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German Pages 198 Year 2014
Beate Flath (Hg.) Musik/Medien/Kunst
Gewidmet Werner Jauk zum 60. Geburtstag
Beate Flath (Hg.)
Musik/Medien/Kunst Wissenschaftliche und künstlerische Perspektiven
Gedruckt mir freundlicher Unterstützung der Karl-Franzens-Universität Graz, des Landes Steiermark (Abteilung 8, Wissenschaft und Gesundheit) und der Stadt Graz (Kulturamt)
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2013 transcript Verlag, Bielefeld
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Inhalt
Musik/Medien/Kunst. Ein Vorwort
Beate Flath | 7 collage für werner jauk
Rupert Huber und Horst Hörtner | 13
Medien und Medialität als Herausforderung für Musikwissenschaft heute
Susanne Binas-Preisendörfer| 17
KOMMUNIKATION Der Körper ist das Instrument
Mia Zabelka |35
Sound und Popkultur. Zwischen Ökonomie und emotionaler (Massen-)Kommunikation
Beate Flath |39
TECHNOLOGIE Vom Idiophon zum Touchpad. Die musiktechnologische Entwicklung zum virtuellen Musikinstrument
Bernd Enders|55 Musik in der digitalen Mediamorphose
Alfred Smudits |75
Mass Media in Portions
Walter Werzowa | 93
Elektronische Musik – von der Avantgarde-Nische zum paradigmatischen Musikstil
Peter Tschmuck|97
Pop – a Sustained Peak Experience
Christian C. Tschinkel | 111
WAHRNEHMUNG Komplexität und ästhetisches Erleben Auf dem Weg zu einer neuen Hedonik
Erich Raab | 131 denken mit den ohren
Sam Auinger|147
Transdisziplinäres Arbeiten an der Schnittstelle von Sozialwissenschaft und Medienkunst
Elli Scambor und Fränk Zimmer|159 Trivia
Heimo Ranzenbacher | 169
ANHANG AutorInnen | 189
Musik/Medien/Kunst Ein Vorwort
B EATE F LATH
Der vorliegende Sammelband ist Werner Jauk gewidmet und beinhaltet Beiträge aus Wissenschaft und Kunst, die in großer inhaltlicher Nähe zu seinem wissenschaftlichen und künstlerischen Tun und damit auch zu Forschungs- und Lehrinhalten des von ihm initiierten Arbeitsbereiches pop/musik+medien/kunst am Institut für Musikwissenschaft der Karl-Franzens-Universität Graz – in dessen Anlehnung der Titel dieses Buches formuliert ist – stehen. Musik/Medien/Kunst. Wissenschaftliche und künstlerische Perspektiven vereint Vielfältiges, welches mit der Vielfältigkeit von Werner Jauk in Beziehung steht: als promovierter Experimentalpsychologe, habilitierter Musikwissenschafter, Medienkünstler, electric guitarist und Kulturpsychologe ist seine wissenschaftliche und künstlerische Arbeit stets von fachlich fundierter und niemals oberflächlicher Pluralität und Originalität durchdrungen. Es ist kaum möglich, all dem in einem Büchlein gerecht zu werden – dennoch sei hier der Versuch unternommen, sich diesem anlässlich eines besonderen Geburtstages zumindest anzunähern ... Das Zueinander von Musik, Medien und Kunst kann auf vielfältige Weise interpretiert und je nach definitorischem und methodischem Blickwinkel sehr unterschiedlich gedacht werden. Die vorliegende Publikation fokussiert mögliche Kombinationen der Begriffe Musik, Medien und Kunst aus wissenschaftlicher wie künstlerischer Perspektive. Dabei sind zwei inhaltliche Gravitationszentren bestimmend: die Begrifflichkeit Medium und das Verhältnis von Wissenschaft und Kunst. Ein Medium ist hinsichtlich seiner Bedeutung etwas nicht klar Umrissenes. Es ist zunächst ein „Dazwischenliegendes“, das unterschiedliche Ausformungen
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und Ausprägungen annehmen kann. Ein Medium ist ein materieller Speicherträger, ein alphanumerisches System oder auch ein Aufzeichnungsdispositiv, das mit einem Distributionsnetz verbunden ist. Nach Marshall McLuhan sind Medien Konstituentien von Sinn, Wahrnehmung, Kommunikation und Sozialität.1 Ein „Dazwischenliegendes“ verortet sich damit je nach definitorischem Blickwinkel an unterschiedlichen Stellen menschlicher Kommunikationsprozesse und -mechanismen und wirkt zugleich konstituierend hinsichtlich seines Umfeldes. Das Verhältnis von Wissenschaft und Kunst ist ein ebenso ambivalentes wie plurales – je nach Standpunkt erschließt es sich auf unterschiedlichste Weise: wissenschaftliche Erkenntnis als Basis künstlerischer Praxis, wissenschaftliche Methoden als Methoden künstlerischen Tuns (oder umgekehrt), künstlerische Arbeit als Gegenstand wissenschaftlicher Betrachtung oder die Annäherung künstlerischer und wissenschaftlicher Erkenntnisprozesse. Die vorliegende Publikation thematisiert unterschiedliche Perspektiven von Wissenschaft und Kunst in Hinblick auf das spezifische Themenfeld Musik und Medien und zwar abseits einer rein an Zielen künstlerischer Praxis orientierten Symbiose von Wissenschaft und Kunst – zentrale inhaltliche Angelpunkte dabei sind Kommunikation, Technologie und Wahrnehmung als wissenschaftliche und künstlerische Gegenstände bzw. methodische Konzepte. Die inhaltliche Strukturierung der vorliegenden Publikation orientiert sich an diesen Schwerpunkten – wissend, dass Grenzen stets fließend und Zuordnungen als unter „Gänsefüßchen“ gesetzt zu denken sind. Den Beiträgen vorangestellt ist eine „collage für werner jauk“ von Rupert Huber und Horst Hörtner, in der sich Statements zur eigenen künstlerischen Arbeit mit Persönlichem in Form einer Hommage an Werner Jauk mischen. Der Eingangsbeitrag „Musik und Medialität als Herausforderung für die Musikwissenschaft heute“ von Susanne Binas-Preisendörfer bearbeitet Zentrales innerhalb musikwissenschaftlicher Forschung, indem Phänomene und Begriffe des Medialen beziehungsweise der Medien in Musik, der Zusammenhang von Musik, Medien und so genannter Rezeption, die Bedeutung von Medien für das Verständnis von Musikgeschichte und -gegenwart und der Zusammenhang von Medialität und Performativität thematisiert werden.
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Mersch, D. (2006). Medientheorie. Zur Einführung. Hamburg: junius. S. 112.
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Ein wesentlicher Aspekt der Begrifflichkeit Medium, der diesem gleichsam immanent zu sein scheint, ist jener der Kommunikation. Kommunikation als zentrales methodisches Konzept künstlerischen Tuns und als Gegenstand wissenschaftlicher Forschung im massenmedialen Kontext sind die Themenbereiche der Beiträge von Mia Zabelka und Beate Flath. Die sehr intuitive Möglichkeit der Kommunikation durch Sound/Musik wird in diesen beiden Beiträgen sowohl in Hinblick auf künstlerische Arbeit als auch in Hinblick auf ihre Einbettung in massenmediale Kommunikation reflektiert – beide Beiträge bauen auf jener Theorie auf, die Musik als ein Mediatisierungsphänomen2 erachtet. Das theoretische Statement „Der Körper ist das Instrument“ von Mia Zabelka basiert auf wissenschaftlichen Arbeiten Werner Jauks. Der Urlaut als Quelle musikalischer Produktion steht hier im Zentrum. In der als automatic playing bezeichneten Improvisationstechnik wird die Instrumentarisierung des Ausdrucksverhaltens zur Spielbewegung. Musik wird als kommunikatives Spiel eines permanenten Erregungszustandes beschrieben, als ein Gestalten nach dem hedonischen Prinzip von Spannung und Lösung und wird damit innerhalb von Popkultur verortet. Der Beitrag „Sound und Popkultur“ von Beate Flath bearbeitet das Konzept Sound hinsichtlich seiner Funktion im Beziehungsgeflecht von Ökonomie und emotionaler Massenkommunikation – Sound wird hier als emotionales und soziales „Guiding-System“ betrachtet. Emotionale Bindung durch Sound als Teil der Erzeugung eines emotionalen Klimas innerhalb einer Kultur wird mit strukturgenerierenden Mechanismen massenmedialer Gestaltung, die sich aus basalen Funktionen von Musik im Alltag ableiten lassen, in Verbindung gebracht. Wissenschaftliches und künstlerisches Arbeiten an der Schnittstelle von Musik, Medien und Kunst steht in vielfältigem Bezug zum Themenfeld Technologie und ihren Implikationen für unterschiedliche Bereiche menschlichen Lebens. Technologie als wesentliche Einflussgröße kulturellen Schaffens im Allgemeinen bzw. der Produktion, Rezeption und Distribution von Musik im Speziellen stehen im Zentrum der nachfolgenden Beiträge. Bernd Enders geht in seinem Beitrag „Vom Idiophon zum Touchpad“ von der Prämisse aus, dass sich die Entwicklungsgeschichte der Musik aus musiktheoretischer wie auch musikpraktischer Perspektive als zunehmende Digitalisierung der Repräsentation und Verarbeitung von musikalischen Informationen
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Jauk, W. (2009). pop/music+medien/kunst. Der musikalisierte Alltag der digital culture (= Osnabrücker Beiträge zur Systematischen Musikwissenschaft Band 15, hg. von Bernd Enders) Osnabrück: epOs.
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und Prozessen verstehen lässt – auf Basis dessen werden in weiterer Folge zehn Stufen der Instrumentenentwicklung von der Urzeit bis ins digitale Zeitalter beschrieben. In den nachfolgenden Beiträgen steht vor allem die digitale Mediamorphose im Zentrum: der Einfluss digitaler Informations- und Kommunikationstechnologien auf kulturelles/musikalisches Schaffen sowie die damit einhergehenden kulturellen, gesellschaftlichen aber auch ökonomischen (Wert-)Haltungen und deren Zueinander. Alfred Smudits thematisiert in seinem Artikel „Musik in der digitalen Mediamorphose“ wesentliche Merkmale des Einflusses der Digitalisierung auf musikalische Kreation/Produktion, Distribution, Rezeption und Musikpolitik und umreißt Faktoren einer künftigen Entwicklung: das Verhältnis von regionalen Musikkulturen zu von der Musikindustrie geschaffenen Transkulturen, das Verhältnis von traditionell bürgerlichem und nachbürgerlichem Musikverständnis hinsichtlich musikpolitischer und ästhetischer sowie sozialer Wertschätzung, das Verhältnis der Verbreitung von Musik als physisches Handelsgut (Tonträger) und immaterielles Phänomen (Musikdatei) und die Kontrolle globaler und regionaler Distribution von Musik. Walter Werzowa eröffnet seinen Beitrag „Mass Media in Portions“ mit dem pointierten Statement: „I was born in a time when water was free and music was bought. Today we pay for water ... and music is free.” Ausgehend davon werden spezifische Veränderungen des Kommunikationsverhaltens, der Musik selbst und des Umgangs mit Massenmedien thematisiert und in einen breiteren gesellschaftlichen Kontext gestellt. Die digitale Mediamorphose ist auch Ausgangspunkt des Beitrages „Elektronische Musik – von der Avantgarde-Nische zum paradigmatischen Musikstil“ von Peter Tschmuck, in dem die Wechselwirkung(en) von technologischen Veränderungen und Strukturbrüchen bzw. Paradigmenwechsel in der Musikindustrie an Hand des konkreten Beispiels der elektronischen Musik herausgearbeitet werden. Der Beitrag von Christian C. Tschinkel schließt das Themenfeld Technologie ab und führt gleichsam in den nächsten Schwerpunkt – Wahrnehmung – über. Er betrachtet in seinem Beitrag „Pop – a Sustained Peak Experience“ das Phänomen Pop einerseits aus einer interdisziplinären, ja fast schon holistischen Perspektive, andererseits mit dem speziellen Fokus auf die Popmusikproduktion. Er verortet Pop und das was ihn ausmacht in der Verbindung von technologischen Entwicklungslinien und ästhetischer Wahrnehmung auf der Grundlage von hedonischen Prinzipien: Technologie und ihre Implikationen für künstlerische Arbeit sind darin Gegenstand und methodisches Konzept.
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Mit diesem Beitrag wird Wahrnehmung ins Blickfeld gerückt und so eine Brücke zu jenen Beiträgen geschlagen, die Wahrnehmung explizit ins Zentrum stellen: Wahrnehmung als Medium, Wahrnehmung als Gegenstand wissenschaftlicher Forschung und gleichsam als Gegenstand sowie methodisches Konzept künstlerischen Tuns, aber auch Wahrnehmung des jeweils „Anderen“ im Zueinander von Wissenschaft und Kunst. Der Beitrag „Komplexität und ästhetisches Erleben von Erich Raab thematisiert auf Basis naturwissenschaftlicher Forschung eine „Ästhetik von unten“: Wahrnehmung bzw. Wirkung von formalen, strukturellen Eigenschaften von Reizen als wissenschaftlicher Gegenstand der Erforschug ästhetischen Erlebens. Ästhetik wird so nicht als eine normative „Ästhetik von oben“, die mit entsprechenden gesellschaftlichen Implikationen einhergeht, betrachtet, sondern als subjektive, mit spezifischen Reizeigenschaften zusammenhängende Erlebnisqualität. Wahrnehmung als methodisches Konzept künstlerischer Arbeit ist es, die im Beitrag von Sam Auinger im Mittelpunkt steht. Der Beitrag „denken mit den ohren“ fokussiert jenen Zugang, sich die Umwelt – hier insbesondere den urbanen Raum – hörend zu erschließen, damit zu „er-hören“. Am Beispiel von Bonn werden spezifische Orte – „hoer-orte“ – präsentiert, die jeweils ein bestimmtes akustisches Phänomen, eine bestimmte auditive Qualität ins Zentrum der persönlichen Erfahrung vor Ort stellen. Das Zueinander von Wissenschaft und Kunst wird insbesondere in den Beiträgen von Elli Scambor und Fränk Zimmer bzw. Heimo Ranzenbacher bearbeitet, in denen auch der Begriff der Wahrnehmung verortet werden kann: Wahrnehmung und Wahrnehmbarmachung von Gleich- bzw. Ungleichheit im sozialen Kontext oder in Hinblick auf das Zueinander der beiden Kulturtechniken Wissenschaft und Kunst. Der Beitrag „Transdisziplinäres Arbeiten an der Schnittstelle von Sozialwissenschaft und Medienkunst“ von Elli Scambor und Fränk Zimmer arbeitet das Zueinander sozialwissenschaftlicher Forschung und Medienkunst an Hand konkreter Arbeiten des Lables social research and media art heraus. Im Zentrum steht dabei das Projekt Gender Map, welches die Nutzung einer steirischen Kleinstadt durch Männer und Frauen in unterschiedlichen Lebenszusammenhängen aufzeigt und damit zugänglich und wahrnehmbar macht. Heimo Ranzenbacher nähert sich dem Zueinander von Wissenschaft und Kunst über den Begriff Trivia: Kunst komme demnach um eine Verwissenschaftlichung ihrer Kultur und die Wissenschaft um eine „Veralltäglichung“ ihres Erkenntnisdranges nicht umhin. Am Beispiel des Projektes ALLtag, (Ars
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Electronica, Liquid Music, gem. mit Werner Jauk und Arnold Hanslmeier) wird diese Forderung im Detail argumentiert. Abschließend sei an dieser Stelle all jenen gedankt, die diese Publikation möglich gemacht und zu dieser beigetragen haben, insbesondere den Autorinnen und Autoren, ohne die eine Publikation in diesem Format nicht realisierbar wäre sowie den Fördergebern Karl-Franzens-Universität Graz, Land Steiermark (Abteilung 8 - Wissenschaft und Gesundheit) und Stadt Graz (Kulturamt).
collage für werner jauk R UPERT H UBER
HOMMAGE AN WERNER JAUK AUS PERSÖNLICHER ERFAHRUNG naturgemäß ist es leicht, sich über komplimente zu freuen. ich habe mit werner jauk ein erlebnis gehabt, das mich seelisch sehr berührt hat. mein klavierspiel ist oft als sehr langsam, minimal, etc. beschrieben worden. es wird als – im guten fall – entspannend bezeichnet. nur werner jauk hat es gehört, gesehen und beschrieben und mir als einziger mensch auf erden bis dato auf den kopf zu sagen können: es sind ganz schnelle rhythmen, die – still, aber als reales rhythmusfundament – unter den noten mit großem zeitwert liegen, meine musik ist von einem sehr schnellen puls getrieben, der aber unhörbar ist, wie das pulsierende blut in den adern jedes noch so stillen menschen.
und: er hat das, was ich hier nur stammelnd beschreiben und sonst nur musikalisch, nicht sprachlich formulieren kann, in einem kurzen und treffenden satz gesagt ... und diese geniale formulierung ist mir entfallen!
14 | R UPERT H UBER UND H ORST H ÖRTNER
ich geniere mich und bin verärgert, seine worte damals nicht aufgeschrieben zu haben. lieber werner, ich wünsche alles gute und mit großem respekt hoffe ich, dass es noch für ein oder zwei solcher bonmots raum gibt in unserem musikalischen leben! alles gute rupert huber
18. F EBURAR 2013 die sprachliche darstellbarkeit eines intuitiven vorganges ist begrenzt. räumlich – an echtzeit gebunden. wenn die musik räumlich gedacht und umgesetzt ist und die visuelle ebene ein teil der musik – wie eine geige im streichquartett – werden töne und klänge zu sonischen charakteren und der visuelle raum zu einer ergänzung der schall-durch lichtwellen. projektion gleichzeitig verlaufender eigenständiger zeitebenen akustisch und optisch ... die zeitliche situation im raum – ähnlich einem sternenbild – bringt verschiedene zeitalter der gestirne in einem bild oder moment zusammen ... elektronische musik – klänge verändern oder generieren .... und die verfügbarkeit von zeiteinheiten undoder die kombination verschiedener zeitachsen ... das klavier wird durch zeitliche elektronische effekte in einen eigen zeitraum gedreht ... um räumliche erfahrung zu einer dramaturgischen machen zu können
COLLAGE FÜR WERNER JAUK
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31. J ÄNNER 2013 angeblich sterben alle leute mit musik im kopf ,hab‘ ich einmal gehört. (thomas bernhard, monologe auf mallorca) ... der schritt von erwartungshaltung zu offenen ohren schwebung statt drama. noch lauter, noch heller, noch schriller, noch auffälliger ... der widerspruch zwischen persönlich erlebtem und konsumiertem, oder zwischen individuell durchmessenen und virtuell konsumierten räumen vergrößert sich ständig ...
... UND H ORST H ÖRTNER
15. S EPTEMBER 2012 in „4.1“ spielt licht und schatten eine von der frequenz abhängige, eigenständige, musikalisch gesteuerte melodie a musical sculpture by Rupert Huber and Horst Hörtner, created together with the Ars Electronica Futurelab, is now on display at the Viennafair 2012, Messe Wien. „4.1“ is a space-creating composition for piano, electronic effects and light. A stele, four loudspeakers and one light cube create architectural music – a new phenomenon in terms of room acoustics. The light functions as its own voice in this polyphonic composition. „4.1“ is space coming to life, pulsating and breathing – music becoming a sculpture, which establishes a new space of attention: light/shades and acoustic space.
Medien und Medialität als Herausforderung für Musikwissenschaft heute1 S USANNE B INAS -P REISENDÖRFER
Im 2011 veröffentlichten Journal Wissenschaft und Forschung der Hochschule für Musik und Tanz Köln stieß ich auf einen kurzen Text des Kölner Musikwissenschaftlers und Journalisten Rainer Nonnenmann, der mich provozierte. „An die Stelle gemeinschaftlicher Konzerterlebnisse tritt […] im Zeitalter der technischen Reproduzierbarkeit die Konserve und deren vereinzelter Privatkonsum zuhause oder unterwegs. Die sonst sekundäre Reproduktion von Musik wurde für einen Großteil der Hörer längst zur musikalischen Primärerfahrung und das über Lautsprecher gelieferte Abbild von Musik zu deren zweiter Natur. In weiten Teilen ihres medialen Auftretens dient Musik heute nicht mehr ästhetischer Erfahrung und Sensibilisierung. Häufig wirkt sie gerade im Gegenteil anästhetisierend. Als fester Bestandteil unseres durchmediatisierten und überästhetisierten Alltags wirkt sie allzu oft betäubend, abstumpfend, entsinnlichend, statt Aufmerksamkeit zu schärfen, Konzentration zu fokussieren und überschüssige Informationen und Reize auszublenden.“ (Nonnenmann: 2010/11: 17)2
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Bei diesem Beitrag handelt es sich um einen erweiterten und veränderten jedoch gleichlautenden Artikel, der bereits erschienen ist. (In: Hoffmann, M., Iffland, J. & Schauberger, S. (2012). (Hg.). Musik 2.0 – Die Rolle der Medien in der musikalischen Rezeption in Geschichte und Gegenwart. Beiträge zum 24. internationalen studentischen Symposium des DVSM in Detmold 2011. München: Allitera.
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Nonnenmann ist Leiter des Initiativkreises Freie Musik Köln e.V., Dozent an der gleichnamigen Hochschule und freier Journalist für Rundfunk und Zeitschriften Neuer Musik.
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Der Autor plädiert deshalb in seinem Beitrag zum Thema „Musikwissenschaft an Musikhochschulen“ insbesondere die Live-Musik allen professionell damit befassten Akteuren3 und Multiplikatoren wieder als die Möglichkeit umfassender Erkenntnis und Bewusstwerdung zu vermitteln. „Musik soll nicht hörig, sondern hellhörig machen“ (Nonnemann 2010/11: 17) referiert er abschließend den Komponisten Helmut Lachenmann. Einmal abgesehen davon, dass der Konzertbetrieb in den vergangenen Jahren angesichts der fortdauernden Krise der Tonträgerwirtschaft oftmals zum einzig ‚einträglichen‘ Geschäft und Quelle der Existenzsicherung für Musiker hochstilisiert wird, mag diese Einlassung aus dem Blickwinkel eines an einer Hochschule für Musik Lehrenden als Motivationsquelle für die dort Studierenden gelten. Wer ein Studium an einer staatlichen Musikhochschule im deutschsprachigen Raum aufnimmt, wird in erster Linie für den Konzertbetrieb ausgebildet, als Orchestermusiker oder Jazzer. Im Verhältnis dazu gibt es nur eine verschwindend kleine Anzahl von Studienplätzen im Bereich Pop und auch für diese steht die Ausbildung im Hauptfach – einem Instrument – im Zentrum der Ausbildung. An der Popakademie in Mannheim und der Musikhochschule in Hannover stehen für die Ausbildungszusammenhänge Studios zur Verfügung, in denen die Studierenden Einblicke in technische und ästhetische Aspekte der Musikproduktion im Sinne von Aufnahme, Bearbeitung und Wiedergabe erhalten und folgerichtig die Rahmenbedingungen und Herausforderungen der Erstellung von „Musikkonserven“ (!) kennen lernen. Die ansonsten an den Hochschulen existierenden Studios dienen angehenden Komponisten so genannter E-Musik als Experimentierfeld und dürften von Nonnenmann eher nicht gemeint sein. Nonnenmanns Statement zielt auf andere als die ganz pragmatischen Aspekte des aktuellen Musikbetriebes und oder die Ziele der Ausbildung an einer Musikhochschule. Es zeichnet ein Bild bzw. Verständnis vom Zusammenhang von Musik und Medien, das einschlägig mit diesem Thema Befassten überwunden geglaubt schien. Da dies in den Köpfen vieler Musikwissenschaftler und insbesondere auch Musikpädagogen jedoch nicht der Fall zu sein scheint, möchte ich im folgenden einige Schlüsselworte beziehungsweise -begriffe herausgreifen und im Rahmen dieses Beitrages befragen. Dabei geht es mir insbesondere auch um die Verortung, die Spannungsfelder und die Gegenüberstellungen, die in diesem Statement vorgenommen wurden.
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Mit der Nennung der männlichen Funktionsbezeichnung ist in diesem Text, sofern nicht anders gekennzeichnet, immer auch die weibliche Form mitgemeint.
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Der Autor spricht erstens vom Zeitalter der technischen Reproduzierbarkeit und nimmt damit Bezug auf eine längst von technologischen Entwicklungen überholte Situation einerseits und auf einen berühmten, geradezu initial wirkenden, jedoch mittlerweile nahezu 70 Jahre alten Aufsatz von Walter Benjamin andererseits: „Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit“. (Benjamin 1936/2002) Wie heißt es dort doch so schön in der nahezu einzigen Passage, in der sich Benjamin mehr oder minder direkt auf die Bedeutung der technischen Apparatur für Musik bezieht: „Die Kathedrale verläßt ihren Platz, um in einem Studio eines Kunstfreundes Aufnahme zu finden; das Chorwerk, das in einem Saal oder unter freiem Himmel exekutiert wurde, läßt sich in einem Zimmer vernehmen.“ (Benjamin 1936/2002: 354)
Nonnenmann konstruiert zweitens ein Gegensatzpaar beziehungsweise den Widerspruch zwischen so genannten Konserven und ihrem vereinzelten Privatkonsum und dem gemeinschaftlichen Konzerterlebnis. Damit unterstellt er in letzter Konsequenz, dass es sich beim Hören von Musik über Lautsprecher um eine asoziale Situation handle. Technische Reproduzierbarkeit in Konserven bezeichnet er drittens als sekundäre Reproduktion von Musik und stellt sie einer musikalischen Primärerfahrung, dem gemeinschaftlichen Konzerterlebnis gegenüber. Lautsprecher liefern seiner Meinung nach viertens ein Abbild von Musik beziehungsweise erzeugen fünftens Musik in ihrer zweiten Natur, die er als betäubend, abstumpfend, entsinnlichend bewertet. Musik aus Lautsprechern fördere Unkonzentriertheit und zerstreutes Nebenbeihören. Diese Aussagen und das Plädoyer implizieren summa summarum, dass Musik im Kontext von Medien manipulativ und entmündigend wirke, für Verdummung und Vereinzelung sorge und in den Kategorien von Konsum und Privatisierung aufgehe. Aufgeführte Musik wird aufgenommener Musik gegenübergestellt und höher bewertet. Meine Interpretation mag Zuspitzungen enthalten und ebenso holzschnittartig formuliert sein, wie das Zitat auf die sie sich bezieht, dennoch – und deshalb wähle ich sie hier als Einstieg für diese Darlegungen – enthält sie Aspekte, die den Zusammenhang von Musik und Medien beziehungsweise der Medialität von Musik aus der Perspektive der Musikwissenschaften immer wieder maßgeblich und das seit längerer Zeit kennzeichnen. Eine Kritik dieser Kritik hätte aus meiner Sicht zu fragen, welche Prozesse und Phänomene hier eigentlich angesprochen und gemeint sind? Wieso wird mit solch ungebrochener Beharrlichkeit von bestimmten Akteuren aus Wissenschaft und Musikleben an ihnen Kritik geübt? Wieso wird ein Gegensatz von scheinbar unmittelbarem und mittelbarem Hören
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beziehungsweise Umgang von Musik, aufgeführter und aufgenommener Musik konstruiert? Woher kommt die besorgte Haltung gegenüber Prozessen der Medialisierung? Schließlich geht es mir in diesem Beitrag darum darzulegen, mit welchen Argumenten und Methoden eine Verhärtung der hier proklamierten Fronten aufgelöst und wissenschaftlich produktiv gemacht werden kann? Hinter diesen Fragen und ggf. Antworten verbirgt sich freilich ein ganzes wissenschaftliches und wissenschaftspolitisches Programm, eine Diskussion im Rahmen des Faches Musikwissenschaft, die vor allem durch solche Perspektiven angestoßen wurde, die nicht originär aus dem Fach, sondern eher aus inter- und transdisziplinären Zusammenhängen kamen und kommen. Diese kann ich hier weder in ihrer Breite noch in ihrer Systematik aufzeigen. Ich werde mich deshalb auf vier Aspekte konzentrieren. Dabei möchte ich Felder solcher Diskussionen und Erkenntnisse aufgreifen, für die es durchaus selbstverständlich geworden ist, vorurteilsfrei den Zusammenhang von Musik und Medien zu thematisieren und zu erforschen. Es geht mir im Folgenden um: • • • •
Eine Annäherung an Phänomene und Begriffe des Medialen beziehungsweise der Medien in Musik, den Zusammenhang von Musik, Medien und so genannter Rezeption, die Bedeutung von Medien für das Verständnis von Musikgeschichte und -gegenwart den Zusammenhang von Medialität und Performativität.
Diese Teilaspekte werde ich nicht Punkt für Punkt abarbeiten, sondern im Laufe meines Beitrages – provoziert durch das Zitat von Rainer Nonnenmann – jeweils fokussieren. Vorausschicken muss ich, dass die Bestimmung dessen, was Medien sind, chronisch prekär erscheint! „Dabei haben wir es im Einzelnen mit höchst unterschiedlichen Strukturen zu tun, die auf diversen Techniken beruhen und die kaum auf einen einfachen Nenner zu bringen sind, so dass das Mediale selber nicht ‚Eines‘ ist, das eine bestimmte Identität aufweise, sondern sich als Pluralismus entpuppt, der von Fall zu Fall dechiffriert werden muss.“ (Mersch 2009: 10)
Der Begriff der Medien findet selbst in den Medienwissenschaften bzw. den nahezu unzähligen, den Begriff enthalten Bindestrichwissenschaften (Mediensoziologie, Medienpsychologie, Medienkulturwissenschaften, Medienökonomie, Medienwirkungsforschung etc. pp.), keine einheitliche Definition. Für den hier interessierenden Zusammenhang ‚Musik und Medien‘ sei er aus dreierlei Perspek-
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tiven umrissen: erstens als technische Apparatur oder technisches Verfahren im Sinne des Kittlerschen „Aufschreibesystems“ (Kittler 1985) (z. B. Phonographie, PAs oder Sampling), zweitens als Institutionen, in denen technische Apparaturen gesellschaftlich wirksam werden (z. B. Rundfunk oder Youtube) und drittens im Sinne eines ästhetischen Mittlers mit einer konkreten Materialität, d. h. Gestalt (z. B. Klanggeschehen eines Songs), erzeugt mit historisch konkreten Technologien der Klangproduktion und/oder Wiedergabe und angeeignet in kulturhistorisch bestimmten Vermittlungszusammenhängen (gesellschaftlichen Institutionen). Erste konzeptionelle Überlegungen zum Zusammenhang von Medien und Musik im Rahmen von Musikwissenschaft treffen wir dann an, wenn Medien in Form von technischen Apparaturen beginnen in den Prozess der Erzeugung, der Verbreitung und den Umgang mit Musik einzutreten. 1938 schrieb Theodor Wiesengrund Adorno in seinem Aufsatz „Über den Fetischcharakter in der Musik“: „Es herrscht eiserne Disziplin. Aber eben eiserne. Der neue Fetisch ist der lückenlos funktionierende, metallglänzende Apparat als solcher, in dem alle Rädchen so exakt ineinanderpassen, dass für den Sinn des ganzen nicht die kleinste Lücke mehr offen bleibt. Die im jüngsten Stil perfekte, makellose Aufführung konserviert das Werk um den Preis seiner definitiven Verdinglichung. Sie führt es als ein mit der ersten Note bereits fertiges vor: die Aufführung klingt wie ihre eigene Grammophonplatte.“ (Adorno 1973: 31)
Fetisch, metallglänzender Apparat, Verdinglichung: deutlicher konnte Adorno seine Abneigung gegen die Vorgänge und Resultate industriell gefertigter und kapitalisierter Produktions- und Denkweisen nicht auf den Begriff bringen. In Bezug auf Musik stößt er sich an den durch technische Aufnahmen festgelegten und damit seiner Meinung nach offizialisierten Aufführungsidealen, die zu jener Zeit darin bestanden, eine notationsgetreue Wiedergabe (Was ist das eigentlich?) zu erreichen. 1937 hatte Arturo Toscanini die erste Komplettaufnahme der neun Sinfonien von Beethoven mit dem NBC Symphony Orchestra eingespielt (Schätzlein 2005), an der sich in Folge ein Großteil der Aufführungen versuchte zu orientieren. Lebendigkeit und Einzigartigkeit (Benjamin bezeichnet dies mit der berühmt gewordenen ‚Formel‘ des „Hier und Jetzt“, Benjamin 1936/2002: 354) in der Aufführung schienen für Adorno nunmehr ausgeschlossen. „Die bewahrende Fixierung des Werkes bewirke dessen Zerstörung“ (Adorno 1973: 32), so Adorno. Er sieht – hier ähnlich wie Walter Benjamin, nur mit anderen Schlüssen – die Aura des Kunstwerkes zerstört. Hegt Benjamin mit dem Eingriff der Apparatur die (politische) Hoffnung auf einen Nutzen der entsprechenden Pro-
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dukte zur Schulung für den Umgang mit der modernen Wirklichkeit (bei Benjamin mit Hilfe des Films), so trauert Adorno zunächst dem klassischromantischen Werkideal und der Unmittelbarkeit der Aufführung nach. Diese Auffassung gegenüber auf Tonträgern fixierter Musik hat er später – angesichts von Opernaufnahmen – revidiert. Die Begriffe Fetisch, Maschinerie und Verdinglichung prägten das Vokabular mindestens einer ganzen Generation von Geisteswissenschaftlern im Sinne der Kritischen Theorie. In der Tat legten sie die Verhältnisse (die Medien), in denen die Entwicklungen technischer Apparaturen gesellschaftlich wirksam werden, ein Stück weit offen. Indem sie sie jedoch in erster Linie verteufelten und den wahren Wert der Künste versuchten zu adressieren, gerieten die komplexen Verhältnisse von Kulturproduktion und -aneignung wiederum aus dem Blick. Technische Apparatur und kulturindustrielle Fertigung bildeten die Fix- und Kritikpunkte beziehungsweise das negative Paradigma, vor dessen Hintergrund Fragen zum Stellenwert von Medien im weiter oben beschriebenen Sinne für Musik lange Zeit in den Musikwissenschaften weitestgehend ausgespart blieben. Tonträger, die erstmals in der Musikgeschichte die Klangstruktur von Musik selbst als Objekt verfügbar machten, traten dabei gewissermaßen in Konkurrenz zur Partitur, als dem Objekt der traditionellen, an den Parametern von Melodik, Harmonik und Rhythmik orientierten Analyse. Der Tonträger wurde also nicht nur zur Konserve erklärt und als sekundäre Daseinsform des Eigentlichen (miss)verstanden, er stellte auch eine Art Mysterium dar, dessen Wirksamkeit (insbesondere zu Zeiten seiner technologischen Unzulänglichkeiten) man noch nicht in der Lage war, zu verstehen. Vor den konzeptionellen Konsequenzen der Analyse dieser technischen Fixierungs- und zugleich Erzeugungsmodalitäten von Musik haben sich Musikwissenschaftler lange gescheut. Eine Lösung dieser Probleme und damit auch ein zunehmendes Verständnis der Bedeutung sowohl von technischen Kommunikationsmitteln im Musikprozess als auch der Medialität von Musik kann aus meiner Sicht gefunden werden, wenn man sich die Funktion und damit die Bedeutung dieser Apparaturen bzw. „Aufschreibesysteme“ (Kittler 1985) – ein Begriff des Literaturwissenschaftlers und Medienphilosophen Friedrich Kittler – beziehungsweise unterschiedlicher medialer Schriften wirklich vor Augen führt und in ihren Konsequenzen für die Gestaltungsmöglichkeiten und Umgangsformen mit Musik befragt. Der österreichische Musiksoziologe Kurt Blaukopf forderte in den ausgehenden 1960er Jahren eine so genannte „Schallplattenwissenschaft“. (Blaukopf 1970: 12) Denn obwohl durch das Aufkommen des Rundfunks der Unterschied zwischen live aufgeführter Darbietungsmusik und gesendeter Übertragungsmu-
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sik niemandem mehr wirklich entgehen konnte, blendete insbesondere die Historische Musikwissenschaft in ihrem Festhalten an traditionellen Notationsformen und solchen Musikformen, die in diesen Kategorien aufzugehen schienen, Fragen zum Zusammenhang der Entwicklung technischer Kommunikationsmittel und den Institutionen ihres gesellschaftlichen Wirksamwerdens weitestgehend aus. Blaukopf versuchte später mit der Einführung des Begriffs der Mediamorphosen (Medienevolution!) solchen Prozessen nachzugehen, die sich im sozial repräsentativen Gebrauch von Musik in Zusammenhang mit Medien (Rundfunk, Schallplatte) damals zeigten. (Blaukopf 1989: 125, Smudits 2002) Gleichsam war es ihm wichtig darauf hinzuweisen, dass es sich bei den zunehmend massenhaft vorhandenen Medienartefakten eben nicht allein um sekundäre Reproduktionen von eigentlich aufzuführender Musik handelte, sondern dass diese Musikformen schon in ihren Kompositions- und Notationsverfahren medienorientiert waren. Wer sich heute die Geschichte der Aufnahmetechniken oder der Tonstudioentwicklung vor Augen führt, wird sehr schnell genau zu diesem Schluss kommen. Mikrophone dienten seit ihrer Erfindung nie nur dazu, Instrumente und Stimmen abhängig von ihrer eigentlichen Lautstärke unabhängig voneinander aufs Band zu fixieren, sie dienten vor allem auch dazu, sehr spezielle – in der Realität der Aufführung so nicht existierende – Raumeffekte zu simulieren beziehungsweise zu konstruieren. Das so genannte Crooning ist hierfür ein immer wieder gern angeführtes Beispiel. Das Verhältnis von so genannten reellen und virtuellen, natürlichen und künstlich hergestellten Klängen hat sich im Laufe des vergangenen Jahrhunderts so evident verändert, dass die Frage nach dem Verhältnis von so genannten Primär- und Sekundärquellen nicht mehr relevant ist. Eine Ablösung von in der Natur vorkommenden Klängen ist keineswegs erst ein Phänomen des 20. Jahrhunderts. Instrumente – welcher Art auch immer – stellen einen im Zivilisationsprozess angelegten, Jahrhunderte dauernden Ablösungsprozess von den natürlichen Klangumgebungen der Menschen dar. In letzter Konsequenz könnten auch sie als Medien, als Mittler verstanden werden. Und Musik selbst stellt als eine kulturelle Praxis des Hörens, Tanzens, Klangerzeugens eben auch ein Medium ästhetischer Kommunikation dar. Es nützt meines Erachtens jedoch wenig, den Begriff der Musik vollständig in dem des Mediums aufgehen zu lassen. Vielmehr scheint es sinnvoll und geboten, Musik eine mediale Qualität zuzugestehen und im Allgemeinen nicht davon auszugehen, dass sie eine textuelle Qualität hätte. Ich betone: im Allgemeinen. Im Besonderen mag es unstrittig sein, dass beispielsweise in europäischen Kunstmusiktraditionen stehende Komponisten für ihre Musik eine intentionale – sprich textuelle – Qualität in Anspruch nehmen und umgekehrt vom Publikum
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erwarten, dass zumindest ansatzweise diese im Rezeptionsprozess erschlossen und verstanden wird. Häufig stehen ihnen dafür Musikwissenschaftler zur Seite. In Texten, Komponistenporträts und Werkanalysen stellen sie entsprechende Hör- und Deutungshilfen zur Verfügung, selektieren Bedeutungen und richten die Aufmerksamkeit von Hirn und Ohren in eine bestimmte Richtung, damit die Intensionen, wenn möglich, rezipiert werden. Aber bleiben wir bei der medialen Qualität von Musik im Allgemeinen. Selbst für ein Stück Konzertmusik gilt, dass sehr unterschiedliche Rezeptions- und Aneignungsweisen derselben existieren können. Abhängig von den individuellen kulturellen sowie Klang- beziehungsweise Musikerfahrungen und insbesondere auch der jeweils konkreten Hörsituation, kann ein Stück so und auch ganz anders gehört werden. Auch ein solches Stück kann eine Art Agens darstellen, mittels dessen die verschiedenen Hörer ganz unterschiedliche Bedeutungen für sich realisieren. Umso mehr trifft dies für die diversen Formen populärer Musik zu. Aus ihren Umgangskontexten heraus haben sich seit mittlerweile mindestens 20 Jahren geradezu zwangsläufig wissenschaftliche Denktraditionen entwickelt,4 in denen die Medialität von Klangformen fokussiert werden, nicht allein weil technische Mittler, wie Mikrophone, Lautsprecher, Mischpulte, Tonträger, Radio, Video oder Internet eine solch bemerkenswerte Rolle für ihre Produktion, Vermittlung und ihre Nutzung spielen, sondern weil andernfalls die klanglichen Gestaltformen – die Songs, Lieder, Tracks, Beats etc. – in ihrer Funktion eher missverstanden werden. Wer die mediale Qualität von Musik akzeptiert, stellt sich neben eine musikwissenschaftliche Denk- und Analysetradition von Musik, die dieselbe als ein Objekt mit immanenter Bedeutungsstruktur im Geist einer repräsentionalistischen Sprachphilologie (Krämer 2004: 23) versteht, Musik als ein Objekt, deren Gehalt in der Gestalt festgeschrieben, in ihren spezifischen Zeichen repräsentiert scheint und vom Analytiker entschlüsselt werden kann. Nicht der intendierte und rezipierte Gehalt, sondern die Medialität von Musik stellt meines Erachtens den Schlüssel zum Verständnis von konkreten – nicht nur den populären – Musikpraktiken dar. Medialität ermöglicht subjektiv höchst divergente Strategien der Bedeutungsproduktion. Dies zu akzeptieren und entsprechende Modelle des Mu-
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Verbunden vor allem mit dem Namen und den Aufsätzen von Peter Wicke: Rockmusik – Dimensionen eines Massenmediums. Weltanschauliche Sinnproduktion durch populäre Musikformen, Weimarer Beiträge 33/6 (1989), 885–906, und Peter Wicke, Vom Umgang mit populärer Musik, Berlin 1993.
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sikverständnisses zu entwickeln, darin liegen heute wohl die entscheidenden Herausforderungen an Musikwissenschaft. Eine disziplinär offene und medienwie kulturhistorisch ausgerichtete Musikwissenschaft kann hierzu m. E. enscheidende Beiträge leisten. In diesem Zusammenhang lohnt sich die Kenntnisnahme des PerformanceKonzeptes von Erika Fischer-Lichte, die – sie ist von Hause aus Theaterwissenschaftlerin – Kunst, Theater und Musik nicht als Text, sondern als Praxis verstanden wissen will. (Fischer-Lichte 2004) Dieser Gedanke wird aufzugreifen sein, vor allem auch, weil meines Erachtens Performativität und Medialität, wie es vielleicht zunächst scheinen mag, keinen Widerspruch bilden. Zugegeben, eine auf den ersten Blick schwierige Denkfigur! Hingegen stellt das Verständnis der Geschichte akustischer technischer Kommunikationsmittel im Sinne einer technischen Apparatur eher eine geringere konzeptionelle Herausforderung dar. Hierzu liegen bereits einige sehr interessante Arbeiten zum Beispiel von Heinz Hiebler (Hiebler 2005) und Rolf Großmann (Großmann 2004) vor. Und auch die Etappen der Geschichte von Akteuren und Institutionen des Musiklebens, in denen diese technischen Entwicklungen gesellschaftlich wirksam werden, lassen sich mit Blick auf die entsprechenden Quellen einigermaßen lückenlos recherchieren und werden seit Ende des 20. Jahrhunderts auch in einem anderen konzeptionellen Licht dargestellt, vergleicht man die strenge Kritik, so wie sie bei Adorno zu finden war. 5 Das Forschungsfeld von Musik und Medien hat in den vergangenen Jahren erhebliche Anregungen einerseits aus der sozialwissenschaftlich ausgerichteten Publizistik- und Kommunikationswissenschaft und andererseits aus den Medienund Kulturwissenschaften erhalten. Freilich legen beide Richtungen unterschiedliche Medienbegriffe zugrunde. Die Publizistik- und Kommunikationswissenschaften verstehen unter Medien technische, professionelle und organisatorische Kommunikationsmittel (Schramm 2009), wohingegen die Forschungen der Medien- und Kulturwissenschaft auf einem breiteren Medienbegriff basieren (Jauk 2009). Im jüngst erschienenen Handbuch „Musik und Medien“ wird „eine umfassende Darstellung der Entwicklungsgeschichte der Musik in den einzelnen Medien inklusive des potentiellen Einbezugs von konkreten Inhalten, Formen,
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Vgl. hierzu für den deutschsprachigen Raum insbesondere Peter Tschmuck, Kreativität und Innovation in der Musikindustrie, Innsbruck u. a. 2003; und Peter Wicke, Popmusik als Industrieprodukt, http://www2.hu-berlin.de/fpm/textpool/texte/wicke_ popmusik-als-industrieprodukt.htm (Abrufdatum: 27.2.2013).
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Genres, Technologien, Geräten sowie Institutionen, Strukturen und Prozessen der Produktion und des Betriebs“ angestrebt. (Schramm 2009) Im Zentrum stehen dabei Erläuterungen zu Musik in den modernen Massen- und Individualmedien wie Radio, Hörspiel, Film, Fernsehen und Internet. In den Blick nimmt die betreffende Publikation ebenso Musik als Gegenstand von Journalismus und Literatur. Schließlich werden auch die erheblichen Veränderungen bei der Gestaltung von Musik mit Hilfe technischer Medien (Stichwort: Musikproduktion im Studio und Klangkunst) dargestellt. Die kommunikations- und medientechnologischen Entwicklungen der Geschichte haben tiefe Spuren in den Gestaltungs- und Aneignungsstrategien von Musik hinterlassen. Es fällt deshalb nicht leicht, diesen Zusammenhängen überschaubar und systematisch nachzugehen und als Forschungsfeld abzustecken. Man ist mit einer Fülle von Phänomenen konfrontiert und steht dabei durchaus auch vor dem Problem, das Gegenstandsfeld Musik und Medien im Kontext der Fachdisziplinen der Musikwissenschaft zu verorten, eben weil mit dem Begriffspaar Musik und Medien auch ein Gegenstandsbereich markiert ist, der sinnvoll weder allein mit (medien-)historischen, systematischen, noch mit ethnographischen Methoden der Erforschung von Musik verständlich wird. Von allem etwas?! Interdisziplinäre Projekte sind mit erheblichen methodischen Herausforderungen beziehungsweise Verständigungsproblemen verbunden, ganz zu schweigen von ihrer wissenschaftspolitischen Sprengkraft. Es scheint immer noch am schlüssigsten und wenigsten beschwerlich, sich entlang medientechnischer Entwicklungen den entsprechenden ästhetischen Konsequenzen, Aneignungsformen und Veränderungen im Musikleben zuzuwenden. Apparative Erzeugungsprozeduren gelten quasi als konstitutiv für all das, was Mediatisierungsprozessen unterzogen ist. (McLuhan 1967/2001, Malm 1993) Der eingangs zitierte Rainer Nonnenmann geht ebenso wie Adorno (noch) davon aus, dass all das was Medien übertragen, möglichst invariant und stabil gehalten wird. D. h. Medien sind sekundär, es gibt stets ein Außerhalb von Medien. Medien verhielten sich gegenüber der Essenz von Geist, Sprache und Kultur neutral. Technologisch vermittelte Produktions-, Reproduktions-, Verbreitungs- und Aneignungsprozesse wurden und werden aus dieser Perspektive zumeist als ‚technische Zurüstungen‘ und ‚musikalische Standardisierung‘ gedeutet und kritisiert.6 Die Rezeption von Musik – der eigentlichen, der primären – schien und scheint durch Medien verstellt, verdeckt, konserviert und in ihrem Verhältnis zum eigentlichen Gegenstand – der Musik in ihrer eigentlichen
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Vgl. das Zitat Adornos im Zusammenhang mit den Schallplattenaufnahmen von Toscanini. (Adorno 1973) a.a.O.
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Essenz – nicht adäquat. Im Umkehrschluss werde nun nur noch diejenige Musik ‚rezipiert‘ die ohnehin im industriellen technischen Fertigungsprozess bereits entwertet und gehaltlos sei, z. B. die verschiedenen Formen populärer Musik. Nun hat es sich insbesondere für das Verständnis von populärer Musik als äußerst wichtig erwiesen, Musiker, Publikum und Musikwirtschaft in ihrer Bedeutung für den Musikprozess beziehungsweise das Diskursfeld populäre Musik gleichermaßen ernst zu nehmen. Musiker und Publikum machen ihre jeweils konkreten, sozial geprägten Erfahrungen zum Ausgangspunkt einer Bedeutung produzierenden kulturellen Praxis. Publika wie Zuhörer, Konzertbesucher, Tänzer, Fans und Freunde bezeichne ich deshalb nicht als Rezipienten. Sie sind für mich Akteure, Handelnde und Macher. Der Begriff des Rezipienten impliziert, dass jemand die Bedeutung dessen entschlüsselt, was ein anderer vorgegeben hat (vgl. weiter oben: Intensionalität). Der Begriff des Rezipienten impliziert auch, dass dessen Verständnis der akustischen Zeichen beziehungsweise ihrer graphischen Korrelate als Repräsentanten von Musik geschult werden muss. Dieses Bild aber entspricht ausschließlich einem Verständnis von Musik als Text, es akzeptiert nicht die medialen Qualitäten von Musik. Das Bild vom Rezipienten entstammt einer linear gedachten Kommunikationskette, deren Aussagen von eben diesen Rezipienten – den Textverständigen – gedeutet werden müssen. Hörer, Fans, Tanzende und Musiker sind jedoch integraler Bestandteil eines performativen und medialen Szenarios, in dem sie immer auch selbst zu Bedeutungsproduzenten werden, ob in durch technische Medien dominierten oder eher nicht durch technische Medien dominierten Zusammenhängen. Heute, da Medien ubiquitär geworden sind, geht man davon aus, dass, was immer von uns wahrgenommen, kommuniziert und gedacht wird, stets mit Hilfe von und in Medien wahrgenommen, kommuniziert und gedacht wird. Es gibt kein Außerhalb mehr von (technischen) Medien. Die seit etwa 50 Jahren – einst angestoßen von Marshall McLuhan – geführte Mediendebatte thematisiert, dass Medien das, was sie übertragen, zugleich auch irgendwie hervorbringen. (McLuhan 1967/2001) Ralf Schnell definiert im Metzler Lexikon „Medientheorie und Medienwissenschaft“ folgendes zum Stichwort Medienästhetik: „Die Medienästhetik ist nicht identisch mit dem was gesagt wird, sondern sie besitzt ihr charakteristisches Merkmal in der Art und Weise, wie sie ihre Möglichkeiten und Fähigkeiten, ihre Techniken, ihre Mittel zur Verarbeitung von vorgegebenen oder hergestellten Inhalten und Gegenständen einsetzt. Das WIE dieser Wahrnehmung steht deshalb im Mittelpunkt der Medienästhetik.“ (Schnell 2000: 210)
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Ralf Schnell ist hier ganz nah bei Walter Benjamin, der bereits den Roman als ein Produkt des Buchdrucks verstand, weil er im Zuge der Medienevolution den Wechsel vom gemeinschaftlichen Erzählen zu isoliert produzierten und auch rezipierten Druckerzeugnissen zur Folge hatte. Später erzeugte der Film – so Benjamin – die bis dato gänzlich unbekannten, technisch verfremdeten Sichtweisen auf die Welt, sowohl aus der Perspektive ihrer Kameramänner, Regisseure und Schnittmeisterinnen als auch aus der Perspektive der Kinobesucher. (Benjamin 1936/2002) In der Gegenwart stellen sich diese Situationen angesichts der Durchsetzung individueller und interaktiver Medien schon wieder in einem ganz anderen Licht dar. Ähnlich tiefgreifende Entwicklungen und Umbrüche lassen sich natürlich auch in der Geschichte und der Gegenwart von Musik auffinden. Für die historische Musikwissenschaft selbst gehört zum Beispiel der Zusammenhang von Musik und Medien eigentlich zum Basiswissen. Dies wird ganz besonders deutlich, wenn man sich mit der Funktion und Bedeutung von graphischer Notation beziehungsweise ihrer Entwicklung an der Wende vom 9. zum 10. Jahrhundert befasst, als aus Neumen langsam die frühen Formen der Quadrat- beziehungsweise Choralnotation wurden. Notation war nie nur ein Mittel der Memorierung, Fixierung und Kommunikation, sondern insbesondere eine unabdingbare Voraussetzung für die in den folgenden Jahrhunderten sich entwickelnden Kompositionspraktiken der europäischen Kunstmusikformen. Bestand die Funktion der Neumen in der Nachschrift des gedanklich Vorgefassten und der Erleichterung und Festigung des Memorierungsprozesses, so ermöglichten die präzisen graphischen Definitionen von singulären Tonorten das Entwerfen von Neuem (Kaden 1993), also das kompositorische Experiment auf der Basis grafischer, medialer Entscheidungsstrategien. Der schriftliche Außenspeicher Notation wurde zum Arbeitsinstrument des Komponisten, so wie die elektronisch-analoge und später die digitale Mehrspurtechnik zum Werkzeug der Musikproduktion bzw. des Musikproduzenten, Masteringingenieurs etc. wurde und bisher unbekannte Klangkonzepte (Wall of Sound, Klangsignaturen von Musikproduzenten auch als Marke) ermöglichte. Vor dem Hintergrund technischer Entwicklungsprozesse beziehungsweise Erzeugungsprozeduren eröffneten sich neue Entscheidungsstrategien und neue Gestaltungsspielräume. Dabei stehen beide Medienformen (grafische Notation und die diversen der Klangaufzeichnung, Bearbeitung und Wiedergabe) meines Erachtens nicht in Konkurrenz zueinander, sondern sind lediglich Ausdruck ihrer Zeit und entsprechender technischer Möglichkeiten und ihrer historischen Klang- beziehungsweise Musikkonzepte. Die Verweigerung von Klangsinnlichkeit oder aber das Dominantmachen derselben stellt dabei ein wichtiges Kriterium dar.
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Die Art der technischen Speicher(Medien) erlaubt Rückschlüsse darüber, was an Musik entsteht, wie es entsteht und auch wie damit umgegangen wird. Allerdings bleiben uns insbesondere in Bezug auf den Umgang und die Wahrnehmungsweisen von Hörern, ob im Konzert oder vor heimischen Lautsprechern, ohne Lautsprecher oder eingetaucht in die Klangkulisse eines Klubs erhebliche Unsicherheiten im Verständnis dessen, was eigentlich warum, wie gehört wird. Historische als auch individuelle Klangerfahrungen sind kaum dokumentiert beziehungsweise lassen sich jenseits der konkreten Umgangssituationen schwer dokumentieren beziehungsweise rekonstruieren. Es gibt erste Überlegungen und Modellierungen mit Hilfe des Mediendispositiv-Konzeptes (Großmann 2008), des Affordance-Konzeptes der britischen Medienmusikwissenschaft (Clarke 2005) sowie des interdisziplinären Diskussionszusammenhangs im Rahmen des von der DFG geförderten Netzwerkes Sound in Media Cultures/Klang in den Medienkulturen, in dem auch Musikwissenschaftler und Musikwissenschaftlerinnen aktiv sind.7 Aufführung vs. Aufnahme, Konzert vs. Tonträger, Körper vs. Technik, Performance vs. Medien, Performativität vs. Medialität: sich für das eine zu engagieren und das andere zu verdammen, macht mit Blick auf das Musikerleben und das Musikleben wenig Sinn. Dafür gibt es nicht zuletzt in der Gegenwart mannigfache Belege. Musik nimmt verschiedene Existenz- beziehungsweise Realisierungsformen an, die sich keinesfalls ausschließen müssen. Medien können dabei eine Funktion von Performance bilden, Performativität eine Funktion von Medialität. Freilich stellt das durchaus widersprüchliche Verhältnis von Einmaligkeit (zumeist thematisiert im Kontext von Performativität) und technischer Reproduktion (Stichwort Medialität) eine theoretische Herausforderung dar. Kann man – so fragt die Literaturwissenschaftlerin und Philosophin Sybille Krämer in der Einleitung zu der 2004 von ihr herausgegebenen Publikation „Performativität und Medialität“ – beides zusammen denken? Krämer diagnostiziert eine gewisse Gleichgerichtetheit von Positionen der Performativitäts- und der Medialitätsdebatte. Medien vermitteln etwas und erzeugen das Vermittelte zugleich mit. In Aufführungen – besser Performances – wird nach Fischer-Lichte der Zuschauer/Zuhörer zu einem wichtigen Kollaborateur, er wird zum Macher (Fischer-Lichte 2004). Performativitätsdebatte und ein mediales Verständnis von
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Internationales Netzwerk Sound in Media Cultures/Klang in den Medienkulturen, gegründet von Holger Schulze (Universität der Künste), Jens Gerrit Papenburg und Maria Hanáček (Humboldt-Universität zu Berlin http://www.soundmediaculture.net/ [Abrufdatum: 27.2.2013]
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Musik verabschieden sich von der Idee der Repräsentation, genauer üben sie Kritik daran, dass Kunst, Theater oder Musik einem Text gleich gelesen werden könnten, in dem ein Rezipient Zeichen mit Repräsentation identifiziert. Nimmt man in den Musikwissenschaften die Herausforderung von Medien und Medialität ernst, dann gehören die Praktiken des Musizierens, Klangerzeugens, Tanzens, Hörens, des Plattenauflegens, des Daddelns, des Inszenierens im Web 2.0 wie auch die des Produzierens im Studio und auf Bühnen in den Fokus wissenschaftlicher Auseinandersetzung. Hierbei handelt es sich oftmals um medial organisierte Selbst- und auch Fremdbildungsprozesse, die sich allein in theoretischkonzeptionellen Überlegungen oder in standardisierten Interviews oder Messreihen, d. h. im Labor nicht verstehen bzw. rekonstruieren lassen. Auf der Suche nach adäquaten Methoden des Erkenntnisgewinns braucht es m. E., bezogen auf konkrete Fallbeispiele transdisziplinäre Kooperationen, einen co-working space, in dem die hochentwickelten Methoden einzelner Fachdisziplinen aufeinander bezogen werden können. Freilich könnte es hierbei zu methodisch bedingten und vom Forschungsgegenstand ausgehenden Interessenskonflikten kommen. Diese aufzudecken, stellt einen ersten wichtigen Schritt dar. Insofern diente mir das Zitat von Rainer Nonnenmacher als Ausgangspunkt einer solchen Auseinandersetzung. Hilfreicher und wünschenswert wäre in diesem Falle gewiss ein unmittelbarer Dialog oder Polylog, auch und gerade wenn es um Medien geht.
L ITERATUR Adorno, T. W. (1973). Über den Fetischcharakter in der Musik. In: Adorno, T. W., Dissonanzen – Einleitung in die Musiksoziologie (= Gesammelte Schriften, Bd. 14, hg. von Rolf Tiedemann) (S.14–50). Frankfurt am Main: Suhrkamp. Benjamin, W. (2002). Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit. In: Benjamin, W., Medienästhetische Schriften, hg. von Schöttker, D. (S. 351–383). Frankfurt am Main: Suhrkamp. Blaukopf, K. (Hg.). (1970). Technik, Wirtschaft und Ästhetik der Schallplatte. Symposion auf der 'hifi '68 Düsseldorf' (= Schriftenreihe Musik und Gesellschaft, Heft 7/8). Karlsruhe: Braun. Blaukopf, K. (1989). Beethovens Erben in der Mediamorphose. Kultur- und Medienpolitik für die elektronische Ära, Heiden: Niggli. Fischer-Lichte, E. (2004). Ästhetik des Performativen Frankfurt am Main: Suhrkamp.
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Clarke, E. F. (2005). Ways of Listening: An Ecological Approach to the Perception of Musical Meaning. Oxford: Oxford University Press. Großmann, R. (2008). Verschlafener Medienwandel. Das Dispositiv als musikwissenschaftliches Theoriemodell. positionen – Texte zur aktuellen Musik, 74, 6-9. Großmann, R. (2004). Signal, Material, Sampling. Zur ästhetischen Aneignung medientechnischer Übertragung. In: Sanio, S. & Scheib, C. (Hg.), Übertragung – Transfer – Metapher. Kulturtechniken, ihre Visionen und Obsessionen (S. 91–110). Bielefeld: Kerber. Hiebler, H. (2005). Der Sound zwischen technischen Möglichkeiten und kulturellen Ansprüchen – Eine Medienkulturgeschichte der Tonträger. In: Segeberg, H. & Schätzlein, F. (Hg.), Sound. Zur Technologie und Ästhetik des Akustischen in den Medien (= Schriftenreihe der Gesellschaft für Medienwissenschaft, GfM, Band 12) (S. 206–228). Marburg: Schüren Verlag. Jauk, W. (2009). pop/music+medien/kunst. Der musikalisierte Alltag der digital culture. (= Osnabrücker Beiträger zur systematischen Musikwissenschaft Band 15, hg. von Bernd Enders). Osnabrück: epOs. Kaden, C. (1993). Die Anfänge der Komposition. In: Kaden, C., Des Lebens wilder Kreis. Musik im Zivilisationsprozess (S. 64–103). Kassel: Bärenreiter. Kittler, F. (1985). Aufschreibesysteme 1800/1900. München: Fink. Krämer, S. (Hg). (2004). Performativität und Medialität, München: Fink. Malm, K. (1993). Music on the Move: Traditions and Mass Media, Ethnomusicology 37/3, 339–352. McLuhan, M. (2001). Das Medium ist die Botschaft [The medium is the message. An inventory of effects, 1967] Dresden: Verlag der Kunst. Nonnenmann, R. (2010/11) Musikwissenschaft an Musikhochschulen. Journal Wissenschaft und Forschung. Musik im wissenschaftlichen Diskurs, 17–19. Schätzlein, F. (2005). Sound und Sounddesign in Medien und Forschung. In: Segeberg, H. & Schätzlein, F. (Hg.), Sound. Zur Technologie und Ästhetik des Akustischen in den Medien (= Schriftenreihe der Gesellschaft für Medienwissenschaft Bd. 12) (S. 24–40). Marburg: Schüren Verlag. Schnell, R. (2002). Medienästhetik. In: Metzler Lexikon Medientheorie, Medienwissenschaft (S. 207–211). Stuttgart/ Weimar: Verlag J.B. Metzler. Schramm, H. (Hg.). (2009). Handbuch Musik und Medien, Konstanz: UVK. Smudits, A. (2002). Mediamorphosen des Kulturschaffens. Kunst und Kommunikationstechnologien im Wandel, Wien: Braumüller. Tschmuck, P. (2003). Kreativität und Innovation in der Musikindustrie, Innsbruck: Studienverlag.
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Wicke, P. (1989). Rockmusik – Dimensionen eines Massenmediums. Weltanschauliche Sinnproduktion durch populäre Musikformen. Weimarer Beiträge 33/6, 885–906. Wicke, P. (1993). Vom Umgang mit populärer Musik, Berlin: Volk und Wissen. Internetquelle Wicke, P. (1993). Popmusik als Industrieprodukt. http://www2.hu-berlin. de/fpm/textpool/texte/wicke_popmusik-als-industrieprodukt.htm [Abrufdatum: 27.2.2013].
Kommunikation
Der Körper ist das Instrument M IA Z ABELKA
T HEORETISCHES S TATEMENT 1 •
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In meinem künstlerischen Schaffen beziehe ich mich auf Phonetik und Urlaut, auf das Geräusch als Mittel und Ursprung. Der Urlaut des Menschen ist Quelle der musikalischen Produktion. Meine Musik versteht sich somit als kulturelle Überformung des Emotionslautes und Instrumentarisierung bzw. Mediatisierung emotionalen Ausdruckes, dessen vor-para-sprachlicher Charakter intuitiv kommunikativ ist. In der von mir entwickelten Improvisationstechnik, die ich als automatic playing bezeichne, transformiere ich in Echtzeit körperliche Bewegung in klanglichen Ausdruck. Es geht um die Auslotung des Verhältnisses von Klang, Bewegung, Gestik, Zeit und Raum. Die Instrumentarisierung des Ausdrucksverhaltens wird zur Spielbewegung, zum Spiel eines Instruments. Es sind dies Codes, die emotionale Qualität nicht zeichenhaft repräsentieren, nicht nachzeichnen, sondern unmittelbar vergegenwärtigen: in Form gebrachtes Feeling. Auf Basis der De- und Rekonstruktion der klanglichen Möglichkeiten meiner Instrumente, Violine, E-Violine, Stimme, Laptop, electronic devices, versuche ich eine einzigartige Klangsprache zu entwickeln und erforsche mit großer Experimentierfreudigkeit unterschiedliche Spielarten und neue musikalische Territorien.
Jauk, W. (2008). Körper-Klang-Koppelung. Ein frühgeschichtliches ästhetisches Konzept als Interface in die Zukunft gesellschaftlicher Wirklichkeit. In: wein.klang Frühling http://www.miazabelka.com/philosophy, hg. von Mia Zabelka, klang.haus 2008.
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Meine Violine, meine Stimme und mein Körper werden in Klangkörper transformiert, die zugleich organisch, schreiend, lyrisch, explosiv und dennoch sorgfältig komponiert sind. Meine Musik versteht sich somit als ein kommunikatives Spiel mit einem ausgewählten Instrumentarium, das aus einem permanenten Erregungszustand entsteht. Durch die Einbeziehung der Grundtechniken elektronischer Medien zur Gestaltung und Erzeugung meiner Kunstproduktion schaffe ich das Zueinandertreffen der körperlichen Natur des Menschen und der entkörperlichten Kultur der codierten Welten. Es geht mir dabei um die Transgression des Körpers vom mechanistischen zum hedonischen Körper. Dabei findet auch eine Annäherung an die so genannte „pop culture“ statt, die das körperhafte Musizieren und die körperhafte Rezeption massenhaft verwirklicht. In Erweiterung zu Jimi Hendrix körpergesteuertem Spiel des Feedbacks stehen mir heutzutage eine Vielzahl an elektronischen Devices zur Verfügung, die ein immenses Spektrum an klanglicher Erforschung ermöglichen. Mit meinem haptischen Spiel auf der E-Violine greife ich unmittelbar auf elektronische generierte Sounds ein. In diesem Zusammenhang interessiert mich auch die Spannung der Intermedialität, das Übergreifen und Überbrücken und das, was zwischen den künstlerischen Sparten stattfindet. Durch die Konstruktion speziell für mich entwickelter Interfaces gestalte ich eine intermediale Transposition, eine Interaktion zwischen körperreguliertem Spiel und visueller Kreation. Unterschiedliche Parameter der von Videokünstlern erzeugten Visuals werden durch meine Klänge in Echtzeit gestaltet bzw. beeinflusst. Es geht dabei um die Schaffung virtueller Welten aus dem spannungsgeregelten Spiel mit Codes. Bürgerliche Spielregeln sind in einer körperregulierten Musik ein Paradoxon. Der Körper erzeugt zugleich Noise und Stille, Harmonie und Disharmonie, Melodik und Geräusch, Rhythmus und Chaos, akustische und elektronische Klangbilder etc. Die Einordung in bestehende traditionelle musikalische Genres der U- und/oder E-Musik ist obsolet. Die kulturelle Entwicklung zur Körperlichkeit ist zugleich eine Bewegung gegen die körperfeindliche idealistische Welt der Künstlichkeit und gegen das sich mit diesem Verständnis von Kunstschön als Überwindung des Naturschön definierenden Bürgertum. Die Gestaltung nach Spannung und Lösung, also nach hedonischen Prinzipien, zeichnet die körperregulierte Musik im Unterschied zu anderen Künsten aus und macht sie daher auch modellhaft für eine Theorie der Medien-
D ER K ÖRPER IST DAS I NSTRUMENT
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künste. Diese Spezifität prädestiniert sie auch als populäre Kunstform. Der Alltag der digital culture ist ein musikalisierter und notwenig ein hedonischer: digital culture = pop culture. Im Verein mit diesen ästhetischen Veränderungen stehen politische.
L ITERATUR
UND KÜNSTLERISCHE
A RBEITEN
Jauk, W. (2008). Körper-Klang-Koppelung. Ein frühgeschichtliches ästhetisches Konzept als Interface in die Zukunft gesellschaftlicher Wirklichkeit. In: wein.klang Frühling http://www.miazabelka.com/philosophy, hg. von Mia Zabelka, klang.haus 2008. Zabelka, M. (2011). M, Mia Zabelka Solo monotyprecords, mono 045, composed, performed and recorded by Mia Zabelka at Amann Studios, Vienna 2011. The Instruments played on this album are electric violin, voice, contact microphones, live-electronics. Mastered and mixed by Christoph Amann. Produced by Zahra Mani and PHONART, funded by the EU culture programme 2007-2013. Zabelka, M. (2008). „es spielt mich – die musik der mia zabelka“ A film by Ulrike Schmitzer und Matthias Widter, raum.film Filmproduktion DVD Zabelka, M. (2007). Embodiment Mia Zabelka One.Night.Band with Franz Hautzinger, Manon Liu Winter, Martin Siewert, Anna Hauf, Zahra Mani, Wolfgang Fuchs, Martin Janicek, Alvin Curran, Pauline Oliveros Extraplatte CD EX-707-2 Zabelka, M. (1987). Somateme – Körperklänge with Giselher Smekal, Robert Bilek, Ed. RZ, Teldec LP ERZ 10002 Zabelka, M. (2012). Project M‘, Mia Zabelka, Audio Art Festival. http://vimeo. com/56945410 [Abrufdatum: 4.4.2013].
Sound und Popkultur Zwischen Ökonomie und emotionaler (Massen-)Kommunikation1
B EATE F LATH Populär ist, was erfolgreich ist. (GROSS 2003: 33) Populäre Kultur ist, was viele beachten. (HECKEN 2006: 85)
... F ADE
IN
Die plurale Beziehung von Ökonomie und Massenmedien ist konstituierender Bezugsrahmen klanglicher/musikalischer Erscheinungsformen des Alltags als Teil von Popkultur. Die Kriterien (ökonomischer) Erfolg und durch (mediale) „Be-achtung“ (Jauk 2009: 15) entstandene Aufmerksamkeit – die zentralen Ansatzpunkte der oben genannten Zitate – sind es, die diese Beziehung definitorisch präzisieren. Sound ist Teil des Beziehungs- und Kommunikationsgeflechts medialer und ökonomischer Strukturen und Mechanismen und erfüllt darin konkrete Funktio-
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Der Themenbereich des vorliegenden Textes fasziniert Werner Jauk und mich gleichermaßen und ist oft Gegenstand unserer wissenschaftlichen Diskussionen. So speist sich die Inspiration zu diesem Beitrag u. a. aus seinen wissenschaftlichen und künstlerischen Arbeiten sowie aus vielen gemeinsamen Gesprächen.
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nen – eine wesentliche dabei ist die Erzeugung emotionaler Bindung innerhalb eines emotionalen kulturellen Klimas (Elias 1989, Jauk 2002). Der folgende Beitrag skizziert eine Annäherung an dieses systemische Zueinander von Ökonomie und Massenmedien in dem Sound als ein „emotionales und soziales Guiding-System“ (Jauk 2009, Flath 2012) betrachtet wird.
T HEORETISCHE
UND DEFINITORISCHE
E INORDNUNG ( EN )
Massenmediale Kommunikation ist vor allem durch Mechanismen der emotionalen Bindung geprägt – emotionale Bindung (an Produkte, Ideen, Personen etc.) als Teil eines emotionalen Klimas einer Kultur. Spätestens seit dem wissenschaftlich gestützten Formatradio/Formatfernsehen, dessen emotional gefärbtes Format Basis von Hörer- bzw. Seherbindung zum Zweck adäquater Produktplatzierung ist, ist diese Bindung ein Konstitutiv massenmedialer Kommunikation.2 Im folgenden Beitrag werden Immersion und Konnotation durch Sound als Teil emotionaler Bindung im massenmedialen Kontext fokussiert. Das gezielte Design von Musik/Sound erfolgt u. a. nach außermusikalischen bzw. außerklanglichen Kriterien wie Werthaltung oder Lebenswelt sowie nach der zeitlichen Strukturierung dieser (z. B. Tages-, Wochen- und Jahresablaufkurven). Das Konzept „Sound“ gewinnt in musikwissenschaftlicher Forschung zunehmend an Bedeutung – aus der zunächst in den 1970er Jahren aufkeimenden Erkenntnis, dass es Sound sei, der für Popmusik und ihre Vermarktung eine wesentliche Rolle spiele (Hartwich-Wichel 1974) – dieser Zugang war innerhalb musikwissenschaftlicher Forschung vorerst durchaus eine Randerscheinung – wurde ein Forschungsfeld, das nicht nur popmusikalische Erscheinungsformen (siehe u. a. Binas 2008, 2002; Frith 1981; Jauk 2009, 2003, 2001, 2000; Helms 2003; Schulze 2008; Phleps/van Appen 2003; Wicke 1992, 1993, 2003,), sondern zunehmend auch so genannte „Kunstmusik“ (Mungen/Ernst/Betzwieser 2012) hinsichtlich des Konzeptes Sound bearbeitet. Der vorliegende Text möchte sich dem Konzept Sound zunächst in Hinblick auf seine Wahrnehmungsdimension, d.h. in Hinblick auf seine sensorische Qua-
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Als paradigmatisch für Mechanismen und Strukturen massenhafter, emotionaler Hörerbindung durch Musik/Sound sind die Propagandaradiosendungen des Dritten Reichs zu sehen.
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lität nähern und zwar unter der Bedingung seiner Einbettung in massenmediale Kommunikationsprozesse. Der Prozess der emotionalen Hörer- bzw. Seherbindung über Sound basiert auf Theorien unterschiedlicher wissenschaftlicher Disziplinen. Im folgenden Abschnitt sollen zunächst die wesentlichsten theoretischen Anknüpfungspunkte angeführt und reflektiert werden. Musik, als die kulturelle Überformung des emotionalen Ausdruckslautes (Knepler 1977) und -verhaltens und als eine Kulturform, die aus dem Erleben gemeinsamer somatischer Zustände entstanden sei (Blacking 1977), ist Kommunikation immanent. Jene Theorie, die Musik als Mediatisierungsphänomen (Jauk 2009) erachtet, versteht Musik als kulturelle Überformung des emotionalen Ausdruckslautes und Ausdrucksverhaltens im Sinne des Ausbildens eines „Dazwischenliegenden“, d. h. eines Mediums. Damit wird auch die Möglichkeit der „un-mittelbaren“ und damit unmediatisierten Kommunikation durch Klang, die im vorliegenden Beitrag eine wesentliche Rolle spielt, theoretisch eingeordnet. Der Prozess der Mediatisierung umfasst in diesem Zusammenhang sowohl das Ausbilden eines schriftlichen Fixierungssystems als auch das Entwickeln von Instrumentarien im Sinne einer Entfernung von direkter Körperlichkeit. Ausgangspunkt wissenschaftlicher, theoriebasierter Forschung zu Fragestellungen der Anwendung von Sound ist hier zumeist eine allen Zugängen gemeinsame anthropologische Basis – theoretische Perspektiven der Entstehung von Musik und Sprache (u. a. Illie/Thompson 2006, Brown 2000, Wallin 1984, Stockmann 1983, 1982; Knepler 1977), empirisch basierte Forschung zum Zusammenhang von formalästhetischer Gestaltung bzw. Klangqualitäten und konnotativem Empfinden (Flath 2012) und emotionalen Zuordnungen (Rösing 2002) sowie empirische Untersuchungen zu klanglich basierten menschlichen Kommunikationsformen (u. a. McDermot/Hauser 2005, Zentner/Trehub 2000, Scherer 1998) sowie zu Klang- und Raumwahrnehmung (Jauk 2007, Blauert 1974) sind letztlich in Konzepte einzuordnen, die (klanglicher) Kommunikation eine überlebensstrategisch wichtige Bedeutung beimessen. Allgemein wird Klanglichkeit/Sound in den oben angeführten empirischen Untersuchungen durch akustische Parameter der frequency-domain und der time-domain operationalisiert. Ein wesentliches Gravitationszentrum innerhalb des vorliegenden Themenfeldes ist Technologie – (Medien-)Technologien als zentrale Bestandteile alltäglichen Lebens, deren Entwicklungen auf Basis zweckrationalen Handelns (Weber 1921) mit Veränderung kulturellen Schaffens einhergehen. Dieser im Mediamorpho-
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semodell (Blaukopf 1989, Smudits 2002) formulierte Zusammenhang sowie Theorien zum Mediennutzungsverhalten (Haferkamp 2010: 45ff., Saarikallio 2006, Schramm 2005, Knobloch/Zillmann 2002, Zillmann 1991, Zillmann 1988b, Zillmann 1988a, Katz/Blumler/Gurevitch 1973) bzw. zu Funktionen von Musik im Alltag (u. a. Schramm 2006, Hargreaves/North 1999, Jauk 1988) stellen für den vorliegenden Beitrag zentrale theoretische Ausgangspunkte dar. Anzumerken ist an dieser Stelle, dass die Bedeutung von technologischen Veränderungen für kulturelle Veränderungen auf der ökonomischen, psychologischen und sozialen „Verfügbarkeit“ der entsprechenden Technologien basiert. (Jauk 2009: 460) Emotionale Bindung ist an entsprechende Lernprozesse gekoppelt. Theoretische Basis ist dabei das Konzept der emotionalen Konditionierung, das durch wiederholte, gleichzeitige Darbietung eines emotionalen Reizes (unkonditionierter Reiz) und eines neutralen Reizes, beispielsweise eines Produktes (später konditionierter Reiz), eine Übertragung des emotionalen „Gehaltes“ auf das Produkt beschreibt. (Moser 2002: 138, Kroeber-Riel/Meyer-Hentschel 1982: 120) Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die anthropologisch basierte kommunikative Qualität von Klang in Hinblick auf die vorliegende Fragestellung im Kontext von Theorien zu Funktionen von Musik im Alltag unter spezifischen technologischen Bedingungen und in Hinblick auf Lernprozesse im Sinne der emotionalen Konditionierung zu sehen ist.
T HE S OUND
OF
(M ASS -)M EDIA
Funktionaler Sound, in den Massenmedien ein Teilaspekt emotionaler Bindung, tritt in unterschiedlichen Medienarten in Erscheinung und ist daher stets in unterschiedlichen Rezeptionssituationen zu betrachten. Seine Basis kann inner- oder außerklanglich bzw. in der Verknüpfung dieser beiden Kategorien begründet sein – dieser Beitrag fokussiert zunächst innerklangliche Parameter hinsichtlich der Erzeugung von Immersion und Konnotation. Im folgenden werden jene Aspekte der Gestaltung von Sound herausgearbeitet, die sich a) theoretisch und empirisch auf seine kommunikative Qualität beziehen und die sich b) aus theoretisch basierten und empirisch geprüften basalen Funktionen von Musik im Alltag ableiten lassen. Die Verschränkung dieser beiden Ebenen ist es, die letztlich als strukturelle Basis einer sound-basierten popculture gesehen werden können.
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Sportübertragungen des alpinen Skisports sind schon lange Teil von Popkultur. Geschwindigkeitsangaben in kleinen Ziffern am unteren Rand des Bildschirmes ermöglichen den zumindest rationalen Umgang mit Geschwindigkeit, die dem Nicht-Vorhanden-Sein der eigenen körperlichen Erfahrung mit dieser gegenübersteht. Der die sportliche Bewegung begleitende Sound suggeriert ein hautnahes, immersives Dabeisein, mehr noch ein Mittendrin-Sein und erinnert an die Intimität einer „Especially-For-You-Mikrophonie“. Die Übertragung aus der Perspektive des/der Rennläufers/in überhöht diesen Eindruck – die Erfahrung aus der spezifischen Wahrnehmung des auditory space, d.h. des uns umhüllenden Klangraumes, suggeriert – im Gegensatz zum visual space – ein ‚MittenDrin-Sein‘ und damit eine Wahrnehmung aus der Ich- und nicht aus der Erzählperspektive. (Jauk 2013a, 2013b, 2007) Dieses Erzeugen von Immersion durch Klang ist seit kurzer Zeit auch in Dokumentarfilmen3 beobachtbar. Die Fernsehübertragung des Stratosphären-Sprungs von Felix Baumgartner war nicht nur auf Grund des Ereignisses an sich, das ohne jeden Zweifel für keinen der Fernsehzuschauer auch nur annähernd auf Basis der eigenen, körperlichen Erfahrung einordenbar war, sondern auch in Hinblick auf seine Inszenierung – im Vorfeld wie auch danach – ein Medienereignis, dem man sich emotional kaum entziehen konnte. Dies betrifft vor allem jenen Zeitraum, in dem sich ein kleines Pünktchen über den Bildschirm bewegte und gleichzeitig die Geräusche des Ein- und Ausatmens dieses einen Menschen zu hören waren, der sich soeben im freien Fall der Erde näherte. Die Intimität dieser Situation, die emotionale Nähe die vor allem über den Klang, den Rhythmus des Ein- und Ausatmens erreicht wurde, gepaart mit einem intellektuell nicht einordenbaren Ereignis schuf immersives, emotionales Erleben eines Pop-Ereignisses. Dieses sehr plakative Beispiel eines auf den ersten Blick ‚unmusikalischen‘ Sounds, eingebettet in ein aus dem Alltag sehr herausgehobenes Medienereignis macht die kommunikative Qualität von Sound gleichsam unter einem Vergrößerungsglas betrachtbar: Ein- und Ausatmen als basales Prinzip menschlichen Seins, im Sinne eines auch musikalisch/klanglichen Erscheinungsformen zu Grunde liegenden Wechsels von Spannung und Lösung (Schenker 1935, McClary 1991 und 2000: 67), als Bestandteil stimmlicher Äußerungen, als struktureller Bestandteil performativer, musikalischer Akte. Ein wesentlicher Anknüpfungspunkt in Bezug auf die hier angesprochene time-domain von Klang ist im somatischen Erleben von Sound zu verorten, damit im Konzept der Körper-Klang-Koppelung. In Anlehnung an Peter Wickes
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Als Beispiel ist hier der Dokumentarfilm „Leviathan“ der beiden Anthropologen Véréna Paravel und Lucien Castaing-Taylor genannt.
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Formulierung die Popmusik betreffend, wonach „für Musik insgesamt gilt, daß sie, noch bevor sie irgendetwas anderes zu sein vermag, erst einmal eine Körperpraxis ist, [...]. Und auch das Musikhören stets [...] zuerst eine Betätigung der Sinne, die sinnliche Wahrnehmung von Klang [ist]“ (Wicke 2001: 41), sei auf die körperliche Komponente von Sound als wesentlicher Teil seines funktionalen Aspekts verwiesen. Den eingangs formulierten theoretischen Ansätzen folgend ist hier der sich auf die time-domain beziehende acoustic-driving-effect (Harrer 1977) ebenso zu nennen, wie das auf körperlicher Erfahrung basierende emotionale Erleben und das auf lautlichem und körperlichem emotionalen (Ausdrucks-) Verhalten beruhende somatische Erleben bzw. Wahrnehmen von Klang. Klang als ein Ereignis in der Zeit ermöglicht es grundsätzlich, synchron ablaufende außermusikalische Ereignisse zu strukturieren bzw. außer- und innermusikalische Verläufe einander anzugleichen. Für den vorliegenden Beitrag ist dies insofern interessant als zunächst aus kulturwissenschaftlicher Perspektive auf die Beobachtung der Beschleunigung der uns umgebenden Umwelt (Virilio 1992) im Sinne einer Dynamisierung (Jauk 2009: 368) zu verweisen ist und so auf die damit einhergehenden Veränderungen zeitlicher und klanglicher Gestaltungsprinzipien in Massenmedien (Programm-, Sendungs-, Clipgestaltung). Betrachtet man beispielsweise die Entwicklung von Werbeclips hinsichtlich ihrer klanglich-musikalischen Gestaltung zu unterschiedlichen Zeitpunkten der letzten Jahrzehnte, so wird ersichtlich, dass sich – im so genannten westlich geprägten Kulturraum – durch die Veränderung des Umgangs mit zeitlicher Strukturierung innerhalb von Massenmedien konsequenterweise klangliche Gestaltungsmechanismen (mit)veränderten. Der Anspruch, in kurzer Zeit sehr pointiert Wesentliches unmissverständlich kommunizieren zu können, rückt in Weiterführung der schon 1994 als Titel eines Aufsatzes publizierte Formulierung von Philip Tagg „the decline of figure and the rise of ground“ (Tagg 1994) Sound innerhalb massenmedialer Gestaltung ins Zentrum – zumindest in seiner wissenschaftlichen Betrachtung, in der praktischen Umsetzung war dies wohl schon früher der Fall. Funktionaler Sound als Ereignis in der Zeit ist verknüpft mit in die Gesellschaft eingeschriebenen Vorstellungen der Strukturierungen dieser. Diese sehr bewusst an den Rändern musikwissenschaftlicher Forschung angesiedelten Beispiele sollen freilegen, was grundsätzlich Teil multimodaler massenmedialer Kommunikation ist: emotionale Bindung, basierend auf immersivem Erleben, erzeugt oder verstärkt durch die sensorische Qualität von Sound, das Hineingezogen werden in medial vermittelte Situationen, die – zwar nicht unmittelbar, aber medial vermittelt, da an die Masse gerichtet – kollektiv erlebt werden.
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Die bisher referierten Aspekte von Sound innerhalb von Popkultur basieren auf Theorien und empirischen Ergebnissen zum Zusammenhang von akustischen Parametern und deren Wahrnehmung in unterschiedlichen medialen Kontexten: die massenmediale Gestaltung von Sound basiert zu einem großen Teil darauf. Zum anderen – und dies betrifft den Kontext der Medienrezeption – basiert massenmediale Gestaltung von Sound auf Prinzipien der Funktionen, die Musik/Sound im Alltag erfüllt. Daher sei an dieser Stelle eine Brücke zu jenen strukturgenerierenden Mechanismen innerhalb massenmedialer Gestaltung geschlagen, die sich aus den primären Funktionen von Musik im Alltag ableiten lassen: MoodManagement und soziale Positionierung.4 (Schramm 2006, Hargreaves/North 1999, Jauk 1988) Die konkreten Anknüpfungspunkte sind in der Wechselbeziehung von massenmedialer Produktion und individuellen Lebensweisen und Werthaltungen zu verorten. Mood-Management, als die Regulation der eigenen Stimmung durch eine entsprechende Medienwahl, basiert auf der Prämisse, Menschen seien hedonistische Wesen. Demnach vermeiden bzw. kompensieren diese individuelle, negative Stimmungen und streben (die Aufrechterhaltung) individuelle(r), positive(r) Stimmungen an – durch Lernprozesse entsteht jene Kompetenz, die entsprechenden Inhalte nach diesen Prinzipien auszuwählen. Empirische Ergebnisse zeigen, dass Musik im Sinne dieses Modells individuell genutzt wird (u. a. Knobloch/Zillmann 2002, Schramm 2005, Saarikallio 2006) und seine Entsprechung innerhalb massenmedialer Gestaltung in Form von Strukturierungen nach Tages- und Jahresablaufkurven (Münch 2001: 164) findet. Entsprechende Sounds am Morgen, am Abend, zu Weihnachten oder am Wochenende fangen emotional auf, kompensieren negative Stimmungen beispielsweise am Montag Morgen oder erzeugen bzw. verstärken positive Stimmungen am Beginn des Wochenendes. Eng daran geknüpft ist das Konzept des Formatradios oder -fernsehens, das dieses Gestalten nach Prinzipien einer kollektiven Stimmung mit einer spezifischen ‚emotionalen Färbung‘ des Formates – auch auf Basis so-
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Durch die Möglichkeiten des Web 2.0 nähert sich individuelles und soziales musikbezogenes Verhalten insofern an, als sich Mood-Management und soziale Positionierung in einer gewissen Nähe ereignen. Auf theoretischer/empirischer Ebene bietet der Uses-and-Gratifications-Ansatz (Katz, Blumler, Gurevitch 1973) bzw. seine Adaption für das Web 2.0 (Haferkamp 2010: 45ff.) Erklärungswert: neben den bekannten Motiven wie Unterhaltungsbedürfnis und Informationsbedürfnis sind es vor allem das Kommunikationsbedürfnis und das Bedürfnis der Selbstdarstellung (Hafenkamp 2010: 50), denen in sozialen Netzwerken wesentliche Bedeutung zukommt – Kommunikation und Selbstdarstellung (auch) über Sound/Musik.
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zialer Positionierung der RezipientInnen – verbindet. Soziale Positionierung durch Musik/Sound – wesentliche Funktion von Musik im Alltag – findet damit ihre Entsprechung in der Gestaltung massenmedialer Kommunikation. Emotionale Bindung über Werthaltungen, Lebenswelten, über Zuschreibungen und Images, d.h. konnotative Empfindung kommuniziert durch Sound ist grundsätzlich Teil eines jeden werbenden Formates, das über eine auditive Ebene verfügt und reicht weit über den Anwendungsbereich der Werbung hinaus.5 Im massenmedialen Kontext ist das Nutzen der konnotativen Bedeutung von Sound wesentlicher Bestandteil des ‚Brandings‘ von Sendekanälen (u. a. Gleichmann 2001), der intuitiven Nachvollziehbarkeit der zeitlichen Abfolge der Programmgestaltung oder der emotionalen Inhalte in unterschiedlichsten Kontexten. Sound wird so zu einer Art intuitiv nachvollziehbarem „Guiding-System“ einer durch Massenmedien geprägten Popkultur.
F ADE
OUT
...
Pop ist Image, Pop ist Mitten-Drin-Sein, Pop ist Körper – Sound ist darin womöglich weniger Medium denn einfach direkt körperlich erfahrbarer und intuitiv kommunizierender Katalysator. Unter Berücksichtigung der Verquickung von Massenmedien und Ökonomie als konstituierende Elemente von Popkultur ist Sound strukturierender, emotionalisierender Bestandteil (Jauk 2002) einer sich innerhalb oder gar als eine „Erlebnisgesellschaft“ (Schulze 1992) ereignenden Popkultur. Ökonomische Mechanismen und Strukturen sowie massenmediale Gefüge prägen nicht nur Bedingungen unter denen Sound entsteht, rezipiert und distribuiert wird, sie prägen Sound selbst, die Selbstreflexion der beteiligten Akteure und die wissenschaftliche Reflektion über Sound.
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Audio Branding, Sound Engineering in der Entwicklung von Fahrzeugen, Sounddesign als ein immer wichtiger werdender Teil des Verpackungsdesigns und des Designs von Interfaces bedienen sich jener sehr intuitiv „verstehbaren“ Ebene von Sound, um eine Marke (auch) auf auditiver Ebene erfahrbar zu machen, um über den Sound des Blinkgeräusches, des Motorgeräusches oder des Schließens der Autotür das Fahrzeug besonders ‚sicher‘ klingen zu lassen, um die Verpackung eines Produktes besonders ‚voll‘ klingen zu lassen oder um in einer sich durch digitale Informationsund Kommunikationstechnologien konstituierenden Gesellschaft das Benutzen eines Gerätes besonders intuitiv zu gestalten.
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Sound ist lediglich ein Teil der angesprochenen Prozesse und so sollte man nicht dem Fehler anheim fallen, aus der Perspektive der eigenen wissenschaftlichen Sozialisation den eigenen Gegenstand bezogen auf die Gesamtheit der angesprochenen Prozesse und Mechanismen zu überschätzen – doch ebenso wenig sollte man ihn unterschätzen und seine Spezifika zu Gunsten einer Einordnung in tradierte Denksysteme unberücksichtigt lassen.
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Technologie
Vom Idiophon zum Touchpad Die musiktechnologische Entwicklung zum virtuellen Musikinstrument
B ERND E NDERS Digitalisierung überschreitet die Grenzen des physikalisch Machbaren, Natürliches wird in Willkürliches
überführt,
Willkürliches
wird
künstlich geschaffen. (JAUK, 2009: 439)
Die gesamte Entwicklungsgeschichte der Musik lässt sich aus musiktheoretischer wie auch musikpraktischer Perspektive als zunehmende Digitalisierung der Repräsentation und Verarbeitung von musikalischen Informationen und Prozessen verstehen. Der künstlerische und wissenschaftliche Umgang mit musikalischen Phänomenen ist in begrifflicher und technischer Hinsicht von einer wachsenden Abstraktheit der Beschreibungsformen bestimmt, die letztlich den Übergang des analog Konkreten zum digital Abstrakten formulieren. Werner Jauk versteht in diesem Sinne die Entwicklung der Musik als einen Mediatisierungprozess, „vom unmittelbaren Ausdrucksverhalten, dessen Instrumentarisierung, über Gesten, der Formalisierung des kommunikativen Ausdrucks in präsentativen und ikonischen Zeichen zu willkürlichen Codes.“ (Jauk 2009: 2) Die Codes stehen für die abstrakte Begrifflichkeit, mit der im digitalen Zeitalter der Musik die instrumental generierten oder gespeicherten Klangsignale als auch die zur Beschreibung musikalischer Ereignisse dienenden Noten (in ihren verschiedensten Erscheinungsformen) erfasst werden.
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Der Musikcomputer bildet lediglich das letzte, umfassendste und abstrakteste Glied in einer Kette von zahllosen Zwischenschritten musiktechnologischer Stationen, die von der Entdeckung der menschlichen Stimme als Klang- und Kommunikationsmittel bis hin zur künstlerisch intendierten Konstruktion virtueller Klangwelten reichen. Die sich seit den Anfängen vollziehende Entwicklung von Musikinstrumenten entspricht zu allen Zeiten dem jeweiligen Stand der Handwerkskunst, deren technische Komplexität und Funktionalität im Laufe der Zeit ständig zunimmt, so dass sich entsprechend für die Konstruktion und daraus resultierend für den Einsatz von Musikinstrumenten mehrere Entwicklungsstufen unterscheiden lassen.
Z EHN S TUFEN DER I NSTRUMENTENENTWICKLUNG VON DER U RZEIT BIS INS DIGITALE Z EITALTER Die Entdeckung der den Musikinstrumenten zugrunde liegenden Prinzipien mechanisch-akustischer Formen der Klangerzeugung (Idiophone, Aerophone, Membranophone, Chordophone) verlief vermutlich parallel zur Entwicklung der menschlichen Kultur in Urzeiten und lässt sich nicht mehr eindeutig zurückdatieren. Entsprechende Funde aus prähistorischer Zeit lassen darauf schließen, dass einfache Instrumente wie Lithophone oder Knochenflöten und hilfreiche Werkzeuge wie Trommelstöcke schon vor über 30 000 Jahren in Gebrauch waren. Auf die erste Phase der ‚Instrumentalisierung‘, die durch die Entdeckung des Klangwerkzeugs als Loslösung der Klanggenerierung allein durch den menschlichen Körper verstanden werden kann, folgte die ‚Mechanisierung‘ der Instrumente, die zwar partiell mit einer gewissen Abnahme des direkten Kontakts mit dem Schwingungskörper einherging, aber eine einfachere oder effizientere Klanggebung erlaubte. Die Zwischenschaltung von kraftverstärkenden und zielgenauen, diverse Hämmer, Ventile oder Hebel auslösenden Tastaturen, Pedalen und Klappenmechanismen (Controller) zwischen dem musizierenden Menschen und der eigentlichen Klangerzeugung – als Interface – erlaubte bereits eine gewisse Freiheit in der Zuordnung von auslösendem Akt und Klangresultat (Mapping). Bei der Pfeifenorgel ist die technologische Trennung zwischen Controller (= Spieltisch) und Generator (= Pfeifenkörper) konsequent vollzogen, die Datenübertragung kann mit mechanischer, pneumatischer oder später auch elektrischer und elektronischer Funktionalität vollzogen werden, sogar die Nutzung von Fremdenergie – ein Kriterium maschineller Systeme – kommt hier bereits zum
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Einsatz, denn die Luftzufuhr per Blasebalg wird – anders als noch beim Harmonium – nicht mehr vom Organisten selbst bewerkstelligt. Die ‚Automatisierung‘ bzw. Programmierbarkeit musikalischer Prozesse wurde erstmals mit Hilfe der 900 n. Chr. erfundenen Stiftwalze realisiert, so dass mechanische Musikautomaten gebaut werden konnten wie die Turmglockenspiele seit dem Mittelalter, die Flötenuhren im ausgehenden 18. Jahrhundert, die Orchestrien und Pianolas (nun von Lochplatten oder Lochkarten gesteuert), die bis zur Erfindung von Radio und Schallplattenspieler Anfang des 20. Jahrhunderts noch in regem Gebrauch waren. Die Phase der ‚Elektronifizierung‘ (elektromechanische, elektrooptische und elektronische Instrumente) begann (nach einigen musikalisch noch nicht relevanten Vorversuchen) ca. um 1900 mit Cahills Telharmonium. Mit der Einbeziehung der Elektrizität wurden nach einer jahrtausendalten Geschichte des Musikinstruments und seiner steten Fortentwicklung erstmals wieder neue Methoden der Klangerzeugung erfunden und Instrumente mit ungewohnten Klängen und neuen oder erweiterten Spieltechniken gebaut, die die herkömmliche Instrumentensystematik um die Gattung der Elektrophone bereicherte, aber im klassischromantischen Orchester nicht mehr wirklich eingeordnet wurden (auch wenn beispielsweise Mixturtrautonium, Ondes Martenot oder E-Gitarre gelegentlich mit Orchesterinstrumenten kombiniert werden wie bei Olivier Messiaen oder Harald Genzmer). Mit der elektronischen Musik in der Mitte des 20. Jahrhunderts wird die weitgehende Trennung zwischen Komponisten und (virtuosem) Interpreten teilweise wieder aufgehoben, weil eine zunehmende Automatisierung der Klangprozesse und/oder vom Rundfunk entlehnte Studiogerätschaften (Generatoren, Magnetbandgeräte, Effektgeräte) eine direkte Umsetzung der künstlerischen Idee in Klang erlauben (Karlheinz Stockhausen) oder diese vom Komponisten als Interpreten seiner Werke in Personalunion selbst bewerkstelligt werden kann (Oskar Sala). Michael Harenberg unterstreicht die musikhistorische Bedeutung der elektronischen Klangwelt: „Keine andere Erfindung dieses Jahrhunderts hatte solch grundlegend qualitative Konsequenzen für die Musikentwicklung, hat das Verständnis von Musik und seiner Wahrnehmung so verändert, wie die technischen Möglichkeiten, Klang elektronisch zu erzeugen, aufzuzeichnen und medial zu
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verbreiten – ein Einschnitt, der in der Geschichte der Musik etwa mit der Erfindung der Notenschrift vergleichbar ist.”1 Mit Robert Moogs genialer Konstruktion des spannungsgesteuerten, analogen Musiksynthesizers, der die einzelnen Apparate des elektronischen Studios und die elektrisch/elektronischen Spielinstrumente als harmonisch aufeinander abgestimmtes Modulsystem mit Keyboard wieder vereint, war Mitte der 1960er Jahre ein technologischer Höhepunkt der analogen Musikelektronik erreicht: mit der ‚Modularisierung‘ eines Instruments ließ sich die Funktionalität eines Instruments prinzipiell in drei Bereiche zerlegen: 1. Generatoren (Oszillator, Rauschgenerator), 2. Modulatoren (Filter, Verstärker, Effekte), 3. Controller (Keyboard, Joystick, Sequencer u. v. a.). Zwar lassen sich Ansätze der Modularisierung auch vorher schon feststellen, etwa beim Mixturtrautonium von Friedrich Trautwein und Oskar Sala, jedoch ermöglichte erst die Transistorisierung der Bausteine und die von Robert Moog maßgeblich entwickelte Spannungssteuerung der Modulfunktionen ein kompaktes Studio im „Kofferformat“. Weitere Entwicklungsstufen folgten, die ‚Digitalisierung‘ und die Chip-basierte Miniaturisierung der Musikelektronik begann Ende der 1970er Jahre mit der Konstruktion der ersten Musikcomputer (Fairlight CMI, Synclavier), deren Funktionalität trotz der noch begrenzten 8-Bit-Technologie zahlreiche Optionen heutiger Studioprogramme bereithielten und die schon über eine menüorientierte Bedieneroberfläche verfügten. Der aufmerksamkeitsheischende Lightpen des Fairlight CMI, mit dem die Menüelemente der zugrunde liegenden Software angeklickt und praktisch beliebige Schwingungen, Hüllkurven und SequencerNoten auf dem Bildschirm gezeichnet werden konnten, zeigte schon damals Bedienungsmöglichkeiten auf, die das Tippen und Wischen auf den aktuellen Tablets vorausahnen ließen. Integriert waren bereits verschiedene Synthesealgorithmen und die digitale Speicherung und musikalische Steuerung von beliebigen, mit Mikrophon aufgenommenen Klängen (Sound Samples) wurde als absolutes Novum gefeiert und künstlerisch sogleich genutzt (z. B. vom österreichischen Komponistenduo Hubert Bognermayr und Harald Zuschrader)2. Mit anderen Worten: sowohl No-
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Michael Harenberg, Virtuelle Instrumente – Von der Orgel zum Cyberinstrument, http://audio.uni-lueneburg.de/texte/harenberg_virtuell.pdf, [Abrufdatum 20.01.2013]. Vgl. auch die erweiterten Reflexionen des Autors in Harenberg 2012.
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Ihre computerakustische Klangsinfonie Erdenklang wurde im Auftrag der ‚Ars electronica‘ 1982 im Brucknerhaus in Linz uraufgeführt.
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teninformationen als auch Audioschwingungen werden nunmehr in digitaler Form verarbeitet und im musikalischen Prozess miteinander verbunden. Die analogen Noteninformationen einer Stiftwalze und die Schwingungen einer Plattenrille unterscheiden sich technologisch in der digitalen Musikmaschine nur noch durch ihre Codierungsformate. Alle wichtigen Aspekte der Produktion von Musik stehen mit dem Beginn der 1980er Jahre bereits für eine digitale Bearbeitung zur Verfügung: verschiedene Methoden der Klangsynthese, die digitale Speicherung von Klängen, die Bearbeitung und Veränderung der Klänge und die komplette Steuerung von Klangprozessen mit neuartigen Interfaces oder automatisiert mittels digitaler Noteninformationen (Sequencing). Werner Jauk verweist auf die zunehmende Immaterialität und Abstraktheit des digitalen Klanggeschehens, wenn er ausführt: „Der digitale Klang ist von der Körperlichkeit in der Generierung und im Spiel völlig entkoppelt. Er entsteht nicht durch Schwingung hervorgebracht von Schwingern, er ist errechnete Schwingung aus nicht schwingendem Material, aus Codes.“ (Jauk 2009: 337) Spätestens mit der Einführung des außerordentlich erfolgreichen MIDI3Standards ab 1981, der die Kompatibilität der digitalen Steuerung von Klangmodulen mit Keyboards unterschiedlicher Fabrikate herstellen sollte, begann die ‚Informatisierung‘ der Musikelektronik, wenn man von den ersten Experimenten mit computergestützter Komposition (Lejaren A. Hiller) um die Mitte der 1950er Jahre einmal absieht, die noch umständliche Transkriptionen der mit Großcomputern errechneten Daten in lesbare Partituren erforderten (Partitursynthese). In informationstechnischer Hinsicht ist das MIDI-System eine digitalelektronische Variante oder Weiterentwicklung der in Musikautomaten verwendeten, schon im Jahre 900 n.Chr. erfundenen Stiftwalze, die als mechanischer Speicher von Noteninformationen dient, um zu gegebener Zeit und fixierter Dauer Töne und Geräusche auszulösen. Ganz ähnlich enthalten MIDI-Informationen keine Klangdaten, sondern senden lediglich eine Noteninformation an einen elektroni-
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MIDI (= Musical Instrument Digital Interface) ist ein musikspezifisches Standardformat, das nicht nur auf eine erstaunlich lange Anwendungsphase zurückblicken kann, sondern es auch geschafft hat, in die Welt der allgemeinen Computerindustrie als prinzipiell verfügbare Schnittstelle aufgenommen zu werden. In seiner Bedeutung kommt es damit den international verbreiteten digitalen Datenformaten PCM für die ebenfalls 1981 eingeführte Audio-CD oder dem ab 1991 an Bedeutung gewinnenden datenreduzierten Audioformat mp3 für Internetübertragungen gleich.
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schen oder auch mechanischen Klangerzeuger; genau genommen wird eine Tastennummer, z. B. die Zahl 60 (hier dezimal angegeben) für c´, übertragen (sowie die Anschlagsgeschwindigkeit = Key Velocity für dynamische Resultate). MIDI ist also ein tastenorientierter Notationscode, ein ursprünglich aktionsorientiertes Informationssystem, das (ähnlich wie die ebenfalls von der gleichstufigen Stimmung moderner Tasteninstrumente beeinflusste Dodekaphonie) harmonische Alterationen enharmonisch glatt bügelt und nicht zwischen ‚cis‘ und ‚des‘ unterscheiden kann. MIDI dokumentiert das musizierende Spiel der Hände auf einer Klaviatur und zeigt daher ein gewisse Nähe zu aktionsabbildenden Tabulaturen wie die Griffschriften für Gitarristen. Die sehr bald nach der Einführung einsetzende digitale Verarbeitung der MIDIcodierten Musikdaten (also Noteninformationen) mittels verbreiteter (Home) Computer (z. B. C 64, Atari ST) eröffnete jedoch weiterführende Möglichkeiten des informatischen Umgangs mit Musikinformationen, so dass schon Ende der 1980er Jahre computerbasierte Arrangements, ausgefeilte (harmonisch korrekte) Notendrucktechniken, kreative Kompositions- und künstlerisch wie wissenschaftlich interessante Analyseprogramme allgemein zur Verfügung standen oder zumindest in experimentell-wissenschaftlichen Umgebungen erprobt werden konnten (z. B. computerberechnete Echtzeit-Stimmungen wie das HermodeTuning-System4). Methoden der künstlichen Intelligenz (KI) lassen weiterführende Anwendungen erahnen, die den Musikcomputer zum kreativen Partner in musikalischen Prozessen avancieren lassen, auch wenn diese bisher noch eher im experimentell-wissenschaftlichen Umfeld anzusiedeln sind. Mit der Verlagerung der musiktechnologischen Entwicklung weg von speziell konstruierten Instrumenten (Hardware-Synthesizer, E-Orgeln usw.) hin zur Entwicklung von entsprechenden Software-Komponenten, die auf praktisch jedem handelsüblichen Computer mit geeigneter audio- und MIDI-technischer Peripherie (Soundcard, Keyboard o.ä.) laufen, beginnt etwa ab den 1990er Jahren die ‚Virtualisierung‘ von Instrumenten und musikspezifischen Produktionsszenarien. Auf Software-Basis werden mehrspurige Studiobandmaschinen. Mischpulte, ‚herkömmliche‘ Effektgeräte wie Hallgeräte oder Vocoder nachgebildet oder neue Klangprozessoren wie Transposer oder Auto Tuning entwickelt.
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Vgl. dazu http://www.hermode.com/html/tuning-history_de.html [Abrufdatum: 20.1.2013].
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Mit modernen Studio/MIDI-Programmen wird eine kaum noch steigerungsfähige Virtualisierung aller Funktionen eines Musikproduktionsprozesses erreicht, sogar die von den Hardware-Vorbildern gewohnten Bedienungselemente und Optik des firmenspezifischen Designs werden auf dem Bildschirm ‚realistisch‘ dargestellt, wobei sich die Virtualisierung vornehmlich auf die Klangerzeugung/ -verarbeitung bezieht, da die zur Bedienung notwendigen Interfaces (Maus, Klaviatur, Regler) zumindest teilweise (aufgrund besserer Haptik) doch noch mechanisch funktionieren und somit in der realen Welt physischer Funktionalität verbleiben müssen.5 Frühere Entwicklungsstufen der Instrumentaltechnik wie z. B. die Modularisierung der Funktionen eines Instruments werden virtuell rekonstruiert. So genannte PlugIns, d. s. spezielle Software-Pakete, erweitern über geeignete Schnittstellen (z. B. Steinbergs VST-Norm) die Funktionalität eines Musikcomputersystems mit ausgefeilten Effektroutinen aus der Studiotechnik oder liebevoll nachgebildeten ‚historischen‘ Vorbildern (z. B. Vintage Synthesizer, Hammondorgel, Fender Rhodes u. a. m). Der erstaunliche, an Modulationsreichtum und programmierbarer Lebendigkeit mit jeder Edition zunehmende Klangreichtum etwa der professionellen SampleBibliothek Vienna Symphonic Library (VSL), die mittlerweile in den Soundtracks vieler Kino- und TV-Filme zu hören ist, inspiriert Harry Lehmann zu der visionären Analyse eines aktuell durchaus möglichen virtuellen Orchesters im Live-Konzert. (Lehman 2012: 19ff.) Hochkomplexe Klangsyntheseverfahren wie Waveshaping oder Granular Synthesis lassen sich nur mit digitalelektronischen Methoden realisieren und mittels ausgeklügelter Software können ungewöhnliche Instrumente modelliert werden, deren Konstruktion mit herkömmlichen Mitteln physikalisch kaum realisierbar wäre (Virtual Reality). Als ein vielversprechendes Syntheseverfahren gilt Physical Modelling, das mit Hilfe mathematischer Modelle die komplizierten physikalischen Vorgänge schwingender Körper, z. B. einer gezupften Saite mit Resonanzkörper, möglichst exakt nachbildet und auf diese Weise dem Klangverhalten eines mechanischen oder elektromechanischen Originalinstruments im Idealfall sehr nahe kommt und potentiell auch die diversen Modulationsformen, die für
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Vgl. hierzu Arne Benses aufschlussreiche und umfassende Reflexion des komplexen Verhältnisses von realen und virtuellen Komponenten computerbasierter Instrumente (Bense 2013).
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die subtile Tongebung einer guten Interpretation unabdingbar sind, zur Verfügung stellt. Oder es werden geschickte Kombinationen von bewährten und innovativen Eigenschaften entwickelt, die neuartige musikalische Konzeptionen erlauben, die mit den bisherigen mechanischen und elektronischen Konstruktionsprinzipien überhaupt nicht realisierbar gewesen wären. Digitalität erleichtert die apparative Verarbeitung unterschiedlicher Informationstypen, so dass verschiedene Wahrnehmungsebenen, insbesondere Video und Audio, perfekt miteinander synchronisiert werden und zu erweiterten künstlerischen Ausdrucks- und Erlebnisformen einer zukunftsträchtigen, vielleicht synästhetischen, Multimedia-Kunst führen können. Immer schwerer fällt es, die abstrakte Welt der computerbasierten Funktionen und der digitaltechnisch verarbeiteten Informationen begrifflich zu trennen. Mal ist das Computersystem ein komplettes Tonstudio, mal ein Musikinstrument, dann aber ein Notendrucksystem, ein multimediales Abspielgerät oder gar ein interaktives Musiklernprogramm. Die Definitionen hängen letztlich von der individuellen Einschätzung der Features, der erwarteten Nutzungsart oder sogar von der geschickten Werbestrategie des Handels ab, alle Übergänge von einer Anwendung zur nächsten sind fließend, viele Eigenschaften der Hard- und Software lassen sich mehrfach nutzen, sie sind prinzipiell multifunktional. Arne Bense stellt Überlegungen zu einer aktualisierten Instrumentenkunde an, die die Eigenschaften des virtuellen Musikinstrumentes berücksichtigen müsste: „Alle Schritte im Bereich der Musikproduktion sind mittlerweile von Virtualisierung betroffen und unterliegen diversen Transformationsprozessen – so auch das Musikinstrument. Es scheint zwischen Software-Synthesizern, Sound Samplern, Grooveboxen, ‚virtuellen Instrumenten‘, Digital Audio Workstations, verschiedensten Controllern und musikalischen Interfaces gewissermaßen verschwunden zu sein: Instrumentenkunde befindet sich in einer Phase der Neukonfiguration – die Instrumentenkunde der Computergesellschaft steht offenbar noch aus.“ (Bense 2013: 149). Welcher Teil des graphisch-interaktiven Digitalsysnthesizers reacTable ist als das eigentliche Instrument anzusehen? Ist es die optisch spektakuläre Glasplatte, die mit visuellen Signalen auf die manuell aufgesetzten und bewegten Pucks mit codierter Unterseite reagiert und dabei optisch die typische Struktur eines modularen Synthesizer mit Oszillatoren, Filtern, Hüllkurvengeneratoren und Sequencer nachbildet, oder ist es der integrierte Computer nebst Software
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als die eigentliche Soundmaschine, die aber quasi vor dem Zuschauer versteckt wird? Schon Lew Termens Thereminvox aus dem Jahre 1919 machte die systematische Zuordnung in die herkömmlichen Systematiken der Musikinstrumentenlehre schwierig, da nicht nur die eigentliche Klangerzeugung (damals mit Röhren) für den Zeitgenossen undurchsichtig blieb, sondern auch die Spieltechnik selbst magisch und irreal wirkte, fehlte doch offensichtlich ein ‚greifbares‘ Interface, das den musizierenden Menschen mit dem Instrument in Verbindung treten ließ.6 Auch heutige Auftritte von – meist weiblichen – Thereminvirtuosen üben immer wieder diese Faszination auf das hörende bzw. schauende Publikum aus. Da der digitale Klang völlig unabhängig von der Art der Spieltechnik entsteht und moduliert werden kann, bieten sich Experimente mit innovativen Interaktionsformen zwischen Mensch und Computersystem an. Völlig ungewohnte Spieltechniken mit neuartigen Steuereinrichtungen (Maus, Pads, Sensoren aller Art) werden künstlerisch erprobt, auf die Haptik und Gestik menschlicher Motorik neu zugeschnittene Interface-Technologien, die z.T. aus anderen, nichtmusikalischen Anwendungsbereichen stammen, wie z. B. Gesture-, Voice- oder GameController, Eye-tracking, Aktoren aus der Robotik u. a. m., werden auf musikelektronische Geräte und Instrumente übertragen. 7 Digitale Hardware wird immer kleiner, preiswerter und mit verfeinerter Software immer leistungsfähiger, so dass viele Aspekte der hier angeführten Produktionsund Bearbeitungsprozeduren schon mit sensitiven Tablets realisiert werden kön-
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Karl Gerstberger, ein Zeitgenosse Leon Theremins, versuchte 1930 die Faszination der Konzertbesucher in Worte zu fassen, die vermutlich erstmals einen ThereminvoxSpielers hörten und sahen: „Wen hätte nicht das unerwartet Unheimliche bezaubert, als L. Theremin seine Ätherwellenmusik vorführte? War es nicht wie in einem Märchen aus ‚Tausendundeiner Nacht‘, als er mit beschwörenden Gebärden seiner Hände den ‚Geist aus der Flasche‘ rief und ihn zwang, laut und leise, hoch und tief zu tönen?“ (Gerstberger 1930: 171).
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Vgl. hierzu die detaillierte Aufstellung der verschiedenen Entwicklungen musikalischer Interfaces aus historischer und systematischer Perspektive und funktionalen Analysen in Jin Hyun Kim (2012).
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nen8, deren Handlichkeit, Bedienbarkeit und Ganzheitlichkeit sich einem einfachen Idiophon, z. B. einer Holzblocktrommel, schon wieder angleicht (jedenfalls solange der Akku hält). Seit dem Zusammenwachsen der Computersysteme mit den weltumspannenden medialen Netzen, seit der unglaublich folgenreichen Entwicklung und Verbreitung des Internets, das den informationssuchenden Anwender fast unabhängig von Zeit und Raum macht, entstehen neue Formen einer netzbasierten musikalischen Kommunikation, die über das bloße Konsumieren von Musik oder Multimedia hinausgehen. Es zeichnet sich eine ‚Globalisierung‘ der Musikproduktion ab, die auch die künstlerische Verwendung digitaler Musiktechnologie berührt. Dazu gehört natürlich der globale Austausch von MIDI-Dateien oder Partituren ebenso wie das Versenden von wav- oder mp3-Sounds, Klingeltönen9, PlugIns, Skins u. a. m. Aber wirklich spannend und innovativ sind die Versuche, im Internet interaktive, virtuelle Instrumente oder Klangräume zu konstruieren, gemeinsam über das Netz zu komponieren, wie es der österreichische Komponist Karlheinz Essl schon länger erprobt oder gar in Echtzeit als vernetzte Combo im virtuellen Raum miteinander zu musizieren, was derzeit allerdings noch mit störenden Latenzzeiten verbunden ist. Zwischen Musikinstrument und Mediengerätschaften zerfließen die Grenzen immer, Musik wird zur „Medienmusik“, wenn der Schallplattenteller eines DJs zum kreativen Soundgenerator wird, wie Rolf Großmann mit Verweis auf den ‚medialen Einfluß auf die Konstruktion musikalischer Wirklichkeit‘ früh ausführte. (Großmann 1997) Eine letzte Entwicklungsstufe befindet sich noch im experimentellen Stadium, die ‚Hybridisierung‘, gemeint ist ein weitergehender Verschmelzungsakt zwischen Musikinstrument und Mensch, performative Mensch-MaschineSymbiosen, die quasi mit digitalelektronischen Mitteln die Interaktionsmöglichkeiten des menschlichen Körpers mit einem Apparat zwecks musikalischer Klanggestaltung verfeinern, direkter anbinden, um letztlich etwas zu erreichen, was dem Menschen eigentlich von Anfang an gegeben war, nämlich die Fähigkeit, die unerreichte Flexibilität der Stimme als stets verfügbares körpereigenes
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Als Applikationen sind z. B. der ‚alte‘ Fairlight CMI ebenso wie der ‚neue‘ reacTable auf aktuellen Touchpads als virtuelle Pendants erhältlich, wenn auch mit gewissen Einschränkungen.
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Frauke Behrendt untersucht z. B. die künstlerische Bedeutung der Handymusik (Vgl. Behrendt 2005).
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‚Instrument‘ musikalisch zu nutzen. Der Performance-Künstler Stelarc versucht in Live-Auftritten künstlerische Symbiosen zwischen seinem agierenden Körper und maschinellen Systemen (Sensoren, Prothesen, Roboter) herzustellen. Andere experimentieren mit der Transposition einer Tanzperfomance in virtuelle Räume, dabei den musizierenden menschlichen Körper mit seinem Avatar zeitsynchron koppelnd, oder mit interaktiven Klanginstallationen, klingenden Räume und multimedialen 3D-Erlebniswelten, die zwar noch nicht alltäglich sind, aber nicht länger zum Science-Fiction-Arsenal einer utopischen Musikkultur gehören. Erste Experimente einer spieltechnischen Steuerung elektronischer Instrumente mit Hirnströmen (Brain Controlling) sind zwar bislang eher für die aktuelle neurologische Forschung als für das musikalische Erleben von Bedeutung, lassen aber ahnen, dass eines Tages möglicherweise nicht mal die beim Theremin noch erforderliche Bewegungsgeste zum Musizieren notwendig sein wird.
N EUE F ORMEN
DES IN EINER DIGITALEN
K OMPONIERENS M USIKWELT
UND
M USIZIERENS
Die durch den Moog-Synthesizer evozierte Favorisierung der Klaviatur mit diskreten Tonstufen für das Musizieren mit elektronischen Klängen und die allgemeine Einführung der MIDI-Norm führten weg von der subtil gestaltenden, individuellen (monophonen) Tongebung mit älterer Musikelektronik wie Thereminvox oder Trautonium. Das ursprünglich experimentelle Spiel mit der neuartigen Klanggenerierung und ihrem (theoretisch) riesigen Modulationspotential wurde in der Musizierpraxis – vor allem in der Popmusik – wieder aufgegeben zugunsten rasch abrufbarer Klangprogramme und normierter (meist homophoner) Spieltechniken. Zusätzlich installierte Controller, so genannte Spielhilfen, wie Modulationsrad, Fader, Pedal, Pitch-Bending und Blaswandler, eröffneten dennoch dem ambitionierten Keyboarder feinere Modulationsmöglichkeiten, die z. B. von virtuos aufspielenden Jazzmusikern wie Jan Hammer auch musikalisch belebend genutzt werden. Das Potential der digitalen Musiktechnologie verspricht aber nicht nur erweiterte oder auch völlig ungewohnte Spieltechniken mit vielfältigen Artikulationsmöglichkeiten, die es für die musikalische Interpretation im Live-Konzert zu entdecken und zu nutzen gilt, es ergeben sich auch unerwartete Umgangsformen künstlerisch interessierter Menschen mit dem inzwischen massenhaft verfügbaren und preisgünstigen Sound Equipment des Computerzeitalters. Seit den 90er
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Jahren entwickelt sich in der kreativen Auseinandersetzung mit den vielseitigen musikalischen Möglichkeiten handelsüblicher und damit preiswerter Computersysteme ein Musikertypus, den Karl H. Menzel als ‚PC-Musiker‘ bezeichnet10, und es entsteht ein Produktionsraum (vornehmlich für Popmusik), den Werner Jauk leicht ironisch mit bedroom-Studio umschreibt: „Das Zeitalter der Steuerung von (vorprogrammierten, wenig modulierbaren) Synthesemaschinen wandelt sich in die Ära der direkten Arbeit am Klang in der digitalen Popularkultur, nun tatsächlich at home, im bedroom für jedermann und – im Kollektiv der über das www vernetzten Bedroom-Home-Studios im Verständnis von Musik als open source im dynamischen Prozess gemeinsamen Musizierens abseits von Zeit und Raum.“ (Jauk 2009: 315) Die durch digitale Musikelektronik bewirkte massenhafte Verbreitung und Verbilligung der für einen künstlerisch-kompositorischen Produktionsprozesses notwendigen Technologien, Materialien und Funktionen bilden eine wichtige Grundlage für die Kritik Harry Lehmanns an der rezenten KomponistenAvantgarde, die diese, im Kern musiksoziologisch bedingen Veränderungen der Musikkultur nicht begreifen will, „weil ihr Überzeugungssystem noch ganz in der Klassischen Musik verankert ist, für die es nur menschliche Subjekte, aber keine sozialen Systeme gibt.“ Und er verweist als „absolute Ausnahme“ auf den Komponisten Georg Katzer, der kürzlich lapidar feststellte: „Der Computer hat das obskure Handwerk des Komponisten demokratisiert. Heute kann jeder, auch wenn der sich musikalisch auf dem Bildungsstand „null“ befindet, mit Hilfe der einschlägigen Hard- und Software „meterweise“ Musik generieren, die unabhängig von ihrem künstlerischen Wert auch schutzfähig ist.“ (Katzer 2011: 31) Damit ist freilich noch nicht geklärt, welchen Weg die mit der Verfügbarkeit digitaler Funktionalität in enger Wechselwirkung befindliche neue Musikkultur gehen wird, welche Ästhetik mit digitaler Musiktechnologie sich entwickelt, ob es aufgrund der massenhaften Verbreitung zur Marginalisierung von Kunst kommt oder sich neue schöpferische Höhepunkte auftun werden, ob es weiterhin den schaffenden Künstler als eigenständige kreative Persönlichkeit geben wird
10 Karl H. Menzel: Der PC-Musiker. Der Einsatz computergestützter Recording-Systeme im Amateursektor, Osnabrück 2005; vgl. hier auch die chronologische Darstellung der musiktechnologischen Entwicklung und ihrer musikalischen Konsequenzen vom professionellen – ursprünglich analogen – Mehrspurstudio bis hin zum digitalen Homerecording am PC. Vgl. auch die aktuelle Analyse der Wechselwirkung zwischen Musik und Technik von Heiko Wandler (2012).
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oder ein arbeitsteiliges Team aus Programmierer, Arrangeur, Designer und Product Manager als Normalfall des künstlerischen Produktionsprozesses zu betrachten ist, und schließlich die Frage, ob es noch des in sich geschlossenen Werks bedarf oder ob musikalische Phänomene eher als biegsames Material für die zielgenaue und zweckgerichtete Erstellung von Klangenvironments dienen werden, die temporär für bestimmte Situationen, Orte und gesellschaftliche Gruppen gedacht sind. Gerade die fast unbegrenzten Möglichkeiten der raschen Manipulationen des digitalen Klangmaterials, die einfache Realisation, Anpassung, Umwandlung, Zerteilung, Variation und Neukombination von Klängen aller Art verändern essentiell den früher deutlich langwierigeren und mühsamen Kompositionsprozess. Die moderner Software inhärente Undo-Funktion erlaubt jederzeit ein Zurück, das Ausgangsmaterial liegt non-decstructive auf der Platte, ein wagnisloses Ausprobieren von Veränderungen im Detail und im Ganzen wird folglich unterstützt. Digitales Komponieren und/oder Arrangieren ermöglicht ungeachtet des eigentlich planerischen Vorgangs einen fast improvisierenden Umgang mit dem Material am Bildschirm, der Übergang zum Live-Act ist im übrigen nicht mehr exakt auszumachen, da prinzipiell fließend. Die Neigung, im probierenden Arbeitsprozess neue Alternativen, Varianten und Versionen anzulegen, zu sammeln und vielfältig zu kombinieren, nimmt zu, wie Robert Henke in seinem Essay „tod durch überfluss“ (Henke 2011) anschaulich beschreibt, so dass die „Kunst des Weglassens“ neu entdeckt und disziplinierte Kompositionsstrategien gefunden werden müssen. Schon mit der Erfindung der Notenschrift wird Musikinformation bildhaft, lässt sich ganzheitlich erfassen, der zum sinnlichen Erleben notwendige zeitliche, rhythmisch gestaltete Ablauf der Musikinformationen entfällt, das Auge sucht sich einen subjektiv-beliebigen Weg durch das Werk. Der Computer verbindet heute in gewisser Weise diese Zugriffsformen, wenn Musik am Bildschirm in Form von Noten oder Balken visualisiert und dabei synchron ertönen kann, ja er kann sie sogar partiell vermischen, wenn Klangelemente im markierten Loop quasi in einer Endlosschleife angehalten werden (was moderne Studioprogramme beim Abspielen eines Arrangements erlauben) oder wenn Musik fragmentiert, verschoben, repliziert und bausteinartig (Patchwork) neu zusammengesetzt (= komponiert) wird, Komponieren in realtime, am „lebenden“ musikalischen Objekt sozusagen, wie es innovative Musikprogramme (z. B. Ableton Live) mittlerweile konzeptuell unterstützen.
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Die digitale Verarbeitung multimedialer Informationen erweitert den Spielraum der künstlerischen Präsentation musikalischer Prozesse in ungewohnte, jedoch reizvolle und ausbaufähige Dimensionen hinein. Experimentiert wird beispielsweise mit dynamischen Partituren wie z. B. einer fließenden Visualisierung erklingender Noten als Wasserfallpartitur11, die Aktion eines Touchpad-Musikers kann mit Beamer als optisches Event auf einer Großleinwand aufgeblasen werden, möglich wird das virtuose, jedoch simulierte Spiel eines Drummers, der überhaupt nicht Schlagzeug spielen kann12 – humorvoll zusammengemixt aus zur Musik synchronisierten Einzelbildern mit Aufnahmen eines simpel ausführbaren einzelnen Trommel- oder Beckenschlags, u. v. a. m. Geradezu surreal muten virtuelle Konzertereignisse an, die bereits ein großes Publikum faszinieren: die synthetische Sängerin Miku Hatsune – auf lebensgroßer Leinwandfolie quasi realiter als Hologramm auf die Konzertbühne gebeamt, mit künstlicher Stimme ‚live‘ singend (realisiert mit dem Stimmen-PlugIn Vocaloid2 von Yamaha) begeistert ein japanisches Publikum aus eingeschworenen Fans zum Tanzen, Klatschen und Mitsingen, wie man sich mittels diverser YouTube-Videos13 selbst überzeugen kann. Die relativ hohe, kindlich wirkende Stimmlage der virtuellen Gesangskünstlerin schafft die Nähe zu den in Japan beliebten Anime-Figuren, die auch den Typus von Miku Hatsune ausmacht. Begleitet wird ‚sie‘ dabei von einer richtigen Band, die um die Leinwand herum positioniert auf der Konzertbühne live (musiktechnologisch gesprochen – synchron zum Playback der Gesangsspur) spielt. Und mit den perfekt animierten, originell und kurios aufspielenden „ANIMUSIC“-Instrumenten14, die in der realen Welt nie funktionieren würden, wird eine neue Qualität der Künstlichkeit erreicht, die den menschlichen Musiker wirklich nicht mehr braucht. Der Musikcomputer, das virtuelle Musikinstrument als Universalmaschine für jede Form der numerisch codierten Klanggenerierung, -verarbeitung und -ver-
11 Eindrucksvoll schon 1995 realisiert von Dominique Besson mit der Multimedia-CDROM „Les Musicographies“ (INA-GRM), leider nur noch auf älteren MacintoshRechnern lauffähig. 12 Vgl. Lasse Gjeertsen im YouTube-Video http://www.youtube.com/watch?v=Jzqumbh fxRo [Abrufdatum 23.1.2013]. 13 Z. B. hier: Hatsune Miku, Rolling Girl, Live in Sapporo 2011 http://www.youtube. com/watch?v=XyTmXLWCazw oder Two Faced Lovers (Vocaloid), http://www.you tube.com/watch?v=FQi_eue52rc [Abrufdatum 17.7.2013]. 14 http://www.animusic.com/previews/animusic1.php [Abrufdatum: 20.1.2013].
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breitung, hat die heutige Musikkultur in jedem denkbaren Produktions- und Distributionsbereich nachhaltig verändert. Der Musikcomputer in seinen verschiedenen Gestaltungs- und Anwendungsformen bildet den (vorläufigen) Höhepunkt einer Kette von aufeinander aufbauenden musiktechnologischen Entwicklungsschritten – von der Knochenflöte bis zum MIDI-fizierten Wind Controller, von der Handtrommel zum elektronischen Drumpad, von der Wasserorgel zur Sample-Bibliothek mit historischen Orgelklängen usw., eine Entwicklung, die in den Urzeiten der Musikkultur ihren Anfang nahm und sich durch zehn Bestimmungsmerkmale kategoriell und z. T. auch chronologisch ordnen lässt. In steter Wechselwirkung von Musikkultur und Technologie wurden die neu gefundenen Möglichkeiten der Klanggestaltung mit Instrumenten künstlerisch ausgelotet und als Anregung für weitere Entwicklungen – musikalisch wie technisch – verstanden. Das seit der Elektronifizierung und Digitalisierung der musiktechnologischen Instrumente und Apparate verfügbare ästhetische Potential des künstlerischen Umgangs mit musikalischen und multimedialen Informationen im weitesten Sinne scheint immens zu sein. Es ist noch nicht abzusehen, ob sich übergeordnete musikkulturelle Paradigmen ergeben werden oder irgendwann einmal ausmachen lassen. Der Grazer Musikwissenschaftler Werner Jauk beschreibt die neu entstandenen Phänomene der akustischen und visuellen Künste und medialen Kommunikation als bestimmenden Teil einer „digital culture“, d. i. eine durch digitalnumerische Codes, globalen Datenaustausch und virtuelle Räume bestimmte, durch eine hedonische Ästhetik geprägte (Pop)Kultur, die mit dem Potenzial der digitalelektronischen Medien- und Musiktechnologie längst entstanden ist und deren Bedeutung des Körperlichen für den interaktiven Umgang mit immateriellen Codes der Musik und ihrer Generierung im virtuellen Umfeld intensiv diskutiert wird. (Vgl. u. a. Jauk 2013) Für das musikalische Handeln und Erleben des Menschen werden sich aus der digitalen Musikwelt noch zahlreiche neue Perspektiven und vielversprechende Handlungsoptionen auftun, die hoffentlich auch in Zukunft künstlerische Höhepunkte mit sich bringen werden.
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Tabelle 1: Tabelle zur technischen Entwicklung des Musikinstruments15 1. Instrumentalisierung
• Loslösung vom Körper, von der Stimme, vom Händeklatschen • Entdeckung des Trommelstocks, der Pfeife, der Flöte, der Saite • Entwicklung von Instrumenten als Klangwerkzeuge (z. B. Fiedel)
2. Mechanisierung
• Konstruktion von optimierten Spieleinrichtungen („Controller“, vor allem Klaviatur, als Interface zur musikalischen Klangsteuerung) • Konstruktion spezieller Klangerzeugungseinrichtungen (Hämmer zum Anschlagen von Saiten als mechanische Verstärker des Fingerdrucks, Plektren zum Anreißen von Saiten, Anblasmechanismen, Tonhöhensteuerung, z. B. durch Klappen) • Übergang zur Maschine durch Zuhilfenahme von Fremdenergie (z. B. Pfeifenorgel, elektrische Gitarre)
3. Automatisierung
• Entdeckung der Stiftwalze (1900), programmierbare Instrumente • Konstruktion halbautomatischer (z. B. Drehorgel) und vollautomatischer Instrumente (Glockentürme, Spieluhren, Orchestrion, Pianola), auch über Lochplatten, Lochkartensteuerung, später elektronisch, analoge Sequencer, MIDI • aufzeichnende Spieleinrichtungen (WelteMignon-Klavier, MIDI-Recording) • Komponiereinrichtungen (Composer), mechanisch: Componium, (1821), elektronisch: Illiac (1956) • Kombination mit Animationen, Steuerung durch Androiden
15 Entnommen aus Enders (2005) S. 32f.
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4. Elektronifizierung
• Konstruktion elektromechanischer Instrumente (Cahills Telharmonium, Neo-Bechstein-Flügel, Hammond-Orgel, E-Gitarre usw., ab 1900, auf Elektronenröhre basierend) • Verstärkung akustischer (mechanischer) Instrumente mit Mikrophon und Lautsprecher • Konstruktion elektronischer Instrumente (Thereminvox, Trautonium, Sphärophon) • Konstruktion neuartiger nichtmechanischer Interfaces (Thereminvox, Bandmanuale) • Erste multimediale Kombinationen („Farbenklavier“, 1725; Lichtorgel, Lichttonfilm)
5. Modularisierung
• Konstruktion von Bausteinen zur Klangerzeugung und Klangveränderung (ansatzweise beim Trautonium in den 1930er Jahren, ab den 1950er Jahren als modulares Synthesizersystem, vor allem beim Moog-Synthesizer 1967) • weitgehend freie Kombination von Klangbausteinen, Synthesizer = „Klangbaukasten“ • Transistorisierung, dadurch einsetzende Miniaturisierung, Verbilligung
6. Digitalisierung
• digitale Steuerung (Lochstreifensteuerung, polyphone Tastaturen), MIDI (ab 1981) • digitale Klangsynthese (numerische Oszillatoren) • digitale Klangänderung (Realisierung von Filter, Verstärker, Effekte über Algorithmen) • digitale Klangspeicherung (Sound Sampling) • multimediale Kombination mit Bild und Video, dadurch Verschmelzung der medienvermittelten Wahrnehmungsebenen Bild und Ton, synästhetische Gesamtkunstwerke • Chiptechnologie, preiswerte Massenware
7. Virtualisierung
• Digitalsynthesizer auf Software-Basis (native Algorithmen, auch modular konzipiert, z. B. PlugIns)
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• Simulation und Emulation von bewährten Instrumenten • Modellierung neuer (mechanisch unmöglicher) Instrumente, Virtual Synthesis, Physical Modelling, Granulare Synthese • interaktive Instrumente • graphische Interfaces, mausorientierte Bedieneroberflächen • Entwicklung neuartiger Interfaces, z. B. EyeTracking, Gesture Controlling 8. Globalisierung
• netzbasierte musikalische Kommunikation, distante Interaktion mit Maschine • globaler Austausch von MIDI-Dateien, von Noteninformationen • Versenden von Sounds, z. T. datenkomprimiert, in Real Time oder als Datei • Austausch und Abruf von virtuellen Instrumenten oder Sound-Designs oder Skins • virtuelle Konzerte • Transfer von Videos (mit Sound)
9. Informatisierung/ künstliche Intelligenz
• adaptive Begleitautomaten (etwa ab 1900) • Musikroboter, musizierende Androiden (schon ab dem 18. Jahrhundert) • kreative Composersysteme • automatische Analysesysteme
10. Hybridisierung
• Brain-controlled-Multimedia-Synthesizer (Audio und Video) • Künstlerische Mensch-Maschine-Symbiosen • klingende Räume, interaktive 3D-Instrumente • musikalische (multimediale) Erlebniswelten • Musikproduktion/-rezeption ohne Hardware
V OM I DIOPHON ZUM T OUCHPAD
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L ITERATUR Behrendt, F. (2005). Handymusik – Klangkunst und „mobile devices“. Osnabrück: epOs-Music. Bense, A. (2013). Musik und Virtualität – Digitale Virtualität im Kontext computerbasierter Musikproduktion, Osnabrück: epOs-Music. Bense, A. (2013). Instrumente, Virtualität, Metapher – Sondierungen zu Musikinstrumenten und digitaler Virtualität. In: Enders, B., Oberschmidt, J. & Schmitt, G. (Hg.), Die Metapher als ‚Medium‘ des Musikverstehens. (S. 149–159). Osnabrück: epOs-Music Enders, B. (2005). Mathematik ist Musik für den Verstand, Musik ist Mathematik für die Seele. In: Enders, B. (Hg.), Mathematische Musik – musikalische Mathematik, (S. 9–37). Saarbrücken: PFAU-Verlag. Gerstberger, K. (1930). Technik und Recht im Bereiche der Musik. In: Kestenberg, L. (Hg.), Kunst und Technik, (S. 157–174). Berlin: Wegweiserverlag 1930. Großmann, R. (1997). Konstruktiv(istisch)e Gedanken zur ‚Medienmusik‘. In: Hemker, T. & Müllensiefen, D. (Hg.), Medien – Musik – Mensch. Neue Medien und Musikwissenschaft, (S. 61–78). Hamburg: von Bockel. Harenberg, M. (2012). Virtuelle Instrumente im akustischen Cyberspace. Zur musikalischen Ästhetik des digitalen Zeitalters. Bielefeld: transcript. Henke, R. (2011). tod durch überfluss. Strategien zur Komposition elektronischer Musik. Neue Zeitschrift für Musik 1, 24–27. Jauk, W. (2009). pop/music+medien/kunst. Der musikalisierte Alltag der digital cutlure. Osnabrück: epOs. Jauk, W. (2013). Musik & Medienkunst – Medien der Erkenntnis und Gestaltung von Erlebniswelten zwischen embodiments und Metaphern. In: Enders, B., Oberschmidt, J. & Schmitt, G. (Hg.), Die Metapher als ‚Medium‘ des Musikverstehens, (S. 173–186). Osnabrück: epOs-Music. Katzer, G. (2011). à la recherche du son inconnu. Neue Zeitschrift für Musik 1. 28– 31. Kim, J. (2012). Embodiment in interaktiven Musik- und Medienperformances unter besonderer Berücksichtigung medientheoretischer und kognitionswissenschaftlicher Perspektiven. Osnabrück: epOs-Music. Lehman, H. (2012). Die digitale Revolution der Musik. Eine Musikphilosophie. Mainz: Schott. Wandler, H. (2012). Technologie und Sound in der Pop- und Rockmusik. Entwicklung der Musikelektronik und Auswirkungen auf Klangbild und Klangideal, Osnabrück: epOs-Music.
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Hatsune Miku, Two-Faced Lovers, http://www.youtube.com/watch?v=FQi_ eue52rc [Abrufdatum: 17.7.2013].
Hatsume Miku, Rolling Girl, Live in Sapporo 2011, http://www.youtube.com/ watch?v=XyTmXLWCazw [Abrufdatum 17.7.2013].
Musik in der digitalen Mediamorphose A LFRED S MUDITS
P RÄAMBEL „... es war schwierig, hinter Compact-Discs und Videoclips, hinter dem Geflecht von Kabel- und Satellitennetzen den Prozess selbst wahrzunehmen, die Metamorphose der musikalischen Kommunikation, für die wir noch nicht einmal einen passenden Namen haben. Und deswegen schlage ich ein Kunstwort vor, das diese Metamorphose der Musik durch die neuen Medien ausdrücken soll. Das Wort heißt: Mediamorphose. Was hilft uns dieses neue Wort? Es soll uns dafür sensibilisieren, dass die Mediamorphose ein Gesamtprozess ist, der alle Elemente der musikalischen Kommunikation erfasst: das künstlerische Schaffen, die Verbreitung von Musik, die Wahrnehmung von Musik, die Berufsbilder ...“ (Blaukopf 1989: 553)
So brachte Kurt Blaukopf seine jahrelange Beschäftigung mit Fragen des Verhältnisses von Kultur und Medien auf den Begriff. Vorerst nur für den Bereich Musik und bezogen auf die, Mitte der 1980er Jahre, aktuellsten Entwicklungen (Blaukopf 1989a). Eine Ausweitung dieses Konzepts auf alle Bereiche des Kulturschaffens und auf historisch frühere Epochen habe ich dann – in enger diskursiver Kooperation mit Blaukopf – vorgenommen (Smudits 2002). Dabei habe ich unterschieden:1 •
Die erste grafische, die schriftliche Mediamorphose, die mit der Erfindung der Schrift und in weiterer Folge – ca. 500 v. u. Z. – des Alphabets gegeben
1
Der vorliegende Text stellt eine überarbeitete und aktualisierte Version des letzten Abschnitts von Smudits 2007 dar.
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ist, im Bereich der Musik jedoch deutlich später – seit dem 12. Jahrhundert – mit der Entwicklung und Verbreitung der Notenschrift beginnt, die zweite grafische, die reprografische Mediamorphose, die zu Beginn der Neuzeit mit der Erfindung der Druckpresse, im weiteren – Ende des 18. Jahrhunderts – der Rotationspresse und der Lithografie erfolgte, die chemisch-mechanische Mediamorphose, die mit der Erfindung der Fotografie und des Grammophons Mitte bzw. Ende des 19. Jahrhunderts einsetzte, die elektronische Mediamorphose, die Anfang des 20. Jahrhunderts mit der Erfindung von Verstärkern auf elektrischer Basis, Radio und dann vor allem Fernsehen, die chemisch mechanischen Medien überformt, schließlich ist ab den 1980er Jahren die aktuellste, nämlich die mit der Ausbreitung des Computers beginnende digitale Mediamorphose zu identifizieren.2
Sowohl mit der elektronischen wie der digitalen Mediamorphose wird die Aufzeichnung und Übertragung beliebiger akustischer und visueller Phänomene ermöglicht. Ihre eigengesetzliche Struktur ist jedoch so unterschiedlich, dass von zwei verschiedenen Mediamorphosen gesprochen werden muss. Zugrunde liegt dem Mediamorphosen-Konzept eine Produktivkrafttheorie der Medien, der gemäß zwischen Medien und Kodes zu unterscheiden ist. Bei den Medien handelt es sich um die Kommunikationskanäle und -mittel, also um die materiellen (physikalischen, chemischen) Grundlagen jeder Kommunikation, unabhängig von den sozialen und kulturellen Rahmenbedingungen und den Inhalten dieser Kommunikation. Bei Kodes handelt es sich um immaterielle Regelsysteme, mit deren Hilfe wahrnehmbare Phänomene (wie Laute, Linien, Punkte etc.) nach ganz bestimmten Regeln zueinander in sinnvolle Beziehungen gesetzt werden. Möglich wird Kommunikation allerdings nur in der Verbindung von Medien und Kodes, und Produktivkraft entfaltet sich erst, wenn Kommunikationstechnologien, also Medien in Verbindung mit Kodes, gesellschaftliche Anwendung finden. Zwischen Kodes und Medien besteht ein dialektisches Verhältnis. Indem Kodes sich bestimmter Materialien bedienen, formen sie diese in mitteilbare Gesten und Texte um, gleichzeitig müssen sich die Kodes der allgemeinen Beschaffenheit und den Spezifika der jeweiligen Medien anpassen. Es wird die These aufgestellt, dass kulturelle (künstlerische) Entwicklungsschübe
2
Diese Typologie weicht, was die Begrifflichkeit betrifft, von der ursprünglich entwickelten (Smudits 2002) ab. Die Unterscheidung zwischen grafischen und technischen Mediamorphosen wurde aufgegeben (Smudits 2007).
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wesentlich auf Innovationen im Bereich der Medien oder im Bereich der Kodes zurückzuführen sind, wenn diese gesellschaftlich relevante Anwendung und Verbreitung finden. Einerseits sind solche Entwicklungsschübe also das Ergebnis gesellschaftlicher ‚Entscheidungen‘ und somit sozialer Prozesse, andererseits, so lautet die These weiter, beeinflusst die eigengesetzliche Struktur einmal etablierter Kommunikationstechnologien den Transformationsprozess dann noch auf eine zusätzliche, unabhängige und ‚eigenmächtige‘ Art und Weise.
I NDUSTRIALISIERUNG
DES
K ULTURSCHAFFENS
Im Laufe des 20. Jahrhunderts wurde mit der elektronischen Mediamorphose zwar die Verlagerung vom bürgerlich-romantischen Kunstmarkt hin zu den Kulturindustrien eingeleitet und auch weitgehend vollzogen. Das ideologische Beharrungsvermögen des bürgerlich geprägten Musiklebens vermochte allerdings die damit auch einsetzende allgemeine Industrialisierung des Kulturschaffens weitgehend auszublenden bzw. als hier nicht relevant abzuspalten. Die ‚legitime‘ Kultur nahm zwar, wenn es um Kulturpolitik ging, zunehmend eine defensive Haltung ein, doch die Ausgrenzung des ‚Populären‘ aus dem künstlerischen Feld funktionierte bis in die 1970er Jahre insofern gut, als das romantisierende Ignorieren der realen Arbeitsbedingungen für Kulturschaffende, das seit Anbeginn zur ideologischen Grundausstattung bürgerlichen Kunstverständnisses gehörte, bestehen blieb. Daher konnte weiterhin übersehen werden, dass die Produktionsbedingungen auch für ‚legitime‘ Kulturschaffende längst auf dem Wege der Industrialisierung waren. Ab den 1980er Jahren geriet diese Widersprüchlichkeit zwischen der bürgerlichen Kulturideologie und der realen Situation des künstlerisch-kulturellen Feldes in Bewegung. Die Industrialisierung des Kulturschaffens und die Tatsache, dass eine genuin kapitalistische Kultur bereits dabei war, sich voll zu entfalten, konnte und wollte immer weniger geleugnet werden. Ohne hier in Details gehen zu können3, welche Ursachen für diese Entwicklung verantwortlich sind, seien in Bezug auf die sozialen und kommunikationstechnologischen Einflussfaktoren nur einige Stichworte genannt: Krise des Wohlfahrtsstaates, Risikogesellschaft, Postmoderne, ‚Zweite Moderne‘, neoliberale Wende, Ende der bipolaren Weltordnung, Computerisierung bzw. Digitalisierung, Wissens-, Informations-, Netzwerkgesellschaft und Internet. Konstatiert werden kann aus kommunikationstechnologischer Sicht das Einsetzen einer neuen, nämlich der digitalen Mediamorphose, die zahlreiche, mit der elektronischen Medi-
3
Diese Diskussion ist derzeit noch im Gange und jede Festlegung wäre anmaßend.
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amorphose nur angelegte Tendenzen, verstärkt oder überhaupt erst sichtbar macht. Auszugehen ist davon, dass sich diese Transformation auch noch zu Beginn des 21. Jahrhunderts in ihrer Anfangsphase befindet, dass also die von der elektronischen Mediamorphose geschaffenen Strukturen noch weitgehend gültig sind, dass aber bei aller Problematik der historischen Nähe zu dieser Entwicklung dennoch davon ausgegangen werden kann, dass es sich um einen Paradigmenwechsel handelt.
K REATION /P RODUKTION : V ON KÜNSTLERISCHEN M USIKSCHAFFENDEN MUSIKALISCHEN K LEINUNTERNEHMER I NNEN
ZU
Im Zuge der Digitalisierung erfährt das musikalische Schaffen eine fortschreitende Mediatisierung, immer mehr und immer leistungsfähigere Technologien prägen den Schaffens- wie den Interpretationsprozess. Ebenfalls intensiviert wird die Ökonomisierung, wobei allerdings nicht von einer linearen Fortschreibung der Kommerzialisierung, wie sie den herkömmlichen Strukturen der Massenproduktion entspricht, ausgegangen werden darf. Vielmehr sind Veränderungen der Unternehmensstrategien und des Arbeitsmarktes zu beobachten, die neue Qualitäten von Effizienz und Rationalität mit sich bringen. Allerdings sind von diesen Entwicklungen – zumindest vordergründig und auch noch zu Beginn des 21. Jahrhunderts – große Teile der Musikschaffenden nur marginal betroffen, wie etwa die interpretatorisch Tätigen im traditionellen Musikleben. Als ‚neu‘ wird im musikkulturellen Geschehen oft nur die Etablierung der Compact-Disc und des Musikvideos (als eigenständige künstlerische Ausdrucksform) wahrgenommen. Doch der Strukturwandel geht weit über die Orientierung auf ein neues Tonträgerformat und die wachsende Bedeutung von Image-Marketing hinaus. Die folgenden Ausführungen betreffen somit zwar eher spezifische Teilbereiche des Musikschaffens, die aber prototypisch für die digitale Mediamorphose sein dürften. Ab den 1980er Jahren setzt die Digitalisierung der Musikproduktion ein. Vor allem der Musikcomputer, speziell zunächst in Form des digitalen Synthesizers, eröffnet neue Dimensionen des Musikschaffens, wobei vor allem dessen Sampling-Fähigkeit von weit reichender Wirkung ist. Damit werden die Möglichkeiten, die bislang durch die Mehrspuraufzeichnung gegeben waren, dramatisch ausgeweitet. Es ist es nunmehr möglich, Klänge jedweder Art digital aufzuzeichnen, zu bearbeiten und wiederzugeben. Ebenso ist es möglich – und wird
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üblich – Elemente vorhandener Musik in neue Stücke zu integrieren, wodurch sich neue Formen kompositorischer Tätigkeit ergeben. Ebenfalls erwähnt werden muss der Drum-Computer, der digitale Sequenzer sowie die Einführung des MIDI (Music Instrument Digital Interface), mit dem die digitale Integration aller, auch der konventionellen Instrumente, ermöglicht wurde. Prinzipiell kann schon gegen Ende der 1980er Jahre eine Musikproduktion (zumindest im Bereich populärer Musik) ohne ‚lebendige‘ InterpretInnen auskommen. Hinzu kommt, dass die Geräte eine ständige Miniaturisierung und Verbilligung erfahren, sodass es etwa ab den 1990er Jahren möglich wird, ohne allzu großen Kostenaufwand eine den professionellen Standards entsprechende Musikproduktion gleichsam im eigenen Haushalt herzustellen (bedroom productions) und bald auch über das Internet – zumindest theoretisch – weltweit zu vermarkten. Im herkömmlich musikindustriellen Bereich, den großen Studioproduktionen, die natürlich noch immer das Zentrum des Geschehens ausmachen, findet diese Entwicklung insofern ihren Niederschlag, als die Kompetenzen von ProduzentInnen, aber auch von TonmeisterInnen, die kaum mehr von kompositorischen und interpretatorischen Kompetenzen zu unterscheiden sind, eine künstlerische Aufwertung erfahren. Damit verändert sich für viele betroffene Musikschaffende aber nicht nur die Arbeitsweise, sondern auch der Arbeitsmarkt. Einerseits werden sie autonomer, können schnell und leicht unternehmerähnlichen Status erlangen, andererseits werden ihre Leistungen aus Rationalisierungsgründen aus den etablierten Institutionen des Musiklebens tendenziell ausgelagert: Rundfunkanstalten können oder wollen sich keine im Haus gefertigte Eigenproduktion mehr leisten, ebenso reduzieren die großen fonografischen Unternehmen ihre Aktivitäten – zugespitzt gesagt - auf den Handel mit Urheberrechten, während sie ‚neues Material‘ nur mehr ‚ankaufen‘. Zusammengefasst wird diese Tendenz mit Schlagwörtern wie flexible Spezialisierung (Hesmondhalgh 1996) oder ambivalente Autonomie (Sperlich 2010), womit zum Ausdruck gebracht werden soll, dass die Musikschaffenden frei von unmittelbaren musikindustriellen Vorgaben werden, aber dafür umso mehr auf ihre Selbstbehauptung am freien Markt angewiesen sind. Der qualitative Wandel geht also von der reellen Subsumption unter Bedingungen der Kulturindustrien zu neuen, weniger künstlerisch als vielmehr unternehmerisch autonomen, Formen formaler Subsumption. Nicht unrealistisch für die zukünftige Entwicklung erscheint ein Bild von Musikschaffenden als ‚KleinunternehmerInnen‘ mit vielfältigen Kompetenzen, vor allem technischen, kaufmännischen und künstlerischen, aber auch mit auf vielfältige Betätigungsfelder hin orientierten Aktivitäten, als KomponistInnen von ‚Kunstmusik‘ ebenso wie
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von angewandter Musik, als Sound-DesignerInnen, Disc-Jockeys, ProduzentInnen etc.. Nicht unwahrscheinlich ist auch, dass (unverkäufliche) künstlerisch ambitionierte Arbeit bewusst als kreative Visitenkarte produziert und betrachtet wird, die Aufträge von Seiten der Wirtschaft (und immer weniger der öffentlichen Hand) erbringen soll. In diesem Zusammenhang ist auch die Tatsache von Bedeutung, dass das geltende Urheberrecht durch die Digitalisierung unterlaufen wird. Mit dem Phänomen des Samplings ergibt sich schon das Problem von Rechtfertigung und Modus der Abgabepflicht für Nutzer von Samples, erst recht schwierig ist die Wahrnehmung von Urheberrechten im Falle des Austausches von Musikdateien via Internet oder beim illegalen Kopieren von Tonträgern ohne Qualitätsverlust – als einer neuen Variante der ‚Piraterie‘. Wenn aber die ‚Tantiemen‘ als bislang wichtigste Einkommensquelle für den überwiegenden Teil der Musikschaffenden eine unsichere Größe werden, stellt sich natürlich die Frage, woher Musikschaffende ihr Einkommen bestreiten sollen. Möglicherweise wird dies das triftigste Argument sein, wenn es für sie gilt, das Verhältnis von Kreativität und Wirtschaftlichkeit, von Kunst und Gewerbe neu zu überdenken.4 In Bezug auf das Berufsbild von Musikschaffenden ist durchaus eine Aufweichung der professionellen Zugangskriterien in das künstlerische Feld denkbar. War schon bisher der einschlägige Ausbildungsabschluss nicht das Um und Auf einer musikalischen Karriere, so kann durch den erleichterten Zugang zu den Produktions- und Distributionsmitteln und durch die Tatsache, dass traditionelle musikalische Kompetenzen im Zusammenhang mit diesen neuen Technologien nicht unabdinglich sind, eine De-Professionalisierung um sich greifen. Im Zusammenhang mit der These vom Ende lebenslanger Berufskarrieren ist es durchaus denkbar, dass immer mehr Musikschaffende diese Tätigkeit nur für die Dauer eines mehr oder weniger kurzen Lebensabschnitts mit monetären Einkünften werden verbinden können (oder wollen).
D ISTRIBUTION : V OM T ONTRÄGER
ZUM
D ATENSTROM
Ab den 1980er Jahren setzt in Europa die Deregulierung der Medienlandschaft ein, gleichzeitig wird – für das Musikleben relevant – von den USA aus der Mu-
4
Die zu dieser Thematik erscheinenden Publikationen sind oft schon am Tag der Veröffentlichung überaltet, dennoch einige Literaturhinweise: Röttgers 2003, Renner 2004, Kusek/Leonhard 2005, Wikstrom 2009, Renner/Renner 2011.
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sikkanal MTV gestartet.5 Die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten verlieren ihre Monopolstellung, und die neu hinzukommenden privaten Unternehmen bekommen keine vergleichbaren Auflagen kultureller Art wie die öffentlichrechtlichen Anstalten. Diese Entwicklung hin zu Marktverhältnissen im Rundfunkbereich hat weitreichende Auswirkungen auf das gesamte Musikleben. Gab es bislang nur wenige Anbieter für ein nationales Massenpublikum, so gibt es nunmehr zahlreiche Anbieter, die sich ihre ‚Marktsegmente‘ zielgruppenorientiert erobern, Aufmerksamkeit für ihre Produkte erregen müssen. Die Rundfunklandschaft ist nun auch mit jenem Phänomen konfrontiert, das die gesellschaftliche Produktion insgesamt kennzeichnet: nämlich eine tendenzielle Entwicklung von der Massenproduktion hin zur Nischen- und Zielgruppenproduktion, vom Fordismus zum Post-Fordismus6. Dieser Prozess kennzeichnet sich allerdings bislang durch äußerst widersprüchliche Bewegungen. Beobachtbar sind sowohl eine weitergehende Standardisierung (Formatradios, Einsatz von Radioprogramm-Software anstelle von Disc-Jockeys etc.) ganz im Sinne des Fordismus und der Effekte der Globalisierung als auch gegenläufige Regionalisierungstendenzen (z. B. deutscher oder französischer HipHop) und eine bemühte, global wie regional ausgerichtete Zielgruppenorientierung, sei es von Majors, Independents, lokalen oder nationalen Rundfunkanstalten. So etablieren sich im Gefolge und als Gegengewichte zu MTV zahlreiche nationale Musiksender (in Deutschland vor allem VIVA), die das transnational angelegte MTV wiederum zu einer regionalen Diversifikation des Programms zwingen. In Bezug auf die phonographischen Industrien ist allerdings auffällig, dass die Majors von ihrer traditionellen Struktur her – so scheint es – immer noch auf Massenproduktion eingestellt sind. Ihr Ideal dürfte weiter darin bestehen, einerseits einige weltweit vermarktbare Megastars unter Vertrag zu haben, und andererseits große Mengen an physischen Tonträgern umzusetzen, um Gewinne zu garantieren. Dies funktioniert aber aus zumindest zwei triftigen Gründen nicht mehr, weswegen sich für die Majors seit den 1990er Jahren eine krisenhafte Situation ergeben hat. Erstens evoziert die Globalisierung – sozial und kulturell bedingt – die schon für den TV-Bereich angeführten gegenläufigen Regionalisierungstendenzen – die Versorgung von lokalen Märkten mit einem lokalen Angebot ist aber kostenintensiver. Zweitens haben sich mit der Digitalisierung auch entscheidende Innovationspotentiale für die Distribution, bislang eine der besonderen Stärken der Majors, ergeben. Mit der digitalen Kodierung von Musik und der Technik der datenreduzierenden Konvertierung von Musikdateien in das MP3-Format wird das
5
Zu Geschichte und Bedeutung des Musikfernsehens vgl. Neumann-Braun 1999.
6
Vgl. für den Bereich der Kulturindustrien z. B. Lash/Urry 1994.
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Verbreiten bzw. Zugänglichmachen von Musik über das Internet (Downloads, File-Sharing, Streaming, You-Tube) zu einer relativ einfachen Angelegenheit, die jeder Internet-User bzw. Mobiltelefon-Nutzer bewerkstelligen kann. Und unabhängig davon, ob dies nun legal oder illegal geschieht: der physische Ton(bild)träger verliert damit langfristig möglicherweise seine zentrale Bedeutung für das ‚Plattengeschäft‘. Falls dies zutrifft, droht die im letzten Jahrhundert von der Phonoindustrie entwickelte Logistik in Bezug auf den weltweiten Vertrieb der Ware Tonträger durch immaterielle Vertriebsformen ergänzt, ja vielleicht abgelöst zu werden. Was dies für das Musikleben bedeuten könnte, ist aus heutiger Sicht nicht abzuschätzen.
M USIKPOLITIK : D EREGULIERUNG
UND
Ö KONOMISIERUNG
So heterogen die Erscheinungsformen des Musiklebens in Folge des Einflusses der digitalen Mediamorphose im beginnenden 21. Jahrhundert sind, so klar lässt sich eine politische Linie nachzeichnen, die mit den 1980er Jahren ihren Anfang nahm, und die sich mit den Schlagworten Deregulierung und Ökonomisierung umfassen lässt.7 Die korrigierende Kulturpolitik gerät – nicht zuletzt infolge sich verändernder Bewertungen der Verteilungspolitik öffentlicher Haushalte – unter wachsenden Legitimationsdruck. Die Kriterien für Förderungswürdigkeit werden immer schwerer argumentierbar, da die traditionelle Hierarchie ästhetischer Werte und damit das bürgerliche Kunstverständnis immer unverbindlicher wird.8 In letzter Konsequenz führt dies zu einem tendenziellen Rückzug des Staates aus der Verantwortung für das Kulturleben, der sich in Form von Privatisierung, Deregulierung und Ökonomisierung äußert. Bislang von der öffentlichen Hand kontrollierte Kulturbetriebe, von Rundfunkanstalten bis zu Konzerthäusern, werden teilweise oder völlig in die Autonomie entlassen, sollen sich unter Konkurrenzverhältnissen am freien Markt behaupten, eventuell auch gewinnorientiert arbeiten. Um diese neue Unternehmensorientierung nicht zu behindern, werden ‚wertorientierte‘ gesetzliche Regelungen gelockert bis abgeschafft, vom Arbeit-
7
Hier ist darauf hinzuweisen, dass dies vor allem für Europa gilt, während die Entwicklung in den USA und Kanada einer anderen Tradition entspricht.
8
Dies entspricht auch der Tatsache, dass immer mehr Phänomenen der Popularmusik (Jazz, World-Music, aber auch schon Pop) Legitimität zuerkannt wird, einschlägige Studienrichtungen, Fachzeitschriften oder Organisationen etabliert werden.
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nehmerschutz über Konzentrationsrestriktionen bis hin zur Hintanstellung des öffentlichen Interesses gegenüber dem Unternehmensinteresse.9 Die Effekte, die diese Politik zeitigt – und die eben den Charakteristika der Flexibilisierung entsprechen – sind Konzentration (z. B. die Zusammenschlüsse der Majors untereinander bzw. mit Online-Firmen), Auslagerung kreativer Arbeit (z. B. in kleine Aufnahmestudios, Kleinlabels) und Kommodifizierung, also das Vordringen des Warenprinzips in kleinstmögliche Nutzungseinheiten - z. B. die Bezahlung eines einzelnen vom Internet geladenen Musikstücks: pay per track (Murdock 2003: 21f.). Das Musikleben wird von der öffentlichen Hand zunehmend unter demselben Gesichtspunkt betrachtet, wie von den Betreibern privater musikindustrieller Unternehmen: als Wirtschaftsfaktor und nicht als Kulturfaktor. Konsequenterweise schlägt sich das auch in terminologischer Hinsicht nieder: die Rede ist spätestens seit den beginnenden 1990er Jahren von der Kreativwirtschaft, den creative industries, ein Begriff der im Gegensatz zu dem der ‚Kulturindustrien‘ mit keinen kulturpessimistischen Konnotationen belastet ist.
R EZEPTION : N EUE U NGLEICHHEITEN , A KTIVIERUNGEN
NEUE
Im Gegensatz zu den Musikschaffenden, die mit den Auswirkungen der Digitalisierung sowohl in künstlerischer wie in beruflicher Hinsicht unmittelbar und eindringlich konfrontiert sind, stellt die Digitalisierung für die RezipientInnen zunächst einen eher beiläufigen Faktor bei der Prägung ihrer musikalischen Praktiken dar: für durchschnittliche MusikhörerInnen ist es wohl von geringer Bedeutung, ob ein Musikstück von einer Person am Musikcomputer kreiert, komponiert und interpretiert wurde oder ob dabei zahlreiche Musikschaffende beteiligt waren, ob ein Sound vor allem aus Samples oder aus ‚lebendig‘ eingespielten Instrumentalparts besteht. Bei allen Versuchen der Musikindustrie, den aktuellen Mainstream so standardisiert wie möglich zu gestalten (um auf den kleinsten gemeinsamen Nenner hin zu produzieren, der weltweite Vermarktung ermöglicht), ist doch zu bedenken, dass es, bedingt vor allem durch die zwischen 1980 und 1990 erfolgte Neuaufla-
9
Vgl. dazu Murdock 2003, der diesen Prozess insgesamt als ‚marketization‘ bezeichnet.
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ge fast des gesamten Repertoires der Kunst- und Popularmusik auf CD, vermutlich noch nie ein so breites Spektrum von auf Tonträgern verfügbarer Musik gegeben hat. Mit dem Internet entsteht ab dem Beginn der 1990er Jahren ein neues Distributionsmedium, das neue Aneignungsmöglichkeiten von Musik ermöglicht, sei es als virtuelles Schallplattengeschäft, in dem die ausgefallensten Raritäten erstanden werden können, sei es als Möglichkeit für den direkten (legalen oder illegalen) ‚Download‘ eines Musikstücks. Es liegt auf der Hand, dass damit unmittelbar der Banalisierungsprozess (Musik, die jederzeit mehr oder weniger kostenlos verfügbar ist, verliert an ‚Wert‘) ebenso vorangetrieben wird wie – vermittelt die für die elektronische Mediamorphose charakteristische zerstreute Rezeptionshaltung. Ebenfalls verstärkt wird – vor allem mit dem Internet, dem MP3Player, dem Mobiltelefon – die Technikintensität und damit zusammenhängend auch die Beschleunigung der Verbreitung neuer Stile und Moden. Dazu gesellt sich allerdings auch eine neue Form von Kompetenzintensität, vor allem dann, wenn es um Computernutzung geht. Das Internet adäquat für den Musikkonsum nutzen zu können setzt andere Kompetenzen voraus, als einen CD-Player anzuschalten, und auch der Kostenfaktor spielt eine nicht zu vernachlässigende Rolle. Der ‚Digital Divide‘10, also die Kluft zwischen jenen, die die jeweils zeitgemäßesten Computer adäquat nutzen können und jenen, die davon ausgeschlossen sind, könnte vor allem bedeutsam werden wenn es darum geht, an Musik gelangen zu können, die ein wenig abseits des Herkömmlichen angesiedelt ist. Wobei hier weniger der Kompetenzfaktor zum Tragen kommen wird, da dieser für die heranwachsende Generation wohl kaum mehr ein Handikap darstellen dürfte – vielmehr sind ökonomische Barrieren absehbar, z. B. hinsichtlich der Verfügung über die erforderlichen Geräte, sei es auf Grund der Berufsposition, sei es auf Grund des privaten Besitzes. In Bezug auf die Hörerwartung zeichnet sich eine möglicherweise dem Digital Divide entsprechende zweigleisige Entwicklung ab: einerseits ist – entsprechend den Bemühungen der Industrie um immer höherwertige Qualitätsstandards (Sensurround, diverse Tonträgerformate mit immer mehr Kapazität) – ebenfalls von einem weiterhin steigenden Anspruchsniveau auszugehen, andererseits weist das für den schnellen Gebrauch gerne genutzte MP3-Format zumindest derzeit noch qualitative Mängel auf, die aber möglicherweise gern in Kauf genommen werden und somit die Hörerwartungen beeinflussen. Grundsätzlich ist aber davon auszu-
10 Vgl. dazu z.B Bonfadelli 1994 oder Castells 2005.
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gehen, dass vor allem in Bezug auf den Sound steigende Differenzierungsfähigkeiten und daher auch Anspruchsniveaus zu beobachten und noch weiter zu erwarten sind. Hier sind die Auswirkungen der Digitalisierung auch unmittelbar für die Rezeption von Relevanz, denn die Musikproduktion mittels Computer ermöglicht gerade im Bereich der Klanggestaltung bislang ungekannte Nuancierungen. Für RezipientInnen stellt der Sound daher eine wesentliche Orientierungshilfe in der alltäglichen musikalischen Umwelt dar, d. h. die Entscheidung ‚gefällt mir‘/‚gefällt mir nicht‘ wird vor allem vom ersten Sound-Eindruck abhängen.11 Schließlich verändert sich auch die Funktionalisierung von Musik als Distinktionsmedium und als Medium für intensive Erlebnisqualitäten. Musik als alltägliches, lebensstilbildendes Element ist die eine Seite, Musik als Zentrum oder Hintergrund außeralltäglicher Erfahrungen, als Event, die andere. Zusammen mit der voranschreitenden Außerkraftsetzung traditioneller ästhetischer Wertehierarchien wird Musik nun sowohl als mögliches Mittel zur ‚Identitätsarbeit‘ wie auch als ‚bloßes‘ Mood-Management angesehen und benutzt, wobei unterschiedliche Musiken in unterschiedlichen Lebenszusammenhängen gezielt eingesetzt werden. Dies entspricht ganz dem Bild des souveränen Rezipienten, der unabhängig von traditionellen Vorgaben Musik individuell zu nutzen imstande ist. Damit verändert sich aber möglicherweise die Art und Weise, wie Musik als Distinktionsmedium ‚funktioniert‘. Wenn Kompetenz im musikalischen Bereich immer weniger mit ‚immanenter‘ denn mit ‚pragmatischer‘ Kompetenz verbunden ist, also mit der Kompetenz zu wissen, welche Musik bei welcher Gelegenheit passt, dann bedarf es keiner eingeengten Musikvorliebe mehr, sondern eines breiten Interesses, wie es etwa der von Richard Peterson bereits identifizierte ‚musikalische Allesfresser‘ aufweist, ein neuer, statushoher Rezipiententypus mit Sinn sowohl für ‚elitäre‘, als auch ‚populäre‘ Genres und Stile.12 So sehr hier traditionelle Hierarchien obsolet werden, so sehr ist auch klar, dass nicht geringe Investitionen an Zeit und Geld nötig sind, um diesen Habitus ausprägen zu können.
11 Eine empirische Überprüfung dieser Hypothese steht noch aus, als Hinweis für deren Stichhaltigkeit könnte die spätestens mit der Verbreitung von House und HipHop einsetzende und seither ständig sich ausweitende Ausdifferenzierung vielfältigster SubGenres, die natürlich ‚erkannt’ werden müssen, angesehen werden. Fürs Erkennen bedarf es aber wieder eines immer differenzierungsfähigeren ‚Sound-ErkennungsVermögens’. Zu Sound vgl. Phleps/ von Appen 2003. 12 Vgl. Peterson 1992, weiters Gebesmair 1998, Neuhoff 2001, Parzer 2011.
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Schließlich sei noch auf zwei Begriffe verwiesen, die in die Diskussion um Musikrezeption Eingang gefunden haben: den der ‚virtuellen Szenen‘ (Benett/Peterson 2004) und den der ‚ProsumerInnen‘13. Mit ersterem sind jene neuen translokalen ‚Fankulturen‘ gemeint, die sich vor allem oder sogar ausschließlich über das Internet austauschen und dabei ansatzweise schon die Grenze zwischen rein rezeptiver und bereits kreativer Beteiligung (etwa beim Verfassen von Rezensionen o. Ä.) aufheben. Noch weiter getrieben wird diese Aufhebung von produzieren und konsumieren mit dem Konzept der ProsumerInnen, und zwar konkret im Hinblick auf die Neugestaltung verfügbarer Musik durch Manipulation mit digitalen Medien. Dies beginnt bei der Herstellung von Kompilationen und endet bei der individuellen Bearbeitung von Musikdateien. Dieses Konzept korrespondiert mit der prekären berufspolitischen Perspektive für professionelle Musikschaffende und ist auch vor dem Hintergrund des Digital Divide zu sehen. Möglicherweise sind die ProsumerInnen eine wesentliche Gruppe unter den Musikschaffenden der Zukunft, die ähnlich wie ehemals VolksmusikerInnen ‚frei verfügbare‘ Musikstücke immer wieder neu bearbeiten (interpretieren), die aber andererseits wiederum spezifische, nicht selbstverständliche Kompetenzen, und zwar vor allem in Bezug auf Computernutzung, besitzen müssen, um ihre Aktivitäten entfalten zu können. Insgesamt sprechen die Befunde zur Charakterisierung des Rezeptionsverhaltens unter Bedingungen der (einsetzenden) digitalen Mediamorphose eher für einen Zugewinn von Souveränität zu Lasten etablierter Interessen, was durchaus der Vermutung einer zukünftigen Schwerpunktbildung beim Publikum entsprechen würde (Kapner 1991). Tatsächlich scheint es so zu sein, dass immer mehr das Publikum darüber entscheidet, welche Musik es in einer Gesellschaft gibt (auf Tonträgern, im Radio, sogar schon im Konzert) und welche nicht. Verkaufszahlen, Reichweiten, Besucherzahlen, Downloads, ‚Clicks‘ auf you-Tube etc.) entscheiden über Produktionen, Programme, Repertoires. Aus kulturkritischer Sicht bleibt aber immer noch die Frage: hat das Publikum überhaupt eine Chance erhalten, hören zu können, was es vielleicht noch ‚lieber‘ gehört hätte? Hier setzt die – derzeit sehr kontroversiell laufende Diskussion an (vgl. Binder 2012), ob und inwieweit Navigations-, Empfehlungs- oder Marketingstrategien von einschlägigen Internet-Portalen eine Einengung oder Verbreiterung des Musikgeschmacks befördern.
13 Der Begriff findet sich erstmals bei Toffler 1983.
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F ORMEN UND I NHALTE : V ON S OUND -D ESIGN
DER
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ZUM
Die bereits mit der elektronischen Musik angelegten Tendenzen in Bezug auf die Ausweitung des musikalischen Materials (Tonbandmusik, musique concrète) erfahren mit der Digitalisierung eine Zuspitzung, die durchaus einen Qualitätssprung mit sich bringen kann. Denn mit der Sampling-Technologie ist das musikalische Material nunmehr auf jeglichen vorhandenen Sound – sei er in bereits aufgezeichneter, sei er in jeweils aktuell lebendiger Form – ausgeweitet. Mehr noch: mit der Sounderzeugung mittels Musik-Computer kann jeder denkbare Sound ‚künstlich‘ generiert und als Material für Kompositionen (für die dieser Begriff dann möglicherweise gar nicht mehr adäquat ist) verwendet werden. Vermutlich eng damit zusammenhängend ist auch eine ansatzweise Auflockerung der traditionellen Song-Struktur vor allem in jenen Genres der Popularmusik zu beobachten, in denen die avancierten technologischen Möglichkeiten am intensivsten genutzt werden – bei House und Rap, bzw. bei so genannter Dancefloor-Musik – hier löst ansatzweise ein ‚endloser Sound-Strom‘ die herkömmliche Lied-Form ab.14 Ebenso wird die Landschaft der Musikgenres zu Beginn des 21. Jahrhunderts, bedingt durch gesellschaftlich-ideologische und nicht zuletzt vermittelt durch die eben genannten technologischen Faktoren, weitergehend umstrukturiert: Die ästhetische Hegemonie bürgerlicher Kunstmusik wird endgültig relativiert – in der Musikindustrie ist von ‚quality music‘ die Rede, und gemeint sind: ‚Klassik‘, Jazz und Teile der World Music. Daneben gibt es Pop International, Metal, Nu Metal, R’n’B, Urban Soul, Rap, Country & Western, Latin etc. Das heißt: bedingt nicht zuletzt durch den ständigen Aufschaukelungsprozess der Konkurrenz am Markt der Stile und Genres und auf der Basis einer immer leichteren Produzierbarkeit von Musik hat sich wohl noch nie eine solch zelebrierte Vielfalt von sich beschleunigend vermehrenden Substilen und -genres ergeben. Diese Diversifizierung der – vor allem – popmusikalischen Genres entspricht nicht nur Marktzwängen und damit Unternehmensstrategien der Majors, sie ist auch Ausdruck von Regionalisierungstendenzen und von mehr oder weniger verzweifelten Selbstbehauptungsstrategien ‚unabhängiger‘ Musikschaffender, deren Krea-
14 Vor allem in Bezug auf die so genannte Rave- und Techno-Szene gibt es dazu zahlreiche Publikationen, die sich aber vor allem mit der Identitäts- und Repräsenationsproblematik beschäftigen, vgl. z. B. Thornton 1999, Kleiner/Szepanski 2003.
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tionen von den – selbst krisengebeutelten – Musikindustrien allzu gern aufgegriffen (und im Misserfolgsfall ebenso schnell auch wieder fallengelassen) werden.15 Der traditionelle Kunstmusiksektor versucht durch die Übernahme des PopAppeals, von der CD-Cover-Gestaltung bis zu musikalischen ‚Crossovers‘, Marktpräsenz zu sichern. Andere Segmente des Kunstmusik-Bereichs brechen in die bildende Kunst (Klangskulpturen, Soundscapes etc.) aus, wiederum andere professionalisieren sich ökonomisch äußerst erfolgreich im Sektor der angewandten Musik, der Medienmusik, des Sound-Designs. Insgesamt wird der musikindustrieimmanente Widerspruch zwischen der geradezu zwanghaften Tendenz zur Standardisierung und der marktbelebend notwendigen Diversifikation weiter vorangetrieben. Einerseits klingen Produktionen und Radiostationen, die auf den so genannten Mainstream hin orientiert sind, nicht sehr unterschiedlich, andererseits waren vermutlich noch nie so viele musikalische Stile gleichberechtigt nebeneinander existent und – vor allem – auch verfügbar. Inwieweit sich dieses Szenario der ‚Ent-Kanonisierung‘ noch zuspitzen, oder sich in andere, z. B. relokalisierende, antiglobale Richtungen entwickeln wird, dürfte höchstwahrscheinlich vor allem von den zukünftigen Distributionsmodi von Musik abhängen.
R ESÜMEE Abschließend soll versucht werden, wieder auf die Realität des Status quo zurückzukommen, nachdem die prognostischen Ausflüge möglicherweise ein verzerrendes Bild hinterlassen haben. (1) Es gibt weiterhin Kunstmusik und ein dem bürgerlichen Musikverständnis verpflichtetes Musikleben. Diese ist immer noch von Relevanz, wenn es um ‚Bildung‘, um kulturelles Kapital geht. Ihre hegemoniale Stellung ist allerdings bereits stark relativiert, was auch Auswirkungen in Bezug auf die Stellung traditionell orientierter Musikschaffender zeigt, in musikpolitischer und in ‚distinktionsstrategischer‘ Hinsicht. (2) Es dominieren weiterhin die durch die elektronische Mediamorphose geschaffenen Strukturen des Musiklebens, diese werden allerdings bereits deutlich aufgestört durch Tendenzen, die der digitalen Mediamorphose entsprechen.
15 Vgl. Mitchell 1996, Phleps 2002.
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(3) Die Richtung, in die der Transformationsprozess, der durch diese aktuelle Mediamorphose vorangetrieben wird, verläuft, ist, obwohl sich bestimmte Tendenzen abzeichnen, (noch) nicht eindeutig bestimmbar. (4) Eine grundlegende Transformation des Musiklebens (entsprechend der beobachtbaren gesamtgesellschaftlichen Transformation) wird stattfinden, ihr Ausgang ist aber ungewiss. Die zukünftige Entwicklung wird jedenfalls davon abhängen: • wie sich das Verhältnis von regionalen Musikkulturen zur von den Musikindustrien geschaffenen globalisierten Transkultur entwickelt, • wie sich das Verhältnis vom traditionell bürgerlichen zum ‚nachbürgerlichen‘ Verständnis von Musik entwickelt, und dies in dreierlei Hinsicht: a) in musikpolitischer Hinsicht: welche Musik von wem gefördert wird (öffentliche Hand, privat), und welche nicht gefördert wird; b) in Hinsicht der ästhetischen und sozialen Wertschätzung von Seiten der RezipientInnen: welche Musik wird gehört, konsumiert, genutzt und welche nicht (genug), um überleben zu können und c) hinsichtlich der Entwicklung des Verhältnisses von Musik als physisches Handelsgut (Tonträger) oder als immaterielles Phänomen (Musikdateien), also die Frage danach, wer zukünftig die globale und regionale Distribution von Musik kontrollieren wird. Die Musikindustrie wird es auch im 21. Jahrhundert weiterhin geben und sie wird eine entscheidende Rolle im Musikleben darstellen. Wer in ihr den Ton angibt (Phonoindustrien, Radiostationen, Internetportale oder -provider, Softwareunternehmen, o. Ä.) und welche Rolle sie genau im Wechselspiel von Kreativität, Ökonomie und Technik spielen wird, ist derzeit unabwägbar.
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Mass Media in Portions W ALTER W ERZOWA
When I am looking back on what really has changed from the day I was born up to now, I come to one realization: I was born in a time when water was free and music was bought. Today we pay for water ... and music is free. ... there are a couple more things which transformed ... Humans always have an urge to let friends and strangers know about their whereabouts, complaints and praises. Those messages can range from where to buy the best fish to which prostitute is the best bang for the buck. All of that and more can be found on a multitude of exposed surfaces, like the excavated walls of Pompeii. Pompeii’s Graffiti makes Twitter blush. Unless we tap into telepathy, we do need hardware to get the message across. But we do not need walls anymore to express ourselves. Some centuries ago a roll of paper was the limit of written communication. For a short period we expressed ourselves quite weighty with books but recently we must not exceed 140 characters, the new scale of message sizing. We can string multiples of 140 characters together and so write „The 2013’s Book“. To match the word-count of a typical novel, which is 100,000 to 175,000 words, we will need approximately 1000 tweets. We can safely claim that the new reading experience has changed over the last decade. We are living in a verbal society opposed to a visual society found in most of Africa (Marshall McLuhan, The Gutenberg Galaxy). A person of visual society will detect and remember minute visual changes while the verbal man analyzes meaning coming from the words in all forms and shapes.
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Can we express ourselves more concise presently? Does the help of emoticons and short web links make communication more efficient and precise? „Authors artificially elongated descriptions to achieve higher page count which in return yielded a higher book price“ (Wired Magazine, USA, 21.12.2012, Interview mit Tim O’Reilly). Or, do we just have less to say? How can we master relevant messages with 140 characters or less? (Twitter) How does this effect music? In any given time we can observe a multitude of durations of musical works. If we look onto the „Radio“ platform, including web radio with likes of Sirius, Pandora, Rhapsody, Spotify, Turntable, Jelli, then we observe shorter segments. Track lengths of Billboard songs increased drastically from the 1950’s into 1970’s and then drastically declined again. Two new art forms arrived over the last years with increasing popularity are Virals and mnemonics, which like Twitter, can express a lot in a minimum amount of time. What change did twitter evoke? Marshall McLuhan (1964) noted: „The medium is the m[e]ssage.“ On the radio, commercials used to be part of announcer and conversational. Later, they are turned into 30 second spots on TV, with high production and distribution costs which causes them to be shorter. Now Virals, which are cost efficient in production and distribution, and tweets are pushing to lower and lower the lengths. It almost seems the cycle closed and „testimonials“ become relevant advertising in social media. Testimonials in itself are believable because they are testimonial/conversational and personal. We speak ~10% faster than 50 years ago, we live longer and we sleep less. Do we fill this void with words? Studies show that active speaking is on the decline but mass media interaction is on exponential rise. We do listen to more music and lesser word messages. We can safely say that 0-40 year demographic is hearing more music. This fact does go beyond hearing music, the listening (active choice) is increasing as well.
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Hearing is a physical process, but listening is a relationship, a choice and a skill. We are surrounded by far more auditory information than we can possibly process. So, our brain employs a reticular activating system (RAS) to filter out the stimuli, and determine what „we think we are listening to“. The more we know about neurological behavior, the better we can analyze the impact of music on us. Psychologist expert Mihaly Csikszentmihalyi observes that our brains can handle a maximum of seven chunks of information at a time, so to aid memory retention, he suggests using pattern recognition. It is a phylogenetic fact that women can handle more audio stimuli than man. Dr. Costas Karageorghis Brunel University: „We all use music in a variety of ways, for relaxation, celebration or even concentration. Research has found that music can also boost our performance during sport and exercise. Music lowers your perception of effort. It can trick your mind into feeling less tired during a workout, and also encourage positive thoughts. Music can also act as a sedative or a stimulant. Music with a fast tempo can be used to pump you up prior to competition, or slower music can be used to calm your nerves and help you focus. It is considered by some athletes to be a legal drug with no unwanted side effects. Slower music also helps to sell more product. We subconsciously walk to the tempo of music. If music in sales environment is slow, we will interact longer with sales goods.“
What influenced mass media most, in my opinion, was Gutenberg’s invention. With the invention of moveable typesets we changed from a narrative to an iterative society. We lost the magic of the spoken word and became visual society. With telecommunication we lost the ability to sense each other over distance. With every smart device that is sold we are one step away from telepathy in the common sense and one step closer to the singularity. With the invention of negative numbers entrepreneurs could sell what they do not have, because of moveable type which could be stringed together easy and fast, a new profession, the author emerged. Over the next centuries it evolved into digital type and probably soon, with or without singularity, our thoughts will automatically be put to text which can be transported anywhere. We will hardwire the word with the thought, and however ambiguous or arbitrary the word is/was in connection to its meaning, there will be less and less fuzziness in its effectiveness. Will we need additional and new words?
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Can tonality or even the sung word add another layer of meaning? Is it the how we say it more than what we say? Each baby born into a macro society faces an exponential (Moore’s law) being, a fully connected digital net. McLuhan warned of this when he wrote, „Our official culture is striving to force the new media to do the work of the old. These are difficult times because we are witnessing a clash of cataclysmic proportions between two great technologies. We approach the new with the psychological conditioning and sensory responses to the old. This clash naturally occurs in transitional periods.“
Civilization gives the barbarian or tribal man an eye for an ear and is now at odds with the electronic world (Usener 1882). How can we safely escape mass media access? Just watch smokers, which seem to be the only tribe in western civilization which does not automatically handle smartphones when in idle mode. It must be more than having only one hand available. I have seen bicyclists glued to a smartphone.
L ITERATURE McLuhan, M. ( 1962). The Gutenberg Galaxy. The Making of Typografic Man. Toronto: University of Toronto. McLuhan, M. (1964). Understanding Media: The Extensions of Man. New York: Mc Graw-Hill. McLuhan, M. (1967). The Medium is the Massage: An Inventory of Effects. New York: Bantam Books. Usener, H. (1882). Philologie und Geschichtswissenschaft. Bonn: M. Cohen & Sohn. Internet source Levy, St. (2013). Tim O’Reilly’s Key to Creating the Next Big Thing. Interview mit Tim O’Reilly. Wired Magazine, USA. http://www.wired.com/business /2012/12/mf-tim-oreilly-qa/all/ [2.4.2013]
Elektronische Musik – von der AvantgardeNische zum paradigmatischen Musikstil P ETER T SCHMUCK
1. E INLEITUNG Die digitale Revolution in der Musikindustrie ist mehr als nur ein technologischer Wandel bzw. ein Wandel des Musikvertriebs. Sie umfasst auch einen gesellschaftlichen Wandel, in dem neue Nutzungsformen von Musik entstehen, was wiederum einen kulturellen Wandel und somit auch ästhetischen Wandel der Musik auslöst. Der Grund dafür ist eine vollkommene Umwandlung der Produktionsverhältnisse, wie das zuletzt in der industriellen Revolution der Fall war – allerdings in die vollkommen entgegen gesetzte Richtung. Während nämlich in der industriellen Revolution die Produktionsfaktoren entsozialisiert und das Individuum von seiner Arbeit im marxistischen Sinn entfremdet wurde, kehrt die digitale Revolution die Verhältnisse um, und es kommt zur Sozialisierung der Produktionsfaktoren und zur Entfremdung der Arbeit, die wieder Teil der häuslichen Sphäre wird. Darüber kann man sich freuen oder entsetzt sein, es wird nichts an dem gerade im Gang befindlichen Prozess ändern. Was hat sich nun verändert? Kurz gesagt: ALLES! Ich möchte davon aber zwei Aspekte heraus greifen, die für das Kunstschaffen im Allgemeinen und das Musikschaffen im Besonderen von höchster Relevanz sind. Das ist zum einen das Ins-Zentrum-Rücken der KünstlerInnen im musikwirtschaftlichen Wertschöpfungsnetzwerk, was den Typus des Artrepreneur hervorgebracht hat (Engelmann et al. 2012) und zum anderen ein neues Musiknutzungsverhalten, das als Prosumption bezeichnet wird (Winter 2012). Der Artrepreneur ist, wie der Name schon sagt, nicht mehr allein Kunstschaffender, sondern gleichzeitig auch der wirtschaftliche Verwerter seines Schaffens. Nicht dass das der Wunsch der meisten Kunstschaffenden wäre. Es ist vielmehr
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das Resultat einer neuen Wertschöpfungskonfiguration. War es im traditionellen Wertschöpfungsnetzwerk der Musikindustrie erstrebenswert, einen Plattenvertrag bei einem großen, renommierten Label zu bekommen, so ist das heutzutage keineswegs mehr der Weisheit letzter Schluss. Früher waren die Plattenfirmen die unumschränkten Gatekeeper, die den Zugang zum Musikmarkt regulierten. Diese Gatekeeper musste eine MusikerIn überwinden, um überhaupt erst einmal wahrgenommen zu werden. Alles Weitere wurde dann vom Label erledigt: Repertoire erstellen, Tonstudios buchen, Musikproduktion durchführen, Tonträger herstellen, Marketing und Promotion für die neue Produktion und schließlich Vertrieb des Endprodukts. Alle diese Tätigkeiten können nun von den Musikschaffenden, ob sie wollen oder nicht, selbst wahrgenommen werden. Der Computer hat die Produktionskosten für Musik drastisch reduziert und ermöglicht mittlerweile buchstäblich am Küchentisch die Musikproduktion, für die über Crowdfunding-Portale die nötigen Finanzmittel aufgetrieben werden können. Tonträger werden obsolet und das digitale File kann direkt ins Internet oder über einen digitalen Content Aggregator in alle Streaming- und Downloadportale dieser Welt gestellt werden. Über Facebook, YouTube, MySpace und Twitter wird die Promotionsarbeit erledigt. Das Problem könnte allerdings sein, dass bei so viel Entrepreneurship die Artistry zu kurz kommt. Die digitale Revolution hat aber nicht nur die Produktionsbedingungen für Musik revolutioniert, sondern auch den Musikkonsum. Die Tonträgertechnologie hat spätestens um 1900 aktives Musikschaffen und passive Musikrezeption zu getrennten Sphären gemacht. Der Tonträger fungierte als Bindeglied zwischen der Produktions- und Konsumsphäre. Die Digitalisierung hat aber die Grenzen zwischen Produktion und Konsum nieder gerissen. Statt eines abgeschlossenen Tonträgerproduktes haben wir es jetzt mit einem anschlussfähigen Musiktrack zu tun. Der Produktionsprozess rückt nunmehr in den Mittelpunkt und ermöglicht die Prosumption, wie sie bereits Marshall McLuhan (1972) vorhergesagt und Toffler (1980) in „New Wave“ erstmals konzeptionell ausgearbeitet hat. Musik-Prosumption und Artrepreneurship sind aber nur zwei Aspekte eines viel umfassenderen Strukturbruches, den ich in einem anderen Zusammenhang als kulturellen Paradigmenwechsel in der Musikindustrie bezeichnet habe. Dabei kommt es zu einer Wechselwirkung der AkteurInnen in der Musikindustrie, seien es nun Organisationen oder einzelne Individuen, mit neuer Technologie, neuen Geschäftspraktiken und auch neuen Musikpraktiken (Tschmuck 2003: 286). Für die digitale Revolution lassen sich unschwer die neuen Technologien und Geschäftspraktiken erkennen. Aber haben sich auch schon neue Musikpraktiken ausgebildet? Um besser zu verstehen, wie diese Wechselwirkung aussieht, ist es
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lohnend, einen Blick zurück in die Geschichte der Musikindustrie zu machen, in der schon mehrmals kulturelle Paradigmenwechsel stattgefunden haben.
2. D IE R EVOLUTIONEN
IN DER
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Die Schallaufzeichnung, die Thomas A. Edison 1877 mit der Erfindung des Phonographen erstmals ermöglichte, war zwar eine technische Revolution, hatte aber unmittelbar keine Auswirkung auf die damals bestehende Musikindustrie in den USA, die von den sich konstituierenden Musikverlagen und VaudevilleTheatern in den großen Städten gebildet wurde. Der Phonograph wurde ursprünglich als eine Art Diktiergerät oder Telefonanrufbeantworter gesehen und ursprünglich auch so vermarktet. Erst mit der Erfindung der leicht zu reproduzierenden Schallplatte im Jahr 1885 durch den Deutsch-Amerikaner Emile Berliner, begann sich die Musikindustrie im modernen Sinn auszubilden. Zwar wurden die Unternehmen der Tonträgerindustrie von den etablierten Verlagshäusern anfangs dafür bekämpft, dass sie sich ungefragt ihres Musikrepertoires bedienten, aber nach einer kurzen, konfliktreichen Periode, passten sich die Plattenlabels in das Wertschöpfungsnetzwerk von Verlagen und Musiktheatern ein, nachdem im ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts moderne Urheberrechtsgesetze verabschiedet und die Labels zu Lizenzzahlungen an die Verlage verpflichtet werden konnten. Speziell in New York hatte sich eine neue arbeitsteilige Produktionsweise von populärer Musik herausgebildet, die unter dem Begriff Tin Pan Alley zusammengefasst wurde. Unter der Tin Pan Alley wurde jener Straßenzug Ecke Broadway und 28. Straße bezeichnet, in der sich vor allem große Musikverlage angesiedelt hatten. In ihren Büros standen ziemlich schlechte und zudem verstimmte Klaviere, deren blecherner Klang dem Straßenzug seinen Namen gab (Suisman 2009). Tin Pan Alley war aber nicht nur eine Bezeichnung für eine Produktionsmethode, sondern auch für einen Musikstil, der den ästhetischen Kanon bis in die 1920er Jahre prägte. Alle anderen musikalischen Erscheinungsformen wie Jazz, Blues und Hillbilly wurden von der Musikindustrie aufgrund ihrer wahrgenommenen Inferiorität abgelehnt oder wie die Klassik als Nischenprodukt angesehen.
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Dieser Abschnitt bezieht sich auf Tschmuck (2012).
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2.1 Die Jazz-Revolution der 1920er Jahre Erst das Aufkommen des kommerziellen Rundfunks führte zu einem weitreichenden Strukturbruch in der Musikindustrie, der sich auch nachhaltig auf den ästhetischen Kanon auswirken sollte. Der Rundfunk brachte zudem die Mikrofontechnik mit sich, die nicht nur das Einfangen des Raumklanges und die Aufnahme großer Musikensembles wie Orchester und Big Bands ermöglichte, sondern auch die Entwicklung des Tonfilms. Der erste wurde von den Warner Bros. Filmstudios 1927 in die Kinos gebracht und war nicht zufällig der Musikfilm „The Jazz Singer“ mit dem Broadway-Star Al Jolson in der Titelrolle. Der große kommerzielle Erfolg dieses Films veranlasste Warner Bros. sich in die Musikindustrie einzukaufen. Ab 1928 wurden zahlreiche Tin Pan Alley Verlage gekauft und 1930 Brunswick Records erworben, die allerdings ein Jahr später schon an die American Record Corporation (ARC), die ihrerseits im Eigentum der Filmfirma Consolitated Film Industries stand, verkauft wurde. Auch andere Hollywood-Studios stiegen ins Musikbusiness ein, indem sie Musikverlage aufkauften. Ziel war es, sich die Rechte an den beliebten Musikfilmen und später den Filmmusicals zu sichern. Dieses Genre war über den Zweiten Weltkrieg hinaus sehr populär und der Grund, dass die großen Filmstudios in den 1950er Jahren ihre eigenen Labels gründeten: Warner Bros. Records, MGM Records, United Artists Records, Paramount Records, 20th Century Fox Records. Auch an diesem Beispiel zeigt sich, wie in der Wechselwirkung von technologischem Wandel und strukturellen Veränderungen in der Musikindustrie neue Musikgenres entstanden und kommerziell verwertet wurden. Zudem brachte die Mikrofontechnik einen neuen SängerInnen-Typus, den Crooner, hervor, die/der nicht mehr laut singen musste, um auf der Aufnahme gehört zu werden, sondern fast schon flüsternd Songs interpretierte. Künstler wie Bing Crosby, Nat „King“ Cole und Frank Sinatra sollten die Pop-Ästhetik auf diese Weise nachhaltig verändern. Die eigentliche ‚Rundfunkmusik‘ war aber der Swing, der als Amalgam verschiedener Jazz-Stile Mitte der 1930er Jahre entstanden war. Die Rundfunkstationen führten sogar Tests durch, in denen herausgefunden werden sollte, in welcher Besetzung eine Swingband am besten im Radio zu hören war. Mit der Swing-Ära etablierte sich aber auch ein neues Geschäftsmodell. Beliebte Orchester wie jenes von Benny Goodman, Count Basie, Duke Ellington, Glenn Miller oder Artie Shaw wurden von großen werbetreibenden Konzernen gesponsert und ihre Konzerte wurden live aus Hotel Ballrooms, von Campusfesten oder aus Konzertsälen übertragen. Das Repertoire waren meist Jazz-Standards, die aber von Orchester zu Orchester unterschiedlich arrangiert waren. So hat sich al-
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so in der Rundfunk-Ära nicht nur ein neues Geschäftsmodell ausbildet, in dem Radiostationen mit Big-Band-Leitern und werbetreibenden Firmen kooperierten, sondern auch ein neues Popularmusik-Genre – der Swing. 2.2 Die Rock ‘n‘ Roll-Revolution der 1950er Jahre Die Regentschaft der Rundfunknetzwerke in der Musikindustrie war auch nicht von Dauer. 1947 liberalisierte die US Federal Communications Commission (FCC) die Vergabe von Rundfunklizenzen in den einzelnen Bundesstaaten. Wurden davor lediglich 3-5 Sendelizenzen pro Bundesstaat – meist an die großen Networks – vergeben, so erhielten nun die sendeschwachen KurzwellenStationen (FM-Radios) Rundfunklizenzen. Die Networks sahen in den kapitalschwachen Radiostationen, die über ein sehr begrenztes Sendegebiet verfügten, anfänglich keine ernst zu nehmende Konkurrenz und ließen sie gewähren. Da sich die Indie-Stationen aber keine teuren Live-Musikshows wie die großen Networks leisten konnten, mussten sie auf Musik aus der Konserve zurückgreifen. Allerdings hatten die Networks die konzerneigenen Labels angewiesen, den FM-Radios das Airplay ihrer Schallplatten zu verbieten. Die Indie-Radiostationen machten nun aus der Not eine Tugend. Sie griffen auf die Platten der zahlreich wie Pilze aus dem Boden schießenden Indie-Labels zurück, die Musik produzierten, die von den Major Companies gering geschätzt und ignoriert wurde. Das war Rhythm ‘n‘ Blues, der vor allem von AfroAmerikanern interpretiert wurde, aber auch Hillbilly, der im Süden der USA sehr beliebt war und aus dem später das Country & Western-Genre entsprang. Da die vielen Indie-Labels sich am Markt differenzieren mussten, waren sie zu innovativen, musikalischen Experimenten geradezu gezwungen. So bildete sich durch die Vermischung von Rhythm ‘n‘ Blues und Hillbilly ein neuer revolutionärer Musikstil – Rock ‘n‘ Roll – aus, der nachhaltig die Musikindustrie prägen sollte (siehe dazu Peterson 1990). Die Dominanz der Rundfunknetzwerke, die weiter auf Swing und opulente Musikshows gesetzt hatten, ging verloren und wurde durch die Umschichtung der Werbegelder von Radiostationen hin zu den neu entstandenen TV-Stationen beschleunigt. An die Stelle der Rundfunklogik trat nun eine neue Praxis, in der der Tonträger zum zentralen Element der Wertschöpfung in der Musikindustrie wurde. Der Einnahmenerzielung aus dem Tonträgerverkauf wurde alles andere untergeordnet. Radio-Airplay und Konzerte wurden zu Promotioninstrumenten, um möglichst viele Tonträger zu verkaufen, die über möglichst effizient gestaltete Vertriebswege verbreitet wurden. Es bildete sich also jenes Wertschöpfungsnetzwerk in der Musikindustrie aus, das bis vor Kurzem noch Bestand hatte.
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2.3 Die digitale Revolution als ‚stilloser‘ Paradigmenwechsel? Die Rockmusik-Ästhetik, wie sie aus der Rock ‘n‘ Roll-Revolution erwuchs und die nächsten vierzig Jahre die Popularmusik prägen sollte, war das Fundament für den wirtschaftlichen Höhenflug, zu dem die phonografische Industrie ab den 1960er Jahren ansetzte. Befeuert durch technische Verbesserungen wir die Vinyl-Schallplatte, das Magnetband und die Musikkassette, Stereoklang und schließlich die Compact Disc (CD) wurden immer höhere Tonträgerumsätze erreicht. Zur Jahrtausendwende standen die Tonträgerkonzerne im Zenit ihrer Macht. Gleichzeitig wurden sie aber von der sich ausbreitenden Digitalisierung auf dem falschen Fuß erwischt. Das Internet, von den maßgeblichen Playern in der Musikindustrie als Vertriebsweg für Musik lange Zeit vernachlässigt, entwickelte sich dank der MP3-Technologie und Filesharing-Netzwerken zum zentralen Ort der Musikverbreitung. Mit der Defensivstrategie der gerichtlichen Verfolgung von Musiktauschbörsen und individuellen FilesharerInnen versuchten die Majors, wieder die Kontrolle über die Musikdistribution zu gewinnen. Da es zudem nicht gelang, ein für die MusikkonsumentInnen attraktives Musikonline-Service zu entwickeln, blieb es dem Computer-Hersteller Apple mit seinem iTunesMusikdownload-Shop vorbehalten, den digitalen Musikmarkt ab 2003 zu dominieren. Seitdem sind viele neue Akteure in den Markt eingetreten, die die Spielregeln der digitalen Musikindustrie bestimmen. Neben dem Endgeräte-Hersteller Apple sind das Internethandelsportale wie Amazon, als Suchmaschinen getarnte Mikrowerbeplattformen wie Google, das auch Eigentümer von YouTube ist, Social Media Sites wie MySpace und Facebook und verschiedene Musikdownload und -streaming-Portale wie Spotify, Deezer, rdio und Simfy. Mit den neuen Playern in der Musikindustrie haben auch neue Geschäftspraktiken Fuß gefasst wie 360 Grad Verträge, bei denen nicht mehr nur die Einnahmen aus dem Tonträgerverkauf einer KünstlerIn eine Rolle spielen, sondern auch Konzert- und Merchandising-Erlöse, Werbeumsätze, Sponsoringeinnahmen etc.. Der Musikvertrieb kann nun direkt über das Internet erfolgen und es braucht dazu nicht mehr die Infrastruktur der Plattenfirmen. Neue Finanzierungsmodelle wie Crowdfunding haben sich herausgebildet und die Musikpromotion ist über Facebook, YouTube und Twitter einfacher geworden. Die Technologie, die Akteure und die Geschäftspraktiken in der Musikindustrie haben sich also grundlegend verändert, und so stellt sich die Frage, ob sich auch die Musikästhetik nachhaltig verändern wird, wie das mit dem Jazz in den 1920er Jahren und dem Rock ‘n‘ Roll in den 1950er Jahren der Fall war. In-
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dizien weisen darauf hin, dass diese neue Ästhetik aus der Electronic Dance Music (EDM) kommt, die ihre Wurzeln in den 1980er Jahren in Chicago („House“) und New York („Garage“) hat. Heutzutage kommt keine Popmusik-Produktion mehr ohne EDM-Anklänge aus. Aber wesentlich entscheidender ist, dass EDM perfekt an die neuen Produktionsbedingungen, die auf Computertechnologie und dem Internet beruhen, angepasst ist, wie das schon zuvor bei anderen Revolutionen in der Musikindustrie der Fall war. Es ist bezeichnend, dass diese neuen populär-musikalischen Ausdruckformen – so wie der Jazz und der Rock ‘n‘ Roll – von den Rändern der Musikszene ins (kommerzielle) Zentrum vorgedrungen ist. Auch im konkreten Fall lässt sich eine Entwicklungslinie von der Nachkriegs-Avantgarde bis zur heutigen Electronic Dance Music nachzeichnen, auch wenn die Einflüsse alles andere als direkt waren.
3. V ON DER N ACHKRIEGS -A VANTGARDE EDM M USIK - MAINSTREAM
BIS ZUM
3.1 Music for Magnetic Tape und Tape Music Bevor überhaupt von elektronischer Musik gesprochen werden kann, gab es mit der Tape Music wichtige Vorarbeiten und Experimente. 1949 richtete das Ehepaar Louis und Bebe Barron in New York das erste elektroakustische Tonstudio ein, das zwischen 1951 und 1953 zum Brennpunkt musikalischer Experimente von John Cage, Earle Brown, Morton Feldman, David Tudor und Christian Wolff im „Project for Music for Magnetic Tape“ wurde. Bezeichnend ist dabei das Zusammenfügen von Tonbandschnipseln nach Zufallsprinzip zu neuen Werken wie z. B. „Imaginary Landscape No. 5“ (1952) oder „Williams Mix“ (1952) (Manning 2004: 74-75). Wir können diese Werke durchaus als Vorläufer von Mash-up- und Remix-Kompositionen betrachten, wobei noch mit Schere und Klebstoff gearbeitet werden musste. Als eigentlicher Begründer der „Music for Tape“ kann aber Vladimir Ussachevsky angesehen werden, der 1951 am Department of Music der Columbia University in New York mit einem Ampex 400 Magnetbandgerät Experimente durchführte, in denen Klavierimprovisationen in Echtzeit aufgenommen und sogleich durch Änderung der Bandgeschwindigkeit manipuliert wurden. Der Komponist Otto Luening, der Ussachevsky zu einer Konferenz eingeladen hatte, um seine „Music for Tape“ zu präsentieren, begeisterte sich für die neue Technik und begann selbst mit dem Magnetband Kompositionen zu erstellen. In einem
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Konzert unter der Leitung von Leopold Stokowski im Oktober 1952 wurden Ussachevskys und Luenings „Tape Music“-Experimente erstmals der Öffentlichkeit präsentiert. Die mediale Aufmerksamkeit führte schließlich 1959 zur Gründung des Columbia-Princeton Electronic Music Center, mit Luening und Ussachevsky als leitende Professoren. Dort wurde auch der RCA Electronic Music Synthesizer Mark II installiert, der 1957 von Harry Olson und Herbert Belar entwickelt worden war und der in der Folge von zahlreichen Komponisten genutzt wurde (Luening 1975: 15-19). 3.2 Musique concrète Musique concréte geht zurück auf Geräusch-Experimente des Fernmeldetechnikers Pierre Schaeffer in den späten 1940er Jahren. Dabei spielten elektroakustische Verstärkungsverfahren eine wichtige Rolle. Man denke nur an das Ballet „Orpheé 53“ von Pierre Schaeffer und Pierre Henry, das bei den Donaueschinger Musiktagen 1953 uraufgeführt wurde und als „Schlacht von Donaueschingen“ in die Musikgeschichte eingehen sollte. Ab 1951 stellte der französische Rundfunk ein modernes Versuchstudio zur Verfügung, das in der Folge von der „Groupe de Recherches de Musique concrète“ (GRMC) genutzt wurde (Prieberg 1960: 48, 77–78). Damit war ein wichtiges Experimentierfeld für Komponisten geschaffen, die elektroakustische Hilfsmittel in ihrer Arbeit nutzen wollten wie z. B. Luc Ferrari, Francois-Bernard Mâche, Iannis Xenakis, Michel Philipott, Ivo Malec, Francois Bayles und Bernard Parmegiani. 3.3 Elektronische Musik aus Deutschland Kristallisationspunkt der elektronischen Musik in Deutschland war das 1951 von Herbert Eimert gegründete und geleitete elektronische Studio des Nordwestdeutschen Rundfunks in Köln, in dem der Komponist Robert Beyer und der Kommunikationswissenschaftler Werner Meyer-Eppler ihr Konzept der kompositorischen Musikgestaltung mit Magnettonband-Aufnahmen umsetzen konnten. 1953 werden die ersten Stücke auf dem „Neuen Musikfest 1953“ öffentlich präsentiert und das NWDR-Studio wurde auch anderen Komponisten wie Paul Gredinger, Henri Pousseur, Karel Goeyvaerts und Karl-Heinz Stockhausen geöffnet (Morawska-Büngeler 1988). Die in diesem Zusammenhang entstandenen Werke haben die weitere Entwicklung nicht nur der elektroakustischen Musik, sondern der so genannten zeitgenössischen Kunstmusik ganz wesentlich beeinflusst – erwähnt sei nur der „Gesang der Jünglinge“ von Karl-Heinz Stockhausen aus den Jahren 1955/56.
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Zusammenfassend kann gesagt werden, dass all die genannten Experimente mit elektronischer Musik nur unter Einsatz großer finanzieller Mittel, die in Europa vor allem durch den öffentlich-rechtlichen Rundfunk und in den USA von universitären Forschungseinrichtungen zur Verfügung gestellt wurden, möglich waren (siehe dazu auch Ungeheuer 2002: 97). 3.4 Elektronische Musik Goes Pop In den 1960er Jahren fand elektronische Klangerzeugung, nicht zuletzt dank der Markteinführung des Moog-Synthezisers Eingang in die Popularmusik. Ein Meilenstein diesbezüglich war das 1968 veröffentliche Album „Switched-on Bach“ von Walter (später Wendy) Carlos, der gemeinsam mit Benjamin Folkmann Bachkompositionen auf einem Moog-Modular-Synthesizer eingespielt hat. Es war das erste Klassik-Album, von dem mehr als 500.000 Stück in den USA verkauft werden konnten und das sich 17 Wochen lang in den Top-40 der BillboardAlben-Chart halten konnte. Interessant ist aber, dass der Entwickler Robert Moog ursprünglich seine technischen Experimente in den Kontext der Avantgarde-Musik gestellt hatte. So war Walter Carlos, der als Toningenieur in New York City tätig war, ein Schüler vom bereits erwähnten Vladimir Ussachevsky. Carlos war vom Moog Synthesizer begeistert und begann daraus sein eigenes elektronisches Musiksystem zusammenzubauen (Holmes 2008: 28).2 Der kommerzielle Durchbruch des Moog-Synthesizers erfolgte zum einen durch das „Switched-on Bach“-Album und zum anderen durch eine Präsentation im Rahmen des International Monterey Pop Festivals im Juni 1967. Danach wurden Pop- und Rockgrößen auf das Instrument aufmerksam und es folgten zahlreiche Musikproduktionen, in denen der Moog-Synthesizer eine mehr oder weniger zentrale Rolle einnahm. Zu nennen wäre die Single „Reflection“ von Diana Ross & the Supremes (1967) sowie die Alben „Strange Days“ von den Doors, „Their Satanic Majesties Request“ von den The Rolling Stones (1967), „The Notorious Byrd Brothers“ von The Byrds (1968) und Simon & Garfunkels „Bookends“ (1968) und natürlich die zahlreichen nachfolgenden Psychodelic Rock-Alben, auf denen Sythesizer-Klänge zur Bewusstseinserweiterung neben anderen nichtelektronisch erzeugten Substanzen eingesetzt wurden. Vollständigkeitshalber soll aber auch erwähnt werden, dass elektronische Klangerzeuger bereits früher im popkulturellen Zusammenhang eingesetzt wurden. Der Top-1 Hit in den USA und im UK „Telstar“ (1962) wurde vom britischen Musikproduzenten Joe Meek auf einem umgebauten Mellotron gemein-
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Siehe dazu auch: http://www.wendycarlos.com [Abrufdatum: 25.2.2013].
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sam mit den „Tornadoes“ eingespielt. Das Trautonium wurde in den frühen 1960er Jahren als Klangkulisse in zahlreichen Hollywood-Filmen, z. B. in Alfred Hitchcocks „Die Vögel“ (1963) eingesetzt. Und die Beach Boys verwendeten das Theremin als Solo-Instrument in ihrem Bahn brechenden Album „Good Vibrations“ (1966). 1974 setzt das Duo Ralf Hütter und Florian Schneider, besser bekannt als „Kraftwerk“, ihr Mensch-Maschine Musikperformance-Konzept im Album „Autobahn“ erstmals konsequent um. In den folgenden Jahren erscheinen mit „Radioaktivität“, „Die Mensch-Maschine“ und „Computerwelt“ weitere elektroakustische Werke, die durchaus in der Tradition der elektronischen Avantgarde-Musik in Deutschland stehen. Der Synthesizer gehörte spätestens ab den frühen 1970er Jahren zum integralen Bestandteil der Pop- und Rockmusik. Man denke nur an die Stadionrocker Emerson, Lake & Palmer, die deutsche Krautrock-Band Tangerine Dream, die sich das von der Berlin-Förderung finanzierte elektroakustische Tonstudio zunutze machte oder an Pink Floyds Meisterwerk „The Dark Side of the Moon“. Synthesizer-Klänge waren aber auch stilprägend im Disco-Hype und beim so genannten Synthi-Pop der frühen 1980er Jahre. Aber auch in der Filmmusik waren elektroakustische Instrumente nicht mehr wegzudenken. Man denke nur an die Soundtracks von Vangelis (Evangelos Odysseas Papathanasiou) für die Hollywood-Erfolge „Chariots of Fire“ und „Blade Runner“ oder an die Musik für die TV-Serie „Miami Vice“ des in Prag geborenen und klassisch ausgebildeten Pianisten Jan Hammer. 3.5 Techno und die Folgen In den frühen 1980er Jahren entwickelte sich mit Techno erstmals ein Musikstil, der als elektronisch im engeren Sinn zu bezeichnen ist. Ausgehend von Jugendkulturszenen in Chicago und New York verändert sich die Art und Weise des Musikschaffens grundlegend. Nicht nur, dass Musik elektronisch generiert wurde, es änderte sich auch das Rollenbild der MusikerIn. Die DJIn versteht sich als Teil einer Community, die Teil des Schaffensprozess wird. Die Grenzen zwischen aktivem Musikschaffen und passivem Musikkonsum, die jahrzehntelang gegolten haben, beginnen sich aufzuweichen. Szeneimmanent ist auch die Abkehr vom Starprinzip. DJs verbergen sich hinter zahlreichen Decknamen und bleiben oft auch in der Anonymität und stellen somit den Musikproduktionsprozess ins Zentrum. Der Song wird vom Musiktrack abgelöst, der einen Work-inProgress darstellt und anschlussfähig bleibt. Damit wird der traditionelle, geschlossene Werkbegriff aufgebrochen und durch einen offenen Schaffensprozess
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ersetzt. Konsequent werden daher auch bewusst bestehende Werke als Substrat eigenen Musikschaffens herangezogen, wie sie Sampling- und Mash-up-Technik eindrucksvoll belegen. Kein Wunder, dass dabei immer wieder auch die Grenzen des Urheberrechts überschritten werden – man denke nur an das „Grey Album“ von DJ Dangermouse, der das „White Album“ der Beatles mit dem „Black Album“ des Rappers Jay Z vermischt hat. Dabei ist die Entwicklung der populären, elektronischen Tanzmusik ohne Rückgriffe auf die Konzepte der vorher skizzierten Avantgarde nicht zu denken. Der geschlossene Werkbegriff wurde bereits damals aufgebrochen. Die Verwendung von bereits vorhandenem Ausgangsmaterial unter Zuhilfenahme elektrischer bzw. elektronischer Klangerzeuger war konstitutiv im Schaffensprozess. Zudem lassen sich direkte Referenzen auf die Avantgarde feststellen. Das Konzept der „geschlossenen Rille“, das in der Musique concrète entwickelt wurde, wird Jahrzehnte später in Form von Vinyl-Loops in Endlosschleife wieder aufgegriffen. Auch das aleatorische Kompositionsprinzip wird wieder aufgegriffen und es gibt Musikstücke, die dem Minimalismus vergleichbar sind (siehe Hoffmann 2002: 95-111). Die Entwicklung der elektronischen Musik fand in den 1990er Jahren in subkulturellen Nischen US-amerikanischer und europäischer Großstädte abseits der traditionellen Verwertungsprozesse musikindustrieller Unternehmen statt. Die Majors, die eifrig kommerziell erfolgreiche HipHop-Labels aufkauften, um sie auf den Mainstream auszurichten, machten einen großen Bogen um die elektronische Labelszene, die wirtschaftlich als zu unbedeutend angesehen wurde. Aber das ist nicht der einzige Grund für die Distanz der großen Konzerne zur elektronischen Musikszene. Zu fremd erscheint den Verantwortlichen die Art und Weise des Musikschaffens, bei dem es weniger um fertige Musikprodukte, sondern um offene Schaffensprozesse geht. Auch der legere Umgang mit urheberrechtlich geschütztem Material macht die Szene für viele Labelverantwortliche dubios und die um den Live-Event ausgerichtete Wertschöpfung ermöglicht keine Kommerzialisierung in traditioneller Form. Die CD-Produktionen dienen in der Szene lediglich als Visitenkarten und sind nicht Kern eines Geschäftsmodells. 3.6 Die EDM-Revolution in der Musikindustrie – der Kreis schließt sich Als sich dann aber Computernetzwerke immer stärker ausbreiten und der Computer zum zentralen Instrument des Musikschaffens auch in anderen Genres wurde, waren das die perfekten Produktionsbedingungen für die elektronische Musikszene, sich über die Nische hinaus auszubreiten. Am Ende des ersten Jahr-
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zehnts des 21. Jahrhunderts erreicht eine neue Generation von VertreterInnen der elektronischen Tanzmusik (EDM) eine breite Masse von Jugendlichen, die in der digitalen Revolution aufgewachsen sind und von ihr geprägt wurden. Es sind nicht mehr die passiven MusikkonsumentInnen, sondern partizipative ProsumerInnen, die Musik nicht nur hören, sondern verwenden wollen. Dafür bietet elektronische Musik die besten technischen Voraussetzungen, wodurch sich die Musikästhetik insgesamt zu verändern beginnt. So kommen die Popmusikstars von heute nicht mehr ohne Referenzen auf elektronische Tanzmusik aus. Diese Entwicklung ist aber mehr als nur eine vorübergehende Modeerscheinung. Es ist die Grundlage für einen paradigmatischen Musikstil wie es der Jazz und Rock 'n' Roll im 20. Jahrhundert waren, der auf Jahre wenn nicht Jahrzehnte hinaus den populärmusikalischen Kanon bestimmen wird. Seine Wurzeln hat dieser Kanon allerdings in der Nachkriegs-Avantgarde der elektroakustischen Musik, die sich in Tonstudios, die von öffentlich-rechtlichen Institutionen wie Universitäten und Rundfunkanstalten betrieben wurden, entwickeln konnte.
L ITERATUR Engelmann, M., Grünewald, L. & Heinrich, J. (2012). The new artrepreneur – How artists can thrive on a networked music business. International Journal of Music Business Research, 1(2), 31–45. Hoffmann, R. (2002). Musikalische Avantgarde in der elektronischen Tanzmusik der Gegenwart. In: Ungeheuer, E. S. (Hg.), Elektroakustische Musik. (= Handbuch der Musik im 20. Jahrhundert im 20. Jahrhundert, Band 5) (S. 95–111). Laaber: Laaber Verlag. Holmes, T. (2008). Electronic and Experimental Music: Technology, Music, and Culture. New York: Routledge. Luening, O. (1975). Origins. In: Appleton, J. H. & Perera, R. (Hg.), The Development and Practice of Electronic Music (S. 1–21). Englewood Cliffs, N.J.: Prentice-Hall. McLuhan, M. & Barrington, N. (1972). Take Today. The Executive as Dropout. New York: Harcourt Brace Jovanovich. Manning, P. (2004). Electronic and Computer Music. Oxford etc.: Oxford University Press. Morawska-Büngeler, M. (1988). Schwingende Elektronen: Eine Dokumentation über das Studio für Elektronische Musik des Westdeutschen Rundfunks in Köln 1951-1986. Köln-Rodenkirchen: Tonger.
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Peterson, R. A. (1990). Why 1955? Explaining the Advent of Rock Music. Poetics, 14, 45-67. Prieberg, F. K. (1960). Musica ex machina: Über das Verhältnis von Music und Technik. Berlin etc.: Ullstein Verlag. Suisman, D. (2009). Selling Sounds. The Commercial Revolution in American Music. Cambridge, MA: Harvard University Press. Toffler, A. (1980). The Third Wave. New York: Bantam Books. Tschmuck, P. (2003). Kreativität und Innovation in der Musikindustrie. Innsbruck: StudienVerlag. Tschmuck, P. (2012). Creativity and Innovation in the Music Industry, 2. Auflage. Heidelberg: Springer. Ungeheuer, E. (2002). Elektroakustische Musik 1945-1975: Prisma musikalischer Originalität. In Heister, H.-W. (Hg.), Geschichte der Musik im 20. Jahrhundert: 1945-1975 (S. 96–101). Laaber: Laaber Verlag. Winter, C. (2012). How media prosumers contribute to social in-novation in today's new networked music culture and economy. International Journal of Music Business Research, 1(2), 46–73. Internetquelle http://www.wendycarlos.com [Abrufdatum: 25.2.2013].
Pop – a Sustained Peak Experience1 C HRISTIAN C. T SCHINKEL You can protect your ears but you can’t protect your body. JOJO TILLMANNS (LIGHTING DESIGNER VON MANOWAR)
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Quanten Quatsch. Da gibt es Kunst und es gibt anderes. Anderes ist oftmals Pop, aber nicht immer ist Pop Oftmaliges. Die andere Avantgarde ist manchmal Kunst und sogar Antikunst und manifestiert sich nicht nur im (Ein-)Gängigen, sondern wirkt gerade deswegen fächer-, genre- und spartenübergreifend. Alles ist Pop. Das ureigene Wesen der Welt bricht durch, überschattet alles, zeitigt Phänomenologisches und wirft alsdann sein Produkt der Wahrnehmung zum Fraß vor. Verweigerung des Materialfortschritts? Universelle Verblendung? Die Welt ist Klang und Pop ist paradox. Pop Art ent- und artet aus, doch nivelliert und schaltet gleich und weiß Gott, wird Religion und schafft sie ab oder wird zumindest Blasphemie. Es ist vieles nur geklaut und auch du sollst stehlen! Sind diese Freaks denn noch zu retten? Fassaden- und facettenreich, eine schrille, bunte Sektenwelt, tiefschlammig und so hochfrequent wird hier getarnt, attrappt und aufpoliert. Da gibt’s den Körper und den kontemplativen Geist und eigentlich sind die dasselbe, zumindest mechanistisch, allenfalls synchronistisch quanteneffektiv miteinander eng verschränkt; wahrhaftig aber scheinbar Parapop: mehrdimensional, synästhetisch, auf vielen Ebenen und in Feedbackschleifen,
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Siehe hierzu auch das Video zum Text: Sustained Peak Experience (genauere Informationen siehe Internetquellen).
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schizophrenetisch, in tausend Köpfen und etc. Und Unter Uns: Auch sexXxistisch sollt’ es sein, sonst wird das nixXx! Das HixXx-Boson verleiht nicht nur der breiten Masse Masse, sondern durchaus jeder runden Diva. Ach ja, Humor und Ironie und Witz sind auch dabei – eben eine ernste Angelegenheit. Ars Moriendi. Dann gab es den Stockhausen. Er war Pionier. Es gab 9/11 und diesen Wahnsinnsterror. Das könnte die Kunst auch heute nicht. Als Komponisten sind sie gar nichts, weil die nicht sterben bei ihrer Aufführung nach jahrelangem Hintrainieren. Vielleicht zu wenig Pop um Kunstwerk zu sein – oder doch gar vice versa? Aber keine Angstfabrik! … dann lieber doch mehr Hendrix und Cobain et al, d. h. mehr Joplin, Jones und Morrison, mehr Lennon, Jackson, Winehouse und auch Houston hatte ein Problem. Aber auch er ist heute tot. Natürlich? Eine Anomalie in der Matrix? Ein Alien vom fernen Sirius? Ein Superformelhero, für den Musik mit den vier Helis fliegt? Totale Erinnerung im Ein_Klang der Replikanten? Ein Mischpult ... ein Computer ... ein Mann? Lebt er in Re-Mixturen weiter, während im Licht der Atlanten ein trompetender Himmelsstürmer im Astronautenkostüm (Anmerkung: er heißt Michael) zu seinem Avatar avanciert? .Turbo B.oost. .Time Warp. .Geschwindigkeit. Faszinierend! TrotzDem und JeDoch: in realiter noch keine Mission on the Edge of Space. Super Sonic Boom. Denn es geht auch anders. Oktober 2012: Es gibt ja nun den Glücklichen. Er hat es überlebt und Milliarden sahen zu. Da stülpt sich wahre Popkunst in einem Peak wie selten je hervor. Es gibt die Wissenschaft, was nie genug betont werden kann und die Energy der roten Bullen. Dort schwebt er ‚einsam’ im Headroom der Welt und … springt. Die Durata von Felix’ freiem Fall beträgt 4’20’’, was eine perfekte Rocksonglänge abgibt. Oder war das eine Cage-Aufführung? Ich bin versucht, 4’33’’ raus zu lesen, doch Kittinger war näher dran. Hört man die Cage’sche Stille bei solch Unge-Mach? Klavier haben sie keins nachgeschmissen. Das hätte sicher Pop gemacht. Ein Pianoforte war nicht vorgesehen und auch der Anzug war kein Frack, sondern _echtes_ Astronautending. Interessant auch zu beobachten, wie der Felix nach seiner strahlenden Rückkehr der Ground staff ausgerechnet „Rock’n’ Roll!“ entgegen schreit. Aha, da gibt es doch Zusammenhänge. Das war es also und jetzt schreiben sie wieder Songs zu Ehren mit Heavy Fantasy-Inhalt wie in etwa „high in the sky, so close to heaven“, or it goes in Richtung Höllenritt ‚\m/‘. Das Fazit: eine traumhaft nihilistische Flucht vor der Welt („I‘m going home now.“) durch eine hochtechnisierte Inszenierung eines Nicht-Impacts; ein Ausnahmezustand abseits alltäglicher Vernunft, um den ihn die romantische Kunst missgünstig und der Futuris-
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mus aufgrund seiner Unmittelbarkeit im Hier und Jetzt hochachtungsvoll beneiden sollte. Schließlich war es Live, was bekanntlich Leben ist. Und doch am Happy-Ende: Schwebezustand … routiniert, locker und entspannt … Hakuna Matata … aber doch etwas leidenschaftslos. Ein Fake wäre wahrlich Metapop gewesen.
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Intro.Spective. Im Allgemeinen gilt es, in der Kunst etwas Außergewöhnliches, vielleicht sogar etwas Extremes zu kreieren. Da ich im Folgenden das Augenmerk im allerweitesten Sinn auf die Popmusikproduktion richten möchte, also auf jenen Bereich, der nichts mit dem Live-Vortrag von Musik zu tun hat, stelle ich mir die Frage, ob das Schaffen von musikalisch Außergewöhnlichem in diesem, für viele doch als technokratisch geltendem, Umfeld zutrifft. Diesbezüglich gibt es durchaus eine Menge Pros und Contras, das äußerst starke Eingebundensein von Popmusik in den Alltag lässt aber rasch daran denken, dass durch das tägliche Massenaufgebot vieles nur allzu gewöhnlich bis eintönig wirkt, was eine Hörerschaft zeitweilig abstumpfen lässt. Dazu abschweifende Überlegungen, die mir helfen sollen, ein originelles Vorankommen der Popmusik, welches ich hiermit hypothetisch annehme, zu betrachten. Mercedes Benz. Die Art und Weise, wie ein Tonträger produziert wird, hat sich innerhalb der Musikindustrie verselbständigt, sich quasi als eigene Kunstform etabliert und vom Musizieren im traditionellen Sinn abgespalten. Das Endprodukt sollte paradoxerweise nicht alltäglich sein, sich jedoch – v. a. kommerziell betrachtet – mühelos in den Alltag einbinden lassen. Es darf nicht im Sinn wahrer Avantgarde vorpreschen und nicht etwas völlig Uneinordbares hervorbringen, sondern muss stets nur durch kleine Vorwärtsschritte einer gewissen Tradition verpflichtet und auf bestimmte Art für eine relativ globale Masse nachvollziehbar bleiben. Als Teil der Definition von Kreativität trifft das freilich überall dort zu, wo gestalterisch gearbeitet wird, was sich beispielsweise auch anschaulich anhand der Automobilindustrie beobachten lässt: Theoretisch könnte jede neue Autoserie eines Konzerns eine völlig neue Gestalt annehmen, doch stattdessen wird viel investiert um einem unverwechselbaren Markenzeichen treu zu bleiben. Bloß dem sukzessiven Fortschritt in Technik und Design wird Rechnung getragen, wobei sich naturgemäß auch jede einzelne Entwicklungsstufe verkaufen lässt. Die phänomenologische Assimilation bestimmter Inhalte und Eigenschaften (teils die der eigenen Standards, teils die der Konkurrenz) sowie deren
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behutsame Weiterführung ist das zugrunde liegende Programm innerhalb solcher Entwicklungslinien. Musik (die gesamte, nicht nur die populäre) bewegt sich in ähnlichem Wirkungsgefüge, bildet dabei keinerlei Ausnahme, sondern wirkt im Gegenteil modellbildend (Stichwort „Musikalisierung“, vgl. auch Jauk 2009) für solcherart andere Sparten, die im Prinzip allesamt dem Interindividualismus frönen. Blair Witch Fibonacci Kitty. Weitere Assoziationen platzen mir in diesen Aufsatz: Ohne eindeutige Orientierungspunkte gibt es kein geradliniges Vorwärtskommen und ohne Sichtkontakt gehen Menschen in Kurven, letztendlich stets im Kreis. Das verhindert (besonders in Ausnahmezuständen) ein Vordringen in unbekanntes, mitunter gefahrvolles Terrain. Der Auslöser eines solchen Verhaltens liegt nicht, wie einst angenommen, in physiologischen und physiognomischen Asymmetrien (beginnend bei der Hemisphärendominanz und/oder in der unterschiedlichen Kräfteverteilung beider Körperhälften), sondern ist laut neuester Erkenntnis im Gleichgewichtssinn, also im Ohr verortet (Ufen 2012). Spekulativ (vieles deutet schließlich darauf hin) nehme ich an, dass sich die Natur bzw. Welt über fraktale Strukturen konstituiert, durch welche sich Dinge und Zustände vom Kleinen aus in ‚differenz/wiederholter‘ Form (Deleuze 1968) aufs Große übertragen. Abgesehen davon, dass bereits im Strahlungsbereich von Teilchen fraktale Strukturen nachzuweisen sind, schreitet demgemäß, ausgehend von unserem Innenohr (Schnecke und Bogengänge), das uns – offenbar zum Schutz – immer auch zu Regression und Rückschritt zwingt, der Fortschritt (Achtung: Pleonasmus) niemals linear, sondern eher verschlungen und verschnörkelt ‚voran‘; eben dadurch, dass die Sache um vertraute Gebiete oder Zustände kreist und dabei in der Gestalt einer fraktal-organisierten Spirale (Schnecke) wächst. Die phylogenetische Komponente solch großer Dinge ist mir spontan und metaphorisch mit einem Kätzchen zu vergleichen, das täglich vom eigenen Körbchen aus die Welt ein Stück weit erkundet, um bald darauf wieder, sich zurück in Sicherheit wiegend, die Synapsen arbeiten zu lassen. Eine Spur reicher an Erfahrungswerten beginnt es am nächsten Morgen von vorne das ‚gleiche‘ Territorium zur lebensnotwendigen Horizonterweiterung zu betreten, weicht vom bereits Vertrautem etwas ab und wagt sich ein wenig weiter in die Welt. Veranlagte Neugierde scheint die treffendste Motivation zu sein um die ontogenetische Entwicklung eines Katzenlebens voranzutreiben, welches seit Urzeiten zur perfekten Anpassung der Spezies Katze mit ihren vielfältigen Gattungen beigetragen hat.
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FruFru-Fighting. Vergleichsweise kurz scheint die Phylogenesis von Musik zu sein, vergleichsweise flüchtig die (wenn man das so gelten lassen möchte) ihrer gegenwärtigen technologischen Speerspitze: nämlich namentlich der Popmusik. Als eine global agierende Musik durchdringt diese mit vielen kleinsten gemeinsamen Nennern den menschlichen Alltag und kann deswegen auch als domestiziert aufgefasst werden. Ihr jeweils berüchtigtes Ablaufdatum, das dem eines Joghurts gleichen soll, wird ihr häufig von Verfechtern eines zeitlosen und alles überdauernden Kunstwerks angekreidet. Doch ihr schnelles Reagieren auf technologischen Wandel und ihre ihr inhärente ubiquitäre Interindividualität (also ihre Fähigkeit, sich weltweit entsprechenden ‚persönlichen‘ Bedürfnissen anzupassen) ermöglichen ihr eine Diversifikation (Custodis 2009, Jauk 2009: 59), die innerhalb einer (Kunst-)Sparte ihresgleichen sucht. Oft genug stellt sie selbst die Kategorisierung ‚Kunst‘ in Frage und mutiert dabei absichtsvoll in ihr Gegenteil. Ihr am-Puls-der-Zeit-Sein macht sie zwangsläufig ständig zur ‚Neuesten Musik‘, die ihr eigenes Älteres (man muss nicht immer gleich von Geschichte sprechen) mehr oder weniger liebevoll, im Sinne eines „das war gestern!“ als sofort aufpoppendes Statement leichter Gegenhaltung belächelt oder es extrem aggressiv, etwa innerhalb des Generation clashs und/oder Genreunterschieds, verachtet. Pop preist exakt im Hier und Jetzt das Leben, das eben meistens Kampf bedeutet.2 Dadurch unterscheidet Pop sich vehement vom vorherrschenden Historizismus innerhalb des hehren Kunstbetriebs, der verklärend Jahrhunderte-Altes programmiert. Und wenn auch heute bereits eine gegenwärtige Nicht-Subversivität von Pop (v. a. auf soziologischer Ebene) diskutiert wird (Behrens 2003), lässt sich beobachten, dass noch immer mit einer beachtlichen Kompromisslosigkeit Teile der propagierten Vorstellungen, Forderungen und Werte des Futurismus von vor über 100 Jahren im Pop des jeweiligen Jetzt verwirklicht werden (siehe Passion and Warfare). In solchem Gestalten stehen kleine Mutationen, selbst in Nischenbereichen, an der Tagesordnung. Durch sie zeichnen sich visionäre Ideen ab, werden verkündet, integriert, assimiliert, verwirklicht, adaptiert, kritisiert, generalisiert, revolutioniert und früher oder später wieder ausgerottet – mit einem Wort gelebt. Alle Faktoren zusammen tragen zum gegenwärtigen Erscheinungsbild der Welt bei, womit es sich mir rechtfertigt, hier von evolutiven Prozessen zu sprechen. Der Biologe würde das ‚erfolgreich‘ nennen, und ebenfalls der Ökonom.
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Wurde jemals eine andere Geschichte erzählt?
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Rock Me, Amadeus? Auf der Suche nach der Antwort, was Popmusik zu Popmusik macht – wird doch beispielsweise heutzutage allerorts behauptet, auch Mozart wäre Popmusiker gewesen (Behrens 1997: 77) – bin ich auf eine mir befriedigende Antwort gestoßen, welche simpel lautet: Der Gebrauch des Lautsprechers macht Popmusik!3 Neben all der heute großteils psychoakustisch designten (Studio-)Technik, die für die Bearbeitung, im Grunde für die kompositorische Gestaltung des Audiosignals verantwortlich ist, ist dieser Wandler am Ende der elektroakustischen Übertragungskette ins Zentrum der Betrachtung zu stellen; und zwar nicht nur, wie sein Name ursprünglich noch sagt, als einfacher Lautstärkeverstärker, sondern als Fenster in eine andere Dimension musikalischen Ausdrucksverhaltens, welchem mit rein akustischen Mitteln nicht mehr beizukommen ist. Durch seine Wiedergabefähigkeit sämtlicher Audiomanipulationen ermöglicht er das, was seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts im elitären Fahrwasser der Musique concrète als akusmatisches Hören Eingang in die Welt der Musik gefunden hat: eine Klangwahrnehmung, die primär nicht mehr an die visuelle Komponente der Klangerzeugung gebunden ist, deren Idee aber freilich bis in die Antike zurückreicht. So lehrt Pythagoras hinter einem Vorhang, Äolsharfen verzücken nicht nur König David und die alten Ägypter blenden ihre Musiker, da Blinde als nicht anwesend gelten. Ungleich später versteckt Richard Wagner sein Orchester und Gustav Holst platziert den nebulösen Frauenchor im Finalsatz seiner Planeten-Suite außerhalb des eigentlichen Vortragssaals. Filmmusik ist ein heutiges Beispiel, um eine ‚unsichtbare Musik‘ zu hypostasieren, weil es ihre funktionale Bestimmung ist, abseits ihrer in Mode gekommenen konzertanten Promotion, aus einem Lautsprecher zu erklingen; und folglich jedwede Art reproduzierender (Tonträger-)Wiedergabe. Bourgeoisie vs. Dirty Talk. Überspitzt ausgedrückt gilt es in konservativeren Kreisen noch immer: wenn schon Lautsprecher, dann einerseits auf Klangtreue setzen, sie aber andererseits so gut wie möglich verstecken. Wendet man darauf die Parabel des Pythagoras an, entspräche das (v. a. bei nicht klassischer Musik) einem Verstecken des Verstecks, da bereits der akusmatische Hauptgedanke besagt, dass die Wiedergabe eines Lautsprecherklanges seine tatsächliche Produktion verdeckt. Das Ereignis seiner Hervorbringung bleibt mehr oder weniger im Dunkeln – im wahrsten Sinn des Wortes ‚obszön‘, nämlich ‚off scene‘. Der
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Die Idee der popmusikalischen Unplugged-Session hat sich relativ bald selbst erschöpft und ad absurdum geführt. Vgl. auch Jauk 2009: 94ff.
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Lautsprecher verhüllt die Szenerie des Entstehungsprozesses und begünstigt dadurch die Wahrnehmung des Auditiven. Man kann sich niemals gänzlich sicher sein, denn die eigentliche ‚Absicht‘ (das Generieren des Klanges) bleibt hinter dem ‚Gegenständlichen‘ (das ephemere Erklingen, das sich an der Speaker-Membran ‚materialisiert‘) verborgen, so wie sich in etwa immaterielles und überzeitliches Denken fortwährend hinter der Sprache oder Schrift verbirgt. Analoges passiert zwar beim Erstellen einer Partitur, doch während Notenschrift nur ein optischer Repräsentant für Geistiges und Körperliches ist, ist der mediatisierte Klang dies bereits selbst. Bodily Painted Pictures. Aufgrund ihrer Abstrahlcharakteristik gelten Lautsprecher nicht als Klangquelle, sondern als Projektoren, gleichzeitig aber auch als Monitore, die dem Komponisten/Produzenten Einblick und Feedback (womöglich sogar ein Biofeedback) geben. Die Akusmatik, die sich selbst nicht primär im Popumfeld ansiedelt, propagiert das Ideal des so genannten ‚reduzierten Hörens‘ mithilfe eines Lautsprecherorchesters (Acousmonium, siehe Abb. 1), das aufgrund seiner Eigenheiten und theoretischen Gesichtspunkte zwei paradoxe Aspekte zum Vorschein bringt. Abbildung 1: Im Kino für die Ohren – das GRM Acousmonium zu Gast im Medientheater des ZKM Karlsruhe (November 2012)
Quelle: Acousmonuments, Tschinkel 2012
Zum einen entsprechen die akusmatischen Lautäußerungen mentalen Klangbildern (Bayle 2003: 123), die ich persönlich in die Nähe eines programmmusikali-
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schen Hörens rücke (Tschinkel 2008: 35), während zum anderen eine Lautsprecherinstallation von über 40 im Raum verteilten Boxen aller Art, ohne körperliche Anwesenheit von ausführenden Musikern, in der Lage ist, körperliche Klangobjekte zu erzeugen. Pop hingegen inszeniert sich selbst und präsentiert (je nach Subgenre) seine ‚Woofer‘ ebenfalls so prominent und körperhaft wie möglich. AcousmaScope – A Technical Ecstasy. Besonders im Rahmen ihrer Produktion sind Pop und Akusmatik als originäre Lautsprechermusik zu verstehen, weil beide eine potenielle Mehrdimensionalität von akustischem Raumverhalten in sich tragen. Indem jeder Sound in einem eigenen virtuellen Raum mit spezieller Charakteristik spielen kann, spannen die so erzeugten Klangbilder mehr oder weniger in sich verschachtelte Räume auf. Die einfache Tonaufnahme ist eindimensional und hat neben ihrer Reproduzierbarkeit nichts Utopisches an sich. Sie entspricht einer einzelnen Interpretation eines Werkes und tritt lediglich als (Zeit-) Dokument in Erscheinung. Der Einsatz moderner Studiotechnik generiert aber eine musikalische Assemblage, die, vorschnell als simples ‚Soundtüfteln‘ bewertet, eine Art Kapitulation vor dem Geheimnis der Musik darstellen kann. Denn schließlich bliebe ‚wahrhaftige‘ Musik stets auch im schlechten Soundgewand erhalten. Doch gerade die Verschränkung von multiplen Ebenen mittels des Hyperinstruments Tonstudio bedingt ein Auflösen von Kausalität, aus dem die originäre Lautsprechermusik ihre wesenhafte Poesie bezieht. Polynoise – Show Your Peaks! Wenn ich unter Vorwegnahme von Kapitel 5 an dieser Stelle ein demonstrierendes Beispiel für ein Spiel mit dem Lautsprecher auswählen darf, so möchte ich Lou Reeds Metal Machine Music (1975) anführen. Hier werden ausgerechnet Feedbacks auf technischer Ebene in Szene gesetzt, indem E-Gitarren, Effekte und Verstärker sich selbst überlassen werden. Die anhaltenden und obertonreichen Emissionen, die aus den Boxen dröhnen, werden durch die Gesamtkonzeption und das spezielle Setting des Instrumentariums ‚akusmatisiert‘ und folgerichtig musikalisiert4. Grenzen zwischen Klangund Aktionskunst, Musik und Installation sowie zwischen E und U verschwimmen und für manchen werden auch solche des guten Geschmacks überschritten. Mit Ironie und Aufrührertum findet hier ein Pop-Poet zur Poesie im experimentellen Klang der High Intensities, dessen Mediatisierung in Form der Tonauf-
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Musique acousmatique gilt ihrem Erfinder François Bayle als Musik und nicht bloß als Audiokunst oder Sounddesign.
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nahme ihr Übriges dazu beiträgt, dass mir das Werk als erste Veranschaulichung eines Konzeptes dient, welches Pop als Sustained Peak Experience erschließt.
4.
T HE D EFINITION
Transsonation. Um den Begriff der Sustained Peak Experience in Zusammenhang mit Popmusik diskutieren zu können, entlehne ich ihn der Humanistischen Psychologie und setzte ihn entsprechend mit Aspekten der Akustik bzw. der Tontechnik kongruent. Was ohnehin als nicht unbeabsichtigtes Wortspiel anmutet, ist auch von inhaltlichen Parallelen gekennzeichnet. So bezeichnet ‚Sustain‘ das ausklingende Verhalten eines Klanges, das mit elektronischen Mitteln künstlich (u. a. unter Einfluss von Rückkoppelungsvorgängen) verlängert bzw. aufrecht erhalten werden kann. Mit ‚Peaks‘ sind jene Spitzenwerte der Amplitude des Audiosignals gemeint, die eine Verstärkerschaltung überlasten und hörbare Verzerrungen im Lautsprecherklang verursachen. Der gesamte Prozess wird auch Peak clipping genannt und ist grundsätzlich (v. a. im Digitalbereich) als unerwünschtes Artefakt zu vermeiden. Dennoch hat Popmusik Bedingungen geschaffen um mit Peaks musikalisch umzugehen, sie zwar technisch in Zaum zu halten, aber sie als ästhetisierte Extremwerte hörbar zu machen. Das Spiel mit Lautsprecherklängen in diesen Grenzbereichen (etwa eine verzerrte Gitarre) ist Ausdruck eines hedonischen Ausnahmezustandes, der Affinitäten zur Peak Experience auf psychologischer Ebene aufweist. Da eine Rezeption bei hoher Lautstärke dieser „aufwiegelnden“ (vgl. Jauk 2009: 181) Klanggestaltung (siehe auch Passion and Warfare) auch körperliche Reaktionen begünstigt (beispielsweise durch Exciter- oder acoustic-driving-Effekte, vgl. Harrer 1977), lässt sich Pop als adäquate Vertonung von Erfahrungen in ‚Headroombereichen‘ des (Alltags-) Lebens beschreiben. Eine Peak Experience steht in Abraham Maslows Bedürfnispyramide in engem Zusammenhang mit Selbstverwirklichung. Seine Erkenntnisse zu ihrem Wesen hat Maslow in 25 Punkten dokumentiert (Maslow 1964), die sich in kurzer Zusammenfassung mit folgenden Attributen konnotieren lassen: Euphorie, Einheit und Verbundenheit, intensive Lust, Wachheit, Klarheit, Bewusstheit, Erkenntnis, Abwesenheit jeglicher Negativität und ein Erlangen einer höheren Bewusstseinsebene. Ferner charakterisiert er ‚Peak Experiencing‘ als episodische Selbstverwirklichung (Fuller 2008: 149) und schreibt einer Sustained Peak Experience ein vorsätzliches Hinarbeiten an Ausnahmezustände und ein bewusstes Auslösen eines langfristig andauernden Glücksgefühls zu (plateau experiences).
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„These experiences are especially intense moments in which individuals are overwhelmed by the sensations of ecstasy, wonder, and awe. Peak experiences take us beyond our accustomed way of viewing life and impart a vivid perception ,of the whole cosmos or at least the unity and integration of it and everything in it, including the Self.“ (Fuller 2001: 139)
5.
E XPERIENCE R EPORTS
Pour Some Sugar On It! Um nun das bereits Erörterte explizit auf die Popmusikproduktion anzuwenden, bedarf es eigentlich nur einer kleinen Auswahl an weiteren Beispielen, die alle allegorisch aufzeigen, mit welchem Aufwand Pop die Möglichkeiten ausreizt, überzeichnet und an die Spitze treibt, sich dabei ständig neu erfindet und sich quasi selbstverwirklicht. Allseits scheint es so, als ob hier Honig noch gezuckert wird, was sich irgendwo mit der Aussage des Def Leppard-Sängers Joe Elliott deckt, der im Making of Hysteria beteuert, dass es die Aufgabe eines Produzenten ist, einen Künstler besser zu machen, als jener ist. Die Band nutzte u. a. mit Producer Robert ‚Mutt‘ Lange das Tonstudio als experimentelles Musikinstrument und kreierte Songs, die im Grunde nichts anderes als elektroakustische Kompositionen sind. Um einen neuen Sound zu generieren, spielten sie beispielsweise Gitarrenakkorde in Einzeltönen ein. Dass sich die Band während der Produktion dieses bahnbrechenden Albums (1987–1989) in einem mehrere Jahre andauernden Ausnahmezustand befand, schlägt sich laut Aussage des Schlagzeugers Rick Allen auch im Albumtitel Hysteria5 nieder; war es doch in der Zeit, wo alle u. a. den Autounfall des Drummers zu verkraften hatten, bei dem dieser einen Arm verlor. Durch eine aufwendige technische Schlagzeugkonstruktion, an deren Bau u. a. die NASA beteiligt war, konnte Allen nach kompletter Umstellung seines Spiels in der Band bleiben (vgl. Def Leppard, 2002). Aus Hysteria wurden sieben Hit-Singles ausgekoppelt. TheRealXtina. Producer und Recording engineer Rob Hoffman berichtet auf www.gearslutz.com, dass nach Fertigstellung von Christina Aguileras selbstbetiteltem erstem Album (1999) der Gesang der Newcomerin vor der Veröffentlichung neu aufzunehmen war. Der Grund war, dass das Album von der Plattenfirma innerhalb der gleichen Zielgruppe als Konkurrenzprodukt zu Britney
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Folgealben, die an Hysteria anknüpfen sollten, wurden mit „Adrenalize“ (1992) und „Euphoria“ (1999) betitelt, was programmatisch ebenfalls auf psychophysische Ausnahmezustände hinweist, für die die Musik von Def Leppard offenbar stehen soll.
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Spears gedacht war, aber die Vocals von Aguilera für eine Markteinführung bereits zu gut und ausgereift waren. Die damals 19-Jährige hatte quasi im zweiten Anlauf in eine girlie-haftere Rolle zu schlüpfen um mit kleinerer Stimme und einfacheren Gesangslinien beim Publikum zu punkten. Demnach bedeutet Pop auch Simplifizierung auf höchstem Niveau, nämlich in wohl kalkulierten Rückschritten, die dennoch vorwärts drängen. Die Rechnung ging offensichtlich auf, denn der Welterfolg der mittlerweile zur Xtina mutierten Sängerin ist mit über 50 Millionen verkauften Alben unumstritten. „As the record company deemed that vocal to be too good (I'm serious), we re-recorded the vocal […]. She sounded too mature, and took too many liberties with the melody. At the time Britney had just hit, so the record company wanted the vocal to sound younger. Keep it simple and stick to the melody. In hindsight, they were absolutely correct.“ (Hoffman, 2007: o. S.)
Passion And Warfare. Neben den außermusikalischen Surroundings der Popwelt zeigt sich mit dem ‚War of Loudness‘ einmal mehr der ständige Kampf um territoriale Herrschaft, der die Kunst des Eroberns noch direkter auf der Ebene elektronischer Klanggestaltung offenbart. Keine andere Musikart hat bislang ein solches Phänomen hervorgebracht, dessen Auswüchse fürwahr ans Limit gehen und an übertriebenes Balz- und Werbeverhalten kurz vor dem Kollaps erinnern. Technische und psychoakustische Aspekte korrelieren mit ästhetischen, wirtschaftlichen und sozialen, und vereinen sich in einer Sache, die man als ‚unerbittlichen Drang gehört zu werden‘ oder als ‚pathologische Angst überhört zu werden‘ bezeichnen könnte. Wer zu leise ist, verliert – und zwar die Gunst der breiten Hörerschaft, weswegen Musik durch starke Kompression und gleichzeitige Limitierung des Audiosignals kurz vor der Übersteuerung zu einem Monster aufgebläht und solchermaßen als Peak Experience wahrnehmbar wird. Bezieht sich die Produktionsmethode auf längere Zeitabschnitte, zum Beispiel auf eine Albumlänge, gewährleistet sie ein Musikerlebnis mit anhaltend hohem Lautheitspegel und wäre demnach als sustained zu bezeichnen. Zu Recht sprechen Gegner von einer totalitären Methode, der sich die Hörer nur schwer entziehen können und empfinden darin dystopischen Kulturzerfall. Aber tatsächlich scheint der absolute Tiefpunkt des fragwürdigen und verstörenden ‚Totkomprimierens‘, das der Musik jede Tiefenschärfe, Räumlichkeit und letztlich Energie raubt, überwunden zu sein, so dass zumindest in der Profiliga ein kreativer Umgang mit dieser Technologie wieder möglich wurde. Gekonntes Mastering macht ein anspruchsvolles musikalisches Ergebnis mit druckvollem Sound möglich, das durchgehend auch bei leisem Abhören funktioniert. Besonders der Hintergrund
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des Klangbildes wird angehoben und alles verschmilzt allgemein zu einem alles durchdringenden Vordergrund, was zwar eine weitaus geringere Dynamik zur Folge hat, dafür aber sämtliche Klangelemente unmittelbarer in die auditive Wahrnehmung katapultiert. Wiederum, darf man hier mit Maslow sprechen, denn in Bezug auf Peak Experiences „[it] is to say, figure and ground are less sharply differentiated. Important and unimportant are also less sharply differentiated, i. e., there is a tendency for things to become equally important rather than to be ranged in a hierarchy from very important to quite unimportant.“ (Maslow 1964: 24)
Um dabei aber das allgemeingültige Spannungs- und Lösungsprinzip von Musik aufrecht zu erhalten, bedarf es einer relativ neuartigen und trickreichen kompositorischen und innermusikalischen Parametersteuerung. Dieser extreme Einsatz der Studiotechnik ist eine kulturelle Überhöhung des musizierenden Menschen und bedingt seine Transgression in die Maschinenwelt, die bereits in den futuristischen Manifesten gefordert war. So müsse „die neue Ästhetik […] eine solche der Maschine sein“ (Rubinig 1976: 78), doch wahrhaft selbstverwirklicht hat sie sich erst heute. Der heiß umkämpfte und speziell designte Lautsprechersound ist das Medium, in dem sich die Message der Futuristen manifestiert (siehe Abb. 2). Abbildung 2: Wellenformdarstellung als Sinnbild einer SPE, Fear Factory – „Industrial Discipline“ aus dem Album „Mechanize“ (2010)
Quelle: Wellenformdarstellung, Tschinkel 2013
Some Kind Of Monster – A Soundtrack To War. Schall hat die Kraft zu töten und Musik offenbar zu demoralisieren (Schäfer 2010: 266). Auch darf daran erinnert werden, dass der Lautsprecher in seinen Anfangstagen als Volksempfänger einmal ein ‚Böser‘ war. Viele Jahre später ist sein vermittelnder Schalldruck um ein Vielfaches gewaltiger. Glaubt man einigen Berichterstattern, so dürften seit den frühen 90ern auf diversen Kriegsschauplätzen kanonengleich die verwegensten
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Heavy Metal-Kracher von PSYOP6-Lautsprecherbataillons abgefeuert worden sein (Kreye o. J.). Ich würde meinen, dass Pop damit beinahe den ‚natürlichen‘ Limiter der Gesellschaft überschreitet – die Moral. Doch selbst dieses Einsatzgebiet entspringt dem futuristischen Denken, denn in Filippo Tommaso Marinettis erster Schrift von 1909 „[…] hört man von Liebe zur Gefahr, von Tollkühnheit, Mut und Empörung, von der Schönheit der Schnelligkeit, von Lenkrädern und Achsen, von Kampf und Aggression, von Militarismus, Patriotismus und vom Krieg als der Hygiene der Welt.“ (Rubinig 1976: 78)
Zweifel an seiner Faszination über die Wucht der kriegerischen Geräusche lässt auch Luigi Russolo nicht, wenn er 1913 schreibt: „Im modernen, mechanischen und metallenen Krieg sind die visuellen Elemente so gut wie irrelevant, Sinn, Bedeutung und Ausdruck der Geräusche hingegen unbegrenzt.“ (Russolo 2000: 37)
Ca. 100 Jahre danach lässt sich mit dokumentarischen Tatsachenberichten durchaus an diese Manifeste anknüpfen, in denen die aggressive, motivationale und ausgleichende Kraft von Heavy Metal in den Extremsituationen des Krieges beschrieben wird: „War is heavy metal. It’s fast paced, heavy and emotional. It gets your adrenaline going, it helps you feel what you got to feel, get it out of the way. Help you relax and end of the day, it can give you anything you need to feel. […] This is the one we travel, when we’re killing the enemy, going through war, coming up here […]. […] ’cuz it was just, it was fitting for the job we were doing. […] War itself is heavy metal, yes.“ (Waksman 2011: 189ff.)
Flight 666 et al. Im Großen und Ganzen darf allerdings angenommen werden, dass Pop die faschistischen Züge des Futurismus (Russolo, 2000: 90ff.) abgestreift und solche Werte ‚wegrationalisiert‘ oder zumindest anderwärtig kanalisiert hat. Natürlich wirft der Kommerzialismus seine großen Schatten und die Kulturindustrie spricht ihre eigene klare Sprache, doch bezüglich seiner Produktion bleibt Pop meist ‚nur‘ provozierendes Schauspiel von fiktionalem Ausmaß, das gelegentlich bestehende Systeme unterwandert. Grunge zum Beispiel hat
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Psychological operations.
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einst bloß verhindert, dass Pop ins Allzusüßliche abgleitet und weiter nichts, … oder doch? Iron Maidens Boeing 757 brachte weder Tod noch Teufel in die Metropolen, sondern einfach ein befreiendes ‚Musiktheater‘, dessen Filmdoku von der ganz individuellen Peak Experience der Band erzählt – der Verschmelzung von Touralltag in luftigen Höhen und nächtlicher Showbühne mit ihrem Aviator und Leadsänger Bruce Dickinson in Personalunion (Iron Maiden, 2009). Besonders beispielhaft ließe sich noch über das Künstlerkollektiv Laibach, über die Pop-Rock-Ikone Marilyn Manson und über das Erbe Richard Wagners in Zusammenhang mit Manowar (Custodis 2009) diskutieren. Sie alle, und noch viele mehr, sorgten mit skandalträchtigen Auswüchsen oft für mächtig lauten Zündstoff. Wem das alles aber doch zu wenig ist, wem die kulturell überformten Ergüsse am Äußersten nicht laut, subversiv oder brachial genug sind und wer in dieser Kunst am Limes nichts mehr Kämpferisches, Rebellisches und Anarchisches für sich entdecken kann, dem bleiben wohl tatsächlich nur mehr diverse Trainingscamps oder die Rüstungsindustrie. Der Kreis zu Stockhausen schließt sich hiermit ebenfalls.
6.
S ACROSANCTUM A EQUILIBRIUM
Curious Musicosophy. Hat eine Gesellschaft besagten Limiter von moralischen Maßregelungen eingeführt, scheinen Dinge in überschaubare Bahnen gelenkt zu werden. Plötzlich gibt es Denkkategorien von ‚richtig‘ und ‚falsch‘, oder ‚gut‘ und ‚böse‘, die am ehesten mit ‚mit‘ oder eben ‚nicht mit dem Leben vereinbar‘ erklärt werden können. Unwiderlegbar wäre demnach die Marsoberfläche als böse zu bewerten und trotzdem strebt der Mensch mit bezeichnend betitelten Missionen wie „Curiosity“ danach, dieses Territorium für sich zu vereinnahmen. Eine Neugierde, die wohl auf einem Ungleichgewicht basiert und nicht nur durch ein Kompensationskonzept, sondern durch ständige Neukonstruktionen in einen aktuelleren Zustand einer (vorläufigen) Balance geführt werden muss. Der Prozess der Äquilibration (Piaget 1976) erklärt, dass extreme Ausreißer notwendige Peaks in der Entwicklung des Individuums darstellen und ein Gleichgewicht auf einer nächst höheren Entwicklungsebene evozieren (majorierende Äquilibration). Folglich „[stellt] ein System [...] nie einen absoluten Abschluss der Äquilibrationsprozesse dar.“ (Piaget 1976: 37) Existiert nämlich ein kurzfristiges Gleichgewicht, werden sofort wieder Gegenstimmen laut, die für aktuelle Bedürfnisse immer Optimierungstendenzen in sich tragen. Somit steht dem Fortschritt nichts im Wege.
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Trabantenstadl. Pop ist das Konglomerat von Individuen, die alle um die Zukunft kämpfen. Mit differenzierter Selbstwiederholung ‚arbeitet‘ man sich hedonistisch Stück für Stück durch das breite Spektrum der Lautsprechermusik, so dass, pauschal bewertet, spätestens alle zehn Jahre ein eklatanter Unterschied innerhalb der Produktionen auszumachen und effektiv in der Musik selbst zu hören ist. Das betrifft durchgehend alle Genres, von den Randbezirken eines Max/MSP-Experiments bis zur massentauglichen Schlagerparade – besonders im 1:1-Vergleich. Und so wie es der italienische Producer Steve Marchesan7 zum Ausdruck bringt, sind Popjünger gegenwärtig womöglich auf der Suche nach der Quadratur des Kreises: „pop ist sternenstaub. buntes klangpulver. akustisches waschmittel in verschiedenen verpackungen. popmusik ist perfekt ,rund‘ geworden. so wie gravitation planeten formt, klingt sie nach dem drang, den energie-unaufwaendigsten schwankungsfreien zustand zu suchen. planeten sind pop. ich aber traeume von einem topologischen pop-universum mit vielen verrueckten formen, beispielsweise von quadratischem pop und warte auf eine wiederkehr des pop-messias.“ (S. Marchesan, im persönlichen Gespräch mit dem Autor, Turin 2013)
Tempo di Chiocciola & Armageddon. Zugegebenermaßen scheinen sich manche Dinge nie zu ändern. Zum Beispiel wirken solche, wie in etwa die Tambourschellen auf jedem zweiten Snare-Schlag einer Aerosmith-Ballade wie in Stein gemeißelte Errungenschaften der Menschheit. Sie tröpfeln vor sich hin, bewirken einmal dies und das und haben so lange Gültigkeit, bis nach langer Vorbereitung an irgendeinem Randbezirk fernab des mainstreamigen Mittelpunktes unseres eingangs diskutierten wandelnden Aktionskreises ein regelrechter Paradigmenwechsel vollzogen wird; ein Einschlag – quasi ein Hit, der von seinem Epizentrum ausgehend für eine bestimmte Zeit das (Un-)Gleichgewicht wieder herstellt und neue Maßstäbe mit einem Geltungsbereich für Millionen setzt. Dann macht die Pop-Evolution wieder einen Sprung – und sei es einer aus der Stratosphäre. Final Exit. Ich habe diesen Apolog in affirmativer Art und Weise verfasst und versucht, Pop so zu beschreiben, wie er sich mir darstellt – deswegen auch immer wieder die Einschränkung auf die mir so wichtige Produktion von Lautsprechermusik. Dennoch wollte ich einen größeren, außermusikalischen Bogen spannen, um dem Thema mit all seinen Widersprüchen zwischen Alltag und Ekstase gerecht zu werden und gleichsam die Popwelt als ‚alltäglichen Ausnah-
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www.audiogenetix.com
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mezustand’ geltend zu machen. Der Überbetonung von Hardrock und Heavy Metal wäre ein Beitrag über Techno gegenüberzustellen, in dem mir bezüglich einer Sustained Peak Experience ähnliche Prinzipien zu wirken scheinen. Der rhetorischen Frage, ob es für Pop in High-Intensity-Bereichen wirklich ein originelles und außergewöhnliches Fortkommen und Wahrgenommenwerden gibt, kann in diesem Rahmen nur mit der rhetorischen Antwort begegnet werden, dass es nicht auszuschließen ist, dass alles auch ganz anders sein könnte.
7.
L ITERATUR -
UND I NSPIRATIONSQUELLEN
Bayle, F. (2003). L’image de son. Technique de mon écoute. Klangbilder. Technik meines Hörens. Signale aus Köln 8, 35–159. Behrens, R. (1997). Das hedonistische Ohr. Präliminarien zur Ästhetik musikalischer Subkulturen. In: Holtmeier, L., Klein, R. & Mahnkopf, C.-S. (Hg.), Musik & Ästhetik 1/2 (S. 75–88). Stuttgart: Klett-Cott. Behrens, R. (2003). Krise und Illusion. Beiträge zur kritischen Theorie der Massenkultur. Münster: LIT Verlag. Custodis, M. (2009). Klassische Musik heute. Eine Spurensuche in der Rockmusik. Bielefeld: transcript. Deleuze, G. (1968). Différence and Répétition. Paris: Presse Universitaires de France. Fuller, A. R. (2001). Spiritual, but not religious. Understanding unchurched America. Oxford: Oxford University Press. Fuller, A. R. (2008). Psychology and religion. Classical Theorists and Contemporary Developments. New York: Rowman & Littlefield Publishers, Inc. Harrer, G. (1977). Das ‚Musikerlebnis‘ im Griff des naturwissenschaftlichen Experiments. In: Harrer, G. (Hg.), Grundlagen der Musiktherapie und Musikpsychologie (S. 3–47). Stuttgart: Fischer. Jauk, W. (2009). pop/music+medien/kunst. Der musikalisierte Alltag der digital culture (= Osnabrücker Beiträge zur systematischen Musikwissenschaft Band 15, hg. von Bernd Enders). Osnabrück: epOs. Piaget, J. (1976). Die Äquilibration der kognitiven Strukturen, Stuttgart: KlettCotta. Rubinig, R. (1976). Die Lebensverwirklichung des Futurismus. In: Kolleritsch, O. (Hg.), Der musikalische Futurismus. Ästhetisches Konzept und Auswirkungen auf die Moderne (S. 78–91). Graz: Universal Edition. Russolo, L. (2000). Die Kunst der Geräusche. Mainz: Schott Verlag. Schäfer, F. (2010). 111 Gründe Heavy Metal zu lieben. Ein Kniefall vor der härtesten Musik der Welt. Berlin: Schwarzkopf & Schwarzkopf.
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Tschinkel, C. (2008). Musique acousmatique und ihre Parallelen im Pop. Diplomarbeit. Karl-Franzens-Universität Graz. Waksman, S. (2011). War Is Heavy Metal: Soundtracking the US War in Iraq. In: Fisher, J. P., & Flota, B. (Hg.), The Politics of Post-9/11 Music: Sound, Trauma, and the Music Industry in the Time of Terror (S. 185–192). Farnham u. a.: Ashgate. Diskographie Def Leppard (2002). DVD Hysteria (Classic Album Series 3 Ltd.). Iron Maiden (2009). DVD Flight 666. The Film (exclusive licence to Emi Records). Video zum Text Sustained Peak Experience.8 dedicated to Werner Jauk, inspired by Gruppe 01 music acousmatized (composed and produced) by Christian Curd Tschinkel (www.acousmonuments.net); mastered at Hof-Productions by Christian „Captain Krew“ Krucsay (www.hof-productions.com); „The Face“ performed by Riccardo Leto (www.riccardoleto.it); special effects by Dario Corno (www.liquidgate.it); video effects, filmed, edited, written and directed by Steve Marchesan (www.stevemarchesan.com & www.audiogenetix.com) filmed in February 2013 in Torino (Italy) http://vimeo.com/acousmonuments [Abrufdatum 15.7.2013].
http://www.youtube.com/user/acousmonuments [Abrufdatum: 15.7.2013].
Internetquellen Hoffman, R. (2007a). http://www.gearslutz.com/board/so-much-gear-so-littletime/124891-robmix-tell-us-about-christina-aquilera.html [Abrufdatum: 15.1.2013].
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An dieser Stelle werden die Internetlinks zu den Plattformen Vimeo_und_YouTube angegeben, um dem zentralen Begriff dieses Sammelbandes – „Medium“ – auch im alltäglichen Umgang differenziert zu begegnen.
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Hoffman, R. (2007b). URL: http://www.gearslutz.com/board/so-much-gear-solittle-time/124891-robmix-tell-us-about-christina-aquilera-2.html [Abrufdatum: 15.1.2013]. Kreye, A. (o. J.). Krieg den Herzen, Kampf den Köpfen, http://www.andrian kreye.com/Psychokrieger.html (Abrufdatum: 27.1.2013]. Maslow, A. H. (1964). Religions, Values, and Peak-Experiences. http:// www.nostrajewellery.org/files/Abraham-H.-Maslow-Religions,-Values -andPeak-Experiences.pdf [Abrufdatum: 1.2.2013]. Ufen, F. (2012). Warum wir stets im Kreis gehen. Wiener Zeitung 09.11.2012 http://www.wienerzeitung.at/themen_channel/wissen/mensch/500255_ Warum-wir-stets-im-Kreis-gehen.html [Abrufdatum: 1.2.2013].
Wahrnehmung
Komplexität und ästhetisches Erleben Auf dem Weg zu einer neuen Hedonik
E RICH R AAB
S CHÖNHEIT
UND HEDONISCHER
W ERT
Die Frage nach dem „Wesen“ des Schönen wurde über Jahrhunderte immer wieder neu aufgeworfen und, zumeist im Rahmen der philosophischen Ästhetik, mehr oder weniger profund diskutiert. Dabei wurde, allgemein gesprochen, Schönheit als eine dem „Kunstwerk“ anhaftende, gleichsam physikalische Eigenschaft wie Größe oder Lautstärke betrachtet. Daraus wurden und werden allgemeine, normative Regeln für die Herstellung von Schönheit abgeleitet wie z. B. Goldener Schnitt, Versmaße oder musikalische Harmonien. Diese Denkweise einer Ästhetik von oben her, die, wie auch Jauk (2004) anmerkte, einen elitären Charakter der besonderen Kennerschaft bei Exponenten herkömmlicher politischer Interessen impliziert, wurde gegen Ende des 19. Jahrhunderts (Fechner 1876) weitgehend abgelöst von der Frage nach dem Zustandekommen des Schön-Eindrucks beim Rezipienten des Kunstwerkes. Schönheit wird also nicht mehr als Reizeigenschaft, sondern als subjektive Erlebnisqualität betrachtet (Ästhetik von unten her), unabhängig von der durch die soziale Umgebung dem Wahrnehmenden zugeschriebene Rolle: Was eine Person als schön, anregend, kunst- oder wertvoll empfindet, entzieht sich einer objektiven Bewertung. Dieser Standpunkt hat zur Folge, dass die neue experimentelle Ästhetik (Berlyne 1974) als Spezialfall einer allgemeineren Hedonik angesehen werden muss. Als „schön“ kann jeder Gegenstand, jede Ton- oder Textfolge betrachtet werden, unabhängig davon, ob er/sie als Artefakt aus einer künstlerischen Intention entstanden ist oder nicht. Ob dieser Gegenstand in die Kategorie „Kunstwerk“ fällt, ist durch gelernte, also durch kulturell bedingte,
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konsensabhängige Kriterien definiert. Betrachtet man also die Ästhetik nicht als spezifisches Forschungsgebiet im engeren Sinn, sondern als Teilbereich einer allgemeineren Hedonik, dann steht der Forschung neben all den klassischen kunsttheoretischen Disziplinen der Ästhetik der gesamte methodische und auch theoretische Apparat der Wahrnehmungs-, Motivations-, Emotions-, Gedächtnisund Sozialpsychologie zur Verfügung. Legt man – vereinfachend – dem Prozess der Perzeption von Kunstwerken ein Sender-Empfänger-Modell zugrunde und betrachtet man – wie es zum Beispiel der psychoanalytischen Denktradition entspricht – ein Kunstobjekt ausschließlich als einen Träger inhaltlicher (semantischer) Information, d. h. von Bedeutung, so ist seine Wirkung auf den Wahrnehmenden relativ einfach in allgemeiner Form erklärbar: Diese Art von „Information“ schafft nämlich Assoziationen zu längst aus der Erfahrung bekannten, im weitesten Sinn erworbenen (gelernten) angenehmen oder unangenehmen psychischen Zuständen. So kann die erfreuliche Wirkung eines bildlich dargestellten Baumes auf zahlreiche in der Lebensgeschichte des Betrachters niedergelegte angenehme Erfahrungen mit Bäumen zurückgehen und die Darstellung symbolischer Inhalte kann unbewusste Triebwünsche ansprechen, die aus früheren Lebensphasen stammen. Im Mittelpunkt der neueren experimentellen Forschung „von unten her“ stehen aber nicht derartige mehr oder weniger offensichtliche inhaltliche Kennzeichen von Kunstwerken, sondern Probleme der Wirkungsweise und -stärke eines anderen Aspekts jedes Kunstwerks (und im Sinne einer hedonischen Betrachtungsweise jedes Wahrnehmungsobjektes), nämlich die Wirkung formaler, struktureller Eigenschaften auf das emotionale Erleben. Danach wird der im eigentlichen Sinn „ästhetische“ Eindruck nicht primär durch das Was, sondern durch das Wie, also durch die Art und Weise der Darstellung bestimmt. Der in einem Gemälde dargestellte Baum gewinnt für einen bestimmten Betrachter auch und vor allem durch die Darstellungsweise selbst an ästhetischem Wert. Diese Auffassung deckt sich im übrigen mit der Entwicklung der Kunst ab dem Ende des 19. Jahrhunderts, welche bekanntlich in allen Kunstsparten durch eine starke Tendenz zur Abstraktion gekennzeichnet ist, die also gegenüber der Präsentation „inhaltlicher“ Information das Herausarbeiten struktureller Objektmerkmale bewusst in den Vordergrund rückt.1
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Ich beziehe mich im Großteil der nun folgenden Überlegungen auf das mir vertraute Gebiet der visuellen Ästhetik, für akustische Reizkonfigurationen gilt aber, ebenso wie für sprachliche Texte, Ähnliches. Da es sich dabei, grob formuliert, um sequen-
K OMPLEXITÄT UND ÄSTHETISCHES E RLEBEN
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Bei der empirischen Behandlung der Frage nach der Wirkungsweise strukturell unterschiedlicher Objekte ergibt sich zunächst das Problem einer Quantifizierung der Objektmerkmale. Intuitiv ist einsichtig, dass das Ausmaß an struktureller Komplexität gleichzusetzen ist mit dem Grad an Unübersichtlichkeit, Vielfältigkeit, mit dem Grad des Fehlens von innerer Organisation und der Unvorhersagbarkeit der Objektelemente aus anderen Elementen. Die Quantifizierung dieses physikalisch aufzufassenden Objektmerkmals, die der Gestaltpsychologie, welche ebenfalls an Problemen der Effekte struktureller Merkmale (von Gestalten) in der Wahrnehmung interessiert war, nur in unzulänglicher Weise gelang, schien mit dem Auftreten der mathematischen Informationstheorie Shannons (Shannon & Weaver 1949) plötzlich keine allzu großen Schwierigkeiten mehr zu bereiten: Komplexität wurde gleichgesetzt mit dem Informationsgehalt eines Objektes (ab nun „Konfiguration“ genannt). Dies erschien umso berechtigter, als der Informationsgehalt H (ausgedrückt in der ja aus der Informationstechnologie bekannten Maßeinheit „bit“) alle den Komplexitätseindruck determinierenden Objektmerkmale global und befriedigend in einem einzigen Maß zu erfassen scheint: (1) Je mehr Details (Elemente) ein Objekt besitzt und je mehr Erscheinungsformen (Klassen, Kategorien, Varianten) jedes davon annehmen kann, desto komplexer wirkt es. (2) Umgekehrt erscheint uns ein Objekt umso weniger komplex, je mehr die Häufigkeitsverteilung der Elementklassen von einer Gleichverteilung abweicht, es also, zum Beispiel wegen einer stark dominierenden Farbe oder eines besonders häufigen Tones, Ordnung erzeugende und damit den Gesamteindruck der Komplexität verringernde distributive Redundanz enthält. Distributive Redundanz bedeutet also das Komplement zum Informationsgehalt oder, anders ausgedrückt, die Differenz zwischen der bei gegebenen Randbedingungen überhaupt möglichen und der bei der Erzeugung der Konfiguration realisierten Information (Hmax - H) oder, noch anders ausgedrückt, den Grad der Nicht-Ausnutzung der Konstruktionsmöglichkeiten bei gegebenen Häufigkeiten der Elemente und ihrer Klassen. (3) Bestehen zwischen den einzelnen Elementen einer Konfiguration Zusammenhänge, also Regelmäßigkeiten in den Beziehungen zwischen den einzelnen Elementen, dann spricht man von sequentieller Redundanz oder Kontextre-
tiell wahrzunehmende Folgen von Tönen oder sprachlichen Elementen handelt, ist die rein formale Bestimmung struktureller Parameter sogar einfacher, dafür ist das Problem der Definition von „Reizelementen“ eine extrem schwer zu lösende Aufgabe (vgl. Raab & Ebner 1982).
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dundanz. So enthält etwa ein Schachbrett keinerlei Kontextredundanz, weil jedes Element (Feld) des Brettes aus seinen Nachbarfeldern perfekt vorhersagbar ist (Alternation der Farben). Ebenso enthält eine einfarbige Fläche keine Kontextredundanz, da (bei Unterlegung eines unsichtbaren Rasters) ebenfalls völlige interne Vorhersagbarkeit besteht (Wiederholung derselben Farbe). Die beiden ersten hier angeführten Determinanten der Komplexität und Redundanz können durch die Shannon-Formel für den Informationsgehalt brauchbar gemessen werden: H = N ·∑ pi ·ld pi wobei i = 1 ... n (N = Anzahl der Elemente, d. h. zum Beispiel Farbraster-Quadrate oder Töne innerhalb der Gesamtkonfiguration; n = Anzahl der Elementklassen i, z. B. der Farben oder Tonstufen; ld = binärer, dualer Logarithmus = Information bei der Auswahl aus zwei gleich wahrscheinlichen Möglichkeiten, p = relative Häufigkeit der Elementklassen.)
H, der Informationsgehalt, erreicht sein Maximum bei Gleichverteilung der Elementklassen unter fixierten Randbedingungen, d. h. Hmax = N · ld n (Näheres zur Methode siehe z. B. Shannon & Weaver 1949, Garner 1962, Mittenecker & Raab 1973.) Dieser Zugang enthält Voraussetzungen, die die Quantifizierung der Komplexität sehr erschweren: Es muss nämlich dem Objekt (der Konfiguration) ein räumlich-zeitlicher Raster oder eine Quantelung unterlegt werden, der den natürlichen Wahrnehmungsbedingungen nicht unbedingt entspricht: In der Wahrnehmung werden künstlerische Objekte nicht quasi „abgetastet“, also gescannt, vor allem nicht zwei- oder mehrdimensionale. Da also eine derartige Rasterung bereits bestehender Kunstwerke, die ja spontan und schnell wirken, den Charakter der Kunstwerke gefährden würde, werden für experimentelle Zwecke zumeist „inhaltsfreie“ Konfigurationen (Tonoder rhythmische Folgen, Muster mit quadratischer Rasterung, Polygone u. a.) konstruiert und variiert, deren Komplexität nur in seltenen Fällen an die Komplexität „echter“ gegenstandsfreier Kunstwerke herankommt. Noch schwieriger liegt der Fall aber dann, wenn es um die Untersuchung der Wirkung interner Zusammenhänge (sequentieller Redundanz) innerhalb der Konfiguration geht, da der Informationsgehalt solcher Objekte nur durch die Berechnung der Übergangswahrscheinlichkeiten (genauer: der relativen Häufigkeiten) zwischen mehr oder weniger benachbarten Elementen oder zwischen Ele-
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menttripeln usw. (von Bildpunkten, Tönen) ermittelt werden kann (Fall 3 der Komplexitätsvariation, siehe oben). Es ist, wie erwähnt, wenig wahrscheinlich und eine sehr gekünstelte Annahme, dass der Wahrnehmende wie ein Kasinobesucher die einzelnen, ohnehin dem Wahrnehmungsgegenstand bloß unterlegten, Elemente sukzessive wahrnimmt und „auswertet“.
D IE I NFORMATIONSHYPOTHESE
DER
Ä STHETIK
Wenn man sich auf derartige einfache und eigens für Versuchszwecke generierte Konfigurationen beschränkt, so müssten – und das ist das Kriterium, an dem die Brauchbarkeit einer informationstheoretischen Quantifizierung zu messen ist – Objekte mit identischem Informationsgehalt zu gleich starken Zuwendungsreaktionen führen. Auch der subjektive Komplexitätseindruck müsste unabhängig davon sein, auf welche Weise der Informationsgehalt der Konfiguration erzeugt wurde und unabhängig davon, ob sie zusätzliche Redundanzen in Form von Ungleichverteilung der Elemente und ihrer Klassen und durch konfigurationsinterne Zusammenhänge entstandene Kontextredundanzen enthält. Gleiches müsste für das erlebte Interesse (oder die Aktivierung) gelten, das als eine weitere Erlebnisqualität von Bedeutung ist. Aktivierung oder ein Gefühl des Außergewöhnlichen, Erregenden, ist seit dem Beginn der Industrialisierung mehr und mehr zu einer plausibleren Wirkungsdimension geworden als Wohlgefälligkeit und heute geradezu ein Kennzeichen „moderner Kunst“. Bloße „Schönheit“ gilt vielfach als fade. Dies ist die Aussage der so genannten Informationshypothese der Ästhetik (allgemeiner: der Hedonik), einer Hypothese, die auch in anderen Bereichen der Psychologie (z. B. Reizdiskrimination, Sensomotorik, Gedächtnis) immer wieder aufgegriffen wird und die einer unidimensionalen Auffassung des Objektmerkmals Komplexität entspricht. Indirekt wird das Zutreffen der Informationshypothese der Ästhetik sehr häufig an der uralten Annahme eines verkehrt u-förmigen Zusammenhanges zwischen Komplexität und hedonischen Reaktionen geprüft, wobei letztere auf die verschiedensten und oft nur sehr gering korrelierende Arten gemessen werden, nämlich mittels verbaler Methoden (freie Assoziationen, Ratingskalen, Rangreihen u. a.), an der motorischen Zuwendung (Auswahlverfahren, Zuwendungszeit, freie Verhaltensbeobachtung) oder an physiologischen Reaktionen (beispielsweise Pulsfrequenz, Hautwiderstand, EEG-Indikatoren). Diese Annahme bedeutet eine Tendenz des Beurteilers zur „ausgewogenen Mitte“ und zur Vermeidung sowohl extrem einfacher (monotoner, langweiliger)
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als auch von extrem komplexer (verwirrender, angstauslösender) Stimulation. Sie ist unter dem Schlagwort Einheit in der Mannigfaltigkeit seit Jahrhunderten bekannt (z. B. Descartes) und wurde sehr lange normativ betrachtet, d. h. das Wesentliche des schlechthin „Schönen“ beschreibend.
I NFORMATION
UND
R EDUNDANZ
Die Ergebnisse der empirischen Arbeit zur Prüfung der Informationshypothese der Ästhetik (zusammengefasst z. B. in Raab 1987) sind kontrovers. Offensichtlich ergibt sich der die Informationshypothese stützende kurvilineare Zusammenhang zwischen Komplexität und Zuwendungsreaktionen nur dann, wenn das präsentierte Konfigurationsmaterial nur entlang einer einzigen der drei oben genannten Determinanten der Komplexität variiert und alle anderen konstant gehalten werden, wenn also dem Wahrnehmenden kein anderer Hinweis zur Diskrimination der Objekte zur Verfügung steht, was bei nicht für Versuchszwecke konstruierten „echten“ Kunstwerken kaum jemals der Fall ist. Insgesamt sprechen die Ergebnisse nicht für eine simpel aufzufassende Informationshypothese, sondern viel eher für eine multidimensionale Auffassung der Komplexität. Maderthaner (1981) z. B. spricht von drei Komplexitätsarten: a. Vielfältigkeitskomplexität als Indikator des Abwechslungsreichtums an unterschiedlichen Farben, Winkeln, Formelementen, Tonstufen und -färbungen, b. Anordnungskomplexität als Unregelmäßigkeit der räumlich/zeitlichen Anordnung und c. Strukturkomplexität als Ausmaß an Differenziertheit einer Struktur (z. B. Anzahl der Rasterelemente in einer visuellen Vorlage). Am schwersten erschüttert wird die Informationshypothese der Ästhetik durch eine genauere Betrachtung der Rolle der (distributiven oder sequentiellen) Redundanz: Bei konstant gehaltenem Informationsgehalt senkt zusätzlich eingeführte distributive Redundanz (Abweichung von einer Gleichverteilung der Elementklassen; z. B. eine Farbe eines Musters oder ein Ton einer Folge dominiert über alle anderen) den Komplexitätseindruck, während Konfigurationen, die zusätzliche sequentielle Redundanz (Zusammenhänge zwischen Konfigurationselementen, erzeugt durch Symmetrie, Rotation, Wiederholung des Musters) enthalten, subjektiv komplexer erscheinen als gleichkomplexe, aber redundanzfreie Objekte, und deren hedonische Beurteilungen (daher) auch voneinander abweichen. Der hedonische Eindruck ist also, kurz gesagt, negativer, wenn einer Konfiguration bei ansonsten gleicher Komplexität (Informationsgehalt) distributive Redundanz beigefügt ist, und positiver, wenn sie zusätzliche sequentielle Redundanz (Kontextredundanz) enthält.
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Diese empirisch mehrfach festgestellten Fakten, auf deren genauere Darstellung ich hier aus Gründen der Übersichtlichkeit verzichte, führen zu der Überlegung, dass für den hedonischen Wert einer Konfiguration nicht so sehr deren absoluter, in bit ausgedrückter Informationsgehalt, sondern vielmehr ihr maximaler Informationsgehalt (u. U. berechenbar aus der Anzahl der Elemente und Elementklassen) und ihre Redundanz von entscheidender Bedeutung sind. Danach hängt der hedonische Eindruck primär vom bei gegebenen Randbedingungen (bei visuellen Konfigurationen Anzahl der Rasterpunkte und Anzahl der Farben, die die Rasterpunkte annehmen können) überhaupt realisierbaren Komplexitätsausmaß und innerhalb dieses Rahmens vom Grad der Ausnutzung dieser Möglichkeiten bei der Erzeugung der Konfiguration ab. Dass diese Revision der Informationshypothese noch immer viel zu einfach ist, um den tatsächlichen Wirkungsmechanismen von Komplexität Rechnung zu tragen, geht allerdings daraus hervor, dass selbst bei identischer (maximaler und realisierter) Komplexität und Redundanz Unterschiede in der hedonischen Wirkung auftreten, die auf die spezifische Art der in der Konfiguration vorkommenden Redundanz (z. B. Elementwiederholungen versus -alternation, diagonal/horizontaler Aufbau des Bildes) sowie auf qualitative Eigenheiten der Elementklassen (z. B. Kombinationen von Farb- und Tonqualitäten) zurückzuführen sind.
A KTIVIERUNGSTHEORETISCHE Ü BERLEGUNGEN Mit der Neudefinition von Komplexität als Information hat der aktivierungstheoretische Ansatz zur Erklärung des verkehrt u-förmigen Zusammenhangs von Komplexität und hedonischer Wirkung von Reizkonfigurationen in der Psychologie einigen Einfluss gewonnen. Sein bedeutendster Vertreter war D. E. Berlyne (1971, 1974). Berlyne fasste das Reizmerkmal Komplexität gemeinsam mit anderen Objekteigenschaften wie Neuheit, Ambiguität, Unsicherheit und Unerwartetheit zur Gruppe der so genannten kollativen Variablen zusammen. Diese Variablen bauen nach Berlyne im Zusammenwirken mit der Reizintensität und mit ökologischen Hinweisfunktionen (z. B. Gefahr oder Aussicht auf Erfreuliches) das Aktivierungspotential eines künstlerischen (oder anderen) Reizes auf. Gemäß dieser Auffassung muss das Aktivierungspotential einer Reizkonfiguration in einem mittleren Bereich liegen, um als angenehm erlebt zu werden. Abweichungen von diesem Optimum oder, psychologisch gesprochen, Langeweile (Reizdeprivation) und Verwirrung (Überlastung, Angst) motivieren das Individuum dazu, das für
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sein Wohlbefinden ideale Aktivierungsniveau wieder zu erreichen. Berlyne hat diese Ansicht mit eher einfach aufgebauten Experimenten mit Beispielen für kollative Gegensatzpaare und deren Beurteilungen und Präferierungen zu untermauern versucht. Mit dem Konzept des Aktivierungsniveaus erklärte Berlyne Phänomene wie Spiel, Humor, ästhetisches Verhalten und vor allem Neugier, also alle Arten von reizinduzierten Motivationsprozessen. Vor allem Kunstwerke lösen allerdings nicht bloß eine relativ kurze, von Neugier getriebene Zuwendungsreaktion aus, sondern behalten ihre Attraktivität über einen längeren Zeitraum bei. Um dieses so genannte „ästhetische“ Verhalten von Neugierverhalten abzugrenzen, postulierte Berlyne zwei Arten von Explorationsverhalten, nämlich spezifische und diversive Exploration. Spezifische Exploration steht im Zusammenhang mit verbal geäußertem Interesse und tritt dann auf, wenn der Wahrnehmende mit der Reizkonfiguration nicht vertraut ist. Die motivationale Basis dafür besteht in perzeptiver Neugier, Konflikt und Unsicherheit. Diese Explorationsform erlischt erst dann, wenn die Person aus der Konfiguration ein Maximum an Information gewonnen („extrahiert“) hat, wenn also das Objekt seinen Neuheitswert eingebüßt hat, wobei im allgemeinen höherkomplexe Objekte (aber nicht extrem komplexe, die als Chaos wahrgenommen werden, wie das Weiße Rauschen bei einer Bild- oder Tonstörung) einen stärkeren Anreiz zu spezifischer Exploration liefern als niedrig- oder mittelkomplexe. Bis zu einem bestimmten Grenzwert der Neuheit steigt also das Explorationsbedürfnis mit der Objektkomplexität an. Im Gegensatz dazu stellt sich diversive Exploration dann ein, wenn die anfängliche perzeptive Neugier abgesättigt ist; sie besteht aus der Suche nach dem „richtigen“, als angenehm empfundenen mittleren Grad an Aktivierung. Diversives Explorationsverhalten steht – wiederum nach Berlyne – in einem engen Zusammenhang mit verbalen Urteilen der Freude an der Reizvorlage und entspricht damit dem gemeinhin als „ästhetisch“ bezeichneten Verhalten. Sie hält erheblich länger an als die anfängliche spezifische Exploration. Neben dem Umstand, dass nur unzulängliche Anhaltspunkte bestehen, die für Berlynes Auffassung globaler hedonischer Effekte eines unidimensional definierten Merkmalskontinuums Komplexität sprechen, führt noch ein weiterer Punkt zu verstärkter Kritik an der Theorie Berlynes: Die Wahrnehmung von emotionsauslösenden Objekten wird darin als ein passiv-rezeptiver Prozess angesehen, der in mehr oder weniger „automatisch“ erfolgenden Fluktuationen des kortikalen Aktivierungsniveaus mündet. Da Berlyne Probleme der Dimensionali-
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tät und der Spezifität der kritischen Objekteigenschaften dadurch zu umgehen versuchte, dass er sie als Summe aller Merkmale definiert, die das so genannte Aktivierungspotential einer Reizkonfiguration aufbauen, bleibt ungeklärt, welche Objekteigenschaften welche beobachtbaren Vorgänge der Reizverarbeitung und der davon abhängigen Motivationsänderungen in Gang setzen und steuern.
K OGNITIVE V ORSTELLUNGEN Am Anfang der Siebzigerjahre des 20. Jahrhunderts nahmen die so genannten „kognitiven“ Theorien in der Wahrnehmungs- und Motivationspsychologie an Bedeutung zu. Damit setzte sich die Erkenntnis durch, dass Reizwahrnehmung und Reizverarbeitung als aktive, konstruktive Vorgänge zu betrachten sind, in denen die objektiven, d. h. „physikalisch“ bestehenden Reizgrundlagen in differenzierter Weise gemäß den subjektiven Regeln und auf der Vorerfahrung aufbauend neu verschlüsselt (codiert) und interpretiert werden. Die dahinterstehenden Gedanken waren keineswegs neu: Aufbauend auf der Gestaltpsychologie, d. h. einer ganzheitlichen und nicht-elementaristischen Vorstellung über den Ablauf der Wahrnehnung, hatten die so genannten Informationsästhetiker (Frank 1958, Bense 1969) den Gedanken verfolgt, dass ästhetische Befriedigung mit der schrittweisen Reduktion der Objektinformation durch Zusammenfassung von Einzelelementen zu neuen Wahrnehmungskomplexen und die darauf folgende Analyse der Beziehungen zwischen den auf diese Art neu codierten und in der Vorerfahrung des Wahrnehmenden bereits abgespeicherten Superzeichen gleichzusetzen ist. Jeder dieser Schritte führt zu einer Verringerung der ursprünglich in der Reizgrundlage enthaltenen Information, d. h. zu einer Vergrößerung der (subjektiv erlebten) Redundanz. Dies ist die so genannte Redundanztheorie der Ästhetik, die auf alle Arten von hedonischem Erleben übertragbar ist. Es wird postuliert, dass für die Weiterverarbeitung der Reizgrundlage und letztlich für die hedonische Reaktion nicht die Reizeigenschaften selbst, sondern die Produkte perzeptiver Transformationen („Perzepte“, McReynolds 1971) von entscheidender Bedeutung sind, deren Eigenheiten wiederum stark von Faktoren der Intelligenz (z. B. kognitive Komplexität), von kulturellen Faktoren und von anderen interindividuell variierenden Personeneigenschaften abhängig sind. Die zuletzt erwähnten theoretischen Annahmen einer kognitiven Ästhetik sind nicht leicht experimentell prüfbar. Der Autor dieses Überblicks hat dies mit folgender hier nur kurz skizzierten Anordnung versucht (Raab 1987):
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Einer Stichprobe von 112 Personen wurden 144 quadratische ZufallsRastermuster (also keine intendierten internen Zusammenhänge) in drei Stufen der objektiven Komplexität (Informationsgehalt H, berechnet mit obiger Formel: 16, 57 bzw. 132 bit) zur verbalen Beurteilung dargeboten. Dies wurde durch systematische Variation der Rasterfeinheit (6 Abstufungen: von 4 x 4 bis zu 15 x 15), der Farbanzahl (2 oder 3) und der Farbqualität (obwohl diese ja auf die Komplexität keinen Einfluss hat: Rot, Gelb, Blau, Grün) erreicht. Zusätzlich wurde innerhalb jeder Komplexitätsstufe bei gleichgehaltenem Informationsgehalt mehr oder weniger distributive Redundanz beigefügt. Daher besaß z. B. ein grobes Muster aus zwei Farben viel weniger Redundanz als ein feinstrukturiertes Muster aus drei Farben, jedoch waren beide Typen von Konfigurationen gleich komplex (in bit). Zur Veranschaulichung sind in den folgenden Abbildungen einige der verwendeten Konfigurationen wiedergegeben.
Abbildung 1: Raster 4 x 4 2 Fb, H = 15,3 bit Hmax = 16 bit, Red = 4 %
Abbildung 2: Raster 4 x 4 3 Fb, H = 17,0 bit H max = 25,4 bit, Red = 33 %
Quelle: Raab 1987
Quelle: Raab 1987
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Abbildung 3: Raster 8 x 8 2 Fb, H = 57,3 bit Hmax = 64 bit, Red = 10 %
Abbildung 4: Raster 8 x 8 3 Fb, H = 56,6 bit Hmax = 101,4 bit, Red = 44 %
Quelle: Raab 1987
Quelle: Raab 1987
Abbildung 5: Raster 12 x 12 2 Fb, H = 132,2 bit Hmax = 144 bit, Red = 8 %
Abbildung 6: Raster 12 x 12 3 Fb, H = 130,0 bit H max = 228,2 bit, Red = 43 %
Quelle: Raab 1987
Quelle: Raab 1987
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Innerhalb jedes Paares besteht annähernd gleiche Komplexität H, doch weisen die beiden Konfigurationen einen unterschiedlichen Grad an distributiver Redundanz auf: Im jeweils rechten Bild ist die (zusätzliche) Redundanz deutlich größer als im linken. Zu beurteilen waren die subjektiv empfundene Komplexität, die Attraktivität (das Wohlgefallen) und das Interesse an der Vorlage.
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Entgegen einfachen aktivierungstheoretischen Vorstellungen zeigte sich, dass innerhalb jeder Stufe von identischer (konstruierter, „objektiver“) Komplexität jene Muster als komplexer beurteilt wurden, die weniger Redundanz zusätzlich enthielten. Und: Entgegen der Informationshypothese der Ästhetik wurde keinerlei Anzeichen für einen umgekehrt u-förmigen Zusammenhang zwischen der globalen Komplexität in bit und der Attraktivität, also dem hedonischen Wert der Vorlage gefunden. Wohl aber, und dies ist bemerkenswert und zieht sich durch alle Ergebnisse, zeigte sich ein ganz klarer Haupteffekt „relative Komplexität“: Innerhalb jeder Komplexitätsstufe steigt die Wohlgefälligkeit mit der relativen Komplexität (und fällt mit der Redundanz). Je mehr also bei der Konstruktion der „Bilder“ die maximal mögliche Information ausgeschöpft ist (Gleichverteilung der Farbhäufigkeiten als Maximum), desto größer ist, unabhängig von Farbanzahl, Rasterfeinheit und den Farbqualitäten, das Wohlgefallen, das sie erregen. Zusammenfassend ist festzuhalten, dass eine pauschale Informationshypothese des hedonischen Eindrucks zurückgewiesen werden muss. Es zeigten sich jedoch klare Anzeichen für den so oft beobachteten und diskutierten kurvilinearen Zusammenhang zwischen Komplexität und Wohlgefälligkeit in einem anderen Sinn als postuliert: Mit steigender relativer (objektiver) Komplexität, das heißt, mit steigender Farbanzahl und Rasterfeinheit innerhalb der derselben Komplexitätsstufe (dies bedeutet zusätzliche Redundanz), nimmt die Abhängigkeit der Attraktivität von der relativen Komplexität mehr und mehr eine abgeflacht-lineare, im höchsten Bereich sogar eine ansatzweise umgekehrt u-förmige Funktion an.
K OGNITIVE E RKLÄRUNG
ÄSTHETISCHER
E MOTIONEN
Die hier sehr knapp dargestellten experimentellen Ergebnisse lassen die folgende Interpretation zu: Vieles (auch in den Ergebnissen anderer Arbeiten, z. B. Vehrs 1977) spricht dafür, dass für diese Beobachtungen einige offensichtlich für jeden Wahrnehmungsvorgang gültige Grundprinzipien verantwortlich sind, die in einer simplen Aktivierungstheorie der Hedonik keinen Platz haben. Da ist zunächst der schon erwähnte Umstand, dass Muster mit identischer Gesamtkomplexität keineswegs gleich komplex wirken; zusätzliche distributive Redundanz senkt ihren Komplexitätseindruck. Dies führt zur Auffassung eines
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mehrdimensionalen Konzepts der Komplexität. Gleichkomplexe, aber nach unterschiedlichen Regeln erzeugte Konfigurationen rufen nicht den gleichen Komplexitätseindruck hervor – entscheidend ist die zusätzlich beigefügte Redundanz. Für die Verarbeitung von Komplexität scheinen sehr subtile, von differenzierten strukturellen und von qualitativen Objektmerkmalen abhängige Vorgänge verantwortlich zu sein. Weiters konnte festgestellt werden, dass zwischen der globalen Reizkomplexität und dem hedonischen Wert, der Attraktivität des Wahrnehmungsgegenstandes, kein klarer Zusammenhang besteht. Ein verkehrt u-förmiger Zusammenhang ist nur dann zu erwarten, wenn die Reizkomplexität entlang einer einzigen ihrer Determinanten variiert wird, die dann das einzige Merkmal darstellt, nach dem die vorliegenden Objekte voneinander unterschieden werden können. Es muss also auch die Informationshypothese des ästhetischen Eindrucks sehr in Frage gestellt werden. Wiederum muss betont werden, dass unsere Wahrnehmung keineswegs ein bloßer Reizverarbeitungsprozess ist, in dem wir passiv die auf uns einströmenden Sinnesreize einwirken lassen, sondern ein höchst komplexer und aktiver Vorgang der Restrukturierung der Reizgrundlage: Wir suchen innerhalb der Vorlage einfach nach Ordnung und wir finden sie nach sehr differenzierten Regeln. Beispielsweise werden räumlich-zeitlich benachbarte Einzelelemente innerhalb einer Konfiguration subjektiv viel eher als Anzeichen einer erklärbaren inneren Strukturierung aufgefasst als mit gleicher Wahrscheinlichkeit auftretende Alternation der Elemente. Dies entspricht übrigens dem als gambler’s fallacy bekannten Reinfall des Roulettespielers, der beispielsweise eine längere Abfolge von „Rot“ viel eher als Zeichen von Ordnung innerhalb der ja perfekten Zufallsfolge der Spielergebnisse wertet als Alternationen von Rot und Schwarz, und der fatalerweise sein Spielverhalten danach einrichtet. Diese Suche oder der Wunsch nach Ordnung beschränkt sich allerdings auf das bei gegebenen Randbedingungen der „Konstruktion“ des Objekts Mögliche: Bei einem groben Korn (bei grober Rasterung) oder bei einer geringen Variationsbreite des Repertoires (wenige Farben oder im Fall von Musik wenige wie immer definierte tonale Elemente) erwartet der Wahrnehmende keine allzu differenzierte Struktur innerhalb der Vorlage. Je mehr sich aber bei einer aus wenigen Elementen und Elementklassen bestehenden Konfiguration die relativen Häufigkeiten der Elementklassen einer Gleichverteilung annähern, desto wahrscheinlicher ist es – auch „objektiv“ –, dass innerhalb der Konfiguration zusammenhängende Felder auftreten können, die beim Betrachter als Anzeichen für Ordnung
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fungieren. Diese Tendenz dürfte umso stärker sein, je besser es gelingt, die Gesamtkonfiguration in Figur und Grund zu trennen, z. B. bei einer dominierenden hellen Farbe wie Gelb. Kognitive Theorien mögen höchst logisch und bestechend erscheinen, doch haben sie eine fundamentale Schwäche: Sie erklären die motivationale Grundlage für das Verhalten nicht, das Individuum müsste in kognitiver Entschlüsselung des Objekts verharren und aus deren Gelingen belohnende Erfahrungen gewinnen – aber warum sollte es sich dieser Mühe unterziehen? Zur Frage der motivationalen Basis der aktiven Suche nach Ordnung kann vorläufig nur eine spekulative Antwort gegeben werden: Vermutlich besteht beim erwachsenen Menschen ein auf der Grundlage des Neugiermotivs gelernter Antizipationsmechanismus, der darauf hinausläuft, dass jeder Gewinn an Information und jede Entdeckung (auch vermeintlicher) struktureller Zusammenhänge mit einem positiven Affekt „belohnt“ wird. Es erscheint sehr wahrscheinlich, dass dieses Antizipieren von Zusammenhängen einer Suche nach inhaltlichen Kontingenzen entspricht: Selbst wenn eine Konfiguration im semantischen Sinn keinen „Sinn“ hat, also nicht entschlüsselt werden kann, genügen unter Umständen die Konturen von aus mehreren Elementen zusammengesetzten Teilkonfigurationen, um assoziative Anklänge an Bekanntes und zumeist gar nicht Verbalisierbares zu wecken; der Betrachter gibt sich offensichtlich mit den Entdeckung semantischer Möglichkeiten zufrieden. Je mehr potentielle Ordnung also in einem (auch künstlerischen) Objekt vermutet wird und je mehr es gelingt, zusammengefasste perzeptive Einheiten als Träger semantischer Information („Figuren“) zu entschlüsseln, je mehr „Sinn“ also durch den Wahrnehmenden in der Gesamtkonfiguration erkannt oder auch nur vermutet werden kann, desto erfreulicher wirkt die Konfiguration. Sehr komplexe, also regellose und detailreiche, d. h. redundanzarme Konfigurationen reizen jedoch nicht zur Entschlüsselung, sie werden einfach als Chaos, also wieder als relativ einfach entschlüsselt, weil der Betrachter nicht in der Lage ist, als sinnvoll interpretierbare Teilkonfigurationen zu entdecken, die er als Träger von Bedeutung, von Sinn, interpretieren kann.
K OMPLEXITÄT UND ÄSTHETISCHES E RLEBEN
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L ITERATUR Berlyne, D. E. (1971). Aesthetics and psychobiology. New York: AppletonCentury-Crofts. Berlyne, D. E. (1974). The new experimental aesthetics. In: Berlyne, D. E. (Hg.), Studies in the new experimental aesthetics (S. 1–25). Washington, D.C.: Hemisphere. Dörner, D. & Vehrs, W. (1975). Ästhetische Befriedigung und Unbestimmtheitsreduktion. Psychological Research 37, 321–334. Fechner, G. T. (1876). Vorschule der Ästhetik. Leipzig: Breitkopf und Härtel. Garner, W. R. (1962). Uncertainty and structure as psychological concepts. New York: Wiley. Jauk, W. (2004). Experimental Aesthetics. Hedonismus als Gestaltungskraft: popular culture and digital culture. In: List, E. & Fiala, E. (Hg.), Grundlagen der Kulturwissenschaften. Interdisziplinäre Kulturstudien. (S. 207–224). Tübingen: Francke. Maderthaner, R. (1981). Architekturpsychologische Gesichtspunkte der Umweltgestaltung I. Humanökologische Blätter 10, 193–229. McReynolds, P. (1971). The three faces of cognitive motivation. In: Day, H. I., Berlyne, D. E. & Hunt, D. E. (Hg.). Intrinsic motivation: A new direction in education (S. 33–45). Toronto: Holt, Rinehart & Winston. Mittenecker, E. & Raab, E. (1973). Informationstheorie für Psychologen. Göttingen: Hogrefe. Raab, E. (1972). Der ästhetische Eindruck als Funktion der „objektiven“ und „phänomenalen“ Komplexität von Bildern. Psychologische Forschung, 35, 317–333. Raab, E. (1987). Die Rolle der Redundanz bei der Entstehung ästhetischer Emotionen. In: Raab, E. & Schulter, G. (Hg.), Perspektiven psychologischer Forschung (S. 167–180). Wien: Deuticke. Raab, E., & Ebner, H. (1982). Rhythmus und musikalisches Erleben. Der affektive Eindruck einstimmiger rhythmischer Strukturen von variierender Komplexität. Zeitschrift für experimentelle und angewandte Psychologie, 19, 326–353. Shannon, C. E. & Weaver, W. (1949). The mathematical theory of communication. Urbana, Ill.: University of Illinois Press
denken mit den ohren S AM A UINGER
berlin 9. 12. 2012 spaeterer nachmittag/prenzlauerberg es schneit seit stunden. ich befinde mich auf einem balkon im 4. stock eines wohnhauses und ich hoere der sich in der langsam wachsenden schneedecke beruhigenden stadt zu. die darunter liegende, relativ breite kopfsteinpflasterstrasse ist schneebedeckt, der durchzugsverkehr ist gedaempft und leise, das sonst so typische, droehnende singen der guertelreifen auf diesem strassenbelag ist wie ausgeloescht, nur die hohen stimmen der im schnee spielenden kinder schallen mehrfach reflektiert herauf. gerade ist ein verfruehter sylvesterknaller als dumpfer schlag im unterschied zum sonstigen scharfen knall zu hoeren. der sonst allgegenwaertige stadtbrumm/drone ist nun fernes rauschen. die atmosphaere und stimmung des ortes hat sich spuerbar veraendert. die frische schneedecke daempft den umgebungsklang, wie sie andererseits im reflektieren das umgebungslicht verstaerkt. das, was an mein ohr dringt, ist schall, auditiv wahrgenommen von meinem ohrgehirn-system, eine ausbreitung von kleinsten druck- und dichteschwankungen in einem mich umgebenden elastischen medium – bewegte luft. diese schwingungen/vibrationen lassen sich im idealfall im frequenzbereich von 20 hz bis 20 khz auditiv wahrnehmen. in meinem fall, dem alter und einem nicht immer achtsamen umgang mit lautheiten geschuldet, endet der auditiv wahrnehmbare frequenzbereich von klaengen bei ca.13 khz. was koennen wir unter denken mit den ohren verstehen? vereinfacht gesagt verstehen wir unter denken ein sich inneres beschaeftigen mit vorstellungen, erinnerungen und begriffen um (neue) erkenntnis zu formen, zu erlangen. fuer mich geht es dabei darum, sich in unserer visuell dominierten welt
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bewusst dem auditiven zu zuwenden und so eine andere/neue erkenntnis ueber und fuer unsere lebensraeume zu generieren. klassisch sprechen wir von 5 sinnen, von denen der hoer- und der sehsinn unsere fernsinne sind, und geruchs-, geschmacks- und tastsinn als nahsinne bezeichnet werden. denken mit den ohren sucht die balance im zusammenspiel unserer fernsinne, um eine ausgewogenheit von visueller und auditiver wahrnehmung. ausgewogen im bemerken ihrer innewohnenden informationen und erkenntnisse ueber uns und die welt, in der wir leben. unbemerkt leitet das ohr meist den blick. unser sehendes denken ordnet den raum, findet den klangerzeuger, bestaetigt das ohr. seit der renaissance haben wir eine (visuelle) perspektive entwickelt, eine sprache dafuer, wie wir mit bildern und unseren visuellen eindruecken umgehen und sie kommunizieren. wir haben nichts vergleichbares fuer die welt des auditiven. es fehlt uns die sprache, um z. b. die komplexe wellenform einer staedtischen klangumgebung zu beschreiben und auch dafuer, was deren klaenge mit uns machen, wie wir durch sie einen raum, einen ort, eine situation erleben und empfinden ... um auditiven lebensraum kommunizierbar zu machen hilft es, sich immer wieder die grundsaetzlichkeit der wechselwirkung von klangereignis, raum und architektur fuers auditive bewusst zu machen und diese im eigenen, bewusst hoerenden erleben zu erfahren: ein sich darin ueben erzeugt ein anderes hoeren. In unserem ohr-gehirn-system finden wir mindestens drei modalitaeten (michel chion), um hoerbares wahrzunehmen. das kausale und semantische hoeren sind die taeglich von uns mehr oder minder unbewusst zur anwendung kommenden auditiven wahrnehmungsmodi. hierbei handelt es sich einerseits um das erkennende, identifizierende, den zusammenhang herstellende hoeren, „... ein auto!“, die stimme meiner frau, der kuehlschrank brummt, etc. ... und andererseits die faehigkeit einem gespraech zu folgen, worte und inhalte in verschiedenen dialekten und sprachfaerbungen verstehen zu koennen, ... hoerend muster zu erkennen. den dritten modus, das reduzierte hoeren, muessen wir mit einiger anstrengung erlernen, es gilt dabei auf die eigenschaften eines klanges selbst zu achten, unabhaengig von seinem wirkungszusammenhang und seiner bedeutung. diese art des zu- und hinhoerens wurde zum erstenmal von pierre schaeffer in der mitte des 20. jhd. propagiert, dem entwickler einer neuen musikalischen praxis, der
DENKEN MIT DEN OHREN
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musique concrète. keiner dieser 3 modi kommt im alltag pur und unvermengt mit den anderen vor. rudimentaer ist uns auch das reduzierte hoeren gelaeufig, man denke nur an sein eigenes hoeren beim stimmen eines instruments. stimmung/tonhoehe ist eine der basiseigenschaften von klang, wahrnehmbar unabhaengig von anlass und bedeutung. ein vierter modus koennte das emotionale hoeren sein, in ihm kommt zu tragen, wie wir raeume und orte emotional wahrnehmen. hier liegt der raumsinn, das empfinden von atmosphaeren und stimmungen. es ist der fuer uns am schwersten bewusst zugaengliche modus und eigentlich ein amalgam der drei ersteren mit der ausdehnung des ohrs auf den ganzen koerper. klaenge sind schallwellen, sind vibrationen. wir nehmen sie nicht nur mit dem ohr wahr, es hoert der ganze koerper. unser koerper ist voll mit hohlraeumen, die alle in ihren eigenen frequenzen resonieren. wir spueren einen bass im bauch und einen hochfrequenten klang auf der schaedeldecke. es gelingt uns vielleicht sehr gut, das schneidende quietschen von busbremsen nicht mehr bewusst hoerend wahrzunehmen. sehr erfolgreich haben wir unsere faehigkeit des gehirns perfektioniert, unerwuenschte klaenge wegzufiltern, sie nicht zu hoeren, aber bei genauerer beobachtung stellen wir eine reaktion unseres koerpers fest, ein verkrampfen. dieser modus, das emotionale hoeren, verknuepft uns mit unserem fast ausschliesslich unbewusst wahrgenommenen jetzt (zeit) und bestimmt so die emotionalen bindungen an unseren lebensraum (ort) und wird zum wesentlichen faktor, wie wir darin unsere sozialen und oekonomischen interaktionen gestalten die orte unseres seins. es geht also beim denken mit den ohren nicht nur um unser alltaegliches, wissendes und orientierendes hoeren („ja, ich hoere einen zug“). es geht um den klangverlauf, das wahrnehmen vom anschwellen und abfallen des klangs, dem damit einhergehenden besetzen und im abklingen das wieder freigeben der klangumgebung und: wie fuehle ich mich dabei, was fuer eine atmosphaere hat dieser ort ... wie ist seine stimmung. bei fortschreitender uebung in diesem anderen hoeren und dem sich dabei bildenden klanggedaechtnis fuer (raum)klang entwickeln wir ein qualitatives klangbewusstsein und eine sprache dafuer. auch zusammenhaenge und wechselwirkungen von kraeften der natur, z. b. tages- und jahreszeiten, die akustische
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wie auditive qualitaet eines hoer-ortes werden uns bewusst. und das wichtigste, wir beginnen unser hoeren zu verknuepfen mit unserer eigenen persoenlichen geschichte und der momentanen stimmungslage. wir beginnen, unser hoeren als kulturell gestaltet zu verstehen und zu empfinden.
HOER - ORTE IN BONN
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2010, durch die ernennung zum ersten bonner stadtklangkuenstler und der damit verbundenen 6 monatigen kuenstlerischen forschungszeit sind materialien entstanden die unter anderem zur hoer-orte in bonn karte fuehrten. eine art stadtplan zum persoenlichen aufsuchen und erleben von ausgewaehlten orten und deren inne wohnenden auditiven qualitaeten. alle hier vorgestellten hoer-orte in bonn haben meist prototypischen charakter, d. h. diese karte ist auch eine einladung, hoer-orte in anderen urbanen quartieren/ lebensraeumen zu entdecken. die in der karte gesammelten orte beschreiben meist klar erkennbare akustische effekte und klangliche phaenomene, die vor ort selbst wahrgenommen und erlebt werden koennen. ein paar beispiele: (1) raumtakt: jede ampelschaltung taktet im anschwellen, fliessen und wiederabschwellen des starken verkehrsklangs ihren urbanen ort. (2) klangmuster: ueberall, wo oeffentlicher raum architektonisch vertikal strukturiert ist, wo also z. b. verschiedene ebenen durch treppen verbunden sind, ergeben sich klanglich-rhythmische muster in ihrer nutzung. dies gilt auch fuer, mit verschiedenen materialien und formen gestaltete, bodenbelaege auf oeffentlichen plaetzen. (3) symbolischer klangraum: der mittelalterliche innenhof mit kreuzgang im bonner muenster ist ein ort der ruhe und kontemplation: faktisch wie symbolisch. die klänge der vom stein reflektierten schritte und des kleinen wasserspiels in der mitte des innenhofes repraesentieren den grundklang des europaeischen mittelalters. (4) maskierung: der klang eines wasserspiels bietet zwei wichtige funktionen: schutz und privatheit. sitzt man am beckenrand, fuehrt das breitbandige starke rauschen der wasserspender zu einer fast vollstaendigen maskierung der
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Siehe dazu Auinger 2013 sowie „spielerische einladung sich im denken mit den ohren zu üben“ http://www.samauinger.de/Data/other/bonnhoeren-spiel/ [Abrufdatum: 6.4.2013].
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klang-emissionen des vorbeifliessenden strassenverkehrs. der gleiche rauschklang macht es aber auch moeglich, sich am beckenrand unter vielen mit jemandem privat zu unterhalten. (5) gangarten: in einer weitlaeufigen fussgaengerzone findet man immer wieder orte, an denen die schritte und gangarten der fussgaenger hoerend erfahrbar werden. in der art, wie wir einen fuss vor den anderen setzen, entsteht ein rhythmus und eine individualitaet, die sich fast ausschliesslich im verkehrsberuhigten oeffentlichen raum zeigt. (6) breite grenze: grosse staedtische verkehrsadern, mehrspurig, vermischt mit schienenverkehr und sonstigen nahverkehrssystemen, funktionieren wie breite grenzen zwischen einem teil der stadt und dem anderen. nur bei geringem verkehrsaufkommen (z. b. nachts) sind sie hoerend ueberwindbar. (7) rhythmusbox. aus funktionalen gruenden sind bruecken technisch so gebaut, dass sie flexible verbindungsstellen zwischen den fahrbahnteilen aufweisen. werden diese ueberfahren, entstehen rhythmische muster, die sich im raum darunter wie ein eigenartiges trommelstueck anhoeren. (8) fernes rauschen. ein charakteristikum unserer grossen urbanen gruenanlagen ist, dass sie aufgrund der sie querenden und umgebenden infrastruktursysteme meist auditiv mit einem fernen rauschen besetzt sind. (9) klangeffekt: der grosse architektonische raum, der sich am linken rheinufer unter der adenauerbruecke ausbreitet, ist ein wunderbarer und ergiebiger ort, um sich im eigenen experimentieren, z. b. durch klatschen, rufen oder singen mit der beziehung von klang und architektur zu beschaeftigen. die hier angefuehrten beispiele stellen mehr oder minder jeweils ein bestimmtes akustisches phaenomen, eine bestimmte auditive qualitaet ins zentrum der moeglichen persoenlichen erfahrung vor ort. ein wichtiger abschnitt der hoer-orte-karte widmet sich dem erleben einer raumsequenz, einem moeglichen weg in der stadt. die auditive qualitaet eines urbanen quartiers hat viel mit dem wechselspiel von ineinander uebergehenden, akustisch differenzierbaren raeume zu tun. hier ist neben den unterscheidbaren klangqualitaeten und stimmungen, ihren uebergaengen und schwellen, auch die jeweilige tages- und jahreszeit, mit ihren unterschiedlich intensiven sozialen und oekonomischen interaktionen, der bestimmende atmosphaerische faktor. waehrend meiner zeit in bonn habe ich mir die stadt erlaufen. das interessante am zu-fuss-kennenlernen einer stadt ist, dass man den grossen, wahrnehmbaren urbanen raum nie verlaesst und die langsamkeit der fortbewegung grosse auf-
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merksamkeit fuer sinnliche eindruecke ermoeglicht – ideale voraussetzungen, um eine stadt hoerend zu entdecken.
L ITERATUR Auinger, S. (2013). stadtklang – auditiver lebensraum. zum verstaendnis und zu fragen der gestaltung auditiver qualitaeten in urbanen raeumen. positionen. Texte zur aktuellen Musik 94. o. S. Auinger, S. (2008). die zukunft des klanges in der gesellschaft? In: Schulze, H. (Hg.) Sound-Studies. Traditionen – Methoden – Desiderate. Eine Einführung. (S. 231–236.) Bielefeld: transcript. Böhme, G. (2012). Hören. Festivalzeitung. klangstaetten/stadtklänge 12. Internationale Klangkunst in Braunschweig. o. S. Chion, M. (1994). Audio-Vision. Sound on Screen. New York: Columbia University Press. Internetquellen http://www.samauinger.de/Data/other/bonnhoeren-spiel/ [Abrufdatum: 6.4.2013] http://www.samauinger.de/de/timeline/listening-sites/ [Abrufdatum: 7.4.2013]
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Transdisziplinäres Arbeiten an der Schnittstelle von Sozialwissenschaft und Medienkunst E LLI S CAMBOR UND F RÄNK Z IMMER „Die Wissenschaft lernt von den Künsten, dass dieser je subjektive Blick, dieses subjektive Hören und Erfahren von Daten die nächste Ebene im Erkenntnisprozess ist. Also bei aller Formalisierung der Erkenntnis und der Daten ist noch immer eine subjektive Rezeption gegeben. Kunst hat sich mit dieser subjektiven Rezeption und ihrer Formalisierung beschäftigt. Ich fordere ein, sie braucht auch einen nachvollziehbaren methodischen Rahmen, wie sie dorthin gekommen ist.“ (JAUK 2012: 132)
Im folgenden Beitrag werden transdisziplinäre Arbeiten an der Schnittstelle von Sozialforschung und Medienkunst skizziert, die seit dem Jahr 2006 unter dem Label social research and media art mit einem großen Team an MitarbeiterInnen aus den Disziplinen Sozialforschung und Medienkunst umgesetzt wurden. Dabei wird der Fokus auf grundsätzliche Herangehensweisen, Herausforderungen in der Zusammenarbeit und auf jenen Erkenntniswert gelegt, der sich aus der transdisziplinären Arbeit von Sozialforschung und Medienkunst ergibt bzw. ergeben kann. Im Rahmen dieser Arbeiten wurden die Grenzen der Disziplinen überschritten, gleichzeitig wurde in allen Projekten von gesellschaftlichen Problemlagen (un-
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gleichen Verhältnissen) ausgegangen, die in der Zusammenschau beider Disziplinen wissenschaftlich-analytisch und prozesshaft-partizipativ bearbeitet wurden. Die größten Herausforderungen dieser Arbeiten bestanden in der Verhandlung theoretischer Standortbestimmungen und methodischer Herangehensweisen, mithilfe derer die fokussierten Phänomene empirisch erfasst und vermittelt werden sollten. Konkret trifft die Sozialforschung, die sich mit wesentlichen Aspekten des sozialen Zusammenlebens beschäftigt, im Rahmen transdisziplinärer Projekte auf ein Medienkunstverständnis, das u. a. soziale Kontexte versteh- und erfahrbar machen und gleichzeitig den neu entstehenden konzeptuellen Platz mit mehr als Veranschaulichung von Daten ausfüllen möchte. Ausgangspunkt der gemeinsamen Arbeit war nicht zuletzt die Tatsache, dass sich im Bereich der Sozialwissenschaft und vor dem Hintergrund neuerer Paradigmen (beispielsweise „Intersektionalität“; vgl. Crenshaw 1998) die Diskrepanz zwischen einer zunehmenden Differenzierung und Komplexität in Theoriediskursen und den bescheidenen Möglichkeiten der Erfassung komplexer sozialer Realitäten in der angewandten Sozialforschung zunehmend steigert. Deshalb wurde im Rahmen der transdisziplinären Projekte und mithilfe der den Disziplinen „innewohnenden“ Methoden und Tools nach Wegen gesucht, diesen Gap zu überwinden. Dabei geht es nicht darum, einer zunehmenden Differenzierung und Verknüpfung sozialer Merkmale mit immer komplexeren sozialwissenschaftlichen Modellen und Methoden zu begegnen, sondern verschiedene Zugänge und Aktivitäten des Erkenntnisgewinns, der Interpretation und des Handelns in der sozialen Welt (Wissenschaft, Kunst, Praxis) anhand eines gemeinsamen Ausgangspunkts zusammenzubringen und ein Phänomen aus den jeweils unterschiedlichen Perspektiven und Traditionen heraus zu bearbeiten. Der Medienkunst kommt dabei eine zentrale Bedeutung zu. Sie nähert sich anderen Disziplinen mit vergleichsweiser Offenheit und vielfältigen Erscheinungsformen. Die Bestimmung dessen, was Medienkunst ausmacht unterliegt i. d. R. einem Reflexionsprozess, an dessen Ende ein Konsens gefunden werden muss. Häufig wird Medienkunst als Kunst umrissen, die mit neuen Medien (Computer, Video, Handy, Internet) arbeitet. Diese Bestimmung scheint angesichts der vielfältigen Ausprägungen und Erscheinungsformen zu kurz gegriffen. Denn die Beschäftigung mit neuen Medien kennzeichnet mittlerweile auch andere Kunstgattungen, die nicht als Medienkunst verstanden werden (wollen). Stefan Heidenreich geht einen Schritt weiter, indem er behauptet: „Medienkunst
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gibt es nicht“1. Heidenreich zufolge war Medienkunst eine Episode der 80er und 90er Jahre und lässt sich heute, wo Kunst als Gegenkultur zu kommerziellen Produkten im WWW und in Medien eine wichtige Position einnimmt, begrifflich nicht mehr fassen. Anders als Heidenreich liefert Martin Sturm einen Erklärungsversuch von Medienkunst, der sich weniger mit der technischen Ausformung und dafür mehr mit dem Reden und Nachdenken über Medienkunst, mit Reflexion, auseinandersetzt: „Medien sind ein Sammelbegriff für Werkzeuge, aber sie bezeichnen auch einen strukturellen Zugang zur heutigen Welt. Die Medien sind wie eine zweite Haut, und die Medienkunst bezeichnet eine besondere Art des Diskurses, den wir darüber führen. Medienkunst bezieht sich weniger auf die verwendeten Tools als auf die Art und Weise, wie diese Haut begreifbar gemacht, reflektiert und auch durchdrungen wird.“2
Dieses Verständnis von Medienkunst prägt die transdisziplinären Arbeiten von social research and media art, die im folgenden Teil des Artikels etwas näher beleuchtet werden.
G ENDER M AP , I NTERSECTIONAL M AP , S OCIAL N ETWORKS Die Gender Map (2007), ein Projekt im Rahmen der medienkünstlerischen Pro3 jektreihe Liquid Music , ist ein dynamischer Stadtplan, der die Nutzung einer steirischen Kleinstadt durch Männer und Frauen in unterschiedlichen Lebenszusammenhängen (mit/ohne Kinder, Alter) aufzeigt (vgl. Scambor/Zimmer 2010, Scambor/Scambor 2007). Ausgangspunkt dieser transdisziplinären Arbeit war die Überlegung, dass die Strukturierung städtischer Räume gleichzeitig unterschiedliche Vergesellschaftungsbedingungen (Erwerbsarbeit, Familienarbeit) von Männern und Frauen (vgl. Becker-Schmidt 1987) abbildet. Die von den BewohnerInnen angeeigneten physischen Räume geben Auskunft über die Stellung im sozialen Raum (vgl. Bourdieu 1991). So müssen beispielsweise Personen, die
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http://www.leitmedium.de/2008/01/29/stefan-heidenreich-medienkunst-gibt-es-nicht/ [Abrufdatum 26.3.2013].
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Vogel, S. Medienkunst – jeder definiert sie anders. http://www.faz.net/aktuell/ feuilleton/ars-electronica-medienkunst-jeder-defininiert-sie-anders-131245.html [Abrufdatum 26.3.2013].
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http://www.liquid-music.org/ [Abrufdatum 26.3.2013].
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Produktions- und Reproduktionsaufgaben wahrnehmen, deutlich mehr Wege und Orte im ‚Gesamt-Arbeits-Alltag‘ miteinander verknüpfen als Personen mit einem ‚Erwerbsarbeits-Alltag‘. Auf diese Weise manifestieren sich Arbeitsteilungsmodelle auf gesellschaftlicher Mikroebene (Haushalte) im städtischen Raum und reproduzieren damit die Geschlechterdifferenz auf der Makroebene. Die Gender Map zeigt dabei sehr deutlich, dass städtische Räume nicht einfach existieren, vielmehr werden diese Räume konstruiert und dabei von der gesellschaftlichen Realität der Individuen, der Diversität und Heterogenität sozialer Lebenslagen und sozialstruktureller Zusammenhänge in hohem Maße beeinflusst (vgl. Löw 2001). Die Visualisierung alltäglich zurückgelegter Wege und dabei aufgesuchter Orte in der Stadt erfolgte durch ein Software Applet, das sich an DichteRelationen orientiert und so Abweichungen (Bilder der Differenz) vom bestehenden Stadtplan erzeugt. Ergebnis dieser Arbeit war ein kartografisches Abbild geschlechtlich strukturierter Räume der Stadt. Dieses kartografische Bild wurde einerseits als Druckwerk realisiert, das im Verbund mit visuellen Markern im Realraum eine Begehung der Stadt nach Gesichtspunkten des sozialen Geschlechts zuließ, andererseits als dynamische Darstellung im World Wide Web. In dieser Form ist die Gender Map offen für neue Einträge der StadtbewohnerInnen und fungiert als offenes Forum für weiteren Austausch. Das Druckwerk wurde im öffentlichen Raum präsentiert. Es handelte sich dabei um einen überdimensionalen Stadtplan (Fokus ‚Geschlechterräume‘), gedruckt auf ein großformatiges Vinylnetz, der vor dem Rathaus der steirischen Kleinstadt angebracht wurde. Das Projekt Intersectional Map4 wurde in den darauffolgenden Jahren (20082009) in Graz durchgeführt und thematisierte die Kategorien Geschlecht, Ethnie, Milieu und Alter hinsichtlich deren Bedeutung für die Nutzung des städtischen Raums. Ähnlich wie bei der Gender Map wurden Stadtstrukturen in der Intersectional Map als heterogene Räume thematisiert und als „spezifische Ausprägung des Gesellschaftlichen… in enger Verknüpfung mit der Diversität der Lebensumstände unterschiedlicher Bevölkerungsgruppen erfasst.“ (Scambor/Zimmer 2012: 26) Aufgrund der Größe und sozialen Heterogenität der Stadt Graz war ein theoretischer Zugang erforderlich, der die Erfassung städtischen Raums als komplexes Gebilde ermöglicht und gleichzeitig in der Lage ist, Ungleichverhältnisse zwischen sozialen Gruppen sowie sich verändernde Konfigurationen zu erfassen. Das Paradigma der ‚Intersektionalität‘ (vgl. Crenshaw 1998, McCall
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http://socialresearch-mediaart.mur.at [Abrufdatum 26.3.2013].
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2005), das soziale Kategorien wie Geschlecht, Migration und Milieu in ihrem Verhältnis und in ihrer Wechselwirkung betrachtet, schien in besonderer Weise dafür geeignet zu sein. In diesem Sinne wurden in der Intersectional Map mit Partizipation und Prozesshaftigkeit (Scambor/Zimmer 2012: 23) wesentliche Charakteristika der Medienkunst und zugleich relevante Aspekte der Aktionsforschung umgesetzt mit dem Zweck, einen neuen Zugang zur intersektionalen Analyse heterogener Stadträume zu erschließen. Die Medienkunst konzentrierte sich dabei darauf, mithilfe ihrer spezifischen Wahrnehmungspotentiale und Tools, sozialwissenschaftlich generierte Daten einer interessierten (und vorab beforschten) Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Die Sozialforschung stand vor der Herausforderung, das generierte Datenmaterial auf ungewöhnliche und experimentelle Weise ‚verarbeiten‘ zu müssen. Gleichzeitig bestand aber auch die Chance, in der transdisziplinären Arbeit mit Medienkunst neue Potentiale und Möglichkeiten eines intersektionalen Zugangs zur Stadtnutzung erschließen zu können. Die Transformation der Daten wurde zur gemeinsamen Aufgabe (vgl. Scambor/Zimmer 2012: 23). „Geschlecht, sozioökonomische Lage und Migrationshintergrund, die für die Datenerhebung als feste Kategorien operationalisiert werden mussten, werden im Zuge dieser auf Teilhabe und Mitwirkung angelegten Forschung verflüssigt.“ (Hagemann-White 2012: 11)
Insgesamt wurden in diesem Wissenschafts- und Medienkunstprojekt folgende Zugänge vereint: Die soziologische Studie lieferte empirische Daten über die Nutzung der Stadt von 1650 BewohnerInnen. Diese Daten wurden in ein speziell dafür entwickeltes Softwaretool eingespeist und danach als interaktive virtuelle Map für eine interessierte Öffentlichkeit aufbereitet. Die Erkundung des virtuellen Stadtraums durch die BesucherInnen erfolgte durch die Verknüpfung sozialer Merkmale (Gender, Alter, Migration, Einkommen, Bildung). Während der Projektlaufzeit bot die Intersectional Map über Public Terminals und Schaufenster im Stadtraum von Graz und über die Projekthomepage5 ein erkundbares Environment. Durch den Gebrauch der Medieninstallationen im Stadtraum wurden – analog zur Studie – virtuelle Orte mit optischer und akustischer Manifestation erzeugt (vgl. Scambor/Zimmer 2012). Die Auseinandersetzung mit Stadtraum und Stadtraumnutzung erfolgte im Projekt zunächst als intersektionale Makroanalyse, in der mit traditionellen sozi-
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http://www.intersectional-map.mur.at [Abrufdatum 26.3.2013].
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alwissenschaftlichen Methoden gearbeitet wurde. In einem weiteren Schritt wurde anhand der medienkünstlerischen ‚Bearbeitung‘ der Daten das in der interdisziplinären Arbeit schlummernde Potential für das intersektionale Paradigma verortet. Mit der Überantwortung von ‚Datenmaterial‘, das durch den sozialwissenschaftlichen Zugang generiert, bearbeitet und interpretiert worden ist, an die Medienkunst, die daraus Medieninstallationen im öffentlichen Raum erzeugte, fand ein Prozess der ‚Rückkoppelung‘ statt. Das ‚Material‘ wurde dorthin zurückgespielt, wo das interessierende Phänomen, die Konstruktion von städtischem Raum durch Nutzung desselben erfasst wurde: Auf die Straßen, in die Bibliotheken, Läden und Einkaufszentren von Graz. Auf diese Weise „… erweitert Kunst im öffentlichen Raum nicht nur das Erleben von Alltagsorten, sondern bietet auch die Möglichkeit ‚Lebensrealitäten‘ zu reflektieren ... In diesem Sinne können sich NutzerInnen der Terminals selbst fragen, was es für ihr Leben und für die soziale Geographie ihrer Stadt bedeuten kann, wenn der eigene Alltag hauptsächlich an homogenen Orten stattfindet.“ (Rothmüller 2012: 159)
Sozialwissenschaft und Medienkunst beschäftigen sich Jauk (2012) zufolge im Wesentlichen mit Strategien der Lebensbewältigung eines relativ konstanten Körpers in einer sich beständig verändernden Umgebung. Beiden Disziplinen ist zudem das „Medium Wahrnehmung“ (Jauk 2012: 123) zentral, das zwischen Körper und Umwelt vermittelt. Während die Sozialwissenschaft die Konstruktion von Phänomenen beobachtet und damit „einen Ausschnitt festlegt“ (Jauk 2012: 124), beschäftigt sich die Medienkunst in stärkerem Maße mit der Neugestaltung von Phänomenen und ihren Umwelten. Von Beginn an hat ein unterschiedlicher Zugang zur Wahrnehmung (Beobachtung, Konstruktion) in beiden Disziplinen die Zusammenarbeit in starker Weise geprägt. Insbesondere in den Überlegungen zur Transformation sozialwissenschaftlicher Daten in den Kontext einer Medieninstallation fand eine tiefgehende Auseinandersetzung mit den unterschiedlichen Denkansätzen und Wahrnehmungspotentialen beider Disziplinen statt. Und genau darin liegt das Potential dieser Zusammenarbeit: In dem Maße, in dem die Transformation auf partizipative und prozesshafte Weise gelang, war es möglich, die ‚festen‘ Analysekategorien der sozialwissenschaftlichen Analyse künstlerisch und diskursiv zu ‚verflüssigen‘, um so den interessierenden Phänomenen angemessen begegnen zu können.
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Die Ergebnisse der Intersectional Map, insbesondere Hinweise auf lokale soziale Netzwerkstrukturen bei BewohnerInnen mit Migrationshintergrund aus NichtEU-Staaten, haben weitere Überlegungen zur disziplinübergreifenden Arbeit nach sich gezogen und dabei die Aufmerksamkeit auf die sozialen Netzwerke der Befragten gelenkt. Im Rahmen des Folgeprojekts Social Networks6 (2011), das ebenfalls als Wissenschafts- und Medienkunstprojekt konzipiert wurde, standen deshalb soziale Netzwerke von BewohnerInnen der Stadt Graz im Mittelpunkt der sozialwissenschaftlichen Studie. Erneut bildeten die Daten das Ausgangsmaterial für eine interaktive, multimodal erlebbare Medieninstallation. Diese wurde im Augarten der Stadt Graz realisiert. Aus individuellen Netzwerken wurden idealtypische Netzwerkstrukturen unterschiedlicher Personengruppen ermittelt. Relevante Strukturmerkmale sozialer Netzwerke (Netzwerkdichte, Kontakthäufigkeit, etc.) wurden in einer interaktiven Installation im Grazer Augartenpavillon räumlich, optisch und akustisch miteinander in Beziehung gesetzt. Die erhobenen Daten, Bausteine eines obgleich vorhandenen, dennoch im Alltag zumeist unsichtbaren sozialen Raums, dem Netzwerkraum, wurden im Installationsraum des Projekts in wahrnehmbare Sinnesgrößen überführt. Der Installationsraum, ein Pavillon mit transluzenter Haut, wurde als durchlässiger Raum konzipiert, wodurch akustische und visuelle Informationen in den öffentlichen Raum übertreten konnten. Der öffentliche Raum, im Alltag selbst ‚Umschlagplatz‘ zur Pflege sozialer Netzwerke, wurde im Projektkontext Teil und Objekt des konzeptuellen Raumgefüges. PassantInnen waren eingeladen, ihre eigenen Netzwerke in das Projekt einzubringen und die schon erfassten sozialen Netzwerke der GrazerInnen mittels eines eigens dafür entwickelten, einfachen haptischen Interface im Installationsraum zu erforschen. Ähnlich wie bei der Intersectional Map bot sich den PassantInnen die Möglichkeit, soziale Netzwerke unterschiedlicher Bevölkerungsgruppen (Geschlecht, Migration, Kinder, Alter, soziale Lage) zu erkunden und mit dem individuellen sozialen Netzwerk in Bezug zu bringen. Die selektierten Netzwerkdaten wurden multimodal erfahrbar gemacht. Hierzu wurde das Datenpaket aufgeschnürt und mittels beweglicher Raumelemente, Klänge und Farben erlebbar gemacht. Das Geschehen im Installationsraum funktionierte nach bestimmten, nachvollziehbaren Gesetzmäßigkeiten, die die InstallationsbesucherInnen in ihrer Wahrnehmung über verschiedene Wahrnehmungskanäle wie ein Puzzle zusammenbauen konnten.
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http://socialresearch-mediaart.mur.at/de/content/projekt/einleitung-social-networks [Abrufdatum: 26.3.2013].
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Als Produkt entstand je nach Lesart eine ‚verstehbare‘ Anordnung von Datenmaterial oder auch eine sinnlich erfahrbare Medien-/Klanginstallation, die die sozialen Beziehungsnetze der GrazerInnen zum Gegenstand hatte.
G RENZÜBERSCHREITUNG : R EFLEXION
UND
D ISKURS
Von Beginn an stellte uns die transdisziplinäre Arbeit vor die Herausforderung, über die Transformation sozialwissenschaftlicher Daten im Kontext der Medienkunst nachdenken zu müssen. Dieses ‚Herzstück‘ stand im Mittelpunkt der gemeinsamen Arbeit, von der Projektkonzeption über die Entwicklung des Erhebungsmanuals bis zur Medieninstallation. Es ging darum, sozialwissenschaftliche Daten in einen anderen Kontext zu überführen, sie dort zur ‚Sprache‘ zu bringen und für eine interessierte Öffentlichkeit erlebbar zu machen. In der Auseinandersetzung mit grundsätzlichen Herangehensweisen beider Disziplinen traten grundlegende Prämissen und Zugänge zutage, die mitunter auf den ersten Blick widersprüchlich erschienen, die aber beim Versuch, mit der Ambivalenz umzugehen, zum Teil letztlich zu erstaunlichen Ergebnissen führten. So hat die Zusammenarbeit beider Disziplinen im Rahmen der Intersectional Map beispielsweise ein eigenständiges Tool entstehen lassen, „… das, über das eigentliche Projekt hinausreichend, einen weiteren Gebrauchs- und Erkenntniswert entwickelt hat, der auf konkrete Veränderungen im Umgang mit öffentlichen Raum abzielt.“ (Scambor/Zimmer 2012: 38)
Darüber hinaus wurde deutlich, dass die Zusammenschau von Sozialforschung und Medienkunst einen Diskurs angeregt, der sich theoretischen Modellen und Paradigmen (‚Intersektionalität‘) auf bislang unerkannte Weise nähert. Der Blick über den Tellerrand lohnt sich jedenfalls!
L ITERATUR Becker-Schmidt, R. (1987). Die Doppelte Vergesellschaftung – die doppelte Unterdrückung: Besonderheiten der Frauenforschung in den Sozialwissenschaften. In: Unterkircher, L. & Wagner, I. (Hg.), Die andere Hälfte der Gesellschaft. Österreichischer Soziologentag 1985 (S. 10–25). Wien: ÖGB Verlag.
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Bourdieu, P. (1991). Physischer, sozialer und angeeigneter physischer Raum. In: Wentz, M. (Hg.), Stadt-Räume. Die Zukunft des Städtischen (= Frankfurter Beiträge, Bd. 2) (S. 25–34). Frankfurt a. Main/ New York: Campus Verlag. Crenshaw, K. (1998). Demarginalizing the intersection of race and sex: A black feminist critique of antidiscrimination doctrine, feminist theory, and antiracist politics. In: Phillips, A. (Hg.), Feminism & politics (S. 314–343) New York: Open University Press. Hagemann-White, C. (2012). Vorwort. In: Scambor, E. & Zimmer, F. (Hg.), Die intersektionelle Stadt. Geschlechterforschung und Medienkunst an den Achsen der Ungleichheit (S. 9–11). Bielefeld: transcript. Jauk, W. (Interview). (2012). Wissenschaft/Kunst – Medien der Erkenntnis. In: Scambor, E. & Zimmer, F. (Hg.), Die intersektionelle Stadt. Geschlechterforschung und Medienkunst an den Achsen der Ungleichheit. (S. 123–136) Bielefeld: transcript. Löw, M. (2001). Raumsoziologie. Frankfurt a. Main: Suhrkamp. McCall, L. (2005). Managing the complexity of intersectionality. Journal of Women in Culture and Society 30 (3), 1771–1780. Rothmüller, N. (2012). Die Verflechtung von Kunst und Wissenschaft. In: Elli Scambor, E. & Zimmer, F. (Hg.), Die intersektionelle Stadt. Geschlechterforschung und Medienkunst an den Achsen der Ungleichheit. (S. 147–160) Bielefeld: transcript. Scambor, C. & Scambor, E. (2012). Intersektionale Analyse in der Praxis. Grundlagen und Vorgangsweise bei der Analyse quantitativer Daten aus der Intersectional Map. In: Scambor, E. & Zimmer, F. (Hg.), Die intersektionelle Stadt. Geschlechterforschung und Medienkunst an den Achsen der Ungleichheit. (S. 43–78) Bielefeld: transcript. Scambor, E. & Scambor, C. (2007). Der Gender Walk. Eine bewegte Analyse der sozialen Konstruktion von Geschlecht im öffentlichen Raum. zoll+ Österreichische Schriftenreihe für Landschaft und Freiraum 17 (10), 25–29. Scambor, E. & Zimmer, F. (2012). Intersectional Map. In: Scambor, E. & Zimmer, F. (Hg.), Die intersektionelle Stadt. Geschlechterforschung und Medienkunst an den Achsen der Ungleichheit. (S. 23–42) Bielefeld: transcript. Scambor, E. & Zimmer, F. (Hg.). (2012). Die intersektionelle Stadt. Geschlechterforschung und Medienkunst an den Achsen der Ungleichheit. Bielefeld: transcript. Scambor, E. & Zimmer, F. (2010). Gender_Map/ Judenburg, Intersectional Map /Graz. In: Kunst im öffentlichen Raum Steiermark (Hg.), Projekte 2007-2008 (S. 106–111). Wien/ New York: Springer Verlag.
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Internetquellen Geschlecht, Ethnie, Milieu und Alter als Achsen der Ungleichheit einer Stadt. intersectional map/graz 08, http://www.intersectional-map.mur.at [Abrufdatum: 26.3.2013]. Liquid Music, http://www.liquid-music.org/ [Abrufdatum 26.3.2013]. Social Research and Media Art, http://socialresearch-mediaart.mur.at [Abrufdatum 26.3.2013]. Scambor, E., Scambor, C. & Zimmer, F. (2012). Die intersektionale Stadt. Interdisziplinäre Zugänge und intersektionale Analysen am Beispiel des Sozialwissenschaft- und Medienkunstprojekts Intersectional Map. http://portalintersektionalitaet.de/startseite [Abrufdatum: 26.3.2013]. Heidenreich, S. (2008). Medienkunst gibt es nicht. http://www.leitmedium.de /2008/01/29/stefan-heidenreich-medienkunst-gibt-es-nicht/ [Abrufdatum: 26.3.2013]. Vogel, S. Medienkunst – jeder definiert sie anders. http://www.faz.net/aktuell /feuilleton/ars-electronica-medienkunst-jeder-defininiert-sie-anders131245.html [Abrufdatum 26.3.2013].
Trivia H EIMO R ANZENBACHER
1 „Was wir Alltag nennen, ist die Folge von Bewegungen (im All). Je nachdem, wie wir solche Bewegungen zu ‚erkennen‘ vermögen, bestimmen sie Weltbilder.“ (Hanslmeier, Jauk, Ranzenbacher 2011: 172)
In den Jahren 2011/12 haben Arnold Hanslmeier1, Werner Jauk und der Autor dieses Beitrages das Kunstprojekt ALLtag durchgeführt. Primärobjekte waren drei in Linz (Ars Electronica), Bairisch Kölldorf und Judenburg (Liquid Music) auf öffentlichen Wegen im Wege stehende, vernetzte Stelen, jeweils ausgestattet mit Lautsprechern und einem Ultraschallsensor. Ein konstanter Dreiklang sonifizierte die Rotationsgeschwindigkeiten der drei Orte auf dem Erdball: Linz 1107 km/h, Judenburg 1138 km/h, Bairisch Kölldorf 1144 km/h. Gleiches geschah mit der Rotations- und den Umlaufgeschwindigkeiten des Planeten (107.200 km/h) und des Sonnensystems (800.000 km/h).2 Bei Annäherung eines Passanten sig-
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Arnold Hanslmeier, Direktor des Instituts für Physik und Astrophysik der KarlFranzens-Universität Graz, war als Astrophysiker engagiert, Werner Jauk als Leiter des Arbeitsbereichs pop/musik+medien/kunst am Institut für Musikwissenschaft der Karl-Franzens-Universität Graz und ich, der Initiator, als Leiter des Projektes Liquid Music, das ich seit 1998 Jahren betreibe.
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Die Bewertung der Geschwindigkeiten erfolgte nach ‚körperlich fassbaren‘ Kategorien bzw. lebenszeitlichen Zyklen im Hinblick auf die Hörbarkeit. Die Rotationsgeschwindigkeit der Erde um ihre Achse wurde um den lebenszeitlichen Faktor Tag, die Umlaufgeschwindigkeit um den lebenszeitlichen Faktor Jahr, und die Geschwindigkeit des Sonnensystems um den Faktor durchschnittliche Lebenszeit heruntergeregelt.
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nalisierte ein Sonar Ping den Eintritt in den Erfassungsbereich, in dem die Bewegungsgeschwindigkeit des Passanten gemessen und ebenfalls sonifiziert wurde. Die Bewegung der Passanten manifestierte sich in internen Klangbewegungen (Interferenzen), die als Amplitudenpulsation hörbar wurden. Auf diese Weise ermöglichte es das System, selbst minimale Geschwindigkeitsveränderungen zu erspüren. Durch rasche Änderungen der Bewegungsgeschwindigkeiten konnten die Klänge gleichsam zum Schwappen gebracht werden; eine erhöhte Aufmerksamkeit vorausgesetzt, ließ sich auch eine Art Kontakt zu Passanten herstellen, die sich an einem der anderen Orte im System bewegten. Assoziiert mit den en passant vermittelten Hintergrunddaten, sollte das relativ unspektakuläre Klanggeschehen es zulassen, spielend einen mit dem Daten- und Bedeutungshintergrund weitgehend deckungsgleichen Erlebniskontext zu entwickeln – ein alltägliches, von hier aus in den Kosmos hinaus reichendes Bewegungssystem vergegenwärtigen, bei dem in Bewegung setzen automatisch sich dazu in Beziehung setzen bedeutet. Gegenwärtig befindet sich eine Publikation mit dokumentarischen Materialien und Aufsätzen der Projektautoren im Entstehen, die später on demand erhältlich sein wird. Bei dem folgenden Beitrag handelt es sich um eine Kompilation aus Notizen, Überlegungen, mehr oder weniger ausgearbeiteten Passagen des Texts, der meine Position wiedergibt. Es ist ein Versuch, im Nachhinein etwas zu betrachten, was nur mehr von seinem Ende her sichtbar ist. ALLtag steht als das bis dato jüngste in einer Reihe von Projekten, die in der mittlerweile 22-jährigen künstlerischen Zusammenarbeit mit Werner Jauk ent3 standen sind. ALLtag ist darüber hinaus ein Projekt, dessen (essayistische) Nachbetrachtung mich veranlasst hat, an meiner Einschätzung der Möglichkeiten und Grenzen von Kunst+Wissenschaft-Kooperationen einige Modifizierungen vorzunehmen. Ich will hier im Vorhinein eine Skizze dieser Bedenken und Schlussfolgerungen anlegen, um sie anschließend am Beispiel der Überlegungen und Betrachtungen zum Projekt ALLtag genauer auszuführen. Grob gesagt, liegt ihnen die zwar nicht neue, aber stärker konturierte Überzeugung zugrunde, dass die heute vielfach attestierte strategische Verzahnung
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Dass diese Zusammenarbeit für mich nicht nur bis hin zu den Erörterungen von komplementären Positionen höchst anregend, wertvoll und ergiebig war, sondern auch und gerade durch diese, dass Disziplin und Humor gleichermaßen die Arbeit bestimmt haben und bestimmen, diese persönlich gefärbte Bemerkung zumindest als Fußnote zu deponieren, nehme ich mir angesichts der Widmung dieses Buches als Geburtstagsgeschenk heraus.
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von Kunst und Wissenschaft zu transdisziplinären Unternehmen auf dem Missverständnis von Inspiration als Wechselwirkung beruht. Suggeriert wird ein funktionierendes Verhältnis, das jedoch jeder Entsprechung in der Realität durch reziproke epistemologische Relevanz der Ergebnisse für die Disziplinen, die sie gemeinschaftlich hervorgebracht haben, entbehrt. Tatsächlich handelt es sich bei der kooperativen Praxis von Kunst und Wissenschaft wohl um wenig mehr als eine „verschärfte Nachbarschaft“ (Reust/Dombois), bei der Kunst der Wissenschaft gleichsam als ein Werbepartner bei der Darstellung wissenschaftlicher Ergebnisse assistiert. Ich bin skeptisch, was das Potenzial dieses Verhältnisses zur Änderung zum Besseren betrifft; meine Skepsis beruft sich auf phänomenlogische Unterschiede (um nicht zu sagen Diskrepanzen), wie sie sich etwa zwischen der prinzipiellen Erkenntnisorientiertheit der Wissenschaft und des wissenschaftlichen Handelns und dem überwiegend performativ organisierten Diskurs der 4 Kunst und deren Realisierung in den Betriebsarten ihrer selbst ausdrücken. In der Praxis äußert sich der Unterschied beispielsweise dergestalt, dass ein Astronom beim Schauen durch ein Fernrohr dieser Tätigkeit allgemein im Interesse an dem fokussierten Objekt nachgeht, während Kunst problemlos das Schauen selbst als Sinn und Zweck vorstellbar sein lässt (indem ein äußeren Beobachter – Zuschauer, Rezipienten, Partizipienten ... – intendiert wird). Der Wissenschaftler nimmt als Beobachter die objektbezogene Beobachtung vor, der Künstler führt dem Beobachter die wahrnehmungsbezogene Beobachtung vor (Augen), wenn er 5 mehr im Sinn hat als die Proliferation von Objekten, die am Markt bestehen. Wissenschaft ist ohne das zu schaffende Wissen nicht denkbar, Kunst nicht, ohne dass sie ihre eigenen Seinsbedingungen ins Treffen führt. Diese in ihren Motiven und Strategien, nicht zuletzt auch in den nicht minder strategisch verbindli-
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Poppers Scheinwerfermodell (zur Illustration seiner Erkenntnistheorie ersonnen), bei dem Hypothesen, Theorien oder Dispositionen (die Modi der Beobachtung) selbst als Aspekt der Wirklichkeit eines Objekts in dessen Betrachtung hineinspielen, steht dazu nicht im Widerspruch, denn es beschreibt nur ein komplexeres Verständnis der epistemologischen Werkzeuge.
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Es nimmt nicht Wunder, dass die prominenten Beispiele von K+W-Projekten der Erzeugung von Gegenständen, Lebe(wese)n wie Hasen, Blumen, Schmetterlingen, Tissue-Objekten ... gewidmet sind und bestenfalls vor einem ab- oder umherlaufen. Reminiszenzen an die Entwicklung vom Objekt zum Prozess, an beim Entstehen oder Erscheinen aktiv oder durch Perzeption und Rezeption engagierte Systeme kommen weniger bis gar nicht vor. Der solcherart vermittelte Kunstbegriff ist durchweg altbacken und konservativ.
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chen Primärbedingungen ihres Wirkens, „Labor“ und „Öffentlichkeit“ , unterschiedliche Vorstellungswelt erklärt vielleicht auch, warum die eher bescheidenen Ergebnisse solcher Kooperationen – bezeichnenderweise? – in der Kunst ungleich mehr Widerhall gefunden haben als je auf den Feldern der Wissenschaft (und selbst im Kunstzusammenhang unter dem strengen Blick kunsttheoretischer und kunsthistorischer Betrachtung nicht eben nur als ein Gewinn verbucht werden). In meinem Ansatz für eine – längerfristige als die üblicherweise durch Projekte zeitlich beschränkte – Liaison von Kunst und Wissenschaft scheint mir das Ideal eines reziproken Erkenntnisgewinns oder der wechselseitigen Erhellung (Oskar Walzel) der in der Zusammenarbeit engagierten Disziplinen zunehmend weniger realistisch. Nicht, dass ich diesbezüglichen Avancen und Experimenten jegliche Erfolgsaussicht absprechen würde, ich neige allerdings dazu, einen für Kunst+Wissenschaft gleichermaßen neuen, Dritten Weg ins Auge zu fassen. Die ungefähre „Richtung“ würde ich mit Trivialisierung im Sinn ihrer Bedeutungskeime tres, via und trivia angegeben. Nicht umhin kommen würde dabei die Kunst um eine Verwissenschaftlichung ihrer Kultur und die Wissenschaft um eine Veralltäglichung ihres Erkenntnisdranges. Ich denke, dass wir mit dem Projekt ALLtag einen Prototyp erzeugt haben, anhand dessen dieser Dritte Weg zu diskutieren wäre.
2 „Arbeit, Sorg und Herzeleid ist der Erde Alltagskleid.“ (Spruch)
Ein Initialfunke unter den Intuitionen und Überlegungen, die dem Vorschlag einer gemeinsamen Projektentwicklung Pate gestanden haben, war zunächst die Erfahrung der im Alltag üblichen Verortung von Astrophysik und (Medien-) Kunst in der Realitätsferne, der Weltfremde. Indirekt wird dadurch dem Alltag, d. h. seinen ausgehärteten Konventionen, ein Maß für Realität und Realitätssinn zu sein attestiert – eine Konsequenz, die den Widerwillen, den sie hervorruft, in argumentativen Zweifel zu kleiden verlangt, um sich von der Ebene der Anmaßung abzuheben. (Es handelt sich ja gewöhnlich nicht um persönliche Wertschätzung, sondern um eine gebräuchliche Wert-Setzung: Mit der Suggestion von „Alltagstauglichkeit“ werden beispielsweise nicht nur Autos oder Kleidung
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Natürlich nur als symbolisch generalisierte Milieus verstanden!
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verkauft, sondern auch Tugenden (z. B. Bescheidenheit), Lebensentwürfe und in der qualifizierenden Benennung von „Orchideenstudien“ und/bzw. im Gegensatz zu „Fächern mit Zukunft“ als prioritär erkennbare Bildungskarrieren et cetera pp.). Begründet habe ich den Zweifel auf der Basis der hypothetischen Entscheidung, sprachliche Repräsentationen eines obsoleten Weltbildes, wie „Sonnenaufund Untergänge“, fürderhin durch Benennungen gemäß den tatsächlichen Vorgängen zu substituieren. Die ‚an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit‘ des Widerstands, der im Alltag sich dagegen regen würde, ergibt dabei ein gutes Maß für den Zweifel an der vorgeblichen Synonymie von Realität und Alltag. Ihre Quelle hat eine solche (Kunst und Astronomie betreffende) WertSetzung wohl in einer Art alltäglichen Kirchturmdenkens, das Anschauung gern zur Bestimmung wandelt, wonach die Welt sei, worauf der Blick vom Kirchturm fällt; so geht die Sonne auch heute noch vorkopernikanisch auf, als wäre nichts geschehen. Realiter aber hat in den vergangenen 500 Jahren keine andere Disziplin das Weltbild im Widerstand gegen das Kirchturmdenken und die in diesem Zeichen stehende Verwaltung und Gestaltung der Alltagswirklichkeit mehr bestimmt als die Astronomie. Sie ist gleichsam der wissenschaftliche Inbegriff für den Verzicht auf Selbsttäuschungen und auf Weltbilder, die der Täuschung bedurften. Im ‚Widerstand‘ haben Kunst und Wissenschaft einen ihrer gemeinsamen historischen Nenner. ‚Enttäuschung‘ und (deren) ‚Veralltäglichung‘ („Trivialisierung“ der hier später ausgeführten Art) waren denn auch gleichermaßen Leitideen in der Entwicklung des Konzepts und Projekts ALLtag. An vorderster Stelle steht freilich die Idee eines Wechsels der Perspektive – vom Augenscheinlichen des Himmels über unseren Köpfen mit dem Standpunkt hier unten vs. da oben (der Guckkastenperspektive) zum integrierten Standpunkt, der ‚hier unten‘ als einen Aspekt der ‚weiteren Umgebung‘ begreift. Und mit der künstlerischen Umsetzung eines solchen Angebots meldet sich fast automatisch ein gesellschaftspolitischer Impuls. Dieser Aspekt ist seitens der Wissenschaft eher von Zurückhaltung gekennzeichnet. Mehr der Kunst (und ihren grundlegenden = widerständigen Gesten) verpflichtet, gibt es sich diesem Impuls leichter nach. Aber wenn an der Ansicht etwas Wahres ist, dass Wissenschaft als ein probates Mittel der ‚Enttäuschung‘ auch im außerwissenschaftlichen Bereich wirksam, ‚bedeutend‘ werden könnte, dann führt die Involvierung dieser Bedeutung in den Alltag, deren ‚Trivialisierung‘ im besten Sinne automatisch zu einer (gesellschafts-)politischen Ausprägung. Es wäre dann die Erörterung und Erforschung dieser Bedeutung nicht nur Folge einer persönlichen Überzeugung, sondern eine folgerichtige Ableitung und im wissenschaftlichen Betrieb selbst zu berücksichtigen. Nicht (nur) in Form von wissenschafts- und wissenssoziologischen Studien, sondern durch Feldversuche. Auch darin erkenne ich ein inter-
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bzw. transdisziplinäres Feld der Kooperation von Wissenschaft und Kunst – nämlich im Hinblick auf deren Strategien der Verwirklichung von Enttäuschung in einem Erfahrungszusammenhang, wie es auch durch das Projekt ALLtag ansatzweise demonstriert wird. Die mit den Installationen von ALLtag gegebene klangliche Anregung einer Außensicht auf nähere Umstände annonciert natürlich (insgeheim) einen solchen Effekt. Und die Erfahrung einer auch noch so geringen Änderung der Sicht der Dinge anzubieten, geht nicht ohne Vorstellung, warum das ratsam sei. In meinem Fall ist es – : Aufklärung7. Wobei die Referenz nicht Gesten einer mechanistischen, apparativen Vernunft oder eine schlichte didaktische Absicht betrifft. Aufklärung ganz in dem von Peter Sloterdijk erklärten Sinn von Ästhetik als „die Aufklärung menschlicher Bewegungen durch ein waches Dabeisein und Darinsein.“ „Aufgeklärte Beweglichkeit“, so Sloterdijk weiter, „zeigt sich darum weniger in der lauten Akklamation von Kunstwerken – Kunstbedarf ist eher ein Indiz von struktureller Barbarei – als in dem stillen Einbau von Aufmerksamkeit in Lebensformen.“ (Sloterdijk 1987: 126) Anders gesagt: Kunst (der hier angedeuteten Art) spricht, schwadroniert ja nicht in der philiströsen Bedeutung der Begriffe noch symbolisch von der Welt, sondern formalisiert allenfalls diverse Modi des Weltverstehens und -konstruierens, und das auch in den Modellen ihrer selbst. Ihr Erkenntniswert gründet in einer Art akzentuierter Teilnahme und Teilhabe die Ästhetik in Baumgartens Sinn einer Schönheit durch intersubjektive Verbindlichkeit und die quasi als dessen lebensweltliches Pendant formulierte Aisthetik Gernot Böhmes haben darin gleichermaßen eine Entsprechung.8
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Ein Thema, mit dem zwischen Werner Jauk und mir Zeit unserer Zusammenarbeit eine befruchtende Uneinigkeit besteht.
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Nicht nur – auch Widerstand, wie einst von Joseph Weizenbaum (*1923, † 2008) propagiert. Der Computerwissenschafter plädierte einerseits dafür, im „Rachen des Löwen“ (Kurs auf den Eisberg, Seite 46 serie piper, 1987), also jeweils dort, wo man sich befindet, der Professor an der Uni, der Journalist in seinem Medium, der Künstler in seiner Kunst, Widerstand zu üben, Verantwortung zu übernehmen – andererseits räumt er dem „Wunder“ eine gewisse Wirkungsmacht ein. Nicht dem Vertrauen auf Wunder; Weizenbaum denkt dabei eher an eine Art Schmetterlingseffekt der minimalen Gesten, die der Einzelne zu setzen in der Lage ist – illustriert durch das (freilich überdeutliche) Beispiel Rosa Parks, jener schwarzen Arbeiterin, die sich, der Legende nach, todmüde von der Arbeit, im Bus auf einen nur Weißen vorbehaltenen Platz setzte und sich da nicht vertreiben ließ. Damit gab sie 1955 den entscheidenden Anstoß zur Bürgerrechtsbewegung. Schön auch Weizenbaums Verdikt über die so genannte
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Unnötig zu sagen, dass die Bedeutung von „Bewegung“ in dem Sloterdijk-Zitat nicht der im Projekt ALLtag engagierten entspricht? Die Doppeldeutigkeit hat jedenfalls ihren eigenen Reiz ...
3 „Wir bewältigen unseren Alltag fast ohne das geringste Verständnis der Welt.“ (Carl Sagan)
Der Begriff „Welt“ wird zwar auch als Synonym für den Planeten Erde gebraucht, vor allem aber bezieht er sich auf das der Naturwissenschaft bekannte Universum. Alltag – hier bereits mehrmals erwähnt, ohne eine genauere Vorstellung davon mitgeliefert zu haben –, Alltag steht gleichsam in Opposition zu dem mit „Welt“ assoziierten Bild. Zu seiner Charakteristik zählen Wiederholung, Musterbildung, Überschaubarkeit der Abläufe, zyklische Routinen im Zusammenhang mit sozial und physisch erforderlichen Verrichtungen und Handlungen für Lebensunterhalt, Hygiene, Erholung, Unterhaltung etc.; Rhythmen der Nahrungsaufnahme; Gebrauch und Handhabung der bis zur Bedeutungslosigkeit selbstverständlichen Dinge – des Essbestecks, des Hammers oder einer Schere nicht weniger als die des Mobiltelefons und zuletzt des Begriffes Alltag selbst. Was sich vorgeblich, durch Häufigkeit und Regelmäßigkeit ‚begründet‘, von selbst versteht, ähnelt dabei unwillkürlichen Lebensfunktionen wie dem Atmen; es ist nicht geplant, darauf Aufmerksamkeit zu verwenden. Mehr noch: das Selbstverständliche bezieht Wirkung und Bestand als grundlegendes Prinzip daraus, dass es keine Aufmerksamkeit erregt, da das Alltägliche – gedreht und gewendet – sonst seine Alltäglichkeit verlieren und vielleicht fremde, überraschende fragwürdige Seiten offenbaren würde. Alltag ist aber auch Inbegriff der Hegemonie jener Bedingungen über ein Leben, das sich – versuchsweise – geistig und nachdenklich regt, und unter denen schier alles grob unter Kultur Subsumierte grosso modo als außer Kraft gesetzt gilt, die Berufung darauf als eine Leitbedingung selbstbestimmten Lebens der Naivität und Weltfremdheit geziehen und als eine spätjuvenile Spottgeburt belächelt wird; Inbegriff für Bedingungen, unter denen fast nichts oder nur mehr im außerordentlichen Rahmen von Events und im weitesten Sinn Kunsträumen – in Galerien, Volkshochschulen, den heutigen Foren der Disputationes – gilt, was
Ohnmacht der Einzelnen als eine der vielleicht gefährlichsten Illusionen, weil sie sich erfüllen könne. (Ebd)
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einmal gelernt wurde, worüber Prüfungen abgelegt wurden, was man gelesen hat – Dichtung, (Bildende) Kunst, Philosophie, Ethik, Wissenschaft, Psychologie etc.. Darin liegt wohl auch der eigentliche klassische Konflikt der Kunst mit der Gesellschaft (des Alltags) begründet – dass sich Kunst den ihren Begriffen und damit auch ihrer Ontologie geltenden hegemonialen Gesten prinzipiell, d. h. aus ontologischen Gründen entzieht: Verstanden als ein Prinzip der Prozessierung ihrer selbst im Diskurs ihrer Hervorbringungen, hebt sich Kunst von den meisten solcher kulturellen Entitäten, sei’s Dichtung, sei’s Wissenschaft, durch die Entwicklung einer Gegenkraft zur Kraft der Annullierung geistig-kultureller Dispositive ab. Nicht, indem sie diesbezüglichen programmatischen Konzepten folgt, sondern infolge einer ihrer wesentlichsten Lebensäußerungen. Angelegt in dem Kantschen Theorem vom „uninteressierten Wohlgefallen“, der „Zweckmäßigkeit ohne Zweck“9, begründet sich darin zuletzt nicht die Autonomie, sondern eigentlich die moderne Widerständigkeit der Kunst. In der steten Mitverhandlung des ontologischen Prinzips ihrer ‚Autarkie‘ (ohne die selbst sozial-gesellschaftspolitisch organisierte Werke als Kunst kaum denkbar wären10) realisiert sich ein implizites Engagement für die Akzeptanz und, in weiterer Folge, die kulturelle Inkorporation des Selbstwerts von epistemischem Engagement und Erkenntnis – eine notwendige Voraussetzung dafür, dass die Wahrnehmung von Erkenntnis nicht der Selektion durch übergeordnete Zwecke unterliegt (indem etwa Erkenntnisse zum Klimawandel nur zum Zweck der Berechnung von Versicherungsprämien Gehör finden). In diesem ‚impliziten Engagement der Kunst‘ sehe ich ein Potenzial, das es durch Kunst+Wissenschaft-Kooperationen in einem gemeinsamen Interesse zu entwickeln lohnte. Als unser aller Tage, unser aller tagtägliches Leben, steht Alltag aber natürlich auch dafür, was alle angeht, für Bedingungen, Herausforderungen, Verpflichtungen, Bedürfnisse …, die zumindest all jene miteinander teilen, die nicht als die Ausnahme diese mehrheitliche Regel bestätigen, und ist in einem erweiterten, auf die Verbindlichkeiten einer Mehrheit bezogenen Sinn auch mit öffentlichem Interesse verwandt. Assoziiert mit einem tieferen Verständnis von Öffentlichem Raum oder einem, das der Wendung Öffentlicher Raum als dem Interesse des Öffentlichen erst Tiefe und Raum gibt, war diese Lesart besonders für ein Projekt wie ALLtag bedeutsam. Nicht allein in Bezug auf die Entscheidung für eine freie Zugänglichkeit und, mehr noch, eine Platzierung nach Möglichkeit dort, wo es einem im alltäglich zurückgelegten Wege steht, sondern auch im Bezug darauf, was es, wenn es im Wege steht, apostrophiert – nämlich immer auch
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Kritik der Urteilskraft, 2. Aufl., Frankfurt/M. 1996 S. 136
10 … weil eben nur denkbar als sozial-gesellschafts-politisch organisierte Aktivität
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den Widerspruch zur mehrheitlich gelebten Annahme, dass ein Weg seine Bedeutung aus A und B, zwischen denen er führt, beziehe und dieser dienstbar sei – Negation des Öffentlichen Raumes und der damit denkbaren Emanationen zugunsten der Ziele, die seine Durchquerung erfordern. Als eine Kunst des Öffentlichen (Babias/Könnecke) oder im Interesse des Öffentlichen verstanden, stellt sich einem Kunst unabhängig von individuellen Intentionen mit dem Anspruch in den Weg, Raum als etwas zu apostrophieren, das über die bloße Nutzung hinaus bei Interesse (gar nicht so sehr an dem Kunstwerk, vielmehr daran, was es mit dem Raum auf sich hat, in dem es erscheint) erst entsteht und nur bei aktivem und tätigem Interesse Bestand hat. Alltag sei, was alle angeht. Das sagt sich so leicht. Dabei ist es noch längst keine ausgemachte Sache, worum es sich dabei handelt. So geht auch alle an, dass es keine ausgemachte Sache ist und warum so getan wird, als wäre es der Fall. Es besteht eine stille Übereinkunft darin, dass es belanglos sei, wenn die Rede ptolemäisch von der auf- und untergehenden Sonne ist. Zweifellos würde die angenommene Belanglosigkeit jedoch relativiert von dem anzunehmenden – im geringsten Fall inneren – Widerstand gegen eine hypothetische Aufforderung, dieser Phrase zugunsten einer Formulierung abzuschwören, die der Wirklichkeit entspricht. (Darin zeigt sich übrigens ein Unterschied zwischen (Natur-)Wissenschaft und Kunst – und eventuell ein Kooperationsfeld – : diese bezeugt und beschreibt die Wirklichkeit, jene bezieht den Widerstand gegen die Beschreibungen der Wirklichkeit in ihre Wirklichkeitsbeschreibung ein.) In einem gewissen Sinn nimmt Alltäglichkeit die Form von Gewohnheit als mentale Hegemonie über die Dinge an; Vertrautes härtet zum gefühlten Besitz mit Eigentumscharakter aus, der dann arg strapaziert wird, wenn sich etwa die ‚Verfügungsgewalt‘ über gefestigte Annahmen durch die Kompetenz (oder Anmaßung) verlagert, über Sinn und Unsinn, schlimmer noch, über Richtig und Falsch der Dinge zu entscheiden, die man bis dahin im Griff zu haben glaubte. Der Öffentliche Raum 11 ist gleichsam die Versuchsanlage zur Beobachtung dieser hegemonialen Gesten. Als einer der Räume des Öffentlichen wäre er darüber hinaus auch Modell und Experimentierfeld für die Utopie eines Umdenkens und der Umdeutung der Dinge aus einer Warte, die die naturwissenschaftlichen Sicht, ein ‚Weltbild‘, als ein Korrektiv auch für lebensweltliche Konzepte berücksichtigt. Bei einem Projekt, das ein gemeinsames Interesse von Astronomie und Kunst auf eine Art und Weise formalisieren sollte, die eine Verbindung zwischen dem All und dem irdischen Alltäglichen anspricht, war es denn auch wichtig, was immer das Ergebnis
11 ... der Verifizierung bzw. Falsifizierung, um im Jargon zu bleiben ...
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sein würde, dieses in den Alltag und damit zuallererst in den so genannten Öffentlichen Raum zu implementieren. Zuletzt (und von Beginn an intendiert) handelte es sich bei dem Ergebnis natürlich nicht um formalisiertes Wissen, sondern um einen in der Beziehung zum Umraum, im Verhalten und in der Erfahrung der Installation animierten Verweis auf ein ‚Weltbild‘ – womit weniger eine aktuelle Kosmologie gemeint war, vielmehr die Folge einer simplen heliozentrischen Sicht der Dinge; etwas – um noch einmal Peter Sloterdijk und seine Schrift „Kopernikanische Mobilmachung und ptolemäische Abrüstung“ zu bemühen –, von dem als Kopernikanischer Schock die Rede ist, durch den uns demonstriert werde, dass wir die Welt nicht sehen, wie sie ist, sondern dass wir ihre „Wirklichkeit“ gegen den Eindruck der Sinne denkend vorstellen müssen, um zu „begreifen“, was mit ihr der Fall ist. (Sloterdijk 1987: 57) Arnold Hanslmeier nennt in der Liste seiner Forschungsschwerpunkte und -interessen die Vermittlung der „Faszination des Universums in eine breite Öffentlichkeit“ als weitere Intention12 und begründet sie mit der „Hoffnung, dass dadurch wieder verstärkt das Verständnis für die Bedeutung der Naturwissenschaften wächst“. Im Idealfall wäre die Erkenntnisfunktion zweifellos Antwort genug auf die Frage, was es denn mit dieser Bedeutung auf sich habe. In der Realität aber und im und für den Alltag? Diese Frage habe ich mir vorläufig mit der Funktion eines Korrektivs der gängigen Täuschungen beantwortet.
4 „Wow!“ (Jerry R. Ehman)
Schwer vorzustellen, dass je ein geistiger Schock, eine Erkenntnis, und sei sie auch noch so auf das allgemeine Dasein bezogen wie diese, Wirklichkeit gegen den Anschein denkend vorzustellen, das Potenzial zur Verwandlung in Alltag haben wird. Ihn partiell zu infizieren, ja, aber dergestalt intersubjektiv verbindlich zu werden, dass die Einsicht in die relationale Bedeutung des Sachverhalts gegenüber einem Bezugsrahmen wie dem des gelebten Lebens, diesen selbst erfasst und erschüttert, gegen eine solche Annahme spricht jede heute mehr denn je dem Primat des Ökonomischen geschuldete Alltagserfahrung. Aber in gewisser Hinsicht treibt genau diese Hoffnung auf Infektion eine Kunst um, die abseits kunstbetrieblicher Bewegungen sich organisiert.
12 http://www.uni-graz.at/~hanslm/ [Abrufdatum 26.3.2013].
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Wie guter Hoffnung auch immer! Dafür spricht immerhin die Beständigkeit der Idee von der strukturellen Qualifizierung der Menschen durch Erkenntnis, der Menschenbildung (durch Bildung), wie es Humboldt als Ideal formuliert hat. Parallel zu aller „Kapitalisierung des Geistes“, zur „Kommerzialisierung der Wissenschaft“, abseits also der Anschauung, dass beispielsweise die Attraktivität des Erlernens einer Sprache sich als ein Vorteil in touristischen Geschäftsbeziehungen begründe, geht es immer auch noch um eine Einübung in ein kritisches, für Vereinfachung und Dunkelmännertum unempfängliches Denken durch die „Erweiterung der Horizonts“, wie es etwa auch den angewandten Fremdsprachen 13 nachgesagt wird. Bezogen auf die Fähigkeit, Effekte eines partikularen Umstandes auf davon nicht kausal und unmittelbar Betroffenes zu erkennen, eine Differenz ... eignet wissenschaftlichem Erkenntniswillen (curiosity driven research) stets eine lebensweltliche Erlebnis-Qualität. Schon der Begriff Erkenntnis signalisiert eine Art der Einsicht in einen Gegenstand, die über das bloße Kennen hinaus etwa auch das lustvolle Begreifen von Wirkungszusammenhängen betrifft. Erkenntnis steht mithin nicht nur für die epistemologischen Modi des Entstehens von Wis14 sen, sondern wohl auch für die dabei freigesetzte Erlebniskraft, das Wow! der staunenden Begeisterung über Wissen genauso wie über eine gute Idee, einen unverhofft offenbarten Zusammenhang; sie steht zu guter Letzt für eine Qualifizierung, nicht nur Quantifizierung dessen, was der Fall ist. Selbst wenn also die Schwerkraft als Einflussgröße auf das Verstreichen der Zeit erst nach 3 Millionen Jahren zu einem geringfügigen Alterungsunterschied zwischen den Bewohnern der untersten und obersten Etage eines veritablen Hochhauses führen würde, so ändert das nichts an der erweiterten Vorstellung des Verhältnisses von oben und unten (auf dem Planeten). Meine Vermutung, dass epistemischen Erweiterungen der Weltsicht das Potenzial eigne, ein anderes Verhalten zu initiieren, beruft sich auf ein Prinzip der Anschauung, das etwa auch in einem Naturpark wirksam wird, wenn man sich darin anders – vielleicht umsichtiger, achtsamer – verhält als in einem landschaftlich, in Fauna und Flora durchaus vergleichbaren Gebiet, das sich aber nicht durch einen besonderen Begriff auszeichnet, den man sich davon zu machen angehalten ist. Und so mag auch der Umstand, dass die Welt sich dreht (oder dass Licht sich bewegt) zweifellos eher
13 http://derstandard.at/1338558552134/US-Wissenschaftler-Denken-in-einerFremdsprache-beeinflusst-Entscheidungen [Abrufdatum 26.03.2013]. 14 Wow! notierte der Astrophysiker Jerry R. Ehman zum Intensitätsprofil eines 1977 aus einer Region im Sternbild Schütze empfangenen Radiosignals, das sich überdeutlich vom Hintergrundrauschen abhob.
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unerheblich im lebensweltlichen Wertekanon sein, aber der Erkenntnis, dass es die Drehung der Welt (um sich selbst) ist, auf die sich z. B. die scheinbare Drehung des Himmels zurückführt, eignet diese Relevanz durchaus. Denn daraus folgt eine Vorstellung von der Welt von außerhalb der Welt aus, und dazu gehören Einbildungskraft und Einfühlungsvermögen ebenso wie Rezeptionsfähigkeit, kritisches Denken, Neugier, Fantasie, Staunen, Begeisterung – Tugenden und Eigenschaften, Aspekte einer gesellschaftlichen Verantwortung, die beispielsweise Michael Hagner einmahnt, wenn er meint, dass „eine Gesellschaft, in der die Bildungseinrichtungen (nicht nur die Universitäten) bestimmte Sichtweisen auf die Welt nicht mehr vermitteln, begründen und durch immer neue Beispiele theoretisch, empirisch, historisch oder kulturvergleichend bereichern, (...) ihren demokratischen Charakter aufs Spiel“ (Hagner 2012: 36) setze. In der Kunst, denke ich, geht es um Ähnliches – auf gewisse Weise um Beiträge zur gesellschaftlichen Charakterbildung. Allerdings läuft sich die Intention, ‚Wissenschaft‘ durch oder als Kunst in der Sphäre des Demos zu platzieren, nicht auf ein Bildungsanliegen hinaus, sondern wenn schon in einem pädagogischen Kontext erklärt, dann auf die Kontaminierung einer Vorstellung von Welt und Wirklichkeit mit ihrer intrinsischen Qualität, in deren Folge (u. a.) auch Bildung als unabhängig von markt- und wettbewerbsfähigen Verwertungskategorien als bedeutsam einleuchten würde. Abseits der Auslegung und Nutzung als Ressource und Bühne zur Durchsetzung kommerzieller Interessen, wären Welt und Wirklichkeit um ihrer selbst willen genug, dass, wollte man auch ein bisschen Urlaub zwischendurch, selbst viele Leben nicht erschöpfend in ihrem Zeichen zu verbringen wären. Diese Kunst wäre einer der Viren, an dem der Alltag sich mit der Triebkraft und der Lust ansteckt, sich „einen Begriff zu machen“, davon zumal, was aus dem Augenscheinlichen nicht als der Fall hervorgeht, und Zusammenhänge und den Eigenwert von Entdeckungen zu entdecken. Schon dafür dürfte Kunst nicht nur nicht Applikation sein, sondern alltäglich, dem verwandt, sich dem Öffentlichen, was alle angeht, anverwandelnd. Nicht, dass ‚die Öffentlichkeit‘ sie zu interessieren hätte, zumindest nicht mehr als jeder Stoff der Allgemeinbildung, aber auch nicht weniger.
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5 „Judenburg: 316,13 m/s, Graz: 316,73 m/s, Bairisch Kölldorf: 317,92 m/s. Bairisch Kölldorf hat also die Nase vorne.“ (Arnold Hanslmeier in einer E-mail an Werner Jauk und Heimo Ranzenbacher)
Was als Kunst kunstrelevant in Erscheinung tritt, bezieht seine Relevanz nicht zuletzt aus der Eignung, das Unternehmen selbst, dem es entspringt, als fragwürdig mitzuverhandeln. Darin beschreibt sich wohl ihre eigentliche Kultur: In der Befragung und Infragestellung ihres Selbstverständnisses. Aus dem Instabilitätscharakter der Begriffe, Bedeutungen und Deutungen von Kunst folgt die Unerlässlichkeit einer permanenten, aus ihr selbst heraus erfolgenden Aktualisierung. Bei der Positionierung der Kunst in der Kultur ihrer Gesellschaft geht es m. E. also in erster Linie um die strukturelle und ideelle Inklusion dieser Seinsweise in den Alltag, weniger um die Akzeptanz der daraus hervorgehenden Werke; diese dahingehend zu instrumentalisieren hieße, das Pferd von hinten aufzuzäumen. Die Akzeptanz der Werke fände in einer solchen Veralltäglichung eine ihrer Voraussetzungen, die der Wertschätzung epistemologischen Engagements wahrscheinlich ebenso. Strukturelle und ideelle Inklusion ist ein Bestreben, das die Kunst insofern mit der Wissenschaft teilt, als es in deren Diskursen etwa um die Bedeutung der Grundlagenforschung nicht nur als Vorbedingung für die öffentlichen Fördermittel und Förderpolitik essentiell ist, sondern auch für den Widerhall und das Gehör in der Kultur, in der sie ihre Stimme erhebt und ihre Ergebnisse veröffentlicht. Gewöhnlich läuft sich die Argumentation, dass Wissenschaft, wenn öffentlich gefördert, eine wirtschaftliche und gesellschaftliche Bringschuld zu erfüllen habe, selbst in Bezug auf die Gesellschaft auf einen (als fraglos angenommenen) volkswirtschaftlichen Nutzen hinaus; der Ertrag zum Beispiel bezüglich der Gesellschaft konstituierenden Spielarten der „gegenseitigen Bejahung“ der sozialen Akteure (Ferdinand Tönnies) ist nicht Gegenstand solcher Debatten, wenn sie in aller Öffentlichkeit geführt werden. Wenn sie denn in aller Öffentlichkeit geführt werden. In der Regel erscheinen sie da allenfalls als Marginalie der veröffentlichten Aufmerksamkeit. Kunst hingegen realisiert sich stets zu einem Gutteil in den und im Hinblick auf die Augen der Anderen – ein Referenzsystem, das seine Rolle als wissenschaftliche Fiktion, etwa als konstruktive Annahme zur Entwicklung ästhetischer Organisationsformen und als (politische) Realität (über die Fiktionen entwickelt werden) gleichermaßen spielt. Das Öffentliche erscheint darin stets als eine Vo-
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raussetzung für die konstituierenden Prinzipien einer Gesellschaft, als deren Kultur, nie15 als eine durch Mehrheit definierte Interessenlage. Diese ist gegebenenfalls Gegenstand künstlerischen Engagements. Auf dem (fiktiven) Kontinuum zwischen Kunst und Wissenschaft ist das Öffentliche, in dem Kunst sich prinzipiell organisiert, das Interesse, das Kunst und Wissenschaft miteinander teilen. Die Kultur der Wissenschaft als einen gesellschaftlichen Wert in der Kultur der Gesellschaft zu verankern, zu ‚veranlagen‘, geriert sich als ein implizites Anliegen der Kunst. In diesem Interesse gemeinsam zu operieren, ein gemeinsames Projekt zu entwickeln und gemeinsame Projekte performativ zu betreiben, würde nicht mehr bedeuten, Erweiterung in die jeweils andere Disziplin hinein zu bezwecken, sondern es ginge um eine Erweiterung durch gemeinsames Handeln aus den jeweiligen Disziplinen heraus – um einen Dritten Weg. Nicht nur unter dem Gesichtspunkt des Ideals eines beiderseitigen Erkenntniserwerbes dürfte diese Gemeinsamkeit von Kunst und Wissenschaft der Entwicklung kooperativer Strategien eine bessere Basis bieten als die mutwillige Überwindung der ontologischen Differenz im Tun. Das Potenzial fände vermutlich selbst im Fall von Kooperationen der primär technischen Art seinen Ausdruck, da das technische Ergebnis nur ein strategisch zu berücksichtigender Aspekt unter anderen, nur eine einzelne Größe im ‚Forschungsdesign‘ wäre. Denn mehr als um ein finales Produkt wäre es um die Prozessierung dessen zu tun, was die kulturellen, epistemischen, gesellschaftlichen Parameter der Produktion als eine lebensweltliche Verbindlichkeit ausweist. Veralltäglichung (Trivialisierung) verstanden als der Prozess, diese Qualitäten den Gesetzen, Bedingungen des Alltags, nach denen sich allgemein das tägliche Leben bis zum Ableben richtet, gleichwertig einzuschreiben, nicht nur allbekannt, zu einem Wissensgut, zu Allgemeinwissen zu machen, sondern zu einer Selbstverständlichkeit in der Quasiaxiomatik der Riten, Verpflichtungen und Aufgaben des Alltags, gemäß der die Schulpflicht ebenso niemand in Zweifel zieht wie die Verrichtung von Erwerbsarbeit oder die Durchführung von Begräbnissen. Nicht in Form von Belehrung, sondern – im besten Fall – durch Verwirklichung, das diskrete Einbinden in ein Wirkungsgefüge. (Ich denke, mit dieser Art Aufklärung, aufklärenden Enttäuschung im Kontext innovativer Welterfahrung könnte auch Werner Jauk, der das Wort „Aufklärung“ nicht ohne „Dialektik“ in den Mund nimmt, seinen Frieden machen.) Das Projekt ALLtag, das als ein Prototyp per definitionem der Verfeinerung bedarf, gibt dafür insofern ein Beispiel ab, als ja nicht das Wissen um das Bewegungsverhalten kosmischer Objekte vermittelt, sondern versucht
15 Bzw. nur im Fall der fälschlichen Gleichschaltung
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wurde, eine Möglichkeit der sinnlichen Konfrontation mit einer ‚innovativen Weltsicht‘ zu initiieren. Ich rekurriere mit dieser Bezeichnung16 auf die von Klaus Heid und Ruediger John mit „Vermittlung und Aneignung von innovativer Welterfahrung“ (Heid/John 2003) vorgeschlagene Ausrichtung von Kunst, die einen Weg in Richtung dieses Dritten Weges der Trivialisierung weisen und illustrieren könnte. Die Autoren haben dabei vor allem die „unterschiedlichen interventionistischen Strategien“ vor Augen, vermittels derer „Künstlerinnen und Künstler ihren Aktionsraum erweitern. Sie fühlen sich nicht länger einem objektzentrierten Kunstmarkt verpflichtet, sondern finden und erfinden operative, prozesshafte Formen in der Zusammenarbeit mit Partnern in allen gesellschaftlichen Bereichen. Neben der strategischen Handlungsoption nimmt dabei die Erforschung und Reflexion systemischer Verhältnisse einen wichtigen Platz ein.“ (Heid/John 2003) Heid und John sprechen in diesem Zusammenhang von Transferkunst, „wenn künstlerisch-ästhetische Strategien die kritische, differenzierende Vermittlung lebenspraktischer Bedürfnisse an Wissenschaft, Politik und Wirtschaft zum Ziel haben – sowie umgekehrt die Kommunikation und Integration von Erkenntnissen und Erfahrungen dieser Subsysteme in der Gesellschaft.“ Was mir weniger behagt, ist der Rekurs auf den „Wissens- und Know-how-Transfer“, in dem die Autoren der Kunst eine „entscheidende Rolle“ als Medium zusprechen. Das Unbehagen bezieht sich auch da auf Implikationen der Art, dass ein übergeordneter Bezugsrahmen, unter den sich Kunst zugunsten der Vermittlungsfunktion duckt, zuletzt mit einer Verflachung dessen einhergeht, was zur Vermittlung ansteht. Ein Problem allerdings, das unter Problemen zu verbuchen wäre, die auf einem gemeinsamen Weg aus den Disziplinen heraus, bei der Herausbildung eines gemeinsamen, hybriden Zweiges von Kunst und Wissenschaft zu berücksichtigen wären und gerade dadurch innovative Lösungen erwarten ließe. Über die Beschaffenheit eines solchen Weges weiter zu spekulieren, wäre bereits eine Angelegenheit gemeinsamen Überlegens und Experimentierens. Vorläufig begnüge ich mich mit der Nominierung von Voraussetzungen oder nötigen Parallelentwicklungen. Bezogen auf Wissenschaft vermute ich – grob – den Bedarf an Konzepten zur gesellschaftlichen Inklusion einer Erlebniskultur der staunenden Erkenntnis (Wow!).
16 ... für die unter Kopernikanischem Schock subsumierte Herausforderung, sich gegen den Anschein denkend Vorstellungen und Begriffe von der Welt und auch davon, worum sie sich im übertragenen Sinn dreht, machen zu müssen ... (zum Beispiel um Alltag und was es damit auf sich hat.)
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Weitgehend sicher bin ich mir über die auf Seiten der Kunst bestehende Notwendigkeit einer Verwissenschaftlichung ihrer Kultur, beginnend damit, dass sie angehalten ist, ihre Agenden als erstrangige Verwerterin und Verwalterin wahrzunehmen und nicht länger Zweiten zu überlassen. Konkret betrifft das den Mangel sowohl an der Kultur als auch an der gesellschaftlichen Praxis der Darlegung und Dokumentation von Absicht und Verlauf künstlerischer Projekte als Teil des Erkenntnisprozesses der Kunst. Dieses – nicht zuletzt auch für die KünstlerInnen sozialökonomisch relevante Feld – wird überwiegend von PädagogInnen, PublizistInnen und JournalistInnen besetzt (infolge Letzterer mit automatischer Adaption der Inhalte an die Formate den Medien). Während die Wissenschaften Versuche und deren Auswertung als Teile der Einheit eines Forschungsdesigns begreifen, mit dem selbst der kollegiale Austausch darüber noch qualitativ in Verbindung steht, ist die Rolle des Künstlers in Bezug auf Erscheinen und Rezeption, Be- und Auswertung als Teilmengen eines öffentlich formalisierten Prozesses primär auf das Erscheinen der Werke spezialisiert. Quasi eine Form der durch Tradition besiegelten Entmündigung. Ich unterstelle: solange die Bestrebungen einer Integration der Kunst in die Gesellschaft bestenfalls mit der Implementierung von Kunstwerken in den so genannten Öffentlichen Raum enden, solange die Sekundärprozesse der ästhetischen Erkenntnis, das Reden und Denken über Kunst im Alltag zu kunstfremden Berufsbildern gehören, kurz, solange eine Angleichung in den Grundzügen der epistemologischen Kultur aussteht, werden transdisziplinäre Unternehmen noch der geringsten ihrer Ambitionen zuwider verlaufen. Mangelnder Erkenntnisgewinn will mir aber als noch eine der geringsten Sorgen erscheinen, welche die Künstlerschaft animieren könnte, eine dahingehende Bewegung aufzunehmen.
L ITERATUR Hanslmeier, A., Jauk, W. & Ranzenbacher, H. (2011). ALLtag. In: Leopoldseder, H., Schöpf, C. & Stocke, G. (Hg.). Ars Electronica 2011 – Origin, wie alles beginnt. Ostfildern: Hatje Cantz. S. 172–173 Kant, I. (1996). Kritik der Urteilskraft, hg. von Weischedel, W., 2. Aufl., Frankfurt a. Main: Suhrkamp. Hagner, M. (2012). Wissenschaft und Demokratie. Berlin: Suhrkamp Sloterdijk, P. (1987). Kopernikanische Mobilmachung und ptolemäische Abrüstung (= edition suhrkamp, Band 375). Frankfurt a. Main: Suhrkamp. Weizenbaum, J (1987). Kurs auf den Eisberg oder nur das Wunder wird uns retten, sagt der Computerexperte. München/Zürich: Piper.
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Internetquellen Denken in einer Fremdsprache beeinflusst Entscheidungen, Der Standard, 4.6.2012. http://derstandard.at/1338558552134/US-Wissenschaftler-Denkenin-einer-Fremdsprache-beeinflusst-Entscheidungen [Abrufdatum: 26.3.2013] Heid, K. & John, R. (2003). Was ist Transferkunst? – ein Terminus für transdisziplinäres, künstlerisches Arbeiten. JUNI kunst zeit schrift 8. siehe auch http://www.transferkunst.de/transferkunst.html [Abrufdatum 9.5.2013]
Anhang
AutorInnen
Sam Auinger Sonic Thinker, Komponist und Sound Artist, geboren in Linz. Er lebt und arbeitet in Linz und Berlin. Seit den frühen 80ern beschäftigte er sich intensiv mit Fragen der Komposition, der Computermusik, des Sounddesigns und der Psychoakustik. Gemeinsam mit Bruce Odland gründete er 1989 O+A. Das zentrale Thema ist hearing perspective (www.o-a.info). Neben seiner künstlerischen Tätigkeit hält er Vorträge und leitet Workshops zum Thema Klang und Architektur. In den Jahren von 2008 bis 2012 war er Professor an der UdK Berlin und leitete den Fachbereich Experimentelle Klanggestaltung im Masterstudiengang Sound Studies. www.samauinger.de Susanne Binas-Preisendörfer Prof. Dr. phil., geb. 1964 in Berlin, lehrt und forscht seit 2005 als Professorin für Musik und Medien an der Universität Oldenburg mit den Schwerpunkten Theorie und Geschichte mediatisierter Musik- bzw. Kulturformen, Musik und Globalisierung, Transkulturalität, Musik- und Kreativwirtschaft, Jugendkulturen und populäre Musik sowie Kultur- und Kunstpolitik. Sie studierte 1982 bis 1987 Musik- und Kulturwissenschaft an der Berliner Humboldt-Universität und promovierte 1991 bei Prof. Dr. Peter Wicke. Sie war aktive Musikerin im Ost-Berliner off-ground (der expander des fortschritts), initiierte in den 1990er Jahren Kultur- und Kunst Projekte in Berlin (u. a. singuhr-hoergalerie, Club-Commission), arbeitete als Autorin, Dozentin (VWHabilitationsprogramm, Philip-Morris-Kunstförderung, L4 – Institut für digitale Kommunikation), Geschäftsführerin (Berliner Kulturveranstaltungs-GmbH) und kulturpolitische Beraterin (u. a. Sachverständige der Enquete-Kommission ‚Kultur in Deutschland‘ des Deutschen Bundestages 2003 – 2007). Susanne Binas ist ehrenamtlich tätig: u. a. im Beirat der Bundesakademie für kulturelle Bildung
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Wolfenbüttel, music media park Berlin und im Kuratorium des Institutes für Kulturpolitik Bonn. Seit Juni 2012 ist sie Präsidentin des deutschsprachigen Zweiges der IASPM –International Association for the Study of Popular Music. http://www.musik.uni-oldenburg.de/medien/23395.html Bernd Enders Prof. Dr. phil. habil. Bernd Enders, geb. 1947, studierte an der Staatl. Musikhochschule Köln und Universität zu Köln und promovierte 1980 an der Universität zu Köln in Musikwissenschaft, Philosophie sowie Pädagogik. Im Schuldienst war er als Studienrat tätig. Seit 1981 ist er als Dozent (ARat, AOR, Apl. Prof.) im Fachgebiet Musik/ Musikwissenschaft an der Universität Osnabrück tätig wo er sich 1986 habilitierte. Von 1992 bis 1994 war er Professor im Musikwissenschaftlichen Institut der Universität zu Köln („Musik im 20. Jahrhundert“), seit 1994 ist er Professor für Systematische Musikwissenschaft an der Universität Osnabrück mit den Schwerpunkten Musiktechnologie, Multimedia, Musikalische Informatik und eLearning. Seit 2012 ist er Direktor des Instituts für Musikwissenschaft und Musikpädagogik an der Universität Osnabrück Bernd Enders ist Initiator und geschäftsführender Leiter der 1997 gegründeten Forschungsstelle Musik- und Medientechnologie an der Universität Osnabrück sowie Gründer und Mitherausgeber des musikwissenschaftlichen onlineVerlags epOs-Music. 2009 war er Gastprofessur am musikwissenschaftlichen Institut der KarlFranzens-Universität Graz. http://www.bernd-enders.de Beate Flath Dr.in phil., studierte Musikwissenschaft, Kunstgeschichte und Betriebswirtschaftslehre an der Karl-Franzens-Universität Graz. Sie promovierte 2009 mit einer durch ein Forschungsstipendium der Geisteswissenschaftlichen Fakultät der Karl-Franzens-Universtiät Graz unterstützen Arbeit zum Thema „Sound und Image. Eine experimentelle Untersuchung zum Einfluss von Klangqualitäten auf die Wahrnehmung eines Produktimages im Kontext von Fernsehwerbung“. 2009 bis 2013 war sie Universitätsassistentin in Forschung und Lehre am Institut für Musikwissenschaft der Karl-Franzens-Universität Graz im Arbeitsbereich pop/musik+medien/kunst. Ihre Forschungsschwerpunkte sind Sound/Musik an der Schnittstelle von Massenmedien, ökonomischen Strukturen und Ästhetik. www.beateflath.net
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Horst Hörtner Horst Hörtner is a media artist and researcher. He is an expert in the design of human Computer Interaction and holds several patents in this field. Hörtner is founding member of the Ars Electronica Futurelab in 1996 and since directing this atelier/laboratory. He started to work in the field of media art in the 1980’s and co-founded the media art group x-space in Graz/Austria in 1990. Horst Hörtner is working in the nexus of art & science and giving lectures and talks at numerous international conferences and universities. Rupert Huber geboren 1967, lebt in Wien als freischaffender Komponist. Durch Einbeziehung des Raumes und der elektronischen bzw. psychologischen Projektion eines musikalischen bzw. klanglichen Inhalts in die Komposition hat Rupert Huber dimensional music als musikalisches Format entwickelt, das seinen Werken zugrunde liegt. Werke dieses Formats wurden beispielsweise von den Wiener Festwochen, dem Centre Pompidou und der Ars Electronica in Auftrag gegeben. Das 1994 gegründete Duo Tosca – Richard Dorfmeister und Rupert Huber – hat in den 16 Jahren seines Bestehens 6 CD-Alben und 8 Remix-Alben veröffentlicht. Tosca erhielt im Jahre 2001 den Austrian Music Award Amadeus als beste Pop/Rockgruppe. Die synergetische Zusammenarbeit mit Bildenden Künstlern (Gabriel Orozco, Robert Adrian x) ist ein Interesse Rupert Hubers. Klaviermusik und KlangInstallationen im öffentlichen Raum sind Hauptinteressensgebiete Hubers. Radiomusik ist eine Konstante in seinem Schaffen. Rupert Huber war 1997 Gast des Berliner Künstlerprogrammes des DAAD, 2010 Nominee for the World Technology Award, New York City. Er war 2007 und 2009 Mitglied der Jury des Prix Ars Electronica und 2009/2010 des Österreichischen Musikfonds. Erich Raab Univ.-Prof. i. R. Dr., geboren 1940, studierte Psychologie, Kunstgeschichte und Statistik an der Universität Wien. Er leitete die Abteilung für Angewandte Psychologie und Methodik (bis 1994) an der Karl-Franzens-Universität Graz und war von 1992 bis zu seinem Ruhestand 1994 Vorstand des Instituts für Psychologie der Karl-Franzens-Universität Graz; Erich Raab war als Gastprofessor und Lehrbeauftragter an österreichischen und deutschen Universitäten tätig. Es liegen zahlreiche Publikationen, auch Bücher, in den Gebieten experimentelle Ästhetik, subjektive Wahrscheinlichkeiten, nichtexperimentelle Methodik in der Psychologie, Informationstheorie und deren Anwendungen, Gesundheitspsychologie u. v. a. vor.
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Heimo Ranzenbacher geboren 1958, lebt als freier Autor und Künstler in Graz. Von Heimo Ranzenbacher liegen diverse Veröffentlichungen in Büchern, Katalogen und Fachzeitschriften bzw. Herausgaben (zuletzt 2007 Liquid Music) vor; er ist mit reger Vortragstätigkeit bei zahlreichen Symposien vertreten. 1996 bis 2009 war er Redakteur der Buchproduktionen der Ars Electronica, Linz; seit 1998 leitet er das Projekt Liquid Music – Judenburg. Er ist in Organisation und Durchführung diverser Kunstprojekte tätig, darunter: Vor dem Anbruch der Stadt, steirischer herbst, Graz 2006; Ausstellungsdesign und Installation 40 Jahre musikprotokoll, graz – steirischer herbst 2007 (mit Fränk Zimmer); JUniverse, Permanent-Installation im Planetarium Judenburg, 2008; Berge versetzen (mit Werner Jauk), Ars Electronica, Linz 2009; ALLtag, (mit Arnold Hanslmeier und Werner Jauk), Ars Electronica, Linz 2011; Liquid Music, Judenburg 2012. http://hr.mur.at/ Elli Scambor Mag.a, ist Soziologin und Lektorin für geschlechterbezogene Raumsoziologie, Gender Analysen und Intersektionale Analysen sowie Soziologische Grundlagen in Graz und an der Fachhochschule Kärnten. Sie ist in der Koordination und Durchführung von Forschungsprojekten und Arbeiten an der Schnittstelle von Sozialforschung und Medienkunst, als Wissenschaftskoordinatorin im Forschungsbüro des Vereins für Männer- und Geschlechterthemen Steiermark sowie als Managing Diversity Expertin tätig. Ihre Forschungsschwerpunkte sind Genderanalysen, Diversitätsforschung und Kritische Männerforschung in den Bereichen Stadtraum, Arbeit, Organisation, soziale Netzwerke und Resilienz. http://elliscambor.mur.at Alfred Smudits geb. 1954, studierte Soziologie und Psychologie in Wien und ist Absolvent des Instituts für Höhere Studien in Wien. Nach seinem Studium war Alfred Smudits wissenschaftlicher Assistent am Institut MEDIACULT (1982 – 1987), seit 1988 ist er am Institut für Musiksoziologie an der Universität für Musik und darstellende Kunst in Wien tätig. 1991 habilitierte er sich an der Universität Wien. Seit 1993 ist er Generalsekretär von MEDIACULT Internationales Forschungsinstitut für Medien, Kommunikation und kulturelle Entwicklung; seit 2009 ist Alfred Smudits Universitätsprofessor am Institut für Musiksoziologie.
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Seine Arbeits- und Forschungsschwerpunkte sind Kunst-, Kultur- und Kommunikationssoziologie, Musiksoziologie, kultureller und sozialer Wandel, Popularmusik, Kultur- und Medienpolitik sowie Soziologie der Ästhetik. Christian C. Tschinkel Mag., geb. 1973, studierte Musikwissenschaft an der Karl-Franzens-Universität Graz und absolvierte den Lehrgang für Computermusik und elektronische Medien an der Universität für Musik und darstellende Kunst in Wien. Er nahm an diversen Kursen und Seminaren in den Bereichen Tontechnik, Musiktherapie, künstlerischem Selbstmanagement, Kapellmeisterausbildung, Filmmusik u. a. teil. Seit jeher von der technischen Klangspeicherung fasziniert und nach unterschiedlichsten Produktionen von der Vorstellung geleitet, originäre Musikwerke im Sinne eines Kinos für die Ohren zu schaffen, beschäftigt er sich heute intensiv mit dem Themenkomplex der Musique acousmatique und ihren Parallelen in der Popkultur. Aufbauend auf Werner Jauks Theorien zu Pop(Musik) entwickelt er sein Konzept der Popakusmatik, das sich auf psychologischer und philosophischer Ebene mit der Wahrnehmung des (alltäglichen) Lautsprecherklanges befasst und wesentlichen Einfluss auf sein eigenes popakusmatisches Schaffen nimmt. Sowohl sein Gedankengebäude als auch seinen musikalischen Output subsumiert er dabei unter dem Begriff ACOUSMONUMENTS. www.acousmonuments.net Peter Tschmuck Dr. Peter Tschmuck ist Universitätsprofessor für das Fach Kulturbetriebslehre am Institut für Kulturmanagement und Kulturwissenschaft (IKM) der Universität für Musik und darstellende Kunst in Wien. Seine Forschungsschwerpunkte sind Musikwirtschaftsforschung, Kunst- und Kulturökonomik, Kulturpolitikforschung sowie Kulturmanagement. Er lehrt zudem an der Wirtschaftsuniversität Wien, an der Donau-Universität Krems und an der Hochschule für Musik, Theater und Medien Hannover. 2010 war er Gastprofessor an der James-Cook-University in Townsville und Cairns (Australien). 2012 erschien in zweiter Auflage sein Standardwerk Creativity and Innovation in the Music Industry. Gegenwärtig fungiert er als Mitherausgeber des Lexikons der Musikwirtschaft sowie eines Sammelbandes zur australischen Musikwirtschaft.
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Walter Werzowa Walter Werzowa studied classical guitar and music in Vienna. He collaborated with his mentor Otto M. Zykan on many orchestral pieces. His song called Bring Me Edelweiss topped the charts worldwide. After completing USC’s post-graduate program for Film and Television Scoring, Werzowa spent the following year working on trailers for the Walt Disney Company. He has also worked with Stephen Spielberg and Wim Wenders. His audio branding for Intel became the most performed melody in broadcast. Werzowa has grown his operation from a one-man shop into a state-of-the-art boutique sound house located in the heart of Hollywood, CA. His speaking engagements have brought him around the world from Beijing to Graz. www.musikvergnuegen.com Mia Zabelka E-Violinistin und Komponistin, lebt und arbeitet in Sankt Johann/Saggautal und in Wien. Sie studierte Violine am Konservatorium der Stadt Wien und Komposition sowie elektroakustische Musik an der Universität für Musik und darstellende Kunst Wien sowie Musikwissenschaft und Publizistik an der Universität Wien. Sie verbrachte Studienaufenthalte in Köln, Berlin und New York. Seit über zehn Jahren beschäftigt sie sich mit der Entwicklung experimenteller Improvisationstechniken mit Electric Violin und Stimme. Es geht ihr um die Auslotung des Verhältnisses von Körper, Gestik, Klang und Raum. Dabei dienen auch immer wieder elektronische Geräte und Computer zur Erzeugung erweiteter Klangspektren. Mit Experimentierfreude und körperlicher Unmittelbarkeit arbeitet sie an musikalischen Bildern, deren Vielschichtigkeit und gleichzeitige Transparenz ihr explizites Anliegen sind. http://www.miazabelka.com Fränk Zimmer geb. 1972 in Luxemburg, studierte Musikwissenschaft an den Universitäten Graz und Wien. Er ist seit 2002 in zahlreichen Klang- und Medieninstallationsprojekten im öffentlichen Raum und in der Kunst gewidmeten Räumen sowie als Producer ORF musikprotokoll im steirischen herbst tätig. Schwerpunkte aktueller künstlerischer Arbeiten bilden die Verschränkung von Medienkunst und angewandter Sozialforschung und Arbeiten rund um die Langzeitarchivierung von Informationen. http://fz.mur.at
Kultur- und Medientheorie Erika Fischer-Lichte, Kristiane Hasselmann, Alma-Elisa Kittner (Hg.) Kampf der Künste! Kultur im Zeichen von Medienkonkurrenz und Eventstrategien April 2014, ca. 300 Seiten, kart., zahlr. Abb., ca. 28,80 €, ISBN 978-3-89942-873-5
Sandro Gaycken (Hg.) Jenseits von 1984 Datenschutz und Überwachung in der fortgeschrittenen Informationsgesellschaft. Eine Versachlichung März 2013, 176 Seiten, kart., 19,80 €, ISBN 978-3-8376-2003-0
Kai-Uwe Hemken Exposition/Disposition Eine Grundlegung zur Theorie und Ästhetik der Kunstausstellung April 2014, ca. 250 Seiten, kart., zahlr. Abb., ca. 25,80 €, ISBN 978-3-8376-2095-5
Leseproben, weitere Informationen und Bestellmöglichkeiten finden Sie unter www.transcript-verlag.de
Kultur- und Medientheorie Annette Jael Lehmann, Philip Ursprung (Hg.) Bild und Raum Klassische Texte zu Spatial Turn und Visual Culture Januar 2014, ca. 300 Seiten, kart., ca. 29,80 €, ISBN 978-3-8376-1431-2
Kai Mitschele, Sabine Scharff (Hg.) Werkbegriff Nachhaltigkeit Resonanzen eines Leitbildes November 2013, 226 Seiten, kart., 24,99 €, ISBN 978-3-8376-2422-9
Hermann Parzinger, Stefan Aue, Günter Stock (Hg.) ArteFakte: Wissen ist Kunst – Kunst ist Wissen Reflexionen und Praktiken wissenschaftlich-künstlerischer Begegnungen Februar 2014, 400 Seiten, Hardcover, zahlr. Abb., 29,80 €, ISBN 978-3-8376-2450-2
Leseproben, weitere Informationen und Bestellmöglichkeiten finden Sie unter www.transcript-verlag.de
Kultur- und Medientheorie Michael Andreas, Natascha Frankenberg (Hg.) Im Netz der Eindeutigkeiten Unbestimmte Figuren und die Irritation von Identität Juli 2013, 324 Seiten, kart., zahlr. Abb., 32,80 €, ISBN 978-3-8376-2196-9
Vittoria Borsò (Hg.) Wissen und Leben – Wissen für das Leben Herausforderungen einer affirmativen Biopolitik Januar 2014, ca. 260 Seiten, kart., ca. 29,80 €, ISBN 978-3-8376-2160-0
Tanja Carstensen, Christina Schachtner, Heidi Schelhowe, Raphael Beer (Hg.) Digitale Subjekte Praktiken der Subjektivierung im Medienumbruch der Gegenwart Dezember 2013, ca. 250 Seiten, kart., 24,80 €, ISBN 978-3-8376-2252-2
Frédéric Döhl, Renate Wöhrer (Hg.) Zitieren, appropriieren, sampeln Referenzielle Verfahren in den Gegenwartskünsten Dezember 2013, ca. 240 Seiten, kart., zahlr. Abb., ca. 32,80 €, ISBN 978-3-8376-2330-7
Özkan Ezli, Andreas Langenohl, Valentin Rauer, Claudia Marion Voigtmann (Hg.) Die Integrationsdebatte zwischen Assimilation und Diversität Grenzziehungen in Theorie, Kunst und Gesellschaft September 2013, 376 Seiten, kart., 32,80 €, ISBN 978-3-8376-1888-4
Urs Hangartner, Felix Keller, Dorothea Oechslin (Hg.) Wissen durch Bilder Sachcomics als Medien von Bildung und Information Oktober 2013, 336 Seiten, kart., zahlr. z.T. farb. Abb., 32,99 €, ISBN 978-3-8376-1983-6
Jan Henschen Die RAF-Erzählung Eine mediale Historiographie des Terrorismus September 2013, 276 Seiten, kart., 33,90 €, ISBN 978-3-8376-2390-1
Marcus S. Kleiner, Holger Schulze (Hg.) SABOTAGE! Pop als dysfunktionale Internationale Juli 2013, 256 Seiten, kart., zahlr. z.T. farbige Abb., 29,80 €, ISBN 978-3-8376-2210-2
Christopher F. Laferl, Anja Tippner (Hg.) Künstlerinszenierungen Performatives Selbst und biographische Narration im 20. und 21. Jahrhundert Februar 2014, ca. 300 Seiten, kart., zahlr. Abb., ca. 32,80 €, ISBN 978-3-8376-2215-7
Leseproben, weitere Informationen und Bestellmöglichkeiten finden Sie unter www.transcript-verlag.de
Zeitschrif t für Kultur wissenschaf ten Nacim Ghanbari, Marcus Hahn (Hg.)
Reinigungsarbeit Zeitschrift für Kulturwissenschaften, Heft 1/2013
Juni 2013, 216 Seiten, kart., 8,50 €, ISBN 978-3-8376-2353-6 Der Befund zu aktuellen Konzepten kulturwissenschaftlicher Analyse und Synthese ist ambivalent. Die Zeitschrift für Kulturwissenschaften bietet eine Plattform für Diskussion und Kontroverse über »Kultur« und die Kulturwissenschaften – die Gegenwart braucht mehr denn je reflektierte Kultur sowie historisch situiertes und sozial verantwortetes Wissen. Aus den Einzelwissenschaften heraus wird mit interdisziplinären Forschungsansätzen diskutiert. Insbesondere jüngere Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen kommen dabei zu Wort. Lust auf mehr? Die Zeitschrift für Kulturwissenschaften erscheint zweimal jährlich in Themenheften. Bisher liegen 13 Ausgaben vor. Die Zeitschrift für Kulturwissenschaften kann auch im Abonnement für den Preis von 8,50 € je Ausgabe bezogen werden. Bestellung per E-Mail unter: [email protected]
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