Zur Ausbildung der Norm der deutschen Literatursprache ım Bereich des Verbs (1470 –1730): Tempus und Modus [Reprint 2022 ed.] 9783112618226, 9783112618219


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Zur Ausbildung der Norm der deutschen Literatursprache ım Bereich des Verbs (1470 –1730): Tempus und Modus [Reprint 2022 ed.]
 9783112618226, 9783112618219

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M.M. Guchmann, N. N. Semenjuk

Zur Ausbildung der Norm der deutschen Literatursprache im Bereich des Verbs (1470-1730) Tempus und Modus

AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN DER DDR Zentralinstitut für Sprachwissenschaft

56/V Bausteine zur Sprachgeschichte des Neuhochdeutschen Herausgegeben von Günter Feudel Zur Ausbildung der Norm der deutschen Literatursprache (1470—1730) • V

M. M. Guchmann, N. N. Semenjuk

Zur Ausbildung der Norm der deutschen Literatursprache im Bereich des Verbs (1470-1730) Tempus und Modus

Akademie-Verlag • Berlin 1981

Bis S. 122 übersetzt von W. Braun ab S. 123 übersetzt von H. Schmidt

Erschienen im Akademie-Verlag, DDR-1080 Berlin, Leipziger Str. 3—4 Lektor: Ursula Schöwe © Akademie-Verlag Berlin 1981 Lizenznummer: 202 • 100/150/81 Umschlag: Helga Klein Gesamtherstellung: VEB Druckerei „Thomas Müntzer", 5820 Bad Langensalza Bestellnummer: 753 795 6 (2054/56/V) • LSV 0815 Printed in GDR DDR 36,— M

INHALTSVERZEICHNIS

Vorwort

7

Einleitung

9

TEIL I N. N. Semenjuk, Tempus

17

Einführende Bemerkungen

19

Abschnitt 1. Die Kategorie Tempus in der deutschen Sprache am Ende des-15. bis Anfang des 16. Jahrhunderts (1470-1530)

22

Kapitel 1. Die verbalen Wortformen und Konstruktionen (invariante und variable Elemente)

22

Kapitel 2. Der Bestand der verwendeten Tempusformen und -konstruktionen, ihre Häufigkeit und Verteilung in den Texten

31

Kapitel 3. Die Verwendung der Tempusformen in verschiedenen Kontexten und in einzelnen syntaktischen Modellen (variable und invariante Elemente des Sprachusus)

62

Abschnitt 2. Die Kategorie Tempus in der deutschen Sprache am Ende des 17. bis Anfang des 18. Jahrhunderts (1670-1730

77

Kapitel 1. Die Verbformen und -konstruktionen (invariante und variable Elemente)

77

Kapitel 2. Häufigkeit und Verteilung der Tempusformen und -konstruktionen in den Texten

82

Kapitel 3. Der Gebrauch der Tempusformen und -konstruktionen in verschiedenen Kontexten und einzelnen syntaktischen Modellen (variable und invariante Elemente des Sprachusus)

100

Anmerkungen zu Teil I

118

6

Inhaltsverzeichnis

TEIL n M. M. Guchmann, Modus

123

Einführende Bemerkungen

125

Abschnitt 1. Erster chronologischer Querschnitt (1470-1530)

141

Kapitel 1. Der Bestand an Konjunktivformen und ihre relative Häufigkeit in Abhängigkeit von Gattung und Landschaft

141

Kapitel 2. Usus.und Variabilität in der Funktionsweise des Konjunktivs

188

Abschnitt 2. Zweiter chronologischer Querschnitt (1670-1730). Grundlegende Besonderheiten der Funktionsweise der Konjunktivformen im 17. und 18. Jahrhundert

223

Anmerkungen zu Teil II

269

1. Die Quellen des ersten Untersuchungszeitraumes

273

2. Die Quellen des zweiten Untersuchungszeitraumes

277

VORWORT

Die vorliegende Monographie ordnet sich in ein umfangreiches Forschungsvorhaben ein, das sich zum Ziel gesetzt hat, wichtige Prozesse bei der Herausbildung der Normen der deutschen Literatursprache der Gegenwart zu untersuchen. Das Projekt wird vom Institut für Sprachwissenschaft der Akademie der Wissenschaften der UdSSR und vom Zentralinstitut für Sprachwissenschaft der Akademie der Wissenschaften der DDR getragen und auf der Grundlage eines koordinierten Arbeitsplans bearbeitet. Bisher liegen vier Bände vor. Alle folgen einer gemeinsamen Methode der Analyse und Beschriebung und stützen sich auf ein weitgehend einheitliches Textkorpus; dennoch weist jeder Band für sich eine relative Eigenständigkeit auf. Die Autoren des vorliegenden Bandes sprechen den Mitarbeitern des Zentralinstituts für Sprachwissenschaft der Akademie der Wissenschaften der DDR W. Braun und H. Schmidt, die die nicht leichte Aufgabe der Übersetzung des russischen Manuskripts ins Deutsche auf sich nahmen, ihren herzlichen Dank aus. Ebenso danken sieH. Romann für die Überprüfung der zitierten Belege an den Quellen. M. M. Guchmann

N. N. Semenjuk

EINLEITUNG

1 In der sprachlichen Entwicklung können sich Veränderungen sowohl in der Sprachstruktur als auch in der Funktion der einzelnen Strukturelemente vollziehen. Dem entsprechen zwei verhältnismäßig selbständige Richtungen in der historischen Forschung, die eine kann als die strukturelle, die andere als die funktionale bezeichnet werden.* Die wichtigste Voraussetzung für sprachhistorische Forschungen unter funktionalem Gesichtspunkt ist die Auffassung der Sprache als ein System historisch voneinander abhängiger Existenzformen. Eine dieser Existenzformen ist die Literatursprache, die in den einzelnen Entwicklungsphasen der Sprache ein unterschiedliches Gepräge hat. Ein solch komplizierter Gegenstand wie die Literatursprache kann unter verschiedenen Gesichtspunkten untersucht werden. Für die deutsche sprachwissenschaftliche Tradition war wohl immer die historisch-genetische Forschung charakteristisch. So wichtig sie auch ist, so muß dennoch neben die Erforschung der genetischen Beziehungen der deutschen Literatursprache zu den verschiedenen deutschen Dialekten die Untersuchung, der Besonderheiten der Literatursprache selbst, die Aufdeckung ihrer wichtigsten Kennzeichen und der Spezifik ihrer Funktion und Entwicklung treten. In den germanistischen Arbeiten der letzten Jahre ist die Tendenz zu einer wesentlichen Ausweitung der Problematik sprachhistorischer Forschungen zu beobachten, der genetische Aspekt wird durch den sozialen und funktionalen in der Untersuchung der Sprache bereichert. Es werden auch stärker die jüngeren Perioden der deutschen Sprachgeschichte, d. h. das 16. bis 18. Jahrhundert, untersucht. Hierdurch werden eine ganze Reihe neuer theoretischer Probleme aufgeworfen, insbesondere das der literatursprachlichen Norm. Die große Bedeutung der entwickelten Literatursprache der nationalen Epoche, ihr großer territorialer, funktional-stilistischer und sozialer Verwendungsbereich ist in hohem Maße bedingt durch die Existenz relativ einheitlicher Normen, die sich allmählich in dem Maße herausbilden, wie die betreffende Literatursprache sich historisch entwickelt. Deshalb liegt ein Schwerpunkt der Erforschung der Geschichte der Literatursprache auf der Untersuchung der Herausbildung literatursprachlicher Normen. Zur Lösung dieser Aufgabe soll in der vorliegenden Arbeit am Material zweier grammatischer

Einleitung

10

Kategorien der deutschen Sprache, des Tempus und des Modus, ein Beitrag geleistet werden. Die Arbeit wählt die folgenden Aspekte der Erforschung der grammatischen Normen, die sich innerhalb der Kategorien Tempus und Modus herausgebildet haben. Auf der einen Seite werden die verschiedenen Formen der Wiedergabe dieser Kategorien in der deutschen Sprache am Ende des 15. bis zum Anfang des 16. Jahrhunderts und am Ende des 17. bis zum Anfang des 18. Jahrhunderts untersucht. Andererseits wird in großen Zügen die Häufigkeit der Verwendung der einzelnen Tempus- und Modalformen und Konstruktionen festgestellt. Stichprobenartig werden einige Muster ihrer Verwendung unter diesen oder jenen sprachlichen Bedingungen untersucht. Diese Aspekte betreffen nach unserer Meinung grundlegende Charakteristika der grammatischen Norm, die sowohl die Ausdrucksform grammatischer Bedeutungen als auch den Gebrauch der entsprechenden grammatischen Mittel in einer bestimmten historischen Periode reguliert. Entsprechend dem Charakter grammatischer Normen muß unter dem Gesichtspunkt des Grades der Stabilität und der Geltung offenbar von zwei Typen der Norm gesprochen werden. Das Inventar der formalen Mittel für den Ausdruck der einzelnen grammatischen Kategorien sowie die Variationsbreite sind wesentlich eindeutiger bestimmt als die Verwendung der entsprechenden grammatischen Formen und Konstruktionen. Normen des Gebrauchs der grammatischen Mittel (d. h. ihre quantitative Verteilung und Gruppierung in den verschiedenartigen Typen von Texten und in verschiedenen Sphären der Kommunikation und auch die Kombination dieser Mittel und ihre Verwendung unter bestimmten sprachlichen Voraussetzungen) werden gewöhnlich weit weniger genau festgelegt. So sind die Normen des Sprachgebrauchs weniger stabil und verbindlich, sie bestimmen nur die allgemeinen Grenzen des Gebrauchs, genauer sind sie nur für einige sprachliche Erscheinungen fixiert (z. B. in unserem Fall für einige Typen und Modelle von Sätzen). Im übrigen sind das offensichtlich eher normative Tendenzen als klar aus2

geprägte Normen des Gebrauchs. Die Dynamik des Wandels der literatursprachlichen Normen soll durch einen Vergleich zweier Untersuchungszeiträume und durch einen Vergleich von Denkmälern verschiedener Arten und Genres des Schrifttums aufgezeigt werden, die verschiedenen deutschen Sprachlandschaften zuzuordnen sind und die die territorialen, sozialen und stilistisch-funktionalen Differenzierungen des Sprachgebrauchs innerhalb jeder der untersuchten Perioden widerspiegeln. Der Terminus des Usus ist für eine Untersuchung der funktionalen Ebene nicht weniger wesentlich als der der Norm, weil tatsächlich alle sprachlichen Erscheinungen in den Texten in ihrer Gesamtheit zum Usus gehörep. Nur der stabilste, am stärksten vereinheitlichte Teil der usuellen Erscheinungen, den die Gesellschaft, ihre kompetentesten Vertreter, als beispielhaft anerkennen, kann zur

Einleitung

11

literatursprachlichen Norm gerechnet werden. So bilden die normativen Erscheinungen das Zentrum des Sprachusus. Der Auswahlprozeß bei der Normbildung ist in allen Stadien der Entwicklung der Literatursprache nicht nur das Ergebnis bewußter und zielgerichteter Tätigkeit der Gesellschaft, sondern vollzieht sich auch im Prozeß spontaner Sprachentwicklung, die verschiedene funktionale Sphären und unterschiedliche Arten des Schrifttums erfaßt. In den frühen Entwicklungsstadien nationaler Literatursprachen spielen die spontanen Prozesse der Auswahl sprachlicher Erscheinungen eine besonders wichtige Rolle. Wesentlich für die Aufgaben der vorliegenden Arbeit ist in diesem Zusammenhang die Auswahl eines Textkorpus, das repräsentativ für den Sprachgebrauch der untersuchten Periode ist und das die Normierungsprozesse hervortreten läßt. Es wurde bereits von den zwei Seiten der Sprachentwicklung gesprochen. Ihnen entsprechen zwei Aufgaben, die der historischen Sprachforschung gestellt sind, einmal die Erfassung der grundlegenden Elemente der Sprachstruktur und zum anderen die Beschreibung ihrer Funktion. In beiden Fällen benutzt der Forscher gewöhnlich ein und dasselbe Textmaterial, ein und dieselben Quellen. Jedoch ist das Herangehen an diese Quellen in vielerlei Hinsicht verschieden. Für die Erfassung der Struktur der Sprache ist vor allem der Umfang des herangezogenen Textmaterials wesentlich. Je vollständiger und mannigfaltiger dieses ist, um so vollständiger und genauer kann die sprachliche Struktur beschrieben werden. Deshalb ist für diesen Teil der Untersuchung vor allem die Zusammenfassung des sprachlichen Materials, das in den verschiedenen Denkmälern enthalten ist, wichtig. Für die Beschreibung der funktionalen Prozesse der Sprache vergangener Epochen ist außerdem die Untersuchung der Differenzierungen des sprachlichen Materials in den verschiedenen Texttypen sowie die Aufdeckung der hauptsächlichen Faktoren wichtig, die die entsprechenden Differenzierungen zur Folge haben. Deshalb ist für die Erforschung der Funktion die Interpretation der beobachteten E r scheinungen außerordentlich wichtig. Das ist nur bei relativ vollständiger und genauer "kulturhistorischer" Charakterisierung der herangezogenen Quellen möglich. Hierzu gehört die möglichst umfassende Charakterisierung der Texte, ihre Spezifik als Ergebnis des Einflusses sozialer und kulturhistorischer Faktoren. Für die heutige Sprachforschung besteht zwischen den Normierungsprozessen und der Entwicklung bestimmter Arten und Genres des Schrifttums ein Zusammenhang. Dessen Aufdeckung für jede historische Periode* ist deshalb eine der wichtigsten Aufgaben der Untersuchungen unter funktionalem Aspekt. Diese Aufgabe ist keineswegs einfach, weil die soziale und historisch-kulturelle Bedeutung des Denkmals und seine sprachliche Repräsentanz bei weitem nicht immer zusammenfallen. Außerdem mußte der Grad der sprachlichen Repräsentanz einer Quelle

Einleitung

12

im voraus bestimmt werden. Sofern noch keine entsprechenden Untersuchungen vorliegen, ist das auch deshalb ziemlich schwierig, weil die Bedeutung ein und derselben Art von Schrifttum für die verschiedenen historischen Perioden durchaus unterschiedlich sein kann. So ist bei der Verwendung des Begriffs Repräsentanz für die Auswahl der Quellen eine gewisse Vorsicht geboten, zumal solche Urteile oft erst nach der Untersuchung der Texte gefällt werden können. Angesichts dieser komplizierten Verhältnisse ist es zweckmäßig, verschiedene Genres des Schrifttums heranzuziehen, denn nur in einer möglichst großen Vollständigkeit lassen sie eine Charakteristik der Funktion der Sprache und damit der Ausgleichs prozesse zu. Aus den genannten Gründen ziehen wir sehr verschiedenartige Texte heran. Allerdings sind wir nicht in der Lage, die bei der Analyse des Textkorpus gewonnenen sprachlichen Befunde immer befriedigend erläutern und erklären zu können. Das hat unterschiedliche Gründe, unter anderem den, daß gewöhnlich mehrere Faktoren gleichzeitig differenzierend auf die Sprache eines Textes einwirken, funktionale, gattungsbedingte, lokale, soziale, chronologische. Einige dieser Faktoren sind ihrerseits kompliziert. So kann zum Beispiel der lokale Faktor in zweifacher Hinsicht untersucht werden - einmal bezüglich der Zugehörigkeit des Textes zu einem bestimmten Gebiet und zum anderen hinsichtlich der größeren oder geringeren Entfernung der Sprache des Textes von der in dieser Landschaft gesprochenen Sprachform. Außerdem kann auch die Vorliebe eines Autors für bestimmte sprachliche Erscheinungen eine Rolle spielen, vor allem für Besonderheiten ihrer Auswahl aus deFZähl^synonymer Konstruktionen und Formen^ idie dann als individuelle Neigungen des betreffenden Autors erklärt werden müssen. Der Forscher sieht in den Denkmälern vergangener historischer Epochen nur ein bestimmtes Resultat der Wirkung des gesamten Komplexes von Faktoren, und er ist nur sehr selten imstande, sprachliche Besonderheiten eines Textes mit Sicherheit auf einen bestimmten Faktor zurückzuführen. Diese Tatsache darf bei der Beurteilung der grammatischen Erscheinungen nicht außer acht gelassen werden.

2

Versuchen wir, einige Einzelheiten zu analysieren, die die Untersuchung und Interpretation der sprachlichen Erscheinungen in bezug auf die in der vorliegenden Arbeit durchgesehenen Denkmäler komplizieren. Für das allgemeine Anliegen der Untersuchung hat die Frage des Verhältnisses der

Einleitung

13

Varianz in den untersuchten Verbkategorien und der territorialen und auch genrebedingten Differenzierung der deutschen Literatursprache eine grundlegende Bedeutung. Diese Frage muß für den ersten und zweiten Zeitraum gesondert behandelt werden. Der Status der deutschen Literatursprache, die Bedingungen ihrer Existenz und Entwicklung, schließlich die Auswahl der Genres, in denen sie verwendet wird, verändern sich beträchtlich im Verlaufe des Zeitraumes, der die beiden vorgesehenen synchronen Schnitte trennt. Deshalb kann eine globale Behandlung der Probleme die Spezifik der Entwicklung der Literatursprache in der entsprechenden Periode leicht verfälschen. Übrigens vollziehen sich auch innerhalb der Untersuchungszeiträume Veränderungen, so daß sie nur bedingt " synchron" genannt werden können: beide Zeiträume umfassen jeweils sechzig Jahre Entwicklung der Literatursprache (1470-1530, 1670-1730); es vollziehen sich in diesen Zeiträumen wesentliche Veränderungen nicht nur im ökonomischen, politischen und kulturellen Leben Deutschlands, sondern auch in der Literatursprache, in ihrem Verhältnis zu den nicht-literatursprachlichen Existenzformen, in allen ihren Verwendungsmöglichkeiten. Gleichzeitig ist der Einfluß territorialer und genremäßiger Faktoren auf die Dynamik der Varianz bei den Verbkategorien Tempus und Modus einer der Aspekte des allgemeinen Problems, das die Gesetzmäßigkeiten und Formen der Varianz der Literatursprache auf allen ihren Ebenen betrifft. Die regional bedingte Varianz in der deutschen Literatursprache des 15. bis 16. Jahrhunderts ist eine allgemein anerkannte Tatsache, die für diese Zeit nicht speziell nachgewiesen werden muß. Doch sind die Spezifik dieser Varianz, ihr Verhältnis zur dialektalen Gliederung der deutschen Sprache, ihre Intensität noch unzureichend untersucht. In den Forschungen der letzten zehn Jahre ist besonders die Wirksamkeit von Mischungs- und Ausgleichsprozessen in den landschaftliehen Varianten der Literatursprache hervorgehoben worden. 4

3

Bereits in der.Arbeit

R . Schützeichels , in der eine Analyse der Kanzleisprache im mittelrheinischen Dialektgebiet vorgenommen wird, war das Auseinandergehen der dialektalen Isoglossen und der Isoglossen der geschriebenen Literatursprache dieses Gebietes festgestellt worden. Später wurde dieser Befund am Material der Sprache der politischen Literatur des 16. 5 Jahrhunderts bestätigt.

In diesem Zusammenhang wurde die Kompliziertheit und

Mannigfaltigkeit der landschaftlichen Gliederung der Literatursprache hervorgehoben. Die sich kreuzenden Isoglossen komplizieren gdie Gliederung des Systems der geschriebenen Sprache auf einem abgegrenzten Gebiet ; das erschwert in einer Reihe von Fällen auch die Bestimmung der landschaftlichen Zugehörigkeit solcher Denkmäler, deren Autor unbekannt ist. Außerdem war die Intensität der Mischungs- und Ausgleichsprozesse auf den einzelnen Sprachebenen verschieden. Ein überzeugendes Beispiel einer derartigen Ungleichartigkeit der regionalen Erscheinungen auf den verschiedenen Sprachebenen ist insbesondere die Flugschrift "An die versamlung gemayner Pawerschafft" (SbrVer).

14

Einleitung

Hier dominiert eindeutig eine aus dem Südwesten stammende Lexik (/leffern/ 'schwatzen, Unsinn reden', /feßlin/ 'Körnchen', aber auch: 'Schale des Korns', / l o s a n t z / ' Losung, Kennzeichen', / m a c h t e n / ' prahlen', / l a u s t e m / ' horchen, lauschen', /krafften/ 'mit seiner Kraft prahlen') ; diese steht zu den phonetisch-orthographischen und teilweise auch den grammatischen Merkmalen im Widerspruch, die jene Isoglossen widerspiegeln, die vorwiegend für die Denkmäler des Südostens und zum Teil für die des ostmitteldeutschen Gebietes typisch sind. Das Quellenkorpus des 16. Jahrhunderts, das in der vorliegenden Arbeit herangezogen worden ist, könnte als besonders dialektal gefärbt erscheinen: im Norden die niederdeutschen Denkmäler, im Westmitteldeutschen die kölnischen Texte und zum Teil Denkmäler aus Mainz, im Südwesten aus Zürich und Basel und teilweise aus Straßburg. Was den Südosten einschließlich Augsburg und Nürnberg und das gesamte ostmitteldeutsche Gebiet betrifft, so bildete sich hier damals ein Bündel von Isoglossen, die hauptsächlich Kategorien der phonetisch-orthographischen und grammatischen Ebene umfassen. Aber auch im Wortbestand begünstigt die sprachliche Ausstrahlung solcher Städte die Abnahme stark hervortretender territorialer Gegensätze. Die fehlende Eindeutigkeit der territorialen Merkmale eines Textes hängt oft mit dem persönlichen Schicksal des Autors zusammen. Ulrich von Hutten wurde in der Gegend von Fulda geboren, er erhielt seine Ausbildung anfangs in Köln, später in Erfurt. Seit 1509 hatte er keinen ständigen Wohnsitz. Die Sprache seiner deutschen Schriften weist keine deutlich hervortretenden Dialektmerkmale auf, am allerwenigsten zeigt sie die typischen Kennzeichen der Kölner literatursprachlichen Variante wie zum Beispiel in der Reise des kölnischen Ritters A. von Harff (RsHar). Indes ist die Lebensgeschichte Ulrichs von Hutten durchaus keine Ausnahme. Die Biographien der Politiker dieser Zeit, der Verleger und Drucker, der Beamten der kaiserlichen und fürstlichen Kanzleien zeugen nicht nur von den mannigfaltigen Verbindungen zwischen den politischen und kulturellen Zentren der verschiedenen Gebiete, sondern auch von den persönlichen Bindungen, die über die Grenzen der einzelnen Gebiete hinausreichten. Infolge des komplizierten Charakters der Gliederung der Literatursprache nach t e r ritorialen Merkmalen ist die Antwort auf die eingangs gestellte Frage nach der Intensität der Einwirkung dieser Gliederung auf die Typologie der sprachlichen Varianz innerhalb der untersuchten Verbkategorien nicht einfach. Als vorläufiges Ergebnis kann nur auf bestimmte Unterschiede in den formalen und funktionalen Merkmalen verwiesen werden. Die Genauigkeit der Kennzeichnung der temporalen und modalen Oppositionen ist abhängig von der Struktur der entsprechenden Wortformen und von der Konsequenz der Auszeichnung grammatischer Kategorien. Die größere oder geringere Festigkeit der Merkmale unterschiedlicher Wortformen hat eine erstrangige Bedeutung. Indes war die

Einleitung

15

Varianz hier besonders stark. Sie ist vor allem durch Unterschiede in der Stabilität der Endsilbenvokale und eines solchen Unterscheidungsmerkmals wie des Umlauts bedingt. Anscheinend bestand eine Abhängigkeit der Stabilität dieser Merkmale von der landschaftlichen Zugehörigkeit des Textes, aber nicht grundsätzlich und allgemein. Charakteristisch ist in dieser Hinsicht die Verbreitung der vollen und kurzen Formen der 3. Person Singular Präsens des Konjunktivs (vgl. S. 27 ). Beide Varianten begegnen in den Texten der meisten Landschaften, aber in einigen von ihnen (den niederdeutschen, westmitteldeutschen Denkmälern) herrscht die volle Form vor, in anderen (der Mehrheit der südwestdeutschen Texte) die kurze Form, in einer dritten Gruppe (den ostmitteldeutschen Denkmälern) läßt sich keine Invarianz feststellen, da in verschiedenen Quellen das Verhältnis beider Varianten zueinander schwankt. Aber auch innerhalb solcher Gebiete, in denen sich die dominierende Form genügend gefestigt hat, können einzelne Texte aus dem jeweiligen landschaftlichen Sprachgebrauch herausfallen: das gilt namentlich für VbPSg (Österreich) und TrCh (Bayern), wo im Unterschied zu den anderen südostdeutschen Texten die volle Form dominiert ( s . S . 28 ). Doch kann auch schon hier - im einzelnen werden diese Fragen an den entsprechenden Stellen untersucht - auf Beispiele der Varianz, die durch die strukturellen Besonderheiten eines bestimmten Dialektgebietes bedingt sind, hingewiesen werden. (Vgl. zum Beispiel die Varianten im Verbparadigma von /haben/, die die formale Varianz der Formen des Perfekts und Plusquamperfekts Indikativ und Konjunktiv bestimmen.) In diesem Zusammenhang kann man auf so klar hervortretende landschaftliche Fcrmen wie das bairische /hiet/ (= hat, hatte) oder das südliche /hett, het/ =lfrat, hatte, hatte) VbPS2 und VbF hinweisen. Bedeutend komplizierter ist die Frage nach dem Einfluß landschaftlicher Zugehörigkeit eines Textes auf die Produktivität und Verbreitung der Tempusformen des Indikativs und Konjunktivs. Hier ist abgesehen von der wechselseitigen Einwirkung der verschiedenen lokalen Traditionen der geschriebenen Literatursprache auf den Umfang und Charakter der Varianz auch die Gattungsspezifik des Textes von Bedeutung. Das gleichzeitige Wirken dieser zwei Faktoren ergibt das heterogene und bunte Netz von Abhängigkeiten in der Verbreitung und Funktion der Tempusformen. Außerdem wird auch innerhalb eines einzelnen Genres keine volle Einheitlichkeit erreicht. Solche zusätzlichen Momente wie der konkrete Inhalt eines Werkes, die Art der Darstellung, die Wechselbeziehung der Elemente der Erzählung und Erörterung, der Charakter der Informationsbereitstellung und schließlich die Anordnung des Textes bestimmen ihrerseits das Ausmaß der Varianz. Dieses komplizierte funktionale System zu beschreiben und darüber hinaus zu Verallgemeinerungen zu gelangen, ist nur möglich auf der Grundlage einer detaillierten Analyse der Texte, die an die verschiedenen Dialektgebiete gebunden und von verschiedenen Genres des Schrifttums abhängig sind. Das hat in hohem Grade

Einleitung

16 auch den Aufbau der vorliegenden Arbeit bestimmt.

Obwohl innerhalb des zweiten Untersuchungszeitraumes die landschaftliche Gliederung der Literatursprache nur noch wenig ausgeprägt ist, darf das Problem der Wechselbeziehung der sprachlichen Varianz und der landschaftlichen und gattungsmäßigen Differenzierung der Literatursprache durchaus nicht für unwichtig gehalten werden. Verschiedene Elemente des ererbten Systems der Verbformen wirken in einzelnen Dialektgebieten der deutschen Sprache auf die Produktivität und Funktion der in dei vorliegenden Arbeit untersuchte» grammatischen Kategorien weiter ein. Der letztgenannte Umstand erlaubt es, das Material des zweiten synchronen Schnittes als unmittelbare Fortsetzung und Entfaltung jener Tendenzen der Herausbildung der literatursprachlichen Normen zu betrachten, die teilweise schon auf einer früheren Etappe der Entwicklung der deutschen Literatursprache festzustellen sind.

Einführende Bemerkungen

Im folgenden Teil werden Fragen untersucht, die mit der Herausbildung und Entwicklung der grammatischen Normen im System der Tempusformen des deutschen Verbs in Verbindung stehen. Im Zentrum der Aufmerksamkeit steht dabei die Gesamtheit der Formen, die im Deutschen für den Ausdruck der Vergangenheit dienen, weil gerade diese Kategorie hier den kompliziertesten und stark differenzierten Ausdruck erhielt. Diese Kompliziertheit besteht im Vorhandensein einer Reihe synonymer Mittel für die Bezeichnung der Vergangenheit im Deutschen, und zwar solcher wie Präteritum, Perfekt und Plusquamperfekt, deren Funktionen auch in der deutschen Sprache der Gegenwart teilweise zusammenfallen und sich überschneiden. Die letztgenannte Erscheinung fand ihren Ausdruck auch in der wissenschaftlichen Beschreibung der Tempusformen im Deutschen: die umfangreiche Literatur über diese Frage enthält viel Unklares und Widersprüchliches, und die Zahl der von verschiedenen 7

Forschern vorgeschlagenen Tempusschemata wächst unaufhörlich weiter an,

erfaßt

jedoch nicht den gesamten Komplex der Probleme, die mit dieser grammatischen Kategorie des Deutschen verknüpft sind. Einer detaillierten Untersuchung wurden sowohl verschiedene Arten des Ausdrucks der Vergangenheit in ihrer Wechselbeziehung und Gegensätzlichkeit als auch die Gesamtheit der grammatischen.Mittel für den Ausdruck des Tempus unterzogen, die außer Präteritum, Perfekt und Plusquamperfekt auch Präsens sowie Futur I und n umfaßt. Die teilweise bestehende Synonymie der Formen für die Vergangenheit, die bereits erwähnt wurde, charakterisiert auch das System der Tempusformen im Deutschen insgesamt; die Synonymie wird ihrerseits bestimmt durch die reiche Polysemie der Mehrheit der Formen, die Grund- und Nebenbedeutungen in sich vereinigen. Bei der Erforschung der Gegenwartsspracheg werden gesonderte Beschreibungen einzelner Tempusformen und ihrer Funktionen durch Versuche ergänzt, eine komplexe g Charakteristik des gesamten Tempussystems und einzelner Teilsysteme zu geben. Die grundlegende Schwierigkeit einer solchen Beschreibung der Tempusformen als System besteht offensichtlich in der Notwendigkeit, das System der grammatischen Oppositionen auf der Grundlage der Aussonderung invarianter Bedeutungen mit den Fakten der stark verbreiteten Polysemie und Synonymie der Tempusformen zu vereinbaren, die im Deutschen besonders deutlich zutage treten. In der sowjetischen Grammatik wurde ein solcher v Versuch komplexer Erforschung 10 der Kategorie Tempus in der Monographie W. A. Zerebkovs unternommen. Diese Arbeit enthält eine Reihe konstruktiver Vorschläge, obwohl der Forscher keineswegs

N. N. Semenjuk

20

alle Aspekte dieses Problems erfaßt. In der deutschen Linguistik entwickelte sich am stärksten das "funktionale" Herangehen an den Gegenstand, gestützt auf die detaillierte Untersuchung der Bedeutungen einzelner Tempusformen und ihre relative Häufigkeit in verschiedenen Typen von Texten.** In einzelnen Fällen wurde auch der territoriale Faktor berücksichtigt, der ebenfalls in gewissem Maße bestimmte Unterschiede der Häufigkeit in der Verwendung 12

der einzelnen Tempusformen bedingt

(vorwiegend in der Umgangssprache oder bei

ihrer Nachahmung in der schönen Literatur). Für Untersuchungen dieser Art ist das Ausgehen vom Text charakteristisch; dabei werden Versuche unternommen, verschiedene Zeitkooperationen in einzelnen Textarten 13 zu registrieren und hervorzuheben. In einigen Fällen wird versucht, die quantitativen Angaben über die Häufigkeit einzelner Formen, die auf die zeitlich bedingte Spezifik der Denkmäler zurückzuführen sind, zu interpretieren. Allerdings geben die Zählungen für die Gegenwartssprache erst eine ganz allgemeine Vorstellung von der temporalen Semantik der verschiedenen funktionalen Ebenen und ihren sprachlichen Ausdrucksmitteln. Außerdem gehen die von verschiedenen Forschern erzielten Ergebnisse nicht selten auseinander, was offenbar mit der unterschiedlichen Auswahl der untersuchten Texte zusammenhängt. So sind nach einigen Beobachtungen in der direkten Rede der Gegenwartssprache ungefähr 60 % aller finiten Formen Präsens, 14 während in der zusammenhängenden Erzählung 90% Präteritalformen darstellen. Einige andere 15 Angaben sind bei H. Brinkmann in bezug auf die Häufigkeit der Präteritalformen in der Erzählung angeführt worden - nach seiner Feststellung machen sie hier bis 77 % aus. Durch die Mehrheit der Forscher wird außerdem für 16 das Futur eine geringe Häufigkeit angegeben, nach der normativen Duden-Grammatik nur 1 , 5 - 5 % von allen Tempusformen im laufenden Text. Was die historischen Arbeiten über die Tempusformen betrifft, so sind sie bei weitem nicht so zahlreich wie die Untersuchungen der deutschen Gegenwartssprache, und die behandelte Problematik ist hier um vieles begrenzter und fragmentarischer. Am intensivsten sind die Prozesse erforscht, die mit der Entwicklung der analytischen 17 Tempusformen der germanischen Sprachen, einschließlich der deutschen , zusammenhängen, und auch Fragen des Gebrauchs einzelner Tempusformen in verschiedenen historischen Epochen.*® Die Hauptaufgabe dieses Abschnitts der vorliegenden Arbeit ist es, den Stand der grammatischen Normen im Bereich der Kategorie Tempus zu charakterisieren, beginnend mit dem Ende des 15. Jahrhunderts, und die Hauptrichtung der Normierungsprozesse in der Periode bis zum Ende des ersten Drittels des 18. Jahrhunderts aufzuzeigen. Dabei wird entsprechend der allgemeinen Konzeption der Gebrauch in den beiden Untersuchungszeiträumen, dem ersten von 1470-1530 und dem zweiten von 1670-1730, verglichen.

Tempus

21

In Übereinstimmung mit der Auffassung der grammatischen Norm, wie sie in der Einleitung (s. S. 10 ) dargelegt ist, werden in der vorliegenden Arbeit zwei Arten von Erscheinungen, die zur Kategorie Tempus im Deutschen gehören, untersucht: Der anfängliche Zustand und die allmähliche Vereinheitlichung in der Verwendung einiger Tempusformen der deutschen Literatursprache und auch die hauptsächlichen Gesetzmäßigkeiten ihres Auftretens in verschiedenen Texttypen und in einzelnen Satzarten. So wird die Herausbildung der grammatischen Normen von uns auf zwei Ebenen untersucht, auf der formalen (das Inventar der grammatischen Formen, die für den Ausdruck der Kategorie Tempus verwendet werden) und der funktional-semantischen (die Verwendung und das Nebeneinander der Tempusformen in verschiedenen Texttypen, die durch ihre allgemeine Tempusbedeutung bestimmt werden). In diesem Zusammenhang werden in einzelnen Fällen Fragen der Häufigkeit verschiedener Formen und Konstruktionen mit Tempusbedeutungen in den verschiedenen Texten berührt. Schon in den ersten Etappen der Untersuchung zeigte sich eine zweifache Abhängigkeit des Gebrauchs und der Frequenz der Tempusformen in den Texten; einmal von der Beschaffenheit des Textmaterials, das heißt von seiner genremäßigen Zugehörigkeit und vom Inhalt, die im allgemeinen auch das hier verwendete Inventar der Tempusformen und ihre Kombination bestimmen, zum anderen von verschiedenen sprachlicher Merkmalen, zum Beispiel von grammatischen Eigenschaften der verwendeten verbalen Lexeme oder von den in den Quellen vertretenen Satztypen. Die Beschreibung des Materials beginnt mit der Feststellung des Inventars der verwendeten verbalen Wortformen und Konstruktionen; dabei werden nicht nur einzelne konkrete sprachliche Erscheinungen untersucht, sondern auch einige ihrer allgemeinen Eigenschaften (Varianz, Grad der Differenzierung u. dgl.). Dann wird die Tempussemantik einzelner Textgruppen sowie die Überschneidung der verschiedenen Ze:'tebenen analysiert. Diese Zeitebenen zeigen sich unmittelbar in jenem Inventar und dem Nebeneinander der Tempusformen, die in den Texten verwendet worden sind und ihre Tempus struktur bilden. Man kann davon ausgehen, daß die Wechselbeziehung der Tempussemantik der Texte und des Inventars der in diesen Texten verwendeten Tempusformen in verschiedenen Gruppen von Denkmälern nicht identisch ist. Der hierbei festgestellte Umfang der Schwankungen sowohl in der Form des Ausdrucks der Tempusbedeutungen als auch im Charakter der Verwendung der Tempusformen, in den Regeln ihrer Kombination und auch ihrer Häufigkeit bildet die Grundlage für die Bestimmung des Grades der Verein 19 heitlichung der entsprechenden grammatischen Erscheinungen. Dabei zeigt sich die historische Dynamik der Normierungsprozesse im Bereich der Kategorie Tempus durch die Gegenüberstellung zweier ausgewählter historischer Perioden, die die literatursprachlichen Normen des Deutschen in ihrem anfänglichen Zustand und ihrer allmählichen Entwicklung repräsentieren.

22

N. N. Semenjuk

Abschnitt 1. Die Kategorie Tempus in der deutschen Sprache am Ende des 15. bis Anfang des 16. Jahrhunderts (1470-1530)

Kapitel 1. Die verbalen Wortformen und Konstruktionen (invariante und variable Elemente) Die Gesamtheit der verbalen Wortformen, die am Ausdruck der Kategorie Tempus teilhaben und in den schriftlichen Denkmälern der ersten Periode vorhanden sind, zeigt eine Reihe von Besonderheiten, die in vielem sowohl die Struktur als auch die Funktion des Tempussystems bestimmen. Zu diesen Besonderheiten gehört vor allem die große Varianz der Ausdrucksmöglichkeit der Verbkategorie Tempus, die sowohl die Bildung der einzelnen Wortformen als auch die Struktur der Tempusparadigmen (des Präsens und Präteritums) und die Bildung einer Reihe von Tempuskonstruktionen betrifft. Formale Varianz ist zum Beispiel bei einigen Hilfsverben zu beobachten, die an der Bildung einzelner Zeitformen, des Perfekts, Plusquamperfekts und Futurs (/sein, haben, werden/) beteiligt sind oder die in Verbkonstruktionen (vgl. die Modalverben) auftreten. Sie erfaßt auch eine Reihe sehr produktiver, in den Texten oft als Vollverben auftretender Lexeme (/thun, gehen, stehen/ u. a.). Im vorliegenden Kapitel werden nur einzelne Verbvarianten untersucht, die mehr oder weniger an der Bildung der Tempusformen und -konstruktionen beteiligt sind. Die zweite Besonderheit des Tempussystems der untersuchten Periode betrifft die formale und - als Folge davon - auch die semantische Undifferenziertheit einer ganzen Reihe verbaler Wortformen. Diese bringt die bekannten Schwierigkeiten nicht nur bei der Abgrenzung der Tempusformen hervor (zum Beispiel der Präsens- und Präteritalformen), sondern führt auch teilweise zur Undifferenziertheit der verschiedenen Verbkategorien (zum Beispiel des Indikativs und Konjunktivs). Wir untersuchen in großen Zügen die angeführten Besonderheiten einiger Tempusformen und einzelner Tempuskonstruktionen in den Texten. Die formale Varianz in den Paradigmen des Präsens und des Präteritums ergibt sich aus der Wechselwirkung mehrerer Faktoren. Erstens variieren im Paradigma des Präsens in der 1. Person Singular in den meisten Texten Wortformen mit voller Endung und endungslose /(ich) gebe / geb/. Eine entsprechende Varianz findet sich kaum in den Denkmälern des niederdeutschen Gebiets. Dagegen ist sie am stärksten im Südosten, besonders in Augsburger Drucken, und im Südwesten verbreitet; vgl. u. a. die zahlreichen apokopierten Formen im Text

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eines der Dialoge, die in Straßburg erschienen sind: /ich komm, find, versieh/ (D1NK). Die entsprechenden Wortformen variieren auch in ostmitteldeutschen Texten, oft sogar in ein und demselben Satz, vgl. im Sendschreiben A. Karlstadts: /ich verberg vnd . . . wircke/ SbrAC 19. Die Varianz der verschiedenen Flexionstypen (hier -e/endungslos) wird in einzelnen Fällen durch die Brechung, die in der 1. Person Singular auftritt, ergänzt (/ich sprech/spreche/sprich/), vgl. bei Hutten: /ich sprich, sehe, bitte, glaub, syh, syhe/ usw. (D1H). In den Dialogen herrschen die Formen mit Nullendung überhaupt vor, vgl. imDialog vom Karsthans (D1K), herausgegeben im Südwesten: /ich hab, veracht, gedenck, r e d / u s w . Der Wechsel der Wortformen: /ich habe/hab/ ist besonders stark verbreitet und findet sich in den meisten Texten der ersten Periode. In der "Orthographia" von Fabian Frangk (FprFr) begegnen im Autorentext beide Varianten: /hab/ (93) /habe/ (109), vgl. ebd. / i c h b i t t / (93), /ich find/ (108) u. a. Der Wechsel der Flexion ist auch im Plural zu beobachten, und er erfaßt sowohl das Paradigma des Präsens wie das des Präteritums. In der 1. Person variieren hier die Flexionen /-en/-ent (-end, -ind)/ (endungslos), in der 3. Person / - e n / -ent (end, -int, -ind)/. In den durchgesehenen Texten des ostmitteldeutschen Gebiets ist nur / - e n / vertreten (vgl. jedoch für /tun/: /wir, sie thund/ thunt/ thun/). Eine breite Zone der Varianz erfaßt das westmitteldeutsche Schrifttum und vor allem süddeutsche Denkmäler. Vgl.: RsHar (Köln) / s i e werdent, tragent, wollent, wir woldent/, aber: /(sie) quemen, wollen, fonden, gyngen, wulden/ usw. D1H (herausgegeben in Straßburg): /(sy) habent, trinkent/, aber: /haben, sollen/ u. a. Im Paradigma der Vergangenheit dagegen herrscht in der Mehrzahl der genannten Denkmäler die Endung / - e n / vor. Beide Typen der Flexion variieren sowohl im Präsens als auch im Präteritum in den Texten der untersuchten Augsburger Chroniken (vgl. vor allem ChrAg) und im Volksbuch von Fortunatus (VbF), das in Augsburg erschienen ist (/sy nament, tribent/, aber: /waren/). In den beiden Dialogen von H. Sachs (DIHS^ und DIHSg) überwiegt die Endung / - e n / ; in der 1. Person Plural begegnet auch die endungslose Flexion (DIHSj/wir müg/76, /wir bitt/90; /het wir/97). Produktiv sind die Varianten mit der Endung / - e n d / in den Quellen des südwestlichen Gebiets, vgl. RsSt: /(sy) stonden vnd wainattend/ (6); ebd.: /(sy) brachtend/ (3), /sprachend/ (5), /schlugend/ (5), /(wir) giengend/ (9), /(die) dribend, hattend/ (20). In einzelnen Fällen begegnet auch die Variante / - i n d / , vgl. RsFab: /Sy migint/migen/ (288). Wechselnde Formen dieses Typs finden sich auch in den Briefen von U. Härder (südwestdeutsch): /(sie) möchtind/ (202) /möchten/ (202), /habent/ (202) /habind/(204),

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/wir warttynd/, /wellind/ (205) usw. (BrH). Im Paradigma des Präteritums variieren in der 3. Person Singular ebenfalls zwei Formen, die volle (/er lebte/) und die apokopierte (/er lebt/), wodurch bei den schwachen Verben Präsens und Präteritum teilweise zusammenfallen. Obwohl dieser Zusammenfall nur bei einer der Präterital- und Präsensformen zu beobachten ist, ist diese Form dennoch stark verbreitet. So entfallen im untersuchten Ausschnitt des Sendbriefes vom Dolmetschen Luthers (SbrL) von 570 finiten Formen mehr als 300 auf die 3. Person Singular und bei Karlstadt von 562 finiten Formen ebenfalls mehr als 300, d. h. mehr als die Hälfte (SbrAC). Deshalb spielt die Differenzierung (oder Nichtdifferenzierung) der entsprechenden Wortformen eine wesentliche Rolle bei der Bestimmung und Erforschung der temporalen Struktur der Texte. Die Bedeutung der Vergangenheit stützt sich in diesen Fällen nur auf die starken Präteritalformen, was besonders häufig in den Denkmälern des süddeutschen Gebiets beobachtet werden kann, namentlich in Augsburger Drucken. VbF /kam, hub an, sagt/ (11); VbTr^ /was, mocht, warf, schaut, ward/ (10); vgl. auchRsSpr (oobd.): /was, hat, bließ/ (3), oder RsSt (wobd.): /(cham, drug), gab, fürtt, schicktt/ (5). In bedeutend geringerem Umfang findet sich diese Erscheinung in mitteldeutschen Texten, und sie fehlt vollständig im Norden des Sprachgebiets; vgl. jedoch die westmitteldeutsche Fassung des Romans von Pontus und Sidonia mit der folgenden Reihe von Präteritalformen, bei denen die schwache Form unmarkiert ist: /(er) hört, was, dett, begonde, was/ VbPS^ 58, oder: / E r ging zu syme herren dem konig vnd ertzalt yme die sachen, wie sye yme dan vorkommen waren/ VbPS^ 58. Jedoch weisen die meisten Texte, mit Ausnahme der Denkmäler des niederdeutschen Gebiets, die reduzierten Präteritalformen des Verbs /haben/ auf: /hat, hatt/. Deshalb wechseln im Präteritum /hat(t)/ und /hatte/. Außerdem erfaßt die Reduktion auch die Formen der Modalverben, die sich beim Fehlen des Umlauts nicht von den entsprechenden Formen des Konjunktivs Präteritum unterscheiden. Vgl. bei Luther: /O wie solt es so gar eine feine, besserliche, vnergerliche lere sein, wenn die leute lernten, das sie nebe dem glauben, auch durch werck from mochten werden . . . / S b r L 29. Schließlich muß noch eine Erscheinung hervorgehoben werden. In der 1. und 3. P e r son Singular der starken Verben wechseln endungslose Formen mit Formen mit dem sogenannten "unorganischen" / - e / , vgl. / s a h / - / s ä h e / . Eine gewisse Zahl von vollen Formen begegnet in vielen Texten der verschiedenen Gebiete. Vgl. zum Beispiel: / w ä r e / ChrSp 9 (omd.); / s ä h e / VbSM b l a (omd.); /dede/ RsHar 86 (wmd.); /gienge/ VbPSg 128 (Augsburg) usw. Nur in einzelnen Texten (ihre Zahl ist in der ersten Periode nicht groß) haben volle Präteritalformen eine etwas größere Verbreitung gefunden.

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Vgl. zum Beispiel im Text des westmitteldeutschen Traktats "Der Frankforter": /Alleß daß yn adam unter ginge und starbe, da stunde in cristo wider auf und warde lebendige/ TrFr 19. Für einzelne starke Verben führte die Verwendung der Formen mit "unorganischem" /-e/ im Indikativ Präteritum (1. und 3. Person Singular) zur teilweisen Aufhebung des formalen Unterschieds zwischen Indikativ und Konjunktiv (vgl. /er triebe/ TrFr 19). Nach der Untersuchung einiger der Varianten, die sich in der ersten Periode in den Paradigmen des Präsens und Präteritums finden, ist es notwendig, auch die wesentlichen Fälle der Varianz in den Formen des Partizips II kurz zu charakterisieren. Die Varianz wird hier durch die unterschiedlichen grammatischen Merkmale des Partizips verursacht. Erstens können die volle und die synkopierte Form des Präfixes (/ge-/g-/) wechseln, aber die synkopierte Variante hat eine begrenzte Verbreitung in den Texten. Stärker verbreitet ist der Wechsel der Partizipialformen mit und ohne Präfix; er ist praktisch in allen Texten des untersuchten Zeitraumes vertreten. Formen des Typs /bracht, gangen, kommen/ begegnen im Perfekt und Plusquamperfekt: /hat (hatte)/, bracht /gebracht/; /ist (war) kommen / gekommen/. Bei den Modalverben ist für die Varianz dieses Typs der Wechsel des "starken" und schwachen Partizips (/können / gekonnt/) charakteristisch, was zur Festigung der zwei modifizierten Typen der Perfektkonstruktionen (und entsprechend Plusquamperfektkonstruktionen) führt: /hat lesen können / hat lesen gekonnt/. 20

Nach Angaben der Untersuchung von G. Schieb

, die den Bestand des verbalen Prä-

dikats in den Denkmälern der selben Periode erforschte, ist das dreigliedrige Prädikat mit der "starken" Form des Partizips vom Modalverb stärker verbreitet (40 % der Fälle) als die Variante mit der schwachen Form (16,7 % der Fälle). Eine dritte konkurrierende Variante der Konstruktion mit Modalverben ist die Kombination mit dem Infinitiv n des Vollverbs (/konnte gelesen haben/); ihre relative Häufigkeit beläuft sich auf 34 % . Schließlich variiert beim schwachen Partizip II auch der Vokalismus vor dem dentalen Element am Ende, vgl.: /-t/-et/. Die Varianz vom Typ /gelebt/gelebet/ zeigt sich in verschiedenem Maße in allen Texten. Außerdem begegnen vereinzelt auch schwache Formen des Partizips II auf /-att/, die sich auf dialektale Besonderheiten (des Südwestens) stützen, vgl.: RsSt /bestattatt ward/ (9), /gewonatt hatt/ (9), /gewonatt hatt/

(10). Wie bereits erwähnt, erfaßt die Varianz in der untersuchten Periode nicht nur einzelne Wortformen der Tempusparadigmen und analytischen Tempuskonstruktionen. Sie ist auch charakteristisch für die Formenbildung einiger verbaler Lexeme, was wiederum mehr oder weniger wichtig für die Bildung einzelner Verbformen und -konstruktionen ssin kann. Untersuchen wir einige solcher Lexeme.

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Das Verb / s e i n / Dieses Verb zeigt in seinen Wortformen eine sehr umfangreiche Varianz. Die 3. Person Singular Präsens wird durch / i s t / i s / vertreten. In der 1. und 3. Person Plural variieren /sin/sein/seind/sind/. In der 1. und 3. Person Singular Präteritum begegnen: /war (ware)/was/. Im Partizip II: /gewesen/gewest/gesin/gesein/. Im Infinitiv: /sin/sein/wesen/gesin (gesein)/. Teils begegnen die angeführten Varianten nur in bestimmten regionalen Varianten der geschriebenen Sprache und in einzelnen Denkmälern, teils werden sie auch als Varianten in der Mehrzahl der Denkmäler verwendet. Für die Denkmäler des niederdeutschen Gebiets sind folgende Formen kennzeichnend: /syn (Infinitiv); (er)is; (wy, sy) sin/sint; ghewessen/ gewest (Partizip II) / RsKett; /sin/wesen/ (Infinitiv), (wy) sunt, (sy) synt, (er) was/ ChrSch; /wesen/syn/ (Infinitiv), / s y sint/ VbKop; /wesen (Infinitiv), (er) is, (sie) synt/sijn/ FprA. Im ostmitteldeutschen Gebiet sind vertreten: /sein (Infinitiv); (er) ist; war/was, (wir, sie) sein/sind/ seint; gewesen/gewest (Partizip n)/. In westmitteldeutschen Denkmälern begegnen: /sin, gesin, wesen, gesein/ (Infinitiv); / i s / i s t , sint/seind/sein/; /waß/war/; /gewesen/gewest / . In den Denkmälern des südöstlichen Gebiets finden sich: /sein, wesen/ (Infinitiv); / i s t , seindt, sind/sein/; /was/war/; /gewesen/gewest / . Im Südwesten: /gesin, sin/ (Infinitiv); / i s t , sind/seind/; /was/war/; /gesin/gesein/gewesen/ (geweßt). Einige Varianten werden in den Texten einzelner Denkmäler auch parallel verwendet, so zum Beispiel: VbEu: /was (waß) war/;/gewesen/gesein/; VbTrg: /gsin/gewesen (gwesen)/; ChrR: /gewest/gewesen/; /sindt/seind/sein/; RsHirsch: / s e i n / sind/seint/; /war/was/; /gewesen/gewest/.

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Das Verb /haben/ Die Varianz der Wortformen in den einzelnen Paradigmen ist auch bei diesem Verb sehr groß. 1. Person Singular Präsens: /(ich) hab/habe/han(hon)/; 3. Person Singular Präsens: /(er) hal/het (hot)/; 3. Person Singular Präteritum: /(er) hatte/hat(t)/hette/hett/; 1.+3. Person Plural Präteritum: /(wir, sie) hatten/hetten/. In den Quellen des niederdeutschen Gebiets stehen neben Formen des Typs /hebben/ Formen wie /hadde/hedde/ (1. Person Singular Präteritum), und entsprechend /hedden/hadden/ (1. und 3. Person Plural Präteritum). Im Partizip n konkurrieren /gehabt/g(e)han/. Die zuletzt genannte Form des Partizips II begegnet in niederdeutschen Denkmälern (/ghan/ ChrSch) und im Südwesten (/ghan/ TrZw). Die Kurzformen des entsprechenden Verbs finden sich im allgemeinen am häufigsten in südwestlichen Texten, vgl. RsSt: /ich han, sie hand/hain/; RsFab: / e r hat/hant/; SbrVer: /han/hon/ (Infinitiv). Die Varianz der Wortformen dieses Verbs wirkt _sich am stärksten in der Differenzierung der Präteritum- und Präsensformen und entsprechend des Perfekts und Plusquamperfekts bei der 3. Person Singular (/hat, het/) und auch des Indikativs und Konjunktivs in der 3. Person Singular und in der 1. + 3. Person Plural (vgl. /hette, hetten/) aus. Diese Erscheinung ist jedoch nicht in gleicher Weise in allen Gebieten ausgeprägt. In den niederdeutschen Ausgaben grenzen sich Präsens und Präteritum klar voneinander ab (/he hefft/, aber: /he hadde, hedde/), dagegen können Indikativ und Konjunktiv in einzelnen Fällen zusammenfallen (/hedde, hedden/). Obwohl der Zusammenfall der Formen zur Merkmallosigkeit führt, wird die auftretende Unbestimmtheit größtenteils durch den Kontext korrigiert und damit die Funktion der jeweiligen Form doch hinreichend deutlich. So ist die Form / h e t / innerhalb einer Reihe von aufeinanderfolgenden indikativischen Präteritalformen (in einem zusammengezogenen Satz oder in einer Satzverbindung) eindeutig als Präteritum Indikativ zu identifizieren. Vgl. ähnliche Reihen etwa im Text ChrA^: /was, hett, ward, schos/; oder in RsT: /was, geschähe, kam, hetten/. In anderen Fällen wird die grammatische Bedeutung der entsprechenden Formen von /haben/ durch ihren Vergleich mit einer klar markierten Form von / s e i n / ermittelt; vgl.: /Vnd fürtt man uns jn diesem Dal umer und zaigtt uns vil wunderbarlich Ding zu sechen, und do unser Her umer gewesen was und gros Wunzaichen getton hatt (= hatte)/ RsSt 10. /Un die person Marcolfi was kurcz vnd dick (= grob) vnd het (= hatte) eyn groß haubt . . . / VbSM a2 a . Im Ausschnitt aus dem Roman "Pontus und Sidonia" treten die Formen /het/ und /hette/ als Varianten klar hervor; für die 3. Person Singular Indikativ vgl.: /Vnd die-

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weil solchs beschah, stal sich die Kunigin heymlichen durch ein kleines Turlein auß. Vnnd het nichts met . . . vnnd nam einen kleinen Mantel vmb sich vnnd flöhe in eynen vinstern wilden Walde. Nun hette der Kunig Tiburt einen iungen Sun, genannt Pontus/ VbPSg 117. Eine ähnliche Varianz ist nicht nur in den Denkmälern des Südostens zu beobachten, wo die merkmallosen Formen besonders verbreitet sind, sondern auch in südwestlichen, ostmitteldeutschen und westmitteldeutschen Texten. Vgl. die Beispiele unten aus dem Volksbuch vom Eulenspiegel (1, 2), das in Straßburg erschienen ist; aus "Salomon und Markolf" (Beispiel 3, in ostmitteldeutscher Ausgabe), aus der westmitteldeutschen Variante des Romans von Pontus und Sidonia (4) und aus der Augsburger Ausgabe des Romans von Fortunatus (5). (1) / . . . , der becker sagt ia vnd vlenspiegel hat ein sak der het ein verborgen loch, vnd lies im dz brot in den sack zelen . . . / VbEu 10; (2) /Als er nun vff dem seil wz, vnd het (= hatte) die schuh mit im daruff, da sahen . . . / VbEu 8; (3) /Marcoli sas pei dem fuer vnd het (= hat? hatte?) eyn dopf mit bonen zu geseczt. Und er antwort dem kunig vn sprach/ VbSM a6^; (4) /Nvn was bey dem Kunig Produs ein Ritter, ein Cristen, der in einem Streyte was gefangen worden vnnd Machametes Gelauben . . . an sich het genurrftnen (= hat? hatte?) vnd was doch alle Zeitte seyn Hercz vnd Gedanck in Jhesu Cristo/ VbPSg 118; (5) /do was auch ain Galee von Cipren dahyn kommen mitt kostlicher kaufmanschaft e vnd vil kauffleütten darmit, darunder waren zwen iung, die reich vatter in Cipern hetten (hatten) . . . / VbF 17. So finden sich im ersten und zweiten Beispiel /hat/ und /het(t)/ (= hatte), im dritten und vierten /hett/ (= hat) oder /hatte/ (unklar) und im fünften /hetten/ (= hatten). Diese Varianz ist hier unmittelbar durch die fehlende formale Differenzierung der Tempusbedeutungen der entsprechenden Formen begründet, die in einer Reihe von Fällen auch noch von der Nichtdifferenziertheit verschiedener modaler Zeitebenen überlagert wird (vgl. hierüber Ähnliches im Abschnitt über die Modalität T e i l II, S. 130f., besonders S. 139). Das Verb /werden/ Der Wechsel einzelner Wortformen ist auch im Paradigma dieses Verbs zu beobachten, das ebenfalls in verschiedenen verbalen Konstruktionen auftritt. Vgl. hier die Varianz der einzelnen Formen: 1. Person Singular Präsens /(ich) werd(e)/wird(e)/würd(e)/; 3. Person Singular Präsens /(er) wird/würd/(wurt)/; 1. + 3. Person Singular Präteritum /(ich, er) ward(e)/wurde/; 1. + 3. Person Plural Präteritum /(wir, sie) wurden/worden/; Partizip II /geworden/worden/wurden/.

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Undifferenzierte Formen sind hier in einigen Fällen zu beobachten. So können P a r tizip n und Plural Präteritum zusammenfallen, jedoch wirkt in diesem Fall die Position der jeweiligen Form im Satz als differenzierender Faktor; sie markiert klar die einzelnen Funktionen und grenzt die grammatischen Bedeutungen ab. Vgl.: /Vil cristen worden von yme dot geslagen/ VbPSj 92. /

, die nit enwisten, das ir herre der konig erslagen was worden/ VbPS^ 93.

Schwieriger ist die Form /würd/ zu identifizieren, weil sich hier wiederum die Kategorien Tempus und Modalität (Futur I und Konditional I) überschneiden können. Vgl.: (1) /Ey, so wirt got vnser blut vonn ewren henden erfordern, daz ir vns (die armen scheflein Christi) so lanng hand verfuren lassen . . . / DIHSj 92; (2) /Christus würdt ye sonnst nichts fodern von vnns, dann die werck der barmhertzigkeit . . . / D I H S j 87; (3) /Die selbigen wundenn sol tu mit salbenn fliessen vnd eyteren machenn als du ouch hernach wol geschriben finden würst/ FprBr XII ; (4) /

daz ist das er lispen würt das ist ein grose wüd vnd dar zü ein glid/ a

FprBr XV ;

e d (5) /Als du horn würst hie nach volgent/ FprBr XIII ; vgl. ebd. die klare FuturKonstruktion: (6) / . . . vnd werdent die ougen brenen . . . / FprBr XI . Zu beachten ist die häufig nicht klar ausgeprägte Differenzierung des Konditionals und des Futurs in den Dialogen (D1NK, D1HS) und in der Fachprosa (FprBr), d. h. in Texten, für die die .Futursemantik besonders charakteristisch ist und in denen gleichzeitig labialisierte Formen des Verbs /werden/ verbreitet sind, die hier auch in anderen Funktionen (Passivkonstruktion, als Kopula im Prädikat) auftreten. Landschaftlich verbreitet findet sich diese Erscheinung im Südwesten und Südosten und auch im Westmitteldeutschen (ChrM, D1HS). Bei der Untersuchung der verbalen Wortformen fiel schon auf, daß ihre Varianz zu verschiedenen formalen Modifikationen in der Struktur einzelner Verbkonstruktionen, die dem Ausdruck der Kategorie Tempus dienen, führt. Gleichzeitig begegnet in den Denkmälern der untersuchten Periode eine Reihe von verbaleh Konstruktionen, die mit verschiedenen grammatischen Bedeutungen versehen sind, darunter auch Tempus-Bedeutungen, die ebenfalls als Varianten auftreten. Die entsprechenden Varianten haben zwei Hauptquellen. Es handelt sich entweder um archaische Verbkonstruktionen aus dem Schrifttum der Zeit vom Ende des 15. bis Anfang des 16. Jahrhunderts oder um Konstruktionen, die unter dem Einfluß der gesprochenen Sprache eingedrungen sind. Zur ersten Gruppe gehören zum Beispiel Konstruktionen mit dem Partizip I und dem

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Verb / s e i n / , die im Präsens oder Präteritum verwendet werden, vgl.: /(Ich) bin . . . von hertzen begerende/ VbPSj 55; / . . . lüde, die darinn waren wonnende/ VbPSj 58; /Diese hystorie sagt vnd erzelt vns von eynem jungen man, dem zytlich vil vnbilles verdrieselich ist begegent . ../VbPS^ 45. Vgl. auch die Belege in der niederdeutschen Variante des Romans von Troja: /Do alle man in des koninges pallas rouwe begerde vnde Medea merkede, dat alle dat gesynde slapende was, do gink se . . . / VbTrg 86. Vereinzelt begegnen Konstruktionen eines ähnlichen Typs auch in der Fachprosa, vgl.: /ist fallend, ist fallende/ FprC 79, 98, 111. Zu demselben archaischen Typ von Konstruktionen stellen sich auch Kombinationen des Partizips I oder des Infinitivs mit dem Verb /werden/ im Präteritum, die noch mehr oder weniger den inchoativen Bedeutungsaspekt bewahren: /do wart he bitterliken wenende/ VbTrg 96; /(er) ward lachen/ VbEu 17; /Do wart marcolfus schlaffen/ VbSM a7 b ; / . . . der vatter sach den sun gar ernstlich an vnd ward jnnigklichen vnd von grund seines hertzen seüfftzen/ VbF 5. Hier schließen sich auch Verbindungen des Verbs /werden/ mit verschiedenen deverbalen Adjektiven an: /Do Jason dat horde, do wart he sere verurouet . . . / VbTrg 77; /Van den worden warth Medea seer vorvrouet vnde sprak/ VbTrg 85; / Vlenspiegel tranck sich dz er truncken ward, vnd gieng . . . / VbEu 12. Zur zweiten Gruppe der Verbkonstruktionen gehört das in den Texten vereinzelt auftretende "Ultraperfekt". Der Herkunft nach liegen süddeutsche Formen vor, die in der Funktion der Vergangenheit in jenen Fällen auftreten, in denen in der gesprochenen Sprache und in dialektal gefärbter Sprache sowohl das Präteritum wie das Plusquamperfekt fehlen, vgl. in den Quellen: / . . . Herlant, mir ist gesagt, vch sy baß erlongen zu ziehen vwern jungen knaben, den myn herre vatter vch entpholen hatt gehabt . . . / VbPS1 62; / . . . , der Olwier gefangen hat gehan/ VbOA 242; /hat . . . geweit gehabt/ ChrA 2 34. Zu dieser Gruppe ist auch die Konstruktion mit dem Hilfsverb /thun/ zu rechnen, die ebenfalls an die gesprochene Sprache gebunden ist. Nach Angaben von G. Schieb macht diese Konstruktion in den Denkmälern der ersten Periode ungefähr 0,2 % unter den verbalen Wortverbindungen aus, die aus der finiten Form (von /thun/ in der Rolle des Hilfsverbs) und dem Infinitiv des Vollverbs bestehen. In bezug auf das Tempus

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tritt die Konstruktion mit /thun/ je nach der Form des Hilfsverbs in der Bedeutung des Präsens oder Präteritums auf. Diese Konstruktion ist wegen der in ihr deutlich werdenden allgemeinen Tendenz zum analytischen Sprachbau, die dem grammatischen System der deutschen Dialekte eigen ist und die sich nur teilweise in der geschriebenen Sprache widerspiegelt, interessant. Vgl. einzelne Beispiele in den Texten: /(man) thet . . . still schwigen/ VbHSch 41; /Got

thet ir Gebet erhören vnd gab jnen einen Erben/ VbOA 243;

/(er) thet . . . vorkundigen/ SbrAC 7; / . . . vnd bawhet berg der boßheit, do sie zeuor nur kleine hügelein bauhen (bauen) thet/ SbrAC 4. Die oben angeführten Konstruktionen, die in den Quellen vereinzelt begegnen, sind in der Mehrzahl von archaischer Struktur und treten in den Volksbüchern der verschiedenen Gebiete, einschließlich der niederdeutschen auf, ferner in einigen fachsprachlichen Quellen. "Ultraperfektive" Strukturen und Konstruktionen mit /thun/ werden mitunter in süddeutschen Volksbüchern verwendet, vereinzelte Beispiele finden sich in einer der Augsburger Chroniken (CrA^) und auch im Sendschreiben des Predigers A. Karlstadt an die Gemeindemitglieder (SbrAC).

Kapitel 2. Der Bestand der verwendeten Tempusformen und -konstruktionen, ihre Häufigkeit und Verteilung in den Texten Das Zentrum des Tempussystems der deutschen Sprache an der Wende vom 15. zum 16. Jahrhundert bilden die Zeitformen Präsens, Präteritum, Perfekt, Plusquamperfekt und auch Futur I. Die periphere Position des Futurs II wird durch seine geringe Häufigkeit in den 21

Quellen des ersten Zeitraums

und seine Stellung an der Grenze zwischen Tempus-

und Modalsystem der deutschen Sprache bestimmt. Eine periphere Position im Tempussystem nimmt auch die analytische Konstruktion mit dem Verb /thun/ ein, das als Hilfsverb auftritt und entweder in der Form des P r ä sens (vgl.: /Dan wer sich nit furchten thut, , . . / VbHSch 38) oder in der Form des Präteritums (vgl.: /[er]

thet . . . still schwigen/ VbHSch 41) verwendet wird. Das be-

stimmt auch die Aufnahme der entsprechenden Konstruktionen in den Bestand der Tempusformen der Gegenwart (analytisches Präsens) bzw. der Vergangenheit. Wenden wir uns der Frage der Häufigkeit der einzelnen Tempusformen in den untersuchten Denkmälern, ihrer Verteilung und ihren Gruppierungen in den Texten zu. Wie in der Einleitung (vgl. S. 11) vermerkt, ist das für die Untersuchung ausge-

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wählte Textmaterial der ersten Periode äußerst mannigfaltig - hierzu gehören Reisebeschreibungen, Chroniken, Volksbücher und Romane, ebenso verschiedene Arten der polemischen Literatur aus der Epoche der Reformation und des Bauernkrieges (Traktate, Dialoge, Sendschreiben). In Auswahl wird auch die Fachsprache in einigen frühen Werken der medizinischen, technischen und philologischen Literatur untersucht. Gelegentlich werden ferner Korrespondenztexte des 16. Jahrhunderts in die Untersuchung einbezogen (vgl. das Verzeichnis der Quellen). Alle diese Gattungen repräsentieren die Sprache der wichtigsten Landschaften der entsprechenden Periode, der ostmitteldeutschen (omd.) und westmitteldeutschen (wmd.), ferner der ostoberdeutschen (oobd.), westoberdeutschen (wobd.) und niederdeutschen (nd.). Es wurde oben bereits erwähnt, daß eine solche Abgrenzung der Sprachlandschaften äußerst ungenau bleiben muß, sowohl wegen der schwierigen Bedingungen der Ausgabe der einzelnen Quellen - Texte einer Landschaft werden sehr oft in Druckorten anderer Landschaften herausgegeben als auch wegen der in einer Reihe von Fällen bestehenden Unklarheiten ihrer Lokalisierung. Außerdem ist die lokale Charakteristik einzelner Druckzentren (vgl. z. B. die Lage von Augsburg) in der Geschichte der deutschen Sprache nicht immer eindeutig. Eine große Rolle für das Verstehen und die Erklärung einiger Fakten, die mit der Verteilung einzelner Tempusformen und ihrer Häufigkeit in den Texten zusammenhängen, spielt der Inhalt des Textes und sein Aufbau. Vom Standpunkt des Aufbaus der Texte und ihrer Tempussemantik läßt sich das untersuchte Material in drei Gruppen zusammenfassen. Zur ersten Gruppe gehören Denkmäler, die eine mehr oder weniger zusammenhängende Erzählung über bestimmte Ereignisse (Reisen, Chroniken) oder ihre literarischen Darstellung (Volksbücher und Romane) enthalten. Zur zweiten Gruppe gehören Werke, in denen bestimmte Fragen und Fakten e r ö r tert werden. Hierzu gehören vor allem verschiedene Arten polemischer Prosa mit politischem und religiösem Inhalt. Die dritte Gruppe bilden schließlich Denkmäler der Fachprosa, in denen der informativ-instruktive Aspekt vorherrscht (medizinische Bücher, Instruktionen technischen Charakters, Empfehlungen über Fragen der Sprache). Wie bereits gesagt, ist es die Spezifik des Textaufbaus, der Zweckbestimmung und des Inhalts jeder der untersuchten Quellengruppen, die im wesentlichen die temporale Semantik der Texte bedingt, d. h. die Gesamtheit der temporalen Bedeutungen, die als Zeitebenen in einem bestimmten Werk aufeinander folgen. Die Zeitebenen, die in einem Text auftreten, können auf logischer Grundlage ermittelt und entsprechend charakterisiert werden; sie finden ihre Widerspiegelung in der Gesamtheit der hier verwendeten Tempusformen und -konstruktionen. Das Verhältnis zwischen der Tempussemantik der Texte und dem Inventar der ver-

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wendeten Tempusformen ist jedoch nicht eindeutig. Einerseits kann eine gleiche oder ähnliche Situation durch verschiedene Tempusformen ausgedrückt werden, andererseits können verschiedene Situationen eine gleiche oder ähnliche Wiedergabe finden. Wenden wir uns jetzt der allgemeinen Charakteristik der Tempussemantik und der Tempusstruktur in den für die erste Periode untersuchten Texten der unterschiedlichen Gattungen und der verschiedenen Sprachlandschaften zu. Typ I Die Reisebeschreibungen (Rs), äußerst populär innerhalb der deutschen schriftlichen Überlieferung des 15. und 16. Jahrhunderts, gehören zu jener Kategorie prosaischer Werke, in denen die zusammenhängende Erzählung über Ereignisse, die in der Vergangenheit stattgefunden haben, überwiegt. Der Aufbau des Textes in den untersuchten Werken ist mehr oder weniger gleichartig: er besteht in der Regel aus einzelnen Absätzen, von denen jeder eine Reihe miteinander verbundener Informationen enthält. Der Anfang jedes Absatzes ist meistens formelhaft (vgl. /Darnach . . . , Nach dem . . . , Nach diesem . . . / usw.); am Schluß werden nicht selten Angaben darüber angeführt, wieviel Sünden den Pilgern für den Besuch der heiligen Stätten vergeben wurden (/Da vordienet man auch 7 Jahr Ablas/ RsHirsch 80). In einigen Reisebeschreibungen sind dennoch bestimmte Abweichungen von diesem Schema zu beobachten. Aus unserem Material ist Balthasar Springers Reisebeschreibung der Indienfahrt (RsSpr) hervorzuheben, die sich durch ihre Thematik von den üblichen Pilgerreisen ins heilige Land unterscheidet. In sehr geringem Umfang enthält der Grundtext Elemente der direkten Rede (RsFab, RsSt). In einer der Quellen ist die Rede eines Priesters an die Pilger angeführt (RsT), und in einer zweiten (RsHirsch) wird der Text eines Vertrags der Pilger mit dem Kapitän des Schiffes wiedergegeben, in dem ihre gegenseitigen Verpflichtungen während der ganzen Dauer der Reise festgelegt werden. 22

In der Mehrheit der Reisebeschreibungen wird als Grundform das Präteritum verwendet, das gewöhnlich in Kombination mit Präsensformen auftritt. Diese sind unterschiedlich motiviert und erfüllen entsprechend verschiedene Funktionen. In der Regel werden mit Hilfe der Präteritalformen Begebenheiten charakterisiert, die unmittelbar mit der Reise zusammenhängen (dynamische Beschreibungen). Hingegen werden in statischen Beschreibungen, die mit der Charakterisierung einzelner Sachgegenstände (Gegenden, Städte, Sehenswürdigkeiten) verbunden sind, die Präsensformen verwendet. Vgl.: /Von Soy ritten wir durch das Dorff Ambriga, da man die schöne geschnitzte arbeit macht, vnd durch ein Stetlein Bartekirchen bis gen Mitterwalde, dahin sein 7 meils.

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Wir rittenn auch vor einem Closter über, das heist Rottebuch/ RsHirsch 34; /Da sassen wir auf ein Barcken vnd fuhren auf dem Mehre gen Venedigen, das ist ein halbe meile, vnd kamen also den heiligenn Grünen Dornstag . . . gegen Venedigen in ein Deutzsche Herberg gar spate, die heist zur Polttenn, da blieben wir bis vff den heiligen Qstermontagk/ RsHirsch 35. In anderer Funktion, und zwar vor allem in der Funktion des " historischen" P r ä sens, treten die Präsensformen auf, die in dynamischen Beschreibungen begegnen. Auch das ist für eine Reihe von Texten charakteristisch: /In dem komen die mer in die samnung, die nit weit von den predigern ist, an die das prediger gessli stosst, wie das vil closter frowen von den predigern clöstren in Swaben in der prediger kirch s ig int zemen komen, und so das die gaistlichen ersamen samnung frowen hören, so hept sich die frow maistrin uff mit iren convent und gand zu den predigern und enphahent mit ersamhait und mit grossen fröden die closter frowen, wenn sy fyndent in der schar vil closter frowen, die ir frund sind. Etlich samnung frowen finden da ihr leiplich schwestern, ettlich ir basen und mumen, ettlich on die die fruntschafft finden da vil gespilen/ RsFab 284. Als ergänzende Formen treten in den Reisebeschreibungen in unterschiedlichem quantitativem Verhältnis Perfekt und Plusquamperfekt auf. Das Futur ist hier wenig produktiv, es begegnet vereinzelt in der direkten Rede, durchschnittlich nur mit 1,6 1,3 Formen pro Text und das nur deshalb, weil in einem der Texte (in der Reisebeschreibung Hirschfelds) sich ein Vertrag findet, in dem 7 von den insgesamt 9 Futurformen nacheinander stehen. In verallgemeinerter Form läßt sich die Tempussemantik der Reisebeschreibungen wie folgt darstellen: Rs = Prät + Präs + Perf + piusquamperf + (Fut. 2) Tabelle 1 •Die quantitative Verteilung der komplementären Tempusformen in Rs Quelle TenNl pusform n

wmd.

zus. RsFab RsSt RsKett zus. in 5 in 7 oobd. Augsb. wobd. wobd. nd. GeTexbieten ten"1"

im Durchschnitt pro Text

55

24

18

75

43

55

102

372

247

53 - 55

Plusqu.

4

25

11

11

1

2

7

61

49

8,7-9,8

Futur

1

-

-

1

1

9

8

1,3-1,6

RsHirsch

RsHar RsSpr RsT

omd.

Perfekt

+

-

-

Wo aus einem Gebiet zwei Texte ausgewertet wurden, sind die durchschnittlichen Zahlen beider angeführt.

Tempus

35

Die quantitative Verteilung der analytischen Formen der Vergangenheit zeigt in den Reisebeschreibungen eine Reihe von Besonderheiten, auf die jetzt eingegangen werden soll: 1. Die Durchschnittszahl der Perfektformen beträgt pro Text 54, für das Plusquamperfekt etwa 9. 2. Der Umfang des Schwankens in der Häufigkeit der entsprechenden Formen beläuft sich auf 1 : 5 pro Text für das Perfekt und 1 :25 für das Plusquamperfekt. 3. In dem niederdeutschen Reisebericht (RsKett) tritt das Perfekt am häufigsten auf (102 Perfektformen bei 7 Formen des Plusquamperfekts). Hier werden die Perfektformen in den einzelnen Autorberichten sehr häufig angewendet, und zwar als fortlaufende Erzählung über die Ereignisse. 4. Sehr produktiv ist das Perfekt auch im Text von Tuchers Reisebericht (RsT), der in Augsburg erschienen ist: hier finden sich 75 Perfektformen bei 11 Plusquamperfektformen. 5. Weiter folgen zwei Texte, RsHirsch (omd.) und RsSt (wobd.), in denen je 55 P e r fektformen auftreten. In beiden Denkmälern ist das Plusquamperfekt selten (4 und 2 Verwendungen pro Text). 6. Ziemlich gleichmäßig sind die beiden analytischen Formen der Vergangenheit im Text der Reisebeschreibung Arnolds von Harff (wmd.) verteilt; hier finden sich 24 P e r fektformen und 25 Plusquamperfektformen. 7. Vereinzelt begegnet das Plusquamperfekt in der Reisebeschreibung von Felix Fabri aus Ulm (wobd.), hier ist aber die Zahl der Perfektformen ziemlich groß (43) und nähert sich der Durchschnittszahl. Möglicherweise hängt das mit der großen Zahl von Präsensformen in diesem Text zusammen. 8. Hingegen ist eine geringe Zahl von Perfektformen (18) bei 11 Plusquamperfektformen für den Text von Balthasar Springers Indienfahrt (oobd.) festzustellen. Vermutlich hängt auch dieser Sachverhalt mit einigen Besonderheiten der Tempussemantik des genannten Denkmals zusammen. Hier überwiegt die zusammenhängende Erzählung über die Ereignisse in der Vergangenheit (Präteritum), und es fehlen fast vollständig spezifische Tempusebenen der Vergangenheit, die mit den Fakten der biblischen Geschichte zusammenhängen und deshalb gewöhnlich bei der Beschreibung der Pilgerfahrt verwendet werden. Was die große Häufigkeit des Perfekts in der niederdeutschen Reisebeschreibung (vgl. oben Punkt 3) betrifft, so erfordert diese Tatsache eine gesonderte Erklärung. Der Text ist überhaupt sprachlich etwas anders aufgebaut als die übrigen. Erstens enthält er oft eine besondere Art "afiniter" Partizipialkonstruktion, vgl.: /Item den vrydagen morgen na Mens gefaren, is 6 mele von Bacharach, tor guder herberge in dem Ros genant, und under wegen to Rodelsem wyn und vis che vor 1 gold-

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gülden, und 4 rader albus und den selfften morgen gegeven 5 goltgulden, dat man in dem schep verdan hadde, vnd vor ein bock papyro 2 rader albus/ RsKett 172. Oder: / . . . , und den avent to Bacharach tor guder herberge gekommen genant in den rebbestock, dey nacht 1 goldgulden vortert, so wy en dem scheppe maltyt gehalden hedden; und der was gut wyn/ RsKett 172. Außerdem wird in diesem Text das Perfekt häufig neben dem Präteritum in der zusammenhängenden Beschreibung der Ereignisse verwendet, wobei ganze perfektive "Ketten", ähnlich der einfachen Vergangenheit, gebildet werden. Vgl.: /Item up gudensdach vor corporis Christi syn wy broders sementliken gekommen van Meisters, dar wy hochtyt hedden gehalden und synt to Venedien gekommen umme dey processie to halden . . . / RsKett 184. Oder: / . . . und wy broder synt eme den fridagen morgen semptliken to Venedien gefolget und in dey vorg. herberge gefaren und do myt dem patroen overgekalt und verdragen . . . / R s K e t t 179. Vgl. jedoch einen anderen Textabschnitt aus demselben Denkmal, in dem das Präteritum überwiegt: / . . . und derselve groite mester hefft uns seggen laten, wes wy begeren, solden wy seggen, und was uns syne genade to willen don konde, solde wy syne genaden ungesparet vynden, des wy uns sementliken tegen syne genade bedanckeden/ RsKett 193. Eine synonyme Verwendung verschiedener Formen der Vergangenheit ist übrigens auch in anderen Reisebeschreibungen zu beobachten: 1. / . . . und nit weit von Piperno ist daz closter Fossa Nova Sant Bernhartz orden, in dem Sant Thomas starb/ RsFab 295. 2. /Darnach ward Appollinaris da gemartret. Es ist auch da gemartret worden Sant Vitalis, der ritter S. Gervasius und Prothasius vatter undvil ander/ RsFab 291. 3. /hie inne steyt eyn stil staende borne den Moyses verfloicht hat, . . . / RsHar 124. 4. / . . . steyt eyn born, dae bij die juden eyn kalff off gericht hatten dat an bedende ind dar vmb dantzten ind vergaessen Moyses gebot/ RsHar 124. Im ersten Textausschnitt steht das Präteritum, in den anderen Fällen wird hier das Perfekt verwendet; im zweiten wird das Perfekt und Präteritum Passiv in ähnlicher Funktion in ein und demselben Textzusammenhang gebraucht. Im dritten und vierten Ausschnitt mit analoger Tempussemantik ist die Tempusstruktur unterschiedlich: Präsens + Perfekt (3) und Präsens + Plusquamperfekt + Präteritum (4). Typ n Die Texte der Chroniken wie auch der Reisebeschreibungen enthalten eine mehr oder weniger zusammenhängende Erzählung über Ereignisse der Vergangenheit. Der Textaufbau kann in bestimmten Grenzen variieren. Es sind entweder Niederschriften über

Tempus

37

einzelne Ereignisse, die mit bestimmten Daten (Monat, Jahr) versehen sind, wie in der Regensburger und in den Augsburger Chroniken (ChrR, ChrA), oder relativ zusammenhängende Erzählungen über die Ereignisse, die in chronologischer Reihenfolge beschrieben werden, jedoch ohne klare Scheidung der einzelnen Mitteilungen (ChrSp, ChrSch). Eine besondere Gattung chronikalischer Aufzeichnungen stellt beispielsweise die Mainzer Chronik dar, die einem bestimmten Thema, und zwar den Vorgängen in Mainz während des Bauernkrieges 1525, gewidmet ist. In der Regel stammen die chronikalischen Aufzeichnungen von Bewohnern der Städte. Es gibt Zeugnisse darüber, daß die Niederschriften unmittelbar nach den Ereignissen vorgenommen wurden und später von einem Autor redigiert und bearbeitet worden sind (ChrR). In den Texten waren Einschübe in Form von einzelnen Dokumenten, gelegentlich auch von Briefen. In geringem Umfang findet sich in den Chroniktexten auch die direkte Rede (ChrAg, ChrSch). Als Leitform tritt in den Quellen meistens das Präteritum auf (ChrSp, ChrM, ChrSch). Präsensformen begegnen hauptsächlich in den Bemerkungen und allgemeinen Aussagen des Autors über die geschilderten Ereignisse. Ihre Zahl ist gering. Das Futur findet sich selten (im Durchschnitt 2 Belege pro Text). Seine tatsächliche Verwendung schwankt zwischen null und vier Fällen pro Standardtext. Die geringe Produktivität des Futurs erklärt sich hier wie auch in den Reisebeschreibungen dadurch, daß Futursemantik für die chronikalischen Aufzeichnungen allgemein untypisch ist. Das Futur taucht sporadisch in einzelnen Autorenbemerkungen auf, gelegentlich in der direkten Rede. Vgl. in der Regensburger Chronik: 1. /der haubtman darfft nit herein, wie volgen wirt/ ChrR 17. 2. / . . . , warumb so vill aufrur weren gewest, von gedachter zeit an gehandllt piß wie hernach volgen wirdt/ ChrR 22. Hier findet sich vereinzelt auch eine futurische Konstruktion mit dem Partizip I, vgl. den Beleg Nr. 1 auf S. 38. Als komplementäre Formen treten außer Präsens und Futur analytische Formen des Perfekts und Plusquamperfekts auf, deren quantitative Verteilung in den Texten eine ganze Reihe von Besonderheiten zeigt.

38

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Tabelle 2 Quantitative Verteilung der komplementären Tempusformen in den Chroniken Denkmal

ChrSp

ChrM

ChrR

ChrA.

ChrSch

Zeitform

omd.

wmd.

oobd.

Augsburg

nd.

Pf

20

Pq

32

F

-

+

12, /30 -

2/

+

Gesamtzahl

Durchschnitt Texteinheit

135

216

3

404

81

4

15

20

71

14

3

2

-

10

2

Die Zahl mit Sternchen bezeichnet die -wahrscheinliche Anzahl der Konstruktionen pro Text in den Fällen, in denen der analysierte Text kleiner als der Standardtext ist.

Bei der Analyse der in der Tabelle angeführten Angaben fällt die große Schwankungsbreite im Gebrauch des Perfekts auf, die von 3 bis 216 Formen pro Texteinheit reicht (d. h. 1 : 72). Die geringste Zahl der Perfektformen ist in der niederdeutschen Chronik (ChrSch) nachzuweisen; hier begegnet das Perfekt nur dreimal, was einen überraschenden Kontrast zu der Häufigkeit der entsprechenden Formen in der niederdeutschen Pilgerfahrt (RsKett) darstellt. Die größte Zahl der Perfektformen ist dagegen in einer der Augsburger Chroniken (ChrAg". 216) und in der Regensburger Chronik (ChrR: 135) enthalten. In der ostmitteldeutschen und der westmitteldeutschen Chronik (ChrSp, ChrM) finden sich etwa 20 bis 30 Perfektformen pro Texteinheit. Was die Häufigkeit der Perfektformen in den beiden süddeutschen Chroniken betrifft, so wird die Perfektform sehr oft für die zusammenhängenden Berichte verwendet, d. h. sie hat, neben dem Präteritum, die Funktion der Leitform; vgl. z. B . die beiden Möglichkeiten im Text der Regensburger Chronik: 1. /Da war all sach zerspalten, da fingen dy schraiigen machthansen an, wie dan der ommes thut, wen er lauffend wird, schriren überlaut über die, so der kayserliehen majestät wolten gehorsam sein, und nenneten sy supenfresser ec. under denselben war einer des raths, Wolffgang Liskircher, . . . / ChrR 16. 2. /Am 6. julii hat man hie ein ambt zu unser lieben frauen gesungen, darnach gepredigt und den volck öffenlich verkündt, darnach 'te deum laudamus' gesungen, vill alz geschüz in der jüden heuser abgeschossen . . . , darnach ein ganze stundt ein pulß mit dem gleut der stat geleut, under demselben ein groß feur auff unser frauen plaz geprent und nach dem leutten sein dy stattpfeiffer auf dem gang zu den augustinern oben

Tempus

39

auff dem gang gestanden und herab geblasen, was seer vill volcks dabey, damit also got gelobt und gepeten, das er das haupt der christenhait . . . wöll gnädiglich in sein küniglich und nachmals kaiserlich regiment chomen welle lassen etc./ ChrR 33. Im zweiten Abschnitt mit Perfektkonstruktionen fällt die Aneinanderreihung einer Vielzahl von Partizipien n auf, die von e i n e m Hilfsverb abhängig sind. Bei dem beträchtlichen Abstand des Partizips vom finiten Verb entstehen eigentümliche Partizipialkonstruktionen, die in einzelnen Fällen auch in selbständigen Sätzen auftreten können. Vgl. ein weiteres Beispiel dieses Typs: /Anno domini 1511 . . . was gar ein gross graussam ungewitter von regen, staindlen, den merern taill hie ob der stat. zu Prifling hat es im kloster mercklichen schaden gethan an fiech und anderm, an einem parn 4 ross ertrenckt, dy maurn oben im hoff am stall eingerissen, dy ros den parn, daran sy gehefft sein gewest, stain (darunder gehaute stückk gewest zu 6 zenten gewogen) auffs feld hinauss gefürt, vill vögll e r schlagen und ertrenckt. item auff dem freithoff zu Nidermünster auss den linden vill krauen zu tod geschlagen, item im winzerer perg in einer wiegen hats ein guten tail eins Weingarten

stock und erd, herab tragen und ein windhaus mit grundt und poden,

poting und alles gschirr indy Thonau geflöst und hinweggefürt/ ChrR 14-15. Was die Häufigkeit der anderen komplementären Verbform, und zwar des Plusquamperfekts, betrifft, so sind auch hier Schwankungen zu beobachten, wenn auch in geringerem Umfang als beim Gebrauch des Perfekts (ChrM, ChrSp). Im Text der ostmitteldeutschen Chronik von Spittendorf übertrifft die Zahl der Plusquamperfektkonstruktionen sogar die des Perfekts (32 : 20). Dagegen ist die Zahl der Plusquamperfektformen in der süddeutschen Regensburger Chronik äußerst klein (4); in der Augsburger Chronik nähert sie sich dem Durchschnitt für eine Texteinheit (15). Die Gesamtzahl der Plusquamperfektkonstruktionen in allen Chroniken beträgt 71, die des Perfekts mehr als 400 (im Durchschnitt 81 pro Text). Die Tempussemantik der Chronikentexte variiert beträchtlich, und das spiegelt sich in zwei Haupttypen der Tempusstruktur wider: 1) Prät + [PräsJ7

+ Pf + Pq + [ Y j

2) Prät + Pf + [ P r ä s ] + Pq + [ S j Die hauptsächlichen Unterschiede zwischen diesen beiden Typen bestehen in der Rolle, die das Perfekt hier spielt. Im ersten Fall geht es in die Zahl der komplementären Formen ein, im zweiten konkurriert es mit dem Präteritum, das als Grund- oder Leitform auftritt. Auch in der Produktivität des Plusquamperfekts bestehen Unterschiede. Bei einigen der beobachteten Schwankungen kann es sich um einen bestimmten Einfluß der gesprochenen Sprache einzelner Landschaften handeln. Eine solche ist wohl die Korrelation der Formen des Perfekts und Plusquamperfekts in den süddeutschen Chroniken (der Augsburger und der Regensburger).

40

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Überhaupt stehen die Chronikentexte der gesprochenen Sprache ziemlich nahe, sowohl durch ihren Inhalt (die Fülle der Alltagsbegebenheiten) als auch durch eine Reihe speziell sprachlicher Merkmale. Vgl. solche Mitteilungen in der Regensburger Chronik wie die folgenden: 1. / E s het den wein so gar erschlagen, das mein libe muter von 4 Weingärten zu Tegerhaim nit gar ein züberlen vol weinpir abklaubt/ ChrR 34. 2. /Diß monat den 16. den ganzen tag geschneit/ ChrR 35. 3. /Es war ein warmer winter gewesen, das dy Würm und fliegen den ganzen winter umbkrochen, das arm volck gewönlich parfus ging, alß weer es umb Michaelis gewesen/ ChrR 36. 4. /Am pfinztag nach sant Laurenci, den 11. augusti, umb vesperzeit ist ein mechtig roß weter gewest, was für habern auff dem feld ligend oder steen fand, allen glatt e r schlagen/ChrR 33. Vgl. ebd. Schreibungen wie: /miessen/ 16, /chomen/ 16, / e r darfft/ 17; vgl. auch im Text einer der Augsburger Chroniken (ChrA^): /(sie) send/ 8, /miessen/ 27, /(das) gläsle/ 14, /worden (= wurden)/ 22, /verpran/ 3, /plinderten/ 4, /beriembt/ 12 usw. Durch diese Nähe der Chronikensprache zur gesprochenen Sprache sind auch einige Besonderheiten im Gebrauch der analytischen Formen der Vergangenheit in den entsprechenden Texten zu erklären. Typ HI Zum dritten Typ gehören die Volksbücher (Vb) vom Ende des 15. und Anfang des 16. Jahrhunderts. Das sind entweder Volksbücher im engeren Sinne wie "Till Eulenspiegel" (VbEu), "Salomon und Markolf" (VbSM), "Fortunatus" (VbF) oder Prosabearbeitungen und Nacherzählungen von Ritterromanen ("Pontus und Sidonia" VbPS) und auch Romane über antike Stoffe (der Roman über die Zerstörung Trojas in zwei seiner Varianten, einer süddeutschen, VbTr^, und einer niederdeutschen, VbTrg). In allen diesen Fällen handelt es sich um erzählende künstlerische Werke. Sie haben entweder die Form des Romans oder einer Novellenreihe und gehen auf eine verhältnismäßig langandauernde Tradition zurück, was die Textgestaltung dieser Bücher wesentlich bestimmt. Größtenteils handelt es sich um eine zusammenhängende Erzählung über Ereignisse, die in einer bestimmten chronologischen Abfolge gestaltet werden. Die Texte enthalten auch direkte Rede, gelegentlich Dialoge, die durch Bemerkungen des Autors eingeführt werden. Im Roman "Salomon und Markolf" wechselt die Beschreibung mit Teilen des Dialogs, der die Gespräche der Personen wiedergibt und der Entwicklung der Handlungslinie dient. Als Haupttempusform für die Wiedergabe des Handlungsverlaufs wird in allen Texten das Präteritum verwendet. Präsensformen sind vereinzelt und treten nur in be-

Tempus

41

stimmten Funktionen auf: einmal zur Wiedergabe der nicht zeitbedingten Auffassungen des Autors, des historischen Präsens und der direkten Rede der Personen. Das Futur wird ebenfalls in den meisten Quellen verwendet. Es findet sich vor allem in Formen des Futurs I, das im Durchschnitt etwa 5mal pro Texteinheit auftritt. Die Verwendung des Futurs I schwankt in den untersuchten Texten von 0 bis 10. Nicht verwendet sind Futurformen im Till Eulenspiegel (VbEu), Hug Schapler (VbHSch) und in der niederdeutschen Erzählung von den drei Kaufleuten (VbKop). In der Mehrzahl der Texte begegnen außerdem Konstruktionen mit Modalverben, besonders häufig mit dem Verb /wollen/, die hauptsächlich in der direkten Rede verwendet werden. Vgl. einzelne Fälle von Verwendungen des Futurs I und von Konstruktionen mit /wollen/ (seltener /sollen/) in den Romanen: (1) /Wer sein oren ab kert von den arme der wirt schreie vii got wirt in nit erhorn/ VbSM a 4 a . (2) /Was werden die andern funff dar zu thun/ VbSM b 3 a . (3) / E s wirt zu spat werden/ VbOA 256 (direkte Rede). (4) /Wiltu mir aber glouben, daz du myn Schwester Wyßblumen zu der Ee wollest kouffen, so will ich mynen Lyb wagen . . . / VbHSch 25. (5) /Mein meister ich weiß guten rat, wir wollen wol so bald bachen als vnser nachbuer, Q

sein deick ligt in der mülten, wollen ir dz hon so wil ich in bald holen, vnd wil vnser mel an die selben stet tragen/ VbEu 29. (6) /Du bist myn gude frunt. Dar vmme wil ik dy dusse dynck allene seggen, vppe dattu by eren bliuest/ VbKop 69. (7) /Vnde allent wat dat kostet wylle wy iw gudlick bethalen/ VbKop 65. (8) /Dat wyl yk gerne don; vnde wil de noch in mine eigen slapkamer setten, vppe dat se deste beth bewaret sy/ VbKop 68. (9) /Do sprak Jason: "Allereddelste vrouwe, wat du wult, dat ick doen schal, dat wil ick gerne doen. dat swere ik di by den goden"/ VbTrg 85. Beachtung verdient die große Verbreitung der Futursemantik in den Romanen und die große Häufigkeit des Futurs I (vgl. die durchschnittliche Frequenz pro Text, für Rs 1,5, für Chr 2,0, für Vb 4,6) sowie der umschreibenden Konstruktionen mit Modalverben. Diese sind besonders dort produktiv, wo Futurformen fehlen (wie in VbEu, VbKop) oder selten sind (VbTr 1 , VbHSch). Als komplementäre Formen der Vergangenheit werden in allen Texten das Perfekt und Plusquamperfekt verwendet, vgl. Tabellen 3 und 4.

N. N. Semenjuk

42 Tabelle 3

Quantitative Verteilung der komplementären Tempusformen in den Volksbüchern (in allen untersuchten Texten) VbSM

VbPSj

VbPS 2

VbTr-j

VbOA

VbEu

VbHSch

VbTr 2

VbKop

Pf

50

62

48

55

67

50

84

28

44

Pq

1

28

11

5

17

4

9

24

32

F

9

5

10

2

5

1

2

Quelle Tempusform

-

-

Tabelle 4 Quantitative Verteilung der komplementären Tempusformen in den Volksbüchern (nach Sprachlandschaften geordnet) Quelle

omd.

wmd.

oobd.

Pf

50

62

+

52

Pq

1

28

+

8

F

9

5

+ 6

Gesamtgebiet

Durchschnitt pro Text

36

267

53

+10

+28

75

15,4

+ 2

+ 1

23

4,6

wobd.

nd.

Tempusform +

67

+

^Durchschnittliche Zahl für die Quellen jeder Sprachlandschaft Interessanterweise schwankt die Produktivität der Perfektformen in den Volksbüchern und Romanen nicht so sehr wie in den Chroniken. In den untersuchten Denkmälern beträgt der Umfang des Schwankens nur 1 :3 (28 - 84). Die wenigsten Perfektkonstruktionen finden sich in der niederdeutschen Variante des Romans von der Zerstörung Trojas (VbTrg). Allerdings stehen hier neben der geringen Anzahl der Perfektformen verhältnismäßig zahlreiche Formen des Plusquamperfekts (28 Pf + 24 Pq). Die größte Zahl von Perfektformen (84) wurde in der Straßburger Ausgabe des Romans über Hug Schapler (VbHSch) registriert; dafür wird das Plusquamperfekt hier nur 9mal verwendet. Die Durchschnittszahl der Perfektkonstruktionen beläuft sich auf 53 Verwendungen pro Text. Das Schwanken in der Häufigkeit des Plusquamperfekts ist in den einzelnen Quellen größer als beim Perfekt (vgl. die Schwankungsbreite in den Volksbüchern für das Plusquamperfekt 1 : 32 und für das Perfekt 1 : 3 ) .

Tempus

43

Die geringste Produktivität des Plusquamperfekts findet sich im ostmitteldeutschen Volksbuch von Salomon und Markolf - hier wurde im untersuchten Text nur eine Form festgestellt. Wenig produktiv sind die entsprechenden Formen im Straßburger Till Eulenspiegel und in der Augsburger Variante des Romans von der Zerstörung Trojas (4 und 5 Fälle). Dagegen ist das Plusquamperfekt in der westmitteldeutschen Übersetzung von Pontus und Sidonia sehr häufig (28), was auch für die beiden niederdeutschen Volksbücher (mit 24 und 32 Konstruktionen pro Text) festgestellt werden kann. Hervorzuheben ist ferner die ziemlich gleichmäßige quantitative Verteilung der P e r fektkonstruktionen in den verschiedenen Texttypen und Landschaften. Für die mitteldeutschen Volksbücher beträgt die durchschnittliche • Häufigkeit des Perfekts pro Text 56, für die Augsburger 52, für die Basler und Straßburger 67 Belege, für die niederdeutschen dagegen nur 36. Das Plusquamperfekt zeigt kompliziertere Abhängigkeiten zwischen der durchschnittlichen Quantität der Tempusformen pro Text und der landschaftlichen Zugehörigkeit der Quelle. Für die mitteldeutschen Texte wurden im Durchschnitt 15 Belege registriert, für die Augsburger Ausgaben 8, für die Basler und Straßburger 6 und schließlich für die niederdeutschen Texte 30, was die Angaben für die entsprechende Gattung fast um das Doppelte übersteigt. Damit zeichnet sich eine Tendenz zur größeren Produktivität des Plusquamperfekts in den niederdeutschen Volksbüchern und eine Tendenz zur geringeren Produktivität in den süddeutschen Denkmälern ab. Diese Schlußfolgerungen treffen nur bedingt zu, weil die Unterscheidung der Formen des Perfekts und Plusquamperfekts (entsprechend des Indikativs und Konjunktivs) nicht durchgehend möglich ist, was mit der Polyfunktionalität einzelner Formen des Verbs /haben/ zusammenhängt (vgl. hierzu Kapitel 1 dieses Teils, S. 27). Die Tempussemantik wird also in den Volksbüchern und den Romanen nach der folgenden allgemeinen Tempusstruktur realisiert: Vb = Prät + Präs + Pf + Pq + F. Die korkreten Modifikationen dieser Tempusstruktur entstehen durch bedeutende Schwankungen in der Häufigkeit des Plusquamperfekts und auch teilweise durch die unterschiedliche Häufigkeit des Futurs I. Was die Abgrenzung des Perfekts und Plusquamperfekts innerhalb der einzelnen Texte in Übereinstimmung mit ihrer inneren Struktur betrifft, so können hierüber einige allgemeine Bemerkungen gemacht werden. Das Perfekt erscheint überwiegend in direkter Rede. In diesen Fällen wechselt es hauptsächlich mit Präsensformen (1, 5), wird aber durch Präteritalformen eingeführt. Bei der Beschreibung wechseln Perfektkonstruktionen ebenfalls größtenteils mit dem Präsens (2, 3, 4), vgl. die Beispiele aus verschiedenen Quellen: (1) /Salo. sprach got hat mir gegeben die kunst dz keiner mein gleich i s t / VbSM a 3 . (2) / . . . die siezt in yrer kamern vn weint des sy vert gelacht hat/ VbSM a 6 b .

N. N. Semenjuk

44

(3) /wer sich stost d'schauet gern darnach de stei dar an er sich gestose hat/ VbSM a3b. (4) /Wol is id der warheit nicht gelyk, doch is dat in der warheit, da he seer stark vnde kone is ghewesen . . . / VbTr, 78. 5 e (5) /Fortunatus hub an vnd sprach: gnadiger h e r r ! ich hon verstanden, das ewern gnaden sind knecht abgangen/ VbF 7. Das Plusquamperfekt dagegen tritt vor allem in Verbindung mit dem Präteritum auf; vgl.: £ (1) /Vnd do sy so fast wainten vnd so grosse Erbarmunge hetten über die Cristen, die also gefangen vnnd in Trubtsale kämmen waren, do sprachen sy ze samen, wy sy Gotte der almechtig zu einander gebracht hett . . . / VbPS„ 122. e (2) /Nvn was bey dem Kunig Produs ein Ritter, ein Cristen, der in einem Streyte was gefangen worden vnnd der Machametes Gelauben . . . an sich het genummen, vnd was doch alle Zeitte . . . in Jhesu Cristo/ VbPSg 118. (3) /Do nu de sunne na dem westen gink vnde de dach ein ende wolde nemen vnde Medea in erer kamer alleyne was vnde betrachtede stede de worde, de Jason eer hadde gesecht vnde wat se om hadde gelauet, vnde betrachtede vlytliken erer twier rede, de se vnder sick hadden gehat, do wart se sere inwendich gefrouwet/ VbTrg 85/86. (4) /Do sande he na siner dochter, dat de scholde komen vnde eyne vrolyke versamelinge maken mit sinen gesten, de he mit groter vrolicheyt hadde entfangen/ VbTrg 81. Die Regelmäßigkeit der temporalen Wechselbeziehungen wird in den Texten durch eine Reihe von Faktoren gestört, insbesondere durch die Übereinstimmung der Formen der 3. P e r s . Sing, des Präsens und Präteritums bzw. des Perfekts und Plusquamperfekts mit /haben/ in einer ganzen Reihe von Quellen. Vgl. hierzu die Beispiele 1 und 2, in denen die Konstruktionen /hett gebracht/ und /het genumen/ sowohl als Perfekt wie auch als Plusquamperfekt aufgefaßt werden können. In den niederdeutschen Quellen (Beispiele 3 und 4) sind die entsprechenden Formen klar differenziert, vgl. /hadde/, aber /hefft (gebrocht)/. Hingegen ist die Grenze zwischen Indikativ und Konjunktiv hier in einer Reihe von Fällen unklar. Typ IV Zu dieser Literaturgattung stellen wir Traktate (Tr) und Sendbriefe (Sbr), die ihre Entstehung den religiösen und politischen Auseinandersetzungen in der Epoche der Reformation und des Bauernkrieges verdanken. Sie lassen sich deshalb zusammenfassen, weil eindeutige Unterschiede zwischen den entsprechenden Literaturgattungen nur in wenigen Fällen beobachtet werden können. So sind die Sendbriefe in der Regel an einen bestimmten Adressaten gerichtet, der nicht selten im Titel genannt wird. Ferner sind sowohl Sendbriefe als auch Traktate polemisch gefärbt. Und die Person des Autors so-

Tempus

45

wie derjenigen, die er zu überzeugen versucht, an die er sich wendet, mit denen er streitet, sind in den meisten der polemischen Werke dieser stürmischen Epoche gleichermaßen gegenwärtig. Außerdem gibt es zwischen den Traktaten und den Sendbriefen eine große Zahl von Übergängen, die sich einer einheitlichen Charakteristik entziehen. g Als Beispiel kann ein Werk Huttens mit dem Titel "Ein Clagschrift des Hochberumten Q

vnd Eernuesten herrn Ulrichs von Hutten gekroneten Poeten vnd Orator an alle stend Deutscher nation" angeführt werden, das als Traktat betrachtet werden kann, eingekleidet in die Form eines Anklage- (oder Rechtfertigungs-)schreibens, das der Autor unterschrieben hat. Ein ebensolcher Zwischentyp liegt in Karlstadts Werk "Ursachen das And: Carolstadt ein zeyt still geschwigen" vor. Es ist an die Mitglieder der Gemeinde gerichtet und zu dem Zwecke geschrieben, sich in ihren Augen zu rechtfertigen und die Gründe für sein langes Schweigen zu erklären. Der Text ist zwar nicht unterschrieben, jedoch wie ein Brief mit einem bestimmten Datum versehen. Übrigens ist die Form des Sendbriefes in diesem Fall eher ein bestimmter polemischer und literarischer Kunstgriff, und deshalb ist eine Abgrenzung zwischen Traktaten (Tr) und Sendbriefen (Sbr) nur bedingt möglich. Für diese Art der polemischen Literatur ist insgesamt eine sehr komplizierte Tempussemantik charakteristisch, die mit dem spezifischen Textaufbau der Sendbriefe und Traktate zusammenhängt. Wenn für die ersten drei untersuchten Typen von Denkmälern (Rs, Chr, Vb) die zusammenhängende Erzählung bestimmter Ereignisse charakteristisch ist, die in der Vergangenheit liegen, so werden im vierten Typ bestimmte Fragen und Probleme erörtert. Deshalb sind hier gewöhnlich die Erörterungen des Autors Grundlage des Textes; sie wechseln aber mit der Erzählung bestimmter Fakten und Ereignisse. Dabei werden als Illustrationen und Zeugnisse Zitate aus der Bibel, Worte Christi und der Apostel angeführt. Der Text wird durch Fragen und Anreden unterbrochen, er ist emotional gefärbt und mit verschiedenen rhetorischen und polemischen Mittels ausgestattet. Ein solches Grundschema wird, je nach Temperament, Neigungen, Erziehung und Zielen des Autors, in den einzelnen Denkmälern unterschiedlich verwirklicht. Alle diese Umstände bedingen die ungewöhnlich große Mannigfaltigkeit dieser Textgruppe und bestimmen die starken Schwankungen im Textaufbau, was wiederum Modifizierungen in der Tempussemantik und der Tempusstruktur hervorruft. Als hauptsächliche Tempusform tritt in den meisten Texten das Präsens auf (SbrL, SbrAC, SbrH, TrH, TrCh, TrZw, SbrVer). In einigen Denkmälern überwiegt es quantitativ erheblich gegenüber den übrigen Tempusformen. So sind in Luthers Sendbrief vom Dolmetschen in dem ausgewählten Textteil 500 Präsensformen festgestellt worden, auf die etwa 100 Perfekt- und etwa 30 Präteritalformen kommen. Damit entfallen hier auf je 100 Präsensformen insgesamt 25 Formen, die die Zeitstufe Vergangenheit bezeichnen (20 Pf und 5 Prät). In einer anderen Quelle (SbrVer), einem anonymen Flug-

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blatt, das irgendwo im Südwesten entstand, finden sich im untersuchten Textausschnitt neben 300 Präsensformen etwa 30 Perfekt- und 60 Präteritalformen (d. h. auf 100 P r ä sensformen entfallen 30 Formen der Vergangenheit, 10 Pf und 20 Prät). Bei der Verbreitung der analytischen Formen - Perfekt, Plusquamperfekt und Futur - zeigen sich zwischen den einzelnen Quellen große Divergenzen. Die Schwankungsbreite beim relativ produktiven Perfekt kann summarisch für Traktate und Sendbriefe durch das Verhältnis 1 : 6 (32 bis 210 Konstruktionen pro Text) ausgedrückt werden. Die größte Produktivität des Perfekts zeigt Huttens Traktat gegen das Papsttum (TrH), wo auf einem halben Druckbogen 106 Perfektkonstruktionen festgestellt wurden, was mehr als zweihundert Konstruktionen für den ganzen Text ausmacht. Ferner ist der niederdeutsche religiöse Traktat Rotmanns "Restitution rechter und gesunder christlicher Lehre" (TrR) hervorzuheben, in dem in einem untersuchten Textabschnitt ebenfalls etwa zweihundert (190) Perfektformen begegnen. In beiden genannten Texten spielt die Tempussemantik, die an die Vergangenheit gebunden ist (Erzählung vergangener Ereignisse), eine wesentliche Rolle. Weiter folgen nach dem untersuchten Merkmal (der Produktivität des Pf) vier Texte, in denen die Zahl der Perfektkonstruktionen annähernd gleich ist und bei etwa 100 F o r men pro Text liegt (vgl.: SbrL 93, SbrH ^OO, TrCh 97, TrZw 105). Diese Quellen gehören verschiedenen Dialektgebieten an und repräsentieren sowohl das mittlere als auch das südliche Deutschland. Damit entspricht die Produktivität des Perfekts in diesen Texten den mittleren Angaben für die von uns zum Typ IV gestellten Werke (vgl. weiter die Tabellen 5 und 6). Es verbleiben noch drei Denkmäler, die verschiedenen Landschaften zuzuschreiben sind: TrHg x 60, SbrAC 48 und SbrV 32. Hier liegt die Produktivität des Perfekts bedeutend niedriger als die mittlere Norm.

Tempus

47

Tabelle 5 Die quantitative Verteilung der komplementären Tempusformen in den Traktaten und Sendbriefen Quelle

SbrL

SbrAC

SbrH

1

1

2/3

Tempus form Pf

93

Pq

5

F

8

48

65

x

2

-

-

7

100

x

3

x

10

TrH TrCh Druckbogen 1/2 1

TrHg

106

43

97

*210

2

x

x

60

12

-

TrZw

TrR

1

1

1

32

105

190

2/3

-

-

4

SbrVer

173 *250

-

7

10

16

4

Tabelle 6 Quantitative Verteilung der komplementären Tempusformen in den Traktaten und Sendbriefen (nach Landschaften geordnet) omd.

vmd.

oobd.

Pf Pq

70 2,5

155 3,5

F

4

5

_ g " '

+

Landschaft

wobd.

nd.

Gesamtzahl

Durchschnitt

80 -

70

190 10

565 16

113 3,2

130

11

4

154

31+

Ohne die "Utopie" Hergots wäre die Zahl der Futurkonstruktionen pro Texteinheit wesentlich niedriger und zwar (6).

Die geringe Produktivität des Perfekts in den drei zuletzt erwähnten Werken ist auf einige inhaltliche Besonderheiten dieser Quellen zurückzuführen. Karlstadt verwendet die Zeitstufe Vergangenheit überhaupt selten. Das bestimmt auch den Gebrauch der Tempusformen: Perfekt und Präteritum sind hier insgesamt weniger als lOOmal pro Text verwendet worden, und auf je 100 Präsensformen kommen nur bis zu 20 Vergangenheitsformen. Im anonymen Flugblatt SbrVer erreichen Perfekt und Präteritum ebenfalls nicht die Zahl 100 pro Text. Dasselbe gilt für das Flugblatt von Hergot (TrHg), das eine Art sozialer Utopie darstellt, wodurch eine sehr große Verbreitung der Futursemantik bedingt ist (Uber die Verwendung des Futurs in diesem Text vgl. unten).

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Das Plusquamperfekt begegnet in den meisten Traktaten und Sendbriefen selten. Am produktivsten ist es in dem niederdeutschen Traktat von Rotmann (TrR); hier kommen auf eine Texteinheit 10 Konstruktionen. In Luthers Sendbrief vom Dolmetschen (SbrL) sind es 5. In den übrigen Denkmälern ist das Plusquamperfekt praktisch nicht vertreten. Vier Formen wurden in den beiden Werken Huttens registriert, doch sind nicht alle eindeutig bestimmbar (vgl.: / . . . seitmal ich offenlich sieh, was ich vorhien nit glaubt hette). So wurden für alle Texte etwa 20 Plusquamperfektformen festgestellt, was durchschnittlich etwa 3 Konstruktionen für einen Text im Umfang von 1 Bogen ausmacht. Der Umfang der Schwankungen pro Text ist verhältnismäßig gering, von 0 bis 10 Formen. Das Plusquamperfekt ist in manchen von den untersuchten Texten (SbrAC, TrCh, TrHg, SbrVer, TrZw) nicht vertreten. Seine mittlere Häufigkeit ist im IV. Texttyp (3,2) überhaupt wesentlich niedriger als in den Texten des I. (9), n . (14) und m . (15,4) Typs. Beim Gebrauch der Formen des Futurs hebt sich aus der Gesamtheit der untersuchten Texte der verschiedenen Gattungen das Flugblatt Hergots ab, in dem auf 2/3 Bogen 173 Futurkonstruktionen mit /werden/ festgestellt wurden, was für den vollen Text 250 Formen ausmachen würde. Wegen der großen Anzahl der Futurformen in diesem Text liegt auch die durchschnittliche Zahl der Belege für diese Tempusform in den Traktaten und Sendbriefen ungewöhnlich hoch: mehr als 30 Futurformen auf eine Texteinheit. Dennoch liegt auch ohne das Flugblatt Hergots die durchschnittliche Zahl der Futurkonstruktionen mit 6 relativ hoch (vgl. die Zahlen für andere Texttypen: Rs 1,5, Chr 2,0, Vb 4,6). Wenn die sehr große Produktivität des Futurs in der "Utopie" Hergots im ganzen auf den Inhalt dieses Textes zurückzuführen ist, so kann die hohe Frequenz des P e r fekts in zwei anderen Denkmälern nicht allein durch die spezifische Tempussemantik der entsprechenden Texte erklärt werden. Zwar sind auch in den Traktaten Huttens (TrH) und Rotmanns (TrR) die Zeitebenen der Vergangenheit ausreichend vertreten, doch erklärt das nicht hinreichend das Überwiegen des Perfekts (bei Hutten kommen auf 106 Perfektformen aus einem Text von 1 /2 Druckbogen nur etwas mehr als zehn Präteritalformen). Für die hier untersuchten Werke Huttens konnte eine Reihe sprachlicher Besonderheiten festgestellt werden, u. a. die Produktivität des Perfekts und die sehr große Zahl afiniter Nebensatzkonstruktionen (40 Konstruktionen in SbrH und 90 in TrH). In den meisten anderen Texten des ersten Zeitraums begegnen afinite Konstruktionen entweder nur vereinzelt oder überhaupt nicht. Im Traktat von Rotmann ist die Zahl der Perfektkonstruktionen besonders hoch (190 pro Texteinheit). Eine ähnliche Sonderstellung nimmt unter den niederdeutschen Quellen die "Pilgerfahrt nach dem hl. Lande" (RsKett, Westfalen) ein, in der die Zahl der Perfektkonstruktionen den Durchschnitt der untersuchten Texte dieser Gattung um das Doppelte übersteigt (102 : 50).

Tempus

49

Die Deutung der ermittelten sprachlichen Fakten, die von großen Schwankungen in der Verwendung der einzelnen Tempusformen in den Denkmälern des ersten Zeitraums zeugen, ist immer noch schwierig. Möglicherweise können einige Gesetzmäßigkeiten bei der Untersuchung und Vergleichung des Gesamtmaterials etwas eenauer e r kannt werden. Bei der Untersuchung der Traktate und Sendbriefe insgesamt konnte eine große Vielfalt der verwendeten Tempussemantik und entsprechend auch der Tempusstruktur festgestellt werden. Deshalb läßt sich hier die Tempusstruktur nicht in ein einziges Schema fassen, sondern sie tritt in vielen Varianten auf, vgl.: I. a) Präs + Pf + Prät + Pq + F (SbrH)

n.

b) Präs + Prät + Pf + (Pq) + F (SbrL) c) Präs + Prät + Pf (SbrAC) a) Pf + Prät + P r ä s + Pq (TrH)

b) Pf + Prät + Präs + Pq + F (TrR) III. Präs + F + Prät + Pf (TrHg) usw. Als modifizierende Faktoren wirken hier hauptsächlich bedeutende quantitative Unterschiede im Gebrauch des Perfekts und Futurs und auch das Vorhandensein oder Fehlen des Plusquamperfekts. Im Traktat Rotmann (TrR) und Huttens (TrH) wird das P e r fekt in die Sphäre der temporalen "Grund" - oder "Leitformen" einbezogen. Für den dritten Typ von Texten (TrHg) spielt diese modifizierende Rolle offenbar das Futur. Typ V Zum fünften Typ gehören Prosadialoge, die ebenso wie die vorige Art von Denkmälern mit dem religiösen und politischen Kampf der Epoche der Reformation und des Bauernkrieges im Zusammenhang stehen. Zugleich stehen die Dialoge in einer bestimmten literarischen Tradition, die auf das Mittelalter zurückgeht. Diese Tradition fand auch in verschiedenen dramatischen Gattungen ihren Ausdruck (im religiösen Drama und im Schuldrama wie auch im Volksstück) sowie in der Dialogliteratur, in der verschiedene religiöse, politische und moralische Probleme behandelt werden (vgl. Dialoge wie die zwischen Vater und Sohn, Lehrer und Schüler u. ä.). Unter den in dieser Arbeit untersuchten Dialogen stammt einer von Hutten (D1H). Dieser stützt sich auf antike Zeugnisse (Piaton, Lukian) und steht in der Form dem polemischen Traktat nahe (lange Reden wechseln mit kürzeren und dynamischeren Repliken). Ursprünglich waren die Werke Huttens lateinisch verfaßt, wurden dann aber vom Autor selbst ins Deutsche übersetzt. Der oben erwähnte Dialog liegt in der Straßburger Ausgabe von J . Schott vor. Untersucht wurde auch der anonyme Dialog zwischen Vater und Sohn über die Lehre 0 Luthers, herausgegeben von M. Buchfurer in Erfurt (D1VS). Von den süddeutschen

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50 Q

Dialogen sind herangezogen worden "Ain schöner dialogus zwischen aim Pfarrer und aim Schulthais" (DIPf), der von M. Bucer verfaßt wurde (Augsburg, M. Ramminger), sowie dessen Neu-Karsthans in der Straßburger Ausgabe von M. Schürer (D1NK). In einer Straßburger Ausgabe liegt auch der "Karsthans" (J. v. Watt?) vor. Das süddeutsche Gebiet wird ferner durch zwei Dialoge von Hans Sachs repräsentiert: DIHSj (Bamberg, G. Erlinger) und DIHSg (Nürnberg, H. Höltzel). Der Karsthans nimmt unter den Volks- und Gelehrtendialogen eine Zwischenstellung ein, in den Werken von Hans Sachs aber wird der gelehrte Dialog durch demokratische Traditionen der frühen bürgerlichen Literatur bereichert. In seiner geschliffenen literarischen Form gewinnt der Dialog bei Sachs einen lebendigeren, dynamischeren Charakter und nähert sich somit der Volkssprache. Die gesamte Dialogliteratur war für die Lektüre und nicht für die Darstellung auf der Bühne bestimmt. So tritt die Dialogform hier als ein bestimmter polemischer Kunstgriff auf, als Möglichkeit, unterschiedliche Standpunkte, die Vertretern der verschiedenen Schichten der deutschen Gesellschaft im ersten Viertel des 16. Jahrhunderts in den Mund gelegt werden, einander entgegenzusetzen. Bei der Untersuchung der Dialoge unter dem Aspekt der hier vorhandenen Tempus semantik und der verwendeten Tempusformen ist festzustellen, daß diese Literatur, ungeachtet der oben vermerkten Unterschiede zwischen den einzelnen Werken, eine relative Einheit darstellt. Diese Einheitlichkeit wird vor allem durch die Dialogform bestimmt, die ein gemeinsames Merkmal aller Werke dieser Gattung ist. Die häufigste Leitform ist in den untersuchten Dialogen das Präsens, das in der Regel auch für die Einführung der meisten Bibelzitate, die sehr reichlich in den Text eingefügt sind, verwendet wird. Vgl.: /Saget nit gott zu jn Math, am 4.: 'Kumpt, folgt mir nach, vnd ich wil euch fyscher der menschen machen' vnd nit des geldes/ D1VS 158. /Ey, es steet am selben ort Math, am xxiij.: Sy binden schwere vnträgliche purden vnd legens dem menschen auff den hals/ DIHS^ 73. /Christus spricht im gemelten capitel: Wee euch gleißner vnd heuchler, die ir das hymelreich zuschließt vor den menschen! Ir geet nit hynein, vnd die hynein geen wellen, laßt ir nit hynein/ DIHS^ 73. Vgl. jedoch die folgende Replik: /Ey, solches hat Christus zu den priestern der juden gesagt. Vmb vns priester ist es vil ein ander ding/ DIHS^ 73. In den Dialogen enthalten die Repliken der Personen ihrerseits viel direkte Rede. Gewöhnlich geben sie die Worte Christi oder der Apostel wieder, auf die sie sich als das wichtigste Argument im Meinungsstreit stützen. Etwas seltener erzählen die Sprecher eine biblische Episode nach und verwenden in diesen Fällen das Perfekt oder P r ä teritum. Die Tempussemantik und die ihr entsprechende Tempusstruktur der Dialoge sind relativ einfach und ziemlich einheitlich. Als Komplementärformen werden Perfekt, Präteritum (das letztere nur in wenigen Fällen) und Futur verwendet:

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Tempus Dl = P r ä s + Pf + Prät + Fut. Die Perfektkonstruktionen begegnen in den Texten der Dialoge nach dem folgenden

Typ: Die Erfurter Ausgabe des D1VS und einer der Dialoge von Sachs (DIHS^) enthalten mehr als 100 Perfektformen pro Texteinheit. Ihnen nähert sich der "Neu-Karsthans" (D1NK) in der Straßburger Ausgabe, für den 90 Formen registriert wurden. Die übrigen Texte zeigen folgende Zahlen für die Perfektkonstruktion: D1K 77, DIPf 72, D1H 52, DIHSg 45. Damit erreicht die Schwankungsbreite in der Verwendung der Perfektkonstruktion in den untersuchten Dialogen nur den Wert 1 : 2,6. Die durchschnittliche P r o duktivität des Perfekts beträgt pro Text 79 Verwendungen. So bleiben die Dialoge, so paradox das sein mag, in dieser Beziehung etwas hinter den Traktaten und Sendbriefen (dem 4. Quellentyp) zurück. Im Dialog Huttens sind dagegen bedeutend weniger Perfektformen vorhanden als in seinem Traktat (TrH +210) und in seinem Sendbrief (SbrH + 100). Die Zahl der Perfektkonstruktionen vergrößert sich in einzelnen Texten potentiell durch afinite Strukturen, vgl. D1H mit 25 afiniten Formen (darunter 5 Fälle mit Auslassung der Kopula), D1NK mit 23 afiniten Formen. Entsprechend können wir für den ersten Text insgesamt etwa 70 und im zweiten mehr als 100 Perfektkonstruktionen ansetzen. Tabelle 7 Die Verteilung der komplementären Tempusformen in den Dialogen Quelle

D1VS

D1H

DIPf

D1K

D1NK

DIHSJ

DIHS2

Gesamt zahl

Durchschnitt pro Text

60

77

90

97

31

550

79

Tempusform Pf

108

Pq

-

F

20

52 1 30

X

72

"

-

8

X

10

1

-

5

34

X

"

31

106

45C

2

-

X

35

20

X

30

164

0,28 23,5

Das Plusquamperfekt wurde in den untersuchten Dialogtexten nur vereinzelt festgestellt, vgl.: 1. /Do sye sich aber also entblosßt hetten, schlug er sye zu todt/DlH 46. 2. /Wider was glauben redet Christus Matthei am xv., do Christus mit der oberkeit der iuden redt, vnd nemlich von der Übertretung der gesatz, so ir eiteren, wysen, e o raboni vnd fürsten der priestern vffgesetzt hetten, wollich gesatz die guten Apostel übertreten?/D1K 83.

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Die sehr geringe Häufigkeit des Plusquamperfekts ist eine der bemerkenswerten Besonderheiten der Tempusstruktur der Dialogtexte. In allen Dialogen werden die Perfektformen durch Präteritalformen ergänzt, die jedoch in den meisten Fällen eine bescheidene Rolle spielen. So kommen in den Dialogen von Hans Sachs auf 97 eindeutige Perfektformen nur 17 Präteritalformen (DIHS^), entsprechend auf 31 Perfektformen im DIHSg nur 10 Präteritalformen. Sehr bedeutend ist in den Dialogen im Vergleich zu den übrigen Texten die Produktivität des Futurs, dessen Formen in den meisten Quellen ziemlich gleichmäßig vertreten-sind. Die Schwankungsbreite in der Häufigkeit des Futurs beträgt in den untersuchten Texten 1 : 7 (5 bis 34 Konstruktionen pro Texteinheit). In allen Texten wurden insgesamt mehr als 160 Futurformen registriert, im Durchschnitt also 23, 5 Verwendungen. Die beobachteten Schwankungen sind in erster Linie durch den Inhalt der Texte verursacht, in denen die Futursemantik mehr oder weniger stark vertreten ist. Die analytische Konstruktion mit dem Hilfsverb /werden/ wird in den meisten Texten - in der direkten Rede der Personen oder in Zitaten, die direkte Rede wiedergebend - durch Konstruktionen mit Modalverben, besonders oft mit /wollen/ ergänzt. Vgl.: /Ich wil es auch dem Bischoff schreyben/DlNK92, in der Bedeutung 'Ich werde es dem Bischof schreiben'. /Wie wolt ir das mit schrifft beweysen?/ DIHSj 73, in der Bedeutung 'Wie werdet Ihr das durch die Schrift beweisen?' In allen Konstruktionen mit /wollen/ tritt die temporale Bedeutung zugleich mit einer modalen Nuance auf. Typ VI Die wissenschaftliche Fachprosa ist im Material des ersten Untersuchungszeitraums durch drei süddeutsche medizinische Traktate (FprV, Nürnberg; FprB, Augsburg; FprBr, Straßburg), durch das mittelniederdeutsche Arzneibuch (FprA) und durch zwei ostmitteldeutsche Quellen, Fabian Frangks Orthographia (FprFr) und U. Rüleins von Calw Bergbüchlein (FprC), vertreten. Allen diesen Quellen ist die spezielle (wissenschaftliche) Thematik und ihre Funktion, als Leitfaden für einen ganz speziellen Bereich der menschlichen Tätigkeit zu dienen, gemeinsam. Deshalb stellen diese Quellen mehr oder weniger den Typ der Instruktions- und Informationsprosa dar. Die Werke der wissenschaftlichen Fachprosa lassen sich entsprechend ihrer unterschiedlichen Thematik und Funktion in einzelne Subtypen unterteilen. Deshalb ist es zweckmäßig, jede Quelle gesondert zu untersuchen und erst dann einen Überblick über den Gebrauch einiger Tempusformen in der Fachprosa zu geben. Der Text des Traktats vom "sterbenden Menschen", der in Augsburg erschienen ist (FprB), stellt einen aus allgemeinen Überlegungen bestehenden Monolog dar. Die tem-

Tempus

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porale Grundlage bildet hier das Präsens. Es kennzeichnet sowohl die Ereignisse der unmittelbaren Gegenwart als auch "zeitlose" Überlegungen. Der Text ist emotional geladen und besteht aus Erinnerungen und Klagen über das Vergangene. Dabei ist in den entsprechenden Teilen der Quelle das Perfekt produktiv, das zusammen mit dem P r ä sens und Präteritum ganze Textblöcke bildet; vgl. z. B.: (1) /O du ewiger got. wie gar schnöd vnnd wie vnfruchtbar ist die zeit meines lebens. dz du mir gegeben hettest vergangen, darin ich sollt gethan haben deinen willen/. (2) /So gang ich in die vergessenheyt des ewigen leydens. wan ich hab vnnuczlich vnnd vppiklich mein zeyt vertriben vnd verloren/. ~ © O (3) /O we warub hab ich des groß vbel nicht fursehen. da ich des besten zeit gnug het/. Die an sich wenig produktiven Präteritalformen begegnen etwas öfter bei Modalverben. Futurformen treten hier l l m a l (3,3mal im Durchschnitt pro Texteinheit der Fachprosa) auf. Als Leitform erscheint im Text des medizinischen Buches, das in Nürnberg gedruckt wurde (FprV), ebenfalls das Präsens. Der Text ist ziemlich einförmig, wenig emotional und enthält ausführliche Anweisungen, wie sich der kranke Mensch verhalten und wie man ihn pflegen soll. Präteritum und Perfekt sind selten (das letztere begegnet vorwiegend in Nebensätzen, in 16 von 17 Fällen pro Texteinheit). Das Futur wird nur vereinzelt gebraucht (1 Nachweis). Der medizinische Traktat von Brunschwig über die Chirurgie (FprBr) ist in Form von Instruktionen abgefaßt. Vorherrschend sind hier Präsensformen. Als komplementär e Tempusformen werden in geringer Zahl Perfekt, Präteritum und Futur verwendet. Vgl. einige Beispiele: V. (1) /Aber du solt wissen für war das ich gelesen hab in den bücheren Galieni . . . / 20 (2) /Du solt mercken ob er vor an dem glid wüt ist gewesen oder nit ob er gerad sy gewese oder nit/ 28*\ (3) /Die selbigen wundenn sol tu mit salbenn fliessen vnd eyteren machenn als du ouch hernach wol geschriben finden würst/ 19^. a (4) / . . . daz ist e das er lispen würt das ist ein d grose wüd vnd der zü ein glid/ 25 . (5) /Als du horn würst hie nach volgent/ 22 . Die Textstruktur des mittelniederdeutschen Arzneibuchs (FprA) ist ebenfalls recht einfach, die Verteilung der Tempusformen entspricht der in der vorigen Quelle; die Konstruktionen bestimmen teilweise den rezeptartigen Stil des Werkes, vgl.: /dey sal nemen/ 91; /des sal hey . . . don/ 91, / s o saltu nemen/ 92 usw. Doch ist im Unterschied zum vorangehenden Text das Futur wenig produktiv, es begegnet nur lmal. Die Orthographie Frangks (FprFr) ist, wie auch die anderen Texte der Fachprosa, "vom Autor" verfaßt, d. h. die Darlegungen werden in der 1. Person vorgetragen. Die präsentische Leitform wird durch das Präteritum und durch das Perfekt ergänzt. Das

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Futur fehlt in dem untersuchten Textanteil ganz. Die zweite ostmitteldeutsche Quelle, das Bergbüchlein (FprC), dessen Verfasser, U. Rülein von Calw, ein geborener Schlesier ist, hat eine sehr einfache Struktur. Hier sind Passivkonstruktionen mit /werden/ und Konstruktionen des Typs /ist zu machen/ geläufig. Es dominiert das Präsens, vereinzelt ergänzt durch das Perfekt (4 Fälle pro Text). Das Futur wurde im durchgesehenen Text nicht festgestellt. In der Gesamtheit der untersuchten Texte wurden etwas mehr als 200 Perfektformen festgestellt, was im Durchschnitt 35 Konstruktionen pro Text ausmacht. Die Schwankungsbreite in den einzelnen Quellen beträgt 1 : 33 (von 4 bis 132 Konstruktionen), vgl. Tabelle 8. Große Produktivität des Perfekts weist der Augsburger medizinische Traktat (FprB) auf, in dem die Zahl der Perfektformen fast viermal höher ist als im Durchschnitt der Fachprosa. Die drei übrigen medizinischen Quellen ergeben 21 (FprBr), 17(FprV) und 16 (FprA) PerfektformenproTexteinheit. Nicht wesentlich unterscheidet sich nach diesem Merkmal auch die " Qrthographia" Frangks (13 Pf) . Die geringste Zahl von p erfektkonstruktionen wurde im Bergbüchlein U. Rüleins von Calw festgestellt (5). Unterschiedlich wird in den einzelnen Texten auch das Futur verwendet. Das "Buch des sterbenden Menschen" (FprB) und Brunschwigs "Cirurgia" (FprBr) ergeben 11 und 7 Futurkonstruktionen pro Texteinheit. In den Quellen FprV und FprA begegnet das Futur nur je einmal, und in den Texten von Frangk (FprFr) und Rülein (FprC) fehlt es ganz. Die durchschnittliche Häufigkeit dieser Tempusform beträgt 3,3 pro Texteinheit. Tabelle 8 Die quantitative Verteilung der komplementären Tempusformen in der Fachprosa Quelle Tempusform Pf Pq F

FprFr Ort hographia 13

FprC Bergbüchlein 5

FprV med. Traktat

FprB med. Traktat

FprBr med. Traktat

FprA Arzneibuch

Gesamtzahl

Durchschnitt proText

17

132

21

16

214

35

-

-

-

-

-

-

-

1

1 11

7

1

-

0,16

20

3,3

Die temporale Semantik wird somit in den Quellen der wissenschaftlichen Fachprosa in mehreren variierenden Tempusstrukturen realisiert. Die Grundform, die in den meisten Fällen zugleich absolut dominiert, ist überall das Präsens. Das Futur ist nur in einem Teil der Quellen vertreten. Im Gebrauch des Perfekts lassen sich in einzelnen Texten beträchtliche quantitative Unterschiede feststellen (von 5 bis 132 Fällen).

Tempus

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Das Plusquamperfekt wird fast nicht verwendet, vgl. aber vereinzelt in FprB: /O wjte het ich so wenig geschazt das ich so bald sollt sterben/. Das beobachtete Bild kann durch die folgenden drei temporalen Schemata wiedergegeben werden: 1. Präs + Prät + Pf + F 2. Präs + Prät + Pf +

[Yj

3. a) Präs + Prät + Pf b) Präs + / P r ä t J + [ V i J Damit werden in der wissenschaftlichen Fachprosa am Ende des 15. und Anfang des 16. Jahrhunderts wegen der geringen Häufigkeit des Plusquamperfekts die verschiedenen Zeitebenen der Vergangenheit in einer Reihe von Fällen nicht unterschieden. Auf diese Erscheinung wird im folgenden Kapitel im'Zusammenhang mit der Charakterisierung des Gebrauchs der analytischen Formen der Vergangenheit in einigen Satztypen und ihrer Verteilung in den Texten verschiedener Gattungen näher eingegangen. Fassen wir zusammen, was wir für den ersten Untersuchungszeitraum über den Gebrauch der einzelnen Tempusformen in den Quellen der verschiedenen Gattungen und Landschaften feststellen konnten. Nach der Wahl der temporalen Leitform lassen sich alle Quellen des ersten Untersuchungszeitraumes in zwei Untergruppen einteilen. Zur ersten Untergruppe gehören Texte mit der Leitform Präsens: Fpr, Dl, T r , Sbr. Zur zweiten Untergruppe gehören Texte mit dem Präteritum als Leitform: Chr, Rs, Vb. Auf Grund unterschiedlicher Kombinationen von Leitform und komplementären Tempusformen heben sich drei spezifische Textgruppen ab (1, 2, 3): Texte mit informativinstruktivem Charakter; Texte mit Erörterungen; Texte mit zusammenhängendem B e richt über Ereignisse, die in der Vergangenheit liegen. (1) Die Fachprosa (Fpr) wird durch die breite Verwendung des Präsens, durch relativ seltene Perfektformen (nach den Durchschnittszahlen nimmt die Fachprosa in dieser Hinsicht den letzten Platz ein), durch das Fehlen (oder die sehr geringe Häufigkeit) des Plusquamperfekts und durch wenige Futurformen (3,3) charakterisiert. Dabei zeigen die untersuchten Quellen der Fachprosa bei niedrigen Durchschnittszahlen für das P e r fekt große Schwankungen seiner Frequenz in den einzelnen Texten: 1 : 26 (von 5 bis 132 Konstruktionen pro Texteinheit). (2) Die verschiedenen Gattungen der polemischen Literatur (Dialoge, Traktate, Sendbriefe) werden im ganzen mehr (Dialoge) oder weniger (einige Traktate) durch eine breite präsentische Grundlage, durch große Häufigkeit des Perfekts (Traktate und Sendbriefe 113, Dialoge 79), durch mittlere (Traktate, Sendbriefe 3,2) oder geringe (Dl 0,28)

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Häufigkeit des Plusquamperfekts sowie durch eine bedeutende Frequenz des Futurs (Dialoge 23; Tr, Sbr 6; zusammen mit dem Traktat Hergots 31) gekennzeichnet. (3) Die Reisebeschreibungen, Chroniken und Volksbücher kombinieren die präteritale Tempusgrundlage mit dem regulären Gebrauch des Perfekts (Rs 54; Vb 53; Chr 81). Als komplementäre Tempusform, die die Vergangenheitsebene kennzeichnet, tritt regelmäßig auch das Plusquamperfekt auf. Besonders häufig wird es in den Volksbüchern (15,4) und Chroniken (14), etwas seltener in den Reisebeschreibungen (9) verwendet. Das Futur ist entweder von geringer Häufigkeit (Rs 1,5; Chr 2,0), oder es begegnet relativ oft (Vb 4,6). So ist das Futur sowohl in den Reisebeschreibungen als auch in den Chroniken wenig produktiv und nur in den Volksbüchern und Romanen etwas stärker vertreten. Die relative Häufigkeit der einzelnen Tempusformen kennzeichnet ziemlich genau die gattungsspezifischen Unterschiede innerhalb jeder Untergruppe. So heben sich innerhalb der dritten Untergruppe die Chroniken durch relativ größere Produktivität des P e r fekts und die Volksbücher durch große Häufigkeit des Plusquamperfekts sowie durch relative Häufigkeit des Futurs ab. Dagegen werden die meisten Reiseberichte durch die niedrigsten Durchschnittszahlen für alle drei komplementären Tempusformen chrakterisiert. In gewissem Umfange sind jedoch nicht nur die Kombinationen der Tempusformen in den Texten und ihre relative Häufigkeit kennzeichnend, sondern auch, wie weit die entsprechenden Angaben für die einzelnen Texte innerhalb jeder Literaturgattung sich annähern oder auseinandergehen. Am dichtesten liegen die Zahlen für die Häufigkeit des Perfekts in den Dialogen (der höchste Umfang der Schwankungen ist durch das Verhältnis 1 : 2,4 anzugeben) und in den Volksbüchern (1:3) beieinander, d. h. in literarischen Gattungen, die auf eine ziemlich lange literarische und sprachliche Tradition zurückgehen. Vgl. hierzu die Zahl der Perfektkonstruktionen in den einzelnen Quellen; Dialoge: 45, 52, + 72, 77, 90, + 106, 108 (im Durchschnitt 79), Volksbücher und Romane: 28, 44 , 48 , 50, 55 , 62 , 67, 84 (im Durchschnitt 53). Für die Sendbriefe und Traktate wird der Umfang der Schwankungen im Gebrauch des Perfekts insgesamt durch das Verhältnis 1 : 3 (zusammen mit den in einzelnen Texten produktiven afiniten Konstruktionen der Nebensätze) oder 1 : 6 (wenn diese Konstruktionen nicht mitgerechnet werden) bestimmt. Die Zahl der Perfektkonstruktionen beläuft sich in den einzelnen Quellen auf 32, 48, + 60, 93, + 100, 106, 190, + 210 (im Durchschnitt 113). +

Die Reiseberichte zeigen eine relativ hohe Zahl von Perfektformen mit Schwankungen von 1 : 5, vgl. die Werte für die einzelnen Texte: 18, 24, 43, 55, 55, 75, 102 (54). Sehr groß sind die Schwankungen in der Häufigkeit des Perfekts in den Texten der

Tempus

»7

Fachliteratur (1 : 26) und besonders in den Chroniken (1 : 72). Vgl. die Zahlen für die Perfektkonstruktionen in der Fachprosa: 5, 13, 16, 17, 21, 132 (35). In den Chroniken: 3, 20, + 30, 135, 216 (81). Noch größere Schwankungen in den einzelnen Textgruppen und auch in den verschiedenen Gattungen der Quellen zeigt das Plusquamperfekt. (1) Das Plusquamperfekt wird in der Fachprosa und in den Dialogen nur vereinzelt v e r wendet . (2) Das Plusquamperfekt ist verhältnismäßig wenig produktiv in den Sendbriefen und Traktaten (3). (3) Es ist relativ stärker verbreitet in den Reisebeschreibungen (9), Chroniken (14) und Volksbüchern (15,4). Die Schwankungen in der Häufigkeit des Plusquamperfekts in den einzelnen Texten innerhalb jeder Gattung können durch folgende Zahlen veranschaulicht werden: Traktate und Sendbriefe: 0, 0, 0, 0, 0, 3, 3, 4, 10 (Schwankungsbreite von 0 bis 10). Reisebeschreibungen: 1, 2, 4, 7, 11, 11, 25 (Schwankungsbreite von 1 - 2 5 ) . Chroniken: 0, 4, 15, 20, 32 (Schwankungsbreite von 0 - 3 2 ) . Volksbücher und Romane: 1, 4, 5, 9, 11, 17, 28, 29, 32 (Schwankungsbreite von 1 - 32). Die angeführten Zahlen erlauben den Schluß, daß das Plusquamperfekt im Vergleich zum Perfekt in den Quellen des ersten Untersuchungszeitraums mehr fakultativ verwendet wurde. Das Plusquamperfekt ist entsprechend seltener (die obere Grenze liegt im Durchschnitt bei 16 Formen pro Texteinheit, die des Perfekts bei 112). Was die Verteilung der Futurformen und ihre relative Häufigkeit in den einzelnen Quellengruppen, den verschiedenen Gattungen und Texten betrifft, so kann hier folgendes festgestellt werden: (1) eine geringe Häufigkeit des Futurs findet sich in den Reisebeschreibungen und Chroniken (1,5 - 2,0); (2) die durchschnittliche Häufigkeit des Futurs beträgt in der Fachprosa 3,3, den Volksbüchern 4,6, den Sendbriefen und Traktaten (ohne den Traktat Hergots) 6 Formen pro Texteinheit; (3) eine größere Häufigkeit des Futurs findet sich in den Dialogen (23) und besonders im Traktat Hergots ( + 250 Konstruktionen pro Texteinheit). Das Schwanken der Häufigkeit des Futurs in den einzelnen Texten jeder Gattung zeigen die folgenden Zahlen: Reisebeschreibungen: 0,0, 0, 0, 1, 1, 7 (von 0 bis 7); Chroniken: 0, 0, 2, 3, 4, 9 (von 0 bis 9);

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N. N. Semenjuk Fachprosa: 0, 0, 1, 1, 7, 11 (von 0 bis 11);

Volksbücher und Romane: 0, 0, 1, 2, 2, 5, 5, 9, 10 (von 0 bis 10); Sendbriefe und Traktate: 0, 0, 4, 7, 8, 10, 12, 16 (250) (von 0 bis 16 oder von 0 bis 250); Dialoge: 5, 10, 20, 30, 30, 31, 34 (von 5 bis 34). Tabelle 9 Die quantitative Verteilung der komplementären Tempusformen in den Quellen der verschiedenen Gattungen (Durchschnittszahlen) Pq

Pf 113 81 79 54 53 35

Tr, Sbr Chr Dl Rs Vb Fpr

15,4 14

F Vb Chr

9 Rs 3,2 T r , Sbr 0,28 Dl 0,16 Fpr

23 6

Dl Sbr, Tr

4,6 Vb 3,3 Fpr 2,0 Chr 1,5 Rs

Ergänzend ist zu bemerken, daß für die Briefe Luthers an seine Frau (BrL) das folgende quantitative Verhältnis der Tempusformen pro Texteinheit gilt: Pf + 100, Pq + 2, F + 20; und für die Briefe U. Härders (BrH): Pf + 67, Pq 0, F + 7. Zusammen mit dem Traktat Hergots ergeben die Dialoge und Traktate 31 Futurformen im Durchschnitt pro Texteinheit, d. h. sie rücken dadurch an die erste Stelle in der Häufigkeit des Futurs. Bei der Untersuchung einiger Differenzierungen im Gebrauch der Tempusformen, die durch die Besonderheiten einzelner Gattungen und Textgruppen bedingt sind, ist auch die Frage zu stellen, welche Rolle die territorialen Faktoren bei den beobachteten Abgrenzungen spielen. Es muß betont werden, daß die sprachlichen Gegebenheiten im untersuchten Zeitraum äußerst kompliziert und verworren sind und bei weitem hier nicht befriedigend erklärt werden können. Die Verbreitung einer bestimmten Grund- oder Leitform ist in der Hauptsache nicht unbedingt an die Spezifik der einzelnen Gattungen gebunden, sondern hängt vom Typ des Textaufbaus in jeder der Gattungen und von der temporalen Semantik in den entsprechenden Texten ab. Die Einwirkung territorialer Faktoren auf die Grundformen kann nur in den Fällen festgestellt werden, wenn das Perfekt anstelle des Präteritums oder zusammen mit

Tempus

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ihm als eine der Grundformen verwendet wird und wenn der zusammenhängende Text mit Hilfe von Perfektketten gebildet ist. Diese Erscheinung erfaßt nicht global alle Quellen eines bestimmten Sprachgebiets, sondern ist nur in einzelnen Texten zu beobachten. So in einer der Augsburger Chroniken (ChrAg: 216 Pf), in geringerem Maße in der anderen süddeutschen Chronik aus Regensburg (ChrR: 135). Perfektketten werden häufig für die Bildung eines zusammenhängenden Textes und in einem der Briefe verwendet, die in den Text der Augsburger Chronik (ChrA^) eingefügt und von der bairischen Herzogin zur Entlarvung einer Abenteuerin (einer Frau, die angeblich nichts aß) verfaßt worden sind. In diesen Quellen, die auf die Besonderheiten der gesprochenen, dialektal gefärbten Sprache des süddeut 23 sehen Gebietes zurückgreifen, ist ein starker territorialer Einfluß zu beobachten . Sehr groß ist die Produktivität des Perfekts in einem der Traktate Huttens (TrH), in dem auf einem halben Druckbogen 106 Perfektformen registriert wurden. Daneben finden sich hier 90 afinite Konstruktionen, von denen zweifellos ein großer Teil ebenfalls als Perfekt angesehen werden muß. Die Besonderheiten dieses Textes können nicht mit gleicher Sicherheit auf den Einfluß territorialer Faktoren zurückgeführt werden, und zwar deshalb, weil Huttens Traktat keinesfalls an die gesprochene Sprache gebunden ist, und zum andern deshalb, weil nicht alle in diese Untersuchung einbezogenen Werke Huttens eine gleich hohe Zahl von Perfektkonstruktionen aufweisen. Nicht völlig klar ist auch der Grund für die große Produktivität des Perfekts im Text des niederdeutschen Traktats von Rotmann (TrR: 190), die auch in der niederdeutschen Pilgerfahrt nach dem hl. Lande zu beobachten ist (RsKett: 102 Konstruktionen pro Texteinheit bei einer durchschnittlichen Häufigkeit für diese Gattung von 50 Konstruktionen). Dagegen ist das Perfekt in der niederdeutschen Chronik wenig produktiv (3 Konstruktionen pro Text bei einem Durchschnitt von 81 für diese Gattung). Ganz und gar ist die ungewöhnlich große Produktivität des Futurs im Traktat von Hergot (173 Formen auf 2/3 Druckbogen) auf den Inhalt des Textes zurückzuführen. Diese soziale Utopie, die in die Zukunft weist, bestimmt die Produktivität der Futursemantik und der ihr entsprechenden Tempusform, die in diesem Fall genau genommen auch zu den Leitformen gehört und im Text neben dem Präsens auftritt. Auch die übrigen komplementären Tempusformen zeigen in ihrer Verwendung bestimmte Unklarheiten und Schwierigkeiten. Wie sollen beispielsweise so große Gebrauchsschwankungen des Plusquamperfekts erklärt werden, wie sie in einigen Texten zu beobachten sind? Die geringe Produktivität des Plusquamperfekts in der Augsburger Variante des Romans von Troja (VbT^: 5 Pq) kann wohl ebenso durch die Wirkung lokaler Faktoren erklärt werden wie die große Häufigkeit des Plusquamperfekts in der niederdeutschen Erzählung von den drei Kaufleuten (VbKop: 32 Pq). Andererseits ist der territoriale Faktor offensichtlich nicht relevant in Fällen, wenn Schwankungen in verschiedenen Quellen

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ein und desselben Sprachgebiets beobachtet werden. Vgl. einerseits die große Produktivität des Plusquamperfekts in einer der ostmitteldeutschen Chroniken (ChrSp: 32 Pq) und andererseits die niedrige Produktivität im Text des ostmitteldeutschen Volksbuches von Salomon und Markolf (VbSM: 1 Pq). Angesichts solcher Schwankungen kann der Hinweis auf die territorialen Faktoren, auch dann, wenn dafür bestimmte Grundlagen vorhanden sind, nur als e i n e

von vie-

len Erklärungsmöglichkeiten für die Unterschiede und Differenzierungen dienen. Nachdem wir auf die begrenzte Zuverlässigkeit mancher Deutungen hingewiesen haben, die anhand einzelner Texte vorgenommen werden, wenden wir uns der Analyse der Durchschnittsangaben zu, vgl. Tabelle 10. Tabelle 10 Die durchschnittliche Produktivität der komplementären Tempusformen in den Texten verschiedener Landschaften Landschaft

md.

obd.

nd.

Pf

59,3

74,4

69,4

Pq

9

6,5

13,4

F

9

17,6

3

Tempus form

Aus dieser Übersicht können folgende Schlußfolgerungen gezogen werden: (1) Die durchschnittliche Produktivität des Perfekts ist in den Quellen des Südens etwas größer als in den übrigen Landschaften, obwohl das Übergewicht nicht sehr bedeutsam ist (37 % im Süden gegen 34 % im Norden und 29 % im Mitteldeutschen). (2) Das Plusquamperfekt ist am wenigsten produktiv im Süden und am häufigsten im Norden (31 % im Mitteldeutschen, 22,4 % im Süden und 46,6 % im Norden). (3) Das Futur ist am schwächsten im Norden vertreten, wenn diese Durchschnittszahlen nicht zufällig und durch die Quellenauswahl bedingt sind. Wie ist schließlich das Wechselverhältnis zwischen den gattungsspezifischen und territorialen Merkmalen? Um diese Frage zu beantworten, wenden wir uns den Zahlen zu, die die Produktivität der Tempusformen in Texten verschiedener Gattungen kennzeichnen, wobei wir gleichzeitig bemüht sind, die territoriale Zugehörigkeit der betreffenden Quellen zu berücksichtigen. Bereits erwähnt wurden die vergleichsweise geringen Schwankungen in der Häufigkeit des Perfekts in den einzelnen Texten aus Volksbüchern und Romanen. Dieses

Tempus

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Merkmal erweist sich auch im Vergleich der entsprechenden Quellen des mitteldeutschen und süddeutschen Gebiets als stabil (vgl. die 56 Konstruktionen pro Texteinheit für das Mitteldeutsche, 60 Konstruktionen pro Texteinheit für den Süden). Nur der Norden zeigt mit 36 Perfektkonstruktionen eine wesentliche Abweichung von der Durchschnittszahl. Ein ähnliches Bild ist auch in den Dialogen zu beobachten: Im Mitteldeutschen 80 Perfektformen, im Süden etwa 78; entsprechende norddeutsche Quellen fehlen. So sind für die Quellen, die an eine bestimmte literarische Tradition gebunden sind, bedeutende territoriale Unterschiede in der Produktivität des Perfekts nicht festzustellen. Eine etwas andere Lage zeigt sich in der Verteilung der Plusquamperfektformen in den entsprechenden Texten. Für die Volksbücher, in denen diese Form am häufigsten ist, gelten die folgenden Durchschnittszahlen: im Mitteldeutschen 15, im Süden 7, im Norden 30; das sind 2 8 , 8 % , 13,5%, 57,7 %. Zusammen ergeben die beiden analytischen Formen der Vergangenheit in den Texten der Volksbücher der einzelnen Landschaften annähernd gleiche Zahlen (im Mitteldeutschen 70, im Süden 57, im Norden 66). In den untersuchten Texten der Dialoge ist das Plusquamperfekt praktisch fast nicht vertreten. Sehr ungleichmäßig ist die Verteilung der Perfektformen in den Quellen der Fachprosa (im Mitteldeutschen 9, im Süden 57, im Norden 16). Das ist zum Teil wohl auch durch die Einwirkung territorialer Faktoren zu erklären, vor allem aber durch beträchtliche Unterschiede im Charakter der Texte selbst, durch ihre Ungleichartigkeit. Noch größere Diskrepanzen im Gebrauch des Perfekts lassen sich in den Chroniken beobachten: Im Mitteldeutschen 25, im Süden 175, im Norden 3. Für das Plusquamperfekt variieren die Durchschnittszahlen nicht in solchem Umfang (im Mitteldeutschen 16, im Süden 10, im Norden 20). Es ist anzunehmen, daß die großen Unterschiede in der Häufigkeit des Perfekts in den Chroniken durch den unterschiedlichen Grad des Einflusses der gesprochenen Sprache und auch durch verschiedene lokale Traditionen seiner Verwendung in der gesprochenen, mundartlich gefärbten Sprache begründet sind. Insgesamt kann eine relativ größere Offenheit der Chronikensprache für den Einfluß der gesprochenen Sprache festgestellt werden als das in den Romanen und Volksbüchern zu beobachten ist. Natürlich stützen sich diese Schlußfolgerungen nur auf jene Erscheinungen, die hier untersucht werden, d. h. auf die relative Produktivität der analytischen Formen der Vergangenheit. Dabei konnte vielen anderen sprachlichen Erscheinungen nicht nachgegangen werden; durch ihre Erforschung könnte aber die allgemeine Charakteristik der betreffenden Literaturgattungen wesentliche Korrekturen erfahren.

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Kapitel 3. Die Verwendung der Tempusformen in verschiedenen Kontexten und in einzelnen syntaktischen Modellen (variable und invariante Elemente des Sprachusus)

Die quantitative Verteilung und Gruppierung der temporalen Formen und Konstruktionen in den Quellen der verschiedenen Gattungen und Sprachlandschaften, die im vorangegangenen Kapitel in allgemeinen Zügen dargestellt wurde, ist nur einer der für unsere Zielstellung notwendigen Aspekte der Untersuchung des Materials. Im Anschluß hieran müssen einige Fragen untersucht werden, die mit dem Gebrauch und der Kombination der Tempusformen in einzelnen Teilen des Textes und unter verschiedenen syntaktischen Bedingungen verbunden sind. Obwohl auch hierbei die temporale Semantik eines bestimmten Textabschnittes eine große Rolle spielt, steht oft nicht nur der Inhalt der Quellen im Vordergrund der Untersuchung, sondern auch die für die Sprache einer bestimmten Periode führenden Tendenzen des Gebrauchs und der Kombination der Tempusformen. Zu den zu untersuchenden rein sprachlichen Bedingungen gehören die Satzstruktur (der selbständige Satz, Hauptsatz, Nebensatz) und auch der funktional-semantische Typ des Satzes (Temporalsätze, Attributsätze u. dgl.). Manchmal wirkt sich z. B. bei der Wahl einer der Vergangenheitsformen (des Perfekts oder Präteritums) auch der unterschiedliche Charakter des verwendeten verbalen Lexems aus, der manche von seinen grammatischen Merkmalen bestimmt (vgl. die Modalverben, die zu den Präteritalformen hinneigen). Im Prinzip können solche Erscheinungen in Sprachen mit festgelegten Gebrauchsnormen entweder mit einem breiten semantischen Potential einiger Tempusformen (vgl. beispielsweise das Präsens in der deutschen Gegenwartssprache, für das sich bis zu zwanzig verschiedene Funktionen herausgebildet haben) oder mit einer stabilen (systemhaften) Synonymie einzelner Formen und Konstruktionen zusammenhängen. Gleichzeitig kann auch eine andere Tatsache, die gerade für die frühen Etappen der Entwicklung der Literatursprache kennzeichnend ist, eine bestimmte Rolle spielen, und zwar die Ambivalenz mancher temporalen Formen und Konstruktionen. Diese Unbestimmtheit ihrer Semantik kann ihrerseits unterschiedliche Ursachen haben. Im ersten Kapitel dieses Teils wurde eine Reihe von Erscheinungen untersucht, die mit fehlender formaler und semantischer Unterscheidung einer Anzahl von Formen und Konstruktionen zusammenhängen. Vgl. /het(t)/ 1. und 3. P e r s . Sing. Indikativ und Konjunktiv; /lebt/ 1. und 3. P e r s . Sing. Präsens und Präteritum; /würd/ Hilfsverb /werden/ im Bestand des Futurs und Konditional I; /worden/ Präteritum 1 . - 3 . Pers. Plur. und Partizip H. Einerseits gelangen derartige formal undiffe-

Tempus

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renzierte Wortformen nicht immer in Positionen, wo sie grammatisch nicht eindeutig bestimmt werden können, andererseits erweist sich die Semantik der entsprechenden Wortformen und der Konstruktionen, zu denen sie gehören, in einer Reihe von Fällen entweder nicht eindeutig oder sie kann nur vermutungsweise auf Grund kontextualer Merkmale bestimmt werden. Vgl. z . B . : (1) [ . . . , Aber der Wyndt vorkeret sich, vnnd was vns gantz entkegenn/ RsHirsch 35. (2) /waren vil leut fro, daß er an ga]gen kam, also hengket man in; gieng aus und redet mit niemant nichts/ ChrAg 23. (3) /und als es mit dem kreutz in die kirchen kam, da fragt man es, was es auff seinem schlair hett, da sagt es, es west sein nicht . . . / ChrA^ 11. Die Identifizierung der schwachen Formen der Vergangenheit wird in den angeführten Beispielen (1 und 2) durch den präteritalen Kontext erleichtert, obwohl im dritten Beleg (3) sowohl / f r a g t / wie / s a g t / auch als Präsens aufgefaßt werden kann. Die Abgrenzung der schwachen verkürzten Formen der Vergangenheit und des historischen

24 Präsens, das auch im präteritalen Kontext auftreten kann, ist nicht immer eindeutig , obwohl durch eine bestimmte Gruppierung von markierten und nichtmarkierten Formen im Satz oder Textabschnitt in den meisten Fällen ein Hinweis auf die Zeitstufe gegeben ist. Schwache nichtmarkierte Formen treten sporadisch in präteritalen Ketten im Wechsel mit eindeutig markierten starken Formen auf. Diese Erscheinung findet sich z. B. im Roman von Fortunatus, wo die präteritale Bedeutung der entsprechenden Formen fast ausschließlich bei starken Verben auftritt, die mit schwachen Formen in präteritalen Ketten abwechseln. Vgl.: /(er) fieng an, rait, ließ, fragt, gieng, verkaufft, versatzt, traib, hett/usw. (VbF 4-5, Straßburg). Diese Erscheinung ist in Quellen der verschiedenen Sprachlandschaften zu beobachten, vgl. die Basler Ausgabe des Romans von Olivier und Artus: /(er) gieng, grust, kam/ VbOA 256, oder die Augsburger Ausgabe des Romans von Troja: /(sy) was, tet, kleydet, gieng/ VbTr^ 9. Eine nicht eindeutige Unterscheidung der Präterital- und Präsensformen ist, wie bereits erwähnt, in den Texten weit verbreitet. Beim Hilfsverb /haben/ können die Formen der Vergangenheit und der Gegenwart zusammenfallen. In diesem Fall dienen /hat/het/ (3. P e r s . Sing.) als Präsens und Präteritum des Indikativs, wobei sie im Präteritum mit /hatte/hette/ konkurrieren. Aus diesen Gründen werden in den Texten einerseits das Perfekt und Plusquamperfekt Indikativ mit dem Hilfsverb /haben/ und andererseits der Indikativ und Konjunktiv (vgl. die 1. und 3. Person Plural im Plusquamperfekt) nicht immer unterschieden. Vgl. ferner einige Beispiele, in denen die Varianz der Formen des Hilfsverbs in einer Reihe von Fällen zur Nichtdifferenzierung der entsprechenden Konstruktionen führen kann.

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(1) /Vnd kamen ouch die andern Burger all, nach denen die Kungin gesendet hett (Pq, Pf?) vnd hetten sich versamlet in dem Palast/ VbHSch 39. (2) /da lud man die gantz spetzerei vß vnd satzt sye an grundt vnd macht sie wider gantz, dan sie hat ein bruch uberkömen/ (Pf, Pq?) RsSpr 22. (3) /Vff den fyrden tag Augusti do qua der recht kunig den wir vormals vom land vertriben hetten widerumb zu land, vnd als er erfor dz ein ander kunig erweit vnnd bestedigt was, den er dan wol leiden mocht vnd liep hat, dan er hat in von kynd vff seyner kuniglichen regirung bey im gehabt vnd erzöge (Pf, Pq?), do wolt er nit wider begeren kunig zu werden/ RsSpr 12. Natürlich kann auch hier eine bestimmte Abgrenzung auf Grund des Kontextes vorgenommen werden. Das ist zwar für das Präteritum und das Präsens auf der Grundlage der präteritalen Kette, die nichtmarkierte schwache Formen und klar markierte starke Formen enthält, fast immer möglich, oft aber nicht für das Perfekt und Plusquamperfekt. Das hat zwei Gründe. Erstens steht das Perfekt oder das Plusquamperfekt meistens isoliert im präsentischen oder präteritalen Kontext und wird selten von einer anderen, eindeutigen Form gestützt. Als Hindernis für die klare Differenzierung der Tempusformen erweisen sich zweitens die nicht ganz gefestigten Normen, die Gesetzmäßigkeiten des Gebrauchs der entsprechenden analytischen Formen der Vergangenheit, und ihre mögliche Synonymie. Darauf wird im einzelnen noch später eingegangen. Der Zusammenfall einzelner Formen des Hilfsverbs ist nicht der einzige Grund dafür, daß eine eindeutige Differenzierung der analytischen Perfekt- und Plusquamperfektkonstruktionen in einzelnen Texten nicht möglich ist. Eine gewisse, freilich für den untersuchten Zeitraum insgesamt nicht so entscheidende Rolle spielen afinite Strukturen der Nebensätze, in denen das Hilfsverb, das die Endstellung einnimmt, überhaupt ausgelassen werden kann und die Kontextmerkmale für die Unterscheidung der Konstruktionen nicht ausreichen. Eine gewisse Rolle kann in diesen Fällen zwar der allgemeine Kontext des Werkes spielen; wenn in einigen Quellen, wie im vorigen Kapitel gezeigt wurde, das Plusquamperfekt wenig produktiv ist (oder ganz fehlt), können unklare F o r men nicht für das Plusquamperfekt in Anspruch genommen werden. Über die afiniten Konstruktionen müssen dennoch einige Worte gesagt werden, und zwar schon deshalb, weil sie in einzelnen Quellen ziemlich verbreitet sind. In den meisten der für den ersten Zeitraum untersuchten Quellen ist die Zahl der afiniten Konstruktionen nicht größer als 2 bis 3 pro Texteinheit. Es gibt auch Texte, in denen die Nebensätze ziemlich regelmäßig durch eine finite Konstruktion des verbalen Prädikats gebildet werden. Daneben stehen einzelne Quellengruppen, die sich durch eine bedeutende Zahl afiniter Konstruktionen abheben. Dazu gehören zum Beispiel einige Dialoge und besonders Sendbriefe und Traktate. Im Sendbrief Luthers vom Dolmetschen (SbrL) kommen auf 48

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"normale" Perfektkonstruktionen in Nebensätzen 13 afinite Konstruktionen (d. h. 80 % finite, 20 % afinite). Ein ähnliches Verhältnis wurde auch im Text TrAC beobachtet. Überaus stark wechselt das Verhältnis der entsprechenden Strukturen in den Traktaten Huttens. Im SbrH kommen auf 23 vollständige Perfektkonstruktionen im Nebensatz 40 afinite Konstruktionen (der gesamte Text des Traktats umfaßt etwa 2/3 Druckbogen). Das Verhältnis finit : afinit beträgt hier also 35 % : 65 % . Im TrH ist die afinite Bildung der Nebensätze noch stärker vertreten. Hier wurden auf 1/2 Druckbogen 90 afinite Konstruktionen r e g i s t r i e r t , was neben der ungewöhnlich hohen Produktivität des P e r fekts eine bemerkenswerte Besonderheit dieses Textes darstellt. Ziemlich häufig sind die afiniten Strukturen in verschiedenen Typen von Nebensätzen auch in einigen anderen Traktaten. Im TrCh (oobd.) kommen auf den Standardtext 28 afinite Konstruktionen, im TrZw (wobd.) 21. Daneben begegnen in dem südwestdeut sehen anonymen Flugblatt SbrVer im durchgesehenen Text nur 2 solche Konstruktionen. In den übrigen Quellen, insbesondere in einem der Dialoge Huttens (D1H), wurden 25 afinite Strukturen pro Text festgestellt (darunter 5 Fälle mit fehlender Kopula). Dagegen entfallen in den Dialogen von Hans Sachs (DIHSj und DIHSg) auf den durchgesehenen Text (ein knapper Druckbogen im ersten Fall und etwa 2/3 Druckbogen im zweiten) nur 1 - 2 afinite Konstruktionen. Einzelne afinite Strukturen werden auch in den übrigen Gattungen des Schrifttums aus dem ersten Untersuchungszeitraum verwendet, i n s besondere in den Briefen. So wurden in den Briefen Härders 6 afinite Konstruktionen, in Luthers Briefen an seine Frau 11 und in dem kurzen Brief M. Kufners an den Sohn Melanchthons ebenfalls 11 solche Konstruktionen festgestellt (BrK). Vgl. z. B. bei Luther: /Wenn ich komme, will ich erzählen, wie Mühlfurt und ich bei dem Riedtesel zu Gast gewest, und Mühlfurt mir viel Weisheit erzeiget/ B r L 9. So ist die afinite Konstruktion auch nach diesen bei weitem nicht vollständigen Zahlen, obwohl sie nur unregelmäßig in den Texten verwendet wird, schon im ersten Untersuchungszeitraum in den verschiedenen Quellengattungen belegt. Gerade in den Gattungen und Texten, in denen die afinite Konstruktion relativ stark verbreitet ist, sind F o r men des Plusquamperfekts am seltensten. Deshalb treffen die beiden Erscheinungen, Plusquamperfekt und afinite Konstruktion, selten zusammen, obwohl das in einer Reihe von Quellen nicht auszuschließen ist. Vgl. zum Beispiel den Satz im Roman von Pontus und Sidonia, in dem für die afinite Konstruktion sowohl das Perfekt als auch das P l u s quamperfekt stehen kann: / D a sie ein zyt gedantzt, Generie, des konigs dochter, nam ein harff vnd spilt vnd bat den Vorgenanten, das er auch spielen wolt/ VbPSj 152. Allgemein ist zu sagen, daß die Regeln des Gebrauchs und der Kombination der Tempusformen in den Texten des untersuchten Zeitraumes sehr weit und unbestimmt waren. Das hat zu einer beträchtlichen Variabilität der Tempusstruktur sogar bei r e l a tiver Ähnlichkeit der Tempussemantikgeführt. Untersuchen wir einige Erscheinungen des

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usuellen Charakters am Beispiel des Gebrauchs der analytischen Formen der Vergangenheit . Perfekt und Plusquamperfekt begegnen im untersuchten Zeitraum in verschiedenen Typen von Satzstrukturen: Im erweiterten einfachen Satz (1), in selbständigen Teilen eines Satzgefüges (2), und im Satzgefüge sowohl im Hauptsatz (4) als auch im Nebensatz (3). Vgl. die folgenden Beispiele: (1) /Diomedes was eyn greke vnde hadde langhe vmme Troyen to vorstoren geleghen/ VbTr 2 79. (2) /Auer se hadde on suluen beholden/ VbKop 67. /Das selbig land hat gar eyn schonen hafen oder anfart vnd vff eim ort desselben stadens haten sie gebauwen ein onseglich starck bolwerck/ RsSpr

12.

(3) /Uy wyllen beseen wat vns de vromde kremer van auenture gebrocht heft/ VbKop 73. /Indes quam ein cristen ritter zu den reden, der an sich hatte genommen den glauben von Machameten von vor cht des dots . . . / VbPSj 50. (4) /Centhauri seind gewesen ein volck in Kryechenlandt, so gar rauch, harte vnd vnfreüntlich, das man, dieweyl sye on das gute reüter gewesen, von jn geschriben, hart sye auch . . . gemalet, als seyen sye halb pferd vnd halb leüt/ D1H 45. / . . . alle wat se gedan hedden, dat hedden se in hastigem mode gedan/ ChrSch 317. Die quantitative Verteilung der Perfekt- und Plusquamperfektformen in den verschiedenen Satzstrukturen müßte gesondert untersucht werden. Hier beschränken wir uns nur auf einige allgemeine Bemerkungen. Einzelne Beobachtungen anhand unseres Materials zeigen, daß diese Verteilung der Tempusformen in vieler Hinsicht vom Texttyp und davon abhängt, welche syntaktischen Strukturen hier überwiegen. Dabei zeigt sich eine komplizierte Wechselbeziehung zwischen den produktiven syntaktischen Modellen des Textes und seiner Tempussemantik und Tempusstruktur. Eine gewisse Rolle spielt auch die Häufigkeit der afiniten Konstruktionen, weil die Nebensätze in einigen Quellen mit variierenden Strukturen des Prädikats (finiten und infiniten) gebildet werden. Am Beispiel einer der Quellengruppen wollen wir die Verteilung der Perfektformen in den Satztypen zeigen und dabei die Nebensätze mit dem Hauptsatz wie auch mit dem selbständigen Satz vergleichen. So sind in fünf Quellen der Traktate und Sendbriefe (SbrL, SbrAC, SbrH, TrCh, SbrVer) insgesamt etwa 200 Perfektformen in unabhängigen Sätzen und Hauptsätzen und etwa 150 in Nebensätzen gezählt worden. Mit der variierenden afiniten Konstruktion, die in diesem Texttyp sehr häufig ist, werden etwa 100 Sätze gebildet. Im zweiten Kapitel dieses Teiles wurde bereits darauf hingewiesen, daß alle Quellen des ersten Zeitraums unter dem Aspekt der Verwendung der komplementären Tempusformen, die die Ebene der Vergangenheit kennzeichnen, in zwei Untergruppen zerfallen: Texte mit präsentischer Grundlage, in denen als führende komplementäre Form das

Tempus

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Perfekt auftritt, und Texte mit präteritaler Grundlage, in denen sowohl das Perfekt wie auch das Plusquamperfekt als komplementäre Formen verwendet werden. Zum e r sten Typ gehören Werke der Fachprosa, Dialoge, die meisten Traktate und Sendbriefe und auch, soweit sich das bei dem geringen für den Vergleich herangezogenen Material beurteilen läßt, Briefe. Zum zweiten Typ gehören Reisebeschreibungen, Chroniken «nd Volksbücher. Für diese zweite Quellengruppe wurden in 21 Texten etwa 300 Plusquamperfektformen festgestellt, während in 18 Texten der ersten Gruppe nur vereinzelte zweifelsfreie Plusquamperfektkonstruktionen nachzuweisen sind. Allerdings begegnen auch unter den Quellen, in denen das Plusquamperfekt ausreichend bezeugt ist, einzelne Texte, in denen es selten verwendet wird. Zu ihnen gehören RsFab (südwestdeütsch) 1 Pq, RsSt (südostdeutsch) 2 Pq und RsHirsch (omd.) 4 Pq. Das Plusquamperfekt fehlt im untersuchten Text der Mainzer Chronik (ChrM) und ist auch in der südostdeutschen Chronik aus Regensburg (ChrR) selten. Von den "Romanen" hebt sich besonders das VbSM (omd.) ab: 1 Pq. Eine geringe Zahl von Plusquamperfektformen wurde auch in den beiden süddeutschen Ausgaben der Volksbücher festgestellt, VbEu (4) und VbTg (5). Eine ähnliche Ungleichmäßigkeit und Instabilität im Gebrauch des Plusquamperfekts wirkt sich bei der Bezeichnung der "Tiefe" der Tempusebenen aus: In Texten, in denen das Plusquamperfekt selten verwendet wird, müssen einzelne Zeitebenen der Vergangenheit formal nicht unbedingt unterschieden werden, da ihnen gleichartige Tempusformen, Präteritum (2) oder Perfekt (1, 3 , 4 , 5) entsprechen: (1) /Salomon sprach. Ich hab weißlich gerichtet zwische zweye weiben die yn einem hauß haben ertrucket eyn kint/ VbSM a 3 a . (2) / . . . da kumen sy zu Sant Benedictus hol, in dem er lag, got dient, daz niemen nichtz drum wisst denn Romanus der minch, der im ettwen ze essen an ainem sail hin ab Hess in daz hol/ RsFab 295. (3) /also ist alles geschehen, das er geredt het / ChrA,, 28. (4) /Da er nun gehenckt ward, da luffen wol 8 tag dy scharrhansen hinaus/ ChrR 20. (5) /Ich hab des Murners kunst genug erfaren, wie dieff er in der heiligen geschrifft sich gerumet hatt/ PIK 87. Gelegentlich bleiben die Zeitebenen auch bei der Verwendung des Plusquamperfekts ungegliedert, wenn es in mehreren Nebensätzen bei faktischer Ungleichzeitigkeit der Handlung verwendet wird. Vgl.: 6 6 (6) /Vnnd do der Seneschal hette vernommen vnnd gehöret dye Bekummernus vnd auch das überfallen, das dem Kunig von Galicia was geschehen, do erbarmet es in gar ubel, . . . / VbPSg 124. In anderen Fällen werden die Zeitebenen unterschieden, wofür jedoch verschiedene Kombinationen von Tempusformen verwendet werden können:

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(7) /

und nit weit von Piperno ist daz closter F o s s a Nova Sant Bernhartz orden, in

dem Sant Thomas starb/ R s F a b 295; P r ä s + P r ä t . (8) /Vnd diessen kunigreiche ist eins genat Persyen da hat auch der heiligen dreier kunig einer in gewont/ RsSpr 28; P r ä s + P f . Vgl. auch die synonyme Verwendung des Perfekts und Präteritums für die B e z e i c h nung einer früheren Zeitebene in ein und demselben Textausschnitt: (9) ^Darnach ward Appollinaris da g e m a r t r e t . E s ist auch da gemartret worden Sant Vitalis, der r i t t e r S . Gervasius und Prothasius vatter und vil ander/ R s F a b 291. Beide Sätze sind von einem präteritalen Kontext umgeben, der ihren Hintergrund bildet. Vgl. ferner oft synonym verwendetes Perfekt und Plusquamperfekt in derselben Funktion: (10) / . . . vnd in Sonderheit weiset man (Prät ?) vns ein gros Stucke von dem heiligen Kreutze, ein gros stucke von der seulen, daran der Herre Christus gegeisselt wurden ist/ RsHirsch 3 3 . (11) /da fand man etlich tod leutt darin von dem armen Kontzen, die haimlich ertrenckt send worden/ ChrA^ 2 3 . (12) /Da. sie die statt gewonnen hatten, da slugen die dot wyp vnd kint

/ VbPSj 48.

(13) /In deme do sach her F r e d e r i c k synen perlen budel, syn gülden gordel, vnde den guden gülden rinck in deme krame, dat he om gestolen hedde/ VbKop 73. (14) /Uff montagk nach mittage . . . kamen unser freunde, die von Magdeburg. Die hatten diese dinge neulich erfahren und waren des . . . sehr erschrocken/ ChrSp 1 4 . Die Bezeichnung der Vorzeitigkeit und der Abgeschlossenheit einer bestimmten Handlung in der Vergangenheit (beide Bedeutungen sind oft miteinander verquickt) stellt eine grundlegende grammatische Funktion des Plusquamperfekts schon im untersuchten Zeitraum d a r . Vgl. noch einige Beispiele: (15) /Förder sassen die von der Synerei vnd hetten des Marggrauen Diener zwischen sich genomen, vnd fuhren also

wieder gen Venedigk

/ RsHirsch 4 8 .

(16) /Vnd zu der lincken Handt saß der Junge Marggraue von Mantris, welcher alleine solch der Venediger geprenge zu besehen hinkomen was/ RsHirsch 4 8 . (17) /Diese alle dan zusammen hilten und hatten etliche in den parten zu sich gezogen . . . / C h r S p 1. (18) /De iuncfrouwe was do tho eren iaren ghekamen eynem manne to de ee tho gheuen vnde was wol gelerth in den souen vryen kunsten/ VbTr^ 81. (19) /Der konig rant vff vnd nyeder vnd slug zu der erden, was yme begegent. Vil cristen worden von yme dot geslagen. E r hatte darnyeder geworffen Wilhelm von Roches vnd Rolant von Dienant dot erslagen vnd vil me r i t t e r , die nit zu nennen sint/ VbPS^ 92. Neben den eigentlich grammatischen Funktionen erfüllt das Plusquamperfekt auch

Tempus

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einige andere, die wie folgt charakterisiert werden können: erstens als strukturellkompositionelle Funktion (Markierung der Grenzen der Mitteilung) und zweitens als kommunikative Funktion (Hervorhebung des Wesentlichen in der Mitteilung). Beide Funktionen hängen eng miteinander zusammen, da es sich um die Hervorhebung verschiedener Teile einer Information handelt, die in einzelnen Textabschnitten enthalten ist. In solchen Fällen kann auch das Perfekt als Synonym für das Plusquamperfekt verwendet werden (vgl. unten die Beispiele 2, 4, 5, 6, 7, 8). Im folgenden werden Beispiele für die Verwendung der entsprechenden Tempusformen zur Bezeichnung des Anfangs einer Mitteilung angeführt: (1) / E s war ein warmer winter gewesen, das dy würm und fliegen den ganzen winter umbkrochen, das arm volck gewönlich parfus ging, alß weer es umb Michaelis gewesen/ ChrR 36. (2) /Am pfinztag nach sant Laurenci, den 11. augusti, umb vesperzeit ist ein mechtig groß weter gewest, was für habern auff dem feld ligend oder steen fand, allen glatt e r schlagen/ ChrR 33. (3) /Vff denn Morgenn hatte sich das Wetter gebessert, da fuhren wir aus der Porttenn wieder auffs Meher, wiewol es sorglich zu thun wahr, vnndt fuhrenn den Tagk 6 meylen zu einer Stadt

/ RsHirsch 37.

(4) /Daniel der bercguerstendigk . . . hab ich eyn kurtzes buchlein gedacht von mettallischem ertz tzubereyte, auß der alten weysen bucher vnd geeupten bergkleuten e r farungk getzogen, darynne du ein anweysungk vnd bekentnyß habenn magst . . . / FprC 67. Vgl. auch die Verwendung der entsprechenden Tempusformen zur Bezeichnung des Schlusses einer Mitteilung: (5) /Da saylten wir . . . byß vf den xv. tag Noueijbris vnd satzte ancker vor die stat Lysibon vnd hatten do mit diesse Reyß in dem namen gottes volnbracht vnd geendet/ RsSpr 27. (6) /Die Merfart Balthaser Sprengers in einer Sum geoffenbart hat hie ir end erlangt/ RsSpr 28. (7) /Mit diessem fisch wurden gespeißt in einem tag Hundert vnd sechßundtzwentzig menschen, do von ich selber gessen vnd gespeißt worden bin / RsSpr 3. (8) /Ist daraus den Leuthen teglichen vor viel Kranckheiten zu trincken gegeben, wir dan daraus auch getruncken habenn/ RsHirsch 34. (9) / E s gefruren in fil dörfern die prunen und das wasser, daß man das vich must an etlichen orten 1/2 meil oder 1 meil weg zu dem wasser zu trincken treiben; es waren auch etlich prunen hie in der stat Augspurg gefroren/ ChrA^ 11. In den letzten beiden Fällen wird mit Hilfe des Perfekts nicht nur der Abschluß der Mitteilung bezeichnet, sondern zugleich auch ihre Wichtigkeit unterstrichen. Diese auch dem Plusquamperfekt eigene Funktion läßt sich übrigens in verschiedenen Teilen

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des Textes beobachten, sie tritt offenbar besonders in jenen Fällen hervor, in denen die so bezeichnete Handlung nicht als logisch vorausgehend erscheint. Vgl. das Plusquamperfekt in dieser Funktion: (10) /Item voert tzogen wir weder in dat cloyster sent Kathrijnen tgaen den auent in waeren eyne naicht ind tzweyn daghe vss geweest, dae wir vns die naicht resteden/ RsHar 128. (11) /Dar nach segelten wir wyder vff den Kaben de sperantzen; dan wir waren dauon gesegelt wol tausant vnnd fyerhundert meylen/ RsSpr 7. (12) /Uffn donnerstagk . . . kam mein herr von Magdeburg uffs rathaus und war droben bis umb 5 uffn abent. Da hatten die part und die vom tale fast rede gegen einander gehabt; doch umb das abetretten, dar solten die vom tale inhalden, hatte meines herrn kantzier herr Bernhardt gesagt nach laut der wilekire, wie innunge und gemeinheit thun/ChrSp 15. Vgl. auch die Verwendung des Perfekts in derselben Funktion: (13) /und nach tisch hat doctor Walthasar Hiebmair, thumbprediger, auff dem plaz gepridigt. Demselben erber doctor muest es zu der schenen Maria heissen, ist darnach etlich jar zu Wien ais widertäuffer verprent worden/ ChrR 32. (14) /Uff den Dag ckam unser Hubtmiann Schamelin zu uns jm Schiff und gnadett uns Bilger, und erbott sich vil Gütz, und er hait sich redlichen mit uns gehaltten; Gott geb jm den Lon!/ RsSt 1. (15) /Von Mittewalde ritten wir bis gen Sefelt, da haben wir das Wunder zeichen gesehen, das an eynem Edelmann, Mulser genant, der ein Pfleger zu Schloßbergk, das nahet bein Sefelt leit, gewesenn ist/ RsHirsch 34. Im folgenden untersuchen wir etwas eingehender die Verwendung der Tempusformen unter bestimmten syntaktischen Bedingungen, und zwar in Satzgefügen mit temporalen Nebensätzen, für die die Tempusformen eine besondere Rolle spielen. Syntaktische komplexe, die Nebensätze mit der Konjunktion /da(do)/ enthalten Dieser Typ von Nebensätzen wird durch eine Konjunktion eingeleitet, die nur die allgemeinste temporale Beziehung zwischen den Handlungen des Hauptsatzes und des Nebensatzes angibt. Dabei kann die logische Abfolge der Handlungen ganz unterschiedlich sein; auf Grund der semantischen Unbestimmtheit der Konjunktion wird sie entweder durch Tempusformen ausgedrückt, oder sie bleibt überhaupt unbezeichnet. Die im folgenden angeführten wichtigsten Satztypen werden nach der im Nebensatz verwendeten Tempusform unterschieden, wobei zugleich die Kombination der Tempusformen des Nebensatzes und des Hauptsatzes berücksichtigt wird:

Tempus I.

Pq + + Prät (schwache Formen können unmarkiert sein)

n.

Pf oder nicht markiertes Pq + Prät (schwache Formen können unmarkiert sein)

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HI. Prät + Pf (oder nichtmarkiertes Pq) IV. Prät + Prät (schwache Formen können in beiden Fällen unmarkiert sein) ( + Die Tempusform des Nebensatzes wird im Schema zuerst genannt und unterstrichen) Am produktivsten sind in den von uns herangezogenen Quellen die Typen I und IV. Vgl. die einzelnen Beispiele: I. /Da sich die herren verwappent hatten, gebattelget vnd bestalt, . . . , da ritten sie zu dem leger . . . / VbPSj 85. /Da nun der Jason den Tracken also ze tod geschlagen hette, do gedacht er an Mediam . . . / VbTrj 18. n . /Da er nun alles uberwunden het, da gieng er . . . / VbTr^ 18. /Vnd da nun Media alle Sach also bedacht vnd betrachtet het, da gieng sy in der Kamer vmb . . . / VbTr x 12. m . /Da die zusamen kamen, da hett man die heyden mögen sehen darnyeder slagen vnd ir schar durchbrechen . . . / VbPSj 94. IV. /Da der Graff daz erhört, alles sin Geblüt begund im z8 grußelen/ VbHSch 37. /Da. der ritter das hört, da was er fro inn syme hertzen, das sie so starcken glauben trugen/ VbPSj 51. In den Fällen, in denen im Nebensatz eine abgeschlossene Handlung zum Ausdruck gebracht wird, werden nicht selten präfigierte Verben verwendet. Vgl. /gesach, ersach, gesagen/; zuweilen sind es Verben mit terminativer Bedeutung: /vernam, quam/. Es werden jedoch auch nichtterminative Verben wie /hört(e), ging/ verwendet. Die meisten temporalen Nebensätze mit /da/do/ treten in den Texten der Volksbücher und Romane auf. Vgl.: I.

VbTrj 18; VbKop 67; VbPSj 46, 48, 61, 73; VbTr 2 78, 87; VbPS 2 127;

ChrSp 12. H.

VbTr^ 18.

m . VbPSj 94. IV. VbHS'ch 37; VbPS 1 48, 51; VbTr 2 90; VbPS 2 127, 129, 178; VbTrj 2; VbF 10; VbTrj 18; ChrSp 12. Die einzelnen Modelle sind unterschiedlich produktiv. Im Standardtext der westmitteldeutschen Variante des Romans von Pontus und Sidonia ( S . 43-62) begegnen 14 Satzgefüge mit temporalen Nebensätzen, die durch /da/ eingeleitet werden. Auf den IV. Typ (Prät + Prät) kommen hier 9 Fälle, auf den I. Typ (Pq + Prät) 3 und auf den n . Typ (Pf oder nichtmarkiertes Pq + Prät) 2 Fälle. Auf einen Text gleichen Umfangs

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im Fortunatas entfallen nur 2 Beispiele mit / d o / , und beide gehören zum IV. Typ. Syntaktische Komplexe mit temporalen Nebensätzen, die mit der Konjunktion / a l s (wenn)/ eingeleitet sind Für diesen Typ temporaler Nebensätze innerhalb von Satzgefügen gelten folgende Kombinationen von Tempusformen: I.

a)

Pq + Prät (schwache Formen sind z. T. unmarkiert)

b)

Pq + Pq

c)

Pq + Pf

EL a) b) c) d) HI. a)

Pf + Prät (schwache Formen sind z. T. unmarkiert) Pf + Präs Pf + Pf Pf oder unmarkiertes Pq + Prät (schwache Formen sind z. T. unmarkiert) Prät + Prät (schwache Formen sind z. T. unmarkiert)

b)

Prät + Pf

c)

Prät + Pq

IV. a)

Präs + Präs

Die produktivsten Typen sind I a, n d und HI c. Wenig geläufig sind dagegen Typ IV und auch DI b und I c. Vgl. hierzu die folgenden Beispiele: I. a) /Vnnd als sy nun von ir waren kommen, do fraget sy die Frawen vnnd Junckfrauen/ VbPSg 131. /Vnd als er ein kleine zyt by im was gsin, da schied er von im vnd kam . . . / VbOA 256. / a s he nu drij dage dae vur gelegen hatte kreich der junge zoldain . . . / RsHar 88. /Als wir nun vnser ordenung in der stat geschickt vnd vns zu plondern gerust hatten, wurden wir gewar, . . . / RsSpr 14. /Als man nu gedantzt vnd gesongen hatte, da hieß man . . . wyne bringen/ VbPS^ 70. /Alse he dussu worde gesecht hadde, do vorschrack Ambrosius so sere, dath he gantz amechtych warth vnde neder vp de erde seech/ VbKop 70. (Vgl. auch VbPSj 62, 65, 100; VbOA 247; VbPS2 117; VbF 11; VbPSx 100; VbEu 27; VbF 89; RsHar 90, 124; VbHSch 42, 25; VbTr 2 76 u. a . ) . I. b)

/Vnd vff den xxvij tage egemeltes monats do was der kunig: als bald wir die

Stat in genomen hatten: hyn weg geflohe mit einer grossen zal heyden/ RsSpr 12. I. c)

/ . . . und wy broder synt eme den fridagen morgen semptliken to Venedien ge-

folget und in dey vorg. herberge gefaren und do myt dem patroen overgekalt und v e r dragen, als wy dat schyp hadden geseyn und dey patroen uns annam . . . / RsKett 47, 179.

Tempus n . a) /

73 als ir wol verstanden hant, wil yme die von den heyden angewonnen waß

worden, das ein grosser schade waß . . . / VbPSj 48. n . b) /Dwile ir mich nu so wol versichernt, als ich inn vwern reden han verstanden, so wil ich yne her zu vchbringen . . . / VbPS^ 65. n . c)

/Als nu alle dinck also vnder dem ghesette ys voruallen geweßen, vnde hefft £

vnder dem gesette nicht mögen genesen noch vpgherichtet werden/ TrR 9. (Vgl. auch DIPf 131; RsSt 17). n . d) /Vnd als sy nun also mit jnen geredt hat, do nam sy Vrlob von jnen . . . / VbOA 245. / . . . da sprach der buer die vorderst merg, als in vlenspiegel gelert het/ VbEu 19. (Vgl. auch VbOA 252; VbF 4; VbTrj 19; RsSt 9). m . a) /Vnd als er an dem meer hyn her gieng, do hielt . . . / VbF 6. /Darumb jii Jupiter, als er das ersah, mit dem tonder niderschlug vnd in Päd . . . warff/ D1H 44. (Vgl. auch VbHSch 42; VbOA 245; VbPS 2 129; VbPSj 47; VbF 73; VbEu 14; RsSt 17; RsKett 184; RsSpr 12; ChrA 2 11). III. b) /Vnnd als sy gen Venedig kamen, het der graff von aller herrlichait zu Venedig gesehen, daß . . . / VbF 7. /Als dey messe uth was, hebben wy broders den hilligen dren konyngen geoffert . . . / RsKett 47, 171. (Vgl. auch RsKett 47, 172; ChrM 105). IV. a) /Vnd als er in sein zukunfft verkündet, schreybt er also . . . / D1NK 105. Obwohl die temporalen Nebensätze dieser Typen in allen Quellengruppen verwendet werden, sind sie doch in den Volksbüchern am zahlreichsten und mannigfaltigsten vertreten (besonders Typ I a, n d und in a). Sehr stark verbreitet sind Strukturen, die sich auf die Kombination des Präteritums mit dem Plusquamperfekt (markiert oder unmarkiert) bzw. mit dem Perfekt und Präteritum (markiert oder unmarkiert) gründen. Im untersuchten Textausschnitt des Fortunatus finden sich in 6 Satzgefügen mit / a l s / 4 des Typs HI a (Prät + Prät), eines des Typs I a (Pq + Prät) und ein weiteres des Typs II d (Pf oder unmarkiertes Pq + Prät). Im VbPSp in dem die temporalen Nebensätze mit /da/do/besonders häufig sind (14 Fälle pro Texteinheit), begegnet der mit / a l s / eingeleitete temporale Nebensatz nur einmal (Typ I a). In der Augsburger Chronik von Rem (ChrA^) gehören 4 Beispiele mit / a l s / zum Typ III a, ein Beispiel zu II d und ein weiteres zu n c (Pf + Pf). Bei der Verwendung ein und derselben Form im Hauptsatz wie im Nebensatz (I b, II c, in a, IV b) sind die Zeitebenen entweder zusammengefallen oder nicht unterschieden worden.

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Syntaktische Komplexe mit temporalen Nebensätzen, die mit der Konjunktion /nachdem/ eingeleitet sind Im Satzgefüge mit temporalem nachdem-Satz waren folgende Kftmbinationen der Tempusformen in Haupt - und Nebensatz möglich: I. II. a) b) m. IV.

Pq + Pf + Pf + Af + Präs

Prät (VbPSj 48) P r ä s (FprBr 30) Pf (RsHirsch 31; D1NK 92; TrCh 17) Pf (RsHirsch 49; D1NK 92) + Präs (TrCh 10, 12)

Insgesamt ist die Konjunktion /nachdem/ in den untersuchten Texten nicht sehr stark verbreitet. Häufiger begegnen nur die bereits behandelten temporalen Nebensätze, die mit / d a / d o / und / a l s / eingeleitet werden. Vgl. die einzelnen Beispiele: © G (1) /Lieber freunt od. freuntin nach dem du allweg ein gut vertrauen zu mir gehabt hast . . . , so wil ich . . . mit dir reden / FprV vj. (2) /Nachdem aber derselben lieb anfanng gewesen ist der glawb hat Christus jr saelikait beslossen mit dem glawb, der beklait ist gewesen mit rew hofnung lieb vnd guoten werchen die nachuolgend in demselben Ewangelj angezogen werden/ TrCh 17. (3) /Nachdem ich Bernhart von Hirsfelt mir furgenommen habe, vber Mehre zu zihenn, das Grab vnsers er lösers Jhesu Christj . . . zu besuchenn, also bin Ich . . . ausgerittenn/ RsHirsch 31. (4) /Nachdem ich offt vnd dick gemeldet ho ei groß od(er) clei wunde, des geliehen große od(er) deine plut runßen vnd was do ist verlierüg eines gelids od(er) lemüg das do notürfft od(er) nit noturfft ist/ FprBr 30 a . (5) /Nachdem aber dasselbig zil verloffen vnd ich armer in mitler zeyt mit meiner sauren arbeit so vil nit hab erschwingen mögen, das ich erüberigt hette (?)/ D1NK 92. (6) /Vnd nach dem vns der Patron mit dem Auffahren viel lenger vortzogen, den ehr vns zugesagt, das wir auch des heiligen Fronleichnamstagk zu Venedig gewest, haben wir Pilgeren den Proces alda mit der Synerei gehalden, vnd also, das alwege ein Zentelam vnd ein Pilgeren neben einander gingen/ RsHirsch 49. (7) /Dergestallt ist der glawb vnnsers hayls anfang vnnd grund, nachdem er antzaigt goettliche recht, dadurch der mensch feilt in forcht/ TrCh 10. (8) /Nachdem aber wir teütschen verfueerischen leren ditsmals leichtfertiklich glawben vnd von der kirchen fallen, dadurch vnser wolfart abgeschnitten . . . / TrCh 12. (9) /Mein angesicht wil jeh von jnen abkeren, nachdem sie seinn ain verkertes geslaecht vnnd vngetrewe kind/ TrCh 12. In den Temporalsätzen mit /nachdem/ stehen Handlungen (Zustände), die gleichzeitig mit der Handlung des Hauptsatzes verlaufen, ihr aber auch vorausgehen können;

Tempus

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vgl. die entsprechenden Typen n b, m , IV und I, H a , Dabei beziehen sich diese syntaktischen Fügungsmöglichkeiten nicht nur auf die Vergangenheit, sondern auch auf die Gegenwart und die Zukunft (vgl. die futurische Bedeutungsnuance in den Sätzen mit /wollen/, Beispiel 1 und 9). Unterschiede zeigen sich in der Verteilung der temporalen Nebensätze mit der Konjunktion /nachdem/ in den einzelnen Quellengattungen. Sie treten am häufigsten in der Fachprosa, den Traktaten, Dialogen und Reisebeschreibungen auf. Dagegen fehlen sie in den Romanen, in denen die entsprechende Tempussemantik, wie bereits dargestellt, mit anderen Mitteln ausgedrückt wird. Vgl. noch eine weitere Möglichkeit: /Darnach vnd Jason der Media hett eynen Eyd geschworn, da giengen sy beyde . . . / VbTrj 14. /Fortunatus sprach: gnadiger h e r r , ich beger kainen Ion, dann darnach ich dien, d a r nach lonent m i r / VbF 7. In den syntaktischen Fügungen mit der Konjunktion /sobald/ konnten in den Texten des ersten Untersuchungszeitraums die folgenden Kombinationen von Tempusformen festgestellt werden: I.

Prät + Prät (VbHSch 28; RsFab 295)

n.

P r ä s + P r ä s (RsFab 285, D1NK 103)

m.

Prät + Pq (VbOA 242). Vgl. einige Beispiele, die insgesamt nicht zahlreich sind:

(1) /So bald er synen Vettern gesach, do zoch er synen Hut ab vnd grüßte in tugentlich/ VbHSch 28. (2) / . . . und so bald sy das arsehen, so heben sy an ze singen mit hohen frölichen stimmen und mit jubel ain lied von lieblicher tagweiss . . . / RsFab 285. Q

(3) /Ob gott wil, so bald ich heim komme, wil ich all Lutherische bucher kauften vnd mir einen schuler, wann ich nit arbeite, darinn lesen lassen/ D1NK 103. (4) / . . . , do was er genesen, sobald es (das Blut) im in k a m / VbOA 242. Im dritten Beispiel geben die Präsensformen (zusammen mit /wollen/) die Futurbedeutung des gesamten Satzgefüges wieder. Die Untersuchung einiger Typen von temporalen Nebensätzen innerhalb von Satzgefügen zeigt die große Varianz der entsprechenden Modelle. Ihre Zahl wird von zwei sich überschneidenden Merkmalen bestimmt: (1) durch die Kombination der Tempusformen im Hauptsatz und im Nebensatz; (2) durch die im Nebensatz verwendete Tempusform. Eine modifizierende Rolle spielen auch die in den Nebensätzen verwendeten Konjunktionen. Für den untersuchten Zeitraum ist der Gebrauch einer Reihe von Konjunktionen charakteristisch, die eigentlich nur ganz allgemein die Unterordnung des Nebensatzes zum Ausdruck bringen, nicht aber das temporale Aufeinanderbezogensein der

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Handlungen präzisieren (vgl. besonders die Sätze mit /da/do/). Deshalb wird das Verhältnis der Zeitebenen des Hauptsatzes und des Nebensatzes in den meisten Fällen mit Hilfe der Tempusformen ausgedrückt. Dabei könnt eil die Zeitformen in fast allen Typen der Temporalsätze folgenderweise gebraucht werden: a) bei der Gleichzeitigkeit der Handlungen wurden vornehmlich die gleichen Formen verwendet; b) bei der Nichtgleichzeitigkeit wurden sowohl die gleichen als auch die verschiedenen Zeitformen gebraucht. Aber auch bei der Verwendung verschiedener Tempusformen im Nebensatz und im Hauptsatz differenziert die Tempus struktur des Satzes einzelne Zeitebenen nicht immer klar, was mit der Unklarheit einzelner Wortformen und Konstruktionen zusammenhängen kann. Es zeichnen sich bestimmte, durch die Literaturgattung bedingte Differenzierungen im Gebrauch einer Reihe von Modellen temporaler Nebensätze ab. Die meisten Typen sind in den Volksbüchern und Romanen vertreten (Sätze mit /da/do, als, sobald/). Etwas einförmiger ist der Bestand von temporalen Nebensätzen in den Reisebeschreibungen und Chroniken. Die Nebensätze mit /nachdem/, insgesamt nicht sehr häufig, begegnen hauptsächlich in der Fachprosa, den Dialogen und Traktaten. Strukturtypen, die sich auf Kombinationen von Perfekt- und Präteritalformen stützen, werden ebenfalls bevorzugt in Dialogen, Traktaten, Sendschreiben und in der Fachprosa verwendet. In den übrigen Literaturgattungen finden sich Perfektformen in Verbindung mit Präteritalformen vor allem in Textteilen mit direkter Rede.

77 Abschnitt 2. Die Kategorie Tempus in der deutschen Sprache am Ende des 17. bis Anfang des 18. Jahrhunderts (1670-1730)

Kapitel 1. Die Verbformen und -konstruktionen (invariante und variable Elemente) Das System der Verbformen, die zur Bezeichnung der Kategorie Tempus verwendet werden, hat sich im Vergleich zum vorausgehenden Zeitraum stark vereinheitlicht. Formale Varianz ist im Präsens Singular zu beobachten, wo für die 1. Person / - e / endungslos (vgl. /ich habe/hab/), für die 2. Person / - e s t / - s t / (vgl. /du liebst/liebest/) und für die 3. Person / - e t / - t / (vgl. / e r liebt/liebet/) wechseln. Der Plural Präsens ist entsprechend dem heutigen Paradigma bereits vereinheitlicht. Im Paradigma der Vergangenheit variieren die schwachen Verben im Singular, besonders oft in der 1. und 3. Person (/lebete/lebte/). Die quantitative Verteilung der synkopierten und vollen Formen des Präsens und der Vergangenheit schwankt in den einzelnen Texten, aber in den meisten Quellen findet sich derselbe Typ der Varianz. Die Formen der 1. und 3. Person Singular Präteritum der starken Verben variieren durch die fakultative Verwendung des sogenannten "unorganischen" / - e / wie im ersten Untersuchungszeitraum (vgl. /sahe/sah/). Die variierenden Formen finden sich in den Texten nicht überall gleich häufig. Dabei zeigt sich kaum eine klare landschaftliche oder gattungsspezifische Abhängigkeit. Es kann nur auf einzelne Texte hingewiesen werden, in denen der häufigste Typ mit unorganischem / - e / (vgl. besonders den Roman von Beer RoBg) für die verschiedensten Verben auftritt: /spräche/ (1), /gienge/ (2), / f l ö s s e / (3), / s ä h e / (4), /gäbe/ (6), / t r ü g e / (7) usw. Daneben gibt es Quellen, in denen innerhalb des untersuchten Textes die Formen mit / - e / nur vereinzelt begegnen (am häufigsten sind die Varianten /ware/war, sähe/ sah/, vgl. z. B. B r F r , BrK, BrSch). Die Vereinheitlichung des Gebrauchs der synkopierten und vollen Formen im P r ä sens und Präteritum Singular, die sich insgesamt infolge der bekannten Einschränkung der Verwendung der vollen Formen entwickelt, vollzieht sich während der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts. Nach den Befunden in den periodischen Drucken des entsprechen 25 den Zeitraums vollzog sich dieser Prozeß nach Gattungen und Landschaften unterschiedlich. Am weitesten ging die Verdrängung der archaischen vollen Formen in den literarischen Zeitschriften, in denen um die Mitte des 18. Jahrhunderts die Formen ohne / - e / bereits eindeutig überwiegen. Das durchschnittliche Verhältnis der vollen

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und synkopierten Formen beläuft sich in den verschiedenen Typen der ostmitteldeutschen Drucke am Beginn des Jahrhunderts auf 3,2 : 1, um die Mitte des Jahrhunderts bereits auf 1,5 : 1. Die gleiche Tendenz läßt sich auch in den übrigen Gebieten verfolgen, jedoch vollzieht sich der Prozeß im Süden und Westen entsprechend der dort langsamer vor sich gehenden Entwicklung der Normen weniger schnell. Die Verteilung der synkopierten und vollen Formen in den einzelnen Quellengattungen ist aber in großen Zügen auch hier dieselbe wie in den ostmitteldeutschen Drucken. Dieselben Tendenzen lassen 26

sich auch für die Formen des schwachen Partizips II feststellen. Innerhalb der Perfekt - und Plusquamperfektkonstruktionen wechseln bei einigen Verben Formen des Partizips n mit und ohne Präfix / g e - / (/gegangen/gangen, gekommen/kommen, gegeben/geben/). Vgl. /Ich . . . bin auf die Welt gekommen/ RoR 8; /(er) ist . . . kommen/ RoHap 368. Präfixlose Formen sind am häufigsten in Predigten (BiAbr) und Briefen (BrEl); vgl.: /(er) hat geben/ BiAbr 1 27; /(er) ist gangen/ BrEl 18; /(er) hatte geben/ BrEl 20. Eine ähnliche Varianz findet sich auch bei den Modalverben, bei denen im Partizip II /können/gekonnt, wollen/gewollt/ usw. wechseln. Formen ohne Präfix werden in der Regel in analytischen Zeitformen (Pf, Pq) verwendet, wenn das Modalverb mit einem anderen Verb kombiniert wird. Das Partizip n , das in der Form mit dem Infinitiv /wollen/ zusammenfällt, überwiegt quantitativ in allen Texten. Formen des Typs /gewollt/ treten hauptsächlich bei selbständiger Verwendung der Modalverben im Perfekt und Plusquamperfekt auf. Entsprechend wechselt das Partizip II /worden/ mit /geworden/. Die erste Form wird ziemlich regelmäßig in analytischen Tempusformen des Passivs verwendet. In selbständigem Gebrauch begegnet die Varianz /ist geworden/ (BrEl 19) und /ist worden/ (BiAbr1 29). In einigen Texten werden die apokopierten schwachen Formen des Partizips II vom Typ /hingericht/ (BiAbr^ 43), /gehab/ (BrFr 27) usw. verwendet, die als isolierte Varianten der regulären vollen Formen des Partizips II auftreten. Beim Verb /sein/ wechseln in einigen Texten zwei Formen des Partizips II: / g e wesen/ und /gewest/. Die erste Form wird regelmäßig in allen untersuchten mitteldeutschen und auch in den meisten süddeutschen Texten verwendet. Ein Wechsel der entsprechenden Formen ist in den Predigten Abrahams a Sancta Clara und in Grimmelshausens Simplicissimus (BiAtog, RoGr) zu beobachten. Vereinzelt begegnet in den Predigten als Variante für das Partizip n auch /gesin/ (BiAbr2 22). Beim Verb /thun/ wechselt mit der regulären Form des Partizips II /gethan/ vereinzelt /thon/ (BiAbr, 6).

Tempus

79

Im Präteritum von /thun/ konkurrieren in der 3. Person Singular in einzelnen Texten die Formen /that(e)/ (BiAbr 2 9), /thet(e)/ (BiAbr 2 21, 24). Vgl. ferner vereinzelt in der 1. Person Singular / i c h t h ä t e / (BiSch 15). Für das Verb / s e i n / wechseln im Präsens in der 1 . - 3 . Person Plural /sind/seind/ sein/. Die Formen verteilen sich in den Texten nach folgendem Schema: In den ostmitteldeutschen Quellen wird immer / s i n d / verwendet. Eine Ausnahme bildet nur der Text aus den Ordnungen der Stadt Leipzig (FprLO), in dem /seind/ gebraucht wird. In den Quellen des Südwestens wird immer /sind/ verwendet, ebenso im Westmitteldeutschen. Eine Ausnahme bilden hier die Briefe von Elisabeth Charlotte von Orleans, in denen / s e i n / (BrEl 8) und /seind/ (BrEl 12) wechseln. Am unübersichtlichsten ist die Verteilung der Formen für / s e i n / in den südostdeutschen Quellen: BrHar /sind/ RoB 2 / s i n d / (11, 13), / s e i n / (21) BiAbrj /seind/ (28, 29, 30) FprKh /seind/ (13, 19), / s e i n / (34). Die Formen der 1 . - 3 . Person Plural von / s e i n / sind nicht immer klar von den entsprechenden Konjunktivformen zu unterscheiden, was besonders für jene Fälle gilt, in denen sie hinter den Verben des Sagens stehen. Die Unterschiede zwischen den Formen der 3. Person Singular Pr-äsens und Präteritum von /haben/, die für die Bildung der analytischen Formen des Perfekts und Plusquamperfekts wichtig sind, werden klar wiedergegeben. Vereinzelte Fälle graphischer Nachbildung der Reduktion werden in süddeutschen Quellen gelegentlich durch Apostroph gekennzeichnet (Vgl.: /hatt' i c h / B r S c h 4 ) . Zu den häufigsten Varianten präteritaler Verbformen, die für die Abgrenzung einzelner Quellen nicht herangezogen werden können, weil sie in vielen Gebieten geläufig sind, gehören Formen wie: /ward/wurde, konnte/kunde, genennet/genannt, gesendet/ gesandtund viele andere. Die meisten dieser Varianten berühren, obwohl sie in den Texten ein buntes Bild bieten, die Tempusformen und -konstruktionen nicht wesentlich. Wir haben einige der Verbformen, die an der Bildung der einzelnen Tempusformen teilhaben oder als produktive und häufige Verblexeme auftreten, genannt. Damit konnten jedoch bei weitem nicht alle morphologischen Verbvarianten, die in den untersuchten Texten begegnen, erschöpfend behandelt werden. Eine Reihe von Varianten sind wenig verbreitet und an bestimmte Texte oder auch an nur einen Text gebunden. Deshalb sollen diese Varianten zusammen mit einigen anderen sprachlichen Merkmalen untersucht werden. Die häufigsten Abweichungen vom durchschnittlichen literatursprachlichen Gebrauch begegnen offensichtlich in Quellen, die der gesprochenen Sprache relativ nahe stehen.

N. N. Semenjuk

80

Diese Nähe ist nicht allein in bestimmten Gattungen gegeben, sondern hängt von einer ganzen Reihe von Gründen ab, in erster Linie von der kommunikativen Zielstellung des Textes und vom sozialen Stand des Autors. Zu den Texten, die von der gesprochenen Sprache beeinflußt sind, gehören in unserem Material die süddeutschen Predigten von Abraham a Sancta Clara (BiAbr, oobd.), die Briefe der Mutter Franckes ( B r F r , omd.) sowie, wenn auch in geringerem Maße, die Briefe von Elisabeth Charlotte von Orleans ( B r E l , wmd.) und z. T . auch die R o mane von Grimmelshausen (RoGr, wobd.). BiAbrBiAbrg Die Texte der süddeutschen Predigten enthalten die größte Zahl von Abweichungen nicht nur vom literatursprachlichen Usus der anderen Gebiete. Sie zeigen auch ihre Nähe zur mundartlich gefärbten Sprache. Zu den spezifischen Merkmalen dieser Texte gehören: (1) Die Varianz beim Partizip II, Formen mit vollem und synkopiertem Präfix: / g e - / g - / , vgl. BiAbr 2 : /gwesen/ (4), /gwest/ (9), /gfragt/ (5), /gsprungen/(7), /gsalbt/ (7), /ghabt/, /gsehen/ (8); / g e s i n / ( 2 2 ) , /gewesen/(22), /genennt/(23) usw. (2) Schwache Formen im Präteritum und im Partizip n für eine ganze Reihe von s t a r ken Verben: B i A b r ^ /gleichete/ (32), / t r a g t e / (35), /scheinte/ (36); BiAbr 2 : /gwest/ (25), /gwesn/ (25). (3) Eine Reihe von Präsensformen der 3 . Person Singular starker Verben ohne Umlaut vgl. BiAbr^: / t r a g t / (33), /haltet/ (33), / l a s s e t / (40); B i A t a y / t r a g t / (7). (4) Varianz des Vokalismus in der Stammsilbe beim Verb /wollen/ ( B i A b r 2 8 ) , / w e l len/ (BiAbrg 5). Diese Merkmale treten neben anderen grammatischen, phonetischen, wortbildungsmäßigen und lexikalischen Besonderheiten der Texte auf. Vgl.: Entrundung: /nachkimling (BiAbr), 5), /heibter/ (BiAbr2 5), schene (BiAbr 2 7), / g e mieter/ (BiAbr 2 22), / i b e r / (BiAbr 2 25). Bewahrung der alten Diphthonge: /suechte/ (BiAbr 2 7), /thuet/ (BiAbr 2 22), /Rueff/ (BiAbr ^ 40), /buech/ (BiAbr 2 6), /genueg/ (BiAbr 2 5), /Guet/ (BiAbr 2 5). Suffixe: / - n u ß / , / - l / : /-miß/

(BiAbr 2 2, B i A b ^ 30); / l ä m b l / (BiAbr 2 69), /Söhnl/

(BiAbrj 43). Lexeme: /änderst/ (BiAbr 2 29), / n i t / (BiAbr j 39), /bichel/ (BiAbr 2 30). Zum V e r gleich seien einige Beispiele aus einer südostdeutschen Quelle der Fachprosa angeführt: /beede/, / G e s a t z / ( 2 6 ) , /nicht/ (6), /-nuß: (8), /aufgehebt/(33), / n i t / (2) FprKh. Sehr produktiv ist bei Abraham a Sancta Clara die analytische Konstruktion mit /thun/. Vgl.: BiAbr, /(ihr) thuet antworten/ (27)

81

Tempus /(sie) thuen zufugen/

(31)

/(man) thut schlagen/

(34)

/(es) thuet schneiden vnd stechen/ /(sie) thäten vnterlassen/ BiAbr,

(29)

(43)

/(er) thäte . . . zufugen/

(47)

/(sie) theten ausbreiten/

(8)

/(er) thate sich um sie bewerben/

(9)

/(er) thate abgeben/ (21) /(er) thete beherbergen/ /(er) thet geben/

(24)

(24) usw.

In anderen Quellen ist diese Konstruktion nur mit einzelnen Beispielen vertreten, obwohl ihre Produktivität nach Angaben vonG. Schieb im zweiten Untersuchungszeitraum verglichen mit dem ersten in der Gruppe der verbalen Prädikate von 0,2 % auf 97

1,2% ansteigt/' BrFr In den Texten der Briefe von Franckes Mutter finden sich die folgenden orthographischen, phonetischen und grammatischen Besonderheiten /geweisen/ (24, 25), /feilen/ (23), /weigen/ (33), /du hast gehab/ (28), / e r würd (= wird) (23, 28), /du würst/(wirst) (24), /würstu/ (26), /Erfort/ (33), /des Gloxin seine Vormünder/ (23) usw. Die Form /wurd/ für /wird/ begegnet sonst nur noch in einer Quelle, in der Leipziger Gesetzessammlung (FprLO 441), in der sie neben /wird/ verwendet wird (444). BrEl /geweßen/ (7, 15, 23); /genung/ (12); /-nuß/ (15); /des Königs seiner/ (15) usw. RoGr /gewest/ (RoGr 130), /gewesen/ (RoGr 134); /uff/ (RoGr 131); /-nuß/ (RoGr 20), /-nüs/(RoGr 134); /beyde/beede/ (RoGr 11); /anerst/ (RoGr 137) usw. Insgesamt ist für den zweiten Untersuchungszeitraum die Tendenz zu einer weitgehenden Vereinheitlichung der variablen Formen, deren Zahl sich im Vergleich zum ersten Zeitraum merklich verringert hat, festzustellen. Außerdem haben die Varianten mehr den Charakter von Sonderformen, die die Struktur der Tempusformen und -konstruktionen nicht wesentlich beeinträchtigen. Zwei funktionale Ebenen der Varianz treten hervor. Die eine ist in den meisten Quellen vertreten und kann als der Literatursprache zugehörig charakterisiert werden. Die andere entwickelt sich unter dem Einfluß, den die mundartlich gefärbte Alltagssprache auf die Literatursprache ausübt. Diese Form der Varianz begegnet ledig -

N. N. Semenjuk

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lieh in einer begrenzten Zahl von Quellen. In vielen Fällen ist ferner die formale und bedeutungsmäßige Nichtdifferenzierung beseitigt. Sie besteht nur in einigen Wortformen (/wir, sie sein, er würd, er ließe/) weiter, wobei jedoch die grammatische Bedeutung der Form oft durch den Kontext präzisiert wird.

Kapitel 2. Texten

Häufigkeit und Verteilung der Tempusformen und -Konstruktionen in den

Die wichtigsten Tempora des deutschen Verbalsystems am Ende des 17. und zu Beginn des 18. Jahrhunderts waren - wie auch schon in früherer Zeit - Präsens, Präteritum, Perfekt, Plusquamperfekt und Futur I. Im folgenden wird die Verteilung der Tempusformen und ihre relative Häufigkeit in den analysierten Quellen untersucht. Es wurde bereits am Material der Texte unseres ersten Zeitraums festgestellt, daß Auswahl und Kombination der Tempusformen durch die temporale Semantik der Texte (also durch die Überkreuzung der dort vertretenen verschiedenen Zeitebenen) bestimmt werden. Eine entscheidende Rolle spielt dabei die Wahl einer temporalen Grund- oder Leitform, die eine bestimmte Gruppierung aller übrigen Tempusformen nach sich zieht. Der Gebrauch der Tempusformen ist aber nicht nur durch die Zugehörigkeit der in den jeweiligen Texten beschriebenen Ereignisse, Handlungen und Zustände zu einer bestimmten Zeitebene, sondern auch durch die Traditionen der einzelnen literarischen Gattungen in der Darstellung und Kennzeichnung der entsprechenden Zeitebenen bedingt. Die unterschiedliche Häufigkeit der Formen hängt also von der temporalen Semantik (der Gesamtheit der temporalen Bedeutungen) und von der temporalen Struktur (der Gesamtheit der verwendeten Tempusformen) der Texte ab. Eine gewisse Rolle spielen auch sprachlandschaftliche Faktoren und der Grad der Annäherung eines Textes an die gesprochene Sprache. Alles in allem spiegelt also die Häufigkeit der Tempusformen recht komplizierte Abhängigkeiten struktureller, semantischer und funktionaler Art wider. Daher verlangen unsere Zahlenangaben für die einzelnen Texte eine entsprechende Interpretation. Das Tempussystem unseres ersten Zeitraums verfügt bereits über den gesamten Formenvorrat, den auch das Tempussystem des zweiten Zeitraums aufweist. Wir haben jedoch oben gezeigt, daß von diesem Vorrat an Tempusformen im ersten Zeitraum ein ganz spezifischer Gebrauch gemacht wurde und daß dabei die Variabilität und die Synonymie der Tempusformen und -konstruktionen sowie ihre formale und inhaltliche Undifferenziertheit und Mehrdeutigkeit eine entscheidende Rolle spielten (vgl. die Charakteristik des ersten Zeitraums im Abschnitt 1).

Tempus

83

Im zweiten Zeitraum wird die teilweise beobachtete formale Undifferenziertheit der Tempusformen, die ihre inhaltliche (temporale und modale) Unbestimmtheit bewirkt hatte, im wesentlichen beseitigt und bleibt eigentlich nur insoweit erhalten, wie sie auch für die heutige deutsche Literatursprache noch gilt. Wenige Ausnahmen sind schon im 1. Kapitel dieses Teils der Arbeit behandelt worden. Auf sie wird auch bei der Beschreibung des Gebrauchs der einzelnen Tempusformen nochmals hingewiesen. Die für den zweiten Zeitraum untersuchten Texte werden ebenso wie bei der Darstellung des ersten Zeitraums unter dem Aspekt ihrer temporalen Semantik und Struktur auf bestimmte Weise geordnet. Typ I Am .eindeutigsten heben sich von allen anderen untersuchten literarischen Gattungen in der Wahl der Zeitebene die Romane ab. Sie stellen die wesentlichsten Ereignisse in der Reihenfolge ihres Eintritts dar. Als temporale Grundform herrscht hier das P r ä teritum. Es ist charakteristisch für die zusammenhängende Erzählung vergangener Begebenheiten. Als zusätzliche Tempusformen, die auf dem Hintergrund des Präteritums entweder die Vorvergangenheit oder die Abgeschlossenheit eines Ereignisses ausdrücken, werden in unterschiedlichen Zahlenverhältnissen das Perfekt und das Plusquamperfekt benutzt. Die Gesamtheit der in den Romantexten festgestellten Perfektformen umfaßt ungefähr 100 Belege, die der Plusquamperfektformen 88. Daher beträgt die Durchschnittszahl entsprechender Konstruktionen pro Standardtext für das Perfekt 24, für das Plusquamperfekt 22. Das Perfekt wird in den Romantexten des zweiten Untersuchungszeitraums fast ausschließlich in direkter Rede benutzt. Die Gesamtzahl der analytischen Vergangenheitsformen wird in Nebensätzen durch afinite Konstruktionen ergänzt, die im Prinzip sowohl der einen wie der anderen analytischen Tempusform zugerechnet werden können. In den untersuchten Romantexten stehen 179 afinite Konstruktionen, das sind im Durchschnitt 45 Konstruktionen pro Text.28 Auch Präsensformen können in den Romanen eine ergänzende Funktion gegenüber dem Präteritum haben: Gelegentlich werden sie benutzt, um den Erzählfluß zu beleben und dynamischer zu gestalten. Außerdem begegnet das Präsens in der direkten Rede. In beiden Funktionen tritt es z. B. in Happels "Akademischem Roman" (RoHap) auf. Die Gesamtzahl der Präsensformen in den Texten wurde nicht gesondert berechnet. Sie hängt eindeutig von der Häufigkeit des Gebrauchs direkter Rede in den jeweiligen Romanen ab und außerdem davon, in welchem Umfang die Autorenrede Aussagen allgemeinen, zeitlosen Charakters einschließt. Als Beispiel soll hier der einleitende Absatz

84

N. N. Semenjuk

der ersten Continuatio des Simplizissimus zitiert werden: /Wem das Wasser ans Maul gehet, der lernet bald schwimmen, heist das alte waare Sprichwort. Ich außgemergelter . . . in der Welt und Welt-Wesen zimlich erfahrner mehr als zu wol bekanter Simplicissimus kan einem hiervon auch ein wunderseltzames Lied singen/ RoGr 7. Wie schon im ersten Untersuchungszeitraum sind im übrigen auch hier in den präteritalen Kontext der fortlaufenden Erzählung Präsensformen (Präs. hist.) eingebettet, die sporadisch mit nicht markierten schwachen Präterita abwechseln. Besonders zahlreich sind solche Belege bei Happel, wo sich etwa 150 Präsensformen finden. Bei Grimmelshausen begegnen solche "unbestimmten" Formen dagegen nur vereinzelt. Das Futur schließlich wird in den Romantexten nur in sehr beschränktem Umfang eingesetzt. Insgesamt wurden 23 - 24 Formen festgestellt, also im Durchschnitt 6 auf jeden Text. Es begegnet in direkter Rede zur Charakterisierung bevorstehender Handlungen oder Ereignisse, aber auch im Autorentext; hier in der Regel dort, wo der Autor bestimmte Bemerkungen über den weiteren Handlungsverlauf machen will. Eine e r hebliche Zahl von Futurformen, die mit 15 Belegen weit über dem Durchschnitt liegt, findet sich bei J . Beer. Die direkte Rede ist hier regelrecht gesättigt mit Futurformen. Sie dominieren in allen Teilen, die Zukunftsprognosen des Autors enthalten, eine Besonderheit, die bis zu einem gewissen Grade sicherlich durch die didaktische Tendenz des Romans zu erklären ist. Im ganzen gilt für die Romane folgende temporale Textstruktur: Ro = Prät + (Präs) + Perf + Pq + (F) Tabelle 11 Verteilung der komplementären Tempusformen in den Romanen Quelle Tempusform

RoW/R

RoHap

ROB2

RoGr

Gesamtzahl

Durchschnittszahl pro Text

Pf

+

11

28

50

6

Pq

+

27

15

9

37

95 88

+

25

62

50

42

179

45

Gesamtzahl der analytischen Vergangenheitsformen

+

63

105

109

85

362

90,5

F

+

4

15

2

Af

29

2,5

23,5

23,7 22

6

Die vorstehende Tabelle enthält für die Quellen RoW und RoR gemeinsame Durchschnittsziffern (gekennzeichnet durch + ). Dabei ist jedoch zu beachten, daß einer sehr ähnlichen temporalen Semantik keineswegs eine gleichartige temporale Struktur der

Tempus

85

verglichenen Texte entsprechen muß. So weichen z. B. die ostmitteldeutschen Romane von Chr. Weise und Chr. Reuter in den geprüften Abschnitten gleicher Textlänge im Gebrauch des Plusquamperfekts wesentlich voneinander ab: Tabelle 12 Verteilung der Vergangenheitsformen (Perfekt, Plusquamperfekt, afinite Formen) in RoW und RoR Tempusform

Pf

Pq

RoR

12

46

29

87

RoW

10

9

20

39

Quelle

Af

Gesamtzahl

Im übrigen ist die geringe Produktivität des Plusquamperfekts bei J . Beer (oobd.) auffällig. Dafür ist die Zahl der Perfektformen, die ausschließlich in der direkten Rede und in Briefen benutzt werden, und der afiniten Konstruktionen sehr hoch. Typ II Den zweiten Typ bilden die moralisch-didaktischen Schriften (Bi). Eine vorherrschende temporale Bedeutung zu ermitteln, ist hier etwas schwieriger als bei den Romanen, weil trotz der gemeinsamen didaktischen Tendenz die hierher gerechneten Texte eine recht unterschiedliche temporale Semantik und Struktur aufweisen. "Der Gesellige" (omd.) und 'Die Discourse der Mahlern" (wobd.), zwei moralisch-didaktische Zeitschriften des ersten Drittels des 18. Jahrhunderts, besitzen die für diese Gattung typische Struktur. Sie enthalten Erörterungen über moralische und ethische Themen mit einzelnen lehrreichen Beispielen. Die Texte Abrahams a Sancta Clara (oobd.) dagegen stellen sehr emotional gehaltene Predigten über politische und religiöse Themen im Rahmen der Verteidigung des Christentums gegen die Türken dar. Sie gehören in das letzte Drittel des 17. Jahrhunderts und benutzen in der äußeren Form der Predigt in weitem Umfang die gängigsten Mittel der politischen und religiösen Polemik der Zeit. Schupps Text liegt für unsere Zwecke sehr früh (1657). Die moralisch-didaktische Tendenz wird bei ihm in einer Reihe von Beispielerzählungen deutlich, in denen traditionelle biblische Geschichten mit kürzeren "weltlichen" Novellen kombiniert werden. Dadurch gerät Schupp teilweise in die Nähe des Romans. Die temporale Struktur wird auf diese Weise vielschichtig und sehr kompliziert. Die Vielfalt der Typen der moralisch-didaktischen Literatur führt also zu einigen Unterschieden in ihrer temporalen Struktur:

86

N. N. Semenjuk

BiG und BiDis = Präs + Pf

+ Prät + (Pq) + F

BiAbr

= Präs + Prät

+ Pf

+ F

BiSch

= Präs + Prät

+ Pf

+ (Pq) + F

Tabelle 13 Verteilung der komplementären Tempusformen in der moralisch-didaktischen Literatur Quelle BiG

BiSch

BiAbr j

BiDis

Pf

29

38

80

65

212

53

Pq

2

19

-

2

23

6

Af

3

16

76

32

127

32

Gesamtzahl der analytischen Vergangenheitsformen

34

73

156

99

362

90,5

F

29

4

2

15

50

Tempusform

Gesamt zahl

Dur chschnittszahl pro Text

12

Für alle Texte moralisch-didaktischen Charakters, in denen größtenteils allgemeine Erörterungen zu zeitlosen Themen angestellt werden, kann als temporale Grundund Leitform das Präsens gelten. In zwei der analysierten Texte wird daneben in g l e i cher Eigenschaft, und zwar hauptsächlich in den illustrierenden Beispielerzählungen das Präteritum gebraucht. So sind z. B . in dem durchgesehenen Textteil aus Schupps "Freund in der Not" Präteritum und Präsens mit 202 bzw. 196 finiten Formen praktisch gleich stark vertreten. Hier gibt es also im Grunde genommen zwei temporale Leitformen, die den beiden verschiedenen Zeitebenen des Werkes entsprechen. Als komplementäre Formen werden in den moralisch-didaktischen Quellen in unterschiedlichen Zahlenverhältnissen das Perfekt (mit insgesamt mehr als 200 Belegen) und das Plusquamperfekt eingesetzt. Das Plusquamperfekt erreicht dabei mit insgesamt 23 Belegen und einem Durchschnitt von 6 Nachweisen pro Text nur eine geringe Frequenz. Die analytischen Vergangenheitsformen einschließlich der afiniten Konstruktionen werden in allen untersuchten Textausschnitten der moralisch-didaktischen Quellen zusammengenommen 360mal, die afiniten Konstruktionen allein 127mal g e braucht. Zu den einzelnen Texten sind noch folgende Bemerkungen zu machen: Erstens ist das völlige Fehlen des Plusquamperfekts in den Predigten Abrahams a Sancta Clara

Tempus 87 (BiAbrj) auffällig. Nur im zweiten der beiden untersuchten Werke Abrahams (BiAteg) ist es einmal vertreten. Zweitens verdient die Fülle von Perfektformen in eben diesen Texten Beachtung, es sind 80 in BiAbr^ und 77 in BiAbr 2< Auffällig hoch ist hier auch die Zahl afiniter Konstruktionen (76 bzw. 40 Belege). Im Gegensatz hierzu steht die bedeutende Zahl von Plusquamperfektformen bei Schupp. Allein Schupp stellt 19 der insgesamt 23 Plusquamperfektformen der Texte dieser Gattung. Das hängt offensichtlich damit zusammen, daß in diesem Werk sowohl Präsens als auch Präteritum als temporale Grundformen gebraucht werden. Zum Gebrauch des Futurs in den Texten mit didaktischer Tendenz ist daran zu e r innern, daß der Einsatz gerade dieser Form in hohem Maße vom Inhalt eines Textes abhängt. In den durchgesehenen didaktischen Texten wurde 50mal das Futur gebraucht. Das ist das Doppelte der Futurformen der untersuchten Romantexte. Typ m Zum dritten Typ zählen die Brieftexte. Zunächst ist festzustellen, daß das analysierte Material nicht einheitlich ist. Die Briefe Harsdörffers (BrHar) und der Briefwechsel der Schweizer (BrSch) gehören zur Gattung literarischer Briefe, während die Briefe der Mutter A. H. Franckes (BrFr) und die Briefe der Prinzessin Elisabeth Charlotte von Orleans (BrEl) eher zur Gruppe der Alltagsbriefe gehören, wenn ihre Verfasserinnen auch auf sehr unterschiedlicher sozialer Stufe stehen. Anna Francke gehörte wie ihr Sohn zu bürgerlichen, pietistischen Kreisen, die sich in Gotha, Erfurt und Halle herausbildeten, Elisabeth Charlotte von Orleans dagegen als Tochter des pfälzischen Kurfürsten zum mittelrheinischen Hochadel. Dementsprechend spiegeln auch die ausgewerteten Briefe sehr verschiedene Interessen und eine sehr unterschiedliche Lebensweise wider. Die zur Ergänzung herangezogenen Gelehrtenbriefe (BrGel) vertreten den wissenschaftlichen Briefstil. Die Briefe von L. A. V. Kulmus (BrK), der Braut Gottscheds, und die vier Briefe von A. M. v. Wurm (BrW), der Braut und späteren Ehefrau A. H. Franckes, sind Zeugnisse gebildeter Frauen, deren jede in ihrer Art - vom Standpunkt des Pietismus oder der Aufklärung beeinflußt - über Ereignisse des täglichen Lebens berichtet. Ungeachtet der besonderen Differenziertheit des Briefmaterials läßt sich die temporale Semantik der Briefe in sehr charakteristischer Form erfassen; sie ergibt folgende temporale Struktur: Br = Präs + Pf + (Prät) + (Pq) + F Diese allgemeine temporale Struktur wird jeaoch in den einzelnen Texten in unterschiedlichen quantitativen Relationen verwirklicht. Die analytischen Vergangenheitsformen stellen gemeinsam mit den afiniten Kon-

88

N. N. Semenjuk

struktionen 464 Belege (gegenüber je 362 in den Romanen und in den moralisch-didaktischen Quellen). Darunter sind 342 Perfekt- und nur 14 Plusquamperfektformen sowie 108 afinite Konstruktionen, die sich jeweils auf beide Tempora beziehen lassen. Im Durchschnitt kommen also auf jeden Text 85 Perfekt- und 3 , 5 Plusquamperfekt belege sowie 27 afinite Konstruktionen (s. Tabelle 14). Tabelle 14 Verteilung der komplementären Tempusformen in den Briefen Quelle Tempusform

BrFr

BrEl

BrHar

Gesamtzahl

105

342

Durchschnittszahl pro Text

Pf

106

75

Pq Af

-

12

1

1

14

18

33

47

10

108

27

124

120

104

116

464

116

34

30

23

29

116

29

Gesamtzahl der analytischen Vergangenheitsformen F

56

BrSch

85 3,5

Für die zur Ergänzung herangezogenen Briefquellen BrK und BrGel ergeben sich folgende Belegzahlen: Perfekt: + 44 Brk, + 56 BrGel; Plusquamperfekt: + 4 BrK, nicht belegt in BrGel; afinite Konstruktionen: + 22 BrK, + 84 BrGel. Damit hat BrK + 7 0 und BrGel

+

140 Belege für die

analytischen Vergangenheitsformen. Die hier angegebenen Zahlen sind auf den Umfang der normalen Textlänge (Standardtext) hochgerechnet (durch + gekennzeichnet). Aufmerksamkeit verdient die mit 116 Belegen auffällig hohe Zahl von Futurformen in den in Tabelle 14 erfaßten Texten. Der Durchschnitt von 29 Futurformen pro Text liegt erheblich über dem Durchschnitt der Romane (6) und der moralisch-didaktischen Texte (12). Für die ergänzenden Materialien (BrK und BrGel) wurden je + 40 Belege für das Futur ermittelt (hochgerechnet auf die normale Textlänge). Zukunftsaussagen sind also in den Briefen sehr verbreitet. Das findet seinen Ausdruck in der relativ 30

hohen Produktivität der Formen des Futurs I. Typ IV

Zum vierten Typ gehört die wissenschaftliche Fachliteratur (Fpr). Für den zweiten Untersuchungszeitraum wurden als Haupttexte herangezogen: 2 juristische (FpfTfi -omd.

Tempus

89

und FprKh - oobd.), 1 historisch-theologischer (FprR - wmd.) und 1 philologischer (FprBr - wobd.). Für das omd. Gebiet wurde zusätzlich der Text einer Leipziger Stadtordnung (FprLO) berücksichtigt. Inhaltlich und in der Darstellungsart unterscheiden sich die genannten Quellen erheblich. Darunter sind eine Studienanleitung für J u r a studenten von Chr. Thomasius, bayrische Gesetzestexte, eine Darstellung des Leipziger Stadtrechts, Materialien zur lutherischen Reformationsgeschichte und schließlich ein ästhetischer Traktat Breitingers über verschiedene Aspekte der Kunst. Allen diesen Texten gemeinsam ist die temporale Leitform des Präsens. Das hängt mit dem nicht zeitbezogenen Charakter des größten Teils ihrer Aussagen zusammen. Obwohl die temporale Semantik und die temporale Struktur der einzelnen Texte sich etwas unterscheiden; kann doch - ungeachtet aller möglichen Modifikationen ihre temporale Struktur durch folgende Formel abgebildet werden: Fpr = Präs + Pf + (Prät) + (Pq) + (F) Diese Struktur wird in den jeweiligen Texten mit folgenden Frequenzen der Tempusformen realisiert: Tabelle 15 Verteilung der komplementären Tempusformen in der wissenschaftlichen Fachprosa Quelle Tempusform Pf Pq Af Gesamtzahl der analytischen Vergangenheitsformen F

FprTh (Jurist.)

FprR (hist.theol.)

FprKh (Jurist.)

FprBr (ästhet.philol.)

Gesamt- Durchzahl schnittszahl pro Text

7

36 1

149

37

60 23 45

117

7

206

37 7 51

86

128

124

44

382

95

2

1

7

10

46 3

-

-

27

2,5

Die entsprechenden Daten für den Standardtext aus dem Leipziger Stadtrecht (FprLO - omd.) sind: Pf - 18, Pq - fehlt; Af - 72; F - 7. Im einzelnen sind folgende Bemerkungen zur Verteilung der komplementären Tempusformen auf die untersuchten Texte der wissenschaftlichen Fachprosa zu machen: Das Perfekt ist in den Texten mit 7 bis 60 Belegen vertreten. Daraus läßt sich die Relation, in der die Häufigkeit des Perfekts in diesem Bereich schwankt, mit 1 : 8,6 bestimmen. Zu beachten ist dabei, daß z. B. die Gesamtzahl der analytischen

N. N. Semenjuk Vergangenheitsformen mit 124 Belegen im bayrischen Landrecht (FprKh - oobd.) und 128 Belegen in Ritters historisch-theologischem Text (FprR - wmd.) sehr ähnlich ist, wenn man die afiniten Konstruktionen mit berücksichtigt. Die geringe Zahl der P e r fektformen (7) und das völlige Fehlen des Plusquamperfekts im Standardtext aus dem bayrischen Landrecht wird durch die große Menge afiniter Konstruktionen (117) ausgeglichen. Die Vorliebe für die afinite Struktur des Prädikats bei Benutzung analytischer Vergangenheitsformen des Aktivs oder des Passivs ist eines der sprachlichen Kennzeichen der wissenschaftlichen Literatur. Die Durchschnittszahl afiniter Konstruktionen in den hier analysierten Texten beträgt 51. Die Vergleichszahl für die Romane war 45, für die moralisch-didaktischen Werke 32, für die Briefe 27. Die Relationen der entsprechenden Konstruktionen in den verschiedenen Gattungen liegen mithin für unser Material in der Abfolge Fpr, Ro, Bi, Br bei 1,9 : l . T : 1, 2 : 1. Wir haben das Verhältnis finiter und afiniter Prädikatsstrukturen in Nebensätzen auch an einigen Periodika untersucht. Bis zur "Mitte des 18. Jahrhunderts war dabei in vielen Quellen eine deutliche Tendenz zur Verminderung der Zahl afiniter Strukturen festzustellen. Am frühesten und stärksten ist diese Tendenz in den literarischen Zeitschriften des ostmitteldeutschen Gebiets zu beobachten, in denen sich finite und afinite Prädikate im Verhältnis 4 : 1 gegenüberstehen. In Zeitungen und wissenschaftlichen Werken dominieren bei einem Verhältnis 1 : 6 , 6 dagegen eindeutig die afiniten Konstruktionen. Das gilt für die Zeit bis dicht an die Jahrhundertmitte. Der Prozeß der Einschränkung afiniter Strukturen verlief in ostmitteldeutschen Periodika und in norddeutschen Publikationen intensiver als in den westlichen und südlichen Gebieten. So lag das Verhältnis finiter und afiniter Prädikate in periodischen Schriften unterschiedlicher Art um 1740 - 1750 im Norden und im ostmitteldeutschen Gebiet bei 31 1 :3,3, im Süden und Westen dagegen bei 1 : 6,7 bis 1 : 6, 0. In diesem Zusammenhang wird auch die Tatsache verständlich, daß die höchste Zahl afiniter Konstruktionen in den bayrischen Gesetzestexten von FprKh, einem Werk der juristischen Sachprosa des Südostens, angefallen ist. Das Plusquamperfekt ist in der Mehrzahl der Quellen nur mit einzelnen Belegen vertreten. Eine Ausnahme bildet nur das historische Werk Ritters (FprR), dessen relativ hohe Zahl von Plusquamperfektformen (23) mit der Verflechtung der verschiedenen Zeitebenen der Vergangenheit zu erklären ist. Bei Ritter erreicht gleichzeitig auch das Präteritum seine höchste Frequenz. Es wird im zusammenhängenden Bericht über Ereignisse der Vergangenheit benutzt. In den übrigen Texten'ist die Produktivität der Präteritalformen ziemlich unbedeutend. Verben mit Futurbedeutung sind in der Mehrzahl der Fachprosatexte nur schwach vertreten. So werden auch die Formen des Futurs I selten benutzt. Ihre Frequenz liegt bei durchschnittlich 2,5 pro Text. Am produktivsten ist das Futur im ästhe-

Tempus

91

tischen Traktat Breitingers, hier stehen 7 der insgesamt 10 Futurbelege des Grundmaterials. Ebenso häufig (7 Belege) begegnet es allerdings in der ergänzend herangezogenen Leipziger Stadtrechtsquelle FprLO. Bei Thomasius fehlt das Futur in dem durchgesehenen Textteil ganz. Insgesamt sind die analytischen Vergangenheitsformen, einschließlich der afiniten Strukturen, in den Texten der wissenschaftlichen Fachprosa 382mal vertreten. Das ist nur wenig mehr als in den Werken moralisch-didaktischen Inhalts und in den Romanen (je 362), aber deutlich weniger als in den Brieftexten (464). Die Relationen zwischen den einzelnen Gattungen sind in den beiden folgenden Tabellen ausgedrückt. Tabelle 16 Verteilung der analytischen Vergangenheitsformen (einschließlich der afiniten Konstruktionen) nach Gattungen Gebiet

Gattung

omd.

+

Ro Bi Fpr Br

wmd.

oobd. wobd.

Gesamtzahl Durchschnitt pro Gattung pro Gattung Pf

Pq

Af

109 156 124

85 99 44

362 362 382

24

22

45

86

105 73 128

53 37

6 7

32 51

124

120

104

116

464

85

3,5 27

63 34

Tabelle 17 Schwankungsbreite im Gebrauch analytischer Vergangenheitsformen nach Gattungen Gattung Tempusform

Ro

Bi

Br

Fpr r

Pf

1:8

1 : 2,7

1: 2

1:9

Pq

1:4

(0-19)

(0-12)

(0-23)

Af

1 : 2,5

1: 2,5

1 : 4,7

1 : 19

92

N. N. Semenjuk

Den Gebrauch von Futurformen in den verschiedenen Gattungen verdeutlichen die folgenden Tabellen: Tabelle 18 Verteilung der Futurformen nach Gattungen und Landschaften Gebiet

omd.

wmd.

oobd.

wobd.

Gesamtzahl der Gattung

34

30

23

29

116

29

Bi

29

4

2

15

50

12

Ro

+ 2,5

4

15

2

23,5

6

Fpr

-

2

1

7

2,5

4

Gattung Br

Durchschnitt pro Gattung

Tabelle 19 Schwankungsbreite im Gebrauch der Futurformen nach Gattungen Ro 1 : 7,5

Bi

Br

1 : 14,5

1 : 1,4

Fpr 1 :7

Die Tabellen machen deutlich, daß eine Reihe von Besonderheiten in der Verteilung der Tempusformen in erster Linie aus der gattungsabhängigen Differenzierung des Ausgangsmaterials erklärt werden muß. Der Gebrauch der Tempusformen ist eng mit dem Inhalt einer Quelle, mit ihrem Textaufbau und auch mit der temporalen Semantik sowohl des ganzen Werks wie seiner einzelnen Teile verbunden. In der Wahl der temporalen Leitform stehen die Romane im zweiten Unter suchungszeitraum im Gegensatz zu allen übrigen berücksichtigten Gattungen: Die dominierende Tempusform der Romane ist das Präteritum, in den übrigen Gattungen (Br, Bi, Fpr) das Präsens. Dieser Gegensatz wird nicht immer in reiner Form realisiert. Für einige Quellen ist eine gewisse Mischung von temporalen Leitformen charakteristisch. Das gilt für bestimmte Werke mit didaktischer Tendenz (BiSch, BiAbr) und für einzelne Quellen der wissenschaftlichen Fachprosa (FprR), die in Form zusammenhängender Erzählung oder einzelner Episoden auch Ereignisse der Vergangenheit darstellen. Bei den komplementären Tempusformen fällt die vergleichsweise geringe Zahl von Perfektformen in den Romanen auf; die meisten werden zur Wiedergabe direkter Rede eingesetzt. Im Gegensatz hierzu ist die Produktivität des Plusquamperfekts in den Romanen ziemlich hoch. Sie erreicht im Durchschnitt 22 Belege pro Standardtext. Eine Ausnahme stellt der Roman Johann Beers (RoBg) dar; in dem durchgesehenen

Tempus

93

Abschnitt sind nur 9 Plusquamperfektformen belegt. Hierin könnte sich der Einfluß regionaler Faktoren zeigen. Das Plusquamperfekt fehlt bekanntlich in den süddeutschen Mundarten und infolgedessen auch in der mündlichen Rede dieses Gebietes. Im gleichen Text ist allerdings wieder der Anteil an Perfektformen auffällig hoch (50 Belege bei einem Durchschnitt von 24). Auch das scheint auf den ersten Blick mit der r e gionalen Tradition übereinzustimmen. Eine eingehende Analyse widerlegt diese Vermutung jedoch, weil hier fast alle Perfektformen in direkter Rede und in eingefügten Brieftexten stehen. So muß die hohe Frequenz der Perfektformen auf den bedeutenden Anteil entsprechender Briefeinschübe in Beers Roman zurückgeführt werden. In der Produktivität afiniter Nebensatzstrukturen nehmen die Romane nach der wissenschaftlichen Fachprosa den zweiten Platz ein. Für die Brieftexte ist eine gemischte temporale Struktur typisch. Sie hängt mit dem freien Wechsel verschiedener Zeitebenen (Vergangenheit - Gegenwart - Zukunft) zusammen. Ein zweites Kennzeichen ist die Produktivität der analytischen Verbformen, vor allem die im Vergleich mit anderen Gattungen besonders hohe Frequenz des P e r fekts und des Futurs (durchschnittlich 85 und 29 Belege pro Text). Im Gebrauch des Plusquamperfekts nehmen die Briefe unter den analysierten Gattungen mit einem Durchschnitt von 3,5 Formen pro Text dagegen den letzten Platz ein. Die didaktische Prosa wird durch eine hohe Produktivität der Perfektformen gekennzeichnet. Sie belegt hierin nach den Briefen den zweiten Platz (5"). Das Plusquamperfekt ist jedoch auch hier recht selten (Durchschnittszahl 6). Das hängt damit zusammen, daß die Texte dieser Gattung im wesentlichen Erörterungen allgemeinen Charakters enthalten und in der Regel ohne tiefere zeitliche Schichtung auskommen. Auch regionale Faktoren mögen dabei eine gewisse Rolle spielen. Sie sind wohl für das Fehlen (BiAbr^) bzw. die nur vereinzelte Bezeugung (BiAtag) des Plusquamperfekts in den Predigttexten Abrahams a Sancta Clara (oobd.) verantwortlich zu machen. Für die wissenschaftliche Fachprosa soll auf die überaus hohe Produktivität afiniter Strukturen (im Durchschnitt 51 pro Text) bei maßvoller Vertretung der Perfektformen und relativ unbedeutender Frequenz des Plusquamperfekts (7 pro Text) hingewiesen werden. Futurformen kommen hier, verglichen mit den übrigen Gattungen, am seltensten vor. Die Tiefe der zeitlichen Schichtung ist in dieser Gattung, wie der Gebrauch der Tempusformen zeigt, recht begrenzt.

94

N. N. Semenjuk ,

Tabelle 20 Durchschnittsfrequenzen der komplementären Tempusformen nach Gattungen Gattung Tempus form Pf Gattung Form Pq Gattung Form Af Gattung Form F '

Br

Bi

Fpr

Ro

85

53

37

24

Ro

Fpr

Bi

Br

22

7

6

Fpr

Ro

Bi

Br

51

45

32

27

Br

Bi

Ro

Fpr

29

12

6

3,5

2,5

95

Tempus Zusammenfassend ist festzustellen: Die Briefe werden charakterisiert durch: Höchste Produktivität (1. Rang) von Pf und F

Geringste Produktivität (letzter Rang) von Pq und Af

Die didaktische Prosa wird charakterisiert durch: Erhebliche Produktivität

Geringe Produktivität

(2. Rang) von

(3. Rang) von

Pf und F

Pq und Af

Die wissenschaftliche Fachprosa wird charakterisiert durch: Höchste Produktivität

Geringste Produktivität

(1. Rang) von Af

(letzter Rang) von F

Die Romane werden charakterisiert durch: Höchste Produktivität

Geringste Produktivität

(1. Rang) von

(letzter Rang) von

Pq

Pf

Bei der Untersuchung der gattungsspezifischen Unterschiede in der Struktur und im Gebrauch der Tempusformen wurde bereits in einigen Fällen der mögliche Einfluß r e gionaler Faktoren auf den Gebrauch der Tempusformen erwähnt. Nunmehr soll der Einfluß dieser Faktoren systematischer verfolgt werden, um ihre Einwirkung auf die in dieser Arbeit untersuchten Erscheinungen genauer bestimmen zu können. Die zu diesem Zweck angeführten Tabellen nennen die Belegzahlen der einzelnen Tempusformen in den untersuchten Texten, die mit größerer oder geringerer Sicherheit den verschiedenen Sprachlandschaften zugerechnet werden können.

96

N. N. Semenjuk

Tabelle 21 Frequenzen komplementärer Tempusformen in omd. Quellen Tempusform

Temporale Leitform

Komplementäre Tempusformen

Quelle

der Quelle



BrFr

Präs

106

RoR

Prät

12

RoW

Prät

10

BiG

Präs

29

2

3

FprTh

Präs

46

3

37

203

60

1 07

Summe:

P5 -

+

11

46 — + 27 9

H 18

F ~ 34 2 -+2,5 3

29 — + 25 20

29 -

68

Tabelle 22 Frequenzen komplementärer Tempusformen in wmd. Quellen Tempusform Quelle

Temporale Leitform der Quelle

Komplementäre Tempusformen Pf

Pq

Af

F

BrEl

Präs

75

12

33

30

RoHap

Prät

28

15

62

4

BiSch

Präs

38

19

16

4

FprR

Präsprät

60

23

45

2

201

69

156

40

Summe:

Prät

97

Tempus Tabelle 23 Frequenzen komplementärer Tempusformen in oobd. Quellen Tempusform Quelle

Temporale Leitform der Quelle

Komplementäre Tempusformen Pf

Pq

Af

F

BrHar

Präs

56

l

47

23

RoBg

Prät

50

9

50

15

BiAbrj

Präs

80

-

76

2

FprKh

Präs

7

Summe: + ++

193

117 (davon 69 ohne . Kopula"1"' 10

290 221++

1

41

Gemeint sind nominale Prädikate ohne Kopula Bei Abzug der nominalen Prädikate ohne Kopula

Tabelle 24 Frequenzen komplementärer Tempusformen in wobd. Quellen Tempusform Quelle

Temporale Leitform der Quelle

Komplementäre Tempusformen Pf

Pq

Af

BrSch

Präs

105

1

10

29

RoGr

Prät

6

37

42

2

BiDis

Präs

65

2

32

15

FprBr

Präs

36 41

91

53

Summe:

212

98

N. N. Semenjuk

Tabelle 25 Gesamtübersicht über den Gebrauch komplementärer Tempusformen in Quellen aller Sprachlandschaften Gebiet

omd.

wmd.

oobd.

wobd.

Summe für das md. Gebiet

Summe für das obd. Gebiet

Pf

203

201

193

212

404

405

Pq

60

69

10

41

129

51

Af

107

156

290

91

263

381

F

68

40

41

53

108

94

Tempusform

+

221+

312+

Bei Abzug der nominalen Prädikate ohne Kopula

Bei einem Vergleich der Endergebnisse für die md. und obd. Quellen fällt auf, daß die Zahlen für das Perfekt und das Futur dicht beieinanderliegen. 404 Perfektkonstruktionen in md. Quellen stehen 405 in obd. gegenüber, das Verhältnis für die Futurformen ist 108 : 94. Auch die Unterschiede zwischen den Daten für die vier Sprachlandschaften sind nicht groß. Besonders deutlich wird das an der Zahlenreihe für das P e r fekt: 203 - 201 - 193 - 212. Die Unterschiede zwischen den Summen für die Futurformen (omd.: 68, wmd.: 40, oobd.: 41, wobd.: 53) beruhen nicht auf regionalen Besonderheiten, sondern auf Differenzen in der temporalen Semantik der Texte in den Grenzen der jeweiligen Gattung. Solche Unterschiede bestehen beispielsweise zwischen einigen didaktischen Quellen. Die moralisch-didaktischen Zeitschriften aus der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts stehen hinsichtlich ihres Inhalts und des Textaufbaus in deutlichem Gegensatz zu den Predigten Abrahams a Sancta Clara und zu der frühen didaktischen Schrift Johann Balthasar Schupps, die noch der Mitte des 17. Jahrhunderts angehört. Unterschiede im Inhalt und im Textaufbau wirken sich auf die temporale Semantik und Struktur aus. Eine uneinheitliche temporale Grundanlage und geringe Frequenzen des Futurs als-Ausdruck einer schwach ausgeprägten Muralen Semantik sind Charakteristika von BiAbrg (2 Futurformen) und BiSch (4 Futurformen). In deutlichem Gegensatz zu diesen Quellen stehen die moralisch-didaktischen Zeitschriften mit verhältnismäßig hoher Produktivität des Futurs (BiG: 29 Futurformen, BiDis: 15 Futurformen). Recht unterschiedlich sind auch die Plusquamperfektformen und die afiniten Nebensatzprädikate, die sowohl auf das Perfekt wie auf das Plusquamperfekt bezogen sein

Tempus

99

können, auf die einzelnen Sprachlandschaften verteilt. Das Plusquamperfekt ist nach den gewonnenen Daten am unproduktivsten (10 Belege) in den ostoberdeutschen und am produktivsten (69 Belege) in den westmitteldeutschen Quellen. Die Ergebnisse für das Ostmitteldeutsche (60) und das Westoberdeutsche (41) liegen ziemlich nahe beieinander. Ursache des relativ hohen Ergebnisses für das Plusquamperfekt im West mitteldeutschen ist die Häufigkeit dieser Form in den Briefen der Elisabeth Charlotte von Orleans (BrEl), im didaktischen Text von Schupp (BiSch) und im historisch-theologischem Werk Ritters (FprR). Alle drei Quellen nehmen innerhalb ihrer Gattungen eine spezifische Stellung ein. Sowohl ihre temporale Semantik wie ihre temporale Struktur weisen einige, bereits in anderem Zusammenhang erwähnte Besonderheiten auf. Zur E r klärung der demgegenüber geringen Frequenz des Plusquamperfekts im Ostoberdeutschen ist zu beachten, daß Beers Roman (RoBg) mit 9 Belegen (gegenüber 15, + 27 und 37 in den übrigen Romanen) die geringste Belegzahl in seiner Gattung aufweist und daß das Plusquamperfekt in den Texten aus Abrahams a Sancta Clara Predigten (BiAbr^) und dem Bayrischen Landrecht (FprKh) ganz fehlt. Die Zahl der Plusquamperfektformen ist jedoch auch in dem durchgesehenen Ausschnitt des Romans von Chr. Weise (omd.) mit 9 Belegen sehr niedrig. So darf man in der ungleichmäßigen Verteilung der Plusquamperfektformen auf die Quellen der einzelnen Landschaften trotzdem vor allem den Einfluß gattungs- und textspezifischer Faktoren sehen. Streng regionale Faktoren scheinen im zweiten Untersuchungszeitraum nur eine ganz untergeordnete Rolle zu spielen. Erhebliche Unterschiede weist auch die Verteilung afiniter Konstruktionen auf die einzelnen Texte auf. Wie die Tabelle 25 zeigt, steht ihr Gebrauch in mitteldeutschen und oberdeutschen Texten etwa im Verhältnis 1 : 1,5. Sucht man eine detailliertere E r klärung der in diesem Verhältnis ausgedrückten Unterschiede, so fällt auf, daß afinite Konstruktionen im Ostoberdeutschen in den Briefen Harsdörffers (BrHar, 47 Belege), im Roman J . Beers (RoB 2 , 50), in den Predigten Abrahams a Sancta Clara (BiAbr^, 76) und vor allem im bayrischen Landrecht (FprKh, 117) sehr verbreitet sind. Im zuletzt genannten Text wird eine größere Zahl afiniter Konstruktionen durch Auslassung der Kopula im nominalen Prädikat gebildet (69 Belege), eine Erscheinung, die in den anderen untersüchten Quellen kaum begegnet. Im Westoberdeutschen ist die Produktivität afiniter Konstruktionen bei Grimmelshausen (RoGr) mit 42 Belegen recht hoch. Dafür treten diese Prädikate in Breitingers Traktat (FprBr), verglichen mit anderen Fachprosatexten, auffällig zurück (7 Belege). Recht produktiv sind die afiniten Konstruktionen aber auch in einer Reihe westmitteldeutscher Quellen, so in BrEl (33 Belege), RoHap (62) und FprR (45). Am niedrigsten ist ihre Zahl hier in BiSch (16). Im ganzen bleibt es in diesem Punkt bei der Dominanz der ostoberdeutschen Quellen. Das kommt in den Relationen 1 (wobd.): 1,1 (omd.): 1,7 (wmd.): 3,2 (oobd.) zum Ausdruck.

100

N. N. Semenjuk

Auch bei den afiniten Konstruktionen müssen neben dem möglichen Einfluß regionaler Faktoren auf die Gebrauchshäufigkeit funktionalstilistische bzw. gattungsspezifische Eigenheiten in Rechnung gestellt werden. Den ersten Rang nehmen Quellen der wissenschaftlichen Fachprosa ein, es folgen die Romane, worauf bereits bei der Erörterung der Besonderheiten der einzelnen Gattungen hingewiesen wurde.

Kapitel 3. Der Gebrauch der Tempusformen und -konstruktionen in verschiedenen Kontexten und einzelnen syntaktischen Modellen (variable und invariante Elemente des Sprachusus) Nach der Darstellung der quantitativen Verteilung und Gruppierung der Tempusformen und -konstruktionen für Quellen verschiedener Gattungen und Sprachlandschaften sollen die konkreten Besonderheiten des Gebrauchs der Tempusformen im Text untersucht werden. Natürlich können in diesem Kapitel nur bestimmte, den Gebrauch und die Kombination der Tempusformen in den ausgewählten Textausschnitten und in einzelnen syntaktischen Modellen betreffende Probleme behandelt werden. Wie schon in der Einleitung zum 1. Teil (s. S. 20 ) erwähnt wurde, gilt das Hauptinteresse hier dem Gebrauch der analytischen Vergangenheitsformen. Die Probleme der übrigen Tempusformen können nur gestreift werden. Vor der Analyse des Gebrauchs der Tempusformen und -konstruktionen müssen wir noch bei zwei Erscheinungen verweilen, die - wenn auch in unterschiedlichem Grade für den Sprachstand des Untersuchungszeitraums von Bedeutung sind. Im Zusammenhang mit der weitgehenden Vereinheitlichung des Systems der Verbalformen waren in dieser Periode bereits viele Faktoren aufgehoben, die früher zur Polysemie sowie zur formalen und inhaltlichen Unbestimmtheit einer Reihe von Formen 32 geführt hatten. Einzelne Spuren einer solchen semantischen Unbestimmtheit bestimmter Tempusformen und zugleich einige neue Erscheinungen, die in die gleiche Richtung weisen, lassen sich jedoch auch im zweiten Untersuchungszeitraum beobachten. So wird die präteritale Grundanlage, die am konsequentesten in den Romanen vorherrscht, hier in einer ganzen Reihe von Fällen durch Präsensformen unterbrochen, die die Darstellung beleben und der Erzählung einen dynamischen Akzent verleihen. Der Einsatz solcher MittelQ ist beispielsweise typisch für den Roman Chr. Weises, v g l . : / . . . doch zu seinem Glucke saß der Mahler in der Stube, und machte die Farben rechte, der hatte nun etwas in der Kammer oben vergessen, und wolte es holen, indessen wischet e e der Wirth über die schwartze Farbe, und bestreichet sich die blossen Beine über und über, . . . / RoW 12. Einen etwas anderen Charakter hat der Wechsel von präteritalen und präsentischen

Tempus

101

Formen in ein und demselben Satz in Happels "Academischem Roman". Hier ist das historische Präsens nicht immer klar genug von apokopierten schwachen Präterita der 3. Person Singular zu unterscheiden, vgl.: (1) / . . . Nach kurtzem Bedacht traget er diese Gabe nach Hauß und befahl sie einer Frauen in der Nachbarschafft/ RoHap 351. (2) /Cornelia befindet alle die Ursachen für richtig, machet sich mit ihrem jungen Sohn auf den Weg, und kommet zu besagtem Dorff-Pfarrer, welcher Sie willig aufnähme und wohl empfienge/ RoHap 352. (3) / . . . und indem sie erzehlen wil, was sich mit ihr begeben, höret sie ein neu-gebohrnes Kind weinen, und als sie fragte . . . / RoHap 351. (4) /Unterdessen wolte Antonio seinen Spießgesellen suchen und begegnet einem Weib, welches ihn um Gottes willen bäte . . . / RoHap 351. (5) /(er) . . . gieng damit in seine Schlaff-Kammer, und suchet seine gewohnliche Artzney, solchen Schrecken zu vertreiben/ Ro Hap 356. Während im 1 . , 2, und 3. Beispiel Formen des Präteritums und des Präsens kombiniert sind, können /begegnet/ und /suchet/ im 4. und 5. Beispiel als apokopierte Formen aufgefaßt und dem Präteritum zugerechnet werden. Derartige Fälle begegnen gerade in RoHap sehr oft. Einzelne Beispiele kommen aber auch in anderen Texten vor, vgl. z. B. in Beers "Feuermäuer-Kehrer": /(er) spräche und hat . . . / R o B g 4 oder bei Grimmelshausen: /Sonsten gieng mein Portugesisch Geld auf dieser weiten Reise wieder zimlich unter die Leute, und daß es bey nahe ein Endschafft erreicht ehe ich gar durch Westphalen passirt war/ RoGr 25. Weit verbreiteter und in den meisten Texten des zweiten Zeitraums zu beobachten ist die semantische Unbestimmheit der analytischen Vergangenheitsformen, des P e r fekts und des Plusquamperfekts, die eng mit der großen Verbreitung afiniter Nebensatzprädikate in dieser Periode zusammenhängt, vgl.: / . . . und nachdem sie sich wieder erholet (1), hat sie erzehlet, daß sie Cornelia Bentivogli sey, welche der Hertzog von F e r r a r a . . . geliebet (2) . . . / RoHap 352. Die beiden hervorgehobenen Formen können im Prinzip als Perfekt wie als Plusquamperfekt aufgefaßt werden. Das gilt auch für die unten angeführten temporalen Nebensätze, die durch unterschiedliche Konjunktionen eingeleitet werden. Das erste Beispiel kann man auch als nicht markiertes P r ä teritum interpretieren. In einigen Fällen wird die Unbestimmtheit einer Tempusform durch die allgemeine temporale Struktur der Quelle gewissermaßen wieder aufgehoben. So entspricht eine afinite Konstruktion in den Briefen von Anna Francke wohl immer nur dem Perfekt, weil das Plusquamperfekt in den untersuchten Brieftexten gar nicht vorkommt, vgl.: /Dein erstes Schreiben, so du auff der Reise geschrieben, habe ich erst vor 14 Tagen bekommen weil ich nun von der F r . Emmerlin vernommen, das du noch allda bist, so habe dis Wenige bey sie übersenden wollen/ BrFr 22.

102

N. N. Semenjuk

Die afiniten Konstruktionen sind in einzelnen Quellen der wissenschaftlichen Fachprosa (Bayrisches Landrecht), in einigen Romanen (Happel, Beer), aber auch in Harsdörffers literarischen Briefen - verglichen mit anderen Quellen - überaus produktiv. FprKh hat 117 afinite Konstruktionen bei einem Durchschnitt von 51 in dieser Gattung; RoHap hat 62 und RoBg 50 bei einem Durchschnitt von 45 in den Romanen, und BrHar hat 47 bei einem Durchschnitt von 27 in den Briefen. In diesen Texten begegnen ganze afinite Ketten. Dabei fällt in einigen dieser Quellen nicht nur die besondere Häufigkeit solcher Konstruktionen, sondern auch ihr weiter grammatischer Anwendungsbereich auf. Er schließt das zusammengesetzte nominale Prädikat, das Verb /haben/ in Konstruktionen mit / z u / und einige andere Strukturen ein. Vgl.: (1) Wann inner der zulässigen Zeit nit gewaigert worden, soll auff Anruffen der Obsiegenden Partey, wie im dreyzehenden Tit. der Gerichts-Ordnung und hernach zum Q

Thail begriffen, die Vollziehung geschehen, auch an den Landts-Fürsten selbsten zuwaigern nit mehr zugelassen, doch das ordenlich Recht nicht benommen werden/ FprKh 32. (2) / . . . , massen der Suchende, welcher in unserer Sprache viel nützliches und nöhtiges gefunden, seine meinung in vielen geändert, und bey wieder auf legung seiner Sprachkunst ferneres Zu thun gedenket/ BrHar 315. (3) /Weil des Unverenderliehen Aufenthalt (welcher den Spielenden durch den E r gentzenden Hohe gnade erwiesen) nicht bewußt, als verhofft er dieser Beyschluß werde nicht ungnädig aufgenommen werden/ BrHai 316. Es kommt vor, daß die Zeitebenen in solchen Fällen grammatisch nicht unterschieden werden und die logische Vorzeitigkeit einer Teilhandlung nur aus dem weiteren Kontext deutlich wird. Dieses Problem entsteht auch dann, wenn eine entsprechende, durch eine finite Form an sich grammatisch eindeutig markierte temporale Konstruktion die Vorzeitigkeit oder Abgeschlossenheit einer Handlung gar nicht ausdrückt und die temporale Semantik des Satzes daher in seiner temporalen Struktur nicht angemessen widergespiegelt wird. Dieser Fall tritt beispielsweise immer dann ein, wenn ein Autor die zum Ausdruck der Tiefengliederung der Vergangenheitsdimension notwendigen grammatischen Mittel nicht einsetzt und sich auf die Formen des Präsens und des Perfekts beschränkt. So verfährt A. Francke in dem oben aus BrFr 22 zitierten Beispiel, wo die Reihung von Perfektformen die logische zeitliche Abfolge der geschilderten Ereignisse nicht auszudrücken vermag. Ein weiteres Beispiel stammt aus den Briefen der Schweizer: /Indessen muß ich Ihnen doch sagen, daß ich zwei kleine Schriften, die ich schon in der Schweiz verfertigt habe, nach Leipzig und Zürich zum Drucken geschickt habe/ BrSch 9. Gelegentlich beruht die fehlende Untergliederung der Zeitebenen jedoch nicht auf der Unproduktivität des Plusquamperfekts, sondern darauf, daß es im gegebenen Zusammen-

Tempus

103

hang unwesentlich ist, vorausgehende und Folgehandlungen grammatisch zu markieren. Diesen Fall können wir im folgenden Beleg aus den Briefen der Elisabeth Charlotte von Orleans beobachten, in deren Schilderungen häufig recht lange Perfektketten stehen und die Zeitebenen nicht getrennt werden: /Der König jacob von Engellandt hir hatt nicht haben wollen daß wir vor seine f r . Dochter trawen sollen, hatt stark dagegen gebetten, Er hatt dießen todt gar nicht Entpfunden, daß hatt mich wunder genohmen/ BrEl 7; oder /Ich habe viel leüte hier gesehen, so trepanirt sein worden, undt gar nicht von gesicht verEndert sein/ BrEl 11. Der Gebrauch des Plusquamperfekts war im übrigen in den Brieftexten'dieser Autorin keineswegs ungewöhnlich (12 Belege), vgl. dazu den folgenden Ausschnitt, in dem die Beschreibung einer königlichen Jagd gegeben wird, bei der Elisabeth Charlotte vom Pferd fiel und sich am Fuß verletzte. Dabei wechseln Plusquamperfekt, Präteritum und historisches Präsens; die Zeitebenen werden unterschieden: / E s ist just heütte Vier wochen daß Ich mit mons r Le dauphin den wolf jagen wolte Es hatte geregnet undt war glat wir hatten 2 st undt lang Einen wolff gesucht und nichts gefunden . . . / . Es folgt eine Präteritalkette mit /wolten, meinte, gingen/, die den weiteren Gang der Ereignisse schildert. Danach geht die Darstellung mit den Prädikaten /kompt, es Erhebt sich, glitschen/ zum historischen P r ä sens über. Dann wird ein bestimmter Vorfall beschrieben: / E r hatte Ein HuffEißen verlohren, und war In Ein ander dorff geritten/. Die Erzählung wird im Präteritum fortgesetzt und schließt mit einem Satz, dessen Prädikat im Plusquamperfekt steht: /Ich glaube Es mischte sich auch Ein wenig Neidt mitt unter, daß der Bawer Es so woll gemacht hatte/ BrEl 21. Hier hat das Plusquamperfekt verschiedenartige Funktionen. Seine Formen geben keineswegs nur an, daß ein Ereignis der Vergangenheit angehört, sondern sie heben das Wichtige hervor und umrahmen die ganze kleine E r zählung zu Beginn und am Ende und üben auf diese Weise eine besondere Signalfunktion aus. Die hier beschriebene Funktion hat das Plusquamperfekt auch in anderen Quellen. Wir führen als Beispiel aus Happels Roman, der aus einer Anzahl von Novellen besteht, den Anfang einer dieser Erzählungen an: /Zu Salamanca in Spanien hatte sich ein Stu9 dent in eines Schusters Frau verliebet, weil nun der Mann stats zu Hauß, und ihm 9 allen Zutritt verwahrete, erdachte er . . . / RoHap 349. Eine funktionell entsprechende Eröffnung finden wir auch in Christian Weises Roman über die drei Erznarren: /Teutschland ihatte nunmehr den dreissig-jarigen Krieg beygeleget, und der angenehme Friede fieng allbereit an seine Fruchte außzustreuen . . . / RoW 6. Auch wenn das Plusquamperfekt als Signal zur Hervorhebung einer wesentlichen Aussage im laufenden Text dient, erfüllt es eine strukturell-kompositionelle Funktion. Das gilt z. B. für die "Predigt an Christi Himmelfahrt" von Abraham a Sancta Clara, in dessen Werken es im übrigen äußerst selten ist. In BiAbr. fehlt es ganz, im unter-

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suchten Ausschnitt aus BiAbrg steht es einmal in zusammenhängender Erzählung: / e i n reicher vndt wohl vermeglicher herr, der alls genueg /hattej, wäre einmahl gfragt worden von einem seiner gueten freindt, ob ime auch iergendts etwas mangle an irgendt einem Guet/ BiAtag 5. Auch in diesem Fall führt der Autor mit Hilfe des Plusquamperfekts eine wichtige Information ein, indem er sie aus dem durch neutrale Präteritalformen geprägten Erzählverlauf heraushebt. Zur Illustration seien noch zwei Plusquamperfektbelege aus der moralisch-didaktischen Zeitschrift "Der Gesellige" angeführt: (1) /In unserer Gesellschaft war ein junger Mensch, der nur die Universität verlassen hatte . . . / B i G 63. (2) / E s war unterdeß der Teller, auf welchem der zerlegte Braten herumgehen solte, bis zu unserm Demonstranten gekommen, . . . / BiG 64. Im ersten Beleg kennzeichnet die Plusquamperfektform den die Erzählung einleitenden Satz und drückt zugleich die Vorzeitigkeit aus, im zweiten Beleg dagegen markiert sie eine im Kontext der Erzählung besonders wichtige Information und vermittelt die resultative grammatische Bedeutung des finiten Verbs. So vereinigt sich hier die strukturell-kompositioneile Funktion mit den grammatischen Grundbedeutungen des Plusquamperfekts (Vorzeitigkeit, Resultativität). Die strukturell-kompositioneile und die kommunikative Funktion können auch relativ selbständig auftreten, in diesem Fall wird die grammatische Bedeutung des Plusquamperfekts gleichsam aufgehoben; vgl. dazu folgende Belege aus Schupps didaktischer Schrift: (1) /Eine vornehme Graf liehe Dame wolte mich einsmahls sonderlich regaliren, und hatte zu einem Juden geschickt und begehret . . . / BiSch 8. (2) /Endlich gerieth er in Armut. Da hatte er sich einsmals beklagt, da . . . / BiSch 15. In beiden Fällen markiert das Plusquamperfekt lediglich die wichtigste Information des Kontextes. Die hier aufgezählten Grundfunktionen der analytischen Vergangenheitsformen (die eigentlich grammatische, die strukturell-kompositionelle und die kommunikative) t r e ten im Untersuchungszeitraum in verschiedenen Satzstrukturen auf: im selbständigen Satz (1), in Elementarsätzen, die eine Satzreihe bilden (2) sowie in Haupt - (3) und Nebensätzen (4) von Satzgefügen, vgl. (1) /Nun was halffs? Es war geschehen / RoGr 23; /Der Verwundete hatte

ihm kei-

nen Botten geschicket/ BiSch 17. (2) /Unsere Herzen waren einig, und wir hatten nicht an die äußerlichen Zeichen unserer Verlobung gedacht/ BrK 114. (3) /David hatte der Moabiter König für seinen besten Freund gehalten, und vermeint, in seiner Burg sey er . . . sicher/ BiSch 10; /Vergangenen Sonnabend habe ich das wichtigste Schreiben, welches ich noch von Ihren Händen erhalten, mit Vergnügen

Tempus

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erbrochen und mit der reinsten Freude . . . gelesen/ BrK 112. (4) /

gestern abends wie Ich wider von paris komme, Erführe Ich ohngefehr Eine

historie da Ich mein leben nicht von gehört hatte/ BrEl 10. Die Auszählung der Perfekt - und Plusquamperfektformen hat ergeben, daß das P e r fekt in Nebensätzen etwas seltener auftritt als in Hauptsätzen (die Zahlen für selbständige Hauptsätze und Hauptsätze in Satzgefügen sind dabei zusammengenommen). Diese Tendenz zeigt sich in unterschiedlicher Weise in allen Textgattungen: 1 : 2,2 in Ro, 1 : 2,5 i n B r , 1 : 1,7 in Bi und 1 : 1,2 in Fpr; das ergibt einen Durchschnitt für das Vorkommen des Perfekts in Neben- und in Hauptsätzen von 1 : 1,9. Beim Plusquamperfekt ist diese Tendenz weniger ausgeprägt, die jeweiligen Ziffern liegen näher beieinander: 1 : 1,4 in Ro, 1 : 1 in Bi und 1 : 1,3 in Br; der Durchschnitt ist also 1 : 1,2. In der wissenschaftlichen Fachprosa (Fpr), wo das Plusquamperfekt in unserem Material hauptsächlich aus dem historisch-theologischen Werk Ritters belegt ist (aus ihm stammen 23 von 27 Belegen dieser Gattung), dominiert diese Tempusform mit 24 von 27 Belegen dagegen eindeutig in den Nebensätzen. Die hier angeführten Zahlen geben nur eine sehr vergröberte Charakteristik der Verteilung von Perfekt - und Plusquamperfektformen auf die hauptsächlichen Satztypen. Zur Präzisierung dieser Angaben wäre eine weit intensivere Untersuchung des Gebrauchs der entsprechenden Formen in den verschiedenen Satztypen notwendig. Das wiederum setzt eine detaillierte Analyse der Produktivität der betreffenden Satztypen in verschiedenen Texten und eine genauere Untersuchung des Verhältnisses finiter und afiniter Konstruktionen, die in Nebensätzen weitgehend abwechseln, voraus. Unser Ergebnis, daß die Frequenz der analytischen Vergangenheitsformen in den Nebensätzen meistens gering ist, hängt sicherlich damit zusammen, daß diese Sätze im Untersuchungszeitraum mit afiniten Konstruktionen besetzt werden konnten und von dieser Möglichkeit in einigen Gattungen, wie oben zu zeigen war, sehr ausgiebig Gebrauch gemacht wurde. Im übrigen ist nochmals daran zu erinnern, daß die so häufigen afiniten Strukturen nicht selten die formalen Unterschiede zwischen Perfekt und Plusquamperfekt in Nebensätzen aufheben und die wirklichen quantitativen Relationen dieser beiden analytischen Formen verschleiern. Erschwerend kommt hinzu, daß im Untersuchungszeitraum die Modelle der verschiedenen funktionalen Gruppen von Nebensätzen und daher auch die verschiedenen Strukturmodelle des gesamten Satzgefüges, das diese Sätze enthält, vielfach variiert werden. Dieses Problem soll, wie schon im ersten Abschnitt, am Beispiel der temporalen Nebensätze, in denen der Gebrauch bestimmter Tempusformen eine wichtige grammatische Funktion hat, näher untersucht werden.

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Syntaktische Komplexe mit temporalen Nebensätzen, die durch die Konjunktion /nachdem/ eingeleitet werden; Wir unterscheiden je nach der Tempusform im Nebensatz vier Hauptgruppen von Kombinationsmöglichkeiten der Tempusformen in Satzgefügen dieses Typs. In der Aufstellung dieser Kombinationen werden die Tempusformen der Nebensätze jeweils an erster Stelle genannt: I a) Pq + Prät (RoHap 346; RoBg 23; RoR 9, 13, 14, 15; BiSch 15; FprR 19); b) Pq + Pf (FprTh V). Beispiele: (1) /Drey Stunden nach Mittag kam Brandano wieder, nachdem er die Bauer-Frau mit ihrem gefundenen Kleid an einen gewissen Ort beschieden hatte/ RoHap 346. (2) /Nachdem ich . . . die schönen Früchte dieser furtrefflichen Tugend deutlich gezeigt hatte, habe ich mich fleißig bemuhet . . . / FprTh V. ü a) Af + Prät (RoB2 6; RoW 13; RoHap 345, 352, 356, 363); b) Af + Pf (RoHap 351, 352; BrHar 380; FprKh 45); c) Af + Präs (RoHap 352; BiSch 17; FprTh V, 4); d) Af + Fut (BrK 111). Beispiele: (3) /Nachdem der listige Student das schnelle Abweichen deß Hauptmanns . . . vernommen, zog er . . . / RoHap 356; /Solche entschuldigung wurde leicht angenommen und e e nachdem das Frühstück verzehret und der Wirth bezahlet, namen sie . . . / RoW 13; / und gienge seines Weges, nachdem er seiner Liebsten ein hoflich Compliment gemacht, dann diese hatte den gantzen Handel angesehen/ RoHap 359. (4) /Nachdem nun Johann wieder koinen zu dem Hauß, da er so kindlich begäbet worden, hat er einen schreyen . . . befunden . . . / RoHap 351; / . . . und nachdem sie sich wieder erholet, hat sie erzehlet, daß . . ./RoHap 352; /Homburgs Selbstreit . . . tat aber wegen des papiermangels, nachdem Memingen und Ravenspurg gantz verderbet worden, noch nicht können unter die presse kommen/ BrHar 380; / . . . welche der Schuldner, nach dem er mit dem Fisco contrahiert oder ein Verwaltung von ihme angenommen, erobert hat/ FprKh 45. (5) /Nachdemdieseverrlyset, bildet die w l r t e r i n der Cornelia für, daß . . . , und beredet sie, daß, . . . / R o H a p 352; (6) /Nachdem wir uns einander überführt, daß wir beyde Unrecht haben, so wird die Versöhnung nicht weit entfernet seyn/ BrK 111. HI Pf + Präs (BiSch 17; BrSch 32). Beispiele: (7) /Aber, nach dem ich arm worden bin, so thun alle meine Freunde, als ob . . . / BiSch 17; /Nachdem ich Ihnen einige Sachen gesagt habe, die mir am Herzen lagen,

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so will ich wieder recht freundlich mit Ihnen sprechen: denn in meinem vorigen Briefe war ich sehr ernsthaft/ BrSch 32. IV Prät + Prät (RoR 19; FprTh V). Beispiele: (8) Nachdem der Wirt nun sähe, daß niemand mehr aß, und die Schusseln ziemlich ausgeputzt waren, ließ er . . . / RoR 19; J . . . , als eben diese Neider, nachdem ihnen das e e e erste Kunststuck mich zu verlaumbden nicht angieng, mich mit grosserer List bei einem Staatsminister, der schon vor einigen Jahren gestorben, verdächtig zu machen suchten / FprTh V. Wir haben also für Satzgefüge mit temporalen Nebensätzen, die durch /nachdem/ eingeleitet werden, die folgenden Kombinationsmöglichkeiten ermittelt: I

a) Pq + Prät

n

b) Pq + Pf a) Af + Prät b) Af + Pf

m IV

c) Af + Präs d) Af + Fut Pf + Präs Prät + Prät

In den Texten des zweiten Untersuchungszeitraums sind die Modelle Ia und IIa am pi luktivsten. Prüft man die Verteilung der ermittelten Modelle auf die einzelnen Gattungen, so ergibt sich, daß sowohl die Kombination Af + Präs (IIc) und Af + Fut (nd) als auch die Kombination Pf + Präs (HI) in Texten überwiegen, in denen als Leitform das Präsens - natürlich nicht immer ausschließlich - auftritt. Das sind die Briefe, die moralisch-didaktischen Werke und die wissenschaftliche Fachprosa. Da die afiniten Strukturen sowohl Perfekt - als auch Plusquamperfektformen entsprechen können, kann die Relation zwischen den Zeitebenen des Neben- und des Hauptsatzes unscharf oder sogar ganz undifferenziert bleiben (vgl. das Modell IIb). Ähnlich liegen die Verhältnisse auch bei den anderen Typen temporaler Nebensätze. So begegnen etwa in Satzgefügen mit temporalen Nebensätzen, die durch /indem/ eingeleitet werden, für die logischerweise Gleichheit der Zeitebenen angenommen werden sollte, in Wirklichkeit Kombinationen gleichartiger oder auch unterschiedlicher Tempusformen. Gleichartige Tempusformen: Präs + P r ä s (RoHap 351); Prät + Prät (RoGr 9, 12, 16, 25). Unterschiedliche Tempusformen: Af + P r ä s (RoHap 351, mit Modalverb /wollen/); Af + Prät (RoGr 12); Pq + Prät (Passiv oder Aktiv, FprR 21, 26; RoGr 17; RoR 8). Die Kombination Af + Pf wurde nur einmal aus der wissenschaftlichen Fachprosa notiert, vgl.: /Und es ist so ferne, daß dieser vornehme Weltweise den

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Werth und die Kraft dieser Künste nicht sollte erkennet, und den guten Gebrauch derselbigen gebilliget haben, daß er vielmehr in seinen eigenen Schriften das vollkommenste Muster davon hinterlassen hat, indem er . . . durch die häufige Einmischung poetischer Sachen und Redens-Arten in seinen philosophischen Schriften, -genugsam mercken lassen, daß ihn ein ruhmlicher Eifer eingenommen hatte „ . . / FprBr 11. In diesem Satzgefüge darf man von der Gleichheit der Zeitebenen im über - und im untergeordneten Satz ausgehen, obwohl ihr Verhältnis wegen des Gebrauchs einer afiniten Konstruktion formal nicht markiert ist. In anderen Fällen weichen die Zeitebenen jedoch voneinander ab, vgl.: /indem sie sich nun so mit mir eine gute Weile in ihren Armen gehltschelt hatte, stund sie mit mir auf . . . / RoR 8. In einem weiteren Beispiel werden beide Typen des Einsatzes von Tempusformen im Rahmen desselben Satzgefüges benutzt: /Indem sie nun in ihrer Behausung angelanget, wil Antonio seinen Gesellen nicht lassen in die Kamer gehen (1), und indem er aufsperret, schimmert der Hut (2) . . . / R o H a p 351. Die Variabilität der Tempusformen in Satzgefügen mit unterschiedlichen temporalen • Nebensätzen wird durch verschiedene Faktoren hervorgerufen: (1) durch die Konkurrenz der zwei syntaktischen Konstruktionsvarianten, der finiten und der afiniten, (2) durch die Konkurrenz von Fügungen, deren Tempusformen die Zeitebenen eindeutig trennen, mit Fügungen, deren Tempusformen eine solche Differenzierung nicht leisten. Gleichzeitig darf angenommen werden, daß das Auseinandergehen von semantischer und grammatischer Satzstruktur in gewissem Umfang mit der Bedeutung der eingesetzten Konjunktionen korreliert. So konnte die Konjunktion /indem/ die durch die Verbformen ausgedrückte Differenzierung der Zeitebenen neutralisieren, während umgekehrt die Konjunktion /nachdem/ die Zeitebenen auch dann auseinanderhielt, wenn die Tempusformen selbst diese Funktion nicht ausübten. Ähnliche Gesetzmäßigkeiten gelten auch für temporale Nebensätze mit / a l s / . Diese Konjunktion, deren Bedeutung kein bestimmtes Zeitverhältnis zwischen Haupt- und Nebensatz voraussetzt, ermöglicht eine erhebliche Variabilität der Struktur eines Satzgefüges. Wir unterscheiden vier Haupttypen, die wieder einige Untergruppen einschließen: I

Pq

II a) Prät

+ Prät (Vorzeitigkeit des Nebensatzes) + Prät

b) Prät

+ Pq (Vorzeitigkeit des Hauptsatzes)

c) Prät

+ Präs (hist.)

ma) Af b) Af

+ Prät + Präs (hist.)

Tempus IV

c) Af Pf

109 + Pf + Pf

Die produktivsten Typen sind I, Ha und m a . Folgende Stellen seien angeführt: I : RoGr 14, 16, 18; RoR 15, 15f. n a : RoW 10; RoHap 321; BiSch 5, 6, 7; RoR 10. b: BiSch 3. c: RoHap 368. III a: RoGr 23; BiSch 7; RoHap 335. b: RoHap 356. c: BrHar 339. IV : BiSch 9. Beipiele: (1) für IIa: /da gieng er mit Cavina . . . selber zum Podesta, als eben die Soldaten mit dem Troll auch in den I&llasttratten/ RoHap 321; /Als sie aber etliche funffzig Meilen hinter sich hatten, kamen sie auf den Abend sehr mude in das Wirthshaus/ RoW 10. (2) für üb: /Die beyde Nordische Königreiche . . . hatten eben alle Nachbarliche Freundschafft aufgehoben als Philander seinen Sohn Ascanium in die Welt schickte / BiSch 3. (3) für Hc: / J a , denselben Tag, als das Duell solte für sich gehen, kommt Meydels Diener in die Stube und siehet . . . / RoHap 368. (4) für lila: /Als Philander dieses gesagt, sprach er zu dem Ascanio . . . / BiSch 7; /Wann ich nun eine Abentheuer mit grosser Bewegung zu Ende gebracht, da wolte . . . / RoGr 10. Als letztes Beispiel wurde ein Beleg angeführt, in dem /wann/ völlig synonym mit / a l s / steht und auch die temporale Struktur der Satzgefüge übereinstimmt. In der Mehrzahl der Fälle folgt auf die Konjunktion /wenn, wann/ jedoch eine Aussage, die sich auf die Zukunftsebene bezieht, vgl.: / . . . ich komme wieder, wann man zum drittenmale anschlaget/ RoBg 29, oder: /Berichte hiervon mit nechstem, wann ich . . . nachricht erlangen werde/ BrHar 347. Bei Satzgefügen mit temporalen Nebensätzen, die durch die Konjunktion / w i e / eingeleitet werden, sind folgende vier Typen zu unterscheiden: I a) Prät + Prät (RoHap 365). b) Prät + Pf (BiAbr^ 29). II Pq_ + Prät (RoGr 15; RoR 9). m Af t Prät (BiAbr^ 29; BrEl 13). IV P r ä s (hist.) + Prät (BrEl 10). Für Satzgefüge mit /sobald, sobald als/ wurden folgende Kombinationen festgestellt:

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I

Prät + Prät (RoHap 356, 367; RoGr 20; RoR 14, 15).

n

Pq

m Af

+ Prät (RoR 15). + Prät (RoHap 362; RoR 12).

IV Pf + Präs (BiDis 12). V Präs + Präs (BiSch 16). VI F + Präs (BrEl 16, im übergeordneten Satz das Modalverb /wollen/). Einige Beispiele für /wie/ und /sobald/: (1) für /wie/ HI: /Ich wäre schon Zp alt, wie Ich In Frankreich k o m m e n , . . . / BrEl 13. (2) für /sobald/ I: /So bald solches der Stadthalter vernahm, schrye er mit lauter Stimme/ RoHap 356. (3) für /sobald/ DI: /So bald die Studenten diese favorable Antwort erhalten, sandten sie . . ./RoHap 362. (4) für /sobald/ IV: /Unsere Disputationen, die wir mit einander halten, sind am Ende des Conto . . . und verschwinden, so bald wir Zeit gewonnen haben, uns deutlich zu expliciren/ BiDis 12. (5) für /sobald/ VI: /ihr Müst mir so baldt möglich Ein memoire schicken wo der junge herr . . . gefangen worden undt wo Er Nun ist, sonsten kan Ich Ihn unmöglich helffen, aber so baldt Ich, wißen werde, wo Er gefangen worden, undt wo Er sich aufhelt, will Ich fleißig vor Ihm solicitiren . . . / BrEl 16. Bei den Konjunktionen /wie/ und /sobald (als)/ sind jeweils die ersten drei Modelle (mit Prät, Pq oder Af im eingeleiteten Nebensatz) am produktivsten. Die übrigen sind nur vereinzelt bezeugt. Das zuletzt genannte Modell für /sobald/ mit Futurbesetzung tendiert zur Briefgattung und stützt die Annahme, daß es bestimmte gattungstypische Zuordnungen der Modelle gibt. S chlußf olger ungen Zum Abschluß sollen einige Ergebnisse unserer Analyse der Ausdrucksformen und der Gebrauchsbesonderheiten von temporalen Konstruktionen in den beiden Untersuchungszeiträumen einander gegenübergestellt werden. Die berücksichtigten Quellen lassen sich insgesamt drei hauptsächlichen Texttypen zuordnen: (1) Zusammenhängende Erzählung über vergangene Ereignisse (erster Unter suchungszeitraum: Rs, Chr, Vb; zweiter Zeitraum: Ro); (2) Erörterungen über verschiedenartige Themen (erster Zeitraum: Tr, Dl, Sbr; zweiter Zeitraum: Bi, Br); (3) Informierende und instruierende Beschreibung (erster und zweiter Zeitraum: Fpr). Selbstverständlich gelten die hier getroffenen Unterscheidungen nur bedingt, weil in einigen Texten Erörterungen mit Elementen der zusammenhängenden Erzählung abwechseln (didaktische Prosa), bzw. die instruierende Beschreibung mit Erörterungen

Tempus

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(so in einzelnen Fachprosaquellen) oder die Erzählung mit der Beschreibung (Reiseberichte) kombiniert wird. Trotzdem ermöglicht es die gewählte Einteilung, die wesentlichen, sich in ihrer temporalen Semantik und Struktur unterscheidenden Textgruppen zu erfassen. Beim ersten Texttyp ist die temporale Leitform das Präteritum, beim zweiten und dritten dagegen das Präsens. Der zweite und der dritte Typ wiederum unterscheiden sich durch Wahl, Kombination und Frequenz der komplementären Tempusformen (Perfekt, Plusquamperfekt und Futur). Für den ersten Zeitraum muß die große Variabilität im Ausdruck der temporalen Kategorien betont werden, die sich im Variantenreichtum einer Reihe von Verbformen und temporalen Konstruktionen zeigt. Diese Variabilität ist für alle untersuchten Gattungen der betreffenden Zeit charakteristisch. Im zweiten Zeitraum ist sie zwar bedeutend eingeschränkt, aber nicht völlig beseitigt. Sie verringert sich insbesondere durch eine wesentliche Einschränkung einiger formal und inhaltlich undifferenzierter Verbformen von der Art /hat, het, hatte, hette; wird, würd, wurd; lebte, lebt/ und der entsprechenden temporalen Konstruktionen (vgl. Perfekt und Plusquamperfekt). Gleichzeitig breiten sich im zweiten Zeitraum aber einige neue Erscheinungen aus. Dazu gehört vor allem die merkliche Steigerung der Produktivität afiniter Nebensatzstrukturen. Die weite Verbreitung der Konkurrenz afiniter und finiter Varianten löst neue Entwicklungen aus, die wiederum zu teilweiser Undifferenziertheit einzelner Tempusformen führen. Die Grundrichtung der beim Vergleich des ersten und des zweiten Zeitraums deutlich werdenden Änderungen liegt in der Vereinheitlichung der A u s d r u c k s f o r m e n der Zeitkategorie und in der Beseitigung einer erheblichen Zahl verbaler Wortformenund Konstruktionsvarianten, die für den ersten Zeitraum noch bezeugt waren. Hierin offenbart sich die allgemeine Tendenz zur Normierung der Ausdrucksmöglichkeiten der grammatischen Bedeutung im Prozeß der Herausbildung der deutschen Literatursprache der Gegenwart. Weniger bestimmt und stärker differenziert verlaufen dagegen die Prozesse der Vereinheitlichung des G e b r a u c h s , der von den Tempusformen gemacht wird. Sie bilden die zweite wichtige Komponente der Normierungstendenzen. Die wesentlichen Gesetzmäßigkeiten, die der Verteilung und der Häufigkeit der komplementären Tempusformen - Perfekt, Plusquamperfekt und Futur - zugrunde liegen, werden durch die Gattungs- und Textspezifik der einzelnen Quellen bestimmt (vgl. die oben erwähnten hauptsächlichen Texttypen). In einigen Fällen darf jedoch angenommen werden, daß auch regionale Faktoren auf die Wahl der Tempusformen eingewirkt haben. Das läßt sich vor allem an den Quellen des 15. und 16. Jahrhunderts belegen. In der ersten Periode zeigt die Fachprosa die geringste Produktivität des Perfekts,

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die Dialoge und Chroniken, aber auch die Sendschreiben und Traktate, dagegen die höchste. Die Ursachen für die hohen Durchschnittszahlen des Perfekts in diesen Quellen sind offenbar etwas unterschiedlich. Die Dialoge bieten, mehr oder weniger konsequent, Gesprächstexte; hier sind die Perfektformen recht gleichmäßig auf die einzelnen Texte verteilt. In den Traktaten und Sendschreiben werden allgemeine Erörterungen (Leitform : Präsens) durch die Anführung einzelner Fakten ergänzt, die unmittelbar auf den Redemoment bezogen sind (Tempusform : Perfekt). Durch hohe Frequenz des P e r fekts zeichnen sich hier vor allem zwei Quellen aus, der Traktat Ulrich von Huttens über das Papsttum (TrH) und der niederdeutsche religiöse Traktat Bernhard Rotmanns (TrR). Der ebenfalls hohe Durchschnitt der Perfektformen in den Chroniken wird durch die Belegzahlen der sich in dieser Textgattung scharf abhebenden Regensburger und Augsburger Chroniken verursacht. Diese Quellen benutzen das Perfekt eigentlich nicht 34 nur als komplementäre Tempusform, sondern sogar als Leitform der zusammenhängenden Erzählung. Darin zeigt sich in gewisser Weise ein Spezifikum der gesprochenen Sprache des süddeutschen Typus. In den Volksbüchern und Reisebeschreibungen des ersten Zeitraums ist das Perfekt nur wenig produktiv. Die Verteilung der Perfektformen auf die einzelnen Quellen ist recht gleichartig. Ursache dafür scheint die Stabilität und Traditionsgebundenheit dieser Gattung zu sein. Unter den Reisebeschreibungen fallen nur das in Augsburg gedruckte Werk von Tucher und die niederdeutsche Beschreibung einer Reise in das Heilige Land (RsKett) durch die etwas höhere Zahl der Perfektformen auf. Im zweiten Zeitraum nehmen die Briefe die erste Stelle in der Produktivität des Perfekts ein, die zweite die didaktische Prosa. Die Fachprosa behält ihren früheren Rang. Etwas geändert hat sich, an den Durchschnittszahlen gemessen, die Lage in den Romanen, wenn man sie mit den Volksbüchern des vorigen Zeitraums vergleicht. Die durchschnittliche Häufigkeit des Perfekts in den Romanen ist mit 24 Belegen pro Text auch im zweiten Zeitraum sehr niedrig, deutlich höher liegt sie nur bei Beer (RoBg, oobd.). Der durchgesehene Text hat 50 Perfektformen, die übrigens fast alle in der d i r e k t e n R e d e der handelnden Personen auftreten. G. Schieb macht auf eine gewisse allgemeine Zunahme der Zahl der Perfektkonstruktionen im zweiten Untersuchungszeitraum, verglichen mit dem ersten, aufmerksam: Der Anteil des Perfekts in der Gruppe der Fügungen aus finitem Verb und Partizip II wächst von 57, 5 % auf 69,3 %. An den Durchschnittszahlen unserer Texte läßt sich diese Tendenz nicht so genau feststellen. Doch muß bei einem Gesamturteil über die relative Produktivität des Perfekts auch die große Verbreitung afiniter Nebensatzstrukturen im zweiten Zeitraum berücksichtigt werden. Ein bestimmter Teil afiniter Strukturen muß sicherlich dem Bestand an Perfektformen zugerechnet werden.

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Die Produktivität des Plusquamperfekts wächst schon bei bloßer Berücksichtigung der eindeutig markierten Formen im Durchschnitt von 7 auf 9,6 Konstruktionen pro Text, rechnet man aber auch hier noch die bedingt auf das Plusquamperfekt beziehbaren afiniten Konstruktionen hinzu, so ergibt sich ein noch spürbarerer Anstieg. Das Plusquamperfekt verteilt sich im übrigen im zweiten Zeitraum etwas anders auf die einzelnen Gattungen als im ersten. Im ersten Zeitraum ist es am produktivsten in den Volksbüchern; danach folgen die Chroniken und Reisebeschreibungen. Alle drei Gattungen haben als Leitform das Präteritum. In den Traktaten und Sendschreiben bleibt die Produktivität des Plusquamperfekts im allgemeinen unbedeutend (ca. 3 Formen pro Text), und in den durchgesehenen Fachprosa- und Dialogtexten kommt es nur vereinzelt vor. Im zweiten Zeitraum nehmen in der Häufigkeit der Plusquamperfektformen die Romane den ersten Platz ein, dann folgen die Fachprosa, die didaktische Prosa und an letzter Stelle die Briefe. Wie beim Perfekt gibt es auch hier gewisse Korrekturen dieser Zahlen, wenn man die afiniten Nebensatzstrukturen berücksichtigt. Für die Stabilität des Gebrauchs der einzelnen Tempusformen ist auch die Spanne der Schwankungen zwischen ihrer geringsten und größten Produktivität in den Texten einer Gattung aufschlußreich. Im ersten Zeitraum gibt es die größten Häufigkeitsschwankungen der Perfektformen in den Chroniken (1 : 72) und in der Fachprosa (1 : 26). Weit geringer sind diese Schwankungen in den Reisebeschreibungen und in den Traktaten und Sendschreiben (1 : 5 bzw. 1 : 6 ) . Die kleinsten Unterschiede zwischen den Texten einer Gattung weisen die Volksbücher und Dialoge auf (1 : 3; 1 : 2,4). Im zweiten Zeitraum sind die Schwankungen in den Briefen und in der didaktischen Prosa relativ unbedeutend. In beiden Gattungen ist die Produktivität des Perfekts am höchsten. Etwas größer fallen diese Unterschiede zwischen den Quellen der Fachprosa (1 : 8) und zwischen den einzelnen Romanen (1 : 9) aus. Im ganzen hat sich die Schwankungsbreite im zweiten Zeitraum aber vermindert. Das spricht für eine gewisse Vereinheitlichung im Gebrauch der Perfektformen innerhalb der untersuchten Gattungen. Die Schwankungsbreite der Belegzahlen des Plusquamperfekts ist im ersten Zeitraum ebenfalls beträchtlich. Für die Chroniktexte ergibt sich eine Belegzahl von 0 bis 32, für die Volksbücher die Relation 1 : 32, für die Reisebeschreibungen die Relation 1 : 25. Geringer sind die Unterschiede mit Belegzahlen von 0 bis 10 in den Traktaten und Sendschreiben. Hier ist die Produktivität des Plusquamperfekts aber ohnehin unbedeutend. Im zweiten Zeitraum sind die Häufigkeitsunterschiede innerhalb der einzelnen Gattungen etwas geringer: 0 bis 23 Belege in den Texten der wissenschaftlichen Prosa, 0 bis 19 in den didaktischen Werken, 0 bis 12 in den Briefen und 9 bis 37 (d. h. in der Relation 1 : 4) in den Romanen. Auch beim Plusquamperfekt zeigt sich also im

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ganzen die Tendenz zum Ausgleich des Formengebrauchs innerhalb einer Gattung. Am klarsten drückt sich diese Tendenz in den Romanen aus, in den übrigen Gattungen bleiben die Differenzen zwischen den einzelnen Texten aber doch noch recht deutlich. Zu bedenken ist dabei, daß einige Schwankungsfälle in der Verschiedenheit der zur gleichen Gattung gerechneten Quellen begründet sind, und zwar betrifft das sowohl den Inhalt als auch die Zielsetzung der Texte. Beides beeinflußt deren temporale Semantik und Struktur und führt zu den erwähnten starken Schwankungen in der Häufigkeit und der Kombination der einzelnen Tempusformen. Gelegentlich können Unterschiede im Formengebrauch jedoch auch auf die Einwirkung regionaler Faktoren zurückgehen. Solche Faktoren zeigen sich nicht nur in der Bindung einer Quelle an eine bestimmte lokale Schreibtradition, sondern auch in der verschieden starken Beeinflussung der Schreibsprache durch die gesprochene Sprache. Traditionelle literarische Gattungen unterliegen solchen Ginflüssen offenbar weniger als literarisch nicht sehr durchgebildete Aufzeichnungen, wie z. B. einige Chroniken. In einzelnen Quellen dieser Art zeigt sich der Einfluß der mündlichen Sprache besonders deutlich; er verursacht noch stärkere Ungleichmäßigkeiten im Gebrauch einzelner Tempusformen (vgl. die oberdeutschen Chroniken des ersten Zeitraums). Diese Uneinheitlichkeit drückt sich auch in den die Verteilung einiger Tempusformen betreffenden Durchschnittszahlen aus. Hier fällt für den ersten Zeitraum die große Produktivität des Plusquamperfekts in den Quellen des niederdeutschen Gebiets im Vergleich mit den mitteldeutschen und - vor allem - den oberdeutschen Quellen auf. Das stimmt in den allgemeinen Zügen mit der dialektalen Charakteristik der Gebiete überein. In> zweiten Zeitraum hält sich diese Tendenz nur in den oberdeutschen Quellen, wo die Anzahl der Plusquamperfektformen annähernd halb so hoch ist wie in den mitteldeutschen. Diese Beobachtungen bedürfen jedoch noch der Überprüfung an größeren Textmengen. Abschließend einige Worte zur Formenverteilung und relativen Produktivität des Futurs. Die Häufigkeitsschwankungen des Futurs beruhen, wie in den anderen Fällen, vor allem auf der Gattungszugehörigkeit und - in größerem Umfang - auf dem Inhalt der Texte. Seine geringste Verbreitung hat das Futur im ersten Zeitraum in den Reisebeschreibungen und Chroniken (Durchschnitt: 1,5; 2,0).Die Fachprosa bietet durchschnittlich 3,3 Futurformen pro Text (im zweiten Zeitraum: 2,5). In den Volksbüchern ist die Durchschnittszahl 4,6 (in den hier zu vergleichenden Romanen des zweiten Zeitraums: 6). Die größte Zahl an Futurformen findet sich im ersten Zeitraum in den Dialogen (Durchschnitt: 23) sowie in den Traktaten und Sendschreiben (hier vor allem in der Utopie Hergots mit ihrer Zukunftsperspektive). Im zweiten Zeitraum stehen auf den ersten Plätzen die didaktischen Werke (Durchschnitt: 12) und vor allem die Briefe

Tempus

115

(Durchschnitt: 29). Offenbar ist die Verwendung von Futurformen besonders typisch für Texte mit präsentischer Leitform. Damit sind auch hier allgemeine Zusammenhänge zwischen temporaler Leitform und komplementären Tempusformen zu fassen. Gleichzeitig wird - besonders häufig im ersten Zeitraum - futurische Bedeutung auch durch Konstruktionen mit Modalverben vermittelt, und zwar vor allem in der direkten Rede. G. Schieb hält Modalverbfügungen in der Sprache um die Wende vom 15. zum 16. Jahrhundert für Systemvarianten des Futurs. Gerade damit scheint es zusammenzuhängen, daß das Futur in dieser Zeit im niederdeutschen Gebiet am seltensten bezeugt 35 ist, denn dort sind die Modalkonstruktionen besonders produktiv. In den Quellen der anderen Gebiete werden die Modalverbfügungen, wie ebenbemerkt, am häufigsten in direkter Rede eingesetzt. Im zweiten Zeitraum verringert sich ihre Zahl. Es 36 ist aber interessant, daß sich bis zu Gottsched die Unterscheidung von Konstruktionen des Typs /ich will sein/ als "die ungewiß künftige" und des Typs/ich werde sein/ als "die gewiß künftige" Zeitaussage in den normativen deutschen Grammatiken hält. Auf diese Weise bleibt esbei der Einbeziehung der Modalverbkonstruktionen in den Bereich des Futurs. Im zweiten Zeitraum steigert sich die Gesamtproduktivität des Futurs im Durchschnitt von 7 auf 12 Belege pro Text. Nach den Ergebnissen G. Schiebs drückt sich dieser Anstieg auch im gewachsenen Anteil des Futurs in der Gruppe der verbalen Prädikate aus, die aus einer finiten Form und dem Infinitiv eines Vollverbs bestehen. 37 Der Anteil des Futurs in.dieser Gruppe steigt von 5,6 % auf 12,3 %. Vergleicht man den Gebrauch der Tempusformen in Satzgefügen mit temporalen Nebensätzen in beiden Untersuchungszeiträumen, analysiert man also den Tempusgebrauch unter eben den sprachlichen Bedingungen, für die die temporale Semantik ganz besonders wichtig ist und in denen sie gleichzeitig durch verschiedene grammatische Mittel (Konjunktionen und Tempusformen) ausgedrückt wird, so ergibt sich folgendes Bild: (1) Auch im zweiten Zeitraum gibt es immer noch eine Vielzahl variierender Modelle zum Ausdruck der zeitlichen Beziehungen temporaler Nebensätze verschiedener Art in Satzgefügen. (2) Für alle diese Modelle gelten zwei Grundtypen der Zeitbeziehung zwischen Hauptund Nebensatz: Der erste Typ drückt die Verschiedenheit der Zeitebenen mit Hilfe unterschiedlicher Tempusformen aus, der zweite unterläßt entweder diese Differenzierung oder er bezeichnet den Zusammenfall der Zeitebenen mit Hilfe gleichartiger Tempusformen. (3) Im zweiten Zeitraum nimmt die Unbestimmtheit der Zeitstruktur von Satzgefügen, die auf der Nichtmarkiertheit einzelner Verbformen (3. P e r s . Sg. Prät. der schwachen Verben) und Verbfügungen (3. P e r s . Sg. Pq. von /haben/ u. ä.) beruht, ab. Doch entsteht aus der wachsenden Zahl afiniter Nebensatzkonstruktionen erneut ein

116

N. N. Semenjuk

Faktor, der die Unbestimmtheit der Tempusbedeutungen einzelner Formen und Fügungen fördert. Obwohl nun der häufige Gebrauch afiniter Strukturen eine gewisse Unbestimmtheit der temporalen Semantik einzelner Nebensätze verursacht, führt er doch keineswegs in allen Fällen zur Verwischung der Tempusunterschiede zwischen Haupt und Nebensatz. In der Mehrzahl der Fälle können afinite Konstruktionen allein schon durch das Partizip Perfekt die Abgeschlossenheit und so auch die Vorzeitigkeit der Handlung des Nebensatzes gegenüber der des Hauptsatzes ausdrücken. Dies gilt unabhängig davon, welche Tempusform ( P r ä s . , Prät.) im Hauptsatz steht und welcher Form (Perf., Pq.) das afinite Prädikat zuzuordnen ist. Im übrigen sind auch analytische Verbformen und unmarkierte schwache Präteritalformen (vgl. / e r ö r t e r t / = / e r örterte, erörtert hat, erörtert hatte/) in einigen Fällen nicht eindeutig voneinander abgegrenzt. (4) Einzelne Änderungen in der Zeit struktur von Satzgefügen ergeben sich infolge bestimmter Verschiebungen in der Verbindung von Haupt- und Nebensätzen durch Konjunktionen. Bedeutend seltener werden einige archaische Typen konjunktionaler Verbindung von Haupt - und Nebensatz (vgl. /da, do/). Gleichzeitig nehmen die durch /nachdem/ eingeleiteten Nebensätze stark zu. Auch die funktionalen Grenzen des Gebrauchs dieser Konjunktion werden erweitert: Im zweiten Zeitraum erscheint sie bereits in den unterschiedlichsten Gattungen. (5) Auch im zweiten Zeitraum bleibt die Möglichkeit des Gebrauchs gleichartiger Tempusformen in Satzgefügen mit temporalen Nebensätzen, die durch /nachdem/ eingeleitet werden, erhalten. Umgekehrt können weiterhin unterschiedliche Tempusformen in Verbindung mit Konjunktionen gebraucht werden, die wie /indem/ die Gleichzeitigkeit der Handlungen des Haupt - und Nebensatzes ausdrücken. Wie früher braucht also die Bedeutung der Konjunktionen nicht mit der der Tempusformen zusammenzufallen. (6) Sowohl im ersten wie im zweiten Zeitraum gibt es typische Beziehungen zwischen der Verteilung der Tempusmodelle und der allgemeinen temporalen Semantik bestimmter Textgruppen. So werden die Modelle mit Präsens-, Perfekt- und Futurformen in ihren verschiedenen Kombinationen in solchen Texten bevorzugt, deren Leitform das Präsens ist. Gleichzeitig sind temporale Nebensätze am vielfältigsten und häufigsten in den l i t e r a r i s c h e n Quellen, d. h. in den Volksbüchern und den Romanen. Leider erlaubt das Untersuchungsmaterial vielfach keine abschließenden und endgültigen Urteile über den Gebrauch der Tempusformen in Satzgefügen. Beim Vergleich der zwei Untersuchungszeiträume wird aber deutlich, daß das S y s t e m der Ausdrucksmittel der Zeitkategorie des Verbs und der G e b r a u c h der betreffenden Mittel dynamischen Veränderungen unterliegen. Dabei vollzieht sich die Vereinheitlichung der A u s d r u c k s f o r m e n der Zeitkategorie des Verbs jedoch in rascherem Tempo als die Vereinheitlichung des G e b r a u c h s dieser Formen. Die Herausbildung verschiedener

117 Typen grammatischer Normen erfolgt also nicht gleichmäßig. In diesem Zusammenhang spielt auch das Fehlen ernsthafter Versuche zur Normierung des Tempusgebrauchs eine wesentliche Rolle. So gibt es in den führenden deutschen Grammatiken 38 des 17. und 18. Jahrhunderts (Schottel, Bödiker und Gottsched) keine direkten Hinweise auf die geltenden Regeln für den Tempusformengebrauch. Hier werden traditionellerweise hauptsächlich die Formen der einzelnen Verben normierend beschrieben und der Formenbestand der Tempusparadigmen fixiert. Dieser Befund spiegelt bis zu einem gewissen Grade den erreichten Stand und die historische Abfolge der Normierungsprozesse im Bereich der Tempusformen des deutschen Verbs wider. Er gilt im übrigen in bestimmten Umfang noch für die deutsche Gegenwartssprache. Auch hier wirken auf den Gebrauch der Tempusformen, und zwar vor allem der der Vergangenheit, so zahlreiche und komplizierte Faktoren ein, daß er in bestimmten Bereichen in der Praxis widersprüchlich bleibt und durch die lingu39 istische Theorie nicht klar zu erfassen ist.

118

Anmerkungen zu Teil I

1

Vgl. in der russischen Linguistik die Abgrenzung der Geschichte der Sprachstruktur und der Sprachverwendung, zum Beispiel bei G. O. Vinokur (s. Izbrannye raboty po russkomu jazyku) Moskva 1959, S. 207 f.

2 Vgl. den ähnlichen Standpunkt bei K. B. Lindgren, Über den oberdeutschen P r ä t e ritumschwund. Helsinki 1957 (Annales academiae scientiarum Fennicae, Ser. B, T. 112,1) S. 34. 3 G. Ising, Zur Wortgeographie spätmittelalterlicher deutscher Schriftdialekte. Berlin 1968; W. Besch, Sprachlandschaften und Sprachausgleich im 15. Jahrhundert. München 1967; M. M. Guchmann, Der Weg zur deutschen Nationalsprache. Bd. 2, Berlin 1967, S. 62-65, 109-111; M. M. Guchmann, Die Sprache der deutschen politischen Literatur in der Zeit der Reformation und des Bauernkrieges; Berlin 1974, S. 106-139. 4 R. Schützeichel, Untersuchungen zur mittelrheinischen Urkundensprache des 13. bis 16. Jahrhunderts, in: Nassauische Annalen. Bd. 67, Wiesbaden 1956. 5 M. M. Guchmann, Die Sprache der deutschen politischen Literatur (1974) S. 139. 6 Vgl. das aufschlußreiche Material in der Arbeit von H. Winkler, Der Wortbestand von Flugschriften aus den Jahren der Reformation und des Bauernkrieges^- Berlin. 1975, besonders Teil IV, S. 231 ff. 7 Der bedeutende Grammatiker H. Brinkmann schreibt hierüber: "Inzwischen droht die Literatur zum Tempussystem unübersehbar zu werden1; H. Brinkmann, Die deutsche Sprache. 2. Aufl., Düsseldorf 1974, S. 322. 8 M. D. Natanzon, Otnositel'noe upotreblenie vremen v sovremennom nemeckom jazyke (upotreblenie pljuskvamperfekta), kand. d i s s . , Moskva 1948; E . N. Ivannikova, Pljuskvamperfekt v sovremennom nemeckom jazyke, kand. diss., Kiev 1969; Ju. L. Levitov, Sredstva vyraienija buduSiego vremeni v sovremennom nemeckom jazyke, kand. diss., Kalinin 1969; V. A. ¿erebkov, Sposoby vyraienija otnositel'nogo budus£ego v sovremennom nemeckom jazyke, kand. diss. Leningrad 1966; S. Ju. Plauäinajtis, Vyraienie otnositel'nogo vremennogo znafenija predSestvovanija formami pljuskvamperfekta, infinitiva n i perfekta v nemeckom jazyke, kand. diss., Moskva 1971; L. Saltveit, Studien zum deutschen Futur. Bergen, Oslo 1962. 9

H. Weber, Das Tempussystem des Deutschen und des Französischen.- Bern 1954; D. Wunderlich, Tempus und Zeitreferenz im Deutschen. München 1970 (Linguistische Reihe. Bd. 5); H. Hempel, Über Bedeutung und Ausdruckswert der deutschen Vergangenheitstempora, in: Festgabe Ph. Strauch. Halle 1932, S. 1-29; M. Jackson, Studien zum Präteritalsystem im Deutschen, D i s s . , Münster 1959; E . I. Sendel's, Grammatiieskaja sinonimija na baze morfologii glagola v sovremennom nemeckom jazyke, dokt. diss., Moskva 1964; Ju. M. Kazanceva, Malaja sistema pro§ed£ich vremen v sovremennych germanskich jazykach, kand. diss., Moskva 1973. 10 V. A. ¿erebkov, Grammaticeskaja kategorija vremeni v sisteme nemeckogo glagola, dokt. diss., Kalinin 1971 (mit vollständigem Literaturverzeichnis). 11

H. Weinrich, Tempus, Besprochene und erzählte Welt. Stuttgart 1964; D. Wunderlich, Tempus und Zeitreferenz im Deutschen. München 1970; U. Hauser-Suida, G. Hoppe-Bengel, Die Vergangenheitstempora in der deutschen geschriebenen Sprache der Gegenwart. Düsseldorf, München 1972 (Heutiges Deutsch, Reihe I, Bd. 4).

119 12

K. B . Lindgren, Über den oberdeutschen Präteritum Schwund. Helsinki 1957.

13

S. die Arbeiten von H. Brinkmann, H. Weinrich, K. B . Lindgren u. a.

14

S . Der Große Duden, Grammatik. 3. Aufl., Mannheim, Wien, Zürich 1973, S. 88.

15

H. Brinkmann, Die deutsche Sprache (1974) S. 347 (mit Hinweisen auf Lindgren und Weinrich).

16

S . Der Große Duden (1973) S. 88.

17

O. A. Smirnickaja, Proischozdenie analitiSeskich form perfekta v drevnich germanskich jazykach, kand. diss. Moskva 1965; A. J . F . Ziegelschmid, Zur Entwicklung der Perfektumschreibung im Deutschen, Language Dissertation published by the Linguistic Society of America 6. Philadelphia 1929; M. Kleiner, Zur Entwicklung der Futur-Umschreibung werden mit dem Infinitiv. Berkely University of California Press 1925 (University of California Publications in Modern Philology, Bd. 12, Nr. 1); T . V. Stroeva-Sokol'skaja, Razvitie budusiego vremeni v nemeckom jazyke, "Uc. zapiski LGU, serija filol. nauk", vyp. 5. 1941, 166-196.

18

M. S. Veden'kova, Vyraienie vremennoj sootnesennosti dejstvija v drevneverchnenemeckom i sredneverchnenemckom jazykach, kand. diss. Moskva 1953; E , E . §iemeleva, Razvitie upotreblenija vspomogatel'nych glagolov haben i sein v analitiieskich vremenach perfekta i pljuskvamperfekta i voprosi jazykovoj nor malizacii, kand. diss. Moskva 1956.

19

Varianz und Stabilität des Gebrauchs einzelner Tempusformen können übrigens nicht nur in bestimmten Texten, sondern auch unter bestimmten linguistischen Bedingungen untersucht werden, zum Beispiel innerhalb einiger Modelle von Satzgefügen.

20

G. Schieb, Der Verbkomplex aus verbalen Bestandteilen, in: Zur Ausbildung der Norm der deutschen Literatursprache. Bd. 1, Berlin 1976, S. 131 f .

21

Nach den Feststellungen von G. Schieb, die ebenfalls das verbale Prädikat in diedem Zeitraum untersucht hat, beträgt die Häufigkeit des Futurs II für den ersten chronologischen Schnitt 0,8 % aller dreigliedrigen verbalen Konstruktionen. Um 1700 ist seine Häufigkeit fast auf das Doppelte angewachsen (1,5. 1 . 7 % ) , bleibt aber insgesamt gering; s. G. Schieb, Der Verbkomplex aus verbalen Bestandteilen, ebd. S. 210.

22

Unter Grund- oder Leitform verstehen wir eine Tempusform, die die in einer bestimmten Quelle vorherrschende Zeitebene charakterisiert. In der Regel handelt es sich zugleich auch um die häufigste Tempusform der betreffenden Quelle.

23

Vgl. ausführlich hierzu K. B . Lindgren, Über den oberdeutschen Präteritumschwund. Helsinki 1957.

24

Überdies bezweifelt Lindgren nicht ohne Grund, daß die im präteritalen Kontext vereinzelt auftretenden Präsensformen immer als "historisches Präsens" aufzufassen seien. Nach seiner Ansicht kann es sich um ein Präsens handeln, das als Folge der bekannten Unsicherheit im Gebrauch der Tempora auftaucht. Dabei zeigt sich diese Unsicherheit am häufigsten in Werken, deren Verfasser "nicht als hochgebildet gelten können", s. K. B . Lindgren, Über den oberdeutschen Präteritumschwund (1957), S. 114.

25

N. N. Semenjuk, Problema formiravanija norm nemeckogo literaturnogo jazyka. Moskva 1967, S. 143, 147, 226, 259 u. ö.

26

Vgl. N. N. Semenjuk, ebd. S. 191.

27

G. Schieb, Der Verbkomplex aus verbalen Bestandteilen, in: Zur Ausbildung der Norm der deutschen Literatursprache. Bd. 1, Berlin 1976, S. 219.

120 28 Dieser Umstand ist bei der Auswertung der gewonnenen Zahlenangaben zu beachten, weil eine relativ geringe Menge von Perfekt - und Plusquamperfektformen in einigen Texten durch besondere Produktivität der afiniten Konstruktionen teilweise kompensiert sein kann (vgl. dazu unten die Analyse der wissenschaftlichen Fachprosa). 29

In Übereinstimmung mit V. G. Admoni, Razvitie struktury predloienija v period formirovanija nemeckogo nacional'nogo jazyka. Leningrad 1966, S. 12 f f . , werden analytische Verbformen der Vergangenheit (Perfekt, Plusquamperfekt) dann "afinit" genannt, wenn bei ihrer Verwendung im Nebensatz die Nennung der finiten Form des Hilfsverbs unterbleibt. Von der analytischen Verbform bleibt in diesen Fällen also nur das Partizip erhalten. Diese Erscheinung ist in der geschriebenen deutschen Sprache des 16. - 18. Jahrhunderts recht verbreitet, vgl. für das 18. Jahrhundert N. N. Semenjuk, Problema formirovanija norm nemeckogo literaturnogo jazyka X V m stoletija, Moskva 1967, S. 174 f f . sowie N. N. Semenjuk, Zur stand und Evolution der grammatischen Normen des Deutschen in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts, in: Studien zur Geschichte der deutschen Sprache. Berlin 1972, S. 133 ff. Die gleiche Konstruktion begegnet auch noch in der deutschen Gegenwartssprache, vgl. die Untersuchung von L . G. ¿idovceva, Afinitnaja konstrukcija v nemeckoj chudo£estvennoj literature XIX-XVm v v . , Autorreferat der Kand. Diss. Leningrad 1977. Weit seltener fehlt eine Präsens- oder Präteritalform der Kopula beim Prädikatsnomen. Solche Fälle werden in unseren Zählungen nur bei gehäuftem Auftreten berücksichtigt, darauf wird an entsprechender Stelle besonders hingewiesen. Das Zahlenverhältnis der finiten und afiniten Prädikate bezieht sich naturgemäß jeweils nur auf die Nebensätze.

30

Nach den Ergebnissen von G. Schieb sind gattungsabhängige Gebrauchsunterschiede im Futurbereich vor allem in der hohen Frequenz der Futurformen in Brieftexten begründet, für die sie für die Zeit um 1700 ungefähr 12 % der Gruppe VF + Inf feststellt, s. G. Schieb, Der Verbkomplex aus verbalen Bestandteilen, in: Zur Ausbildung der Norm der deutschen Literatursprache. Bd. 1, Berlin 1976, Tabelle S. 139. In den anderen Gattungen ist die Frequenz der Futurformen geringer.

31

Vgl. N. N. Semenjuk, Problema formirovanija norm nemeckogo literaturnogo jazyka. Moskva 1967, S. 193, 231, 267 u. ö.

32

Vgl. zur Charakteristik dieser Erscheinungen für den ersten Untersuchungszeitraum Teil I, Kapitel 3, S. 62 ff., sowie zu den Problemen des Modusgebrauchs Teil n, S. 128f.

33

Es ist selbstverständlich nicht ausgeschlossen, daß die wirkliche Zahl der Kombinationsmöglichkeiten höher liegt, als sie aus den analysierten Textausschnitten festzustellen war.

34

Zu erwähnen ist, daß nach den Untersuchungen von G. Schieb, Der Verbkomplex aus verbalen Bestandteilen, in: Zur Ausbildung der Norm der deutschen Literatursprache. Bd. 1, Berlin 1976, S. 125, um 1500 in den Chroniktexten der Prozentsatz der verbalen Fügungen aus zwei Elementen besonders hoch ist. In dieser Beziehung nähern sich die Chroniken den Flugschriften und der Fachprosa.

35

Vgl. G. Schieb, Verbkomplex, ebd. S. 127.

36

J. Chr. Gottsched, Grundlegung einer deutschen Sprachkunst. Leipzig 1752, S. 298.

37

G. Schieb, Verbkomplex, a. a. O. S. 209.

38

J. G. Schottel, Ausführliche Arbeit von-Der teutschen Haubt Sprache, 1663, Tübingen 1967, 2 Bde.; Johann Bödiker, Grundsätze der teutschen Sprache . . . verbessert und vermehrt von Joh. L . Frisch. Berlin 1729; J. Chr. Gottsched a. a. O.

121 39 Vgl. hierzu eine Bemerkung Lindgrens: "Die Verwendung der Vergangenheitstempora ist im Deutschen bekanntlich eine recht unklare Sache; feste, eindeutige Regeln für ihre Verteilung lassen sich nicht aufstellen" K. B. Lindgren, Über den oberdeutschen Präteritumschwund. Helsinki 1957, S. 10 (vgl. ferner S. 34 ff.).

Einführende Bemerkungen

1 Die historische Herausbildung des heutigen Gebrauchs der deutschen Modusformen wurde durch die Opposition zweier grundlegender verbaler Paradigmen bestimmt, des Indikativs und des Konjunktivs. Die geschichtlichen Wandlungen des Modusgebrauchs betrafen vor allem das Formensystem und die Gebrauchsnormen des Konjunktivs. Offensichtlich war der Konjunktiv trotz seiner beständigen Mehrdeutigkeit in allen Etappen der deutschen Sprachgeschichte funktional stärker markiert als der Indikativ. Es ist wohl kein Zufall, daß die Aufhebung der modalen Opposition von Indikativ und Konjunktiv meistens (eine Ausnahme ist das Indikativparadigma des Futurs) durch das Eindringen von Indikativformen in die Gebrauchssphäre des Konjunktivs erfolgte. Das kann z. B. an den finalen Nebensätzen oder an den Konstruktionen der indirekten Rede beobachtet werden. Daher darf der Konjunktiv ganz offensichtlich als das stärkere und folglich auch für sich deutlicher markierte Glied der modalen Opposition charakterisiert werden. Deswegen muß "weh die historische Analyse des Systems der Konjunktivformen und der Gesetzmäßigkeiten ihrer Funktion in einer wissenschaftlichen Untersuchung der Entwicklung der heutigen grammatischen Normen im Bereich der Modusformen einen zentralen Platz einnehmen. Ein solches Vorgehen ist schließlich auch aus dem Grunde notwendig, weil viele Probleme des Konjunktivgebrauchs insbesondere für das 16. und 17. Jahrhundert noch immer strittig oder unklar sind. In diesem Zusammenhang ist es kennzeichnend, daß auch die Frage der Gebrauchsnormen des Konjunktivs in der deutschen Gegenwartssprache in den verschiedenen grammatischen Untersuchungen keineswegs einheitlich beurteilt wird. Im Vorwort zu den "Empfehlungen zum Gebrauch des Konjunktivs", die eine Kommission des Instituts für deutsche Sprache in Mannheim/BRD zusammengestellt hat, wird die Kompliziertheit und das Schwanken der Regeln für den Konjunktivgfebrauch in der Gegenwartssprache betont: "Es wurde bewußt die Form der Empfehlung gewählt, statt eine starre Regelung zu empfehlen, dies um so mehr, als gerade beim Gebrauch des Konjunktivs die Problematik 'noch möglich - nicht mehr möglich - schon möglich' eine besonders große Rolle spielt. Vielfach sind hier die grammatischen Kategorien zu stilistischen geworden und je nach dem Zweck der Mitteilung, je nach Partner, nach Bildungsgrad, Beruf und Alter des Schreibers, je nach der Situation wird unter den zur Verfügung stehenden Mitteln verschieden ausgewählt."* Dem ist hinzuzufügen, daß der Gebrauch des Konjunktivs im übrigen durch viele rein sprachliche Faktoren bedingt ist: Die konjunktivische Ausgestaltung der indirekten Rede hängt so bekanntlich von der Zeitform

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M. M. Guchmann

des Prädikats des Hauptsatzes, von der Person des Sprechenden und vom Vorhandensein oder Fehlen einer Einleitung der indirekten Rede ab. Andrerseits wirken auch auf die Wahl einer bestimmten Konjunktivform im konkreten Redeabschnitt verschiedene weitere Faktoren ein, darunter der Grad der formalen Kennzeichnung der ausgewählten Form und teilweise auch traditionelle regionale Unterschiede. So wird z. B. angenommen, daß in Norddeutschland in der indirekten Rede präteritale Konjunktivformen 2

in festem Gebrauch sind , während in der Literatursprache anderer Gebiete hier P r ä sensformen vorherrschen. Unter diesen Umständen begegnen also in der Gegenwartssprache in gleichartigen Kontexten unterschiedliche Formen, die den Status grammatischer Synonyme haben; so können z. B. in finalen Nebensätzen vier synonyme Formen auftreten: der Konjunktiv des Präsens und des Präteritums oder der Indikativ des P r ä sens und des Präteritums, vgl.: (1) /Und alles Volk kam vor Mose, daß er ihm das Mitgebrachte überhändige 3/; (2) /Wir schrieben das in unsere Wachstuchhefte, damit 4 wir es mehr oder weniger getrost nach Hause trügen / ; (3) /O Mama, vertraue es dem 5 guten Papa ganz vorsichtig an, damit er es in die Familienpapiere schreibt / ; (4) / . . . damit das galte Haus . . . den Kundenbesuch eines . . . Musikus empfing, jler sicher gehen wollte / . E s ist sehr wichtig für den Status der Modalformen im Neuhochdeutschen, daß alle angeführten Beispiele Werken nur eines Autors entnommen wurden - Thomas Manns. Daraus folgt, daß die finale Perspektive, die den vorgeführten Äußerungstyp bestimmt, grammatisch auf unterschiedliche Weise realisiert werden kann und daß die in den Texten benutzten Verbformen eine Synonymenreihe darstellen. In der Einleitung zur vorliegenden Arbeit wurde die Ungleichartigkeit der Normen im Bereich verschiedener grammatischer Strukturen und in unterschiedlichen grammatischen Kategorien behandelt. Die grammatische Norm ist je nach dem Niveau und Charakter der Variantenbildung mehr oder weniger streng und verpflichtend. Die morphologischen Paradigmen unterliegen im System der gegenwärtigen deutschen Literatursprache einer streng kodifizierten Norm, die die Existenz von Varianten nur in minimalem Umfang gestattet. Das gilt sowohl für einzelne isolierte Wortformen als auch für paradigmatische Reihen, also für alle Einheiten des Deklinations- und Konjugationssystems der deutschen Gegenwartssprache. Das Funktionieren dieses Systems in der Sprachanwendung unterliegt jedoch sehr viel komplizierteren Gesetzmäßigkeiten; dies gilt in besonderem Maße für das Funktionieren des so komplizierten Mikrosystems der modalen Opposition. Daher ist der Normbegriff in bezug auf das gegenwärtige Modussystem nur bedingt anwendbar, die Norm läßt insbesondere auf der Funktionsebene eine Vielzahl von Varianten zu. Dieser Status der heutigen Modalformen bestimmt in erheblichem Maß den Charakter und die Richtung der Aufgabenstellung einer historischen Untersuchung.

Modus

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2

In der Herausbildung eines jeden grammatischen Mikrosystems lassen sich Prozesse, die sich auf den formalen und auf den funktional-inhaltlichen Aspekt beziehen, voneinander unterscheiden. Die Standardisierung der Komponenten eines Formensystems übertrifft häufig die Standardisierung auf der funktional-inhaltlichen Ebene. Das System der Formen, die die Paradigmen des Indikativs und des Konjunktivs bilden, hat sich im wesentlichen bereits vor der Zeit entwickelt, die in der vorliegenden Arbeit die erste historische Untersuchungsperiode (1470-1530) darstellt. Beim Konjunktiv entwickelten sich die späten Glieder dieses Systems, der Konditional I und das Futur I, schon in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts zu relativ gebräuchlichen Formen. Der Konditional I begegnet - nach den Materialien der Arbeit von A. J a . 7 Lurija zu urteilen - einigermaßen regelmäßig seit der Mitte des 15. Jahrhunderts; allerdings ist seine Gebrauchshäufigkeit nach Lurija sowohl vom Genre der Quellen wie von ihrer regionalen Zugehörigkeit abhängig. Die Beobachtungen Lurijas sind dahin zu ergänzen, daß der Konditional I und vor allem der Konjunktiv des Futurs I auch noch in der von uns behandelten Periode (1470-1530) eine periphere Stellung einnehmen (s. die Tabellen im folgenden Abschnitt). Diese Bemerkung greift jedoch schon vor auf die Ergebnisse unserer Analysen verschiedener Textgattungen aus den wichtigsten deutschen Sprachlandschaften dieser Zeit. In noch höherem Maße gilt das Gesagte für den Konjunktiv des Futurs II und für den Konditional n g(s. die Tabellen). Der Konditional n wurde überhaupt nur ein einziges Mal in TrM festgestellt, der Konjunktiv Futur II fehlt im untersuchten Textkorpus völlig. Während sich der Formenbestand, abgesehen von der relativen Häufigkeit, auch insgesamt dem gegenwärtigen Standard angenähert hat, bietet doch der Gebrauch der F o r men in den verschiedenen Texten unserer ersten Periode ein äußerst buntes Bild. Der Bestand der Konjunktivformen einzelner Denkmäler weist mitunter erstaunliche Unterschiede auf. So wurden z. B . im Traktat von U. Zwingli "Von erkiesen vnd fryheit der spysen" (TrZw) von 1522 in dem von uns ausgewählten Abschnitt (Umfang ungefähr 1 Druckbogen) insgesamt 81 Konjunktivformen festgestellt, darunter 56 Präsensformen, 17 Präterital-, 3 Perfekt- und 3 Plusquamperfektformen. Im Unterschied zur Sprache dieses Textes dominiert in den chronikartigen Aufzeichnungen Spittendorffs (ChrSp) von etwa 1474 der Konjunktiv des Plusquamperfekts: unter 136 Konjunktivformen sind 72 Plusquamperfekt- und 48 Präteritalformen; das Präsens ist fünfmal, das Perfekt nur einmal vertreten. Ob sich hier Einflüsse des Genres oder die Verschiedenheit lokaler Traditionen der deutschen Schreibsprache des Südwestens (Zwingli) und des ostmitteldeutschen Gebiets (Spittendorff) oder aber etwa zeitliche Unterschiede ausgewirkt haben, ist unklar und bedarf spezieller Untersuchung (s. das folgende Kapitel). Doch

M. M. Guchmann

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vermutlich spiegeln die quantitativen Unterschiede auch eine qualitativ verschiedene Schichtung des Modalfeldes wider. Wenn konjunktivische Plusquamperfektformen bei Zwingli nur dreimal erscheinen, bei Spittendorff aber dominieren, andererseits Konjunktivformen des Präsens im Traktat von Zwingli absolut Vorherrschen, in den Aufzeichnungen Spittendorffs aber nur mit fünf Belegen vertreten sind, dann ist zu vermuten, daß der Funktionsbereich der gleichen Formen bei beiden Autoren unterschiedlich geordnet war. Man darf wohl annehmen, daß die häufigeren Formen die Funktionen der für die betreffende Quelle unproduktiven Konjunktivformen mit übernommen haben. Die Antwort auf diese Frage kann allerdings nur auf der Grundlage einer genauen Prüfung der Kontexte, in denen die betreffenden Formen bezeugt sind, gewonnen werden (s. die folgenden Kapitel). Obwohl der allgemeine Bestand an Konjunktivformen, wie oben schon erwähnt wurde, in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts annähernd den gegenwärtigen Verhältnissen entsprach, bedarf die genaue, durch ihre inhaltliche Struktur bestimmte Position jeder Form im Paradigma einer eingehenden Untersuchung. Das ist um so notwendiger, als die Bedeutungsstruktur der grammatischen Kategorie des Konjunktivs im Vergleich mit dem Indikativ auch in den untersuchten Perioden einen sehr komplizierten, mehrstufigen Komplex darstellt. Daher ist die Ermittlung irgendeiner inhaltlichen Invariante äußerst kompliziert und bisweilen wohl auch gar nicht möglich. Mehrdeutigkeit charakterisiert den Konjunktiv bereits in den ersten deutschsprachigen Denkmälern, ja sie ist ein allgemeines typologisches Charakteristikum des Verbsystems der altgermanischen Sprachen. Eine Bemerkung vonW. Schmidt über die Uneindeutigkeit und Verschwommenheit der semantischen Merkmale des Konjunktivs in der deutschen Gegenwartssprache trifft ganz und gar auch auf die Verhältnisse in früheren Perioden der deutschen Sprachgeschichte zu. Schmidt schreibt zu diesem Problem: "Auf die erste Schwierigkeit stoßen wir bei dem Versuch, die Funktion des Konjunktivs in einer möglichst einfachen Definition zu fassen. Das ist deshalb schwie9

rig, weil die Anwendungsweisen dieses Modus vielfältig sind." Die Definition des grundlegenden differenzierenden semantischen Merkmals des Konjunktivs (in Bestimmungen wie: "der Konjunktiv charakterisiert einen Vorgang als unwirklich, aber doch möglich und unter bestimmten Bedingungen wünschenswert, oder als unmöglich, nicht wünschbar" usw.) wird häufig mit anderen Einteilungskriterien wie z. B. der Unterscheidung des Konjunktivs im Haupt- und Nebensatz (Wilmanns, Paul) oder der Unterscheidung des selbständigen und des nichtselbständigen Konjunktivs (Behaghel) verbunden. Die indirekte Rede bleibt aber in derartigen Schemata außer Betracht. Beispiele des Konjunktivs der indirekten Rede erscheinen jedoch bereits im ahd. Isidor, vgl. /Araugit ist in dhes aldin uuizssodes boohhum dhazs fater endi sunu endi heilac gheist got sii/ (29, 253). 1 0

Modus Offensichtlich charakterisiert die Präsensform des Konjunktivs in diesem Beispiel die im Nebensatz enthaltene Aussage nicht als zweifelhaft oder unwirklich, als bedingt oder nur möglich, da hier das wichtigste Symbol des christlichen Glaubens erläutert wird; der Konjunktiv Präsens hat hier nur die Funktion, die fremde Aussage, die indirekte Rede (im weiten Sinn des Wortes) zu markieren. Der Gebrauch des Konjunktivs in Verbindung mit verschiedenen Varianten der indirekten Rede stellt also ein stabiles Kennzeichen der betreffenden verbalen Kategorie während des ganzen Zeitraums der deutschen Sprachgeschichte dar. E s ändert sich nur, wie das Material der folgenden Abschnitte belegt, der Grad der Verbindlichkeit der Besetzung der indirekten Rede mit dem Konjunktiv und die Auswahl der "Zeit"-Formen. Der Gebrauch des Konjunktivs zur Wiedergabe einer fremden Aussage bewirkt eine höchst komplizierte Bedeutungsstruktur, weil damit in die semantische Sphäre des Konjunktivs eine Funktion eingeführt wird, die nicht unmittelbar mit der klassischen Auffassung der Kategorie der Modalität verbunden ist. Einige Sprachwissenschaftler setzen daher eine besondere Modalität der indirekten Rede an (Moskalskaja, Gulyga). So führt Moskalskaja eine besondere Opposition ein, bei der "unmittelbare Darstellung von Geschehnissen" und "mittelbare Darstellung von Geschehnissen11** gegenübergestellt werden. Die Existenz einer derartigen grammatisch ausgedrückten Opposition ist für die deutsche Sprache nicht zu bestreiten, ebensowenig die Beteiligung des Gegensatzpaares Indikativ/Optativ an dieser Opposition. Jedoch dringt der Indikativ in den verschiedenen Perioden der deutschen Sprachgeschichte gerade in dieser Funktion am intensivsten in den Bereich des Konjunktivs ein, so daß hierdurch die Unfestigkeit, die mangelnde Stabilität eben dieser Opposition deutlich hervortritt. Die Auffassung dieser Opposition als besonderer Spielart der Modalität erweckt Zweifel; sie kann nicht in eine Reihe mit der Opposition gestellt werden, die darauf beruht, daß ein Prozeß entweder als wirklich, vollzogen, real oder als irreal, unwirklich usw. betrachtet wird. Im übrigen ist zu beachten, daß der eigentliche Inhalt der Kategorie des Konjunktivs auch in einigen anderen Fällen, nämlich beim Typus des sogenannten "diplomatischen" Konjunktivs (s. die folgenden Abschnitte), weitestgehend abgeschwächt wird. Eine allgemeine, mehr oder weniger vollständige und genaue, positive Charakteristik des Konjunktivs bereitet daher erhebliche Schwierigkeiten. Daraus erklärt sich auch die verbreitete Tendenz, seine inhaltliche Struktur aufzugliedern und den Konjunktiv je nach den von ihm ausgeübten Funktionen in verschiedene Modi zu zerlegen. Wir verzichten auf eine Analyse der verschiedenen Standpunkte zu dieser Frage, zumal die betreffenden Autoren vorzugsweise mit Materialien der deutschen Gegenwartssprache arbeiten, und verweisen lediglich auf die unbestreitbare Abhängigkeit der B e deutung konjunktivischer Formen von der Struktur und der lexikalischen Besetzung des Kontextes

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. Der Gebrauch des Konjunktivs kann durch den allgemeinen Sinn der

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Aussage veranlaßt sein, und zwar unabhängig davon, ob es sich um einen einfachen oder einen zusammengesetzten Satz handelt oder ob die benutzte Form in einem Haupt satz oder einem Nebensatz steht; der Gebrauch des Konjunktivs kann auch durch die Bedeutung des Verbs, von dem der Konjunktivsatz abhängt, bedingt sein. In den Denkmälern des 15. und 16. Jahrhunderts fordern die Verben /sagen, sprechen, reden, meinen, berichten, hoffen, wissen, denken, wollen/ und einige andere mit größerer oder geringerer Verbindlichkeit im Nebensatz ein Prädikat im Konjunktiv. Bei dieser Sachlage muß für die Inhaltsanalyse der Konjunktivformen auch im Rahmen einer historischen Untersuchung ein weiterer Kontext herangezogen werden. Eine funktionale oder auf die Bedeutung gerichtete Morphologie arbeitet zwar immer mit Begriffen und Kategorien, die in den Grenzbereich von Morphologie und Syntax gehören, besonders wichtig ist die Einbeziehung syntaktischer Parameter jedoch bei der Untersuchung der grammatischen Kategorie des Modus. Hier spielt der syntagmatische Aspekt eine e r s t rangige Rolle. Entsprechend der allgemeinen Zielstellung der Arbeit richtet sich das besondere Interesse auf die Ermittlung usueller Anwendungsmodelle des Konjunktivs und ihrer Varianten sowie auf die Bestimmung der äußeren, z. B. landschaftlichen oder gattungsspezifischen Faktoren, die die Variabilität bedingen. In einem weiten Kontextzusammenhang werden zwischenparadigmatische Beziehungen erforscht (Konjunktiv - Indikativ) das berührt das Problem der Verbindlichkeit des Konjunktivs in bestimmten Kontexten -, aber ebenso auch Oppositionen innerhalb des Paradigmas des Konjunktivs, d. h. die Verteilung seiner sogenannten Zeitformen. Das wiederum betrifft das Verhältnis zwischen den verschiedenen Konjunktivformen und den syntaktischen Modellen, deren wesentliche Kennzeichen sie sind. Besondere Bedeutung wird auch hier der Ermittlung der Häufigkeitsrelationen beigemessen, also der Feststellung der stabilsten Modelle, die für die ganze untersuchte Periode wesentlich waren und Aussicht hatten, in das System der heute usuellen Modelle der Literatursprache einzugehen.

3 Die Analyse des Systems der Konjunktivformen und insbesondere die Bestimmung ihrer Gebrauchshäufigkeit wird durch die Änderungen erschwert, die bis zum 15. Jahrhundert in der Struktur der Wortformen des Konjunktivparadigmas erfolgt waren: Die Glieder dieses Paradigmas hatten, wie die Texte aus der Periode 1470-1530 zeigen, ihre u r sprüngliche Markiertheit teilweise bereits verloren. Im Präsens ist die Opposition der Konjunktiv- und Indikativformen noch am klarsten in der 3. Person Singular ausgedrückt: Ind. /-(e)t/: Konj. / - e / . Diese Opposition ist sowohl im Formensystem der starken

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wie der schwachen Verben erhalten (Besonderheiten weisen die Präteritopräsentia und die sogenannten unregelmäßigen Verben auf). Im Plural sind die Präser.sformen des Indikativs und Konjunktivs dagegen vollkommen zusammengefallen. Das für die 3. P e r son Singular mit den differenzierenden Merkmalen / - ( e ) t / : / - e / gegebene Gegensatzpaar galt jedoch auch in dieser Form nicht als allgemeine Norm: Infolge der Unbeständigkeit des / - e / im absoluten Auslaut des Wortes konnte die 3. Person Singular in vielen Denkmälern verschiedener Gebiete auch durch ein Nullmorphem bezeichnet werden; das Gegensatzpaar / ( e ) t / : Nullmorphem ist daher eine ziemlich verbreitete Variante der Opposition / - ( e ) t / : / - e / . Das Verhältnis beider Varianten in Texten der J a h r e 1470 bis 1530 schwankt in Abhängigkeit von verschiedenen Ursachen, unter denen die landschaftliche Zugehörigkeit des Denkmals eine wichtige, dem Anschein nach aber nicht die entscheidende Rolle spielt landschaftliche Zugehörigkeit des Denkmals eine wichtige Rolle spielt. Die Quellen des 15. und 16. Jahrhunderts aus dem niederdeutschen Gebiet bilden zwei Gruppen: Texte, in denen das erste Modell für die Opposition der Formen der 3. Person Singular absolut vorherrscht, das zweite Modell aber entweder fehlt oder auf ganz vereinzelte Beispiele beschränkt ist - so z . B . in den zwei Volksbüchern "Historie van der vorstorynge der stat Troye" (VbTrg) und "Eyne schone historie van twen kopluden" (VbKop) - , und andererseits Texte wie z . B . das Arzneibuch FprA, in dem die zweite Variante mit der Nullform zwar nur eine untergeordnete Stelle einnimmt, aber immerhin vorkommt. Hier begegnen einerseits Formen wie / n e m e , drinke, wasche, sterve, menge/ usw., andererseits aber auch /bynt, brynck, synt/; diese Varianten stehen in FprA im Verhältnis 26 :6. Fast gar nicht belegt ist die zweite Variante in Texten des westmitteldeutschen Gebiets: so kommt beispielsweise in der Mainzer Chronik (ChrM) auf 32 Belege für die e r s t e Variante, also die Formen auf / - e / , nur eine einzige Nullform. Im Volksbuch von Pontus und Sidonia (VbPS^) sind Formen des Konjunktivs P r ä s e n s nicht häufig: Bezeugt sind 10 Beispiele, unter denen sich ebenfalls nur ein Beleg für die reduzierte Variante befindet. Nimmt man an, daß Ulrich von Hutten der Schreibtradition dieses Gebietes folgte, was etwas zweifelhaft ist, so ist festzuhalten, daß in seinen Werken auch die zweite Variante unseres Modells begegnet. Allerdings spielt sie nur eine untergeordnete Rolle: So ist im Dialog "Die Anschawenden" (D1H) die e r s t e Variante mit 23, die zweite mit 7 Beispielen vertreten. Die e r s t e Variante dominiert auch in Huttens "Clagschrift . . . an alle stend Deutscher nation" (SbrH). Trotzdem scheint Hutten in diesem Punkt von der Schreibtradition seiner Geburtslandschaft abgewichen zu sein und sich dem Gebrauch anderer Gebiete angeschlossen zu haben, in denen das Verhältnis beider Varianten nicht so fest war wie in niederdeutschen und westmitteldeutschen Texten. Aus der Analyse der Texte des ostmitteldeutschen Gebiets ergibt sich ein kompliziertes und nicht eindeutiges Bild. Hier können bedingt drei Textgruppen unterschieden

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werden, die ziemlich deutlich im Gebrauch der beiden Varianten differieren. Zur ersten Gruppe gehören die Denkmäler, in denen die Nullform entweder ganz fehlt oder nicht häufiger als ein- oder zweimal begegnet, so der Dialog Stanb e r g e r s (DISt), das Bergbüchlein von Ulrich Rülein von Calw (FprC) und die Reise beschreibung des Bernhard von Hirschfeld (RsHirsch); bei Spittendorff (ChrSp) sind Präsensformen so selten, daß sein Text in unseren Zählungen nicht berücksichtigt wird. Die zweite Gruppe bilden diejenigen Quellen für die das Nebeneinander beider Varianten charakteristisch ist, bei denen aber die e r s t e Variante doch vorherrscht, wie z. B. im Sendbrief Luthers an den Adel. In diesem Zusammenhang ist nicht uninteressant, daß die zweite Variante in persönlichenBriefen Luthers, z. B. indenenan seine Frau, nur 1 mal begegnet, die erste aber 13mal; mit anderen Worten: In den Briefen an seine Frau ist Luthers Sprache einheitlicher und der heutigen Form näher als in seinem politischen Sendschreiben. Dem Befund in diesem Sendschreiben ähnelt auch das Verhältnis beider Varianten in Frangks" Orthographia" (FprFr), in der die Gruppe mit Nullmorphem durch die Wörter / l e s , setz, moeg, werd, bleyb/ vertreten ist; die Relation beider Varianten ist 6 : 7. Im Pamphlet Müntzers gegen Luther (TrM) begegnen mehrfach die reduzierten Varianten, so / h a b / neben / h a b e / , / w e r d / neben / w e r d e / . Für die dritte Gruppe schließlich ist eine hohe Frequenz der zweiten Variante charakteristisch; ein besonders deutliches Beispiel hierfür liefert das Material des Volksbuchs von Salomon und Markolf (VbSM), in dem die Formen ohne / - e / absolut dominieren, während die e r s t e Variante mit / - e / nur ein einziges Mal vorkommt. Diesem Ergebnis steht das des Dialogs "Vatter vnnd Sun" (D1VS) nahe, in dem das Verhältnis der Kurzformen zu den Vollformen 8 : 4 beträgt. Ein nicht weniger buntes Bild voller und reduzierter Wortformen der 3. Person Singular ergibt für den ersten Zeitraum auch die Analyse der Denkmäler des Südwestens. Im Traktat Zwingiis (TrZw) herrschen die Vollformen absolut vor. Die Endung / - e / fehlt nur in /hab, dorf, mog/ (neben häufigerem / m ö g e / ) , und das Verhältnis der ersten zur zweiten Variante beträgt 32 : 5. Ganz anders in Hieronymus Brunschwigs Buch der Cirurgia (FprBr): Die größte Frequenz zeigt hier die zweite Variante mit 15 Belegen, ihnen stehen 11 Vollformen gegenüber. Noch auffallender ist die Häufigkeit der Kurzformen im Dialog Karsthans (D1K): Sie begegnen hier 17mal, die Vollform nur 6mal; dabei ist die Form / h a b / im analytischen Perfekt (6 Belege) nicht einmal eingerechnet. In der südwestlichen Variante des Volksbuchs vom Till Eulenspiegel (VbEu) kommt die 3. Person Singular Konjunktiv P r ä s e n s selten vor, am häufigsten noch beim Verb / s e i n / ; deshalb ist das Material dieses Textes wie auch das der Reisebeschreibung Hans Stockars (RsSt) nicht aussagekräftig. Die ebenfalls nur wenigen Beispiele aus der

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"Pilgerfahrt" Fabris (RsFab) sind dennoch interessant, weil die zweite Variante 8mal, aber die erste nur zweimal (durch die Form /sehe/) vertreten ist. Bedingt gehört in das südwestliche Gebiet auch der anonyme Sendbrief an die Bauern (SbrVer), dessen Sprachstand unter dem Aspekt der hier behandelten Varianten eine Mittelstellung einnimmt: 22 Vollformen stehen 13 Kurzformen gegenüber, von denen am häufigsten die Kurzform /hab/ erscheint (7 Belege und zusätzlich 2 Belege im analytischen Perfekt). Offenbar ist die zweite Variante am stabilsten in Texten der Augsburger Tradition, so in beiden Augsburger Chroniken, im Volksbuch Fortunatus, aber auch im Dialog von Hans Sachs. In ChrA^ fehlt die erste Variante völlig, die zweite begegnet lOmal (außerdem 23 Belege für /hab/ im analytischen Perfekt); in der zweiten Augsburger Chronik (ChrAg) erscheint die erste Variante in zwei Beispielen (/neme/ und /werde/ im analytischen Futur), die zweite Variante lOmal; im Fortunatus (VbF) steht 13mal die zweite Variante (und dreimal /hab/ im analytischen Perfekt), die erste Variante ist nur viermal bezeugt; im Dialog von Hans Sachs (DIHSj) kommt auf 9 Belege für die zweite Variante (dazu zweimal /werd/ im Passiv) nur ein Beleg für die Vollform. Ganz entgegengesetzte Verhältnisse zeigen die zwei anderen Denkmäler dieser Periode, die in den Südosten, nach Österreich und Bayern gehören, die aber nicht nur in den Konjunktivformen, sondern auch bei den Gliedern anderer paradigmatischer Reihen eine sehr abgeschwächte Wirkung der Reduktion erkennen lassen. Die österreichische Fassung von VbPSg bietet acht Belege für die erste Variante, zwei für die zweite. In der "Tewtsehen Theologey" (TrCh) Bertholds von Chiemsee wird die dominierende Rolle der ersten Variante in der Relation von 31 Vollformen zu 9 Kurzformen (nicht gerechnet dreimal /hab/ im analytischen Perfekt und einmal /werd/ im analytischen Futur) ganz deutlich. Das durchgesehene Material erlaubt folgende Schlüsse: (1)Die zwei möglichen Varianten der Bildung der 3. Person Singular des Konjunktivs Präsens verteilen sich nicht auf genau begrenzte landschaftliche Bereiche und bilden keine getrennten Isoglossen. (2) Fast in jedem Gebiet begegnen Texte, die anscheinend den Einfluß verschiedener, teilweise diametral entgegengesetzter schreibsprachlicher Traditionen widerspiegeln; das zeigte sich im Südwesten am Vergleich des Traktats Zwingiis mit dem Dialog Karsthans, im Südosten am Vergleich von Texten der Augsburger Tradition mit anderen Denkmälern dieses Gebiets. (3) Am einheitlichsten ist der Sprachgebrauch der westmitteldeutschen Texte; hier herrscht eindeutig die Vollform, die in der Folge zum Merkmal der grammatischen Norm der nationalen deutschen Literatursprache wurde. (4)Es wird kein Zufall sein, daß das ostmitteldeutsche Gebiet, dessen Schreibtradition sich unter dem Einfluß zweier sprachlicher Ströme (mit den territorialen Ausgangs-

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Zentren Mainz im Westen und Augsburg/Nürnberg im Süden) herausgebildet und entwickelt hat, so starke Schwankungen im Bereich der untersuchten Varianten zeigt. (5)Es kann kaum mit Bestimmtheit behauptet werden, daß auf das Verhältnis der beiden Varianten die Gattung der Quellen Einfluß hatte. Bemerkenswerterweise zeigen jedoch Quellen der volkstümlichen Gattungen, wie die Volksbücher und Dialoge, in einzelnen Gebieten (im Südwesten und im ostmitteldeutschen Bereich) eine besondere Neigung zu den Kurzformen (s. o.). Doch auch bei der Klärung dieser Frage muß unbedingt die Kompliziertheit des Verhältnisses der verschiedenen grammatischen Gebrauchsweisen in der behandelten historischen Periode beachtet werden: Keine der konkurrierenden Varianten besaß in dieser Zeit ein solches Prestige, daß sie in der Lage gewesen wäre, die andere auf dem ganzen Gebiet der deutschen Literatursprache zu verdrängen. Untersucht man den Grad der Markiertheit der Konjunktivformen in der ersten Periode, so müssen dabei die unterschiedlichen formalen Voraussetzungen der einzelnen Verbklassen berücksichtigt werden. .Während im Präsensparadigma der schwachen Verben der Gegensatz der Indikativ- und Konjunktivformen der 3. Person Singular nur in Form der Opposition /-(e)t/ : / - e / oder Nullform realisiert werden konnte, wirkte im entsprechenden Paradigma vieler starker Verben als zusätzliches Merkmal der Vokalunterschied. Er entstand dadurch, daß in der Form des Konjunktivs Vokaländerungen, die in bestimmten Klassen der starken Verben im Indikativ auftreten, fehlten: vgl. /helfen/ Ind. / h i l f - t / - Konj. /helf-(e)/, / f a r e n / Ind. / f e r t / - Konj. / f a r - ( e ) / usw. In noch stärkerem Maße wirkt sich der Formenunterschied zwischen starken und schwachen Verben im Paradigma des Präteritums aus. Bei den schwachen Verben sind die Formenreihen beider Modi im Präteritum völlig zusammengefallen und haben ihre differenzierenden Merkmale verloren. Bei den starken Verben konnte sich der Unterschied der Modusformen nicht nur in den Personalendungen, sondern auch im Wortstamm zeigen. Die 1. und 3. Person des Indikativs hoben sich durch ein Nullmorphem von den entsprechenden Konjunktiven auf / - e / ab. Das Schicksal dieses / - e / ähnelte in den Denkmälern des 15. Jahrhunderts übrigens ziemlich dem der Endung / - e / in der 3. Person Singular Präsens. Auch hier gab es also zwei Varianten, mit der Endung / - e / und ohne sie, nur mit dem Unterschied, daß das Fehlen des / - e / im Konjunktiv Präteritum die Funktion der Moduskennzeichnung nicht erfüllen konnte: In der Opposition der Indikativform / l a s / und der Konjunktivform / l a s / fehlte beiden Gliedern gleichermaßen ein äußeres Flexionsmerkmal. Bei den Varianten mit und ohne / - e / im Konjunktiv Präteritum wiederholen sich in gewissem Maße die Regelmäßigkeiten, die schon für die entsprechenden Präsensformen festgestellt worden sind. Im niederdeutschen Gebiet dominieren die Vollformen, verein-

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zelte reduzierte Varianten finden sich beim Präteritum von /sein (wer)/. In dem Arzneibuch (FprA), das sich, wie das oben angeführte Material gezeigt hat, von anderen niederdeutschen Texten durch das Vorhandensein reduzierter Präsensformen unterscheidet, fehlen Präteritalformen praktisch völlig. Im westmitteldeutschen Gebiet ist dagegen das Verhältnis der Varianten im Präteritum und im Präsens nicht identisch. Während die zweite Variante im Präsens praktisch fehlt, wird sie im Präteritum durch die Form / w e r / vertreten: in der Mainzer Chronik (ChrM) begegnet sie 14mal, während / w e r e / nur 4mal vorkommt; Formen auf / - e / von anderen Verben sind 7mal bezeugt, reduzierte Formen von anderen Verben fehlen. Eine derartige Verteilung der Präteritalvarianten im Singular ist jedoch nicht für alle Quellen dieses Gebiets charakteristisch. Im Volksbuch "Pontus und Sidonia" (VbPSj) gibt es 26 nichtreduzierte Formen, darunter 18mal / w e r e / (außerdem 5mal / w e r e / im analytischen Plusquamperfekt), die reduzierten Formen / w e r , hett, mocht/ sind nur durch 7 Belege vertreten (außerdem 6mal / h e t t / und 2mal / w e r / im analytischen Plusquamperfekt). In Texten aus dem ostmitteldeutschen Gebiet unterscheidet sich das Verhältnis der Vollformen und der reduzierten Formen im Präteritum etwas von dem im Präsens. Keine reduzierten Formen im Präteritum hat eigentlich nur Spittendorff (ChrSp); in der Reisebeschreibung Hirschfelds (RsHirsch) dominiert mit 23 Beispielen eindeutig die erste Variante, die Kurzform begegnet 6mal; im Dialog Stanbergers (DISt) steht die erste Variante nur 2mal, die zweite aber 7mal, das heißt; die Relation ist der im Präsens beobachteten entgegengesetzt; analoge Verhältnisse weist auch das Bergbüchlein (FprC) auf, in dem es zwar nur wenige Präteritalformen gibt, unter denen aber wiederum die Kurzformen gegenüber den Vollformen überwiegen: vier Beispiele für /mocht/, drei für / w e r / , drei Beispiele für Vollformen. Bei den Texten, die hinsichtlich der Verteilung der reduzierten und der nichtreduzierten Formen im Präsens zur zweiten Gruppe gerechnet wurden, bleibt das festgestellte Verhältnis auch für die Präteritalformen annähernd erhalten: So hat z . B . die Flugschrift Müntzers 18 Vollformen und 8 Kurzformen. Deutlicher unterscheidet sich die Verteilung beider Varianten in Frangks "Orthographia" (FprFr): Im Präteritum herrscht mit 13 Belegen die zweite Variante vor, die erste begegnet nur 7mal. Diese Quelle schließt sich also in der Verteilung beider Varianten im Präteritum unserer dritten Gruppe an (s. o.). Im Dialog "Vatter vnnd Sun" (DlVS)und im Volksbuch über Salomön und Markolf (VbSM) bleibt das Verhältnis der Varianten wie im Präsens: Auch im Präteritum dominieren die Kurzformen, also die zweite Variante (Relation im Dialog 6 : 3, im Volksbuch 11 : 2). Auch für die Texte des Südwestens gelten im Präteritum etwas andere Verhältnisse als im Präsens. Während bei Zwingli (TrZw) im Präsens die Vollformen, absolut vor-

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herrschen, werden im Präteritum beide Varianten gleichberechtigt gebraucht (das Verhältnis ist 8 : 8). In der Reisebeschreibung Fabris (RsFab) bleiben dagegen die Relationen annähernd gleich, 9 Belege stehen für die zweite Variante, nur einer für die erste. Stabil sind die reduzierten Präteritalformen auch in den anderen Texten des Südwestens. In Brunschwigs "Cirurgia" kommt auf 13 reduzierte Formen nur eine Vollform, auch im Karsthans steht eine Vollform neben 20 reduzierten. Völlig fehlen nicht reduzierte Formen auch im Volksbuch " Till Eulenspiegel" (VbEu). In dem anonymen Sendschreiben an die Bauern (SbrVer) dominiert dagegen die nichtreduzierte Variante mit 26 Belegen gegenüber nur 8 Belegen für die Kurzform; beim Vergleich mit der Relation beider Varianten im Präsens liegt der spezifische Anteil der nichtreduzierten Formen im Präteritum etwas höher. Die stärksten Abweichungen von den Verhältnissen im Präsens ergeben sich mithin bei Zwingli und zwar zugunsten der Kurzformen. In Augsburg und im Südosten gleicht das Verhältnis beider Varianten im Präteritum weitgehend dem im Präsens. Die Augsburger Chroniken und das Volksbuch "Fortunatus" kennen fast nur die reduzierten Formen: ChrA^ hat ausschließlich Kurzformen (51 Belege); aus ChrAg wurden 29 Kurz- und 5 Vollformen notiert; in VbF stehen 70 Kurz- neben 15 Vollformen. Dieser Quellengruppe schließt sich auch der Dialog von Hans Sachs (DIHSj) mit 14 Kurzformen und nur einer nichtreduzierten Form an. Die entgegengesetzte Tendenz gilt für das Volksbuch von Pontus und Sidonia (VbPSg), in dem die nichtreduzierten Formen vorherrschen (21 Belege gegen 4 Belege für die zweite Variante). In der "Tewtschen Theologey" (TrCh)Bertholds von Chiemsee ist die zweite Variante bei einem Verhältnis von 6 : 6 im Präteritum gegenüber dem Präsens stärker vertreten. Die Gegenüberstellung der Verhältnisse der beiden Varianten im Präsens und im Präteritum läßt nur geringe Unterschiede in ihrer Frequenz erkennen. Zugleich wird deutlich, daß die Art der Variantenbildung und die Uneinheitlichkeit der Quellen ein und desselben Gebiets für die Präsens- wie auch für die Präteritalformen in gleicher Weise gelten. Das Fehlen eines äußeren Flexionskennzeichens in der 3. Person Singular des P r ä teritums der starken Verben wurde durch die Abwandlung des Wurzelvokals kompensiert. Formen des Typs / h u l f / (VbF) gegenüber dem Indikativ / h a l f / , /stund/ (FprFr) gegenüber dem Indikativ /stand/ und /fund/ (DIHS^) gegenüber dem Indikativ / f a n d / usw. waren ausreichend markiert. Der Lautunterschied, der durch die verschiedenen Ablautstufen der Wurzelsilben im Singular und Plural bei den meisten starken Verbklassen sowie durch Umlautwirkungen des Konjunktivsuffixes bedingt war, bildete ein differenzierendes Merkmal der Indikativ- und Konjunktivformen. Allerdings gab es auch Abweichungen. So konnte z. B. bei den starken Verben der 7. Klasse die Opposition zwischen Indikativ und Konjunktiv in der 3. Person Singular Präteritum durch

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die Wortform allein nicht ausgedrückt werden. In dem Satz /ich wolt ee das ewer P r e diger hieng/ DIHSg kann /hieng/ gleichermaßen als Indikativ- wie als Konjunktivform aufgefaßt werden, und dies um so mehr, als im gegebenen Satzmodell in Texten dieser Zeit beide Modi konkurrierten (vgl. Kapitel 2). Wir beschränken uns auf wenige weitere Beispiele aus der Flugschrift der aufständischen Bauern: In dem Satz /Ob man vns schon etlich artickel yetz zu lyeß, vii hernach sich befendt das vnrectt weren/ TrA 44 gehört /lyeß/ in gleicher Weise zu beiden Modalparadigmen; ebenso /hielt/ in: /Auch gewalt haben den selbigen wider zuentsetzen, wän er sich vngepürlich hieldt/ TrA 40. Aber der Zusammenfall der Wortformen der 3. Person Singular beider Modi ist nicht auf die erwähnte Klasse der starken Verben begrenzt. Auch die Inkonsequenz in der Kennzeichnung des Umlauts und die Apokope führen zu einer Neutralisation der Formen der beiden gegensätzlichen Paradigmen, vgl.: /Dan wenn seyn stirn alweg so feucht wer an zweiffei es wugß ym auch haer dar an/ VbSM bl^. Nur die Annahme, daß hier ein irrealer Bedingungssatz vorliegt, legt es nahe, daß /wugß/ eine Konjunktivform des Präteritums darstellt, formal gekennzeichnet ist die Wortform nicht. Bekanntlich erstreckt sich die Apokope des /-e/ auch auf das System der unregelmäßigen Verbklassen. Auch hier führt sie zur Verwischung des Gegensatzes zwischen Indikativ- und Konjunktivformen. Besonders erschwert wurde die Erkennbarkeit des Modus durch die Verbindung der Reduktion des /-e/ mit dem Fehlen des Umlauts im Präteritum von /werden/. Hier wirken zusätzlich noch die gegenläufigen Prozesse der Entrundung /wurd / würd / wird/ und der Rundung /wird / wurd / würd/. Bezeichnend ist in diesem Zusammenhang der wiederholte Gebrauch von /wurd/ im Fortunatus: /wann er besorget, wurd der graff jnnen, das er hynweg wolt, er wurd yn lassen vahen/ VbF 14. Hier können /wurd jnnen, wurd vahen/ als Konditional /würde jnnen, würde vahen/ oder als Futur mit der modalen Funktion der Angabe einer Bedingung /wird jnnen, wird vahen/ aufgefaßt werden. Derartige Fälle sind im Dialog von Hans Sachs sehr häufig. Vgl. ferner: /\yie meinst dan, wan es dar zu kummen würt, das allein der gwalt recht wer/ D1K 75, wo /kummen würt/ sowohl als /kommen würde/ (Konditional) wie als /kommen wird/ (Futur) verstanden werden kann. Diese Doppeldeütigkeit, die das Erkennen des Konditionals erschwert, ist in Quellen mehrerer Landschaften ziemlich weit verbreitet. Ähnliche Schwierigkeiten bei der Identifizierung von Modalformen gelten im 15. vnd 16. Jahrhundert auch für das Paradigma von /haben/. Im niederdeutschen Dialektgebiet waren zu dieser Zeit die Singularformen beider Modi im Präteritum zusammengefallen. Dadurch wird die Analyse des Materials zum Zweck der Feststellung des Verbindlichkeitsgrades von Konjunktivformen in verschiedenen Textgattungen erschwert. So wird im folgenden Beispiel /hadde/ zweimal in einem irrealen Bedingungssatz gebraucht: /Vnde Jäsonhadde in demmiddel desvures sin

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leuent gelaten, hadde he de vuchticheit nicht in der ossen munt geworpen/ ('Und Jason hätte in der Mitte des Feuers sein Leben verloren, hätte er nicht die Flüssigkeit in den Mund des Ochsen gegossen'), VbTr 2 90. Hier handelt es sich mit Sicherheit um den Konjunktiv Plusquamperfekt. Doch /hadde/ begegnet in der gleichen Quelle auch für den Indikativ Präteritum: /wenthe de vuchticheyt hadde de macht, dat se der ossen munde alse lym to samen helt/ ('weil die Flüssigkeit die Kraft hatte, daß sie . . . ' ) , VbTrg 88. In einem anderen Text fällt die Bestimmung der grammatischen Bedeutung der betreffenden Form schwerer: /Auer neman wüste van den anderen, we vnder ohn gewunnen edder verloren hadde/ VbKop '70. Nach /wüste/ kann der Indikativ oder Konjunktiv stehen, daher sind zwei Übersetzungsvarianten für die Gegenwartssprache möglich: ' . . . wer verloren oder gewonnen hätte' oder ' h a t t e ' . Analoge Fälle begegnen auch in der indirekten Rede nach / s e d e / , vgl.: /Vnde sede ome alle sake, wo he dat gehandelt hadde/ VbKop 74. Vielleicht am unsichersten bleibt die Analyse in Kontexten wie dem folgenden: /Wente her Frederik hadde des konninges gesegyl dar vp gedrucket, gelick efte on de konnynck personlick vt gesant hadde/ ('Denn Herr Friedrich hatte das Siegel des Königs darauf gedrückt, so als ob ihn der König persönlich gesandt hätte') VbKop 74. Hier kann die Unterscheidung zweier Modalbedeutungen der Form /hadde/ nur angenommen, aber nicht eindeutig geklärt werden. Unter solchen Bedingungen ist es praktisch unmöglich, den Verbindlichkeitsgrad des Gebrauchs von Konjunktivformen zu ermitteln; das gilt nicht nur für die indirekte Rede, sondern auch nach Verben vom Typ /wissen/. Zugleich wurde auch im Präsens die Opposition der Modalformen bei diesem Verb neutralisiert; daher ist in dem Beispiel /Vnde seget vns, wo gy dat gewunnen hebben/ VbKop 75 /gewunnen hebben/ als Modalform nicht markiert, es kann ebenso als Konjunktiv wie als Indikativ Perfekt aufgefaßt werden. Der Bereich der nichtmarkierten Wortformen der Modalparadigmen (die synthetischen Formen des Präteritums der schwachen Verben und der Plural des Präsens der starken Verben) dehnte sich auf diese Weise in Verbindung mit den erwähnten Besonderheiten des Modalparadigmas des Hilfsverbs /haben/ auch auf analytische Formen des Perfekts und des Plusquamperfekts aus. Dieser Prozeß ist keineswegs auf das niederdeutsche Gebiet beschränkt. Auch in den Denkmälern des Südostens, einschließlich Augsburgs, konnten /het, hette, hetten/ verschiedene modale Funktionen haben, vgl.: /do was auch ain Galee von Cipren dahyn kommen mitt kostlicher kaufmanschaft vnd vil kauffleütten dar mit, darunder waren zwen iung, die reich vatter in Cipern hetten/ VbF 17 und /hett ich zwo oder drey Cronen, so f

wolt ich in Franckreich/ VbF 19. Im ersten Beispiel wird eine Darstellung bestimmter Ereignisse und Nachrichten ohne modale Bewertung gegeben, /hetten/ steht in einer Reihe mit /waren/, obgleich es seine Stellung im zweiten Nebensatz hat. Offensichtlich

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gehört die betreffende Form hier zum Paradigma des Indikativs. Einen anderen Sinn erhält /hett/ im zweiten Beispiel: Hier steht /hett/ als Prädikat einer Aussage, die eine irreale Bedingung nennt. In funktionaler Hinsicht ist die Form also Komponente eines Modalparadigmas, das "Irrealität" auszudrücken hat, aber dieser funktionalen Bestimmung entspricht keine formale Kennzeichnung. In den Augsburger Chroniken begegnet ziemlich häufig der Fall, daß ein und dieselbe Form im gleichen Satz eine unterschiedliche Bedeutung hat: /und war der widertaufer ainer, die im landt umbzogen, und hett vil volcks verfuert im paurenkrieg in Francken und sich ausgeben, Got hett mit im geredt/ ChrAg 39; das zweite /hett/, in der indirekten Rede, ist offensichtlich eine Konjunktivform (Konjunktiv Plusquamperfekt) - im Unterschied zu /hett verfuert/. Absolut klar ist die indikativische Bedeutung von /het, hett/ im folgenden Auszug aus der gleichen Chronik: /item 1520 am 22. tag april, an ainem sambstag, füret man aus Jorgen Mair, den man nennet Ulmer, der hucker Zunftmeister, ain brauchsamer mann in den weltlichen gescheiten, het vil ämbter von der stat, het rath und recht besessen 31 jar, het vil abtragen und seltzam hendl gebraucht lange zeit, was gewaltig in seim sinn gewesen, hett der stat und dem gemeinen seckl straff- und pueßgelt abtragen und vil böß hendl triben. hett auch ain grossen lust und freud gehabt, die armen in den eisen zu fragen . . . / ChrAg 23. Die episch ruhige Erzählweise, in der /het besessen, het gebraucht, hett triben/ in einer Reihe mit /was gewesen/ stehen, steht im Kontrast zur Wiedergabe fremder Rede im folgenden Zitat: /und war sein ausruef, er het Got gelestert und hett aim rath ubl geredt und wer beim wein gesessen, het gehört von aufruer sagen und hett das aim rath nit anzaigt/ ChrAg 32f.; hier stehen /het gelestert, het gehört, hett anzaigt/ in einer Reihe mit der markierten Form des Konjunktivs Plusquamperfekt /wer gesessen/. Es ist interessant, daß sich gleichzeitig in einigen südöstlichen Denkmälern, insbesondere in VbPSg, in der Form des Konjunktivs Präteritum /hiet/ als Markierung dieser Modalform der Diphthong / i e / durchsetzt. Einzelne unklare* Fälle des Gebrauchs von /hett/ begegnen auch in den Dialogen von Hans Sachs, vgl.: /Chorherr. Man gibt vmb die geistlickeit nichts mer. Vorzeyten hett der heylig vatter

vnd die bischoff solchen

das predig ampt auffgehebt/

DIHSj 212. Der Kontext legt es nahe, hier konjunktivischen Sinn anzunehmen. Dialektale Besonderheiten bildeten auch im Südwesten die Voraussetzung für die Vermischung von Konjunktiv- und Indikativformen des Verbs /haben/ in den Schriftdenkmälern dieses Gebiets:/vndvlenspiegel hat ein sak der het ein verborgen loch/ VbEu 10; hier besitzt / h e t / die gleiche Bedeutung wie / h a t / , dagegen ist eine analoge Form in einem irrealen Bedingungssatz auf das Konjunktivparadigma bezogen: /hetten die fürsten weiß lüt bei in so wer in vor die weißheit/ ebd. 21. Es bleibt jedoch unklar, wie weit es sich in bestimmten Kontexttypen um Konjunktivformen handelt: /aber sie wüßt nit die mer dz er sich also verschalckt het/ ebd. 9; hier kann /verschalckt het/

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Indikativ sein, da nach /wissen/ der Modusgebrauch nicht fest geregelt war. Zweideutig sind entsprechende Formen in dieser Quelle auch nach /sagen/ in der indirekten Rede, da auch in diesem Kontexttyp der Indikativ möglich war, vgl.: /vnd sagt es in gantz wie es im gangen war/ ebd. 23. Im Beispiel /vnd sprach zu im, wie daz sein hübscher knecht sie also verspot het mit irem ein aug, wid sie het zwei hüner an den spiß gestossen/ ebd. 16 können /verspot het/ und /het gestossen/ mit gleichem Recht als Indikativ- wie als Konjunktivformen betrachtet werden. Auch außerhalb der genannten Landschaften begegnen vereinzelte Beispiele, die Zweifel aufkommen lassen, so etwa : /vnd versmehet yme, das er yme entwarft vnd so vil geruchts darvß gemacht hette/ VbPS^ 150; die erste Verbform des Nebensatzes ist sicherlich Indikativ Präteritum, die zweite kann ebenfalls Indikativ sein, allerdings Indikativ Plusquamperfekt. Schließlich sei darauf hingewiesen, daß auch der Gebrauch von Partizipien ohne Hilfsverb, der im 17. Jahrhundert sehr üblich wurde, keine modale Markierung aufwies; er wird später noch genauer untersucht werden. Die Analyse der Funktionsweise solcher Einheiten zeigt, daß es neben formal deutlich markierten Strukturen eine ziemlich große Zahl von Bildungen gibt, deren Formen die modale Markierung fehlt. Die eigenartige Lockerheit im Aufbau des Modalfeldes führt zu charakteristischen Besonderheiten im Verhältnis von inhaltlichen und formalen Aspekten bei der Verteilung und beim Gebrauch der einzelnen Kategorien, die das Konjunktivparadigma bestimmen. Das Auftreten zahlreicher unzureichend markierter Formen hat unsere Berechnungen zur Gebräuchlichkeit von Konjunktivbildungen sehr e r schwert. Für die Tabellen wurden nur modal eindeutig gekennzeichnete Formen berücksichtigt.

141 Abschnitt 1. Erster chronologischer Querschnitt (1470-1530)

Kapitel 1.

Der Bestand an Konjunktivformen und ihre relative Häufigkeit in Abhängig-

keit von Gattung und Landschaft 1 Die Häufigkeit des Gebrauchs von Konjunktivformen hängt, wie das Material gezeigt hat, nicht nur von der Quellengattung, sondern auch vom Inhalt, vom Charakter und sogar vom Aufbau des einzelnen Textes ab. Daher ergibt die Einteilung des Untersuchungsmaterials nach Quellengattungen allein keineswegs schon eindeutige Ergebnisse. Reisebeschreibungen Interessante Beobachtungen erlaubt ein sprachlicher Vergleich der verschiedenen B e schreibungen von Orientreisen. Die von Kettler (RsKett), Stockar (RsSt) und Springer (RsSpr) verfaßten Beschreibungen enthalten in den gewählten Ausschnitten nur eine minimale Zahl von Konjunktivformen: Kettler 5, Stockar 16 und Springer 23. Allgemeines Stilmerkmal dieser Texte waren knappe geographische Angaben und einfache Faktenwiedergabe. Die landschaftliche Bindung spielte offenbar keine bestimmende Rolle, denn Kettlers Reisebeschreibung ist niederdeutsch, Stockars stammt aus dem südwestlichen und Springers aus dem südöstlichen Bereich der deutschen Literatursprache. Durch ihre stilistischen Besonderheiten gehören sie jedoch zusammen. Bei solcher Beschränktheit im Gebrauch der Konjunktivformen ist das Verhältnis der einzelnen Formen und syntaktischen Modelle wenig aussagekräftig. Trotzdem verlangen einige Fakten unsere Aufmerksamkeit. So entfallen in der Reisebeschreibung Stockars 6 Beispiele auf den Optativ (Typus /Der Frid syg mit üch/ RsSt 19) und 4 auf finale Nebensätze; das ist auch für das Verhältnis der Konjunktivformen (s. Tabelle 1) von Interesse. Anzumerken ist, daß sowohl in Finalsätzen wie nach /wissen/ auch der Indikativ vorkommt. Eine andere Formenverteilung begegnet in der Reisebeschreibung Springers (Südosten), wo eindeutig die Präteritalgruppe dominiert (s. Tabelle 1). Perfekt und Futur erscheinen gar nicht. Bei Springer ist die Vielfalt syntaktischer Modelle etwas ausgeprägter. Den Konjunktiv haben nicht nur Final-, sondern auch irreale Bedingungssätze: /dan weren wir komen gein Monsebick so weren wir all hungers gestorben/ RsSpr 23, Konsekutivsätze: /vnnd vff' dem wege ging vns der wind vnder äugen das wir nit weiter koffien möchten/ RsSpr 22, Umstandssätze: /doch bleybe das schiffe also vnder wasser

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als lang eyner eyn pater noster mocht betten/ RsSpr 22, und ebenso Sätze, die verschiedene Schattierungen fremder Rede ausdrücken: /Antwurt der kunig ym were douon nicht zu wissen/ RsSpr 18. Doch steht in Finalsätzen auch der Indikativ, besonders im Zusammenhang mit dem Verb /sollen/. Eine gleichartige Verteilung der Konjunktivformen weist auch die westmitteldeutsche Reisebeschreibung des Kölner Ritters Arnold von Harff auf, in der 25 der 30 Beispiele Formen des Konjunktivs n sind (17mal Konjunktiv Präteritum, 8mal Konjunktiv Plusquamperfekt), dagegen erscheint der Konjunktiv Präsens nur 4mal, einmal der Konjunktiv Perfekt; Futur und Konditional fehlen (vgl. Tabelle 1). Die syntaktischen Modelle, in denen der Konjunktiv auftritt, sind in diesem Text ziemlich vielfältig. Zu der Gruppe von Verben, die Konjunktivsätze einleiten, gehören hier /meynen/, vgl.: /wir meynten er queme van dem fuyre/ RsHar 118; /fraegen/, vgl.: /ind dede mich fraegen

off der here vyss Franckelande mijn here were, ouch off hee starck were

. . . in off hee vill lantz dit jaer gewonnen hette/ RsHar 86, aber auch /spraichen, saghen/, v g l . : / s i j saichten in tzeyn vurgangen jaeren were geyn cristen pylgrym van den latijnschen aldae geweest/ RsHar 121; /vnderricht werden/ vgl.: /ich wart vnderricht, off dat sij in yeren armen ind ander geleder gebouch wurden/ RsHar 89. Auch in anderen Fällen steht hier der Konjunktiv, so in verschiedenen Modellen irrealer Bedingungssätze: /dan hetten sij idt gewist, ich het lijff ind guet verloeren/ RsHar 85: in Finalsätzen: /off das er vur den dritten, vierten ader vunfften daich wasser krijgen moige/ RsHar 119; in Subjektsätzen /aber wie idt yem dar nae gegangen sij is mir vnkundlich/ RsHar 89; aber auch in Varianten des Konjunktivs des höflichen Zugeständnisses. In Tinalsätzen und nach dem einleitenden Verb /fraegen/ wird auch der Indikativ gebraucht. Wenn die Konjunktivformen schon in der Reisebeschreibung Harffs häufiger und die syntaktischen Modelle - verglichen mit den Texten Kettlers und Stockars - vielfältiger waren, so zeichnet sich die Sprache von Hirschfelds Beschreibimg seiner Reise in das Heilige Land (RsHirsch, ostmitteldeutsch) noch deutlicher durch erhöhten Konjunktivgebrauchaus. Der Konjunktiv dient hier zur Strukturierung komplizierter syntaktischer Gefügt wie sie vor allem für die Geschäftsprosa und höhere Formen der Publizistik kennzeichnend sind. Im durchgearbeiteten Material stehen 79 Konjunktivformen, von 13 denen 30 zum Konjunktiv I und 49 zum Konjunktiv n gehören . Damit fällt auch dieser Text in die Gruppe der Denkmäler, in denen der Konjunktiv II, oder genauer: Der Konjunktiv Präteritum, eindeutig dominiert (vgl. Tabelle 1). Von den Formen des Konjunktivs I entfallen relativ viele auf den Konditional I. Zugleich zeichnet sich dieser Text durch die Vielfalt syntaktischer Modelle mit Konjunktivformen aus. Optativische Wortverbindungen treten vorzugsweise in der Funktion von Schaltsätzen auf: /Wo einer oder mehr von den Pilgeren stürbe, das gott gnediglich vorhute, so sol der Patron . . . /

Modus

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RsHirsch 44; vgl. auchRsHirsch 43. Die Gruppe der Verben, die Konjunktivfügungen einleiten können, ist vertreten durch /erfahren/: /Da schicket der Patron vf einer barcken zu ihm zu erfahren, wehr sie wehren/ RsHirsch 51; /sagen/: /Mann sagt vns auch, das dieselbige stadt Rauenna sechs hundert Jahr eider dann Rohma sey/ RsHirsch 37;/antwortten/:/Daraufhatten Sie geantworttett, sie wehren Hispanier/RsHirsch 51; /berichten/: /Man berichtet vns, das die schöne Helena . . . in gemelter Inssel Cyrigo geboren vnd daselbst vom König Paris hinweg gefurt sei/ RsHirsch 52; /vormercken/: / . . . wir haben aus solcher bericht vormarckt, das der Türck ein gewaldiger Inhaber der Heidenschaft . . . sey/ RsHirsch 55; /meinen/: /vnd meinten, es wehre das heilige Landt/ RsHirsch 55; /wollen/: /da wahren die Schiffleute Irrigk, eines teils wolten, es were Jaffa . . . etliche wolten, es wers nicht/ RsHirsch 55; /hoffen/: /vnd hofften, wir wurden die nacht in der Kühle zihen/ RsHirsch 57; /anzeigen/: /aber der Patron zeiget vns ahn, es wehre ihme von dem Hertzoge zu Venedigk dahin zu fahren hertiglichen verbothen/ RsHirsch 53. Die Mehrzahl der aufgezählten Modelle begegnet ein-, zweimal, am häufigsten ist /berichten/ belegt; doch in analogen Fällen steht auch der Indikativ, vgl.: /vnd als man vns bericht, So mag man in 4 tagen . . . gen Constantinopel kommen/ RsHirsch 52. Der Indikativ ist auch nach /wollen/ möglich. An sonstigen Nebensatzmodellen mit dem Konjunktiv (Konditional) treten hier mehrfach Bedingungssätze auf: /Wurde auch einer oder mehr der Pilgerenn zuuoran vnd eher man vis heilige Landt komme, todes halben abgehen, da got vor sei, so sol der Patron . . . / RsHirsch 44;; ganz ähnliche Konstruktionen stehen auf den Seiten 41, 43, 44. Wiederholt begegnet der Konjunktiv in Finalsätzen: /Öarumb sollte sich ein Jeder vfs beste darzu schickenn, . . . darmit ehr solches grossenn Ablaß theilhafftigk werdenn möcht, vnd solche ferliehe reyse nicht vmbsonst gethann habe/RsHirsch 58, vgl. auchS. 57. Jedoch ist in dem betreffenden Nebensatzmodell auch der Indikativ möglich. Einen bedeutenden Platz unter den Konjunktivmodellen nehmen syntaktische Fügungen ein, die verschiedene Schattierungen der Irrealität ausdrücken, vgl. z. B,: /da dorfften wir des Kriegsvolckes halben auch nicht zufahren, wiewol es vnser Notturfft wol gewest wehre/ RsHirsch 37; /vnd kamen nicht vff Rodies, dahin doch sonst die gemeine Zufardt der Pilgeren gewest ist, vnd wir wehren auch sehre gerne dozu kommen/ RsHirsch 53; das erste Beispiel gehört zum Bereich des "konzessiven" Konjunktivs (Konzessivsatz), das zweite zum Bereich des " diplomatischen Konjunktivs" . In Hirschfelds Reisebeschreibung fällt sprachlich nicht nur der Bestand an Konjunktivformen - insbesondere die relativ hohe Produktivität des Konditionals - auf, sondern auch der häufige Gebrauch vielgliedriger Konstruktionen; zwei Beispiele seien genannt: (1) /Man bericht vns, das gemelte Stadt sich gar viel Jar des Turcken vfgehalden habe,

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aber da ehr die gantze Insell, die faste reich vnd gros sein soll - eröbert, habe Sie sich nymmer erhalten mügen, es solt auch aus gemelter Insel Morea ein orth landes vngeferlich zwoer welscher meilen breit in das truckene Landt gehen, vnd sonst sei Sie gantz mit dem Mehre vmbflossenn/ RsHirsch 52; hier dient eine Reihe von Konjunktivformen der Strukturierung eines syntaktischen Gefüges bei der Wiedergabe "fremder" Rede nach /berichten/. (2) /vnd kamen nicht vff Rodies, dahin doch sonst die gemeine Zufardt der Pilgeren gewest ist, vnd wir wehren auch sehre gerne dozu kommen, aber der Patron zeiget vns ahn, es wehre ihme von dem Hertzoge zu Venedigk dahin zu fahren hertiglichen verbothen, Aus der vrsachen, Sie hetten bericht empfangen, das der Turcke die Rodyser mit Kriegsvbunge anfechten thet, vnd die Rodiser wehren vonn Bäpstlicher Heiligkeit Priuilegirt, vnd dieselbigen von Kay: Mt. confirmirt, das sie in solche anfechtunge des Turcken alle Schiffe, die gegen Rodieß kernen,

behalten möchten/

RsHirsch 53. Es handelt sich hier um ein Gefüge, in dem neben einigen Plusquamperfektformen eine Konstruktion mit Modalverb /behalten möchten/ begegnet; die Struktur des Ganzen wird durch die Kombination einiger selbständiger Abschnitte bestimmt, von denen der erste keine Konjunktivformen enthält, der zweite einen Schaltsatz mit einem diplomatischen Konjunktiv darstellt und der dritte einen sehr differenzierten Aufbau hat, der von dem Teilsatz /der Patron zeiget vns ahn/ abhängig ist. /Zeiget ahn/ bestimmt eine ganze Kette von Konjunktivformen der folgenden Nebensätze unterschiedlicher Abhängigkeitsstufen. Die sprachliche Analyse der vier Reisebeschreibungen zeigte nur in sehr beschränktem Umfang das Wirken allgemeiner Tendenzen. Hierher gehört zunächst die beherrschende Rolle der Präteritalformen in allen Texten, unabhängig von der Häufigkeit des Konjunktivs an sich und von der landschaftlichen Zugehörigkeit des Denkmals (s. T a belle 1). Zu nennen ist ferner die periphere Position des Konjunktivs Futur (mit einem Beleg nur aus RsHirsch). Die Positionen des Konjunktivs Perfekt und noch mehr des Konditionals sind unterschiedlich. Besonders deutlich ist die relative Stabilität des Konditionals in der ostmitteldeutschen Reisebeschreibung Hirschfelds. In allen Denkmälern begegnen auch Indikative in syntaktischen Modellen, die usuell mit dem Konjunktiv verbunden sind. Das betrifft vor allem die finalen Nebensätze bei Stockar, Springer, Harff und Hirschfeld, und zwar sowohl nach dem mehrdeutigen /daß/ (vgl. RsSt 12) wie nach dem spezialisierten /damit/; möglich ist der Indikativ aber auch nach /wissen/ (RsSt 8), /fraegen/ (RsHar), /berichten/ (RsHirsch) und /wollen/ (RsHirsch). Aber auch dort, wo in den betreffenden Satzmodellen der Konjunktiv gebraucht wird, gibt es erhebliche Unterschiede zwischen den einzelnen Texten. Offensichtlich ist in dieser Gattung die besondere stilistische Prägung jedes Denkmals von ausschlaggebender Bedeutung.

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Modus

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im wesentlichen auch im zweiten Zeitraum andauern. Der Konjunktiv Perfekt fehlt v o r zugsweise in Briefen, so in BrEl, BrBo und BrK. Da das Bild in anderen Quellen der gleichen Gattung aber ganz anders ist, lohnt es sich kaum, nach gattungsbedingten Gründen dieser Erscheinung zu suchen. In einer größeren Quellengruppe gibt es Formen des Konjunktivs Perfekt, doch ist ihre Zahl auch hier erstaunlich gering. Im Volksbuch vom gehörnten Siegfried stehen folgende Konjunktivformen: 2 Belege für das Perfekt, aber 23 für das Präsens, 31 für das Präteritum und 22 für das Plusquamperfekt. In Reuters Schelmuffsky: lmal Perfekt neben 56mal Präteritum, 40mal Plusquamperfekt, 16mal Konditional I. Grimmelshausen: 3mal Perfekt, 28mal P r ä s e n s , 30mal P r ä t e r i tum, 26mal Plusquamperfekt. Zu den bisher besprochenen Quellen stehen die moralisch-didaktischen Traktate BiSch und BiAbr^ hinsichtlich der Häufigkeit des Konjunktivs Perfekt in einem schroffen Gegensatz. In diesen Texten ist aber nicht nur der Konjunktiv Perfekt, sondern auch der Konjunktiv P r ä s e n s besonders gut bezeugt. In BiSch kommen 43 Belege für den Konjunktiv Perfekt auf 79 Belege für den Konjunktiv P r ä s e n s (s. Tabelle 9) und 9 für den Konditional I. Da der Konjunktiv Präteritum und Plusquamperfekt hier insgesamt 25mal belegt ist, dominieren also eindeutig die Formen der Präsensgruppe. In BiAbr j ist die dominierende Rolle dieser Konjunktivgruppe ebenso deutlich, obwohl die Gesamtzahl der Konjunktivbelege dort erheblich geringer ist (53 Fälle). Nur 3mal b e gegnet der Konjunktiv Präteritum, während der des Plusquamperfekts und der Konditional II ganz fehlen. Die sogenannte Präsensgruppe (Konjunktiv I) umfaßt 51 Belege (24 P r ä s e n s , 11 Perfekt, 14 Futur, 1 Konditional I). Ganz anders ist die Formenverteilung jedoch im dritten Text dieser Gruppe (BiG, s. Tabelle 9). Hier stehen Konjunktiv I und II in der Relation 36 : 29. Damit sind beide Teilsysteme hier annähernd gleich stark, wobei der Konjunktiv Perfekt aber nur 3mal erscheint. Natürlich entsteht die Frage, wodurch derartige Differenzen in der Verteilung der Formengruppen des Konjunktivs innerhalb derselben Gattung zu erklären sind, oder anders gesagt: Wie kommt es zu einer so starken Position der Perfektformen und der Präsensgfuppe überhaupt in BiSchund BiAbr^? Auch die Position des Konjunktivs Plusquamperfekt war im 17. Jahrhundert nicht sehr stabil. Selbst innerhalb der gleichen Gattung begegnen hier auffällige Unterschiede, so weicht z. B. der Usus der beiden galanten Romane RoZig und RoB^ erheblich voneinander ab. In RoZig erweist sich der Konjunktiv Plusquamperfekt mit über 45 % der Konjunktivbelege a l s äußerst produktiv, in RoBi dagegen ist er nur 3mal belegt (weniger a l s 10 %). Derartige Schwankungen gibt es auch in anderen Gattungen: vgl. die Briefe der Pfalzgräfin Elisabeth (etwa 15 %) und die Gelehrtenbriefe (1 Beleg, 3 %). Auch für den zweiten Untersuchungszeitraum stellt sich also die Frage nach den Gründen derartiger Häufigkeitsunterschiede. Zu untersuchen ist wiederum das Zusam-

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menwirken der Gattungsspezifik eines Textes, seiner regionalen und stilistischen B e sonderheiten, seiner Struktur und der in ihm vorherrschenden Zeitperspektive. Die Beurteilung der Konjunktivfrequenzen einer Quelle erfolgt wie im Abschnitt 1 (15. / I Q . Jahrhundert) auf der Grundlage der Analyse aller syntaktischen Modelle, in denen der Konjunktiv jeweils vorkommt. Das Verhältnis der Kategorien der Zeit und des Modus und die Frage nach dem Status von Normen und Varianten werden jedoch wie schon in den früheren Teilen der Arbeit nur am Gegenstand der indirekten Rede eingehender e r örtert. Unsere Aufgabenstellung erfordert eine möglichst repräsentative Quellenauswahl für das 17./18. Jahrhundert. Folgende Gattungen sind im Material vertreten: moralisch-didaktische bzw. didaktisch-religiöse Prosa (Bi), wissenschaftliche Prosa (Fpr), Schelmenroman und galanter Roman (Ro) und Briefsammlungen (Br). Die Textauswahl für unsere beiden Untersuchungszeiträume unterscheidet sich in der Gattungsspezifik also ein wenig. Schelmenroman und galanter Roman sind im 18. Jahrhundert die populärsten Gattungen. Sie stellen in gewisser Weise die Erben der Volksbuchtradition von der Art des Fortunatus dar. Die moralisch-didaktische Prosa führt dagegen nur teilweise die Themen der polemischen Literatur der Reformationszeit und des Bauernkrieges fort. Chroniken, Reisebeschreibungen und Dialogliteratur, also die mit der Entwicklung der geschriebenen Sprache der vorigen Jahrhunderte am engsten verbundenen Gattungen, verlieren ihre Bedeutung und treten in den Hintergrund.

4 Moralisch-didaktische Prosa (Bildungsschrifttum) Herangezogen werden drei Texte: Schupps belehrender Traktat "Der Freund in der Not" (1657, wmd. Gebiet), die den Fragen der moralischen Erziehung gewidmete Zeitschrift "Der Gesellige"(1748-50, omd. Gebiet) und der religiös-didaktische Traktat Abrahams a Sancta Clara "Auf, auf ihr Christen" (1683, oobd. Gebiet). Wir haben zu berücksichtigen, daß diese drei Vertreter einer Gattung sich nicht nur in regionaler Hinsicht unterscheiden, sondern auch recht verschiedenen Epochen entstammen: Fast 100 Jahre liegen zwischen der Schrift J . B. Schupps und dem "Geselligen". Bei Schupp fällt die hohe Frequenz des Konjunktivs in der indirekten Rede auf. In 75 Belegen für die indirekte Rede stehen 64mal Formen des Konjunktivs Präsens oder Perfekt, und zwar relativ oft ganz unabhängig von der Tempusform des einführenden Verbs. Wir unterscheiden bei Schupp folgende Varianten: (1) Einleitendes Verb im Präsens, Konjunktiv Perfekt in der indirekten Rede: /Man sagt, es sey . . . ihm nichts gegeben, sondern habe ihn immer . . . abgespeiset/ BiSch 12;

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vgl. 19. Oftmals wird eine mehrgliedrige Konstruktion so eingeleitet: /Man sagt, daß einsmals ein junger Mensch, aus frembden Landen zu seinem alten Vater kommen sey (Perfekt), und hab gerühmet (Perfekt), wie er so manchen vornehmen Freund hab (Präsens), . . . mit dem und dem Grafen, sey er bekandt worden (Perfekt) . . . , der hab ihm alle Gnad und Ehr erwiesen (Perfekt). Mit dem und dem Baron, seye er b e kandt worden (Perfekt)/ BiSch 4. (2) Öfter steht jedoch das einleitende Verb im Präteritum,und es wird die Tempusfolge P r ä t e r i t u m - P e r f e k t gewählt: / e r z ä h l t e . . . , daß er einen Todschlag begangen, und den Erschlagenen in diesen Sack geslecket habe/ BiSch 5, vgl. 6; 8; 9; 15; 20 usw. (3) Einleitendes Verb im Präsens, Konjunktiv P r ä s e n s in der indirekten Rede: /Mancher meint, die seyen seine beste Freunde/BiSch 13; vgl. auch 10; 12; 14; 15; 18; 19. (4) Einleitendes Verb im Präteritum, in der indirekten Rede Konjunktiv P r ä s e n s : / B ä t e ihn demnach, daß er ihme einen heimlichen Ort zeigen wolle/ BiSch 5; vgl. auch 6; 9; 10; 12; 17 usw. Charakteristisch für die Handhabung der indirekten Rede bei Schupp ist ihre z i e m lich häufige Verwendung ohne einführenden Satz, vor allem in vielgliedrigen syntaktischen Gefügen, in denen nur ein Abschnitt ein Einführungsverb hat: /Und es seyen jetzo noch in der Stadt vieler vornehmer Leute Kinder, mit welchen er solche Freundschafft halte, a l s David mit den Jonathan/ BiSch 4; / . . . hab sich . . . mit ihrem Miau hören lassen . . . Nathanael seye kurtz hernach wieder zu seinem Herrn kommen, hab ihm etwas gebracht . . . der Herr . . . gesagt hab: . . . Nathanael hab geantwortet/ BiSch 12. Die mit konjunktivischen P r ä s e n s - und Perfektformen ausgestaltete Variante der indirekten Rede nimmt in Schupps Lehrschriften eine ebenso zentrale Position ein, wie wir das auch schon für einige Quellen des 16. Jahrhunderts, z. B. für den didaktischreligiösen Traktat Bertholds von Chiemsee festgestellt haben. Bei Schupp herrscht wie bei Berthold von Chiemsee im ganzen die Präsensperspektive vor. Das gilt also nicht nur für die indirekte Rede. Andere Modelle mit Konjunktivformen nach /wissen, begehren, zeigen, a l s ob/ weisen ebenfalls vorzugsweise Formen des Konjunktivs I auf. Die Formen des Konjunktivs Präteritum sind zugleich auch deswegen so selten, weil hier kaum Beispiele für i r r e a l e Bedingungssätze belegt sind. Die Formen des Konjunktivs Perfekt sind hier so auffällig häufig, weil sie in der indirekten Rede immer dort verwendet werden, wo Berichte über vergangene Ereignisse eingeflochten sind. Der Konjunktiv Perfekt drückt hier also die Vorzeitigkeit oder - nach einem einleitenden Verb im Präteritum - sogar die Vorvergangenheit aus. Auch im zweiten Text der moralisch-didaktischen Gattung, BiAbr^, kommen i r r e a l e Bedingungssätze kaum vor. Wir haben nur einen Beleg notiert. Der Konjunktiv P l u s quamperfekt fehlt ganz, der Konjunktiv Präteritum kommt dreimal vor (s. Tabelle 9).

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Auch andere Konjunktivkonstruktionen bleiben in BiAbr^ relativ selten. Die Sprache dieser Quelle zeichnet sich durch Bildhaftigkeit und syntaktische Klarheit aus. Wieder sind die die Präsensperspektive ausdrückenden Formen die üblichsten (s. Tabelle 9). Von den untersuchten syntaktischen Modellen sind nur die Varianten der indirekten Rede gebräuchlich. Neben P r ä s e n s - und Perfektformen wird häufig auch der Konjunktiv Futur benutzt, und zwar für Voraussagen und Prophezeiungen über die Schicksale des Islams und des Christentums. (1) Einleitendes Verb im P r ä s e n s , Konjunktiv Perfekt in der indirekten Rede: / a l s o betheuren sie hoch, daß wie Mahomet in den Wiegen gelegen, vnd vor seiner ein langöhrige Eslin gestanden . . . , habe solche . . . gesprochen/ BiAbr^ 13f. (2) Einleitendes Verb im P r ä s e n s , Konjunktiv Futur in der indirekten Rede: /Weilen er allezeyt Propheceyt, daß er am dritten Tag werde glorreich von Todten a u f f e r s t e hen/ BiAbr^ 14f. / P r o p h e z e i t / könnte allerdings auch eine afinite Form sein. (3) Einleitendes Verb im P r ä s e n s , Konjunktiv P r ä s e n s in der indirekten Rede: /wollen . . . die Astrologi . . . behaupten, a l s seyen gewisse Planeten,

dero Zusammen-

ruckung einen . . . Krieg außbrüten/ BiAbr^ 23. (4) Einleitendes Verb im Präteritum, Konjunktiv Perfekt in der indirekten Rede: /vnd wendete vor, daß der grosse GOTT vier Propheten habe . . . gesand, der E r s t e seye gewest Moyses

, der Andere seye gewest David . . . , der Dritte seye gewest Chri-

s t u s / BiAbr^ 12. (5) Einleitendes Verb im Perfekt, unterschiedliche Konjunktivformen in der indirekten Rede, Futur: /Rabalachar . . . hat dem Vatter . . . vorgesagt, daß er werde einen Sohn, . . . bekommen/ BiAbr^ 11; vgl. auch 4; 24; 25; P r ä s e n s : /hat dessen hoher Minister sie . . . angeschnarcht, mit Beyfug, er habe kein Brod für dise Hund/ BiAbr^ 14; vgl. auch 13. Die Vielfalt von Varianten, deren jede aber nur selten begegnet, ist für den Konjunktivgebrauch im Text Abrahams a Sancta Clara charakteristisch. Im übrigen läßt der Gebrauch afiniter Verbformen in mehreren Fällen keine genaue Interpretation zu, vgl.: /zu dero Vermäntlung er vorgeben (?), daß ihme der Ertz-Engel Gabriel mit solchen vnbeschreiblichen Glantz erscheine, daß er darob sich also billich entrüste, niderfalle, vnd a l s o . . . tobe/ BiAbr^ 13. Vermutlich kann hier die einleitende Verbform als /vorgeben h a t / gedeutet werden. In einer Reihe von Fällen kommt, die indirekte Rede ohne ein unmittelbares Einleitungsverb aus, z. B . : /vnd dises seye wahrgenohmen worden vorhero auß gewisser Planeten Anstoß/ BiAbr^ 23. Zweideutig bleibt die Form seyn ( / s e i e n / oder / s i n d / ) in dem Beispiel: /Die Göttliche Schrifft sagt, daß drey Ding in der Welt vnersättlich seyn/ BiAbr^ 18. Auch in den anderen, nicht sehr zahlreichen Modellen herrscht die P r ä s e n s p e r s p e k tive vor, so in den Finalsätzen, indirekten Fragesätzen (eingeleitet durch /ob/) und

Modus

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Optativfügungen. Infolgedessen werden auch in BiAbr^ die Verteilung, der Bestand und die Frequenz der Konjunktivformen in e r s t e r Linie durch die bevorzugten syntaktischen Modelle, in zweiter Linie durch den Textaufbau, durch Tendenz und Inhalt der Quelle bestimmt. In einer anderen Stilart sind die Artikel der Zeitschrift "Der Gesellige" gehalten. Da hier im wesentlichen von der ersten P e r s o n her formuliert wird, ist das Modell der indirekten Rede im ganzen unproduktiv. Einzelne Anwendungen indirekter Rede zeigen eine unterschiedliche Formenwahl, vgl. : (1) Einleitendes Verb eine Modalfügung im P r ä s e n s , Konjunktiv P r ä s e n s in der indirekten Rede: /Man kan . . . sagen, daß sie diesen kleinen und nicht ungerechten Vorzug reichlich einbringe/ BiG 52; 52; 55; 59. Unter dem Aspekt der Tempuswahl ist hier auch der Aufbau des folgenden Satzgefüges interessant: / D e r Lord Schafftsbury hat in seiner Abhandlung von der Enthusiasterey sich geirret, wen er vorgibt, die Spotterey gegen die Religion sey deswegen erlaubt, weil sie der Wahrheit nichts schade und dieselbe nicht in Unwahrheit verwandele/ BiG 61. (2) Einleitendes Verb im P r ä s e n s , Konjunktiv Präteritum in der indirekten Rede: / s o dürfen diejenigen aus ihnen, die nicht zu den Spöttern gehören, nicht meynen, daß sie was voraus hätten, und also der Gesellschaft angenehmer wären/ BiG 63. (3) Einleitendes Verb im Präteritum, Konjunktiv P r ä s e n s oder Plusquamperfekt in der indirekten Rede: / . . . a l s der Geistliche ihm sagte: er sey ( P r ä s . ) noch jung und hätte auf solche Dinge sich nicht gelegt (Plusqu.), daher seine Unwissenheit ihm zu gute halten sey/ BiG 64; vgl. auch: /Darauf zeigte er seinem Gegner . . . , daß er wider die Logik und Metaphysik . . . sich . . . Verstössen hätte/ BiG 64. Hier drückt das P l u s quamperfekt die Vorzeitigkeit aus. Der relativ seltene Gebrauch indirekter Rede wird durch verschiedene andere V a rianten kompensiert. Zu nennen sind: Vermutung, B i G 61;

Annahme:

Zweifel:

/Gesetzt, wir wären in einem grossen Irrthum/

/ohnerachtet die ganze Gesellschaft noch in Zweifel stehet, ob

es mehr auf sie oder ihren Gatten ankomme/ BiG 54;

Möglichkeit:

/ W i r haben

einige Mühe gehabt, ihre Einfälle zurück zu halten, welche sonst uns . . . zu einem lauten Lachen gebracht hätten/ BiG 53;

konzessiver

Konjunktiv

:

/Sie

redet gern, aber wenig: es müßte denn von einer rührenden Sache . . . seyn/ B i G 54; Fügung mit

/ohne

daß/:

/ohne daß er einen geheimen Unterricht . . .

erhalten

hätte/ BiG 51; schließlich sind auch Finalsätze vertreten. Für alle diese Modelle ist die Verwendung des Präteritums charakteristisch. Die syntaktische Struktur der Konjunktivsätze ist verhältnismäßig einfach. Wir nehmen a l s Beispiel eine mehrgliedrige Konstruktion: /Darauf zeigte er seinem Gegner kürzlich, das er wider die Logik und Metaphysik

Verstössen hätte, und ersuchte

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M. M. Guchmann

ihn sein Lehrgebäude heraus zugeben, damit man wüßte, was er vor Wahrheiten mit uns gemein hätte oder welche ihm besonders eigen w ä r e n / BiG 64. Den ersten Komplex leitet das Präteritum / z e i g t e / ein, das in der Funktion eines Verbum dicendi a u f tritt; die Mitteilung selbst hat eine Verbform im Konjunktiv Plusquamperfekt. Im zweiten Komplex steht ein Konjunktiv Präteritum in einem Finalsatz, auf den ein Objektsatz mit zwei Formen des Konjunktivs Präteritum folgt. Die Unterschiede in der Verteilung der Konjunktivformen zwischen BiSch und BiAbr^ einerseits und BiG a n d e r e r s e i t s hängen mit dem jeweils unterschiedlichen Inventar an syntaktischen Modellen zusammen. Dadurch wird unsere Annahme, daß die Wahl der syntaktischen Modelle auf die Verteilung der Konjunktivformen einen erheblichen Einfluß ausübt, gestützt. Im Unterschied zu BiSch und B i A b r p wo in didaktischer Absicht r e a l e Vorkommnisse erzählt werden, baut sich der Text von BiG in e r s t e r Linie aus Erörterungen und Überlegungen moralisierenden Charakters auf. Dieser Unterschied wirkt sich sowohl in stilistischer wie in grammatischer Beziehung aus. Im übrigen bilden die Frequenzunterschiede im Gebrauch des Konjunktivs Präteritum (in BiSch etwa 10 %, in BiAbr^ etwa 5 %, aber in BiG über 20 %) einen deutlichen Kontrast zur gleichbleibenden Gebrauchshäufigkeit des Konjunktivs P r ä s e n s . Seine Frequenz liegt in allen drei Quellen bei über 40 %. Die niedrigen Zahlen für den Konjunktiv P r ä t e r i tum in BiSch und BiAbr^ kann auch auf regionale Faktoren zurückzuführen sein. Im Süden ist nicht nur der Indikativ Präteritum, sondern auch der Konjunktiv Präteritum immer mehr auf eine Randposition gedrängt worden, während er im ostmitteldeutschen Gebiet recht produktiv blieb. In der Verbindlichkeit des Konjunktivgebrauchs und in der Konkurrenzfähigkeit von Indikativformen unterscheiden sich die durchgesehenen Texte. Ein Beleg von Schupp für indirekte Rede ohne Einleitungsverb enthält nebeneinander einen Konjunktiv und eine ambivalente Form: /Sie seyen noch gestern auf dem Weinkeller . . . gewesen, . . . und die alte Freundschafft erneuert haben/ BiSch 4. Nach / s e h e n / finden sich bei Schupp nebeneinander Indikativ und Konjunktiv: /Wann sie sehen, daß es den Leuten wol gehet (Ind.), daß man sich bey ihrem Feuer wärmen könne (Konj.), so kommen sie täglich gelauffen/ BiSch 17. Schließlich begegnen auch in Finalsätzen Indikativ- und ambivalente Formen, vgl. BiSch 11. Noch regelmäßiger stehen Konjunktivformen in den entsprechenden Modellen in BiAbr^. Hier herrscht der Konjunktiv absolut in den Finalsätzen, aber auch in der indirekten Rede. Zweifelhaft ist nur das oben (S. 236) angeführte Beispiel aus BiAbr^ 18 mit der unklaren Form der 3. Person Plural / s e y n / . Indikativformen stehen neben dem Konjunktiv noch in folgendem Satz: /Solche Zahl zusammen genohmen machet 1025. so lang werde die Türckische Macht stehen, ehe sie schwach wird, geschlagen w i r d / BiAbr. 4.

Modus

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Auch im "Geselligen" kommen Indikativformen in usuellen Konjunktivmodellen vor, so nach / w i s s e n / : /Denn da sie wohl wissen, daß eine aufgebrachte Leidenschaft den Verstand mit einem Nebel umziehet/ BiG 62; nach /ob gleich/: /Chloris ist unverheirathet . . . ob sie gleich ein zärtlich Herz besitzet/ BiG 51; nach / o b / : /Ob solche Menschen in der Gesellschaft zu dulden sind, wird der Leser selbst urtheilen/ BiG 62, sowie nach / b i s / , das in Texten des 16. Jahrhunderts in Temporalsätzen in der Regel den Konjunktiv nach sich zog: / b i s einer den andern überfällt/ BiG 66. Eine Gruppe für sich bilden die ambivalenten Formen des Typs /beygetragen haben/. Es ist zu v e r muten, daß einige der sprachlichen Besonderheiten dieser Quelle schon einem späteren grammatischen Usus entsprechen: ''Der Gesellige" folgt bereits den Regeln der geschriebenen Literatursprache der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts. Wissenschaftliche Prosa Die Verteilung der Konjunktivformen in den wissenschaftlichen Texten (Fpr) ist wegen der Begrenztheit des Materials und der Zahl der Belege (s. Tabelle 9) wenig aufschlußreich. Bei Bodmer fehlt das Futur, bei ihm und Breitinger ist der Konditional n nicht vertreten. Das Verhältnis der übrigen Formen der Präsensgruppe (Konjunktiv I) und der Präteritalgruppe (Konjunktiv II) ist für FprBr 21 : 10, für FprBo 8 : 13. Es fällt schwer zu entscheiden, in welchem Maße dieses Verhältnis durch den bevorzugten Gebrauch bestimmter syntaktischer Modelle oder durch den Charakter der Quelle geprägt ist. Auch hier begegnen ambivalente Formen, bei Bodmer jedoch nur vereinzelt, vgl. folgenden Finalsatz mit /damit/: /Dieser Grundsatz bedarf keines Beweises, sondern e e nur einer weitern Ausfuhrung, damit unsere Beurtheilungen in den gebührenden Schrancken bleiben/ FprBo 5; zweideutig bleibt die Form / s e y n / in zwei Belegen. Bei Breitinger kommt der Indikativ in verschiedenen, gewöhnlich den Konjunktiv e r f o r dernden Modellen vor. Er steht nach /anmercken/: /Cicero hat im ersten B(uch) von den Pflichten des Menschen angemercket, daß die Erkenntniß des Wahren nothwendig Lust gebfhren mSsse, eben wie hingegen die Erkenntniß des Falschen . . . Unlust und Eckel bringet/ FprBr 61; hier steht der Indikativ im zweiten Teil des durch /hat angem e r c k e t / eingeleiteten Abschnitts, im ersten Teil steht ein Modalverb im Konjunktiv. Der Indikativ erscheint auch nach / l e r n e n / : /man lernete gleich aus der Erfahrung, daß die Vorstellung . . . auf das menschliche GemSthe eindringet, und dasselbe mit solcher Gewalt rühret, daß . . . / FprBr 8, und nach /wahrnehmen/: Man hat . . . wahrgenommen, daß der mensch für alles . . . so sehr eingenommen i s t / FprBr 7. Nach /bekennen/ ist die in modaler Hinsicht unbestimmte, den Indikativ oder den Konjunktiv ausdrückende Form / s e y n / belegt: / D e r oben angezogene Richardson sieh et sich selbst gezwungen, zu bekennen, daß in der Natur unzehlig viele Schönheiten seyn, die der Mahler . . . unmöglich erreichen kan/ FprBr 17.

M. M. Guchmann

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