Zum Sinn von Religion. Perspektiven mit und auf Hegel 9789004679382, 9789004679399

Hegels Philosophie eröffnet einen tiefen Blick auf das Phänomen von Religion – ein Blick, der dem Feuer der aufklärerisc

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German Pages [296] Year 2023

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Zum Sinn von Religion. Perspektiven mit und auf Hegel
 9789004679382, 9789004679399

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Zum Sinn von Religion. Perspektiven mit und auf Hegel

Critical Studies in German Idealism Series Editor Paul G. Cobben Advisory Board Simon Critchley – Paul Cruysberghs – Rózsa Erzsébet – Garth Green Vittorio Hösle – Francesca Menegoni – Martin Moors – Michael Quante Ludwig Siep – Timo Slootweg – Klaus Vieweg

volume 31

The titles published in this series are listed at brill.com/csgi

Zum Sinn von Religion. Perspektiven mit und auf Hegel Herausgegeben von

Max Gottschlich Robert König

LEIDEN | BOSTON

The Library of Congress Cataloging-in-Publication Data is available online at https://catalog.loc.gov LC record available at https://lccn.loc.gov/2023026507

Typeface for the Latin, Greek, and Cyrillic scripts: “Brill”. See and download: brill.com/brill-typeface. issn 1878-9986 isbn 978-90-04-67938-2 (hardback) isbn 978-90-04-67939-9 (e-book) Copyright 2023 by Max Gottschlich und Robert König. Published by Koninklijke Brill NV, Leiden, The Netherlands. Koninklijke Brill NV incorporates the imprints Brill, Brill Nijhoff, Brill Schöningh, Brill Fink, Brill mentis, Brill Wageningen Academic, Vandenhoeck & Ruprecht, Böhlau and V&R unipress. Koninklijke Brill NV reserves the right to protect this publication against unauthorized use. Requests for re-use and/or translations must be addressed to Koninklijke Brill NV via brill.com or copyright.com. This book is printed on acid-free paper and produced in a sustainable manner.

Inhaltsverzeichnis Vorwort vii Zu den Autoren ix Einleitung: Der Zweck der Religion 1 Max Gottschlich Einleitung: Zu den Beiträgen 39 Robert König Parakletos. Hegel und Johannes 46 Robert König Der Weg zur Sprachlichkeit des Weltumgangs: Vernunft und das „unglückliche Bewußtsein“ 70 Werner Schmitt Die Erfahrung der Todesangst als die Erscheinung Gottes im Menschen 141 Paul Cobben „Es ist ein Begriff der Freiheit in Religion und Staat“: Die Bedeutung der Religion für den modernen säkularen Staat – Ambivalenz und Spannung 163 Olga Navrátilová Sind bestimmte Religionen unvollendet? Eine Untersuchung des Verhältnisses zwischen Religion und Staat als Ansich und Fürsich des Begriffs 182 Morteza Fakharian Hegels zwieschlächtige Kritik des kosmologischen Gottesbeweises 206 Friederike Schick Zwischen Beurteilung und Aufhebung. Die Frage nach der Verdeutlichung positiver Religionen bei Kant und Hegel am Beispiel des Judentums 229 Amit Kravitz

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Inhaltsverzeichnis

Religion und philosophisches Wissen bei Hegel und Fichte 254 Gaetano Basileo Personenindex 279 Sachindex 281

Vorwort Der vorliegende Band vereinigt Beiträge, die für eine Tagung des internationalen Netzwerks Hegels Relevanz zum Thema „Warum Religion heute? Zur Aktualität von Hegels Religionsphilosophie“ im Jahre 2021 an der Katholischen PrivatUniversität Linz vorgesehen waren. Die Pandemiesituation verunmöglichte die Durchführung der Tagung. Die Religionsphilosophie zählt zu jenen Teilen des Hegelschen Systems, die gegenwärtig weniger im Fokus systematischer Rezeption stehen. Der Blick auf Religion ist vielfach entfremdet. Das deutlichste Zeichen dafür ist wohl die Dominanz von Nützlichkeitsreflexionen  – sei es in negativer Gestalt in den Reihen der Kritiker und Feinde der Religion, sei es in positiver Gestalt in den Reihen jener, die sich um eine Einholung des Sinns von Religion bemühen. Religion, so die eine Seite, sei ein sich in der modernen Welt überlebt habendes Kulturgut, ein polemogener irrationaler Mythos, der einer vergangenen Bewusstseinsstufe angehört und der im Sinne des Kampfes der Aufklärung gegen den Aberglauben im Sieg des wissenschaftlichen Weltbildes endgültig zugrunde gehen müsse. Die andere Seite wirft gleichermaßen Nützlichkeitsaspekte in die Waagschale: Religion, recht verstanden und gelebt, erweise als stabilisierender Faktor humaner Selbstbestimmung ihren Nutzen für den Einzelnen wie auch für die Gesellschaft. Der Titel des Buchs weist im Ausdruck „Sinn“ auf eine andere Perspektive hin, die uns geradezu auffordert, Nützlichkeitsreflexionen aller Art zu transzendieren: die Frage nach dem Sinn als Frage nach dem Selbstzweck, der Präsenz von Vernunft schlechthin. Das ist eine Perspektive, die erst auf dem Boden des Hegelschen Systems logisch begründet entwickelt werden kann. Schon Hegels „Wissenschaft der Logik“ leitet uns zur Einsicht, dass die Vermittlung der inneren Zweckmäßigkeit, in der sich der Zweck in seiner Objektivität aufschließt, die Wahrheit der äußeren Zweckmäßigkeit, der Utilitätsrelationen ist. Hegels Geistphilosophie eröffnet den Blick auf Kunst, Religion und Philosophie als Gestalten des „absoluten Geistes“, die sich nicht durch ihren instrumentellen Charakter für den „objektiven Geist“, der Sphäre des Handelns in der Gemeinschaft, legitimieren, sondern vielmehr als Darstellung und Ausdruck des Interpretierens und Begreifens der Freiheitswirklichkeit Selbstzweck sind. Diesen Totalitätssinn von Religion als Gestalt eines sich erfüllenden Selbstverhältnisses von Vernunft und die Hegelschen Erträge im Denken dessen an ausgewählten Punkten ins Bewusstsein zu heben und argumentativ zu prüfen, ist Absicht dieses Bandes. Dass

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Vorwort

ein solches Unternehmen unvermeidlicherweise fragmentarischen Charakter hat – worauf die nähere Formulierung des Titels verweist –, ist überflüssig zu betonen. Einen systematischen Aufriss des Themas sowie einen Überblick über die Beiträge geben die beiden Teile der Einleitung. Wir danken dem Herausgeber der „Critical Studies in German Idealism“, Prof. Dr. Paul Cobben, für die wohlwollende Aufnahme in die Reihe, ferner den beiden Gutachtern für hilfreiche kritische Stellungnahmen, sowie dem Verlag Brill für die ausgezeichnete Zusammenarbeit. Max Gottschlich Robert König Wien, im Februar 2023

Zu den Autoren Dr. Gaetano Basileo ist wissenschaftlicher Mitarbeiter (Postdoc Fellow) am Lehrstuhl für Moralphilosophie der Universität L’Aquila. Er promovierte an den Universitäten Köln und Rom „Tor Vergata“ (Kotutelle) mit einer Studie zu dem Begriff des Lebens in Hegels Phänomenologie des Geistes. Aktuelles Forschungsinteresse ist das Verhältnis zwischen Leben, Sein und Subjektivität im Deutschen Idealismus. Ausgewählte Veröffentlichung: Principio, metodo e sistema nella filosofia classica tedesca (mit Giannino Di Tommaso). Dr. Paul Cobben ist Professor emeritus an der Universität Tilburg und Gastforscher an der Freien Universität Amsterdam. Seine Veröffentlichungen kombinieren einen systematischen Ansatz mit einem historischen und konzentrieren sich auf die praktische Philosophie des Deutschen Idealismus und der Frankfurter Schule. Neueste Bücher: The Paradigm of Recognition. Overcoming the Fear of Death (2012), Value in Capitalist Society. Rethinking Marx’ Criticism of Capitalism (2015) and Marx bevrijd. Natuur en vervreemding in de 21e eeuw (2022). Morteza Fakharian promoviert an der Georg-August-Universität Göttingen über die Konstitution der zweiten Natur bei Hegel und ist als Lehrbeauftragter an derselben Universität tätig. Seine Forschungsschwerpunkte sind Kant und der deutsche Idealismus, insbesondere Schelling und Hegel. DDr. Max Gottschlich ist Senior Lecturer am Institut für Praktische Philosophie/Ethik der Katholischen Privat-Universität Linz. Arbeitsschwerpunkte: Logik, Grundlegungsfragen der praktischen Philosophie, Philosophie der Sprache, Naturphilosophie. Dr. Robert König lehrt Philosophie an der Universität Wien, weiteren Hochschulen und an einem Gymnasium. Er ist Mitbegründer der „Archivbibliothek für PostNeukantianismus und kritischen Idealismus der Gegenwart“ (APIG) an der Universität Wuppertal.

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Zu den Autoren

Dr. Amit Kravitz ist wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Ludwig-Maximilians-Universität, München. Seine Schwerpunkte sind Ethik, Philosophie der Religion, jüdische Philosophie, Kant und der deutsche Idealismus. Er hat zahlreiche Aufsätze auf Deutsch und Englisch in internationalen Zeitschriften veröffentlicht, u.a. in Kant-Studien, Kantian Review, Archiv für Geschichte der Philosophie, Sophia und Journal of the History of Ideas. Im Jahre 2018 hat er mit Dr. Jörg Noller einen Sammelband im Mohr Siebeck Verlag zum Thema Der Begriff des Judentums in der klassischen deutschen Philosophie herausgegeben. Dr. Olga Navrátilová unterrichtet Philosophie an der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Karlsuniversität in Prag. Ihre Forschungsschwerpunkte sind die Philosophie der deutschen Aufklärung und die deutsche klassische Philosophie. Neben mehreren Aufsätzen insbesondere zu Hegel und Herder hat sie eine Monographie Stát a náboženství v Hegelově filosofii (Staat und Religion in Hegels Philosophie, Prag 2015) veröffentlicht. Dr. Friederike Schick ist außerplanmäßige Professorin am Philosophischen Seminar der Universität Tübingen und Mitarbeiterin im Forschungsprojekt „Religionsphilosophie im Spätwerk Hegels und Schellings“ an der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Universität Tübingen. Forschungsschwerpunkte: Hegels Wissenschaft der Logik, Rechts- und Religionsphilosophie. Dr. Werner Schmitt studierte Philosophie an der Johann Wolfgang Goethe-Universität/Frankfurt am Main; 1972 Promotion bei Bruno Liebrucks; 1977–1979 Habilitandenstipendium der DFG; 1966–1981 Tutor, Hilfsassistent und letzter Assistent von Liebrucks; 1980–1984 nebenberuflicher pädagogischer Mitarbeiter der Volkshochschulen Frankfurt und Offenbach; 1984–2007 Erzieher und Lehrer am Evangelisch-lutherischen Studienheim des Windsbacher Knabenchors. Veröffentlichungen: Das Selbstbewußtsein als Inbegriff der drei Formen der Positivität, Bern/Frankfurt am Main 1975; Aufsätze u.a. zu Hegel, Liebrucks, Hölderlin und der philosophischen Deutung des griechischen Mythos.

Einleitung: Der Zweck der Religion Max Gottschlich Wird der Zweck oder Sinn von etwas fraglich, dann ist diese Frage zunächst Ausdruck einer Entfremdung im Sinne des Zerbrechens unmittelbarer Gewissheiten durch die Reflexion. Diese Entfremdung kann zunächst in den Abgrund der Selbstäußerlichkeit und Verdinglichung führen. So ist der reflektierende Mensch nach Fichte eher dazu bereit, sich für ein Stück Lava im Mond denn für ein Ich zu halten.1 Dieser Dogmatismus (Fichte) tritt auch in gelehrter Form mit dem Anspruch auf Wissenschaftlichkeit auf. Eine solche Entfremdung betrifft auch die Religion. Seit der neuzeitlichen Aufklärung ist ein dinglich-verobjektivierendes Verständnis von Religion prägend geworden. Darin wird Religion als beschreibbarer Gegenstand angesehen, etwa mit Blick auf ihren institutionellen Charakter, ihre gesellschaftliche Funktion, das Verhalten der „Religionsangehörigen“ oder durch eine Rekonstruktion ihres Gehaltes, der als geschichtlich gewachsenes Aussagensystem untersucht wird. Zu meinen, auf diese Weise den Sinn von Religion in zureichender Weise erfassen zu können, ist jedoch ein Kurzschluss. Denn in einer solchen Betrachtung geht schon der ursprüngliche, subjektiv-praktische Sinn von Religion verloren.2 Aber auch darin erschöpft sich nicht die Bedeutung der Religion. Denn die lebensorientierende Bedeutung der Religion gründet in dem, was man absolut-geistige Sinndimension bezeichnen kann. Diese besteht, wie wir mit Hegel sehen darin, dass Religion als jener Freiheitsvollzug verstanden wird, in welchem sich der Sinn der menschlichen Existenz erschließt. Die Frage danach wird nur eine solche Philosophie ernsthaft zu stellen vermögen, die über den entfremdenden Reflexionsstandpunkt hinausgelangt ist. Darin liegt auch eine Herausforderung für die Hegelforschung. So stellte

1 Fichte, J.G., Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre, in: Gesamtausgabe der Bayerischen Akademie der Wissenschaften I/2, hrsg. von Lauth, Reinhard; Fuchs, Erich und Gliwitzky, Hans, Stuttgart-Bad Cannstatt 1965, S. 326, Anm. 2 Die sprachlichen Wurzeln des Wortes „Religion“ (von relegere bzw. religare) zeigen auf diesen Zusammenhang (vgl. Der kleine Pauly. Lexikon der Antike in fünf Bänden, Band 4, Stuttgart-Weimar 2013, Sp. 1376). So wird in der älteren Theologie „religio“ synonym mit „εὐσέβεια“, dem adäquaten Verhalten gegenüber dem Gott im Sinne der „Frömmigkeit“ (vgl. Der kleine Pauly. Lexikon der Antike in fünf Bänden, Band 2, Stuttgart-Weimar 2013, Sp. 458), sowie mit „θρησκεία“, „Gottesdienst“ verstanden.

© Max Gottschlich, 2023 | doi:10.1163/9789004679399_002

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Michael Theunissen anlässlich des 200. Geburtstages von Hegel fest, „daß die Lehre vom absoluten Geist, in der sich die Philosophie Hegels nach dessen eigenem Verständnis vollendet, der Verachtung, ja dem Gelächter preisgegeben ist“.3 Insofern sich die Hegelforschung in die Tradition des Linkshegelianismus stellt, setzt sie den Akzent auf die Lehre vom objektiven Geist,4 was zu perspektivischen Verkürzungen führt – weshalb Theunissen den Finger auf die politische Bedeutung absolut geistiger Selbstvergewisserung legte. Ohne Entfremdung gibt es auch keine begriffliche Aneignung. Darin liegt die zweite Bedeutung von Entfremdung: die Aufhebung der Fremdheit. Die Frage nach dem Grund ist Ausdruck des Vernunfttriebes, dessen also, dass sich die Vernunft in dem, was wirklich ist, wiederfinde, dass sie sich als Wirklichkeit erfasse. Der zureichende Grund ist, wie wir bereits in Platons Prinzipienlehre5 und der aristotelischen Lehre von den vier Bedeutungen von Grund bzw. Ursache lernen, der Zweck. Jene Erkenntnis erfasst die Vermittlung des Grundes am tiefsten, die den Zweck einer Sache zur Sprache bringt. Es geht dabei um das Sich-Erfassen der Vernunft in ihrer Wirklichkeit. Die tiefere Sinndimension von Religion bestünde dann darin, dass sich in ihr dieser Zweck aktuiert. Wenn diese Sinndimension von Religion erfasst wird, mag dies auch ein neues Licht auf die in der Entfremdung zunächst verschwundene subjektiv-praktische Dimension von Religion werfen.6 Dieser Herausforderung müssen sich, so scheint es, heute alle Religionen, jedenfalls in den „westlichen“ Kulturen, stellen. In der Art und Weise, wie sich deren Substanz auszulegen und in ihrer Vergegenwärtigung in Form des Kultus zu bewähren vermag, erweist sich ihr Entwicklungspotential, man könnte sagen: die Plastizität einer bestimmten Religion (bzw. Konfession) in der Subjektwerdung (im Sinne der Aneignung und Verinnerlichung des Gehalts). 3 Theunissen, Michael, Hegels Lehre vom absoluten Geist als theologisch-politischer Traktat, Berlin 1970, S. VII. 4 Es ist ein Charakteristikum dieser Auslegungstradition, nicht nur den Staat auf die Gesellschaft zu reduzieren (vgl. Ottmann, Henning, Individuum und Gemeinschaft bei Hegel, Band 1: Hegel im Spiegel der Interpretationen, Berlin-New York 1977, S. 26), sondern zudem den absoluten Geist, insbesondere die Religion, allenfalls in ihrer Funktionalität für die Gesellschaft als relevant anzusehen. Es komme alles auf die Verwirklichung der Freiheit im Handeln in der Gesellschaft an (was sich plakativ in Marxens 11. Feuerbach-These ausspricht). Philosophie tendiert dann dazu, sich in Gesellschaftstheorie aufzulösen. 5 Platon, Philebos 23cff. Der Begriff des Zwecks ist seit Anaxagoras stets mit dem der Vernunft (νοῦς) verknüpft. 6 In diesem Sinne lässt sich der bekannte Ausspruch Bacons verstehen: „It is true that a little philosophy inclineth man’s mind to atheism; but depth in philosophy bringeth men’s minds about to religion“; (Bacon, Francis, The Essays or Counsels, civil and moral, XVI. Of Atheism, London 1884, S. 106).

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Die Frage nach dem über den subjektiv-praktischen Sinn hinausgehenden Sinn von Religion und der Logizität ihrer geschichtlich erschienenen Formen ist wohl von kaum einem Denker in der Tiefe und Breite bedacht und auseinandergelegt worden, wie von Hegel. Die Linie lässt sich vom jungen Hegel, der sich in den Theologischen Jugendschriften der Frage nach der Legitimität der Positivität jedes Glaubens stellt, bis hin zum reifen Hegel ziehen, der auf dem Boden der spekulativen Logik eine umfassend angelegte Religionsphilosophie vorträgt. Dabei leiten ihn fundamentalphilosophische Motive, insbesondere die Überwindung des Standpunkts der Reflexionsphilosophie, exoterisch gesprochen: die Auseinandersetzung mit der Aufklärung und ihren Rationalitätsforderungen.7 Hegel begreift Religion als bestimmte Form des höchsten Selbstverhältnisses der Vernunft und damit als Vollzugswirklichkeit von Freiheit. Nur auf dem Boden dieser Einsicht lässt sich nach Hegel die reflexive Entfremdung überwinden. Zunächst seien Einwände adressiert, mit denen sich das Unternehmen einer philosophischen Aneignung des Sinnes der Religion konfrontiert sieht. 1 Einwände Da ist zum einen die unter Proponenten der Religionsphilosophie und Theologie verbreitete Behauptung, Religion und Vernunft, Glaube und Wissen seien verschieden bzw. entgegengesetzt8 („Jerusalem“ vs. „Athen“, „Gott der Religion“ vs. „Gott der Philosophen“9). Die Religion habe es mit dem Übervernünftigen zu tun, das sich in einer Offenbarung zeige. Mit Blick darauf müsse man versuchen, die bleibende Relevanz von Religion gegen eine in Einseitigkeiten führende „Vernunftherrschaft“ zu legitimieren, womit man der Sache

7 Vgl. Hegels Abhandlung: Glauben und Wissen oder Reflexionsphilosophie der Subjektivität in der Vollständigkeit ihrer Formen als Kantische, Jacobische und Fichtesche Philosophie, in: Hegel, G.W.F., Jenaer Schriften 1801–1807, in: Werke 2, S. 287–433. 8 Zur Metakritik der theologisch inspirierten Hegelkritik sei auf die Auseinandersetzung in Theunissen, Hegels Lehre vom absoluten Geist, S. 27–59, verwiesen. 9 Vgl. Weischedel, Wilhelm, Der Gott der Philosophen. Grundlegung einer Philosophischen Theologie im Zeitalter des Nihilismus, Darmstadt 1998 (Nachdruck der 3. Aufl. von 1975) und davor Picht, Georg, Der Gott der Philosophen und die Wissenschaft der Neuzeit, Stuttgart 1966. – Zum Begriff einer philosophischen Theologie, die über den Gegensatz von vernünftig vs. übervernünftig hinausgeht, vgl. Hoffmann, Thomas S., Was ist philosophische Theologie? Der „Gott der Philosophen“ und das Geschick der Säkularität, in: Allgemeine Zeitschrift für Philosophie 25.3 (2000).

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nach den abstrakten Verstand10 und die Herrschaft der Urteilsform (im Sinne Kants: der bestimmenden Urteilskraft) meint. Die „via negativa“ in der Gottesrede speist sich, aus Sicht der Hegelschen Logik betrachtet, insbesondere aus einer Einsicht in die Endlichkeit der Urteilsform. Mittels gegenständlicher Prädikation kommt das Spekulative in seiner Bewegung der Selbstbestimmung der absoluten Form, das Sich-Aufschließen nicht zur Sprache. Darin liegt auch der Sinn der philosophisch vermittelten Mystik.11 Doch indem eine Apologie des „Übervernünftigen“ von einer Gleichsetzung von Verstand und Vernunft12 ausgeht, wird ihr dieses letztlich zum Widervernünftigen. Dann bleibt nur die Forderung, einen irrationalen Sprung (S. Kierkegaard) in den Glauben zu vollziehen. Man gelangt zu einem voluntaristisch-subjektivistischen Dogmatismus, einem Mystizismus, der den eigentlichen Gehalt der Religion, d.h. den Begriff Gottes sowie der Einheit von Gott und Mensch, als unsagbar behauptet und daher meinen muss, festen Boden allein in Unmittelbarkeiten finden zu können, in Evidenzen, „religiösen Erfahrungen“, die erweisen würden, dass Gott sei und wirke, ohne dass damit das Was, der Begriff Gottes, zum Ausdruck und zur Darstellung gebracht werden würde. Quelle dieser Überzeugung ist, in Hegelscher Perspektive, ein abstrakter (unvernünftiger) Vernunftbegriff, eine Verwechslung von Vernunft und Verstand. Die Behauptung: der „menschliche Geist“ sei nur-endlicher Geist im Gegensatz zum unendlichen, göttlichen Geist und außerstande, den absoluten Gehalt zu begreifen, Gott zu erkennen, stellt die „schlechteste der Tugenden“13 dar. Denn damit wird das Endliche, und das bedeutet auch immer: 10 In der christlichen Tradition wäre auf das „credo quia absurdum est“ (Tertullian) zu verweisen. 11 Das Spekulative erscheint als das ‚Mystische‘, weil dieses das Denken der coincidentia oppositorum (N. v. Cues) fordert. Alles Vernünftige ist insofern ‚mystisch‘, indem es ein Hinausgehen über die abstrakten Verstandesgegensätze fordert. Vgl. Hegel, G.W.F., Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften. Erster Teil, in: Werke 8,  § 82 Zusatz, S. 178f. Eine jüngere Arbeit, die im Ausgang von der Tradition der spekulativen Philosophie in originärer Weise den Begriff des Mystischen stark macht und entwickelt, ist König, Robert, Logik + Mystik (2. Bde.), Norderstedt 2019. 12 Zu Verstand und Vernunft im Lichte der Methode vgl. Hegel, Enzyklopädie,  §§ 80–82, S. 169–179. Der Verstand hält die Bestimmungen gegeneinander fest; die Vernunft begreift die Einheit der Entgegengesetzten und löst damit den Widerspruch auf. Abstrakter Verstand dagegen ist er dort, wo der Verstand nicht als Moment der Vernunft dient, sondern bei der Entgegensetzung der Bestimmungen und damit beim Widerspruch stehengeblieben wird. Vgl. Hegel, G.W.F., Wissenschaft der Logik I, in: Werke 6, Frankfurt am Main 1986, S. 287. 13 Hegel, G.W.F., Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften im Grundrisse 1830. Dritter Teil, in: Werke 10, Frankfurt am Main 1986, § 386, S. 35; vgl. auch den Zusatz zu § 445, S. 244f.

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die schlechte Unendlichkeit des abstrakten Verstandes gegen die Negativität – also die Selbsttranszendenz des Verstandes, der sich zu sich als Vernunft abstößt14 – verabsolutiert. Hegel deckt die im Kleide vorgeblicher Bescheidenheit liegende Hybris auf. Jene Dimensionen, die in religiöser Vorstellung als „menschliche Vernunft“ im Gegensatz zur „übernatürlichen Vernunft“ gegenübergestellt werden, sind in Wahrheit Dimensionen der einen Vernunft, des einen Logos, der sich aufschließt. Darin liegt umgekehrt nicht die Blasphemie einer unmittelbaren Gleichsetzung von endlichem Geist und dem Absoluten. Auch dieser Einwand tritt in diesem Zusammenhang auf: Hegel lehre die Selbsterlösung des Menschen. Der Mensch als endlicher Geist verwechselt sich bei Hegel nicht mit Gott. Der Geist im Sinne Hegels ist die konkrete Identität von Mensch und Gott, also eine Identität, die den Unterschied in sich hat und nicht durchstreicht. Im Sinne des religiösen Bewusstseins gewendet, ist die Bewegung des Menschen zu Gott nur die eine Seite der Vermittlungsbewegung. Diese muss zugleich die Bewegung Gottes zum Menschen sein. Das religiöse Bewusstsein ist das Bewusstsein der Einheit dieser Bewegungen.15 Gleichwohl gilt: Es gibt keine Arten von Vernunft – weder in der Logik, noch in der Natur und im Geistigen, in den Freiheitswelten und ihrer Selbsterfassung.16 Kennzeichnet man den Gehalt der Religion als „übervernünftig“, bringt dies eine Selbstäußerlichkeit der Vernunft zum Ausdruck, die sich bis zur Misologie17 potenzieren kann. Diese Position beruht auf einem Widerspruch: es wird für den Irrationalismus „rational“ argumentiert bzw. gefordert, das Unsagbare, das sich nur in Evidenzen zeige, allgemein mitzuteilen. Anders gewendet: Auch der deus absconditus, der im Sinne der Trennung von essentia und existentia 14

Der Verstand, der die Entgegengesetzten festhält, muss, im Sinne der Hegelschen Logik, in den Widerspruch gehen, der Widerspruch muss in seinen Grund zurückgehen. Nur so wird die Vermittlung als reale Vermittlung gedacht. Der Grund aber erweist sich als der sich realisierende und als solcher wissende Zweck (die Idee als Vernunfttotalität). 15 „Die Religion […] ist ebensosehr als vom Subjekte ausgehend und in demselben sich befindend als objektiv von dem absoluten Geiste ausgehend zu betrachten, der als Geist in seiner Gemeinde ist“. (Hegel, Enzyklopädie, § 554, S. 366) In diesem Sinne weist Paul Cobben in seinem Beitrag auf die Notwendigkeit der „Phänomenologie des Geistes“ als Anfang des Systems überhaupt hin, weil in ihr die Bewegung des Bewusstseins zugleich erfahren, durchgemacht, „durchfühlt“ wird. Damit wird akzentuiert, dass diese Bewegung vom Einzelnen nur hervorgebracht wird, indem sie zugleich empfangen wird, in religiöser Sprache: von Gott ausgeht. 16 Diese Einsicht steht und fällt mit dem Begriff der absoluten Form, des logischen Ich als der forma formarum, wie er im Anschluss an Kant zu entwickeln ist. Dieser ist nicht ein besonderes Allgemeines, das sich in einer Begriffspyramide finden ließe, sondern die Voraussetzung alles Einteilens. 17 Hegel, Enzyklopädie, § 11, S. 55.

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der ganz Andere sein soll, muss sich als solcher offenbaren. Der Dogmatismus besteht hier darin, dass die äußere Reflexion die Dialektik, die in diesem „Als“ steckt, übersieht. Diese Position bleibt in Gegensätzen des Verstandes stehen. Über die abstrakte Entgegensetzung von Transzendenz und Diesseits ist aber hinauszugehen und Religion als Bewusstsein der „Transzendenz ins Diesseits“18 zu begreifen. Eine andere Position ist dem Irrationalismus zunächst entgegengesetzt. Sie besteht in rationalistischen, d.h. bloß verstandesphilosophischen Legitima­ tionsversuchen von Religion angesichts der Religionskritik, die sich im Gefolge der (neuzeitlichen) Aufklärung artikulierte. Diese besagt: es ist durchaus „Vernunft“ in der Religion, jedoch vermischt mit Aberglauben, Irrationalem. Die Aufgabe bestünde in einer Reinigung in Gestalt einer Entmythologisierung, wobei „Mythos“ von vornherein pejorativ als irrationale Rede verstanden wird. Die religiöse Rede müsse in eine rational bestimmbare Rede übersetzt werden, die den „vernünftigen“ (d.h. durch den Verstand fassbaren) Kerngehalt expliziert. Hegel hat dies, wie schon Kant, in Gestalt der theologia rationalis vor Augen. Dieser rationale Kern unterliegt jedoch eigentümlicherweise einer konstanten Schrumpfung im Sinne der Tendenz zur zunehmenden Abstraktion. Immer dürftiger werden die als legitimierungsfähig erscheinenden Gehalte: vom Theismus, der noch einen persönlichen Gott kennt, gelangt das Streben nach „reiner Einsicht“ zum Deismus, bis bloß der Glaube an ein höchstes Wesen überhaupt, die „Göttin der Vernunft“, übrig bleibt.19 Was also in der ersten Position, dem Irrationalismus, (vermeintlich) als aneignungsinadäquat abgehalten werden sollte, nämlich die Dominanz des abstrakten Verstandesbegriffs, das übernimmt in der zweiten Position inhaltlich die Führung. Auch hier ist der Widerspruch das Schicksal: Die rationalistische (aufklärerische) Legitimation von Religion entzieht sich in ihrer Durchführung selbst den Boden. Die religiöse Bildersprache wird in der Entmythologisierung abstrakt negiert, die Religionen werden nivelliert und der Gehalt der rationalistischen „Religion überhaupt“ reduziert sich auf eine abstrakte Chiffre für das Selbstverhältnis der Vernunft, ohne dass die spezifische Weise eines religiösen Selbstverhältnisses der Vernunft noch thematisierbar wäre. Dieser Aneignungsversuch generiert also de facto Entfremdung. Diese kann so weit gehen, die Religion zu einer Menge von Sätzen eines Sprachspiels zu 18 So die Charakteristik religiöser Handlungsformen, die in der Zeit Zeitfreies zur Darstellung bringen, bei Gehlen, Arnold, Urmensch und Spätkultur. Philosophische Ergebnisse und Aussagen, 6., erw. Aufl. Frankfurt am Main 2004, S. 16, 136 und öfter. 19 Vgl. das Aufklärungskapitel der „Phänomenologie des Geistes“.

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vergegenständlichen, das in äußerlicher Reflexion auf seine Kohärenz und Konsistenz hin untersucht wird. Sobald man den Gehalt der Religion zu einer Menge von Sätzen und deren Gebrauchs- bzw. Verknüpfungsregeln verobjektiviert, gerät aus dem Blick, was in der aufklärerischen „Göttin der Vernunft“ zumindest andeutungshaft präsent war, nämlich dass es in der Religion um ein Selbstverhältnis der Vernunft geht und die Aneignung der Religion in der logischen Durchdringung dieses Selbstverhältnisses liegen muss. In diesem Zusammenhang ergibt sich bei Hegel, dass die vernünftigen Gehalte der Religion(en), insbesondere das Credo des Christentums an einen trinitarischen Gott, nur auf dem Boden der spekulativen Logik – die die zu Ende gedachte formale und transzendentale Logik ist – begriffen werden können.20 Ein dritter Einwand besagt, dass Hegels Forderung, die Gehalte der Religion im Medium des philosophischen Begriffs zu erfassen, einer Ersetzung der Religion durch Philosophie gleichkomme. Dem wäre zu entgegnen: Eine begrifflich angeeignete Religion wird als Religion nicht obsolet. Der philosophische Begriff (im Sinne Hegels) ist nicht zu verwechseln mit der äußeren Reflexion, die es mit einem Gegenstand zu tun hat, der als ein gegebener angesehen wird und über den in distanzierter Haltung reflektiert wird. Ein Vergleich mit der Kunst mag dies illustrieren: Derjenige, der über ein begrifflich geschärftes Bewusstsein dessen, was Kunst ist und sein soll, verfügt, verliert nicht die ästhetische Erfahrung. Im Gegenteil – diese wird durch den philosophischen Begriff21 als solche erst sprechend. Der Begriff verschließt nichts Wirkliches, sondern er ist das Aufschließen alles Wirklichen. Dies gilt auch für die Religion: das religiöse Bewusstsein wird nicht durch einen „kalten, blassen Gedanken“ abgelöst. Einer philosophischen Aneignung der Religion nach Hegel geht es um ein Aufschließen des lebendigen Ursprunges und des (logischen) Gehaltes des religiösen Bewusstseins und Gefühls.

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Die beeindruckenden theologischen Arbeiten aus der Hegelschule, etwa Karl Rosenkranz’ Encyklopädie der theologischen Wissenschaften (2. Aufl. 1845) sowie von philosophisch inspirierten Theologen des 19. Jahrhunderts wie Ferdinand Christian Baurs Lehrbuch der christlichen Dogmengeschichte (3. Aufl. 1867) sind heute selbst in Fachkreisen kaum bekannt. Zu den wenigen, die theologisch-systematisch an Hegel anknüpfen, gehören im deutschen Sprachraum Joachim Ringleben (Das philosophische Evangelium. Theologische Auslegung des Johannesevangeliums im Horizont des Sprachdenkens, Tübingen 2014) und Kurt Appel (Zeit und Gott. Mythos und Logos der Zeit im Anschluss an Hegel und Schelling, Paderborn 2008). Dies gilt für den Hegelschen, nicht für den Kantischen Begriff des Begriffs.

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Stufen in der Beantwortung der Frage nach dem Zweck der Religion

Die denkende Aneignung von Religion hat die Frage nach ihrem zureichenden Grund, ihrem Zweck zu beantworten. Die logisch22 möglichen Antworten auf diese Fragen stehen nicht nebeneinander, sondern stellen einen Weg vom Abstrakten zum Konkreten dar. Dieser Weg spannt sich zwischen zwei entgegengesetzten Bestimmungen auf: der Bestimmung der äußeren Zweckmäßigkeit im Sinne der Äußerlichkeit des Mittels gegen den Zweck, einer instrumentellen Reflexion, und der Bestimmung der inneren Zweckmäßigkeit. Beide stehen nicht nebeneinander. Die Vermittlung der beiden liegt in der Einsicht, dass das Mittel dem Zweck nicht äußerlich ist. Die erste Bestimmung illustrieren wir in der Folge durch Gestalten einer Utilitätsreflexion. Die über die Instrumentalität hinausführende Betrachtung im Sinne der notwendigen Mittelhaftigkeit finden wir in der Kantischen Philosophie. Die dritte Bestimmung des Zwecks der Religion im Sinne der inneren Finalität entfaltet Hegel. 2.1 Utilitätsreflexionen (Religionskritik, Gehlen, Lübbe) Den abstrakten Anfang der reflexiven Entfremdung von der Religion (bzw. wenn wir an die Antike denken: vom mythischen Bewusstsein) macht die Frage nach dem Zweck im Sinne der Reflexion auf die Nützlichkeit, die äußere Zweckmäßigkeit. Dies ist der Standpunkt der (Verstandes-)Aufklärung, deren Zentralkategorie die Nützlichkeit, die Verwandlung alles Ansichseins in ein Fürmichsein ist.23 Leitend ist dabei der abstrakte Verstand im Sinne des von der Anschauung losgelösten rein intelligiblen Allgemeinbegriffs, der als Urteilswerkzeug auf Gegenstände, die durch ihn durchgängige widerspruchsfreie Bestimmtheit erlangen, angewandt werden können soll. Für diesen Ansatz ist jenes Denken, in dem sich die Rede des religiösen Bewusstseins bewegt, nämlich ein Denken in sinnlichen Gestalten, das universale fantastico (Giambattista Vico) schlicht Nonsens.24 Die Sprache der Religion kann daher unter diesen logischen Voraussetzungen nur als irrationaler Mythos erscheinen. Hier setzt die Religionskritik bzw. Sprachkritik an. In diesem Mythos artikuliere sich, so die Kritik, eine

22 Vgl. Hegels „Wissenschaft der Logik“. 23 Vgl. das Aufklärungskapitel in Hegels „Phänomenologie des Geistes“. 24 Zu Vico vgl. Liebrucks, Bruno, Sprache und Bewußtsein, Band 1: Einleitung. Spannweite des Problems. Von den undialektischen Gebilden zu den dialektischen Bewegungen, Frankfurt am Main 1964, 248ff.

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Projektion, in der sich der Mensch Gott nach seinem Bilde macht.25 Als solche ist Religion nicht nur kein Zweck, sondern auch kein Mittel, das der Kultur von großem Nutzen sein könnte. Um dieses Argument zu stützen, wird oft auf die neuzeitliche Geschichte Europas und die Trennung von Recht und Staat von der Religion verwiesen. Diese Unterscheidung des Rechts und der staatlichen Ordnung als relativ selbständige Sinnsphäre von Freiheit gegenüber der Religion ist in der Tat eine gewaltige Errungenschaft, die – wie Hegel betonen würde  – durch das mit dem Christentum in die Welt gekommene Bewusstsein der Freiheit, dass nämlich der Mensch als Mensch frei sei, erst möglich wurde. Religion dient nicht – zumindest im Selbstverständnis des modernen Rechtsstaats – unmittelbar zur Etablierung einer rechtlichen und politischen Ordnung, wodurch umgekehrt die Religion aus ihrer Dienerrolle in der Politik befreit wurde. Nun fordert die Religionskritik mitunter zudem, dass Religion überhaupt aus der Kultur auszumerzen sei,26 denn sie sei nicht nur Ausdruck eines unmündigen, voraufgeklärten Bewusstseins, das zu einem aufgeklärten Weltbild (das sich auf die je aktuellen Resultate der Einzelwissenschaften und ihrer Modelle stützt27) nichts beizutragen vermag. Dieselbe Entgegensetzung 25 Vgl. in der Antike bereits Xenophanes’ Kritik am Anthropomorphismus der griechischen Götter im Zeichen des (unanschaulichen) eleatischen Einen. Der schon dort geltend gemachte Projektionsvorwurf übersieht die Dialektik, dass sich Bewusstsein immer über den Umweg dessen, was es nicht ist, versteht. Der Mensch versteht sich zunächst immer im Umweg über seine Herstellungen. Wenn daher der alttestamentarische Prophet Jesaja sich in seiner Kritik am heidnischen Götzendienst fragt, wie es denn sein könne, dass der Mensch dazu gelangt, Dinge, die er doch selbst hergestellt hatte, zu verehren, wird diese Dialektik des menschlichen Weltumganges unterbelichtet. Vgl. Liebrucks, Sprache und Bewußtsein. Band 1, S. 403f. sowie ders., Sprache und Bewußtsein. Band 5: Die zweite Revolution der Denkungsart. Hegel: Phänomenologie des Geistes, Frankfurt am Main 1970, S. 184 u. 226. – Auf den Projektionsvorwurf stützen sich ebenso die Argumente der neueren Religionskritik bei Feuerbach, Marx und Freud. So spricht Marx, vor dem logischen Problem des Scheins im Zusammenhang mit dem „Fetischismus“ der Ware stehend, von der „Nebelregion der religiösen Welt […]. Hier scheinen die Produkte des menschlichen Kopfes mit eigenem Leben begabt, untereinander und mit den Menschen in Verhältnis stehende selbständige Gestalten. So in der Warenwelt die Produkte der menschlichen Hand“. (Das Kapital, MEW 23, S. 86f.) Zu Freud vgl. Freud, Sigmund, Die Zukunft einer Illusion, in: Mitscherlich, Alexander; Richards, Angela und Strachey, James (Hrsg.), Studienausgabe IX, Frankfurt am Main 1974, S. 135–189. 26 Vgl. die Drei-Stadien-Lehre Auguste Comtes. 27 Man denke an die Propagierung der „wissenschaftlichen Weltauffassung“ (R. Carnap) im Positivismus. Die Sätze der Religion sind, gemessen am semantischen Ideal des (frühen) Positivismus, sinnlos, insofern sie keine Propositionen sind, die Tatsachen in Sachverhalten wiedergeben (wie es die Sätze der theoretischen Physik im Verständnis des Positivismus tun). Da befinden sich die Sätze der Religion in guter Gesellschaft. Denn

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von Glauben und Wissen, auf die eingangs verwiesen wurde, tritt hier unter anderem Vorzeichen auf. Religion sei vollständig sinn- und funktionslos. Religion existiere nur insofern noch, als die Aufklärung nicht vollendet sei und die historischen Bedingungen noch nicht gegeben seien, unter denen die Religion völlig beseitigt werden kann. Diese Bedingungen liegen im wissenschaftlich-technischen Fortschritt. Aufgrund dieses Fortschritts werden uns die Mittel zur Gestaltung unserer Lebensbedingungen und zur Befrie­di­ gung unserer Bedürfnisse in einer Weise verfügbar, dass wir gar nicht mehr auf die Religion, deren Inhalt hauptsächlich in einer Vertröstung auf ein Jenseits bestünde, angewiesen sind. An die Stelle der Religion treten dann, wie man gegenwartskritisch ergänzen kann, Heilssubstitute, in denen sich untergeordnete Sphären der Freiheitswirklichkeit verabsolutieren (das religiöse monotheistische Bewusstsein würde von Götzen sprechen): etwa jene des Waren- und Kapitalverkehrs im „System der Bedürfnisse“ (Hegel), in dem der Konsum der Ware zu jenem „Sakrament“ wird, durch welches der Einzelne sich in einer communio mit der Anerkennungs-Gemeinde der Konsumenten dieser Ware, die sich diesem Lifestyle verschrieben haben, zusammenschließt. Der Mensch interpretiert sich hier als bloßes Bedürfniswesen, von seiner ersten Natur her (auch wenn die meisten Bedürfnisse künstliche, gesellschaftlich vermittelte sind). Das Heil besteht dann in der durch den Warenkonsum vermittelten (vermeintlichen) Selbstverwirklichung. So einseitig eine abstrakte Diesseitsverachtung im Sinne der urchristlichen Naherwartung der Apokalypse war, so besteht eine pervertierte Einseitigkeit darin zu meinen, dass wir das Paradies auf Erden durch Wissenschaft, Technik und Kapitalverkehr erschaffen könnten. Auch den Staat und seine Macht nicht nochmals vor dem Horizont eines (religiös zu fassenden) Unbedingten zu relativieren, sondern ihn zum Himmel auf Erden zu erheben, hat ihn stets zur Hölle werden lassen.28

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dies gilt, folgen wir dem Wittgenstein des „Tractatus“, gleichfalls für die Sätze der Ethik. Dort, wo der Sache nach das Selbstverhältnis zur Sprache kommt, hat man es  – unter diesen Prämissen  – mit dem Unaussprechlichen, dem „Mystischen“ zu tun. Das Selbst ist nicht widerspruchsfrei konzipierbar, daher formallogisch Nonsens. – Im Anschluss an die Resultate der Kritik der reinen Vernunft ließe sich generell sagen: Sobald eine Einzelwissenschaft meint, unter ihren Prämissen legitimerweise Aussagen über die Totalität, etwa bezüglich der Existenz oder Nicht-Existenz Gottes, mithin auch der Sinnhaftigkeit geistiger Phänomene wie der Religion tätigen zu können, „überfliegt“ sie ihre Schranke und erzeugt Sätze, die keine Erkenntnis, sondern ideologische Weltanschauungen generieren. Ein prominentes Beispiel dafür ist der Evolutionismus (z.B. R. Dawkins). So heißt es bei Hölderlin: „Du räumst dem Staate denn doch zu viel Gewalt ein. Er darf nicht fordern, was er nicht erzwingen kann. Was aber die Liebe gibt und der Geist, das läßt sich nicht erzwingen. Das laß er unangetastet, oder man nehme sein Gesetz und schlag

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Zurück zur Religionskritik: Als irrationaler Mythos sei, so wird behauptet, Religion nicht nur nutzlos, sondern zudem schädlich. Sie sei ein Hemmschuh für die Bildung und freie Entwicklung des Einzelnen sowie der Gesellschaft im Ganzen. Im Gefolge von Karl Marx wurde hinzugesetzt, dass religiöse Vorstellungen der Selbsterhaltung (entfremdender) gesellschaftlicher Machtstrukturen dienen. Durch die Vertröstung auf ein Jenseits würden Entfremdung und Unfreiheit in den herrschenden Verhältnissen in betrügerischer Absicht verborgen und damit die Menschen in Abhängigkeit gehalten. Andere machen geltend, dass das Festhalten an einer religiösen Überzeugung, die sich auf ein Unbedingtes richtet, polemogen sei29 und mit einem Willen zu einer offenen, pluralistischen Gesellschaft konfligiere. Dadurch werde Religion zur Quelle zivilisatorischer Konflikte. Nun lässt sich innerhalb dieses auf Nützlichkeit abhebenden bzw. von der Praxis ausgehenden Argumentationsrahmens auch ein affirmativer Blick auf die Religion(en) gewinnen, indem Aspekte ihrer Utilität herausgestellt werden. Das ist der Ort funktionaler Religionstheorien, die die Bedeutung der Religion in ihrem Gebrauch sehen. Religion sei insofern relevant, als sie zur Etablierung und Stabilisierung des menschlichen Selbst- und Weltverhältnisses in der Praxis beitrage. Mit Hegel gesprochen: der absolute Geist wird als (instrumentelle) Voraussetzung des objektiven Geistes, des Handelns reflektiert. Hier läuft die Argumentation darauf hinaus, dass die Religion als Mittel der Selbsterhaltung einer vernunftbestimmten Freiheitswelt dienlich sei und ihre Relevanz darin erweise. Das religiöse Bewusstsein setze sich als „zivilgesellschaftliche Stimme“ für eine gerechtere, solidarischere, friedlichere wie auch naturfreundlichere Gesellschaft ein. Nachdem dies jedoch keine genuin religiösen Bestimmungen sind und dieser Nutzen auch von Korporationen wie etwa Gewerkschaften für sich reklamiert werden kann, entzieht sich diese Argumentation selbst ihren Boden. Auch tiefer argumentierende Ansätze können wir in diesem Zusammenhang sehen. Das sind Ansätze, in welchen bereits greifbar wird, dass die Religion etwas „Anthropologisches“ ist, also zum Begriff des Menschen dazugehört. es an den Pranger! Beim Himmel! der weiß nicht, was er sündigt, der den Staat zur Sittenschule machen will. Immerhin hat das den Staat zur Hölle gemacht, daß ihn der Mensch zu seinem Himmel machen wollte. [Hervorh. M.G.]“ (Hölderlin, Friedrich, Hyperion oder: Der Eremit in Griechenland, Köln 2005, S. 36) 29 Dieser Vorwurf ergeht insbesondere an die monotheistischen Religionen. Vgl. dazu die seit einigen Jahren andauernde Diskussion um die Behauptung des Ägyptologen Jan Assmanns, der Monotheismus beinhalte intrinsisch „ausgrenzende Gewalt“. Zur Dokumentation dieser Debatte siehe u.a. Schieder, Rolf, Die Gewalt des einen Gottes, Berlin 2014.

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Dabei werden die religionskritischen Motive nicht vergessen; diese treten aber in den Hintergrund. Denn man kann sehen, dass es in der Religion um etwas geht, das durch die Religionskritik der Aufklärung nicht obsolet wird. Wir wollen dies exemplarisch an zwei Positionen des 20. Jahrhunderts, Arnold Gehlen und Hermann Lübbe, herausstellen. Man kann die Relevanz der Religion im Anschluss an Arnold Gehlen zunächst darin erblicken, dass sie dem Menschen – verstanden als Mängel- bzw. Bedürfniswesen – eine Form der Entlastung und „Daseinssicherheit“ im Sinne der „Hintergrundserfüllung“30 gewährt. Diese Funktion hat Religion dadurch, dass sie in der Frage nach dem leitenden Zweck, der Sinnfrage, mithin für eine Ordnung des Lebens in der Gemeinschaft und damit für Orientierung sorgt. In der Religion werden „die großen Mächte der Wirklichkeit […] zur Grundlage des Zusammenlebens“31 und der „Lebensentscheidungen“32 gemacht. Damit ist ein entscheidender Punkt berührt, der bereits im Ansatz über die bloß äußere Zweckmäßigkeit hinausführt: Religion sei eine bestimmte Form, in der sich ein Bewusstsein der Totalität („Weltansicht“), damit zugleich ein bestimmtes Selbstverständnis des Menschen darstellt. Dieser Zusammenhang ist wichtig: Gehlen betont in seiner These vom „indirekten Selbstbewußtsein“33 etwas, das logisch erst von Hegel her einholbar wird: Der Mensch gelangt zu einem Selbstverhältnis niemals unmittelbar, sondern nur indirekt, nur über seine Weltauseinandersetzung, in der er sich in bestimmter Weise von seinen Gegenständen her interpretiert und darstellt. Dies, dass dies so ist, muss er sich ausdrücklich machen. Das geschieht in bestimmter Weise in der Religion (nach Gehlen jedenfalls in den vormodernen Kulturen). In ihren Gehalten werden die Prämissen dieses Darstellens ins Bewusstsein gehoben. Vermittelt dadurch gelangt der Mensch erst zu einer ausdrücklichen „Selbstauffassung im Handeln“.34 Dies vermag die Religion jedoch nicht als bloß privat-subjektive Angelegenheit, sondern nur als Institution in bestimmten darstellenden Riten.35 Mit Gehlen ist es indes fraglich, ob die Religion diese Bedeutung für die moderne Kultur als Medium der Selbstverständigung nach 30 31 32 33 34 35

Vgl. Gehlen, Urmensch und Spätkultur, S. 55–60. Gehlen, Urmensch und Spätkultur, S. 178. Gehlen, Urmensch und Spätkultur, S. 179. Gehlen, Urmensch und Spätkultur, S. 305. Gehlen, Urmensch und Spätkultur, S. 305. Gehlen, Urmensch und Spätkultur, S. 44f. Die Notwendigkeit der Institution ergibt sich aus dem Begriff der Freiheit: „Angesichts der Weltoffenheit und Instinktentbindung des Menschen ist es durch nichts gewährleistet, daß ein gemeinsames Handeln überhaupt zustande kommt oder daß es, einmal vorhanden, nicht morgen wieder zerfällt. Gerade in diese Lücke tritt ja die Institution, sie steht an der Stelle des fehlenden automatischen Zusammenhanges zwischen Menschen […]“. (Gehlen, Urmensch und Spätkultur, S. 182)

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wie vor beanspruchen kann. Was bedeutet die zunehmende Erosion der Institutionalität von Religion? Auch die von ihm vertretene „empirische Philosophie“ beansprucht ja, über den „Idealismus“ hinauszugehen, der die „Fortsetzung der Religion mit anderen Mitteln“ gewesen sei.36 Für eine bleibende Relevanz der Religion  – auch nach der Aufklärung  – argumentiert Hermann Lübbe, der eine im Ansatz ähnlich gelagerte Position vertritt.37 Diese besagt, dass Religion nicht bloß äußerliches, also ersetzbares, sondern dauerhaft notwendiges Mittel humaner Kontingenzbewältigung sei. Daseinskontingenz „ist in Handlungssinn prinzipiell nicht transformierbare Kontingenz“.38 Dies ist alles, was sich nicht ändern lässt, was nicht durch unser Handeln vermittelt erscheint: dass man in bestimmter Weise, zu einer bestimmten Zeit in einer bestimmten Freiheitswelt existiert. Es geht um eine Abhängigkeit und Faktizität, die sich einer emanzipatorischen Praxis schlechthin entzieht. Angesichts der Kontingenz muss sich die Sinnfrage für eine humane Praxis stellen und beantworten lassen. Wir müssen zu den unverfügbaren „Gegebenheiten einer Daseinskontingenz“39 ein geistvolles Verhältnis gewinnen. Unter Kontingenzbewältigung ist kein Handeln, sondern ein theoretisches Tun verstanden: die Anerkennung und Vergegenwärtigung der Kontingenz als schlechthinnige Abhängigkeit.40 Dieses geistvolle Verhältnis zur Kontingenz besteht darin, dass wir im Bewusstsein der Kontingenz zugleich auf das Bewusstsein eines Ursprünglichen, Unbedingten aufmerken, das sich gerade darin artikuliert. Dieses Aufspannen und Aushalten der Spannung von Kontingenz und Unbedingtem im Bewusstsein stellt sich nun als solches in den Religionen dar. Diese Darstellungsfunktion ist ein notwendiges Element jeder Kultur. Religion ist daher, so verstanden, das Gegenteil von Weltflucht oder bloßer Vertröstung auf ein Jenseits (also auch hier: Transzendenz ins Diesseits). Damit ist eine Funktion der Religion im Blick, die von dem Fortschritt in Wissenschaften, Technik und Wirtschaft nicht tangiert ist. In diesen Bereichen bemühen wir uns um die Verfügbarmachung dessen, was bislang unverfügbar war. Der bleibende Sinn der Religion in unserer modernen Zivilisation41 36 37 38 39 40

Gehlen, Urmensch und Spätkultur, S. 305. Lübbe, Hermann, Religion nach der Aufklärung, 2. Aufl., Graz-Wien-Köln 1990. Lübbe, Religion nach der Aufklärung, S. 160. Lübbe, Religion nach der Aufklärung, S. 15. Lübbe, Religion nach der Aufklärung, S. 166f. Lübbe greift hier F. Schleiermachers Bestim­ mung der Religion affirmativ auf. Hegel kritisiert diese bekanntlich, doch partiell in einer Weise, die seinem Begriff des Gefühls nicht gerecht wird. Vgl. Fischer, Kuno, Hegels Leben, Werke und Lehre. Zweiter Teil, Nachdruck der 2. Auflage 1911, Darmstadt 1976, S. 956–957. 41 Vgl. Lübbe, Religion nach der Aufklärung, S. 162.

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sei es gerade, die Erfahrung der Endlichkeit und damit die schlechthinnige Abhängigkeit als solche  – auch gegen die Ideologie einer vollständigen Kolonialisierung des Selbsts und der Welt – bewusst zu halten.42 Denn die Fortschrittsideologie der Aufklärung, die die Befreiung des Menschen durch eine vollendete Herrschaft über seine äußere und innere Natur propagiert, führt zur Dominanz des technisch-praktischen Herrschaftswissens (Max Weber), das jenes Aushalten der Endlichkeit zu vermeiden versucht.43 Gerade dieser Standpunkt ist die tatsächliche Weltflucht. Dass der Mensch in einer technisierten Welt immer mehr Wirklichkeitsverlust erleidet, ist heute allgegenwärtig.44 Indem die Religion das Erinnern und Aushalten der Endlichkeit institu­ tionali­siert, ermöglicht sie erst ein Leben in wirklicher Übereinstim­mung mit sich selbst: Das Insgesamt dessen, wovon wir uns, emanzipations- und aufklärungsresistent, kontingent abhängig finden, will angenommen sein, wenn anders das indisponible Selbstsein dieses Subjekts sich nicht in ein unlebbares Nicht-es-selbst-sein-Wollen verwandeln soll. In der Teilnahme am Leben der Religion wird kulturell diese Annahme bekundet und vollzogen.45 Solcherart sind Religionen Sinnspeicher (ein Anschlusspunkt zu Gehlens Institutionenbegriff), der im Lebensvollzug vorausgesetzt ist. Die Religion hat es also mit dem Sinn, aufgefasst als höchster, nicht instrumentalisierbarer Lebenszweck, zu tun. Der bleibende Sinn der Religion sei es, die Sinnfrage überhaupt bewusst zu halten und in bestimmter Weise zu beantworten.46 Dazu gehört es, die Differenz von Nutzen (dem Horizont technisch-praktischen Verfügungswissens) und innerer Zweckmäßigkeit wachzuhalten. Halten wir die Zwischenresultate fest: Die Reflexion beginnt im Zeichen der äußeren Zweckmäßigkeit und vollzieht die Bewegung von der bloß äußeren Mittelhaftigkeit der Religion hin zur Einsicht in eine notwendige Mittelhaftigkeit. Als notwendiges Mittel kann die Religion nicht vom Zweck, der Freiheit 42 Gegenwärtig verwandelt man die Daseinskontingenz – etwa im biologischen Geschlecht – in einen Horizont willkürlicher Setzungen, um den Schein der absoluten Verfügungsmacht in Bezug auf die physische Natur zu erzeugen. 43 Das scheint ein Grundmotiv des gegenwärtigen Posthumanismus zu sein. 44 Wir arbeiten heute an Technologien, kraft derer das, was man „Wirklichkeit“ nennt, zu einem Bestandteil einer umfassenden technologischen Hypostase wird („augmented reality“, „Metaverse“). 45 Lübbe, Religion nach der Aufklärung, S. 219. 46 Lübbe, Religion nach der Aufklärung, S. 179.

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und ihrer vollen Wirklichkeit, abgezogen werden. Das sahen wir bei Gehlen und Lübbe, bei denen Religion als Voraussetzung gelingender humaner Praxis interpretiert wird. Dabei wird schon deutlich, dass die Religion, mit Aristoteles gesprochen, eine Gestalt der θεωρία ist. In dieser geht es nicht mehr nur um das Handeln, sondern um das Erkennen und Darstellen der Voraussetzungen, aus denen heraus wir unsere Freiheit gestalten. Dies gehört notwendig zu einer vernunftbestimmten Lebenspraxis. Diese Perspektive auf die Religion kann das Fortbestehen der Religion(en) auch in der hochzivilisierten modernen Welt erklären, zumindest soweit es ihnen gelingt, diese Sinnfunktion in ihrer Sprache und ihren Riten präsent zu halten. Ebenso dass dort, wo dies nicht gelingt, ein Vakuum entsteht, das quasi-, pseudo- und anti-religiöse Überzeugungs- und Symbolsysteme (Esoterik, Aberglaube, Sektiererei, konfessioneller und institutionalisierter Atheismus) füllen. Ein Leben ohne das Bauen auf einen tragenden Sinn, der das System der Zwecke organisiert, ohne Sich-Ausrichten auf einen Endzweck, wäre ein Leben, das nicht nur schal, sondern bodenlos ist.47 Doch können wir bei dieser Reflexion stehenbleiben? Die Bedeutung der Religion soll in ihrem Gebrauch liegen. Ist alles Religion, was bestimmte Funktionen erfüllt?48 Wie lässt sich Religion von Ersatzreligion, von Ideologie unterscheiden? Bei Lübbe bleibt nur das Kriterium, dass die Ideologie im Unterschied zur Religion versucht, die Daseinskontingenz in einen „politisch erfüllbaren Geschichtssinn“49 zu transformieren. Die Geschichte und die Politik sind nicht in den Himmel zu erheben, indem das vermeintliche Heil der Befreiung von der Daseinskontingenz versprochen wird.

47 Vgl. bereits Aristoteles, Nikomachische Ethik I, 1. – Demgegenüber würde Friedrich Nietzsche behaupten: Das Aushalten einer reinen Lebensaffirmation ohne darüber hinaus gehende Gehalte des Wahren, Guten und Schönen (also Platons Selbsttranszendenz des Menschen im Zeichen der Idee des Guten, der ὁμοίωσις θεῷ), ist jener Nihilismus, den der moderne Mensch als „Übermensch“ zu vollbringen hätte. 48 Auf dieser Ebene liegt die für das Recht – jüngst in Österreich im Zusammenhang mit dem Covid-19-Maßnahmengesetz – diskutierte Frage, ob die Religionsausübung ein „Grundbedürfnis“ sei und welcher Rang diesem Rechtsgut im Abgleich mit anderen schützenswerten Rechtsgütern zukomme. Der Sinn von Religion ist in dieser Perspektive von vornherein relativiert. Die Religionsausübung erscheint, wenn überhaupt, als ein Grundbedürfnis neben anderen. Dabei können unterschiedliche Bedürfnisse, sobald sie stark genug geworden sind (gesellschaftlich generierte künstliche Bedürfnisse haben ohnehin eine stärkere Macht als „natürliche“ Bedürfnisse, weil sie mit einer Anerkennungsverheißung einhergehen), den Rang eines Grundbedürfnisses behaupten. Dazu zählt, wie ein Erkenntnis des österreichischen VfGH (August 2022) festlegt, der Friseurbesuch. 49 Lübbe, Religion nach der Aufklärung, S. 18.

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Tiefer liegt das Problem, dass funktionale Theorien von Religion die Voraussetzung, auf der sie beruhen, in ihren Resultaten nicht einholen können. Sie gehen von einer Wirkmächtigkeit des religiösen Bewusstseins aus, die sie funktional beschreiben. Wenn sich aber das Bewusstsein im Sinne dieser funktionalen Religionstheorien aufgeklärt hat, wenn der funktionale Faktor durchschaut ist  – was kann dann von dieser Wirkmächtigkeit im Sinne der Kontingenzbewältigung bleiben? Wie kann eine solche Religionstheorie von mehr als einer nützlichen Projektion sprechen? Dieses Problem zeigt, dass wir an diesem Punkt in der Beantwortung der Frage nach dem Zweck der Religion nicht stehenbleiben können. 2.2 Religion als notwendiges Mittel (Kant) Mit den zuletzt genannten Positionen befinden wir uns im Vorhof einer philosophischen Betrachtung der Religion. Diese besteht darin, die Religion nicht bloß in ihrer Mittelhaftigkeit für eine humane Praxis, sondern als Form des Selbstverhältnisses der Vernunft ernst zu nehmen. Dies hat zwar praxisbezügliche Implikationen, doch die Bedeutung von Religion geht nicht in ihrer diesbezüglichen Funktionalität auf. Um den Raum einer solchen genuin philosophischen Betrachtung zu gewinnen, müssen wir folgende Frage beantworten: Was ist die Bedingung der Möglichkeit und der Wirklichkeit für diese affirmative Auffassung von Religion als eines notwendigen Mittels der Freiheit? Was setzen die Positionen Gehlens und Lübbes voraus? Wie lässt sich die Präsenz unbedingten Sinnes, religiös gesprochen: des Heiligen, denken? Die Antwort lautet: Notwendiges Mittel kann die Religion nur dann sein, wenn Religion und Vernunft nicht toto coelo voneinander getrennt sind, wie dies die Religionskritik meint. Es muss sich vielmehr aus dem Begriff der Vernunft bzw. der Freiheit heraus erweisen, dass Religion eine notwendige Gestalt vernunftbestimmter Freiheit ist. Anders gewendet: Religion muss sich als Form des sich wissenden Selbstverhältnisses der Vernunft begreifen lassen. Eine solche Ableitung der Religion aus dem Begriff der Vernunft bzw. vernunftbestimmter Freiheit ist der philosophische Beweis der Notwendigkeit der Religion. Die Beantwortung der Frage nach dem Zweck der Religion kann nicht Sache empirischer Belege sein. Den entscheidenden Schritt weiter führt die Kantische Revolution der Denkungsart – und zwar gerade dadurch, dass wir mit Kant den Mittelcharakter der Religion tiefer erfassen. Rufen wir uns einige wesentliche Punkte in Erinnerung!50 50

Zu Kants Religionsphilosophie vgl. insbesondere die einschlägigen Arbeiten von Rudolf Langthaler, Norbert Fischer und Maximilian Forschner.

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Kant klärt die Aufklärung51 über ihre (logischen) Prämissen auf. Die transzendentale Logik legitimiert und begrenzt den technisch-praktischen Weltumgang. Dabei ist es nach Hegel sein Verdienst, das Logische als die Form des Selbst (ursprünglich synthetische Einheit der transzendentalen Apperzeption) gefasst zu haben. Dies konkretisiert sich im Verhältnis von Verstand und Vernunft. Diese in logischer Weise differenziert zu haben, ist ein weiteres Verdienst Kants. Der Verstand muss sich zur Vernunft, genauer: zu sich als Vernunft abstoßen, um Verstand sein zu können. Die Vernunftbegriffe sind von der Form des Schlusses her zu denkende Totalitätsbegriffe. Dazu zählt der Begriff Gottes. Aufgrund der logischen Voraussetzungen der transzendentalen Logik, ihrer Aufgabe, die Erkenntnisdignität formaler Logik zu sichern, ergibt sich für Kant ein bestimmter Begriff des Erkennens (nämlich Erkennen als Vergegenständlichen), von dem her die rationale Theologie und damit der Weg zu einer spekulativen Gotteserkenntnis verbaut ist. In Bezug auf die Vernunftideen können wir daher genauso wenig von Erkenntnis sprechen, wie überhaupt so etwas wie Selbsterkenntnis ein Unding geworden ist. Im Rahmen der theoretischen Vernunft ist jedoch Gott bestimmt als das transzendentale Ideal. Dieses erfüllt die indispensible Funktion des notwendig anzusetzenden Garanten der durchgängigen widerspruchsfreien Bestimmbarkeit der Erscheinungsgegenstände in der wissenschaftlichen Erfahrung. Damit ist zwar unmittelbar für die Frage nach der Notwendigkeit von Religion noch nichts gewonnen. Doch es wird in dieser Bestimmung bereits greifbar, dass der Begriff Gottes nicht am Ich, nicht mehr an der logischen Form aller Formen vorbei konzipierbar ist. Er ist logisch notwendig und hängt mit dem Selbstverhältnis der Vernunft und seiner Erfüllung zusammen. Einen Schritt weiter geht die Kritik der praktischen Vernunft, denn dort findet Religion als Vernunftreligion ihre nähere Begründung. Religion wird bei Kant nicht als gegeben vorausgesetzt und daraus die „Moral“ abgeleitet, sondern der Ansatzpunkt ist das Faktum der Vernunft, die Tatsache des sittlichen Bewusstseins, also das Selbstverhältnis der praktischen Vernunft in individuo. Im Ausgang von diesem Bewusstsein der Freiheit und im Rückbezug auf dieses allein begreift sich nach Kant das Fundament der Religion. Der Verstand im Sinne der theoretischen Vernunft und ihres wissenschaftlich-technischen Weltumganges, in dessen Rahmen der abstrakte Allgemeinbegriff seinen legitimen Ort hat, muss unter dem Primat der praktischen Vernunft stehen, wenn nicht 51

Der Aufklärung liegt, wie Hegel in der „Phänomenologie des Geistes“ zeigt, ein verabsolutiertes Nützlichkeitsdenken, der Primat des Technisch-Praktischen zugrunde. Alles Wesentliche, alles Ansichsein, soll in ein Fürmichsein im Sinne des Nützlichen verwandelt werden.

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der Nihilismus eines Primats der Technik (dessen Imperativ lautet: du sollst, weil du kannst) das letzte Wort behalten soll.52 Die praktische Vernunft („Moral“) wiederum führt „unumgänglich zur Religion“.53 An diesem Punkt tritt die notwendige Mittelhaftigkeit der Religion hervor, die darin besteht, dass das Mittel vom Zweck nicht abgezogen werden kann. Die Religion hat bei Kant einerseits Mittelcharakter für die Moralität, die Freiheit als Autonomie. Im Sinne des Primats des Praktischen kann die Religion als solche nicht selbst als Endzweck (mit Hegel gesagt: als Gestalt des absoluten Geistes) gedacht werden. Andererseits bestimmt sich die Religion als „der Endzweck der reinen praktischen Vernunft“.54 Die Religionspflicht besteht darin, die moralischen Pflichten als Gebote Gottes anzusehen. Verpflichtungsgrund ist dabei die praktische Vernunft, weshalb Kant gegenüber einem theologischen Kurzschluss betont: Nicht deshalb ist etwas als Pflicht verbindlich, weil es göttliches Gebot ist, sondern es ist als göttliches Gebot anzusehen, weil es (Vernunft-)Pflicht ist.55 Die Majestät des Sittengesetzes wird durch die Vorstellung der Majestät des göttlichen Gesetzgebers, eines allgegenwärtigen und unbestechlichen Zeugen und Richters unserer Gesinnung verstärkt.56 Die Religion erscheint damit als Mittel zur Etablierung und Stabilisierung des Willens, der sittlichen Selbstbestimmung, denn dies ist für das sinnlich affizierte endliche Vernunftwesen im beständigen Kampf der Tugend gegen die widerstrebenden Neigungen, näher gegen das ‚radikal Böse‘ erforderlich. So ist Religion dem Endzweck, der Verwirklichung der (praktischen) Vernunft nicht äußerlich. Religionsbezüglich relevante Bestimmungen Gottes erreichen wir auf dem Boden des Kantischen Systems nicht im Sinne einer spekulativen Theologie (der theoretischen Vernunft), sondern allein als „Anhang“ zur Moral im Sinne 52

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Der Kantische (und früh-Fichtesche) Primat des Praktischen ergibt sich daraus, dass sich das Logische vom abstrakten Allgemeinbegriff, vom abstrakten Verstand im Sinne der formalen Logik her versteht und die Abstraktheit dieser Reflexion der Reflexion noch nicht innerlogisch aufgezeigt wurde. Hegel wird dies in der „Wissenschaft der Logik“ leisten. Kant, Immanuel, Religion innerhalb der Grenzen bloßer Vernunft, BA IX. Kant, Immanuel, Kritik der praktischen Vernunft, A 233. Kant, Immanuel, Kritik der reinen Vernunft, B 848. Vgl. auch in Hinblick auf die Erziehung: „Das göttliche Gesetz muß als Naturgesetz erscheinen, denn es ist nicht willkürlich [sondern vernünftig, M.G.]. Daher gehört Religion zu aller Moralität“. (Kant, Immanuel, Über Pädagogik, A 133) – In dieser Beziehung der Religion auf die praktische Vernunft wird etwa die Berufung eines Terroristen, der beansprucht, den Willen Gottes als seine Pflicht zu tun, als Sophistik durchschaubar. Vgl. die auch nach 100 Jahren lesenswerten Ausführungen in Reininger, Robert, Kant. Seine Anhänger und seine Gegner (Geschichte der Philosophie in Einzeldarstellungen, Bd. 27/28), München 1923, S. 224ff.

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der Postulatenlehre, die den Kerngehalt der Vernunftreligion ausmacht. Die praktische Vernunft fordert unvermeidlich „metaphysische Ergänzungsvorstellungen“,57 die Postulate der Existenz Gottes und der Unsterblichkeit der Seele. Darin liegt die bedeutsame Einsicht, dass der Gottesbegriff und die gelebte Religion nicht am Ich, nicht an der Freiheit als dem Selbstverhältnis der (praktischen) Vernunft vorbei zu denken sind. Der Inhalt der natürlichen Religion, also des Vernünftigen an der Religion, fällt mit der praktischen Vernunft actu, der Moralität zusammen.58 Damit sind wir über die abstrakten Gegensätze: hier die menschliche Vernunft, dort die göttliche Vernunft59 sowie die abstrakte Vorstellung der Transzendenz Gottes, die Gott verdinglicht und in ein raum-zeitlich vorgestelltes Jenseits versetzt, hinausgelangt. Es macht sich der Gedanke geltend, dass das Sich-Transzendieren des Menschen auf Gott (im Sinne der Totalität der Vernunft) hin nicht, wie die Religionskritik meint, abergläubische Projektion, sondern Ausdruck der Präsenz eines Selbstverhältnisses der Vernunft ist.60 Ohne diese „Projektion“ des Unbedingten, der Totalität, ohne dieses In-sich-Aufspannen einer Differenz des Unbedingten und Bedingten kein Selbstverhältnis der Vernunft. Kant unterscheidet vor diesem Hintergrund zwischen der natürlichen Religion qua Vernunftreligion und dem Offenbarungsglauben, dem „Historischen“ an der Religion. Darin erhält sich der religionskritische Impetus der Aufklärung (man denke an Lessing): Es gibt einen vernünftigen Kern, der zur Selbsterhaltung des Selbstverhältnisses praktischer Vernunft in individuo indispensibel ist; was darüber hinausgeht, ist Offenbarungsglaube, der

57 Reininger, Kant, S. 227. 58 „Religion ist (subjektiv betrachtet) das Erkenntnis aller unserer Pflichten als göttlicher Gebote. Diejenige, in welcher ich vorher wissen muß, daß etwas ein göttliches Gebot sei, um es als meine Pflicht anzuerkennen, ist die geoffenbarte (oder einer Offenbarung benötigte) Religion: dagegen diejenige, in der ich zuvor wissen muß, daß etwas Pflicht sei, ehe ich es für ein göttliches Gebot anerkennen kann, ist die natürliche Religion“. (Kant, Religion, B 230) Ich muss ein Vernunftkriterium „in mir“ haben, um die Offenbarung als Offenbarung Gottes und nicht eines genuis malignus erfassen zu können. 59 Man denke an eine abstrakte Entgegensetzung von lumen naturale und lumen supranaturale. 60 Der späte Schelling wird in diesem Zusammenhang vom „gottsetzenden Bewusstsein“ sprechen. Vgl. Cürsgen, Dirk, Letztbegründung und Geschichte. Schellings Philosophie der Mythologie und Offenbarung, Berlin 2017, bes. S. 66ff. und Heintel, Erich, Grundriß der Dialektik. Band I Zwischen Wissenschaftstheorie und Theologie, Darmstadt 1984, S. 332–341.

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religiöse Vorstellungen und Praktiken enthält, die auch von Aberglauben und Afterdienst kontaminiert sind.61 Aus diesem Ansatz ergibt sich ein Leitfaden für die Einschätzung der geschichtlich aufgetretenen Religionen. Der Beurteilungsmaßstab folgt konsequent den systematischen Voraussetzungen: Die Religion, wenn sie sich selbst recht versteht, muss in ihrem Gehalt „freiheitsaffin“ (im Sinne der Autono­ mie) sein. Dies ist eine wichtige Einsicht, die bei Hegel vertieft wird: Die Religion und ihr Gehalt hängt mit der Freiheit zusammen. Der Gehalt des religiösen Bewusstseins darf daher nicht den Weg zur Autonomie verstellen, was etwa im Sinne der Kantischen Distinktion von Moralität und Legalität dann der Fall wäre, wenn die Religionspflichten im Sinne eines äußeren Gesetzesgehorsams verstanden werden.62 Damit ist der subjektiv-praktische Sinn von Religion akzentuiert und die eingangs adressierte verdinglichend-objektivierende Auffassung von Religion distanziert. Indes führt – aus Hegelscher Perspektive gesehen – die Gleichsetzung von erfüllter Freiheit mit Moralität zu perspektivischen Verkürzungen, die sich in der Einschätzung der Religionen63 insgesamt und der Auseinandersetzung mit dem Christentum im Besonderen zeigen. Eine solche freiheitsaffine Religion, die den Maßstäben der Vernunftreligion am nächsten kommt, erblickt Kant nämlich allein im Christentum – wobei auch da eingeschränkt werden muss: es sind nur jene Gehalte des christlichen Dogmas, die sich als Möglichkeitsbedingungen moralischer Selbstbestimmung aufweisen lassen. Diese werden in der Religionsschrift herausgearbeitet. Der vernünftige Kern der (christlichen) Religion ist das Innesein der praktischen Vernunft selbst in ihrem unbedingten Verpflichtungscharakter. Die Stimme des sittlichen Bewusstseins, des Gewissens, ist der Ort der Manifestation dieses Unbedingten.64

61 Dieser religionskritische Impetus hat seine Relevanz auch darin, Religion von Ersatzreligion (Götzendienst), Aberglauben, Sektiererei, „Esoterik“ usw. unterscheidbar zu halten. 62 Daran knüpft sich die Kantische Kritik am „Statutarischen“ der Religion(en). Der junge Hegel wird sich mit dem Problem der Legitimität der „Positivität“ der Religion neu auseinandersetzen. 63 Zur Kantischen Auffassung des Judentums vgl. die kritischen Ausführungen von A. Kravitz in diesem Band. 64 „Das Gesetz in uns heißt Gewissen. Das Gewissen ist eigentlich die Applikation unserer Handlungen auf dieses Gesetz. Die Vorwürfe desselben werden ohne Effekt sein, wenn man es sich nicht als den Repräsentanten Gottes denkt, der seinen erhabenen Stuhl über uns, aber auch in uns einen Richterstuhl aufgeschlagen hat. Wenn die Religion nicht zur moralischen Gewissenhaftigkeit hinzukommt: so ist sie ohne Wirkung. Religion, ohne moralische Gewissenhaftigkeit, ist abergläubischer Dienst“. (Kant, Über Pädagogik, A 134)

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Kants Unterscheidung von Vernunftreligion und Offenbarungsglauben hat zwei Seiten: Einerseits gelangt Kant zu einem affirmativeren Verständnis des Offenbarungsglaubens als die aufklärerische rationale Theologie, die darin bloß einen pejorativen Mythos erblicken konnte.65 Andererseits bleibt es auch beim kritischen Kant bei einer Feindschaft gegenüber dem Medium des religiösen Bewusstseins, dem sinnlichen Allgemeinbegriff. Wichtig ist bei alle dem zu betonen: Es geht hier um ein systematisches Problem, nicht darum, ob das Individuum Kant über ausreichend oder zu wenig Kenntnisse über die Religionen erlangt hat. Kant kann von seinen logischen Voraussetzungen her nicht sehen, was Hegel im Ausgang von den Errungenschaften seiner Logik zeigen wird, nämlich dass sich in den Religionen die Freiheit selbst interpretiert und es dabei um eine eigenständige Sinnsphäre geht, die über die Moralität hinausgeht. Denn transzendentale Logik muss so etwas wie ein Denken in sinnlichen Gestalten – Kant spricht vom „anschauenden Verstand“ – explizit ausschließen, da es in der transzendentalen Logik um die Sicherung der Erkenntnisdignität des abstrakten Verstandesbegriffs geht. Gewisse Gehalte der Religion sind aber, von diesem Standpunkt aus betrachtet, keineswegs irrational, sondern reflexive Setzungen, die zur Selbsterhaltung der (praktischen) Vernunft in Raum und Zeit erforderlich sind.66 Wie weit man in der Einholung der Voraussetzungen des religiösen Bewusstseins mit Kantischen Denkmitteln gelangt, erweist sich auch in Bezug auf die Frage nach der Persönlichkeit Gottes. In der Postulatenlehre ist dem Worte nach ein persönlicher Gott im Blick. Lässt sich dies aber vom Kantischen Standpunkt aus halten? Der frühe Fichte wird, die Kantischen Denkbahnen konsequent ausschreitend, im Versuch einer Kritik aller Offenbarung Gott nicht als Person, sondern als (unpersönliche) moralische Weltordnung bestimmen.67 Halten wir fest: Mit Kant lässt sich der subjektiv-praktische Sinn von Religion in Hinblick auf die Freiheit qua sittliche Autonomie denken. Kant vertieft den Gedanken der Religion als Mittel dahingehend, dass sie notwendiges Mittel und als solches selbst Ort der Vermittlung, des Sich-mit-sich-Zusammenschließens der Vernunft ist. Religion ist nicht mehr an der Freiheit vorbei zu denken. Die absolut-geistige Dimension von Religion bleibt mit Kant jedoch aus systematischen Gründen verschlossen. Daher finden wir in Kants Vernunftreligion auch nicht die Denkmittel, um den Sinn des Phänomens Religion in der 65 Vgl. das Bild der konzentrischen Kreise in Kant, Religion, B XXIf. 66 Dass wir es in der transzendentalen Reflexion nur mit prinzipiellen Setzungen zu tun haben, ist der Hauptpunkt in Jacobis Nihilismuskritik mit Blick auf den frühen Fichte. 67 Der späte Fichte geht darüber hinaus; vgl. Wladika, Michael, Moralische Weltordnung, Selbstvernichtung und Bildwerden, seeliges Leben. Johann Gottlieb Fichtes Religionsphilosophie, Würzburg 2008.

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Vielheit der geschichtlich erschienenen Religionen zu würdigen. Letzteres – aber nicht nur dies – erreichen wir philosophisch mit Hegel. Religion als Vollzug des Selbstzwecks: Wissen der absoluten Idee (Hegel) Der Blick auf das Phänomen Religion in Hegels Philosophie unterscheidet sich von den bisher genannten Ansätzen. Er steht nicht im Zeichen einer abstrakten Religionskritik. Wir finden da keine Forderung nach Entmythologisierung, keine Reduktion der Religion auf einen rationalen Kern. Religionsphilosophie kann nach Hegel auch nicht darin bestehen, empirisch vorfindliche Religionen in ihrer Funktion als Institutionen und Symbolsysteme, als „anthropologische Konstanten“ oder soziale Interaktionssysteme68 in äußerer Reflexion zu beschreiben. Sondern Hegel versteht das religiöse Bewusstsein so, dass es dasjenige Bewusstsein ist, dem sich der Sinn seiner Existenz erschließt, mithin als Gestalt eines Inneseins einer lebendigen Totalität. Dies ist möglich, weil bei Hegel die Rede und das Denken im Modus des vorstellenden Denkens eine (logische) Rechtfertigung und philosophische Erhellung findet.

2.3

2.3.1 Zum Schritt von Kant zu Hegel Der Schritt über den Kantischen Reflexionsstandpunkt hinaus ergibt sich aus der konsequenten Einholung seiner Voraussetzungen.69 Der Sinn der Religion besteht nach Kant darin, dass sie Mittel zur Manifestation praktischer Vernunft ist. Nun setzt dieser Gedanke der Manifestation praktischer Vernunft den Gedanken der Begriffsexistenz voraus, der im Sinne der logischen Voraussetzungen der Kantischen Kritik – es geht ihm ja um die Sicherung des Notwendigkeitscharakters des Denkens im Sinne formaler Logik  – als Unding angesehen werden muss.70 Jede noch so schlichte Handlung vollzieht das, was Begriffsexistenz bedeutet: ein subjektiver Zweck wird in die Objektivität übersetzt. Der Zweck kommt mir im Produkt der Handlung von außen entgegen, in einer Objektivität, die zugleich als Präsenz von Subjektivität erfahren wird. Dieses Problem führt Kant dazu, in der Kritik der Urteilskraft die Teleologie (auch mit Blick auf das Verhältnis von Gott und Natur) neu zu betrachten. Jedoch auch dies bleibt aufgrund dessen, dass die Grundvoraussetzung der transzendentalen Logik, die Autarkie formaler Logik zu sichern, nicht angetastet wird, aporetisch. Die innere Zweckmäßigkeit im Sinne des sich realisierenden, objektiv darstellenden Zwecks wird einerseits 68 Vgl. die Untersuchungen von Max Weber und anderer Religionssoziologen. 69 Im Detail ausgefaltet hat diesen Schritt, wie kein anderer, Bruno Liebrucks in seinem Hauptwerk Sprache und Bewußtsein. 70 Kant muss daher den ontologischen Gottesbeweis zurückweisen.

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als notwendige Voraussetzung alles Handelns affirmiert (ohne die innere Zweckmäßigkeit der organischen Entelechie kein Handeln); andererseits muss Kant aufgrund der logischen Voraussetzungen die bestimmende von der reflektierenden Urteilskraft trennen und behaupten, dass diese Manifestation des Zwecks wiederum nur eine Maxime sei, die sich die reflektierende Urteilskraft angesichts bestimmter Erscheinungen selbst geben müsse (Heautonomie der reflektierenden Urteilskraft). Damit ist die Begriffsexistenz – die Objektivität des Zwecks  – bloßer Schein, gerade nicht als reale Vermittlung gedacht. Mit Hegels Logik gesprochen: das Wesen als Reflexion gelangt nicht zu sich als Wirklichkeit, sondern bleibt äußere Reflexion. Zugleich soll die Vernunft zur wirklichen „Weltordnung“ im Sinne des „Reichs der Zwecke“ werden. Das ist der ungelöste Widerspruch, den es zu lösen gilt. Dieser Widerspruch wird dort gelöst, wo der Widerspruch nicht als zu vermeidender angesehen wird, sondern gedacht wird. Das ist das Thema der „zweiten Revolution der Denkart“ (B. Liebrucks). Sobald die logische Form als sich selbst bewegende, sich auslegende Einheit von Form und Inhalt, als Negativität ernst genommen wird, wird auch das Erkennen als Einheit von Vergegenständlichung und Entgegenständlichung begreiflich. Damit eröffnet sich eine neue Perspektive auf die Präsenz des Logos in der Religion, die über die Dienerfunktion zur Stabilisierung der Moralität hinausgeht. Dies finden wir dort, wo die Voraussetzungen der Kantischen Vernunftkritik und der transzendentalen Logik eingeholt werden sollen: beim späten Fichte, bei Schelling, bei Hölderlin und insbesondere bei Hegel. Wir greifen nur einige wenige Punkte bezüglich Hegels Philosophie der Religion heraus. Diese enthalten für uns durchaus Provokationen. 2.3.2 Freiheit und Vernunft Nach Hegel ist – was nach dem Blick auf Kant nicht überraschen sollte – die Religion von der Freiheit her zu denken. Religion ist Präsenz von Freiheit, keineswegs knechtischer Unfreiheit. Warum? Freiheit hat bei Hegel eine tiefere und zugleich umfänglichere Bedeutung als bei Kant (wobei wir Weiterentwicklungen bei Fichte und Schelling übergehen). (1) Tiefer ist die Bedeutung von Freiheit, weil Freiheit, wie bei Kant, zwar als Selbstverhältnis (der Vernunft) begriffen ist. Jedoch kommt hier der bei Gehlen anklingende Gedanke der Einheit von Reflexion in sich und Reflexion in anderes im Sinne der Hegelschen Wesenslogik bzw. näher im Sinne der Hegelschen Begriffslogik: des Beisichseins im Anderen herein.71 Ein unmittelbares Selbstverhältnis gibt es nicht. Das Bewusstsein gelangt immer nur 71

Der dialektische Begriff als die Einheit von Selbst- und Weltverhältnis, als sich auslegende, sich selbstbewegende Selbstidentität, ist bei Kant uneingeholte Voraussetzung.

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über das, was es nicht ist, zur Identität mit sich. Selbständigkeit vermittelt sich nur in einer ursprünglichen Bezüglichkeit. Freiheit ist wirklich als Entsprechung des Subjektiven und Objektiven. Die Idee als das Entsprechen ist die höchste Kategorie der Hegelschen Logik, die Totalität actu der Vernunft. In dieser Entsprechung wird die Präsenz des Zweckes erfahren. Dieses Entsprechen stellt sich praktisch wie theoretisch, im Guten wie auch im Wahren, dem Erkennen dar. Bei Hegel umfasst Freiheit den Horizont theoretischer und praktischer Vernunft. Zudem gehört dazu die Idee das Lebens, die unmittelbare Idee, was mit Blick auf das Religiöse und die Lebendigkeit ihres Vollzugs (im subjektiv-praktischen wie absolut-geistigen Sinne) bedeutsam ist. Bei Hegel geht es zudem nicht bloß um die Aufstellung prinzipieller Möglichkeitsbedingungen a priori von Freiheit, sondern um das Denken von Freiheit in ihrer Wirklichkeit.72 Denn Freiheit ist nach Hegel die Tendenz, sich Aktualität zu geben, sich zu institutionalisieren.73 Sie ist die Tendenz zur sich präsent setzenden, sich organisierenden, sich darstellenden Vernunft. Zur Aktualität der Freiheit gehört nach Hegel nicht nur die zweckmäßige Handlung. Freiheit wird als Anerkennung gesetzt und erfahren.74 (2) Die Bedeutung von Freiheit ist bei Hegel umfänglicher, denn bei Kant erschöpft sich die Freiheit in der Hauptsache in zwei praktischen Sphären: in der Bewegung von der Willkür zu ihrer vernunftgeleiteten Qualifizierung im Sinne der sittlichen Autonomie einerseits sowie in der äußeren Darstellung einer Freiheitswelt in Recht und Staat andererseits, wobei da schon die Geschichte als Ort von Freiheit in den Blick kommt.75 Freiheit bei Hegel umfasst die Wirklichkeit des Geistes als Beisichsein im Anderen: dies beginnt mit dem Abstraktesten, der Ichwerdung im Sich-Herausarbeiten des sich

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Denn das Selbstbewusstsein als die Form der Identität mit sich hat seine Prinzipialität als Apperzeption nur in der Bezüglichkeit auf das bestimmte (empirische) Bewusstsein. Das ist der Unterschied zwischen der Kantischen Moralität und der Hegelschen Sittlichkeit. Diese ist die gedachte Einheit von Selbständigkeit und Bezüglichkeit. Das ist auch der philosophische Sinn des Terminus „Recht“, der bei Kant erstmals explizit greifbar wird und der in Hegels Rede vom Recht im Zusammenhang mit der Rechtsphilosophie zugrunde liegt: die Selbstaffirmation von Freiheit, die sich im Handeln in Raum und Zeit Präsenz gibt. Auch dies ist bei Kant in der Lehre vom „ursprünglichen Recht“ grundgelegt. Voraussetzung dafür, von einem ursprünglichen Recht der Person zu sprechen, ist der Begriff der Apperzeption als der logischen Form, die ursprünglich in sich den Unterschied zwischen sich selbst und dem, was sie nicht ist (rechtlich: der Sache) aufspannt. Bruno Liebrucks spricht in diesem Zusammenhang vom „sprachlichen Weltumgang“. Was die Kunst anlangt, so wäre das freie Spiel der Erkenntniskräfte im ästhetischen Urteil zu erwähnen. Kant steht hier vor der Freiheit als Erfahrung der Präsenz innerer Zweckmäßigkeit, der Entsprechung.

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wissenden Selbstverhältnisses aus der Natur, genauer: „als Zurückkommen aus der Natur“76 (dargestellt in der Lehre vom „subjektiven Geist“). Dies setzt eine Naturphilosophie voraus, in der die Natur als anderes Selbst gedacht wird,77 als sich in Raum und Zeit zunächst entäußert habende Totalität, die sich sukzessive in immer konkreteren Gestalten der Selbstvermittlung vom mechanischen, über das physikalische und chemische Objekt bis hin zum animalischen Organismus aus dieser Äußerlichkeit zurücknimmt. Dies wiederum setzt eine Logik voraus, in der aufgezeigt wird, dass die logische Form als Form der Selbstvermittlung zu denken ist. Sobald der Gedanke „Ich“ erreicht ist, muss gehandelt werden. Damit beginnt die Objektivierung der Freiheit (die Sphäre des objektiven Geistes), das Sich-Darstellen der Freiheit in praktischen Verhältnissen des Menschen in der Gemeinschaft im Sinne der wechselseitigen Anerkennung. Der Mensch ist aber, was gegen Gehlen einzuwenden ist, nicht nur handelndes Wesen. Wenn Freiheit sich wissende Selbstbestimmung sein soll, dann muss auch dieses Moment des Sich-Wissens seinen Ort haben. Der Mensch muss die Voraussetzungen, aus denen heraus er immer schon ans Realisieren der Freiheit im Sinne des objektiven Geistes gegangen ist, ins Bewusstsein heben. Jedes Handeln in der Gemeinschaft, jedes Recht, jede Institution bringt ein bestimmtes Bewusstsein der Freiheit zum Ausdruck und zur Darstellung. Dieses Bewusstsein der Freiheit manifestiert wiederum eine bestimmte Selbstinterpretation der Freiheit. Damit ist dasjenige gemeint, was bei Gehlen und Lübbe noch dunkel als „Sinn“ adressiert ist. Diese Sphäre der Freiheit, in der sich Freiheit, der menschliche Weltumgang als solcher interpretiert, anders gesagt: die absolute Idee sich zum Wissen ihrer selbst erhebt,78 ist das Thema dessen, was Hegel „absoluter Geist“ nennt: von Kunst, Religion und Philosophie.79 76 Hegel, Enzyklopädie, § 381, S. 17. 77 Vgl. dazu die umfassende Studie von Hoffmann, Thomas S., Philosophische Physiologie. Eine Systematik des Begriffs der Natur im Spiegel der Geschichte der Philosophie, Stuttgart-Bad Cannstatt 2003, S. 396–474. 78 Hegel, Enzyklopädie, § 553, S. 366. 79 Zum Begriff des absoluten Geistes vgl. Hoffmann, Thomas S., „Absoluter Geist“. Zur Aktualität eines Hegelschen Theorems, in: Philotheos 11 (2011), 152–161. – Zum Verhältnis der Teile der Geistphilosophie sei bemerkt: Subjektiver, objektiver und absoluter Geist dürfen nicht als nebeneinander liegende Stufen vorgestellt werden, sodass wir zuerst die erste Stufe hätten, die für sich bestünde, wir dann zur zweiten fortschritten usw. Der Gang vom subjektiven zum absoluten Geist ist – im Sinne der dialektischen Methode – der Weg der Selbstaufhebung des Abstrakten im Konkreten, der Rückgang in den Grund. D.h. dass im objektiven Geist  – denken wir an die Anerkennung, die ursprüngliche Bezüglichkeit des Menschen zum anderen im Sinne des ζῷον πολιτικόν – die Voraussetzungen der Ichwerdung im subjektiven Geist eingeholt werden. Der subjektive Geist

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Hegel kann die Kunst und die Religion gemeinsam mit der Philosophie als notwendige Gestalten der Selbsterkenntnis des Geistes begreifen, in denen das apollinische Gebot des γνῶθι σεαυτόν seine Erfüllung findet. Kunst und Religion sind in Wahrheit nicht nur nichts Irrationales oder bloßes Beiwerk des objektiven Geistes, sondern Gestalten maximal konkreter, unendlicher Vernunftpräsenz. Die adäquate Form der Vernunft ist nach Hegel die Form des Schlusses. So kann Hegel die Trias des absoluten Geistes denken als jene „drei Schlüsse, die den einen Schluß der absoluten Vermittlung des Geistes mit sich selbst ausmachen“.80 Es sind die Schlüsse, in denen sich der Geist offenbart, sich als Idee aufschließt. 2.3.3 Der absolut-geistige Sinn von Religion Es ist bemerkenswert, dass Hegel den Begriff der Religion zunächst in einem umfassenderen, nicht nur auf die geschichtlich aufgetretenen Religionen bezüglichen Sinne fasst. Religion, so lesen wir, sei das „subjektive Bewußtsein des absoluten Geistes“.81 Damit ist die eingangs erwähnte tiefere, über die subjektiv-praktische Dimension hinausgehende Sinndimension im Blick, die sich, wie wir behaupten würden, erst mit Hegelschen Denkmitteln erschließt. Der absolute Geist als solcher  – also auch Kunst und Philosophie  – könne als „Sphäre der Religion“ bezeichnet werden.82 Es geht nämlich in den drei Gestalten des absoluten Geistes um das Wissen der absoluten Idee, in der Untrennbarkeit von genetivus subjectivus und genetivus objectivus. Anders gesagt: in Kunst, Religion und Philosophie wird sich das Entsprechen als Entsprechen inne. Der (Hegelsche) Begriff stellt sich in Kunst, Religion und Philosophie als Begriff, als Weltauseinandersetzungsprozess, als vermittelnde Mitte, als gedachte Wirklichkeit dar. Weshalb bezieht sich Hegel auf die Religion, um die Sphäre des absoluten Geistes zu bezeichnen? Die Antwort scheint uns darin zu liegen, dass sich in der Religion das Bewusstsein am deutlichsten artikuliert, dass das Entsprechen nichts ist, das einseitig gemacht wird. Es kann nur hervorgebracht werden, indem es zugleich empfangen wird. Dies gilt mutatis mutandis für die Kunst und das Begreifen in der Philosophie, ja, mit Wilhelm v. Humboldt gesprochen, für alles sprachliche Vernehmen von Sinn. Im religiösen Bewusstsein ist dies ist nur als Moment des objektiven Geistes wirklich. Der objektive Geist, das Handeln in der Gemeinschaft vom abstrakten Recht bis zur Bewegung der Staaten in der Weltgeschichte wiederum speist sich aus bestimmten Selbstinterpretationen der Freiheit, die im absoluten Geist ausdrücklich werden. 80 Hegel, Enzyklopädie, § 571, S. 377. 81 Hegel, Enzyklopädie, § 555, S. 366. 82 Hegel, Enzyklopädie, § 554, S. 366.

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das Innesein der Doppelbewegung, dass das Sich-Erheben des Menschen zu Gott zugleich das Herabsteigen Gottes zum Menschen ist. Das Sich-Erheben ist die bestimmte Negation der Selbstbehauptung des endlichen Geistes.83 In der Phänomenologie des Geistes stellt sich dies dadurch dar, dass der Geist nur durch die Preisgabe der Selbstbehauptung des Ich (Verzeihung) empfangen wird. In dieser in sich gedoppelten Bewegung von Hervorbringen und Empfangen realisiert sich das Selbstverhältnis der Vernunft. Das Entsprechen kommt als solches zur Sprache. Darin lebt der absolute Geist. Dies vollzieht sich ebenso in den Sinnlichkeitsmedien der Kunst und in der Philosophie im Medium des Begriffs. So sind die Vollzüge von Kunst und Philosophie – sofern diese wahr sind, d.h. ihrem Begriff entsprechen, mithin das Entsprechen selbst ausdrücken und darstellen – von religiöser Dignität.84 Der absolute Geist beinhaltet jene Gestalten, in denen sich der Geist als Geist weiß, sich fühlt, anschaut, vorstellt, begreift. Die Wirklichkeit wird als begeistet erfahren,85 d.h. die Idee schließt sich in ihrer Wirklichkeit auf.86 Hegel unterstreicht diese allgemeine Bedeutung von Religion dadurch, dass er die Bewegung, die das religiöse Bewusstsein vollzieht, als Vollzug der Bewegung des Denkens begreift, welcher der Mensch als der als Begriff existierende Begriff ist. Das Denken erhebt sich aus seinem Eingelassensein in seine Gegenstände zu sich als absolute Form. Die Erhebung des Logos zu sich ist, in religiöser Sprache gesprochen, die Erhebung des Menschen zu Gott, die zugleich die Bewegung der Menschwerdung Gottes sein muss. Diese 83

Die sprachlichen Wurzeln des Wortes „Religion“ (relegere bzw. religare) zeigen auf diesen Zusammenhang: Die mannigfaltigen objektiv-geistigen Verhältnisse, des menschlichen Lebens, werden gesammelt, also ins Bewusstsein gehoben und interpretiert, d.h. in den Horizont der Totalität des (unbedingten) Endzwecks gesetzt, über diesen reflektiert, auf diesen hin zurückgebunden. 84 Vgl. den (vormodernen) Geniebegriff vom antiken Rhapsoden bis hin zum Originalgenie, die Inspirationstheorien usw. Als absolut-geistige Instanz ist die Kunst  – wie die Religion – Befreiung. Dies reflektiert sich etwa in der aristotelischen Lehre von der Katharsis, aber auch bei Schiller. Diese Befreiung hängt mit der religiösen Bestimmung der Tröstung zusammen. Was die Philosophie betrifft, so versteht sich der Vollzug des Logos als ‚Heil‘: man denke an Platons Hinweise auf die sprachliche Logosmanifestation als „Heilsmittel“ (φάρμακον; ich danke Robert König für diesen Hinweis); auch auf den Begriff der θεωρία bei Aristoteles wäre hier zu verweisen, dem schlechthinnigen καιρός, in welcher wir im Vernehmen des Logos einer Sache für Augenblicke mit dem Göttlichen verschmelzen. Hegel spricht in diesem Zusammenhang von der „schrankenlose[n] Seligkeit“ des Begriffs (Hegel, Wissenschaft der Logik II, S. 277). Dieses ist das präsente Entsprechen der Hegelschen Idee. 85 Man denke an die Werke der vormodernen Malerei. 86 Hegel, Wissenschaft der Logik II, S. 279.

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Bewegung des Denkens beinhaltet ein Doppeltes: ein Innewerden der Endlichkeit des Endlichen, das über sich hinaus zu seinem zureichenden Grund (der Idee) verweist; damit ein Innewerden der Idee als das in der Endlichkeit stets auch präsente Entsprechen selbst.87 Diese Gedoppeltheit charakterisiert das religiöse Bewusstsein.88 So ist es ein Proprium des Menschen, Religion zu haben.89 Das Denken ist das Element des religiösen Bewusstseins. Die Aufforderung des Christentums, Gott im Geist und in der Wahrheit anzubeten (Johannes 4, 24), bedeutet nach Hegel, Gott nicht in Bildern zu verehren, sondern ihn zu denken.90 Dieses Denken vollzieht sich in der Religion in der bildlichen Sprache der Vorstellung. Die Religion ist der Begriff, der sich in der Sprache der Vorstellung begreift. Daher ist sie wesentlich jener Logos, der sich als Mythos, also als Narration, die sich in und an Bildern, Symbolsystemen und der präsentischen Vermittlung im Kultus, nicht in der intelligiblen Vermittlung der Argumentation bewegt. Wie es kein Vorstellen neben dem Denken gibt, sondern das Vorstellen eine Unmittelbarkeitsgestalt des Denkens ist, ist die Religion (wie auch die Kunst) ein Denken in sinnlichen Gestalten. Auch die Logizität ist hier zu betonen: denn der Gehalt jeder wirklichen Religion (worin auch das Unterscheidungskriterium zu Quasi- oder Pseudo-Religionen liegt) ist grundsätzlich die Idee, die Totalität der Vernunft, die Freiheit als Entsprechen selbst, das sich in bestimmter kategorialer Brechung auslegt. Religion ist daher rationaler Mythos.91 Das religiöse Bewusstsein ist, so verstanden, keine irrationale Wirklichkeitsflucht, sondern das Innesein der Wirklichkeit von Vernunft. Die Frage: Warum Religion? wäre gleichbedeutend mit der Frage: Warum soll sich die Vernunft erfassen? Der zureichende Grund der Religion ist der Zweck, die Idee, die sich als Idee erfasst, sich als Entsprechen realisiert. 2.3.4 Provokatives Die so profilierte Einsicht in den absolut-geistigen Sinn von Religion beinhaltet heute eine Reihe von Provokationen. (1) Dies beginnt im Ansatz: Nimmt man nach Hegel den Begriff der Freiheit ernst, ist auch Religion ernst zu nehmen. Religion gehört, wie die Kunst, zur vollen Verwirklichung der Freiheit und Vernunft. Nimmt man das philosophische System als Wissenschaft der Idee ernst, sind auch Kunst und 87 88 89 90 91

So hat die Philosophie die doppelte Aufgabe, nicht nur in einen kritischen Abstand zum Geist ihrer Zeit zu treten, sondern auch nach der Präsenz von Vernunft zu fragen. Vgl. Hegel, Enzyklopädie, § 45 Zusatz, S. 122f. Vgl. Hegel, Enzyklopädie, § 50, S. 131. Liebrucks, Bruno, Sprache und Bewußtsein, Band 5, S. 104f. Vgl. dazu den Beitrag von Werner Schmitt in diesem Band.

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Religion als Präsenzformen der Idee ernst zu nehmen. Dies scheint im Gegensatz zum Prinzip eines „säkularen Humanismus“ zu stehen. Bruno Liebrucks bringt dies so auf den Punkt: „Man glaubt heute des absoluten Geistes überhaupt entraten zu können und bemerkt dabei nicht, daß das die Auslöschung des Menschen ist, dem man doch so große Ovationen macht“.92 Diese Auslöschung des Menschen ist eine geistige. Sie droht dort, wo der objektive Geist nicht als das, was er der Sache nach ist, nämlich endlicher Geist, erkannt wird, sondern zum Boden des Heils gemacht wird. Das ist einerseits die Voraussetzung totalitärer politischer Ideologien. Andererseits zeigt sich dies heute, weniger auffällig, als Tendenz zu einer Verabsolutierung des Standpunkts der bürgerlichen Gesellschaft. Die Heilsmittel zur Befreiung des Menschen zu seinem wahren Menschsein werden in den Spitzenerrungenschaften der bürgerlichen Gesellschaft gesucht, dem wirtschaftlichen Verkehr, der Wissenschaft und der Technik. Das Heil des Menschen wird dabei in die Realisierung des subjektiven Wohls, das sich in Gestalt künstlicher Bedürfnisse endlos vervielfältigt und verfeinert, gesetzt. Ein machbares Heil in Gestalt des Lifestyles scheint in Aussicht zu sein. Der technisch-praktische Weltumgang soll zur immer weiter gehenden Herrschaft über die Daseinskontingenz verhelfen. Doch die Kolonisierung der äußeren Welt schlägt auf den Menschen in Gestalt der Selbstkolonialisierung zurück, in der sich der Unterschied zwischen Wert und Würde im Sinne des Selbstinstrumentalisierungsverbots verliert. Wie weit wir in dieser Selbstveräußerlichung bereits gekommen sind, lässt sich auch daran ermessen, dass es mittlerweile zum vornehmen Ton geworden zu sein scheint, dem „Posthumanen“ Ovationen zu machen. Man kann daran sehen, in welche Richtung ein abstrakter Humanismus geht. Demgegenüber ist mit Hegel daran zu erinnern, dass der objektive Geist endlicher Geist ist, dass er – ohne ihn in seiner Legitimität und Vernünftigkeit zu schmälern – nicht der Boden des Heils (im Sinne der Freiheitsverwirklichung des absoluten Geistes) sein kann, sich nicht mit dem absoluten Geist verwechseln darf.93 Der absolute Geist beginnt in der Phänomenologie des Geistes mit der Verzeihung, also einem Innesein der Endlichkeit des objektiven Geistes, des Gewissens und des Handelns. Man könnte daher sagen: Der wahrhafte Humanismus ist nur als religiöser wahrhaft säkular („weltlich“), wie er auch umgekehrt nur als säkularer zugleich religiös ist. 92 Liebrucks, Sprache und Bewußtsein. Band 5, S. 247. 93 Das ist auch gegenüber jenen Stellen in Hegels Rechtsphilosophie festzuhalten, die scheinbar eine Vergötzung des Staates beinhalten. Das hartnäckige Vorurteil von Hegel als dem reaktionären Preußischen Staatsphilosophen hat Klaus Vieweg in seinen Arbeiten gründlich widerlegt, v.a. in Das Denken der Freiheit, München 2012.

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(2) Weitere Provokationen ergeben sich aus dem Gedanken, dass der Gehalt der Religion die Idee (die Vernunfttotalität) ist. Das beinhaltet zum einen den Gedanken, dass die Religionen es nicht mit Aberglauben, sondern mit der Wahrheit schlechthin, dem Entsprechen (der Idee) zu tun haben. Der Glaube beinhaltet nicht etwas bloß Subjektives, ein diffuses Gefühl, sondern er ist Gewissheit der Wahrheit („Zeugnis des Geistes als die Gewißheit von der objektiven Wahrheit“94). Der Glaube als Bewusstsein der Totalität erhält sich daher selbst, ihm eignet eine Autarkie in dem Sinne, dass sich seine Wahrheit nicht an einem ihm äußerlichen Wahrheitskriterium bewähren müsste. Der so verstandene Glaube ist dem Wissen nicht abstrakt entgegengesetzt, sondern er ist „vielmehr ein Wissen“95 – auch wenn dieses seine Logik nicht aus sich selbst heraus erfasst. Nur der abstrakte, unsinnliche (eleatische) Verstandesbegriff setzt sich polemisch dem Glauben gegenüber. Von da her wäre mit Hegel von der (konfessionellen) Theologie zu fordern, dass sie nicht nur von Religion spricht, religiöse „Sprachspiele“ beschreibt, sondern sich vielmehr mit ihrer Sache, nämlich dem Begriff Gottes und seiner Bestimmung zu befassen habe. Man ist in der Theologie (und im Religionsunterricht96) vielfach in einer kritizistischen Haltung stecken geblieben, die meint, dass Kant ein für alle Mal gezeigt hätte, dass die Frage nach dem Wesen, d.h. dem Begriff Gottes etwa im Sinne der Theologie des Thomas v. Aquin sowie die Gottesbeweise, ja überhaupt jegliche Erkenntnisansprüche in diesem Zusammenhang einen überholten Dogmatismus darstellten. Dazu zwei Bemerkungen: Es werden dabei meist nicht – wie dies bei Hegel geschieht – die logischen Voraussetzungen des Kantischen kritischen Unternehmens und seines Erkenntnisbegriffs reflektiert, sondern Kant wird so interpretiert, als ob er etwas über die Beschaffenheit des menschlichen Erkenntnisvermögens erzählt hätte. Die transzendentallogische Reflexion aber hat die Aufgabe zu zeigen, unter welchen allgemeingültigen und notwendigen Bedingungen (die allesamt prinzipielle Setzungen, keine anthropologischen oder ontologischen Aussagen 94 Hegel, Enzyklopädie, § 555, S. 367. 95 Hegel, Enzyklopädie, § 554, S. 366. 96 Der Religionsunterricht steht zudem aktuell in einer partiell konstruierten Konkurrenz zum Ethikunterricht. Um sich in dieser Situation zu bewähren, wird vielfach der Religionsunterricht als Art von Ethikunterricht verstanden. Dass es in der Befassung mit Religion stets auch um spekulative Erkenntnisansprüche (im Sinne der philosophischen Theologie) geht, die mit dem absolut-geistigen Sinn von Religion zu tun haben, geht dabei verloren. Doch diese Reduktion der Religion auf eine Art „Morallehre“ ist Wasser auf den Mühlen jener, die die Abschaffung des Religionsunterrichts fordern. Es ist die Position der Aufklärung, Religion auf „Moral“ zu reduzieren.

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sind) die Errichtung eines widerspruchsfreien Systems von Erscheinungsgegenständen als Erkenntnis angesehen werden kann. Es geht in dieser Reflexion um die Genesis einer Objektwelt, in die hinein sich die abstrakte Identität des Verstandes kontinuieren kann. Erkenntnis ist dabei mit der Herstellung eindeutiger, raum-zeitlicher gegenständlicher Bestimmtheit gleichgesetzt. Nichts Übergegenständliches kann in diesem Sinne „erkannt“ werden. Dass dabei nicht stehengeblieben werden kann, mag bereits die Frage, wie die transzendentale Reflexion selbst möglich ist und was diese in Anspruch nimmt, zeigen. Die Hegelsche Revision des Erkenntnisbegriffs, überhaupt des Begriffs des philosophischen Systems als der Wissenschaft der Idee lässt daher die Frage nach der Selbsterkenntnis (des Geistes) und der Relevanz der Gottesbeweise neu stellen, ohne dass hinter Kant zurückgefallen wird. In dieser kritizistischen Haltung liegt zudem eine Einseitigkeit: Daß heutigentags so wenig von Gott gewußt und bei seinem objektiven Wesen sich aufgehalten, desto mehr aber von Religion, d.i. dem Inwohnen desselben in der subjektiven Seite, gesprochen und sie, nicht die Wahrheit als solche gefordert wird, enthält wenigstens die richtige Bestimmung, daß Gott als Geist in seiner Gemeinde aufgefaßt werden muß.97 Klammert man die Frage nach dem Gottesbegriff im Sinne einer spekulativen Theologie aus, verliert das religiöse Bewusstsein seine Substanz. Wenn daher die Aufklärung die Rationalität der Religion in Frage stellt, müsste die Antwort – zumindest eine Antwort darauf – in der Akzentuierung einer philosophischen Theologie liegen. Dazu muss man aber erst fundamentalphilosophisch, d.h. im Gebiet der Logik über den Kantischen Standpunkt hinausgelangt sein. Erst auf der Grundlage des Hegelschen Begriffs des Begriffs kann haltbar von einer Erkenntnis als Selbsterkenntnis (des Geistes) gesprochen werden.98 (3) Da ist zum anderen der Gedanke einer nicht reduktiven Einheit in der Mannigfaltigkeit der bestimmten Religionen, einem nicht relativistischen Wahrheitspluralismus, der sich aus Hegels Ansatz ergibt. Der Logos, der sich in den Religionen offenbart und zur Sprache kommt, ist derselbe lebendige Logos, der sich im philosophischen System aufschließt. Die Idee ist das einigende Band der Religionen. Diese fallen nicht in gleichgültigem Unterschied als bloß verschiedene, „ganz andere“ auseinander. Sie sind auch nicht alle gleich im Sinne 97 Hegel, Enzyklopädie, § 554, S. 366. 98 Vgl. Hoffmann, Thomas S., Der Erkenntnisanspruch der Theologie und die Idee der Wissenschaft. Eine philosophische Position, in: Vogelsang, Frank (Hrsg.), Die Furcht des Herrn ist aller Weisheit Anfang, Begegnungen 22 (2003), Mülheim an der Ruhr 2003, S. 45–77.

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eines kleinsten gemeinsamen Nenners (der Glaube an eine höhere Macht als Schrumpfgestalt der rationalen Theologie). Mit Hegel können wir lernen, dass jede Religion als solche in sich berechtigt, jede die Wahrheit (Totalität) in bestimmter Brechung zum Ausdruck bringt.99 Jede Religion gibt eine bestimmte Auslegung der Einheit (und Differenz) des Bewusstseins der Totalität (des endlich-unendlichen Geistes), in religiöser Sprache: von Gott und Mensch. Als bestimmte Mitten haben alle Religionen ein logisches Profil. Dabei gibt es Entwicklung, Fortschritt, vom Konkreten zum Abstrakten, womit das Moment der Religionskritik eine neue, in der Sache selbst liegende Bedeutung erlangt. So macht es einen Unterschied aus, ob sich die distinkte Einheit von Gott und Mensch über Bestimmungen der Natur vermittelt oder etwa Gott – wie im Judentum – gewusst wird als sich in der Sprache (Gott spricht über die Propheten zum Volk) und im Gesetz (Tora) geschichtsmächtig offenbarend. Dieses logische Profil der Gottesbegriffe der Religionen wird als solches in der Mittedisziplin der Philosophie schlechthin, der Logik betrachtet. Insofern lässt sich die Wissenschaft der Logik als Wissenschaft der Idee zugleich als philosophische Theologie deuten. In der Logik halten wir uns, im Sinne des vorangegangenen Zitats, bei Gottes objektivem Wesen auf. 2.3.5 Die Aufgabe der Religionsphilosophie Im Gegensatz zur einzelwissenschaftlichen Reflexion hat eine Philosophie der Religion ihre Voraussetzungen einzuholen. Dies geschieht in der Bestimmung und Entwicklung des Begriffs der Religion als Gestalt des Geistes bzw. wirklicher Freiheit bei Hegel. Dazu gehört, dass die Geschichte der Religion als Darstellung dieses Begriffs erfasst wird. Begriff und Geschichte fallen in Hegels Religionsphilosophie  – wie auch in der Kunstphilosophie  – nicht auseinander.100 Dabei gibt es nicht nur Entwicklung, sondern auch Fortschritt in der Konkretisierung des Begriffs. So hat die Religionsphilosophie die aus dem Begriff abzuleitende innere Notwendigkeit der bestimmten Religion, ihres Systems der Überzeugungen, ihrer symbolischen Sprache und ihrer 99 Entsprechendes gilt für die Systeme der Philosophie. Als „notwendiger Standpunkt, auf welchen das Absolute sich stellt“ (Hegel, Wissenschaft der Logik II, S. 249), ist ein philosophisches System wahr; gleichwohl bewegen die Systeme sich auf unterschiedlichen logischen Niveaus in der Einholung der Voraussetzungen des Wissens, Handelns und Erkennens. 100 In der Kantischen Reflexion bleibt die Geschichtlichkeit von Religion (wie auch von Kunst und der Philosophie selbst) uneinholbar. Kant kann mit seinen Mitteln den existierenden Begriff, der sich geschichtlich auslegt, nicht zur Sprache bringen. Zur Aufschließungskraft des Deutschen Idealismus in dieser Hinsicht vgl. Hermanni, Friedrich; Nonnenmacher, Burkhard und Schick, Friederike (Hrsg.), Religion und Religionen im Deutschen Idealismus. Schleiermacher – Hegel – Schelling (Collegium Metaphysicum 13), Tübingen 2015.

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kultisch-rituellen Vermittlung darzutun. Dies alles vermag die Hegelsche Philosophie zunächst und zuallererst, weil sie jenen Begriff des Begriffs zu denken lehrt, der sich in diesem Denken in sinnlichen Gestalten ausdrückt und darstellt. Damit ist ein entscheidender Punkt im Verhältnis von Philosophie und Religion berührt.101 Warum? Vergegenwärtigen wir uns dazu zunächst eine in der Hegelforschung verbreitete Deutungslinie.102 Diese könnte man vereinfacht dahingehend zusammenfassen, dass der von Hegel dargelegte Unterschied zwischen Kunst und Religion einerseits und der Philosophie andererseits zum Gegensatz zuspitzt wird, und zwar in der Weise, dass Kunst und Religion im Verhältnis zur Philosophie als vorläufige Formen angesehen werden, die erst im philosophischen Begriff ihre eigentliche Erfüllung finden. Dies, so scheint es, resultiert daraus, dass erst der philosophische Begriff die Wahrheit in der „Form der Wahrheit“103 erschließe, im Gegensatz zum Denken im Element der Vorstellung. Dazu wird zunächst beim Begriff der Vorstellung, wie er im Rahmen der Lehre vom subjektiven Geist entwickelt wird, angesetzt und der Charakter der Äußerlichkeit, das Inadäquate der Vorstellung im Vergleich zum Begriff betont. Logische Verhältnisse werden in der Vorstellung verräumlicht und verzeitlicht. Anhand dessen wird der Unterschied von Religion und Philosophie festgemacht: Das Medium der Vorstellung sei eine inadäquate Form, um den absoluten Inhalt, die Idee, zum Ausdruck und zur Darstellung zu bringen (was ebenso für den Vollzug der Kunst gelten müsste). So scheint sich die Folgerung nahezulegen, dass die Religion  – sobald die Selbstaufklärung des Begriffs in der Philosophie vollzogen ist  – als eine Selbstäußerlichkeit des Begriffs abgetan sei. In diesem Sinne wäre nicht nur in Hinblick auf die Kunst von einem ‚Vergangenheitscharakter‘ zu sprechen. Die ‚Aufhebung‘ von Kunst und Religion (als Deutung der Philosophie als „Einheit der Kunst und Religion“104) artikuliert sich dann als Ober- bzw. Unterordnung innerhalb der Sphäre des absoluten Geistes. Das Resultat deckt sich mit jenem der aufklärerischen Religionskritik. Die vorstellende, mythische Redeweise erscheint als eine zu überwindende Vorstufe des Logos. Man muss kein Apologet eines phänomenologisch ansetzenden Unmittelbarkeitsfetischismus, postmoderner Narrations- und Diskurstheorien oder 101 Vgl. Hegel, Enzyklopädie, § 573 Anm., S. 379ff. 102 In diese Richtung weist auch Klaus Vieweg in: Religion und absolutes Wissen. Der Übergang von der Vorstellung in den Begriff, in: Vieweg, Klaus und Welsch, Wolfgang (Hrsg.), Hegels Phänomenologie des Geistes. Ein kooperativer Kommentar zu einem Schlüsselwerk der Moderne, Frankfurt am Main 2008, (S. 581–600). 103 Hegel, Enzyklopädie, § 571, S. 377. 104 Hegel, Enzyklopädie, § 572, S. 378.

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gar eines dekonstruktivistischen Anti-Logos sein, um an diesem Punkt eine anders gelagerte Deutung vorzuschlagen. Denn die Frage drängt sich auf: Mündet nicht diese Lesart in eine Form von Rationalismus, die Hegel in diesen Zusammenhängen ausdrücklich abzuhalten sucht?105 Wäre dies daher nicht Wasser auf die Mühlen jener, die, im Gefolge des späten Schelling, Hegel die Einseitigkeit einer (vermeintlich) „negativen Philosophie“106 unterstellen? Eine anders gelagerte, in Bezug auf die Religion bzw. den Mythos affirmative Deutungslinie, die gleichwohl die Differenz von Religion und Philosophie nicht vernebelt, lässt sich in der Hegelforschung etwa bei Bruno Liebrucks,107 bei Michael Theunissen in der Exegese einschlägiger Passagen der Enzyklopädie,108 bei Thomas S. Hoffmann in Hinblick auf die These von der „Konkordanz“ von Religion und Philosophie109 oder bei Kurt Appel110 bezüglich des Sich-Zeitigen des Geistes verfolgen. Diese Deutungen beruhen bei aller Unterschiedlichkeit u.E. auf zwei Angelpunkten: zum einen, dass der Hegelsche Begriff des Begriffs das Denken in sinnlichen Gestalten in sich schließt, zum anderen, dass die Gestalten des absoluten Geistes irreduzible Totalitätsgestalten sind. (1) Der Hegelsche Begriff überwindet innerlogisch die abstrakt-verständige (eleatische) Trennung des Einzelnen und Allgemeinen, des Subjektiven und Objektiven, wodurch diese beiden Hauptprobleme der Philosophie zugleich einer Lösung zugeführt werden. Der Begriff gelangt nur in seinem anderen zu einem Selbstverhältnis. Das bedeutet auch: das Allgemeine ist erst im (anschaulich-hyletischen) Einzelnen bei sich. Hegels Begriff des Begriffs begründet demnach das „universale fantastico“ (Vico). Geistphilosophisch folgt daraus, dass der als Begriff existierende Begriff, den wir ‚Mensch‘ nennen, die Instanzen der Empfindung, der Anschauung, der Wahrnehmung und der Vorstellung nicht nur nicht außer sich im Sinne eines vorausgesetzten Materials hat, wie dies im formallogischen und im transzendentallogisch 105 Hegel, Enzyklopädie, § 573, Anm., S. 380. 106 Schelling stellt sein Unternehmen einer Philosophie der Mythologie, die die Logizität des Mythos darstellen will, gegen die (vermeintliche) Einseitigkeit des Hegelschen Ansatzes. 107 Vgl. dessen Hauptwerk Sprache und Bewußtsein. Zur Logizität des Mythos vgl. ders., Sprache und Mythos, in: Funke, G. (Hrsg.), Konkrete Vernunft. Festschrift für Erich Rothacker, Bonn 1958, S. 253–280; ders., Schriftstellerische, mythische, mythologische, mythologischgeschichtliche sowie logische Rede über den Mythos, in: ders., Irrationaler Logos und rationaler Mythos, Würzburg 1982. 108 Theunissen, Hegels Lehre vom absoluten Geist, S. 291–322. Vgl. Langthaler, Rudolf und Hofer, Michael (Hrsg.), Michael Theunissen. Zu religionsphilosophischen und theologischen Themen in seinem Denken (Wiener Jahrbuch für Philosophie Bd. XLIII, 2011), Wien 2013. 109 Hoffmann, Thomas S., Georg Wilhelm Friedrich Hegel. Eine Propädeutik, 4. Auflage, Wiesbaden 2020, S. 466–490. 110 Appel, Zeit und Gott, S. 298ff.

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reflektierten Begriff der Fall ist.111 Diese Instanzen sind nicht als Vermögen neben der Negativität des Denkens vorzustellen, sondern schon auf der Ebene des subjektiven Geistes Formen der Unmittelbarkeit des Denkens, in denen sich die Ichwerdung vollzieht. Was in der Logik erwiesen und realphilosophisch in der Sphäre der Natur gezeigt wurde, erweist sich auch im subjektiven Geist, nämlich dass es kein unmittelbares Selbstverhältnis gibt, sondern ein wirkliches Selbstverhältnis sich nur über sein anderes vermittelt, von dem her es sich allererst empfängt (‚Beisichsein im anderen‘). Nur im Nicht-Identischen gewinnt das Denken die Identität mit sich. Auf der Ebene des absoluten Geistes müssen sich im Vollzug der Selbstinterpretation (der Freiheit) diese Unmittelbarkeitsstufen (die Empfindung, die Anschauung, die Vorstellung) als sich erfüllende, d.h. auch sich aufschließende Mitten eines geistigen Selbstverhältnisses aktualisieren. So sind diese Instanzen als Einheit von Mittel und Zweck präsent. Damit bleibt innerhalb der Religion etwa auch das Gefühl als Unmittelbarkeitsgestalt des Beisichseins im Anderen von Bedeutung, wie auch im Sinne der Phänomenologie des Geistes die sinnliche Gewissheit selbst im absoluten Wissen nicht durchgestrichen wird.112 So lesen wir in den einschlägigen Passagen der Enzyklopädie: In der Philosophie befreit sich der Begriff des absoluten Inhalts, d.h. der Idee, der in der Religion bereits als Begriff (im Medium der Vorstellung, der „geistigen Anschauung“) präsent ist, zu sich als Begriff: Der Begriff der Philosophie sei solcherart Einheit in der Totalität der zweiten [der Religion, M.G.], deren in der Vorstellung sich entfaltendes [also nicht bloß sich äußerlich werdendes, sich verlierendes M.G.] Auseinandergehen und Vermitteln [!] des Entfalteten, nicht nur zu einem Ganzen zusammengehalten, sondern auch in die einfache geistige Anschauung [!] vereint und dann zum selbstbewußten Denken erhoben ist. Dies Wissen ist damit der denkend erkannte Begriff der Kunst und Religion, in welchem das in dem Inhalte Verschiedene als notwendig und dies Notwendige als frei erkannt ist.113

111 Zu diesem Problemkreis vgl. Gottschlich, Max, Anschauung und Begriff in formaler und transzendentaler Logik, in: Waibel, Violetta (Hrsg.), Die Rolle von Anschauung und Begriff bei Johann Gottlieb Fichte. Mit Kant über Kant hinaus (Reihe: Begriff und Konkretion. Beiträge zur Gegenwart der klassischen deutschen Philosophie, Bd. 9), Berlin 2021, S. 199–239. 112 In jedem Wort der Sprache vermittelt sich eine Einheit von Sinnlichkeit und Sinn. Ohne die Unmittelbarkeit der Sinnlichkeit kann sich kein Sinn etablieren. 113 Hegel, Enzyklopädie, § 572, S. 378.

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Darin liegt auch der Gedanke, dass die Auseinandersetzung mit dem Gehalt der Kunst und der Religion für den philosophischen Begriff selbst keine Äußerlichkeit darstellt. Denn die Religion hat nach Hegel keinen anderen, sondern denselben Inhalt wie die Philosophie:114 die Totalität, die Idee. So hebt das philosophische Erkennen im Sinne Hegels in der Auseinandersetzung mit der Religion nicht darauf ab, das Äußerliche der Form des Elements der Vorstellung herauszustellen, sondern vielmehr darauf, das Spekulative im religiösen Gehalt ins Bewusstsein zu heben und dieses anzuerkennen: Dies Erkennen ist so das Anerkennen [!] dieses Inhalts und seiner Form und die Befreiung von der Einseitigkeit der Formen und Erhebung derselben in die absolute Form, die sich selbst zum Inhalte bestimmt […].115 Dazu gehört auch einzusehen, warum im Element der Vorstellung die Bilder des religiösen Bewusstseins verständige Differenzen fixieren – etwa: hier der endliche Geist, dort, im vorgestellten Jenseits, der unendliche, göttliche Geist; hier das Diesseits, die Endlichkeit, dort das Jenseits, die Unendlichkeit. Dies ist aber nur die eine Seite. Zugleich begreifen wir, dass das Affirmative, das wahrhaft Unendliche im Gehalt der Religion(en) mit ausgesprochen ist. So wird in der religiösen Vorstellung die Einheit der Entgegengesetzten selbst zum Ausdruck gebracht – etwa im Gedanken der Menschwerdung Gottes, der sich in der Geschichte der Religionen nach Hegel immer konkreter darstellt. Schon im Element des vorstellenden Denkens kommt zum Ausdruck, dass das wahrhaft Absolute (Ursprüngliche) nicht im Gegensatz zum Relativen steht, nicht losgelöst (lat. absolvere) von diesem ist. Wenn schon von „losgelöst“ die Rede sein soll, dann müsste man sagen, dass das Absolute losgelöst von dieser Loslösung, vom Gegensatz relativ-absolut ist. Es hat das Relative, Geschichtliche, Kontingente nicht außer sich.116 In der Philosophie freilich klärt sich der Begriff der absoluten Form über sich auf. Der philosophische Begriff der Religion wird aber nicht zu einem Religionsersatz, wie auch die Kunstphilosophie nicht den Vollzug von Kunst ersetzt. (2) Damit sind wir beim zweiten Angelpunkt. Der Hinweis auf das Profil der Vorstellung als Gestalt des subjektiven Geistes sollte das Spezifikum der Religion als Gestalt des absoluten Geistes nicht unterbelichten. Religiöse Vorstellungssysteme sind nicht auf subjektiv-geistige Assoziationen im Sinne der 114 Hegel, Enzyklopädie, § 573, Anm., S. 379. 115 Hegel, Enzyklopädie, § 573, S. 378. 116 Die Verstandesaufklärung unterstellt dem Glauben, jene verständigen Entgegensetzungen und Trennungen zu generieren, die sie in ihrer Kritik selbst voraussetzt.

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Vorstellungsgenese zurückzuführen. Es ist nicht gleichgültig, in welcher vorstellungsmäßigen Form die Inhalte sich artikulieren. Religion ist (wie auch die Kunst) eine Gestalt des aktualen Vollzugs des Sich-Wissens der Totalität. Religion ist nach Hegel als Gestalt des Sich-Wissens der Idee zunächst und zuallererst Denken und darin Befreiung. Der höchste Lebenszweck ist die Freiheit und die Religion ist eine Form der Aktualisierung dieses Zwecks. Sie ist – ihrem Begriff nach – kein irrationaler Mythos, kein Machinstrument, um die Massen an Illusionen zu binden und kontrollieren zu können, sondern in ihr heben wir das Entsprechen selbst ins Bewusstsein, also jene Wahrheit, die frei macht. Das Denken im Element der Vorstellung ist dabei nicht als „inadäquat“ zu kennzeichnen. Zwar kann solches Denken an und in Vorstellungsbildern seine eigene Logizität nicht im Medium des Begriffs einholen. Daraus folgt jedoch nicht, dass die Religion in ihrem Gehalt, den Glaubensinhalten und ihren Vorstellungswelten, nicht Ausdruck und Darstellung des Bewusstseins der Totalität wäre, und zwar in einer Weise, der ein bestimmtes logisches Profil innewohnt. Die Hegelsche Logik versteht sich auch als philosophische Theologie. So sind die logischen Profile des Gehalts der Religionen und des religiösen Bewusstseins zwar vielfältig, doch darin so wenig kontingent wie die Kategorienentwicklung der Logik als solche. Die Totalität, die Idee, ist da nicht ein intelligibler Inhalt, der sich bloß in ihm äußerlichen, unangemessenen Formen der Vergegenwärtigung herumwirft. Der Form der Vorstellungswelten des religiösen Bewusstseins wohnt durchaus die Notwendigkeit des (absoluten) Inhaltes inne, wenn sich auch diese Notwendigkeit als solche erst im Medium des philosophischen Begriffs einholt und über sich aufklärt. Die Vorstellungswelten der ‚mythischen‘ Rede sind nicht einheitslos, sondern präsentieren eine reflektierte Einheit in der Mannigfaltigkeit, gerade weil sich das Bewusstsein des Entsprechens (der Idee) in sinnlichen Gestalten auslegt und empfängt.117 Letzteres besagt, dass der Mensch zu diesen Vorstellungswelten – denken wir etwa an die Götterwelt der Griechen – nicht durch Assoziationsvorgänge im Sinne des subjektiven Geistes gelangt. Er schöpft diese aus einer, mit Liebrucks gesagt, sprachlichen Erfahrung der Welt, genauer: einem Bewusstsein der Totalität, das ihm als Offenbarung entgegenkommt. So hat der Grieche im Mythos den Sinn seines Weltumganges als gestalthafte Sphären so gesetzt („projiziert“) wie empfangen. Dieser Vorgang setzt den gesamten objektiven Geist voraus, die gelebte Freiheitswirklichkeit  – schon deshalb lässt sich dies nicht auf die Ebene der Thematisierung der Vorstellung im Rahmen des subjektiven Geistes reduzieren. 117 Vgl. die Reflexion auf die mythische Redeweise und ihre Logizität in Platons Timaios.

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Nimmt man diese Punkte ernst, hat die Religion ein Recht auf eine eigene Stimme im absoluten Geist, ebenso wie die Kunst. Die Aufgabe der Philosophie erschöpft sich daher nicht darin, ihren Abstand von der Religion zu akzentuieren. Aufgabe der Religionsphilosophie ist es vielmehr, die Religion als Denken in sinnlichen Gestalten zu denken. Erst hier gewinnen wir den Horizont, von dem her sich von einem Sinn der Religion sprechen lässt. Diese Aufgabe ist von Hegel nicht ein für alle Mal geleistet, sondern sie ist in jeder Zeit neu zu leisten.118 118 Nicht nur unser Wissen über die bestimmten Religionen ist ein anderes. Die Religionen haben eine geschichtliche Seite, wenngleich das logische Profil ihres Gehalts nicht der Zeit unterworfen ist. Sie stellen die Totalität – das geschichtlich wirkliche Bewusstsein der Freiheit, das Entsprechen – in Gestalt eines Denkens in sinnlichen Gestalten, das sich im semantischen Raum bestimmter logischer Kategorien bewegt, dar. Hier stellen sich jene Fragen, die eingangs bezüglich der Plastizität von Religion angesprochen wurden.

Einleitung: Zu den Beiträgen Robert König Die im Band versammelten Beiträge thematisieren einige der genannten Provokationen, die die Hegelsche Philosophie mit Blick auf die Religion bietet. Sie setzen sich unter dem Titel Zum Sinn von Religion sowohl mit Perspektiven von Hegel her als auch auf Hegel hin auseinander. Gemeinsames tragendes Fundament bleibt dabei die Frage, in welcher Weise das Religiöse im Geist der heutigen Zeit aus Hegelscher Perspektive seine Rolle zu spielen habe und vor allem, wie es auf einen Begriff zu bringen ist, der ihm in seiner spekulativen Totalität entspricht. Die Beiträge setzen sich demgemäß mit drei Hauptperspektiven auseinander. a) Einige Beiträge thematisieren Herausforderungen, die sich direkt aus dem Denken Hegels ergeben. Insofern setzen sie einen bereits eingenommenen spekulativ-philosophischen Standpunkt voraus, der sich dem Phänomen Religion nicht ausschließlich in Fragen seiner kulturellen Brauchbarkeit oder lebenspraktischen Nützlichkeit nähert. Stattdessen ist es das Ziel der Beiträge, von einem philosophischen Herangehen her den Begriff der Religion einzuholen und gegen bestimmte logische Unzulänglichkeiten abzuschirmen, die sich in ihm ergeben können. b) Aus einer anderen Perspektive wird die Frage nach dem Sinn von Religion jedoch sehr wohl auch gleichsam „von außen her“ gestellt, indem dieser Sinn im Verhältnis zu anderen Phänomenen des Lebens, der Geschichte oder der Welt überprüft und die Frage gestellt wird, was uns die Hegelsche Religionsphilosophie in dieser Hinsicht zu sagen hat. Dies betrifft z.B. den interreligiösen Dialog ebenso, wie das Verhältnis von Religion und politischen Institutionen. Hierdurch wird der seit der Aufklärung vieldiskutierte Säkularismus in den Blick genommen und aus Sicht einer philosophischen Theologie auf seine Tauglichkeit überprüft. c) Zuletzt befassen sich Beiträge mit der Sinndimension der Religion auch im Hinblick auf das religiöse Individuum und die konkrete Erfah­ rungsdynamik, die mit dem Begriff Religion angesprochen ist. Hiermit ist aber nicht eine psychologistische Vereinseitigung religiöser Erfahrung gemeint, z.B. eine esoterische oder privatgebräuchliche Funktion, sondern die spekulative Frage des Zusammenhanges zwischen Religion und der Selbsterfahrung des Begriffes als vernünftiger Individuationsleistung. In der Sprache des Christentums findet diese Verhandlung mit Hegel auf

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dem Gebiet der Inkarnations- bzw. Menschwerdungslehre statt. Ihre Thematisierung im Zusammenhang von Sinnfragen bildet die dritte Hauptperspektive. Die Beiträge gliedern sich in drei Blöcke, die sich sowohl der Klärung der Hegel’schen Religionsphilosophie selbst als auch heute relevanten Herausforderungen und Konsequenzen zuwenden, die sich in ihrem Zusammenhang ergeben. Die Autorinnen und Autoren tragen mit je unterschiedlichen Gewichtungen Hegels mehrfacher Behandlung des Religiösen vom Früh- bis zum Spätwerk Rechnung. Zwar machen Begriff und Rolle der Religion in seinem Werk selbst eine Geschichte mit multiperspektivischer Auslegung durch, doch sind zugleich gewisse sich durchhaltende Grundsätze bereits in den Schriften des jungen Hegel vorhanden und bis in seine letzten Texte festzustellen. Die Beiträge widmen sich diesem Umstand, indem sie zum einem Teil die Religion als Gestalt des Geistes gesamtsystematisch in den Blick nehmen und zu einem anderen Teil bestimmte einzelne Emphasen und Aspekte an Hegels Religionsphilosophie hervorheben und untersuchen. Der erste der drei Blöcke, bestehend aus Texten von Robert König, Werner Schmitt und Paul Cobben, liefert grundlegende Erörterungen zu Begriff und Phänomen der Religion selbst, ihrer Bedeutung für den Menschen aus dem Blick Hegels sowie ihrer systematischen Rolle in seinem Denken. Der zweite Block wendet sich sodann in den Beiträgen von Olga Navrátilová und Morteza Fakharian der Manifestation des Religiösen im Verhältnis zu seinen eigenen wirklichen Institutionen sowie zu denjenigen des Staates zu. Fragen des Säkularismus und der Pluralität der Religionen stehen dabei im Zentrum. Der dritte Block schließlich, mit den Beiträgen von Friederike Schick, Amit Kravitz und Gaetano Basileo richtet den Blick auf spezifischere Anliegen der Religionsphilosophie Hegels. Dies betrifft etwa seine Aufarbeitung klassischer Gottesbeweise, sein mit Kant verglichenes Verhältnis zum Judentum, oder die geschichtliche Manifestation des Religiösen in Beziehung zur Religionsphilosophie Fichtes. 1

Block 1

Robert König greift in seinem Beitrag „Parakletos. Hegel und Johannes“ die Frage des Sinnes von Religion aus dem Blick einer von Hegel her geleiteten Thematisierung ihrer Aktualität auf. Dabei erarbeitet er mit besonderem Augenmerk auf die Phänomenologie des Geistes den Begriff des Konkreten und der Individuation als ursprüngliche Seinsweise der Religion. Religion kann mit Hegel nicht bloß abstrakte Form irgendeiner Nützlichkeit, äußerlichen

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Funktion oder eines höchstens subjektiven Aberglaubens bleiben, sondern ist im sich durch sie allererst individuierenden Individuum manifest. Von hier aus bezieht König mit entsprechenden Querverweisen auf Passagen aus dem Alten und Neuen Testament Hegels Lehre von der Konkretion schließlich auf die Rede von der Inkarnation des Logos und vom Parakleten im Evangelium des Johannes. Königs Beitrag führt die begriffliche Einholung des Parakleten mit Mitteln der Hegel’schen Philosophie aus. Diese wird hierdurch als eine spekulative Theologik des Heiligen Geistes gewonnen und der Paraklet vice versa als das sich selbst stets konkretisierende Individuum genommen. Das Religiöse zeigt sich auf diese Weise als der erwähnte selbstverhältnishafte Vollzug der Idee in individuo. Will man Religion mithin nicht von vornherein bedeutungslos machen, muss sie sich gerade in Fragen ihrer Aktualität und ihres Zweckes von Hegel her als eine andauernde – sich auch selbst thematisierende – parakletische Individuationshandlung begreifen. Werner Schmitt liefert in seinem Beitrag „Vernunft und Religion“ eine umfassende Rekonstruktion des religiösen Bewusstseins in der Phänomenologie des Geistes und von hier aus seiner Bedeutung für Hegels Gesamtphilosophie. Besonders von der Gestalt des unglücklichen Bewusstseins aus wird Religion mit Hegel als eine wirkliche Erfahrung begriffen, die eine Anwesenheit der Idee in der Wirklichkeit nicht nur in Form einer tröstlichen oder nützlichen Hypostase fasst. Religion führt die Idee tatsächlich und tathandelnd durch, wenn sie irgendeine Bedeutung jenseits psychologistischer oder kulturalistischer Belange haben soll. Eine besondere Rolle wird in diesem religiösen Handeln – von Bruno Liebrucks her – der Sprachlichkeit zugewiesen, durch die der Mensch sich als gespiegelte Göttlichkeit erkennen lernt und mit der Schmitt ausdrückliches Augenmerk auf die Weiterentwicklungen zu Hegels Philosophie durch Liebrucks legt. Dies kann aber nicht bloß behauptet sein, sondern muss nach Hegel’schem Vorbild entwickelt werden, welche Entwicklung der Beitrag anhand zentraler Bewusstseinsstufen der Phänomenologie vornimmt. Religion erfährt in dieser Weise eine Sinndimension, die nicht vom sprechenden Individuum wegsehen kann. Widrigenfalls fällt sie der Gefahr eines sich gegen die Welt isolierenden Stoizismus oder Skeptizismus anheim. Sie ist stattdessen in der Welt präsent, manifest und durch das Element der Sprache (Logos) vermittelt. Hierdurch wird, wie Schmitt zeigt, aber auch die Sprachlichkeit einer revolutionären Redefinition zugeführt, die sich nicht als ein bloßes „Sprechen über etwas“ isolieren kann. Paul Cobben widmet sich in „Die Erfahrung der Todesangst als die Erscheinung Gottes im Menschen“ besonders auf Basis der Phänomenologie des Geistes einer weiteren grundlegenden Perspektive der Religionsphilosophie Hegels. Religion wird in seinem Beitrag nicht als irgendein zu erreichender

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transzendenter Standpunkt neben anderen möglichen entwickelt, sondern als der Aufweis verstanden, dass selbst die vermeintlich unmittelbarsten sinnlichen Strukturen bereits ein Gottesverhältnis enthalten. Dieses Verhältnis wird als der individuierte und ebenso sehr geschichtliche Prozess der Phänomenologie begriffen. Gott etabliert sich, so Cobben, in der Sprache des Christentums als das tatsächlich emergierende Selbst. Der Einzelne sieht hierin ein, dass jede Person wirklich Christus ist. Entscheidend ist dabei, dass der Beitrag nicht nur religionsgeschichtliche Entwicklungslinien nachzieht, sondern darauf hinweist, dass solch eine Entwicklung je im und als Individuum selbst stattfindet, das sich in der Erfahrung von Negativität als unterschiedlich manifestierte und mit den Entwicklungsstufen der Phänomenologie nachvollziehbare Todesangst zu seiner eigentlichen Individualität erhebt. Hierin besteht zugleich die andauernd vermittelnde Aktualität religiöser Praxis, die als konkrete Erfahrungsdimension mit Cobben ebenso ein „Durchfühlen“ des Denkens ist. 2

Block 2

Olga Navrátilová fragt am Beginn des zweiten Blockes in ihrem Beitrag „‘Es ist ein Begriff der Freiheit in Religion und Staat’: Die Bedeutung der Religion für den modernen säkularen Staat“ nicht nur nach dem Verhältnis von Religion und Staat bei Hegel, sondern erörtert an seiner Hand auch einige Impulse für zeitgenössische Fragen des Säkularismus. Ihre zentrale Einsicht lautet, dass gemäß Hegel die staatliche Verwirklichung der Freiheit unmittelbarer Ausdruck des religiösen Verhältnisses des Absoluten sei und Religion und Staat deshalb nicht in nur äußerlich gegenüberstellender Differenz gehalten werden könnten. Daraus resultierte nämlich ihre Aufteilung in die oben erwähnte psychologische Funktion der Religion und den Willkürsutilitarismus des Staates. Der Beitrag zeichnet demgegenüber von Hegel her nach, inwieweit Religion und Staat füreinander sowohl in wechselseitig bedingender als auch regulierender Weise der Ausdruck von Freiheit bleiben. Der reale Staat habe hier die zentrale Funktion, eine abergläubische Jenseitsreligion in ihre Schranken zu weisen. Umgekehrt aber kann sich ein wirkliches Bewusstsein der Freiheit im Zusammenleben der Menschen zuletzt, so Navrátilová, nur religiös artikulieren und bleibt ohne Religion hinter sich selbst in unreflektierten positiven Staatsinstitutionen zurück. Die Reflexion und auch beständige Re-Evaluation dieser Institutionen habe eine von Hegel her verstandene religiöse Praxis zu leisten. Der Beitrag wird hierdurch zugleich ein Aufruf zur lebendigen und vernünftigen realgesellschaftlichen Beziehung von Staat und Religion.

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Morteza Fakharian schließt in „Sind bestimmte Religionen unvollendet?“ zunächst an die Frage des Verhältnisses von Religion und Staat auf Grundlage des Hegel’schen Denkens an. Staaten als endliche Formen werden in ihrer Beziehung zur Religion als unendlicher Form erörtert und die hierin entstehende Dialektik auf ihr Potenzial hin befragt. Religion und Staat erfüllen eine wechselseitige Begründungs- und Bedingungsleistung füreinander, die nicht auf die eine oder die andere Seite zu isolieren ist. Der Beitrag widmet sich dergestalt ebenso der von Hegel her oben angedeuteten Frage einer absoluten Religion und ihrer pluralen Erscheinungsformen. Die unterschiedlichen Religionen werden als unterschiedliche wirkliche Ausprägungsformen des einen Religiösen erachtet. Auf diese Weise wendet sich Fakharian gegen den in der Forschungsliteratur an Hegel herangetragenen Vorwurf, Religion bloß äußerlich zu hierarchisieren. Jene unterschiedlichen Formen drücken sich auch in den jeweiligen Organisationsformen von Staat und Gemeinschaft aus. Religion habe daher nicht zuletzt in ihrer jeweiligen positiven, staatlichen und damit endlichen Manifestation das Potenzial, unvollendet zu bleiben und sich als Selbstverhältnis des Absoluten auf ihre Vollendung hin zu befragen und anzulegen. Fakharian findet auf diese Weise mit Hegel in Fragen der Aktualität der Religion die Religionen als sich je geschichtlich weiterentwickelnde Formen, die in Wechselseitigkeit ihre je eigene Vervollkommnung und damit auch die Vervollkommnung von staatlichen Institutionen bezwecken. 3

Block 3

Friederike Schick eröffnet den dritten Block des Bandes mit ihrer detaillierten Untersuchung „Hegels zwieschlächtige Kritik des kosmologischen Gottesbeweises“. Sie widmet sich in ihrem Beitrag einem klassischen Gegenstand der philosophischen Theologie und betrachtet ihn als Ansatzpunkt für aktuelle Fragen der Religionsphilosophie. Der kosmologische Gottesbeweis wird in Hegels Wort als ein Sich-Erheben des Menschen zu Gott begriffen. Trotz der umfassenden Kritik an der Logik des Beweises verstehe er ihn in dieser Erhebung als Akt der Vernunft, welche sucht, ihre eigene religiöse Verfasstheit logisch zu erörtern. Schick zeichnet die Logik des Beweises und vor allem die gegen ihn zu richtende Kritik in ihrer Gedankenbewegung detalliert nach und stellt dabei heraus, inwieweit derlei, wenn auch scheiternde, Versuche der Vernunft eine anhaltend positive Bedeutung für die Aktualität der Religion haben. Denn in solchen Beweisversuchen verschafft sich aus der Perspektive Hegels die Vernunft einen möglichen Ausgang aus ihrer drohenden Selbstbegrenzung gegen ihr unendliches Potenzial. Deshalb ist die Auseinandersetzung mit

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Gottesbeweisen ein andauernder Fingerzeig für die Relevanz der Religion, insofern die Vernunft darin, so Schick, besonders in der Erfahrung religiös bedeutsamer Modalitätskategorien schließlich ihrer eigenen konkreten Unendlichkeit begegnet. Auf diese Weise dient auch die Auseinandersetzung mit den Unzulänglichkeiten der klassischen Gottesbeweise der Öffnung einer spezifischen Sinndimension des religiösen Erfahrungszusammenhanges. Amit Kravitz thematisiert das Religiöse in „Zwischen Beurteilung und Aufhebung. Die Frage nach der Verdeutlichung positiver Religionen bei Kant und Hegel am Beispiel des Judentums“ durch einen Vergleich von Kant und Hegel. Der Beitrag unterzieht deren Positionen einer kritischen philosophiegeschichtlichen Lektüre hinsichtlich ihres Anliegens einer gedanklichen Rekonstruktion der jüdischen Religion. Zunächst wird Kants Begriff des Judentums als einer Vorbereitung auf die Vernunftreligion in den Blick genommen, die bei ihm mehr politische Ordnung als religiöse Gemeinschaft sei. Demgegenüber wird nach Kravitz das Judentum bei Hegel, wenn auch unter Einschränkungen, in den Kreis der Religionen aufgenommen und als Ausdruck des absoluten Begriffes anerkannt. Im Vergleich der Kantischen und Hegel‘schen Positionen erarbeitet Kravitz auf diese Weise  – bei gleichzeitigen Hinweisen auf anhaltende problematische Aspekte  – das inklusive Potenzial der Religionsphilosophie Hegels, von dem auch der aktuelle Dialog der Religionen profitieren könne. Gaetano Basileo beschließt den Band mit „Religion und philosophisches Wissen bei Hegel und Fichte“. Sein Beitrag erörtert auf Basis der Phänomenologie des Geistes vonseiten Hegels und der Anweisung zum seeligen Leben vonseiten Fichtes Gemeinsamkeiten und Unterschiede der beiden Denker in Fragen der Religion. Diese Untersuchung geht zunächst bei beiden Denkern von einer Fassung der Religion als des erscheinenden Selbstverhältnisses des Absoluten aus, das in vorstellungshafter Weise zugleich nicht über die letztendlichen logischen Mittel verfüge sich adäquat auf den Begriff zu bringen. Letzteres wäre mit Basileo der Standpunkt Hegels, der im Gegensatz zu Fichte ein Hierarchieverhältnis zwischen der Religion und ihrem adäquaten Begriff, nämlich der Philosophie, sehe, während bei Fichte eine gleichberechtigte Koexistenz von Religion und Wissenschaftslehre (Philosophie) das Resultat sei. Die Frage also nach der positiven Religion und ihrem philosophischen Begriff wird auch für die aktuelle Debatte auf das Problem einer Sub- oder Koordination der beiden zugeschnitten. Damit wird zugleich und abschließend nochmals das Grundverhältnis einer Religionsphilosophie, nämlich das Verhältnis von wirklicher Religion, religiöser Praxis und deren Einholung als Philosophie in den Blick genommen.

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Wenngleich dieser Band aus der überreichen thematischen Palette des Hegelschen Denkens von Religion nur Weniges exemplarisch herausgreifen kann, möge er dennoch einen Beitrag zur Aktualitätsbemessung des Hegelschen Denkens leisten und die Befassung mit dem Systemteil der Reli­ gions­philosophie befördern. Für die Zukunft sollen damit Impulse für eine umfassendere Erarbeitung der vielfältigen Beiträge des Idealismus zu zeitgenössischen Fragen der Religion gesetzt werden.

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Über den Begriff einer Aktualität der Religionsphilosophie

Der vorliegende Band trägt den Titel Zum Sinn von Religion – Perspektiven auf und mit Hegel. Der Begriff Sinn kann unter anderem hinsichtlich der Frage nach der Aktualität der Hegelschen Religionsphilosophie begriffen werden. Der Zugang dieses Beitrages hebt von dieser Frage an. Inwieweit kann sowohl mit Blick auf Hegel als auch mit Blick von Hegel her eine uns affizierende und sinnstiftende Aktualität seiner Religionsphilosophie in den Blick genommen werden? Was hat uns seine Religionsphilosophie weiterhin zu sagen und inwieweit ist es überhaupt Anliegen oder Aufgabe der Religion und ihrer Philosophie, aktuell zu sein? Wer eine Überlegung zur Aktualität eines Phänomens anstellt, kann vielfältige Perspektiven einnehmen. Man wird sich beispielsweise womöglich über das Tagesrelevante informiert wissen wollen. Man möchte vielleicht ein Bedürfnis nach Nützlichkeit und Mode befriedigen oder eine zufällige Reflexion auf ebenso zufällig aufgeraffte Vorhandenheiten einer nochmals zufällig vorausgesetzten Gegenwart fordern. Das Aktuelle ist also allein von hier aus bereits zahlreichen Hinblicken ausgesetzt. – Schwieriger noch wird die Angelegenheit, wenn der als aktuell erfragte Inhalt obendrein in eine unüberblickbar reichhaltige wissenschaftlich-exegetische Tradition eingetaucht bleibt und Gegenstand tausend unterschiedlicher Aufarbeitungen ist. All dies ist beim Phänomen der Religion der Fall. Versteht sich Religion obendrein im Kontext einer Philosophie und bestrebt sich als solche, nicht nur relativistische oder kulturhistorische Bestandsaufnahme zu sein, sondern Begriff ihrer selbst zu werden, wird die Sache nicht einfacher. Die Ausgangslage ist also für sich schon vertrackt genug. Thematisiert sich diese Ausgangslage darüber hinaus aus dem Blickpunkt spekulativ-idealistischer Philosophie, näher hin derjenigen Hegels, emergiert eine zusätzliche Ebene.1 Folgt man nämlich seinem Denken, so ist beim philo1 Zitiert wird Hegel nach: Hegel, Georg Wilhelm Friedrich, Werke in 20 Bänden, Frankfurt am Main 1986. In der Folge werden die Stellen nach dem Schlüssel „Werke Werknummer: Seitenzahl“ angegeben. Die im Beitrag zitierten Bände sind: 01: Frühe Schriften, 03: Phänomenologie des Geistes, 05: Wissenschaft der Logik I, 06: Wissenschaft der Logik II, 12: Philosophie

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sophischen Begriff eines Phänomens nicht etwa nach bloß historisierenden Aktualitätsbezügen zu fragen, so als wollte man empirisch irgendwelche Daten sammeln und dann Vergleiche anstellen. Der Begriff ist umgekehrt das eigentlich stets Aktuelle, durch das Datensammlung, Vergleiche und Interpretation überhaupt erst möglich werden. Das Phänomen der Religion, so werden wir sehen, stellt uns dabei vor besondere Herausforderungen, da das Religiöse angesichts der Frage nach Aktualität eine spezielle Rolle spielt. Seine Besonderheit wird sich im Rahmen des vorliegenden Beitrages anzeigen. Denn der Beitrag wirft mit Hegel das Religiöse selbst als eine Bedingung der prinzipiellen Thematisierbarkeit von Aktualität auf und verweist darin auf die Sinndimension der Religion. Hierfür rekonstruiert er den Johannismus in der Hegelschen Religionsphilosophie und führt Hegel und den Evangelisten Johannes unter dem evangelischen Wort des Parakleten zusammen. 2 Inkarnation und Individuation Religion ist selbst das Geschehen von Aktualität. Was bedeutet solch eine Behauptung und wie ist sie von Hegel her philosophisch einzuholen? Die spekulative Zumutung des Religiösen ist, dass erst in ihm das tatsächlich und tathandelnd Aktuale und hierdurch auch das zeitlich bedeutsame Aktuelle sich hier und jetzt niederschlage  – wohinauf ihm gegenüber alle kulturhistorisierenden, politisierenden oder psychologisierenden Fassungen von Religion nur nachfolgende Abstraktionen bleiben. Aktualität kann in philosophischer Weise nur dort gesucht werden, wo Konkretion stattfindet, d.h. sich ein aktuelles, uns affizierendes Hier und Jetzt erfrag- und thematisierbar macht. In dieser Hinsicht tritt Hegel als Denker solch einer affizierenden Konkretion aufs Feld. Lars Heckenroth hat die Logik des Konkreten jüngst mit Recht als das umfassend treibende Prinzip in Hegels gesamter Methodologie dargestellt.2 Konkretion geht mit einer Sinnbeziehung auf eine hierdurch bedeutungserfüllte Gegenwart einher. Dergestalt befinden wir uns aber mit Hegel wieder direkt in der Religion selbst. Denn konkrete Aktualität wird sich als diese bedeutungsvolle religiöse Sinnbeziehung zeigen. Wer also das

der Geschichte, 16: Vorlesungen über die Philosophie der Religion I, 17: Vorlesungen über die Philosophie der Religion II. 2 Heckenroth, Lars, Konkretion der Methode. Die Dialektik und ihre teleologische Entwicklung in Hegels Logik, Hamburg 2021.

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Problem des Aktuellen im Horizont konkreter Fragen nach prinzipieller Sinnstiftung aufwirft, befindet sich bereits in der Sphäre der Religion. Dieser Umstand bringt sich bei Hegel in der vom Johannesevangelium her radikal gedachten Aktualisierung auf den Begriff, nämlich in der Philosophie der Inkarnation bzw. der Menschwerdung Gottes. Sie versteht sich als die absolute Konkretion. Jeder in individuo konkrete Mensch vollzieht Aktualität. Die Auseinandersetzung mit solch einer je aktualisierenden Individuation zieht sich von der Frühschrift Fragmente über Volksreligion und Christentum durch Hegels gesamtes Werk. Die als Konkretionsakt begriffene Menschwerdung ist mithin nicht nur ein stets aktuelles Thema der Religionsphilosophie, sie ist umgekehrt das religiös auf den Begriff gebrachte Geschehen von Aktualität selbst. Religion ist gemäß Hegel das Bewusstsein des sich in individuo Aktualisierenden, das sich hierdurch überhaupt erst in den Stand bringt, bedeutungsvoll nach seiner Aktualität und deren Bezügen zu fragen. Hierin besteht zugleich die eigene unentwegte Aktualität der Religion. So schreibt Hegel bereits in den eben erwähnten Fragmenten hinsichtlich der Individuationsleistung des Religiösen: „Auf subjektive Religion kommt alles an“.3 – Allerdings handelt es sich hier nicht um einen oberflächlichen Subjektivismus, sondern das konkrete Subjektseinkönnen des Religiösen. Erzsébet Rózsa hat zu diesem Thema eine umsichtige Synopse zwischen Hegels Religiosität des Subjektes und seiner gleichzeitigen Mahnung vor einem reduzierten Subjektivismus der Religion vorgelegt.4 Es geht beim Subjektiven der Religion und damit bei der Inkarnation um das berüchtigte Lehrstück vom Subjektwerden der Substanz. Das Substanzielle aktualisiert sich inkarnierend je konkret zum (auch individuellen) Subjekt. Deshalb tritt die Frage nach dem Aktuellen in vielfältigen und unterschiedlichen Aktualisierungsgeschehen auf. In der Phänomenologie des Geistes lesen wir hierzu mit einer beinahe analogen Formulierung zu den Fragmenten: „Es kommt nach meiner Einsicht […] alles darauf an, das Wahre nicht als Substanz, sondern ebensosehr als Subjekt aufzufassen und auszudrücken“.5 Neben der Phänomenologie und besonders deren Kapitel zur offenbaren Religion, kreist auch die Wissenschaft der Logik um diese philosophische Emergenz des Subjektes  – nicht zuletzt im Rahmen religiös-theologischer Vollzüge.6 Walter Jaeschke weist daher mit viel Recht auf die Gefahren hin, die darin 3 Werke 01:16. 4 Rózsa, Erszébet, Glaube im Gefühl, in: Nagl-Docekal, Herta u.a. (Hrsg.), Viele Religionen, eine Vernunft? Berlin/Wien 2008, S. 135–154. 5 Werke 03:22–23. 6 Vgl. Werke 07:249ff.

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lauern können, den sog. „Gott der Philosophen“ vom „Gott der Offenbarung“ zu trennen, anstatt sie, wie Hegel, als entwickelte Einheit zu denken. Religion liefe nach Jaeschke dann Gefahr, als etwas reduziert Empirisches, etwa äußere Kulturbetrachtung, psychologistische Privatsache o.ä., genommen zu werden.7 Gegenüber solchen Reduktionen stehen wir mit Hegel in philosophischen Fragen der vollumfänglichen Konkretionsbewegung des Subjektes jederzeit auf dem Gebiet der offenbarungsreligiösen Menschwerdungslehre, die sich gemäß Rolf Kühn in seiner wiederkehrenden Auseinandersetzung mit dem Prolog des Johannesevangeliums niederschlägt8 bzw. sein gesamtphilosophisches Programm in den einsichtsvollen Worten Dariusz Aleksandrowiczʼ als eine einzige „Durchführung des philosophischen Gehalts des Johannesevangeliums“9 bestimmen lässt. Der Begriff (Logos) wird in der offenbaren Religion als Tateinheit einer sich als Subjekt begreifenden Substanz gefasst, die sich als das Selbst dieses Fassens nicht nur beobachtend theoretisiert oder nachträglich reflektiert, sondern aktual als der einzelne Mensch im Hier und Jetzt verwirklicht. Das höchste Wesen ist, wie Hegel sagt, „als ein seiendes Selbstbewußtsein gesehen, gehört usf“, und dies sei „in der Tat die Vollendung seines Begriffes; und durch diese Vollendung ist das Wesen so unmittelbar da, als es Wesen ist“.10 Das Subjekt vollzieht sich in Einheit mit der Vollendungsbewegung des es vollziehenden Wesens und versubjektiviert letzteres vice versa in diesem Vollzuge. Es ist die Implementierung und Inkarnierung von und mit individuierter Selbstheit. Dieses Zusammengehen von Substanz und Subjekt nennt Hegel wiederum vielerorts das Konkrete und stellt es denjenigen Verstandesabstraktionen gegenüber, die sich etwa auf politische, kulturgeschichtliche oder institutionelle Aktualitätsfragen reduzieren. Das tatsächlich Aktuelle findet in der und als Gegenwart des Einzelnen statt, des konkret Menschwerdenden, der hierin nicht nur unbeteiligter Beobachter von Abstraktionen und damit selbst ein Abstrakter, sondern Vollzogener und Vollziehender der Aktualität selbst ist. Nur ein solch handelnd-aktuales Aktuellwerden hat daher konkrete Bedeutung und Berührbarkeit für einen Einzelnen. 7

Jaeschke, Walter, Hegels Religionsphilosophie als Explikation der Idee des Christentums, in: Philosophisches Jahrbuch, Vol. 95, No. 2, (1988), (S. 278–293). 8 Kühn, Rolf, Hegel und der Logos als „Licht“ der spekulativen Vernunft: zur frühen Kritik Hegels am Johannesprolog und seiner dialektischen Rezeption, in: Freiburger Zeitschrift für Philosophie und Theologie, Vol. 56, No. 2, (2009), (S. 370–389), S. 377. 9 Aleksandrowicz, Darisuz, Das Problem des Anfangs bei Hegel, in: Philosophisches Jahrbuch, Vol. 92, No. 2, (1985), (S. 225–238), S. 233, vgl. ebenso: Scheffczyk, Leo, G.W.Fr. Hegels Konzeption der „Absolutheit des Christentums“ unter gegenwärtigem Problemaspekt, in: Sitzungsberichte der Bayrischen Akademie der Wissenschaften, 5 (2000), (S. 3–42). 10 Werke 03:554.

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Das Aktuelle und sein bedeutungsvolles Hier und Jetzt sind, zumindest gemäß Hegels johanneischer Spekulation, eine unhintergehbar konkrete religiöse Handlung, nicht ein vermeintlich Faktisches, auf dessen Erfüllung hin man das Religiöse reduzieren kann. Besser gesagt: Man kann schon, aber verliert dadurch den spekulativen Begriff von Religion. Die Frage also nach der Aktualität einer Religionsphilosophie steht und fällt mit der Frage, inwieweit diese Philosophie Individuation zu begreifen imstande ist und Religion als Phänomen einer handelnden Betroffenheit des Individuums denkt, die nicht in etwaigen Abstraktionen des Verstandes stehen bleibt. Diese Einheit des Seins und Wesens, des Denkens, das unmittelbar Dasein ist, ist, wie es der Gedanke dieses religiösen Bewußtseins oder sein vermitteltes Wissen ist, ebenso sein unmittelbares Wissen; denn diese Einheit des Seins und Denkens ist das Selbstbewußtsein und ist selbst da, oder die gedachte Einheit hat zugleich diese Gestalt dessen, was sie ist. Gott ist also hier offenbar, wie er ist; er ist so da, wie er an sich ist; er ist da, als Geist.11 Religion ist Vollzug der Arten und Weisen von Aktualität, die sich als konkretes Subjekt im Hier und Jetzt erfährt. Deshalb kann nicht von vorneherein gesagt werden, was es überhaupt bedeutet, aktuell zu sein. Umgekehrt ist es die Religionsphilosophie, die überhaupt nach der Bedeutung des individuierten Aktuellen fragt. Das religiöse Bewusstsein ist in seiner spekulativen Vollform also das sich in seinem Denken zugleich als Tateinheit mit seinem Sein nicht nur wissende, sondern das unmittelbar daseiende Bewusstsein. Es ist die seit Parmenides geforderte Vollziehung der Einheit von Denken und Sein, die als auf sich treffende Individuation und Unmittelbarkeit zugleich die Form der Offenbartheit der Selbstversubjektivierung der Substanz annimmt. Die Substanz gewinnt sich hierin als dasjenige, das sich zum Subjekt macht und auf dessen Subjektwerdung als „Glaube der Welt“12 sinnstiftend vertraut werden kann. Beständige sinnstiftende Offenbarungshandlung zu sein, wäre mithin der Begriff tatsächlicher Aktualität und Sinnhaftigkeit des Religiösen.13 Dies heißt es mit dem Johannesevangelium, Gott als Geist zu erkennen „und

11 Ebd. 12 Werke 03:551. 13 Hierin trifft sich Hegel mit Schellings Anliegen in dessen Philosophie der Offenbarung.

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die ihn anbeten müssen ihn im Geist und in der Wahrheit anbeten“.14 – In unseren Worten also: Individuation ist aktual zu vollziehen und damit überhaupt der Boden des Aktuellen konkret für die von ihm betroffenen Individuen ansprechbar zu machen. Das Aktuelle ist hiermit zugleich wandlungsfähig und geschichtlich. Es findet sich nicht nur in einer punktuell statthabenden Einmaligkeit der Subjektwerdung der Substanz,15 sondern erlaubt, Individuen als jedesmal wieder einmalig zu begreifen. Hegel thematisiert dies in der noch zu betrachtende Rede von der Gemeinde solch konkreter Individuen, d.h. solch Inkarnierender.16 3

Tetragrammatik: Entfremdung und Abstraktion

So weit, so gut. – Die Substanz wird Subjekt und Gott ist Mensch geworden. Dies spricht die offenbare Religion mit Hegel als ihren sich stets wiederaktualisierenden „einfachen Inhalt“17 aus. Doch einfach so dahinsagen lässt er sich zugleich nicht. Denn wer von hier aus die Individuation des als Geist thematisierbaren Geistes näher in den Blick nimmt, findet sich vor ein zentrales Problem gestellt: Wie kann es denn angesichts der konkreten Individuation Gottes überhaupt kommen, dass die daseiende Einheit von Subjekt und Substanz ihrer eigenen Konkretion jemals entbehrte und wiederholt entbehrt? Woher also überhaupt das nicht-offenbarte Bewusstsein? Wie kommt es, in anderen Worten, dass das Individuum sich von der Dimension seiner radikalen Aktualität hinausabstrahiert und in allerlei Zerreißungen zwischen Substanz und Subjekt, Einzelnem und Allgemeinem, Vermittlung und Unmittelbarkeit hineinkonstruiert? Mit solch einer Zerreißung nämlich geht, müsste mit Hegel gesagt werden, auch jedwede immanente und intrinsische Bedeutung des Religiösen verloren und transformiert Religion selbst zur bloßen Frage von Abstraktheiten, psychologischen Erbauungsformeln, ideologischen Weltanschauungsthemen, politischen Institutionen, quietistischen Privatheitsforderungen und dergleichen mehr. Hierin opfert sich die Religion auf. Sie ermangelt des geistigen Vollzugs von individuierter Aktualität und entbehrt nicht zuletzt in Fragen wie „Brauchen wir überhaupt Religion?“ bereits ihrer selbst. Wird solch eine utilitaristische Perspektive gleichsam einfach äußerlich 14 Joh 4, 24. – Die Bibel wird in der deutschen Einheitsübersetzung (Stuttgart 1980/2016) zitiert. 15 Werke 03:545f. 16 Werke 03:557ff.; 17:299ff.; 01:147ff.; 01:396ff.; 12:393ff. u.a. 17 Werke 03:552.

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aufgeworfen, repräsentiert so ein Aufwurf aus spekulativ-theologischer Sicht bereits das Verlorenhaben des religiösen Individuations- und Inkarnationsbewusstseins, seines konkreten Offenbarungscharakters und obendrein seines philosophischen Begriffes. Es wird zudem verkannt, dass es allein das religiöse Bewusstsein selbst ist, das sich wegen seiner immanenten Offenbarungsdialektik so eine Frage bedeutungsvoll und konkret stellen kann. Daher ist jedwede Frage nach der Religion, ihrem Sinn und ihrer Aktualität selbst dialektisch aus dem je sie stellenden, konkreten religiösen Bewusstsein zu entwickeln. Alles andere wäre religionsphilosophische Äußerlichkeit und unspekulative Dogmatik. Hegel nimmt so eine Entwicklung vor. Die jederzeit mögliche Selbstermangelung des Religiösen in vereinseitigten Erstarrungen, sein „Abfallen“, „Anderssein“, seine „Entfremdung“ und „Ungleichheit“, der „Gegensatz“, kurzum das „Abstrakte“,18 schlagen sich vielerorts in seiner Religionsphilosophie nieder. Aber nicht nur in ihr. Man könnte jene Entfremdung ebenso berechtigt sowohl mit der Form des Urteils in der Wissenschaft der Logik in Zusammenhang bringen als auch mit den Aufwürfen über den missverstandenen spekulativen Satz in der Vorrede der Phänomenologie19 sowie mit der vielfach in Kritik gezogenen Reduktion der Begriffsverhältnisse auf die Ebene des sog. Verstandes.20 Jean-Claude Wolf verweist in diesem Kontext von Hegel ausgehend mit Recht darauf, weder religiöse Offenbarung noch Religionsphilosophie ließen sich in einzelnen Sätzen, Urteilen oder Prädikationen erfragen und aussprechen.21 All diese aus spekulativer Sicht jederzeit mit der Religion verquickten logischen Dimensionen seien aber im vorliegenden Text nicht genauer verfolgt, indem sie weitaus größere Entwicklungen nötig machen würden, als sie hier zu leisten sind. Für die Zwecke unseres Beitrages reicht der wiederholte Aufwurf Hegels, die Formen der Entfremdetheit und abstrakten Ermangelungen des religiösen Bewusstseins gehören dessen dialektischem Dasein selbst an. Jüngst hat etwa Jon Stewart nachdrücklich auf diesen Umstand hingewiesen22 und er lässt sich 18 19 20 21 22

Diese Begriffe versammelt Hegel selbst im Kontext der offenbaren Religion gehörig verdichtet auf Werke 03:560–565. Werke 03:59ff. Repräsentativ ist Werke 06:254ff. Wolf, Jean-Claude, „dass der Mensch durch das Erkennen unsterblich ist“: Hegels Deutung vom Sündenfall, in: Freiburger Zeitschrift für Philosophie und Theologie, Vol. 58, No. 2, (2011), (S. 453–470), S. 457. Stewart, Jon, Hegel’s Account of Christianity and Religious Alienation, in: European Journal for Philosophy of Religion, Vol. 13, No. 1, (2021), (S. 129–152); vgl. auch: ders., Hegel’s Interpretation of the Religions of the World: The Logic of the Gods, Oxford 2018.

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nicht nur anhand mehrerer Punkte der offenbaren Religion in der Phänomenologie darstellen.23 Bereits frühe Schriften drängen darauf, die Selbstzerrissenheit des Bewusstseins mit unterschiedlichen Akzenten der religiösen Erfahrung zu implementieren.24 Auch geht Hegel etwa in der Systematizität seiner Vorlesungen zur Religionsphilosophie von einer zusammenhängenden Durchbestimmtheit des Religiösen anhand bestimmter Mangelformen aus, die ihm dabei spekulativ angehören und nicht einfach abstrakt abzulegen sind. In anderen Worten ist Religion gerade dies, die eigene Selbstermangelung durchzumachen und hierin auf konkrete Individuationsmöglichkeit zu stoßen, d.h. auf bedeutungsvolle Aktualität  – nämlich eine konkrete Aktualität für mich.25 Die Aktualität der Religionsphilosophie liegt in ihrem Vermögen, die Handlungsfähigkeit und Konkretion der eigenen Mangelformen des Bewusstseins selbst bewusst zu machen und das sich hierin gewinnende Individuum gleichsam anerkennungsvoll in einen Umgang mit dieser Selbstermangelung einzuführen. Religion hat dort Bedeutung und Aktualität, wo sie ihre eigene Negationsleistung und ihr eigenes Hinausfallen aus sich wiederum multiform in sich und ihr Dasein inkludiert. Thomas Auinger etwa weist mehrfach auf die zentrale Bedeutung eines solch kreativen Scheiterns in Hegels Denken hin: „Spekulativ logisch betrachtet, ist wichtig, dass die Äußerlichkeit nicht nur an die Bestimmtheit herangetragen wird, sondern schon als ihr innewohnend zu fassen ist“.26 Hegel verweist in der Phänomenologie auf diesen Umstand, indem er die Lehre von der Paradiesesvertreibung als dem religiösen Bewusstsein intrinsisch angehörig darstellt. Damit expliziert er die Gottesentfremdung und den existenziellen Kampf mit und um Gott selbst als stetes Ringen um Aktualisierung und Individuation der Religion.27 Hieraus ergibt sich ein Konnex zu zentralen Glaubenstexten (nicht nur) der abrahamitischen Religionen. Die im Zusammenhange der Negativität des Religiösen in der Phänomenologie auftretenden Ausdrücke über den Zorn Gottes, oder seine aufgehobene Gegenwart und damit Ferne, Vergangenheit, Inaktualität  – und schließlich besonders der Verweis darauf, in seiner Ferne hätte „das absolute Wesen nur diesen leeren Namen“,28 führen nicht nur aus philosophischer Perspektive 23 Vgl. Werke 03:546ff., v.a. Hegels Verweis auf das unglückliche Bewusstsein (03:547). 24 Z.B. in den Ausführungen zur affirmativen Rolle von Widerspruch und Entgegensetzung für die Religion bes. in: Werke 01:252–254. 25 An dieser Stelle könnte man übrigens die vermeintlichen Kontrahenten Hegel und Kierkegaard ins fruchtbare Gespräch bringen. 26 Auinger, Thomas, Individuum est effabile, Hamburg 2021, S. 190. 27 Werke 03:563ff. 28 Werke 03:566.

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in frühere Gestalten der Phänomenologie zurück. Sie führen ebenso sehr aus theologischer Perspektive direkt in zentrale Figuren der Tora und des Tanach. Der schon angedeutete mehrfach von Hegel betonte Ausdruck das Da-Seins des Absoluten im Kapitel über die offenbare Religion untermauert diesen Zusammenhang mit der Frage nach dem Gottesnamen (JHWH) zusätzlich. Wollen wir also Hegels Johannismus und damit die Aktualität seiner Religionsphilosophie nachvollziehen, können wir einen spekulativ-logischen Blick auf die Rolle des Tetragrammaton werfen, d.h. auf die Problematik des vierbuchstabigen Gottesnamens JHWH. Hierdurch wird in einem nächsten Schritt ersichtlich werden, wie sehr der Evangelist Johannes einflussreich für Hegels Verständnis von Religion gewesen sein muss. Die Tora kreist zentral um die Frage nach dem Gottesnamen, d.h. letztlich um eine Bestimmungs- und Erkenntnismöglichkeit des Absoluten. Sie stellt aus philosophischem Blick die Vermittlungsanliegen des religiösen Bewusstseins der Phänomenologie des Geistes umfassend dar, gerade indem sie das Negative wesentlich in sich inkludiert und es durchexerziert. Denn der Name und damit die Erkenntnisbestimmung Gottes stehen stets in Frage seines eigenen infragestehenden Vollzuges. Kurzum: Der Name erfährt sich in denjenigen, die nach dem Namen fragen. Diese Namensdialektik des Tetragrammaton gehört dem Aussprechen des Namens selbst an, worin sich die spekulative Verfasstheit der Tora und weiterer Schriften in ihrem Umkreis nachhaltig zu erkennen gibt. Ich selbst liefere anderswo eine detailliertere Untersuchung dieses Verhältnisses,29 doch genügen hier wenige Hinweise, um den Zusammenhang mit Hegels Rede von einem nur „leeren Namen“ eines vereinseitigten und zerrissenen Bewusstseins des Absoluten herzustellen und es dem Absoluten im Anschluss aber als sein wesentliches Moment zu integrieren (diese Zerrissenheit taucht übrigens bereits in der Einleitung der Phänomenologie mit der berühmten Vereinseitigung des Erkennens zu einem Werkzeuge30 auf). Denn wie das Absolute zu erkennen, d.h. selbst im Bewusstsein eines Einzelnen zu vermitteln sei, drückt sich als die Frage nach dem Gottesnamen sowohl in Moses am Dornbusche aus,31 der nach dem Namen fragt, als auch in Abraham, der den Namen des Herren anruft und fortan als Fremdling, mehr noch vielleicht: als Entfremdeter, im Lande lebt.32 Ähnliche Episoden finden sich beim erblindenden Isaak33 und besonders in dessen Sohn Jakob, 29 Kap. „Idou. Ho anthropos“., in: König, Robert: Logik + Mystik Bd. 2, Norderstedt 2019, S. 279–565. 30 Werke 03:68ff. 31 Ex 3, 4–16. 32 Gen 21, 33–34. 33 Gen 27, 1.

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der den Namen Israel erhält (Gottesstreiter, Gottesdialektiker geradezu), als er im nächtlichen Kampfe mit einem unbekannten Widersacher dessen Namen erfragt und als Antwort nur wieder erhält: „Wozu (lama: auch warum oder wie) fragst du denn nach meinem Namen?“ woraufhin Israel ausweist, er habe in diesem Ereignis Gott ins Angesicht geblickt.34 Wieder und wieder wirft sich in derlei Episoden auf, was es denn überhaupt sei, nach dem Namen Gottes zu fragen. Es wirft sich, mit Hegel, wieder und wieder das religiöse Bewusstsein auf und macht dabei zugleich die Erfahrung seiner Entfremdetheit. Es überrascht daher wenig, dass die Thematik des sich in den fragenden Protagonisten entfremdeten Gottesnamens daher mit JHWH35 beantwortet und derart in Verbindung mit der Daseinsfrage gestellt wird. Diese Frage thematisiert sich in Hegels Ausführungen zur offenbaren Religion ebenso, wie in jenem lama,36 jenem wozu, weshalb und wie fragst du mich nach meinem Namen. Die vielschichtige und komplexe Genese solch einer dialektischen Negativität der Frage nach dem Gottesnamen, deren eigenes Dasein als Frage unmittelbarer Ausdruck ihrer intrinsischen Dialektik bleibt, kann man erstens ihre Tetragrammatik37 nennen und zweitens in solch einer Tetragrammatik das Ringen und Streiten der Substanz mit ihrem eigenen Subjektwerden erblicken. Sie ist die angenommene und zu sich einkehrende Negativität der Entfremdung, Entäußerung, ja, des Scheiterns des Menschen, der sein eigenes Dasein38 als ein abgefallener, paradiesesvertriebener und sich deshalb unendlich spekulativ in die eigene Negativität hineinkonstruierender Adam begreift. Adam ist das sich thematisierende Dasein der Frage nach dem Gottesnamen, weshalb die Tora auf einem spekulativ-logisch höchstentwickelten Standpunkt des religiösen Bewusstseins zu verorten ist, das sich negationsdialektisch zu heben sucht. Dass Ha’Adam, der Mensch, übrigens schon zu Beginn seiner eigenen negativen Dialektik als aus Adamah gemacht,39 d.h. in einem buchstäblich selbstbezüglichen Verhältnis betrachtet wird, tut sein Übriges. Der Mensch, Ha’Adam, ist das negative Selbstverhältnis Gottes, das sich in der unmittelbar daseienden Frage nach dem Gottesnamen ausdrückt, der hierin von sich selbst sagt, der 34 Gen 32, 29–31. 35 „Ich bin“., „Ich bin Ich“., „Ich bin, der ich bin“., „Ich bin da“., „Ich werde da sein“. usw. 36 Der Gekreuzigte ruft dieses auch in Psalm 22, 2 auftretende Warum, Wozu und Wie im lama bei Mk 15, 34; Mt 27, 46. 37 Mit dem bloß metareferentiell verweisenden Wort „das Vierbuchstabige“ (Tetragram­ maton) als Gottesnamen flicht sich dessen eigene Dialektik in ihn ein. 38 Angesprochene antworten im Ersten Testament an zentralen Stellen meist mit: Hineni (Erblicke mich! oder Hier bin ich! – hier ist also mein Dasein thematisch), vgl. z.B. Gen 22, 7–11; Gen 27, 1–18; Gen 31, 11; Gen 37, 13; Gen 44, 16; Gen 46, 2; Ex 3, 4. 39 Gen 2, 7.

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Name sei nichts als dieses Dasein selbst, JHWH. Er ist das in sich dialektische Tetragrammaton und damit ebenso sehr leerer, bedeutungsloser Name, stetes Wiederaufwerfen der Frage – unentwegte Aktualisierung in individuo. In dieser Dialektik generiert sich mit dem Anbruch der Selbsterkenntnis Adams durch den Akt am Baum der Erkenntnis daher aus dem Munde Gottes die Gegenfrage zur erst hierdurch erschlossenen Namensfrage: „Adam, wo bist du?“40 – Gott und Mensch fragen nacheinander. Sie sind ein und dieselbe Dialektik, ein und dasselbe unentwegte Hineinscheitern ineinander, das identisch mit seinem eigenen Gelingen ist Diese lebendige Identität ist es, die der offenbarungsreligiöse Menschwerdungsgedanke mit Hegel in der spekulativen Vervollkommnung seiner eigenen nur negierenden Dialektik ausdrückt, indem er sie zugleich in individuo vollzieht und durchmacht – nicht etwa per Abkürzung von ihr abstrahieren kann. Das Absolute erreichen wir nicht aus dem Stand, die Vertreibung aus dem Paradies in die widerstreitende Frage nach dem Gottesnamen, ist auf sich zu nehmen. Das Wahre ist das Ganze, wie Hegel berüchtigt sagt. Alledem entsprechen, vom Religionskapitel her gelesen, die einzelnen Emphasen des Bewusstseins in der Phänomenologie. Sie drücken jede in ihrer Weise diejenige inklusive Negativität aus, die erst als Religion zugleich Inklusion des Negativen wird und dergestalt in eine ursprüngliche Bejahung führt, die nicht abstrakte Negierung des Negierens ist, sondern das Negative umgekehrt als das Negative bestehen lassen kann. Gleich dem unendlichen Ringen um den definitiven Gottesnamen und damit um die Erkenntnis dessen, was das Bewusstsein in der Tora als seinen Selbstverlust vernimmt, ringen auch die Stufen der Phänomenologie unentwegt mit einer als einseitig gefasste Negation der Negation. Denn Affirmation nur als Vernichtung anstatt als Inklusion von Negativität zu denken, bleibt eine der ursprünglichsten dialektischen Selbstermangelungen des Bewusstseins. Negativität demgegenüber muss als Negativität bestehen können und hierin ihren Rang und Namen erhalten. Das Bewusstsein der offenbaren Religion der Phänomenologie begreift sie auf diese Weise. Es begreift sich selbst als die spekulativen Mängel seiner eigenen Gestaltungsformen. Das Bewusstsein ist selbst das endlose Unglück des Daseins, das sich der Religion im Tetragrammaton ausspricht. Es ist der Schock, in welchem dieses Dasein seinen eigenen Wahnsinn erfährt. Es ist das sich selbst über sich als die eigene Negativität zu Tode Erschreckende.41 Man könnte freilich die Reihe der Gestalten der Phänomenologie insgesamt 40 Gen 3, 9. 41 Mit dem Phänomen der Todesangst befasst sich im vorliegenden Band der Beitrag Paul Cobbens eingehender.

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durchgehen; jene drei Beispiele: Unglück, Wahnsinn und Schrecken,42 reichen aber, um die tetragrammatische Stoßrichtung anzudeuten, wenn die Phänomenologie von der offenbaren Religion her betrachtet wird. Das dialektische Scheitern all der Versuche des Bewusstseins liegt darin, dass es seine unendliche Negativität durch diese Negativität jeweils zu einer beruhigten Affirmation aufzuheben sucht, die aber ihrerseits nur eine neue Stufe von Negativität hervorbringt – und damit genau nicht das, was sie eigentlich tun soll, wofern das Bewusstsein weiter hinter sich und seinem Dasein zurückbleibt. Bruno Liebrucks warnt daher mit berechtigtem Verweis auf die Inkarnation vor diesem Festhängen im endlosen Negationsnegieren sowohl hinsichtlich der Religion als auch der Religionskritik: Erst das Herniederfahren Gottes in den menschlichen Leib ist das mythologische Bild dafür, dass der menschliche Gedanke erst derjenige ist, der als dialektischer Begriff schon von Haus aus bei der Welt ist. Dem Christen mag das als atheistisch erscheinen, dem formalen Logiker unserer Tage als mythologisches Geschwätz. Beide offenbaren darin, dass sie sich in bestimmten Momenten des menschlichen Denkens eingehaust haben, die nicht schon das menschliche Denken sind.43 Das Bewusstsein versteckt sich nicht nur, wie Adam, entfremdet sich nicht nur, wie Abraham, erblindet nicht nur, wie Isaak, es widerstreitet nicht nur sich selbst, wie Jakob, stürzt nicht nur in völlige Fragwürdigkeit, wie Moses. Es zerfällt obendrein wie Ijob, dessen Dasein nicht seinem Begriffe entspricht. All diesen hier nur aufgezählten Einzelhinblicken bleibt die Begegnung einer unendlichen negativen Dialektik wesentlich, die so bei sich selbst ist, dass sie sich unentwegt gegen sich selbst zerreißt und endlos hinter sich herjagt. Dabei gebiert sie, wenn man mit Hegel so sagen möchte, eine Galerie schlechter Unendlichkeitsbestrebungen44 und unerfüllbarer begrifflicher Sollen, die ihr nicht etwa äußerlich zustoßen, sondern von denen sie wieder und wieder die Erfahrung macht, dass das Bewusstsein selbst dieses schlechte Unendliche mitsamt all seinen jeweiligen Kompetenzen und Unvermögen ist. Das Bewusstsein mag mit den Gestalten der Phänomenologie sodann in solch einem tetragrammatischen Unendlichkeitsstreben geschickter, effizienter, arbeitsamer, funktionaler, gebildeter, moralischer und so fort werden und 42 Werke 03:163ff., 275ff. u. 431ff. 43 Liebrucks, Bruno, Sprache und Bewusstsein, Bd. 5: Die zweite Revolution der Denkungsart. Hegel: Phänomenologie des Geistes, Frankfurt am Main 1970, S. 284. 44 Vgl. Hegels Thematisierung der „schlechten Unendlichkeit“ in: Werke 05:155f. u. 264ff.

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dabei je intimer in sich hinein avancieren sowie eine innigere Begegnung und intensivere Explikation seiner eigenen Wesentlichkeit finden. Doch bleibt es in ihnen allen, so demonstriert Hegel, weiterhin eine unentwegte Negativität. An ihrem Spitzpunkt äußert sich diese Negativität gemäß der Phänomenologie schließlich als das Böse.45 Auch das Böse ist wegen der tetragrammatisch negativen Dialektik des Bewusstseins nicht bloß etwas, das ihm von außen her zustößt oder dem es zufällig begegnen würde. Das Bewusstsein selbst emergiert als das Böse, indem es unentwegt sich selbst bestimmende Negativität ist. In ihm kündigt sich aber zugleich das Gewissen bereits als der „einsame Gottesdienst“46 an, den das Bewusstsein unablässig mit sich treibt und dessen es mit solchem Treiben gerade nicht habhaft wird, solange es seiner bloß äußerlich habhaft zu werden versucht. Diesem einsamen Gottesdienst generiert sich das Böse als die unendliche Dialektik eines Sich-mit-sich-Gleichmachens47 des Bewusstseins, in deren Verlauf es alles und jedes in seinen unterschiedlichen Formen aufgezehrt und zu sich gemacht, in anderen Worten: auf die eine oder andere Art in sich hinein vernichtet hat. In solch einem negativen Gleichmachen reproduziert es, so Hegel, allerdings endlos nur „die Ungleichheit seiner besonderen Einzelheit gegen anderes Einzelnes“.48 Das in der offenbaren Religion treibende Moment des Individuums ist angesichts des Bösen mithin bereits da, doch ist es noch eine abstrakte Individualität, die sich hier unablässig sowohl identisch einrichtet als auch wieder gegen sich und andere verliert. Hierin feiert sich die abstrakte Negativität der Willkür. Sie ist in offenbarungsreligiöser Sprache noch nicht als Menschwerdung zu sich gekommen, die Ausdruck eines anundfürsichseienden Guten ist. Das Bewusstsein gerät also zwar von seiner Entwicklung durch solche Abstraktionsformen in seine konkrete Selbstentwicklung als Individuum hinein, erfährt aber die eigene Einzelheit selbst noch als etwas Abstraktes, Unerfülltes und deshalb per negationem Gleichmacherisches. Es hängt, so könnte man sagen, als es selbst in seiner eigenen negationsnegierenden Unendlichkeit fest, anstatt umgekehrt das Negative nicht mehr weiter zu negieren, sondern als Negatives anzuerkennen, oder, erneut mit Hegels nun entscheidendem Wort: es zu verzeihen.

45 46 47 48

Werke 03:485ff. Werke 03:481. Hegel spricht von der „formellen Herstellung der Gleichheit“, Werke 03:485. Ebd.

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Parakletik: Endlichkeit und Versöhnung

Das Bewusstsein mag in seinen unterschiedlichen Formen verständiger, tauglicher, effizienter, funktionaler, gebildeter, kultivierter, moralischer usf. werden. Doch eines vermag es dabei nicht: die eigentlich affirmative „Verzichtleistung auf sich“.49 Es bleibt ihm ohne diesen Selbstverzicht und die bejahende Preisgabe seines Eigensten nichts als die eigene unablässige Negativität und damit dasjenige, mit dem es nicht zurande kommt und dessen endlose Reproduktion es in solch stets einsamem Gottesdienst bleibt.50 Einsam ist dieser Dienst darin, dass er sich nicht als eigentlich ebenso religiöses Handeln begreift, sondern sich allerlei andere Ontologien, d.h. erfragte Gottesnamen, einschreibt. Er fällt in vielfältige Unendlichkeitsbestrebungen hinein, die allesamt gleichsam Ausdruck der Fragen „Adam, Mensch, wo bist du?“ und „Wie lautet dein Name?“ bleiben. Beide Fragen sind ein und dieselbe Frage nach der Aktualisierung und Konkretion. Der Schritt ins Religiöse findet daher mit dem Verzeihen dieser Unendlichkeitsbestrebungen statt, in einem anerkennenden Verzichttun. Das Bewusstsein verzeiht sich, dass es negativ, dass es endlich, ist. Es erfährt im Verzeihen diese Endlichkeit nicht mehr, wie bisher, als eigentlich unendlich zu überwindendes und zurückzuweisendes Problem seiner Ungleichheit mit sich selbst. Es anerkennt seine bzw. versöhnt sich mit seiner Negativität. Der Akt der Verzeihung ist es daher, von dem Hegel am Ende des Religionskapitels ausführt: Wie uns der Begriff des Geistes geworden war, als wir in die Religion eintraten, nämlich als die Bewegung des seiner selbst gewissen Geistes, der dem Bösen verzeiht und darin zugleich von seiner eigenen Einfachheit und harten Unwandelbarkeit abläßt, oder die Bewegung, daß das absolut Entgegengesetzte sich als dasselbe erkennt und dies Erkennen als das Ja zwischen diesen Extremen hervorbricht, – diesen Begriff schaut das religiöse Bewußtsein, dem das absolute Wesen offenbar [ist], an und hebt die Unterscheidung seines Selbsts von seinem Angeschauten auf, – ist, wie es das Subjekt ist, so auch die Substanz und ist also selbst der Geist, eben weil und insofern es diese Bewegung ist.51 49 Werke 03:492. 50 Zur Beziehung zwischen Gewissen und offenbarer Religion bei Hegel vgl. Redding, Paul, Hegel, Idealism and God: Philosophy as the self-correcting appropriation of the norms of life and thought, in: Cosmos and History: The Journal of Natural and Social Philosophy, Vol. 3, Nos. 2–3, (2007), (S. 16–31), dort besonders S. 24f. 51 Werke 03:572–573.

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Die Religion ist in anderen Worten die ausgehandelte Verwirklichung des Verzeihens. Klaus-Michael Kodalle weist daher mit ganzem Recht darauf hin, dass sich im Verzeihen der absolute Geist vergegenwärtige,52 d.h. in unseren Worten: individuell und konkret sinnerfüllt aktualisiert. Diese Vergegenwärtigung ist die Versöhnung und darin die Einheit von Substanz und Subjekt, die Menschwerdung nicht als abstraktes historisiertes Geschehen,53 als mythologisches Erbauungsbild oder als biologistisch verstandener Materialismus, sondern als vollzogenes und sich vollziehendes Verzeihen. Die Endlichkeit der Einzelnen verzeiht sich in diesen Einzelnen und tritt darin von der unentwegt nur negativ-dialektisch über sich hinaustreibenden Unendlichkeitsbestrebung zurück. Hierdurch wird die Negativität aber nicht negiert, sondern kraft ihrer selbst anerkannt, d.h. verziehen. Gott als abstrakte Substanz zeigt sich als Subjekt, indem er sich Negation und damit Endlichkeit zuzieht und diese Endlichkeit als eine sich immer schon zugezogen habende: verzeiht, sich mit ihr versöhnt. Der einzelne Mensch gerät als Subjekt zugleich in seine Substanzialität, indem er sich die eigene endlos negative Subjektivität verzeiht und seine Endlichkeit anerkennt. Beides ist mit Hegel ein und derselbe Akt eines versöhnenden54 und darin spekulativ schauenden Ja,55 das im Kreisgang durch die Religionskapitel der Phänomenologie deren Anfang und Ende bildet. Ein solches Ja leitet sich aber nicht mehr nur aus der Negativität seiner eigenen Entwicklung ab, sondern revolutioniert das Negative zu demjenigen unhintergehbaren Akt der Freiheit, der sich im Verzeihen und Versöhnen ausdrückt  – aus welchem Verzeihen übrigens auch sodann die Gemeinde der Religion herstammt, die eine Gemeinde der Verzeihenden heißt, welche sich selbst als solche wissen, denen zugleich und bereits verziehen ist. In der Gemeinde vollzieht sich „das Werden seines einzelnen Selbstbewusstseins zum Allgemeinen“,56 das es aber zustande bringt, ein zugleich sich allgemein wissendes Einzelnes zu sein. Es ist das versöhnte und vergemeindete Individuum. Die Gemeinde ist nicht abstrakter Rechtszustand, keine äußerliche Sittengemeinschaft, keine Herr-Knecht-Dialektik oder ähnliches.57 Sie ist 52 Kodalle, Klaus-Michael, Verzeihung denken, München 2013, S. 204ff. 53 Vgl. zu dieser Perspektive: Seelmann, Kurt, Ethische Räume jenseits rechtlicher Insti­tu­ tionen? Gnade, Versöhnung und Verzeihung bei Hegel, in: Seelmann, Kurt und Zabel, Benno (Hrsg.), Autonomie und Normativität, Tübingen 2014, S. 389–397; aber im selben Band auch: Rózsa, Erszébet, Versöhnung jenseits und diesseits rechtlicher Institutionen bei Hegel, S. 406–422. 54 Werke 03:494. 55 Werke 03:572. 56 Werke 03:570. 57 Schon Hegels oben zitierte Frühschriften ziehen solche Vereinseitigungen der Religion in die Kritik.

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Gemeinde einander Verzeihender und darin spekulativ einander als Endliche bejahender Endlicher. Hier wäre notabene eine Abzweigung, viele Worte über den Liebesbegriff in Hegels Philosophie zu sprechen,58 aus dessen Kontext etwa Andreas Hetzel den hier besprochenen Johannismus in Hegels philosophischer Theologie auch um einen Paulismus ergänzt.59 Der entscheidende und die Religion von anderen Bewusstseinsformen unterscheidende Punkt ist in seiner Vollform dort erreicht, wo diese verzeihende und sich verzeihende Endlichkeit sich nicht mehr irgendwoher ableitet, sich in keiner negativen Verallgemeinerung mehr zu spiegeln sucht und sich in nichts Einseitiges mehr hineinkonstruiert. Sie ist tathandelnd frei, indem sie sich nicht mehr als etwas erfährt, das zu lösen, zu kitten oder zu überwinden wäre, sondern das seinem Begriffe in seiner Selbstbejahung entspricht und entsprechen kann. Hierin erkennt und anerkennt sich das Religiöse zugleich als den ganzen dialektischen Prozess, der sich in der Versöhnung mit dem eigenen Negativen als das Negative erfährt, das er ist, und sich daseiend, als JHWH, affirmativ in sich hineinversenkt, anstatt sich endlos und urteilshaft als gegen sich zerrissen weiter überformen zu müssen. Hans Friedrich Fulda weist in diesem Zusammenhang übrigens mit vollem Recht auf die auch logisch schlusshafte Form des Bewusstseins vom Absoluten hin.60 Es taucht dem Bewusstsein in der Versöhnung die „erfüllte Kopula“ der Wissenschaft der Logik auf,61 der selbst dreifache Mittelbegriff des Trinitarischen, von welcher Dreiheit auch die Phänomenologie in ihrer Weise spricht, wenn sie drei unterschiedene Momente in der Bewegung der offenbaren Religion entwickelt.62 Die Handlung des spekulativen Ja der Religion erfährt hiermit das, was in der Logik als das Hereinbrechen des Mittleren bezeichnet wird. In der Phänomenologie ist es „die Handlung einer fremden Genugtuung“,63 von der sich zugleich herausstellt, dass sie selbst die Möglichkeit dieses Ja bleibt. In der Hingabe, Anerkennung und Verzeihung der Endlichkeit ruft das Bewusstsein gleichsam affirmativ etwas Fremdes herbei, als dessen Versöhnungsakt es sich selbst ausgedrückt und sich Genüge getan findet. Wir sagen Herbeirufen, um die inkludierte Negativität jener Genugtuung und Versöhnung auszudrücken, die das Subjekt als nicht einfach aus sich heraus ableitbar erfährt  – denn 58 Vgl. Werke 01:239ff.; aber auch Werke 07:277ff. 59 Hetzel, Andreas, Gnade und Gesetz. Paulinische Motive in Hegels Geist-Begriff, in: Arndt, Andreas u.a. (Hrsg.), Hegel-Jahrbuch 2011: Geist? Zweiter Teil, Berlin 2011, S. 174–179. 60 Fulda, Hans Friedrich, Hegels Begriff des absoluten Geistes, in: Jaeschke, Walter und Siep, Ludwig (Hrsg.), Hegel-Studien 36, Hamburg 2001, S. 171–198, S. 185. 61 Werke 07:S. 350. 62 Werke 03:558ff. 63 Werke 03:573.

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dann wäre es keine auf sich genommene Endlichkeit, sondern wieder nur reproduzierte Unendlichkeit (etwa eines weiterhin unglücklichen Bewusstseins). Es ist aber erfahrene Alterität, Herbeikommen eines sich spekulativ der eigenen Kunft inkludierenden Herbeigerufenen. Es ist die Vermittlung als anerkannte Negativität, als Herbeikunft aus der inklusiven Fremde, der hierdurch erst eigenen Fremde des Bewusstseins selbst: als der Paraklet. Wenn der Evangelist Johannes vom Parakletos, dem Herbeigerufenen, spricht, dann redet er spekulativ-logisch vom trinitarischen Schluss, spekulativphänomenologisch vom dem Schlusse korrespondierenden Akt der Versöhnung. Aus letzterer Hinsicht ist übrigens auch die übliche lutherische Übersetzung jenes Wortes mit „Tröster“ durchaus angemessen. Eigentlich aber ist der Paraklet der Herbeigerufene, nämlich die affirmativ-inklusive Negativität und Endlichkeit, die im Akt des Verzeihens offenbar und versöhnt in einem wird. Die Logik des Parakleten ist eine Bewegung der sich individuierenden Endlichkeit, die zugleich gegen sich und in sich endet und darum sowohl als Gegen-Sich die Herbeirufung der Entfremdung ist als auch deren Genugtuung als In-Sich-Hineinenden und damit als Versöhnung ist. Insoweit exemplifiziert sich Hegels Lehre von einer offenbaren Religion nicht nur im vielbesprochenen Reden von der Menschwerdung gemäß dem sog. Johannesprolog64 als eine umfassend johanneische Theologie, sondern ebenso sehr mit der Rede vom Geist, dem Parakleten.65 Aus dieser Sicht ist die Phänomenologie des Geistes eine Erscheinungslehre des Parakleten. Auch Hegels Kreuzestheologie und die Rede von der Auferstehung stehen sodann hiermit in Zusammenhang. Andreas Arndt weist in diesem Kontext darauf hin, dass der Einzelne im Bewusstsein der offenbaren Religion allein als sich vergemeindender Einzelner tatsächlich verziehene und verzeihende Endlichkeit sei.66 Der Gedanke von der Herbeikunft des Geistes, seine Paraklektik, könnte man sagen, vollzieht sich in Form der Bewegung des Todes und der Auferstehung. Der Kreuzestod stellt die radikale Anerkennung der Endlichkeit durch den hierdurch von ihr betroffenen und sie ausdrückenden Einzelnen dar. Der Einzelne findet in diesem Auf-sich-Nehmen des Endens seine Erlösung und Versöhnung, die zugleich seine trinitarische Ver-Sohnung ist. Er findet sich im Enden und seiner dialektischen und tetragrammatischen Negativität 64 Joh 1, 1–18. 65 Joh 14, 16ff. und 1 Joh 2,1. 66 Arndt, Andreas, Hegelplatz: Von Studium und Spekulation, Predigt beim Universitätsgottesdienst der HU Berlin am 25. Mai 2014, abrufbar unter: https://www.theologie.hu -berlin.de/de/gottesdienste/predigt_archiv/predigten/predigtensose14/predigtarndt .pdf (14.01.2023).

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wesentlich als ein Hineinverziehener wieder und kann nun die Frage „Adam, wo bist du?“ beantworten. Hineni, Idou. – Siehe. Hier bin ich. Fulda stellt in dieser Hinsicht mit Recht heraus, diese spekulative TheoLogik habe insgesamt eine „schwierig zu beschreibende wechselseitige Durchdringung von endlichem und unendlichem Geist“67 und auch Jaeschke betont für die religiöse Geistigkeit deren intrinsische Vermittlungsleistung zwischen Einzelnem und Allgemeinem.68 Die frei affirmative Erneuerung im Vollzug der unendlichen Negativität heißt: Auferstehung. Die Auferstehung ist die Revolution der und zur versöhnten und versohnten Endlichkeit. Sie ist deren Anerkennung als ein Können und Dürfen. Dem Individuum ist seine konkrete Endlichkeit das Potenzial seiner Offenbarung, die parakletische, herbeigerufene Menschwerdung Gottes. In solch einem Enden als Potenzial, das sich vollzieht, erkundet und vergemeindet, liegt der johanneische Gegenentwurf zur oben angedeuteten nur negativ-dialektischen Unendlichkeitsbestrebung, die das Enden in unterschiedlichsten Formen des Bewusstseins höchstens als zu überwindende Bürde, Last, Schrecken oder das Böse ins Werk setzt. Das Negative und Endliche stattdessen in seinem soteriologischen Potenzial zu gewinnen, ist der eigentliche Trost der sich hinter dem tröstenden Parakleten versteckt und mit Hegel im Bewusstsein der Offenbarung über den Einzelnen hereinbricht, der sich nun als menschgewordener Gott weiß. „Wir heißen Kinder Gottes und wir sind es“,69 sagt Johannes in seinem ersten Brief, die ganze hier skizzierte Bewegung zusammennehmend. Der Name ist mit seinem Dasein eins geworden, das Tetragrammaton ruft sich hier und jetzt herbei. 5

Zur Aktualität und zum Sinn der Religion Dem Bewußtsein ist in seinem Gegenstand dann etwas geheim, wenn er ein Anderes oder Fremdes für es ist und wenn es ihn nicht als sich selbst weiß. Dies Geheimsein hört auf, indem das absolute Wesen als Geist Gegenstand des Bewußtseins ist; denn so ist er als Selbst in seinem Verhältnisse zu ihm; d.h. dieses weiß unmittelbar sich darin, oder es ist sich in ihm offenbar.70

67 68 69 70

Fulda, Hegels Begriff des absoluten Geistes, S. 188. Jaeschke, Religionsphilosophie als Explikation der Idee des Christentums, S. 285. 1 Joh 3, 1. Werke 03:552.

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Die Offenbarung im zu sich religiös durchgedrungenen, d.h. eben offenbaren, Bewusstsein ist purer Akt des Parakleten. Das sich in der Religion von seinen Abstraktionsformen hinweg- und in sich hineinvereinzelnde Bewusstsein ist der Geist, nämlich der Heilige Geist, in dessen Herbeiruf und -kunft sich das Bewusstsein selbst geheiligt findet. Diese Heiligung ist nicht nur mit dem ihr immanenten Moment der Verzeihung zugleich Heilung der Endlichkeit, sondern auch das sich selbst unmittelbar begegnende Geschehen von Unmittelbarkeit oder wieder: die Offenbarung. Allein im spekulativen Akt der Versöhnung und der mit ihm aufgehenden Bewegung der Religion hin zu ihrer Individuation, die tateins mit dem eigenen Enden und dessen Auferstehung ist, kann so etwas wie Offenbarung überhaupt eine Bedeutung erlangen, die nicht ihrerseits wieder Abstraktion, Dogmatik oder Aberglaube ist. Das Geheimsein hört auf, sagt Hegel, die Religion ist die eigentliche Apokalypse des Individuums, das in seine Versöhnung und Versohnung hineinendet und sich als die auferstehende, revolutionäre Endlichkeit gewinnt. In dieser Bedeutung wird die Offenbarung zum eingangs angedeuteten und nun dialektisch explizierten Synonym von Aktualität. Fragt man also nach dem je aktuellen Sinn von Religion so lautet die Antwort, dass religiöse Praxis mit einer spekulativ-phänomeno-logisch gelesenen johanneischen Offenbarungstheologie die parakletische Verzeihung all der sonstigen Abstraktionen des Geistes in der Welt lehrt. Religion hat den Sinn, hier und jetzt und immer wieder aktuell zur Offenbarung und Verzeihung all der Unendlichkeitsbestrebungen der Welt zu gelangen  – auch dann, wenn sie sich gar hinter dem Namen „Religion“ selbst verstecken. Sie ist deshalb überhaupt die einzige individuierte und konkrete Unmittelbarkeit und wahre Aktualität. Religiosität bedeutet im Hegelschen Sinne mithin den immer wieder auszuübenden Schlüssel, mit dem individuellen Enden und der je konkreten Endlichkeit in der Welt zurande zu kommen, sie zu verzeihen und sich mit ihnen zu versöhnen, sei es, den kategorischen Imperativ paraphrasierend, in der eigenen Person, sei esin der Person eines jeden anderen. Denn das Bewusstsein gewinnt in seinem ursprünglichen Ja zur Revolution der Endlichkeit überhaupt erst die Möglichkeit, anerkennungsvoll, konkret und verzeihend mit dieser Endlichkeit umzugehen, anstatt sie in einer nur negativ bleibenden Dialektik unentwegt und in unendlicher Jagd hinfort konstruieren zu wollen. An dieser Stelle böte sich auch ein scharfer Diskussionspunkt mit den aktuellen Avancen der Sozio-Ökonomie, Ökologie, Psychologie oder des sog. Trans- und Posthumanismus an. Denn eine bedeutungsvolle Beziehung und, mit Hegels Wort, ein an und für sich seiendes Bewusstsein der Endlichkeit zu praktizieren, kann sich als Religiosität nicht mehr in dogmatischen

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Abstraktionen und lehrbaren Unendlichkeitsbestrebungen abspielen. Solche Abstraktheiten treten höchstens als Erfüllungskandidaten der negativen Selbstinhibition auf, im Sinne der Phänomenologie des Geistes etwa des aufgeblähten Verstandes, der herrschaftsversessenen Lebendigkeit, des Skeptizismus und seines unglücklichen Bewusstseins, des eigendünkelhaften Wahnsinnes, der nur mehr formalistischen Rechtswirklichkeit, der Entfremdung hin zum absoluten Schrecken, der selbstgerechten moralischen Verstelltheiten und dergleichen mehr. Sie alle sollen im schlecht-unendlichen Sinne eine Individuations- und Unmittelbarkeitsbeziehung ersetzen, die der Einzelne allein im spekulativen Ja des Schrittes in die Religion herzustellen imstande ist. Denn solch eine Beziehung wird gar nicht mehr hergestellt, sondern erreicht sich im Akt der Verzeihung als das versöhnungsreiche Vertrauen auf ihre als Endlichkeit bereits vollbrachte Verwirklichung. Johannes sagt hierzu am Beginn seines Prologs: kai theos en ho logos, Gott selbst war immer schon dieser Logos. Die Beziehung muss nicht gewonnen, sondern die sie verzerrenden Abstraktionen, die Gottesferne in der Namensfrage, sollen durch die eigenen Negationsdialektiken abgebaut und verziehen werden. Solch ein Versöhnungs- und Versohnungsschritt in das Bewusstsein der Religion ist nicht mehr aus der Negativität selbst abzuleiten, aus ihr zu erfinden oder gar zu befehlen. Denn dann wird er immer nur seiner eigenen Formalität folgen, gleichsam im eigenen Saft dahinköcheln, anstatt die Dimension unmittelbarer Bedeutungs- und Sinnbeziehung zu gewinnen, die im vertrauensvollen Verzeihen wartet und das Individuum nun als menschgewordenes Absolutes direkt handlungs- und gestaltungsbefähigt. Im Religiösen erlangt der Einzelne als Subjekt das Bewusstsein seiner ihm immer schon als Substanz entgegenströmenden Individuation, die diejenige seiner unmittelbaren Aktualität und Sinnstiftung ist. Religion ist das Aktuellwerden meiner selbst im Sinne des Aufbauens einer vertrauensvollen Sinnbeziehung zu den Phänomenen der subjektwerdenden Substanz. Sie ist mithin auch nicht nur irgendein Phänomen unter anderen, so als könnte das Individuum etwa neben seinen unterschiedlichen Rollen in vielfältigen Lebensbereichen auch noch, gleichsam akzidentell, religiös sein – und etwa seine Religiosität als so einen Bereich neben anderen dann beispielsweise auf eine Privatsache reduzieren. Religiosität, die diesen Namen verdient, begreift sich demgegenüber als die Begegnung einer konkreten Bedeutungsfülle und damit der Aktualität des Unmittelbaren in allen Vollzügen des Bewusstseins. Sie ist die individuierte Betroffenheit als bedeutungsvolles Subjekt – und sie ist dies auch in der abstraktesten Negativität der Erfahrungsräume, selbst dort also, wo sich die Subjektivität mit ihren eigenen Mitteln radikal zurückweist, vermeidet oder gar vernichtet. In anderen Worten ist ein weiterer Sinn von

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Religion die Bewusstwerdung davon, dass alles, was wir tun, immer schon Religion ist. Die Begegnung dieser affirmativen Selbstbeziehung markiert mit Hegel letztlich ihren Offenbarungscharakter. Das Religiöse offenbart nicht nur etwas, es offenbart zugleich sich in allem  – nämlich als das radikal Aktuale des aufhörenden Geheimseins des Absoluten und damit als die tatsächliche Thematisierung des je Aktuellen einer Bewusstseinsdimension. All dies heißt aber umgekehrt ebenso, im religiösen Bewusstsein eine gänzlich erneuerte und lebendige Vertrauens- und Sinnbeziehung selbst zu den vermeintlich abstraktesten Formen zu gewinnen. Religion erfährt nicht nur als Gemeinde eine Versöhnung endlicher Einzelner mit anderen endlichen Einzelnen, sie ist ebenso sehr stets Versöhnung mit mir selbst. Denn sie ermöglicht, selbst die vermeintlich abstraktesten Weisen des Bewusstseins als bereits negativ-dialektische Versuche, Sehnsüchte und Unfähigkeiten des Konkretwerdens zu begreifen und in ihnen allen daher das Bedürfnis nach Unmittelbarkeit zu erkennen und hierin, was zentral ist: sich und sie zu verzeihen. Diese religiöse Erkenntnis nämlich ist das unhintergehbare Ja, in dem das Religiöse für sich aktual wird. Sie ist mit Hegel der Geist der liebenden Affirmation, die den Geist, der stets verneint, hinter sich gelassen hat. Sie ist mit Johannes Geist für Geist, kurzum: die Erfahrung, dass „das ewige Leben (ist): dich, den einzigen wahren Gott zu erkennen und Jesus Christus, den du gesandt hast“.71 Die Auferstehung zum ewigen Leben findet hier und jetzt, aktual und aktuell im versöhnenden und versohnenden Akt der erkannten Offenbarung statt. Nur eine solche Offenbarung im Hier und Jetzt ist Offenbarung für mich. Alles andere würde wieder in eine sich selbst vom Konkreten abhaltende Religiosität führen, eine reichlich unlebendige Dogmatik etwa, die Hegel bereits in den mehrfach erwähnten Frühschriften kritisiert, eine bloß verrechtlichte Institutionenreligion, einen mit der Aufklärung kämpfenden Privatglauben, oder gar einen nur sedativen Aberglauben. Offenbare Religion in Hegels johanneischem Sinne lässt stattdessen ein radikales Vertrautsein nicht nur miteinander, sondern auch mit mir selbst und letztlich mit Gott zu, der hierin allein Gott für mich wird, indem ich für mich in einer bedeutungsvollen aktuellen Sinnbeziehung werde, die ich aber zugleich als negationsinklusiv nicht allein aus mir selbst herkonstruieren kann. Ich rufe hierzu spekulativ den Parakleten herbei. Der Eingang in solch eine Beziehung ist, das Religiöse an allem zu erkennen, d.h. zu erkennen, dass selbst meine Unmittelbarkeit im Hier und Jetzt, meine sinnliche Gewissheit, bereits Kulthandlung des sich-begreifenden Absoluten ist und sich deshalb auch die religiöse Praxis nicht einfach gegen solche 71 Joh 17, 3.

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Formen wenden kann, sondern sie in ihrer Logik erkennen, anerkennen und sich in sie einweben muss, um tatsächlich vertrauensvolle Offenbarung zu sein. Religion heißt, folgt man Hegel und Johannes, das Religiöse in nichts als einer radikalen spekulativen Praxis wiederzuerkennen, als beständige Ausübung von versöhnender Endlichkeit, Auferstehung und Erlangung einer sinnerfüllten Gottesbeziehung in individuo. Hierdurch wird überdies auch ersichtlich, dass das Aufhören des göttlichen Geheimseins nicht etwa bedeutet, das Absolute würde zu einem gewöhnlichen Gegenstand neben anderen degradiert. Vielmehr heißt diese Apokalypse umgekehrt, dass es gar nichts Gewöhnliches mehr gibt, denn alles und jedes, jede und jeder ist durch sie in die religiöse Sinndimension hineingehoben und offenbart. In der offenbaren Religion, so könnte man reichlich dialektisch sagen, wird alles zugleich als sein absolutes Geheimnis erfahrbar, gelichtet und gelüftet. Hierdurch erlaubt Religion zugleich intrinsisches Verantwortungsbewusstsein, positive Gestaltungsfreiheit und wechselseitige Anerkennungsformen gegenüber und in der Erfahrungswirklichkeit. So hat etwa Peter Henrici Unrecht, wenn er, stellvertretend für viele Hegelexegeten, der Theologie Hegels das Freiheitspotenzial hinsichtlich eines in ihr vernotwendigten Geschichtsreaktionismus abspricht, der stets das vermeintlich Faktische zum Vernünftigen erkläre.72 Denn das einzige geschichtlich Faktische ist in der Religion die Begegnung der aktualisierenden und hierin sinnstiftenden Freiheit, nicht die Rechtfertigung irgendwie gearteter verstandesgesetzter Geschichtsprozessualitäten. Augustinus Wucherer-Huldenfeld hat dieses angespannte Verhältnis in der sog. nach-idealistischen Tradition umsichtig aus Hegel selbst entwickelt und hinsichtlich seiner Kritiker dargestellt.73 – Hegel jedenfalls erlaubt in der Parakletik seiner johanneischen Philosophie sehr wohl, den individuierten Freiheitsakt zugleich individuiert und vergemeindet zu denken. Ein spekulativer Standpunkt, der, wie der unsrige, all dies sagt und davon ausgeht, in allem expliziere und exemplifiziere sich die Beziehung der Offenbarung, versteht sich selbst freilich schon von seiner offenbaren Religiosität her. Die Religion kann aber nicht einfach dogmatisch gefordert, befohlen, hier oder dort aus anderen Bewusstseinsformen herausgezogen und abgeleitet werden. Man kann, mit dem Evangelisten Lukas, vom Himmelreich nicht einfach sagen: „Hier ist es! Oder: Dort ist es!“.74 Der nach Hegel überaus „einfache

72 Henrici, Peter, Hegel für Theologen. Gesammelte Aufsätze, Fribourg 2009, S. 130f. 73 Wucherer-Huldenfeld, Augustinus K., Philosophische Theologie im Umbruch, 2. Band, 2. Halbband: Moderner Atheismus im Raum der Metaphysik, Wien 2015, S. 72–130. 74 Lk 17, 20.

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Inhalt der absoluten Religion“75 ist nämlich zugleich die stets und immer wieder herausfordernde Konfrontation mit den progressiven Formen ihrer eigenen Negativität. Das Religiöse als spekulative Individuation ist nicht zu erreichen, denn es ist immer schon erreicht. Vielmehr sind seine immer wieder die aus seiner eigenen Dialektik stammenden abstrakten Verschüttungsformen zu thematisieren, zu Bewusstsein zu bringen und hierin auf das unhintergehbar freie Ja zu vertrauen, das sich dem Bewusstsein dadurch anbietet. Aus dieser von Hegel inspirierten Sicht wäre mithin die aktuelle Aufgabe der Religionsphilosophie weiterhin keine andere als diejenige des Johannes: das Evangelium zu erzählen und auf den Begriff zu bringen. „Es gibt aber noch vieles andere, was Jesus getan hat. Wenn man alles aufschreiben wollte, so könnte, wie ich glaube, die ganze Welt die Bücher nicht fassen, die man schreiben müsste“.76 Das viele andere, das Jesus getan hat, ist jede aktualisierende Sinnindividuation. Allein das wiederkehrende Zeugnisablegen vom menschgewordenen Absoluten kann in ihr vertrauens- und verzeihensvoll jenes spekulative Ja erwarten, zu dem das Konkrete, das Individuum, der Einzelne als religiöses Bewusstsein jederzeit sinnerfüllt fähig ist. Allerdings hat sich das Zeugnisablegen auch stets nach sich und seinen Vollzügen umzusehen und zu fragen: in welcher Weise es sich auf den Begriff zu bringen habe. Eine Philosophie der Religion muss daher selbst in lebendiger Dialektik zu sich stehen, um religiöse Praxis zu sein, und nicht in einer staubigen Dogmatik oder einem spiritualistischen Aberglauben zu verharren. Das Zeugnis vom Evangelium hat sich als der herbeikommende Paraklet stets nach seiner eigenen adäquaten spekulativen Gestalt zu fragen, gleichgültig, ob sich diese Gestalt diesen oder jenen Namen gebe. Offenbare Religion ist zu allen Zeiten aus dieser Sicht niemals Angelegenheit entfremdeter Abstraktheiten, sondern immerdar das durchdringlichste Angebot der konkreten Freiheit an die konkrete Freiheit. Literaturverzeichnis Aleksandrowicz, Darisuz, Das Problem des Anfangs bei Hegel, in: Philosophisches Jahrbuch, Vol. 92, No. 2, (1985), S. 225–238. Arndt, Andreas, Hegelplatz: Von Studium und Spekulation, Predigt beim Universitätsgottesdienst der HU Berlin am 25. Mai 2014, abrufbar unter: https://www.theologie .hu-berlin.de/de/gottesdienste/predigt_archiv/predigten/predigtensose14/predig tarndt.pdf (14.01.2023). Auinger, Thomas, Individuum est effabile, Hamburg 2021. 75 Werke 03:552. 76 Joh 21, 25.

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Der Weg zur Sprachlichkeit des Weltumgangs: Vernunft und das „unglückliche Bewußtsein“ Werner Schmitt 1

Vorbegriff

Mit dem Begriff der Sprachlichkeit unseres Weltumgangs hat B. Liebrucks1 den Blick auf Hegels Phänomenologie des Geistes und Wissenschaft der Logik erweitert. Er bindet die phänomenologische und logische Betrachtung der in unterschiedlichen Bewusstseinsstufen erfahrenen Welt von vorneherein an die Sprache als einer „zweiten übersinnlichen Welt“.2 Diese Welt ist nicht mehr im Denkduktus des Platonismus unterzubringen, der den Gegensatz eines sich gleichbleibenden, reinen übersinnlichen Reichs von Gesetzen und der wahrgenommenen Welt, die der Veränderung unterliegt, aufrichtet und sich selbst durch das Festhalten am Prinzip der Widerspruchsfreiheit verbietet, das daraus entstehende Problem der Methexis beider Welten im dialektischen Denken einer Lösung zuzuführen. Hegel zeigt im zweiten Teil der Wissenschaft der Logik3 auf, dass das dialektische Denken nicht nur in der formalen Logik selbst sitzt, sondern dass nur das strenge formallogische Festhalten an der Widerspruchsfreiheit mit Notwendigkeit in den Widerspruch führt. Damit erst ist aufgewiesen, dass in der „zweiten übersinnlichen Welt“ die sogenannte erste übersinnliche Welt des Platonismus nicht undialektisch vernichtet ist, sondern als notwendiges Moment der Dialektik selbst anerkannt wird. Die Bewegung, die damit in die erste übersinnliche Welt Einzug hält, muss sich an den vom Denken gesetzten Wesenheiten selbst zeigen. Die Wesenheiten Identität, Unterschied, Gegensatz scheinen nicht nur ineinander, was ihre sich gegenseitig ausschließende Beziehung im Status des Gegensatzes charakterisiert; sie zeigen sich in letzter Konsequenz als „Negativität“4 und damit als Widerspruch oder Gegenteil ihrer selbst. Erst dadurch, dass in der zweiten übersinnlichen Welt die Reflexionsbewegung des Ineinander-Scheinens 1 Liebrucks, Bruno, Sprache und Bewußtsein (in der Folge: SuB), Bd. 1–7, Frankfurt am Main 1964ff. 2 Hegel, G.W.F., Phänomenologie des Geistes (in der Folge: PhG), Hamburg 1952, S. 121. 3 Hegel, G.W.F., Wissenschaft der Logik, 2. Teil (in der Folge: WdL), Hamburg 1966, S. 2–62. 4 WdL, S. 52–53.

© Werner Schmitt, 2023 | doi:10.1163/9789004679399_005

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der Wesenheiten in ihren Grund der Negativität gegangen ist, werden die Wesenheiten zu Begriffen, die ontologische Relevanz haben. Das erst sind die sprachlichen Formen, in denen als einer „verkehrte[n] Welt“5 das wahrgenommene Sein so gespiegelt wird, dass es an ihm selbst mit Bedeutung angetan erscheint. Am Ende des zweiten Teils der Wissenschaft der Logik spricht Hegel von drei Formen des Lebens.6 1. Die Naturphilosophie betrachtet das natürliche Leben. Es ist dadurch charakterisiert, dass „es in die Äußerlichkeit des Bestehens hinausgeworfen ist, an der unorganischen Natur seine Bedingung hat, und wie die Momente der Idee eine Mannigfaltigkeit wirklicher Gestaltungen sind“.7 2. Das geistige Leben ist „kein Natürliches und vielmehr der Gegensatz zur Natur“.8 Erst im geistigen Leben wird das Natürliche zu einem von ihm unterschiedenen Gegenstand. Es weiß um die Natur als seiner Bedingung, ist aber selbst der Grund für die Einsicht in seine Voraussetzung. In der verkehrten Welt des Geistes kann der Mensch auf Grund der Einsicht in seine Abhängigkeit von der Natur diese zum Mittel seiner Selbsterhaltung machen. Wie das organische Leben die unorganische Natur zu ihrer Bedingung hat und macht, so macht das geistige Leben sich zum Grund für die Einsicht in diese Abhängigkeit. Nur solche Einsicht kann der Natur die Ehre erweisen, in ihr die Bedingung der eigenen Existenz zu sehen. Der Geist ist als verkehrte Welt wie ein Spiegel, in dem das nicht seiende Sein des Bildes nicht nur auf das Sein zeigt, das es reflektiert, sondern darin zugleich auf die Vermittlung durch den jeweiligen Spiegel deutet. Im Bild wird der innerhalb einer bestimmten Weltansicht gemachte Eindruck von Welt sichtbar gemacht. Das Bild selbst ist der physiognomische Ausdruck dessen, was dem Menschen an der Wirklichkeit bedeutend erscheint. Näher betrachtet ist das natürliche Leben „für den Geist teils Mittel, so stellt er es sich gegenüber“.9 In ihm als Bewusstsein wird das Leben zu einem Gegenstand heißt, dass das Bewusstsein in sich das Gegenteil zu sich setzt. Hier ist Bewusstsein schon Hegelscher Begriff oder Negativität, welche wie das Spiegelbild das Gegenteil von sich selbst ist: Als Bild ist es nicht seiendes Sein,10 welches sein Nichtsein darin besitzt, dass es sich von dem, was es nicht ist, abstößt. 5 6 7 8 9 10

PhG, S. 121. WdL, S. 415f. Ebd. Ebd. Ebd. Platon, Sophistes, 240 B.

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Das Bild bestimmt sich als Reflexion eines Seienden. Es ist der gesetzte Schein des Seienden, in dem das Seiende erst als solches ist. Das „Gegenüber“ innerhalb von Bewusstsein ist wie innerhalb des Bildes eine Reflexionsbewegung, in welcher der Unterschied von Sein und Schein aufgestellt wird. Das Setzen des Unterschieds von Sein und Schein geschieht innerhalb des Scheins. Erst der Schein ist das Setzen dieses Selbstunterschieds. Er ist das noch gegenständliche Bild für die Reflexionsbewegung, die sich als Bewusstsein und Geist konstituiert. In den Sprachspiegeln des Geistes wird die Auseinandersetzung des Bewusstseins mit seinen Gegenständen als Resultat festgehalten. Den unterschiedlichen Bewusstseinsstufen entsprechen die unterschiedlichen Gegenstände, die das Bewusstsein in diesen Auseinandersetzungen betrachtet. Es weiß in seiner jeweiligen Unmittelbarkeit nicht, dass es sich darin immer auch zugleich mit sich selbst auseinandersetzt. An sich treibt es sich in seinen Gegenständen mit sich selbst herum, weil in ihnen die früheren Erfahrungen aufgehoben gegenwärtig sind. Solange diese Erfahrungen aus früheren Stufen noch gegenständlich entgegenkommen, ist sich das Bewusstsein als Hegelscher Begriff entfremdet. Indem es das ihm Fremde am Gegenstand hinwegarbeitet, macht es ihn für sich durchsichtig. Wenn es in der konsequenten Betrachtung des jeweiligen Gegenstandes diesem die Fremdheit nimmt, hebt es damit seine eigene Entfremdung auf. Die Stufen des Bewusstseins lassen sich an den Gegenständen, die sein Interesse erwecken, ablesen. Ist es vor allem an Gegenständen interessiert, in denen es sich selbst findet, dann sind das Mittel zu seiner Selbsterhaltung. Die moderne Welt ist voll solcher Mittel, mit denen sich der Mensch umgibt und die ihn zur Anpassung an ihre Funktionsweise zwingen. Er fühlt sich dabei zwar als maître et possesseur der Natur, bedenkt aber in seiner Hybris nicht die Rückwirkung dieser Art von Herrschaft auf sich selbst als Teil der Natur. Entzündet sich sein Interesse an dem, was ihm an Natur, Gesellschaft und Kultur fremd erscheint, dann will er nicht nur sich selbst in seinen Ansichten bestätigt finden, sondern ist auf deren Erweiterung aus. Damit ist er auf dem Weg in die Einsicht in die Sprachlichkeit seines Weltumgangs. Er beginnt zu begreifen, dass sich das Bewusstsein nur auf dem Umweg über seine Gegenstände erfasst. Es ist das „Leben des Geistes“:11 „Er gewinnt seine Wahrheit nur, indem er in der absoluten Zerrissenheit sich selbst findet“.12 Indem das Bewusstsein sich in die Betrachtung seines Gegenstandes versenkt, ihm als dem noch nicht Durchschauten, ihm als „dem Negativen ins Angesicht schaut, 11 PhG, S. 29. 12 PhG, S. 30.

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bei ihm verweilt“, ist der Geist in diesem „Verweilen […] die Zauberkraft, die es in das Sein umkehrt“.13 Dieses Sein ist dann kein unmittelbar Gegebenes mehr, sondern hat an ihm selbst die Bedeutung freigegeben, die zunächst in seiner Gegenständlichkeit verborgen war. Es ist die Kraft des Geistes, die das Bewusstsein als Hegelscher Begriff aufbringt, indem es sich bestimmt, sich somit als verneint setzt und hiedurch auf eine gegen sich andre, die gleichgültige Objektivität bezieht, – daß es aber zweitens ebensosehr in diesem Verlust seiner nicht verloren ist, sich darin erhält und die Identität des sich gleichen Begriffes bleibt; hiedurch ist es der Trieb, jene ihm andre Welt für sich, sich gleich zu setzen, sie aufzuheben und sich zu objektivieren.14 Indem das Leben des Geistes sich in den Gegensatz von Bewusstheit und Sein auslegt, kann das Bewusstsein darangehen, sich dieses Sein mit seinen Bestimmtheiten anzueignen und sich auf diese Weise zu objektivieren. Das Sein, in dem sich das Bewusstsein objektiviert sieht, ist dann sowohl gesetzt wie empfangen: es hat real-ideale Züge. 3. Was der Geist als Bewusstsein von sich als Gegenstand unterscheidet, ist er zugleich selbst: „teils ist er lebendiges Individuum, und das Leben sein Körper“.15 Indem der Mensch sich als lebendiges Individuum begreift, ist er kein bloß natürliches Wesen mehr. Ihm ist seine Natürlichkeit als solche zum Bewusstsein gekommen und damit für alle Zeiten klar geworden, dass es kein Zurück in eine nur tierische Natürlichkeit des Menschen mehr geben kann. Wer das propagiert, der begeht Verrat am Geist, der „kein Natürliches und vielmehr der Gegensatz zur Natur ist“.16 Erst der Mensch unterscheidet, was er an sich und für sich ist. An sich ist er Lebewesen wie die anderen Organismen der Natur; er hat dieses Ansichsein aber in seinem Fürsichsein. Ohne das Bewusstsein seiner selbst als eines lebendigen Individuums zu haben, könnte er nicht seinen Körper kultivieren. Was der Athlet an sich tut, das macht er zugleich für sich. Die bedeutende Bronzefigur des Ἀποξυόμενος in dem kleinen Museum in Mali Losinj auf der gleichnamigen Insel in Istrien gibt ein schönes Beispiel für dieses reflexive Tun. Dass das keine nur zweckmäßige Tätigkeit ist, kann auch der Skulptur angeschaut werden. Dieser Mensch scheint nicht 13 14 15 16

PhG, S. 30. WdL, S. 424. WdL, S. 415. Ebd.

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nur an seine Tätigkeit hingegeben, sondern begleitet sie mit Gedanken an den vorausgegangenen oder künftigen Wettkampf, was der Gestalt einen leicht verhaltenen Zug im Tun verleiht. So scheint die Gestalt durch diesen Anflug von Besonnenheit in Gesicht und Haltung in die größere Sphäre eines olympischen Wettkampfs versetzt zu sein, wo die Athleten nicht nur ihre Kräfte aneinander messen, sondern wie in Olympia ein Fest zu Ehren des Zeus begehen. Dort versammeln sich mit den Athleten auch Künstler und Philosophen, die ihre geistigen Einsichten im Wettstreit miteinander auf die Probe stellen. Solcher Art von Wettkampf sahen die Griechen mit Freude und großer Anteilnahme zu. Das zeugt von ihrem Interesse an Verhältnissen, die über das praktische Tun hinausgehen. Es ist das Interesse am Menschen selbst erwacht, der sich in eine Welt versetzt sieht, in welcher er das Walten natürlicher wie göttlicher Mächte vernimmt und denen er zu Ehren Tempel errichtet und Feste feiert. Damit begreift er sich selbst als geistiges Wesen, das seine Gedanken, die ihm in seinem theoretischen Tun der Reflexion seines Weltumgangs einfallen, in Bildern, Zeremonien und der Sprache selbst festhält. Im Unterschied zum natürlichen Leben des Geistes haben diese Repräsentanten des Geistes ein Scheindasein. Um zu sein, müssen sie durch das Bewusstsein gesetzt werden, entfalten aber in ihrem Gesetztwerden als Scheingebilde ihre reflexive Macht über den Setzer. Das Scheindasein des Geistes ist sein objektiviertes Dasein. Dieses Dasein unterscheidet sich vom natürlichen Leben dadurch, dass es über Jahrtausende hinweg in der Möglichkeit seiner Erweckung zu neuem Leben in einem Bewusstsein gehalten wird. Das Bildnis des Ἀποξυόμενος gibt zu denken, aber das nicht als bloß seiender Gegenstand, sondern als Hegelsche „zweite übersinnliche Welt“.17 In ihr ist der Geist einer Zeit, soweit der Künstler ihn hat darstellen können, gegenwärtig, aber die Vergegenwärtigung leistet der Blick eines Betrachters, der bei diesem Anblick entsprechende Gedanken in sich zu erwecken vermag; dadurch wird dem Geistigen zu neuem, sowohl allgemeinem wie individuellem Leben verholfen. 4. Die zwei ersten Teile des Satzes aus der Wissenschaft der Logik sind damit schon vom dritten Teil her interpretiert worden. Der ganze Satz lautet so: „Im Geiste aber erscheint das Leben teils ihm gegenüber, teils als mit ihm in eins gesetzt, und diese Einheit wieder durch ihn rein herausgeboren“.18 Der darauf folgende Satz erweitert den Gedanken durch einen mit großer Bedeutung aufgeladenen Begriff: 17 PhG, S. 121. 18 WdL, S. 415.

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Das Leben als solches also ist für den Geist teils Mittel, so stellt er es sich gegenüber; teils ist er lebendiges Individuum, und das Leben sein Körper; teils wird diese Einheit seiner mit seiner lebendigen Körperlichkeit aus ihm selbst zum Ideal herausgeboren.19 Das Ideal ist ein Werk des theoretischen Tuns, das darum bemüht ist, das Reflektiertsein der Betrachtung zugänglich zu machen, indem es seiner Weltansicht und den darin erscheinenden Gegenständen ein gegenständliches Scheindasein verschafft. 2

Der Bildcharakter der „zweiten übersinnlichen Welt“

Schon die Ansicht von der Welt ist subjektiv-objektiv, sowohl gesetzt wie empfangen. Diese Form von Ansicht erreicht das Bewusstsein als Hegelscher Begriff, der sich im Status der Vernunft nicht in sich selbst, sondern in der Welt findet, was ein Widerspruch ist, aber das Bewusstsein als „existierenden Begriff“ charakterisiert. Die im Ideal als einem Scheingegenstand gesetzte Einheit von Bewusstheit und Sein verwischt den Unterschied beider nicht, sondern bringt ihn erst zum Bewusstsein. Im Ideal hat der Künstler seine Ansicht von der Welt objektiviert und in dieser gegenständlichen Form für sich und andere sowohl vernehmbar wie begreifbar gemacht. Das Ideal zeigt darauf, dass es keine unmittelbar gegebene Welt gibt. Welt erscheint immer nur einem Bewusstsein als Welt. Dieses Reflektiertsein wird in den Sprachgestalten der „zweiten übersinnlichen Welt“ in Form eines Scheingegenstandes vor dem Bewusstsein aufgerichtet. In diesem Spiegel wird das Reflektiertsein von Welt für das Bewusstsein festgehalten. Dazu kommt beim Begriff „Ideal“, dass der Gegenstand selbst, welcher das Interesse der Vernunft entzündet, nicht nur als ein Lebewesen existiert, sondern als Mensch das seiner selbst bewusste Wesen ist. Der Körper ist nicht ein bloß Natürliches. Er ist immer auch schon Ausdruck eines sich seiner selbst bewussten Inneren. Ein solch Inneres macht seinen Körper zum Zeichen für Mitteilungen an andere Menschen. Haltung und Physiognomie sind bewegliche Gebilde einer zweiten Natur des Menschen, über die er mit anderen Empfindungen und Gedanken austauscht. Der kultivierte Leib ist als zweite Natur eine lebendige Form, die nonverbalen Äußerungen von Bewusstseinsinhalten dient. So zeigt der kultivierte Leib 19 WdL, S. 415–416.

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nicht nur auf eine elementarische Natur hin, die ihn umgibt und in der er lebt, sondern ist darüber hinaus Zeuge einer gesellschaftlichen Wirklichkeit. Wo das theoretische Tun der ἀγῶνες wie im antiken Griechenland mit religiöser Hoheit verschwistert war, bildete sich eine Köperkultur aus, die im Athleten ein Sinnbild hatte. Er verkörperte Jugendlichkeit, Beweglichkeit, Stärke und geistige Präsenz. Die Anforderungen an Olympioniken konnten diese nur erfüllen, wenn sie sich auf die Wettkämpfe vorbereiteten, und das hieß, für sich etwas zu tun, indem sie an sich arbeiteten, den Körper trainierten. Die ἀγῶνες waren religiöse Feiern. In ihnen machte sich die Jugend zum Gefäß ihrer Götter, indem sie aufs Neue ihnen zu Ehren das Spiel der Kräfte zur Aufführung brachten. Der Athlet wurde so zum Sinnbild eines theoretischen Tuns, denn die ἀγῶνες zielten nicht auf die Vernichtung des Gegners, sondern in diesen Kämpfen behielt der Unterlegene die Ehre, die Kraft des Siegers über sich zur Erscheinung gebracht zu haben. Ohne den Wettkampf bliebe die einzelne Kraft eine Möglichkeit, die sich noch nicht in der Auseinandersetzung mit anderen bewährt hat. Die Kraft hat ihre Verwirklichung in der Verdopplung in Kräfte, die im Gegeneinander die nicht greifbare Mitte der Einen Kraft zur Erscheinung bringen. So bringen die olympischen Agones den Einen Gott in seiner immerwährenden Jugend zur Erscheinung. Der durchgebildete Körper des Athleten zeigt an ihm auf die Welt der ἀγῶνες. Aber in Olympia traten auch Dichter und Denken zum Wettkampf an, indem sie ihre Sprachwerke in die Auseinandersetzung schickten. Sie bringen ihre Individualität nicht mehr direkt gegeneinander ins Spiel, sondern geben das, was sie fühlen und denken in dem allgemeinen Medium der Sprache kund. Hier erblickt der Zuschauer den geistigen Kämpfer eher dann, wenn er nicht auf seine körperliche Erscheinung schaut, sondern ihre Werke vernimmt, was aber die verstärkte geistige Mitarbeit des Betrachters erforderlich macht. Ohne die in den Werken geäußerten allgemeinen Gedanken beim Hören und Lesen in sich erweckt zu haben, bleiben die Werke stumm und ohne weitere Bedeutung. Alle Inhalte, die in dieser zweiten übersinnlichen Welt in der Möglichkeit ihrer Evokation gehalten werden, müssen ins Bewusstsein aufgenommen werden, um zu sein. Ihr Sein hängt vom Gesetztwerden durch ein Bewusstsein ab. Aber auch der Dichter oder Philosoph ist eine körperliche Erscheinung. Sollte in dieser individualisierten Form seine theoretische Tätigkeit, Gedanken zu äußern, der denkenden Betrachtung vor Augen geführt werden, dann müsste der Betrachter dessen Physiognomie zum Sinnbild machen. Die geistigen Auseinandersetzungen mit den in der Natur und der Gesellschaft waltenden Mächten, die vom physiognomischen Ausdruck begleitet werden, geben dem

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Gesicht das Gepräge. In ihnen spiegeln sich die noch stark von der natürlichen Beschaffenheit abhängigen Spuren geistiger Arbeit. Sollten in der römischen Welt die Vertreter der res publica in ihrem Pflichtbewusstsein gegenüber dem Staat porträtiert werden, dann hätten sie als Sinnbilder die bestimmten Züge eines zuchtvollen Lebens und sähen so aus wie der kapitolinische Brutus.20 Das Ideal ist zweite übersinnliche Welt, und als lebendige Darstellung (Athlet, Physiognomie, Gestik) und Dargestelltheit (Sinnbild) die Einheit von Körper und Geist. Als Leben durchdringt der Geist den Körper, ist aber die Kraft, die sich in sich von seinem natürlichen Sein unterscheidet und in der Aufhebung des Andersseins sein Fürsichsein hat. Diese Einheit ist eine sich bewegende Form, die sich nicht nur in sich auf sich bezieht, sondern als dieses Insichsein immer schon Beziehung auf Welt ist und dieses Verhältnis zu seinem Nichtsein an sich und für sich in seiner körperlichen Erscheinung durch Haltung und Physiognomie für andere darbietet. Dass es anderen Menschen gegenüber sein Inneres, also das, was es im Bezug auf seine Welt empfindet und denkt, vernehmbar und damit öffentlich macht, zeichnet es als geistiges Wesen aus. Als solches hat es Interesse daran zu erfahren, was andere auf solche öffentlich gemachten Inhalte zu antworten wissen. Mit der physiognomischen Artikulation von Inhalten betritt der Mensch die Ebene von Gesprächen, in denen das geistige Leben tätig ist. Der Körper des Menschen ist schon Darstellung von Selbsterhaltung und Arbeit, dann aber auch von kulturellen Aktivitäten. Die Unterscheidung von natürlichem, geistigem und logischem Leben dient dem Begreifen dieser Sphären, ist aber keine Trennung derselben voneinander. In der Hegelschen Wissenschaft der Logik werden die in der Betrachtung des natürlichen und geistigen Lebens noch verborgenen logischen Verhältnisse mit Hilfe der Sprache in eine Gegenständlichkeit gebracht, in der sich das Denken selbst der eigenen logischen Betrachtung widmen kann. Die logische Fortentwicklung geht entlang logischer Sprachfäden, und zwar so, dass das konsequente Festhalten an ihrer jeweiligen Bestimmtheit ihre eingeschränkte Gültigkeit zutage fördert und auf diese Weise die Kategorie zum Moment einer in ihrer Bedeutung umfänglicheren macht. Dieses Verfahren der dialektischen Logik ist auch in der Phänomenologie des Geistes am Werk. Die unterschiedlichen Stufen, auf denen das Bewusstsein sich mit seinen Gegenständen auseinandersetzt, lassen sich an den Gegenständen selbst ablesen.

20

Kapitolinischer Brutus; 300 v. Chr., Rom, Konservatorenpalast.

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3 Vernunft Die Vernunft ist eine Gestalt des Geistes. Ihr ist es nicht mehr um die unmittelbare Selbsterhaltung zu tun. Damit daß das Selbstbewußtsein Vernunft ist, schlägt sein bisheriges negatives Verhältnis zu dem Anderssein in ein positives um. Bisher ist es ihm nur um seine Selbständigkeit und Freiheit zu tun gewesen, um sich für sich selbst auf Kosten der Welt oder seiner eignen Wirklichkeit, welche ihm beide als das Negative seines Wesens erschienen, zu retten und zu erhalten.21 In dieser Selbsterhaltung hat es die Stufe seiner abstrakten Freiheit erreicht, die auf Kosten der Welt geht. Schon der Organismus scheint in die eleusinischen Mysterien eingeweiht zu sein, indem er aus dem Verzehr einer sich darbietenden Natur sein Selbstgefühl schöpft. Doch das Selbstbewusstsein setzt in seiner Assimilationstätigkeit die Nichtigkeit dieser Welt voraus. Es vertritt die herrische Meinung, dass die Natur als Mittel seiner Selbsterhaltung zu dienen habe. Terminologisch ist zu lesen, dass dem Selbstbewusstsein als Bewusstsein die Welt der wesentliche Gegenstand ist; umgekehrt aber ist sich das Selbstbewusstsein in seiner Unmittelbarkeit nur selbst das Wesentliche. Beide Unmittelbarkeiten sind im Selbstbewusstsein als Vernunft zugrunde gegangen. Erst der Vernunft ist weder der Gegenstand noch die eigene Subjektivität das Wesentliche. Sie hat die Offenheit des Weltumgangs erreicht und verkörpert so die Sprachstufe des theoretischen Tuns, welche die Welt so sein lassen kann wie sie ist. Sie hat „die Ruhe gegen sie empfangen und kann sie ertragen“.22 In der Vernunft hat das Selbstbewusstsein die Seiten gewechselt. War ihm zuvor seine Selbständigkeit das Wesen, so ist ihr nun ein Gegenstand geworden, dem Selbständigkeit nicht bloß unterstellt wird, sondern der auch selbständig ist, aber, und das ist das Entscheidende, wie es selbst zur Negation derselben fähig zeigt. Solche Gegenstände, die der Vernunft nun vor Augen sind, treten für das Bewusstsein erst dann in Erscheinung, wenn es den Status der abstrakten Freiheit, für welche alles Begegnende ein Negatives ist, negiert und damit in dem Begegnenden ein zu Erhaltendes erkennt und anerkennt. In ihrer Unmittelbarkeit ist Vernunft zwar noch nicht das Wissen, dass sie in diesem Anderssein sich selbst erblickt; sie tritt erst als Gewissheit auf, für die aber die Welt der 21 PhG, S. 175–176. 22 PhG, S. 176.

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Gegenstand ist, in dem sie sich findet. Dieses Selbstbewusstsein ist als Vernunft „seiner selbst als der Realität gewiß“.23 Das Denken ist ebensosehr Sein, ontologisch relevant; diese Formulierung darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass Denken die Bewegung als „Negativität“ ist, was heißt, dass es keine unmittelbare Einheit von Denken und Sein geben kann, weil in ihr ebensosehr die Vermittlung tätig ist. Ohne die Aufgehobenheit des Seins im Bewusstsein gäbe es kein Sein; und ohne Sein bliebe das Bewusstsein leer. Bewusstsein ist aber erst das unmittelbare Aufheben des Seins; die Aufgehobenheit des Seins kann erst auf dem Umweg über den Sprachspiegel erblickt und erkannt werden. In ihm ist das Sein zugleich als nicht seiendes Sein, als ideelles Sein gesetzt. Erst im gespiegelten Sein wird für Auge und Ohr die in sich unterschiedene Einheit von Schein und Sein festgehalten. Es bedarf des sprachlichen Ausdrucks, der als zweite übersinnliche Welt die unmittelbare Erfahrung von Welt vermittelt, um zum Wissen von Weltansicht und Welt zu kommen. Damit ist die Hamannsche Einsicht, dass Vernunft Sprache ist, eingeholt.24 Hegel hat diese Erkenntnis auf logischer und phänomenologischer Ebene vorgetragen. Für B. Liebrucks führen diese Arbeiten eine Revolution des Denkens vor, das die ontologische Relevanz seiner Sprachlichkeit verdankt, die selbst wiederum in der Sprache und von ihr her zu begreifen ist.25 Der Hegelsche Text, der den Status der Unmittelbarkeit der Vernunft ausbreitet, zeigt auf vorherige Bewusstseinsstufen mit ihren Gegenständen zurück und auf folgende voraus. Der alte Parmenideische Satz, dass Denken und Sein dasselbe sind, tritt hier in einer Formulierung auf, welche diese Einheit vom Standpunkt eines Selbstbewusstseins ausspricht, das die Negation seiner als eines solchen Weltumgangs, dem das Fürsichsein und die Selbsterhaltung das Wesen ist, vollbracht hat und dem wie zum ersten Mal die Augen auf eine Welt geöffnet sind, die an ihr selbst mit Bedeutung angetan erfahren wird. Der Vernunft ist die Gewissheit geworden, „daß alle Wirklichkeit nichts anders ist als es; sein Denken ist unmittelbar selbst die Wirklichkeit; es verhält sich also als Idealismus zu ihr“.26 Damit ist das Stichwort gefallen. Mit der nun folgenden Auseinandersetzung fällt die Entscheidung darüber, ob die Vernunft auch in ihrem unmittelbaren Auftreten den Kantischen Idealismus, der unter dem Diktat der obersten Denkregel des zu vermeidenden Widerspruchs 23 Ebd. 24 Schmitt, Werner, Die logische Spannweite von Hamanns Satz: „Vernunft ist Sprache“, in: Scheer, Brigitte und Wohlfart, Günter (Hrsg.), Dimensionen der Sprache in der Philosophie des deutschen Idealismus, Würzburg 1982, S. 155ff. 25 SuB, Bd. 5 und 6. 26 PhG, S. 176.

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aus transzendentalen Überlegungen die Welt als Ding an sich dem Denken transzendent ansehen muss, überschritten hat. Der logische Status der Kantischen transzendentalen Reflexion, die aufzeigen soll, unter welchen Bedingungen die Errichtung einer widerspruchsfreien Objektwelt mit Erkenntnis gleichzusetzen ist, wird von der unmittelbar auftretenden Vernunft sowohl unterschritten als auch überschritten. Unterschritten wird er dadurch, dass die transzendentallogische Fragestellung nicht diskutiert wird, wie Denken unter dem Diktat der Widerspruchsfreiheit überhaupt zur Erkenntnis von Etwas soll fähig sein können. Um den Widerspruch zu vermeiden, muss Kant annehmen, dass die Anschauungsformen Raum und Zeit, in denen alles Seiende als gegeben erscheint, dieses Seiende nur in modifizierter Weise dem Verstand als Unterlage seiner bestimmenden Tätigkeit darbieten dürfen. Die Entdeckung, dass der Mensch dann, wenn er unter dem Diktat der Widerspruchsfreiheit als Verstandeswesen in dieser Welt unterwegs ist, alles Wirkliche nur schematisiert, also als festes Bild wahrnehmen darf, gehört in die Aufklärung des Bewusstseins darüber, was es kostet, wenn es sein Fortkommen im technisch-praktischen Weltumgang mit Erkenntnis verwechselt. Es ist die Einsicht in die notwendig anzunehmende Blindheit unserer Anschauung gegen die Welt als Ding an sich. Solche Welt hat in dieser von Hegel in der Wissenschaft der Logik erörterten „äußeren Reflexion“27 nur den Status des Seins praeter nos. Da ihm sonst keine Bedeutung zugesprochen werden darf, auf dass die Welt extra nos als eine durchgängig bestimmte Objektwelt angesehen werden kann, gehört seine logische Betäubung zu den notwendigen Voraussetzungen in der Errichtung einer solchen Scheinwelt. Diese Scheinwelt trägt den Namen Realität nur insofern zu Recht, als sie das an der Welt beschreibt, was an ihr behandelbar ist (Liebrucks). Ihre Übersetzung in eine wissenschaftliche Modellwelt geht mit dem technischen Herstellen einer Maschinenwelt einher. Das alles sieht die Vernunft auf dieser Stufe der Unmittelbarkeit in der Phä­ no­menologie des Geistes noch nicht. Sie ist aber auf dem Weg dazu. Damit steht sie zugleich über dem von Kant erreichten logischen Status einer transzendentalen Logik, die den Denkduktus der formalen Logik nicht in Frage stellt. Die Vernunft hält den Widerspruch nicht mehr im Rücken. Liebrucks hat im 4. Band von Sprache und Bewußtsein28 die Dialektik im Denken Kants aufgezeigt, indem er offengelegt hat, dass das, was sich Kant aus formallogischen Gründen verbietet, in Anspruch nehmen muss, soll die Errichtung einer in sich durchgängig bestimmten Objektwelt etwas mit Erkenntnis zu tun haben können. 27 WdL, S. 17f. 28 SuB, Bd. 4, S. 309ff.

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Die Vernunft wird in der Phänomenologie des Geistes hingegen in ihrer dialektischen Bewegung zur Sprache gebracht. Sie findet sich in Gegenständen, die an ihnen selbst vernünftig sind. Solche Gegenstände sind keine bloßen Gegenstände mehr. Sie spiegeln Formen des Bewusstseins. Aber erst als Bewusstseinsgestalten bringen sie ihre eigenen Eindrücke und Gedanken für andere vernehmbar ins Bild und Wort. Über diese und in dieser Sprachwelt stellt sich der Mensch als geistiges Wesen dar. Erst wo der Mensch im Gespräch mit anderen seine Eindrücke und Gedanken zur Welt austauscht, ist er actualiter als geistiges Wesen auf der Welt. Bewusstsein ist kein Gegenstand; es existiert als Rückkehr aus seinem Anderssein. So erhebt es sich als in sich widersprüchliche Reflexionsbewegung aus dem, worin es versenkt erscheint. Dieser Reflexivität verdankt es sein Wissen von sich: es reflektiert sich aber nicht an einem ihm nur Äußerlichen, Fremden, sondern an einem Sein, in dem Vernunft selbst, und zwar auf gegenständliche Weise gegenwärtig ist. Das Aufheben der ihm nicht nur fremden Unmittelbarkeit ist seine Reflexion in sich. Solches in sich Reflektiertsein ist damit keine auf subjektiver Seite stehende Scheinbewegung, sondern als Spiegel der Wirklichkeit ein Selbstunterschied. Damit ist Vernunft ein Wissen, das sich in dem, was ihm als das Andere erscheint, zugleich selbst zum Gegenstand hat. Der naive Realismus, der einer gegeben erscheinenden Wirklichkeit seine Begriffsbestimmungen zu entnehmen meint, wie der einseitige Idealismus, der Objektivität nur innerhalb subjektiver Formen der Anschauung und des Denkens für darstellbar hält, gehen im Begriff der Vernunft zugrunde. Aber in der Dialektik behalten im „Grund“ diese Auffassungen ihr relatives Recht: sie werden zu Momenten des Bewusstseins, das als Vernunft diese Unterschiede in sich aufspannt, aber auch aufzuheben vermag und damit zu einer Weltansicht gelangt, die Welt mit sprachlichen und damit vernünftigen Zügen wahrnimmt. Aber erst mit der Überwindung der Einseitigkeit des Idealismus als einer „äußeren Reflexion“ wird der Status der Vernunft erreicht, die als „Negativität“ das Gegenteil ihrer selbst ist und somit in der Bewegung des Unterscheidens von Ich und Welt zugleich das Wissen ist, sich in dieser Welt selbst zu finden. 4

Das Auftreten der Vernunft

Die Vernunft tritt als Bewusstsein auf. Insofern sie noch „auftritt“, hat sie erst „unmittelbar jene Gewißheit an sich“.29 Sie ist dann „die Gewißheit des 29 PhG, S. 176.

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Bewußtseins, alle Realität zu sein“.30 Sie ist „Bewusst-Sein“ (Liebrucks), also weder Bewusstheit noch Sein, sondern die in sich reflektierte Bewegung zwischen Bewusstheit und Sein, wofür in der Schreibweise von Liebrucks der sowohl verbindende wie trennende Strich zwischen Denken und Sein steht. Hegel fasst die Vernunft als Bewusstsein zunächst mit der Aussage: Ich bin Ich, in dem Sinne, daß Ich, welches mir Gegenstand ist, nicht wie im Selbstbewußtsein überhaupt, noch auch wie im freien Selbstbewußtsein, dort nur leerer Gegenstand überhaupt, hier nur Gegenstand, der sich von den andern zurückzieht, welche neben ihm noch gelten, sondern Gegenstand mit dem Bewußtsein des Nichtseins irgend eines andern, einziger Gegenstand, alle Realität und Gegenwart ist.31 Vernunft ist nicht reines Selbstbewusstsein als der Beziehung eines sich im Setzen von Ich voraussetzenden Ich und damit „nur leerer Gegenstand überhaupt“. In einem solchen Gegenstand fielen Setzen und Empfangen unmittelbar zusammen. Das wäre eine leere Reflexionsbewegung, in welcher es nicht zum Unterschied kommt. Es kommt nicht zur Einsicht, dass im Schein das Sein aufgehoben und damit Moment ist. Das „freie Selbstbewußtsein“32 fällt ebenfalls aus der dialektischen Logik heraus, indem es sich von dem, was ihm als Welt seiender Gegenstände erscheint, „zurückzieht“, also Reflexion in sich an einer ihm fremden Welt ist. Hier wird Reflexion in sich zwar schon als in sich unterschiedene Einheit von Innen und Außen in Anspruch genommen, aber doch als subjektives Reflektiertsein missverstanden, das „neben ihm“ noch eine fremde Welt „gelten“33 lässt. Es vertritt auf hohem Niveau doch einen naiven Realismus, indem es im Denkduktus des Platonismus von zwei Welten ausgeht, die neben- oder auch übereinander ein Bestehen für sich haben sollen. Von solchen Voraussetzungen ausgehend kann weder das Selbstbewusstsein überhaupt noch das freie Selbstbewusstsein den Status der Vernunft erreichen, was heißt, dass sie noch außerhalb der Aufklärung über ihren eigenen Begriff stehen. Die Vernunft hat sich als Negativität zum einzigen Gegenstand. Solchem Bewusstsein ist Ich ein Gegenstand, der nicht leere Identität mit sich ist, sondern der sich durch das „Nichtsein[] irgend eines andern“34 konstituiert. 30 31 32 33 34

Ebd. Ebd. Ebd. Ebd. Ebd.

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Was im Bewusstsein ist, das ist nicht in der Weise des Seins; das ist es auch, weil jedes Denken an einen Organismus geknüpft ist. Nichtsein des Seins gibt es aber nur als Bild oder als Bewusstseinsinhalt, die vom Sein, dessen Bestimmtheit sie angeben, nicht abgekoppelt sind, weil das Bewusstsein als Negativität das Umgreifende ist. Es umgreift noch das, wovon es sich unterscheidet. Denken und Sein sind so dasselbe und nicht dasselbe, weil im Denken der Unterschied zwischen Denkendem und Gedachtem nicht nur nicht unterschlagen, sondern erst aufgerichtet, aber auch wieder aufgehoben wird. Tritt die Vernunft erst unmittelbar auf, dann ist sie die „Gewißheit des Bewußtseins, alle Realität zu sein“.35 Die Vernunft ist sich gewiss, dass es ein Außerhalb von Bewusstsein nur innerhalb von Bewusstsein geben kann. Um aus dieser Gewissheit zur Wahrheit zu kommen, muss sie diese Realität noch an sich selbst hervorbringen. Das ist der Weg, auf dem sie ihre Unmittelbarkeit hinwegarbeitet und ihre Gewissheit zum wirklichen und wahren Wissen erheben wird. Solche Arbeit des Begriffs hat die Vernunft noch vor sich. Vernunft steht als Gestalt der Phänomenologie des Geistes auf einer ihrer Stufen. Wird von Stufen des Bewusstseins gesprochen, dann impliziert das ein Vorher und Nachher. Das, was das Bewusstsein bisher an Erfahrungen mit seinen Gegenständen gemacht hat, ist der Weg zu der erreichten Stufe hin. Dieser Weg zu ihr hin, wie auch die weitere Entwicklung zu neuen Einsichten, hat hier gestalthaften Charakter. Solche Gestalten sind die jeweilige Auslegung des Bewusstseins in eine seiner Formen des Auffassens und der dieser Form begegnenden Welt. Die Vernunft bringt Bewegung in diese Gegenstände, indem sie den Anteil des mit ihnen erfahrenen Fremden zersetzt und sich auf diese Weise die Sache aneignet. Solches Begreifen verändert nicht nur die Dinge, sondern zugleich rückwirkend auch die Ansicht von ihnen. Das eigene Unwissen, das zuvor als Fremdheit des Gegenstandes entgegenkam und als Mangel des Wissens empfunden wurde, ist hinweggearbeitet worden. Damit aber tun sich neue Gegenstände mit neuen fremden Zügen auf. Jede Auseinandersetzung hat diesen reflexiven Charakter. Das theoretische Tun des Begreifens verändert immer sowohl Welt wie Bewusstsein. Die Vernunft ist als dialektische Bewegung schon in den zu ihr hinführenden Bewusstseinsgestalten gegenwärtig. Damit ist eine entscheidende Einsicht ausgesprochen: Die Gestalten „des Meinens, Wahrnehmens und des Verstandes“, für die ihr „Anderssein als an sich“36 vor Augen steht, haben schon Sprachcharakter. Wie Helios die Welt als solche erst sichtbar macht, aber, indem er sieht, sich in diesem Anderssein auch als Licht spiegelt, so reflektieren sich 35 Ebd. 36 Ebd.

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Meinen, Wahrnehmung und Verstand in dem, was sie als ein ihnen Anderes sichtbar machen. Sie kommen sich in ihrem Anderssein aber so entgegen, dass ihnen der eigene Anteil an dieser Sichtbarkeit noch verborgen bleibt. Ihnen erscheint das sichtbar Gewordene als die Sache selbst. Sie machen aber damit eine wirkliche Erfahrung, weil Welt sich solcher Sichtbarwerdung anbietet. Welt muss an ihr selbst die Möglichkeit zu ihrer Spiegelung im Bewusstsein hergeben; erst ihre logische Betäubung macht sie zu einem Dasein praeter nos, das an ihm selbst keine Bedeutung haben darf, soll die formallogische Forderung nach einer widerspruchsfreien Erscheinungswelt als einer Welt extra nos erfüllbar sein. Es hat sich schon im Kapitel „Kraft und Verstand“37 der Phänomenologie des Geistes gezeigt, dass diese Errichtung der Welt der Positivität wirkliche Erkenntnis, die immer Erkenntnis des Wirklichen ist, verfehlt. Die Vernunft, die über Meinen, Wahrnehmen und Verstand zur Einsicht in den eigenen logischen Status gekommen ist, lässt aber diese vergangenen Stufen nicht einfach hinter sich liegen, sondern enthält sie als aufgehobene Momente in sich. Nicht erst im Rückblick findet sich Vernunft in ihnen; in ihnen war Vernunft auf verborgene Weise schon am Werk. Aber erst die mit Vernunft gepaarte Wahrnehmung sieht im Wahrgenommenen weder nur das Andere noch nur sich selbst. Sie hat in ihrem entwickelten Begriff sich als Negativität erfasst und weiß um die Sprachlichkeit in allen Formen des menschlichen Weltumgangs. Diese Sprachlichkeit besteht im Wissen, dass sich in seinen Gegenständen das Wissen von ihnen spiegelt, und dass diese Reflexivität erst dadurch begreifbar wird, indem der Mensch eine zweite übersinnliche Welt, was die Welt der Sprache ist, aus sich heraus vor Auge und Ohr setzt. Erst indem dieses Reflektiertsein als solches in Sprachgestalten festgehalten wird, ist es der Betrachtung für sich und für andere zugänglich geworden. In der Vernunft ist die Wahrnehmung in ihrer reflexiven Tätigkeit ein notwendiges Moment. Auch die zweite übersinnliche Welt hat eine sinnliche Seite, aber eine, die von vorneherein ideellen Charakter hat. Ein Sprachlaut unterscheidet sich vom Naturlaut dadurch, dass ihm nicht erst das Ideelle angedacht werden muss, um eine Bedeutung für die Wahrnehmung zu haben; er ist Denken als Sein, real-ideal. Er ist es nicht wie ein Zeichen in der Verschiedenheit zum Bezeichneten; auch steht er nicht in Verschiedenheit zum Sein, das ihm nur untergelegt wäre. Der Sprachlaut hat symbolischen Charakter, darüber hinaus kommt in ihm die Mehrstrahligkeit der semantischen Relationen zur Darstellung (W. v. Humboldt; Liebrucks). Das sind Vorgriffe, zu deren Erkenntnis die Vernunft sich aufmacht. 37 PhG, S. 102f.

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Bewusstsein ist immer Rückkehr aus seinem Anderssein. Hat es diese „dialektische Bewegung“38 noch nicht begriffen, weiß es nicht, dass in der Auseinandersetzung mit seinen Gegenständen auch seine Ansicht von ihnen verändert wird. Anders verhält es sich beim freien Selbstbewusstsein, das sich die eigene Selbständigkeit vindiziert. Es verkürzt die dialektische Bewegung zu einer leeren Reflexionsbewegung, in der Ich sich als „leerer Gegenstand überhaupt“39 im Setzen seiner als Ich zugleich empfangen können soll. Solches von allem Sein abgehobene Reflektiertsein ist aber eine Bewegung, in welcher der Unterschied fehlt und das so noch nicht einmal ein Phantasiegebilde ist. Sollte sich das Ich seiner selbst auf unmittelbare Weise gewiss sein, dann nur dadurch, dass es das Anderssein ausschließt. Damit setzt diese Reflexionsbewegung sich als Ich im Ausschließen des Andersseins. Dieses Ausschließen ist als Reflexionsbewegung aber nicht so misszuverstehen, als ob hier zwei Gegenstände nebeneinander auf einer Ebene des Seins ein Bestehen hätten. Man spräche dann von einem seienden Ich, obwohl Ich erst durch seine Reflexionsbewegung sich zum alles Andere ausschließenden Gegenstand macht. Es „zieht“ sich nicht „von den andern zurück, welche neben ihm noch gelten“.40 Das Ich ist Selbstbewusstsein als Negativität. Ist es sich als Ich das Wesen, dann setzt es sich „mit dem Bewußtsein des Nichtseins irgend eines andern“.41 Meint solches Ich, sich ohne Reflexion am Anderen erblicken zu können, dann ist es nicht wie Helios ein Lichtbringer, der sichtbar macht und wirklich sieht. Es wäre reines Licht, das ungebrochen und so ohne Reflexion am Anderssein sich selbst verborgen bliebe. Hält es aber das Nichtsein alles anderen im Bewusstsein fest, dann ist das Selbstbewusstsein in solcher Selbstbespiegelung am Anderen „nur für sich“, noch nicht „auch an sich alle Realität“.42 Indem es das Andere nur zu seiner Selbstbespiegelung braucht, versetzt es dasselbe in den Status des „Nichtseins“. Wer sich in solcher abstrakten Freiheit sonnt, der praktiziert die Nichtigkeit des Anderen und steht noch vor der Einsicht in seine wirkliche Existenz als Vernunft. Das unmittelbare Auftreten des Selbstbewusstseins entgeht nicht dem Widerspruch, seine Selbständigkeit durch das Auftreten eines ebensolchen anderen in Frage gestellt zu sehen. Im Kampf des Anerkennens geht es noch um Selbstbehauptung und Unterwerfung, um das Entstehen gesellschaftlicher Verhältnisse von Herrschaft und Knechtschaft. Da hier auf unmittelbare Weise 38 39 40 41 42

PhG, S. 176. Ebd. Ebd. Ebd. Ebd.

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Vernunft am Werk ist, droht in solchen Kämpfen ein tiefer Absturz, wenn die um ihre Selbständigkeit Kämpfenden zu keiner Revolution ihres Auftretens bereit sind und am Ende einer den anderen tötet. Durch diese „rohe Negation“43 des anderen wird dem anderen nicht nur das Leben genommen, sondern damit wird zugleich die Möglichkeit des Anerkanntwerdens vernichtet, „welches darin zugleich aufgehoben wird, ein neuer Widerspruch, und der höhere als der erste“.44 Der erste Widerspruch bestand im Auftreten von solchen, die gegeneinander ihre Selbständigkeit behaupten und im Kampf um ihre Anerkennung doch des anderen bedürfen; durch die „rohe Negation“ wird diese „wesentliche[] Seite“45 des aneinander gekettet Seins vernichtet und das siegreiche Selbstbewusstsein fügt sich in Wahrheit eine Niederlage zu. Es ist über seine abstrakte Freiheit nicht hinausgekommen, denn zur konkreten Freiheit gehört die dialektische Bewegung des Anerkennens und Anerkanntwerdens, die auch dort schon am Werk ist, wo das Verhältnis unter Menschen durch die asymmetrische Verteilung von Selbständigkeit und Unselbständigkeit an Herrschaft und Knechtschaft geknüpft ist. Vernunft ist hier schon mehr als eine subjektive Betrachtung oder Inanspruchnahme eines je Anderen, weil nur durch dessen Mitwirkung Formen konkreter Freiheit entstehen. Wo der „Gedanken der Freiheit“46 wie im Skeptizismus erwacht, hält man sich nicht aus Verhältnissen heraus, sondern treibt die in ihnen steckenden Widersprüche ans Licht, verschont aber die eigene Tätigkeit davor, rücksichtslos gegen sich selbst vorzugehen und den eigenen Denkduktus zu reflektieren. Die Dialektik mit ihren Konsequenzbetrachtungen in jeder Stufe ist erst der sich bewusst vollbringende Skeptizismus. Aber er hat im „unglücklichen Bewußtsein“47 ein Vorbild, weil diese Bewusstseinsgestalt es wagt, ohne Rückversicherung in den Abgrund ihrer wirklichen Entzweiung hinabzusteigen, weil sie als Vernunft weiß, dass das „Bewußtsein […] nichts […] weiß und begreift, als was in seiner Erfahrung ist“.48 5

Das unglückliche Bewusstsein, oder: die religiöse Achtsamkeit

Die Vernunft stellt ihre Erfahrungen mit ihren Gegenständen selbst an. Sie will die Wahrheit wissen, wobei für sie Wahrheit in dem, was ihr als Wirklichkeit 43 44 45 46 47 48

Hegel, G.W.F., Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften 1830, Hamburg 1959, § 432. Hegel, Enzyklopädie, § 432. Ebd. PhG, S. 177. PhG, S. 158–171. PhG, Vorrede, S. 32.

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vor Augen steht, zu finden ist. Im religiösen Bewusstsein macht das Bewusstsein seine Erfahrungen nicht von bestimmten Absichten geleitet, aber im Wissen, dass es dabei um das Offenlegen des Sinns seiner Existenz geht und damit um Wahrheit in seiner höchsten Bedeutung. Hat es die Wahrnehmung scheinbar nur mit Dingen zu tun, so ist der Vernunft klar geworden, dass ihr mit der Dingheit der Dinge zugleich die eigene Ansicht von ihnen entgegenkommt. Darüber hinaus hat sie sich zu dem Wissen heraufgebildet, dass ihr Dinge vor die logischen Augen kommen können, die nicht bloß an ihnen Bedeutung haben, sondern als Organismen Selbstzweck sind und damit ihr Sein und ihre Bedeutung hervorbringen. Im religiösen Bewusstsein erreicht der Mensch die geistige Stufe seiner Existenz, die dort ins Leben tritt, wo die Negation des Fürsichseins vollbracht wird. In dieser Negation wird die Unmittelbarkeit von Ich aufgehoben, was heißt, dass sich durch diese Entfremdung von sich der Blick auf die Wirklichkeit und dabei vor allem auf das öffnet, wovon der Mensch abhängig ist. Dieses Wovon ist die Welt, die ein Sprachantlitz hat, dann aber die zweite übersinnliche Welt, in welcher der Mensch sein Reflektiertsein festgehalten und so für sich und andere dargeboten hat. Schriften, Bilder, Formeln und Zeichen suchen ihren Betrachter. Sie suchen immer den, der die in ihnen und mit ihnen in der Möglichkeit gehaltenen Gedanken zu neuem Leben erwecken kann. Der Mensch muss nachsprechen, sprachliche Mimesis üben, um auf Gedanken mit Hilfe der Sprache zu kommen. In solchem theoretischen Tun fungiert Denken als „objektive Reflexion“, d.h. als Reflexion an den toten Zeichen so, dass diese sich im Bewusstsein zu Sprachlauten abstoßen, in denen als real-idealen Gestalten sich das Gedachte sowohl verhüllt, also in sinnlicher Form erscheint, als auch enthüllt, indem es darin zugleich idealiter ist. Mit Hegel ist damit das „Dasein des Geistes“49 erreicht. Im Aktualisieren der in Sprachgestalten geäußerten Eindrücke und Gedanken blickt der Mensch in das Innere eines anderen Menschen. In solchem Gespräch hat der Geist sein Dasein. 5.1 Vernünftige Weltansicht Vernunft hat „ein allgemeines Interesse an der Welt“.50 Sie ist sich in ihrem Auftreten gewiss, sich in dieser Welt zu finden, in dieser Gewissheit „Gegenwart in ihr zu haben, oder daß die Gegenwart vernünftig ist“.51 Sie sucht sich selbst im

49 PhG, S. 458. 50 PhG, S. 183. 51 Ebd.

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Anderen und findet dieses Andere, die Welt als „ihr Anderes“52 in innigster Verwandtschaft mit sich stehend vor. In ihrer Unmittelbarkeit geht die Vernunft an die „allgemeine[] Besitznehmung des ihr versicherten Eigentums“53 heran und verschafft sich „die Freude dieser allgemeinen Besitznehmung“.54 Solche Gewissheit, dass im Begegnenden Vernunft zu finden ist, erschöpft sich aber nicht in solcher „oberflächlichen“ Betrachtung des Wirklichen; denn „die Freude dieser allgemeinen Besitznehmung findet an ihrem Eigentume noch das fremde Andre, das die abstrakte Vernunft nicht an ihr selbst hat“.55 Auch in ihrer Abstraktion ist Vernunft immer schon Begriff oder „das reine Ich“, das „ist“,56 also Bewusstheit und Sein, Bewusst-Sein oder Negativität. Als das Gegenteil seiner selbst ist es der logische „Spagatschritt, der sowohl auf den Stellen der Identität wie des Unterschiedes aufsetzt“.57 Indem das Ich als logischer Spagatschritt Identität und Unterschied, Denken und Sein auseinanderhält, definiert es den logischen Raum, in dem es sich als das Reflektiertsein des Seins konstituiert. Dieser Spagatschritt steckt auch in seinen Momenten, dem Denken wie dem Sein. Denn nur dann, wenn in der Identität des Denkens mit sich zugleich seine Relationalität zum Anderen, dem Sein, mitgesetzt ist, hat es den Unterschied an sich selbst und steht nicht in einer äußeren Beziehung zum Sein. Diese dialektische Bewegung ist mitzudenken, wenn von der Vernunft die Rede ist, die an ihrem Nichtsein, der Welt, teilhat. Der Spagatschritt hat in der Hegelschen Logik den Namen „Negativität“; in der dialektischen Logik Platons im Παρμενίδης hat er den Namen das Sein des Nichtseienden. So wie das Sein des Nichtseienden das Nichtsein wirklich macht, so hat auch das Sein des Seienden ein Band, das es in der Wirklichkeit festhält. Dieses Band ist das Nichtsein des Nichtseienden. Erst wenn das Nicht-Seiende ist, ist das Nichtseiende vollständig seiend. Erst wenn das Nichtseiende nicht ist, ist das Seiende vollständig seiend. (162 A)58

52 53 54 55 56 57

Ebd. Ebd. Ebd. PhG, S. 183–184. PhG, S. 184. SuB. Band 6, Teil 2, S. 143; Schmitt, Werner, Der hegelsche Begriff der „entäußerten Reflexion“ als Leitfaden des wissenschaftlichen Weltumgangs und der logische Status des Geldes, in: Perspektiven der Philosophie. Neues Jahrbuch 2020, Band 46, S. 167. 58 Liebrucks, Bruno, Platons Entwicklung zur Dialektik, Frankfurt am Main 1949, S. 248.

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Das Sein des Nichtseienden ist der Schein des Seins im Bewusstsein. Erkennt das Bewusstsein diesen Schein als Gesetztsein des Seins, dann hält es im Bildcharakter das nichtseiende Sein fest. Im Bild ist das Nichtsein wirklich und nicht Nichts. Da das Bild zugleich ein Bild von Etwas ist, das es nicht ist, stößt sich das Nichtsein, der Schein, von sich ab zu dem, was es spiegelt. In dieser zweiten Negation, also wenn „das Nichtseiende nicht ist, ist das Seiende vollständig seiend“.59 Erst die zweite Negation kehrt zu einem Sein zurück, das durch die Vermittlung des Scheins hindurchgegangen ist und nur auf diese Weise an ihm selbst anthropomorphe Züge haben kann. Spiegel und Bild sind noch ein gegenständliches Bild für den logischen Spagatschritt einer dialektischen Logik, der ontologische Relevanz zuge­ sprochen werden kann. In der Stufe der Vernunft „ist“ das „reine Ich“60 in diesem Sein als BewusstSein. Als solches bleibt es nicht bei der abstrakten Spiegelung allen Seins stehen, sondern ist wie Helios der Lichtbringer, der im Erhellen der Welt diese auch in ihrer Vielfältigkeit erfahren will. Es hat den Raum geöffnet, in dem ihm das von ihm Unterschiedene, „das mannigfache Sein ihm als das seinige selbst werde, daß es sich als die Wirklichkeit anschaue und sich als Gestalt und Ding gegenwärtig finde“.61 Dabei ist festzuhalten, dass die Triebfeder seiner Bemühungen, sich in dem von ihm unterschiedenen mannigfaltigen Sein zu finden, im Wissen seines Nichtwissens liegt. Das Sokratische οἶδα οὐδὲν εἰδώς spricht den Spagatschritt als einen solchen innerhalb von Bewusstsein aus, folglich kommt er ihm auch im Gegenstand des Bewusstseins entgegen. Dieser Gegenstand erscheint ihm weder als nur bekannt noch als nur fremd. Es gehört in die Sprachlichkeit jeder Reflexionsbewegung, dass das Verhalten zu den Dingen das Verhalten zu sich selbst impliziert. Somit fällt auch die Welt als ein Sein praeter nos nicht aus dieser Bewegung heraus; seine Fremdheit spiegelt vielmehr die eigene Fremdheit des Bewusstseins sich selbst gegenüber. Dieses Wissen ist die Triebfeder, um das, was am Gegenstand als nicht begriffen erscheint, hinwegzuarbeiten. Die damit in Gang gesetzte Dialektik spielt sich vordergründig am Gegenstand ab, hintergründig aber verändert sie die Ansicht von ihm. Der Blick auf die Sache macht sie sich zu eigen. Der Gegenstand ist die Sache, worin das Bewusstsein ein Interesse gefunden hat, weil sie ihm mit der Aufforderung entgegenkommt, das daran Fremde und Unbestimmte aufzuheben. So geht die Vernunft mit der Gewissheit, sich im

59 Ebd. 60 PhG, S. 184. 61 Ebd.

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anderen zu finden, an die Aneignung von Welt heran. Sie ist Besitz ergreifendes theoretisches und praktisches Tun. Die Vernunft scheint die Erschütterung des Selbstvertrauens und der Gewissheiten hinter sich gelassen zu haben, welche das religiöse Bewusstsein an den Abgrund seiner Selbstaufgabe geführt hat. Das „unglückliche Bewusstsein“ weiß darum, dass weder das Ich noch das ihm Andere in Besitz zu bringen sind. Auf beiden Seiten darf bei aller Bestimmtheit die Unbestimmtheit nicht ausgeblendet werden, was dem Denken zu denken gibt, sowohl mit sich selbst als mit der Welt in Achtsamkeit umzugehen. Doch die Vernunft stellt in ihrer Freude, sich in der Wirklichkeit zu finden, ein entscheidendes Moment der Sprachlichkeit jedes Bewusstseins dar: Es hat den zurückgelegten Weg der Erfahrungen nicht als solchen vor Augen, sondern ihm kommt das Resultat seiner Erfahrungen auf einen Schlag als Gegenstand entgegen. Die Vergessenheit des Wegs ist seine Aufgehobenheit im Resultat. Ohne dieses schöpferische Vergessen käme es nicht zur Gegenwart alles Bisherigen im gegenständlich erscheinenden Resultat. Insofern das Resultat als Gegenstand entgegenkommt, ist der ganze Vorgang der Auseinandersetzung mit dem bisherigen Gegenstand in einem neuen Gegenstand verschwunden. Das Verschwinden des Wegs ist das Auftauchen nicht nur eines neuen Gegenstandes, sondern auch das Auftreten einer neuen Betrachtungsweise des Bewusstseins selbst. Dies, was in Wahrheit das Resultat und Wesen ist, tritt für dies Bewußtsein nun selbst, aber als Gegenstand auf, und zwar indem er eben für es nicht Resultat und ohne die Beziehung auf die vorhergehende Bewegung ist, als eine besondere Art von Gegenstand, und sein Verhältnis zu diesem als ein anderes Beobachten.62 Entscheidend für ein Fortkommen im Gang der Phänomenologie des Geistes ist, dass der Weg jeder einzelnen Bewusstseinsstufe so mitgegangen wird, dass er als Weg in ein Resultat mündet, was immer ein neuer Gegenstand und eine ebenfalls neue Betrachtungsweise desselben heißt. Das schlagartige Zusammenfassen des bisher Geleisteten im neuen Gegenstand und in neuer Betrachtungsweise entlastet das Bewusstsein vom sich wiederholenden Ablaufen des zurückgelegten Wegs. Es durchbricht das Tun eines Sisyphos. Die Abstraktion des Wegs ist ein sprachschöpferischer Vorgang. Es können neue Gegenstände vor das Bewusstsein kommen, weil es ein ihnen entsprechendes Interesse entwickelt hat und damit nicht im Haus einer immer gleichen 62 PhG, S. 193.

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Betrachtung gefangen bleibt. Um auf diese neue Art von Gegenständen für die Betrachtung von Interesse zu sein, musste das Bewusstsein sich auf diese Stufe der Betrachtung heraufgebildet haben. Das unglückliche Bewusstsein als „höchste Form des Selbstbewußtseins“63 Die bisherigen Formulierungen geben nur obenhin an, dass der Gang der Erfahrung des Bewusstseins an seine Selbstaufgabe an die Sache geknüpft ist, und dass darüber hinaus niemand wissen kann, ob ihm aus dem Untergang des bisher für wahr Gehaltenen ein neuer Gegenstand entspringt.

5.2

Der Geist entwickelt sich nicht auf einem gemächlichen Spaziergang einen Berg hinan. Vielmehr gelangt er von Stufe zu Stufe in die ‚Grube‘ des Josef, in die er immer wieder hineingeworfen wird, wie er sich selbst in sie hineinwirft, indem er sie zu vermeiden sucht.64 Das unglückliche Bewusstsein ist deshalb die höchste Form des Selbstbewusstseins, „weil die höchste Form des Selbstbewußtseins nichts anderes ist als sein eigener Untergang“.65 Das macht den Rang dieser Stufe des Bewusstseins aus, dass es sich nicht scheut, durch die Aufgabe seines Fürsichseins ganz der Sache selbst hinzugeben. Liebrucks weist darauf hin, dass damit „zum ersten Mal der Begriff als christlicher“66 in seiner Logizität angesprochen wird. Er ist Geist in höchster Form, „obwohl [er] in seiner äußeren Form nicht sehr imponierend ist“.67 Wenn man mit Hegel begriffen hat, dass die niederen Stufen des Bewusstseins die höheren verachten, kann man verstehen, dass das unglückliche Bewusstsein in seiner christlichen Haltung, die es „in die Nähe zum Geschehen im Neuen Testament“68 bringt, vielen nur erbärmlich erscheint. Man muß die Religion haben, die sie verachten, um sie nicht verachten zu müssen. Das nicht gestorbene Selbstbewußtsein verachtet das, das es sterben sieht, weil es offenbar in seine Stufe nicht integriert war. Das nicht sterbende Bewußtsein ist das areligiöse der Unachtsamkeit.69

63 64 65 66 67 68 69

SuB, Bd. 5, S. 103. SuB, Bd. 5, S. 106–107. SuB, Bd. 5, S. 103. Ebd. Ebd. Ebd. SuB, Bd. 5, S. 103–104.

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Die Gegenstände der Vernunft wie die des unglücklichen Bewusstseins sind keine einfachen Dinge, sondern lebende Gegenstände. Schon der Ausdruck Gegenstand bringt das Ungenügen mit sich, weil er nicht darauf hinweist, dass es hier um Lebewesen geht, die sich bewegen, sich entwickeln, hervorgehen und sterben, als Menschen ihr Reflektiertsein bewusst zu äußern vermögen. Solche Gegenstände haben ein Fürsichsein und es ist daher angebracht, sie nicht Gegenstände, sondern ansichseiende und fürsichseiende Begriffe zu nennen. Als solche haben sie die äußerliche Form von Gestalten, reflektieren aber als Menschen zugleich ihre Äußerlichkeit, sind nicht nur Gefühl, sondern haben Gefühl (Sensibilität), setzen sich Reize voraus (Irritabilität) und existieren nur auf Grund der Fähigkeit zur Reproduktion und Fortpflanzung. Beim Menschen kommt hinzu, dass er eine zweite Natur ausbildet und in seinem höchsten Begriff sich als Kind der Sprache begreift. Jede Bewusstseinsstufe ist durch eine ihr entsprechende Betrachtungsweise und die für sie interessant gewordenen Gegenstände charakterisiert. Eine dialektische Entwicklung von Bewusstseinsstufen hätte keine Wahrheit, wenn sie die wirkliche Erfahrung überfliegen würde. Das Zugrundegehen einer Bewusstseinsstufe liegt nicht in ihrer Absicht. Indem sie mit Konsequenz an der Bestimmtheit ihres Gegenstandes festhält, treibt sie aber deren Gegenteil und damit den Untergang der bisher für eindeutig gehaltenen Bestimmtheit hervor. Der Zusammenbruch der gemeinten Eindeutigkeit gehört zur schmerzhaften Geburt jeder Bedeutungserweiterung von Ansicht und deren Gegenstand. Der Übergang zur neuen Einsicht ist ein plötzlicher. Er ist der Augenblick, in dem das im Denken fixierte Dasein in die Flüssigkeit des Begriffs aufgelöst wird. Diese Erfahrung erscheint als Abgrund, den sich das Denken selbst bereitet hat, ohne zu wissen, ob ihm daraus in neuer Weltansicht eine ebenfalls neue Welt entstehen wird. Dabei ist mit solchen Unter- und Aufgängen kein einliniger „Fortschritt im Bewusstsein der Freiheit“ (Hegel) verbunden. Jede weitere Bewusstseinsstufe ist auch mit den Verlusten früheren Reichtums konkreter Erfahrungen verknüpft. Der Begriff des „Maßes“ etwa lenkt im ersten Teil der Wissenschaft der Logik den Blick auf eine unendliche Fülle von qualitativen Quanten und betrachtet deren Elastizität, mit deren Überdehnung für die äußerlichen Systeme der Himmelskörper und für die inneren Systeme der Organismen und für die gesellschaftlichen und geistigen Einheiten der Untergang beginnt. Das Apollinische μηδἐν ἄγαν kann nicht genau sagen, ab welcher Quantität die Qualität eines Quantums Schaden erleidet. Das qualitative Moment zeigt auf die Elastizität dieser Einheit, die mit Überschreitung einer inneren Grenze zerstört wird.

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Was für einen Kahlschlag für die Anschauung bedeutet das „Maß“ am Anfang des zweiten Teils der Wissenschaft der Logik, das als „entäußerte Reflexion“ zu einem äußerlichen Mittel geworden ist, von dem her unterschiedslos alle Gegenstände, die der Quantifizierung zugänglich sind, gemessen und vermessen werden. Mit diesem Verlust an Wirklichkeit erhebt sich die Welt der Positivität, in der die Dinge an ihnen selbst keine Bedeutung haben dürfen, wenn sie unterschiedslos als Gegenstände überhaupt sollen vermessen werden können. In der Erschütterung einer Weltansicht blickt das Bewusstsein in einen Abgrund seiner bisherigen Gewissheiten. Das Positive an dieser Erfahrung ist, dass sich damit ein neuer Blick auf die Welt auftun kann, aber auf eine Welt in statu nascendi. Ein hymnischer Entwurf Hölderlins umspricht solch einen Augenblick, der nach Platon ἐξαίφνης, in keiner Zeit ist. Vom Abgrund nemlich haben Wir angefangen und gegangen Dem Leuen gleich, in Zweifel und Ärgerniß, Denn sinnlicher sind Menschen In dem Brand Der Wüste Lichttrunken und der Thiergeist ruhet Mit ihnen.70 In dieser Flüssigkeit des Begriffs, in welcher bis in das Genom hinab all das Erfahrene und Erlernte aufgeregt ist, sieht sich der Mensch in eine neue Zeit versetzt. diese Zeit auch Ist Zeit,71 in der das heftige Durcheinander der Eindrücke zur Gestaltung auffordert. In solchen Augenblicken kann der Mensch einem „Übermaß der Innigkeit“ (Hölderlin) verfallen, wo ihm in der Vertauschung von Subjekt und Objekt der Verlust des Reflektiertseins droht. 70 Hölderlin, Friedrich, Vom Abgrund nemlich  …, in: Beissner, Friedrich (Hrsg.), Große Stuttgarter Ausgabe, Bd. 2.1, Stuttgart 1951, S. 250, V. 1–8. 71 Hölderlin, Vom Abgrund, V. 15–16.

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Ein wilder Hügel aber stehet über dem Abhang Meiner Gärten. Kirschenbäume. Scharfer Othem aber wehet Um die Löcher des Felses. Allda bin ich Alles miteinander.72 Jetzt kommt es darauf an, diesen Stoff durch seine sprachliche Darstellung zu befestigen. Erst „bevestigter Gesang“73 gibt Zeugnis des in Innigkeit erfahrenen Stoffs ab. Vom Rand des Abgrunds aus kann das Reflektiertsein einen schöpferischen Blick auf diesen Stoff werfen und mit dessen Gestaltung „Neue Bildung“74 schaffen. Diese neue Bildung ist ein Geschöpf des Verhängnisses. Wo der Mensch die Negation seines Fürsichseins vollbringt, erfährt er das Getragenwerden von Mächten, denen er sich überlassen hat. Auch diese Erfahrung reicht bis in das organische Leben hinab und bis zum geistigen Leben in der Sprache hinauf. Die gekonnte Absichtslosigkeit ist der durch Sprache vermittelte Blick des Menschen auf die Wirklichkeit, die ein vernünftiges Antlitz zeigt. Aber auch in der Darstellung dieser Erfahrung darf der Mensch die Sprache nicht bloß als Mittel benutzen, weil auch hier die Achtsamkeit auf die Sprache das Ergon in das hilfreiche Organon des Denkens verwandelt. 5.3 Die systematische Stellung des unglücklichen Bewusstseins Systematisch steht das unglückliche Bewusstsein zwischen den vorange­gan­ genen Bewusstseinsstufen des Stoizismus und Skeptizismus und vor der Vernunft, die erst durch die Erfahrungen des unglücklichen Bewusstseins zur Betrachtung einer Welt fähig geworden ist, in welcher allgemeine Mächte wirksam sind. Solche Mächte sind deshalb kein Jenseits mehr, weil das Denken sich in ihnen reflektiert. Dieses Reflektiertsein ist kein einseitiger Vorgang in einem isolierten Subjekt, weil das unglückliche Bewusstsein sowohl seine äußere wie innere Selbständigkeit negiert und damit das Getragenwerden von solchen Mächten zu seiner wirklichen Erfahrung gehört. Diese Hingabe geht bis an den Rand der Vernichtung seiner als eines denkenden Wesens, indem es sich zum Ding macht und als „Marionette“ (Liebrucks) dieser Mächte fungiert. Es wird alles darauf ankommen zu sehen, welchen Mächten der Mensch zu dienen sich entschließt. Der Stoizismus bleibt beim reinen Denken stehen, welches „das abstrakte von der Einzelheit überhaupt wegschauende Denken“75 ist. Als denkendes 72 73 74 75

Hölderlin, Vom Abgrund, V. 18–21. Hölderlin, Vom Abgrund, V. 26. Hölderlin, Vom Abgrund, V. 28. PhG, S. 163.

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Bewusstsein kommt es nur zur „abstrakte[n] Freiheit“, die sich in der „Negation des Andersseins[;] aus dem Dasein nur in sich zurückgezogen[,] hat“.76 Die ἀταραξία als Gleichgültigkeit gegenüber dem Dasein ist die abstrakte Sichselbstgleichheit des Denkens, das als „reine Form, in welcher sich nichts bestimmt“,77 auftritt. Es kehrt vorschnell aus seinem Anderssein in sich zurück. Dieses Denken ist der zur Hälfte festgehaltene logische Spagatschritt. Er spiegelt nur sich im Anderen und hält diese abstrakte Sichselbstgleichheit für Denken. Ihm geht es nur um die Form, von Inhalten wird abstrahiert. Der Gedanke hat keinen Inhalt an ihm, sein Inhalt ist außerhalb seiner. Die Bestimmtheit des Begriffs ist gerader der dem Gedanken fremde Inhalt. Erkenntnis ist hier Entfremdung und sonst nichts. Die Stoiker werden sich daher für die Ausbildung der formalen Logik interessieren, weil sie in ihr den inhaltslosen Gedanken haben.78 Nimmt der Stoiker bestimmte Inhalte auf, dann ist er zum Skeptiker geworden, der das dialektische Bewusstsein davon ist, dass keine Bestimmtheit ohne ihr Gegenteil sein kann. Das ist der Übergang zum Skeptizismus, der „die wirkliche Erfahrung, was die Freiheit des Gedankens ist“,79 darstellt. Diese Stufe ist aber zärtlich gegen sich selbst, indem sie zwar jede Bestimmtheit der vorgefundenen vielfältigen Welt sowohl der Dinge wie die der Institutionen oder sittlicher Gesetze an ihrer fest geglaubten Bedeutung ergreift und durch das Aufzeigen des in ihr steckenden Widerspruchs zugrunde richtet, aber den eigenen Denkduktus nur betätigt, nicht auch als solchen reflektiert. Was sich dem Skeptiker als reell in irgendeiner Bestimmtheit gibt, und dazu gehört alles Gegenständliche, das der Wahrnehmung und dem Denken zugänglich ist, wird an seiner Bestimmtheit erfasst und dazu gebracht, in dem mit ihr gesetzten Gegenteil unterzugehen. So verschafft er sich in der Dialektik seiner Denkbestimmungen die „Gewißheit seiner Freiheit“.80 Es ist erst die Gewissheit, dass es das Denken mit Reflexionsbestimmungen zu tun hat, die an ihnen keinen festen und unwandelbaren Sinn haben, weil ihr Sinn erst durch ihre Bezogenheit auf entgegengesetzte Bestimmungen fassbar wird.

76 77 78 79 80

PhG, S. 154. Ebd. SuB, Bd. 5, S. 100. PhG, S. 154. PhG, S. 156.

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Was verschwindet, ist das Bestimmte; oder der Unterschied, der, auf welche Weise und woher es sei, als fester und unwandelbarer sich aufstellt. Er hat nichts Bleibendes an ihm und muß dem Denken verschwinden, weil das Unterschiedne eben dies ist, nicht an ihm selbst zu sein, sondern seine Wesenheit nur in einem Andern zu haben [...].81 Der Stoizismus ist die undialektische Ataraxie, in welcher alles Bestimmte aufgelöst erscheint. Der Skeptizismus nimmt die besonderen Inhalte, die der Stoizismus nur außer sich hält, als empirisches Bewusstsein in sich auf und vollbringt im Hervortreiben der Widersprüche deren Negation. Was das Bewusstsein des Skeptizismus vom unglücklichen Bewusstsein unterscheidet, ist dies, dass es sich „in dem Wandel alles dessen, was sich für es befestigen will, seine eigne Freiheit als durch es selbst sich gegeben und erhalten“ erfährt; „es ist sich diese Ataraxie des sich selbst Denkens, die unwandelbare und wahrhafte Gewißheit seiner selbst“.82 Dieses Denken kann sich nur dadurch als Ataraxie im Wandel seiner Bestimmtheiten spiegeln, dass es zwar bis zum Unterschied in den Reflexionsbestimmtheiten fortschreitet, aber noch den Widerspruch von sich selbst abhält. „Aber es hält diesen Widerspruch seiner selbst auseinander; und verhält sich darüber wie in seiner rein negativen Bewegung überhaupt“.83 Obwohl es im Blick auf die Bestimmtheiten des Seins das Gegenteil der jeweiligen Bestimmtheit hervortreibt, hält es diese Reflexionsbewegung von sich selbst ab. So geht es an der Einsicht vorüber, als Bewusstsein die Einheit von Unwandelbarkeit und Ungleichheit zu sein. Als Bewusstsein ist es dieser existierende Widerspruch, der ihm noch verborgen bleibt, indem es diesen Gegensatz zwar „auseinander“ hält, aber „sich darüber“84 wähnt. Sein Verhalten zu den Gegenständen impliziert nicht wirklich das Verhalten zu sich selbst, sonst würde es im Untergang des für fest Gehaltenen zugleich die Festigkeit seines skeptischen Standpunktes zerstört haben. Das wäre der Verlust der Ataraxie im Angesicht der selbst veranstalteten Dialektik der Wesenheiten. Erst mit diesem Verlust steht das Bewusstsein nicht mehr über dem Widerspruch, sondern macht an sich selbst die Erfahrung des Widerspruchs. Man kann sagen, dass es sich erst dann, wenn es sich nicht mehr aus der Dialektik der Sache heraushält, zur wirklichen Erfahrung, die auch immer Erfahrung des Wirklichen ist, fähig macht. Solche Erfahrung ereignet sich, wenn dem Bewusstsein „seine vielfache Entwicklung 81 82 83 84

Ebd. Ebd. PhG, S. 158. Ebd.

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in sich zusammenstürzte“.85 Das bisher für fest Gehaltene ist dann in seinen logischen Grund gegangen, der aber als Resultat der bisherigen dialektischen Bewegung zugleich die affirmative Bedeutung hat, zum Boden für eine neue Bewusstseinsstufe mit der ihr entsprechenden Weltansicht und der damit sichtbar gewordenen Weltinhalte geworden zu sein. Das skeptische Bewusstsein weicht dem Widerspruch aus, der sich seinem Denken auftun müsste, wenn es sein Tun reflektieren würde. „Denn es ist die Negativität aller Einzelheit und allen Unterschieds, die es aus dem Stoizismus übernahm, die es jetzt aber als einzelnes vollbringt“.86 Das Selbstbewusstsein hat als Negativität die in Gefühl, Wahrnehmung, Vorstellung und Denken gegebenen Inhalte nicht mehr außer sich, sondern lässt sich auf sie ein. Als Skeptizismus betreibt es zwar eine Dialektik der Gegenstände, meint aber in einer Art Ataraxie immun gegen jede Rückwirkung daraus zu sein. An sich, aber nicht für sich ist es Hegelscher Begriff, der sich immer als die in sich unterschiedene und unterscheidende Einheit von Allgemeinheit und Einzelheit konstituiert. Das unglückliche Bewusstsein erfährt diese Einheit als schmerzhaften Widerspruch in sich selbst. 5.4 Die Erfahrungen des unglücklichen Bewusstseins Das unglückliche Bewusstsein ist der Ort der radikalen Auseinandersetzung mit dem Widerspruch in sich selbst. Seine Radikalität treibt es zur Einsicht, dass wirkliche Freiheit und damit die Sprachlichkeit unseres Weltumgangs von der Hingabe des Fürsichseins an das Göttliche in der Welt abhängt. 5.4.1

Das unglückliche Bewusstsein als das für sich gedoppelte Bewusstsein87 Das unglückliche Bewusstsein ist sich der Widerspruch seiner als des Bewusstseins des Unwandelbaren, der Allgemeinheit, und seiner als des Bewusstseins des Wandelbaren, der Einzelheit. Es ist als dieser Widerspruch die Einheit eines gedoppelten Bewusstseins. Diese Einheit ist der Spagatschritt, der als „Ein Bewußtsein ist“,88 das sich in die zwei Seiten des Seins und des Unwandelbaren sowohl auseinanderlegt als auch die Seiten in Beziehung setzt. Im Bewusstsein des Unwandelbaren spiegelt das Bewusstsein das ihm entgegengesetzte Wandelbare der sinnlichen Einzelheit, und das Bewusstsein der Einzelheit erfährt sich als solches erst in dem ihm entgegengesetzten Unwandelbaren. 85 86 87 88

PhG, S. 156. SuB, Bd. 5, S. 103. PhG, S. 158. Ebd.

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Hier handelt es sich nicht um eine horizontal verlaufende Reflexionsbewegung, wo das Bewusstsein zuschauen könnte, wie zwei entgegengesetzte Bestimmtheiten die je entgegengesetzte ausschließen, sondern diese Entgegensetzung und die Bewegung ihrer Aufhebung findet als bewusster Vorgang in einem Bewusstsein statt, wird also zugleich zu einer wirklichen Erfahrung. Was das unglückliche Bewusstsein erfährt, indem es diesen Widerspruch in sich austrägt, gehört in Wahrheit zur Logik der Methexis von Allgemeinem und Einzelnem, die wir nicht als der Sache äußerlich betrachtende Zuschauer geschenkt bekommen. Auch wir müssen uns in diese Auseinandersetzung begeben und den Gang der Entwicklung dieser Methexis mitgehen, um den Worten ontologische Relevanz zu verschaffen. Das Wesen des unglücklichen Bewusstseins ist der Widerspruch. Es ist sich selbst dieses Wesen, das sich als „Ein Bewußtsein“89 in sich in das Bewusstsein des Unwandelbaren und in das Bewusstsein seiner Einzelheit entgegensetzt. Es ist dabei aber nicht schizophren geworden, fällt also nicht in diese beiden Seiten auseinander, sondern hat „in dem einen Bewusstsein immer auch das andere“.90 „Das unglückliche Bewußtsein ist die Einheit beider. Aber diese Einheit erfährt es als Zerrissenheit in sich, worin sein Unglück besteht“.91 Da es „unmittelbar“ in dem einen Bewusstsein das andere Bewusstsein erfährt, tritt an jeder Seite das Gegenteil hervor. Keine Seite kann „zur Ruhe der Einheit“92 kommen, weil erst durch sie das Gegenteil dazu zum Auftritt gezwungen wird. So wird in der Vereinigung des Bewusstseins mit einer Seite das Bewusstsein „wieder daraus ausgetrieben“93 und an das entgegengesetzte Bewusstsein verwiesen. Es findet ohne Auflösung des Widerspruchs keine Versöhnung zwischen beiden Formen des Bewusstseins innerhalb des Einen Bewusstseins statt. Es bleibt dann bei der Bewegung, dass sich in der Vereinigung des einen Bewusstseins mit seiner Seite die andere Seite aufs Neue entsteht und dieser sich entzündende Widerspruch als Schmerz und Unglück empfunden wird. Hegel blickt an dieser Stelle auf den Ausgang aus dieser ersten Erfahrung dessen, was passiert, wenn innerhalb des einen Bewusstseins das Denken des Unwandelbaren in Beziehung kommt mit dem Bewusstsein des Menschen als einer Einzelheit. Der Schmerz, der solche Berührung mit sich bringt, kann in Freude verwandelt werden, wenn es dem Denken gelingt, diese beiden Seiten 89 90 91 92 93

Ebd. PhG, S. 158–159. SuB, Bd. 5, 103. PhG, S. 159. Ebd.

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als Momente in sich zu versöhnen. Dann wird das Bewusstsein in der Einheit mit einer der Seiten nicht aus dieser Seite ins Gegenteil vertrieben und bleibt nicht einer dauernden Bewegung des Hinüber und Herüber oder des Hinauf zum Allgemeinen und Herunter zur Einzelheit ausgeliefert, sondern kommt zur wahre[n] Rückkehr […] in sich selbst oder seine Versöhnung mit sich selbst wird den Begriff des lebendig gewordenen und in die Existenz getretenen Geistes darstellen, weil an ihm schon dies ist, daß es als Ein ungeteiltes Bewußstsein ein gedoppeltes ist: es selbst ist das Schauen eines Selbstbewußtseins in ein anderes, und es selbst ist beide, und die Einheit beider ist ihm auch das Wesen [...].94 Wenn das Bewusstsein im anderen Ich das Du sieht und von ihm als ebensolches angesprochen wird, schauen beide im Blick auf das geäußerte Reflektiertsein nicht bloß aufeinander, sondern ineinander. Vom physiognomischen Ausdruck des Reflektiertseins bis zur Sprache selbst ist diese zweite übersinnliche Welt das „Dasein des Geistes“,95 in welchem „das Schauen eines Selbstbewußtseins in ein anderes“96 geschieht. Es ist das Schauen und Hören auf das geäußerte Reflektiertsein; erst wo das Bewusstsein das Reflektiertsein sowohl seiner inneren wie äußeren Welt einem anderen gegenüber in einer sprachlichen Form preisgibt, können im Auffassen der Sprache die in ihr mitgeteilten Gedanken ausgetauscht werden. Gedankenaustausch heißt, ein Gespräch miteinander führen. Im Medium der Sprache macht sich das Denken als Reflektiertsein von Welt vernehmbar. In diesem sprachlichen Vorgang arbeiten Tätigkeit und Empfänglichkeit zusammen. Kein in der Sprache geäußerter Gedanke lässt sich äußerlich übertragen, er muss beim Hören miterfunden werden, sonst kommt er nicht zum Dasein. Hierbei hat Liebrucks mit Hilfe der Sprachbetrachtungen Humboldts begreiflich gemacht, dass in der Sprache die mit dem Wort erweckte allgemeine Bedeutung die individuelle Vorstellung, die sich der Sprechende und der Hörende macht, in Grenzen frei lässt.97 Erst diese Freiheit umfasst den wirklichen Menschen, der im Denken des Allgemeinen die individuelle Vorstellung nicht überfliegt, sondern durch den Bedeutungshof des Allgemeinen sich dazu aufgefordert sieht, seine individuelle Erfahrung bei der Hervorbringung des Allgemeinen einfließen zu lassen. 94 95 96 97

Ebd. PhG, S. 458. PhG, S. 159. SuB, Bd. 2, S. 282.

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Keiner denkt bei dem Wort gerade das, was der andre, und die noch so kleine Verschiedenheit zittert, wenn man die Sprache mit dem beweglichsten aller Elemente vergleichen will, durch die ganze Sprache fort. Bei jedem Denken und Empfinden kehrt, vermöge der Einerleiheit der Individualitaet, dieselbe Verschiedenheit zurück, und bildet eine Masse aus einzeln Unbemerkbarem. Alles Verstehen ist daher immer zugleich ein Nicht-Verstehen, eine Wahrheit, die man auch im praktischen Leben trefflich benutzen kann, alle Uebereinstimmung in Gedanken und Gefühlen zugleich ein Auseinandergehen.98 Dieses sprachliche Allgemeine löscht das individuelle Einzelne nicht aus, sondern enthält es in sich. Es ist kein Gesetz, welches das Einzelne nur in seiner Artigkeit respektiert und so das Individuelle nicht erreicht. Dort, wo das Allgemeine in Form einer Gestalt individualisiert erscheint, kommt es in noch stummer Sprachlichkeit entgegen und zeigt darauf, von verwandtem Geist zu sein. Als sprechende Gestalt vermittelt es dem Angesprochenen sein Anerkanntsein. Wer antwortet, gibt sich ebenfalls preis und dem anderen zu verstehen, dass es ihn und seinen Gedanken vernommen hat. Schon das Wort kommt mit der Aufforderung entgegen, seine allgemeine Bedeutung aus wirklicher Erfahrung zu schöpfen. Es wendet sich an den Menschen als Einheit des Bewusstseins des Unwandelbaren und des Wandelbaren. Diese Hinwendung des Worts ist an ihm, dem Wort, wird also erst in einem das Wort vernehmenden Bewusstsein erfahren. Hält das Bewusstsein im Auffassen der allgemeinen Bedeutung an der Entgegensetzung zu sich als des Bewusstseins seiner wandelbaren Einzelheit fest, blickt es im Auffassen des allgemeinen Gedankens auf diesen als ein Geschenk, das, indem es angenommen wird, ihm die eigene Endlichkeit zum Bewusstsein bringt. Es wird sich im Anblick göttlicher Mächte seiner Abhängigkeit von ihnen bewusst und übt sich darin, sich diesen Mächten zu überlassen und dem Verhängnis seinen Lauf zu lassen. Es ist ein äußerst subtiles Bezugsgeflecht zwischen dem Bewusstsein des Wandelbaren und des Unwandelbaren innerhalb des unglücklichen Bewusstseins als der Einheit beider. Nur die Einheit als Spagatschritt bringt Bewegung in diese Auseinandersetzung und macht das unglückliche Bewusstsein zu der entscheidenden Bewusstseins-Gestalt, in welcher die Sprachlichkeit des religiösen Bewusstseins vom Mythos bis zur Gestalt und dem Wort Christi hervorgeholt wird. 98 Humboldt, Wilhelm v., Verschiedenheit des menschlichen Sprachbaues (Akademieausgabe), Berlin 1908, VI 183.; SuB. 2, 287.

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Es käme zu keiner Entwicklung dieser Gestalt, wenn sie nicht als zunächst „unmittelbare Einheit beider“99 Bewusstsein auftreten würde. In dieser Unmittelbarkeit steckt die Möglichkeit ihrer Überwindung oder der Einsicht in die Vorläufigkeit ihrer Ansicht. Was erst vorläufig ist, darf aber nicht übersprungen werden, weil dann die Erfahrung dieser Vorläufigkeit fehlte. Erst die Vergangenheit einer Ansicht öffnet die Augen auf neue Gegenstände. Das unglückliche Bewusstsein schaut nicht einem Spiel der Reflexionsbewegung zwischen zwei einander entgegengesetzten Bestimmtheiten zu, sondern macht Ernst mit dieser Entgegensetzung, indem es in sich das Unwan­ delbare nicht nur in sein Gegenteil, das Wandelbare, scheinen lässt, sondern diesen Gegensatz mit der Wirklichkeit seiner Erfahrung auflädt. Es macht also die Erfahrung, die sich notwendig daraus ergibt, wenn das Eine Bewusstsein in sich die Bewegung der Beziehung des Gegensatzes von Unwandelbarem und Wandelbarem aufeinander ist. Durch die Unmittelbarkeit der Einheit sind beide für das Bewusstsein nicht „dasselbe, sondern entgegengesetzte […], so ist ihm das eine, nämlich das einfache unwandelbare, als das Wesen, das andere aber, das vielfache wandelbare, als das Unwesentliche“.100 Wesen und Unwesentliches stehen im Bewusstsein im Verhältnis des Gegensatzes zueinander, aber mit ungleicher Wertung. Das Wesen ist ihm dasjenige, wovon her es sich als das wandelbare Bewusstsein versteht. Wie im Licht des Ideals das wirkliche Leben in seiner Ärmlichkeit aufscheinen kann, so erfährt es sich am Wesen als unwesentliche Existenz. So einander entgegengesetzt, sind Wesen und das Unwesentliche für das Bewusstsein „einander fremde Wesen“.101 5.4.2

Die Hingabe des wandelbaren Bewusstseins an das göttliche Wesen Es mag zunächst befremdlich klingen, dass das Wesen und das Unwesentliche einander fremde Wesen für das Bewusstsein sind; aber das unwesentliche Bewusstsein muss auch „Bewußtsein der Unwandelbarkeit“,102 muss auch Wesen sein, wenn es die Ungleichheit in sich aufheben will, indem es „sich von dem Unwesentlichen, d. h. sich von sich selbst [...] befreien“103 will. Die Hingabe seiner als des unwesentlichen Fürsichseins an das Wesen ist somit ein Vorgang, in welchem auch das Wesen schon beteiligt ist. Wenn aber

99 PhG, S. 159. 100 Ebd. 101 Ebd. 102 Ebd. 103 Ebd.

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dem wandelbaren Bewusstsein in seiner Hingabe an das göttliche Wesen dieses Wesen ein ihm „Fremdes“ bleibt, dann ist es in ihm zwar „als seines Wesens sich bewußt, jedoch so, daß es selbst für sich wieder nicht dies Wesen ist“.104 Es hat sich zwar zu solchem Blick auf das ihm Wesentliche heraufgebildet, sieht aber in diesem Wesen nicht sich, sondern sich darin als das dem göttlichen Wesen fremde Wandelbare. Es ist im Denkduktus des Gegensatzes befangen, der eine asymmetrische Selbständigkeit der Seiten aufrichtet. Beide Seiten haben nicht gleiche Gültigkeit; dem wandelbaren Bewusstsein ist das göttliche Wesen nicht gleichgültig, denn es richtet dieses Wesen als eine Macht vor sich auf, für die es bereit ist, seine eigene Unwesentlichkeit zu opfern. Aber aufgeben kann es nur sich als wandelbare Existenz und in letzter Konsequenz ginge damit auch das Bewusstsein des Unwandelbaren unter. Schon seine wandelbare Existenz ist nicht gleichgültig gegen das Unwandelbare, weil auf jeder Seite die andere mitgesetzt erscheint. So ist das wandelbare Bewusstsein selbst schon die „Beziehung des Wesens auf das Unwesen, so daß dies letztere aufzuheben ist“.105 Der Ausdruck „aufzuheben“ ist hier in seiner dialektischen Bedeutung zu fassen; er meint nicht einfach „vernichten“, weil mit der Vernichtung des Bewusstseins auch das Bewusstsein des Gegensatzes von Endlichem und Unwandelbarem verschwindet. Die Befreiung des Bewusstseins von der Unmittelbarkeit seines Fürschseins kann daher in einer höheren Form von ihm liegen, die erst mit der Hingabe der angemaßten Selbständigkeit zum Gewinn einer zugleich geistigen Form von Selbst führt. Obwohl das unglückliche Bewusstsein durch die Aufhebung seines wandelbaren Bewusstseins das göttliche Wesen in den Blick bekommt, sieht es in ihm das fremde Wesen, nicht auch sich selbst. Gegenüber ihm fühlt es den Anspruch an sich, sein wandelbares Bewusstsein aufzuheben. An sich hat es sich schon aufgehoben, erkennt das aber nicht und kehrt so an den Anfang der Bewegung zurück, ist „nur die widersprechende Bewegung, in welcher das Gegenteil nicht in seinem Gegenteile zur Ruhe kommt, sondern in ihm nur als Gegenteil sich neu erzeugt“.106 Das Bewusstsein wird des Unterschieds zwischen sich und den göttlichen Mächten eingedenk bleiben. Es reflektiert sich als das Wissen seiner Endlichkeit in der Begegnung mit ihnen. Dabei begegnet es sich nicht nur selbst, sondern zugleich dem Unwandelbaren. Die Achtsamkeit darauf, des Unterschieds eingedenk zu bleiben, verdeckt ihm noch die Erkenntnis, dass das 104 PhG, S. 169. 105 PhG, S. 159. 106 Ebd.

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Bewusstsein zur Hervorbringung dieser Mächte gebraucht wird, also Mitwirkender in diesen Verhältnissen ist. Im unglücklichen Bewusstsein können das Wandelbare und Unwandelbare nicht ohne einander sein. Als Gegensatz sind sie aneinander gebunden. Kraft dieser Verbindung können sie sich voneinander abstoßen, aber nicht mehr verlieren. Ihr Verhältnis zueinander beruht auf einer „widersprechende[n] Bewegung“,107 in welcher jede Seite sich im Abstoßen von der anderen konstituiert. Jede Seite erfährt sich von ihrem Anderen, dem Nichtsein, her. Im Setzen der anderen Seite wird das Gegenteil gesetzt; oder umgekehrt ausgedrückt: jeder Seite entsteht am anderen der Verlust des unmittelbaren Fürsichseins. Schmerz über sein Dasein und Tun kann das Bewusstsein nur empfinden, wenn es seine Endlichkeit als etwas Nichtiges an seinem Gegenteil, dem Unwandelbaren, reflektiert. Nur wenn ihm das Unwandelbare das Wesen ist, kann es sich in seiner Unwesentlichkeit erfahren. Wenn es sich zum Unwandelbaren erhebt, erfährt es darin seine Erniedrigung zu einer wandelbaren Einzelheit. Da diese Reflexionsbewegung im Bewusstsein als einem lebendigen Spiegel stattfindet, in dem Bild und Abgebildetes, Nichtsein und Sein zu Gegenteilen geworden sind, berühren sich das Unwandelbare und die Einzelheit. Das Unwandelbare, das in das Bewußtsein tritt, ist ebendadurch zugleich von der Einzelheit berührt und nur mit dieser gegenwärtig; statt diese im Bewußtsein des Unwandelbaren vertilgt zu haben, geht sie darin immer nur hervor.108 5.4.3

Das Hervortreten der Einzelheit am Unwandelbaren ist zugleich das Hervortreten des Unwandelbaren an der Einzelheit Das Unwandelbare und das Wandelbare verlieren in dieser Bewegung nicht nur ihr Fürsichsein, sie gewinnen es auch, aber als ein durch das Gegenteil vermitteltes. In dieser Entwicklungsstufe des unglücklichen Bewusstseins drückt sich die in ihm waltende widersprüchliche Bewegung als eine Erfahrung so aus, dass ihm „am Unwandelbaren“ die Einzelheit hervortritt, und das Unwandelbare „an der Einzelheit“.109 „Es wird für es die Einzelheit überhaupt am unwandelbaren Wesen, und zugleich die seinige an ihm“.110 Damit hat es die alles entscheidende Erfahrung gemacht, dass das Unwandelbare an ihm

107 Ebd. 108 PhG, S. 160. 109 Ebd. 110 Ebd.

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selbst die Einzelheit hat. Es ist zwar erst „die Einzelheit überhaupt“,111 mit der das Unwandelbare in Erscheinung tritt, doch nur auf diese Weise wird es erfahren. Das Heraustreten des Unwandelbaren in die Einzelheit überhaupt ist seine erste Öffnung dem Bewusstsein gegenüber. Dieses Unwandelbare lässt sich zum ersten Mal berühren. Das unglückliche Bewusstsein erfährt das Unwandelbare, weil das Unwan­ delbare als Einzelheit in Erscheinung tritt. Es ist zwar erst das Hervortreten des Unwandelbaren in „die Einzelheit überhaupt“,112 aber damit ist es zum konkreten Allgemeinen geworden, das wahrgenommen und vernommen wird. Dem in sich gedoppelten Bewusstsein des unglücklichen Bewusstseins ist seine Erfahrung mit der widersprüchlichen Bewegung zwischen dem Unwandelbaren und der wandelbaren Einzelheit zum Resultat geworden, das ihm als neuer Gegenstand vor Augen steht. Was sich bisher als Abstoßen zum jeweiligen Gegenteil hin darstellte, zeigt sich nun in der Einheit des Gegenstandes selbst. In diesem Gegenstand ist das Allgemeine in der Einzelheit und die Einzelheit ist im Allgemeinen gegenwärtig. Das Abstoßen zum jeweiligen Gegensatz ist zu einer Bewegung im Gegenstand selbst geworden. Dadurch, dass dem unglücklichen Bewusstsein auch die „seinige“ Einzelheit an diesem neuen ebenfalls als Einzelheit erscheinenden Unwandelbaren wird, ist es als „dieses gedoppelte Bewußstsein“113 außer sich gekommen. An sich blickt es damit schon als Bewusstsein in ein anderes Bewusstsein; an sich ist es in Einheit mit einem anderen, das wie es selbst Bewusstsein ist. Das aber ist ein Vorgriff, denn das unglückliche Bewusstsein muss noch weitere Formen seiner Unmittelbarkeit hinwegarbeiten, um zur Erkenntnis dessen zu gelangen, was es in seiner Unmittelbarkeit erst vorfindet. Es findet das Unwandelbare vor, das an ihm selbst in Einheit mit der Einzelheit ist, wie auch sich selbst als ein Bewusstsein, das im Blick auf das Unwandelbare sich als unwesentliche Einzelheit erfährt. Seine Einheit mit dem Unwandelbaren wird damit noch von der Verschiedenheit beider beherrscht. „Diese Einheit wird ihm aber zunächst selbst eine solche, in welcher noch die Verschiedenheit beider das Herrschende ist“.114 Das Hervortreten der Einzelheit am Allgemeinen und das Hervortreten des Allgemeinen am Einzelnen ist die Erfahrung eines neuen Verhältnisses. Was zuvor an zwei Seiten verteilt war, tritt nun an jeder Seite hervor. Das Allgemeine ist kein im Bewusstsein festgehaltenes Gegenteil zu einer in Einzelheiten 111 Ebd. 112 Ebd. 113 Ebd. 114 Ebd.

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zerfallenen Welt, sondern die Welt hat an ihr selbst allgemeine Bedeutung. Das ist die Welt, die dem Menschen immer schon vor Augen ist, und das von der sinnlichen Gewissheit an über die Wahrnehmung bis zum Kraftbegriff des Verstandes hin. Jedes wahrgenommene Einzelne hat anthropomorphe und damit allgemeine Züge, weil es nur innerhalb von Bewusstsein ein Außerhalb gibt. In diesem neuen Verhältnis ist die Einheit von Allgemeinem und Einzelnem auf jeder Seite erreicht. Aber da das unglückliche Bewusstsein noch nicht die dialektische Einheit der Gegensätze erfasst hat, erkennt es nicht sich selbst in der ihm gewordenen Einheit von Unwandelbarem und Einzelheit. Ihm tritt diese Einheit noch als Gegenstand entgegen. Das Neue an diesem Gegenstand ist, dass er als Einheit von Allgemeinem und Einzelheit die Form einer Gestalt angenommen hat. Mit dem Begriff der Gestalt tritt die neue Einheit von Allgemeinem und Einzelheit ins Wissen. Die Gestalt ist kein äußerliches Synholon von Allgemeinem und Einzelheit, sondern das Allgemeine ist an jeder Stelle, wo das Einzelne ist, oder das Einzelne zeigt an jede Stelle auf das Ganze. Mit der Gestalt hat das Bewusstsein eine lebendige Form vor Augen. Solche Formen sind ansichseiendes und im Menschen fürsichseiendes Bewusstsein. Das unglückliche Bewusstsein wird nun seine Erfahrungen mit diesem ihm gewordenen Gegenstand zu machen haben. Zunächst gibt Hegel einen Überblick über diese Entwicklung. Das Thema lautet: Wie gestaltet sich die Verknüpfung der Einzelheit mit dem Unwandelbaren? Diese Verknüpfung stellt sich in „dreifache[r] Weise“115 für das unglückliche Bewusstsein dar. 1. Indem das in sich gedoppelte Bewusstsein das Unwandelbare in den Blick nimmt, „geht es selbst sich wieder hervor als entgegengesetzt dem unwandelbaren Wesen; und es ist in den Anfang des Kampfes zurückgeworfen, welcher das Element des ganzen Verhältnisses bleibt“.116 In dieser ersten Phase der Erfahrung seiner widersprüchlichen Reflexionsbewegung richtet es ein Unwan­delbares vor sich auf, von dem her es sich im Gegenteil dazu als wandelbare Einzelheit empfängt. Das Unwandelbare hat in dieser ersten Phase die Einzelheit nicht an sich selbst, sondern reflektiert nur das Gegenteil, und als dieses Gegenteil betrachtet sich das unglückliche Bewusstsein. „Das erste Unwandelbare ist ihm nur das fremde die Einzelheit verurteilende Wesen“.117 Der Gott des Gesetzes verurteilt die Individualität, weil es ihm auf die Artigkeit seiner Anhänger ankommt. Das Opfer der Individualität ist die Errichtung der Herrschaft der abstrakten Allgemeinheit. Die Methexis von Allgemeinem 115 Ebd. 116 Ebd. 117 Ebd.

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und Einzelnem reicht nur so weit, als die Einzelheit ihre Verurteilung vollzieht. Kafkas „Jetzt geschieht Gerechtigkeit“,118 wenn die Maschine das Gesetz in das Fleisch des Verurteilten einschneidet, geschieht nicht zur Freude des sich opfernden Einzelnen. 2. Das zweite Verhältnis zum Unwandelbaren ist menschlich geworden. In ihm verurteilt das Unwandelbare die ihm entgegengesetzte Individualität des Bewusstseins nicht zu einem Unwesen, sondern hat die Einzelheit an sich selbst. Für das unglückliche Bewusstsein ist diese Einheit am Unwandelbaren geworden, das damit als Gestalt wahrgenommen wird. Die Einzelheit ist damit für das Bewusstsein „Gestalt des Unwandelbaren […], an welches hiemit die ganze Weise der Existenz hinübertritt“.119 Das Bewusstsein hebt die bisherige in Entgegensetzung aufgespaltene Weise des Allgemeinen und der Einzelheit in die Einheit eines Gegenstandes auf, der als Gestalt beide Seiten so enthält, dass sie einander durchdringen. Ihm steht die Methexis von Allgemeinem und Einzelnem als Gestalt vor Augen. 3. Die weitere Entwicklung der Erfahrung mit der Gestalt des Unwandelbaren führt das unglückliche Bewusstsein aus seinem Unglück heraus, indem es von der Kategorie des Gegensatzes zum Denken des Widerspruchs fortschreitet. In diesem Fortschritt entwickelt es sich zu seiner geistigen Stufe, in welcher es die Freude erfährt, sich in der Gestalt des Unwandelbaren nicht nur zu finden, sondern zu erkennen: „so wird es drittens zum Geiste, hat sich selbst darin zu finden die Freude, und wird sich [,] seine Einzelheit mit dem Allgemeinen versöhnt zu sein [,] bewußt“.120 Was von diesem Vorgriff aus ein leicht zu vollziehender Schritt zu sein vorgibt, muss sich das unglückliche Bewusstsein über den Unter- und Aufgang dieser Stufen aneignen. Indem wir diesen Weg mitvollziehen, werden auch wir die Lehre empfangen, dass in Wahrheit hierbei die große Spannweite der Erfahrung vom Mythos bis zum Wort Christi verhandelt wird. 5.4.4 Das Unwandelbare und sein Gestaltcharakter Das Unwandelbare, sofern es dem Gefühl preisgegeben, hat seine Abstraktheit verloren und ist kein Wesen mehr, das über dem Einzelnen thront. Über solche Schizophrenie ist das unglückliche Bewusstsein hinaus, weil es die Zerrissenheit seiner als gedoppeltes Bewusstsein als Leid und Unglück erfahren hat. Das entscheidend Neue in der Erfahrung des unglücklichen Bewusstseins ist dies, dass es nun mit der Gestalt des Unwandelbaren zu tun hat. Damit ist 118 Kafka, Franz, In der Strafkolonie, Frankfurt 1973, S. 126. 119 PhG, S. 160. 120 Ebd.

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die Erfahrung des Unwandelbaren nicht mehr „seine einseitige Bewegung“,121 sondern geht zugleich vom Unwandelbaren selbst aus. Indem das unwandelbare Bewusstsein „zugleich auch einzelnes Bewußtsein, und die Bewegung ebensowohl Bewegung des unwandelbaren Bewußtseins (ist), das in ihr so sehr wie das andere auftritt“,122 fühlt das unglückliche Bewusstsein seine Hinwendung zum Unwandelbaren als Ergriffenwerden von ihm. Die Bewegung als ganze hat damit drei unterscheidbare Momente, die in der Erfahrung nacheinander durchlaufen werden. Zunächst ist das Unwandelbare dem einzelnen Bewusstsein einfach entgegengesetzt; danach erscheint das Unwandelbare in Einheit mit der Einzelheit und wird zur Gestalt ihm gegenüber. In dieser Gestalt hat das unglückliche Bewusstsein ein vom Allgemeinen nicht getrenntes Einzelnes vor Augen. An sich verbindet es mit ihr innigste Verwandtschaft, denn sie ist Einzelnes und zugleich unwandelbares Bewusstsein wie es selbst. Am Ende kommt ihm das Unwandelbare als der Unwandelbare entgegen, der sich im Rat mitteilt. Indem aber das unglückliche Bewusstsein das Unwandelbare zunächst als Unwandelbarkeit im Bewusstsein festhält, stellt es diese noch als Reflexionsbestimmtheit mit dem Gegensatz zur Einzelheit behaftet vor sich auf. Aber es bleibt nicht bei der horizontalen Reflexionsbewegung einander entgegengesetzter Bestimmtheiten, die ihre Festigkeit dadurch erlangen, dass sie die je andere ausschließen. In der Gestalt sind das Unwandelbare und die Einzelheit als einander bloß entgegengesetzte Bestimmtheiten zugrunde gegangen. Dieses Zugrundegehen ist das Hervorgehen dieser neuen Einheit von Unwan­ delbarem und Einzelnem als Gestalt. Mit der Unwandelbarkeit des Unwandelbaren wird erst seine Wesenheit bestimmt, die, was in der Ebene der Reflexionsbestimmtheiten notwendig ist, „mit einem Gegensatze behaftet ist, nicht das Unwandelbare an und für sich selbst“123 begreift. Erst eine lebendige Gestalt kann, sofern sie zum Bewusstsein ihrer selbst gekommen ist, an und für sich selbst sein. Ihr Ansichsein ist dasjenige an ihr, was zur Bedingung ihrer Existenz gehört; das Fürsichsein ist davon nicht getrennt, weil erst in ihm dieses Ansich zum Gegenstand der Betrachtung werden kann. Erst mit dieser Betrachtung tut sich das Wissen um die Abhängigkeit von diesem Ansichsein auf. Insofern Gestalten ein Fürsich­ sein haben, können sie sich verhalten. Sie reflektieren ihren Weltumgang und geben das, was sie dabei empfinden und denken, anderen gegenüber preis. Das gehört zur Sprachlichkeit ihrer Existenz. 121 PhG, S. 161. 122 Ebd. 123 Ebd.

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5.4.5 Das Dasein des Unwandelbaren Die aufgezeigten Momente sind an der widersprüchlichen Denkbewegung des unglücklichen Bewusstseins, noch nicht für es selbst. Es denkt noch unter der Kategorie des Gegensatzes und wird auf seiner Stufe entsprechende Erfahrungen mit dem unwandelbaren Bewusstsein machen. Dieser Denkduktus zwingt dazu, an dem „Entzweit- und des Fürsichseins“ des Unwandelbaren „gegen das einzelne Bewußtsein“124 festzuhalten. Der Fortschritt in der Entwicklung öffnet den Blick darauf, welche Umwege das Bewusstsein nehmen muss, um zur Einsicht in seine sprachliche und damit geistige Existenz zu gelangen. Dieser Umweg beginnt damit, dass das unglückliche Bewusstsein wie jedes Bewusstsein „nichts […] weiß und begreift, als was in seiner Erfahrung ist“;125 ihm kommt dasjenige, was es bisher in Erfahrung gebracht hat, als Gegenstand entgegen. Indem das unglückliche Bewusstsein sich im Unwandelbaren als einzelnes Bewusstsein gefunden hat, erscheint ihm das Unwandelbare, sofern es „die Gestalt der Einzelheit erhält“, „ein Geschehen“126 zu sein. Das Unwandelbare ist ihm damit auf die Welt gekommen. Es hat sich Dasein gegeben. Dieser Eintritt ist als seine Gestaltwerdung die Erfahrung des Unwandelbaren als den Unwandelbaren, aber ihn zunächst in der Form seines Daseins. Wie es sich im Unwandelbaren nur als einzelnes Bewusstsein findet, so findet es die Gestaltwerdung des Unwandelbaren als ein geschichtliches Geschehen vor. Der Unwandelbare wie das einzelne Bewusstsein scheinen so beide in die Welt geworfen zu sein. Die Heilsgeschichte wird zu einem Geschehen in Raum und Zeit. Das unglückliche Bewusstsein kann sich zum Teil in diesem Geschehen finden, weil es darin auch sich als ein solches gespiegelt sieht, das als einzelnes Bewusstsein dem natürlichen Wandel unterworfen ist. Zum anderen Teil fühlt es sich dem Unwandelbaren als solchem angehörend, weil es sich zu ihm erhoben, aber an ihm als Einzelheit erfahren hat. Dadurch hat es durch die Gestaltung des Unwandelbaren als eines Geschehens die doppelte Erfahrung seines einzelnen wandelbaren Bewusstseins gemacht. In der Tat ist durch die Gestaltung des Unwandelbaren das Moment des Jenseits nicht nur geblieben, sondern vielmehr noch befestigt; denn wenn es durch die Gestalt der einzelnen Wirklichkeit ihm einerseits zwar 124 Ebd. 125 PhG, S. 32. 126 PhG, S. 161.

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näher gebracht zu sein scheint, so ist es ihm andererseits nunmehr als ein undurchsichtiges sinnliches Eins, mit der ganzen Sprödigkeit eines Wirklichen, gegenüber [...].127 In diesem Fortschritt, das Unwandelbare in der Gestalt des Unwandelbaren in die wirkliche Welt versetzt zu sehen, wird zugleich „die Hoffnung, mit ihm Eins zu werden“,128 vernichtet. Alles Seiende entgeht als solches nicht dem Vergehen. Gerade dadurch, dass das Unwandelbare Gestalt geworden ist, hat es die Vergänglichkeit angezogen. „Durch die Natur des seienden Eins, durch die Wirklichkeit, die es angezogen, geschieht es notwendig, daß es in der Zeit verschwunden und im Raume und ferne gewesen ist, und schlechthin ferne bleibt“.129 Hier bleibt in der Vergegenwärtigung der vergangenen Gestalt nur das Bewusstsein ihres Verschwundenseins übrig. Der räumliche und zeitliche Hiatus kann nicht übersprungen werden, wenn es um das Dasein der Gestalt und damit zugleich um ein dem natürlichen Geschehen unterworfenen seienden Eins geht. In der Erhebung zum abstrakten Unwandelbaren spiegelte sich nur die ihm entgegengesetzte Nichtigkeit der eigenen wandelbaren Einzelheit. Wird das Unwandelbare an ihm selbst in Einheit mit der Einzelheit erfahren, dann spiegelt es nicht bloß sein Gegenteil, sondern hat als „seiendes Eins“130 das Gegenteil an ihm selbst. Dadurch, dass das Unwandelbare das Kleid der Wirklichkeit angezogen hat, kommt sich das unglückliche Bewusstsein in ihm entgegen, weil es von verwandter Natur ist. Doch zugleich wird es wieder aus dieser Vorstellung der Einheit mit dem göttlichen Wesen vertrieben, weil gerade dessen Herabsteigen in die Wirklichkeit es zu einem vergänglichen, seienden Eins gemacht hat, das in der Gestalt Christi in die Vergangenheit und Ferne von Raum und Zeit entschwunden ist. Es kommt nun darauf an, wie weit das Bewusstsein begreift, dass das Wissen um die Tatsache, dass die einzige Gestalt Christi in Zeit und Raum existierte, mit Notwendigkeit die Erfahrung der Gegenwart seines Daseins im Bewusstsein abschneidet. Die Einsicht in diese Notwendigkeit wird es auf eine weitere Stufe seiner Erfahrung mit dem Unwandelbaren heben.

127 Ebd. 128 Ebd. 129 PhG, S. 162. 130 Ebd.

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Vom Dasein der Gestalt des Unwandelbaren zu ihrer sprachlichen Existenz Die einmal erreichte Einsicht, dass das Unwandelbare Gestaltcharakter ange­ nom­men hat, wird nicht mehr verlassen. Es geht dem unglücklichen Bewusst­ sein um das gestaltete Unwandelbare, das sich ihm zur „Beziehung auf den gestalteten Unwandelbaren“131 verdichtet hat. Der neue Gegenstand seiner Betrachtung ist die in Zeit und Raum erschienene Gestalt Christi. Zunächst setzt sich das unglückliche Bewusstsein mit dem Gedanken des unmittelbaren Einsseins von Allgemeinem und Einzelnem in dieser Gestalt auseinander. Der Fokus wird auf das Sein im Einssein gelegt, das zur Tatsache positiviert werden kann. Was als Tatsache am Geschehen in Zeit und Raum festgehalten wird, betrifft das Vergangene, das auf der Zeitschiene und im Raum keine Gegenwart mehr hat und so zu einem „fremden Wirklichen“132 in einer vergangenen Welt gehört. An dieser Stelle gibt Hegel einen Überblick über den weiteren Verlauf der Erfahrungen, die das Bewusstsein mit dem Sein des ihm gewordenen Wesens als dem „gestalteten Unwandelbaren“ macht. Es ist keine Wiederholung früherer Erfahrungen, denn diese sind der Grund und Boden, auf dem diese neuen Erfahrungen erst möglich werden. Es selbst bleibt in sich entzweites Bewusstsein, das auf seiner Seite sich negativ setzt und „zu seinem gestalteten Jenseits“133 zu erheben und in Eins zu setzen strebt. Dabei macht es innerhalb seiner selbst eine Entwicklung durch, die seinen Blick auf den Gegenstand verändert und an ihm weitere Aspekte wahrzunehmen befähigt. Es ergeben sich drei unterschiedliche Verhältnisse, welche die Form eines „dreifachen Verhältnisse[s]“134 haben, die die Entwicklung innerhalb des Bewusstseins anzeigen. Diese drei Verhältnisse ergeben sich daraus, dass 1. das unglückliche Bewusstsein sich als „reines Bewußtsein“ „zu seinem gestalteten Jenseits“135 in Beziehung setzt; 2. das Bewusstsein sich „als einzelnes Wesen, welches sich als Begierde und Arbeit gegen die Wirklichkeit verhält“,136 erfasst;

131 Ebd. 132 Ebd. 133 Ebd. 134 Ebd. 135 Ebd. 136 Ebd.

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3.

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das Bewusstsein „als Bewußtsein seines Fürsichseins“137 in der Hingabe dieses Fürsichseins an den Unwandelbaren auch die göttliche Gestalt in ihrer Sprachlichkeit zu sehen beginnt. Zu 1.: Als „reines Bewusstsein“ ist das unglückliche Bewusstsein Denken. Das Denken ist im Gedachten bei sich, hat sich im Gedanken selbst in einer von ihm hervorgebrachten Bestimmtheit zum Gegenstand. Das Element, in dem das Denken seinen sinnlichen Anhalt findet, ist die Sprache, die als Organon bei der Hervorbringung des Gedankens behilflich ist, weil der gedankliche Reichtum vieler Generationen, den sie in sich aufgehoben enthält, schöpferisch macht. Im Denken setzt der Spagatschritt des Bewusstseins sowohl auf der Seite des Bewusstseins als auf der Seite des Gegenstands auf. Indem Ich und Welt auseinandergehalten werden, kann Welt zum Gegenstand der Betrachtung werden. Der Mensch ist als Bewusstsein nicht Weltumgang, sondern macht sich seine Beziehung zur Welt bewusst. Nur so ist er nicht nur als Bewusstsein in die Betrachtung von Welt versenkt, sondern arbeitet Eindrücke aus dieser Begegnung für sich heraus, die er in einer zweiten übersinnlichen Welt der Bilder und Sprache umspricht und formt. Jeder Eindruck von Welt ist schon ein Erzeugnis des Gestaltungsvorgangs, der eine Bedeutung aus dem Stoff der Begegnung sowohl hineinlegt als auch herausholt. Eindrücke und Gedanken sind gestalteter Stoff, real-ideale Formen, denen das Reflektiertsein des Bewusstseins zum Grunde liegt. Ohne Denken haben sie kein Dasein. Mit der Entwicklung des Bewusstseins erscheinen die Gegenstände der Wahr­ neh­ mung schon gestalthaft und bieten sich dem Denken in noch stummer Sprache dar. Zu diesem Sprachblick hat sich das unglückliche Bewusst­sein noch nicht heraufgearbeitet. Im Sprachblick ist „der gestaltete Unwandelbare, indem er für das reine Bewußtsein ist, gesetzt […], wie er an und für sich selbst ist“.138 Er kommt dann als sprechende Gestalt entgegen, die uns ihr Reflektiertsein von Welt preisgibt: „dies müßte wohl von ihm vielmehr ausgehen als von dem Bewußtsein“.139 Mit der Sprachgestalt Christi kommt uns der Anspruch entgegen, die durch ihr Denken und Handeln errungene neue Bewusstseinsstufe und das in ihr errungene neue Verhältnis zu Gott und zur Welt auf dem Umweg der überlieferten Worte zu begreifen. Zu solcher Erkenntnis muss sich das unglückliche Bewusstsein erst bereit machen. Diese Erkenntnis kann allein die Härte des Unglücks von ihm nehmen. Denken ist die Reflexionsbewegung, in welcher sich das Bewusstsein von seinen Inhalten entfremdet und sie so zu Gegenständen seiner Betrachtung 137 Ebd. 138 Ebd. 139 Ebd.

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macht. Aus dem durch die Aufnahme von Welt ins Bewusstsein tretenden Stoff holt das Denken Eindrücke und Gedanken heraus und entreißt sie dem Augenblick eines Geschehens, indem sie in die Form von Bildern und Sprache übersetzt werden. Der Augenblick der Erfahrung kann als solcher zu keinem Besitz werden. Die sinnliche Gewissheit macht schon die Erfahrung, dass sich ihr Gegenstand als unmittelbares Gefühl des Seins verflüchtigt und nur als allgemeiner Eindruck eine Dauer in der Erinnerung erhalt, aber auch das nur in einer bestimmten Weise, wenn das Denken diesem Reflektiertsein in der zweiten übersinnlichen Welt der Bilder und Sprache eine neue Form verleihen konnte. Je stärker das dem Bewusstsein begegnende Einzelne an ihm selbst schon allgemeinen Charakter zeigt, desto verwandter erscheint es dem Denken. Das reine Denken zeigt als Reflexion des flüchtigen Stoffs seiner Weltbegegnung in diesem Stoff sowohl auf sich als denkendes Wesen als auch auf sich als dieses wandelbare Einzelne, das im Weltumgang den Stoff seines Reflektiertseins aufnimmt. Es ist nicht wie der Stoizismus „das abstrakte von der Einzelheit überhaupt wegsehende Denken“,140 auch nicht wie der Skeptizismus der „bewußtlose Widerspruch“,141 der die jeder Bestimmtheit entgegengesetzte hervortreibt, ohne dabei selbst ins Wanken zu geraten; „es ist über diese beide hinaus, es bringt und hält das reine Denken und die Einzelheit zusammen“.142 Es bringt sie zusammen heißt, dass es als Spagatschritt auf die beide Seiten des Denkens und des Seins der Einzelheit aufsetzt, aber auch die Bewegung ist, die so Unterschiedenen aufeinander in Beziehung zu halten. Was so auseinandergehalten wird, verliert auch in der Einheit nicht die Differenz. Das unglückliche Bewusstsein, das unter der Kategorie des Gegensatzes seine Erfahrungen macht, wird in der Einheit vor allem an der Differenz von Denken und Einzelheit festhalten. Das bedeutet aber für das Denken in dieser Stufe, dass es „noch nicht zu demjenigen Denken erhoben [ist], für welches die Einzelheit des Bewußtseins mit dem reinen Denken selbst ausgesöhnt ist“.143 Dieses Ausgesöhntsein vernichtet die Differenz von reinem Denken und dem Bewusstsein seiner Einzelheit nicht, sondern durchschaut sie als ein notwendiges Moment in der Einheit von Denken und Sein. Das, was dem Bewusstsein als Einzelheit in seinem aktualen Weltumgang an Stoff zum Bewusstsein kommt, wird immer auch seine Unbestimmtheit behalten. Jeder Eindruck, jeder Gedanke, der daraus geschöpft wird, erschöpft diesen Stoff 140 PhG, S. 163. 141 Ebd. 142 Ebd. 143 Ebd.

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nicht. Aber auch dann, wenn er in der zweiten übersinnlichen Welt zu einer Form gefunden hat, erhalten die in Bildern und Sprache gefassten Gedanken erst aktualen Sinn, wenn sie sich zum Stoff wirklicher Erfahrung des einzelnen Bewusstseins abstoßen, was heißt, dass sie erst Sinn ergeben, wenn sie zum aktualen Ereignis im Bewusstsein des Menschen werden. Wo sich das Denken von diesem aktualen Ereignischarakter des Denkens in seinem Abstoßen zur wirklichen Erfahrung abkoppelt, landet es wieder im Stoizismus, der von der Einzelheit „wegsieht“. Das unglückliche Bewusstsein ist die Bewegung auf dem Strich zwischen Bewusst-Sein, zwischen dem Denken als Bewusstheit und dem Sein als der Einzelheit von Bewusstsein, also dem, was das Bewusstsein als aktualer Weltumgang an Stoff in dieser Weltbegegnung in sich aufgehoben enthält. Das Denken bezieht sich in seinem Reflektiertsein auf sich als Einzelheit, und das heißt immer schon auf sich als Bewusst-Sein. Dieser Gegenstand ist kein positiver Gegenstand, sondern nimmt als sinnliche Gewissheit und Wahrnehmung immer schon Welt außer sich wahr, oder konstituiert sich vielmehr als dieses Aufheben von Welt ins Bewusstsein. Als Bewusstsein setzt es sich seinen Reiz voraus und erfährt somit alles Entgegenkommende in Verbundenheit mit dem Gefühl des Selbstseins. Das Denken erhebt sich aus dem Gefühl; es ist nicht nur Gefühl, sondern hat ein solches. Es ist in seinem den Weltumgang begleitenden Gefühl in sich reflektiert. Damit erst erblickt es sich als Einzelheit, berührt als Denken sich in einem Gesamteindruck. Nur so kann es einen Gesamteindruck von Erhabenheit im Blick auf das Universum haben. Das Denken hat in dieser Ergriffenheit die Besonnenheit der Reflexion nicht verloren, sondern ist der Geburtshelfer für das Erstaunen darüber, einem so erhaben erscheinenden Anderen gegenüber zu stehen und mit dem Gefühl der Erhabenheit zugleich das Gefühl der eigenen Kleinheit verknüpft zu sehen. Erst durch das Denken wird die Berührung von Bewusstheit und Sein innerhalb von Bewusstsein zu einem Ereignis. Das Bewusstsein ist nicht nur die Berührung, sondern als Denken „ist auch für es diese denkende Einzelheit oder das reine Denken, und das Unwandelbare wesentlich selbst als Einzelheit“.144 Es blickt auf sich als denkende Einzelheit, also als Bewusst-Sein; als Bewusst­heit ist es wesentlich Denken und damit das Unwandelbare, aber das Unwandelbare im Sein wirklicher Erfahrung, die vom Gefühl oder Eindruck von Erhabenheit begleitet wird. Das Denken, das diesen Stoff im Moment seiner Verbindung von Bewusstheit und Sein reflektiert, erfasst den Augenblick, wo Denken und Sein sich berühren und das Gefühl eines Zusammenganzen erzeugen. Es steht noch vor 144 Ebd.

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der Verteilung dieses Stoffs durch die Übersetzung der an ihm erfahrenen Eindrücke und Gedanken in die fremden Medien der Bilder und Sprache. So ist dieses Denken zwar schon Reflektiertsein des Stoffes, aber eines solchen, der sich in statu nascendi seiner Auslegung befindet. Der Totaleindruck und das Gesamtgefühl sind schon wirkliches Denken, aber ohne Verteilung des Stoffes bleibt die Beziehung des Denkens auf den Stoff noch unausgesprochen. In der Verteilung des Stoffs wird erst die Beziehung von Denken und Sein zum Gegenstand für das Denken. Solange die Beziehung des Denkens auf „sich [als] reine denkende Einzelheit“ nicht selbst reines Denken ist, geht es, sozusagen, nur an das Denken hin, und ist Andacht. Sein Denken als solches bleibt das gestaltlose Sausen des Glockengeläutes oder eine warme Nebelerfüllung, ein musikalisches Denken, das nicht zum Begriffe, der die einzige immanente gegenständliche Weise wäre, kommt.145 Der Fortschritt im Bewusstsein besteht darin, dass das Denken die Coolness des Stoizismus überwunden hat, welche die Berührung mit der wirklichen Welt flieht. Das unglückliche Bewusstsein scheut die Begegnung mit einer Welt nicht, in welcher das Allgemeine die Gestalt der Einzelheit angenommen hat und damit überhaupt erst für die Erfahrung zugänglich geworden ist. Es steht auf der Schwelle zum Begriff, der in diesem gestalthaften Entgegenkommen des Allgemeinen in den Grund der Sprachlichkeit seines Weltumgangs blickt. Erst das Denken, welches Denken als Spagatschritt zu fassen vermag, der auf die Seiten Denken und Sein aufsetzt, kann eine Beziehung zwischen beiden in den Blick nehmen und begreifen, dass dem Bewusstsein seine bisher gemachten Erfahrungen mit der Welt nicht verloren gehen, sondern an der Erscheinungsweise seiner jeweiligen Gegenstände mitwirken. Das unglückliche Bewusstsein hat das Denken, welches sich als begreifendes Denken, als Hegelscher Begriff zu denken vermag, noch nicht erfasst, ist aber auf dem Weg dazu. Das Denken als Begriff ist in dem Stoff, der sich dem jeweiligen Bewusstsein in der Auseinandersetzung mit der Welt darbietet, zugleich bei sich selbst; er ist ihm so immanent, dass er dann, wenn er ihm fremd erscheint, das Wissen des eigenen Unwissens, der Fremdheit sich selbst gegenüber, vermittelt. Dem unglücklichen Bewusstsein wird als „diesem unendlichen reinen innern Fühlen wohl sein Gegenstand, aber so eintretend, daß er nicht als begriffner, und damit als ein Fremdes eintritt“.146 Der Ausdruck ‚unend145 Ebd. 146 Ebd.

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liches reines Fühlen‘ weist mit ‚unendlich‘ auf das Reflektiertsein in einem Gefühl hin, das sowohl nach innen auf sich wie nach außen auf das, wovon es ergriffen ist, zeigt. Diese widersprüchliche Bewegung ist der springende Punkt einer lebendigen Einzelheit, welche im Denken das Gefühl der Einheit mit der Welt zugleich mit der „Entzweiung schmerzhaft fühlt“.147 Dem Denken begegnet in diesem Gefühl eine sich der Singularisierung hingebende Welt, aber die Welt wird „als ein Fremdes“148 erfahren, worin der Schmerz der Entzweiung begründet ist. Was ihm aber in diesem unendlichen Gefühl geworden ist, das ist die „Gewißheit“, dass ihr Gegenstand, „daß ihr Wesen ein solches reines Gemüt ist, reines Denken, welches sich als Einzelheit denkt; daß sie von diesem Gegenstand ebendarum, weil er sich als Einzelheit denkt, erkannt und anerkannt wird“.149 Es hat das Gefühl des Anerkanntwerdens von der Welt erfahren. Das ist nur möglich, insofern diese Welt an ihr selbst mit sprachlichen Zügen entgegenkommt. Nur eine Welt, die an sich selbst Bewusstsein ist, die „sich als Einzelheit denkt“, kann mich anerkennen, wie umgekehrt nur in einer solchen Welt sich der Mensch als Bewusstsein erkennen kann. Dass Vernunft in der Welt ist, ist hier die gefühlte Erfahrung des Bewusstseins, dem aber „dies Wesen das unerreichbare Jenseits [ist], welches im Ergreifen entflieht oder vielmehr schon entflohen ist“.150 Dem ist so, weil das unglückliche Bewusstsein es noch nicht zum fürsichseienden Denken gebracht hat, sondern wie die sinnliche Gewissheit und die Wahrnehmung das Unwandelbare in der Welt als unmittelbare Einzelheit meint finden zu können. Auf mehrfache Weise scheitert das unglückliche Bewusstsein mit dieser Ansicht. Einerseits begegnet ihm das Unwandelbare als Gestalt, die „das sich als Einzelheit denkende Unwandelbare“151 ist. Eine solche Gestalt hat Bewusstsein wie das unglückliche Bewusstsein selbst; nur so kann es sich von ihm anerkannt fühlen. In solchem Anerkanntwerden erreicht es sich „in ihm, sich selbst, aber als das dem Unwandelbaren entgegengesetzte; statt das Wesen zu ergreifen, fühlt es nur, und ist in sich zurückgefallen“.152 Es ist nicht als Denken, das des Unterschieds zwischen sich und dem Unwandelbaren eingedenk ist, sondern hat in seiner Einheit mit dem Unwandelbaren nur das ihm entgegengesetzte Gefühl der Einzelheit. Ihm kann es auf der Ebene des Gefühls nicht gelingen, sich in solchem gefühlsmäßigen Erreichen der Einheit mit dem Unwandelbaren als das ihm Entgegengesetzte abzuhalten. In der 147 Ebd. 148 Ebd. 149 PhG, S. 163–164. 150 PhG, S. 164. 151 Ebd. 152 Ebd.

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gefühlten Einheit ist das Denken zwar am Werk, erfüllt sich aber im Gefühl der Einheit mit der Eigenheit des Selbst. Das Gefühl fällt in seiner gefühlten Erhebung zum Unwandelbaren auf sich selbst zurück. Im Gefühl „ergreift“ das Denken „nur die eigne getrennte Wirklichkeit“.153 Es scheitert auf seiner Seite am Anerkanntwerden als denkender Einzelheit, weil es über sich als fühlender Einzelheit noch nicht hinausgekommen ist. Auf der anderen Seite erfährt es ein anderes Scheitern. Wenn das unglück­liche Bewusstsein das Unwandelbare als „Einzelnes oder als Wirkliches ergreifen“154 will, muss es erfahren, dass es nicht möglich ist, sich am Unwandelbaren zu vergreifen, weil es nicht als ein unmittelbar Einzelnes vorgefunden wird. Es als Einzelnes gesucht, ist nicht eine allgemeine, gedachte Einzelheit, nicht Begriff, sondern Einzelnes als Gegenstand oder ein Wirkliches, Gegenstand der sinnlichen Gewißheit, und ebendarum nur ein solches, welches verschwunden ist.155 Das Scheitern, den Unwandelbaren als daseienden Gegenstand der sinnlichen Erfahrung zu finden, ist die Heraufkunft der Erkenntnis, dass nur dadurch, dass das Denken allem Dasein das Kleid des Allgemeinen anzieht, es dasselbe über seine Vergänglichkeit hinaushebt. In Bezug auf die göttliche Gestalt des Unwandelbaren heißt das: „Dem Bewußsein kann daher nur das Grab seines Lebens zur Gegenwart kommen“.156 Die einzelne Gestalt ist als sinnliche Erscheinung vergangen. Es liegt in der Natur aller Lebewesen, dass sie der Vergänglichkeit unterworfen sind. Der Mensch, der um den Tod weiß, übergibt das vergangene Leben dem Grab. Das Grab des Lebens enthält nur den Tod. In der „Gegenwart des Grabes“157 Leben zu suchen, verkehrt die Einsicht, dass alles Einzelne als solches vergänglich ist. Auch das Grab Christi hat als „das Grab seines wirklichen unwandelbaren Wesens keine Wirklichkeit“.158 Wer es aufsucht, um „die unwandelbare Einzelheit als wirkliche […] oder als verschwundne festzuhalten“,159 verwechselt das Grab des Lebens mit dem Grab des Geistes. Erst wo die Suche aufhört, im Grab des Lebens den Unwandelbaren zu finden, kann die Suche nach ihm im Grab 153 Ebd. 154 Ebd. 155 Ebd. 156 Ebd. 157 Ebd. 158 Ebd. 159 Ebd.

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des Geistes beginnen. In Schriften und Bildern haben wir das Grab des Geistes; sie sind objektivierter Geist. Erst der Blick auf die toten Zeichen der Schrift, in denen die Gedanken und Taten als Worte des Unwandelbaren aufbewahrt sind, bringt aufs Neue die Gegenwart des Unwandelbaren hervor, wenn wir beim Lesen in uns entsprechende Gedanken erwecken. Das ist die „Einzelheit als wahrhafte oder als allgemeine“,160 die zu finden das Bewusstsein sich fähig macht, wenn es die Suche aufgibt, das Geistige in einzelnen vom Sprachkleid entkleideten sinnlichen Gegenständen zu finden. Zu 2.: Das unglückliche Bewusstsein ist Denken, das sein Gefühl reflektiert. Es erhält in der „Rückkehr des Gemüts in sich selbst […] Wirklichkeit“,161 was hier bedeutet, dass es durch das Gefühl der Gegenwart des Unwandelbaren zugleich sich anerkannt und damit als wirklich erfährt. Wirklich ist das Ich nicht durch Selbstsetzung, sondern indem es sich aus der Welt entgegenkommt. Dieser Rückkehr aus dem Anderssein verdankt es seine Existenz als geistiges Wesen. Sie wird ihm nicht einfach geschenkt. Schon das lebendige Individuum muss die Assimilation von Welt in Gang setzen und in Gang halten, wenn es die Kräfte der Natur für sich nutzen können soll. Im Geistigen kann es zur Wirklichkeit von Ich nur kommen, wenn die Anerkennung von beiden Seiten ausgeht und im Austausch von Eindrücken und Gedanken praktiziert wird. Das Gefühl trennt sich in der Einheit mit dem Unwandelbaren von diesem Wesen und gewinnt auf diese Weise sein Selbstgefühl; „es hat den Gegenstand seines reinen Fühlens gefühlt, und dieser ist es selbst; es tritt also hieraus als Selbstgefühl, oder für sich seiendes Wirkliches auf“.162 Es hat sein Selbstgefühl erreicht, indem es sich einerseits in Einheit mit dem Unwandelbaren gefühlt hat und andererseits diese Einheit als solche von sich trennt und dadurch Selbstgefühl geworden ist. Ohne die Einheit gefühlt zu haben, bliebe sein Selbstgefühl ohne Wirklichkeit und wäre so hohl wie das sich selbst setzende Ich, das sich nur einem Nicht-Ich entgegensetzt und dabei nicht erkennt, dass es nur im Anderen bei sich selbst sein kann. Bewusstsein ist auf allen Ebenen Weltumgang. Es konstituiert sich in seiner Rückkehr aus seinem Anderssein. Hat es sich nun „als für sich seiendes Wirkliches“163 erfasst, dann ist die „innerliche Gewißheit seiner selbst“164 kein bloß Innerliches, sondern ein solches, das sich vom Anderen her fühlt und als praktischer Weltumgang dieses Andere aneignet. Als Weltumgang „bewährt“ 160 Ebd. 161 Ebd. 162 PhG, S. 165. 163 Ebd. 164 Ebd.

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es sein Selbstgefühl „durch Aufheben und Genießen des fremden Wesens, nämlich desselben in der Form der selbständigen Dinge“.165 Die neue Stufe des unglücklichen Bewusstseins ist dadurch gekennzeichnet, dass das Bewusstsein „sich nur als begehrend und arbeitend […] findet“.166 Sich so vorzufinden ist der erste Blick auf sich als ein Wesen, das nicht einfach so ist, sondern das seine Existenz im Aufheben der Welt der Dinge hervorbringt. Ihm ist die Gewissheit, in Arbeit und Genuss zum Selbstgefühl zu kommen, geworden. Es hat im Fühlen die Einheit mit der Welt berührt und daraus die Gewissheit seiner Existenz geschöpft. Mit dieser Gewissheit tritt das Bewusstsein einer Welt gegenüber, die ihm zu seinem Selbstgefühl verholfen hat. Damit gerät das unglückliche Bewusstsein in einen neuen Widerspruch. Indem es durch Arbeit und Genuss seine Selbsterhaltung betreibt, erniedrigt es die Welt der selbständigen Dinge zu einer Welt der Mittel, was ihm als Anmaßung erscheint. Die „Bewährung, welche es durch Arbeit und Genuß erhalten würde, ist darum eine […] gebrochene, oder es muß sich vielmehr selbst diese Bewährung vernichten“.167 Indem es auf die Freude verzichtet, in Arbeit und Genuss sein Selbstgefühl zu erreichen, entfremdet es sich von dieser Stufe seines Weltumgangs. Begierde und Arbeit sind Verhaltensweisen, die nicht triebgesteuert sind. Sie treten erst dort in die Welt, wo ein Bewusstsein sich als ein Wesen vorfindet, das sein Triebleben reflektiert und durch Arbeit seine Selbsterhaltung betreibt. Sich so vorzufinden, setzt dieses entwickelte Bewusstsein voraus. Es ist denkendes Bewusstsein, das seine eigene Körperlichkeit und die Welt, in der es lebt, zum Gegenstand der Betrachtung macht. Erst jetzt kann überhaupt von Ich und Welt, von einer Beziehung auf den Gegenstand Welt gesprochen werden. Die Tiere sind Bewusstsein und praktizierender Weltumgang; das denkende Bewusstsein findet sich als praktizierender Weltumgang vor. Indem die Tiere ohne Hemmung ihre Selbsterhaltung betreiben und das ihnen Gebotene verzehren, hat das denkende Bewusstsein ein gebrochenes Verhältnis zu seiner Selbsterhaltung. Ihm ist bewusst, dass es sich in Arbeit und Genuss gegen eine Wirklichkeit wendet, zu der es innigste Verwandtschaft fühlt. Ihm ist diese Wirklichkeit „nicht mehr ein an sich Nichtiges, von ihm nur Aufzuhebendes und zu Verzehrendes, sondern ein solches, wie es selbst ist, eine entzwei gebrochene Wirklichkeit, welche nur einerseits an sich nichtig, andererseits aber auch eine geheiligte Welt ist“.168 165 Ebd. 166 Ebd. 167 Ebd. 168 Ebd.

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Das bringt mit dem pantheistischen Gedanken das Wissen hervor, in Rücksicht auf die Selbsterhaltung eine gegen die Wirklichkeit gerichtete Tätigkeit auszuüben. Es ist sich bewusst geworden, dass es damit eine geheiligte Welt verletzt, weil in ihr das Unwandelbare Gestalt angenommen hat; „denn dieses hat die Einzelheit an sich erhalten, und weil es als das Unwandelbare Allgemeines ist, hat seine Einzelheit überhaupt die Bedeutung aller Wirklichkeit“.169 Das göttliche Universum ist Eines, und dieses Eine ist als Allgemeines in allem. Wer sich in ein solches alles umgreifende Allgemeine versetzt fühlt, kann nicht der Ansicht sein, „ein für sich selbstständiges Bewußtsein“170 zu sein. Wer sich für ein solches hält, dem erscheint „die Wirklichkeit an und für sich nichtig“171 und nur relevant, insofern sie als Mittel seiner Selbsterhaltung dient. Ein solches Bewusstsein versteigt sich in der Annahme seiner Selbständigkeit bis zu der Meinung, „daß es selbst es wäre, welches die Wirklichkeit aufhöbe“.172 Es blendet in dieser Meinung aus, dass die Natur sich dazu hergeben muss, wenn es überhaupt zu irgendwelcher Assimilation oder gar zur Transsubstantiation der Substanz zum Subjekt soll kommen können. Das unglückliche Bewusstsein hat das Heilige in der Welt erfahren. Sie ist ihm Gestalt des Unwandelbaren und als Teil dieses Ganzen ist es sich bewusst, dass auch in ihm selbst und damit auch in seinen Tätigkeiten nichts geschieht, was nicht auch durch das Unwandelbare mitbestimmt wird. Wenn das Bewusstsein also zu seiner Selbsterhaltung gegen die Wirklichkeit tätig wird und „zwar zur Vernichtung der Wirklichkeit und zum Genusse gelangt, so geschieht für es dies wesentlich dadurch, daß das Unwandelbare selbst seine Gestalt preisgibt und ihm zum Genusse überläßt“.173 Hier ist die göttliche Natur nicht nur passive Substanz, sondern hat auch das aktive Moment auf ihrer Seite, indem sie sich als passive Substanz aufheben lässt und dem Genuss ihre Gestalt preisgibt. Es ist das Geschehenlassen, wodurch die Natur dem Täter auf der anderen Seite sowohl die Freiheit als auch die Verantwortung für sein Tun übergibt. Das unglückliche Bewusstsein ist sich bewusst geworden, dass seine Selbsterfahrung objektiven Charakter hat. Indem es sich in den von ihm durch Arbeit hergestellten Dingen ein äußerliches Dasein gegeben hat, begegnet es sich darin aber nicht nur selbst, sondern ihm kommt in den geformten Dingen auch eine Natur entgegen, welche solches Formen an ihr geschehen lässt. 169 Ebd. 170 Ebd. 171 Ebd. 172 Ebd. 173 PhG, S. 165–166.

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Auch sein Selbstgefühl, das es im Genuss erreicht, hängt von der Hingabe der Natur ab. Aber diese Einsicht erfasst noch nicht das ganze Verhältnis, denn nun richtet sich der Blick des Bewusstseins auf sich selbst in seiner Einheit mit seinem körperlichen Sein; es reflektiert die eigene Leiblichkeit. Indem es seinen eignen Körper zum Gegenstand der Betrachtung macht, hat es keine äußerliche Wirklichkeit vor Augen, sondern sein eigenes Ansichsein. Wenn es also im Arbeiten und Genießen die Natur außer sich verändert und in ihrer Gestalt vernichtet, bewährt es sich zwar als einzelnes Bewusstsein, doch diese Tätigkeiten finden in seiner leiblichen Existenz statt. Dieses Organon hat ein Eigenleben, das als natürliches Dasein „dem unwandelbaren Jenseits“174 angehört. Dass die Natur im Bewusstsein des Menschen die Augen aufschlägt, hängt zwar vom Reflektiertsein des Bewusstseins ab, doch dass das Bewusstsein überhaupt sehen kann, ist von seiner biologischen Entwicklung abhängig. Dass das Bewusstsein als „Fürsichsein, das dem einzelnen Bewußtsein als solchem angehört“175 Dasein hat, ist sowohl seiner biologischen Entwicklung als auch dem Fürsichsein geschuldet. Dasein hat es nur als einzelnes Bewusstsein, also in seiner leiblichen Existenz. Diese ist als Leben schon ansichseiendes Bewusstsein und wird nun im fürsichseienden Bewusstsein als Bedingung seiner Existenz erkannt und anerkannt. Was die Erkenntnis der biologischen Gestalt des Menschen betrifft, so versetzt deren phylogenetische Komplexität auch die modernen Wissenschaften ins Staunen. Was hier bewusst gemacht wird, das haben die Griechen im Mythos vorgedacht, indem ihnen die Götter in menschlicher Gestalt erschienen sind. Sie haben damit zum Ausdruck gebracht, dass für sie die Gestalt des Menschen eine Einheit höchster biologischer und geistiger Vielfalt verkörpert. In Olympia konnten die Menschen im Wettkampf die natürlichen Gaben des Gottes im Spiel der Kräfte entfalten und dem Gott gegenüber zur Erscheinung bringen. Solcher Körperkultur liegt das Bewusstsein zugrunde, dass die in der natürlichen Gestalt des Menschen zu solchen sportlichen wie geistigen Leistungen verhelfenden „Fähigkeiten und Kräfte[,] eine fremde Gabe“ sind, „welche das Unwandelbare ebenso dem Bewußtsein überläßt, um sie zu gebrauchen“.176 Das ist der Augenblick, in dem nach Hölderlin der antike Philosoph Empedokles den Verrat an dieser Gabe begeht, indem er die Kräfte der Natur in der stultitia des modernen Menschen, der sein Sein als Ichzentrum zu haben wähnt, zu Knechten seines praktischen Weltumgangs meint machen zu

174 PhG, S. 166. 175 Ebd. 176 Ebd.

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können. Empedokles ist der Hybris verfallen, in der Erfahrung dieser Kräfte an sich zu denken. […] als die Genien der Welt Voll Liebe sich in dir vergaßen, dachtest du An dich und wähntest karger Tor, an dich Die Gütigen verkauft, daß sie dir Die Himmlischen, wie blöde Knechte dienten!177 Das unglückliche Bewusstsein hat diese Ansicht mit der Überwindung des Selbstbewusstseins, das im Stoizismus noch ganz von der Wirklichkeit seiner Existenz wegsieht und im Skeptizismus in der Bewegung der ihm gegebenen Bestimmtheiten zu ihren Gegenteilen hin selbst unberührt bleibt, hinter sich gelassen. Es ist auf der hohen Bewusstseinsstufe, die um die Wiedergewinnung des sympathetischen Weltbildes ringt, indem es in immer weiteren Kreisen sich seines unmittelbaren Fürsichseins und damit einer angemaßten Selbständigkeit entfremdet. Dabei öffnet es die Augen für die Einsicht in seine Abhängigkeit von den Kräften der Natur und dann auch von denen des Geistes. Der Empedokles in Hölderlins Darstellung steht am Anfang des geistigen Dramas der Entwicklung des Bewusstseins zu einem modernen Ichzentrum hin, das sich durch die Negation allen Andersseins konstituiert. Das unglückliche Bewusstsein ist auf dem Weg zu sich als einem Bewusstsein, das die Negation dieser ersten Negation vollbringt. Empedokles markiert die Schwelle, wo das dialektische Verhältnis von Abhängigkeit und Freiheit, Empfänglichkeit und Selbsttätigkeit zerbricht. Die ausgewogene Einheit beider geht im Aufstieg des herrischen Selbstbewusstseins verloren. Die göttliche Welt erscheint vor dem Herrscherblick entzaubert. Ich war geliebt, geliebt von euch ihr Götter Ich erfuhr euch, ich kannt euch, ich wirkte mit euch wie ihr Die Seele mir bewegt, so kannt ich euch So lebtet ihr in mir -.178 Dieses ausgewogene Verhältnis hat Empedokles zerstört. Das unglückliche Bewusstsein ist auf dem Weg der zweiten Negation. Nur wenn sie vollbracht wird, kann das Neue einer neuen Bewusstseinsstufe sich entfalten. Nur wer 177 Hölderlin, Friedrich, Der Tod des Empedokles (Erste Fassung), in: Beissner, Friedrich (Hrsg.), Große Stuttgarter Ausgabe, Bd. 4, Stuttgart 1961, S. 15., V. 338–342. 178 Ebd., V. 322–325.

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im Mitvollzug die Negation des unsere Zeiten prägenden Herrschaftsdenkens an sich und für sich vollbringt, kann in der Selbstaufgabe nicht eine gutmütige Dummheit erblicken. Was sich aber mit der Aufgabe des unmittelbar auftretenden Selbst auftut, das ist ein neuer durch Sprache vermittelter Blick auf die Natur. Das weist auf die Gewinnung eines neuen Mythos voraus. Das unglückliche Bewusstsein bringt mit seinen Erfahrungen das Denken um die logisch entscheidenden Schritte weiter in Richtung dieses neuen Welt- und Selbstverständnisses. Seine Bemühung, es zu erreichen, wird aber gerade dadurch vorangebracht, dass es mit Konsequenz in seinem Verhältnis zum Unwandelbaren dasselbe über sich stellt. Das unglückliche Bewusstsein wird sich nicht mehr in der Vorstellung sonnen, ein Günstling der Natur zu sein, weil das die Eitelkeit auf seiner Seite hätte. Wenn es auf seiner Seite zur Tätigkeit kommt, die Natur umzugestalten oder aufzuheben, dann reflektiert es nicht bloß das Wissen, dass Natur sich dazu sich hingibt, sondern dass in der Tätigkeit selbst die Kräfte und Fähigkeiten der Natur wirken. Das Bewusstsein verfällt nicht mehr einem Scheinwissen, das meint, es sei selbst die Macht in seinen körperlichen Tätigkeiten. Die tätige Kraft erscheint als die Macht, worin die Wirklichkeit sich auflöst; darum aber ist für dieses Bewußtsein, welchem das Ansich oder das Wesen ein ihm Andres ist, diese Macht, als welche es in der Tätigkeit auftritt, das Jenseits seiner selbst. Statt also in seinem Tun in sich zurückzukehren und sich für sich selbst bewährt zu haben, reflektiert es vielmehr diese Bewegung des Tuns in das andre Extrem zurück.179 Wer die Muse als eine auch fremde Macht anruft, überlässt ihr die Zügel, weil er ihr im sprachlichen Gestaltungsprozess eine Mitwirkung einräumt. Ein solcher Anruf zeugt davon, dass in solchen Prozessen keine praktischen Zwecke verwirklicht werden sollen, sondern das Bewusstsein sich in gekonnter Absichtslosigkeit den schöpferischen Kräften seiner Phantasie und der Sprache im Gestaltungsvorgang überlässt. Es lässt dem Verhängnis nicht einfach seinen Lauf, sondern ruft die natürlichen und geistigen Kräfte zur Mitwirkung bei der Sprachwerdung von Welt auf. Für das unglückliche Bewusstsein ist die Erfahrung geworden, dass sein eigenes Tun ein fremder schöpferischer Prozess ist. In diesem Prozess reflektiert es sich als das davon ganz durchdrungene Fürsichsein. Ihm ist die göttliche Macht in allem wirksam, im Sein wie im Bewusstsein. Das Sophokleische 179 PhG, S. 166.

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Κουδὲν τούτων ὅ τι μὴ Ζεύς180 ist ins Denken und in die Erfahrung des unglücklichen Bewusstseins aufgenommen. Das Wissen, dass das unwandelbare Wesen seine Gestalt aufopfert und damit dem aufblühenden Leben dient, und das weitere Wissen, dass das unwandelbare Wesen diesen lebendigen Gestalten zum Bewusstsein ihrer selbst verhilft, mündet in den Dank dafür. Darin kündigt sich die Erkenntnis an, dass das unwandelbare Wesen in uns und außer uns nicht nur auf biologische Weise dem Bewusstsein dient, sondern als elementare Macht nach Hölderlin die Lebewesen erzieht in leichtem Umfangen Die mächtige, die göttlichschöne Natur.181 Das unglückliche Bewusstsein gibt den Gedanken, als einzelnes Bewusstsein selbständig zu sein, dadurch auf, dass es diesen Gedanken den Mächten, deren Hingabe es seine Existenz verdankt, zurückgibt. Es „versagt“ sich „die Befriedigung des Bewußtseins seiner Selbständigkeit“, indem es „das Wesen des Tuns von sich ab dem Jenseits zuweist“.182 Es sieht sich als Erzeugnis einer evolutionären Entwicklung göttlicher Kräfte, die im hochentwickelten Bewusstsein des Menschen ihr Reflektiertsein erreicht haben. In der Gestalt des Menschen haben diese Mächte sich Augen geschaffen, durch die ein Bewusstsein blickt, das seinen Schöpfer wahrzunehmen vermag. Im Blick auf diese Mächte weiß das Bewusstsein um sein Getragenwerden; und vom Bewusstsein des Menschen aus haben diese Mächte erst einen Blick auf sich; „durch diese beiden Momente des gegenseitigen sich Aufgebens beider Teile entsteht hiemit allerdings dem Bewußtsein seine Einheit mit dem Unwandelbaren“.183 Aber mit dem Reflektiertsein dieser Mächte im unglücklichen Bewusstsein entsteht wieder der Gegensatz zwischen ihnen und dem Bewusstsein als einzelnem. Als einzelnem Bewusstsein kann ihm kein wirklicher Verzicht weder auf sein Selbstgefühl noch auf die durch Arbeit erreichte Einheit mit dem Anderssein, noch auch auf das Bewusstsein des Danks gelingen.

180 Sophokles, Die Trachinierinnen, Wiesbaden-Berlin o.J., S. 143, V. 1278. („Und in all dem nichts, das nicht Zeus ist“.) 181 Hölderlin, Friedrich, Wie wenn am Feiertage  …, in: Beissner, Friedrich (Hrsg.), Große Stuttgarter Ausgabe, Bd. 2.1, Stuttgart 1951, S. 118, V. 12–13. 182 PhG, S. 167. 183 Ebd.

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Denn das Bewußtsein entsagt zwar zum Scheine der Befriedigung seines Selbstgefühls, erlangt aber die wirkliche Befriedigung desselben; denn es ist Begierde, Arbeit und Genuß gewesen; es hat als Bewußtsein gewollt, getan und genossen. Sein Danken ebenso, worin es das andre Extrem als das Wesen anerkennt, und sich aufhebt, ist selbst sein eignes Tun, welches das Tun des andern Extrems aufwiegt.184 Es kann die Wirklichkeit seines Tuns, Genießens und Dankens nicht abschüt­ teln, auch dann nicht, wenn es sich zum Werkzeug der Mächte in seinem Tun macht. Das Reflektiertsein wacht in diesen Tätigkeiten darüber, dass das Denken darin nicht verloren geht und alles im reflexionslosen Dunkel verschwindet. Schon meldet sich ein leiser Aufstand gegen die Vorstellung an, die Hingabe der Natur an das Bewusstsein sei mit der Hingabe des Bewusstseins an die Natur, die im Dank ausgesprochen wird, gleich zu setzen. Denn im Bewusstsein kommt der Gedanke hoch, dass doch erst dort von Hingabe die Rede sein könnte, wenn der Verzicht von Bewusstsein begleitet wird. Der kleine Hochmut wird aber niedergeschlagen, weil das Bewusstsein eingestehen muss, dass auch sein Verzicht kein wirklicher ist. Das unglückliche Bewusstsein erreicht in den Tätigkeiten doch nur sich „als dieses einzelne“ Bewusstsein „und läßt sich durch den Schein seines Verzichtleistens nicht täuschen, denn die Wahrheit desselben ist, daß es sich nicht aufgegeben hat“.185 Mit dieser Einsicht in seine Erfahrung mit dem Unwandelbaren sieht sich das unglückliche Bewusstsein auf sich zurückgeworfen, aber nun auf sich als „der fürsichseienden Einzelheit überhaupt“.186 Das ist der Schritt im Bewusstsein von sich als einzelnem Bewusstsein zu sich als fürsichseiender Einzelheit. Als einzelnes Bewusstsein konnte es die Tätigkeiten noch seiner Natur zuschreiben, musste aber einsehen, dass es denkendes Bewusstsein ist, das die Aufmerksamkeit auf sein Tun gerichtet hält. In der Gewohnheit hat der Mensch sich zwar eine zweite Natur so eingebildet, dass er in ihren Inhalten nicht von ihnen sich unterscheidend im Verhältnisse zu ihnen steht noch in sie versenkt ist, sondern sie empfindungs- und bewußtlos an ihr hat und in ihnen sich bewegt. Sie [die Seele in ihrer zweiten Natur; Zusatz W.S.] ist insofern frei von ihnen, als sie sich in ihnen nicht interessiert und 184 Ebd. 185 Ebd. 186 Ebd.

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beschäftigt; indem sie in diesen Formen als ihrem Besitze existiert, – ist sie zugleich für die weitere Tätigkeit und Beschäftigung – der Empfindung sowie des Bewußtseins des Geistes überhaupt – offen.187 Der entscheidende Punkt bei der Gewohnheit ist der, ob sie als „Mechanismus des Selbstgefühls“ oder in Form des Gedächtnisses als „Mechanismus der Intelligenz“188 den ins Unbewusste herabgedrückten Boden dafür bildet, von dem aus sich das Bewusstsein zu neuen Gegenständen, zu neuen Inhalten hin abstoßen kann. Diese von der Durchbildung seines sowohl körperlichen wie geistigen Seins abhängige Offenheit wird dann wieder vom Reflektiertsein begleitet, das zwar nicht im Vordergrund steht, aber in der Auseinandersetzung mit den neuen Inhalten die Wachheit des Bewusstseins garantiert. In der Gewohnheit als einer zweiten Natur hat sich der Mensch zum Ding gemacht. Das ist aber keine „rohe Negation“189 mehr, die dort geschieht, wo im Kampf einer einen anderen erschlägt, der dadurch zum Ding wird. In der Gewohnheit haben wir es mit der zweiten Negation zu tun, die aufbauenden Charakter hat. Das Herabdrücken von bewussten, also von Aufmerksamkeit begleiteten Tätigkeiten zu Mechanismen gehört in den Fortschritt einer körperlichen wie geistigen Entwicklung. Das Entlassen aus der Aufmerksamkeit bekommt aber defiziente Züge, wenn das Bewusstsein über den Kreis seiner Gewohnheiten nicht mehr hinauskommt und in der Wiederholung seiner Tätigkeiten erstarrt. Es kündigt sich eine Art von Tod an, wenn das Bewusstsein wie einst Sisyphos keine neuen Erfahrungen mehr mit seinem Stoff macht. Für das unglückliche Bewusstsein tut sich nun ein neuer Gegensatz auf; es unterscheidet sich in sich in das „Bewußtsein des Unwandelbaren und in das Bewußtsein des gegenüberstehenden Wollens, Vollbringens, Genießens, und des auf sich Verzichtleistens selbst, oder der fürsichseienden Einzelheit überhaupt“.190 Zu 3.: Das unglückliche Bewusstsein hat sich „als wirkliches und wirkendes Bewußtsein erfahren, oder dem es wahr ist, an und für sich zu sein“.191 Als wirkliches Bewusstsein kann es das Tun und Genießen nicht mehr als Tätigkeiten einer fremden Natur in sich zuschreiben; was ihm in seiner natürlichen Existenz, also an sich selbst geschieht, wird in seinem Bewusstsein zu einem 187 Hegel, Enzyklopädie, § 410. 188 Ebd. 189 Hegel, Enzyklopädie, § 432. 190 PhG, S. 167. 191 PhG, S. 168.

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Ereignis, da es reflektiert wird. Auch kann es den Genuss, den es durch die Aufopferung des Unwandelbaren an den Menschen bereitet findet, nicht durch den Dank dafür ausgleichen, weil der Dank keine wirkliche Selbstaufgabe von seiner Seite zustande bringt. Indem es „die bewußte Eigenheit in dieser Wirklichkeit […] durch das dankende Anerkennen“192 niederschlagen will, muss es erkennen, dass es damit die Einheit seines Bewusstseins mit seiner sinnlichen Wirklichkeit aufs Neue erweckt. Der Blick bleibt auf sich als wirkliches Bewusstsein gerichtet, wenn es sich in seinem Ansichsein reflektiert. Nun aber radikalisiert sich das Denken, indem es das Reflektiertsein aus seinen wirklichen Verhältnissen herausnehmen möchte. Damit richtet sich das unglückliche Bewusstsein gegen sich selbst als Einheit von Bewusstheit und Sein, gegen sich als das Reflektiertsein in allen seinen Verhältnissen. Zunächst hält es den Blick auf das Unwandelbare gerichtet, welches ihm das Wesen ist, dem gegenüber es nun selbst als wirkliches Bewusstsein steht, das an seiner Einheit von sinnlicher Einzelheit und dem Fürsichsein dieses Ansichseins leidet. Damit ist der Gegensatz zwischen dem göttlichen Unwandelbaren und dem wirklichen Bewusstsein in die Einheit des wirklichen Bewusstseins selbst eingedrungen. Seine Beziehung auf sein Ansichsein ist nicht mehr von Bewunderung für die in ihm waltenden göttlichen Kräfte erfüllt, sondern schlägt in das Gegenteil um, an eine Realität gefesselt zu sein, die seinem Reflektiertsein in das Unwandelbare entgegensteht. Im wirklichen Tun und im wirklichen Genuss hat das Bewusstsein sich als wirkliches Bewusstsein erfahren, kann aber die damit gewonnene Selbständigkeit nur dadurch dem Unwandelbaren gegenüber aufopfern, dass es „sein wirkliches Tun zu einem Tun von Nichts, sein Genuß Gefühl seines Unglücks“193 erklärt. Es nimmt „Tun und Genuß allen allgemeinen Inhalt und Bedeutung“.194 Es ist der Versuch, die Einheit mit dem Unwandelbaren dadurch aufzurichten, dass die Einheit des wirklichen Bewusstseins mit seiner sinnlichen Existenz einer Reinigung unterzogen wird. Man schämt sich, als wirkliches Bewusstsein in Koinonia mit „tierischen Funktionen“195 zu leben. Das Bestreben kann nicht sein, sich ihrer zu entledigen, denn das würde den Tod bedeuten; so kommt es zur Unterdrückung, die aber einen Feind großzieht, der „in seiner Niederlage sich erzeugt“.196 Dieser Kampf, der auf dieser Ebene 192 Ebd. 193 Ebd. 194 Ebd. 195 Ebd. 196 Ebd.

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stattfindet, kann nicht enden, wenn sich in seiner sinnlichen Wirklichkeit das Bewusstsein „immer verunreinigt erblickt, zugleich dieser Inhalt seines Bestrebens statt eines Wesentlichen das Niedrigste, statt eines Allgemeinen das Einzelste ist“.197 Die körperliche Existenz mit ihren Funktionen wird, wenn sie als das „Einzelste“ erscheint, jeglicher allgemeinen Bedeutung entkleidet und steht sozusagen in ihre Blöße vor einem in Reinheitsphantasien gefangenen Bewusstsein. Hegel sieht in diesem Bestreben die auf „ihr kleines Tun beschränkte, und sich bebrütende, ebenso unglückliche als ärmliche Persönlichkeit“.198 Die Perversionen, die solche Reinigungsbestrebungen ausbrüten, werden hier nicht in den Blick genommen. In Olympia ist am Tympanon des Zeustempels der Kampf der Kentauren mit den Lapithen auf deren Hochzeit dargestellt. Es ist der Kampf, der entsteht, wenn ungezügelte Sinnlichkeit in eine durch Gesetz geregelte Form gesellschaftlicher Verhältnisse eindringt. Der gegenseitige auf Vernichtung der anderen Seite gehende Kampf kann nur durch eine Ordnung aufgehoben werden, in welcher das Sinnliche in kultivierten, also vom Allgemeinen nicht abgeschnittenen Formen, und das Gesetz in das Leben respektierenden Geboten einander begegnen können. Die Geste des Apollon in der Mitte des Tympanons weist in die Richtung einer solchen höheren Ordnung. Diese neue Bildung wäre die wiedergewonnene Sittlichkeit nach dem Kampf zwischen moralisch reinen Gesetzen und der solchen Gesetzen ungezügelt erscheinenden Sinnlichkeit. Die „negative[] Bewegung […], in welcher es sich gegen seine Einzelheit richtet“, „ist vermittelt durch den Gedanken des Unwandelbaren“.199 Das unglückliche Bewusstsein ist als wirkliches Bewusstsein diese Bewegung, in welcher der Gedanke des Unwandelbaren das Sein der Einzelheit erreicht. Es ist der Doppelblick auf Wesen und Sein, aber so, dass das Unwandelbare durch das Sein und das Wandelbare durch das Wesen vermittelt erscheinen. Die Bewegung hinauf zum Wesen ist zugleich das Herab zum Sein. Als wirkliche Vermittlung ist diese Bewegung die Mitte, der Januskopf als Einheit eines in sich widersprüchlichen Zeigens. Das unglückliche Bewusstsein erkennt sich noch nicht selbst in dieser Vermittlung, sondern stellt sie sich in der Gestalt Christi vor, der als Mittler zwischen Himmel und Erde diese Aufgabe übernommen hat. Ihm selbst bleibt der Schmerz des Urteils, in welchem der Gegensatz zwischen Sein und Wesen, wirklicher Einzelheit und Allgemeinem sich auftut. 197 Ebd. 198 PhG, S. 169. 199 Ebd.

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Der Schluss wird noch der Gestalt Christi übergeben. Er kann als Vermittler der Einheit nur eine bewusste Gestalt sein, nicht als vergangenes Leben, nicht als Grab des Lebens, sondern dadurch, dass er gesprochen und gehandelt, Rat gegeben hat. Als Sprachgestalt ist diese Mitte der Unwandelbare, die Einheit als Spagatschritt, der auf das Einzelne wie auf das Allgemeine aufsetzt. Christus ist der Logos dieser Bewegung als Gestalt, aber als Gestalt, die spricht. Es ist die Sprache, das geäußerte Reflektiertsein als zweite übersinnliche Welt, die vergegenwärtigt werden kann. Sie lässt den Vermittler auferstehen, aber das in einer Allgemeinheit, in welcher der die Sprache Vernehmende bei der Erzeugung der in ihr mitgeteilten Gedanken mitwirkt. Dieser Anspruch ist im Bilderdenken noch verborgen, aber schon mitgegeben, weil Bilder den Gedanken in noch stummer Sprache, auf physio­ gnomische Weise, zur Darstellung bringen. Wo Bilder sich aber vor die Sprache stellen, kommt das Denken nicht zur vollen Entfaltung. Es bleibt dann in der Stufe von „Andacht“ stehen, wenn es sich in die unendliche Vielfalt seiner Bilderwelt versenkt. Das unglückliche Bewusstsein macht hier nun den entscheidenden Fortschritt in der Sprachlichkeit seines Weltumgangs, dass es Christus als den Unwandelbaren nicht mehr nur als Gestalt erkennt und anerkennt, sondern als Gestalt, die spricht. In der Sprache des Herrn sind seine Gedanken zum Ausdruck gekommen. Das unglückliche Bewusstsein ist auf dem Weg dazu zu begreifen, „daß Gott nicht in Bildern verehrt, sondern im Geiste angebetet, d. h. gedacht sein will“.200 Sprache wird nicht zum Mittler, wenn nicht durch Mitwirkung des Men­ schen. Das alles weiß das unglückliche Bewusstsein noch nicht. Es hat aber erfahren, dass es sich in seiner Erhebung zum Gedanken des Unwandelbaren nicht nur negativ gegen sich als wirkliches Bewusstsein wenden kann. Das wirkliche Bewusstsein hat sich nämlich als solches erfahren, das in Koinonia mit dem Unwandelbaren lebt. Es hat das Wesen gefühlt, es hat sich im Wesen als den elementaren Mächten in seiner eigenen Gestalt erfahren, es hat sich selbst im Dank nicht seines Reflektiertseins entledigen können, und es muss auch bei der „versuchte[n] unmittelbare[n] Vernichtung seines wirklichen Seins“201 bleiben, eben deshalb, weil die negative Beziehung auf seine Körperlichkeit nicht deren Vernichtung einschließen kann, weil damit auch das Unwandelbare in dieser Existenz betroffen wäre. So schämt es sich, ein unreines Haus des Unwandelbaren zu sein. In dieser Erniedrigung ist es zugleich das Gefäß des Unwandelbaren. Es erlebt die

200 SuB, Bd. 5, S. 104–105. 201 PhG, S. 169.

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höchste Spannung des Gegensatzes von Wesen und Sein als Schmerz, in dem aller Stolz eines Herrschaftswissens untergegangen ist. Der in der Gestalt Christi noch gegenständlich erscheinende Logos bringt die Vermittlung zwischen Wesen und Sein zustande; er schließt die beiden Welten zusammen. Die sich im Urteil „gegen das Ansich entgegengesetzt fixierende Einzelheit“ schließt sich im Schluss „mit diesem andern Extreme nur durch ein drittes zusammen“.202 Dieses Dritte müsste das wirkliche Bewusstsein, die Einzelheit selbst sein, und zwar als Bewegung der Negativität, die sich in dem von ihm unterschiedenen Unwandelbaren erkennt. Aber diese Erkenntnis muss der wirklichen Einzelheit noch werden, und so ist ihr der Schluss erst in der Logos-Figur Christi zugänglich. Durch diese Mitte ist das Extrem des unwandelbaren Bewußtseins für das unwesentliche Bewußtsein, in welchem zugleich auch dies ist, daß es ebenso für jenes nur durch diese Mitte sei, und diese Mitte hiemit eine solche, die beide Extreme einander vorstellt und der gegenseitige Diener eines jeden bei dem andern ist. Diese Mitte ist selbst ein bewußtes Wesen, denn sie ist ein das Bewußtsein als solches vermittelndes Tun [...].203 Es geht dem unglücklichen Bewusstsein in der negativen Beziehung auf sein wirkliches Sein um dessen „Vertilgung“; „der Inhalt dieses Tuns ist die Vertilgung, welches das Bewußtsein mit seiner Einzelheit vornimmt“.204 Sie ist ihm aber nicht gelungen und konnte ihm nicht gelingen, denn der Versuch scheitert am Reflektiertsein in diesem Tun. Das Reflektiertsein fixiert die Einzelheit gegen das Wesen, oder hält sich selbst als Wesen in den wirklichen Verhältnissen des Bewusstseins durch. Damit rückt die Selbstaufgabe des Reflektiertseins in den Blick. In einem Vorgriff auf das, was das unglückliche Bewusstsein zu begreifen sich anschickt, kann gesagt werden, dass die Selbstaufgabe des Reflektiertseins nur als Sprachbewegung gelingt. In der Sprache ist die Bewegung gegen das Sein des Bewusstseins als Vernichtung der Unmittelbarkeit der Empfindungen, des Gefühls, der Eindrücke und Eigenheiten zugleich deren Aufhebung in Sprache und deren allgemeiner Inhalte. Was im Sprechen und Hören mit Virtuosität geschieht, ist der durch Sprache vermittelte Blick eines Bewusstseins in ein anderes Bewusstsein. Hier in der verkehrten Welt der Sprache sind die Gegensätze von Geben und Nehmen, Setzen und Empfangen, Sprechen und Hören zugleich in 202 Ebd. 203 Ebd. 204 Ebd.

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der Einheit einer in sich widersprüchlichen Bewegung. Wirkliche Selbstaufgabe ist daher in keinem Soliloquium, sondern nur als Colloquium möglich und wirklich. Im Gespräch vollbringen die Einzelnen ihre Entfremdung von sich als wirklichem Sein und geben ihr Reflektiertsein einander preis. Die unmittelbare Selbstaufgabe wäre die Vernichtung des wirklichen Seins des Bewusstseins. Diese „Entäußerung“ wäre selbst eine seiende, nicht eine ins Bewußtsein zurückkehrende […], daß dieses [Bewusstsein; Zusatz W.S.] sie nicht überlebt, und an und für sich ist, sondern nur ins unversöhnte Gegenteil übergeht. Die wahre Aufopferung des Fürsichseins ist daher allein die, worin es sich so vollkommen als im Tode hingibt, aber in dieser Entäußerung sich ebensosehr erhält; es wird dadurch als das wirklich, was es an sich ist, als die identische Einheit seiner selbst und seiner als des Entgegengesetzten.205 Die wahre Entäußerung des Selbst geschieht in der Sprache; in ihr gibt es sein Reflektiertsein anderen gegenüber preis; es macht sein Inneres für andere vernehmlich, indem es sich von sich entfremdet. „Dadurch, daß der abgeschiedne innre Geist, das Selbst als solches, hervortritt und sich entfremdet“206 überlässt es seine Gedanken der Interpretation des ihm zuhörenden Gesprächspartners, macht sich also ihm gegenüber zum Diener; aber auch der die Worte Vernehmende muss sich zum Diener machen, indem er das zu ihm Gesagte aufnimmt. Dieser sprachlich vermittelte Austausch von Gedanken ist das „Dasein des Geistes“.207 Es wird alles darauf ankommen, ob das unglückliche Bewusstsein in Christus den Mittler als göttliche Gestalt ansieht oder ihn als Sprachgestalt erkennt, die so vergegenwärtigt werden kann, dass das vernehmende Bewusstsein bei der Hervorbringung allgemeiner Gedanken zwar auf Originalität verzichtet, aber die eigenen Erfahrungen nicht verleugnen muss. Das unglückliche Bewusstsein steht an der Schwelle zu dieser Erkenntnis. Es übergibt die Eigenheit seiner Existenz dem Mittler, der als bewusstes Wesen in Form eines Rates zu ihm spricht. Wer solchen Rat hört, der nimmt den Mittler als zu ihm sprechende Gestalt wahr. Die Aufgabe des Reflektiertseins ist der letzte entscheidende Schritt zur Wiedergewinnung eines Ich, welches durch Sprache vermittelt ist. Indem das unglückliche Bewusstsein den fremden Rat befolgt, „stößt [es] sich von sich als fürsichseiendem Extreme das Wesen seines Willens ab, und wirft auf 205 PhG, S. 361 u. S. 362. 206 PhG, S. 362. 207 PhG, S. 458.

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die Mitte oder den Diener die Eigenheit und Freiheit des Entschlusses, und damit die Schuld seines Tuns“.208 Im Willen ist das Bewusstsein in „seiner selbstbewußten Selbständigkeit“.209 Es ist das Innere als Denken, das die Freiheit des Reflektiertseins aufgibt und sich zum Diener eines fremden Rates macht. Es befreit sein Wollen durch die Aufnahme eines fremden Gebots von seiner subjektiven Eigenheit. Der Entschluss, einem fremden Willen Folge zu leisten, wird von der Vernichtung der Eigenheit des subjektiven Willens getragen, vernichtet aber nicht den Willen als solchen, der nunmehr einen allgemeinen Inhalt verwirklicht. Den allgemeinen Inhalt lässt sich das Bewusstsein vom Vermittler geben, der „mit dem unwandelbaren Wesen in unmittelbarer Beziehung“210 steht. Seinen Rat zu befolgen heißt, ein göttliches Gebot ins Bewusstsein aufzunehmen, es zu begreifen und danach zu handeln. „Die Handlung, indem sie Befolgung eines fremden Beschlusses ist, hört nach der Seite des Tuns oder des Willens auf, die eigne zu sein“.211 Der wahre Herr, dem das achtsame Bewusstsein dient, ist die durch Sprache vermittelte allgemeine Sache. Das Denken, das sich um das Erfassen der Inhalte bemüht, gibt sich der Sache hin, ohne sich zu verlieren, weil es die Kraft ist, in diesem Anderen bei sich selbst zu sein. Wenn es in der Auseinandersetzung mit den ihm in Texten in der Möglichkeit gehaltenen Inhalten zu neuen Einsichten gelangt, ist es sich bewusst, dass das ein ihm sprachlich dargereichtes Geschenk ist. Dem Bewusstsein ist das Gefühl des Danks dabei nicht abhandengekommen, indem es den Anspruch an sich verwirklicht, dass das Unwandelbare, dass Gott „im Geiste angebetet, d. h. gedacht sein will“.212 Durch die Aufgabe des Reflektiertseins als bloß subjektiver Haltung in allen wirklichen Verhältnissen, befähigt sich der Wille zur Aufnahme und Verwirklichung eines fremden Rats. Er verschwindet nicht als Wille, sondern vernichtet seine abstrakte Selbständigkeit, indem er sich dazu entschließt, den fremden sprachlichen Rat zu befolgen. Damit ist schon der Schritt in die wirkliche Welt des Geistes getan, in welcher die Aufgabe der Selbständigkeit zur konkreten Selbständigkeit führt, die vom Anerkennen des Anderen und von dessen Anerkanntwerden abhängig ist. Der Rat spricht in dem Augenblick zum Menschen, indem dieser ihn als solchen in das Bewusstsein aufnimmt, ihn hört und in der Auseinandersetzung mit dem Gehörten begreift. Entscheidend

208 PhG, S. 169. 209 PhG, S. 170. 210 PhG, S. 169. 211 Ebd. 212 SuB, Bd. 5, S. 105.

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ist dabei, dass das Bewusstsein den im göttlichen Rat wie bei allen geistigen Inhalten mitgesetzten sprachlichen Bedeutungshof nicht seiner Unbestimmtheit beraubt. Erst die unmittelbare Gleichsetzung dessen, was wir vom göttlichen Wesen begriffen haben, mit der Totalität des Wesens selbst, verletzt die geistige Einheit mit ihm, weil sie den im Denken mitgeführten Unterschied zu ihm unterschlägt. Das unglückliche Bewusstsein hat sich zur Aufnahme des fremden Rates entschlossen. Sein Wille dient der Ausführung eines fremden Inhalts. Damit gelingt ihm die wirkliche Vernichtung der „selbstbewußten Selbständigkeit“,213 ohne aber sich als Bewusstsein verloren zu haben, weil es nun in der Befolgung fremder Gebote an der Errichtung dieser geistigen Welt mitwirkt. Die eigene Mitwirkung an der Errichtung der geistigen Welt sieht aber das unglückliche Bewusstsein noch nicht. Für sich selbst bleibt ihm als „dem unwesentlichen Bewußtsein“ noch die „gegenständliche Seite […], nämlich die Frucht seiner Arbeit und der Genuß“,214 die es nun ebenfalls von sich abstößt. Das unglückliche Bewusstsein ist dadurch, dass es sein Inneres dem fremden göttlichen Rat geöffnet hat, auch dazu fähig, auf die Früchte seiner Arbeit und die Freude am Genuss zu verzichten. Die Wirklichkeit, von der es sich nun abstößt, ist das subjektive Reflek­ tiertsein, das von allen Inhalten weiß, dass sie nur sind, sofern sie auf ein „Ich denke“ rückbezogene sind. Um diese erreichte Selbständigkeit zu vernichten, muss es sich nun umgekehrt einem fremdem Inhalt unterstellen, aber so, dass keine Differenz mehr zu ihm übrigbleibt. Es muss den Verstand verlieren. Diese innerliche Selbstaufgabe gelingt ihm dadurch, dass es „etwas ganz Fremdes, ihm Sinnloses vorstellend und sprechend sich bewegt“.215 Es fragt nicht nach dem Sinn irgendwelcher Gebote oder Zeremonien, sondern befolgt sie einfach. Es will nur Marionette im Sprechen und in Handlungen sein. Die Hingabe seiner subjektiven Freiheit im Vollzug ihm sinnloser Inhalte gibt den Inhalten eine objektive Form. Es tut sich in solcher Unmittelbarkeit des Dienens kein Widerspruch mehr auf. Die wirklichen Verhältnisse sowohl außer ihm wie in ihm selbst sind unwesentlich geworden. Erst solche Blindheit gegen jede konkrete Situation garantiert den hemmungslosen Vollzug und ist ein Dienen um des Dienens willen. Institutionen, die ihre Macht mit solcher Unterwürfigkeit erkaufen, geben denen, die durch ihre Selbstaufgabe an ihrer Errichtung mitwirken, auch etwas zurück; aber es ist das Geschenk des Ungeistes, weil es den Anhängern die Last 213 PhG, S. 170. 214 PhG, S. 169. 215 PhG, S. 170.

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der Verantwortung und auch das Unglück des Widerspruchs abnehmen soll. Die furchtbaren Figuren der Geschäftsträger eines fremden Willens treten hier auf. Sollten wir als „Marionetten Gottes“216 unsere Freiheit haben, dann nur dann, wenn dieser der Gott der Liebe ist, der den Menschen auch in seiner Individualität zu Wort kommen lässt, weil er selbst als sprachliche Macht sich dem Menschen so anvertraut, dass er Mitwirkender bei seiner Hervorbringung ist. Das nicht als Blasphemie abtun zu müssen, setzt die Erkenntnis in die Sprachlichkeit Gottes voraus. Das unglückliche Bewusstsein steht an der Schwelle, wo es sich entscheidet, ob sein Wille, sich zur Marionette eines göttlichen Rates zu machen, nur dazu verhilft, die Last „der Wirklichkeit als seines Fürsichseins“ und damit „auch sein Unglück“217 zu vermeiden. Derjenige ist noch nicht zur Wahrheit gekommen, der sich an die „Gewißheit“ hält, „seines Ich sich entäußert, und sein unmittelbares Selbstbewußtsein zu einem Dinge, zu einem gegenständlichen Sein gemacht zu haben“.218 Erst die sprachliche Selbstaufgabe enthüllt die furchtbare Seite solcher Verdinglichung, die ständig darum bemüht ist, „diese wirkliche Aufopferung [zu] bewähren“,219 indem sie durch die Betäubung des Denkens zum Täter wird. Gerade das Sinnlose in solchem Tun bleibt wegen der Gewissheit der Selbstaufgabe unwidersprochen. Diese logische Betäubung zeichnet Funktionäre aus. Indem sie eine ihnen nicht einmal fremd erscheinende Ordnung verwirklichen, nimmt die Aufgabe ihres subjektiven Reflektiertseins einen objektiven Charakter an. Es ist der Status einer objektiven Reflexion, den Hegel in der Wissenschaft der Logik220 als entäußerte Reflexion bestimmt hat. Die Bedeutung der vom Denken vor ihm aufgerichteten Wesenheiten liegt dann in ihrem Gebrauch, und das Denken versteht sich als Reflexionsbewegung, die objektiv von den an ihnen nicht widersprüchlich sein sollenden Wesenheiten wie von Sondergöttern geleitet wird. Dass unter einem solchen formellen Weltumgang die Wirklichkeit nur schematisiert, also entindividualisiert wahrgenommen werden darf, gehört in diese Errichtung der Welt der Positivität. Das unglückliche Bewusstsein macht am Ende seiner Erfahrungen mit dem Unwandelbaren drei entscheidende Denkschritte, die zu seinem Aufwachen als Vernunft führen. 216 SuB, Bd. 5, S. 107. 217 PhG, S. 170. 218 Ebd. 219 Ebd. 220 WdL, Anfang 2. Teil.

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Das „Abwälzen“ seines Tuns auf einen fremden Willen entlastet es nicht von seinem wirklichen Genuss und dem Besitz, den es durch Arbeit erworben hat. Es hat auch die Scheinhaftigkeit seines Danks durchschaut. b) Die Aufopferung des Reflektiertseins macht es zu einer Marionette eines fremden Willens; dadurch vernichtet es sich als unwesentliches Bewusstsein und wird zum widerspruchslosen Vollstrecker. c) Die Aufopferung des Reflektiertseins ist ein sprachlicher Vorgang, durch welchen es im Aufnehmen des fremden Willens den Eigensinn seines Willens aufhebt, zugleich aber sich in einen das Allgemeine setzenden Willen verwandelt. Damit hat er seine Unwesentlichkeit aufgehoben, aber nicht vernichtet. Es bleibt sich seines Unterschieds zu Gott bewusst, begreift aber erst an sich, dass es im Mittler zugleich sich selbst erblickt und nur so nicht als Christianer, sondern als Christ auf dieser Welt lebt. Zu a): Im „Abwälzen“ „alle[r] Macht des Fürsichseins von sich“ wird zwar alles Tun „einem Geben von oben“221 zugeschrieben, doch weder die äußere noch die innere Eigenheit lässt sich vernichten. Das Wissen bleibt erhalten, einen äußeren Besitz gehabt zu haben, oder „das Bewußtsein des Entschlusses, den es selbst gefaßt, und in dem Bewußtsein seines durch es bestimmten Inhalts“222 nicht wirklich aufgegeben zu haben. Es hat, indem es die Früchte seines Tuns und Entschlusses einem Geben von oben zurechnet, das Bewusstsein dieses Besitzes und Inhalts behalten. Es behält sie dadurch für sich, weil ihm seine Selbstaufgabe an die göttliche Macht mit dem Geschenk des Wissens um seine Eigenheit belohnt wird. Zu b): Die Radikalisierung der Aufopferung kann nun nur darin bestehen, dass es sein Reflektiertsein selbst im Tun und Genuss aufgibt. Diese Negation geschieht dadurch, dass es die Eigenheit des Entschlusses negiert, also das „Bewußtsein seines durch es bestimmten Inhalts […] gegen einen fremden, es sinnlos erfüllenden“223 eintauscht. Es hat sich damit zur Marionette eines fremden Willens gemacht, indem es einem anderen gehorcht und ohne weiteres Reflektiertsein etwas für es ausführt, also „etwas ganz Fremdes, ihm Sinnloses vorstellend und sprechend sich bewegt“.224 Die Tätigkeit der Objektivierung des Inhalts ist damit zu einem vom Bewusstsein ins Unterbewusste herabgedrückten Vorgang geworden. Es funktioniert wie bei einem Befehl, der in seiner Formulierung schon die Ausführung vorwegnimmt. Solches automatische Tun läuft widerstandslos ab und gleicht der Gewohnheit. 221 PhG, S. 170. 222 Ebd. 223 Ebd. 224 Ebd.

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Das Bewusstsein ist aber nicht nur tätiger Übersetzer, es erhebt sich aus seinem automatisierten Können zur Beschäftigung mit neuen Inhalten. Nur so bleibt es bei Verstand und reflektiert sein Tun. Damit unterscheidet es auch seinen gegebenen Inhalt von sich. Es hat sich verdingt wie der Knecht, der einem fremden Willen gehorcht und fremde Aufgaben erledigt. Er hat seine Selbständigkeit zwar aufgegeben, doch schaut sie außer sich in der Gestalt des Herrn an. Das hat schon geistige Züge, weil die Augen des Knechts ein Selbstbewusstsein außer sich anerkennen, aber noch nicht sich selbst darin erblicken können. Das liegt daran, dass der Herr im Knecht nicht Seinesgleichen sieht und daher in dieser asymmetrischen Selbständigkeit keine wirkliche Anerkennung vollbracht wird. Zu c): In der sprachlichen Aufopferung des Reflektiertseins erfährt das unwesentliche Bewusstsein seine Verwandlung. Damit wird die affirmative Bedeutung der Aufopferung der Eigenheit des Willens zum Bewusstsein gebracht, „nämlich das Setzen des Willens als eines Andern, und bestimmt des Willens als eines nicht einzelnen, sondern allgemeinen“.225 Das Bewusstsein, das die Worte des Mittlers befolgt, gibt seinem einzelnen Willen einen allgemeinen Inhalt, was den Willen selbst aus seiner Unwesentlichkeit heraushebt. Diese Bewegung des Allgemeinen zum Einzelnen hin und die Koinonia des Einzelnen mit dem Allgemeinen geht vom sprachlichen Rat des Mittlers aus. Seine Gebote sind das konkrete Allgemeine, das vom Einzelnen eine individuelle Antwort verlangt. Hier geschieht die Rückkehr zum wirklichen Bewusstsein, das seine Situation im Blick haben muss, wenn es spricht und handelt. Da genügt die Schematisierung der Situation nicht mehr, die Voraussetzung für das Befolgen abstrakter Gesetze ist. Der allgemeine Wille ist nicht losgelöst vom einzelnen Willen, sondern entsteht durch die Negation der bloßen Einzelheit. Nur wenn sich das Bewusstsein in dem durch seine Selbstaufgabe möglich gewordenen Allgemeinen selbst erkennt, ist sein Reflektiertsein zum konkreten Willen, d.h. einem Willen geworden, der einen allgemeinen Inhalt verwirklicht. Christus ist schon als Gestalt der Logos dieser Bewegung. Als Gestalt, die spricht und Rat gibt, tritt dieser Logos in die zweite übersinnliche Welt der Sprache heraus. In ihr ist er nicht mehr wirklich als Gestalt, auch das Grab des Lebens enthält nichts, was die Vermittlung zwischen Mensch und Gott vollbringen könnte. Es ist die Sprache, das geäußerte Reflektiertsein, die vergegenwärtigt werden kann und den Vermittler in der Gestalt des Geistes auferstehen lässt. Nur selbstbewusste Gestalten können eine Botschaft hinterlassen, die durch die Mitwirkung des Menschen bei der Erzeugung der in ihr 225 PhG, S. 170–171.

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in der Möglichkeit ihrer Evokation gehaltenen Gedanken zu neuer Gegenwart kommt. Christus als Gestalt und Sprache werden nicht zum Mittler, wenn nicht durch die Mitwirkung des Menschen. Die Aufnahme eines allgemeinen Inhalts in den Willen geschieht in der Befolgung eines sprachlichen Rats. Er ist wie die Sprache die Mitte, die das Bewusstsein des göttlichen Wesens mit dem Bewusstsein des wandelbaren Seins verknüpft. Das verändert beide, weil das Wesen nicht eine vom Sein abgekoppelte Existenz hat. Dieses Einzelne hat sich negativ gesetzt und einen allgemeinen Inhalt in seinen Willen aufgenommen. Es hat sich nicht als Einzelnes vernichtet, sondern im Hegelschen Sinn aufgehoben und somit in Einheit mit dem Allgemeinen gesetzt. Damit ist eine wirkliche Änderung im Bewusstsein geschehen. Das Bewusstsein wird damit zum Hegelschen Begriff, der nicht von der Wirklichkeit wegsieht, sondern von ihr her sich begreift. Das sprachlich geäußerte Reflektiertsein macht Eindrücke und Gedanken, die der Mensch im Blick auf die Welt, auf seine Mitmenschen und deren Zeugnisse in sich erweckt, für den Gesprächspartner vernehmbar, aber so, dass dieser Zuhörer auch den Eindruck, den der Sprecher von ihm hat, in den Worten vorgehalten bekommt. In solchen Äußerungen kommt sich der Hörer schon objektiv entgegen, weil er im Sprachspiegel zugleich die Auffassung des anderen über sich, den Zuhörer, mitgeteilt bekommt. In der Sprache kommt nicht nur der Sprecher zu Wort, sondern zugleich die Sache und der Angesprochene, darüber hinaus noch die Sprache selbst, die als Organon bei der Hervorbringung von Gedanken behilflich ist (W. v. Humboldt). In der Sprache kommt immer eine Mehrstrahligkeit der semantischen Relationen zur Darstellung (Humboldt, Liebrucks). Die Aufopferung der Eigenheit des Willens kann erst als sprachliche Aufhebung ihre affirmative Bedeutung entfalten. Solche Aufhebung vernichtet ihren Gegenstand nicht, sondern bewahrt ihn in einer höheren Stufe des Bewusstseins auf. Das gehört in die Bewegung des Begriffs, der über den Untergang seiner für wahr gehaltenen Gegenstände den Aufstieg in eine neue Bewusstseinsstufe bereitet. Hier führt der Aufstieg in eine weitere Bewusstseinsstufe über den Untergang der ihr vorausgehenden, die sich aber durch ihren Untergang zum Grund der nächsten Bewusstseinsstufe gemacht hat. So geht auch sie nicht verloren, sondern trägt dazu bei, dass das Bewusstsein mit neuen Gegenständen seine Erfahrungen machen kann. Hier entwickelt sich das unglückliche Bewusstsein aus seiner Selbstauffassung als eines Gott gegenüber unwesentlichen Bewusstseins heraus zu einem Bewusstsein hin, dem die des Unterschieds eingedenk bleibende Einheit mit dem allgemeinen Wesen durch den Rat des Mittlers geworden ist.

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Damit ist es zum Begriff geworden, der ihm aber als Erkenntnis seines Verhältnisses zum Unwandelbaren noch verborgen ist. Der Begriff blickt als Vernunft auf eine Welt, die ihm ein sprachliches Antlitz zeigt und damit physiognomischen Charakter hat. Solche Welt wird als an ihr selbst vernünftig erfahren; aber erst der Mensch breitet sein Inneres als Weltumgang vor einem anderen in Form eines physiognomischen Bildes, dann aber als sprechende Gestalt aus. Steht ein Mensch einem Menschen gegenüber, der sein Reflektiertsein in Gedanken und Eindrücken äußert und über diese zweite übersinnliche Welt für sich und andere vernehmbar macht, geben beide ihr Inneres preis. Im Austausch von Gedanken und Gefühlen ist das „Dasein des Geistes“226 erreicht. Jedes Wort muss so empfangen wie gesetzt werden, um eine Bedeutung für das Bewusstsein zu haben. Im Rat der göttlichen Gestalt erhebt sich das Bewusstsein nicht nur zu einem fremden Gedanken, sondern bringt ihn bis in die eigene Existenz herunter, weil das sprachliche Empfangen „nur als Tun des Einzelnen überhaupt Tun ist“.227 Die Aufopferung der Eigenart des Willens geschieht schon im Aufnehmen des allgemeinen Inhalts in Form eines Rats oder Gebots. Das Bewusstsein verliert sich in diesem Opfer nicht, weil es nicht nur einen fremden Gedanken aufnimmt, sondern ihn sich aneignet und sich darin als Begriff betätigt. Der Begriff hält die Spannung zwischen dem allgemeinen Gedanken und seiner Individualisierung aus. Es ist bei diesem Allgemeinen der Unbestimmtheitshof, der zu immer weiteren Ausformungen durch individuelle Antworten anregt. Das ist das „Dasein des Geistes“, welcher in der Sprache zu Hause ist. Dieses Haus betritt nur der, der es zugleich errichtet. In diesem Heraussetzen der Sprache empfangen wir uns zugleich als ihre Bewohner, weil in Abwandlung des Sophokleischen κοὐδὲν τούτων ὅ τι μὴ Ζεύς nichts ist, wenn nicht durch Sprache. Als Begriff wird das unglückliche Bewusstsein nicht nur vom allgemeinen Wesen berührt, sondern durchdrungen. Als wirkliches Bewusstsein reflektiert es sein Ergriffensein vom Allgemeinen und stellt es im Sprachlaut vor sich hin; dabei wird es vom Sprachlaut nicht nur durchzittert, sondern befestigt mit seiner Hilfe die aus der Erfahrung geschöpften Gedanken, deren Reichweite die Grenzen seines Erfahrungsraums definieren. Das unglückliche Bewusstsein bleibt in der Achtsamkeit auf den Mittler und dessen Rat gespalten, worin sein Unglück besteht. Es kann im Mittler und dem, was er sagt, nicht die eigene Gegenwart der Einheit von Empfangen und 226 PhG, S. 458. 227 PhG, S. 171.

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Setzen denken und verlegt die Einheit aus dem Diesseits von Raum und Zeit in ein Jenseits. Sein Blick im Diesseits auf den Unwandelbaren erreicht nicht die Einheit mit ihm, sondern reflektiert an ihm das eigene ärmliche Tun, das sich aber im Jenseits in das Glück einer Vereinigung mit ihm verkehrt. Im Diesseits verhilft ihm der Blick auf den Unwandelbaren nur zur Gegenwart des eigenen ärmlichen Tuns, das seine affirmative Bedeutung erst in einem Jenseits findet. Nicht für es, sondern „nur an sich [ist] sein Unglück das verkehrte, nämlich sich in seinem Tun selbstbefriedigendes Tun, oder seliger Genuß, sein ärmliches Tun ebenso an sich das Verkehrte, nämlich absolutes Tun“.228 Solange das unglückliche Bewusstsein in der Aufnahme des ihm sprachlich begegnenden Unwandelbaren nicht auch das Glück erfährt, sich dazu empfänglich gemacht zu haben, in diesem Anderen zugleich sich selbst zu erblicken, findet es sich in der ihm gewordenen Gestalt des Unwandelbaren nur in seiner ärmlichen Existenz gespiegelt vor. Es sieht sich als unreines Haus des Unwandelbaren. Das Bewußtsein erfährt noch nicht, daß das Unwandelbare als der Unwandelbare die Wahrheit ist. Es erfährt nicht den Christus, der als dieser einzelne da die Wahrheit ist. Das unglückliche Bewußsein ist zwar diese Einheit, ‚es ist die Einheit des reinen Denkens und der Einzelheit‘ (PhG. S. 163). Es erfährt den Christus nicht, obwohl es ihn als diese Einheit weiß, ‚es ist auch für es diese denkende Einzelheit oder das reine Denken, und das Unwandelbare wesentlich selbst als Einzelheit. Aber es ist nicht für es, daß dieser sein Gegenstand, das Unwandelbare, welches ihm wesentlich die Gestalt der Einzelheit hat, es selbst ist, es selbst, das Einzelheit des Bewußtseins ist‘. (PhG. S. 163) Es ist nicht für es, daß es selbst Christ ist.229 Das unglückliche Bewusstsein hat an sich die volle Sprachlichkeit seines Weltumgangs erreicht; es hat den Platonismus hinter sich gelassen, der die Einheit von Allgemeinem und veränderlichem Sein nicht fassen kann; es hat die volle Sprachlichkeit seines Weltumgangs erreicht, indem es das Allgemeine in sich fühlte; darüber hinaus steht ihm das Unwandelbare in der Gestalt des Unwandelbaren vor Augen; dann aber hat der Unwandelbare sein Inneres ihm gegenüber durch einen Rat preisgegeben und das unglückliche Bewusstsein hat diese sprachliche Äußerung vernommen; wenn es den in der Sprache des 228 Ebd. 229 SuB, Bd. 5, S. 105.

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Rats in der Möglichkeit seiner Evokation gehaltenen Gedanken in sich erweckt, ist es bei seiner Hervorbringung Mitschöpfer, weil Gedanken nur so weit eine Bedeutung für es haben können, als sie ontologisch relevant sind, also wirkliche Erfahrung nicht überfliegen. Alles das hat das unglückliche Bewusstsein erreicht und erntet doch nicht die Frucht der Erkenntnis seines Verhältnisses zu dem Unwandelbaren. Der Grund dafür ist, dass es einem Vorstellungsdenken verhaftet bleibt, dem die Einheit von Allgemeinem und Einzelnem vor Augen steht, sich aber darin nicht auch selbst anschauen kann. Die Vorstellung des räumlichen Außereinanderseins verhindert die Gegenwart einer Einheit mit dem Anderen. Es muss deshalb seine Vereinigung mit dem Unwandelbaren in ein Jenseits verschieben, weil erst dort die Veränderung des Bewusstseins stattgefunden hat, die eine solche Einheit ermöglicht. Diese Veränderung ist aber schon im Diesseits angesagt: Es ist der Schritt aus dem Vorstellungsdenken in das Denken selbst. Damit ist es ausgesprochen: Das unglückliche Bewusstsein „verhält […] sich zu diesem seinem Gegenstand nicht denkend“.230 Obwohl ihm Christus als Gestalt, die zu ihm spricht, begegnet, bleibt es auch im Denken der mitgeteilten Gedanken dem Vorstellungsdenken verhaftet, das Gedanken bei deren Hervorbringung nur zu empfangen meint. Der geistige Rang des so ärmlich daherkommenden unglücklichen Bewusstseins besteht darin, dass es sich durch seine Erniedrigung zum Gefäß des Unwandelbaren gemacht hat, zu einem Unwandelbaren jedoch, der ebenfalls als Diener des Menschen erschienen ist. Seine negative Beziehung auf sich hat ihm die Augen auf eine Welt geöffnet, deren einzelne Gestalten nicht vom Allgemeinen abgetrennt erscheinen. Durch die Hingabe seines Selbst an das Göttliche in dieser Welt hat es sich zur Achtsamkeit ihr gegenüber erzogen. Es ist vielleicht das am weitesten von der stultitia eines Herrschaftsdenkens entfernte Bewusstsein. Es hat allen Stolz abgelegt und wird so zum Wegbereiter einer Vernunft, die in allem, was ihr begegnet, das Vernünftige hervorzuholen sich anschickt. Im Unterschied zum unglücklichen Bewusstsein ist sich die Vernunft gewiss, dass sie sich in dieser Welt zugleich selbst zum Gegenstand hat. Aber auch sie muss noch zur Erkenntnis kommen, dass ohne sprachliche Darstellung weder Mensch noch Welt eine Existenz haben, und dass in der Darstellung dieses Verhältnisses sowohl die Welt wie er selbst als auch die Sprache mitwirken.

230 SuB, Bd. 5, S. 105.

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Schmitt

Literatur Hegel, G.W.F., Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften 1830, Hamburg 1959. Hegel, G.W.F., Phänomenologie des Geistes, Hamburg 1952. Hegel, G.W.F., Wissenschaft der Logik, 2. Teil, Hamburg 1966. Hölderlin, Friedrich, Der Tod des Empedokles (Erste Fassung), in: Beissner, Friedrich (Hrsg.), Große Stuttgarter Ausgabe, Bd. 4, Stuttgart 1961. Hölderlin, Friedrich, Vom Abgrund nemlich  …, in: Beissner, Friedrich (Hrsg.), Große Stuttgarter Ausgabe, Bd. 2.1, Stuttgart 1951. Hölderlin, Friedrich, Wie wenn am Feiertage …, in: Beissner, Friedrich (Hrsg.), Große Stuttgarter Ausgabe, Bd. 2.1, Stuttgart 1951. Humboldt, Wilhelm v., Verschiedenheit des menschlichen Sprachbaues (Akademieausgabe), Berlin 1908. Kafka, Franz, In der Strafkolonie, Frankfurt 1973. Liebrucks, Bruno, Sprache und Bewußtsein, Bd. 1–7, Frankfurt am Main 1964 ff. Liebrucks, Bruno, Platons Entwicklung zur Dialektik, Frankfurt am Main 1949. Platon, Sophistes. Schmitt, Werner, Die logische Spannweite von Hamanns Satz: „Vernunft ist Sprache“, in: Scheer, Brigitte und Wohlfart, Günter (Hrsg.), Dimensionen der Sprache in der Philosophie des deutschen Idealismus, Würzburg 1982. Schmitt, Werner, Der hegelsche Begriff der „entäußerten Reflexion“ als Leitfaden des wissenschaftlichen Weltumgangs und der logische Status des Geldes, in: Perspektiven der Philosophie. Neues Jahrbuch 2020, Band 46. Sophokles, Die Trachinierinnen, Wiesbaden-Berlin o.J.

Die Erfahrung der Todesangst als die Erscheinung Gottes im Menschen Paul Cobben 1 Einleitung Wahre Erkenntnis lässt sich für Hegel nur als absolute Erkenntnis, als Erkenntnis des Dinges an sich verstehen.1 In diesem Sinne ist wahre Erkenntnis nur für Gott zugänglich, d.h. für ein Wesen, das, wie Kant es nennt, über intellektuelle Anschauung verfügt: ein Wesen, das sich fortwährend schöpferisch zu seinem Gegenstand verhält, so dass diesem Gegenstand keinerlei Fremdheit mehr zukommt. Weil der Mensch nicht zu göttlicher Schöpfung imstande ist, dürfte er nun auch nicht zu wahrer Erkenntnis fähig sein. Für den Menschen ist der Gegenstand ein sinnlich Vorgefundenes. Das endliche Erkennen des Menschen vermag Kant zufolge nicht auf das Ding an sich zu gehen, denn es ist ein Erkennen, das auf die sinnliche Wahrnehmung angewiesen bleibt. Daraus wäre nicht nur die Schlussfolgerung zu ziehen, dass der Mensch nicht zur wahren Erkenntnis imstande ist, sondern auch, dass der Mensch nicht frei ist. Ein freies Verhältnis zum Gegenstand, die Offenheit zum Gegenstand als Gegenstand ist nach dem Gesagten ausgeschlossen. Wahre Erkenntnis und wahre Freiheit ließen sich für den Menschen nur retten, wenn auf irgendeine Weise geklärt werden könnte, dass die sinnliche Welt, zu der er sich verhält, den Zugang zum göttlichen Wesen ermöglicht. Wenn die sinnlich vorgefundene Welt z.B. als die Inkarnation des göttlichen Wesens verstanden werden könnte, könnte das sinnlich vermittelte Erkennen möglicherweise trotz seiner endlichen Verfasstheit zu wahrer Erkenntnis gelangen. Die These, dass die Natur die Inkarnation Gottes ist, scheint jedoch eher ein Dogma des christlichen Glaubens zu sein als der Ausgangspunkt, auf den die Vernunft sich stützen könnte. Wenn die Vernunft sich auf diese These berufen wollte, dann brauchte sie einen vernünftigen Grund.2 Das Projekt

1 „[D]as Absolute [ist] allein wahr, oder das Wahre allein absolut“. (Hegel, Georg Wilhelm Friedrich, Phänomenologie des Geistes, Hamburg 1999, S. 54) 2 Spinozas deus sive natura verlangt nach einer philosophischen Begründung.

© Paul Cobben, 2023 | doi:10.1163/9789004679399_006

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der Phänomenologie des Geistes lässt sich als Versuch verstehen, diesen vernünftigen Grund zu entwickeln. 2

Der Mensch als Knecht

Wenn Hegel den als körperlichen Geist verstandenen Menschen als Knecht bezeichnet, der dem reinen Geist (Gott, dem Herrn) dient, dann lässt sich dies nur als ein wesentliches Verhältnis verstehen, wenn der Herr, dem gedient wird, das Wesen des Menschen ist. Der Mensch als Knecht ist deshalb der Mensch als Christus, das Naturwesen, in dem Gott sich inkarniert hat. Der Knecht dient seinem Herrn, weil er als reines Selbst einen göttlichen Funken in sich trägt. In seinem Dienst gegenüber dem reinen Herrn dient er seinem eigenen reinen Wesen. Die Inkarnation Gottes in der Natur wird deshalb im Herr-Knecht-Verhältnis expliziert. Zugleich wird das Herr-Knecht-Verhältnis als das notwendige Durchdenken der Grundform des natürlichen Bewusstseins eingeführt, nämlich der subjektiven Gewissheit der sinnlichen Anschauung. Dieses Bewusstsein ist unmittelbar auf die sinnlich vorgefundene Natur bezogen und meint, in diesem Verhältnis unmittelbar beim Absoluten zu sein. Dieses Bewusstsein ist ein reines Selbst, das meint, als tabula rasa unmittelbar bei der absoluten Natur, bei Gott zu sein. In diesem Sinne bringt dieses natürliche Bewusstsein dogmatisch (d.h. subjektiv gesetzt) die These zum Ausdruck, dass Gott sich in der Natur inkarniert hat. Die notwendige Explikation dieses Verhältnisses führt zur Schlussfolgerung, dass die Natur als lebendige Natur verstanden werden muss, denn die lebendige Natur hat das reine Selbst zu ihrem Wesen. Das als reines Selbst verstandene Bewusstsein begegnet in seinem Verhältnis zur Natur seinem eigenen Wesen und hat sich damit zum Selbstbewusstsein entwickelt.3 3 Das natürliche Bewusstsein hat zunächst die subjektive Gewissheit, dass es in der unmittelbaren Beziehung zur sinnlich gegebenen Wirklichkeit unmittelbar bei dem Absoluten (bei Gott) ist. Diese Gewissheit lässt sich jedoch nicht zur Wahrheit führen. Die verborgene Voraussetzung der sinnlichen Gewissheit ist jedoch, dass sie situiert ist. Das Bewusstsein kann sich nur auf die Natur beziehen, weil es körperlich ist: Es kann sich nicht auf die sinnliche Realität überhaupt beziehen, sondern tut dies immer bedingt, d.h. von der besonderen Position seines Körpers aus. In der zweiten Form des natürlichen Bewusstseins (Wahrnehmung) ist diese verborgene Voraussetzung in der neuen subjektiven Gewissheit aufgenommen: in der aufgehobenen Einzelheit (oder: in der aufgehobenen Situiertheit). Auch die Wahrnehmung kann ihre Gewissheit nicht zur Wahrheit führen. Die aufgehobene Einzelheit ist eine abstrakte Allgemeinheit, die als unmittelbare Aufhebung der Einzelheit an diese Einzelheit gebunden bleibt. Auf der einen Seite ist die Einzelheit ausgeschlossen (die

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aufgehobene Einzelheit ist dann das Eins, die Eigenschaft als reine Bestimmtheit, die andere Bestimmtheiten ausschließt); auf der anderen Seite ist die Einzelheit eingeschlossen (die aufgehobene Einzelheit ist dann das Auch, die Eigenschaft als die situierte Bestimmtheit, die andere Bestimmtheiten einschließt). Die mehrdeutige Bestimmung der aufgehobenen Einzelheit drückt aus, dass die kontingente Wirklichkeit noch nicht ausreichend von der absoluten, göttlichen Wirklichkeit unterschieden ist. Die stillschweigende Voraussetzung der Wahrnehmung ist, dass die Eigenschaft an die gegebene sinnliche Wirklichkeit gebunden bleibt. In der subjektiven Gewissheit des Verstandes, der dritten Form des natürlichen Bewusstseins, wird die verborgene Voraussetzung der Wahrnehmung aufgehoben. Die Gewissheit des Verstandes ist der reine Begriff, die reine Form des Gesetzes, in der das Eins und das Auch zur reinen Einheit gekommen sind. Der reine Begriff ist die reine Einheit des Moments der Allgemeinheit und Besonderheit. Der reine Begriff ist das reine (exklusive) Eins, das auf reine Weise das reine Moment der Besonderheit (die Bestimmtheit) in sich umfasst. Die subjektive Gewissheit des Verstandes hat sich von der kontingenten Wirklichkeit gelöst und bezieht sich auf sie als äußere Wirklichkeit. Der Versuch des Verstandes, seine Gewissheit zur Wahrheit zu bringen, gliedert sich in das, was Hegel die erste und zweite Wahrheit des Verstandes nennt. Auf der Ebene der ersten Wahrheit versucht der Verstand, die gegebene Welt der Erscheinung unmittelbar als Ausdruck des reinen Begriffes zu setzen: Der Verstand vollzieht die kopernikanische Wende und will beweisen, dass seine Gesetzeshypothese das Wesen der Erscheinungswirklichkeit ist. Für diesen Beweis muss sich der Verstand jedoch auf ein kontingentes experimentelles Setting berufen. Das Gesetz, das zur Wahrheit geführt wird, ist immer ein bestimmtes Gesetz, dem kontingente Bedingungen unterliegen. Der Verstand kann im Prinzip die vielen Gesetze, die er aufstellt, nicht auf ein reines Gesetz reduzieren: denn auch das sollte wiederum experimentell geprüft werden. Die verborgene Voraussetzung der ersten Wahrheit des Verstandes ist daher die Selbständigkeit der kontingenten Wirklichkeit. Auf der Ebene der zweiten Wahrheit des Verstandes nimmt der Verstand die Selbständigkeit der kontingenten Welt an und versucht, die Wahrheit dieser Welt herauszufinden. Wenn man von einer realen Welt mit vielen Gesetzen ausgeht, ist die Frage, ob sich daraus ein reines Gesetz ableiten lässt. Die Bestimmungen der wirklichen Gesetze sind keine reinen, sondern kontingente Bestimmungen. Die Allgemeinheit des Gesetzes, das diese kontingenten Bestimmungen vereint, ist daher eine abstrakte Allgemeinheit, die den kontingenten Bestimmungen äußerlich bleibt. (Es ist kontingent, dass die Kraft der Elektrizität in positive und negative Elektrizität zerfällt; es ist kontingent, dass Zeit und Raum in der Gravitationskraft verbunden sind.) Die kontingenten Gesetze sind also gekennzeichnet durch das Ungleichwerden des Gleichen und das Gleichwerden des Ungleichen, d.h. durch permanente Kontingenz. Wenn die zweite Wahrheit des Verstandes die Wahrheit eines reinen Gesetzes sein muss (wenn die bleibende Unterscheidung eine innere Einheit hat), dann stellt dieses reine Gesetz die verborgene Voraussetzung der zweiten Wahrheit des Verstandes dar. Die Gewissheit des Verstandes kann nur zur Wahrheit gebracht werden, wenn beide Wahrheiten des Verstandes in Einheit verstanden werden können. Das scheint unmöglich, denn es bedeutet, dass der Verstand sich auf eine gegebene Wirklichkeit beziehen muss, die sowohl kontingent als auch rein ist. Hegel glaubt, dass dieses Problem gelöst werden kann, wenn sich der Verstand auf die lebendige Natur bezieht. In der Beziehung zur Natur als Leben würde sich der Verstand auf sich selbst beziehen und zum Verhältnis von Ich = Ich übergehen. Als das reine Selbst, das sich auf eine kontingente Welt bezieht, würde sich der

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Die Explikation des zum Selbstbewusstsein entwickelten natürlichen Bewusstseins muss sich darüber bewusst sein, dass sich dieses Selbstbewusstsein auf doppelte Weise zur Natur verhält. Einerseits verhält es sich auf symmetrische Weise zur Natur, als ein reines Selbst, das sich zum reinen Selbst verhält. In diesem Verhältnis der reinen Anerkennung scheint das Selbstbewusstsein keine Andersheit an sich zu haben; es scheint beim Absoluten, bei Gott zu sein.4 Andererseits verhält es sich zur erscheinenden Natur, zur Natur, Verstand in der Natur als Leben auf ein reines Selbst beziehen, das sich auf eine kontingente Welt bezieht und damit auf sich selbst beziehen. Der Lebensbegriff, der hier eine Rolle spielt, wird tatsächlich erst im nächsten Kapitel, dem Selbstbewusstsein, erklärt. Um jedoch den Übergang vom Verstand zum Ich = Ich vollziehen zu können, müssen wir vor Augen haben, wie Hegel das Leben entwickelt. Die unbelebte Natur versteht Hegel als Kräftespiel, bei dem Naturkräfte aufeinander reagieren. Diese Naturkräfte haben ein Selbst, das nicht zur Natur selbst gehört, sondern durch das Bewusstsein des Verstandes eingefügt wird (vgl. die kopernikanische Wende). Das ändert sich, wenn die Natur als lebendige Natur betrachtet wird, als ein Kräftespiel zwischen lebenden Organismen. In seinem Streben nach Selbsterhaltung hat der Organismus sein eigenes Selbst, das nicht von außen eingesetzt werden muss. Dieses Kräftespiel bleibt jedoch eine kontingente Wirklichkeit, ein Kampf auf Leben und Tod, in dem letztlich alle zugrunde gehen. Wenn das Leben jedoch nicht auf der Ebene des einzelnen Exemplars, sondern auf der Ebene der Art betrachtet wird, erscheint ein Selbst, das den Tod überwunden hat. Das allgemeine Leben der Art wird durch die geschlechtlichen Exemplare dieser Art bestimmt. Durch ihre Vereinigung erzeugen die geschlechtlichen Exemplare ein neues Exemplar, das somit explizit als Artwesen bezeichnet wird. Die Reproduktion der lebendigen Art kann somit als ein Prozess verstanden werden, in dem die Momente des Begriffs sich praktisch vollziehen. Bei der Fortpflanzung der Art wird das allgemeine Moment der Art mit dem besonderen Moment des zu dieser Art gehörenden Individuums zusammengeschlossen. Die Fortpflanzung der vielen Arten ist die praktische Vollziehung vieler Gesetze. Während der Tod des Individuums auf der Ebene der Art überwunden wird, bleibt jedoch die Existenz der Art etwas Kontingentes, d.h. gebunden an die praktische Fortpflanzung der Art. Erst im Verständnis des Lebens als Leben, d.h. im Selbstverständnis des reinen Gesetzes, das sich in den vielen Arten manifestiert und aus ihnen zu sich selbst zurückgekehrt ist, wird diese Kontingenz aufgehoben. In diesem Selbstverständnis des reinen Gesetzes kann der Verstand seine subjektive Gewissheit erkennen und sie so zur Wahrheit führen. 4 Dass das Selbstbewusstsein die subjektive Gewissheit der reinen Anerkennung hat, ist das Ergebnis der ersten Verhältnisform des Selbstbewusstseins, der Begierde. Als Begierde bezieht sich das Selbstbewusstsein unmittelbar auf die sinnlich gegebene Wirklichkeit und wiederholt somit selbstbewusst das Bewusstsein der sinnlichen Gewissheit (was nur möglich ist, wenn sich die sinnlich gegebene Wirklichkeit zur lebendigen Natur entwickelt hat). So wie die sinnliche Gewissheit in die Wahrnehmung übergeht, die die aufgehobene Einzelheit als ihre subjektive Gewissheit hat, so geht die Begierde in die selbstbewusste Wiederholung der Wahrnehmung über, d.h. in ein Selbstbewusstsein, das die zum Selbstbewusstsein gekommene aufgehobene Einzelheit als subjektiven Gewissheit hat: die reine Anerkennung. Schließlich ist der ständige Wechsel vom Eins ins Auch und vom Auch ins Eins im reinen Anerkennungsverhältnis zum Selbstbewusstsein gekommen.

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die in einer Vielheit lebendiger Wesen erscheint.5 Im Herr-Knecht-Verhältnis wird dieses gedoppelte Verhältnis zur Natur in einer inneren Einheit gedacht.6 Der Knecht ist zuallererst ein erscheinendes, lebendiges Wesen, das sich zu einer Vielheit anderer lebendiger Wesen verhält. Diese anderen lebendigen Wesen sind für den Knecht eine Andersheit, die er im Prinzip nicht überwinden kann. Im Verhältnis zu den anderen lebendigen Wesen ist der Knecht ein endliches Wesen, das sich zur absoluten Macht der Natur verhält: zur Natur als absolutem Herrn, dem Tode. In diesem Verhältnis erscheint die Natur folglich als ein fremder Gott, und gerade nicht als ein Gott, mit dem das Selbstbewusstsein sich vereinigt hat. Der äußere und der innere Gott werden in einer Bewegung vereinigt, die einerseits durch die Erfahrung der Todesangst und andererseits durch das Arbeitsverhältnis zur Natur gekennzeichnet wird.7 Der Knecht kann die Übermacht der Natur in der Form eines anderen körperlichen Selbst, das ihm für das Leben steht, erfahren. Die Angst, sein Leben zu verlieren, zeigt sich in einer Erfahrung, in der die Natur nicht länger 5 In der zweiten Verhältnisform des Selbstbewusstseins wird versucht, die reine Anerkennung im Kampf auf Leben und Tod um Anerkennung zur Wahrheit zu führen. Daraus ergibt sich die Erfahrung, dass die Selbständigkeit der lebendigen Natur die verborgene Voraussetzung des Selbstbewusstseins ist. 6 Im Herr-Knecht-Verhältnis wiederholt sich die dritte Form des Bewusstseins, der Verstand, in der Form des Selbstbewusstseins. So wie der Verstand seine subjektive Gewissheit (den reinen Begriff) nur verwirklichen kann, wenn die erste und zweite Wahrheit des Verstandes zur Einheit gebracht werden, so wiederholt sich diese Verwirklichung selbstbewusst auf der Ebene des Herrn-Knecht-Verhältnisses. Für den Herrn ist die gegebene Wirklichkeit unwesentlich (vergleiche die erste Wahrheit des Verstandes); für den Knecht ist die gegebene Wirklichkeit wesentlich (vergleiche die zweite Wahrheit des Verstandes). Wenn in der Entwicklung des Herr-Knecht-Verhältnisses die innere Einheit von Herr und Knecht explizit gemacht wird und der Knecht zum Selbstbewusstsein kommt, wenn er sein reines Wesen im Herrn wiedererkennt (reine Anerkennung), dann hat sich der zum Selbstbewusstsein gekommene reine Begriff (reine Anerkennung) in eine Wirklichkeit verwirklicht die als das gute Leben verstanden wird (das Leben, das zum Selbstbewusstsein gekommen ist). 7 Der Knecht ist ein Selbstbewusstsein, das immer die Gewissheit der reinen Anerkennung hat. Solange er sich als körperliches Selbst auf ein anderes Lebewesen bezieht, kann er seine Gewissheit nicht verwirklichen. Das stellte sich auf der Ebene der Begierde heraus. Doch der Knecht ist nur ein Knecht, weil er an die Natur gebunden ist. Diese Knechtschaft an die Natur nimmt Gestalt an in seiner Beziehung zum Herrn, dem Selbstbewusstsein, das die Macht der Natur überwunden hat: Denn der Herr erscheint vor dem Knecht vor allem als ein fremder Organismus, über den er keine Macht hat. Um seine subjektive Gewissheit in dieser Beziehung zu verwirklichen, muss eine Doppelbewegung ausgeführt werden. Auf der einen Seite muss der Knecht die Macht des fremden Organismus überwinden (er muss sich von seiner Knechtschaft emanzipieren und sich als Selbstbewusstsein explizit machen); auf der anderen Seite muss sich sein Objekt zu einem reinen Selbst entwickeln (denn erst dann hat sich der Knecht als reine Anerkennung verwirklicht). Die erste Bewegung beschreibt Hegel als Todesangst, die zweite als die Arbeit des Knechtes.

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als eine bestimmte Natur erscheinen kann (und damit als ein Mittel zur Bedürfnisbefriedigung), sondern nur als eine Übermacht, die den Organismus des Knechts völlig in sich zurückdrängt.8 Jede Bestimmung löst sich in ein bestimmungsloses Selbstsein auf. Das organisch verkörperte Bewusstsein des Knechts erfährt nur noch, dass es in einem Prozess existiert, in dem jede Bestimmtheit negiert wird. Für den Knecht bedeutet dies, dass er hierdurch erfährt, dass nicht sein Leib, sondern gerade sein reines Selbst wesentlich ist.9 Damit wird das reine Selbst der Herr seines Leibes und internalisiert so den äußeren Gott.10 Zugleich aber hat der Knecht im körperlichen Selbst, das ihm für das Leben steht, ein äußeres Bild seines internalisierten Gottes.11 Das andere Selbst wird so das Bild des reinen Selbst des Knechts, so dass der Knecht sich in diesem Verhältnis als reines Selbst zum reinen Selbst verhält, 8

„[S]ie [die Knechtschaft] wird als in sich zurückgedrängtes Bewusstseyn in sich gehen, und zur wahren Selbständigkeit sich umkehren“. (Hegel, Phänomenologie des Geistes, S. 114) 9 Psalm 111: 10: „Die Furcht des Herrn ist der Weisheit Anfang“. 10 So wie sich der lebende Organismus in seinem Artenleben fortpflanzt, so reproduziert der Knecht sein Artenleben, indem er einem bestimmten gesellschaftlichen Gesetz dient (das Artenleben erhält so eine selbstbewusste Form). Wenn der Knecht jedoch nur dem gesellschaftlichen Gesetz dient, dann verwirklicht er sich nicht als Selbstbewusstsein. Schließlich ist er dann an eine äußere Objektivität (die Tradition des gesellschaftlichen Gesetzes) gebunden. Der Knecht erfährt, dass er sein Selbstbewusstsein nicht verwirklicht, wenn sich die objektive Wirklichkeit gegen ihn wendet und die Erhaltung seines Lebens nicht mehr gewährleistet ist. Die Wirklichkeit des gesellschaftlichen Gesetzes scheint dann an eine stillschweigende Voraussetzung gebunden zu sein, die Macht des Todes, des absoluten Herrn. In der Erfahrung der Todesangst wird dann deutlich, dass das reine Gesetz (das reine Selbst) immer schon an dem Knecht ist (die selbstbewusste Form der Art, die durch den Tod der Individuen als Ausdruck des Lebens als Leben explizit wird). Der Knecht expliziert das reine Selbst als Herr seines Leibes. 11 Der Knecht kann nur dann als Selbstbewusstsein verstanden werden, wenn er die subjektive Gewissheit hat, dass die reine Anerkennung sein Wesen ist. Diese Gewissheit ist noch nicht entwickelt worden, wenn der Knecht das reine Selbst an sich hat. Schließlich bezieht es sich auf eine Welt, die ihre eigene Selbständigkeit hat: auf das gesellschaftliche Gesetz. Nur wenn sich der Knecht auch äußerlich auf das reine Selbst bezieht, ist er ein Selbstbewusstsein, das die reine Anerkennung verwirklicht hat. Der Knecht macht dieses Anerkennungsverhältnis zu seiner subjektiven Gewissheit, indem er die gesellschaftliche Wirklichkeit, auf die er sich bezieht, zum Bild seines reinen Selbst macht. Der Herr der realen Welt, in der das gesellschaftliche Gesetz zur Einheit kommt, tritt als Bild des inneren Wesens in Kraft. Aus einer äußeren Perspektive können wir tatsächlich feststellen, dass der gesellschaftliche Herr ein reines inneres Wesen hat. Schließlich wiederholt das gesellschaftliche Gesetz selbstbewusst das Leben der Art. So wie die Wirklichkeit der Art kontingent ist, so ist es auch das gesellschaftliche Gesetz. So wie die Art der kontingente Ausdruck des reinen Selbst des Lebens ist, so ist das gesellschaftliche Gesetz der kontingente Ausdruck des reinen Gesetzes.

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d.h. er verhält sich zu seinem inneren Gott. Wenn er diesen Gott anerkennt, indem er in seinem Dienst handelt, dann verwirklicht er dadurch nicht nur sein eigenes reines Selbst, sondern auch seinen inneren Gott: die Natur wird als die Erscheinung des reinen Selbst gesetzt (als die zweite Natur, das gute Leben).12 Wie der äußere Gott internalisiert wurde, so wird jetzt der innere Gott externalisiert. Vermittelt durch die Todesangst und die Arbeit hängen die beiden Verhältnisweisen zur Natur innerlich zusammen und widersprechen einander nicht länger. Sie kommen zur Einheit in dem natürlichen Bewusstsein in der Form des Stoizismus. In diesem Sinne ist das Herr-Knecht-Verhältnis dasjenige Modell, die Möglichkeit der Inkarnation Gottes in der Natur zu denken. Im Herr-Knecht-Verhältnis erörtert Hegel, wie sich das Verhältnis zwischen Gott und Mensch von der Außenperspektive her wesentlich ohne Widerspruch denken lässt. Der Mensch ist das endliche, körperliche Selbst, das Gott als das reine Selbst zu seinem absoluten Wesen gemacht hat. Der Widerspruch zwischen dem unendlichen und dem endlichen Selbst wird abgewendet, weil das Verhältnis zwischen beiden durch Arbeit und Todesangst vermittelt ist. Die Arbeit im Dienste des guten Lebens vermittelt zwischen dem reinen Selbst Gottes (dem absoluten Grund des guten Lebens) und dem inneren reinen Selbst des Menschen, das er im guten Leben so adäquat wie möglich verwirklichen will. Dadurch ist angedeutet, dass sich das Verhältnis zwischen Gott und Mensch als ein mögliches Verhältnis denken lässt. Im weiteren Verlauf der Phänomenologie des Geistes wird entwickelt, wie dieses Verhältnis nicht

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Indem er dem Herrn dient, drückt der Knecht praktisch aus, dass er nicht an seinen Körper gebunden ist (d.h. seine Handlungen stehen im Dienst der unmittelbaren Befriedigung), sondern ein reines Wesen hat. Er dient jedoch seinem reinen Wesen in der Form des gesellschaftlichen Gesetzes. Deshalb kann er in diesem Dienst die reine Anerkennung nicht zur Wahrheit führen. Die Arbeit verwirklicht eine historisch bedingte Form des guten Lebens, nicht die reine Freiheit. Das bedeutet jedoch, dass das gesellschaftliche Gesetz an eine verborgene Voraussetzung gebunden bleibt und sich gegen die Wirklichkeit des Knechtes wenden kann. Damit kann die Erfahrung der Todesangst neu erlebt werden und das reine Selbst kann sich die gesellschaftliche Wirklichkeit, auf die sie sich bezieht, auf neuem zum Bild machen. Dies macht jedoch nur Sinn, wenn die Macht, die das gesellschaftliche Gesetz gestört hat, in ein neues gesellschaftliches Gesetz integriert wird. Aber wenn auch das neue Gesetz kein reines Gesetz ist, wiederholt sich der Prozess der Todesangst und Selbstverwirklichung, bis der Knecht sich in der Arbeit vollständig gebildet und seine Knechtschaft an die Natur überwunden hat. Der Knecht kann dann zu der Erkenntnis kommen, dass das gesellschaftliche Gesetz ein gewisser historischer Ausdruck des reinen Selbst ist. Er kann dann verstehen, dass er, indem er dem Herrn dient, seinem eigenen reinen Wesen dient. Da erkennt sich der Knecht im Herrn.

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nur als ein wirkliches, sondern auch als ein notwendiges Verhältnis verstanden werden kann.13 3

Die historische Verwirklichung des Herr-Knecht-Verhältnisses

Auf der Ebene der Vernunft macht das natürliche Bewusstsein eine Erfahrung, in der aus der Innenperspektive (des betrachtenden Bewusstseins) entwickelt wird, was aus der Außenperspektive (auf das betrachtete Bewusstsein) – über das Bewusstseins- und das Selbstbewusstseins-Kapitel auf dem Weg zum Stoizismus – schon entwickelt war. Das natürliche Bewusstsein ist jetzt ein wirkliches, körperliches Bewusstsein, das sich zu einer objektiv vorgefundenen sinnlichen Natur verhält. Dieses Bewusstsein meint, dass es seine innerliche Gewissheit, das reine Selbst, unmittelbar in der objektiven Wirklichkeit finden kann. Dies führt zu einer Entwicklung, die schließlich in der Polis resultiert. Der Bürger der Polis ist der Knecht, der die Bestimmungen des menschlichen Gesetzes, dem er dient, als Bestimmungen seines eigenen Bewusstseins wiedererkannt hat. Dieses Verhältnis lässt sich deshalb als die unmittelbare historische Wirklichkeit des Stoizismus verstehen.14 Obwohl die Einheit von Begriff und Gegenstand auf der Ebene der Polis verwirklicht zu sein scheint, ist dieses Verhältnis doch wiederum an eine verschwiegene Voraussetzung gebunden. Der Herr, dem gedient wird, ist noch eine bestimmte historische Form des Herrn, die Freiheit der Polis ist noch eine bestimmte traditionelle Freiheit. Von der Außenperspektive her betrachtet ist das gute Leben, dem das menschliche Gesetz unterliegt, eine bestimmte historische Form der Freiheit. Im Geist-Kapitel wird diese Voraussetzung auch aus der Innenperspektive entwickelt, d.h. es wird expliziert, dass der Stoizismus des Bürgers das Resultat 13 Liebrucks, Bruno, Sprache und Bewusstsein, Band 5. Die Zweite Revolution der Denkungsart, Frankfurt am Main 1970, S. 262, bemerkt: „Die Ausführungen über die Religion und die über den absoluten Geist bringen nicht mehr wesentlich Neues. Die Religion fasst in sich alle Stufen zusammen. Sie ist die Wahrheit, die in allen bisherigen Stufen der Phänomenologie des Geistes erschienen ist“. Ohne diese Ausführungen lässt sich das Projekt jedoch nicht abschließen: erst auf dieser Ebene wird die Einheit zwischen Begriff und Gegenstand an und für sich entwickelt. 14 „Um dieser Einheit willen ist die Individualität reine Form der Substanz, die der Inhalt ist, und das Thun ist das Uebergehen aus dem Gedanken in die Wirklichkeit, nur als die Bewegung eines wesenlosen Gegensatzes, dessen Momente keinen besondern von einander verschiedenen Inhalt und Wesenheit haben“. (Hegel, Phänomenologie des Geistes, S. 253)

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einer Bewegung ist, die auf der Ebene des Herr-Knecht-Verhältnisses schon erörtert wurde. Wir haben gesehen, dass das körperliche Selbstbewusstsein Teil des guten Lebens ist und der Knecht immer schon die Todesangst erfahren haben muss, die es ihm ermöglicht, seine reine Freiheit von der objektiven Wirklichkeit, in der er lebt, zu trennen. Deswegen muss auch der Bürger der Polis die Todesangst immer schon durchlebt haben. Weil die Freiheit in der Polis noch die Form der Unmittelbarkeit hat, kann das Verhältnis zwischen dem reinen Selbst und dem guten Leben hier noch nicht als Verhältnis erscheinen, und das reine Selbst erhält eine ihm eigene institutionelle Wirklichkeit neben derjenigen des guten Lebens, nämlich als das göttliche Gesetz der Familie. In der Familie gilt das körperliche Selbstbewusstsein als ein natürliches Selbst. Wenn das natürliche Selbst stirbt, trennt es sich als reines Selbst von seinem Leib. Diese Trennung kommt hier also nicht zum Selbstbewusstsein in einem Selbst, das sich für sich von seinem Leib getrennt hat (wie in der beschriebenen Todesangst des Knechts im ursprünglichen Herr-Knecht-Verhältnis), sondern in den überlebenden Familienmitgliedern. Sie halten das reine Selbst des Gestorbenen in ihrer Erinnerung fest (nämlich als Schatten des Gestorbenen).15 Indem sie dem göttlichen Gesetz gehorchen und seine Leiche beerdigen (ihn zum Teil der Erde machen), bringen sie symbolisch zum Ausdruck, dass dieses reine Selbst sich zur natürlichen Wirklichkeit als solcher verhält. Ohne das Gesetz der Familie hat das reine Selbst keine institutionelle Wirklichkeit, deswegen hat das gute Leben ohne die Domäne der Familie auch keine Legitimität. Dies stellt sich jedoch erst heraus (wie Hegel an Sophoklesʼ Tragödie Antigone illustriert), wenn der Staat die Domäne der Familie nicht anerkennt und dadurch selbst zugrunde geht. Die Tragödie zeigt, an welche verschwiegene Voraussetzung die Freiheit der Gesellschaft gebunden ist: an die formelle Anerkennung zwischen dem göttlichen und dem menschlichen Gesetz. Auf ähnliche Weise war das ursprüngliche stoische Bewusstsein an eine aufgehobene Voraussetzung gebunden: an die formelle Anerkennung zwischen dem Knecht und dem Herrn. Zwar bietet das römische Reich der Wirklichkeit der formellen Anerkennung Raum, weil auf dieser Ebene das natürliche Bewusstsein als ein Verhältnis zwischen freien und gleichen Personen bestimmt wird.16 Aber diese Personen sind nicht imstande, dem guten Leben Gestalt zu geben. Die 15 „[S]o ist der Einzelne, wie er nicht Bürger ist, und der Familie angehört, nur der Unwirkliche marklose Schatten“. (Hegel, Phänomenologie des Geistes, S. 244) 16 „[D]ieser gestorbene Geist ist eine Gleichheit, worin Alle als Jede, als Personen gelten“. (Hegel, Phänomenologie des Geistes, S. 260)

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Personen verwirklichen sich jede für sich im Eigentum, verfügen aber nicht über eine geteilte Tradition, die die Qualität und die Verteilung dieses Eigentums normiert. Die Wirklichkeit der Gesellschaft ist damit von zufälligen Machtumständen abhängig und wird durch einen Mangel an Legitimität früher oder später untergehen. Die Wirklichkeit der politischen Ordnung kann ihre Legitimität nicht ihrer faktischen Existenz entlehnen, sondern muss sie in einem Kriterium gründen, das diese Ordnung transzendiert und durch alle Bürger geteilt wird. Auf der Ebene des Herr-Knecht-Verhältnisses sind wir diesem transzendenten Kriterium bereits begegnet: in Gestalt des reinen Herrn, der der Wirklichkeit des guten Lebens unterliegt. Wenn die verschwiegene Voraussetzung des römischen Reichs in der neuen Form des natürlichen Bewusstseins aufgenommen wird, dann geht dieses in die Person über, die die subjektive Gewissheit hat, dass ihr freies Wesen ein transzendentes Wesen ist: die reine Freiheit (der reine Herr), die sie als ein jenseits situiertes, unwandelbares Wesen vorstellt. Das natürliche Bewusstsein wird damit als die Wirklichkeit des unglücklichen Bewusstseins verstanden.17 Es ist jetzt der historische Mensch, der sich als Inkarnation Gottes weiß. Die Welt des Mittelalters deutet Hegel als jene Welt, in der das unglückliche Bewusstsein seine Gewissheit zur Wahrheit führen will. Dieses unglückliche Bewusstsein repräsentiert den Menschen, der den Himmel auf Erden verwirklichen will; er will durch seine Bildungsarbeit (in der sowohl seine eigene Natur als auch die objektive Wirklichkeit gebildet werden) seinen transzendenten Gott (das unwandelbare Wesen) in einen Gott transformieren, der in der Welt erscheint.18 Weil dieser Gott die Vorstellung seines eigenen reinen Selbst ist, bedeutet dies zugleich, dass diese Welt als Ausdruck seiner eigenen reinen Freiheit verstanden werden muss.19 Das unglückliche Bewusstsein ist erfolgreich, wenn es ihm gelingt, eine Wirklichkeit zustande zu bringen, die Hegel anhand der historischen Wirklichkeit der französischen Revolution illustriert. Der Bürger der französischen Revolution ist ein wirkliches Selbst (der Knecht), das eine Bildung durchlaufen

17 „[W]ir sahen früher die stoische Selbständigkeit des reinen Denkens, durch den Skep­ ticismus hindurch gehen und in dem unglücklichen Bewusstseyn ihre Wahrheit finden […]. [S]o ist hier ihre wirkliche Wahrheit eingetreten“. (Hegel, Phänomenologie des Geistes, S. 263) 18 „Beyde Welten sind versöhnt, und der Himmel auf die Erde herunter verpflanzt“. (Hegel, Phänomenologie des Geistes, S. 316) 19 „[D]ie neue Gestalt des Bewusstseyns, die absolute Freyheit“. (Hegel, Phänomenologie des Geistes, S. 316)

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hat (es hat reine Einsicht20 in die natürliche Wirklichkeit erworben) und sich zum wirklichen Selbst entwickelt hat, das sich in seinem Herrn (der institutionellen Ordnung) wiedererkennt. Im Bürger der französischen Revolution ist der Schatten der Unterwelt zu einem wirklichen Selbst geworden, das sich als der Herr des Gesetzes der Gesellschaft versteht.21 Der Knecht, der sich vermittelt durch die Arbeit im Herrn wiedererkannte, hat sich dadurch historisch verwirklicht.22 Trotzdem hat der Bürger der Französischen Revolution das Herr-KnechtVerhältnis noch immer nicht adäquat realisiert. Die Erkenntnis, dass das Gesetz der Gesellschaft immer eine bestimmte Verwirklichungsform des reinen Herrn ist (als dem transzendenten absoluten Wesen), fehlt noch. Hegel illustriert dies, wenn er eine Auslegung des Terrors gibt, der auf die Französische Revolution folgte.23 Sobald das Gesetz der Gesellschaft positiv verwirklicht ist, steht es nicht nur der reinen Freiheit des Bürgers, der dieses Gesetz bestimmt hat, sondern auch der reinen Freiheit aller Bürger gegenüber. Die Bestimmung des Gesetzes der Gesellschaft führt deswegen zu einem Kampf aller gegen alle. Gerade dadurch kommt die stillschweigende Voraussetzung der französischen Revolution ans Licht: das Gesetz der Gesellschaft hat nur Legitimität, wenn dieses für alle als die historische Verwirklichungsform des reinen Herrn, des Faktums der Vernunft, das alle teilen, erscheint. Diese Voraussetzung wird in der neuen Form des natürlichen Bewusstseins aufgenommen: in der moralischen Weltanschauung, in der Hegel Kants praktische Philosophie durchdenkt.24 Auf der Ebene der moralischen Weltanschauung ist der reine Herr das transzendente Wesen des wirklichen Selbst. Dieses Wesen ist jetzt jedoch nicht länger ein abstraktes Wesen jenseits der Wirklichkeit, sondern ein Wesen, das das wirkliche Selbst in einem gesetzmäßigen Handeln zu verwirklichen 20 „Diese reine Einsicht ist also der Geist, der allem Bewusstseyn zurufft: seyd für euch selbst, was ihr Alle an euch selbst seyd, – vernünftig“. (Hegel, Phänomenologie des Geistes, S. 292) 21 „[D]ie Welt ist ihm schlechthin sein Willen, und dieser ist allgemeiner Willen“. (Hegel, Phänomenologie des Geistes, S. 317) 22 Der Widerspruch zwischen dem menschlichen und dem göttlichen Gesetz, der auf der Ebene der formellen Person des Römischen Rechts aufgehoben wird, wiederholt sich auf selbstbewusste Weise als der Widerspruch zwischen Aufklärung und Glaube, der in der absoluten Freiheit des Subjekts aufgehoben wird. 23 „Kein positives Werk noch That kann also die allgemeine Freyheit hervorbringen; es bleibt ihr nur das negative Thun; sie ist nur die Furie des Verschwindens“. (Hegel, Phänomenologie des Geistes, S. 319) 24 „Die moralische Weltanschauung […] ist, um einen kantischen Ausdruck hier, wo er am passendsten ist, zu gebrauchen, ein ganzes Nest gedankenloser Widersprüche“. (Hegel, Phänomenologie des Geistes, S. 332)

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sucht. Nur das gesetzmäßige Handeln, das dem Anspruch des kategorischen Imperativs genügt, lässt sich als die Verwirklichung des Wesens verstehen: das Handeln muss eine reine (universelle) Gesetzesform haben. Hegel aber behauptet, dass der Anspruch des kategorischen Imperativs niemals erfüllt werden kann. Das Handeln in Übereinstimmung mit der reinen Gesetzesform muss schließlich von einem wirklichen Selbst vollzogen werden. Weil das wirkliche Selbst (als lebendiges Selbst) immer auch bestimmte Interessen hat, lässt sich niemals ausschließen, dass, wenn es in seinem Handeln den kategorischen Imperativ zu verwirklichen prätendiert, es eigentlich einem besonderen Interesse dient. Dass das wirkliche Selbst seinem besonderen Interesse nicht dient, könnte erst deutlich werden, wenn dieses Selbst sein Leben dem reinen Herrn geopfert hat. Wenn es aber sein Leben geopfert hat, ist es nicht länger zu irgendeinem Handeln imstande. Hier kehrt die Problematik des unglücklichen Bewusstseins wieder, das ohne Vermittlung nicht dazu in der Lage ist, die Einheit mit dem göttlichen Wesen zu bewirken. In der neuen Form des natürlichen Bewusstseins, dem Gewissen, wird diese stillschweigende Voraussetzung aufgenommen. Die Vermittlung bekommt hierin Gestalt als die subjektive Gewissheit, dass die Wirklichkeit, zu der das natürliche Bewusstsein sich verhält, immer schon als das gute Leben verstanden werden muss, d.h. als bestimmte Verwirklichungsform der reinen Freiheit. Anders als das Subjekt des kategorischen Imperativs braucht das Subjekt des Gewissens sich nicht die Frage zu stellen, welche Handlung es verrichten muss, um seine Freiheit zu verwirklichen. Denn es hat die Gewissheit, dass es sich zu einer Wirklichkeit verhält, die immer schon der Bildung zum guten Leben unterworfen war.25 Um diese Gewissheit in Wahrheit zu überführen, prüft das Gewissen, wie das Handeln, das dieser Wirklichkeit unterliegt, tatsächlich als ein freies Handeln verstanden werden kann. Weil das gute Leben von vielen freien Subjekten zustande gebracht wird, führt dies am Ende zu der Frage, unter welcher Voraussetzung die positive Bestimmung des guten Lebens für alle Legitimität haben kann. Die stillschweigende Voraussetzung, die dies ermöglicht, wurde von der Außenperspektive her betrachtet schon auf der Ebene des Herr-Knecht-Verhältnisses formuliert: das gute Leben muss sich verstehen lassen als Ausdruck des reinen Herrn, d.h. als Ausdruck von Gott, dem absoluten Wesen. Wenn diese Voraussetzung in der neuen Form des natürlichen Bewusstseins aufgenommen wird, ist das Herr-Knecht-Verhältnis 25 „Als Gewissen erst hat es in seiner Selbstgewißheit den Inhalt für die vorhin leere Pflicht so wie für das leere Recht und den leeren allgemeinen Willen; und weil diese Selbstgewißheit ebenso das unmittelbare ist, das Daseyn selbst“. (Hegel, Phänomenologie des Geistes, S. 342)

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auch von der Innenperspektive her verwirklicht und damit als ein wirkliches Verhältnis gedacht.26 4

Die Kehrseite der historischen Entwicklung: die Erfahrung der Todesangst als die Inkarnation Gottes

Obwohl die historische Wirklichkeit des Herr-Knecht-Verhältnisses hier als ein Durchdenken der Freiheitsbestrebung der Französischen Revolution entwickelt worden ist, ist zugleich klar, dass sich die Verwirklichung der Freiheit nicht einseitig als ein historischer Prozess verstehen lässt. Die Objektivität des guten Lebens, die nicht in einem absoluten Grund (dem reinen Herrn) fundiert ist, hat keine Legitimität und deswegen keine beständige Existenz. Die Einheit von Begriff und Gegenstand (von Freiheit und Wirklichkeit) lässt sich erst als die Verwirklichung des Absoluten verstehen, wenn die Einheit von Begriff und Gegenstand nicht nur vom Begriff aus, sondern auch vom Gegenstande aus zustande gebracht wird. Die erste Bewegung kann als die Erhebung des Menschen zu Gott verstanden werden: der Mensch verwirklicht sich als absolutes Wesen, indem er seine Freiheit verwirklicht. Die zweite Bewegung kann als die Manifestation Gottes im Menschen verstanden werden. Erst dadurch kann das Projekt der Phänomenologie des Geistes abgeschlossen und das Herr-Knecht-Verhältnis als ein absolutes Verhältnis gedacht werden. Dieser letzte Schritt wird in den zwei letzten Kapiteln dieses Werkes gemacht: in der Religion und im absoluten Wissen. Der Mensch kann seine Einheit mit Gott nicht ohne Gottes Vermittlung zustande bringen. In ihrer elementarsten Form wird diese Vermittlung schon auf der Ebene des Herr-Knecht-Verhältnisses erörtert, nämlich als die Todesangst des Knechts. Diese Vermittlung wird aus der Innenperspektive erst klar, wenn das absolute Wesen explizit als ein reines Selbst, das sich in der Welt manifestiert, vorgestellt wird. Diese Vorstellungsweise ist erst möglich, wenn das Selbst auch in der wirklichen Welt die Erfahrung gemacht hat, dass das reine Selbst das Wesen der Wirklichkeit ist.27 Wir haben gesehen, dass dies zur Zeit der französischen Revolution der Fall war. Daraus lässt sich die 26 „Das Wort der Versöhnung ist der daseyende Geist, der das reine Wissen seiner selbst […] als der absolut in sich seyenden Einzelnheit anschaut, – ein gegenseitiges Anerkennen, welches der absolute Geist ist“. (Hegel, Phänomenologie des Geistes, S. 361) 27 „Wie wir nun es wissen, dass der Geist in seiner Welt und der seiner als Geist bewusste Geist oder der Geist in der Religion dasselbe sind, so besteht die Vollendung der Religion darin, dass beydes einander gleich werde, nicht nur dass seine Wirklichkeit von der Religion befasst ist, sondern umgekehrt, dass er sich als seiner selbstbewusster Geist

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Schlussfolgerung ziehen, dass die Wirklichkeit der französischen Revolution in einer Gottesvorstellung gründet, in der expliziert wird, dass die Einheit zwischen Gott und den Menschen durch die Todesangst vermittelt ist. Diese Gottesvorstellung betrifft das höchste Stadium der offenbaren Religion, indem die Einheit zwischen Gott und Mensch durch den heiligen Geist vorgestellt wird, der, vermittelt durch die Rituale, in denen das Blut Christi getrunken und sein Leib gegessen wird, in die Glaubensgemeinschaft herabsteigt. Dies bringt zum Ausdruck, dass die Einheit zwischen Gott und den Menschen durch den Tod Christi vermittelt ist.28 In dieser Vorstellung wird daher expliziert, dass der Bildungsprozess des Mittelalters, der zur Selbstverwirklichung der menschlichen Freiheit führte und deshalb als jener Prozess gekennzeichnet werden kann, in dem der Mensch sein göttliches Wesen verwirklicht (den Himmel auf Erden realisiert),29 seine Kehrseite in jenem anderen Prozess hat, in dem Gott sich im Menschen verwirklicht. Während der Mensch seine Einheit mit Gott durch Arbeit bewirkt, gründet Gottes Vermittlung in der Erfahrung der Todesangst, in der Inkarnation Gottes im Menschen. Der Terror war das unvermeidliche Resultat der französischen Revolution. Die Einheit zwischen Mensch und Gott lässt sich nicht unmittelbar in einem freien Handeln des Menschen ausdrücken, das unmittelbar als rein und dadurch als göttliches Handeln verstanden würde. Damit würden sowohl die Endlichkeit des Menschen als auch die Unendlichkeit Gottes beeinträchtigt. Menschliche Freiheit hat immer einen bestimmten Inhalt und bringt sich in den Institutionen des guten Lebens, d.h. in den Institutionen einer historisch wirklichen, freien Gesellschaft zum Ausdruck. Wir haben gesehen, dass das natürliche Bewusstsein durch die Erfahrung der französischen Revolution die Einsicht entwickelt, dass das gute Leben im reinen Selbst fundiert ist. Anfänglich hat dieses reine Selbst für das natürliche Bewusstsein die Form einer religiösen Vorstellung. Mittlerweile ist jedoch klar geworden, dass das reine Selbst die zum absoluten Begriff gebrachte Freiheit des wirklichen Selbst ist. So hat sich die religiöse Vorstellung zum philosophischen Begriff entwickelt, wirklich und Gegenstand seines Bewusstseyns werde“. (Hegel, Phänomenologie des Geistes, S. 364ff.) 28 „Der Tod des göttlichen Menschen als Tod ist die abstracte Negativität, das unmittelbare Resultat der Bewegung, die nur in der natürlichen Allgemeinheit sich endigt. Diese natürliche Bedeutung verliert er im geistigen Bewusstseyn, oder er wird sein so eben angegebner Begriff; der Tod wird von dem, was er unmittelbar bedeutet, von dem Nichtseyn dieses Einzelnen verklärt zur Allgemeinheit des Geistes, der in seiner Gemeine lebt, in ihr täglich stirbt und aufersteht“. (Hegel, Phänomenologie des Geistes, S. 418) 29 „Beyde Welten sind versöhnt, und der Himmel auf die Erde verpflanzt“. (Hegel, Phäno­ menologie des Geistes, S. 316)

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der im letzten Kapitel der Phänomenologie des Geistes, dem absoluten Wissen, ausgearbeitet wird. Die Entwicklung der religiösen Vorstellung, einmal als Prozess verstanden, der zum Begriff Gottes als reinem Selbst führt, zieht notwendigerweise die Schlussfolgerung nach sich, dass die religiösen Vorstellungen überflüssig sind, sobald dieser Begriff entwickelt worden ist, denn die Versöhnung zwischen Gott und Menschen ließe sich dann als ein Prozess verstehen, in dem der Mensch sein inneres Wesen (das reine Selbst) adäquat verwirklicht. Zwar wird es dem Menschen niemals gelingen, sein reines Selbst völlig zu verwirklichen (er wird niemals Gott gleich), aber er wird einsehen, dass diese Verwirklichung nichts anderes bedeuten kann, als dass er eine freie Gesellschaft zustande bringt, die sich explizit als eine bestimmte historische Erscheinungsform des guten Lebens versteht, d.h. eine Gesellschaft, die ihren absoluten Grund in der reinen Freiheit hat. In diesem Fall wird die Versöhnung mit Gott jedoch einseitig als vom Menschen ausgehend gedacht. Wenn das reichte, könnten wir uns mit dem Aufklärungsdenken von Marx oder Habermas begnügen, wollten wir die Verwirklichung des Reiches der Freiheit denken. Doch Hegel hat gezeigt, dass das Aufklärungsdenken nicht genügt und dass die Versöhnung zwischen Gott und Menschen als ein Prozess gefasst werden muss, der auch von Gott ausgeht. Gerade das wird in der Entwicklung des Religions-Kapitels erörtert.30 Wenn das Denken des Absoluten einseitig aus dem freien Entschluss, das Absolute zu denken, resultieren würde, dann wäre die Versöhnung zwischen Gott und Menschen eine Sache der menschlichen Autonomie.31 Das Denken könnte sich rein denkend verantworten und würde rein intellektualistisch bleiben. Das wahre philosophische Denken ist jedoch ein Denken des lebendigen Selbstbewusstseins, ein Denken, das ebenso durchfühlt wird.32 30 B. Liebrucks behauptet: „Vorstellungen sind Vorstellungen nur dann, wenn sie zugleich meine und die Gottes sind. Nur als Marionette Gottes denke ich spontan“. (Liebrucks, Sprache und Bewusstsein, S. 265) Kann man jedoch einen Menschen ‚Marionette‘ nennen, wenn er in einem Anerkennungsverhältnis zu Gott steht? Die Halbgötter in der Ilias sind Marionetten, weil ihr Schicksal einseitig von den Göttern gelenkt wird. 31 „Soll aber keine Voraussetzung gemacht, der Anfang selbst unmittelbar genommen werden, so bestimmt er sich nur dadurch, daß es der Anfang der Logik, des Denkens für sich, seyn soll. Nur der Entschluss, den man auch für eine Willkühr ansehen kann, nemlich daß man das Denken als solches betrachten wolle, ist vorhanden“. (Hegel, Georg Friedrich Wilhelm, Logik, Hamburg 1999, S. 56) Ich denke nicht, dass dieser Entschluss eine Alternative für die Phänomenologie des Geistes als Voraussetzung der Wissenschaft ist. Ohne Phänomenologie bleibt die Wissenschaft intellektualistisch. 32 „Es muß aus diesem Grunde gesagt werden, daß nichts gewußt wird, was nicht in der Erfahrung ist, oder wie dasselbe auch ausgedrückt wird, was nicht als gefühlte Wahrheit,

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Dieses durchfühlte Denken wird nicht autonom vollzogen, sondern ergibt sich aus der Todesangst. Die verschiedenen Formen der Religion, die Hegel entwickelt, entsprechen den verschiedenen Weisen, in denen die Macht des Todes in einer bestimmten Gesellschaft erscheint.33 In der religiösen Vorstellung wird der Gegenstand, der in der wirklichen Gesellschaft nicht überwunden werden kann, als ein göttliches Selbst vorgestellt.34 In der Vorstellung des göttlichen Selbst drückt sich deshalb aus, dass die Todesangst überwunden ist. Das absolute Wesen, das in der wirklichen Welt die Ursache der Todesangst war, wird überwunden, indem es zur Vorstellung des eigenen absoluten Wesens gemacht wird. (Und weil das eigene absolute Wesen in der Todesangst als das innere freie Selbst erscheint, drückt die Vorstellung des absoluten Wesens die Erscheinung des inneren freien Selbst aus.) Wir werden sehen, dass die religiösen Vorstellungen denjenigen Begriffsmomenten entsprechen, die das natürliche Bewusstsein in der dem Religions-Kapitel vorhergehenden Entwicklung durchläuft. Erst dadurch erwerben diese Begriffsmomente absolute Bedeutung und lassen sich verstehen als Momente eines Begriffs, in dem die Wirklichkeit als solche verstanden wird. Die Formen der Naturreligion entsprechen Gesellschaften, in denen die Macht der Natur  – von der Innenperspektive her betrachtet  – noch nicht gebrochen ist. In Bezug darauf haben die Formen des Bewusstseins in historischen Gesellschaftsformen Wirklichkeit erhalten: die Natur erscheint als Natur überhaupt, als getrenntes Naturding und als Naturkraft, die in einem Selbstbewusstsein gründet. Damit werden die gegenständlichen Auffassungsweisen der sinnlichen Gewissheit, der Wahrnehmung und des Verstandes auf eine bestimmte Weise wiederholt. Außerdem werden diese Naturobjekte als ein absolutes Selbst vorgestellt: die Natur überhaupt wird als das Lichtwesen, die getrennten Naturgegenstände als heilige Blumen und Tiere, und die Naturkraft, die in einem Selbstbewusstsein gründet, als die Mumie des Pharaos vorgestellt. In diesen Vorstellungen wird die Entwicklung des Selbst im Selbstbewusstseins-Kapitel auf eine bestimmte Weise wiederholt. Das als innerlich geoffenbartes Ewiges, als geglaubtes Heiliges, oder welche Ausdrücke sonst gebraucht werden, – vorhanden ist“. (Hegel, Phänomenologie des Geistes, S. 429) 33 Appel, Kurt, Das Dieses ist ein Baum ist ein Baum. Der absolute Geist als freies Dasein der Wirklichkeit in Hegels Phänomenologie des Geistes, in: Oehl, Thomas/Kok, Arthur (Hg.), Objektiver und absoluter Geist nach Hegel. Kunst, Religion und Philosophie innerhalb und außerhalb von Gesellschaft und Geschichte, Leiden/Boston 2018, S. 63: „Daher sind alle Religionsstufen in Hegels PhdG Symbolisierungen von Verlusterfahrungen“. 34 „Der Unterschied, der zwischen dem wirklichen Geiste und ihm der sich als Geist weiß, oder zwischen sich selbst als Bewußtseyn und als Selbstbewußtseyn gemacht wurde, ist in dem Geiste aufgehoben, der sich nach seiner Wahrheit weiß; sein Bewußtseyn und sein Selbstbewußtseyn sind ausgeglichen“. (Hegel, Phänomenologie des Geistes, S. 367)

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reine Selbst wird im Lichtwesen, das Selbst des Kampfes auf Leben und Tod im Totemtier, das mit anderen Totemtieren streitet,35 und das Selbst des Herr-Knecht-Verhältnisses wird in der Mumie des Pharaos wiederholt.36 Entlang dieser Stationen werden die reinen Momente des Bewusstseins und Selbstbewusstseins, wie sie in den ersten zwei Kapiteln als logische Momente des natürlichen Bewusstseins entwickelt wurden, als absolute Momente durchfühlt, auch wenn sie noch die Form der Vorstellung haben.37 Unter dieser Voraussetzung können sie auf der Ebene des absoluten Wissens als Momente des sich selbst verstehenden Begriffs gefasst werden. Auf der Ebene der Kunstreligion werden die Momente der sittlichen Substanz der Polis zur religiösen Vorstellung gebracht. Die Bürger der Polis bilden gemeinsam dasjenige Selbstbewusstsein, das als die begriffliche Form des guten Lebens wirklich ist. Das Selbstbewusstsein der Bürger der Polis ist die historische Wirklichkeit des Knechts, der sich im Herrn wiedererkannt hat. Aber er hat noch nicht eingesehen, dass sein eigentliches Wesen der reine Herr ist. Als der Knecht, der dem Herrn dient, hat der Bürger zwar die Todesangst erfahren, aber diese Erfahrung ist noch nicht zum öffentlichen Bewusstsein durchgedrungen. Wir haben gesehen, dass das reine Selbst des Selbstbewusstseins von den Familienmitgliedern im Beerdigungsritual bewahrt wird, in dem sie den Schatten des Gestorbenen im Namen des göttlichen Gesetzes ehren. Erst wenn das göttliche Gesetz mit dem Gesetz der Polis zusammenstößt und dadurch ins öffentliche Bewusstsein dringt, droht es klar zu werden, dass der Einzelne als Einzelner nicht mit der vorgefundenen Tradition der Polis zusammenfällt, woraus für die Bürger folgt, dass die herrschende Form des guten Lebens ihren absoluten Status verliert. Dieser drohende Verlust wird abgewehrt, indem sich der Bürger im Götterbild trotzdem als absolutes Selbst vorstellt. In der Vorstellung des Götterbildes hat der Bürger zwar die Einzelheit an sich, d.h. er ist kein Bürger der Polis überhaupt, sondern Bürger 35 „[D]ie Unschuld der Blumenreligion, der nur selbstlose Vorstellung des Selbsts ist, geht in den Ernst des kämpfenden Lebens, in die Schuld der Thierreligion, die Ruhe und Ohnmacht der anschauenden Individualität in das zerstörende Fürsichseyn über“. (Hegel, Phänomenologie des Geistes, S. 372) 36 Das Werk (die Pyramide) empfängt den Geist in sich „als einen fremden abgeschiednen Geist, der seine lebendige Durchdringung mit der Wirklichkeit verlassen, selbst todt in diese des Lebens entbehrende Krystalle einkehrt“. (Hegel, Phänomenologie des Geistes, S. 373) 37 Auf der Ebene des Herr/Knecht-Verhältnisses hat Hegel gezeigt, dass, soweit die Todesangst zu einem körperlichen Selbstbewusstsein (dem Knecht) gehört, sie in Form der Vorstellung erfahren wird: die erfahrene Todesangst bekommt ihre Gestalt im Herrn, der zum Bild des inneren Wesens (des reinen Selbst, das hindurch die Todesangst am Knecht ist) gemacht wird.

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einer bestimmten Realisationsform des guten Lebens; denn das Götterbild ist eine Verkörperung, es ist ein einzelnes Selbst (ein bestimmtes Götterbild, z.B. Athena), das sich zur Außenwelt verhält, welche als der Tempel vorgestellt wird (z.B. das Parthenon), in dem das Götterbild sich befindet.38 Wenn die historische Situiertheit der Polis als absolutes Kunstwerk (nämlich als Götterbild und Tempel) vorgestellt wird, verleihen die Bürger der objektiven Wirklichkeit der Polis einen absoluten Status. Im Götterbild lässt sich das Selbst jedoch nicht adäquat als absolutes Selbst vorstellen. Die Entwicklung der Kunstreligion kann deshalb als der Versuch verstanden werden, ein Kunstwerk zu schaffen, in dem das Selbst dennoch absolute Gestalt erhält. Im lebendigen Kunstwerk ist das Götterbild in ein lebendiges Selbst transformiert, in den Helden der Olympischen Spiele.39 Im geistigen Kunstwerk wird die Sterblichkeit des lebendigen Selbst überwunden und die Vorstellung des absoluten Selbst (in der Tragödie) auf die zwei Rollen des sittlichen Selbst verteilt: das Selbst als Träger des menschlichen Gesetzes und das Selbst als Träger des göttlichen Gesetzes.40 Dadurch wird expliziert, dass der Inhalt des menschlichen Gesetzes (das gute Leben) nur als absoluter vorgestellt werden kann, wenn das Selbst des menschlichen Gesetzes (der Bürger) den Inhalt des göttlichen Gesetzes und folglich das Moment der Einzelheit in sich aufgenommen hat. Das freie Verhältnis, das das Moment der Einzelheit in Bezug auf den Inhalt des guten Lebens ausdrückt, macht jedoch deutlich, dass keine einzige Bestimmung des guten Lebens einen absoluten Status hat. Dies wird in der Komödie in dem Moment offenbar, wenn sich herausstellt, dass das Selbst, das als absolut vorgestellt wurde, eigentlich ein empirisches Selbst ist, das eine Maske (Persona) trägt.41 Die Vorstellungen der Kunstreligion machen bewusst, dass die sittliche Substanz der Polis keinen absoluten Status hat, sondern von endlichen, 38 „Sie [die unmittelbare Gestalt des Kunstwerks] zerfällt an ihr in den Unterschied der Einzelnheit, welche die Gestalt des Selbsts an ihr hat, – und der Allgemeinheit, welche das unorganische Wesen in Bezug auf die Gestalt, als seine Umgebung und Behausung, darstellt“. (Hegel, Phänomenologie des Geistes, S. 378) 39 „Der Mensch stellt also an die Stelle der Bildsäule sich selbst, als zur vollkommen freyen Bewegung erzogene und ausgearbeitete Gestalt, […] ein beseeltes lebendiges Kunstwerk, das mit seiner Schönheit die Stärke paart“. (Hegel, Phänomenologie des Geistes, S. 387) 40 „Das Eine ist die Substanz, ebensowohl die Macht des Heerdes und der Geist der Familienpietät, wie die allgemeine Macht des Staats und der Regierung. Indem der Substanz als solcher dieser Unterschied angehört, individualisirt er sich der Vorstellung nicht zu zwey unterschiednen Gestalten, sondern hat in der Wirklichkeit die zwey Personen seiner Charaktere“. (Hegel, Phänomenologie des Geistes, S. 395) 41 „Das Selbst hier in seiner Bedeutung als Wirkliches auftretend, spielt es mit der Maske, die es einmal anlegt, um seine Person zu seyn“. (Hegel, Phänomenologie des Geistes, S. 398)

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verkörperten Selbstbewusstseinen zustande gebracht wird. Nur die Form des Selbstbewusstseins ist absolut, nicht die sittliche Substanz. Weil die sittliche Substanz jedoch die konkrete Totalität aller Momente ist, die das Selbstbewusstsein durchlaufen hat  – in seiner Entwicklung vom Stoizismus zum wirklichen Stoizismus des Bürgers  – und diese Momente alle in den Kunstwerken vorgestellt werden, sind sie als absolute Momente durchfühlt und können als begriffliche Momente des absoluten Wissens aufgehoben werden. In der historischen Epoche des Römischen Reichs verhalten sich die freien und gleichen Personen explizit zu einer kontingenten, natürlichen Wirklichkeit. Schon vorher haben wir gesehen, dass dies am Ende zum Untergang des römischen Reichs führt. Das verdeutlicht, welche stillschweigende Voraussetzung der persönlichen Freiheitsverwirklichung entspricht: die Freiheit der Person lässt sich nicht in einer politischen Ordnung fundieren, sondern nur in einem transzendenten, unwandelbaren Wesen.42 Gott hat sich in der wirklichen Person inkarniert; jede wirkliche Person ist Christus.43 Doch der Übergang in die Religion hat gezeigt, dass das transzendente Wesen der politischen Ordnung als der absolute Gegenstand der wirklichen Welt verstanden werden muss, der als absolutes Selbst vorgestellt wird. Das bedeutet hier, dass Christus sich sozusagen verdoppelt: die wirkliche Person ist nicht nur der Gottmensch, sondern stellt sein absolutes Wesen auch als ein wirklicher Gottmensch vor. Im Verhältnis zwischen der wirklichen Person und Christus, der als wirklicher Mensch da ist,44 scheint die Person das Selbstbewusstsein ihrer Freiheit als Geist erworben zu haben, als die reine Freiheit, die sich als solche in der 42 „Es [das Selbst des Römischen Reichs] ist daher nur die stoische Selbstständigkeit des Denkens, und diese findet durch die Bewegung des skeptischen Bewußtseyns hindurchgehend, seine Wahrheit in derjenigen Gestalt, die das unglückliche Selbstbewußtseyn genannt wurde“. (Hegel, Phänomenologie des Geistes, S. 401) 43 Die Person, die nach dem Untergang des Römischen Reiches die reine Freiheit als unwandelbares Wesen internalisiert hat, wiederholt auf wirkliche und selbstbewusste Weise die Todesangst des Knechtes. Die Todesangst wird nun von einem wirklichen Herrn (dem römischen Kaiser als Herr der Welt) heraufbeschworen und führt zu einer wirklichen Person, die den göttlichen Funken auf selbstbewusste Weise an sich hat (nämlich als unwandelbares Wesen). Diese wirkliche Person kann nicht nur als Christus bezeichnet werden, als eine Erscheinungsform des Knechtes (der Mensch, der als Knecht verstanden wird, wird als Sohn Gottes verstanden), sondern insbesondere auch, weil sie versucht, sich selbst zu verwirklichen, indem sie Christus zu ihrem Bild macht. In Christus hat die wirkliche Person ein Bild davon, wer sie selbst ist: Christus. 44 „Diß daß der absolute Geist sich die Gestalt des Selbstbewußtseyns an sich und damit auch für sein Bewußtseyn gegeben, erscheint nun so, daß es der Glauben der Welt ist, daß der Geist als ein Selbstbewußtseyn, d. h. als ein wirklicher Mensch da ist, daß er für die unmittelbare Gewißheit ist, daß das glaubende Bewußtseyn diese Göttlichkeit sieht und fühlt und hört“. (Hegel, Phänomenologie des Geistes, S. 404)

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Welt verwirklicht. In der Vorstellung Christi bekommt das reine Selbst, das wir auf der Ebene des Herr-Knecht-Verhältnisses schon als das Wesen des wirklichen Selbstbewusstseins verstanden hatten, von der Innenperspektive her den Status eines absoluten Moments, nämlich als durch die Todesangst vermittelte religiöse Vorstellung. Solange Christus jedoch die Gestalt eines kontingenten, sinnlich vorgefundenen Menschen hat, ist die Vorstellung des Geistes noch inadäquat. Die Entwicklung der offenbaren Religion ist der Prozess, in dem die wirklichen Selbstbewusstseine ihre Vorstellung von Christus internalisieren und das reine Selbst als ihr eigenes Wesen verstehen. Der erste Schritt dazu wird getan, wenn Christus als wirkliches Selbstbewusstsein stirbt und nur in der Erinnerung der Glaubensgemeinschaft als wirkliches bewahrt werden kann.45 Die Wirklichkeit des absoluten Selbst lässt sich aber nicht adäquat als Erinnerung verstehen, sondern muss aus dem absoluten Selbst selber hervorgehen. Mit anderen Worten muss das absolute Selbst als Geist verstanden werden, als der reine Begriff, der sich verwirklicht. Im ersten Stadium der offenbaren Religion wird das absolute Selbst als Gott, der Vater verstanden. Das so verstandene absolute Wesen (als das Selbstbewusstsein des mittelalterlichen Reichs der Bildung) unterscheidet sich sowohl vom absoluten Wesen im ersten Stadium des unglücklichen Bewusstseins (das sich zum absoluten Wesen als dem Jenseits des unwandelbaren Wesens verhielt), als auch vom ersten Stadium des Glaubens im Reich der Bildung (das als das von der Wirklichkeit entfremdete, reine Selbstbewusstsein den Unterschied zwischen Gut und Böse in sich fasste). Gott der Vater ist das reine Selbst, das als reines von sich unterschieden ist. Gott der Vater geht in sein Anderssein über, d.h. er verwirklicht sich, und kehrt aus seiner Verwirklichung zu sich zurück. Diese Begriffsbewegung wird aber noch erzählerisch vorgestellt.46

45 „Das Bewußtseyn, für welches er [Christus] diese sinnliche Gegenwart hat, hört auf, ihn zu sehen, zu hören; es hat ihn gesehen und gehört; und erst dadurch, daß es ihn nur gesehen, gehört hat, wird es selbst geistiges Bewußtseyn oder wie er vorher als sinnliches Daseyn für es aufstand, ist er itzt im Geiste aufgestanden“. (Hegel, Phänomenologie des Geistes, S. 407ff.) 46 „[U]nd indem die Vorstellung die so eben ausgesprochne Nothwendigkeit des Begriffs als ein Geschehen auffaßt und ausspricht, so wird gesagt werden, daß das ewige Wesen sich ein Anderes erzeugt. Aber in diesem Andersseyn ist es ebenso unmittelbar in sich zurückgekehrt; denn der Unterschied ist der Unterschied an sich, d. h. er ist unmittelbar nur von sich selbst unterschieden, er ist also die in sich zurückgekehrte Einheit“. (Hegel, Phänomenologie des Geistes, S. 410)

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Im zweiten Stadium der offenbaren Religion, dem Reich des Sohnes, werden die Momente des Begriffs als selbständige Momente vorgestellt.47 Gott verwirklicht sich als das Verhältnis zwischen den Menschen und Christus. Dadurch wird das Verhältnis, das im zweiten Stadium des unglücklichen Bewusstseins (des unglücklichen Bewusstseins der Arbeit und Begierde, in dem der Mensch sich zu Gott verhält) an sich und im zweiten Stadium des Glaubens, im Reich der Bildung (in dem das Gute und Böse als Staatsmacht und Reichtum wirklich sind und das edelmütige dem niederträchtigen Bewusstsein gegenübersteht) für sich vorgestellt wurde – dieses Verhältnis wird nun an und für sich vorgestellt.48 Die Versöhnung zwischen Gott und den Menschen wird hier einerseits als ein Prozess vorgestellt, in dem der endliche Mensch durch einen Bildungsprozess seine reine Freiheit zu verwirklichen sucht, und andererseits als ein Prozess, der von Gott abhängig ist. Die Aufopferung des Menschen hat keine Bedeutung, wenn Gott sich nicht aufopfert; der Versuch, den Himmel auf Erden zu verwirklichen, hat ohne Glauben an den Himmel keine Bedeutung. Der Mensch kann seine Sünde nicht überwinden, wenn dies Christus nicht immer schon ermöglicht hat, indem er sich für die Menschheit geopfert hat. Im dritten Stadium der offenbaren Religion, dem Reich des Heiligen Geistes, werden die Momente des Begriffs nicht länger in einem bloßen Nebeneinander vorgestellt, sondern drücken die innere Einheit des Begriffs aus. Gott 47 „Was im rein gedachten Geiste als das Anderswerden des göttlichen Wesens überhaupt nur angedeutet ist, tritt hier seiner Realisirung für das Vorstellen näher; sie besteht ihm in der Selbsterniedrigung des göttlichen Wesens, das auf seine Abstraction und Unwirklichkeit Verzicht thut. – Die andere Seite, das Böse, nimmt das Vorstellen als ein dem göttlichen Wesen fremdes Geschehen; es in demselben selbst, als seinen Zorn zu fassen, ist die höchste, härteste Anstrengung des mit sich selbst ringenden Vorstellens, die, da sie des Begriffs entbehrt, fruchtlos bleibt“. (Hegel, Phänomenologie des Geistes, S. 414) Während der Knecht, der die Todesangst erfahren hat, das gute und böse Selbst in sich vereinigt (einerseits ist das reine Selbst – Gott – sein Wesen, andererseits ist er ein an die Natur gebundenes Selbst), werden diese Seiten im Reich des Sohnes getrennt vorgestellt. 48 „Die Entfremdung des göttlichen Wesens ist also auf ihre gedoppelte Weise gesetzt; das Selbst des Geistes und sein einfacher Gedanke sind die beyden Momente, deren absolute Einheit der Geist selbst ist; seine Entfremdung besteht darin, daß sie auseinandertreten und das eine einen ungleichen Werth gegen das andre hat. Diese Ungleichheit ist darum die gedoppelte, und es entstehen zwey Verbindungen, deren gemeinschaftliche Momente die angegebnen sind. In der einen gilt das göttliche Wesen als das Wesentliche, das natürliche Daseyn aber und das Selbst als das unwesentliche und aufzuhebende; in der andern gilt dagegen das Fürsichseyn als das Wesentliche, und das einfache Göttliche als das unwesentliche. Ihre noch leere Mitte ist das Daseyn überhaupt, die blosse Gemeinschafftlichkeit der beyden Momente derselben“. (Hegel, Phänomenologie des Geistes, S. 414)

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verwirklicht sich in den Mitgliedern der Glaubensgemeinschaft, die sich durch die rituelle Aufopferung Christi wieder mit Gott vereinen. Die Versöhnung zwischen Gott und den Menschen wird hier nicht länger an sich vorgestellt, durch den Eingriff eines Vermittlers (wie dies im letzten Stadium des unglücklichen Bewusstseins geschah); ebenso wenig wird diese Versöhnung nur für sich vollzogen, in der Weise, dass sie durch die Bildungsarbeit der Personen vermittelt wird und Aufklärung und Glaube als Momente erscheinen können, die einander gegenseitig voraussetzen (wie im letzten Stadium des Reichs der Bildung). Die Versöhnung wird nun an und für sich vorgestellt als eine Vermittlung, die sowohl von Gott aus als auch vom Menschen aus vollzogen wird. In den Vorstellungen der offenbaren Religion hat das natürliche Bewusstsein durchfühlt, dass der reine Begriff, der nach dem Untergang des römischen Reichs als wirkliche Person Gestalt angenommen hat, zum Selbstbewusstsein von sich als reinem Begriff gelangt. Auf der Ebene des absoluten Wissens lässt sich dies in begrifflicher Form ausdrücken, womit der Zielpunkt des Weges der Phänomenologie des Geistes erreicht werden kann: der reine Begriff, der zum Selbstbewusstsein von sich als reiner Begriff gelangt. Literaturverzeichnis Appel, Kurt, „Das dieses ist ein Baum ist ein Baum“, in: Oehl, Thomas und Kok, Arthur (Hrsg.), Objektiver und absoluter Geist nach Hegel. Kunst, Religion und Philosophie innerhalb und außerhalb von Gesellschaft und Geschichte, Leiden/Boston 2018, S. 57–80. Auinger, Thomas, Das absolute Wissen als Ort der Ver-einigung: zur absoluten Wissensdimension des Gewissens und der Religion in Hegels Phänomenologie des Geistes, Würzburg 2003. Hegel, Georg Wilhelm Friedrich, Phänomenologie des Geistes, Hamburg, 1999. Hegel, Georg Wilhelm Friedrich, Logik, Hamburg 1999. Liebrucks, Bruno, Sprache und Bewusstsein, Band 5. Die Zweite Revolution der Denkungsart, Frankfurt am Main 1970. Schmidt, Josef, „Geist“, „Religion“, und „absolutes Wissen“. Ein Kommentar zu den drei gleichnamigen Kapiteln aus Hegels „Phänomenologie des Geistes“, Stuttgart 1997.

„Es ist ein Begriff der Freiheit in Religion und Staat“: Die Bedeutung der Religion für den modernen säkularen Staat – Ambivalenz und Spannung Olga Navrátilová „Man muss Gott mehr gehorchen als den Menschen“ (Apg 5,29). Dieser Satz aus der Apostelgeschichte fasst die latent konflikthafte Position zusammen, die Religion gegenüber dem Staat einnimmt. Dieser Konflikt kann sowohl auf der Ebene des individuellen Gewissens als auch auf der Ebene der Institutionen auftreten. Neben diesem Konfliktpotenzial kann Religion aber auch eine wichtige integrierende Kraft in Bezug auf die Gesellschaft sein, da sie die Wertebasis, auf der die Gesellschaft ihre Normen und Institutionen aufbaut, festlegt und vereinheitlicht. Die moderne politische Philosophie, die als Folge der politischen Entwicklungen in Europa nach den Konfessionskriegen des 17. Jahrhunderts die theoretischen Grundlagen des modernen säkularen Staates formulierte, versuchte, das Konfliktpotenzial der Religion zu entschärfen und gleichzeitig ihre integrativen Tendenzen zu fördern. Auf diese Weise verfährt auch Hegel bei seinen Analysen des Verhältnisses von Staat und Religion.1 Um dieses Verhältnis zu bestimmen, bringt er beide auf einen gemeinsamen Nenner: den Begriff der Freiheit. Dies ermöglicht es ihm, sowohl die Religion als auch den Staat als unterschiedliche, aufeinander wechselseitig nicht reduzierbare und zugleich in einer Beziehung stehende Ausdrücke der freiheitsstrebenden Natur des Menschen zu verstehen. Auf diese Weise vermeidet er es, im Unterschied zu einigen seiner philosophischen

1 Hegel behandelt dieses Thema ausführlich in der Anmerkung zu § 270 der Grundlinien der Philosophie des Rechts von 1820, in der Anmerkung zu § 552 der dritten Auflage der Enzyklopädie von 1830 (diese Anmerkung fehlt in der ersten Auflage von 1817, in der zweiten Auflage hat Hegel sie zu § 563 hinzugefügt) und in einer Vorlesung von 1831, deren Aufzeichnung dem ersten Band der von Walter Jaeschke herausgegebenen Vorlesungen über die Philosophie der Religion zugeordnet wurde (Hegel, Georg Wilhelm Friedrich, Das Verhältnis der Religion zum Staat nach der Vorlesung von 1831, in: ders., Vorlesungen über die Philosophie der Religion. Teil 1, Hamburg 1993, S. 339–347).

© Olga Navrátilová, 2023 | doi:10.1163/9789004679399_007

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Vorgänger, insbesondere Thomas Hobbes, der Religion eine utilitäre Rolle in Bezug auf den Staat zuzuschreiben.2 Die Tatsache, dass Hegel den Staat und die Religion auf den Begriff der Freiheit als ihren gemeinsamen Nenner bezieht, erlaubt es ihm, sowohl ihre Interdependenz und gleichzeitige Differenz darzustellen als auch die Spannung und Ambivalenz in ihren Beziehungen aufzuzeigen. Dieser Ausgangspunkt erweist sich somit als sehr fruchtbar für die Interpretation der Wechselbeziehungen zwischen Staat und Religion. Zugleich aber versteht Hegel die Freiheit immer als eine historisch realisierte Freiheit. Sein Versuch, das Spannungsverhältnis zwischen Staat und Religion zu entschärfen, ist somit mit seiner Geschichtsphilosophie und seiner Verknüpfung des modernen säkularen Staates mit dem vom lutherischen Protestantismus geprägten kulturellen Milieu verbunden.3 Dies hat einige Autoren zu der Ansicht veranlasst, dass Hegels Analyse des Verhältnisses zwischen Staat und Religion heute an Relevanz verloren hat, denn so säkular der Hegelsche Staat auch ist, er ist immer noch zu christlich.4 Mein Aufsatz5 ist darum in zwei Teile gegliedert: (1) Zunächst werde ich darstellen, wie der Begriff der Freiheit es Hegel ermöglicht, Staat und Religion 2 Den Unterschied in der Konzeption des säkularen Staates bei Hegel und Hobbes habe ich in meinem Artikel Staat und Religion bei Hobbes und Hegel: zwei Auffassungen des Säkularstaates untersucht (in: Freiburger Zeitschrift für Philosophie und Theologie, Vol. 62, No. 1 (2015), S. 101–120). 3 Dieser Zusammenhang wird z.B. in Artikeln von Günter Rohrmoser (Hegels Lehre vom Staat und das Problem der Freiheit in der modernen Gesellschaft, in: Der Staat, Vol. 3, No. 4 (1964), S. 391–403) und Reinhart Maurer (Hegels politischer Protestantismus, in: Hegel-Studien, Beiheft 11, (1970), S. 383–415) hervorgehoben. Andere, wie Walter Jaeschke, weisen darauf hin, dass Hegels Versuch, Staat und Religion durch den Freiheitsbegriff zu versöhnen, letztlich nicht gelungen ist, weil das Christentum, mit dem Hegel den modernen Staat überhaupt versöhnen will, Hegels Selbstverständnis nicht akzeptiert hat und Hegels Freiheitsbegriff auch nicht teilen kann (Jaeschke, Walter, Es ist ein Begriff der Freiheit in Religion und Staat, in: Arndt, Andreas u. a. (Hrsg.), Staat und Religion in Hegels Rechtsphilosophie, Berlin 2009, (S. 9–22), S. 21). 4 Vgl. z.B. Siep, Ludwig, Ist Hegels Staat ein christlicher Staat?, in: ders., Aktualität und Grenzen der praktischen Philosophie Hegels: Aufsätze 1997–2009, München 2009, (S. 93–114), S. 94, 113. (Den Begriff „christlich“ setzt Ludwig Siep jedoch in Anführungszeichen, weil nach ihm die Hegelsche Interpretation des Christentums diese Religion ihres wesentlichen Inhalts beraubt.). Klaus Vieweg hingegen bestreitet dies, wonach das Christentum auch bei Hegel ausschließlich historische Bedeutung für die Entstehung des modernen Staates hat. Der religiöse Pluralismus und der Respekt vor den einzelnen Religionen, der es dem Staat verbietet, eine von ihnen zu bevorzugen, gehören laut Vieweg notwendigerweise zu Hegels Konzeption des modernen Staates (Vieweg, Klaus, Das Denken der Freiheit. Hegels Grundlinien der Philosophie des Rechts, München 2012, S. 467–471). 5 In diesem Beitrag stütze ich mich teilweise auf mein in tschechischer Sprache erschienenes Buch Stát a náboženství v Hegelově filosofii (Staat und Religion in Hegels Philosophie), Prag 2015.

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in ihrer gegenseitigen Beziehung und Spannung zu zeigen. (2) Dann werde ich fragen, inwieweit Hegels Analysen auch für die heutige Zeit gültig sind, da die Gesellschaft seit der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts deutlich säkularer und religiös pluraler geworden ist. 1

Religion und Staat bei Hegel

1.1 Interdependenz Im ersten Teil seiner Vorlesungen zur Philosophie der Religion charakterisiert Hegel die Religion als „Erhebung“:6 eine Erhebung vom Endlichen zum Unendlichen. Alles Endliche gilt in der Religion nicht als eigenständig, sondern wird in Beziehung zu Gott gesetzt. Das bedeutet natürlich, dass nicht nur das Endliche auf Gott bezogen ist, sondern dass Gott sich gleichzeitig durch das Endliche zeigt, nämlich als immanent und transzendent. Der Bewegung des Erhebens vom Menschen zu Gott entspricht also – auf der anderen Seite – die Bewegung der Kondeszendenz Gottes zum Menschen. Es ist daher ein und dieselbe Bewegung des Geistes, der sich durch den Menschen zu sich selbst in Beziehung setzt. Die Einheit der beiden Bewegungen, die die Religion im Gottesbegriff vergegenständlicht (am prägnantesten im Christentum), verwirklicht sich im religiösen Leben des Einzelnen im Kult. In ihm konstituiert sich auf der tiefsten Ebene die Subjektivität des Einzelnen: Der Kultus ist, sich diesen höchsten, absoluten Genuß zu geben. Darin ist Gefühl; ich bin mit meiner besonderen, subjektiven Persönlichkeit dabei, mich als Diesen mit Gott zusammengeschlossen zu wissen, mich in der Wahrheit zu wissen – und ich habe meine Wahrheit nur in Gott –, mich als mich in Gott mit mir zusammenschließen.7 Im Kult vollzieht der Mensch die Bewegung der Selbstverneinung und Selbstkonstitution, sein Selbst wird in seiner Partikularität und in seiner Allgemeinheit in Beziehung zu Gott gesetzt. Wie sehr sich dieses Selbst auch weiterhin durch seine Körperlichkeit, die es in der Welt der Natur verankert, und durch seine soziale Rolle, die es in der Welt der Menschen verwurzelt, auf sich selbst bezieht, so verliert doch jede biologische und soziale Bestimmung für 6 Hegel, Georg Wilhelm Friedrich, Vorlesungen über die Philosophie der Religion. Teil 1. Einleitung. Der Begriff der Religion, Hamburg 1993, S. 308. 7 Ebd., S. 331f.

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das Selbst, das um seine Verwurzelung in Gott weiß, ihre Unmittelbarkeit. So kommt der Mensch durch Gott zu sich selbst, lernt sich als frei kennen. Diese Freiheit verwirklicht er dann in Bezug auf die Welt und die Anderen in Form der Sittlichkeit, in der er seinen eigenen besonderen Willen verneint und ihn gleichzeitig im allgemeinen Willen ausgedrückt findet. Die Sittlichkeit ist also eine „horizontale“ Seite der gleichen Bewegung der Selbsthingabe und Selbstkonstitution, die der Mensch in der Religion verwirklicht. Sie ist „die höchste Form im Kultus“ oder „der wahrhafteste Kultus“.8 Die wechselseitige Vermittlung von individuellem und allgemeinem Willen vollzieht sich im organisch gegliederten Staat, der andere Formen der Sittlichkeit einschließt (die Familie und die Institutionen der bürgerlichen Gesellschaft), wie Hegel sie in den Grundlinien der Philosophie des Rechts beschreibt. Die Trias “Religion – Sittlichkeit – Staat” ist also durch den Begriff der Freiheit miteinander verbunden. Hegel fasst ihre Wechselbeziehung wie folgt zusammen: Die unmittelbare Folge des Vorhergehenden ist, daß die Sittlichkeit der auf sein substantielles Inneres zurückgeführte Staat, dieser die Entwicklung und Verwirklichung derselben, die Substantialität aber der Sittlichkeit selbst und des Staates die Religion ist.9 Die integrierende Kraft der Religion in Bezug auf den modernen Staat liegt für Hegel also nicht in erster Linie darin, dass die Einheit der Religion die innere Stabilität des Staates garantiert, sondern darin, dass sich die Bürger durch die Religion ihrer Freiheit bewusst werden, die sie im Staat verwirklichen wollen. Es ist jedoch klar, dass diese Rolle nach Hegel nicht von jeder Religion erfüllt werden kann. Angesichts der geschichtlichen Gestalten von Religion und Staat, die unterschiedliche Stufen auf dem Weg der Menschheit zur Verwirklichung der Freiheit widerspiegeln, formuliert Hegel daher die Interdependenz von Religion, Sittlichkeit und Staat durch den Begriff der Freiheit folgendermaßen: „Es ist ein Begriff der Freiheit in Religion und Staat. […] Das Volk, das einen schlechten Begriff von Gott hat, hat auch einen schlechten Staat, schlechte Regierung, schlechte Gesetze“.10

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Ebd., S. 334. Hegel, Georg Wilhelm Friedrich, Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften im Grundrisse. III, Frankfurt am Main 1986, § 552A, S. 355. 10 Hegel, Das Verhältnis der Religion zum Staat nach der Vorlesung von 1831, S. 340.

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1.2 Ambivalenz und Spannung Die Tatsache, dass Staat und Religion zwei Ausdrucksformen ein und derselben Freiheit sind, bedeutet jedoch nicht, dass ihre Beziehung frei von Spannungen und Problemen ist. Davon gibt es zweierlei: (1) ein Problemfeld liegt in der begrenzten Form der Religion als solcher; (2) das zweite ergibt sich aus der Abhängigkeit des modernen säkularen Staates von einer kulturellen Grundlage, die mit einer bestimmten Form der Religion verbunden ist, nämlich dem protestantischen Christentum. Ad 1) So sehr die Religion das Element ist, durch das das Bewusstsein der Freiheit im Menschen entsteht, so sehr bleibt dieses Bewusstsein der Freiheit auf die Form des Gefühls und der Vorstellung beschränkt. Dies gilt auch für das Christentum, in dem sich die Entwicklung des Religionsbegriffs im Laufe der Geschichte vollendet. Die Beschränkung des Freiheitsbewusstseins auf das Gefühl der Einheit des Menschen mit Gott, kann zu Subjektivismus und Quietismus führen, die, indem sie alles Weltliche verachten und gleichzeitig den Willen des Einzelnen als unmittelbar mit dem Willen Gottes vereint erscheinen lassen, nicht nur den Staat, sondern auch die Freiheit bedrohen, die der Staat institutionell garantiert.11 In ähnlicher Weise hindert die Tatsache, dass die Religion dem Menschen ihren Inhalt in der entfremdenden Form einer Vorstellung vor Augen führt, die die volle Verwirklichung der Freiheit in die Zukunft oder ins Jenseits verlegt, den religiösen Menschen daran, im Staat und den sonstigen Formen der Sittlichkeit den einzigen Weg zur Realisierung seiner Freiheit zu erkennen. Es ist also die „Form“ der Religion, die eine Distanz zur Welt und ihren Institutionen impliziert, die das gläubige Bewusstsein dazu bringt, den Willen Gottes, wie es ihn in sich selbst, in der Heiligen Schrift oder in den Lehren oder Institutionen der Kirche zu finden meint, über den allgemeinen Willen zu stellen, wie er in weltlichen Normen und Institutionen zum Ausdruck kommt. Zugleich aber ist Religion nach ihrem wesentlichen Inhalt nicht nur eine Steigerung, sondern gerade auch eine Aufhebung des Gegensatzes zwischen Gott und Welt, der Sphäre des Göttlichen und der Sphäre des Menschlichen, dem transzendenten und dem immanenten Moment des Heils. Die Lösung der Spannung, die im Verhältnis der Religion zum Staat durch deren entfremdende Form entsteht, findet Hegel dann in der Philosophie. Es bedarf der Philosophie, die die Religion über ihr eigenes Wesen aufklärt, ihre freiheitliche 11 Hegel, Georg Wilhelm Friedrich, Grundlinien der Philosophie des Rechts, Frankfurt am Main 1970, § 270A (S. 418ff.). Der Gegenstand von Hegels Kritik ist hier, wie auch anderswo, vor allem der Pietismus. Vgl. dazu auch Hegel, Georg Wilhelm Friedrich, Vorlesungen über die Philosophie der Religion. Teil 3. Die Vollendete Religion, Hamburg 1995, S. 266f.

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Natur enthüllt und ihr die Freiheit bedrohendes Potenzial dämmt. Was Hegel in seiner Religionsphilosophie, besonders in seiner Interpretation des Christentums, vorträgt, ist gerade diese Deutung, die das Freiheitspotenzial der Religion hervorhebt. Infolgedessen grenzt Hegel solche Züge des Christentums (das er als die kulturelle Grundlage des modernen Staates versteht), die nach seiner Meinung im Widerspruch mit dem Freiheitsbewusstsein stehen, ein: vor allem die Orientierung des Christentums auf die eschatologische Zukunft und die Vorstellung einer undurchdringbaren Transzendenz Gottes. Es sei jedoch darauf hingewiesen, dass nicht nur die Religion, sondern auch der Staat auf die Dienste der Philosophie angewiesen ist. Die Philosophie  – zumindest die hegelsche – will den Staat an seine geistige Natur erinnern und verleiht ihm den gleichen Stellenwert wie der Religion, indem sie ablehnt, ihn instrumentell als bloßen „Not- und Verstandes-Staat“ zu verstehen.12 Dabei verweist die Philosophie aber auch auf die entscheidende Bedeutung, die die Religion für den Staat hat: Sie ist weder nur ein dienstbares Instrument der Politik (Hobbes), noch bietet sie in erster Linie die letzte Garantie für die Einhaltung des Gesellschaftsvertrages (Locke), sondern sie ist die Art und Weise, in der der Mensch seine geistige und freie Natur ins Bewusstsein hebt, die er im Staat verwirklicht. Ad 2) Das zweite Problemfeld, das Hegels Analysen des Verhältnisses von Staat und Religion aufzeigen, liegt in der Abhängigkeit des säkularen Staates von bestimmten historischen kulturellen Hintergründen. Der moderne Staat ist ein Produkt der historischen Entwicklung Europas, vor allem der Reformation und der Aufklärung. Obwohl jede Religion ihrem Wesen nach ein Ausdruck der menschlichen Freiheit ist, die im Reich des Geistes beheimatet ist, realisiert längst nicht jede Religion in ihrer positiven Gestalt dieses Wesen. Die historische Entwicklung der Religion ist die schrittweise Verwirklichung ihres Begriffs, an deren Ende das Christentum als Religion der Freiheit steht. Innerhalb der christlichen Tradition gipfelt diese Entwicklung im Protestantismus, insbesondere der lutherischen Prägung. Erst die Reformation hat die Sphäre des Weltlichen von der Unterwerfung durch die Kirche befreit und hat ihr zugleich Würde verliehen, indem sie sie als Raum für die Verwirklichung der religiös begründeten Freiheit des Menschen umgedeutet hat. Sie schuf damit die kulturellen Voraussetzungen für die moderne Entwicklung der Wissenschaft und neue Formen der Sittlichkeit: die moderne Familie, die bürgerliche Gesellschaft und den säkularen Rechtsstaat.13 (Auch im protestantischen 12 Vgl. Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, § 183, S. 340. 13 Der Prozess der Säkularisierung, der den Kern der modernen europäischen Kultur bildet, ist also nach Hegel ein integraler Teil der Entwicklung des Christentums selbst (wie

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Milieu musste das Verhältnis von Staat und Religion noch neu geklärt werden, wie Hegel in seiner Vorlesung aus dem Jahr 1831 an der Entwicklung des absolutistischen Stuart-Englands und der nachfolgenden puritanischen Revolution zeigt.14) Nach Hegel wäre es daher ein Fehler, diesen säkularen Rechtsstaat einer Kultur aufpfropfen zu wollen, die ihm nicht entspricht. Für ihn zeigt sich das Scheitern dieses Unterfangens an den Entwicklungen im katholischen Frankreich von der Französischen Revolution bis zur Julirevolution.15 Keine Revolution ohne Reformation,16 lautet Hegels Diktum aus der Anmerkung, die in der Enzyklopädie der Frage nach dem Verhältnis von Staat und Religion gewidmet ist. Dies wirft das folgende Problem auf: Der moderne säkulare Staat schafft durch seine Selbstbeschränkung naturgemäß Raum für religiöse Toleranz und Pluralismus, der sich zu Hegels Zeiten  – mit Ausnahme des Judentums  – eher auf verschiedene christliche Konfessionen als auf verschiedene Religionen beschränkte. Dieser Pluralismus wird von Hegel am Ende der Anmerkung zu  § 270 der Grundlinien der Philosophie des Rechts begrüßt, weil die Trennung von Kirche und Staat, deren Folge dieser Pluralismus ist, sowohl den Kirchen als auch dem Staat Freiheit bringt.17 Gleichzeitig wird der säkulare Staat jedoch von jenen Gestalten der Religion bedroht, die die Werte, auf denen er beruht, nicht teilen (in Hegels Augen insbesondere vom Katholizismus, was er insbesondere in der Anmerkung zu  § 552 der Enzyklopädie und der Vorlesung Religion und Staat aus dem Jahr 1831 betont). Dieses Problem kommt in einem berühmten Diktum des Hegel-Interpreten Ernst-Wolfgang Böckenförde zum Ausdruck: „Der freiheitliche, säkularisierte Staat lebt von Voraussetzungen, die er selbst nicht garantieren kann“.18 Unter Hegels Texten über das Verhältnis von Staat und Religion wird dieses Dilemma des modernen säkularen Staates insbesondere in der Anmerkung

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ablehnend das Christentum, das sich selbst nicht verstanden hat, ihm gegenüber auch sein mag). Im Christentum vollzieht sich die Aufhebung des Widerspruchs zwischen Diesseits und Jenseits, zwischen Welt und Gott, die im Tod Jesu Christi offenbar wurde. In ihr wird die Weltferne Gottes endgültig überwunden, Gott ist in seiner Transzendenz gestorben und als Geist inmitten seiner Gemeinde auferstanden (vgl. dazu z.B. den Schluss des Kapitels über Religion in der Phänomenologie des Geistes, Frankfurt am Main 1970, S. 545–574). Hegel, Das Verhältnis der Religion zum Staat nach der Vorlesung von 1831, S. 341. Vgl. ebd., S. 347, auch Hegel, Vorlesungen über die Philosophie der Weltgeschichte. Band II–IV, Hamburg 1988, S. 928 (vgl. auch S. 923). Hegel, Enzyklopädie der Philosophischen Wissenschaften. III, § 552A, S. 360. Vgl. Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, § 270A, S. 428. Böckenförde, Ernst-Wolfgang, Die Entstehung des Staates als Vorgang der Säkularisation [1967], in: ders., Recht, Staat, Freiheit, Frankfurt am Main 2006, S. 112.

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zu  § 552 der Enzyklopädie und in der Vorlesung Religion und Staat von 1831 erörtert, die auf die Ereignisse in Frankreich reagiert. Im Gegensatz dazu ist der Text des § 270 der Grundlinien der Philosophie des Rechts von 1821 in dieser Hinsicht optimistischer und problematisiert die Pluralität der verschiedenen Religionen in einem Staat nicht so stark.19 Das bedeutet nicht zwangsläufig, dass es sich dabei um eine wesentliche Verschiebung in Hegels Denken handelt, wie beispielsweise Walter Jaeschke behauptet.20 Meiner Meinung nach sind bei der Interpretation von Hegels Texten zwei Situationen zu unterscheiden: Die erste ist der Versuch, einen modernen säkularen Staat da zu errichten, wo die kulturellen Voraussetzungen dafür nicht gegeben sind (wie im katholischen Frankreich). Dieser Versuch ist zum Scheitern verurteilt, weil er übersieht, dass die Stabilität des Staates nicht nur eine formale Verfassung erfordert, sondern auch die Identifikation der Bürger mit den Institutionen des Staates auf der Grundlage ihrer meist religiös formulierten Weltanschauung (es gibt keinen Unterschied zwischen einem „religiösen“ und einem „sittlichen“ Gewissen, wie Hegel in der Enzyklopädie betont).21 Anders verhält es 19 Die Fokussierung auf diesen Text allein mag Klaus Vieweg in seinem Kommentar zu den Grundlinien der Philosophie des Rechts zu der These veranlasst haben, dass für Hegel die Verbindung des modernen säkularen Staates zum Christentum nur von historischer Bedeutung ist. Die These, dass Hegels Staat säkular ist und daher keine Religion bevorzugen oder über ihren Inhalt urteilen darf, ist sicherlich richtig (Vieweg, Das Denken der Freiheit, S. 468). Ebenso wahr ist, dass Hegels Anliegen in den Grundlinien der Philosophie des Rechts darin besteht, „die Idee des Staates schlechthin“ darzulegen, unabhängig von jeder religiösen Annahme (ebd., S. 470). Gleichzeitig darf jedoch nicht übersehen werden, dass sich diese Idee in der Geschichte verwirklicht und in einem bestimmten kulturellen Umfeld Gestalt annimmt, zu dem die Religion gehört. Der moderne Staat ist religiös neutral, aber nicht jede Religion, so Hegel, ist in der Lage, einen solchen Staat zu respektieren. Das ist es, was die von Hegel beschriebene Spannung erzeugt. Vieweg konstatiert zwar, dass es ein „schwieriges und konfliktbeladenes Verhältnis“ zwischen Staat und Religion gibt (ebd., S. 467), geht aber nicht weiter auf eben diese Konflikte ein und lässt damit einen Teil der Hegelschen Analyse aus. 20 Jaeschke, Walter, Staat aus christlichem Prinzip und christlicher Staat, in: Der Staat, Vol. 18, No. 3 (1979), (S. 349–375), S. 356. Vgl. auch Jaeschke, Walter, Religion und Staat, in: Drüe, Hermann u. a. (Hrsg.), Hegels Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften (1830). Ein Kommentar zum Systemgrundriß, Frankfurt am Main 2000, (S. 459–466), S. 465, oder Peperzak, Adriaan T., Religion et politique dans la philosophie de Hegel, in: Planty-Bonjour, Guy (Hrsg.), Hegel et la Religion, Paris 1982, (S. 37–76), S. 71–73. (Peperzak behauptet, dass sich Hegels Kritik am Katholizismus erst in den letzten Jahren verstärkt hat (ebd. S. 76). Doch schon in seinen Vorlesungen über die Philosophie der Weltgeschichte von 1822/23, zwei Jahre nach der Veröffentlichung der Grundlinien der Philosophie des Rechts, bezeichnet Hegel den Katholizismus als unvereinbar mit dem modernen Staat. Vgl. Hegel, Georg Wilhelm Friedrich, Vorlesungen über die Philosophie der Weltgeschichte. Berlin 1822/23, Hamburg 1996, S. 520.) 21 Hegel, Enzyklopädie der Philosophischen Wissenschaften. III, § 552A, S. 355f.

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sich in einem Land, in dem diese kulturellen Voraussetzungen aufgrund einer früheren kulturellen Entwicklung gegeben sind, in dem es aber auch verschiedene religiöse Minderheiten geben kann. In einem solchen Land stellt die Toleranz gegenüber jenen religiösen Minderheiten, die sich vielleicht nicht einmal mit dem Staat identifizieren (wie Quäker oder Wiedertäufer), kein größeres Problem dar, da der Staat aufgrund der vorherrschenden Gesinnung der Bevölkerung und der festen Verfassung seiner inneren Struktur22 bereits stark genug ist, um diese abweichenden Gruppen aufzunehmen, die zwar den Staat ignorieren, aber Teil der bürgerlichen Gesellschaft sind.23 Der potenzielle Konflikt, der zwischen dem religiös begründeten Gewissen des Einzelnen und den Wertvorstellungen des modernen säkularen Staates entstehen kann, wird im letzteren Fall zwar nicht aufgehoben, aber abgeschwächt. Die anhaltende Bedeutung der Religion für den Staat: die Fruchtbarkeit der Spannung In den Texten, in denen Hegel die Frage nach dem Verhältnis von Staat und Religion behandelt, ist es meist die Religion, die die vom modernen säkularen Staat institutionell garantierte Freiheit bedroht.24 Nach den Erfahrungen der Totalitarismen des 20. Jahrhunderts ist es jedoch offensichtlicher als zu Hegels Zeiten, dass dieselbe Gefahr auch vom Staat ausgeht. Im Lichte dieser Erfahrung muss daher gesagt werden, dass die Spannung zwischen Staat und Religion die Freiheit nicht nur gefährden muss, sondern sie auch schützen kann. Der säkulare Staat bewahrt den Einzelnen und die Gesellschaft vor der potenziellen Gewalt der Religion; die Religion (wenn auch nicht sie allein) verteidigt den Einzelnen und die Gesellschaft vor den potenziellen totalitären Ansprüchen des Staates, wenn dieser seinen auf den Bereich des objektiven Geistes beschränkten Wirkungskreis zu überschreiten droht. Mit seinem Verständnis von Religion und Staat als zwei unterschiedlichen, nicht austauschbaren Erscheinungsformen der Freiheit legt Hegel die theoretischen Grundlagen für diese gegenseitige Begrenzung der Ansprüche der Religion durch den Staat und der Ansprüche des Staates durch die Religion.

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22 Zur Notwendigkeit von beidem, nämlich der Gesinnung der Bürger und der inneren Organisation des Staates als Voraussetzung für die Stabilität des Staates, siehe Hegel, Das Verhältnis der Religion zum Staat nach der Vorlesung von 1831, S. 346. 23 Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, § 270A, S. 421. 24 Diese Einseitigkeit Hegels wird von Adriaan T. Peperzak kritisiert. Hegel zog es Peperzak zufolge vor, „die Last den Kirchen aufzubürden, indem er suggerierte, der bestehende Staat stehe auf der Seite der wahren Philosophie“ (Peperzak, Adriaan T., Modern Freedom. Hegel’s Legal, Moral and Political Philosophy, Dordrecht/Boston/London 2001, S. 631).

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Wie bereits erwähnt, versucht Hegel die Spannung zwischen dem säkularen Staat und der Religion abzuschwächen, indem er in seiner Interpretation des Christentums die Innerweltlichkeit des Heils und die Immanenz Gottes in der Welt und in der Geschichte betont. Walter Jaeschke zufolge ist daher Hegels Versuch, Staat und Religion zu versöhnen, letztlich daran gescheitert, dass das Christentum diese Interpretation nicht als seine eigene akzeptiert hat.25 Ohne Hegels Prämissen in Abrede zu stellen, kann man jedoch auch fragen, ob Hegel in seiner Analyse der Freiheit nicht übersehen hat, dass die eschatologischen Züge des Christentums und die Betonung der Transzendenz Gottes die Freiheit nicht nur bedrohen, sie sind es vielleicht sogar, die im Sinne des vorigen Absatzes dem Verhältnis zwischen Staat und Religion jene Spannung verleihen, die eine für die Freiheit fatale Verschmelzung der beiden geistigen Sphären verhindert. Der Verweis auf die Transzendenz Gottes und das transzendente Moment des Heils verhindert das Abgleiten in utopische Ideologien, ohne notwendigerweise in quietistische Resignation zu münden. Am Ende seiner Anmerkung zu § 270 der Grundlinien der Philosophie des Rechts schreibt Hegel dem Staat eine „Allgemeinheit des Gedankens“ zu, die über Autorität und Glauben und damit über der Partikularität der einzelnen Kirchen steht. Nur auf diese Weise kann der säkulare Staat einen Raum für gegenseitige Toleranz schaffen. Das Verhältnis zwischen Partikularität und Allgemeinheit kann jedoch auch von der anderen Seite her betrachtet werden. Nicht mehr in einzelnen Kirchen konkretisiert, sondern wesentlich auf das Absolute bezogen, trägt die Religion eine universelle Dimension in sich. Andererseits sind konkrete Staaten, so sehr sie als Rechtsstaaten Ausdruck der Allgemeinheit des Gesetzes und damit der Rationalität sein sollen, in ihrer Begrenztheit immer auch partikular. Auch der allgemeine Wille, den der Staat verkörpern soll, enthält von Natur aus ein Element der Kontingenz und der Positivität der Macht, ohne die er nicht in den Bereich der Wirklichkeit gelangen könnte. Was über die einzelnen Staaten hinausgeht und ihre Begrenztheit, Kontingenz und Bedingtheit offenbart, ist auf der Ebene des objektiven Geistes die Geschichte und auf der Ebene des absoluten Geistes die Religion zusammen mit der Philosophie. Auch hier ist es die Religion bzw. die Philosophie, die den Staat daran hindert, sich in seiner Besonderheit zu verschließen. Die Religion ermöglicht es also, die begrenzte nationalstaatliche Existenz in Richtung der Universalität der Menschheit zu überwinden. Die Freiheit des Einzelnen ist tiefer verankert als in der Zugehörigkeit zu einem bestimmten Staat, auch wenn sie sich nur in einem bestimmten Staat und anderen bestimmten Formen der Sittlichkeit verwirklichen lässt. Die 25 Jaeschke, Es ist ein Begriff der Freiheit in Religion und Staat, S. 21.

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Partikularität und Universalität der Religion und die Partikularität und Universalität des Staates stehen somit in einem fruchtbaren Spannungsverhältnis zueinander. 2

Hegels Relevanz heute

Um die Frage nach der Relevanz von Hegels Analysen für unsere Zeit zu beantworten, werde ich mich auf zwei Problemkreise konzentrieren: 1) Hat Hegels These von der Freiheit als Ausgangspunkt, der die Existenz des modernen Staates legitimiert und ihn verständlich macht, ihre Aktualität behalten? Wenn ja, ist es notwendig, dass das Bewusstsein der Freiheit in der heutigen säkularen Gesellschaft von religiösen Kategorien geprägt ist? Mit anderen Worten: Hat Hegels These von der Religion als Grundlage des Staates im heutigen säkularisierten Zeitalter noch eine Bedeutung? 2) Ist es trotz Hegels Behauptung einer Verbindung des modernen säkularen Staates mit dem protestantischen kulturellen Milieu, aus dem er hervorgegangen ist, möglich, in Hegels politischer Philosophie Raum für einen größeren religiösen Pluralismus zu finden? Oder lassen sich seine Analysen des Verhältnisses zwischen Staat und Religion nicht für die Interpretation der Gegenwart nutzen, weil sie zu sehr von der Bindung seines Staates an eine bestimmte Form des Christentums ausgehen? 2.1 Säkularisierung Hegels Betonung der Bedeutung der Religion für den modernen Staat scheint denjenigen Recht zu geben, die die gegenwärtige Entwicklung der westlichen Welt als Niedergang betrachten und die Ursache dafür in einer Abkehr von den christlichen Werten sehen, deren Wiederherstellung sie fordern. Diesen muss entgegengehalten werden, dass für Hegel nicht die Religion selbst, sondern die in die Philosophie aufgehobene Religion die Grundlage des modernen säkularen Staates ist. Ohne eine philosophische Klärung ist die Religion nicht in der Lage, ihre ambivalente Rolle in Bezug auf den Staat zu überwinden und sich selbst als Ausdruck des Selbstverständnisses des Menschen als eines freien Wesens zu verstehen. Die Ohnmacht der Religion, den zersetzenden Tendenzen des Zeitalters entgegenzuwirken und den Zerfall der Gesellschaft in isolierte Individuen, die ihre partikularen Interessen verfolgen, zu verhindern, wird von Hegel am deutlichsten in der Schlussfolgerung seines Manuskripts der Vorlesungen über Religionsphilosophie von 1821 dargestellt.26 26 Hegel, Vorlesungen über die Philosophie der Religion. Teil 3, S. 95f. Es ist anzumerken, dass diese pessimistische Schlussannahme in den folgenden Jahren in Hegels Vorlesungen

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Die Religion kann diesen Tendenzen sogar Vorschub leisten, wenn sie sich in den Subjektivismus der religiösen Erfahrung oder umgekehrt in die Starrheit des Dogmatismus zurückzieht, anstatt Zuflucht im spekulativen Denken zu suchen. Dass der religiöse Inhalt durch das Denken erfasst werden muss und nur in dieser Form die Grundlage eines freien Staates ohne jede Ambiguität bilden kann, betont Hegel immer wieder. Der moderne säkulare Staat steht also, zumindest für ihn, nicht nur auf dem religiösen Glauben seiner Bürger, sondern auf einem Glauben, der sich selbst transzendiert, sich nicht auf die bloße Autorität der Kirche, der Schrift oder des frommen Gefühls beruft, sondern seinen Inhalt durch das Denken erfasst und so in die öffentliche Sphäre eintritt. Die Freiheit, die der Mensch in der Erhebung zu Gott als Wahrheit findet, ist die Freiheit des denkenden Menschen. Das Christentum in seiner traditionellen Form scheint zumindest in gewissen Teilen der westlichen Welt seine Überzeugungskraft verloren zu haben und für viele Menschen nicht mehr die Artikulation ihrer Welterfahrung zu sein. Wo dies der Fall ist, ist die Forderung nach einer Erneuerung der Religion nutzlos. Anstelle des vergeblichen Versuchs, die alte Unmittelbarkeit wiederherzustellen, muss eine neue Unmittelbarkeit interpretiert werden. Man kann also fragen, ob gerade Hegels Interpretation des Christentums, die die Immanenz des Heils und seine Verwirklichung im Diesseits betont, nicht eine theoretische Grundlage für den fortschreitenden Prozess der Säkularisierung liefert.27 Dieser Prozess bedeutet nicht, dass die Freiheit als Ausgangspunkt aufgegeben wurde, sondern vielmehr, dass ihre Bedeutung noch verstärkt wurde – emanzipatorische Prozesse sind seit Hegels Zeiten fortgeschritten und durchdringen viele Ebenen des gesellschaftlichen Lebens. Die Freiheit bleibt somit die Basis für die Interpretation der politischen Realität und für die Legitimation der politischen Institutionen. Es ist das Verdienst des Christentums, nach Hegel, dass es die Sphäre der Innerlichkeit, in der das Individuum zum Bewusstsein seiner Freiheit kommt, entdeckt und konstituiert und damit nach einer langen Entwicklung die Entstehung des modernen Rechts- und Säkularstaates ermöglicht hat. Der voll entwickelte Freiheitsbegriff umfasst also sowohl diese Sphäre des Innerlichen, in der sich das Selbstverständnis des Menschen auf der Grundlage nicht wiederholt wird – die Behauptung, dass die Religion selbst nicht in der Lage ist, die Widersprüche zu überwinden, weil sie nur eine Seite von ihnen ist und daher der Philosophie bedarf, bleibt jedoch bestehen. 27 Vgl. dazu Dierken, Jörg, Säkularisierung als immanente Eschatologie? (Hegel, Troeltsch, Löwith), in: Schmidt, Thomas M. und Pitschmann, Annette (Hrsg.), Religion und Säkularisierung. Ein interdisziplinäres Handbuch, Stuttgart 2014, (S. 36–49), S. 36f.

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seines Verhältnisses zum Ganzen konstituiert, als auch die öffentliche Sphäre, in der dieses Selbstverständnis einen Raum der praktischen Verwirklichung findet (und in der es zugleich auf Widerstand stoßen kann). Hegels Analysen sind gerade deshalb wertvoll, weil sie sowohl die Interdependenz als auch die Differenz zwischen diesen beiden Sphären und die zwischen ihnen notwendigerweise bestehende Spannung aufzeigen. Wenn wir Hegels Ansatz, vom Freiheitsbegriff auszugehen, auch für die heutige Zeit als überzeugend akzeptieren, bleibt noch die Frage offen, ob das Bewusstsein der Freiheit, das sich in der Sphäre der Innerlichkeit konstituiert, notwendigerweise mit Hilfe religiöser Kategorien artikuliert werden muss. Das muss ja auch nach Hegel nicht der Fall sein: „Die Gesinnung nimmt nicht notwendig die Form der Religion an; sie kann auch mehr beim Unbestimmten bleiben“.28 Obwohl Hegel in der Folge zwischen dem „Volk“, das durch bestimmte religiöse Ideen zum Bewusstsein seiner Freiheit kommt, und denen, die auf der Ebene der „Gedanken und Prinzipien“ bleiben können,29 unterscheidet, ist es nicht prinzipiell notwendig, dass das Bewusstsein der Freiheit in Form von „Gesinnung“ durch traditionelle und institutionell gebundene religiöse Inhalte zum Ausdruck gebracht wird. Was jedoch erhalten bleibt, ist die Unterscheidung zwischen unreflektierten Überzeugungen, die sich in Form von Vorstellungen und Gefühlen äußern, die eine traditionell religiöse oder weniger bestimmte Form annehmen können, und deren gedanklicher Reflexion, die nach Hegel die Aufgabe der intellektuellen Eliten ist.30 Trotz der zunehmenden Säkularisierung kann man daher mit Recht behaupten, dass das Bewusstsein der Freiheit als Produkt früherer religiöser und kultureller Entwicklungen nach wie vor das Prisma ist, durch das das Wesen der öffentlichen Institutionen in der westlichen Kultur betrachtet wird. Sie bleibt somit eine unreflektierte Grundlage der Sittlichkeit, die anstelle religiöser Kategorien vielleicht eher durch Film, Literatur oder Geschichtsunterricht artikuliert wird und so das Selbstverständnis des Menschen prägt. Als solche erfordert sie aber auch eine Kultivierung durch eine philosophische Reflexion. So wie das religiöse Bewusstsein in der Gefahr steht, durch ein Missverständnis seiner eigenen Inhalte in die Unfreiheit geführt zu werden, so ist 28 Hegel, Das Verhältnis der Religion zum Staat nach der Vorlesung von 1831, S. 347. 29 Ebd. 30 Vgl. Hegel, Vorlesungen über die Philosophie der Religion. Teil 3, S. 95f. Die Bedeutung des figurativen Denkens als ständiger Ausgangspunkt des spekulativen Denkens und ihr dynamisches Verhältnis zueinander bei Hegel wird z.B. von Paul Ricœur hervorgehoben (Ricœur, Paul, Le status de la Vorstellung dans la philosophie hégélienne de la religion, in: ders. (Hrsg.), Qu’est-ce que Dieu? Philosophie/Theologie, Hommage à l’abbé Daniel Coppieters de Gibson, Bruxelles 1985, S. 185–206).

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das säkularisierte Bewusstsein in der gleichen Gefahr, da es sich seine Freiheit zunächst auf der Grundlage tradierter kultureller Vorstellungen, Bräuche, Erzählungen und der damit verbundenen Emotionen bewusst macht. 2.2 Religiöser Pluralismus Im Vergleich mit Hegels Zeiten zeichnen sich heutige westliche Gesellschaften nicht nur durch ein höheres Maß an Säkularisierung, sondern auch durch religiösen Pluralismus aus. Obwohl der religiöse Pluralismus für Hegel eine notwendige Folge der Trennung des Staates von den Kirchen ist, gegenüber denen der Staat als Institution, die auf der „Allgemeinheit der Gedanken“ beruht, eine vermittelnde Rolle spielt, bildet für ihn die kulturelle Grundlage für die Entstehung und die stabile Existenz des modernen säkularen Staates das protestantische Christentum. Nach Hegel bringen die einzelnen Religionen einen bestimmten Entwicklungsgrad des Freiheitsbewusstseins zum Ausdruck, der sich in der Gestalt von öffentlichen Institutionen und Normen niederschlägt. Ein zu großer religiöser Pluralismus würde also die Existenz des säkularen Staates gefährden, da eine gemeinsame kulturelle Basis verloren geht. Die Tatsache, dass der zeitgenössische säkulare Staat auch in einer Situation größerer religiöser Vielfalt besteht, zeigt nach Ludwig Siep daher die Grenzen der Relevanz der Hegelschen Philosophie des objektiven Geistes, die zu sehr an das Christentum gebunden ist.31 Siep zufolge lässt sich die derzeitige Situation daher besser mit John Rawlsʼ Konzept des „überlappenden Konsenses“ beschreiben.32 Ludwig Siep ist zuzustimmen, dass sich die Situation seit Hegels Zeit erheblich verändert hat und dass Hegels Analysen in vielerlei Hinsicht an Überzeugungskraft verloren haben. Der religiöse Pluralismus hat in der westlichen Gesellschaft nicht zwangsläufig zu einer grundsätzlichen Bedrohung der Existenz des modernen säkularen Staates geführt. Wie es scheint, sind sogar einige ursprünglich kulturell unterschiedliche Religionen in der Lage, seine Werte zu übernehmen, ohne ihre Ausgangspunkte völlig aufzugeben. Der Katholizismus, der für Hegel und viele andere politische Philosophen der Neuzeit eine mit dem modernen Staat unvereinbare Religion darstellte, machte

31 Vgl. z.B. Siep, Ist Hegels Staat ein christlicher Staat?, S. 94, 111ff. (Sieps Kritik richtet sich jedoch insbesondere gegen den Absolutheitsanspruch, den Hegel seinem Staat zuschreibt und gegen den Siep die mit der Vertragstheorie des Staates verbundenen republikanischen Traditionen stellt.) 32 Siep, Ludwig, Endlichkeit und Unendlichkeit des objektiven Geistes, in: ders., Aktualität und Grenzen der praktischen Philosophie Hegels: Aufsätze 1997–2009, München 2009, (S. 229–242), S. 239.

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in seiner Hauptrichtung schließlich eine solche Entwicklung durch.33 Hegels Analysen weisen jedoch auf die Schwierigkeiten hin, mit denen der moderne westliche säkulare Staat konfrontiert ist, nämlich den Konflikt zwischen den religiösen Gesinnungen bestimmter Gruppen seiner Bürger und den kulturell bedingten Werten, die von den öffentlichen Institutionen vertreten werden. Der moderne säkulare Staat ist nicht wertneutral, und seine Bindung an bestimmte kulturelle Entwicklungen zeigt sich unter anderem darin, dass nicht alle Versuche, ihn in einen anderen Kulturkreis zu übertragen, erfolgreich waren. Gegen Hegel lässt sich vielleicht anführen, dass nicht nur die Religion die Gestalt des Staates beeinflusst, sondern dass das Leben in einem freien und pluralistischen Staat auch die Gestalt der Religion verändern kann.34 Hegels Skepsis gegenüber der Fähigkeit der Religionen, mit Ausnahme des Protestantismus, sich den modernen Staat zu eigen zu machen, beruht auf der Überzeugung, dass die einzelnen Religionen, nachdem sie eines der inhaltlichen Momente des absoluten Geistes auf seinem geschichtlichen Weg zur Selbsterkenntnis verkörpert haben, ihre Bedeutung verlieren und zu einer weiteren Entwicklung unfähig sind. Nach Hegel bleibt das, was eine bestimmte Religion zur Selbsterkenntnis des Menschen beigetragen hat, in der nächsten Entwicklungsstufe der Religion erhalten, wo dieses Element seiner Einseitigkeit 33

34

Darauf weist Charles Taylor in seinen Überlegungen zum Konzept des Säkularismus hin, wenn auch in einem anderen Kontext. Unter Bezugnahme auf den Religionssoziologen José Casanova führt er das Beispiel des amerikanischen Katholizismus an, der in den USA im 19. Jahrhundert als unfähig galt, sich den demokratischen Sitten anzupassen. Spätere Entwicklungen haben dieses Vorurteil überwunden; der amerikanische Katholizismus konnte sich nicht nur anpassen, sondern hat selbst den Weltkatholizismus rückwirkend beeinflusst. Taylor fragt, ob etwas Ähnliches nicht auch im Fall der islamischen Gemeinden in demokratischen Ländern zu erwarten wäre, die in der heutigen öffentlichen Meinung oft den gleichen Vorurteilen ausgesetzt sind wie der Katholizismus in der Vergangenheit (Taylor, Charles, Why We Need a Radical Redefinition of Secularism, in: Mendieta, Eduardo und Vanantwerpen, Jonathan (Hrsg.), The Power of the Religion in the Public Sphere, New York/Chichester 2013, (S. 34–60), S. 36). Kevin Thomson geht in der Frage des Islam noch weiter und versucht zu zeigen, dass der Islam sogar eine neue Form der Religion darstellen könnte, die eine geeignete kulturelle Grundlage für die Existenz eines modernen Staates gemäß den Ideen Hegels bilden könnte (Thomson, Kevin, Hegel, the Political, and the Theological: The Question of Islam, in: Nuzzo, Angelica (Hrsg.), Hegel on Religion and Politics, Albany 2013, S. 99–118). Auch Rachel Bayefsky weist darauf hin, dass sich nicht nur die Religion in der Sittlichkeit widerspiegelt, sondern dass auch die Strukturen der Sittlichkeit die Religion beeinflussen können (Bayefsky, Rachel, The State as a „Temple of Human Freedom“: Hegel on Religion and Politics, in: Nuzzo, Angelica (Hrsg.), Hegel on Religion and Politics, Albany 2013, (S. 39–57), S. 43 u. S. 53).

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beraubt wird, die es in der überholten partikulären Religion hat.35 Gebunden an das klare Schema seiner Geschichtsphilosophie rechnet Hegel nicht mehr damit, dass sich diese „überholten“ Religionen auch in ihren partikularen Gestalten gegenseitig weiter beeinflussen und entwickeln können. Wenn aber nach Hegel der Begriff der Religion als solcher zugleich in den einzelnen Religionen enthalten ist, wenn also jede Religion ein Ausdruck der Freiheit ist, die der Mensch im Verhältnis zum Absoluten findet, dann stellt sich die Frage, ob es nicht möglich ist, dass diese Religionen in ihrer weiteren kulturellen Entwicklung Elemente entdecken, die bisher in ihnen implizit waren – und zwar gerade solche, die mit dem modernen Staat in Einklang stehen. John Rawlsʼ Konzept des „überlappenden Konsenses“ sieht vor, dass das Leben in einer freien Gesellschaft mit gerechten politischen Institutionen einen Einfluss auf die so genannten komprehensiven Lehren hat. Rawls geht davon aus, dass ein verständiger Mensch in der Lage ist, die Vorteile gegenseitiger Toleranz zu erkennen und zu schätzen und sie in seine religiösen, moralischen und weltanschaulichen Einstellungen zu integrieren, d.h. den Wert der Toleranz in seine umfassende Doktrin einzubeziehen. Dies ermöglicht den Übergang von einem bloßen modus vivendi, d.h. einer erzwungenen Toleranz, zu einem übergreifenden Konsens, bei dem die Toleranz bereits auf einer inneren Überzeugung beruht.36 Wenn das oben Gesagte zutrifft, muss das Konzept von Rawls nicht im Widerspruch zu jenem von Hegel stehen, obwohl Rawls im Unterschied zu Hegel absichtlich auf metaphysische und geschichtsphilosophische Voraussetzungen verzichtet. Hegel wie auch Rawls gehen davon aus, dass die menschliche Natur letztlich vernünftig und frei ist und als solche ihre Befriedigung darin findet, in freien und vernünftigen Institutionen zu leben. Nach Hegel liegt die Bedeutung der Religion für den modernen Staat unter anderen in ihrer erzieherischen Funktion, in der Formung der Überzeugungen 35 Nach Klaus Vieweg gehört für Hegel die Vielfalt der einzelnen Religionsformen notwendigerweise zum Begriff der Religion. Daraus leitet er „die Unabdingbarkeit des wechselseitigen Respektierens und die Unhaltbarkeit jeglicher Exklusivitätsansprüche von besonderen Religionen“ ab (Vieweg, Das Denken der Freiheit, S. 467). Es ist wahr, dass sich für Hegel der Begriff der Religion notwendigerweise in einer Vielzahl von historischen Gestaltungen realisiert, von denen jede in gewisser Weise das Ganze zum Ausdruck bringt, aber gleichzeitig ist es schwer zu leugnen, dass Hegel das Christentum als die „vollendete Religion“ betrachtet. Wenn der Maßstab der Grad der Entwicklung des Freiheitsbewusstseins ist, dann sind die Religionen in Hegels Konzeption nicht gleich, und Hegels Hierarchisierung der Religionen kann daher ein Problem für das heutige Verständnis des Pluralismus darstellen. 36 Rawls, John, Justice as Fairness. A Restatement, 3. Auflage, Cambridge (MA)/London 2003, S. 192–195.

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der Bürger, die sich in ihrem Verhältnis zu den öffentlichen Institutionen niederschlagen. Aber auch der Staat ist in dieser Hinsicht nicht machtlos und allein von den Kirchen abhängig (heutzutage schon gar nicht). Die erzieherische Funktion wird durch das öffentliche Bildungswesen, einschließlich der Universitäten, die öffentlichen Medien, indirekt auch durch den Freiraum, den der Staat für Wissenschaft und Kunst bereitstellt, und nicht zuletzt durch das ordnungsgemäße und gesetzesgebundene Funktionieren der öffentlichen und staatlichen Institutionen erfüllt. Hegel betont, dass der Staat ein geistiges Gebilde ist, und dieser Einfluss, mit dem der Staat direkt oder indirekt auf die Überzeugungen der Bürger einwirkt, kann daher gerade als Ausdruck dieser geistigen Natur verstanden werden.37 Mit dieser Interpretation, die eine gewisse Einseitigkeit in Hegels Betrach­ tung der Religionen korrigiert und eine gegenseitige Beeinflussung voraussetzt, wäre es vielleicht möglich, zusammen mit Hegel die Augen nicht vor der Gefahr zu verschließen, die ein zu großer religiöser Pluralismus für den säkularen Staat darstellen kann (obwohl nicht notwendigerweise darstellen muss) und gleichzeitig diesem Pluralismus mehr Raum zu geben, ohne die Hegelschen Prämissen ganz aufgeben zu müssen. Literatur Bayefsky, Rachel, The State as a „Temple of Human Freedom“: Hegel on Religion and Politics, in: Nuzzo, Angelica (Hrsg.), Hegel on Religion and Politics, Albany 2013, S. 39–57. Böckenförde, Ernst-Wolfgang. Die Entstehung des Staates als Vorgang der Säkularisation [1967], in: ders., Recht, Staat, Freiheit, Frankfurt am Main 2006. Dierken, Jörg, Säkularisierung als immanente Eschatologie? (Hegel, Troelsch, Löwith), in: Schmidt, Thomas M. und Pitschmann, Annette (Hrsg.), Religion und Säkularisierung. Ein interdisziplinäres Handbuch, Stuttgart 2014, S. 36–49. Hegel, Georg Wilhelm Friedrich, Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften im Grundrisse. III, Frankfurt am Main 1986. Hegel, Georg Wilhelm Friedrich, Grundlinien der Philosophie des Rechts, Frankfurt am Main 1970. 37

Hegels Begründung der Forderung nach Gewährung von Bürgerrechten für Juden zeigt, dass auch er die Möglichkeit dieses Einflusses in Betracht zieht. Der Ausschluss der Juden aus dem bürgerlichen Leben, der die Tatsache ignoriert, dass sie „zuallererst Menschen sind“, verstärkt nur ihre Entfremdung vom Staat und ihr Gefühl des Andersseins; ihre Einbeziehung würde im Gegenteil zu einer wünschenswerten „Ausgleichung der Denkungsart und Gesinnung“ führen (Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, § 270A, S. 421).

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Hegel, Georg Wilhelm Friedrich, Phänomenologie des Geistes, Frankfurt am Main 1970. Hegel, Georg Wilhelm Friedrich, Das Verhältnis der Religion zum Staat nach der Vorlesung von 1831, in: ders. Vorlesungen über die Philosophie der Religion. Teil 1, Hamburg 1993, S. 339–347. Hegel, Georg Wilhelm Friedrich, Vorlesungen über die Philosophie der Weltgeschichte. Berlin 1822/23, Hamburg 1996. Hegel, Georg Wilhelm Friedrich, Vorlesungen über die Philosophie der Religion. Teil 1, Hamburg 1993. Hegel, Georg Wilhelm Friedrich, Vorlesungen über die Philosophie der Religion. Teil 3. Die Vollendete Religion, Hamburg 1995. Jaeschke, Walter, Es ist ein Begriff der Freiheit in Religion und Staat, in: Arndt, Andreas u. a. (Hrsg.), Staat und Religion in Hegels Rechtsphilosophie, Berlin 2009, S. 9–22. Jaeschke, Walter, Religion und Staat, in: Drüe, Hermann u. a. (Hrsg.), Hegels Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften (1830). Ein Kommentar zum Systemgrundriß, Frankfurt am Main 2000, S. 459–466. Jaeschke, Walter, Staat aus christlichem Prinzip und christlicher Staat, in: Der Staat, Vol. 18, No. 3 (1979), S. 349–375. Maurer, Reinhart, Hegels politischer Protestantismus, in: Hegel-Studien, Beiheft 11, 1970, S. 383–415. Navrátilová, Olga, Stát a náboženství v Hegelově filosofii, Prag 2015. Navrátilová, Olga, Staat und Religion bei Hobbes und Hegel: zwei Auffassungen des Säkularstaates, in: Freiburger Zeitschrift für Philosophie und Theologie, 62. Band (2015), Heft 1, S. 101–120. Peperzak, Adriaan T., Modern Freedom. Hegel’s Legal, Moral and Political Philosophy, Dordrecht/Boston/London 2001. Peperzak, Adriaan T., Religion et politique dans la philosophie de Hegel, in: PlantyBonjour, Guy (Hrsg.), Hegel et la Religion, Paris 1982, S. 37–76. Rawls, John, Justice as Fairness. A Restatement, 3. Auflage, Cambridge (MA)/London 2003, S. 192–195. Ricœur, Paul, Le status de la Vorstellung dans la philosophie hégélienne de la religion, in: ders. (Hrsg.), Qu’est-ce que Dieu? Philosophie/Theologie, Hommage à l’abbé Daniel Coppieters de Gibson, Bruxelles 1985, S. 185–206. Rohrmoser, Günter, Hegels Lehre vom Staat und das Problem der Freiheit in der modernen Gesellschaft, in: Der Staat, Vol. 3, No. 4 (1964), S. 391–403. Siep, Ludwig, Endlichkeit und Unendlichkeit des objektiven Geistes, in: ders., Aktualität und Grenzen der praktischen Philosophie Hegels: Aufsätze 1997–2009, München 2009, S. 229–242. Siep, Ludwig, Ist Hegels Staat ein christlicher Staat?, in: ders., Aktualität und Grenzen der praktischen Philosophie Hegels: Aufsätze 1997–2009, München 2009, S. 93–114.

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Taylor, Charles, Why We Need a Radical Redefinition of Secularism, in: Mendieta, Eduardo und Vanantwerpen, Jonathan (Hrsg.), The Power of the Religion in the Public Sphere, New York/Chichester 2013, S. 34–60. Thomson, Kevin, Hegel, the Political, and the Theological: The Question of Islam, in: Nuzzo, Angelica (Hrsg.), Hegel on Religion and Politics, Albany 2013, S. 99–118. Vieweg, Klaus, Das Denken der Freiheit. Hegels Grundlinien der Philosophie des Rechts, München 2012.

Sind bestimmte Religionen unvollendet? Eine Untersuchung des Verhältnisses zwischen Religion und Staat als Ansich und Fürsich des Begriffs Morteza Fakharian In diesem Aufsatz will ich zwei Behauptungen Hegels hinsichtlich der Religion einer genaueren Betrachtung unterziehen und sie zueinander ins Verhältnis setzen. Diese Analyse soll zur Klärung der Frage beitragen, ob beide Behauptungen trotz ihrer Spannung, die im Folgenden aufgezeigt wird, haltbar sind oder eine von ihnen aufzugeben ist. Die erste, systematische Behauptung betrifft das Verhältnis zwischen Religion und Staat. Obwohl die Religion für Hegel eine Gestalt des absoluten Geistes ist und systematisch nach der Sphäre des objektiven Geistes kommt, steht sie zum Staat als einer Gestalt des objektiven Geistes in einem dialektischen Verhältnis.1 Der Staat wird nicht einfach in die Religion aufgehoben. Sie verbleiben vielmehr in einer komplizierten Relation, die alles andere als klar asymmetrisch ist. Von dieser gegenseitigen Beziehung ist eine Seite der Logik der Hegelschen Enzyklopädie entsprechend verständlich, auch wenn sich hier bei genauer Interpretation Schwierigkeiten ergeben: Wenn also der Staat einfach in die Religion aufzuheben wäre, wäre dies in gewissem Sinne durch die logische Ordnung des Systems vorgesehen. Eine solche Aufhebung wäre, „logisch“ betrachtet, anscheinend deshalb unproblematisch, weil die Sittlichkeit gegenüber der Religion eine beschränkte Form des Geistes darstellt und ihre Wahrheit letzten Endes in der Religion suchen muss. Erstaunlicher ist jedoch die andere Seite, nach der die Religion – entgegen der systematischen Erwartung – von der Sittlichkeit abhängt. Es muss also geklärt werden, in welchem Sinne eine Gestalt des unendlichen Geistes auf eine des endlichen Geistes zurückverwiesen und wie die erste Aufhebung zu verstehen ist. Dann zeigt sich auch, in welcher Relation diese beiden Momente zueinanderstehen. Die zweite, religionsphilosophische Behauptung betrifft Hegels Einschätzung von Religionen, insbesondere der christlichen Religion. Bekanntlich sieht er diese als die vollendete Religion an, die als Schluss am Ende einer Geschichte 1 Ein solches dialektisches Verhältnis verstehe ich dahin gehend, dass sich diese zwei Momente gegenseitig aufeinander beziehen und dieser gegenseitige Bezug notwendig ist. Was sie sind, sind sie demnach erst in dieser Beziehung und als Momente derselben. Wie noch zu sehen sein wird, ist dies darin begründet, dass Religion und Staat als Ansich und Fürsich des Begriffs zu betrachten sind. © Morteza Fakharian, 2023 | doi:10.1163/9789004679399_008

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von Religionen steht, die, obwohl sie als Gestalten des absoluten Geistes die Einseitigkeit des subjektiven und objektiven Geistes überwunden haben, unentwickelte Wirklichkeitsformen religiöser Wahrheit verkörpern und die es in jene vollendete Gestalt aufzuheben gilt. Da die christliche Religion alle Momente des Begriffs in sich enthält, diese Momente in anderen Religionen aber nicht vollständig entfaltet sind, ist jene diesen hierarchisch übergeordnet, die Religion des Endes der Geschichte. Wie wir jedoch sehen werden, birgt das gegenseitige Verhältnis von Religion und Staat die Möglichkeit der Entwicklung der Religion in sich. Sieht man nun die christliche Religion mit Hegel als die eines modernen Staates, bleiben die Entwicklungen in der Sphäre des objektiven Geistes nicht ohne Konsequenz für seine Religion. Die christliche Religion kann und muss demnach selbst entwickelt werden. Soweit ergibt sich keine Schwierigkeit. Problematisch wird es allerdings dann, wenn man anderen Religionen eine solche Entwicklung abspricht. Wenn auch andere Staaten zu ihren Religionen in einem dialektischen Verhältnis stehen, warum sollte dann nicht die Möglichkeit bestehen, dass auch sie sich zusammen mit ihren Religionen entwickeln und nicht trotz dieser oder über diese hinaus. Dies würde heißen, dass jede Religion zumindest prinzipiell die Möglichkeit hat, sich zu „vollenden“. Dies kann nur dann ausgeschlossen sein, wenn man an einem substantiellen Unterschied zwischen der christlichen Religion und anderen Religionen festhält, der nicht zu beseitigen ist. Folglich aber muss man jeder konkreten Religion eine solide, nicht geschichtliche Substanz zuweisen. Wenn sich die Religionen durch solche Substanzen unterscheiden, die ein für alle Mal, etwa in ihrem Entstehungsmoment, festgelegt sind, dann ist es, setzt man Hegels Religionsbild voraus, ausgeschlossen, dass auch diese Religionen in sich Momente des Begriffs entwickeln und sich diese aneignen könnten. In diesem Fall wäre es für andere Religionen von Grund auf, also wesentlich, unmöglich, sich durch begriffliche Arbeit weiterzuentwickeln. Die Konzeption einer solchen Substanz muss also geprüft werden. In diesem Aufsatz werde ich in drei Schritten vorgehen. Zuerst werde ich durch eine Analyse von Hegels Bewegung des Begriffs zeigen, dass von einer solchen ursprünglichen Substanz im Allgemeinen – deshalb auch von einer solchen religiösen Substanz im Besonderen – nicht die Rede sein kann. Eine solche Substanz mit festen Merkmalen hat in Hegels Konzept der Bewegung des Begriffs keinen Platz; vielmehr weist sie einen historischen Charakter auf. In einem zweiten Schritt nehme ich das Verhältnis zwischen Religion und Staat in den Blick. Die spannungsvolle Relation dieser beiden Momente des Geistes zeigt, auf der Folie des ersten Abschnitts betrachtet, wie sie sich gemeinsam entwickeln und entwickeln müssen. Um ihr Verhältnis besser zu verstehen, bietet es sich an, es als ein Verhältnis von zwei Momenten des

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Begriffs aufzufassen. Religion und Staat sind beide Gestalten des Begriffs; man kann Religion als das Ansich und Staat als das Fürsich des Begriffs ansehen.2 Ihre Dialektik ist daher eine zwischen Ansich und Fürsich. Dies wird zu dem Schluss führen, dass sich nicht nur das Prinzip der Religion, sondern auch das jeder bestimmten Religion entwickeln kann. Hier werde ich nun Hegels logische Argumentation gegenüber seinen religionsphilosophischen Gedanken geltend machen und den Punkt stark machen, dass Religionen in Bezug aufeinander, etwas zugespitzt gesagt, nicht hierarchisch einzuordnen sind. Am Ende des Aufsatzes übertrage ich die Ergebnisse der zwei vorangehenden Abschnitte auf die Diskussion über bestimmte Religionen. 1

Bewegung des Begriffs

In diesem Abschnitt werde ich die Bewegung des Begriffs als eine Bewegung in der Geschichte lesen und sie ferner sowohl als Bereicherung des Ansich als auch des Fürsich interpretieren. Eine der geeignetsten Stellen, anhand derer man die Bewegung des Begriffs rekonstruieren kann, findet sich in der Vorrede zur Phänomenologie des Geistes, wo Hegel sich zur Struktur des Bewusstseins äußert. Diese Struktur ist durch die Trennung zwischen dem Bewusstsein und einem äußeren Gegenstand gekennzeichnet, auf den es sich zugleich bezieht. Das Bewusstsein hat von diesem Äußeren, ihm Erscheinenden ein Wissen, von dem es dieses Äußere unterscheidet. Das Äußere fungiert für das Bewusstsein als das an sich seiende Ding, das einen jenseitigen Status erhält. Es ist aber das Bewusstsein selbst, das seinem Gegenstand diesen objektiven Charakter zuweist und ihn durch diesen Zug als das Wahre betrachtet, das es mit seinem Wissen explizieren und auffassen will. Das Bewusstseinsverhältnis hat also zwei Hauptmomente: Das ontologische und das epistemologische.3 Das erste Moment offenbart, welche Wahrheitskonzeption das Bewusstsein hat, welche Art Gegenstand es als das 2 Die Religion ist zwar eine an und für sich seiende Gestalt. Da sie aber einen Gefühls- bzw. Vorstellungscharakter aufweist, ist sie hinsichtlich des Begriffs immer noch an sich. 3 Diese zwei Seiten, also das Ansich und das Für-Bewusstsein (Für-es), sind nach Koch, Anton Friedrich, Die Prüfung des Wissens als Prüfung ihres Maßstabs. Zur Methode der Phänomenologie des Geistes, in: Karásek, Jindřich; Kuneš, Jan und Landa, Ivan (Hrsg.), Hegels Einleitung in die Phänomenologie des Geistes, Würzburg 2006, (S. 21–33), S. 26, keine empirischen Konzeptionen: „Eine kategoriale Konzeption des An-sich ist ein Kern oder eine Vorform einer bestimmten Ontologie, und eine kategoriale Konzeption des Für-es ist ein Kern oder eine Vorform einer bestimmten Epistemologie“. In diesem Sinn hat ein neuer Gegenstand eine neue „kategoriale Gestalt“ (S. 31). Es ist die neue Konzeption der Ontologie, die den neuen Gegenstand hervorbringt; vgl. auch ders., Sinnliche Gewißheit und Wahrnehmung. Die beiden ersten Kapitel der Phänomenologie des Geistes, in: Vieweg, Klaus und Welsch,

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Wahre ansieht. Beim zweiten Moment geht es darum, wie das Bewusstsein seine Wissensansprüche begründet und auf welchem Weg es jenes Wahre zu erreichen behauptet. Diese beiden Seiten sind aber, wie im Folgenden diskutiert wird, nicht bloß Momente des Bewusstseinsverhältnisses, sondern des Bewusstseins selbst, auch wenn das Bewusstsein seine innere Struktur auf sein Verhältnis zum ihm äußerlichen Gegenstand überträgt und zwischen seinen Momenten primär eine scharfe Grenze zieht: „Bewußtsein dessen, was ihm das Wahre ist, und Bewußtsein seines Wissens davon“ (03:77).4 Die Entwicklung des Bewusstseins auf seinem Weg zur Wahrheit erfolgt durch einen Vergleich dieser zwei Seiten. Das Bewusstsein weiß vom Gegenstand und ist sich seines Wissens gewiss. Aufgrund dieser Gewissheit erhebt es den Anspruch, im Besitz der Wahrheit über diesen Gegenstand zu sein. Wie noch zu sehen sein wird, sieht es sich durch Erfahrung aber dazu gezwungen, die Seite des Wissens (oder der Gewissheit) an der Seite der Wahrheit zu prüfen. Diese Prüfung hat ihre eigenen Kriterien, oder wie Hegel es beschreibt: seinen Maßstab auf der Seite, die als das Wahre angesehen wird. Dieser Maßstab wird dann konsequent „als das Wesen […] angenommen“ (03:75). Da sich also eine Kluft zwischen Gewissheit und Wahrheit auftut, geht das Bewusstsein davon aus, dass es das Wesen des Gegenstands noch nicht erkannt hat. Es erachtet dieses Kriterium der Wahrheit als etwas, was außerhalb seiner selbst liegt. Da nun aber beide Momente den inneren Aufbau des Bewusstseins konstituieren,5 heißt dies, dass das Kriterium nicht außerhalb des Bewusstseins liegen kann: „An dem also, was das Bewußtsein innerhalb seiner für das Ansich oder das Wahre erklärt, haben wir den Maßstab […]“ (77). Die Extreme der Prüfung, die miteinander verglichen werden, sind nicht wesentlich voneinander unterschieden – wäre es so und hätten sie gar keinen gemeinsamen Vergleichskontext, wären sie überhaupt nicht vergleichbar. Da sich beide im Bewusstsein selbst befinden, ist die Prüfung „eine Vergleichung seiner mit sich selbst“ (76). Die Seite des Ansich gilt dem Bewusstsein als das zu Erreichende, an dem der erhobene Wissensanspruch geprüft wird. Das Ansich wird deshalb als etwas gesehen, das einen unveränderbaren Charakter aufweisen muss,

Wolfgang (Hrsg.), Hegels Phänomenologie des Geistes. Ein kooperativer Kommentar zu einem Schlüsselwerk der Moderne, Frankfurt am Main 2008, (S. 135–152), S. 136. 4 Hegels Werke zitiert nach: Werke in zwanzig Bänden. Theorie-Werkausgabe, Frankfurt am Main 1969–1971: (Bandzahl:Seitenzahl), andernfalls angegeben. 5 Dass beide Seiten im Bewusstsein enthalten sind, weiß es selber nicht und kann es, mit seinen Konzeptionen von Wahrheit, auch nicht wissen. Auch wenn es sich „für das reale Wissen hält“ (03:72), kann es seine Behauptung erstens nicht rechtfertigen und sie zweitens keineswegs aufrechterhalten (siehe weiter unten).

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wohingegen der Zustand des Bewusstseins prinzipiell dynamisch ist, weil es das im Strom der Erfahrung involvierte Wissen produziert. Die Dynamik einer wissenden und wissen wollenden Position wird an der Statik einer substantiellen Wahrheit reflektiert, die die Instabilität der ersteren zur Ruhe bringen muss. Über diese Ruhe verfügt das Bewusstsein zunächst, wenn es den Anspruch erhebt, durch sein Wissen über die Wahrheit Gewissheit zu haben. Dass diese ursprüngliche Harmonie zwischen Wahrheit und Gewissheit zu einem inneren Spalt im Bewusstsein wird, liegt an der Erfahrung des Bewusstseins. Indem das Bewusstsein seinem Erkenntnisanspruch gemäß durch Sprache und Handeln in die Welt tritt, was Hegel als Objektivierung des Subjektiven bezeichnet, kommt es dazu, dass das in der Außenwelt Erfahrene den Erwartungen des Subjekts teilweise nicht entspricht oder gänzlich widerspricht. Für sein Verständnis ist etwas schief gelaufen. Das Subjekt behauptete, die Wahrheit der Welt (also des Gegenstands) zu kennen. Nun zeigt sich ihm die Welt aber anders als erwartet. Das Erfahrene kann nicht integriert und aufgenommen werden; es irritiert das Bewusstsein, ist unverständlich geworden.6 Durch die Erfahrung kommt es zu einer Konfrontation mit der geistigen Welt, die bereits von einer allgemeinen Wahrheit durchdrungen ist, von einer Wahrheit also, die auch das Wesen des Bewusstseins selbst ausmacht. Durch Sprache und Arbeit, durch deren allgemeinen Charakter, trifft das Bewusstsein auf Aspekte der Wahrheit, derer es sich noch nicht bewusst war.7 6 Emundts hebt die wesentliche Rolle der Erfahrung beim Prozess des Erkennens hervor. Zwei Besonderheiten machen Hegels Konzept der Erfahrung aus: die Überprüfung einer Ansicht in alltäglicher Erfahrung und ihre existenzielle Dimension (Emundts, Dina, Hegel as a Pragmatist, in: British Journal for the History of Philosophy 2015, (S. 1–21), S. 9). Die existenzielle Dimension ist mit der Seite des subjektiven Erlebens (Durchlebens) verknüpft (Emundts, Dina, Erfahren und Erkennen: Hegels Theorie der Wirklichkeit, Frankfurt am Main 2012, S. 43ff.). Wie sie weiter ausführt (ebd., S. 46ff.), hängen mit jeder Erfahrung Wissensansprüche zusammen; in der Erfahrung seien Erwartungen an den in ihr adressierten Gegenstand impliziert. Über Erfahrung bei Hegel siehe Hyppolite, Jean, Genesis and Structure of Hegel’s Phenomenology of Spirit, Evanston/Illinois 1974, S. 578f.; speziell über Erfahrung in der Phänomenologie siehe Beuthan, Ralf, Hegels phänomenologischer Erfahrungsbegriff, in: Vieweg, Klaus und Welsch, Wolfgang (Hrsg.), Hegels Phänomenologie des Geistes. Ein kooperativer Kommentar zu einem Schlüsselwerk der Moderne, Frankfurt am Main 2008, (S. 79–94). 7 Dies lässt sich auch so erklären: Wie Hegel sagt, ist das Wahre das Ganze. Das Ganze ist durch Selbstunterscheidung, also durch Verhältnisse zwischen seinen Momenten, unter seinem Zweck bzw. Begriff strukturiert. In der Erfahrung werden weitere Bereiche dieses Beziehungsnetzwerks sichtbar oder als Momente des Ganzen umgebildet. Auf einem solchen Wahrheitsverständnis beruhen referenzielle Interpretationen von Hegels Wahrheitstheorie wie die von Brandom, Robert, Articulating Reasons. An Introduction to Inferentialism, Cambridge/Massachusetts/London 2000, S. 22–35 und Moyar, Dean, Hegel’s Value. Justice as the Living Good, Oxford 2021, S. 18–36.

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Dies zeigt sich exemplarisch bei Hegels kritischer Untersuchung der sinnlichen Gewissheit. Wenn er zur sinnlichen Gewissheit schreibt: „Sie [die sinnliche Gewissheit; MF] ist selbst zu fragen“ (03:84), bedeutet dies, sie ist zur Objektivierung ihrer Behauptung herausgefordert. Wenn sie ihre Behauptung, der Gegenstand sei „nur als reines Dieses“ (03:82), weiter ausführen, also durch sprachliche Mittel erklären will, verwendet sie allgemeine Termini: Sie kann nicht sagen, was sie meint (03:85). Die Wahrheit ihres Gegenstands stellt sich als „allgemeine Erfahrung“ (03:90) heraus, weil „das sinnliche Diese, das gemeint wird, der Sprache, die dem Bewußtsein, dem an sich Allgemeinen angehört, unerreichbar ist“ (03:91f.). Das „Unaussprechliche“ sei aber „nichts anderes […] als das Unwahre, Unvernünftige, bloß Gemeinte“ (03:92). Über die Sprache sagt Hegel in Jenenser Realphilosophie von 1803/04: „Sie ist ein Allgemeines, an sich Anerkanntes, im Bewußtsein aller auf dieselbe Weise Widerhallendes; jedes sprechende Bewußtsein wird unmittelbar darin zu einem andern Bewußtsein“.8 In diesem Anderswerden durch unvermeidliche Verallgemeinerung, die das sprachliche Äußern (aber auch das Handeln oder die Arbeit) kennzeichnet, besteht jene Erfahrung, in der sich notwendigerweise das Wissen von der Wahrheit distanziert, eine Distanzierung, die anhand neuer Wissens- und Wahrheitskonzepte überwunden werden soll, damit eine neue Einheit entsteht. Durch die Erfahrung kann das natürliche Bewusstsein, das die Wahrheit für sich beansprucht, diesen Anspruch also nicht weiter aufrechterhalten. Seine Gewissheit findet sich in der Erfahrung nicht bestätigt. Wissen und Wahrheit widersprechen sich, die Gewissheit geht verloren. Wird das Wahre von einem Gegenstand vertreten, erfordert dieser Widerspruch eine Korrektur des Wissens: „[S]o scheint das Bewußtsein sein Wissen ändern zu müssen, um es dem Gegenstand gemäß zu machen“ (03:78). Es muss ein neues Gegenstandswissen bzw. eine neue Form der Gegenständlichkeit erarbeitet werden.9 Die Modifizierung dieses Gegenstandswissens entspricht aber einer des Gegenstands selbst (03:78), da das Bewusstsein ihm mittels seines neuen Wissens eine neue Wahrheit zuschreibt. Das Widersprüchliche am alten Konzept des 8 Hegel, G.W.F., Jenenser Realphilosophie I, Die Vorlesungen von 1803/04, Hoffmeister, Johannes (Hrsg.), Leipzig 1932, S. 235. 9 Nach Horstmann, Rolf-Peter, Hegels Phänomenologie des Geistes als Argument für eine monistische Ontologie, in: Vieweg, Klaus und Welsch, Wolfgang (Hrsg.), Hegels Phänomenologie des Geistes. Ein kooperativer Kommentar zu einem Schlüsselwerk der Moderne, Frankfurt am Main 2008, (S. 58–78), S. 72, ist die Phänomenologie die „Prozession unterschiedlicher Objektkonzeptionen, denen jeweils ein ihnen entsprechendes Subjekt zugeordnet ist“; vgl. Dove, Kenley R., Hegel’s Phenomenological Method, in: Review of Metaphysics Vol. 23, No. 4 (1970), (S. 615–641), S. 628.

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Gegenstands wird nun durch neue Begriffe behoben und der Gegenstand wird mit seinen neuerlich in der Erfahrung gewonnenen ontologischen Merkmalen epistemologisch wieder integriert. Dem Störfaktor der Gewissheit wird ein Platz zugewiesen, wodurch die Einheit von Wissen und Wahrheit wiederhergestellt wird. Der Gegenstand gewinnt  – der neuen Gestalt des Bewusstseins entsprechend – einen neuen Charakter: So gewinnt er etwa neue bzw. modifizierte Eigenschaftstypen, andere Bestimmungen werden für wesentlich gehalten, neue Verhältnisse lassen sich zwischen seinen Bestimmungen entdecken, er wird zu anderen Gegenständen in neue Beziehungen gesetzt, er erlangt eine andere bzw. bereicherte Entstehungsgeschichte, etc. Das Bewusstsein kennt ihn nicht länger so, wie es ihn kannte. Das Neue, das neu Gewonnene gehört nun zur Wahrheit des Gegenstands. Durch diese Veränderung wird folglich der Gegenstand, wie er an sich ist, selbst verändert (03:78; 79): Nun verfügt das Bewusstsein über ein neues Ansich, ein neues Wesen des Gegenstands. Das alte Ansich, das also, „was ihm [sc. dem Bewusstsein; MF] vorher das Ansich war“ (03:78; Hervorhebung geändert), verwandelt sich nun zu einem durch die Erfahrung ermöglichten, neuen Ansich des Gegenstands. Hegel hat die kritische Philosophie dafür kritisiert, dass sie der Ansicht sei, „das Ansich der Dinge sei ein ganz anderes als dasjenige, was wir daraus machen“ (08:79, § 22Z). Mit seiner Auffassung der Erfahrung zeigt Hegel nun, wie seine Philosophie das Ansich versteht: als ein sich entwickelndes Ansich bzw. eine sich entwickelnde Substanz. Und dies bedeutet: eine sich entwickelnde Wahrheit. Ist die Wissenschaft der Logik ein logisches Begreifen der Wahrheit, lässt sich nach dem Gesagten der zeitliche Bezug der Logik (d.h. das zeitliche Moment an der Logik selbst) nicht ausschließen.10 Die Logik selbst könnte sich also in einer 10 Vgl. Siep, Ludwig, Die Lehre vom Begriff. Dritter Abschnitt. Die Idee, in: Quante, Michael und Mooren, Nadine (Hrsg.), Kommentar zu Hegels Wissenschaft der Logik, Hamburg 2018, (S. 651–796), Abschnitt 6.3, wo er die „Wechselwirkung zwischen Philosophie und empirischen Wissenschaften“ (S. 781) problematisiert (insbesondere S. 780–785). Er fragt: „Wenn die Philosophie sich in ihrer Entwicklung aber ganz auf ihre eigene Denknotwendigkeit in der logischen Entwicklung der Begriffe stützt, wie kann sie dann dem ‚großen‘ Prinzip der Erfahrung gerecht werden?“ (S. 783). Er fasst seine Untersuchung so zusammen: „Die Logik bzw. das System ist nur im Maße einer holistischen Rekonstruktion mit offenen Prozessen der Wissenschaften und Sitten vereinbar. ‚Erfahrung‘ heißt bei Hegel nicht eindeutig, offene, weitergehende Erfahrung“ (S. 787). Vgl. Simon, Josef, Philosophie und ihre Zeit. Bemerkungen zur Sprache, zur Zeitlichkeit und zu Hegels Begriff der absoluten Idee, in: Scheer, Brigitte und Wohlfart, Günter (Hrsg.), Dimensionen der Sprache in der Philosophie des Deutschen Idealismus, Würzburg 1982, (S. 11–39), S. 38: „Das [Logische; MF] bleibt eine Erörterung von Bedingungen, die nun notwendig als Prämissen anzusehen sind, die gelten, weil sie ‚zur Zeit‘ nicht in Frage gestellt

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Entwicklung befinden.11 Auch wenn Hegel dies nicht explizit thematisiert und in der Einleitung der Logik anders dazu zu stehen scheint, wenn er die Logik als Gottes Gedanken vor der Schöpfung bezeichnet (05:44), können manche seiner systematischen Äußerungen doch anders verstanden werden: Alle Revolutionen, in den Wissenschaften nicht weniger als in der Weltgeschichte, kommen nur daher, daß der Geist jetzt zum Verstehen und Vernehmen seiner, um sich zu besitzen, seine Kategorien geändert hat, sich wahrhafter, tiefer, sich inniger und einiger mit sich erfassend. (05:20f.; meine Hervorhebung) Dieses Verständnis der Wahrheit formuliert Hegel in seinem bekannten Satz: Es kommt nach meiner Einsicht, welche sich nur durch die Darstellung des Systems selbst rechtfertigen muß, alles darauf an, das Wahre nicht als Substanz, sondern ebensosehr als Subjekt aufzufassen und auszudrücken. (03:22f.) Und diese Idee dann wieder so: „Daß das Wahre nur als System wirklich oder daß die Substanz wesentlich Subjekt ist […]“ (03:28). Dass die Substanz wesentlich auch Subjekt ist, kann nur dann verständlich werden, wenn die Substanz in die „dialektische Bewegung, welche das Bewußtsein an ihm selbst, sowohl an seinem Wissen als an seinem Gegenstande ausübt, insofern ihm der neue wahre Gegenstand daraus entspringt“ (03:78), hineingezogen wird. Durch diese „dialektische Bewegung“, die Hegel als Erfahrung bezeichnet (ebd.), wird die Substanz in dem Sinne dynamisiert, dass sie sich erst durch ihre Bestimmungen realisiert und weiterentwickelt. Die statische Auffassung

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werden können“ (ebd.). Hegels Logik bleibt also zeitgebunden und es „verbietet sich […] eine unmittelbare Übernahme der Versuche Hegels, in seiner Zeit zu philosophieren“, um „unsere Zeit in Gedanken zu erfassen“ (ebd.). Mit dieser Entwicklung ist nicht die innere Bewegung logischer Kategorien gemeint, die spekulativ-logischen Regeln streng folgen und somit zeitunabhängig sind. Begriffe, die aus Erfahrungen der natürlichen und geistigen Welt stammen, könnten aber etwas der Logik Unbekanntes darstellen, sodass sie sich gezwungen sähe, ihre Schritte immanent zu revidieren oder andere, neuere Kategorien (wie etwa Chemismus und Teleologie, um einige Beispiele zu nennen) zur Bestimmung logischer Strukturen der Wirklichkeit heranzuziehen. Damit werden wir Hegels Behauptung gerecht, „daß der Erfahrung die Entwicklung der Philosophie zu verdanken ist“ (08:57), wenn wir nicht an ein endgültiges Ende der Philosophie glauben wollen. Ich danke Max Gottschlich, der mich zur Klärung dieses Punkts angeregt hat.

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der Substanz korrespondiert mit einem Wahrheitskonzept, das einen jenseitigen Charakter hat12 und nur „als Sollen Wahrheit haben soll[]“ (03:192). Erfahrungen von wissenden und handelnden Subjekten spielen nach dieser statischen Wahrheitskonzeption keine konstitutive Rolle bei der Beantwortung der Frage, was die Wahrheit ist und wie sie beschaffen ist.13 Diese hier auf der Ebene des Bewusstseins rekonstruierte Bewegung vollzieht sich aber nicht in einem Vakuum, sondern in einer geistigen Welt bzw. in einer Sittlichkeit, in der die Erfahrungen gemacht werden. Ist das Prinzip der Bewegung die Suche nach der absoluten Wahrheit, haben wir die Religion als die Wahrheit oder das Ansich, das „das Bewußtsein des Unwandelbaren und der höchsten Freiheit und Befriedigung gewährt“ (07:417), und den Staat als das Fürsich (Wissen) als zwei Pole dieser Dialektik. Im nächsten Abschnitt untersuche ich, wie sie zueinanderstehen, und komme zu dem Schluss, dass sich beide zusammen entwickeln.

12 Vgl. Simon, Philosophie und ihre Zeit, S. 12–13. Für dieses Transzendenz-Problem der Wahrheit wäre in Hegels Augen Spinozas Konzept eines immanenten Absoluten eine gute Lösung. Da sich aus Spinozas Substanz jedoch keine Einzelheit ableiten lässt (siehe 20:166; 06:196), „ist nur das Nichtbesonderte, das Allgemeine wahrhaft wirklich“ (20:165). Zur unterschiedlichen Konzeption des Absoluten bei Spinoza und Hegel siehe: Bartuschat, Wolfgang, Nur hinein, nicht heraus. Hegel über Spinoza, in: ders., Spinozas Philosophie, Hamburg 2017, (S. 404–425); auch kritisch zu Hegels Lesart von Spinoza: Sandkaulen, Birgit, Die Ontologie der Substanz, der Begriff der Subjektivität und die Faktizität des Einzelnen. Hegels reflexionslogische „Widerlegung“ der Spinozanischen Metaphysik, in: Internationales Jahrbuch des Deutschen Idealismus/International Yearbook of German Idealism 5 (2007), Berlin/New York 2008, (S. 235–275); Macherey, Pierre, Hegel or Spinoza, Minneapolis/London 2011; Gutschmidt, Holger, Hegel gegen Spinoza … und gegen Hegel, in: Karásek, Jindřich; Kollert, Lukàs und Matějčková, Tereza (Hrsg.), Übergänge in der klassischen deutschen Philosophie, Paderborn 2019, (S. 169–192) zufolge war Spinoza Hegel näher als Hegel es gesehen hat. 13 In den unterschiedlichen theologischen Auffassungen des Verhältnisses des Begriffs der wahren Religion zur Geschichte der Religion(en) zeigt sich diese Spannung zwischen zwei Konzeptionen der Wahrheit; siehe zum Beispiel folgende Aussage von David Friedrich Strauss, dem Tübinger Theologen, in seinem Buch Das Leben Jesu, Erster Band, Tübingen 1835, S. VII: „Den inneren Kern des christlichen Glaubens weiss der Verfasser von seinen kritischen Untersuchungen völlig unabhängig“ (zitiert nach Danz, Christian, Jesus von Nazareth zwischen Judentum und Christentum, Tübingen 2020, S. 100); er schreibt weiter: „Christi übernatürliche Geburt, seine Wunder, seine Auferstehung und Himmelfahrt, bleiben ewige Wahrheiten, so sehr ihre Wirklichkeit als historischer Fakta angezweifelt werden mag“ (Strauss, Das Leben Jesu, S. VII). Danz, Jesus von Nazareth zwischen Judentum und Christentum, S. 99–109 untersucht diese Thematik als das Verhältnis zwischen Idee und Geschichte.

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Das Verhältnis zwischen Religion und Sittlichkeit

Wie bekannt, hat Hegel in § 270 der Rechtsphilosophie, in einem, wie Walter Jaeschke bemerkt, „den engen begrifflichen Zusammenhang der  §§ 269 und 271“ unterbrechenden und daher überraschenden Einschub,14 das Verhältnis zwischen Religion und Staat untersucht. Dass Religion in einer rechtsphilosophischen Analyse überhaupt vorkommt, scheint auf den ersten Blick überraschend, denn in der Rechtsphilosophie werden Gestalten des objektiven Geistes thematisiert. Die Religion ist aber keine solche Gestalt; sie ist eine Gestalt des absoluten Geistes. Die Situation wird aber dann erst richtig heikel, wenn man sich Hegels Ausführungen in diesem Paragraphen und im einschlägigen Paragraphen 552 der Enzyklopädie ansieht. Es stellt sich nämlich heraus, dass das Verhältnis zwischen Religion und Sittlichkeit kein einseitiges ist, etwa im Sinne eines einfachen Übergangs vom endlichen in den unendlichen Geist – wie man erwartet hätte –, sondern als gegenseitiger Bezug zu verstehen ist. Obwohl die Religion also eine Gestalt des absoluten Geistes ist und als Resultat der Bewegung des Begriffs die Einheit des objektiven und subjektiven Geistes darstellt, ist sie irgendwie noch in der Sphäre des objektiven Geistes verfangen. Um die Doppeldeutigkeit des Verhältnisses zwischen Religion und Staat zu deuten, schlägt Friederike Schick z.B. vor, „Religion in einem doppelten  – einem weiteren und einem engeren – Sinn zu verstehen“.15 Im weiteren Sinn ist Religion für sie eine Gestalt des absoluten Geistes als Ort der Wahrheit; im engeren leidet die Religion an ihrer beschränkten Form der Vorstellung. Die Hegelsche Pointe ist aber m. E., dass die Religion als Ort der Wahrheit keine andere Form hat (und haben kann, wenn sie ihre Systemfunktion erfüllen soll) als die der Vorstellung. Auch Ernst-Wolfgang Böckenförde sieht diese Doppelbeziehung und versucht sie so zu integrieren, dass er durch die Erweiterung des Begriffs der Religion einen inneren Unterschied macht: „Die Religion i. w. S., d.h. der göttliche Geist in der Welt, differenziert sich […] in die Religion im engeren Sinn (Kultus, Lehre, Kirche) und den Staat“.16 Bei dieser Erweiterung 14 Jaeschke, Walter, Staat und Religion (§270), in: Siep, Ludwig (Hrsg.), G.W.F. Hegel: Grund­ linien der Philosophie des Rechts. 4. überarbeitete und erweiterte Auflage, Berlin/Boston 2017, (S. 247–260), S. 247. 15 Schick, Friederike, Der Begriff des Verhältnisses von Staat und Religion nach  § 270 der Grundlinien der Philosophie des Rechts, in: Arndt, Andreas; Iber, Christian und Kruck, Günter (Hrsg.), Staat und Religion in Hegels Rechtsphilosophie, Berlin 2009, (S. 23–36), S. 35. 16 Böckenförde, Ernst-Wolfgang, Bemerkungen zum Verhältnis von Staat und Religion bei Hegel. Studien zur Rechtsphilosophie, Staatstheorie und Verfassungsgeschichte, in: ders., Recht, Staat, Freiheit, Frankfurt am Main 2006, (S. 115–142), S. 124.

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besteht jedoch die Gefahr, dass das Eigentümliche der Gestalt der Religion übersehen und außerdem der unendliche Geist auf nur eine seiner Gestalten (d.h. auf die Religion) reduziert werden kann. Bei Hegel selbst findet sich weder jene Unterscheidung noch diese Erweiterung und er muss sie vielleicht auch nicht annehmen (obwohl sie beide auf etwas Wichtiges hinweisen), wenn man die Religion als Ansich des Staates betrachtet, die zu diesem somit in einer dialektischen Beziehung steht, wie wir weiter sehen. In § 552 der Enzyklopädie thematisiert Hegel das Verhältnis zwischen Staat und Religion. In seinen Augen beziehen sich Staat und Religion auf das gleiche Prinzip, natürlich jeweils auf eigene Art und Weise. Die Religion behauptet, im Besitz der absoluten Wahrheit zu sein, die sich in dem subjektiven Glauben ausdrückt, dass Gott die Welt regiert.17 Der Staat ist aber auch die verkörperte Vernunft, „das an und für sich Vernünftige“ (07:399), wie Hegel in seiner Darstellung der Entwicklung „des vernünftigen Willens“ (10:331) in der Rechtsphilosophie zeigt. Eine Möglichkeit, die Relation zwischen Staat und Religion zu erfassen, wäre, sie als eine Figur des Verhältnisses Voraussetzen-Setzen zu betrachten. Eine solche Lesart legt Hegels Feststellung in § 552 der Enzyklopädie nahe: „Die wahrhafte Religion und wahrhafte Religiosität geht nur aus der Sittlichkeit hervor“ (10:354). Die Sittlichkeit fungiert hier als eine Voraussetzung, die die wahrhafte Religion möglich macht. Allerdings findet sich auch die entgegengesetzte Sicht dieser Beziehung. Demnach ist jede (vorhandene) Sittlichkeit,18 wie Hegel in § 270 der Rechtsphilosophie schreibt, mitsamt ihren „Gesetze[n] und Pflichten […] ein Bestimmtes, das in eine höhere Sphäre als in seine Grundlage übergeht“ (07:417). Diese höhere Sphäre – Hegel verweist 17 Houlgate, Stephen, An Introduction to Hegel. Freedom, Truth and History, Second Edition, Hoboken 2005, S. 245ff. zufolge glaubt die Religion, dass die Vernunft in der Welt verwirklicht ist. Daher stamme die Hegelsche Idee, dass Religion und Philosophie den gleichen Inhalt haben. Dies betrifft jedoch, wie wir sehen werden, vollumfänglich nur die „wahrhafte Religion“, die „aus der Sittlichkeit hervor[geht]“ (10:354). In der Erkenntnis der Vernünftigkeit der Welt besteht die versöhnende Erkenntnis, die die Hegelsche Theodizee ausmacht (siehe 12:26; Williams, Robert R., Hegel’s Death of God Theodicy, in: ders., Tragedy, recognition, and the Death of God, Oxford 2012, (S. 349–289), S. 367–372; vgl. Jüngel, Eberhard, „Die Weltgeschichte ist das Weltgericht“ aus theologischer Perspektive, in: Bubner, Rüdiger und Mesch, Walter (Hrsg.), Die Weltgeschichte  – das Weltgericht?, Stuttgart 2001, (S. 13–33), insb. S. 26ff. für eine kritische Analyse Hegelscher Theodizee aus Sicht christlicher Theologie). Hegel schreibt deshalb: „Die bestimmten Philosophien sind die Enthüllung Gottes, wie er sich weiß“ (20:456f.). 18 Die Sittlichkeit und der Staat spielen in dem Sinne die gleiche Rolle, dass sie im Vergleich zur Religion in die Sphäre des objektiven Geistes fallen, obwohl der Staat, bei näherer Betrachtung, ein Moment der Sittlichkeit darstellt. Der Staat ist „die Wirklichkeit der sittlichen Idee“ (07:398) und „die selbstbewußte sittliche Substanz“ (10:330). Was ich in meiner Analyse betone, bezieht sich eher auf das Moment des Selbstbewusstseins.

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auf  § 553f. der Enzyklopädie  – ist die von Kunst, Religion und Philosophie. Hier macht die Religion die Grundlage der Sittlichkeit aus. Das Verhältnis zwischen Staat und Religion werde ich daher unter zwei Aspekten betrachten: 1) Religion als Voraussetzung der Sittlichkeit19 und 2) Sittlichkeit als Voraussetzung der Religion. 1) Für einen systematischen Zugang zum ersten Punkt bietet sich der Begriff des Volksgeistes bzw. der der sittlichen Substanz an. Das Verhältnis zwischen einer Sittlichkeit und ihren Individuen hat drei Seiten: die unmittelbare Identität, die Trennung und die vermittelte, durch Vertrauen oder Einsicht gewonnene Einheit. Die unmittelbare Identität zwischen Individuen und Sittlichkeit kommt durch den Volksgeist zum Ausdruck; er ist „der wirkliche Geist einer Familie und eines Volkes“ (07:305). In der bürgerlichen Gesellschaft gehen Individuen als „selbständige[] Einzelne[]“ (07:306) ihren partikularen Interessen so nach, dass sie sich primär vom Allgemeinen distanzieren bzw. nicht darauf eingestellt sind, den eigenen Nutzen mit dem allgemeinen Zweck in Einklang zu denken. Die „Vereinigung“ dieser beiden Bereiche, die Einheit von Substantialität und Subjektivität, ist die Aufgabe des Staates (10:330; § 535). Unter dem Volksgeist versteht Hegel das Weltbild eines Volkes, seine tradierten Wahrheitsvorstellungen und tief verwurzelten Werte und Normen sowie Prinzipien seiner Handlungsorientierungen, die alle einen festen und i. d. R. nicht hinterfragbaren Charakter gewonnen haben. Der Volksgeist weist auf die „sittliche Substanz“ (10:330) oder „die substantielle Bestimmtheit“ (12:104) eines Volkes hin.20 Sie „ist das gemeinschaftliche Gepräge seiner Religion, seiner politischen Verfassung, seiner Sittlichkeit, seines Rechtssystems, seiner Sitten, auch seiner Wissenschaft, Kunst und technischen Geschicklichkeit“ (12:87). Was den Volksgeist auszeichnet, ist die Art und Weise, wie er wirkt. Sein Verhältnis zu Individuen ist ein unvermitteltes. Mit der Vereinigung durch den Staat wird die sittliche Substanz den Bürgern zum Bewusstsein gebracht. Der Staat ist „die selbstbewußte sittliche Substanz“ (10:330) und als diese hervorgebrachte Einheit „die Wirklichkeit der sittlichen Idee“ (07:398). 19 Zur „Bedeutung des Protestantismus [im Gegensatz etwa zur katholischen Kirche; MF] für die politische Gesinnung“ siehe: Hespe, Franz, „Die Geschichte ist der Fortschritt im Bewusstsein der Freiheit“: Zur Entwicklung von Hegels Philosophie der Geschichte, in: Hegel-Studien, Vol. 26 (1991), (S. 177–192), S. 186; auch 188f. 20 Vgl. Vieweg, Klaus, Skepsis und Freiheit, Paderborn 2007, S. 252; 260. Beiser, Frederick, Hegel, New York/London 2005, S. 212 spricht von „the underlying formal-final cause of a nation“, die nichts anderes als die Freiheit ist. Der Volksgeist ist keine metaphysische Entität (Avineri, Shlomo, Hegel and Nationalism, in: The Review of Politics, Vol. 24, No. 4 (1962), (S. 461–484), S. 476–79), sondern „the product of its concrete arrangements in the realms of religion, tradition, and the like“ (ebd., S. 476).

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Die Sittlichkeit ist also „der auf sein substantielles Inneres zurückgeführte Staat“ (10:355). Sie wird aber durch seine Institutionen bewusst und in vernünftige Strukturen umgesetzt; der Staat ist „die Entwicklung und Verwirklichung“ der Sittlichkeit (ebd.). Ist die Sittlichkeit das Innere des Staates, macht Hegel zufolge nun wiederum die Religion das Innere dieser Sittlichkeit aus: Sie ist „die Substantialität aber der Sittlichkeit selbst und des Staats“ (ebd.).21 Religion ist wie das Wesen des Wesens des Staates, als die an sich seiende  – da noch nicht begrifflich artikulierte  – Quelle der Wahrheit und von Prinzipien einer Sittlichkeit und ihres Staates. In dieser Hinsicht stellt Religion einen Topos dar, an dem Sittlichkeit ihre Endlichkeit überwindet, indem sie sich auf die Wahrheit der Religion, die auch ihre eigene ist, also auf „das Bewußtsein des Unwandelbaren“ (07:417) und „der absoluten Wahrheit“ (10:355) zurückbeziehen kann. Religion fungiert also wie ein Gedächtnis, in dem der Staat seine Substanz bewahrt: Sie ist das substantielle Gedächtnis der Sittlichkeit. In der Religion ist das als an sich seiend enthalten, was durch Setzung die Wirklichkeit eines Staates ausmacht. Deshalb spricht Böckenförde vom Staat als „eine[r] Hervorbringung der Religion“.22 Als sein Ansich setzt der Staat die Religion voraus. Wie bereits gesehen, schließt das Verhältnis zwischen Ansich und Fürsich die Entwicklung des Ansich aber selbst mit ein, die ein bestimmtes Fürsich erst möglich macht:

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In den Grundlinien der Philosophie des Rechts sieht Hegel diese Rolle von Religion etwas schwächer, wie Jaeschke, Walter, Christianity and Secularity in Hegel’s Concept of the State, in: The Journal of Religion, Vol. 61, No. 2 (Apr. 1981), (S. 127–145), S. 131 meint: „Religion is the foundation, but only the foundation and not the substance of the ethical life“. 22 Böckenförde, Bemerkungen zum Verhältnis von Staat und Religion bei Hegel, S. 121; siehe zur Ausführung ebd., S. 122. Er betont allerdings, dass dieses Verhältnis präziser als die Hervorbringung des modernen Staates (zu Hegels Zeit) durch die christliche Religion zu verstehen ist (ebd., S. 123): „Die christliche Religion, als die ‚Religion der Freiheit‘ (§ 270 Anm. [Grundlinien]), bringt den Staat als die Wirklichkeit der Freiheit hervor“. Kritisch hierzu Jaeschke, Walter, Es ist ein Begriff der Freiheit in Religion und Staat, in: Arndt, Andreas; Iber, Christian und Kruck, Günter (Hrsg.), Staat und Religion in Hegels Rechtsphilosophie, Berlin 2009, (S. 9–22), S. 20ff. Für Jaeschke ist der Religion und Staat vereinigende Begriff der eine Begriff der Freiheit; er bezieht sich (ebd., S. 16) auf Hegels Vorlesungen über die Philosophie der Religion. Teil 1. Der Begriff der Religion, Jaeschke, Walter (Hrsg.), Hamburg 1993, S. 340: „Es ist Ein Begriff der Freiheit in Religion und Staat“. Jaeschke zufolge kann Religion diesen für den Staat als die Verwirklichung von Freiheit wesentlichen Begriff aber „gar nicht teilen […], wenn sie sich nicht selbst aufgeben will“ (ebd., S. 21), auch wenn „dieser Gedanke zunächst in einer religiösen Form [in der Geschichte; MF] ausgesprochen worden“ ist (ebd., S. 20). Was die Lage zusätzlich erschwert, ist, dass die letzte Wahrheit in Hegels Augen „für das Volk“ nur in einer religiösen Form und nicht in Begriffen zugänglich ist (ebd., S. 21f.).

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Indem die Religion das Bewußtsein der absoluten Wahrheit ist, so kann das, was als Recht und Gerechtigkeit, als Pflicht und Gesetz, d. i. als wahr in der Welt des freien Willens gelten soll, nur insofern gelten, als es Teil an jener Wahrheit hat, unter sie subsumiert ist und aus ihr folgt. (10:355) Da die Religion dieses Bewusstsein „der absoluten Wahrheit“ ist oder es garantiert, führt sie in religiösen Subjekten zur Ausbildung einer religiösen Gesinnung. Beruht der Staat auf einer sittlichen Gesinnung, aufgrund derer die Subjekte auf die Vernünftigkeit des Staates vertrauen, so beruht diese Gesinnung ihrerseits auf der religiösen Gesinnung: „so ist die Religion für das Selbstbewußtsein die Basis der Sittlichkeit und des Staats“ (10:356). Denn durch die Religion ist der Glaube an eine absolute Wahrheit präsent, deren Verkörperung der Staat zu sein hat. Das religiöse Gewissen findet die „unmittelbare und substantielle Einheit“ (10:366f.) im Glauben als dem „Zeugnis des Geistes“ (10:367). Von einem solchen Zeugnis sowie von einem in der Sittlichkeit vorhandenen und immer wieder zu erneuernden Glauben spricht Hegel in den Eingangsparagraphen (§§ 146–7) des Kapitels Sittlichkeit in seinen Grundlinien der Philosophie des Rechts. In diesem Zeugnis hat das Subjekt „sein Selbstgefühl“ (07:295). Nun sieht Hegel genau dieselben Phänomene in Bezug auf die Religion. Die „verhältnislose Identität“ (ebd.) zwischen dem Subjekt und seiner objektiven Welt, die Hegel als Ziel des Staates betrachtet und die er nach dem Einzug der modernen Zeit jedoch bedroht sieht, scheint ihm durch die Religion in der Sittlichkeit vorbereitet zu sein. Der Staat gewinnt mit der Religion eine auf Gefühl, Vorstellung und Glauben beruhende Dimension, durch die die Individuen ein Gewissen entwickeln, das nicht bloß ein subjektives, gegen das Objektive gerichtetes Gewissen ist. Die Religion macht und hält den Glauben an die absolute Wahrheit (die Sittlichkeit) durch Andacht und Kultus lebendig. Hier hallen die Worte des jungen Hegel wider: „Subjektive Religion ist lebendig, Wirksamkeit im Innern des Wesens und Tätigkeit nach außen“ (01:13). Das religiöse Subjekt kann von dem Bewusstsein geprägt sein, dass der Staat nicht nur keine bloße profane (in antireligiösem Sinne) Einrichtung ist, sondern einen notwendigen Schritt im Plan göttlicher Verwirklichung darstellt. Diese Leistung der Religion wird nun allerdings, wie wir unter dem nächsten Punkt sehen werden, wiederum an die Voraussetzung einer Sittlichkeit gebunden. Und dies ist nicht nur in dem Sinne zu verstehen, dass damit kein Widerspruch zwischen Religion und Staat entsteht,23 sondern 23 Dafür reicht vielleicht aus, dass es in letzter Instanz die Sittlichkeit ist, die die Religion bestimmt und nicht umgekehrt (vgl. 07:418f.), damit das religiöse Gewissen keinen Verdacht gegen die objektive Realität des Staates hegt.

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dass die wahrhafte Religion erst in der Sittlichkeit möglich ist. Dies impliziert jedoch eine Einheit zwischen Religion und Staat. Diese Einheit ist umso wichtiger, da beide auf ihre ganz eigene Art und Weise beanspruchen, über das Wahre zu verfügen.24 Wie aber kann die Einheit zwischen Religion und Staat erreicht werden? Diese Frage bringt uns zu unserem zweiten Punkt. 2) Dass wir unter dem ersten Punkt Religion als das Ansich betrachtet haben, gibt uns die Richtung zur Entwicklung dieser Einheit vor. Das Verhältnis ist daher als eins zwischen einem an sich seienden Begriff und seiner Realisierung zu betrachten, wie wir im ersten Teil ausgeführt haben. Der Staat muss einerseits die Religion als sein Ansich (an)erkennen und sich letzten Endes als „die Entwicklung und Verwirklichung“ (10:355) der absoluten religiösen Wahrheit verstehen. Der gegenseitige Bezug von Religion und Staat aufeinander bedeutet also für den Staat, dass er sich erst durch die Setzung der Religion deren, d.h. zugleich seiner, Wahrheit bewusst werden kann. Durch die Einheit wird andererseits die Wahrheit der Religion um weltliche, nichtsdestoweniger göttliche Gestalten wie Institutionen und Gesetze erweitert. Die in der Religion in einer nicht begrifflichen Gestalt vorhandene Wahrheit findet durch Setzungen in einer Sittlichkeit eine sittliche Entsprechung, eine Wahrheit also, die eine Objektivität über eine vorstellungshafte Wahrheit der Religion hinaus besitzt.25 Erst durch die und in dieser Wahrheit, genauer gesagt: als diese Wahrheit, kann die Religion ihre eigene Wahrheit vollständig, oder wie Hegel sagen würde: wahrhaft, erkennen: „Nur aus ihr [der Sittlichkeit; MF] und von ihr aus wird die Idee von Gott als freier Geist gewußt; außerhalb des sittlichen Geistes ist es daher vergebens, wahrhafte Religion und Religiosität zu suchen“ (10:355).26 Dies liegt daran, dass erst in der Realisierung ersichtlich wird, was als 24 Diese Einheit kann im Kontext des Verhältnisses zwischen dem Sakralen und dem Säkularen betrachtet werden, s. hierzu Westphal, Merold, Hegel, Tillich, and the Secular, in: The Journal of Religion, Vol. 52, No. 3 (Jul. 1972), (S. 223–239). Ganz prominent ist diese Einheit auch Thema der Diskussionen über Böckenfördes Theorem und der damit verbundenen Debatte um vorpolitische Legitimitätsgrundlagen der politischen Demokratie, s. hierzu Kervégan, Jean-François, Unsittliche Sittlichkeit? Überlegungen zum Böckenförde-Theorem und seiner kritischen Übernahme bei Habermas und Honneth, in: Stekeler-Weithofer, Pirmin und Zabel, Benno (Hrsg.), Philosophie der Republik, Tübingen 2018, (S. 367–381). 25 Damit die Religion ihre Wahrheit nicht nur als Empfindungsgehalte in Vorstellungsbildern erfassen kann, muss ihre Unmittelbarkeit in der und durch die Sittlichkeit zu einer gesetzten werden  – letzten Endes durch die Philosophie, die selbst nur in einer Sittlichkeit möglich ist. 26 Auch die schöne Kunst kann nur auf einer bestimmten Entwicklungsstufe der Substanz auftreten (siehe 10:371). Für die Religion bedeutet diese Beschränkung aber keine aufklärerische Reduzierung derselben auf Moral, sondern „much more a consequence of the

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Ansich da war. Wir haben bereits gesehen, dass das Ansich bzw. die Substanz durch die Dialektik der Erfahrung nicht gleich bleibt, sondern sich immer wieder neu hervorbringt. Religion als die an sich seiende Voraussetzung des Staates entfaltet und entwickelt ihre Wahrheit demnach erst in einer Sittlichkeit, zusammen mit der Entwicklung eben dieser Sittlichkeit. In dieser gegenseitigen Relation zum Staat ist ihre Wahrheit der (an sich seiende) Anfang aber auch das (für sich gewordene) Ende des Staates. Hegel selbst spricht von einer solchen Relation, wenn er in Bezug auf das Verhältnis zwischen Religion und Sittlichkeit feststellt, „daß das zunächst als Folgendes und Hervorgegangenes Gestellte“, d.h. die nur in der Sittlichkeit gewordene wahrhafte Religion, „vielmehr das absolute Prius dessen ist, durch das es als vermittelt erscheint und hier im Geiste als dessen Wahrheit auch gewußt wird“ (10:355). Diese dialektische Relation (die Wechselseitigkeit) und damit den zweiten Aspekt der Beziehung, wonach auch die Religion den Staat voraussetzt, übersieht etwa Böckenförde. Er betont nur den ersten Aspekt und spricht von einem „Verhältnis der Parallelität“ zwischen Staat und Religion.27 Auch Thom Brooks thematisiert diese Dialektik nicht28 und schreibt der Religion deshalb eine einseitige Funktion als Quelle von „universal principles“29 zu. Diese Einseitigkeit und das Übersehen des Unterschieds zwischen der Form der Religion, d.h. des Gefühls und der Vorstellung, und der eines Staates bringen ihn dazu, der Kantischen Moralität einen Platz im Verhältnis zwischen Religion und Staat zuzuweisen. Die Moralität ist in seinen Augen dann kein bloßer Formalismus, den es aufzuheben gilt, sondern sie hat als Quelle universaler Prinzipien einen sittlichen Charakter, wie die Religion ihn hat. Diese Abhängigkeit der Religion von der Sittlichkeit lässt sich auch unter dem Gesichtspunkt der Notwendigkeit der Verendlichung bzw. Besonderung zur Verwirklichung des abstrakt Allgemeinen betrachten. Nach dem bekannten, allgemeinen Bewegungsmuster einer Bestimmung entwickelt sich diese Verwirklichung aus ihrer abstrakten, unmittelbaren Allgemeinheit durch ein Sichbestimmen, das Hegel auch als Entzweiung bezeichnet, zu einer konkreten Allgemeinheit als der „Einheit und Wahrheit dieser beiden abstrakten Momente“ (07:87),30 also der Einheit der ersten beiden Stufen. Auf specifically idealistic concept of religion“ (Jaeschke, Christianity and Secularity in Hegel’s Concept of the State, S. 133). 27 Böckenförde, Bemerkungen zum Verhältnis von Staat und Religion bei Hegel, S. 124. 28 Brooks, Thom, Hegel’s political philosophy: a systematic reading of the Philosophy of Right, Edinburgh 2013, S. 58–61. 29 Ebd., S. 60. 30 Sehr deutlich führt Hegel diesen „Stufengang der Entwicklung der Idee“ (07:87) anhand der Idee des freien Willens in § 33 seiner Grundlinien der Philosophie des Rechts aus. Auch

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einer allgemeineren Ebene entsprechen diesen drei Momenten die Natur, der endliche und der unendliche Geist. Der endliche Geist ist dementsprechend als Raum der Verendlichung des unendlichen Geistes zu betrachten, wie sein Name schon sagt. Die Gestalten des absoluten Geistes benötigen die Sphäre des subjektiven und objektiven Geistes, um durch Materialisierung Gehalt zu gewinnen und sich weiterzuentwickeln. Philosophie heißt bei Hegel die eigene „Zeit in Gedanken [zu] erfaß[en]“ (07:26). Noch deutlicher kommt der Bezug des unendlichen zum endlichen Geist in folgendem bekanntem Zitat zum Ausdruck: „Es ist ebenso töricht zu wähnen, irgendeine Philosophie gehe über ihre gegenwärtige Welt hinaus, als, ein Individuum überspringe seine Zeit, springe über Rhodus hinaus“ (ebd.). Dies gilt auch für die Religion. Sie muss ihre transzendente Wahrheit durch besondere Konkretisierung fortwährend verendlichen, um dieser dadurch Gehalt zu verschaffen. Ihre zunächst abstrakte Wahrheit muss sie also objektivieren. Dies tut sie zum Beispiel, indem sie Gott Prädikate zuschreibt: Wir sind gewohnt, von Gott zu sagen: Gott ist der Schöpfer der Welt, er ist allgerecht, allwissend, allweise. Dies aber ist nicht das wahrhafte Erkennen dessen, was die Wahrheit, was Gott ist; es ist die Weise des Vorstellens, des Verstandes. Es ist dies notwendig, den Begriff auch durch Prädikate zu bestimmen; aber es ist ein reflektierendes, unvollkommenes Denken, nicht Denken durch den Begriff, Denken des Begriffs Gottes, der Idee. (VPR 3, S. 195)31 Diese Bestimmungen sind jedoch widersprüchlich (ebd., S. 197; 202f.). Zur Auflösung dieser Widersprüche müssen sie auf dem „Boden des Denkens“ (ebd., S. 197) betrachtet und verstanden werden, damit es der Begriff selbst ist, der sich als Religion „objektiviert“ (ebd., S. 204). Eine gelungene Objektivierung benötigt aber eine objektive Welt, die über vernünftige Strukturen verfügt, die das Wesentliche und Allgemeine an jedem Konkreten hervortreten lassen (vgl. ebd., S. 211). Diese Strukturen machen den allgemeinen Charakter jeder einzelnen Besonderung sichtbar bzw. bringen diese dazu, einen allgemeinen Charakter auszubilden. Diese Strukturen sind keine anderen als die Gottesidee durchläuft eine solche Entwicklung: vom abstrakten Gottesbegriff durch Verendlichung in Gestalt bestimmter Religionen zur wahrhaften Religion. 31 Hegel, G.W.F., Vorlesungen über die Philosophie der Religion. Teil 3. Die vollendete Religion, Jaeschke, Walter (Hrsg.), Hamburg 1984 (zitiert als VPR 3). Dieser Schritt ist notwendig: „Indem nämlich die ewige Idee für das Denken aller Menschen und das Denken aller Menschen außerhalb des philosophischen ist, das sich in die Form des Denkens selbst versetzt, so muß auch dies Denken in der Weise der Vorstellung sein“ (VPR 3, S. 197).

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die der Sittlichkeit. Die Religion bedarf also sowohl der Sittlichkeit als auch des Staates, um sich durch unentbehrliche Realisierung Inhalte zu geben und damit ihr Wesen zu entwickeln. Die absolute Wahrheit ist erst in der Sittlichkeit zu erreichen und zu erkennen. Mit anderen Worten erreicht die Wahrheit ihre Absolutheit nicht ohne Sittlichkeit. Gott lässt sich deshalb nur in einer denkenden Sittlichkeit wahrhaft entfalten und mithin erkennen: „Die Sittlichkeit ist der göttliche Geist als inwohnend dem Selbstbewußtsein in dessen wirklicher Gegenwart als eines Volkes und der Individuen desselben“ (10:355). 3

Bestimmte Religionen

Da nun aber jede konkrete Sittlichkeit eine endliche Gestalt ist, kann sie keine Verkörperung der absoluten Wahrheit darstellen. Der endliche Geist jeder Sittlichkeit ist notwendigerweise geschichtlich „und er erscheint so lange in der Zeit, als er nicht seinen reinen Begriff erfaßt, d.h. nicht die Zeit tilgt“ (03:584). Da sich die Offenbarung des Geistes im Lauf der Geschichte vollzieht, ist es die Zukunft, die die wahre Bedeutung des Vergangenen offenbart. Die Offenbarung des Geistes ist nichts anderes als die Offenbarung des Sinnes; mit jeder neuen Stufe gewinnt das Vergangene eine neue Sinnebene. Die Wahrheit steckt also nicht in der Vergangenheit; sie wartet in der Zukunft. Die Wahrheit ist die Geschichte, die vom Ende der Geschichte her erzählt wird. Die Erzählung, die dort möglich wird und erfolgt, enthält in sich die absolute Wahrheit. Was bedeutet dies nun für die Gestalten des unendlichen Geistes? Was für die Philosophie und ihre reine Wissenschaft, die Logik, im Allgemeinen? Der Versuch, eine Logik der Zeit zu schreiben, bedeutet nach dem Gesagten, sich ans Ende der jetzigen, der eigenen Zeit zu versetzen, nicht ans Ende der Zeit überhaupt, was gar nicht möglich wäre. Dies ist die Bedeutung der Philosophie nach Hegel, wenn er davon spricht, ihre Zeit in Gedanken zu erfassen (07:26). Die Logik ist dann die höchste Stufe des Geistes, die für seine jeweilige Zeit möglich ist, da „der Geist ein Resultat in dem Sinn [ist], daß es die Wahrheit des Vorhergehenden ist“ (GW 25,2, S. 566).32 Solange die Zeit läuft, werden die Erfahrungen des Geistes im Verhältnis zu den noch kommenden Erfahrungen zum Vorhergehenden, das die endgültige Bestimmung seiner Wahrheit noch 32 Hegel, G.W.F., Vorlesungen über die Philosophie des Subjektiven Geistes II. Nachschriften zu dem Kolleg des Wintersemesters 1827/28 und Zusätze (GW 25,2), Bauer, Christoph Johannes (Hrsg.), Hamburg 2011. Vgl. auch VPR 3, S. 252: „Der Geist [ist es,] der diese in der Erscheinung vorgehende Geschichte geistig auffaßt, darin die Idee Gottes, sein Leben, seine Bewegung erkennt“.

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abwarten muss. Jede Zeit kann und muss ihre eigene Wahrheit finden, die dann in der Religion dieser Zeit als Wesen derselben bewahrt und durch die Philosophie begrifflich artikuliert wird. Erst am Ende der Geschichte tritt schließlich Gott als ganze Wahrheit auf. Aus dieser Perspektive ist jede Religion letzten Endes gewissermaßen eine „bestimmte“ Religion, auch wenn sie als eine vollendete Religion ein Bewusstsein hat, das „das Wissen seiner als des Wesens und des Wesens als seiner“ (VPR 3, S. 179) ist. Denn wie wir untersucht haben, entwickelt sich das Wesen im Lauf seiner Erscheinungen. Die Religion entwickelt sich in diesem Sinne nicht zu etwas anderem, sondern in sich. Obwohl die vollendete Religion also das, „was sie ist, das Bewußtsein des Wesens, selbst zu ihrem Gegenstand“ (ebd.) hat, können dieses Wesen und sein Bewusstsein sich weiterentwickeln und tun dies auch. Was also nicht ausgeschlossen ist, wenn die Stufe der „vollendeten“ Religion erreicht ist, ist deren eigene innere Entwicklung, die ihre früheren Gestalten im Vergleich zur zuletzt erreichten Gestalt deshalb zu etwas Unvollendetem macht. Wenn Hegel über den Unterschied von Theologen, die die Heilige Schrift erklären, zu denjenigen schreibt, „die sehr religiös sind, sich bloß an die Bibel halten, nichts tun als die Bibel lesen und Sprüche daraus hersagen“ (ebd. S. 185), thematisiert er dieses „sogenannte Erklären“ (ebd.): [S]obald das sogenannte Erklären anfängt, Schließen, Exegesieren, was die Worte der Bibel zu bedeuten haben, so tritt der Mensch ins Räsonnieren, Reflektieren, ins Denken hinüber, und da kommt es darauf an, wie er sich in seinem Denken verhalte, ob sein Denken richtig ist oder nicht. (ebd.) Auch wenn ihm hier vorrangig daran gelegen ist, zu zeigen, dass die Theologen sich widersprechen, wenn sie sagen: „man solle sich bloß an die Bibel halten“ (ebd.), bemerkt er hinsichtlich des Faktums, dass bestimmte „Vorstellungen, Grundsätze“ das Erklären „leiten“ (ebd.): „Die Erklärung der Bibel zeigt den Inhalt der Bibel je in der Form einer jeden Zeit; die Erklärung vor tausend Jahren war ganz anders als die jetzige“ (ebd., S. 186; meine Hervorhebung). Er zielt zwar darauf ab, dass nur die spekulative Logik die wahrhafte Erklärung, oder mit Hegels Worten: das wahrhafte Begreifen, des wahren Inhalts der Religion liefern kann: „Nur wahrhafte, nach der Notwendigkeit logisch entwickelte Formen können es sein, [die hierfür in Frage kommen]. Die Untersuchung aber dieser Denkformen fällt allein der Philosophie zu“ (ebd.; Einfügung im Original). Vor dem Hintergrund der Ausführungen im ersten Teil dieses Aufsatzes bedeutet dies, dass verschiedene Erklärungen auch durch den temporalen Charakter der Philosophie selbst bedingt sein können. Dann lässt

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sich folgende Warnung absolut, d.h. in Bezug auf das ganze System, lesen und nicht nur im Hinblick auf den Standpunkt des endlichen Geistes: Der Buchstabe tötet, aber der Geist macht lebendig. Da kommt es dann darauf an, welchen Geist man herzubringt, welcher Geist dies Positive belebt. Man muß wissen, daß man einen konkreten Geist mitbringt, einen denkenden, reflektierenden, empfindenden Geist, und muß Bewußtsein über diesen Geist haben, der tätig ist, der diesen Inhalt auffaßt. (ebd., S. 187) Warum hat Hegel die christliche Religion anders bewertet? Die christliche Religion ist Hegel zufolge die vollendete Religion, da sie dem Religionsbegriff am nächsten kommt. Sie verfügt über die passendste Form der ewigen Idee, die er als „die heilige Dreieinigkeit“ vorstellt, die „Gott selbst [ist], ewig dreieinig“ (ebd., S. 201; vgl. auch S. 254). Die dreiteilige Hauptstruktur des Denkens sowie des Seins, unmittelbare Identität, Differenz und vermittelte Allgemeinheit, findet er durch das trinitarische Gottesverständnis in dieser Religion präsent,33 auch wenn er „Anklänge an jede Dreiheit als die wahrhafte Bestimmung“ auch in „früheren Religionen“ (ebd., S. 211) festgestellt zu haben meint. Dementsprechend schreibt Hegel eine Geschichte der Religionen, die eine Entwicklungsgeschichte derselben ist. Seine Bewertung der christlichen Religion als die vollendete hat im Rahmen seiner eigenen Philosophie zwei Voraussetzungen: Erstens, dass die Struktur des Wahren durch seine Logik vollständig offengelegt ist; zweitens, dass seine Lesart christlicher Lehren die richtige ist, und zwar deshalb, weil sie der logischen Struktur am besten entspricht. Die erste Voraussetzung lässt sich, wie gezeigt, anhand seines eigenen dialektischen Verständnisses der Beziehung zwischen Begriff und Gegenstand respektive Subjekt und Substanz problematisieren. Hegels Lesart des Christentums war und ist andererseits nicht die dominierende Interpretation. Aber auch wenn man beide Voraussetzungen annimmt, ist eine innere Entwicklung anderer Religionen nicht auszuschließen, solange man den zeitlichen Charakter ihrer Substanz anerkennt.34 Wenn man, mit anderen Worten, die Substanz zugleich als Subjekt versteht, muss man von einer Entwicklung jeder bestimmten Religion ausgehen, die mit der der Sittlichkeit einhergeht, 33 Hierzu siehe Hodgson, Peter C., Hegel and Christian Theology, Oxford 2005, S. 135ff.; Jaeschke, Walter, Hegel-Handbuch, Stuttgart/Weimar 2003, S. 468f. 34 Auch das Prinzip des Christentums hat eine Geschichte und war am Anfang „neither a perfect principle nor a completed form“ (Jaeschke, Christianity and Secularity in Hegel’s Concept of the State, S. 136).

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deren Ansich diese Religion ausmacht. Dann stellt sich die Frage, ob man bestimmte Religionen lediglich als in einer Fortschrittsgeschichte begriffen auffassen darf, deren Höhepunkt die christliche als die vollendete Religion ist. Ist es logisch widersprüchlich, jeder anderen Religion die Fähigkeit einzuräumen, ihre „Kategorien“ zu ändern, um „sich wahrhafter, tiefer, sich inniger und einiger mit sich [zu] erfassen[]“ (05:21)? Kann sie, wenn sie sich mit ihrer Sittlichkeit entwickelt, nicht auch die Momente des Begriffs in sich ausbilden, mit jeweils anderen historischen Gestalten?35 Blickt man auf die Motive der beiden ersten Kapitel zurück, dann findet sich kein prinzipielles Hindernis, und dies soll heißen: kein logisches Hindernis, dass sich eine Religion weiterentwickelt und durch religiöse Vorstellungen und Gedanken in sich etwa das Bewusstsein der Freiheit hervorbringt, durch neue Interpretation „ursprünglicher“ Lehre. Gerade umgekehrt: In gewissem Sinne ist diese Entwicklung sogar notwendig. Die Sittlichkeit muss sich in einer Bewegung befinden, wenn sie nicht deformiert werden und letzten Endes nicht zusammenbrechen will. Religion und Sittlichkeit stehen aber, wie gesehen, in einem notwendigen Verhältnis zueinander, im Verhältnis des Ansich und Fürsich. Dies führt zu dem Schluss, dass die Entwicklung der einen nicht ohne die der anderen möglich ist. Dies bedeutet, dass auch jede Religion, die ihre Wahrhaftigkeit nur in der Sittlichkeit gewinnt, sich zusammen mit dieser Sittlichkeit dem absoluten Geist annähern kann. Alle Krisen und Widersprüche, die die Entwicklung der Sittlichkeit vorantreiben, spielen für die Religion dieser Sittlichkeit gleichsam dieselbe Rolle; sie können auch Ausdruck des Konflikts zwischen Sittlichkeit und Religion sein. Dies ist insofern im Sinne Hegels, als der Gott der Religion mit der Vernunft der Sittlichkeit identisch ist, wenn auch in unterschiedlichen Gestalten erscheinend. Hegels Punkt bezüglich bestimmter, historischer Religionen ist, dass sie inhaltlich nicht über Momente verfügen, die die wahrhafte Versinnlichung bzw. Verbildlichung der absoluten Wahrheit erlauben, da die absolute Wahrheit in ihrer Zeit noch nicht erreicht war – genau aufgrund der oben ausgeführten Dialektik. Mit der Dynamisierung der Substanz gibt es aber keinen Grund, anzunehmen, dass die Momente sich nicht weiter entwickeln können, zumal die Bewegung eine gewisse Offenheit genießt und kein vom Anfang an festgelegtes Ende kennt. Dies bedeutet für religiöse Subjekte, dass ihrer Religion keine ahistorische Substanz zuzuschreiben ist, die durch historische Erscheinungen eine 35

Hier geht es nicht um unterschiedliche Konzeptionen und Kriterien von Vollendung, was für sich diskutierenswert wäre. Mein Punkt ist, dass man von einer inneren Entwicklung jeder Religion ausgehen kann, auch wenn man das Hegelsche Kriterium der Vollendetheit annimmt.

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bestimmte Gestalt besitzt. Dies heißt nicht, dass sie manche Lehren und Dogmen verwerfen sollen, was die Theologie der Aufklärung wollte und wogegen sich Hegel positioniert hat. Dem zeitlichen Verständnis liegt das vernünftige Begreifen zugrunde. Religiöse Subjekte müssen ihre Lehre also immer wieder und neu lesen, was dann als ein Moment des Programms, ihre Zeit in Gedanken zu erfassen, verstanden werden kann. Widersprüche und Krisen der Sittlichkeit, oder allgemeiner der Welt, sind in einem qualifizierten Sinne auch die der Religion(en). Denn diese Krisen weisen auf eine problematische Auffassung der Wahrheit hin, eine Auffassung also, für die auch die Religion(en) mitverantwortlich ist bzw. sind. Literaturverzeichnis Avineri, Shlomo, Hegel and Nationalism, in: The Review of Politics, Vol. 24, No. 4 (1962), S. 461–484. Bartuschat, Wolfgang, Nur hinein, nicht heraus. Hegel über Spinoza, in: ders., Spinozas Philosophie, Hamburg 2017, S. 404–425. Beiser, Frederick, Hegel, New York/London 2005. Beuthan, Ralf, Hegels phänomenologischer Erfahrungsbegriff, in: Vieweg, Klaus und Welsch, Wolfgang (Hrsg.), Hegels Phänomenologie des Geistes. Ein kooperativer Kommentar zu einem Schlüsselwerk der Moderne, Frankfurt am Main 2008, S. 79–94. Böckenförde, Ernst-Wolfgang, Bemerkungen zum Verhältnis von Staat und Religion bei Hegel. Studien zur Rechtsphilosophie, Staatstheorie und Verfassungsgeschichte, in: ders., Recht, Staat, Freiheit, Frankfurt am Main 2006, S. 115–142. Brandom, Robert, Articulating Reasons. An Introduction to Inferentialism, Cambridge/ Massachusetts/London 2000. Brooks, Thom, Hegel’s political philosophy: a systematic reading of the Philosophy of Right, Edinburgh 2013. Danz, Christian, Jesus von Nazareth zwischen Judentum und Christentum, Tübingen 2020. Dove, Kenley R., Hegel’s Phenomenological Method, in: Review of Metaphysics, Vol. 23, No. 4 (1970), S. 615–641. Emundts, Dina, Erfahren und Erkennen: Hegels Theorie der Wirklichkeit, Frankfurt am Main 2012. Emundts, Dina, Hegel as a Pragmatist, in: British Journal for the History of Philosophy 2015, S. 1–21. Gutschmidt, Holger, Hegel gegen Spinoza  … und gegen Hegel, in: Karásek, Jindřich; Kollert Lukàs, and Matějčková Tereza (Hrsg.), Übergänge in der klassischen deutschen Philosophie, Paderborn 2019, S. 169–192.

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Hegels zwieschlächtige Kritik des kosmologischen Gottesbeweises Friederike Schick In der Tradition philosophischer Theologie gab und gibt es den Versuch, die Existenz des Gegenstands der Religion, Gottes, unabhängig vom religiösen Glauben zu beweisen. Zu den verschiedenen Versuchen, einen solchen Beweis zu liefern, gehört prominent der Typ des kosmologischen Beweises.1 Von den gegenwärtigen Debatten für und wider einen solchen Beweis weitgehend unbemerkt, findet sich in Hegels Religionsphilosophie eine eigene, m.E. sehr nachdenkenswerte Stellungnahme zu diesem Thema. Hegel vertritt nämlich ein eigentümlich doppeltes Urteil über (nicht nur) diesen Gottesbeweis: Einerseits reiht sich Hegel eindeutig in die Reihe der Kritiker des kosmologischen Gottesbeweises ein, und zwar mit einer sehr grundsätzlichen Kritik, die sich gegen die Form des ganzen Beweises und gegen den Inhalt der darin zugrunde gelegten Begriffe richtet; andererseits vertritt er aber auch, dass (wiederum nicht nur) dieser Beweis „eine Beschreibung des sich Erhebens zu Gott“2 sei, einer Erhebung, die er ihrerseits ebenso eindeutig als vernünftig, in der Natur des Denkens selber begründet, beurteilt und durch die von Kant und anderen Autoren vorgelegten Kritiken am kosmologischen Gottesbeweis keineswegs erledigt sieht. Der folgende Beitrag soll nachvollziehen und prüfen, was es mit diesem doppelten Urteil auf sich hat, auf welche Argumente es sich stützt und welche systematischen Konsequenzen sich daraus auch für die heutigen Debatten ergeben. Hauptbezugstext werden die Vorlesungen 11–13 der Vorlesungen über die Beweise vom Dasein Gottes sein.3 1 Der Name „kosmologischer Gottesbeweis“ bezieht sich nicht nur auf einen einzigen Beweis, sondern auf eine Gruppe von Beweisen, die einander darin verwandt sind, dass sie die Existenz des Zufälligen zum Beweisgrund für die Annahme eines absolut Notwendigen machen. Zu den Variationen und zur Diskussion ihrer Gültigkeit vgl. Hermanni, Friedrich, Das kosmologische Argument, in: Hermanni, Friedrich, Metaphysik. Versuche über letzte Fragen, Tübingen 2011, S. 15–42. Pruss, Alexander R. und Gale, Richard M., Cosmological and Design Arguments, in: Wainwright, William J. (Hrsg.), The Oxford Handbook of Philosophy of Religion, Oxford 2005, S. 116–137. 2 Hegel, Georg Wilhelm Friedrich, Vorlesungen über die Philosophie der Religion. Einleitung. Der Begriff der Religion, W. Jaeschke (Hrsg.), Hamburg 1993, S. 312; im Folgenden zitiert als VPR 1. 3 Die Gottesbeweisvorlesungen werden im Folgenden zitiert nach: Hegel, Georg Wilhelm Friedrich, Theorie Werkausgabe (hier und im Folgenden abgekürzt: TWA), Bd. 17, Frankfurt

© Friederike Schick, 2023 | doi:10.1163/9789004679399_009

Hegels zwieschlächtige Kritik

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Der erste Teil des Beitrags verfolgt anhand der Vorlesungen 11 und (partiell) 12 Hegels Darstellung dessen, was er die allgemeine Erhebung des menschlichen Geistes zu Gott nennt – jene Erhebung also, die dann im förmlichen Beweis expliziert, aber eben auch entstellt worden sein soll. Der zweite Teil verfolgt anhand der Vorlesung 13 und anderer Passagen aus Hegels Religionsphilosophie und Logik, was genau Hegel am Typ des kosmologischen Gottesbeweises kritisiert. Dabei wird versucht, freizulegen, inwiefern sich in der kritisierten Form zugleich ein gültiger Gedankenschritt wiedererkennen lässt, um so die negative und die positive Seite der Hegelschen Kritik unterscheiden und prüfen zu können. Im dritten Teil wird es zunächst darum gehen, bündig festzuhalten, was sich als positive Einsicht über Begriff und Begründung absoluter Notwendigkeit aus der vorangegangenen Kritik ergeben hat. Nachdem damit die negative und die positive Seite in Hegels Beweiskritik identifiziert sind, gilt es abschließend zu bestimmen, wie sich das Resultat zum Beweisziel des kosmologischen Gottesbeweises, der Annahme der Existenz des oder eines absolut notwendigen Wesens und – wenngleich dies im Rahmen des Beitrags nur im Ansatz geleistet werden kann – zum Gottesglauben selber verhält. 1

Die Erhebung des Geistes zu Gott in den Kategorien von Zufall und Notwendigkeit

In der elften Gottesbeweisvorlesung rekapituliert und kommentiert Hegel die „Erhebung des menschlichen Geistes zu Gott“, näher die Erhebung vom Zufälligen über die hypothetische zur absoluten Notwendigkeit, in derjenigen Fassung, wie sie die menschliche Vernunft vollzieht, „welche nicht methodisch und förmlich zum Bewusstsein ihres innerlichen Prozesses, noch weniger zu der Untersuchung jener Gedankenbestimmungen, die er durchläuft, und ihres Zusammenhanges ausgebildet ist“ (TWA 17, S. 451). Die Ebene, auf die sich Hegel hier bezieht, lässt sich vorab durch zwei Abgrenzungen unterscheiden: Die eine Abgrenzung verläuft gegenüber dem „förmlich und methodisch in Schlüssen verfahrende[n] Denken“ (ebd.), das sich ausdrücklich in den – syllogistischen, hypothetischen und disjunktiven  – Schlussformen der Schullogik artikuliert; in unserem Fall ist das Gegenüber, von dem abgegrenzt am Main 1969, S. 347–535. – In diesem Zusammenhang wäre es lohnend, auch auf Hegels Auseinandersetzung mit Kants Kritik des kosmologischen Beweises einzugehen, worauf in diesem Beitrag aus Platzgründen verzichtet wird. Vgl. dazu die „Einschaltung“ in TWA 17, S. 421–447.

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wird, eben der kosmologische Gottesbeweis in der formell als Wissenschaft konzipierten Metaphysik.4 Die andere Abgrenzung verläuft gegenüber einer in Erkenntnistheorie, Transzendentalphilosophie und Wissenschaft der Logik ausgebildeten Kategorientheorie und -kritik. Wir bekommen es also mit einem Denken zu tun, das sich unbefangen, ohne logische und vernunftkritische Selbstreflexionen oder Prüfungen der verwendeten Kategorien als solcher, in diesen Kategorien und Denkformen selber bewegt und diese als objektstufige Prädikate einsetzt. Hegels Darstellung dieses gedanklichen Übergangs lässt sich in drei Etappen gliedern. In der ersten Etappe rekapituliert er den Ausgangsbefund der Zufälligkeit der Dinge in der Welt und damit der Welt im Ganzen, wie er sich „in Empfindung und Vorstellung“ (TWA 17, S. 448) findet. In der zweiten Etappe rekapituliert er den Befund, dass sich auch schon innerhalb dieser Welt des Zufalls notwendige Zusammenhänge zeigen, besonders in Form kausaler Gesetzmäßigkeiten. Die so als Kombination von Zufall und Notwendigkeit strukturierte Weltansicht insgesamt wird dann gewissermaßen zum Absprungbrett für den an dritter Stelle beschriebenen entscheidenden Schritt, in dem sich der menschliche Geist über die von ihm als Sphäre von Zufall und relativer oder äußerer Notwendigkeit bestimmte Welt hinaus zu einer Sphäre erhebt, die rückblickend als die einer absoluten Notwendigkeit beschrieben werden kann. Die erste Etappe: Dass im Allgemeinen „die weltlichen Dinge für sich genommen als zufällig betrachtet werden“ (ebd.), nimmt Hegel an dieser Stelle als Erfahrungstatsache auf und schließt, gleichsam zum Beleg, einen kurzen Streifzug durch verschiedene Variationen dieser Weltansicht an.5 Zufällig scheinen „die weltlichen Dinge“ dabei in mehreren Hinsichten zu sein: Weder den Anfang noch das Ende ihrer Existenz verdanken sie sich selbst. Dass ihre Existenz endet, scheint wesentlich zu ihr zu gehören  – es macht die Natur 4 Diese Abgrenzung schließt nicht aus, dass es sich bei dieser Erhebung um einen Schluss handelt, und sie schließt auch nicht aus, dass es sich um einen metaphysischen Gedankengang handelt. Im Durchgang wird sich alsbald zeigen, dass Hegel erstens dem menschlichen Geist dabei durchaus gedankliche Übergänge zutraut und zuschreibt, die für den betrachteten Geist selber als begründet erscheinen, und dass dieser Gedankengang insgesamt zweitens insofern als metaphysisch einzuordnen ist, als er die Gegenstände der Erfahrungswelt sub specie ontologischer Kategorien reflektiert oder, anders gesagt, Kategorien „als die Grundbestimmungen der Dinge“ (Hegel, Georg Wilhelm Friedrich, Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften im Grundrisse [1830] § 28; TWA 8, S. 94) nimmt. 5 Für das Verständnis seiner Ausführungen ist diese Ebene der Darstellung im Hinterkopf zu behalten. Es geht um die Rekapitulation verbreiteter Vorstellungen und nicht darum, was Hegel selber uns über Gott und die Welt mitteilen möchte. Was an diesen Vorstellungen Wahres ist, gehört auch für Hegel durch Kritik, letztlich durch Kategorienkritik, geprüft.

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der weltlichen Dinge aus, „zu fallen“ (ebd.). Auch da, wo Existenz die Form der Entwicklung, der Entfaltung der eigenen Natur des existierenden Wesens annimmt – Hegel sagt es nicht ausdrücklich, aber angesprochen sind damit Lebewesen –, führt der Verlauf todsicher zum Ende dieser Existenz. Außerdem können Lebewesen im Lauf ihres Lebens von anderem Existierenden gehemmt, geschädigt oder vernichtet werden. Ihre Existenz wie die der weltlichen Dinge überhaupt ist, verallgemeinert ausgedrückt, „bedingt“. Als bedingt aufgefasst, verweisen Dinge einschließlich der Lebewesen auf unabhängig von ihnen Existierendes, das sich zu ihrer Existenz als förderlicher oder hinderlicher Umstand verhalten kann. Indem sie im Raum und in der Zeit existieren, erscheinen die Dinge zugleich als nur äußerlich aufeinander bezogen – auch ganz disparate Dinge können in räumlicher und in zeitlicher Nachbarschaft zueinander stehen. Von der Warte der Existenz eines bestimmten Gegenstands aus gesehen, scheint es zufällig zu sein, ob die tatsächlichen räumlich-zeitlichen Umstände seiner Existenz zu den ihm günstigen oder zu den ihm hinderlichen gehören. Dass und ob gerade er existiert, scheint für Gegenstände in seiner zeitlichen und räumlichen Nachbarschaft keine Rolle zu spielen. Es hängt von anderen Dingen ab, ob, wie und wie lange ein gegebenes Ding existiert; und ob, wie und wie lange jene anderen Dinge der Existenz dieses einen Dinges günstig sind, entscheidet sich nicht im Rückbezug auf dieses eine, sondern ganz unabhängig von ihm. So stellen sich die Dinge als selbständig gegeneinander dar – und sind es auch wieder nicht, sondern „durch die Schranke ihrer Endlichkeit wesentlich unselbständig“ (TWA 17, S. 449). „Sie sind; sie sind wirklich, aber ihre Wirklichkeit hat den Wert nur einer Möglichkeit; sie sind, können aber ebensowohl nicht sein und ebenso sein“. (Ebd.)6 Hegel kommentiert diese Blütenlese des Bewusstseins von der Zufälligkeit der weltlichen Dinge nicht eigens; zwei Eigentümlichkeiten lassen sich aber an dieser Stelle schon notieren. Es handelt sich, zum einen, offenbar nicht nur darum, dass in verschiedenen inhaltlichen Zusammenhängen dies oder jenes für zufällig befunden wird, sondern schon um den bestimmteren Gedanken, der  – über verschiedene Gegenstandsbereiche hinweg, losgelöst von besonderen Kontexten – die Zufälligkeit als das allgemeine und wesentliche Prädikat raumzeitlich existierender Gegenstände fixiert. Der menschliche Geist hat hier schon einen sehr allgemeinen oder kategorialen Gesichtspunkt, 6 Diese Formulierung entspricht Hegels Definition des Zufälligen in der Wissenschaft der Logik: „Das Zufällige ist ein Wirkliches, das zugleich nur als möglich bestimmt, dessen Anderes oder Gegenteil ebensosehr ist“. (Hegel, Georg Friedrich Wilhelm, Wissenschaft der Logik II, TWA 6, S. 205)

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unter dem er Gegenstände, die ansonsten gar nicht miteinander artverwandt sein müssen, zusammenfasst. Insofern gehört schon der Ausgangspunkt jener Erhebung zur religiösen Weltansicht dem Denken, und zwar insofern einem metaphysischen Denken, als es nicht um allgemeine Sätze über bestimmte Arten raumzeitlicher Gegenstände geht, sondern um die Modalität des Seins raumzeitlicher Gegenstände im Allgemeinen. Dies festzuhalten, ist einerseits nicht schwer, andererseits aber nicht überflüssig angesichts der zu Hegels Zeiten wie in der Gegenwart geführten Diskussion um den epistemischen Status von religiösem Glauben. Zum anderen scheint der menschliche Geist in seiner Fassung des Zufälligen unterschiedliche Facetten mitzuführen, darunter auch solche, die einander prima facie widersprechen. Nach der einen Ausführung ist etwas zufällig darin, dass seine Existenz von Dingen oder Sachverhalten außerhalb seiner abhängt. Von ihm selbst her ist so ein weltliches Ding demnach indifferent dagegen, ob es existiert oder nicht; was an ihm ist, scheinen Existenz und Nicht-Existenz zwei gleich gültige Möglichkeiten zu sein, von denen je nach äußeren Bedingungen das eine oder das andere eintritt. Nach einer anderen Ausführung ist etwas zufällig darin, dass seine Existenz notwendig ein Ende hat; wenn das zum Wesen der weltlichen Dinge selbst gehört, verhalten sie sich nach dieser Ansicht jedenfalls nicht gänzlich indifferent zu der Alternative von Existenz und Nicht-Existenz und nimmt der Begriff des Zufälligen die Konnotation des Hinfälligen auf. Es zeichnet sich hier schon ab, dass auch die natürliche, vorwissenschaftliche Metaphysik des Zufälligen einiges zu sortieren und zu klären haben wird. Die zweite Etappe: Nun ist diese Zufälligkeit, die ein wesentlicher, durchgängiger Zug der „weltlichen Dinge“ zu sein scheint, im Rahmen der hier skizzierten Allgemeinvorstellung nicht das einzige modale Charakteristikum dieser Welt. Es zeigen sich in ihr nicht nur Abhängigkeitsverhältnisse in Form von Bedingungen, sondern „auch die Zusammenhänge von Ursache und Wirkung, Regelmäßigkeiten ihres inneren und äußeren Verlaufs, Gesetze“ (TWA 17, S. 449).7 Damit tritt schon innerhalb derselben Welt, die eben nur 7 Hegel deutet an, dass mit dem Schritt von der Kategorie Bedingung zu der der Ursache ein Bestimmungsfortschritt erreicht ist. Mit einem Blick in die Wissenschaft der Logik lässt sich dieser Fortschritt so erläutern: Eine Bedingung ist ein der zu bestimmenden Sache externer Umstand, dessen Dasein oder Nichtdasein einen Unterschied dafür macht, ob diese Sache existiert oder nicht. Einen Zusammenhang der Notwendigkeit gibt es hier nur negativ: Ohne diesen Umstand wäre auch die Sache nicht. Die Bedingung enthält darum aber nicht die Notwendigkeit der Sache, deren Bedingung sie ist. Die Existenz einer Bedingung ist verträglich mit der Nichtexistenz der Sache. Das ist bei Ursachen anders. Die Ursache kann nicht sein, ohne das Bewirkte hervorzurufen, dessen Ursache sie ist. Sie enthält den hinreichenden Grund für die Existenz der in Rede stehenden Sache: „Die Wirkung enthält daher überhaupt

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vom Zufall regiert schien, die Notwendigkeit auf den Plan. Die „Dinge“ selber freilich haben davon nichts; denn die Notwendigkeit, die mit Kausalgesetzen Einzug hält, drückt ihnen erst recht den Stempel auf, in ihrem Dasein die abhängige Variable anderer Dinge, ihrer Ursachen eben, zu sein. Allerdings tritt mit der Kausalität ein Kandidat für diejenige Selbständigkeit ins Blickfeld, die den einzelnen Existenzen als bedingter oder verursachter Existenzen abgeht: Nicht abhängig von anderem, selbständig, wären nun die Kausalgesetze selber. Allein, auch auf der Ebene der Gesetze stellt sich der Zufall wieder ein: Aber diese Zusammenhänge selbst, wie sie bestimmt werden, als der Ursachen und der Wirkungen, der Bedingung und der Bedingtheit usf., sind selbst beschränkter Art, selbst zufällige gegeneinander, daß jeder ebensowohl ist als auch nicht und auch fähig, ebenso gestört, durch Umstände, d. i. selbst Zufälligkeiten unterbrochen, in ihrer Wirksamkeit und Gelten abgebrochen zu werden als die einzelnen Dinge, vor deren Zufälligkeit sie nichts voraushaben. (TWA 17, S. 449f.) Worauf spielt Hegel damit an? Vermutlich kann man an Fälle denken, in denen sich ein Naturgesetz, das anfangs für uneingeschränkt allgemein geltend gehalten worden ist, später als nur unter bestimmten, in ihm selbst noch nicht artikulierten Bedingungen geltend herausstellt. In Frage kommen auch Fälle, in denen die Veränderung eines Faktors in natura aus der kombinierten Veränderung mehrerer Faktoren resultiert, so dass die Bestimmung der einzelnen Verhältnisse erst der isolierenden Analyse, etwa durch geeignete Experimentieranordnungen, möglich ist. Im ersten Fall besteht gegenüber einer angenommenen Ausgangsfassung eines gesetzmäßigen Zusammenhangs ein Spezifizierungsbedarf, im zweiten Fall ein Bedarf an Unterscheidung des einzelnen gesetzmäßigen Zusammenhangs aus einem Komplex einander überlagernder Wirkfaktoren. Zusammengefasst werden beide Falltypen im Vorlauf zur Erhebung des menschlichen Geistes zu Gott nicht als Fälle der Entdeckung oder Erschließung neuer Seiten des jeweiligen Gegenstandsbereichs, sondern, wie gesagt, als Belege der Gegenwart des Zufälligen, des Bedingtseins, auch auf der Ebene der von singulären Existenzsätzen doch freien Gesetze. Nicht nur an den gesetzmäßigen Zusammenhängen, sondern auch an den Ursachen selber lässt Hegel die allgemeine Menschenvernunft die Zufälligkeit bemerken: Bleibt das Denken bei einer bestimmten Ursache stehen, ist nichts, was nicht die Ursache enthält. Umgekehrt enthält die Ursache nichts, was nicht in ihrer Wirkung ist“. (TWA 6, S. 224)

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deren eigenes Dasein nicht begründet, also zufällig. Denkt man die bestimmte Ursache aber als ihrerseits durch eine weitere Ursache begründet, fällt sie, nicht anders als das zuerst ursächlich bestimmte Ding, unter die von anderen abhängigen, damit wiederum unter die zufälligen Dinge. Die Ausweitung von einzelnen Ursache-Wirkungs-Zusammenhängen zu Ursache-Wirkungs-Ketten ändert daran nichts. Das selbständige Erste, das in Gestalt der Ursache schon erreicht schien, rückt in die Ferne als ein unbestimmtes Jenseits.8 Der Hauptakzent in den Aussagen zu Naturgesetzmäßigkeit und Kausalität liegt auch hier darauf, dass auch mit der darin durchaus gefundenen Notwendigkeit die Zufälligkeit nicht überwunden sei, sondern auf der Ebene der Naturgesetze und Ursachen selber wiederkehre. Auf diesen Punkt werden wir im dritten Teil des Beitrags zurückkommen und den menschlichen Geist näher fragen, was genau ihn eigentlich an dieser Kombination von Zufall und Notwendigkeit stört. Doch folgen wir der allgemeinen Vernunft mit Hegel fürs erste in die entscheidende dritte Etappe: Aber über diesen Haufen von Zufälligkeiten, über die Notwendigkeit, welche in denselben eingeschlossen nur eine äußerliche und relative, und über das Unendliche, das nur ein Negatives ist, erhebt sich der Geist zu einer Notwendigkeit, die nicht mehr über sich hinausgeht, sondern es an und für sich, in sich geschlossen, vollkommen in sich bestimmt ist und von der alle anderen Bestimmungen gesetzt und abhängig sind. (TWA 17, S. 451) Es fällt auf, dass Hegel hier zunächst einmal den entscheidenden dritten Schritt sehr kurz und ganz in der Stellung des externen Beobachters wiedergibt, nicht in der Form eines expliziten Arguments. Faktisch festzuhalten, dass Menschen – und sei es immer wieder und in mannigfachen konkreteren Varianten  – diesen Übergang vollziehen, ist natürlich noch kein Argument für den Übergang selbst. Das ist auch Hegel klar; und doch hält er die Darstellung jenes allgemeinen Übergangs nicht für müßig oder ersetzbar durch das im nächsten Teil zu betrachtende förmliche kosmologische Argument, wiewohl in diesem doch, dem Anspruch nach, die explizit vernunftgemäße, allgemein nachvollziehbare Artikulation dieses Übergangs vorliegt.9 Zugleich mündet Hegels Forderung, das förmliche kosmologische Argument selber auf 8 Vgl. TWA 17, S. 450. 9 Das wird noch einmal klar, wenn Hegel im Anschluss schreibt: „Nun kommt [es] aber [darauf an] zu sehen, ob das förmlich und methodisch in Schlüssen verfahrende Denken jenen Gang der Erhebung […] richtig auffaßt und ausdrückt“. (TWA 17, S. 451)

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seine Übereinstimmung mit jenem informellen Übergang hin zu prüfen, nicht umgekehrt in die Erhebung dieses Übergangs in den Rang einer ihrerseits nicht mehr prüfbedürftigen Wahrheit. Es geht offenbar nicht darum  – und ginge ja auch schief –, die philosophische Theologie an der vorwissenschaftlichen Metaphysik und Religion zu messen.10 Was an dieser Wahres ist, gilt es vielmehr in einer internen Kritik dessen, wie sie Zufall und Notwendigkeit denkt, erst noch herauszufinden. So weist der Prüfbedarf recht besehen hinüber ins Feld der wissenschaftlichen Kategorientheorie, der Wissenschaft der Logik. In den Gottesbeweisvorlesungen bietet Hegel dazu gleichsam eine Abkürzung querfeldein an; sie besteht im Zusammenstellen dessen, was das Bewusstsein bis dahin über Zufall und Notwendigkeit mehr vorausgesetzt als expliziert hat. Der entscheidende Dreh- und Angelpunkt besteht dabei in einem Widerspruch, den Hegel in dieser Zusammenstellung aufweist: Achtet man darauf, nach welchen Kriterien im Rahmen dieser Vorstellung etwas als zufällig oder, im Gegensatz dazu, als notwendig eingeordnet wird, stößt man darauf, dass für beide Lager dieselben, und zwar dieselben einander ausschließenden Kriterien angewandt werden. Das eine Kriterium ist das der Selbständigkeit des jeweiligen Dings, das andere das seines Zusammenhangs mit anderen Dingen. Einerseits „stellen wir die Zufälligkeit eines Dinges in seine Vereinzelung, in den Mangel des vollständigen Zusammenhanges mit anderen“. (TWA 17, S. 453) Komplementär dazu ist dann die Notwendigkeit der Existenz als ein solcher vollständiger Zusammenhang definiert.11 Andererseits aber, indem eine Existenz in diesem vollkommenen Zusammenhange steht, ist sie in allseitiger Bedingtheit und Abhängigkeit, – vollkommen unselbständig. In der Notwendigkeit allein finden wir vielmehr die Selbständigkeit eines Dinges; was notwendig ist, muß sein; sein Sein-müssen drückt seine Selbständigkeit so aus, daß das Notwendige ist, weil es ist. (Ebd.) 10 So lautet die Fortsetzung der in der vorigen Fußnote zitierten Stelle: „umgekehrt aber, ob jene Gedanken und deren Zusammenhang durch die Untersuchung der Gedanken an ihnen selbst sich gerechtfertigt zeigt und bewährt, wodurch die Erhebung erst wahrhaft aufhört, eine Voraussetzung zu sein, und das Schwankende der Richtigkeit ihrer Auffassung wegfällt“. (Ebd.) 11 „Zur Notwendigkeit einer Existenz erfordern wir dagegen, daß dieselbe mit anderen im Zusammenhange stehe, so daß nach allen Seiten solche Existenz durch die anderen Existenzen als Bedingungen, Ursachen vollständig bestimmt sei und nicht für sich losgerissen davon sei oder werden könne, noch daß irgendeine Bedingung, Ursache, Umstand des Zusammenhangs vorhanden sei, wodurch sie losgerissen werden könnte, kein solcher Umstand den anderen sie bestimmenden widerspreche“. (TWA 17, S. 453)

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Gerade da, wo der Zusammenhang mit anderen komplettiert gedacht ist, ist das Ergebnis von der vollendeten Zufälligkeit nicht zu unterscheiden. In diesem Widerspruch auf der Ebene der Kriterien für Zufall und Notwendigkeit, also des Begriffs der Kategorien selber, wird für Hegel der wirkliche Grund für den Übergang zum absolut Notwendigen liegen. Bevor wir zu dieser Begründung kommen, sei zunächst der Befund der widersprüchlichen Doppelbestimmung von Zufall und Notwendigkeit am Stoff der skizzierten Vorstellungen nachvollzogen: Nehmen wir zuerst die Auffassung der Dinge als bedingter. Nach dieser Auffassung ist die Existenz eines Dings abhängig von äußeren Umständen, während die Dinge, die diese äußeren Umstände tatsächlich ausmachen, nicht ihrerseits dadurch bestimmt sind, dass die Existenz des ersten Dings von ihnen abhängt. Darin besteht das, was Hegel hier die „Vereinzelung“ der Dinge nennt. Aus der Perspektive der Dinge, die die äußeren Umstände ausmachen, nimmt sich die Lage so aus: Sie sind von den Außenverhältnissen, in denen sie als Bedingung fremder Existenzen zu diesen stehen, unabhängig bestimmt. Aus der Perspektive des bedingten Dinges nimmt sich dieselbe Lage so aus: Es steht zwar in Zusammenhang mit anderem – eben als in seiner Existenz abhängig von bestimmten Konstellationen von Umständen –, aber dieser Zusammenhang scheint ebendarin unvollständig zu sein, dass seine Abhängigkeit von ihnen nicht über das Sein oder Nichtsein seiner Umstände entscheidet. Nicht zufällig, sondern notwendig wäre die Existenz des ersten Dings dieser Vorstellung zufolge also dann, wenn die äußeren Existenzumstände so beschaffen wären, dass sie die Existenz des ersten Dings unausweichlich machten. Aber diese Vervollständigung des Bedingungszusammenhangs impliziert auch die Vervollständigung der Außenabhängigkeit des Bedingten. Als durch anderes, und sei’s unausweichlich, zur Existenz Bestimmtes stellt sich das bedingte Ding zugleich als eines dar, an dessen eigenem Sein – dem, was und wie es an sich selber ist – sich nichts darüber entscheidet, ob und wie lang es existiert. Sein Dasein erscheint als gegenüber seinem eigenen Sein, seinem eigenen Wesen, vollkommen fremdbestimmt – was an ihm gelegen ist, ist sein Dasein also als zufällig bestimmt. Eine ähnliche doppelte Vorstellung zeigt sich im Feld der Ursachen und Wirkungen: Als zufällig gilt hier die Existenz des bewirkten Dinges, insofern diese zwar notwendig, aber nur relativ zum Auftritt eines zweiten Dings sein soll, das seinerseits nur relativ notwendig, nämlich bewirkt durch den Auftritt eines dritten Dings existiert. Zwar enthält in der kategorialen Fassung der Ursache jenes zweite Ding den vollständig bestimmten Grund für die Existenz des ersten, aber sein eigener Auftritt ist entweder unmittelbar vorausgesetzt, also unbegründet, oder begründet  – dann aber nur relativ. Anders als im

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einzelnen Bedingungsverhältnis ist im einzelnen Ursache-Wirkungsverhältnis der Zusammenhang zwischen den beiden Polen, zwischen Ursache und Wirkung, vollständig im Sinn von lückenlos geschlossen, aber die Nichtnotwendigkeit greift dafür unmittelbar am verursachenden ‚Ding‘ an und damit mittelbar an seiner Wirkung. Das Ideal, das mit diesem Befund der Zufälligkeit als unvollständiger Notwendigkeit errichtet ist, wäre die – wie immer – vervollständigte und durch keinerlei Abhängigkeit von äußeren Faktoren wieder auflösbare Ursache-Wirkungs-Kette. Aber auch unter der Voraussetzung, dies Ideal wäre eingelöst, lässt sich innerhalb dieser Kette für jedes Paar und jedes Glied wieder die Kehrseite der scheinbar erreichten vollkommenen Notwendigkeit aufstöbern: Indem es sich bei der Ursache um ein von ihrer Wirkung verschiedenes Ding handeln soll, ist die Existenz des Dings, das als Wirkung bestimmt ist, von etwas abhängig, das nicht zu seinem eigenen Sein gehört. Und nachdem alle Glieder der gedachten Kette nach einer Seite hin als bewirkt bestimmt sind, sind sie auch alle zufällig. In diesem Sinn wäre auch hier die komplettierte Notwendigkeit ein Fall von zufälligem Sein. Dieser Zusammenfall von Notwendigkeit und Zufälligkeit gerade in der Vollendung der Notwendigkeit lässt sich mit Hegel bündig so fassen: Notwendig ist etwas nur dann, wenn es ist, weil etwas anderes ist; aber auch: Notwendig ist etwas nur dann, wenn es ist, weil es ist. Jede der beiden Definitionen macht das Notwendige zu seinem Gegenteil, dem Zufälligen: Die schiere Wiederholung des zu Begründenden in der Begründung ist nicht vom achselzuckenden Konstatieren zu unterscheiden: Es ist eben so wie’s ist. Oder ausgeführt: Wenn das, was ist, gerade die Frage provoziert, warum es denn notwendig ist, iteriert sich haargenau derselbe Bedarf in einer Antwort, die denselben Inhalt zur Begründung einsetzt. Von der anderen Seite her: Auf die Warum-Frage etwas anderes, vom ersten Verschiedenes einzusetzen, iteriert den Frage-Bedarf auch: Was nämlich das Eine mit dem Anderen zu tun hat, ist mit dem Verweis auf etwas Anderes nicht geklärt. Dafür, wie im Einen das Andere liegt, kommt das Verhältnis der Verschiedenheit nicht auf, und indem die zwei Pole des gedachten Bestimmungsverhältnisses so auch selbständig gegeneinander bleiben, bleibt das zu Erklärende zufällig im Sinn eben des Unerklärten: etwas, was es faktisch gibt, aber ohne hinreichenden Grund. Hegel zieht daraus den Schluss: Wenn sich uns die Notwendigkeit sowohl als Selbständigkeit als auch als Zusammenhang zwischen Verschiedenen darstellt, keiner der beiden Charaktere als hinreichend, aber auch jeder als notwendig – dann wird die Notwendigkeit selbst schon auch die Einheit dieser beiden Seiten sein:

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In dieser Einheit muß also die Vermittlung mit Anderem in die Selbständigkeit selbst fallen und diese als Beziehung auf sich die Vermittlung mit Anderem innerhalb ihrer selbst haben. In dieser Bestimmung aber kann beides nur so vereinigt sein, daß die Vermittlung mit Anderem zugleich als Vermittlung mit sich ist, d. i. nur [so], daß die Vermittlung mit Anderem sich aufhebt und zur Vermittlung mit sich wird. (TWA 17, S. 454) Das ist der Anfangsbegriff absoluter Notwendigkeit. Der Versuch, die Bestim­ mung eines Gegenstands in dessen vermittlungslose Identität mit sich zu legen, scheitert ebenso wie der Versuch, seine Wirklichkeit als rein von anderem abhängig zu fassen. Das Unhaltbare beider Versuche liegt jeweils darin, dass das eine  – die Selbständigkeit bzw. Vermittlung durch anderes  – unter Ausschluss des je anderen gedacht wurde. Also ist diese Ausschlussvoraussetzung kritisiert und damit indirekt die Einheit beider bewiesen. Wie diese Einheit dann verfasst ist, ist damit noch nicht gesagt und harrt erst noch der Ausführung. Für unser Thema lässt sich jedoch bereits ein wichtiges Ergebnis festhalten: Das eben dargestellte Argument der immanenten Dialektik von Zufall und Notwendigkeit begründet die Kategorie absoluter Notwendigkeit, verstanden als Einheit von Vermittlung mit anderem und Vermittlung mit sich. Ebendiese Erkenntnis zur Logik des Kategorienpaars Zufall und Notwendigkeit macht für Hegel aus dem zunächst nur berichteten Aufschwung des menschlichen Geistes zum absolut notwendigen Wesen einen objektiv gültigen, folgerichtigen Schluss. Dass der Geist sich damit aus einem guten, gediegenen Grund zur Religion erhebt, ist explizit Hegels Urteil: Der Geist erhebt sich aus der Zufälligkeit und äußeren Notwendigkeit darum also, weil diese Gedanken an ihnen selbst sich in sich ungenügend und unbefriedigend sind; er findet Befriedigung in dem Gedanken der absoluten Notwendigkeit, weil diese der Friede mit sich selbst ist. (TWA 17, S. 457) Soweit Hegels Skizze der informellen, nicht in explizite Beweisform gekleideten Erhebung des menschlichen Geistes zu Gott. Wie sieht es nun demgegenüber mit dem förmlichen kosmologischen Gottesbeweis aus? Worin unterscheidet er sich von jener allgemeinen Erhebung und das – Hegel zufolge – nicht zu seinem Vorteil? Worin besteht, auch immanent geprüft, der Mangel des Beweises? Die Hauptpunkte dazu finden sich in der dreizehnten Gottesbeweisvorlesung, an der sich der folgende Abschnitt orientiert, ergänzt durch

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Beobachtungen und Argumente aus der Wissenschaft der Logik und den Vorlesungen zur Philosophie der Religion. 2

Hegels Kritik des kosmologischen Gottesbeweises

Hegel behandelt den Beweis öfters in einer Fassung, die er leicht modifiziert von Kant übernimmt: ‘Wenn etwas existiert’ (nicht bloß existiert, sondern a contingentia mundi, als Zufälliges bestimmt ist), ‘so muß auch ein schlechterdings notwendiges Wesen existieren. Nun existiere zum mindesten ich selbst: also existiert ein absolut notwendiges Wesen’. (TWA 17, S. 424)12 In der Terminologie der Schullogik wie in Hegels eigener Schlusslehre gesprochen, handelt es sich um einen hypothetischen Schluss. In hypotheti­ schen Schlüssen konstatiert die erste Prämisse einen allgemeinen Bedin­gungs­ zu­sammenhang, die zweite Prämisse konstatiert das Erfülltsein der Bedingung, und aus beiden Prämissen zusammen folgt dann das Bestehen des Bedingten. Hegel zufolge ist diese Schlussform selber dafür verantwortlich, „daß in dem Beweise vom Dasein Gottes, den er ausmacht, die Erhebung des Geistes zu Gott nicht richtig expliziert ist“ (TWA 17, S. 465). Allgemein gesprochen, besteht die Crux darin, dass in diesem Schluss das Verhältnis zwischen dem Zufälligen und dem Absolut-Notwendigen als ein Zusammenhang zwischen „zwei Seiende[n]“ (TWA 17, S. 461) artikuliert ist – „ein Zusammenhang, den wir als die äußere Notwendigkeit gesehen haben“ (ebd.). Gerade die Form der äußeren Notwendigkeit ist aber (im Nachvollzug der Erhebung des menschlichen Geistes zum absolut Notwendigen) selber als „der Zufälligkeit verfallend, für unbefriedigend erkannt worden“ (ebd.). Worum der Schluss sich dreht, ist nichts anderes als der Übergang von der äußeren Notwendigkeit, die selbst noch zum Zufälligen gehört, zur Einheit von innerer und äußerer Notwendigkeit, einer „Vermittlung mit sich selbst, die das Moment der Vermittlung mit Anderem so enthält, daß das Andere als ein Negiertes, Ideelles gesetzt ist“ (TWA 17, S. 460). Genau diesen Übergang, den Schritt von der äußeren 12 Vgl. Kant, Immanuel, Kritik der reinen Vernunft, B 632. – Eine alternative Formulierung Hegels lautet: „Das Zufällige steht nicht auf sich selbst, sondern hat ein in sich selbst Notwendiges zu seiner Voraussetzung überhaupt, – zu seinem Wesen, Grund, Ursache. Nun aber ist die Welt zufällig; die einzelnen Dinge sind zufällig, und sie als Ganzes ist das Aggregat derselben. Also hat die Welt ein in sich selbst Notwendiges zu ihrer Voraussetzung“. (TWA 17, S. 448)

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Notwendigkeit zu ihrer Wahrheit, vollzieht der kosmologische Gottesbeweis noch einmal in der Form der äußeren Notwendigkeit. So widerspricht seine Form dem, wovon er dem Inhalt nach handelt.13 Im Anschluss an Hegel lässt sich diese Kritik in drei zusammenhängende Aspekte gliedern: Erstens ist zu erläutern, worin die Eigenart – darin zugleich auch der Mangel, das über sich Hinausweisende – des hypothetischen Schlusses besteht und inwiefern dieser der Form der äußeren Notwendigkeit angehört. Zweitens ist zu erläutern, inwiefern das Zufällige darin einseitig oder inadäquat angesprochen ist, und drittens, wie damit dann auch das Absolut-Notwendige inadäquat gefasst ist, nämlich als etwas, das neben dem Zufälligen existiert, und damit das falsche Gepräge annimmt, etwas vom selben Schlag wie das Zufällige zu sein. 1. Zur Form des hypothetischen Schlusses: Ein Schluss der hypothetischen Form verbindet ein hypothetisches Urteil – ein Urteil, das eine „notwendige Beziehung ohne die Unmittelbarkeit der Bezogenen“14 artikuliert  – mit dem einfachen oder unmittelbaren Konstatieren des Gegebenseins des 13

Von daher fällt auch Licht auf Hegels Stellung zu Friedrich Heinrich Jacobis Kritik (nicht nur) des kosmologischen Gottesbeweises. (Vgl. TWA 17, S. 461f.) In der siebten Beilage seiner Briefe über die Lehre des Spinoza kritisiert Jacobi alle Versuche, das Unbedingte diskursiv beweisen zu wollen, mit dem Argument: Um etwas zu begreifen, muss man es denkend auf seine Bedingungen zurückführen und aus seinen Bedingungen hervorgehen lassen. Genau das geht beim Unbedingten nicht – und wo es doch versucht wird, gerät das Unbedingte unweigerlich zum Bedingten (vgl. Jacobi, Friedrich Heinrich, Über die Lehre des Spinoza in Briefen an den Herrn Moses Mendelssohn. Auf der Grundlage der Ausgabe von Klaus Hammacher und Irmgard-Maria Piske bearbeitet von Marion Lauschke, Hamburg 2000, S. 288). Hegel kommentiert: Der Satz „Weil Zufälliges ist, so ist das Absolut-Notwendige“ spricht in der Tat ein Bedingungsverhältnis aus, und das ist auch wirklich ein Mangel. Doch es ist auch klar, dass diesem Verhältnis in diesem Beweis „keine objektive Bedeutung“ (TWA 17, S. 462) zugemessen wird. Die Abhängigkeit, in der das Zufällige das Erste, das Absolut-Notwendige das Zweite, Abgeleitete, ausmacht, betrifft nur unsere Erkenntnis, nicht die Sache. Wir erkennen hier das der Sache nach Erste (das Absolut-Notwendige) im Ausgang von dem der Sache nach Zweiten (dem Zufälligen und als solchem Bedingten). – Hegel macht also auf den hier relevanten Unterschied zwischen ratio essendi und ratio cognoscendi aufmerksam. Zugleich hält er diese Klarstellung nicht für die Rettung des Beweises. Vielmehr bringt für ihn ebendiese Klarstellung den wirklichen Mangel des Beweises ans Licht: „Es ist der Inhalt des Beweises selbst, welcher den Mangel korrigiert, der allein an der Form sichtbar wird. So haben wir aber eine Verschiedenheit, ein Abweichen der Form von der Natur des Inhaltes vor uns, und die Form ist das Mangelhafte bestimmter darum, weil der Inhalt das Absolut-Notwendige ist. Dieser Inhalt ist selbst nicht formlos in sich, was wir auch in der Bestimmung desselben gesehen; seine eigene Form, als die Form des Wahrhaften, ist selbst wahrhaft, die von ihm abweichende daher das Unwahrhafte“. (TWA 17, S. 462) 14 Hegel, Georg Wilhelm Friedrich, Wissenschaft der Logik II, TWA 6, S. 395.

Hegels zwieschlächtige Kritik

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Bedin­gen­den: „Wenn A ist, so ist B, Nun ist A, Also ist B“. (Ebd.)15 Offensichtlich nimmt ein solcher Schluss in seinem Obersatz einen notwendigen Zusammenhang in Anspruch, ohne diesen inhaltlich auszuführen. Er gibt keinen Grund (und zwar weder einen Sach- noch einen Erkenntnisgrund) dafür an, dass sich Antezedens und Sukzedens seiner ersten Prämisse genau so, nämlich als Antezedens und Sukzedens, zueinander verhalten. Inwiefern das Erste mit dem Zweiten zusammenhängt bzw. als zusammenhängend erkannt werden kann, führt dieser Schluss nicht aus. Darin besteht das Äußerliche und darin das über sich Hinausweisende von Beweisen in Form des hypothetischen Schlusses. – Für unseren Fall des kosmologischen Gottesbeweises ausgedrückt: Jemandem, dem nicht schon einleuchtet, dass aus dem Gegebensein von Zufälligem folgt, dass das Absolut-Notwendige ist, wird das Sein des Absolut-Notwendigen nicht durch die allgemeine Behauptung einleuchtender gemacht, dass ein solcher Zusammenhang besteht. Im oben skizzierten Kontext, d.h. angesichts dessen, dass sich der menschliche Geist unabhängig vom förmlichen kosmologischen Gottesbeweis im Ausgang vom Zufälligen zum absolut Notwendigen erhoben hat und erhebt, aber in einer ihm selber nicht durchsichtigen und klärungsbedürftigen Weise, ist diese Nicht-Ausführung umso bedauerlicher. Gerade die Ausführung dieser Vermittlung wäre, aus dieser Warte gesehen, das, wofür das zur Wissenschaft ausgebildete Denken hier gefragt wäre. Dass der Zusammenhang zwischen Antezedens und Sukzedens nur vorausgesetzt wird, die inhaltliche Ausführung dazu fehlt, lässt sich mit Hegel auch als Einseitigkeit in der jeweiligen begrifflichen Fassung der Pole eines solchen Schlusses darstellen: Die beiden Pole, in unserem Fall das Zufällige und das Absolut-Notwendige, treten auf als zwei voneinander verschiedene Inhalte. Das ist nur die Kehrseite des Befundes, dass ihre inhaltliche Zusammengehörigkeit – worin im Einen schon das Andere liegt  – unterstellt ist, aber unausgeführt bleibt. Das hypothetische Urteil im Obersatz und der hypothetische Schluss als ganzer stehen so einerseits dafür, dass das Verhältnis zwischen den Polen eben nicht nur eines der Verschiedenheit ist, während es diese Pole andererseits explizit nur als voneinander Verschiedene kennzeichnet.16 Den notwendigen 15 Von der durch die Verteilung der Wahrheitswerte allein bestimmten Subjunktion der formalen Logik unterscheidet sich der hypothetische Schluss durch den notwendigen inhaltlichen Bedingungszusammenhang im Obersatz. 16 Die Wissenschaft der Logik fasst das als einen Widerspruch für beide begrifflichen Pole des hypothetischen Schlusses. Im Schema „Wenn A ist, so ist B. Nun ist A, Also ist B“. (TWA 6, S. 395) sind A und B jeweils sowohl als unmittelbar seiend wie als wesentlich auf anderes bezogen oder mittelbar seiend ausgedrückt. Für A: „A ist nun das vermittelnde Sein, insofern es erstens ein unmittelbares Sein, eine gleichgültige Wirklichkeit, aber zweitens insofern es ebensosehr als ein an sich selbst zufälliges, sich aufhebendes Sein ist“. (TWA 6,

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Zusammenhang als einen zwischen zwei Verschiedenen zu fassen – im Gegensatz zur Fassung notwendigen Zusammenhangs als eines Selbstverhältnisses –, ist nun überhaupt das Markenzeichen äußerer Notwendigkeit gewesen.17 Dieser Sachverhalt der Affinität zwischen dem hypothetischen Schluss und der Form äußerer Notwendigkeit hat nun, wie schon angedeutet, eine besondere Pointe im Fall des kosmologischen Arguments: In diesem Fall ist, wenn wir Hegel folgen, mit dem Zufälligen (wie in Teil I nachvollzogen) tatsächlich der sachlich adäquate Ausgangspunkt für die Erschließung des Absolut-Notwendigen getroffen. Aber die Erschließung selber hat hier ausgerechnet eine Form, die den inneren logischen Zusammenhang zwischen Zufall und absoluter Notwendigkeit nicht von einem Zusammenhang zwischen zwei nur zufällig, aus externen Gründen miteinander verknüpften, ansonsten gleichgültig voneinander verschiedenen Seienden unterscheidet. Diese Äußerlichkeit der Darstellung des eigentlich inneren Zusammenhangs zwischen Zufall und relativer Notwendigkeit auf der einen Seite und absoluter Notwendigkeit auf der anderen Seite bedeutet für die beteiligten begrifflichen Pole, nämlich das Zufällige und das Absolut-Notwendige, dass sie jeweils, getrennt und nebeneinander, als ein Seiendes und noch ein, ein anderes Seiendes angesprochen sind. Darin spiegelt sich der für die Gesamtform des hypothetischen Urteils angegebene Widerspruch in den zwei zugehörigen einfachen Aussagen über das Zufällige auf der einen und das Absolut-Notwendige auf der anderen Seite wider. 2. Die Fassung des Zufälligen im kosmologischen Beweis: Die Prämissen des kosmologischen Arguments sprechen das Zufällige zweimal als seiend an, nämlich kategorisch in der zweiten Prämisse („ich existiere“ oder „es ist eine zufällige Welt“) und hypothetisch in der ersten, im Vordersatz des Konditionals („wenn das Zufällige ist, dann ist auch das Absolut-Notwendige“). Worin liegt da der Fehler? – „Das Zufällige, Endliche wird als ein Seiendes ausgesprochen, aber die Bestimmung desselben ist vielmehr, ein Ende zu haben, zu fallen, ein Sein zu sein, das nur den Wert einer Möglichkeit hat, ebensogut ist als nicht ist“.

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S. 396) A ist darin, bildlich gesprochen, als Steigbügelhalter für die Verwirklichung von B angesprochen. Für B: „Der Schlusssatz ‚Also ist B‘ drückt denselben Widerspruch aus, daß B ein unmittelbar Seiendes, aber ebenso durch ein Anderes oder vermittelt ist“. (TWA 6, S. 297) Darin verhalten sich solche Schlüsse auch gleichgültig gegenüber der näheren logischen Bestimmung des notwendigen Zusammenhangs, also dazu, ob das Antezedens der Sache nach das Bedingte oder stattdessen das hinreichende Bedingungsganze, ob es (in notwendigen Wechselbeziehungen) die Ursache oder die Wirkung des Sukzedens ist, ebenso dagegen, ob mit dem Antezedens ein nur äußerlicher Erkenntnisgrund, ein Merkmal – etwas in der Art: „Wenn ein Zweibeiner Ohrläppchen hat, handelt es sich um einen Menschen“. – oder der Grund in der Sache getroffen ist.

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(TWA 17, S. 463) Hegel erinnert damit an die allgemeine Ausgangsbestimmung, den Begriff des Zufälligen, wie er in der Erhebung des Menschengeistes zugrunde gelegt war. Zufällig zu sein heißt oder schließt demnach ein, in seinem wirklichen Dasein die Bestimmung zum Nicht-Sein, zum Verschwinden, zum Ersatz durch anderes in sich zu haben. Von einer – nicht näher bezeichneten – objektiven Warte aus ist es gleichgültig, ob es das, was als zufällig gilt, gibt oder nicht; es ist austauschbar und wird, so der Ausgangsbegriff, dieser seiner Austauschbarkeit auch überführt, indem es über kurz oder lang aufhört zu sein. Diese zweite, negative Seite im Verhältnis des Zufälligen zum Sein, ist nicht mit ausgesprochen, wenn man sagt: „Das Zufällige ist“ – egal, ob in kategorischer oder konditionaler Fassung. Nun kann man einwenden: Aber die erste Prämisse, vollständig gelesen, und ebenso der Schluss als ganzer, sprechen das Zufällige ja gerade als dasjenige Seiende aus, das aus sich selbst zu seinem Sein nicht zureicht. Wird das Argument damit dem vermissten negativen Verhältnis des Zufälligen zum Sein nicht doch gerecht? Es gibt an dieser Stelle aber einen Unterschied zwischen der Fassung des Arguments und der Fassung im Begriff des Zufälligen, von der wir herkommen: Das kosmologische Argument in der Form des hypothetischen Schlusses nimmt das Nicht-Sein des Zufälligen als eine nicht-verwirklichte Möglichkeit auf. Dass die Dinge in der Welt sind, das verdanken sie nicht sich selbst. Aber der Stand der Dinge, der den Rückschluss erlaubt, ist eindeutig der, dass sie sind, nicht der, dass sie nicht sind. Das kosmologische Argument sieht auf die zufälligen Dinge als auf ein bestehendes Resultat, dessen Herkunft erklärt werden soll. Der von Hegel nachgezeichnete Übergang sieht auf die zufälligen Dinge viel eher als auf etwas, was zwar ist, aber keinen Bestand hat. Das Zufällige war, wie Hegel an der eben zitierten Stelle erinnert, als dasjenige Seiende bestimmt, das in seiner Wirklichkeit, seinem Dasein, das Zeug zum Nichtsein hat. Nichtsein ist da nicht nur eine logische Möglichkeit, die das Zufällige dadurch, dass es nun dank des Absolut-Notwendigen doch ist, ein für alle Mal hinter sich gelassen hätte, sondern ein Zug, der ihm wesentlich bleibt, indem es ist. In seiner Wirklichkeit nur den Wert einer Möglichkeit zu haben – das ist die Art und Weise, wie das Zufällige ist. Dieser Unterschied ist für den Übergang vom Zufälligen zum Absolut-Notwendigen bedeutsam. In der Doppelbestimmung des Verhältnisses des zufällig Seienden zum Sein lag nach dem Vorigen nämlich gerade der Grund des Übergangs vom Zufälligen einschließlich des relativ Notwendigen zum absolut Notwendigen. Dieser Grund wird in der Fassung des kosmologischen Arguments zugleich implizit in Anspruch genommen und verdeckt. – Das freilich ist im Rahmen eines hypothetischen Schlusses, der als Konklusion eine positive kategorische Aussage anpeilt, auch gar nicht zu vermeiden, oder, wie Hegel allgemeiner festhält:

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Dieser Grundfehler findet sich in der Form des Zusammenhangs, die ein gewöhnlicher Schluß ist. Ein solcher hat ein stehendes Unmittelbares in seinen Prämissen überhaupt, Voraussetzungen, die als Erstes nicht nur, sondern als seiendes, bleibendes Erstes ausgesprochen sind. (TWA 17, S. 463) Damit ist die Ausgangsfrage dieses Beitrags in einer Weise schon beantwortet: Wie sich der förmliche Schluss des kosmologischen Arguments von der allgemeinen Erhebung des Menschengeists zu Gott, zunächst einmal zu Gott als dem notwendigen Wesen, unterscheidet, und zwar so unterscheidet, dass das Argument das eigentliche Movens dieser gedanklichen Bewegung auch wieder verstellt – wiewohl es sich doch um deren argumentativ elaborierte Fassung handeln soll und in einer Weise ja auch handelt –, haben wir eben gesehen. Der Unterschied lautet kurzgefasst: Die allgemeine Erhebung bestimmt das Weltliche als Sein, das bloß den Wert eines Nichtseins hat, und hat darin das wirklich Vermittelnde zwischen dem Zufälligen und dem absolut Notwendigen auf seiner Seite, das der hypothetische Schluss als solcher nicht explizit machen kann.18 Dass sich dieser Unterschied dann auch für die jeweilige Fassung des absolut Notwendigen geltend machen wird, ist schon absehbar: 3. Die Fassung des Absolut-Notwendigen im kosmologischen Beweis: Wenn das Zufällige nur als etwas angesprochen ist, das ist, dann stellt sich das absolut Notwendige als etwas dar, das auch ist, das neben dem Zufälligen ist. Was ist daran verkehrt? Hegel schreibt: „Die in sich schlechthin eine Bestimmung, welche in jenem Satze die beiden Unterschiedenen zusammen ausmachen, ist das Absolut-Notwendige, dessen Namen sogleich es als das Einzige, was wahrhaft ist, als die einzige Wirklichkeit ausspricht“ (TWA 17, S. 464). Verfolgen wir einmal, wohin die Annahme des Gegenteils führt. Nehmen wir also versuchsweise an, beim absolut Notwendigen handle es sich tatsächlich um ein zweites Seiendes, das zuzüglich zum ersten, dem zufällig Seienden, ist, mit diesem also koexistiert. Von diesem unterscheidet es sich dadurch, dass es notwendig und immer der Wirklichkeit angehört, nie nur der Möglichkeit. 18 Die Vorlesungen über die Philosophie der Religion führen diese Kritik der einseitigen Affirmation des Ausgangspunkts am gegenüber dem „Zufälligen“ allgemeineren Begriff des „Endlichen“ aus. (Vgl. VPR 1, S. 314–317; speziell zum kosmologischen Beweis S. 318f.) – Zur Logik des Endlichen und Unendlichen vgl. G.W.F. Hegel, Wissenschaft der Logik I, Zweites Kapitel („Das Dasein“), TWA 5, S. 115–173; dazu die kommentierende Darstellung in: Iber, Christian, Subjektivität, Vernunft und ihre Kritik. Prager Vorlesungen über den Deutschen Idealismus, Frankfurt am Main 1999, Vorlesungen 7–9, S. 119–174.

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Es ist, wieder nach Voraussetzung, nicht dasselbe wie die vielen Wirklichen, die insgesamt die Welt ausmachen, weder dasselbe wie eins von diesen noch dasselbe wie die Welt als Ganze. Hier kommen wir an einen Scheideweg: Einerseits ist das Absolut-Notwendige nach Voraussetzung von der Welt geschieden, doch andererseits gilt auch: Mit allen Dingen in der Welt koexistierend, ist das Absolut-Notwendige Teil der einen großen Wirklichkeit, insofern Teil der Welt. Entweder sind also Wirklichkeit und Zufälligkeit koreferentiell  – dann wäre das Absolut-Notwendige ausgerechnet von der Wirklichkeit ausgeschlossen; oder wir erweitern, korrigieren unsere Konzeption von der Welt dahingehend, dass sie als der Inbegriff des Wirklichen nun zwei Teile umfasst: den Inbegriff des Zufälligen plus das Absolut-Notwendige. Folgen wir diesem Zweig der Alternative, stellt sich die Frage, wie sich der absolut notwendige Teil der Wirklichkeit zu seinem Gegen-Teil, dem Inbegriff des Zufälligen, verhält. Nach der inhaltlichen Unterscheidung beider gilt vom absolut notwendigen Teil, dass er in sich notwendig wirklich ist, dazu also des anderen, des zufälligen Teils, nicht bedarf. Es macht für das Absolut-Notwendige keinen Unterschied, ob der zweite Teil auch noch ist oder nicht. Nun kann man sagen: Der Obersatz des kosmologischen Beweises behauptet ja auch nicht mehr als dass der zweite Teil nicht sein kann ohne den ersten: Kein Zufälliges ohne ein absolut Notwendiges. Was sich nun aber abzeichnet, ist der Umstand, dass sich das Absolut-Notwendige zum Zufälligen auch nur als eine Bedingung verhält. Das Sein des Absolut-Notwendigen bildet nicht oder enthält nicht auch den Grund dafür, dass irgendetwas Zufälliges ist. Das Sein des Absolut-Notwendigen verhält sich zufällig, nicht unterscheidend gegenüber der Alternative, ob Zufälliges ist oder nicht ist. Dann wird’s aber schwierig: Außer dem absolut Notwendigen auf der einen Seite und dem Zufälligen auf der anderen haben wir im Moment kein Mobiliar der Wirklichkeit. Aus sich selbst kann sich das Zufällige nicht in die Wirklichkeit ziehen  – das ist ja gerade das Sprungbrett des Schlusses auf ein Absolut-Notwendiges. Wenn sich jetzt das Absolut-Notwendige auch noch gleichgültig gegen das Zufällige verhält – hat man dem Zufälligen darin nicht zu jenem festen Halt verholfen, den es – da nicht in sich – im Anderen finden sollte. Auch an sich selber schließlich scheint sich das Absolut-Notwendige unter den probeweise angenommenen Voraussetzungen aufzulösen: Es sollte allem, was wirklich ist, wenn und weil etwas anderes wirklich ist, kontrastiert sein als das, was wirklich ist, weil es selbst wirklich ist. In diesem einfachen Kontrast lassen wir also die Verhältnisbestimmung selbst unverändert und ändern nur die Besetzung der Pole des Verhältnisses: Statt „Wenn A ist, so ist B“ erhalten wir „Wenn A ist, so ist A“. So unterscheidet sich das Absolut-Notwendige aber gar

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nicht mehr von jedem dahergelaufenen Zufälligen. Daraus folgt: Die zugrundeliegende Alternative von zufälligem, alias durch anderes bedingtem Sein auf der einen Seite und absolut-notwendigem, durch sich selbst begründetem Sein auf der anderen Seite ist offenbar selbst überarbeitungsbedürftig. Von zwei Seiten her – einmal von der Charakterisierung der allgemeinen Erhebung und einmal von der des förmlichen kosmologischen Gottesbeweises – sind wir bisher darauf gestoßen, dass der zentrale klärungsbedürftige Punkt im Begriff absoluter Notwendigkeit – und seiner Stammverwandten Zufall und relative Notwendigkeit – liegt, also nicht erst in der Frage, ob ein absolut notwendiges Wesen existiert. Was sich über absolute Notwendigkeit ergeben hat und was diese Ergebnisse für die Diskussion um den kosmologischen Gottesbeweis und für den religiösen Standpunkt bedeuten, soll im dritten und letzten Teil dieses Beitrags festgehalten beziehungsweise sondiert werden. 3 Einsichten über Zufall und Notwendigkeit – und was bleibt vom absolut notwendigen Wesen? Der kosmologische Gottesbeweis und die Erhebung des menschlichen Geistes zu Gott kommen bei aller bisher festgestellten Differenz in einem überein: Beweisziel des einen und Resultat der anderen ist die Annahme eines absolut notwendigen Wesens. Was wird aus dieser Annahme im Licht der eben durchgeführten Kritik am kosmologischen Gottesbeweis? Eines hat sich schon abgezeichnet: Es verhält sich jedenfalls nicht so, dass die Kritik nur den Beweisgang, nicht aber das Beweisziel beträfe. Halten wir dazu noch einmal fest, was die Kritik widerlegt hat. Das ist die Vorstellung, es gebe zwei koexistierende Gegenstandsbereiche, die sich so unterschieden: Auf der einen Seite steht der Bereich der raumzeitlich existierenden Gegenstände, die zusammen das Aggregat des raumzeitlich existierenden Gegenstands Welt bilden, wobei für jeden einzelnen wie für das Ganze gilt: Zufall und relative gleich äußere Notwendigkeit sind die letztlich bestimmenden Modi für Gegenstände dieses Bereichs; innerhalb dieses Bereichs kommt absolute Notwendigkeit nicht vor. Auf der anderen Seite gibt es dieser Vorstellung zufolge einen zweiten Gegenstandsbereich, der von Gegenständen (und zwar aus logischen Gründen einem einzigen) besiedelt ist, die nicht von Zufall und relativer Notwendigkeit regiert werden, sondern für die exklusiv absolute Notwendigkeit gilt, Notwendigkeit verstanden als reine Selbstbegründung unter Ausschluss von Zufall und relativer Notwendigkeit. Widerlegt ist diese Zwei-Reiche-Vorstellung durch die in den beiden voranstehenden Teilen ausgeführten Argumente des Umschlags von Notwendigkeit

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in Zufall: Wo Notwendigkeit nur als Bestimmungsverhältnis zwischen Verschiedenen definiert sein soll, löst sie sich geradeso in ein zufälliges Verhältnis auf wie da, wo sie nur durch die Identität des Bestimmenden und des Bestimmten definiert sein soll und damit vom einfachen, grundlosen Sein nicht mehr zu unterscheiden ist. Gerade der Versuch, im Begriff der Notwendigkeit Identität und Unterschied der Pole des Notwendigkeitsverhältnisses gegeneinander zu verselbständigen, führt so zu dem Ergebnis, dass es sich um zwei zusammengehörige Momente von Notwendigkeit handelt. Absolut ist eine Notwendigkeit demnach darin, dass an den beiden verschiedenen Polen des Verhältnisses ein allgemeiner Beziehungsgrund besteht, der die eine, identische, Sache ausmacht, die sich im Unterschied der Pole zu sich selber verhält. Wie steht nun dieses Ergebnis zu jener Gedankenbewegung, die wir im ersten Teil nachvollzogen haben, von der es hieß: „Der Mensch betrachtet die Welt und erhebt sich – weil er denkend, vernünftig ist, da er in der Zufälligkeit der Dinge keine Befriedigung findet – vom Endlichen zum absolut Notwendigen“. (VPR 1, S. 312) – also zum gedanklichen Übergang von der Welt zu Gott, zur Religion? Im Licht der erreichten Begriffsbestimmung zeichnet sich hier Unterscheidungsbedarf ab, was jene Unzufriedenheit mit der Zufälligkeit der Dinge angeht: Stellen wir uns dazu die unbefangene Metaphysik noch einmal auf jenem Stand vor Augen, auf dem sie Kausalgesetze oder Kausalerklärungen für nötig, aber unzureichend befand: Unzureichend erschienen sie ihr deswegen, weil die – jeweilige – Ursache entweder unvermittelt vorausgesetzt oder aber selber als durch eine andere Ursache Bewirktes vermittelt werde. Das Unbefriedigende an der jeweils angeführten Ursache wird dann nicht darin gesehen, dass der Zusammenhang zwischen Ursache und Wirkung nicht inhaltlich ausgeführt ist  – das entspräche der immanenten oder kategorientheoretischen Diagnose –, sondern darin, dass die Existenz von Dingen, die in diesem Verhältnis die Rolle der Ursache spielen, durch den Kausalzusammenhang selbst nicht mitverbürgt ist. Tatsächlich ist darin ein Maßstab an Kausalerklärungen oder -gesetzen angelegt, der nicht mit dem Mangel an inhaltlicher Ausführung zu verwechseln ist. In Termini von relativer und absoluter Notwendigkeit gesprochen: Das eine Mal fehlt der relativen Notwendigkeit die Ausführung des beide Pole des bestimmten Notwendigkeitsverhältnisses verbindenden Beziehungsgrundes, das andere Mal die unbedingte Existenznotwendigkeit unmittelbar des einen, mittelbar damit auch des anderen Pols. Hat man diesen zweiten Maßstab erst einmal von der kategorientheo­re­ti­ schen Diagnose unterschieden und betrachtet ihn getrennt für sich, erscheint er auch gar nicht mehr so einleuchtend: Was nämlich ist unbefriedigend,

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vorläufig, daran, wenn ein Gegenstand des Typs A durch einen Gegenstand des Typs B verursacht wird, der seinerseits durch einen Gegenstand des Typs C verursacht wird? Warum kann es nicht dabei sein Bewenden haben, dass ein Gegenstand, der als Ursache wirkt, seinerseits kontingent existiert? Ein Bestimmungsmangel kann sich daraus nur ergeben, wenn der Umstand der kontingenten Existenz von B dessen kausale Rolle affiziert. Natürlich kann Gegenstand B nur als Ursache wirken, wenn er existiert; aber nichts von dem, was er ist und tut, könnte er sein oder tun, wenn er nicht existierte, ohne dass das der Bestimmung dessen, was er ist und tut, Abbruch täte. Die Vorstellung, eine Kausalerklärung sei deswegen unfertig, weil die Gegenstände, die darin als Ursachen fungieren, ihrerseits nur dank einer äußeren Ursache existieren, setzt als Maßstab für Kausalerklärungen absolute Notwendigkeit in dem Sinn voraus, dass die Nicht-Existenz des kausal zu Erklärenden unter allen Umständen, unbedingt, ausgeschlossen wäre. Die relative Notwendigkeit wird auf diese Weise nur dadurch blamiert, dass sie an einer Vorstellung von Notwendigkeit anderer Art gemessen wird, die als Desiderat nicht aus der Analyse bestimmter kategorialer oder Erklärungsformen hervorgeht, sondern als Voraussetzung in den Gedankengang eingegangen ist. Für die denkende Betrachtung der Religion kommt es also darauf an, inwiefern „der Mensch in der Zufälligkeit der Dinge keine Befriedigung findet“, wie dementsprechend der Weg „vom Endlichen zum absolut Notwendigen“ und wie das „absolut Notwendige“ selber gedacht sind. Nach der eben vorgestellten Analyse scheiden sich hier zwei miteinander unverträgliche Fassungen voneinander ab, von denen die eine, die kategorientheoretische, die Kritik der anderen, der existenztheoretischen, enthält. Wenn es zutrifft, dass der Übergang vom weltlichen zum religiösen Bewusstsein diese zweite Fassung hat  – eine Annahme, die durch die Skizze jener Erhebung in den Gottesbeweisvorlesungen zumindest nahegelegt wird –, dann kann es nicht der Fall sein, dass es sich dabei um einen „allgemeine[n]“ und „notwendig[en] Gang“ (VPR 1, S. 313) handelt  – um einen Gedankengang also, der nicht nur irgendwie faktisch, sondern kraft seiner Gültigkeit seine Kritik überdauerte. An diesem Punkt trennt sich der vorliegende Beitrag von Hegels Beweisanliegen, der Religion ihre Vernunft gegen deren verständige Verkürzung zu revindizieren. Doch zu diesem Fazit gehört genauso die Entdeckung, dass sich mit Hegels Philosophie der Religion eine ernstzunehmende Theorieoption in der Frage der Gottesbeweise und hinsichtlich des Verhältnisses zwischen Gottesbeweis und Religion eröffnet. Am Fall des förmlichen kosmologischen Gottesbeweises und seines Vergleichs mit der informellen Erhebung zum absolut Notwendigen hat sich bei Hegel m.E. nämlich dreierlei gezeigt: Erstens hat sich gezeigt, dass die religiöse Erhebung nicht weniger als ihr

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explizit beweisförmiges Pendant Gedanken und gedankliche Übergänge zum Inhalt hat – eine schlichte, aber für die Diskussion um Kognitivismus versus Non-Kognitivismus bedeutende Erkenntnis. Zweitens hat Hegel vor Augen geführt, dass vorliegende förmliche Gottesbeweise nicht unbesehen oder unmittelbar mit ihren informellen Gegenstücken identifiziert werden können – im Fall des kosmologischen Gottesbeweises unterschieden sich die beiden ja an der negativen Konnotation des Seins des Zufälligen, die in der Erhebung zur Religion präsent, in der Beweisform jedoch verschwunden war. Drittens hat sich sowohl für die Verteidigung als auch für die Kritik von Gottesbeweisen in klassischen (d.h. syllogistischen, hypothetischen und disjunktiven) Beweisformen ergeben, dass die Beweisformen selber Implikationen über die eingesetzten Begriffsinhalte – in unserem Fall: die Modalkategorien – enthalten und beide, Formen wie Inhalte, einer immanenten Prüfung fähig und bedürftig sind. Auch das ist ein Ergebnis, dessen Bedeutung für die Diskussion um die Gottesbeweise der aktuellen Religionsphilosophie erst noch wiederzuentdecken bleibt. Literaturverzeichnis Hegel, Georg Wilhelm Friedrich, Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften im Grundrisse (1830), in: ders., Werke, auf der Grundlage der Werke von 1832–1845 neu edierte Ausgabe, Redaktion Eva Moldenhauer und Karl Markus Michel, Frankfurt am Main 1970 (= TWA 8). Hegel, Georg Wilhelm Friedrich, Vorlesungen über die Philosophie der Religion, Hamburg 1993 (= VPR 1–3). Hegel, Georg Wilhelm Friedrich, Vorlesungen über die Philosophie der Religion II, Vorlesungen über die Beweise vom Dasein Gottes, in: ders., Werke, auf der Grundlage der Werke von 1832–1845 neu edierte Ausgabe, Redaktion Eva Moldenhauer und Karl Markus Michel, Frankfurt am Main 1986 (= TWA 17). Hegel, Georg Wilhelm Friedrich, Wissenschaft der Logik I, in: ders., Werke, auf der Grundlage der Werke von 1832–1845 neu edierte Ausgabe, Redaktion Eva Moldenhauer und Karl Markus Michel, Frankfurt am Main 1969 (= TWA 5). Hegel, Georg Wilhelm Friedrich, Wissenschaft der Logik II, in: ders., Werke, auf der Grundlage der Werke von 1832–1845 neu edierte Ausgabe, Redaktion Eva Moldenhauer und Karl Markus Michel, Frankfurt am Main 1969 (= TWA 6). Hermanni, Friedrich, Metaphysik. Versuche über letzte Fragen, Tübingen 2011. Iber, Christian, Subjektivität, Vernunft und ihre Kritik. Prager Vorlesungen über den Deutschen Idealismus, Frankfurt am Main 1999.

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Jacobi, Friedrich Heinrich, Über die Lehre des Spinoza in Briefen an den Herrn Moses Mendelssohn, auf der Grundlage der Ausgabe von Klaus Hammacher und Irmgard-Maria Piske bearbeitet von Marion Lauschke, Hamburg 2000. Kant, Immanuel, Kritik der reinen Vernunft (2. Auflage 1787), in: Kants Werke, Akademie-Textausgabe III, Berlin 1968 (= KrV). Pruss, Alexander und Gale, Richard M., Cosmological and Design Arguments, in: Wainwright, William J. (Hrsg.), The Oxford Handbook of Philosophy of Religion, Oxford 2005, S. 116–137.

Zwischen Beurteilung und Aufhebung. Die Frage nach der Verdeutlichung positiver Religionen bei Kant und Hegel am Beispiel des Judentums Amit Kravitz 1 Vorbemerkungen1 Dass Hegel kein Gelehrter des Judentums war steht außer Zweifel; wer Hegel gelesen hat und selbst mit dem jüdischen Denken auch nur ein wenig vertraut ist, sieht deutlich, dass Hegel in Sachen ‚Judentum‘ kaum etwas wusste.2 Es lässt sich sogar bezweifeln, ob er den Geist des ‚aufgeklärten‘ Judentums der damaligen Zeit richtig aufgefasst hat.3 Zwar ist es durchaus möglich, dass es Hegels ehrliche Absicht war, dem Judentum möglichst gerecht zu werden4 1 Dieser Beitrag ist durch die DFG gefördert. 2 Zu Hegels Vertrautheit mit jüdischen Quellen siehe bspw. von der Luft, Eric, Hegel and Judaism: A reassessment, in: Clio: A Journal of Literature, History, and the Philosophy of History, Vol. 18 (1989), (S. 361–378), S. 362: „We need to see that Hegel was not anti-Semitic, but merely ignorant. He seriously misunderstood Judaism as such, selectively read its texts, and acquired quite a truncated picture of it, chiefly through his neglect of the major prophets“. Siehe auch Yovel, Yirmiyahu, Hegel and the Jews: A Never-Ending Story, in: ders., Dark Riddle: Hegel, Nietzsche, and the Jews, Pennsylvania 1998, (S. 83–102), S. 85: „What did Hegel know of Judaism? Not much is the answer“. Vgl. auch M.G. Reardon, Bernard, The Main Types of Religions, in: ders., Hegel’s Philosophy of Religion, London 1977, (S. 38–58), S. 56: „His [Hegels] praise of Hellenism is as one-sided as his depreciation of Judaism“. Siehe auch Jaeschke, Walter, Werk, in: ders., Hegel-Handbuch. Leben – Werk – Wirkung, 2. Auflage, Stuttgart/Weimar 2010, (S. 59–501), S. 98: Hegels Sichtweise des Judentums sei eine „ärgerliche Karikatur der Religion Israels“. 3 Siehe hier die Einschätzung in Bienenstock, Myriam, Hegel über das jüdische Volk: „eine bewunderungswürdige Festigkeit […] ein Fanatismus der Hartnäckigkeit“, in: Kravitz, Amit und Noller, Jörg (Hrsg.), Der Begriff des Judentums in der klassischen deutschen Philosophie, Tübingen 2018, (S. 117–135), S. 129: „Es wird hier offensichtlich, dass Hegel kein Verständnis hatte – überhaupt kein Verständnis – für das ‚aufgeklärte‘ Judentum, das Mendelssohn als Erster propagierte und vorlebte“. 4 Ein mögliches Indiz dafür ist, dass Hegel im Jahre 1827 seine Bewertung des Judentums geändert hat. In der Regel taucht die sogenannte ‚Religion der Erhabenheit‘ – zu der das Judentum nach Hegel gehört  – vor der ‚Religion der Schönheit‘ auf. Hingegen geht im Jahre 1827 die ‚Religion der Schönheit‘ der ‚Religion der Erhabenheit‘ vorher. Diese Änderung lässt sich übrigens bereits im Jahre 1824 feststellen; siehe dazu Hodgson, Peter C., Hegel’s Evolving Treatment of Judaism, in: ders., Hegel Christian Theology: A Reading of the Lectures

© Amit Kravitz, 2023 | doi:10.1163/9789004679399_010

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(Emil L. Fackenheims hat bei Gelegenheit vermerkt, dass „[…] Kant never tries to understand Judaism, whereas Hegel makes a serious, even desperate, attempt to do it justice“).5 Das Resultat bleibt allerdings gewiss nicht zufriedenstellend. Hegels Schwäche diesbezüglich lässt sich an einem typischen Beispiel veranschaulichen, welches sich auf eine seiner Hauptthesen bezüglich des Judentums bezieht. Hegel behauptet bekanntermaßen, dass der jüdische Gott erhaben ist,6 das heißt, durch ‚absolute Macht‘ gekennzeichnet ist, und dass diese absolute Macht keinen Raum für freie Wesen (Individualität) neben Gott lässt.7 Jedoch wird in der jüdischen Tradition diese Eigenschaft Gottes ganz anders – umgekehrt, in der Tat – gedeutet. Die göttliche Macht, wie sie zum Beispiel im Psalm 24, Verse 4 („Die Stimme des Herrn ertönt mit Macht“, ‫ )קֹול יְ הוָ ה ַּבּכ ַֹח‬beschrieben wird, wird in den jüdischen Quellen (‫שמות רבה ה‬ ‫ )ט‬typischerweise so interpretiert, dass ‚Macht‘ „gemäß dem Vermögen jedes Einzelnen“ zu verstehen ist (auf Hebräisch: ‫) ְל ִפי ּכֹוחֹו‬. Nach dieser jüdischen Sicht führt Gottes Macht das menschliche (endliche) Individuum zu sich selbst als eigenständigem Wesen, anstatt es zu annullieren. (Dies entspricht übrigens der grundlegenden Tendenz des jüdischen Denkens, Stellen in

on the Philosophy of Religion, Oxford 2005, (S. 228–237), S. 230–233. Diese Änderungen dürfen als Indiz dafür dienen, dass Hegels Einstellung zum Judentum dynamisch war bzw. dass sich hier auf einen Lernprozess verweisen lässt. Für eine andere Bewertung siehe Stepelevich, Lawrence S., Hegel and Judaism, in: Judaism, Vol. 24 (1975), (S. 215–224), S. 216–217: „Hegel’s attitude towards Christianity underwent a fundamental change […] the same cannot be said of his attitude regarding Judaism […]“. In ähnlichem Geist vermerkt William Desmond: „while the younger Hegel is very harsh on Judaism, even the later more nuanced attitude cannot dissimulate his difficulties with God beyond the whole – transcendence as other. The later nuance is not entirely discontinuous with the earlier harshness“. (Desmond, William, Finding a Way to Holistic Immanence: Hegel Between Enlightenment, Greece and Christianity, in: ders., Hegel’s God: A Counterfeit Double?, Aldershot 2003, (S. 19–48), S. 31) 5 Fackenheim, Emil L., Moses and the Hegelians: Jewish Existence in the Modern World, in: ders., Encounters Between Judaism and Modern Philosophy, New York 1973, (S. 79–170), S. 89. 6 Die Identifikation des ‚Judentums‘ mit dem Moment der Erhabenheit lässt sich übrigens bereits beim frühen Hegel finden; siehe z.B. in Joseph, 26: „Der Geist der Griechen ist Schönheit; der Geist der Orientalen Erhabenheit und Grösse“. 7 Dieses Motiv wird sowohl beim frühen wie auch beim späten Hegel in Verbindung mit dem Geist der Knechtschaft gesetzt. In der Frühphilosophie spricht Hegel von dem „knechtischen Geist“ (Abraham, S. 42) des Judentums, und fügt hinzu, „welche tiefere Wahrheit gibt es für Knechte, als die daß sie einen Herrn haben“ (Abraham, S. 42). In der späten Religionsphilosophie vermerkt Hegel im gleichen Geist, bspw. in VPR, Werke XVI, S. 256: „In der Religion der Erhabenheit [bzw. des Judentums] ist der eine Gott der Herr, und die Einzelnen verhalten sich als Dienende zu ihm“.

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der Bibel, die zunächst erhaben oder dramatisch erscheinen, sozusagen zu entdramatisieren.)8 Hegels Aussagen über das Judentum gehören also nicht zum Bereich der Gelehrsamkeit. Sie sollen aber auch nicht als Folge persönlicher Vorurteile gesehen werden. Denn einerlei, ob Hegel persönliche Abneigungen gegenüber dem Judentum hegte,9 als er eine systematische (oft ablehnende, vor allem in früheren Phasen)10 Auslegung des Judentums präsentierte,11 einerlei, was er vom Judentum wusste oder ob er zum Beispiel die hebräische

8 Um noch ein Beispiel zu geben: Im Buch Hiob, S. 38, 1 erscheint Gott Hiob „aus dem Wettersturm“, also im Sinne einer erhabenen Macht. Nach dem babylonischen Talmud (‫ )בבא בתרא טז ע“א‬hat allerdings diese Erscheinung eine ganz andere Bedeutung: Um sein Schicksal zu erklären wirft dort Hiob die Vermutung auf, dass Gott die Buchstaben seines Namens durcheinandergebracht habe, so dass Gott ‚Hiob‘ als ‚Feind‘ verstand (auf Hebräisch bestehen ‚Hiob‘ und ‚Feind‘ aus identischen Buchstaben: ‫ אֹויֵב‬,‫) ִאיֹוב‬. Bezogen auf Hiob, 9, 17, in dem das Wort „Haare“ (Seara, ‫ ) ַׂש ֲע ָרה‬auftaucht, welches auf Hebräisch genauso wie das Wort „Sturm“ (Seara, ‫ ) ְס ָע ָרה‬ausgedrückt wird, kommt Gottes Erscheinung „aus dem Wettersturm“ eine andere Bedeutung zu: Um Hiob zu zeigen, dass er (Gott) ihn (Hiob) nicht mit ‚Feind‘ verwechseln konnte, weil Gott die kleinsten Details seiner Schöpfung kennt und vorhersieht, erscheint Gott Hiob „aus dem Haare“ – Gott hat sich also durch das kleinste Detail geoffenbart. Dies ist wie gesagt noch ein Beispiel für die typische jüdische Tendenz, etwas Erhabenes („Wettersturm“) sozusagen zu verkleinern („Haare“). 9 Für eine Position, die Hegel vom Vorwurf des Antisemitismus weitgehend befreit, siehe beispielsweise Avineri, Shlomo, A Note on Hegel’s View on Jewish Emancipation, in: Jewish Social Studies, Vol. 2, (1963), (S. 145–151). Siehe auch Fischer, Lars, Hegel in Support of Jewish Emancipation: A Deliberate Political Act?, in: The Owl of Minerva, Vol. 37 (2006), (S. 127–157). Für eine andere Einschätzung siehe Slootweg, Timo, Hegel’s Philosophy of Judaism, in: Labuschagne, Bart und Slootweg, Timo (Hrsg.), Hegel’s Philosophy of Historical Religions, Boston 2012, (S. 125–156), S. 141: „We must, I think, recognize that Hegel’s account of the ‘limitations’ of Judaism reflects an anti-Semitic sentiment long exhibited by European Christians“. 10 Siehe ein typisches Beispiel in Abraham, S. 50: „Das große Trauerspiel des jüdischen Volks ist kein griechisches Trauerspiel, es kann nicht Furcht noch Mitleiden erwekken denn beide entspringen nur aus dem Schicksal des nothwendigen Fehltritts eines schönen Wesens; jenes kann nur Abscheu erwekken […] so wurde ihr Handel [der Juden] zur unheiligsten Raserei, zum wüthendsten Fanatismus“; siehe auch Abraham, S. 36–37: „Für die Juden wird grosses getan, aber sie beginnen nicht mit Heldenthaten […] sie haben selbst nur die Schadenfreude des Feigen […]“; Fortschreiten, 24 […]: „Feindschaft [war] das Princip ihrer Religion […]“ (vgl. hier Abraham, S. 41: „Was die Juden von den Canaanitern schied, war ihr Geist allein; dieser Dämon des Hasses […]“). 11 Nathan Rotenstreich behauptet z.B., dass Hegels Kritik am Judentum vielmehr als emotionale Ablehnung zu verstehen ist, als Folge begrifflicher Analyse; siehe Rotenstreich, Nathan, The Recurring Pattern: Studies in Anti-Judaism in Modern Thought, London 1963, S. 49.

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Sprache zufriedenstellend beherrschte,12 und einerlei, wie die christliche Überlieferung ihn diesbezüglich beeinflusste:13 Seine philosophische Deutung des Judentums kann nicht völlig auf diese genannten Faktoren zurückgeführt werden. Der philosophische Wert dessen, was Hegel über das Judentum sagte, liegt nicht in dem, was er über das Judentum tatsächlich wusste, sondern vielmehr in dem, was Hegel mit seinem Wissen über das Judentum gemacht hat. Bei diesem ‚Machen‘ handelt es sich um eine echte philosophische, begriffliche Aktivität Hegels: nämlich das, was er vom Judentum tatsächlich wusste (oder dachte zu wissen) in einen von ihm dargelegten innersystematischen Zusammenhang einzubetten. Hegel (genauso wie Kant, Fichte oder Schelling) liefert in erster Linie eine begriffliche Gestaltung des Judentums innerhalb des Gewebes seiner Philosophie. Der vorliegende Beitrag behandelt einen zentralen Aspekt der Religionsphilosophie sowohl Kants als auch Hegels, der Licht auf ihre Auseinandersetzung mit dem Judentum wirft: den Status von positiven Religionen (Offenbarungen). Denn Hegel und Kant deuten jeweils das Wesen des Judentums auch (oder sogar hauptsächlich) angesichts allgemeiner Überlegungen bezüglich der systematischen Stelle, die sie dem Bereich der Offenbarung zuweisen. Diesem ersten Teil (A) folgt der zweite Teil (B), in dem ich Kants Herangehensweise an den Bereich von positiven Religionen erklären werde. Es wird sich erweisen, dass Kant sie alle einem Urteil unterzieht – außer das Judentum; er bestimmt vielmehr, dass der Ausschluss des Judentums die Vorbedingung des Eintretens in den Bereich der positiven Religionen ist. Und genau diese begriffliche Prägung des Judentums werde ich mittels eines Beispiels veranschaulichen, und zwar anhand Kants oft zitierter Bemerkung  – die m.E. irrtümlich als ein Lob für das Judentum verstanden wird – zu einer erhabenen Stelle „im Gesetzbuche der Juden“ (KU, AA V, S. 274). Danach (C) werde ich Hegels alternative Verdeutlichung des Bereichs der positiven Religionen erhellen: Im Gegensatz zu Kant beurteilt Hegel positive Religionen nicht, sondern hebt sie auf.14 Anhand dieses Unterschieds werde ich zeigen, 12

Laut Otto Pöggeler und Pierre Garniron hat Hegel die hebräische Sprache – im Gegesatz zu Schelling – nicht wirklich beherrscht; siehe ihren Aufsatz L’interprétation hégélienne du Judaïsme, in: Archives de Philosophie, Vol. 44 (1981), (S. 189–237), S. 204: „Hegel […] n’excellait manifestement pas dans la langue hébraïque autant que Schelling“. 13 Für die Behauptung, dass Hegels frühe Einstellung zum Judentum im Wesentlichen eine Art Nachhall von traditioneller christlicher Theologie sei, siehe z.B. Avineri, Shlomo, The Fossil and the Phoenix: Hegel and Krochmal on the Jewish Volksgeist, in: Perkins, Robert L. (Hrsg.), Hegel’s Philosophy of History, Albany 1984, (S. 47–63). 14 Im Fokus meiner Diskussion steht Hegels reife Religionsphilosophie, dabei ist jedoch die Phänomenologie des Geistes für mein Anliegen irrelevant; siehe dazu Stewart, Jon, Judaism: the Religion of Sublimity, in: ders., Hegel’s Interpretation of the Religions of

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wie bei Hegel  – im Gegensatz zu Kant  – das Judentum seinen besonderen Status als Gegenstand absoluter Verneinung verliert, und warum es von Hegel gewissermaßen trivialisiert wird – d.h. behandelt wird wie alle anderen positiven Religionen.15 Hegels begriffliche Prägung des Judentums werde ich am Beispiel seiner Deutung des Verhältnisses des Buchs Hiob zum Judentum veranschaulichen. Eine kurze zusammenfassende Bemerkung und eine Reflexion (D) schließen den Beitrag ab. 2

Kant: Beurteilung positiver Religionen und Verneinung des Judentums

Kant behauptet erstens (i), dass das Judentum „eigentlich gar keine Religion“ ist (RGV, AA VI, S. 125), also nicht, dass das Judentum die niedrigste Art von Religion ist, sondern gar keine Religion. Kant bestimmt zusätzlich (ii), dass „die Euthanasie des Judenthums die reine moralische Religion [ist]“ (SF, AA VII, S. 53), d.i., dass die „völlige Verlassung“ (RGV, AA VI, S. 127) des Judentums notwendig ist, um überhaupt in den Bereich der positiven Religionen eintreten zu können. Dieser zweiten Bestimmung kommen zwei Bedeutungen zu: Erstens fungiert die Verlassung des Judentums als eine vorhergehende Bedingung der reinen moralischen Religion. Daraus ergibt sich, dass der gewünschten moralischen Religion eine Verneinung vorhergeht; sie kann nicht auf Anhieb the World. The Logic of the Gods, Oxford 2018, (S. 198–222), S. 199: „Hegel’s omission of a specific analysis of Judaism in the Phenomenology is particularly odd given his fairly intensive occupation with it prior to coming to Jena and writing the work. Perhaps the explanation for its absence can be found in the troubled and hasty composition of the text in its final stages […]“. 15 Auf die Frage des Verhältnisses zwischen dem frühen und dem späten Hegel bezüglich des Judentums gehe ich nicht weiter ein. Dazu siehe z.B. Smith, Steven B., Hegel and the Jewish Question: In Between Tradition and Modernity, in: History of Political Thought, Vol. 12 (1991), (S. 87–106), S. 92: „His earliest works express a fairly typical Enlightenment conception of Judaism as the religion of force and coercion […]. Hegel’s later writings […] exemplify a more characteristically Hegelian attitude attempting to situate Judaism within the dialectic of world cultures aiming at the realization of freedom“. In ähnlichem Geiste schreibt Arndt, Martin, Hegel und das Judentum, in: Hegel-Jahrbuch, Vol. 19 (2013), (S. 28–35). Für eine andere Einschätzung siehe Slootweg, Hegel’s Philosophy of Judaism, S. 125; „I would like to insist here on not overestimating the differences in the development of Hegel’s interpretations of the subject“; vgl. auch O’Regan, Cyril, Hegel and AntiJudaism: Narrative and the Inner Circulation of Kabbalah, in: The Owl of Minerva, Vol. 28 (1997), (S. 141–182), S. 155: „The texts to Hegel’s mature period continue his early effort to excise or sublate those elements of Judaism that inhabit Christian self-understanding and practice […]“.

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auftauchen, sondern bedarf einer Bewältigung dessen, was bereits besteht. Zweitens geht es laut Kant hier um eine „völlige Verlassung“; es ist also nicht der Fall, dass im Judentum eventuell moralische Anfänge existieren, die später im Christentum aufgenommen und fortgeführt werden können, denn in diesem Fall hätte Kant nicht für die völlige Verlassung des Judentums plädiert (d.h. für dessen Euthanasie, allerdings nicht im Sinne eines äußeren Zwangs, sondern als Folge einer willkürlichen Entscheidung), sondern für die Fortsetzung seines wahren, vernünftigen (moralischen) Kerns sozusagen. Nein, Kant äußert sich diesbezüglich ziemlich klar: es kann nicht um eine Fortführung des Judentums gehen, denn im Judentum obwaltet nichts Moralisches: einerlei, „welche moralische Zusätze entweder damals schon oder auch in der Folge ihm angehängt worden sind, die sind schlechterdings nicht zum Judenthum als einem solchen gehörig“16 (RGV, AA VI, S. 125; eigene Hervorhebung).17 Und eben weil es sich keineswegs um eine Fortsetzung des Judentums handelt, sondern um dessen völlige Überwindung, wird die Lehre des Christentums „als […] vom Himmel“ gesandt (RGV, AA VI, S. 128)18 vorgestellt; der wesentliche Hintergrund des Christentums ist nicht das Judentum, sondern der Himmel (d.i. die reine Vernunft als leitendes Prinzip). Auch die Tatsache, dass sich die Lehrer des Christentums seinerzeit Mühe gegeben haben, „aus beiden [dem ‚Judentum‘ und dem Christentum] einen zusammenhängenden Leitfaden zu knüpfen“, als ob „der neue Glaube […] eine Fortsetzung des alten 16 Diese Pointe verkennt meiner Meinung nach Hake, wenn sie von einem „moralischen Zug im Judentum, den Kant durchaus einräumt“ spricht; siehe Hake, Ann-Kathrin, Das Christentum in der Geschichte: vom Universalismus zur Exklusivität, in: dies., Vernunftreligion und historische Glaubenslehre. Immanuel Kant und Hermann Cohen, Würzburg 2003, (S. 59–87), S. 80. Dasselbe gilt für Grove, Peter, Immanuel Kant. Judentum und Vernunftreligion, in: Barth, Roderich; Barth, Ulrich und Osthövener, Claus-Dieter (Hrsg.), Christentum und Judentum. Schleiermacher Archiv 24, Berlin/New York 2012, (S. 177–189), S. 185–189. Das Beispiel des Erhabenen, das ich am Ende des Teils über Kant behandle, veranschaulicht am besten Kants strenge Position. 17 Kants Aussage, dass das Judentum „gar keine Religion“ sei, soll ernst genommen werden. Yovel schreibt in Dark Riddle: Hegel, Nietzsche and the Jews, S. 18: „by Kant’s own logic, the existence in a religion of some statutory element is not a sufficient ground for denying it any moral value. Since Kant’s evolutionary scheme assigns every religion a hidden moral-rational kernel, and since every historical religion is, to some degree, statutory, it follows that Kant has no valid reason for denying a moral kernel to Judaism just because it may be more statutory than other religions“. Aber Kant hat keinen Fehler begangen, wie noch gezeigt wird, sondern war angesichts systematischer Überlegungen durchaus konsequent. 18 Kants begriffliche Strenge fällt hier auf, auch wenn man sie mit seinem berühmten Vorgänger Leibniz vergleicht. Leibniz vermerkt, dass „Jesus Christus […] das Werk von Moses vollendete“. Siehe Leibniz, G.W., Versuche in der Theodizee über die Güte Gottes, die Freiheit des Menschen und den Ursprung des Übels, Hamburg 1996, S. 5.

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[des Judentums]“ (RGV, AA VI, S. 127) sei, hat laut Kant nichts zu tun mit der wesentlichen Wahrheit des Verhältnisses zwischen dem Christentum und dem Judentum, sondern es ging nur um „die schicklichsten Mittel“ (RGV, AA VI, S. 127), dem Volk etwas ganz neues zu „introduzieren“ (ebd.). Wie sind nun die zwei oben genannten Bestimmungen näher zu verstehen? Alles kommt selbstverständlich darauf an, was eine ‚Religion‘ in Kants Religionsphilosophie überhaupt bedeutet. Und dieser Terminus hat in Kants Philosophie in der Tat zwei Bedeutungen: die erste ist ‚Vernunftreligion‘, zu der die Moral selbst unumgänglich führt („Moral […] führt unumgänglich zur Religion“, RGV, AA VI, S. 6; „das moralische Gesetz [führt] […] zur Religion”; KpV, AA V, S. 129), die zweite ist der Bereich der positiven Religionen („positive Offenbarungslehren“; RGV, AA VI, S. 157, oder „der historische Glaube“, RGV, AA VI, S. 115). Kurzum, es ist der Unterschied zwischen dem, was Kant „unsichtbare Kirche“ (RGV, AA VI, S. 101) nennt und welche durch das „Bewußtsein ihrer Notwendigkeit“ (SF, AA VII, S. 49) gekennzeichnet wird, und der „sichtbare[n]“ (RGV, AA VI, S. 101) Kirche, welche „das Bewußtsein […] [ihrer] Zufälligkeit“ (RGV, AA VI, S. 115) enthält. Es handelt sich also um zwei getrennte Bereiche – ‚Vernunftreligion‘ ist in der Vernunft (Moral) selbst angelegt, also ist sie nicht Folge einer Verallgemeinerung aus der Erfahrung (Kant hat nicht verschiedene bereits existierende Religionen geprüft, um einen gemeinsamen Nenner herauszuarbeiten).19 ‚Vernunftreligion‘ ist Sache der Vernunft alleine, etwas, zu der die Moral bzw. das Moralgesetz selbst (also nicht die Erfahrung) führt,20 weshalb sie nicht als eine (gereinigte) Version einer positiven Religion aufzufassen ist, sondern als eine Religion, welche von positiven Religionen kategorial verschieden ist. Der Unterschied zwischen dem Bereich von positiven Religionen und dem der Vernunftreligion lässt auch durch Kants Begründung des Übergangs zum Bereich der Offenbarungen veranschaulichen.21 Kant schreibt: 19 Hermann Cohen hat dies bei Gelegenheit auf den Punkt gebracht: „Der Umfang fällt hier nicht in das Gebiet der Induktion, sondern er gehört durchaus der Grundlegung an, welche für alle Induktion die Voraussetzung ausbildet“. (Cohen, Hermann, Religion der Vernunft aus den Quellen des Judentums, Köln 1959, S. 13) 20 Ich kann in diesem Aufsatz auf die präzise Art und Weise, wie Kant diesen Übergang von Moral zu Vernunftreligion macht, nicht eingehen; für eine erhellende Erklärung siehe z.B. Dörflinger, Bernd, Führt Moral unausbleiblich zur Religion? Überlegungen zu einer These Kants, in: Fischer, Norbert (Hrsg.), Kants Metaphysik und Religionsphilosophie, Hamburg 2004, (S. 207–334). 21 Über eine systematische Diskussion über den besonderen Status dieser Schwäche  – es handelt sich hier um einen Zwischenbereich zwischen reiner Zufälligkeit und metaphysischer Notwendigkeit – siehe meinen Aufsatz: Kravitz, Amit, Revelation’s

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Allein es ist eine besondere Schwäche der menschlichen Natur daran Schuld, daß auf jenen reinen Glauben niemals so viel gerechnet werden kann, als er wohl verdient, nämlich eine Kirche auf ihn allein zu gründen […] Die Menschen […] sind doch nicht leicht zu überzeugen: daß die standhafte Beflissenheit zu einem moralisch guten Lebenswandel alles sei, was Gott von Menschen fordert […] Sie können sich ihre Verpflichtung nicht wohl anders, als zu irgend einem Dienst denken, den sie Gott zu leisten haben […] und so entspringt der Begriff einer gottesdienstlichen statt des Begriffs einer reinen moralischen Religion. (RGV, AA VI, S. 103) Daraus ergibt sich, dass in der Vernunftreligion Gott kein Dienst geleistet wird; eben deshalb ist jede positive Religion (Offenbarung) nicht „Zweck an sich […] sondern [hat] nur als Mittel einen Werth […]“ (RGV, AA VI, S. 13), d.i. „Leitmittel“ (RGV, AA VI, S. 115) zu einer kontinuierlichen Annäherung an das Ideal (Vorbild) der Vernunftreligion. Die Vernunftreligion fungiert also für Kant als (in der reinen Vernunft verwurzelter, also von der Empirie unabhängiger) Maßstab der Beurteilung positiver Religionen. (Von daher: „Es ist nur eine wahre Religion [= Vernunftreligion, also das Kriterium der Beurteilung positiver Religionen]; aber es kann vielerlei Arten des Glaubens geben“; RGV, AA VI, S. 107). Dem Begriff positive Religion (Offenbarungslehre) kommt bei Kant also, und zwar im gewissen Gegensatz zum derzeitigen Gebrauch dieses Begriffs, eine klare normative und nicht nur eine deskriptive Bedeutung zu: Positive Religion soll als „Leitmittel“ (oder als „Vehikel“; RGV, AA VI, S. 106–107) hin zur Vernunftreligion dienen. Faktisch existieren verschiedene Religionen; jede Religion soll dem Urteil unterworfen werden, um zu sehen, ob diese Religion ein gutes „Vehikel“ (im Sinne von Annährung) hin zur Vernunftreligion ist. Kants Bericht hat also freilich auch eine dynamische Seite – nicht bezüglich des Kriteriums der Beurteilung selbst (denn es ist in der Vernunft selbst verwurzelt und als solches unveränderbar), aber bezüglich positiver Religionen. So kann man zum Beispiel zum Schluss kommen (also beurteilen), dass diese und nicht jene Religion ein besseres Leitmittel hin zur Vernunftreligion ist, aber es kann durchaus der Fall sein, dass diese Religion sich zu einem späteren Zeitpunkt aus welchem Grund auch immer zum Negativen verändert und somit auch das Urteil über sie anders ausfällt und so weiter.

Entrenchment in Pure Reason in Fichte’s Versuch einer Kritik aller Offenbarung, in: KantStudien, Vol. 113 (2022), (S. 299–329), S. 309–312.

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Aber die Hauptfrage bleibt: Warum, statt zu behaupten, dass das Judentum freilich auch eine Religion ist, aber etwa eine, die anhand eines Urteils kein gutes (und sogar ein schlechtes) Vehikel der Vernunftreligion sei, besteht Kant darauf, dass es „gar keine Religion“ sei, also auch kein Leitmittel sein kann? Und mehr noch: Warum fügt er hinzu, dass die „völlige Verlassung“ des Judentums der reinen moralischen Religion vorhergeht? Denn Kant hätte auch die erste Bestimmung ohne die zweite aufstellen können. Um dem Grund dieser doppelten Bestimmung nachzugehen sei beachtet, dass es bei Kant immer der Fall ist, dass eine bereits existierende Lage völlig (also nicht dialektisch) verlassen werden muss, und das Ideal zu erreichen, und dass dies auch den Bereich der positiven Religion betrifft. Dies möchte ich nun mittels eines knappen Berichts zeigen, der auf Kants Argument in der RGV basiert. Ich kann hier nicht auf die Begründung jedes Schritts eingehen, sondern werde nur die Übergänge vor Augen führen: Erstens behauptet Kant bekannterweise, dass der Mensch „in seiner Gattung“ (RGV, AA VI, S. 20; 21; 25; 32; 38) böse ist. Zweitens ergibt sich daraus, dass jedes Subjekt (denn dieses Böse lässt sich wie gesagt der ganzen Gattung zuschreiben, also jedem Subjekt ohne Ausnahme, „auch dem besten“; RGV, AA VI, S. 30) sein moralisches Leben in einer Lage beginnt, in der das Böse „schon Platz genommen hat“ (RGV, AA VI, S. 57; 61; eigene Hervorhebung). Da jedes Subjekt als „im Bösen versunken“ (RGV, AA VI, S. 94) vorgestellt wird, besteht der erste moralische Schritt darin, „vom Bösen auszugehen“ (RGV, AA VI, S. 57), sprich, das alte Ich sozusagen gänzlich abzulegen um dabei eine „Revolution in der Gesinnung […] zu Stande“ (RGV, AA VI, S. 47) zu bringen. Auf der Ebene der Individualität befindet sich jeder Einzelne in einer bereits aufgeladenen Lage, welche einer völligen Bewältigung (ein ganz neues Prinzip – nicht eine dialektische Aufhebung des alten) bedarf. Drittens bezieht sich diese aufgeladene Lage nicht nur auf den Einzelnen; denn jedes Subjekt befindet sich auch bereits „unter Menschen“ (RGV, AA VI, S. 94), daher gilt: Es ist nicht einmal nöthig, daß diese schon als im Bösen versunken und als verleitende Beispiele vorausgesetzt werden; es ist genug, daß sie da sind, daß sie ihn umgeben, und daß sie Menschen sind, um einander wechselseitig in ihrer moralischen Anlage zu verderben und sich einander böse zu machen. (RGV, AA VI, S. 94) Um der „Erhaltung der Moralität“ (RGV, AA VI, S. 94) willen muss auch hier ein „Mittel“ (RGV, AA VI, S. 94) gefunden werden; dieses ist die „Republik

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nach Tugendgesetzen“ (RGV, AA VI, S. 98). Dies bietet sich an, denn wenn die Bedrohung im Sinne von anderen Menschen definiert wird, muss auch das Mittel, diese Bedrohung zu überwinden, mit Bezug auf Gesellschaft gedeutet werden. Diese moralische Republik ist eben die besagte ‚Vernunftreligion‘. Viertens aber heißt bereits ‚unter Menschen zu sein‘ auch, sich in einer bereits existierenden politischen Ordnung zu befinden; mit Kant gesprochen, der Mensch befindet sich bereits „in einem schon bestehenden politischen gemeinen Wesen“ (RGV, AA VI, S. 95). Sprich, so wie der Einzelne, der sich in einer Lage befindet, in der das Böse „schon Platz genommen hat“ und der diese Lage völlig bewältigen soll (seine Gesinnung auf ein ganz anderes Prinzip basieren soll), taucht auch der Bedarf nach der Errichtung einer moralischen Republik angesichts einer bereits bestehenden politischen Republik auf. Die Begründung einer reinen ethischen Gemeinde bedeutet gleichermaßen eine völlige Bewältigung des Politischen, welches stets „ein Zustand der unaufhörlichen Befehdung durch das Böse“ (RGV, AA VI, S. 97) ist. Nun, Kant identifiziert ganz explizit das Judentum mit der politischer Ordnung: Der jüdische Glaube ist seiner ursprünglichen Einrichtung nach ein Inbegriff bloß statutarischer Gesetze, auf welchem eine Staatsverfassung gegründet war […] [das Judentum] ist eigentlich gar keine Religion, sondern bloß Vereinigung einer Menge Menschen, die, da sie zu einem besondern Stamm gehörten, sich zu einem gemeinen Wesen unter bloß politischen Gesetzen, mithin nicht zu einer Kirche formten […]. (RGV, AA VI, S. 125) Angesichts der Tatsache, dass das ganze Drama der Religion im Sinne eines „Leitmittels“ hin zur Vernunftreligion erst dann beginnt, wenn eine moralische Republik angekündigt wird, deren Prinzip eben eine völlige Verneinung22 des Vereinigungsprinzips des Politischen ist, wird deutlich, warum Kant für eine 22

Von daher wäre es falsch, zu behaupten, dass das Wesen des Judentums für Kant das bloße Politische war; vielmehr steht es für das, was um der Religion willen erst verneint werden soll. Dies wird oft in der Literatur verkannt. Zum Beispiel vermerkt Paul Lawrence Rose, dass für Kant „Judaism was nothing but a national community shaped by a miscellaneous set of pseudoreligious statutes“; die begriffliche Dynamik, in der der Bewältigung des Judentums eine wesentliche Rolle zukommt, geht in dieser Beschreibung verloren; siehe Rose, Paul Lawrence, The German Moralists and the Jewish Question 1781–1812: Dohm, Humboldt, and Hardenberg, in: ders., German Question/Jewish Question. Revolutionary Antisemitism from Kant to Wagner, New Jersy 1990, (S. 91–117) S. 93. Siehe auch Haring, James, Judaism and the Contingency of Religious Law in Kant’s Religion within the Boundaries of Mere Reason, in: Journal of Religious Ethics, Vol. 48 (2020), (S. 74–100), S. 81–82.

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„völlige Verlassung“23 des Judentums plädiert, und warum er der Meinung war, dass die moralischen Komponenten „nicht zum Judenthum als einem solchen gehörig“ (RGV, AA VI, S. 125) sind. Denn Kant war kein Historiker, sondern ein Philosoph; er liefert keine empirische Analyse des Judentums,24 sondern eine begriffliche Gestaltung dessen  – angesichts inner-systematischer Überlegungen, und deshalb gilt laut Kant: Wenn man eine moralische Komponente im Judentum erkennt, dann gehört sie per definitionem nicht zum Judentum. Dass Kant hier durchaus konsequent war, lässt sich auch anhand der folgenden Stelle aus der KU zeigen, die in der Literatur (meiner Ansicht nach irrtümlich) üblicherweise als ein Kompliment für das Judentum25 interpretiert wird: Vielleicht gibt es keine erhabenere Stelle im Gesetzbuche der Juden, als das Gebot: Du sollst dir kein Bildniß machen, noch irgend ein Gleichniß, weder dessen, was im Himmel, noch auf der Erden, noch unter der Erden ist u.s.w. Dieses Gebot allein kann den Enthusiasm erklären, den das jüdische Volk in seiner gesitteten Epoche für seine Religion fühlte, wenn es sich mit andern Völkern verglich, oder denjenigen Stolz, den der Mohammedanism einflößt. (KU, AA V, S. 274) Es ist nun ganz klar, dass diese erhabene Stelle etwas Moralisches signalisiert, denn laut Kant ist das moralische Ideal in der Tat nicht etwas Sinnliches, sondern etwas, das in der reinen Vernunft verwurzelt ist. Heißt das aber nicht, dass im Judentum sich doch etwas Moralisches ankündigt, also dass Kant sich selbst widerspricht? Nicht unbedingt. Denn Kant spricht hier über das „Gesetzbuche der Juden“, nicht über das Judentum. Dass es in diesem Buch etwas Erhabenes (Moralisches) gibt, ist durchaus möglich, aber daraus folgt nicht zwangsläufig, 23 Über Kant und die Frage nach der Bekehrung der Juden siehe zum Beispiel Meld Shell, Susan, Kant’s Jewish Problem, in: dies., Kant and the Limits of Autonomy, Cambridge 2009, (S. 306–334). Vgl. auch Stangneth, Bettina, Antisemitische und antijudaistische Motive bei Immanuel Kant?, in: Gronke, Horst; Meyer, Thomas und Neisser, Barbara (Hrsg.), Antisemitische und antijudaistische Motive bei Denkern der Aufklärung, Münster 2001, (S. 13–123), S. 39–45. 24 Für einen Versuch Kants Position auf den Stand seiner Erkenntnis über das ‚Judentum‘ zu reduzieren, siehe z.B. Axinn, Sidney, Kant on Judaism, in: The Jewish Quarterly Review, Vol. 59 (1968), (S. 9–23). 25 Siehe z.B. Brumlik, Micha, Kants Theorie des Judentums – Die Euthanasie des statutarischen Gemeinwesens, in: ders., Deutscher Geist und der Judenhaß. Das Verhältnis des philosophischen Idealismus zum Judentum, München 2002, (S. 27–74), S. 16 u. S. 71. Siehe auch Kozyra, Wojciech, Kant on the Jews and Their Religion, in: Diametros, Vol. 17 (2020), (S. 32–55), S. 41.

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dass dieses Etwas dem Judentum – streng begrifflich genommen – angehört. (Dass Kant sich hier des Begriffs ‚Religion‘ bedient, tut nichts zur Sache. Denn selbst in der RGV erwähnt Kant einmal  – gewissermaßen im landläufigen Sinne – das Judentum im gleichem Atemzug mit anderen Religionen;26 dies ändert nichts an Kants strenger begrifflicher Definition des Judentums, welche er auch konsequent in einer detaillierten Analyse des Judentums in der RGV ausführt.) Dass er etwas Moralisches dem Gesetzbuche der Juden, aber nicht dem Judentum, zuschreibt, ist also eine durchdachte Aussage Kants. Um zusammenzufassen: Laut Kant soll jede positive Religion einem Urteil unterzogen werden, um ihren Wert als Leitmittel für die Vernunftreligion einzuschätzen. Der Maßstab der Beurteilung ist vom Bereich der positiven Religionen gänzlich unabhängig, und ist in der reinen Vernunft verwurzelt. Das Judentum aber beurteilt Kant nicht, sondern es steht vielmehr für das, was völlig bewältigt werden muss, um in den Bereich der besagten Leitmittel eintreten zu dürfen. Hegel hingegen denkt im Allgemeinen nicht in Dichotomien im Geiste Kants, welche absolute Verneinungen benötigen, sondern dialektisch. Was heißt das bezüglich seiner allgemeinen Position zum Bereich der positiven Religionen, und spezifisch hinsichtlich seiner Einstellung zum Judentum? 3

Hegel: Aufhebung positiver Religionen und Trivialisierung des Judentums

Hegel operiert nicht mit Verneinungen, sondern mit Aufhebungen; und ‚Aufhebung‘ heißt bekannterweise, den wahren Kern des Vorhergehenden dialektisch fortzuführen und nicht, ihn absolut zu negieren. Deshalb ist Hegels Deutung des Bereichs der positiven Religionen ganz anderes als Kants, und deshalb auch seine Einstellung zum Judentum, die nicht im Sinne von „völliger Verlassung“ gedeutet werden kann. Von Wichtigkeit diesbezüglich ist diese typische Bemerkung Hegels: Wenn wir nicht ans Philosophieren gehen sollten, ohne die Vernunft vernünftig erkannt zu haben, so ist gar nichts anzufangen, denn indem wir erkennen, begreifen wir vernünftig; dies sollen wir aber lassen, da wir eben die Vernunft erkennen sollen. Es ist dieselbe Forderung, die 26 Vgl. RGV, AA VI, S. 108, wo Kant „[…] von diesem oder jenem (jüdischem, muhammeda­ nischem, christlichem, katholischem, lutherischem) Glauben […]“ spricht.

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jener Gascogner macht, der nicht eher ins Wasser gehen will, als bis er schwimmen könne. Um Schwimmen zu lernen, muß man ins Wasser gehen. Man kann nicht das Erkennen sich zum Gegenstand machen, ohne sich dabei zugleich erkennend zu verhalten. (VPR, Werke XVI, S. 59) Es versteht sich von selbst, dass diese Bestimmungen, in denen auch Hegels wesentliche Herangehensweise an das Thema ‚Religionsphilosophie‘ zum Vorschein kommt, hauptsächlich gegen Kants transzendentalen Ausgangspunkt gerichtet sind. Hegel sucht klarerweise nach einem anderen Ansatz. Bezogen auf den Bereich der positiven Religionen: Hegel war nicht der Ansicht, dass zunächst die Vernunft ein unabhängiges, ganz reines Kriterium der Beurteilung liefert (‚Vernunftreligion‘), um erst danach die einzelnen Religionen einem Urteil zu unterwerfen. Wenn aber nicht mit einem in der Vernunft verwurzelten unabhängigen Kriterium – womit fängt Hegel dann an? Hegel hat sich intensiv mit der Frage nach dem ‚Anfang‘ befasst (bei Gelegenheit erwähnt er „die moderne Verlegenheit um den Anfang“; WL, Werke V, S. 65). Man soll hier allerdings unterscheiden zwischen dem Anfang der Philosophie überhaupt und dem Anfang der Religionsphilosophie, denn: Die Religionswissenschaft ist eine Wissenschaft in der Philosophie, setzt insofern die anderen philosophischen Disziplinen voraus, ist also Resultat. Nach der philosophischen Seite sind wir hier bereits bei einem Resultat von Vordersätzen, die hinter unserem Rücken liegen. (VPR, Werke XVI, S. 91; eigene Hervorhebung) ‚Religion‘ darf also nicht als der allererste Anfang gesehen werden; der Anfang per se (ausgegangen vom Standpunkt des gemeinen Bewusstseins) wird zum Beispiel im ersten Kapitel der Phänomenologie des Geistes beschrieben, in dem die sinnliche Gewissheit als das Unmittelbare, womit man beginnt, thematisiert wird („[d]as Wissen, welches zuerst oder unmittelbar unser Gegenstand ist, kann kein anderes sein als dasjenige, welches selbst unmittelbares Wissen, Wissen des Unmittelbaren oder Seienden ist“; PG, Werke III, S. 83). Die ‚Religion‘ taucht erst im siebten Teil dieser Schrift auf (vor dem Teil über das absolute Wissen). Aber man darf das Augenmerk auf die ‚Religion‘ als Bereich für sich richten, dem ein eigener Anfang zukommt. Und auch für diesen Anfang gilt: „[I]m Anfang ist man beim Unmittelbaren“ (VPR, Werke XVI, S. 91). Ein unmittelbares Bewusstsein als der Ausgangspunkt des Bereichs ‚Religion‘ heißt Unabhängigkeit von Argumenten, Beweisen oder Schlussfolgerungen.

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Dies unterscheidet Hegel von Kant. Denn Kant beginnt die RGV mit einem ‚Beweis‘,27 dessen Schluss ich oben genannt habe: Der Mensch (als Gattung betrachtet) ist böse und nicht gut. Erst aufgrund dieses Beweises entsteht der Bedarf, vom Bösen auszugehen, und dieses Ausgehen benötigt nach Kant den Glauben an Gott, denn „was nicht in seinem [dem Subjekt] Vermögen ist, werde durch höhere Mitwirkung ergänzt werden“ (RGV, AA VI, S. 52). Hegel hingegen lehnt diesen Mechanismus der Beweise für die Existenz Gottes  – auch die sogenannten praktischen Beweise im Geiste Kants – als das, woraus der Bereich ‚Religion‘ hervorgeht, durch und durch ab: Die Philosophie und näher die Religionsphilosophie hätte sich also erst ihren Gegenstand zu beweisen und darauf hinzuarbeiten, daß, ehe sie existiere, sie beweise, daß sie ist; sie müßte vor ihrer Existenz ihre Existenz beweisen […] Gelten aber solche Gesichtspunkte, so ist Religionsphilosophie unmittelbar unmöglich, da, um ihre Möglichkeit zu zeigen, erst jene Hindernisse beseitigt werden müßten. (VPR, Werke XVI, S. 57–58) Hegel fängt also nicht mit einem Beweis an, sondern mit einer Beschreibung eines faktischen, unmittelbaren und präreflektiven Bewusstseins: Betrachten wir zunächst die Religion des frommen Menschen, d.h. dessen, der wirklich diesen Namen verdient. Der Glaube wird noch als rücksichtslos und gegensatzlos vorausgesetzt. An Gott glauben ist nämlich in seiner Einfachheit etwas anderes, als wenn man mit Reflexion und mit dem Bewußtsein, daß diesem Glauben ein Anderes gegenübersteht, sagt: ich glaube an Gott; da tritt schon das Bedürfnis der Rechtfertigung, des Räsonnements, der Polemik ein. (VPR, Werke XVI, S. 16) Hegel zeigt nun, dass jedes Bewusstsein zwangsläufig einer inneren Spannung anheimfällt, die unumgänglich zu seiner Aufhebung führt. Denn „auch die Frömmigkeit ist nicht dem Geschick entnommen, in die Entzweiung zu fallen“; VPR, Werke XVI, S. 20). Der ‚Anfang‘ geht also immer auch über sein Sein als ‚Anfang‘ hinaus, und dies ist die dialektische Bewegung, die Hegel verfolgt – eine Bewegung von innen heraus, ausgehend von einem unmittelbaren religiösen Bewusstsein über dessen Aufhebung bis zum nächsten ‚Moment‘, das sich auch als unzulänglich erweist und so weiter. Jedes Moment 27 Kant erwähnt den Begriff ‚Beweis‘ in diesem Zusammenhang; siehe bspw. RGV, AA VI, S. 25; 30. Ich kann hier nicht auf die Frage eingehen, was genau ein ‚Beweis‘ in diesem Zusammenhang heißt und ob Kant ihn wirklich liefert.

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erweist sich als unzulänglich nicht wegen eines Vergleichs mit einem äußeren, unabhängigen Kriterium, welches durch die reine Vernunft dargelegt wird, sondern die Unzulänglichkeit entsteht innerhalb der jeweiligen Perspektive selbst. Bezogen auf die oben genannte Beschreibung des frommen Menschen heißt das u.a., dass seine Position unvermeidbar im Widerspruch zur Freiheit des Einzelnen stehe: Gott in seiner Allgemeinheit, dies Allgemeine, in welchem keine Schranke, Endlichkeit, Besonderheit ist, ist das absolute Bestehen und allein das Bestehen; und was besteht, hat seine Wurzel, sein Bestehen nur in diesem Einen. Wenn wir diesen ersten Inhalt so auffassen, so können wir uns ausdrücken: Gott ist die absolute Substanz, die allein wahrhafte Wirklichkeit. Alles andere, was wirklich ist, ist nicht für sich wirklich, hat kein Bestehen für sich; die einzig absolute Wirklichkeit ist allein Gott; so ist er die absolute Substanz. (VPR, Werke XVI, S. 94; VPR, Meiner I: S: 268–269) Eine mögliche Beschreibung des Bewusstseins des frommen Menschen wäre etwa: Er setzt einfach voraus, dass es Gott gibt, und dass Gott alles sei (d.h. dass Gott das ganze Sein sozusagen erfüllt). Dies ist noch keine bewusste Stipulation mit Rechtfertigung, sondern eher ein naiver Ausgangspunkt (analog zum unkritischen, unreflektierten Ansatzpunkt der ‚sinnlichen Gewissheit‘ in der Phänomenologie des Geistes). Sobald aber die Reflexion eintritt, entstehen innere Spannungen. (Zum Beispiel: Wenn Gott alles sei, dann ist das Subjekt, welches eben an diesen Gott glaubt, ein Nichts, und so weiter.) Der fromme Mensch muss dann seine naive Sicht verlassen – aber das heißt nicht, sie völlig zu verneinen, denn in dem, was er am Anfang für wahr gehalten hat, lag doch ein Kern der Wahrheit. Dieser ganze Mechanismus wird wie gesagt ins Rollen gebracht ohne ‚Urteil‘ in Kants Sinne, sondern ‚von innen heraus‘. Diese Beschreibung trifft auch auf den Bereich positiver Religionen zu: Der nächstliegende Sinn der bestimmten Religion ist der, daß die Religion überhaupt als Gattung genommen sei und die bestimmten Religionen als Arten. Dieses Verhältnis von Gattung zu Arten ist einerseits ganz richtig, wenn in anderen Wissenschaften vom Allgemeinen zum Besonderen übergegangen wird; das Besondere ist aber da nur empirisch aufgenommen: es findet sich, daß es diese und jene Tiere, dieses und jenes Recht gibt. In der philosophischen Wissenschaft darf nicht so verfahren werden; das Besondere darf nicht zu dem Allgemeinen hinzutreten, sondern das

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Allgemeine selbst entschließt sich zum Bestimmten, zum Besonderen: der Begriff teilt sich, er macht eine ursprüngliche Bestimmung aus sich. (VPR, Werke XVI, S. 251; eigene Hervorhebungen) Das, was von Hegel hier beschrieben wird, betrifft die sogenannte spekulative (höchste) Sicht; gemäß dieser Sicht wird – wiederum im Gegensatz zu Kants Position  – keine bestimmte (positive) Religion mit der Vernunftreligion verglichen, sondern vielmehr gilt: Die Bewegung des Begriffs selbst (das Sich-Entschließen) durch seine Momente ist der Bereich der bestim­mten Religionen: Die absolute Religion ist erstens die offenbare Religion […] Die absolute Religion ist allerdings eine positive in dem Sinne, wie alles, was für das Bewußtsein ist, demselben ein Gegenständliches ist. Alles muß auf äußerliche Weise an uns kommen. (VPR, Werke XVII, S. 188, 194) Dies entdecken wir natürlich am Ende (als Resultat); in der Bewegung selbst hingegen musste das Subjekt angesichts innerer Spannungen stets seine jeweilige Position aufheben, bis es die Stufe der spekulativen Sicht erreicht. In dieser Hinsicht lässt sich das Verhältnis zwischen dem religiösen Bewusstsein  – ausgehend von einem (scheinbaren, im Zuge innerer Spannungen aber der Aufhebung anheimfallenden) ‚Unmittelbaren‘  – und der ‚wahrhaften Religion‘ oder der ‚Idee‘28 mit dem Verhältnis zwischen der Phänomenologie des Geistes und der Wissenschaft der Logik gleichsetzen. In der WL29 vermerkt Hegel das Folgende: Es ist in der Einleitung bemerkt, daß die Phänomenologie des Geistes die Wissenschaft des Bewußtseins, die Darstellung davon ist, daß das Bewußtsein den Begriff der Wissenschaft, d.i. das reine Wissen, zum Resultate hat. Die Logik hat insofern die Wissenschaft des erscheinenden 28 „Denn Idee im philosophischen Sinn ist der Begriff, der sich selbst zum Gegenstand hat, d.h. der Dasein, Realität, Objektivität hat, der nicht mehr das Innere oder Subjektive ist, sondern sich objektiviert, dessen Objektivität aber zugleich seine Rückkehr in sich selbst ist oder – insofern wir den Begriff Zweck nennen – der erfüllte, ausgeführte Zweck, der ebenso objektiv ist“ (VPR, Werke XVII, S. 189). 29 Dass Hegel logische Strukturen auch in Bezug auf den Bereich ‚Religion‘ (und spezifisch auf den Bereich ‚bestimmte Religionen‘) verwendet, springt ins Auge; siehe Schick, Friederike, Zur Logik der Formen bestimmter Religion in Hegels Manuskript zur Religionsphilosophie von 1821, in: Neue Zeitschrift für Systematische Theologie und Religionsphilosophie, Vol. 55 (2013), (S. 407–436).

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Geistes zu ihrer Voraussetzung, welche die Notwendigkeit und damit den Beweis der Wahrheit des Standpunkts, der das reine Wissen ist, wie dessen Vermittlung überhaupt enthält und aufzeigt. In dieser Wissenschaft des erscheinenden Geistes wird von dem empirischen, sinnlichen Bewußtsein ausgegangen, und dieses ist das eigentliche unmittelbare Wissen; daselbst wird erörtert, was an diesem unmittelbaren Wissen ist […] In jener Abhandlung ist das unmittelbare Bewußtsein auch das in der Wissenschaft Erste und Unmittelbare, somit die Voraussetzung; in der Logik aber ist dasjenige die Voraussetzung, was aus jener Betrachtung sich als das Resultat erwiesen hatte, – die Idee als reines Wissen. Die Logik ist die reine Wissenschaft, d.i. das reine Wissen in dem ganzen Umfange seiner Entwicklung. (WL, Werke V, 67) Dies lässt sich eins zu eins auf den Bereich ‚Religion‘ anwenden; Hegels VPR „beinhalten“ demnach sowohl die Phänomenologie des Bereichs ‚Religion‘ wie auch die Logik (also hier: die absolute Religion) dieses Bereichs. Denn Hegel verfolgt (gleich wie in der Phänomenologie des Geistes) den Weg des religiösen Bewusstseins ‚von innen heraus‘ (also nicht mittels eines ‚Urteils‘) durch dessen wesentliche Momente (das Moment ‚Judentum‘ eingeschlossen), und legt zugleich (wie in der Wissenschaft der Logik) Rechenschaft ab über die absolute Religion, die im Gegensatz zu Kants Verfahren nicht von ihrer Genese abzutrennen ist. Daraus ergibt sich u.a., dass einerlei, wie Hegel das Judentum genau verdeutlicht, es nie der Fall sein kann, dass er es aus dem Bereich der dialektischen Bewegung ausschließt oder dass er im Geiste Kants meint, es sei „eigentliche keine Religion“; auch das Judentum, als eine Verkörperung des Moments des Erhabenen, ist eine notwendige Phase des Sich-Entschließens des Begriffs. In dieser Hinsicht und im Vergleich zu Kant trivialisiert Hegel den Status des Judentums – der Fall ‚Judentum‘, als die beste Verkörperung30 des erhabenen Moments, ist eine Phase der Entäußerung des Geistes wie andere Phasen.31 30 „Wir haben schon früher die Natur des orientalischen Prinzips kennengelernt und gesehen, daß das Höchste desselben nur negativ ist und daß das Affirmative das Herausfallen in die Natürlichkeit und die reale Knechtschaft des Geistes bedeutet. Nur bei den Juden haben wir bemerkt, daß sich das Prinzip der einfachen Einheit in den Gedanken erhoben hat, denn nur bei diesen ist der Eine, der für den Gedanken ist, verehrt worden“ (VPG, Werke XII, S. 429; eigene Hervorhebung). 31 Aus diesem Blickwinkel lässt sich sagen, dass Hegel toleranter war als Kant bezüglich des Judentums, da er dessen Status als ‚Religion‘ nie im Abrede stellt. In anderer Hinsicht aber mag dies nicht unbedingt der Fall sein, denn da die absolute Religion alle vorherigen Momente in sich einschließen soll, darf man Hegels Religionsphilosophie – mit Hermanni gesprochen  – als ‚kritischen Inklusivismus‘ bezeichnen. Siehe Hermanni,

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Kurz: Das Judentum ist bei Hegel ‚Religion der Erhabenheit‘, und nicht wie bei Kant „gar keine Religion“. Hegels Bericht über das Judentum ist ausführlich, und beinhaltet viele Aspekte, die ich hier nicht aufgreifen kann. Ich wende mich hier nun nur einem zentralen Aspekt zu, um zu zeigen, dass auch Hegel letztlich eine begriffliche Gestaltung des Judentums – wenn auch anhand anderer systematischen Überlegungen als Kant – vornimmt. Hegel betont, dass im Moment der Erhabenheit, welches das Judentum kennzeichnet, Gott zum ersten Male als Gott auftaucht, und eben deshalb als absolute Macht. Dies gewinnt erst anhand des vorhergehenden natürlichen Hintergrunds  – des ‚Unmittelbaren‘ des Bereichs ‚Religion‘ – an Bedeutung. Hegel vermerkt: Von der Unmittelbarkeit und Natürlichkeit [wird] ausgegangen [….], und diese muß überwunden werden […] das Bestimmen der Religion ist der Fortgang von der Natürlichkeit zum Begriff. (VPR, Werke XVI, S. 253) Das ‚Natürliche‘ hier bedeutet u.a. eine „Einheit des Geistigen und Natürlichen“ (VPR, Werke XVI, S. 254), und dies bedeutet, dass in dieser Phase Gott als Einer – und zwar als ein eigenständiges Wesen, welches von dem Natürlichen ganz verschieden ist – noch nicht in Erscheinung tritt. Erst hinterher folgt die Entzweiung des [endlichen] Bewußtseins in sich selbst, so daß es sich weiß als bloßes Natürliches und davon unterscheidet das Wahrhafte, Wesenhafte, in welchem diese Natürlichkeit, Endlichkeit nichts gilt und gewußt wird als ein Nichtiges. (VPR, Werke XVI, S. 254) Das erhabene Moment ist deshalb als ‚Anfang der Wahrheit‘ zu bezeichnen, weil „erst hier […] dieser Bruch zwischen Subjektivität und Objektivität [ist], und die Objektivität verdient hier eigentlich erst den Namen Gott“ (VPR, Werke XVI, S. 392). Die erste Erscheinung Gottes ist mit einem abrupten Losreißen von dem Natürlichen zu identifizieren; diesbezüglich ist Gott allerdings immer noch – weil der Gegensatz zum Natürlichen zunächst als absolut (als etwas, das das Natürliche völlig ausschließt) erscheint – absolut abstrakt (objektiv). Friedrich, Kritischer Inklusivismus. Hegels Begriff der Religion und seine Theorie der Religionen, in: Neue Zeitschrift für Systematische Theologie und Religionsphilosophie, Vol. 55 (2013), (S. 136–160). Hermanni sieht m.E. zurecht, dass „der Begriff der Religion die Vielheit der Religionen nur deshalb begründet, weil er zugleich der Grund für die hierarchisch gestufte Berechtigung ihrer Wahrheitsansprüche ist“ (S. 152), also dass Hegel eine pluralistische Theorie der Religion letztendlich ausschließt.

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Gott wird also am Anfang als „Negation der natürlichen Einheit“ (VPR, Werke XVI, S. 255) verstanden; eine Negation aber, die selbst (im Geiste von Hegels Dialektik) einen Prozess des Herauskristallisierens ins Rollen bringt. Das Wesen dieses Moments der Erhabenheit lässt sich mittels des Begriffs ‚Furcht‘ veranschaulichen. Denn diese erste Erscheinung Gottes als Gott, welche zunächst als absolute Negation des Natürlichen erscheint, erregt laut Hegel aus selbstverständlichen Gründen Furcht, weil sie das Subjekt von seiner unmittelbaren natürlichen Welt und von seinen zufälligen, sinnlichen Zwecken wegreißt und deshalb seine sinnliche Existenz – mit der es sich natürlicherweise identifiziert – zu vernichten droht. Aber gleichzeitig (im typischen dialektischen Geist) ist dieses Losreißen von dem Natürlichen auch der Anfang der Befreiung des Subjekts von dem Natürlichen, weshalb ‚Furcht‘ im gleichem Atemzug auch als ‚Anfang der Weisheit‘ zu bezeichnen ist: Aber die Furcht ist hier nicht Furcht vor Endlichem und vor endlicher Gewalt (das Endliche ist zufällige Macht, die auch ohne Furcht an mich kommen und verletzen kann), sondern die Furcht ist hier Furcht des Unsichtbaren, Absoluten, das Gegenteil des Bewußtseins meiner, das Bewußtsein des gegen mich, als Endlichen, unendlichen Selbstes. Durch das Bewußtsein dieses Absoluten als der einzigen, der schlechthin negativen Macht verschwindet jede eigene Kraft; alles, was zur irdischen Natur gehört, geht schlechthin zugrunde. […] Und diese Furcht des Herrn ist der Weisheit Anfang, welcher darin besteht, das Besondere, Endliche für sich nicht als ein Selbständiges gelten zu lassen […] Diese weise Furcht ist das wesentliche eine Moment der Freiheit und besteht in der Befreiung von allem Besonderen, in dem Losreißen von allem zufälligen Interesse, überhaupt darin, daß der Mensch die Negativität von allem Besonderen fühlt. (VPR, Werke XVII, S. 81) ‚Furcht‘ ist also zum einen Ausdruck des Verschwindens des Seins des endlichen Subjekts gegenüber der Erscheinung dessen, was als absolute göttliche Macht verstanden wurde, zum anderen aber ist sie eben das, was die ‚Weisheit‘ ermöglicht (also „weise Furcht“). All diese Motive, und viele andere, die ich nicht erwähnt habe, machen laut Hegel das Wesen des Judentum aus. Denn es wird eben dadurch gekennzeichnet, dass es eine Verkörperung des Moments des Erhabenen ist. Aber Hegel identifiziert das Judentum überwiegend mit der absoluten Furcht von Gott (also mit absoluter Knechtschaft), und nicht mit der sich daraus entwickelnden Weisheit. Dies lässt sich am Beispiel von Hegels Sicht auf das Buch Hiob sehen.

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Laut Hegel wird im Judentum Gott als absolute Macht aufgefasst und das endliche Subjekt erscheint daraufhin wie vernichtet; demnach kann das Subjekt im Judentum noch keine Klage gegen Gott äußern, denn für eine ‚Klage‘ bedarf es eines eigenständigen Subjekts, welches gegen Gott steht. Dies hat zur Folge, dass laut Hegel das Judentum sich auch durch ‚Zuversicht‘ charakterisieren lässt: „Diese [Zuversicht] ist im jüdischen Volke eine Grundseite, bewunderungswürdige Seite. Von dieser Zuversicht sind die alttestamentlichen Schriften voll, besonders die Psalmen“; VPR, Werke XVII, S. 69)“.32 Dieses Kompliment („bewundernswürdige Seite“) ist aber auch bei Hegel so wie bei Kant etwas zweideutig, denn Zuversicht wird auch als Hang zum ‚Fanatismus‘33 gedeutet: Die Zuversicht ist im Judentum immer noch blind, und gleicht der Zuversicht eines Knechts gegenüber seinem absoluten Herrn. Das Buch Hiob, in dem keine blinde Zuversicht gegenüber Gott zu finden ist, ist deshalb dem wesentlichen Geist des Judentums, wie es von Hegel begrifflich geprägt wird, fremd. Mit Hegel gesprochen: „Dieser Gang ist es auch, der im Hiob dargestellt ist, das einzige Buch, von dem man den Zusammenhang mit dem Boden des jüdischen Volks nicht genau kennt“ (VPR, Werke XVII, S. 69). Bereits die Tatsache, dass Hiob „sein Schicksal ungerecht“ (VPR, Werke XVII, S. 69) empfindet, deutet nach Hegels Lesart darauf hin, dass ihm die Kluft zwischen seinem Sein und Gott bewusst ist, und diese Tatsache ist eben das, was Hiobs Bewusstsein jenseits des Moments der Erhabenheit setzt. Denn die Suche nach Gerechtigkeit setzt eine gewisse Trennung zwischen Gott und dem Subjekt voraus, schreibt dem Subjekt eine gewisse Eigenständigkeit gegenüber Gott zu, und offenbart daher einen grundlegenden Zweifel  – im Gegensatz zur absoluten knechtischen Hingabe und blinden ‚Zuversicht‘. Solcher Zweifel aber gehört dem Judentum nach Hegels begrifflicher Gestaltung nicht an. Von daher: Auch Hegel interessiert sich nicht für die Art und Weise, wie Juden ihre Religion (zu der das Buch Hiob eindeutig 32 Bereits in der Schule im Jahre 1785 studierte Hegel die Psalmen gründlich. In Tübingen nahm er im Wintersemester 1788/89 an einem Unterricht über die Psalmen teil; siehe Rosenkranz, Karl, Georg Wilhelm Friedrich Hegels Leben, Berlin 1844, S. 11 u. S. 25. 33 „Mit der Vorstellung Gottes als des Herrn hängt es zusammen, daß sich das jüdische Volk dem Dienste desselben ganz hingegeben hat; daraus erklärt sich auch diese bewunderungswürdige Festigkeit, […] [der] Fanatismus der Hartnäckigkeit [ist]; sie beruht allein auf der Abstraktion des einen Herrn […] in dieser Konzentration aber des einen Herrn ist der Geist vollkommen festgehalten. Es folgt daraus, daß gegen dieses feste Band keine Freiheit vorhanden ist; der Gedanke ist schlechthin gebunden an diese Einheit, die die absolute Autorität ist […] Wegen des Mangels der Freiheit haben sie auch nicht an die Unsterblichkeit geglaubt […] es ist daher kein höherer Zweck als der Dienst des Jehova […]“ (VPR, Werke XVII, S. 86–87).

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gehört) tatsächlich verdeutlichen, sondern er behandelt das Judentum angesichts seiner inner-systematischen Überlegungen. 4 Schlussbemerkungen Sowohl Kant34 wie auch Hegel hatten freilich Vorurteile gegen Juden und gegen das Judentum, verfügten über geringe Kenntnisse des Judentums, waren von verschiedenen christlichen Deutungen des Judentums beeinflusst wie auch von persönlichen Begegnungen mit Juden oder von selektiver Lektüre über das Judentum,35 und so weiter. Ihre Einstellungen zum Judentum lassen sich ohne diese Komponenten nicht völlig verstehen, zugleich aber kann ihre jeweilige Einstellung auch nicht gänzlich auf diese Komponenten zurückgeführt werden; das begriffliche Einbetten in das Gewebe der eigenen Philosophie selbst kommt jeweils noch entscheidend hinzu. Nur anhand der Tatsache, dass Kant – ganz unabhängig von seiner Einstellung zum Judentum – in Dichotomien denkt, kann man seine Bestimmung, dass das Judentum „gar keine Religion“ ist, und dass dessen „völlige Verlassung“ Vorbedingung der moralischen Religion ist, verstehen, und von daher auch die Tatsache, dass sein oben erwähntes Kompliment hinsichtlich Erhabenheit nicht auf das Judentum, sondern auf das Gesetzbuch der Juden bezogen ist. Auch Hegel liefert eine begriffliche Gestaltung des Judentums angesichts inner-systematischer Überlegungen, die allerdings in seinem Fall nicht von Grund auf einer Verneinung des Judentums (oder irgendeiner anderen Religion) bedürfen – die aber dazu führen, den Zusammenhang des Buchs Hiob „mit dem Boden des jüdischen Volks“ zu bezweifeln.

34 Siehe z.B. Kants Beschreibung in Anth. AA VII, S. 295: „Die unter uns lebenden Palästiner sind durch ihren Wuchergeist seit ihrem Exil, auch was die größte Menge betrifft, in den nicht ungegründeten Ruf des Betruges gekommen. Es scheint nun zwar befremdlich, sich eine Nation von Betrügern zu denken; aber eben so befremdlich ist es doch auch, eine Nation von lauter Kaufleuten zu denken, deren bei weitem größter Theil, durch einen alten, von dem Staat, darin sie leben, anerkannten Aberglauben verbunden, keine bürgerliche Ehre sucht, sondern dieser ihren Verlust durch die Vortheile der Überlistung des Volks, unter dem sie Schutz finden, und selbst ihrer untereinander ersetzen wollen“. 35 Es wird manchmal behauptet, dass die früheren, vorherrschenden judenfeindlichen Einstellungen Hegels sich u.a. dadurch erklären ließen, dass er als junger Philosoph in Bern (1793–1796) in seiner Sicht des Judentums von Autoren wie Spinoza oder Gibbon beeinflusst war; siehe z.B. Pöggeler, Otto, Hegels philosophische Anfänge, in: Jamme, Helmut und Schneider, Christoph (Hrsg.), Der Weg zum System. Materialien zum jungen Hegel, Frankfurt am Main 1990, (S. 68–112), S. 90.

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Kants und Hegels verschiedene Herangehensweisen an das Thema ‚Judentum‘ sollen nicht nur als Sache der Vergangenheit verstanden werden, u.a. weil beide Denker als die zwei wichtigsten Vertreter der sogenannten Aufklärung gelten, unter deren Einfluss das abendländische Denken in vielerlei Hinsicht immer noch steht. Die Einstellungen von Kant und Hegel zum Judentum erschließen zunächst zwei allgemeine mögliche Perspektiven auf den Bereich ‚Religion‘ – entweder als das Gebiet, welches letztlich in keinem kategorialen Gegensatz zur ‚Vernunft‘ steht und welches eben deswegen auch das Judentum in sich einschließen soll (Hegel), oder als der Bereich, welcher der ‚Vernunft‘ wesentlich fremd ist, der aber sich dieser ‚Vernunft‘ durch völlige Überwindung mancher Komponenten (u.a. des Judentums) stets annähern muss (Kant). Hinzukommt, dass gerade angesichts des tragischen Schicksals des europäischen Judentums in den Augen vieler Denkerinnen und Denker die Schattenseiten der Aufklärung im Allgemeinen und des deutschen Idealismus im Spezifischen36 besondere Relevanz haben; auch deshalb ist es der Mühe wert, just die philosophischen – und nicht nur die rein theologischen – Wurzeln der Auseinandersetzung mit dem Begriff Judentum aufzuarbeiten. Literaturverzeichnis Hegels Schriften werden nach den folgenden Abkürzungen und Ausgaben zitiert: Abraham = Abraham in Chaldäa gebohren … in: Frühe Schriften. Frankfurter Manuskripte und Druckschriften, hrsg. von Walter Jaeschke, Hamburg 2020, S. 32–54. Fortschreiten = Fortschreiten der Gesetzgebung  … in: Frühe Schriften. Frankfurter Manuskripte und Druckschriften, hrsg. von Walter Jaeschke, Hamburg 2020, S. 20–25. Joseph = Joseph. Jüd. Alterth, in: Frühe Schriften. Frankfurter Manuskripte und Druckschriften, hrsg. von Walter Jaeschke, Hamburg 2020, S. 26–28. PG = Phänomenologie des Geistes, in: Hegel, G.W.F., Werke in 20 Bänden, Frankfurt am Main 1986, Bd. III. VPR = Vorlesungen über die Philosophie der Religion, in: G.W.F. Hegel, Werke in 20 Bänden, Frankfurt am Main 1986, Bd. XVI; XVII. WL = Wissenschaft der Logik, in: Hegel, G.W.F., Werke in 20 Bänden, Frankfurt am Main 1986, Bd. V; VI.

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Siehe dazu Just, Dieter, Die Schattenseite des Idealismus. Über die geistige Vorbereitung der Tragödie des deutschen Antisemitismus, Berlin 2004.

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Kants Schriften werden gemäß der von der Preußischen Akademie der Wissenschaften herausgegebenen Akademie-Ausgabe [AA], Berlin 1900ff. zitiert: Anth = Anthropologie in pragmatischer Hinsicht, AA VII. KpV = Kritik der praktischen Vernunft, AA V. KU = Kritik der Urteilskraft, AA V. RGV = Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft, AA VI. SF = Der Streit der Fakultäten, AA VII.



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Religion und philosophisches Wissen bei Hegel und Fichte Gaetano Basileo Die Religion spielt in allen philosophischen Systemen, die im Rahmen des Deutschen Idealismus konzipiert worden sind, eine wesentliche Rolle. Der Grund dafür ist, dass die Idealisten die Meinung vertraten, Religion und Philosophie teilen sich denselben Inhalt, nämlich Gott oder das Absolute. Diesen Denkern ist auch die Idee gemeinsam, dass Gott oder das Absolute als oberstes Prinzip des Erkennens und des Seins anzusehen ist und dass es im Systementwurf grundsätzlich nötig ist, von einer positiven Bestimmung des Verhältnisses zwischen dem Absoluten (oder Gott) und dem Selbstbewusstsein (oder Ich) auszugehen. In diesem Zusammenhang sind jedoch vielfältige und oftmals gegensätzliche Vorstellungen der systematischen Bedeutung, die der Religion in Bezug auf das philosophische Wissen jeweils beigemessen wird, möglich. Paradigmatische Beispiele davon sind einerseits Hegels reife Lehre einer absoluten Metaphysik, anderseits die Philosophie des späten Fichte: Während Hegels Lehre von einer hochkomplexen, vernünftig erkennbaren Einheit, wie sie der absoluten Subjektivität zukommt, einen Vorrang des philosophischen Wissens vor der religiösen Vorstellung der göttlichen Einheit impliziert, wird der Religion in der späten Philosophie Fichtes eine gewisse Unabhängigkeit oder sogar eine Irreduzibilität gegenüber der Perspektive der Wissenschaftslehre zuerkannt. In diesem Beitrag werde ich zeigen, dass die unterschiedlichen Bedeutungen, die von diesen Autoren der Religion beigemessen werden, auf verschiedene Konzeptionen der Negativität und des Verhältnisses zwischen dem Absoluten und seinen Erscheinungen im Selbstbewusstsein zurückzuführen sind. Zur Erläuterung dieser These werde ich Hegels Konzeption einer idealistischen Geschichte des Selbstbewusstseins, so wie diese in der Phänomenologie des Geistes dargelegt wird, und Fichtes Lehre der verschiedenen Arten des Selbstbewusstseins als verschiedener Bilder des einzigen göttlichen Lebens in der Anweisung zum seeligen Leben behandeln. So sei im ersten Teil dieses Beitrages hervorgehoben, dass Hegels Idee einer Phänomenologie des Geistes nur dann adäquat verstanden werden kann, wenn dieses Werk nicht nur als systematische Einleitung zur Wissenschaft, sondern auch als eine besondere Art idealistischer Geschichte des Selbstbewusstseins

© Gaetano Basileo, 2023 | doi:10.1163/9789004679399_011

Religion und philosophisches Wissen bei Hegel und Fichte

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begriffen wird. Anschließend wird dargelegt, dass der Vorrang von Hegels Konzeption des absoluten Wissens vor der Bestimmung der offenbaren Religion darauf gründet, dass es nur vom Standpunkt des absoluten Wissens aus möglich ist, die dialektische Identität von Sein und Denken zu begreifen: nur vom Standpunkt des absoluten Wissens aus kann nämlich anerkannt werden, dass der Auslegungsprozess des Absoluten in der Reihe seiner Gestalten als seine immanente Negativität gegenüber der Bedeutung des Absoluten nicht gleichgültig ist, sondern diese wesentlich mitbestimmt. Im letzten Teil werde ich zeigen, dass Fichtes Darstellung der verschiedenen Selbstbewusstseinsarten im fünften Kapitel seiner Anweisung zum seeligen Leben ihre Grundlage in seiner Bildtheorie findet. Hervorzuheben ist hier insbesondere, dass nach Fichte das Verhältnis zwischen dem Absoluten und seinen Bildern so beschaffen ist, dass letztere zwar Manifestationen der Tätigkeit des ursprünglichen Einen sind, dieses aber weder erschöpfen noch in seinem Wesen konstituieren. Gerade aus diesem Grund wird sich erweisen, dass die Religion auf jegliches genetische Wissen nicht reduzierbar ist. Vielmehr ist das konkrete Erlebnis für die Religion wesentlich, sodass sie zugleich Leitfaden für die Praxis und die Kunst, in Gott zu leben, sein kann. 1

Hegels Konzeption einer idealistischen Geschichte des Selbstbewusstseins

Um zu verstehen, welche Bedeutung und welche systematische Rolle dem Kapitel Religion in der Phänomenologie des Geistes beigemessen wird, ist es zunächst notwendig, zu betrachten, wie sich seine Behandlung in den grundlegenden Kontext des Werkes einfügt. Zu diesem Ziel sollte einerseits die Funktion der Phänomenologie betont werden, eine systematische und notwendige Einführung des endlichen Bewusstseins zu dem Standpunkt des wahren Wissens zu liefern; anderseits sollte aber auch hervorgehoben werden, dass diese Einführung in der Phänomenologie als eine besondere idealistische Geschichte des Selbstbewusstseins konzipiert worden ist: dabei soll nach Hegel eine skeptische Prüfung der ‚Weisen des Führwaltens‘, d.h. der Wissensund Wahrheitsansprüche dargestellt werden, die das Bewusstsein in Bezug auf das, was für es das Wesen der Gegenständlichkeit oder seines Verhältnisses zur Gegenständlichkeit ausmacht, erhebt.1 1 Zur Konzeption einer Geschichte des Selbstbewusstseins bei Hegel siehe u.a. Düsing, Klaus, Hegels Phänomenologie und die idealistische Geschichte des Selbstbewusstseins, in: Hegel-Studien, Vol. 28, (1993), (S. 103–126). Vgl. ebenso Di Tommaso, Giannino, Alle origini del

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Das Wort ‚Geschichte‘ nimmt hier die Bedeutung einer systematischen und idealen Genese der Gestalten des Bewusstseins an. Und ‚Bewusstsein‘ bezeichnet das allgemeine Subjekt der verschiedenen Arten des Fürwahr­ haltens, das den verschiedenen Ebenen des endlichen Bewusstseins, des Selbstbewusstseins, der Vernunft, des Geistes und der Religion gemeinsam ist und sich in ihnen allmählich bildet, bis es seine vollendete Gestalt erreicht, die Hegel im reinen Sich-Wissen der absoluten Subjektivität sieht.2 Wie erwähnt, kennzeichnet Hegel diese Geschichte weiter als eine skeptische Prüfung oder genauer als einen „sich vollbringende[n] Skeptizismus“.3 In dieser Prüfung werden sowohl die diesen Wahrheitsansprüchen jeweils innewohnenden Mängel als auch eine konsequente, notwendige Anreicherung der Arten des Fürwahrhaltens und deren intentionales Korrelat in systematischer Abfolge aufgezeigt. Die Prüfung geht voran, bis ein voll entwickeltes Ich-Objekt erreicht ist, in dem sich die Subjektivität selbst erkennen kann und so Zugang zur Position des wahren Wissens erhält (vgl. GW 9, S. 61–62). Es erweist sich somit, dass die Geschichte der Entwicklung des Selbstbewusstseins von einer Konzeption der Subjektivität geleitet ist, die erst am Ende explizit thematisch wird. Methodologisch wird diese Entwicklung als eine dialektische Erfahrung beschrieben (vgl. GW 9, S. 60f.). Wie in der Einleitung programmatisch behauptet wird, ist diese dialektische Erfahrung so geschaffen, dass sie der gesamten Geschichte des Bewusstseins eine systematische und notwendige Organisierung verleiht (GW 9, S. 61). Hegel zeigt dies, indem er die für die gesamte Entwicklung der Phänomenologie grundlegende Unterscheidung zwischen dem Standpunkt, aus dem das Bewusstsein seine jeweilige Erfahrung betrachtet, und dem Standpunkt, der der philosophischen Betrachtung – dem für uns – vorbehalten ist, einführt.

metodo fenomenologico, in: Cantillo, Giuseppe; Di Tommaso, Giannino und Vitiello, Vincenzo (Hrsg.), Logica ed esperienza. Studi in ricordo di Leo Lugarini, Neapel 2008, (S. 231–270). 2 Vgl. Düsing, Klaus, Fenomenología y lógica especulativa. Indagaciones sobre el ‚saber absoluto‘ en la Fenomenología de Hegel, in: Duque, Felix (Hrsg.), Hegel. La Odisea del Espíritu, Madrid 2010, (S. 293–311); siehe insbesondere S. 297–301, wo Düsing die Unterschiede zwischen der Hegelschen Konzeption einer idealistischen Geschichte des Selbstbewusstseins und ihren Vorprägungen bei Schelling und Fichte herausstellt. 3 Vgl. Hegel, Georg Wilhelm Friedrich, Phänomenologie des Geistes, in: ders., Gesammelte Werke, Bd. 9, Hamburg 1980, S. 56. Im Folgenden wird Hegels Phänomenologie mit „GW 9“ abgekürzt.

Religion und philosophisches Wissen bei Hegel und Fichte

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Laut Hegel entdeckt das Bewusstsein auf jeder Stufe seiner Entwicklung, dass sich das Gegenteil dessen, was es für die Wahrheit hielt, als das Wahre erweist (vgl. GW 9, S. 60f.). Zum Beispiel hält die sinnliche Gewissheit etwas Sinnliches und unmittelbar Gegebenes für das Wahre: aus der skeptischen Prüfung dieser Art des Fürwahrhaltens ergibt sich aber, dass ihre Wahrheit vielmehr das sinnliche Allgemeine ist. Ähnliches gilt für alle weiteren Gestalten des Bewusstseins: für dieses ist es immer wieder nur die negativ dialektische Seite der Erfahrung und die damit verbundene Vernichtung dessen, was das Bewusstsein jeweils für das Wahre hält. Eben aus diesem Grund wird diese Geschichte der Erfahrung für das Bewusstsein zu einem „Weg des Zweifels“ und sogar der „Verzweiflung“ (GW 9, S. 56). Von dieser Betrachtung der Erfahrung unterscheidet Hegel jedoch, was darin für uns, für den spekulativen Philosophen, enthalten ist. Dieser ist nämlich nach Hegel in der Lage, anzuerkennen, dass die Negation der jeweiligen Weise des Führwahrhaltens nicht eine bloß abstrakte, in das leere Nichts führende Negation ist, sondern eine bestimmte Negation, die ein positives Ergebnis hat (GW 9, S. 57; 61). Mit anderen Worten: Für den spekulativen Philosophen führt die Negation einer Art des Fürwahrhaltens immer wieder zur Entstehung eines neuen Gegenstandes und einer neuen Art des Fürwahrhaltens. So sind z.B. in der Wahrnehmung und in dem Wahrnehmungsding die sinnliche Gewissheit und ihr Korrelat, das „Dieses-da“, welches in Wahrheit ein Allgemeines ist, aufgehoben und als aufgehobene Momente aufbewahrt. „Dieser Umstand ist es“ – wie Hegel behauptet – „welcher die ganze Folge der Gestalten des Bewusstseins in ihrer Notwendigkeit leitet“ (GW 9, S. 61). Da wir das „reine Entstehen“ und das prozedurale Werden der Gestalten begreifen, ist deren Auftreten im Rahmen der idealistischen Geschichte des Selbstbewusstseins für uns nicht ein bloßes Geschehen, sondern das notwendige Ergebnis der vorangehenden Erfahrungen. Somit wird die Geschichte der Bildung des Bewusstseins als Einleitung zur Wissenschaft selbst zur Wissenschaft (ebd.). Das natürliche Bewusstsein hingegen thematisiert niemals den Prozess, in dem sein eigener Gegenstand entsteht. Letzteres bietet sich dem Bewusstsein dar, „ohne zu wissen, wie ihm geschieht“ (GW 9, S. 61). Man könnte also sagen, dass es nach Hegel eine Unterscheidung zwischen dem vom Bewusstsein jeweils entwickelten Wissen und seinen eigenen Bedingungen der Möglichkeit gibt, derer sich das Bewusstsein immer wieder als konstitutiv unbewusst erweist. Die idealistische Geschichte des Selbstbewusstseins hat die Überwindung dieser Lage zum Ziel. Das wird dadurch möglich, dass in dieser Geschichte

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immer komplexere Bestimmungen in systematischer und stufenartiger Genese aufgestellt werden: auf der eine Seite wird das allgemeine Subjekt des Fürwahrhaltens von Stufe zu Stufe immer komplexer; ebenso wird auf der anderen Seite dargelegt, wie das noematische Korrelat des Bewusstseins immer reichhaltigere Bestimmungen gewinnt, bis es an sich selbst die Bewegung der Reflexion und somit die sich prozedural bestimmende Struktur der Subjektivität aufweist.4 Erst auf diesem Niveau der Erfahrung wird der Vergleich von Religion (als Gestalt der Geschichte des Selbstbewusstseins) und philosophischem Wissen thematisch. Gegenstand der beiden Bereiche ist der Geist als Prinzip evolutiver Selbstbestimmung. Allerdings kann sich nur das absolute Wissen als endgültige Gestalt der Subjektivität mit sich selbst als ein voll entwickeltes Ich-Objekt identifizieren.5 Die Religion hingegen bleibt eine, wenn auch notwendige, Vorprägung dieses Ergebnisses. 2

Hegels Auseinandersetzung mit der christlichen Religion in der Phänomenologie

Die systematische Betonung, die Hegel in der Phänomenologie des Geistes der Religion beimisst, beruht darauf, dass in der Religion ein entscheidender Moment in der idealistischen Geschichte des Selbstbewusstseins erreicht wird, nämlich derjenige, bei dem die „Selbstkonstitution des Absoluten in sich zurückkehrt und selbstbezüglich wird“.6 Es ist vor allem die christliche oder, wie Hegel in der Phänomenologie auch sagt, die offenbare Religion, die er hier vor Augen hat. Denn in der trinitarischen Bewegung, in der Menschwerdung, im Tod und Auferstehung wird Gott – freilich noch auf eine bildhafte Weise – als „sich selbst wissender Geist“ vorgestellt, oder auch als „das Wesen, das die Bewegung ist, in seinem Anderssein die Gleichheit mit sich selbst zu

4 Düsing, Fenomenología y lógica especulativa, S. 298. 5 Laut Hegel wird so der allen bisherigen Bewusstseinsgestalten immanente Unterschied zwischen Subjekt und Objekt endgültig aufgehoben, und somit auch der Standpunkt erreicht, auf dem es möglich wird, nicht mehr Gestalten des Bewusstseins, sondern „bestimmte Begriffe“ und die „organische und in sich selbst begründete Bewegung desselben“ (GW 9, S. 430), darzustellen, was aber erst in der späteren Wissenschaft der Logik geschieht. 6 Vgl. Jaeschke, Walter, Die Vernunft in der Religion. Studien zur Grundlegung der Religionsphilosophie Hegels, Stuttgart-Bad Cannstatt 1986, S. 148.

Religion und philosophisches Wissen bei Hegel und Fichte

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behalten“.7 Die Bedeutung der christlichen Religion wird somit spekulativ mit Hinweis auf die Theorie der absoluten Subjektivität begründet. Hegel ist aber auch der Meinung, dass das religiöse Wissen noch an einer entscheidenden Unzulänglichkeit leidet: denn für ihn besitzt die Religion zwar den wahren Inhalt, aber sie kann ihn noch nicht in einer zu diesem Inhalt angemessener Form ausdrücken bzw. mitteilen. Das hängt nach Hegel damit zusammen, dass religiöses Wissen wesentlich durch seine Verwurzelung im Element bzw. in der „Form der Vorstellung“ (GW 9, S. 408 et alia) und dem daraus folgenden Rückgriff auf metaphorische Ausdrücke und mytho-logische Erzählungen bestimmt ist. Denn diese seien konstitutiv nicht dazu geeignet, die Notwendigkeit auszudrücken, die den Selbstbestimmungsprozess des Geistes innerlich steuert und zum absoluten Sich-Wissen leitet.8 Wie Hegel zu zeigen versucht, ist das vorstellende Wissen der Religion immer noch ein (wenn auch höchster) Ausdruck des abstrakten und intellek­ tualistischen Wissens, das das natürliche Bewusstsein als solches kennzeichnet. Wie dieses setzt auch das religiöse Wissen voraus, dass seine Inhalte ihre Identitätsbedingungen unmittelbar an sich haben und daher nur durch äußerliche (d.h. nicht das Wesen der Relata ausmachende) Beziehungen miteinander verbunden werden können. Das gilt nach Hegel sowohl für den Begriff der Vorstellung als solche als auch für Verknüpfungen von Vorstellungen. Er erklärt zuerst, dass die Vorstellung als das Ergebnis einer „synthetische[n] Verbindung der sinnlichen Unmittelbarkeit und […] des Denkens“ (GW 9, S. 408) zu verstehen ist. Damit meint er die Vereinigung eines begrifflichen, dem Selbstbewusstsein innewohnenden 7 GW 9, S. 405. In diesem Zusammenhang erklärt Hegel weiter, dass die christliche die offenbare Religion ist, nicht weil sie geoffenbart ist, sondern weil für sie Gegenstand des Bewusstseins „das absolute Wesen als Geist“ bzw. als Selbst ist (vgl. GW 9, S. 405–406). In der Philosophie des Geistes von 1806 schreibt Hegel, dass „in der Religion der Geist […] sich Gegenstand, als absolutes allgemeines, oder als Wesen aller Natur, des Seins und Thuns“ wird (vgl. Hegel, Georg Wilhelm Friedrich, Jenaer Systementwürfe III, in: ders., Gesammelte Werke, Bd. 8, Hamburg 1976, S. 280). Dies Wesen sei aber zugleich Selbst, Selbstbewusstsein (ebd.). Eben aus diesem Grund sei es möglich von der Christlichen als der „absolute[n] Religion“ zu sprechen: diese ist „das Tiefe, das zu Tage herausgetreten – dies Tiefe ist das Ich – es ist der Begriff, die absolute reine Macht“ (ebd., S. 281). Hegel setzt aber hinzu, dass „die Religion der vorgestellte Geist“ ist, „das Selbst das sein reines Bewusstsein und sein wirkliches nicht zusammenbringt, dem der Inhalt von jenem in diesem als ein anderes gegenübertritt“ (ebd., S. 282). 8 Am deutlichsten wird dies von Hegel in der Philosophie des Geistes von 1806 behauptet: „Der Inhalt der Religion ist wohl wahr; aber dies Wahrsein ist eine Versicherung – ohne Einsicht. Diese Einsicht ist die Philosophie, absolute Wissenschaft – derselbe Inhalt als der der Religion – aber Form des Begriffes“ (Hegel, Jenaer Systementwürfe III, S. 286).

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und eines sinnlichen und unmittelbaren Elements, wobei das Erste eine anschaulich-gegenständliche Vergegenwärtigung findet.9 Diese Assoziation heterogener Elemente sei jedoch auf ein willkürliches Tun der Subjektivität zurückzuführen,10 mit der Folge, dass die Vorstellung nie über eine nur metaphorische und konstitutiv instabile Dimension hinausgehen kann. Wie Klaus Vieweg erklärt, oszillieren die Vorstellungen vielmehr konstitutiv „zwischen den beiden Polen der Allgemeinheit [des Denkens, G.B.] und der Einzelheit [der sinnlichen Erfahrung, G.B.], die noch nicht in eine spekulative Einheit gebracht sind. Es vollzieht sich ein stetes Über-tragen – metaphora – zwischen den Seiten“.11 Eine ähnliche Reihe von Schwierigkeiten kennzeichnet zweitens die Art von Verbindung, die das religiöse Wissen zwischen die Mannigfaltigkeit seiner Vorstellungen setzt. Da die Religion voraussetzt, dass diese Vorstellungen unmittelbar gegeben und voneinander unabhängig sind, stellt sie nur äußerliche Verbindungen zwischen ihnen her. Dies bedeutet Verbindungen, die sich auf ein bloßes „[A]ufzählen von Prädikaten, ein Nebeneinander und Nacheinander-Gruppieren, ein Verknüpfen mittels bloßer Bindeworte (und oder auch)“ reduzieren.12 Das Ergebnis dieses nur synthetischen,

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Vgl. Vieweg, Klaus, Religion und absolutes Wissen. Der Übergang von der Vorstellung in den Begriff, in: Vieweg, Klaus und Welsch, Wolfgang (Hrsg.), Hegels Phänomenologie des Geistes. Ein kooperativer Kommentar zu einem Schlüsselwerk der Moderne, Frankfurt am Main 2008, (S. 581–600), S. 587ff. 10 Einige Elemente einer Hegelschen Theorie der Vorstellung sind im Kapitel ‚Intelligenz‘ der Philosophie des Geistes von 1806 zu finden. Hegel rekonstruiert hier den idealen Prozess, in dem sich der Geist von seiner Unmittelbarkeit, d.h. von sich als nur anschauend freisetzt, „vorstellende Einbildungskraft überhaupt“ wird (Hegel, Jenaer Systementwürfe III, S. 186) und sich allmählich ein Reich der Bilder und dann der Namen (ebd., S. 190) aufbaut. Hegel erklärt, dass die äußere Assoziation zwischen dem Sinnlich-Anschaulichen und dem Begrifflichen sowie von Vorstellungen zunächst von der Willkür der Subjektivität geleistet wird (ebd., S. 186–187), später aber durch Wiederholung und Gedächtnis verfestigt und stabilisiert wird (ebd., S. 192). Es scheint möglich zu behaupten, dass Hegel in diesen Prozessen die Möglichkeit eines vorstellenden Denkens gründet. Darin sei aber keine wahre Notwendigkeit zu erreichen (vgl. ebd., S. 193). 11 Vgl. Vieweg, Religion und absolutes Wissen, S. 588. Vieweg hebt hier hervor, dass „die Vorstellung von Gott als Sonne, als Vater […] eine zufällige Zuschreibung“ ist; „da kein schlüssiger Zusammenhang mit dem Gedanken eines Absoluten hergestellt werden könne, mit gleicher Berechtigung könne Gott als Erde, als Mutter oder als Zeus imaginiert sein“ (ebd.). Darin sieht Vieweg „erstens die Begründung der notwendigen Vielfalt der religiösen Vergegenwärtigungen [des Absoluten, G.B.] und zweitens die Unabdingbarkeit des wechselseitigen Respektierens und die Unhaltbarkeit jeglicher Exklusivitätsansprüche von Religionen“ (ebd., S. 589). 12 Vgl. ebd., S. 595.

Religion und philosophisches Wissen bei Hegel und Fichte

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amalgamierenden Verbindens ist die mytho-logische Form, die das vorstellende Wissen der Religion charakterisiert.13 Aufgrund dieser wesentlichen Bestimmungen ihres Wissens, sind nach Hegel alle Versuche der Religion, ihre ursprüngliche (wahre) Idee eines einheitlichen Prozesses der göttlichen Selbstbestimmung auszudrücken, mit Mängeln behaftet: Da die Religion weder den ontologischen Status der Momente des Prozesses noch den spezifischen Charakter des Verhältnisses, das diese zu Momenten eines Ganzen macht, angemessen begreifen kann, muss sie immer wieder einen Gegensatz zwischen Gott und seinen Erscheinungen sowie zwischen Gott und sich selbst (dem religiösen Wissen) einführen. Somit macht sie aber immer wieder die schmerzliche Erfahrung der Umkehrung ihrer Annahmen (oder, im Jargon der Phänomenologie, ihrer Gewissheit). Hegel exemplifiziert diese Diagnose der grundlegenden Mängel des religiösen Wissens im Rahmen einer Auseinandersetzung mit dem doktrinären Kern der christlichen Religion  – insbesondere den Lehren der immanenten Trinität, der Erschaffung der Welt und der Erlösung. Einerseits zeigt deren skeptische (philosophische) Prüfung immer wieder, dass sie nicht in der Lage sind, den wahren Inhalt angemessen auszudrücken. Andererseits kann die Philosophie sie in eine Progression einordnen und in ihnen drei verschiedene Phasen des Offenbarseins des Göttlichen erkennen, die wiederum mit den drei Elementen des abstrakten Denkens, der Vorstellung und des Selbstbewusstseins koordiniert sind (vgl. GW 9, S. 409). In der ersten Phase, in der Gott „als Substanz im Element des reinen Denkens vorgestellt“ (GW 9, S. 409–410) wird, bezieht sich Hegel auf das christliche Trinitätsdogma. Ihm zufolge hat die innere Artikulation des letzteren sowohl für die Philosophie als auch für die Religion die Bedeutung, „das absolute Wesen als Geist“ (GW 9, S. 410) auszudrücken. Nur die Philosophie vermag aber die Notwendigkeit und die Einheitlichkeit dieses Prozesses zu erkennen. Denn nur die Philosophie kann über das bildliche Element, in dem sich diese Bewegung für die Religion ausspricht, hinausgehen und in den trinitarischen Gestalten die Momente erkennen, in denen sich der Begriff selbst artikuliert, nämlich „die drei Momente des Wesens, des 13 Entgegen dieser Interpretationslinie könnte man sagen, dass die Einheit in der mythischen Rede präsent ist und dass eben in ihr die Gedankenbestimmungen in sinnlichen Gestalten gedacht, verräumlicht und verzeitlicht werden. Hervorzuheben ist auch, dass die Metaphorik der Sprache, sofern sie nicht bloß als Bezeichnungswerkzeug unterinterpretiert wird, wesentlich ist. Hierzu siehe (Auswahl): Liebrucks, Bruno, Sprache und Bewußtsein. Bd. 6: Der menschliche Begriff. Sprachliche Genesis der Logik, logische Genesis der Sprache, Frankfurt am Main 1974; siehe auch ders., Sprache und Mythos, in: Funke, Gerhard (Hrsg.), Konkrete Vernunft. Festschrift für Erich Rothacker, Bonn 1958, S. 253–280.

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Für-Sich-Seins, welches das Anderssein des Wesens ist, und des Für-Sich-Seins oder Sich-Selbst-Wissens im Anderen“ (ebd.). Hegel fügt hinzu, dass das philosophische Wissen den Unterschied dieser Momente als inneren Unterschied oder Unendlichkeit begreift. Für die Philosophie seien dann „die Unterschiede, die gemacht sind, ebenso unmittelbar aufgelöst als sie gemacht, und ebenso unmittelbar gemacht als sie aufgelöst sind, und das Wahre und Wirkliche“ ist eben das Ganze oder „diese in sich kreisende Bewegung“ (ebd.) Das vorstellende Wissen der Religion hingegen kann die Momente des trinitarischen Prozesses nicht in ihrer Reinheit und in ihrer notwendigen begrifflichen Organisation begreifen. Es nimmt die Momente des trinitarischen Prozesses vielmehr als „vollkommen selbständige Seite […], die sich äußerlich aufeinander beziehen“ an (GW 9, S. 408). Die Gestalten der Trinität sind daher nicht als „übergehende Momente“ eines Ganzen, sondern als „isolierte nicht wankende Substanzen oder Subjekte“ verstanden, deren wechselseitige Beziehungen nur mit Hilfe von Metaphern aus der natürlichen Erfahrungswelt ausgedrückt werden können.14 Aufgrund dieser Art der Verbindung treten aber dem vorstellenden Geist die Momente der Trinität „teils selbst auseinander, teils tritt er von diesem seinem reinen Gegenstand zurück, bezieht sich nur äußerlich auf ihn […] und in diesem Gedanken des Geistes erkennt es nicht sich selbst, nicht die Natur des reinen Selbstbewusstseins“ (GW 9, S. 11). Die gegenseitige Isolierung der Momente des Begriffs wird zur Entzweiung in einer zweiten Phase der ideellen Entwicklung der christlichen Religion, die durch die Unfähigkeit gekennzeichnet ist, das Verhältnis zwischen der Ebene des göttlichen (trinitarischen) Wesens, das im Element des reinen Denkens erfasst wird (für die Philosophie: die Ebene der Logik), und der Ebene der Welt und des endlichen Geistes (der Ebene der Wirklichkeit), angemessen zu begreifen. Für die Philosophie ist die Beziehung zwischen Geist (Denken) und Wirklichkeit notwendigerweise im Prozess der Selbstbestimmung des Begriffs inbegriffen.15 Die dialektische Verbindung von Denken und Sein als solche kann jedoch nicht von der Religion ausgedrückt werden, da die Religion nicht

14 GW 9, S. 411. Laut Hegel hat „das Vorstellen […] den Inhalt ohne seine Notwendigkeit, und bringt statt der Form des Begriffes die natürlichen Verhältnisse von Vater und Sohn in das Reich des reinen Bewusstseins“ (GW 9, S. 410). 15 „Der Geist, der im Element des reinen Denkens ausgesprochen ist, ist wesentlich selbst dieses, nicht in ihm nur, sondern Wirklicher zu sein, denn in seinem Begriffe liegt selbst das Anderssein, d.h. das Aufheben des reinen nur gedachten Begriffes“ (GW 9, S. 411). Damit ist eben der Übergang des Geistes in die Natur gemeint – vgl. dazu Hösle, Vittorio, Il concetto di filosofia della religione in Hegel, Neapel 2006, S. 90f.

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über die dafür notwendigen logischen Mittel verfügt. Auch hier erweist sich die religiöse Form als für den Ausdruck ihres wahren Inhalts unzureichend. Das wird in der religiösen Erzählung der Erschaffung der Welt klar – wobei „Erschaffen […] das Wort der Vorstellung für den Begriff selbst nach seiner absoluten Bewegung“ ist (GW 9, S. 412). Die logische Prozessualität erhält hier aber die Form eines zeitlichen Nacheinanders der voneinander unterschiedlichen Momente: „im Element des Vorstellens“ erhalten „die Momente des reinen Begriffes ein substantielles Dasein […] gegeneinander“. Sie sind anders gesagt Subjekte (im Sinne des Hypokeimenon), die „in sich reflektiert sich selbst voneinander absondern und entgegenstellen“ (GW 9, S. 411). Somit wird aber die Welt nicht als ein Moment der Selbstbestimmung des Geistes angesehen, sondern als etwas, das von diesem wesentlich unterschieden wird. Dass es eine Welt gibt, ist für die Religion ein unvorstellbares Geschehen, welches auf eine freie Entscheidung Gottes zurückzuführen ist. Ähnliche Schwierigkeiten entstehen für das religiöse Wissen, wenn es versucht, die menschliche Freiheit und die Existenz des Bösen in einer Welt, die als göttliches Werk verstanden wird, vernünftig zu erklären. Das, was für die Philosophie das Insichgehen des Andersseins oder der Moment von dessen Selbstbehauptung ist, wird von dem religiösen Wissen mit dem Bild des Verfalls oder auch mit der Erbsünde erklärt (vgl. GW 9, S. 412f). Somit werden aber das Gute und das Böse abstrakt voneinander unterschieden: „das Negative komme hier nur von Außen und keinesfalls logisch-notwendig an das Positive, der Ursprung des Bösen könne somit nicht begriffen werden“.16 Hegel weiß aber, dass die christliche Religion über diese Konzeption der Differenz und der Trennung hinausgehen kann, denn sie „besitzt den wahren Inhalt“ (GW 9, S. 415). Dies geschieht in einer dritten Phase ihrer idealen Entwicklung: nämlich in der Heiligen Geschichte, d.h. in der Geschichte der Menschwerdung und des Todes Christi. Wie Hegel zu erklären versucht, findet in dieser Geschichte die Erhebung der Manifestation des Göttlichen von dem Medium der Sinnlichkeit und der Wahrnehmung zum Medium des Denkens statt. Gerade deshalb wird es für die Religion möglich, die Einheit zwischen Wesen und Sein, Gut und Böse sowie Gott und Menschen zu thematisieren. Zu diesem Ziel ist aber der Verweis auf eine gegenständliche Vermittlung, auf Jesus, eine notwendige und doch nicht hinreichende Bedingung. Indem Hegel sich auf die Ebene einer philosophischen Interpretation stellt, erklärt er, dass in der ersten Phase der Heiligen Geschichte, in der Menschwerdung oder in der Vorstellung der „menschliche[n] Gestalt des Wesens“ (GW 9, 16 Vieweg, Religion und absolutes Wissen, S. 596.

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S. 415) zwar die Identität von Selbst und Wesen verwirklicht ist, aber nur auf unmittelbare und prekäre Weise. In Christus wäre diese Identität nämlich „nur erst als eine besondere, noch nicht allgemeine“ Gestalt (ebd.) anwesend.17 Die Folge davon ist, dass alle Spaltungen, die durch die Idee der Menschwerdung hätten überwunden werden sollen, notwendigerweise wieder aufbrechen. Nicht wirklich überwunden ist erstens die Spaltung innerhalb des Göttlichen, da es unmöglich ist, die notwendige Verbindung des göttlichen Wesens mit dieser besonderen Gestalt von Ihm auszudrücken.18 Zweitens eröffnet sich wieder eine Spaltung zwischen Christus (als unmittelbarer, sinnlicher Einheit von Gott und Menschen) und dem Menschen, welche unüberwindbar zu sein scheint. In der Tat kann nach Hegel das religiöse Bewusstsein, das sich auf die sinnliche Besonderheit Christi bezieht, nur die unglückliche Erfahrung seiner eigenen Differenz von diesem „ausschliessende[n] eins“ machen (vgl. GW 9, S. 407). Die Aufhebung dieser Spaltungen geschieht lediglich in der zweiten Phase der Heiligen Geschichte. Hegels Argumentation zielt darauf ab, zu zeigen, dass das religiöse Wissen sich in der Erfahrung des Todes Christi unendlich der Fähigkeit der Philosophie annähert, die spekulative Bedeutung der Negation zu begreifen, ohne aber diese endgültig zu erwerben.19 Für das spekulative Wissen, das in der Lage ist, die beiden Momente der Heiligen Geschichte zusammenzudenken, ist es möglich, den Tod Christi als Negation der Negation und somit den „wahren Inhalt der Christlichen Religion“ als den einheitlichen Prozess zu interpretieren, worin 1) das abstrakte Wesen sich selbst „entfremdet“ und somit das „natürliche Dasein und selbstische 17

Hegel schreibt auch, dass die Vereinigung der Gegensätze in der Gestalt Christi „unmittelbar und daher nicht geistig“ ist (GW 9, S. 415). 18 Das religiöse Wissen hält die Selbsterniedrigung des göttlichen Wesens, seine Fleischwerdung und seine Identifizierung mit dem gefallenen Menschen für ein „unvorstellbares Geschehen“ (vgl. GW 9, S. 415). Es sei hier auch mit L. Siep angemerkt, dass Hegel „offenbar nicht die Freiheit Christi von der Erbsünde“ voraussetzt. Vgl. Siep, Ludwig, Der Weg der Phänomenologie des Geistes. Ein einführender Kommentar zu Hegels Differenzschrift und Phänomenologie des Geistes, Frankfurt am Main 2014, S. 241. 19 Laut Hegel fällt der Gegensatz erst dahin, wo die Momente, die das Bewusstsein bis jetzt als „getrennte […] Wesen“ vorgestellt hat, aufhören, diese „Vermischungen des Gedankens und des selbständigen Daseins zu sein“ (GW 9, S. 414). Damit ist aber eben auf die Notwendigkeit des Übergangs von der Form der Vorstellung zu der Form des Begriffes hingewiesen. In ähnlicher Weise hatte Hegel am Ende des Kapitels Kraft und Verstand geschrieben, dass die Aufhebung des intellektualistischen Gegensatzes zwischen Allgemeinem und Besonderem erfordert, über „die sinnliche Vorstellung von der Befestigung der Unterschiede in einem verschiedenen Element des Bestehens“ (GW 9, S. 98) hinauszugehen. Nur so sei es möglich, den Unterschied von Allgemeinem und Besonderem als „inneren Unterschied“ oder Unendlichkeit und somit das Leben zu denken (ebd., S. 99).

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Wirklichkeit“ erlangt (erste Negation, Menschwerdung Gottes); und 2) die Negation der Negation stattfindet, wodurch „dies Anderssein“ des Wesens oder „seine sinnliche Gegenwart zurückgenommen und als aufgehobene, als allgemeine gesetzt“ wird (vgl. GW 9, S. 415). Aber auch das religiöse Bewusstsein geht über das einfache Verständnis des Todes des Gottmenschen als abstrakte Negation, als bloße Zerstörung des natürlichen Leibes, hinaus. Der Tod Christi sei vielmehr die Voraussetzung dafür, dass das Sein des „unmittelbar gegenwärtige[n] Gottes […] in Gewesensein“ übergeht und seine sinnliche Gegenwärtigkeit in das allgemeine Element des Denkens, in die Innerlichkeit der gemeinsamen Erinnerung aufgehoben wird (vgl. GW 9, S. 407). Dieser Begriff des aufgehobenen einzelnen Selbst, das absolutes Wesen ist, drückt daher unmittelbar die Konstituierung einer Gemeinde aus, die bisher im Vorstellen verweilend jetzt in sich als in das Selbst zurückkehrt; und der Geist geht somit aus dem zweiten Element seiner Bestimmung, dem Vorstellen, in das Dritte, das Selbstbewusstsein als solches, über.20 In der Theologie der Gemeinde bzw. der Kirche, die auf der Erfahrung des Todes Christi gründet, ist der eigentliche Berührungspunkt zwischen Religion und spekulativem Wissen erreicht. Für die Gemeinde sind nämlich sowohl die Trennung im Göttlichen als auch die Trennung des Göttlichen (als Substanz) vom menschlichen Wissen, wenngleich auf ihr selbst unklare Weise, aufgehoben. Dessen ist sich aber nur das spekulative Wissen völlig bewusst: denn nur dieses kann wirklich begreifen, was die religiöse Gemeinde nach ihrem eigenen Wesen ist. Hegel versucht hier zu zeigen, dass im religiösen Leben der Gemeinde das Göttliche nicht mehr als eine getrennte Substanz oder als ein bloßer Nacheinander von Substanzen, die auch außerhalb der Bewegung des Denkens unmittelbar sein könnten, betrachtet wird. Der Tod Christi und sein Fortleben in der Dimension des gemeinsamen Kults würde vielmehr „zugleich den Tod der Abstraktion des göttlichen Wesens, das nicht als Selbst gesetzt ist“ enthalten.21 20 GW 9, S. 415. Im Übergang von der unmittelbaren Gegenwärtigkeit des sinnlichen Christi zu seiner von der Gemeinde erinnerten Existenz wiederholt sich nach Hegel der bereits zu Beginn der Phänomenologie dargestellte Prozess der Vergeistigung des sinnlichen Seins auf einer höheren Ebene (vgl. GW 9, S. 407). 21 GW 9, S. 419. Wie Ludwig Siep erklärt, bedeutet hier „Selbst“ nicht so etwas wie ein menschliches „Individuum mit Selbstbewusstsein“, sondern „Prozess der Selbsterkenntnis“,

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Denn das göttliche Wesen und das menschliche Denken sind nun (mindestens für unser spekulatives Begreifen des Wesens der Gemeinde) Momente eines Prozesses, welcher beide in einem dialektischen Nexus von Identität und Differenz vereinigt: einerseits sei jetzt das göttliche Wesen das Prinzip, das die Mannigfaltigkeit der Gläubigen in einer Gemeinde zusammenhält. Anderseits bringe eben das gemeinsame Tun der Gemeinde (der kollektive Kult) jenes Prinzip hervor.22 Gott manifestiert sich also nicht mehr als starre und statische Einheit von Wesen und Existenz, Begriff und Wirklichkeit; er ist nicht etwas unmittelbar Bestimmtes, was sich im Medium der Sinnlichkeit oder Vorstellung offenbart. Er ist jetzt vielmehr der absolute sich auf sich im menschlichen Bewusstsein beziehende und wissende Geist, welcher aus dem Wissen und Tun der Gemeinde herausgeht und zugleich diese beiden im Prozess seiner Selbstbestimmung hervorbringt.23 Erst diese (durch die Philosophie vermittelte) Einsicht der Gemeinde erreicht den Gedanken der Offenbarkeit Gottes. In ihr wird nämlich der eine Gott letztendlich als sich selbst erfassendes Selbst angesehen.24 Die religiöse Gemeinde erhebt sich aber nie zu diesem Verständnis dessen, was sie in Wahrheit ist, weil sie sich nie wirklich diejenigen Kategorien einer spekulativen Logik und Semantik aneignet, die zum Begreifen des dialektischen Verhältnisses von Gott und Mensch erforderlich sind. Aus diesem Grund lebe die Kirche in einer Art falschen Bewusstseins25 oder, wie Hegel sagt: „Sie hat nicht das Bewusstseins über das, was sie ist; sie ist das geistige Selbstbewusstsein, das sich nicht als dieses Gegenstand ist“ (GW 9, S. 420). Laut Hegel muss daher auch dieser letzten Gestalt der Religion der Gedanke entschwinden, „der doch ihr innerster sei: der Versöhnung – Gottes und des Menschen, der Natur und des Geistes und eigentlich Gottes mit sich selbst“.26 Aufgrund der Mangelhaftigkeit ihrer logischen Mittel hält die Gemeinde weiterhin an der Vorstellung eines vom Menschen verschiedenen Gottes fest: der Selbstbestimmungsprozess, worin die Substanz Subjekt wird, bleibt welcher auch „der Natur und Geschichte“ zugrunde liegt (vgl. Siep, Der Weg der Phänomenologie des Geistes, S. 243). 22 Zu diesem Punkt siehe auch Hösle, Il concetto di filosofia della religione in Hegel, S. 110ff. 23 Es scheint mir möglich, so die Stelle auszulegen, wo Hegel schreibt, dass der Tod zur Allgemeinheit des Geistes verklärt wird, „der in seiner Gemeinde lebt, in ihr täglich stirbt und aufersteht“ (Vgl. GW 9, S. 418). 24 Vgl. GW 9, S. 419. Wie Hegel hier weiter erklärt, hat das „Extrem des Selbsts“ erst jetzt „gleichen Wert mit dem Wesen“ (GW 9, S. 419). Früher war Gott immer noch das Höhere und Ungleiche. 25 Für diese Qualifizierung der Gemeinde siehe auch Siep, Der Weg der Phänomenologie des Geistes, S. 242. 26 Jaeschke, Die Vernunft in der Religion, S. 197.

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für sie „ein anderes, das es nicht […] begreift, oder nicht in seinem Tun als solchem findet“.27 In seiner eigentümlichsten Form wäre dieses Festhalten an der Unterscheidung zwischen Menschen und Gott eben von der Vorstellung der Versöhnung, und somit vom Proprium der Christlichen Religion ausgedrückt. Denn diese Versöhnung ist nach Hegel nichts anderes als eine Befriedigung, die das Bewusstsein dadurch erlangt, dass es seiner reinen Negativität „die positive Bedeutung der Einheit seiner mit dem Wesen äußerlich hinzufügt“ (GW 9, S. 420). Die Einheit wird aber von dem Gläubigen in ein nie zu erreichendes Jenseits verlegt: „seine eigne Versöhnung tritt daher als ein Fernes in sein Bewusstsein ein, als ein Fernes der Zukunft, wie die Versöhnung die das andere Selbst [der Christus, G.B.] vollbrachte, als eine Ferne der Vergangenheit erscheint“ (ebd.). Das ist aber für Hegel nichts anders als das Ergebnis einer metaphysischen Hartnäckigkeit der Religion, die nicht den letzten Schritt zum absoluten Wissen mitmachen will und so bloß andächtiges Bewusstsein bleibt. 3

Ausblick auf das absolute Wissen

Die Aufhebung dieses letzten Unterschieds zwischen dem Wissen und seinem Gegenstand erfordert nach Hegel den Übergang von der Form der Vorstellung zu der des Begriffs, wodurch auch das religiöse Fürwahrhalten in rein philosophisches Wissen transformiert wird. In dem schwierigen Kapitel über das absolute Wissen versucht Hegel, seine grundlegende These weiter zu artikulieren: Einerseits behauptet er, es gebe eine Korrespondenz zwischen den in der Geschichte des Selbstbewusstseins sich entwickelnden Gestalten und den bestimmten Begriffen, den logischen Kategorien, in die sich seiner Auffassung nach das System der Wissenschaft gliedert.28 Andererseits versucht er zu zeigen, dass die Philosophie aufgrund ihrer Fähigkeit, diese Korrespondenz zu betrachten, den wahren Inhalt der Religion, den Geist als sich wissender Prozess von Selbstbestimmung, in einer 27 GW 9, S. 420. Hegel ist der Meinung, dass die in seiner Konzeption implizite Leugnung der Transzendenz Gottes (wobei ein dialektischer Unterschied zwischen Gott und Menschen aufbewahrt wird) vom religiösen Bewusstsein als „das schmerzliche Gefühl […], dass Gott selbst gestorben ist“ verspürt wird (vgl. GW 9, S. 419). 28 Hegel behauptet am Ende der Phänomenologie des Geistes, dass „jedem Moment der Wissenschaft […] eine Gestalt des erscheinenden Wissens überhaupt [entspricht]“. Die Gestalten des Bewusstseins und ihre Weisen des Fürwahrhaltens stellen also Konkretionen der Momente des „ganzen Reiches der Wahrheit des Geistes“, d.h. der Kategorien und der Kategoriengruppen dar (vgl. GW 9, S. 432).

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endlich angemessenen Weise auszudrücken vermag: nicht mehr in der Form eines mythisch-logischen Geschehens, sondern in der Form einer ewigen und notwendigen „begriffenen Geschichte“. Es ist hier nicht möglich, auf die zahlreichen Interpretationsprobleme einzugehen, die das absolute Wissen aufwirft, und es ist auch nicht möglich festzustellen, welche begrifflichen Kategorien des „Systems der Wissenschaft“ den Momenten der geschichtlichen Entwicklung der Religionen (und, noch allgemeiner, der phänomenologischen Entwicklung) entsprechen. Es sei aber wenigstens auf einige Folgen der von Hegel in diesem Kapitel aufgestellten Thesen hingewiesen. Es sei daher erstens hervorgehoben, dass nur das absolute Wissen nach Hegel in der Lage ist, über das ‚Paradigma des Bewusstseins‘ und das damit verbundene Verständnis der Differenz zwischen (endlichem) Wissen und Gegenständlichkeit, Form und Inhalt sowie Bewusstsein und Selbstbewusstsein hinauszugehen. Eben aus diesem Grund wird jetzt das, was „in der Religion Inhalt […] des Vorstellens eines anderen war“, als „eigenes Tun des Selbst“, des Geistes, der sich in die Reihe seiner Gestalten bestimmt, begriffen (vgl. GW 9, S. 427). Was jetzt gewusst wird, nämlich die reine Selbstbeziehung des Geistes oder, wie Hegel sagt, „der sich in Geistgestalt wissende Geist“ (ebd.), ist für dieses absolut wissende Bewusstsein sein eigenes Wesen. Aber diese Identität von Form und Inhalt, Selbst und Wesen, die Hegel auch als eine Sich-Selbst-Gleichheit des Geistes beschreibt, ist nicht als eine einfache, unmittelbare Identität zu verstehen, sondern als spekulative Identität, welche erst durch die Aufhebung der Entzweiung zustande kommt. Dabei geht es also um eine prozedurale Identität, die die gesamte Bewegung der Vergegenständlichung seiner selbst, der Selbsterkenntnis im Anderen – im Gegenstand – und der Rückkehr zu sich selbst ist. Als eine solche Bewegung kann der Geist auch als absoluter Grund der gesamten Reihe der phänomenologischen Gestalten und als ein Fundament, das diese Gestalten nicht transzendiert noch von ihnen getrennt ist, angesehen werden.29 Zweitens versucht Hegel zu zeigen, dass das philosophische Begreifen der Immanenz des Negativen im Prozess der Selbstkonstitution des Geistes mit einer spekulativen Umgestaltung des Begriffs der Erfahrung wesentlich verbunden ist. Denn Erfahrung sei jetzt nicht nur als Einführung zum Standpunkt der Wissenschaft zu verstehen, sondern auch als der Prozess, in dem

29 Vgl. Lugarini, Leo, Hegel dal mondo storico alla filosofia, Rom 2000, S. 169ff.

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die absolute Subjektivität ihre eigene Geistigkeit allmählich begreift und rein spekulativ entwickelt.30 Vom Standpunkt des absoluten Wissens aus sei so „Erfahrung“ als die Bewegung zu begreifen, worin das Unmittelbare, das Unerfahrene, d.h. das Abstrakte […] sich entfremdet“ – sich im Element des Bewusstseins überhaupt ansetzt  – und „dann aus dieser Entfremdung zu sich zurückgeht, und hiermit jetzt erst in seiner Wirklichkeit und Wahrheit dargestellt [ist], wie auch Eigentum des Bewusstseins ist“ (GW 9, S. 29). Vom Standpunkt des absoluten Wissens aus erweist sich somit, dass die Geschichte des Selbstbewusstseins eine dem Geist selbst völlig interne Bewegung ist, wodurch er in einem Prozess retrospektiver Selbsterfahrung zum adäquaten Wissen seiner selbst gelangt. Wie aber Hegel drittens erklärt, haben die Gestalten des Bewusstseins (und die damit verbundenen begrifflichen Kategorien) ihre eigenen Identitätsbedingungen nicht unmittelbar an sich selbst. Sie sind vielmehr nur als Momente dieses Prozesses der Selbsterfahrung, oder wie Hegel sagt, als Erscheinungen des Geistes, begreifbar, „welcher sich selbst und zwar für sich selbst als Geist durchläuft“ (GW 9, S. 428) bis er in seiner Wahrheit auftritt.31 Diese Erscheinungen bzw. Momente der Selbstbestimmung des Geistes sind, anders gesagt, nicht von diesem einfach vorgefunden. Denn in diesem Fall wäre die absolute Subjektivität von Gegebenheiten abhängig, was ihrem Begriff unmittelbar widerstreitet.32 Der Geist muss als absolute Subjektivität 30 Das absolute Wissen ist nicht mehr einem Vorantreiben der Erfahrung bzw. einer skeptischen Prüfung ausgesetzt. Denn für dieses Wissen besteht nicht mehr ein Unterschied von Gewissheit und Wahrheit. „Die Wahrheit“ – behauptet Hegel – „ist (jetzt) nicht nur an sich vollkommen der Gewissheit gleich, sondern […] sie ist für den Geist in der Form des Wissens seiner selbst“ (GW 9, S. 427). 31 Aus dieser Perspektive ergibt sich, anders gesagt, dass die Geschichte des Selbstbewusstseins als systematische Darlegung sich als unwahr erweisender Gestalten des Fürwahrhaltens erscheint, bis das wahre Wissen erreicht wird. Dies ist zugleich als die Bewegung zu begreifen, in der „das an sich in das für sich, die Substanz in das Subjekt, der Gegenstand des Bewusstseins in den Gegenstand des Selbstbewusstseins, d.h. in den ebenso aufgehobenen Gegenstand, oder in den Begriff“ (GW 9, S. 429) verwandelt wird. 32 Würden die Erscheinungen des Geistes (und den diesen zugrundeliegenden kategorialen Bestimmungen) als unabhängig vom Prozess ihrer Genese und als unmittelbar an sich selbst begründet angenommen werden, so wäre der Begriff einer absoluten Subjektivität unmöglich, insofern diese dann nämlich nicht allein durch sich selbst zum Selbst-Wissen gelangen könnte, sondern nur durch ihr vorgegebenen Bestimmungen. Im Kapitel zum absoluten Wissen erklärt Hegel also, dass die in der Geschichte des Selbstbewusstseins dargestellten „Momente“ „sich selbst weitertreiben“; genauer: da „das negative Verhalten zur Gegenständlichkeit ebenso sehr positiv, Setzen ist“, so habe das Selbstbewusstsein die Reihung der Momente, in denen es sich selbst denkt, „aus sich selbst erzeugt“ (vgl. GW 9, S. 428–429).

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vielmehr seine Erscheinungen in seiner Spontaneität aktiv hervorbringen: erst in der „Erinnerung“ (GW 9, S. 433) an alle von ihm hervorgebrachten Bestimmungen weiß er sich als Ursprung und zugleich als Ergebnis der dialektischen Bewegung, in der er zu sich selbst gelangt.33 Darin impliziert ist aber, dass die in der Geschichte des Bewusstseins sich entwickelnden Gestalten (und die diesen zugrundeliegenden begrifflichen Kategorien) nicht selbständig, gegenseitig unabhängig und einander prinzipiell gleichwertig sind; sie sind vielmehr nur als hierarchisch geordnete Momente des dialektischen Prozesses begreifbar, durch den der Geist sich selbst bestimmt und zum Wissen seiner selbst gelangt. Gerade diese teleologische Grundstruktur der Phänomenologie des Geistes, die das absolute Wissen in seiner ganzen Klarheit hervortreten lässt, liegt sowohl der wichtigen systematischen Rolle, die Hegels Denken der Religion zuweist als auch ihrer Unterordnung unter die Philosophie, zugrunde. 4

Fichtes Konzeption der Religion in der Anweisung zum seeligen Leben

In der Spätphase seines Denkens, insbesondere ab 1804, erarbeitet Fichte eine zu Hegel alternative Konzeption des Verhältnisses von Philosophie und Religion. Für den späten Fichte gibt es keine Unterordnung der Religion unter die Philosophie. Im Gegenteil, diese neigt dazu, sich mit einer religiösen Perspektive zu koordinieren und sogar in diese überzugehen. Dies hängt von der spezifischen Konzeption des Verhältnisses zwischen dem Absoluten und seiner Manifestation im Bewusstsein ab, die Fichte in den verschiedenen Versionen der Wissenschaftslehre (1804–1807) und in paradigmatischer Form in der Anweisung zum seeligen Leben von 1806 darzulegen versucht. In einer Weiterentwicklung der in den früheren Arbeiten gewonnenen theoretischen Ergebnisse zeigt Fichte hier, dass das Wissen und die Philosophie gerade nicht als spekulative Selbstbestimmungsprozesse einer absoluten Subjektivität verfasst werden müssen. Für Fichte ist das Absolute zwar die 33 Das Verhältnis zwischen dem Geist als absoluter Subjektivität und dem Prozess seiner prozeduralen Bestimmung könnte als logisches Leben gekennzeichnet werden: so schreibt Hegel am Ende der Phänomenologie, dass der absolute Geist eben wegen der systematischen Notwendigkeit dieses Prozesses, welcher nicht übergangen werden kann, nicht das „leblose Einsame“, sondern „Unendlichkeit“ ist (GW 9, S. 434). Das logische Leben bzw. das Leben des Begriffes wird dann in der Vorrede besser konturiert (vgl. GW 9, S. 40ff.).

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sich nie erschöpfende Quelle des Wissens, welche sich darin verwirklicht und anwesend ist; aber das Absolute fällt für ihn nicht mit seiner Manifestation im Wissen zusammen. Diese spezifische Implikationsbeziehung zwischen dem Absoluten (bzw. Gott) und dem Wissen kann, so Fichtes Grundthese, nur als ‚Existenz‘ bzw. ‚Dasein‘ des Absoluten verstanden werden.34 Einerseits versucht Fichte dem Absoluten das einzig ‚wahrhaftige Sein‘ vorzubehalten. Das Absolute ist nach ihm nur als „ein Sein von sich selbst, aus sich selbst und durch sich selbst“ (AsL, S. 39), und daher als eine reine Selbständigkeit und Einheit zu denken, die für ihr eigenes Wesen von nichts anderem als sich selbst abhängig ist. Dabei geht es aber nicht um das starre und tote Sein der vorkantischen Metaphysik, sondern um eine reine, ewig sich werdende Tätigkeit, die Fichte auch als Leben oder „esse in mero actu“35 bestimmt. Eben aus diesem Grund ist das Absolute anderseits „nicht nur innerlich und in sich verborgen; sondern er ist auch da und äußert sich“ (AsL, S. 49). Die spezifische Art der Existenz bzw. des Daseins des Absoluten ist eben das „Bewusstsein oder die Vorstellung des Seins“ (AsL, S. 40). Die Inhalte des Bewusstseins sind aber von Fichte nicht als notwendige Momente der Selbstbestimmungsprozesses des Absoluten angesehen. Dasein und Bewusstsein werden vielmehr als das Erscheinen eines Aktes oder Prinzips verstanden, welches sie ermöglicht und zugleich von diesen wesentlich verschieden ist.36 Fichtes Absolutes ist so als ein transzendentaler Horizont denkbar, welches sich gleichermaßen im Erscheinen, das er ermöglicht, ankündigt, ohne aber selbst darin zu erscheinen.37 Dieses Verständnis der Beziehung zwischen dem Absoluten und seinem Erscheinen im Bewusstsein steht nun Fichtes Bestimmung des Verhältnisses von Philosophie und (christlicher) Religion zugrunde. Fichte sieht in den Kerninhalten des Christentums keine bloße Vorprägung dessen, was nur das spekulative Denken adäquat begreifen kann. Es gebe vielmehr eine Übereinstimmung des theoretischen Kerns seiner Philosophie 34 Vgl. Fichte, Johann Gottlieb, Die Anweisung zum seeligen Leben, oder auch die Religionslehre, Hamburg 2012, S. 38ff. Fichtes Anweisung wird im Folgenden mit „AsL“ abgekürzt. 35 Vgl. Fichte, Johann Gottlieb, Die Wissenschaftslehre. Zweiter Vortrag im Jahre 1804, Hamburg 1986, S. 151. 36 So schreibt Fichte, dass er „Sein, inneres, und in sich verborgenes, vom – Dasein, unterscheide[t], und diese zwei als völlig entgegengesetzte, und gar nicht unmittelbar verknüpfte Gedanken aufstell[t]“ (AsL, S. 40). 37 Diesen Inhalten des Bewusstseins kann nicht das wahre, absolute Sein zugewiesen werden, eben weil sie nicht aus sich selbst und durch sich selbst sind. Sie sind aber auch nicht bloßer Schein und Täuschung, sondern Bilder des wahren Seins.

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mit der Lehre des Christentums, „wie dies in seiner echtesten und reinsten Urkunde, in dem Evangelium Johannis […] vor unseren Augen liegt“ (AsL, S. 115). Fichte ist nämlich der Meinung, dass das Verhältnis von Sein und Dasein, welches die Wissenschaftslehre zum Ausdruck bringen will, dasselbe Verhältnis ist, das Johannes zwischen Gott und dem Logos bzw. dem Wort im Prolog seines Evangeliums setzt.38 Aus dieser Übereinstimmung würde sich auch ergeben, dass sowohl die Wissenschaftslehre als auch das Johannes-Evangelium die unvernünftige Idee einer creatio ex nihilo der Welt ablehnen. Für die Wissenschaftslehre ist die Welt in ihrer Mannigfaltigkeit eine implizite Folge der Struktur des Wissens, welches laut Fichte durch Reflexion und Rekursivität geprägt ist. Einerseits sei das Wissen aufgrund seiner konstitutiven Reflexivität unmittelbar in den Polen des Wissens seiner selbst und der Projektion dieses Selbst in einem Bild artikuliert, das dem Wissen selbst (mindestens in seiner unmittelbarsten und rudimentärsten Form) als statisches und totes Sein erscheint (vgl. AsL, S. 53f.). Andererseits seien die Pole des Seins – wegen der unendlichen Rekursivität des Wissens, die immer wieder Unterscheidungen trifft und seine Inhalte in Beziehung setzt  – eine unendliche Mannigfaltigkeit oder auch eine werdende Welt (vgl. AsL, S. 54f.). Damit wird aber die Einheit des Absoluten laut Fichte nicht gebrochen. Im Wissen würde eine Art Brechung dieser Einheit geschehen, die in eine Vielzahl von Formen, Schemen und Beziehungen pluralisiert wird. Diesen kommt zwar der gleiche ontologische Status wie dem Absoluten nicht zu, aber sie sind auch nicht bloße Täuschung, eben weil sie ihre Quelle im Absoluten haben. Fichtes Charakterisierung der Mannigfaltigkeit der Welt als Bilder des Absoluten drückt eben die Ambivalenz ihres ontologischen Status aus. Das Verhältnis zwischen Gott und der Welt wird zumindest nach Fichtes Interpretation im Johannes-Evangelium ähnlich gedeutet. Für Fichte ist der Logos, auf den sich der heilige Text bezieht, nicht als materielles Prinzip der

38 Vgl. AsL, S. 79: Fichte bezieht sich auf den Prolog des Johannes-Evangeliums. Der Subjekt war im Anfange, „es war bei Gott; Gott selbst war es; es war im Anfange bei Gott. Es kann dasselbe deutlicher ausgesprochen werden, was wir früher so ausgedrückt haben: Nachdem, außer Gottes Innerem und in sich verborgenen Sein […] er auch noch überdies da ist […] so ist er notwendig durch sein inneres und absolutes Wesen da: und sein, nur durch uns von seinem Sein unterschiedliches Dasein, ist an sich und in ihm, davon nicht unterschieden; sondern dieses Dasein ist ursprünglich, vor aller Zeit, und ohne alle Zeit, bei dem Sein, untrennbar von dem Sein, und selber das Sein: – Das Wort im Anfange, – das Wort bei Gott – das Wort im Anfange bei Gott, – Gott selbst das Wort, und das Wort selbst Gott“.

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Dinge zu verstehen.39 Die Vermittlung durch den Logos ‚erschafft‘ vielmehr die Intelligibilität der Dinge. Indem er Gott offenbart, spiegelt der Logos dessen absolutes an sich einheitliches Licht in die Dinge wider, die ihrerseits nicht existieren, bevor sie vom Licht erfasst werden, sondern erst in ihm und durch es Sinn und Struktur erhalten. Nur in diesem Sinne sei es möglich zu behaupten, dass der Logos der Schöpfer der Welt ist (vgl. AsL, S. 78–80). Fichte beschränkt sich jedoch nicht nur darauf, einige Übereinstimmungen zwischen der Wissenschaftslehre und dem doktrinären Kern des Johannesevangeliums hervorzuheben. Er versucht vielmehr zu zeigen, dass die Wissenschaftslehre als solche sowohl auf der theoretischen als auch auf der praktischen Ebene von einem religiösen Ansatz wesentlich geprägt ist. Auf der theoretischen Ebene ist der religiöse Ansatz der Wissenschaftslehre darin zu sehen, dass Fichte ihn als einen Prozess der Selbstbesinnung des Wissens konzipiert, welcher allmählich dazu übergeht, sich als Manifestation des göttlichen Lebens zu erfassen. Der Ausdruck von diesem Prozess auf der praktischen Ebene ist eine fortschreitende Selbstnegation der endlichen Subjektivität, die zur völligen Identifikation mit dem Absoluten bzw. mit Gott kommen muss. Eben in Anbetracht dieser beiden konstituierenden Aspekte ist die Wissenschaftslehre zugleich eine Anweisung zum seligen Leben oder, wie es im Untertitel des Werkes heißt, eine „Lehre von der Religion“. Die interne Gliederung dieses Prozesses wird in der fünften Vorlesung der Anweisung dargelegt. Hier verlagert Fichte den Schwerpunkt von der bisherigen Betrachtung: Die philosophische Reflexion zielt nun nicht mehr darauf ab, das Wesen des Wissens und die in ihm erscheinende Mannigfaltigkeit der Welt zu bestimmen, sondern nimmt sich selbst zum Gegenstand. Somit wird es nach Fichte möglich, die unendlichen Erscheinungen des Absoluten in seinen Bildern auf fünf grundlegende „Ansichten der Welt“ zurückzuführen: Sinnlichkeit, Gesetzlichkeit, Sittlichkeit, Religion (im Sinne des Glaubens) und am Ende die Philosophie (bzw. die Wissenschaft) sind für Fichte die Stufen einer ideellen Läuterung der (endlichen) Subjektivität zu Gott (vgl. AsL, S. 65–73). Es ist hier nicht möglich, auf die einzelnen Ansichten im Detail einzugehen.40 Es sei aber mindestens hervorgehoben, dass die Spitzenstellung, die der Philosophie (bzw. der Wissenschaft) in diesem Zusammenhang zugewiesen wird, nicht als eine Behauptung ihrer Überlegenheit gegenüber der Religion missverstanden werden darf. Zwar erklärt Fichte, dass die Philosophie sich durch 39 Nur in diesem Fall hätten die Dinge ein eigenes, von dem Göttlichen unterscheidbares Sein. 40 Vgl. dazu Rametta, Gaetano, La philosophie Fichteenne de la religion, in: Laval theólogique et philosophique, Vol. 17, No. 1 (2016), (S. 7–20), bes. S. 14–17.

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ihre Fähigkeit auszeichnet, „alle diese Punkte der Verwandlung des Einen in ein Mannigfaltiges […] in ihrer Ordnung und in ihrem Verhältnis zueinander“ vollständig zu erfassen (AsL, S. 71): unter diesem Gesichtspunkt gehe die Philosophie „über die Einsicht, dass schlechthin alles Mannigfaltige in dem Einen gegründet, und auf dasselbe zurückzuführen sei, welche schon die Religion gewährt, hinaus“ (ebd.). Aber eben diese Fähigkeit der Philosophie wird einer vollendeten Verwirklichung der Religion zur Verfügung gestellt. Diese wesentliche Funktion übt die Wissenschaftslehre dadurch aus, dass sie der Religion die sonst innewohnenden Neigung zur Positivität bzw. zur Umwandlung in bloßen Glauben an ein „absolutes Faktum“ eliminiert und in ein authentisches, handlungsorientiertes „Schauen“ der Beziehung zwischen dem Absoluten und seiner Manifestation verwandelt (ebd.). Das geschieht, wie Fichte zeigt, um der Selbstzerstörung willen, die das in der Wissenschaftslehre dargestellten Voranschreiten des Wissens zugleich ist. Im Rahmen seiner Selbstbesinnung muss nämlich das Wissen anerkennen, dass das „Element der Wissenschaft […] die Reflexion“ ist (AsL, S. 138). Diese ist aber wesentlich an begrifflichen Mitteln gebunden und eben aus diesem Grund nicht in der Lage, das Band zu erfassen, in dem Gott und der Mensch, das Sein und das Dasein, eins sind. Als unendlich werdendes Leben ist dieses Band „höher denn alle Reflexion, aus keiner Reflexion quellend und keiner Reflexion Richterstuhl anerkennend“.41 Die Anerkennung der Grenzen philosophisch-reflektierender Erkenntnis impliziert jedoch nicht die Skepsis bezüglich einer jeden Gegenwärtigkeit des Absoluten im Bewusstsein. Umgekehrt: durch diese Selbstzerstörung werden die Hindernisse beseitigt, die den Weg zur Durchsetzung einer anderen mit der Dimension des praktischen und moralischen Handelns unmittelbar verbundenen Form der Gegenwärtigkeit des Absoluten im Bewusstsein versperren. Diese eigentümliche Form der Gegenwärtigkeit des Absoluten, die nur „mit und neben der Reflexion ausbricht“ (ebd.) ist nach Fichte die „Empfindung“ (ebd.). Und da es sich hier um das Empfinden des Bandes handelt, das das

41 AsL, S. 136. Wie Marco Ivaldo erklärt, kann das Absolute nicht durch ein philosophisches Wissen erreicht werden, welches als „diskursive Beziehung“ bzw. als Bestimmung von etwas in der Grund-Folge-Beziehung verstanden wird. „Das absolute Leben muss sich einem so verstandenen Wissen auf ewig entziehen, weil das Leben eine sich ewig selbstverwirklichende Einheit bzw. eine Gleichheit seines Seins und seiner Selbstproduktion und damit ein Band ist, das für die Logik der Reflexion letztlich unerklärbar ist“ (vgl. Ivaldo, Marco, Fichte. L’assoluto e l’immagine, Rom 1983, S. 54).

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Dasein des Seins hervorbringt und aufrechterhält, kann sie weiter als Liebe qualifiziert werden.42 Dadurch aber, dass die Wissenschaftslehre diese Empfindung, in der „Gott und der Mensch […] Eins, völlig verschmolzen und verflossen“ (AsL, S. 136) sind, ermöglicht, ermöglicht sie zugleich ein authentisch religiöses Leben. Dieses kann aber jetzt nicht mit einer rein kontemplativen Haltung, wie sie in einem positiven und objektivierenden Religionsbegriff zu finden wäre, verwechselt werden. Getrieben vom Gefühl der eigenen Einheit mit Gott, lebt vielmehr das wahrhaftig religiöse Subjekt notwendigerweise im „Gebiet des Handelns, und zwar des echt moralischen Handelns“ (vgl. AsL, S. 72). Dabei geht es nicht um die Handlung als Selbstverwirklichung des Subjekts in der erscheinenden Welt. Nach seiner eigenen Vernichtung im göttlichen Leben kann das endliche Subjekt lediglich die Rolle eines Vehikels für die Manifestation bzw. das Dasein des Göttlichen spielen. Es ist so möglich zu behaupten, dass nach Fichte nur die Liebe Gottes wirkliches Tun und dass nur das von Gott inspirierte Tun religiöses Leben in vollen Sinn ist. Nur in und mit der Anerkennung dieser radikal religiösen Dimension, die die Wissenschaftslehre ermöglicht, kann der Mensch das selige Leben erlangen und ein wirklich erfülltes Leben leben. 5 Schluss In dieser Untersuchung haben sich zwei unterschiedliche Ansätze, das Verhältnis von Philosophie und Religion zu begreifen, gezeigt. Sie beruhen auf unterschiedlichen Konzeptionen der Negativität bzw. des Unterschieds zwischen dem Absoluten und seiner Erscheinung im Bewusstsein. Wie gesehen, weist Hegels Konzeption einer absoluten Subjektivität, die sich in den von ihr hervorgebrachten Bewusstseinsgestalten allmählich entwickelt und sich selbst bestimmt, der Philosophie bzw. dem spekulativen Wissen einen Vorrang vor der Religion zu: Für Hegel ist „Gott allein im reinen spekulativen Wissen erreichbar und ist nur in ihm und ist es selbst“ (GW 9, S. 407). Die ungeheuren Erkenntnisansprüche, die Hegels philosophisches System somit erhebt, sind offenbar nicht unproblematisch: so scheint es der gegenwärtigen philosophischen Sensibilität, wie oft bemerkt worden ist, dass Hegels Idee eines spekulativen Denkens, welches dialektisch und daher 42 Vgl. AsL, S. 138ff. Auch in diesem Zusammenhang unterstreichet Fichte die Übereinstimmung mit Johannes.

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mittels Widersprüche zur vollständigen (Selbst)bestimmung der absoluten Subjektivität vorangeht, das menschliche Wissen überfordert. Des Weiteren sollte hervorgehoben werden, dass eine konzeptuelle Schwierigkeit in dem von der Phänomenologie dargestellten Verhältnis von Philosophie und Religion erkannt werden kann. Denn die Phänomenologie sollte Einleitung zur Wissenschaft sowie zu Kategorien und Methodik der Wissenschaft sein. Aber Hegels Auseinandersetzung mit dem vorstellenden Wissen der Religion und den Kerninhalten des Christentums liegt der Ebene des Spekulativen – das selbst erst noch (auch durch die Religion) zu rechtfertigen wäre – zugrunde.43 So scheint Hegels Argumentation mindestens in dieser Hinsicht zirkulär zu sein. Und schließlich sollte auch unterstrichen werden, dass die für Christen zentrale Bestimmung der Liebe Gottes in dem Hegelschen spekulativen Begriff Gottes in den Hintergrund rückt. Wie gesehen, wird im Übergang von der Theologie der Gemeinde zum spekulativen Wissen das für die Religion wesentliche Erlebnis der Liebe als Grund des menschlichen Zusammenlebens aufgehoben und die Weise der Erhebung des menschlichen Geistes zur Gegenwärtigkeit Gottes in das spekulative Denken gesetzt. Ob das mit einer religiösen Ansicht der Welt zu verbinden ist, ist aber zumindest fraglich. Fichte lässt von dem Anspruch einer spekulativen Erkenntnis Gottes ab und setzt wieder die Liebe Gottes und die Empfindung des Bandes, welches Mensch und Gott vereinigt, ins Zentrum seines Denkens. Auf diese Weise scheint er dem Sinn einer religiösen Ansicht der Welt besser gerecht zu werden als Hegel. Aber auch Fichtes Konzeption ist problematisch (und sicher unzeitgemäß). Insbesondere der Prozess der Fortschreitenden Verschmelzung des menschlichen Bewusstseins mit seinem göttlichen Prinzip wird in der Anweisung zum seeligen Leben einfach beschrieben. Der Rückgriff auf das Gefühl der Liebe als Quelle der Anwesenheit des Göttlichen in uns bleibt in diesem Werk Fichtes eine bloße Voraussetzung. So sind mit diesen verschiedenen idealistischen Ansätzen jeweils auch Probleme verbunden. Diese Probleme sowie den Unterschied zwischen beiden Philosophen galt es hier nicht zu lösen, sondern nur ans Licht zu bringen. Denn nur in der Auseinandersetzung mit diesen paradigmatischen Theorien des Idealismus sowie in einer erneuten Betrachtung ihrer Wechselbeziehung können Wegweiser im Versuch einer Annäherung an den Gott der Philosophen gesucht werden.

43 Wie auch Walter Jaeschke bemerkt, muss man „den Begriff schon haben […] um die Hieroglyphen der Vernunft auch in der Religion lesen zu können“ (Vgl. W. Jaeschke, Die Vernunft in der Religion, S. 218).

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Personenindex Aleksandrowicz, Dariusz 49, 68 Appel, Kurt 156n33, 162 Arndt, Andreas 61n59, 62, 68–69, 164n3, 180, 191n15, 194n22, 204–205, 251 Auinger, Thomas 53, 68, 162 Avineri, Shlomo 193n20, 203, 231n9, 251

Jacobi, Friedrich H. 218n13, 228 Jaeschke, Walter 48–49, 63, 69, 164n3, 170, 172, 180, 191, 204, 252, 277 Johannes 40, 47–50, 54, 62–63, 65–68, 272–273, 275n42 Jüngel, Eberhard 192n17, 204

Bartuschat, Wolfgang 190n12, 203 Beiser, Frederick 193n20, 203 Beuthan, Ralf 186n6, 203 Böckenforde, Ernst W. 191, 194, 197, 203 Brandom, Robert 186n7, 203 Brooks, Thom 203

Kafka, Franz 106, 140 Kant, Immanuel 40, 44, 80, 141, 151, 206, 217, 228, 230, 232–240, 242–243, 245–246, 248, 250 Kervégan, Jean-François 196n24, 204 Koch, Anton F.  184n3, 205 Kodalle, Klaus-Michael 60, 69 Kühn, Rolf 49, 69

Danz, Christian 190n13, 203 Di Tommaso, Giannino 255n1, 277 Dove, Kenley 187n9, 203 Düsing, Klaus 255n1, 258n4, 277 Empedokles 120–121 Emundts, Dina 186n6, 203 Fichte, Johann Gottlieb 40, 44, 232, 254, 256n2, 270–274, 276–277 Fulda, Hans F. 61, 63, 69 Gutschmidt, Holger 190n12, 203 Habermas, Jürgen 155 Henrici, Peter 67, 69 Hespe, Franz 193n19, 204 Hetzel, Andreas 61, 69 Hobbes, Thomas 164, 168 Hodgson, Peter C. 201n33, 204, 230n4, 252 Hölderlin, Friedrich 93, 120–121, 123, 140 Horstmann, Rolf-Peter 187n9, 204 Hösle, Vittorio 262n15, 266n22, 277 Houlgate, Stephen 192n17, 204 Humboldt, Wilhelm V. 84, 99, 100n98, 136, 140 Hyppolite, Jean 186n6, 204 Ivaldo, Marco 274n41, 277

Leibniz, Gottfried Wilhelm 234n18, 252 Liebrucks, Bruno 41, 57, 69, 80, 82, 84, 91, 94, 99, 136, 140, 162, 277 Locke, John 168 Lugarini, Leo 268n29, 277 Macherey, Pierre 190n12, 205 Marx, Karl 155 Mendelssohn, Moses 229n3 Moyar, Dean 186n7, 205 Parmenides 50 Platon 71n10, 88, 93 Rawls, John 176, 178, 180 Rózsa, Erszébet 69 Sandkaulen, Birgit 190n12, 205 Scheffczyk, Leo 49n9, 69 Schelling, Friedrich Wilhelm Josef 50n13, 232, 256n2 Seelmann, Kurt 60n53, 69 Siep, Ludwig 69, 176, 180, 188n10, 204, 277 Simon, Josef 188n10, 190n12, 205 Sophokles 140, 149 Spinoza, Baruch 141n2, 190n12, 218n13, 249n35

280 Stewart, Jon 52, 69, 232n14, 253 Strauss, David F. 190n13, 205 Vieweg, Klaus 164n4, 170n19, 178n35, 181, 184n3, 186n6, 193n20, 205, 260, 263n16, 277

Personenindex Westphal, Merold 196n24, 205 Williams, Robert R. 192n17, 205 Wolf, Jean-Claude 52, 69 Wucherer-Huldenfeld, Augustinus 67, 69 Zabel, Benno 60n53, 69

Sachindex Absolute 54, 56, 67, 141n1, 155, 172, 254, 270–271, 274n41 absolute Religion 244–245 absoluter Geist 156n33, 162 absolutes Wissen 153, 155, 157, 159, 162, 241, 255, 258, 260nn11, 9, 263n16, 267–270, 277 Abstraktion 51, 64, 88, 90, 248n33, 265 Antigone 149 Arbeit 77, 83, 89, 110, 118, 132, 134, 145, 147, 150–151, 154, 161, 186–187 Aufhebung 44, 77, 98, 102, 129, 136, 142n3, 167, 169n13, 182, 229, 237, 240, 242, 244, 264, 267–268 Aufklärung 39, 66, 80, 82, 151n22, 162, 168, 203, 239n23, 250, 253 Begriff 47, 91, 137, 198, 244, 261 bestimmte Negation 257 bestimmte Religion 177 Beurteilung 44, 229, 233, 236, 240–241 Bildung 94, 127, 150, 152, 160–162, 257 Böse, das 58, 63, 160–161, 237–238, 263 Christentum 48, 164nn3–4, 165, 167, 169n13, 170n19, 172, 174, 176, 178n35, 190n13, 203, 234, 251 Christus 42, 66, 128, 130, 135, 138–139, 142, 159–161, 234n18, 264, 267 Dasein 50, 52, 55–57, 63, 74, 84, 87, 92, 95, 99, 103, 108–111, 116, 119–120, 130, 137, 156n33, 206, 210n7, 211–212, 214, 217, 221, 222n18, 227, 244n28, 263–264, 271–272, 274–275 Dialektik 43, 47n2, 55–58, 60, 64, 68–70, 80–81, 86, 88n58, 89, 95–97, 140, 184, 190, 197, 202, 216, 247 dialektisch 52, 60, 64, 67, 237, 240, 275 Differenz 42, 112, 132, 164, 175, 201, 224, 263–264, 266, 268 Empfindung 125, 208, 274–276 endlicher Geist 198–199

Endlichkeit 59–64, 67, 100, 102–103, 154, 176n32, 180, 194, 209, 243, 246 Entfremdung 51–52, 55, 62, 65, 72, 87, 95, 130, 161n48, 179n37, 269 Erbsünde 263, 264n18 Erhabenheit 113, 229n4, 230nn6–7, 246–249 Erhebung 43, 109, 116, 128, 153, 165, 174, 206, 208n4, 210–211, 213, 216–217, 221–222, 224, 226–227, 263, 276 Erlösung 62, 261 Erschaffung der Welt 261, 263 Evangelium 41, 68, 272 Existenz 71, 85, 87, 99, 101–102, 106–108, 110, 117–118, 120–121, 123, 125–126, 128, 130, 136–139, 144n3, 150, 153, 172–173, 176, 177n33, 206–207, 209–210, 213–214, 225–226, 242, 247, 263, 265n20, 266, 271 Französische Revolution 151 Geist 39, 50–51, 59, 61n59, 62–64, 66, 69, 71, 73–75, 77, 87, 91, 100, 117, 130, 142, 148, 149n16, 151n20, 153nn26–27, 154, 156nn33–34, 157n36, 158n40, 159, 161n48, 162, 169n13, 189, 191, 193, 196, 198–199, 201–202, 208, 210, 212, 216, 219, 229, 230nn4, 6–7, 231n10, 239n25, 247–248, 251, 258, 259n7, 260n10, 261–262, 265–270 Gemeinde 51, 60, 66, 169n13, 238, 265–266, 276 Geschichte des Selbstbewusstseins 254, 256nn1–2, 257–258, 267, 269, 277 Gewissen 58, 59n50, 152, 170, 195 Gewissheit 66, 78–79, 83, 87, 89, 95, 105, 112–113, 115, 118, 133, 142, 143n3, 144nn3–4, 145nn6–7, 146n11, 148, 150, 152, 156, 185–187, 241, 243, 257, 261, 269n30 Glaube 48n4, 50, 69, 151n22, 162, 195, 234, 238, 242 Glaubensgemeinschaft 154, 160, 162 Gott 42–43, 49–51, 53, 55, 60, 63, 65–66, 76, 105, 111, 120, 128, 131, 133–136, 141–142,

282 Gott (cont.) 144, 146–147, 150, 152–155, 159–161, 163, 165–167, 169n13, 174, 192, 196, 198–202, 206, 208n5, 211, 216–217, 222, 224–225, 230, 231n8, 236, 242–243, 246–248, 254–255, 258, 260n11, 261, 263–264, 266–267, 271–276 Götterbild 157–158 Gottesbeweis 43, 206, 208, 216, 218–219, 224, 227 Gottesnamen 54, 55n37, 56, 59 gutes Leben 147, 149, 152 Heiliger Geist 64 Himmel 127, 150, 154, 161, 234, 239 Hiob 231n8, 233, 247–249 historischer Glaube 235 Ideal 75, 77, 215, 236–237, 239 Idealismus 45, 79, 81, 140, 188n10, 190n12, 205, 222n18, 228, 239n25, 250–252, 254, 276 Imperativ 64, 152 Individuation 40, 47–48, 50–51, 53, 64–65, 68 Inkarnation 41, 47–48, 57, 141–142, 147, 150, 153–154 Judentum 40, 44, 190n13, 203, 229, 231–234, 237–240, 245–251 Katholizismus 169, 170n20, 176, 177n33 Kausalität 211–212 Knecht 60, 135, 142, 145, 146nn10–11, 147–153, 157, 159n43, 160, 161n47 Komödie 158 konkret 39, 42, 44, 47–53, 58, 60, 63–65, 68, 86, 104, 131–132, 135, 159, 172, 183, 197, 199, 201, 255 Konkretion 41, 47–48, 51, 53, 59, 69 Kult 165, 266 Kultur 72, 168n13, 169, 175 Kunstreligion 157–158 Leben 44, 66, 71–75, 77, 86–87, 94, 100–101, 116, 120, 123, 127–128, 143n3, 144n3, 145, 146nn10–11, 148–149, 152, 154, 157–158, 165, 177, 179n37, 190n13, 199n32, 205,

Sachindex 229n2, 237, 248n32, 252, 254–255, 264n19, 265, 270–271, 273–277 Liebe 121, 133, 275–276 Logik 43, 47–48, 52, 54n29, 61–63, 67, 69–71, 74, 77, 80, 82, 88–89, 92–93, 95, 98, 133, 140, 155n31, 162, 182, 188, 189n11, 199–201, 205, 207, 209n6, 210n7, 213, 216–217, 219nn14–15, 220n16, 222n18, 227–228, 244–245, 250, 252, 258n5, 261n13, 262, 266, 274n41, 277 Logos 41, 49, 65, 69, 128–129, 135, 272 Menschwerdung 48, 58, 60, 62–63, 258, 263, 265 moral 234n17 Mythos 100, 106, 120, 122, 261n13, 277 Naturreligion 156 Negativität 42, 53, 55–63, 65, 68, 70–71, 79, 81–82, 84–85, 88, 97, 129, 154n28, 247, 254–255, 267, 275 Notwendigkeit 70, 109, 171n22, 197, 200, 207–208, 210n7, 211–218, 220, 224–226, 235, 245, 257, 259, 260n10, 261, 262n14, 264n19, 270n33 offenbare Religion 51, 54, 244, 258, 259n7 Offenbarung 49, 50n13, 52, 63–64, 66–67, 199, 232, 236, 252 Offenheit 78, 125, 141, 202 Olympia 74, 76, 120, 127 Organismus 78, 83, 144n3, 145n7, 146 Paraklet 41, 62, 68 Phänomenologie 40–41, 44, 48, 52–54, 56–58, 60–62, 65, 69–70, 77, 80–81, 83–84, 90, 140–142, 146n8, 147, 148nn13–14, 149nn15–16, 150nn17–19, 151nn20–21, 23–24, 152n25, 153, 154nn27–29, 155, 156nn32–34, 157nn35–36, 158nn38–41, 159nn42, 44, 160nn45–46, 161nn47–48, 162, 169n13, 180, 184, 186n6, 187n9, 203–205, 232n14, 241, 243–245, 250, 254–256, 258, 260n9, 261, 264n18, 265n20, 266nn21, 25, 267n28, 270, 276–277 Platonismus 70, 82, 138 Pluralismus 164n4, 169, 173, 176, 178n35, 179

Sachindex Polis 148–149, 157–158 positive Religion 236, 240 Projektion 272 Protestantismus 164, 168, 177, 180, 193n19 Reflexion 42, 46, 72, 74, 80–82, 85, 87, 88n57, 93, 112–113, 133, 140, 175, 233, 242–243, 258, 272–274 Reformation 168–169 Religionskritik 57 Republik 196n24, 204, 237–238 Säkularisierung 168n13, 173–176, 179 Schönheit 158n39, 229n4, 230n6 Sein 44, 50, 71, 73, 75–77, 79, 81–85, 87–89, 95–96, 103, 110, 112–114, 120, 122, 124, 126–127, 129, 132–133, 136, 138, 164, 193, 214–215, 219, 220n16, 221–225, 242–243, 248, 255, 262–263, 265, 271, 273n39, 274 Selbstbewusstsein 78–79, 82, 85–86, 97, 135, 142, 144, 145nn6–7, 146nn10–11, 149, 156–157, 159–160, 162, 254, 259, 265–266, 268, 269n32 Sisyphos 90, 125 Skeptizismus 41, 65, 86, 94–97, 112, 121, 256 Sprache 39–42, 57n43, 58, 69–70, 74, 76–77, 79–81, 84, 87, 92, 94, 99–100, 111–114, 122, 128–131, 135–140, 148n13, 155n30, 162, 164n5, 186, 188n10, 205, 232, 261n13, 277 Sprachlichkeit 41, 70, 72, 79, 84, 89–90, 97, 100, 107, 111, 114, 128, 133, 138 Sprachspiegel 79, 136 Sprachstufe 78 Staat 42–43, 77, 149, 163, 170nn19–20, 171, 175n28, 176–180, 182–183, 190–197, 203–205, 249n34 Stoizismus 41, 94, 96–97, 112–114, 121, 147–148, 159 Subjekt 48–51, 59–61, 65, 93–94, 119, 152, 186, 187n9, 189, 195, 201, 237, 242–244, 247–248, 256, 258, 266, 269n31, 272n38, 275 Substanz 48–51, 55, 59–60, 65, 119, 148n14, 157–158, 183, 188, 190n12, 192n18, 193–194, 196n26, 197, 201–202, 205, 243, 261, 265–266, 269n31

283 Testament 41, 55n38, 91 Theologie 39, 43, 49n8, 52n21, 61–62, 67, 69, 164n2, 175n30, 180, 192n17, 203, 206, 213, 232n13, 244n29, 246n31, 252, 265, 276 Tod Christi 154, 264–265 Todesangst 41, 56n41, 141, 145, 146n10, 147, 149, 153, 156–157, 159n43, 160, 161n47 Toleranz 169, 171–172, 178 Tora 54, 56 Tragödie 149, 158, 250n36, 252 Trinität 261–262 übersinnliche Welt 70, 74, 77, 79, 84, 87, 99, 128, 135, 137 unendlicher Geist 192, 198 unglückliches Bewusstsein 53n23, 86, 90–91, 94, 97–98, 100–102, 104–119, 121–130, 132–133, 136–139, 150 Urteil 129, 206, 216, 219, 232, 236, 240–241, 243 Vernunft 41, 43, 48n4, 49n8, 69–70, 75, 78–87, 89–90, 92, 94, 115, 133, 137, 139–141, 148, 151, 192, 202, 207, 212, 217n12, 222n18, 226, 228, 234–236, 239–241, 243, 250–251, 256, 258n6, 261n13, 266n26, 276n43, 277 Vernunftreligion 44, 234n16, 235–238, 240–241, 244, 251 Versöhnung 59–62, 64, 66, 69, 98–99, 153n26, 155, 161–162, 266 Verstand 80, 84, 132, 135, 143n3, 144n3, 145n6, 264n19 Verzeihung 59, 60nn52–53, 61, 64–65, 69 vollendete Religion 178n35, 182, 198n31, 200–201, 204 Vorstellung 97, 99, 109, 122, 124, 139, 150, 154–158, 160, 167–168, 175n30, 180, 191, 195, 197, 198n31, 208, 213–214, 224–226, 248n33, 254, 259, 260nn10–11, 9, 261, 263, 264n19, 266–267, 271, 277 Wesen 49, 53, 59, 63, 73, 75, 77–79, 81, 85, 90, 98–99, 101–103, 105–106, 109–110, 112, 115, 117–118, 122–124, 126–132, 136–137, 141, 143n3, 145, 146n11, 147, 150–153, 155, 158n38, 159, 161nn47–48,

284 Wesen (cont.) 167–168, 175, 185–186, 188, 194, 199–200, 210, 214, 216–217, 222, 224, 230, 232, 238, 246–247, 255–256, 258–259, 261, 263–268, 271, 272n38, 273 Widerspruch 53n24, 70, 75, 80, 85, 96–98, 112, 118, 132, 147, 151n22, 168, 178, 187, 195, 213–214, 220, 243

Sachindex Wissenschaft 48, 52, 61, 70–71, 74, 77, 80, 92–93, 133, 140, 155n31, 168, 179, 188, 193, 199, 205, 208, 209n6, 210n7, 213, 217, 219, 220n16, 222n18, 227–228, 241, 243–245, 250, 254, 257, 258n5, 259n8, 267–268, 273–274, 276 Zufall 207–208, 211–214, 216, 220, 224–225 zweite Natur 75, 92, 124, 147