die aufeinander bezogene Praxis, in der dialektische Bewegungen entstehen – Sartre legt damit einen auf das Soziale konzentrierten Dialektikbegriff vor, der auch Solidarität zu erfassen in der Lage sein soll, angebunden an eine Dia lektik der Aktion, die den Anspruch erhebt, Denken und Sein jenseits des Seriellen zu verbinden (vgl. Röd 1974: 147 ff.). Christian Dechamps spricht insofern von einer allerdings kaum vermittelten Dialektik der Gruppe (vgl. Dechamps 1975: 208 ff.), ist damit aber immerhin in einer soziologisch wie kommunikationswis senschaftlich bedeutsamen Kategorie angekommen. Zwar hat, wie Kuchler (2005: 92 ff.) herausarbeitet, Sartre dabei das Verhältnis zwi schen zwei Subjekten als durch Materie bestimmt verstanden, an der im Kapitalismus immer ein Mangel besteht und die deshalb als Ressource umkämpft ist – die beteiligten Subjekte treten mithin als Konkurrenten um Ressourcen auf, woraus dann entweder eine antagonistische Feindschaft oder aber eine umfassende Interessenskongruenz entstehen muss. Dies braucht man für die Kommunikationswissenschaft aber nicht zu übernehmen, weil verständigungsorientierte Kommunikation schon qua Definition immer wechselseitig stattfinden muss und insofern auf Antworten angewiesen ist, um Intersubjektivität herstellen zu können. Insofern gibt es keinen Grund, zwangsläufig einen Kampf auf Leben und Tod oder eine wortlose Interessenskongruenz anzuneh men, wie es Sartre tut, es entsteht vielmehr einfach ein realitätsstiftender Dialog, der prinzipiell von zweien geführt werden muss. In einer solchen Perspektive lässt sich vermutlich Dialektik als hilfreiches Analyseinstrument verwenden. Soweit eine Reihe von Überlegungen, die an der Analyse von Dichotomien in der Kommunikationswissenschaft von Elisabeth Klaus ansetzen. Ohne Zweifel: Hier ist noch viel Arbeit zu leisten. Aber es ist nicht auszuschließen, dass sie sich lohnt.
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»Border Thinking« – Intersektionalität als kosmopolitische Intervention?
»Border Thinking« Intersektionalität als kosmopolitische Intervention?1 Edgar Forster »Erinnerungslosigkeit wird zur Verantwortungs losigkeit, wenn die Gegenwart an beiden Enden abgeschnitten, aus der Geschichte herausgelöst und zum Ereignis ohne Vergangenheit und ohne Folgen wird.« (Christina Thürmer-Rohr, Am Thema bleiben) »[. . .] nature remains a crucially important and deeply contested myth and reality.« (Donna Haraway, Primate Visions) »Was man die Wahrheit einer Gesellschaft nennen kann, ist ihre Wahrheit in der Geschichte [. . .].« (Cornelius Castoriadis, Gesellschaft als imaginäre Institution)
Einleitung Es ist belanglos, ob Intersektionalität ein neues sozialwissenschaftliches Konzept ist, das uns Instrumente an die Hand gibt, mit denen wir die Überschneidung von Strukturkategorien analysieren können oder ob wir es mit einem alten Hut zu tun haben, weil kritische ForscherInnen ohnehin nie etwas anderes gemacht haben. Bedeutsamer scheint mir die Beobachtung zu sein, dass die Vorzüge von Inter sektionalität eine problematische Kehrseite haben, die zwar kein originäres Pro blem der Intersektionalitätsforschung ist, hier aber besonders deutlich hervortritt: 1 Ich danke den KollegInnen der Forschungsplattform Gender Studies an der Universi tät Salzburg für einen anregenden Diskussionsabend und für wertvolle Kommentare zu einer früheren Fassung dieses Textes.
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Die Kategorien der Überkreuzung drohen zu stabilen, scheinbar unverrückbaren ahistorischen Elementen zu erstarren. Zwar würde sie niemand für ›natürliche‹ Gegebenheiten oder gar Essenzen halten, aber der bloße Hinweis auf ihre soziale Konstruiertheit hat keine substantiellen Auswirkungen auf sozialwissenschaftliche Forschungen. Begriffe wie race, class oder gender sind leere Wörter, wenn wir die Praktiken, Erfahrungen, das Wissen und die Imaginationen ausblenden, die die Ge schichte dessen bilden, was sich in Begriffen niederschlägt und ihnen notwendig auch entgehen muss. Wir kommen um diese Begriffe und Kategorien nicht herum, aber sie bilden im Denken nicht viel mehr als den Ausgangspunkt einer theoreti schen Bewegung der Diffundierung und Dezentrierung. An die Stelle von Begrif fen treten Konstellationen oder Figurationen. Wenn man es bei dieser Kritik belässt, übersieht man allerdings, dass das Kon zept Intersektionalität aus der politischen Erfahrung resultiert. Women of color wa ren und sind im Rechtssystem und in der Politik nicht repräsentiert, und Intersek tionalität ist auch eine politische Intervention, die eine politische Zugehörigkeit und Identität artikuliert (vgl. Klaus 2014). Die folgende Arbeit am Begriff ist der Versuch, exemplarisch zu zeigen, was ich unter Diffundierung und Dezentrierung von Kategorien verstehe. Von der klas sischen Begriffstrias race, class und gender in der Intersektionalitätsforschung be handle ich nur den Begriff race ausführlicher. Gegenüber class und gender räume ich race aber keinen epistemologischen oder politischen Sonderstatus2 ein; das ›Besondere‹ dieser Kategorie besteht im Unterschied zu den anderen beiden Struk turkategorien aber darin, dass sich race gegen eine einfache Übersetzung ins Deut sche sperrt. Die rassistische Vernichtungspolitik des Nationalsozialismus macht den Begriff zu einer umstrittenen Kategorie sozialwissenschaftlicher Analysen. Würde man den Rassismus kleinreden, wenn man auf den Begriff ›Rasse‹ verzich tet? Oder trägt man umgekehrt zu einer Reifizierung einer abstrusen Anthropologie bei, wenn man sich auf den Begriff ›Rasse‹ stützt? Genügt es nicht, von Rassis mus zu sprechen, der auch die – wissenschaftliche – Konstruktion von ›Rasse‹ einschließt? Die Schwierigkeiten lassen sich auch nicht beseitigen, wenn man auf einen anderen Begriff wie Ethnie ausweicht. Deutlicher als an anderen Strukturka tegorien treten am Begriff race Probleme begrifflicher Arbeit hervor. Das zwingt uns, Fragen nach dem theoretischen Status von Kategorien und Begriffen grundle gender zu stellen (vgl. Klaus 2008a, b). Ich werde in einem ersten Schritt die Kritik von Crenshaw und anderen an ei ner Intersektionalitätsforschung aufnehmen, die die Kategorien der Verschränkung 2 Ich muss hier auf eine vergleichende Analyse des epistemologischen Status der Kategorien race, class und gender verzichten. Rendtorff (vgl. 2012) vertritt die These, dass Geschlecht gegenüber anderen Strukturkategorien etwas »Besonderes« sei, und zwar in dem Sinne, dass Geschlecht eine spezifische Bedeutungszuschreibung systematisch aufrufe.
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fixiert, und danach zeigen, welche Schlüsse Gudrun-Axeli Knapp aus diesem trave ling concept zieht (Kap. 2). In der Folge wird exemplarisch am Begriff race die Dif fundierung von Kategorien erprobt und race als Konstellation gedacht (Kap. 3). Der theoretische Rahmen für race als Geschichte ihrer Praktiken, Deutungsmuster und ihres Wissens ist das Konzept der kolonialen Differenz (Kap. 4). Die Bewegung der Diffundierung verweist auf die Logik kritischer Sozialwissenschaften: Sie verhält sich reflexiv gegenüber ihrer eigenen Positionalität und der performativen Kraft ihrer Erkenntnis. »Border thinking« könnte darauf eine Antwort sein (Kap. 5).
Kritik der Intersektionalität Gemessen an der Verbreitung des Konzepts und der ausgedehnten Forschung in unterschiedlichen Wissenschaften kann die Intersektionalitätsforschung als Er folgsgeschichte gelten. Sie hat dabei allerdings einen Prozess der ›Reinigung‹ und ›Verhärtung‹ ihrer Kategorien durchlaufen. Das ist für Kimberlé W. Crenshaw, die Erfinderin des Konzepts, und einige ihrer Weggefährtinnen Anlass, die Entwick lung der Forschung im 2013 erschienenen Themenschwerpunkt Intersectionality: Theorizing Power, Empowering Theory der Zeitschrift Signs einer Kritik zu unter ziehen: »Intersectionality has, since the beginning, been posed more as a nodal point than as a closed system – a gathering place for open-ended investigations of the overlapping and conflicting dynamics of race, gender, class, sexuality, nation, and other inequalities [. . .]. This seems to us to be a more apt description of intersectionality’s starting point than one that frames intersectionality as only categorically, spatially, or temporally rooted in specific relations or superficially preoccupied with ›difference‹« (Cho/Crenshaw/McCall 2013: 797).
Race, class . . . »und andere Ungleichheiten« – dieser Zusatz ist angesichts ei ner neutralisierenden Ungleichheitsforschung, die Ungleichheit dem Konzept der Differenz subsumiert, wichtig. Während die Hervorhebung von Relationalität und Differenz auf epistemologische Fragen der Identität antwortet, zielt Ungleichheits forschung auf die Verteilung der unterschiedlichen Kapitalsorten, auf die Produk tion von Wissen, auf Herrschafts- und Ausbeutungsformen sowie auf imaginäre Bedeutungen, die Gesellschaften produzieren und institutionelle Praktiken wie die Rechtsprechung rahmen. Die Geschichte der Praktiken und des framing dieser Praktiken ist eine Geschichte von Macht und Herrschaft, von Ungleichheit und Diskriminierung, aber auch eine Geschichte von Kämpfen und Widerständen. An drea Bramberger (2014) schlägt vor, die unterschiedlichen Formen von Macht und Herrschaft immer auf der Ebene der Praktiken, der institutionellen Verhältnisse und auf der Ebene des framing zugleich zu analysieren. Der Vorzug der Intersekt
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ionalitätsforschung in der Analyse von Ungleichheit besteht darin, dass sie politi sche und wissenschaftliche Prozesse und Praktiken der Trennung, Reinigung und Säuberung in den Blick nimmt, die Herrschaft und Macht (re-)produzieren.
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Räumliche Trennungen: Nähe und Distanz bilden regulierende Instanzen der Analyse. Wie weit wird ein Verantwortungsbereich ausgedehnt? Was wird wis senschaftlich zusammengedacht und was soll getrennt betrachtet werden? Zeitliche Trennungen: Durch die Historisierung von historischen Ereignissen und Entwicklungen werden Zusammenhänge hergestellt oder aufgelöst. Wel che Rolle spielt der Erwartungshorizont in wissenschaftlichen Analysen? Mit welchem Recht greift man auf den Erfahrungsraum zurück, um gegenwärtige Ereignisse zu untersuchen, aber bezieht nicht in gleicher Weise den Erwar tungshorizont ein? Wie begründet sich der Vorrang des ›Gewesenen‹ gegen über dem ›Möglichen‹? Anthropologische Trennungen: Kategorisierungen und Klassifikationen führen zu Trennungen und Absonderungen, zur Entwicklung von Sonderanthropologien. Sie ziehen eine Grenze zwischen dem Humanen und dem Nicht-Humanen.
Nicht nur Grenzziehungen und Trennungen reproduzieren Herrschafts- und Machtver hältnisse, sondern auch die Konstruktion von Zusammenhängen und Relationen.3 Man könnte Intersektionalitätsforschung als Praxis der Reartikulation be schreiben: Sie kritisiert und dekonstruiert Prozesse der Trennung, der Reinigung, aber auch Praktiken der Verknüpfung von Elementen, die nicht ›natürlich‹ zusam mengehören, und von Kategorien, auf denen diese Operationen beruhen (vgl. Cho/ Crenshaw/McCall 2013: 797). Gudrun-Axeli Knapp (2005) erinnert daran, dass die deutschsprachige Inter sektionalitätsforschung im Laufe der weiten Reise über den Ozean in manchen Studien ihre gesellschaftskritische Dimension verloren hat und mit Heterogeni tät und Diversität ein diffuses Denken der Differenz propagiert. Sie unterscheidet zwei, wenn auch nicht trennscharfe Verwendungsweisen von Intersektionalität: Die erste Verwendungsweise geht auf den Einfluss des Konzepts in der politik nahen Forschung zurück und umfasst hauptsächlich mikro- und meso-analytische Studien, um Formen multipler Diskriminierung und Benachteiligung im Zugang 3 An der Geschichte der Wirkungsweise des Begriffs gender lässt sich zeigen, wie die wis senschaftliche und politische Produktion von Relationalität in der Geschlechterordnung zu einem reframing des Feldes geführt hat. Generalaussagen über ›Frauen‹ und ›Män ner‹ waren, so Christina Thürmer-Rohr (vgl. 2008) in einer Rückschau, eine bewusst ge wählte Abstraktion, um eine unausgesprochene Norm anzuklagen, von der man annahm, dass sie sich auf alles Denken und alle kulturellen Güter gelegt habe: die Universalität männlicher Herrschaft.
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zu Ressourcen und Chancen in Beruf und Alltag analysieren zu können. Dem gegenüber bündeln intersectional studies in der zweiten Verwendungsweise ge sellschaftskritische Forschungen. Die systematische Bedeutung dieses Ansatzes hat Cornelia Klinger hervorgehoben: »Es ist sinnlos, auf die sich überlagernden oder durchkreuzenden Aspekte von Klasse, Rasse und Geschlecht in den individu ellen Erfahrungswelten hinzuweisen, ohne angeben zu können, wie und wodurch Klasse, Rasse und Geschlecht als gesellschaftliche Kategorien konstituiert sind« (zit. nach Knapp 2005: 419). Gesellschaftliche Herrschafts- und Machtverhältnisse werden analytisch mit der Produktion »symbolischer Prozesse der Repräsentation, Legitimation und Sinngebung« (ebd.: 413), kurz, mit der Produktion von gesell schaftlichem Wissen verknüpft. Durch die Wiederaufnahme in anderen kulturellen Kontexten kommt es zu Über setzungen und zu Bedeutungsverschiebungen von Begriffen, Kategorien und Theo rien, zur Konkurrenz mit anderen Theorien, zur Bildung neuer communities und zu neuen Sprachregelungen. Es handelt sich dabei nicht nur um akademische, sondern immer auch um politische Kämpfe. Ich möchte diese Übersetzung und Verschiebung an der Kategorie race demonstrieren. Für Knapp ist die Ankunft der Kategorie race im deutschsprachigen Raum noch komplizierter als die Kategorie class. »Die Gänsefüßchen und Klammern, die regelmäßig den Begriff der Rasse rahmen, sind Zei chen einer tiefen Irritation. [. . .] Es liegt auf der Hand, dass die Unmöglichkeit einer Ver wendung des Rassenbegriffs zurückgeht auf die Geschichte rassistischer Identitätspolitik im Nationalsozialismus, die auf Vernichtung und Eroberung ausgerichtet war« (Knapp 2005: 416 f.).
Der nationalsozialistische Eroberungs- und Vernichtungskrieg hat nicht nur den eu ropäischen Kontinent verändert, sondern auch zu einem re-writing der Geschichte geführt. Darin taucht der Begriff race ausschließlich als negative Kategorie auf, »aber es ist genau das Unpassende, oder mehr noch: das Unmögliche dieses Begriffs, mit dem eine Herausforderung verbunden ist. [. . .] Im diskursiven Schatten dieser Tabus gibt es eine unterschwellige und unheimliche Kontinuität in der Selbstimagination als ethnisch homogener Nation. Die sozialpsychologisch-diskurspolitische Konstellation, in der die Nicht-Thematisierung tabuierter Vorstellungen von Differenz die Kontinuierung der Illusion ethnischer Homogenität ermöglicht, ist Symptom ungelöster Konflikte« (ebd.).
Weder kann man auf den Begriff race verzichten, noch kann man ihn als Analy sekategorie verwenden, ohne die Geschichte rassistischer Vernichtungspraktiken und der kolonialen Differenz zu thematisieren. ›Rasse‹ verweist auf eine lange Geschichte wissenschaftlicher Ordnungspolitik, die die Dialektik der Aufklärung zum Vorschein bringt.
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Konstellation Welche Schlussfolgerungen müssen wir mit diesem Wissen aus den Analysen von Cho, Crenshaw, McCall und Knapp ziehen? Die erste Schlussfolgerung lautet, dass race keine stabile Strukturkategorie ist. Auf race trifft zu, was Marx (1857/1961) in der Einleitung zur Kritik der Politischen Ökonomie für den Begriff »Klasse« gesagt hat: Es handelt sich um ein »leeres Wort«, so lange man die Elemente nicht kennt, aus denen sich eine Klasse zusammensetzt. Klasse sei eine »Totalität von vielen Bestimmungen und Beziehungen« (ebd.: 631), und dieses Mannigfaltige bleibe zerstreut und voneinander isoliert, solange keine Verbindung – politisch – hergestellt werde. Menschen bilden zwar durch gemeinsame ökonomische Exis tenzbedingungen eine Klasse, aber erst durch ihre politische Organisation kons tituieren sie sich als Klasse für sich. Der Übergang von einem Begriff der Klasse zum anderen ist an ein Tun gekoppelt, an eine Erfahrung, die sich in Praktiken realisiert und die Aneignung von etwas ist, was bereits da ist. Die Einheit des Man nigfaltigen ist tatsächlich die Praxis der Totalisierung des Mannigfaltigen. Das ist ein schöpferischer Akt, der hinzukommt und sich nicht aus den Bedingungen al lein erklärt. E. P. Thompson (vgl. 1963: 9; zur Kritik vgl. Walser Smith 1996) sieht class gerade nicht als eine Struktur oder Kategorie, sondern als ein historisches Phänomen, das realiter durch die Vereinigung und Vereinheitlichung einer Anzahl disparater Ereignisse hergestellt werde und in sozialen Beziehungen ihren Aus druck finde. Klasse wäre demzufolge ein geschichtlich-gesellschaftlicher Prozess, durch den Erfahrungen materialisiert werden, die durch Produktionsverhältnisse bestimmt sind, aber auch durch ein Tun, das etwas anderes ist als der Ausdruck von Produktionsverhältnissen. Die Praxis ist kontingent, das heißt, sie ist weder belie big noch völlig determiniert. Die Bildung von Konstellationen ist eine politische und eine wissenschaftliche Praxis. Ihre Wahrheit verdankt sie nach der Auffassung der kritischen Theorien der frühen Frankfurter Schule der Konfrontation des Ge gebenen mit dem Möglichen (Adorno 1931/1973; Becker-Schmidt 2007: 59; vgl. Forster 2009). Was heißt das für race? Konstellation ist die Geschichte der rassistischen Prak tiken, die sich mit wissenschaftlichen Klassifizierungsversuchen und anthropolo gischen Vorstellungen überlagern und verknüpfen. Race ist die Geschichte der Verknüpfungen, der Überlagerungen, aber auch der Trennungen und Reinigungen (z. B. von wissenschaftlichem Erkenntnisdrang und politischer Ordnungsvorstel lung). Konstellationen sind sowohl politische als auch wissenschaftliche Interven tionen, und eine zweite Schlussfolgerung lautet daher, dass Sozial- und Kultur wissenschaften keine neutralen Beobachterinnen, sondern Produzentinnen dieser Wissensproduktionen sind. Das lässt sich an der langen und zähen ExpertInnendiskussion über den Begriff race zeigen, die die UNESCO unter dem Eindruck der nationalsozialistischen Rassenpolitik 1949 initiiert hat (vgl. UNESCO 1969;
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Brattain 2007). Ashley Montagu hat als Berichterstatter des ersten Statements von 1950 empfohlen, auf den Begriff race völlig zu verzichten. Er unterscheidet zwi schen einem engen Ordnungsbegriff von race, der auf biologische Fakten rekur riert, und einem »myth of ›race‹«. Diese Forderung stieß innerhalb der scientific community auf großen Widerstand. Aber selbst die Geschichte der Klassifizierung war nie frei von Kritik. Weder waren sich Anthropologen und Anatomen darüber einig, welche Unterschiede die Wahrheit von race oder sex bezeugen, noch waren sie sich sicher, ob die Unterschiede bloß ephemer oder tatsächlich typologisch be deutsam seien (vgl. Schiebinger 1990). Klassifik ationen, so stellt Hiernaux (vgl. 1969) für den UNESCO-Bericht fest, seien arbiträr und lassen sich nur in Bezug auf eine konkrete Frage oder ein Problem erstellen. Das habe dazu geführt, dass viele AnthropologInnen jede Form des Klassifizierens der Bevölkerung aufgege ben haben. Jeder Versuch, race wissenschaftlich zu fundieren und einen materialen Kern zu identifiz ieren, ist gescheitert. Es sind vielmehr rassistische Praktiken und wis senschaftlich sich gebende Ordnungsfantasien, die race produzieren. Kritische Sozialwissenschaften zeigen, dass race das Ergebnis selektiver Verknüpfungen ist, die als Essenz des ›Humanen‹ und ›Sozialen‹ gedeutet werden. Sozialwissen schaftliche Rekonfigurationen knüpfen demgegenüber an Adornos (1966/2003: 166) Erkenntnis an: »Tatsächlich ist der Begriff insoweit der zureichende Grund der Sache, als die Erforschung zumindest eines sozialen Gegenstands falsch wird, wo sie sich auf Abhängigkeit innerhalb seines Bereichs begrenzt, die den Gegenstand begründeten, und dessen Determination durch die Totalität ignoriert« (Adorno 1966/2003: 166). Totalität heißt diese Form der analytischen Praktik, weil sie keine äußere Begrenzung kennt. Sie bezieht sich erstens auf die Nichtbegrenz barkeit von Verkettungen und zweitens auf den Umstand, dass die Elemente, die miteinander verknüpft werden, ihre Qualität durch die Artikulation verändern. Die wissenschaftlichen Praktiken der Reartikulation nehmen Bezug auf gesellschaft liche Problemlagen, die sie durch Reartikulationen untersuchen, problematisieren und verändern. Konstellationen sind Artikulationen historischer Praktiken, zu denen auch Er wartungen gehören, und Geschichtsscheibung ist selbst eine artikulatorische. Die Schwierigkeit mit dem deutschen Wort ›Rasse‹ macht darauf aufmerksam. Die Geschichte des Nationalsozialismus strukturiert die Geschichte und Geschichts schreibung von race und gestaltet den Zugang zu einer Geschichte der Dialektik der Aufklärung und The Darker Side of Western Modernity (Mignolo 2011), die das Erbe des europäischen Kolonialismus in sozialwissenschaftliche Forschung übersetzen, kompliziert. Das Denken der kolonialen Differenz bildet aber eine zen trale Grundlage für das Verständnis von race.
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Koloniale Differenz Statt sich also auf die Suche nach einem Begriff von race zu machen, der von jedem Rassismus gereinigt ist, scheint mir der Weg, den Gudrun-Axeli Knapp in ihrer Beurteilung des Intersektionalitätsbegriffs einschlägt, zielführender und fruchtbarer zu sein: »Liest man es als Spiegel der Neuen Welt für das alte Europa, so birgt das Paradigma der In tersektionalität ein bemerkenswertes Potential, über die europäische Moderne in einer neuen kategorialen Konstellation nachzudenken. Als systematische Analyseperspektive betrachtet, fordert die Triade von race, class, gender dazu auf, die europäische Moderne in ihrem histo rischen Zusammenhang zur Entfaltung einer kapitalistischen Ökonomie, einschließlich spe zifisch bürgerlich-androzentrischer Formen von Herrschaft, gesellschaftlicher Rationalität und Rationalisierung, die sie voraussetzt und verschärft, neuerlich zu inspizieren« (Knapp 2005: 420).
Im Folgenden soll es darum gehen, danach zu fragen, wie sich ein solches Poten tial in ein Forschungsprogramm übersetzen lässt. Dazu müsste man den Fortschritt der europäischen Moderne in einer kolonialen Differenz suchen, die das Verhältnis zum ›Anderen‹ nach außen und innen strukturiert. Meine vorläufige These lau tet, dass gesellschaftskritische Intersektionalitätsforschung zu einer Geschichte der Kolonialität führt: zu einer Geschichte der Geo- und Körperpolitik, die auf Tren nung, Besonderung und Inklusion basiert. Ich entlehne den Begriff der kolonialen Differenz den Arbeiten der Gruppe Modernität/Kolonialität. Ihr dekoloniales Den ken beruht im Kern auf der These, dass die Kolonialität eine wesentliche Konsti tutionsbedingung der okzidentalen Moderne ist und das strukturelle Fortwirken kolonialistischer Herrschaft bezeichnet (vgl. Kastner/Waibel 2012: 11). Von An íbal Quijano übernimmt Walter Mignolo (2011: 9) das Schema für die »koloniale Matrix der Macht«:
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Die koloniale Matrix der Macht bildet den Rahmen für Analysen, die mit den bio graphischen und geo-historischen Positionen der ForscherInnen verknüpft sind: »It is from the body, not the mind, that questions arise and answers are explored« (Mignolo 2011: xxiv). Sowohl Projekte der Dekolonialität als auch postcolonial studies zielen darauf ab, »to unveil colonial strategies promoting the reproduction of subjects whose aims and goals are to control and possess« (ebd.): Kontrolle über die Ökonomie; Kontrolle und Legitimation der Herrschaftsausübung; Kon trolle des Wissens und der Bedeutung von Subjektivität; Kontrolle über die Ge schlechterordnung, über Sexualität und die Entwicklung der Völker. In jüngster Zeit hat Mignolo der »colonial matrix of power« die Kontrolle über die Natur hinzugefügt. Kontrolle über die Geo- und Körperpolitik realisiert sich in Erobe rungen, der Unterwerfung und/oder Ausrottung indigener Völker, im Sklavenhan del, aber auch in der Kontrolle der Reproduktion, der Geschlechterordnung und der Erziehung. Geo- und Körperpolitik wird zuerst durch die christliche Theo logie, dann durch die Philosophie der Aufklärung und die neuen Wissenschaften legitimiert. Die koloniale Struktur der Macht produziert nach Quijano (2007: 168) eine spezifische soziale Diskriminierung »which later were codified as ›ra cial‹, ›ethnic‹, ›anthropological‹ or ›national‹, according to the times, agents, and populations involved«. Die Klassifikation der Weltbevölkerung war für Quijano der Schlüssel für die Organisation kapitalistischer Herrschaft. »Sie wirkt dem nach auf all deren Ebenen, in allen Bereichen und materiellen wie subjektiven Dimensionen der alltäglichen und gesellschaftlichen sozialen Existenz« (Kastner/ Waibel 2012: 11 f.). Nach Quijano wird die koloniale Struktur der Macht durch ständige Prozesse der sozialen Klassifik ation, der De-Klassifikation und Re-Klas sifikation begleitet. Soziale Klassifikationen sind aber weder abgeschlossen noch stabil, sondern sie werden im Modus des Konflikts gemacht und reproduziert (vgl. ebd.: 12 f.). Kolonialität der Macht war von Anfang an mit der Produktion von Wissen über den Anderen, über Zivilisierung und Kultur verknüpft. Dieses Wissen legitimierte die Überlegenheit des Westens und der europäischen Kultur, Ausbeutung und Ausrottung und die Rechtfertigung der Verknüpfung von Herr schaft, Moderne und Aufklärung: »During the same period as European colonial domination was consolidating itself, the cultural complex known as European modernity/rationality was being constituted« (Quijano 2007: 171). Das Wissen über den Anderen wirkte nach außen und nach innen. »Vor allem erfasst der Vergleich [. . .] nicht nur den Mohren im Vergleich zum Europäer, die Sitten der Wilden im Vergleich zu den Sitten der Urzeit, die primitive Welt im Vergleich zur modernen Welt, sondern in spezifischer Wendung auch die Frau im Vergleich zum Mann« (Honegger 1991: 108). Der Körper wird zum bevorzugten Gegen stand dieser Wissenschaft, er offenbart die Wahrheit über seine Herkunft und über die Unterschiede der ›Rassen‹ und Geschlechter. Diese Forschungen sind eng mit Vorstellungen der Zivilisierung, der Kultivierung und der Bildung des Men
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schen verknüpft. Deswegen gilt ein besonderes Augenmerk dem ›Primitiven‹, dem ›Wilden‹, dem ›Naturmenschen‹: »Der Begriff des ›Naturmenschen‹ transportierte eine gerade auch für die weibliche Son deranthropologie zentral werdende Vorstellung, dass nämlich einige Menschen der Natur näherstünden als andere, noch unmittelbarer ihren Gesetzen gehorchten als etwa die durch Zivilisierung aus dem Gleichgewicht geworfenen Europäer« (ebd.: 112).
Honegger erklärt die Herausbildung der neuen Anthropologie mit dem Umstand, dass sich im Übergang zur Moderne gegen die Dominanz der Praxis und des Stan des eine empirisch erprobte Theorie und (damit einhergehend) eine ›natürliche‹ Funktionsteilung durchsetzt. Londa Schiebinger (1990) untersucht die Faszination für Differenz im 18. Jahrhundert und zeigt in ihrer Studie The anatomy of diffe rence: race and sex in eighteenth-century science, dass Anatomen, die sich für racial differences interessierten, auch sexual differences untersuchten. »For European anatomists blacks were exotic. But, as we shall see, to men of the academy European women were in many ways just as exotic. Soemmerring, for example, some years after his book comparing the Negro to the European turned his attention to female anatomy, seeking to discover how the anatomy of the (European) woman differed from that of the (European) man. He was not alone in his fascination with difference« (Schiebinger 1990: 388).
Auch Schiebinger gelangt zur Auffassung, dass die Kategorien und Kategorisierun gen nicht eindeutig, sondern Schauplatz heftiger wissenschaftlicher und politischer Kämpfe waren. Die Vertreter der Umwelttheorie waren sich allerdings mit ihren Gegnern einig »insofar as European physiognomy was taken as the primordial norm« (ebd.: 394). Wenn man die Implikationen der Suche nach sexual and racial difference im 18. Jahrhundert verstehen wolle, dann müsse man die Muster der damaligen Wissensproduktion begreifen. Europäische männliche weiße Wissenschaftler verallgemeinerten ihren eigenen Standpunkt als normativen Vergleichs maßstab. Auf der Grundlage des europäischen, weißen Mannes konnten andere anatomische Befunde nur als Abweichung, als nicht vollausgebildete Formen oder Degenerationen wahrgenommen werden. Gegenüber moralischen Aussagen über die Menschen galt die Anatomie aber als eine Wissenschaft, die ihre Erkenntnisse auf Evidenz allein gründet (ebd.: 404).
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Schluss: Kritischer Kosmpolitismus Der Kosmpolitismus ist immer Teil der Entwicklung von global designs gewe sen, die darauf abzielten, die Welt zu homogenisieren und zu kontrollieren. Davon unterscheidet sich der kritische Kosmopolitismus; er begreift Kolonialität als es sentielles Element der Moderne. Mignolo (2000a, b) behauptet, dass in der post nationalen Konstellation Fragen des Rechts, der Gerechtigkeit und Gleichheit über Lösungsansätze der Inklusion behandelt werden, wie dies bereits unter Vitoria und der Salamanca Schule geschehen sei. »But inclusion doesn’t seem to be the so lution to cosmopolitanism any longer, insofar as it presupposes that the agency that establishes the inclusion is itself beyond inclusion: ›he‹ being already within the frame from which it is possible to think ›inclusion‹« (Mignolo 2000b: 736). Heute bringen sich marginalisierte Gruppen bei kosmopolitischen Projekten selbst ins Gespräch und transformieren diese in Reformprojekte. »Border thinking then becomes a ›tool‹ of the project of critical cosmopolitanism« (ebd.: 737). Ein kri tischer und dialogischer Kosmopolitismus führe zu dem, was Mignolo diversality nennt, die Universalisierung von Diversität. »Diversality as the horizon of critical and dialogic cosmopolitanism presupposes border thinking or border epistemology grounded on the critique of all possible fundamentalism (Western and non-Western, national and religious, neoliberal and neosocialist) and on the faith in accumulation at any cost that sustains capitalist organizations of the economy« (ebd.: 743).
Ein solches Projekt wäre gleichzeitig ethisch, politisch und philosophisch. Bei En rique Dussel (2013) dienen westliche Konzepte wie Menschenrechte, Demokratie, Kosmopolitismus als connectors: Sie bewahren die zwiespältige Geschichte eines Denkens und einer Politik. Als Bindeglied bzw. Anschlussstelle für andere Tradi tionen und Erfahrungen durchlaufen sie vielfältige Übersetzungen, ohne neuerlich totalitär zu werden.
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Kritische Medienkulturanalyse als Gesellschaftsanalyse
Kritische Medienkulturanalyse als Gesellschaftsanalyse Anerkennung und Resonanz in mediatisierten Öffentlichkeiten Tanja Thomas
»Rise like a Phoenix«? – Irr itationen in mediatisierten Öffentlichkeiten Im Mai des Jahres 2014 wurden die Aufmerksamkeit von 11 000 Menschen in ei ner Halle in Kopenhagen und zugleich das Interesse von 180 Millionen Zuschaue rinnen und Zuschauern geweckt. Sie verfolgten an jenem Abend jenes Mediener eignis, das von konservativen Politikern und Kirchenkreisen als »Propaganda und geistliche Verderbnis«1 gefürchtet, am Folgetag aus Russland gar als das »Ende Europas«2 bezeichnet wurde. Im Mittelpunkt stand ›Conchita Wurst‹, die im Rah men des European Song Contest für Österreich antrat und schließlich den Wettbe werb mit dem Lied »Rise like a Phoenix« gewinnen konnte. Rein äußerlich, so versuchte die Wochenzeitung Die Zeit die Figur Conchita Wurst mittels allzu bekannter Stereotype aus der Kinderspielzeugkiste zu begrei fen, habe man eine »Mischung aus Barbie und Pirat«3 vor sich und diese Figur mit Bart erregte und erregt offenbar die Gemüter. Die Künstlerin selbst richtete sich schon vor ihrem Auftritt an den russischen Präsidenten Wladimir Putin, der Homo phobie mit seiner Gesetzgebung vorantreibt: »Ich weiß nicht, ob er zuguckt. Aber falls ja, sage ich ganz klar: Wir sind unaufhaltbar.«4 Damit begründete Conchita 1
http://www.tagesspiegel.de/welts piegel/eurovision-song-contest-russlands-vize-regie rungschef-attackiert-conchita-wurst/9874830.html (27.12.2014) 2 http://www.eurovision.de/news/Russische-Politiker-gegen-ESC-Siegerin-ConchitaWurst,russland560.html (27.12.2014) 3 Kümmel, Peter (2014): Europas bärtige Königin. Wie verteidigt der Westen seine Werte? Indem er die unvergleichliche Kunstfigur Conchita Wurst den Eurovision Song Contest gewinnen lässt. Zeit online, 15.05.2014 (23.12.2014) 4 vgl. u. a. http://www.focus.de/kultur/musik/eurovision-song-contest/esc-siegerin-hiergibt-wurst-ihren-senf-ab_id_3834961.html (23.12.2014)
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Wurst den neuen Solidaritäts-Hashtag #unstoppable und lud durch diese Erweite rung der Kommunikationsformen Einzelne dazu ein, individuelle Erlebnisse und die eigene Stimme in einer ad-hoc-Öffentlichkeit zu erheben. Wie und auf welche Weisen Menschen ihre Stimme erheben, sprechen und gehört werden können, wie und auf welche Weisen der Gebrauch von Medien für die Herstellung von Öffentlichkeiten und damit auch für den Entwurf und die Realisierungen demokratisch verfasster Gesellschaften eine Rolle spielen, spielen könnten und sollten – dies sind Fragen, die Elisabeth Klaus an die Kommunika tionswissenschaft adressiert und entlang derer sie ihre Ansätze u. a. unter Bezug nahme auf Ansätze der feministischen Theorie, der Gender und Cultural (Media) Studies weiterentwickelt hat. Aus diesen Forschungsansätzen heraus argumentiert auch der vorliegende Text; er schlägt eingangs anhand des Beispiels vor, ein po pulärkulturelles Ereignis zum Gegenstand einer kritischen Medienkulturanalyse zu machen, die sich als insbesondere feministisch inspirierte Gesellschaftsanalyse versteht. Damit plädiert der Text auch im Einklang mit dem in feministischen Öf fentlichkeitstheorien (vgl. Klaus/Drüeke 2012) formulierten Anspruch, Öffentlich keit als Ort der Auseinandersetzung zu fassen und hinsichtlich der Festlegung sei ner Gegenstandbereiche Gegenüberstellungen und Ausschließungen von Privatheit und Öffentlichkeit, aber auch von Emotionalität vs. einer häufig machtunkritisch entworfenen Rationalität zur Diskussion zu stellen und einen weiten Politikbegriff zugrunde zu legen, um den seit einigen Jahren auch mit der These von einem er neuten ›Strukturwandel der Öffentlichkeit‹ (aktuell vgl. Hasebrink/Hölig 2014) versehenen Veränderungen angesichts von Digitalisierung und Medienkonver genz, Ökonomisierung und Globalisierung Rechnung zu tragen. Ein Verständnis von kritischer Medienkulturanalyse als Gesellschaftsanalyse wird in diesem Beitrag wesentlich über ein Anknüpfen an Ansätze feministischer Theorien formuliert (2). Im Anschluss wird im Einklang mit Überlegungen von Vertreter*innen der Cultural Studies und unter Bezug auf Arbeiten von Michel Foucault eine Perspektive auf Populärkultur als Vergesellschaftungsmodus vor geschlagen, die auch ihre Öffentlichkeiten konstituierende Hervorbringung the matisiert (3). An Populärkultur anschließende öffentliche Diskurse, in denen Wert- und Normorientierungen ausgehandelt werden, werden als wichtiger Ana lysegegenstand einer Medienkulturanalyse vorgestellt: Konkretisierend wird der gesellschaftstheoretisch und auch medien- und kommunikationswissenschaftlich bereits eingeführte Begriff der Anerkennung von Menschen und Lebensweisen aufgegriffen und zudem der Vorschlag unterbreitet, die Potentiale des Begriffes der Resonanz für eine kritische Medienkulturanalyse auszuleuchten (4). Somit wer den Aufgaben für eine Medien- und Kommunikationswissenschaft formuliert, die ihren Beitrag in einer emanzipatorischen wie demokratischen Gesellschaft leisten will (5).
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Ansätze einer kritischen Medienkulturanalyse Im Einklang mit der Mehrheit der Vertreterinnen und Vertreter einer kulturwissen schaftlichen Neuorientierung haben sich neuere Arbeiten vielfach auf die Entwicklung eines tragfähigen Begriffs von ›Medienkultur(en)‹ konzentriert, der nicht von einer Gegenüberstellung von Medien auf der einen und Kultur und Gesellschaft auf der an deren Seite, sondern von einem integralen Verständnis von Medien und Medienhandeln als Elementen im Kulturellen ausgeht (vgl. Thomas/Krotz 2008). Damit wird auch die Produktivität der Kultur und zugleich die Prozess- und Konflikthaftigkeit ihrer Aushandlung berücksichtigt. Zusammengefasst wird eine Perspektive eingenommen, die nicht nur nach Bedeutungs- und Sinnstrukturen, sondern auch nach in Strukturen und Machtverhältnissen verankerten Praktiken fragt und (Medien-)Kultur- und Ge sellschaftsanalyse miteinander verbindet: So wie ›das Soziale‹ losgelöst von seiner (medien-)kulturellen Aneignung nicht vorstellbar ist, so ergibt auch eine Theoreti sierung ›des (Medien-)Kulturellen‹ nur im Rahmen des Sozialen Sinn. Damit stellt sich jedoch erneut die (alte) Frage nach dem ›Wie‹ der Vermittlung des Materiellen mit dem Symbolischen, das nicht als Ableitungsverhältnis oder Gegenüberstellung gedacht werden kann, aber auch nicht im Diskursiven aufgeht. Zur Entwicklung einer kritischen, d. h. gesellschaftstheoretisch fundierten, re flexiv angelegten Medienkulturanalyse haben sich medien- und kommunikations wissenschaftliche Forscher*innen in der Vergangenheit mit verschiedenen kriti schen Theorien verbündet – mit marxistischen und materialistischen Theorien, der Kritischen Theorie der Frankfurter Schule, feministischer Theorie, den Cultural Studies, dem strukturalistischen Konstruktivismus, poststrukturalistischen und de konstruktivistischen Ansätzen, postkolonialen und queeren Theorien. Verbunden sind solche Ansätze bei allen Unterschieden durch eine Ablehnung von Wertefrei heit als Maxime der Sozialwissenschaft, eine Ablehnung linearer Wirkungsvorstel lungen, sowie eine Bevorzugung nicht standardisierter, qualitativer Verfahren5 und ein grundlegend kritisches Gesellschaftsverständnis. Um die Konturen des meiner eigenen Position zugrunde liegenden kritischen gesellschaftstheoretischen Verständnisses zu bestimmen, nehme ich im Folgen den feministische Überlegungen auf, die sich ebenfalls durch verschiedenste Be zugnahmen auf Gesellschafts- und Kritikverständnisse auszeichnen (vgl. Thomas 2013). Sie sollen auch nicht in Einklang gebracht, sondern in produktiver Kontro verse betrachtet den Erkenntnisgewinn befördern. Dieser Idee verpflichtet knüpfe ich zunächst an Cornelia Klinger und Gudrun-Axeli Knapp (2007: 29 f.) an, die im Sinne einer gesellschaftstheoretischen Rahmung ihrer feministischen Geschlech terforschung nicht ohne Revisionen an die auch in der Medien- und Kommunika 5 Ähnliche Merkmale erkennt Jäckel (1999) als verbindende Elemente einer kritischen Kommunikationsforschung.
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tionswissenschaft teilweise einflussreiche Kritische Theorie der Frankfurter Schule anschließen, ihr aber folgen, insofern diese auf Emanzipation aus unmenschlichen und unwürdigen Bedingungen zielt, sie weder den Menschen noch eine Geschichte im Singular des Universalismus denkt und eine Kritik der hegemonialen Stellung der Ökonomie beinhaltet. Für Klinger und Knapp ist zudem wichtig, dass der Ho rizont der eigenen Forschung ein explizit utopisches Moment enthält, das für die Zukunft nicht nur Wachstum und Innovation von Produkten erwartet, sondern auf die Erfüllung des Versprechens moderner Gesellschaften zielt, die Ideen von Frei heit, Gleichheit und Solidarität zu den Prinzipien ihrer Verfassung gemacht hat. Diese Grundposition kann produktiv in Beziehung gesetzt werden mit einer poststrukturalistischen bzw. dekonstruktivistischen Perspektive, die auch in me dien- und kommunikationswissenschaftlicher Forschung aufgegriffen wird (für einen Überblick vgl. Thomas 2013, empirisch vgl. Thomas et al. 2011). Solche Ansätze legen hinsichtlich ihres Verständnisses von kritischer Gesellschaftsanalyse deutlich ein anderes Gewicht. Trotz aller Heterogenität lassen sich Grundcharak teristika herausarbeiten: Ein gemeinsames Element besteht darin, Kritik nicht mit Urteilen, sondern mit der steten Infragestellung des Handelns auf Grundlage von Kategorien in Verbindung zu bringen. Ein solches Verständnis von Kritik zielt nicht darauf zu bewerten, welche Bedingungen, Praktiken, Wissensformen, Diskurse gut oder schlecht sind, sondern darauf, das spezifis che System der Bewertung offen zu legen (vgl. Butler 2009: 225) und zu zeigen, wie Wissen und Macht miteinander verwoben sind, so dass Gewissheiten bestehende Ordnungen affirmieren und alter native verwerfen. Kritik als Praxis hinterfragt somit regelhaft unhinterfragte Denk weisen, sie wird beschreibbar als Projekt der Analyse des Zusammenhangs von Wissen, Macht und Seinsweisen (vgl. Hark 2009: 29) und zugleich als Praxis, die Regime der Verständlichkeit daraufhin befragt, wessen und welches – mit Blick auf das eingangs eingeführte Beispiel: geschlechtliche und sexuelle – Sein und Spre chen ermöglicht bzw. verunmöglicht wird. Als das zentrale Element einer Gesell schaftskritik aus einer solchen Perspektive kann man damit den Abbau von sozialen Hierarchien und Normalitätsregimen bezeichnen. Solche Forderungen beinhalten dann keine positiven Setzungen oder abstrakt vereinheitlichten Ziele wie egalitäre Partizipation, individuelle Freiheit oder Verteilungsgerechtigkeit (vgl. Engel 2005: 276). Dennoch lassen sich klare Urteilskriterien bereitstellen, um kontextspezifisch zu fragen, ob konkrete Hierarchien und Normalitätszwänge abgebaut oder verstärkt werden. Die Frage, welche Hierarchien und Normalitäten als problematisch ange sehen werden, kann dabei bewusst offen gehalten werden und politisch umstrit ten sein – Antke Engel (ebd.) strebt mit den Kriterien der ›Denormalisierung‹ und ›Enthierarchisierung‹ einen relativen normativen Horizont an. Mit dem Ziel, das Wissen um die Verwobenheit von kulturellen und sozio-ökonomischen Strukturen in politisches Handeln zu übersetzen, sollen auf diese Weise zugleich kulturelle, so ziale wie politische Unterdrückungsmechanismen angegriffen werden.
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Dass (medien-)kulturelle, soziale und politische Unterdrückungsverhältnisse miteinander in Beziehung stehen, betont auch Elisabeth Klaus: Unterhaltung setze, so Klaus (1998: 341 Hervorheb. i. O.) »gegen entfremdete Arbeit und die Erschöp fung in der Freizeit [. . .] Energie und Aktion, gegen die Knappheit von Ressour cen den Überfluss, gegen Monotonie und Bedürftigkeit die Intensität der Gefühle, gegen Fremdbestimmtheit die Transparenz der Charaktere und der Handlungen, schließlich gegen Isolierung und Vereinsamung die Vorstellung von einer Gemein schaft«. Exemplarisch mit Blick auf Genres des Reality-TV argumentiert Klaus, mit solchen populärkulturellen Deutungsangeboten werde »überwiegend Diskurs material [geliefert], das einem neoliberalen Politik- und Arbeitsverständnis Vor schub leistet und wertkonservative Lösungen für gesellschaftliche Probleme an bietet« (Klaus 2006: 102); damit liefert Populärkultur Verarbeitungsstrategien für – ambivalente und zugleich politisch relevante – Erfahrungen im Alltag.
Populärkultur als Vergesellschaftungsmodus Ausgehend von der von Elisabeth Klaus vorgelegten Perspektive geht es mir um die Frage, wie populärkulturelle Angebote und deren kommunikative und diskur sive Verhandlung Subjektivitäten, soziale Beziehungen und gesellschaftliche Ver hältnisse gestalten. Dass mediale Angebote insbesondere dann eine Attraktivität für Zuschauer*innen entwickeln können und an einer Reproduktion und Legiti mierung gesellschaftlicher Verhältnisse maßgeblich beteiligt sind, wenn ihre Deutungsangebote an alltägliche Praktiken und Erfahrungen von Menschen anknüpfen und ihnen einen Sinn geben, ist inzwischen vielfältig gezeigt, theoretisch begrün det und empirisch belegt worden (vgl. Röser/Thomas/Peil 2009). Populärkultur als Vergesellschaftungsmodus zu verstehen meint, diese als Element der Konsti tution des Sozialen und Politischen zu diskutieren und damit ihre Öffentlichkeiten konstituierende Hervorbringung zu thematisieren. Dem kann eine Theoretisierung von ›Gesellschaft‹ als ›diskursiv gestaltetes Gemeinsames‹ im Sinne Foucaults zu grunde gelegt werden, dessen (je spezifis che) Strukturen, Normen, Vorstellungen, Institutionen, Handlungsanleitungen und ähnliches über und mittels einer gemein samen – diskursiv verhandelten und etablierten – Ordnung zusammen gehalten, zueinander in Beziehung(en) gesetzt und so erst mit Sinn versehen werden (vgl. Eggmann 2011: 143). Wesentlich ist, dass sich aus einer solchen Sicht der Blick auf Populärkultur im Modus der Vergesellschaftung öffnen lässt für die veränder lichen Konstruktionen des Populären, für die konkreten Orte und Medien ihrer Öf fentlichkeiten konstituierenden Hervorbringung und für »die Effekte der von den (Popularitäts-)Konstruktionen angeleiteten und generierten diskursiven Vergesell schaftung« (ebd.: 146). (Zunächst) im Populärkulturellen auf die Bühne tretende Figuren wie Conchita Wurst können somit zum Ausgangspunkt einer Medienkul
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turanalyse werden, die sich von der durch Michel Foucaults Arbeiten inspirierten Einsicht leiten und somit erkennen lassen, wie solche Diskurse Wissensfelder ar tikulieren und wie von dem diskursiv hergestellten Wissen Strukturierungseffekte der sozialen Wirklichkeit ausgehen. Wie solche Diskurse beteiligt sind an der Art und Weise, wie Wissen zirkuliert, wie sie als Teile eines Wissensregimes im Sinne Foucaults funktionieren und an der (Re-)Produktion hegemonialer Vorstellungen über gesellschaftliche Ordnung, Prozesse der Anerkennung und Anerkennbarkeit (im Sinne von Vorstellungen, was als anerkanntes Subjekt gilt) mitwirken, kann eine kritische Medienkulturanalyse somit zeigen. Zugleich sollen jedoch Texte, so haben Vertreter*innen der Cultural Studies immer wieder betont, nicht als isolierbare Entitäten verstanden werden. Sie sind stets Teil der sozialen Zirkulation von Bedeutungen, die den prozesshaften Charak ter der Kultur ausmachen, sowie Teil der ökonomischen Zirkulation in einer Ge sellschaft. Sie können ebenso ›geplündert‹ und als Waren in kulturelle Ressourcen verwandelt wie in Übereinstimmung mit hegemonialen Diskursen rezipiert und angeeignet werden: Stuart Halls Verständnis von Populärkultur als doppelte Be wegung von Integration und Opposition, als eine Arena des Kampfes um Bedeu tungen wurde vielfach – etwa von Lawrence Grossberg (2000: 51) – aufgegriffen, der Populärkultur als eine politische ›Sphäre‹ begreift, in der sich Menschen mit der Wirklichkeit und ihrem Platz in ihr auseinandersetzen, sich innerhalb beste hender Machtverhältnisse kontinuierlich an diesen abarbeiten, um ihrem Leben Sinn zu geben und es zu verbessern. Dies bedeutet, dass es mit der Analyse von Populärkultur nicht um die Analyse von einzelnen Aussagen geht, sondern »um die Einsicht in die übergreifenden Strukturen und Prozesse, die in dem umkämpften Machtfeld für die Dominanz einer oder mehrerer Bedeutungen sorgen« (vgl. Rade macher 2000: 336). Um eine solche Einsicht entlang der diskursiven Aushandlun gen von Conchita Wurst soll es im Folgenden gehen.
Anerkennung und Resonanz in Medienkulturen Conchita Wurst wurde in den Tagen nach ihrem Sieg in den Mainstreammedien mal als »homosexuell«, mal als »transsexuell«, mal als »DragQueen« oder gar »Freak«6 identifiz iert, sie wurde angefeindet und beispielsweise auch im Deutschlandfunk als »irritierendes Halbwesen«7 herabgewürdigt, obschon man denken könnte, der 6 Zur historisch wandelbaren Figur des »Freaks« als Ausdruck symbolischer Ordnungen einer Kultur, deren Hervorbringung an die Produktion von Wissen in verschiedenen Fel dern (Medizin, Psychologie, Medien) gebunden ist, vgl. Stammberger (2011). 7 http://www.deutschlandfunk.de/eurovtest-war ision-song-con um-ausgerechnet-conchi ta-wurst.691.de.html?dram:article_id = 285060 (22.12.2014)
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Begriff des ›Halbwesens‹ sei nach der Dresdner Rede der Büchnerpreisträgerin Sibylle Lewitscharoff8 nun erst einmal desavouiert. Als Ursache für den »Auf merksamkeitsboom für das Thema Transsexualität« diagnostizierte der Autor der ›Halbwesen‹-These »eine große gesellschaftliche Verunsicherung in Bezug auf die Biologie« und interpretierte den Sieg von Conchita Wurst als Zeichen dafür, »wie verkracht der moderne Mensch mit seinen Seinsgrundlagen ist« (ebd.).9 Conchita Wurst wurde aber auch gefeiert: »Eine Ohrfeige für alle Homopho ben in Europa«,10 so wollte die schwedische Zeitung Aftonbladet den Auftritt ge deutet wissen. Die Grünen-Politikerin Claudia Roth twitterte »Conchita ist ohne Wenn und Aber meine Königin der Herzen« und diese Nachricht wiederum fand breit Eingang in den Medien.11 Die Zeit berichtete von der Begeisterung des Her ausgebers der Boulevard-Zeitung Österreich, Wolfgang Fellner, und rezitier te: »12 Punkte von Israel (– ein Traum, 12 Punkte von Italien und Griechenland, 12 Punkte vom Mutterland der Popmusik, England, von Irland und Spanien –) man könnte heulen vor Freude«.12 »Alles nur trash« kritisierte man an anderen Orten und stellte fest, dass aus dem »nationalistisch eingefärbten Spektakel plötzlich eine Art internationaler Toleranzwettbewerb geworden«13 sei. An diesem Beispiel wird exemplarisch deutlich: Die Arenen, in denen die Aushandlung gesellschaftlicher Bedeutungen ausgetragen werden, sind in hohem Maße mediatisiert und konstituieren unterschiedliche, teilweise vernetzte (Teil-) Öffentlichkeiten. Zum Gegenstand der öffentlich ausgetragenen Aushandlungen wird ein populärkulturelles Deutungsangebot, an ihm wird zunächst um die An erkennbarkeit von Subjekten gerungen. Conchita Wurst erhebt ihre Stimme und produziert mediale Sichtbarkeit für eine bislang weitgehend marginalisierte Sub jektposition. Verstehen wir eine kritische Analyse wie oben eingeführt als Praxis, 8 Nachzulesen ist diese Rede unter http://www.deutschlandfunk.de/dresdner-rede-von-dermachbarkeit-die wissenschaftliche.1818.de.html?dram:article_id=279389 (27.12.2014) 9 Wie der Autor einen schlichten Kulturpessimismus mit Pathologisierungen und Bedro hungsphantasien (ausgelöst durch von ihm sprachlich als männlich verfassten ›Gen derpolitikern‹) kombiniert, zeigt auch dieses Zitat: »Die Orientierungsprobleme der Betroffenen werden dabei nicht nur vom voyeuristischen Interesse der RTL-Kameras vergrößert und verschärft, sondern auch von sich wie durch Kettenreaktion vermehren den Genderpolitikern [sic], die jeden Schambereich nutzen, um Druck aufzubauen und Macht zu gewinnen« (ebd.). 10 Zit. nach http://www.zeit.de/2014/21/conchita-wurst-esc (28.12.2014) 11 So beispielsweise in der Wochenpresse (http://www.zeit.de/2014/21/conchita-wurstesc, 27.12.2014), aber auch in das Boulevardblatt Bild (http://www.bild.de/politik/ ausland/russland/russ is che-politiker-het zen-gegen-esc-gewinne rin-wurst-und-euro pa-35930548.bild.html, 27.12.2014) 12 Vgl. http://www.zeit.de/2014/21/conchita-wurst-esc (28.12.2014) 13 https://www.freitag.de/autoren/joerg-augsburg/xxy-factor (28.12.2014)
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die Regime der Verständlichkeit daraufhin befragt, wessen und welches Sein und Sprechen ermöglicht bzw. verunmöglicht wird, so wird offenkundig, dass Con chita Wurst eine verkörperte Irritation hinsichtlich der sozial akzeptablen Formen repräsentiert, eine Identität zu leben. Mit einem an Nancy Fraser (2003) orientier ten Anerkennungsbegriff, der Anerkennung nicht auf einer individuell-subjektiven Ebene der ›Selbstverwirklichung‹ belässt, sondern auf einer strukturell demokra tiepolitischen Ebene mit einer Egalisierung von Zugangs- und Partizipationsbedin gungen begreift, kann eine gesellschaftstheoretisch fundierte Medienkulturanalyse weiterführend danach fragen, ob Conchita Wurst damit zugleich zum Auslöser ei nes Ringens um Gerechtigkeit, gesellschaftliche Ordnungsvorstellungen und die Legitimität politischer Regulierungsweisen werden kann. Denn freilich stellt Conchita Wurst Sichtbarkeit her – und zugleich wissen wir aus vielen feministischen und geschlechtertheoretisch fundierten Studien, dass Sichtbarkeit keineswegs automatisch mit einem Zuwachs an Macht verbunden ist. Die Omnipräsenz der Bilder von Weiblichkeit geht oft auf paradoxe Weise und gleichsam unter der Hand einher mit dem Ausschluss von Frauen aus der politi schen Öffentlichkeit (vgl. Wenk 1996). Dieser Befund hat Johanna Schaffer (2008) den Begriff von einer ›anerkennenden Sichtbarkeit‹ entwickeln lassen, um damit ein Vorhandensein visueller Repräsentation marginalisierter Subjekte im Bereich des Kulturellen mit der Frage nach ihrer Repräsentation im Politischen zu kombi nieren – nicht zuletzt deshalb, weil marginalisierte Subjekte aus ihrer Sicht dort vorwiegend in der Verkörperung des Spektakels zu sehen gegeben werden (vgl. ebd.: 218). Im Anschluss an Fraser (2003: 44 f.) wird Anerkennung zu einer Frage der Gerechtigkeit; so wird nicht allein verhinderte Selbstverwirklichung kritisiert, sondern die institutionalisierten Muster kultureller Wertsetzung, die in staatlichen Strukturen und demokratische Prozesse eingeschrieben sind und gleiche Partizipa tion, Artikulation und Teilnahme an politischen, sozialen und ökonomischen Pro zessen verhindern. Nun wurde der Erfolg von Conchita Wurst im medialen Diskurs vereinzelt durchaus als Indiz für gesellschaftliche Transformationsprozesse gelesen: Das Bild, dass Conchita Wurst anbot, so erläuterte etwa die Wiener Philosophin Isolde Charim in der tageszeitung, sei weder das einer Verkleidung noch das einer Trans sexuellen – der Bart verhindere die Herstellung dieser Eindeutigkeit.14 Optimis tisch argumentierte sie kurz nach dem Eurovision Song Contest, Conchita Wurst präsentiere ein Bild gegen jede Eindeutigkeit – und das Symbol dafür sei ausge rechnet der Bart. Dieses Symbol einer intakten Männlichkeit werde von Conchita Wurst umcodiert: Von einem Code für Männlichkeit werde der Bart zu einem Zei chen einer hierzulande bislang gesellschaftlich weitgehend nicht intelligiblen, d. h. 14 Charim, Isolde (2014): Kulturkampf mit Bart. In: die tageszeitung, 10.05.2014, online unter http://www.taz.de/!138749/(28.12.2014)
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nicht akzeptablen Identität. Als Subjekt- und Identitätsentwurf fordere Conchita Wurst Norm- und Wertsetzungen heraus und eröffne eine Debatte darüber, wessen Leben, Lebensweise und welche Bindungen zählen. Dies sind Fragen, die Judith Butler in ihrem Band »Die Macht der Geschlechternormen und die Grenzen des Menschlichen« diskutiert und entlang derer sie dazu auffordert, Reglementierun gen und Einschränkungen menschlichen Handelns zu reflektieren und Möglichkei ten zu erforschen, bestehende Muster, Regeln und Ordnungen zu demontieren, um neue Handlungsspielräume zu erschließen – und neue Möglichkeiten, die eigene Identität zu gestalten. Und genau diese Fragen – so könnte man im Einklang mit den im medialen Diskurs optimistischen Stimmen über den Ausgang des Eurovi sion Song Contest interpretieren – brachte Conchita Wurst auf die populärkultu relle Mainstream-Bühne. Sehr rasch jedoch wurde die Siegerin an Tagen nach dem Erfolg als ›Conchita Wurst‹ in (massen)medialen Berichten als »gebürtig« und »eigentlich« Tom Neu wirth und damit als »der Mann in den Frauenkleidern« zu sehen gegeben. Damit setzte umgehend ein Vereindeutigungs- und ein Normalisierungsprozess ein und daher bestehen begründete Zweifel, ob die oben beschriebene mediale Anerken nung ausreicht, um der Marginalisierung und den Entfremdungserfahrungen von Subjekten zu begegnen, die sich der Einordnung in eine heteronormative Ordnung entziehen. Obschon der Entfremdungsbegriff der Kritischen Theorie der Frank furter Schule gegenwartsbezogen zu reformulieren ist, da auch eine heutzutage vielfach beobachtbare Ausweitung und Steigerung von Selbstbestimmungsmög lichkeiten und die Verminderung von Begrenzungen zu Entfremdungserfahrungen führen kann, lässt sich im Anschluss an Hartmut Rosa (2013) hier argumentativ anknüpfen. Um in anerkennungstheoretische Überlegungen einzugreifen, proble matisiert Rosa, dass im Zuge der Verabschiedung des Entfremdungsbegriffes an erkennungstheoretische Überlegungen an die Stelle der Selbstbestimmungsidee traten und diese Entfremdung dort identifiz ierten, wo sich Menschen als minder wertig, missachtet oder wertlos erfahren. Rosa ersetzt daher den Anerkennungsbe griff daher durch den Begriff der ›Resonanz‹ und argumentiert: »Wenn Person A von Person B wertgeschätzt oder sogar geliebt wird, bedeutet das keineswegs, dass sich zwischen A und B eine Resonanzbeziehung einstellt. Diese entsteht erst und nur da, wo A und B sich ›berühren‹, wo sie beide in eine Beziehung des sich wech selseitigen Antwortens eintreten« (ebd.: 10). Gelingende Weltbeziehungen sind aus Rosas Sicht solche, in denen die Welt den handelnden Subjekten als antwor tendes, atmendes, im besten Falle tragendes Resonanzsystem erscheint (vgl. ebd.: 9). In Medienkulturen wiederum ist dieses Resonanzsystem vielfach mediatisiert und dies prägt Selbst- und Weltbeziehungen auf komplexe Weisen: Entsprechend hat Roger Silverstone (2007; dt.: 2008) schon vor einigen Jahren medienethische Überlegungen angesichts einer zunehmenden, mediatisierten Nähe zu ›dem‹ und ›den‹ Anderen in die kommunikations- und medienwissenschaftliche Debatte hin
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eingetragen. Er sah eine zentrale Verpflichtung in der »Anerkennung von Diffe renz« (ebd.: 183) und leitete davon das Recht auf Repräsentation, auf Stimme und Gehör ab (ebd.: 211 ff.). Die Frage nach der (mediatisierten) Resonanz nehme ich auf – nicht im Sinne eines Ersatzes von Anerkennung, da Anerkennung – wie mit dem Bezug auf Frasers Arbeiten gezeigt wurde – keineswegs auf intersubjektive affektive und soziale Zu stimmung eines Individuums oder die Erfüllung der Bedingungen zu einer individu ellen Selbstbestimmung reduziert werden kann. Der Resonanzbegriff ist jedoch m. E. hilfreich, da er nach den Potentialen einer Transformation sozialer und politischer Verhältnisse in und durch die Herstellung von Öffentlichkeit(en) fragen lässt. Analysen mediatisierter Anerkennung können durch die Untersuchung öffentlicher Resonanzen gewinnbringend ergänzt werden: Studien dazu, wer oder was und auf welche Weisen Resonanz(en) auszulösen imstande ist, sind mit einem Begriff von Öffentlichkeit zu verknüpfen und die in Öffentlichkeitstheorien nachdrücklich eingeforderten femi nistischen Einsichten produktiv zu machen. Elisabeth Klaus und Ricarda Drüeke (2012) haben diese Einsichten systematisierend zusammengefasst: Sie umfassen das Wissen um das Hergestelltsein der dichotomen Trennungen von Privatheit und Öffentlichkeit, die Infragestellung der Gegenüberstellungen und Ausschließungen von Emotionalität vs. einer häufig machtunkritisch entworfenen Rationalität, das Eintreten für einen weiten und emanzipatorischen Politikbegriff eingedenk pluraler und zunehmend transnationaler (und transkultureller) Teilöffentlichkeiten, die For derung nach einer intersektionalitätstheoretischen Perspektive für die Untersuchung von Zugangs- und Teilhabemöglichkeiten zu Öffentlichkeiten.
Kritische Medienkulturanalyse für eine emanz ip at or is che Ges ellschaft Das Beispiel von Conchita Wurst illustriert exemplarisch, dass Repräsentationen normabweichender Subjektivität mittlerweile in Medienangeboten15 vielfach angeboten werden; auch werden sie bekanntermaßen durch Mode- und Werbeindustrie aufgegriffen und vermarktet, Wirtschaftsunternehmen demonstrieren inzwischen Offenheit durch Proklamieren ihres ›Diversity Managements‹ und loben Diversität 15 So mehren sich beispielsweise die Debatten auch in der Tagespresse. Nach dem Grund für den »Trend«, dass Figuren »zwischen den Geschlechterrollen« in amerikanischen Fernsehsendungen so »angesagt sind«, sucht Nina Rehfeld (2015) unter der Überschrift »Erst sucht Vater sein wahres Selbst, dann wird er eine Frau« bspw. in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (online unter http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/medien/amazonserie-transparent-erst-sucht-vater-sein-wahres-selbst-dann-wird-er-eine-frau-13372264. html,16.02.2015)
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als Bereicherung. Das im vorliegenden Text eingeführte Beispiel und die medialen Reaktionen werfen jedoch zugleich die Frage auf, ob und wie in solchen Prozessen auch neue Ausschlüsse und Hierarchien im Rahmen dieser Integrations- und Nor malisierungsprozesse entstehen. Antke Engel (2008: 48) vertritt die These, dass »neoliberale Individualisie rungsdiskurse eine Pluralisierung sexueller Subjektivitäten und Lebensformen forcieren, weil damit eine Ideologie der freien Gestaltbarkeit des eigenen Lebens versinnbildlicht werden kann«. Insofern diese Gestaltungsmacht als »Befreiung von repressiven Regulierungen« gepriesen werde, diene sie dazu, gesellschaftliche Verantwortung in Eigenverantwortung zu übersetzen und Zustimmung zum Leis tungsprinzip – sowie zum Abbau sozial-staatlicher Absicherung schmackhaft zu machen«. Folgt man dieser These, so ist es hochinteressant, öffentliche Aushand lungsprozesse zu untersuchen, in denen ein (praktischer) Konsens darüber her gestellt wird, welche Existenzweisen, die dominante gesellschaftliche Werte und Institutionen herausfordern, in den Grenzen des Tolerierbaren noch aufgehoben, welche als Nicht-Tolerierbare ›karnevalisiert‹, verworfen oder verschwiegen wer den.16 Aus einem solchen Fragehorizont heraus argumentiert etwa Woltersdorff: »Im Zuge des neoliberalen Umbaus der Familie zu einer Absicherungsgemein schaft, an die sich vormals sozialstaatliche Funktionen delegieren lassen, geraten auch homosexuelle Partnerschaften in die Aufmerksamkeit [. . .]. Die gesellschaft liche Entsolidarisierung ist damit die historische Bedingung für die Anerkennung einzelner nicht-heterosexueller Lebensweisen – nach der Devise: du darfst so le ben, wie du bist, wenn du damit erfolgreich bist und selbst dafür die Verantwortung übernimmst« (2004: 146, zit. nach Engel, ebd.: 29). Eine Analyse der Potenziale von Conchita Wurst, einen Beitrag zur Anerkennung und Verschiebung der Gren zen des Tolerierbaren zu leisten und damit Resonanzen auszulösen, muss demnach Fragen der politischen und ökonomischen Nutzbarmachung der medialen Insze nierung einbeziehen, Normativitätskritik mit Verteilungsgerechtigkeit in Bezie hung setzen und all dies als Frage des Politischen verstehen. Hier deutet sich an, wie der Herausforderung begegnet werden kann, nach Bedeu tungs- und Sinnstrukturen und zugleich nach den ebenso in Strukturen und Machtver hältnissen verankerten Praktiken zu fragen und somit (Medien-)Kultur- und Gesell schaftsanalyse zu verbinden: Cornelia Klinger und Gudrun Axeli Knapp folgend habe ich deren Vorschlag für eine gesellschaftstheoretisch gerahmte kritische Forschung aufgegriffen und mit poststrukturalistischen Ansätzen kombiniert, in denen Normen entuniversalisiert und prozesshaft gedacht werden: Freiheit und Gleichheit kann mit dem Begriff der Gerechtigkeit verknüpft werden, ohne eine allgemeingültige De finition und damit Fixierungen vorzunehmen. Es lassen sich Begründungsrahmen 16 Zur ›Karnevalisierung‹ vgl. Mesquita (2008), zur Strategie, Differenz als persönliche Idiosynkrasie oder private Spinnerei abzutun vgl. Engel (2008).
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anbieten, die universalisierende Festlegungen vermeiden, wohl aber erlauben, spe zifische Verhältnisse mit der Frage nach Gerechtigkeit zu konfrontieren: Auf diese Weise können Erfahrungen von Marginalisierung, ökonomischer Ausbeutung, zu gleich von kultureller Unsichtbarkeit und politischer Marginalisierung begreifbar und Analysen von Ursachen und Bedingungen sowie Möglichkeiten der Veränderung artikulierbar gemacht werden (vgl. Lettow 2006). Aus einer solchen Sicht wird auch Solidarität keineswegs als emanzipatorisches Projekt verabschiedet, sondern kann als etwas konzeptualisiert werden, das nicht auf identitären Bündnissen und geteilten Erfahrungen aufruht, sondern als partizipative Praxis und (re-)politisierter Prozess analysierbar ist und lebendig werden kann (vgl. dazu die Beiträge des Schwerpunkt heftes ›Solidaritäten‹, Thomas/Wischermann 2015). Damit sind auch schon einige Aufgaben für kritische Medienkulturanalysen skizziert, die etwa die Entstehung von sich transmedial konstituierenden und grenzüberschreitenden, möglicherweise auch transkulturellen Öffentlichkeit(en) in gegenwärtigen Medienkulturen untersucht, dabei die Eröffnung, Erweiterung und Begrenzung individueller bzw. kollektiver Kommunikations- und Handlungs räume sowie Handlungsfähigkeiten analytisch aufschlüsselt, den damit verbunde nen Potenzialen der Solidarisierung im Kampf um soziale Anerkennung und politi sche Rechte nachgeht und somit Momente von Resonanzproduktion identifizierbar und wiederholbar macht. Elisabeth Klaus schloss 2014 einen Eröffnungsvortrag beim Journalistinnen bund in Berlin mit einigen Worten zu dem, was sie als den eigenen Auftrag ver steht: »[. . .] Momente von Fortschritt, Befreiung, Emanzipation müssen wir su chen und für solche Momente lohnt sich unser Einsatz«. Zu wünschen bleibt, dass viele sich anschließen.
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Nicht ohneeinander: Feminismus und Medien – eine Beziehungsanalyse
Nicht ohne einander Feminismus und Medien – eine Beziehungsanalyse Ulla Wischermann Die so genannte »F-Klasse« (Dorn 2006) ist in der Mitte der Gesellschaft und in den Medien angekommen, jedoch die feministische Theorie nicht. In heutigen Mediendiskursen zeigen sich nicht nur eine bemerkenswerte Ignoranz gegenüber feministischen Wissensbeständen, sondern verstärkt auch unverblümte Misogynie, Sexismus und Homophobie. Wenn über Themen wie sexueller Missbrauch oder Sexismus öffentlich debattiert wird, spielt die Wissensproduktion feministischer Theorie keine Rolle, Feministinnen melden sich kaum zu Wort bzw. sind nicht als Expertinnen von Seiten der Medien gefragt – außer vielleicht Alice Schwarzer, die in keiner Talkrunde fehlen darf, als würde sämtliches feministisches Bewusstsein sich in ihr bündeln. Aber seit sie Probleme mit der Hinterziehung von Steuern hat, ist auch sie nicht mehr in den Mainstream-Medien präsent. Feministische Theorie, oder ich bevorzuge den Ausdruck: feministische Ge sellschaftskritik ist für mich als Soziologin, Medienwissenschaftlerin und Ge schlechterforscherin eine notwendige gesellschaftliche Intervention. Ohne einem Universalismus ›des‹ Feminismus das Wort reden zu wollen, gehe ich davon aus, dass es feministische Grundanliegen z. B. in Bezug auf Arbeit, Bildung, Rechte, Sexualität, Gewalt gibt, die spätestens seit der Entstehung von Frauenbewegungen im 19. Jahrhundert in unterschiedlichen Ausprägungen bis heute aktuell geblieben sind. Feministische Einmischungen in gesellschaftliche Transformationsprozesse, der Gender-Blick auf soziale, kulturelle, politische Verhältnisse und Entwicklun gen und die Analyse gesellschaftlicher Ungleichheit, aber auch die Kritik an Ka pitalismus, Neoliberalismus sowie Patriarchalismus und Heteronormativität sind unverzichtbar im Kampf um mehr Emanzipation und Geschlechtergerechtigkeit. In unterschiedlichen disziplinären und interdisziplinären Arenen der Frauenund Geschlechterforschung entwickelte feministische Theorien stellen im Prozess des gesellschaftlichen Wandels eine wichtige Ressource dar. Forschungen und Theoriekonzepte überschreiten und verbinden häufig verschiedene Wissenschafts diskurse. Gender Studies arbeiten oft qua Gegenstand an einer Verbindung von Mikro- und Makroperspektiven und verfügen über das Potenzial, die vorgeblich
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objektiven Grundkategorien des jeweiligen Faches als normative Setzungen zu de konstruieren. – Und das ist nicht wenig! Ihre Wissensproduktion kann und sollte aber, daran halte ich fest, nicht ohne Bezug zur feministischen Praxis, zum All tagswissen und zum Alltagshandeln, zu (Unrechts-)Erfahrungen und zu den wi derständigen Praktiken von Akteur_innen stattfinden. Zugleich verlangt eine so verstandene feministische Theorie und Gesellschaftskritik Strategien der Sichtbar machung und ein Überschreiten des akademischen Feminismus sowie damit ver bundene Transferleistungen, die Übersetzungs- und Lernprozesse beinhalten (vgl. die Beiträge in Hark 2013). Gerade dies scheint immer wieder, aber insbesondere in den letzten zehn Jah ren, gründlich misslungen zu sein. Neben dem akademischen Feminismus hat sich ein ›Medienfeminismus‹, übrigens ein Feminismus ohne Frauenbewegung, eta bliert, der als ›Neuer Feminismus‹ deklariert wird. Elisabeth Klaus hat bereits 2008 in einem wichtigen, als politische Intervention breit wahrgenommenen, Aufsatz auf diese Entwicklung des Feminismus aufmerksam gemacht. Mit ihrer Inhalts analyse von neueren Publikationen, Zeitschriften und auch von Sachbüchern, die zu Bestsellern wurden, beschreibt und analysiert sie einen neuen Feminismus, der zugleich Platz bietet für Antifeminismus, konservativen Feminismus und Elitefe minismus und rekonstruiert die Netzwerke, die diese Strömungen tragen und ver breiten (Klaus 2008). Auffällig gemeinsam ist all diesen Feminismen, dass sie ge sellschaftliche Rahmenbedingungen und Kontextuierungen (wie Neoliberalismus und Globalisierung oder die Erosion der Arbeitsverhältnisse) ausblenden und dass sie weitgehend ohne Bezug zur Frauen- und Geschlechterforschung, also zu gut ausgearbeiteten feministischen Wissensbeständen auskommen. Gleichzeitig bezie hen sie sich fast schon gebetsmühlenartig auf den so genannten ›alten‹ Feminis mus, der geradezu als ein Schreckgespenst inszeniert und stereotypisiert wird, von dem sich erfolgreich abgewendet wurde. Letztlich bedeutet dieser Neue Feminis mus nichts anderes, als dass der gesellschaftskritische Impetus der feministischen Theorie abgespalten wird und es im Wesentlichen um die optimale Einpassung von Frauen in bestehende Strukturen geht. Besonders in der in Deutschland medial verbreiteten Debatte über einen Neuen Feminismus hat der sogenannte ›alte‹ Feminismus der 1970er Jahre immer wieder als Buzzword fungiert. Geradezu schon sprichwörtlich wurde der Ausspruch von Thea Dorn: »Feminismus hat einen noch schlechteren Ruf als die Deutsche Bun desbahn.« (Dorn 2006: 36) Für sie und andere an den Mediendiskursen Beteiligte sind Feministinnen der neuen Frauenbewegung vor allem lila Latzhosen tragende kurzhaarige Frauen (und natürlich Lesben), die sich durch Männerfeindschaft aus zeichnen. Und die Autorin fährt fort: »Außerdem gibt es inhaltlich unübersehbare Differenzen zum klassischen 70er Jahre Feminismus, der [. . .] die Trennungslinie ›Gut‹ und ›Böse‹ schlicht zwischen ›Frau‹ und ›Mann‹ zog und in der ›Zwangs
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heterosexualität‹ die Wurzel allen Geschlechterübels ausgemacht haben wollte.« (ebd.: 36 f.) Kämpfe und Errungenschaften der Frauenbewegungen, auch ihre kri tischen Analysen der Geschlechterverhältnisse spielen im historischen Gedächtnis offensichtlich keinerlei Rolle, obwohl eine jüngere Frauengeneration längst davon profitiert hat. Gewünscht – so Dorn – sei ein Feminismus, der sich nicht gegen Männer richtet, sondern gegen dumme Männer (ebd.; Hervorhebung im Original, U. W.). Offensichtlich ist bei der Lektüre des Buches, dass der Autorin grundle gende Debatten in der Geschlechterforschung, etwa zur Konstruktion und Dekon struktion der Kategorie Geschlecht oder die Kritik an der heterosexuellen Matrix, völlig fern liegen. Gerade der durch die Rezeption von Judith Butler angestoßene linguistic turn in den Geschlechterstudien und die damit verbundenen Theoretisierungen, For schungen und Kritiken zu Heteronormativität sind bis heute überhaupt nicht in den Medien angekommen: Sie werden, je nach dem, ausgeblendet oder mehr noch: denunziert. Ein Beispiel für Letzteres bieten Artikel in der Tagespresse, etwa des FAZ-Redakteurs Volker Zastrow. Schon 2006 erschien im Politikteil der FAZ ein Artikel von ihm mit der Überschrift: »Politische Geschlechtsumwandlung«. Der Untertitel verspricht Aufklärung über das Prinzip des Gender Mainstreaming in der Gleichstellungspolitik (vgl. Zastrow 2006a). Zum Erscheinungszeitpunkt des Artikels steht das Antidiskriminierungsgesetz auf der politischen Agenda der Bun desrepublik, so dass das Thema des Verfassers gleichermaßen aktuell, berechtigt und interessant erscheint. Mit großer Dreistigkeit und offenbar ohne jede Angst, gegen Regeln einer bis dato einigermaßen etablierten Gleichberechtigungsrhetorik zu verstoßen, erklärt der Autor auf immerhin einer ganzen Zeitungsseite, wie Fe minismus und Frauenbewegung, die er allen Ernstes als lesbische Verschwörung brandmarkt, das Prinzip des Gender Mainstreaming in die deutsche und die euro päische Politik eingefädelt haben. Unterfüttert wird diese Verschwörungstheorie mit Ausführungen über die Dominanz von Lesben in der Frauenbewegung und über gut funktionierende lesbische Aktivistinnen- und Politikerinnen-Netzwerke sowie mit Verweisen auf eine in die Irre gehende Genderforschung, die ebenfalls von Homosexuellen dominiert wird (verwiesen wird hier auf die Schriften von Butler und Foucault). Einige Monate später hakt der Autor noch einmal nach: Er hat auf der Website der »christdemokratischen Frauenministerin von der Leyen [ge]lesen: daß Geschlechtsrollen im Gegensatz zum biologischen Geschlecht nur erlernt seien.« Und lapidar kommentiert er: »Die Naturwissenschaften, etwa die Hirnforschung, haben diese Annahme längst widerlegt.« (Zastrow 2006b) Nur die Gendertheorie, halte – gespeist aus zweifelhaften Forschungen über Intersexua lität – an einer Unterscheidung von Sex und Gender fest. In Zeiten des demo graphischen Wandels wird die polare Konstruktion der Zweigeschlechtlichkeit in den Medien neu inszeniert und pseudo-naturwissenschaftlich unterlegt. Auch hier fehlen jegliche Vermittlungsprozesse zwischen Feminismus und Medien: Statt das
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angebliche Faktenwissen der Naturwissenschaften zu hinterfragen und auch dieses als konstruiert zu sehen, sind hier ungebrochen Re-Biologisierung und Re-Tradi tionalisierung angesagt und werden weitgehend unwidersprochen in der Medien agenda verankert. Diese Rhetoriken setzen sich bis heute ungebrochen fort. Insbesondere die Gender Studies werden in den Feuilletons der Presse »als ›Exzess‹, als ›Ideolo gie‹ oder als ›Anti- bzw. Pseudowissenschaften‹, die (natur-)wissenschaftliche Tat sachen nicht zur Kenntnis nehmen und uns (?) allen ihre krude, realitätsfremde Ideologie aufzwingen wollen« kritisiert (Hark/Villa 2014). Warum »Gender« so »dubios« ist – diesem Phänomen gingen jüngst die Autorinnen Sabine Hark und Paula Villa nach und zeigten, dass nicht zuletzt Statusängste und die Verteilung von Ressourcen an den Universitäten dabei eine gewichtige Rolle spielen. Wenn es um den neuen Feminismus geht, wird der ›alte‹ Feminismus in Miss kredit gebracht. Miriam Gebhardt (2012) ist eine der Vielen, denen der ›alte‹ Feminismus als eine Folie für vehemente Abgrenzung dient, etwa wenn sie den Niedergang der Frauenbewegung heraufbeschwört. Sie kritisiert die »SchwarzWeiß-Malerei des Siebzigerjahre-Gesinnungsfeminismus« (ebd.: 299) und geht davon aus, dass engagierte Frauen heute »erwarten, dass eine bestimmte, mit den siebziger Jahren identifizierte Ausprägung des Feminismus zu den Akten gelegt wird.« (ebd.: 16) Den Grund dafür, dass die »deutsche Frauenbewegung die Frauen verlor« – so der Untertitel des Buches – sieht die Autorin in der Figur der Vorzei ge-Feministin Alice Schwarzer, die ihr als ›alte‹ Feministin, als »Patriarchatsfemi nistin« par excellence gilt. Dadurch, dass sich die Mediendiskurse voll und ganz auf Alice Schwarzer konzentriert und sie zur Ikone der Frauenbewegung stilisiert haben, sei die Frauenbewegung letztlich bedeutungslos geworden. Denn junge Frauen »wollen keine Lektion in Patriarchatsfeminismus mehr hören, sie wün schen keine Bewusstseinspolizei, sondern Lösungen für ihre konkreten Belange.« (Gebhardt 2012: 14) Und auch die Genderforschung bekommt hier wieder ihr Fett ab: »Heute ist die Frauenbewegung programmatisch unbedeutend, organisatorisch unsichtbar [. . .]. Inhaltliches Denken spielt sich in akademischen Enklaven und Blogs ab [. . .]« (ebd.: 9). Und wenn neue Feministinnen aufgezählt werden, fin det sich hier keine einzige Genderforscherin (ebd.: 297). Da wirkt es schon fast komisch, wenn im Abschlusskapitel des Buches gefordert wird: »Mehr Theorie wagen« (ebd.: 309). Trotz meiner Kritik an diesem Buch, es wird hier einmal mehr deutlich, wie groß inzwischen die Kluft zwischen Alltagsrealitäten und -erfahrun gen und Feminismus/feministischer Theorie geworden ist. Geschlechterdiskurse und Mediendiskurse – das sollten meine Beispiele zeigen – stehen in einem stark angespannten Verhältnis. Die Idee, feministische Wissens produktion und feministischen Aktivismus als theoretisches Konzept und poli tische Strategie miteinander zu verbinden, scheint im Hinblick auf die mediale
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Öffentlichkeit weitgehend zu scheitern. Die Frage ist, was schief läuft in dieser unglücklichen Liaison und ob und was daran zu ändern sein könnte. Die De-The matisierung feministischer Theorie und Praxis in den Medien steht – das wird seit einigen Jahren in der feministischen Debatte diskutiert (vgl. McRobbie 2010; Fra ser 2009) – im Kontext der Erfolgsrezepte des Neoliberalismus, die Gesellschafts kritik erschweren und Feminismus geschickt vereinnahmen. Hinzu kommt auf je den Fall die Schwierigkeit, komplexe feministische Theorien medial zu vermitteln. In einer Diskussion mit Journalistinnen während einer von den »Feministischen Studien« ausgerichteten Konferenz zum Thema ›Neuer Feminismus‹ (vgl. Casale et. al. 2008: 279 ff.) ging es um die Vermittlungskluft zwischen Geschlechterfor schung und Medien sowie darum, feministische Wissensbestände medial ›taug lich‹ zu machen. Die beteiligten Journalistinnen betonten, dass es viele Frauen und einige Männer in den Medien gibt, die sich für Themen der Geschlechterge rechtigkeit engagieren, und sie ermahnten die anwesenden Wissenschaftler_innen, sich für den Transfer ihrer Themen und Forschungen stärker einzusetzen. Und sie formulierten zudem die kritische Frage an die Genderforscherinnen, »ob sie nicht zu sehr mit dem Aufbau eines selbstreferentiellen Systems beschäftigt sind, um sich in der akademischen Welt zu verorten, statt eine Vermittlung in andere gesell schaftliche Realitäten hinzubekommen.« (Ebd.: 280) Male- und Mainstream-Medien nehmen derzeit nur ausnahmsweise Impulse aus feministischer Theorie und den Gender Studies auf. Das ist ein Fakt. Aber der zeit gibt es auch vermehrte Anzeichen, dass sich feministische (Gegen-)Öffent lichkeiten neu konstituieren. Sie organisieren sich via Internet und greifen durch die intensive und mobilisierende Nutzung der Social Media in gesellschaftliche Diskussionsprozesse ein. In Blogs (z. B. Mädchenblog;1 blog feministische studien2), auch in neueren Online- und Printmedien (z. B. »Missy Magazine«) wer den aktuelle feministische Anliegen formuliert und versucht, Vermittlungs- und Übersetzungsprozessen zwischen Theorie und Praxis Raum zu geben. Das stimmt optimistisch. Wenn Öffentlichkeit als ein Prozess verstanden wird, in dem einfa che, mittlere und komplexe Öffentlichkeiten interagieren, sind die mittleren, ins besondere die (Gegen-)Öffentlichkeiten, wichtige Akteure in gesellschaftlichen Aushandlungsprozessen (Klaus/Wischermann 2008). Medien können widerstän dige und gegenläufige Prozesse nicht völlig ausblenden, d. h. solche Impulse aus den mittleren Öffentlichkeiten werden (hoffentlich) auch wieder Eingang in die Medienagenda finden. So konstatierte im Februar 2013 das zur österreichischen Tageszeitung »Der Standard« gehörende Online-Forum »dieStandard«: »Die #Aufschrei-Kampagne 1 http://maedchenblog.blogsport.de/ (Abruf 04.02.2015) 2 http://blog.feministische-studien.de/ (Abruf 04.02.2015)
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[gegen Sexismus; U. W.] auf Twitter hat geschafft, was herkömmlichem feminis tischen Protest seit Jahrzehnten nicht mehr gelingt: frauenpolitische Themen in Mainstream-Medien unterzubringen. Doch ist es für die feministische Sache über haupt so wichtig, in den Medien vorzukommen?« Dazu befragt, äußerte sich die Journalistin Sibylle Hamann folgendermaßen: »Alle wollten plötzlich ›ganz drin gend‹ etwas über sexuelle Belästigung. Da frage ich natürlich schon erst patzig zurück: warum so dringend, gerade jetzt? Aber es war dann doch gut, darüber zu schreiben, an eigene Erfahrungen zu denken, darüber zu reden. [. . .] Wenn man ›sexuelle Belästigung‹ in den letzten Jahrzehnten als Thema vorgeschlagen hat, wurde man ja eher belächelt, das ist mir auch selber passiert. Diese Leute haben gemerkt, dass sich an Alltagssexismus nicht nur ausgewiesene Feministinnen stö ren, sondern auch ganz viele Frauen, die sich niemals als solche bezeichnet hätten. Viele Frauen sind also Feministinnen, ohne dass sie sich so genannt hätten.«3 Hier zeigt sich nicht zuletzt, wie wichtig politische Gelegenheitsstrukturen für feminis tische Interventionen sind. Und wie wichtig es ist, günstige Gelegenheitsstrukturen aktiv mitzugestalten! Wie kann feministische Theorie wieder ›praxistauglicher‹ werden? Dabei geht es insbesondere darum, Genderforscher_innen an die Aufgabe zu erinnern, die gesell schaftlichen Entwicklungen aus der Geschlechterperspektive kritisch zu kommen tieren, politisch zu intervenieren und zugleich die Erfahrungen der Subjekte wieder stärker zum Ausgangspunkt ihrer Betrachtungen zu machen. Wenn Privates und Intimes als Reservoir von Erfahrung gesehen, wenn Irritationen und Widerspruchs erfahrungen aufgegriffen werden und nach dem Unerwarteten gesucht wird, kann und muss, im Rekurs auf sich verändernde Praxen, feministisches Wissen dafür bereitgestellt werden. Zu diesem feministischen Programm gehört die Schaffung feministischer (Gegen-)Öffentlichkeiten, die eine Brücke zu den medialen Diskur sen bilden und sich dem Transfer und der ›Übersetzung‹ feministischer Anliegen widmen. Elisabeth Klaus, der diese Festschrift gewidmet ist, hat sich immer für dieses wichtige Anliegen eingesetzt und es zur Messlatte ihrer wissenschaftlichen Arbeit gemacht. Anmerkung: Dieser Beitrag stellt eine leicht überarbeitete und erweiterte Fassung meines Auf satzes »Feminismus und Medien – eine unglückliche Liaison?« (in: Feministische Studien 31 (1), 2013, S. 188–193) dar.
3 http://diestandard.at/1362107626641/Sexismus-im-Netz-Burschen-es-ist-vorbei?ref=nl (Abruf 04.02.2015)
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Literatur Casale, Rita/Gerhard, Ute/Wischermann, Ulla (Hrsg.) (2008): Neuer Feminis mus? = Feministische Studien, 26 (2). Dorn, Thea (2006): Die neue F-Klasse. Wie die Zukunft von Frauen gemacht wird. München: Piper. Fraser, Nancy (2009): Feminismus, Kapitalismus und die List der Geschichte. In: Blätter für deutsche und internationale Politik, H. 8, S. 43–57. Gebhardt, Miriam (2012): Alice im Niemandsland. Wie die deutsche Frauenbewe gung die Frauen verlor. München: DVA. Hark, Sabine (Hrsg.) (2013): Was wollen Sie noch? = Feministische Studien, H. 1. Hark, Sabine/Villa, Paula (2014): Attacken auf die Geschlechterforschung. Das du biose Gender. Online unter: http://www.tagesspiegel.de/wissen/attacken-aufdie-geschlechterforschung-das-dubiose-gender/11128828.html (04.02.2015). Klaus, Elisabeth (2008): Antifeminismus und Elitefeminismus. Eine Intervention. In: Feministische Studien 26 (2), S. 176–186. Klaus, Elisabeth/Wischermann, Ulla (2008): Öffentlichkeit als Mehr-Ebenen-Pro zess. Theoretische Überlegungen und empirische Befunde. In: Zeitschrift für Frauenforschung und Geschlechterstudien 26 (3–4), S. 103–116. McRobbie, Angela (2010): Top Girls. Feminismus und der Aufstieg des neolibera len Geschlechterregimes. Wiesbaden: VS Verlag. Zastrow, Volker (2006a): »Gender Mainstreaming«. Politische Geschlechtsum wandlung. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 20.06.2006. Online unter: http:// www.faz.net/aktuell/po litik/gender-mains treaming-politische-geschlechtsum wandlung-1327841.html (09.02.2015) Zastrow, Volker (2006b): »Gender Mainstreaming«. Der kleine Unterschied. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 07.09.2006. Online unter: http://www.faz.net/ aktuell/politik/gender-mainstreaming-der-kleine-unterschied-1329701.html (09.02.2015).
Strukturen und Akteur_innen
Die 68erinnen – eine eigenständige Journalistinnengeneration?
Die 68erinnen – eine eigenständige Journalistinnengeneration? Konturen eines kaum untersuchten Forschungsfeldes Susanne Kinnebrock
Einleitung: 1968 – eine Geschichte
ohne
Frauen?
»Ich bin eine Kämpferin und Rebellin« (Klaus 2012: 113) – dieses Diktum von Elisabeth Klaus lässt ahnen, dass sie den sozialen Bewegungen, die wir heute mit dem Jahr 1968 verbinden, durchaus nahe steht, auch wenn sie zu jung ist, um selbst der 68er-Generation anzugehören. Diese Generation habe, so liest man immer wieder, viele nachhaltige Veränderungen angestoßen und für einen Wer tewandel in der Bundesrepublik Deutschland gesorgt. Und anlässlich der runden Jubiläen des Jahres 1968 scheint sich diese Generation immer ausgiebiger selbst zu feiern: 1968 mutiere allmählich »vom Ereignis zum Mythos«, so der Titel von Ingrid Gilcher-Holteys Themenband aus dem Jahr 2008. Und auch die wissen schaftliche Literatur zum Thema 1968 ist inzwischen kaum mehr zu überblicken (vgl. Lauermann 2009: 1). Bezeichnend ist allerdings, dass 1968 »eine Geschichte ohne Frauen« (Stall mann 2014: 55) geblieben ist. Nur wenige wissenschaftliche Darstellungen the matisieren explizit den Beitrag von Frauen zu den damaligen Protesten, subkul turellen Dynamiken und daraus resultierenden sozialen Bewegungen. Freilich, im Zusammenhang mit der Entwicklung der autonomen Frauenbewegung, die zu Teilen auf eine Abspaltung von Frauen aus dem Sozialistischen Deutschen Stu dentenbund (SDS) zurückgeht, werden Frauen erwähnt. Doch ist auch die ›neue‹ Frauenbewegung der 1970er Jahre nach wie vor unzureichend erforscht. Obgleich die Aktivistinnen ihre Tätigkeit vergleichsweise früh dokumentiert haben, so dass Material durchaus vorhanden ist, fehlt es nach wie vor an quellengesättigten und wissenschaftlich-kritischen Darstellungen (vgl. Zellmer 2011: 6). Das Desinteresse am Beitrag von Frauen zu den Ereignissen rund um 1968 und die unzureichende Erforschung der ›neuen‹ Frauenbewegung seitens der Ge schichtswissenschaft wird gespiegelt von einer systematischen Ausblendung von
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Frauen aus der Berufsgeschichte des Journalismus, zumindest aus der, die die Kommunikationswissenschaft normalerweise zeichnet (vgl. kritisch dazu Kinne brock/Klaus 2013). Elisabeth Klaus ist eine der wenigen Kommunikationswis senschaftlerinnen, die dem mit substanziellen Publikationen entgegengewirkt hat (vgl. z. B. Klaus 1993; Klaus 2002; Klaus/Wischermann 2013). Dabei ist sie bevorzugt kollektivbiographisch vorgegangen. So nähert sich auch ihre jüngste Monographie, die sie 2013 mit Ulla Wischermann herausgebracht hat, der Be rufsgeschichte der Journalistinnen zunächst biographisch. Bemerkenswerterweise wird dort nur die Generation der 1968erinnen nicht kollektivbiographisch, son dern mithilfe einer Analyse alternativer Frauenmedien angegangen. Dies mag einerseits dem oben konstatierten Fehlen profunder wissenschaftlicher Abhand lungen zu den 1968erinnen und zur neuen Frauenbewegung geschuldet sein. Begründet wird dies von Elisabeth Klaus und Ulla Wischermann aber auch mit der Wichtigkeit von (Redaktions-)kollektiven in den 1970er Jahren (vgl. Klaus/ Wischermann 2013: 303). Ohne die Bedeutung der Kollektive für den (alterna tiven) Journalismus der späten 1960er, 1970er und frühen 1980er Jahre infrage stellen zu wollen, haben einige der Frauen, die in dieser Zeit journalistisch ak tiv wurden, inzwischen beachtliche Karrieren gemacht und diese in den letzten Jahren in Memoirenliteratur aufgearbeitet (z. B. Luc Jochimsen oder Wiebke Bruhns). Dies möchte ich zum Anlass nehmen, Journalistinnen der 68er-Genera tion näher zu betrachten und die Frage aufzuwerfen, inwieweit es eine Generation der 68erinnen auch im Journalismus gibt und wodurch sie sich auszeichnet. Bei meiner Analyse der Literatur- und Quellenlage will ich v. a. auf Egodokumente eingehen, deren Nutzen für die historische Berufsforschung jüngst herausgestellt wurde (vgl. Kinnebrock et al. 2014).
Historische Hintergründe: 1968 und die neue Frauenbewegung Die »globale Jugendrevolte« (Frei 2008) der ausgehenden 1960er Jahre erreichte auch die junge Bundesrepublik. Die Außerparlamentarische Opposition (APO) und ihr Kern, der SDS, protestierten gegen Vietnamkrieg, Notstandsgesetzgebung und ›Ordinarienuniversität‹; die Kommune 1 praktizierte neue Lebensformen; und mit den tödlichen Schüssen auf den Demonstranten Benno Ohnesorg 1967 und dem Attentat auf Rudi Dutschke 1968 wurde eine Phase der eskalierenden Ge walt eingeleitet. Während die Proteste der APO mit der Verabschiedung der Not standsgesetze noch im Jahr 1968 abebbten und der SDS sich 1970 schließlich ganz auflöste, radikalisierten sich Teile der 68er Bewegung. Die Aktionen der BaaderMeinhof-Gruppe und die RAF-Terroranschläge der 1970er Jahre haben sich tief ins kollektive Gedächtnis der Bundesrepublik eingeprägt.
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In der Person von Ulrike Meinhof kristallisiert sich nicht nur die Radikalisie rung von Teilen der 68er Bewegung, sondern ebenso ihre mediale Präsenz: Die Ju gendrevolte erfolgte zum großen Teil auf medialem Wege. Während Ulrike Mein hof sie als Journalistin überwiegend in etablierten Medien begleitete (vgl. Klaus/ Wischermann 2013: 289–295), entwickelten die Protestierenden zahlreiche neue, auf Massenmedien gerichtete Formen des Protests und schufen sich zunehmend ihre eigenen Alternativmedien (vgl. Fahlenbrach 2007; Klimke/Scharloth 2007). Ein Zusammenspiel von kreativer Protestinszenierung und kritischem Journa lismus kennzeichnet auch die Anfänge der sogenannten ›neuen‹, autonomen oder auch zweiten Frauenbewegung in Deutschland (vgl. Gerhard 2008). Als auf der Frankfurter SDS-Delegiertenkonferenz der Beitrag der späteren Filmemacherin Helke Sander nicht weiter diskutiert werden sollte – sie hatte über die Tabuisie rung der Ausbeutung von Frauen im Privatleben gesprochen –, protestierte die hochschwangere Berliner Studentin Sigrid Rüger mit dem inzwischen legendären Tomatenwurf (vgl. Notz 2004: 124–130). Mutmaßlich wäre dieser Protestaktion gar nicht so viel öffentliche Aufmerksamkeit geschenkt worden, hätte nicht Ulrike Meinhof, damals Starkolumnistin der linken Zeitschrift Konkret, sie aufgegriffen. Sie kommentierte: »Der Konflikt, der in Frankfurt nach ich weiß nicht wie vielen Jahrzehnten wieder öffentlich geworden ist – wenn er es so dezidiert überhaupt schon jemals war –, ist kein erfundener, keiner zu dem man sich so oder so verhal ten kann, kein angelesener; den kennt, wer Familie hat, auswendig, nur dass diese Privatsache keine Privatsache ist.« (Meinhof in Konkret 12/1968, zit. n. Notz 2004: 128). Das Diktum »Das Private ist politisch« stand also auch am Anfang der neuen Frauenbewegung, die sich mit der Gründung des »Frankfurter Weiberrats« im Sep tember 1968 und vieler weiterer Aktionsgruppen allmählich eigene, d. h. vom SDS unabhängige (Netzwerk-)Strukturen schuf (vgl. Lenz 2010: 11 ff.). Als Blütezeit der neuen Frauenbewegung gelten die 1970er Jahre, in denen sie vielfältige Aktivitäten entfachte. Zunächst schufen sich die Frauennetzwerke eigene teilöffentliche Räume, um Bewusstwerdungsprozesse zu ermöglichen. Die Gründung von Frauencafés und Frauenbuchläden, aber auch von Frauenverlagen und feministischen Zeitschriften wie Courage (1976) und Emma (1977) dienten diesem Ziel. Ebenso wurden medienwirksame Kampagnen gestartet, die u. a. gegen den Abtreibungsparagraphen 218 StGB protestierten, Lohn für Hausarbeit ver langten und vor allem Gewalt gegen Frauen skandalisierten. Einher mit diesen Initiativen, die primär auf Bewusstwerdungsprozesse und die öffentliche Artiku lation vermeintlich privater Anliegen zielten, gingen solche, die auf die Etablie rung von – freilich autonom geführten – Einrichtungen abstellten, seien es nun regelmäßige Sommeruniversitäten oder Frauenhäuser. Ohne hier die Vielfalt der Richtungen und Aktionen der neuen Frauenbewegung abbilden zu können (siehe dazu Notz 2004; Gerhard 2008; Lenz 2010; Zellmer 2011), stellten sie doch einen Rahmen dar, innerhalb dessen die Zeitgenossinnen und Zeitgenossen agierten. Und
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diese neuartige Mobilisierung größer werdender Teile der Frauenwelt ebenso wie die öffentliche Thematisierung von Frauenanliegen gingen auch an Journalistinnen und ihrer täglichen Arbeit nicht spurlos vorbei, was sich z. B. an der Herausbildung von Frauengruppen in Medienhäusern zeigt (vgl. Klaus 1998: 151–152).
Die 68er-Generation im bund esd euts chen Journalismus Auch der bundesdeutsche Journalismus in seiner Gesamtheit blieb von den ›Ideen von 1968‹ nicht unbeeinflusst, wobei eine gesamtgesellschaftliche Politisierung sowie Polarisierungstendenzen in Medien und Bevölkerung schon vor dem Jahr 1968 erkennbar waren (vgl. Schildt 2001). Mit Verweis auf die (Auflagen-)Erfolge »zeitkritischer« Zeitschriften (wie beispielsweise Der Spiegel oder Die Zeit) und die Blütezeit politischer Fernsehmagazine (wie beispielsweise Panorama) resü miert Christina von Hodenberg (2006a: 144): »Um die Mitte der Sechziger hatte sich mithin bereits ein neuartiger, kritischer Journalismus durchgesetzt, und zwar bei der Mehrheit der Medienmacher wie des Publikums.« Das bedeutet freilich auch, dass es weniger die AktivistInnen im Gefolge des SDS oder der aufkom menden Frauenbewegung waren, die die »Zeitkritik« populär gemacht hatten, als vielmehr eine Vorgängergeneration im Journalismus, die sich im Laufe der 1960er Jahre gegen den Konsensjournalismus der 1950er Jahre gewandt und sich so beruf lich profiliert hatte (siehe ausführlich Hodenberg 2006b: 293–360). Christina von Hodenberg hat das Generationenkonzept auf die bundesdeutsche Journalismusgeschichte angewandt und dabei zwischen der Vorgängergeneration der »45er« und der tatsächlichen »68er-Generation« unterschieden. Mit Rekurs auf Pierre Bourdieu, Karl Mannheim und Helmut Fogt versteht sie unter einer Gene ration weniger eine klar bestimmbare Geburtskohorte als vielmehr eine politische Generation. Angehörige einer politischen Generation teilen eine tiefgreifende his torisch-kulturelle Erfahrung, die sie als Jugendliche bzw. junge Erwachsene ge macht haben, und sie deuten diese ähnlich. D. h. gemeinsame Interpretationsmus ter kennzeichnen eine politische Generationen (vgl. Hodenberg 2006b: 28–29). Für die 45er-Generation stellten beispielsweise das Kriegsende und der demo kratische Wiederaufbau zentrale Erfahrungen dar. Die Zeit des Nationalsozialis mus hatten diese in den späten 1920er und frühen 1930er Jahren geborenen Perso nen schon bewusst, aber eben noch als Jugendliche erlebt. Große Wertschätzung für die Demokratie und Skepsis gegenüber solchen Älteren, die schon zu Zeiten des Nationalsozialismus journalistisch tätig gewesen waren, kennzeichneten dann diese JournalistInnengeneration und ließen sie auf Distanz zu einem unkritischen, stets um Konsens bemühten Journalismus gehen, der v. a. die 1950er Jahre prägte (siehe Hodenberg 2006b: 245–292).
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Die Folgegeneration im Journalismus, die 68er-Generation, war hingegen vor allem durch die Protestjahre geprägt (vgl. Hodenberg 2006b: 362). Viele JournalistInnen dieser Generation hatten in den 1960er Jahren an den Universitäten Geistes- und Sozialwissenschaften studiert, also jene Fächer, die von der Studie rendenrevolte besonders erfasst wurden. Und während ihrer Studienzeit hatten sie politisches Sendungsbewusstsein entwickelt (vgl. Hodenberg 2006a: 145). Aller dings sollte die 68er-Generation nicht mit der deutlich kleineren Gruppe von pro testbewegten JournalistInnen im Gefolge des SDS gleichgesetzt werden. Vielmehr tendierten große Teile der in der zweiten Hälfte der 1930er und in den 1940er Jahren geborenen JournalistInnen dazu, sich als »progressiv« und ihre Arbeit als politisch motiviert zu verstehen (vgl. Hodenberg 2006a: 146–147; siehe auch die ähnlichen Resultate zur Generation der Jahrgänge 1936 bis 1950 bei Ehmig 2000: 128–162). Christina von Hodenberg resümiert das, was diese 68er-JournalistInnengeneration damals beschäftigte, wie folgt: »die Ablehnung der Medienstrukturen, die Rolle als ›Arbeiter‹ in den Medien, der für ein unterdrücktes proletarisches Publikum wirke; der Widerspruch zur eigenen bürgerlichen Herkunft; die Suche nach der Beteiligung des Publikums und nach Elementen der Phan tasie und Spontaneität; das Misstrauen gegenüber Bürokratie und Hierarchie im Betrieb.« (Hodenberg 2006a: 150)
Der »engagierte Journalismus« der 68er-Generation widmete sich neuen Themen mit neuen Methoden der Berichterstattung: »Die gesteigerte Beschäftigung mit so zialkritischen Themen und die (oft recht kurzlebigen) Experimente der offensiven Politisierung unterhaltender Sparten gingen auf die ›68er‹ zurück.« (Hodenberg 2006a: 157). Allerdings gibt Christina von Hodenberg auch zu bedenken, dass der Wandel in den westdeutschen Massenmedien v. a. dem Zusammenspiel zweier Generationen geschuldet war: »Solche Vorstöße wurden nur praxiswirksam, weil sich die Ziele der jungen Journalisten in vielem mit denen der Vorgängergeneration deckten. Wofür viele ›45er‹ seit Ende der fünfziger Jahre gearbeitet hatten – eine kritische, breitenwirk same Berichterstattung über Regierungspolitik und gesellschaftliche Missstände –, wurde nun weiter vorangetrieben.« (Hodenberg 2006a: 157)
Die 68erinnen-Generation im bund esd euts chen Journ alismus Bei genauerer Betrachtung der generationenspezifischen Befunde zu den ›68ern‹ von Christina von Hodenberg, die sich in ihrer Studie primär auf die Jahrgänge 1936 bis 1948 bezieht (2006a: 146), aber auch von Simone Ehmig, die in ihrer JournalistInnenbefragung Ergebnisse für die Jahrgänge 1936 bis 1950 se
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parat ausgewiesen hat, fällt Folgendes auf: Die Ergebnisse werden nicht nach Geschlechtern getrennt dargestellt. Das dürfte zunächst daran liegen, dass der Frauenanteil in der 68er-JournalistInnengeneration sehr gering war, so dass aus den Daten bzw. Quellen wohl kaum weiterreichende Schlüsse gezogen werden konnten: Ehmig (2000: 358) kommt in ihrem Sample auf acht Prozent Frauen, Hodenberg (2006b: 501–507) weist in ihrer historisch angelegten Studie zwar keine Geschlechterverhältnisse in Prozentangaben aus, die Vornamen in ihrem umfangreichen Personenverzeichnis lassen aber ebenso auf einen marginalen Frauenanteil schließen. Deshalb ist die Frage durchaus angebracht, inwieweit Befunde, die für männli che Journalisten der 68er-Generation zutreffend sein mögen, tatsächlich auf Jour nalistinnen in ähnlichem Alter zu übertragen sind? Und noch weitergehend kann infrage gestellt werden, ob Frauen der in der historischen Berufsforschung identi fizierten 68er-Journalistengeneration überhaupt angehören, schließlich basiert die Zugehörigkeit zu einer Generation ja auf gemeinsamen Erfahrungen und ähnlichen Deutungsmustern. Teilen die Journalistinnen der späteren 1930er, 1940er und viel leicht auch frühen 1950er Jahrgänge tatsächlich die Erfahrungen, die ihre männli chen Kollegen in formativen Lebensphasen machten? Oder waren für Frauen an dere Erfahrungen und Deutungsmuster prägend, so dass die 68erinnen eine separat zu betrachtende Generation darstellen? Christina von Hodenberg hat am Anfang ihrer groß angelegten Studie auf die ses Problem hingewiesen, ohne ihm allerdings in ihren Analysen weiter nachzu gehen. Sie stellt fest, dass politische Generationen selten Phänomene gesamtge sellschaftlicher Reichweite darstellen, sondern sich zum einen nur auf Teile einer Gesellschaft (wie beispielsweise auf Berufsgruppen) beziehen und zum anderen sozialisationsgeprägt sind: »Auch daher können die zentralen Interpretationen und Handlungsmuster einer Generation überwiegend männlich oder weiblich geprägt sein und die Altersgenossen des anderen Geschlechts eher aus- als einschließen.« (Hodenberg 2006b: 29). Aufgrund des großen Überhangs männlicher Studierender im SDS und des bewussten Schaffens reiner Frauenräume im Zuge der autono men Frauenbewegung der 1970er Jahre, ist es durchaus plausibel, dass sich die Er fahrungen von Frauen und Männern dieser Alterskohorte deutlich unterschieden. Ebenso ist davon auszugehen, dass sich die Erfahrungen von Journalistinnen je nach Berufsfeld stark variierten. Literatur und Quellenlage Um zentrale Erfahrungen und Deutungsmuster zu identifizieren, bieten sich als Quellen zum einen zeitgenössische Medienbeiträge an, zum anderen Ego-Doku mente, zu denen auch Autobiographien zählen (vgl. Hodenberg 2006b: 29; Kinne brock et al. 2014). Basierend auf diesen beiden Quellentypen entstehen – im Ideal
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fall – fundierte und umfangreiche kommunikationshistorische Einzelbiographien (vgl. Behmer/Kinnebrock 2009). Mit Blick auf die – hier jahrgangsmäßig etwas weiter gefasste – Generation der 68erinnen im Journalismus ist bislang vor allem das Leben von Ulrike Meinhof (1934–1976) umfangreich erforscht worden (vgl. z. B. Aust 1985; Röhl 2006; We semann 2007; Ditfurth 2007), was mutmaßlich aber eher mit ihrem Status als »Ikone und Märtyrerfigur der Linken« (Koenen 2002: 336) zusammenhängt als mit ihrem publizistischen Werk. Dies mag zudem den Überhang an populärwissenschaftlichen oder gar hagiographischen Biographien erklären. Und Ähnliches gilt auch für Alice Schwarzer (*1942), die aktuell von Massenmedien gerne als »Ikone der Frauen bewegung« beschrieben wird (vgl. Wischermann in diesem Band). Auch hier sind verschiedene populäre Biographien entstanden, die aber eher der Bewertung von Alice Schwarzers Rolle in Frauenbewegung und Öffentlichkeit dienen – positiv oder negativ – denn einer profunden wissenschaftlich-biographischen Aufarbeitung ihres Lebens (z. B. Gebhardt 2012; Dünnebier/Paczensky 1998; Mika 1998). Sieht man allerdings von Ulrike Meinhof und Alice Schwarzer einmal ab, so sind die Journalistinnen der 68er-Generation einzelbiographisch kaum erforscht. Dabei haben zahlreiche Journalistinnen dieser Generation in jüngster Zeit ihre Me moiren veröffentlicht. Das gilt zunächst für bekanntere Fernsehjournalistinnen, die im öffentlich-rechtlichen Rundfunk Karriere machten, wie die erste Nachrich tensprecherin im bundesdeutschen Fernsehen Wiebke Bruhns (*1938), die frü here ARD-Korrespondentin in Moskau Gabriele Krone-Schmalz (*1949) und die ehemalige Chefredakteurin des Hessischen Rundfunks Luc Jochimsen (*1936) (Bruns 2012; Krone-Schmalz 2009; Jochimsen 2014). Memoiren liegen auch vor von Printjournalistinnen wie Heli Ihlefeld (*1935) und Cornelie Sonntag-Wolgast (*1942), die als Grenzgängerinnnen zur Politik einzuordnen sind, weil sie im Laufe ihres aktiven Berufslebens in die Parteipolitik wechselten und schließlich den Weg durch die Instanzen in der SPD antraten (Ihlefeld 2008; Sonntag-Wolgast 2008). Als Gelegenheitsjournalistinnen sind solche Frauen einzustufen, die sich selbst primär als Teil der 68er Bewegung bzw. ihrer verschiedenen Folgebewegun gen sahen, aber dennoch publizistisch regelmäßig tätig waren. Gretchen Dutsch ke-Klotz (*1942), die Ehefrau Rudi Dutschkes, hat ebenso Memoiren verfasst wie die ehemalige Protagonistin des linken Flügels der Grünen Jutta Ditfurth (*1951); und von der deutsch-schwedischen Schauspielerin und Publizistin Peggy Parnass (*1934) gibt es sogar mehrere autobiographische Schriften (Dutschke-Klotz 1996; Ditfurth 2002; Parnass 1983, 1986, 1993, 2000). Schließlich haben auch Unterhal tungsjournalistinnen, die man auf den ersten Blick nicht in Verbindungen mit 1968 bringen würde, autobiographische Schriften verfasst, die durchaus Spuren des da maligen Gedankenguts aufweisen – z. B. die TV-Moderatorin Petra Schürmann (1933–2010) oder die in Zürich tätige Klatschkolumnistin Hildegard Schwaninger (*1952) (Schürmann 2002; Schwaninger 2012).
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Erste vorläufige Befunde Der gerade getätigte Versuch, aus der vorhandenen Memoirenliteratur vier Grup pen von 68er-Journalistinnen entlang beruflicher Positionierungen abzuleiten – erstens bekanntere Fernsehjournalistinnen, zweitens Grenzgängerinnen zur Politik, drittens Gelegenheitsjournalistinnen und viertens Unterhaltungsjournalistinnen –, ist freilich gewagt. Denn er orientiert sich zunächst an exponierten Publizistinnen, die für ihre Lebenserinnerungen auch einen Verlag fanden (dies dürfte weniger bekannten Journalistinnen sehr viel schwerer fallen). Deshalb sollte ein Schluss von den Erfahrungen exponierter Publizistinnen auf diejenigen des Mainstreams keinesfalls vorschnell, sondern nur mit großer Sorgfalt und Vorsicht erfolgen. Wei terhin wächst die Zahl der Autobiographien und Memoiren von Journalistinnen noch, so dass neue Journalistinnengruppen hinzukommen können. Das aktuelle Raster dient also primär als vorläufige Heuristik. Die Identifikation von mindestens vier Gruppen deutet schon an, wie vielge staltig die journalistischen Tätigkeiten von Frauen der 68er-Generation waren. Doch so unterschiedlich sie ihre individuellen Erlebnisse der 1960er und 1970er Jahre in ihren Lebenserinnerungen auch schildern, so bleibt eine Bezugnahme auf die Chiffre 1968 und die Frauenemanzipation doch etwas, was alle teilen. Selbst die der Jugendrevolte und der Frauenbewegung im Nachhinein eher distanziert gegenüberstehende Wiebke Bruhns bezeichnete sich in ihren Memoiren als »ge übte 68erin« (2012: 117) und ebenso hielt die stets als damenhaft und konservativ geltende Petra Schürmann fest: »Ich hatte mir persönlich die Freiheiten und Wün sche erfüllt, für die die 68er auf die Straße gingen.« (Schürmann 2002: 29) Wie nehmen Autobiographien und Memoiren nun konkret Bezug auf 1968 und die Frauenemanzipation? Zunächst einmal wird das Motto der neuen Frauenbe wegung »Das Private ist politisch!« insofern aufgegriffen, als tatsächlich viele private Erlebnisse geschildert werden: Ob es sich nun um Kindheitstraumata han delt wie v. a. bei Peggy Parnass, um Benachteiligungserfahrungen als Mädchen, um Liebschaften, Beziehungsprobleme, Abtreibungen, uneheliche Mutterschaften oder Schwierigkeiten bei der Kinderbetreuung (vgl. Dutschke-Klotz 1996; Ditfurth 2002; Schürmann 2002; Ihlefeld 2008; Schwaninger 2012, Jochimsen 2014;), es werden sehr persönliche Erfahrungen beschrieben, die immer wieder auf Schwie rigkeiten beim Entwickeln neuer Geschlechteridentitäten und Rollenverteilungen hindeuten. Nicht ohne Grund dürfte Hildegard Schwaninger ihren Erinnerungen den Titel »Ich wollt, ich wär ein Mann« gegeben haben. Mit dem tradierten Frau enleitbild hatten die 68er-Journalistinnen bereits gebrochen und sie stellten pri vat wie beruflich die klassischen Rollenaufteilungen infrage. Dies bedeutete aber auch, zahlreiche Konflikte durchzustehen. Obgleich sich die Lebensaufzeichnungen der 68erinnen hinsichtlich des Aus maßes und der Detailliertheit privater Erlebnis- und Konfliktschilderungen unter
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scheiden (beispielsweise stellen die bekannten Fernsehjournalistinnen Wiebke Bruns und Gabriele Krone-Schmalz ihren Berufsweg und ihre politischen Beob achtungen stärker in den Mittelpunkt), so bleibt doch eines bemerkenswert: In der Zusammenschau unterscheiden sich die Erinnerungen der 68er-Journalistinnen deutlich von denen ihrer männlichen Kollegen, die ihre Rolle als »Zeugen des politischen Zeitgeschehens« viel stärker akzentuieren (vgl. Langenbucher 2009: 232 f.; siehe auch Wilke 2011: 90 f.; Wilke 2008: 173 f.). Mit Blick auf die ver schiedenen Gattungen autobiographischer Literatur lässt sich festhalten, dass die 68er-Journalistinnen in ihren Lebensaufzeichnungen stärker zu (persönlich gefärb ten) Autobiographien, weniger zu (Zeitzeugen-)Memoiren tendieren. Privates, allerdings mit gesellschaftlicher Relevanz, durchzieht auch die All tagsarbeit der Journalistinnen bzw. Publizistinnen dieser Generation. Dies gilt vor allem für ihre Auseinandersetzungen mit dem Thema Frauenemanzipation. Es scheint die intellektuellen wie beruflichen Werdegänge der 68er-Journalistinnen stark beeinflusst zu haben. Ob aus eigenem Interesse gewählt (wie in den meisten Fällen) oder zuweilen nur »als Frau« darauf angesetzt, das Thema Emanzipation und Gleichberechtigung wurde von 68er-Journalistinnen behandelt und trug somit auch zu ihrer beruflichen Profilierung bei. Zudem scheinen Emanzipationsfragen Reflexionsprozesse zur eigenen Rolle als Frau im Journalismus angestoßen zu haben. Aus den Autobiographien geht her vor, dass der Einstieg in den Journalismus vergleichsweise leicht gelang, zumal der Medienmarkt in den 1960er Jahren wuchs. Speziell die neu errichteten dritten Pro gramme scheinen vielfältige Einstiegsmöglichkeiten für Frauen geboten zu haben. Die konkreten Modalitäten des Zusammenarbeitens mussten aber in den Redaktionen noch mühsam ausgehandelt werden. Denn Beschreibungen, wie sich die 68er-Jour nalistinnen selbst als Ausnahmeerscheinungen wahrnahmen (vgl. z. B. Bruhns 2012: 77), in vermeintlich frauenaffine Bereiche abgeschoben fühlten (vgl. Ihlefeld 2008: 116) oder sich gar als reine »Dekoration« missbraucht sahen (Schürmann in Herman 2001: 229), finden sich öfter. Das Defin ieren angemessener Arbeitsaufgaben und die Suche nach Formen des adäquaten Umgangs mit Kollegen scheinen langwierige und anstrengende Prozesse gewesen zu sein (vgl. z. B. Bruhns 2012: 73). Und sie endeten wohl auch nicht immer erfolgreich, worauf das dezidierte Einfordern von Gleichbehandlung – »Ich [. . .] bin überhaupt keine Feministin. [. . .] Ich will nur gleich behandelt werden. Also mit der gleichen Würde, mit dem gleichen Respekt« (Schürmann in Herman 2001: 237 und 240) – oder auch resignierende Resümees hindeuten: »Ich passte nicht in das männliche System, in männliche Seilschaften, auf Karriereleitern von öffentlichen Einrichtungen. Netzwerke waren für mich nicht vorgesehen.« (Ihlefeld 2008: 94) Bemerkenswert ist aber, dass die 68erinnen ihren Ärger thematisierten und Konflikte auch angingen. Dabei scheinen Frauennetzwerke eine wichtige Rolle gespielt zu haben, zumindest finden sich in den Erinnerungen viele Hinweise auf Hilfe und Ratschläge speziell von Kolleginnen.
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Die Lebensaufzeichnungen enthalten allerdings nicht nur zahlreiche Reflexio nen zur Rolle von Frauen im Journalismus, sondern auch zu den Aufgaben des Journalismus an sich. Dabei werden sehr kritische Perspektiven auf den Journa lismus deutlich, was mutmaßlich von einer gewissen Distanz zu den von Männern (vgl. Ihlefeld 2008) oder auch vom Kommerz (vgl. Jochimsen 2014) dominierten Medieninstitutionen gefördert wurde. Es scheint vor allem die Frage zentral gewe sen zu sein, ob sich der Anspruch, objektive, der »Wahrhaftigkeit« (Sonntag-Wol gast 2008: 50) verpflichtete Berichterstatterin zu sein, mit dem Wunsch in Einklang bringen lasse, Stellung zu beziehen oder sogar die bundesdeutsche Gesellschaft zu verändern. Die Grenzgängerinnen zur Politik wie Heli Ihlefeld und Cornelie Sonntag-Wolgast, aber auch Jutta Ditfurth, entschieden sich letztlich, nicht nur in den Medien klar Stellung zu beziehen, sondern auch in Parteien für ihre Ziele zu kämpfen. Heli Ihlefeld und Cornelie Sonntag-Wolgast wechselten schließlich in die SPD-Öffentlichkeitsarbeit, nahmen sich aber vor, auch als Parteivertreterin nen nicht »schönzufärben und Konflikte unter den Tisch zu kehren.« Selbstkritisch fügte Cornelie Sonntag-Wolgast noch an: »Hoffentlich halte ich das durch . . .« (Sonntag-Wolgast 2008: 50). Aber auch diejenigen Frauen, die im Journalismus blieben, mussten austarieren, wie engagiert Journalismus tatsächlich sein kann, und widmeten dieser Frage längere Abhandlungen (z. B. Krone-Schmalz 2009: 110–115). Cum grano salis lässt sich festhalten, dass die 68er-Journalistinnen das Thematisieren gesellschaftlich relevanter, aber letztlich tabuisierter Probleme zur Aufgabe des Journalismus erklärten, nicht aber deren Lösung – »verändern müs sen . . . andere« – so die Worte von Luc Jochimsen (2014). Bemerkenswert, aber nicht untypisch für Intellektuelle dieser Zeit ist die Nähe zu linken Parteien, v. a. zur SPD. Die Analyse der Berufsverläufe der hier erwähnten 68er-Publizistinnen macht schließlich deutlich, dass sie in mehrfacher Hinsicht Grenzgängerinnen waren. Be zogen auf ihre Berufsfelder wechselten sie nicht nur zwischen politischer Öffent lichkeitsarbeit und Journalismus, sondern auch zwischen sozialen Bewegungen und Journalismus oder zwischen Schriftstellerei und Journalismus (vgl. weiter führend die biographischen Porträts in Kätzel 2002). Auch der Wechsel zwischen Print- und Rundfunkarbeit war durchaus gängig. Deutlich wird aber auch, dass zumindest für diejenigen Frauen, die Kinder großzogen, die Grenzgängerei zwi schen Familien- und Erwerbsarbeit schmerzhafte Kompromisse nach sich zog. Der Zwang, Privat- und Berufsleben ständig auszubalancieren, sensibilisierte insbe sondere diese Publizistinnen nicht nur für Frauenfragen, sondern zog oft auch ein handfestes Engagement in der Frauenbewegung nach sich.
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Resümee Abschließend stellt sich die Frage, ob die 68er-Journalistinnen tatsächlich eine eigene Generation darstellen. Denn manche der hier genannten Aspekte, wie z. B. das Grenzgängertum, sind nicht nur für diese Generation, sondern auch für an dere Generationen von Journalisten und Journalistinnen kennzeichnend (vgl. Kin nebrock/Klaus 2013). Bezeichnend für die 68er-Journalistinnen ist aber, dass das Grenzgängertum thematisiert und problematisiert wurde – auch und vor allem der Spagat zwischen Familien- und Erwerbsarbeit. Es lässt sich festhalten, dass die Thematisierung gesellschaftlich relevanter Aspekte des vermeintlich Priva ten, vor allem die Einschränkungen von Entfaltungsmöglichkeiten für Frauen, die 68er-Journalistinnen kennzeichnet. Sie betrieben – ähnlich wie ihre Kolle gen – einen »engagierten Journalismus« (Hodenberg 2006a: 157), aber mit et was anderer thematischer Schwerpunktsetzung. Und sie reflektierten ihre Rolle als Frau im Journalismus. Elisabeth Klaus hat ihren wegweisenden Aufsatz zur Berufsgeschichte der Journalistinnen mit »Aufstieg zwischen Nähkränzchen und Männerkloster« überschrieben. Die 68er-Journalistinnen unterschieden sich von Vorläufergenerationen insofern, als dass sie nicht nur stillschweigend aufstiegen, sondern ihr Unbehagen mit bestehenden Verhältnissen – in Beruf wie Privatle ben – thematisierten und reflektierten. Und auch wenn bislang noch viel zu wenig über diese Frauengeneration im Journalismus bekannt ist, so dürfte schon allein diese Besonderheit die 68erinnen zu einer eigenen Generation von journalisti schen Pionierinnen machen.
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Handeln und Zusammenwirken von MedienmanagerInnen
Handeln und Zusammenwirken von MedienmanagerInnen Zum Erklärungspotential der Akteur-Struktur-Dynamiken Claudia Riesmeyer
Einleitung »Waldeckische Landeszeitung und Frankenberger Zeitung gehen mit neuem Eigentümer in die Zukunft« (Kleine 2015). Eine Zeitungsüberschrift unter vielen, die dennoch beispielhaft ist. In den vergangenen Jahren war die Medienbericht erstattung geprägt von dem Medienwandel und der Zeitungskrise, ausgelöst und beschleunigt unter anderem durch die Digitalisierung und Kommerzialisierung des Mediensystems (Picard 2003: 128). Zeitungen wurden und werden verkauft, Ab teilungen nach außen verlagert und/oder zusammengelegt, Anzeigenkunden wan derten ins Internet ab (Bohrmann/Toepser-Ziegert 2010). Das nordhessische Bei spiel verdeutlicht, welche Strategie hinter dem Verkauf von Tageszeitungen und deren Verlagen steht: »Aufgrund des heterogenen Zeitungsmarktes ist es für uns im Bundesland Hessen nicht möglich, unsere Strategie als Konsolidierer konse quent umzusetzen und eine signifikante Größe zu erreichen. Daher haben wir uns entschlossen, unsere hessischen Beteiligungen in erfahrene und vertrauenswürdige Verlegerhände zu geben«, erklärt Madsack-Geschäftsführer Thomas Düffert den Verkauf der Waldeckischen Landeszeitung und der Frankenberger Zeitung an die Medien Beteiligungsgesellschaft mbH (Kleine 2015). Er trifft als Geschäftsführer mit der Unternehmensleitung ökonomische Entscheidungen, die weitreichenden Einfluss auf die Medienvielfalt, damit den Informationszugang zu lokalen und re gionalen Nachrichten und die Erfüllung der öffentlichen Aufgabe der Presse ha ben. Doch auf welcher Basis entscheidet er? Welche Normen zieht er für seine Entscheidungen heran? Ein zweites Beispiel: Der Spiegel galt und gilt als Sprachrohr investigativer Berichterstattung in Deutschland, Speerspitze unabhängiger Berichterstattung und Korrektiv der Meinungsbildung. Glaubt man jedoch den Befunden der Dresdener KommunikationswissenschafterInnen Lutz M. Hagen, Anne Flämig und Anne-
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Maria In der Au (2014) ist es mit der Unabhängigkeit des Spiegels nicht sehr weit her. Im Gegenteil: Sie fanden heraus, dass auch beim Spiegel ein Zusammenhang zwischen dem Anzeigenteil und dem Inhalt der Berichterstattung existiert, Kopp lungsgeschäfte zwischen beiden Unternehmensteilen sind nicht ausgeschlossen. RedaktionsleiterInnen und ChefredakteurInnen müssen täglich entscheiden, ob sie die Kooperation mit Anzeigenkunden eingehen – oder nicht. Oft sind ihnen jedoch, aufgrund der finanziellen Rahmenbedingungen der Medienhäuser, die Hände ge bunden sind und sie müssen auf die Avancen der Werbekunden eingehen. Beide Beispiele verdeutlichen, warum es lohnt, den Blick auf »Medienmana gerinnen und -manager« zu richten. Sie treffen jene Entscheidungen, die nicht nur die ökonomische und journalistische Ausrichtung von Medienunternehmen be treffen, sondern auch Konsequenzen für die Möglichkeiten zur Information und Meinungsbildung von RezipientInnen haben. Gerade in medialen Umbruchzei ten stehen KommunikatorInnen vor der Herausforderung, »ihre Leistungen neu bestimmen« zu müssen (Klaus 2005: 138). »Weil die Gesellschaft sich neu aus differenziert, neue Interessengruppen und Koalitionen entstehen, müssen JournalistInnen andere Informationsgruppen und Referenzquellen in die journalistische Aussagenproduktion einbeziehen« (Klaus 2005: 137). JournalistInnen zählen zu den in der Kommunikationswissenschaft sehr häufig untersuchten Berufsgruppen, ihre Berufsrollen und Rollenmuster, ihr Arbeitsalltag und Arbeitszufriedenheit und vieles mehr sind bekannt. Doch diejenigen, die Ent scheidungen hinter den Kulissen treffen, die Handlungsspielräume und Arbeits möglichkeiten gestalten und die Referenzquellen benennen, diese Akteursgruppe ist bis auf wenige Ausnahmen kaum erforscht (Küng 2007; Bartosova 2011; Kaltenbrunner/Karmasin/Kraus 2013; Winter/Buschow 2014; Altmeppen/Greck/ Franzetti 2014). Was wollen sie in ihrem Beruf erreichen, was können sie leisten und welche Funktion sollen sie einhalten, um ihr Medienprodukt auf dem Markt zu behaupten? Kurz, wer sind MedienmanagerInnen? Diese Fragestellungen sind sowohl eine theoretische als auch empirische Her ausforderung für die Kommunikationswissenschaft, der sich der vorliegende Auf satz stellt. Er nutzt dazu den Ansatz der Akteur-Struktur-Dynamiken Uwe Schi manks (2007), der es ermöglicht, das Wollen, Können und Sollen von AkteurInnen und Akteursgruppen (hier MedienmanagerInnen) zu untersuchen und theoretisch abzuleiten. Sein Ansatz ist auf Handlungen und das handelnde Zusammenwirken von AkteurInnen fokussiert und bietet sich daher an, wenn es darum geht, Hand lungsspielräume zu beschreiben, deren Ausgestaltung Implikationen für die öffent liche Meinungsbildung haben. In den vergangenen Jahren haben sich drei Studien der Herausforderung, MedienmanagerInnen empirisch zu untersuchen, gestellt (Kaltenbrunner et al. 2013; Winter et al. 2014; Altmeppen et al. 2014). Allen drei Erhebungen ist gemein sam, dass sie mittels quantitativer Telefon- oder Onlinebefragung Merkmale von
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MedienmanagerInnen erhoben haben. Aus diesen Studien sind unter anderem die Soziodemographie (MedienmanagerInnen sind eher verheiratete Männer mittleren Alters), die aktuelle Karrierestation sowie die Berufsmotivation bekannt (Altmep pen et al. 2014: 24–45). Breit angelegte, methodisch qualitative Studien, in denen die Befragten zum Reflektieren von Entscheidungen angeregt werden und offen Antworten formulie ren können, sind bislang jedoch Mangelware. Diese Lücke, wie sie auch Altmeppen et al. (2014: 46) formulieren, schließt der vorliegende Aufsatz. Seine empirische Grundlage bilden 71 qualitative Interviews mit MedienmanagerInnen in Deutsch land, die seit 2012 am Institut für Kommunikationswissenschaft und Medienfor schung München geführt worden sind. Bevor jedoch die Ergebnisse (Kapitel 5) vorgestellt werden, ist es notwendig, das hier verwendete Begriffsverständnis Me dienmanagement (Kapitel 2) und den theoretischen Ansatz zu klären (Kapitel 3). Kapitel 4 geht auf das methodische Vorgehen der Studie ein.
Arbeitsdefinition Medienmanagement »The field of media management in its prese nt form is neither clearly defined nor cohesive« (Küng 2008: 3). Der Begriff Medienmanagement ist bislang ein »Mo saik von Berufs- und Einsatzfeldern. Den Medienmanager gibt es nicht! Weiterhin kann der Medienmanager – pars pro toto – als Beleg für die Dynamik der Bran che stehen« (Hilmer 2009: 23). Bedingt durch den ökonomischen Umbruch in der Medien- und Verlagsbranche rücken die Publikumsinteressen und -aufmerksam keit und damit die Absatzmöglichkeiten von journalistischen Produkten stärker in den Fokus (Altmeppen 2006: 210; Klaus 2005; Meyen/Riesmeyer 2009). Selbst ChefredakteurInnen auf der publizistischen Seite der Verlage müssen sich, ebenso wie Anzeigen- beziehungsweise ObjektleiterInnen und VerlegerInnen, immer mehr am Markt orientieren (Altmeppen et al. 2014: 10). Sie haben inzwischen eine »doppelte Rolle« inne, müssen »die Erwartungen der journalistischen Orga nisation gegenüber der Medienorganisation vertreten, gleichzeitig aber auch die Entscheidungen des Medienmanagements gegenüber der journalistischen Organi sation durchsetzen« (Altmeppen 2012: 43) und sind zudem »Treiber« des gesell schaftlichen Wandels (Altmeppen et al. 2014: 11). So verschwimmen die Grenzen zwischen publizistischer und ökonomischer Organisation immer mehr (Gadringer/ Vieth 2012: 33). Klaus-Dieter Altmeppen (2002, 2006, 2008) trennt hingegen aufgrund unter schiedlicher Aufgabenfelder zwischen Redaktions- und Medienmanagement und richtet den Blick auf die Medienorganisation als Institution. Im vorliegenden Aufsatz stehen aber alle Personen, die sowohl ökonomische als auch publizistische Verant wortung in Medienunternehmen tragen, ihr Handlungsspielraum und ihre Entschei
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dungsgrundlagen im Mittelpunkt. Sie werden als MedienmanagerInnen definiert. Diese Sichtwiese trägt der Arbeitspraxis in Medienunternehmen Rechnung, in denen Geschäftsführung, Anzeigenmarketing und Redaktion oft Hand in Hand arbeiten, und ermöglicht bei der Erforschung des Handelns der MedienmanagerInnen einen stärke ren Praxisbezug, der in der Auseinandersetzung mit Medienmanagement oft für das Forschungsfeld gefordert wird (Altmeppen 2012; Küng 2008; Albarran 2008). Wie ein akteurstheoretischer Zugang zum Forschungsfeld MedienmanagerInnen unter Einbezug der sozialen Strukturen und der Konstellationen, in denen diese Akteurs gruppe handelt, aussehen kann, zeigt das folgende Kapitel.
Das Erklärungspotential der Akt eur-Strukt ur-Dyn amiken Theoretische Grundlage für die hier präsentierte Fallstudie sind die Akteur-Struk tur-Dynamiken Uwe Schimanks (2010: 8). Er interessiert sich für die wechselsei tige Konstitution von handelndem Zusammenwirken und sozialen Strukturen. Mit dem handelnden Zusammenwirken stellt er die Beziehung zwischen AkteurInnen in den Mittelpunkt, bezieht gleichzeitig die Strukturen ein, die dieses Handeln be einflussen. Sein Ansatz ist damit geeignet, um das Zusammenhandeln und Hand lungsspielräume, aber auch das eigene Vermögen, das das individuelle Handeln antreibt, zu untersuchen. Diese individuelle, soziale Handlung jedes Einzelnen ist stets Schimanks Ausgangspunkt, auf dessen Basis dann das Zusammenwirken mit den Handlungen anderer untersucht werden kann (2007: 122). Alle AkteurInnen haben eigene Motive, Interessen und Ziele. Sie leben in ei ner sozialen Welt und werden beeinflusst von Aktionen anderer. Es geht Schimank immer um das Handeln mehrerer AkteurInnen und die Ausgestaltung dieser Hand lung (bzw. des handelnden Zusammenwirkens). Alle AkteurInnen gehen mit ihren Handlungen einem bestimmten Zweck – einer Intention – nach, wobei die Ausfüh rung der angestrebten Handlung und damit das Erreichen der eigenen Ziele nicht ohne weiteres erreicht werden kann, da oft die Handlungen andere AkteurInnen die eigene Handlungsintention durchkreuzen. Eine Akteurskonstellation entsteht, wenn mehrere AkteurInnen aufeinander tref fen und es »Interferenzen zwischen den Intentionen von mindestens zwei Akteuren gibt« (Schimank 2007: 127). Indem die AkteurInnen versuchen, die Interferenzen abzuarbeiten, können soziale Strukturen als dauerhafte Bewältigungsmuster entste hen (Schimank 2010: 186 ff.). Er unterscheidet zwischen der Handlungsintention (Handlungsabsicht) und der Transintention (dem, was aus der Absicht im Zusam menhandeln wird), beide sind situationsabhängig (Schimank 2010: 189). Schimank (2005: 27) sieht in der Transintention eine Möglichkeit, zu analysieren, welchen Gestaltungsspielraum AkteurInnen haben. Dies bedeutet, dass man das Handeln
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von MedienmanagerInnen nicht nur über ihre Intentionen erklären kann, sondern auch die Akteurskonstellationen berücksichtigen muss, in denen sie handeln. So wohl die Beziehungen der Akteurinnen untereinander als auch ihre Interaktionen sind variabel im Zeitverlauf, was die dynamische Komponente im Ansatz erklärt. Schimank unterscheidet drei Formen von Akteurskonstellationen:
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Beobachtungskonstellationen, bei denen sich mindestens zwei AkteurInnen be obachten und durch die Beobachtung ihr Handeln bestimmen lassen. »Jeder beobachtet, was die Gegenüber tun, und passt sich dadurch der Konstellation an« (Schimank 2007: 130). Beeinflussungskonstellation, in denen es darum geht, positiven oder negativen Einfluss auf die Handlungen des Gegenübers zu nehmen. Der Intention wird durch Einflussnahme Nachdruck verliehen, zum Beispiel durch Geldzahlung oder Gebrauch anderer Machtmittel (Schimank 2010: 274). Verhandlungskonstellationen sind ebenfalls Beobachtungs- und Beeinflus sungskonstellationen, gehen aber darüber hinaus. Sie zielen auf bindende Ver einbarungen der AkteurInnen untereinander mit der Verpflichtung, dies auch einzuhalten (Schimank 2010: 305).
Auch die sozialen Strukturen bedingen das Handeln (Schimank 2005: 23). »So ziale Strukturen werden durch handelndes Zusammenwirken erschaffen, erhalten und um- oder abgebaut« (Schimank 2007: 125). Die Strukturen prägen unter schiedliche Komponenten des Handelns der individuellen AkteurInnen. Konkret unterscheidet Schimank (2007: 125–127)
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Deutungsstrukturen: das Wollen der AkteurInnen als evaluative, kognitive Orientierungen, Erwartungsstrukturen: das Sollen der AkteurInnen als institutionalisierte, nor mative Erwartungen und Konstellationsstrukturen: das Können der AkteurInnen als eingespielte und verfestigte Gleichgewichte von Akteurskonstellationen. Sind die Strukturen verfestigt, haben die AkteurInnen kaum Veränderungsmöglichkeiten. In einer positiv gerichteten Konstellationsstruktur können alle beteiligten AkteurInnen ihre Intentionen realisieren. Das Gegenteil als dauerhafte Behinderung der AkteurInnen ist ebenso denkbar (Schimank 2010: 206).
Im Zusammenspiel aus Wollen, Sollen und Können werden nach Schimank Hand lungen konstituiert. Das Zusammenspiel aus Akteurskonstellationen und sozialen Strukturen erlaubt es, die Dynamik von Handlungen und Entscheidungen nachzu zeichnen, wenn es darum geht, wie die Beziehung gestaltet werden soll, ob neue Beziehungen eingegangen oder andere verändert werden.
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Methodische Entscheidungen Zur Untersuchung von Akteurskonstellationen und sozialen Strukturen sind qua litative Methoden besser als quantitative geeignet, weil qualitative Methoden »the context, the setting and the subjects’ frame of reference« in den Blick nehmen (Marshall/Rossman 1989: 46). Qualitative Methoden ermöglichen es den TeilnehmerInnen, offen (und nicht in methodisch geschlossenen Fragen mit Antwortvor gaben) über ihren Arbeitsalltag und die Wahrnehmung ihrer Handlungsmöglich keiten zu sprechen. Im vorliegenden Aufsatz wurden MedienmanagerInnen in Leitfadeninterviews befragt. Diese bieten die Möglichkeit, aus der Perspektive der Befragten Struk turen und Handlungsmuster (Hanitzsch 2007: 257) zu klären. In der Kommuni kationswissenschaft sind sie als Erhebungsverfahren etabliert (Riesmeyer 2011: 232), vor allem dann, wenn es darum geht, keine Verteilung von Merkmalen in der Grundgesamtheit zu ermitteln, sondern typische Varianten zu beschreiben (Meyen et al. 2011). Um dennoch einen möglichst umfassenden Einblick zu erlangen, wur den die TeilnehmerInnen nach dem Prinzip der theoretischen Sättigung ausgewählt (Möhring/Schlütz 2008). Konkret bedeutet dies für den vorliegenden Aufsatz eine Auswahl nach dem Geschlecht, Alter, dem Arbeitgeber und der Funktion im Me dienunternehmen (ökonomische und/oder inhaltliche Verantwortung). Grundlage des Interviewleitfadens und der Interviewauswertung bildet das Ka tegoriensystem, das auf Basis der Akteur-Struktur-Dynamik Uwe Schimanks de finiert wurde. Diese Operationaliserung hat sich bereits bei der Untersuchung des Zusammenwirkens und -handelns von JournalistInnen und PressesprecherInnen bewährt (Riesmeyer 2014):
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Deutungsstrukturen als Wollen: (Rollen)Selbstverständnis, Rezeptwissen als Leitidee Erwartungsstrukturen als Sollen: formelle und informelle Regeln und Normen, Bewertung des Trennungsgrundsatzes zwischen Inhalt und Werbung Konstellationsstrukturen als Können: Akteurskonstellation (Beobachtung, Be einflussung, Verhandlung), Vorstellung über den Handlungsspielraum
Basis des Aufsatzes sind 71 Leitfadeninterviews mit MedienmanagerInnen, die ich seit 2012 gemeinsam mit Studierenden am Institut für Kommunikationswissen schaft und Medienforschung München geführt habe. Dem Prinzip der theoretischen Sättigung folgend haben wir mit AkteurInnen gesprochen, die entweder inhaltliche oder ökonomische Verantwortung im Medienunternehmen tragen, wie ChefredakteurInnen, RedaktionsleiterInnen, GeschäftsführerInnen oder AnzeigenleiterInnen. Sie arbeiten für klassische Mediengattungen (Tageszeitungen, Zeitschriften, öffentlich-rechtlichen und privaten Rundfunk), aber auch Online-Medien. Jedes
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Interview dauerte ca. 60 min, wurde wörtlich transkribiert und anschließend in haltsanalytisch auf Basis des Kategoriensystems ausgewertet. Das folgende Kapi tel stellt ausgewählte Befunde im Hinblick auf das Wollen, Sollen und Können von MedienmanagerInnen vor.
Ergebnisse Konstellationsstrukturen: Ko-Orientierung und die Macht des Publikums Wie schätzen MedienmanagerInnen ihren Handlungsspielraum als Faktor ein, der ihr Können bestimmt? In welchen Konstellationen agieren sie? Bislang gilt in der Literatur die Vermutung, dass sich die handelnden AkteurInnen im redaktionel len und werblichen Unternehmensteil in ihrer gegenseitigen Wahrnehmung unter scheiden, weil sie unterschiedlichen Aufgaben und damit Verpflichtungen folgen (inhaltliche vs. ökonomische Verantwortung für das Medienprodukt, Altmeppen 2002, 2006, 2008). In den analysierten Interviews finden sich hingegen Belege für eine Ko-Orientierung zwischen beiden Teilen, die die hier gewählte Vorgehenswei se, MedienmanagerInnen breit zu definieren, empirisch bestätigen. Sowohl ChefredakteurInnen als auch GeschäftsführerInnen stimmen sich im Medienalltag ab und haben ein enges, oft vertrauensvolles Verhältnis. »Es gibt immer einen Punkt, an dem sie für eine Weiterentwicklung Verbündete oder Geld brauchen«, erklärte ein Chefredakteur einer Zeitschrift seinen Kontakt zur Geschäftsführung, auch weil »man inzwischen klare Etats hat, auch Begrenzungen was Geld und was Personal angeht. Und damit muss man auskommen.« MedienmanagerInnen nutzen dabei alle Formen der Konstellationsstrukturen: Sie beobachten das gegenseitige Han deln, versuchen das Gegenüber zu beeinflussen und verhandeln miteinander (zum Beispiel über Ressourcen, die den Redaktionen eingeräumt werden, oder über Zu geständnisse im Hinblick auf Kopplungsgeschäfte zwischen Inhalt und Werbung). Das Publikum fungiert bei aller Abstimmung als positiv konnotierte Orientie rungsgröße. Die Publikumsforschung spielt eine wichtige Rolle (besonders für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk). MedienmanagerInnen in beiden Bereichen der Medienunternehmen wollen und müssen die Publikumswünsche und -vorstellun gen kennen. Dazu beobachten und analysieren sie ihr Publikum, um entsprechend Inhalt produzieren und Werbung verkaufen zu können. Ein Produzieren am Publi kum vorbei ist nicht vorstellbar (und finanziell nicht zu verantworten). »Selbst verständlich hören wir auf die Stimme des Publikums, es anders zu machen, wäre kontraproduktiv« (Geschäftsführer, Zeitschrift). Neben der Publikumsmarkt- ist die Konkurrenzbeobachtung das A und O im Medienmanagement. Zwei Beispiele verdeutlichen diese Handlungsmaxime: »Gut
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geklaut ist immer noch besser als schlecht erfunden«, sagte ein Redaktionsleiter beim öffentlich-rechtlichen Radio. Sein Pendant beim privaten Radio (beide Sen der senden im selben Gebiet) bestätigt dies: »Gibt es irgendetwas, dass wir adaptie ren können? Da sind wir permanent dran.« Beide orientieren sich so sehr aneinan der, dass sie es in Kauf nehmen, nicht voneinander unterscheidbar zu sein und ein mögliches Alleinstellungsmerkmal (»Der Sender steht für . . .«) aufzugeben, nur um keinen (möglichen) Trend zu verpassen. Der finanzielle Rahmen und damit die GeschäftsführerInnen bestimmen letztlich den Handlungsspielraum der Redaktionen. ChefredakteurInnen übernehmen inner halb dieses Rahmens nach wie vor inhaltliche Verantwortung für das Medienprodukt. Hier findet sich wie bislang die klassische Rollentrennung zwischen Redaktion und Geschäftsleitung, auch wenn sich in der untersuchten Stichprobe Belege für ein Vermi schen beider Arbeitsfelder und damit eine noch stärkere Annäherung beider Unterneh mensteile finden lassen: Neben der eingangs erwähnten Ko-Orientierung verschmelzen teilweise beide Aufgabenfelder, was sich zum Beispiel an Berufsbezeichnungen wie dem »geschäftsführenden Redakteur« zeigt, der Teil der Stichprobe war. Deutungsstrukturen: »Menschenmanager« mit Katalysator und Wunschgenerator Schimank folgend sind unter den Deutungsstrukturen das Wollen und damit das Rollenselbstverständnis, aber auch das Rezept für ein erfolgreiches Produkt zu ver stehen. In den Interviews ist ein breites Spektrum von Berufsrollen und -mustern zu finden. Gemeinsam ist allen Klassifiz ierungen, dass der Kontakt zu Menschen im Mittelpunkt steht. Die Beschreibungen reichen vom »Teamplayer« über den »Zirkus-Dompteur«, die »Mutti der Firma«, den »Hausmeister«, den »Menschen manager« oder den »Anwalt« – des Publikums oder aber noch abstrakter der Hei mat. Dabei wird deutlich, dass sich alle Interviewten als MedienmanagerIn mit einer Führungs- und Leitungsfunktion sehen, für die sie diplomatische Fähigkei ten benötigen (»Man muss Kofi-Anan-Qualitäten haben, um einigermaßen durch zukommen«, Redaktionsleiter, öffentlich-rechtliches Fernsehen). Sie haben eine »Katalysatorfunktion an der Schnittstelle zwischen Verlag und Redaktion« (Ge schäftsführer, Zeitschrift), betonen damit ein Selbstverständnis, das sich von dem journalistischen Berufsrollenverständnis unterscheidet (Meyen/Riesmeyer 2009) und verdeutlichen, dass es ihre Aufgabe ist, ein Medienunternehmen zu verwalten und so zum Erfolg zu führen bzw. Gefahren von diesem abzuwenden. Dass sie da für unpopuläre Entscheidungen treffen müssen, ist ihnen bewusst. Dieser Erfolg hängt für die interviewten MedienmanagerInnen von der Qua lität des Produkts ab: Qualitätsjournalismus, gepaart mit einer ansprechenden Aufmachung und einer Mischung aus »einzigartig und innovativ« macht für sie ein erfolgreiches Produkt aus: »Qualitätsjournalismus ist in erster Linie sauberer
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Journalismus, sauberes Recherchieren, ehrlich, direkt und nicht in jedem Tümpel wühlen«, sagte ein Redaktionsleiter bei einem öffentlich-rechtlichen Radiosender. Auch Elmar Theveßen, stellvertretender Chefredakteur des ZDF, bestätigte diesen Anspruch für seine Arbeit: »Die Besten zu sein zu jedem Thema. Den besten Hin tergrund, die Zusammenhänge am besten erklären, die konkretesten und verläss lichsten Informationen liefern.« Hinsichtlich der Wahrnehmung, wann ein Produkt qualitativ wertvoll ist, existieren Abstufungen und unterschiedliche Einschätzungen unter den ManagerInnen. In den Interviews diskutieren sie den Qualitätsbegriff und können genau benennen, was für sie Qualität ausmacht – oder eben nicht. Ihre Wahrnehmung wird stark vom Medium beeinflusst, für das sie arbeiten. Ein Beispiel: Diejenigen MedienmanagerInnen, die für Onlinemedien arbeiten, messen Qualität an den Klickzahlen und damit der Publi kumsaufmerksamkeit, die ein Text oder Beitrag erhält. Die übrigen ManagerInnen definieren Qualität über den Inhalt und den Anspruch, möglichst unabhängig und plural berichten zu können und ihr Produkt zu verkaufen. Überraschenderweise füh ren die ManagerInnen in den Interviews den Erfolg eines Mediums nicht auf die benötigten finanziellen oder personellen Ressourcen zurück. Beide Aspekte, die zu den Rahmenbedingungen eines erfolgreichen Produktes zählen, erwähnen sie nicht. Möglicherweise ist dies damit zu erklären, dass sie diesen Rahmen nicht (mehr) re flektieren, weil er für sie zu den Unternehmensgrundlagen gehört. Gefragt um einen Rat, was man leisten müsse, um ein Produkt zum Erfolg zu führen, kommen alle Interviewten wiederum auf das Publikum und seine Interes sen zu sprechen. Sie raten zu einer Strategie, die darauf zielt, Bedürfnisse beim Publikum zu kreieren, die es vorher nicht hatte oder kannte: »Die Kunst ist es, als Chefredakteur herauszufinden, welches Bedürfnis haben die Menschen und wissen aber noch gar nichts davon. Und wenn ich es herausfinde und denen das biete, dann sind sie glücklich«, sagte ein Chefredakteur einer Zeitschrift. Der Erfolg von Land zeitschriften (Landlust, Landfee usw.) bestätigt diese Einschätzung: Dieses Zeit schriftensegment ist nach Befunden der Publikumsforschung kreiert worden und verkauft inzwischen mehr Exemplare als Der Spiegel (IVW 2015; Spiegel Gruppe 2015). Klaus (2005: 138) vermutet, dass gerade in medialen Umbruchphasen eine Orientierung an und eine Rückbesinnung auf die Wünsche des Publikums erfolge, um das Produkt am Markt auszurichten. Erwartungsstrukturen: Professionalität und Menschlichkeit als Normen Regeln und Normen, die man sich selbst setzt oder denen man folgen muss, weil es der Arbeitgeber fordert, bilden die Erwartungsstrukturen und damit das, was man leisten soll. Dazu zählt das selbstauferlegte Ziel, menschlich mit KollegInnen umzugehen (»Dass ich immer fair mit den Menschen umgegangen bin«, antwor
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tete ein Redaktionsleiter einer Tageszeitung auf die Frage, was von ihm bleiben soll, wenn er in den Ruhestand geht). Zudem sprachen die Interviewten von der Verpflichtung (durch den Arbeitgeber) zur wahrhaften und glaubwürdigen Bericht erstattung im Sinne von Berufsstandards (beispielsweise des Pressekodexes). »Ich wäre wirklich entsetzt, wenn meine Redakteure abschreiben würden«, sagte ein Chefredakteur einer Zeitschrift. Für ihn und seine KollegInnen ist die Glaubwür digkeit auch deshalb zentral, weil sie so ein ansprechendes Werbeumfeld für An zeigenkunden schaffen. Auch bei den Erwartungsstrukturen zeigt sich, welche Bedeutung das Publi kum für den Markterfolg hat. Unabhängig vom Medientyp sprechen die MedienmanagerInnen vom Produkterfolg, der an Verkaufszahlen und Reichweiten gemes sen wird, die sie erreichen sollen. Die Quote zählt, auch wenn das Unternehmen neben Werbung andere Einnahmequellen hat, wie der öffentlich-rechtliche Rund funk. »Die Quote spielt auch bei uns eine Rolle, die ist bei uns zum Glück nicht entscheidend. Aber wir sollen natürlich nicht unter eine gewisse Quote gehen, dann wird es gefährlich«, sagte ein Geschäftsführer eines öffentlich-rechtlichen Radio senders. Wie verhält es sich in der Berufspraxis mit dem Trennungsgrundsatz: Was gilt als legitim und was als Grenze, die nicht überschritten werden darf? Während die Befunde bisher verdeutlichen, dass sich MedienmanagerInnen unabhängig von ihrer Position oder konkreten Aufgabe sehr ähnlich sind, fallen hier Differenzen auf: MedienmanagerInnen mit einer inhaltlichen Verantwortung betonen die Un abhängigkeit des Mediums (»Da darf Unparteilichkeit, Unabhängigkeit nicht nur als Plattitüde abgedruckt werden, sie muss sich auch widerspiegeln«, Chefredak teur Tageszeitung). GeschäftsführerInnen hingegen sehen die Vorteile in einer wirtschaftlichen Zusammenarbeit und Kooperationen und geben in den Interviews offen die latente Vermischung von Inhalt und Werbung bei Zeitschriften zu. Diese wird aber als Mehrwert für die LeserInnen legitimiert. Wichtig sei es, den Schein der Professionalität als oberste Norm zu wahren, denn »verkaufter Journalismus ist keine Lösung, sonst haben die Anzeigenkunden gar kein gescheites Heft mehr, in dem sie ihre Anzeigen platzieren können«, sagte der Geschäftsführer einer Zeit schrift sehr offenherzig.
Fazit Eine Tageszeitung wird verkauft, ein Nachrichtenmagazin berichtet positiver und öfter über seine Werbekunden als über andere Unternehmen, eine Zeitschrift liefert journalistische Berichterstattung, (nur) um Anzeigen einzubetten. Diese Beispiele zeigen die Dimensionen der Entscheidungen auf, die MedienmanagerInnen täglich tangieren. Der vorliegende Text verfolgte zwei Ziele: Einer
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seits zu zeigen, wie man die Akteur-Struktur-Dynamiken Uwe Schimanks als Theoriegerüst und Analyseraster nutzen kann, wenn man andererseits eine relativ unbekannte, aber auf die Möglichkeiten zur öffentlichen Meinungsbildung sehr einflussreichen Berufsgruppe untersuchen will. Schimanks Konzept der Akteurs konstellationen und sozialen Strukturen, die beide gemeinsam Handlungen und Handlungsspielräume bestimmen, bietet sich für diese Untersuchung an, weil mit seinem Konzept nicht nur die Handlungen per se, sondern auch Motive, Ent scheidungen und Prozesse – operationalisiert als das Wollen, Sollen und Können – erfasst werden können. Was verdeutlicht die Fallstudie mit 71 ManagerInnen unterschiedlicher Me dien in Deutschland? In vielen Facetten sind sich die MedienmanagerInnen ähnli cher als bislang in der Literatur angenommen, unabhängig davon, ob sie inhaltliche oder ökonomische Verantwortung in einem Medium tragen:
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Für diese Ähnlichkeit sprechen erstens die Ko-Orientierung, Abstimmung und Zusammenarbeit zwischen jenen, die ökonomische und jenen, die redaktio nelle Verantwortung tragen, die innerhalb der Konstellationsstrukturen deut lich geworden ist. Zweitens wollen die ManagerInnen als Menschen wahrgenommen, für die der Kontakt zum Menschen zählt. Das mag eine sozial erwünschte Antwort sein. Sie sehen sich in einer verwaltenden Rolle, für die es Diplomatie und Verhand lungsgeschick benötigt, um professionell mit KollegInnen umgehen zu kön nen. Für sie zählt drittens der (wirtschaftliche) Erfolg des Produkts. Dafür ziehen sie an »einem Strang« und verfolgen gemeinsame Ziele, beobachten die Kon kurrenz (sowohl inhaltlich als auch strategisch) und adaptieren ggf. Verände rungen. Nicht alle, aber doch einige MedienmanagerInnen sind bereit, für den Erfolg Grenzen zwischen Unternehmensteilen aufzubrechen und Kopplungs geschäfte einzugehen (umso den finanziellen Rahmen für die redaktionelle Arbeit zu schaffen oder sicherzustellen). Erfolg wird viertens stets am Publikum gemessen. Es ist die Orientierungs größe für alle inhaltlichen und ökonomischen Entscheidungen in den Medien unternehmen. In allen sozialen Strukturen und Akteurskonstellationen spre chen die MedienmanagerInnen vom Publikum und damit natürlich auch immer vom Absatz und Produkterfolg auf dem Medienmarkt, der die (unabhängige, qualitativ hochwertige) Berichterstattung sicherstellt. Qualität wird fünftens an zwei Indikatoren gemessen, die unterschiedliche Ausgangspunkte in den ökonomischen und redaktionellen Unternehmensteilen haben: Entweder überzeugt ein Medium durch seinen Inhalt und es wird mit unabhängigem, professionellem Journalismus in Verbindung gebracht (redak tionelle Perspektive). Oder aber das Produkt ist qualitativ hochwertig, wenn es
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Aufmerksamkeit beim Publikum erzielt (Klickzahlen, Auflagenzahlen, ökono mische Perspektive). Letztgenannte Qualitätsdefinition hat ernstzunehmende Implikationen für den Journalismus, weil MedienmanagerInnen den ökono mischen Handlungsspielraum bestimmen, den JournalistInnen zur Verfügung haben – oder nicht.
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Eine Pionierin, aber keine Feministin
Eine Pionierin, aber keine Feministin Herta Herzogs Leben und Werk aus Sicht der kommunikationswissenschaftlichen Geschlechterforschung Martina Thiele
Prämissen einer feministischen Wissenschaftsgeschichtsschreibung Ein Blick zurück in die Geschichte, bzw. auf das, was uns als Geschichte präsentiert wird, macht deutlich, dass es sich dabei um eine von Männern geprägte Meta-Er zählung handelt, um »his story«. Sie beruht auf einem androzentrischen Weltbild. Das gleiche gilt für die Geschichte eines Faches wie der Kommunikationswissen schaft. Auch sie ist eine von Männern geprägte und erzählte Fachgeschichte (vgl. Ross 2013). Nur vereinzelt und am Rande tauchen Frauen auf. Ihr Beitrag zur Entwicklung des Faches, seiner Methoden und Theorien erscheint gering. So ge ring war er aber nicht. Das zu verdeutlichen und Frauen als Wissenschaftlerinnen sichtbar werden zu lassen, lautet ein wichtiges Anliegen der kommunikationswis senschaftlichen Geschlechterforschung, die in ihren Anfängen vor allem Frauen forschung war. So schreibt Lana F. Rakow vor mehr als zwanzig Jahren: »We must make it impossible to discuss the history of current state of affairs of the field in terms that make us invisible.« (Rakow 1992: 15) Sichtbarkeit allein schützt jedoch nicht vor Marginalisierung. Es geht in der feministischen Debatte immer auch um politische Anerkennung und um Teilhabe an der Macht (vgl. Schaffer 2008). Geschlecht als Strukturkategorie und als sozia les Konstrukt zu begreifen, hat zur Folge, frühere und derzeit bestehende (Macht-) strukturen zu hinterfragen und bezogen auf die Kommunikationswissenschaft be stehende Wissensbestände und ihre Entstehung zu überprüfen. Konkret: Kritik an Methoden und Theorien sowie der Auswahl der Forschungsgegenstände zu üben. So wurden die zumeist auf Dualismen beruhenden Erkenntnislogiken der empiri schen Sozialforschung von der kommunikationswissenschaftlichen Geschlechter forschung in verschiedenen Punkten – Objektivität vs. Subjektivität, quantitative vs. qualitative Methoden, Essentialismus vs. (De)konstruktivismus – hinterfragt
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und Gegenentwürfe zum bestehenden theoretischen und methodischen Mainstream entwickelt (vgl. Creedon 1993; Klaus 1998; Wackwitz/Rakow 2004). Sowohl die Kommunikator-, als auch die Rezipienten- und Wirkungsforschung, sowohl die Medien- als auch die Medieninhaltsforschung wurden mit den Ansprüchen und Ergebnissen der Geschlechterforschung konfrontiert. FeministInnen wiesen auf Leerstellen, Einseitigkeiten und Fehlinterpretationen der Mainstream-Forschung. Doch neben der Kritik am Bestehenden sollen Möglichkeiten der Erkenntnis und Potenziale aufgezeigt werden, die sich durch eine Integration der Geschlechter forschung in die Kommunikationswissenschaft ergeben (vgl. Klaus/Röser/Wi schermann 2001; Lünenborg/Maier 2013). Kommunikationswissenschaftliche Geschlechterforschung ist so gesehen nicht etwa ein »Teilgebiet« oder wie es man che KommunikationswissenschaftlerInnen sehen ein »Nebenkriegsschauplatz«, sondern eine Perspektive, die unter Rückgriff auf verschiedene Theoriebestände und mit Hilfe verschiedener Methoden die Kommunikationswissenschaft insge samt verändern will. Die angestrebten Veränderungen setzen historisches Bewusstsein und die Be rücksichtigung des jeweiligen gesellschaftlichen Kontextes voraus, die Reflektion des eigenen Standpunktes und die Bereitschaft, über den Tellerrand der eigenen Disziplin hinaus zu schauen, tatsächlich interdisziplinär zu arbeiten und die Er kenntnisse aus anderen Bereichen zu nutzen, um letztlich zur Entwicklung einer gerechteren Welt beizutragen. Diese Grundüberzeugungen feministischer und zugleich kritischer Wissenschaft sind normativer Natur. Im bestehenden Wissen schaftssystem verweisen sie auf das, was ist, mehr noch aber auf das, was zukünf tig sein sollte. Frauengeschichte (herstory) stehe zwar, so Claudia Opitz (2008: 16), in der Tradition des Differenzfeminismus, habe aber auch eine tröstliche uto pische Komponente, weil irgendwann einmal »Frauen«- und »Männer«geschichte zu einer all(e)umfassenden Geschichte zusammengeführt werden könnten.
Herta Herzog – mittendrin und aussen vor Ausgehend von diesen Prämissen einer kommunikationswissenschaftlichen Ge schlechterforschung und feministischen Historiographie wird im Folgenden Herta Herzogs Leben und Werk betrachtet. Bislang fand das wenig Beachtung, wenn gleich im deutschsprachigen Raum mit Elisabeth Klaus’ Aufsatz What do we really know about Herta Herzog (Klaus 2008) eine erste umfassende und kritische Wür digung des wissenschaftlichen Werks Herzogs vorliegt und mit der Wiener Tagung 2011 eine vertiefte, auf internationaler Kooperation basierende Beschäftigung mit Herta Herzog begonnen hat (vgl. Thiele 2011; Klaus/Seethaler 2015). Herta Herzog hat sich selbst nicht als feministische oder kritische Wissen schaftlerin bezeichnet hat. Dazu befragt antwortet sie 1994 Elisabeth Perse in ei
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nem Brief: »Gender has never played a role in my professional life. I am not a feminist but I understand if others are.« (Herzog 1994a, Letter to Perse) In einer Monographie, die auf die Leistungen von Frauen in der Kommunikationswissen schaft abstellt, möchte sie lieber nicht vorkommen: »If the emphasis on the book is Women in capital letters, I’d rather not be included. I’d understand the omission1.« (Ebd.) Trotz dieser Zurückhaltung in Sachen Feminismus und Frauenforschung hat Herzog zuweilen Wissenschaft in einer Form betrieben, die als unorthodox, innovativ oder grenzüberschreitend bezeichnet werden kann und das Interesse von FeministInnen geweckt hat. Auf drei Punkte, durch die sich Herzog vom wissen schaftlichen male- und mainstream absetzt, ist ausführlicher einzugehen: Erstens auf Herzogs beruflichen Werdegang, ihre Minderheitenposition als Wissenschaft lerin und Marktforscherin und die trotz geschlechtsspezifischer Benachteiligungen erfolgte Karriere, zweitens darauf, wen und was Herzog erforscht hat, drittens auf die von ihr präferierten wissenschaftlichen Methoden. Wissenschaftlerin und Marktforscherin Rückblickend erscheint Herzog einerseits als Opfer des männlich geprägten Wis senschaftsbetriebs, andererseits als überaus erfolgreiche Karrierefrau, als »›gray eminence‹ of market research« (Herbert Krugman, ein Kollege Herzogs, zit. nach Gladwell 2009: 94). Für beide Sichtweisen gibt es Belege. So zeigt sich die Marginalisierung und Annihilierung im Wissenschaftsbetrieb in schlechterer Bezahlung, Karrierebrüchen und -umwegen sowie einer bis heute anhaltenden »Unsichtbarkeit« oder aber eingeschränkten Wahrnehmung ihres Werks. Herzog war insbesondere zu Beginn ihrer Karriere auf die Fürsprache und den guten Willen anderer angewiesen. So wurde sie Teil der Gehaltsverhandlun gen zwischen Hadley Cantril and Paul F. Lazarsfeld, nachdem Cantril Lazarsfeld die Leitung des Princeton Radio Research Project angeboten hatte. In einem Tele gramm an das Paar, das seine Sommerferien 1937 in den österreichischen Ber gen verbrachte, schrieb Cantril: »Would you accept full time position beginning September directing Rockefeller Radio Research. Salary seven thousands another thousand Herta. Assistantship two years sure possible four. [. . .] Hadley« (Tele gramm von Cantril an Lazarsfeld, zit. nach Fleck 2007: 266). Freundlicherweise verdoppelte Cantril am Ende sogar das Gehalt für die promovierte Forscherin, den noch blieb es weit unter dem, was ein gleichqualifizierter (männlicher) Forscher erhalten hätte. Neben der deutlich geringeren Bezahlung ihrer wissenschaftlichen Arbeit musste Herzog hinnehmen, dass ihr Anteil an Publikationen sehr viel geringer er schien als er tatsächlich war. So wurde sie in dem 1940 erschienenen Band The In 1 Auf ein Portrait Herzogs wurde aber nicht verzichtet (vgl. Perse 1996: 202–211).
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vasion from Mars nicht als Initiatorin, Autorin oder gar Mitherausgeberin genannt. Stattdessen erschien Cantril als der alleinige Herausgeber »with the assistance of Herta Herzog and Hazel Gaudet«. Dabei war Herzogs und Gaudets Anteil nicht etwa geringer als der Cantrils. Wegen dieser Nicht-Erwähnung seiner Frau ver schlechterte sich das Verhältnis zwischen Cantril und Lazarsfeld (vgl. Fleck 2007: 299). Lazarsfeld und Stanton, die Herausgeber von Radio Research 1942–1943, haben in der Einleitung wenigstens auf Herzogs Beitrag hingewiesen: »This whole work of editorial co-ordination has been done by Dr. Herta Herzog in untiring understanding and conscientiousness. The increased responsibilities of the two ed itors of the series during wartime were such that without Dr. Herzog’s work this volume could not have appeared.« (Lazarsfeld/Stanton 1944: viii) Mitherausgebe rin war sie aber auch hier nicht. Das gleiche gilt für die Entwicklung der Methode »focus interview«. Zwar hat Robert K. Merton in frühen Publikationen noch Her zogs Beitrag erwähnt, mit der Zeit aber unterblieben diese Hinweise und Mertons Name war fortan mit der Methode verbunden. Die negativen Erfahrungen im Wissenschaftsbetrieb haben Herzog nicht etwa politisiert und zur Feministin werden lassen. Stattdessen wagte sie 1943 den Wechsel in die Privatwirtschaft. Finanziell und vor allem, was die Selbst bestimmtheit ihres beruflichen Handelns anbelangte, erwies sich das als richtige Entscheidung. Wiederum aber hatte Herzog es bei der führenden Agentur Tinker & Partners mit einem männlich dominierten beruflichen Umfeld zu tun, mit dem sie sich arrangierte und den ganz alltäglichen Sexismus, wie er uns heute in Se rien wie Mad Men2 vor Augen geführt wird, ausblendete. Wie viele andere erfolg reiche Frauen ihrer Generation wollte Herzog die tägliche Diskriminierung nicht sehen. Sie fühlte sich als Forscherin weitgehend akzeptiert. Die von ihr präferier ten qualitativen Methoden galten damals nicht als ›weiche‹ oder gar ›von Frauen bevorzugte‹ Methoden, sondern als innovativ, und eine Möglichkeit, die Motive der KonsumentInnen wissenschaftlich zu erforschen anstatt auf Spekulationen zu vertrauen. In einem Brief an Elisabeth Perse antwortet Herzog recht lakonisch auf die Frage nach den Geschlechterverhältnissen: »That most of the division heads in the research department were men was accidental. To my knowledge there existed no gender-related problem for me or them.« (Herzog 1994a; Letter to Perse) Mög licherweise war die Situation in der Marktforschung der 1960er Jahre tatsächlich schon eine andere als in der Wissenschaft der 1940er Jahre, war »man« im think tank von Tinker & Partners offener für neue Ideen – selbst wenn sie von einer Frau stammten. So oder so wollte Herzog statt sich zu beschweren durch Professiona lität überzeugen.
2 In dieser Serie tritt in der ersten Folge der ersten Staffel eine Figur namens Greta Gutt man auf, die an die reale Person Herta Herzog angelehnt scheint.
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Forschungsobjekte Die von Herzog untersuchten Radiosendungen, so das berühmte Hörspiel Invasion from Mars, die Ratesendung Professor Quiz oder die täglich ausgestrahlten soap operas waren aus Sicht der Kritischen Theorie von der Kulturindustrie produzierte Massenware, ihre zahlreichen HörerInnen Verblendete, die sich in Scheinwelten flüchten. Eine Auffassung, die Herzog anfangs wohl teilte, wie z. B. Tamar Liebes (2003) an Herzogs Studie On Borrowed Experiences. An Analysis of Listening to Daytime Sketches (1941) nachweist, die aber in späteren Studien nur noch ansatz weise erkennbar ist. So formulierte sie zwar auf Basis der Kritischen Theorie in What do we really know about daytime serial listeners (1944) fünf Annahmen zu den unterschiedlichen Gründen von Hörerinnen und Nicht-Hörerinnen sich den radio soaps zuzuwenden, doch konnten diese Annahmen weitgehend nicht bestätigt werden. Soap-Hörerinnen waren weder sozial isoliert, noch eingeschränkt in ihren Interessen, auch nicht weniger politikinteressiert oder ängstlicher und frustrierter. Sie waren nur insgesamt »radioaffiner« (Herzog 1944: 5 f.). Herzog gelangte auf grund ihrer Ergebnisse zu dem Schluss, dass das Radio nicht nur in Kriegszeiten zur Meinungsbildung eingesetzt werden kann: »We live in a world where the ul timate criterion is no longer what we like to do, but what our duty is. If radio gets into the habit of telling this to large numbers of listeners now, it will acquire a tra dition which will make it an even more important social instrument after the war.« (Herzog 1944: 32 f.) Die Studie gilt heute als Meilenstein in der uses and gratifications-Forschung und wird insbesondere dann zitiert, wenn es um gesuchte und erhaltene Gratifi kationen geht. Dabei gerät zuweilen aus dem Blick, dass sich Herzog einem viel fach missachteten Genre und vor allem tatsächlich den Hörerinnen zugewandt hat. Schließlich, dass sie dazu auffordert, nicht nur quantitative Daten zur Zahl der NutzerInnen und Nutzungsdauer zu erheben, sondern die HörerInnen selbst darstellen zu lassen, warum sie das Radio einschalten und welchen persönlichen Nutzen sie aus diesem und anderen Medienangeboten ziehen (vgl. Klaus 2008: 238; Brunsdon 2000: 50). Herzog betont die Service-, Ratgeber- und Orientierungsfunktion unter haltender Sendungen. Sie gäben Antworten auf Fragen des sozialen Miteinanders. Ihrer Meinung nach eignet sich das Radio sowohl zur Unterhaltung als auch zur Bildung (vgl. Herzog 1944: 32). Das Interesse an den RezipientInnen bzw. KonsumentInnen, ihren Einstellun gen und Entscheidungen ist eine Konstante in Herzogs Forscherinnenleben, unab hängig davon, ob sie für ein privates Marktforschungsunternehmen tätig ist oder universitäre Forschung betreibt, ob sie in den USA oder Europa lebt. Auch und gerade Unterhaltungssendungen und ihr Erfolg bei den ZuschauerInnen bleiben für sie ein Thema, wie die vier Jahrzehnte nach What do we really know about daytime serial listeners vorgenommenen Studien zu Dallas (1986) und Dynasty
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(deutsch: Denver Clan) zeigen (vgl. Herzog Massing 1986; 1990). Im Gegensatz dazu scheinen Herzogs Antisemitismusstudien zu stehen, die sie als über 80-Jäh rige im Auftrag des Jerusalemer Vidal Sassoon International Center for the Study of Antisemitism in Österreich durchführte (Herzog 1994b). Das Verbindende aber zwischen diesen auf den ersten Blick sehr unterschiedlichen Forschungsgegenstän den sind die RezipientInnen und ihre Motive, sich bestimmten Medienangeboten auszusetzen. Methoden Herzog waren die unterschiedlichen quantitativen und qualitativen Verfahren em pirischer Sozialforschung seit ihrer Wiener Zeit geläufig. In ihrer Dissertation wid mete sie sich dem damals neuen Medium Radio und erforschte die Wirkung männ licher und weiblicher Radio-Stimmen auf die HörerInnen (vgl. Herzog 1933). Dazu entwickelte sie einen Fragebogen, der in Wiener Trafiken ausgelegt und von mehr als 2700 HörerInnen ausgefüllt wurde. Ein Ergebnis lautete, dass die ZuhörerInnen sehr genaue Vorstellungen haben vom Alter, sozialen Status, der äuße ren Erscheinung und Persönlichkeit der SprecherInnen (vgl. Douglas 2004: 102). Selbstverständlich kombinierte Herzog auch in folgenden Studien Inhaltsanalysen, Beobachtungen, Befragungen und Experimente, betrieb Methoden-Triangulation, um valide Ergebnisse zu erhalten. An technischen Messgeräten wie dem Lazars feld-Stanton Program Analyzer oder Blickaufzeichnungsverfahren (eye-tracking) war sie ebenso interessiert wie an technisch weniger aufwendigen Methoden, z. B. die ProbandInnen Zeichnungen anfertigen zu lassen (vgl. Gladwell 2009: 95). Eine der von ihr bevorzugten und über die Jahre verfeinerten Methoden war das sogenannte Fokus- oder Tiefeninterview. Dabei handelt es sich um eine relativ offene, qualitative Methode, bei der eine Gruppe von ProbandInnen, die aufgrund soziode mographischer Merkmale und aufgrund des Konsumverhaltens zusammengestellt worden ist, Fragen beantworten soll. Diese Fragen beziehen sich auf Einstellungen, Meinungen, Überzeugungen bestimmte Produkte und Dienstleistungen betreffend. Die InterviewerInnen können auf einen Interviewleitfaden zurückgreifen, sollen aber flexibel agieren und gegebenenfalls bestimmte Aspekte aufgreifen und ver tiefen. In erster Linie aber sollen sie die Befragten zum Reden bringen und ihnen zuhören, um mehr über ihre Einstellungen zu erfahren. Herzog hat ihren Auslän derinnenstatus laut Douglas dabei durchaus zu nutzen gewusst: »Her trick was to play dumb [. . .]. Because she had an Austrian accent and was a recent emmigrant, the respondents felt they had to explain the semiotics of radio production very care fully to her, sometimes calling her Dearie.« (Douglas 2004: 139) Robert K. Merton und Patricia Kendall stellen die Methode des focused inter view 1946 in einem Beitrag für das American Journal of Sociology vor. Immerhin erwähnen sie dort Herzog, die diese Methode bereits erprobt hat:
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»The focused interview was initially developed to meet certain problems growing out of communication research and propaganda analysis. The outlines of such problems appear in detailed case studies by Dr. Herzog, dealing with the gratification found by listeners in such radio programs as daytime serials and quiz competitions. With the sharpening of objectives, research interest centered on the analysis of responses to particular pamphlets, radio programs, and motion pictures. During the war Dr. Herzog and the senior author of the prese nt paper were assigned by several war agencies to study the psychological effects of specific morale-building devices. In the course of this work the focused interview was progressively developed to a relatively standardized form.« (Merton/Kendall 1946: 542)
Nach Ende des Zweiten Weltkrieges kam das focused interview in der Marktfor schung zum Einsatz. Statt politische Stimmungsbilder zu erheben, ging es nun um Kundenfeedbacks auf neue Produkte und Verkaufsmethoden. Herzog hält sich zu gute, diese Methode entwickelt und verfeinert zu haben (vgl. Herzog 1994a, Letter to E. Perse; Gladwell 2009: 94). Darüber hinaus gilt Herzog als diejenige, die den Begriff Image für die Marktforschung fruchtbar gemacht hat. In dem Brief an Eli zabeth Perse beruft sie sich auf ihren Wiener Lehrer Karl Bühler: »Prof. Bühler had talked about the concept of ,psychological environment‹. I was looking for a way how this phenomen ological notion could be introduced into market research: the concept of Image seemed to do it.« (Herzog 1994a, Letter to Perse) Psychologische Ansätze und der Einsatz qualitativer Methoden haben die Mei nungs-, Markt- und Konsumforschung revolutioniert. Erforscht wurde nun nicht mehr nur, wer was kauft, sondern auch warum bestimmte Produkte »ankommen«. Grundsätzlich war Herzog fest davon überzeugt, dass sich mit Hilfe empirischer Ver fahren Einstellungen und Bedürfnisse eruieren lassen. Es komme nur auf die richtige Technik an. Entsprechend wichtig war ihr, KollegInnen im Führen von Interviews zu schulen. Vorwiegend interessiert an Methoden und angewandter Forschung rückten während ihrer Zeit in der Marktforschung theoretische Fragen in den Hintergrund.
Herzog aus feministischer Sicht: Einschätzungen Zusammenfassend lässt sich sagen: Herzog war zwar eine der wenigen Frauen im Wissenschaftsbetrieb und in der Marktforschung, aber sie war sicher keine Femi nistin. Auf gar keinen Fall sollte ihr Geschlecht irgendwie ausschlaggebend sein. Herzogs Distanz zu feministischen Positionen schließt aber nicht aus, dass sie und ihr Werk aus feministischer Sicht ein interessantes Forschungsobjekt darstellen. Einerseits bestätigt Herzogs Beispiel, wie schwer es Frauen im Berufsleben hatten und dass sie und ihre Arbeit weitgehend unsichtbar blieben, andererseits war sie mehr als »die Ehefrau von«. Anders als die meisten Frauen ihrer Generation war sie durchgängig berufstätig, z. T. in leitender Position. Sie hat Karriere gemacht
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und erscheint schon deswegen ihrer Zeit voraus. Bei Tinker & Partners, einer der führenden Agenturen, war sie Teil des »think tank« und leitete die Forschungsab teilung. 1986, als sie schon wieder in Europa lebte, wurde Herzog »to her great surprise and pleasure« »Hall of Fame Honoree« of the Market Research Council (vgl. Herzog 1994a, Letter to Perse). Neben ihren beruflichen Erfolgen zählt aus feministischer Sicht, dass sich Herzog für das Mediennutzungs- und Konsumverhalten auch von Frauen interessierte, sie zumindest als »Zielgruppe« ernst nahm. Das beinhaltete, zugleich die »Produkte«, die von Frauen konsumiert werden, ob Radio-Sendungen oder Kopfschmerztabletten, zu untersuchen. Eine Trennung zwischen Information und Unterhaltung, zwischen Hochkultur und Populärkultur, war so gesehen, und das heißt vor allem: ökonomisch gesehen, obsolet. Auch aufgrund dieser »Unvoreingenommenheit« hat Herzog das Interesse feministischer ForscherInnen geweckt. Allerdings war wohl weniger ein emanzipatorischer Anspruch Herzogs ausschlaggebend für die Untersuchung von Frauen und ihren Konsumgewohnheiten als das Interesse der werbetreibenden In dustrie an denjenigen, die täglich Dutzende Kaufentscheidungen treffen. Herzogs kreativer und innovativer Zugang zu Forschungsmethoden, die mit dem Label »qualitativ« versehen wurden, stellte einen weiteren Grund dar, sie für die Geschlechterforschung (wieder) zu entdecken. Schließlich haben gerade femi nistische Forscherinnen den Zusammenhang von Geschlechterforschung und qua litativer Forschung betont (vgl. Mies 1978; Müller 2010). Qualitative Forschung sei insgesamt »offener« und selbstreflexiver, sie erlaube die Distanz der Forschen den zum Gegenstand bzw. zu den Befragten/Beforschten zu verringern, und sie ziele darauf ab, Phänomene nicht nur zu erklären, sondern sie zu verstehen, Theo rien nicht nur zu prüfen, sondern sie weiter zu entwickeln oder gar neu zu entwer fen (vgl. Kleining 1995; Behnke/Meuser 1999). Allerdings wurde auch kritisch angemerkt, dass qualitative Sozialforschung nicht per se emanzipatorisch sei (vgl. von Kardorff) und sich Geschlechterforschung ebenso quantitativer Verfahren be dienen könne, ohne Geschlechterdichotomien zu reproduzieren (vgl. z. B. Kinne brock/Dickmeis/Stommel 2012). Schließlich weckt Herzogs Lebensweg deswegen das Interesse von Geschlech terforscherInnen, weil er nicht geradlinig ist. Die politische Situation in Deutsch land und Österreich Mitte der 1930er Jahre, private wie berufliche Entscheidungen führten Herzog von Österreich in die USA und wieder zurück nach Europa, von der akademischen Forschung zur Marktforschung und wieder zur akademischen Forschung (vgl. Klaus 2008). Als Europäerin und Amerikanerin, Wissenschaftle rin und Marktforscherin, die quantitative und qualitative Methoden anwandte und sowohl Medienangebote als auch ihre Nutzung untersuchte, war Herzog immer in verschiedenen Welten unterwegs. Dieses »sowohl als auch« bzw. »dazwischenSein« wirft Fragen auf, die nicht eindeutig zu beantworten sind. Elisabeth Klaus kommt in ihrer umfassenden Auseinandersetzung mit Herzog auf deren Beschei
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denheit und Zurückhaltung, wenn es um berufliche Erfolge geht, zu sprechen. Für Klaus (2008: 247) ist nicht klar, »ob dies Ausdruck einer Unsicherheit gegenüber der Bedeutung der eigenen Arbeit ist, ein Zurückschrecken vor einer klaren Po sitionierung oder aber die Vorwegnahme einer erkenntnistheoretischen Position [. . .]«. Diese Uneindeutigkeit kann positiv gedeutet werden als Flexibilität, soziale Anpassungsfähigkeit und Offenheit gegenüber Neuem. Anders wären Erfahrungen wie Krankheit, Emigration und Diskriminierung wohl kaum auszuhalten gewesen. Herta Herzog hat sich – soweit die vorliegende Literatur diesen Schluss erlaubt – nie beklagt über Ungerechtigkeiten, die ihr widerfahren sind. Sie hat auch nicht im Nachhinein ihre Bescheidenheit als falsch bezeichnet. Eine weniger positive Deutung lautet, dass Herzog zu theoriefern und zu unpo litisch war, um sich eindeutig zu positionieren. Herzog gilt als Mitbegründerin des uses and gratifications approach. Tamar Liebes hält diese Zuschreibung aber für falsch. Herzogs On borrowed experience (1941) sei eine stark von den Prämissen der Kritischen Theorie beeinflusste Studie und auch in What do we really know about daytime serial listeners sei dieser Einfluss erkennbar: »Herzog’s work may be better understood within the paradigm of the Frankfurt school, which condemns popular consumerist culture for providing false gratifi cations to disempowered individuals in mass society.« (Liebes 2003: 41) Liebes nennt verschiedene, sehr nachvollziehbare Gründe, wie es zu diesem »misreading as a gratificationist study« (Liebes 2003: 41) und »putting Herzog in with the gratificationists« (Liebes 2003: 40) kommen konnte. Aber ist Herzog deswegen eine Vertreterin der Kritischen Theorie? Theodor W. Adorno war der Auffassung »one should not study the atti tude of listeners without considering how far these attitudes reflect broader social behavior patterns and, even more, how far they are conditioned by the structure of society as a whole.« (Adorno 1945: 230) Eine eindeutig gesellschaftskritische Positionierung findet sich aber in Herzogs Schriften nicht. Über ihre politischen Einstellungen ist so gut wie nichts bekannt. Zwischen Beruf und öffentlichem Wir ken auf der einen Seite und ihrem Privatleben auf der anderen Seite hat sie deutlich unterschieden. Für sie war das Private, jedenfalls ihr Privatleben, nicht automa tisch politisch – und verallgemeinerbar. Am Ende führt die Beschäftigung mit Herzogs Werk zu der Frage, welche ihrer wissenschaftlichen Publikationen in Zukunft noch eine Rolle spielen und erinnert werden? Können einige davon zum Kanon der Kommunikationswissenschaft und/oder Geschlechterforschung gezählt werden? Eine solche Frage basiert auf der grundsätz lichen Überzeugung, dass manche Publikationen bis heute so wichtig sind, dass sie in Erinnerung bleiben sollten. Die Debatte darüber, welche AutorInnen und Werke den kommunikationswissenschaftlichen Kanon bilden, ist anhaltend (vgl. Katz/Peters/ Liebes/Orloff 2003). Kritik kommt u. a. von feministischer Seite, denn Kanonisierung bedeutet immer auch den Ausschluss bestimmter theoretischer Perspektiven und ihrer VertreterInnen (vgl. Rakow 2008; Thiele/Klaus/Riesmeyer 2012).
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Im Falle Herzogs besteht das Problem, dass ein Großteil ihrer Arbeiten nicht publiziert ist, auch deswegen, weil es sich um Auftragsforschung handelte. Darauf weist sie in dem Brief an Elisabeth Perse hin: »The research between the forties and end of sixties was client-sponsored and publications not feasible.« (Herzog 1994a; Letter to Perse). Ihre letzte wissenschaftliche Studie The Jews as Others (1994b), die die Langlebigkeit antisemitischer Vorurteile bestätigt, fand bislang wenig Beachtung. Die Studie, die inzwischen den Status eines kanonischen Texts und »Klassikers« erlangt hat, ist What do we really know about daytime serial listeners? (Herzog 1944) Sie markiert, so die präferierte Lesart, den Übergang von einer medienzentrierten Forschung zu einer rezipientenorientierten. Aus feministi scher Sicht ist der Text deshalb wichtig, weil erstmals Frauen und ihren Rezeptions gewohnheiten wissenschaftliche Aufmerksamkeit – von einer Frau – geschenkt wurde und dabei qualitative Methoden zum Einsatz kamen. Was diesen einen Text Herzogs anbelangt, herrscht also in der Bewertung als »kanonisch« und »Schlüs seltext« Einigkeit, wenn auch aus unterschiedlichen Gründen. Was jedoch Herzogs Gesamtwerk und seinen Stellenwert innerhalb der Kommunikationswissenschaft anbelangt, unterscheidet sich die feministische Perspektive von der nicht-feminis tischen erheblich. Notwendig scheint immer noch, auf den Beitrag von Frauen zur Entwicklung der Kommunikationswissenschaft hinzuweisen, sie sichtbar werden zu lassen. In einem zweiten Schritt ist der Gehalt des wissenschaftlichen Werkes, die Anstöße, die von ihm ausgegangen sind, zu prüfen. So geht Tamar Liebes der Frage nach, ob es eine Verbindung, »a matrilineal line« (Liebes 2003: 44), zwi schen Herta Herzogs Arbeiten und denen von Janice Radway und Ien Ang gibt. Und laut Susan Douglas war Herzog »decades ahead of her time in anticip ating how poststructuralism, feminism, and postmodernism would inform media crit icism and analysis by emphasizing people’s ambivalent relationships to media content that was itself filled with contradictions.« (Douglas 2004: 144; 2006: 48) Das ist eine sehr weitgehende Interpretation. In mancher Hinsicht mag Herzog tatsächlich fortschrittlich und unkonventionell erscheinen, vor allem dort, wo sie die Heterogenität der Medienpublika betont. Ihr theoretischer Beitrag zur Kom munikationswissenschaft und zur Geschlechterforschung ist aber geringer als er im Nachhinein und mit dem Wissen um die weiteren theoretischen Entwicklungen innerhalb der Gender Media Studies erscheint. Gemeint sind mit diesen weiteren theoretischen Entwicklungen vor allem (de-)konstruktivistische Ansätze, die Ge schlecht und Zweigeschlechtlichkeit als soziale Konstruktionen verstehen und die Unterscheidung von »männlich« und »weiblich« grundsätzlich hinterfragen. An dererseits ist es natürlich leicht, mit dem in den letzten Jahrzehnten angesammelten Wissen in Sachen »doing gender« Auslassungen in Herzogs Werk festzustellen. Deswegen ist immer wieder neu zu bedenken, welche wichtigen Anstöße es für die kommunikationswissenschaftliche Geschlechterforschung gegeben hat.
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Analyse von Frames und Diskursen
»The power to name«
»The power to name« Anwendungsmöglichkeiten von Metaphernanalysen in der kommunikationswissenschaftlichen Geschlechterforschung Susanne Kirchhoff
Einleitung: Die Alltäglichkeit der Metaphern Eine Frau stellt auf ihrer Facebook-Seite die folgende Frage: »It is odd how society sees things. Let’s say if a guy sleeps with all these girls – ›He’s the man!‹ or a stud. But if a girl does, she’s a total slut or whore. Is society sexist?« Ein Mann, der ihr vermutlich persönlich bekannt ist, antwortet: »Well, think about it this way. If a key can open a bunch of locks, it’s viewed as a master key, and is awesome to have. But if a lock is opened by a lot of different keys, well, that’s a pretty shitty lock if you ask me.«1 (zit. n. Nerdy Feminist 2013) Eine andere Frau schreibt für den britischen Telegraph einen Gastbeitrag: »The ›leaky pipeline‹ of women in science – despite a growing interest in science in school, Eleanor Muffitt opted for humanities at university; she asks why girls let their talent fall by the wayside.« (Muffitt 2014) Diese beiden Beispiele stehen hier nur stellvertretend für viele Auseinan dersetzungen über Sexualität, Gender, Geschlechterbeziehungen, Feminismus und Antifeminismus, die in Alltagsdebatten ausgehandelt werden. Sie verdeut lichen die Alltäglichkeit des metaphorischen Sprachgebrauchs ebenso wie seine Relevanz für unser Verständnis von Wirklichkeit. Elisabeth Klaus hat in ihren Arbeiten verschiedentlich die Bedeutung der medialen Alltagspraktiken für die Herstellung von Geschlecht herausgearbeitet und dabei auch auf die Relevanz diskursiver Bedeutungskonstruktionen für die Lebenswirklichkeit von Subjekten hingewiesen (z. B. Klaus 2005; 2009; Klaus et al. 2012). Der vorliegende Bei trag schließt daran an, indem anhand der hier zitierten und weiterer Beispiele die Zusammenhänge zwischen Metaphern und der diskursiven Konstruktion von 1 Hier und in den folgenden Zitaten aus diesem Text wurden Rechtschreibung und Gram matik für eine bessere Lesbarkeit behutsam an die geltenden Regeln angepasst.
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sozialer Wirklichkeit sowie zwischen Metaphern und Gender aus einer kom munikationswissenschaftlichen Perspektive betrachtet werden. Das Kapitel endet mit einigen Überlegungen zur Anwendung der Analyse des »Doing Gender mit Metaphern«.
Metaphern und Kognition Die Bloggerin Nerdy Feminist (2013), die den zitierten Facebook-Eintrag in ihrem Blog öffentlich verbreitet, bietet unter dem Titel »The Stupidest Metaphor of all time« eine Argumentation dafür an, warum die Schlüssel/Schloss-Metapher in ihren Augen sowohl falsch als auch sexistisch ist: »Even if the lock/key metaphor wasn’t sexist, which it is, it’s also just totally illogical. WHY in the world should we extrapolate a fact that is true about an OBJECT to be true about our genitals? . . . Last I checked my vagina and a lock have very little in common.« (Ebd.) Damit tut sie etwas, das das Sprachspiel erheblich stört: Sie nimmt die Aussage wörtlich, um sie zu dekonstruieren und als falsch zurückzuweisen, und verweigert sich so absichtlich der Logik der Metapher, denn ein metaphorischer Sprachgebrauch ist eben gerade kein wörtlicher Sprachgebrauch. Stattdessen liegt Metaphern implizit eine Vergleichsstruktur zugrunde, die es am Beispiel der lock/key-Metapher erlaubt, Vorstellungen über männliche und weibliche Sexualität zu entwickeln. Die Möglichkeit des Analogieschlusses macht Metaphern zu einem wichtigen Mittel für das Verständnis der uns umgebenden Welt. Bereits 1936 hatte Ivor A. Richards argumentiert, dass Metaphern ein sprach liches Phänomen seien, sondern ein grundlegender Teil des Denkens: »fundamen tally [metaphor] is a borrowing between an intercourse of thoughts, a transaction between contexts. Thought is metaphoric, and proceeds by comparison, and the metaphors of language derive therefrom.« (Richards 1950: 94) Diese kognitive Dimension von Metaphern ist vor allem seit Anfang der 80er Jahre durch die Arbeiten von George Lakoff und Mark Johnson bekannt gemacht worden. Zugrunde liegt die Annahme, dass Kognitionen ein System von Quer verweisen darstellen, mit denen sich Erfahrungen in bestehende Wissenshorizonte eingliedern und effizient bearbeiten lassen. Lakoff und Johnson (2003: 3) verstehen sprachlich realisierte Metaphern als Ausdruck von dahinter liegenden metaphori schen Konzepten. Verschiedene metaphorische Sätze können daher einem gemein samen Quell- und Zielbereich zugeordnet und die systematischen Verbindungen zwischen ihnen sichtbar gemacht werden. So lassen sich bspw. Aussagen wie »Our nation was born out of a desire for freedom.«, »His writings are the product of his fertile imagination.«, »Your actions will only breed violence« und »Universities are the incubators for new ideas« einem gemeinsamen metaphorischen Konzept »creation is birth« zuordnen (vgl. Lakoff/Johnson 2003: 74).
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Ein weiteres zentrales Merkmal metaphorischer Konzepte ist die partielle Be deutungsübertragung zwischen den beiden Bestandteilen der metaphorischen Aus sage. So werden in dem Satz »a woman’s genitals are a lock« nur einzelne Bedeu tungszuschreibungen, die mit dem Begriff »Schloss« verbunden sind, auf einen anderen Begriff – die weiblichen Genitalien – übertragen. Dieser Prozess kann als »highlighting« und »hiding« verstanden werden (vgl. Knowles/Moon 2006: 43 f.). Indem Metaphern einzelne Aspekte eines Gegenstands hervorheben und andere verbergen, bilden sie Wirklichkeit nicht einfach ab, sondern liefern Interpretatio nen – Konstruktionen – von Wirklichkeit: »Thanks to the ubiquity of underlying conceptual metaphors, the metaphoric expressions that derive from them account for much of the cognitive construction of social relations. What is more, their function of highlighting and hiding particular semantic features makes it possible to trace ideologic ally vested choices in the generation and usage of complex met aphors. Metaphor thus not only proves to be an interface between the cognitive structure underlying a discourse, on the one hand, and the ideology permeating it, on the other hand. Metaphor also, as it is realized in surface-level metaphoric expressions, links discourse and its manif estion in text.« (Koller 2005: 206)
Metaphorische Konzepte lassen sich außerdem auf der sprachlichen Ebene in alle möglichen Richtungen kreativ fortspinnen. So heißt es in einer Diskussion über die eingangs ebenfalls zitierte pipeline-Metapher unter anderem: »Every time so meone talks about the ›leaky pipeline‹, they are calling me a ›drip‹.« – »It’s time to acknowledge that the pipeline isn’t linear. It’s divergent. The branches are nu merous. The women who choose another path aren’t leaking out. They’re choosing other adventures.« – »But all too often I see women scientists giving up on their careers and dreams altogether ending up in a puddle and not another pipe.« (zit. n. Biochembelle 2013) Die kognitive Funktion metaphorischer Konzepte besteht darin, sich in der Welt zu orientieren: Die in der Einleitung zitierte Verwendung der lock/key-Metapher dient dem Schreiber zum Verständnis sexuellen Verhaltens wie auch als Argumentationshilfe in persuasiver Funktion. Sie wertet die sexuelle Erfahrenheit heterosexueller Männer auf, die heterosexueller Frauen dagegen ab und stellt zu gleich Handlungsspielräume bereit, in denen es für Männer wünschenswert ist, den sexuellen Kontakt zu möglichst vielen Frauen zu suchen, Frauen dies aber umgekehrt verwehrt wird. Menschliche Geschlechtsorgane und Sexualität wer den mit einem sprachlichen Tabu belegt. Und nicht zuletzt wird in der auf diesen Kommentar folgenden Diskussion Gemeinschaft über Befürwortung oder Ableh nung der Metapher hergestellt (vgl. Bertau 1996: 227 ff.). Ähnliches lässt sich auch für die leaky pipeline-Metapher beobachten, die nicht nur das Phänomen des Verschwindens von Frauen aus akademischen Karrieren beschreiben soll, sondern
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darüber hinaus als Argumentationshilfe und Handlungsvorgabe für Frauen-För derprogramme dient2 und – wie die lock/key-Metapher – in ihren Implikationen kontrovers diskutiert wird.3 Das hier skizzierte Metaphernverständnis erlaubt, Metaphern nicht allein als ein Phänomen auf Textebene wahrzunehmen, als schmückendes Beiwerk, rheto rischen Kniff etc., sondern als wichtigen Bestandteil unseres alltäglichen Sprach gebrauchs. Metaphern sind demnach kein Ausnahme- sondern ein Normalfall des Sprechens. Indem die verschiedenen sprachlichen Metaphern einem gemeinsamen metaphorischen Konzept zugeordnet werden, werden außerdem die Verbindungen zwischen ihnen sichtbar gemacht, und eine alltägliche Aussage wird als Ausdruck einer bestimmten Form der Wirklichkeitskonstruktion und der durch sie ermög lichten und beschränkten Handlungsspielräume erkennbar.
Metaphern und mediale Diskurse Lakoff und Johnson berücksichtigen jedoch in ihrer ursprünglichen Formulie rung einer kognitiven Metapherntheorie nur in sehr geringem Umfang die Kul turspezifik sowie die Situationsgebundenheit von metaphorischen Konzepten, und konzentrieren sich vor allem darauf, Konzepte auf kulturübergreifende, allge mein-menschliche Körpererfahrungen zurückzuführen (vgl. Lakoff/Johnson 2003: 14 ff.). Diese essentialisierende Fundierung metaphorischen Sprachgebrauchs ist insbesondere von jenen kritisiert worden, die die diskursive Dimension der meta phorischen Bedeutungskonstruktion betonen: Metaphern seien vor allem ein Pro dukt diskursiver Prozesse und zugleich an der diskursiven Konstruktion sozialer Wirklichkeit beteiligt (u. a. Debatin 1995: 247 ff.; Hülsse 2003; Musolff 2012). Der Beitrag von Metaphern zur individuellen Wirklichkeitskonstruktion ist in die ser Perspektive nachrangig. Stattdessen wird nach den Regeln des Erscheinens von Metaphern in bestimmten soziohistorischen Kontexten gefragt, sowie nach ihrer
2 Vgl. »A report by a NI STEM advisory group of a few years back (http://www.delni.gov. uk/report_of_the_stem_review.pdf) talked about a STEM education artery and when at the Royal Society we used the term ›pool‹ to describe potential future scientists.« (zit. n. Biochembelle 2013, vgl. Muffitt 2014; König o. J.) 3 Vgl. »When a woman doesn’t pursuit [sic] the tenure track, she ›leaked out‹ of the pipeline. Consider that terminology for a moment and the connotations it carries. When you have a leak in a pipe in your house, you have to fix it. If you don’t fix it, that leak can cause all sorts of problems – water damage to sheet rock, wood rot, mold. When we say that women leak out of the pipeline, it can sound as if we’re saying that they are making the wrong decisions, ones that are harmful to science. It’s almost as if we want women to feel guilty about leaving the academic track.« (Biochembelle 2013)
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Bedeutung für die Produktion von Wissensbeständen (z. B. Koller 2005; Wengeler 2006; Jäger/Jäger 2007). Dadurch ist die diskursorientierte Metaphernanalyse an eine sozialwissenschaftlich ausgerichtete Medien- und Kommunikationsforschung anschlussfähig. Dass Metaphern in der Regel kein individuelles Phänomen sind (außer im spontanen oder vorsätzlichen Gebrauch kreativer Metaphern), sondern diskursiv verbreitet und aktualisiert werden, zeigen die Reaktionen auf den Blog-Eintrag von Nerdy Feminist. Die KommentatorInnen bestätigen nicht nur, der lock/key-Metapher bereits mehrfach begegnet zu sein, sondern führen auch andere Beispiele an, die demselben metaphorischen Konzept (genitals are (pairs of) inanimate objects) zuzuordnen sind. Eine Teilnehmerin erinnert sich: »Years back . . . Someone [in a TV-discussion, S. K.] actually, seriously made the argument that, because lamps plug into walls, same-sex marriage is wrong. You know, because you can’t connect two plugs together, or two outlets together.« (zit. n. Nerdy Feminist 2013) Deutlich wird in den Kommentaren aber nicht nur, dass die Bedeutung von Me taphern und die Fähigkeit, sie anzuwenden, durch ihre diskursive Verbreitung ge lernt werden. Es zeigt sich außerdem, dass in den Diskursen kollektiv verbindliche Bedeutungen anhand von Metaphern ausgehandelt werden. Die Debatte über die lock/key-Metapher in einem feministischen Blog liefert auch hierfür ein gutes Bei spiel, weil die TeilnehmerInnen sie in diesem Rahmen – anders als im ursprüngli chen Facebook-Eintrag – nicht einfach nur verwenden können, sondern die jeweils damit verbundenen Bedeutungen reflektieren müssen. So gibt es »BefürworterInnen« und »GegnerInnen« der Metapher, die anhand der Frage der Angemessenheit des Schlüssel/Schloss-Bildes verschiedene Positionen in Bezug auf weibliche und männliche Sexualität verhandeln. Während der ursprüngliche Facebook-Eintrag die Schlüssel/Schloss-Metapher als verkürzte Argumentation für männliche und gegen weibliche Promiskuität verwendet, folgt einer der »Befürworter« einer ganz ande ren Logik: »A lock represents something of worth intended to be kept secure, while the key represents the ability to realize that worth (birth). A lock and key is used to secure the worth of something.« (Nerdy Feminist 2013) Für ihn betont die Analogie den Wert sexueller Kontakte, den er in der Zeugung von Nachkommen sieht. Nach Foucault sind Diskurse der vermachtete Ort, an dem kollektiv verbindli ches, d. h. »wahres« Wissen erzeugt wird (vgl. Foucault 1977: 39 f.). Das Wissen, das der Diskurs hervorbringt, ist dabei der jeweiligen diskursiven Praxis unter worfen, die u. a. steuert, welche Gegenstände an welchem Ort, von wem und in welcher Weise ausgesprochen werden können (vgl. Foucault 1991). Die diskursive Praxis zeigt sich dementsprechend auch im Erscheinen bestimmter metaphorischer Konzepte, die mit den Gegenständen des Diskurses in Verbindung gebracht wer den (vgl. Link 1984). Medien sind ein zentraler Träger bedeutungskonstruierender Diskurse, die ihre eigenen Regeln hinsichtlich der dort verhandelten Themen und Inhalte (Gegen
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stände), des Zugangs (Äußerungsmodalitäten), der Genres (Begriffe) und der Funktionen des Diskurses (Strategien) haben (vgl. Kirchhoff 2010: 86 ff.). So gehört es bspw. zu den Kennzeichen von Social Media- und Online-Öffentlich keiten, dass ihre dezentralen Netzwerke die verschiedenen Ebenen »großer« und »kleiner« Öffentlichkeiten integrieren (vgl. Fraas et al. 2012: 36 ff.). Dies betrifft zum einen Verbindungen zwischen professionell hergestellten und persönlichen Öffentlichkeiten. Zum anderen finden sich im Netz aber auch Diskurspositionen auf Homepages, Blogs etc., die durch Verlinkungen und Positionierungen in den Suchmaschinen große Aufmerksamkeiten erzielen, neben kleinen Diskursgemein schaften, die ihre gemeinsamen Bedeutungskonstruktionen über räumliche und zeitliche Begrenzungen hinweg entwickeln, aktualisieren und stabilisieren kön nen, wofür sowohl »lock/key« als auch »leaky pipeline« anschauliche Beispiele liefern. Insbesondere letzteres zeigt in der übergreifenden Diskussion in Blogs und Medienberichten sowie der Verwendung in politischen Förderprogrammen, wie Öffentlichkeiten vielfältig miteinander vernetzt sind und wie diskursive und nichtdiskursive Praktiken ineinander greifen. Zusammenfassend bestehen also systematische Verbindungen zwischen meta phorischen Konzepten, Diskursen und nicht-diskursiven Praktiken: Der Gebrauch von Metaphern ist an die Regeln der (medialen) Diskursproduktion gebunden und Diskurse sind ihrerseits durch ihre jeweils spezifis che Metaphorik und die damit verbundenen Bedeutungen gekennzeichnet, die soziale Wirklichkeit konstruieren.
Metaphern und Gender Die Annahme der Verbindung von körperlichen Erfahrungen und metaphorischen Konzepten, z. B. für Konzepte wie »happy is up«, (Lakoff/Johnson 2003: 19 ff.), ist auch noch aus einer weiteren Perspektive zu hinterfragen: Lakoff und Johnson vernachlässigen, dass einerseits viele metaphorische Konzepte vergeschlechtlichte Konnotationen haben und dass andererseits Metaphern ein Mittel des Doing Gen der sind (vgl. Altman 1990). Besonders auffällig ist dies unter anderem in ihrer Diskussion des bereits im vorigen Kapitel erwähnten Konzeptes »creation is birth« (Lakoff/Johnson: 2003: 74 f.). Die feministische Forschung zeigt zum einen, wie Geschlecht in Körper eingeschrieben ist, und damit auch in jene Erfahrungen, die Lakoff und Johnson als allgemein-menschlich werten. Zum anderen weist sie die Annahme eines einfachen (essentialisierenden) Zusammenhangs zwischen kör perlichen Erfahrungen und kognitiven Mustern zurück und geht stattdessen von der kulturellen Konstruiertheit des Systems der Zweigeschlechtlichkeit aus. Bspw. zeigt Martin (1991), wie in wissenschaftlichen Texten Spermien i. d. R. als ak tiv bzw. aggressiv, Eizellen dagegen als passiv beschrieben werden. Kulturell ge prägte Bedeutungen werden auf diese Weise naturalisiert:
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»Further research would show us exactly what social effects are being wrought from the biological imagery of the egg and the sperm. At the very least, the imagery keeps alive some of the hoariest old stereotypes about weak damsels in distress and their strong male rescuers. That these stereotypes are now being written in at the level of the cell constitutes a powerful move to make them seem so natural as to be beyond alteration.« (Ebd.: 500)
Hinzu kommt, dass auch in den philosophischen Diskursen über Metaphern eine geschlechtsbezogene Konnotation enthalten ist, die auf assoziativen Oppositions ketten basiert: »literal – proper– rational – academic language – philosophy – ma sculine« wird im Diskurs »metaphor – improper – irrational – natural language – rhetoric/poetics – feminine« (Debatin 1997: 151) entgegen gesetzt. So lässt sich bspw. bei Locke und De Man ein fast dreihundert Jahre überbrückender Vergleich von Weiblichkeit und eloquenter, bildlicher Sprache finden, für Plato ist die Meta pher die Hebamme philosophischen Denkens, Nietzsche nennt die Wahrheit eine Frau und Bacon vergleicht die Unterwerfung der Natur durch den Verstand mit der sexuellen Unterwerfung von Frauen durch Männer (vgl. Altman 1990: 497; Deba tin 1997; Kalnická 2006: 5). Die genderbezogenen Konnotationen von Metaphern sind jedoch nicht nur für die Wissensgenerierung in akademischen und philosophischen Diskursen von Be deutung, sie sind auch ein Bestandteil der Alltagspraktiken des Doing Gender. Der Unterscheidung von Ang und Hermes (1991) folgend, sind Metaphern erstens ein Bestandteil von Geschlechterdefinitionen, weil sie mit Hilfe der Vergleichsstruktu ren nahelegen, was es heißt »wie ein Mann« oder »wie eine Frau« zu sein. So sind bspw. hart, kalt, präzise, kraftvoll u. a. den metaphorischen Geschlechtsstereoty pen für Männlichkeit zuzuordnen, weich, warm, fließend, schwach dagegen den weiblichen Stereotypen (vgl. Melnick 1999, zit. n. Schmitt 2009a: o. S.). Zweitens können Metaphern die Möglichkeiten der Handlungsräume und Positionierungen der Geschlechter mit beeinflussen, und schließlich drittens sozialen Subjekten als Bausteine von Geschlechteridentitäten dienen. Wie Doing Gender mit Metaphern in einem konkreten Fall aussehen kann, demonstriert Rudolf Schmitt (2009b), der zeigt, wie Männer in Interviews das Trinken von Alkohol mit »kämpferischen« Zuschreibungen versehen und so den eigenen Alkoholkonsum als Ausweis einer von ihnen selbst so verstandenen »harten« bzw. »echten« Männlichkeit konzep tualisieren. Auch in den Arbeiten von Elisabeth Klaus finden sich immer wieder Hinweise auf das Doing Gender mit Metaphern. Ihre Auseinandersetzungen mit den Berufserfahrungen von Journalistinnen tragen bezeichnenderweise die Titel »Wir waren ja die Trümmerfrauen in diesem Beruf« (1993) und »Aufstieg zwi schen Nähkränzchen und Männerkloster« (2002), wobei letzterer auf die Erfah rungen von Wibke Bruns Bezug nimmt, die es gewagt hatte, als Frau in die von Männern dominierte Nachrichtenredaktion, die »wie ein Evangelium mit einer klösterlichen Regelfindung« war, »einzubrechen« (ebd.: 175; zit. n. Sitter 1998:
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463 f.). Eine der Journalistinnen der Nachkriegsgeneration sieht den Journalismus grundsätzlich als Frauenberuf, jedoch mit einer Ausnahme: der »krassen, kalten Politik« (Klaus et al. 1993: 138). Klaus unternimmt zwar keine sprachliche Ana lyse solcher Äußerungen, aber sie betont, dass in diesen und anderen Beispie len die »Wortwahl verrät, dass der Bewertung, unabhängig von der tatsächlichen Moderationsleistung, ganz bestimmte Geschlechterdefinitionen zugrunde liegen« (Klaus 2002: 176). Tatsächlich deutet sich in den Interviewzitaten an, dass (auch) mittels ge schlechtlich konnotierter Metaphern diskursiv tradierte Geschlechterdefinitionen wirksam sind, die den Journalistinnen als Bausteine ihrer eigenen Identität dienen und die zugleich soziale Wirklichkeit gestalten – bspw. in der für einzelne Bereiche wie Sport oder Lifestyle noch immer vorhandenen horizontalen Segregation der Ressorts (vgl. Klaus 2005: 161). Allerdings laufen auch Metaphernanalysen zu Geschlechterrepräsentationen und Doing Gender Gefahr, den Gegenstand, den sie analysieren möchten, selbst zu konstruieren. Wenn z. B. Frauen ihre Karriereerfahrungen im Journalismus als Weg darstellen – handelt es sich dann um eine »weibliche« Metapher? Wenn sie sie dagegen als Kampf oder Sport konzeptualisieren um ein Zeichen von Anpassungs strategien in einem »männlichen« Berufsfeld? Umso wichtiger erscheint es, dass die Forschenden die Metaphern nicht vor schnell als »typisch weiblich/männlich« deklarieren, sondern dass sie vielmehr darauf achten, wie die Untersuchten selbst Doing Gender betreiben, wie sie ge schlechtstypische Zuweisungen vornehmen, relativieren oder ausagieren (vgl. Schmitt 2009a). Sowohl für die Interpretation empirischer Daten als auch für wis senschaftliche Diskurse ist daher eine kritische Position erforderlich, die nicht nur die in Diskursen wirksamen Ideologien sichtbar macht, sondern auch die eigene Perspektive hinterfragt: »Gerade weil die metaphorische Konzeptualisierung von Erfahrung eine immense lebensweltliche Plausibilität und Selbstverständlichkeit (und damit universelle Geltung) besitzt, ist der verfremdende und entschleiernde metaphernkritische Blick auf diese Evidenzen ein theoretisches wie praktisches Gebot.« (Debatin 1995: 250)
Diskursorientierte Metaphernanalyse in der komm un ik at ionsw iss ens chaftl ic hen Ges chlecht erf ors chung Im Rahmen der kommunikationswissenschaftlichen Geschlechterforschung gibt es verschiedene Anwendungsfelder für die Analyse von Metaphern in medialen Dis kursen, die hier exemplarisch anhand einiger Beispiele und vorliegender Studien skizziert werden sollen.
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Das vielleicht naheliegendste Anwendungsfeld ist die Verwendung von Me taphern in medialen Repräsentationen von Männern und Frauen. Andrea Nachti galls Dissertation (2012) zeigt z. B. anhand der Konstruktion von George W. Bush als harter Cowboy und Osama Bin Laden als weicher Orientale ausführlich Stra tegien der Hypermaskulinisierung, Demaskulinisierung und Feminisierung politi scher Akteure nach 9/11. Darüber hinaus könnte man ganz allgemein die genderbezogenen Konnotatio nen metaphorischer Konzepte betrachten, z. B. wie oben diskutiert in sprachphi losophischen Diskursen (vgl. Debatin 1997), aber auch in politischen Diskursen bspw. hinsichtlich der metaphorischen Konzepte der Nation als Frau (die z. B. ver gewaltigt werden kann) oder der politischen Beziehungen als Familienbeziehun gen (z. B. Peterson 1998). Außerdem lassen sich Metaphern in medial vermittelten Diskursen zu Themen analysieren, anhand derer Geschlechterbeziehungen explizit verhandelt werden – so etwa in Diskursen über Reproduktion, Sexualität, Familie, häusliche und se xuelle Gewalt, die Berufswelt etc. Bspw. hat Karin Sardavar (2009) Internetforen und Blogs, in denen sich Frauen mit einem späten Kinderwunsch austauschen und Informationen suchen, auf metaphorische Konzepte wie »biologische Uhr« und »maschinelle Produktion« hin untersucht, die den Vorstellungen über Fortpflan zung, Alter, Geschlechtsorgane usw. zugrunde liegen. Ein weiteres mögliches Anwendungsfeld für Metaphernanalysen ist die Kom munikatorforschung. Zum einen haben sich für das Fehlen von Frauen auf Füh rungsebenen Begriffe wie »glass ceiling« oder die bereits erwähnte »leaky pipeline« etabliert, die jeweils bestimmte Handlungsoptionen zur Lösung des Problems nahe legen. Zum anderen könnte es interessant sein, berufsbiographische Inter views mit Männern und Frauen auf die metaphorischen Konzepte hin zu untersu chen, mit denen bspw. Karriere, Erfolg und weitere Erfahrungen im Journalismus und anderen Kommunikationsberufen konstruiert werden (vgl. die Beispiele in Weish 2003: 96 ff.). Gleiches gilt für Interviews über die Rezeptionserfahrungen von Frauen und Männern im umfangreichen Fundus der Cultural Studies, der Soap Opera For schung etc. In Janice Radways klassischer Studie »Reading the Romance« (1984) sprechen die befragten Frauen bspw. von der Flucht in die Lektüre sowie von feu rigen Heldinnen und einer wachsender Liebe, die ihren Höhepunkt erreicht, als Gründen für ihr Vergnügen. Eine Analyse könnte hier zeigen, welche Konzepte sich hinter den Motiven für die Rezeption, den Erwartungen an eine gute Ge schichte usw. verbergen, und wie sich die Frauen zu den Figuren, zu ihrer Lektüre und durch die Lektüre zu ihrem Umfeld positionieren. Schließlich wäre auch eine Analyse von Metaphern speziell mit Blick auf feministische und antifeministische Positionen interessant. Rekurrieren beide Po sitionen auf dieselben oder unterschiedliche metaphorische Konzepte? Werden
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unterschiedliche sprachliche Ausprägungen derselben Konzepte verwendet? Wel che Bewertungen sind in den Metaphern enthalten? Welche Handlungslogiken implizieren sie? Altman (1990) verdeutlicht z. B. die Relevanz von »Mutter schafts«-Metaphern für (liberale) feministische Diskurse, in denen u. a. Kreativi tät und Gebären gleichgesetzt werden. Klaus (2008: 177 und 178) verweist auf die Idee der Familie als gesellschaftlicher »Keimzelle« in antifeministischen Po sitionen, die die (re)produktiven Aufgaben von Frauen in der häuslichen Sphäre verorten. Darüber hinaus können aber auch Metaphern, mit denen das Selbstverständnis als FeministIn oder AntifeministIn bewusst reflektiert wird, untersucht werden. Als Beispiel dienen hier wiederum zwei Blogs: Dawn Hathaway (2008) wendet ihre sportlichen Erfahrungen als Fechterin auf ihren Feminismus an: »Therefore, for my performance, I analyzed how one fencing bout was like using the principles of feminism. . . . If feminism didn’t adapt into each wave, it would have been left behind, obsolete like the old clunky weapons. If you need something sharper to protect yourself, you need to make sure you have it (Fencing Facts).« In ihrer Sicht muss sich Feminismus an aktuelle gesellschaftliche Entwicklungen anpassen und zugleich als Waffe einsetzbar sein. Damit betont sie die kämpferische Seite poli tischer Diskurse (und die Notwendigkeit der Verteidigung), wohingegen Aimée Morrison (2012) in ihrem Blog die Erfahrungen weiblicher Akademikerinnen mit denen von FahrradfahrerInnen im Straßenverkehr vergleicht und daraus Forderun gen nach Solidarität, Sichtbarkeit und Vorbildfunktion ableitet. Und schließlich sollten wir die Metaphern in feministischer Theoriebildung und in der Geschichtsschreibung der Frauenbewegung einer kritischen Betrach tung unterziehen (vgl. Kinnebrock und Wischermann in diesem Band). Die Rele vanz der Metaphern in der feministischen – wie in jeder anderen – Theoriebildung veranschaulicht ein Interview mit Kimberlé Cranshaw, in dem sie nach dem Ur sprung des Begriffs Intersektionalität gefragt wird: »I wanted to come up with a common everyday metaphor that people could use to say: ›it’s well and good for me to understand the kind of discriminations that occur along this avenue, along this axis – but what happens when it flows into another axis, another avenue?‹« (zit. n. Adewunmi 2014). Linda Nicholson (2009) und andere diskutieren kon trovers, ob »second« und »third wave feminism« geeignete Metaphern für die Beschreibung der Entwicklung der Frauenbewegung sind. Aus Perspektive der Disability Studies beschäftigt sich Sami Schalk (2013) kritisch mit dem metapho rischen Sprachgebrauch von bell hook und Tania Modleski, die mit einem nega tiven bias auf Metaphern wie »emotional cripples«, »self-mutilation« (hook) und »mute bodies« (Modleski) zurückgreifen, um Verlust, Fehlen oder Unfähigkeit zu konzeptualisieren.
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Fazit Basierend auf der Annahme, dass Kognitionen zu einem großen Teil auf einem Ab gleich neuer Erfahrungen mit bereits vorhandenen Schemata basieren, und sprach liche Metaphern der sichtbare Ausweis dieser Metaphorizität des Denkens sind, bieten sich Metaphernanalysen für die Analyse der medialen Konstruktion sozialer Wirklichkeit an, weil sie eine zweifache Brücke schlagen: zum einen zwischen den kognitiven Bedeutungskonstruktionen, die einem Diskurs zugrunde liegen, und dem Wissen, das in ihm produziert und weiter getragen wird. Und zum ande ren zwischen der diskursiven Praxis und der Art und Weise, wie sie sich in Texten ausdrückt. Aus einer diskursanalytischen Perspektive liegt der Schwerpunkt der Analyse auf der Zirkulation von Metaphern in (insbesondere öffentlichen) medialen Dis kursen und auf den Regeln, nach denen diese Metaphern im Rahmen von Macht verhältnissen hervorgebracht, weiter getragen und verworfen, gedeutet und aktua lisiert werden. Aus der Perspektive der Analyse von Doing Gender liegt der Schwerpunkt au ßerdem auf der Bedeutung von Metaphern für die Konstruktion von Geschlechter definitionen, -positionierungen und -identitäten. Dabei empfiehlt es sich, nicht vorab Klassifiz ierungen wie »männlich«/»weiblich« konnotierte Metaphern vor zunehmen, sondern auf Gemeinsamkeiten und Unterschiede zu achten und vor allem zu fragen, wie sich die Personen selbst mittels ihres eigenen Metaphernge brauchs gegenüber Dingen positionieren und welche Handlungsräume sie sich und anderen auf diese Weise eröffnen oder verschließen. Aus Perspektive einer feministischen Gesellschaftskritik und Theoriebildung schließlich liegt der Schwerpunkt auf der kritischen Reflexion der ideologischen Dimension metaphorischer Bedeutungskonstruktion im eigenen und fremden Sprachgebrauch und damit auch auf der Aufforderung »[to] locate a feminist approach to representation in a vigilant awareness of the powers and limits of metaphor, an awareness to be achieved by relentless attention to metaphor’s historical and non-universal dimension – to the power to exclude that lies implicit in the power to name.« (Altman 1990: 504)
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Repräsentation, Ressourcen, Realitäten
Repräsentation, Ressourcen, Realitäten Überlegungen zu einem alternativen Ansatz in der Analyse von Gender-Frames in der Medienberichterstattung Maren Beaufort und Josef Seethaler
Die wichtigsten theoretischen Annäherungen an die kommunikationswissenschaft liche Geschlechterforschung – Gleichheitsansatz, Differenzansatz und (de-)kon struktivistische Gender Studies – liefern, so Elisabeth Klaus (2005), zwar jeweils unterschiedliche Forschungsperspektiven für die Analyse der Verhältnisse von Me dien und Gender, stehen aber zueinander in einer produktiven Koexistenz. In die sem Sinne geht der vorliegende Beitrag einerseits insofern von der Grundidee des Gleichheitsansatzes aus, als er die Diskriminierung der Frau durch geschlechtsspe zifische Typisierung und Trivialisierung in den Massenmedien thematisiert, sieht aber andererseits im Potenzial der Medien soziale Wirklichkeit zu konstruieren (vgl. Adoni/Mane 1984) einen entscheidenden Faktor in der Konstruktion von »Gen der« als kulturellem Geschlecht, anhand dessen (wie das Beispiel des 59. Euro vision Song Contest in Kopenhagen zeigt) selbst die Zweigeschlechtlichkeit als kulturelle Konstruktion offengelegt werden kann. Zentral geht es im Beitrag um die Frage, wie in medial vermittelten Inhalten die Kategorie Geschlecht konstruiert wird, um Personen geschlechtsgebundene Etikettierungen, fixe Normen, soziale Rollen, Klischees und Stereotype zuzuschreiben, wodurch letztlich Möglichkeiten der Selbstentfaltung legitimiert oder eingeschränkt werden. Diese weitreichende Konsequenz ist darin begründet, dass die Medien »zu den Institutionen [gehören], wenn sie nicht sogar die wichtigsten überhaupt sind, die die Einstellungen zu den Geschlechterrollen beeinflussen und ein Bewusstsein für die Geschlechterfrage schaffen können« (Pantti 2007: 17). Sie können daher beides sein: ein Hebel gegen die Ungleichheit der Geschlechter als auch deren Mitverursacher. Pierre Bourdieu hat in Bezug auf Geschlechterunterschiede auf die mit der ideellen Zuschreibung bestimmter Kompetenzen unmittelbaren verbundenen realen Handlungsoptionen aufmerksam gemacht: »Nur die, denen es zusteht, [Kompetenz] zu besitzen, kön nen sie sich effektiv aneignen – und nur die, die ermächtigt sind, sie zu besitzen, fühlen sich verpflichtet, sie sich anzueignen« (Bourdieu 1982: 640). Nicht unbe
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rechtigt verweisen daher Dorer und Klaus (2006: 84) in diesem Zusammenhang in ihrem Aufsatz über Geschlechterrepräsentation auf die bedeutende Funktion der Medien, »die Bandbreite der jeweils in einer Gesellschaft zu einem bestimmten Zeitpunkt gültigen Normen für Männlichkeit und Weiblichkeit zu präsentieren«. Da aber die über Medien vermittelten Botschaften von den handelnden Akteuren abhängig sind und die Zusammensetzung der in der Medienbranche tätigen Perso nen, insbesondere wenn sie Entscheidungsfunktion innehaben, bei weitem nicht der Geschlechterverteilung in der Bevölkerung entspricht (für Österreich: Kalten brunner et al. 2007; Kogoj 2008; Rudorfer et al. 2009), sind Analysen der medialen Kommunikationsleistung besonders dringend.
Gender Studies und Framing Zum Gendering von Medieninhalten und Rezeptionsvorgängen liegen zahlreiche empirische Studien vor, die hier nicht einmal ansatzweise genannt werden können (bspw. Kahn/Goldenberg 1991; Spears/Seydegart 2000; Holtz-Bacha/König-Reiling 2007; Holtz-Bacha 2008; Poindexter et al. 2008; Krijnen et al. 2011; Ross 2012; Ross et al. 2013). Häufig liegen diesen Untersuchungen diskursanalytische Ansätze zugrunde, die durch die im Folgenden vorgestellten Überlegungen hinsichtlich einer Verbindung der Gender Studies mit dem Framing-Konzept um ein eher quantitatives bzw. qualitativ-quantifiz ierendes Verfahren erweitert werden sollen, um damit eine bessere Basis für eine Verbindung inhaltsanalytischer Befunde mit Befragungsdaten in Richtung eines letztlich anzustrebenden, Wirkungskomponenten mit einschließenden Mehr-Methoden-Designs bereitzustellen. Das Framing-Konzept kann im Sinne Bour dieus insofern einen wertvollen Beitrag dazu leisten, als es auf der Annahme basiert, dass durch Selektion (aber auch Exklusion) und Betonung bestimmte Ausschnitte der Realität hervorgehoben und dadurch bei den RezipientInnen eine bestimmte Definition, kausale Interpretation und Bewertung eines Problems ausgelöst werden können (vgl. Iyengar 1991; Entman 1993; Price/Tewksbury 1997): »To frame is to select some aspects of a perceived reality and make them more salient in a communicating text, in such a way as to promote a particular problem definition, causal interpretation, moral evaluation and/or treatment recommendation for the item described.« (Entman 1993: 51 f.)
Framing steht in Zusammenhang mit der Schema-Theorie aus der kognitiven Psy chologie, die besagt, dass vorhandene Schemata1 die Interpretation jeder wahrge 1 Der von Bartlett (1932) eingeführte Begriff Schema bezeichnet in der psychologischen Gedächtnistheorie einen strukturierten Wissensbereich im Langzeitgedächtnis. Diese
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nommenen neuen Information und die Aktivierung von verknüpften vorhandenen Schemata steuern. Einerseits bestimmen Schemata, wie Informationen verstanden und integriert werden: »Wir sehen die Welt durch unser Gedächtnis.« (Sawetz 2010: 34) Anderseits sind sie durch neue Erfahrungswerte potenziell veränderbar (vgl. Sawetz 2004). In der gegenwärtigen Medien- und Informationsgesellschaft, in der ein großer Teil der (Alltags-)Realität medienvermittelt ist, ist es daher wenig überraschend, dass das Framing-Konzept in der Kommunikationsforschung große Bedeutung erlangt hat, da Frames sowohl auf journalistischer Seite als auch auf Publikumsseite in der Wahrnehmung und Einordnung neuer Botschaften wirk sam sind und dementsprechend die in Medieninhalten vermittelten Frames eine bedeutende Rolle spielen (vgl. Schenk 2007) – wenn sie auch im Zusammenspiel mit den RezipientInnen-Frames zu individuell potentiell unterschiedlichen Inter pretationen von Botschaften führen können (vgl. Scheufele 1999). Dennoch sind die grundlegenden Schema-Eigenschaften kollektiv im menschlichen Gehirn re präsentiert, zumal im Framing-Prozess allgemeingültige Mechanismen wirksam sind. Dazu gehört das sog. Priming, wonach die Bewertung neuer Information im Sinne des bestverfügbaren Schemas erfolgt. In der Kommunikationsforschung hat sich hier gezeigt, dass Individuen bei der Urteilsbildung nicht immer gründlich vorgehen, sondern vor allem leicht zugängliche Informationen heranziehen, wie sie etwa durch Medienbotschaften nahe gelegt werden. Dies trifft insbesondere im Falle einer über längere Zeit gegebenen Konsonanz in den Mediendarstellungen zu (vgl. u. a. Iyengar/Kinder 1982; Scheufele/Tewksbury 2007). Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass JournalistInnen durch Selektion und Hervorhebung die Aufmerksamkeit des Publikums auf ganz bestimmte As pekte von Themen oder Ereignissen zu lenken vermögen und die Art und Weise ihrer Interpretation und Beurteilung mitbeeinflussen können. Seitens der RezipientInnen ist der Wahrnehmungs- und Interpretationsprozess eng an diese Vorgaben gebunden (vgl. Edelmann 1993). Die Stärke des Ansatzes besteht somit darin, dass er sowohl Nachrichtenproduktion als auch Medienwirkung zu erklären vermag. Das im Folgenden skizzierte Modell zur Analyse der Geschlechterdarstellung geht daher davon aus, dass durch bestimmte Rahmungen von Geschlecht Rückschlüsse auf deren Beeinflussungspotenzial (freilich nicht auf deren tatsächliche Wirkun gen) möglich sind.
mentalen Wissensstrukturen enthalten Informationen aus verschiedenen zusammenhän genden Erfahrungen über die wichtigsten Charakteristika von Objekten, auf die sie sich beziehen, in abstrakter, generalisierter Form. Sie sind Voraussetzung und zugleich Er gebnis aller Informationsverarbeitungsprozesse im menschlichen Gehirn.
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Ein Modell zur Analyse von Gender-Frames in den Med ien Die Erfassung von genderspezifischen Frames steht also vor der Herausforderung, inhalts- und wirkungsorientierte Dimensionen miteinander zu verbinden. Dafür wird der Einsatz einer Methode vorgeschlagen, die aus der Politikanalyse kommt und daher von vornherein auf eine Kombination von Input und Output angelegt ist: die sog. »3R Methode«. Diese Methode wurde in den 1990er Jahren im Kontext des JÄMKOM-Projekts entwickelt, in dem der Schwedische Verband der Kommu nalverwaltungen prüfen ließ, wie ein Verwaltungsrat oder -ausschuss systematisch vorgehen kann, um in seinem eigenen Zuständigkeitsbereich die Gleichstellung von Frauen und Männern zu verwirklichen (vgl. Europäische Kommission 1999; Swedish Ministry of Industry, Employment and Communications 1999). »3R« steht für die drei Dimensionen »Repräsentation«, »Ressourcen« und »Realitäten«.2 »Repräsentation« bezieht sich auf den Anteil von Frauen und Männern in einem bestimmten Bereich, »Ressourcen« auf die Verteilung der Mittel zwischen den Ge schlechtern und die damit verbundenen Prioritätensetzungen und »Realitäten« auf die Bedingungen für die in den ersten beiden Dimensionen erfassten Merkmale, also auf die geschlechterbezogenen Vorstellungen, Normen, Werte und Kompeten zen. Mit Hilfe dieser drei Dimensionen erlaubt es die 3R-Methode, die in einem Bereich gegebenen Strukturen über eine bloße Beschreibung der Machtverteilung zwischen Frauen und Männern hinaus in ihren Ursachen und ihren Bewertungen bzw. Auswirkungen differenziert zu erfassen. Sie stellt daher eine geeignete Basis zur Operationalisierung von Gender-Frames dar. Tabelle 1 fasst die Items zusam men, die zur Erfassung der drei »R«-Dimensionen vorgeschlagen werden und die sich mit den Elementen von Medien-Frames – Problemdefinition, Ursachenzu schreibung, Bewertung und Handlungsoption – in Einklang bringen lassen (wobei durchaus weitere Items denkbar sind). Die Dimensionen »Repräsentation« und »Ressourcen« entsprechen dem Fra ming-Element »Problemdefin ition«, indem sie durch die Verteilung der Präsenz und der Mittel eine bestimmte Sichtweise auf das Verhältnis von Frauen und Män nern nahelegen; die Dimension »Realitäten« umfasst die beiden anderen FramingElemente der Ursachenzuschreibung und Bewertung sowie Handlungsoption bzw. -kompetenz. Die Ursachen für eine bestimmte Verteilung der Präsenz und der Mit tel lassen sich in den Vorstellungen darüber ausmachen, in welchen gesellschaftli chen Bereichen und welchen sozio-ökonomischen Positionen Frauen und Männer 2 Später kam noch die Dimension »Rechte« oder »Realisierung« hinzu, sodass in diesem Fall von der »4R-Methode« die Rede ist (Swedish Gender Mainstreaming Support Com mittee 2007). Diese Dimension ist aber für die hier vorgeschlagene inhaltsanalytische Adaption der Methode nicht von Belang.
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Tabelle 1: Konzept zur Operationalisierung von Gender-Frames in der Medienberichterstattung FramingElement
3R-Dimension
Item
Operationalisierung
Problem definition
Repräsentation
Wie viele Beiträge (Texte und Bilder/Filme) stammen von Frauen bzw. von Männern?
UrheberInnen des Textes und des Bildes/Filmes
In wie vielen Beiträgen sind Frauen bzw. Männer die HauptakteurInnen?
HauptakteurIn auf Ereignis- und Diskursebene (Rössler 2010*), bezogen auf den gesamten Beitrag (einschließlich visueller Darstellungen)
In wie vielen Beiträgen sind Frauen bzw. Männer im Bild/ Film zu sehen?
Im Bild/Film gezeigte Personen
Wie viel Raum/Zeit nehmen die Texte a) von und b) über Frauen bzw. Männer ein?
Quadratzentimeter/ Minuten
Wie viel Raum/Zeit nehmen die Bilder/Filmaufnahmen a) von und b) über Frauen bzw. Männer ein?
Quadratzentimeter/ Minuten
Sind die Beiträge in einer gendergerechten Sprache verfasst?
Ja/nein/nicht relevant
Mit welchen Themen werden Frauen bzw. Männer in Zusammenhang gebracht?
Thema des Beitrags auf Ressort-, Ereignis-** und Diskursebene** (Rössler 2010*)
Mit welchem sozioökonomi schen Status werden Frauen/ Männer dargestellt?
Sozio-ökonomischer Status aller in einem Beitrag dargestellten Frauen und Männer (nicht nur der HauptakteurIn) nach Tegtmeyer (1976)
In welchen Rollen werden Frauen bzw. Männer dargestellt?
Funktion aller in einem Beitrag dargestellten Frauen und Männer (nicht nur der HauptakteurIn)**
Welche Wertschätzung erfahren Frauen/Männer?
Hoch/niedrig
Ressourcen
Ursachen zuschreibung
Realitäten
Bewertung/ Handlungs kompetenz
* Der Inhalt eines Beitrags wurde – nebst der redaktionellen Ressortzuordnung – auf Ereignis- und Diskursebene erfasst, um die genderspezifische Darstellung sowohl hinsichtlich des konkreten Geschehens als auch der Einbettung dieses Geschehens in den gesellschaftlichen Diskurs abzubilden. Aus Platzgründen werden diese Ergebnisse hier nur ausschnittsweise dargestellt. ** induktive Erhebung
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verortet werden. Die Bewertungen und die damit letztlich verbundenen Handlungs kompetenzen drücken sich in der Wertschätzung für Frauen und Männer und den ihnen zugeschriebenen Rollen bzw. Funktionen aus, die sie zu gesellschaftlich re levantem Handeln ermächtigen. (Das in Entmans Framing-Definition vorgesehene Element der Handlungsoption wird hier im Sinne Bourdieus als die mit ihr notwen dig verbundene Handlungskompetenz operationalisiert, da nur die Zuschreibung von Kompetenz die Wahrnehmung von Handlungsoptionen erlaubt.) Während die so theoriegeleitet definierten Variablen sowohl in den Dimensionen »Repräsenta tion« und »Ressourcen« als auch in zwei Fällen (Themenzuordnung im Sinne von Ressort und sozioökonomischer Status) in der Dimension »Realitäten« quantitativ zu erfassen sind, eignet sich für die Codierung der übrigen Variablen in der Dimen sion »Realitäten« ein qualitatives Verfahren mit nachträglicher Quantifizierung der Ergebnisse. Aus diesem Grund empfiehlt sich in diesem Bereich die Anwendung eines halbstandardisierten Codierleitfadens, um das Kategoriensystem soweit of fen und empiriegeleitet zu halten, dass die deduktiven Indikatoren durch induktive Differenzierungen weiterentwickelt werden können.
Pretest »Kronen Zeitung« Um die Eignung des vorgeschlagenen Modells zur Analyse der Geschlechterdar stellung in den Medien zu prüfen, wurde anhand einer Ausgabe der Wiener Kro nen Zeitung (vom 27.10.2011) ein Pretest durchgeführt. Alle Beiträge dieser Aus gabe wurden in die Untersuchung einbezogen; Analyseeinheit war der einzelne Beitrag.3 Diese Vollerhebung einer Zeitung begründet sich in der Annahme, dass eine genderspezifische Rahmung in allen Teilen eines Mediums auszumachen ist, ungeachtet der Ressorts oder der Darstellungsform. Sohin wurden 153 Beiträge4 analysiert. Diese 153 Beiträge umfassen alle redaktionellen Nachrichten- und Mei nungsbeiträge (auf der Titelseite und in den Ressorts Politik, Ausland, Österreich, Wien, Gesundheit, Kultur, Society, Sport und Fernsehen) sowie Leserbriefe und Serviceangebote wie Horoskop, Kontaktanzeigen und Stellenangebote. Für die in 3 Das Verfahren orientiert sich an der internationalen Vergleichsstudie »A Day in the News« des Global Media Monitor Projects (whomakesthenews.org). 4 Ausgenommen waren (weil nicht themenrelevant) das Logo der Kronenzeitung, Ver öffentlichung der Lottozahlen, das Kino- und Fernsehprogramm, Aktienkurse, Fuß ball-Toto- und Eishockey-Liga-Ergebnisse, Anzeigen hinsichtlich Kauf, Verkauf, Auto, Immobilien, etc., das Krone Quiz und Rätsel. Kommerzielle Anzeigenwerbung und Eigenwerbung (mit Ausnahme von Anzeigen öffentlicher Einrichtungen) wurde ausge schlossen, da für deren Analyse eine Modifizierung des Kategoriensystems notwendig ist, die erst nach der Prüfung des Grundmodells erfolgen kann.
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Tabelle 1 genannten, qualitativ zu erfassenden Indikatoren wurden im ersten Ma terialdurchlauf im Hinblick auf das jeweilige Erkenntnisinteresse Textstellen (mit Hilfe der Textstrukturierungsfunktionen der Software MAXQDA) bzw. visuelle In halte aus dem Gesamtmaterial herausgefiltert, die in weiteren Durchläufen als neue Ausprägungen der Variablen übernommen worden sind und so laufend zur Über arbeitung der Kategorien geführt haben (vgl. Meyen et al. 2011; Mayring 2000). Die Wahl der Kronen Zeitung als Untersuchungsgegenstand des Pretests ist darin begründet, dass sie mit etwa zweieinhalb Millionen Lesern bei einer Bevölke rung von rund 8 Millionen zu den auflagenstärksten Zeitungen Europas gehört. Mit 34,3 Prozent Nettoreichweite hat sie im österreichischen Printmedienbereich die Nase weit vorne – auch wenn die Tendenz rückläufig ist (zwei Jahre zuvor waren es noch 38,2 Prozent) und sie in ihrem Stammbundesland Wien längst von der Gratis zeitung Heute überholt worden ist (vgl. www.media-analyse.at). Dennoch erreicht sie täglich rund zweieinhalb Mal so viele Leser wie ihre stärkste Konkurrenz und führt hinsichtlich der Reichweite nicht nur in der Gesamtbevölkerung, sondern auch bei den beruflichen Entscheidungsträgern (vgl. Melischek et al. 2010: 110). Nicht um sonst gilt »die Krone« in Österreich als Leitmedium Nr. 1 – auch bei den politischen Eliten (Plasser/Lengauer 2010: 93); ihr Einfluss auf die Themenagenden von Parteien (vgl. Seethaler/Melischek 2013) und auf Wahlentscheidungen lässt sich empirisch belegen (vgl. Plasser/Lengauer 2010). Der quotenstarke Zuspruch ist nach Bruck und Stockner (1996) bedingt durch niedriges Einstiegsniveau, interne Differenzie rung des Produktes für verschiedene Bildungsschichten und Rezeptionssituationen, Emotionalisierung, Unterhaltung, handliche Blattgröße, Orientierungsangebote im Alltag, soziale Macht durch das Emotionalisierungsmuster der »Empörung«, Reiz der publizistischen Stärke, Interessenskonvergenz, reduzierte Komplexität bzw. Nor malität als »Weltbild«, Gewohnheit bzw. Alltagsroutine – und erst an letzter Stelle durch die Befriedigung des Informationsbedürfnisses. Die von der Kronen Zeitung vermittelten Inhalte und Haltungen sind zweifelsohne von gesamtgesellschaftlicher Relevanz. Im Folgenden soll daher genderspezifische Rahmung der Beiträge in der Kronen Zeitung dekonstruiert und im Hinblick auf ein mögliches Einflusspotenzial auf die kognitiven Schemata ihrer LeserInnen analysiert werden.
Ergebnisse des Pretests Repräsentation Zunächst zu den Ergebnissen der Variablen, die im Sinne eines Framing eine be stimmte Sichtweise des Geschlechterverhältnisses und damit der gesellschaftli chen Bedeutung der Geschlechter vermitteln. Auf redaktioneller Ebene haben von den mit Namen gezeichneten Beiträgen (= ca. 38 Prozent) Männer 43 Beiträge
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geschrieben (10 davon mit Autorenfoto), Frauen 14 (fünf davon mit Autorenin nenfoto); einen Beitrag hat ein gemischtgeschlechtliches Paar verfasst (vgl. Abbildung 1). Das Verhältnis zwischen den Geschlechtern fällt somit ziemlich genau 3 : 1 zugunsten der Männer aus; obendrein wurden Männer im Vergleich zu ihren weiblichen Kolleginnen in doppelt so vielen Fällen mit Hilfe eines Autorenfotos hervorgehoben. Hinsichtlich der UrheberInnen der Fotos fällt das Verhältnis noch ungünstiger aus: Neben 30 Agenturfotos stammten 31 von einem männlichen Foto grafen, sieben von einer weiblichen Fotografin (24 Fotos waren ohne Herkunfts nennung; 66 Beiträge kamen ohne Fotos aus). Nicht nur inNicht redaktioneller auch insicht, inhaltlicher im nur in redHinsicht, aktioneller Hin auch inHinsicht inhaltlicstanden her HinsMänner icht stan den Män n er im Vor d er g rund: Fasst man Er e ig n isund Dis k urs e bene zu s am m en, so und Vordergrund: Fasst man Ereignis- und Diskursebene zusammen, so stehen 117 männliche stehen 117 männliche und 54 weiblichen HauptakteurInnen gegenüber (wobei auf 54 weiblichen HauptakteurInnen gegenüber (wobei auf Ereignisebene Männer beinahe drei Ereignisebene Männer beinahe drei Mal so häufig als Frauen agierten und auf Dis Mal so kurs häufig als rund Frauen agierten undfig). auf15 Diskursebene doppelt häufig). 15 Beiträge ebene dop pelt so häu Beiträge warrund en hin sichtlichsodes Geschlechts der HauptakteurIn auf der Ereder ignHauptakteurIn isebene ausgewauf ogen, auf der Diskausgewogen, ursebene. waren hinsichtlich des Geschlechts derneun Ereignisebene Auf die Zahl der Bei t räge be z o g en, sind Frauen in rund 30 Pro z ent der Beiträge neun auf der Diskursebene. Auf die Zahl der Beiträge bezogen, sind Frauen in rund 30 eine der HauptakteurInnen, Männer in 70 Prozent. Ausgewogener scheint das Re Prozent der Beiträge eine der HauptakteurInnen, Männer in 70 Prozent. Ausgewogener präsentationsverhältnis in der visuellen Darstellung zu sein: 228 Frauen stehen 275 scheint ab das in der zugsein: geRepräsentationsverhältnis bildeten Männern gegenüber. Bevisuellen zieht manDarstellung die Abbildun en jed228 ochFrauen auf diestehen Zahl der da z u g e h ö r i g en Bei t rä g e, so sind Fotos von Frauen nur bei et w as mehr 275 abgebildeten Männern gegenüber. Bezieht man die Abbildungen jedoch auf die als Zahl der der Hälfte der Beiträge zu finden, während mehr als drei Viertel der Beiträge Fotos dazugehörigen Beiträge, so sind Fotos von Frauen nur bei etwas mehr als der Hälfte der von Männern aufweisen. Beiträge zu finden, während mehr als drei Viertel der Beiträge Fotos von Männern aufweisen. Abbil dung 1: Repräsentavon tion Frauen von Frauen Männern in der Kronen Zeitungvom Abbildung 1: Repräsentation und und Männern in der Kronen Zeitung vom 27.10.2011 (Anteil an der Zahl der Beiträge) 27.10.2011 (Anteil an der Zahl der Beiträge) 80% 70% 60% 50% 40% 30% 20% 10% 0% AutorInnen (N = 153)
FotografInnen (N = 89) Frauen
HauptakteurIn/Beitrag (N AkteurIn im Bild/Beitrag = 153) (N = 89) Männer
Jede Variable = 100%; der jeweilige Differenzbetrag bezieht sich auf die nicht gezeichneten Beiträge/Fotos bzw. die Beiträge Jede Variable = 100%; der jeweilige Differenzbetrag bezieht sich auf die nicht gezeichneten Beiträge/ ohne AkteurInnen Fotos bzw. die Beiträge ohne AkteurInnen
Ressourcen Aufschlussreich ist ebenfalls das Geschlechterverhältnis hinsichtlich der Ressourcenzuteilung, gemessen als Anteil am redaktionellen Raum. Insgesamt nehmen die analysierten Beiträge
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Ressourcen Aufschlussreich ist ebenfalls das Geschlechterverhältnis hinsichtlich der Ressour cenzuteilung, gemessen als Anteil am redaktionellen Raum. Insgesamt nehmen die analysierten Beiträge 2,77 Quadratmeter Raum ein; 1,92 Quadratmeter fallen dabei auf Textdarstellungen, 0,85 auf visuelle Darstellungen. Zitate von und Texte über Frauen nehmen 17% des gesamten Textraumes ein, Zitate von und Texte über Männer beanspruchen 45% des gesamten Textraumes (vgl. Abbildung 2). Die restlichen 38% der Beitragstexte sind inhaltlich geschlechterneutral. Frauenabbildungen nehmen 31% des gesamten Bildraumes ein, Abbildungen von Männern 57%. Bei den restlichen hanRessourcen delt es sich um schlechtsneu AbbilIn dun gen. Hin ich des Text rau dreimal12% so viel zurge Verfügung alstrale Frauen. Bezug aufsicht die lvisuelle Darstellung mes stehen also Männern fast dreimal so viel Ressourcen zur Verfügung als Frauen. ist das Verhältnis immer noch rund 2:1. In Bezug auf die visuelle Darstellung ist das Verhältnis immer noch rund 2 : 1. Abbildung 2: Ressourcenzuteilan ungFrauen an Frauen Männern in Textund undBild Bildin der Abbildung 2: Ressourcenzuteilung undund Männern in Text in der Kronen Zeitung vom 27.10.2011 (Anteile an redaktionellem Raum) Kronen Zeitung vom 27.10.2011 (Anteile an redaktionellem Raum) 60% 50% 40% 30% 20% 10% 0% Textraum
Bildraum Frauen
Männer
Jede Variable =ble = 100%; 100%; der Differenzbetrag sichgedie nicht Jede Varia derjeweilige jeweilige Dif ferenzbetrag beziehtbezieht sich die nicht schlech terrelevanten Teile geschlechterrelevanten der Beiträge bzw. Bilder der Beiträge bzw. BilTeile der Gendergformuliert erecht formwurde uliert wurde der Kro nen Zeitvom ung vom 27.10.2011 nahnahezu ezu gargar Gendergerecht in der in Kronen Zeitung 27. Oktober 2011 nicht: Von den 61 Beiträgen, die diesbezüglich sprachlich relevant sind, werden die nicht: Von den 61 Beiträgen, die diesbezüglich sprachlich relevant sind, werden die Inhalte in Inhalte in 56 Fällen in rein männlicher Ausdrucksform transportiert und lediglich 56 Fällen in rein männlicher Ausdrucksform und fünf in fünf Bei trägen geschlech tergerecht, transportiert wobei einer die serlediglich Beiträgeinsar kastBeiträgen isch ge rahmt ist und drei Bei träge dieser externen Ursprungs sind (Zigerahmt tat des Bun esprä siden ten, geschlechtergerecht, wobei einer Beiträge sarkastisch ist dund drei Beiträge Wer b e e in s chal t un g en). An s ätze zur Ge s chlech t er g leich s tel l ung wer d en – in die externen Ursprungs sind (Zitat des Bundespräsidenten, Werbeeinschaltungen). Ansätze zur ser Ausgabe: am Beispiel der Diskussion um die gemeinsame Erwähnung »großer Geschlechtergleichstellung werden – in dieser der Diskussion um die Söhne und Töchter« in der Bun des hymneAusgabe: – ins Läcam herlBeispiel iche gezo gen. gemeinsame Erwähnung »großer Söhne und Töchter« in der Bundeshymne – ins Lächerliche
gezogen.
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Realitäten Mit den Indikatoren, welche die Geschlechterrealitäten inhaltlich reflektieren – Themenzuschreibungen, sozio-ökonomischer Status, Wertschätzung und Rol lenzuschreibungen – wird versucht, den (mit)vermittelten Ursachen für die in der Berichterstattung transportierte Sichtweise des Geschlechterverhältnisses und den damit verbundenen handlungsrelevanten Bewertungen nachzugehen. Da es zu den zentralen Funktionen der Medien gehört, für Themen Öffentlichkeit herzustellen (vgl. McCombs 2004), kann in den Themenzuschreibungen eine der vermittelten Ursachen für die Repräsentation der Geschlechter gesehen werden. Tatsächlich geht in der Kronen Zeitung die höhere Repräsentanz von Männern mit einer engen Ver bindung mit jenen Themenbereichen (auf Ressortebene) einher, die den so genann ten »Hard News«, also den gesellschaftlich relevanten Themenbereichen, zuzuord nen sind: Politik, Ausland und Kultur. Weiters kommen die in der Kronen Zeitung breiten Raum einnehmenden Regional- und Lokalberichterstattung hinzu und – we nig überraschend – die Sportberichterstattung. Frauen hingegen dominieren ledig lich Society- und Fernseh-Themen (vgl. Abbildung 3). Dass sie auch den Bildraum im Auslands- und Wiener Lokalteil prägen, wirkt freilich nur auf den ersten Blick relativierend zur männlichen Dominanz im Textraum dieser beiden Ressorts: Tat sächlich finden sich hier Frauen (wie die Analyse der Rollenzuschreibungen noch zeigen wird) in der Funktion eines sexy Model, das zwar im Bild zu sehen, aber im dazugehörigen Text nicht erwähnt ist, oder die eines bloßen – beruflich überhaupt nicht zu verortenden – »hübschen Beiwerks«, das mit dem dazugehörigen Artikel (bspw. über ein Solarenergiehaus oder eine Automesse) gar nichts zu tun hat. Ähnli ches lässt sich im Gesundheitsressort beobachten, wo ein großes Bild einer schönen asiatischen Frau einen Beitrag über Glutamat in Nahrungsmitteln ergänzt, doch im Text keinerlei Bezug auf diese (oder andere) Frau(en) genommen wird. Die in den Themenzuordnungen erkennbaren Geschlechterstereotypen wer den durch den zugeschriebenen sozioökonomischen Status verschärft, in dem eine weitere Ursache für die gegebene Repräsentation der Geschlechter gesehen wer den kann. Abbildung 4 veranschaulicht in Anlehnung an die Kategorien der auf der beruflichen Stellung – und damit auf der gesellschaftlich anerkannten Basis der Selbstverwirklichung (vgl. Hörning 1981) – aufbauenden Tegtmeyer-Skala (vgl. Tegtmeyer 1976; Wolf 1995) die Differenzen zwischen Männern und Frauen: Die dargestellten Männer bekleiden ungleich häufiger als die dargestellten Frauen gehobene gesellschaftliche Positionen. Fragt man nach den Merkmalen, die auf Handlungskompetenz schließen lassen, so sind es überwiegend Männer, die sich als Machthaber und Entscheidungsträger in Führungspositionen befinden. Sie sind aktiv, Kämpfer, Täter, Retter, und wenn sie zum Verlierer oder Opfer werden – dann als Opfer anderer Männer (Abbildung 5 gibt eine Übersicht über die dekon struierten Rollenzuschreibungen zu Frauen und Männern).
zu tun hat. Ähnliches lässt sich im Gesundheitsressort beobachten, wo ein großes Bild einer schönen asiatischen Frau einen Beitrag überRGlutamat in Nahrungsmitteln ergänzt, doch im epräsentation, Ressourcen, Realitäten | 143 Text keinerlei Bezug auf diese (oder andere) Frau(en) genommen wird.
Abbildung 3: Themenzuschreibungen (auf Ressortebene) zu Frauen und Män ern in Text und Bild in der nen Zeitung vom 27.10.2011 Abbildung 3:nThemenzuschreibungen (aufKro Ressortebene) zu Frauen und Männern in (Anteile an redaktionellem Raum) Text und Bild in der Kronen Zeitung vom 27.10.2011 (Anteile an redaktionellem Raum) 100%
80%
60%
40%
20% 0% gegebene Repräsentation der Geschlechter gesehen werden kann. Abbildung 4
veranschaulicht in Anlehnung an die Kategorien der auf der beruflichen Stellung – und damit auf der gesellschaftlich anerkannten Basis der Selbstverwirklichung (Hörning 1981) – aufbauenden Tegtmeyer-Skala (TegtmeyerFrauen 1976;Männer Wolf 1995) die Differenzen zwischen Männern Frauen: Die dargestellten bekleiden häufiger Jedeund Variable = 100%; derje jeweilige sich aufge die nichtterrelals Jede Va riable = 100%; der weilige DifDifferenzbetrag feMänner renzbetrag be ziehtbezieht sich aufungleich die nicht schlech evandie ten geschlechterrelevanten Teile der Beiträge bzw. Teile Bilder der Beiträge bzw. Bilder
dargestellten Frauen gehobene gesellschaftliche Positionen. Die in den Themenzuordnungen erkennbaren Geschlechterstereotypen werden durch den Abbildung 4:sozioökonomischen Sozioökonomischer Statverschärft, us der darginesdem tellten Männfür er die zugeschriebenen Status eineFrauen weitereund Ursache in der Kro n en Zei t ung vom 27.10.2011 (An t eil an der Zahl der AkteurInnen Abbildung 4: Sozioökonomischer Status der dargestellten Frauen und Männer in der pro Gesvom chlecht) Kronen Zeitung 27.10.2011 (Anteil an der Zahl der AkteurInnen pro Geschlecht) 40%
30%
20%
10%
0% besonders niedrig
sehr niedrig
niedrig
mittelmäßig Frauen
hoch
sehr hoch
besonders hoch
Männer
Fragt man nach den Merkmalen, die auf Handlungskompetenz schließen lassen, so sind es überwiegend Männer, die sich als Machthaber und Entscheidungsträger in
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Abbildung 5: Rollenzuschreibungen zu Frauen und Männern in der Kronen Zeitung vom 27.10.2011 (Anteil an der Zahl der AkteurInnen pro Geschlecht) 40 30 20 10 0
Frauen (N = 128)
Männer (N = 286)
Männer wissen sich in ihrer Verlierer- oder Opferrolle oft zu wehren, und wenn sie versich lieren, lieren sie oder zumeist mit Würdoft e. Eine derartige, aufwenn der Ebene Männer wissen indann ihrerver VerliererOpferrolle zu wehren, und sie verlieren, der Wertschätzung zum Ausdruck gebrachte Relativierung der weiblichen Opfer dann verlieren sie zumeist mit Würde. Eine derartige, auf der Ebene der Wertschätzung zum rolle ist in der untersuchten Ausgabe der Kronen Zeitung nahezu nicht existent. Ausdruck Im gebrachte Relativierung der weiblichen ist inver der Gegenteil: Frauen sind nicht nur stark in Opferrolle ihrer Opferrolle hafuntersuchten tet (27 ProzentAusgabe der Frauen sind Op f er, aber nur knapp 13 Pro z ent der Män n er!), sie ersnur cheinstark en inin ihrer der Kronen Zeitung nahezu nicht existent. Im Gegenteil: Frauen sind nicht dieser Rolle zum Teil sogar unglaubwürdig oder nicht bemitleidenswert. Generell Opferrolleer verhaftet (27 Frauen Opfer, nurrend knapp 13als Prozent der halten Män nerProzent häufig erder Wert schätzsind ung als Fraueaber n: Wäh mehr 43 Pro der dargestell MänRolle ner hoch gesTeil chätzt und unglaubwürdig demgegenüber nur 15 Pro zent Männer!),zent sie erscheinen inten dieser zum sogar oder nicht gering geschätzt werden, sind bei Frauen die Anteile etwa gleich hoch: den etwas bemitleidenswert. Generell erhalten Männer häufiger Wertschätzung als Frauen: Während über 30 Prozent hoch geschätzten Frauen stehen ebenso viele gegenüber, die ge mehr als 43 Prozent derwer dargestellten Männer hoch geschätzt demgegenüber ring geschätzt den (vgl. Abbildung 6). Män ner erfahund ren zwar als Verursacnur her 15 der Figeschätzt nanzkrise keine Wert schät zung, sie sind aber auch, diegleich als maß geblich Prozent gering werden, sind bei Frauen dieesAnteile etwa hoch: denanetwas ihrer Lösung Beteiligte Anerkennung erfahren; ebenso gibt es keine Wertschätzung über 30 Prozent hoch geschätzten Frauen stehen ebenso viele gegenüber, die gering geschätzt für Männer, die strafbare Delikte begehen, doch wird in einigen Fällen das Delikt werden (vgl. Männer zwar Verursacher der Finanzkrise keine heruAbbildung nter gespielt6). oder Schulderfahren auf äußere Umals stände verlagert. Lä cher lich gemacht werden Männer jedoch, wenn sie nicht erfolgreich sind – und sei es als Dieb – oder Wertschätzung, sie sind es aber auch, die als maßgeblich an ihrer Lösung Beteiligte auf ein jugendliches Äußeres Wert legen und nicht selbstbewusst zu ihrem Alter Anerkennung erfahren; ebenso gibt es keine Wertschätzung für Männer, die strafbare Delikte stehen. deninFrauen nicht in ihrer rolle als Opfgespielt er – und oder zwarSchuld ausschließ begehen, dochWer wird einigen Fällen dasHaupt Delikt herunter auflich äußere als Opfer von Männern – gezeigt, so sind sie oft nicht mehr als bloß »mit dabei«, Umstände verlagert. Lächerlich gemacht werden Männer jedoch, wenn sie nicht erfolgreich eine Art »hübsches Beiwerk« der (in Text und Bild) in ihren beruflichen Funktio sind – undnen sei prä es sals oder aufSelbst ein jugendliches Äußeres Wert legeninund entDieb ierten –Män ner. wenn, selten ge nug, über Frauen Führnicht ungs
selbstbewusst zu ihrem Alter stehen. Abbildung 6: Wertschätzungen von Frauen und Männern in der Kronen Zeitung vom
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Abbildung 6: Wertschätzungen von Frauen und Männern in der Kronen Zeitung vom 27.10.2011 (Anteil an der Zahl der AkteurInnen pro Geschlecht) 50%
40%
30%
20%
10%
0% Hohe Wertschätzung Frauen (N = 128)
Geringe Wertschätzung Männer (N = 286)
Werden Frauen nicht in ihrer Hauptrolle als Opfer – und zwar ausschließlich als Opfer von Männern – sitio nenoftbe richtet wird, wer»mit den sie in dereine RegArt el, »hübsches anders als ihre männlder ichen gezeigt, sopo sind sie nicht mehr alssobloß dabei«, Beiwerk« (in Text und Kollegen, entweder tendenziell resignierend und hilflos – wie die deutsche Bun Bild) in ihren beruflichen Funktionen präsentierten Männer. Selbst wenn, selten genug, über Frauen in deskanzlerin angesichts der Eurokrise – oder im Zusammenhang mit Nichtigkei Führungspositionen berichtet soenwerden in So derdis Regel, ihre männlichen ten bzw. schwa chenwird, Them dargessie tellt: kutieanders ren beials spiels weise führendeKollegen, Politikerinnresignierend en über Baby namhilflos en (statt polidie tische Diskurse zu kommentieangesichts ren) oder der entweder tendenziell und – wie deutsche Bundeskanzlerin treten lediglich in der Rolle eines nebensächlichen Gastes auf (was wiederum den Eurokrise – oder im Zusammenhang mit Nichtigkeiten bzw. schwachen Themen dargestellt: So männlichen Hauptakteur aufwertet). Diese Darstellungsweise relativiert den Hand diskutierenlungs beispielsweise führende überschät Babynamen (statt spielraum ei ner FührPolitikerinnen ungsposition. Wert zung erfah ren politische Frauen vorDiskurse allem zu kommentieren) in lie derbens Rolle eines nebensächlichen aufsind (wasoder wiederum den dann, oder wenntreten sie –lediglich schön und wert – ent weder ein attrakGastes tiver Star den Mann be g lei t en und als seine häus l i c he Ver s or g e r in die Kin d er hü t en. Ihre Prä männlichen Hauptakteur aufwertet). Diese Darstellungsweise relativiert den Handlungsspielraum einer sentation als Sexobjekt erfolgt in der Regel wertfrei. Führungsposition. Wertschätzung erfahren Frauen vor allem dann, wenn sie – schön und liebenswert – entweder ein attraktiver Star sind oder den Mann begleiten und als seine häusliche Versorgerin die Res ümPräsentation ee Kinder hüten. Ihre als Sexobjekt erfolgt in der Regel wertfrei. Ausgehend von Elisabeth Klaus’ Überlegungen zur Relevanz geschlechtertheo Wissens für die Kommunikationswissenschaft und zur wechselseitig befvon ruchElisabeth tenden KoeKlaus‘ xistenzÜberlegungen verschiedener An sätRelevanz ze, hat dergeschlechtertheoretischen Beitrag ein Modell zur Ausgehend zur Analyse der in den Medien vermittelten Geschlechterkonstruktionen vorgestellt. Wissens für die Kommunikationswissenschaft und zur wechselseitig befruchtenden Das Modell baut auf dem aus der kognitiven Psychologie kommenden FramingKoexistenz Ansätze, derner Beitrag Modell der den Medien Anverschiedener satz auf und orien tiert sichhat in sei Operatein iona lisierungzur an Analyse der aus der Poin litik analyse stammenden 3R-Methode. Die Validität des Modells wurde im Rahmen ei
Resümee retischen
vermittelten Geschlechterkonstruktionen vorgestellt. Das Modell baut auf dem aus der kognitiven Psychologie kommenden Framing-Ansatz auf und orientiert sich in seiner
Operationalisierung an der aus der Politikanalyse stammenden 3R-Methode. Die Validität des
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nes auf eine Ausgabe der Kronen Zeitung bezogenen Pretests im Hinblick auf seine Eignung zur Analyse von Gender-Frames in der Medienberichterstattung geprüft. Für die Auswertung wurden die Codierungen zueinander in Relation gesetzt und bildeten so die Basis für die Analyse der genderspezifischen Rahmung der Beiträge hinsichtlich Repräsentation, Ressourcen und Realitäten. Die Befunde sind auf mehreren Ebenen aufschlussreich. Zum ersten sind Männer wesentlich präsenter als Frauen und werden mit höheren Ressourcen, also mit hö herer Aufmerksamkeit bedacht: Mehr als doppelt so viele Männer als Frauen treten in den Beiträgen als HauptakteurInnen auf; hinsichtlich des Textraumes nimmt die Darstellung von Männern dreimal so viel Raum ein wie die von Frauen. In Bezug auf die visuelle Darstellung ist das Verhältnis 2 : 1. Die vermittelte Sicht auf die gesell schaftliche Präsenz der Geschlechter ist also deutlich verzerrt. Eine der Verteilung in der Bevölkerung adäquate Präsenz von Frauen und Männern in der Berichterstattung gehört jedoch zu jenen Merkmalen, anhand derer die Qualität von Medien gemessen werden kann (vgl. Napoli 1999). Im Sinne des Framing-Ansatzes wird aber mit dieser verzerrten Verteilung eine bestimmte Sichtweise auf die gesellschaftliche Bedeutung und Machtkonstellation der beiden Geschlechter vermittelt. Wie anhand der »Rea litäten«-Dimension gezeigt werden kann, findet sie ihre Ursachen einerseits in der Zuordnung zu den gesellschaftlichen Handlungsfeldern: Männer sind vorwiegend im Kontext der für das kollektive Zusammenleben relevanten Themen wie Politik, Kultur, Aus- und Inland, aber auch im Sport zu finden, Frauen im Kontext der Unter haltung bei Society- und Fernsehthemen. Die verzerrte Sicht des Verhältnisses der Geschlechter zueinander korreliert andererseits aber auch mit einer in der Bericht erstattung zu findenden beruflichen Schichtung, die Männern einen im Vergleich zu Frauen wesentlich höheren sozioökonomischen Status zukommen lässt. Diese Images erweisen sich schließlich als sehr stabil, da hinsichtlich der Handlungskompetenz der Ball erneut bei Männern liegt: Sie werden so dargestellt, dass sie die dafür notwen dige Wertschätzung genießen und in überwiegendem Maße jene gesellschaftlichen Funktionen bekleiden, die Handeln erst ermöglichen. Ausdrücklich sei festgehalten, dass auf der Basis eines Pretests keine Verallge meinerung möglich ist. Vielmehr diente der Test dazu, die Eignung des vorgestell ten Framing-Ansatzes und des dafür erarbeiteten Kategoriensystems einer ersten Prüfung zu unterziehen. In einem nächsten Schritt sollten die anhand der Ele mente von Entmans (1993) Framing-Definition operationalisierten Dimensionen der »3R-Methode« faktorenanalytisch getestet werden. Aufgrund der hier nur kurz skizzierten Ergebnisse zeigt sich jedoch für die kommunikationswissenschaftliche Geschlechterforschung die Kopplung der beiden Ansätze als vielversprechender Weg, der eine mehrdimensionale inhaltsanalytische Erfassung der in den Medien vermittelten Geschlechterimages und -stereotypen erlaubt.
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Journalismus in der Verantwortung
Ökologie der Mediengesellschaft
Ökologie der Mediengesellschaft Betrachtungen des soziokulturellen und medialen Wandels im Lichte von Nachhaltigkeit Irene Neverla
Was zeichnet unser Leben in der heutigen Gesellschaft gegenüber früheren Ge sellschaftsformationen aus? Erstens die Verschmelzung von Mensch und digitaler Medientechnik; zweitens die enorme Dynamik des soziokulturellen und medialen Wandels. Es entsteht ein Sog, der unvermeidlich erscheint. Ob wir dem folgen wol len, sollen, müssen, ist die Leitfrage dieses Beitrages. Eine gedankliche Alternative bieten Überlegungen zur Ökologie der Mediengesellschaft. Der Beitrag versteht sich als Anregung zu einer kritisch-gesellschaftsanalytischen Forschungsperspek tive. Damit steht er – so hoffe ich – in guter Affinität zum intellektuellen Wirken von Elisabeth Klaus in ihren vielfältigen und hoch anregenden gesellschaftsanaly tischen Arbeiten.
Wohin geht die Reise? Die alte Trennung von Mensch gegenüber Maschine, Individuum gegenüber Me dien ist überholt. Die Medien – technische und symbolische Mittel zur Vermitt lung von Kommunikation – durchdringen so massiv und permanent wie nie zuvor unsere Sinne, Alltagswelten, Institutionen und Systeme. Die gängige Bezeichnung »Mediengesellschaft« klingt nüchtern, mehr von der Wirkungsmacht der Ent wicklung veranschaulichen Bezeichnungen wie »Mediamorphosis« (Roger Fidler 1997); »Mediatope« (Thorsten Quandt und Tilo von Pape 2010); »Mediapolis« (Roger Silverstone 2006); oder einfach »Medialife« (Deuze 2012). Mit solchen Wortschöpfungen suchen KommunikationsforscherInnen nach Bildern dafür, dass Medien und Menschen aufs engste miteinander verwachsen sind. Medien sind ubiquitär, überall und ohne Pause vorhanden, sie sind pervasiv, sie können nicht abgestellt werden, sie durchdringen alles und sind Teil unserer Identität geworden.
154 | Irene Neverla »Who you are, what you do, and what all of this means to you does not exist outside of media. Media are to us as water is to fish. This does not mean life is determined by media – it just suggests that whether we like it or not, every aspect of our lives takes place in media.« (Deuze 2012: X)
Die Entwicklung könnte aber noch weiter gehen: Der Wandel von Medien und Ge sellschaft hat eine neue Qualität angenommen, unsere Einbettung in die Medien welt ist so weit fortgeschritten, dass wir uns womöglich auf dem Weg in eine völlig neue Gesellschaftsformation, den Transhumanismus befinden. Ein zweites grundlegendes Merkmal der Mediengesellschaft ist die enorme Dynamik des soziokulturellen und medialen Wandels. Damit befasst sich mittler weile ein ganzes Forschungsfeld der Kommunikationswissenschaft, die Media tisierungsforschung (Krotz 2001; Lundby 2009; Hepp 2013). Ein auf dem Me diatisierungskonzept aufbauendes neueres Konzept ist das der kommunikativen Figuration (Hepp 2014; Hepp/Hasebrink 2014). Es führt Norbert Elias’ Figura tionskonzept weiter, indem es nicht nur generell Figurationen als Beziehungsge füge betrachtet, sondern in ihrer speziellen Ausformung und Bedeutung als kom munikatives Beziehungsgefüge. Für die Figuration als soziologisches Konzept wie auch für kommunikative Figuration als kommunikationswissenschaftliches Konzept gilt, dass es auf Mikro-, Meso- und Makroebene anwendbar ist und diese Ebenen verbindet; dass es sowohl individuelle Handlungsperspektiven wie auch gesellschaftliche Strukturperspektiven erfasst; und dass es sich damit sehr gut als gesellschaftsanalytisches Instrument und zur Analyse von sozialem Wandel eignet. Der nachfolgende skizzierte kommunikationsökologische Blick auf die Me diengesellschaft ist gesellschaftsanalytisch und kritisch angelegt. Dieser Blick auf die Mediengesellschaft versucht nicht nur ihren empirischen Ist-Zustand zu erfassen, sondern auch Gegenströmungen, Grenzen, Leerstellen, Ratlosigkeiten zu erkunden. Ein Leitgedanke bezogen auf das Individuum ist: Selbst wenn wir davon ausgehen, dass der Mensch als hoch lernfähiges Wesen imstande ist, jeg lichen kommunikativen Wandel zu verarbeiten, lässt sich fragen, was neben den Zugewinnen an Fähigkeiten und Handlungsoptionen auch die Risiken, Neben wirkungen und Verluste dieser Entwicklung sein könnten. Und bezogen auf die Gesellschaft als Ganzes: Wo entstehen Machtkonzentrationen, wie massiv sind die Wandlungen, wie tiefgreifend ist die Erosion der herkömmlichen Gesell schaftsformation, und sind wir Zeitzeugen der Emergenz einer neuen Gesell schaftsformation?
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Leitgedanken des komm un ik ationsökologischen Ansatzes Solche konzeptionellen Überlegungen stelle ich unter die Überschrift eines kom munikationsökologischen Ansatzes. Der kommunikationsökologische Ansatz stellt (vorläufig) keine stringente Theorie und auch kein geschlossenes System empiri scher Beweise dar. Er bietet vielmehr eine Perspektive, anhand theoretischer Ana lysen und empirischer Befunde auszuloten, wo wir als Gesellschaft stehen und auf welcher Reise wohin wir uns befinden. Es ist ein Konzept der kritischen Selbstbe obachtung und Selbstvergewisserung. Als Menschen mit Vernunft und Gefühlen ausgestattet haben wir immer wieder die Chance: Zu beobachten, zu bewerten, zu entscheiden. Somit sind meine Ausführungen weder kulturpessimistisch noch fortschrittseuphorisch angelegt, sondern sie folgen – wenn man ein Etikett wünscht – der Tradition der Aufklärung: Mit Vernunft zu betrachten, was wir selbst tun, um dann auf dieser Basis so weit wie möglich nach Maßgabe ethischer Regeln zu entscheiden, wohin es gehen soll, wissend im Angesicht der Komplexität, dass wir keineswegs alles steuern können. Die Frage nach der kommunikativen Ökologie in der Gesamtschau auf die Me diengesellschaft ist nicht ganz neu. Sie kam schon auf in den 1980er Jahren, als Computerisierung und frühe Digitalisierungstendenzen sowie politische Umwäl zungen der Mediensysteme zusammentrafen (vgl. Mettler-Meibom 1987; Eurich/ Bertrand 1992). Aber erst mit Internet und Worldwideweb, Smartphones und Ta blets, Facebook und Twitter gewannen die Entwicklungen an deutlicheren Kontu ren und an Dringlichkeiten. Das Konzept von Ökologie und Nachhaltigkeit hat in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts lebhafte Aufmerksamkeit erhalten und zunehmende Verbreitung gefunden. Wichtige Stationen waren wissenschaftliche Analysen, wie der 1962 veröffentlichte Bericht des Club of Rome zu den »Grenzen des Wachstums«, und der UNO-Bericht der Brundlandt-Kommission von 1987. Darin zeigt sich ein Ver ständnis von Ökologie und Nachhaltigkeit als komplexen und prozessualen Vor gängen: »Sustainable development ist not a fixed state of harmony, but rather a process of change in which the exploitation of resources, the direction of investments, the orientation of technological development and institutional change are made consistent with future as well as with present needs.« (UN Documents 1987: § 30). Nachhaltigkeit ist die Leitlinie für praktisches Handeln im Zuge sozialen Wandels. Das Konzept, die Weltbetrachtung und Lebensweise dahinter bietet der Begriff der Ökologie, verstanden als »Wechselbeziehung zwischen den Lebewesen untereinander und mit ihrer Umwelt« (Grober 2012: 151). In den Begriffen der Nachhaltigkeit und der Ökologie lassen sich vier tra gende Komponenten erkennen: Lebewesen und Umwelt, sowie Ressourcen und Bedürfnisse. Menschen sind Lebewesen, die lernfähig, entwicklungsfähig und
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anpassungsfähig sind. Umwelt umfasst sowohl die äußere Natur als auch das so ziale Umfeld. Mit Ressourcen sind gemeint die lebensnotwendigen Elemente Luft, Boden, Wasser und Nahrungsmittel sowie Rohstoffe zur Energiegewinnung. Mit Bedürfnissen sind neben den physiologischen Bedürfnissen wie Ernährung und Schutz gegen Unbilden der Natur auch soziokulturelle Bedürfnisse gemeint, wie Ansprüche auf ein Leben in Respekt, Frieden und in Harmonie mit der Umwelt. All diese Komponenten von Nachhaltigkeit und Ökologie sind nicht mathematisch exakt definierbar, aber sie sind ausreichend tragfähig für eine anhaltende und auch politisch wirksame Debatte. Kommen wir auf den kommunikationswissenschaftlich relevanten Punkt: Lässt sich die Nachhaltigkeits- und Ökologiedebatte auch auf Kommunikation übertra gen? Eine buchstäbliche Übertragung dieses weitgehend materialistisch basierten Konzepts auf das Feld der sozialen Kommunikation ist sicher nicht möglich. An dieser Stelle soll jedoch diskutiert werden, wie weit eine sinngemäße Übertragung des Grundkonzeptes und seiner Komponenten tragfähig und fruchtbar erscheint. Zunächst lässt sich als Arbeitsdefin ition festhalten: Kommunikationsökologie ist die Gesamtheit der Wechselbeziehungen zwischen den Menschen und ihrer Umwelt in Bezug auf Kommunikation – und das bedeutet, da Menschen zutiefst kommunikative Wesen sind, in vielen komplexen Zusammenhängen. Sie erfasst die Bedingungen und Handlungsweisen, die unser kommunikatives Handeln kennzeichnen. Nachhaltigkeit unserer kommunikativen Umwelt ist so zu verste hen, dass sozialer Wandel in seiner Konsistenz für gegenwärtige und zukünftige Bedürfnisse kritisch betrachtet wird. Die wesentlichen Komponenten sind: Ak teure, d. h. Menschen als Individuen und Kollektive, und zwar gleichrangig jedes Gesellschaftsmitglied, allerdings durchaus mit unterschiedlichen, möglicherweise divergenten kommunikativen Bedürfnissen. Akteure, einzeln wie kollektiv, verfü gen über Ressourcen, die letztlich immer begrenzt sind. Als Umwelt sind mediale Settings zu verstehen, v. a. in ihren technischen und organisatorischen Ausfor mungen. All diese Komponenten zu analysieren, würde den Rahmen eines Aufsatzes sprengen. An dieser Stelle soll die kommunikationsökologische Perspektive ledig lich am Beispiel der Komponente Ressourcen knapp skizziert werden.
Ressourcen der Kommunikation und ihre Nachh alt igk eit Egal in welcher Form Kommunikation stattfindet – face to face interpersonal, oder medial vermittelt interpersonal, ob massenkommunikativ in herkömmlichen For men wie als Zeitungs-, Radio-, Fernsehnutzung, oder online – Kommunikation erfordert dreierlei: Kommunikation bedarf eines Stoffs und thematischen Gegen
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stands; sie findet innerhalb einer Matrix von Zeit und Raum statt; und sie erfolgt mit einer gewissen Aufmerksamkeit. Diese Aspekte lassen sich als Ressourcen der Kommunikation begreifen. Zuwachs an Themen, Informationen, Daten Alles und jedes kann zum Stoff, zum thematischen Gegenstand von Kommunika tion werden. Was die technische Entwicklung im Laufe der Menschheitsgeschichte und vor allem die Digitalisierung der vergangenen Jahrzehnte mit sich gebracht haben, ist ein immenser Zuwachs an potenziellen Themen bzw. Informationsan geboten. Immer mehr Medien bieten immer mehr Informationsmengen in immer kürzeren Zeiteinheiten. Die kommunikationsökologischen Fragen gehen hier in zweierlei Richtungen: Was passiert mit den Nutzerinnen und Nutzern dieser Informationen? Wie viele Informationen kann der Mensch verarbeiten? Hat der Überschuss an Informatio nen Rückwirkungen auf den Umgang mit Informationen? Diese Fragen sind eng verknüpft mit den Ressourcen von Zeit und Raum, auf die ich später eingehen werde. Die andere Richtung führt zur Frage nach der Verfügungsmacht über Informa tionen und Daten: Wer kann, darf, soll sie speichern, sichten, bearbeiten, löschen? Was ist technisch möglich, was ist sozial wünschenswert? Wir bewegen uns auf dem Kontinent von ›Big Data‹ und ›Deep Land‹. Die Digitalisierung führt zu riesi gen Ansammlungen von Daten, die durch interessierte Institutionen gesammelt und nach Eigeninteresse ausgewertet werden können. Der NSA-Skandal hat dies noch dem letzten Zweifler deutlich vor Augen geführt. Im Zuge der Enthüllungen durch Edward Snowden zu den Datensammlungen der US-amerikanischen und britischen Geheimdienste ist das Thema in der breiten Öffentlichkeit angekommen. Die Haltung Einzelner wie auch von Stakeholdern zur Frage des Umgangs mit Daten ist geteilt. Wir finden liberale und liberalistische Haltungen am einen Ende, wie kulturkritische und restriktive Haltungen am anderen Ende der Meinungsska la. Als Beispiel für eine neoliberale Haltung stehen Eric Schmidt und Jared Cohen (2012), zwei hochrangige Manager bei Google. Die Zukunft sehen sie als hoch vernetzte Welt – »Bald werden alle Menschen auf diesem Planeten vernetzt sein.« (ebd.: 27), wobei Einzelne eine Vielzahl virtueller Identitäten annehmen könnten. Die Welt von Schmidt und Cohen weist an der einen oder anderen Stelle kleine Kanten und Schärfen auf. Etwa derart, dass wer sich der Transparenz verweigert einen hohen Preis zahlt, denn »der wahre Preis für die Anonymität ist die Bedeu tungslosigkeit.« (ebd.: 57). Oder derart, dass die Vielzahl von virtuellen Identitäten in den Öffentlichkeiten bei einer staatlichen Kontrollstelle gemeldet werden soll ten, um sich zu legitimieren. Auch ein massenhafter Missbrauch von Daten durch Geheimdienste wird hier nicht ausgeschlossen. Schmidt und Cohen machen nicht
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einmal einen Hehl aus der Macht ihres Konzerns, im Gegenteil: »Wir sind über zeugt, dass Portale wie Google, Facebook, Amazon oder Apple weitaus mächtiger sind, als die meisten Menschen ahnen, und dass unsere Zukunft durch ihre welt weite Nutzung geprägt sein wird.« (ebd.: 22). Schmidt und Cohen sehen darin kein Problem. Der deutsch-koreanische Philosoph Byung-Chul Han malt ein gegensätzliches Bild unserer Gesellschaft. Transparenz laute das Imperativ der Digitalisierung. Diese Transparenz führe in der Politik dazu, dass nur noch kurzfristige, populisti sche, ängstliche Entscheidungen getroffen werden; in der Literatur dazu, dass nur noch oberflächliche Massenliteratur produziert werde. Vor allem aber: »Die digitale Vernetzung erleichtert die Informationsbeschaffung dermaßen, dass das Vertrauen als soziale Praxis immer mehr an Bedeutung verliert. Es weicht der Kontrolle. So hat die Transparenzgesellschaft eine strukturelle Nähe zur Überwachungsgesell schaft.« (Han 2013: II). Im Gegensatz zu den veralteten totalitären Kontrollstruk turen der Vormoderne – mit dem Sinnbild des Foucault’schen Panoptikums, in dem die Gefangenen sich in Zellen aufhalten und einander nicht sehen, jedoch von den Wärtern allesamt gesehen und kontrolliert werden können – zeichne sich das di gitale Panoptikum dadurch aus, dass seine Bewohner sich untereinander durchaus vernetzen und miteinander kommunizieren können (ebd.). Nicht äußerer Zwang, sondern inneres Bedürfnis und die Illusion der Freiheit vollendet das Kontrollpo tenzial: Freiwillige Selbstausleuchtung und Selbstausbeutung wird zum zentralen und überaus effektiven Mechanismus. Man muss weder dem Euphemismus der Google-Manager, noch dem melan cholischen Kulturpessimismus des Philosophen folgen – man muss jedoch nüch tern festhalten, dass die technischen Möglichkeiten des Zugriffs auf schier un endliche Datenmengen von Privatpersonen eine neue Machtdimension eröffnen. Dieses Machtpotenzial liegt bei staatlichen Institutionen, bei global agierenden Konzernen, aber auch bei kriminellen Organisationen, und es könnte sich extrem zuspitzen wenn diese Stakeholder zusammenwirken. So wie die Industrialisierung und der Kapitalismus im 19. Jahrhundert neue Kräfte gebar, die schier unzähmbar erschienen (und es in gewandelter Form bis heute sind), die Zug um Zug durch staatliche Regularien einigermaßen (und niemals vollständig) domestiziert werden konnten – so stellt auch die Digitalisierung einen Fortschritt, aber auch eine Her ausforderung mit erheblichen Risiken und Nebenwirkungen dar, für deren Bewäl tigung noch nachhaltige Lösungen gefunden werden müssen. Enträumlichungen und Beschleunigungen Kommunikation findet immer in Raum und Zeit statt und der Wandel von Kommu nikation steht in engem Verhältnis zum Wandel des Raum- und Zeit-Verständnisses einer Gesellschaft.
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Unter den Bedingungen der Digitalisierung geht es weniger um den geogra phischen Raum, vielmehr um den sozialen Raum und dessen Gliederung. Dass die Welt durch das Fernsehen zu uns und in unsere Wohnzimmer kommt – diese Metapher aus der Hochblüte des Fernsehzeitalters wirkt aus dem Blickwinkel der digitalen Ära putzig und altbacken. Heute lösen sich herkömmliche Räume auf; es »verliert der Raum in vielen Hinsichten an Bedeutung in unserer spätmodernen Welt. Abläufe und Prozesse sind nicht länger lokalisiert, und tatsächliche Orte wie Hotels, Banken, Universitäten und Industrieanlagen tendieren dazu, ›Nicht-Orte‹ zu werden, also Orte ohne Geschichte, Identität oder Beziehung [. . .]« (Rosa 2013: 21). Es lösen sich die im bürgerlichen Zeitalter gültigen Grenzziehungen zwischen Privatheit und Öffentlichkeit auf. Privatheit, die als freie Sphäre in Abgrenzung von staatlichen, kirchlichen und wirtschaftlichen Mächten erkämpft worden war, erodiert in der digitalen Welt zur privaten Öffentlichkeit, zu »personal publics« (Schmidt 2013) unter weitgehend freiwilligem und aktivem Zutun der Social Me dia Nutzerinnen und Nutzer. Wie weit dieser Prozess auch in Zukunft so weiter läuft, und weitgehend unreflektiert erfolgen wird, bleibt abzuwarten. Auch die zeitliche Dimension der Kommunikation unterliegt Wandlungs prozessen. Die abstrakte Zeit der Moderne – linear, mathematisch, ökonomisch – spitzt sich zu unter digitalen Bedingungen: Die »Laborzeit« der Elektronik (No wotny 1989) kennt keinen Anfang, kein Ende, keine Unterbrechungen, nur immer mehr an Beschleunigung. Sie bietet den Menschen emanzipatorische Gestaltungs freiheiten, zum Beispiel wann und wie Medien genutzt werden können; sie setzt Menschen aber auch unter Sogwirkung, Druck und Zwang durch die Erwartung an wechselseitige permanente und pervasive Erreichbarkeit (Neverla 1999). Die al les beherrschende Entwicklungsdimension stellt jedoch Beschleunigung dar (Rosa 2013). Aus Beschleunigung resultiert nicht nur das subjektive Gefühl von immerwährender Zeitnot, im Alltag und im biographischen Verlauf. Beschleunigung ist ein objektiver Faktor, der in der Ökonomie von enormer Bedeutung ist. Das alte Sprichwort »Zeit ist Geld« führt es uns schon lange vor Augen; ebenso die neu eren »Just-in-time« Produktions- und Vertriebslinien; oder die Praxis des Hochfre quenzhandels, des »Speed Banking«, bei dem in Mikrosekunden Aktiengeschäfte gedealt werden. Aber nicht alles unterliegt den digitalen Beschleunigungskräften. Biologi sche, physiologische und geologische Entwicklungen bedürfen einer je eigenen Dauer und widersetzen sich der Beschleunigung – Schwangerschaften brauchen rund neun Monate; die circadianen Rhythmen von Schlafen und Wachen und Stoff wechselabläufe sind fast unabänderlich; Mineralstoffe brauchten Jahrtausende um zu Kohle und Erdöl zu werden. Und auch im sozialen Leben gibt es gegenläufig zum Beschleunigungssog Strömungen der Entschleunigung (Rosa 2013), manifes tiert in Programmen wie Slow Food oder Slow City, Slow Retail und Slow Tou rism; und nicht zuletzt in Slow Media.
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Kurz: Enträumlichung und Beschleunigung schreiten voran – und lassen doch auch Gegenströmungen erkennen. Dahinter stehen strukturelle und psychologische Grenzen, emotionale Befindlichkeiten und Sehnsüchte der Menschen, die als Wi derstände im Sinne von Nachhaltigkeit wirken könnten. Aufmerksamkeit: Währung auf der Suche nach Sinn Schon längst hat der Kapitalismus die Ökonomie der materiellen Waren überschrit ten, wie Nahrungsmittel, Immobilien oder Erdöl. Die Welt der Dienstleistungen und des Finanzkapitals hat die Regentschaft in der weltweiten Ökonomie über nommen. Und es hat die Logik des Kapitalismus, der Tauschhandel und das Ziel des Mehrwerts, die Lebenswelt auch außerhalb der Ökonomie durchdrungen. Im Zuge dessen haben sich neben dem Geld als Tauschmittel auch andere Währungen durchgesetzt. Eine dieser gültigen Währungen der Mediengesellschaft ist die Auf merksamkeit, die wir als Individuen erbringen (Franck 2007). Aufmerksamkeit ist eine geistige Ressource der Individuen in ihren Wahrneh mungskapazitäten, um die heftige Zugriffs- und Verfügungskämpfe toben. An die sem Kampf sind mächtige Unternehmen und Organisationen beteiligt, die etwa im Zuge von Wirtschaftswerbung und von politischen Kommunikationsstrategien um die Aufmerksamkeit der KonsumentInnen und WählerInnen buhlen. Es sind aber auch ganze Branchen bzw. soziale Felder der Gesellschaft beteiligt, wenn wir an den Journalismus und die Medienunternehmen denken. Kommunikationsökologisch betrachtet stellt sich die Frage, wie Individuen die Hoheit über ihre Aufmerksamkeit und damit über ihre geistigen Ressourcen wahren können in Anbetracht der enormen Mittel, die von Stakeholdern im Ver teilungskampf um diese Aufmerksamkeit eingebracht werden. Und im Hinblick auf den Journalismus – das System, dessen Aufgabe es ist, die Gesellschaft zu beobachten und neue, relevante und faktenbezogene Themen auszuwählen und für die öffentliche Aufmerksamkeit zu sorgen – stellt sich die kommunikationsöko logische Frage, wie stark verdichtet diese Aufmerksamkeit sein muss oder darf. Was im Zuge von Kampagnen und ›Meutejournalismus‹ an Aufmerksamkeit für ein Thema aufgebracht wird, geht anderen, vielleicht gleich wichtigen Themen, verloren.
Jenseits der Mediengesellschaft: Transhumanismus als Zukunftsszenario Kommunikationsökologie denkt auch über Szenarien und Möglichkeitsräume der Zukunft nach. Eine der denkbaren Figurationen der Zukunft ist die Weiterentwick lung des Menschen als Humanhybrid in der transhumanen Gesellschaft.
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Schon heute verschmelzen Mensch und Technik sehr weitgehend ineinander, wenn man medizinische Eingriffe betrachtet. Prothesen als Gelenkersatz, Mikro chips zur Behandlung von Gehör- und Sehstörungen, als Kommunikationshilfe bei Gehirn- und Sprechschäden, bei Gedächtnisstörungen von Demenzkranken – all diese Maßnahmen sind bereits verbreitet, oder befinden sich in der Erprobungspha se. Die rasanten wissenschaftlichen Entwicklungen stellen immer erstaunlichere Mittel und Wege zur Verfügung – vor allem in der Verbindung von Mikrochips, Nanotechnologie und Gentechnologie, aber auch auf dem Gebiet der Kryonik, der Konservierung von Organen. Kennzeichen von Humanhybriden ist die dichte Symbiose von ›natürlichen‹ Ausstattungen des Körpers, mit ›artifiziellen‹ Gegenständen. Dieser Gedanke mag so spekulativ wie manche Science-Fiction-Literatur erscheinen, abwegig ist er keineswegs. Der Mensch ist in seiner Körperlichkeit und Lebensweise nicht un abänderlich fixiert, er folgt vielmehr evolutionären Entwicklungen, die auch für die Zukunft zu erwarten sind. Was den Menschen vom Tier unterscheidet ist der Gebrauch von Werkzeugen als Fortführung und Erweiterung des menschlichen Körpers bei der Bewältigung seiner Existenz. Was den Menschen vom Humanhy briden unterscheidet ist, dass diese Werkzeuge nicht mehr als getrennte Geräte ge braucht werden, sondern in Körper und Geist des Humanhybriden integriert sind. Humanhybride – auch Androiden, Avatare oder Cyborgs genannt, ein Begriff der von der Biologin und Feministin Donna Haraway (1990) geprägt wurde – sind die menschlichen Lebewesen in der Gesellschaftsformation des Transhumanismus, wo sich die organische Synthese zwischen Mensch und Technik durchgesetzt hat. Der Transhumanismus stößt – nicht überraschend – auf sehr geteilte Einschätzungen (vgl. Brockmann 2004). Wie bei jedem Wandel finden wir Kontraste zwischen op timistischen und pessimistischen Erwartungen und grundsätzliche Debatten dar über, was den Kern des Menschenwesens und seiner Natur ausmacht, und mit wel cher Legitimation eine solche Gesellschaft ausgestattet ist. Ein dezidierter Kritiker ist der US-amerikanische Politikwissenschaftler Fran cis Fukuyama (Fukuyama 2004). Er argumentiert, dass solche Veränderungen der menschlichen Natur einem Grundgedanken der Moderne, nämlich dem Gleich heitsprinzip, widersprechen. Tierry Hoquet (2011) hingegen sieht die Entwicklung gelassen, wenngleich mit Fallstricken und Risiken verbunden. Als Gefahr sieht er Interventionen von Machtzentren, wie sie auch in der gegenwärtigen alten Welt bekannt sind. Etwa die militärstrategische Nutzung, die das US-amerikanische Militärlabor DARPA (Defense Advanced Research Project Agency) bereits voll zieht, oder die wirtschaftliche Nutzung der Humanhybrid-Technologien. All dies kann im Ergebnis zu neuen oder vertieften Klassenbildungen und gesellschaft lichen Spaltungen führen zwischen jenen, die sich die Technologien der Selbst optimierung leisten können und den ›Fastmenschen‹ oder ›Untermenschen‹ ohne Zugriff auf Humanhybrid-Technologien (Hoquet 2013: 44). Hoquet plädiert für
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die Einrichtung von staatlichen Prüf- und Ethikstellen – ein bekanntes Interven tionsmittel aus der alten Welt, beschränkt, jedoch nicht gänzlich unwirksam in seiner Effektivität. Wohin geht die Reise – das war die Ausgangsfrage. Sicherlich findet in der Me diengesellschaft ein extrem dynamischer und tief greifender Wandel statt. Heißt dies, wir stoßen an Grenzen der Mediengesellschaft im Sinne einer anstehenden Transformation hin zu einer neuen Gesellschaftsformation mit neuen Menschen typen, neuen Machtkonstellationen, neuen kommunikativen Figurationen? In ge wissem Sinne ja: Nicht im Sinne eines Endes der ›Kultur‹, nicht als schmale Linie, hinter der ein Abgrund des Verfalls aller Werte droht, die uns bisher mehr oder weniger lieb waren. Aber durchaus im Sinne einer gesellschaftlichen Dynamik durch die bisher geltende Konstellationen, Regeln, Problemlösungen unwirksam werden könnten. Wo wir landen werden, ist ungewiss. Dass wir uns aber auf einer extrem steilen Flugbahn befinden, ist sicher. Dieser Entwicklung mehr Beachtung zu schenken, und damit auch Potenziale für die Gestaltbarkeit von Gesellschaft zu erkennen und möglichst zu nutzen – dem dient das Konzept der Ökologie der Me diengesellschaft und die Frage nach der Nachhaltigkeit ihrer Komponenten.
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Integraler Journalismus
Integraler Journalismus Mediale Anforderungen an eine Weltinnen- und Weltfriedenspolitik Claus Eurich
Für das, was Carl Friedrich von Weizsäcker einmal Weltinnenpolitik nannte und was damit mehr sein will als Diplomatie im mehr oder weniger abgeschotteten Penthouse des Weltgebäudes, ist Öffentlichkeit schlichtweg konstitutiv. Und zwar in mehrfachem Sinne: Informationell, meinungsbildend, kontrollierend/kritisch begleitend, die Artikulation des Unterschiedlichen gewährleistend, integratives Welt-Bewusstsein fördernd. Weltinnenpolitik bedarf also nicht nur der Öffentlich keit, vielmehr sind neue öffentliche Diskurse, die auf das Ganze zielen, Teil und Weise ihres Selbstverständnisses. Davon jedoch sind wir noch weit entfernt. Zwar wäre es nie zu dem Eine-Welt-Bewusstsein, das wir heute bereits in durchaus Hoffnung spendender Verbreitung erleben dürfen, ohne das globale Netz werk des Medialen gekommen, doch lebt das global vorherrschende Bewusstsein in den Redaktionen und PR-Zentralen auf dieser Erde, genau wie in den großen und kleinen Zentralen der Macht noch immer vor allem vom Geist der Abgren zung, der unterschiedlichsten Zentrismen und anderer Ismen. Ausnahmen – und dazu rechne ich durchaus die deutschsprachige Qualitätspresse und diverse Angebote des öffentlich-rechtlichen Rundfunks – mitbedacht. Zugleich beobachten wir eine fortschreitende Homogenisierung und Veren gung der Weltberichterstattung und der darauf bezogenen Diskursspielräume. Neben der von Johan Galtung seit Jahrzehnten markierten Orientierung an Konflikt verschärfenden Nachrichtenwertkriterien seien hier vor allem auf Personalisierung und Affektbezogenheit, sowie die Stilisierung und emotionale Ausbeutung von Konflikten hingewiesen. Weiter fällt auf, dass gerade in den Ländern mit einer vergleichsweise an spruchsvollen medialen und journalistischen Kultur, wie etwa Deutschland, Ös terreich und der Schweiz, vor allem die Auslandsberichterstattung unter Spar maßnahmen zu leiden hat. Feste Korrespondentenplätze werden zugunsten von Krisenreportern und brennpunktfix ierten journalistischen Feuerwehrleuten abge
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baut. Das sind oft Freelancer, und sie leben von der guten Verkäuflichkeit einer Geschichte – womit wir wieder bei den Nachrichtenfaktoren Personalisierung und Emotionalisierung wären. Die Reserven für die interkulturell so notwendige Tie fenrecherche, vor allem des Ungewohnten, schrumpfen. Für Langsamkeit fehlen Zeit und Geld und Verständnis. Oder die Qualität hat eben ihren Preis! Den aber kann selbst in den Elite-Nationen nur die Info-Elite selber zahlen. So kann der Gegenwartsjournalismus in seiner Mainstream-Ausprägung als eine Form der kulturellen Gewalt gesehen werden, wenn wir auch immer mit be denken sollten, dass so gut wie alles, über das wir reden, Wissen, Einschätzungen und Vermutungen sind, die selbst auf Medieninformationen beruhen. All dies konstatieren wir in einer ökonomischen, politischen und ökologischen Weltsituation, die höchste Anforderungen an hochwertigen Journalismus und die Grunderfordernis der informationellen Grundversorgung der Menschen auf dieser Erde stellt. Qualitativ hochwertige Information und der freie Zugang zu ihr – dies sei erinnert – wird mittlerweile nicht mehr nur zu den kulturellen, sondern den ele mentaren Menschenrechten gezählt.
Integrale Erkenntnis und journalistisches Handeln Integrale Erkenntnis im Bereich der Gewinnung und Verbreitung von Informatio nen will einen Beitrag leisten, die angesprochenen Defizite zu überwinden. Was nun meint integral? Dass Evolution nicht gleichförmig verläuft, gilt innerhalb der Gattungen auf dieser Erde für die Menschheit in besonderem Maße. Jeder Menschengeist reprä sentiert eine eigene Wesenheit, einen eigenen Entwicklungsstand und eine spezifi sche Trägerschaft bzw. Repräsentation von Kultur – auch wenn das Eingebunden sein in kulturelle/geistige Felder Vorgaben macht und Markierungspunkte setzt. Für integrale Erkenntnis ist es zentral, dass in seiner Bewusstseinsfähigkeit und seinen geistigen Potentialen und damit seiner Entwicklungsfähigkeit der beson dere Auftrag für jeden Menschen – und zwar bezüglich seiner selbst und in Bezug auf das Leben und das Sein schlechthin liegt. An dem Erkennen, der Annahme und der Erfüllung dieses Auftrages hängt die Zukunft unserer Gattung, wobei mit den selbst verursachten Gefährdungspotentialen auf dieser Erde die Dringlichkeit dramatisch steigt. Wir sind zur Entwicklung befreit und verdammt zugleich. Ein weiteres Kreisen in Wunschperspektiven, die nur das Ich im Blick haben oder eine bestimmte Gemeinschaft, einen einzelnen Staat oder eine Kultur und die sich in der Versteifung auf die Grenzen den Erfordernissen des Lebensnetzes insgesamt verweigern, wäre eine in den Folgen nicht abzusehende Fehlentwicklung. Selbstreflexion steht in der Folge am Ausgangspunkt – als Person und als Kol lektiv. Selbstreflexion bildet die Voraussetzung dafür, unser Eingebundensein zu
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verstehen; das Eingebundensein in den universalen Charakter des Lebens und des Lebenswillens. Diese Selbstreflexion weist und führt über uns und über das Vor handene hinaus. Sie erschließt im Erkennen neue Denk- und damit Handlungsdi mensionen. In der Selbstreflexion nehme ich meine Lebensberechtigung, meinen Lebenswillen und meine Entwicklungsfähigkeit wahr. Als sich selbst erkanntes Leben kann ich sie so auch anderem Leben zubilligen. Aus der Selbstreflexion ersteht Selbstrespekt, die Voraussetzung für den Respekt gegenüber dem anderen Leben, ja dem Lebens- und Seinsvorgang an sich. Das Denken und das Erkennen vermögen den auf mich selbst bezogenen Willen zum Leben und zum Handeln, den Willen auch, Glück und Zufriedenheit zu erfahren, zu entgrenzen, ihn zu einem kosmischen Lebenswillen zu verfeinern. Ich vermag dies nicht zuletzt dadurch, dass ich mich als Teil des anderen Lebens erkenne, wie Albert Schweitzer es ein dringlich beschrieben hat: »Und Du vertiefst Dich ins Leben, schaust mit sehenden Augen in das gewaltige, belebte Chaos dieses Seins, dann ergreift es Dich plötzlich wie ein Schwindel. In allem findest Du Dich wieder . . . überall wo Du Leben siehst – das bist Du!« (Schweitzer 1995: 209)
Kommen wir zurück zum Journalismus und der Frage, was integrales Bewusst sein hier nun meint. Und dieses hier scheint mir für die Idee einer Weltinnen- und Weltfriedenspolitik fundamental, denn es sind die Medien, die unsere Weltbilder stiften, vielmehr als jede andere Sozialisationsinstanz, Familie inbegriffen. Die Nachrichtenbilder werden zur »primären politischen Sozialisation« wie der Frie densforscher Johan Galtung immer wieder betont. (Galtung 1998: 7) Vieles ist in diese Richtung bereits angedacht, und wir können vor allem auf den gesamten friedensjournalistischen Diskurs zurückgreifen, der im Zentrum der Berichterstattung Friedens-, statt Kriegslogik sieht bzw. in anderen Worten: Integrales, statt polarisierendes und spaltendes Bewusstsein. Vor allem Wilhelm Kempf (2005) und Nadine Bilke (2008) haben hier die von Johan Galtung ausge arbeiteten Grundlagen weiterentwickelt. Auf zumindest anspruchsvolles, qualitätsorientiertes und dem Frieden verpflichte tes journalistisches Handeln weisen zudem diverse internationale und nationalstaatliche rechtliche Bestimmungen, journalistische Kodices und vor allem die journalistische Qualitätsdebatte hin. Das dort Nieder- und Festgeschriebene bildet an sich ein so lides Fundament, um sich dem Ideal demokratischer Öffentlichkeit, auch vor dem Horizont einer Weltinnenpolitik professionell und rechtsstaatlich anzunähern. Offen bleibt dabei jedoch zumeist die Frage, was das auf der tiefenkulturellen Ebene bedeu tet – und zwar sowohl hinsichtlich der persönlichen Haltung der Journalistinnen und Journalisten als auch des systemischen Selbstverständnisses selbst. Darauf möchte ich mich nun beziehen, und ich wähle ungeachtet struktureller sowie Mediensystem bezogener Notwendigkeiten zur Akzentuierung einen indi
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vidualethischen Ansatz. Dahinter steht die in gut drei Jahrzehnten universitärer Journalistenausbildung gesammelte Erfahrung, dass etwa die so überfällige Ver änderung der Nachrichtenfaktoren zunächst der Arbeit an der inneren Haltung und der Entwicklung einer integralen Vernunft der journalistischen Handlungsträger bedarf. Durchgewunkene Kodices bleiben folgenlos, wenn sie nicht das Herz und die Tiefenschichten des Bewusstseins erreichen. Unabhängig davon scheinen mir mehr denn je die Zukunft des Journalismus und das des demokratischen Mediensystems am Faktor der Qualität und der ethi schen Fundierung zu hängen. Dies folgt, nebenbei gesagt, auch der ökonomischen Vernunft. Denn damit Wirtschaft – gerade auch Medienwirtschaft – funktioniert, bedarf es neben gesunden Märkten und sie stützenden Institutionen immer auch des ethischen Fundaments. Fehlt dieses, brechen über kurz oder lang auch die an deren Faktoren als Folge einer tiefen Glaubwürdigkeitskrise weg. Das genau haben die letzten Wirtschaftskrisen gezeigt. Journalismus, der diesen Namen verdient, ist informationeller Dienst an der Kultur, der Gesellschaft, der Weltgemeinschaft und der Erde mit ihren (noch) un zähligen Lebensformen. Dieser Dienst ist existentiell. Er muss als hochqualitatives Angebot erbracht werden, selbst wenn in der Wellenbewegung der publizistischen Moden die Nachfrage sinkt bzw. sich auf ein Kern-Fundament zurückbewegt. Un abhängig von der Nachfrage also bedarf Weltöffentlichkeit des Angebots, sich de mokratisch informieren und damit partizipieren zu können. Als Anstoß für den Diskurs möchte ich einige Grundelemente eines integralen Journalismus ansprechen, der von den Erfordernissen der Gegenwart her Qualität und Professionalität etwas weiter fasst als in den bekannten Zugängen. Ich möchte dabei das Konzept der Achtsamkeit, das Orientierungen bieten kann, ins Zentrum rücken. Die folgenden Leitwerte greifen Überlegungen auf, die ihren Ursprung in Konzepten der gewaltfreien Kommunikation, vor allem bei Rosenberg, sowie diskurstheoretischen Ansätzen finden, führen diese weiter, ergänzen und inte grieren sie. Wahrhaftigkeit Journalismus in seinem Grundauftrag wird getragen von der Wahrheitsliebe und der wahrhaftigen Aussage in Text, Ton und Bild. Die Forderung nach einer Wahr heit an sich mit dem sie prägenden interkulturellen und intersubjektiven Abso lutheitsanspruch kann dabei selbstredend nie eingelöst werden. Eine in sozialen Kontexten stehende und in kulturellen Kontexten sozialisierte und wahrnehmende Person beobachtet, erklärt und urteilt immer standortgebunden. Um Wahrheit als ein absolutes Gut also kann es in der Kommunikation sowie vor allem in einem globalen Journalismus nicht gehen. Was möglich ist, ist das Streben nach Wahr
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haftigkeit und den immerwährenden Versuch des Ringens um eine teilbare »Wahr heit« als Verständigung. Zur journalistischen Professionalität und Kompetenz gehört in diesem Kon text, sich der Prägung der eigenen Sprache durch die biografischen, kulturellen und professionellen Bezüge, in denen ich stehe, bewusst zu werden. Die Reflektion dieser Bezüge schwächt die allseits präsente Versuchung, sich in so genannten kul turellen und/oder politischen Selbstverständlichkeiten, Selbsttäuschungen, beque men Falschheiten und tröstlichen Illusionen einzurichten. Sie weist den Weg zu der mir möglichen Authentizität und Aufrichtigkeit. Es wird oft übersehen, dass auch bei so genannten sachlichen oder sachbezogenen Auseinandersetzungen und Klärungsprozessen es als geradezu existentiell anzusehen ist, seine doch immer präsenten Gefühle, Erwartungen, Hoffnungen und Ängste im Bewusstsein zu hal ten und sie ggf. zu kommunizieren, genau wie die Selbst- und Fremdbilder, die ich in mir trage. Erst die Offenheit hinsichtlich der Topographie meiner Innenwelten und ihre Transparenz – soweit dies dem journalistischen Vermittlungsauftrag dient – macht das gesprochene und wie auch immer vermittelte »Wort« aufrichtig und wahrhaftig. Geist des Nichtverletzens Auf der Kehrseite der Wahrhaftigkeit liegen die Lüge und ihre Vorstufen: Hohle Phrasen, Gerüchte, Gerede um des Geredes, Worte um der Worte, Bilder um der Bilder willen. Es sind Botschaften und Informationen ohne Wurzeln. Und sie hin terlassen, wenn auch gelegentlich nicht sofort spürbar und ersichtlich, eine Wunde auf beiden Seiten, der des Rezipienten und der des Verursachers. Wahrhaftigkeit ist deshalb, trotz der Klarheitsschmerzen, die auch sie bereiten kann, der Schlüssel für jede nichtverletzende Kommunikation und jeden nichtverletzenden, deeskalie renden Journalismus. Zur Kunst dieses Journalismus gehört allerdings auch, keine neuen Wunden im Namen der Wahrhaftigkeit zu reißen. Zwischen dem vermeintli chen Erkennen der Wahrheit, der Verhinderung ihrer Beugung und der Notwendig keit, sie tatsächlich auszusprechen, liegen erhebliche Spielräume. Es gibt allerdings auch ein missverstandenes Nichtverletzen durch Kommu nikation. Das Bemühen, solche Menschen, Menschengruppen, aber auch größere Kollektive wie Religionsgemeinschaften oder selbst Staaten ja nicht bewusst zu verletzen, die ständig eine erhöhte Verletzbarkeit, Überempfindlichkeit und Kränk barkeit signalisieren, gesteht diesen eine spezifische Machtposition zu. In der Psy chotherapie sprechen wir von Ohnmacht als Pression. Es führt zu chronischen und oft unterschwelligen Konfliktsituationen. Die Instrumentalisierung von Schwäche und Ohnmacht ist weit verbreitet. Zum Nichtverletzen in einem weiteren Sinne ge hört deshalb die Thematisierung der missbrauchten »Schwäche«.
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Empathie Empathie hebt als spezifis cher Wahrnehmungsakt in das Bewusstsein, was Men schen bewegt und verbindet. Sie bewegt sich vorsichtig tastend zwischen Nähe und Distanz, Fremd- und Selbstwahrnehmung, Ich- und Wir-Verständnis. Als journalistische Tugend umschreiben lässt sich diese behutsame Bewegung als Zeugenschaft, die bemüht ist, Vergleiche zu vermeiden. Als Zeuge bin ich zu nächst nicht an einer sachlich, zeitlich oder auf Personen/Kollektive gerichteten Problemlösung beteiligt. Vielmehr suche ich die Begegnung mit dem, was das journalistische »Du« als Person, Kollektiv oder Sachzusammenhang bewegt. Für den empathischen Zugang zu einzelnen Menschen, Kollektiven, Staaten und Kul turen ist dabei die Reduktion auf den Akt der Begegnung grundlegend. Sie macht die Empathie unterscheidbar von Mitleid, Sympathie oder Antipathie, verhindert, sich mit Personen oder Dingen gemein zu machen. Die fremde Befindlichkeit, die in der journalistischen Begegnung einfühlsam wahrgenommen wird, darf nicht zur eigenen des Journalisten werden, wenn er eine Situation und die Anteile anderer Menschen daran verstehen und sie in der Folge angemessen vermitteln will. Werden fremde zu eigenen Gefühlen, löst sich die für die Zeugenschaft un verzichtbare Beobachterperspektive auf. Die Kunst der Empathie besteht jedoch darin, zu verstehen, ohne das Verstandene zu rechtfertigen oder zu entschuldi gen; zu verstehen, ohne sich in Abscheu abzuwenden; zu verstehen, ohne die Unterscheidung in Opfer und Täter, wenn solche Rollen bestehen, zu nivellieren. Das einfühlende Verstehen, das wir Empathie nennen, setzt die Bereitschaft zur Ausrichtung auf das Gegenüber und es setzt Empfänglichkeit voraus. Es lebt von der intrinsischen Bereitschaft, das zunächst möglicherweise Fremde, Unge wohnte und auch Unverständliche trotzdem verstehen zu wollen. Es erfordert die Fähigkeit, zwischen Fühlen, Denken und Analysieren permanent zu wechseln, damit im Wechsel der Beziehungsfaktoren Bedeutungs- und Verhaltensmuster transparenter werden. Erschwert wird dieser hochkomplexe Verstehensprozess noch dadurch, dass die Personen oder Sachverhalte, denen wir uns verstehend zu wenden, kontextuell und geschichtlich eingebunden sind. Das zu Verstehende lebt immer zugleich in unterschiedlichsten kulturellen, gesellschaftlichen und sozialen Bezugssystemen und entsprechenden prägenden Mustern. Auch diese Faktoren gilt es mit zu erfassen und mit zu bedenken. Dass sie nicht selten zusätzlich in direkter Konfrontation zu denen des journalistischen Beobachters stehen, weist auf ein Folgeproblem hin. Bevor ich in der Lage bin, den Anderen oder das Andere zu verstehen, muss ich mich als journalistischer Akteur selbst erkannt und verstanden haben, um Überlagerungen, Projektionen und blinden Flecken so weit wie möglich vorzubeugen, aber auch, um die Gründe zu verstehen, wenn eigene Emotionen das Fremdverstehen blockieren. Die Reflektion der eigenen Wahrneh mungskoordinaten gehört zu diesem Vorgang des Selbstverstehens.
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Hören Zur Verbesserung der journalistischen und der kommunikativen Kompetenz an sich gibt es unterschiedlichste Aus- und Weiterbildungsangebote, die helfen, sich in Sprache, Mimik und Gestik angemessen auszudrücken. Selten aber werden sie mit der immer zunächst erforderlichen Anforderung konfrontiert, sich im rechten Hören zu üben. Hören ist in unserer Kultur zu einem nahezu vergessenen Kultur gut geworden. Gesammeltes Hören beruht auf gesammeltem, tiefem Schweigen. Es schweigt das innere Mitsprechen, es schweigt das innere Argumentieren, noch während das Gegenüber spricht. Es gibt der Rede Sinn und ermöglicht dem Wort des Anderen, etwa in Interviewsituationen, das Gewicht, das ihm zusteht. Wahrhaft zuhören, gerade auch in der Situation eines Interviews oder einer medialen Gesprächsrunde entfaltet schöpferische Energie. Es ermöglicht den, dem ich zuhöre, und es ermöglicht mich – als Person und in meiner professio nellen Rolle. In der Tiefe des Hörens entsteht der Raum, der ins Werden bringt, was ansonsten blockiert bliebe. Zuhören kann als Korrespondenzbegriff für Re spekt und für die Annahme des Anderen gesehen werden. Die im Hören erweckte schöpferische Energie kann sich dann uneingeschränkt ausdehnen, wenn der Hö rende lernt loszulassen: Hoffnungen, Wünsche, Ängste, Erwartungen, Erinne rungen, Urteile, Bewertungsmuster, bloße Vermutungen und voreilige Schlüsse. Dann kommen auch die ansonsten schnell überhörten und für das journalistische Gebot der Wahrhaftigkeit so entscheidenden Nuancen in das Feld der Wahrneh mung. In der Tiefe Hören dient der Entschleunigung der Kommunikation, und es er leichtert Präsenz, also das Sein im Hier und Jetzt, in der Unmittelbarkeit der Situa tion mit ihren Anforderungen. Sie schafft den Raum für die notwendige Tiefe der Wahrnehmung und wird so zur Voraussetzung für eine angemessene Reflektion. Ambiguitätstoleranz Wirklichkeit ist kontingent, unsicher, uneindeutig und widersprüchlich. Der Wi derspruch bewegt als Motor die geistige und kulturelle Evolution. Wie viel mehr gilt dies für globale Kontexte und Ereignisfelder. Jedes bewusste Gespräch, jeder tiefe Dialog, jede Auseinandersetzung mit politischen oder weltanschaulichen Fragen führen in die Erfahrung, dass es keine Aussage, keinen Satz gibt, der nicht sein Gegenteil schon immer in sich trüge. Wenn wir also in der Wahrhaftigkeit nach Wahrheit streben, so erfordert dies zu lernen, mit Widersprüchen nicht nur zu leben, sondern sie als Teil und aufgehoben in einer Wirklichkeit zu sehen, die größer ist als die der eigenen Weltbildkonstruktion. Anders gesagt: Das ei lige Streben nach Eindeutigkeit, gerade in der journalistischen Vermittlung und
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hier wiederum besonders in den Nachrichtenformaten, führt an Vereinfachun gen, Blindheiten und schablonenhaftem Denken vorbei. Ambiguitätstoleranz hält demgegenüber aus. Sie erträgt den Widerspruch, thematisiert ihn, hält ihn im Spiel. In ihr respektiert der Kommunikator, dass es bezogen auf dieselbe Frage Antinomien, also unvereinbare und doch jeweils in sich stimmige Wahrheiten geben kann. Ambiguitätstoleranz heißt mehr als passives Tolerieren. Nicht voreilig Gewiss heiten zu konstatieren, schließt die aktive Auseinandersetzung mit Unterschieden und Differenzen ja nicht aus. Im Gegenteil. Wahrhaftigkeit fordert dies unmiss verständlich ein. Es geht um die Weise des Ringens und des Klärens; es geht um meine Bereitschaft, Standpunkte zu riskieren; es geht um die Selbstsicherheit, die sich im Loslassen findet und bestätigt; es geht um einen sich stetig erneuernden und weiterführenden Lernprozess, gerade auch mit dem Blick auf Öffentlichkeit im Feld der Weltinnenpolitik. Kontextualität Grundaussage kulturwissenschaftlicher Perspektive und Erkenntnis ist die Ein sicht, dass es keinen Text ohne Kontext gibt. Wie viel mehr kann dies als Axiom für journalistisches Handeln gesehen werden. Erst durch die Einbettung in den ak tuellen, gesellschaftlichen und historischen Kontext werden Nachricht und Bericht zur Information, die bei den Rezipienten lebensweltlich und bewusstseinsmäßig andocken kann. Es gibt ausgesprochene und unausgesprochene Formen von Kontextualität. Oft werden die notwendigen Beziehungen und Bezüge durch thematische Kontinuität und eine darauf bezogene Zeitnähe hinreichend gewährleistet. Achtsamer Journa lismus wird sich dann um eine Wortwahl bemühen, die sowohl dem Inhalts- und Sprachaspekt des auf den Rezipienten bezogenen Verstehens gerecht wird wie auch der diachronischen Tiefenschärfe. Bei anderen Themen wird es zur Heraus forderung, für den unter Aktualitätsgesichtspunkten ausgewählten Inhalt den Kon text sachlich, zeitlich und sozial erst herzustellen. Dabei spielt die Reflektion des (vermuteten) Vorwissens der Rezipienten die entscheidende Rolle, was auch die Notwendigkeit entsprechender Forschung und deren redaktioneller Rezeption und Diskussion deutlich macht. Kontextualität und Verständlichkeit liegen auf einer Ebene. Journalistische Selbstreflexion hinsichtlich des eigenen kulturellen Hintergrunds und der eigenen Sprachcodes kommen dem genauso entgegen, wie die Bereitschaft, Sprache als Prozess zu sehen und an angemessenen Sprachschöpfungen zu arbeiten. Kontextualität erschließt schließlich die Tiefe eines Sachverhalts und leistet den entscheidenden Beitrag hinsichtlich der Forderungen nach Richtigkeit und Vollständigkeit.
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Diese sechs Leitmotive für einen achtsamen Journalismus entspringen einer Lebenshaltung, die auf dem Geist des Nichtverletzens gegenüber allem Leben, der Verbundenheit mit dem Leben in seiner Vielfältigkeit an sich und einer darauf be zogenen prozessorientierten Selbstreflexion beruht. Selbstreflexion als journalis tische Basistugend setzt dabei voraus, zu mir selbst als Beobachter in Distanz zu treten und mich in eine Metaperspektive, also Zeugenschaft zu bewegen. Achtsamkeit dient als Verständigungsgrundlage der Weltgesellschaft über sich selbst und ermöglicht die Tiefenwahrnehmung gesellschaftlich/kultureller Prozes se. Sie vermag Vertrauen in Information und Diskursqualität da wieder herzustel len, wo diese der Quoten heischenden Zuspitzung und Skandalisierung und der öffentlichkeitswirksamen Inszenierung von Politik zum Opfer gefallen sind. Acht samkeit richtet sich schließlich aus auf qualitative Tiefenschärfe statt ein mehr und mehr an Information um ihrer selbst willen, und sie möchte damit einer Beschleu nigung hin zu einem Zustand vorbeugen, der mit Jean Baudrillard als strukturelle Amnesie bezeichnet werden kann.
Integrale Vernunft Eine so umschriebene journalistische Grundhaltung bedarf zu ihrer Verwirklichung entsprechender Ausbildungsangebote. Ein breites gesellschaftliches und kulturel les Grundwissen, Bildung im klassischen Sinne also, ist dafür genauso Vorausset zung wie eine Schulung der Wahrnehmung und die Orientierung an einem integra len Erkenntnis- und Vernunftbegriff. Ein solches Verständnis von Erkenntnis und Vernunft basiert nach meiner Auffassung auf fünf Säulen: I. Weltzugang durch Analyse, logisches Schließen und wissenschaftlich begründete Erkenntniszugänge Hier sind Intersubjektivität, Nachvollziehbarkeit, Überprüfbarkeit und Verallge meinerbarkeit zentrale Kriterien. Es ist das, worauf sich der Blick der »rationalen« Welt normalerweise beschränkt. II. Sinnlicher und erfahrungsbezogener Weltzugang Hier spielen die reflektierten Erfahrungen, mit denen Menschen im Leben stehen, die zentrale Rolle. Diese Erfahrungen werden von den Sinnen gesteuert, und sie sind immer mit Gefühlen, aber auch mit Hoffnungen und Erwartungen und in der Folge Bewertungen verbunden. Um diese zu erkennen, ist die Reflektion entschei dend – als Selbstreflektion, aber auch durch Begleitung/Beratung und Supervision, die im System Journalismus noch immer ein Schattendasein fristen.
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III. Intuition Intuition bietet Zugang zu einem Wissen, das normalerweise vor uns verborgen ist. Verdrängtes, aufgrund notwendiger Selektion nicht Wahrgenommenes, Unbewuss tes, kollektiv Unbewusstes, aber auch das, was Henri Bergson als »metaphysisch gegebene Erlebniszeit« bezeichnet, gehören dazu – nicht zu vergessen das »Bauch gefühl« in Klärungs- und Entscheidungssituationen. Intuition lässt sich schulen, wir können die Sinne dafür verfeinern. Und es lässt sich daran arbeiten, solchen nicht intuitiven Täuschungen zu erliegen, die durch Projektionen etc. zustande kommen. IV. Weisheit Die großen Weisheitslehren und Weisheitsschulen auf dieser Erde halten einen un erschöpflichen Schatz an Lebens- und Orientierungswissen bereit. Dieses Wissen ist von seinem Charakter her überzeitlich, was etwa in den ethischen Traditionen der Weltreligionen zum Ausdruck kommt. Weisheit stellt immer wieder die not wendige Distanz zu der Verfangenheit im Moment und der Wahrnehmungsbegren zung in der Situation her. Sie weitet den Blick über uns hinaus und stellt uns in Beziehung mit dem Ganzen. V. Kontemplation Dies ist der Weg und zugleich die innere Haltung dazu. Der kontemplative Weltzu gang errichtet einen inneren Raum der Gelassenheit. Hier entstehen Kraft, Klarheit und das Vertrauen zu umsichtigem Erkennen und Handeln. Hier findet aber auch die über den Tag hinausweisende Erkenntnis ihren Platz und ihren Raum zur Ent faltung. Kontemplation und die innere Haltung der Achtsamkeit geben den ersten vier Säulen ihre Tiefe. Immer wieder wird in der Alltagswelt und in professionellen Kontexten die eine oder andere Säule zur momenthaft tragenden Säule werden. Doch gerade dann ist es wichtig, die jeweils anderen im Horizont und in der Hintergrundstrahlung des Be wusstseins zu halten. Qualitätsjournalismus bedarf dieses integralen Weltzugangs – im Sinne des Selbstwertes der journalistisch Handelnden, im Sinne der Gesellschaft und der Kultur, in die Journalismus eingebettet ist und damit im Sinne des Ganzen. Dies alles ist kein Kurzzeitprogramm, sondern vielmehr einer Generationenper spektive geschuldet, und es ist damit eine enorme Herausforderung für die akademische Journalistenaus- und weiterbildung. Es erfordert die Aufgabe so mancher kultureller, aber auch professioneller Selbstverständlichkeiten und Bequemheiten. So gesehen ist es immer auch ein Wagnis mit uns selbst – wenngleich ohne ernsthafte Alternative.
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Literatur Bilke, Nadine (2008): Qualität in der Krisen- und Kriegsberichterstattung. Ein Mo dell für einen konfliktsensitiven Journalismus. Wiesbaden: VS Verlag. Deutscher Bundestag (2002): Schlussbericht der Enquete-Kommission. Globali sierung der Weltwirtschaft – Herausforderungen und Antworten. Berlin, Kapitel 5.2.1 Digitale Spaltung, S. 262–277. Eurich, Claus (2013): Mensch Werden. Ein Appell an unsere Eliten in Wirtschaft und Gesellschaft. Wiesbaden: Springer/Gabler. Eurich, Claus (2008): Wege der Achtsamkeit. Über die Ethik der gewaltfreien Kommunikation. Petersberg: Via Nova. Galtung, Johan (1998): Frieden mit friedlichen Mitteln. Frieden und Konflikt, Ent wicklung und Kultur. Opladen: Leske + Budrich. Kempf, Wilhelm (2005): Modelle des Friedensjournalismus. In: Projektgruppe Friedensforschung Konstanz (Hrsg.): Nachrichtenmedien als Mediatoren von Peace-Building, Demokratisierung und Versöhnung in Nachkriegsgesellschaf ten. Berlin: Regener, S. 13–35. Rosenberg, Marshall B. (2007): Gewaltfreie Kommunikation: Eine Sprache des Lebens. Paderborn: Junfermann. Schweitzer, Albert (1995): Albert Schweitzer Lesebuch. München: Piper. van Dijk, J. (2005): The deepening divide: Inequality in the information society. Thousand Oaks: Sage.
Friedensjournalismus – ein Oxymoron?
Friedensjournalismus – ein Oxymoron? Ingrid A. Lehmann
Friedensjournalismus in Zeiten des Krieges scheint ein Widerspruch in sich. Viele Autoren, die das Beziehungsgeflecht zwischen Medien und Politik erforschen, se hen Kriegsjournalismus als die vorherrschende Form der Berichterstattung über internationale Konflikte und Kriege. Phillip Knightley stellt in seinem Klassiker »The First Casualty – The War Correspondent as Hero and Myth-Maker from the Crimea to Kosovo« (2002) anschaulich dar, wie das berühmte Wort von Hiram Johnson von 1917, »The first casualty when war comes, is truth«, in den Kriegen von 1854 bis heute seine Anwendung fand. Der Begriff »Friedensjournalismus« entwickelte sich Ende des 20. Jahrhunderts als eine der Forderungen der europäischen Friedensbewegung. In den Schriften von Johan Galtung und seinen MitstreiterInnen wie Mari Ruge wurde zunehmend auch die Rolle der Medien in der Friedenspraxis diskutiert. Als Standardwerke des Frie densjournalismus gelten im englischsprachigen Raum das Buch von Jake Lynch und Annabel McGoldrick »Peace Journalism« (2005) und im deutschsprachigen Raum die Schriften von Nadine Bilke (2002; 2008), Wilhelm Kempf (2007; 2008) und Claus Eurich (2008; in diesem Band). Friedensjournalismus wird von seinen VerfechterInnen im Gegensatz zum vorherrschenden »Kriegsjournalismus« gese hen. Während Kriegsberichterstattung vorwiegend militärische Ereignisse im Fo kus hat, will »Friedensjournalismus« die Opfer kriegerischer Handlungen auf allen Seiten in den Vordergrund stellen, will Lösungsmöglichkeiten für Konflikte aufzei gen und weist der Berichterstattung generell eine deeskalierende Funktion zu. Der ständig wachsende Einfluss von digitalen Medien im Internetzeitalter hat das Augenmerk von KommunikationswissenschaftlerInnen auf die Zusammenhänge von Medien, Krieg und Frieden gelenkt (Zelizer/Allen 2001, Büttner/von Gottberg/Met ze-Mangold 2004; McQuail 2006; Bennett/Lawrence/Livingston 2007). Elisabeth Klaus sprach bereits 2002 die Hoffnung aus, »dass die Ideen eines Public Journalism wie auch die Vorstellungen von einem Friedensjournalismus nicht dauerhaft überhört werden« (Klaus 2002: 302) und richtete in ihrer Aufarbeitung des Forschungsfeldes »Medien und Krieg« 2005 den Fokus auf Kommunikationsprozesse, Mediensysteme, medienvermittelte Diskurse und Friedensberichterstattung (Klaus 2005).
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Kriegsjournalismus, »patriotischer« Journalismus und neue Medien als Instrumente von Kriegsp rop ag anda Mit dem Kosovo-Krieg 1999 fand der »Kriegsjournalismus « einen neuen Höhe punkt. 2700 JournalistInnen begleiteten die 50.000 Nato-Truppen, die nach den Luftattacken auf Serbien im Kosovo landeten. Laut Henry Porter, dem Kolum nisten des britischen Observer, teilte sich die Medienbranche in die Mehrheit, die ein »gullible plaything« der Nato war, und die Minderheit der Korrespondenten in Belgrad, die durch zu enge Beziehungen mit den Serben kompromittiert wur den (Porter 1999, zit. n. Knightley 2002: 505). Elisabeth Klaus, Kerstin Goldbeck und Susanne Kassel untersuchten 2002 den Informationskrieg um das Kosovo und fanden in ihrer Analyse der Berichterstattung der einflussreichsten deutschen politischen Wochenzeitschrift Der Spiegel zwei interessante Phänomene. Zum ei nen trug deren Berichterstattung schon 1999 zu einer intensivierten Kritik an den USA bei, wodurch »die amerikanische Weltmacht zu einem Gegenbild Europas stilisiert« wurde und sich somit Europa zunehmend als legitime Vertreterin des »Westens« sehen konnte (Klaus/Goldbeck/Kassel 2002: 300). Zum anderen stel len die Autorinnen fest, dass die Spiegel-Berichterstattung aus dem Jahre 1999 »eine politisch und militärisch höchst komplexe Situation mit zahllosen Akteuren [. . .] auf eine Weise reduziert, die insgesamt den Nato-Einsatz und die Beteili gung der Bundesrepublik legitimiert, ja als zwingend erscheinen lässt.« (ebd.: 301) Nach den Terroranschlägen des 11. September 2001 auf New York und Wa shington bemerkten politische BeobachterInnen erschreckt, wie in den USA der journalistische Schulterschluss mit der Bush-Regierung zu einer wichtigen Trieb feder öffentlicher Unterstützung für die bevorstehenden Kriege in Afghanistan und später Irak wurde. Es kam, wie Paul Krugman 2003 konstatierte, zu einem Bruch zwischen den USA und Europa, sowohl in der Medienberichterstattung als auch in der öffentlichen Meinung. Krugman nannte dieses Phänomen den »great transatlantic media divide« (Krugman 2003), der die Entfremdung der transatlantischen Öffentlichkeiten im Vorfeld des Irak-Krieg vertiefte (vgl. Leh mann 2004). Der frappierende politische Anpassungsprozess vieler amerikanischer Me dien1 mündete in einen regierungshörigen »patriotischen Journalismus« (Wais bord 2002; Scherer 2002). Ihm konnten sich selbst angesehene Leitmedien wie die New York Times nicht entziehen. Auch die NYT hinterfragte kaum die irre führenden Behauptungen der Bush-Regierung, die den Sturz Saddam Hussein 1 Ausnahmen waren das Atlantic Monthly, Harper’s, The Nation, The New Yorker und der New York Review of Books.
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legitimieren sollten (vgl. Lehmann 2005), und bekannte erst spät ihre eigenen Verfehlungen.2 Als jedoch den Terrorattacken vom 11. September 2001 weitere in Europa – die Anschläge in Madrid am 11. März 2004 und danach in London am 7. Juli 2005 – folgten, begann eine Solidarisierung der europäischen Öffentlichkeit. Westliche Medien fokussierten sich zunehmend auf Al Qaida und Osama Bin Laden und folgten der amerikanischen Linie des »Kriegs gegen den Terror«. Nach weiteren Bombenanschlägen in Mumbai vom November 2008 wuchs die Überzeugung, dass eine weltweite islamistische Terrorkampagne eine neue globale Bedrohung darstellte. Osama Bin Laden selbst benutzte vorwiegend interne Kommunikations kanäle und simple Videobotschaften, um seinen Kampf zu vermitteln. Anwar AlAwlaki, der in den USA geboren war, stilisierte sich zum »Osama des Internets«, der regelmäßig auf YouTube erschien und auf Facebook und seinem Blog postete. Der selbstdeklarierte »Islamische Staat« (IS) in Irak und Syrien benutzt digitale Medien und stellt sich zu Propagangazwecken zunehmend in sozialen Netzwerken dar. Scott Shane und Ben Hubbard beschrieben die ISIS-Kommunikationstechni ken 2014 in der New York Times: »ISIS is online jihad 3.0. Dozens of Twitter accounts spread its message, and it has posted some major speeches in seven languages. Its videos borrow from Madis on Avenue and Hollywood, from combat video games and cable television dramas, and its sensational dis patches are echoed and amplified on social media. When its accounts are blocked, new ones appear immediately. It also uses services like JustPaste to publish battle summaries, Sound Cloud to release audio reports, Instagram to share images and WhatsApp to spread graphics and videos.« (Shane/Hubbard 2014)
Darüber hinaus will ISIS 2015 zehn Fernsehkanäle inklusive »Kalifat Live« star ten, um neue Kämpfer zu rekrutieren und SympathisantInnen zu werben (vgl. Kastler 2015). In den letzten Jahren fanden mehrere kriegerische Auseinandersetzungen in Gaza, der Ukraine, Syrien, Libyen, Mali und Sudan statt, in denen subtile Propa gandakampagnen eingesetzt wurden. Im jüngsten Gaza-Krieg benutzten sowohl Israel als auch die Palästinenser Fotos, Videos und soziale Netzwerke, um ihre je weilige Perspektive der Weltöffentlichkeit zu verkaufen. Der fragwürdige Umgang mit Fakten beim israelischen Angriff auf Gaza wurde in verschiedenen Medien, u. a. der Zeit, kritisiert: »Das Leiden der Menschen in Gaza anzuerkennen war in den vergangenen Wochen in Israel fast ein Ding der Unmöglichkeit. Kolumnisten, 2 Die NYT hat sich am 26. Mai 2004 von ihrer eigenen Irak-Berichterstattung distanziert und öffentlich dafür in einem Leitartikel entschuldigt (vgl. »The Times and Iraq«, http:// www.nytimes.com/2004/05/26/international/middleeast/26FTE_NOTE.html ).
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die über die hohe Zahl ziviler Opfer erschraken, ernteten im Internet einen Shit storm sondergleichen . . .« (Böhm 2014) Gudrun Doringer (2014) konstatierte hin sichtlich der Gaza-Berichterstattung mit Bezug auf Knightleys These: »Die Wahr heit ist unterbelichtet.« Im Sommer 2014 wurde auch die russische Berichterstattung zu ihrem Konflikt mit der Ukraine während der Krim-Kampagne zu einem Top-Thema westlicher Medien. So stellte die vormalige CNN-Korrespondentin Jill Dougherty (2014) ihre im Joan Shorenstein-Center der Harvard University erstellte Studie unter den Titel »Everyone Lies«. Diese Beispiele zeigen, dass die wachsenden Herausforderungen durch digitale Medien, die den Konfliktparteien größeren Einfluss auf die Meinungsbildung von stra tegisch wichtigen Öffentlichkeiten geben denn je zuvor und die mit der Verknappung von Ressourcen einhergehen, für die traditionelle Berichterstattung durch Zeitungen und Fernsehen in den westlichen Ländern, zu einer weiteren Propagandisierung der vielfältigen Medien in den Kriegsgebieten führen werden.
Friedensjournalismus, Journalism of Attachment und konf likts ens it iv er Journ al ism us Friedensjournalismus entstand, wie oben erwähnt, bereits in den 1970er Jahren als eine Idee von FriedensforscherInnen um Johan Galtung. Das Konzept wurde angesichts der sich verfestigenden Tendenz zu Propaganda und Kriegsjournalis mus während der Jugoslawien-Kriege (Thompson 1999; Kurspahic 2003) und dem Massenmord in Ruanda (Melvern 2004) von JournalistInnen wieder aufgegriffen, die unbeteiligte »neutrale« Berichterstattung angesichts von ethnischen Säuberun gen, Vertreibungen und Massenmord für unmoralisch und unprofessionell hielten. JournalistInnen wie Martin Bell (1995), Philip Gourevitch (1999) und Marie Colvin (2013) und forderten einen »Journalism of attachment« im Bosnien-Krieg und in Ruanda, einen Journalismus, der über die Leiden der Zivilbevölkerung und die Friedensbemühungen der internationalen Gemeinschaft berichtete. Viele ihrer KollegInnen sahen aber Gefahren in einem emotionalen, anteilnehmenden Journa lismus. So schrieb Brendan O’Neill (2014) nach dem Tod von Marie Colvin in Sy rien über die Korrespondentin, die aus zahlreichen Kriegsgebieten berichtet hatte: »The journalism of attachment represented a not uncontroversial turning point in the his tory of war reporting. In emphasizing attachment over neutrality, and emotionalism over objectivity, the new breed of attached reporter became more like an activist, an international campaigner, rather than a dispassionate recorder of fact and truth.«
Eine intensive Debatte des Konzepts »Peace Journalism« fand 2006 und 2007 in dem Magazin conflict and communication online statt. Praktiker des Journa
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lismus wie der BBC-Korrespondent David Loyn beurteilten darin Peace Jour nalism überaus kritisch und bestanden darauf, dass JournalistInnen stets nach Objektivität suchen müssen. Loyn (2003; 2007) hält »good journalism and peace journalism« für unvereinbar und sieht die Hauptaufgabe für JournalistInnen im »Witnessing the Truth«. Der Kommunikationswissenschaftler Thomas Hanitzsch kritisierte, dass »Friedensjournalismus keine Frage der persönlichen Freiheit ist« und »die strukturellen Bedingungen im Journalismus berücksichtigen« muss, die der organisierten Nachrichtenproduktion auferlegt sind (Hanitzsch 2007). Diese lebhafte Auseinandersetzung zwischen den Verfechtern des Friedensjournalismus Lynch und Peleg und den Kritikern Loyn und Hanitzsch stellte die Problematik von ideellen Werten im »Qualitätsjournalismus« in den Raum und thematisierte die praktischen Realitäten, denen sich JournalistInnen in der Konfliktberichter stattung ausgesetzt sehen. Wilhelm Kempf (2007) brachte die Debatte in seinem bedeutenden Beitrag »Peace Journalism – a tightrope walk between advocacy journalism and construc tive conflict coverage« auf den Punkt: »What peace journalism criticizes about the media is, to be sure, that specific facts are sys tematically concealed. But even here the critique is not primarily of the facts themselves, but rather of the escalation potential that unfolds from ascribing meanings that translate the mix of reported and suppressed facts into a comprehensible narrative. Conflict is an interactive process, and like all human actions it involves (at least) three different kinds of reality. There is one party’s subjective reality and the subjective reality of an opponent. While both these realities can only be assessed from within the respective party’s perspective, the third kind of reality can only be assessed from an external perspective and shows how subjective realities interact with each other. In order to evaluate the escalation or de-escalation potential of the conflict parties’ reality constructions, an external perspective is needed. And from this exter nal perspective, we may well criticize some reality constructions as biased toward promoting conflict and appreciate others as more balanced and open-minded.«
Bleibende Zweifel an Konzept und Praktikabilität des Friedensjournalismus führ ten zu seiner Verfeinerung durch VertreterInnen des »konfliktsensitiven Journa lismus« wie Howard (2003), Bilke (2008) und Betz (2013). Dieses Konzept ist getragen von dem Bedürfnis nach besserer journalistischer Konfliktanalyse und praktischen Kompetenzen in der Krisen- und Kriegsberichterstattung, die in den zunehmend asymmetrischen Konflikten nach dem 11. September 2001 ReporterInnen, RedakteurInnen und KommentatorInnen ständig vor neue Herausforderun gen stellten. Nichtregierungsorganisationen und Trainingsinstitute begannen sich mehr und mehr auf die praktische Unterstützung journalistischer Arbeit zu kon zentrieren. Ross Howard veröffentlichte 2003 im Auftrag des IMS (International Media Support) in Dänemark und dem Institute for Media, Policy and Civil War
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in Vancouver, Kanada ein »Handbook of Conflict Sensitive Journalism«, welches die Unterschiede zwischen traditionellem und konfliktsensitivem Journalismus an vielen Beispielen herausarbeitete und JournalistInnen die Möglichkeit gab, Ursa chen und Konsequenzen von internationalen Konflikten besser zu verstehen und zu verarbeiten. Er schrieb: »A conflict sensitive journalist applies conflict analysis and searches for new voices and new ideas about the conflict. He or she reports on who is trying to resolve the conflict, looks closely at all sides, and reports on how other conflicts were resolved. A conflict sensitive journalist takes no sides, but is engaged in the search for solutions. Conflict sensitive journa lists choose their words carefully.« (Howard 2003: 15)
Howards Handbuch wurde in mehreren von Kriegen geschüttelten Ländern wie Af ghanistan, Burundi, Kenia, Nepal, Ruanda und Sudan zum Standardwerk für jour nalistische Ausbildung und wurde 2009 als Trainingsmaterial von der UNESCO herausgegeben. Zehn Jahre später analysierte Michelle Betz in einem Aufsatz für das IMS, wie sich das Konzept des konfliktsensitiven Journalismus weiterentwi ckelt hatte und betonte, dass das journalistische Umfeld, die ständig wachsenden Gefahren für ReporterInnen in den Kriegszonen, sowie neue technologische Kom munikationsmittel und der Einfluss der Zivilgesellschaft auf die Berichterstattung (»citizen journalism«) die praktische Arbeit von KorrespondentInnen verändert und die Notwendigkeit von weiterer Sensibilisierung von JournalistInnen verstärkt haben (Betz 2012). Julia Hoffmann hat 2013 eine Studie für die University of Peace in Costa Rica, unter dem Titel »Commuication for Peace« verfasst, in der sie den Medien nur eine, wenn auch bedeutende, Rolle in der Kommunikation zu Frieden und Kriegs thematik zuspricht. Hoffmann (2013: 11)3 stellt fest: »There are a broad variety of actors engaged in a wide range of activities when it comes to communication for peace. Local governments, media organizations and NGOs, sometimes supported by or alongside of international news media, training organizations, international organizations engaged in peace operations, UN agencies (such as UNDP, UNESCO) as well as bilateral donors (such as USAID, DFID) and INGOS (such as Hirondelle, USIP, OSI).«
Wie Andreas Herrmann von der Initiative zur Förderung des Friedensjournalismus e. V. (pecojon.de) auf dem Global Media Forum 2014 in Bonn feststellte, hat der Friedensjournalismus viele Gesichter (Herrmann 2014). Ein Journalist wie Rous 3 Eine umfassende Analyse verschiedener Kommunikationsformen im Sinne einer »Commu nication for Peace« (C4P) bietet der von Julia Hoffmann und Virgil Hawkins (2015) her ausgegebene Sammelband »Communication and Peace. Mapping an Emerging Field«.
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beh Legatis, der für die Nachrichtenagentur Inter Press Service (IPS) arbeitet, sieht ReporterInnen in Konfliktzonen als »unentbehrlich« an (Legatis 2012). Weiterhin gibt es das internationale Netzwerk Pressenza, das für Frieden, Gewaltlosigkeit und Humanismus in den Medien eintritt. Auch das gemeinsam von der Huffington Post und dem Berggruen Institute for Global Governance Anfang 2014 gegründete Internet-Newsportal The WorldPost bemüht sich, ein breiteres, lösungsorientiertes Spektrum von internationalen Nachrichten zu vermitteln.
Internationale Organisationen
und
Friedensmedien
Die Rolle von Kommunikation bei den Friedensbemühungen von internationalen Organisationen wurde nach den negativen Erfahrungen der UNO in den Kriegen der 1990er Jahre in Bosnien, Somalia und Ruanda (Lehmann 1999) stärker thema tisiert. Unter der Führung von Generalsekretär Kofi Annan wurde die Kommunika tion der UNO-Friedensmissionen mit den Öffentlichkeiten in den Konfliktgebieten verbessert (vgl. Lindley 2007; Lehmann 2009). Eine aktivere Informationspolitik sollte der Kommunikation mit den Konfliktparteien helfen und somit die Durchset zung des Friedensprozesses unterstützen. Da die politischen Anforderungen an die internationale Gemeinschaft durch neue Bürgerkriege und asymmetrische Konflikte nach 2000 ständig wuchsen und neue Medien verstärkt auch in Krisengebieten eine wichtige Rolle spielten, wurde die Kommunikation in und aus den Kriegsgebieten eher noch schwieriger. Auch wenn einige schwelende Konflikte so z. B. auf dem Balkan oder im südlichen Afrika unter der Ägide internationaler Organisationen durch sogenannte »media development«-Programme eine neue offenere Medienkultur entwickelten (vgl. Betz 2015), gab es in anderen Regionen, vor allem in Nahost nach Abklingen des Arabischen Frühlings, einige Rückschläge. Internationale Hilfsorganisationen wie UNHCR oder UNICEF sehen sich mit anschwellenden Flüchtlingsströmen und katastrophalen gesundheitlichen Pro blemen der Menschen in den Krisengebieten konfrontiert, die ihre Aufgaben ins schier Unendliche wachsen lassen. Die Beteiligung von regionalen Organisationen wie der EU, der AU, der OSZE und der NATO an der Friedensschaffung ermög licht zwar eine bessere Arbeitsteilung, hat aber die Anzahl von Handelnden und die Intensität ihrer Bemühungen derart verstärkt, dass durch die Auffächerung der Zuständigkeitsbereiche neue Kommunikationsprobleme entstanden sind. Gleich zeitig hat sich auch die Anzahl der in Konfliktgebieten tätigen Nichtregierungsor ganisationen multipliziert, was die Koordination untereinander und damit auch die Kommunikation mit der Außenwelt weiter erschwert. Diese Herausforderungen wurden 2012 von Julia Egleder in ihrer vergleichen den Studie »Peace through Peace Media?« am Fall Kosovo analysiert. Egleder hat
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in akribischer Arbeit die Kommunikationserfahrungen von UNO und NATO in Kosovo von 1999 bis 2008 nach den Standard-Kriterien des Friedensjournalismus untersucht. Sie versucht Galtungs Konzept auf die Öffentlichkeitsarbeit von zwei internationalen Organisation anzuwenden und kommt zu dem Schluss, dass die UN-Friedensmission UNMIK überzeugender für den Friedensprozess agierte, ob wohl die NATO-Operation KFOR mehr Ressourcen zur Verfügung hatte: »While KFOR was less successful in producing credible peace journalism, the force was more successful in the conduct of a strategically led media production process than UNMIK was.« (Egleder 2012: 275). Leider war die UN-Mission im Kosovo damit nicht wirklich erfolgreich, da UNMIK ein sehr viel schlechteres Image im Land hatte als die NATO. UNMIK wurde von vielen Menschen als impotent und we gen ihrer Bemühungen um interethnische Kooperation von der albanischen Mehr heit als zu serbenfreundlich angesehen. Die Friedenskommunikation der UNMIK schlug daher fehl, was Egleder so interpretierte: »Messages transmitted through the media have only a limited effect on the formation of attitudes in a target audi ence.« (Ebd.: 271) Egleders Studie relativiert somit die Bedeutung von Medienarbeit durch internationale Organisationen. Wie Kurspahic (2003), Melvern (2004), Arbuckle (2006) und Gilboa ( 2007) gezeigt haben, sind lokale, ethnisch isolierte oder durch Warlords manipulierte Medien in akuten Konfliktgebieten häufig bedeutender für die Meinungsbildung der lokalen Bevölkerung als internationale Organisationen und globale Medien. So stellte der New York Times-Kolumnist Thomas Friedman jüngst mit Bezug auf die vom »Islamischen Staat« benutzten neuen Medien fest: »Indeed, ISIS is telling us what it wants us to know through Twitter and Face book, and keeping us from anything it doesn’t want us to know.« (Friedman 2014) Für PraktikerInnen der Kommunikation für den Frieden ist die Arbeit daher noch schwieriger geworden.
Zusammenfassung und Einschätzung Die Forderung, dem Friedensjournalismus eine Chance zu geben, hat neue Ansätze für eine sensiblere Berichterstattung zu internationalen Konflikten aufgezeigt. Die lebhafte Debatte um den Begriff selbst hat das journalistische Selbstverständnis herausgefordert und die abstrakte Diskussion um Kriegs- oder Friedensjournalis mus intensiviert. Die »reine« Kriegsberichterstattung wurde zwar schon früher durch Knightley und andere kritisiert, doch hat sich die Herausforderung der traditionellen westli chen Medien durch neue Medien, die sehr viel stärker von Konfliktparteien in den asymmetrischen Konflikten des neuen Jahrtausends eingesetzt werden, verschärft. Wie Virgil Hawkins (2015) in seiner neuesten Studie betont, ist eine Medienkritik
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schon allein deshalb wichtig, weil westliche Medien nach wie vor nur über eine Minderheit von aktuellen internationalen Konflikten berichten, während die Mehr zahl marginalisiert und von der Berichterstattung ausgeschlossen ist. So erscheint die Idee einer globalisierten Medienwelt, in der alle über alles berichten, als illu sionär. Bisher hat sich die Forderung nach Friedensjournalismus für die meisten Me dien nicht als effektive und praktikable Arbeitsweise durchsetzen können. Hin gegen hat seine Weiterentwicklung zum konfliktsensitiven Journalismus praktische Anwendung in der Journalistenausbildung in verschieden Regionen der Welt ge funden. Journalistische Reportage-Techniken wurden verfeinert, die ein breiteres Spektrum von BeobachterInnen und AkteurInnen in Konfliktregionen hörbar und sichtbar machen. BeobachterInnen vor Ort (»citizen observer«), die mit Laptop, Videokamera und Smartphone ihre Version des Geschehens kommunizieren, wer den vermehrt in die Berichterstattung der traditionellen Medien einbezogen. Wir alle haben dadurch Zugang zu einer größeren Vielfalt von ZeugInnen des Kriegs geschehens, die die Erfahrungen von einfachen Menschen, die unter den Kämpfen leiden, sichtbar machen. Aber auch PropagandistInnen der einen oder anderen Seite benutzen ver mehrt die neuen Medien. Die ISIS-Werbekampagnen im Internet sind zwar für uns schwer zu verstehen, müssen jedoch in Frage gestellt werden, um sie zu entkräften. So zeigen uns Jake Lynch und Annabel McGoldrick in ihrem Buch »Peace Journa lism « eine Reihe von Strategien auf (Lynch/McGoldrick 2005: 107), welche die aktuelle Berichterstattung auf kriegspropagandistische Entstellungen überprüfen helfen. Dazu zählen die Benutzung mehrerer journalistischer Quellen mit unter schiedlicher Sichtweise, die Vermeidung von Wiederholungen nicht bestätigter Behauptungen der Kriegsparteien, Vorsicht bei dem Gebrauch dämonisierender Terminologie, Erinnerung an historische Erfahrungen mit Kriegshetze und Propa ganda und deren Konsequenzen u. ä. Während sich das ursprüngliche Konzept des Friedensjournalismus von Galtung nicht durchgesetzt hat, sind in seiner Fortentwicklung wichtige Ansätze aus der Konfliktforschung, der Krisenkommunikation und der Sensibilisierung von ReporterInnen aufgenommen worden. Friedensjournalismus scheint angesichts der Verschärfung von Konflikten in Nahost, in Teilen Afrikas und der Ukraine schwie riger denn je, doch wird internationale Kommunikation über Grenzen hinweg durch neue Medien erleichtert. Kommunikation und Frieden sind, wie Hoffmann, Hawkins und ihre KoautorInnen im Sammelwerk »Communication and Peace« (2015) darstellen, eng miteinander verknüpft und ihre positive Interaktion sollte in Zukunft weiter erforscht und angewendet werden.
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Feministische Gegenöffentlichkeiten im zerfallenden Jugoslawien
Feministische Gegenöffentlichkeiten im zerfallenden Jugoslawien der 1990er Jahre Doris Gödl
Ideologische Transformationsprozesse Der englische Historiker Eric Hobsbawm hat das vergangene Jahrhundert als ›Jahr hundert der Extreme‹ beschrieben: »The world, or large parts of it, is being chan ged by violence« (Hobsbawm 1995: 570). Am Beispiel des politischen Zerfalls des ehemaligen Jugoslawien soll gezeigt werden, wie politische Transformationspro zesse unter Druck geraten und gewalttätig implodieren. Das Jugoslawien nach Titos Tod im Jahr 1980 ist von zwei sich überlappenden Entwicklungen gekennzeichnet. Während Anfang der 1980er Jahre das kommunis tische System aufgrund sozialer, wirtschaftlicher und politischer Faktoren immer mehr in Bedrängnis kommt, und sich Ungewissheit und Orientierungslosigkeit in den Menschen breit macht, benützen nationalistische Ideologen und Ideologinnen das entstandene Vakuum, um ihre Ideologien als rettende Insel anzubieten. Dies bedeutet im Wesentlichen keine radikale Änderung, sondern es wird eine autoritäre gegen eine nationalistische Ideologie ausgetauscht. Die Bevölkerung, die sich an diese Art und Weise des politischen Manövrierens angepasst hat, ist wie ein Spielball in den politisch-ideologischen Auseinandersetzungen, wobei das Na tionale bzw. Programme zur Schaffung von nationalen Wahrheiten im Mittelpunkt stehen. Damit zeichnet sich die politische Katastrophe bereits ab: An die Stelle ei ner Solidarisierung der demokratischen Kräfte tritt eine Entsolidarisierung entlang nationaler Linien. Auf diese Weise kommt es statt einer Ablöse des kommunisti schen Systems zu einer Zerschlagung der Vielvölkerstaates. »Das war die Stunde der alten und neuen Machteliten, die den nationalistischen Zug kräftig in Schwung brachten, die Kontrolle über die Medien an sich rissen und ihren jeweiligen Völ kern die Angst vor den anderen implantierten.« (Beham 1994: 125) Die Politik wird ›ethnisiert‹, indem die eigene ethnische Gruppe adressiert wird. Die Folge ist eine Politisierung, in die Frage der ethnischen Zugehörigkeit zum zentralen Iden tifikationsmerkmal wird (vgl. Wieland 2000). Die nach dem zweiten Weltkrieg ge
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bildete ›jugoslawische Identität‹ erweist sich als instabil und zerfällt in serbische, kroatische und bosnische Identitäten, die primär über die Religion und Territorium konstruiert werden. Es entwickelt sich eine Dynamik zwischen Religion, Territo rium und einer ›Blut und Boden‹ Ideologie, die nicht nur zum Zerfall des Landes, sondern zu einer nachhaltigen Zerstörung des gesellschaftlichen Zusammenhalts führt (vgl. Gödl 2007). Heute, fast 20 Jahre nach Kriegsende, leben die Menschen in ethnisch homogenen Nationalstaaten, oder, wie im Fall der bosnischen Föde ration, in ethnisch segregierten Gesellschaften, deren Trennungslinien durch den Krieg gezogen und im Friedensabkommen von Dayton 1995 festgeschrieben wur den. Nationalismus, Krieg und Gewalt haben den Grundstein für die territoriale und politische Neuordnung im ehemaligen Jugoslawien gelegt. In Bosnien, wo die gelebte Vielfalt aufgrund der ethnischen Zusammensetzung der Bevölkerung vor dem Krieg Alltag war, hat der gewalttätige Nationalismus ein besonderes Ausmaß angenommen: der Versuch eine ethnische Gruppe zu zerstören und auszulöschen. Die von serbischen (para)militärischen Truppen durchgeführten Massenvergewal tigungen an muslimischen Frauen und die Ermordung von muslimischen Männern im Juli 1995 in Srebenica sind Beispiele für den ethnischen Nationalismus, der Vernichtung und Zerstörung zum Ziel hat. In diesem Beitrag beschreibe ich Rolle und Funktion von Öffentlichkeit in ge walttätig zerfallenden Gesellschaften. Die Analyse der nationalistischen Ideologie, die als zentrale Wegbereiterin von Krieg und Gewalt identifiziert wurde, wird aus einer Gender Perspektive vorgenommen, da sie auf die symbolische Repräsentanz von Frauen abzielt und diese politisch in den Dienst nimmt. In meinen Analy sen folge ich dem kommunikationstheoretischen Ansatz von Elisabeth Klaus, die Öffentlichkeit als gesellschaftlichen Selbstverständigungsprozess beschreibt (vgl. Klaus 2001). Diese Selbstverständigung, so meine Argumentation, wird im Falle des ehemaligen Jugoslawien zu einem politisch umstrittenen Prozess, in dem die hegemonial gewordene nationale Öffentlichkeit durch feministische Gegenöffent lichkeiten herausgefordert wird. Am Beispiel des in Serbien und Kroatien am Be ginn der 1990er Jahre entstehenden ›ethnischen Nationalismus‹ zeichne ich die öffentlich geführten Kontroversen zwischen hegemonialer Macht und trans- und internationaler Gegenmacht am Beispiel der heftig geführten Auseinandersetzun gen um die Anerkennung der Kriegsvergewaltigungen als Kriegsverbrechen nach. Im Abschnitt ›Öffentlichkeit als gesellschaftlicher Selbstverständigungspro zess‹ beschäftige ich mich mit der ideologischen und politischen Vereinnahmung von Frauen durch eine nationalistische und ethnisierte Politik (vgl. Klaus 2001). Dabei fokussiere ich zunächst auf die Analyse des symbolischen Transformations prozesses aus einer Gender Perspektive, um den ethnischen Nationalismus als po litischen Motor für einen gesellschaftlichen Selbstverständigungsprozess darzu stellen, in dem der Körper der Frauen zum ideologischen und realen Schlachtfeld wird.
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Der kommunikationstheoretische Ansatz von Elisabeth Klaus dient meiner Analyse als theoretische Folie, um die Dynamik zwischen der ›Ethnisierung von Politik‹ und der ›Politisierung der Ethnien‹ als zentralen Gegenstand gesellschaft licher und politischer Kontroversen im zerfallenden Jugoslawien zu beschreiben. Im Verlauf der politischen Ereignisse zwischen Mitte der 1980er und Anfang der 1990er Jahre wird in Jugoslawien ein ›ethnischer Nationalismus‹ hegemonial, der Frauen politisch und militärisch instrumentalisiert. Sie werden als Symbol der Na tion, als Bewahrerin der nationalen Tradition und als Hüterin der ethnischen Gren zen öffentlich inszeniert (vgl. Anthias/Yuval-Davis 1989). Damit rücken sie in den Fokus einer ethnisierten Politik, für welche die ethnische Homogenität der Nation politisch und militärisch zum obersten Ziel wird. Die Analyse des ›ethnischen Na tionalismus‹ aus einer Genderperspektive macht deutlich, dass die nationalistische Rhetorik und Propaganda als öffentliche Vorboten für Kriegsvergewaltigungen an gesehen werden können.
Öffentliche gesellschaftliche Selbstverständigungsprozesse Der während der Tito Ära befriedete Nationalismus der ›Einheit und Brüderlich keit‹, wird nach seinem Tod durch eine Politik der Ethnisierung ersetzt. War die Frage der ethnischen Zugehörigkeit im sozialistischen Jugoslawien der ›jugosla wischen Identität‹ untergeordnet, wird sie ab Mitte der 1980er Jahre zum bedeu tenden ideologischen und politischen Faktor. Im Prozess der Homogenisierung beginnt die Gesellschaft sich in ein ›Wir‹ und ein ›Sie‹ zu spalten. Dabei wird der an sich neutrale Unterschied zwischen den ethnischen Gruppen politisch und ideologisch instrumentalisiert und in ein ›Freund-Feind‹ Verhältnis verwandelt. Frauen werden in diesem Transformationsprozess zur besonderen Zielscheibe na tionalistischer Vereinnahmung. Am Beispiel der medialen Darstellung von Frauen am Beginn des Krieges in Kroatien wird die ideologische Instrumentalisierung der Frauen dargestellt und analysiert. Als der Krieg im Jahr 1991 ausbricht, wird die im Entstehen begriffene Na tion medial durch heroische Bilder junger Frauen, die bereit waren für die junge Nation zu sterben, repräsentiert (vgl. Kesić 2000). Nach der Unabhängigkeit Kroa tiens, die 1992 erfolgte, ist die ›junge Nation‹ dabei, den Krieg zu verlieren. Nun ist es nicht mehr die heroische, sondern die ›gefallene Frau‹ die ›Hure‹, welche die Nation symbolisiert. Denn, so der Journalist Ivkosic Milan, ›nur Frauen erge ben sich ihrem Schicksal kampflos‹ (vgl. Ivkosic 1992). Auf einer symbolischen Ebene wird damit die Verantwortung für die militärische Niederlage auf die Frauen verschoben, die auf diese Weise einem nationalen Stereotyp unterworfen und öffentlich attackiert werden. »Women,s bodies became first symbolic, than real
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battlefields, on which all kinds of wounds, discrimination and violence can be in flicted.« (Kesić 2000:21) In diesem Kontext werden Kriegsvergewaltigungen als ›nationalistic offense‹, und nicht als Gewalt von Männern gegenüber Frauen, ver standen. (vgl. Jalusic 1994) Diese Vergewaltigungsmetapher spielt in Folge eine wichtige Rolle in der Militarisierung der Gesellschaften, denn mit dem Bild der ›vergewaltigten Nation‹ werden in Folge Krieg, Gewalt und Gewaltexzesse legiti miert. (vgl. Jalusic 1994) Die mediale Öffentlichkeit leistet einen wichtigen Beitrag zur Verbreitung die ser Metapher. Sie zeichnet ein Bild vom Krieg, in dem Freund und Feind klar unterschieden und für die Kriegsverbrechen die jeweils andere Gruppe verantwort lich gemacht wird. So werden die Berichte über Kriegsvergewaltigungen auf der einen Seite tabuisiert, die Stimmen der Opfer zum Schweigen gebracht. Auf der anderen Seite macht eine feministische Gegenöffentlichkeit darauf aufmerksam, dass das Bild der vergewaltigten Frau zum »medium for every sort and kind of po litical abuse and an unthinkable pornographic desire of a (number) of scribblers« wird. (Kašić in Kesić et al. 2003: 13) Der weibliche Körper, so die Journalistin Vesna Kesić, wird zum ideologischen und realen Schlachtfeld in diesem Krieg. »Their bodies have been turned into a symbolic war front on which warrior men prove their twofold supremacy: as members of a warring side and as the sex that sends a message to the enemy that it is capable of defeating and humilia ting him on the body of his wife, the reproductive nucleus and symbolic property that has to be destroyed in order to show who is the stronger.« (Kesić et al. 2003: 42) Die ser feministische Gegendiskurs führt in der mittlerweile ›nationalistisch-konditio nierten‹ Gesellschaft der 1990er Jahre zum Konflikt, der öffentlich ausgetragen Teil eines ›Verständigungsprozesses der Gesellschaft über sich selbst‹ wird (vgl. Klaus 2001). Am Beginn der 1990er Jahre bestimmt in Jugoslawien vorrangig eine nationalistisch ausgerichtete Politik auf welche Art und Weise politisch relevante Themen öffentlich dargestellt und verhandelt werden. Elisabeth Klaus verweist in ihrer Beschreibung von Teilöffentlichkeiten auf die Bedeutung und das Ineinan derwirken unterschiedlicher gesellschaftlicher Kräfte. »Die dominanten Institutio nen des bürgerlichen Staates wie Regierungen, Parlamente und Gerichte bestim men ebenso wie auch die Massenmedien gesellschaftliche Thematisierungs- und Verständigungsprozesse massgeblich mit.« (Klaus 2001: 22) Vor diesem Hinter grund identifiziert Klaus ›Teilöffentlichkeiten‹, die sich auf ›Basis gemeinsamer sozialer Erfahrungen‹ konstituieren. »Teilöffentlichkeiten [. . .] sind unter ande rem schicht-, generationen-, geschlechts- und kulturspezifisch. Teilöffentlichkeiten zeichnen sich durch ihre jeweiligen spezifis chen Diskussionsweisen und Kommu nikationsformen aus.« (Klaus 2001: 23) Dieses Konzept der Teilöffentlichkeiten dient als Vorlage für die Beschreibung von feministischen Gegenöffentlichkeiten im zerfallenden Jugoslawien.
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Feministische Gegenöffentlichkeiten 1 Als sich die kriegerische Gewalt am Beginn der 1990er Jahre in Jugoslawien ab zeichnet, beginnen Menschen gegen Krieg und Nationalismus zu demonstrieren. Die größten Massendemonstrationen finden 1991 in Belgrad statt. Als die Regie rung die Pressefreiheit einschränkt und unabhängige Medien starken Repressionen aussetzt, gehen mehr als hundert tausend Menschen auf die Straße um zu protestie ren. Die Proteste werden von der Polizei und der Armee mit Gewalt aufgelöst. In meinem Beitrag konzentriere ich mich auf den Widerstand der Frauen, da sie von der Gewalt mehrfach betroffen sind. Sie werden auf der symbolischen Ebene die Frauen zu ›Hüterinnen der Nation‹ umgedeutet und damit zur realen Ziel scheibe eines gewalttätig eskalierenden Nationalismus gemacht. Der weiblichen Körper wird zum ›realen Schlachtfeld‹ sexualisierter Gewalt (vgl. Kesić 2000). Dagegen leisten Frauen Widerstand. Sie greifen mit ›widerspenstigen Praktiken‹ in das politische Geschehen ein (vgl. Fraser 1994). Intellektuelle, Aktivistinnen oder Frauengruppen stellen mit ihren Aktivitäten den gesellschaftlichen Konsens in Frage und fordern die politische Macht Deutungsmacht heraus. Zwei Formen von ›widerspenstigen Praktiken‹ werde ich in meinem Beitrag beschreiben. Die Form des individuellen Protests, des sich Einmischens aufgrund eines kritischen Selbstverständnisses werde ich anhand der berühmt gewordenen ›Fünf Hexen‹ aus Zagreb beschreiben. Es ist das Beispiel von Zivilcourage, in dem diese fünf Frauen (Journalistinnen, Wissenschaftlerinnen und Schriftstellerinnen) sich mit kritischen Beiträgen in den öffentlichen Diskurs einschalten und damit zum nationalen Feindbild werden. Die kollektive Form des Widerstands, wird am Beispiel des ›Center for Women War Victims‹ beschrieben. Das Zentrum wird 1993 in Zagreb von einer Handvoll Aktivistinnen mit dem Ziel gegründet, betroffenen Frauen zu helfen und eine kriti sche Öffentlichkeit herzustellen. Beide Formen können mit Elisabeth Klaus als ›mittlere Öffentlichkeiten‹ ange sehen werden. Wie noch zu zeigen ist, nutzen die beschriebenen Öffentlichkeiten die Verbindungen zu anderen Teilöffentlichkeiten, um ihre Anliegen politisch zu propagieren (vgl. Klaus 2001). Feministische Gegenöffentlichkeiten werden so mit Teil einer ›komplexen Öffentlichkeit‹, deren hegemoniale Deutungsmacht sie jedoch nicht brechen können. »Im kulturellen Kampf um gesellschaftliche Deu tungsmacht haben komplexe Öffentlichkeiten weit mehr Gewicht als mittlere Öf fentlichkeiten und diese wiederum können ihren Interessen eher Ausdruck verlei hen als einfache Öffentlichkeiten.« (Klaus 2001: 26)
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Der Kampf der Frauen gegen die nationalistische Zurichtung Nationalismus, so die Anthropologin Svetlana Slapšak (1997), ist der größte Feind der Frauenbewegung. Und doch hat der aggressive Nationalismus in Jugoslawien am Beginn der neunziger Jahre des letzten Jahrhunderts wesentlich zur sozialen und politischen Mobilisierung von Frauen beigetragen. Während nationalistische Führer sich einer Hasssprache bedienen, um ihr nationales Projekt mit Gewalt durchzusetzen, mobilisieren Frauen gegen das nationale Projekt. Unabhängig von ethnischer, politischer oder sozialen Zugehörigkeit leisten Frauen schon am Be ginn der neunziger Jahre in Belgrad, Zagreb, Sarajevo oder Ljubljana Widerstand gegen Rassismus, Nationalismus und Kriegshetze. Als die politische Führung in Belgrad und Zagreb die Frauen zur nationalen ›Pflichterfüllung – Kinder zu ge bären und ihre Söhne dem Land zu opfern‹ – aufruft, wird der Widerstand größer. Nicht nur bekannte Intellektuelle wie die Schriftstellerinnen Slavenka Drakulic oder Dubravka Ugrešić treten gegen diese nationalistischen Vereinnahmungsver suche der Frauen auf, auch feministische Aktivistinnen und unzählige Frauengrup pen mobilisieren gegen diese extreme Form einer patriarchalen Politik. So fordern unterschiedliche Frauengruppen, etwa die ›Women in Black‹ (Belgrad), ›Women to Women Sarajevo‹ oder das ›Center for Women War Victims‹ (Zagreb), die po litische Macht heraus und versuchen mit vielfältigen Aktionen die internationale Gemeinschaft auf die Situation im Land aufmerksam zu machen. »We wanted our presence to be VISIBLE, not to be seen as something ›natural‹, as part of a woman’s role. We wanted it to be clearly understood that what we were doing was our political choice, a radical criticism of the patriarchal, militarist regime and non-violent act of resistance to policies that destroy cities, kill people, and annihilate human relations.« (Mladjenovic/Hughes 1999: 5)
Als die systematischen Kriegsvergewaltigungen in Bosnien an die Öffentlichkeit dringen, verstärkt sich der Widerstand der Frauen. Ob es die ›Women in Black‹, die ›Antiwar Campaign Croatia‹ oder das ›Center for Women War Victims‹ sind, sie alle protestieren gegen die systematische Vergewaltigung muslimischer Frauen durch serbische Streitkräfte. Paul Salzman (1998) hat die systematische Ver gewaltigung muslimischer Frauen als militärische Strategie beschrieben, die be reits vor Ausbruch des Krieges geplant war und die ›Befreiung‹ des serbischen Territoriums von der muslimischen Bevölkerung zum Ziel hatte. Alle am Krieg beteiligten Parteien haben sexuelle Gewalt gegen Frauen ausgeübt. Die Massen vergewaltigungen an muslimischen Frauen sind jedoch primär von serbischen Truppen durchgeführt worden. Die Kritik der Frauen richtet sich gegen sexuellen Gewalt als Strategie des ›ethnic cleansing‹ und verweist in ihren Analysen darauf, dass die Vergewaltigungen nicht vom ›allgemeinen Serben‹, sondern vom ›allge
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meinen Soldaten‹ begangen werden (vgl. Kesić et al. 2003). Wenn die Gründerin der Belgrader Frauengruppe ›Women in Black‹, Lepa Mladjenovic, die Anerken nung aller Vergewaltigungsopfer fordert, dann stellt sie gleichzeitig fest, dass die meisten Vergewaltigungen durch serbische Soldaten begangen wurden. (vgl. Mladjenovic 1999) Mit dieser Aussage bricht die Aktivistin mit einem nationalen Tabu und wird in Folge in der serbischen Öffentlichkeit zur ›Landesverräterin‹ erklärt. Frauengruppen in Zagreb, Sarajevo oder Ljubljana solidarisieren sich mit Mladjenovic und verstärken ihre Zusammenarbeit. Diese Form des trans nationalen Protests wird in der medialen Öffentlichkeit als ›unpatriotisch‹ und als ›Verrat am Vaterland‹ gebrandmarkt, da er zugleich die hegemoniale Macht der ›politisierten Ethnien‹ in Frage stellt. Der Druck auf die Aktivistinnen ver stärkt sich, als ihre Aktivitäten, insbesondere der Kampf um die Anerkennung der Vergewaltigungen als Kriegsverbrechen, internationale Aufmerksamkeit erhalten. Unter dem Titel ›Rape as Weapon‹ hat die Frauenlobby Zagreb im Dezember 1992 ein Aufruf verfasst, um die Internationale Gemeinschaft auf die Situation der muslimischen Frauen in Bosnien aufmerksam zu machen. »The information, going around at present, says that Serbian military and paramilitary forces on the occupied territories of Bosnia have women’s camps in which rape and violence against women are the regular practice.« (Kesić et al. 2003: 181) Diesem Aufruf schließen sich Intellektuelle an, sie solidarisieren sich mit den Anliegen, wofür sie öffentlich gebrandmarkt werden. »They were reviled or making their home nation vulnerable to the criticism of other countries.« (Pavlovic 1999: 136) Mit diesem Statement werden im Dezember 1992 fünf Feministinnen in der natio nalistisch ausgerichteten Wochenzeitung Globus für ihr politisches Engagement öffentlich attackiert. Unter dem Titel ›Croatia’s Feminists Rape Croatia‹ sind Sla venka Drakulic und Dubravka Ugresic (Schriftstellerinnen), Rada Ivekovic (Phi losophin), Vesna Kesić und Jelena Lovric (Journalistinnen) für ihr feministisches Engagement angegriffen worden. Den Frauen wird vorgeworfen, dass sie Kriegs vergewaltigungen als Gewalt von Männern gegenüber Frauen darstellen, wo es sich doch um nationale Verbrechen von serbischen Männern an muslimischen und kroatischen Frauen handle (vgl. Mladjenovic 1999). Der Titel des Beitrages sollte nicht nur zu einer Dämonisierung der Aktivistinnen beitragen, sondern diese auch als nationale Verräterinnen abbilden. Dieser öffentliche Angriff wird mit Angaben persönlicher Daten, etwa der Nationalität, dem Familienstand, po litische Zugehörigkeit, dem Alter, der Wohnadresse (!) oder den Reiseaktivitäten ins Ausland unterlegt, um das nationale Feindbild der Verräterin zu konstruieren. In persönlichen Gesprächen mit Vesna Kesić und Slavenka Drakulic konnte die Autorin dieses Beitrags erfahren, dass diese in Folge ihrer Aktivitäten physisch attackiert, verbal bedroht und öffentlich wiederholt als die ›Fünf Hexen‹ darge stellt wurden. Einige der Aktivistinnen verlassen das Land, was zu einer erneuten Stigmatisierung als ›Landesverräterinnen‹ führt.
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Die Journalistin Vesna Kesić bleibt in Kroatien und gründet mit einer Gruppe anderer Frauen 1992 das ›Center for Women War Victims‹ in Zagreb. Das Zentrum wird zu einer psychosozialen Versorgungseinrichtung für kriegstraumatisierte Frau en, und setzt sich politisch für die Anliegen der Frauen ein. Sie verstehen Trauma in einem politischen Kontext, wodurch die individuelle Erfahrung in einen kollekti ven Zusammenhang eingebettet werden kann. Die ›Rückübersetzung‹ individueller Erfahrungen in eine politische Botschaft bildet den Fokus der Arbeit des Zentrums. »We want the rapists to be punished as war crimin als and we want rape to final ly become a clearly defined crime against humanity, humaneness, and the female sex.« (Kesić et al. 2003: 43) Der Kampf um die Anerkennung von Kriegsvergewal tigungen als Kriegsverbrechen wird auf breiter Basis weitergeführt und richtet sich verstärkt an die internationale Gemeinschaft. Aktivistinnen und Repräsentantinnen internationaler Organisationen, etwa Rhonda Copelon, eine der Mitbegründerinnen des ›Women Caucus for Gender Justice‹, nehmen die Forderung auf und beginnen mit der politischen Lobbyarbeit auf internationaler Ebene. Artikel 5 der Statuten des ›International Criminal Court for the former Yugoslavia‹ (ICTY), in dem die Massenvergewaltigungen in Bosnien als Verbrechen gegen die Menschlichkeit an erkannt werden, ist unter anderem Ausdruck eines national und international ge führten Kampfes von Feministinnen, Frauengruppen und Frauennetzwerken. Das ›International Criminal Tribunal for the Former Yugoslavia‹ Im Oktober 1992 wird vom ›United Nations Security Council‹ eine Expertenkom mission eingesetzt, um Informationen über Kriegsverbrechen im ehemaligen Jugo slawien zu erhalten. Im Februar 1993 stellt die Kommission in ihrem Bericht fest, dass es auf dem Territorium des ehemaligen Jugoslawien zu Massenvergewalti gungen gekommen ist. »The Commission [. . .] identified 1,100 cases of rape with close to 800 identifiable victims who gave specific information as to either the pla ce, time, or names of perpetrators.« (medica mondiale 2009: 14) In ihrem Bericht schlägt die Kommission vor, die systematischen Vergewaltigungen als Methode des ›ethnic cleansing‹, und als Verletzung international gültigen Rechts zu behan deln. Noch bevor der Bericht abgeschlossen und 1994 veröffentlicht ist, richtet der UN Security Council im Mai 1993 den ›International Criminal Court for the former Yugoslavia‹ (ICTY) mit Sitz in Den Haag ein, um die begangenen Kriegs verbrechen rechtlich zu ahnden. Die Verhandlung und Verurteilung von Kriegs vergewaltigungen bildet einen zentralen Schwerpunkt der Arbeit des Tribunals. So standen im Juli 2009 von den insgesamt 167 verhandelten Fällen, alleine 67 wegen Vergewaltigung oder sexualisierte Gewalt gegen Frauen und Männer vor Gericht. (vgl. medica mondiale 2009) Damit ist auch ein zentrales Problem des Tribunals angesprochen, das als Spannungsverhältnis von ›ausserhalb und innerhalb‹ des ge sellschaftlichen Selbstverständigungsprozesses zu verstehen ist. (vgl. Stover 2007)
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Die Wahrheitsfindung und Rechtsprechung über begangene Verbrechen findet im Ausland statt, was dazu beiträgt, den Streit um die Frage nach Schuld und Verant wortung nach außen zu verlagern und auf die internationale Gemeinschaft zu pro jizieren. In diesem Spannungsverhältnis werden in den Nachkriegsgesellschaften verurteilte Täter als ›nationale Helden‹ gefeiert, Zeuginnen dagegen als ›Verräte rinnen‹ bezeichnet und bedroht (vgl. Drakulic 2003).
Feministische Gegenöffentlichkeiten 2 Die zweite Form feministischer Gegenöffentlichkeit stellt die Gründung des ›Wo men’s Initiatives for Gender Justice‹ innerhalb des International Criminal Court dar. Diese Initiative, die von Aktivistinnen und Repräsentantinnen internationaler, politischer Organisationen zur Durchsetzung von Frauenrechten gegründet wird, hat ab Beginn der 1990er Jahre auf die rechtliche Anerkennung von Kriegsverge waltigungen hingearbeitet. Darüber hinaus setzt sich der Ausschuss für die Durch setzung gendersensibler Gerichtsverfahren ein, die im Hinblick auf die Einver nahme kriegstraumatisierter Zeuginnen zentrale Bedeutung haben. So geht etwa die Implementierung psychosozialer Begleitprogramme für die Zeuginnen wäh rend des gesamten Prozessverlaufs auf die Arbeit dieses Ausschusses zurück. In Folge werden die Zeuginnen, die vor dem ›International Criminal Tribunal for the Former Yugoslavia‹ (ICTY) ausgesagt haben, als besondere Form einer feministischen Gegenöffentlichkeit beschrieben. Aus Perspektive eines kommuni kationstheoretischen Ansatzes wird der Gerichtsaal zu dem Ort, an dem individu elle Erfahrungen öffentlich, und damit Teil des gesellschaftlichen Selbstverständi gungsprozesses werden. Aktivistinnen aus Belgrad und Zagreb versuchen mit Hilfe des Ausschusses ihren politischen Forderungen Nachdruck zu verleihen. Die Arbeit der ›Women’s Initiative for Gender Justice‹ hat wesentlich dazu beigetragen, dass die Kriegsver gewaltigungen im ehemaligen Jugoslawien im internationalen Kontext diskutiert werden. Die Forderung nach gendergerechten Gerichtsverfahren im Falle von Ver gewaltigungsverfahren wird vom Tribunal aufgenommen und ein spezielles Pro gramm zum Schutz der Zeuginnen ausgearbeitet. Viele der Frauen sprechen vor dem Tribunal zum ersten Mal öffentlich über ihre Erfahrungen, was für sie eine extreme Belastungssituation darstellt. »Testifying in public about such delicate and sensitive matters, even with certain measures of protection, in the opinion of the Court, always represents a risk for private and personal lives of the witnesses-victims.« (medica mondiale 2003: 79) »In this regard, ICTY victim-witnesses [. . .] usually bring with them intertwined manifesta tions of individual and collective victimhood.« (Stover 2007: 5)
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Der Gerichtssaal wird so zu einem geschützten Raum, der sich durch ein beson deres Spannungsverhältnis zwischen individueller Erfahrung und öffentlicher Ver handlung auszeichnet. Die Zeuginnen veröffentlichen nicht nur ihre traumatischen Erfahrungen, sie weisen mit ihrem Handeln die ihnen zugewiesene Identität als Opfer zurück. »I testified because I survived three or four rapes; and I said then: ›If I leave this place alive I will speak about everything I survived.‹« (medica mondiale 2003: 56) Dieser Anspruch ist insofern bedeutsam, als mit der Zeugin nenschaft die ständige Gefahr der Re-traumatisierung einhergeht. »No matter how strong you are, no matter how much you are motivated to testify – of course it is always very hard, stressful and traumatizing.« (medica mondiale 2003: 57) Im po litischen Kampf um die Anerkennung dieser Erfahrungen nehmen die Zeuginnen vor dem Tribunal eine besondere Rolle ein. In ihrem Auftreten vor Gericht treten sie aktiv aus der in ihnen zugewiesenen Rolle als ›stumme Opfer‹ heraus und verwandeln sich in Akteurinnen ihrer Geschichte, »as active agents of change who knowingly chose to use international advocacy as a per sonal and political tool«. (Sen 1999: 189) Mit ihrem Auftreten vor dem Gericht wollen die Zeuginnen ein öffentliches Statement abgeben, nicht nur für sich selbst, sondern auch um ihrem Land zu helfen, einen Weg für die Zukunft zu öffnen. »Yet witnesses long for the opportunity to finish their story – to speak of their suffering publicly and in their own terms so it may be publicly acknowledged.« (Mertus 2010: 113) Folgt man dieser Ansicht von Julie Mertus, dann wird deutlich, dass Zeuginnenschaft nicht als individueller Akt gedeutet, sondern, im Sinne von Regina Becker-Schmidt, als ›soziales Lernen‹ verstanden werden kann. »They behaved as politically mobilized survivors who, through their actions, would influence international opinion and help shape the content of international norms.« (Mertus 2010: 111) Nach Schätzungen der Nichtregierungsorganisation ›medica mondiale‹ haben ungefähr 120 bis 150 Frauen vor dem Tribunal als Zeuginnen ausgesagt. Diese Frauen haben mit ihrem Auftreten vor Gericht einen wichtigen Beitrag zur Entste hung einer Gegenöffentlichkeit beigetragen. Zeuginnenschaft bedeutet, dass die Täter verurteilt werden. So deutet etwa eine Zeugin die Bestrafung der Täter als eine Anerkennung ihrer leidvollen Erfahrungen. »If the court punished them, it would be recognition of my suffering«. (medica mondiale 2003: 52) Auch wenn das Strafausmaß von den Zeuginnen manchmal als zu gering erachtet wird, liegt in der Verurteilung der Täter die Anerkennung des Leids der Frauen und dies hat Auswirkungen auf das gesellschaftliche Zusammenleben. »It is important that there is no hatred in us, no hatred towards anyone. It is better to put 10 of them today in prison then to have them walk around freely, saying, here you are, I did this and this and no one said nothing to me. Then others will think why couldn’t I do the same to him. [. . .] We are all the same – when you look at Croatian women, Bosniak women, and Serb women – we all have same eyes and noses. We are one people.« (medica mondiale 2003: 54)
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Diese Aussage einer Zeugin ist gesellschaftspolitisch von großer Relevanz, als sie eine klare Zurückweisung der Vorstellung eines ›ethnisch motivierten Has ses‹ auf Seiten der Opfer darstellt. Dies ist umso bedeutsamer, als verurteilte Tä ter in ihren Heimatländern als nationale Helden gefeiert wurden. Als sich etwa der kroatische General Mirko Norac im Jahr 2001 vor einem lokalen Gericht für begangene Kriegsverbrechen verantworten musste, organisierten Kriegsveteranen Protestveranstaltungen an denen 75.000 Menschen teilnahmen. »Es kam zu einer Regierungskrise, und das ganze Land war für mindestens eine Woche paralysiert.« (Draculic 2003: 16) Ein Jahr später, im April 2002, erhalten Mirko Norac und an dere vom Tribunal gesuchte Generäle die Ehrenbürgerschaft der Stadt Split. Diese Beispiele zeigen, dass um die Deutung der jüngsten Vergangenheit ein gesellschaftlicher Streit ausbricht. Die Konfliktlinien sind ähnlich gezeichnet wie vor dem Krieg: auf der einen Seite die ›Helden des Krieges‹, die sich für ihre Ta ten gesellschaftlich feiern lassen und sich für die Wiederherstellung einer natio nal-konservativen Gesellschaftsordnung stark machen. Auf der anderen Seite die Opfer des Krieges, die im gesellschaftlichen Diskurs verschwiegen werden. Ihre Erfahrungen und Geschichten werden nicht Gegenstand eines gesellschaftlichen Selbstverständigungsprozesses, da sie ausgeblendet und zum Schweigen gebracht werden. »You return from the camp and then you see in their eyes that question, ›what happened to her?‹ No one asked me, but I see that question in their eyes.« (medica mondiale 2003: 55) Zeuginnen haben auch den Anspruch aus dem halb-öffentlichen Raum des Ge richts hinauszutreten und Teil einer ›komplexen Öffentlichkeit‹ (vgl. Klaus 2001) zu werden, indem sie aktiv gegen die Tabuisierung der Kriegsvergewaltigungen auftreten. Diesen Aktivierungsprozess habe ich als ›victim-activist-tandem‹ be schrieben (vgl. Gödl 2009). In diesem Prozess werden die Erfahrungen der Opfer zu ›Erfahrungen mit Brennpunktcharakter‹, da ich sie im Sinne von Becker-Schmidt und Knapp »als spezifische Produktionsform der Verarbeitung von Realität und der aktiven Reaktion auf diese Realität« verstehe (Becker-Schmidt/Knapp 1987: 68). Dieser Ansatz fokussiert auf die Dynamik zwischen agency, Struktur und Öf fentlichkeit, wobei der Öffentlichkeit in diesem Beitrag eine zentrale Bedeutung zukommt.
Feministische Gegenöffentlichkeiten als Pol it is ier ungsp roz esse Die Entwicklung feministischer Gegenöffentlichkeiten im zerfallenden Jugosla wien der 1990er Jahre verstehe ich im Sinne von Oskar Negt und Alexander Kluge als ›kollektives Moment‹ sozialer Erfahrungen (vgl. Negt/Kluge 1982). Vor dem Hintergrund des Öffentlichkeitsmodells von Elisabeth Klaus werde ich die Bedeu
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tung dieses ›kollektive Moments‹ für Politisierungs- und Demokratisierungspro zesse herausarbeiten. Mit der Beschreibung feministischer Gegenöffentlichkeiten habe ich Akteu rinnen dieser Prozesse identifiz iert und Konstruktionen ›mittlerer und komple xer‹ Öffentlichkeiten untersucht. Das dynamische Wechselspiel zwischen agency, Struktur und Öffentlichkeit bildet den Fokus meiner Arbeit, da es, so meine These, wesentlich zur Konstruktion von Gegenöffentlichkeiten beiträgt und als Ausdruck von Politisierungs- und Demokratisierungsprozessen gedeutet werden. Mit ihren Aktivitäten legen Aktivistinnen, Frauengruppen und Zeuginnen einen gesellschaftlichen Konflikt offen, der zu einem »Kampf zwischen unvereinbaren hegemonialen Projekten, die niemals rational miteinander versöhnt werden kön nen« (Mouffe 2007: 31). Im Sinne von Mouffe, hat diese Unversöhnbarkeit demo kratiepolitische Bedeutung. Es geht nicht um die Überwindung dieser Gegensätze, sondern um eine ›Form der Wir-Sie-Unterscheidung, die mit der Anerkennung‹ der Gegensätze einhergeht (vgl. Mouffe 2007). Diese Wir-Sie-Unterscheidungen sind gesellschaftliche Konstruktionen und spielen eine zentrale Rolle Politik und Gesellschaft. Chantal Mouffe ruft in ihrem Text dazu auf, diese Gegensätze nicht konsensual zu überwinden, sondern solche Konstruktionen zu entwickeln, »dass die demokratische Konfrontation daraus Energie zieht« (Mouffe 2007:12). Der im zerfallenden Jugoslawien der 1990er Jahre geführte leidenschaftliche Kampf der Frauen für die Anerkennung der Kriegsvergewaltigungen als Kriegs verbrechen, ist nicht nur Ausdruck dieser demokratischen Energie, sondern stellt auch die Grundlage für individuelle Politisierungsprozesse dar. »Um politisch zu handeln, müssen Menschen sich mit einer kollektiven Identität identifi zieren können die ihnen eine aufwertende Vorstellung ihrer selbst anbietet. Der politische Diskurs muss außer Programmen auch Identitäten anbieten, die der Erfahrung der Menschen einen Sinn verleihen und die ihnen Hoffnung für die Zukunft geben.« (Mouffe 2007: 36)
Feministinnen, Aktivistinnen und Frauengruppen schaffen mit ihren Aktivitäten einen öffentlichen Raum, in dem die hegemonialen weiblichen Identitätskonstruk tionen in Frage gestellt werden können. Feministische Gegenöffentlichkeiten er möglichen ›aufwertende Vorstellungen‹ der jeweils eigenen Identität und geben damit den weiblichen Erfahrungen ›Sinn und Hoffnung für die Zukunft‹. »Nur wenn ich mehr bin als die plastische Personifikation einer sozialen Rolle, kann ich erfahren, was soziale Zwänge und Zumutungen sind. Nur so kann ich auch Gründe und Fähigkeiten zum Widerstand entdecken.« (Becker-Schmidt/Knapp 1987: 150) Eine so verstandene Politisierung, kann anhand der Zeuginnen vor dem Tribunal nachgezeichnet werden. Ihnen ist gemeinsam, dass sie ihre Aussagen nicht nur als Suche nach individueller Gerechtigkeit verstehen, sondern generell zu einer ge rechteren Gesellschaft beitragen möchten.
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Schussfolgernd sehe ich in der Herausbildung feministischer Gegenöffentlich keiten während der ersten Hälfte der 1990er Jahre eine erfolgreiche Strategie zur Mobilisierung von Frauen. Das politische Ziel der Anerkennung von Kriegsverge waltigungen als Kriegsverbrechen ist mit der Einrichtung des ICTY erreicht wor den. So zeigt etwa die Statistik von 2009, dass von den 167 vor dem Tribunal An geklagten, 67 Männer für Vergewaltigung oder sexualisierte Gewalt gegen Frauen und Männer angeklagt waren (vgl. medica mondiale 2009). Die Bereitschaft der Frauen, als Zeuginnen gegen diese Männer auszusagen, hat wesentlich zu deren Verurteilungen beigetragen. In diesem Sinne verstehe ich die Gesamtheit der feministischen Aktivitäten als ›kollektives Moment‹, welches im Sinne von Chantal Mouffe als demokratisches Moment zu verstehen ist. Die beschriebenen feministischen Gegenöffentlichkeiten haben wesentlich zur Entstehung dieses demokratischen Augenblicks beigetragen, indem sie einen gesellschaftlichen Konflikt öffentlich gemacht haben. Dies ist in einer Gesellschaft, die von einem ethnischen Nationalismus und sexualisierter Ge walt geprägt ist, schon ziemlich viel.
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Öffentlichkeiten und Cultural Citizenship
Öffentlichkeit weiter denken
Öffentlichkeit weiter denken Boris Romahn
Öffentlichkeit – es gibt kaum einen anderen Schlüsselbegriff der Kommunikationswis senschaft, der neben seiner beharrlichen Verweigerung einer konsensualen Definition für sich in Anspruch nehmen dürfte, mehr Fragen als Antworten aufzuwerfen. »Zu gleich teilt er damit das Schicksal anderer zentraler Begriffe des Faches: Er zeichnet sich durch erhebliche Diffusität aus«, schreibt Merten (1999: 49), um dann je nach Perspektive (insbesondere der Public Relations) zwischen knapp 80 bis 500 Defini tionen zu zählen. Systematische Analysen gebe es indes so gut wie gar nicht, meinen Peters, Schultz und Wimmel (2007: 205), dafür biete die Literatur aber ausreichend »Hinweise für die Formulierung von Fragen und Vermutungen«. Zudem kann ge rade bei der Beschäftigung mit Öffentlichkeit gelten: je länger diese Beschäftigung, desto mehr Fragen als Antworten ergeben sich. Und: Die Fragenden sprechen zwar von der Öffentlichkeit, berufen sich dabei aber nicht selten auf ganz unterschiedliche und zum Teil auch widersprüchliche Konzepte, Modelle und Theorien. Geschickter und legitimer wäre es demnach, nicht allzu selbstverständlich von der Öffentlich keit, sondern exakter »nur« der eigenen Idee von Öffentlichkeit zu sprechen, denn: »Different sets of people who employ these concepts mean very different things by them – and sometimes without quite realizing it, mean several things at once.« (Weintraub 1997: 1 f.) Das beginnt bereits bei der, wie u. a. Elisabeth Klaus betont, entscheidenden Frage, ob angesichts einer langen Geschichte öffentlicher Exklusion angebbarer Gruppen nicht besser generell von Öffentlichkeiten im Plural als der ei nen Öffentlichkeit zu sprechen sei (Klaus 2006: 94). Und es setzt sich fort über teils recht unterschiedliche normative Vorstellungen davon, wer an dieser Öffentlichkeit teilhat (vgl. Fraser 2005), wer gemäß welcher Modi welche Rolle(n) wahrnimmt und welche Ergebnisse dabei erzielt werden (sollen), und endet heute nicht zufällig dort, wo viele AutorInnen gleichsam den Anfang von Öffentlichkeit verorten: im, auch virtuell, Privaten und je nach Perspektive seinem bedrohenden oder förderlichen Charakter für das Öffentliche und für Öffentlichkeit(en). Der folgende Beitrag kann sicher nicht alle dieser Fragekomplexe und Lö sungsversuche abbilden. Vielmehr soll anhand dreier zentraler Ideen und Modelle von Öffentlichkeit, die Elisabeth Klaus entworfen und formuliert hat, dargestellt
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werden, wo sie Öffentlichkeit weiter bzw. anders denkt (als andere). Um den Pro zess des Nach- und Weiterdenkens in Gang zu halten, werden abschließend ergän zende Fragen an diese Ideen formuliert.
Mehr als eine Öffentlichkeit Joachim Westerbarkey (1991: 13 f.) wies darauf hin, dass gerade die Vielfalt der Öffentlichkeitsbegriffe einen Indikator für den »eklatanten Mangel an Theorie« in der Kommunikationswissenschaft darstelle. Das könnte auch daran liegen, dass, wie unter 3. noch erörtert werden wird, Systematisierungen des Öffentlichkeitsbe griffes zumeist von einer traditionell dichotomen Abgrenzung zur Privatheit aus gehen (vgl. Schmitt/Vonderau 2014: 8). Dass es sehr wohl, wenngleich v. a. fach fremde, Vielfalt und nicht etwa einen Mangel an Öffentlichkeitstheorie(n) gibt, ergründeten Elisabeth Klaus und ich, als wir uns 2004 in Vorbereitung auf die 10. Kommunikationswissenschaftlichen Tage (KWT) in Wien zum Thema Media ler Wandel und Europäische Öffentlichen gemeinsam auf die Suche nach vorhan denen Theoriebeständen zu Öffentlichkeit begaben. In einer Zusammenstellung (vgl. Klaus 2006: 101) fragten wir nach dem eventuell vorhandenen Potential der in der Kommunikationswissenschaft vorhandenen Theorien für die Konstitution bzw. Erklärung einer europäischen Öffentlichkeit. Dem Problem der Klassifizie rung versuchten wir damals grafisch entlang zweier Achsen zu begegnen.
Teilöffentlichkeiten
Abbildung 1: Theorien vonÖf Öffentlichkeit Abbildung 1: Theo rien von fentlichkeit
Kultursoziolog. Ansätze (Milieu)
PR-/BWLAnsätze Vortheorie
Mouffe Agonistische Öffentlichkeit
Ronneberger / Rühl Krippendorf
eine Öffentlichkeit
Bourdieu
ArenaModell Gerhards/ Neidhardt Gerhards Politische Öffentlichkeit
medienbezogen Darstellung Quelle: Quelle: EigeneEigene Darstel lung
Habermas Public Sphere
raumbezogen
Klaus 3-EbenenModell
Negt/Kluge Proletarische Öffentlichkeit
Habermas bürgerliche Öffentlichkeit
akteursbezogen
Öffentlichkeit weiter denken | 211
Die erste Achse ordnete die Theorien danach ein, ob deren AutorInnen von ei ner Öffentlichkeit (im Singular) oder mehreren (Teil-)Öffentlichkeiten (im Plural) sprachen. Die zweite Achse legte die zentrale Variable fest, die die jeweilige Vor stellung von Öffentlichkeit konstituierte, und fragte damit nach dem Akteurs-, dem Raum- und dem Medienbezug. Als ein Ergebnis dieses Kategorisierungsversuches zeigte sich, dass Öffentlichkeitsmodelle, die Rationalität als modus operandi der Konstitution von Öffentlichkeit empfehlen, stärker dazu tendieren, von Öffentlich keit im Singular und auch als einem Raum (meist des Politischen) zu sprechen, während jene Modelle, die auch andere Verfahren der Entstehung von Öffentlich keit einbeziehen oder favorisieren, dazu neigen, Öffentlichkeit generell als Plu ral-Phänomen zu fassen, das dementsprechend in Räumen, die von AkteurInnen bespielt werden, erst entstehen kann. Klaus’ Vorstellung selbst scheint dabei, ähnlich wie bei Nancy Fraser, geprägt von einer Symbiose aus durchaus »klassischen« Öffentlichkeitsmomenten, wie sie so auch parallel bei Hannah Arendt oder Jürgen Habermas zu finden sind, und ei ner gleichzeitigen Entzauberung bzw. Auflösung der normativen Aura der polis oder der Arena. Denn dem »nur« einen (T-)Raum des Politischen, in dem Belange der Allgemeinheit unter gleicher Teilhabe und dem herrschaftsfreien Prinzip der Rationalität verpflichtet stattfinden, misstraut sie aus guten Gründen. Da wären zu nächst einmal historische Fakten, die bis in die Jetzt-Zeit wirken: wenn Habermas schreibt, eine Öffentlichkeit, »von der angebbare Gruppen eo ipso ausgeschlossen wären, ist nicht etwa nur unvollständig, sie ist vielmehr gar keine Öffentlichkeit« (Habermas 1990: 156), argumentiert er letztlich und wie er mittlerweile auch sel ber einräumt gegen sein eigenes Analyse-Modell bürgerlicher Öffentlichkeit. Denn unübersehbar waren hier alle Nicht-Bürger und damit die Mehrheit – also nicht nur marginalisierte Gruppen – der Bevölkerung von der Öffentlichkeit ausgeschlossen. Dies trifft insbesondere auf jene zu, die, wie u. a. Wischermann, Negt/Kluge und Mouffe fest stellen, (zu) lange Zeit nicht an Öffentlichkeit als politischem Prozeß teilhaben konnten und aufgrund von Status und Geschlecht (vgl. Fraser 1992: 118; Fraser 2001: 116; Klapeer 2014; Meehan 1995) bewusst ausgeschlossen wurden. Dieses Defizit an Partizipationsoptionen ist aber zu vorderst ein logisch-struktu relles: eine einzige Öffentlichkeit wird selbst bei gutem Willen kaum die Vielfalt an Gruppen und Meinungen abbilden können, wie es der Blick auf Öffentlichkei ten vermag. Wie Fraser argumentiert, gab und gibt es immer schon »parallele dis kursive Räume« (Fraser 1996: 163). Sie schreibt von »parallel discoursive arenas where members of groups invent and circulate counterdiscoures« (Fraser 1990: 67). Hier können die von der einen Öffentlichkeit Ausgeschlossenen oppositionelle Öffentlichkeiten bilden, um im gemeinsamen Diskurs Interessen und Bedürfnisse zu formulieren, eigene Identität(en) auszubilden und Optionen der Einflussnahme auf die hegemoniale Öffentlichkeitsagenda zu entwickeln. Für die Frage der Öf fentlichkeit im Singular oder Plural wird die Berücksichtigung solcher Parallelöf
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fentlichkeiten im Sinne von subalternen, Bewegungs- oder Gegenöffentlichkeiten (vgl. Romahn 2008: 18) insofern relevant, als dass sich damit nicht nur die Anzahl der Räume von Öffentlichkeit vervielfacht, sondern auch der Raum des Politischen selbst geweitet wird. Das erfordert neben einem erweiterten Öffentlichkeitsbegriff ein verändertes Denken von Öffentlichkeiten als in multipel verorteten Räumen verdichtete Handlung und Kommunikation (vgl. Ong/Collier 2005: 15), in denen AkteurInnen und Interessen aufeinander treffen können, um Lösungen für soziale Probleme zu verhandeln.
Mehr als eine Ebene Wenn also Öffentlichkeit nicht mehr als der eine Raum gedacht werden kann, son dern als viele Räume des Öffentlich-Seins, -Werdens und -Machens, ergibt sich die Frage, wie und wo solche Räume des Aus- und Verhandelns existieren. Klaus entwirft hierzu ein in typischer Mikro-Meso-Makro-Tradition stehendes, pyra midenförmiges Dreiebenenmodell (vgl. Klaus 1995; 1998; 2001; seit 2013 auch »Mehrebenenmodell« von ihr genannt), das aber bewusst die Weitung des politi schen Raums mit einbezieht. Anders als die Entwürfe vieler anderer TheoretikerInnen, beginnt ihr Modell ganz bewusst auf der Ebene der einfachen Öffentlichkeiten als quantitativ größtem Element von Öffentlichkeit. Politik werde eben nicht alleine in parlamentarischen Gebäuden ausgetragen, sondern ziehe sich auch durch unsere Alltagspraktiken und -erfahrungen. Modus operandi dieser einfachen Öffentlichkeiten ist zunächst die spontane Kommunikation, in der man sich v. a. darüber austauscht, welche Folgen politisches Handeln auf das private haben könnte et vice versa. Wie Klaus betont, sollte die Wirkmacht dieser einfachen Öffentlichkeiten trotz fehlender Macht- oder Entscheidungsbefugnisse der AkteurInnen nicht gering geschätzt werden; gerade hier entwickelten sich, wie die Protest- oder WutbürgerInnen exemplarisch zeigen (vgl. Wimmer 2014: 285), erste Funken von Widerstand gegen eine »bottom-downÖffentlichkeit«, die dann auf einer Ebene mittlerer Öffentlichkeiten als widerstän dige Interessen organisiert werden. Dieser Organisationsgrad sei neben einem Set »gut fixierter Regeln« (Klaus 2006: 96) das Hauptmerkmal mittlerer Öffentlich keiten. In ihnen sieht Klaus vor allem soziale Bewegungen verortet (vgl. hierzu auch Downey/Fenton 2003:187), die quasi als Brückenebene und »Advokaten al ternativer Lösungsvorschläge« (Romahn 2007: 32) zwischen den einfachen und den komplexen Öffentlichkeiten fungieren. Zentrales Moment des Aushandelns mittlerer Öffentlichkeiten sei die Versammlung, in der nach festgelegten Statuten bzw. den Rollen Vortragende/Publika wenige sprächen und viele zuhörten. »Die Beziehung zwischen Kommunikatorinnen und Publikum ist zwar in der Regel di rekt, aber nicht in jedem Fall umkehrbar.« (Klaus 2006: 96)
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Die dritte Ebene, jene der komplexen Öffentlichkeiten, beinhaltet die etablier ten AkteurInnen, also Massenmedien, Parteien, Unternehmen. Durch »technische Vermittlung« könnten hier »Meinungen schnell und großflächig verbreitet wer den«. (Klaus 2006: 95 f.) Wenn sich auch hier die kleinste Zahl an AkteurInnen fin det, so sind innerhalb dieser Ebene komplexer Öffentlichkeiten die weitreichendsten Entscheidungsbefugnisse gebündelt. Eine ganz ähnlich strukturelle Unterteilung von Öffentlichkeit findet sich bei Habermas (1992: 452) in Faktizität und Geltung. Er geht aus »von der episo dischen Kneipen-, Kaffeehaus- oder Straßenöffentlichkeit über die veranstaltete Präsenzöffentlichkeit von Theateraufführungen, Elternabenden, Rockkonzerten, Parteiversammlungen oder Kirchentagen bis zur abstrakten, über Massenmedien hergestellten Öffentlichkeit von vereinzelten und global verstreuten Lesern, Zu hörern und Zuschauern.« Klaus berücksichtigt in ihrem Modell von Öffentlichkeit neben dem Komplexitätsgrad der Ebenen auch die Zahl der Kommunikationsfo ren pro Ebene sowie die unterschiedliche Verteilung von Machtbefugnissen. Fin den sich auf der einfachen Ebene von Öffentlichkeit eine Vielzahl an Kommuni kationsforen und -optionen, so kommen den AkteurInnen dieser Räume nur sehr eingeschränkte Entscheidungsbefugnisse zu, während in der komplexen Ebene von Öffentlichkeit weit reichende Macht- und Entscheidungsbefugnisse auf we nige AkteurInnen verteilt in einer eingeschränkten Zahl an Kommunikationsforen gebündelt werden. Die mittlere Ebene kann als eine Art Lautsprecher oder Mittler instanz zwischen den einfachen und den komplexen Öffentlichkeiten verstanden werden. Die drei Ebenen von Öffentlichkeit stehen in Beziehung zueinander und sind mehr oder minder durchlässig, so dass Optionen des Transfers der Anliegen und Informationen von der einen zu der anderen/zu den anderen Ebenen (idealiter) möglich werden. Die Vorstellung von Öffentlichkeit als zwischen diesen drei Ebe nen von Öffentlichkeiten flotierende (vgl. Dahlgren 2006: 274) gesellschaftliche Selbstverständigungsprozesse (vgl. Klaus 1998; 2006; 2009) stellt gleichsam eine erweiterte Vorstellung von Öffentlichkeit als politischem Raum dar, der marginali sierte Gruppen und Gegenöffentlichkeiten nicht aus dem Sucher zu verlieren droht, sondern diese als wichtiges movens von Öffentlichkeit gesellschafts- und macht theoretisch zu verorten sucht. »Anstatt statisch ist Öffentlichkeit daher folgerich tig im Sinne eines dynamischen, komplexen und dabei multidimensionalen Kom munikationsprozesses zu konzeptionalisieren. Dieser Prozess bezieht sich dabei gleichzeitig auf die verschiedenen Komplexitätsebenen öffentlicher Kommunika tion.« (Wimmer 2011: 164, Hvh. i. O.)
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Mehr als (nur) das Öffentlich-Sichtbare »Gemeinhin werden das Öffentliche und das Private als zwei essentialistisch be stimmbare, getrennte Bereiche der modernen Gesellschaft begriffen.« (Demirovic 2004: 143) Öffentlichkeit kann aber, wie Klaus in ihrem Dreiebenenmodell erklärt, heute nicht mehr oder zumindest nicht mehr nur auf den politischen Kernbereich und auch nicht auf »media representations« (Dahlgren 1995: 18) reduziert werden, sondern deren Herstellung beginnt bereits in den einfachen Öffentlichkeiten und so mit unserem alltäglichen Sprechen und Handeln: im Rahmen der »Kommunikation au trottoir« (Luhmann 1986: 75). Klaus begreift Öffentlichkeit »als gesellschaftli chen Selbstverständigungsprozess . . ., der von vielen Menschen mitgetragen wird« (Klaus 2013: 2). Das Setzen öffentlicher Agenden erfasst demnach aber nicht mehr nur politische Themen, sondern durchzieht sämtliche gesellschaftliche Bereiche. So fungiert Öffentlichkeit stets auch als eine kulturelle und nicht alleine politische Institution, die zur subkulturellen Identitätsbildung beitrage (vgl. Klaus 2001: 20). In Anlehnung an Watzlawicks metakommunikatives Axiom (1967: 51) ließe sich demnach behaupten: Man kann nicht nicht öffentlich agieren. Das Private wird im Öffentlichen und das Öffentliche im Privaten wirksam (vgl. Wischermann 2003: 32). Öffentlichkeit setzt die Existenz von Privatheit voraus (vgl. Arendt 1996: 63) und bezieht wesentliche »Impulse aus der privaten Verarbeitung lebensgeschicht lich räsonierender gesellschaftlicher Problemlagen« (Habermas 1998: 442 f.). Nor men und Werte des gesellschaftlichen Zusammenlebens werden auch und gerade in den vermeintlich nicht-öffentlichen Foren der einfachen, privaten Öffentlichkei ten verhandelt und erlangen Realität und Existenz erst in deren Kommunikation. »We hear a story on the news and then we talk about it with friends; we exchange ideas in email groups, down the pub, at the hairdresser . . . These human interac tions are all part of the public sphere.« (McKee 2005: 5 f.) Klaus ergründet dieses Wurzeln des Öffentlichen im Privaten in ihrem Beitrag »Heimliche Öffentlichkeit« (1992) etwa am Beispiel der Diskurse in Krabbelgruppen, bei Kindergartentreffen und Tupperwareparties. Die im Alltag bedeutenden Öffentlichkeiten als Räume des Alltagshandelns bleiben im Dreiebenenmodell also nicht unsichtbar und tragen zu einem breiteren Verständnis der politischen Konstituierung einer Gesellschaft we sentlich bei. Diese intensivere Berücksichtigung individueller Alltagspraxen führt gleichsam zu einer strukturell erweiterten Perspektive auf Öffentlichkeit als so zialem Konstrukt, »das in ganz verschiedenen, formellen und informellen Arenen und Kontexten realisiert wird und schlussendlich beziehungsweise überhaupt nur in den kommunikativen Praktiken der Menschen emergiert und existiert« (Lingen berg 2010: 29). Nun setzen sich die für Öffentlichkeit(en) konstitutiven sozialen Praktiken nicht alleine aus kommunikativen Interaktionen der Menschen untereinander zu sammen, sondern auch aus Medienrezeption als »communicative processes of ma
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king sense, interpreting and using the output« (Dahlgren 2005: 149). In diesem Zusammenhang setzt sich Klaus in der Tradition der genderorientierten Cultural Studies für eine weniger medienzentrierte und stärker rezipientinnenorientierte kommunikationswissenschaftliche Forschung sowie für die stärkere Berücksichti gung von Boulevardmedien und Boulevardjournalismus sowie Unterhaltungsfor maten und populären Genres ein, die sehr wohl öffentlichkeitswirksam sind und ihrerseits auch gesellschaftliche Machtverhältnisse konstituieren. Neue Formate der Unterhaltungskommunikation wie Dokusoaps (vgl. Lünenborg 2005), Talk shows (vgl. Scheer 2002), Reality TV (Klaus/Lücke 2003), etc. und die öffentliche Auseinandersetzung mit diesen gehören für sie zu einem »kulturellen Diskurs, der das gesellschaftliche Zeitgespräch initiiert und organisiert und zur Selbstverständi gung der Gesellschaft beiträgt« (Klaus 2005: 26). Daraus (vgl. Wimmer 2014: 308) abzuleiten, Klaus postuliere, dass diese neuen Formate der Unterhaltungskommu nikation stets mehr zur Öffentlichkeit beizutragen hätten als die massenmediale bzw. journalistische Berichterstattung, lässt sich nur bedingt nachvollziehen. Ihr Anliegen ist eher, diese unterhaltenden Formate bei der Erforschung und Model lierung von Öffentlichkeit stärker mitzudenken. Der Wandel des Medienangebots sollte auch als Herausforderung an das Nachdenken über Öffentlichkeit begriffen werden. Nicht alleine »Rationalität«, sondern auch »Pleasure« (Klaus/O’Connor 2000: 369; O’Connor 2015 in diesem Band) könnte als das Rezeptionserlebnis großer Publika einen »meaningful discourse« herstellen, aus dem sich Öffentlich keit(en) nährt(en).
Weitere Fragen Wie zu Beginn angekündigt, werden abschließend ergänzende Fragen an Öffent lichkeiten, wie Klaus sie entwirft, gestellt. Sie können hier nur in aller Kürze und nicht als einzelne Diskursstränge im größeren Öffentlichkeitsdiskurs dargestellt werden. Frage 1: Das bisherige Modell sieht die Rolle der (Massen-)Medien erst bzw. vorrangig auf der Ebene der komplexen Öffentlichkeiten. In Zeiten einer viel be schworenen Mediengesellschaft, in der jede und jeder überall und zu jeder Zeit Medien nicht nur nutzen, sondern im Sinne eines »Produsers« mediale Inhalte selbst herstellen kann, scheinen Medien und Formen digitaler Vernetzung auf allen drei Ebenen von Öffentlichkeiten omnipräsent. Wäre es hier nicht sinnvoller davon auszugehen, dass das gesamte Modell in einen medialen Raum eingebettet ist, in dem Medien als Mittler zwischen allen drei Ebenen agieren? Frage 2: Andere Modelle von Öffentlichkeit würden die AkteurInnen der kom plexen Öffentlichkeiten auf der mittleren Ebene ansiedeln und in der obersten Ebene eine Meta-Ebene von Öffentlichkeit verorten, in der so etwas wie Utopien
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von Öffentlichkeit in einem metatopischen Raum entworfen werden. Klaus’ Drei ebenenmodell zeigt Öffentlichkeit als Prozess, der sich zunächst linear von unten nach oben bzw. vice versa darstellt. Wäre es nicht sinnvoller, dann Öffentlichkeit als Ergebnis aus der Interaktion zwischen allen drei Ebenen darzustellen, um sicher zu gehen, dass Öffentlichkeit mehr bleibt als die Summe eines Prozesses, der es von den einfachen zu den komplexen Öffentlichkeiten schafft? Frage 3: Das Dreiebenenmodell räumt Bewegungen, Protest- und Gegenöf fentlichkeiten einen prominenten Stellenwert ein. Wie will es aber umgehen mit Bewegungen wie Pegida, antidemokratischen Bewegungen, maskulinistischen Be wegungen (vgl. Gruber 2014) und all jenen, die bewusst gegen vereinbarte Grund werte der Gesellschaft agieren? Diese Option scheint ja gegeben, wenn das Haupt ziel sozialer Bewegungen (Rucht 2002: 4) ist, »sozialen Wandel mit Mitteln des Protests herbeiführen, verhindern oder rückgängig machen« zu wollen. Frage 4: Das Modell geht davon aus, dass (spätestens ab der mittleren Ebe ne) AkteurInnen freiwillig gut fixierte Spielregeln befolgen, damit die komplexe Ebene mit ausgehandelten Entscheidungsthemen versorgt werden kann. Neben den Kommunikationsmodi geht es ergo immer auch um Macht, die sich nur be dingt im Komplexitätsgrad der Ebenen widerspiegelt. Halten sich die SpielerInnen der Öffentlichkeiten an Regeln? Nicht ausgeschlossen werden kann in diesem Zusammenhang, dass AkteurInnen Ebenen bewusst umgehen. Neue Formen der Direktdemokratie, Abstimmungsprozesse via Online-Medien, etc. sind hier ebenso denkbar wie einzelne (nicht nur, aber v. a. mit ökonomischer Macht ungleich höher ausgestattete) AkteurInnen, die die Ebenen einmal in der einen, einmal in der anderen Rolle bespielen. Und das vermutlich auch gleichzeitig und an unter schiedlichen Orten. Als Privatier, der PolitikerInnen rein zufällig und privat als Freunderl aus erster Hand informiert und Informationen von diesen erhält, als EntscheiderIn, als LobbyistIn, als Industrieller, der sich neben seinem Kerngeschäft ein Sport- und Medienimperium hält, u. v. m. Dabei öffentlich sichtbar in Erschei nung zu treten bzw. sich Diskursen stellen zu müssen, scheint gar nicht zwingend notwendig, zumal sich eigene Ersatz-Schauplätze von Öffentlichkeit neben den drei bekannten Ebenen installieren lassen. Wie sollen solch mächtige AkteurInnen motiviert werden, sich an »gut fixierte Regeln« zu halten, wenn sie alle Ebenen als Privatbesitz sehen? Oder wie ist garantiert, dass allfällige Spielregeln für alle auch immer transparent sind? Frage 5 schließt den Kreis zu Frage 1: Vorstellungen und Alltagspraxen der Menschen darüber, was privat und was öffentlich sei, haben sich grundlegend ge ändert (vgl. Krotz 2009: 12). Menschen, die sich einerseits gegen staatliche Über wachung digitaler Kommunikation wehren wollen, haben andererseits kein Pro blem damit, alle zehn Minuten eine weltweite Öffentlichkeit via facebook an ihrem Leben teilhaben zu lassen: Wann bin ich heute aufgestanden? Was habe ich ge frühstückt? Wo bin ich gerade? Was gefällt mir? Wie viele und welche »Freunde«
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habe ich? Was habe ich mir gerade wo, wann, wozu gekauft und wem gefällt das? Alles gut dokumentiert in Text und Bild. Dieser wachsende, freiwillige Verzicht auf Privatheit, den Senett als »Tyrannei der Intimität« bezeichnete, führt zu der Frage, was auf der Ebene der einfachen Öffentlichkeiten davon nun im Sinne eines Aushandelns gesellschaftlicher Selbstverständigung tatsächlich wichtig ist? Müs sen wir die Öffentlichkeit vor ihren AkteurInnen schützen, damit wir nicht fortan nur noch Modelle von Privatheit verhandeln können? Um den Anfang des Beitrages wieder aufzugreifen: Es kommt darauf an, nicht nur die vermeintlich richtigen, sondern gerade auch immer neue, kritische Fragen zu stellen, damit nicht der ungerechtfertigte Eindruck entsteht, jede und jeder wisse schon, was mit Öffentlichkeit gemeint sei. Denn das würde künftigem Nachdenken über und Weiterdenken von Öffentlichkeit die notwendige Substanz und Resonanz entziehen. Ihrer neu aufgelegten Habilitationsschrift hat Elisabeth Klaus (2005) ein Zitat von Sandra Harding vorangestellt: »Wir müssen damit beginnen, diese wis senschaftlichen Auseinandersetzungen nicht länger als einen Prozeß zu verstehen, in dem Probleme benannt werden, um sie aus der Welt zu schaffen, sondern sie stattdessen als Gelegenheiten zu begreifen, um bessere Fragen zu stellen als die, von denen wir ursprünglich ausgegangen sind.« Das heißt aber gleichsam, dass das Sich-Auseinandersetzen mit und über Öf fentlichkeit – und erst recht mit den über sie nachdenkenden KollegInnen – eine dankbare Sisyphos-Aufgabe mit höchst-alpinen Ansprüchen bleibt. Geht es doch um nicht weniger als darum, wie wir gesellschaftlich leben wollen. Hannah Arendt hat dieses endlose, weil selbst im steten Prozess der Aushandlung befindliche Unterfangen Öffentlichkeit in Vita Activa (2002: 68) einmal so beschrieben: »Eine Welt, die Platz für die Öffentlichkeit haben soll, kann nicht nur für eine Generation errichtet oder nur für die Lebenden geplant sein; sie muss die Lebensspanne sterb licher Menschen übersteigen.«
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Dispositive in vernetzten Öffentlichkeiten
Dispositive in vernetzten Öffentlichkeiten Thomas Steinmaurer
Im Zeitalter der digitalen Vernetzung haben wir es mit weitreichenden Transforma tionsprozessen zu tun, die auch Auswirkungen auf das Konzept von Öffentlichkeit haben. Wie Elisabeth Klaus aufzeigte, sollten wir uns Öffentlichkeit heute nicht mehr als ein statisches Konstrukt, sondern vielmehr als ein prozesshaftes Gesche hen vorstellen. Zudem müsste ihre Strukturierung grundsätzlich besser im Plural erfolgen, da wir heute längst nicht mehr nur von »einer« Öffentlichkeit ausgehen können, sondern unterschiedliche Formen zu berücksichtigen haben (vgl. Klaus 2006). So gilt es etwa, neue Formationen von Öffentlichkeiten als konfligierende Diskursfelder in »agonistischen Öffentlichkeiten« (Mouffe 2005) – auch im Sinne eines Gegenkonzepts zu einer holistisch angenommenen, einheitlichen »public sphere« – ernst zu nehmen (vgl. Fraser 1992). Die Manifestationen dessen, was wir als Öffentlichkeit bezeichnen, tendieren zudem unter digital vernetzten Rah menbedingungen dazu, zeitlich instabiler bzw. flüchtiger zu werden und sich hin sichtlich ihrer räumlichen Verortung zunehmend zu entgrenzen. So kommt es – wie an anderer Stelle betont – auf den Achsen der räumlichen und zeitlichen Ausdeh nung von Öffentlichkeiten zu deutlichen Strukturveränderungen (vgl. Steinmau rer 2015). Versuche, eine Kategorisierung unterschiedlicher Aggregatzustände von Öffentlichkeit oder Schemata ihrer Charakterisierung zu entwerfen, gestalten sich als zunehmend schwierig und multidimensional. Dies umso mehr, als auch bis lang klassische Grenzziehungen zwischen Öffentlichkeit und Privatheit strukturell erodieren und wir es mit neuen Phänomenen wie etwa »persönlichen Öffentlich keiten« oder »Netzwerköffentlichkeiten« zu tun haben. (Vgl. Schmidt 2011) Be zugnehmend auf die von Boris Romahn in diesem Band herangezogene Übersicht verdeutlicht darüber hinaus die aktuelle Diskussion um die Ausgestaltung von Öf fentlichkeiten die Entwicklung hin zu akteursbezogenen Ansätzen, bei der eher Konfigurationen von Teilöffentlichkeiten, als vormals allein auf klassische Mas senmedien aufbauende holistische Konzepte die Strukturierung bestimmen. Insbesondere im Fokus der sich durchsetzenden Vernetzungsdynamiken und den damit verbundenen Mediatisierungsprozessen rücken neue Öffentlichkeits strukturierungen vermehrt handelnde Individuem oder im weitesten Sinn politisch
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agierende Gruppen bzw. Bewegungen in den Fokus des Interesses, die sich über wiegend auch neuer Artikulationsformen bedienen. Gerade unter den Bedingungen der derzeit sich durchsetzenden digitalen Dauervernetzung des Menschen erwachsen Mediatisierungspotenzialitäten zunehmend auf der Ebene von Einzelakteuren. Es ist nunmehr für das mobil vernetzte Individuum, das unter den Bedingungen eines »networked individualism« (Rainie/Wellman 2012) zum Kommunikations knoten im Netz der Verbindungen wird, zunehmend einfacher möglich, sich an Vernetzungsaktivitäten zu beteiligen. Gerade neue Vergemeinschaftungs- und Ak tivitätsformen wie Smart Mobs (vgl. Rheingold 2008) und über mobile Vernet zungsformen organisierte (Gegen)- bzw. Bewegungsöffentlichkeiten zeugen von diesen neuen Potenzialitäten. Im Rahmen dieser Veränderungen gilt es allerdings auch zu bedenken, dass die neuen, sich im Kontext digitaler Vernetzungsformen eröffnenden Formen zumeist auch unter Bedingungen stattfinden, in denen die digitalen Plattformen, über die zunehmend Vernetzungsaktivitäten verlaufen, die Re geln des Handelns nicht unwesentlich mitbestimmen. Es gilt daher einen kritischen Blick auf jene Strukturen zu richten, die über neue Vernetzungsformen sich vollziehende mediatisierte Handlungsprozesse charak terisieren und damit auch die Strukturierungen von (neuen) Öffentlichkeiten we sentlich beeinflussen. Ziel des vorliegenden Beitrags ist es daher, zunächst einen Blick auf die neuen Bedingungen technoökonomischer Mediatisierungsprozesse und darin wirksamer Dispositive zu richten. Darauf aufbauend werden die durch aus ambivalenten Befunde zu den Öffentlichkeitsprozessen unter digital vernetzten Bedingungen diskutiert und die darin auch wirksamen dispositiven Strukturen the matisiert. Abschließend gilt es auf Perspektiven hinzuweisen, mit welchen neuen Ansätzen auf derart entstehende Problemlagen reagiert werden könnte.
Zum Dispositiv
mediatisierter
Konnektivität
Mit dem Fortschreiten von Prozessen technischer Mediatisierungsformen setzt sich aktuell in der Gesellschaft eine Vernetzungslogik durch, die das mobile und ubiquitär technologisch verbundene Individuum zum Knotenpunkt (s)einer Dau ervernetzung macht. Die Mediatisierungstheorie spricht in diesem Zusammen hang von einer Tendenz in die »kommunikative Mobilität« (Hepp 2006: 19), die neben der Mobilisierungsdynamik von Metaprozessen der Individualisierung und der Kommerzialisierung dominiert sind (vgl. Krotz 2001, 2007). Hervorgegan gen aus historischen Entwicklungslinien, die auf technokulturell interdependenten Strukturverläufen von Mobilität, Transport, Kommunikation und deren jeweiligen kulturindustriellen Rahmenbedingungen fußen, wird nunmehr das Individuum zu einem kommunikativen Knotenpunkt in den Netzwerksystemen. Getragen von Prozessen einer – in Anschluss an Williams – »mobilen Individualisierung« (vgl.
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Steinmaurer 2013), haben sich insbesondere auf Ebene des Nutzungshabitus der Dauervernetzung neue Mediatisierungsformen etabliert. Insbesondere aus der Kopplung technologischer Imperative mit ökonomischen Strategien gehen Domi nanzstrukturen hervor, die im Modus einer individualisierten Dauervernetzung des Menschen als Dispositive einer »mediatisierten Konnektivität« verstanden werden können. (Vgl. Steinmaurer 2013) Die Theorie des Denkens in Dispositiven geht auf die Arbeiten des französi schen Poststrukturalismus zurück und bestand – wie an anderer Stelle ausgeführt (vgl. Steinmaurer 2013) – für Michel Foucault in der Aufarbeitung und theoreti schen Analyse der Entwicklung von Epistemen und Wissensformationen in der Ge sellschaft. Dabei ging es insbesondere um die Freilegung darin eingeschriebener Strukturen von Macht und dominierender Diskurse (vgl. Foucault 1978). Mit dem Modell des Dispositivs beschrieb er jene Beziehungen und Netzwerke, aus deren Zusammenwirken dominante Strukturen in der Gesellschaft hervorgehen und sich in gesellschaftlichen Handlungspraktiken festsetzen. Adaptiert für die Analyse von Phänomenen und Strukturen in der Medien- und Kommunikationsforschung – ex emplarisch erarbeitet im Kontext der Film- und Fernsehtheorie von Baudry (1993) bzw. Hickethier (1992) – eröffnet die Bezugnahme darauf die Möglichkeit, die nunmehr auch in medientechnologischen Konfigurationen eingeschriebenen Do minanzstrukturen und deren Einfluss auf Phänomene der Mediatisierung freizule gen. Nach Hickethier erklären sich »Mediendispositive [. . .] aus dem Zusammen wirken von technischen Bedingungen, gesellschaftlichen Ordnungsvorstellungen, normativ-kulturellen Faktoren und mentalen Entsprechungen auf der Seite der Zu schauer, die aus dem Akzeptieren solcher macht- und ordnungspolitischen, den kulturellen Konventionen und psychischen Gestimmtheiten und Erwartungen« hervorgehen (Hickethier 1993: 21). Umgelegt auf die Konstellation der digitalen Dauervernetzung und das Dispositiv einer »mediatisierten Konnektivität« adres siert dies sowohl die technischen Konfigurationen, die damit zusammenhängenden Netzwerkangebote und Applikationen sowie dahinter liegende ökonomische Mo delle als auch dafür typische Nutzungsmuster und Kommunikationsmodi. Dieser Analysezugang zeichnet sich nicht nur durch eine Fokussierung auf die historische Gewachsenheit derartiger Konstellationen aus, sondern versucht auch, die Inter dependenzen zwischen den Einzelaspekten zu erfassen und fragt dabei insbeson dere nach Konstellationen von Macht. Das Denken in Dispositiven bietet somit ein theoretisches Analyseraster der vordringlich kritischen Auseinandersetzung mit Dimensionen, die auf dominierende Strukturen hinweisen und diese für weitere Themenfelder kontextualisierbar machen. Für Bührmann/Schneider (2013: 22 f.) zielt der Dispositivbegriff im Kontext von Medien »auf das komplexe Zusammen spiel von technischer Apparatur, Medieninhalten sowie institutionellen Praktiken ihrer Produktion und vor allem ihrer Rezeption bzw. Nutzung«, mit dem Ziel, »ge sellschaftliche Macht- und Herrschaftsverhältnisse aufzudecken und nach Verän
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derungsmöglichkeiten zu suchen«. Für die in digitalen Netzwerken sich durchset zenden Kommunikationsstile bedeutet dies, dass auch in derartige Handlungs- und Vernetzungsstrukturen dominierende Logiken eingeschrieben sind, die zumeist aus den technischen und ökonomischen Strategien von Plattform- und/oder Hard wareanbietern hervorgehen. Im Fall der großen Netzwerkplayer, wie Facebook, Google und Co., gehorchen diese den Imperativen einer sekundären Vermarktung von Datenspuren und einer damit zusammenhängenden Ökonominisierung kom munikativer Handlungsprozesse. In Verbindung damit stehen neue Aushandlungs prozesse zwischen den Zonen des Privaten und Öffentlichen, die zu Effekten einer zunehmenden Offenlegung privater Handlungs- und Lebenswelten in den Sphären öffentlicher und für jedermann zugänglicher Netzwerke führen. Zudem spielen in den neuen Netzwerken Spielarten der Überwachung eine große Rolle, die nicht (mehr) nur von einem zentralistischen »digitalen Panopticon« ausgehen, sondern auch auf der Ebene individueller Netzwerkteilnehmer/innen die Sichtbarkeit des Kommunikationsverhaltens deutlich erhöhen und damit auch Formen gegenseitiger Überwachung eröffnen. Diese hier nur beispielhaft genannten Entwicklungen stehen für jene Einflusskräfte, die den dispositiven Charakter mediatisierter Kon nektivitätsformen charakterisieren. Bei derartigen Prozessen technischer Mediatisierung handelt es sich um Kom munikations- und Vernetzungsformen, die sich inzwischen mit großer Breitenwir kung in der Gesellschaft etabliert haben. In der konkreten Nutzungswirklichkeit stoßen wir auf die Tatsache, dass Problematiken über die tatsächlichen Wirkungs mechanismen hinter den schönen Oberflächen der Interfaces nur bedingt reflektiert werden. Oder wir finden – wie in Form des »Privacy-Paradox« – Befunde, wonach zwar Fragen des Schutzes von Privatheit als solche erkannt und kritisch hinter fragt, im Zuge der Alltagsnutzung aber vielfach verworfen oder als kommunikative Kollateralschäden hingenommen werden. In der Folge gilt es zu bedenken, welche Konsequenzen sich aus dispositiven Strukturen digitaler Netzwerke und insbeson dere aus Handlungspraktiken in der digitalen (Dauer)Vernetzung ergeben und in welcher Weise sie auch für die Entwicklungsprozesse von Öffentlichkeiten eine Rolle spielen. Dafür ist zunächst auf jene Strukturveränderungen hinzuweisen, die mit neuen Vergemeinschaftungs- und Öffentlichkeitsprozessen über digitale Netz werke zu verbinden sind und welche gesellschaftliche Relevanz ihnen zugeschrie ben werden kann.
Öffentlichkeiten unter neuen Rahmenbedingungen Wenn sich durch Formen der digitalen Vernetzung die Möglichkeiten neuer direk terer Partizipationsformen auf der Ebene der Individuen die Zahl von Öffentlich keitsräumen deutlich erweitert (vgl. Romahn in diesem Band) und gleichzeitig auf
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der Makroebene die Ausbildungsformen von stabilen umfassenden Öffentlichkeits strukturen erodieren, stellen sich Fragen nach der Strukturierung von Öffentlich keitsprozessen noch einmal neu. Denn gerade unter den veränderten Bedingungen einer fortschreitenden digitalen Vernetzung stellen wir – nicht zuletzt durch den Metaprozess der Individualisierung befördert – zunehmende Fragmentierungsten denzen in der Gesellschaft fest, denen aus den Potenzialitäten digitaler Netzwerk strukturen heraus neue Möglichkeiten gesellschaftlicher Re-Integrationstendenzen gegenüberstehen. Aktuell stoßen wir auf eine Reihe sehr ambivalenter Befunde über das Potenzial netzwerkbasierter Vergemeinschaftungsformen, die nicht im mer zu eindeutigen Schlüssen kommen, wenn es um die Frage der Öffentlichkeiten geht. So zählt etwa Habermas zu jenen kritischen Stimmen, die davon ausgehen, dass »vorerst [. . .] im virtuellen Raum die funktionalen Äquivalente für die Öf fentlichkeitsstrukturen [fehlen], die die dezentralen Botschaften wieder auffangen, selegieren und in redigierter Form synthetisieren«. (Habermas 2008: 162) Auch Dahlberg äußert sich skeptisch über die Deliberationsqualitäten, die wir im Inter net vorfänden. Dem gegenüber argumentiert Münker, der – gerade mit Verweis auf die Dynamik des Web 2.0 – einer »Dezentralität der technischen Basis des Inter nets [. . .] zentralisierende Wirkungen seiner medialen Nutzung« (Münker 2009: 111 f.) zuschreibt. Und er hält dazu weiter fest, dass »die digitalen Öffentlichkeiten [. . .] schließlich einzig durch die kollaborative Partizipation der Nutzer im Inneren der Zivilgesellschaft, nicht neben ihr« entstünden. Deshalb würden die »sozialen Medien des Netzes [. . .] nicht zwischen getrennten Sphären« vermitteln, sondern sie sogar »vermischen«. (Münker 2009: 113) Zudem sei nach Neuberger die »frag mentierte« Öffentlichkeit im Netz insofern als eine »optische Täuschung« zu se hen, da im »Internet [. . .] nun alles versammelt [ist], was vorher getrennt war«. (Neuberger/von Hofe/Nuernbergk 2010: 14) Weiters hat etwa Katzenbach (2010) auf die Bedeutung von Weblogs als Möglichkeit der Überbrückung und Durchdrin gung unterschiedlicher Sphären von Öffentlichkeiten hingewiesen. Technologisch vernetzte Kommunikationsinfrastrukturen sind also geradezu prädestiniert, Ebenen von Öffentlichkeiten zu durchdringen, Durchlässigkeit zu schaffen und Verbindun gen herzustellen. Und dies mit der Besonderheit, dass mediale Verbreitungslogiken damit umgangen werden, ein höherer Bezug zu den Anliegen der darin agierenden Autorinnen und Autoren hergestellt ist und die »Möglichkeiten zur Anschlusskom munikation« deutlich erhöht werden. (Vgl. Katzenbach 2010: 206) Damit geraten – wie von Elisabeth Klaus in unterschiedliche Ebenen von ein fachen, mittleren und komplexen kategorisierten – Öffentlichkeiten in Bewegung, neue Mischverhältnisse entstehen und vertikale wie horizontale Kräfteverhältnisse entfalten durch die Wechselbeziehungen der digitalen Vernetzung ihre Wirkung. Heute sind es vermutlich eher die »digitalen zivilgesellschaftlichen Salons« und Gegenöffentlichkeiten bzw. »subalternen Öffentlichkeiten« (vgl. Fraser 1992), die
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das Feld entscheidend erweitern. Anders als die bürgerlichen Salons des 18. Jahr hunderts sind die digitalen Orte von einer Deliberation von räumlichen und zeit lichen Beschränkungen weitgehend befreit, sie wirken deterritorialisiert, nunmehr transnational und vernetzen bislang voneinander getrennte Orte und Räume. Dazu gehören global agierenden Foren des zivilgesellschaftlichen Protests (von Greenpeace bis Occupy) ebenso wie über die Blogger/innen-Sphäre initiierte neue Kommunikationsforen. Entgegen der kritischen Befürchtung, Teilöffentlichkeiten würden zu einer Verinselung von Kommunikationsströmen führen, brachte – wor auf Elisabeth Klaus und Ricarda Drüeke hingewiesen haben – v. a. auch die fe ministische Medienforschung alternative Konzepte ein. So zeigte Nancy Fraser, »dass das demokratische Ideal der gleichberechtigten Partizipation (gerade) durch eine Vielzahl von Öffentlichkeiten besser zu verwirklichen sei«. (Klaus/Drüeke 2012: 61) Dahlberg (2007) fordert sogar eine Re-Radikalisierung der im Inter net sich formierenden Diskurswelten als produktive Grundvoraussetzung für den Widerstreit von Positionen. Eine Vielfalt und ein Ausbau unterschiedlicher – wie Sunstein sie nennt – »deliberativer Enklaven« sei nach einem radikaldemokrati schen (oder »counter-politics«-) Ansatz – nach Dahlberg (2011) im Sinne einer produktive Fragmentierung zwischen dominanten und marginalisierten Diskursen sogar anzustreben. Allerdings muss es auch gelingen, Plattformen der Verbindun gen zwischen ihnen herzustellen. Zu denken ist in diesem Zusammenhang nicht an klassische Medien, sondern an unabhängige demokratische Online-Initiativen (wie die britische Initiative OpenDemocracy), die als Intermediäre derartige Funk tionen leisten können. In diesem Zusammenhang gilt es aber auch die Konzeption von Netzwerken, wie Geert Lovink sie begreift, zu bedenken. Er charakterisiert Netzwerke als post-repräsentativ, da sie – anders als in gängigen demokrati schen Mechanismen – nicht beanspruchen, für jemand anderen zu sprechen. (Vgl. Lovink 2012: 212) Im gegenwärtigen Stadium der Transformation stoßen wir zudem noch auf das Phänomen, dass gerade aus der Interaktion zwischen Netzöffentlichkeiten und klassischen – ebenso im Netz agierenden – Medien eine neue Basis der Agglome ration und Interaktion von Kommunikationsprozessen entsteht. Auf explizit politi scher Ebene zeigte sich die mobilisierende Kraft der digitalen Vernetzung u. a. im sogenannten »Arabischen Frühling« oder schon zuvor in den Protestbewegungen gegen die Regierung Estrada auf den Philippinen. Gerade die über mobile Tech nologien organisierte Bewegung »People Power II« gegen den philippinischen Präsidenten stand beispielhaft für die große Mobilisierungskraft vernetzter Kom munikationstechnologien. Castells argumentiert in diesem Zusammenhang »that the mobile phone – as a medium that is portable, personal, and prepared to receive and deliver messages anytime, anywhere – can perform the mobilization function much more efficiently than other communication channels at the tipping point of a political movement«. (Castells 2007: 192) Im Fall des »Arabischen Frühlings«
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traten erneut die Mobilisierungspotenziale neuer Technologien augenscheinlich zu Tage, stießen dann allerdings auch an ihre Grenzen, als es um Maßnahmen der konkreten Umsetzung von politischen Forderungen auf der Ebene von Gesetzen ging. Die neuen mobilen Kommunikationstechnologien dürften aber wenn nicht als Auslöser, so doch immerhin als Katalysatoren (vgl. Höflich 2011: 36) gewirkt haben, denn sie kanalisierten und dynamisierten Informationsströme und verfügten über das Potenzial, unterschiedliche Öffentlichkeiten – reale wie virtuelle Welten oder globale mit lokalen – miteinander zu verbinden. Eine eher skeptische Ein schätzung zur Wirkung mobiler Kommunikationstechnologien der Vernetzung fin den wir wiederum bei Gergen, der von der Gefahr der Entstehung »monadischer« Cluster spricht, die – verweisend auf Sennet oder Putnam – zu einer Abschottung der Individuen von ihren zivilgesellschaftlichen Vernetzungsmöglichkeiten füh ren würden, da sich darin nur zirkuläre Selbstbestätigungsprozesse manifestieren. »Essentially we are witnessing a shift from civil society to monadic clusters of close relationships. Cell phones technology favors withdrawal from participation in face-to-face communal participation.« (Gergen 2008: 302) Diese Tendenzen könnten insbesondere für die lokale Ebene gelten. Auf nationaler Ebene sieht Ger gen aber durchaus Potenziale für breitenwirksame Aktionsbewegungen, die über mobile Technologien der Kommunikation gestärkt werden. Auch Ling (2004: 192) spricht von der Gefahr von »walled communities«, in denen ritualisierte Selbstbe züglichkeiten zwischen ähnlich gelagerten Interessen ablaufen und die eine »Bal kanisierung« sozialer Interaktionen zur Folge haben könnten. Damit stehen insgesamt Potenziale einer stärkeren zivilgesellschaftlichen Ver ankerung und einer Verbreiterung widerstreitender Diskurswelten Gefahren einer Fragmentierung oder auch Isolierung gegenüber. Im derzeitigen Stadium der Trans formation scheinen gerade aus der Interaktion medialer und vernetzter Kommuni kationsplattformen dynamische Potenziale hervorzugehen, aus denen heraus sich neue Öffentlichkeitsformen ausbilden. Es ist jedenfalls insgesamt von einer Trans formation kommunikativer Bedingungen auszugehen, in der sich vor dem Hinter grund einer Zunahme von Mediatisierungseffekten auf Basis einer hochgradig in dividualisierten und auch im Zustand der Mobilität jederzeit möglichen Vernetzung grundlegende Verschiebungen ergeben. Faßler (2008: 203) spricht etwa »gestützt und bekräftigt durch eine fortschreitende Ökonomisierung und sozietäre Organi sation der Informationsflüsse« von »Übergängen von Massenindividualmedien zu globalen Gruppenmedien«, die das »Entstehen völlig neuartiger Gruppenstruktu ren« mit sich bringen. Und die neuen global agierenden Anbieter und Kommunika tionsplattformen ergänzen nicht nur klassische Formen medialer Kommunikation, sondern dominieren mittlerweile in Teilbereichen kommunikative Infrastrukturen der Gesellschaft und sorgen eben damit auch für eine Dynamisierung und Neu ausrichtung der Rahmenbedingungen von und für Kommunikation. Weiters be einflussen sie – wie oben angesprochen – in einem nicht unbeträchtlichen Ausmaß
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die Rahmenbedingungen kommunikativer Handlungsformen. Insgesamt sei nach Sheller/Urry mit einer Veränderung der öffentlichen Sphäre zu rechnen, wenn die Durchdringung mit neuen mobilen Kommunikationstechnologien weiter zunimmt. »In many ways, then, the reconfig uration of complex mobility and communication systems is not simply about infrastructures but the refiguring of the public itself – its meanings, its scapes, its capacities for self-organization and political mobili zation, and its multiple and fluid forms.« (Sheller/Urry 2006: 8)
Dispositive in den Öffentlichkeiten Wenn wir nun die oben angesprochenen Ambivalenzen im Übergang in die ver netzten Welten der Kommunikation als jene neuen Bedingungen ernst nehmen, in deren Rahmen auch neue Formen und Formationen von (politischen) Öffent lichkeiten entstehen, gilt es – wie angesprochen – zu bedenken, dass wir in jenen Netzwerken, die vermehrt große Nutzerströme anziehen, eben auch mit dispositi ven Dominanzen und hegemonialen Strukturen zu rechnen haben, die das Spiel der Kräfte deutlich beeinflussen. Wie u. a. schon Dahlberg (2001) oder Dahlgren (2005) festgestellt haben, finden wir heute das Internet weitgehend von kommerziellen In teressen kolonialisiert und dominiert. In diesem Zusammenhang gilt es zunächst zu bedenken, dass die Nutzerinnen und Nutzer in den massenattraktiven Plattformen nicht so sehr als Bürgerinnen und Bürger adressiert werden, sondern vermehrt als Kundinnen und Kunden globaler Player Strategien einer Kommodifizierung unter liegen. Es sind die »User/innen« selbst, die qua ihres Kommunikationsverhaltens und durch die Zuwendung ihrer Aufmerksamkeit und Datenspuren jene Produkte herstellen, deren Vermarktung große Player wie Facebook oder Google erfolgreich betreiben. Dieser Transfer findet nicht selten als ein Tausch der Freigabe persönli cher Daten gegen den Gewinn einer sozialen Einbindung und Vernetzung statt. Mit dem Eingehen derartiger Beziehungen unterwirft man sich aber – mehr oder weni ger bewusst – einem Set von Spielregeln, die die mediatisierten Handlungsformen der online agierenden und kommunizierenden Netzwerkteilnehmer/innen nur in gewissen vordefinierten Bahnen agieren lassen. Alternative oder gar widerständige Kommunikations- und Handlungsformen werden nicht selten ausgeschlossen bzw. bleiben stark eingeschränkt. Vor dem Hintergrund dieser Rahmenbedingungen gilt es die Handlungs- und Präsentationsebenen der einzelnen User/innen zu bedenken, wenn sie in kommer zialisierten Netzwerken öffentlichkeitsrelevant agieren. Denn Plattformen wie Facebook drängen die darin kommunikativ handelnden Individuen nicht nur zu Entäußerungen ihrer privaten Lebenswelten, sondern nicht selten auch in einen Präsentationsmodus ihrer Handlungsformen, die auf eine Positivierung und Per fektionierung ihrer Persönlichkeitsdarstellungen hinauslaufen. Bröckling (52013)
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spricht in diesem Zusammenhang von einem »unternehmerisches Selbst«, das auf eine »ökonomische Modellierung des Subjekts« (Reckwitz 2006: 599) abzielt und ihm eine Identitätsarbeit abverlangt, die eine dauernde Selbstaktualisierung als erfolgreiches Individuum erfordert. Das Individuum ist – mit Foucault – damit zu Formen der Selbstmodellierung aufgerufen und wird zu einem permanenten Selbstmanagement geführt. Tendenziell wird es damit zu einem »homo oecono micus« bzw. einer Unternehmerin/einem Unternehmer ihrer/seiner selbst, zu einer »Ich-AG«. Schließlich finden wir in Facebook nur den Modus der »Likes« als Vernetzungsprinzip vorgegeben und die Option von »Dislikes« vergeblich in den Menüleisten möglicher Interaktionsformen. Eine derart unterstützte Tendenz in eine »Positivgesellschaft meidet jede Spielart der Negativität, denn diese bringt die Kommunikation ins Stocken«. (Han 2012: 16 f.) Zudem stellen wir immer wieder Bewegungen hin zu einem gewissen Hyper-Exhibitionismus fest, der wiederum zu einem »Hyper-Konformismus« führen kann, wie das Deuze bestätigt »[. . .] The process and practice of self-identification, self-branding and subsequent self-creation in media inevitably ends up with someone becoming the person everybody else expects them to be.« (Deuze 2012: 242) Für Bührmann/Schneider setzen sich im Kontext der Dispositiv-Analysen damit und mit der Entwicklung von »SelbstPraktiken« bzw. der von Foucault eingebrachten »Technologien des Selbst« Pro zesse in Gang, »bei denen vormals externe, also etwa institutionalisierte Diszipli nierungspraxen in die Individuen hinein verlagert« (Bührmann/Schneider 2008: 70) werden. Byung-Chul Han (2014: 44 f.) spricht sogar von einer »neoliberalen Ideologie der Selbstoptimierung«, die »religiöse, ja fanatische Züge« entwickle und das »Subjekt des neoliberalen Regimes« zugrunde gehen lasse. Wenn wir nun davon ausgehen, dass Formationen von Öffentlichkeiten auch über Plattformen wie Facebook zunehmend gebildet werden, gilt es sich darüber im Klaren zu sein, dass auch derartige Strukturprinzipien die Ausprägung von Vernetzungsinitiativen (zumindest partiell) mitbestimmen und beeinflussen können. So finden wir etwa nicht zuletzt unter dem Druck sich durchsetzender Individualisierungstendenzen kritische Befunde, die für die Frage von Beteiligungsformen eher von Fragmen tierungs- als von Integrationseffekten ausgehen. Byun-Chul Hans Auseinanderset zung mit dem (an Buber angelehnten) dialogorientierten Netzwerkdenken Flussers verdeutlicht, dass die damit verbundenen Hoffnungen auf eine Überwindung alter Informationsregime und einen gewissen »Messianismus der Vernetzung« vielfach nicht Erfüllung gehen würden. »Die digitale Kommunikation lässt die Gemein schaft, das Wir, vielmehr stark erodieren. Sie zerstört den öffentlichen Raum und verschärft die Vereinzelung des Menschen.« (Han 2013: 65) Darüber hinaus gilt es für damit auch angesprochene Formen politischer Par tizipationsleistungen weiterhin zu bedenken, dass wir es – gerade unter den Be dingungen einer digitalen Dauervernetzung des Individuums und aus einer damit verbundenen gewissen Vereinzelung heraus – auch mit Formen der Teilhabe zu
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tun haben, die oft nur scheinbar zu realpolitischen Partizipationsformen führen, wenn nämlich nur über »Likes« oder rasche Zustimmungsbekundungen im Netz dem Individuum das Gefühl vermittelt wird, darüber auch konkret politisch aktiv zu sein. Diese Formen des »Slacktivism« – also des »faulen« oder »bequemen« Aktivismus – sind nicht selten typisch für digitale Partizipationsformen und kön nen daher für real-aktive Formen politischer Beteiligung durchaus kontraproduk tiv sein. Zudem gilt es in den digitalen Netzwerken und in darin sich formierenden Öf fentlichkeitsformen jene Ambivalenzen zu verfolgen, die am Umschlagpunkt zwi schen Transparenz und Überwachung zu verorten sind. Byung-Chul Han (2014: 20) nennt es das »Transparenz-Dispositiv«, da die »Totalvernetzung [. . .] einen Effekt der Konformität (erzeugt), als würde jeder jeden überwachen, und zwar vor jeder Überwachung und Steuerung durch Geheimdienste«. Wenn sich derartige dispositive Effekte des Konformitätsdrucks auch in netzwerkbasierten Öffentlich keitsbewegungen manifestieren, wird es die Versprechen über die Effektivität digi taler Kampagnen und Partizipationsbewegungen kritisch zu beobachten gelten.
Jenseits der Dispositive? Resümiert man mit Blick auf die in digitalen Netzwerken wirksamen Dispositiv strukturen sich für die Formierung von Öffentlichkeitsstrukturen ergebenden Kon sequenzen, fordert uns dies zu einem Nachdenken über Alternativen auf. Denn will man den oben angesprochenen Tendenzen, die mit den Netzwerkaktivitäten großer kommerzieller Player verbunden sind, entgehen, wird es neuer Plattformen der Vernetzung und der qualifizierten Moderation von Öffentlichkeiten bedürfen, um digitale Vernetzungsprozesse demokratiefähig zu halten. Dabei gilt es sowohl auf der Ebene des Wissens und der Fähigkeiten der einzelnen Nutzerinnen und Nutzer anzusetzen als auch über Netzwerkformen nachzudenken, die jenseits und außer halb kommerzieller Zwänge Deliberationsleistungen für die Gesellschaft wie auch agonistisch orientierte Diskursverhandlungen möglich machen bzw. erbringen kön nen. Nick Couldry spricht sich etwa dafür aus, dass es nicht nur an den handelnden Akteurinnen/Akteuren im Rückgriff auf ihre Kompetenzen liegen kann, Netzwer ken zu vertrauen, sondern es v. a. vertrauenswürdige Netzwerke braucht, wie sie etwa für Prozesse der politischen Deliberation gesellschaftlich relevant sind. (vgl. Couldry 2012) Dahingehend läge es etwa nahe, verstärkt auf Potenziale der Digital Commons zu setzen, die – mitunter aufbauend auf der Idee der Creative Commons und der Free Software-Bewegung – auf freie Zugangs- und Nutzungsformen set zen und auf nichtkommerziellen Netzwerklogiken zur Erzielung gemeinwohlför derlicher Mehrwerte aufbauen. Murdock (2012) versteht Digital Commons als »a site in which the contradictions, relations and values of public life may be freely
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discussed [. . .] as a web of social relations, ethos of shared access, [. . .] joint responsibility rather than individual advantage«. Gerade Digital Commons adres sieren die Nutzerinnen und Nutzer nicht als Konsumentinnen und Konsumenten, sondern als Bürgerinnen und Bürger, deren Partizipationspotenziale und -bedürf nisse im Rahmen eines Democratic Citizenship gestärkt werden. Und Coleman/ Blumler (2009: 183) entwarfen das Konzept für Civic Commons, »(as they) see a pressing democratic need for a civic common and for a goverment-funded agency that will be charged with promoting, publicing and facilitating public deliberation between goverment at ist various levels and the dispersed networks which consti tute the contemporary communicative landscape«. Zugänge wie diese eröffnen uns jedenfalls neue Perspektiven, wie in Zukunft öffentliche Deliberationsformen in den digitalen Netzwerken organisierbar wären, die jenseits dispositiver Dominanz einflüsse neue Räume für öffentliche Diskursaushandlungen eröffnen. Auch die Wahl alternativer Netzwerkplattformen, die ihre Aktivitäten nach strengen Regeln des Respekts von Privatheit und Datendiskretion ausrichten, stellt in diesem Zu sammenhang Optionem bereit. Darüber hinaus wird es aber auch Anstrengungen bedürfen, über dominierende Netzwerkplayer – und nicht selten in Kombination mit klassischen Medien und deren Onlineablegern – sich vollziehenden Öffent lichkeitsprozessen verstärkt mit einem kritisch-kreativen Zugang zu begegnen und im Rahmen der Nutzung auf Netzwerkkompetenzen zu setzen, die auf einem re flektierten Verständnis aufbauend um die Wirkung darin wirksamer dispositiver Netzwerkstrukturen wissen.
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»Taking cultural production into our own hands«
»Taking cultural production into our own hands« Kulturelle Bedeutungsprozesse im Kontext zeitgenössischer Kunst Siglinde Lang und Elke Zobl
Kultur aktiv gestalten »Cultural production [. . .] can be understood as an intervention in the process of producing meaning.« (Klaus 2012: o. S.) Diesem Zitat und dem theoretischen An satz von Elisabeth Klaus folgend fassen wir kulturelle Produktion als einen Prozess auf, in dem Sichtweisen und Einstellungen erzeugt, aufgenommen und in einem öffentlichen Zirkulationsprozess distribuiert, dabei aber auch kontinuierlich repro duziert und in der Gesellschaft neu verhandelt werden1. An diesen Prozessen der kulturellen Produktion sind verschiedene Öffentlichkeiten kontinuierlich beteiligt, wobei vor allem hegemoniale Interessen beziehungsweise politische, wirtschaftli 1 Ausgangspunkt dieses Beitrags bilden unseren bisherigen Arbeiten im Kontext des Pro jektes »P/ART/ICIPATE – The Matrix of Cultural Production« (Lang/Zobl 2013; Lang 2013; Lang 2014a; Zobl/Lang 2012, Zobl 2012) und des eJournals «P/ART/ICIPATE – Kultur aktiv gestalten« (http://www.p-art-icipate.net) am Programmbereich Zeitgenös sische Kunst und Kulturproduktion, Schwerpunkt Wissenschaft & Kunst, einer Koope ration der Universität Salzburg mit der Universität Mozarteum, sowie die Zusammen arbeit und der inhaltliche Austausch mit Elisabeth Klaus. Diese Zusammenarbeit betrifft vor allem die Entwicklung und Umsetzung eines internationalen Masterprogramms in Cultural Production (vgl. Klaus 2012) sowie Kooperationen in der Forschung am Pro grammbereich (http://www.w-k.sbg.ac.at/conart). Seit 2014 arbeiten wir gemeinsam mit Elisabeth Klaus und einem interdisziplinären Team an einem gemeinsamen Forschungs projekt zu »Cultural Production im Kontext zeitgenössischer Kunst«. Es fließen daher in diesem Beitrag Ergebnisse und Wissensstände aus dem bisherigen und aktuellen Projekt zusammen und wir nennen die Beteiligten spezifisch, wenn es im Text direkte Bezüge gibt. An dieser Stelle möchten wir uns nicht nur bei Elisabeth Klaus für die stets gute und fruchtbare Zusammenarbeit bedanken, sondern auch bei Roswitha Gabriel und Dilara Akarcesme für die Unterstützung bei der Erstellung dieses Artikels.
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che und rechtliche Ansprüche eine dominierende Rolle einnehmen. Wird Produk tion von Kultur jedoch als ein Prozess verstanden, der vor allem die Interessen jener artikuliert – oder artikulieren sollte –, die Kultur im Alltag leben, ist es die zivilgesellschaftliche Mitbestimmung, die kulturelle Produktionsprozesse prägen sollte. Wir beziehen uns auf theoretische Überlegungen über den Kreislauf kultureller Bedeutungsproduktion, die von Elisabeth Klaus und Margreth Lünenborg (2004a, 2004b, 2012) mit Bezug auf den circuit of culture (du Gay et al. 1997; Johnson 1985) und das Konzept der cultural citizenship (Hartley 1999; Hermes 1998; Ro saldo 1994; Stevenson 2001) weiterentwickelt wurden. Folglich argumentieren wir für ein Verständnis von kultureller Produktion als Intervention in den Prozess der Bedeutungsproduktion, wobei dieses Eingreifen auf zivilgesellschaftlicher Teil habe fußt. Konkret interessiert uns, inwiefern durch zeitgenössische künstlerische Produktionen kulturelle Bedeutungen verschoben oder verändert werden, sodass neue Ideen, Perspektiven und Handlungsoptionen entstehen (können). Künstleri sche Praxen als kritische kulturelle Praxen, die aktiv Mitsprache an kulturellen Produktionsprozessen einfordern, bilden dabei das konkrete Bezugsfeld unserer Auseinandersetzung. Das damit verbundene kulturelle Intervenieren in und die ak tive Mitgestaltung von Öffentlichkeiten erörtern wir in diesem Beitrag exempla risch an dem Fallbeispiel »hunt oder der totale Februar« des Theater Hausruck. Wir skizzieren, wie sich bei diesem partizipativen Kunstprojekt in der Region Haus ruck in Oberösterreich der Prozess von einer künstlerischen Produktion zu einer kulturellen Produktion gestaltet hat, wobei wir vor allem auf drei Aspekte eingehen werden: Erstens, welche Rolle nimmt die zeitgenössische Kunst im Kontext des Kreislaufs der kulturellen Bedeutungsproduktion ein (bzw. kann sie einnehmen)? Zweitens, wie finden zivilgesellschaftliche und kollaborative Ausverhandlungsund Mitbestimmungsprozesse statt? Und wie kann, drittens, Partizipation als dis sensorientiertes Mitgestalten von Öffentlichkeit(en) im Kontext eines partizipati ven Kunstprojektes gefasst werden? Diese Überlegungen basieren auf Konzepten und wissenschaftlichen Ausein andersetzungen von und mit Elisabeth Klaus vor allem in Bezug auf kulturelle Produktion (vgl. Klaus 2012) und Öffentlichkeiten (vgl. Klaus 2001, 2006, 2013; Klaus/Lünenborg 2012) sowie auf unsere gemeinsame Arbeit am Programmbe reich Zeitgenössische Kunst und Kulturproduktion am Schwerpunkt Wissenschaft und Kunst, einer Kooperation der Universität Salzburg mit der Universität Mozar teum.
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Zeitgenössische Kunst im Kontext des Kreislaufs von Kult ur »An sich selbst glauben, an die Menschen glauben und daran, dass Kunst wirklich etwas bewirken kann.« (Chris Müller)2
Auf Basis eines Kulturverständnisses, das Raymond Williams und seiner vielfach zitierten Formulierung Kultur als »whole way of life« bzw. »einer ganzen Le bensweise, materiell, intellektuell und geistig« (Williams 1972: 17, zit. n. Gött lich 2006: 97) folgt, kann Kultur – im Sinne der Cultural Studies – als gelebte All tagspraxis aufgefasst werden. ›Kultur‹ wird somit vor allem in unseren alltäglichen Wahrnehmungsstrukturen, Gesten und Handlungen evident. Die aktive Mitbestimmung und Mitgestaltung von Kultur steht folglich im Vor dergrund bzw. muss im Vordergrund stehen, wenn Kultur als ein dynamisches Na vigationssystem durch unseren Alltag verstanden wird. Denn diese Orientierungs hilfe ist durch laufende Adaptionen, Verschiebungen und Veränderungen geprägt und folglich verhandelbar (vgl. Klaus 2012; Zobl/Lang 2012 sowie Lang 2013). Kultur ist in ihrem weitreichenden Bezugssystem dabei jedoch stets mit sozia len, politischen, rechtlichen, wirtschaftlichen sowie technischen beziehungsweise medialen Kontexten und Interessen verbunden (vgl. du Gay et al. 1997; Johnson 1996), sodass der Kreislauf der Kultur als ein kommunikativer Prozess verstanden werden kann, der von diversen Machtansprüchen und Interessen geprägt ist. Das aktive Mitgestalten unserer Lebenswelten ist folglich als Prämisse kultureller Pro duktionsprozesse zu begreifen und umfasst die Reflexion der eigenen Standpunkte, kollektive Haltungen oder das kritische Hinterfragen hegemonialer Strukturen und Mechanismen. In einem Beitrag über den Universitätslehrgang MA in Cultural Production beschreibt Elisabeth Klaus diesen Ansatz folgendermaßen: »When ›doing‹ culture consciously, we try to think about the contexts and conditions that govern our cultural activities and to reflect on the effects these have. Producing culture ac tively, thus, entails to think about the stance, the point of departure from which we act. It requires to think of the values, collective norms and invisible rules that guide our behaviour and to reflect on the social and cultural positioning of our activities. Finally, it encompasses a claim to participate in the formulation of the norms and values that govern society, to take part in its decision-making process about who or what counts as important or unimportant, as good or bad and to change the rules by which social and cultural relations are reinforced.« (Klaus 2012: o. S.) 2 Dieses und folgende Zitate stammen aus einem unveröffentlichten Interview von Sig linde Lang mit Chris Müller (vgl. Lang 2012), dem Intendanten des Theater Hausruck von 2005 bis 2011. Die Fallstudie zum Theater Hausruck ist in der Dissertation von Sig linde Lang (2014a, 2015) ausführlich beschrieben.
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Doch wie können solche verinnerlichten Regeln und Verhaltensweisen Impulse für eine mögliche Umorientierung erhalten oder verändert werden? Wir gehen davon aus, dass speziell die Kunst die Möglichkeit hat, in den Kreislauf der Bedeutungs produktion bewusst einzugreifen und Aushandlungsprozesse anzustoßen. Zahlrei che zeitgenössische künstlerische Produktionen greifen aktiv in das ein, was wir als Kultur leben: Sie setzen sich mit unserem alltäglichen Bedeutungsraster kri tisch auseinander, hinterfragen Vertrautes, Gewohntes, Gängiges und entwerfen differenzierte Wahrnehmungsperspektiven – und hinterfragen künstlerische wie auch kulturelle Bedingungen, die durch rechtliche, ökonomische und politische Kontexte und Reglementarien mitbestimmt sind (vgl. Lang 2014b). So referenzie ren künstlerische Produktionen Phänomene jener Welt, die uns umgibt, das heißt sie reflektieren einen kulturellen Status quo und beziehen sich damit auf das, was in Alltagspraxen als gängige kulturelle Bedeutungszuschreibungen sichtbar wird. Sie intervenieren – oft explizit, zuweilen nur implizit – in das, was aktuell als Kul tur verstanden und gelebt wird: »Works of art, DIY cultural forms, etc [. . .] irritate and challenge the way we ›normally‹ see and do things. Today a host of contempo rary art productions exist that aim to reflect on and interpret our cultural contexts and the underpinnings of our daily routines.« (Klaus 2012: o. S.) Kunst wird somit auch immer mehr zu einer kulturkritischen Stimme beziehungsweise zu einem ge sellschaftskritischen Sprachrohr (vgl. Lang 2014b). Denn im Gegensatz zu anderen kulturellen Formen (und Praxen) – wie der Wis senschaft, der Religion oder auch der Sprache – weist die Kunst ein Spezifikum auf (vgl. Cassirer 1990): Während andere kulturelle Symbole die »Wirklichkeit struk turell zu erklären« suchen, »evoziert der Symbolismus der Kunst im Betrachter ästhetische Erlebnisse, die reicher und komplexer sind als die Sinneserfahrungen des Alltags« (Paetzold 2008: 92). In dieser Möglichkeit, sich mit ›Wirklichkeit‹ (bzw. Formen dieser) abseits der »gewöhnlichen Sinneserfahrung« (Cassirer 1990: 145) auseinanderzusetzen, liegt die Eigenart von Kunst. Gerade dadurch, dass künstlerische Praxen als kulturelle Praxen nicht – primär – den Anspruch erheben, Lösungen, Erklärungs- oder auch Handlungsmodelle, sondern sinnliche Erfah rungsräume zu generieren, können die zeitgenössische Kunst und ihre Praktiken Perspektiven (auch) abseits konventioneller und gängiger Erfahrungs- und Wahr nehmungsstrukturen eröffnen und folglich als Initiator von kommunikativen und damit verbundenen kulturellen Prozessen angesehen werden. Doch wie wird mittels künstlerischer Produktionen in den Kreislauf der Kul tur interveniert? Wie werden gesellschaftliche Phänomene aufgegriffen und wie wird eine Neuverhandlung über die damit verbundenen kulturellen Bedeutungs zuschreibungen evoziert? Als ein Referenzbeispiel für zahlreiche zeitgenössische Kunstproduktionen, die aktiv in einen kulturellen Status quo zu intervenieren su chen, möchten wir das mehrfach ausgezeichnete Theaterstück »hunt oder der totale Februar« des Theater Hausruck aufgreifen, das im Jahr 2005 erstmals aufgeführt
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wurde: Diese Theaterproduktion entstand aus einer Initiative von engagierten BürgerInnen und Kunstschaffenden der Region Hausruck in Oberösterreich, die fest gestellt hatten, dass 1934 ein Bürgerkrieg in den Heimatgemeinden stattgefunden hatte. Dieses Ereignis war bisher weder dokumentiert noch reflektiert oder in der Region thematisiert worden. Positioniert als »Theater gegen das Vergessen« wur den die ausgeblendeten Vorfälle anhand der Geschichte von lokalen Grubenarbei tern als bild- und sprachgewaltiges Theaterstück inszeniert. Temporäre Bühne bil dete ein ehemaliger Kohlebrecher, der als authentischer Schauplatz Raum für die Auseinandersetzung mit einem gesellschaftlich brisanten3 Thema eröffnete. Die spezifis chen Vorgänge und Geschehnisse aus der Region stellten dabei die wesent lichen Bausteine der theatralen Inszenierung, die sich auf »dem schmalen Grat von Realität und Fiktion« (Theater Hausruck o. J.: o. S.) verortet sieht. Auf das Potential der Kunst, »Menschen auf der affektiven Ebene anzuspre chen«, verweist auch Chantal Mouffe (2014: 148) wenn sie die zentrale Rolle von (kritischer) Kunst im Kontext gesellschaftlicher Mitbestimmungsprozesse folgen dermaßen beschreibt: »Hierin liegt die große Kraft der Kunst – in ihrer Fähigkeit, uns Dinge in einem anderen Licht sehen und uns neue Möglichkeiten erkennen zu lassen.« (Ebd.) In ihrem Reflexionsvermögen als kritische kulturelle Praktiken gefasst, ermöglichen zeitgenössische künstlerische Praktiken somit tradierte Be deutungen nicht nur zu reproduzieren, sondern diese offen zu legen, und damit einer Umdeutung beziehungsweise Neuverhandlung zugänglich zu machen, zu verändern und damit aktiv in den Kreislauf kultureller Bedeutungsproduktion ein zugreifen.
Zivilgesellschaftliche Mitbestimmung und koll ab or at ive Aush andl ungsp roz esse »Dem Publikum die Hand geben und gemeinsam dort hingehen, wo noch keiner vorher war.« (Chris Müller)
Unter kommunikationswissenschaftlicher Perspektive fassen wir künstlerische Praktiken folglich als aktiven Prozess der gesellschaftlichen Reflexion, der Arti kulation neuer Sichtweisen und des Eingreifens in Öffentlichkeit(en) auf. Damit rückt auch die Möglichkeit in den Vordergrund, dass verschiedene Teilöffentlich keiten selbst Kunst und Kultur (co-)produzieren und damit in der Öffentlichkeit ihre eigene(n) Stimme(n) einbringen.
3 Denn die Aufarbeitung der eigenen NS-Vergangenheit ist nach wie vor ein heikler, daher immer oft noch ausgeblendeter Teil der österreichischen Geschichte.
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So zeichnet auch das Theater Hausruck als ein Spezifikum seiner Produktions weise aus, dass Theater für die Region aus und vor allem auch mit der Region ent wickelt und realisiert wird: BäckerInnen, LehrerInnen, PensionistInnen, UnternehmerInnen und viele andere lokale Personengruppen sind als LaiendarstellerInnen, SponsorInnen, ZeitzeugInnen oder unterstützende Kräfte im Hintergrund maß geblicher Teil der Produktion: »Denn das Fundament des Theater Hausruck bil det das Zusammenwirken vieler Menschen, die mit dem Hausruck in irgendeiner Form verbunden sind. Die Menschen der Region werden als Zeitzeugen Teil der Geschichte, zählen zum großen Darstellerteam aus Laien und Theaterprofis oder unterstützen die Theaterproduktionen bei den zahlreichen Organisationsarbeiten.« (Theater Hausruck o. J.: o. S.) So wurde bei »hunt oder der totale Februar« die Be völkerung bereits im Vorfeld der konkreten Drehbuchproduktion eingeladen, ihre Erlebnisse, Erinnerungen oder Geschichten von Verstorbenen auf Versammlungen zu erzählen oder auch anonym zu verschriftlichen. Diese persönlichen Erfahrungs bestände flossen dann in die Theaterproduktion ein. Das Leitungsteam, bestehend aus Regisseur, Intendant und kaufmännischem Geschäftsführer, verstand die ei gene Aufgabe vor allem darin, eine – künstlerische – Plattform für eine intensive, durchaus auch emotionale Auseinandersetzung mit der (eigenen) regionalen Ge schichte zu schaffen. Es sind exakt diese aktiven Aspekte zivilgesellschaftlicher Mitsprache, die wir für die Mitgestaltung kultureller Bedeutungsprozesse für grundlegend halten. Aus gehend von dem englischen Begriff des Cultural Producer, der die aktive Mit bestimmung und Mitgestaltung kultureller Produktion sichtbar zu machen sucht, kann aus unserer Sicht eine Einzelperson kaum isoliert als Cultural Producer wir ken, da dem Prozess kultureller Bedeutungsproduktion der kollaborative Charakter immanent ist. Das heißt, wir betrachten Cultural Producer als oft initiierendes und maßgeblich beteiligtes Individuum eines kollaborativen Prozesses kultureller Be deutungsproduktion. Dass in kulturellen Prozessen im Kontext von Kunst eine aktive Mitgestaltung zentrales Merkmal von Selbstermächtigung und demokratischer Mitsprache ist, hat u. a. auch der französische Philosoph Jaques Rancière in seinem Plädoyer »Der emanzipierte Zuschauer« (2009) betont, in dem er auf die Notwendigkeit verweist, hierarchisierende Grenzen zu überschreiten und selbst aktiv »Geschichte« zu inter pretieren und mitzubestimmen: »Es gibt überall Ausgangspunkte, Kreuzungen und Knoten, die uns etwas Neues zu lernen erlauben, wenn wir erstens die radikale Distanz, zweitens die Verteilung der Rollen und drittens die Grenzen zwischen den Gebieten ablehnen.« (Ebd.: 28) Aktiv »Geschichte« mitzubestimmen, eine Ver änderung eines gesellschaftlichen bzw. kulturellen Status quo zu initiieren, sollte folglich Intention jener kulturellen Produktionsprozesse sein, die die Reflexion und Diskurse über (als solche empfundene) kulturelle, soziale oder gesellschaftliche Missstände in Gang zu setzen suchen.
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»hunt oder der totale Februar« als partizipatives Kunstprojekt setzt exakt bei dieser Wahrnehmung eines Missstandes an und zielt darauf ab, eine kollaborative Neuverhandlung bestehender Bedeutungszuschreibungen zu evozieren. Ein spezi fischer kultureller oder sozialer Ist-Stand wird in einem (zumeist) lokalen Kontext aufgegriffen und unter ziviler Beteiligung kollaborativ verhandelt. So verweisen partizipative Kunstpraxen generell auf den Anspruch, gesellschaftliche Frage stellungen und Bezüge unmittelbar in das Blickfeld des künstlerischen Schaffens zu rücken. Sie lösen dabei einen Interaktionsprozess aus, der nicht nur zwischen Kunst und Gesellschaft als den Lebenswelten von Individuen stattfindet, sondern in einer kulturpolitischen Dimension somit auch die Aushandlung von hegemo nialen kulturellen Bedeutungszuschreibungen, die oft mit etablierten Machtver hältnissen in Verbindung stehen, und alternativen beziehungsweise divergierenden Konnotationen umfasst. In diesem Sinne intervenieren sie in bestehende kulturelle Bedeutungszuschreibungen. Das zentrale Ziel des Theater Hausruck beschreibt Chris Müller mit »einen Finger auf die Wunde legen«. Prozesse der (Selbst-)Reflexion sollen ausgelöst werden, Diskussionen angeregt und eine Neuinterpretation eines bestehenden kul turellen Status quo evoziert werden, wobei gerade »das Konzentrat aus Realität und Fiktion« einen Raum eröffnet, der abseits alltäglicher Erfahrungen Zugang zu einem perspektivischen Umdenken ermöglicht. In »hunt oder der totale Februar« wurden dabei auch jene Strukturmechanismen, die ein Ausblenden, ja Negieren der eigenen Geschichte forciert hatten, auf der Bühne thematisiert – und somit auch die Versäumnisse von politischen EntscheidungsträgerInnen, lokalen MeinungsbildnerInnen, aber auch die eigene individuelle Verantwortung. So argumentiert auch Chantal Mouffe (2008: 6 ff.), dass gerade kritische künst lerische Praktiken (»critical art«) in der Hinterfragung und Destabilisierung der neoliberalen Hegemonie, also vorherrschender, oft durch einseitige Machtinter essen geprägter Ordnungen, eine wichtige Rolle spielen, da sie visualisieren, was ausgeblendet, negiert und durch den Konsens der post-politischen Demokratie zer stört wird. Sie werfen ein »Schlaglicht darauf [. . .], dass es Alternativen zur gegen wärtigen postpolitischen Ordnung gibt« (Mouffe 2014: 143). In diesem Aushandlungsprozess ist jedoch weniger – dafür analog zur Kunst als symbolische Form – die Entwicklung oder Argumentation einer Sichtweise In tention, sondern ist der Kommunikationsprozess selbst als Zielsetzung des künstle risch-kulturellen Produktionsprozesses zu begreifen. So sieht auch Chantal Mouffe (2014: 139) die Hauptaufgabe künstlerischer Praktiken in der »Produktion neuer Subjektivitäten und die Ausarbeitung neuer Welten«, um den »Common Sense« – im Verständnis von Antonio Gramsci »als Ergebnis einer diskursiven Artikulation« (ebd.) zu verändern – und folglich Öffentlichkeit mitzubestimmen.
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Partizipation als Mitgestalten einer diss enso rient iert en Öff entl ichk eit »Zwiespältige Positionen hätten das Stück fast zum Scheitern gebracht.« (Chris Müller)
Wenn verschiedene Teilöffentlichkeiten Gesellschaft mitgestalten, werden Aspekte des Konfliktes in Bezug auf Partizipation zentral. Für Mouffe (2014: 141) ist der öffentliche Raum – verstanden als eine »Vielzahl diskursiver Plattformen und öf fentlicher Räume« – ein Kampfplatz der Konfrontation verschiedener hegemonia ler Projekte: Es ist der »Ort, an dem konfligierende Sichtweisen aufeinandertreffen, ohne dass die geringste Chance bestünde, sie ein für alle Mal miteinander zu versöhnen« (ebd.: 142). Das »Ringen um die Hegemonie«, so Mouffe, besteht auch »in dem Versuch [. . .] in den öffentlichen Räumen eine andere Artikulations form zu etablieren« (ebd.: 141). So wurde auch aufgrund der politischen Brisanz des Themas von »hunt oder der totale Februar« bereits im Vorfeld der Premiere seitens regionaler und natio naler Medien, je nach politischer Orientierung, aber auch von den beteiligten Zi vilpersonen oft sehr emotional Position bezogen. Doch als Kunstprojekt, als jene Stätte, die sich zwischen »Realität und Fiktion« verortet, ist es diese spielerische, ja künstlerische Dimension, die einen weitläufigen Artikulationsraum schafft, der Hürden und Barrieren konventioneller, von Alltagsnormen geprägter Räume unter laufen kann. Und – so Müller im Interview – gerade die dadurch zum Ausdruck ge brachten widersprüchlichen, gegenläufigen Meinungen und Diskurse unterstützen den gesamten Prozess der Reflexion und Ausverhandlung: »Grundsätzlich ist sehr viel diskutiert worden und dann hat sich auch was geändert, und das war die große Kraft.« (Lang 2012: o. S.) Markus Miessen (2007, 2012) hat auf exakt diese Problematik des Begriffs Partizipation hingewiesen, wenn er für einen Begriff von »konflikthafter Partizipa tion« als Art »unerwünschte Irritation« (2007: 2) argumentiert, dabei jedoch auf die Notwendigkeit der Selbstreflexion verweist: »Ein Vektor im Kräftefeld der Kon flikte zu werden, wirft die Frage auf, wie man partizipiert, ohne bereits bestehende Bedürfnisse oder Aufgaben zu bedienen [. . .].« (Ebd.: 3) Denn Reflexion und Pro zesse eines perspektivischen Umdenkens erfordern von allen Beteiligten den Mut, eigene Interessen, Haltungen und Erwartungen zu überdenken und konfligieren de, oppositionelle Haltungen als integralen Bestandteil der Auseinandersetzung zu begreifen. Wird Konflikt »als eine mikropolitische Praxis [verstanden], durch die die Partizipierenden zu aktiv Handelnden werden, die darauf bestehen, in dem Kräftefeld, mit dem sie sich konfrontiert sehen, zu AkteurInnen zu werden [. . .] wird Partizipation eine Form der kritischen Auseinandersetzung« (ebd.: 3). Damit könnte das Konzept Konflikt »als Ermöglichung, als Herstellung einer produktiven Umgebung« (ebd.: 4) gesehen werden. Dieser »ambivalente Prozess« konstituiert
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sich »durch eine Gruppe paradoxer Beziehungen zwischen KoproduzentInnen [. . .], die sich gegenseitig beeinflussen.« (Schneider 2006, zit. n. Miessen 2007: 1) Ziel dieses Prozesses ist es – analog zur Eigenart der Kunst – einen multiperspekti vischen Diskurs zu initiieren, der auch beziehungsweise explizit gegenläufige Sichtweisen und konfligierende Interessen als integrativen Bestandteil erfasst.
Von künstlerischen zu kulturellen Produktionen: Ein öffentlicher Ausverhandlungsprozess »Ich will mit dem Theater Hausruck etwas Neues machen – aus politischen Gründen, weil ich die Welt verbessern will.« (Chris Müller)
Dieses Konfliktpotential ist dabei generell als zentrales Element von Öffentlichkeit zu verstehen. Denn Öffentlichkeit – im Sinne von Elisabeth Klaus – ist nicht als homogenes Gebilde aufzufassen: Öffentlichkeit ist vielmehr als jener gesellschaft licher Selbstverständigungsprozess zu verstehen, in dem auf verschiedenen Ebenen Wirklichkeitskonstruktionen, Normen und Werte einer Gesellschaft und folglich kulturelle Bedeutungen verhandelt werden (vgl. Klaus 2001, 2006, 2013; Klaus/ Wischermann 2008). Klaus nimmt damit Bezug auf theoretische Ansätze, die die Vielfalt der Öffentlichkeiten unter einem (weit gefassten) politischen Kontext wei terentwickelt haben: So geht auch Nancy Fraser (2001) davon aus, dass es nicht nur eine hegemoniale Öffentlichkeit gibt, sondern zahlreiche (nicht-bürgerliche) Gegenöffentlichkeiten, und führt das Konzept der subalternen Gegenöffentlich keiten ein. Die Anliegen unterschiedlicher und marginalisierter gesellschaftlicher Gruppen, die in hegemonialen Öffentlichkeiten ausgeschlossen sind, finden nun in der öffentlichen Auseinandersetzung und Ausverhandlung Platz. Öffentlichkeiten haben damit das Potenzial der Ermächtigung (vgl. Fraser 2001), sind jedoch nicht konfliktfrei, sondern umkämpft. Chantal Mouffe (2007) weist insbesondere auf diesen agonistischen Charakter von Öffentlichkeiten hin, in denen – im Gegen satz zu konsensorientierter Politik – auch Konflikte ausgehandelt werden. In den Brüchen und Verschiebungen des Antagonismus entwickelt sich, nach Mouffe, das Politische, während Politik der Errichtung einer gesellschaftlichen Ordnung und Struktur dient (vgl. Drüeke 2013: 95). So waren es bei »hunt oder der totale Februar« sogenannte »Versammlungen«, die speziell im Vorfeld der Theaterproduktion Öffentlichkeit für die Projektidee und die Thematik geschaffen haben, wie etwa Stammtischabende, Treffen mit der Feuerwehr oder Vereinsversammlungen. Bei diesen inszenierten Veranstaltungen – als Ball, Geschichtstaxi oder Zeitreise – wurde das Projekt vorgestellt und versucht, Begeisterung für das Projekt zu erzeugen und sowohl Individuen als auch beste hende lokale Teilöffentlichkeiten zu einer Beteiligung zu motivieren. Im Interview
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spricht Müller in diesem Zusammenhang von »Politik«, um zu verdeutlichen, wie KooperationspartnerInnen und InteressentInnen für das Projekt gewonnen werden. Gleichzeitig haben diese »Versammlungen« auch jene mediale Aufmerksamkeit geschaffen, die Voraussetzung war, um einen über eine regionale Debatte hinaus gehenden Diskursraum zu eröffnen. Ein Eingreifen in den Kreislauf der Kultur und damit aktives Mitgestalten von Prozessen kultureller Bedeutungsproduktion ist folglich stets mit dem Herstellen von Öffentlichkeit, ja vielmehr Öffentlichkeiten beziehungsweise einer differen zierten Form von Öffentlichkeit verbunden. Es gilt einen öffentlichen Raum zu schaffen, in dem abseits der Dominanz geläufiger und hegemonialer Zuschreibun gen andere, zum Teil auch irritierende, kontroverse, paradoxe oder unkonventionelle Bedeutungsalternativen artikuliert werden können. Denn gerade diese Konfronta tion bestehender Sichtweisen mit alternativen Perspektiven meint »Selbstverstän digung« im Sinne eines demokratischen Verständnisses von Öffentlichkeit. In der Möglichkeit, mittels einer symbolischen, dennoch realitätsbezogenen Dimension diesen kommunikativen Raum zu eröffnen, zeigt sich das Potential, wie zeitgenössische Kunstproduktion Prozesse kultureller Mitsprache initiieren und Prozesse einer Neuverhandlung kultureller Bedeutungszuschreibungen er möglichen kann. Als Voraussetzung, dass künstlerische Produktionen sich zu sol chen (kritischen) kulturellen Produktionen entwickeln, sehen wir, dass eine bis dahin kaum oder »so« nicht wahrgenommene kulturelle Perspektive nachhaltig ein Sprachrohr findet, ein offener Prozess des öffentlichen Diskurses initiiert wird, die Bedeutung in der Öffentlichkeit zirkulieren kann, sodass ein neues Bewusstsein (für eine gesellschaftliche Teilgruppe) evoziert werden kann. Und genau diesen Schritt zur kulturellen Selbstermächtigung meint die alternative Medienproduzen tin Melanie Maddison in ihrem titelgebenden Zine (2010): »Taking cultural pro duction into our hands«!
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Rethinking cultural citizenship
Rethinking cultural citizenship Zur Teilhabe in der (digitalen) Mediengesellschaft Margreth Lünenborg
Das Konzept cultural citizenship wurde in der Rechts- und Politikwissenschaft, der Kultur-, Kommunikations- und Medienwissenschaft entwickelt und vielfältig diskutiert, um den Bedeutungswandel und Bedeutungszugewinn von Medien für die Herstellung von Zugehörigkeit zu Gemeinschaft und Gesellschaft zu beschrei ben (vgl. u. a. Hermes 1998; Kymlicka/Norman 2000; Rosaldo 1999; Ong 1999). Als Erweiterung des klassischen Staatsbürgerschaftsmodells von Thomas Marshall (1992, i. O. 1949) verweist es auf die Relevanz kultureller und damit symbolischer Ressourcen, die eine Teilhabe an (nationaler) Gemeinschaft ermöglichen, erschwe ren oder verwehren. Elisabeth Klaus und ich haben diese Diskussionen aufgegriffen und cultural citizenship als »wesentliche Dimension von ›Staatsbürgerschaft‹ in der Mediengesellschaft« entworfen. »Sie umfasst all jene kulturellen Praktiken, die sich vor dem Hintergrund ungleicher Machtverhältnisse entfalten und die kompe tente Teilhabe an den symbolischen Ressourcen der Gesellschaft ermöglichen. Mas senmedien sind dabei Motor und Akteur der selbst- und zugleich fremdbestimmten Herstellung von individuellen, gruppenspezifis chen und gesellschaftlichen Identi täten.« (Klaus/Lünenborg 2004: 200; weitergehend Klaus/Lünenborg 2012) Während im englischsprachigen Raum weiterhin intensiv über die Tragfä higkeit und Weiterentwicklung des Konzeptes debattiert wird, ja sogar Fachzeit schriften ganz dieser Thematik gewidmet sind1, ist die Resonanz in der deutsch sprachigen Kommunikationswissenschaft eher verhalten. Am intensivsten wird im Forschungsfeld Medien und Migration auf das Konzept Bezug genommen (vgl. Dietze 2008; Hahn 2008). Zugleich befasst sich kommunikationswissenschaftliche Forschung intensiv mit Formen der Partizipation und Teilhabe mit und durch Me dien insbesondere im Kontext von Digitalisierung und social web (vgl. Dimitrova 1 Die Fachzeitschriften Citizenship Studies sowie Citizenship Teaching & Learning be arbeiten Fragen der zeitgenössischen Aushandlung und Konstituierung von ›Staatsbür gerschaft‹ und berücksichtigen dabei politik- und erziehungswissenschaftliche Perspekti ven ebenso wie anthropologische oder medien- und kommunikationswissenschaftliche.
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et al. 2014). Diese Fragen werden vorwiegend in stark technisch und technologisch orientierter Perspektive bearbeitet und lassen dabei bislang Bezüge zu Konzepten von citizenship weitestgehend vermissen. Vor diesem Hintergrund reflektiert der vorliegende Beitrag aktuelle Debatten zu Konzepten von cultural citizenship, insbesondere mit Blick auf drei zentrale Fragestellungen: (1) Wie lässt sich citizenship unter Bedingungen von Globali sierung verstehen, wenn (national)staatliche Ordnung an Bedeutung verliert und räumliche Strukturen dynamisiert werden? (2) Welche Relevanz haben Emotionen und Affekte in einem historisch als rational entworfenen Konzept von citizenship? Und (3) Wie lassen sich unter Bedingungen digitaler Kommunikation Fragen der Teilhabe und Partizipation mit Konzepten von citizenship zusammen denken? Alle drei Fragen haben für die Medien- und Kommunikationswissenschaft zentrale Be deutung. Sie reflektieren spezifische Erwartungen an mediale Kommunikation für die Konstituierung von Gemeinschaft und Gesellschaft: Integration, Teilhabe und agency benennen schlagwortartig solche Leistungen, die Medien für Gesellschaft erbringen sollten. Damit sind normative Dimensionen benannt, die als erforderlich für das Funktionieren von Gemeinwesen gelten. Zugleich eröffnen sich mit diesen Fragen empirische Sichtweisen auf das Verständnis von citizenship. So lässt sich danach fragen, wie mittels Medien und mediatisierter Kommunikation belonging, also Zugehörigkeit zu einer Gemeinschaft hergestellt wird oder dieses misslingt.
Citizenship jenseits des Nationalstaats »If the Western citizen of the nineteenth century was a member of a consolidating nation, the contemporary citizen of the twenty-first century is a member of a deterritorializing state.« (Mitchell 2003: 387)
Die Sozialgeographin Katharyne Mitchell benennt die Anforderung, Zugehörig keit zu einer staatlichen Gemeinschaft herzustellen, wenn Territorialität – historisch konstitutiv für die Entstehung von Nationalstaaten – nicht länger als fraglose Entität Gültigkeit hat. Sie fragt danach, wie Bürgerinnen und Bürger lernen Mitglieder einer Gemeinschaft zu sein, und benennt damit Herausforderungen, die nicht allein für die Politikwissenschaft, Sozialgeographie oder Pädagogik relevant sind, sondern in besonderer Weise auch für die Medien- und Kommunikationswissenschaft. Unter Bedingungen von Globalisierung und globalen Mobilitäten von Menschen, Gütern, Symbolen, Narrativen und Praktiken verliert eine primärräumlich strukturierte Ord nung an Bedeutung (Adey 2010; Cresswell 2006; Urry 2007). Prozesse von Migration und Trans-Migration erzeugen Dynamiken im Zusammenspiel von ›Entortungen‹ (Giddens) einerseits und multiplen, transkulturellen Zugehörigkeiten andererseits. »Wir neuen Deutschen« – so bezeichnen sich drei Journalistinnen der Wochenzeitung
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Die Zeit und beschreiben eindrücklich »unsere gemischten Identitäten, unsere Gefühle von Heimatlosigkeit und Entfremdung« verbunden mit der energisch formulierten Forderung, relevanter Teil einer sich neu formierenden deutschen Identität zu sein: »Es herrscht derselbe Mechanismus von Wir-Werdung und Ihr-Werdung wie überall: Die Spannungen zwischen Neuzugezogenen, Längerhiergewesenen und Schonewig hierlebenden wird es immer wieder geben. Und immer wird darum gerungen, was sich auf keinen Fall ändern darf.« (Topçu/Bota/Pham 2012: 169) Deutlich wird hier, wie komplex sich Prozesse der Herstellung von Zugehörigkeit gestalten. Dabei stellen mit und durch Medien hergestellte und zirkulierende Bilder des ›Eigenen‹ und des ›Anderen‹ wesentliche Elemente in diesem Prozess dar. Medien und medienbasierte Kommunikation haben schon immer dazu beige tragen, räumliche Grenzen zu überwinden. Sie liefern Bilder, Eindrücke und Wis sensbestände jenseits des eigenen Horizontes. In dieser Weise sind Medien zentrale Voraussetzung für Prozesse der Globalisierung und treiben diese zugleich nachhal tig voran. Toby Miller (2007) weist in seiner kritischen Reflexion von cultural citi zenship darauf hin, dass diese Momente mediatisierter Teilhabe an Weltgesellschaft unter Bedingungen neoliberaler Hegemonie stattfinden. Während im traditionel len politischen und ökonomischen Staatsverständnis dieser Staat seinen Bürgern ein Minimum an Lebensstandard durch die Sicherung ökonomischer und sozialer Rechte zugebilligt hat, zeichnet sich das postmoderne, kulturelle Versprechen durch Zugang zu den Technologien der Kommunikation aus. Miller verweist darauf, dass cultural citizenship weder ein neues Phänomen, noch ein per se emanzipatorisches sei. Der Einsatz kultureller Praktiken, Symbole und Ideen zu Herstellung nationaler Identität werde politisch wie ökonomisch instrumentell eingesetzt: »Globally, cultural citizenship is a response to an increasingly mobile middle-class, culture industry workforce [. . .], which favors the North over the South and capital over labor. Do mestically, cultural citizenship and media deregulation are coefficients of globalization, of fering both raw material for foreign sales, and a means of local control.« (Miller 2007: 55)
Problematisiert wird damit der normative Gehalt von cultural citizenship. Der Rückgriff auf symbolische Repertoires, die Sichtbarkeit vielfältiger Identitäten in verschiedenen Sprachen, kulturellen Praktiken und medialen Artikulationen hat nicht aus sich heraus den Charakter von Emanzipation oder Gleichstellung. Sie lassen sich gleichermaßen ökonomisch begründen als Erschließung von Ni schenmärkten und Ausdifferenzierung von Zielgruppen. Die Konstruktion von Zu gehörigkeit findet maßgeblich durch Formen des Konsums statt. Hier artikuliert sich Globalisierung in ihrer ausgeprägtesten Form, indem Bürger_innen als Kon sument_innen teilhaben am globalen Handel von Arbeitskraft, Gütern, Unterhal tungsangeboten und Informationen. Das Ideal des ›aktiven Staatsbürgers‹ tituliert Miller vor diesem Hintergrund »the latest fetish of neo-liberalism lite« (ebd.: 33).
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An diese kritische Bewertung wird mit der Diskussion um Kosmopolitismus angeknüpft. Lässt sich konstatieren, dass Zugehörigkeit und governance nicht al lein auf nationalstaatlicher Ebene zu fassen sind, sondern in einer Verschränkung von lokaler, regionaler, nationaler und transnationaler Ebenen stattfinden, so müs sen Formen von citizenship dies spiegeln. »A cosmopolitan political community would be based upon overlapping or multiple citizenships connecting the populace into local, national, regional and global forms of governance.« (Stevenson 2003: 333) Doch kosmopolitische Identitäten konstituieren sich nicht allein oder vorran gig aus politischen Entscheidungsstrukturen, sondern aus gelebten sozialen und kulturellen Praktiken, in denen alltägliche Repertoires, aktuelles Wissen, Formen des Konsums und der Unterhaltung artikuliert und angeeignet werden. Mit dem Konzept von cultural citizenship lassen sich Dimensionen des Kosmopolitanismus beschreiben, die auf die Notwendigkeit der Verhandlung von Identitäten basierend auf Differenz verweisen. Gefragt wird damit nach Formen des »doing citizenship« (Dahlgren 2006) oder der »practices of citizenship« (Couldry 2006: 323), also nach sozialen und kulturellen Praktiken, mittels derer Teilhabe an Gemeinschaft ausgeübt wird. Bereits Turner (2002: 42) hat darauf hingewiesen, dass sich bei der Konstituierung von citizenship Elemente der öffentlichen und der privaten Sphäre verschränken. Neben den institutionalisierten Formen politischer Teilhabe durch Wahlakte werden hier alltagsgebundene Praktiken mit und durch Medien in den Blick genommen, die eine diskursive Verständigung um Gemeinsamkeit und Dif ferenz generieren. Sie bilden die Grundlage für das, was Dahlgren (2003; 2009) als »circuit of civic culture« beschreibt. Er entwirft das Zusammenwirken von sechs Dimensionen als einen Kreislauf: Werte, Vertrauen, Wissen, Praktiken, Identitäten und Räume (spaces) – sie beschreiben wechselseitig abhängige Dimensionen zur Entstehung einer stabilen civic culture.
Citizenship und Affektivität Das vorrangig auf die politische Dimension beschränkte Konzept von citizenship fokussiert den rationalen Diskurs als zentrale Form der Interaktion zwischen den Mitgliedern einer Gemeinschaft. In der Kontrastierung des vernünftigen, rationa len Diskurses gegenüber dem Emotional-Affektiven schwingt eine Abwertung des Letzteren mit, dem Legitimität für die Herstellung von Verständigung abgespro chen wird. Doch zweifellos spielen Emotionen und Affekte eine wesentliche Rolle im öffentlichen Diskurs, die alleinige Fokussierung auf rationale Dimensionen der Verständigung verschleiert die Bedeutung von Gefühlen, macht diese jedoch nicht unwirksam (vgl. Mouffe 1992, 1993). Mit einer verstärkten Thematisierung des Emotionalen im Kontext kulturwissenschaftlicher affect studies (Baier et al. 2014; Seigworth/Gregg 2010), die zunehmend Relevanz auch in den Sozialwissenschaf
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ten gewinnen (Ahmed 2004; Hipfl 2012), rücken in der Auseinandersetzung um Dimensionen von citizenship Emotionen und Affekte in den Fokus. Aus medienund kommunikationswissenschaftlicher Perspektive erscheint dies bedeutsam, um populäre Medienformen und -formate in ihrer Bedeutung für die Generierung von Gemeinschaft und die Herstellung von belonging angemessen zu berücksichtigen. Insbesondere Cultural Studies-Perspektiven erscheinen dabei geeignet, dem emo tionalen Gehalt populärer Formen nachzugehen. Verschiedentlich werden Gefühle gar als konstitutiv für die Herstellung von Gesellschaft in Form von emotional citi zenship oder affective citizenship gesehen (Wahl-Jorgensen 2008; Zembylas 2014; Johnson 2010; Forrier 2010; Dietze 2008; vgl. auch Andrejevic 2011). Benedict Andersons (1991) Konzept der Nation als »imagined community« hat auf die fortwährende Notwendigkeit des Herstellens von Gemeinschaftsgefüh len (›love for the nation‹) deutlich gemacht. An dieses Konzept anknüpfend ver weist die emotionale Dimension von citizenship auf spezifische Erwartungen, die an Mitglieder der Gemeinschaft gestellt werden: »(C)itizens are expected to demonstrate, that they feel loyal, patriotic and integrated. Those citizens are welcome. People who are suspected of not having the correct feelings, including those accused of making a point of their difference (for example, by wearing a veil, or even preferring to speak a foreign language), are problematized and identified as legitimate sub jects for critique, fear or suspicion.« (Johnson 2010: 519)
Emotionale Zugehörigkeit wird damit nicht nur als eine Erweiterung der Reper toires sozialer und kultureller Interaktion begriffen, sondern zugleich als ein Mo dus verstärkter Kontrolle. Die ›richtigen‹ Gefühle zu entwickeln und zu zeigen, er weist sich hier als notwendige Voraussetzung, um Mitglied der Gemeinschaft sein zu können. Gefühlsarbeit im Sinne Arlie Hochschilds (1983) ist zu erbringen und glaubwürdig zu performieren, um als gleichwertige_r Bürger_in akzeptiert zu wer den. Als »governing through affect« bezeichnet Fortier (2010) das Regime, in dem sich Menschen durch Affekte wechselseitig regulieren und dabei zugleich die Regu lation ihrer selbst erlernen. So entwirft Zembylas (2014: 6): »Affective citiz enship, then, is a concept that identifies which emotional relationships between citizens are recognized and endorsed or rejected, and how citizens are encouraged to feel about themselves and others.« An der Herstellung solch ›angemessener‹ Gefühle sind populäre Medienangebote offenkundig maßgeblich beteiligt: In der ausgelassenen Begeisterung auf der Fan-Meile beim Public Viewing des Spiels der deutschen Fußball-Nationalmannschaft, in der Empörung über rassistische Bemerkungen beim Casting von Germany’s Next Top Model oder der (verspäteten) öffentlichen Trauer über die Opfer der NSU-Morde – in Medienformaten werden angemessene Emotionen zur Herstellung (nationaler) Gemeinschaft eingeübt, performiert und somit wirksam. Als Gegenstück dazu bezeichnet Berlant (2004) die »privatization
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of citizenship« als den Versuch, die Gefühle, Einstellungen und das Verhalten von Bürger_innen dahingehend zu beeinflussen, dass der Status Quo erhalten bleibt. Es wird gelernt, dass Differenz und Abweichung unangenehm ist und dass Zusam menhalt in der Gruppe am besten durch Orientierung an der Mehrheit hergestellt wird. Erkennbar wird in jedem Fall, welch intensive Bedeutung affektive Resonan zen für die Herstellung von Zugehörigkeit (oder Ausgeschlossensein) haben. Mit der Beschreibung von cultural citizenship als Form der Staatsbürgerschaft, die die Teilhabe an symbolischen Ressourcen einer Gemeinschaft ins Zentrum rückt, wer den auch emotionale und affektive Dimensionen der Teilhabe beschreibbar. So zialen Praktiken als Formen des ›doing citizenship‹ sind stets emotionale Dimen sionen eingeschrieben. Sie werden nur in wenigen Fällen explizit und bleiben so oftmals verborgen. Lassen sich somit emotionale und affektive Dimensionen von (Nicht)Zugehörigkeit als bedeutsames Element von cultural citizenship fassen, so erscheint es fraglich, ob eine explizite Bezeichnung von emotional oder affective citizenship gewinnbringend ist. Diese Begrifflichkeit führt die dichotome Unter scheidung von Emotionalität versus Rationalität selbst fort und legitimiert damit die Fortschreibung jener etablierten Dimensionen von citizenship, die kritisch be fragt werden sollen. Emotionale und affektive Dimensionen von Zugehörigkeit zu Gesellschaft und Gemeinschaft lassen sich nicht als ›add on‹ begreifen, die poli tischen oder sozialen Rechten und Verpflichtungen hinzuzufügen sind. Vielmehr sind Emotionen integrale Bestandteile jeglicher sozialer und kultureller Praktiken: Gefühle der Verbundenheit oder Ausgeschlossenheit, Zugehörigkeit und Loyalität, Scham, Stolz oder Geringschätzung. Unter welchen Bedingungen entstehen diese Gefühle bei der Verhandlung von Zugehörigkeit zu Gruppen, Gemeinschaften oder (nationalen) Gesellschaften? Wann werden Erwartungen formuliert, die Gefühle sichtbar zu machen oder aber sie zu verbergen? Wann werden sie als konform und angemessen, wann als abweichend und störend gekennzeichnet? In welcher Weise sind diesen Gefühlen und ihrem öffentlichen Ausdruck Geschlechterskripte inhä rent? Wie wird damit affektiv die Unterscheidung von ›wir‹ und ›den Anderen‹ hergestellt? Wie werden diese Emotionen mit und durch Medien(diskurse) perfor mativ hergestellt, thematisiert oder stigmatisiert? Diese Fragen berühren zentrale Aspekte von cultural citizenship und eröffnen neue Forschungsperspektiven für das Verständnis populärkultureller Medienangebote.
Citizenship und Digitale Praktiken Unter Bedingungen digitaler Kommunikation werden Formen der gesellschaftli chen Teilhabe, der Partizipation und agency in der Kommunikations- und Medien wissenschaft ebenso wie der Politikwissenschaft intensiv diskutiert. Geht es um veränderte Formen der politischen Teilhabe und kollektiven Entscheidungsfindung
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(Formen der ›liquid democracy‹, e-democracy oder e-governance), so sind digitale Medien hier einerseits Mittel öffentlicher Verständigungsprozesse sowie anderer seits Medium der Partizipation in Fortschreibung bestehender Machtverhältnisse. Zugleich offerieren digitale Kommunikationsmodi neuartige Möglichkeiten der Thematisierung und bottom up-Mobilisierung. So gelang es mit #aufschrei im Jahr 2013 erstmalig in Deutschland, durch soziale Netzwerkmedien ein Thema auf die öffentliche Agenda zu heben und damit zum Thema Alltagssexismus agency zu erlangen (vgl. Maireder/Schlögel 2014; Drüeke/Klaus 2014). Als »connective action« bezeichnen Bennett/Segerberg (2013) Formen des politischen Protests und der Partizipation durch digitale Netzwerke, die unabhängig von der lokalen Veror tung der Akteur_innen Mobilisierung und kollektives Handeln ermöglichen. Zweifellos werden damit digitale Kommunikationspraktiken relevant für For men des ›doing citizenship‹. In diesem Zusammenhang taucht in kommunikations wissenschaftlicher Literatur zunehmend der Terminus digital citizenship auf. Es gilt jedoch genauer zu betrachten, welcher Stellenwert dabei digitalen Technolo gien zugeschrieben wird und wo es sich um spezifis che soziale Praktiken handelt, die mittels digitalisierter Kommunikation realisiert werden.2 Mossberger/Tolbert/ McNeal (2008) verstehen digital citizenship als das Vermögen, durch online-Kommunikation an Gesellschaft teilzuhaben. In einer Beschränkung auf die technischen und technologischen Voraussetzungen eines Zugangs (access) werden als digital ci tizens all jene gefasst, die täglich online gehen. Auch Couldry et al. beschränken sich in ihrem Beitrag auf die Frage »what digital infrastructures can contribute to a civic culture« (2014: 627) und verfolgen damit eine primär instrumentelle Perspektive: digitale Kommunikationspraktiken werden betrachtet als Mittel zur Erreichung von Teilhabe. Aus einer Perspektive der Interpretation sozialer und kultureller Praktiken als Mittel der Konstituierung von Sinn kann ein solches Vorgehen nicht befriedigen. Digitale Praktiken sind damit nicht per se sinnhaft, partizipativ oder demokratisch, sie werden vielmehr in gesellschaftlichen Kontexten angeeignet, verwendet und mit Bedeutung versehen. Hinweise darauf bietet bspw. Wu (2013), die sich dafür interessiert, wie in China in der Verschränkung von Fernsehen und Internet-Kom munikation politische Artikulationsräume geschaffen werden. Sie betrachtet dafür Formen der diskursiven Aneignung von Super Girl, der chinesischen Version von Top Model. In online-Diskussionen um Fairness, Wettstreit und Erfolg zu diesem explizit nicht-politischen Thema identifiziert Wu komplexe Verhandlungen um angemessene Werte und Konzepte von Gemeinschaft. Sie begreift es als »central argument of cultural citizenship that people do not just enter public discourses to solve immediate, rand social issues but also search for the core values that define 2 Nicht systematisch kann an dieser Stelle berücksichtigt werden, in welchem Maße die mit digitaler Datenproduktion einhergehenden Probleme der Überwachung und Kon trolle sozialen Alltags Dimensionen von Staatsbürgerschaft tangieren.
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the political system« (Wu 2013: 416). Unter den Bedingungen rigider politischer Regulation des Mediensystems in China bieten populäre, nicht explizit politische Medienangebote die Möglichkeit zur Verständigung über gesellschaftliche Werte. Formen der digitalen Kommunikation werden hier gewählt, um Lesarten des popu lären Medienangebots zu artikulieren und diskursiv zu verhandeln. Im Mittelpunkt der Analyse stehen dann nicht die digitalen Technologien, sondern soziale Prakti ken, die mittels digitaler Technik realisiert werden. Ähnlich argumentiert Goode (2010), wenn er die Rolle von Netzkommunikation für das Verständnis von cul tural citizenship näher bestimmt. Zwei Perspektiven erscheinen hier bedeutsam: »why access to digital networks is significant for particular cultural groups and how digital networks contribute to the constitution of citizenship« (Goode 2010: 539). Fokussiert wird damit nicht auf Zugang zu digitaler Infrastruktur und Häufigkeit ihrer Nutzung, sondern auf die konstitutive Dimension der Bedeutungsproduktion mit und durch digitale Kommunikation. Damit werden formal-ästhetische sowie in haltlich-soziale Fragen aufgeworfen. Auf diese Weise lassen sich mikro-perspekti vische Fragen nach dem kommunikativen Handeln und der Bedeutungsproduktion Einzelner verbinden mit der Makro-Ebene, bei der das Verhältnis von gesellschaft licher Macht, kultureller Praxis und digitaler Infrastruktur in den Blick gerät.
Cultural citizenship reloaded Aktuell zirkulieren diverse Konzepte, Ansätze und Verständnisse von citizenship. Eine geradezu inflationäre Verwendung von Attributen macht es schwer, die Über sicht zu behalten: multicultural, critical, mediated, DIY, flexible citizenship – diese Konzepte tauchen nebeneinander in der Literatur auf, ergänzend zu den zuvor im Beitrag erörterten Formen von affective, emotional und digital citizenship. Kein Zweifel – eine solche Vielzahl und damit verbundene Beliebigkeit an Bezeichnun gen, Bewertungen und Erklärungen bringt wenig analytischen Ertrag. Deshalb kurz zurück zum Ausgangspunkt: Gefragt ist eine konzeptuelle Rah mung, die es ermöglicht, Formen der Teilhabe an symbolischen Ressourcen von Gemeinschaft und Gesellschaft zu erfassen. Notwendig erscheint dies aus mehreren Gründen: Die mit traditionellen staatsbürgerlichen Rechten und Pflichten gefassten Formen politischer, sozialer und ökonomischer Teilhabe reichen nicht aus, um Zu gehörigkeit zu einer (vorgestellten) Gemeinschaft und Gesellschaft zu beschreiben. Die Teilhabe an den kulturellen Repertoires von Gemeinschaften erscheint in postmodernen, mediatisierten Gesellschaften unverzichtbar. Unter Bedingungen globaler Zirkulation von Informationen, Gütern und Menschen verlieren räumlich gebundene Formen der Zugehörigkeit an Bedeutung. Zugleich bieten kulturelle und mediatisierte Repertoires die Möglichkeit, Gemeinschaft translokal, grenzüberschreitend und mobil zu konstituieren. Damit werden symbolische Ressourcen und ihre Verfügbarkeit für
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Mitglieder von Gemeinschaften zu einem konstitutiven Baustein. Mit dem Konzept von cultural citizenship lassen sich für die Medien- und Kommunikationswissenschaft instruktiv jene Prozesse betrachten, in denen mit und durch Medien und (digitale) Kommunikation Aushandlungen von Zugehörigkeit stattfinden. Das Konzept bietet dabei einerseits einen normativen Rahmen, indem Anforderungen an symbolische Repräsentation und Teilhabe formuliert werden, Anforderungen, an denen sich Leistun gen und Fehlleistungen öffentlicher Medienkommunikation messen lassen. Zugleich lässt es sich als analytische Folie für die empirische Untersuchung von Formen der Teilhabe, Sichtbarkeit und agency nutzen. Medienhandeln als soziale Praxis wird damit zu einer zentralen Dimension von ›doing citizenship‹.
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Mediale Diskurse zu Ungleichheiten
WikiLeaks in der Medienberichterstattung
WikiLeaks in der Medienberichterstattung Hegemoniale, antifeministische und feministische Mediendiskurse Johanna Dorer
Mainstream-Medien und Gender Mainstream-Medien sind Institutionen der Wahrheitsproduktion und Institutionen jenes populären Wissens, das in einer Gesellschaft zirkuliert. Sie produzieren und vermitteln jenes gesellschaftliche Wissen, das für eine bestimmte Zeit als gesell schaftliche Wahrheit gilt. Damit nehmen sie eine zentrale Rolle in der Stabilisie rung dominanter Diskurse und in der Aufrechterhaltung hegemonialer Strukturen ein. Dies gilt auch für den hegemonialen Geschlechterdiskurs. Als »Technologien des Geschlechts« (de Lauretis 1987) sind sie Co-Produzenten eines binären Ge schlechterdiskurses. Medial repräsentierte Konzeptionen von Männlichkeit und Weiblichkeit sind so betrachtet eine Verdichtung und Normierung gesellschaftli cher Geschlechterbilder. Der Beitrag geht der Frage nach, wie in der medialen Debatte über WikiLeaks die hierarchische Geschlechterdichotomie re/produziert wird. Die geschlechtliche Codierung erfolgte bereits ab Beginn der Mainstream-Berichterstattung, indem eine symbolische Verbindung tradierter gesellschaftlicher Vorstellungen von Mas kulinität und WikiLeaks hergestellt wurde. Am Höhepunkt der Berichterstattung im Dezember 2010 dient die geschlechtlich codierte Dichotomie von Öffentlich keit und Privatheit mit ihrer hierarchischen gesellschaftlichen Zuschreibung als Folie der Berichterstattung. Ein antifeministischer medialer Diskurs konterkarierte dabei die feministischen Diskurse abseits des Mainstreams.
ICT und Gender Cyberfeministinnen entwickelten in den 1980er Jahren die Utopie eines herr schaftsfreien und geschlechtslosen Raums des Cyberspace. Donna Haraway
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(1985) gilt als eine der wichtigsten Vertreterinnen dieses de/konstruktivistischen Ansatzes. Die Cyborg – als hybride Denkfigur – ist als eine Verschmelzung von Frau und Computer konzipiert, die imstande ist, vorherrschende duale Konzeption von Männlichkeit und Weiblichkeit, Organismus und Technik, Öffentlichkeit und Privatheit etc. zu unterlaufen und aufzulösen. Ein Vierteljahrhundert später sehen wir nicht nur, wie mit dem Internet diese Utopien in weite Ferne gerückt sind, sondern auch wie Mainstream-Medien daran beteiligt sind, dass duale Geschlechterhierarchien bezüglich des Internets aufrecht erhalten werden. Schon mit der zunehmenden Kommerzialisierung des Internets bestätigte sich das, was im Zuge der Entwicklung früherer Technologien wie Tele fon, Radio, Fernsehen, Video etc. bekannt ist. Mit der Herausbildung des Kommu nikationsdispositivs, dessen vorläufig er Höhepunkt das Internet darstellt, wurden die Anreizungs-, Wissens-, und Kontrollmächte zu jenen Regulativa, die mittels Normierung und (Selbst-)Disziplinierung die neu gewonnen Kommunikationsfrei heiten konterkarierten. Bereits in der Anfangsphase des Internets konstruierten die Mainstream-Medien das Internet als Techniksphäre, sodass durch die symbolische Verbindung von Männlichkeit und Technik ein Erklärungsmuster für den geringen Frauenanteil im Netz gefunden war. Der öffentliche Diskurs, insbesondere der do minante Mediendiskurs zum Internet, der damals Themen wie Pornografie im Netz, Hackertum, Programmiersprachen und technische Kompetenz diskutierte, begüns tigte die Nutzung durch männliche User und verstärkte die symbolische Verbin dung von Internet und Technik. Gerahmt wurde die männliche Codierung durch politisch initiierte Frauenförderprogramme (wie etwa »Frauen ans Netz«), die ab seits der symbolischen Reproduktion der Geschlechterhierarchie die vermeintliche Technikferne von Frauen für deren geringen Netzanteil identifizierten und mittels Internetkursen dieses vermeintliche Defiz it zu beheben trachteten. Mit dieser Maß nahme wurden aber auch die sozio-ökonomischen, zeitabhängigen, programm- und jargon-spezifis chen Bedingungen der geringen Beteiligung von Frauen ausgeblen det und Frauen als zu »fördernde Computer-Analphabeten« betrachtet. Neben diesem hegemonialen Diskurs zum Internet haben sich feministische Gegendiskurse etabliert, die den dominanten Technikdiskurs durchkreuzen, von den Mainstream-Medien allerdings kaum aufgegriffen wurden. Sadie Plant (1997) offerierte eine alternative, feministische Beschreibung der digitalen Technologie und erinnerte an Informatikerinnen, die wesentlichen Anteil an Entwicklung der Hard- und Software hatten. Mit ihrem historischen Rückblick und der Symbolik des Vernetzens und Webens positionierte sie den Cyberspace als weiblich codier ten Raum, der deshalb für Frauen ganz neue Möglichkeiten eröffnen würde. Mit diesem Ansatz gelang es Plant nicht nur, den Mythos des Internets als Technik zu entlarven, sondern auch Weiblichkeit aus der hierarchisch untergeordneten Po sition zu befreien. Haraway (1985) wiederum sah in der neuen Technologie die Chance, Grenzverschiebungen lustvoll voranzutreiben, was schlussendlich zur
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Auflösung der Geschlechter führen würde. Haraways Ansatz einer de/konstruk tivistischen Vorstellung der Aufhebung der Geschlechtergrenzen hat in der Folge zu feministisch inspirierten Internetaktivitäten wie etwa gender swapping (das be deutet die Annahme eines anderen sozialen Geschlechts) geführt. Zu Beginn der Kommerzialisierung des Internets und seiner textbasierten Struktur waren diese Vorstellungen nicht notwendig nur utopische, wie Turkle (1995) in ihrer Studie aufzeigt. (Vgl. dazu: Dorer 1997a; 1997b; 2001, Klaus 1997) Die heutige Debatte über das Internet ist vielfältiger geworden. Der Technik diskurs zum Internet hat aber deshalb noch keineswegs ausgedient, wie das nach folgende Beispiel WikiLeaks zeigt. Ebenso sind die feministischen Diskurse nach wie vor aktuell, wenn auch minoritär, wie zahlreiche feministische Netzaktivitäten wie Blogs, feministische Plattformen u. a. belegen.
WikiLeaks in den Mainstream-Medien Im Jahr 2010 hat die Enthüllungsplattform WikiLeaks die internationale Öffent lichkeit in Atem gehalten. Kein Mainstream-Medium konnte sich der Diskussion über die von WikiLeaks auf eine Internet-Plattform gestellten Dokumente entzie hen. Die erste von den Medien wahrgenommene Veröffentlichung erfolgte bereits im Jahr 2007. Ab diesem Zeitpunkt schaffte es WikiLeaks, eine ständige Steige rung der Wirksamkeit zu erreichen. Diese fulminante Entwicklung nahm eine ab rupte Wendung ab Herbst/Winter 2010, als nicht mehr die geheimen Dokumente, die WikiLeaks veröffentlichte, das Interesse der Mainstream-Medien auf sich lenk ten, sondern die Privatsphäre des WikiLeaks-Sprechers Julian Assange. Der Höhepunkt des Erfolgs von WikiLeaks ist gleichsam auch der Kulmina tionspunkt, an dem sich die unterschiedlichsten Diskurse kreuzen und in ihrer »Ge schwätzigkeit« (Foucault 1977) Transparenz erzeugen. Im Folgenden werden die Mediendiskurse zu WikiLeaks, wie sie sich zum Hö hepunkt der öffentlichen Aufmerksamkeit zeigen, dargestellt.1 Schon lange bevor die öffentliche Debatte über WikiLeaks diesen Kulminations punkt mit seiner thematischen Wende erreichte, hatten die Mainstream-Medien die Weichen in Richtung Konstruktion konservativer Geschlechterstereotypen gestellt. WikiLeaks wird als ein Ort ausschließlicher Maskulinität konstruiert. Die Mainstream-Medien greifen dabei auf tradierte Geschlechterstereotypen zurück. 1 Grundlage ist eine intensive Medienbeobachtung führender deutscher und österreichi scher Zeitungen und Magazine, wie Der Spiegel, Die Zeit, FAZ, Süddeutsche Zeitung, taz, der Standard, Emma sowie Blogs und Internetforen zwischen 2009 und 2011. Ziel war es, mittels diskursanalytischen Verfahrens die verschiedenen Argumentationslinien herauszufiltern.
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Die Konstruktion von Maskulinität rekurriert auf jene konservativen Geschlechter zuschreibungen, die das Männliche mit Technik, Hackertum, Militär, Intelligenz, Macht und Kampf verbinden. So etwa erfolgt durch die Mainstream-Medien eine Verortung von WikiLeaks im Rahmen des männlich codierten Hackertums, das ei ner Re-Artikulation (in der Bedeutung von Laclau/Mouffe 1985; Hall 1996) jenes Technikdiskurses gleichkommt, der bereits im Frühstadium von den MainstreamMedien mit dem Internet gekoppelt wurde. Auch die weiteren Verbindungen, die Mainstream-Medien herstellen, verwei sen auf eine fast radikale Geschlechtersegregation, die nur den Ort der Maskulinität kennt und Weiblichkeit ausschließt. Die Aktivisten von WikiLeaks sind »WahrheitsHacker«, wie »Zeit Online« (2009) titelt, sie sind »technisch versiert«, »einsame Kämpfer gegen das Unrecht der Welt«, sie stellen sich dem »Kampf gegen den militärisch-industriellen Komplex«, wie beispielsweise die Autoren des deutschen Nachrichtenmagazins Der Spiegel formulieren (vgl. Rosbach/Stark 2011). WikiLeaks wird von den Mainstream-Medien vorerst nicht in den Kontext anderer gegenhegemonialer sozialer Bewegung gestellt. Der politische Aktivismus von Wiki Leaks wird isoliert und kann so eine Wirkung entfalten, die es so aussehen lässt, als ob WikiLeaks gänzlich ohne Frauen funktionieren würde. Diese Auslassung ermöglicht den Mainstream-Medien die Verstärkung der Konstruktion von WikiLeaks als Ort der Männlichkeit. Auch die Experten, die zu WikiLeaks von den Medien interviewt werden, sind vorwiegend männlich. Diese mediale Konstruktion gibt eine gute Voraussetzung dafür ab, kritische soziale Bewegungen – wie etwa die feministische Bewegung und Transparenzbewegung – konflikthaft aufeinander treffen zu lassen. WikiLeaks, als Teil der Transparenzbewegung, hat mit seinem nahezu unkontrollierbaren Angriff auf die mächtigsten Regierungen und Konzerne der Welt diese herausgefordert. Zum Schweigen gebracht kann die Bewegung nur werden, wenn die Mainstream-Medien auf jene Nachrichtenfaktoren wie Entpolitisierung, Skandalisierung, Sexualisierung, Kriminalisierung und Spaltung einer gegenhegemonialen politischen Bewegung zu rückgreifen, wie es bei Boulevardmedien üblich ist. Der Main-Diskurs in der Medienberichterstattung zu WikiLeaks konzentrierte sich anfänglich auf die Verbreitung der von WikiLeaks veröffentlichten geheimen Dokumente. Themen waren unter anderem die Korruption von Regierungschefs, Dokumente über verschiedene Bankhäuser, ein geheimes USA-EU-Abkommen zur Weitergabe von Bankdaten, die Scientology-Kirche, Emails von Wissenschaftlern der Climatic Research Unit der University of East Anglia, Dokumente des amerikanischen Geheimdienstes sowie Dokumente des US-Militärs.2 Die Medienberichterstattung verfolgte dabei zwei Hauptlinien: Zum einen gab es eine Zuspitzung auf den »Kampf von WikiLeaks gegen das amerikanische Empire« 2 Einen guten und kurzen Überblick über die Aktivitäten von WikiLeaks gibt es bei Wiki pedia (2014a).
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(Žižek 2014), zum anderen eine Entpolitisierung und Boulevardisierung durch die Veröffentlichung von Klatsch und Tratsch der Botschaftsangehörigen. Durch diese Dichotomisierung »Kampf gegen das Empire« einerseits und Klatsch und Tratsch andererseits wird die ursprüngliche Verbindung von WikiLeaks und Maskulinität in Frage gestellt. Die im gesellschaftlichen Diskurs fest verankerte »Artikulation« (im Sinne von Laclau) von Weiblichkeit und Klatsch und Tratsch attackiert direkt den Mythos der subversiven Männlichkeit von WikiLeaks. An dieser Abwertung, die über die Konstruktion der hierarchisierenden Geschlechterdichotomie wirkt, betei ligen sich selbstverständlich auch die so genannten Qualitätsmedien. In gleichem Maße wie die »Enthüllungen« auf Klatsch-Tratsch-Niveau ver breitet werden, wird aber auch der »Kampf gegen das Empire« mit zahlreichen Facetten angereichert: Recht, Ökonomie und Cyberattacken sind dabei die wich tigsten Hilfsmittel: Die Suche nach gesetzlichen Grundlagen für eine Anklage we gen Vergehens wie Staatsverrat oder Terrorakte wird begleitet durch ökonomische Angriffe und Angriffe auf die Plattform selbst. Die Kampf-Metapher erstreckt sich nicht nur auf den Kampf gegen das Empire, sondern wird in seiner Bedeutung noch umfassender und geht in Richtung Mehr-Fronten-Kampf. Nebendiskurse wie etwa eine öffentliche Diskussion darüber, welche Bedeutung WikiLeaks für die Zukunft des Journalismus habe oder welche Auswirkungen die Veröffentlichung von gehei men Dokumenten für die Weiterentwicklung einer demokratischen Gesellschafts ordnung haben könnten, bleiben minoritär. Den Wendepunkt in der Berichterstattung der Mainstream-Medien markiert der 6. Dezember 2010. Julian Assange sieht sich dem Vorwurf der Vergewaltigung, vor gebracht von zwei Schwedinnen, konfrontiert. Mit dieser unerwarteten Wende kommt es nun in der Berichterstattung zu einer Entpolitisierung und Personalisierung sowie zu einer Reduktion der Person Assange auf den privaten und intimen Bereich. Auch der Kampf wird nun personalisiert. Nicht mehr der Kampf der Plattform WikiLeaks gegen einen gesellschaftlichen Machtdiskurs und die Frage, wie in einer Weltgesell schaft Macht und Kräfteverhältnisse wirken, steht im Vordergrund, sondern der Kampf eines Einzelnen bezüglich einer persönlichen, intimen Angelegenheit. Der Main-Diskurs der Berichterstattung dieser Phase funktioniert auf Basis der Dichotomie von Öffentlichkeit/Politik versus Privatheit/Intimität und seinen tradi tionellen, hierarchischen Zuschreibungen zur Männlichkeit und Weiblichkeit. Mit der Verschiebung auf die Sphäre der intimen Häuslichkeit und der Aktivierung der Täter-Opfer-Symbolik erhält auch die Kampf-Metapher eine ganz neue Bedeutung und ist nicht mehr auf der Ebene der internationalen Politik, sondern in der Bana lität des Alltagsdiskurses angesiedelt. Zwei wesentliche Aspekte lassen sich seit dem Wendepunkt in der Berichter stattung in den Mainstream-Medien beobachten: Erstens: Es gibt keine Trennung zwischen der Plattform WikiLeaks und der Person, der die Anschuldigungen der sexuellen Gewalt gelten. Diese beiden Ebenen werden nicht, wie es etwa Wikipedia
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(2014a, 2014b) praktiziert, auseinander gehalten. Im Gegenteil: Die MainstreamMedien forcieren durch die Vermischung der Ebenen einen Bedeutungstransfer des Negativ-Images eines »Täters« (der zu diesem Zeitpunkt erst Angeklagter ist) auf WikiLeaks. Der bedeutendste Effekt dieses Diskurses ist, dass die Berichterstattung über die Plattform WikiLeaks und damit die erst beginnende Diskussion der Bedeutung von WikiLeaks für eine Demokratie fast gänzlich abgewürgt werden konnte. Auch die danach auf der Plattform veröffentlichten Dokumente erreichen in den internationa len Medien keine vergleichbare Aufmerksamkeit und Verbreitung mehr. Zweitens: Der Täter-Opfer-Diskurs in der Berichterstattung (Welche strafbaren Handlungen hat Assange gesetzt? Wer sind die Opfer? Was ist Inhalt der Anklage? . . .) mutiert rasch in einen antifeministischen Diskurs. Dieser äußert sich darin, dass angesichts der weltweiten Bekanntheit des »Kämpfers gegen das Empire«, derartige Vorwürfe der Vergewaltigung und sexuellen Gewalt belanglos wären, oder »Privatangelegen heiten« wären und nicht öffentlich ausgetragen werden sollten, die Anklägerinnen »radikale Feministinnen« wären etc. In diesem Diskurs wird noch einmal die bereits »beschädigte« Maskulinität gegen die abgewertete Weiblichkeit, insbesondere gegen den Feminismus, in Stellung gebracht. Angeheizt wird der antifeministische Diskurs vor allem auch durch die Süddeutsche Zeitung (22.12.2010), die Assange mit den Worten »erbärmliche, radikale Feministin« zitiert, was zu einer raschen Verbreitung in den Mainstream-Medien und der Blogger-Sphäre führte. Der antifeministische Diskurs konstruiert Assange als Opfer eines feministischen Komplotts. Sowohl An klägerinnen als auch die Staatsanwältin werden als radikale Feministinnen tituliert. Dieser antifeministische Medien-Diskurs war auch der Beginn einer breiten Diskus sion innerhalb der feministischen Bewegung. Interessant ist auch, dass es in diesem Konflikt ja nur vordergründig um Femi nismus und Antifeminismus geht (vgl. ausführlich zu den Begriffen Feminismus und Antifeminismus Klaus 2008, Klaus/Lünenborg 2013). Diese sind quasi der Subtext in der Auseinandersetzung um WikiLeaks. Die eigentliche Wirkung dieser medialen Diskussion besteht darin, dass soziale Bewegungen gespalten und gegeneinander aus gespielt werden. Dies zeigt sich nicht nur anhand des antifeministischen Diskurses der Mainstream-Medien, sondern auch in den feministischen Diskursen selbst.
Feministische Mediendiskurse zu WikiLeaks Die Diskussion zu WikiLeaks und Assange in der feministischen Bewegung ver läuft kontrovers. Sie wird vor allem in feministischen Magazinen und Blogs ge führt, erreicht aber auch die Mainstream-Medien. Die feministischen Diskurse las sen sich – verdichtet und abstrahiert – wie folgt zusammenfassen: Erstens: Der Diskurs der Verharmlosung sexueller Gewalt benützt den Vor wurf der Instrumentalisierung als Hauptargumentationslinie. Prominente Fürspre
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cher und Fürsprecherinnen (u. a. Michael Moor, Noami Klein und Noami Wolf) von Assange werden mit dem Argument zitiert, dass es sich hier um eine Analogie zur Instrumentalisierung von verschleierten Frauen in Afghanistan handeln würde. Zur Legitimation des Krieges der USA gegen Afghanistan wurden Frauenrechte als zu verteidigende Menschenrechte benutzt (vgl. Klaus/Kassel 2008). Vergleich bar dazu wird der Vorwurf der sexuellen Gewalt instrumentalisiert, um eine ge richtliche Verfolgung legitimieren zu können. Für die Mainstream-Medien ist diese Argumentation deshalb attraktiv, weil einer der frühesten Themenschwerpunkte der Frauenbewegung – die sexuelle, häusliche Gewalt – nicht thematisiert werden muss, sondern instrumentalisiert und damit verharmlost werden kann. Dieser Dis kurs ist insofern auch attraktiv, weil mit dieser Argumentation ein antifeministi scher Subtext (Assange nicht nur Opfer politischer Verfolgung, sondern auch eines feministischen Komplotts) mitgeliefert wird. Zweitens: Der Diskurs der Thematisierung sexueller Gewalt nimmt das Thema selbst ernst und abstrahiert vom Anlassfall. Die öffentliche Diskussion um die Per son Assange wird nur als Ausgangspunkt verwendet, um feministische Bewusst seinsarbeit zu leisten und damit in der Öffentlichkeit Aufmerksamkeit zu erlangen. Das aktuelle Aufmerksamkeitspotential für dieses Thema wird mittels einer »Stra tegie des ›Joining‹« genutzt, um sich an ein öffentliches Thema anzuhängen und das feministische Anliegen sexueller Gewalt breiter zu thematisieren. Es geht da bei vor allem um die Sensibilisierung für sexuelle Gewalt und die Frage, wann ein sexuelles Verhalten eine Vergewaltigung ist. Beispiele für ein gelungenes Joining finden wir etwa von Jaclyn Friedmann in Democracy Now (2014) und in der On lineausgabe diesStandard.at. Dazu gehört auch die genaue Analyse der Gesetzge bungen bezüglich Vergewaltigung und sexueller Gewalt in verschiedenen Ländern, sowie der Vergleich von Statistiken zu Strafverfahren bezüglich dieser Delikte, wie dies etwa in der feministischen Zeitschrift Emma (14.01.2011) erfolgt ist. Dieser feministische Diskurs ist ganz im Sinne der zweiten Frauenbewegung zu sehen, der den Slogan ausgegeben hatte: »Das Private ist politisch«. Drittens: Metadiskurs zum Anlassfall in Bezug zur globalen Gewalt: Neben diesen beiden feministischen Diskursen finden sich verschiedene Varianten, die als Mischformen zu bezeichnen sind. Sie argumentieren, der Fall Assange wäre von geringerem Interesse. Was allerdings der Anlassfall zeigt ist, dass Delikte der sexuellen Gewalt mit unterschiedlichen Maßstäben gemessen werden. Massen vergewaltigungen im Krieg und schwere Formen sexueller Delikte sollten eine genauso große mediale Aufmerksamkeit erhalten. Außerdem sollten solche De likte eine genauso rasche und konsequente internationale rechtliche Verfolgung nach sich ziehen wie der Anlassfall. Diese Diskurse sind mit den politischen Forderungen verknüpft, dass sämtliche in Kriegen und Aufständen stattgefunde nen Vergewaltigungen mit ebensolcher Deutlichkeit, Schnelligkeit und internatio nalem Engagement rechtlich als auch medial verfolgt werden müssen.
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Resümee Die feministische Bewegung ist wie die Transparenz-Bewegung um WikiLeaks eine soziale Bewegung, die für eine Veränderung der erstarrten un/demokratischen Strukturen unserer Gesellschaft eintritt. Offensichtlich spielen Mainstream-Me dien eine entscheidende Rolle dabei, durch exzessive Thematisierung und mittels klassischer Nachrichtenfaktoren wie Personalisierung, Skandalisierung, Sexua lisierung in Verbindung mit Androzentrismus und der Konstruktion stereotyper Geschlechterhierarchien soziale Bewegungen zu spalten und zu schwächen. Au ßerdem gelingt es den Mainstream-Medien offensichtlich sehr gut, jede noch so kontroversiell geführte Diskussion in minoritären Diskursen reichweitenstark auf eine traditionelle Geschlechterdichotomie hin zu normieren. Was auch in den fe ministischen Diskursen nicht vorkommt, ist die Diskussion über diese verdeckten Effekte der Medienberichterstattung, die sexuelle Gewalt und die Spaltung sozialer Bewegungen. Es gelingt der feministischen Bewegung kaum, das Thema sexuelle Gewalt, abseits von stereotypen und weitgehend antifeministischen Äußerungen, auf die Tagesordnung der Mainstream-Medien zu setzen. Antifeminismus erhielt eine internationale Medienbühne und gegenhegemoniale Bewegungen, wie die Transparenz- und Frauenbewegung, mussten erfahren, wie rasch sie gegeneinan der ausgespielt werden können.
Literatur de Lauretis, Teresa (1987): Technologies of gender. Bloomington/Indian apolis: In diana University Press. Democracy Now (2014): Naomi Wolf vs. Jaclyn Friedman: Feminists debate on the sexual allegations against Julian Assange. Online unter: http://www. demo cracynow.org/2010/12/20/naomi_wolf_vs_jaclyn_friedman_a (02.07.2014). dieStandard (2011): »Assage-Debatte« hat mich erschüttert. Von Ina Freudenschuss, in dieStandard v. 18.04.2011. Online unter: http://diestandard.at/1302745482803/ dieStandardat-Interview-Assange-Debatte-hat-mich-erschuettert (02.07.2014). Dorer, Johanna (1997a): Das Internet und die Genealogie des Kommunikations dispositivs. In: Andreas Hepp/Rainer Winter (Hg.): Kultur – Medien – Macht. Opladen: Westdeutscher Verlag, S. 247–258. Dorer, Johanna (1997b): Gendered Net. In: Rundfunk und Fernsehen 1, 19–29. Dorer, Johanna (2001): Internet und Geschlecht. In: Elisabeth Klaus/Jutta Röser/ Ulla Wischermann (Hg.): Kommunikationswissenschaft und Gender Studies. Opladen, Westdeutscher Verlag, S. 241–266. Emma (2011): Anklage gegen Assange: Ist sie ein feministisches Komplott? Von Chantal Louis. In: Emma v. 14.01.2011. Online unter: http://www.emma.de/
WikiLeaks in der Medienberichterstattung | 273
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Sprachliche Inklusion versus virtuellen Backlash
Sprachliche Inklusion versus virtuellen Backlash Über Antifeminismen im Internet Ricarda Drüeke und Corinna Peil
Einleitung Der Schlagerstar Andreas Gabalier weigert sich die in der österreichischen Natio nalhymne per Parlamentsbeschluss von 2012 verankerten »großen Töchter« seiner Heimat Österreich zu besingen. Nachdem Bundesministerin Heinisch-Hosek ihn im Anschluss an seinen Auftritt auf ihrer Facebook-Seite öffentlich auf den er gänzten Passus hinweist, werden ihr Account, aber auch weitere Webseiten dazu genutzt, gegen den ›Gender-Wahn‹ zu agitieren und Gleichbehandlungsgrund sätze in Frage zu stellen. Ähnliches zeigt sich beim Vorschlag des österreichischen Normungsinstitut, den »eingeschlechtlichen Formulierungen den Vorzug« (vgl. ÖNORM A 1080) zu geben. In einem offenen Brief wird die Abschaffung sprachli cher Gleichbehandlung unterstützt und die geschlechtsneutrale Sprachregelung als »von oben her verordnet«, als das Diktat einer »akademischen Minderheit kämp ferischer Sprachfeministinnen« kritisiert (Glander et al. 2014). Von Elternvertre ter_innen wird die geschlechtergerechte Sprache in österreichischen Schulbüchern als »Genderwahnsinn« (Bayrhammer 2015) bezeichnet, in den Online-Foren und -Kommentarspalten der Tageszeitungen erhalten sie hierfür großen Zuspruch. Diese Beispiele zeigen, dass in Österreich wie auch in anderen europäischen Ländern in den letzten Jahren verstärkt Angriffe auf Themen aus dem Bereich Gender und Feminismus zu beobachten sind. Zunehmend werden dafür das Internet und Social Media zur Vernetzung und als Plattformen der Diskussion und Veröffentlichung von Positionen genutzt. Das Internet bietet dabei zwar einerseits die Möglichkei ten feministischer Protestartikulationen, wie das Jahr 2014 als »year of feminist hashtags« (Portwood-Stacer/Berridge 2014) zeigte, doch sind andererseits gerade online zahlreiche Äußerungen zu finden, die feministische und gleichstellungspo litische Forderungen in Frage stellen sowie von Zensur und Bevormundung durch gesetzliche Regelungen, die Gender Studies oder Gender Mainstreaming-Initiati
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ven ausgehen. Diese antifeministischen Anfeindungen richten sich häufig pauschal gegen einen als einheitlich wahrgenommenen Feminismus, unter den jegliche gleichstellungspolitische Maßnahmen undifferenziert subsumiert werden. In unserem Beitrag zeichnen wir anhand dreier aktueller Ereignisse aus den Jahren 2014 und 2015 – den Diskussionen um den Einbezug der ›Töchter-Passage‹ in die Bundeshymne, um die ÖNORM zur geschlechtergerechten Sprache sowie um die Verwendung geschlechtergerechter Formulierungen in Schulbüchern – die durch sie ausgelösten Kontroversen über eine sprachliche Gleichbehandlung und Sichtbarma chung von Frauen nach. Mit Hilfe einer Diskursanalyse wurden relevante antifemi nistische Diskursstränge und Argumentationsmuster erfasst. Unser Beitrag gliedert sich dabei wie folgt: Den theoretischen Rahmen bildet das Konzept von Öffentlichkeit als »gesellschaftlicher Selbstverständigungsprozess«, der sich auf verschiedenen Öffentlichkeitsebenen konstituiert (vgl. Klaus 2006). Daran anschließend stellen wir den deutschsprachigen Forschungsstand zu antifeministischen Aktivitäten und Positionen dar und diskutieren unsere Fallstudien vor diesem Hintergrund. Im Fazit reflektieren wir abschließend die Risiken von Öffentlichkeiten im Internet, die anti feministische Artikulationen verstärkt sichtbar machen können.
Öffentlichkeiten im Internet Unter Bezugnahme auf das Öffentlichkeitsmodell von Elisabeth Klaus (2006) fas sen wir Öffentlichkeit nicht als homogenes Gebilde, sondern als pluralistisches Konstrukt auf. Ähnlich hat auch Nancy Fraser (2001) die Relevanz von subalternen Öffentlichkeiten betont, die neben einer hegemonialen Öffentlichkeit die öffentliche Sphäre prägen. Nach Klaus ist Öffentlichkeit ein Prozess, in dem gesellschaftliche Übereinkünfte erzielt werden. Dieser Prozess findet auf drei Ebenen statt, die sie als einfach, mittel und komplex bezeichnet und die sich hinsichtlich ihrer Akteur_innen sowie der Kommunikationsformen und -foren unterscheiden. Die Ebene der einfa chen Öffentlichkeit wird durch spontane Begegnungen hergestellt und zeichnet sich durch direkte und egalitäre Kommunikationsformen aus. Auf der mittleren Ebene von Öffentlichkeit ist weiterhin die interpersonelle Kommunikation bedeutend, es findet aber eine erste Rollendifferenzierung in Sprecher_innen und Zuhörer_innen, in bedeutende und einfache Mitglieder, statt, wie dies beispielsweise in sozialen und zivilgesellschaftlichen Bewegungen der Fall ist. Auf der komplexen Ebene von Öffentlichkeit, die sich durch institutionalisierte Akteur_innen wie Regierung und Verwaltung sowie traditionelle Medien bildet, wird die Kommunikation weiterge hend professionalisiert und die Rollen zwischen Kommunikator_innen und ihrem Publikum sind unumkehrbar festgelegt. Im Internet finden sich mit Social-MediaAnwendungen wie Twitter und Blogs Formen insbesondere einfacher Öffentlich keiten. In diesen findet eine Verständigung über akzeptierte und akzeptable Ver
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haltensmuster statt, traditionelle Haltungen werden gefestigt oder gelockert und Handlungsweisen bestärkt oder verworfen. Die Verhandlungen feministischer In halte sind auf dieser Öffentlichkeitsebene im Internet ambivalent: Einerseits schaf fen sie für feministische Protestartikulationen die Möglichkeit, weitere Öffentlich keitsebenen zu erreichen. Andererseits zeigen sich online auch Angreifbarkeiten und Verletzlichkeiten. So macht Jane (2014) eine zunehmende misogyne Haltung in Social-Media-Anwendungen fest, die sich in abwertenden Kommentaren gegen über Frauen äußert und die die Diskurse häufig dominiert. Die Kampagne »Women against Feminism« sammelt etwa auf Tumblr, Twitter, YouTube und Facebook seit Jahren zahlreiche Statements von Frauen, die sich gegen feministische Inhalte und Forderungen aussprechen. Im Hashtag #mencallmethings werden Anfeindungen und Belästigungen von Frauen in Online-Medien diskutiert (vgl. Megarry 2014). Dabei werden auch zahlreiche antifeministische Äußerungen sichtbar; selbst in feministischen Hashtags wie #aufschrei, der eigentlich dazu dient, sexistische Er lebnisse zu veröffentlichen, finden sich zahlreiche antifeministische Tweets (vgl. Drüeke/Klaus 2014). Diese Anfeindungen sind kein neues Phänomen, so thema tisierte Susan Herring schon 1999 eine »rhetoric of online gender-harassment« in Chats und die zunehmende Anzahl von Trolls in feministischen Online-Foren. Einfache Öffentlichkeiten im Internet bieten also einerseits Möglichkeiten der Intervention für feministische Akteur_innen und ein Empowerment im emanzipa torischen Sinne; gleichzeitig zeigt sich auf dieser Öffentlichkeitsebene aber auch, wie umkämpft gerade Themen sind, die Feminismus bzw. Geschlechterverhält nisse betreffen. In diesen einfachen Öffentlichkeiten werden somit vor allem auf einer alltagspraktischen Ebene Werte und Normen verhandelt, die gleichermaßen Inklusionen wie Exklusionen beinhalten.
Zur Einordung und Entstehung antifeministischer Positionen und Diskurse Antifeministische Artikulationen und Positionierungen werden heute auf vielfäl tige Weise, unter variierenden Bezeichnungen1 und mit unterschiedlichen Schwer punktsetzungen zum Ausdruck gebracht. Sie eint die Überzeugung, dass männli 1 In der wissenschaftlichen Auseinandersetzung und bei den Akteur_innen selbst haben sich neben Antifeminismus verschiedene Bezeichnungen wie Maskulismus, Maskulinis mus, Männer- oder Väterrechtsbewegung etabliert – eine Begriffsvielfalt, die inhaltlich nicht weiter begründet ist (vgl. Claus 2014: 18; Rosenbrock 2012: 25 ff.). Da Bezeich nungen wie Männerrechtsbewegung und Maskulismus Assoziationen mit emanzipatori schen, auf Freiheit und Gerechtigkeit zielenden Bewegungen zulassen, wird in diesem Beitrag von antifeministischen Positionen und Akteur_innen die Rede sein, um auf die-
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che Interessen in der heutigen Gesellschaft zu wenig Berücksichtigung finden und Männer als Opfer feministischer Gleichstellungspolitik benachteiligt werden. Zu den wichtigsten Anliegen antifeministischer Akteur_innen gehören die Abkehr von einem als dogmatisch wahrgenommenen Feminismus, die Beendigung und Dele gitimation von Frauenfördermaßnahmen sowie der Erhalt bzw. die Rückeroberung einer ›natürlichen‹ Geschlechterhierarchie. Neben der Thematisierung einer vermeintlichen Unterdrückung von Männern und der Verbreitung einer männlichen Opferideologie zielen antifeministische Ar tikulationen darauf, ein an traditionellen Vorstellungen orientiertes Männerbild zu transportieren. Biologistische Erklärungsansätze werden herangezogen, um die hierarchische Machtverteilung zwischen Männern und Frauen zu legitimie ren (vgl. Klaus 2014). Der Feminismus – verstanden als homogenes Einheitsge bilde – gilt als Feindbild und wird abgelehnt oder als männerhassende Ideologie fehlinterpretiert (vgl. Rosenbrock 2012: 14). Teilweise mischen sich rassistische, homophobe und antisemitische Diskurse in die antifeministischen Positionen, die häufig von Polarisierungen, Diffamierungen und Drohungen dominiert sind (vgl. Goetz 2013). Der aktuell wahrzunehmende Aufschwung antifeministischer Äußerungen scheint zum Teil in einem Diskurs begründet, der in besonderem Maße die Kar rierechancen und Errungenschaften gut ausgebildeter Frauen herausstellt, mit der Folge, dass deren Sichtbarkeit geschlechterpolitische Maßnahmen im Sinne des Gleichheitsansatzes obsolet wirken lässt (vgl. Klaus/Lünenborg 2013: 88). Dieser Diskurs wird, wie Klaus (2008) überzeugend dargelegt hat, durch eine Pluralisie rung von Feminismen angefacht, in denen sich vor allem konservative Stimmen und Vertreterinnen eines sogenannten »Elitefeminismus« Facetten des Feminis mus aneignen, zugleich aber viele Positionen früherer feministischer Bewegungen verleugnen oder als nicht mehr zeitgemäß erklären. Erfolg und Repräsentanz von Frauen werden dabei an die Leistung und Selbstverantwortung des Individuums zurückgebunden und fügen sich nahtlos in eine neoliberale Gesellschaftsordnung ein. Obgleich in dieser Perspektive strukturelle Ungleichheiten ebenso wie inter sektionale Diskriminierungen ausgeblendet werden, so ist zu vermuten, dass ein Ursprung aktueller antifeministischer Agitation auch in diesem durch den Post feminismus hervorgebrachten medialen Bild der selbstbestimmten, erfolgreichen Frau zu sehen ist (vgl. McRobbie 2004). Während in Deutschland mit Studien von Gesterkamp (2010; 2012), Rosen brock (2012), Kemper (2011) und Claus (2014) bereits erste umfassende Untersu chungen zum Thema Antifeminismus vorliegen, gibt es in Österreich noch keine systematische Erhebung. Neben vereinzelten Initiativen und Veranstaltungen (z. B. se Weise die antidemokratischen Tendenzen des Antifeminismus auch auf begrifflicher Ebene zu unterstreichen.
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Senk 2013 oder die Frauenenquete »Maskulinismus.Anti.Feminismus« des Öster reichischen Bundesministeriums für Bildung und Frauen 2013) liegt mit dem Be richt des Instituts für Männer- und Geschlechterforschung zu den »geschlechterpo litischen Zugängen in der Männerarbeit« seit Januar 2015 eine ausführliche Studie zur Männerarbeit in Österreich vor (Scambor/Kirchengast 2015). Deutlich werden in der Analyse der Argumentationslinien auf den Internetseiten der Männer- und Väterrechtsinitiativen (vgl. ebd.: 44–53) die unterschiedlichen geschlechterpo litischen Standpunkte von institutionalisierter Männerarbeit sowie Männer- und Väterrechtsaktivisten, wobei Letztere mit der Position, dass Männer »Opfer des gesellschaftlichen und politischen Systems, der Frauen und der Rechtsprechung« seien, stärker an antifeministische Diskurse anknüpfen (vgl. ebd.: 76). Antifeministische Positionen profitieren des Weiteren gerade in Österreich von den politisch-institutionalisierten Rahmenbedingungen. Auf Betreiben der FPÖ richtete etwa das österreichische Sozialministerium 2001eine männerpoliti sche Grundsatzabteilung ein, die einer als einseitig empfundenen Förderung von Frauen und Mädchen entgegen wirken sollte und in deren Publikationen sich auch antifeministische Beiträge finden (vgl. Gesterkamp 2014: 23). Von einer engeren Verbindung mit der Parteipolitik zeugt zudem die Website unzensuriert.at, die von dem FPÖ-Politiker Martin Graf bereits während seiner Amtszeit als dritter Natio nalratspräsident betrieben wurde und die zahlreiche antifeministische und rechts populistische Beiträge beinhaltet. Zuletzt zeigte die durch die Kulturabteilung der Stadt Wien und dem Club of Vienna geförderte Studie zur »Teilhabe von Frauen und Männern am Geschlechterdiskurs« (Meiners/Bauer-Jelinek 2015), wie ein deutig antifeministisch inspirierte Schriften Publizität und Aufmerksamkeit durch öffentlich bereitgestellte Gelder erhalten. Diese Verflechtungen erleichtern es anti feministischen Stimmen Eingang in die journalistische Berichterstattung zu finden und in öffentlichen Debatten an Gewicht zu gewinnen. Drüeke und Klaus (2014: 65) weisen darauf hin, dass der Antifeminismus durch die Kommunikationsmöglichkeiten des Internets »neue Agitations-, Verbrei tungs- und Vernetzungsformen gefunden« habe, vor allem über Blogs, Homepages, Foren und Social-Media-Plattformen. Hier wird deutlich, dass sich nicht nur der Medienzugang mit seinen Folgen für die Entstehung von neuen Öffentlichkeiten gewandelt hat, sondern dass sich auch veränderte kommunikative Konventionen herausgebildet haben (vgl. Klaus/Lünenborg 2013: 85). Als Gesprächsstrategie kommt z. B. häufig ›hate speech‹ zum Einsatz, also Beschimpfungen, Abwertun gen, Drohungen, Einschüchterungen und Gewaltfantasien, die sich gegen Einzelne (z. B. Blogger_innen oder feministische Männer), Gruppen oder auch gegen femi nistische Inhalte richten (vgl. Rosenbrock 2012; Kemper 2012). Diese Artikula tionen stammen einerseits von Einzelpersonen, zunehmend zeigen sich aber auch Zusammenschlüsse verschiedener Akteur_innen, die mit einschlägigen antifemi nistischen Websites verbunden sind.
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Antifeminismen im Internet in den Online-Debatten um den sprachl ic hen Einb ez ug von Frauen Im Folgenden stellen wir anhand von Fallstudien, die Angriffe auf feministische und gleichstellungspolitische Forderungen und Maßnahmen ausgelöst haben, vor, wie durch verschiedene auch miteinander konkurrierenden Diskurse online der Diskursraum zu Antifeminismus gebildet wird. Gegenstand der Analyse sind Blog einträge, Webseiten sowie Kommentare in den Online-Ausgaben österreichischer Tageszeitungen, die sich im Rahmen der genannten Debatten gegen geschlech tergerechte Formulierungen aussprechen. Die Äußerungen offenbaren eine Breite und Komplexität in ihren gegen gleichstellungspolitische Maßnahmen gerichteten Aussagen, allerdings ist eine zahlenmäßige und ideologische Dominanz antifemi nistischer Äußerungen erkennbar. Deutlich werden neben individuellen vor allem kollektive Deutungsmuster und Interpretationsrahmen, die durch auf dieses Ereig nis bezogene Deutungsprozesse aktualisiert werden. Im Folgenden stellen wir eine exemplarische Auswahl der Diskursstränge vor, die eine erste Strukturierung des Diskursfeldes bedeuten und verschiedene Diskurspositionen offenbaren. »Genderwahn« und »Emanzinnen«: Zur Debatte um die »Töchter« in der Bundeshymne Im Jahr 2012 wurde die österreichische Bundeshymne dahingehend geändert, dass aufgrund eines Beschlusses des Nationalrats zum 1. 1. 2012 die Textzeile »Heimat bist du großer Söhne« durch »Heimat großer Töchter und Söhne« ersetzt wurde (vgl. Wikipedia 2015). Nachdem Schlagerstar Andreas Gabalier im Sommer 2014 die Hymne in ihrer alten Form beim Formel 1 Grand Prix von Österreich gesungen hatte und er von zahlreichen Politiker_innen aufgefordert wurde, die neue Variante zu verwenden, fand online eine intensive Debatte statt, die in Shitstorms gegen einzelne Politiker_innen, insbesondere gegen Bildungs- und Frauenministerin Ga briele Heinisch-Hosek, gipfelte (vgl. Der Standard 2014a). Welchen Anfeindungen diese sprachliche Veränderung ausgesetzt ist und welche Symbolkraft ihr damit zukommt, zeigen die zahlreichen negative Äußerungen in Blogs, auf Webseiten und in den Kommentaren der Online-Ausgaben österreichischer Tageszeitungen, die sich vor allem durch Misogynie und einen mehr oder weniger offensichtlichen Antifeminismus kennzeichnen. Vorherrschend ist ein Diskursstrang, der sich in der Trivialisierung feministischer Forderungen äußert. Feminismus sei obsolet, da schließlich Männer und Frauen in westlichen Gesellschaften gleichgestellt seien und es damit nicht mehr notwendig sei, »sich in der heutigen Zeit mit so einem Quatsch« herumzuschlagen (Kommentar 584 in Kronen Zeitung 2014). In dieser Trivialisierung feministischer Politik vermischen sich verschiedene Diskursfrag mente. So zeigen sich neben einer Verharmlosung und Negierung gesellschaftlicher
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Strukturen Ansätze einer neoliberalen Vereinnahmung feministischer Forderungen und gleichsam ein postfeministischer Diskurs. Dieser kennzeichnet sich nach Angela McRobbie (2004) durch Argumente, in denen hervorgehoben wird, dass Frauen allein durch ihr individuelles Vermögen und Können zum Erfolg gelangen, unabhängig von sozioökonomischen Umständen sowie religiöser und sexueller Zugehörigkeit, Alter oder Ability. Dieser Diskurs zeigt sich in Äußerungen wie »ich bin eine leistungs starke, selbstbewußte Frau, und mein Ego verlangt nicht danach, in Liedertexten vorzukommen« (Kommentar 65 in Kronen Zeitung 2014b), die so oder ähnlich vor allem in Kommentaren zu Online-Ausgaben der Kronen Zeitung und dem Kurier vorkommen, und weist Parallelen auf zur Medienberichterstattung über feministische Politik (vgl. Dean 2010). Vorherrschend ist dabei die Auffassung, dass sich Frauen jetzt selbstverwirklichen können, ohne Feministinnen zu sein, denn »Frauen sind nicht pauschal und im Gesamten unterdrückt oder benachteiligt. Sie leben einfach mehrheitlich, aus freier Entscheidung, ein anderes Modell« (Männerpartei 2014a). Diese Auffassung hat allerdings nur bestimmte Frauengruppen im Blick, denn nicht berücksichtigt werden Frauen, die – darauf weist Klaus (2008) hin – unterprivilegiert sind, nicht der ›Norm‹ entsprechen oder sich in prekären Arbeitsverhältnissen befinden. Dieser Diskursstrang hängt eng mit einem weiteren Diskursstrang zusammen, der eine Distanzierung von feministischen Positionen beinhaltet. Als »unwichtiges Thema« (Männerpartei 2014b) bis hin zu »Gender-Klamauk« (FPÖ 2011) und »Genderwahn angelegenheit« (Kommentar 4 in Kronen Zeitung 2014b) wird die Forderung nach dem Einbezug der ›Töchter-Passage‹ auf den Webpräsenzen von Männerpartei, FPÖ und in Kommentaren zu den Online-Ausgaben österreichischer Tageszeitungen be zeichnet. In diesen Äußerungen werden zumeist Klischees und Stereotype reproduziert und strukturelle Dimensionen gesellschaftlicher Ungleichheiten außer Acht gelassen. Dadurch zeigen sich Entwicklungen, wie sie auch Scharff (2014) und Mendes (2012) festgestellt haben: Feministische Positionen werden weniger als soziale Bewegung wahrgenommen, sondern als Aggregation von Forderungen einzelner Frauen. Dies zeigt sich insbesondere durch den Fokus auf Bildungs- und Frauenministerin Gabriele Heinisch-Hosek, die als »lächerlich« (Männerpartei 2014b) oder »Emanzin« (vgl. Kommentar v. »Christa Haas« in Kurier 2015b) beschimpft wird. Feminist_innen seien darüber hinaus keine (richtigen) Frauen, wie die Kommentare in der Kronen Zeitung und dem Kurier nahelegen: »das sind Weiber die sich wie Männer gebärden« (ebd.) bzw. »eine Dame, also eine richtige (!!) Dame wird weder darauf Wert legen, dass die Frauen in der Bundeshymne vorkommen oder die Männer per Dekret zum Abwasch verpflichtet werden« (Kommentar 57 in Kronen Zeitung 2014b). Insgesamt wird deutlich, dass in dieser Online-Debatte Nationenbezüge keine Rolle spielen, sondern die Verhandlungen über die Bundeshymne rein auf die Frage der Benennung von Frauen, in Form der »großen Töchter«, fokussieren. In der Auseinandersetzung werden dabei verschiedene antifeministische Positionen deutlich, die vor allem Forderungen nach der Beendigung von Frauenförderungen
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und die Ablehnung eines als einheitlich wahrgenommenen Feminismus beinhalten. Ähnliche Positionen zeigen sich auch in der im Folgenden vorgestellten Debatte um das Binnen-I. In der »Hölle des Gutgemeinten«: Zur Verhandlung des Binnen-I in Schulbüchern und anderen Texten Die Debatte um die Abschaffung des Binnen-I wurde in Österreich im letzten Jahr gleich zweimal neu entfacht. Im Frühjahr 2014 gab es zunächst den Vorstoß des Normungsinstituts Austrian Standards, im Schriftverkehr künftig auf die Verwen dung von Binnen-I und Kombinationsformen zu verzichten. In einem durch das Komitee »Büroorganisation und schriftliche Kommunikation« vorgelegten Ent wurf für die Überarbeitung der ÖNORM A 1080, die diese Textgestaltung regelt, wurde im entsprechenden Passus zur geschlechtergerechten Sprache dazu geraten, die Geschlechter getrennt aufzuführen oder von generalisierenden eingeschlecht lichen Formen Gebrauch zu machen (vgl. Seidl 2014b). Der Entwurf rief kontro verse Reaktionen und rund 1.400 Stellungnahmen hervor, erfuhr u. a. aber auch öffentlichkeitswirksame Unterstützung durch einen offenen Brief an Bildungsund Frauenministerin Gabriele Heinisch-Hosek (SPÖ) und Wissenschaftsminister Reinhold Mitterlehner (ÖVP), in dem rund 800 Unterzeichner_innen die »Rück kehr zur sprachlichen Normalität« forderten (Glander et al. 2014). Während bereits im Oktober 2014 durch Austrian Standards entschieden wurde, dass die geschlechterneutrale Sprache aufgrund des nicht herstellbaren Konsenses auch in Zukunft nicht per ÖNORM geregelt wird und das entsprechende Komitee aufgelöst wurde (vgl. Seidl 2014a), gab es im Januar 2015 erneut eine Initiative für die Aufhebung geschlechtergerechter Formulierungen. Angeregt wurde diese durch den Bundes verband der Elternvereine an mittleren und höheren Schulen, der sich in einer Pres sekonferenz gegen gegenderte Schulbücher aussprach. Beide Ereignisse wurden online breit thematisiert und regten auf unterschiedlichen Ebenen eine kontrovers und teilweise höchst emotional geführte Debatte an, in die sich nicht selten antife ministische Positionen mischten. Zunächst finden sich auch hier die bekannten und erwartbaren Motive der Tri vialisierung und Überspitzung, die in Äußerungen wie »gästinnen, menschinnen, computerinnen hatten wir schon. [. . .] gutes cabaret ist so selten.« (Kommentar v. »mit_binnen_i_genier_i_mi« in Der Standard 2014b) augenscheinlich werden. Eng damit verbunden ist die vielfach geäußerte Kritik an einer Verkomplizierung von Schrift und Sprache (z. B. »bewirkt nicht nur schlechtere Lesbarkeit, sondern auch falsche Grammatik, oder fördert zumindest Tippfehler« (Kommentar v. »Dip pelpäd« in Der Standard 2015)) sowie an der Unverhältnismäßigkeit der Maß nahme (»Ein aufwendiger, teurer und in vielen Bereichen kaum noch verständli cher Buchstabensalat« (Grotte 2014)). Auch wenn diese Diskursstränge noch nicht
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als antifeministisch anzusehen sind, so eint sie doch eine unterschwellige Delegi timation feministischer Anliegen, indem sie die Forderung nach geschlechterge rechten Formulierungen banalisieren, ins Lächerliche ziehen oder einen vermeint lichen Schaden am Allgemeingut Sprache in den Vordergrund rücken. Eine weitere häufig angeführte Position ist die einer Entdemokratisierung des Sprachgebrauchs. Die Gegner_innen der geschlechtersensiblen Schreibweise greifen hier auf einen Diskurs zurück, in dem sie sich als Opfer einer »Bevormundungsgesellschaft, Vor schriftsgesellschaft, Verbotsgesellschaft« (Gstättner 2015) sehen, in der eine nicht mehrheitsfähige Ideologie der Political Correctness durchgesetzt wird (»warum muss sich eine mehrheit von einer minderheit derartig auf den kopf gacken las sen?« (Kommentar v. »Miss Verständnis« in Kurier 2015a)). Der Eingriff in die Sprache sei demnach nicht Ausdruck gesellschaftlich vorangetriebener Wand lungsprozesse, sondern ›von oben herab‹ verordnet und somit undemokratisch. Das Motiv des Opfers bzw. der Täter-Opfer-Umkehr wird auch innerhalb ei nes weiteren Diskursstrangs bemüht, der deutlicher antifeministische Tendenzen erkennen lässt. Hier wird vor allem moniert, dass geschlechterneutrale Sprach formen zwar mit einer vermehrten Sichtbarkeit von Frauen, jedoch zugleich ei nem sprachlichen Ausschluss von Männern einhergehen, wie etwa in folgender Äußerung deutlich wird: »Männer müssen ja nicht sichtbar sein. Hauptsache, sie bringen den Großteil der Steuerleistungen, von denen dann u. a. Genderprojekte bezahlt werden« (Kommentar v. »bax« in Der Standard 2014b). Hier zeigen sich die bereits in den einschlägigen Studien zum Antifeminismus herausgearbeiteten Formen einer empfundenen Benachteiligung von Männern sowie einer Akzentuie rung der männlichen Opferideologie. Auffällig ist die häufige Verwendung einer der Kriegsrhetorik entlehnten Spra che, durch die feministische Forderungen mit den Ideologien und Durchsetzungs strategien militanter Regime gleichgesetzt werden. Diese Form der Abwertung und letztlich Kriminalisierung gleichstellungspolitischer Maßnahmen, die innerhalb eines zweifelhaften politischen Programms verortet werden, kommt in Kommenta ren wie »Der Gender-Terror nähert sich seinem Ende« (Kommentar v. »oliva3« in Muhr 2014) oder »Das hat anzeichen von übelsten Diktaturen [. . .]« (Kommentar v. »dudelsack3.0« in Muhr 2014) deutlich zum Ausdruck. Vor allem in den Kommen taren zu einzelnen online veröffentlichten Zeitungsartikeln wird das Binnen-I im mer wieder als Aufhänger für eine allgemeine Kritik an Gender Studies und Gender Mainstreaming genutzt. Dieser Diskursstrang tritt häufig in Kombination mit dem Diskursstrang der Trivialisierung auf, sodass auf diese Weise einer grundlegenden Infragestellung genderpolitischer Maßnahmen und Instrumente Ausdruck verlie hen wird (»Irgendwo müssn ja die ganzen Genderstudierten usw. unterkommen« (Kommentar v. »Ausgeflippter Lodenfreak« in Kurier 2015a)), die sich anschluss fähig an antifeministische Positionen erweist. Insgesamt zeigt sich somit auch in den online geführten Debatten um eine geschlechtersensible Sprache, insbesondere
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in den Kommentaren zu im Internet veröffentlichten Artikeln österreichischer Ta geszeitungen, dass diese vielfach von antifeministischen Diskursen vereinnahmt werden. Das eigentliche Diskursereignis und der darauf bezogene Austausch von Meinungen und Argumenten treten dabei in den Hintergrund, bieten antifeministi schen Stimmen aber einen Anlass, um im Internet gegen genderpolitische Maßnah men und Gleichstellungspolitik im Allgemeinen zu agitieren.
Fazit Die aktuellen Online-Debatten um die sprachliche Inklusion von Frauen zeigen, dass Gender-Themen derzeit hart umkämpft sind. Teilweise werden in den Kom mentaren, Blogs und Foren zu den drei dargestellten Diskursereignissen offen anti feministische Positionen vertreten. Diese fordern auf einer einfachen Öffentlich keitsebene feministische Inhalte und Aktivist_innen heraus und offenbaren deren Verletzlichkeit und Angreifbarkeit. Davon ausgehend können Dynamiken entste hen, die auch in mittlere und komplexe Öffentlichkeitsebenen hineinwirken, wenn diese Diskurse etwa Eingang in Qualitätszeitungen und Fernsehsendungen finden. Mediale Kontroversen zu einzelnen genderpolitischen Maßnahmen bieten antife ministischen Diskursen somit die Möglichkeit, auf verschiedenen Öffentlichkeits ebenen sichtbar zu werden. Während bislang vor allem der demokratiefördernde Nutzen des Internets und das emanzipatorische Potenzial einfacher Öffentlichkeiten im Internet im Vorder grund standen und damit die Möglichkeiten betont wurden, Wissen und Erfahrung auszutauschen sowie lokale und transnationale Netzwerke zu schaffen, sind antife ministische bzw. antidemokratische Öffentlichkeiten im Internet bisher noch nicht systematisch untersucht worden. Inwieweit diese die gesamte Bandbreite online verfügbarer Kommunikationsformen für die Artikulation und Durchsetzung ihrer Interessen nutzen, wird künftig noch weiter zu erforschen sein.
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Die »Affäre Strauss-Kahn«
Die »Affäre Strauss-Kahn« Facetten einer Debatte zu Gewalt, Macht und Geschlecht Brigitte Geiger
Als Dominique Strauss-Kahn (kurz DSK) im Mai 2011 in New York wegen se xueller Gewalt gegen die Zimmerfrau des Luxushotels, in dem er residierte, ver haftet wird, löst dies über Wochen ein enormes internationales Medienecho aus. In Verbindung mit anderen Verfahren mit prominenten Beteiligten vom deutschen Wettermoderator Jörg Kachelmann über Wikileaks-Gründer Julian Assange bis Italiens (Ex-)Premier Silvio Berlusconi werden dadurch Debatten um den Zusam menhang von Geschlecht, Macht und Gewalt aktualisiert. Besondere Resonanz auch in feministischen Diskussionen findet die »Affäre DSK« nicht zuletzt wegen ihrer globalen Dimension und der intersektionalen Verschränkung von Ungleich heitsdimensionen, die hier sozusagen prototypisch personifiziert sind: auf der ei nen Seite DSK, der reiche, ältere, weiße Mann, Vertreter der globalen Wirtschaftsund Politikelite, und auf der anderen Seite Nafissatou Diallo, die junge, schwarze Immigrantin aus Guinea, Hotelbedienstete, alleinerziehende Mutter, aus der New Yorker Bronx. Direkte personale Gewalt ist – das hat die feministische Gewaltdebatte im Anschluss an Johan Galtung (1990) herausgearbeitet – verankert in strukturellen Machtungleichheiten und abgestützt durch symbolische und diskursive Gewalt. (Hagemann-White 2005; Sauer 2011; Geiger/Wolf 2014) Medienberichterstattung und öffentliche Diskurse spielen daher auch und gerade bei sexualisierter Gewalt eine wichtige Rolle. Vor diesem Hintergrund zeichne ich im Folgenden einige Fa cetten der öffentlich-medialen Diskurse rund um die »Affäre DSK«1 nach und frage zunächst, inwieweit die feministischen Kämpfe für eine Delegitimierung der Gewalt an Frauen Früchte getragen haben oder weiterhin alte Muster der Verharm losung Platz greifen. Dabei sichtbar werdende Ambivalenzen werden noch ver stärkt durch das Aufeinandertreffen unterschiedlicher nationaler Geschlechterord 1 Ich beziehe mich dabei vor allem auf die Berichterstattung deutschsprachiger Medien bzw. Online-Portale, fallweise auch amerikanischer und französischer Medien, im Zeit raum Mai/Juni 2011 und punktuell für spätere Entwicklungen.
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nungen, Rechts- und Medienusancen, die sich insbesondere im Umgang mit dem Interesse an Öffentlichkeit und dem Schutz der Privatsphäre zeigen. Die immer problematische Repräsentation von Opfern (und Tätern) sexualisierter Gewalt be kommt bei spektakulären Fällen und extremen Ungleichgewichten wie hier beson dere Brisanz. Solche Medienevents sind aber auch Katalysatoren für öffentliche Debatten gesellschaftlicher Zusammenhänge, von Ursachen und Hintergründen, und so frage ich abschließend, wie die in diesem Fall involvierten Ungleichheits dimensionen Geschlecht, Klasse, Rassialisierung thematisiert wurden. Vorausschicken möchte ich einen kurzen Abriss der »Affäre«: DSK ist zum Zeitpunkt seiner Verhaftung Chef des Internationalen Währungsfonds (IWF) und präsumtiver sozialistischer Kandidat für die anstehenden französischen Präsident schaftswahlen. Vorgeworfen wird ihm versuchte Vergewaltigung, sexuelle Nöti gung und Freiheitsberaubung. Gegen Kaution aus der Untersuchungshaft entlas sen, erwartet er mit Fußfessel im Hausarrest den Prozess. Im Juni und Juli tauchen – von der Verteidigung DSKs kräftig unterstützt – Zweifel an der Glaubwürdigkeit der Klägerin Nafissatou Diallo auf, und im August 2011 stellt der Staatsanwalt schließlich das Verfahren ein. Eine Einigung im zivilrechtlichen Prozess mit einer Entschädigungszahlung für Diallo beendet im Dezember 2012 die juristische Seite des Falls. Parallel dazu wird DSK mit weiteren Vorwürfen sexueller Übergriffe und der Involvierung in einen Callgirlring auch juristisch konfrontiert.
Erfolgreiche Delegitimierung? – Ambivalenzen und Ungleichzeitigkeiten Die feministische Anti-Gewalt-Bewegung war in den letzten Jahrzehnten ohne Zweifel erfolgreich in der Delegitimierung von geschlechtsbasierter Gewalt, die ihren Niederschlag u. a. in gesetzlichen Regelungen und Hilfseinrichtungen findet. Gleichzeitig ist Gewalt an Frauen nach wie vor weit verbreitet – rund ein Drittel der Frauen in der EU erfährt nach einer aktuellen Prävalenzstudie körperliche und/ oder sexuelle Gewalt (FRA 2014) –, und auch der öffentlich-mediale Diskurs und insbesondere die Alltagsberichterstattung zum Thema weisen in ihrer Tendenz zur Individualisierung und voyeuristischen Skandalisierung problematische Reduktio nen auf (Geiger/Wolf 2014). Nimmt man die DSK-Affäre als Beispiel für den Sta tus quo im Umgang mit Gewalt im Geschlechterkontext, so bestätigen sich diese Ambivalenzen und Ungleichzeitigkeiten, die durch das transnationale Aufeinan dertreffen unterschiedlicher Geschlechterordnungen, Justizsysteme und Medien usancen noch deutlicher sichtbar werden. Dass geschlechtsbasierte Gewalt und sexuelle Übergriffe nicht mehr einfach ignoriert und verharmlost werden, zeigte sich zunächst in der Reaktion der USamerikanischen Polizei und Justiz, also der schnellen Verhaftung und Verhängung
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der Untersuchungshaft, aber auch im rasch erzwungenen Rücktritt als IWF-Chef. Das durch die internationalen Medien gehende Bild Strauss-Kahns in Handschel len ist jedenfalls ein »Bild mit Symbolkraft« (stern.de, 18.05.2011a): dass auch mächtige, weiße Männer mit sexuellen Übergriffen nicht mehr so einfach durch kommen, dass das Schweigen gebrochen werden und auch ein Schwarzes »Zim mermädchen« (zumindest zunächst) Gehör finden kann (Solnit 2013). Bei der Anklageverlesung und im weiteren Verfahrensverlauf zeigten sich die Machtver hältnisse wieder rekonsolidiert. Auch die öffentlich-medialen Reaktionen spiegeln diese Ambivalenzen. Auf Veränderungen verweisen sachliche Berichte und kritische Kommentare mit klaren Benennungen als sexueller Übergriff und Vergewaltigungsvorwurf – auch wenn diese zum Teil erst von feministischen Journalistinnen (z. B. auf dieStandard.at) oder von Fraueninitiativen eingefordert werden mussten: Die wütende Petition von Osez le feminisme und La Barbe gegen sexistische mediale Reaktionen erhielt in kurzer Zeit rund 30.000 Unterschriften.2 Als Indizien eines Wertewandels lassen sich mit Rödig (Der Standard, 09./10.07.2011) auch die Skandalisierung und eine tendenziell vorverurteilende (Boulevard-)Berichterstattung werten. Gabriele Dietze sieht denn auch »eine der wenigen Errungenschaften des Neuen Feminismus« darin, »kurzfristig mediale Erregungsgemeinschaften erzeugen zu können« (taz. de, 19.05.2011). Dabei zeigte die Debatte andererseits, wie dominant Tendenzen der Verharm losung und Verschiebung zu Sexualität und Verführung immer noch sind, wo doch Gewalt und Machtmissbrauch das Thema sind: wenn nicht nur in Boulevardzei tungen häufig von der »Sex-Affäre«, von Eskapaden, einem Fehltritt die Rede ist, wenn DSK als »l’homme des femmes« mit einer »Schwäche für Frauen« beschrie ben wird.3 Christine Künzel (2011: 101 f.) sieht in dieser mangelnden Abgrenzung zwischen sexueller Gewalt und Erotik Relikte einer »rape culture« und spricht in Verbindung mit dem Fall Kachelmann für Deutschland von einem »backlash« in der gesellschaftlichen Gewalt- und Genderdebatte. Besonders deutlich wurde diese Verwischung zwischen Sexualität und Gewalt in der transatlantischen Debatte, in der eifrig nationale Stereotypen (und Abnei gungen) bemüht wurden (Hedge 2012; Hergenhan 2011) und die Unterstützer DSKs die französische Lebensart, das savoir vivre gegen US-amerikanischen Pu 2 Die Petition »Sexisme: ils se lâchent, les femmes trinquent« wurde am 21.05.2011 on line gestellt (http://www.osezlefeminisme.fr/article/sexisme-ils-se-lachent-les-femmestrinquent); vgl. auch Emma 2011a. 3 Vgl. z. B. eine kleine Auswahl zusammengestellt von Jens Mühling auf tagesspiegel.de, 29.05.2011. Breiten Raum nehmen eine Verteidigung DSKs und sexistische Begriffe, insbesondere Sex-Komposita, auch in den von Rödl analysierten drei österreichischen Tageszeitungen ein (2013: 113 f., 136).
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ritanismus und Prüderie ins Treffen führten. Dieser auf Sexualität statt Macht- und Gewaltaspekte fokussierende Vorwurf der Prüderie ist in Debatten um sexuali sierte Gewalt weit verbreitet und keinesfalls neu. Er tauchte etwa schon Anfang der 1990er Jahre im medial breit und heftig diskutierten Verfahren Anita Hill gegen Clarence Thomas4 auf, wo sexuelle Belästigung als Phantasma »puritanischer, eli tärer weißer Feministinnen« (Fraser 1994: 20) relativiert wurde. Auch in der durch die #aufschrei-Kampagne ausgelösten Sexismus-Debatte in deutschen Medien wurde über die Abgrenzung zwischen (Alltags-)Sexismus und dem »harmlosen« Flirt gestritten. (Gsenger/Thiele 2014) Im »malestream«-Diskurs der französischen Medien, so Muriel Rouyer (2013), war jedenfalls das erste dominante Narrativ zur Verteidigung Strauss-Kahns das der Verführung, gefolgt und ergänzt durch das Ventilieren von Verschwörungstheo rien v. a. durch die Linke, die ihres Hoffnungsträgers verlustig ging. Dazu kam die Empörung über die Behandlung eines Manns des öffentlichen Lebens durch die amerikanischen Behörden und seine mediale Zurschaustellung. Dies berührt den zweiten Fokus der transatlantischen Debatte, nämlich die Rolle der Medien und der Öffentlichkeit.
Öffentlichkeit vs. Schutz der Privatsphäre Das Öffentlichmachen sexualisierter Gewalt ist schwierig, betrifft sie doch die In timsphäre der Betroffenen und ist oft mit Gefühlen der Scham und Schande ver bunden. Im Zentrum des medien- und öffentlichkeitskritischen Diskurses stand allerdings vor allem die Position DSKs, also des (vermutlichen) Täters, die Op ferperspektive wurde hingegen – wie oft bei Gewaltberichten – weitgehend ausge blendet. Die Täterzentrierung der Berichterstattung zu sexueller Gewalt bestätigt sich auch in Rödls Analyse, auf mögliche körperliche oder psychische Folgen für die Opfer wird hingegen nur wenig eingegangen. (2013: 118 ff., 134 ff.) Vor allem französische Unterstützer DSKs kritisierten die mediale Vorverurtei lung und den Medienpranger, an den er insbesondere in der amerikanischen Boule vardpresse gestellt wurde.5 Und auch hier wurden wie schon bei älteren »Affären« US-amerikanischer Politiker (Arnold Schwarzenegger, die Clinton-LewinskiAffäre . . .) nationale Gegensätze bemüht: Den mit »amerikanischer Prüderie« verbundenen Eingriffen in die Privatsphäre wurde die französische Praxis des Re 4 Während der Nominierung von Clarence Thomas als erstem Schwarzen Bundesrichter wurde er von seiner ebenfalls Schwarzen Mitarbeiterin Anita Hill mit Vorwürfen der se xuellen Belästigung konfrontiert. 5 Deren Kennzeichnungen DSKs reaktivierten anti-französische – möglicherweise auch antisemitisch unterlegte (Brändle, Der Standard, 24.08.2011) – Ressentiments.
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spekts vor dem Privatleben auch von Personen des öffentlichen und politischen Lebens gegenübergestellt. Angestoßen durch den Aufschrei französischer Feministinnen setzte nach und nach eine selbstkritische Reflexion und Debatte ein, führt die gelobte französische Diskretion doch umgekehrt zu einem Code des Schweigens, der die Tolerierung von Gewalt und Übergriffen durch die Eliten begünstigt. (Vgl. Hergenhan 2011) Sichtbar gemacht wurde die Problematik u. a. durch Tristane Banon, die ermu tigt durch die New Yorker Anklage erneut einen länger zurückliegenden sexuellen Übergriff DSKs auf sie als junge Journalistin publik machte und erst nun mit ihrer Geschichte Gehör fand.6 Hier stehen einmal mehr der Doppelcharakter von Privatsphäre und die immer umstrittenen, neu auszuhandelnden Grenzziehungen auf der Agenda, die für femi nistische Öffentlichkeits- und Gewaltdebatten zentral sind. (Fraser 2001; Klaus 2001; Geiger 2008) Einerseits diente und dient der Verweis auf die Privatsphäre der Immunisierung und Tabuisierung des Bereichs und damit auch privat verübter »häuslicher« und sexueller Gewalt und der auch im Privaten und (intimen) Bezie hungen wirksam werdenden Machtverhältnisse. Da sich vielfach eben nicht gleich berechtigte Partner_innen gegenüberstehen, ist die durch Diskretion und Privat sphäre geschützte Freiheit oft nur die Freiheit mächtiger Männer; (selbst-)kritisch hinterfragt werden nun auch Komplizenschaft und Mitverantwortung der Medien (Hergenhan 2011; Rouyer 2013). Andererseits hat der Schutz der Privatsphäre als Schutz der persönlichen Frei heit und Selbstbestimmung auch aus feministischer Perspektive einen zu bewah renden Wert (Rössler 2001). Schließlich war die Freiheit der privaten, auch se xuellen Lebensführung z. B. gegen kirchliche Moralvorstellungen hart erkämpft worden, wurde als solche in der DSK-induzierten Debatte auch von französischen Feministinnen verteidigt (Hergenhan 2011) und ist nicht zuletzt für nicht-norma tive Sexualitäten und Beziehungen wichtig. Allerdings ist nicht nur der Zugang zur Öffentlichkeit, sondern auch der Schutz der Privat- und Intimsphäre ungleich verteilt, wie Nancy Fraser (1994) an dem oben erwähnten Fall sexueller Belästigung ausführte, so dass insbesondere Opfer sexueller Gewalt ein großes Risiko eingehen, wenn sie an die Öffentlich keit gehen.
6 Damals war ihr (auch von ihrer Mutter) von einer Anzeige abgeraten und bei der Schil derung der Ereignisse im Fernsehbericht der Name DSKs »weggepiepst« worden. Ihre im Sommer eingebrachte Klage wegen versuchter Vergewaltigung musste sie zurückzie hen, weil nach acht Jahren kaum mehr zu beweisen, die vom Staatsanwalt anerkannte »sexuelle Aggression« wiederum war mittlerweile verjährt (vgl. Interview mit Tristan Banon, dieStandard.at, 18.11.2011).
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Der IWF-Chef contra »das Zimmermädchen« Ungeachtet des einseitigen Fokus auf DSK betraf der Medienrummel ja nicht nur ihn, sondern auch das lange anonym bleibende Opfer, das zu ihrem Schutz für rund zwei Monate an einem geheimen Ort lebte. Die Wahrung der Anonymität und konsequenter Personenschutz gehören zu den Grundregeln eines verantwortungsvollen journalistischen Umgangs mit Be troffenen von (geschlechtsbasierter) Gewalt (AÖF 2014), sie können manchmal allerdings auch ein Machtgefälle verstärken: So standen sich, bis Nafissatou Diallo selbst an die Öffentlichkeit trat, für einige Wochen der bekannte IWF-Chef und Politiker Dominique Strauss-Kahn und ein namen- und gesichtsloses Opfer gegen über. Damit verstärkte sich das Dilemma, dass die Darstellung einer Täter-OpferKonstellation Gefahr läuft, die Macht-/Ohnmacht-Positionierungen in der Reprä sentation noch einmal zu reproduzieren, wie im feministischen (Gewalt-)Diskurs schon lange diskutiert. (Vgl. Moser 2007) Zudem blieb Diallo auch nach ihrem Gang an die Öffentlichkeit vielfach »das Zimmermädchen«.7 Relevant sind involvierte geschlechtliche und soziale Ungleichheiten insbe sondere bei der Beurteilung der Beteiligten in der Öffentlichkeit (und bei Polizei und Gericht), die gerade bei Fällen sexueller Gewalt eine große Rolle spielt, steht doch trotz möglicher Sachbeweise wie z. B. Spermaspuren oft Aussage gegen Aus sage. So war DSK vor allem anfangs durch seine Position und die unvorstellbare Tiefe des Falls quasi geschützt, es wurden die Ereignisse relativiert und über eine »Falle« spekuliert (vgl. Hergenhan 2011). Daran anknüpfend bemühten sich DSKs Verteidiger (letztlich erfolgreich), die Glaubwürdigkeit Diallos zu erschüttern.8 Victim blaming, eine bei Gewalt an Frauen weit verbreitete Strategie, erfolgte nicht nur über diverse Verschwörungstheorien, im lancierten Aids-Verdacht oder über Prostitutionsvorwürfe, sondern war auch implizit präsent in Charakterisie rungen Diallos durch Vertraute: »Sie ist eine ehrenwerte und anständige Frau, die hart arbeitet«, »eine praktizierende Muslimin [mit] Kopftuch« (z. B. auf stern.de, 18.05.2011b). Jedenfalls kam Diallo im Verfahrensverlauf zunehmend ins Hintertreffen. Während Schwindeleien im Einwanderungsverfahren und eine mögliche Verbin dung zu Kleinkriminellen sie letztlich als Zeugin diskreditierten, beeinträchtigten diverse Skandale, in die DSK im Laufe seiner Karriere verwickelt gewesen war, und selbst weitere Vorwürfe wegen sexueller Übergriffe seine Position im Verfah 7 Selbst die kritische und feministisch engagierte Fernseh-Doku »Staatsaffären über Sex und Macht« (3sat, 07.01.2013) verwendet durchgängig diese Diktion mit dem überdies verniedlichenden Begriff mit zweifelhaften sexuellen Konnotationen. 8 Auch in Rödls Sample österreichischer Tageszeitungen behandelt mehr als die Hälfte das Thema Glaubwürdigkeit bzw. Falschaussage (2013: 129 f.).
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ren kaum (Falquet 2013: 92 f.). Negativ für Diallo war zudem, so Koch (2011), dass in Bezug auf Widersprüchlichkeiten in ihren Aussagen bei Polizei und Gericht eine mögliche Traumatisierung oder ein herkunftsbedingtes Misstrauen gegenüber der Polizei nicht berücksichtigt wurde. In der Einstellungsbegründung der Staats anwaltschaft widmen sich dann 23 Seiten der Unglaubwürdigkeit Diallos, aber nur ein Absatz mit fünf Zeilen der Glaubwürdigkeit Strauss-Kahns (Koch 2011: 18). Damit bestätigt der Verfahrensverlauf einmal mehr die prekäre Position von Gewaltbetroffenen, müssen sie doch, um als Opfer anerkannt zu werden, möglichst herrschenden Erwartungen und Bildern vom unschuldigen Opfer entsprechen. War Diallos Klage (in Verbindung mit feministischer Unterstützung) durchaus Ansporn für Betroffene, sich zu wehren, befürchten viele durch die Verfahrenseinstellung eine neuerliche Entmutigung für andere Frauen (vgl. z. B. Emma 2011b: 123–129). In Frankreich und Deutschland, dort auch mit Bezug zum Fall Kachelmann, wird daher in einer rechtstheoretischen Diskussion angeregt, der Unschuldsvermutung für den Täter eine »Wahrhaftigkeits- bzw. Glaubwürdigkeitsvermutung« zur Seite zu stellen – zur Sicherung des Respekts für Opfer sexualisierter Gewalt. (Hergen han 2011: 10; Lenz 2011) Diallo wird so jedenfalls nicht nur als klassisches, hilfloses Opfer repräsentiert, sondern durchaus als Handelnde: zu ihrem Nachteil, wenn ihr unterstellt wird, sie wolle von dem Fall profitieren, und positiv, wenn sie als Kämpferin, als mutige Frau, die einem mächtigem Mann entgegentritt, und als Symbol eines allgemeinen Kampfes dargestellt wird. So inszeniert sie sich auch selbst bei ihrer ersten Presse konferenz im Juli: Sie sei »stark für alle Frauen der Welt«. Hedge (2012) führt Diallo bzw. die DSK-Affäre als Beispiel für eine neue Sichtbarkeit muslimischer Frauen in transnationalen Mediendiskursen an. Aller dings finden sich in den deutschsprachigen Medien kaum Hinweise auf ihre Reli gion, möglicherweise weil Diallo nicht in den dominanten Frame »kulturbeding ter« Gewalt durch »fremde, rückständige Andere« passt.
»Mann gegen Frau, Weiss gegen Schwarz, Reich gegen Arm«9 Gerade spektakuläre Kriminalfälle können – trotz genereller Tendenzen zu indi vidualisierender Darstellung – ausgehend vom konkreten Anlassfall zu Katalysa toren öffentlicher Debatten zu gesellschaftlichen Hintergründen und Kontexten werden. Wieweit war nun die »Affäre DSK« ein Anstoß, sexuelle Gewalt im Kon text struktureller Ungleichheiten (erneut) zu thematisieren, und welche der hier ja mindestens involvierten drei Dimensionen Geschlecht, Klasse und Rassialisierung 9 Baverez, diepresse.com, 28.05.2011.
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(weiters u. a. Alter, Religion, Nord-Süd, . . .) wurde dabei in welcher Weise be rücksichtigt? Die meiste Aufmerksamkeit erhielt die Geschlechterdimension, teils verknüpft mit Macht- und sozialer Ungleichheit; manchmal unter dem Schlagwort »Ge schlechterkampf«, oft reduziert auf »sex« im doppelten Sinn von biologischem Geschlecht und Sexualität. So wurde in Kommentaren und Titelgeschichten – auch mit Bezug auf andere zeitnahe Skandale rund um prominente Politiker – über die problematische Verbindung von Männlichkeit, Macht und Sexualität debat tiert. Gegenstand von Erörterungen waren die Psychologie mächtiger Männer, die auch sexuelle Attraktivität von (männlicher) Macht und Geld oder biologistisch die männliche Libido und Triebsteuerung (vgl. z. B. Der Spiegel, 23.05.2011 und profil 04.07.2011) – weniger prominent, aber immerhin vorhanden waren Verweise auf strukturelle Ungleichheiten, patriarchale Gendernormen, Sexismus und eine Kultur der Straflosigkeit.10 Dafür waren auch feministische Stimmen verantwortlich, insbesondere die französischen Feministinnen waren in den deutschen und österreichischen Medien präsent. Für Frankreich konstatiert Hergenhan (2011, 2012) denn auch positive Impulse für den Feminismus – praktisch und theoretisch: mit vermehrten Anfragen bei Beratungsstellen und Notrufen, stärkerer öffentlicher Präsenz und neuem Akti vismus und einer breiten Debatte französischer Geschlechterbeziehungen und po litischer Repräsentation. Dazu entspann sich eine transatlantische Theoriedebatte um einen spezifisch »französischen Feminismus« und monarchische Elemente der französischen Demokratie (vgl. Scott 2012; Picq 2012; Rouyer 2013). Weniger zentral, aber durchaus präsent war die Klassendimension: vordergrün dig in der Betonung des Luxus und Reichtums von DSK (und dem selten fehlenden Hinweis auf die 3000-Dollar-Hotel-Suite als Tatort); ernsthafter mit dem Verweis auf die auch sexuelle Ausbeutung in (vergangenen) Dienstboten-Gesellschaften oder die Diskrepanzen der französischen Gesellschaftsordnung, wo der »Glaube an die Gleichheit [. . .] eine Gesellschaft mit Klassen und Kasten kaschiert« (Bave rez, diepresse.com, 28.05.2011). Aufmerksam gemacht wurde (wieder einmal) auf das Thema sexuelle Beläs tigung am Arbeitsplatz als weit verbreitetes Problem.11 Konkret wurden zum ei nen Vorwürfe und Beschwerden zu den Arbeitsbedingungen, der »Machokultur 10 Geschlechterordnungen wurden auch verhandelt über die Rolle der Ehefrauen mächtiger Männer wie Anne Sinclar, der Ehefrau DSKs, die während des Verfahrens fest zu ihm hielt: Sind sie Komplizinnen, die ein gemeinsames Karriere-Projekt verteidigen, oder ein zweites Opfer? (Hergenhan 2011: 4 f.) 11 Lt. FRA-Studie (2014) berichtet mehr als die Hälfte der Europäerinnen von Erfahrungen mit sexueller Belästigung, davon ca. ein Drittel durch Vorgesetzte, Kolleg_innen oder Kund_innen.
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im System DSK«, (Focus online, 24.05.2011) in den exklusiven, immer noch sehr männlich dominierten internationalen Institutionen von IWF bis Weltbank publik, zum anderen rückte auch die Situation der Hotelbediensteten etwas in den Blick – mit zumindest ansatzweisen Konsequenzen: Sowohl der IWF als auch mehrere Luxushotels diskutierten Maßnahmen für einen besseren Schutz ihrer Angestellten (Hergenhan 2011: 10).12 Nur vereinzelt wurde in den deutschsprachigen Medien die rassialisierte, mit globalen Ungleichheiten verknüpfte Dimension des Falls explizit thematisiert, ob wohl selten ein Hinweis auf »das schwarze Zimmermädchen«, die afrikanische Herkunft, die Immigration fehlte. Mehr Raum dürfte »race« in US-amerikanischen Diskussionen bekommen haben, wo der rassistische Kontext von Vergewaltigung präsenter ist. Eine – hier wenig rezipierte – in den USA gestartete Petition interna tionaler Feministinnen zur Unterstützung Diallos nennt explizit auch die rassiali sierte Hierarchie und kritisiert koloniale und rassistische Stereotypen, die in einer Darstellung DSKs als zu »zivilisiert« für die ihm vorgeworfene Tat anklingen.13 Während in den Mainstream-Medien Strauss-Kahns Position im IWF vor allem unter dem Gesichtspunkt möglicher negativer Folgen für die südeuropäischen Kri senländer diskutiert wurde, fragen einige (feministische) Stimmen grundsätzlicher nach Zusammenhängen zwischen der vom IWF mitgestalteten globalen Ökonomie und dem Problem sexueller Gewalt.14 So verknüpft Jule Falquet (2013) die ›öffentli che› und ›private‹ Position DSKs exemplarisch mit globalen neoliberalen ökonomi schen und sexuellen Machtverhältnissen. Als IWF-Chef ist er nicht nur mitverant wortlich für eine Politik und Ökonomie, die ökonomische und sexuelle Ausbeutung junger Frauen mit sich bringt, sondern hat mit einer neoliberalen Fortsetzung kolo nialer Ausbeutung Afrikas auch die prekäre Situation seines Opfers in der Heimat mithergestellt, die beide dann in der New Yorker Hotelsuite zusammenführte. Sie kritisiert weiters den medialen Fokus auf die sexuelle Dimension, wohingegen die ökonomische Gewalt und Ausbeutung weitgehend ausgeblendet bleiben.
12 Die Demonstration von Kolleginnen und Gewerkschaft anlässlich der Klageverlesung am 6. Juni für Gerechtigkeit für Diallo und Respekt für sie alle – »das ist kein Einzel fall« – wurde allerdings in den deutschsprachigen Medien wenn überhaupt nur mit Bild und Slogan »Shame on you« erwähnt. 13 »Petition: Feminist demand let justice be done«, https://www.change.org/p/feministsdem and-let-just ice-be-done-les-f%C3%A9mini stes-exi g ent-que-just ice-soit-faite, 24.05.2011. Auch Diallos (Schwarzer) Anwalt Kenneth Thompson stellte seine Vertei digungsstrategie in den Kontext sozialer und rassialisierter Ungleichheit (Hergenhan 2011: 4). 14 So z. B. die Podiumsdiskussion »Der IWF – Globale Ökonomie und/oder Sex & Crime« im Juni 2011 in Wien. Auch Solnit (2013) inszeniert Diallo in ihrem Text als Symbol eines globalen (Klassen)kampfs.
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Fazit Die »Affäre DSK« bzw. genauer Nafissatou Diallos Klage und die Reaktionen der New Yorker Behörden, die sie öffentlich und zum Skandal machten, verweisen wie in einem Brennglas auf einige Muster und Ungleichzeitigkeiten gegenwär tiger Diskurse zu Geschlecht, Gewalt und Ungleichheit. Sichtbar wurde in den teils heftigen Debatten das Nebeneinander von Delegitimierung und Sichtbarma chung von geschlechtsbasierter (sexueller) Gewalt als Unrecht und überkommenen Vorstellungen und weiter bestehenden strukturellen Machtverhältnissen. Zudem gehen mit der postulierten Gleichheit und Geschlechterdemokratie in Verbindung mit neoliberalen Individualisierungsdiskursen auch Normalisierungen und DeThematisierung geschlechtlicher Ungleichheiten einher, die dann punktuell bei spektakulären Fällen oder medienwirksamen Aktionsformen (Slutwalk, Femen, #aufschrei . . .) Erstaunen und Empörung hervorrufen. Mit ihrer Dramatisierung und Skandalisierung erschwert die mediale Aufmerksamkeitsökonomie allerdings sachliche Erörterung und Respekt für den konkreten Fall, und das umso eher, wenn die Beteiligten quasi als Stellvertreter_innen geschlechtlicher, sozialer und rassia lisierter Positionierungen fungieren. Wie die Diskurse zur »DSK-Affäre« zeigen, werden strukturelle Kontexte und Hintergründe geschlechtsbasierter Gewalt zwar angesprochen, aber oft stark redu ziert und verzerrt. Insbesondere die komplexen intersektionalen Verknüpfungen von Klasse, Rassialisierung und Geschlecht lassen sich im personalisierten do minanten Mediendiskurs selten angemessen thematisieren. Tiefergehende Ausein andersetzungen und nachhaltigere Auswirkungen dürften solche emotionalisierten Medienevents in transnationalen Medienöffentlichkeiten am ehesten dann und dort haben, wo lokale und thematische Bezugspunkte bestehen – wie im konkreten Fall für den französischen Geschlechterdiskurs. Weiters deutet einiges darauf hin, dass Geschlecht und Sexualität leichter skandalisierbar sind als soziale oder rassialisier ter Ungleichheit, dass also sozusagen nicht mehr Sex das Tabu ist, sondern Öko nomie und Ausbeutung, insbesondere in der Dimension globaler ökonomischer Ungleichheit.
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Mediale Rezeptionsund Aneignungspraktiken
Media audiences and cultures of femininity
Media audiences and cultures of femininity Meanings and pleasures revisited Barbara O’Connor
From the romantic novel of the nineteenth century to the digital games of the twenty -first the issue of the media’s differential appeal to men and women has been a topic of debate both within popular culture and in acad emic media research. The female readership for the romantic novel was seen as vulnerable, inclined to fan tasy and affected in ways that were deemed to be neither socially improving nor morally sound. Furthermore the novels were regarded as being of little aesthetic or cultural value. The twentieth century saw similar criticism leveled at other genres with a predominantly female audience such as the television soap opera. If morally and aesthetically suspect, what was the appeal of these genres to women? As a reference point for the discussion that follows on the meanings and plea sures of media I use an article Elisabeth Klaus and I published in the International Journal of Cultural Studies in 2000 in which we addressed the issue with a par ticular focus on the appeal of soap opera.1 It is now twenty years since our first conversations leading to that publication and the intervening years have seen many changes in the media landscape including new media forms, genres and platforms. Even the concept of audience itself has shifted with the advent of digital media to users, produsers/prosumers. The question I pose here is whether these changes have affected the meanings and pleasures of media. While it is not feasible to pro vide an overview of the substantial body of research on that topic here it may be instructive to examine selective research on soap opera- the exemplar women’s genre – and compare it with the newer media genres of reality TV makeover shows and computer gaming to see if, and how »cultures of femininity« are offered to, and negotiated by, audiences in each case.
1 I first met Elisabeth Klaus in 1995 when she was a visiting scholar at the School of Communications, Dublin City University. From our discussions throughout the year we realized we had broadly similar feminist politics and mutual research interests which developed into collaborative work and, perhaps more importantly, a valued friendship.
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Feminine pleasures and personal The case of soap opera
life:
Much of the early research on the pleasures of particular genres for women was explained by reference to women’s position within the private sphere. From the nineteenth century on the »separation of spheres« ideology had gradually achieved domin ance. In essence this was the belief that there was a division between the »public« and »private« spheres of life, with men associated with the world of pro duction, paid work and politics while women were confined to the ›private‹ sphere as reproducers of the family within the home with responsibility for home manage ment and childcare.2 This ideology was reflected and reproduced in early broadcast institutions that imagined and constructed women as a domestic audience. That the home was a haven for men and built on women’s domestic labour was clearly in dicated in the opening lines of an advertisement for lampshades in the BBC hand book of 1928 and addressed »To the Women of Britain« as follows: »The radio has undoubtedly helped you to keep your husband and boys away from the club and kept them at home where they thus experience the benefits of your gentle charm and in fluence but you must now go one step further and make your home comfy and cheerful . . .« (Frith 1983: 111).
This was to be achieved by the purchase of the particular brand of lampshade. A similar targeting of women in the home is visible in specific media genres. The or igins of radio soap opera, starting life in the USA in the 1920s, can be traced to a brand war between two detergent companies one of which decided to underwrite a continuous fictional radio serial and in the process gained audiences and market share. Its success prompted the production of other serials and the form was trans ferred to television where it continued to appeal to women in the home. The pleasures of radio soap opera were first documented by Herta Herzog (1944) who listed three main gratifications: compensation through identification, vicarious wish fulfillment and, a source of advice for appropriate role-play. While Herzog’s study was valuable, it paid scant attention to the possible links between the gratifications of the genre and women’s position within the home. This context was to be addressed more fully in relation to television soaps in the 1980s when a renewed interest in empirical audience research converged with feminist interest in the appeal of the genre to women. Building on Herzog’s interest in the enjoy 2 Initially the »separation of spheres« was a middle-class ideology but gradually filtered to the working class. The idea of the family breadwinner as male persisted despite the fact that many working -class women worked outside the home in order to supplement family incomes.
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ment of soaps researchers used the interpretive qualitative approach of reception studies3 to understand the ways in which the genres meanings and pleasures were embedded in the everyday life situation of viewers. Focusing on the text-audience relationship they suggested that the formal properties of media texts address a fem inine subject/spectator that have a particular appeal to a female social audience. The characteristic narrative structures and textual operations of soaps address the viewer as »ideal mother« according to Modleski (1982). She contrasts the con tinuous form of the soap to the linear narrative structure of the classic realist text (e. g. Hollywood film) where there is a beginning, middle and end, and in which the viewer/spectator is invited to identify with the male hero. Since the plots and characters of soaps are rolled out over a continuous period of time, the viewer is invited to identify with the multiple soap characters that are constructed as a fam ily. The spectator is thus addressed as an »ideal mother« who understands and loves all her children (or soap- opera characters) equally and can forgive all their misdemeanors. Brunsdon’s (1981) study of the British naturalistic serial Crossroads also sees its pleasures as based on constructions of femininity. Addressing both a femin ine spectator and a social audience the narratives, she observes, revolve around per sonal life, relationships and romance, families and the rituals of birth, marriage, break-ups and death. Dialogue is more important than action and revolves around negotiating acceptable modes of behaviour within personal relationships.4 It is a means of establishing a moral frame of reference for the conduct of personal life. Effectively the soap opera dramatizes women’s knowledge and experience and it is the femin ine skills of, »sensitivity, perception, intuition and the necessary privileg ing of the concerns of personal life – which are both called on and practiced in the genre.« (Brunsdon 1981: 36) In contemporary society, Brunsdon claims, it is more likely that women will possess these competences. »Emotional realism« is the term used by Ang (1986) to characterize women’s response to the melodramatic serial Dallas whereby »what is recognized as real is not knowledge of the world, but a subjective experience of the world: a structure of feeling« (Ang 1986: 46).5 Her analysis reveals that women were more inter ested in the mutual relations and emotional turmoil within the Ewing family and 3 Reception studies investigated the ways in which audiences interpreted/constructed meaning around media messages using focus-group discussion, semi-structured inter views, sometimes with an observational element. 4 Brunsdon (1981), like Modleski (1982) contrasts the continuous form of the serial with the linear narrative structure of other fictional genres characterized by narrative excite ment, suspense and resolution 5 O’Connor (1990) also found that »emotional realism« was a major source of enjoyment for women’s enjoyment of Dallas while absent from men’s response to the serial.
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the romantic narrative elements, whereas men were more involved in the wealth and power represented. She makes a distinction between the »emotional realism« characteristic of women’s response and the »empirical realism« characteristic of men’s response. Other studies propose a spatial and temporal correspondence be tween the rhythms of women’s lives in the home and that of the serial form (e. g. Geraghty 1980; Mattelart 1982; Modleski 1982). Soap opera research at this time took place in the theoretical context of the »public knowledge« and »popular culture« distinction (that mirrored to some de gree the »separ ation of spheres« ideology). Women, because of their preference for television fiction, were seen as outside the public sphere and part of the »pop ular culture« project. This approach tended to emphasize the ways in which soaps functioned to maintain a traditional gender ideology (i. e. confined to the private sphere). Keen to contest soap opera’s low status, some researchers highlighted fe male viewers’ active resistance to domin ant gender messages or sought to celeb rate women’s pleasure in soaps without reference to their ideological function. Others acknowledged that meanings were negotiated in complex ways producing tensions and ambivalence.6 However, »[d]espite the large number of empirical audience studies devoted to women’s media pleasures, the issue of the relationship between the pleasure in women’s genres, and more generally between media pleasures and ideology remains unresolved.« (O’Connor/Klaus 2000).
Bodies beautiful: Power or participation in the makeo ver show? If television soap opera was a central plank of the audience research agenda of the 1980s, it was talk shows in the 1990s, and reality TV in the early 2000s. One of the distinctive features of the latter was that particip ants were for the most part ordinary people. In addition many shows included an interactive elem ent in which viewers could participate, most frequently in the form of public voting. These char acteristics prompted two contrary theoretical approaches to the analysis of reality shows. For some they signaled an expansion of »participatory democracy« (Ros coe 2001; Van Zoonen 2001; Hill 2005) while for others (Andrejevic 2004; Turner 2006; Oulette/Hay 2008) they represented a neo-liberal norm. At first glance reality TV might appear to be gender neutral insofar as its di verse formats might be assumed to attract a diverse audience. However, it is strik ing that many sub-genres revolve around stereotypical female roles such as the 6 Radway’s (1984) study of romance fiction is an example of the agency of female readers: the act of reading being perceived by the readers themselves as a form of resistance to the expectations of their domestic role.
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domestic (as in Wife Swap), childcare (Supernanny) appearance and fashion (Ger many’s next Top Model, What Not to Wear). It is only when we ask the question of why there isn’t a male equivalent of Wife Swap that we become aware that these roles have become so naturalized that they tend to pass unnoticed in media representations.7 Makeover shows engage predominantly with transformations of female bodies (though a minority represent idealized versions of masculinity) as the means to mental and emotional wellbeing and to creating a better and a happier self. The typical format consists of three stages in a ritual process – the »before« (old self), the »liminal« (removal from family and friends and stripping of the old self by experts – discarding of the old wardrobe and purchase of the new, or under going cosmetic surgery), and »after« (reveal of the new self to family, friends and viewing audience). For Banet-Weiser and Portwood-Stacer (2006) the disciplinary practices of femin inity represented in makeover shows are seen as exercising control over women’s bodies while masquerading as female agency and individual choice. Their comparative analysis of the televised Miss America contest and the reality makeover shows enabled them to explore the changing role of media in the normal ization of performances of femininity. Miss America, first televised in 1954, was a site where the femin ine body was articulated within the terms of liberal ideology – as an individual with choices and freedoms. Reality TV contributes to a neo-lib eral ideology through its focus on individual pleasure and choice, and, crucially, through the explicit suggestion that choices are enabled by consumerism (cosmetic surgery, new clothes, etc.). The authors claim that there is an increasing normaliz a tion of cosmetic surgery as an expression of post-feminism in shows such as The Swan and Extreme Makeover that legitimize a particular idealized femin ine beauty. Through the use of the rhetoric of individual choice, technologic al transformation, and celeb ration of the body, the individual female participants claim to be freeing themselves of their earlier lives. Responses to the shows are influenced by the post-feminist politics of many young American women. The disciplinary practices are legitimized by the ideology of »girl power« in which girls are perceived as strong and independent, and what one does with/to ones body is a matter of personal choice. These expressions of female agency elide the power relations involved in these contemporary performances of gender. The authors see the shows as merely a clever marketing strategy rather than marking changes within dominant gender relations, as merely as a celebration of the self within consumer culture or, in other words, a form of consumer citizenship. 7 Even in cases where there is no apparent formal gendering within the text of reality shows, gender identities are performed in responding to the texts. For further discussion see Klaus and O’Connor (2013) on teenage audience response to TV talent shows in Ire land and Austria.
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A more sanguine view is taken by Lunt and Lewis (2008) in their analysis of the British makeover show What Not to Wear. Indeed they claim it is the show’s counter-normative construction of femininity that guarantees its popular appeal to women. They see it as supporting a democratized ethic of personal transformation, by publicly acknowledging and sharing the concerns of the particip ants who are predominantly ordinary middle-aged women. According to the authors the show encourages them »to take centre stage in a media culture that has traditionally marginalized ageing feminine bodies and selves« (Lunt/Lewis 2008: 22).8 In the »before« section of the show the participants’ wardrobe renders them marginalized in terms of their bodies and in terms of current fashion. Their feelings of loss of control over their bodies and low self-esteem leads to a decline in motivation and social engagement which is the starting point for the show’s participants. The show’s presenters, Trinny and Susannah, by abstracting the individual from their everyday lives, by constructing a liminal space for them in which they intervene in an act of »tough love«, and by then reinserting them into their ev eryday lives ensure that the participants are acknowledged and given a voice (cp. Lunt/Lewis 2008: 21). Trinny and Susannah offer practical expertise that engages directly with participants (as opposed to the imparting of abstract knowledge) and represents a valuing of feminine knowledge as expertise. Lunt and Lewis assert that »the makeover can be seen as a means of connecting particip ants to a commu nity of practice that will meet their needs (helping them gain confidence) listen to their concerns (giving them a voice and therefore a moral presence) and value their roles as mothers, wives, friends and colleagues« (Lunt/Lewis 2008: 18). The two textual studies above offer normative and counter-normative analyses respectively of the meanings and pleasures of makeover shows. How do we ac count for the incommensurability of the findings? Do they relate to the cultural differences between women in the US and in Britain? Are they due to the fact that What Not to Wear revolves around clothes and make-up whereas shows such as The Swan involve invasive bodily procedures. Or is it due to their different theo retical approaches? Skeggs and Wood’s (2008; 2012) research on reality TV including makeover shows contest both of the textual analyses above.9 Many of the women in their 8 Lovell (1981) also claims that the sexualisation of middle-aged female characters in se rials like Coronation Street was a source of pleasure for female viewers. 9 Skeggs and Woods (2012) study combined a textual analysis with multi-method audi ence research. The empirical research included a number of techniques, individual in terviews, focus group discussions and »text-in-action« methods. The latter is a method where the researcher watches the show with the viewer and notes their response through out. They use the minute details of the textual analysis to see when and how viewers react at various points.
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study, rather than valuing the knowledge of experts like Trinny and Susannah as suggested by Lunt and Lewis, challenged it as unrealistic and impractical and took great pleasure in resisting it. Critic ism of the show’s presenters was accompanied by an affective connection to the show’s participants. For instance, they empa thized with one particular contestant, the mother of triplets, because they knew the large amount of mothering labour involved and simultaneously criticized Trinny and Susannah for their lack of understanding of the issue. The women went on to comment on the relatively privileged position of the presenters and to surmise that they had nannies to care for their children. This gave them a moral authority over Trinny and Susannah and they could dismiss them as »stuck up posh birds« (Skeggs/Wood 2008: 563). Here we see normativity being challenged by viewers whose responses to the transformation shows were determined by their own life narratives and value position.10 The concept of value is crucial to Skeggs and Wood’s analysis. But rather than focusing exclusively on extractive value through participant self-per formance (as critics of the governmental approach do), they include two other kinds of value based on »connecting to others not just, or even for social, moral or cultural capital, but for affective reasons, for connection beyond self- interest, for love, care and connection« (Skeggs/Wood 2012: 8). They see »the gendered fields of the family, femininity and motherhood« as important for the creation of value around reality TV because it makes public domains of life previously re garded as private. Because women have had a long history of emotional labour/ management in the »private« sphere, they are consequently »positioned more immanently to the immediate concerns of reality television and just like the tra ditional arguments about soap opera, women’s cultural competences are at the centre of the drama« (Skeggs/Wood 2012: 153). In the instance cited above they were defending their value as mothers and attempting to provide an alternative source of value to that promoted by the fashion experts. In reacting to the shows’ particip ants viewers are navigating circuits of value and in the process are nego tiating their own value. Normativity was also challenged in relation to class-based values. Workingclass groups showed empathy towards contestants who could cope or endure. In one epis ode of Supernanny, for example, they resisted the »professional« role of the expert while simultaneously identifying with the »coping« role of the moth er. In a similar vein, Jordan and Jade Goody, two of the female characters on Big Brother who had been vilified in the mainstream media were admired/given value 10 Klaus and O’Connor’s (2013) research on television talent shows also found that viewers’ responses are strongly influenced by their everyday life experiences and that the negotiation process results not only in the reproduction of neo-liberal values but in ten sions, contradictory positions, and challenges to the neo-liberal agenda.
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by the working-class groups because they were seen as unpretentious and because of their resistance to middle-class forms of transformation. While middle-class groups presented more abstract and critical readings of the shows (based on their cultural capital) it was not a simple class division between working-class groups displaying an immanent attachment and middle-class groups a critic al distance. The latter, though sometimes partially accepting the ideological coding (in many instances it is working-class characters who are negatively coded as in Wife Swap), often reached beyond it to find some point of positive connection between the shows’ characters/participants and their own lives and experience. In other words their affective reaction superseded the ideologic al/symbolic loading of the repre sentation. For all the groups the common connection to the shows particip ants was in terms of their position within relationships. By putting themselves in the place of participant’s they worked »to recognize the performances of domestic, material, feminine and relationship labour that are part of their own experience.« (Skeggs/ Wood 2008: 569)
Performing femininity in comp uter gaming
online:
Competition or caring
Moving away from television to newer media, I wondered if the greater emphasis on technology in the practice of computer gaming might have implications for the meanings and pleasures afforded to female game players. Would the findings of earlier media research (e. g. Gray 1992) relating to the gendered use and symbol ism of entertainment technology be replicated in a contemporary context? Would the relative absence of female role models/avatars militate against a culture of femininity being offered to female gamers? Or would gender be an issue at all with digital natives who might be expected to have equal levels of competence. Despite the substantial body of literature on gender and computer gaming (e. g. Cassell/Jenkins 2000; Taylor 2003; Walkerdine 2006; Carr 2007; Pelletier 2008) it remains a complex and contested terrain. Walkerdine (2006: 520) proposes that videogames are a site for the production of masculinity »because they both demand and appear to ensure performances such as heroism, killing, winning, competition, action combined with technical skill and rationality.« Based on the findings of her study of children between the ages of eight and eleven years playing video games (PlayStation and Nintendo 65 games) in an after-school club in Sydney, she claims that far from empowering young girls as frequently asserted, it forces them to en gage in the complex and difficult task of negotiating dual gender performances. This entails displaying the competitive spirit and the will to win traditionally ascribed to masculinity alongside the caring attitude, sensitivity, and co-operation traditionally ascribed to femininity.
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Researchers observed differences in how girls positioned themselves; in in terviews they reported not liking the fighting in games while observation of their play revealed the opposite. However, the pleasure in the power of mastery of the game had to be hidden or diverted and they sought to resolve the contradictions involved by various means. Their choice of cute and cuddly avatars was one way of performing femininity. To be perceived as a successful and competent player (not necessarily the one who won the most) some girls took up a visibly masculine position evidenced in their domination of the group and game-play space, and in loud, bossy and verbally aggressive behaviour. While some of the girls were keen to win they realized that to achieve high levels of competence would entail a lot of time and effort. They weren’t interested, according to Walkerdine, because the end point would be »action heroic masculinity« (2006: 522), whereas the work they felt obliged to do was to manage the competing positions of masculinity and femininity. Stereotypical binary concepts of gender including the axiom that boys like to compete and girls like to co-operate in game play is challenged by Jenson and de Castell (2008) in their study of video and computer game play among one hundred boys and girls between twelve and thirteen years of age. They observed that girls were as competitive as boys but also supported and encouraged playmates. This »benevolent competition« they contend, is a gender performance sanctioned for girls and they object to the fact that research frequently uses these »normatively constrained gender performances as ›data‹ from which we might literally ›read off‹ truths about what girls like, what they can do, what they are interested in and how they play« (Jenson/Castell 2008: 18). They also draw attention to the fact that the research situation is itself a gendered performance. Answers to questions depend on the context in which they are asked. »If a guy asks another guy, ›do you play video games?‹ he’ll pretty much always say yes, because guys know video games are about competing with other guys, and about winning. But if a girl asks a guy if he plays, he’ll say no, so she doesn’t think he’s a social misfit who only likes to stare at a computer screen« (Jenson/Castell 2008: 21). Their study, conducted over a three-year period, enabled them to see changes in game play over time and to provide alternative interpretations of gender dif ferences. They observed much more »helping« dialogue than direct competition among the girls in the early stages. However, this situation changed when they gained more experience and in moving from a novice to expert role the girls drop ped the more stereotypically feminine performances. Their findings and analysis point to the importance of context and knowledge in relation to the girls’ play performances. Boys came to the play situation with more experience and with a greater gender investment in performing gaming interest and ability. They concur with Carr’s (2007: 478) conclusion that »forms of competency underlie and inform our gaming preferences, whatever our gender«.
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Concluding comments This chapter set out to explore the extent to which the meanings and pleasures of media use/consumption are intertwined with cultures of femin inity through a review of selective studies of television soap opera, reality shows and computer gaming. There was considerable evidence that the appeal of both soap opera and reality TV was intertwined with the emotional labour traditionally associated with women in the private sphere. The picture is less clear for gaming. While the pleasures of both soap opera and gaming are dependent on competences gained through investment and experience, and while the performance of gaming involved cultures of femin in ity, the pleasures of the latter appeared to be more related to the acquisition of tech nical skills. If this is the case, and if we speculate that greater numbers of younger women are gamers, this raises questions about possible generational shifts in cul tures of femininity. This issue is open to empiric al investigation and in this regard a mother/daughter cross-media study of taste and practice might be enlightening. The legacy of 1980s feminist television studies has led to a disproportionate focus on the female audience for women’s genres with less attention paid to con structions of masculinity/the male audience with the notable exception of televi sion sports. Taking on board Jenson and de Castell’s (2008) assertion that it is only by being alert to similarities as well as differences between female and male media practices that research will avoid slippage into a reified gender analysis, audience studies would benefit from including male and female participants where appropri ate and feasible. As a case in point it would be interesting to compare Skeggs and Wood’s (2008; 2012) analysis with an equivalent study of men’s reaction to reality TV including the appeal of specific sub-genres, the process of value negotiation and constructions of masculinity. Furthermore, since research situations are them selves gender performances researchers need to be mindful of gender as being in process as opposed to being fixed and immutable while simultaneously bearing in mind that performativity itself is influenced by social positioning. Observations on the makeover shows confirm the continuing importance of empirical audience research for understanding how audiences in specific interpre tive communities engage with media. Textual analysis is valuable as a »sensitizing concept« but as an exclusive method it cannot explain the interplay between mean ings and pleasures. As confirmed by Skeggs and Wood the process of negotiating identity through assessment of value is contingent and the precise relationship be tween meanings and pleasures (affect and cognition) is negotiated in complex and contradictory ways.11 Their development of a »text-in–action« approach is useful 11 The concepts of »meanings« and »pleasures« seem to be broadly similar to »cognition« and »affect« as used by Skeggs and Wood (2008; 2012) though not identical as displea sures (feelings of shame, irritation, anger etc.) are included in their »affect« category.
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for addressing the problem identified earlier by O’Connor and Klaus with regard to our understanding of a precise relationship between media pleasures and ideology. Skeggs and Wood see the method as particularly suitable to reality TV because they claim that it generates a new form of text-audience interaction since show participants are now closer to the world of viewers as potential performers than ever before. However it may well have valuable analytic potential beyond reality TV and, this too, remains a matter of empiric al investigation. The approach to audiences advocated by Skeggs and Wood would entail knowledge of the cultural context in which they engage with media. While much has been made of the term »media ethnography« in practice it has invariably fallen short of classic ethnography. A move towards a more robust and extended ethno graphic method would achieve a greater integration between media/communica tion and social theory. It would be in keeping with Couldry’s (2011) call for a less media-centric approach to audience research while simultaneously acknowledging that the media landscape continues to be a primary site for offering audiences con structions of femin inity or masculinity. The original use of the concept »culture of femininity« by McRobbie (1978) was with reference to the popular cultural practices of working-class girls within a patriarchal culture. Perhaps the task for feminist audience research in a contemporary context is to continue to map the shifts in patriarchy that affect the ways in which audiences, female and male, make meaning from, and find pleasure in, the ever-increasing range of media genres and practices.
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Häusliche Aneignungsweisen des Internets
Häusliche Aneignungsweisen des Internets »Revolutioniert Multimedia die Geschlechterbeziehungen?« revisited Jutta Röser und Ulrike Roth
Einleitung Die Zeitschrift Feminstische Studien publizierte 1997 ein Schwerpunktheft zum Thema »Multimedia«, herausgegeben von Ulla Wischermann und Mechthild Veil, und ein Beitrag von Elisabeth Klaus (1997) leitete das Heft ein. Es ging um das Internet, aber dieser Begriff hatte sich noch nicht als federführend durchgesetzt – neben Multimedia war auch von Computervermittelter Kommunikation und Computernetzen, vom Cyberspace und dem Netzmedium die Rede (vgl. Prommer/ Vowe 1998; Neverla 1998). Das Internet stand 1997 noch am Anfang seiner mas senhaften Verbreitung. Erst kurz nach Erscheinen des Heftes wurde erstmals die ARD/ZDF-Onlinestudie veröffentlicht (vgl. van Eimeren et al. 1997). Diese zeig te, dass 1997 erst knapp sieben Prozent der Bevölkerung (zumindest gelegentlich) online waren, darunter zehn Prozent der Männer und nur drei Prozent der Frauen (vgl. van Eimeren/Frees 2009: 336). Betrachtet man die soziodemografische Zu sammensetzung dieser Minderheit, wird deutlich: Das neue Medium Internet war zu dieser Zeit noch ein Elitemedium. 41 Prozent der Onliner hatten ein Studium abgeschlossen und insgesamt 62 Prozent hatten Abitur, es dominierten Männer (73%) sowie die Altersgruppe der 20- bis 39-Jährigen. Zugespitzt formuliert: Der typische User war ein 34-jähriger, berufstätiger Mann, der als Akademiker, oder auch in einem gehobenen Ausbildungsberuf vermutlich mit EDV-Bezug, tätig war (vgl. Röser/Peil 2010). Vor diesem Hintergrund ist zunächst einmal bemerkenswert, welche Frage Klaus in ihrem Beitrag nicht aufwarf, nämlich die, ob Frauen überhaupt zu Nutze rinnen des Internets werden würden. Entgegen solcher Debatten, die im Kontext einer möglichen »Digitalen Spaltung« ab 2000 in Deutschland richtig Fahrt auf nahmen (vgl. Kubicek/Welling 2000), setzte Klaus die – wie auch immer geartete – Partizipation von Frauen bereits voraus. Dass sie dies vermutete und damit ganz
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richtig lag, dürfte wesentlich an der historischen Rückbindung liegen, mit der sie (nicht nur) dieses Thema anging.1 Sie entfaltete in ihrem Aufsatz diverse Befunde zur Durchsetzung von Radio, Fernsehen, Telefon sowie weiteren Technologien und leitete daraus ihre Überlegungen zum Internet ab: »Der Blick in den Rück spiegel bewahrt vor mancher Fehleinschätzung.« (Klaus 1997: 8; vgl. auch Klaus et al. 1997). Entsprechend interpretierte Klaus »die Multimedia-Zukunft nicht als ›Revolution‹, sondern verortet sie als eine neue Stufe innerhalb eines Entwick lungsprozesses«, wie die Herausgeberinnen in ihrer Einleitung bilanzierten (Wi schermann/Veil 1997: 4). Es war also nicht das »Ob«, sondern das »Wie« der Teilhabe von Frauen und Männern am Internet, das Klaus 1997 weitsichtig ins Blickfeld rückte. Dazu for mulierte sie als Überschrift eine provokante Frage: »Revolutioniert Multimedia die Geschlechterbeziehungen?« Entgegen der damals häufig zwischen Optimismus und Pessimismus polarisierten Debatten forderte sie dabei einen differenzierten Blick: »Informations- und Kommunikationstechnologien entfalten ihre Wirkungen und erhalten ihre Bedeutung in der Art und Weise, wie Menschen diese in ihren immer sozial gelebten Alltag einbinden. In diesem Prozess werden bestehende Machtungleichgewichte verfestigt, aber auch partiell hinterfragt und verändert. Die gesellschaftliche Auseinandersetzung mit der Technik ist ein vieldeutiger Prozess und bleibt in bezug auf Geschlechterdefinitionen immer ambivalent.« (Klaus 1997: 18)
Klaus verdeutlichte in ihrer Argumentation: Der Zusammenhang von Medientech nologieentwicklung und Geschlecht bewegt sich stets im Spannungsfeld zwischen (eigensinnigen) Aneignungsweisen und machtgeprägten gesellschaftlichen Struk turen. So hänge die Männern und Frauen zugeschriebene »Fähigkeit oder Unfähig keit, technische Geräte zu bedienen, [. . .] vorrangig von deren instrumenteller und sozialer Funktion ab, nicht von ihren technischen Eigenschaften« (ebd.: 17), was Klaus im historischen Rückblick veranschaulichte: »Frauen bedienen vor allem solche technischen Geräte und eignen sie sich an, die wie der Herd und die Waschmaschine zur Erfüllung und Erleichterung ihrer häuslichen Aufgaben dienen oder wie Fernsehen und Telefon zur familiären Freizeitgestaltung, zur Pflege sozialer Kontakte und zur Überwindung sozialer Isolierung genutzt werden.« (Ebd.: 16) 1 Ein weiterer Hintergrund dieser Weitsicht lag sicher auch in den guten Kenntnissen internationaler Entwicklungen, die Elisabeth Klaus im Rahmen ihrer Auslandsaufent halte gesammelt hatte. Sie selbst war in Deutschland eine Frühnutzerin der Onlinekom munikation – so veranlasste sie eine der Autorinnen dazu, Mitte der 1990er Jahre, als beide zusammen einen Aufsatz schrieben und Elisabeth Klaus sich an einer Universität in Dublin aufhielt, erstmals E-Mails zum Austausch der Texte zu nutzen.
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Die Hoheit über Geräte wie die Waschmaschine, die für den haushälterischen Ge brauch bestimmt sind, lag und liegt ›selbstverständlich‹ in weiblicher Hand, auch wenn dies nicht mit der (Selbst-)Zuschreibung von Technikkompetenz einhergeht; und vielen Männern bleibt die Funktionsweise dieser Geräte verschlossen, was wiederum nicht als Technikinkompetenz rekonstruiert wird. Im Rahmen solcher vergeschlechtlichten Diskurse werden Technikzugänge und -kompetenzen von Frauen damit unsichtbar gemacht. Klaus rückte sie ins Licht und hob eine wichtige Einsicht hervor: »Historisch ist der Zugang von Frauen zu Technologieentwick lungen durch ihre familiäre Rolle bestimmt« (Klaus 1997: 16) und folglich mit der häuslichen Sphäre verknüpft. An diesen Zusammenhang möchten wir im Folgenden anknüpfen und unsere Befunde zur weiteren Entwicklung des Internets beisteuern. Klaus wies ihre Aus sage zwar ausdrücklich als »historisch« aus und darin ist ihr zweifellos zuzustim men, denn im Zeitverlauf haben für Frauen weitere Zugänge zu (digitalen) Tech nologien immer größere Relevanz bekommen, insbesondere Ausbildung, Studium und Beruf. Gleichwohl belegen unsere Befunde die besondere Relevanz des häus lichen Kontextes für die Aushandlung der Geschlechterverhältnisse rund um die Aneignung des Internets. Dabei erweist sich der häusliche Kontext als ambivalent, weil hier einerseits Zugänge für internetfernere Frauen und andere Gruppen ent stehen können und andererseits gesellschaftliche (Geschlechter-)Hierarchien und Diskurse reproduziert und mit Leben gefüllt werden. Wohl kaum jemand hat 1997 bei Erscheinen des Aufsatzes von Klaus vorausgesehen, wie sehr die häusliche Sphäre der zentrale Aneignungskontext sein würde, in dem das Internet zum Mas senmedium wurde. Und weil das Zuhause zugleich ein zentraler Ort geblieben ist, an dem Männer und Frauen im Zusammenleben als Paar Geschlechterverhältnisse verhandeln und praktizieren, betrifft dies auch den Umgang mit dem Internet. Wir werden im Weiteren unser Projekt und seine Methoden kurz vorstellen (Abs. 2), um sodann unsere Befunde zu zwei ausgewählten Themenbereichen zu skizzieren: In Abschnitt 3 werden wir die sich wandelnden Geschlechterkonstel lationen bei den Zugängen zum Internet zwischen 1997 und 2007 aufzeigen, also im Jahrzehnt nach Erscheinen des Beitrags von Elisabeth Klaus. In Abschnitt 4 ge hen wir dann anhand von zwei Fallstudien der von Klaus ebenfalls aufgeworfenen Frage nach, in welchen Geschlechterarrangements Reproduktionsaufgaben mit Hilfe des Internets erledigt werden, und resümieren unsere Befunde abschließend (Abs. 5). Eine Revolution – soviel sei vorweg verraten – hat nicht stattgefunden.
Vorstellung des Projekts und seiner Methoden Die ethnografisch orientierten Haushaltsstudien, auf die sich unsere Befunde stüt zen, stammen aus drei zusammenhängenden DFG-geförderten Forschungsprojek
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ten über »Das mediatisierte Zuhause«. Im Rahmen einer qualitativen Panelstudie wurde der Zusammenhang zwischen der Mediatisierung des Zuhauses2 und dem Wandel häuslicher Kommunikationskulturen untersucht. Erkenntnisleitend sind dabei Fragen nach der Integration des Internets in den Alltag, nach dessen Ein bindung in das häusliche Medienrepertoire sowie nach Geschlechterpraktiken mit dem Internet und der Entstehung von Teilhabe. Mit Bezug auf den im Umfeld der Cultural Studies entstandenen Domesti zierungsansatz (vgl. Berker et al. 2006; Röser 2007; Silverstone 2006) und im Einklang mit Klaus (1997) fokussieren wir das Zuhause als bedeutungsstiftenden Kontext medialer Aneignungsprozesse. Die konkreten zeitlichen und räumlichen Strukturen sowie sozialen Interaktionen im Zuhause prägen dabei das Medienhan deln ebenso wie übergreifende gesellschaftliche Diskurse (wie etwa bezüglich Ge schlecht), die im Häuslichen Relevanz entfalten. Im Rahmen unserer Studie haben wir 25 zusammenlebende heterosexuelle Paare zu drei Zeitpunkten – in den Jahren 2008, 2011, 2013 – in ihrem Haushalt besucht und gemeinsam interviewt. Im Mittelpunkt der Untersuchung stand nicht das Indivi duum, sondern die mit dem Internet verbundenen sozialen Situationen, kommunika tiven Praktiken und (geschlechtsgebundenen) Aushandlungsprozesse innerhalb der Paarbeziehung. Die Paare wurden aus einer vorgeschalteten schriftlichen Befragung von 135 Haushalten ausgewählt. Das Sample wurde systematisch nach Alter und Schulbildung quotiert, und es wurde eine Streuung weiterer Merkmale sichergestellt. Neben den leitfadengestützen Paarinterviews kamen weitere Erhebungsinstrumente zum Einsatz (vgl. ausführlich: Röser/Peil 2010; Peil/Röser 2014).
Geschlechterkonstellationen bei Zugängen zum Intern et (1997–2007) Interpretiert man die Daten zur Internetnutzung seit 1997 aus der Perspektive des Domestizierungsansatzes, ergeben sich – neben der Tatsache, dass die Nutzerzah len sich rasant vervielfachten – zwei wesentliche Einsichten. Erstens lässt sich eine soziale Öffnung des Internets nachzeichnen, welches im Verlauf eines Jahrzehnts von einem Elitemedium zu einem Medium für alle sozialen Gruppen wurde. Zwei tens wird deutlich, dass dieser Prozess der Öffnung eng mit der Verhäuslichung des Internets und der Verminderung seiner technischen Rahmung verbunden war. Wir wollen auf entsprechende Daten hier nicht im Einzelnen eingehen (vgl. dazu Rö ser/Peil 2010), sondern vielmehr die Geschlechterkonstellationen genauer betrach 2 Unter der Mediatisierung (vgl. Krotz 2007) des Zuhauses verstehen wir die wachsende Durchdringung der häuslichen Sphäre mit Medien, die durch die Verbreitung des Inter nets an Dynamik gewonnen hat (vgl. Peil/Röser 2014).
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ten, die in Paarhaushalten dabei relevant waren. Von Interesse ist insbesondere, wie diese sich im Zeitverlauf verändert haben. Wir haben im ersten Interview 2008 ausführlich auf das vergangene Jahrzehnt zurückgeblickt und den ersten Kontakt zum Internet, den weiteren Verlauf der be ruflichen wie privaten Internetnutzung sowie die Kontexte und Gründe, das Me dium zuhause zu installieren, mit den Paaren rekonstruiert. Zunächst können in unserem Sample zwei Phasen der häuslichen Internetverbreitung bzw. -aneignung unterschieden werden: die Frühphase und die Öffnungsphase. Die Frühphase reichte von 1995/1996 bis 1999; in dieser Phase schafften sich elf unserer 25 Haushalte einen häuslichen Internetzugang an. Die Öffnungsphase begann mit den 2000er Jahren, hier konnten 14 der Haushalte verortet werden. In der Frühphase der Internetdomestizierung bildeten Studium und Beruf den dominanten Hintergrund für die Anschaffung des Internets. Die meisten der Paare hatten das Onlinemedium zuerst am Arbeitsplatz oder im Studium kennengelernt. In der Regel gab diese Erfahrung entscheidende Anstöße für die Einführung im Privaten. Ein teils prägender, teils begleitender zweiter Hintergrund für die häusli che Internetanschaffung war in ebenfalls der großen Mehrheit dieser Haushalte ein besonderes technisches Interesse, insbesondere unter Männern. In diesem Rahmen ließen sich für die Frühphase zwei Geschlechterkonstel lationen bei der Internetanschaffung und seiner häuslichen Aneignung auffinden. Die traditionell-hierarchische Konstellation war davon geprägt, dass der Mann als Erster den Zugang zum Internet fand und die häusliche Anschaffung initiier te. Die Frau nutzte das Internet zu Beginn der häuslichen Implementierung gar nicht und hatte auch kein Interesse daran; vielfach dauerte es noch Jahre, bis diese Frauen mit der eigenen Nutzung begannen. Der Einstieg und die ersten Jahre der Nutzung gestalteten sich somit asynchron. Diese Paare lebten allgemein ein eher traditionell-arbeitsteiliges Geschlechterverhältnis. Die Kodierung des Internets interagierte mit den allgemeinen Rollenauffassungen des Paares und seinen (ein vernehmlichen) Arrangements geschlechtsspezifisch verteilter Aufgabenbereiche: Demnach unterlagen PC und Internet dem Verantwortungsbereich des Mannes und galten zuhause als männliche Domäne. Als zweites fanden wir eine egalitäre Kon stellation, in der der Einstieg in die häusliche Internetnutzung synchron erfolgte, Partner und Partnerin also zeitgleich mit dem neuen Medium in Kontakt kamen und sich gemeinsam für eine häusliche Anschaffung entschieden (oder, soweit sie zu dieser Zeit noch kein Paar waren, sich jeweils schon vor dem Zusammenziehen dafür entschieden hatten). Bei diesen Paaren handelte es sich insbesondere um Stu dierende, die sich mit ähnlich gelagerten, ausbildungsbezogenen Interessen dem Internet zuwandten. Beide nutzten das Internet von Beginn an (mehr oder weni ger) gleichermaßen kompetent. Auch die allgemeine Paarbeziehung gestaltete sich eher partnerschaftlich und nicht traditionell-arbeitsteilig. Neben dieser egalitären Konstellation speziell im Studierendenmilieu war die Frühphase der Internetdo
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mestizierung aber ein wesentlich von Männern dominierter Prozess. Viele Frauen waren nach Einzug des Internets in ihr Zuhause noch jahrelang von der Nutzung ausgeschlossen, da sich anfangs im Häuslichen keine besondere Dynamik entwi ckelte, die die Teilhabe der Nichtnutzerinnen gefördert hätte. In der Öffnungsphase ab dem Jahr 2000 rückten andere Zugänge zum Internet in den Vordergrund. In den Haushalten unseres Samples, die zwischen 2000 und 2007 erstmals zuhause online gingen, waren private Interessen (z. B. Hobby, Ver einskommunikation, Ebay), Impulse aus dem sozialen Nahbereich (z. B. E-Mailen mit Familie und Freunden) und weitere Kontextbedingungen (z. B. ein technischer Helfer im sozialen Umfeld) entscheidend (vgl. Röser/Peil 2010). Insgesamt stellten sich die Zugänge zum Internet in dieser Öffnungsphase deutlich vielfältiger und heterogener dar als noch in den 1990er Jahren; dies gilt auch in Bezug auf die Geschlechterkonstellationen. Die treibende Kraft bei der Anschaffung des Internets waren sowohl die männlichen Partner (sieben Haus halte) als auch die Frauen (drei Haushalte) als auch beide Partner gleichermaßen (vier Haushalte). Während sechs der 14 Paare synchron, also zeitgleich begannen, zuhause online zu gehen, fand in acht Haushalten der Interneteinstieg asynchron statt. Bemerkenswert ist jedoch, dass insgesamt schneller ›mit- und nachgezogen‹ wurde, dass der Einstieg in die Internetnutzung bei den ›Nachzüglern‹ also im mer nur leicht verzögert stattfand. Fast alle der am Anschaffungsprozess weniger oder gar nicht beteiligten Partnerinnen und Partner bekamen innerhalb kurzer Zeit Impulse für die eigene Beschäftigung mit dem neuen Medium. Nachdem das Internet zuhause verfügbar war, begannen sie von dem neuen Medium Gebrauch zu machen – teils aktiv und selbständig, teils mit Hilfestellung ihres Partners bzw. ihrer Partnerin. Anders als in den 1990er Jahren blieben PC und Internet somit nicht langfristig und aus einem arbeitsteiligen Geschlechterrollenverständ nis heraus die alleinige Domäne nur einer Person. Im Gegensatz zur Frühphase ist die Öffnungsphase des Internets von einer hohen Partizipationsdynamik ge kennzeichnet. Zur dominanten Geschlechterkonstellation wurde in den 2000er Jahren so die beidseitige regelmäßige Nutzung des Internets. Bipolare Konstellationen verloren an Relevanz, eine männliche Federführung blieb aber größtenteils bestehen, da in den meisten Haushalten die technische Seite von PC und Internet weiterhin im Zu ständigkeitsbereich der männlichen Partner (oder aber externer männlicher Helfer) lag. Unabhängig von ihren faktischen, teils nur begrenzten Kenntnissen wurden sie innerhalb der Paarbeziehung in aktiven Zuschreibungsprozessen beider Partner als Experte konstituiert (vgl. auch Ahrens 2009). In den Haushalten mit weiblichen Initiatorinnen blieben jedoch die Frauen federführende Anwenderinnen zuhause. Die Ausdifferenzierung der Geschlechterkonstellationen mit einem höheren Engagement von Frauen, aber auch von internetdistanzierten Männern, war das Ergebnis einer stärkeren alltagskulturellen Rahmung und Nutzung des Internets.
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Die Online-Nutzung in Bezug auf Alltagsorganisation, Service und Konsum so wie die Einfügung des Mediums in häusliche Alltagsroutinen stellten in der Breite betrachtet den zentralen Treiber dar, durch den das Internet zum Massenmedium wurde. Das Internet wurde in der Öffnungsphase immer weniger nur als Arbeitsin strument oder technische Innovation, sondern zunehmend als Alltags-, Kommuni kations- und Unterhaltungsmedium wahrgenommen und seine geschlechtsgebun dene Kodierung verlor an Relevanz. Vergleichbares war auch schon bei Telefon und Radio zu beobachten, wie Klaus in ihrem Beitrag aufzeigte (vgl. Klaus 1997; auch Klaus et al. 1997; Klaus 2007). Die Verhäuslichung eines Mediums kann den Wechsel von einer Rahmung als Technologie hin zu einer Rahmung als Alltags gegenstand und damit ein ›De-Gendering‹ des Gerätes, d. h. einen Relevanzverlust geschlechtsgebundener Kodierungen, einleiten (vgl. Röser 2007). Eben dies ge schah in Bezug auf das Internet insbesondere ab den 2000er Jahren.
Reproduktionsaufgaben mit dem Internet: Zwei Fallstudien Zu der Frage, ob Mulitmedia die Geschlechterverhältnisse revolutioniert, gehörte für Klaus auch die Frage nach der Verteilung der reproduktiven Aufgaben. So fragt sie, ob sich Männer künftig »aufgrund ihrer Kompetenz am Computer [. . .] an den Reproduktionsaufgaben beteiligen« (Klaus 1997: 10) werden. Im Folgenden wol len wir dieser Frage anhand von Befunden aus unserem Forschungsprojekt nach gehen. Hierzu stellen wir zwei Paare vor, die in unserem Sample konstrastierende Fälle darstellen und die sich in Bezug auf ihren ersten Zugang zum Internet, den Verlauf ihrer Internetaneignung sowie der Verteilung der reproduktiven Tätigkei ten mit dem Internet innerhalb der Paarbeziehung stark unterscheiden. Das Paar Ziegler: Nutzungsgefälle und häusliche Arbeitsteilung mit dem Internet im Wandel Herr Ziegler (59) und Frau Ziegler (58) leben in einem 100 m2 großen Reiheneck haus in einer Kleinstadt. Das Paar ist verheiratet und hat zwei erwachsene Töchter, die beide nicht mehr im Elternhaus wohnen. Herr Ziegler ist bei der Stadt in der EDV-Abteilung der örtlichen Verwaltung angestellt. Frau Ziegler hat bis zu ihrem frühzeitigen Renteneintritt 2007 in Teilzeit als Sekretärin in einer Arztpraxis ge arbeitet und war (und ist es noch) zusätzlich für den Haushalt zuständig. Das Paar Ziegler zeichnet sich 2008 durch ein besonders großes Gefälle hinsichtlich der Internetnutzung und -kompetenzen aus. Während er über seinen Beruf den Zugang zum Computer und deutlich später auch zum Internet erlangt hat und 2008 das Internet zuhause recht regelmäßig nutzt (E-Mails, Onlinebanking, Ebay, Nachrich
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ten lesen), war Frau Ziegler gegenüber Computer und Internet von Beginn an sehr skeptisch und ängstlich. Zwar hat sie in ihrem Beruf als Sekretärin widerwillig den Umgang mit dem Computer erlernt, sich später aber geweigert den Umgang mit dem Internet »auch noch [. . .] zu lernen«. Sie schied dann vorzeitig aus dem Arbeitsleben aus. 2008 nutzt sie das Internet zuhause selten und ungern. »[In 25 Jahren] als Sekretärin, habe [ich] mich eigentlich immer gegen Computerarbeit ge sträubt, weil ich immer Angst davor hatte. Aber ich bin dann doch froh gewesen, im Nach hinein, nachdem mein Mann mir denn dabei sehr geholfen hat und ich Kurse besucht habe, dass ich das konnte. [. . .] Aber ins Internet gehe ich nicht so gerne. Alleine. Weil [. . .] ich Angst habe, dass ich irgendwas Falsches anklicke und nachher mein Mann sagt ›Mensch, wie konntest du doch nur!‹ (lacht).« (Frau Ziegler, 2008)
Es zeigt sich hierbei die ambivalente Rolle der Paarbeziehung für Prozesse der Internetaneignung. Einerseits ermutigt und unterstützt Herr Ziegler seine Frau bei der Nutzung des Internets. Andererseits fürchtet Frau Ziegler die Reaktionen ihres Partners bei etwaigen Fehlern. Darüber hinaus ist Frau Ziegler der Meinung, ihr Mann würde zu viel Zeit im Internet verbringen. Dieser Konflikt rahmt zusätzlich die Internetnutzung innerhalb der Paarbeziehung und erklärt Frau Zieglers Ab wehrhaltung gegenüber dem Internet, das von ihr als Gefahr für gemeinsame Zeit als Paar wahrgenommen wird. Bezüglich der Reproduktionsaufgaben zeigt sich in dieser Konstellation, dass Herr Ziegler durch das beschriebene Nutzungsgefälle beginnt, im Auftrag seiner Frau einige Reproduktionsaufgaben wie etwa das Erwerben von Haushaltsgegen ständen im Internet zu übernehmen. Herr Ziegler beschreibt diese Konstellation wie folgt: »Sie nutzt schon das Internet. Aber in der Form, dass sie sagt ›Mach mal!‹« (Herr Ziegler, 2008). Tätigkeiten wie die Recherche für Urlaube erledigt das Paar meist gemeinsam, indem Frau Ziegler ihrem Mann »über die Schulter guckt« (Herr Ziegler, 2008). 2011 und dann erst recht 2013 hat sich die Situation innerhalb der Paarbezie hung geändert. Frau Ziegler hat sich dem Internet schrittweise angenähert, nutzt es regelmäßig und ist von den Möglichkeiten begeistert. Als Gründe für diese Ent wicklung nennt sie ihr Interesse an Recherchen für gemeinsame Urlaube des Paa res, an der E-Mail-Kommunikation mit Freundinnen und am Erwerb von Meißner Geschirr über Ebay. Während sie diese Tätigkeiten 2011 noch mehrheitlich zusam men mit ihrem Mann erledigte oder sich zumindest von diesem helfen ließ, bewäl tigt sie dies 2013 dann selbstständig: »Ich bekam von meiner Freundin E-Mails. Und dann habe ich zu meinem Mann gesagt, ›zeig mir doch mal, wie das geht‹. Ich musste das damals im Büro auch machen, aber da habe ich mich immer geweigert, weil ich das ziemlich schwierig fand. Ja, und jetzt, [. . .] Ich weiß
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jetzt auch noch nicht so alles, aber ich traue mich da jetzt schon alleine dran, wenn mein Mann zur Arbeit ist und dann gucke ich auch alleine nach.« (Frau Ziegler, 2013)
2013 schreibt sie eigenständig E-Mails mit Freundinnen und ihren Töchtern, macht Onlineshopping, recherchiert online verschiedenste Fragen und Urlaubsinforma tionen, bestellt Blumen für Ihren Mann und schreibt selbst Hotelbewertungen. Al lerdings übernimmt sie auch die meisten Reproduktionsaufgaben, die Herr Ziegler vorher in ihrem Auftrag erledigt hat, nun wieder selbst. Das Paar Sarholz: Internetnutzung auf Augenhöhe Das Paar Sarholz stellt in mehreren Punkten einen Kontrastfall zum Paar Ziegler dar. 2008 wohnen Herr und Frau Sarholz (41 und 32 Jahre) in einer gemeinsamen Wohnung in einer Großstadt. Beide haben studiert und arbeiten Vollzeit. Während er als Sporttherapeut tätig ist, hat sie eine Führungsposition als Leiterin der Marke ting- und PR-Abteilung eines mittelständischen Unternehmens. Das Paar repräsentiert die oben beschriebene egalitäre Konstellation der Früh phase: Beide haben über ihr Studium schon 1995 den ersten Kontakt zum Internet gefunden und hatten bereits früh einen eigenen Internetanschluss in ihren damali gen Wohngemeinschaften (Herr Sarholz 1996, Frau Sarholz ca. 1998). Frau Sar holz erklärt hierzu, sie sei damals als Frau ein »Aushängeschild« gewesen und »eine der wenigen jungen Frauen [. . .], die schon einen eigenen Computer und Laptop und Internetanschluss zu Hause« hatten (Frau Sarholz, 2008). Dies beein druckte auch ihren Partner beim Kennenlernen 2000. Das Paar lebt insgesamt eine egalitäre Beziehung und kann in Bezug auf seine intensive Internetnutzung als ein Paar auf Augenhöhe beschrieben werden. Dabei kümmert sich Herr Sarholz stärker um technische und Software-Fragen, die er als Hobby betrachtet. Beruflich zeigt sich wiederum, dass Frau Sarholz stärker eingebunden ist als ihr Partner und das Internet »12 Stunden am Tag« (Frau Sarholz, 2008) nutzt, während Herr Sarholz im Beruf nur manchmal Zugang zum Internet hat. Das Paar Sarholz: Re-Traditionalisierung mit und ohne Internet In den Jahren 2008 bis 2013 lassen sich an dieser egalitären Konstellation allerdings entscheidende Verschiebungen erkennen. Im Zuge der Geburt ihrer Kinder zeigen sich innerhalb der Paarbeziehung Tendenzen einer Re-Traditionalisierung, wie sie in der soziologischen Forschung schon umfassend nachgewiesen wurden (vgl. etwa Grunow 2013), die sich auch in der Nutzung des Internets widerspiegeln. Nach der Geburt des ersten Kindes im Jahr 2008 übernimmt Frau Sarholz, die das erste Jahr in Elternzeit ging, den Großteil der reproduktiven Tätigkeiten rund um Kinderversorgung sowie Haushaltsorganisation, die sie soweit wie möglich
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online managt. Dazu gehören Einkäufe, kinder- und haushaltsbezogene Anschaf fungen sowie entsprechende Recherchen. Das Internet schätzt sie dabei als hilfrei ches Instrument, »weil man mit Kind eben auch nicht mehr so locker-flockig in die Stadt mal eben so geht. Es ist sehr viel praktischer, von zu Hause aus Dinge zu kau fen« (Frau Sarholz, 2008). Als Herr Sarholz das zweite Jahr Elternzeit übernimmt, bleiben die meisten Reproduktionsaufgaben (offline und online) allerdings in der Zuständigkeit von Frau Sarholz, was zu einer Doppelbelastung führt: »Also, wir haben zwar, sag’ ich mal, faktisch getauscht, ich war [. . .] die Hauptverdienerin, aber [. . .] sobald ich zur Haustür reinkam, war ich wieder 100 Prozent Mama. Ich glaube einfach [. . .], da ich das auch schlecht abgeben konnte, die Verantwortung, und wollte und ich darin auch so aufgegangen bin, hat der Rollentausch . . . sobald ich zur Haustür reinkam, ging es wieder umgekehrt und deswegen hab’ ich eben auch diese Bereiche nach wie vor übernommen.« (Frau Sarholz, 2011)
Herr Sarholz fühlt sich gleichzeitig in seiner Vaterrolle als »Outlaw« und wie in »Isolationshaft« (Herr Sarholz, 2011), da er einer der wenigen Väter ist, die sich um das Kind kümmern, und er sich den Müttern nicht zugehörig fühlt. Auch die kommunikativen Möglichkeiten des Internets ändern hieran nichts. Der anspruchsvolle Beruf von Frau Sarholz, die Außenseiter-Rolle von Herrn Sarholz als Vater in Elternzeit und die Schwierigkeit, die Verantwortlichkeiten und reproduktiven Tätigkeiten in der Paarbeziehung neu aufzuteilen, führen schließlich dazu, dass das Paar mit der Situation »unglücklich« (Frau Sarholz, 2011) ist, den gesamten »Rollentausch« für gescheitert erklärt und nach der Geburt des zweiten Kindes 2013 zu der gängigen Aufteilung zurückkehrt. Herr Sarholz geht wieder Vollzeit arbeiten und Frau Sarholz in Elternzeit, die sie diesmal plant, vollständig zu übernehmen und anschließend nur noch Teilzeit in ihren Beruf einzusteigen. Frau Sarholz stellt ihre kompetente und vielseitige Internetnutzung nun also ganz in den Dienst ihrer familiären Rolle. Nach der Geburt ihrer Kinder etablieren Herr und Frau Sarholz also auch mit dem Internet eine häusliche Arbeitsteilung, die das Paar zwar – ebenso wie fast alle anderen Paare – als Ergebnis persönlicher Interessen darstellt. Allerdings zeigt sich, dass die jeweiligen Zuständigkeitsbereiche mit tradierten Geschlechterdis kursen in Verbindung stehen, die schließlich in den Praktiken des Paares reprodu ziert und verstärkt werden. Auf die Frage, ob Sie ihre jeweiligen Aufgaben mit dem Internet für ein Jahr tauschen würden, antwortet Frau Sarholz: »Also, ich würde nicht gerne tauschen. [. . .] Ich müsste mich dann auf einmal um alles, was die Elektronik ist, kümmern, also, was sind die neuesten Geräte? Was brauchen wir davon? [. . .] Wie sind die Testergebnisse? Was sind die besten Produkte? [. . .] Am Rande verstehe ich das und weiß auch so ein bisschen was von der Technik. Aber im Detail weiß ich es nicht.
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Das ist mir auch zu anstrengend, mich da immer so auf dem Laufenden zu halten, was du [Herr Sarholz], glaube ich, so ein bisschen auch aus Interesse heraus machst [. . .]. Ich habe das eigentlich nicht. [. . .] Ich habe früher gelernt, Reifen zu wechseln, weil ich so erzogen wurde, dass man als Frau auch alleine zurechtkommen muss. Ich glaube, ich könnte es halt heute nicht mehr, weil es im realen Leben irgendwann so ist, man teilt sich auf.« (Frau Sar holz, 2013)
Resümee: Geschlechterpraktiken im Alltag als Kont ext der Intern eta ne ign ung Die vorgestellten Fälle verweisen auf den von Klaus herausgestellten »engen Zu sammenhang von sozialen und technologischen Beziehungen, von gesellschaftli chen und technischen Entwicklungen« (Klaus 1997: 14). Sie zeigen darüber hinaus, dass Individuen »in der Art und Weise ihrer Aneignung und Auseinandersetzung mit Technologien [. . .] ihre geschlechtliche Identität« ausdrücken (Klaus/Pater/ Schmidt 1997: 813). Dabei sind verschiedene Konstellationen und Entwicklungen in den Aneignungsweisen des Internets und hinsichtlich der Verteilung haushalts bezogener Tätigkeiten mit dem Internet möglich. Das Internet war zunächst technisch gerahmt und damit männlich kodiert, was bei vielen Frauen zu einem Desinteresse oder wie bei Frau Ziegler zu einer Scheu gegenüber dem neuen Medium führte. Aufgrund des Nutzungsgefälles übernahm Herr Ziegler zunächst reproduktive Tätigkeiten mit dem Internet. Allerdings prä sentierte sich diese Konstellation als zeitlich begrenzte Übergangsphase. Denn über alltagsbezogene Anwendungsmöglichkeiten fand Frau Ziegler schließlich selbst den Zugang zum Internet, was auch dazu führte, dass haushaltsbezogene Tätigkeiten mit dem Internet in ihre Zuständigkeit zurückwanderten, wie es auch Ahrens (2009) bei australischen Paaren festgestellt hat. Das heißt, das Medium an sich erfuhr über seine Integration in den Alltag zwar ein De-Gendering. Allerdings wurden dann jene Geschlechterdiskurse für die Nutzungsweisen das Internets rele vant, die unabhängig vom Medium den Alltag der Paare im Sinne geschlechtsge bundener Arbeitsteilungen strukturieren. Dass sich mit der Verschiebung der Funktionen des Internets, im Zuge derer auch viele Frauen den Zugang zum Medium fanden, dessen technische Rahmung veränderte, zeigt auch, dass der geschlechterdifferenzierende Diskurs um männli che Technikkompetenz eine Konstruktion darstellt, die sich unabhängig von empi risch fassbaren Kompetenzen oder Inkompetenzen erhält. Denn die Männern und Frauen zugeschriebene Fähigkeit oder Unfähigkeit technische Geräte zu bedienen, hängt, wie eingangs erläutert, weniger von deren technischen Eigenschaften ab, sondern davon, ob deren soziale Funktionen mit Männern oder Frauen in Verbin dung gebracht werden. »In der historischen Perspektive haben Männer wie Frauen
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im Rahmen ihrer jeweiligen geschlechtsbezogenen Lebensaufgaben einen ange messenen, auf die Lösung spezifischer Aufgaben bezogenen Umgang mit Tech nologien erlernt, sich Technologien angeeignet, Technikkompetenz bewiesen.« (Klaus 1997: 17) Mit der Verschiebung der Funktionen des Internets hin zu alltags bezogenen Tätigkeiten haben sich so zwar geschlechtsgebundene Ungleichheiten in Bezug auf den Zugang zum Medium vermindert. Allerdings gilt das Internet nun anwendungsbezogen nicht mehr als technisch, so dass die nun routiniert nutzenden Frauen wie Frau Ziegler noch immer nicht als technisch kompetent gelten und der diskursive Zusammenhang von Technikkompetenz mit Männlichkeit aufrechter halten werden kann. Das Internet revolutioniert die Geschlechterverhältnisse also nicht. Dies be legt besonders eindrücklich die Fallstudie zum Paar Sarholz: Sarholz stellten in der ersten Projektphase das ›Vorzeigepaar‹ in Bezug auf Egalität im Zusammen leben und auch in der Internetnutzung dar. Der weitere Verlauf, der sich auch bei anderen Paaren nach der Geburt von Kindern fand, belegt dann, wie gesell schaftliche Strukturen und traditionelle Geschlechterdefinitionen Relevanz entfal ten und wie das Paar seine Internetnutzung in diese Re-Traditionalisierung seines Zusammenlebens einfügt. Das Medium half weder Herrn Sarholz aus seiner Isola tion als Vater in Erziehungszeit noch Frau Sarholz bei der Lösung ihres Konflikts zwischen Vollzeit-Führungsposition und Mutterrolle. »›Neue Männlichkeit‹ und ›neue Weiblichkeit‹, wie auch immer definiert, werden sich nicht auf technischem Wege durchsetzen.« (Klaus 1997: 18). Gleichwohl »handeln Männer und Frauen nicht in jedem Fall im Sinne der Definitionen von ›männlichen‹ und ›weiblichen‹ Technologien« (Klaus 1997: 18). Dies belegen in der Frühphase die egalitären Paare aus dem Studierendenmilieu, bei denen die Internetaneignung bereits auf Augenhöhe erfolgte. Und dies veranschaulichen auch diejenigen Haushalte der Öffnungsphase, in denen die Frau die Federführung bei Anschaffung und Nutzung des Internets hatte.
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Wenn Teenager Mütter werden
Wenn Teenager Mütter werden Zur Repräsentation prekärer junger Mütter im Reality-TV Irmtraud Voglmayr
Einleitung »Sie sind selbst noch Kinder und stehen vor der Herausforderung ihres Eltern seins«, heißt es in der Ankündigung des Privatsenders ATV zur Doku-Soap »Teenager werden Mütter«1. Wie in vielen Reality-TV-Formaten wird auch hier ein gesellschaftlich relevantes Thema aufgegriffen mit dem Anspruch, nicht nur Unterhaltung zu bieten, sondern auch Wissen zu vermitteln, das nicht im sozialen Umfeld bereitgestellt wird. Schwangerschaften im Jugendalter sind in Österreich keine Seltenheit. So werden jedes Jahr rund 2.000 Mädchen vor ihrem 20. Lebens jahr schwanger, und im Jahr 2013 waren zehn Mädchen sogar jünger als 15, als sie ihr erstes Kind zur Welt gebracht haben2. Formate wie diese ATV-Doku-Soap problematisieren Techniken der Lebens führung, die vor allem Mädchen und jungen Frauen aus den unteren Schichten der Gesellschaft zugeschrieben werden, und sie stellen eine spezifische Ausdifferen zierung des Reality-Fernsehens dar, das sich seit den 1990er Jahren durchgesetzt hat. In diesem Kontext fungiert Fernsehen zunehmend als Dienstleistungsagentur, indem es Wissen zur Verfügung stellt, das die Einübung von Kompetenzen der Selbstführung, Selbstinszenierung und -optimierung junger Mütter unterstützt (vgl. Seier/Surma 2008: 174). Gleichzeitig werden diese Lebensstile einer bestimmten Inszenierung und Narrativisierung in Form einer dramatischen und affektiven Auf ladung und Zuspitzung unterzogen. Ein weiteres wesentliches Merkmal dieses Fernseh-Genres ist die Entgrenzung zwischen Öffentlichkeit und Privatheit; Fra
1 Das erfolgreiche TV-Format »Teenager werden Mütter« kann mittlerweile acht Staffeln verbuchen; die letzte Folge wurde am 28. Oktober 2014 auf dem österreichischen Pri vatsender ATV ausgestrahlt. 2 Wenn Teenager schwanger werden – Gesundheitsportal: www.gesundheit.gv.at/Portal. Node/ghp/public/content/Teenagerschwangerschaft_HK.html (10.12.2014).
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gen des privaten Lebens wie Sexualität, Liebe, Verhütung und Schwangerschaft werden zum Gegenstand medialer Inszenierungen und somit öffentlich verhandelt. Der Anspruch, sowohl Kandidat_innen als auch Rezipient_innen medial mit »so zialem Wissen« zu versorgen, steht einerseits in Zusammenhang mit dem neoli beralen Subjekt, das zu Selbstkontrolle, Selbstverantwortung und Selbststeuerung verpflichtet wird (vgl. Demirovic 2010; Thomas 2008). Zum anderen ruft das me diale Eindringen in diese prekärenLebenswelten eine neue bzw. erneute Themati sierung von Klassenzugehörigkeit und Klassengrenzen hervor. So stellt sich auch am Beispiel des ATV-Formats »Teenager werden Mütter« die Frage, welche Absichten verfolgen (Medien-)Produzent_innen, implizit oder explizit, wenn sie uns tagtäglich mit medialen Repräsentationen von Frauen und Männer aus den unteren Gesellschaftsschichten konfrontieren? Und welcher Ideo logie folgt die Darstellung des Unterschichtenkörpers? Wird in unserem Beispiel das Fernsehen zu einem Raum, in dem prekäre junge Mütter eine »anerkennende Sichtbarkeit« (Schaffer 2008) erfahren? Oder handelt es sich bei dieser medialen Inszenierung um die erneute Festlegung und Festschreibung von Klassengrenzen, festgemacht am weiblichen Körper (vgl. McRobbie 2010)? Dabei ist weiters zu the matisieren, inwieweit diese Repräsentationen bereits eine favorisierte Bedeutung im Hinblick auf Rezeption und Aneignung vorstrukturieren (vgl. Mikos 2001).
Fernsehen als Dienstleistungsagentur Die Entwicklungen der letzten Jahre zeigen, dass Fernsehen als Dienstleistungs agentur in der neoliberalen Gesellschaftsordnung über »Mitmach-Angebote« in zunehmendem Maße die Aufgabe übernimmt, Wissen über das alltägliche Le ben, das nicht in den Schulen und im sozialen Umfeld gelehrt wird, vor allem den unteren Klassen in der Gesellschaft zur Verfügung zu stellen (vgl. McRobbie 2010; Seier/Surma 2008). Basierend auf der Herstellung von Problem und Lösung, wer den die als problematisch deklarierten Ausgangslagen der Kandidat_innen und die in Aussicht gestellten Lösungen durch das Wissen von Expert_innen in eine televi suelle Erzählung eingelassen (vgl. Seier/Surma 2008: 175). Fernsehen ermöglicht demnach, mangelnde Ressourcen auszugleichen oder zur Verfügung zu stellen, um eine möglichst effiz iente Anpassung des Individuums an die sozialen Verhält nisse zu bewirken. TV-Caster_innen treiben sich in segregierten Stadtteilen herum, in Gemeindebauten, in Parks, auf Straßen und immer häufiger auf Facebook und sprechen Menschen – oftmals mit Fokus auf marginalisierte Körper – an, um sie für das reichhaltige »Mitmach-Angebot« zu werben. Im Unterschied zu den klassi schen Ratgebersendungen der Vergangenheit werden aus den Zuschauer_innen nun potenzielle Kandidat_innen und in diesem Sinne wird das zur Verfügung gestellte Wissen – Körperhandeln, Geburten und Schönheitsmanipulationen wie Brust-OPs
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vor laufender Kamera – auch am und mit dem eigenen Körper nachvollziehbar und »erlebbar« gemacht (vgl. Seier/Surma 2008: 175). Zum festen Repertoire des sogenannten Lifestyle-Fernsehens, insbesondere in Styling- und Schönheitsdokus, gehören Makeover-Programme und der für sie typische Vorher-Nachher-Modus, bei dem ein defizitäres Vorher des Selbst in ein optimiertes Nachher überführt wird (vgl. ebd.: 182). Wobei der Nachhaltigkeitsaspekt für die Kandidat_innen, wenn sie den medialen Aufmerksamkeitsraum verlassen und in ihre realen Alltagswelten zurückkehren, bislang eine Leerstelle bildet. In dieses Ineinander von Medientechnologien und Selbsttechnologien reiht sich auch das erfolgreiche ATV-Format »Teenager werden Mütter«ein, das jungen schwangeren Frauen die Möglichkeit bietet, ihre prekäre Lebenslage bzw. ihren Lebensstil öffentlich zu verhandeln, indem ihnen Expert_innen zur Seite gestellt werden, die sie zur Selbstführung anleiten. In diesem Zusammenhang kooperierte die Doku-Soap in der Anfangszeit mit »Young Mum«, einem »Kompetenzzentrum für jugendliche Schwangere und Teenager-Eltern sowie deren Familienumfeld«3, das auf Beratung und Begleitung ausgerichtet ist. Folglich wird dieses Genre, das auf dem Casting-Prinzip beruht, (vermeintlich) auch als »Demokratisierungsin strument« begriffen, »da hier eine gewisse Umverteilung von kulturellem Kapital stattfindet« (McRobbie 2010: 187). Gemeint ist, dass prekären jungen Mädchen und Frauen ein bestimmter Zugang zu kulturellen Fähigkeiten und Fertigkeiten sowie sozialem Wissen via Fernsehen eröffnet wird, das zu verbesserten Lebens chancen führen soll. Allerdings greift das Fernsehen existierende soziale und ge schlechtliche Differenzierungen auf und inszeniert diese entlang der Darstellungs muster Privatisierung und Intimisierung offensichtlich und klischeehaft, manchmal auch exzessiv. Durch diese Klischees werden ideologische Normen gestützt, und somit erweisen sich Klischees als machtvolle Konstrukteure des Common Sense und halten ihn am Zirkulieren (vgl. Fiske 1997: 54).
Die Inszenierung junger, prekärer Mütter Teenager-Schwangerschaften werden im bevölkerungspolitischen Diskurs »glei chermaßen als gesundheitsgefährdend wie als vorrangig nicht gewollt« (Schultz 2006: 280) konstruiert. Diese Mädchen gelten als promisk und deshalb vielen Gefahren wie eben ungewollten Schwangerschaften oder sexueller Gewalt aus gesetzt. Sie werden als Gegenbild zu jenen Frauen konstruiert, die ihre Sexualität und Gebärfähigkeit selbstbestimmt und nach gesundheitlichen Kriterien rational planen. »Schwangere Jugendliche erscheinen als demographische Bedrohung und 3 Dieses Zentrum stellt Schwangerenbetreuung und Geburtshilfe für junge Frauen und Mädchen zwischen 17 und 22 Jahren bereit.
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pathologisches Potenzial« (Schultz 2006: 287), und sie werden zumeist im bevöl kerungspolitischen Diskurs als Individuen ohne soziale Einbindung und als städti sche Jugendliche dargestellt. Auch die in der Doku-Soap agierenden jungen Mäd chen und Frauen widersprechen dem Ausgangspunkt und der Zielvorstellung »der medikalisierten bevölkerungspolitischen Programmatik« (ebd.: 287) die Frauen vorsieht, die zwei bis drei Kinder haben wollen und diese in gebührlichem Ab stand und im richtigen Alter zur Welt zu bringen beabsichtigen. Dass aber einige der dargestellten jungen Mütter, die einen risikoreichen Lebensstil pflegen und nicht im »richtigen« Alter gebären, durchaus von einer gewollten Schwangerschaft sprechen und diese auch als Sinnstiftung erfahren, geht in diesem hegemonialen Diskurs verloren. So freut sich die 17-jährige Schulabbrecherin Bianca4 auf ihr Ba by, weil sie bereits ein Kind abgetrieben hat und lange Zeit mit ihrem schlechten Gewissen gekämpft hat, und auch für die 16-jährige Sabrina5, die vom Kindsvater verlassen wurde, kommt eine Abtreibung nicht in Frage: »Leute, die sagen, sie haben abgetrieben, weil sie so jung sind, gehen mir auf den Nerv. Es ist egal, wie alt man ist, wenn man schon bereit ist für Sex, dann muss man auch damit rechnen, dass was schief geht und dass Kinder dann halt entstehen können. Ein Leben ist ein Leben, und ich hab mich fürs Leben entschieden.«
Die diskontinuierlichen Bildungsverläufe junger Mütter in prekären Lebensver hältnissen zeigen, dass in vielen Fällen Schulmeidung, ausgelöst durch Angst vor Versagen und Zurückweisung, eine »Flucht« in die Mutterschaft bewirkt (vgl. Ans linger 2009). So fokussiert auch »Teenager werden Mütter« junge Frauen ohne Bildungskapital, die die Hauptschule abgebrochen oder den Hauptschulabschluss nachgeholt haben, 19 Jahre oder noch jünger sind, bereits ein bis zwei Kinder ver sorgen müssen und immer noch keinen Lehrabschluss aufweisen können. Das schwangere Unterschichtenmädchen, McRobbie spricht von »pramface«, das im Wissenschaftsdiskurs »als ohnmächtig und unfähig über Sexualität und Fortpflanzung entscheiden zu können« (Schultz 2006: 286) konstruiert wird, wird uns hier als junges, ungebildetes Mädchen vorgeführt, dessen vergeschlechtlich ter Klassenhabitus sich in Erscheinungsbild, Sprechweise und Geschmackskultur äußert (vgl. McRobbie 2010: 176 f.). Defizitäre Repräsentationen wie diese, mit der die herrschende Klassengesellschaft auch im sogenannten privaten Bereich durch Alltagspraktiken abgesichert wird, produzieren vielfach Verachtung, soziale Abgrenzung und Herabsetzung der Kandidat_innen und legen Vorstellungen und Vorurteile über Teenager-Mütter fest. Fernsehsendungen sind grundsätzlich me diale Bearbeitungen von Realität, und diese mediale Bearbeitung zeigt sich auch 4 Bianca ist Teilnehmerin in »Teenagerwerden Mütter«, Staffel 1, Folge 5. Min. 15:04. 5 Sabrina ist Kandidatin in der 7. Staffel, Folge 5. Min. 5:50.
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in ihrer ästhetischen Gestaltung. Also geht es nicht nur darum, was in diesen For maten erzählt wird, sondern wie die Erzählung inszeniert wird (vgl. Mikos 2001: 329). Das mediale Abzielen auf prekäre Lebenswelten funktioniert demnach so, dass ein Unterklassen-Habitus inszeniert und zur Schau gestellt wird und dabei Denk-, Handlungs- und Verhaltensweisen gezeigt werden, die nicht als Ausdruck gesellschaftlicher Ungleichheitsverhältnisse, sondern als Versagen der Individuen (der jungen Mütter), die mit ihrem Leben, ihrer Sexualität nicht richtig umgehen können, gedeutet werden. Vertreter einer konservativen soziologischen Herangehensweise wie Paul Nolte, sehen Kultur und Lebensstil der Unterschichten von der ökonomischen Ba sis längst entkoppelt (Nolte 2003, zit. in Klaus/Röser 2008: 265). Kulturelle Pra xen und materielles Kapital werden nicht mehr länger in einen Zusammenhang gesetzt, sondern die Bestimmung der unteren sozialen Klasse erfolgt dann über frühe Schwangerschaft, falsche Ernährung, falsche Erziehung, Disziplinlosigkeit, die immer wieder im sozialen Umfeld reproduziert werden. Nicht thematisiert wird in diesen Repräsentationen des »Unterschichtenfernsehen-Diskurs« (vgl. Klaus/ Röser 2008) der fundamentale gesellschaftliche Umbruch, mit dem brüchige staat liche Sicherungssysteme und eine handfeste Krise der Erwerbsarbeitsgesellschaft einhergehen (vgl. Castel 2009). Zu den Verwundbaren in diesem System zählen die Young Mums, denen durch die Inkorporierung prekärer Lebensverhältnisse – er schwerter Zugang zu Bildungseinrichtungen und in der Folge zu Arbeit, von der man leben kann – die Aussicht auf soziale Mobilität verwehrt bleibt. Im gegen wärtigen Prekarisierungsprozess, der sich von den Rändern zur gesellschaftlichen Mitte bewegt und mittlerweile die gesamte Lebensweise umfasst, sind diese auf Versorgungsarbeit festgelegten jungen Frauen mit Kindern, ob als Alleinerzieherin oder in schwierigen Beziehungskonstellationen, vom Ausschluss von allen durch schnittlichen Lebenschancen am stärksten betroffen (vgl. Anslinger 2009).
Wissensvermittlung Vor diesem gesellschaftlichen Hintergrund stellt sich dann die Frage, welchen An teil hatdas Lifestyle-TV-Format »Teenager werden Mütter« an der Produktion von Wissen zum Thema »Jugendschwangerschaften«. Seriöse Expert_innen wie Heb ammen, Mediatorinnen und Gynäkolog_innen begleiten die jungen Frauen und Mädchen und leisten Aufklärungs- und Betreuungsarbeit im Hinblick auf Schwan gerschaft, Geburtsvorbereitung und einem Leben mit Kind. Wissen setzt sich al lerdings nicht nur aus Expert_innenwissen zusammen, sondern ist das Ergebnis eines Interaktionsprozesses, in den die Aktivität aller Beteiligten, einschließlich die der Wissensobjekte, eingeht (vgl. Haraway 1995: 20). So ist es die Bandbreite der Gefühle, der Umgang mit Emotionen wie Angst, Freude, die Körperpraktiken
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der Kandidat_innen ebenso wie die medizinischen Geräte wie Ultraschall, medizi nische Einrichtungen etc., die in die Wissensproduktion einfließen. Insbesondere in der ersten Staffel wird umfangreiches Wissen über Verhütungsmethoden, Abtrei bungen, Schwangerschaftsgymnastik, um den Beckenboden zu trainieren, natürli che Geburt, Stillverhalten, Babyschwimmen als Frühförderung etc. zur Einübung verfügbar gemacht. Die Expertinnen/Hebammen von Young Mum6 sprechen in diesem Zusammenhang von einer guten, respektvollen Zusammenarbeit mit dem Privatsender ATV in den ersten Folgen, in denen sie mit bekannten Mädchen aus ihrem eigenen Beratungszentrum gearbeitet haben. Im Unterschied zu anderen Lifestyle-Formaten wie »In der Schuldenfalle« (vgl. Voglmayr 2012) unterschei det sich in diesem Format der Berater_innen-Modus von der gängigen Praxis der öffentlichen Herabsetzung machtloser Personen durch Frauen, die über ein ent sprechendes kulturelles Kapital bzw. Fachwissen verfügen, mit dem auch Klassen grenzen festgelegt werden. Aufgebrochen wird die Beraterin-Kandidatin-Hierar chie vor allem von den Hebammen, die »sozial orientiert« den jungen TV-Müttern mit einer empathisch-wertschätzenden Haltung begegnen. »Ich habe eine große Hochachtung vor den Mädchen, die ihre Kinder auf die Welt bringen und diese Courage haben, mit ihren Bäuchen durch die Gegend zu laufen und sich teilweise ordentlich was anhören müssen, weil sie so jung sind und/also sehr beleidigend bis unter die Gürtellinie beleidigend und trotzdem tragen die ihren Bauch und gebären so tapfer und so tüchtig.« (Reim-Hofer)
Mit Aussagen wie diesen treten die Expert_innen/Hebammen der erniedrigenden Sprechweise über die »selbstverschuldete« Lebensführung der jungen Frauen aus der »Unterschicht« (McRobbie) im medialen Raum entgegen. Reality-Fernsehen hätte somit das Potenzial, den Rezipient_innen Zugang und Möglichkeit zur Aus einandersetzung mit dem Unbekannten zu eröffnen, indem es Einblicke in Alltags handlungen, in gelebte Erfahrungen, in die prekäre Lebensweise der Herkunftsklas sen dieser jungen Schwangeren und Müttern gewährt. Ansprüche, eine bestimmte Lebensweise zu verstehen und bestimmte Lebenspraktiken anzuerkennen, wie sie einst die Cultural Studies in Bezug auf die Arbeiter_innenklasse formuliert haben (vgl. Mikos 2001: 324 f.), werden aber im Verlauf des Formats rasch aufgegeben. In einem Vergleich zwischen der ersten Staffel und den letzten beiden Staffeln (7 und 8) lässt sich ein dramatischer Wandel festzustellen: Während in der ersten Staffel eine umfangreiche Bereitstellung von Optionen der Selbstbearbeitung und -optimierung bezüglich des Themas sowohl für die Kandidat_innen als auch für die Rezipient_innen vermittelt wurde, wird das eigentliche Thema Geburten und 6 Ich beziehe mich hier auf ein Gespräch mit der Hebamme Uschi Reim-Hofer am 12. Jän ner 2015, die auch das Kompetenzzentrum Young Mum gegründet hat.
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Kindererziehung als Care-Arbeit nun zum Randthema. So zieht sich in der vorläu fig letzten Staffel die Geburt von Kristin über drei Folgen und endet als Cliffhan ger, sehr zum Ärgernis der Zuseher_innen: »Meine Güte ich will frische Babys schlüpfen sehen und nicht Teenager, die sich zum Affen machen.«7
Die Expert_innen, die in den letzten Staffeln nur noch als Randfiguren zu Wort kommen, begründen den sichtbaren Bruch mit dem »Hereinholen fremder Mäd chen« seitens des Privatsenders ATV und »Jugendlichen, die nicht ins Fernsehen gehören«, festgemacht an einem »jugendlichen Prater-Strizzi« (Reim-Hofer). Fortan liegt der Fokus auf den prekären Lebensverhältnissen der sozial benachtei ligten Akteur_innen, die tätowiert, gepierct, in einfachen Wohnverhältnissen und problematischen heterosexuellen Beziehungen verortet, auf das traditionelle Ge schlechterarrangement festgelegt werden. Nun geben die Teilnehmer_innen ihre »inkorporierte Geschichte« (McRobbie 2010: 183) preis und liefern ihr gesamtes soziales Umfeld mit. Die Alltagspraktiken der Teenager-Mütter werden in die me diale Aufmerksamkeitszone gerückt: Beziehungsprobleme, Ausgehen, Männer suche, Hochzeitspläne, Versöhnungspraktiken in zerrütteten Mutter-Tochter-Ver hältnissen und bei Ex-Liebespaaren wie Andi und Melanie8. In gewohnter Form erfolgt die Thematisierung des Intimen und Privaten über die Zurschaustellung von Gefühlen und überschwänglichen Gefühlsäußerungen, insbesondere in der Versöhnungsszene zwischen Melanie und Andi. Nicht genug dessen, greift die ses Medienformat auch noch Elemente der sogenannten »Schnippelshows«9 auf, wenn sich Jungmutter Melanie nichts sehnlicher wünscht als »pralle Brüste«. Sie unterzieht sich in der letzten Folge der letzten Staffel einer Brust-OP vor laufen der Kamera und trifft damit eine Körperentscheidung, die zwischen dem Recht, ihren Körper gemäß ihrer eigenen Maßstäben zu verändern und einer dadurch er folgten Anpassung an vorherrschende Normen der »normalen« Geschlechtlichkeit changiert (vgl. Villa 2008: 100). Mit dieser Wendung wird auch die Attraktivität dieses Formats in seiner Relevanz für das (Alltags-)Wissen der Rezipient_innen sehr unterschiedlich wahrgenommen. Aus den Postings lässt sich ablesen, dass die Mehrzahl der Rezipient_innen das eigentliche Thema wieder einfordert und von »der schlechtesten aller Staffeln« spricht; es existieren aber auch andere Stimmen – »Schwangere Teenager und ihr Leben ist spannender« –, die mehr an den Le 7 www.babyforum.at/discussion5941/teenager-werden-muetter-atv. 8 Das große Versöhnungsgespräch zwischen Melanie und Andi findet in der 8. Staffel, Folge 7, statt. 9 In diesen Shows, wie z. B. »The Swan«, werden vor allem Eingriffe an Frauenkörpern live gezeigt.
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bensverhältnissen dieser jungen Mütter interessiert sind als am Gebären in Klini ken. Für das Expertinnenteam von Young Mum hingegen war der Sendeverlauf »zu quotenlastig« und »weit unter unserem Niveau« (Reim-Hofer) und somit ein früh besiegelter Ausstiegsgrund. Zeitgenössische Unterhaltungskultur (vgl. McRobbie 2010) und die »Herrschaft der Einschaltquote«, die nach Bourdieu im Namen der Demokratie bekämpft werden müsse, sind für diese Transformation verantwortlich zu machen. Für Bourdieu trägt das unter der »Herrschaft der Einschaltquote« ste hende Fernsehen dazu bei, den vermeintlich freien und aufgeklärten Konsumenten Marktzwängen auszusetzen, die, anders als zynische Demagogen glauben machen wollen, mit dem demokratischen Ausdruck einer aufgeklärten, vernünftigen öf fentlichen Meinung, einer öffentlichen Vernunft, nichts zu tun haben (vgl. Bour dieu 1998: 96).
Lesarten Rezeptionsstudien zeigen, dass 50% der Zuseher_innen an die Echtheit dieser For mate und damit an die Darstellung der Kandidat_innen glauben; insbesondere Ju gendliche schauen nachmittags diese Formate an.10 Wie Stuart Hall (1989: 139 f.) aufgezeigt hat, sind die Zuschauer_innen nicht in derselben Machtposition wie die Medienmacher_innen und übernehmen trotz einer Divergenz zwischen den Absichten der Medienproduzent_innen und den Lesarten der Rezipient_innen in vielen Fällen die dominante Lesart und damit die herrschende, bevorzugte, »hege moniale«Bedeutung des Textes. »Die Sendung bleibt immer eine traurige Milieustudie.« »mir tut die Kleine leid . . . weil sie so an assi Vater hat . . . wer will so einen Vater haben . . .«11
Gerade bildungsferne, sozial benachteiligte Jugendliche verfügen oftmals über keine Kenntnisse des Genres und seiner Konventionen, um die inszenierten Ele mente der im Fernsehen dargestellten Lebenswelten von »Unterschichtlern« zu verstehen (vgl. Mikos 2008: 59). »Nur manchmal muss man sich fremdschämen und dann weiß man wieder wie toll man eigentlich selber ist – ich finds super«, befindet eine Zuseherin (ATV-Babyforum). In der Vermischung zwischen Insze 10 Vgl. dazu: Das Lügenfernsehen. http://www.ndr.de/fernsehen/panorama_die_reporter/ luegenfernsehen105.htm. Letzter Zugriff: 12.01.15. 11 Diese Aussagen stammen aus: http://www.facebook.com/teenagerwerdenmuetter/pho tos/pb. 19.12.2014.
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nierung und realer Lebenswelt geraten Drehbuch und Ausgestaltung der Charak tere aus dem Blickfeld. Die vorgegebene Echtheit, die auf dem Casting-Prinzip beruht, das wiederum die Auswahl von stereotypen Charakteren bzw. Gegensatz paaren, die entsprechende Rollenklischees erfüllen, verfolgt, unterliegt wie in allen anderen Formaten auch dem Spektakulären und verlangt nach einer Dramatisie rung. Vor diesem Hintergrund fühlen sich immer mehr Kandidat_innen, die die ästhetische Gestaltung sowohl auf formaler als auch auf inhaltlicher Ebene nicht durchschauen, als »Medienopfer«, weil ihnen mediale Repräsentationen »aufge zwungen« werden12. Medienexpert_innen wie Norbert Bolz sehen in den CastingShow-Teilnehmer_innen nur »Menschenmaterial« und gehen davon aus, dass sie wissen, dass sie sich mit Haut und Haaren dieser Inszenierung verkaufen (vgl. Bolz 2010: 74). Diverse Formate-Beispiele zeigen, dass insbesondere Zickentum, Rivalität und Wettbewerb zwischen Frauen – Konkurrenzkämpfe werden im tra ditionellen Stil weiblicher Schulhofkämpfe ausgetragen – in einer runderneuerten Fassung inszeniert werden (vgl. McRobbie 2010: 173). Aus den Aufzeichnungen einer in diesem Falle medienkompetenten Kandidat_in geht hervor13, wie die Teil nehmer_innen im Vorfeld auf klischeehafte weibliche Geschlechtertypen festge legt und als Konkurrentinnen ins Bild gesetzt werden: »Wir haben uns in Wahrheit alle gut verstanden und gaben uns gegenseitig zu verstehen, dass sämtliche bösen Bemerkungen nicht ernst zu nehmen sind und nur für die Kamera wären. Also war der Kampf eröffnet und der ganze Dreh war auf Challenges und bissige Kommen tare ausgelegt.« (Kandidatin)
Womit ich wieder bei der eingangs gestellten Frage bin: Welches Interesse verfol gen Medien in der Zurschaustellung und zugespitzten Darstellung marginalisierter schwangerer Jugendlicher? Was erzählen uns Formate wie diese über die prekären Lebenswelten junger Mütter und in welchem Zusammenhang stehen Wissenspro duktion und mediale Vorführung/Inszenierung?
Aufmerksamkeitversus Anerkennung? Inwieweit sich diese jungen Schwangeren und Frauen mit Kindern, die gesell schaftlichen Mehrfachdiskriminierungen ausgesetzt sind, weil zu jung und un gebildet für Schwangerschaften, zu promisk in ihrem Sexualleben, sich über Formate wie »Teenager werden Mütter« erhoffen, von der Unsichtbarkeit und Bedeutungslosigkeit in die Sichtbarkeit zu gelangen, kann an dieser Stelle nicht 12 Vgl. dazu Aussagen von Betroffenen in der Dokumentation »Das Lügenfernsehen«. 13 Es handelt sich hierbei um das ATV-Format »Messer, Gabel, Herz«.
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beantwortet werden. Diskurse zur Mitwirkung an solchen Formaten argumen tieren im Allgemeinen mit Aufmerksamkeit – »sie kriegen aber einmal im Le ben das Gefühl von ungeteilter Aufmerksamkeit. Wie es ist, wenn alle gucken« (Franck 2010: 133) – sowie der »Selbstdarstellungswut« der Teilnehmer_innen (Bolz 2010). Erfahrungsberichte von Kandidat_innen der Casting Shows geben aber immer häufiger Einblick in ihre Motive, ihre intimsten Bereiche des Alltags lebens preiszugeben. So wird der mediale Aufmerksamkeitsraum, insbesondere von marginalisierten Gruppen, als vorübergehende Sinnstiftung, als Flucht aus dem ereignislosen, prekären Alltag und als nicht zu unterschätzende zusätzliche Einkommensquelle – ein paar hundert Euro mehr – wahrgenommen (vgl. Acker mann et al. 2011). Diese prekären Jugendlichen wie auch unsere Teenager-Müt ter, verhaftet in Lebensverhältnissen ohne Ausbildung und Jobperspektive, sind wie alle anderen Individuen in der neoliberalen Gesellschaft dazu aufgerufen, für sich selbst Verantwortung zu übernehmen, obwohl ihnen dafür immer we niger Mittel zur Verfügung stehen. Demirovic (2010: 159) beschreibt, wie die Individualisierung sozialer Beziehungen und die Desintegration der Arbeitskultur Anerkennungspathologien mit sich bringen, die zur Abnahme persönlicher Hand lungsfähigkeit und zu diffusen Wünschen nach Anerkennung führen. In diesem sozio-ökonomischen Kontext wird das von Prekarisierungsprozessen hergestellte Spannungsfeld zwischen »Selbstdarstellungswut« und »Bedürfnis nach Anerken nung« dann auch versteh- und greifbarer. Lifestyle-TV ist maßgeblich beteiligt an der (Re-)Produktion spezifischer Wissensformen und Einübungspraktiken, die von Kandidat_innen und Rezipient_innen im Hinblick auf Relevanz und An schlussfähigkeit an das Alltagshandeln unterschiedlich wahrgenommen werden (vgl. Thomas 2008: 239). Allerdings darf dabei nicht aus dem Blick geraten, dass durch die mediale Inszenierung junger »Unterschichten-Mütter« eine spezifische Form klassenspezifis cher Grenzziehungen vorgenommen wird, die zur symboli schen Reproduktion sozialer Ungleichheit beiträgt.
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Autor_innen
Autor_innen
Beaufort, Maren, Mag.a, Junior Scientist am Institut für vergleichende Medienund Kommunikationsforschung, Österreichische Akademie der Wissenschaften. Schwerpunkte in Forschung und Lehre: Politische Kommunikation, Social Media,Wirkungsforschung, Werbeforschung. E-Mail: [email protected] Dorer, Johanna, Dr., Assistenzprofessorin am Institut für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft der Universität Wien. Gleichbehandlungsbeauftragte der Universität Wien. Schwerpunkte Forschung und Lehre: Feministische Medienforschung, Medientheorie, Nichtkommerzielle Medien, Public Relations. E-Mail: [email protected] Drüeke, Ricarda, Dr., Postdoc am Fachbereich Kommunikationswissenschaft der Universität Salzburg. Schwerpunkte in Forschung und Lehre: Öffentlichkeitstheo rien, Gender Media Studies, Medien und soziale Ungleichheit. E-Mail: ricarda. [email protected] Eurich, Claus, Dr., Professor am Institut für Journalistik der TU Dortmund. Schwerpunkte in Forschung und Lehre: Gesellschaftstheorien, Kommunikationstheorien, Ethik und Friedensjournalismus. E-Mail: [email protected] Forster, Edgar, Dr., Professor für Allgemeine Erziehungswissenschaft mit dem Schwerpunkt »Globalisierung und Bildung« an der Universität Fribourg. Schwerpunkte in Forschung und Lehre: Theorien der Erziehung und Bildung, Educational Governance, Globalisierung, Gender Studies. E-Mail: [email protected] Geiger, Brigitte, Dr., Kommunikationswissenschaftlerin, Lehrbeauftragte an den Universitäten Wien und Salzburg. Schwerpunkte in Forschung und Lehre: Frauen- und Geschlechterforschung, feministische Medien und Öffentlichkeiten, Geschlecht und Gewalt. E-Mail: [email protected] Gödl, Doris, Dr., Lehr- und Forschungsrätin an der Universität Fribourg. Schwerpunkte in Forschung und Lehre: Politische Transformationsforschung, Demokratieentwicklung und Gender Studies, qualitative Methodenausbildung/interpretative Auswertungsmethoden, Globalisierung und Bildung. E-Mail: [email protected]
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Kinnebrock, Susanne, Dr., Professorin für Kommunikationswissenschaft mit Schwerpunkt Öffentliche Kommunikation an der Universität Augsburg. Schwerpunkte in Forschung und Lehre: Öffentlichkeits- und Medienwandel, Journalismusforschung, europäische Kommunikationsgeschichte, kommunikationswissenschaftliche Gender Studies, E-Mail: [email protected] Kirchhoff, Susanne, Dr., Senior Lecturer und Projektmitarbeiterin am Fachbereich Kommunikationswissenschaft der Universität Salzburg. Schwerpunkte in Forschung und Lehre: Journalismusforschung, Medien und Krieg, Geschlechterforschung, empirische Methoden der Kommunikationswissenschaft. E-Mail: [email protected] Krotz, Friedrich, Dr., Professor für Kommunikations- und Medienwissenschaft mit dem Schwerpunkt Soziale Kommunikation und Mediatisierungsforschung an der Universität Bremen, Koordinator des DFG-Schwerpunktprogramms »Mediatisierte Welten«. Schwerpunkte in Forschung und Lehre: Theorie und Methoden der Kommunikationswissenschaft, Kultursoziologie, Cultural Studies, Medien und Gesellschaft, Mediatisierungsforschung. E-Mail: [email protected] Lang, Siglinde, Dr. M.A., Senior Scientist im Programmbereich Zeitgenössische Kunst und Kulturproduktion am Kooperationsschwerpunkt Wissenschaft & Kunst der Universität Salzburg. Schwerpunkte in Forschung und Lehre: partizipatives Kulturmanagement, künstlerisches Unternehmertum, kollaborative Wissensproduktion. E-Mail: [email protected] Lehmann, Ingrid A., Dr. Dipl. Pol. M.A., Lehrbeauftragte am Fachbereich Kommunikationswissenschaft der Universität Salzburg; Direktorin i. R. des UN-Informationsdienstes. Schwerpunkte in Forschung und Lehre: internationale politische Kommunikation, Öffentlichkeitsarbeit der Vereinten Nationen, internationale politische Skandale, Medien und Friedensschaffung. E-Mail: [email protected] Lünenborg, Margreth, Dr., Professorin für Journalistik am Institut für Publizistikund Kommunikationswissenschaft der FU Berlin. Schwerpunkte in Forschung und Lehre: Journalismusforschung, Gender Media Studies, kulturorientierte Medienforschung, Migration und Medien, populäre Medienformate. E-Mail: margreth. [email protected] Neverla, Irene, Dr., Professorin für Journalistik und Kommunikationswissenschaft an der Universität Hamburg, Direktorin des RCMC Research Center Media and Communication der Universität Hamburg. Schwerpunkte in Forschung und Lehre: Journalismusforschung, Publikums/User-Forschung, Wissenschafts-, Um-
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welt- und Klimakommunikation, Visuelle Kommunikation und Pressefotografie, Zeitforschung, Erinnerungsforschung im Zusammenhang mit öffentlicher Kommunikation. E-Mail: [email protected] O’Connor, Barbara, PhD, freie Kommunikationswissenschaftlerin, vormals School of Communications, Dublin City University. Schwerpunkte in Forschung und Lehre: Geschlecht, Medien und Populärkultur, Kulturelle Identität mit Fokus auf Medienpublika, Tourismus und Tanz. E-Mail: [email protected] Peil, Corinna, Dr., Postdoc am Fachbereich Kommunikationswissenschaft der Universität Salzburg. Schwerpunkte in Forschung und Lehre: mobile Medienkulturen, Mediatisierungsprozesse von Alltag, Kultur und Gesellschaft, Medienwandel, Medien(de)konvergenz, feministische und antifeministische Diskurse im Internet. E-Mail: [email protected] Riesmeyer, Claudia, Dr., wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Kommunikationswissenschaft und Medienforschung der LMU München. Schwerpunkte in Forschung und Lehre: Medienkompetenz, Journalismus (und Public Relations), Medienpolitik und politische Kommunikation, Methoden der Kommunikations wissenschaft. E-Mail: [email protected] Romahn, Boris, M.A., LL.B., Senior Lecturer am Fachbereich Kommunikationswissenschaft der Universität Salzburg. Schwerpunkte in Forschung und Lehre: Arbeitsmarkt- und Berufsfeldforschung, Medienrecht und -ethik, Öffentlichkeit. E-Mail: [email protected] Röser, Jutta, Prof. Dr., Professorin für Kommunikationswissenschaft und Geschäftsführende Direktorin am Institut für Kommunikationswissenschaft der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster. Schwerpunkte in Forschung und Lehre: Mediensoziologie, Rezeptionsforschung und Ethnografie, Mediatisierung von Alltag und Gesellschaft, Neue Medien in Geschichte und Gegenwart, Cultural Media Studies, Gender Studies. E-Mail: [email protected] Roth, Ulrike, M.A., wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Kommunikationswissenschaft der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster. Schwerpunkte in Forschung und Lehre: Mediensoziologie, Gender Studies, Cultural Media Studies, Rezeptionsforschung und Internet und gesellschaftliche Teilhabe. E-Mail: [email protected] Seethaler, Josef, Dr., stellvertretender Direktor des Instituts für vergleichende Medien- und Kommunikationsforschung, Österreichische Akademie der Wissenschaften. Schwerpunkte in Forschung und Lehre: politische Kommunikation, Me-
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dien und internationale Beziehungen, Mediensystemanalyse, Mediengeschichte. E-Mail: [email protected] Steinmaurer, Thomas, Dr., Ao. Univ. Prof. am Fachbereich Kommunikationswissenschaft der Universität Salzburg. Schwerpunkte in Forschung und Lehre: Mediatisierungsforschung, Geschichte und Theorien des medialen und gesellschaftlichen Wandels, digitale Vernetzung und Gesellschaft. E-Mail: [email protected] Thiele, Martina, PD Dr., Assoziierte Professorin am Fachbereich Kommunikationswissenschaft der Universität Salzburg. Schwerpunkte in Forschung und Lehre: Kommunikationstheorien und -geschichte, Öffentlichkeiten, Stereotypenund Vorurteilsforschung. E-Mail: [email protected] Thomas, Tanja, Dr., Professorin für Medienwissenschaft mit Schwerpunkt Transformationen der Medienkultur an der Eberhard Karls Universität Tübingen. Schwerpunkte in Forschung und Lehre: (Kritische) Medien-, Kommunikationsund Kulturtheorien, Feministische Medien- und Kommunikationswissenschaft, Mediensoziologie, Cultural (Media) Studies, Transkulturelle Medienkommunikation, Medienforschung. E-Mail: [email protected] Voglmayr, Irmtraud, Dr.in, Medienwissenschaftlerin und Soziologin, Lehrbeauftragte an den Universitäten Wien, Salzburg, Klagenfurt und BOKU Wien. Aktuelle Arbeitsschwerpunkte: Medien und Gender, mediale Inszenierungen von prekären Lebenswelten, Altersdiskurse/Altersrepräsentationen in den Medien, Prekaritäts-, Stadt- und Raumforschung. E-Mail: [email protected] Wischermann, Ulla, Prof. Dr., Professorin am Fachbereich Gesellschaftswissenschaften und Geschäftsführende Direktorin des Cornelia Goethe Centrum für Frauen- und Geschlechterstudien der Goethe-Universität Frankfurt am Main. Arbeitschwerpunkte: Gender Studies, Mediensoziologie, Mediengeschichte. E-Mail: [email protected] Zobl, Elke, Dr., Assistenzprofessorin am Fachbereich Kommunikationswissenschaft und Leiterin des Programmbereichs Zeitgenössische Kunst und Kulturproduktion am Kooperationsschwerpunkt Wissenschaft & Kunst der Universität Sal zburg. Schwerpunkte in Forschung und Lehre: Alternative Medien, zeitgenössische Kunst und Kulturproduktion, Geschlechterforschung, Partizipation. E-Mail: [email protected]
Critical Media Studies Ricarda Drüeke Politische Kommunikationsräume im Internet Zum Verhältnis von Raum und Öffentlichkeit 2013, 308 Seiten, kart., zahlr. Abb., 32,80 €, ISBN 978-3-8376-2458-8
Elisabeth Klaus, Ricarda Drüeke (Hg.) Öffentlichkeiten und gesellschaftliche Aushandlungsprozesse Theoretische Perspektiven und empirische Befunde November 2015, ca. 420 Seiten, kart., ca. 36,99 €, ISBN 978-3-8376-3049-7
Florian Kreutzer Ausgänge aus der »Frauen-Falle«? Die Un-Vereinbarkeit von Familie und Beruf im Bild-Text-Diskurs (unter Mitarbeit von Maren Albrecht) 2013, 272 Seiten, kart., zahlr. Abb., 29,99 €, ISBN 978-3-8376-2471-7
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Critical Media Studies Skadi Loist, Sigrid Kannengießer, Joan Kristin Bleicher (Hg.) Sexy Media? Gender/Queertheoretische Analysen in den Medien- und Kommunikationswissenschaften 2014, 230 Seiten, kart., zahlr. Abb., 28,99 €, ISBN 978-3-8376-1171-7
Margreth Lünenborg, Jutta Röser (Hg.) Ungleich mächtig Das Gendering von Führungspersonen aus Politik, Wirtschaft und Wissenschaft in der Medienkommunikation 2012, 272 Seiten, kart., zahlr. Abb., 26,80 €, ISBN 978-3-8376-1692-7
Tanja Maier, Martina Thiele, Christine Linke (Hg.) Medien, Öffentlichkeit und Geschlecht in Bewegung Forschungsperspektiven der kommunikationsund medienwissenschaftlichen Geschlechterforschung 2012, 216 Seiten, kart., zahlr. Abb., 28,80 €, ISBN 978-3-8376-1917-1
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Critical Media Studies Julia Ahrens Going Online, Doing Gender Alltagspraktiken rund um das Internet in Deutschland und Australien 2009, 324 Seiten, kart., 33,80 €, ISBN 978-3-8376-1251-6
Martina Thiele Medien und Stereotype Konturen eines Forschungsfeldes Juli 2015, 504 Seiten, kart., 44,99 €, ISBN 978-3-8376-2724-4
Christine Horz Medien – Migration – Partizipation Eine Studie am Beispiel iranischer Fernsehproduktion im Offenen Kanal 2014, 484 Seiten, kart., zahlr. Abb., 44,99 €, ISBN 978-3-8376-2415-1
Susanne Kirchhoff Krieg mit Metaphern Mediendiskurse über 9/11 und den »War on Terror« 2010, 356 Seiten, kart., zahlr. Abb., 29,80 €, ISBN 978-3-8376-1139-7
Margreth Lünenborg, Katharina Fritsche, Annika Bach Migrantinnen in den Medien Darstellungen in der Presse und ihre Rezeption 2011, 178 Seiten, kart., zahlr. z.T. farb. Abb., 19,80 €, ISBN 978-3-8376-1730-6
Margreth Lünenborg (Hg.) Politik auf dem Boulevard? Die Neuordnung der Geschlechter in der Politik der Mediengesellschaft 2009, 330 Seiten, kart., zahlr. z.T. farb. Abb., 29,80 €, ISBN 978-3-89942-939-8
Kathrin Friederike Müller Frauenzeitschriften aus der Sicht ihrer Leserinnen Die Rezeption von »Brigitte« im Kontext von Biografie, Alltag und Doing Gender 2010, 456 Seiten, kart., 34,80 €, ISBN 978-3-8376-1286-8
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