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German Pages 283 [284] Year 2023
Kazimir Drilo — „Der stete Krieg“
Der Autor Kazimir Drilo studierte Philosophie und Germanistik an der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg mit den Abschlüssen Magister und Promotion. Er war tätig als Lehrbeauftragter an der LMU München und an der TU Berlin, sowie als Dozent in der Erwachsenenbildung.
Kazimir Drilo
„Der stete Krieg“ Das Zusammenspiel von Spekulation und Vorstellung bei Hegel mit Blick auf Fichte und Schelling
Königshausen & Neumann
Gedruckt mit finanzieller Unterstützung der Fritz Thyssen Stiftung für Wissenschaftsförderung in Köln.
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Printed in Germany
ISBN 978-3-8260-7842-2
www.koenigshausen-neumann.de www.ebook.de www.buchhandel.de www.buchkatalog.de
Inhalt Einleitung .......................................................................................................7 1. 1.1 1.2 1.3 1.4 2. 2.1 2.2 2.3 2.4 2.5 2.6 2.7
Fichte: Unterwerfung, Selbstrelativierung und das Licht des Absoluten ........................................................15 Hemmung der absoluten Tätigkeit ...............................................19 Die Welt als totes Sein und das wahre Leben ................................33 Keine Gnade in der empirischen Welt und Geltenlassen in der Gedankenwelt ................................................37 Wissenschaftslehre als Weisheitslehre ...........................................42 Schelling: Der Schrecken der objektiven Welt und das freiwillige Aushalten in der Menschheit ......................61 Revolution des Bewusstseins statt Zerstörung ............................62 Unsichtbarkeit, Streit und Grenze ...............................................66 Bewusstlose und bewusste Produktion in der Kunst ..................73 Mythologie und zukünftige Philosophie: Einheit von Bedeuten und Sein .....................................................76 Der Schritt in den dunklen Grund ................................................86 Illusionen der Moderne und die intelligible Tat.......................... 102 Positive Philosophie und der heroische Annihilationsakt ........ 109
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Hegel: Gegensatz und Einheit von vorstellendem und spekulativem Denken ................................ 121 3.1 Verstand und Vernunft in der Differenzschrift........................... 125 3.2 Glauben und Wissen: Das Sichtbarmachen des Unsichtbaren ....................................... 139 3.3 Das Räderwerk der Welt und das „heilige“ Denken der Philosophie ............................................................................. 145 3.4 Wege aus dem Kampf: Schuld, Strafe und Schicksal ................... 148 3.5 Der Ernst, der Schmerz und die Arbeit des Negativen .............. 155 3.6 Vorstellung und Spekulation in der Enzyklopädie ..................... 158 3.6.1 Die didaktische Herausforderung: Spekulativ denken in der Sprache der Vorstellung ..................................................... 168 3.6.2 Der eigentliche Schauplatz des Kampfes: der subjektive Geist ..................................................................... 172 3.6.2.1 Die anschauende Intelligenz ........................................................ 181 3.6.2.2 Das vorstellende Denken ............................................................ 183
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3.6.2.3 3.6.2.4 3.6.2.5 3.6.3 3.6.4 3.7 3.8 3.9 3.9.1 3.9.2 3.10
Vorstellung als Erinnerung........................................................... 186 Vorstellung als Einbildungskraft.................................................. 190 Vorstellung als Gedächtnis .......................................................... 194 Der freie Geist und die Notwendigkeit des Krieges .................. 198 Philosophie als Therapie?............................................................. 202 „Das Reich der Schatten“ ............................................................. 207 Die Selbstbeschränkung des spekulativen Denkens ................... 220 Die Kunst und der „stete Krieg“.................................................. 226 Poetische Vorstellung zwischen dem Prosaischen und der Philosophie ..................................................................... 231 Rettung vor dem Untergang: Ironie oder Komödie? ................. 238 Religion und das Sich-Bewirken des Unendlichen als Endliches .................................................... 247
Siglen .......................................................................................................... 269 Literaturverzeichnis .................................................................................. 271 Danksagung ............................................................................................... 283
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Einleitung Unter der Oberfläche der Welt sind Kräfte am Werk, die das Bestehende erschüttern, bedrohen und zum Einsturz bringen können. Zerstörung, Selbstzerstörung, Kampf und Krieg sind dem Leben der Menschen eingezeichnet. Doch nicht nur in der äußeren Welt, auch und gerade im Denken herrscht, so Hegel, „der stete Krieg“.1 Der Kampf der Welt wird im Denken ausgetragen, das „das Innerste der Welt“ ist.2 Diese im Denken wirkenden zerstörerischen Kräfte sind jedoch zugleich die Welt hervorbringenden und sie bewahrenden Kräfte. Hegels Philosophie geht diesen Kräften nach und macht sich zur Aufgabe, das Zerstörende und das Bewahrende in ihrer Entgegensetzung und in ihrem Zusammenspiel zu verstehen und sichtbar zu machen. Es ist zwar das höchste Ziel des Geistes sich selbst zu erkennen.3 Selbsterkenntnis ist aber keine Garantie für Frieden und Stabilität, wenn sie nicht philosophisch durchgebildet ist. Jeder andere Weg, also jeder nicht-philosophische, ist bei dem Versuch Stabilität und Frieden in das Denken zu bringen und so dem Zerstörerischen entgegenzuwirken zum Scheitern verurteilt. Das war die feste Überzeugung von Hegel, aber auch von Fichte und Schelling. Dieser dramatische Hintergrund ist für sie nicht nur ein Thema der Philosophie von vielen. Er ist das zentrale Thema und der Bewegungsgrund ihres Denkens und damit zugleich der Klassischen deutschen Philosophie. Wenn wir uns heute mit diesem Thema beschäftigen, dann nicht in erster Linie deshalb, weil es vielleicht in der akademischen Philosophie wieder aktuell ist oder es werden sollte, oder weil es ein vernachlässigter Aspekt ist, der wieder in die Debatte einzubringen wäre. Sich mit diesen Fragen, mit den Gründen für den im Denken unausweichlichen Drang sich selbst und die Welt in der man lebt aufs Spiel zu setzen zu beschäftigen ist nötig, weil sie uns immer wieder bedrängen. Wir wollen verstehen und eine Antwort auf die Frage finden was die Kräfte sind, die uns bedrohen und was die Kräfte, die uns vor der Bedrohung schützen. Diese Frage
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G.W.F. Hegel: Vorlesungen über die Ästhetik (=Ästhetik) TW 13, S. 199. Hegel wird folgendermaßen zitiert: Titel bzw. die Abkürzung des Titels, Abkürzung Theorie Werkausgabe (= TW) oder Gesammelte Werke (=GW), Bandnummer, Seitenzahl oder Paragraph (A= Anmerkung, Z = Zusatz). G.W.F. Hegel: Enzyklopädie der Philosophischen Wissenschaften (=Enz.) TW 8 § 24 Z. G.W.F. Hegel: Enz. TW 10, § 377.
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ist aber nicht nur die von Hegel oder Fichte und Schelling. Es ist die Frage der heutigen Zeit, die Grundfrage der Moderne. Dass der Charakter der Moderne, so schillernd und nicht eindeutig bestimmbar dieser Begriff auch sein mag, in ihrer Zerrissenheit besteht, wurde schon in aller Deutlichkeit gesehen. Nur um einige Beispiele zu nennen: Sich mit Philosophie zu beschäftigen heißt für Hannah Arendt, mit einem „Bürgerkrieg“ zwischen dem gemeinen Verstand und dem spekulativen Denken zu tun zu haben.4 Dieses Motiv ist zwar schon bei Platon anzutreffen, bei Hegel ist es jedoch zum Bewegungsgrund der Philosophie erhoben. Gottfried Benn sieht, genauso wie Dieter Henrich, in den bekannten und leider oft als zu pathetisch verkannten Worten Hegels aus der Phänomenologie des Geistes „ein wahrhaft abendländisches Wort“, das das Schicksal unserer Zeit auf den Begriff bringt:5 „Nicht das Leben, das sich vor dem Tode scheut und vor der Verwüstung rein bewahrt, sondern das ihn erträgt und in ihm sich erhält, ist das Leben des Geistes. Er gewinnt seine Wahrheit nur, indem er in der absoluten Zerrissenheit sich selbst findet.“6 Lore Hühn merkt an, dass Horkheimer und Adorno die Aporetik der Moderne darin gesehen haben, alle Formen der tragischen Verstrickung und Ausweglosigkeit ausmerzen zu wollen und diese gerade dadurch zu erzeugen.7 Von den neueren Autoren hat sich Christoph Asmuth eindringlich dem Thema gewidmet und hervorgehoben, dass es darum geht, die Potentiale der „Philosophie der deutschen Klassik am Beginn der Moderne“ darzustellen und zu verstehen, dass „die Brüchigkeit der modernen Welt“ eine wesentliche Charakteristik der Suche nach dem System in der Philosophie gewesen ist.8 Es ist das Denken selbst, das Gemeinsame des philosophierenden und des vorstellenden Zugangs zur Wirklichkeit, das in sich die Spannung austrägt, die man, wenn man ihre Folgen betrachtet, zurecht als Krieg, Kampf oder als Bürgerkrieg bezeichnen muss. Streit, Widerspruch oder auch Konflikte der Lebenstendenzen sind Begriffe, die die Gefahr, die aus
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Hannah Arendt: Vom Leben des Geistes. Das Denken. Das Wollen. München 2016, S. 89. Gottfried Benn: „Probleme der Lyrik“, in: Späte Reden und Vorträge, Stuttgart 2011, S. 76. Dieter Henrich: „Moderne Kultur und ‚wahre‘ Philosophie. Perspektiven einer Bilanz Hegels von 1802“, in: Literatur und praktische Vernunft, Hg. Frieder von Ammon et al., Berlin/Boston 2016, S. 9–46, hier S. 38. G.W.F. Hegel: Phänomenologie des Geistes (=PhG) GW 9, S. 27. Lore Hühn: „Tragik und Dialektik. Zur Genese einer Grundkonstellation nihilistischer Daseinsdeutung“, in: Die Philosophie des Tragischen- Schopenhauer – Schelling – Nietzsche, Hg. Lore Hühn und Philipp Schwab, Berlin/Boston 2011, S. 19–38; hier S. 20. Christoph Asmuth: Wissen im Aufbruch. Die Philosophie der deutschen Klassik am Beginn der Moderne, Würzburg 2018, S. 185.
dem Denken selbst erwächst, nicht präzise genug ausdrücken. Der Rückzug von der Welt und die Wirksamkeit in der Welt sind tief in der Natur des Denkens verwurzelt und hängen nicht von zufälligen oder wohlüberlegten Entscheidungen ab. Auch die Selbstzerstörung, von der Hannah Arendt mit Bezug auf Kant und die durch seine praktische Philosophie initiierte Entsinnlichung der Wirklichkeit spricht, besteht für Hegel, Fichte und Schelling nicht im ständigen Zweifel an der Realität des Wissens. Sie reicht tiefer und ist mit dem Hervorbringen der Welt eng verknüpft. Die hervorbringende und die (selbst)zerstörerische Tätigkeit machen das Wesen – des philosophischen und des alltäglichen, vorstellenden – Denkens aus. Der Philosophie nach Kant haftet etwas Tragisches an. Nicht die idealistische Selbstüberhebung, sondern die Verzweiflung an der Welt ist ihr wesentliches Merkmal. Diese Tragik ist der Menschenwelt eingeschrieben. Es ist die in ihr immer stärker zutage innewohnende Tendenz zur Desintegration der Wirklichkeit, eine Tendenz, die der Vernunft eigentümlich ist. Die dem Denken immanenten zerstörerischen Kräfte äußern sich als die Tendenz des Denkens, die Dinge der äußeren Welt, auf die es sich bezieht, mit Macht in Besitz zu nehmen, zu verinnerlichen und zu einem Teil des geordneten Ganzen zu machen. Es sind aber auch die das Denken – und so auch das Leben, das ja durch das Denken geführt wird – rettenden Kräfte im Spiel, die es vor diesen Tendenzen bewahren, Kräfte, die das Denken und das Leben erhalten. Es sind somit nicht die dem Denken äußeren Kräfte, die es gefährden und retten; beide sind ihm immanent. Im Mittelpunkt dieser Arbeit steht Hegel. Seine Diagnose ist die umfassendste, sein Rettungsvorschlag der überzeugendste. Er ist aber erst dann wirklich zu verstehen, wenn man ihn vor dem Hintergrund eines durch die Philosophie zu lösenden existentiellen Problemzusammenhangs liest, den er mit Fichte und Schelling teilt. Dieser Zusammenhang ist nicht historisch zu verstehen im Sinne des Einflusses, den Fichte und Schelling auf Hegel ausgeübt hätten. Es geht vielmehr darum diese drei Philosophen als Philosophen des geistigen Bürgerkriegs zu verstehen und ihr Denken als die bisher gründlichste Erforschung der Gründe dafür. Hegel selbst unterscheidet zwischen dem vorstellenden und dem philosophischen Denken, das wir als das begreifende spekulative Denken verstehen wollen. Üblicherweise wird der Unterschied von Vorstellung und Spekulation im Rahmen einer Erkenntnistheorie behandelt. Doch das ist eine Verkürzung der in dieser Unterscheidung liegenden Potentiale. Die Rettung wird sowohl vom vorstellenden Denken als auch vom begreifenden Denken angestrebt, jedoch letztlich nur von dem letzten vollzogen. Die beiden dem Denken immanenten Kräfte lassen sich nicht voneinander trennen, sondern müssen in ihrem Zusammenspiel begriffen werden. Wie geht das vorstellende Denken mit der ihm immanenten Gefahr um, wie das begreifende? Wie ist deren rettende Kraft zu verstehen? Es sind, als das
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Nacheinander und das Nebeneinander der Gegenstände, die Bestimmungen von Raum und Zeit und die Kausalität, in denen die Vorstellung gefangen bleibt. Inwieweit ist es aber dem begreifenden Denken überhaupt möglich, sich von der Kausalität, von Raum und Zeit zu befreien? Eng verbunden mit dem Begreifen dieses Zusammenspiels ist die Frage nach der Aufgabe der Philosophie vor dem Hintergrund dieses Zwiespalts. Philosophie ist der Vollzug des spekulativen und systematischen Denkens, der für den Philosophierenden einen Perspektivwechsel erfordert – einen, der in der Kunst und im Kultus ebenfalls getätigt wird. Philosophie erhebt somit nicht nur den Anspruch das Wahre zu erkennen, sondern auch – da das Wahre eine Tätigkeit, eine Bewegung ist – es erkennend zu vollziehen und so zu verwirklichen. Das Rettende ist nicht ein Gegenstand des Denkens, es ist auch nicht etwas im Denken, sondern es ist das Denken selbst. Oder genauer: Es ist die Vernunft, die durch und als das begreifende Denken wirkt und so das vorstellende Denken vor dem Untergang schützt. Das bedeutet daher, dass nicht eine Art von Theorie oder Innerlichkeit auf die man sich zurückziehen könnte dasjenige ist, worauf es der Philosophie ankommt, aber auch nicht das Verwirklichen einer gerechten Gesellschaft oder das Einüben von sozialen Verhaltensweisen. Die höchste Denk- und Lebensweise ist das sich als und durch Philosophie verwirklichende Denken. Es verfügt nicht über eine bestimmte philosophische Methode, die es auf die Gegenstände seiner Untersuchung anwendet, sondern es ist, als philosophisches, immer schon in den Gegenständen tätig, es muss daher „nur“ erkannt und vollzogen werden. Worin besteht aber das Zerstörerische des Denkens? Konkret wird es lokalisiert in der Fähigkeit, durch die Vereinnahmung des Gegenstandes, auf das es sich bezieht, diesen von allem Individuellen und Besonderen zu reinigen und ihn so in seiner Selbständigkeit zu vernichten. Das Eigentümliche, aber auch Irritierende dieses Gedankens ist jedoch, dass Hegel diese Fähigkeit auf interne, unausweichliche Bedingungen des Denkens zurückführt. Sie ist die Konsequenz des Drangs nach der ungebremsten Machterweiterung. Als Stellvertreter dieser Eigentümlichkeit steht bei Hegel das vorstellende Denken. Die Vorstellung nimmt den gegebenen Inhalt auf und betrachtet ihn als ihr Eigentum. Sie muss ihn überwältigen, um ihn zu besitzen. In der Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften wird sie schon im ersten Paragraphen als der Gesprächspartner der Philosophie eingeführt, wodurch sie eine wichtige, sogar zentrale systematische Funktion erhält. Sie steht in der Philosophie des subjektiven Geistes für das gesamte nicht-spekulative Denken. Sie wird in der Philosophie der Religion als der zwar noch unvollkommene, aber doch wichtige Stellvertreter der Philosophie betrachtet. Ihr Einfluss ist aber auch in anderen Teilen des enzyklopädischen Systems zu sehen: in der Sphäre des objektiven Geistes als eine
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den Willen beeinflussende Kraft des Denkens, in der Philosophie der Kunst als die formende Kraft der Poesie. Überall hinterlässt die Vorstellung ihre Spuren, und zwar entweder als Verderberin, sogar als Zerstörerin der Wahrheit, oder aber als Bewahrerin der noch unentwickelten Wahrheit, die dann erst im Begriff ihre Vollendung findet. Ihre zentrale Funktion für das richtige Verständnis der spekulativen Philosophie steht außer Frage. Die Vorstellung ist somit Dreifaches: Sie ist der notwendige Gesprächspartner der Philosophie. Sie ist durch ihre Macht, die Gegenstände dem Denken einzuverleiben, sie zum Eigentum des Denkens zu machen und zugleich von ihnen zu abstrahieren die Bedingung der Erkenntnis von Gegenständen und die Bedingung ihres Untergangs als Selbständige und vom Denken Unabhängige. Und sie ist Platzhalter des Begriffs in der Kunst und in der Religion und dann, ganz ausgebildet, mit dem spekulativen Vollzug des Begriffs in Philosophie vereint. Im Denken ereignet sich im Stillen das, was auf der großen Bühne des Lebens und der Welt auf die viel dramatischere Weise geschieht: die Gewalt, die den Gegenständen des Denkens angetan wird, aber auch deren rettende Umbildung. Die aneignende Macht ist zwar der Vorstellung eigentümlich. Ihr schöpferisches Umbilden durch Kunst, Religion und Philosophie ist aber die Weise, mit dem Zerstörerischen so umzugehen, dass es dessen Kraft ins Positive wendet. Die Fragen der gegenwärtigen philosophischen Theorien nach der Freiheit und ihren Grenzen sowie nach der Entstehung und Überwindung der Gewalt widmen sich jedoch meistens nicht der Natur des Denkens, sondern der Möglichkeit einer gerechten sozialen Praxis. Dem gegenüber widmet sich die vorliegende Arbeit der Beantwortung der Frage, ob die einzig gelingende Überwindung der Gefahr, die durch die Macht des Denkens entsteht, in der Kunst, der Religion und der spekulativen Philosophie zu finden ist. Die Wurzeln der Gefahr sind im Denken begründet und können nur dort überwunden werden. Es sind somit Kunst, Religion und Philosophie und nicht die soziale Praxis und die Politik, die die erhoffte Befriedung bringen. Hegel will den Raum des Politischen verlassen, denn nur in der Distanz zum Politischen kann authentisches Leben gelingen. Der Raum des Politischen, der die Sphäre des objektiven Geistes ausmacht, ist durch Gewalt und ständige Gefährdung gekennzeichnet. Es ist eine Gewalt, die nicht vorrangig in der sozialen Praxis oder in bestimmten ökonomischen Ungerechtigkeiten ihre Wurzeln hat. Der absolute Geist, der Raum der verwirklichten Freiheit, ist zwar in den Raum des Politischen, so wie der Vorstellung auch, eingebettet, geht aber auch über ihn hinaus. Nur in dieser aus dem objektiven Geist fliehenden Bewegung kann das Gefährliche des Denkens überwunden werden. Die Überwindung der in der Vorstellung wurzelnden Macht ist deshalb nicht in der gegenseitigen „Anerkennung“ zu suchen, nicht in Moralität und Sittlich-
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keit, sondern im spekulativen Denken. Aus ihm kann zwar ein Ethos des Denkens entstehen, das ist aber nicht des philosophischen Denkens eigentliches Ziel. Das Ziel ist auch nicht die „Versöhnung“. Alle diese Strategien sind zum Scheitern verurteilt. Macht und Gewalt werden und sollen nicht durch Versöhnung überwunden werden, sondern so umgewandelt werden, dass sie Neues erschaffen, als begreifendes, schöpferisches Umgestalten der Objekte. Es sind somit zwei Themen, die im Mittelpunkt der vorliegenden Arbeit stehen: zum einen das Unverfügbare im Denken, das sich als die schöpferisch-zerstörerische Kraft manifestiert und bei Fichte, Schelling und Hegel als die in sich spannungsreiche absolute Tätigkeit bezeichnet wird. Der Kampf ist das Wesensmerkmal des Denkens, auch für Fichte und Schelling, deren Gedanken nicht in Konkurrenz zu Hegel stehen, sondern selbst tiefgehende Alternativen aufzeigen. Während Fichtes Philosophie zwischen dem Konzept der Unterwerfung des Endlichen und dessen Verwandlung im Licht des Absoluten, das nur im denkenden Vollzug der Wissenschaftslehre möglich ist, unentschieden bleibt und Schelling schließlich, trotz der ungeheueren gedanklichen Tiefe seiner Ausführungen im eher resignierten „Aushalten der Menschheit“ einen Ausweg aus dem Wahn der Welt zu finden scheint, zeigt Hegel wie man durch Kunst, Kultus und Philosophie die fallende Welt im Sein halten und verwandeln kann. Zum anderen, damit zusammenhängend, geht es um zwei Formen der Macht: eine den Gegenstand überwältigende und eine bewahrende Macht. Zeigen lässt sich dieser Unterschied am Beispiel der beiden Denkformen: der Vorstellung und der Spekulation. Das Zusammenspiel von Vorstellung und Spekulation ist dasjenige von Untergang und Rettung. Die ganze Weltgeschichte und die Geschichte der Philosophie sind für Hegel „nur“ Darstellungen des Kampfes des endlichen und des absoluten Selbstbewusstseins.9 In der Wissenschaft hört, so Hegel, dieser Kampf auf. Aber wie hört er auf? Wie zu zeigen sein wird nicht in der Weltabgewandtheit oder der Kontemplation in der Gegenwart des Absoluten, denn dieser Ausweg hätte keine Aussicht auf Erfolg: Das Denken, von dem man nicht fliehen kann, ist „das Innerste“ der Welt und somit auch der „stete Krieg“. Die zentrale Stellung dieses Kampfes ist somit keine „martialische Wendung“ in Hegels Philosophie,10 sondern ihr Grundprinzip, so wie auch das von Fichtes und Schellings Philosophie. Hegel, aber auch Fichte
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G.W.F. Hegel: Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie (=VGPh) TW 20, S. 460. So bei Walter Jaeschke: Hegels Philosophie, Hamburg 2020, S. 94.
und Schelling sind Philosophen unserer Zeit und ihrer Ängste, Hoffnungen und Illusionen. Beschäftigung mit ihnen ist nicht Beschäftigung mit etwas Vergangenem, sondern mit der gegenwärtigen Welt. Das zu zeigen ist das Ziel dieser Arbeit.
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1. Fichte: Unterwerfung, Selbstrelativierung und das Licht des Absoluten Fichtes Schrift Die Bestimmung des Menschen aus dem Jahr 1800 ist in ihrem dritten Teil, genannt „Glaube“ der Versuch, Jacobis Kritik der Transzendentalphilosophie, die Fichte in dem zweiten Teil namens „Wissen“ aufgreift und verschärft, aufzunehmen und den in seinen vorangehenden Entwürfen der Wissenschaftslehre enthaltenen Gedanken von dem Primat des Praktischen noch stärker herauszustellen. Der erste Teil „Zweifel“ ist eine Kritik des Naturalismus. Der entscheidende Begriff dieses ersten Teils ist der einer ursprünglichen Denkkraft in der Natur, wobei der Mensch insgesamt drei Kräfte in sich vereint: die bildende Kraft, die der Pflanze eigentümlich ist, die Bewegungskraft des Tieres und eben diese ursprüngliche Denkkraft. Der Ursprung dieser drei Kräfte kann nicht erklärt werden; sie sind da, sowie „ich bin und denke“.1 Jacobis Kritik an Fichte und der nachkantischen Philosophie war ja, dass die von der Empirie getrennte Vernunft „Wahn“ ist, eine die Welt konstruierende, sie aber auch zerstörende Macht. Die Alleinherrschaft der Vernunft, die mit dem Versprechen eines goldenen Zeitalters für die Welt auftritt, wird mit Gewalt durchgesetzt.2 Philosophie in dieser gewaltsamen Art, wie sie nach Jacobi Spinozismus in den über Spinoza hinausgehenden spekulativen Systemen darstellt, erhebt sich über die empirische Welt und betrachtet sie als nichtig.3 Die wahre Vernunft, die eine rechtverstandene Einheit mit der Welt ist, ist dagegen eine schöpferische Kraft, durch die die Welt erhalten wird, und durch die auf das in Begriffen nicht Auszudrückende verwiesen wird. Die unwahre, die Welt durch das Zuschreiben der Nichtigkeit zerstörende Vernunft gehört der spekulativen, 1 2
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J.G. Fichte: Bestimmung des Menschen (= BM), GA I.6, S. 200. Friedrich Jacobi: David Hume über den Glauben oder Idealismus und Realismus. Ein Gespräch (= DH), Auf der Grundlage der Ausgabe von Walter Jaeschke und Irmgard-Maria Piske, herausgegeben und eingeleitet von Oliver Koch, Hamburg 2019, S. 94. Vgl. Walter Jaeschke: „Eine Vernunft, welche nicht die Vernunft ist“, in: Friedrich Heinrich Jacobi. Ein Wendepunkt der geistigen Bildung der Zeit, Hg. Walter Jaeschke und Birgit Sandkaulen, Hamburg 2004, S. 202: „Kein Denker dieser Zeit ist so sensibel gegenüber dem Problemfeld ‚Herrschaft, Gewalt und Zwang‘ wie Jacobi – und a fortiori gegenüber einer Herrschaft, die im Namen der Vernunft aufgerichtet und legitimiert werden soll.“
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idealistischen Philosophie an, die wahre der Jacobischen Philosophie, die man, trotz seiner Bezeichnung, sie sei Unphilosophie, nicht als bloße Negation der spekulativen auffassen darf. Der spekulativen Wahnwelt, dem Determinismus und Fatalismus der reinen Vernunft, die „Hirngespinste“ gebiert, setzt Jacobi als Gegenmittel den Glauben entgegen.4 „Glauben“ ist jedoch nicht als der religiöse Glaube des unreflektierten Fürwahrhaltens und als Negation jeder Philosophie misszuverstehen. Er ist für Jacobi das Organ, mit dem die Selbsttätigkeit der Individuen erfahren wird und ist eng geknüpft an die „wunderbare innerliche Bildungskraft“ der Vernunft und an die „unerforschliche Energie“ des Lebens, an den Grundtrieb der Selbsterhaltung und der Selbstbestimmung.5 Der Glaube ist somit Leben aus der immer tätigen Wirksamkeit der unverfügbaren, nicht instrumentellen Vernunft, er ist „Glaubenskraft“ und „Offenbarung“. Wenn Fichte also in der Bestimmung des Menschen dem Glauben eine zentrale Rolle zuspricht, dann auch als Reaktion auf Jacobis Kritik. Wir wissen aus Fichtes Schriften zwischen 1794 bis 1800, dass es die sittliche Handlung ist, die den Kampf des Inneren mit dem Äußeren befrieden soll. Entscheidend für das richtige Verständnis dieses Kampfes ist dabei das Verhältnis der produktiven Tätigkeit des Absoluten zu ihrem Hemmen durch die Reflexion in einem freien Akt des Entschlusses. In der Bestimmung des Menschen wird dieser Entschluss nun Glaube genannt. Der Glaube ist der Willensentschluss, das Wissen gelten zu lassen. Das Wissen, das gelten soll, ist das der hervorbringenden Kraft im Ich, die aus dem Bereich des Traumes, des spekulativen Denkens, hinausführt in die wirkliche Welt. Die Entwirklichung der Welt durch ihre Negation wird im Glauben angehalten, gehemmt. Das Gewissen – das glaubende Wissen – ist die Konzentration auf das Gute, auf die Hervorbringung und Erhaltung einer Welt nach sittlichen Gesetzen. Mit den Begriffen Pflicht und das Gute, Gewissen und Sittengesetz sucht Fichte, mit Blick auf Jacobis Kritik, den Ausweg aus der Traumwelt des Denkens. Es sind die anderen vernünftigen Wesen, an deren Existenz die Traumwelt des Ich endgültig zerbricht. Die Stimme des Gewissens, die als Gebot erfahren wird, fordert: „hier beschränke deine Freiheit, hier vermute und ehre fremde Zwecke“, als Zwecke von freien, unabhängigen Wesen „meinesgleichen“. Durch diese Stimme, die zu der höchsten Bestimmung des Menschen ruft, nämlich sittlich zu handeln, bekommt die Welt Wahrheit und Wirklichkeit.6 Die praktische Vernunft ist die „Wurzel aller Vernunft“, Verbindung der inneren und der äußeren Welt.7 4 5 6 7
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Friedrich Jacobi: DH, S. 29. Friedrich Jacobi: DH, S. 171. J.G. Fichte: BM GA I.6, S. 262. J.G. Fichte: BM GA I.6, S. 265.
Die Bestimmung des Menschen endet jedoch mit der, wegen ihrer auftrumpfenden Gewissheit und Radikalität, eher abschreckenden Utopie von der Einheit des Menschengeschlechts als dem Ziel der Geschichte. Sie ist mit der Gewalt über die Natur und dem Zwang auf die Unvernünftigen verbunden. Unterwerfung und Beherrschung des Vernunftlosen ist der letzte, obwohl unerreichbare Endzweck des Menschen. So heißt es schon in den Vorlesungen über die Bestimmung des Gelehrten aus dem Jahr 1794: „Alles Vernunftlose sich zu unterwerfen, frei und nach seinem eigenen Gesetze es zu beherrschen, ist letzter Endzweck des Menschen.“8 Das System der Sittenlehre von 1798 führt dann diesen Gedanken weiter: Die Selbständigkeit, unser letztes Ziel, besteht, wie oft erinnert worden, darin, daß alles abhängig ist von mir, und ich nicht abhängig von irgend etwas; daß in meiner ganzen Sinnenwelt geschieht, was ich will, schlechthin und bloß dadurch, daß ich es will, gleichwie es in meinem Leibe, dem Anfangspunkte meiner absoluten Kausalität, geschieht. Die Welt muß mir werden, was mir mein Leib ist. Nun ist dieses Ziel zwar unerreichbar, aber ich soll mich ihm doch stets annähern, also alles in der Sinnenwelt bearbeiten, daß es Mittel werde zur Erreichung dieses Endzwecks. Diese Annäherung ist mein endlicher Zweck.9
Warum ist, Fichtes Meinung nach, der Drang nach Herrschaft und Unterwerfung notwendiger Bestandteil des Denkens und Handelns, sogar ihr Endzweck? Auf welche Weise hängt die produzierende Kraft des Denkens mit der dem Denken immanenten, auf das Beherrschen der Welt ausgerichteten Kraft zusammen? Die Wissenschaftslehre in ihren verschiedenen Varianten will zeigen, dass die Wurzel der Herrschaft über die Objekte mit der Tätigkeit ihrer Hervorbringung untrennbar verknüpft ist. Das Objekt hervorzubringen ist ein schöpferischer Akt der ideellen Tätigkeit, dem jedoch die Negation der Selbständigkeit des hervorgebrachten Objekts eigen ist, aber auch die Selbstnegation der schöpferischen ideellen Tätigkeit, die an dem hervorgebrachten Objekt ihre Grenze findet. Im Produzieren der selbständigen Existenz der Welt außerhalb des Denkens ist der Keim ihres Untergangs gelegt: des Untergangs der endlichen Welt und der durch das Endliche begrenzten absoluten Tätigkeit selbst. Das Denken ist somit zugleich schöpferisch und die Herrschaft über das Erschaffene ausübend tätig; es produziert, das war Jacobis Kritik, die Fichte in der Bestimmung aufnimmt, Negiertes, Nichtiges. Ist das sittliche Handeln aber tatsächlich ein Gegenmittel gegen den im Denken herrschenden Widerspruch und gegen die Entwirklichung der Welt, oder wird der im Denken selbst tätige und den Widerspruch produzierende Kampf auch 8 9
J.G. Fichte: Vorlesungen über die Bestimmung des Gelehrten GA I.3, S. 32. J.G. Fichte: Das System der Sittenlehre (=SdS), Auf der Grundlage der Ausgabe (2. Auflage) von Fritz Medicus, Hamburg 1995, S. 225f.
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vom sittlichen Handeln geerbt? In der Tat ist die in der Bestimmung, aber auch in anderen von Fichte entworfenen Szenarien der Sittlichkeit die angestrebte Utopie letztendlich eine des gewalttätigen Gleichmachens: Die Menschen werden, nachdem sie sich von ihren Unterdrückern befreit haben, eine Gesellschaft errichten, in der sie „nicht länger irgend einen unter sich dulden, der sich nicht begnügt, allen gleich zu seyn, und zu bleiben“.10 Der Friede des „wahren Staates“ ist durch die Gewalt der Tilgung der inneren Differenz erkauft und dehnt sich, verknüpft mit dem missionarischen Eifer, andere, „wilde“ Völker zu ihrem Glück zu erziehen, auf den ganzen Erdball aus. Das Ziel des sittlichen, wahrhaft freien Staates ist die zwanghafte Gleichmachung aller Kulturen, die ein Band für lebendige Geister sein soll, aber nur unter der Voraussetzung, dass sie sich auf die höchste sittliche Stufe des freien Geistes erhoben haben. Zu gehorchen, weil die Stimme des Gewissens es gebietet, ist für Fichte ein Ausweis der Bestimmung des Menschen, die über die sinnliche Welt auf die immer gegenwärtige übersinnliche Welt des Vernunftgesetzes hinausweist. Der Gedanke, um den sich bei Fichte alles dreht, lautet: Der Mensch ist ein Bürger zweier Welten, der geistigen und der sinnlichen; die sinnliche Welt, durch die geistige hervorgebracht und in ihrer Selbständigkeit zugleich negiert, ist ohne Wirklichkeit, nichtig. Der Endzweck des Lebens ist es, durch den freien Willen, der die Urkraft der geistigen Welt ist, der sinnlichen Welt Wirklichkeit zu verleihen, indem ihr das Gepräge der geistigen Welt eingebildet wird. Nur durch die Gestaltung der Welt nach sittlichen Prinzipien, verbunden mit dem gemeinsamen Handeln aller Vernunftwesen, ist die Befriedung möglich, die der Person, die des Staates und letztendlich, als nie zu erreichendes Ziel, die der ganzen Welt. Der freie Wille, die Urkraft des Geistigen, die selbsttätige Vernunft, ist eine Tatsache im Innern des Menschen, die nicht begründet, sondern nur glaubend gefunden werden kann und von der man annehmen muss, dass sie auch andere freie Wesen haben. Die sinnliche Welt ist nur der Schein, hinter dem sich die wahre Welt versteckt und ist ohne diese „Nichts“.11 Dieses Nichts ist aber nicht ein Zeichen für den Nihilismus der spekulativen Vernunft, sondern es ist der Platzhalter für das Höhere, Vernünftige. Der sittliche Wille verwandelt durch die Zerstörung, er verleiht der Welt eine andere, wahre Wirklichkeit. Zerstörung ist Verwandlung, in der, so können wir folgern, das Individuelle und mit ihm das eigentlich Menschliche nicht mehr gelten soll. In der neuen, sittlichen Welt soll es, so Fichte, keine Trauer, keine Reue, keine Begierden, keine Freude, keine Persönlichkeit mehr geben. Nur das Wahre, das Gute und das Schöne sowie die Pflicht zu deren Förderung wohnen im 10 11
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J.G. Fichte: BM GA I.6, S. 272. J.G. Fichte: BM GA I.6, S. 300.
verwandelten Menschen und in dem „Auge“, durch das er auf die Welt blickt: „kalt und ungerührt sehe ich auf alle herab“.12 Die Rettung der Welt vor dem Nihilismus der Vernunft ist zugleich ihr endgültiger Untergang als Welt der freien Individuen. 1.1 Hemmung der absoluten Tätigkeit Der Primat des Praktischen, der dem Theoretischen Wirklichkeit verleiht, die an das Verfahren in Spinozas Ethik angelehnte Kritik des Naturalismus, an Jacobi angelehnte Kritik einer rein rationalen Philosophie, ferner die zentrale Bedeutung des Glaubens als des Organs für das Finden der übersinnlichen, wirklichkeitsverleihenden, das sittliche Leben und den Endzweck der Menschheit hervorbringenden Willens-Urkraft im Menschen – das sind die in Bestimmung des Menschen vorzufindenden Gedanken, die sich auf die zentralen Momente von Jacobis Sendschreiben beziehen.13 Sie stehen in Spannung zu den vorausgehenden und nachfolgenden Varianten der Wissenschaftslehre, die einen anderen Weg aufzeigen, wie die Frage nach der Einheit der beiden voneinander getrennten Welten, von denen die sinnliche sowohl ein Produkt als auch die Einschränkung der geistigen Welt ist, philosophisch zu beantworten wäre. Der Kampfplatz der beiden Welten ist die geistige Welt. Es ist also ein Kampf, den das Denken mit sich selbst austrägt, ein „Bürgerkrieg“, wie Hannah Arendt es bezeichnet, der sich auswirkt auch auf das empirische Selbst und auf die empirische, äußere Erfahrungswelt. In diesem Bürgerkrieg, aus dem Fichtes Philosophie letztendlich nicht herausfindet, steht die „Vorstellung“ für das Subjektive, für das Denken selbst und somit auch für die Denktätigkeit des philosophierenden Subjekts. Dass das Vorstellen „die höchste und absolut-erste Handlung des Philosophen“ ist, dass es aber eine andere absolut-erste Handlung des menschlichen Geistes gibt, die sich als ihr „letzter Grund“ erweisen wird, wurde unter anderem als ein Hinweis auf Gott, auf die praktische Vernunfttätigkeit oder auf das Selbstbewusstsein interpretiert14. Es scheint aber plausibler zu sein, diesen letzten Grund als die der Vorstellung zugrundeliegende absolute Tätigkeit zu verstehen, die der Grund sowohl der theoretischen als auch der praktischen Philosophie ist.15 „Vorstellung“ ist
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J.G. Fichte: BM, GA I.6, S. 303. Siehe dazu Birgit Sandkaulen: „Fichtes Bestimmung des Menschen – Eine überzeugende Antwort auf Jacobi?“, in: Jacobis Philosophie. Über den Widerspruch zwischen System und Freiheit, Hamburg 2019, S. 225–243. J.G. Fichte: Über den Begriff der Wissenschaftslehre, GA I.2, S. 149. Vgl. dazu Wilhelm Metz: Kategoriendeduktion und produktive Einbildungskraft in der theoretischen Philosophie Kants und Fichtes, Stuttgart-Bad Cannstatt 1991, S. 201ff.: „Was Fichte aber aus den ursprünglichsten Handlungen sich anschickt,
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jedoch in sich ambivalent – das ist ein Gedanke, der auch bei Hegels Bestimmung des Verhältnisses von Vorstellung und Spekulation eine zentrale Rolle spielt. Sie ist zum einen eine Verhältnisbestimmung zwischen Subjekt und Objekt. Als solche umfasst sie alle Formen der Intelligenz, die Relationen enthalten: Wissen, Reflexion, Bewusstsein, Selbstbewusstsein, Verstand, Einbildungskraft, Anschauung. Auch der Begriff ist zunächst, bevor er in seiner spekulativen Gestalt gedacht wird, immer auch der Vorstellungsbegriff. Vorstellung hat jedoch auch eine andere Bedeutung. Sie ist integriert in die absolute Tätigkeit und ihre produzierende Kraft. Sie vermittelt also nicht nur zwischen Subjekt und Objekt, sondern sie bringt diese Differenz hervor.16 Ihren Grund hat sie somit in einer Handlung des Geistes, die selbst keine Vorstellung, keine Relation, sondern reine, absolute Tätigkeit ist, die aber die Differenzen produziert. Nur im denkenden Verhältnis zu diesem nicht-vorzustellenden, absoluten (von der Vorstellung losgelösten) Grund ist Philosophie Wissenschaftslehre und nicht eine bloße Einführung in diese oder Erzählung von ihr. Die Verhältnisse, in die das Subjekt in seiner Beziehung zu sich und zu den Objekten in der Welt – den materiellen und den nichtmateriellen – verwickelt ist, sind in den der Vorstellung immanenten Verhältnissen begründet. Der innere Kampf zwischen Realismus und Idealismus, der die Vorstellung ausmacht, wird im Kampf des Subjekts mit und in der Welt, in der es lebt, widergespiegelt. Zwar bringt der Mensch, so Fichte, Leben und Ordnung in die tote Welt, er kämpft aber um Harmonie mit den Mitteln der gewaltsamen Umformung und Unterordnung des vorgefundenen ‚Toten‘. Nur im Inneren des Denkens, in der Denkfigur des Nichtgeltenlassens, der Selbstrelativierung der Vorstellung (des Subjektiven), kann jedoch, wie im Folgenden gezeigt werden soll, der Krieg mit sich und mit der Welt, obwohl nicht verhindert, aber doch so bewältig werden, dass er seine vernichtende Macht nicht entfalten kann. Die Machtstrukturen, in die das Subjekt in seiner Beziehung zur Welt verwickelt ist, sind in den Machtstrukturen des Denkens begründet. Wie das zu verstehen ist wird von Fichte anhand der Dialektik von Ich und
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genetisch erst zu deduzieren, darf nicht mit diesen Handlungen selbst gleichgesetzt werden.“, S. 204 Anm. Dieter Henrich bringt diesen Unterschied der zwei Weisen der Vorstellung – der vermittelnden und der produzierenden – folgendermaßen auf den Punkt: „Im Unterschied zu der Vorstellung, die „als ein vermittelndes Glied zwischen der Welt der Dinge und einem Ich verstanden werden soll, welches sich zu der Dingwelt verhält“, geht die Vorstellung, die in die Produktion der Kunst und der Philosophie integriert ist, „auf den gesamten Prozeß der Selbsttätigkeit, aus dem sich auch die Dingwelt und aus dem sich jenes Ich erklärt, für das die Weisen seiner Beziehung zur Dingwelt unhintergehbare Voraussetzungen sind.“, in: Der Grund im Bewußtsein, S. 345.
Nicht-Ich aufgezeigt. In der Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre von 1794/95 fragt Fichte, wie sich A und – A, Sein und Nicht-Sein, Realität und Negation zusammendenken lassen ohne sich gegenseitig zu vernichten, denn sie sollen „in die Identität des einigen Bewußtseins aufgenommen werden.“17 Seine Antwort lautet: Neben den beiden Entgegengesetzten ist noch ein zugrundeliegendes Drittes zu denken, das diese beiden Entgegengesetzten ‚trägt‘ und sie ermöglicht: „Das Ich sowohl, als das Nicht-Ich, sind beides Produkte ursprünglicher Handlungen des Ich, und das Bewußtseyn selbst ist ein solches Produkt der ersten ursprünglichen Handlung des Ich, des Setzens des Ich durch sich selbst.“18 Dieses ursprüngliche Dritte (das eigentlich das Erste ist), ist die reine Tathandlung des absoluten, sich setzenden Ich, die reine in sich zurückgehende Produktion, die der Inbegriff aller Realität ist, bei der von allen Relationen und Zeitbedingungen abzusehen ist und die nicht auf ein Objekt ausgerichtet ist, sondern in sich selbst zurückgeht. Das in sich Zurückgehen ist eine dem Streben ins Unendliche immanente Gegen-Kraft der Tathandlung selbst, die somit in sich selbst gegenläufig ist. Wenn von der Tathandlung die Rede ist, so ist darunter die spannungsvolle Einheit der beiden Tätigkeiten – das schöpferische, auf Selbstbestimmung ausgerichtete Streben und die in sich zurückfließende, dieses Streben hemmende Tätigkeit – zu verstehen. Hier, in diesem In-sich-Zurückgehen, dem Hemmen der ins Unendliche fließenden absoluten Tätigkeit, befinden wir uns an der eigentlichen Quelle des Kampfes, durch den das Selbst und die Welt ihre Gestalt erhalten. Der Drang nach Selbstbestimmung und das Erfahren der inneren und äußeren Grenze der Selbstbestimmung sind unaufhebbare Merkmale des Selbstbewusstseins. Doch die eigentliche Frage lautet: Wie kommt das Fremdartige der Hemmung in die reine Tätigkeit, so dass diese zu etwas sich selbst Entgegengesetztem und dadurch konkret Realem wird? Die reine Tätigkeit und ihr Sich-Hemmen sind jedoch nicht zu verstehen als Momente eines als Substanz bestimmten Absoluten.19 Die Tathandlung ist unbegründbar und kann nur gefunden, nicht konstruiert werden; sie ist zwar einzusehen nur durch das Denken, ist aber selbst kein Denken (als Vorstellung oder Bewusstsein verstanden), sondern seine Bedingung. Die Tathandlung ist durch das Streben ins Unendliche und das Anhalten dieser Bewegung in sich selbst widersprüchlich. Voneinander trennen lassen sich die beiden entgegengesetzten Bewegungen nicht. Diese innere Span17 18 19
J.G. Fichte: Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre (1794/95) (=GWL 1794/95), GA I.2, S. 269. J.G. Fichte: GWL 1794/95, GA I.2, S. 269. Zu Fichtes Spinozakritik, der Kritik der Substanzontologie und der kritischen Übernahme der „causa sui“ vgl. Lore Hühn: Fichte und Schelling oder: Über die Grenze menschlichen Wissens, Stuttgart/Weimar 1994, S. 46ff.
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nung bildet die Natur des Denkens: Die ins Unendliche fließende Tätigkeit, das Streben des Denkens sich alle Realität anzueignen und das Bestimmen – Hemmen, Anhalten, Reflexion – dieser Tätigkeit durch Objekte. Sein Wesen ist es, das Zugleich von Ich und Nicht-Ich zu sein. Das Denken erkennt und verdeckt zugleich sein Wesen – die reine absolute Tätigkeit – indem es ihr die Form der Vorstellung gibt. Am Beispiel der Einbildungskraft lässt sich zeigen, auf welche Weise das schöpferische und das hemmende Moment vom vorstellenden, noch nicht spekulativen Denken ‚verunreinigt‘ und so zum Merkmal der von ihm geprägten Welt wird.20 Es ist die Einbildungskraft, die die Vorstellung in die absolute Tätigkeit „einmischt“ und so zu der „Täuschung“ führt, diese sei ein Objekt des Denkens: Die Tathandlung des Ich, indem es sein eignes Sein setzt, geht gar nicht auf ein Objekt, sondern sie geht in sich selbst zurück. Erst dann, wenn das Ich sich selbst vorstellt, wird es Objekt. – Die Einbildungskraft kann sich schwerlich enthalten, das letztere Merkmal, das des Objekts, worauf die Tätigkeit geht, in den reinen Begriff der Tätigkeit mit einzumischen; es ist aber genug, daß man vor der Täuschung derselben gewarnt wird, damit man wenigstens in den Folgerungen von allem, was von einer solchen Einmischung herstammen könnte, abstrahiere.21
Nähern wollen wir uns der Frage nach der von der Einbildungskraft „eingemischten“ Trennung von Subjekt und Objekt in das Absolute – mit „das Absolute“ ist in dieser Arbeit immer die Tathandlung, die reine oder absolute Tätigkeit gemeint, immer also Dynamisches, nie etwas ‚Substantielles‘, Statisches oder Jenseitiges – mithilfe der Beziehung von Ich und Nicht-Ich, so wie sie in den ersten drei Paragraphen der Grundlage entwickelt wurde. Dabei geht es mir nicht darum, den komplexen Gedankengang im Detail wiederzugeben, sondern in großen Linien die Grundzüge und die Probleme des spannungsreichen Verhältnisses von Ich und seiner absoluten Grundlage nachzuzeichnen. Dass der erste, schlechthin unbedingte Grundsatz alles menschlichen Wissens eine Tathandlung und keine Tatsache ist, dass er aufzusuchen und zu finden aber nicht zu beweisen ist, dass er nicht unter empirischen Bestimmungen des Bewusstseins vorkommt, sie aber ermöglicht, und dass er ein notwendiger Erklärungsgrund aller Tatsachen des empirischen Bewusstseins ist: Das alles gehört zu den schon am Anfang der Grundlage aufgestellten Prämissen, die auch bei der aufmerksamen Lektüre der Wis20
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In Ueber das Wesen des Gelehrten wird der Sinn des Gedankens der Hemmung des Absoluten in populärphilosophischer Sprache in aller Klarheit formuliert: Alles außer dem Absoluten (dem „wahren Leben“) ist nur Hemmung und Störung, „lediglich darum daseyend, damit an ihm das wahre Leben sich entwickle, und in seiner Kraft sich darstelle“. GA I.8, S. 76. J.G. Fichte: GWL 1794/95, GA 1.2, S. 293.
senschaftslehre leicht zu vergessen sind. Unser Denken neigt nämlich zur Vergegenständlichung von dynamischen Strukturen, so dass Fichte gleich am Anfang darauf aufmerksam macht, dass die Gefahr bei der Lektüre nicht so sehr darin besteht nicht zu denken, was man zu denken hat, sondern zu denken, was man nicht zu denken hat. Nun ist es aber so, dass diese Gefahr schon mit dem ersten Grundsatz, auf dem unser Wissen beruht, angelegt ist. Das Dynamische anzuhalten und es zu vergegenständlichen, es zu substantialisieren und in ein ‚Jenseits‘ des Wissens zu projizieren, es in entgegensetzte Momente zu trennen – das sind die Gefahren, die aus der Tathandlung, dem ersten Grundsatz unseres Wissens, hervorgehen. Und dieser absolute, nicht von uns konstruierte sondern nur aufzusuchende Grund lautet: Das Ich setzt ursprünglich schlechthin sein eigenes Sein. Die reine Tätigkeit ist „das Ich“, das mit sich selbst identisch ist und das sich selbst setzt. Als Sichselbstsetzendes ist das Ich „zugleich das Handelnde, und das Produkt der Handlung; das Tätige, und das, was durch die Tätigkeit hervorgebracht wird“.22 Der reinen Tätigkeit des sich selbst setzenden Ichs sind somit das dynamische und das statische Moment, die Produktion und das Produkt, die Einheit und die Differenz ihrer Momente immanent, allerdings – und darauf kommt es an – diese Momente sind in der reinen Tätigkeit schlechthin, ohne einen ihr externen Grund. Sie sind die „Idee“ des empirischen Bewusstseins, ohne eine zeitliche oder eine andere kategoriale Bestimmung, die ihm eigen ist. Diese Bestimmungen der absoluten Tätigkeit müssen, um zum empirischen Bewusstsein zu gelangen, durch das Medium der Vorstellung hindurchgehen. Die ohne Vermittlung gedachten Momente des Absoluten – dynamisch und statisch, Produktion und Produkt – werden erst durch die Vorstellung zu Bestimmungen des zeitlichen, empirischen Ich. Der erste Grundsatz enthält somit schon alle folgenden in der Wissenschaftslehre dargestellten Grundsätze und Ableitungen. Er ist schlechthin unbedingt, die reine Form, die sich auf sich selbst bezieht und zugleich ihr eigener Gehalt ist. Den Grundsatz, die reine Tathandlung, muss man folglich denken, ohne ihn vorzustellen. „Denken“ ist bei Fichte, auch unter der Bezeichnung „Spekulation“, nichts grundsätzlich anders als die Vorstellung, allerdings als Vorstellung die sich selbst, vermittelst der „abstrahierenden Reflexion“, als mangelhaft erkannt hat. Denken (Spekulation) und Vorstellung sind somit nicht zwei voneinander getrennte Vermögen, sondern bezeichnen die verschiedenen Weisen des Wissens, sich auf die eigene Grundlage zu beziehen: sie verdeckend oder enthüllend. Insofern ist bei Fichte die Vorstellung ein das Empirische umfassende Begriff und das spekulative Denken ihre höchste, über sich hinausweisende Form. 22
J.G. Fichte: GWL 1794/75, GA 1.2, S. 259.
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Der erste Grundsatz, die reine Tätigkeit des sich selbst setzenden und mit sich identischen Ich, ist das Objekt unserer Reflexion. In dem Satz ‚das Ich setzt sich schlechthin‘ haben wir nämlich über das Ich, das sich schlechthin setzt, reflektiert, wir haben also in die Tathandlung einen Gegensatz hineingedacht – den Gegensatz zwischen unserem reflektierenden Ich und seinem Objekt, dem sich selbst setzenden und mit sich identischen Ich. Diese Entgegensetzung haben wir nicht aus dem ersten Grundsatz abgeleitet, sie kam, ihrer Form nach, vielmehr durch eine „absolute Handlung“ zustande, die unbedingt und spontan aufgetreten ist. Im Vollzug dieser Handlung entsteht die Entgegensetzung der beiden untrennbaren Momente: unser reflektierendes Ich und das Objekt dieser Reflexion, das sich selbst schlechthin setzende Ich. Der zweite Grundsatz (§ 2) drückt die Entgegensetzung und indirekt auch die Möglichkeit des Mediums Vorstellung aus. Er lautet: Dem Ich wird schlechthin entgegengesetzt ein Nicht-Ich. Diese entgegensetzende Handlung des Ich ist der Form nach unbedingt auftretend, da sie weder aus dem ersten Grundsatz abgeleitet noch aus der empirisch-vorgestellten Entgegengesetzten abstrahiert ist. Sie ist jedoch zugleich auf die setzende Handlung des Ich bezogen und somit ihrem Gehalt (ihrer Materie nach) bedingt.23 Die Entgegensetzten Ich und Nicht-Ich sind beide Produkte der ursprünglichen reinen Tätigkeit des Ich, die ja zugleich Produzieren und Produkt ist. Sie müssen zusammengebracht werden, damit die Einheit des Bewusstseins gewahrt bleibt. Wenn die Reflexion auf die ursprüngliche Einheit des Bewusstseins deren Negation ist, dann lautet die Aufgabe zu verstehen, wie die Einheit und ihre Negation zusammengedacht werden können. Die für das Verstehen dieses Dilemmas entscheidende Textstelle lautet: Das absolute Ich des ersten Grundsatzes ist nicht etwas (es hat kein Prädikat, und kann keins haben); es ist schlechthin, was es ist, und dies lässt sich nicht weiter erklären. Jetzt vermittelst dieses Begriffes ist im Bewußtsein alle Realität; und von dieser kommt dem Nicht-Ich diejenige zu, die dem Ich nicht zukommt, und umgekehrt. Beide sind etwas; das Nicht-Ich dasjenige, was das Ich nicht ist, und umgekehrt. Dem absoluten Ich entgegengesetzt (welchem es aber nur, insofern es vorgestellt wird, nicht insofern es an sich ist, entgegengesetzt werden kann; wie sich zu seiner Zeit zeigen wird), ist das Nicht-Ich schlechthin Nichts; dem einschränkbaren Ich entgegengesetzt ist es eine negative Grösse.24
Die Entgegensetzung (die Negation des sich selbst setzenden Ich) kann sich nur auf ein eingeschränktes Ich beziehen, nicht auf das Absolute. 23 24
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J.G. Fichte: GWL 1794/75, GA 1.2, S. 266. J.G. Fichte: GWL 1794/95, GA 1.2, S. 271.
Negation ist hier gedacht als Vorstellung einer bestimmten Realität, einer negativen Größe und so eines „Etwas“, das sich auf ein anderes „Etwas“ bezieht. Festzuhalten ist: Entgegengesetzt werden kann das Nicht-Ich nur dem vorgestellten Ich, nicht dem absoluten (weil dieses ‚alle Realität‘ ist, ist das ihm Entgegengesetzte „schlechthin Nichts“). Durch die Entgegensetzung, also durch die Reflexion des Ich auf sich selbst, wird das absolute Ich verwandelt in Vorgestelltes. Es sind verendlichte, eingeschränkte Vorgestellte, ‚Nichtse‘, die sich gegenseitig negieren. Der dritte Grundsatz lautet dann: Ich setze im Ich dem teilbaren Ich ein teilbares Nicht-Ich entgegen. „Teilbar“ bedeutet hier: Es sind in der reinen Tätigkeit des sich selbst setzenden Ich bestimmte Größen, die sich entgegensetzen. Die reine Tätigkeit bleibt von der Entgegensetzung unberührt, obwohl diese ohne sie nicht möglich wäre. ‚Nicht möglich‘ bedeutet, dass das absolute Ich durch den Begriff der Teilbarkeit, so Fichte, „herabgesetzt“ wird, damit es dem Nicht-Ich gleichgesetzt und auch entgegengesetzt werden könne.25 Die Aufgabe des dritten Grundsatzes ist es deshalb, die Einheit des ersten, die durch den zweiten bedroht war, zu bewahren. Die Lösung dieser Aufgabe ist mit dem Begriff des Sich-Herabsetzens des Absoluten in die Entgegensetzung erreicht, eines Herabsetzens, in dem die Einheit des Absoluten gewahrt bleibt. Diese Lösung ist für Fichte die Folge eines unbedingten Machtspruchs der Vernunft und nicht abgeleitet.26 Der „Machtspruch“ der Vernunft spielt für Fichte ein auch in den nachfolgenden Varianten der Wissenschaftslehre eine wichtige Rolle. Er setzt das Ende des Vorstellens und wendet den Blick auf das, was schlechthin (unbedingt) so ist und nicht anders sein kann. Ich möchte auf die aus Identität und Differenz bestehende Beziehung von Ich und Nicht-Ich genauer eingehen, weil er einerseits die Wurzel der durch die Vorstellung in das Absolute hineingebrachten Kampfes ist, eines Kampfes aber, den die Vorstellung andererseits von Absolutem ‚geerbt‘ hat. Die Beziehung zwischen Ich und Nicht-Ich, ihre Wechselbestimmung, besteht nämlich aus drei Momenten: den beiden Entgegengesetzten und der absoluten Tätigkeit. Die absolute Tätigkeit wird betrachtet einmal als die von der Wechselbeziehung unabhängige, mit absoluter Spontaneität auftretende, zum anderen als die in der Wechselbestimmung stehende Tätigkeit. Als solche ist sie vorgestellt entweder als die Tätigkeit des Nicht-Ich, durch die das Ich eingeschränkt und leidend wird, oder als die Tätigkeit des Ich, als das „Setzen und Gesetztsein schlechthin und ohne allen Grund“.27 Beide Male ist sie also herabgesetzt zu einem Moment der Wechselbeziehung und somit der Vorstellung: „Nämlich die im
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J.G. Fichte: GWL 1794/95, GA 1.2., S. 279. J.G. Fichte: GWL 1794/95, GA 1.2, S. 268. J.G. Fichte: GWL 1794/95, GA 1.2, S. 313.
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Wechsel begriffene Tätigkeit ist selbst unabhängig, aber nicht insofern sie im Wechsel begriffen ist, sondern insofern sie Tätigkeit ist.“28 Aus einer anderen Perspektive betrachtet heißt das: Das in der Beziehung als ein Moment der Entgegensetzung stehende Ich ist das endliche Ich; endlich zu sein heißt ja, „durch sein Entgegengesetztes“ begrenzt zu sein. Das endliche Ich befindet sich somit in der doppelten Entgegensetzung: Zu „seinem“ Entgegengesetzten, d.h. zu Nicht-Ich und zu der absoluten Tätigkeit. Bei der ersten Entgegensetzung handelt es sich um das „Gesetz des Bewusstseins“: kein Subjekt ist ohne Objekt und kein Objekt ist ohne Subjekt. Im zweiten Fall handelt es sich um die Beziehung zu dem unbegreiflichen Grund, auf dem das endliche Ich ruht, und der die Bedingung der Entgegensetzung ist, in der es steht. Es ist für Fichte die „Einbildungskraft“, die aus diesem doppelten Widerstreit den Schritt in die Welt der konkret Entgegengesetzten mit ihren sie gefährdenden Verwicklungen und daraus entstehenden Bedürfnissen vollzieht. Um diese grundlegende, weil realitätsbestimmende Tätigkeit der Einbildungskraft (die auch bei Fichte zu der Vorstellung gehört) zu erklären, veranschaulicht Fichte sie mit dem Beispiel von Licht und Finsternis. Licht und Finsternis schließen sich gegenseitig aus, berühren sich aber auch, da es zwischen ihnen „keine Lücke“ geben kann. Sie haben eine gemeinsame Grenze. Die Grenze wird durch die Einbildungskraft ausgedehnt zu einem dritten Moment neben den beiden entgegengesetzten Momenten. Das heißt, dass diese Grenze kein harter Schnitt zwischen den beiden Entgegengesetzten ist, sondern fließend; das Licht geht in das Dunkel über und umgekehrt. Diese Ausdehnung der Grenze ist es, durch die ein ‚nicht mehr‘ des Lichtes und ein ‚noch nicht‘ der Dunkelheit ins Spiel kommt. Das sanfte Ineinander-Übergehen ist das „wunderbare Vermögen“ der produktiven Einbildungskraft, durch das die Zeitlichkeit des Übergangs29 ins Spiel kommt und „ohne welches gar nichts im menschlichen Geiste sich erklären läßt – und auf welches gar leicht der ganze Mechanismus des menschlichen Geistes sich gründen dürfte.“30 Die Ausdehnung der Grenze durch die Einbildungskraft bedeutet, die Entgegengesetzten einerseits schwebend ineinander übergehen zu lassen, sie aber andererseits als Entgegengesetzte zu fixieren, ihnen somit Dauer (sie müssen voneinander unterschieden werden) und Vergänglichkeit (sie gehen in der fließenden Grenze ineinander über) zu verleihen.
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J.G. Fichte: GWL 1794/95, GA 1.2, S. 312. Vgl. Wolfgang Janke: Vom Bilde des Absoluten. Grundzüge der Phänomenologie Fichtes, Berlin/New York 1993, S. 306f. J.G. Fichte: GWL 1794/95, GA 1.2, S. 353.
Die Einbildungskraft hält die Entgegengesetzten fest und ermöglicht durch deren Anhalten, dass sie als Bestimmtes gedacht werden können.31 Sie hält an, ‚schwebt‘ aber auch zwischen den Entgegengesetzten und bezieht sie aufeinander. Die Einheit von Schweben und Fixieren erweckt den Schein, die Entgegengesetzten hätten ein dauerndes Substrat, einen „Träger“. In dieser „Täuschung“ werden die Entgegengesetzten dann als Akzidenzien vorgestellt: Diese Täuschung lässt das Bewusstsein sich als von einer Substanz getragen vorstellen, die es als ein Seiendes missversteht.32 Sie wird angeblich gebraucht, um die wechselnden Vorstellungen miteinander verknüpfen zu können. Doch diese Täuschung soll, so Fichte, in Wahrheit verwandelt werden, indem man die Hilfskonstruktion des Substrats aufgibt und an ihre Stelle das lebendige Verhältnis der Entgegengesetzten stellt, wiederum durch die produktive Einbildungskraft. Im sowohl Setzen als auch Überwinden der Täuschung besteht das „wunderbarste“ Vermögen der Einbildungskraft, durch das Zeit, Leben und Bewusstsein möglich werden. Mit einem festen Grund vorgestellt, der als ein dauerndes Substrat missverstanden wird, „vernichten“ sich die Bewusstseinsinhalte gegenseitig, da es zwischen ihnen keine organische, sondern nur eine mechanische Vermittlung gibt, gegenseitiges Negieren und Auslöschen; ein neuer Bewusstseinsinhalt löscht den alten aus. Durch die Einbildungskraft, die diese – von ihr selbst hervorgerufene – Täuschung aufhebt, wird die Welt aber als „substanzlos“, ohne einen festen Grund vorgestellt. Die Welt, die bisher auf dem falsch verstandenen Substanzbegriff beruhte, wird durch seinen Verlust aber zu einem höchst instabilen Ort, das endliche Subjekt wird zu einem gefährdeten, im Widerstreit mit sich und der Welt liegenden Wesen, ohne festen Halt in einer es tragenden Substanz. Die durch die Einbildungskraft bewirkte Entsubstantialisierung und Destabilisierung des Selbst und der Welt ist die Ursache für den Kampf mit sich selbst und mit der Welt, in den das endliche Selbst verwickelt ist. Die Instabilität des endlichen Selbst und seiner Welt gründet in 31
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Wilhelm Metz macht deutlich, warum der Vorwurf an Fichte, das Ich produziere den Stoff der Welt außer dem Bewusstsein, nicht trifft, ja sogar „absurd“ ist: „Wie Kants transzendentale Einbildungskraft von der empirischen scharf zu trennen ist, so hat auch Fichtes inhaltsproduktive Synthesis nichts mit einer willkürlichen Bildung von Vorstellungen zu tun, geschweige denn mit einem Glauben, daß solches Vorstellen etwas außer uns hervorbringen oder auch nur vorstellen könnte.“ In: Kategoriendeduktion und produktive Einbildungskraft in der theoretischen Philosophie Kants und Fichtes, Stuttgart-Bad Cannstatt 1991, S. 244f. Anm. Gleichwohl ist ebenso festzuhalten, dass das Denken (die theoretische Vernunft) die Welt so prägt, dass es seine internen Differenzen und Synthesen als praktische Vernunft auf diese überträgt. Zum Unterschied: vorhandenes Substrat als Träger von Akzidenzien und Substanz als lebendige Einheit der Akzidenzien, vgl. Wolfgang Janke, Vom Bilde des Absoluten. Grundzüge der Phänomenologie Fichtes, S. 304–308.
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der die Sicherheit einer zugrundeliegenden Substanz zerstörenden Einbildungskraft, die wiederum die Abbildung der in sich zwiespältigen, ortund haltlosen Tathandlung ist.33 Es ist das Bedürfnis des Endlichen, sich von der falschen Vorstellung von der Substanzialität zu lösen, ohne dabei ins Bodenlose zu fallen. Die angestrebte Stabilität kommt jedoch nicht von außen, sondern durch den Verursacher der Instabilität, durch die Einbildungskraft selbst. Es ist, genauer gesagt, der Verstand, der die fixierende Seite der Einbildungskraft ist, durch den das Gleichgewicht wieder hergestellt wird, jedoch nicht mehr durch die Vortäuschung eines Substrats: Es ist der Verstand, „die durch Vernunft fixierte Einbildungskraft, oder als die durch Einbildungskraft mit Objekten versehne Vernunft“,34 der das ruhelose Schweben anhält und so Ruhe und Gleichgewicht der in der Wechselbeziehung zueinander Stehenden ermöglicht. Er verleiht Stabilität und ermöglicht so das Auffassen der Objekte des Denkens als reale Objekte: „Die Einbildungskraft produziert Realität; aber es ist in ihr keine Realität; erst durch die Auffassung und das Begreifen im Verstande wird ihr Produkt etwas Reales.“35 Durch die fixierende Tätigkeit des Verstandes scheint die Suche des endlichen Selbst nach der Stabilität des Selbst- und Weltverhältnisses erfolgreich zu sein. Doch schon entsteht die nächste Gefahr: Indem es sich der produzierenden Tätigkeit nicht bewusst ist, schließt es fälschlicherweise auf die Realität der Dinge außer sich und auf ihr Bestehen als Substanzen. Der Einbildungskraft innewohnende Widerspruch besteht daher darin, dass zwar einerseits ohne die fixierende Tätigkeit des Verstandes keine Realität unseres Denkens möglich wäre, sondern nur ein haltloses Schweben zwischen Entgegengesetzten, dass aber andererseits mit der Fixierung und ‚Beruhigung‘ der Objekte das Bewusstsein von ihrer Produktion durch die produktive Einbildungskraft verloren geht und so die Täuschung von der Unabhängigkeit der äußeren Realität entsteht. So ist die Einbildungskraft, als in den Bereich der Vorstellung herabgesetzte produzierende und hemmende Tätigkeit des Denkens, zugleich Ermöglichung und Verhinderung der Einsicht in die Einheit der inneren geistigen und der äußeren empirischen Welt. Das bisher Gesagte lässt die Spannung offensichtlich werden, die zwischen der absoluten Tätigkeit des Denkens und der Vorstellung besteht. Diese Spannung darf jedoch nicht stehenbleiben, sie muss aufgelöst werden, da es sich beim endlichen Selbst um ein einheitliches Ich handelt; das endliche Selbst kann und will nicht im Zwiespalt mit sich und der Welt 33
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Vgl. dazu Lore Hühn, Fichte und Schelling oder: Über die Grenze menschlichen Wissens, S. 96 und Walter Schulz: Metaphysik des Schwebens. Untersuchungen zur Geschichte der Ästhetik, Stuttgart 2003, S. 309. J.G. Fichte: GWL 1794/95, GA 1.2, S. 374. J.G. Fichte: GWL 1794/95, GA 1.2, S. 374.
leben. Die Auflösung kann nur im Denken stattfinden. Sie besteht darin, dass das vorstellende, endliche Ich als vom Nicht-Ich bewirkt gedacht wird und das Nicht-Ich als von dem absoluten Ich verursacht.36 Dieser Lösung muss man Eleganz zuschreiben: Die absolute Tätigkeit (das absolute Ich) verursacht, durch ihre eigene Selbsthemmung, das Nicht-Ich, und verwandelt sich dadurch in das vorstellende Ich, das sich in Relation zu dem Nicht-Ich befindet, von ihm bewirkt wird und seine Herkunft als absolutes Ich dabei vergisst. Die hemmende Tätigkeit des absoluten Ich ist daher als ihre Verwandlung in die Vorstellung zu verstehen. Doch mit welcher Berechtigung können wir Fichte so interpretieren, dass wir zu sagen berechtigt sind, die absolute Tätigkeit bringt durch die ihr immanente Selbsthemmung das Nicht-Ich hervor (um sich dann als das vorstellende Ich in einer Relation zu ihm zu finden)? Das können wir verstehen mit Hilfe des „Strebens“, des Dranges des absoluten Ich, „kraft seines Wesens sich in diesem Zustande zu behaupten.“ „In diesem Zustande zu behaupten“ ist das Streben, mit sich identisch zu bleiben. Das absolute Ich ist nicht nur Inbegriff und Quelle aller Realität, es ist ebenso das Streben, mit sich identisch zu bleiben. Mit dem Streben nach Selbstidentität entsteht somit, vorsichtig formuliert, etwas Fremdartiges im Ich, das man, in psychologisierender Sprache – die, das sei ausdrücklich betont, nicht Fichtes Intention entspricht – ausgedrückt, als eine dem Ich innewohnende Angst interpretieren kann, seine Selbstbestimmung und so seine in dieser Selbstbestimmung beruhende Identität zu verlieren. Diese dem Streben nach ins Unendliche gehenden Selbstbestimmung innewohnende Angst ist das Nicht-Ich: die Grenze der Selbstbestimmung des Absoluten. Dem absoluten und dem vorstellenden Ich liegt die nicht begründbare, sondern nur erfahrbare Angst, die eigene Identität nicht behaupten, sie nicht auf die Welt und auf andere Individuen ausweiten zu können, zugrunde. Deshalb heißt es: Das Nicht-Ich steht „notwendig im Streite mit dem Streben des Ich, schlechthin identisch zu sein“.37 Es soll für das Ich ‚alles so bleiben, wie es ist‘, und das kann es nur, wenn sich die Macht des Ich auf alle mögliche Realität ausdehnt. Das Ich als Inbegriff der Realität ist ja nichts Statisches, sondern die ins Unendliche ausgerichtete Forderung, alle Realität zu sein. Das ist die Forderung nach der absoluten Kausalität: alles soll durch das Ich bestimmt werden, damit das Ich mit sich identisch bleiben kann. Hier sehen wir wiederum die Quelle des in der inneren Welt des Denkens und in der äußeren Erfahrungswelt liegenden Zwiespalts: Ohne das Hemmen, also den inneren Widerstand, gäbe es nur die unendliche Tätigkeit des Ich, die sich ins Nichts auflösen würde. Der 36 37
J.G. Fichte: GWL 1794/95, GA 1.2, S. 388. J.G. Fichte: GWL 1794/95, GA 1.2, S. 400.
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Widerstand gegen das grenzenlose Streben nach Identität, sein Hemmen durch die Reflexion, ist dem Ich immanent. Auf der Reflexion, dem Anhalter der ins Unendliche gehenden Forderung nach schrankenloser Aneignung der Welt, beruht die Angst vor dem Identitäts- und Machtverlust und die Fremdartigkeit des Nicht-Ich und der Welt. In dem notwendigen Streit zwischen dem Festhalten der Identität und ihrem In-Frage-Stellen liegt die Wurzel von Fichtes Sittlichkeitslehre und Geschichtsphilosophie, die, wie Vittorio Hösle zurecht feststellt, Konservatismus und Progressismus „als komplementäre Einstellungen erkennt“.38 Die Forderung alle Realität in sich zu fassen und die Reflexion auf diese Forderung, die man als das Anhalten der unendlichen Tätigkeit und ihr Ausrichten auf bestimmte Objekte verstehen kann, erheben die Vorstellung, die in die Sphäre der theoretischen Philosophie gehört, zum konstitutivem Moment sowohl der theoretischen als auch der praktischen Vernunft. In der Grundlage spricht Fichte vom Vorstellungstrieb als der ersten und höchsten Äußerung des Triebes, durch den das Ich zur Intelligenz wird.39 So heißt es dann, dass auch „unsere sinnliche Wirksamkeit in der Sinnenwelt, die wir glauben,“ uns nicht anders zukommt „als mittelbar durch die Vorstellung.“40 Aus der Perspektive des endlichen Selbst betrachtet, wird die durch die unendliche Tätigkeit initiierte Forderung nach der Bestimmung aller Realität als Aufruf zum Handeln „gefühlt“. „Gefühlt“ wird die bewegende Kraft der absoluten Tätigkeit, die durch die Reflexion begrenzt wird. Fichte bezeichnet das Streben des Ich „die Unendlichkeit auszufüllen“ als den Trieb sich schrankenlos auszudehnen und die Reflexion auf diesen Trieb als die ihn begrenzende Gegenkraft. Das Ich begrenzt sich durch die anhaltende Reflexion selbst. Aus dem Zusammenspiel der beiden gegenläufigen Bewegungen entsteht das Gefühl des Zwanges, den Trieb nicht befriedigen zu können. Aus diesem Gefühl des Beschränktseins entsteht auch das Gefühl der Endlichkeit und der widerständigen Realität der Erfahrungswelt. Es ist nicht möglich, der unendlichen Tätigkeit, die durch die Reflexion als unendliche verborgen wird, denkend habhaft zu werden. Zu erfahren ist die absolute Tätigkeit jedoch im Gefühl ihrer Kraft, ihres immer wieder nach Ausdehnung drängenden Strebens nach vollständiger Bestimmung der Welt. Die Doppelheit des Triebes, der Drang ins Unendliche und die Hemmung ins Endliche, findet ihre höchste Gestalt in dem
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Vittorio Hösle: „Moralische Reflexion und Institutionenzerfall. Zur Dialektik von Aufklärung und Gegenausklärung“, in: Praktische Philosophie in der modernen Welt, München 1992, S. 46–58, hier S.47. J.G. Fichte: GWL 1794/95, GA 1.2, S. 423. J.G. Fichte: GWL 1794/95, GA 1.2, S. 451.
absoluten Trieb, dem Trieb, der sich selbst hervorbringt – ein Trieb um des Triebes willen: „Du sollst schlechthin“41. Auch hier wird erneut deutlich, wie Fichte die vom endlichen Selbst erfahrene Beschränkung seines Machtanspruches aus der Struktur des Denkens entwickelt: Er bestimmt sie als das Gefühl des Zwanges durch etwas das man nicht verstehen kann, wenn man sich nicht durch den „Sprung“ und philosophierend in die Perspektive der Vernunft versetzt. Aus dem ‚revolutionären‘ Streben nach immer neuer Weiterbestimmung und dem ‚konservativen‘ Drang, dieses Streben anzuhalten, entsteht die bedrückende Erfahrung des inneren Zwangs handeln zu müssen und dabei immer auf Grenzen zu stoßen. Da diese Erfahrung das Kennzeichen der menschlichen Freiheit ist, kann von ihr nur dann die Rede sein, wenn man sie zugleich mit diesem Zwang denkt. Freiheit ist für Fichte mit dem Doppelcharakter des Denkens behaftet, unendlich und begrenzt zu sein, Streben und Reflexion, schöpferisch tätig und an ihren Grenzen scheiternd. Die Grenzen der Freiheit bestehen im Anhalten der unendlichen Tätigkeit, die Fichte als Reflexion bestimmt, und am Widerstand des Objekts. Der Trieb nach Selbstbestimmung richtet sich auf Objekte, die als das Hemmende der Freiheit erfahren werden und deshalb – das ist das Verhängnisvolle – überwältigt werden müssen. Aus diesem Grund wird man, auch im Sinne Fichtes, sagen können: Allmachtphantasien sind Vernichtungsphantasien. Die spannungsvolle Tätigkeit des Ich, die sich als Streben und Reflexion, Trieb und seine Begrenzung, Freiheit und ihr Scheitern äußert, trägt den Keim des Untergangs des Endlichen in sich. Die Unruhe, die in der internen Verfassung des Denkens begründet ist, bleibt das dauerhafte Merkmal des endlichen Selbst. Wenn wir nun auf Jacobis Kritik der spekulativen Philosophie zurückblicken und als den Hintergrund betrachten, vor dem Fichtes Gedanken ‚geprüft‘ werden, so wird man feststellen müssen, dass Fichte, wenn es um das Verhängnisvolle des Denkens geht, nicht weniger radikal ist als Jacobi. Bei Jacobi heißt es: Der spekulative Philosoph müsse sagen „Vernichtend lernte ich erschaffen.“42 Solche Philosophie ist für Jacobi entsetzlich, so dass er sich von ihr abwenden will „als von dem Gräßlichsten unter allen Gräßlichkeiten“.43 Diese philosophische Vernichterin soll deshalb, will man nicht an ihr verderben, selbst vernichtet werden. Fluch, Verwünschung, Nichts, Leere, Grauen, Wahn, Nihilismus, grauenvollste Verzweiflung: in drastischen Worten stellt Jacobi die Früchte einer auf der reinen, spekulativen Vernunft beruhenden Philosophie dar. Die brisante 41 42
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J.G. Fichte: GWL 1794/95, GA 1.2, S. 450. Friedrich Jacobi: Jacobi an Fichte 1799, auf der Grundlage der Ausgabe von Walter Jaeschke und Irmgard-Maria Piske, herausgegeben und eingeleitet von Oliver Koch, Hamburg 2019, S. 127. Friedrich Jacobi: Jacobi an Fichte 1799, S. 130.
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Pointe ist jedoch, dass wir nicht nur die Welt, sondern auch unser eigenes Dasein, von dem wir nur ein Gefühl aber keinen Begriff haben können, durch das begriffliche Verstehen-Wollen „zerstören“. Jacobi erteilt jeder Form einer auf bloßer Theorie beruhenden Selbsterkenntnis der Person eine Absage. Der Zwiespalt, in dem sich das endliche Selbst in der Welt befindet, äußert sich auch bei Fichte als der zum Scheitern verurteilte Versuch, sich und die Welt zu begreifen und so zu befrieden und kontrollieren zu können. Der Trieb, sich und die Welt zu beherrschen ist aber, so die Wissenschaftslehre nova methodo, das bleibende Merkmal des Denkens und des Willens: „Es ist nicht möglich, sich einen Willen zu denken, ohne sich zugleich einen Anstoß, eine Anwendung von Gewalt zu denken.“44 Der Trieb nach Selbstbestimmung und der Zwang sich beschränken zu müssen sind miteinander verknüpft: „Kurz, ich denke reell, wenn ich mich gezwungen fühle. Dieß kommt daher, weil ich mich selbst bestimmte.“45 Das Reale trägt das Gepräge des selbständigen Denkens, seine Selbständigkeit ist daher nur die geliehene Selbständigkeit des „Ich“, „denn ich trage auf daßelbe die Selbständigkeit nothwendig über, dadurch daß ich es denke“46. Gewaltsam ist daher nicht nur die Vereinheitlichung des Mannigfaltigen unter das Einheitsprinzip – ein an Fichte oft gerichteter Vorwurf – sondern schon davor die Selbstbeschränkung, das Anhalten der produktiven Tätigkeit des Ich und das im Produzieren tätige Prägen der realen Dinge nach dem Vorbild des „Ich“. Die Übertragung der inneren, in sich doppeldeutigen Tätigkeit auf Objekte äußert sich auf ‚doppeldeutige‘ Weise auch im Verhältnis zu anderen vernünftigen Wesen, die man als eigene Freiheit hervorrufend und sie gleichzeitig einschränkend erfährt. Aus der inneren Beschaffenheit der Freiheit des Subjekts entsteht durch ihre Erweiterung auf vernünftige Objekte die auf das Subjekt gerichtete Aufforderung frei und unfrei zugleich zu handeln: „Es fordert mich jemand auf heißt: ich soll an eine gegebene Reihe des Handelns etwas anschließen.“47 So wie auf materielle Objekte des Denkens die Selbständigkeit des Denkens übertragen wird, so auch die Freiheit des Ich auf die anderen Individuen, die wiederum durch ihre – vom Subjekt auf sie übertragene – Selbständigkeit dessen Freiheit begrenzen. Das Subjekt überträgt seine freie Selbständigkeit auf andere vernünftige Wesen, durch die es als frei anerkannt und zugleich in seiner Freiheit eingeschränkt wird. Die freien Subjekte sind Teile einer „Kette“ der einen, allen gemeinsamen Vernunft. 44 45 46 47
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J.G. Fichte: Wissenschaftslehre nova methodo, herausgegeben von Erich Fuchs, Hamburg 1994, S. 126. J.G. Fichte: Nova methodo, S. 217. J.G. Fichte: Nova methodo, S. 222. J.G. Fichte: Nova methodo, S. 232.
Der Trieb zur Selbständigkeit, zur Überwindung der Beschränkung und zur Verwirklichung der einen Vernunft, die allen Individuen eigen ist, findet seine Grenze im Willen anderer Individuen, die ebenso sittliche, jedoch andere Zwecke verfolgen. In diesem Fall soll die Überwindung der Beschränkung gemeinsam mit anderen erreicht werden, durch das angestrebte Ziel der Gleichförmigkeit des Handelns, denn diese Übereinstimmung bei der Verwirklichung ihres Triebes zur Selbständigkeit, der ja ein vernünftiger und sittlicher Trieb ist, ist „notwendiges Ziel aller Tugendhaften“.48 Auch dieses Ziel kann nur angestrebt, nicht erreicht werden. Ist das Moment der Herrschaft, der Überwältigung dadurch außer Kraft gesetzt? Nein, denn sie wird nun zu einer kollektiven, zur Herrschaft der Einsichtigen über die Uneinsichtigen. Es wird sich jedoch zeigen: Die einzig völlig akzeptable Herrschaft ist nicht die über andere, sondern die über sich selbst, im Augenblick der wachsamen Übereinstimmung mit der absoluten Tätigkeit, die erreichbar ist nur im wissenden Vollzug der Wissenschaftslehre, also in einer spekulativen philosophischen Einstellung zu sich selbst und zur Welt. Fichte zeigt einen Ausweg aus der, im Hinblick auf die Möglichkeit eines wahren Lebens noch mit dem Makel der Gewalttätigkeit gegenüber den Uneinsichtigen behafteten kollektiven sittlichen Übereinstimmung. Der Friede mit der Erfahrungswelt wird auf der höchsten Stufe der Philosophie nicht mit der Unterwerfung der empirischen Welt erkauft. Er wirft das philosophierende Individuum auf sich selbst und auf seine Einsicht zurück. Ist die Hemmung, und das heißt auch – die Selbstbeschränkung – der Vernunft auch die Bedingung für das Verstehen der Wissenschaftslehre? Wir verstehen „nur“ das Wechselspiel der Vorstellungen, nicht das zugrundliegende Absolute, das durch seine Selbstbeschränkung das Wechselspiel – und somit das Verstehen – erst ermöglicht. Schon die Rede von der „Selbstbeschränkung“ ist jedoch eine Verdunkelung, Objektivierung des Absoluten. Bei der spekulativen Durchdringung des Wissens muss daher ein notwendiger Irrtum vermieden werden: der Irrtum, dass die dem Absoluten zugeschriebenen Prädikate schon die Erkenntnis seines Wesens ermöglichen. In diesem Wissen besteht die Selbstbeschränkung der Wissenschaftslehre. 1.2 Die Welt als totes Sein und das wahre Leben Dem Vorwurf des Nihilismus konnte Fichte mit dem Hinweis entgegentreten, dass er in der Grundlage die absolute Tätigkeit des Ich zusammen mit ihrer schöpferischen Kraft gedacht hatte. Die Auswirkungen für das empirische Ich sind dadurch jedoch nicht weniger dramatisch geblieben. Die Welt, in der es lebt, ist dem Verfall übereignet. Die einzige Rettung 48
J.G. Fichte: SdS, S. 233.
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für das empirische Ich liegt in einer Weisheitslehre und im spekulativen Denken der Wissenschaftslehre, und eben nicht in der sittlichen Handlung, mit der ihr eigentümlichen, auf ‚niedere Existenzen‘ gerichteten Gewalt. Fichte entwickelt seine Weisheitslehre zunehmend in der Wissenschaftslehre nach 1800. Jetzt ist die Rede vom Absoluten, als dessen Dasein sich der Mensch mit Mitteln des spekulativen Denkens der Wissenschaftslehre begreifen soll, um so die Welt aus dieser Perspektive begreifen zu können. Das Absolute kann jetzt, im Unterschied zum absoluten Ich, kaum noch als eine notwendige Hypothese oder als ein transzendentallogischer Gedanke verstanden werden, denn dazu wäre der Verzicht auf das Erlangen der Einheit mit ihm viel zu dramatisch, theoretisch für das Verstehen, und praktisch für das neue Leben, das nicht das Leben in einer toten, fallenden Welt ist, sondern in der Welt des Wissens. Bleibt aber auch in diesem modifizierten Modell der Kampf zwischen den beiden Prinzipien des Subjekts, dem schöpferischen und dem vernichtenden Prinzip, erhalten, oder wird er mit dem Begriff des Absoluten überwunden? Greift auch hier, in dem Neuansatz der Wissenschaftslehre, der Vorwurf des Nihilismus? Die Erlanger Wissenschaftslehre von 1805 versucht darauf eine Antwort zu geben. In ihr wird das Zusammenspiel von Schöpfung und Vernichtung, von Spekulation und Vorstellung so ausgeführt, dass es deutlich wird, welche Folgen aus der Einsicht in das Leben des Absoluten entstehen. Der Grundgedanke lautet: Reflexion führt zum Nihilismus und muss, damit das Absolute aufscheine, vernichtet werden.49 Nihilismus entsteht durch die Reflexionsform des Wissens, durch die jeder Denkinhalt aufgelöst wird, so dass im Wissen nichts Reales übrigbleibt. Hier nimmt Fichte erneut Jacobis Kritik auf: Idealismus sei, so Jacobi, Wissen des Nichts, Nihilismus. Fichte stimmt dem zu. Er radikalisiert sogar den Vorwurf des Nihilismus, indem er die Welt und alle Dinge als „das Nichts“ bestimmt. Diese Radikalität Fichtes muss man wörtlich nehmen: Alles was es gibt ist Nichts, nur das Absolute ist, das Absolute kann aber nicht aus ihm selber herausgehen, denn jedes Herausgehen würde es in eine Relation hineinzwingen, die es zu einem vorgestellten Gegenstand der Reflexion machen und so als Absolutes vernichten würde. In der Sprache der Religion heißt es: Gott ist nicht der Schöpfer der Welt, die Welt bleibt von ihm auf ewig getrennt, und in dieser Trennung „liegt die unaustilgbare Spur ihres Nichts“.50 Fichtes Fazit lautet: „Leere Form, ohne allen Gehalt, reines Nichts überall, wohin wir bliken. Absoluter Idealismus“.51 Ohne ein Absolutes, das dem Wissen Realität verleiht, 49 50 51
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J.G. Fichte: Erlanger Wissenschaftslehre 1805 (= WL 1805), aus dem Nachlass herausgegeben von Hans Gliwitzky, Hamburg 1984, S. 5. J.G. Fichte, WL 1805, S. 128. J.G. Fichte, WL 1805, S. 133.
gibt es nur die Tätigkeit der Reflexion aus sich selbst Inhalte zu erschaffen, um sie dann, in ihrer Selbständigkeit negierend, aufzulösen. Endlichkeit und Tod sind Grundmomente unseres Wissens und der empirischen Welt. Dieser Gedanke war schon in der Grundlage angelegt, aber noch nicht so betont, wie in der Erlanger Wissenschaftslehre. Vor allem die zerstörerische Seite der Reflexion wird jetzt in den Vordergrund gerückt. Da die Reflexion die Form der Subjektivität ist, geht Fichte ausführlich auf den Vorwurf ein, seine Wissenschaftslehre befinde sich auf dem Standpunkt der Subjektivität und sei Reflexionsphilosophie. Fichtes Entgegnung auf diese Kritik, auf die er „zur nähern Würdigung des Spasses, daß die W.L. in der Subjektivität, u. auf einem Reflektir-Punkte stehe“ eingeht, lautet: Die Wissenschaftslehre zeigt, dass die Reflexion keinen Einfluss hat auf das Wesentliche des Wissens und auch nicht zu diesem Wesentlichen gehört, so dass man sie, um zu verstehen was dieses Wesentliche ist, jederzeit weglassen kann und muss.52 Der Reflexionsstandpunkt muss, damit das Denken zum Absoluten komme, „vernichtet“ werden. Der Fehler, den z.B. Schelling gemacht habe, sei, dass er Denkgesetze, die der Sphäre der Reflexion angehören, in das Absolute übertragen habe.53 Die Vernichtung der Reflexion, die notwendig ist, damit zum Absoluten gelangt werden kann, ist aber – das ist die wichtigste Neuerung, die der aneignenden Gewalttätigkeit des Denkens ihre Spitze nimmt – keine faktische Vernichtung, sondern eine intelligible, genetische.54 Damit ist gemeint, dass im Wissen, das seiner Form nach als Licht aufzufassen ist, Subjekt und Objekt in ihrer Faktizität bestehen bleiben, dass aber intelligibel „der ganze Unterschied nicht gilt“, dass er eben in diesem Sinne ‚vernichtet‘ ist.55 Das innere Wesen des Wissens ist das absolute Sein, die unbekannte Wurzel der Reflexion. Das Absolute setzt sich als seinem Sich-Setzen im Wissen vorausgesetzt. Das im Wissen gesetzte Vorausgesetzte ist nie durch das Wissen einzuholen. Es ist aber im Wissen wirksam. Wenn Fichte von „Gott“ spricht, oder vom Absoluten, so meint er diese Wirksamkeit, die jedoch nicht eine in der Welt ist, sondern als die Welt ist. Sie ist nicht im endlichen Subjekt, sondern sie ist als endliches Subjekt; nicht im Leben, sondern als das Leben. Und nicht im Licht, sondern als das Licht: „Nicht in, sondern als – Sein existieren ist erzeugen des Lichtes.“56 Wenn jedoch das Absolute als ein Objekt des Denkens aufgefasst wird, so ist es ein Produkt der dem Denken immanenten Gesetze, der Gesetze der Reflexion und
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J.G. Fichte, WL 1805, S. 9. J.G. Fichte, WL 1805, S. 25. J.G. Fichte, WL 1805, S. 15f. J.G. Fichte, WL 1805, S. 42. J.G. Fichte, WL 1805, S. 62.
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der Vorstellung, und somit „nur in seinem Repräsentanten, dem Denken, u. mit Ingredienzien daraus verwachsen; es ist „erloschen“ und tot.57 Das mit dem vorstellenden Denken verwachsene Absolute ist das tote Absolute. Es wird von dem im Denken herrschenden Kampf zwischen entgegengesetzten Momenten, zwischen Sein und Wissen, Subjekt und Objekt, ‚getötet‘; so wie die Welt, in der das Subjekt lebt, auch ‚tot‘ ist. Der Unterschied zwischen Vollzug und Stillstand, Produzieren und Hemmen, lässt sich zwar als eine „Maxime“ und ein Ergebnis mitteilen, aber begriffen werden kann er nur in der philosophisch-genetisch erzeugten Selbstevidenz des Denkens. Das Absolute ist die „reine Objektivität“, ursprüngliches, noch nicht bestimmtes Objektivieren, also – die Tathandlung.58 Durch den Begriff, und damit ist hier die Reflexion gemeint, wird es zur Form, zur Existenz, zur Welt – und zum toten Sein. Das Anhalten der absoluten Tätigkeit durch den „Begriff“ ist die Schöpfung der Welt und gleichzeitig ihre Tötung. Das Töten der Welt – eigentlich: das Töten des Absoluten durch dessen Erstarrung, Vergegenständlichung zum Vorhandenem – ist keine moralische Schuld des Subjekts, es ist, so können wir Fichte hier verstehen, dessen Schicksal. Das Absolute existiert als bestimmte Objektivität, als Vorstellung und als Begriff.59 Der Begriff ist das „Als“ des Absoluten, er ist das fixierte Licht des Absoluten. Er ist, so können wir folgern, die schon in der Grundlage dargestellte flüssige Grenze zwischen den Entgegengesetzten, die Einbildungskraft, die das Schweben ist, und fixierender Verstand, eben Vorstellung, Objektivierung der Tathandlung. Als solcher, also als in einem vorliegenden Etwas objektivierte Tätigkeit des Absoluten, ist der Begriff „factum factum“, als die ihm zugrundeliegende Tathandlung ist das „factum fiens“.60 Der Begriff ist als die Wechselbestimmung zwischen Identität und Nichtidentität mit dem Absoluten zu verstehen.61 Dieser Gedanke besagt, dass das Absolute als organische Einheit von Identität und Nichtidentität aufzufassen ist, als das im Begriff tätige und sich ihm Entziehende. Dieses nichtidentische „Mehr“ des Absoluten über den Begriff hinaus ist nicht als ein Bereich jenseits des Begriffs zu fassen, nicht als eine „occulte Qualität“, obwohl es, aus der Perspektive des Begriffs gesehen, so aussieht, als wäre es das.62 Die Wissenschaftslehre legt es nahe, das Absolute im ‚Hegelschen‘ Sinne als Einheit der Identität und der Nichtidentität zu verstehen. Es wäre aber ein Fehler, sie so zu lesen. 57 58 59 60 61 62
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J.G. Fichte, WL 1805, S. 61f. J.G. Fichte, WL 1805, S. 87. J.G. Fichte, WL 1805, S. 93. J.G. Fichte WL 1805, S. 89f. J.G. Fichte WL 1805, S. 93f. J.G. Fichte WL 1805, S. 97.
In der Bestimmung des Begriffes als Einheit von Identität mit dem Absoluten und der Differenz zu ihm ‚ahnen‘ wir zwar Hegel, der, natürlich ohne Kenntnis dieser Gedanken, das Nichtidentische und das Identische in ihrem dialektischen Verhältnis zueinander in den Mittelpunkt seiner Philosophie stellt. Auch der Gedanke der „Verflüssigung“ des Seins spielt bei beiden die gleiche wichtige Rolle. So heißt es bei Fichte: „Begriff und Seyn sind schlechthin toto genere unterschieden; das Seyn vor allem Begriffe kommt im Begriffe vor nur als absoluter Gegensatz mit ihm dem Begriffe […]. Es ist Gottes Existieren selbst: nun ist eben existieren das flüßig werden seines inneren Seins.“63 Das in die „äußere“ Form des Begriffs verflüssigte Sein ist das Eine, „unum non plura“, welches nur als „absoluter Gegensatz“ im Begriff auftreten kann. Das Andere des Einen ist das Mannigfaltige, also der Begriff in seinen vielfältigen realen Wissensformen; beide aber, das Eine und das Mannigfaltige, gehören zum Wesen des Denkens. An dieser Stelle ist aber der Unterschied zu Hegel festzuhalten: Nicht das spekulative Begreifen der sich dialektisch in Identität und Nichtidentität, in Begriff und Objektivität selbstverwirklichenden Idee ist für Fichte (so wie es bei Hegel der Fall ist) das Wesen des Denkens, sondern die genetische Methode der Wissensdurchdringung, das Sich-Erheben zum reinen Leben des Absoluten, das durch die Vernichtung des Begriffs eingesehen werden kann. Die Dialektik ist bei Fichte auf den Begriff eingeschränkt, sie gilt nicht für das Absolute. 1.3 Keine Gnade in der empirischen Welt und Geltenlassen in der Gedankenwelt Der geistige Krieg wird in der empirischen Welt fortgesetzt. Das Ziel der Geschichte ist es, dass durch Erziehung, Einsicht und Zwang der Krieg aufhöre. Es soll das Vernunftreich entstehen, zumindest angestrebt werden. In der Staatslehre von 1813 treibt Fichte den utopischen Charakter des angestrebten „Reiches“ auf die Spitze.64 Fichtes ‚Rezepte‘ für das Erreichen des Reiches der Freiheit, Gleichheit und Rechtlichkeit65 sind, 63 64
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J.G. Fichte WL 1805, S. 97f. Zu der eschatologischen Perspektive des späten Fichte und der utopischen, endzeitlichen „Versöhnung differenter, aber konzertierender Prinzipien“ von Glaube und Einsicht vgl. Günter Zöller: „Entwicklung des Staates im Streite des Glaubens und des Verstandes“, in: Fichte im Streit. Festschrift für Wolfgang Janke, Hg. Hartmut Traub et al., Würzburg 2018, S. 78–90; hier S. 88. Vgl. Günter Zöller: „Der Staat und das Reich. Fichtes politische Geschichtsphilosophie“, in: Der Staat als Mittel zum Zweck. Fichte über Freiheit, Recht und Gesetz, Günter Zöller (Hg.), Baden-Baden 2011, S. 189–206. Zu den in der Staatslehre dargestellten „Praktiken der politischen Diktatur“ und der Verbindung des Zwangs zum Rechtszustand und der Bildung zum Recht vgl. Zöller 2011, S. 196f.
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wenn die Um-Erziehung zur Einsicht in das Recht nicht scheitern soll (was, anders als Fichte meint, zwangsläufig geschehen muss, denn der Mensch ist wohl, wie Kant es besser wusste, „aus krummem Holze“ geschnitzt), folgende: Gleichheit aller Menschen, Abschaffung des Privateigentums, des häuslichen Privatunterrichts und der Familie,66 Vernichtung des religiösen Glaubens durch die Verstandesform,67 kurzum: Gewalt an uneinsichtigen Individuen, damit das Vernunftrecht, das „Reich der Freiheit“ und das „Himmelreich“, gelte.68 Fichte thematisiert jedoch auch den in diesen Gedanken enthaltenen Widerspruch. Der Mensch ist frei und soll nur seiner eigenen Einsicht folgen; gleichwohl muss das Vernunftrecht auch mit Zwang und Gewalt durchgesetzt werden. Wie ist dieser Widerspruch zu lösen? In der empirischen Welt können das Vernunftrecht und das auf der Naturgewalt beruhende Recht nicht auf Dauer nebeneinander existieren, zeitweise aber schon. Obwohl Fichte dem Argument, die wahre Einsicht soll durch das schrittweise Sich-Befreien von der formalen Freiheit des in der Natur geltenden Gesetzes erfolgen, Plausibilität zuspricht, so soll trotzdem der Zwang das Sich-Erheben zu dem in der sittlichen Gemeinde geltende Vernunftrecht nicht schrittweise durch Erziehung, sondern „auf einmal“ durchsetzen. Das sogenannte Recht nämlich, das noch auf der in der Natur verwurzelten formalen Freiheit beruht, sei nämlich eigentlich gar kein Recht, diese Freiheit sei keine Freiheit: „Nur als Mitglied des sittlichen Reiches habe Jemand Freiheit und Recht: anders sey er gar nicht zu dulden, sondern wie eine Flamme, ein wüthendes Tier zu bändigen.“69 Diese Bändigung soll sich aber nur auf das Naturrecht, das noch nicht das Vernunftrecht ist, beziehen, und nicht auf den noch nicht erzogenen aber doch vorhandenen guten Willen der immer noch im Naturrecht Befangenen. Der Naturwille „soll unterdrückt werden, wo er sich zeigt, und Jeder, der es erkennen mag, hat Recht zu dieser Unterdrückung. Das äussere Recht soll erzwungen werden; innerlich aber die Freiheit gebildet werden durch Belehrung zur Einsicht: der gute Wille des Rechts soll in Jedem auf eigene Einsicht aufgebaut werden.“70 Hier sollen zwei Bewegungen zusammenkommen: Das Vernichten des äußeren Rechts und des Naturwillens durch das Sittengesetz, und die Erziehung zum Sittengesetz mit der Aussicht auf Mündigkeit und auf die spätere Einsicht, dass die zugefügte Gewalt notwendig und vernünftig gewesen war. Fichtes an die Menschheit gerichtete, abschreckende und totalitäre Forderung lautet: Keine Gnade und keine Schonung für die noch nicht 66 67 68 69 70
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J.G. Fichte: Die Staatslehre oder über das Verhältniss des Urstaates zum Vernunftreiche von 1813, GA II.16, S. 297. J.G. Fichte: Staatslehre von 1813, GA II.16, S.108. J.G. Fichte: Staatslehre von 1813, GA II.16, S. 53, S. 40. J.G. Fichte: Die Staatslehre GA II.16, S, 65. J.G. Fichte: Die Staatslehre GA II.16, S. 66.
zur Sittlichkeit Erzogenen, egal ob sie den Grund für die an ihnen verübte Gewalt jetzt schon verstehen oder nicht. Der Zwang zur „höherer Einsicht“ muss für „alle ohne Ausnahme“ gelten.71 In den Grundzügen des gegenwärtigen Zeitalters von 1806 entwickelt Fichte noch eine andere Perspektive auf die dem Staat immanente Gewalt. Dort heißt es, das sittliche Leben bestehe in der Liebe, die sich nicht auf einzelne Personen richte, sondern auf die Menschheit schlechthin ohne Unterschied der Personen, also auf die Gattung und auf die Ideen, die das Leben der Gattung ausdrücken.72 Das „ohne Unterschied der Personen“ könnte verstanden werden als Liebe, die auf die Einsichtigen und die Uneinsichtigen, auf die Vernünftigen und die Unvernünftigen gleichermaßen ausgerichtet ist. Das ist aber nicht der Fall. Der „absolute Staat“, der die Idee durchzusetzen hat, ist eine „Zwangs=Anstalt“, in der das Individuelle zugunsten des Lebens der Gattung verschwinden muss.73 Die theoretische „Vernichtung“ der Vorstellung beim Sich-Erheben zum Absoluten bekommt in der Praxis eine gewalttätige Gestalt. Damit das Allgemeine und Sittliche sei, muss das Individuelle und der Natur Behaftete verschwinden, vernichtet werden.74 Doch das ist nur die eine, die äußere, die empirische Seite der Vernichtung, die Fichte fordert. Die andere, die im Denken vollzogen wird, hat im Gegensatz dazu nichts ‚Abstoßendes‘, sondern, im Gegenteil, Befreiendes. „Idee“, also das Leben der Gattung, wird in den Grundzügen genauer bestimmt als „ein selbständiger, in sich lebendiger, und die Materie belebender Gedanke“.75 Dieser Gedanke lebt und ist selbstgenügsam, er rechnet nicht mit Erfolg, mit Glückseligkeit oder Ehre, sondern ist auf die Würde, ohne fremde Autorität selbst begreifen zu können, ausgerichtet. Das Leben der Menschen ist somit als Gedanke ihre höchste Lebensform. Dieser Gedanke kommt in die Welt, indem er durch das Christentum vorbereitet und durch den populärphilosophischen Vortrag angeregt wird, er kann aber, so Fichte, nur in der Wissenschaftslehre vollständig zum Leben erweckt werden. Die freie Welt ist eine Gedankenwelt, die erst in der empirischen Welt ihre zwanghafte Gestalt findet als Freiheit für die Einsichtigen und als Zwang für die Uneinsichtigen. Erst im Übergang vom Gedanken zur Empirie wird der Gedanke der Freiheit und des Rechts 71 72 73 74
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J.G. Fichte: Die Staatslehre GA II.16, S. 66. J.G. Fichte: Grundzüge des gegenwärtigen Zeitalters GA I.8, S. 221. J.G. Fichte: Grundzüge GA I.8, S. 307. Zu dem Zwangscharakter des Rechts in der Grundlage des Naturrechts von 1796, wo Fichte den staatlichen Zwang als den Schutz der Freiheitsrechte der Individuen denkt und noch nicht, wie später, als den Zwang, der an den Uneinsichtigen ausgeübt wird, vgl. Michael Bastian Weiß: „Der Staat und die bürgerliche Gesetzgebung. Fichtes Theorie der öffentlichen Gewalt“, in: Zöller 2011, S. 67–90. J.G. Fichte: Grundzüge I.8, S. 235.
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zum Schrecken für viele. Doch im Denken besteht die wahre Freiheit: „So wie die Idee in ihrem Wesen, eben so ist die Seeligkeit des Lebens in der Idee allenthalben sich gleich, und dieselbe: nehmlich das unmittelbare Gefühl ursprünglicher, rein und schlechthin aus sich selbst hervorgehender Thätigkeit.“76 Diese Tätigkeit, die sich durch den „Strom der Zeit“ fortwindet, erscheint in verschiedenen, hierarchisch geordneten Formen: als schöne Kunst, Rechtsordnung, Wissenschaft und Religion. Die höchste dieser historischen Gestalten ist aber die Wissenschaftslehre. Auch ein anderer Punkt ist interessant. In der dritten Vorlesung der Grundzüge skizziert Fichte den Gedanken, dass die Völker des Altertums den Schrecknissen der äußeren Natur entronnen sind, nur um dann in der geheimen Tiefe ihres Herzens „das furchtbarste Schrekniß“ zu finden: „die Gottheit, als ihren Feind.“77 Diesen Gedanken kann man aber, was Fichte nicht ausdrücklich tut, noch weiter ausführen und feststellen, dass – und dafür steht Fichtes Philosophie beispielhaft – nach den Schrecknissen der Natur und den Schrecken des Herzens, in dem eine strafende, feindliche Gottheit haust, der Schrecken in das Denken selbst verlagert wird. Angedeutet ist das durch die Entzweiung, in der der Mensch steht: entweder so, dass er das vernunftgemäße Leben nur als Vorstellung und als ein schwaches Bild besitzt, oder indem er „dieses Leben selber und in der That sey, und lebe.“78 Dieser grundlegende, im Denken selbst wurzelnde Kampf der Vorstellung mit der ihr zugrundeliegenden Tätigkeit des Absoluten, ihr ‚Aneinander-angekettet-Sein‘ in diesem Kampf, ist die Fortsetzung und Steigerung des Schreckens der Natur und des Herzens. Die strenge philosophische Einsicht und die in der gesellschaftlichen Praxis auszuübende Gewalt sind die beiden Wege, den durch das Denken ausgelösten und in ihm wurzelnden Kampf zu bewältigen. Die philosophisch-wissenschaftliche, auf der genetischen Methode basierende Einsicht in das Verhältnis von Absolutem und Wissen ist aber nicht nur der Beweis und die Legitimierung für die durch die Populärphilosophie vermittelte Vorstellung von sittlichem Leben.79 Die streng wissenschaftliche Philosophie ist vielmehr eine – durch den populärphilosophischen Vortrag nicht zu erreichende – Weise, im Absoluten zu ‚leben‘, obwohl durch
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J.G. Fichte: Grundzüge I.8, S. 237. J.G. Fichte: Grundzüge I.8, S. 226. J.G. Fichte: Grundzüge I.8, S. 223. So z.B. bei Peter Lothar Oesterreich/Hartmut Traub: Der ganze Fichte. Die populäre, wissenschaftliche und metaphilosophische Erschließung der Welt, Stuttgart 2006, S. 64.: „Der wissenschaftlich-philosophische Vortrag bringt also nur die bereits vorliegende und populär-philosophisch darstellbare Wahrheit in der Form eines wissenschaftlich-philosophischen Beweises zu letzter Klarheit und Einsicht.“ Dagegen ist jedoch zu betonen, dass Philosophie viel mehr leistet, sie ist selbst die höchste Form des wahren Lebens.
Populärphilosophie Affekte wie z.B. ästhetisches Wohlgefallen und Hochachtung für das sittliche Leben ausgelöst werden können, somit der Übergang zur Philosophie angeregt werden kann und auch soll.80 Charakterisiert ist die spekulative Philosophie der Wissenschaftslehre durch die Gedankenfigur des Nichtgeltenlassens der Vorstellung, damit das Absolute eingesehen werde. Dass man sich dem Gedankengang der Wissenschaftslehre anvertraut und so Ruhe und Frieden findet ist nur durch eine außerphilosophische Konditionierung, d.h. durch Erziehung hervorgerufene sittliche Kultivierung der Affekte möglich und durch das daraus hervorgerufene Bedürfnis, das bisherige Leben zu ändern und auf Philosophie zurückzugreifen. Auf welche Weise dann die philosophische Überwindung des Kampfes vollzogen wird, ist jedoch nur innerhalb der Philosophie evident. Man kann das durch die philosophische Einsicht erreichte Absolute nicht in seinen Stellvertretern, also in Begriffen fassen und den Hörern der Wissenschaftslehre andemonstrieren, sondern jeder muss sich, durch die genetische Methode zum Licht des Absoluten emporgestiegen, in dieses lebendige Licht stellen, in ihm aufgehen und verschwinden, und den Begriff dabei nicht gelten lassen.81 Die Frage, die sich dabei stellt, lautet: Ist dieses Verschwinden des Begriffs (der Reflexion, der Vorstellung) im lebendigen Licht des Absoluten zu verstehen als die im Rahmen der Transzendentalphilosophie erlangte Erkenntnis von dem methodischen Prinzip alles Wissens, von der notwendigen Hypothese also, oder ist es ‚metaphysisch-ontologisch‘ zu deuten? Dient die Wissenschaftslehre zur Legitimierung der Praxis oder ist sie selbst „Praxis“, die zwar die Verwirklichung ihrer Grundsätze und sittliches Handeln in der Welt anstrebt – in die Welt einzugreifen und sie zu gestalten ist das erklärte Ziel der philosophischen Bildung82 – die aber trotzdem auch selbstgenügsam ist, auch ohne den primären Bezug zum Handeln in der Welt? Es wird sich im Folgenden zeigen, dass die Wissenschaftslehre mit der in ihr entwickelten Gedankenfigur des Nicht-gelten-Lassens der Vorstellung bzw. der Selbstrelativierung der Reflexion während der nicht deskriptiven Einsicht in das Leben des Absoluten – das Absolute immer verstanden als die hervorbringende Kraft, die selbstgenügsam und die Fülle aller Realität ist – eine Möglichkeit zeigt, streng und einsichtig-gelassen mit dem das Absolute verdunkelnden Teil unseres Wissens umzugehen. Dieser Umgang ist der gesellschaftlichen Praxis, die auf dauerhafte Ambivalenz nicht eingestellt ist, sondern auf die Errichtung des Vernunftreiches ausgerichtet ist, nicht möglich. Denn: Die Forderung, dass alle Individuen „zur Gleichheit der
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J.G. Fichte: Grundzüge I.8, S. 224. J.G. Fichte: Die Wissenschaftslehre 1804 (=WL 1804), herausgegeben von Reinhard Lauth und Joachim Widmann, Hamburg 1986, 6. Vorlesung, S. 64f. J.G. Fichte: Ueber das Wesen des Gelehrten GA I.8, S. 65f.
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Gesinnung zusammenschmelzen“83 sollen, damit das göttliche Leben in der Welt sei, hat für das Individuum einen anderen Stellenwert als das Sich-Erheben zu einem Leben, das nur für den Philosophierenden möglich ist. Das ist das Leben in der aktuellen Vollzugskraft des Absoluten, beim faktischen Bestehen aber Nichtgeltenlassen der Vorstellung, das Leben, das durch die Selbstrelativierung und ideelle, nicht faktische Selbstvernichtung der Reflexion möglich ist.84 Die Selbstrelativierung ist, wie Lore Hühn schreibt, die nicht mehr auszuweichende „Konfrontation mit der eigenen Endlichkeit“.85 Die an Fichte zu richtende Frage lautet deshalb: Warum kann dieser gelassene Umgang mit dem ‚störenden Anderen‘, das im Denkvollzug der Wissenschaftslehre ignoriert und nicht wirklich vernichtet wird, nicht auch für das Leben in der sittlichen Gemeinschaft gelten? Warm kann die Vernichtung im Denken bloß ein ‚als ob‘ sein, in der Welt aber nicht? 1.4 Wissenschaftslehre als Weisheitslehre Es wäre ungerecht, nach Erfahrungen mit totalitären Ideologien des 20. Jahrhunderts hellhörig geworden, Fichte als einen Fanatiker des Rechts, der Sittlichkeit und der Freiheit zu sehen – was er wohl auch, aber eben nicht nur und nicht in erster Linie, gewesen ist. Es ist nämlich der Gedanke der Überwindung des geistigen Kampfes durch das Nichtgeltenlassen der Vorstellung, der sich in den Varianten der späten Wissenschaftslehre ausgesprochen findet und der eine Alternative bildet zu den eher unerfreulichen Gedanken seiner vor allem späten Staatslehre. Man kann, mit gutem Recht, von einem Ethos der Wissenschaftslehre sprechen. Fichte bezeichnet die Wissenschaftslehre als eine „Weisheitslehre“, die es zum Ziel hat, durch die in ihr erlangte Erkenntnis zu einem sich selbst klaren und in sich ruhenden Wissen zu gelangen, und sich, in dieser höchsten Einsicht ruhend, dem „wirklichen Leben“ hinzugeben, das aber nicht mehr das blinde Triebleben ist, sondern „göttliches Leben“, welches „an uns sichtbar werden“ soll.86 Deutlich ist es ausgesprochen auch in den Reden an die Deutsche Nation. Dort wird betont, dass das geistige Leben Selbstzweck ist und Philosophie die in ihr entwickelten Gedanken mit dem Quell aller Realität, mit der ewigen Tätigkeit, verbindet. Zwar soll die empirische Welt nach dem Vorbild des geistigen Lebens gestaltet werden, Wissen83 84 85 86
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J.G. Fichte: Ueber das Wesen des Gelehrten GA I.8, S. 78. Zu der zentralen Rolle der Selbstvernichtung und Selbstrelativierung des reflexiven Wissens: Lore Hühn, Fichte und Schelling 1994. S. 113f. Lore Hühn: Fichte und Schelling 1994, S. 115. J.G. Fichte: Wissenschaftslehre 1810 im Umriß, § 14, S. 196. Auch Einleitung in die Philosophie 1810, S. 220; beides in: Die späten wissenschaftlichen Vorlesungen I, 1809–1811, Stuttgart/Bad Cannstatt 2000.
schaft soll also auch auf das Leben einwirken, aber es ist trotzdem festzuhalten: Die Wissenschaft ist „vielmehr selber und in sich selbst beständiges Leben“.87 Der „Gelehrte“, der nicht nur über die Wissenschaftslehre nachdenkt, sondern selbst ‚zur Wissenschaftslehre geworden‘ ist und in dessen Person die Idee „lebt und sich liebt“, ist als Individuum „vernichtet“, damit die Idee sei und damit sie ihm die Quelle aller geistigen Freuden und des wahren Lebens wird.88 Um zu verstehen, an welcher Stelle die Wissenschaftslehre ihren Weg zum wahren Leben anfängt, müssen wir uns die Verbindung zwischen der geistigen und der materiellen Welt genauer ansehen.89 In der Staatslehre wird ihr Verhältnis folgendermaßen dargestellt (ich bringe dieses längere Zitat, weil Fichte darin präzise auf das Verhältnis geistige Welt - empirische Welt eingeht): Also dies ist festzuhalten: 1) daß nur eine geistige, Begriffs-Welt, durchaus nicht und in keinem möglichen Sinn des Wortes eine materielle zugegeben werde; 2) daß wir dies nicht zufolge eines Räsonnements, sondern eines unmittelbaren Bewußtseyns erkennen. Eben nur Bilder, der Bestimmungen des Wissens ist man sich bewußt, und durchaus keines Andern: zufolge der vorgegangenen Erhebung. Philosophie sonach wäre ein unmittelbares Bewußtseyn, das sich nicht andisputiren läßt, eben so wenig wie dem Blinden das Auge; das nicht erwiesen, vermittelt werden kann, oder deß Etwas, sondern nur gebildet und entwickelt. Zur fernen Erläuterung: 1) Der Philosophie Weltansicht, deutlich ausgesprochen, ist diese: a) Es ist Etwas, fest, unwiederruflich bestimmt. Man denkt vielleicht, der Philosoph nehme kein Seyn an: dies ist grober Misverstand. b) Dieses Seyende ist nun kein System von stehenden, auf sich beruhenden, materiellen Dingen, sondern ein System von Bildern, in denen eben ein solches System von Dingen hingebildet wird. Es ist ein auf sich selbst beruhendes, und durch sich selbst bestimmtes Bewußtseyn, und durchaus nichts Anderes. […]
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J.G. Fichte: Reden an die Deutsche Nation, herausgegeben von Fritz Medicus, Hamburg 1978, 5. Rede S. 77f. J.G. Fichte: Ueber das Wesen des Gelehrten I.8, S. 68. Der geistige Kampf ist mit der Einsicht in seine Unausweichlichkeit verbunden. Vgl. dazu Hartmut Traub, „,Nicht die Freude durch den Kampf verlieren!‘ Fichte im Streit-mit sich selbst“: „Vollendung als Mensch gelingt bei Fichte allein unvollendeter, in beständiger, handlungsbereiter, ja kämpferischer Offenheit für die Forderung, die eigene Moralität und die seiner Mitwelt zu fördern, in diesem Werden seine Würde zu sichern und die Freude am Kampfe nicht zu verlieren“. In: Fichte im Streit, S. 91–109; hier S. 108. Die vorliegende Arbeit sieht dagegen den brisanteren und philosophisch relevanteren Kampfplatz auf dem Gebiet der inneren, geistigen Welt, obwohl der „ursprüngliche Kampfplatz der Individualitäts- und Persönlichkeitsbildung“ nicht die Welt des Gedankens ist, sondern das „Feld der moralischen Auseinandersetzung“, wie Traub zurecht betont, S. 94.
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2) Welches ist nun der eigentliche innere Unterschied jener ersten natürlichen und dieser erhöhten philosophischen Weltansicht: d.i. was ist eigentlich mit dem Menschen im Uebergange von der ersten zur zweiten vorgegangen? (Es ist entscheidend für die Klarheit der Lehre, und von den wichtigsten Folgen.) Die Bilder, sich darstellend als solche, setzen ihr Abgebildetes. In dieser Operation des Bewußtseyns gehet der natürliche Mensch auf mit seinem ganzen Wesen: das Bild drum selbst und dessen Seyn wird ihm nicht sichtbar. Er geht auf darin: d.h. sein Seyn ist ein Produkt des ihm gänzlich verborgenen Gesetzes des Bewußtseyns: er ist gefangen und befangen in dieser ihm dunkel bleibenden Gesetzgebung. Darin beruht sein formales Wesen. – Dagegen reißt das philosophische Bewußtseyn sich los von dieser Befangenheit, und erhebt sich, frei über ihr schwebend, zu einem Bewußtseyn ihrer selbst.90
Das Gefangensein des Bewusstseins in der erstarrten empirischen Welt der Bilder und Objekte ist eine Folge der Objektivierung der absoluten Tätigkeit.91 Mit dem Sich-Losreißen von der Verlorenheit im Irrglauben, die materielle Welt sei die wahre Welt, fängt der Weg zum „wirklichen Leben“ an. Diese Verlorenheit ist aber „kein Radikalfehler“ der Menschen, denn wir sind alle mit dieser geistigen Blindheit geboren.92 Das Ziel der philosophischen Erziehung ist es, den nicht selbstverschuldeten, sondern im Denken und seinen Gesetzen wurzelnden Irrtum als solchen zu durchschauen und zu verstehen, was der Grund dafür ist. Um dieses Ziel erreichen zu können muss der Philosophierende zuerst bestimmte Bedingungen erfüllen, er muss, wie es in der Anweisung zum seligen Leben heißt, von seinem „natürlichen Wahrheitssinn“ ausgehend den Gründen für diese Verlorenheit nachgehen.93 Das Sich-auf-den Weg-Machen zum eigentlichen und wahren Denken und dem „seligen“ Leben, das aus ihm fließt, ist kein interessanter intellektueller Zeitvertreib, sondern eine existentielle
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Fichte, Die Staatslehre 1813, GA II.16, S. 17. Günter Schulte interpretiert das Verhältnis Wissenschaftslehre – empirische Welt dagegen folgendermaßen: „Die immanente Theorie dieser zur systematischen Möglichkeit von Wissen verinnerlichten gesellschaftlichen Vorstellungsallgemeinheit ist die Wissenschaftslehre Fichtes.“, in: J.G. Fichte, Die Wissenschaftslehre 1810, Frankfurt am Main 1976, Einführung, S. 7. Bei Fichte gebe es zwar, so Schulte, eine „Praxis der Philosophie“, aber sie ist auf das praktisch-intersubjektive Verhalten ausgerichtet. Dagegen wäre zu sagen: Das Entscheidende der Wissenschaftslehre, die Einsicht in das Wesen des Denkens, entzieht sich, anders als Schulte es interpretiert, der intersubjektiv-allgemeinen Vorstellungsgeltung. J.G. Fichte: Einleitung in die Philosophie 1810, S. 211. J.G. Fichte: Die Anweisung zum seligen Leben, oder auch die Religionslehre (=Anweisung), GA I.9, S. 72.
Angelegenheit: Es ist die Befreiung aus der Gefangenschaft in der erstarrten, toten Welt der verdinglichten Objekte.94 Hier, bei der Befreiung aus der Welt des Irrtums, in die wir ohne unsere Schuld hineingeboren sind, kommt die Spekulation, als das der Philosophie eigentümliche Vermögen, ins Spiel. Sie verwandelt die Schattenwelt, in der wir gefangen sind, in das durchsichtig gewordene, als solches erkannte Schattenreich. Spekulation ist die Verwandlung der noch unfreien Erscheinung in das Wissen, dass sie selbst nichts gilt, sondern dass sie das erscheinende Leben des Absoluten ist, und zwar des Absoluten, das sie – die Erscheinung – vernichtet (schematisiert). Dieses durch die Spekulation erlangte höchste Wissen wird das Leben des Absoluten leben. Nicht jedoch nur die Verwandlung der Erscheinung in das über sich selbst aufgeklärte Wissen ist die Aufgabe der Spekulation, sondern auch die Einsicht, dass sich dieses klare Wissen nun selbst vernichten muss: Es soll sich selbst nicht gelten lassen vor dem ‚Angesicht‘ des Absoluten, damit dieses leuchte. Auf das Verhältnis zur Vorstellung übertragen kann man deshalb sagen: Für Fichte ist Spekulation Vorstellung, die sich als Vorstellung erkennt und somit vollendet und sich, in ihrer erkannten und verhängnivollen Unvermeidlichkeit, nicht mehr gelten lässt. In der Anweisung heißt es dazu: […] das Dasein, muß sich selber als bloßes Dasein, fassen, erkennen und bilden, und muß, sich selber gegenüber, ein absolutes Sein setzen, und bilden, dessen bloßes Dasein eben es selbst sei: es muß, durch sein Sein, einem andern absoluten Dasein gegenüber sich vernichten; was eben den Charakter des bloßen Bildes, der Vorstellung, oder des Bewußtseins des Seins, gibt; […].95 94
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Indem Reinhard Lauth die philosophische Gesamtkonzeptionen Fichtes als den auch in unserer Zeit immer noch offenen „Streit“ sieht betont er, ganz im Sinne Fichtes, den hohen existentiellen Rang der Philosophie: Auf der einen Seite konsequent durchreflektiertes, in der Evidenz ausgewiesenes, eine höhere Lebensform ermöglichendes transzendentalphilosophisches Wissen, auf der anderen Seite „untranszendentales und unsystematisches Teil- ‚Wissen‘“, das „mit der ihm entsprechenden Teilpraktik in die Katastrophe“ führt. In: „Entwicklung als Selbstzerstörung?“, Transzendentale Entwicklungslinien von Descartes bis zu Marx und Dostojewski, Hamburg 1989, S. 440. In „Transzendentalphilosophie in Abgrenzung gegen den absoluten Idealismus Schellings und Hegels“ schreibt er: „Die systematische Vernunfteinheit ist kein byzantinisches fachphilosophisches Anliegen, sondern für uns alle eine Frage auf Leben und Tod, weil es die Frage nach einer legitimierbaren wissenschaftlichen Bewältigung unserer Lebenswirklichkeit ist. Kann dieses Problem nicht gelöst werden, so ist der allgemeine Rückfall in einen Fideismus irgendwelcher – vermutlich aber verkappter – Art unausbleiblich, mit allem, was notwendig damit zugleich folgt.“, S. 371. J.G. Fichte: Anweisung GA I.9, S. 88. Dazu bemerkt Christoph Asmuth: „Diese emphatische Rede von der Selbst-Vernichtung bedeutet nicht die radikale Auslöschung des individuellen Bewusstseins wie etwa in einem mystischen Aufstieg,
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Bei der Befreiung aus dem Gefangensein im Irrtum geht es der Wissenschaftslehre daher um nichts weniger als um eine „Umschaffung unser selbst“.96 Ob diese Verwandlung erfolgreich ist können nur wir selbst erfahren, anderen Personen ist diese Erfahrung nicht zugänglich. Das Eigentümliche der Wissenschaftslehre ist ja gerade die genetische Erkenntnis, also Erkenntnis nicht der Dinge oder eines gegebenen Seins, sondern die sich selbst im Prozess ihres Entstehens begreifende Erkenntnis, die immer nur individuell zu vollziehen ist und auf die es keinen Blick von außen geben kann. Diese Erkenntnis fängt damit an, dass man sich mit dem Gegebenen nicht zufriedengibt und endet mit der ‚idealistischen‘ Erkenntnis, dass es keine Welt außerhalb des Gedankens gibt und dass die empirische Welt „gar nicht die Ehre zu existieren“ hat, sondern nur ein Schatten ist, eine äußere Hülle, in der das Absolute zur Existenz kommen soll.97 Der transzendentalphilosophische Idealismus lässt das System des Empirismus dabei nicht als eine gleichberechtigte philosophische Position neben sich stehen, versucht auch nicht eine Einigung mit ihm zu erzielen, sondern will den Empirismus zerstören. Zuerst geht es aber darum, den Empirismus des eigenen Denkens zu zerstören. Wie das geht, formuliert Fichte mit folgender Frage: „Ihr zweifelt, ob der Gedanke in sich selber, und ohne einen Träger, Realität habe: wenn er nun schlechthin durch sich, ohne euer, oder irgend eines Dinges zutun, anfinge zu zeugen, und zu gebären neue Welten, wolltet ihr ihm wohl dann selbständige Realität zugestehen.“98 Die neue geistige Welt wird nicht vom Menschen gemacht.
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sondern zeigt vielmehr an, wie sich Fichte die gedankliche Rekonstruktion von Geltungsbedingungen vorstellt. Der unbedingte Geltungscharakter, den er für Wissen und Handeln fordert, kann nicht aus einer auf Individualität und Personalität zielenden Bewusstseinsform hergeleitet werden. Dieser Geltungscharakter muss selbst aus einem unbedingten Prinzip stammen. Gleichzeitig ist Fichte davon überzeugt, dass Geltung nicht auf einem absoluten objektiven Faktum beruhen kann, sondern die sittliche Autonomie des Vernunftwesens einschließen muss. Geltung ist ohne Verpflichtung nicht möglich. Insofern müssen bloße Objektivität und individuelle Subjektivität absolut suspendiert werden, um den Grund von Verpflichtung und Geltung freizulegen. Das Ungültigwerden des Subjektiven ist zugleich das Aufheben bloßer Objektivität, eine Vernichtung, die nur als autonomer Akt vorstellbar ist, eben als Selbst-Vernichtung.“ In: „Mystische Vergötterung des eigenen Ichs. Fichtes Religionsphilosophie und der Mystizismus“, in: Religionsphilosophie nach Fichte. Das Absolute im Endlichen, Hg. Georg Sans und Johannes Stoffers, Heidelberg 2022, S. 27–50; hier S. 36. So treffend einerseits Asmuths Interpretation der „Selbstvernichtung“ des Bewusstseins auch ist, so scheint mir andererseits auch hier der Weg in die Sittlichkeit zu schnell gegangen zu werden. Die Selbstgenügsamkeit des Lebens im spekulativen Denkvollzug und im ‚Licht des Absoluten‘ sollte dagegen stärker betont werden. J.G. Fichte WL 1804, S. 13. J.G. Fichte: Erlanger Logik GA II.9, S. 95. J.G. Fichte: Erlanger Logik GA II.9, S. 97.
Sie erschafft sich selber, indem sie den Philosophierenden, wie es heißt, zum spekulativen Denken „gestaltet“.99 Das tut sie, indem sie das Gegebene, das Moment des Empirischen, Zeitlichen, das sie an sich trägt, vernichtet. Vom vorstellenden Denken zum wahren Denken gestaltet, vernichtet der Philosophierende diesen empirischen Teil, indem er nicht das Empirische, sondern das Geistige gelten lässt. Das „Ur-Prinzip“ der wissenschaftlichen Weisheitslehre, hier in der Erlanger Logik von 1805 noch nicht genetisch bewiesen, aber in aller Klarheit aufgestellt, lautet: Mit Einem Worte, dies ist eben das UrPrincip des Sehenden, ein unmaterielles, u. zeitloses, als existent gelten zu lassen; und es als das einige existente, lebende, u. waltende gelten zu lassen; das materielle aber und zeitliche als Nichts zu begreifen. Nun kann man dieses geistige freilich sich nicht erwerben, u. aus dem zeitlichen sich heraus läutern, sondern es muß selber unmittelbar an uns kommen, uns ergreifen, und so uns in die Reihe der Geisterwelt einführen. Jeder hat es nur unmittelbar durch sein sehen; und wer es nicht unmittelbar hat, durch Vermittlung kann er es nicht bekommen.100
Nur dem „Sehenden belebt sich das lebendige, scheidet sich aus von dem Todten“.101 Die empirische Welt der erstarrten Denkgesetze ist der „Leichnam“, der „Tod“, „caput mortuum“; sie verschwindet vor dem Absoluten nicht ganz, aber sie gilt nichts.102 Hier sind wir bei dem zentralen Gedanken der wissenschaftlichen Weisheitslehre, bei dem, was Fichte als das zu den tiefsten Geheimnissen der Spekulation Gehörende bezeichnet: Das Nichtige der Vorstellung und der empirischen Welt nicht gelten lassen, damit das unvergängliche Absolute gilt. Die wahre geistige Welt, das Absolute, ist Leben; ihre äußere Form, ihr Bild und Darstellung, ist Nichts, der Tod. Das Nichts liegt jedoch nicht in dem Absoluten, sondern in seiner äußeren Form und ist, da die Form seine Wirklichkeit, unvergänglich und nicht auszutilgen ist, so wie das Absolute selbst. Das hier entwickelte dialektische Verhältnis des Absoluten und der Welt, das schon in der Grundlage angelegt war mit dem Begriff der Einbildungskraft, bekommt jetzt durch das Nicht-gelten-Lassen des Einen, damit das Andere gelte, seine Pointe. Durch seine Verwirklichung ‚tötet sich‘ sozusagen das Absolute, um im Denken des Philosophierenden wieder aufzuerstehen, zwar immer noch nicht faktisch getrennt von dem Toten, aber spekulativ von ihm unterschieden. Darin besteht die spekulative Leistung des Philosophierenden: das Nichtzutrennende zu trennen und sich von dessen lebendigem Teil, der schöpferischen Kraft, denkerisch 99 100 101 102
J.G. Fichte: Erlanger Logik GA II.9, S. 100. J.G. Fichte: Erlanger Logik, GA II.9, S.100. J.G. Fichte: Erlanger Logik, GA II.9, S. 102. J.G. Fichte: Erlanger Logik GA II.9, S. 102.
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und existentiell verwandeln zu lassen. Warum sich das Absolute, das wahre Leben, in den Tod flüchtet, kann nicht begriffen werden; aber wie das Denken vor diesem Hintergrund zu verstehen ist kann und soll begriffen werden. Für Fichte ist das Absolute die ‚kriegsfreie‘ Zone. Der Krieg wird in das vorstellende Denken ausgelagert und überwunden durch die Spekulation, indem er ‚ignoriert‘ wird, da er nicht gelten soll. Das ist in der Tat eine denkerische Einstellung, die große Aufmerksamkeit auf das Wesentliche und Energie es festzuhalten erfordert, aber auch das entschiedene Nichtgeltenlassen des Unvermeidlichen – der nichtigen, auf der Vorstellung aufgebauten Welt. Dieser spekulativen Einsicht sind folgende Momente eigen: der strenge methodische Fortgang des Denkens, der Wille und die Entscheidung zur Aufmerksamkeit und das Festhalten des Eingesehenen, sowie das Nichtgeltenlassen des Unwahren. Mit dieser Erkenntnis ausgestattet bleibt dem nach Wahrheit suchenden Philosophen nur der Weg ins Innere, in die geistige Welt der Theorie übrig. Obwohl sich Fichte mit seiner sogenannten Populärphilosophie an die Welt ‚außerhalb‘ der Wissenschaftslehre wendet, um sie wenigstens in einem bescheidenen Rahmen kultivieren zu können, bleibt sein Blick auf sie ambivalent. Sie ist der Bereich der Verwirklichung des sittlichen Handelns zum Ziel ihrer Umgestaltung in ein Vernunftreich, aber auch die Welt des Irrtums, des „Todes“. Der nur dem Philosophen und nur im aktuellen Denkvollzug der Wissenschaftslehre zu erreichende höchste Gipfel der Philosophie findet keine Entsprechung in der materiellen Welt. Dieser höchste Gipfel des Denkens ist das Sich-Stellen in die Dynamik der absoluten Tätigkeit, die, wie es schon in der Grundlage heißt, die Fülle aller Realität ist; er ist nur im lebendigen Vollzug der Wissenschaftslehre zu erreichen. Das spekulative Sich-Erheben in den Vollzug des Absoluten, wobei die Vorstellung (das Bewusstsein) vernichtet wird, bekommt in der Wissenschaftslehre von 1804 eine besonders prägnante Darstellung. Zu betonen ist jedoch, dass die Vernichtung der Vorstellung kein willkürlicher, an beliebiger Stelle der Wissenschaftslehre vom Philosophierenden zu vollziehenden Akt ist, sondern dass er in der Struktur des Denkens selbst angelegt ist. Das Selbstvernichten der Vorstellung ist das Vergehen des niederen Seins vor dem eigenen höheren Sein, das sich als das Andere des Vernichteten äußert.103 Dem Gedanken des „Nicht-gelten-Lassens“ des niederen Seins ist eine praktische Seite eigen. Ohne das strenge und energische Denken, zu dem das Nicht-gelten-lassen der Vorstellung wesentlich gehört, wäre das Leben des Absoluten, die Befriedung des geistigen Kampfes also, nicht einzusehen und das höhere Leben nicht möglich.
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J.G. Fichte: WL 1804, S. 262.
Eine wichtige Rolle bei der Bestimmung des Nicht-gelten-Lassens spielt die Maxime der absoluten Genesis. Die Maxime, eine apriori durch Freiheit aufgestellte Regel der faktischen Erscheinung des Absoluten „in und für uns“, hat die Aufgabe, den durch Vorstellung verursachten Schein von der Einsicht in das Absolute abzuhalten. Fichte formuliert sie im 14. Vortrag der Wissenschaftslehre von 1804 folgendermaßen: „Hat das Bewußtsein an sich gar keine Gültigkeit in Beziehung auf Wahrheit, so haben wir […] von allem Effekte dieses Bewußtseins zu abstrahieren.“104 Und in dem 15. Vortrag heißt es, den vorherigen Gang der Untersuchung zusammenfassend und das Nachfolgende skizzierend: Wenn mein gegenwärtiger Vortrag der W.L. bis jetzt klarer gewesen ist […] so liegt der Grund davon lediglich in der unbefangenen Aufstellung der Maxime, daß das unmittelbare Bewußtsein überhaupt nicht, und daß es eben darum in seinem Urgesetze der Projektion per hiatum nicht gelten solle. […] denn diese Maxime ist ganz dieselbe mit der der absoluten Genesis; wird Nichts geduldet, indem ihr Wesen eben in der Nichtgenesis besteht. […] Weiß man aber gleich im Voraus, woher die Nichtgenesis komme, und daß sie überall Nichts gelte, ungeachtet sie unabtrennlich ist; so streitet man weiter gar nicht gegen sie, sondern man läßt sie ruhig sich einstellen: man achtet bloß ihrer nicht, und zieht sie ab vom Resultate; […].105
Alles Gedachte, das durch die „Zweiheit“, durch die Relation von Sein und Begriff, Absolutes und Erscheinung, Realismus und Idealismus zustande gekommen ist, jede Einheit also, die eine Relationseinheit ist, muss fallen gelassen, darf nicht geachtet werden, obwohl sie faktisch nicht verschwindet. Es soll sich die Einsicht einstellen, dass „Wir“ das Absolute, das eine geschlossene und ungeteilte Sein sind, das sich selbst konstruiert. Das Absolute kann nicht durch „Projektion per hiatum“, also durch das Abbrechen des Intelligierens, das, wie Fichte dieses willkürliche Abbrechen nennt, „das Lager des Todes“ ist, gedacht werden.106 Diese von uns vollzogene Konstruktion des Absoluten bleibt in dem Bereich der Erscheinung und des Scheins, schlimmer noch: des Todes gefangen. In diesem Zusammenhang ist der Ausdruck das „problematische Soll“ zu nennen, mit dem Fichte „alles zusammendrängt“, worum es ihm geht: die Einheit der problematischen Einsicht in das Wesen (denn wenn es heißt: „Wenn es eingesehen werden soll, so muß u.s.w.“, kann sich die Einsicht einstellen oder auch nicht, wir können sie also haben oder auch nicht) – und der geforderten Kategorizität, ohne welche die Einsicht „bodenlos“ und prinzipienlos wäre. Diese Einheit drückt sich im „Soll“ aus: 104 105 106
J.G. Fichte: WL 1804, S. 143. J.G. Fichte: WL 1804, S. 157f. J.G. Fichte: WL 1804, S. 144.
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„Diese Kategoricität aber müßte sich nun eben in dem Soll, als Soll, problematisch einfinden“.107 Das „Soll“, „unter der Bedingung, daß es sei“ (problematisch), ist das Absolute, es ist unmittelbar da und als solches die „Schöpfung aus Nichts“, in sich selbst ruhend, sich selbst tragend.108 Mit dem Ausdruck „das problematische Soll“ werden die beiden Momente der Maxime der absoluten Genesis, nämlich die Projektion, Objektivierung („problematisch“) und das sich selbst konstruierende Absolute („Soll“, kategorisch) miteinander verbunden. Mit anderen Worten: Konstruieren wir das Absolute, so ist dieser Vorgang nur möglich und problematisch; konstruiert sich das Absolute selbst, so ist es kategorisch und notwendig; sind „Wir“ durch die kategorische Einsicht das Absolute geworden, gilt die Problematizität nicht mehr, sondern die Kategorizität. „Soll“ ist somit eine Möglichkeit, die in sich die Notwendigkeit enthält. Dieses „Soll“, das sowohl ein theoretisches, als auch ein praktisches Soll ist, dabei die Wurzel von beiden ist, ist die Aufforderung, hinter dem Vorhang des Problematischen das Absolute „energisch“ zu ergreifen und sich in seinen Vollzug, der der reine Wissensvollzug ist, zu stellen. Das Soll, als das höchste Prinzip der Erscheinung, trägt somit in sich eine Differenz – Fichte nennt es den völligen Widerspruch – zwischen Tun und Sagen, einen Widerspruch, der den Charakter der Vorstellung ausmacht. Dieser Widerspruch äußert sich auf doppelte Weise: a) Es wird gesagt, dass das Absolute ein sich selbst konstruierendes und in sich geschlossenes relationsloses Sein ist. „Sagen“ heißt aber, in Relationen, in Begriffen vorzustellen. Das Sagen der Vorstellung, ‚das Absolute sei so und so‘ steht im Widerspruch mit dem Tun der Vorstellung, nämlich das Absolute zu objektivieren und so zu verdecken. b) Oder, andersherum: „Wir“ sind, in Wahrheit betrachtet, in unserem Tun, d.h. im Vollzug des Vorstellens, Wissens und Denkens das Licht und das Leben des Absoluten, wir stehen immer in der Wahrheit. Das Sagen dieses Tuns (also die Begriffe, die wir benutzen, um es zu beschreiben), steht jedoch unter dem Vorbehalt, sich an die Bedingung der Wissenschaftslehre – an die methodische Genesis – zu binden, was aber geschehen kann oder auch nicht; und wenn es nicht geschieht, scheitert die Einsicht in das Wahre. Das Prinzip der Erscheinung und der Vorstellung besagt somit, dass sie in beiden Fällen dazu ‚verdammt‘ ist, nicht das zu tun, was sie tun will oder nicht das zu sagen, was sie sagen will: Entweder sagt sie das Richtige und tut das Falsche, oder sie tut das Richtige und sagt das Falsche. Die Lösung des Widerspruchs ist möglich durch die Einheit von Tun und Sagen, „indem wir auf der Stelle trieben, was wir sagten, und sagten,
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J.G. Fichte: WL 1804, S. 167. J.G. Fichte: WL 1804, S. 178.
was wir trieben; und das Eine durchaus nicht konnten, ohne das Andere.“109 Diese Einheit ist aber wiederum eine gesagte. Festgehalten kann sie nur dann werden, wenn der Unterschied von Tun und Sagen „nichts gelten“ soll, wenn von ihm abstrahiert wird. Was sich dann, ohne unser Zutun, von selbst einstellt, ist das Wissen, das sich selbst erzeugt – die reine Energie des Denkens.110 Um das Nicht-gelten-Lassen kommt man nicht herum, das ist die Voraussetzung für das, wie Fichte es nennt, „Aufgehen“ des Absoluten im Wissen. Die Einsicht, dass die Vorstellung nichts gilt, ist keine willkürliche, sondern nur dann möglich, wenn man die einzelnen Schritte der Wissenschaftslehre „nach dem absoluten Gesetze“, dass sich das Absolute selbst und auch „Uns“ setzt,111 denkend nachvollzogen hat und in diesem Nachvollzug sich Rechenschaft über das Vorgehen gegeben hat, wenn man also alles im Zusammenhang sieht und es in diesem Zusammenhang ausspricht. Dann wird es deutlich, dass Vernichten und Produzieren „ein Akt“ sind. An diesem Punkt ist die Wissenschaftslehre, als ein Weg zum absoluten Wissen betrachtet, auch eine Weisheitslehre: „Nur in Wissen, und zwar im absoluten, ist Werth, und alles Uebrige ohne Wert. [...] Wer heraufgekommen ist, der kümmert sich nicht um die Leiter.“112 Man kommt aus dem Toten (der Welt der Vorstellung) in das Lebendige (die geistige Welt), indem man das noch unentdeckte Land des Bewusstseins Schritt für Schritt erobert und in Besitz nimmt und dabei die Vorstellung nicht als wahr gelten lässt, sondern als Schein und Täuschung erkennt. In diesem Vorgehen steckt Fichtes Schelling-Kritik. Wie das zu verstehen ist erläutert Fichte in der Wissenschaftslehre von 1805 am Beispiel des Verhältnisses von Reflexion, die er als ein Grundmerkmal des Wissens die „absolute Reflektierbarkeit“ nennt, zu dem Glauben an das von der Reflexion unabhängige Absolute. Der Glaube an das Absolute „ist Unglaube an die absolute Reflektierbarkeit: er ist daher bedingt dadurch daß man diese, als absolut faktisch, erkenne, und als solche sie gelten lasse“.113 Der Ausdruck „daß man die absolute Reflektierbarkeit als absolut faktisch erkenne und als solche sie gelten lasse“ ist Kritik an Versuchen, die Fichte das „Kunststück“ nennt, „zu einem vermeintlichen Absoluten zu kommen“, indem man willkürlich „irgendwo“ zu reflektieren aufhört und dann an einer willkürlichen Stelle im System das Absolute setzt. Diesem, wie Fichte es nennt „blinden Nichtreflektieren“, das willkürlich mit der Reflexion aussetzt um Raum für das Absolute zu schaffen – so soll Schelling vorgegangen sein – ist das „Setzen u. stehen lassen der absoluten 109 110 111 112 113
J.G. Fichte: WL 1804, S. 197. J.G. Fichte: WL 1804, S. 208. J.G. Fichte: WL 1804, S. 244 und S. 247. J.G. Fichte: WL 1804, S. 254. J.G. Fichte: WL 1805, S. 66.
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Reflektierbarkeit“ entgegen zu halten, jedoch – und das ist die entscheidende Wendung – ohne „dem Scheine, den sie sich gibt“, zu glauben.114 Dem Geltenlassen der absoluten Reflektierbarkeit ohne jedoch an den Schein den sie sich gibt zu glauben ist Fichtes spekulativ entwickelte Gedankenfigur, die weitgehende Konsequenzen hat. Sie will dem Vorwurf des Nihilismus begegnen durch die Einsicht, dass das „göttliche Leben“ auch im Nihilismus der Reflexion erhalten bleibt, sobald man an die Reflexion nicht mehr „glaubt“ und sie nicht gelten lässt.115 Wann ist aber der Zeitpunkt da, die Reflexion nicht mehr gelten zu lassen, bzw. wann ist das „Ende“ des Reflektierens erreicht? Dieses Ende kann ja nicht die willkürliche Aussetzung des Denkens bedeuten. Das Absolute ist im Wissen anwesend als die in jeder Begriffsbestimmung, in jeder Reflexionsform tätige Kraft, die man, durch die Reflexion und diese zugleich vernichtend, einsehen kann. Es ist die von der Reflexion unterschiedene, doch ebenso durch sie und als sie wirkende Tätigkeit. Das Aufgehen im Absoluten ist ein Prozess, der nicht als eine Art „unio mystica“ zu verstehen ist.116 Es ist aber auch nicht so zu verstehen, dass „Gottesexistenz“ nur ein anderer Name für die Bedingung der Möglichkeit der Erkenntnis oder für das methodologische Prinzip der Transzendentalphilosophie, oder eine notwendige Hypothese ist. Gemeint ist vielmehr Folgendes: Das Sich-Vernichten des vorstellenden Denkens zusammen mit dem Aufgehen in die „Gottesexistenz“ besteht in der Einsicht, dass es die Existenz des Absoluten ist. Diese Einsicht ist, so Fichte, der wichtigste, schwerste und der eigentliche „Triumph der Spekulation“. Doch für den Lehrer der Philosophie sind die Darstellung und die Vermittlung dieser Einsicht „das Schwerste“. Es soll nämlich das Sein als etwas Dynamisches gedacht werden, das in dieser Dynamik angehalten wird durch das Denken, aber so, dass es dabei nicht zum toten, statischen Sein wird. Methodisch dreht sich in der Wissenschaftslehre alles um den Gedanken der Selbstvernichtung der Vorstellung – der Anschauung, des Begriffs, des Verstandes, der Reflexion – damit das Absolute (die Ver114 115
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J.G. Fichte: WL 1805, S. 67. Vgl. dazu: Jürgen Stolzenberg: „Absolutes Wissen und Sein. Zu Fichtes Wissenschaftslehre von 1801/02“, in: Fichte-Studien 12, Wolfgang H. Schrader (Hg.): Fichte und die Romantik. Hölderlin, Schelling, Hegel und die späte Wissenschaftslehre, S. 306–322; hier S. 317 folgendes Zitat: „Es scheint mir im Träume […] daß das absolute Sein das formale Wissen eben vor dem verfließen in das Leere hielte, u. daraus eben schienen mir wichtige Dinge hervorzugehen.“ Das absolute Sein ist, wie wir wissen, die absolute, schöpferische Tätigkeit, die als schöpferische die Dynamik mit der ihr eigenen Hemmung, dem Anhalten des Drangs ins Unendliche, vereint. J.G. Fichte: Beurteilung studentischer Aufsätze, GA II.16, S. 256: „zur Mystik. –. Wie denn? Hat der Mystiker Evidenz: er denkt sich etwas aus. Einbildungskraft ohne Verstand.“
nunft) aufleuchte.117 Diese Selbstvernichtung ist jedoch keine radikale. Mit ihr ist gemeint: Die Anschauung – sie ist der Begriff, der sich selbst unmittelbar fasst – vernichtet sich so, dass sie „sich selbst nichts bedeute“. Selbstvernichtung ist Selbstrelativierung. Wie äußert sich aber diese durch das Denken vollzogene Vernichtung damit das Absolute aufscheine in der Beziehung zur Welt, also zu anderen, vernünftigen und freien Personen in der Welt? Sie äußert sich in der Form des Sittengesetzes. Die Mannigfaltigkeit der Welt wird, so wie es auch mit der Reflexion in dem Bereich des Denkens der Fall ist, vernichtet, damit das Absolute (das Sittengesetz) sei. Diese Vernichtung lässt sich aber – und darin besteht der entscheidende Unterschied zur Theorie –, da sie im Empirischen vollzogen wird, nicht mit einem ‚es bedeutet nichts‘ oder ‚es soll nicht gelten‘ mildern. Sie richtet sich, wie wir gesehen haben, gegen konkrete Personen, die nicht Teile des Vernunftreichs sein wollen oder können. Die Gewalttätigkeit ist der Vereinheitlichung der mannigfaltigen Welt mit verschiedenen individuellen Interessen durch das Sittengesetz immanent. Die wahre Einsicht – Fichtes beeindruckender Gedanke von der Selbstrelativierung der Reflexion, damit das Absolute einleuchte – ist letztlich nur in und durch Philosophie möglich. Philosophie ist, so wie das Vernunftreich in der Welt, nur etwas für die ‚Auserwählten‘. An diesem Gedanken ist jedoch, im Unterschied zu der Auserwähltheit der Einsichtigen in der empirischen Welt, nichts unvermeidbar Gewalttätiges. Für die Welt aber, und darin besteht das ‚Abstoßende‘ dieser Gedanken, bleiben Erziehung der Uneinsichtigen und dann, wenn es nicht anders geht, der Zwang übrig.118 Das Verhältnis von Vorstellung und Spekulation wird im Zusammenhang mit der Frage nach der Vermittelbarkeit und dem Lehren von Philosophie sowohl für Fichte als auch für Hegel und Schelling zu einem wichtigen Problem der philosophischen Lehre, die eben nicht nur Vermittlung von Wissen, sondern auch Einübung in die philosophische Lebensform ist: Philosophie als Weisheitslehre. Die genetisch anhebende Evidenz ist aber, so Fichte, durch rhetorischen Anstoß und methodische Anleitung nur bedingt vermittelbar.119 Die „absolut intelligierende Stimmung“ des
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Zu „Selbstvernichtung“ der Reflexion als das „Setzen der logischen Struktur“ vgl. Jürgen Stolzenberg: „Die Logik der Selbstvernichtung der im Begriff des absoluten Wissens implizierten Reflexion ist daher die Logik der Selbstvoraussetzung des absoluten Wissens.“ In: Fichtes Begriff der intellektuellen Anschauung. Die Entwicklung der Wissenschaftslehren von 1793/94 bis 1801/02, Stuttgart 1986, S. 312. Vgl. Klaus Hammacher, „Kritische Stellungnahme zu Fichtes Kritik des Gegenwärtigen Zeitalters“, in: Fichte im Streit. Festschrift für Wolfgang Janke, Hg. Hartmut Traub et al., S. 231–239, Würzburg 2018. Vgl. dazu und zu der Bedeutung der Rhetorik bei Fichte Oesterreich/Traub: Der ganze Fichte, S. 81–97, insb. S. 90ff.
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Philosophierenden bleibt für den Außenstehenden unbegreifbar.120 Hier, in diesem die intelligierende Stimmung ‚Nicht-von-außen-erfahren-Können‘, ist die Unverständlichkeit der Philosophie begründet. Wissenschaftslehre selbst ist, in ihrem ganzen zu vollziehenden Zusammenhang, eine Weisheitslehre. Sie ist nicht nur auf das Handeln in der empirischen Welt ausgerichtet, sondern sie ist im Innern der geistigen Welt verbleibend. Sie erfordert den „Zustand der Selbstkontraktion“, der für Fichte die höchste Form der geistigen Energie, des wahren und seligen Lebens ist.121 Einzugehen ist aber trotzdem noch auf die Frage, wie sich ihr zentraler Gedanke, das Nichtgeltenlassenwollen der empirischen Welt, außerhalb der Wissenschaftslehre äußert. Das zu Vernichtende ist dabei die Sinnlichkeit und die auf ihr beruhende Freiheit des Individuums. Ich möchte hier eingehen auf eine bemerkenswerte Nähe Fichtes zum Stoizismus (oder zu dem, was er als Stoizismus versteht), die in dem Nichtgehorchenmüssen dem Gesetz (bei Fichte ist es das „problematische Soll“), der Einstellung des Nichtgeltenlassens der Sinnlichkeit und dem Glauben an die Einheit mit dem Absoluten besteht. In der Anweisung heißt es dazu: Dieser [Stoizismus, KD] hält sich überhaupt für frei, denn er nimmt an, daß er dem Gesetze auch nicht gehorchen könne; er sondert sonach sich ab und stellt sich, als auch eine für sich bestehende Macht, dem Gesetze oder was das nun eigentlich sein mag, das ihm als Gesetz erscheint, gegenüber. Er vermag sich, sagte ich, nicht anders zu fassen und anzusehen, denn als einen solchen, der dem Gesetze auch nicht gehorchen gar wohl könne. Jedoch, nach seiner ebenso notwendigen Ansicht soll er ihm gehorchen, und nicht seiner Neigung; für ihn fällt darum allerdings die Berechtigung auf Glückseligkeit, und, wenn die ausgesprochne Ansicht nur wirklich lebendig ist in ihm, auch das Bedürfniss einer Glückseligkeit und eines beglückseligenden Gottes rein weg. Durch jene erste Voraussetzung aber, seines Vermögens, auch nicht zu gehorchen, entsteht ihm erst überhaupt ein Gesetz; denn seine Freiheit, beraubt der Neigung, ist nun leer und ohne alle Richtung. Er muss sie wieder binden; und Band für die Freiheit, oder Gesetz, ist ja ganz dasselbe. Lediglich demnach durch den, nach dem Aufgeben aller Neigung, dennoch beibehaltenen Glauben an Freiheit, macht er ein Gesetz für sich möglich, und gibt für seine Ansicht dem wahrhaft Realen die Form eines Gesetzes.122
Das Bewusstsein, dem Gesetz nicht gehorchen zu müssen, bringt den Stoiker in den Zustand der Indifferenz, aus dem heraus wiederum die Vernichtung der sinnlichen Selbständigkeit – auf ihr beruht die Indifferenz – als Bedingung für die erneute Bindung an das Gesetz möglich wird. 120 121 122
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J.G. Fichte: Die Prinzipien der Gottes-, Sitten- und Rechtslehre, GA II.7, S. 410. J.G. Fichte: Anweisung GA I.9, S. 130. J.G. Fichte: Anweisung GA I.9, S. 148.
Bei Fichte heißt es, sich selbst, als die „eigentliche Negation“ des Absoluten, kann der Mensch „bis in die Wurzel“ vernichten: das sei, so Fichte, auch die Lehre der Stoiker.123 Die Vernichtung der Sinnlichkeit ist auch bei dem Standpunkt der ‚höheren Moralität‘ der Fall, deren Ziel aber, im Unterschied zum Stoizismus, ein höheres ist, nämlich der sich offenbarende Wille Gottes und eine neue, übersinnliche Welt.124 Obwohl sie sich in ihren Zielen unterscheiden, sind in dem Nichtgeltenlassen der sinnlichen Welt („hierin“) der Stoiker und die Person der höheren Moralität, so Fichte, „ganz gleich“ und unterscheiden sich beide von einer nur sinnlichen Existenzform. Die Negation der sinnlichen Existenz ohne sie faktisch loswerden zu können, das Bewusstsein der Möglichkeit, jede Bindung an das Gesetz der sinnlichen Ordnung auflösen zu können, der Zustand der Indifferenz, aber auch der Instabilität als das Resultat der Vernichtung jeder Bindung und schließlich der Willensentschluss sich erneut zu binden bei der Beibehaltung der Indifferenz: darin besteht für Fichte die eigentümliche Lehre des Stoizismus. Die Parallelen zur Wissenschaftslehre sind dabei offensichtlich. Wie auch in der Wissenschaftslehre ist der Verzicht auf die Geltung des Untergeordneten ein Willensentschluss, der aber in der Wissenschaftslehre das Ergebnis der methodischen Einsicht in seine Notwendigkeit ist. In der Grundlage distanzierte sich Fichte jedoch ausdrücklich von der Lehre des Stoizismus. Diese Distanzierung beruht auf der im Stoizismus nicht vollzogenen Trennung der unendlichen Idee des Ich von dem wirklichen Ich, des absoluten Seins von dem wirklichen Dasein. Die Selbstgenügsamkeit des stoischen Weisen bestehe darin, dass ihm „alle Prädikate“ beigelegt werden, die „dem reinen Ich, oder auch Gott“ zukommen. Deshalb sei Stoizismus Atheismus – mit diesem Sich-Abgrenzen vom Stoizismus wehrt Fichte die Kritik an seiner Wissenschaftslehre ab, sie sei Atheismus: Nach der stoischen Moral sollen wir nicht Gott gleich werden, sondern wir sind selbst Gott. Die Wissenschaftslehre unterscheidet sorgfältig absolutes Sein und wirkliches Dasein, und legt das erstere bloß zum Grund, um das letztere erklären zu können. Der Stoizismus wird dadurch widerlegt, daß gezeigt wird, er könne die Möglichkeit des Bewußtseins nicht erklären. Darum ist die Wissenschaftslehre auch nicht atheistisch, wie der Stoizismus notwendig sein muß, wenn er konsequent verfährt.125
Mit der Transformation des Absoluten von einer notwendigen Hypothese, wie es in der Grundlage der Fall war, zum wahren Leben, d.h. in der 123 124 125
J.G. Fichte: Anweisung GA I.9, S. 149. J.G. Fichte: Anweisung GA I.9, S. 154. J.G. Fichte: GWL 1794/75, S. 195f. Anm.
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Erweiterung seiner Bedeutung vom Erklärungsgrund für das Wissen zum anzustrebenden Leben, das „wir“ nicht nur werden sollen, um wahres Leben zu führen, sondern das wir immer auch schon sind, verliert die in der Grundlage vollzogene Abgrenzung an Überzeugungskraft. Bestehen bleibt zwar die Kritik, Stoizismus könne nicht die Möglichkeit des Bewusstseins erklären, aber dass „wir“ das Absolute sind zeigt, neben oben angeführten Punkten, eine schwer zu leugnende und für das Verstehen des Konzepts der Selbstrelativierung weiterführende Nähe zu Stoizismus. So heißt es im Umkreis der Anweisung anerkennend: „Der Stoicismus: doch eine verborgne Religion. In seiner Anhänglichkeit an das Rechtthun, die Weisheit, Geradheit. – in seiner Verachtung der sinnl. Lust. Der leidende, Gott sich ergebende: das Leben tragende: ihr ‚Ringen‘ nach einer andern Welt. Die höhere, thätige u. Spekulative.“126 Die höhere, spekulative Lehre, die Fichte hier meint, ist die Wissenschaftslehre. Der lebenspraktische Teil des Stoizismus, der sich nicht in dem Entwurf einer Sittlichkeitslehre oder einer Rechtslehre äußert, sonden in der Einübung in das gute (wenn auch nicht „selige“) Leben, ist ein Erbe des Stoizismus, das in Fichtes Wissenschaftslehre und den Populärschriften weiterlebt. Schade, dass dieses humane Erbe durch das Gewalttätige seiner Sittlichkeits- und Rechtslehre verdeckt und zurückgedrängt wurde. Zusammenfassend kann Folgendes festgehalten werden: Der Wissenschaftslehre in ihren beiden „Epochen“, vor und nach ca. 1800, geht es um den Gedanken einer alles Denken bestimmenden uneinholbaren, produktiven, differenzbildenden und doch einheitsstiftenden Tätigkeit, die man als Energie oder Kraft, als das schöpferische Wirken oder eben als das Absolute bezeichnen kann. In der Tat gibt es nach Fichte keinen Hiatus in Absolutem, aber einen Hiatus im Wissen zwischen der Einheit mit dem Absoluten und der Differenz zu ihm. Deshalb ist es zutreffend festzustellen, die Wissenschaftslehre zeige die Befangenheit des Wissens in der ihm immanenten Dichotomie von schöpferischer Kraft und Verlorenheit in der Welt der Vorstellung, aber auch die Möglichkeit, philosophisch den statischen, die Einsicht in das Absolute hemmenden Anteil des Wissens zwar nicht faktisch, aber intelligierend abzuziehen. Der Ausdruck „schöpferische Kraft“ verdeckt jedoch das in dem Begriff der Schöpfung liegende Moment der radikalen, auf das Ganze sich richtenden Negation des Endlichen. Das Leben des Geistes ist nicht reine Ruhe und Fülle, sondern es ist in sich bewegt. So heißt es: „Es ist da ein Leben, u. eine Erlöschung u. sich Fassung des Lebens; zu diesem aber muß der Anfänger hin geführt werden; das ist die Absicht des Unterrichts, dies das eigentliche“.127 Erlöschen 126 127
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J.G. Fichte: Vorarbeiten und Entwürfe zur Anweisung zum seligen Leben 1805/06, GA II.9, S. 317. J.G. Fichte: Diarium III GA II.17, S. 17.
und Entstehen – beides macht das im Wissen abgebildete Leben des Absoluten aus, ein, wie es pointiert heißt, „sich selbst bindendes Leben[s]. Einheit im Flusse.“128 Das Absolute – die absolute Tätigkeit – ist der Fluss des Lebens das sich selbst bindet, das zum Bilde wird und in dieser bindenden Bildung schöpferisch tätig ist. Das Absolute ist zwar nicht jenseits des Wissens und ist nicht der Gegenstand der negativen Theologie, es ist aber auch nicht eine bloße Hypothese, nicht nur die Möglichkeitsbedingung des Wissens oder ein notwendiger transzendentaler Gedanke; es ist somit nicht nur auf einer methodologischen Ebene angesiedelt.129 Fichtes Philosophie des Absoluten ist nichts davon und ist alles das – transzendentalphilosophisch, erkenntnistheoretisch, ontologisch, religiös – sie ist eben Wissenschaftslehre, eine neue Art des Philosophierens, die sich nicht in eine der bisherigen schulphilosophischen Kategorien einordnen lässt. Dieses Neue zeigt die produktive, aber auch die in der Welt als Vernunftreich uneinlösbare Größe von Fichtes Wissenschaftslehre. Das Dilemma, ja der Kampf oder der „Bürgerkrieg“, der in der Wissenschaftslehre ausgetragen wird, gehört zur Natur des Denkens. Er kann im Denken nicht vollständig außer Kraft gesetzt, aber durch die systematisch erzeugte Aufmerksamkeit auf die im Denken wirkende schöpferische Kraft des Absoluten und auf das, was diese Kraft verdunkelt, überwunden werden. Hartmut Traub liest Fichtes Philosophie als eine Befreiungsgeschichte des Ich aus der Gefangenschaft in der Fremdbestimmung durch das Nicht-Ich. Er sieht den „Lebensnerv der Philosophie Fichtes“ in seinem philosophischen „Kampf gegen das eigene und allgemeine politische, gesellschaftliche und kulturelle Elend“. Traub betont die therapeutische Seite von Fichtes Philosophie, die sich im Kampf gegen die sinnliche Natur des Menschen und in der „Ausrottung der Sinnlichkeit“ erschöpft.130 128 129
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J.G. Fichte: Diarium III GA II.17, S. 38. Zu dem Begriff des „Absoluten“ vgl. Christoph Asmuth: „Ich plädiere daher dafür, das Absolute der Wissenschaftslehre Fichtes zunächst – und das heißt: in der Wissenschaftslehre – auf der methodologischen Ebene anzusiedeln, keineswegs aber auf der ontologischen und auch nicht auf der erkenntnistheoretischen und schon gar nicht auf der religiösen. All dies kann das Absolute auch sein, aber nicht in seinem primären, methodologischen Sinn. […] Das Absolute ist nicht mehr und nicht weniger als die Möglichkeitsbedingung des Wissens, damit gerade nicht wirklich im Sinne der Wirklichkeit.“ In: Wissen im Aufbruch, S. 90f. Demgegenüber würde ich auch die „methodologische Ebene“ in die von Asmuth zurecht angeführte Aufzählung was das Absolute alles nicht ist einreihen und das Entscheidende von Fichtes Gedanken zum Absoluten folgendermaßen formulieren: Das Absolute ist ‚das Wirklichste‘ überhaupt, eine absolute Tätigkeit, die die produktive und hemmende, schöpferische und vernichtende, uneinholbare und sich offenbarende Denkkraft ist. Hartmut Traub 2018, S. 105.
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Im Unterschied dazu legt die vorliegende Arbeit den Schwerpunkt auf die Frage nach der „Erlösung“ von dem Kampf, den das Denken gegen die Fremdbestimmung – und damit gegen sich selbst – führt. Der Kampf des Denkens mit sich selbst hat zwar die Aufgabe, dass aus ihm ein sittlich geführtes Leben erwächst. Die im Denken der Wissenschaftslehre erreichte Evidenz soll ja den Menschen verwandeln, so dass sie nicht als ein intellektuelles Spiel verstanden werden darf. Wissenschaftslehre ist Weisheitslehre. Die Wirkung, die das wissenschaftlich-spekulativ ‚erlöste‘ Denken in der Person entfaltet, die Einheit von Strenge und Gelassenheit, ist aber etwas zutiefst Individuelles und kann nicht gesellschaftlich angewandt werden. Das in der Welt zu verwirklichende Reich der Vernunft erreicht man ja, wenn Erziehung gescheitert ist, nur durch Gewalt. Der Versuch, Fichtes Wissenschaftslehre als eine Theorie zu lesen, die auf die Realisierung der wechselseitigen Anerkennung der Subjekte in der empirischen Welt ausgerichtet ist, so dass sie nicht nur bloße Theorie und „schlechte Unendlichkeit“ bleibe131, sondern zur Legitimierung der gesellschaftlichen Praxis diente, scheitert an der Exklusivität der ‚Erlösten‘ und an dem Evidenzschock der Wissenschaftslehre. Dieses Scheitern ist in der immer lauernden Gewalttätigkeit bei der Durchsetzung des höchsten, sittlichen Standpunkts in der empirischen Welt angelegt, an der „Ausrottung“ und „Vernichtung“ des Unsittlichen und Unfreien. Darin besteht die totalitäre Seite von Fichtes Philosophie, die Hegel in der Differenzschrift, trotz (mancher) Verkennung der Fichteschen Gedanken, richtig gesehen hat. Neben dieser totalitären Seite gibt es aber auch die heroischphilosophische. Sie besteht im jeweils individuellen Vollzug eines Lebens im Lichte der Wissenschaftslehre als einer Weisheitslehre des Absoluten.132 Die pädagogische Beziehung zwischen dem Lehrer und seinen Zuhörern spielt sich dabei gewaltlos ab. Der „genetische Vortragsstil“, die rhetorische Figur der „evidentia“,133 appelliert an die Bereitschaft der Zuhörer, 131
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Vgl. Hansjürgen Verweyen, „Zum Verhältnis von Wissenschaftslehre und Gesellschaftstheorie beim späten Fichte“, in: Der transzendentale Gedanke. Die gegenwärtige Darstellung der Philosophie Fichtes, Hg. Klaus Hammacher, Hamburg 1981, S. 316–327. Peter L. Oesterreich/Hartmut Traub: Der ganze Fichte. Die populäre, wissenschaftliche und metaphilosophische Erschließung der Welt, Stuttgart 2006, S. 14: „Die Einheit des Systems ist der Gelehrte selbst. Die Metaphilosophie Fichtes konzentriert sich demnach in der Person des Gelehrten, der souverän über die gedanklichen und stilistischen Mittel philosophischer Kunst verfügt, um in der akademischen und öffentlichen Lebenswelt die philosophische Vernunft jeweils zur Geltung zu bringen.“ Peter L. Oesterreich/Hartmut Traub, Der ganze Fichte, S. 21. Es geht aber meiner Meinung nach zu weit, wenn man „nicht das philosophische System, sondern die Gelehrsamkeit des Gelehrten“ als den „Vermittlungspunkt der transzendentalen
das Gehörte selbst zu produzieren (das Nicht-zu-Produzierende zu ‚produzieren‘) und so einzusehen. Im Unterschied zu der Durchsetzung des Vernunftrechts in der Welt besitzt die Philosophie kein Zwangsmittel, auch kein logisches, den inneren Krieg durch Gewalt zu befrieden. An Stelle der Gewalt tritt das Vernichten im Sinne des Nicht-gelten-Lassens der Reflexion, ihr Zur-Seite-Treten und sich selbst Relativieren, damit die dem Wissen immanente Tätigkeit des Absoluten evident wird. Diese in der Wissenschaftslehre erreichte Evidenz ist nicht nur auf die Verwirklichung durch sittliches Handeln und die Errichtung eines Vernunftreichs von Gleichgesinnten und einer Brudergemeinde der Vernünftigen ausgerichtet, sondern sie ist auch – und vor allem – die höchste, nur im lebendigen Vollzug des Philosophierens erreichbare Lebensform. Sie führt zu der immer neu anzustrebenden und anzufangenden Verwandlung der endlichen Subjektivität und zu dem Verzicht auf den „imaginären“ Zwang zur Selbst-Begründung.134 Diese Art der Philosophie wird man als spekulative Philosophie bezeichnen müssen, als Philosophie also, die nicht in den Vorstellungsformen des Denkens gefangen bleibt, sondern, ‚durch sie hindurch‘, das in ihnen wirkende Leben des Absoluten einsieht, festhält und auf diese Weise nicht mehr vergisst.
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und angewandten Wissensformen des Fichteschen Gesamtwerks“ sieht. Es ist zwar richtig, dass „die Einheit der Fichteschen Lehre […] der Gelehrte selbst“ ist (S. 28), er ist es jedoch nur insofern er sich das philosophische System im Sinne der Wissenschaftslehre geistig angeeignet hat. Es besteht somit ein Primat der Wissenschaftslehre und das heißt: Primat der Einsicht in das dem theoretischen und praktischen Wissen Zugrundeliegende. Vgl. dazu treffend Lore Hühn: „Das Paradoxon, welches Fichte hier zu denken aufgibt, nämlich daß die Selbstnegation des Denkens zugleich die Ermöglichung seiner Selbsterkenntnis sei, hat nichts mit einer Auslöschung oder Liquidierung endlicher Subjektivität gemein. Das Gegenteil ist intendiert: Im Rückgang auf seinen Grund geht das Denken nicht zugrunde, sondern erfährt umgekehrt, daß es als das sich Negierende – gerade weil es sich negieren kann – immer schon über das, was es in diesem seinen Vollzug negiert, hinaus ist. Der Akt einer radikalen Selbstnegation gibt den Blick für die Notwendigkeit frei, daß ein wahrer Anfang allererst zu machen ist, – ein Anfang, der sich nicht der Konkurrenz um den Platz eines unüberbietbaren Letzten aussetzt, sondern sich der Herrschaft einer solchen (imaginären) Begründungslogik von vornherein entzieht.“ In: Lore Hühn: Fiche und Schelling, S. 141.
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2. Schelling: Der Schrecken der objektiven Welt und das freiwillige Aushalten in der Menschheit Die Selbstvernichtung des Endlichen, damit die in ihm wirkende schöpferische Kraft des Absoluten erkannt, dargestellt und gelebt werden kann, bildet das Zentrum von Fichtes Wissenschaftslehre. Den ‚Bürgerkrieg‘ innerhalb des Denkens und in der vom Denken durchgebildeten Welt zu befrieden ist möglich, wenn man sich auf den schöpferischen Vollzug, der im und als Denken wirkt, zurückzieht und aus ihm denkt und lebt. Diese Überwindung der inneren Unruhe des Denkens ist zu erreichen entweder mithilfe der strengen methodisch-genetischen Vorgehensweise der Philosophie oder, in der empirischen Welt, als Unterwerfung unter die Gesetze eines sittlichen Staates. Im Gegensatz zu Fichte erhebt Schelling nicht diesen unerfreulichen Anspruch, mit Mitteln der Philosophie zeigen zu können, dass das Vernünftige in der Welt mit Macht durchzusetzen sei. Schelling wird jedoch, was vor allem für die Zeit zwischen der Freiheitsschrift von 1809 und den Erlanger Vorlesungen von 1821 gilt, als der eigentliche Denker der Moderne innerhalb des Idealismus betrachtet. Seine Philosophie wird als diejenige erkannt, die, wie es bei Habermas heißt, „die Not der geschichtlichen Existenz: Schmerz, Zerrissenheit, Zweifel, Anstrengung, Überwindung und Streit“ als Grundbestimmung der menschlichen Existenz in den Mittelpunkt der Philosophie stellt.1 Der Kampf des Denkens mit sich und mit der Welt bildet auch das Zentrum von Schellings philosophischen Schriften. So heißt es schon in den frühen Schriften, es gibt die „immer wiederkehrende, immer neubestandene Gefahr, eine Gefahr, in die er [der Mensch] sich durch eignen Impuls begibt, und aus der er sich selbst wieder rettet“, die es mit den Mitteln der Philosophie zu verstehen und darzustellen gilt.2 Ich möchte diese Gefahr zuerst anhand von Schellings frühen Schriften darstellen. Die Leitfragen lauten: 1. Wie überwindet die Philosophie die Gefahr des denkimmanenten Bürgerkriegs? 2. Welche 1 2
Jürgen Habermas: Das Absolute und die Geschichte. Von der Zwiespältigkeit in Schellings Denken, Bonn 1954. F.W.J. Schelling: Abhandlungen zur Erläuterung des Idealismus der Wissenschaftslehre, Sämtliche Werke (=SW), herausgegeben von Karl Friedrich August von Schelling, Stuttgart und Augsburg 1856–1861, Band I, S. 388f.
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Rolle spielt bzw. wie äußert sich bei der Überwindung dieses Streites die Selbstrelativierung (Selbstvernichtung, Selbstaufhebung) der Subjektivität? 3. Wie geht Schelling mit dem für Fichte – aber auch für Hegel – so zentralen Gedanken der Selbstvernichtung der Subjektivität um, die nötig ist, damit das Absolute sich zeige? 2.1 Revolution des Bewusstseins statt Zerstörung Der Streit des Menschen mit den „Schrecken der objektiven Welt“3 wird in der Schrift Vom Ich durch die freiwillige Selbstaufgabe gelöst. Der Mensch steht vor der Alternative entweder die Einheit mit dem Absoluten durch den Verzicht auf die eigene Persönlichkeit zu erreichen oder auf diese Einheit zu verzichten. So schreibt Schelling schon in dem Brief an Hegel vom 4. Februar 1795, „unser höchstes Bestreben ist die Zerstörung unserer Persönlichkeit, Uebergang in die absolute Sphäre des Seins, der aber in Ewigkeit nicht möglich ist; – daher nur praktische Annäherung zum Absoluten, und daher – Unsterblichkeit“.4 Das Ziel des Menschen soll eine „Revolution“ des Bewusstseins sein, ganz auf den Spuren von Kants Programm einer Revolution der Denkungsart. Sie besteht in der Herstellung der Einheit des Denkens, Handelns und Wollens, so dass diese Einheit dem Menschen ganz natürlich und selbstverständlich werde. Das Nichtdurchführen dieser Revolution hat zur Konsequenz den Untergang des Denkens und des Willens und den Triumph der „Schrecken der objektiven Welt“. Sie wäre aber sinnlos, da sie nicht durch die Einheit mit dem Absoluten entsteht, sondern bloßer Untergang ist, ohne Sinn. Zu begreifen ist also, so Schelling, auf welche Weise die Einheit von Denken, Wollen und Handeln zur Bewahrung der Persönlichkeit auch in der Begegnung mit dem Absoluten führen kann. Das Absolute ist dasjenige, das sich selbst durch seine eigene Kraft trägt, ohne in einer Beziehung zu etwas außer ihm Seienden zu stehen. Auf diese Weise ist es das eigentlich Wirkliche. Und es ist die wahre Freiheit. Deshalb ist Freiheit der Anfang und das Ende aller Philosophie.5 Sie ist das Unbedingte, eine sich ständig setzende und sich selbst tragende „Urquelle aller Realität“, das Wesen der endlichen Dinge.6 Dass das Wesen des Endlichen Freiheit ist, ist aber nicht so zu verstehen, als ob das endliche Subjekt frei in diesem „absoluten“ Sinn wäre. Das Subjekt (das empirische Ich) steht, wie alles Endliche, in der Relation 3 4 5 6
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F.W.J. Schelling: Vom Ich als Prinzip der Philosophie oder über das Unbedingte im menschlichen Wissen (=Vom Ich), SW I, S. 157. Briefe von und an Hegel Band 1 (1785–1812), herausgegeben von Johannes Hoffmeister, Hamburg 1952, S. 22. F.W.J. Schelling: Vom Ich, SW I, S. 177. F.W.J. Schelling: Vom Ich, SW I, S. 195.
zum Objekt (dem Nicht-Ich). Es ist bedingt durch das Andere, es ist somit, als bedingt, ein Ding, also gerade nicht absolut selbstmächtig und frei. Bewusstsein und Selbstbewusstsein des Endlichen sind nicht frei in diesem absoluten Sinn, und somit, so Schelling in seinen frühen Schriften, überhaupt nicht frei. Diese Ansicht von der menschlichen Freiheit wird sich spätestens in der Freiheitsschrift ändern. In Vom Ich gilt es noch, in Fichtes Spuren gedacht: Die absolute Freiheit ist das Wesen der empirischen, menschlichen Freiheit und von ihr getrennt. Das empirische Ich ist daher zwar nicht wirklich frei, aber es besteht durch die absolute Freiheit und ist zugleich nicht in der Lage, diese, als absolute und einzig wahre, zu erkennen und, zumindest zeitweise, festzuhalten: Aber jenes Streben des empirischen Ichs, und das daraus hervorgehende Bewußtsein wäre selbst ohne Freiheit des absoluten Ichs nicht möglich, und die absolute Freiheit ist als Bedingung der Vorstellung ebenso notwendig, wie als Bedingung der Handlung. Denn euer empirisches Ich würde niemals streben, seine Identität zu retten, wenn nicht das absolute ursprünglich durch sich selbst aus absoluter Macht als reine Identität gesetzt wäre.7
Der Versuch, die „absolute“ Freiheit als etwas Objektives und Demonstrierbares festzuhalten ist jedoch zum Scheitern verurteilt. Sie kann nicht ein Gegenstand der Vorstellung oder der sinnlichen Anschauung sein, denn sie ist kein Objekt, sie steht nicht in einer Relation zu Objekten, sondern bedingt diese, bringt sie hervor. Die einzige Möglichkeit, ihr näherzukommen und sie zu ergreifen ist in der intellektuellen Anschauung gegeben. Diese Bestimmung der Freiheit, nur als absolute und nicht als objektive in der Sphäre des menschlichen Lebens und seiner Welt vorhanden zu sein darf jedoch, so Schelling, nicht dazu führen, dass das empirische Ich ganz ohne Freiheit auskommen muss. Es muss frei sein, um zu Pflicht und zu Recht, zu Moralität und Ethik fähig zu sein. Dieses Problem zu lösen – wie kann das endliche Ich an der nichtrelationalen absoluten Freiheit teilhaben – gehört zu den schwersten Problemen der ganzen Philosophie und „scheint ein gewagtes Unternehmen zu sein.“8 Die Freiheit des empirischen Ich verwirklicht sich nur scheinbar in Bezug auf Objekte, denn sie ist nicht durch diese Beziehung – sondern durch das Absolute – wirklich. Freiheit ist für Schelling in keiner Phase seiner philosophischen Tätigkeit mit der „Intersubjektivität“ gleichzusetzen. Intersubjektivität ist geradezu der Tod der Freiheit, die Illusion, diese bestünde in der empirischen Welt. Hier denkt Schelling noch ganz im Sinne von Kant und Fichte:
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F.W.J. Schelling: Vom Ich, SW I, S. 181. F.W.J. Schelling: Vom Ich, SW I, S. 234.
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Das Unbegreifliche ist nicht, wie ein absolutes, sondern wie ein empirisches Ich Freiheit haben solle, nicht wie ein intellektuelles Ich intellektual, d.h. absolut-frei sei könne, sondern wie es möglich sey, daß ein empirisches Ich zugleich intellektual sey, d.h. Causalität durch Freiheit habe.9
Die Lösung dieses Problems ist, so wie es auch bei Fichte der Fall war, in der doppelten Natur des empirischen Ich enthalten. Dieses ist nämlich beides: die absolute Kausalität bzw. absolute Freiheit und zugleich empirische Kausalität bzw. empirische (und somit mangelhafte oder nur scheinbare) Freiheit. In dieser Doppelheit liegt der Grund für die Forderung (den Imperativ) des moralischen Gesetzes an das empirische Ich, die Schranken der empirischen Freiheit aufzuheben und die absolute Freiheit in sich hervorzubringen. Das ist das Programm Kants: Freiheit besteht in der Unterwerfung unter das Sittengesetz. Auch Fichte denkt noch, wie zu sehen war in dieser Radikalität, obwohl er mit der späten Umwandlung der Philosophie in eine Weisheitslehre einen etwas sanfteren Ton gegenüber dem Endlichen anschlägt. Die empirische Freiheit ist möglich nur durch die absolute Freiheit, das endliche Ich ist wirklich nur durch das absolute Ich und soll sich selbst zerstören, damit das Absolute sei. Diese Spannung zwischen dem ‚Bestehen durch das Absolute‘ und dem ‚Sich-Vernichten, damit das Absolute sei‘ macht das Wesen des Endlichen aus – bei Fichte, Schelling und Hegel, obwohl mit verschiedenen Auslegungen bzw. Auflösungen dieser Spannung. Schelling sieht hier das Streben des Endlichen am Werk, sich selbst zu überwinden, um in die Einheit mit dem Absoluten zu gelangen, also das Streben nach der „gänzliche[n] Zerstörung der endlichen Sphäre, d.h. Erweiterung derselben bis zum Zusammenfallen mit der unendlichen (praktische Vernunft)“.10 Die theoretische Vernunft erkennt, dass es das Endliche trotz seiner Beschränktheit geben muss, damit sich das Unendliche objektiviere und sich in der Welt darstelle. Seine Darstellung im Endlichen erweist sich als das Sich-selbst-Eischränken des Absoluten, das den Boden bereitet für das ganze Drama der menschlichen Existenz: frei und endlich zu sein, und zwar zugleich. Der Endzweck des Strebens nach der Verwirklichung der Freiheit in der Welt ist aber nicht durch die Verwirklichung der Moral – so wie bei Kant – sondern durch die Umwandlung der Moral in ein „Naturgesetz des Ich“ zu erreichen. So wie alles Endliche, ist auch die Moral zu zerstören – durch die Umwandlung in die absolute Macht des Unendlichen. Das „höchste Gesetz“ für den Menschen lautet deshalb: „Sey absolut – iden-
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F.W.J. Schelling: Vom Ich, SW I, § 16 Anm., S. 235f. F.W.J. Schelling: Vom Ich, § 10, „Anmerkung in der ersten Auflage“, SW I, S. 191.
tisch mit dir selbst.“11 Diesen Imperativ kann man übersetzten in: Zerstöre deine Endlichkeit, um aus der Moral ein Naturgesetz zu machen. „Naturgesetz“ ist als das Gesetz der wahren menschlichen Natur zu verstehen. Die Konsequenz dieses Gedankens benennt Schelling in völliger Klarheit: Es ist die „Zernichtung“ der Persönlichkeit und der Welt – in einer unendlichen Annäherung an das Absolute: Mithin kann das letzte Ziel alles Strebens auch als Erweiterung der Persönlichkeit zur Unendlichkeit, d.h. als Zernichtung derselben vorgestellt werden. – Der letzte Endzweck des endlichen Ichs sowohl als des Nicht-Ichs, d.h. der Endzweck der Welt ist ihre Zernichtung, als einer Welt, d.h. als eines Inbegriffs von Endlichkeit (des endlichen Ichs und des Nicht-Ichs). Zu diesem Endzweck findet nur unendliche Annäherung statt – daher unendliche Fortdauer des Ichs, Unsterblichkeit.12
Werde unsterblich, Erlange die absolute, unbeschränkte Macht, Herrsche über die Welt der Objekte13 – mit diesen Forderungen ist das höchste Ziel des endlichen Subjekts benannt, ein Ziel jedoch, welches die Gefahr mit sich bringt, das Endliche zerstören zu wollen, ohne dabei das Unendliche anzustreben. Zerstörung ist aber kein Selbstzweck, sondern eine Notwendigkeit, die aus der Natur des Endlichen hervorgeht: Sich selbst auf das Absolute hin zu überschreiten. Philosophie ist ein Akt der Freiheit, der darin besteht, der Selbstnegation des Endlichen in diesem Sinne den Weg zu bereiten, sie theoretisch vorzubereiten, nicht durch das Aufstellen eines höchsten, abstrakten Grundsatzes der Philosophie, sondern durch die Einsicht in die Vernünftigkeit der Forderung frei zu handeln. Dem Pathos der Freiheit der Ichschrift liegt der Abgrund der ungeheuerlichen Forderung nach dem Untergang des Endlichen zugrunde. Das Gebot der Einheit mit der absoluten, sich selbst tragenden (d.h. sich nur auf sich selbst beziehenden) Freiheit ist somit eng verknüpft mit dem Gebot des Untergehens des Endlichen, der Persönlichkeit und der Welt als dem Inbegriff des Endlichen. Verhängnisvoll ist diese Verknüpfung nur dann, wenn dieses Gebot als das praktisch Durchzuführende missverstanden wird, ohne es auf das Streben nach der Einheit mit dem Unendlichen zu binden. Auch das Wesen des philosophischen Dogmatismus besteht in der Arbeit an der Selbstvernichtung des Subjekts, an dessen freiwilligen Unterwerfung, die sich aber von derjenigen der ‚wahren‘ Philosophie unterscheidet. Aus dem Dogmatismus gilt es, mit Hilfe der spekulativen Philosophie, aufzuwachen. Denn der Dogmatismus, für den beispielhaft Spinozas Ethik steht, stellt das freie Subjekt vor eine Alternative, die, egal 11 12 13
F.W.J. Schelling: Vom Ich, SW I, § 14. F.W.J. Schelling: Vom Ich, SW I, S. 200f. F.W.J. Schelling: Neue Deduktion des Naturrechts, §§ 4,7. SW I, S. 248.
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wie es sich entscheidet, zum folgenden Dilemma und zum Untergang führt: Entweder auf seine Freiheit, oder auf das Absolute zu verzichten.14 Die Selbstvernichtung des Subjekts muss jedoch, im Gegensatz zu der Alternative, vor die der Dogmatismus stellt, in der Einheit mit dem Absoluten münden. Aus dieser Einheit soll eine neue Fülle des Daseins entstehen, der Untergang des Subjekts darf also nicht das letzte Wort sein. „Vernichte dich selbst!“ sei, so Schelling, die unerfüllbare Forderung Spinozas gewesen, ein Untergang des Endlichen ohne die Aussicht auf seine Rettung.15 2.2 Unsichtbarkeit, Streit und Grenze Den Grundgedanken des Systems des transzendentalen Idealismus haben wir schon bei Fichte kennengelernt. Er wird von Schelling übernommen und lautet: In die Grundlage des Wissens, in die freie und unendliche Tätigkeit des Ich also, wird der Gegensatz hineintragen zwischen der ins Unendliche gehenden, unbegrenzten Tätigkeit und der entgegengesetzten, in sich zurückgehenden, sie hemmenden und begrenzenden Tätigkeit. Die erste Seite dieser einen in sich gegenläufigen Tätigkeit bezeichnet die reelle, objektive Seite des Ich, denn sie ist auf Produktion ausgerichtet; die zweite die ideelle, die subjektive Seite, denn sie ist auf das Anschauen ausgerichtet. Beide Richtungen sind ein ursprünglicher absoluter Akt der Freiheit, aus dem, aus innerer Notwendigkeit, das Selbstbewusstseins hervorgeht.16 Die unendliche Tätigkeit produziert und schaut sich bei dieser Produktion an, begrenzt sich dadurch, und ist erst durch diese Einheit der Entgegengesetzten schöpferisch tätig. Die Anschauung ist jedoch nicht in der Lage, ihre eigene Voraussetzung, die gehemmte, in sich zurückkehrende unendliche Tätigkeit, zu erkennen. Das empirische Ich „kann nicht zugleich anschauen und sich anschauen als anschauend, also auch nicht als begrenzend.“17 Es findet sein Objekt als etwas Gefundenes, Fremdes und nicht als ein Produkt der eigenen ins Unendliche strebenden und zugleich diesem Streben widerstrebenden Produktion. Die Unsichtbarkeit der gegenläufigen absoluten Tätigkeit für das Denken ist die Quelle des Irrtums, die Objekte unseres Wissens seien von uns unabhängig. Zu ihrer Unsichtbarkeit gehört auch die Unmöglichkeit die Frage zu beantworten, warum sie sich begrenzt. Es kann nur gesagt werden, was das Wesen des Selbstbewusstseins ist: Das Selbstbewusstsein ist der notwendige, nicht zu befriedende, doch nach Gleichgewicht strebende Streit entgegengesetzter Richtungen. Schelling bezeichnet nun diesen Streit als 14 15 16 17
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F.W.J. Schelling: Briefe über Dogmatismus und Kritizismus, 10. Brief, SW I, S. 338f. F.W.J. Schelling: Briefe über Dogmatismus und Kritizismus 7. Brief SW I, S. 315. F.W.J. Schelling: System des transzendentalen Idealismus (=StI), SW III, S. 395. F.W.J. Schelling: StI, SW III, S. 403.
das Ursprüngliche gegenüber dem Selbstbewusstsein, das als die Identität der beiden entgegengesetzten Richtungen erscheint. Wir sind uns zwar, wie es heißt, der Identität von Subjekt und Objekt bewusst, aber das Ursprüngliche ist der für uns unsichtbare Streit. Dieser, auf die Vernichtung der anderen jeweils entgegengesetzten Bewegungsrichtung (entweder des Objekts oder des Subjekts) ausgerichtete Streit offenbart einerseits die Notwendigkeit der Vereinigung der entgegengesetzten Richtungen, damit er aufhöre, als auch das „Unvermögen“ des Selbstbewusstseins, diese Vereinigung und so die Streitschlichtung herbeizuführen. Die Identität – das Selbstbewusstsein – ist das Streben des Ich nach Ruhe, danach, sich selbst gleich zu sein, ein Streben, dass Schelling die absolute Synthesis nennt, im Unterschied zum Streit, der absoluten Antithesis, die aber sein muss, damit auch die Synthesis sei. Vor dem Hintergrund des hier Skizzierten können wir festhalten: Die Entgegensetzung der beiden Tätigkeiten, der unendlichen und der hemmenden, und nicht ihre Identität ist das Ursprüngliche im Selbstbewusstsein. Schellings Philosophie ist, auf diese Weise betrachtet, kaum als eine „Identitätsphilosophie“ zu bezeichnen, was, wie mir scheint, ein immer noch verbreiteter Vorurteil ist. Sie ist eine Philosophie des Zugleich von Identität und Differenz, von Streit und seiner Befriedung. Bei Schelling ist Hegels in der Differenzschrift von 1801 formulierte Formel vom Absoluten als „Identität der Identität und der Nichtidentität“ ebenfalls zu finden, wenn auch nicht so pointiert ausgedrückt wie bei Hegel. Um diese Achse – den Widerstreit der entgegengesetzten Tätigkeiten – dreht sich Schellings Identitätssystem. Hinzu kommen die Unsichtbarkeit der absoluten in sich widersprüchlichen Tätigkeit und die Grenze als der Ort, an dem beide ihr Gleichgewicht finden. Alle drei Momente – Unsichtbarkeit, Streit und Grenze (Gleichgewicht, Ruhe) als das Wesen des Selbstbewusstseins bestimmend – werden wir, in umgewandelter Form und mit unterschiedlichen Konsequenzen für das menschliche Leben, auch bei Hegel finden. Die durch die Begrenzung der unendlichen Tätigkeit gefesselte Expansion wird empfunden als das Gefühl des Zwangs, konkreter: als die das Denken und Wollen begrenzende Welt der Objekte. Die Welt ist uns fremd; wir, die Menschen, tragen den Streit in die Welt und in der Welt aus. Dass wir das tun ist kein Versehen oder eine Art von Bösartigkeit, sondern das Produkt unserer Freiheit, eine notwendige Eigenschaft unseres Denkens und Wollens und des ihnen immanenten Widerspruchs: die eigene Macht so weit wie möglich auszudehnen und sich dabei begrenzt zu finden. Schelling spricht von dem „magischen Kreis“, in dem das Ich eingeschlossen ist, und der nur vom Philosophen durchschaut und geöffnet werden kann.18 18
F.W.J. Schelling: StI, SW III, S. 422.
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Das Zusammenspiel der drei Momente – der Unsichtbarkeit der ins Unendliche strebenden Tätigkeit, ihrem Streit mit der sie hemmenden Tätigkeit und der Beruhigung des Streites im fragilen Gleichgewicht der Grenze, in der sich die beiden Tätigkeiten treffen – ist die Bedingung für das Gefühl auf einen Punkt „kontrahiert“ worden zu sein und somit für das Selbstbewusstsein. Die in der Grenze beruhigte absolute Tätigkeit ist beides: die Geburtsstunde des Selbstbewusstseins, des Lebens und der Welt als des Inbegriffs des Endlichen, und zugleich die Geburtsstunde der sie innerlich zerstörenden Widersprüchlichkeit. Diese Widersprüchlichkeit gilt auch für Kategorien wie Substantialität, Kausalität, Wechselwirkung, Relation u.a. Hier handelt es sich, so wie es Kant initiiert und Jacobi, Fichte, Schelling und Hegel aufgenommen und weitergeführt haben, um Kategorien des endlichen Erkenntnisvermögens der Vorstellung. Auf der Suche nach der Möglichkeit den Streit mit sich und mit der Welt zu befrieden ist es nötig, auf Schellings im System dargestellten Überlegungen zur Natur einzugehen, wobei der Vorstellung eine wichtige Rolle zukommt. „Vorstellung“ ist auch für Schelling ein Vermögen der endlichen, der „mechanischen“ Intelligenz. Der Übergang vom Mechanismus des Vorstellens, in dem die Vorstellung sukzessiv von Objekt zu Objekt fortgeht und in der die Synthese der Objekte eine ihnen äußere und zufällige ist zu der Vorstellung der Natur als einer Totalität, in der die Gegensätze in einem organischen, nicht mechanischen Ganzen versammelt sind, lässt sich nicht mit den Mitteln der Vorstellung verstehen, sondern nur durch den freien Akt der Intelligenz. Auf diesen Übergang von der Sukzession der Vorstellungen zu der Erkenntnis des Organischen kommt es an, wenn der Streit der entgegengesetzten Tätigkeiten irgendwie befriedet werden soll. Dieser Streit ist zwar die Bedingung des Selbstbewusstseins, denn die Intelligenz ist nur Intelligenz, „solange jener Streit dauert; sobald er geendet ist, ist sie nicht mehr Intelligenz, sondern Materie, Objekt.“19 Es ist daher die Materie, von der Schelling sagt, sie sei der „beendete“ Streit. Diese Lösung ist jedoch mangelhaft, weil sie der Unendlichkeit des Streites nicht angemessen ist. Sie ist zwar dessen Beruhigung, aber ihr ist auch die Vergessenheit der zugrundeliegenden Lebendigkeit eigen. Die Materie ist, so können wir es formulieren, der versteinerte, nicht lebendig wirkende Streit. Das Gleichgewicht der beiden Tätigkeiten kann auch nicht in einzelnen, endlichen Objekten stattfinden, sondern nur in einem unendlichen, organischen Ganzen – der Streit selbst ist ja „unendlich“ und kann daher nur in einem Unendlichen enden. Dieses Unendliche ist die organische Natur. Sie ist ein System, in dem sich die Teile gegenseitig in ihrem Sein erhalten. Diese Unendlichkeit, die Schelling die Unendlichkeit des Universums nennt („Universum“ im Sinne der Totalität 19
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F.W.J. Schelling: StI, SW III, S. 479.
der Wechselwirkung der Substanzen), ist „nichts anders“ als die Organisation der Intelligenz, die auf der unendlichen Suche nach dem absoluten Gleichgewicht ist. Das Gleichgewicht, die Beruhigung des Streites, ist daher nur in dem organischen Ganzen möglich, das ein „dynamisches Zugleichsein aller Substanzen“ ist. Das gilt sowohl für die Natur als auch für die Intelligenz (welche die Natur ja eigentlich ist). Die Vorstellung, die in der zeitlichen Sukzession und damit im Kausalitätsverhältnis der Objekte ‚gefangen‘ ist, verdeckt die zugrunde liegende unendlichen Tätigkeit der absoluten Synthesis. Mit der Vorstellung beginnt die unendliche Zeitreihe; sie markiert den absoluten Anfang der Intelligenz in der Zeit. Die Zeit ist so die Grenze, an der sich die unendliche und die beschränkende Tätigkeit der Intelligenz berühren. In der Zeit bezieht sich die Intelligenz auf die Welt der Vorstellungen, diese produzierend und dabei sich selbst als Produzierendes verhüllend: „Sie sucht sich selbst, aber eben dadurch flieht sie sich selbst.“20 Doch nicht nur die Zeit, auch das Licht – ein in der Freiheitsschrift wichtiger Begriff – bildet eine Grenze, und zwar die Grenze, innerhalb der sich das Sich-selbstAnschauen der Intelligenz vollzieht. Diese Grenze, die „Lichtwelt“, ist die Welt der organischen Natur und ihrer dreifachen Organisation: Der Organisation als das „zusammengezogene Bild des Universums“21, als die lebendige Organisation, die ein inneres Prinzip der Bewegung in sich hat, und als die Beschränktheit der Intelligenz, die darin besteht, sich selbst als organisches Individuum anzuschauen. Gesucht wird also die Bedingung für die reflektierende Selbsterfassung der Intelligenz. Schelling räumt zwar ein, dass die Reflexion der Intelligenz auf sich selbst durch die „Affektion des Organismus“ initiiert wird (diesen Punkt gibt er dem Empirismus), aber die Bedingung für das vollständige Sich-selbst-Objekt-Werden der Intelligenz ist gerade ihre Trennung von dem Organismus. Diese Trennung, „die Aufhebung der Identität zwischen der Intelligenz und ihrem Organismus“, geschieht zunächst durch das Krankheitsgefühl. Während das „Gesundheitsgefühl“ als das völlige Verlorensein der Intelligenz im Organismus bezeichnet werden kann, bringt die Krankheit zumindest die, zeitweise, Distanz zu der Natürlichkeit des Menschen. Doch es ist der Tod, der die eigentliche Aufhebung der Identität zwischen dem Organismus und der Intelligenz bewirkt.22 Wichtig ist es jedoch hier nicht den Fehler zu machen, die Krankheit und den Tod als etwas der Intelligenz äußeres, von ihr Getrenntes vorzustellen. Es ist vielmehr so, dass Krankheit und Tod auf den
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F.W.J. Schelling: StI, SW III, S. 489. F.W.J. Schelling: StI, SW III, S. 492. F.W.J. Schelling: StI, SW III, S. 498f.
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innerhalb der Intelligenz wirkenden Widerspruch hinweisen: auf denjenigen zwischen der Intelligenz, die bewusstlos produziert und mit ihrem Organismus unmittelbar identisch ist und der freien, von ihrer organischen Natur getrennten Intelligenz. Erst wenn die, in der Intelligenz selbst stattfindende „prästabilierte Harmonie“ zwischen den beiden gegenläufigen Tendenzen gestört ist durch Krankheit und Tod, ist die Einheit von Intelligenz und ihrem natürlichen Organismus auch gestört. Oder, anders gesagt: Wird die Harmonie zwischen den beiden Formen der Intelligenz auf so fatale Weise gestört, zeigt sich ihre verborgene Wahrheit: Der „Organismus wird krank, weil die Intelligenz ihn so vorstellen muß“, um sich selbst zu erkennen.23 Das Ziel der Selbsterkenntnis lautet: Sich selbst als bewusstlos produzierend bewusst zu werden. Das ist jedoch, so Schelling, für die Vorstellung unmöglich, denn sie trennt die objektive Welt von der absoluten Tätigkeit. Die Entwirklichung der Welt durch ihre Trennung von dem sie erschaffenden Grund widerspricht aber der notwendigen Objektivierung der absoluten Tätigkeit. Der Vorstellung erscheint die Welt als ohne das Zutun der Intelligenz objektiv vorhanden. Mit anderen Worten: Die Unsichtbarkeit der produzierenden Tätigkeit ist die Bedingung für das Vorhandensein der objektiven Welt, sie ist aber auch der Grund für das Misslingen der Selbsterkenntnis, denn ihre Folge ist entweder die Trennung von Mensch und Welt im Dogmatismus oder ihre Gleichsetzung im Idealismus. Nicht jedoch durch Krankheit und Tod, sondern durch die Selbsterkenntnis, dass die Intelligenz als das Wollen produzierend ist, entsteht dem Bewusstsein eine neue, von ihm hervorgebrachte Welt, eine Welt der freien Selbstbestimmung. Die Tätigkeit des unbewussten Produzierens lässt sich aber nicht erkennen, und nur deshalb erscheint dem Bewusstsein die Welt als objektiv vorhanden.24 Das Drama der Selbsterkenntnis setzt sich fort, denn jetzt geht es erneut um die Frage, wie die eigentlich unmögliche Aufgabe, sich selbst als bewusstlos produzierend bewusst zu werden, gelöst werden kann. Diese Aufgabe bringt mit sich eine weitere: Zu verstehen, wie die innerhalb der theoretischen Philosophie entwickelte Erkenntnis von der unbewussten Produktion mit der bewussten Handlung, die als Wollen, als Selbstbestimmung also, ganz autonom anfängt, vereint werden kann. Die Aufgabe lautet also zu verstehen: Wie kann die praktische mit der theoretischen Philosophie vereinigt werden? Für Schelling ist es der Gedanke der indirekten Wechselwirkung, der aus diesem Dilemma führt. Damit ist die prästabilierte Harmonie zwi-
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F.W.J. Schelling: StI, SW III, S. 499. F.W.J. Schelling: StI, SW III, S. 536f.
schen den frei handelnden Individuen gemeint. Der Schlüssel für die Selbsterkenntnis ist somit die indirekte Einwirkung einer anderen Intelligenz in einer gemeinschaftlichen Welt. Diese ist der Boden, auf dem die Interaktion der Individuen, die ihre Selbsterkenntnis als freie, selbstbestimmte Intelligenzen ermöglicht, stattfindet. Durch die wechselseitige Anerkennung als freie, obwohl sich gegenseitig beschränkende Individuen, bewähren sich, so Schelling, die Individuen als Vernunftwesen. Die innere, aber unbewusste Freiheit, die Fähigkeit zu produzieren, schöpferisch und selbstbestimmt tätig zu sein, die „durch die objektive Welt nur durchschimmert“, wird durch andere freie Individuen zu der wirklichen Freiheit.25 Die Welt, die aus dem Streit der ideellen und der reellen Tätigkeit hervorgeht, wird erst durch die anderen freien Individuen als unabhängig vom Ich und als „durch das Ich gesetzt“ gespiegelt. Die Unsichtbarkeit der ‚eigenen‘ produzierenden Tätigkeit wird sichtbar in der „Anschauung“ anderer freier Individuen: Für das Individuum sind die andern Intelligenzen gleichsam die ewigen Träger des Universums, und so viel Intelligenzen, so viel unzerstörbare Spiegel der objektiven Welt. Die Welt ist unabhängig von mir, obgleich nur durch das Ich gesetzt, denn sie ruht für mich in der Anschauung anderer Intelligenzen, deren gemeinschaftliche Welt das Urbild ist, dessen Übereinstimmung mit meinen Vorstellungen allein Wahrheit ist.26
Zu den für die theoretische Philosophie notwendigen Merkmalen Unsichtbarkeit, Streit und Grenze kommt die in der praktischen Philosophie entwickelte ursprüngliche Harmonie einer gemeinsamen Welt hinzu, in der sich freie Individuen gegenseitig anerkennen und so ihre Freiheit – und die gemeinsame Welt – verwirklichen und gestalten. Die Gestaltung der Welt ist dabei nur vor dem Hintergrund der fortdauernd produzierenden Tätigkeit der Anschauung möglich, die als freie Handlung aller erscheint. „Was uns als ein Handeln auf die Außenwelt erscheint, ist idealistisch angesehen nichts anderes als ein fortgesetztes Anschauen: In diesem auf den ersten Blick befremdlichen Satz ist das Geheimnis des Übergangs des Subjektiven in die objektive Welt begründet. Die Welt ist nichts an sich Bestehendes, sondern von den Intelligenzen Produziertes – ständig aber unsichtbar – und erst in der freien Handlung (dem Wollen) der Menschen als objektiv vor uns stehend erfahrbar: „Wir handeln frei, und die Welt wird unabhängig von uns existieren“.27 Auf dieses „wir“ kommt es nun an: Das Unsichtbare wird an anderen Menschen sichtbar. Doch: Auch hier findet das Bewusstsein keine Ruhe. Durch die Forderung nämlich, dass die ideelle Tätigkeit für die freien Individuen objektiv 25 26 27
F.W.J. Schelling: StI, SW III, S. 551. F.W.J. Schelling: StI, SW III, S. 556. F.W.J. Schelling: StI, SW III, S. 567.
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werde als das Sittengesetz wird die ideelle, produzierende Tätigkeit einerseits als reine Selbstbestimmung sichtbar. Dadurch entfaltet sie aber andererseits eine auf das Endliche gerichtete und es negierende Kraft. Das Sittengesetz ist nicht nur unsere uns vor Augen geführte unendliche freie Natur, sondern es „schlägt vielmehr alles nieder, was zur Individualität gehört, und vernichtet sie völlig“.28 Die Unsichtbarkeit der unendlichen Tätigkeit wird somit zum einen objektiviert und so durch das Sittengesetz für das Selbstbewusstsein sichtbar gemacht, zum anderen wendet sie sich gegen die endliche Natur des Selbstbewusstseins. Die auf die äußere Welt gerichtete Tätigkeit des Produzierens, die als Natur- und Glückseligkeitstrieb „völlig blindlings wirkt“ und die in Konflikt gerät mit dem Sittengesetz ist immer noch im Selbstbewusstsein tätig.29 Beide Tätigkeiten – das Sittengesetz und der Naturtrieb – bedingen und negieren sich gegenseitig, so wie es bei der reellen und der ideellen Tätigkeit der Fall ist. In diesem Streit befindet sich der freie Wille in einem unbefriedeten Gegensatz zum Naturtrieb und erscheint als Willkür. ‚In dem unbefriedeten Gegensatz‘ zu stehen bedeutet, so Schelling, die Freiheit zur Erscheinung, eben zur Willkür, also zur bloßen Fähigkeit zwischen Entgegengesetzten zu wählen, zu vereinseitigen. Die Unsichtbarkeit der absoluten freien Tätigkeit bleibt in der einseitigen Auffassung der Freiheit als Willkür bestehen. Freiheit im „transzendentalen“ Sinn – die absolute Freiheit – ist sich in der praktischen Philosophie objektiv als empirische, erscheinende Freiheit, eben als Willkür. Diese ist, so Schelling, die „Offenbarung des absoluten Willens in uns“, allerdings eine Offenbarung auf mangelhafte Weise.30 Der Streit der entgegengesetzten Richtungen des Absoluten wird sowohl durch die sich gegen das Natürliche richtenden Kraft des Sittengesetzes als auch durch die einseitige Form der Freiheit als Willkür nicht gelöst, so dass er, unbegriffen und unbegreiflich, weiter untergründig wirkt und das Denken der Menschen bedroht. Die gemeinsame Welt, in der sich die Freiheit der Menschen verwirklicht, ist nicht nur die der Moral, sondern auch die Rechtsverfassung eines Staates, die „zweite Natur“ der Menschen, durch die sie ihren Willen dem Willen Anderer angleichen, allerdings anders als das im moralischen Handeln der Fall ist. Obwohl in der Moralität das höchste Gut das Sittengesetz ist, wäre der Versuch, die Rechtsverfassung in Moral umzuwandeln, „Despotismus in der furchtbarsten Gestalt“. Das Sittengesetz, das Herzstück der Moral, darf nicht in die Rechtsverfassung des Staates eingreifen.
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F.W.J. Schelling: StI, SW III, S. 574. F.W.J. Schelling: StI, SW III, S. 575. F.W.J. Schelling: StI, SW III, S. 578.
Die Rechtsverfassung beruht auf der Vernunft, die das Sittengesetz auf die Geschichte hin übersteigt und die nichts Exklusives ist, sondern allen Menschen und Völkern eigen ist. So wie sich Individuen gegenseitig anerkennen und dadurch ihre Freiheit verwirklichen und die Welt, in der sie leben, gestalten, so auch die Staaten. Es ist somit die Geschichte, die den Boden für die wechselseitige Anerkennung der Staaten der „kultivierten Nationen“ mit einer vernünftigen Verfassung bereitet und die Herausbildung einer Föderation aller Staaten, die sich „einem gemeinschaftlichen Gesetz unterwerfen“ ermöglicht.31 Der Streit der ideellen und der reellen Tätigkeit, die Unsichtbarkeit der Produktion der Intelligenz – die in der Geschichte als „eine blinde Notwendigkeit“ erscheint – und die gegenseitige Begrenzung der staatlichen Souveränität, damit das vernünftige Recht allgemein herrsche, hat mit der Geschichte die nächste Stufe auf dem Weg der Intelligenz zur Selbsterkenntnis erreicht. Nach der theoretischen Intelligenz und dem Wollen ist nun die Geschichte der Spielplatz des Kampfes von Freiheit und Notwendigkeit, und ihre Vereinigung nur dadurch zu erreichen, dass erkannt wird, dass in der Freiheit die Notwendigkeit liegt. Dieser Widerspruch wird dadurch aufgelöst, dass die Notwendigkeit als das Bewusstlose, eben für das Bewusstsein Unsichtbare anerkannt wird. Das heißt, dass durch freies Handeln in der Welt etwas entsteht, das die Individuen nicht beabsichtigen und deshalb Schicksal oder Vorsehung nennen. Sie erfahren die Verschränkung von Freiheit und Notwendigkeit in den Folgen ihrer Handlungen als unabhängig von ihren Absichten geschehen. Das Schauspiel der Geschichte ist im System die große Bühne, auf der Schelling die in der theoretischen und der praktischen Philosophie entwickelten Momente des großen Streites noch einmal auftreten lässt. 2.3 Bewusstlose und bewusste Produktion in der Kunst Neben der praktischen Philosophie gibt es noch ein weiteres Beispiel, in dem die bewusste und die bewusstlose Tätigkeit miteinander vereinigt sind im Sinne einer Zweckmäßigkeit, die nicht zweckmäßig hervorgebracht wurde:32 Die Kunst, genauer das Genieprodukt bzw. das Kunstprodukt. Das Genie vereinigt die widerstrebenden Tätigkeiten in seinem Kunstwerk, ohne jedoch ein Bewusstsein darüber zu haben. Wäre das der Fall, gäbe es einen Vorrang der Reflexion über das Unbewusste, was die Harmonie der künstlerischen Produktion, zu der das Moment des Unbewussten immer dazugehört, zerstörte. Der Streit der beiden Tätigkeiten ist, so Schelling, nur durch das Genie aufzulösen, nur durch die produktive
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F.W.J. Schelling: StI, SW III, S. 587. F.W.J. Schelling: StI, SW III, S. 606.
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Gestaltung und das ästhetische Produzieren im Kunstwerk.33 Aber nicht das Genie, sondern nur ein philosophischer Betrachter kann erkennen, dass und wie dieser Streit in der Kunst produktiv verwandelt wird. Dieses Wissen ist somit nur durch Philosophie möglich, nicht für ästhetisches Produzieren, nicht für das Genie. Philosophie, die von der Erkenntnis der unendlichen Entzweiung entgegengesetzter Tätigkeiten ausgeht,34 soll aber mit dieser Erkenntnis nicht von der Kunst getrennt bleiben oder sich über sie erheben, sondern wie es heißt, in den „allgemeinen Ozean der Poesie zurückfließen“. Das gelingt ihr, wenn sie durch eine neue Mythologie mit ihrem Ursprung, mit der Poesie, wieder vereint ist, wobei die Entstehung dieser neuen Mythologie keine Leistung von Einzelnen, auch nicht die eines Dichter-Genies ist, sondern die Arbeit eines neuen „Geschlechts“, d.h. eines ganzen Volkes. Erst das Zurückfließen „in den allgemeinen Ozean der Poesie“, aus dem sie hervorgegangen ist, macht die Philosophie ganz.35 Philosophie erfasst denkend nur einen Teil des Menschen, die Kunst aber den ganzen Menschen, und trotzdem ist die Kunst zwar die Erkenntnis des Höchsten, jedoch nicht die höchste Erkenntnis. Dieser schon im System angelegte Vorrang der Philosophie wird in den späteren Schriften offensichtlicher. Kunst ist das die eigenen Voraussetzungen nicht bewusste Gegenbild dessen, was Philosophie begreifend erkennt. So ist für Schelling in der Philosophie der Kunst die Philosophie und nicht die Kunst die höchste Erkenntnis, denn sie erkennt das Höchste als das Höchste. Sie erkennt die Einheit der beiden in der Kunstproduktion wirkenden entgegengesetzten Tätigkeiten. Schelling stellt in seinen späteren Schriften den Vorzug der Philosophie stärker heraus.36 In den Vorlesungen über die Methode des akademischen Studiums heißt es daher, der Philosoph erblickt in der Kunst das innere Wesen der philosophischen Wissenschaft wie in einem Spiegel.37 Die Bespiegelung der Philosophie in der Kunst macht sie fähig, die Kämpfe des Lebens nicht nur theoretisch zu begreifen, sondern die innere Widersprüchlichkeit, aber auch die Ganzheit des Menschen existentiell zu erfahren. Trotzdem lässt Schelling die Philosophie nicht einfach ‚höher‘ oder ‚wahrer‘ sein als die Kunst. In der Philosophie der Kunst heißt es deshalb: 33 34 35 36
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F.W.J. Schelling: StI, SW III, S. 624. F.W.J. Schelling: StI, SW III, S. 626. F.W.J. Schelling: StI, SW III, S. 629. Zu dem Unterschied von „Kunst als Organon der Philosophie“ (System des transzendentalen Idealismus) und „Kunst als das Gegenbild der Philosophie“ (Identitätssystem) vgl. Andreas Gabler: Die Kunst in Schellings Systemphilosophie, Würzburg 2020. F.W.J. Schelling: Vorlesungen über die Methode des akademischen Studiums, SW V, S. 351.
Die Philosophie ist die Grundlage von allem und befaßt alles; sie erstreckt ihre Konstruktion auf alle Potenzen und Gegenstände des Wissens; nur durch sie gelangt man zum Höchsten. Durch die Kunstlehre bildet sich innerhalb der Philosophie selbst ein engerer Kreis, in dem wir unmittelbar das Ewige gleichsam in sichtbarer Gestalt schauen, und so steht diese richtig verstanden mit der Philosophie selbst im vollkommensten Einklang.38
Der Ort der Kunstlehre befindet sich innerhalb der Philosophie. Die Kunst macht, vor allem in ihrer höchsten Gestalt als Poesie, das Unsichtbare sichtbar – aber nicht für sich selbst, sondern für die Philosophie. Es ist aber nicht der Philosoph, sondern der Künstler, der in seinem Schaffen die Einheit der beiden Tätigkeiten in sich vereinigt, wenn auch ohne es – als Künstler – zu erkennen und erkennen zu müssen. Das philosophische Denken hat zwar eine reflektierende, aber nicht die schöpferische Kraft eines Künstlers – und umgekehrt. Wie ist also das Verhältnis von künstlerischer Produktion und philosophischem Begreifen im Hinblick auf die beiden widerstrebenden Tätigkeiten zu verstehen? Bei der Beantwortung dieser Frage soll man an den § 14 der Darstellung meines Systems der Philosophie anknüpfen. Dort heißt es: „Nichts ist an sich betrachtet endlich.“39 Alles was ist, ist die Unendlichkeit (die absolute Identität) selbst, auch das Endliche, wenn es „an sich“ betrachtet wird. Im § 19 heißt es weiter: Die absolute Identität ist nicht ein Jenseits des Denkens; sie ist vielmehr „nur unter der Form des Erkennens ihrer Identität mit sich selbst.“40 Erkenntnis der absoluten Identität lässt das Endliche im Unendlichen aufgehen. Im Dialog Bruno werden wiederum alle Dinge, sowohl die Werke der Menschen als auch die der Natur als vollkommen bezeichnet, denn „an sich betrachtet [ist] nichts mangelhaft, unvollkommen und unharmonisch“. Das sei nur für die „zeitliche Betrachtungsweise“ der Fall.41 So auch im § 21 der Philosophie der Kunst: Vom Standpunkt der Totalität aus betrachtet sind alle Dinge in absoluter Schönheit und Wahrheit, Irrtum und Hässlichkeit gibt es nur in einer zeitlichen Perspektive. An dieser Stelle treffen wir bei Schelling wieder, so wie schon bei Fichte, auf den Gedanken der Selbstrelativierung der endlichen Subjektivität in ihrer Einheit mit dem Unendlichen. Bei Schelling besteht die Selbstrelativierung jedoch im Wechsel der Betrachtungsweise mit der man in Philosophie anfängt und nicht, wie bei Fichte, mit der man in Philosophie, d.h. im Fortgang der Methode der Wissen-
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F.W.J. Schelling: Philosophie der Kunst, SW V, S. 364. F.W.J. Schelling: Darstellung meines Systems der Philosophie (=DSP), SW IV, S. 119. F.W.J. Schelling: DSP, SW IV, S. 122. F.W.J. Schelling: Bruno oder über das göttliche und natürliche Prinzip der Dinge (=Bruno), SW IV, S. 223.
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schaftslehre, endet. Mit der Selbstrelativierung der endlichen Subjektivität fängt, so Schelling, die Philosophie an. Welche Rolle spielt für die philosophische Erkenntnis, insofern sie sich nicht im Rahmen der Vorstellungsalternative Dogmatismus-Realismus bewegt, sondern für die, „an sich“ betrachtet, nichts endlich oder unvollkommen ist, die Unsichtbarkeit der ideellen, hervorbringenden Tätigkeit, die ja bei Fichte und bei Schelling eine so große Bedeutung hat? Sie soll sozusagen ‚indirekt‘ erkannt werden im Vollzug der Philosophie selbst. Das was sich nicht zeigt aber im Denken und in der Welt wirkt ist nicht ein Thema der Philosophie von vielen, es ist ihr eigentliches und eigentümliches Thema. Und welche Rolle spielt die unsichtbare schöpferische Tätigkeit in der Kunst? In der Kunst finden wir sie in der hervorbringenden Tätigkeit des Künstlers, die er zwar nicht erkennt, die er aber „von Natur aus“ ausübt „ohne es zu wissen“42 Die durch den Künstler wirkende unsichtbare hervorbringende Kraft zeigt sich in der Individualität seines Werks. Mit der Individualität des künstlerischen Werks ist jedoch keine individuelle Selbstoffenbarung des Künstlers gemeint, denn das wäre dann für Schelling gerade keine Kunst mehr, sondern damit ist gemeint die Offenbarung der in dem künstlerischen Werk wirkenden und die Einheit von Urbild und Abbild stiftenden Tätigkeit. „Individualität“ bedeutet hier die Individualisierung des Allgemeinen, nicht ein in der Originalität des Künstlers beruhendes Kunstwerk. Der Zusammenhang zwischen der unsichtbaren, verborgenen Tätigkeit des Absoluten und der Selbstrelativierung der endlichen Subjektivität wird in der Kunst hergestellt durch den Gedanken des ins Unendliche Endlichen.43 Das „ins Unendliche Endliche“ ist noch nicht das wahrhaft Existierende; es ist das Streben, die wahre Einheit mit dem Unendlichen zu erreichen, sich selbst also als die noch nicht wahrhafte Existenz zu überwinden. Die Vollkommenheit des Kunstwerks besteht daher in dem Streben das Unendliche darzustellen, sich so weit wie möglich ihm anzugleichen und dadurch vollendeter und unabhängiger zu sein. Das Kunstwerk ist ein lebendiger Organismus, es ist die Darstellung des „ins Unendliche Endlichen“, ohne dass das Endliche dabei seine Selbständigkeit verliert. 2.4 Mythologie und zukünftige Philosophie: Einheit von Bedeuten und Sein Kunst ist das Gegenbild zum Urbild des in der Philosophie dargestellten Absoluten. Unabhängig von ihrem Verhältnis zur Philosophie stellt aber auch die Kunst Urbilder dar, und zwar in der sinnlichen Welt und nicht nur (wie Philosophie) in der Intellektualwelt. Kunstwerke öffnen in der 42 43
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F.W.J. Schelling: Bruno, SW IV, S. 231. F.W.J. Schelling: Bruno, SW IV, S. 261, 283.
abgebildeten Welt den Blick auf die Intellektualwelt, machen sie sichtbar. Philosophie wiederum öffnet die Möglichkeit der Erkenntnis der Welt der Urbilder für den Künstler, der sich aber, philosophierend und über sein Tun reflektierend, nicht mehr „in der Qualität des Künstlers“ befindet.44 Zu der schöpferischen Tätigkeit gehört ja wesentlich, dass sie für den Künstler, sofern er als Künstler tätig ist, unsichtbar ist: „Kunst beruht daher auf der Identität der bewußten und der bewußtlosen Tätigkeit“, der Absicht und der Notwendigkeit.45 Die Einheit der bewussten und der bewusstlosen Tätigkeit in der Kunst wird dabei durch die Einbildungskraft, welche die schöpferische Kraft der „Ineinsbildung“ und der Individuation ist und in der das Ideale zugleich das Reale ist, verwirklicht.46 Und es ist die Poesie, die der Reflex der Einbildungskraft in der Phantasie ist, die das „Geheimnis alles Lebens“ ausdrückt: das Allgemeine im Besonderen, die Absolutheit in der Begrenzung.47 Die Gedankenfigur, die bei Fichte eine zentrale Rolle im Hinblick auf die Bestimmung der Einbildungskraft spielt, finden wir hier bei Schelling am Beispiel der Poesie dargestellt: Die Einbildungskraft der Phantasie ist die Einheit der unendlichen allgemeinen und der sie begrenzenden besonderen Tätigkeit. Die Welt der Poesie ist die abgeleitete, die abgebildete Welt, die nach dem Gesetz des Absoluten wirkt: die Einbildung des Unendlichen in das Endliche. Nur der Phantasie ist es möglich, das Absolute mit dem Endlichen zusammenzubringen und zugleich in das Besondere „die ganze Göttlichkeit des Allgemeinen“ hineinzubilden, ohne dass dieses durch diese Gegenwart zerstört wird. Die menschliche Phantasie ist aufgrund dieser Fähigkeit das Abbild der schöpferischen Tätigkeit des Absoluten. Die Poesie ist somit die gelungene Weise der Rettung des Besonderen vor dem Untergang in der Einheit mit dem Absoluten. Worum es der Philosophie geht wird sichtbar dargestellt in der Poesie, genauer in der Mythologie, der notwendigen Bedingung und dem ersten Stoff der Kunst: Die Einbettung der Welt des Streites und des Krieges, aber auch der Versöhnung, in der sie umfassenden Identität des Absoluten. Es sind die ‚gleichgültigen‘ Götter der griechischen Mythologie, die in ihrer eigenen, von der wirklichen abgesonderten Welt leben und die nur für die Phantasie real sind. Sie sind in der Kunst das, was in der Philosophie die Ideen sind: für sich stehend und selbstgenügsam.48 Die Göttergestalten sind Darstellungen des Zusammenspiels von Trennung und Einheit: Sie sind voneinander verschieden, und zugleich trägt innerhalb ihrer 44 45 46 47 48
F.W.J. Schelling: Vorlesungen über die Methode des akademischen Studiums, SW V, S. 348. F.W.J. Schelling: Philosophie der Kunst, SW V, § 19, S. 384. F.W.J. Schelling: Philosophie der Kunst, SW V, § 22, S. 386. F.W.J. Schelling: Philosophie der Kunst, SW V, § 30, S. 393. F.W.J. Schelling: Philosophie der Kunst, SW V, S. 370.
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Vielfalt und Besonderheit jede Göttergestalt „die ganze Göttlichkeit in sich“.49 Den Gedankengang der Freiheitsschrift und den dort gedachten Unterschied von „Ungrund“ und Grund vorwegnehmend wird in der Philosophie der Kunst „die Nacht und das Fatum“, der „dunkle Hintergrund“ aus dem die Götter hervorgegangen sind, vom Licht unterschieden. Dabei ist Jupiter, der für das Licht steht, das Sinnbild der absoluten Indifferenz, er ist die verborgene, unsichtbare Identität in der die absolute Macht und die absolute Weisheit geheimnisvoll vereint sind. Minerva ist wiederum das Sinnbild der Form und des Universums, sie ist das Abbild der göttlichen Weisheit, aus der sie zeitlos entspringt. Diese verschiedenen Bereiche der Götterwelt sind Darstellungen einer poetischen Existenz, die zugleich das Wesentliche der menschlichen Existenz, der Welt des Krieges, ist. So heißt es: Minerva trägt in sich selbst alles, was die Form Hohes und Mächtiges, Kunstreiches und Zerstörendes, Vereinendes und Entzweiendes in sich hat. Die Form an und für sich ist kalt, da ihr in dieser Absonderung der Stoff fremd ist, sie ist aber zugleich die höchste Macht, die keine Schwäche, wie keinen Irrtum kennt; sie ist daher zugleich das Urbild und die ewige Erfinderin aller Kunst, und die furchtbare Zerstörerin der Städte, die verwundende und die heilende. Sie ist vereinend als die absolute Form, aber auch die Göttin des Kriegs in Bezug auf die menschlichen Geschlechter. Im hohen Olymp, in der heiteren Region des Göttlichen ist kein Streit, denn das Widerstreitende ist hier, gesondert oder vereint, zur gleichen Absolutheit ausgebildet; nur in der niederen Welt, wo Form sich gegen Form, Besonderes gegen Besonderes empört, ist Krieg, die Werkstätte der nicht ruhenden Bildung und Zerstörung, des Wechsels und Wandels; aber alle diese Erscheinungen der Zerstörung des Kriegs ruhen doch als Möglichkeiten im Schoß der absoluten Form.50
Die absolute Form (Minerva, die furchtbare Zerstörerin und die „fruchtbarste aller Gottheiten“) entspringt aus der Fülle der absoluten Indifferenz (Jupiter, der die höchste Macht und zugleich die höchste Ruhe ist). „Absolut“ ist die Form, weil sie von keinem Inhalt, von keiner Bedeutung abhängig ist, sondern nur die reine absolute Tätigkeit der Zerstörung und der Heilung ist. Diese absolute Form-Tätigkeit ist – wie wir aus Schellings Identitätsphilosophie wissen – die Quelle des Krieges, sie ist seine Möglichkeit, die immer schon Wirklichkeit ist. Aber es ist auch die absolute Form-Tätigkeit, durch die der Krieg der menschlichen Geschlechter in eine Kunstform überführt wird. Denn hierin besteht das Wesentliche der Kunst und das ist „das Gesetz der Schönheit“: die absolute Tätigkeit im Besonderen darzustellen, ohne durch diese Darstellung das Besondere zu zerstören. Die philosophische Rekonstruktion der Mythologie erkennt, 49 50
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F.W.J. Schelling: Philosophie der Kunst, SW V § 30, S. 392. F.W.J. Schelling: Philosophie der Kunst, SW V, § 35, S. 400.
wie diese die Aufgabe der Rettung des Endlichen in der Einheit mit dem Absoluten löst: in den Göttergestalten, die „das Absolute in der Begrenzung“ und ein organisches Ganzes, eine ganze „Welt“ sind.51 Minerva ist die Göttin des Philosophen, des Künstlers und des Kriegers, die „verwundende und heilende“: diese in einer Göttergestalt bildlich dargestellte Einheit von Künstler, Philosoph und Krieger bringt Wesentliches, nämlich die Ruhe der absoluten Form in der Einheit mit der Entgegensetzung ihrer Momente, auf den Punkt. Zu betonen ist, dass für Schelling diese – symbolische – Darstellung der Mythologie durch die Kunst nicht eine ist, in der das Besondere das Allgemeine nur bedeutet oder ‚meint‘ ohne es zu sein, sondern – und das ist die entscheidende Wendung – diejenige, in der das Allgemeine dasjenige ist, was es bedeutet. Göttergestalten, Mythen also, sind „die Realität für sich“, sie stehen nicht für etwas Anderes. Sie „bedeuten“ nicht etwas, sie sind. Darin – und das ist die besondere Pointe des Verhältnisses von Philosophie und Kunst – unterscheiden sie sich nicht von dem spekulativen Denken der Philosophie, das auch nicht nur repräsentiert, sondern das ist, was es denkt: die absolute Tätigkeit in ihrem jeweils aktuellen Vollzug.52 Solange die Göttergestalten der griechischen Mythologie symbolisch verstanden werden sind sie vor der willkürlichen Hervorbringung und vor dem Zerfall in die Bedeutungslosigkeit bewahrt. Sie sind, was sie sind, ihre Bedeutung ist identisch mit ihrem Sein, und sobald man ihnen eine von ihrem Sein getrennte Bedeutung zuspricht und so ihre „poetische Absolutheit“ zerstört, sind sie „nichts mehr“. Diese Untrennbarkeit von Bedeutung und Sein, in dem auch das „Ich bin, der ich bin“ des Alten Testaments anklingt oder Hegels Bestimmung von Christus als der Wirklichkeit Gottes versammelt die entgegengesetzten Tendenzen der absoluten Tätigkeit in einem Punkt, der mit Fichtes „Evidenz“ im Vollzug der Wissenschaftslehre verwandt ist. Das Absolute verweist auf sich selbst und nicht auf etwas Anderes, es ist nicht zu begründen oder zu konstruieren, sondern nur zu ‚sehen‘. Für Schelling gilt diese Evidenz sowohl für das Absolute in der Kunst als auch für das Absolute in der Philosophie. Wenn wir uns das das Denken konstituierende Moment der Unsichtbarkeit der absoluten Tätigkeit wieder vor Augen führen, erkennen wir sie im ersten und höchsten Gegenstand der Kunst, in der Mythologie. Die Unsichtbarkeit der absoluten Tätigkeit ist in der Unabsichtlichkeit der Mythologie enthalten. Die Dichtungen der Mythologie sind nicht „um einer Bedeutung willen erfunden“.53 Sie haben nicht den Zweck außer 51 52
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F.W.J. Schelling: Philosophie der Kunst, SW V § 34, S. 399. F.W.J. Schelling: Philosophie der Kunst, SW V, § 39, S. 411: Die Philosophie ist unter den Wissenschaften, das Drama ist unter den Kunstformen symbolisch, d.h. dort gilt: Das Allgemeine ist das Besondere. F.W.J. Schelling: Philosophie der Kunst, SW V, § 41, S. 414.
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sich, sondern sind Selbstzweck, besitzen die innere Zweckmäßigkeit, welche die für das Schöne charakteristische Bestimmung ist. Hier kommen wir zu einem wesentlichen Punkt der künstlerischen und der philosophischen Tätigkeit: Bedeutung zu produzieren, aber so, dass sie nur „durchschimmert“ und nicht der „gemeinen Absichtlichkeit“ anheimfällt. Das ist die schwierigste Aufgabe der Kunst – und der Philosophie.54 Ist es aber auch der Philosophie möglich, das Sein des Absoluten im Besonderen auf eine vergleichbare Art wie die Kunst darzustellen? Zumindest ist festzuhalten, dass, so Schelling, die absolute Kunstform der Mythologie die gemeinsame Wurzel der Poesie, der Geschichte und der Philosophie ist.55 Mythologie ist die Grundlage der Philosophie, diese muss also das Wesentliche – die Einheit von Sein und Bedeutung – von ihr erben. Das Besondere der Philosophie besteht zwar im Denken, im Allgemeinen der Ideen also, doch auch in ihr ist die Indifferenz von Absolutem und Besonderem real. Philosophie ist symbolische Wissenschaft. In der Mythologie, der symbolischen Kunst, ist die Bedeutung zugleich das Sein, das Allgemeine ist zugleich das Besondere, das Bild ist der Begriff. In der Philosophie, der symbolischen Wissenschaft, gilt das Gleiche – sofern sie nicht schematisierende (das Besondere durch das Allgemeine anschauende), sondern wahre Philosophie ist, in der das Absolute (die absolute Tätigkeit) nicht nur vorgestellt wird, sondern im Akt des Philosophierens lebendig und gegenwärtig ist. Dichtungen der Mythologie sind bedeutend und bedeutungslos, d.h. sie stellen das Allgemeine im Besonderen in ihrer organischen Einheit so dar, dass jedes der beiden absolut, um seiner selbst willen ist. Auch die wahre Philosophie ist, so wie die absolute poetische Kunst, zugleich bedeutend und bedeutungslos. Sie ist daher, wenn sie nicht mehr Verstandesphilosophie, sondern spekulativ ist, die ‚Nachfolgerin‘ der absoluten Poesie. Wahre Philosophie soll, so wie Mythologie, Besonderes und Begrenztes, Unendliches und Allgemeines sein und nicht bloß darstellen. Das, was „der Grieche“ tat, soll auch Philosophie tun: „nicht das einseitig-Unendliche, sondern das schon mit dem Endlichen durchdrungene Unendliche, d.h. das ganze Göttliche, sofern es Allheit ist, herab in die Endlichkeit [zu ziehen]. Die griechische Poesie ist insofern die absolute, und hat als Indifferenzpunkt keinen Gegensatz außer sich.“56 Keinen Gegensatz außerhalb ihrer selbst zu haben gilt auch für Philosophie, die sich als spekulativ versteht. Mit einem wesentlichen Unterschied: Die Entstehung der absoluten Poesie geschieht, so wie das Leben eines organischen Wesens, ohne Reflexion auf das Tun. In der Philosophie wird aber im spekulativen Denkvollzug die Reflexion als eine notwendige Stufe
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F.W.J. Schelling: Philosophie der Kunst, SW V, § 39, S. 411. F.W.J. Schelling: Philosophie der Kunst, SW V, § 42, S. 416. F.W.J. Schelling: Philosophie der Kunst, SW V, § 42, S. 422.
des Aufstiegs zum vollständigen Begriff der absoluten Tätigkeit gebraucht, um dann als der vermittelnde Teil der „vermittelten Unmittelbarkeit“ (um an dieser Stelle einen Ausdruck von Hegel zu gebrauchen57) in das organische Ganze eingefügt zu werden. „Keinen Gegensatz außer sich haben“ heißt, in den Denkvollzug der vermittelten Unmittelbarkeit einzugehen und aus ihr zu philosophieren. Gerät aber Philosophie durch diese Nähe zur griechischen Mythologie nicht in den Gegensatz zum Christentum? Dieses beruht ja auf dem der Mythologie entgegengesetzten Prinzip: Freiheit, Moralität und Geschichte statt Natur; Vernichtung des Endlichen im Unendlichen statt das Sein des Unendlichen im Endlichen; das Endliche als die Allegorie des Unendlichen statt die Symbolik des Unendlichen; das Symbolische in Handlungen des Kultus, statt in der Poesie; Herrschaft und Gewalt des Allgemeinen, Unendlichen und dadurch Zerfall des Endlichen und Besonderen, statt das In-Eins-Fallen des Allgemeinen und des Individuums, des Unendlichen und des Endlichen.58 Und dies – die Entgegensetzung der wahren Philosophie und des historischen Christentums – ist für Schelling tatsächlich der Fall: Alle spekulative Philosophie hat notwendig dieselbe der Richtung des Christentums entgegengesetzte Richtung, sofern man nämlich das Christentum in dieser seiner empirisch-historischen Gestalt nimmt, in welcher es sich als Gegensatz darstellt, und nicht in dieser Entgegensetzung es selbst als Übergang betrachtet.59
Der Gegensatz von Unendlichem und Endlichem und das Christentum als die empirisch-historische Gestalt dieses Gegensatzes, in dem das Endliche in der Einheit mit dem Absoluten vernichtet ist, sind der spekulativen Philosophie entgegengesetzt. Fichte müsste, in Schellings Augen, ein Vertreter dieser ‚christlichen‘ Philosophie sein, in der das Endliche keine eigene Würde hat. Das Christentum und die auf ihm beruhende Poesie und Philosophie müssen aber, so Schelling, als eine Übergangsgestalt betrachtet werden. Sie müssen sich zu einer Totalität entwickeln, zu einer neuen Welt, in der das Unendliche das Endliche tatsächlich ist – und umgekehrt. Die „letzte Bestimmung“ des Christentums, der modernen Poesie und der spekulativen Philosophie ist deshalb die gleiche: das Ausbilden einer neuen Mythologie und einer neuen Symbolik, die in der Einheit von Poesie und Philosophie mit der realistischen Mythologie der Griechen besteht und die „wechselseitige Durchdringung“ der Geschichte mit der Natur sein wird: „Absolute Identität der Natur und der Geschichte“.60 57 58 59 60
G.W.F. Hegel: Enzy. TW 8, § 50 A. F.W.J. Schelling: Philosophie der Kunst, SW V, § 42, S. 432. F.W.J. Schelling: Philosophie der Kunst, SW V, § 42, S. 448. F.W.J. Schelling: Philosophie der Kunst, SW V, § 60, S. 457.
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Und Philosophie? Sie ist nicht nur ein Ideelles und als solches ein „höherer Reflex des Reellen“, der Kunst also. Sie ist in ihrer begreifenden Tätigkeit nicht nur im Gegensatz zu Kunst zu betrachten, sondern auch als ein mit ihr verwandtes, obwohl von ihr verschiedenes autonomes Ganzes. Es ist, so Schelling, die spekulative Naturphilosophie, welche die Anlage für eine zukünftige Symbolik in sich trägt und die nicht von einem Individuum, sondern von „der Zeit“ geschaffen wird. Schelling eröffnet folgende Perspektive auf eine zukünftige Philosophie, die zugleich Mythologie im Sinne der wirklichen, auch geschichtlichen Einheit des Unendlichen und des Endlichen sein wird: „Wir“ geben nicht der „idealistischen Bildung“ ihre Götter (das Unendliche) durch die spekulative Philosophie, sondern wir erwarten die Götter, die sich unabhängig von der Philosophie bilden, und stellen die Symbole für ihre Anwesenheit bereit.61 Die zukünftige Philosophie ist wirklichkeitsbildend, nicht aus Selbstmächtigkeit, sondern als der Ort, an dem sich die absolute Tätigkeit, in der Einheit ihrer inneren Spannung von Schöpfung und Vernichtung, verwirklicht. Die Aufgabe der Philosophie ist es, diese bildende Kraft zu erkennen und sie geschehen zu lassen mit der freiwilligen ‚Suspension‘ der Reflexion. Suspension bedeutet Integration in das Ganze. Im antiken Drama ist sie durch den Chor dargestellt, der die „objektivierte und repräsentierte Reflexion“ auf die Handlung ist, aber eine Reflexion, die in die Handlung und so in das Ganze, als dessen wichtiger Teil (und nicht als das die Handlung Beherrschende) integriert ist.62 Folgendes ist festzuhalten: Der Satz „Nichts ist an sich betrachtet endlich“ soll im Kontext der Philosophie der Kunst nicht so verstanden werden, als ob das endliche Subjekt in seinem Bestreben, die Einheit mit dem Absoluten zu erreichen, zerstört werden müsste. Es soll vielmehr erkannt werden in seinem In-Eins-Sein mit der absoluten Tätigkeit. Hier besteht ein wichtiger Unterschied zu Fichtes Wissenschaftslehre und zu Schellings frühen Schriften, in denen erst die Selbstvernichtung (Selbstrelativierung) des Endlichen das Absolute erscheinen lässt. Fichte ist, Schellings Einschätzung nach, ein Vertreter der modernen, noch nicht vollständig entwickelten Philosophie. Dessen Philosophie entsprächen dann die moderne Poesie und die Moralphilosophie, in denen das Besondere in seiner Einheit mit dem Absoluten seine Selbständigkeit verliert, und nicht die ursprünglichere homerische Mythologie, in der das Besondere das Allgemeine ist. Dieser Unterschied in der Betrachtung des Endlichen in seinem Verhältnis zum Absoluten lässt die Philosophie der Kunst, was das Verhältnis Absolutes-Endliches betrifft, als eine wichtige Etappe auf dem 61 62
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F.W.J. Schelling: Philosophie der Kunst, SW V, § 42, S. 449. F.W.J. Schelling: Philosophie der Kunst, SW V, S. 706.
Weg von dem sogenannten Identitätssystem zu der Freiheitsschrift und der Philosophie der Mythologie erscheinen. Die unsichtbare schöpferische Tätigkeit ist das Innerste der Natur und der Kunst, aber auch der Philosophie. Sie ist das Leben in „jedem Ding“ und „seine Kraft, dazusein“.63 Diese wirkende, Leben erschaffende und erhaltende Kraft in allen Dingen ist deshalb der einzige Gegenstand der Philosophie der Natur, der Philosophie der Kunst und der spekulativen Philosophie. So wie auch Hegel bezeichnet Schelling die Vorstellung der wirkenden Kraft in allen Dingen als ihre Verkehrung in eine bloße Zusammensetzung von Teilen, als ihre Verzeitlichung in Nacheinander, Nebeneinander und Außereinander. Für beide ist Spekulation die dem Neben- und Nacheinander der Vorstellung entgegenwirkende Kraft des Denkens. Für beide wird durch Spekulation, nicht durch Vorstellung der „Begriff“ in allen Dingen sichtbar, wenngleich er bei Hegel eine umfassendere und strengere Bedeutung bekommt. Die schöpferische Kraft des Begriffs ist in der Kunst, so Schelling, die Verbindung der bewussten mit der immer aktuell vollzogenen unsichtbaren, unbewussten Tätigkeit, über die zwar reflektiert werden kann, die aber für das Denken immer auch unsichtbar, fremd und unfassbar bleibt, obwohl sie sein Eigenstes ist.64 Hier wird für Schelling die tiefe innere Verwandtschaft von Kunst und Philosophie sichtbar: Die Verwandlung der „äußersten Widerwärtigkeit“65 des Lebens – in Kunst durch Schönheit, in Philosophie durch Erkenntnis, in beiden Fällen in ein organisches Ganzes. „Verwandlung“ bedeutet aber nicht, dass es zwischen den Entgegengesetzten keinen Streit mehr gibt. Das ist ja gerade das Bezeichnende der höchsten Kunstform, des Dramas, dass es die Entgegengesetzten, Unendlichkeit und Endlichkeit, und, in höchster Potenz, Notwendigkeit und Freiheit so darstellt, dass der Sieg des einen Entgegengesetzten nicht den Untergang des anderen nach sich zieht.66 In der Kunst ist es der Tragödiendichtung vorbehalten, dies darzustellen. Der Streit der Entgegengesetzten endet in ihr so, dass beide zugleich siegend und besiegt aus dem Kampf hervorgehen. Er wird symbolisiert durch Personen, z.B. Ödipus, die sich über die Niederlage frei erheben und so als siegend und besiegt in der „höchsten Indifferenz“ erscheinen.67 Hier können wir – was Schelling nicht tut – mit guten Gründen Ödipus 63 64 65 66 67
F.W.J. Schelling: Über das Verhältnis der bildenden Künste zu der Natur, SW VII, S. 295. F.W.J. Schelling: Über das Verhältnis der bildenden Künste zu der Natur, SW VII, S. 300. F.W.J. Schelling: Über das Verhältnis der bildenden Künste zu der Natur, SW VII, S. 314. F.W.J. Schelling: Philosophie der Kunst, SW V, S. 690. F.W.J. Schelling: Philosophie der Kunst, SW V, S. 693.
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nicht nur als das Beispiel eines tragischen Helden, sondern auch als das Beispiel einer wahrhaft philosophischen Existenz betrachten, die, durch die Notwendigkeit des Schicksals eines Verbrechens schuldig geworden, in sich den Kampf der beiden widerstreitenden Kräfte austrägt. Das tragische Schicksal ist das Unglück, das „nicht im Willen und in der Freiheit selbst liegt“. Ihm liegt keine Schuld zugrunde. Der Kampf des Helden gegen das Verhängnis ist auch der Sieg der unterlegenen Freiheit: „Es ist der größte Gedanke und der höchste Sieg der Freiheit, willig auch die Strafe für ein unvermeidliches Verbrechen zu tragen, um so im Verlust seiner Freiheit selbst eben diese Freiheit zu beweisen, und doch mit einer Erklärung des freien Willens unterzugehen.“68 Die vom Schicksal verhängte Strafe wird freiwillig übernommen. So geht „aus dem Kampf, welcher das Subjekt zu vernichten droht, die Freiheit als absolute Freiheit, für die es keinen Widerstreit gibt“, hervor. 69 Die Befriedung des Kampfes liegt in der freiwilligen Übernahme des aus ihm erfolgten Untergangs. Der ‚im Menschen‘ herrschende Krieg wird durch die Übernahme des Unvermeidlichen überwunden. Das ist der Grundgedanke, der noch verschiedene Variationen erhält. In diese Richtung denken Schelling und auch Hegel. Die einzige Art der Darstellung, in der dieser Kampf weder subjektiv ausgetragen wird wie im lyrischen, noch objektiv beruhigt wird in der Annahme des Schicksals wie im epischen Gedicht, ist daher das Drama, die „letzte Synthese aller Poesie“.70 Dabei ist Folgendes entscheidend, weil auch für Philosophie bezeichnend: Im Drama wird die Handlung – die Darstellung des Kampfes – nicht erzählend vorgetragen, sondern ist „selbst und wirklich“, das Subjektive der Personen des Dramas wird als
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F.W.J. Schelling: Philosophie der Kunst, SW V, S. 697. F.W.J. Schelling: Philosophie der Kunst, SW V, S. 691. Vgl. dazu Lore Hühn: „Geschichtsphilosophisch wendet Schelling den Befund einer Philosophie, die Gefahr läuft, an ihrem Selbstwiderspruch zu kollabieren, gegen die Idee ihrer internen Stabilität. Er revidiert damit vor allem die Annahme, die Philosophie der Moderne differenziere sich einfachhin in autonome und plurale Diskursformationen aus. Gegen das allzu idealisierte Bild einer harmonistischen Selbstentfaltung, bei der keine Formation das Grundrecht der anderen bestreitet oder dieses der Tendenz nach verdrängt, bietet Schelling erklärtermaßen das der antiken Tragödie entlehnte Strukturmodell des Kampfes grundsätzlich gleichberechtigter Konkurrenten auf, – eines Kampfes, bei dem die Kontrahenten im Streit um die eigene Legitimationsgrundlage sich buchstäblich den Boden unter den Füßen entziehen. Nicht im letztlich an konfliktfreier Selbstvergewisserung orientierten Diskurs, vielmehr über die Dialektik des Kampfes zwischen solchen Philosophieformen, die sich die angestammte Domäne ihrer Geltung streitig machen, vollzieht sich nach Schelling die nachkantische Definition von Philosophie.“ In: Erkenntnisgründung und Philosophie des Tragischen beim frühen Schelling, Hg. Jörg Jantzen, Stuttgart-Bad Cannstatt 1998a, S. 109f.
objektiv dargestellt.71 Die Objektivierung des Subjektiven – das ist die Ebene der Handlung des Dramas – tritt aber zugleich mit der Subjektivierung des Objektiven, der Ebene der Zuschauer auf. Nur dort nämlich, wo der Kampf von Freiheit und Notwendigkeit als wirklich und gegenwärtig und nicht als nur vorgestellt und ‚gespielt‘ erfahren wird, wird es zu der Anteilnahme der Zuschauer an handelnden Personen und dadurch zur Subjektivierung des Objektiven (der Handlung) kommen. Das Tragödiendrama, die höchste Kunstform, lässt uns somit auch die höchste Möglichkeit der Philosophie sehen: Wahres, nicht bloß vorstellendes philosophisches Erkennen ist immer auch existentielle Anteilnahme an der Gegenwart der im Denken wirkenden schöpferischen und zerstörerischen Prozesse. Wahre Philosophie kann „nicht gelernt, nicht nachgebetet, nicht nachgeheuchelt“ oder nachgesprochen werden. Sie ist esoterisch und nur für den „Bund freier Geister“ verständlich. In diesem „Bund“ hört die Spekulation auf bloße Theorie zu sein und wird zur Wirklichkeit des Kampfes, „zum Gesetz unseres Lebens“ das uns befreit und das existentielle Erfahrung geworden ist.72 Wichtig für das angemessene Verständnis des Tragischen sind deshalb folgende Momente: das Auf-sich-Ziehen der Folgen der unverschuldeten Schuld, das An-den-Tag-Bringen des furchtbaren Verhängnisses durch den Akteur selbst und das freiwillige Übernehmen der Strafe des schuldlos Schuldigen.73 Schelling kommt es vor allem auf den zweiten Punkt an. In dem Offenbarmachen, Erkennen des dem Leben zugrundeliegenden Verhängnisvollen besteht im Kern auch die höchste philosophische Tätigkeit. Das heißt aber, dass für Schelling Philosophie in ihrem Kern etwas Tragisches aufdeckt und so selbst etwas der Tragödie Verwandtes ist. Auch sie bringt etwas zum Vorschein, das man durchaus als „furchtbar“ und „schrecklich“ bezeichnen kann: Die Wahrheit über den unvermeidlichen Krieg, der in unserem Denken und Leben herrscht, und die aus ihm entspringenden Verhängnisse. Nicht nur etwas zu bedeuten, etwas zu repräsentieren, sondern es selbst zu sein und geschehen zu lassen – das ist für Schelling die eigentümliche Vorgehensweise des Mythos, des Tragödiendramas und der wahren Philosophie. Das Entscheidende sowohl des Tragödiendramas als auch der Philosophie besteht in dem, was als das Geschehen-Lassen des Zugrundeliegenden interpretiert werden kann. Das bedeutet, dass die Handlung des Dramas für den anteilnehmenden, existentiell interessierten Zuschauer – bzw. das Denken für den Hörer und Leser der Philosophie – für diese selbst in dem Aktuellen des Verstehens und nicht nur für das mehr oder
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F.W.J. Schelling: Philosophie der Kunst, SW V, S. 692. F.W.J. Schelling: Briefe über Dogmatismus und Kritizismus, 10. Brief, SW I, S. 341. F.W.J. Schelling: Philosophie der Kunst, SW V, S. 697f.
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weniger gleichgültige Publikum lebendig und gegenwärtig geworden sein muss. Die Lebendigkeit und das Ziel der Handlung sind bei den Modernen (dafür steht für Schelling exemplarisch Shakespeare) verstanden als die angestrebte Vereinigung des Besonderen mit der Allgemeinheit des Ewigen. Hier setzt Kritik Schellings an der modernen Kunst an: Die als Vereinigung von Vielen verstandene Allgemeinheit kann nicht alles Besondere umfassen, es kann sich ihr nicht alles Endliche unterordnen, sondern nur ein einzelner Charakter der Handlung. So kann Shakespeare „als Moderner“ das Ewige „nicht in der Begrenzung, sondern im Unbegrenzten“, in der „Universalität“ auffassen. Bei den „Alten“ ist jedoch im Gegensatz dazu das Allgemeine nicht das äußere Band der Einzelnen, nicht das Unbegrenzte, sondern es ist in der endlichen Einzelheit anwesend, und in ihr in seiner ganzen Fülle versammelt: „Die Alten hatten eine concentrirte Universalität, die Allheit nicht in der Vielheit, sondern in der Einheit.“74 Das Endliche ist daher weder in der Kunst noch in der Philosophie vorzustellen als nur an einem Teil des Ewigen und Schönen teilhabend; es ist vielmehr selbst das Ewige in dessen verwirklichten geschichtlichen Fülle. Kunst in ihrer höchsten Gestalt als Mythologie und Tragödie sowie Philosophie in ihrer höchsten Gestalt als spekulative Philosophie zeigen daher nicht nur das Absolute, sondern sie sind das, was sie zeigen und sie sind es „in der Begrenzung“. Nur so, durch das ‚Eintauchen‘ in den Vollzug des Absoluten selbst, in die absolute Tätigkeit der vermittelten Unmittelbarkeit und der reflektierten Suspension der Reflexion, versöhnen sie den existentiellen Schrecken. Die Verwandtschaft von Mythos, Tragödiendrama und Philosophie bei Schelling galt es an dieser Stelle hervorzuheben. 2.5 Der Schritt in den dunklen Grund Dass das Absolute im Menschen in seiner konkreten Fülle gegenwärtig ist, ist des Menschen höchste Freude und Genuss. Diese Gegenwart wird jedoch dann zu einem Problem, wenn es um die Freiheit geht. Die Gefährdung seiner Freiheit, Endlichkeit und Persönlichkeit ist für den Menschen, wie Schelling es schon in Vom Ich und in der Philosophie der Kunst zu zeigen versucht hat, die dramatische Konsequenz der Einheit mit dem Unendlichen. Zerstört aber das unendliche Absolute zusammen mit dem Endlichen nicht auch seine eigene geschichtliche Grundlage, seine geschichtliche Wirklichkeit, die es im Endlichen hat? Und welche Folgen hat es für Philosophie, wenn sie, ihre Freiheit bewahrend, nicht mehr ‚über‘
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F.W.J. Schelling: Philosophie der Kunst, SW V, S. 723.
das Absolute redet, sondern dieses selbst, so wie die Kunst es tut, als Wirkliches sein lässt?75 Thomas Buchheim schreibt, in dem so genannten Identitätssystem zwischen 1801 und 1806 bestehe für Schelling die Freiheit des Menschen nur dann, wenn er sich im Einklang mit dem göttlichen Wesen befindet, während in der Freiheitsschrift der Kerngedanke darin zu finden sei, „daß der Mensch eine Freiheit für sich selbst hat, die sich gegen Gott empören kann und empört hat“.76 Ist aber der Unterschied der beiden Freiheitskonzepte tatsächlich so groß? Wenn das der Fall ist und die Identitätsphilosophie, auch nach Schellings eigener Ansicht, keine Möglichkeit geboten hatte, die Einheit von menschlicher und göttlicher Freiheit auf überzeugende Weise zu denken, dann entfernt sich Schelling nicht nur von seiner Identitätsphilosophie, sondern auch von dem Konzept der Selbstvernichtung der Subjektivität in der Einheit mit dem Absoluten. Was tritt aber dann an die Stelle der Vernichtung des Endlichen? Die Aufgabe der Freiheitsschrift besteht darin zu verstehen, ob und wie die Einheit der menschlichen und der göttlichen Freiheit möglich ist. Diese Aufgabe sei, so Schelling, durch den Unterschied zwischen der Existenz und dem Grund der Existenz zu lösen, zwischen der Prozessualität der gegenläufigen Tätigkeiten und ihrem nicht-prozessualen Grund. Durch diesen ‚Schritt zurück‘, aus dem Vollzug der absoluten Tätigkeit in das ihr zugrundeliegende Absolute, das als nicht-prozessual zu denken ist, verlässt Schelling die von Fichte initiierte ‚Prozessphilosophie‘ – zu der Hegel, mit dem Begriff der sich entwickelnden Idee, zurückkehren wird. Um den Gedanken des Rückgangs in den nicht-prozessualen Grund besser erläutern zu können verweist Schelling auf seine Naturphilosophie, in der er den Zusammenhang von Bewegung und Ruhe dargestellt hätte. Er betont nachdrücklich: „Wir haben es bereits erklärt: nur aus den
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Vgl. dazu Martin Heidegger: „Dieses will Schelling hier sagen: Wir philosophieren nicht ‚über‘ Notwendigkeit und Freiheit, sondern die Philosophie ist das lebendige ‚Und‘, der einigende Widerstreit zwischen Notwendigkeit und Freiheit. Er ‚sagt‘ das nicht nur, sondern er handelt so in der Abhandlung.“ In: Schelling: Vom Wesen der menschlichen Freiheit, GA 42, S.100. Heidegger betont an dieser Stelle zurecht, dass bei Schelling Dichten und Denken nicht Erlebnisse in einem vereinzelten Menschen sind, die möglicherweise auch noch eine Bedeutung für die Welt haben, sondern dass durch sie die Welt selbst „neu entspringt“. Thomas Buchheim, Einleitung in die Freiheitsschrift, Hamburg 1997, S. XI. Vgl. auch Buchheims überzeugende Einschätzung der Philosophie der Kunst als den „ersten Vorboten seiner positiven Philosophie und aller ihrer Vorversuche seit der Freiheitsschrift“, weil dort die Person nicht definiert ist durch die Natur, sondern durch ihr Handeln und somit durch ihre persönliche Geschichte. In: „Grundlinien von Schellings Personbegriff“, in: „Alle Persönlichkeit ruht auf einem dunklen Grunde.“ Schellings Philosophie der Personalität, Hg. Thomas Buchheim und Friedrich Hermanni, Berlin 2004, S. 29.
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Grundsätzen einer wahren Naturphilosophie läßt sich diejenige Ansicht entwickeln, welche der hier [in der Freiheitsschrift, KD] stattfindenden Aufgabe vollkommen Genüge tut.“77 Eine zentrale Rolle spielen die Begriffe Schwere und Licht. So heißt es: „Die Schwerkraft geht vor dem Licht her als dessen ewig dunkler Grund, der selbst nicht actu ist, und entflieht in die Nacht, indem das Licht (das Existierende) aufgeht. Selbst das Licht löst das Siegel nicht völlig, unter dem sie beschlossen liegt.“78 Die vor dem Licht in die Dunkelheit entflohene Schwerkraft bleibt auch in diesem ‚Exil‘ als Anziehungskraft weiterhin wirksam. Die Schwerkraft als Anziehungskraft aus dem Licht in das Dunkle, aus der Bewegung in die Ruhe, ist nicht nur für die Materie, sondern auch für die menschliche Freiheit von zentraler Bedeutung, wie an dem Begriff der Persönlichkeit dann deutlich wird. Denn worauf es Schelling in der Freiheitsschrift ankommt ist, den Begriff der Subjektivität durch einen neuen Begriff zu ersetzen. Subjektivität – ein Relationsbegriff – wird in der Einheit mit dem Absoluten vernichtet.79 Im Absoluten sind alle Relationen vernichtet, denn dieses ist das schlechthin Beziehungslose. Subjektivität steht aber immer in Relation zu Objektivität. Die Kategorie der Relation – also, gemäß Kants Einteilung Inhärenz, Kausalität und Wechselwirkung – steht für Schelling für das vorstellende, nicht-spekulative Denken. Relation ist der Gegenbegriff zum Absoluten, sie ‚verflüssigt‘ sich in diesem. Persönlichkeit ist somit der an die Stelle der Subjektivität tretende Begriff, der in der Freiheitsschrift die zentrale Bestimmung des Menschen übernimmt. „Persönlichkeit“ ist hier, im Unterschied zum Begriff der Subjektivität aber auch zu Schellings eigenen früheren Bestimmungen von „Person“,80 kein Relationsbegriff, der zur Vernichtung der in der Relation Stehenden führt. Die Dinge, die sich in Relation mit anderen Dingen befinden, sind nämlich „Scheinbilder“ und nichtige Existenzen, ihr Schicksal ist der Anfang in der Zeit und dann die Auflösung und der Tod.81 Im Würzburger System heißt es zwar noch, „das Persönliche mit allen Relationen“ sei in der Einheit mit dem Göttlichen nicht zu retten.82 „Persönlichkeit“, so wie sie dann in der Freiheitsschrift gedacht wird, be77 78 79 80
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F.W.J. Schelling: Über das Wesen der menschlichen Freiheit (=Freiheitsschrift), SW VII, S. 357. F.W.J. Schelling: Freiheitsschrift SW VII, S. 358. F.W.J. Schelling: Aphorismen SW VII, § 48 ff., S. 149 f. Vgl. Thomas Buchheim -„Grundlinien von Schellings Personbegriff“ 2004 und Rie Shibuya: „Persönlichkeit und Selbstbildung. Niethammers Beitrag zu Schellings Überwindung der Transzendentalphilosophie“, in: Athenäum 13 (2003), S. 15–34. 2003. F.W.J. Schelling: Aphorismen SW VII, § 114, S.164. F.W.J. Schelling: Würzburger System SW VI, § 315, S. 567.
zeichnet dagegen ein Verhältnis zum Absoluten anderer Art. Der Mensch ist Person, und als solcher von Gott – dem Absoluten – getrennt. Diese Trennung entsteht durch Gottes Selbstoffenbarung. Die im Menschen wirkende Kraft des Absoluten hält ihn in der Differenz zu Gott, ohne die es dessen Selbstoffenbarung nicht gäbe, und wendet den Menschen dadurch zugleich gegen Gott. In dieser Spannung besteht das tragische Schicksal des Menschen: In sich die schöpferische Kraft Gottes zu besitzen, die er, wie Gott sein wollend, gegen Gott kehren kann. In diesem Kampf zwischen ‚frei sein wollen‘ und die Freiheit zerstören zu müssen besteht das Leben: „denn wo nicht Kampf ist, da ist nicht Leben.“83 Die Pointe der Selbstvernichtung des Endlichen im Angesichts des Absoluten ist bei Schelling daher die, dass Selbstvernichtung nicht, so wie bei Fichte, die Bedingung für das Eingehen in das Licht des Absoluten und so in das selige Leben ist, sondern dass sie das Verhängnis ist, das aus dem dialektischen Verhältnis des Menschen zum Absoluten entsteht. Indem der von Gott getrennte Mensch wie Gott sein will, zerstört er sich selbst; dass er wie Gott sein will, ist durch die in ihm wirkende göttliche Kraft bedingt. Der Mensch zerstört sich selbst, weil in ihm ein Gott ist. Wie wird in der Freiheitsschrift der so wichtig gewordene Begriff der Persönlichkeit vorbereitet? Es ist hilfreich, sich, so wie Schelling es empfiehlt, bei der Beantwortung dieser Frage zuerst der Naturphilosophie zuzuwenden. Die erste und wichtigste Frage der spekulativen Physik ist, so Schelling, die nach der absoluten Ursache der Bewegung. Diese Frage ist nicht mit den Mitteln der mechanischen, empirischen Physik zu beantworten, denn diese sieht den Ursprung der Bewegung ‚in der Bewegung‘ und so „ins Unendliche fort“. Die spekulative Physik setzt dagegen voraus, „daß Bewegung nicht nur aus Bewegung, sondern selbst aus der Ruhe entspringe, daß also auch in der Ruhe der Natur Bewegung sey, und daß alle mechanische Bewegung die bloß secundäre und abgeleitete“ der ursprünglichen sei.84 Zu verstehen ist somit die Einheit von Bewegung und Ruhe. Die besondere Pointe dabei ist, dass der Anfang der Bewegung aus der Ruhe in der Natur auch den Anfang des spekulativen Denkens auf dem Gebiet des Geistes ist. Dieses unterscheidet sich von der bloßen Vorstellung dadurch, dass es auch mit der Denkbewegung ‚aus der Ruhe‘ anfängt, d.h. aus der Verwurzelung in dem zugrunde liegenden Ganzen. 83
84
F.W.J. Schelling: Freiheitsschrift SW VII, S. 400. Zu dem beim ‚mittleren‘ und ‚späten‘ Schelling zentralen Momenten der Differenz und des Kampfes vgl. erhellend Damir Barbarić: ‚Die große Dißonanz, mit der alles anfängt‘. Zur Philosophie Schellings, Würzburg 2021, S. 31–44. F.W.J. Schelling: Einleitung zu dem Entwurf eines Systems der Naturphilosophie. Oder über den Begriff der speculativen Physik und die innere Organisation eines Systems dieser Wissenschaft (1799), § 3, SW III, S. 274f.
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Die Bewegung der Natur und die Bewegung des spekulativen Denkens verlaufen daher synchron. Den Anfang der ‚Bewegung aus der Ruhe‘ im Denken zu verstehen bedeutet zugleich, den ‚Anfang der Bewegung aus der Ruhe‘ in der Natur zu begreifen – und umgekehrt. Die Einheit von Bewegung und Ruhe zu verstehen ist möglich, wenn man die Einheit der beiden gegenläufigen Tätigkeiten, der unendlichen Produktion und der sie hemmenden Tätigkeit, die sich beide in einem Produkt sammeln und beruhigen, verstanden hat. Das ist aber nicht möglich, wenn man sich an dem Begriff der Kausalität orientiert. Das Sein und das Denken, das Reale und das Ideale stehen nicht in einem Kausalzusammenhang zueinander. Sie sind „nur verschiedene Ansichten einer und derselben Substanz“,85 der Vernunft also. Der Begriff der Natur ist daher, spekulativ betrachtet, ein Ganzes, in dem das Reale und das Ideale, Produkt und Produktivität eine Einheit bilden. Dieses Ganze ist die Einheit von Bewegung und Ruhe. Nur von diesem Ganzen ausgehend und davon, dass Bewegung und Ruhe auch „nur verschiedene Ansichten einer und derselben Substanz sind“, ist der Anfang der Bewegung aus der Ruhe zu verstehen. Auf die beiden Bewegungen der unendlichen Produktion und ihrer Hemmung übertragen bedeutet das: Nur die Einheit von produktiver Anschauung und hemmender Reflexion ermöglicht uns, die Evolution der Natur zu verstehen. Das Naturprodukt ist nichts Feststehendes, sondern das beständige Reproduziertwerden seiner selbst, ein „Wirbel“, der durch die Gegenläufigkeit der beiden Bewegungstendenzen innerhalb eines Ganzen entsteht: „in jedem Moment vernichtet, und in jedem Moment neu reproducirt“, „in jedem Augenblick Verschwindendes, in jedem Augenblick wieder Entstehendes“.86 Die unendliche Produktivität wird von der entgegengesetzten Tätigkeit gehemmt und konzentriert sich in dem endlichen Produkt. Diese Hemmung ist, wie wir schon wissen, nicht der unendlichen Tätigkeit fremd, sondern sie ist diese Tätigkeit selbst in ihrer – ‚Hegelisch‘ gesprochen – selbstbezüglichen Negation. Das Naturprodukt ist somit die Grenze, in der die gegen die hemmende Tätigkeit ankämpfende unsichtbare unendliche Tätigkeit Ruhe findet. Das Streben der Natur nach Beruhigung in einem Produkt ist das Streben den Kampf der gegenläufigen Tätigkeiten zu überwinden und in die Ruhe des Ganzen, das sich im Produkt konkretisiert und verendlicht, zurückzukehren. Beispielhaft für diesen Kampf der entgegengesetzten Tendenzen stehen die Schwerkraft und das Licht. Während das Licht das „Phänomen der beständig aufgehobenen Indifferenz – also Phänomen des beständig wieder angefachten dynamischen Prozesses ist“ (zweite Potenz der Natur), 85 86
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F.W.J. Schelling: Würzburger System: System der gesamten Philosophie und Naturphilosophie insbesondere, § 270 SW VI, S. 500f. F.W.J. Schelling: Einleitung zu dem Entwurf eines Systems der Naturphilosophie, SW III, S. 289.
ist die Schwere das Streben der Materie in die Indifferenz (in die erste Potenz) zurückzukehren. Beide stehen sie als Organismus (dritte Potenz) in einem „geheimen Zusammenhang“. Der Lebensprozess der Natur besteht im ständigen Ankämpfen gegen das Streben nach der Rückkehr aus der Bewegung des Lebens in die Indifferenz, gegen das Übergewicht der hemmenden Tätigkeit: „Wo nicht Kampf ist, da ist nicht Leben“. Eingebettet ist die Schwere in der unendlichen Substanz, die Schelling als die Ruhe der Selbstbejahung Gottes versteht, aus der, als „stetes ruhiges Wetterleuchten aus unendlicher Fülle“, als „Blitz“, Bewegung und Dinge entstehen.87 Die Schwere ist ein Produkt dieses Aufleuchtens. Sie ist kein Relationsbegriff, denn obwohl sie die Realität des Körpers schafft, steht sie in keiner Relation zu anderen Körpern, da diese für sie „nichts sind“.88 Sie ist ein Ganzes, ‚göttliches‘ Prinzip und der Grund der Realität. Das Sein der Dinge89 besteht in ihrem Streben nach der Rückkehr in das Zentrum, in die Indifferenz des Absoluten. Schwerkraft beruht daher, so Schelling, nicht auf der Kausalität. In ihr, in ihrem Aufleuchten, wird die Ruhe der Selbstbejahung Gottes, der absoluten Identität sichtbar, und nicht ein physikalisch-kausales Phänomen. Die Schwere ist aber nicht nur der Grund der Realität der Dinge. Sie ist zugleich auch eine Gefahr für das Leben, da sie den Drang bewirkt, sich aus dem Licht des Seienden in das Dunkle der toten Materie, in das Unorganische fallen zu lassen.90 Dass sich das Organische aus dem Unorganischen entwickelt hatte ist eine Theorie, die Schelling entschieden ablehnt. Das Unorganische sei weit davon entfernt der Ursprung des Organischen gewesen zu sein, es sei vielmehr das versteinerte Leben, das „von der Schwere zurückgehalten, in die Starrheit zurückgesunken“ ist. Die von der Schwere in der „starre[n] Selbstheit“ festgehaltene tote Materie nennt
87 88 89 90
F.W.J. Schelling: Aphorismen SW VII, § 101, S. 162. F.W.J. Schelling: Aphorismen SW VII, S. 160, 166; § 89 § 121. Auch der Mensch ist „ein besonderes Ding“, vgl. Würzburger System: System der gesamten Philosophie und Naturphilosophie insbesondere SW VI, § 260, S. 495f. Zu den naturphilosophischen Wurzeln der Freiheit vgl. Ulrich Barth: „Annäherung an das Böse. Naturphilosophische Aspekte von Schellings Freiheitsschrift“, in: Gott, Natur, Kunst und Geschichte. Schelling zwischen Identitätsphilosophie und Freiheitsschrift, Hg. Christian Danz und Jörg Jantzen, Göttingen 2011, S. 169–184. Außerdem: Manfred Frank: „Schellings spekulative Umdeutung des Kantischen Organismus-Konzepts“, in: Nature and Realism in Schelling’s Philosophy, Hg. Emilio Carlo Corriero und Andrea Dezi, Rom 2014, S. 87–114. sowie Christian Danz: „Gott, Natur und menschliche Freiheit in Schellings Stuttgarter Privatvorlesungen“, in: System, Natur und Anthropologie. Zum 200. Jubiläum von Schellings Stuttgarter Privatvorlesungen, Hg. Lore Hühn und Philipp Schwab, Freiburg/ München 2014, S. 143–158.
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er eine „schlafende“ Welt, die noch auf ihre „Auferstehung“ wartet oder diese schon verpasst habe.91 Weil es wichtig ist für das Verständnis des Abgrundes auf dem die Persönlichkeit ruht ist hier noch eine weitere Bestimmung der Schwere anzuführen: Sie ist „ewige Nacht, ein Abgrund der Stille und Verborgenheit, in dem die Dinge ohne eignes Leben sind.“92 Die Ruhe Gottes ist, getrennt von seiner Selbstoffenbarung, tote Ruhe. Nur in der Einheit mit dem Licht, mit seiner Selbstoffenbarung, ist die Ruhe das Ganze des Absoluten. Die Relationslosigkeit ist jedoch nicht nur ein Merkmal der Schwere, sondern auch des Lichts. Das Licht repräsentiert das Wesen der Bewegung der Selbstoffenbarung und Selbsterkenntnis, und ist so der Gegensatz der Schwere, die für die Materie steht. Das Licht ist das ideale, die Schwere das reale Prinzip. Beide sind sie geistige Prinzipien der Materie. Das Licht ist aber die offenbar gewordene Geistigkeit, Bewegung ohne ein Bewegtes, eine Abstraktion also, „Ruhe in der Bewegung“, wobei diese ‚Ruhe‘, die ‚Bewegung ohne Bewegtes‘, nicht mit der toten Ruhe der von Licht getrennten Schwere zu verwechseln ist. Das Licht bezeichnet das Moment des Geistes in der Totalität des Absoluten. Das Licht ist ein Phänomen der Einheit in der Dualität, es ist zusammengesetzt aus Helligkeit und Finsternis. Die Realität des Lichts ist nur möglich in der Einheit mit der Materie, der Finsternis also, aus der alles Leben und eben auch „Gedanke und Bewusstsein“ entstanden ist. Materie ist das „Dunkelste aller Dinge“, die „unbekannte Wurzel, aus deren Erhebung alle Bildungen und lebendigen Erscheinungen der Natur hervorgehen“.93 Das helle geistige Prinzip braucht das dunkle Prinzip der Schwere, Substanz braucht Form, die produzierende Tätigkeit die hemmende. Und auch die Persönlichkeit ist – die Pointe des hier dargestellten –, wie sich zeigen wird, die Einheit der beiden Prinzipien, des hellen und des dunklen. Materie und Geist, das Unorganische und das Organische bilden eine Einheit und treten nicht nacheinander, sondern zusammen auf. Die Dramatik des Kampfes gegen das Zurückfallen des Lebens in den Abgrund der toten Materie wird im Zusammenhang mit der organischen Natur noch deutlicher sichtbar. An dieser Stelle wird der Prozess der Erregung (des Galvanismus) zum zentralen Begriff vor allem des Ersten Entwurfs eines Systems der Naturphilosophie und der Einleitung zu dem Entwurf eines Systems der Naturphilosophie erhoben. Der Organismus ist, 91 92 93
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F.W.J. Schelling: Würzburger System: System der gesamten Philosophie und Naturphilosophie insbesondere SW VI, § 196, S. 390. F.W.J. Schelling: Würzburger System: System der gesamten Philosophie und Naturphilosophie insbesondere SW VI, § 105, S. 266. F.W.J. Schelling: Einleitung zur 2. Auflage der Weltseele, Über das Verhältnis des Realen und Idealen in der Natur, SW II, S. 359.
das ist seine wesentliche Bestimmung, sich selbst Objekt. Er ist die Einheit der unendlichen und der hemmenden Tätigkeit, der Dualität von Licht und Schwere. Er ist zwar der Zustand der Ruhe und des Gleichgewichts, aber auch, als der beruhigte Kampf der in ihm wirkenden Tätigkeiten, von dem Rückfall in die Indifferenz, in die tote Materie bedroht. Der Organismus muss daher in seiner Trägheit immer wieder gestört werden, um die Dualität und so das Leben zu erhalten. Diese Störung der toten Ruhe und der Trägheit geschieht durch die „Erregung“ des Organismus. Sie ist ein wesentlicher Teil des Lebendigen, weil durch sie verhindert wird, dass sich die unendliche Tätigkeit in ihrem Produkt „erschöpft“, dass sie zum Stillstand kommt. Die Störung der Trägheit ist ‚der Motor‘ des Kampfes gegen den Stillstand, der den Tod des Organismus wäre. Die organische Tätigkeit wird daher immer und ist nie, sie ist also dem Entstehen und Vergehen unterworfen.94 Die Erregung des Organismus entsteht nun nicht, wie es auf den ersten Blick scheinen könnte, durch die Einwirkung der unorganischen Natur. Sie entsteht durch die ständige Selbstreproduktion des Organismus. Wie kann sie aber dann von außen erzeugt, in Gang gesetzt werden? Die Auflösung der Schwierigkeit, wie das zu verstehen ist, wie also die „Erregung“ in den Organismus kommt, ist, so Schelling, höchst wichtig für die ganze Wissenschaft.95 Ein Beispiel für ihre Wichtigkeit sei die Frage nach dem Aufwachen des Bewusstseins aus dem Bewusstlosen. Es ist jedoch nicht die „Erregung“, sondern die „Erregbarkeit“ des Organismus die, so Schelling, verstanden werden soll. Erregung geschieht durch äußere Ursachen. Die Ursache der Erregbarkeit ist dagegen nicht die unorganische Natur, sondern sie liegt im lebendigen Organismus selbst. Die Erregbarkeit entsteht aus der Dynamik des Lebens, das sich im fortwährenden Kampf gegen das Streben nach der Indifferenz befindet:96 Der Organismus ist das Sich-Aufbäumen gegen den Untergang, z.B. in Form von Krankheit. Sie ist die Erregbarkeit des Organismus, in der sich seine Bedrohung zeigt, aber auch sein Streben nach der Wiederherstellung des Gleichgewichts. Die wichtige systematische Stellung der Krankheit zeigt sich, wie schon geziegt, unter anderem daran, dass Schelling sie als „ein über die Zufälligkeit des Einzelnen erhabenes Schicksal“ bezeichnet.97 Die Erregbarkeit des Organismus ist somit eine Störung in doppeltem 94 95 96 97
F.W.J. Schelling: Einleitung zu dem Entwurf eines Systems der Naturphilosophie, SW III, S. 143. F.W.J. Schelling: Erster Entwurf eines Systems der Naturphilosophie, SW III, S. 150 (Anm. 1). F.W.J. Schelling: Erster Entwurf eines Systems der Naturphilosophie, SW III, S. 161 (Anm. 1) F.W.J. Schelling: Würzburger System: System der gesamten Philosophie und Naturphilosophie insbesondere SW VI, § 238, S. 468.
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Sinn: Sie ist die Krankheit, die Störung der Bewegung des Lebens durch den Drang nach der toten Ruhe in der der Kampf des Lebens aufhört, aber sie ist auch der Widerstand dagegen und die ‚Sehnsucht‘ nach der erkennenden Selbstoffenbarung und nach Leben. Wenn wir uns vor dem Hintergrund dieser in den verschiedenen Fassungen der Naturphilosophie dargestellten Gedanken jetzt der Freiheitsschrift zuwenden, so erkennen wir, dass Schwere, Licht, Erregbarkeit, Krankheit im Zusammenhang mit der Frage nach der menschlichen Freiheit als die zentralen Momente des Geistes wiederkehren.98 So wird die Schwere zum dunklen Grund der Existenz, das Licht der Existenz wird zum Seienden. Selbstverständlich modifiziert Schelling diese Begriffe, denn jetzt werden sie in einem anderen als dem naturphilosophischen Kontext gebraucht. Ihre wesentlichen Merkmale bleiben aber erhalten. Die Verwobenheit von Grund und Existenz, die nicht in zeitlichen Kategorien der Kausalität vorgestellt werden darf, sondern als „interner Dualismus“ des Absoluten,99 soll nun die Frage nach der Möglichkeit der menschlichen Freiheit in der Einheit mit dem Absoluten beantworten.100 Dazu sind zwei weitere Begriffe nötig: der Begriff des Werdens und der Sehnsucht. „Existenz“ ist das Hervorgehen aus der Dunkelheit in das Licht; die Sehnsucht ist die nach der Selbstoffenbarung, die Sehnsucht sich selbst zu erkennen. In Initia Philosophiae Universae von 1821 wird dieser, schon in der Freiheitsschrift zentrale Imperativ Erkenne dich selbst zum „Impuls“ der ganzen Bewegung der „ewigen Freiheit“ erhoben: „Erkenne, was du bist, und sey, als was du dich erkannt hast, dieß ist die höchste Regel der Weisheit.“101 Und in der Philosophie der Mythologie wird sie, im Zusammenhang mit der „Nemesis“ und dem „Weltgesetz“ als die Macht bezeichnet, die nicht will, dass irgendetwas verborgen bleibe, die alles Verborgene zum Hervortreten antreibt und zwingt sich zu zeigen.102 Im Werden aus der Dunkelheit in das Licht bleibt das Dunkle, Bedrohliche als der unzerstörbare Teil der Person bestehen: „Ohne dies vorausgehende Dunkel gibt es keine Realität der Kreatur; Finsternis ist ihr 98
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Zu der Transformation der naturphilosophischen Begriffe in Begriffe des Geistes vgl. auch Vicki Müller-Lüneschloß: Über das Verhältnis von Natur und Geisterwelt. Ihre Trennung, ihre Versöhnung, Gott und den Menschen- Eine Studie zu F.W.J. Schellings „Stuttgarter Privatvorlesungen“ (1810) nebst des Briefwechsels WangenheimNiederer-Schelling der Jahre 1809/1810, Stuttgart-Bad Cannstatt 2012. Dazu Friedrich Hermanni: Die letzte Entlastung. Vollendung und Scheitern des abendländischen Theodizeeprojektes in Schellings Philosophie, Wien 1994, S. 82. Friedrich Hermanni zeigt, dass „Existenz“ für Schelling dynamisch aufzufassen ist, prozessual, im Sinne von „exsistere“, hervortreten, zum Vorschein kommen, In: 1994, S. 87 f. F.W.J. Schelling: Initia Philosophiae Universae SW IX, S. 227. F.W.J. Schelling: Philosophie der Mythologie SW II, S. 147.
notwendiges Erbteil.“103 Das Werden zum Selbst ist der Selbstoffenbarungsvollzug Gottes und zugleich der Selbsterkenntnisvollzug des Menschen, ihr Zusichselbstkommen. Der schöpferische Prozess der Menschwerdung führt aus dem dunklen Grund in die Existenz zwischen Natur und Verstand, Dunkel und Licht, Eigenwille (Partikularwille) und Universalwille.104 Im dunklen Grund verankert, in das Licht der Existenz strebend, um so wie Gott „actu existierend“ zu sein: Darin besteht die Sehnsucht des Menschen, die eingebettet ist in die Sehnsucht Gottes nach der Selbstoffenbarung.105 In diesem Zwischensein und in der unauslöschlichen Verwobenheit mit dem Absoluten ist die Möglichkeit und die Wirklichkeit des Guten und des Bösen im Menschen begründet: Im Menschen ist die ganze Macht des finstern Prinzips und in ebendemselben zugleich die ganze Kraft des Lichts. In ihm ist der tiefste Abgrund und der höchste Himmel, oder beide Centra. […] Der Mensch hat dadurch, daß er aus dem Grunde entspringt (kreatürlich ist), ein relativ auf Gott unabhängiges Prinzip in sich; aber dadurch, daß eben dieses Prinzip – ohne daß es deshalb aufhörte dem Grunde nach dunkel zu sein – in Licht verklärt ist, geht zugleich ein Höheres in ihm auf, der Geist.106
Im Werden zum Geist liegt somit der Schlüssel für das Verständnis der Einheit der menschlichen und der absoluten Freiheit.107 „Geist“ geworden, steht der Mensch zwischen der Dunkelheit und dem Licht und kann seine „Selbstheit“, den Eigenwillen, über das Licht stellen. Das geistige Leben des Menschen ist – und das ist die beunruhigende Pointe von Schellings Überlegung – das Leben der Unruhe und der Verderbnis, seine notwendige geistige Äußerung ist die Versuchung zum Bösen, so wie die notwendige natürliche Äußerung die Krankheit ist. Beides ist die Umkehrung der Prinzipien von Dunkelheit und Licht. Das Böse ist dabei nicht als die Negation des Guten zu denken, sondern, radikaler, als „der umgekehrte Gott“.108 Es ist das Rückgängig-machen-Wollen der Schöpfung, das als 103 104
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F.W.J. Schelling: Freiheitsschrift, SW VII, S. 360. Ulrich Barth bezeichnet zurecht den Eigenwillen bzw. Egoismus und Selbstheit in der Freiheitsschrift als eine „transmoralische Größe“, die keine spezifische Eigenschaft des Menschen ist, sondern eine „konative Grundstruktur der Natur“ beschreibt. In: „Annäherung an das Böse. Naturphilosophische Aspekte von Schellings Freiheitsschrift“, Göttingen 2011, S. 179. F.W.J. Schelling: Freiheitsschrift SW VII, S. 364. F.W.J. Schelling: Freiheitsschrift SW VII, S. 363. Dieses „Werden“ ist die Wurzel und die Antriebskraft der Geschichte des Menschen. Auch seine Geschichte ist eingebettet in die Selbstoffenbarungsgeschichte des Absoluten. Martin Heidegger in: Lore Hühn und Jörg Jantzen: Heideggers Schelling-Seminar (1927/28), Die Protokolle von Martin Heideggers Seminar zu Schellings ‚Freiheits-
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ständige Versuchung im Menschen lauert. Nicht der finstere Grund der Existenz ist das Böse – er muss bestehen bleiben, da er der die Realität verleihende Träger der Dinge und des Lebens ist – sondern das Zurückkehrenwollen in die Schwerkraft der Selbstheit und des Egoismus.109 Das in die Verschlossenheit – in „das gänzliche in-sich-selbst-Sein“, in die „Qualen“ seines Egoismus110 – Zurückkehrenwollen ist der „heftigste Krieg“, den der Mensch gegen die Schöpfung führt.111 Das Böse besteht nicht in der Auflehnung des Leibes gegen den Geist, denn das Böse ist „das reinste Geistige“. Die in der Natur des Menschen liegende Möglichkeit zum Widerspruch – die „Krisis“ – ist das Böse. Die spezifisch menschliche Freiheit bleibt daher auch in der Einheit mit dem Absoluten bestehen – eben als die ständige Verführung zum Bösen, das der immerwährende Krieg gegen die Schöpfung ist. In der Weiterführung dieser Gedanken könnte man, überspitzt, sagen: Der Antichrist ist der gegen die Schöpfung kämpfende und in die Indifferenz strebende Mensch. Die menschliche Individualität und Freiheit ist – hier zitiert Schelling Franz Baader – das „Feuer“, das „Mysterium“, das „dienende Zentrum“, das jedoch nicht herrschen darf, denn dann „brennt es als tantalischer Grimm der Selbstsucht und des Egoismus (der entzündeten Ichheit) in ihr.“112 Das Feuer der Freiheit, das sich zum selbständig von Gott getrenntem Seienden aufrichtet, wird so zum „Zornfeuer“.113 Trotz dieser der Existenz immanenten Dunkelheit eröffnet Schelling eine neue Perspektive auf die Überwindung des Krieges, der im Denken und Leben der Menschen herrscht. Diese Überwindung besteht jedoch nicht in dem Untergang der Subjektivität in der Einheit mit dem Absoluten, sondern in der Erkenntnis der Persönlichkeit, die er die Natur in Gott nennt. Aus der Natur Gottes entspringt somit notwendig die Fähigkeit zum Bösen. Wenn es heißt, das Böse entstehe aus der „Intimität mit dem Centro“, aus dem Enthusiasmus, sich selbst in diesem Zentrum, das der dunkle Grund des Absoluten ist, zu halten, so wird der Persönlichkeit eine Kraft verliehen, die zugleich die Kraft des Absoluten ist und die sich gegen dieses wenden kann. Die auf Vernichtung ausgehende Kraft, die von Schelling aus dem theoretischen Bereich der Transzendentalphilosophie ins Existentielle gewendet wird, ist die der schöpferischen Tätigkeit gegenläufige Tätigkeit, die das in sich gespaltene und instabile Wesen des Menschen ausmacht.
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schrift‘ (1927/28) und die Akten des Internationalen Schelling-Tags 2006, StuttgartBad Cannstatt 2010, S. 336. F.W.J. Schelling: Freiheitsschrift, SW VII, S. 364f. F.W.J. Schelling: Stuttgarter Privatvorlesungen SW VII, S. 483. F.W.J. Schelling: Stuttgarter Privatvorlesungen, SW VII, S. 468. F.W.J. Schelling: Freiheitsschrift, SW VII, S. 367 Anm. F.W.J. Schelling: Stuttgarter Privatvorlesungen, SW VII, S. 448.
Es ist hier deutlich zu sehen, wodurch sich Schelling, durch das Bestehen auf der Unzerstörbarkeit des Endlichen auch in der Einheit mit dem Absoluten, von Fichte und von seinen eigenen Versuchen aus der Zeit der Identitätsphilosophie unterscheidet. Die Selbstvernichtung der Subjektivität war die Bedingung dieser Einheit. Für Schelling ist die Selbstvernichtung des Endlichen jedoch nicht möglich, da dieses die Existenz des Absoluten bildet. Das Endliche ist das Absolute im Modus der Differenz. Die Sehnsucht des Menschen ‚auf eigene Faust‘ über alles zu herrschen ist in der Erinnerung begründet, einmal alle Dinge gewesen zu sein „in und mit Gott“. Das „Schreckliche“, der „Horror“ des nicht zu stillenden Verlangens nach Selbstmächtigkeit: das ist, so Schelling, das Wesen der menschlichen Natur, der er eine innere Notwendigkeit vom Bösen verführt zu werden zuspricht.114 Gott ist Persönlichkeit und Leben und nicht nur ein unpersönliches abstraktes Wesen oder Prinzip. Es ist ja das Spezifische der Persönlichkeit, gerade auch des Menschen, dass sie den dunklen Grund mit dem Licht verbindet und als diese Einheit Geist ist. Gott ist aber nicht, so wie der Mensch, eine in Instabilität und Zwietracht zwischen den beiden Prinzipien schwankende Persönlichkeit, sondern, als „absolute Existenz“, die Einheit beider und so „die höchste Persönlichkeit“.115 Diese Einheit ist – hier sehen wir erneut die zentrale Denkfigur des Idealismus – diejenige von zwei gegenläufigen Bewegungen. Bei Schelling sind es nicht mehr die Bewegungen als rein logische Bestimmungen, sondern die Bewegung des Willens zur Offenbarung und das „An-sich-halten“, das Bleibenwollen in der Verschlossenheit. Die beiden entgegengesetzten Bewegungen in Gott enthalten aber ein Übergewicht des Willens zur Offenbarung gegenüber dem In-den-dunklen-Grund-Zurückgehen-Wollen. Der Wille entsteht durch das Zurückdrängen des dunklen Prinzips, durch dessen Bewältigung und Unterordnung, aber nicht durch dessen völlige Vernichtung. Denn der dunkle Grund und der Wille aus ihm herauszutreten ist die Bedingung der Offenbarung Gottes; sie aufzuheben hieße für Gott, sich selbst aufzuheben.116 Diesen für die Schöpfung notwendigen Überschuss an Liebe und Güte in Gott gibt es jedoch bei Menschen nicht, sondern nur den Kampf der beiden Prinzipien: der Sehnsucht nach Selbsterkenntnis und dem Drang sich in der Dunkelheit des Selbstseins zu verlieren. Die „aktivierte Selbstheit“ des Menschen steigt aus dem Grund der Existenz auf und ihr Drang besteht nicht nur darin sich zu erkennen, sondern auch sich zu behaupten und die Macht der Selbstheit auszudehnen, also zu herrschen. Hier sehen
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F.W.J. Schelling: Freiheitsschrift, SW VII, S. 391. F.W.J. Schelling: Freiheitsschrift, SW VII, S. 395. F.W.J. Schelling: Freiheitsschrift, SW VII, S. 399f.
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wir die ‚Janusköpfigkeit‘ des Kampfes, der im Menschen ausgetragen wird: Es ist der Kampf gegen die Dunkelheit aber auch gegen das Licht, der Kampf für die Selbsterkenntnis und Beherrschung der Welt, aber auch für das In-sich-Zurückkehren und Beisichbleibenwollen. Dieser Widerspruch gehört zur „Schärfe des Lebens“, denn „ohne sie wäre völliger Tod, ein Einschlummern des Guten; denn wo nicht Kampf ist, da ist nicht Leben.“117 Gegen diese Tendenz zur grenzenlosen Selbstbehauptung durch die Ausweitung der Herrschaft gilt es anzukämpfen, gleichzeitig aber das Leben nicht in die tote Ruhe des Grundes zurückfallen zu lassen. Der Preis, den für die Möglichkeit der Selbsterkenntnis der Mensch zu zahlen hat, ist die nicht zu stillende Unruhe und Zwietracht mit sich selbst und mit der Welt in der lebt. Die in der Verführung zum Bösen liegende Tragik des Menschen, die Schelling in der Freiheitsschrift nachdrücklich betont, ist in der „Angst des Lebens“ vor dem Selbstverlust begründet, in einer Angst, die den Menschen zum Eigenwillen und so zum Bösen treibt.118 Diese Angst ist eine doppelte: diejenige vor der Auslöschung des Selbst in der Dunkelheit und zugleich die vor der NichtAuslöschung. Die Sehnsucht ist der Wille sich selbst zu verlassen, um zu sich selbst zu kommen. Ohne die Erregung des Grundes wäre die Selbsterkenntnis des Geistes als eines freien nicht möglich, auch nicht das Böse, aber auch nicht das Aufgehobensein in der größeren Freiheit, der vollendeten Selbstoffenbarung Gottes. Denn nur durch das Böse, die Sünde und den Tod hindurch kann es für den Menschen das erfüllte Selbstsein geben. Angst, Zwietracht und Sehnsucht sind zwar die bestimmenden Merkmale des Lebens. Aus diesem inneren Krieg der entgegengesetzten Prinzipien folgt aber nicht der Untergang, sondern die Aufforderung, diesen Schrecken auszuhalten. Hegels Gedanke (in der Vorrede der Phänomenologie des Geistes119), man müsse dem Tod und dem Negativen in das Angesicht schauen, um es so zu überwinden, erhebt denselben Anspruch an das endliche Subjekt wie Schelling in der Freiheitsschrift: Nicht der Untergang, sondern die Überwindung des Bösen durch die Annahme des Kampfes. In Philosophie und Religion schreibt Schelling, der Mensch sei „das andere Absolute“, das frei ist, aber auch frei in der Einheit mit dem Absoluten, dessen Selbstobjektivierung, als das andere Absolute, er ist. In der Freiheitsschrift wird dieser Gedanke weiterentwickelt. Die endliche Existenz ist die Voraussetzung der absoluten, weil sie in der absoluten gründet – gemäß dem Gedanken des „Zirkels“, dass es im Absoluten kein Erstes und kein Letztes gibt, „weil alles sich gegenseitig voraussetzt“.120 Die Freiheitschrift bringt jedoch im Verhältnis zu Philosophie und Religion ein 117 118 119 120
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F.W.J. Schelling: Freiheitsschrift, SW VII, S. 400. F.W.J. Schelling: Freiheitsschrift, SW VII, S. 381. G.W.F. Hegel, PhG GW 9, S. 27. F.W.J. Schelling: Freiheitsschrift SW VII, S. 358.
neues Moment ins Spiel:121 Die Differenz in der absoluten Identität, wodurch die menschliche Freiheit nicht mehr als Abfall und Absonderung aus der Einheit mit dem Absoluten zu denken ist, sondern als eine wirkliche Dualität im Absoluten selbst.122 Der Mensch, hin- und hergerissen zwischen der Finsternis der Selbstzentriertheit und dem Licht der Selbstoffenbarung, die beide sein Wesen ausmachen, ist verwurzelt im Absoluten als dem Ungrund, in der absoluten Indifferenz von Dunkel und Licht, noch vor aller Dualität und somit auch vor dem Gegensatz von Gut und Böse, und das heißt in der absoluten Gleichgültigkeit der beiden Prinzipien.123 Der Ungrund ist frei von allen Gegensätzen. Die Kritik an dem Konzept eines so bestimmten „Ungrundes“ liegt deshalb auf der Hand.124 Wie ist der Ausgang aus der Indifferenz in die Differenz möglich? Wird ein „Ungrund“ für das Verstehen des Verhältnisses von Grund und Existenz überhaupt gebraucht, oder ist er Schellings Drang nach immer ursprünglicherem Anfang geschuldet, ohne zwingend in der Sache begründet zu sein? Wenn mit dem Grund die Dunkelheit, mit der Existenz das Licht gemeint ist, wie ist dann die Rede von dem „Ungrund“ zu verstehen? Die Pointe des „Ungrunds“, der absoluten Indifferenz, scheint für Schelling folgende zu sein: Aus dem Absoluten bricht „unmittelbar“ die Dualität von Grund und Existenz hervor, die sich zum Gegensatz steigert.125 Dieses Hervorbrechen der Differenz ist nicht im Sinne einer dialektischen Entwicklung der Gegensätze aus dem niederen Prinzip in ein höheres bis zu ihrer Einheit zu verstehen, oder als das absolute Sich-Setzen des Ich, sondern es ist zu verstehen wie ein Blitz, der die Differenz der beiden Prinzipien und den Ungrund als das radikal Andere der Differenz erst sichtbar macht.126 Die Indifferenz des Absoluten ist die Differenz zu sei121 122 123 124
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Vgl. Thomas Buchheim: Einleitung zu Schellings Freiheitsschrift, Hamburg 1997, S. XXIIf. Buchheim, Einleitung zu Schellings Freiheitsschrift, S. XIVf. F.W.J. Schelling: Freiheitsschrift, SW VII, S. 408. Diese Kritik wird z.B. von Christoph Asmuth folgendermaßen formuliert: „Der Rückgang auf die Indifferenz erscheint in der Freiheitsschrift weder notwendig zu sein, noch trägt er etwas zur Theorie der Freiheit bei […] Zwischen Ungrund, Grund und Existenz kann keine Korrelationalität stattfinden, da im Ungrund keine Differenz ausgemacht werden kann. Mehr noch: Die Differenz der Indifferenz zu Grund und Existenz rückt Schelling ins Unerklärbare.“ In: „Grund-TiefeUngrund. Überlegungen zur Begründungsproblematik im Anschluss an Schellings Freiheitsschrift“, in: Schellings Philosophie der Freiheit. Studien zu den Philosophischen Untersuchungen über das Wesen der menschlichen Freiheit, Hg. Diogo Ferrer und Teresa Pedro, Würzburg 2012, S. 191–206; hier S. 202. F.W.J. Schelling: Freiheitsschrift, SW VII, S. 407f. Philipp Schwab stellt zutreffend fest: Mit der Verwendung der „Indifferenz“ in der Freiheitsschrift rekurriert Schelling „zwar durchaus auf Aspekte seines früheren Identitätsbegriffs, so insbesondere auf die Gegensatzlosigkeit, er nimmt aber
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ner internen Differenz von Grund und Existenz, aber eine Differenz, die sich nur nachträglich als das Ereignis ihres plötzlichen Auftretens als die, so könnte man sagen, ‚göttliche Fülle‘, aus der Alles, was ist, geworden ist, offenbart. Aus der Indifferenz des Absoluten entspringt die Dualität. Das unmittelbare Auftreten dieses anfangenden Aufleuchtens, in dem die Differenz sichtbar wird, ist, so Schellings Beteuerung, „eine sehr reelle Unterscheidung“, die weder rein logisch ist noch eine bloß notwendige Hypothese.127 „Reell“ ist sie durch ihre hervorbringende Kraft. Das Absolute als Ungrund ist nämlich nicht eine Bewusstseinstätigkeit, die Indifferenz ist nicht Identität der Einerleiheit, sondern der unvermitttelte, blitzartige Aufgang der Dualität von Dunkelheit und Licht. Der Ungrund ist die ‚Sehnsucht‘. Schelling verknüpft die durch das Erkennen nicht einzuholende Gleich-Gültigkeit, aus der die Dualität von Grund und Existenz entsteht, mit der Erfahrung der Liebe. Die Liebe ist plötzlich da, unvermittelt, ein Schlag: Der Ungrund „teilt sich nur, damit Leben und Liebe sei und persönliche Existenz“.128 Dieser Aufgang ist nicht zu denken als eine Evolution aus der Indifferenz, somit auch nicht als Folge einer kontinuierlichen Selbstoffenbarung des Absoluten oder als die absolute Selbstsetzung des Ich, sondern als „Sprung“. Mit dem Sprung in die Differenz entspringt die Dualität und mit ihr der Krieg, den der Mensch austragen muss mit dem Ziel, die anfängliche Fülle und die „ruhige Stätte“,129 aus der alles geworden ist, wieder zu erlangen, ohne dabei in die tote Ruhe der Dunkelheit zurückzufallen. Hier nimmt Schelling den Gedanken von der in der Selbstoffenbarung anwesenden Differenz von Selbst und Andersheit auf, den er schon in der Darstellung des wahren Verhältnisses (1806) ausdrücklich hervorgehoben hatte: Soll es [das Absolute] als Eins sein, so muß es sich offenbaren in ihm selbst; es offenbart sich aber nicht, wenn es bloß es selbst, wenn es nicht in ihm selbst ein Anderes, und in diesem Anderen sich selbst das Eine, also wenn es nicht überhaupt das lebendige Band von sich selbst und einem Anderen ist.130
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auch zugleich eine wesentliche Umbestimmung vor: Die anfängliche Indifferenz ist nun nicht mehr die unmittelbare Selbstpräsenz der Identität als Vernunft, sondern das uneinholbar dem Denken Entzogene. Mit dem ‚Ungrund‘ als Exteriorität und Alterität erreicht Schelling seine radikalste Bestimmung der Differenz.“ In: „,Uebergang von Identität zu Differenz‘. Die Bestimmung des Systemprinzips in den Stuttgarter Privatvorlesungen vor dem Hintergrund von Schellings Denkentwicklung seit 1801“, in: System, Natur und Anthropologie. Zum 200. Jubiläum von Schellings Stuttgarter Privatvorlesungen, Hg. Lore Hühn und Philipp Schwab, Freiburg/München 2014, S. 35–70; hier S. 51f. F.W.J. Schelling: Freiheitsschrift SW VII, S. 407. F.W.J. Schelling: Freiheitsschrift SW VII, S. 408. F.W.J. Schelling: Freiheitsschrift SW VII, S. 415. F.W.J. Schelling: Darstellung des wahren Verhältnisses SW VII, S. 54.
Dass das Selbst in sich ein Andres ist, ist das unmittelbare Umschlagen der Gleichgültigkeit (Indifferenz) in die Differenz und das Sichtbarmachen des Gegensatzes. Es ist zugleich das Aufleuchten der Erkenntnis dieses Umschlagens. „Das Andere“ ist das Andere der Dunkelheit, also das Licht der Erkenntnis. Die philosophische Erkenntnis des Absoluten ist selbst ein Akt des Absoluten.131 Die wichtige Erkenntnis von Fichte, Schelling und auch Hegel ist, dass Philosophie, auf ihrer höchsten Stufe, nicht mehr über das Absolute, sondern aus dem Absoluten, ‚eingetaucht‘ in sein Leben, denkt. Die Geburt der Differenz aus der Indifferenz bleibt jedoch auch für Philosophie unerklärlich. Jede Erklärung, jedes Verstehen dieses Umschlagens bewegt sich ja schon innerhalb der Differenz, innerhalb des Bewusstseins, verfehlt es daher immer. So wie bei Fichte der Übergang des Wissens in das „Licht“ des Absoluten nicht andemonstriert werden kann, sondern von jedem, der die Treppe zu diesem höchsten Punkt gedanklich diszipiniert und wissenschaftlich vorgehend hinaufgestiegen ist, selbst vollzogen werden muss, ist es auch bei Schelling so, dass das Verstehen des Ausgangs aus der Indifferenz in die Differenz nicht bewiesen, nicht ‚andemonstriert‘, sondern nur „gesprächsweise“, „ad hominem“, erzeugt, „geweckt“ werden kann.132 Das Aufleuchten des Gegensatzes im verschlossenen Sein Gottes ist die immer anfängliche, fortgehende Schöpfung, die zu verstehen ist als Gewecktsein und Beginn der Evolution der „schlummernden Gottheit“. Es darf aber nicht vergessen werden, dass es Schelling in der Freiheitsschrift letztendlich um den Menschen geht und nicht um ‚Gott‘. Wir müssen, um den Kampf gegen das Zurückfallen in die Dunkelheit der Selbstheit zu verstehen, „alles menschlich nehmen.“133 Der Mensch ist die Wirklichkeit dieses Kampfes, ohne die Stabilität eines in Gott ruhenden Seienden zu haben. In diesem Kampf ist für den Menschen jedoch auch der Sieg zu erringen, aber nur als die Sehnsucht, in das ruhige Ganze Gottes einzugehen: „Der Mensch in seinem Bewußtsein Gottes ist das besiegte Negative“.134 Dieser Sieg ist, so endet die Freiheitsschrift, wieder eine Indifferenz, die man aber jetzt, mit Hegels Worten, als die vermittelte Unmit-
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Dazu Walter Schulz: „Auch die positive Philosophie denkt nur, etwas anderes kann sie als Philosophie gar nicht tun, und das besagt: sie denkt Mögliches, aber indem sie es denkt, denkt sie es zugleich als Wirkliches.“, in „Die Vollendung des Deutschen Idealismus in der Spätphilosophie Schellings“, Pfullingen 1975, S.84. F.W.J. Schelling: Freiheitsschrift SW VII, S. 409f. Anm.; Darstellung der reinrationalen Philosophie SW XI, S. 326f. F.W.J. Schelling: Die Weltalter Fragmente, In den Urfassungen von 1811 und 1813 (=WE), herausgegeben von Manfred Schröter, München 1966, S. 158. F.W.J. Schelling: Philosophische Entwürfe und Tagebücher 1809–1813. Philosophie der Freiheit und der Weltalter, Hg. Lothar Knatz et al., Hamburg 1994, S.43.
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telbarkeit bezeichnen könnte. Die vermittelte Unmittelbarkeit der Indifferenz wird von Schelling als Vernunft bezeichnet und als „das Maß und gleichsam der allgemeine Ort der Wahrheit, die ruhige Stätte, darin die ursprüngliche Weisheit empfangen wird, nach welcher, als dem Urbild hinblickend, der Verstand bilden soll.“135 Diese Weisheit zu erreichen sei das Ziel und die Sehnsucht der menschlichen Existenz. Das Mittel mit dem es erreicht werden soll ist neben der Kunst die Philosophie, die sich nicht mehr als vorstellendes Denken missversteht, sondern als spekulative Philosophie, die ihr Ziel nicht aus dem Blick verliert. Verwirklicht ist dieses Ziel schon jetzt in der das Denken durchwirkenden schöpferischen Kraft des Absoluten, in der menschlichen Freiheit also, die sich immer gegen das Absolute stellt, stellen muss, und doch immer nach Einheit mit ihm strebt. 2.6 Illusionen der Moderne und die intelligible Tat Der Ausgangspunkt dieser Untersuchung war die These, dass der Bürgerkrieg, den der Mensch in seinem Denken und in der Welt führt, in der Philosophie des Deutschen Idealismus, bei Fichte, Schelling und Hegel auf den Begriff gebracht wurde, und dass Philosophie ein denkender und existentieller, sowie ausdrücklich angenommener Vollzug dieses Kampfes ist. Dieser ist somit nicht nur der Gegenstand, sondern auch die im Denken wirkende, nachzuvollziehende und zu bewältigende Form der Philosophie. Offenbar gewann das Herausstellen dieses Kampfes in der Zeit nach der Französischen Revolution besondere Dringlichkeit. Zu dieser neuen Zeit gehören die in der Philosophie in den Mittepunkt der Überlegungen gestellten Theorien über die Natur des Wissens, die Natur des Menschen und die Möglichkeiten des freien sittlichen Handelns, sowie über die Gefahr der Selbstzerstörung des Endlichen. Ihr Anfang wird von Schelling mit dem Anfang der Selbstoffenbarung Gottes verknüpft. Mit der Selbstoffenbarung entsteht die Entgegensetzung, die den Menschen in das ‚Licht‘ oder in den Untergang treibt. Der Anfang der Selbstoffenbarung Gottes bleibt für den Menschen jedoch unsichtbar. Der Anfang ist fortwährend, der „ewige Grund“, die „Urthat“, durch die der Mensch frei ist und nicht frei ist. Der Anfang bleibt notwendig im Dunkeln. „Der Anfang darf sich selbst nicht kennen“ – erkannt, verschwindet er wieder. „Zurückgerufen“ heißt „zurückgenommen“.136 Es öffnen sich Abgründe, wenn der Mensch erkennt was ihn trägt, und es entsteht ‚Entsetzen‘ wenn er merkt, dass das, was ihm Leben gibt zugleich dasjenige ist, das ihn vernichten könnte. Die meisten Menschen wenden sich jedoch von den Abgründen des Lebens ab. Es ist die Nacht, 135 136
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F.W.J. Schelling: Freiheitsschrift SW VII, S. 415. F.W.J. Schelling: WE, S. 184.
die „fruchtbare Mutter der Dinge“, in der der Streit entsteht, aus der aber auch, da sie nicht nur furchtbar sondern eben auch „fruchtbar“ ist, Differenz und Entwicklung entstehen.137 So ist die Schwermut ein Beispiel für die Nacht, aus der sich der Mensch nicht lösen kann, aber auch für das Böse.138 Nicht nur Gott, auch der Mensch ist, so können wir schließen, ein „Doppelwesen“,139 in dem aber, anders als in Gott, diese Zweiheit, die Bedingung der menschlichen Freiheit, nicht befriedet ist. Das dem Denken immanente Prinzip der „positiven Neigung zur Finsternis“ wird, so Schelling, von einem schlechten Idealismus geleugnet, dadurch aber auch die Realität, die der Grund ist, aus dem wir denken und leben. Die Diagnose, die Schelling vor dem Hintergrund dieses Leugnens und der Flucht vor der Finsternis seiner, und so auch unserer Zeit gibt, ist von erstaunlicher Aktualität: Die Menschen befinden sich auf der aussichtslosen Flucht vor der Dunkelheit, die sie in sich tragen. Auch in der heutigen Welt herrscht, so Schelling, der schlechte Idealismus, der aus Angst vor der „Neigung zur Finsternis“ diese Finsternis leugnet. Aber nicht nur das Leben, sondern auch Gott wird dadurch banalisiert und als der „humane Gott“, der nur aus Licht und Güte besteht, nach dem Bild des Menschen geformt: Ein solcher Gott ist das natürliche Bild eines Menschen, der die Kraft der Vertiefung in sich ganz verloren hat; seine Ohnmacht ist der eines Volkes vergleichbar, das in gutmüthiger Bestrebung nach sogenannter Kultur und Aufklärung dazu gekommen ist, alles in sich in Gedanken aufzulösen; dagegen aber mit dem Dunkel zugleich alle Stärke und jenes – warum sollte das rechte Wort nicht genannt werden? – barbarische Prinzip verloren hat, das, überwunden, aber nicht vernichtet, die eigentliche Grundlage aller Größe ist.140
Das „barbarische“ Prinzip im Denken ist die das Denken zusammenhaltende Kraft, seine geistige Schwerkraft. Das Fliehenwollen vor dem Dunklen und Barbarischen in uns ist jedoch nicht die einzige Illusion der Moderne. Auch der Wunsch nach Selbstmächtigkeit, der mit der Verleugnung der konstitutiven Rolle der Vergangenheit im menschlichen Leben einhergeht, ist eine Illusion. Die Vergangenheit ist als die das Denken zusammenhaltende Kraft aufzufassen, als der Grund, aus dem die Gegenwart gezeugt wird. Auch in der Gegenwart bleibt die Vergangenheit tätig. „Vergangenheit“ ist von Schelling nicht als ein Moment der geschichtlichen Zeit gedacht, sondern als die zusammenhaltende und zeugende Kraft, aus der das Seiende und 137 138 139 140
F.W.J. Schelling: WE, S. 24. F.W.J. Schelling: Stuttgarter Privatvorlesungen SW VII, S. 466. F.W.J. Schelling: WE, S. 29. F.W.J. Schelling: WE, S. 51.
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die Gegenwart entstehen. Diese das Denken „tragende Vergangenheit“141 ist „vorzeitlich“, sie ist der immer aktuelle, obwohl für das Wissen verborgene Schöpfungsakt. Damit ist der Akt gemeint, durch den die Dinge und die Welt nicht irgendwann in der Vergangenheit ‚ein für allemal‘, sondern durch den sie in jedem Augenblick erschaffen werden. Diese Anfänglichkeit des Denkens vor dem Hintergrund der „tragenden Vergangenheit“ steht nicht in der Macht des Menschen. Sie zu vergessen führt zu der Illusion, der Mensch könne selbstbestimmt sich selbst immer neu erfinden. Der Anfang geschieht immer, unvermittelt und plötzlich, noch vor dem menschlichen, auf ein Seiendes ausgerichteten Willen. Der subjektive autonome Anfang der Handlung ist die Illusion, der Mensch verfüge über die Fähigkeit selbstbestimmt anfangen zu können, ohne dabei Rücksicht auf die Vergangenheit nehmen zu müssen. Der vorzeitliche Anfang der Zeit entspringt dem inneren Drang des Absoluten sich zu offenbaren und zu erkennen. Erst mit dem wissenden Heraustreten aus dem Dunkel der zeitlichen Ungeschiedenheit in das Licht der Differenz, entsteht auch die geschichtliche Zeit der Existenz, in der die Vergangenheit von Gegenwart und Zukunft unterschieden und ein Moment der Geschichtszeit wird.142 Die existentielle Freiheit in der Differenz entsteht aber immer nur aus dem Grund und aus dem Anfang der Selbstoffenbarung des Absoluten, sie steht nicht in der Macht des Menschen: Auch in Gott wäre ein Grund der Dunkelheit, wenn er die Bedingung nicht zu sich machte, sich mit ihr als eins und zur absoluten Persönlichkeit verbände. Der Mensch bekommt die Bedingung nie in seine Gewalt, ob er gleich im Bösen danach strebt; sie ist eine ihm nur geliehene, von ihm unabhängige; daher sich seine Persönlichkeit und Selbstheit nie zum vollkommenen Aktus erheben kann. Dies ist die allem endlichen Leben anklebende Traurigkeit, und wenn auch in Gott eine wenigstens beziehungsweise unabhängige Bedingung ist, so ist in ihm selber ein Quell der Traurigkeit, die aber nie zur Wirklichkeit kommt, sondern nur zur ewigen Freude der Überwindung dient. Daher der Schleier der Schwermut, der über die ganze Natur ausgebreitet ist, die tiefe unzerstörliche Melancholie alles Lebens.143
Das unerfüllbare Ziel des Menschen, aus eigener Kraft frei zu sein und sich selbst zu erschaffen, steht scheinbar im Widerspruch zu der ihm eigenen Möglichkeit, den guten oder den bösen „Geist“ in sich handeln zu lassen und so doch dieses Ziel erreichen zu können. Diese Möglichkeit 141 142
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F.W.J. Schelling: WE, S. 62. Zu Schellings Bestimmung der Zeit vgl. Axel Hutter: Geschichtliche Vernunft. Die Weiterführung der Kantischen Vernunftkritik in der Spätphilosophie Schellings, Frankfurt am Main 1996. F.W.J. Schelling: Freiheitsschrift SW VII, S. 399.
zwischen dem guten und dem bösen Geist in sich zu wählen ist, so Schelling, eine Folge der intelligiblen Tat.144 Dieser intelligible Akt der „Urdezision“, der nicht das Objekt der empirischen Handlungen sein kann, aber trotzdem in ihnen gegenwärtig ist, verbürgt unsere moralische Zurechenbarkeit und Verantwortlichkeit.145 Schellings Pointe ist nun, dass nur das Sichselbstzurücknehmen, den eigenen Willen aufzugeben und, sozusagen, sich dem Leben des Absoluten anzugleichen, den inneren Kampf befrieden kann. Das Leben des Absoluten besteht aber in dem ewigen Anfangen, in der außerzeitlichen Tat der Schöpfung.146 Sich selbst Zurückzunehmen heißt deshalb, aus der Urquelle der intelligiblen Tat, die eben, wie betont werden muss, nichts Vergangenes ist, sondern ewig gegenwärtig ist, zu leben. Deshalb ist die intelligible Tat nicht nur eine „Chiffre“147 für den sittlichen Hintergrund, vor dem die Differenz von Gut und Böse und die Handlungsmöglichkeit, die sich daraus ergeben, entsteht, sondern vor allem die schöpferische Tat des Anfangen-Könnens, die in jedem Augenblick – „ewig“ – in die Wirklichkeit tritt. Der Anfang ist daher nicht nur der Anfang eines tragischen Verhängnisses, der entfremdeten Existenz, sondern eben auch der Anfang der Existenz. Der Mensch existiert – das ist das Größte, was es gibt.148 Die menschliche Freiheit ist nicht nur das Vermögen des Guten und des Bösen, sie ist, als in der Differenz stehend und diese Differenz selbst seiend, das Böse, noch bevor sie sich konkret für das Gute oder das Böse entschieden hat. Sie ist die Verwirklichung der außer der Zeit vollzogenen intelligiblen Tat, die „in Einem magischen Schlage“ das Frühere und das Spätere ‚setzt‘. Den Raum des rational Begründbaren verlassend und „gesprächsweise“149 vorgehend heißt es dann bei Schelling, in der „ersten 144 145
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F.W.J. Schelling: Freiheitsschrift SW VII, S. 389. Vgl. Lore Hühn: „Die intelligible Tat. Zu einer Gemeinsamkeit Schellings und Schopenhauers“, in: Selbstbesinnung der philosophischen Moderne. Beiträge zur kritischen Hermeneutik ihrer Grundbegriffe, Hg. Christian Iber und Romano Pocai, Cuxhaven/Dartford 1998, S., 55–94; hier S. 57f. F.W.J. Schelling: Freiheitsschrift SW VII, S. 385f. So Lore Hühn „Die intelligible Tat“, S. 59. Der mit der intelligiblen Tat gesetzte Anfang ist daher nicht nur von Grund auf verfehlt, sondern auch die Ermöglichung eines zweiten Anfangs – diese innere Dialektik der intelligiblen Tat wird dann Hegel ‚entlarven‘. Die intelligible Tat ist für Hegel deshalb nicht unzugänglich, sondern „Begriff“. F.W.J. Schelling: Freiheitsschrift SW VII, S. 410 Anm. Vgl. dazu von Thomas Buchheim die Interpretation dieser „gesprächsweise“ durchgeführten Vorgehensweise in der Freiheitsschrift als „ein Exerzitium der menschlichen Freiheit, für dessen Bewältigung sie die Instrumente und Angelpunkte des Denkens bereitstellt, die der Einzelne legitimerweise in Gebrauch nehmen kann, um die unvermeidlich gestellte Aufgabe zu lösen.“ In: „Der Begriff der ‚menschlichen Freiheit‘ nach Schellings Freiheitschrift“, in: „Der Anfang und das Ende aller Philosophie ist – Freiheit!“. Schellings Philosophie in der Sicht neuerer Forschung, Hg. Friedrich Hermanni et
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Schöpfung“ habe sich der Mensch „in bestimmter Gestalt ergriffen, und wird als solcher, der er von Ewigkeit ist, geboren, indem durch jene Tat sogar die Art der Beschaffenheit seiner Korporisation bestimmt ist“.150 Die notwendige und unumkehrbare Entscheidung der intelligiblen Tat ist aber, und kann nur eine solche sein, die Entscheidung zum Bösen. Sie ist es, weil sie, was ihr notwendiges Wesen ist, von der Einheit mit dem Absoluten abgefallen ist, um zu existieren. Schellings Verlagerung der Entscheidung zum Bösen in eine außerzeitliche, intelligible Sphäre, kann zwar noch den Gedanken der „Zurechnungsfähigkeit“ des frei Handelnden bewahren,151 aber nicht die theoretische Unausgewiesenheit dieser – beeindruckenden – Konstruktion vermeiden. Vor allem aber: Indem sie die intelligible Tat aus dem Kampf des Lebens herausnimmt, denkt sie die Verzweiflung der Existenz einerseits zu radikal, andererseits nicht radikal genug. Sie ist zu radikal, weil sie die intelligible Tat auf alle Bereiche des menschlichen Daseins endgültig und unumkehrbar ausweitet.152 Sie ist
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al. Tübingen 2012, S. 187–217; hier S. 189. Buchheim vermerkt zurecht, dass es sich bei Schellings Freiheitsbegriff um einen „hypothetisch wünschenswerten“ handelt (2012, S. 193). Allerdings scheint es mir auch so zu sein, dass sich in diesem „vollständigen, aber hypothetischen Begriff“ der Freiheit (2012, S. 191) eine nicht-hypothetische, sondern notwendige Wirklichkeit der Freiheit ‚versteckt‘, die es, wie Hegel es in seiner Kritik an einer „hypothetischen“ Herangehensweise an diese Wirklichkeit tut, freizulegen und festzuhalten gilt – und worin die eigentliche Aufgabe der Philosophie besteht. F.W.J. Schelling: Freiheitsschrift SW VII, S. 387. F.W.J. Schelling: Freiheitsschrift SW VII, S. 387. Siehe Friedrich Hermanni: Die letzte Entlastung. Vollendung und Scheitern des abendländischen Theodizeeprojektes in Schellings Philosophie, Wien 1994, S. 154ff., auch mit Blick auf Kants Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft: Schellings Gedanke „einer das Wesen der Menschen konstituierenden intelligiblen Tat“ schließe von vornherein die Überwindung des Bösen aus, so dass eine „Selbstbesserung innerhalb der empirischen Reihe undenkbar“ sei. Dazu entschieden kritisch Buchheim in „Der Begriff der ‚menschlichen Freiheit‘ nach Schellings Freiheitschrift“ S. 213f. Buchheim sieht die intelligible Tat durch die sittliche Einbeziehung anderer frei Handelnder oder, wie Schelling sagt, durch menschliche oder göttliche Hilfe (SW VII, 389) doch zum Guten umwandelbar. Buchheim 2012, S. 215: „Das ‚Handeln-Lassen‘ eines Geistes in mir kann unmöglich bloßes Selbsthandeln sein. Dies genau ist die Pointe der Schellingschen Konzeption formeller Freiheit in ihrer menschlichen Version. Dadurch ist die Konstitution der eigenen Freiheit verwoben mit den Erscheinungsweisen fremder Freiheit […].“ Allerdings wäre doch auch diese in die übergeordnete Konstitutionsstufe oder Schicht (Buchheim 2012, S. 202 Anm.) der anfänglichen Handlung eingegangene Hilfe durch andere frei Handelnde eine endgültige, für den existierenden Menschen nicht mehr zu ändernde. Der Mensch ist durch die intelligible Tat, wie Schelling ausdrücklich betont, „dieser und kein anderer“. Die Hilfe anderer frei Handelnder fällt daher entweder mit der intelligiblen Tat zusammen und ist in diesem Sinne die Grundverfassung der Freiheit endgültig bestimmend, oder sie kommt nach der intelligiblen Handlung, und dann ist sie im Hinblick auf diese
nicht radikal genug, weil sie einen außerzeitlichen Raum des Intelligiblen annimmt, der sich dem Kampf der Existenz entzieht. Auch hier ist nämlich zu betonen: Der Abfall des Menschen (das Böse) ereignet sich nicht außerhalb des Absoluten, oder wirft den Menschen außerhalb des Absoluten, sondern es ereignet sich in ihm. In Philosophie und Religion hieß es noch: Der Mensch ist „das andere Absolute“, das frei ist. Seit der Freiheitsschrift muss man aber sagen: der Mensch ist das Andere des Absoluten – ein zutiefst ‚Hegelscher‘ Gedanke, den Schelling hier nicht bis in die letzte Konsequenz ausformuliert. Dieser Gedanke ist in dem Begriff des Absoluten begründet. Wenn vom Absoluten die Rede ist und darunter nicht eine mechanische Ursache, das absolute Ich, Emanation, der hypothetische logisch-ontologische Raum oder Ähnliches gedacht wird, sondern das wirkliche und lebendige, schöpferisch tätige Absolute – so wie es eben bei Schelling, aber auch bei Fichte und Hegel der Fall ist – dann wird man die unauflösbare Verankerung des Menschen als des Anderen des Absoluten, die Hegel in aller Entschiedenheit bis zur letzten Konsequenz gedacht hat, nicht leugnen können. Auch die gegen das Absolute – gegen „Gott“ – gerichtete Existenz des Menschen ist immer noch die Existenz des Absoluten: Von ihm, aber nicht aus ihm (das wäre „Emanation“153) und – gegen es. In Schellings Philosophie der Freiheit versinkt die menschliche Freiheit in der Dunkelheit des Grundes. Der Mensch ist im Widerspruch gefangen: Er kann zwar nicht „außer“ Gott sein, er kann sich aber Gott entgegensetzen, weil Gott sich selbst entgegensetzt. Seine Freiheit ist das Vermögen entweder das in der Hybris der völligen Autonomie bestehende Böse anzunehmen oder das Gute, den schöpferischen Grund, in und aus dem er existiert (nicht im Sinne der „Emanation“, sondern des Verwurzeltseins), zum Maßstab und Ziel seines Handels zu erheben und so seine spezifisch menschliche Freiheit als vorläufig und unvollkommen anzusehen und so aufzugeben. Schuld oder Selbstvernichtung – vor dieser Alternative steht der Mensch in Schellings Freiheitsschrift. In ihr fehlt noch der Ausweg, den Schelling in seiner Philosophie der Offenbarung findet: Das Leben in der Nachfolge Christi, nicht im Sinne einer religiösen Dogmatik, sondern als philosophische Existenzweise.
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wirkungslos. Kritisch im Hinblick auf Schellings Übernahme der „intelligiblen Tat“ von Kant äußert sich auch Lore Hühn „Die intelligible Tat“, S 56f. und 76ff., die auch einen möglichen Ausweg aus dem Widerspruch in Schellings Freiheitskonzept skizziert, im Zusammenhang mit dem Titel „Ekstase des Ich“, den Schelling vor allem in Weltaltern und den Erlanger Vorlesungen (1998b, S. 76f.) aufgreift. F.W.J. Schelling: Urfassung der Philosophie der Offenbarung (=UF), Hamburg 1992, S. 717.
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Das Gute und das Böse sind in der Freiheitsschrift keine bloßen Möglichkeiten, zu denen man sich zunächst neutral verhalten könnte, um sie dann zu ergreifen oder eben nicht. Der Mensch kann nicht Gut oder Böse sein, denn er existiert als Differenz, und diese ist Dunkelheit und Licht zugleich. Schelling denkt das Böse, wie es bei Heidegger treffend heißt, als die „schon wesende Wirksamkeit“ im Sinne „eines durchgängigen Anziehens des Grundes in allem Seienden“,154 innerhalb der die Entscheidung zum Guten und zum Bösen, also die Entscheidung zur Existenz, fällt. Ohne das Böse gäbe es keine Offenbarung, denn Gott kann sich, so Schelling, nur in seinem „Gegenteil“ offenbaren und dieser Gegenteil ist die Existenz des Menschen.155 Das Böse ist somit nicht ein Moment der Existenz, neben dem Guten, sondern es umfasst – als Differenz – das Ganze der menschlichen Existenz. Ob die Ausweitung des Bösen zum Ganzen der Existenz die „Umwandlung des Menschen vom Bösen zum Guten“156 ausschließt und so zum Scheitern von Schellings Bestimmung der menschlichen Freiheit führt oder nicht157 lässt sich wohl mit den Mitteln der Freiheitsschrift nicht endgültig klären.158 Das in dem Gedanken einer intelligiblen Tat des Absoluten liegende, von Schelling nicht ausgeführte dialektische Potential erlaubte es zwar, das Böse und das Gute auf die beiden entgegengesetzten Kräfte, die doch eine Kraft des Absoluten sind, zurückzuführen. Dann wäre die schöpferische Tat als das in beiden Momenten zugleich Wirkende erkannt: Schöpfung ist „das Gute“, denn sie verleiht Existenz; sie ist aber zugleich „das Böse“, denn sie setzt die Differenz und verführt durch diese Trennung zum Sicherhebenwollen an die Stelle Gottes.159 In die intelligible 154 155 156 157 158
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Heidegger GA 42, S. 264. F.W.J. Schelling: Freiheitsschrift SW VII, S. 373. F.W.J. Schelling: Freiheitsschrift SW VII, S. 389. Vgl. Lore Hühn „Die intelligible Tat“, S. 77f. Vgl. Lore Hühn „Die intelligible Tat“, S. 76 Anm.: „Das Böse als eines der beiden Syntheseglieder innerhalb seiner Definition menschlicher Freiheit als das Vermögen zum Guten und Bösen empfängt seine ganze Bestimmtheit aus dem Gegensatz zum Guten. Die Ausweitung des Bösen von einem bloßen Gegensatzglied zum übergreifenden Ganzen kollidiert jedoch von vornherein mit Schellings eigenem Ansatz, wonach die intelligible Tat als Ermöglichungsgrund des ganzen Gegensatzverhältnisses immer mehr ist als bloß die totalisierte Gestalt eines ihrer Momente.“ Vgl. dazu Paul Tillichs an Schelling orientierte unauflösliche Verbindung von Schöpfung und Sündenfall: „Geschöpf sein heißt beides: wurzeln im schöpferischen Grund des göttlichen Lebens und sich verwirklichen in Freiheit. Die Schöpfung findet ihre Erfüllung in der geschöpflichen Selbstverwirklichung, die zugleich Freiheit und Schicksal ist. Aber diese Erfüllung geschieht durch Trennung vom schöpferischen Grund, durch einen Bruch zwischen Essenz und Existenz. Kreatürliche Freiheit ist der Punkt, an dem Schöpfung und Sündenfall zusammenfallen.“ In: Systematische Theologie. Bd. 1, Stuttgart 19775, S. 295. Dazu
Tat darf aber, so Schelling, kein dialektisches Verhältnis treten. So heißt es, durch die „ewige Tat“ reiche „das Leben des Menschen bis an den Anfang der Schöpfung; daher er durch sie auch außer dem Erschaffenen, frei und selbst ewiger Anfang ist“.160 Die intelligible Tat der Entscheidung, durch die der Mensch aus seiner Unentschiedenheit in die Differenz tritt, fällt mit der „ersten Schöpfung“ zusammen, obwohl sie von ihr verschieden ist.161 Dieses Zusammenfallen trägt somit schon den Mangel der Differenz, der Verschiedenheit von der ursprünglichen Schöpfung. Schelling kritisiert an Hegel, dessen „Gott“ sei „nicht frei von der Welt, sondern von ihr belastet.“162 Müssten dagegen nicht Schellings verzweifelt anmutenden Versuche, Gott als unbelastet von der Welt – und die Welt unbelastet von Gott – darzustellen als gescheitert angesehen werden? 2.7 Positive Philosophie und der heroische Annihilationsakt Der rote Faden des idealistischen Grundgedankens von einer in sich gegenläufigen Tätigkeit, in der das schöpferische Moment mit dem zerstörerischen einhergeht, zieht sich von Fichtes Wissenschaftslehre bis zu Schellings spätphilosophischen Modellen und bis zu Hegels spekulativer Philosophie. Im Hinblick auf die Freiheitsschrift stellt sich die Frage: In welchem Maße ist die dialektische Bewegung der absoluten Tätigkeit auch in dem unvordenklichen, dunklen Grund der Existenz wirksam? Bleibt der ‚Schritt zurück‘ hinter die absolute Tätigkeit, den Schelling zu vollziehen unternimmt, trotzdem immer noch von der dialektischen Bewegung des Absoluten abhängig? Wenn es bei Schelling heißt, die Dinge haben ihren Grund in dem, „was in Gott nicht Er Selbst ist, d.h. in dem, was Grund seiner Existenz ist“, dann ist dieser Grund seiner Existenz, menschlich gesprochen „die Sehnsucht, die das ewige Eine empfindet, sich selbst zu gebären“.163 Für Hegel bedeutete dieser Gedanke im Kern Folgendes: Sich selbst zu gebären am Ort seines Andersseins, also innerhalb der absoluten Tätigkeit, innerhalb des Denkens. Für Schelling ist es jedoch die Sehnsucht, aus Liebe sich selbst als die Welt zu gebären – eine Sehnsucht, die das ganze Verhängnis, in dem der Mensch befangen ist, verursacht. Aus Liebe Gottes zu sich selbst wird der Mensch zum Austragungsort des Kampfes von Gut und Böse. Diese Liebe lasse sich jedoch, so Schelling, nicht mehr mithilfe der absoluten, in sich entgegengesetzten
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auch Christian Danz „Christologie als Theorie endlicher Freiheit. Zur Rationalität und zum systematischen Ort von Schellings Christologie.“, in: Schelling. Zwischen Fichte und Hegel, Hg. Christoph Asmuth et al., Amsterdam/Philadelphia 2000, S. 265–286; hier S. 276. F.W.J. Schelling: Freiheitsschrift SW VII, S. 386. F.W.J. Schelling: Freiheitsschrift SW VII, S. 385. F.W.J. Schelling: Zur Geschichte der neueren Philosophie SW X, S. 159. F.W.J. Schelling: Freiheitsschrift SW VII, S. 359.
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Tätigkeit, erklären. Sie entziehe sich der Dialektik und dem spekulativen begreifen, denn sie sei immer schon da, im Leben und Denken der Menschen. Deshalb sei Liebe diejenige ursprüngliche schöpferische Tätigkeit, in der die für die Existenz konstitutive reflexive Einheit der gegenläufigen Bewegungen überwunden werde. Nicht in der Prozessualität einer Dialektik, in der die Gegensätze eigentlich keine sind, wo „gar kein Kampf“ stattfindet, denn die Gegensätze „tun einander nichts“,164 sondern in der Sehnsucht nach dem Aufgehobensein in der absoluten Freiheit der Liebe findet die Befriedung des Krieges statt, in der stillen Innigkeit und der gelassenen Wonne, „die ganz erfüllt ist von sich selber und an nichts denkt“ außer sich „ihres nicht Seyns“ zu freuen.165 Liebe ist das Eingehen in die schöpferische Tätigkeit des Absoluten. Doch auch der Liebe und der Sehnsucht ist die Tragik des Kampfes eingeschrieben. Liebe ist für Schelling nicht der zentrale Begriff, für den ihn viele Interpreten halten. Denn die Sehnsucht166 Gottes kettet ihn an die Welt. Für Schelling sind Mensch und Gott durch die Tragik ihres Verhältnisses untrennbar aneinander gekettet. Der Mensch trägt die Last der sich selbst offenbarenden Selbsterkenntnis des Absoluten; das Absolute trägt die Last seiner Selbsterkenntnis als Mensch. Das kalte Licht des Absoluten, die das Wissen des Endlichen absorbiert, erfordert in Fichtes Wissenschaftslehre vom Menschen das Heroische. Das dunkle Licht des Absoluten ist bei Schelling das Tragische. So ist das „ewig“ Tragische, wie es dann in der Darstellung der reinrationalen Philosophie heißt, das Los der Welt und der Menschheit und nur eine „Variation des Einen großen Themas, das sich fortwährend erneuert“.167 Dieses sich ewig erneuernde tragische Thema und das Los des Menschen ist die ursprüngliche, in sich widersprüchliche Handlung, die in der Notwendigkeit besteht, den Widerspruch von zwei entgegengesetzten Rechten, dem menschlichen und dem göttlichen (und das heißt eben auch, wie wir gesehen haben, von zwei entgegengesetzten, in der Differenz miteinander stehenden Prinzipien) zu erkennen und bewusst anzunehmen. Diese Handlung, am Beispiel des Prometheus (von dem, wie es heißt, auch die Wissenschaften, somit auch Philosophie, stammen) dargestellt, ist eine sich immer wiederholende.168 Der Preis, den die Menschen für ihre Freiheit und die Erhe164 165 166
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F.W.J. Schelling: Zur Geschichte der neueren Philosophie SW X, S. 137. F.W.J. Schelling: WE, S. 16. Sehnsucht ist die „gegenwendige Bewegtheit“, Ausbreitung, Ausrichtung auf Existenz und Rückkehr zu sich selbst, in den Grund. Sie ist nicht eine „Eigenschaft“ Gottes, sondern seine Grundbestimmung. In: Heidegger: GA 42, S. 217f. F.W.J. Schelling: Darstellung der reinrationalen Philosophie SW XI, S. 486f. F.W.J. Schelling: Darstellung der reinrationalen Philosophie SW XI, S. 485f. Vgl. dazu: Katia Hay Die Notwendigkeit des Scheiterns. Das Tragische als Bestimmung der Philosophie bei Schelling, Freiburg im Breisgau 2012.
bung aus der Finsternis in das Licht zu zahlen haben sind, so Schelling, das Prometheus-Motiv aufnehmend, „unsägliche Qualen“.169 Auch Philosophie ist der Ausdruck der tragischen Grunderfahrung der ständigen und vom Scheitern bedrohten Erhebung aus der Dunkelheit des Grundes in das Licht der Selbsterkenntnis. „Ständig“ bedeutet: Der Kampf für die Selbstbehauptung des Menschen und die Strafe, die daraus unmittelbar folgt in der Form der Verzweiflung am Leben und an sich selbst sind in ihrem dialektischen Verhältnis niemals zu überwinden.170 Philosophie ist für Schelling, so wie auch für Fichte und Hegel, kein Besitz und Wissensstand, über den man verfügen kann. Das philosophische System, das sich der Grunderfahrung des Kampfes öffnet, kann nicht abgeschlossen werden, sondern es ist immer offen, denn es wird herausgefordert zu der Überwindung des Scheiterns. Sich in diesen Kampf zu stellen und aus ihm zu denken (und zu leben) macht die wahre Philosophie aus. Nähe und Distanz, Sichzusammenziehen und Sichäußern, Dunkelheit und Licht sind wesentliche Merkmale des Kampfes, in dem man existierend und philosophierend steht. Dass dieses Konzept bestimmte Anforderungen an den Philosophen stellt ist offensichtlich: Nur dort, wo geistige Erfahrung und die Bereitschaft, den „harten inneren Kampf“ des Denkens mit seiner „unbezwinglich scheinenden Natur“ anzunehmen und auszutragen vorhanden ist, kann von Philosophie die Rede sein.171 An Stelle der Ernsthaftigkeit und der Selbstdisziplin beim denkenden ‚Eintauchen‘ in den Prozess des Lebens und beim Bestehen vor dem Anblick in dessen Abgrund, sind jedoch, so lautet Schellings Diagnose, die „schlaffe Weichlichkeit“ und die Trägheit als „Symptome der schrecklichen Verkehrtheit dieser Zeiten“ getreten.172 Das Höchste in Gott – eigentlich „über Gott“, wenn Gott als Seiendes gedacht wird – wird von Schelling als Gleichgültigkeit betrachtet. Diese Gleich-Gültigkeit, die Stabilität des Verhältnisses von entgegengesetzten Kräften, hat eine genaue Bedeutung: „Seyn als wäre man nicht; haben, aber als hätte man nicht“. Darin bestehe der ruhige und gleichgültige
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F.W.J. Schelling: Freiheitsschrift SW VII, S. 390. Vgl. Peter Szondi: Versuch über das Tragische, Schriften Band I, Berlin 2011, S. 209: Das Tragische ist keine „Wesenheit“, sondern „ein Modus, eine bestimmte Weise drohender oder vollzogener Vernichtung, und zwar die dialektische. Nur der Untergang ist tragisch, der aus der Einheit der Gegensätze, aus dem Umschlag des Einen in sein Gegenteil, aus der Selbstentzweiung erfolgt. Aber tragisch ist auch nur der Untergang von etwas, das nicht untergehen darf, nach dessen Entfernen die Wunde sich nicht schließt. Denn der tragische Widerspruch darf nicht aufgehoben sein in einer übergeordneten – sei’s immanenten, sei’s transzendenten Sphäre.“ Das Tragische ist eine dialektische Modalität. F.W.J. Schelling: WE, S. 102. F.W.J. Schelling: WE, S. 103.
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Wille.173 Mit der Erreichung dieses Zieles wäre das Verhängnis der menschlichen Existenz, die in der Freiheitsschrift mit dem Wort das „Wollen ist Urseyn“174 bezeichnet wurde, überwunden. Diese Freiheit ist Nichts und Alles, sie will nicht wirken und verlangt nicht nach Wirklichkeit. Sie bündelt und staut die schöpferische Kraft, ohne aber aus sich selbst heraustreten und alles beherrschen zu wollen. Diese höchste Freiheit ist „die Gelassenheit, die an nichts denkt und sich freut ihres Nichtseyns.“175 Der Anfang des Ausgangs aus der anfänglichen Ruhe kann veranschaulicht werden am Beispiel eines auf Tätigkeit ausgerichteten Willens, der sich, zunächst noch unbewusst, in dem Zustand der Selbstgenügsamkeit zu regen anfängt, diesen Zustand somit verlassen will. Der Wille sucht die Aktivität, er will das Unvermeidliche, den „harten inneren Kampf“. Diese Sehn-Sucht des Willens nach Selbstbestimmung, nach Kampf und Widerspruch, die zugleich mit der Angst vor Freiheit zusammengeht, ist aber zugleich auf die Rückkehr in die selige Selbstgenügsamkeit, in das Leben in Einheit mit Gott ausgerichtet. Diese Rückkehr kann nicht erzwungen werden – hier setzt Schellings Fichte Kritik ein. Für Fichte sei die Einheit mit dem Absoluten durch die Unterwerfung des Nicht-Ich erreichbar, also durch die Ausweitung des Willens auf die Natur, wobei mit der Vernichtung des Nicht-Subjektiven auch die als Herrschaft über dieses definierte Subjektivität ausgelöscht wäre.176 Bei Schelling dagegen ist das Ziel der Philosophie die Einheit mit dem Absoluten, die nur durch die Zurücknahme des Eigenwillens zu erreichen ist. Die Frage nach einer diesem existentiellen ‚Drama‘ angemessenen Philosophie lässt sich nur beantworten, wenn man das der Philosophie eigentümliche Denken nicht als Vorstellung, Logik oder Transzendentalphilosophie betrachtet, sondern als ein Denken, das sich seiner tragischen Verwicklung in den Kampf von Dunkelheit und Licht, Selbstvergessen und Selbstsein bewusst ist und in diesem Wissen von sich selbst ablässt und das für Schelling Erkennen ist, also im Unterschied zur Vorstellung Wirklichkeit und nicht nur Möglichkeit des Kampfes. Das Ziel der Philosophie müsse es sein, in einem Akt der Selbstbescheidung alles Wissen aufzugeben und so „Raum“ zu schaffen für das eigentliche Wissen. Fichtes und Schellings Philosophie treffen sich in diesem Punkt, denn für 173 174 175 176
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F.W.J. Schelling: WE, S. 132f. F.W.J. Schelling: Freiheitsschrift SW VII, S. 350. F.W.J. Schelling: WE, S. 134. In Anti-Fichte schreibt Schelling, Fichtes auf die Durchsetzung und Ausweitung der Macht des Subjekts und die Unterwerfung der Natur ausgerichtete Philosophie verwandle das Leben in den Tod. SW VII, 110. Diese Kritik berücksichtigt nicht die in den späten Wissenschaftslehren wichtige Selbstrelativierung des Subjekts im Angesicht des Absoluten.
Fichte der späten Wissenschaftslehre ist das Denken nicht das Absolute, sondern dessen Licht. Während aber bei Fichte, so Schellings Kritik, das Endliche in der Einheit mit dem Absoluten zerbricht, trägt der Mensch, um es so auszudrücken, das Kreuz der Endlichkeit Gottes. Er trägt es stellvertretend für das Absolute. Eine Erlösung von diesem Verhängnis, von dem Fluch des ständigen Kampfes der beiden entgegengesetzten Momente der einen absoluten Tätigkeit und der „Unseligkeit“ des Lebens wäre, den Menschen von dem Absoluten in ihm, und damit ist die absolute Tätigkeit gemeint, zu erlösen. Für Schelling ist diese erlösende Tat jedoch nicht durch die Frömmigkeit, die Kunst oder die kontemplative Wissenschaft (die „Vernunftwissenschaft“) zu erreichen. Wie gelangt das menschliche Individuum zu dieser erlösenden Tat? Das Bestehen der „unreduzierbaren Doppelheit“177 von Denken und Erfahrung, Reflexion und Faktizität sowie Spekulation und Geschichte ist für Schelling nicht das letzte Wort über den Menschen. Hier kann der weitere Gedankenweg Schellings nicht im Detail diskutiert werden, sondern es sollen nur die Hauptzüge skizziert werden. Diese sind: a) Der Wille, dass die Welt anders wird und b) die Person Christi als das Faktum (keine Theorie also), dass die Welt anders sein kann, weil sie anders ist. a) Der Ausgangspunkt der positiven Philosophie unterscheidet sich zunächst nicht von dem des Identitätssystems. In beiden Fällen ist ihr Ziel das Verlangen, von der Welt und ihrem Elend erlöst zu werden: „Wahre Philosophie will die Welt überwinden, überwinden lässt sie sich aber nur, inwiefern wir etwas vor, außer oder über ihr begreifen. Das Verlangen ist, frei zu werden gegen die Welt.“178 Dieses Verlangen kann nur dann gestillt werden, wenn die gegenwärtige Welt und die ihr immanente geschichtliche Zeit aus der Perspektive einer in ihr und zugleich über sie hinausgehenden ‚wahren‘ Zeit philosophisch begriffen wird.179 Der Grundgedanke der Transzendentalphilosophie und des Identitätssystems – die in sich gegenläufige absolute Tätigkeit des Denkens konstituiert die im Krieg mit sich selbst gefangene Welt – wird in Schellings positiver Philosophie aufgenommen und verwandelt auf folgende Weise: Die absolute Tätigkeit weist über sich hinaus auf die Notwendigkeit einer in ihr wirksamen, jedoch tatsächlich wirklichen und nicht nur 177
178 179
So Christian Danz: „Christologie als Theorie endlicher Freiheit. Zur Rationalität und zum systematischen Ort von Schellings Christologie“, in: Schelling. Zwischen Fichte und Hegel, Hg. Christoph Asmuth et al., Amsterdam/Philadelphia 2000, S. 265–286; hier S. 267. F.W.J. Schelling: Philosophie der Mythologie. Grundlegung der positiven Philosophie, Torino 1972, 1. Teil, S. 26. F.W.J. Schelling: Philosophie der Mythologie. Grundlegung der positiven Philosophie 1. Teil, S. 30.
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gedachten Existenz der schöpferischen Kraft des Absoluten. Diese schöpferische Kraft, das „absolute Prius“, könnte zwar nicht a priori gedacht, aber sie könnte in der wirklichen Welt als wahr erfahren und so in ihrer Wahrheit beglaubigt werden. Der Übergang von Theorie zur Erfahrung, von Möglichkeit zur Wirklichkeit geschieht durch den im Wollen vollzogenen Akt, dass das Gedachte sei. Dieser Akt ist die „Freiheit des Willens, der an sich selbst als Willen genug hat, ohne dass er glaubt, auch wollen zu müssen.“ Aus diesem ‚willenlosen Wollen‘ entsteht folgende Forderung: „Der Mensch soll seinen Willen als das höchste Gut ansehen und ihn nicht an geringfügige Dinge wagen. Er soll am Willen selbst genug haben.“180 Das Eintauchen in den Vollzug der absoluten Tätigkeit führt uns zwar zu dem Begriff des mit dem Wollen des Schöpfers verbundenen Schöpfungsaktes. Doch das ist, so Schelling, noch nicht die eigentliche, die höchste Bestimmung von Gott, noch nicht das „absolute Prius“ des Gottesbegriffs. Schöpfung ist eine Relation, sie ist somit der Prozess, den es gerade zu überwinden gilt, um zu der Ruhe zu kommen, die sich von der Welt befreit. Der Gedanke, den Schelling mit dem „Wollen“ nun ins Spiel bringt, ist der des „heroischen Annihilationsaktes“, mit dem Folgendes ausgedrückt wird: Ich will von dem unvollkommenen Sein der Welt „absolut nichts“ mehr.181 Zu dieser Unvollkommenheit gehört das Leiden, aber auch die Unmöglichkeit eine feste, sich auch in der Wirklichkeit (und nicht nur in Gedanken) bewährende Basis für das Wissen zu finden. Aus der Weigerung, mit der Welt etwas zu tun haben zu wollen entsteht somit der Standpunkt der positiven, „freien“ Philosophie. Dieser Standpunkt kann zwar, so Schelling, unmittelbar und ohne Umweg eingenommen werden, aber er ist sich selbst durchsichtig nur in der Philosophie, die zwar a priori den Begriff des absoluten Prius aufstellt, ihn aber auch als wirklich beweist. Das kritische Fortschreiten von Theorie zu Theorie, von einer Gestalt des Bewusstseins zur anderen, ist nur vor dem Hintergrund der Einsicht von der Unzulänglichkeit des Vorhandenen und der diese Einsicht beglaubigenden Erfahrung in der Welt möglich. Der Satz: Ich will das Vollkommene und will mit der unvollkommenen Welt nichts zu tun haben – dieser Satz ist meine Interpretation von Schellings Gedanken – kann nur vor dem Hintergrund der Verzweiflung an den „Schrecken der objektiven Welt“ entstehen. In den Vorlesungen über die Methode des akademischen Studiums von 1802 war dieser Gedanke in der Formulierung zu finden, dass nur aus der Einsicht in die Nichtigkeit aller endlichen Erkenntnis die wahre philosophische Erkenntnis entstehen kann.182
180 181 182
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F.W.J. Schelling: Grundlegung der positiven Philosophie, Torino 1972, 2. Teil, S. 111. F.W.J. Schelling: Grundlegung der positiven Philosophie 2. Teil, S. 138. F.W.J. Schelling: Vorlesungen über die Methode des akademischen Studiums SW V, S. 256.
Die Urfassung der Philosophie der Offenbarung sieht das Heidentum als die Voraussetzung des Christentums, denn „die Hauptwirkung Christi“ sei „die Erlösung von der blinden Gewalt des Heidentums“.183 In der Grundlegung der positiven Philosophie aus dem Jahr 1833 heißt es dann, in Abgrenzung zur negativen Philosophie: Wir haben uns losgesagt von jener bloß logischen Bewegung. Die Welt kann nicht durch eine solche einfache Bewegung erklärt werden. Wir empfinden den gegenwärtigen Zustand der Dinge als einen höchst bedingten. Es empört sich das unaustilgbare Gefühl gegen den Gedanken, dass alles, wie es jetzt ist, bleibe, dass dieser traurige Ring immerwiederkehrender Erscheinungen nie durchbrochen werden soll.184
Das aus der Empörung über die Welt so wie sie ist entstandene Wollen, dass sie anders sei, ist der individuelle Freiheitsvollzug, der nicht mit der Gegenwart Gottes im Bewusstsein kollidiert, da er sich nicht in dem Bereich des Denkens, sondern des Wollens befindet und dieses Wollen mit Gott teilt. Der individuelle Freiheitsvollzug kann aber in der Notwendigkeit seiner Entstehung begriffen werden und ist nicht vom Denken losgelöst, sondern muss als dessen Umkehrung in den eigenen, unverfügbaren Bewegungsgrund aufgefasst werden. So ist die endliche Welt die negative Bedingung der menschlichen Freiheit. ‚Dass die Welt anders sein soll als sie ist‘ soll jedoch nicht missverstanden werden als bloßer Wunsch, als Resignation oder als Hoffnung. Die Erfahrung der Negativität ist nur vor dem Hintergrund der Erfahrung der Unzulänglichkeit möglich, die schon das Positive als die unausgesprochene und unaussprechliche Bedingung der Erkenntnis des Negativen mit sich führt. Die wollende Beziehung auf das Anderswerden des Menschen und der Welt ist keine bloße Theorie, sondern der existentiellen Not des Menschen geschuldet: „Es ist etwas im Menschen, das ihm immer sagt, daß sein ganzes Leben in Gottes Augen mißfällig sey, was er auch thue, das ihn beständig bei Gott verklagt.“185 Die Formel „das Andere seiner selbst werden“ ist für Schelling nicht nur eine Denknotwendigkeit – hier bewegt er sich im Einklang mit Hegel – sondern auch und vor allem eine existentielle Notwendigkeit. Der Mensch soll ein anderer sein – und er ist es auch; die Welt soll eine andere sein, und sie ist es auch – das gilt es zu verstehen. Die Begierde, das Verlangen „nach dem Sein“186 ist die Quelle aller Gegenbewegungen zu der Selbstvernichtung des Endlichen. Wobei man hinzufügen muss, dass der Ausweg aus der Selbstvernichtung nicht durch die Begriffe „Bewegung“ und „Ruhe“ zu beschreiben ist, sondern 183 184 185 186
F.W.J. Schelling: UF, S. 7. F.W.J. Schelling: Grundlegung der positiven Philosophie 2. Teil, S. 234. F.W.J. Schelling: Philosophie der Offenbarung SW XIV, S. 250. F.W.J. Schelling: UF, S. 36.
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als Wille, Handlung und freie Tat. Diese sind nicht aus einer logischen Begriffsbestimmung als wirklich zu beweisen, sondern nur durch ihre Folgen und daher, so Schelling, a posteriori und durch eine „Umkehrung“, durch „das Ekstatische“ der Vernunft. Zu wollen, dass die Welt anders ist bedeutet zu wollen, dass es die Welt gibt. Sie soll nicht untergehen, sie soll anders werden. Dass Schelling die positive Philosophie auf dieser Wirklichkeit des Wollens und nicht auf dem Begriff Gottes gründet heißt, dass das Denken nicht mehr in der Schwebe des Seinkönnenden bleibt, sondern sich selbst auf das Wirkliche hin transzendiert. Das Wirkliche ist ein Faktum, aus dem die Existenz der Welt nicht als eine Denknotwendigkeit abgeleitet wird, sondern es ist der begründete Wille, dass die Welt sei und nicht untergeht. Die positive Philosophie ist die „eigentlich freie Philosophie“ – für den „Wollenden“.187 Deshalb heißt es: „Tua res agitur“.188 b) Detailliert erläutern ließe sich dieses Denkmodell an Schellings Darstellung der Person Christi – was hier nicht der Gegenstand einer tiefergehenden Interpretation sein kann. Nur Folgendes sei angemerkt: Im freiwilligen Tod des menschgewordenen Logos und in der Verwandlung des Endlichen in der Auferstehung manifestiert sich das Ereignis der Negation des Endlichen und seiner Wiederherstellung in einem versöhnten Ganzen. Die eigentlich interessante Figur ist in diesem Zusammenhang der auferstandene Christus, denn in ihm verkörpert sich eine Einstellung zum Endlichen, die dieses nicht vernichtet, sondern vergeistigt und anerkennt. Diese Einstellung ist jedoch etwas, was sich, so Schelling, nicht begreifen lässt, denn für sie gibt es in der Erfahrung „schlechterdings kein Analogon.“189 Worauf es aber Schelling hier ankommt ist zu zeigen, dass die Person Christi die ganze Spannbreite des Bewusstseins und der menschlichen Existenz verkörpert, von dem Abfall von Gott bis zum Gehorsam, durch den die Selbständigkeit der Persönlichkeit zugleich negiert und von Gott anerkannt wird: Daher ist der Inhalt des Christentumes nicht unmittelbar Gott, sondern die Person, welche Christus heißt, welche seit dem Falle ausgeschlossen von Gott selbständige Persönlichkeit war, jedoch diese Selbständigkeit nicht sich anzog, sondern nur benutzte, um sich Gott zu unterwerfen durch Gehorsam; sie unterwarf sich Gott, um den gegen die Menschheit und die Welt gewendeten Unwillen Gottes zu durchbrechen. In 187 188
189
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F.W.J. Schelling: Philosophie der Offenbarung SW XIII, S. 132. F.W.J. Schelling: Philosophie der Offenbarung SW XIII, S. 171. Vgl. dazu Christian Danz: Die Philosophische Christologie F.W.J. Schellings, Stuttgart-Bad Canstatt 1996, S. 30: „In der positiven Philosophie „wird gefordert, daß sich das Denken hier darauf einstellt, daß ihm etwas begegnet. Dieser begegnenden Wirklichkeit wird nachgedacht, und zwar indem das Denken durch die Begegnung mit der ihm unvordenklich zuvorkommenden Wirklichkeit auf den Weg gebracht wird.“ F.W.J. Schelling: UF, S. 600f.
dieser Durchbrechung des göttlichen Unwillens wird jedoch ihre Selbständigkeit nicht aufgehoben, sondern nur zu einer von Gott selbst gewollten und anerkannten erhoben.190
Hier sind alle Momente der „höheren“, „inneren“ Geschichte angeführt, ohne die die äußere Geschichte gar nicht möglich wäre: Die innere Widersprüchlichkeit der absoluten Tätigkeit des Bewusstseins, der Kampf der widerstrebenden Bewegungen und die einseitige, sich nur mit einem Moment der Entgegensetzung identifizierende endliche Freiheit; dann die zugrundeliegende, diesen Kampf ermöglichende und ihn auflösende „göttliche“ Kraft, die sich nur indirekt erkennen lässt; das Wollen, dass die Welt anders sei und die Selbstaufgabe der Endlichkeit, die sich jedoch durch das Eingehen in die „göttliche“ Kraft als Endlichkeit und als endliche Freiheit wieder gewinnt. Die innere Geschichte tritt in der Person Christi ‚wie ein Blitz‘ in die äußere Geschichte hervor und erleuchtet sie, d.h. zeigt ihren Grund und gibt ihr Halt. Ohne sie wäre die äußere Geschichte „leer und tot“. So ist das Christentum die Religion, die das Verborgene zeigt und damit die eigentümlich philosophische Aufgabe erfüllt. Nicht „Jesus von Nazareth“ und die Ethik der Bergpredigt ist der Inhalt der positiven Philosophie, sondern das geschichtliche Faktum Christentum und Christus als der menschgewordene Logos, dessen Tod und Auferstehung den eigentlichen geschichtlichen Zusammenhang und den Grund nicht nur der Religion „Christentum“, sondern, so Schelling, der Welt bildet. Das Bewusstsein und das Leben der Menschen ist von den in ihm wirkenden Mächten bestimmt. Christus befreit von dem „Joch dieser Mächte“, die zwar immer noch bestehen, aber die nicht mehr unüberwindbar sind.191 Das Schicksal des von dem „Streit der Potenzen“ durchherrschten Bewusstseins wird nach der Auferstehung Christi, so können wir Schelling verstehen, dem Schicksal des Heidentums nach der Ankunft des Christentums ähnlich sein: Es wird bestehen „nur noch als caput mortuum, als sich selbst unverständliches Residuum eines Prozesses, der nicht mehr existiert.“192 Es ist äußerst spannend zu sehen, wie Schelling die zerstörerische Macht im menschlichen Bewusstsein und in der Schöpfung anhand des „Prinzips Satan“, des „Fürsten dieser Welt“, erläutert, als Kontrast zu dem erlösenden Werk Christi.193 Satan ist „jener Wille […], der in seiner Latenz 190 191
192 193
F.W.J. Schelling: UF, S. 607. F.W.J. Schelling: Philosophie der Offenbarung SW XIV, S. 239. Vgl. dazu: Dietrich Korsch: Der Grund der Freiheit. Eine Untersuchung zur Problemgeschichte der positiven Philosophie und zur Systemfunktion des Christentums im Spätwerk F.W.J. Schellings, München 1980, S. 246f. F.W.J. Schelling: Philosophie der Offenbarung SW XIV, S.239. F.W.J. Schelling: Philosophie der Offenbarung SW XIV,S. 246f., UF S. 621.
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Grundlage der Schöpfung und des menschlichen Bewusstseins ist, der aber, wenn er wieder in Spannung hervortritt, die Schöpfung und das menschliche Bewusstsein wieder aufzuheben droht […].“194 Deshalb soll dieser ‚satanische‘ Wille – der zugleich der „immerwährende Erreger und Beweger des menschlichen Lebens“ ist195 – zu einem Nichtseienden werden, aber so, und darauf kommt es an, dass dadurch das Seinsollende, das Höchste, geworden ist.196 In der Freiheitsschrift ist es die Differenz, in der das Bewusstsein „das Böse“ ist. In der Philosophie der Offenbarung ist das Böse (das „Prinzip Satan“) eine Möglichkeit, gegen die anzukämpfen ist. Das Böse wird zur Möglichkeit in dem Augenblick, in dem Christus als Alternative offenbar wird. Die Alternative, vor der der Mensch steht, lautet: das Verbleiben in der Differenz zu Gott, in der absoluten, sich wiedersprechenden Tätigkeit des Bewusstseins, oder das gehorsame Eingehen in die „innere Geschichte“ dieser Differenz, in der das neue, verwandelte Bewusstsein lebendig wird. Dieser Ausweg ist in der Philosophie der Offenbarung, im Unterschied zu der Freiheitsschrift, durch das Christentum und die Dreiheit von Menschwerdung, Tod und Auferstehung ermöglicht. Der „ewige Durst nach Wirklichkeit“197 – das ‚satanische‘ Prinzip – besteht in der Trennung von Gott, die überwunden werden muss, aber nicht indem sie vernichtet, sondern indem sie von Christus gerechtfertigt wird, so dass wir uns in unserem geistig-leiblichen Leben „ruhig, ja freudig“ bewegen können.198 Das Leben in der Nachfolge Christi ist somit eines, das man als die eigentlich philosophische Existenz des Menschen bezeichnen kann. Schelling findet für sie einen bezeichnenden Ausdruck, der die Intention seines Denkens zusammenfasst: Das freiwillige Aushalten in der Menschheit.199 Dieses auf den ersten Blick vielleicht unbefriedigende Ergebnis ist vor dem Hintergrund der gedanklichen Durchdringung der menschlichen Natur entstanden. Es ist erfahrungs- und gedankengesättigt. Dass es um das „Aushalten“ der „Menschheit“ geht gibt dem Gedanken eine düstere Note, die wie ein Schatten auf Schellings Philosophie liegt. Der hohe spekulative Anspruch von Schellings Philosophie, aber auch die Systeme von Fichte und Hegel bilden die existentielle Not des Menschen ab. Sie sind Versuche, die Gründe dafür zu verstehen und einen möglichen Ausweg aus dieser Not zu finden. Bei Schelling, aber auch bei Fichte und Hegel, ist diese Verbindung von existentieller Not und Philosophie so 194 195 196 197 198 199
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F.W.J. Schelling: UF, S. 621. F.W.J. Schelling: Philosophie der Offenbarung SW XIV, S. 270f. F.W.J. Schelling: Philosophie der Offenbarung SW XIV, S. 259. F.W.J. Schelling: Philosophie der Offenbarung SW XIV, S. 273. F.W.J. Schelling: Philosophie der Offenbarung SW XIV, S. 218. F.W.J. Schelling: Philosophie der Offenbarung SW XIV, S. 217. Vgl. UF, S. 599.
sehr greifbar, dass sie als das Bewegungsprinzip ihres Denkens angesehen werden muss. In Hegels Philosophie erstreckt sich der Schauplatz des Kampfes in die ganze Fülle des Absoluten, auch in das Unbegreifliche, das Seinkönnende und Unvordenkliche, die Kampfzone wird von Menschen auf Gott und von Gott auf das „unvordenkliche“ Absolute ausgeweitet. Fichtes Schelling-Kritik, dieser höre irgendwo willkürlich mit der Reflexion auf, um an diese Stelle das Absolute zu setzen, entspricht Hegels eigener Kritik an Schellings Konzept des Absoluten. Die Reflexion lässt sich nicht, so Hegel in Übereinstimmung mit Fichte, willkürlich aussetzen, um Platz für das unvordenkliche, nicht-prozesshafte Absolute zu schaffen, sondern muss bis zum Ende durchgeführt werden. Auch das Wollen ist Denken. Allerdings ist die unsichtbare schöpferische Tätigkeit des Absoluten für Schelling nicht etwas, das außerhalb der Reflexion befindlich wäre. Sie wirkt durch das Endliche und die Reflexion hindurch, in der sie sich verwirklicht und die sie zugleich gefährdet. Und diesen Schellingschen Gedanken – das Endliche ist in einen selbstzerstörerischen Kampf verwickelt, und dasjenige, das diesen Kampf zu einer Notwendigkeit macht, nämlich das Absolute, ist zugleich die Erlösung von diesem Kampf – teilt, anders als Schelling vielleicht vermutet, auch Hegel und gibt ihm eine konsequente Ausgestaltung. Es gibt – für Hegel – kein Exil, in dem der Kampf ausgesetzt wäre. Die Dynamik des Absoluten bei Fichte und die Ruhe des Absoluten bei Schelling will Hegel miteinander verbinden. Die Verwandlung des Interesses an „untergeordneten Bedürfnissen der Menschen“ und „das Ideal des Jünglingsalters“ in ein System der Wissenschaft, so Hegel in dem oft zitierten Brief an Schelling von 1800, ist der Versuch, die Reflexionsform des Systems als Einheit von Bewegung und Ruhe des Absoluten zu denken. Das Ziel dieser Verwandlung soll jedoch nicht bloße Theorie bleiben, denn zu finden sei, so Hegel, die Möglichkeit der „Rückkehr zum Eingreifen in das Leben der Menschen“.200 Die Schwierigkeit dieses Konzept zu verstehen liegt, so Hegel, in der mangelnden Fähigkeit des vorstellenden Denkens, Entgegengesetztes zusammen mit der Einheit zu denken. Unter dieser Unfähigkeit leiden auch die philosophischen Systeme der traditionellen Metaphysik. Schellings Hegel-Kritik lautet dagegen: „Die Vorstellung“ sei bei Hegel aus dem Bereich des reinen Denkens und somit der Wahrheit ausgeschlossen. Das gelte auch für den Begriff „Gott“. Das reine Denken wisse deshalb nichts von Entschluss, Handlung oder Tat, also von den Hauptbestimmungen der Religion, die die Sphäre der Vorstellung ist. In der Philosophie der Offenbarung heißt es dann, in Abgrenzung zu Hegel:
200
Briefe von und an Hegel Band 1 (1785–1812), herausgegeben von Johannes Hoffmeister, Hamburg 1952, S. 59f.
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Vorstellung und Denken verhalten sich demnach wie Existenz und Wesen; der Inhalt der reinen Vorstellung ist das Seyn, der Inhalt des reinen Denkens das Wesen, aber dabei leuchtet sofort ein, daß beide in dieser Abstraktion und gegenseitiger Ausschließung nicht bestehen können, und das eine unmittelbar zu dem anderen fortgeht. Das allem Denken zuvorkommende Sein ist insofern eben das absolut Vorgestellte. Aber gegen dieses nun, gegen das reine Daß erhebt sich unmittelbar das Denken, und fragt nach dem Was oder nach dem Begriff. Dies ist denn auch der Gang der positiven Philosophie, mit deren Anfang wir uns zuletzt beschäftigt haben.201
Schelling integriert die Vorstellung in den Gang der negativen Philosophie. Sie hat eine wichtige Funktion für die spekulative Philosophie, aus der sie, um der angeblichen ‚Reinheit‘ willen, bei Hegel angeblich verbannt wird. Vorstellung ist der Impuls für das Weiterdenken: aus dem „Dass“ wird ein „Was“, wird der Begriff. Auf die Vorstellung zu verzichten, so wie Hegel es tut bedeutet, diesen Bewegungsimpuls des Denkens zu beseitigen. Es wird sich jedoch zeigen, dass auch Hegel der Vorstellung im Zusammenspiel mit dem spekulativen Denken eine für die volle Entfaltung der Erkenntnis konstitutive Rolle zuspricht.
201
120
F.W.J. Schelling: Philosophie der Offenbarung SW XIII, S. 172ff.
3. Hegel: Gegensatz und Einheit von vorstellendem und spekulativem Denken Intensität und Gelassenheit, Fokussierung auf das Wesentliche und Reichtum der Weltinhalte: die Einheit dieser Momente ist für Hegel unabdingbar für die wahre, spekulative Philosophie. Bei Fichte mag er das Moment der Gelassenheit und „der Welt“ vermisst haben, bei Schelling die Intensität und die Fokussierung auf das Wesentliche. Das wahrhaft Philosophische kann, wie er Richtung Schelling sagt, nicht als „Einzelnes entwickelt werden“, also nicht nur in einer, wenn auch tiefen und spekulativen, Schrift über das Wesen der Freiheit,1 sondern muss sich auf die Welt ausrichten und von dem spekulativen Mittelpunkt aus ihre ganze Fülle begreifen. Die ‚Ungerechtigkeit‘ dieser Einschätzung von Schellings Philosophie spielt keine Rolle. Es geht darum, Hegels Versuch, den Krieg des Denkens mit sich und mit der Welt zu minimieren – denn zu vermeiden ist er nicht – nachzuvollziehen. Und es wird sich zeigen, dass er die Einheit von Fokussierung auf das Wesentliche und das Verstehen der Weltvielfalt, für die Spekulation und Vorstellung exemplarisch stehen, nicht nur angestrebt, sondern sie begreiflich und über seine Zeit hinaus relevant gemacht hat. Das spannunsgvolle Verhältnis des Menschen zur Welt, sein Kampf um ein menschenwürdiges Leben in Freiheit und Sicherheit, äußert sich auf besonders dramatische Weise im Verhältnis zu staatlichen Institutionen. Kampf, Gewalt und Untergang sind auf der großen Bühne des Staates und der Geschichte leichter bemerkbar und analysierbar als im Privaten. So heißt es in der Verfassungsschrift von 1801: „Der immer sich vergrössernde Widerspruch zwischen dem unbekannten, das die Menschen bewußtlos suchen und dem Leben, das ihnen angeboten, und erlaubt wird, und das sie zu dem ihrigen machten“2 ist das „Schlachtfeld“3, auf dem der Mensch vor die Alternative gestellt wird, entweder in eine „innere Welt“ zu flüchten oder zu versuchen, das gesuchte Unbekannte mit Inhalt zu füllen und die bestehende Welt so zu gestalten, dass selbst1 2 3
G.W.F. Hegel: Vorlesung über die Geschichte der Philosophie (=VGPh), TW 20, S. 453. G.W.F. Hegel: Über die Reichsverfassung (=VS, „Verfassungsschrift“) GW 5, S. 16. G.W.F. Hegel: VS GW 5, S. 95.
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bestimmtes Leben möglich ist. Sein allmähliches Bewusstwerden, dass die Sehnsucht nach einem würdigen Leben unerfüllt bleibt, ist für den Menschen verknüpft mit dem zunehmenden Bewusstsein des Leidens an den Mächten, die ihn davon abhalten und die ihn in dem schlechten Zustand des Widerspruchs gefangen halten. Vor die Alternative gestellt, sein Leiden zu vergessen oder es als Unglück, das bekämpft werden soll zu erkennen, entscheidet sich der Mensch, so Hegel, für das Leiden. Der Mensch will sein Leiden, denn nur indem er leidet kann er sich mit Ernst und Beharrlichkeit auf die Suche nach dem Besseren begeben. Zu leiden bedeutet für den Menschen zwar seine Macht zu verlieren, aber auch die ihn beherrschenden Schranken, die z.B. in Form von Gesetzen auftreten und ihn in den Widerspruch mit seiner Sehnsucht treiben, nicht als unbezwingbar zu betrachten. Dieses Beharren auf dem Recht ein würdevolles und selbstbestimmtes Leben führen zu können, das Hegel auch als die „alte deutsche Freiheit“ und den ursprünglichen ungebändigten Charakter der deutschen Nation bezeichnet, in der der Einzelne für sich, für seine Ehre und sein Schicksal einsteht und die Welt nach seinem Willen bildet (oder aber an der Welt zerbricht) kann aber, übersteigert und sich vom Allgemeinen der Gesetze isolierend, zum Untergang des Ganzen führen.4 Nicht nur der für die spätere Rechtsphilosophie zentrale Gedanke von dem Gleichgewicht von individueller Freiheit und allgemeinen Gesetzen ist in der Verfassungsschrift schon zu sehen – so heißt es, auf der Lösung der Aufgabe, wie die Macht des Staates zu gestalten sei, damit sie den Einzelnen nicht erdrücke, beruhe alle Weisheit der Staaten – sondern auch die Kritik eines übersteigerten Materialismus. Die Befriedigung des Bedürfnisses nach einem Leben im Luxus ist zwar eine Form der Selbstbehauptung, jedoch eine, die nicht ein erfülltes und vernünftiges Leben, sondern nur dürres Verstandesleben ermöglicht, das sich selbst bis zur „Selbstvernichtung“ treibt.5 Das Eigentum von einem Besonderen zu einem Absoluten zu erheben vergrößert nur das Leiden und führt zum schlechten Gewissen, nicht das bessere, sondern das schlechtere Leben ergriffen zu haben. Erst durch das Leiden werden das Bedürfnis nach Veränderung und die Möglichkeit des Besseren sichtbar. Macht und Gegenmacht treffen sich innerhalb des einen lebendigen Zusammenhangs von individueller Freiheit und allgemeinen Gesetzen, sind somit nicht als zwei voneinander unabhängige, einander fremde Mächte zu verstehen. Das Recht zum besseren Leben muss als die unterdrückte Wahrheit des beschränkten Lebens erkannt werden, um so seine 4
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G.W.F. Hegel: VS GW 5, S. 59f. und S. 95. Zum Thema ‚Der Staat und die alte deutsche Freiheit‘ in der Verfassungsschrift vgl. Hans Maier „Hegels Schrift über die Verfassung“, in: G.W.F. Hegel Über die Reichsverfassung, Hamburg 2004, S. 195– 217. G.W.F. Hegel: VS GW 5, S. 17.
Gegenmacht entfalten zu können. Diese sich im Leid zeigende Ahnung des besseren Lebens darf jedoch nicht eine nur in Gedanken vorgestellte sein, wie es, so Hegels Diagnose des politischen Zustandes seiner Zeit, im Deutschen Reich der Fall gewesen ist. Sie muss sich auch in der Welt in der Form von allgemeinen und verbindlichen Gesetzen verwirklichen, die den lebendigen Zusammenhang der Einzelnen mit dem Ganzen ermöglichen. Die bleibenden Merkmale von Hegels Staatstheorie sind: Die Gefährdung des Menschen durch den Widerspruch von individueller und allgemeiner Freiheit, die Notwendigkeit, in einem organisierten und kraftvollen Staat, also ‚in der Welt‘ und nicht in der Abstraktion der Gedanken den Widerspruch zu lösen, der Vorzug des Staatsrechts vor dem Privatrecht, aber auch der brutale Realismus der Schritte die nötig sind, um die Freiheit zu gewährleisten. So heißt es im Zusammenhang mit der Verteidigung von Machiavelli vor den „Trivialitäten“ der ihn verurteilenden Moral, die der Meinung ist, der Zweck könne nicht die Mittel heiligen: „brandige Glieder können nicht mit Lavendelwasser geheilt werden, ein Zustand, worin Gifft, Meuchelmord gewöhnliche Waffen geworden sind, verträgt keine sanfte Gegen=Versuche; der Verwesung nahes Leben kann nur durch das gewaltsamste Verfahren reorganisirt werden“.6 Diese Härte gegenüber der Naivität einer Moral, die den Ernst und die Dramatik dessen, was auf dem Spiel steht, wenn es um den Schutz des Staates und der nur in ihm möglichen (vernünftigen) individuellen Freiheit geht nicht begreift, ist nur vor dem Hintergrund der Größe des Leidens und der Heftigkeit des Kampfes um ein würdiges und freies Leben zu verstehen. In diesem Kampf geht es um das Ganze: Der Untergang eines Ganzen – und das heißt für Hegel: eines Volkes – muss verhindert werden und das kann nur durch einen nach innen und nach außen wehrhaften Staat geschehen. Diese, vor dem Hintergrund des verlorenen Krieges gegen die „französische Freiheitsraserei“ formulierte Warnung vor der Gefährdung der Freiheit durch das Moralisieren und die Flucht in die Innerlichkeit, der eine „politisch-therapeutische Absicht“7 zugesprochen werden kann, bildet den roten Faden auch in Hegels späteren zeitdiagnostischen Schriften. Die Frage ist, ob und in welchem Ausmaß sie auch für uns heute noch ‚aktuell‘ ist. Die Antwort auf diese Frage wird davon abhängen, ob das, was heute in noch größerem Maße als zu Hegels Zeiten gefährdet ist – Zusammengehörigkeitsgefühl, Familie, gemeinsame religiöse und kulturelle Traditionen, Wehrhaftigkeit, Privateigentum und vor allem: Wirklichkeitssinn – immer noch so wichtig ist, wie es für Hegel gewesen ist. Und ob wir heute den Verlust der gesellschaftlichen Stabili6 7
G.W.F. Hegel: VS GW 5, S. 132. Hans Maier 2014, S. 195.
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tät, das Leiden und die Not des individuellen und des allgemeinen Lebens als so bedrückend wahrnehmen, wie sie von Fichte, Schelling und Hegel wahrgenommen wurden. Festzuhalten ist aber, dass Hegel nicht ein Philosoph des Untergangs ist oder der Versöhnung, sondern der Transformation. So ist in der Verfassungsschrift die Transformation der „Freyheit der germanischen Völker“ in das „System der Repräsentation“, also in das das System der modernen europäischen Staaten und des Bürgertums,8 ein Beispiel für die vernünftige geschichtliche Entwicklung der Staaten, nicht für ihren Untergang. Die wahrgenommene Not des Lebens ist ein Träger der Hoffnung auf das Bessere, das sich, vielleicht, einmal durchsetzen kann. Diese Hoffnung ist aber nicht als naiver Optimismus misszuverstehen, sondern als in der Natur der Vernunft begründeter Drang nach Freiheit. Die Möglichkeit der Entwicklung besteht dabei für alle Völker, die dem Grundsatz der Repräsentation folgen. Dass aber auch die Auflösung der staatlichen Einheit ein zu begrüßender Fortschrift in der Geschichte sein kann zeigt Hegel am Beispiel der für die Einheit des Staates bedrohlichen Unterschiede und Konflikte zwischen Protestanten und Katholiken, die aber die Unabhängigkeit des Staates von der Kirche zur Folge hatten und so zeigten, dass ein funktionierender Staat möglich ist auch wenn die in ihm vorherrschenden „Religionen“ verschieden und sogar einander feindlich sind.9 Ein weiteres beständiges Motiv in Hegels Philosophie ist die Kritik der Moralisierung der Politik und der naiven, auf das Festhalten des Bestehenden oder an unerreichbaren Idealen und der „innern Hitze der Begeisterung“ ausgerichteten Vorstellung von der Staatsmacht, die die „Wahrheit, die in der Macht liegt“, übersieht. Die Wahrheit der Macht besteht darin, dass ein „Menschenwerk der Gerechtigkeit“ untergehen muss, wenn seine Zeit abgelaufen ist und er den Anforderungen einer veränderten Welt nicht mehr standhält. Stures, hitziges Festhalten an Bestehendem hilft nicht gegen die neue Macht, die neue Ordnung. Sie ist die höhere Gerechtigkeit der Vernunft und sie bedient sich der Not des zum Untergang Bestimmten, um es in ihren Besitz zu nehmen und endgültig verschwinden zu lassen. So ist manchmal – wie Hegels Meinung nach z.B. im Falle des Deutschen Reiches – die „Gewalt eines Eroberers“, der die personifizierte „Wahrheit, die in der Macht liegt“ nötig, um die erforderliche neue staatliche Ordnung zu erzwingen. Hier ist es jedoch nötig daran zu erinnern, dass Hegel nicht jede stärkere neue Macht als die vernünftigere betrachtet, sondern dass er auf der großen Bühne der Ge8
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G.W.F. Hegel: VS GW 5, S. 111. Hans Maier erkennt in der Verfassungsschrift die Elemente von Hegels späterer Geschichtsphilosophie, ohne dass sie schon systematisch miteinander verknüpft wurden. Maier 2004, S. 210. G.W.F. Hegel: VS GW 5, S. 22.
schichte die gleichen Kräfte am Werk sieht, wie sie auch im Persönlichen wirken: Das Leiden führt nicht zwingend zum Untergang, sondern kann zur Entstehung des Neuen führen, das aber wiederum nicht von künftigen Widersprüchen frei bleiben wird.10 Vor diesem geschichtlichen und gesellschaftlichen Hintergrund erhebt sich als der Bereich der Freiheit die Philosophie, in Abhängigkeit von, aber auch in Konkurrenz zu den bedrohlichen Mächten, die das Leben bestimmen. Die Differenzschrift zeigt, welche Aufgaben und Möglichkeiten Philosophie vor diesem bedrohlichen Hintergrund hat. 3.1. Verstand und Vernunft in der Differenzschrift Die philosophische Reflexion erhebt sich aus den sie bestimmenden Machtverhältnissen ihrer Zeit, um die in der Welt wirkende aber noch unerkannte Tätigkeit der Vernunft in eine von Menschen bewusst zu vollziehende Tätigkeit zu überführen. Dieser Übergang bildet das zentrale Motiv der Differenzschrift: Es ist der Übergang aus der unbewussten Tätigkeit der Vernunft, die in dieser Form als Verstand auftritt, in ihre bewusste und hervorbringende Produktion. Der in seiner ganzen Tragweite noch nicht vollständig interpretatorisch durchdrungene, sowohl Hegels Philosophie als auch Philosophie von Fichte und Schelling durchziehende Gedanke ist derjenige der produzierenden, erzeugenden und hervorbringenden Tätigkeit des Denkens und ihrem Zusammenspiel mit der zerstörerischen Tätigkeit. Er begegnet uns in allen Phasen der Hegelschen Philosophie: in der Philosophie des Geistes u.a. als das Erschaffen der Natur11 und als das Sichbewirken des Absoluten im endlichen Denken12, aber auch in der Logik. Dort heißt es z.B.: Der Begriff gibt sich die Realität13 und die Idee ist die Schöpferin der Natur.14 Im § 8 der Enzyklopädie wird, mit Bezug auf Aristoteles, gesagt: „Der Nous“ ist Geist und die „Ursache der Welt“. Wie ist das zu verstehen? Es ist wohl so zu verstehen, dass die Ausdrücke für Tätigkeiten, die Hegel oft und mit besonderer Betonung ihrer Wichtigkeit gebraucht – wie z.B. „erzeugen“, „hervorbringen“, „bewirken“, „produzieren“ – verschiedene Aspekte der realen Weltschöpfung bezeichnen und nicht nur als
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G.W.F. Hegel: GW 5, S. 157. Walter Jaeschke stellt zutreffend fest, die Ebene des Faktischen sei nicht mit der des Erwünschten zu verwechseln, was natürlich auch für andere ‚problematische‘ Zeitdiagnosen Hegels zutrifft. Hegel Handbuch. Leben-Werk-Wirkung, Stuttgart/Weimar 2003, S. 104. G.W.F. Hegel: Enz. TW 10, § 384. G.W.F. Hegel: Enz. TW 10, § 571f. G.W.F. Hegel: Wissenschaft der Logik (=WL) GW 12, S. 20f. G.W.F. Hegel: WL, GW 12, S. 25.
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Weisen einer bloß normativen oder interpretatorischen Zugangsweise zur Wirklichkeit zu verstehen sind.15 Bei diesen Tätigkeiten handelt es sich jedoch um zwei entgegengesetzte und doch aufeinander bezogene Produktionen: die Produktion der Vernunft und die Produktion des Verstandes. Ihr Unterschied besteht darin, dass die Produktionen der Vernunft nicht nur organische Einheit hervorbringen, sondern auch Befreiungen sind von den Beschränkungen durch den Verstand, die Produktionen des Verstandes dagegen in eben diesen Beschränkungen, Entgegensetzungen, durch die der lebendige Zusammenhang der Gegensätze verdeckt wird, bestehen. Hegel inszeniert diese beiden gegenläufigen Bewegungen – Produktion als Setzen der unversöhnten Entgegensetzungen, Produktion als Befreiung von ihnen – als den Kampf zweier Kräfte, die trotz ihrer Entgegensetzung immer noch Kräfte der einen Vernunft sind. Der Kampfplatz ist nicht mehr wie in der Verfassungsschrift die Welt der Staaten und der Völker, sondern das Denken, das den inneren Kampf in die Welt trägt. Der Sieg des Verstandes über die Vernunft ist jedoch nur dann möglich, wenn die Vernunft den Kampf nicht annimmt. Der Verstand übt die Macht der Entzweiung aus, er produziert „endlos“ immer nur sich selbst, also die Verstandesverhältnisse der Verabsolutierung des Besonderen und der Entzweiung; die Vernunft setzt ihm ihre 15
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Für Robert B. Pippin, der hier exemplarisch für viele andere Interpretationen steht, handelt es sich bei der Rede von der produzierenden, schöpferischen Tätigkeit der Idee um „die normative Autorität unserer Urteile [...] und nicht die reale Welt“. Hans Friedrich Fulda ist dagegen eher zuzustimmen, wenn er die schöpferische Tätigkeit des Denkens als die „Umschaffung der Natur“ interpretiert, so dass sie als auf den Geist als ihr Ziel ausgerichtet zu verstehen ist. Zu betonen ist jedoch darüber hinaus, dass dieses Ausgerichtetsein der Natur auf den Geist vom Geist selbst initiiert wird. Zu Hegels Begriff des „Produzierens“ schreibt KarlHeinz Volkmann-Schluck zutreffend: „Das Produzieren, das Hervorbringen, das Hervorgeleiten beendet sich nicht am Dasein der Produkte, wie es sonst beim Herstellen der Fall ist, so daß das Hervorbringen aufhört, wenn die Produkte da sind, sondern das Produzieren macht gerade das Bestehen der Produkte aus. Das Produzieren ist daher eine absolute Tätigkeit, insofern diese das Sein der Produkte selber ausmacht. Es ist also ein Produzieren des schon Produzierten, ein ununterbrochenes Hervorführen des schon Hervorgebrachten. Es ist eine ununterbrochene, sich an den Produkten nicht beendende, sondern deren Dasein selbst ausmachende Tätigkeit des produktiven Lebens – und zwar so, daß aus und in dieser produktiven Tätigkeit des Lebens die intellektuelle und die reelle Welt ihr gemeinsames Bestehen haben. Beide bestehen nur in Gemeinsamkeit; denn es ist die eine und selbe Tätigkeit, welche ineins und zumal durch unablässige Produktion beide Welten im Verbleib, im Dasein hält.“ Vgl. Karl-Heinz VolkmannSchluck Hegel. Die Vollendung der abendländischen Metaphysik, Würzburg 1998, S. 23f., Hans Friedrich Fulda: G.W.F. Hegel, München 2003, S. 179 und Robert B. Pippin „Hegels Begriffslogik als Logik der Freiheit, in: Hegel-Studien Band 36, Berlin 2001, S. 110.
Macht der Vereinigung entgegen. Er reagiert auf die Zumutung der Vernunft mit Hass und Wut, steigert sich zu der Vorstellung, er sei die Gegenmacht der Vernunft und versucht seine Macht zu solcher Stärke zu erweitern, dass er ihre Macht abwehren kann.16 Dies gelingt ihm jedoch nur bedingt, denn die unterdrückte Macht der Vernunft ist dem Verstand nichts Fremdes, sondern sein eigenstes, noch unbegriffenes Wesen. In seiner Produktion einer objektiven Totalität ahmt der Verstand die Vernunft nach. Er wird sogar von ihr zu der nachahmenden Produktion „verführt“.17 Dieser Hinweis zeigt den tieferen Grund für das Scheitern des Verstandes, eine in sich stabile objektive Realität hervorzubringen. Er scheitert, weil er durch seine Produktion die einzelnen Produkte totalisiert und aus ihrem vernünftigen organischen Zusammenhang herauslöst, so dass diese, außerhalb des lebendigen Ganzen, dem Untergang geweiht sind. Die nachahmende Produktion des Verstandes führt zur „Vernichtung“ seiner Produkte. Die Tätigkeit des Verstandes – darunter ist die Verstandesreflexion zu verstehen – besteht in einem Produzieren, das Isoliertes und Haltloses hervorbringt und bei den immer wieder neu angesetzten Versuchen die Totalität der Bestimmungen zu erreichen immer wieder scheitert. Diese ‚Parodie‘ der Vernunft und ihrer schöpferischen Kraft wird jedoch durch ihre „geheime Wirksamkeit“, die unerkannt in der Verstandesreflexion tätig ist, geleitet: Jedes Sein ist, weil es gesetzt ist, ein entgegengesetztes, bedingtes und bedingendes; der Verstand vervollständigt diese seine Beschränkungen durch das Setzen der entgegengesetzten Beschränkungen als der Bedingungen; diese bedürfen derselben Vervollständigung, und seine Aufgabe erweitert sich zur unendlichen. Die Reflexion scheint hierin nur verständig, aber diese Leitung zur Totalität der Notwendigkeit ist der Anteil und die geheime Wirksamkeit der Vernunft; indem sie den Verstand grenzenlos macht, findet er und seine objektive Welt in dem unendlichen Reichtum den Untergang; denn jedes Sein, das der Verstand produziert, ist ein Bestimmtes, und das Bestimmte hat ein Unbestimmtes vor sich und hinter sich, und die Mannigfaltigkeit des Seins liegt zwischen zwei Nächten, haltungslos, sie ruht auf dem Nichts, denn das Unbestimmte ist Nichts für den Verstand, und endet im Nichts.18
Herrschaft, Macht, Kampf, Vernichtung: die Dramatik des Angeführten wird deutlich vor dem Hintergrund der Tätigkeit der Vernunft, die durch den Verstand auf fatale Weise missbraucht wird, nämlich so, dass dabei das Beschränkte und Endliche nicht erhalten, sondern vernichtet wird oder zumindest der ständigen Vernichtungsgefahr ausgesetzt ist. Die das Abso16 17 18
G.W.F. Hegel: Differenz des Fichteschen und Schellingschen Systems der Philosophie (=DS) GW 4, S. 15. G.W.F. Hegel: DS GW 4, S. 16. G.W.F. Hegel: DS GW 4, S. 17.
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lute nachahmende Produktion der Verstandesreflexion führt zu der nicht aufgelösten Spannung im Verhältnis des denkenden Subjekts zu sich selbst und zu der Welt außer ihm. Die Verstandestotalität kann nur eine scheinbare, tote und eben nicht absolute, lebendige Totalität sein. Dieser bleibende Widerspruch des einen Denkens – zugleich Vernunft und Verstand zu sein – bringt das Denken in die ständige Gefahr der Selbstverabsolutierung. Festzuhalten ist zweierlei: 1. Die Instabilität des Denkens und seine Anfälligkeit für die Selbsttäuschung, ein Besonderes könne zum Absoluten erhoben werden, sind darin begründet, dass das Denken in seiner, die Vernunft nachahmenden Produktion als isolierende Reflexion, als Verstand tätig ist. Außerdem fehlt es der Verstandesreflexion an Lebendigkeit und Tiefe des Verhältnisses der Besonderen zueinander. Deshalb betrachtet sie die Anderen als Mittel zum Zweck der Befriedigung der eigenen Bedürfnisse. 2. Nur die bewusste Vereinigung der „beiden Welten“ des Verstandes und der Vernunft, des Sinnlichen und des Intellektuellen, des Notwendigen und des Freien ist Wissen und somit Philosophie. Das Wissen ist nämlich, so Hegel, die „Organisation von Erkenntnissen“, in ihm ist „jeder Teil zugleich das Ganze, denn er besteht als Beziehung auf das Absolute“.19 Warum die organische Einheit auch für das Wissen wichtig ist wird deutlich wenn man die Gefahr bedenkt, die darin besteht, dass sich die Teile eines Ganzen in ihren Gegensätzen zueinander fixieren und dann an der eigenen Verabsolutierung, an der Illusion, sie selbst wären das Ganze, scheitern. In der Philosophie wird diese Illusion, so Hegel, in dem Gegensatz von Dogmatismus und Idealismus sichtbar. Die Verabsolutierung des einen Teils der Entgegengesetzten und somit Beschränkten zum Ganzen ist aber nur teilweise die ‚Schuld‘ des Verstandes. Sie ist vor allem das Erbe der Gegenläufigkeit der produzierenden Tätigkeit des Absoluten, so dass sie nur durch das Absolute geheilt werden kann. Die Heilung geschieht durch die Spekulation, durch die Erkenntnis, dass die Gefahr der Vernichtung der Entgegengesetzten eine im Denken wirkende Tat der Vernunft ist, so dass Hegel sagen kann, diese Vernichtung ist die Versenkung der Vernunft in ihren „eignen Abgrund“20. Dieser Abgrund ist der Verstand. Der Verstand ist die Versenkung und Selbstvernichtung der Vernunft in ihr Anderssein – in eine die Gegensätze voneinander und gegeneinander isolierende und sie zum Untergang führende Reflexion. Die Abgründigkeit der Vernunft ist das wesentliche Merkmal des Denkens. Sie besteht nicht in der Unzugänglichkeit der Vernunftprinzipien für das Denken, denn die „Nacht“ des Denkens ermöglicht den 19 20
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G.W.F. Hegel: DS GW 4, S. 19. G.W.F. Hegel: DS GW 4, S. 23.
„Mittag des Lebens“, in dem sich der Verstand und die Vernunft begegnen können.21 Das können sie, weil in der philosophischen Spekulation das Zugrundeliegende des Denkens zum Vorschein, ans Licht kommt: die in sich gegenläufige Bewegung des Absoluten selbst. Hegel stellt in der Differenzschrift die wesentlichen, obwohl noch nicht ausgearbeiteten Grundzüge seiner späteren Philosophie dar, die dann mit dem Begriff der selbstbezüglichen Negation ihren endgültigen Ausdruck finden. Es ist in der Differenzschrift viel von Zerstörung und Vernichtung die Rede und von der Gegenläufigkeit der beiden Bewegungen: der unendlichen Tätigkeit des Produzierens und der hemmenden Tätigkeit der Reflexion, so wie es auch in Fichtes Wissenschaftslehre und in Schellings Identitäts-Philosophie der Fall ist. „Reflexion“ ist auch bei Hegel nicht nur als eine isolierende Kraft bzw. als Verstandes-Reflexion zu verstehen, sondern auch als das notwendige Moment einer die unendliche Tätigkeit begrenzenden, sie hemmenden Bewegung des Denkens, durch die erst Schöpfung möglich und das Endliche hervorgebracht wird. Es ist das Absolute selbst, das die Erscheinungen, die sich entgegensetzen und so in doppelter Hinsicht zerstören – die ihnen zugrundeliegende Identität und sich selbst – produziert. Die Bestimmung des Absoluten, das Endliche zu produzieren und gleichwohl zu vernichten, war der Hintergrund von Fichtes Schelling-Kritik und seiner Frage, wie Schelling diese Produktion des Absoluten begründe. Für Fichte ist nämlich das Wissen produzierend, nicht das Absolute. Schellings Denkweg führte zu einer anderen Bestimmung des Absoluten, das aber auch als vom Wissen getrennt zu begreifen ist: Das Absolute ist der „Ungrund“ des Wissens. Hier ist Schelling durchaus Kantianer, den Kant hat die „unbedingte Notwendigkeit, die wir, als den letzten Träger aller Dinge, so unentbehrlich bedürfen“, als den wahren „Abgrund für die menschliche Vernunft“ bezeichnet.22 Hegel vereinigt in gewissem Sinne diese beiden Positionen und geht gleichzeitig über sie hinaus: Das Wissen ist das Andere des Absoluten, nicht mit ihm identisch, aber auch nicht von ihm getrennt. Aus dem Abgrund der Vernunft steigt der Mittag des Lebens auf, aus der Differenz die Identität, die aber trotzdem auch Differenz bleibt. Es wird die Aufgabe der Wissenschaft der Logik sein, diese Verhältnisse auf den Begriff zu bringen, und der Philosophie des Geistes, sie in der Welt als diese zugleich erschaffend und gefährdend darzustellen. Doch was ist der für Hegel tiefere Grund für die mangelhafte, in Herrschaft und Gewalt mündende Form der Produktion der absoluten Tätigkeit? Das ist das Kausalitätsverhältnis der Unterschiedenen:
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G.W.F. Hegel: DS GW 4, S. 23. Immanuel Kant, Kritik der reinen Vernunft (=KrV) B 582f.
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Das Absolute muß sich also in der Erscheinung selbst setzen, d.h. diese nicht vernichten, sondern zur Identität konstruieren. Eine falsche Identität ist das Kausal-Verhältnis zwischen dem Absoluten und seiner Erscheinung; denn diesem Verhältnis liegt die absolute Entgegensetzung zum Grunde. In ihm bestehen beide Entgegengesetzte, aber in verschiedenem Rang; die Vereinigung ist gewaltsam, das eine bekommt das andere unter sich; das eine herrscht, das andere wird botmäßig.23
Das Kausalitätsverhältnis, welches das Verhältnis der Hierarchie und der Herrschaft ist, wird überwunden – hier haben wir vor uns das zentrale Motiv von Hegels Philosophie – durch das ‚Eintauchen‘ des Denkens in die Bewegung der absoluten Tätigkeit. Nur das Eintauchen oder Einsteigen – diese Metaphern sind für die Beschreibung des Sachverhalts um den es geht unzulänglich aber unvermeidbar – in den Fluss der Tätigkeit des Absoluten führt zur Befriedigung des Bedürfnisses nach Rettung. So heißt es: „Die freie Vernunft und ihre Tat ist eins, und ihre Tätigkeit ein reines Darstellen ihrer selbst.“24 Die Einheit von Produktion und Produkt innerhalb der einen Bewegung ist die spekulative Überwindung des Herrschaftsverhältnisses, das durch das Kausalitätsverhältnis des Nacheinander von Ursache und Wirkung entsteht. Der spekulativ Denkende erhebt sich auf den Standpunkt des Absoluten – das heißt, er denkt aus der Prozessualität des Absoluten – und seine Aufgabe ist es nun, von diesem Standpunkt aus – oder besser: aus dieser Denkbewegung, die immer auch Denkerfahrung ist, heraus – die beiden konkurrierenden Standpunkte Spekulation und Reflexion so zusammenzudenken, dass sie sich nicht gegenseitig verneinen, sondern in dieser Bewegung, die der Mittelpunkt des Systems ist, als „absolut notwendig und unvereinigt“ erkannt werden.25 „Notwendig und unvereinigt“ meint, dass sie in ihrer gegenseitigen Spannung, die keine radikale Trennung und keine identitätslose Einheit ist, begriffen werden müssen. Weil die philosophische Reflexion selbst transzendentale Anschauung ist, Differenz also Einheit, ist für Hegel auch Fichtes Philosophie Spekulation.26 In dieser Vereinigung müssen aber, anders als das bei Fichte der Fall ist, die Momente der Entgegensetzung als immer noch unterschieden, als „unvereinigt“ auch in der Vereinigung erkannt werden. Nur durch das „Zernichten“ der Erscheinung könne sich bei Fichte „das Ich“ finden.27 Ihre Vereinigung darf aber nicht die Unterschiede verwischen, auch nicht zur Herrschaft des einen Moments über das andere führen. Deshalb muss, so Hegel, der höchste, absolute Standpunkt des Wissens in der Lage sein, 23 24 25 26 27
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G.W.F. Hegel: DS GW 4, S. 32. G.W.F. Hegel: DS GW 4, S. 30. G.W.F. Hegel: DS GW 4, S. 37. G.W.F. Hegel: DS GW 4, S. 77. G.W.F. Hegel: DS GW 4, S. 37.
folgendes scheinbar paradoxe Ergebnis der Vereinigung denken zu können: die Identität der Identität und der Differenz. Fichtes Philosophie scheitere an der geforderten aber nicht erfolgreichen Integration des Nicht-Ich in das Absolute. Deshalb sei sie, so Hegels Kritik, keine absolute, sondern eine subjektive Einheit des Subjekts und Objekts, in der die Seite des Objekts immer ein Fremdes, Entgegengesetztes bleibt, das vom Subjekt überwältig werden muss. Wahre spekulative Philosophie ist für Hegel nicht nur eine geforderte, sondern auch die verwirklichte Einheit der Entgegengesetzten, die aber in ihrer Einheit verschieden bleiben. So heißt es, die entgegengesetzten Momente Ich und Natur, Erkennen und Sein, Endlichkeit und Unendlichkeit, reines und empirisches Selbstbewusstsein sind, in ihrer Wahrheit gesetzt, der absolute Widerspruch „durch welchen beides gesetzt und beides vernichtet ist, weder beide, und beide zugleich sind“.28 Hegels Kritik bezieht sich auf den auch von Fichte als zentral bezeichneten Unterschied der beiden grundlegenden Arten des Produzierens: Auf der einen Seite steht das Produzieren des Verstandes, das in Kausalitätsverhältnissen und der Wechselwirkung besteht und in dem sich das reine Bewusstsein und das empirische Bewusstsein gegenseitig vernichten, und auf der anderen Seite steht die Produktion der Vernunft, in der das reine und das empirische Bewusstsein in der sie beide umfassenden absoluten Identität aufgehoben sind. Diese absolute Identität des Ich, die Gegenläufigkeit ihrer beiden Richtungen, nennt Hegel die „vollständige Darstellung“ ihrer selbst.29 Das bedeutet, dass das spekulative Begreifen der Produktion der Vernunft zugleich ihre Selbstdarstellung als dieses Begreifen ist. Die spekulative Darstellung des Systems ist die Selbstanschauung des Absoluten als Subjekt-Objekt. Der in diesem Zusammenhang von Hegel gebrauchte Ausdruck „unendliche Weltanschauung“,30 den Heidegger nicht ganz plausibel zum grundlegenden Satz aller Hegelschen Texte erhebt,31 vereinigt in sich diese ‚pulsierende‘ Bewegung: die in 28 29 30 31
G.W.F. Hegel: DS GW 4, S. 77. G.W.F. Hegel: DS GW 4, S. 48. G.W.F. Hegel: DS GW 4, S. 31. Vgl. Martin Heidegger: Seminare GA 15, S. 315. Hier hat Heidegger trotzdem einen wichtigen Punkt im Blick: Das Ganze des Systems ist immer bezogen auf die innere Spannung, in der das Ganze – laut Heidegger „die absolute Vermessung des Landes des Bewußtseins“ – um den Mittelpunkt des Denkens versammelt und von ihm geordnet ist. Dieser Mittelpunkt ist die unendliche Weltanschauung als die Einheit, die alle Entgegensetzungen in sich enthält. Ludwig Siep spricht bei der „unendlichen Weltanschauung“ vom „Rhythmus“ der Selbstdarstellung der Vernunft im System, einer Metapher, die Hegel von Schelling übernimmt und auf die er sich auch nach seiner Trennung von Schelling beruft. In: Der Weg der Phänomenologie des Geistes. Ein einführender Kommentar zu Hegels „Differenzschrift“ und „Phänomenologie des Geistes“, Frankfurt am Main 2000, S. 39.
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einfachste Identität der Anschauung kontrahierte objektive Totalität eines Ganzen von „Sätzen und Anschauungen“ und die Einheit von Bewusstem und Bewusstlosem.32 Der Kern des spekulativen Denkens und des philosophischen Systems bei Hegel ist folgender: Das Denken des Absoluten ist das Sein des Absoluten, es ist dessen vollständige Selbsterfassung und Selbstdarstellung, die nicht nur im, sondern als das Denken erfolgt.33 Das ist der Angelpunkt der wahren spekulativen Philosophie. Hegel will die Verästelungen der Einheit von Sein und Selbstdarstellung des Absoluten systematisch offenlegen. Dass das Denken die Selbstdarstellung des Absoluten ist und diese nicht nur vorstellt, das Absolute sich somit nicht nur im Denken, sondern als Denken – weiter gefasst, nicht nur in der Welt, sondern als die Welt – verwirklicht, ist der rettende Anker, denn die spekulative Philosophie dem vorstellenden Denken zuwirft. Das Absolute ist schon vorhanden, sonst könnte es nicht gesucht werden. So heißt es dann auch in der Phänomenologie des Geistes, das Absolute ist an und für sich schon bei uns und will es auch sein.34 Der Gegenstand von Hegels Kritik ist die nicht hergestellte Integration des Endlichen in das Absolute. Bei Fichte ist jedoch das System, das diese Einheit verbürgen soll, ein Nebeneinander von Sätzen, die unter dem „Gesetz des Verstandes“ stehen, deshalb in Antinomien enden und sich gegenseitig aufheben. Für Hegel gleicht dieses Vorgehen einem „Wahn“,35 denn in Fichtes Philosophie verliere sich die freie absolute Tätigkeit des Denkens in einer endlosen Kette von Endlichkeiten, ohne dass diese in das Absolute so zurückgeführt werden könnten, dass die Anwesenheit des Absoluten im Endlichen und des Endlichen im Absoluten sichtbar und nachvollziehbar wird. In der praktischen Philosophie verstehe Fichte das Verhältnis von Ich und Nicht-Ich als ein Kausalitätsverhältnis, in dem das Objekt, die Endlichkeit also, von Absolutem überwältigt wird. In beiden Fällen ist eine wahre Synthese nicht möglich: Entweder zerstreue sich die Vernunft in der Vielfalt des Endlichen, oder das Endliche werde von ihr negiert. Die objektive Welt sei für Fichte die Bedingung des Selbstbewusstseins, statt ein Produkt der Freiheit der Intelligenz zu sein, was das eigentliche Prinzip des Idealismus wäre. In Fichtes System, und 32 33
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G.W.F. Hegel: DS GW 4, S. 31. Dieter Henrich fasst diesen Sachverhalt bei Fichte – und das gilt auch für Hegel, der allerdings nicht vom „Ich“, sondern vom Absoluten spricht – folgendermaßen zusammen: Das Ich ist vom Unbedingten nicht nur bewirkt oder ermöglicht, sondern das Ich ist „das Unbedingte selbst, aber in einer gewissen Weise seiner eigenen Selbstmodifikation oder Selbstentfaltung“. In: Der Grund im Bewußtsein. Untersuchungen zu Hölderlins Denken (1794–1795), Stuttgart 1992, S. 89. G.W.F. Hegel: DS GW 4, S. 15; PhG GW 9, S. 53. G.W.F. Hegel: DS GW 4, S. 24.
das werde in der praktischen Philosophie besonders deutlich, denn die Mängel der theoretischen werden dort besonders augenfällig, sei die Freiheit nur die negative Freiheit der Verstandesreflexion, die dem Endlichen fremd und es in seiner Selbständigkeit negierend bleibe. Ein weiteres Beispiel für den Mangel der Verstandesreflexion in Fichtes Philosophie ist das Verhältnis des „Ich“ zur Natur. Die produzierende Verstandestätigkeit des Ich hat zwar zur Folge, dass „die Natur durch die Kausalität der Freiheit zu einem reell Bewirkten“ wird.36 Die kausale Bestimmung der Natur führt jedoch in Fichtes Naturrecht dazu, dass die Natur ein „absolut Bewirktes und Totes“ wird. Die Deduktion der Natur mit den Mitteln der Reflexion führt, so Hegels Kritik, zu der Herrschaft der Intelligenz über die Natur. Die fatale Konsequenz dieses Herrschaftsverhältnisses wird deutlich, wie Hegel im Hinblick auf Fichtes System des Naturrechts feststellt, am Beispiel der einseitigen inhaltlichen Bestimmung des freien Individuums, dessen Merkmal jedoch gerade die grundlegende Unbestimmtheit ist. Diese grundlegende Unbestimmtheit des Menschen, in der seine Möglichkeit frei zu handeln begründet ist, darf nicht durch willkürliche, zufällige oder auf Herrschaft beruhende Bestimmungen beschränkt werden. Diese einseitige Beschränkung darf nicht durch den gebietend auftretenden Verstand geschehen, denn dadurch wird nur der permanente Notstand, werden die Herrschaftsverhältnisse reproduziert. Nur durch den freien Verzicht auf die von dem Verstand produzierte inhaltliche Bestimmung der zunächst noch unbestimmten Freiheit wäre, so Hegel, wirkliche Freiheit möglich. Bei Fichte sei es jedoch folgendermaßen: Aber die aufgehobene Unbestimmtheit ist unter der freien Beschränkung seiner Freiheit im System des Naturrechts nicht verstanden; sondern indem die Beschränkung durch den gemeinsamen Willen zum Gesetz erhoben und als Begriff fixiert ist, wird die wahre Freiheit, die Möglichkeit, eine bestimmte Beziehung aufzuheben, vernichtet; die lebendige Beziehung ist nicht mehr möglich, unbestimmt zu sein, ist also nicht mehr vernünftig, sondern absolut bestimmt und durch den Verstand festgesetzt; das Leben hat sich in die Botmäßigkeit begeben und die Reflexion die Herrschaft über dasselbe und den Sieg über die Vernunft davongetragen.37
In dem auf das ganze Leben unendlich ausgedehnten „Notstand“ sind die Herrschaft des Begriffs und die Knechtschaft der Natur „absolut gemacht und ins Unendliche ausgedehnt.“38 Hegel sagt damit: Das Individuum hat das Recht auf Unbestimmtheit; darin besteht seine Freiheit. Das ist ein 36 37 38
G.W.F. Hegel: DS GW 4, S. 51. G.W.F. Hegel: DS GW 4, S. 55. G.W.F. Hegel: DS GW 4, S. 55f.
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weittragender Gedanke, der sich in Philosophie bis zu Heideggers Kritik des Kausalitätsdenkens im Zusammenhang mit der Technikkritik erstreckt. Für Hegel ist diese Unbestimmtheit die Totalität, die alle Bestimmtheiten in sich enthält, aber mit keiner einzelnen identisch ist. „Unbestimmt“ bedeutet hier: Nicht als Besonderes fixierbar, nicht als BeBeschränktes durch den Verstand einseitig zum Ganzen erhoben. Das Gefährliche des sich zum Ganzen ernannten Besonderen und Beschränkten zeigt sich bei dem Versuch des Verstandes, durch endloses Bestimmen, d.h. Erheben des Isolierten zum Wesentlichen und Ganzen, Ordnung herzustellen und so zu Stabilität und Ruhe zu kommen. Diese fast zwanghafte Sucht nach Bestimmen und Durchorganisieren des Lebens äußert sich, so Hegel – den in Fichtes Naturrecht angelegten Totalitarismus ironisierend – in dem Ideal eines Staates, in dem alles Tun der Bürger „notwendig einem Gesetz unterworfen, unter unmittelbarer Aufsicht genommen, und von der Polizei und den übrigen Regierern beachtet werden müßte, so daß […] in einem Staate von der nach diesem Prinzip aufgestellten Konstitution die Polizei so ziemlich weiß, wo jeder Bürger zu jeder Stunde des Tages sei und was er treibe“.39 Aus dem die lebendige Totalität der Vernunft nachahmendem Bestimmungswahn des Verstandes entsteht somit der Kontrollwahn, der die Möglichkeit einer freien Gemeinschaft von Individuen nicht verwirklicht, sondern verhindert. Der Verstandesstaat ist somit eine „Maschine“, in der voneinander isolierte Individuen im Kampf gegeneinander liegen. Er ist kein Organismus, in dem „Vertrauen, Lust und Liebe“ lebendig sind.40 Die auf dem Kausalitätsverhältnis beruhende Herrschaft des Begriffs über die Individuen habe in Fichtes Sittenlehre noch gefährlichere Folgen für „Vertrauen, Lust und Liebe“, als das im Naturrecht der Fall sei. Das Machtverhältnis von Freiheit und Natur wird in Fichtes Sittenlehre von der Außenwelt in den Menschen selbst verlegt. Denn nicht nur das Recht, sondern auch die sittliche Pflicht soll ihre Macht ausüben, wodurch der Mensch zugleich „sein eigener Herr und Knecht“ wird. Die Selbstunterdrückung des Menschen durch die Autorität eines abstrakten, nach dem Modell des Kausalitätsverhältnisses aufgefassten Sittengesetzes ist deshalb noch gefährlicher als die Unterdrückung durch den Staat. Sie ist aber auch, genauso wie die Unterdrückung durch eine äußere Autorität, „häßlich, und zu hassen“. Mit diesem Modell sei, so Hegel, auch Fichtes Versuch gescheitert, eine ästhetische Absicht der Natur auf das Sittengesetz anzuwenden. Unsere Naturneigung gehorcht nämlich dem Sittengesetz, so Fichte im Anschluss an Kant. „Gehorchen“ schließt aber eine ästhetische
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G.W.F. Hegel: DS GW 4, S. 56. G.W.F. Hegel: DS GW 4, S. 58.
Sicht auf die Natur aus und führt nur zu verzerrten, ängstlichen und hässlichen Sicht auf das Sittengesetz.41 Hegel fasst seine Fichte-Kritik folgendermaßen zusammen: Wenn die Aufhebung der Entzweiung als formale Aufgabe der Philosophie gesetzt wird, so kann die Vernunft die Lösung der Aufgabe auf die Art versuchen, daß sie eins der Entgegengesetzten vernichtet und das andere zu einem Unendlichen steigert. Dies ist der Sache nach im Fichteschen System geschehen; allein die Entgegensetzung bleibt auf diese Art, denn dasjenige, was als Absolutes gesetzt wird, ist durchs andere bedingt, und so wie es besteht, besteht auch das andere.42
Ist diese Kritik berechtigt? Dass sich die Reflexion im Angesicht des Absoluten und nach der strengen Selbstprüfung selbst vernichtet, um so im Absoluten aufzugehen, ist ein Gedanke, den Fichte spätestens nach 1804 in den Mittelpunkt seiner Wissenschaftslehre rückt. Er ist, was Hegel natürlich nicht wissen konnte, viel differenzierter als er in der Differenzschrift von Hegel dargestellt wird. Aber auch im Hinblick auf die Wissenschaftslehre von 1794, auf die sich Hegel hier bezieht, scheint auf den ersten Blick seine Kritik in einem Punkt nicht überzeugend zu sein. Hegel interpretiert die frühe Wissenschaftslehre als ein missglücktes Identitätssystem43. Fichte geht es aber zunächst um die Selbsterkenntnis des Wissens, ausgehend von absoluten Grundsätzen, die als hypothetisch und notwendig postuliert werden. Ihm geht es also anscheinend um die Einheit des Wissens, nicht um die Einheit des Menschen mit dem Absoluten, mit sich selbst und mit der Welt. Diese Fichte-Interpretation ist jedoch wenig überzeugend.44 Denn Fichte dehnt die Prinzipien seiner Transzendentalphilosophie tatsächlich 41 42 43 44
G.W.F. Hegel: DS GW 4, S. 62. G.W.F. Hegel: DS GW 4, S. 63. Vgl. Ludwig Siep, Der Weg der Phänomenologie des Geistes, S. 41. Vgl. die Kritik von Fichte an Schelling (und indirekt an Hegel), der Reinhard Lauth zustimmt, ohne dabei die verschiedenen Interessen der drei Philosophen zu berücksichtigen (Lauth „Hegels spekulative Position in seiner‚ ,Differenz des Fichte’schen und Schelling’schen Systems der Philosophie‘ im Lichte der Wissenschaftslehre“, in: Hegel vor der Wissenschaftslehre, Mainz/Stuttgart 1987, S. 9–74; hier S. 33): „Halten wir von dieser Kritik Fichtes zunächst fest, daß Schelling und Hegel mittels ihres dogmatischen ontologischen Ansatzes das Dasein des Absoluten in der Form des Erkennens, d.i. in der Form der konstruierenden und im Konstruieren trennenden ‚Reflexion‘ zwar behaupten, aber nicht einsichtig, ja nicht einmal konzipierbar machen können. Sie schieben das Subjektive auf illegitime Weise in das Objekt ein. Die Wissenschaftslehre hingegen, die ihren Ansatz beim Wissen nimmt, kann dieses Wissen gar nicht anders als in seinem Bezug auf das Absolute und folglich als das Absolute bildend ansetzen, und zwar aus erkenntnistheoretischen Gründen, und sie entfaltet auf diesem Wege das Wissen legitim.“
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auf die Menschenwelt aus. Das schwierige Verhältnis des Menschen zu den Gesetzen des Staates und zu den Pflichten der Moral bleibt deshalb in Fichtes Philosophie als Problem bestehen, und hier trifft Hegels Kritik einen wichtigen Punkt: Übetragen aus dem Gebiet der Transzendentalphilosophie auf die Verhältnisse in der Welt bleiben für Fichte Herrschaft, Kampf und Unterdrückung des Endlichen die bestimmenden Merkmale des Lebens. Man könnte sagen: Wie das transzendentale Wissen – so die empirische Welt. Sie ist ein Abbild der im Wissen herrschenden unaufgelösten Konflikte. Die Anwendung der Theorie auf die Praxis erweist sich bei Fichte als gefährlich für die Praxis – in diesem Punkt muss man Hegels Kritik recht geben. Fichtes Diagnose des Zustands der Welt unterscheidet sich zwar nicht grundlegend von derjenigen Hegels. Auch Hegel sieht, und darin ist er sich sowohl mit Fichte als auch mit Schelling einig, dass Mächte, in deren Spiel der Mensch unentrinnbar verwickelt ist, die Welt bedrohen und dass sie – darin besteht die Pointe des Idealismus – zugleich diese bedrohte Welt hervorbringen und im Sein halten. Hegel betrachtet diese Diagnose jedoch als den Hinweis auf ein Verhängnis, das mit den Mitteln der Philosophie nicht nur im Denken, sondern auch in der Welt überwunden werden kann. Die Bestimmung des Absoluten als „Identität der Identität und der Nichtidentität“, in der die Entgegensetzen „zugleich“ mit ihrem Einssein sind,45 eröffnet für Hegel einen Weg zur theoretischen und praktischen Überwindung der Verwicklung im „steten Krieg“. Festgehalten werden kann, dass Schelling die Natur (die objektive Welt) aus Fichtes transzendentalphilosophischem ‚Gefängnis‘ befreit hat und dass Hegel diesen Weg konsequent weitergegangen ist. Der Gedanke auf den es Hegel in diesem Zusammenhang ankommt ist dabei der, dass die Negation der Entgegensetzung in der Einheit mit dem Absoluten nur die einseitige Form der ideellen Entgegensetzung der Reflexion betrifft, nicht aber die Entgegengesetzten selbst. Diese sind im Absoluten beide zugleich gesetzt und vernichtet, sie sind – in Hegelschem Sinne – aufgehoben. So sind Intelligenz und Natur, Freiheit und Notwendigkeit, Subjekt und Objekt notwendig Getrennte im Absoluten und sollen, ja müssen als solche auch bestehen bleiben. Sie sind im Absoluten und das Absolute ist in ihnen; das meint der Ausdruck „reelle Entgegensetzung“.46 Mehr noch: Sie sind selbst das Absolute in seinem Anderssein. Diesen dialektischen Ausweg aus dem Kampf der entgegengesetzten Momente wird Hegel in der Zeit nach der Diffenrenzschrift immer schärfer fassen. Er wird, auch vor dem Hintergrund der späteren Kenntnis von Schellings Freiheitsschrift, versuchen, Fichtes und Schellings Einsichten miteinander 45 46
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G.W.F. Hegel: DS GW 4, S. 64. G.W.F. Hegel: DS GW 4, S. 81.
zu verbinden und weiterzuentwickeln: Die methodisch entwickelte Selbstdurchsichtigkeit des Denkens vom Standpunkt des Absoluten aus (Fichte) und das im Denken, als dem Ausdruck des Absoluten, immer zu antizipierende Anderssein des Absoluten (Schelling). Wie kommt aber dieses Anderssein in das Absolute? In der Differenzschrift geht Hegel auf eine Begründung nicht näher ein. Der Ausgangspunkt seines Gedankengangs ist das Bedürfnis der Philosophie und des außerphilosophischen Denkens nach Einheit, nach einem Ausweg aus der Zerrissenheit des Lebens. Nicht im „Schattenreich“ der Logik (wie es dann später im Hinblick auf die Wissenschaft der Logik heißt), sondern im Leben des Geistes findet sich die vollständige, d.h. für Hegel nicht nur subjektiv-theoretische, sondern auch praktisch-existentielle Antwort auf die Frage nach dem Grund der Differenz im Absoluten. Für Hegel ist Fichtes Philosophie, obwohl wahre Spekulation, immer noch – um diesen späteren Ausdruck zu gebrauchen – ein „Schattenreich“. Sie kann die Welt, die für Fichte das Bild des Absoluten ist, nicht in ihrer Wahrheit, also als das Andere des Absoluten, begreifen. Die Kontraktion der Vernunft in die „reichste und einfachste Identität“ und ihre Expansion in die Welt der Differenz müssen, so Hegel, in ihrer Einheit gedacht werden. Das Denken muss sich in die Bewegung der Produktion der Vernunft versetzen. Diesen Standpunkt einzunehmen ist für Hegel, so wie auch für Schelling, dem Standpunkt der Reflexion, den ihrer Überzeugung nach Fichte einnimmt, überlegen. Hegel zitiert Schelling, Menschen sollen lernen „rein theoretisch, bloß objektiv ohne alle Einmischung von Subjektiven zu denken“.47 Aber trotzdem, so muss man hinzufügen, nicht weltlos und nicht die Gegensätze auf eine äußerliche Verstandesart miteinander verknüpfend. Während Hegel darauf besteht, Philosophie solle nicht nur über das Absolute, sondern aus der Bewegung des Absoluten denken, geht Fichte von der Reflexion des Absoluten im Wissen aus. Er denkt aus dem Licht, das das unbegreifliche Absolute auf das Wissen wirft und vor dem das Wissen untergeht. Das Absolute sei, so Fichte in seiner Kritik an Schelling (und indirekt auch an Hegel), kein „Rhinoceros“, über das man dieses und jenes sagen könnte.48 Man müsse es als notwendig zu Denkendes erweisen indem man vom Wissen ausgeht, in ihm bleibt und nicht, willkürlich konstruierend, die Immanenz des Wissens verlässt. Ob das Absolute tatsächlich existiert wäre für Fichte eine wohl sinnlose Frage, denn sie würde es so zum Objekt des Wissens machen. Das einzige Interesse der Vernunft ist für Hegel jedoch von der Not des in Antinomien, Entgegensetzungen und Kämpfen zerrissenen Lebens 47 48
G.W.F. Hegel: DS GW 4, S. 79. J.G. Fichte: Antwortschreiben an Reinhold von 1801, GA I, 7, S. 275f.
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auszugehen, die Gründe für diese Not zu verstehen und diejenige im Denken wirkende „Macht“ zu finden, die diese Not zugleich verursacht und lindert. So geht Philosophie zwar aus der Zerrüttung des Zeitalters und in diesem Sinne aus der Unsittlichkeit der Lebensverhältnisse hervor, aber nur, um „den Menschen aus sich wiederherzustellen“.49 Das existentielle Interesse an einem sich in Konflikten erhaltenden und nicht nur untergehenden Leben führt Hegel zu einem anderen Philosophiekonzept als demjenigen von Fichte. Diese angeblich therapeutische Funktion, die Hegel der Philosophie zuweist, bildet, wie wir sehen werden, das Interesse auch vieler gegenwärtigen Hegel-Interpreten. Hegel kritisiert an Reinhold und damit indirekt auch an Fichte, dass dieser nicht einmal zu ahnen scheint, dass es eine andere Philosophie geben könnte als den reinen transzendentalen Idealismus. Die Methode dieser anderen Philosophie, die in dem Bedürfnis nach dem Aufheben der Entgegensetzung von Geist und Materie wurzelt, ist die schrittweise Entwicklung des Wissens, das aus der spannungsreichen, Ausbreitung und Kontraktion umfassenden Einheit von Geist und Materie philosophiert, also nicht zuerst das Wissen untersucht und dann (vielleicht, falls es geht) über die Welt nachdenkt. Für Hegel steht die Philosophie von Anfang an im Mittelpunkt des Welt-Kreises; dieser Mittelpunkt ist das Absolute, auf das die Welt immer bezogen bleibt.50 Das Absolute ist jedoch nicht als Unbegreifliches und „fertiges Urwahres“ aufzufassen – das ist der „Grundvorurteil“, den Reinhold (und alle „neuere Philosophie“) begeht, indem er das Denken als eine nur subjekitve Tätigkeit missversteht51 und nicht als den dynamischen Bildungsweg des Absoluten, das sich in Philosophie als das Ganze von Subjekt und Objekt, Geist und Welt immer tiefer erfasst. Das dynamische, sich mit dem Ziel der Selbsterkenntnis entwickelnde Absolute ist nur durch philosophische Spekulation zu begreifen. Hegel kritisiert damit indirekt auch Schelling des Systems des transzendentalen Idealismus und die Vorstellung, es sei die Kunst, die als die höchste Form der Selbsterfassung des Absoluten zu gelten habe. Er räumt zwar ein, dass in der Kunst das Absolute „in der Form des absoluten Seins“ erscheint, und setzt damit die Kunst auf die gleiche Stufe mit der Religion. Beide nämlich, Kunst und Religion, sind „das Bewußtsein niederschlagend“, das Absolute erscheint in ihnen als das Produkt des Genies (in der Kunst) oder „als ein bloß Inneres“ (in der Religion). Nur die philosophische Spekulation begreift aber die dynamische Natur und das Werden des Absoluten, nicht die Kunst. Sie erkennt, dass das Übergewicht des Bewusst-
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G.W.F. Hegel: DS GW 4, S. 81. G.W.F. Hegel: DS GW 4, S. 82. G.W.F. Hegel: DS GW 4, S. 87.
seins zurückgenommen werden muss, um zu der unendlichen Anschauung des Absoluten als „sich selbst Erzeugendes“ zu gelangen. Diese in der spekulativen Philosophie vollzogene Abkehr von der Subjektivität (Bewusstsein) hin zum Konzept der absoluten Subjektivität, die sich im Prozess der zunehmenden Selbsterkenntnis verwirklicht, behält ihre Gültigkeit auch in Hegels entwickeltem System. Später ist zwar nicht mehr die Rede von der „unendlichen Anschauung“ und dem „Indifferenzpunkt“ des Bewussten und des Bewusstlosen, der Einfluss von Schellings Begrifflichkeit geht also zurück, das Moment der unbewussten Tätigkeit des Absoluten in der begreifenden Spekulation bleibt aber bestehen. Hegel denkt die Einheit der beiden gegenläufigen Bewegungen des Absoluten, der unbewusst ins Unendliche produzierenden und der hemmenden, reflektierenden Bewegung als das wesentliche Merkmal der Spekulation. In der Differenzschrift werden zwar beide, Kunst und Spekulation, als „Gottesdienst“ bezeichnet.52 Ihren Unterschied im Hinblick auf das Vermögen, die Tätigkeit des Absoluten auch und vor allem in ihrem Vollzug und nicht nur in ihren Produkten zu begreifen ist jedoch dasjenige, worauf es Hegel ankommt. Kunst und Religion bekommen im späteren System als zwei philosophisch durchgeformte Gestalten des absoluten Geistes die Bedeutung der einzig wirklich erfolgreichen Bewältigung des geistigen und lebensweltlichen Notstands. Erst in der Einheit mit Philosophie befriedigen sie das Bedürfnis des Menschen nach einem Leben in Übereinstimmung mit sich selbst und mit der Welt, von dem in der Differenzschrift die Rede ist. 3.2 Glauben und Wissen: Das Sichtbarmachen des Unsichtbaren Die Bewegung des Denkens in ihrem Vollzug zu erkennen bedeutet die Entgegensetzungen, die das Leben der Menschen bestimmen als notwendige Momente einer in ihnen wirkenden, in sich gegenläufigen und prozessualen Einheit zu begreifen. Diese Einheit ist zugleich Schöpfer und Vernichter, sie ist die Tätigkeit des Setzens und des Entegensetzens. Es zeigt sich auch in der Schrift Glauben und Wissen, dass die Aufgabe der spekulativen Philosophie das Sichtbarmachen dieser absoluten Tätigkeit ist. Für Hegel ist sie weder, so wie bei Kant, als eine Idee ohne Realität für das Erkennen misszuverstehen, noch nur etwas Subjektives und ein „Instinkt“, der nur durch Gefühl und Sehnen nach Einheit zu erfahren wäre wie bei Jacobi, aber auch nicht das Unbegreifliche, wie es bei Fichte der Fall ist. Es ist auch der Grundmangel der Aufklärung, dass sie Erkenntnis der Vernunft vom Empirischen trenne, so dass, als Konsequenz, der „unendliche leere Ram des Wissens nur mit der Subjektivität des Sehnens und Ahndens erfüllt werden“ könne. Aufklärungsphilosophie, Kant, Jacobi 52
G.W.F. Hegel: DS GW 4, S. 76.
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und Fichte sind, auf unterschiedliche Weise zwar, aber doch im Kern in dieser Hinsicht vergleichbar, ungewollte ‚Totengräber‘ der Philosophie. Das, was früher als der „Tod der Philosophie“ betrachtet wurde, nämlich „daß die Vernunft auf ihr Sein im Absoluten Verzicht tun sollte“, wird durch die Aufklärung (für die exemplarisch Kant, Jacobi und Fichte stehen) zum Gipfel der Philosophie erhoben.53 Das philosophische Erkennen wurzelt jedoch nicht in der von der Praxis getrennten Theorie, dem Gefühl oder den Vernunftpostulaten, sondern in der Erfahrung des Leidens an der Zerrissenheit der Welt. Der Formalismus – der Nihilismus – der Aufklärung hat dramatische Konsequenzen für das Leben der Menschen und ihr Verhältnis zur Welt. Die Flucht vor dem ständig bedrohten Endlichen in eine leere Innerlichkeit des Gefühls, des Gewissens oder ins Jenseits des Glaubens verwandelt die ursprünglich als Prinzip des Protestantismus eigentlich zu bewundernde Schönheit und Wahrheit der Subjektivität in egoistischen Selbstgenuss. Diese Flucht erweist sich jedoch als vergeblich, das Empirische lässt sich nicht abschütteln und das in der Zerrisssenheit des Lebens stehende Subjekt wendet sich von dem Jenseits dem Diesseits zu, um dort seine Ruhe zu finden. Dadurch werden aber entweder die unerfüllte Sehnsucht nach der Befreiung von allem Empirischen oder die „tiefe Rohheit und völlige Gemeinheit“ des sinnlichen Lebens Merkmale einer verfehlten Glückseligkeitslehre.54 Die Dialektik der Aufklärung, die Hegel hier im Blick hat, gipfelt in der Kritik, diese ziehe sich entweder ins Abstrakte zurück oder arrangiere sich mit der gemeinen Wirklichkeit. Die von der Vernunft getrennte Natur sei in Kants und Fichtes Moraltheologie vernunftwidrig und hässlich, das von der Natur getrennte Subjekt dagegen – vor allem bei Fichte – ist hochmütig und vom „Wahnsinn des Dünkels“ erfasst.55 Hegels Alternative zu dem „Dogmatismus der Aufklärerei“, den er bei Kant, Jacobi und Fichte angelegt sieht, wird deutlich in seiner Kritik an Jacobis Verständnis der Vernunfterkenntnis. Für Jacobi ist das sinnlich Mannigfaltige, das von dem Verstand synthetisiert wird, ein Gegebenes und die Verstandeserkenntnis ein fortgesetztes Verknüpfen des Mannigfaltigen bis zu dem Punkt, an dem dieses weggeräumt und vernichtet werden muss, damit das Unendliche übrigbleibt. Im Unterschied dazu bestimmt Hegel die Tätigkeit der Vernunft folgendermaßen: Das Mannigfaltige wird, anders als das bei Kant, Jacobi und Fichte der Fall ist, nicht synthetisiert, sondern erzeugt. Jacobis Mahnung, Vernunft ohne Sinnlichkeit gebiere Hirngespinnste,56 betrachtet Hegel zwar als richtig, jedoch nicht die Konsequenz, die Jacobi, Hegels Ansicht nach, aus dieser Erkenntnis zieht: den Verzicht 53 54 55 56
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G.W.F. Hegel: Glauben und Wissen (=GlWi), GW 4, S. 316. G.W.F. Hegel: GlWi GW 4, 318. G.W.F. Hegel: GlWi GW 4, S. 404. G.W.F. Hegel: GlWi GW 4, S. 376.
auf den Anspruch, vernünftig zu denken. Jacobis Überlegungen setzt Hegel in Glauben und Wissen jedoch vor allem seine eigene Empörung entgegen, nicht eine augearbeitete eigene Theorie. Der Vorwurf an Jacobi, dessen „Gepoltere und Gezänke“ habe „den Gaumen des philosophischen Dilettantismus zubereitet“,57 wird zwar erhoben, aber noch nicht durch eine eigene philosophische Alternative begründet. Die Richtung, in die sich Hegels Gedanken weiter bewegen werden tritt jedoch in Glauben und Wissen schon deutlich zutage. Sie lässt sich folgendermaßen skizzieren: 1. Das Los des Menschen ist das Los alles Endlichen: Zerrissenheit, Gewalt und Untergang. 2. Dieses Los ist durch diejenige Kraft im Endlichen bewirkt, die zugleich die Existenz des Endlichen hervorbringt. 3. Diese Kraft ist die absolute Tätigkeit, die sich im Prozess der Erschaffung des Endlichen und der Trennung von ihm selbst verendlicht und das Endliche dem Prozess des ständigen Kampfes der in ihm wirkenden entgegengesetzten Tätigkeiten ausliefert. 4. Um das Los des Kampfes und der daraus folgenden Instabilität seines Selbst- und Weltverhältnisses zu überwinden muss das Endliche die absolute Tätigkeit so denken und aneignen, dass es sich dabei von der Welt nicht in die Innerlichkeit zurückzieht, aber auch nicht in ihr verliert. In Glauben und Wissen wird erst angedeutet, wie dieser denkerische und existentielle Nachvollzug der absoluten Tätigkeit zu verstehen ist. Hegel grenzt sich von der „Verunreinigung des Glaubens“ und der „Heiligung der Subjektivität“ durch die „Aufklärerei“ der Reflexionsphilosophie ab, indem er ihr zwei Modelle entgegenhält: den bewusstlosen, reinen Glauben des religiösen Menschen, der noch keine Berührung mit der Subjektivität des „gemeinen rücksichtslosen“ aufklärerischen Glaubens hat, und den Glauben, der in der wahren spekulativen Philosophie seine Zuflucht gefunden hat. Der gemeine, unphilosophische Glaube verwandelt sich in der spekulativen Philosophie und mit ihm die Subjektivität und die Endlichkeit. Folgende Stelle kann man als maßgeblich auch für die späteren Gedanken Hegels zu diesem Thema festhalten. In Abgrenzung zu Kant, Jacobi und Fichte, den Vertretern des gemeinen, von der Subjektivität getrennten Glaubens, heißt es vom „wahrhaften Glauben“: Die ganze Sphäre der Endlichkeit, des selbst Etwas-seins, der Sinnlichkeit, versinkt im wahrhaften Glauben vor dem Denken und Schauen des Ewigen, was hier Eins wird, alle Mücken der Subjektivität verbrennen in diesem verzehrenden Feuer, und selbst das Bewußtsein dieses Hingebens und Vernichtens ist vernichtet; [...] denn jetzt ist es die Vernunft, die zu ihm [dem wahrhaften, philosophischen Glauben, KD] aus der Reflexion flüchtet, um die Endlichkeit zu vernichten und die Subjektivität aufzu-
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G.W.F. Hegel: GlWi GW 4, S. 372.
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heben, aber von dieser vorhandenen Opposition gegen die Reflexion und Subjektivität wird eben darum der Glaube selber affiziert; es bleibt in ihm, denn er hat hier zugleich die Bedeutung des Negierens, die Reflexion auf die Vernichtung der Reflexion und die Subjektivität des Bewußtseins der Vernichtung der Subjektivität; und die Subjektivität hat sich so in ihrer Vernichtung selbst gerettet.58
Die Rettung der angeblich „unheiligen“ Subjektivität erfolgt durch ihr negieren, denn „in diesem Negieren berührt und dadurch erhält“ der philosophische Glaube die Subjektivität.59 Diese Textstelle ist so zu verstehen: Die Bejahung der Notwendigkeit des Untergangs rettet die Subjektivität und das Endliche vor dem Untergang. Das ist eine Gedankenfigur, auf die Hegel immer wieder zurückgreift, so z.B. wenn es um den Umgang mit dem Schicksal geht, das man, um es zu besiegen, bejahen muss, statt es zu bekämpfen. Der Ausdruck „vernichtete und gerette Subjektivität“60 formuliert Hegels Konzept einer spekulativen Philosophie, die sich der Überwindung des Kampfes, den das freie Subjekt gegen sich und die Welt führt, verschreibt. Eine Philosophie wie die von Hegel, die den Ausweg aus dem Kampf nicht in der Trennung des Subjekts von der Welt sieht kann sich nicht nach dem abstrakten Ideal einer moralischen Weltordnung ausrichten. Von diesem einseitigen Standpunkt aus betrachtet, und für Hegel ist es der Standpunkt, den Fichte in der Bestimmung des Menschen einnimmt, ist die Welt gemäß dem Ideal der moralischen Weltordnung etwas Schlechtes und ein Übel. Sie muss aber, so Hegel, nicht verdammt, sondern rekonstruiert, erlöst und geheiligt werden, so wie es das Christentum will und was die wahre spekulative Philosophie auch auf ihre Weise anstrebt. Um diese Rekonstruktion sowie die „Erlösung“ und Heiligung der Welt philosophisch durchzuführen wird Hegel in folgenden Jahren den Begriff des Geistes so entwickeln, dass er nicht mehr gegen die Welt „fixiert“ ist, sondern mit ihr eine lebendige Einheit bildet. Vernichtung und Rettung der Welt in der spekulativen Philosophie des Geistes heißt auch, den Schmerz der empirischen Existenz in eine „philosophische Existenz“ zu verwandeln. Von dieser heißt es, sie sei der „spekulative Karfreitag“. Aus dem „Abgrund des Nichts“ die Welt in die „heiterste Freiheit ihrer Gestalt auferstehen“61 zu lassen und den Schmerz des Sich-Auseinandersetzens mit der Welt als das Vernünftige zu erkennen: Nichts weniger als das, so lautet Hegels frühe und bleibende Einsicht, ist die Aufgabe der Philosophie.
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G.W.F. Hegel: GlWi GW 4, S. 379. G.W.F. Hegel: GlWi GW 4, S. 380. G.W.F. Hegel: GlWi GW 4, S. 380. G.W.F. Hegel: GlWi GW 4, S. 414.
Vor dem Hintergrund dieser gewaltigen Aufgabe wäre es für Philosophie nicht richtig, „an die Stelle philosophischer Ideen Ausdrücke und Wörter zu setzen“.62 Diesen an Jacobi gerichteten Vorwurf kann man natürlich auch an Hegel zurückgeben: „Abgrund“ und „spekulativer Karfreitag“ sind zunächst auch nur Ausdrücke und Wörter, die nicht philosophisch beglaubigt sind. Es sind Metaphern, es ist die Sprache der Vorstellung. Diese benutzt Hegel, um den philosophischen Gehalt zu veranschaulichen. Sie sind aber nicht als Argumente des spekulativen Denkens misszuverstehen. In seinen Vorreden, Einleitungen und in der Enzyklopädie, vor allem aber in seinen Vorlesungen, wendet Hegel das Mittel der Vorstellung ein, um spekulative Inhalte zu vermitteln. Ob und in welchem Ausmaß der spekulative Denkvollzug, auf den es der Philosophie ankommt, auf diese vorstellende Weise dem noch nicht philosophisch Gebildeten zu vermitteln ist war das Problem, mit dem sich auch Fichte und Schelling auseinanderstzen mussten. Gerade eine Philosophie wie die Hegels, die sich nicht von der Welt trennen, sondern sie denkend durchdringen will, kann sich nicht ins Esoterische zurückziehen. Und doch bleibt der spekulative Denkvollzug für das endliche vorstellende Denken etwas Fremdes und in gewisser Weise Esoterisches. Aus diesem Dilemma gibt es für Hegel wohl nur einen befriedigenden Ausweg: Die Bildung des vorstellenden Denkens bis zu dem Punkt, wo es den Wechsel in die Perspektive der Spekulation nicht nur nacherzählen, sondern auch selbständig durchführen kann. Im System der Sittlichkeit gibt Hegel einen kurzen Überblick über die verschiedenen Arten von „Zerstörung“, „Vernichtung“ und „Verwüstung“ des Endlichen.63 Wenn von diesen Begriffen die Rede ist, dann sind ihre verschiedenen Bedeutungen zu unterscheiden. Zum einen gibt es den Unterschied zwischen der ideellen und der reellen Vernichtung, zum anderen zwischen der Vernichtung des Ganzen (hier spricht Hegel auch von „Verwüstung“) und der Vernichtung eines Teils des Ganzen; schließlich zwischen der Selbstvernichtung (die manchmal bewusst gewollt, meistens aber unbewusst ist) und der Vernichtung des Anderen. Die ideelle Vernichtung besteht im Überführen des Empirischen und Besonderen in das Allgemeine des Denkens, also in der Umwandlung der reellen Form in die ideelle Form. In dieser Umwandlung wird das Empfundene (z.B. das empfundene Rot) im Denken zwar als Empfundenes vernichtet, aber als Aufgehobenes (als gedachtes Rot) aufbewahrt. Deshalb heißt es: Das Gedachte ist zugleich ein Vernichtetes, Aufgehobenes, Negatives.64
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G.W.F. Hegel: GlWi GW 4, S. 363. G.W.F. Hegel: System der Sittlichkeit (=SySi) GW 5, S. 310–319. G.W.F. Hegel: SySi GW 5, S. 311.
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Die eigentlich dramatische Vernichtung richtet sich auf das Ganze des Subjekts und der Welt. Diese „natürliche Vernichtung“ befindet sich in der Geschichte im Wechsel mit dem Bilden. „Bilden und Zerstören“ sind wesentliche Teile der Menschheitsgeschichte, in der man sehen kann, wie „die Besen Gottes“ durch den Fanatismus des Verwüstens ganze Weltteile „völlig reinkehren“.65 Vernichtung und „Verwüstung“ sind „zwecklose Zerstörung“. Sie sind eine „Form der Natur“, gesteigert werden sie zur „Wut“, die wiederum zur Selbstvernichtung treibt, da sie den Drang hat immer weiter zu expandieren, um schließlich „wie eine Wasserblase“ zu zerplatzen. Festzuhalten ist, dass die „absolute Verwüstung“ der absolute Begriff selbst ist, allerdings der Begriff allein im Hinblick auf seine ihm immanente „Unruhe der Unendlichkeit“, die keinen Halt in der hemmenden Gegenbewegung findet, sozusagen der Begriff ‚im Leerlauf‘. „Absolut“ bedeutet hier die Selbstbeziehung des Vernichtens: Durch das unmittelbare Vernichten der Entgegengesetzten vernichtet sich der Begriff selbst. Während aber aus der Selbstvernichtung die innere Wahrheit der schöpferischen Tätigkeit des Begriffs aufleuchtet, wäre die absolute Selbstverwüstung, wenn es sie denn gäbe, schlicht ‚das Ende‘ von allem. Die „Natur“ in diesem eingeschränkten Sinne wäre somit die ‚Wut des Begriffs‘, das leere Vernichtenwollen des Anderen, die reine Negation ohne das ihr eigene Moment des Erschaffens. Der völlig ausgebildete Begriff der Natur – auch der menschlichen Natur – hat jedoch nicht nur „die Wut“, sondern diese beiden Momente – Vernichten und Bilden – in sich. Zur Vernichtung gehört auch die Vernichtung in Form von Diebstahl, Raub, Mord und Krieg, ferner „der Kampf der ganzen Person gegen die ganze Person“, entweder wegen der Verletzung der Ehre oder als Kampf um die Herrschaft über den Anderen. Vernichtung ist aber immer Selbstvernichtung. ‚Vernichtung als Selbstvernichtung‘ ist die unvermeidbare Konsequenz der dem Denken zugrundeliegenden absoluten Tätigkeit und deshalb nichts, was endgültig vermieden oder versöhnt werden könnte. Sie kommt immer in der Einheit mit der schöpferischen, rettenden Tätigkeit. Philosophie wird diese interne Denkspannung begreifen und in der schaffenden künstlerischen Produktion und dem religiösen Kultus als beherrschbar erkennen müssen – eben beherrschbar und nicht intersubjektiv oder theoretisch vermeidbar. Ob und wie das zu leisten ist wird ihr Umgang mit diesen beiden anderen Gestalten des absoluten Geistes zeigen. Dabei wird deutlich, dass das spekulative Begreifen seine volle inhaltliche Ausprägung erst in der Welt der Kunst und des Kultus bekommt. Der Perspektivwechsel in das Denken aus der absoluten Tätigkeit, den 65
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G.W.F. Hegel: SySi GW 5, S. 314f.
Philosophie zugleich mit dem Eingehen in die empirische Welt und in die Sphäre der Kunst und der Religion vornehmen muss, gehört zu dem schwierigsten Teil der philosophischen Übung – diese Feststellung gilt sowohl für Hegel, als auch für Fichte und Schelling.66 Es sind aber gerade Kunst (künstlerische Produktion) und Religion (Kultus und Andacht), von denen Philosophie das Entscheidende lernen kann. Kunst und Religion sind als die notwendige Einübung in den Perspektivwechsel anzusehen. 3.3 Das Räderwerk der Welt und das „heilige“ Denken der Philosophie In seinem Drang, die Einheit der Entgegengesetzten wiederherzustellen, ahmt der Verstand die vermittelnde Tätigkeit der Vernunft nach und scheitert dabei, weil er Einheit nur als Herrschaft vorstellen kann. Er bringt nur eine endliche Einheit hervor, in der die entgegengesetzten Momente immer wieder reproduziert werden, um dann immer wieder negiert zu werden. Es kann aber nicht die vernunftlose Nachahmung der Vernunft aus diesem Kreislauf ausbrechen, sondern nur das begreifende Selbsterkennen. Das leistet Philosophie. Dieser spekulative Ausweg aus der immerwährenden Verwicklung in die Entgegensetzungen hat einen unmittelbaren Lebensbezug. Das Bedürfnis der Philosophie nach Einheit aus der Differenzschrift bekommt in Introductio in philosophiam von 1801 folgenden Ausdruck: Das wahre Bedürfnis der Philosophie „geht doch wohl auf nichts anders als darauf, von ihr und durch sie leben zu lernen.“67 „Leben zu lernen“ bedeutet für Hegel, der Vernichtung des eigenen Selbst- und Weltbezugs zu entgehen. Philosophie muss sich im Leben bewähren, aber nicht in einzelnen Ausdrucksformen und Bedürfnissen des Lebens, sondern im „Leben selbst“. Nur im Begreifen, im Eingehen in das Innere des Lebens findet Philosophie ihre Bewährung und die Befriedigung ihres Bedürnisses. Sie mag zwar dem Außenstehenden überflüssig vorkommen, da sie keinen unmittelbar erkennbaren praktischen Nutzen hat. Aber Philosophie ist „das höchste, ein heiliges Denken“.68 „Heilig“ ist das Denken nicht im religiösen, sondern im heilenden Sinn, nicht als Verstandesreflexion, sondern als das Erkennen, das den Kampf der Entgegengesetzten weder ignoriert noch vor ihm in Abstraktionen und Beschwichtigungen flüchtet, sondern ihn „aufhebt“: [...] das absolute Erkennen ist eben diese Reflexion welche in den Gegensatz auseinandergeht, aber ihn zurücknimmt, und absolut vernichtet. Ohne Gehen in den Gegensatz ist seine Aufhebung nicht möglich. 66 67 68
Zum Thema „Perspektivwechsel“: Kazimir Drilo: Leben aus der Perspektive des Absoluten. Perspektivwechsel und Aneignung bei Hegel, Würzburg 2003. G.W.F. Hegel: Introductio in philosophiam GW 5, S. 261. G.W.F. Hegel: Introductio in philosophiam GW 5, S. 264.
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Ihn aufzuheben, nicht zu ignoriren nicht von ihm zu abstrahiren ist das absolute Erkennen.69
Auch die Fragmente aus Vorlesungsmanuskripten aus dem Jahr 1803 geben der Antwort auf die Frage nach der Aufgabe der Philosophie einen prägnanten Ausdruck. Das Individuum, das sich als Einzelnes der Welt entgegenstellt, erkennt, dass es einer blinden und verborgenen Macht ausgeliefert ist die es „in ihr verwirrtes Spiel unwiderstehlich mit fortreißt“. Das Individuum meint, seine Freiheit „dem Spiele jener Notwendigkeit“ entreißen zu können. Jedoch vergeblich: „Dieses Stemmen aber gegen jene absolute blinde Macht ist nur ein Betrug“ und Täuschung. Denn: [...] jene Fäden die du meynst in dein Geweben verflochten zu haben, sind der Macht der Welt, der sie angehören nicht entgangen, und deine Thätigkeit des Zurechtrichtens derselben ist nichts anderes als daß du dich selbst in sie hineingeflochten und dich jener Macht zu eigen gegeben hast.70
Es gibt also kein Entkommen, keine Befreiung von der anonymen Macht, in deren ‚Spinnenetz‘ man gefangengenommen ist. Der Kampf dagegen ist selbst eine Beziehung zu dieser Macht und die Gewalt, die gegen sie angewendet wird, ist ihre Gewalt. Diese radikale Abhängigkeit zeigt, dass die Machtsteigerung des kämpfenden Individuums zugleich die Steigerung der feindlichen Macht in ihm ist. „Die Macht“ ist sowohl das Subjekt als auch das Objekt des Kampfes. Aber auch der Versuch der Beziehungslosigkeit, also der Vermeidung des Kampfes, ist kein Ausweg, sondern nur der Ausdruck der Täuschung, es sei möglich, die blinde und verborgene Macht der Welt zu ignorieren und so vielleicht zu besiegen. Der scheinbare Ausweg, den Hegel verwirft, ist auch die „betrüglich vorgespiegelte Übereinstimmung“ mit dem Lauf der Welt. Durch diese vorgespielte Affirmation der Macht wird nicht in das Räderwerk der Notwendigkeit eingegriffen, sondern auf eine Übereinstimmung mit ihr „gelauert“ und dann so getan, als ob man sie gewähren lasse, weil es den eigenen Zwecken entspricht.71 Man könnte auch sagen: Der Mensch lässt etwas gewähren, weil es angeblich vernünftig ist und spielt damit eine Übereinstimmung vor, die es in Wahrheit nicht gibt. Die Welt kümmert sich nicht um die Ziele und Wünsche des Menschen und darum, ob er mit ihr übereinstimmt und ob sie von ihm als vernünftig angesehen wird oder nicht. Der Ausweg aus der Verwicklung in den nicht zu gewinnenden Kampf mit der anonymen Macht der Welt muss dort gesucht werden, wo 69 70 71
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G.W.F. Hegel: Introductio in philosophiam GW 5, S. 265. G.W.F. Hegel: Introductio in philosophiam GW 5, S. 366. G.W.F. Hegel: Fragmente 1803 GW 5, S. 367.
die Rettung möglich ist: In den Sitten der Völker, in der Wissenschaft, in der Religion, aber auch in der Kunst, also überall dort, wo diese Macht für den Menschen nichts Fremdes ist, sondern wo ihre schöpferische Seite zum Ausdruck kommt. Der Sieg des Menschen im Kampf gegen die Macht der Welt besteht in der Aneignung dieser Macht, die eigentlich seine eigene ist. Dieser Sieg ist aber nicht der Rückzug in die Innerlichkeit, sondern das bewusste Heraustreten in das Gestalten der Welt. Darin besteht das spekulative Erkennen: Der Geist befreit sich wenn er erkennt, dass das, was das ihn Bedrohende ist, er selbst ist. Er „entreißt sich“ durch diese Erkenntnis der Macht der Welt, weil diese aufhört, „ein anderes zu seyn als er ist“ und weil die „gemeine“, empirische Notwendigkeit, in die er verwickelt ist, durch diese Erkenntnis zu seiner „absoluten“ und freien Notwendigkeit wird.72 Um die Natur zu besiegen muss sich der Geist zunächst selbst „ein Fremdes“ werden. Tut er das nicht, ist er und bleibt er Natur. Die „ganze Fülle des Universums“ steht dem denkenden Geist, der sich selbst fremd geworden ist, gegenüber. Er soll aus dieser völligen Entfremdung jedoch zu sich selbst zurückkehren, indem er sich selbst als das Universum erkennt. „Befreiung“ heißt, zuerst selbst „das Leere“ zu werden durch die Entgegensetzung zu dem Ganzen der Natur und dann sich selbst als die Fülle dieses Ganzen zu erkennen.73 Leere und Fülle sind zwei Perspektiven der Erkenntnis, die sich nicht ausschließen, sondern ergänzen: Zuerst nichts Eigenes zu haben, sondern aus der Fülle des Ganzen zu denken und sich dann als schöpferisches, die Welt bildendes Subjekt, als selbständig und frei wiederzugewinnen. Diese „Leere“, die Hegel „die Nacht“ im Menschen nennt, ist zugleich der noch nicht sichtbar gewordene Reichtum, die Fülle der Vorstellungen und Bilder: „Der Mensch ist diese Nacht, dies leere Nichts, das alles in ihrer Einfachheit enthält – ein Reichtum unendlich vieler Vorstellungen, Bilder, deren keines ihm gerade einfällt –, oder die nicht als gegenwärtig sind.“ 74 Der in seinen geistigen Potentialen unentwickelte Mensch ist noch Natur und erbt die Finsternis ihres Inneren. Deshalb erblickt man, „wenn man dem Menschen ins Auge blickt – in eine Nacht hinein, die furchtbar wird“, in die „Nacht der Welt“.75 Der „Naturmensch“ ist nicht der noch unverdorbene und authentische, sondern derjenige, in dessen Auge man das ‚Herz der Finsternis‘ erblickt. Er ist in den Kampf mit der Welt verwickelt, aus dem es kein Entkommen gibt, denn er versteht nicht, dass er in diesem Kampf nicht gegen „die Welt“ und „die Natur“, sondern nur gegen sich selbst kämpft. Das Motiv des Sich72 73 74 75
G.W.F. Hegel: Fragmente 1803 GW 5, 370. G.W.F. Hegel: Fragmente 1803 GW 5, 371. G.W.F. Hegel: Jenaer Systementwürfe III (=JSE III) GW 8, S. 187. G.W.F. Hegel: JSE III GW 8, S. 187.
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Identifizierens mit der bedrohlichen Macht der Natur ist jedoch kein mimetischer Pseudoausweg Hegels. Es ist vielmehr die Erkenntnis, dass das eigene Selbst nicht das Feste und Widerständige ist, das sich gegen die Angriffe der ihm äußeren oder inneren feindlichen Mächte – wozu die sinnlichen Neigungen und Triebe gehören mögen – mit Gegengewalt wehren muss, und doch letztendlich daran zerbricht. Auch die Kapitulation oder Resignation ist kein Ausweg, oder, wie e z.B. bei Adorno heißt, das Marschieren „mit den stärkeren Bataillonen“.76 Das denkende Subjekt, der Mensch mit seinem in Konflikten verschiedenster Art verwickelten Leben, ist die spannungsreiche Kraft der absoluten Tätigkeit selbst. Die Selbstaufgabe der eigenen „Nacht“ als natürliches, weltabhängiges Subjekt und die Wiedergewinnung seiner selbst als produzierende Kraft der absoluten Subjektivität sind zwei Momente der einen absoluten Tätigkeit. Ihr ist die Spannung von Kampf, Niederlage, erneutem Kampf und schließlich – vielleicht – Befriedung eingeschrieben. Der Verlust des traditionellen, vormodernen Subjekts ist nur der notwendige Schritt auf dem Weg der Selbsterkenntnis. Allen auf die Auslöschung der Subjektivität gegründeten postmodernen Theorien ist jedoch der Irrtum gemeinsam, die Befreiung von dem „Selbst“ könne endgültig sein.77 Kunst, Religion und Philosophie zeigen aber, dass Prozessualität und ihre Hemmung, Schöpfung und Untergang zwei untrennbare Momente des sich entwickelnden Ganzen sind. 3.4 Wege aus dem Kampf: Schuld, Strafe und Schicksal Schuld, Strafe und Schicksal sind Beispiele, mit deren Hilfe sich der Gedankengang nachzeichnen lässt, der für Hegel in Jena so wichtig gewesen ist: Die in sich spannungsreiche Bewegung der absoluten Tätigkeit und die Notwendigkeit in sie einzugehen zu erkennen und sich mit ihr zu identifizieren, um auf diese Weise ihren Gefährdungen entkommen zu 76
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Adorno: Drei Studien zu Hegel, GS 5, Frankfurt am Main 1970, S. 320. Adorno beschreibt, auch in Abgrenzung zu Georg Lukács, Hegels Dilemma des SichIdentifizierens des „Wiederstrebenden“ mit dem Wesentlichen folgendermaßen: „Stets unterliegt der Gedanke, der zur Wahrheit erst wird, indem er das ihm Widerstrebende ganz in sich aufnimmt, zugleich der Versuchung, eben damit das Widerstrebende selber zum Gedanken, zur Idee, zur Wahrheit zu erklären.“ Über diese Theorie sei, so Adorno, „nicht aus bloßer Gesinnung zu richten“ – eine Mahnung, die er an Lukács richtet und die in Zeiten der Gesinnungsprüfung in Philosophie und ihren klassischen Texten wieder erstaunlich aktuell ist. Die Wahrheit von Hegels Gedankengängen stecke „im Skandalon, nicht im Plausiblen.“ In Anlehnung an Kierkegaard könnte man die beiden entgegengesetzten Gestalten des Selbst, das vormoderne Selbst und das (post)moderne Selbst, als zwei Formen der Verzweiflung auffassen: Dass der Mensch verzweifelt ein Selbst sein will und verzweifelt nicht ein Selbst sein will. Die Krankheit zum Tode, München 1976, S. 66ff.
können. Dieser mimetische Ausweg, der eine Vorstufe des spekulativen Eingehens in die Tätigkeit des Absoluten ist, wird erforderlich, wenn das Individuum von einer fremden Macht bedroht wird, oder wenn es seine eigene, gegen das Gesetz verstoßende Tat wieder gut machen will. Der Übergang von der Fremdherrschaft zur Herrschaft über sich selbst durch die freiwillige Annahme der Fremdherrschaft ist ein Beispiel für die noch unvollkommene Überwindung des Kampfes um Selbstbehauptung.78 In diesem Denkzusammenhang bedeutet es die fremde Macht des Schicksals zu besiegen das Schicksal anzunehmen. Diesen Gedanken illustriert Hegel schon in den Frankfurter Fragmenten am Beispiel des Verhältnisses von Gesetz, Strafe und Schicksal. Das Annehmen des Schicksals bedeutet dabei nicht auf den eigenen Willen zu verzichten oder sich „wie eine Maschine zu unterwerfen“.79 Was schon der ‚frühe‘ Hegel im Blick hat erläutert er am Beispiel des Zusammenhangs von Verbrechen und Strafe. „Verbrechen“ und „Strafe“ verkörpern exemplarisch die spannungsreiche dreigliedrige Bewegung des Absoluten: Die Trennung vom Ganzen (dem Recht, der Allgemeinheit der Gesetze), die Selbstentfremdung als Folge der Negation des Ganzen und die Rückkehr in das Ganze. Dabei steht die Gestalt des Verbrechers beispielhaft für das Moment der Rückkehr in das zuvor negierte Ganze. Hegel erläutert sie mit Hilfe des Unterschieds von der durch das Gesetz erlittenen und der durch das Schicksal erlittenen Strafe.80 Die Strafe als Folge der Anwendung des Gesetzes auf die böse Tat bleibt für den Verbrecher eine fremde Macht, mit der er sich nicht versöhnen kann. Die Trennung von der Allgemeinheit des Gesetzes, gegen das er verstoßen hatte, wird durch die Strafe nicht aufgehoben, sondern befestigt. Der Verbrecher bleibt an seine böse Tat gefesselt, die Möglichkeit der Rückkehr in die Allgemeinheit wird ihm genommen. Die Wirklichkeit einer bösen Handlung ist nicht mehr ungeschehen zu machen, sie bleibt „ewig“ bestehen, so dass eine Versöhnung des Verbrechers mit dem Gesetz auch durch die vollzogene Strafe nicht mehr möglich ist. Der Verbrecher „schaut sich immer als Verbrecher an, er hat über seine Handlung als eine Wirklichkeit keine Macht, und diese seine Wirklichkeit ist im Widerspruch mit seinem Bewußtsein des Gesetzes“.81 Auch die falsche Hoffnung auf die Güte der 78 79 80
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G.W.F. Hegel: Frühe Schriften (=FS) GW 2, S. 121ff. G.W.F. Hegel: FS GW 2, S. 221. Hier geht es nicht um eine detaillierte Darstellung von Hegels Theorien der Strafe, sondern um den Unterschied von zwei Weisen, wie das Notwendige angenommen wird. Zum spekulativen Strafbegriff bei Hegel vgl. Thomas Sören Hoffmann „Spekulative und andere Strafbegriffe. Über Hegel im Kontext von Kant, Fichte und Feuerbach“, in: Hegels Erben? Strafrechtliche Hegelianer vom 19. bis zum 21. Jahrhundert, Hg. Michael Kubiciel et al., Tübingen 2017, S. 57–76. G.W.F. Hegel: FS GW 2, S. 123f.
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„Handhaber der abstrakten Gerechtigkeit“ ändert an der Unversöhnlichkeit von Verbrechen und Strafe nichts. Trost in einer „unwahren Vorstellung“, die sich ein ‚Gutmeindender‘ über den Verbrecher macht indem er ihn als jemanden betrachtet, der er in Wahrheit nicht ist (indem er z.B. den Verbrecher zum Opfer der Umstände erklärt), ist für den Verbrecher nicht zu finden. Zwar ist die strafende Gerechtigkeit des Gesetzes ein Fortschritt gegenüber der Rache, denn diese ist das Beispiel für die schlechte Verwirklichung des Allgemeinen im Besonderen. Das Allgemeine wird mit einer besonderen Verletzung identifiziert, oder, wie es dann in der Rechtsphilosophie heißt, die Rache ist „der Form nach die Handlung eines subjektiven Willens, der in jede geschehene Verletzung seine Unendlichkeit legen kann und dessen Gerechtigkeit daher überhaupt zufällig, so wie er auch für den anderen nur als besonderer ist.“82 Rache ist die schlechte Unendlichkeit, in der das Allgemeine und das Besondere immer voneinander getrennt bleiben.83 Aber auch die strafende Gerechtigkeit des Gesetzes, die das Allgemeine mit der besonderen Tat des Verbrechers durch die Anwendung der Strafe zu versöhnen meint bleibt mangelhaft, denn der Verbrecher wird durch die Strafe nicht mit dem Gesetz und somit auch nicht mit der ihm auferlegten Strafe versöhnt. Diese bleiben ihm fremd und berühren nicht sein Verhältnis zu sich und zur Welt. Die Strafe als Schicksal ist jedoch von ganz anderer Art.84 Sie ist nicht etwas von der bösen Tat Getrenntes wie das Gesetz, sondern sie umfasst das Gesetz und die Tat. Und dieses Ganze ist das Leben selbst. Das Schicksal beeinflusst nicht nur einzelne Taten des Menschen, sondern sein eigenes Leben und das Leben der Anderen. Das Verhältnis des Menschen zum Schicksal unterscheidet sich deshalb von seinem Verhältnis zum Gesetz. Während er dem Gesetz Gehorsam schuldet, steht er dem Schicksal, dem „Feind“, als eine „kämpfende Macht“ gegenüber. Der vom Schicksal geschlagene und zu einem Verbrechen verleitete Mensch ist kein bloß passiver Empfänger der Strafe, sondern das sich gegen das Schicksal auflehnende Wesen. Das Schicksal ist zweierlei: eine fremde Macht und das Leben das er mit anderen teilt.85 Die Strafe des Schicksals besteht darin, 82 83
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G.W.F. Hegel: Grundlinien der Philosophie des Rechts (=RPh) TW 7, § 102. Vgl. dazu Emil Angehrn, der die Rache mit der Sucht vergleicht, der „systematisierten Nichterfüllung“ und „Selbstverkehrung“ in radikalem Sinn: „Es geht um eine Prozessualität, die sich selbst behindert und in Zerstörung und Selbstaufhebung mündet.“ In: Angehrn „Grenzen der Strafe“, in: Hegels Erben? Strafrechtliche Hegelianer vom 19. bis zum 21. Jahrhundert, Hg. Michael Kubiciel, et al., Tübingen 2017, S. 29–42; hier S. 31f. G.W.F. Hegel: FS GW 2, S. 125. Zur Wandlung des Schicksalsbegriffs in der Frankfurter Zeit, in der Hegel das persönliche oder „ethische“ Schicksal vom geschichtlichen Schicksal eines Volkes und vom Schicksal Jesu unterscheidet, um schließlich den Staat als Teil des
dass sich das vom Verbrechen zerstörte fremde Leben gegen den Verbrecher wendet: Der Verbrecher meinte es mit fremdem Leben zu thun zu haben; aber er hat nur sein eigenes Leben zerstöhrt; denn Leben ist vom Leben nicht verschieden, weil das Leben in der einigen Gottheit ist.; und in seinem Übermuth hat er zwar zerstöhrt, aber nur die Freundlichkeit des Lebens, er hat es in einen Feind verkehrt.86
Die sich gegen den Verbrecher richtende eigene Tat wird zu einer Macht, die der Verbrecher selbst hervorgerufen hat. Der Gegenstoß erfolgt unmittelbar: die böse Tat schlägt auf den Verursacher zurück. Dieses Zurückschlagen ist die Strafe, aber nicht durch die Macht des Gesetzes, sondern durch die Negation des gemeinsamen Lebens, in das der Verbrecher eingebunden ist. Die „Freundlichkeit des Lebens“ umfasst das eigene und das fremde Leben, das durch das Verbrechen zerstört wurde. Mit der Vernichtung des fremden Lebens verwirkt der Verbrecher das eigene, die Strafe ist die „Rückwirkung der That des Verbrechers selbst, eine Macht die er selbst bewaffnet, eines Feindes den er selbst sich zum Feinde machte.“87 Das schlechte Gewissen lässt sich in diesem Fall nicht verdrängen oder leugnen, denn es ist nicht mehr eine fremde Macht wie das Gesetz, deren Legitimität in Frage gestellt werden kann, sondern das gemeinsame Band des Lebens, das durch das Verbrechen zerrissen worden war.88 Die Möglichkeit der Versöhnung mit dem Schicksal liegt im Bewusstsein, dass das Substantielle, der Lebenszusammenhang in dem man steht, durch die eigene Tat beschädigt wurde. Dieses Bewusstsein äußert sich als Furcht vor der Trennung von der substantiellen Einheit mit anderen Menschen und als Sehnsucht nach der Wiederherstellung der verlorenen Einheit: Auch die böse Tat kommt aus dem Leben und aus dem Ganzen und kann deshalb nur innerhalb des Ganzen und von dem Ganzen, das das Leben mit anderen ist, geheilt werden.89
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Schicksals zu benennen, vgl. Franz Rosenzweig: Hegel und der Staat, Berlin 2010, S. 114–120. Rosenzweig fasst Hegels Schicksalsbegriff zusammen als „das Ganze des Lebens, wie es dem einzelnen entgegentritt, ein Unvermeidbares, dem er sich nicht entziehen kann“, S. 119f. G.W.F. Hegel: FS GW 2, S. 126. G.W.F. Hegel: FS GW 2, S 126. G.W.F. Hegel: SySi GW 5, S. 312f. Thomas Sören Hoffmann fasst zusammen: „Die Strafe erscheint in dieser Perspektive als Moment der Selbstaffirmation des umfassenden Lebens, und sie erscheint als diese Affirmation insbesondere als das sich entfremdete Leben integrierend, als Tor zum Leben auch für das sich verleugnende Leben.“ „Spekulative und andere Strafbegriffe. Über Hegel im Kontext von Kant, Fichte und Feuerbach“, in: Hegels Erben? Strafrechtliche Hegelianer vom 19. bis zum 21. Jahrhundert, Hg. Michael Kubiciel et al., Tübingen 2017, S. 57–76, hier S. 61.
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Während sich in dem Bewusstsein des verletzten gemeinsamen Lebens und dem daraus entstandenen Schmerz über die Folgen der eigenen Tat für den Verbrecher die Möglichkeit der Versöhnung mit der Strafe und mit dem eigenen Leben eröffnet, scheint dies bei der unverdienten Strafe, der „Schuld der Unschuld“, nicht möglich zu sein. Der Schuld ohne Verbrechen kann jedoch so begegnet werden, dass man sich über das zu Unrecht erlittene und eine Schuld aufbürdende Schicksal erhebt. Der freiwillige Verzicht auf das eigene Recht, der Rückzug aus dem Kampf und das freiwillige Übernehmen von Leid sind Wege aus der Verzweiflung über die schicksalhafte schuldlose Schuld. Hegels Gedanken kann man in diesem Zusammenhang folgendermaßen interpretieren: Auch wenn das Leben mich schlecht behandelt, so werde ich nicht das Leben schlecht behandeln. Das bewusste Annehmen des schuldhaften Lebensvollzugs entfaltet nur dann heilsame Kräfte, wenn das Leben als ein Allgemeines begriffen wird, das nicht gegen, sondern durch das Besondere wirkt. Dieses im Besonderen gegenwärtige Allgemeine nennt Hegel „die Sittlichkeit Aller“, die der Geist und Charakter eines Volkes ist.90 Sittlichkeit ist die in Familie und Volk lebendige Freiheit, die sowohl die individuelle Freiheit als auch die Gesetze des Staates transzendiert. Sie ist die Idee in ihrer unmittelbaren Form, das Medium des Lebens, das nicht ohne ‚böse‘ Folgen für den ‚Abtrünnigen‘ verlassen werden kann. So ist für Hegel auch Philosophie immer eine „Philosophie der Sittlichkeit“, wobei das so zu lesen ist, dass die Sittlichkeit ‚der Boden‘ ist, auf dem Philosophie entsteht und auf dem sie sich bewegt. Damit ist aber nicht gemeint, dass Philosophie ‚mit guten Absichten‘ vorgehen oder ‚das Gute‘ zum Inhalt haben sollte. Das Allgemeine der Sittlichkeit, in dem man lebt und nach dessen Verwirklichung man strebt, ist jedoch, so Hegel, nicht als die „Gestaltlosigkeit des Kosmopolitismus“ oder die Leerheit der Menschenrechte und die Idee einer Weltrepublik zu verstehen,91 sondern die von der Geschichte vermittelte Individualität eines Volkes, die sich in Form von Zugehörigkeit, Anerkennung, Sitten und Gesetzen äußert. Der Verstoß des Verbrechers gegen sie ist zugleich ein Verstoß gegen diese durch die Geschichte beglaubigte Lebendigkeit des auch den Verbrecher tragenden Ganzen. Aber auch die Gesetze, die nur durch Macht und Gewalt über Individuen ihre Beglaubigung haben, sind ebenso ein Verstoß gegen das Ganze der Sittlichkeit.92 Dem Verbrecher und den von der Sittlichkeit getrennten abstrakten Gesetzen ist beiden ihr ‚totes‘ Leben gemeinsam. Zu betonen ist, dass „das Ganze“, von dem bei Hegel die Rede ist, nicht die Banalität 90 91 92
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G.W.F. Hegel: Über die wissenschaftliche Behandlungsarten des Naturrechts (=Naturrecht) GW 4, S. 467. G.W.F. Hegel: Naturrecht GW 4, S. 485. G.W.F. Hegel: Naturrecht GW 4, S. 482.
meint, dass es den Menschen ‚um das Ganze‘ im Sinne einer solidarischen Gemeinschaft gehen soll statt um die Verfolgung von egoistischen Zielen. „Das Ganze“ ist der immanente Kampf des Geistes und das Wissen, dass eine endgültige Befriedung nicht möglich ist, sondern nur die mehr oder weniger dauerhaften Versuche, sie zu erreichen. Gesetze und Sitten, die ein starres Ganzes sind, gehören zu einem Leben, dem das Schicksal der Vergänglichkeit schon eingezeichnet ist. Es ist die Bewegung des Absoluten, die der Strafe zugrunde liegt, die ihr Vernünftigkeit zuspricht und den Verbrecher richtet und rettet. Die Strafe ist deshalb „wahrhaft unendlich und etwas absolutes, das hiermit seine Achtung und Frucht in sich selbst hat, sie kommt aus der Freiheit, und bleibt selbst als bezwingend in der Freiheit.“93 Strafe als bloßer Zwang vorgestellt ist dagegen ohne Vernünftigkeit, sie ist eine „Ware, für die etwas anderes, nämlich das Verbrechen, zu erkaufen ist“.94 Sie schädigt den vernünftigen, auf Freiheit beruhenden Lebenszusammenhang, in dem sich auch der Verbrecher bewegt, womit sie sich von dem Verbrechen nicht grundsätzlich unterscheidet. Das sittliche Ganze, in dem und aus dem der Mensch lebt, ist somit nichts Festes und Starres, sondern etwas Lebendiges, das nach der Verwirklichung in der Welt strebt. Es ist die eigene Tat, durch die sich das zunächst noch abstrakte Individuum von dem Ganzen, in dem es seinen Halt und Orientierung hat, trennt. Das Heraustreten aus der Sittlichkeit in die Selbständigkeit durch die Tat ist jedoch keine willkürliche Entscheidung, sondern notwendige Bedingung für die Entstehung des wirklichen Selbst. Das noch im allgemeinen Willen des unmittelbaren Ganzen existierende Individuum ist erst noch „der unwirkliche Schatten“. Nur die Tat macht es zum einzelnen Selbstbewusstsein. Die Trennung erfolgt jedoch nicht als das Heraustreten aus der gemeinsamen Sittlichkeit in eine Welt von Gleichen, sondern in eine Welt von Ungleichen, in der das Verhältnis von Herrschaft und Knechtschaft und der Kampf um Anerkennung herrscht. Gleichheit ist, so Hegel, bloß eine Abstraktion, die in der Welt keine Realität hat. In der Realität des Lebens herrschen, nach dem Verlassen des sittlichen Ganzen, der Kampf und die ungleiche Verteilung von Macht.95 Die Tat des Einzelnen ist somit der Ausgang aus Geborgenheit in Mündigkeit und Selbständigkeit, aber auch in eine Welt der Ungleichheit und der Machtkämpfe. Durch sie wird die Unmittelbarkeit des sittlichen Ganzen bedroht und in dieser Bedrohung und Negation liegt, unabhängig von dem Inhalt der Tat, die Schuld des Menschen. Phänomenologie des Geistes zeigt die beunruhigende Unausweichlichkeit der Schuld des Menschen. Die Schuld wird zum Verbrechen, wenn
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G.W.F. Hegel: Naturrecht GW 4, S. 449. G.W.F. Hegel: Naturrecht GW 4, S. 449. G.W.F. Hegel: Naturrecht GW 4, S. 305.
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sich die Tat dem einen der beiden ihr zugrunde liegenden Gesetze – in Hegels Beispiel sind es das göttliche Gesetz der Familie und das menschliche Gesetz des Staates – zuwendet und das andere verletzt. Beide Gesetze gehören zum Wesen des Menschen, die Verletzung des einen Gesetzes ist deshalb auch die Verletzung des eigenen Wesens. Die Konsequenz dieses Gedankengangs ist deshalb: „Unschuldig ist daher nur das Nichttun wie das Sein eines Steines, nicht einmal eines Kindes.“96 Schuld, die sich zum Verbrechen und zur Verletzung des eigenen Wesens steigern kann, ist der Preis, den der Einzelne zahlen muss, um von einem „unwirklichen Schatten“ zum „wirklichen Selbst“ zu werden. Somit ist jede Tat, nicht nur die des Verbrechers, eine schuldige, in diesem Sinne eine böse Tat. Sie trennt nicht nur das Besondere und das Allgemeine, sie verbindet sie auch. Die Tat ist daher doppeldeutig: Sie zeigt ihre trennende und ihre verbindende Macht und ist, durch diese immanente Entgegensetzung, das Hervorbringen einer äußeren Entgegensetzung in der Gestalt einer fremden feindlichen Macht (der Gesetze des Staates, des Schicksals), die sich, strafend, gegen die Tat selbst richtet. Die für Hegel entscheidende Lehre, die aus dem Kampf der entgegengesetzten Prinzipien zu ziehen ist, lautet: Die Handlung, die auf Unterdrückung ausgerichtet ist, erschafft sich in dem Unterdrückten ein feindseliges Prinzip. Die Befriedung des Kampfes ist möglich nur durch das Gemeinsame der beiden entgegengesetzten Kräfte: Ihre gemeinsame sittliche Substantialität. Sie erscheint den Kämpfenden als ihr Schicksal, dem sie sich, da es als allmächtig und gerecht auftritt, beide unterwerfen.97 Der Ausdruck „weil wir leiden, anerkennen wir, daß wir gefehlt“98 steht für die gegenseitige Schuldanerkennung durch die Unterwerfung unter das gemeinsame Schicksal. Nicht die gegenseitige Anerkennung der Entgegengesetzten als freie Personen ist dasjenige, worauf es ankommt, sondern die gegenseitige Anerkennung des gemeinsamen Verhängnisses, unter einer Macht zu stehen, die beide Seiten des Kampfes schuldig macht. Diese Macht ist jedoch nichts Fremdes, sondern das Eigenste der Personen. Anerkennung bedeutet immer auch Anerkanntsein, aber eben nicht nur als Person von der anderen Person, sondern auch von der in beiden wirkenden gemeinsamen Macht: Anerkanntsein bedeutet dann, von dieser Macht und durch die Schuld als frei anerkannt zu sein. Die mimetische Übernahme der den Kämpfenden innewohnenden substantiellen Schuld ist somit die höchste Weise, in der das vorstellende, also noch nicht spekulativ erkennende Wissen, mit der eigenen Schuld umgehen kann, ohne an ihr zu zerbrechen.
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G.W.F. Hegel: PhG GW 9, S. 254. G.W.F. Hegel: PhG GW 9, S. 256. G.W.F. Hegel: PhG GW 9, S. 256.
3.5 Der Ernst, der Schmerz und die Arbeit des Negativen Die Vorrede zur Phänomenologie des Geistes zeigt einen auffälligen Unterschied zu den Schriften aus Jenaer Zeit. Nicht mehr das Motiv des Kampfes und Vernichtens bestimmt die Rhetorik der Philosophie, sondern dieses Motiv geht in die philosophische Darstellung ein als „der Ernst, der Schmerz, die Geduld und die Arbeit des Negativen“.99 Nicht also auf die Beschreibung des Kampfes von außen kommt es jetzt an, sondern auf die Entwicklung der Gestalten des Geistes, die begreifend mitgegangen werden muss. Dieses Mitgehen enthält ein existentielles Moment: Das Denken soll mit und in der Philosophie leben. Sie ist der Äther, „das reine Selbsterkennen im absoluten Anderssein“, in dem der Mensch lebt, wenn er philosophiert.100 „Rein“ und „absolut“ haben die Bedeutung eines Ganzen, das sich nur auf sich bezieht indem es sich besondert und sich von sich entfremdet, bei dem also Selbstbeziehung zugleich Selbstentfremdung und Selbstentfremdung zugleich Rückkehr zu sich ist. In diesem Ganzen denkt und lebt der Mensch, wenn er spekulativ philosophiert. Während in der Differenzschrift von Vernichtung die Rede ist und in den Vorlesungsmanuskripten aus Jena von Schuld, Gewalt und Kampf, ist in der Vorrede der Phänomenologie von der Macht des Negativen die Rede. Diese Macht ist die des Denkens. Der Dreiklang Vorstellung-GedankeBegriff, dessen Ineinanderübergehen in der Enzyklopädie als das zentrale Thema der Philosophie bestimmt wird,101 spielt auch in der Vorrede vor allem im Hinblick auf die auflösende Kraft des Denkens eine wichtige Rolle. Ausgehend von der Frage nach der Aufgabe der Philosophie wird die Energie des Denkens als die ungeheure Macht des Negativen und als der Tod, durch den das für die Vorstellung Bekannte verflüssigt und vernichtet wird zu einer Beschreibung der auf der Spekulation beruhenden philosophischen Existenz erhoben: Der Tod, wenn wir Jene Unwirklichkeit so nennen wollen, ist das Furchtbarste, und das Tote festzuhalten das, was die größte Kraft erfordert. Die kraftlose Schönheit haßt den Verstand, weil er ihr dies zumutet, was sie nicht vermag. Aber nicht das Leben, das sich vor dem Tode scheut und von der Verwüstung rein bewahrt, sondern das ihn erträgt und in ihm sich erhält, ist das Leben des Geistes, Er gewinnt seine Wahrheit nur, indem er in der absoluten Zerrissenheit sich selbst findet. Diese Macht ist er nicht als das Positive, welches von dem Negativen wegsieht, wie wenn wir von etwas sagen, dies ist nichts oder falsch, und nun, damit fertig, davon weg zu irgend etwas anderem übergehen; sondern er ist diese Macht nur, indem er dem Negativen ins Angesicht
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G.W.F. Hegel: PhG GW 9, S. 14f. G.W.F. Hegel: PhG GW 9, S. 19f. G.W.F. Hegel: Enz. TW 8, § 20 A.
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schaut, bei ihm verweilt. Dieses Verweilen ist die Zauberkraft, die es in das Sein umkehrt.102
Diese bekannte und oft zitierte Textstelle bringt die Verlagerung des Kampfes von der Welt in die Bewegung des Denkens auf den Punkt. Die hier beschriebene Kraft der Umwandlung des Todes in das Leben ist die Kraft des Subjekts, der die Bewegung des Absoluten nicht bloß hat oder vorstellt oder glaubt und fühlt, sondern „diese selbst ist“. Diese Erkenntnis erhebt das Denken in die Bewegung des Begriffs, durch die – so weit erstreckt sich die Energie des Denkens – „die vollständige Weltlichkeit des Bewusstseins in ihrer Notwendigkeit“ erkannt wird.103 In der Wesenslogik wird es dann entsprechend lauten: „Das spekulative Denken besteht nur darin, daß das Denken den Widerspruch und in ihm sich selbst festhält, nicht aber, daß es sich, wie es dem Vorstellen geht, von ihm beherrschen und durch seine Bestimmungen nur in andere oder in nichts auflösen läßt.“104 Man könnte einwenden, dass die Verinnerlichung des Negativen die ganze Bewegung des Begriffs zu etwas Unwahrem und bloß Innerlichem macht, denn die Einbettung in das Ganze vernichtet das Negative nicht, sondern lässt es bestehen. Es wäre aber unzutreffend, das Negative als das Böse, das Schlechte oder das Falsche zu bezeichnen. Das sind Ausdrücke, die, so wie auch die anderen Ausdrücke der Metaphysik wie Subjekt, Objekt, das Endliche, das Unendliche u.s.w. von der spekulativen Philosophie zwar gebraucht, aber anders gebraucht und gemeint sind: Gerade um der Bedeutung willen, das Moment des vollkommenen Andersseins zu bezeichnen, müssen ihre Ausdrücke da, wo ihr Anderssein aufgehoben ist, nicht mehr gebraucht werden. So wie der Ausdruck der Einheit des Subjekts und Objekts, des Endlichen und Unendlichen, des Seins und Denkens u.s.f. das Ungeschickte hat, daß Objekt und Subjekt u.s.f. das bedeuten, was sie außer ihrer Einheit sind, in der Einheit also nicht als das gemeint sind, was ihr Ausdruck sagt, eben so ist das Falsche nicht mehr als Falsches ein Moment der Wahrheit.105
Dieser Gedanke, den Hegel hier eher beiläufig erwähnt, hat weitreichende Folgen für das Verstehen seiner Philosophie. Wir verfügen nämlich über keine Sprache, die den Ausdrücken der Differenz – Subjekt und Objekt, Sein und Denken, Wahres und Falsches – in ihrer neuen Bedeutung, die sie in der Bewegung des Denkens bekommen, angemessen wäre. Wir sollten diese Ausdrücke eigentlich nicht gebrauchen, müssen es aber doch tun, jedoch mit dem Wissen von ihrer Unzulänglichkeit. Dasjenige, das den 102 103 104 105
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G.W.F. Hegel: PhG GW 9, S. 26. G.W.F. Hegel: PhG GW 9, S. 27. G.W.F. Hegel: WL, Wesenslogik, GW 11, S 287. G.W.F. Hegel: PhG GW 9, S. 30.
Menschen bedroht, seine Zerrissenheit in Entgegensetzungen, wird durch dieses neue Wissen wie durch eine „Zauberkraft“ entschärft. Das Entscheidende ist für Hegel aber, dass nicht neue Wörter diese neue Bedeutung ausdrücken sollen, sondern das neue, spekulative Denken, das sich nicht in Sätzen ausdrücken lässt. Das Wahre verweigert sich dem Ausdruck in einem Satz. Die „reine Unruhe des Lebens“106 lässt sich nicht durch die Methode des vorstellenden oder mathematischen Verstandesdenkens ausdrücken, sie wird dadurch vielmehr in etwas Totes, in den „toten Raum“, die „tote Eins“ oder „zum leblosen Schema“ verwandelt: „Die Wahrheit ist die Bewegung ihrer an ihr selbst, jene Methode aber ist ein Erkennen, das dem Stoffe äußerlich ist.“107 Die Unmöglichkeit einer vollkommenen sprachlichen Erfassung der absoluten Bewegung des Geistes in der Form des Urteils oder des Satzes erfordert eine Wachsamkeit, die den Rückfall des Denkens in das Gefühl und die Anschauung vermeidet. Nur das spekulative Denken und der spekulative Satz erfassen das Absolute, das sich weder in der aufblitzenden Plötzlichkeit der Erkenntnis noch im Nacheinander der Vorstellungen erschöpft, sondern beides miteinander verbindet und – darauf kommt es an – das Unsagbare innerhalb der Sprache, innerhalb des Denkens verortet. Das Unsagbare ist dasjenige, das immer schon geschehen ist: Die Anfänglichkeit der schöpferischen absoluten Tätigkeit in der Bewegung des Denkens. Es ist eine Anfänglichkeit, die als die Einheit des Begriffs zu verstehen ist, aber als eine Einheit, die nicht eine vorzeitliche Ursprünglichkeit ist, sondern die Aktualität des Hervorbringens. In diese schöpferische Bewegung einzugehen und damit in das Leben des Erkenntnisgegenstandes heißt für das spekulative Denken auf die Reflexion seines Tuns zu verzichten, allerdings so, dass sie aus der Tiefe der Bewegung als ihr notwendiges Moment wieder ans Licht kommt.108 Die Reflexion ist somit zu vergessen und wieder hervorzuholen. Das wissenschaftliche Erkennen ist so die „List, die der Tätigkeit sich zu enthalten scheinend, zusieht, wie die Bestimmtheit und ihr konkretes Leben, darin eben, daß es seine Selbsterhaltung und besonderes Interesse zu treiben vermeint, das Verkehrte, sich selbst auflösendes und zum Momente des Ganzen machendes Tun ist.“109 Sich selbst zu vergessen und zugleich bei sich zu sein, die Reflexion aufzugeben und sie doch aufzubewahren ist eine in den zeitlichen Kategorien des Nacheinander nicht wiederzugebende Tätigkeit des spekulativen Denkens. Anzunehmen, dass es ein Sich-Vernichten des Denkens vor dem Licht des Absoluten gibt (wie es bei Fichte der Fall ist) würde für Hegel 106 107 108 109
G.W.F. Hegel: PhG GW 9, S. 34. G.W.F. Hegel: PhG GW 9, S. 36. G.W.F. Hegel: PhG GW 9, S. 40. G.W.F. Hegel: PhG GW 9, S. 41.
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bedeuten, die andere Seite des Denkens, seine „reine Sichselbstgleichheit im Anderssein“ zu verkennen.110 Das „Verklingen“ des fixierten, ruhenden Subjekts in der Bewegung ist ein Teil des Denkens selbst, genauso wie die Rückkehr aus diesem Selbstverlust zu einem neuen, spekulativen Verstehen.111 Das Verklingen des Subjekts als einer festen, ruhenden Größe, die eine auf der Vorstellung beruhende Beziehung zur Welt hat, bezeichnet Hegel als die „Hemmung“ des Denkens. Das Subjekt ist und wird, es bleibt bei sich, auch und gerade als Verklingendes und ‚Gehemmtes‘. Der Verdacht, Hegels Philosophie sei auf die Versöhnung der miteinander entgegengesetzten und sich negierenden Momente ausgerichtet und übersehe dabei die nicht zu versöhnende Tragik des Lebens übersieht daher selbst, dass für die spekulative Erkenntnis „Versöhnung“ nur ein in der defizienten Sprache der Vorstellung benutzter Ausdrück ist, dass somit auch durch das Böse und durch die Vernichtung die Quelle alles Lebens – das Leben der ewigen an und für sich seienden Idee, die sich „ewig als absoluter Geist betätigt, erzeugt und genießt“112 – unangetastet bleibt. Das ist eine Erkenntnis, die, zusammen mit der Erfahrung des Beisichseins Genuss, vielleicht sogar Glück hervorbringen kann. Nicht zufällig endet die Enzyklopädie mit einem Aristoteles-Zitat, in dem davon die Rede ist, dass Spekulation das Angenehmste und Beste sowie göttliches Leben und Ewigkeit ist. „Versöhnung“ ist ein viel zu schwacher und inzwischen, anders als es vielleicht noch zu Hegels Zeit der Fall gewesen ist, viel zu missverständlicher Ausdruck, um die angestrebte Überwindung der ‚dämonischen‘ Welt durch die spekulative Erkenntnis angemessen wiederzugeben. Das Rettende ist nicht die „Versöhnung“. „Versöhnung“ ist ein für die noch nicht spekulativ Begreifenden gedachtes Wort, zwar unvollkommen, aber für die richtige Vorstellung der Sache unvermeidbar, so wie z.B. im Falle der Versöhnung des Verbrechers mit dem Schicksal.113 3.6 Vorstellung und Spekulation in der Enzyklopädie Während seiner Tätigkeit als Gymnasialdirektor in Nürnberg formuliert Hegel die Schwierigkeiten bei der Vermittlung des spekulativen Denkens folgendermaßen:
110 111 112 113
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G.W.F. Hegel: PhG GW 9, S. 41. G.W.F. Hegel: PhG GW 9, S. 47. G.W.F. Hegel: Enz. TW 10, § 577. „Versöhnung“ gehört in die Sphäre der Vorstellung. In der Solger-Rezension schreibt Hegel: „Solger scheut auch die auffallenden Formen nicht, in denen es sich darbietet, die Versöhnung der Gegensätze auszusprechen, was dann der Fall ist, wenn diese Gegensätze in einer konkreten Weise, wie sie in der Vorstellung liegen, belassen und nicht auf ihre einfache Gedankenbestimmung zurückgeführt sind.“ (Berliner Schriften TW 11, S. 236).
Indem man nun vom Geistigen bloß abstrakt oder verständigt spricht, so kann der Inhalt doch spekulativ sein, – so gut als der Inhalt der vollkommenen Religion höchst spekulativ ist. Aber dann bringt der Vortrag, er sei begeistert oder, wenn er dies nicht ist, gleichsam erzählend, den Gegenstand nur vor die Vorstellung, nicht in den Begriff. Das Begriffene, und dies heißt das aus der Dialektik hervorgehende Spekulative ist allein das Philosophische in der Form des Begriffs. Dies kann nur sparsam im Gymnasialvortrag vorkommen; es wird überhaupt von wenigen gefaßt, und man kann zum Teil auch recht nicht wissen, ob es von ihnen gefaßt wird. – Spekulativ denken lernen, was als die Hauptbestimmung des vorbereitenden philosophischen Unterrichts im Normativ angegeben wird, ist daher gewiß als das notwendige Ziel anzusehen; die Vorbereitung dazu ist das abstrakte und dann das dialektische Denken, ferner die Erwerbung von Vorstellungen spekulativen Inhalts.114
Es sind aber nicht nur Gymnasiasten, die mit der Schwierigkeit spekulative Philosophie zu verstehen zu kämpfen haben und denen man das spekulative Denken „nur sparsam“ beibringen kann, mit Hilfe der vier Etappen ‚abstraktes Denken – dialektisches Denken – Vorstellungen spekulativen Inhalts – spekulatives Denken‘. Das Problem der Vermittlung der spekulativen Denkweise reicht tiefer, es betrifft auch Hörer (und Leser) von Hegels Philosophie während seiner Tätigkeit als Universitätsprofessor in Berlin. Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften im Grundrisse (ich beziehe mich auf die Ausgabe von 1830) ist der Versuch, dieses Problem zwar nicht endgültig zu lösen, aber doch eine Erleichterung zu verschaffen bei der Aufgabe, dem vorstellenden Denken spekulative Inhalte zu vermitteln, so z.B. die Inhalte „der vollkommenen Religion“. Aber das ist die einfachere Aufgabe. Die eigentliche Schwierigkeit liegt darin, die Form des spekulativen Denkens zu vermitteln. Wie gelingt es dem philosophischen Lehrer, das zu tun? Erinnern wir uns, was vom Erfolg dieser Aufgabe abhängt: Das Einüben einer – spekulativen – Denkweise, in der die Überwindung des Kampfes, in den der Mensch in seinem Leben unausweichlich verwickelt ist, möglich wird. Für die Lösung dieser Aufgabe ist die Enzyklopädie gedacht. Schon im ersten Paragraphen der Einleitung wird die Frage nach den Gegenständen und der Methode der Enzyklopädie, sowie nach der Schwierigkeit für das noch nicht spekulative Denken, einen „Anfang“ der Philosophie zu finden, zum Thema. Der vorletzte Paragraph der Einleitung (§ 17) greift dann die Frage nach dem Anfang der philosophischen Wissenschaft sowie nach ihrem Resultat und der Einheit von Anfang und Resultat wieder auf: Womit fängt Philosophie an? Es scheint, so Hegel, dass sie mit dem Denken anfängt, denn das sei ihr eigentümliches Thema, so wie die anderen Wissenschaften auch ihre spezifischen Themen haben, wie z.B. den Raum, 114
G.W.F. Hegel: Nürnberger Schriften TW 4, S. 415f.
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die Zahl und anderes. Genau betrachtet sei jedoch nicht „das Denken“ das eigentliche Thema der Philosophie, sondern der freie Akt des Denkens. Dieser Unterschied – dort das Denken im Allgemeinen, hier der freie Akt des Denkens – scheint auf den ersten Blick nicht wesentlich zu sein. Für Hegel ist er jedoch wichtig: Über das Denken lässt sich viel Richtiges auch außerhalb der Philosophie sagen; über den freien Akt des Denkens jedoch nur innerhalb der Philosophie. Durch den freien Akt stellt sich das Denken auf den Standpunkt auf dem es „für sich selber ist und sich hiermit seinen Gegenstand selbst erzeugt und gibt“. Die Besonderheit dieses Standpunkts besteht darin, dass das Denken in dreifacher Hinsicht seine Freiheit verwirklicht. Es ist in diesem Akt „für sich“ und frei im Sinne des Beisichseins; es erzeugt sich selbst seinen Gegenstand und ist frei durch seine, noch näher zu bestimmende, schöpferische Tätigkeit; schließlich gibt es sich den von ihm erzeugten Gegenstand, so dass dieser sein Eigentum wird. Während das Erzeugte von dem Erzeugenden auch unabhängig sein kann, bleibt es als dasjenige, das sich der Erzeugende (das Denken) „gibt“, als sein Eigentum an das Denken gebunden. Der Anfang der Philosophie besteht somit in dem freien Sich-Erheben des Denkens, das als eine erzeugende, schöpferische Tätigkeit, in der es auch in der Entäußerung bei sich bleibt, aufzufassen ist. Der Anfang der Philosophie ist zudem doppeldeutig. Er ist zum einen auf den Entschluss des endlichen Subjekts bezogen, sich auf den Standpunkt der Philosophie zu erheben. Dieser Anfang bleibt bestehen während des gesamten Denkprozesses: der Entschluss, der freie Akt, ist keine einmalige, vergangene Entscheidung, sondern hält das Subjekt immer von neuem im Vollzug des Philosophierens. Der Anfang ist zum anderen aber auch ein reiner, absoluter, ein Akt der Freiheit, und gehört der intelligiblen Sphäre an. Die philosophische Wissenschaft hat das Ziel, das zunächst außer ihr stehende endliche philosophierende Subjekt in den Gang des spekulativen Denkens und somit in die Wirklichkeit der Vernunft – in ihre absolute Anfänglichkeit – zu erheben. Das Sicherheben in den Vollzug der Freiheit ist jedoch nicht nur der Anfang, sondern auch das Resultat der Philosophie. Zu diesem Resultat gehört es, dass das philosophierende Subjekt, das noch außerhalb der Wissenschaft steht – das vorstellende Subjekt also, das sich zu philosophieren entschließt – von der Wissenschaft ‚erfasst‘ wird. Das zu tun ist „sogar ihr einziger Zweck, Tun und Ziel“.115 Die wichtigste Aufgabe der Philosophie besteht daher nicht darin, philosophische Einzelfragen zu erörtern, z.B. die nach der Realität unserer Erkenntnis oder nach dem guten Leben, sondern darin, ihren wahren Begriff zu erlangen und das endliche Subjekt in den freien Akt des 115
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G.W.F. Hegel: Enz. TW 8, § 17.
Denkens zu erheben. Diese Aufgabe baut auf dem Bedürfnis des endlichen Subjekts nach der Befriedung seiner inneren Unruhe und nach der Befriedigung seines Bedürfnisses nach Stabilität auf. Sie hat daher den pädagogischen Anspruch auch die endlichen, noch vorstellenden Subjekte, zu dieser (Selbst)Erkenntnis zu führen. Es stellt sich daher die Frage nach dem Charakter des Denkens, das sich als Resultat der Wissenschaft ergibt. Wie aus dem Text der Enzyklopädie hervorgeht, umfasst dieses im Vollsinne der philosophischen Wissenschaft aufgefasste Denken zwei Formen des Nachdenkens. Die erste Form des Nachdenkens besteht aus drei Momenten. Das Nachdenken ist: a) Durch seine Orientierung an dem Alltagsdenken das „die Menschlichkeit des Menschlichen“ einschließende Denken, zu dem Vorstellung, Anschauung und Empfindung gehören. Diese „die Menschlichkeit“ ausmachenden Formen des Alltagsdenkens und das Nachdenken sind nicht voneinander verschieden, sondern sie sind „nur ein Denken“.116 b) Das Nachdenken ist nicht von der Erkenntnis verschieden, sondern bildet mit ihr eine Einheit, ist somit auch, zumal auf den ersten Blick, für die Erkenntnis der „absoluten Gegenstände“ geeignet: Freiheit, Geist und Gott. c) Es reflektiert kritisch das Alltagsdenken und macht dieses für die Wissenschaft empfänglich. Das kritische Nachdenken, die Vorstellung, das Gefühl und die Reflexion sind, so Hegel, ein wichtiger Teil der Philosophie. Er ist aber weit davon entfernt, schon die bloße kritische Reflexion auf den alltäglichen Gebrauch der verschiedenen Wissensformen als das Wesentliche der Philosophie zu bezeichnen. Das wesentliche Moment des reinen philosophischen Denkens besteht nämlich nicht in der Reflexion auf „die Menschlichkeit des Menschen“, sondern in der dem Denken eigenen inneren Notwendigkeit. Das voll ausgebildete wissenschaftlich-philosophische Denken, das uns als das Resultat der enzyklopädischen Wissenschaft begegnet, ist nämlich nicht nur das reflektierende Nachdenken, sondern auch das Denken, aus dem Anschauung, Vorstellung und Reflexion einerseits ausgeschlossen sind, andererseits aber eine neue Gestalt bekommen. Das ist die zweite, die eigentlich philosophische Form des Nachdenkens – das reine Denken mit dem ständigen Bezug auf die Welt der Vorstellung. Das reine Denken erscheint zwar als die Vorstellung ausschließend.117 Das ist es auch, aber nur, um aus diesem „Schattenreich“ zu den Vorstellungen zurückzukehren und sich in ihnen frei zu bewegen. Nur diese Einheit von reinem Denken und der Welt der Vorstellung befriedigt das Bedürfnis der subjektiven Vernunft nach der „Form der Notwendigkeit“. Hegel bezeichnet im § 9 diese philosophisch relevante Form des Nachdenkens, die 116 117
G.W.F. Hegel: Enz. TW 8, § 2. G.W.F. Hegel: Enz. TW 8, § 24 Z.
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das Bedürfnis nach der Form der Notwendigkeit genüge tut als das „eigentlich philosophische, das spekulative Denken“. Die Form der Notwendigkeit unterscheidet dieses von dem „ersten Nachdenken“, das sich vor allem als Reflexion auf das Alltagsdenken versteht. Durch das „erste Nachdenken“, also die Reflexion auf Gefühle, Anschauungen und Vorstellungen werden diese Wissensformen zwar in Gedanken verwandelt,118 doch erst durch das spekulative Denken werden sie in den Begriff verwandelt. Das voll entwickelte wissenschaftlich-philosophische Denken ist somit beides: das Nachdenken in einem schwachen Sinn, das sich reflektierend auf das Alltagsdenken – auf die Vorstellungen – bezieht und das Nachdenken in dem starken Sinn des spekulativen Denkens, das sich auf die Vorstellungen bezieht, sie verwandelt und dabei sich selbst ‚mit der Welt‘ bereichert. Das vorstellende und das spekulative Nachdenken sind sich somit zugleich ähnlich und unähnlich. Beide machen sie das voll ausgebildete philosophische, spekulativ-vorstellende Denken aus. Philosophie tut „nichts anderes“, als die Vorstellungen in Gedanken (in das erste Nachdenken) und „freilich fernerhin den bloßen Gedanken in den Begriff“ (das zweite Nachdenken) zu verwandeln.119 Doch in welchem Umfang sind die Vorstellungen aus dem reinen Denken ausgeschlossen? Im § 1 wird zwar die „Notwendigkeit“ als das Kriterium der Wissenschaftlichkeit des Inhalts der denkenden Betrachtung erklärt. Worin die Notwendigkeit des philosophischen Denkens besteht, wird in der Einleitung jedoch noch nicht ausgeführt, sondern es wird darauf hingewiesen, dass eine erst vorläufige Explikation, so wie sie in einer Einleitung nur möglich sei, eine noch unphilosophische ist. Nur innerhalb der Philosophie ist die Notwendigkeit zu erkennen, also nur auf dem Standpunkt des freien Denkens, auf dem die Philosophie allein möglich ist. Es wird sich aber, so die von Hegel in Aussicht gestellte Einsicht, im Verlauf der Enzyklopädie zeigen, dass es nicht die vertrauten, alltäglichen, kausalen, mechanischen Ursache-Wirkung Verhältnisse sind, die ‚notwendig‘ sind, sondern dass nur dasjenige notwendig ist, was sich selbst hervorbringt und in dieser Selbsthervorbringung auch die Gegenstände hervorbringt, auf die es sich, diese produzierend und negierend, bezieht. Über das methodische Vorgehen der Einleitung heißt es im § 19: „Es gilt von dieser wie von anderen in diesem Vorbegriffe enthaltenen Bestimmungen dasselbe, was von den über die Philosophie überhaupt vorausgeschickten Begriffen gilt, daß sie aus und nach der Übersicht des Ganzen geschöpfte Bestimmungen sind.“ Wir lesen also die in der Einleitung dargestellten Überlegungen über die Aufgabe der Philosophie mit dem Wis118 119
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G.W.F. Hegel: Enz. TW 8, § 5. G.W.F. Hegel: Enz.TW 8, § 20 A.
sen, dass sie vom Standpunkt des freien Denkens aus noch einmal betrachtet werden müssen, was offensichtlich eine zweite Lektüre der Einleitung (und der ganzen Enzyklopädie) erfordert. Auf diesem Standpunkt stehend erkennen wir auch, dass Logik die Wissenschaft der Idee im abstrakten Elemente des Denkens ist und dass die Idee nicht nur die Form des Denkens ist, sondern „die sich entwickelnde Totalität seiner eigentümlichen Bestimmungen und Gesetze, die es sich selbst gibt, nicht schon hat und in sich vorfindet“. ‚Der Idee angemessen zu philosophieren‘ bedeutet daher, in ihre Bewegung einzutreten und sich ihrem ‚Fluss‘, zu dem auch die kritische Reflexion gehört, zu überlassen. Das philosophische, spekulative Denken ist daher beides: einschließend und ausschließend, das Alltagsdenken bzw. die Vorstellung kritisch reflektierend und verwandelnd, aber auch rein und notwendig. Es ist nur zu verstehen, indem man sich auf seinen Standpunkt erhebt und es selbst vollzieht und nicht indem man ‚von außen‘ über es nachdenkt. Diese Bestimmungen des philosophischen Denkens sind, wie Hegel einräumt, für das vorstellende, noch nicht philosophierende Subjekt unverständlich und ungewohnt. Unverständlich ist Philosophie, weil es nicht klar ist, durch welche Vorstellungen der spekulative Gedanke veranschaulicht und so verständlich gemacht werden kann, denn es ist für den Menschen ungewohnt, sich in dem Vollzug der Spekulation zu bewegen. Der Philosophie kommt es aber nicht darauf an, dass man das schon Bekannte und Vertraute in ihr wiederfindet, sondern darauf, der Bodenlosigkeit und der Ortlosigkeit des Denkens nicht auszuweichen. Beim Philosophieren verliere das gewöhnliche Bewusstsein nämlich seine Orientierung am Vertrauten und wisse nicht, „wo es in der Welt ist“.120 Die eigentümlichen Schwächen der Vorstellung, die exemplarisch für das alltägliche Denken stehen sind das Nebeneinander und das Nacheinander der Gedanken. Diese Schwächen werden durch Philosophie nicht sogleich überwunden. Für den Vorstellenden tritt zuerst die Irritation auf, die vertraute Art zu denken aufgeben zu müssen. Diese Irritation ist aber nicht das letzte Wort der Philosophie. Die Verwandlung der Vorstellung in die spekulative Form vertreibt zwar nicht ganz die aus der Sicht der Vorstellung beängstigende Bodenlosigkeit des Denkens, fügt sie aber in einen neuen Vollzug ein. Die Verwandlung der Vorstellungsinhalte in die spekulative Form der Philosophie ist der Eintritt des „ersten Nachdenkens“ in die Notwendigkeit des schöpferischen Prozesses, in dem diese Inhalte nicht als bloß vorgefundene und gegebene, sondern als von der absoluten Tätigkeit des Denkens produzierte erkannt werden. Kunst (Poesie), Religion (Kultus) und philosophische Spekulation sind drei Gestalten der schöpferischen Tätigkeit des Denkens. 120
G.W.F. Hegel: Enz. TW 8, § 3 A.
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Das Subjekt steht somit in folgender Spannung, wenn es sich mit Philosophie beschäftigt: in der Spannung zwischen dem Ausschluss der nicht-spekulativen Erkenntnisformen von dem spekulativen Vollzug und ihrem inhaltlichen Einschluss. Diese Spannung ist durch den Unterschied der Form und die Gemeinsamkeit des Inhalts gegeben: die Form des philosophischen Denkens ist unterschieden von den Formen der Anschauung und der Vorstellung, teilt mit ihnen aber zugleich den gemeinsamen Inhalt. Der in die Form des Begriffs zu übersetzende und so für Philosophie relevante Inhalt ist jedoch nicht beliebig. Er muss ‚wahrhaft‘ sein. Philosophie ist begreifendes Erkennen der Gegenstände, durch die der wahrhafte Inhalt des Bewusstseins in die Form des Gedankens und Begriffs übersetzt wird. Der zufällige Inhalt geht die Philosophie nichts an. Dazu gehören die menschlichen Leidenschaften, Neigungen und Charakterzüge, aber auch die Naturphänomene und die zufälligen Ereignisse in der Geschichte, somit alles, was Hegel als „das Partikulare“ bezeichnet und von dem Wahrhaften unterscheidet.121 Was ist aber der wahrhafte Inhalt der Philosophie? Im § 6 ist es die Wirklichkeit, die als der wahrhafte Inhalt bezeichnet wird. Die Wirklichkeit, die von der Erscheinung, also dem bloßen Vorhandensein der Gegenstände unterschieden wird, ist nichts Vorgefundenes, dem Denken Gegenüberstehendes. Sie ist „der im Gebiete des lebendigen Geistes ursprünglich hervorgebrachte und sich hervorbringende, zur Welt, äußeren und inneren Welt des Bewußtseins gemachte Gehalt“. Der Inhalt der Philosophie ist somit alles, was von der Wirklichkeit des lebendigen Geistes hervorgebracht ist: die innere und die äußere Welt des Geistes. Die Wirklichkeit des lebendigen Geistes nennt Hegel die Wirklichkeit des Vernünftigen, die allem Inhalt des Denkens zugrunde liegt. Der für den Menschen unmittelbar vorhandene Inhalt des Denkens, der die Einrichtungen und die Zustände der Welt umfasst, ist nur die Außenseite der Wirklichkeit des Vernünftigen. Die Erkenntnis des Inneren, der Idee also, ist jedoch allein der Philosophie vorbehalten. So heißt es z.B. in den Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie zur Entwicklung des Denkens in der Geschichte: „Ferner geht diese Entwicklung nicht nach außen als in die Äußerlichkeit, sondern das Auseinandergehen der Entwicklung ist ebenso ein Gehen nach Innen; d.i. die allgemeine Idee bleibt zugrunde liegen und bleibt das Allumfassende und Unveränderliche.“122 Hegels Geschichte der Philosophie und die Philosophie der Geschichte haben den Zweck zu zeigen, dass das der Geschichte Zugrundeliegende keine von Menschen gemachte „Kultur“ ist, sondern die „Idee“, die sich, obwohl erkennbar, dem menschlichen Zugriff grundsätzlich entzieht. 121 122
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G.W.F. Hegel: Enz. TW 8, § 6 A. G.W.F. Hegel: VGPh TW 20, S. 476.
Der § 6, das Herzstück der Einleitung, macht deutlich worin die Kernaufgabe der Philosophie besteht: in der Erkenntnis der Wirklichkeit der Idee. In allen drei Teilen der Enzyklopädie – Logik, Philosophie der Natur und Philosophie des Geistes – zieht sich dieses Thema als das für die Enzyklopädie zentrale hindurch: Die Erkenntnis der Wirklichkeit der Idee, die hervorbringend, schöpferisch tätig ist in der inneren und in der äußeren Welt des Geistes. Das philosophische Denken erkennt die hervorbringende Wirklichkeit des Vernünftigen, die sich hinter der Erscheinung, dem Bereich des Vorhandenen, Vorübergehenden und Vorgestellten verbirgt. Durch dieses Erkennen, durch den darin vollzogenen Perspektivwechsel wird die Philosophie selbst zum „Werkmeister“, zur Wirklichkeit des Geistes.123 Die absolute, schöpferische und zugleich vernichtende Tätigkeit ist „der eine lebendige Geist“ im Denken der Menschen, sie ist aber nicht mit dem menschlichen Geist zu verwechseln. Dass es sich bei der Wirklichkeit des lebendigen Geistes um den menschlichen Geist handelt, wenn auch nicht um den eines einzelnen Subjekts, sondern um die von Menschen hervorgebrachte Kultur, ist heute eine weit verbreitete Meinung unter den Hegel-Interpreten.124 Für diese Interpretationen ist der letzte Horizont von Hegels Philosophie der objektive Geist. Gibt uns aber Hegel irgendwelche Hinweise, dass die Wirklichkeit des lebendigen Geistes tatsächlich das „generisch-kollektive Subjekt aller menschlichen Praxisformen“ ist?125 Genau genommen gibt er uns in der Einleitung zwei Hinweise, die dagegen sprechen, dass es sich bei dem absoluten Geist um „uns“ in dem oben genannten Sinne handelt. Der erste Hinweis besteht in der Betonung der systematischen Bedeutung der religiösen Vorstellung für Philosophie. Schon im ersten Paragraphen der Enzyklopädie wird die religiöse Vorstellung als der unverzichtbare Bezugspunkt der Philosophie eingeführt und als die Instanz, die es als erste zu überzeugen gilt von der Vernünftigkeit der philosophischen Wissenschaft. Philosophie entbehre des Vorteils, über den andere Wissenschaften verfügen, ihren Gegenstand unmittelbar von der Vorstellung zu empfan-
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G.W.F. Hegel: Enz. TW 8, § 13. Vgl. Pirmin Stekeler-Weithofer: Hegels Phänomenologie des Geistes. Ein dialogischer Kommentar. Band 1: „Gewissheit und Vernunft“, Hamburg 2014, S. 59. Pirmin Stekeler beschreibt den Unterschied von objektivem und absolutem Geist folgendermaßen: „Es scheint zunächst so, als stehe der Ausdruck ‚absoluter Geist‘ einfach für einen kaum mehr als bloß verbal säkularisierten Gott. In Wirklichkeit aber unterscheidet Hegel den objektiven Geist als inneren Gegenstand der Geisteswissenschaften, also dem, was man als Geschichte oder Recht, Staat oder Kunst zum Thema macht, von einem gemeinsamen Wir. Dieses Wir ist der absolute Geist. Er ist der Geist, der wir sind.“ Pirmin Stekeler-Weithofer: Hegels Phänomenologie des Geistes, S. 59.
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gen und eine bestimmte Methode voraussetzen zu können. Philosophie ist anders als die anderen Wissenschaften. Man hat den Eindruck schon hier, im ersten Satz der Enzyklopädie, Hegels an die religiöse Vorstellung gerichtete Bitte um Geduld zu hören: Es wird sich noch alles klären! Und in der Tat wird die Vorstellung sogleich beruhigt: Philosophie teilt mit ihr den höchsten Gegenstand, „daß Gott die Wahrheit und er allein die Wahrheit ist.“ Mit der Vorstellung teilt die Philosophie darüber hinaus auch das Interesse an endlichen Gegenständen, so wie z.B. an der Natur und dem menschlichen Geist. Man beachte dabei die Reihenfolge: Zuerst geht es der Philosophie um Gott, erst dann um Natur und den menschlichen Geist; so wird der religiösen Vorstellung gleich am Anfang der Enzyklopädie ein Vorrang vor anderen Vorstellungsinhalten eingeräumt. Sie ist die Instanz, vor der sich das Programm der Enzyklopädie rechtfertigen soll. Weiter heißt es, Philosophie müsse, bevor sie anfängt, eine Bekanntschaft der Vorstellung mit dem Gegenstand voraussetzen und Bekanntschaft und Vertrautheit aufbauen. Der „Eröffnungszug“126 der Enzyklopädie ist somit die Unterscheidung von Vorstellung und Spekulation, sowie der zentrale und für das ganze enzyklopädische System verbindliche Hinweis, dass „der denkende Geist sogar nur durchs Vorstellen hindurch und auf dasselbe sich wendend zum denkenden Erkennen und begreifen fortgeht.“127 Das Denken ist in der Vorstellung (und im Glauben) „überhaupt nicht untätig gewesen; die Tätigkeit und die Produktionen desselben sind darin gegenwärtig und enthalten“.128 Diese ‚Verbeugung‘ Hegels vor der religiösen Vorstellung und der mit ihr verbundenen religiösen Erfahrung von der Gegenwart Gottes im Kultus darf nicht außer Acht gelassen werden, wenn man nach dem ‚Status‘ fragt, den das philosophische Denken in der Welt hat. 126
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So Markus Gabriel, der die „Distinktion“ von Vorstellung und Spekulation „vielleicht sogar“ (und das wie ich hinzufügen möchte zurecht) für den „Schlüssel zu Hegels Philosophiebegriff“ sieht. In: „Hegels Begriff der Vorstellung und das Form-Inhalt Problem“, in: Spekulation und Vorstellung in Hegels enzyklopädischem System, Hg. Kazimir Drilo und Axel Hutter, Tübingen 2015, S. 7–28; hier S. 8. G.W.F. Hegel: Enz. TW 8, § 1. Diese Textstelle sowie den Hinweis auf die innere Verwandtschaft von Philosophie und Religion im Hinblick darauf, dass „Gott“ für beide die höchste und die alleinige Wahrheit ist, charakterisiert Axel Hutter treffend folgendermaßen: „Der ganze Stolz des modernen, säkularisierten Bewusstseins besteht darin, dass es solche Sätze nicht versteht und sie deshalb als Unsinn abtut. Hegels Philosophie des absoluten Geistes bildet deshalb gerade heute eine Herausforderung des modernen Selbstverständnisses des Menschen.“ In: „Wahre Endlichkeit. Hegels Lehre vom absoluten Geist“, in: Spekulation und Vorstellung in Hegels enzyklopädischem System, herausgegeben von Kazimir Drilo und Axel Hutter, Tübingen 2015, S. 193–208; hier S. 208. G.W.F. Hegel: Enz. TW 8, § 2 A.
Der zweite Hinweis, der gegen die Gleichsetzung des absoluten Geistes mit der menschlichen Lebenswelt spricht, ist die Umwandlung des Gottesbegriffs der religiösen Vorstellung in das philosophisch gedachte Absolute, wobei dieses – und das ist nun die entscheidende Wendung, auf die es Hegel ankommt – mit der hervorbringenden Tätigkeit der Idee identifiziert wird. Die Gegenwart der Idee im Endlichen ist zu erkennen, wenn man ihren von Menschen unabhängigen Charakter erkennt. Der Idee als dem Allgemeinen, Ganzen und Vollendeten muss eine Kraft innewohnen, die über ihre bloß regulative Funktion, die sie z.B. bei Kant hat, hinausgeht. Hegel ist sich durchaus bewusst, dass er bei Kant auch einen Verbündeten für diese Auffassung findet, jedoch vor allem im Hinblick auf das praktische Vermögen der Vernunft. Die Unterscheidung der regulativen Kraft der theoretischen von der konstitutiven Kraft der praktischen Vernunft ist in Hegels Augen jedoch eine Inkonsequenz in Kants System.129 Das philosophische Denken ist, und darin besteht der fundamentale Unterschied zu Kant, nur von dem Gedanken der wirkenden Tätigkeit der Idee her zu bestimmen. Weil er die Erkenntnis der metaphysischen Gegenstände Freiheit, Geist und Gott als das Ziel der philosophischen Erkenntnis betrachtet und sie allein durch die tatsächliche, nicht nur postulierte Gegenwart der Idee im Denken ermöglicht sieht, betrachtet Hegel jede philosophische Wissensform, die allein auf der Kraft des endlichen Subjekts oder der endlichen Subjekte beruht als einen Irrweg. Sofern das Denken vom endlichen Subjekt (also im Sinne vieler Hegel-Interpreten „von uns“) vollzogen wird, ist es zum Scheitern verurteilt. Der im § 11 der Einleitung gegebene Hinweis auf die Dialektik, die der Natur des Denkens immanent ist und durch die das Verstandesdenken, daran „verzweifelnd“, in Widerspruch mit sich selbst geraten muss, macht dieses dem Endlichen innewohnende Scheitern deutlich. Es zeigt sich z.B. in der für Hegel geradezu absurden Frage nach der Realität unserer Erkenntnis bzw. der „Möglichkeit des wahrhaften Erkennens“ (was eine beliebte Frage vor allem in der sprachanalytischen Hegel-Forschung der letzten Jahrzehnte ist). Diese Frage sei die „diffuse“ Folge eines Verstandes, der ver-
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Hegel hat u.a. auch folgende Textstelle der Kritik der reinen Vernunft im Blick: „Die Endabsicht, worauf die Spekulation der Vernunft im transzendentalen Gebrauche zuletzt hinausläuft, betrifft drei Gegenstände: die Freiheit des Willens, die Unsterblichkeit der Seele, und das Dasein Gottes […] Mit einem Worte, diese drei Sätze bleiben für die spekulative Vernunft jederzeit transzendent und haben gar keinen immanenten, d.i. für Gegenstände der Erfahrung zulässigen, mithin für uns auf einige Art nützlichen Gebrauch, sondern sind an sich betrachtet ganz müßige und dabei noch äußert schwere Anstrengungen unserer Vernunft. […] so wird ihre Wichtigkeit wohl eigentlich nur das Praktische angehen müssen.“ (Immanuel Kant, KrV, A 798ff./B 826ff.)
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schiedene Tätigkeiten der Intelligenz wie Vorstellung, Anschauung, Erkennen voneinander trennt und isoliert.130 3.6.1 Die didaktische Herausforderung: Spekulativ denken in der Sprache der Vorstellung Der § 18 der Einleitung erinnert uns daran, dass zu dem vollständig ausgebildeten enzyklopädischen System alle drei Teile der Philosophie, die ein Ganzes ausmachen, gleichberechtigt dazugehören: die Logik, die Naturphilosophie und die Philosophie des Geistes. Logik ist die Sphäre des reinen spekulativen Denkens, Naturphilosophie und Philosophie des Geistes sind die Sphären des spekulativen Denkens, das sich auf dem Gebiet der Vorstellung durchzusetzen versucht, indem es diese in Gedanken verwandelt. Offensichtlich hat das die Anschauung und die Vorstellung ausschließende, reine Denken der Logik seinen Platz innerhalb des enzyklopädischen Systems als „nur“ ein Teil von drei Teilen. Zu bedenken ist aber Folgendes: Das philosophische Denken erfordert ein Philosophieren, das System und Totalität ist; diese drei Teile bestehen nur für die Vorstellung nebeneinander, es handelt sich bei ihnen jedoch um fließende, ineinander übergehende Momente. „System“ heißt für Hegel, dass die beiden philosophischen Denkweisen – Vorstellung als die Sphäre der Vorlesungen und der Enzyklopädie, Spekulation als die Sphäre des reinen Denkens – nur im Rahmen eines Ganzen, das sie umfasst, möglich sind. Dieses Ganze nennt Hegel das Absolute und Philosophie, die sich mit ihm beschäftigt, die Wissenschaft des Absoluten. Das Absolute ist als das begreifende philosophische Denken zu verstehen, das sowohl das reine Denken der Logik als auch das auf die Vorstellungen zurückgreifende Denken der sogenannten Realphilosophie umfasst. Das „eigentlich philosophische, das spekulative Denken“131 ist das Denken ‚im Fluss‘ – der stete Übergang aus der Sphäre der Vorstellung in die Sphäre des reinen Denkens und aus der Sphäre des reinen Denkens in die der Vorstellung. Dieses Ineinanderfließen bedeutet aber nicht nur, dass sich die Realphilosophie auf die Kategorien der Logik muss beziehen können, sondern auch, dass sich Logik, als die Sphäre des reinen Denkens, auf das endliche, vorstellende Denken beziehen muss. Wenn Hegel in seinen Vorlesungen, zu deren leichterem Verständnis die Enzyklopädie beitragen soll, über die Themen der Philosophie der Natur und der Philosophie des Geistes sowie der Logik vorträgt, dann verabschiedet er sich nicht vom spekulativen Denken. Dieses bleibt auch in der Sprache der Vorlesungen, die ja nicht die des reinen Denkens ist, erhalten. Und darin bestand die eigentliche Herausforderung für ihn und für seine Zuhörer: Spekulativ zu denken in der Sprache der 130 131
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G.W.F. Hegel: Enz. TW 10, § 445 A. G.W.F. Hegel: Enz. TW 8, § 9.
Vorstellung. Diese so schwer zu lösende Aufgabe, die das zentrale didaktische Problem auch für Fichte und Schelling gewesen ist, soll Philosophie als eine „Wissenschaft des Absoluten“ leisten. Hegel spricht von Philosophie als der Wissenschaft des Absoluten zum ersten Mal in der Differenzschrift, im Zusammenhang mit der „Vergleichung des Schellingschen Prinzips der Philosophie mit dem Fichteschen“. Beide Standpunkte – der von Fichte und der von Schelling – gehören, so Hegel, nicht zu der wahren philosophischen Wissenschaft, also zur Wissenschaft des Absoluten, denn sie vereinigen nicht die Transzendentalphilosophie und die Naturphilosophie in einem höheren Standpunkt, in dem ihre Einseitigkeit aufgehoben und „in beiden ebendasselbe Absolute“ erkannt wäre. Diese von Fichte und Schelling angestrebte philosophische Wissenschaft des Absoluten sei bei beiden noch nicht vollständig ausgebildet. In einer Wissenschaft des Absoluten müssen Intelligenz und Natur, Freiheit und Notwendigkeit vereinigt werden, und zwar so, dass diese Vereinigung nicht nur behauptet und postuliert, sondern auch begründet wird. Dies geschieht im Akt des begreifenden Denkvollzugs. Für Willkür und Zufall des Begründens ist in einer Wissenschaft des Absoluten kein Platz. Eine Philosophie, die den Anspruch erhebt, Wissenschaft des Absoluten zu sein und die Einheit von Intelligenz und Natur, Freiheit und Notwendigkeit darstellen will, darf nicht „wie aus der Pistole geschossen“ als Prinzip aufgestellt werden. Die philosophische Begründung muss jedoch auch den Bezug zu dem zentralen Bedürfnis des philosophierenden Subjekts herstellen: zu seinem Bedürfnis nach der Befriedung des Krieges mit sich und mit der Welt, in deren Widersprüche und Konflikte er so tragisch verwickelt ist. Das Einnehmen des Standpunkts des Absoluten wird spätestens seit der Phänomenologie des Geistes als Umkehr des Bewusstseins bezeichnet. Phänomenologie beschreibt eine ganze Reihe von solchen Umkehrungen, in denen die Erfahrung von der Unwahrheit des Wissens zu einem neuen Wissen, also zu einer Umkehr, führt. Für Phänomenologie ist jedoch der letzte Schritt des Übergangs des erscheinenden, endlichen Wissens in das absolute Wissen, also die letzte Umkehr entscheidend. Diese letzte Umkehr in das Absolute ist eine, in der die Erscheinung dem Wesen gleich wird und das Selbstbewusstsein, sein eigenes Wesen erfassend, die Natur des absoluten Wissens erlangt. In der Einleitung zur Enzyklopädie nimmt Hegel diesen Gedanken auf. Das Sicherheben zum Absoluten durch den freien Akt des Denkens wird als die denkende Betrachtung der Gegenstände bezeichnet.132 Mit dem Ausdruck „Betrachtung“ wird an die Vorgehensweise der spekulativen Philosophie erinnert, so wie sie schon in der Phänomenologie be132
G.W.F. Hegel: Enz. TW 8, § 2.
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schrieben wurde: Sich in den Gegenstand des Bewusstseins so zu vertiefen, dass das philosophische Wissen nach der Umkehr in die Perspektive des Absoluten in der „scheinbaren Untätigkeit“ besteht, die nur betrachtet wie sich der Gegenstand selbst bewegt. Das endliche Subjekt geht in der Sache auf und erkennt dabei, dass es seine Sache ist, um die es in der Philosophie geht: die sich durch ihn verwirklichende absolute Tätigkeit. Genau muss es aber heißen – und an diesem Punkt besteht die eigentliche Verständnisschwierigkeit für das vorstellende Denken und für so viele nur ‚vorstellende‘ Hegel-Interpreten – das endliche Subjekt muss sich als die absolute Tätigkeit erkennen, mit der es trotzdem nicht identisch ist. Der Weg des Endlichen zur Umkehr in die zugrundeliegende Tätigkeit führt somit zu einem Begriff des Absoluten, der ambivalent ist. Diese Ambivalenz besteht in der Tatsache, dass Hegels Philosophie „sowohl als traditionelle Ursprungsphilosophie […] als auch als säkularisierende Philosophie“ gelesen werden kann.133 Unabhängig davon, wie diese Frage zu entscheiden sein wird lassen sich bei der Bestimmung von Hegels Philosophie als einer Wissenschaft des Absoluten folgende Schritte unterscheiden: 1. Das Absolute (die im § 6 der Einleitung beschriebene vernünftige Wirklichkeit der Idee) ist nicht nur der Gegenstand der Philosophie, sondern auch ihr Subjekt. Philosophie als Wissenschaft des Absoluten ist ein System, in dem sich das Denken, das sich als das Absolute begreift, selbst auslegt. 2. Um Philosophie wissenschaftlich betreiben zu können muss sich das endliche, vorstellende Denken von der Befangenheit im Gegenständlichen und Vorliegendem befreien und auf den Standpunkt des spekulativen Denkens (der absoluten Tätigkeit) erheben. Nur so wird sichergestellt, dass dem System nichts Willkürliches zugrunde liegt, sondern die vernünftige Wirklichkeit des spekulativen Denkens. 3. Auf dem Standpunkt des Absoluten wird das endliche Denken in die hervorbringende Tätigkeit des Denkens integriert und zwar so, dass das Sicherheben des endlichen, vorstellenden Denkens und das Sichbewirken des Absoluten im Endlichen eine Einheit bilden. 4. Die organische Einheit der einzelnen Denkbestimmungen garantiert, dass das ‚Verabsolutieren‘ einer besonderen Denkbestimmung, ihr Sicherheben zum Ganzen, nicht auf Kosten der anderen Denkbestimmungen geschehen darf. Das in allen besonderen Denkbestimmungen tätige Absolute ist das Ganze, der in sich spannungsreiche Prozess als solcher, und nicht ein Besonderes, nicht ein Teil des Ganzen. 5. Dieses „Ganze“ dem vorstellenden Denken zu vermitteln stellt für Philosophie eine kaum zu bewältigende Herausforderung dar. Um sie meistern zu können müssen mehrere ‚außerphilosophische‘ Bedingungen 133
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Henning Ottmann: „,Die Weltgeschichte ist das Weltgericht‘. Anerkennung und Erinnerung bei Hegel“, in: Hegel-Jahrbuch 1995, Hg. Andreas Arndt et al., Band I, Berlin 1996, S. 208.
erfüllt sein. Nötig sind humanistische und naturwissenschaftliche Bildung, der Sinn für Religion und Kunst, gemeinsame geschichtlich gewachsene typische Mentalitätsmerkmale einer Kultur, ferner eine stabile gesellschaftliche Ordnung sowie das drängende Bedürfnis, die Widersprüche und Kämpfe des Lebens ertragen und bewältigen zu können. Im Idealfall hat Philosophie die Aufgabe, an der Herstellung dieser Bedingungen mitzuwirken. Dass sie dazu fähig ist war lange Zeit Hegels Überzeugung. Eine Wissenschaft des Absoluten wird immer berücksichtigen müssen, dass sie sich zur Vollständigkeit erst dann entwickelt hat, wenn sie die Wirklichkeit der Idee sowohl im Element der Logik, als auch im Element des sich auf die Vorstellung beziehenden Nachdenkens erkennt.134 Das Besondere von Hegels Wissenschaft des Absoluten besteht darin, dass das endliche, vorstellende Denken aus einem ihm immanenten Trieb über sich hinaus vorangetrieben wird und dass es, zum „Resultat“ sich erhebend, die Wirklichkeit der Idee als sein Innerstes erkennt. Wie das zu verstehen ist wird von Hegel folgendermaßen beschrieben: Wenn das Wissen von der Idee, d.i. von dem Wissen der Menschen, dass ihr Wesen, Zweck und Gegenstand die Freiheit ist, spekulativ ist, so ist diese Idee selbst als solche die Wirklichkeit des Menschen, nicht die sie darum haben, sondern (die) sie sind.135
Erst das Wissen von der Freiheit als dem Wesentlichen des Menschen erhebt somit in die Wirklichkeit der Idee. Durch die Umkehr der Denkrichtung und das Sicherheben in den freien Akt des Denkens ist die Freiheit nicht mehr nur ein Trieb, der seine Befriedigung fordert, sondern sie wird zum Charakter des Menschen. Freiheit wird so „das zum trieblosen Sein gewordene geistige Bewusstsein“, sie entwickelt sich „zur rechtlichen, sittlichen und religiösen wie wissenschaftlichen Wirklichkeit.“136 Um zu begreifen, was Hegel unter „Vorstellung“ versteht, muss ihre Doppeldeutigkeit verstanden werden. Sie besteht darin, dass sich das vorstellende Denken auf ein Vorausgesetztes bezieht, das es selbst – unwissend – gesetzt hat. Der Drang der Vorstellung, das anscheinend selbständige Vorausgesetzte zu vereinnahmen, es zu verinnerlichen und zum Eigentum zu machen, ist nur durch das Ausüben der Macht an diesem scheinbar Anderen möglich. Es handelt sich dabei jedoch letztendlich um eine Macht, die die Vorstellung an sich selbst ausübt. Vorstellung ist einerseits das Ergebnis einer die Differenzen hervorbringenden Tätigkeit des 134
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Logik, Naturphilosophie und Philosophie des Geistes sind „Bestimmungen der Idee selbst […] die sich in diesen verschiedenen Elementen darstellt“ (Enz. TW 8, § 18). G.W.F. Hegel: Enz. TW 10, § 482 A. G.W.F. Hegel: Enz. TW 10, § 482 A.
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Absoluten, andererseits bleibt sie in unfreien Machtverhältnissen gefangen. Vorstellung ist die absolute Tätigkeit, die aus der Schöpfung nicht wieder zu sich selbst zurückfindet, sondern in der scheinbaren Objektivität ihrer eigenen Schöpfung verloren bleibt. Das Verführerische an der Macht ist ja, dass sie in sich das Moment des Hervorbringens enthält und dadurch als Wahrheit missverstanden werden kann. Die Macht der Vorstellung verdunkelt das dauernde Produzieren des Denkens, indem sie ein Vorausgesetztes setzt und es als Gegebenes missdeutet. Das Vorausgesetzte ist dasjenige, das von der Vorstellung als etwas Affirmatives und Positives betrachtet wird. So ist im kosmologischen Gottesbeweis die Welt die Voraussetzung und der Ausgangspunkt, von dem zum Gottesbegriff weitergegangen wird. Diese vorstellende Art des Gottesbeweises ist jedoch, so Hegel, mangelhaft, denn die Welt ist keine Voraussetzung, von der aus zum Gottesbegriff übergegangen werden könnte. Die Welt ist vielmehr „nur ein Fallendes, Erscheinendes, an und für sich Nichtiges“,137 der Kampfplatz der Menschen. Ihre Nichtigkeit besteht in ihrem Gesetztsein und der Trennung von ihrem Schöpfer. Von Nichtigem und Endlichem kommt man aber nicht zum Unendlichen. Das ist, wie Hegel bemerkt, die berechtigte Kritik Jacobis. Jacobi übersehe aber, dass das vernünftige Denken – anders als das vorstellende und reflektierende – die Endlichkeit der Welt als einen wesentlichen Teil der prozessualen absoluten Bewegung begreift und so ihre Vermittlung, d.h. ihr Verhältnis zu dem Unendlichen, als ein Moment des Unendlichen selbst. Denn das ist die „wahrhafte Natur des Denkens, in der Vermittlung die Vermittlung selbst aufzuheben“138 und so zwei voneinander getrennte Seiende zu dem einen in sich gegenläufigen Ganzen zu erheben. 3.6.2 Der eigentliche Schauplatz des Kampfes: der subjektive Geist In Hegel-Literatur wird das Motiv des Kampfes, außer bei der Gestalt des unglücklichen Bewusstseins in der Phänomenologie, wo der Kampf das Element seines ganzen Selbst- und Weltverhältnisses ausmacht, vor allem als „der Kampf des Anerkennens“, der zwischen Selbstbewusstsein und Selbstbewusstsein geführt wird und „auf Leben und Tod“ ausgerichtet ist, diskutiert.139 Begründet ist dieser Kampf in der Leiblichkeit140 des Selbstbewusstseins und dem auf ihr sich gründenden Selbstgefühl,141 dessen wesentliches Merkmal wiederum die Begierde ist.142 Sie hat ihre Wurzeln 137 138 139 140 141 142
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G.W.F. Hegel: Enz. TW 8, § 50 A. G.W.F. Hegel: Enz. TW 8, § 50 A. G.W.F. Hegel: Enz. TW 10, §§ 432. G.W.F. Hegel: Enz. TW 10, § 401. G.W.F. Hegel: Enz. TW 10, § 431. G.W.F. Hegel: Enz. TW 10, § 426.
in der, wie es in der Phänomenologie heißt, „Doppelsinnigkeit“ des Selbstbewusstseins, unendlich und endlich zu sein, auf sich selbst bezogen und auf die empirische Welt. Seine Selbstbeziehung ist dem Selbstbewusstsein seine Wahrheit, seine Weltbeziehung ist ihm die Sphäre der Erscheinung. Seine Begierde ist darauf ausgerichtet, diesen Gegensatz aufzuheben und auch im Anderen mit sich identisch zu werden. Nur durch das Aufheben dieses Gegensatzes kann es seiner selbst vollständig gewiss werden – das ist der Fluch des Selbstbewusstseins und der Grund für den Kampf um Anerkennung. Dramatisch wird dieser Hunger des Selbstbewusstseins nach Selbstgewissheit durch die angestrebte Vernichtung des selbständigen, von ihm unabhängigen Anderen, weil dieses Andere selbst ein Selbstbewusstsein ist. Der Kampf des Lebendigen mit anderem Lebendigen – der eigentlich, da dieses Andere gebraucht wird, ein Kampf gegen sich selbst ist – ist die im Selbstbewusstsein liegende Versuchung, die Identität und Selbstvergewisserung durch die Negation des Anderen zu erreichen, statt durch die Integration in ein Ganzes, das der allgemeine Geist ist. Die Vernichtung des Anderen im Kampf auf Leben und Tod wird von Hegel mit folgendem Ausdruck, der in seiner Bedeutung hervorgehoben werden muss, beschrieben: Die Selbstbewusstseine „müssen in diesen Kampf gehen“ und so zeigen, dass an ihnen „nichts vorhanden“ ist, was für sie „nicht verschwindendes Moment wäre“.143 Alles hat zu verschwinden, alles soll vernichtet werden, auch das Leben selbst, weil die absolute Tätigkeit des Geistes ein Ganzes ist, das sich als Ganzes negiert. Vor diesem Hintergrund wird deutlich wie unangemessen es ist, die Bewegung des Anerkennens zu einem bedeutenden Moment in Hegels Philosophie zu erheben. Dass sich die Selbstbewusstseine anerkennen als gegenseitig sich anerkennend144 kann dem Sturm des Selbstvernichtungswillens, der im Wesen des Geistes selbst begründet ist, nichts Dauerhaftes entgegensetzen. Es ist für Hegel deshalb die Erschütterung des ganzen Lebens in der „Furcht des Todes“ und die daraus sich entwickelnde Bildung zur Freiheit durch Arbeit, die die Begierde nach Selbstgewissheit befriedigen kann. Nicht gegenseitiges Anerkennen,145 sondern die das Substantielle erschütternde „absolute Furcht“, die „Zucht des Dienstes und Gehorsams“, die Arbeit und das „Bilden des Dinges“, das ein Selbstbilden ist, befrieden den inneren und äußeren Krieg. Sie werfen das Selbstbewusstsein aus dem Kampf- und Anerkennungsverhältnis, also aus dem Verhältnis zu anderen Selbstbewusstseinen, auf das Wesentlich zurück: auf sich selbst und auf 143 144 145
G.W.F. Hegel: PhG GW 9, S. 111. G.W.F. Hegel: PhG GW 9, S. 110. Thomas Oehl bezeichnet den Kampf um Anerkennung treffend als „eine Tragödie der reziproken Inhumanität“. In: Die Aktivität der Wahrnehmung und die Metaphysik des Geistes, Tübingen 2021, S. 402.
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das in ihm, das es übersteigt, das aber nicht ein anderes Selbstbewusstsein ist, sondern sein eigenes in sich gespaltenes Wesen. Dass der Kampf um Anerkennung im Übergang zum allgemeinen Selbstbewusstsein und dann weiter zu sittlichen Formen der Familie, des Vaterlandes, des Staats, sowie zu den Tugenden, der Liebe usw. mündet,146 bedeutet bekanntlich nicht, dass dadurch die Begierde, in einem aussichtslosen Kampf das Ganze aufs Spiel zu setzen, verschwindet. Wie ein Fluch kehrt der „stete Krieg“ immer wieder zurück. Das für das Thema ‚der in der Natur des Denkens wurzelnde immerwährende Kampf‘ wichtige Kapitel ist jedoch nicht das Anerkennungskapitel der Phänomenologie, sondern das Psychologie Kapitel der Enzyklopädie. Dort werden, auf den ersten Blick, vor allem die für eine Erkenntnistheorie grundlegenden Begriffe Anschauen, Vorstellen und Denken verhandelt. Dieser Teil der enzyklopädischen Philosophie sei deshalb, so die allgemein anerkannte Einschätzung, eine Theorie des erkennenden Subjekts,147 in der sich der Geist als der epistemische Urheber des Seienden erkennt.148 Hegel entwickle mit dem Begriff des freien Geistes ein epistemisches Modell mit dessen Hilfe gezeigt werden könne „wie ein endliches Subjekt dazu kommen kann und muß, sich als Instanz in der Selbsterfassung der Idee aufzufassen“.149 Der Philosophie des subjektiven Geistes gehe es in ihrem theoretischen Teil um die „Verteidigung unseres alltäglichen Vertrauens darauf, dass die Wirklichkeit unseren epistemischen Leistungen zugänglich ist“.150 Die Vorstellung stehe dabei für das von der falschen Voraussetzung der Trennung von Erkennen und Gegenstand ausgehende philosophische Wissen. Hegels Epistemologie sei die Zurückweisung dieser Trennung und die Rehabilitierung des Alltagsrealismus und des common sense; sie sei darin mit den Philosophischen Untersuchungen von Wittgenstein verwandt. Zu dieser Entdeckung von Hegel als Epistemologen gehört nicht nur die Konzentration der Interpretationen auf die Begriffslogik und die dort entwickelte Idee des Erkennens und des Wahren, sondern auch die Be-
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G.W.F. Hegel: Enz. TW 10, § 436. Jens Rometsch: Hegels Theorie des erkennenden Subjekts: systematische Untersuchungen zur enzyklopädischen Philosophie des subjektiven Geistes, Würzburg 2007, S. 17. Jens Rometsch: Hegels Theorie des erkennenden Subjekts, S. 245. Jens Rometsch: Hegels Theorie des erkennenden Subjekts, S. 258f. Christoph Halbig: „Vorstellung und Denken als epistemologische und als metaphilosophische Kategorien bei Hegel“, in: Spekulation und Vorstellung in Hegels enzyklopädischem System, Hg. Kazimir Drilo und Axel Hutter, Tübingen 2015, S. 157–178; hier S. 157.
schäftigung mit der Philosophie des subjektiven Geistes, insbesondere mit dem Psychologie-Kapitel der Enzyklopädie.151 Die Widerlegung des „Mythos des Gegebenen“ ist gemäß diesem Interpretationsansatz das Hauptthema der enzyklopädischen Philosophie des Geistes, und zwar nicht nur des subjektiven, sondern auch des objektiven Geistes. Als Bezugspunkt dieser Interpretation dient Wilfried Sellars Empiricism and the Philosophy of Mind. Sellars erwähnt Hegel als diejenige Instanz, an der es sich bei der Widerlegung des Mythos des Gegebenen zu orientieren lohnt. Dieser Text kann als die Initialzündung für die Entdeckung von Hegel als Epistemologen betrachtet werden. Diese an Fragen der Epistemologie, des Realismus, Pragmatismus und common sense sowie an der idealistischen Kritik des Repräsentationalismus interessierten Interpretationsansätze soll man in ihrer Bedeutung würdigen, aber auch in ihnen eine weitgehende Verfehlung des von Hegel Beabsichtigten erkennen. Hans Friedrich Fulda stellt dazu zutreffend fest: Nachdem seine Wissenschaft der Logik vorübergehend als Steinbruch für eine ‚Kategorienlehre‘ hatte herhalten sollen und dann die Phänomenologie des Geistes Erwartungen anregte, welche in ‚philosophische Anthropologie‘ gesetzt wurden, während der marxistischen Beerbung Hegels vor allem die ‚dialektische Methode‘ für eine materialistische Lehre von der Natur, der Gesellschaft und der Menschengeschichte brauchbar schien, wurde in jüngster Vergangenheit wieder die Hegel’sche Logik mit ihren Inhalten attraktiv – aber nun als eine Metaphysikkritik oder ‚kritische Darstellung der Metaphysik‘. Die Gegenwart hingegen scheint Hegel als Epistemologen zu entdecken, als den man ihn spätestens seit dem jüngeren Fichte am wenigsten gesehen hatte.152
Wenn man sich jedoch dieses Kapitel genauer ansieht wird, entgegen der Meinung der Interpreten, die Hegel als Epistemologen „entdecken“, deutlich, dass das stufenweise Sich-Erheben auf den Standpunkt des spekulativen Denkens, auf dem der Mythos des Gegebenen sozusagen „therapiert“ wird, für den endlichen, vorstellenden Geist nicht primär die Bedeutung hat von einem „personal standpoint of view“ zu einem „impersonal standpoint of view“ überzugehen, wobei der „impersonal standpoint“ dabei als 151
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So heißt es bei Miriam Wildenauer: „In der Lehre vom subjektiven Geist begreifen wir, daß und wie wir als konkrete Individuen die in der logischen Idee des Wahren gedachte epistemische Einstellung erreichen und überwinden. Indem wir in der Psychologie begreifen, daß und wie wir die epistemische Einstellung theoretischen Erkennens, die wir als Bewußtsein ausüben, überwinden, befreien wir uns von theoretischen Formen des Mythos des Gegebenen. Die Freiheit, die wir so erreichen, ist eine Freiheit im und durchs Denken.“ In: Miriam Wildenauer: „Epistemologie des freien Denkens. Die logische Idee in Hegels Philosophie des endlichen Geistes“, Hegel-Studien Beiheft 47, Hamburg 2004, S. 237. Hans Friedrich Fulda: „Hegels Logik der Idee und ihre epistemologische Bedeutung“, in: Hegels Erbe, Hg. Christoph Halbig et al., Frankfurt am Main 2004, S. 78.
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dasjenige verstanden wird, das uns Menschen gemeinsam auszeichnet. In diesem Modell ist der letzte Horizont der Erkenntnis das, was Pirmin Stekeler-Weithofer als „Begriff oder Idee, das Gesamt der Möglichkeiten geistiger Erfassung der Welt“ bezeichnet, wobei die Möglichkeit dieser Erfassung „für jeden von uns nur im Rahmen einer humanen Kulturtradition, einer großangelegten Kooperation in der Bereitstellung von Mitteln im Wissen und Können, in Wissenschaft und Technik und der Entwicklung von Kultur- und Lebensformen in Staat und Gesellschaft, Religion und Kunst“ besteht.153 Für Anton Friedrich Koch wiederum ist das Subjekt der Logik, die absolute Idee die sich zum absoluten Geist entwickelt, „ein Platzhalter für uns, die gewöhnlichen Subjekte“ und nicht ein überindividuelles „Pseudosubjekt“: „Von Anfang an gilt: nostra res agitur“.154 Diese Lebenswelt bzw. der Kulturraum ist, gemäß den hier angeführten Interpretationen, das Andere des endlichen Subjekts, in dem dieses bei sich selbst ist und in dem es sich als frei erkennt.155 Es stellt sich aber die Frage: Was, wenn der Übergang des vorstellenden Subjekts auf den Standpunkt der Spekulation in Verhältnis zu einem ganz anders gearteten Anderen steht, als es die sittlich-geschichtliche Welt ist? Was, wenn „wir“ Menschen, nicht „alles selbst“ machen,156 der letzte Horizont unserer Erkenntnis also nicht die von Menschen gemachte Kultur ist, sondern die in uns wirkende absolute Tätigkeit, die Anfängliche, schöpferisch Hervorbringende und Zerstörende? Und das ist in der Tat der Fall, wie das Beispiel des Übergangs der religiösen Vorstellung in Philosophie zeigt: Auf dem Übergang zu Philosophie tritt die religiöse Vorstellung nicht in den großen logischen, kulturellen, geschichtlichen oder lebensweltlichen Raum ein, in dem sie sich immer schon befunden hatte, sondern wird vom Absoluten, mit dem sie sich „in dem Schmerze der Negativität“ vereint weiß, als philosophisches Erkennen ‚gerettet‘.157 Dieses Absolute ist nicht jenseits des vorstellenden Denkens zu suchen und es ist nicht zu identifizieren als dasjenige, das allen Menschen gemeinsam ist (obwohl es das auch ist), nämlich als 153 154
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Pirmin Stekeler-Weithofer: „Hegels Naturphilosophie. Versuch einer topischen Bestimmung“, in: Hegel-Studien Band 36, Hamburg 2001, S. 117–145; hier S. 140ff. Anton Friedrich Koch: „Metaphysik und spekulative Logik“, in: Metaphysik heute – Probleme und Perspektiven der Ontologie, Hg. M. Lutz-Bachmann und T.M. Schmidt, Freiburg/München 2007, S. 40–56; hier S. 48f. Martin Wendte sieht darin zu Recht eine „Verkürzung der zu bedenkenden Sachverhalte“, da „Koch keine Entitäten postuliert, die über die implizit-lebensweltliche Ontologie hinausgehen“ und nicht „dasjenige Andere“ denkt, „von dem her das Kontingente ist.“ In: Die Gabe und das Gestell, Tübingen 2013, S. 108. Vgl. Immanuel Kant: „Daß noch etwas außer mir sey ist ein Product von mir selbst. Ich mache mich selbst. […] Wir machen alles selbst.“, in: Opus postumum, Akademie-Ausgabe, Band 22, S. 82. G.W.F. Hegel: Enz. TW 10, § 570.
„Gott“, „Kultur“ und als der objektive Geist. Das Absolute ist aber auch nicht das Gesamtsystem der Logik und die Totalvermittlung von Denken und Sein, denn die Logik ist, nach Hegels eigenen Worten, ansichseiend, abstrakt und ein „Schattenreich“. Wo ist es aber dann zu suchen? Es wird sich zeigen, dass mit guten Gründen angenommen werden kann, dass es nicht der Vorstellungsbegriff „Gott“ oder eine jenseitige Entität ist, aber auch nicht die Gemeinschaft der empirischen Subjekte, sondern das spekulative Denken, das sich zur schöpferischen Tätigkeit „selbst erweckt“.158 Das Absolute ist dabei immer als die sich selbst erweckende Tätigkeit des Denkens zu verstehen. Zu betonen ist deshalb Folgendes: Nicht die Kritik der repräsentationalistischen Deutung von Erkennen steht im Zentrum von Hegels Interesse, sondern die Frage nach den wirkenden Kräften im vorstellenden Denken, nach deren Ursache, aber auch nach der Möglichkeit, sich durch sie auf den Weg zur Selbsterkenntnis zu begeben, als freier Geist zu begreifen und so, aus dieser Erkenntnis heraus, ein neues, nicht mehr nur vorstellendes Denken einzuüben. Jede Erkenntnisform, um die es in der Enzyklopädie geht, ist auf die Erkenntnis „des Wahrhaften des Menschen wie des Wahrhaften an und für sich“ ausgerichtet um muss im Hinblick auf diese Zielrichtung interpretiert werden.159 Selbstverständlich gilt das auch für die Erkenntnisvermögen Anschauung, Vorstellung und Denken. Auch sie sind ein Teil der Entwicklungsgeschichte des Geistes zu der wahren Selbsterkenntnis. Das ist die Befreiungsgeschichte des Denkens aus seiner Naturhaftigkeit und der ihr innewohnenden Macht, die sich als „Kausalität“ äußert. Die Frage des Psychologie-Kapitels lautet somit: Wie erhebt sich der endliche, naturbehaftete, in Kausalitätsverhältnissen befangene vorstellende Geist zu seiner Vollendungsgestalt als der wahrhaft freie Geist? Das PsychologieKapitel ist die Darstellung der auf Macht und Gewalt beruhenden aneignenden Macht des vorstellenden Denkens und der Weg der Befreiung aus dieser Naturverbundenheit. Dass diese Befreiung erkennend stattfindet, wird von Hegel eigens betont und auch, dass es sich dabei auf der Stufe der Philosophie des Geistes nicht mehr um das „bloß“ logische Erkennen handelt, so wie es noch in der Logik der Fall war; jetzt geht es um das Erkennen des Geistes.160 Der Geist, der zum Thema der Untersuchung gemacht wird, hat nicht mehr einen von ihm unterschiedenen Gegenstand, auf den er sich bezieht. Hegel betont, dass der Geist aus einem anderen Grund endlich ist als a) die Seele, die „unmittelbar oder von Natur bestimmt ist“ und sich vom Leib unterscheidet161 und b) als das Be158 159 160 161
G.W.F. Hegel: Vorlesungen über die Beweise vom Dasein Gottes, TW 17, S. 410. G.W.F. Hegel: Enz. TW 10, § 377. G.W.F. Hegel: Enz. TW 10, § 387. G.W.F. Hegel: Enz. TW 10, § 441.
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wusstsein, in dem das Ich von der Realität, auf die es sich bezieht, unterschieden ist. Diese Dualismen sind nicht mehr das Thema des PsychologieKapitels. Der Geist, der hier betrachtet wird ist endlich, weil er noch nicht sein Wesen, seinen Begriff erkennend erfasst hat, weil der theoretische von dem praktischen Geist noch unterschieden ist und weil er noch mit „Unmittelbarkeit“, Gegebenheit, eben mit Naturhaftigkeit behaftet ist. Die Endlichkeit des Geistes besteht in seinem noch mangelhaften Wissen, das sein Anundfürsichsein noch nicht erreicht hat und darin, dass die Vernunft sich noch nicht zu ihrer vollen Gegenwart im Denken entwickelt hat. Diese beiden gegenläufigen Bewegungen, also die Bewegung von endlichem Geist zu seinem Anundfürsichsein als Vernunft und die Bewegung der Vernunft zu ihrer Verwirklichung als endlicher Geist erweisen sich als konstitutiv für die verschiedenen Vermögen des Geistes, zu denen auch die Vorstellung gehört. Die Vermögen des Geistes (Anschauung, Vorstellung, Denken, Wollen) spiegeln diese Doppelbewegung wider: Die Vorstellung ist auf dem Weg zu ihrem Anundfürsichsein als Vernunft; die Vernunft wiederum manifestiert sich auch in der Vorstellung. Obwohl sie sich in ihrer entäußernden Bewegung verendlicht, ist die Vernunft zugleich die Bewegung ihre endliche Form aufzuheben und sich selbst zu begreifen. Wir können daher festhalten: Vorstellung ist eine Manifestation des Geistes, die dazu bestimmt ist, ihre Realität dem Begriff des Geistes anzupassen bzw. ihr Selbstverständnis der Realität des Geistes anzugleichen und sich so als Vernunft zu erkennen. Der Endzweck der Selbsterkenntnisbewegung der Vorstellung ist die Befreiung von dem unmittelbaren Gefangensein in Machtbeziehungen und Kausalverhältnissen.162 Die Vorstellung gehört in die Geschichte der Befreiung des Geistes zu seinem Anundfürsichsein, das Kapitel der Enzyklopädie über den subjektiven Geist ist die Darstellung der Geschichte dieser Befreiungsbewegung. Den Gang der Befreiung beginnt der Geist indem er das Objekt, auf das er sich vorstellend bezieht, als „das Seinige“ setzt. Der praktische Geist wiederum befreit den Willen von der Subjektivität und erhebt ihn zum objektiv Seienden. Der theoretische und der praktische Geist sind, wie Hegel wiederholt betont, gegenläufige Formen der einen Vernunft und bringen beide auf verschiedenen Wegen die Einheit des Subjektiven und Objektiven hervor. Beide, der theoretische und der praktische Geist, sind in ihrer Befreiungsgeschichte hervorbringend tätig: der theoretische Geist bringt die ideelle Welt und der praktische die abstrakte Selbstbestimmung hervor. Das sind jedoch erst noch formelle Produktionen. Die Produkte des theoretischen Geistes gehen nach innen und verwandeln sich in „das Wort“, die Produkte des praktischen Geistes gehen nach außen und wer162
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G.W.F. Hegel: Enz. TW 10, § 442 A.
den zum Genuss. Es zeigt sich, dass auch der praktische Geist als Wille der vorstellende Geist ist. Wort und Genuss als Produkte des Geistes begegnen deshalb im Kapitel über die Religion als zwei Eigenschaften der religiösen Vorstellung. Durch das Wort überwindet die religiöse Vorstellung die Festlegung auf religiöse Bilder, im Genuss des Kultus und der Andacht erfährt sie sich als mit dem Objekt der Anbetung vereinigt. Die gewaltsame Umformung des äußeren Gegenstandes in das Innere der Intelligenz ist die eigentliche Wurzel der überwältigenden Macht des theoretischen Geistes, so wie andererseits der Kampf mit dem Willen anderer Subjekte die Wurzel der dem praktischen Geist innewohnenden Gewalt ist.163 Der Befreiungsweg des Geistes von der Vorstellung zur Vernunft ist mit der Überwältigung des Widerständigen verbunden, sowohl des Gegenstandes der Vorstellung als auch des Willens der Anderen. Ein wichtiger Punkt, den man leicht übersieht, ist der, dass wahres Erkennen nur dann stattfindet, wenn auch der Inhalt der Intelligenz vernünftig ist. Das bedeutet aber, dass eine vollständig entwickelte Erkenntnistheorie in der Sphäre des subjektiven Geistes gar nicht möglich ist, denn dort geht es um einen noch unvollkommenen Erkenntnisbegriff, in dem der Inhalt ein sinnlicher ist und eben noch kein geistiger Inhalt. Der voll entwickelte Erkenntnisbegriff ist daher erst in der Sphäre des absoluten Geistes erreicht, mit den vernünftigen Inhalten der Kunst, der Religion und der Philosophie, in denen die Macht des Denkens den Inhalt hervorbringend und nicht nur vereinnahmend und mit Gewalt überwältigend ist. Wahres Erkennen findet somit nur in der Sphäre des absoluten Geistes statt und ist das Erkennen des Vernünftigen, das man immer schon ist, oder genauer gesagt: des Vernünftigen, das immer schon im Denken wirkt. Dieses wahre Erkennen ist das Selbsterkennen des Geistes und zugleich das Selbsterkennen des philosophierenden Subjekts, das nicht mehr das ihm noch Fremde, einen äußeren Gegenstand also, sondern sein „Wahrhaftes“ erkennt. Dieses ist die Fähigkeit zu der genussvollen schöpferischen Tätigkeit – eben das, was das Ende der Enzyklopädie im § 577 als die Idee der Philosophie bestimmt.164 163 164
G.W.F. Hegel: Enz. TW 10, § 444 Z. Michael Theunissen hat mit guten Gründen vorgeschlagen, dieses ‚Wahrhafte‘ so zu verstehen, dass es nicht nur die theoretische Erkenntnis ist, sondern auch die wahrhafte personale Existenz einschließt. Siehe Michael Theunissen: „Begriff und Realität. Hegels Aufhebung des metaphysischen Wahrheitsbegriffs“, in: Seminar: Dialektik in der Philosophie Hegels, Hg. Ralf-Peter Horstmann, Frankfurt a.M., 1978, S. 324–359; hier S. 349ff.: „Folglich vermag der Mensch, der sich in der Endlichkeit einrichtet, ebensowenig ein wirkliches Selbst zu sein wie die Dinge im engen und strengen Sinne des Wortes. Die einzige Chance seines Selbstseins besteht darin, daß er sein Dasein zur Realität des Begriffs bildet.“ Der folgenden Schlussfolgerung, die Theunissen daraus zieht, ist aber nicht zuzustimmen: „Dann aber nimmt er als Ge-
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Zu dem wahren Erkennen erhebt sich die Intelligenz in ihrem Gang durch die verschiedenen Vermögen des Geistes. Der Weg fängt mit der Gewissheit und dem Glauben an, sie habe die Fähigkeit zur vernünftigen Selbsterkenntnis. Diese teleologische Ausrichtung der Intelligenz ist ein wesentlicher Bestandteil des Geistbegriffs. Mit ihr ist das Fortschreiten des Geistes, die Entwicklung zu seinem wahren Begriff angezeigt. Diese Entwicklung ist die Manifestation des Geistes in den endlichen Vermögen der Intelligenz und die in dieser Manifestation vollzogene Rückkehr zu sich.165 Der Gang zu sich selbst durch die mangelhaften Gestalten ist nur im Rahmen eines teleologischen Zusammenhangs zu verstehen, in dem sich die Intelligenz immer schon befindet. Die Intelligenz ist das Erkennen, dieses ist ihre Wirklichkeit. Sie hat nicht, wie Hegel betont, nur das Vermögen des Erkennens. Deshalb ist eine Trennung der verschiedenen Geistestätigkeiten Erkennen, Anschauung, Vorstellung, Erinnerung und Einbildung dem Erkenntnisphänomen nicht angemessen.166 Die äußere Reflexion trennt diese Vermögen voneinander, die Wirklichkeit der Intelligenz ist aber, so Hegel, das Erkennen in seiner Totalität. So sind Anschauung und Vorstellung Momente der sich realisierenden Tätigkeit des Geistes, ihr Ziel ist die sich durchsichtig gewordene Selbsterkenntnis. Als voneinander isolierte Vermögen werden Anschauung und Vorstellung, Erinnerung und Einbildung zu endlichen Vermögen des Geistes und geraten so in einen scheinbaren Gegensatz zum wahrhaften Erkennen. Das Erkennen, als Totalität verstanden, enthält jedoch alle diese Vermögen als seine Momente in sich: Die wahre Befriedigung aber, gibt man zu, gewähre nur ein von Verstand und Geist durchdrungenes Anschauen, vernünftiges Vorstellen, von Vernunft durchdrungene, Ideen darstellende Produktionen der Phantasie usf., d.i. erkennendes Anschauen, Vorstellen usf. Das Wahre, das solcher Befriedigung zugeschrieben wird, liegt darin, daß das Anschauen, Vorstellen, usf. nicht isoliert, sondern nur als Moment der Totalität, des Erkennens selbst, vorhanden ist.167
Das wahrhafte, erkennende Vorstellen ist deshalb noch nicht das Thema des Kapitels über den subjektiven Geist. Eine Epistemologie auf dem Boden des subjektiven Geistes machte deshalb keinen Sinn. Erst mit der in dem Kapitel über den absoluten Geist dargestellten Totalität des Erkennens ist von dem wahrhaft erkennenden Vorstellen die Rede. Es sind
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stalt des absoluten Geistes selber am Absoluten teil, erhoben über die Endlichkeit der Dinge und des von ihnen bestimmten Menschenlebens.“ Der absolute Geist ist der „Endlichkeit der Dinge und des von ihnen bestimmten Menschenlebens“ eben nicht enthoben. G.W.F. Hegel: Enz. TW 10, § 442. G.W.F. Hegel: Enz. TW 10, § 445 A. G.W.F. Hegel: Enz. TW 10, § 445 A.
Kunst, Religion und schließlich philosophische Spekulation, die sich als Totalität des wahrhaften Erkennens erweisen, in dem die erkennende Anschauung und die erkennende Vorstellung als nun verwandelte Gestalten aufgehoben sind. Hegels organischer Erkenntnisbegriff ist nicht nur gegen die als Gegensatz fixierten Trennungen Subjekt – Objekt, Wissen – Gegenstand, epistemische Leistung – Wirklichkeit gerichtet, sondern auch gegen die Trennung endliches Erkennen (Anschauung, Vorstellung) – wahrhaftes Erkennen (Spekulation). Hegel bezeichnet die Selbstreproduktion der Intelligenz als das Schwere, aber auch das einzig Interessante und als dasjenige, worum es in dem Kapitel Psychologie eigentlich geht. Die „große Frage neuerer Zeit, ob wahrhaftes Erkennen, d.i. die Erkenntnis der Wahrheit möglich sei“, sei dagegen nur ein Scheinproblem, von dem es sich zu lösen gilt.168 Die Frage nach dem wahrhaften Erkennen ist dann ein Scheinproblem, wenn sie nach der Möglichkeit einer wahren Erkenntnis von (vom Subjekt getrennten) Objekten fragt und die Vermögen der Intelligenz voneinander isoliert. In einer Philosophie aber, die das Erkennen als das Selbsterkennen des Geistes und als Einheit von Subjekt und Objekt auffasst, bleibt die Frage nach der Realität unserer Objekterkenntnis bloß eine Etappe auf dem Weg der Befreiung der Intelligenz zu ihrem wahren Begriff. Und das ist eine Etappe, die, so Hegel, nicht besonders interessant ist. Vor diesem Hintergrund darf daher gesagt werden, dass eine Interpretation des enzyklopädischen Kapitels Psychologie, die unter dem Gesichtspunkt des Interesses an den Fragen der epistemologischen Repräsentation durchgeführt ist, in Hegels Augen eine nicht sehr wichtige und sogar überflüssige Angelegenheit ist. Außerdem lenkt sie den Blick davon ab, worauf es wirklich ankommt: auf die Überwindung der Machtbeziehungen, in die das Subjekt in seinem Verhältnis zum Objekt verwickelt ist. 3.6.2.1 Die anschauende Intelligenz Wie sieht der Befreiungsgang durch die mangelhaften Gestalten des Geistes zum wahren Erkennen konkret aus? Zu erinnern ist, dass er die zunehmende wissende Aneignung der absoluten, in sich doppeldeutigen absoluten Tätigkeit ist, angefangen bei der „Anschauung“. Das Eigentümliche der Anschauung besteht nun darin, dass sie sich auf ein Ganzes bezieht: auf einen unmittelbar gegebenen Gegenstand, den sie, ihn empfindend, auf ihn aufmerksam seiend und an ihn sich erinnernd, in Besitz nimmt. So ist die Anschauung die erste Form, in der die Intelligenz als konstruierend auftritt. Die Intelligenz bestimmt sich zu einem noch unmittelbaren Ganzen, indem sie sich aufmerksam auf einen gegebenen Inhalt richtet und in dieser Ausrichtung bei sich bleibt. Dieses Beisichsein 168
G.W.F. Hegel: Enz. TW 10, § 445 A.
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in der aufmerksamen Ausrichtung auf den Gegenstand nennt Hegel die „tätige Erinnerung“, die zugleich mit der auf den Gegenstand gerichteten Aufmerksamkeit auftritt.169 Aufmerksamkeit und Erinnerung sind zwei Momente der Intelligenz; beide sprengen sie die scheinbare Unmittelbarkeit der Anschauung von innen auf. In dieser Angewiesenheit auf Aufmerksamkeit zeigt sich für Hegel die Unvollkommenheit der intellektuellen Anschauung im Unterschied zu der erkennenden Anschauung. Die erkennende Anschauung ist eine der vollständig entwickelten Erkenntnis. Wenn „die ganze Sache“ vor mir steht, wenn ich sie durch Aufmerksamkeit von mir unterschieden und durch Erinnerung verinnerlicht habe, diese zweifache Bewegung aber noch nicht „für mich“ ist, kenne ich diese Sache zwar, habe sie aber noch nicht erkannt.170 Dann aber, in der vollständig entwickelten Erkenntnis, die das Resultat der Befreiungsbewegung der Intelligenz sein wird, ist die Sache „wieder zurückgedrängt“ in die Anschauung, die jetzt nicht mehr die unmittelbare, sondern die erkennende ist. So wie Hegels Konzept einer vermittelten Unmittelbarkeit zu der vollständig entwickelten Erkenntnis gehört, im Unterschied zu der ersten Unmittelbarkeit, die durch die Bewegung der Negation aufgelöst wird, so ist auch die erkennende, „wahrhafte“ Anschauung im Unterschied zu der unmittelbaren, von der in dem Kapitel über den subjektiven Geist noch die Rede ist, ein wesentliches Moment der philosophischen Erkenntnis. Anschauung ist zwar in ihrer noch unmittelbaren Form die unentwickelte Einheit des Geistes mit dem Objekt und in diesem Sinne noch geistlos.171 Es ist die Aufmerksamkeit, die das Moment der Differenz in die Anschauung bringt. Als tätige Erinnerung ist sie beides: Trennung und Einheit des Subjektiven und des Objektiven. Diese ambivalente Natur der Aufmerksamkeit ist auch für die folgenden Erkenntnisgestalten des Geistes bezeichnend.172 Ohne die erinnernde Aufmerksamkeit wäre kein erkennendes Erfassen des Gegenstandes möglich. Das Merkmal der Aufmerksamkeit – die Spannung von Einheit und Trennung des Subjektiven und des Objektiven – bleibt somit in weiteren Gestalten der Intelligenz bestehen, allerdings zunächst noch als die noch nicht begriffene Spannung. Auch das philosophische Begreifen, zu dem sich das endliche Subjekt erheben soll, verfügt nicht über eine andere Aufmerksamkeit (und eine andere Erinnerung) als die der anschauenden Intelligenz und auch nicht über eine andere Empfindung, die ja die ganze Vernunft und den „gesamte[n] Stoff des Geistes“ umfasst.173 Erinnerung und Aufmerksam169 170 171 172 173
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G.W.F. Hegel: Enz. TW 10, § 448. G.W.F. Hegel: Enz TW 10, § 448 Z. G.W.F. Hegel: Enz. TW 10, § 448 Z. G.W.F. Hegel: Enz. TW 10, § 447 Z. G.W.F. Hegel: Enz. TW 10, § 447 Z.
keit bleiben Merkmale auch des philosophischen Denkens. Das begreifende spekulative Denken in seiner Fülle ist ein Ganzes und es behält alle Merkmale, die es ausmachen. Es ist daher in seiner höchsten Gestalt nicht mit dem die Vorstellung ausschließenden reinen Denken der Logik zu identifizieren. Es behält auch dieses in sich, aber eben auch das vorstellende Denken. Das begreifende philosophische Denken ist die Einheit des anschauenden, vorstellenden und reinen Denkens. In dieser Einheit ist es das Denken, das aus der in ihm wirkenden, hervorbringend-trennenden Vernunft denkt und lebt. Die Aufmerksamkeit verleiht dem „Stoff“ des Gegenstandes auf den sie sich bezieht in ihrer als Geist weiterentwickelten Form die „vernünftige Bestimmung, das Andere seiner selbst zu sein“.174 „Der Geist“, der keine neben der Anschauung und der Vorstellung existierende Entität ist, sondern die weiterentwickelte Gestalt der Anschauung und der Vorstellung, besitzt auch die Anschauung, die Erinnerung, die Aufmerksamkeit, die Einbildungskraft und das Gedächtnis als seine Momente in sich, aber in einer verwandelten, in die ganze Bewegung integrierten Form. 3.6.2.2 Das vorstellende Denken „Vorstellung“ ist ihrem Wesen nach doppeldeutig. Sie ist eine zwar mangelhafte, aber notwendige Etappe auf dem Weg zur Befreiung des Geistes.175 Zu ihr gehören sinnliche Formen oder Bilder, die sie sich von ihren 174 175
G.W.F. Hegel: Enz. TW 10, § 448. Im Unterschied zu Hegel, der die trennende und überwältigende Macht der Vorstellung in das Ganze der befreiten spekulativen Erkenntnis integrieren will, hat „die Vorstellung“ bei Heidegger eine nur negative Bedeutung, da in ihr das ganze Problem des neuzeitlichen Subjektivismus dargestellt ist: das Verfügen-wollen über und somit die Herrschaft über das Seiende. Das „Bildwerden“ der Welt mit allen ‚Nebenwirkungen‘, wie es der Wirklichkeitsverlust ist, hat allerdings seit Hegels Zeit geradezu dramatische Auswirkungen genommen, die es rechtfertigen, diese Dramatik, so wie Heidegger es tut, ausdrücklich vor Augen zu führen. Vgl. „Die Zeit des Weltbildes“, in: Holzwege GA 5, S. 91: „Ganz anderes meint im Unterschied zum griechischen Vernehmen das neuzeitliche Vorstellen, dessen Bedeutung das Wort repraesentatio am ehesten zum Ausdruck bringt. Vor-stellen bedeutet hier: das Vorhandene als ein Entgegenstehendes vor sich bringen, auf sich, den Vorstellenden zu, beziehen und in diesen Bezug zu sich als den maßgebenden Bereich zurückzwingen. Wo solches geschieht, setzt der Mensch über das Seiende sich ins Bild. Indem aber der Mensch dergestalt sich ins Bild setzt, setzt er sich selbst in die Szene, d.h. in den offenen Umkreis des allgemein und öffentlich Vorgestellten. Damit setzt sich der Mensch selbst als die Szene, in der das Seiende fortan sich vor-stellen, präsentieren, d.h. Bild sein muß. Der Mensch wird Repräsentant des Seienden im Sinne des Gegenständigen.“ Interessant wäre eine Untersuchung, die Hegels „Spekulation“ und Heideggers „Vernehmen“ in eine produktive Beziehung zueinander setzt. Hier gibt es, im Umkreis des Begriffs „Kampf“ (bei Hegel der in sich schöpferischen und vernichtenden absoluten Tätigkeit, bei Heidegger
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Gegenständen macht, aber auch die nichtsinnlichen Bilder, die vor allem in der Religion zu finden sind, so z.B. wenn von der Weisheit oder der Gerechtigkeit Gottes die Rede ist. Ihre Eigenschaft, sowohl den sinnlichen als auch den geistigen Inhalt zu enthalten, macht die Vorstellung zu einer Grundform des endlichen Denkens. Sie umfasst alle endlichen Gestalten des subjektiven Geistes, d.h. die Anschauung, das natürliche Bewusstsein, den gesunden Menschenverstand, die bloße Reflexion und den räsonierenden Verstand. Diese Vorstellungsweisen wissen den Gegenstand in der Form des Bildes oder der Metapher und verleihen ihm einen Namen. Zu dieser grundlegenden und das endliche Denken insgesamt umfassenden Bedeutung gehört auch die Eigentümlichkeit der Vorstellung, den Inhalt zu vereinzeln. In ihr erscheinen die Inhalte des Denkens als im Raum außer einander und in der Zeit nacheinander gegeben. Die linear fortschreitende Zeit gehört deshalb in die Sphäre der Vorstellung, also des formellen, die Momente von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft in ihrem Gegensatz fixierenden Denkens. Diese Vereinzelung soll zwar aufgehoben werden, aber die Vorstellung kann das nur auf eine noch mangelhafte, äußerliche Weise tun: „Die Verbindungen der Vorstellungen sind ‚und‘ und ‚auch‘“. Deshalb sind auch die nichtsinnlichen Begriffe Vorstellungen, solange sie auf eine ihnen äußerliche Weise miteinander verbunden werden.176 Hegel knüpft mit seinem Vorstellungsbegriff an denjenigen von Kant an, ändert ihn jedoch grundlegend. Kants weit gefasster Vorstellungsbegriff umfasst zwar, so wie derjenige von Hegel, nicht nur die auf die Sinnlichkeit bezogenen Erkenntnisse wie Empfindung, Anschauung und empirische Begriffe, sondern auch die „geistigen“, reinen Begriffe sowie die Ideen, die eigentlich keinen Ursprung in der Sinnlichkeit haben.177 „Vorstellung“ ist für Kant ein Gattungsbegriff für alle von dem Subjekt vollzogenen Repräsentationen. Andererseits aber beziehen sich die Verstandesbegriffe bei Kant nicht auf den Gegenstand, sondern auf eine Vorstellung von dem Gegenstand. Das Verfahren des Verstandes beschreibt er folgendermaßen: Da keine Vorstellung unmittelbar auf den Gegenstand geht, als bloß die Anschauung, so wird ein Begriff niemals auf einen Gegenstand unmittelbar, sondern auf eine andere Vorstellung von demselben (sei es Anschauung oder selbst schon Begriff) bezogen. Das Urteil ist also die mittelbare Erkenntnis eines Gegenstandes, mithin die Vorstellung einer Vorstellung desselben.178
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des Verbergens und des Entbergens) sicherlich noch viel Interessantes zu entdecken. G.W.F. Hegel: Enz. TW 10, § 20 A. Immanuel Kant, KrV B 376. Immanuel Kant, KrV B 93.
Dieses Konzept des Erkennens als „Vorstellung einer Vorstellung“, ohne einen unmittelbaren Zugang zum Gegenstand, kritisiert Hegel als abstrakt: „Man muß sich hiernach nur wundern, so oft wiederholt gelesen zu haben, man wisse nicht, was das Ding-an-sich sei; und es ist nichts leichter, als dies zu wissen“.179 Das „Ding an sich“ ist für Hegel das Denken selbst. Es sei eine nur vorstellungsmäßige und eben nicht spekulative Betrachtungsweise des Verhältnisses Erkennen – Gegenstand, wenn man sagt, das Denken beziehe sich nur auf Vorstellungen vom Gegenstand und nicht auf das Ding an sich. Der Schleier der Vorstellungen, den Kant Hegels Meinung nach vor dem Gegenstand zieht, muss durch die Verwandlung der Vorstellung weggezogen werden, denn Philosophie tue „nichts anderes, als die Vorstellungen in Gedanken zu verwandeln, – aber freilich fernerhin den bloßen Gedanken in den Begriff“.180 Diese doppelte Verwandlung führt zu der Wiederherstellung der Vorstellung, diesmal jedoch nicht mehr in Opposition, sondern in Einheit mit dem Begriff. Aber auch in dieser Verwandlung, die sie im Element des Begriffes erfährt, wird die Vorstellung nicht, so wie das bei Kant der Fall war, zu der „Vorstellung überhaupt (representatio)“, die alle anderen Erkenntnisvermögen einschließlich das Denken umfasst, sondern sie ist, so Hegel, eine Gestalt des endlichen Denkens, die von spekulativem Denken umfasst ist.181 Sie ist also nicht das Allgemeine, sondern das Besondere des Geistes, das Endliche, das, verwandelt, in das Allgemeine des spekulativen Denkens, das zum spekulativvorstellenden wird, eingeht. Wie kommt es jedoch zu dieser doppelten Verwandlung?182 Vorstellung, bestimmt als „Intelligenz“, ist „das mit sich identische Ich“,183 das über seine Inhalte, sowohl sinnliche als auch nicht-sinnliche, Macht ausübt. „Das Ich“ hat verschiedene Arten, die es gebraucht, um seine Macht über den vorgefundenen Inhalt zu verwirklichen. Das Ziel des Befreiungsweges der Intelligenz ist die Befreiung der Form von der Fremdheit und der Gegebenheit des Inhalts und die Befreiung des Inhalts von der ihm fremden Macht der Form. Dieser Weg besteht aus folgenden drei Etappen: 1. die Verinnerlichung der Äußerlichkeit (des gegebenen In179 180 181
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G.W.F. Hegel: Enz. TW 10, § 44 A. G.W.F. Hegel: Enz. TW 10, Enz. § 20. Willem A. De Vries verkennt die Tatsache, dass auch für Hegel die Vorstellung zum Denken gehört wenn er schreibt: „For Kant is [die „Vorstellung“] the generic term covering mental acts and is usually translated as ‚representation‘. In Hegel’s usage Vorstellung is no loger the genus of all mental acts, for it does not include thought.“ In: Hegel’s Theory of Mental Activity. An Introduction to Theoretical Spirit, Cornell University Press 1988, S. 119. G.W.F. Hegel: Enz. TW 10, § 451. G.W.F. Hegel: Enz. TW 10, § 455.
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halts) durch die Erinnerung; 2. die Entäußerung der Innerlichkeit durch die Einbildungskraft; 3. das Sich-Anschauen der Intelligenz in der Äußerlichkeit durch das Gedächtnis, das für sie die Bedeutung hat, „in ihrer eigenen Äußerlichkeit in sich zu sein“. Wenn Hegel von der Vorstellung spricht, meint er die Einheit dieser drei Momente. Erinnerung, Einbildungskraft und Gedächtnis sind drei Stufen auf dem Weg der vorstellenden Intelligenz zu dem sich selbst erfassenden Denken, drei Etappen auf dem Weg der Befreiung von der Naturgebundenheit und der Kausalität. Sie entsprechen den drei Tätigkeiten des Geistes Verinnerlichung, Entäußerung und Beisichsein. Hegels doppelte Verwendung des Vorstellungsbegriffs ist, wie zu sehen war, bei Fichte vorgedacht. Vorstellung ist zum einen die Beziehung des Subjekts zum Objekts, somit die Vermittlung zwischen den beiden ‚Sphären‘. Sie ist zum anderen in den Prozess der absoluten Tätigkeit eingebildet, als ein wesentlicher Teil des die Differenz von Subjekt und Objekt hervorbringenden Ganzen. Auch für Hegel ist, so wie für Fichte, neben der Philosophie auch die Kunst eine Weise, wie diese ‚höhere‘ Vorstellung in der Welt wirkt. Nur als ein Relationsverhältnis setzendes Vermögen ist die Macht, welche die Vorstellung an ihren Objekten ausübt, eine Selbstermächtigung des Subjekts. In den Prozess des absoluten Geistes als Kunst, Kultus und Philosophie eingebildet ist ihre Macht eine schöpferische Tätigkeit. Auf der Empfindung und der Aufmerksamkeit beruhend sind Erinnerung, Einbildungskraft und Gedächtnis drei Weisen der Selbstermächtigung der Vorstellung, ihr Versuch, Macht über ihren Inhalt auszuüben. In der Tat ist Macht der Schlüsselbegriff im enzyklopädischen Kapitel über die Vorstellung, nicht die Rehabilitierung des common sense oder die Frage nach der Reichweite unserer Erkenntnis. Die Beziehung zu ihrem Inhalt vollzieht die Vorstellung durch Machtausübung bzw. Besitzergreifung. Die den Gegenstand überwältigende Macht bleibt der Vorstellung eigentümlich. „Das Gefundene als ihr eigenes zu setzen“ – diese Besitzergreifung der Intelligenz gehört zu ihrem Wesen.184 Dass diese Macht ungewollte Konsequenzen nach sich zieht, ist ihr wesentlich. Insofern sind Erinnerung, Einbildungskraft und Gedächtnis Momente des Scheiterns einer Denkweise, die nicht, wissend und begreifend, in die ganze Bewegung der absoluten Tätigkeit eingegangen ist. 3.6.2.3 Vorstellung als Erinnerung „Erinnerung“ ist eine den Inhalt aus seiner ursprünglichen unmittelbar gegenwärtigen raumzeitlichen Umgebung isolierende Macht, die den gegebenen Inhalt in ihren eigenen Raum und in ihre eigene Zeit versetzt, 184
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G.W.F. Hegel: Enz. TW 10, § 445.
so dass das räumlich und zeitlich Entfernteste gegenwärtig und zu einem Bild verdichtet wird. Durch die Isolierung des Inhalts und dessen Umwandlung in ein Bild wird dieser zum Eigentum der Intelligenz, aber erst dann, wenn sie den der Aufnahme „würdigen“ Inhalt von dem überflüssigen, den sie dem Vergessen anheimgibt, unterscheidet.185 Was ist aber der überflüssige Inhalt, der nicht in der Erinnerung aufbewahrt wird? Hier ist, so Hegel, Zufall am Werk, die Unsicherheit über die Wahrheit und die Bedeutung des Erinnerten. Die erinnernde Vergegenwärtigung des Inhalts, die nicht mehr seine unmittelbare Gegenwart (z.B. die eines Gefühls oder einer Empfindung, die auch eine religiöse sein kann) in der Anschauung ist, sondern das Ergebnis der isolierenden Macht der vorstellenden Intelligenz, ist jedoch „nur auf Kosten der Klarheit und Frische“ des Inhalts zu haben: „die Anschauung verdunkelt und verwischt sich, indem sie zum Bilde wird“ (§ 452 Z). Es ist wichtig sich klarzumachen, welche Folgen diese Verdunkelung des zum Bild gewordenen Inhalts im Falle der religiösen Vorstellung hat. Die religiösen Bilder verlieren in der Erinnerung ihre Klarheit und Frische, die sie als unmittelbare Inhalte der Anschauung und Empfindung noch hatten. Diese Klarheit und Frische gewinnen sie jedoch wieder als Inhalte der Spekulation. Entscheidend für diese Übertragung der Klarheit und der Evidenz, welche die religiösen Inhalte in der Empfindung hatten, in das neue Medium der Spekulation, ist die erinnernde Macht der Vorstellung. Sie hat die Fähigkeit dasjenige, das schon vergangen ist, in der Erinnerung aufzubewahren und so für die spekulative Umwandlung bereitzustellen: Die Intelligenz ist so die Gewalt, ihr Eigentum äußern zu können und für dessen Existenz in ihr nicht mehr der äußeren Anschauung zu bedürfen. Diese Synthese des innerlichen Bildes mit dem erinnerten Dasein ist die eigentliche Vorstellung, indem das Innere nun auch an ihm die Bestimmung hat, vor die Intelligenz gestellt werden zu können, in ihr Dasein zu haben.186
Nur das, was zum Eigentum der Intelligenz geworden ist, kann an das Denken ‚veräußert‘ und vor das Denken „gestellt“, sowie von ihm umgewandelt werden. Ohne die Erinnerung – also ohne die Vorstellung – wäre das spekulative Denken nicht möglich. Wie ist aber die Übertragung des Inhalts der Intelligenz aus dem Medium des Bildes in das Medium der Spekulation zu verstehen? Ein naheliegendes Beispiel ist die eigentümliche religiöse Erfahrung von der Gegenwart Gottes im Gebet und in der Andacht. Es ist die Aufgabe der erinnernden Vorstellung, dieser Erfahrung eine neue ‚Heimat‘ zu verleihen, die zwar nicht mehr mit dem ursprüngli185 186
G.W.F. Hegel: Enz. TW 10, § 452. G.W.F. Hegel: Enz. TW 10, § 454.
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chen unmittelbaren religiösen Erlebnis identisch ist, die sich aber auf dieses, sich daran erinnernd, bezieht. Es ist der Fall, dass diese unmittelbare Erfahrung nach einiger Zeit verblasst. Das Erinnerte wird vergessen. Es ist auch nicht immer verfügbar, sondern tritt, oft zufällig, als Impuls oder als Folge bestimmter Erlebnisse auf. Dauer und Festigkeit bekommt die religiöse Erfahrung somit erst in der Spekulation. Was bringt aber die Spekulation, im Unterschied zu der unmittelbaren religiösen Erfahrung, Neues hinzu? Es kann an dieser Stelle so viel festgehalten werden: Im Unterschied zu der ursprünglichen religiösen Erfahrung von der Gegenwart Gottes im Gebet und in der Andacht erweist sich das spekulative Denken, im Gegensatz zu dieser Unmittelbarkeit, aber auch zu der Vergegenständlichung dieser Erfahrung in einem vorgestellten Bild oder der Metapher vom Gott als dem Schöpfer der Welt, als eine Weise der Gegenwart „Gottes“ im begreifenden Denkvollzug. Die Gegenwart Gottes ist für die Spekulation nicht eine der unmittelbaren Anschauung und Erfahrung, sie ist auch nicht die zufällig auftretende Erinnerung und das dem Vergessen preisgegebene Bild, sondern das zum festen Eigentum gewordene schöpferische Hervorbringen der immer gegenwärtigen Denkbewegung. Das Isolieren des Inhalts, sein Herausnehmen aus der zeitlichen und räumlichen Äußerlichkeit in der er sich ursprünglich befindet in das Eigentum der Intelligenz ist das wesentliche Merkmal der erinnernden Vorstellung. In ihr erhält der Inhalt eine neue Zeit und einen neuen Raum, ein neues „Wann und Wo“, wodurch er für die begreifende Tätigkeit des Denkens zur Verfügung gestellt wird. Die Gewalt, die die Intelligenz über den Inhalt ausübt, indem sie ihn aus seiner unmittelbaren Umgebung herausnimmt und auf ihn ihre eigene zeitliche und räumliche Bestimmung überträgt, macht sie zu dem Ansich (dem „Wesen“) des Inhalts. Der Inhalt wird in der Erinnerung, die sein Ansich ist, als der Keim, aus dem sich Bilder und Vorstellungen entwickeln, „bewußtlos aufbewahrt“.187 Die erinnernde vorstellende Intelligenz ist so das Allgemeine des aufgenommenen und zum Besitz erklärten Inhalts, sie ist der „bewußtlose Schacht“ der Bilder, die zu ihrem Eigentum geworden sind. Die Isolierung des Inhalts aus der ursprünglichen äußeren Umgebung und dessen Versenken in den „nächtlichen Schacht“ der Innerlichkeit ermöglicht es der Intelligenz, dem Inhalt ein neues Dasein zu verleihen und es für die Vorstellung verfügbar zu machen, allerdings ist diese Verfügbarkeit häufig zufällig und nicht kontrollierbar: „zufälligerweise erwachen“ die Bilder „wohl dann und wann“.188 Der Besitz der Bilder entsteht nicht nur durch die Macht der Intelligenz, sondern auch 187 188
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G.W.F. Hegel: Enz. TW 10, § 453. G.W.F. Hegel: Enz. TW 10, § 453 Z.
durch die Wiederholung einer schon gehabten Anschauung, so z.B. wenn ein Gesicht unter vielen wiedererkannt wird.189 Zufall und Besitznahme treten zusammen auf, somit der Erfolg (das durch die Besitznahme ZumEigentum-Werden des Inhalts) und das Scheitern (das Nicht-festhaltenKönnen des Inhalts und dessen zufälliges Auftauchen). Die Besitznahme ist, das wissen wir aus der Rechtsphilosophie, immer mit Gewalt verbunden.190 Hier besteht die Gewalt im Einverleiben des Erinnerten, das sich aber doch nicht vollständig kontrollieren lässt, sondern durch Zufall aus dem Dunkeln der Intelligenz an der Oberfläche auftaucht. Der Weg von der Anschauung zu der eigentlichen Vorstellung, von der im § 454 die Rede ist, verläuft somit folgenderweise: Der gefundene Inhalt wird isoliert, aus seiner ursprünglichen äußeren raumzeitlichen Umgebung herausgenommen und durch die Erinnerung in die subjektive raumzeitliche Umgebung der Intelligenz übertragen. Dort wird er zu einem Bestand des Allgemeinen der Intelligenz und zu einem inneren Bild, das zwar nicht immer ausdrücklich thematisch ist, das aber wieder zum Dasein erweckt und so erneut vor die Intelligenz als ihr Gegenstand gestellt, erinnert werden kann. Ohne die Fähigkeit der Vorstellung, den Inhalt erinnernd zu verinnerlichen und ihn erneut vor die Intelligenz zu stellen und somit zu veräußerlichen wäre das Denken, wären Religion und Philosophie nicht möglich. Das wiederholt in der Anschauung Erfahrene könnte ohne die besitzergreifende Gewalt der Vorstellung nicht festgehalten werden und wäre somit verloren. Das bedeutet aber: Ohne die erinnernde Vorstellung gibt es keine Besitznahme, es ist keine Verfügbarkeit des Inhalts möglich und somit kein Denken und keine Erkenntnis. Allerdings übt die erinnernde Vorstellung noch nicht die volle Macht über den Inhalt aus, denn hier ist sie noch dem Zufall überlassen. Die Bilder erwachen „dann und wann“. Das Versenken der Bilder in den dunklen Schacht der anschauenden Erinnerung besitzt, wie wir gesehen haben, auch eine finstere Seite: Diese Nacht erblickt man, wenn man dem Menschen ins Auge blickt – in eine Nacht, die furchtbar ist – es blickt die Nacht der Welt einen an.191 Diese Nacht ist das „Innere der Natur“, das in im Menschen wirkt und die Welt in seine Finsternis hineinzieht. Eine Welt, der sich der Mensch nur durch Bilder bemächtigen kann, ist mit der noch unerlösten Natur identisch. Erst die Schöpferkraft der Sprache, deren Kraft darin besteht, den Gegen189 190
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G.W.F. Hegel: Enz. TW 10, § 454 Z. G.W.F. Hegel: RPh TW 7, § 45. Hier geht es zwar um die äußere Gewalt an einer vorgefundenen Sache, aber sie und die Mittel der Erweiterung der Gewalt durch „mechanische Kräfte, Waffen, Instrumente“ (RPh TW 7, § 55A) sind ein Echo der ‚inneren‘ Gewalt der Vorstellung. G.W.F. Hegel: JSE III, GW 8, S. 187.
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ständen Namen zu geben, damit sie „als seiend aus dem Ich heraus geboren“ sind,192 führt aus dieser furchtbaren Dunkelheit des nur inneren, „reinen“ aber noch „tierischen“193 Natur-Menschen in das Licht des Geistes hinaus. Nacht und Licht, Natur und Geist: hier erkennen wir beim Jenaer Hegel die beiden Momente, die für Schellings Naturphilosophie und dann für die Freiheitsschrift bei der Bestimmung der „Person“ eine so große Rolle spielen werden. In der Enzyklopädie hat Hegel die Nacht des Menschen zu einem zwar notwendigen, aber auch untergeordneten Moment des Geistes herabgestuft und ihr so – anscheinend – ihren Schrecken genommen. 3.6.2.4 Vorstellung als Einbildungskraft Das Verhältnis von Vorstellung und Einbildungskraft ist von Hegel nicht so zu verstehen, dass die Einbildungskraft die Grundlage der Vorstellung ist, sondern so, dass sie die eigentliche und vollständig entwickelte Gestalt der Vorstellung ist.194 Die Macht der Intelligenz über die Bilder besteht in ihrer Fähigkeit, den sinnlichen Inhalt aus seiner unmittelbaren Gegenwart zu isolieren und ihn in der Erinnerung aufzubewahren. Dieser Vorgang enthält aber das Moment des Zufalls, denn das Auftauchen der Bilder aus dem dunklen Schacht der Intelligenz untersteht nicht dem Willen der Intelligenz, da die Bilder immer unkontrolliert auftauchen können. Größere Macht über die Bilder gewinnt sie erst als Einbildungskraft. Dabei orientiert sich Hegel an Kant, wobei es interessant ist zu sehen, was er von ihm übernimmt und was er ändert. Er übernimmt den Unterschied zwischen den beiden Formen der Einbildungskraft: der produktiven Einbildungskraft, die als Spontaneität auftritt, und der empirischen, reproduktiven oder assoziierenden Einbildungskraft. Er übernimmt auch Kants Unterscheidung der beiden Sphären, in denen diese zwei Formen auftreten: die produktive Einbildungskraft gehört in die Transzendentalphilosophie, in der es um die Möglichkeit der Erkenntnis a priori geht, die reproduktive Einbildungskraft gehört zu Psychologie.195 Was ist aber das Spezifische der Einbildungskraft, so wie Hegel sie in dem Psychologie-Kapitel darstellt? Ausgehend von Kant können wir sagen: Auch für Hegel geht es bei der der Einbildungskraft um das Vorstellen von Gegenständen ohne ihre sinnliche Gegenwart. So vorgestellt wird der Gegenstand der Einbildungskraft jedoch zum Gegenstand der Freiheit als Willkür. Das unterscheidet die Einbildungskraft von der Erinnerung. Bei dieser tauchten die Bilder aus dem dunklen Schacht der Intelligenz 192 193 194 195
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G.W.F. Hegel: JSE III, GW 8, S. 190. G.W.F. Hegel: JSE III, GW 8, S. 191. G.W.F. Hegel: Enz. TW 10, § 455. Immanuel Kant: KrV B 152.
unwillkürlich auf, bei der Einbildungskraft werden sie frei, aber willkürlich, geformt. Die negative Macht der vorstellenden Intelligenz äußert sich jetzt so, dass sie ihren sinnlichen und nicht-sinnlichen Inhalten abstrakte Allgemeinheit und durch die reproduktive (Vergegenwärtigung der Bilder) und assoziative (zufälliges, „gedankenloses“ Beziehen der Bilder aufeinander) Einbildungskraft Sein verleiht. Die Vorstellung ist auch in der Form der Einbildungskraft noch nicht im vollen Umfang selbstmächtig. Ihre Angewiesenheit an den gefundenen Inhalt ist die Grenze ihrer Macht: „Das Sein, das Sich-bestimmt-Finden der Intelligenz, klebt der Vorstellung noch an, und die Allgemeinheit, welche jener Stoff durch das Vorstellen erhält, ist noch die abstrakte. (§ 455).“ Zwar stellt die Einbildungskraft in ihren Formen als reproduktive, assoziierende und produktive einen Befreiungsversuch der vorstellenden Intelligenz von ihrer Abhängigkeit von gegebenen Inhalten dar, doch nur die vorstellende Intelligenz, die die produktive Einbildungskraft ist, hat die Macht über ihre Bilder. Indem sie den zunächst noch unbestimmten Gehalt, über den sie verfügt, zu bestimmten Bildern formt, transformiert sich die Einbildungskraft zur produktiven, künstlerischen, bzw. zur symbolisierenden, allegorisierenden oder dichtenden Einbildungskraft, sie wird zu Phantasie.196 Hegel betont, dass Vorstellung in ihrer Form als produktive Einbildungskraft und als Phantasie ihre Vollendung erreicht. Ihre Bilder formende und herstellende Macht hat zur Folge, dass die zunächst verlorene Allgemeinheit der Anschauung nun „als eine bewährte“ wiederhergestellt wird.197 Dasjenige an der Anschauung also, was sich als aufbewahrungswürdig gezeigt hat, wird von der Einbildungskraft zum erneuten Dasein, zum durch die Vorstellung bewährten Allgemeinen wiederhergestellt. Darin besteht, so Hegel, das Formelle der Kunst, die das angeschaute und als ‚würdig‘ erkannte Allgemeine in der Form des sinnlichen Daseins darstellt. Mit ihrer Bestimmung als Phantasie erreicht die Befreiungsbewegung der vorstellenden Intelligenz ein neues Entwicklungsstadium, denn sie wird nun zur Macht „sich selbst zum Sein, zur Sache zu machen“ (§ 457). Die Macht, die sie als Phantasie ausübt, ist jetzt nicht mehr die Macht über einen ihr fremden, gegebenen und vorgefundenen Inhalt, sondern über den Inhalt, den sie sich selbst gibt. Phantasie schaut sich in dem von ihr erzeugten Inhalt an. Ihr Inhalt ist sie selbst in ihrer Form als Einzelheit oder konkrete Subjektivität. Die „Sache“ ist hier nicht, wie das im abstrakten Recht der Rechtsphilosophie der Fall war, eine äußere, die erst in Besitz genommen werden muss, um so als Eigentum eine Form der Frei196 197
G.W.F. Hegel: Enz. TW 10, § 456. G.W.F. Hegel: Enz. TW 10, § 456 Z.
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heit zu verwirklichen, sondern die Vernunft selbst wird sich hier, als Phantasie, zu einer bestimmten, produzierten „Sache“. Diese Sache, in der sich die Vorstellung nun gegenständlich ist, nennt Hegel „das Zeichen“: Es ist die durch die produktive Einbildungskraft, die Phantasie verwirklichte schöpferische Macht des Gestaltens und der Daseinsverleihung einer neuen, nicht mehr vorgefundenen, sondern wiederhergestellten Unmittelbarkeit. Phantasie ist die „innere Werkstätte“ der Intelligenz, die Tätigkeit der Einigung der verschiedenen in ihr enthaltenen, durch die Anschauung gegebenen Momente zu einem neuen Ganzen. So ist die vorstellende Intelligenz in ihrer als Phantasie sich betätigenden Macht die formelle Vernunft, für die der Gehalt „als solcher gleichgültig ist“, da es ihr auf diese schöpferische Macht der Daseinsverleihung im Zeichen ankommt. Insofern die Vernunft zunächst bloß formell ist, bleibt ihr der Inhalt äußerlich und gleichgültig; insofern sie aber nun doch Vernunft ist, macht sie den Inhalt zu ihrer Wahrheit. Der Inhalt der Phantasie hat daher diese Doppelbestimmung ein gleichgültiger und zufälliger und doch ein Inhalt der Vernunft und als solcher ‚Wahrheit‘ zu sein. Das Subjektive gibt sich in Bildern der Phantasie Objektivität und bewährt sich dadurch. Bilder der Phantasie allein erfüllen daher noch nicht den ganzen Umfang der Einbildungskraft. Bilder müssen zu Zeichen, diese zu Namen und diese zu Sprache werden. Die Macht der Intelligenz zeigt sich deshalb vor allem in ihrer „Zeichen erschaffende[n] Tätigkeit“ (§ 458 A). Der unmittelbare sinnliche Inhalt der Anschauung wird von der vorstellenden, zeichengebenden Intelligenz zunächst „getilgt“; eine andere „Bedeutung und Seele“ werden ihm verliehen. Das ist ein Beispiel für der Herrschaft der Vernunft über das sinnliche Dasein und die Fähigkeit das unmittelbar Angeschaute so zu verwandeln, dass es zu einem anderen Dasein wird, das von der ersten unmittelbaren Anschauung unabhängig ist. Es ist aber vor allem die Sprache, die eigentliche Schöpferkraft des Geistes, die dasjenige Zeichen ist, durch das der Inhalt der Vorstellungen, Anschauungen und Empfindungen ein höheres, geistiges Dasein bekommt.198 Hegels Sprachtheorie – man wird kaum von einer solchen reden können, es ist aber auch nicht die Aufgabe dieser Paragraphen der Enzyklopädie, eine Sprachtheorie darzustellen, sondern die Tätigkeit des Geistes als Sprache und in der Sprache aufzuzeigen199 – hat zunächst die 198 199
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G.W.F. Hegel: Enz. TW 10, § 459. Vgl. dagegen Thomas Sören Hoffmann: „Erst das 20. Jahrhundert hat in diesem Zusammenhang entdeckt, daß Hegel zu den bedeutendsten Sprachphilosophen der Tradition zu rechnen ist.“, in: Georg Wilhelm Friedrich Hegel. Eine Propädeutik, Wiesbaden 2004, S. 411. Auch Josef Simon gibt der „Sprache“ einen unverhältnismäßig hohen Stellenwert in Hegels System: „Der Zeichencharakter der Sprache ist das dem Hegelschen System vorausgesetzte Schema“, in: Das Problem der
Aufgabe, die Sprachzeichen auf den „Ton, die erfüllte Äußerung der sich kundgebenden Innerlichkeit“ zurückzuführen. Die Sprache hat also einen wesentlich sinnlichen Anteil.200 Ton, Rede und Sprache bezeichnen so die Existenz der Intelligenz im Reiche des Vorstellens. Hegel geht es somit darum, die Grundstruktur des theoretischen Geistes herauszuarbeiten; und diese besteht in der Macht der vorstellenden Intelligenz, das Gegebene durch die Sprache in eine neue Zeit und in einen neuen Raum des Geistigen, zu einem neuen Dasein der Subjektivität umzuformen. Auf diese umformende Tätigkeit der Vorstellung, in der ihre teilweise Befreiung von der Gegebenheit der Inhalte besteht, kommt es bei der Darstellung des Sprachvermögens des theoretischen Geistes an. Dass es kein Denken ohne Sprache gibt ist für Hegel etwas, an das nur beiläufig zu erinnern ist. Ihre Unverzichtbarkeit für das Denken sagt aber noch nichts über ihren ontologischen Rang aus. So sind Raum und Zeit für Selbsterkenntnis des endlichen Geistes auch unverzichtbar, zugleich sind sie aber die abstraktesten Bestimmungen in der Naturphilosophie. Dass durch die Sprache die vorstellende Intelligenz zu einer tieferen Selbsterkenntnis und Freiheit gelangt, und dass sie durch diese Selbsterkenntnis auf ihre Vollendung hin als absoluter Geist transzendiert wird, ist dasjenige, das im Mittelpunkt der „Sprachtheorie“ des Psychologie-Kapitels steht und worauf es ankommt. So hat auch Hegels ausführliche in der Anmerkung zum § 459 dargestellte Verteidigung der Buchstabenschrift gegen die hieroglyphische Schrift die Bedeutung, die der Sprache zugrundeliegende Macht des Geistes zu verdeutlichen und hervorzuheben. Hegel geht von dem Grundbedürfnis der Sprache aus, den Dingen einen Namen zu geben. Es ist die Einfachheit des Namens, in der sich die Möglichkeit ergibt, bei einem Zeichen zu verweilen und doch die mannigfaltigen Bestimmungen, die in ihm zusammengefasst sind, zu analysieren und in eine Form zusammenzufügen.
200
Sprache bei Hegel, Stuttgart 1966, S. 171f. Nüchterner beurteilen Hegels „Sprachphilosophie“ dagegen Jens Rometsch, in: Hegels Theorie des erkennenden Subjekts. 2007, S. 199f. und, vor allem, Theodor Bodammer: „Wer die Sprache als das eigentliche zentrale Thema der Hegelschen Philosophie bezeichnet, muß sich deshalb im Klaren darüber sein, daß er sich in einem ausdrücklichen Gegensatz zu Hegels Sprachdeutung und philosophischem Selbstverständnis befindet.“, In: Hegels Deutung der Sprache, Hamburg 1969, S. 7. Dem Ton liegt nur „für den Verstand“ die Materie zugrunde (Enz. TW 10, § 300 Z). In der Reihe Klang (Körper)-Stimme (Tiere)-Sprache (Mensch) ist die Sprache die voll entwickelte Form des Geistes, vgl. Enz. TW 10, § 351 Z. Interessant ist, dass Hegel die Stimme der Tiere als den „geistig gewordenen Mechanismus“ sieht. Tierische „Sprache“ ist also schon vor der Sprache der Menschen in der Natur tätig.
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Die durch das Lernen, Lesen und Schreiben einer Buchstabenschrift ermöglichte Disziplinierung und Reduzierung der vielen möglichen Bedeutungen eines Zeichens zu einer einfachen und eindeutigen Bedeutung begründet „die Innerlichkeit im Subjekte“ und ermöglicht die Klarheit und Festigkeit des Inhalts, die Reinigung der Subjektivität von Überflüssigem. Die Macht der Intelligenz abstrahiert vom Tönen der Sprache, also von ihrer sinnlichen Seite. Der angebliche Reichtum der Hieroglyphenschrift, in der viele Möglichkeiten der Bildung des Schriftnamens existieren, bringt dagegen, so Hegel, nur Verworrenheit und Stillstand mit sich. Die Intelligenz, die die Macht über den Inhalt der Anschauungen, Empfindungen und Vorstellungen ausübt, erfordert dagegen eine Buchstabenschrift, in der „eine Grundlage“ besteht, eine Einheit von Ton und Zeichen (§ 459 A). Hegels sogenannte Sprachtheorie ist daher wichtig vor allem als Theorie des sich selbst immer tiefer erfassenden und durch die Ausübung der Macht über den Inhalt zu seinem Begriff befreienden Geistes. Durch die produktive Einbildungskraft mit der Sprache als Einheit von Ton und Zeichen bewirkte Verknüpfung von innerer Anschauung und äußerem Inhalt ist jedoch erst noch eine einzelne, äußerliche „Produktion“ der Intelligenz, der die Dauer der Innerlichkeit und die Notwendigkeit der Allgemeinheit fehlen. Diese bekommt sie durch die Erinnerung. Als „Erinnerung dieser Äußerlichkeit“ ist die produktive Einbildungskraft Gedächtnis. 3.6.2.5 Vorstellung als Gedächtnis Erinnerung und Einbildungskraft verleihen der vorstellenden Intelligenz Macht über den Inhalt. Diese Macht besteht in ihrer Fähigkeit das Äußere zu verinnerlichen und das Innere so zu vergegenständlichen, dass es zum in der Welt sichtbaren Besitz des Subjekts geworden ist. Diese Macht verdichtet den zunächst fremden Inhalt zu einem Bild, es ist aber das Wort, das die eigentliche Macht der vorstellenden Intelligenz zeigt und als Gedächtnis ihren „organischen“ Übergang in die Freiheit des Denkens einleitet.201 Diesen Übergang sowie die Bedeutung und die Stellung des Gedächtnisses in der „Systematik der Intelligenz“ zu verstehen ist, so Hegel, besonders schwierig und ist bisher noch unbeachtet geblieben.202 Die Bedeutung und die Schwierigkeit von denen Hegel spricht besteht in der anhaltenden und behaltenden Fähigkeit des Gedächtnisses. 201 202
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G.W.F. Hegel: Enz. TW 10, § 464 A. Zum Thema „Gedächtnis“ in der Enzyklopädie ist immer noch maßgebend die Studie von Hans Friedrich Fulda: „Vom Gedächtnis zum Denken“, in: Psychologie und Anthropologie oder Philosophie des Geistes, Hg. Franz Hespe et al., StuttgartBad Cannstatt, 1991, S. 321–360.
Das ist folgendermaßen zu verstehen: Das Wort ist an den sinnlichen, artikulierten Ton, den Hegel „innerliches Äußerliches“ nennt, gebunden. Diese Angewiesenheit des Wortes auf den sinnlichen Ton leidet jedoch daran, dass „das Wort als tönendes […] in der Zeit“ verschwindet.203 Deshalb muss das tönende Wort von dem Vergehen bewahrt und festgehalten werden. Das geschieht jedoch nicht mehr durch die vergängliche und zufällig auftretende Erinnerung. Das Wort wird vielmehr durch das Gedächtnis festgehalten, „fixiert“ und dadurch vergegenwärtigt. Das Gedächtnis ist der hemmende Teil der Erinnerung, das Festhalten am ‚Jetzt‘. Für das Gedächtnis ist deshalb nicht mehr das vergängliche und sozusagen in seinem Sein instabile Bild der festzuhaltende Inhalt, sondern das Wort, das ein Name ist. Im Gedächtnis findet die Verknüpfung von Anschauung und Bedeutung statt, und zwar so, dass diese Verknüpfung allgemein, dauernd und objektiv ist. Das Gedächtnis ist Arbeit, es schafft Ordnung beim Geben und Erfinden von Namen. Darin ist es zwar noch nicht frei, aber durch die herstellende Ordnung befreit es sich von der Willkür der zufälligen Verknüpfungen, so dass Hegel sagen kann: „in dem Gedächtnis verschwindet zuerst die Willkür“.204 Ordnung und Dauer des Behaltenen sind Voraussetzungen der Freiheit. Die Ordnung, die das Gedächtnis, als Mnemonik missverstanden, gibt, ist jedoch eine zufällige und mechanische, keine organische. Wenn das Gedächtnis zu einem „geistlosen Behälter“ der Worte wird, die gebraucht werden ohne – in diese Richtung muss Hegels Intention wohl interpretiert werden – Präsenz im Geist zu haben, desto mechanischer und geistloser wird das Gedächtnis. Hegel unterscheidet zwar das behaltende Gedächtnis von dem produzierenden und dem mechanischen Gedächtnis, allen diesen Gedächtnisformen ist es aber gemeinsam, dass sie nicht mehr in Bildern anschauen, sondern in Namen denken: „Bei dem Namen Löwe bedürfen wir weder der Anschauung eines solchen Tieres noch auch selbst des Bildes, sondern der Name, indem wir ihn verstehen, ist die bildlose einfache Vorstellung. Es ist in Namen, daß wir denken.“205 Das ist überzeugend: Auf den warnenden Ausruf „Löwe!“ würden wir nicht so reagieren, dass wir uns zuerst einen Löwen veranschaulichen und erst dann losrennen. Das Gedächtnis verbindet daher zwar Anschauung und Bedeutung206 zu einem bleibenden Namen, es löst aber auch den Namen von der unmittelbaren, 203 204 205 206
G.W.F. Hegel: Enz. TW 10, § 462 Z. G.W.F. Hegel: JSE III, GW 8, S. 193. G.W.F. Hegel: Enz. TW 10, § 462 A. Hans Friedrich Fulda macht darauf aufmerksam, dass „Bedeutung“ nicht nur als das Anhalten und Behalten von Bildern und Namen zu verstehen ist, sondern als die Verknüpfung des Inneren (der zu bezeichnenden Sache) mit dem Äußeren (ihrem Zeichen als einem äußerlichen). In: Fulda „Vom Gedächtnis zum Denken“ 1991, S. 335f.
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als Bild gegenwärtigen Anschauung ab. Die Erkenntnis der Sache, um die es dem Namen „ohne Anschauung und Bild“ geht, ist das Eigentümliche des reproduzierenden Gedächtnisses, in dem die vorstellende Intelligenz sich selbst zugleich innerlich und äußerlich ist. Mit dem Ausdruck „Äußerlichkeit, die zugleich das Gepräge der höchsten Innerlichkeit trägt“207 bezeichnet Hegel die synthetisierende Tätigkeit des Gedächtnisses. Bei sich selbst zu sein und trotzdem sich selbst entäußert zu haben – das ist das „höchst wunderbare“ Merkmal des Gedächtnisses. Dieses Vermögen kann in zwei Richtungen betrachtet werden. Als mechanisches Gedächtnis ist es nur ein sinnloses auswendig gelerntes Aneinanderreihen von Worten. Man kann an dieser Stelle an das auswendig gelernte Hersagen von Glaubensformeln denken, die zu einer bloß mechanischen, „geistverlassenen“ Tätigkeit geworden sind: Wie Druck und Stoß mechanische Verhältnisse sind, so wissen wir auch mechanisch, auswendig, insofern die Worte ohne Sinn für uns sind und dem Sinne, Vorstellen, Denken äußerlich bleiben; sie sind sich selbst ebenso äußerlich, eine sinnlose Aufeinanderfolge. Das Handeln, Frömmigkeit usf. ist ebenso mechanisch, insofern dem Menschen durch Zeremonialgesetze, einen Gewissensrat usf. bestimmt wird, was er tut, und sein eigener Geist und Wille nicht in seinen Handlungen ist, sie ihm selbst somit äußerliche sind.208
Der Mensch ist in diesen mechanischen Handlungen nicht mit seinem Geist und seinem Willen gegenwärtig, sie bleiben ihm äußerlich und fremd. Gesetze und Sitten durchdringen das Denken nicht. Das Mechanische des Gedächtnisses besteht entsprechend darin, dass zwischen einzelnen Zeichen oder Tönen eine bloß äußerliche Verbindung besteht, ohne dass deren innere Verbindung beachtet wird. Das wahre Auswendiglernen bestünde jedoch darin, dass das Wort das „Produkt der Intelligenz“ und so ein „Auswendiges“ wird, das „in das Inwendige der Intelligenz eingeschlossen bleibt und nur innerhalb ihrer selbst deren auswendige, existierende Seite hat“.209 Das Auswendige, das das Inwendige bleibt, bleibt aber dem geistverlassenen Auswendiglernen ähnlich und kann von außen nicht von ihm unterschieden werden. Woher weiß man z.B., ob ein gesprochenes Gebet etwas Auswendiggelerntes ist, das aber trotzdem das gegenwärtig Inwendige bleibt, oder nur mechanisch wiederholtes Auswendiggelerntes von Worten, die nur „schale, alberne, ganz zufällige Zusammenhänge“ sind? Hier ist es nicht möglich von außen festzustellen, ob das Auswendiggelernte tatsächlich auch ein innerlich Vollzogenes ist. So ist das mechanische Gedächtnis ohne den Bezug zur 207 208 209
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G.W.F. Hegel: Enz. TW 10, § 462 Z. G.W.F. Hegel: Enz. TW 10, § 195. G.W.F. Hegel: Enz. TW 10 § 462 A.
Innerlichkeit als eine Art ‚Parodie‘ der schöpferischen Macht der Intelligenz anzusehen – so wie in der Differenzschrift die Verstandestätigkeit die Parodie der Vernunft gewesen ist. Es ist aber wichtig zu betonen, dass das Gedächtnis als der Umschlagspunkt zu betrachten ist, von dem aus die Intelligenz entweder zur Einbildungskraft, zum Bild zurückverwandelt, „herabgesetzt“ wird, oder sich zum freien Denken, das sie ihrem Wesen nach ist, weiterentwickelt. Im freien Denken sind Inhalte in Bedeutungen verwandelt, die das Denken nicht mehr als einen mit Macht angeeigneten äußeren Besitz „hat“, sondern die das Denken sind. Deshalb heißt es: „Das Gedächtnis ist auf diese Weise der Übergang in die Tätigkeit des Gedankens, der keine Bedeutung mehr hat, d.i. von dessen Objektivität nicht mehr das Subjektive ein Verschiedenes ist, so wie diese Innerlichkeit an ihr selbst seiend ist.“ 210 Das vorstellende Denken in seiner Gestalt als Gedächtnis ist daher, wie das bei den Übergangsgestalten des Geistes oft der Fall ist, doppeldeutig. Es ist das in der Objektivität sich verwirklichende Innere (Sinn, Bedeutung), das aber entweder als Vergegenwärtigung des mechanisch nachgesprochenen Sinnlosen, oder als das Verinnerlichte, mit dem Denken organisch Verwachsene auftritt. Diesen Unterschied kann man am folgenden Beispiel deutlich machen: Menschen werden, durch die ‚Brille‘ der mechanischen Vorstellungsweise betrachtet, als bloße Produkte ihrer Umgebung, der Natur, der Gesetze und der Sitten wahrgenommen. Vorgestellt als Objekte, die in die von ihnen unabhängigen und ihnen aufgezwungenen mechanischen Prozesse eingebunden sind, sind Menschen nicht selbstbestimmt und frei Handelnde, sondern bloße Produkte einer ihnen fremden Macht. Hier wird aber auch das Wahre an der Unwahrheit des Mechanismus sichtbar: diese fremde Macht ist fremd im Sinne ihrer Unverfügbarkeit für das Subjekt. Sie ist aber die Macht des Denkens selbst und als solche unverfügbar, sich selbst bestimmend und in diesem Sinne absolut. Das Denken ist das Eigenste des Menschen, seine Macht kann entweder als eine fremde missverstanden oder als eigene begriffen werden. Die Fähigkeit des Gedächtnisses, durch das Festhalten des In210
G.W.F. Hegel: Enz. TW 10, § 464. Es ist hier Hans Friedrich Fulda zu widersprechen, der das Denken folgendermaßen beschreibt: „Denken, seinem Begriff nach, ist das Haben von Gedanken;“ Fulda 1991, S. 348f. Die von Fulda stark gemachte Abgrenzung von Denken und Vorstellen ist, anders als seine Interpretation das sieht, die Abgrenzung von zwei Weisen des Denkens selbst. Der Begriff des Denkens besagt, dass das Denken (die absolute Tätigkeit) nämlich nicht das Haben, sondern das Sein der Gedanken ist und dass es sich organisch teilt in die mangelhafte Vorstellungsform der „Intelligenz“ („Haben“ von Gedanken) und in die der absoluten Tätigkeit angemessene spekulative Form („Sein“ und „Haben“ von Gedanken in Einheit miteinander). Nur das noch nicht zu sich gekommene, noch nicht seinem Begriff entsprechende „Denken der Intelligenz ist Gedanken haben“ (Enz. TW 10, § 465).
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halts diesen zu einem vergegenständlichten und fremden zu fixieren oder, im Gegensatz dazu, in der Innerlichkeit des Menschen zu verwurzeln und mit der Bewegung des Denkens zu identifizieren zeigt den Unterschied zwischen der Vorstellung in ihren Gestalten als Erinnerung, Einbildungskraft und Gedächtnis und der Spekulation. Diese Teilung in zwei entgegengesetzte Weisen des Verhältnisses zum Gegenstand ist das Organische des Denkens, das sich in der Doppeldeutigkeit des Gedächtnisses zeigt. Das freie Denken ist als Prozessualität aufzufassen mit ihren organisch, d.h. aus der absoluten Tätigkeit heraus sich entwickelnden gegenläufigen Bewegungen. 3.6.3 Der freie Geist und die Notwendigkeit des Krieges Zum Wesentlichen des spekulativen Denkens gehört, wie wir bei Fichte, Schelling und Hegel gesehen haben, der Vollzug der absoluten Tätigkeit. Das ist der Unterscheidungsmerkmal des freien Denkens im Vergleich mit dem mechanischen, in Kausalitätsverhältnissen befangenen, und bei Hegel bedeutet das – vorstellenden Denkens. Das Mechanische, dem das Denken nicht entkommen kann, da es seine Natürlichkeit ausmacht, wird durch die Spekulation in die gestaltende Kraft, die dem Denken innewohnt umgewandelt, die dieses aber erst entdecken und einüben muss. Wenn Subjektivität und Objektivität Einheit und Differenz im Einen sind – und das ist das Ergebnis, zu dem sich die Intelligenz auf ihrem Weg durch ihre verschiedenen Vermögen emporgearbeitet hat – dann entfällt auch der prinzipielle Unterschied zwischen dem Denken und dem Gegenstand als einer dem Denken fremden Existenz. Während die vorstellende Intelligenz diesen Unterschied mit den Mitteln der Erinnerung, der Einbildungskraft und des Gedächtnisses zu überwinden versucht und daran scheitert, da sie nur zu einer Machtausübung über den ihr gleichgültigen und fremd gebliebenen Inhalt gelangen kann, stellt sich das freie Denken in den Fluss der Bewegung des Geistes und denkt aus ihr. Dass das Objekt das Andere des Denkens ist, verhindert zwar nicht die Machtausübung über es, jedoch das ihr eigentümlich Gewalttätige und Zerstörerische. Das freie Denken ist, im Unterschied zur vorstellenden Intelligenz, deshalb „das wahrhafte Allgemeine“, das das Besondere nicht mehr als ein Fremdes und als bloßes Objekt für die übergriffige Aneignung betrachtet, sondern es in das Ganze einbildet. Das Beisichsein, die Übereinstimmung von Sein und Denken ist das Zentrum, von dem alle Gegensätze ausgehen und in das sie, als in ihr eigenes Wesen, zurückgehen. Aus diesem Kraftzentrum entfaltet sich das Denken des Menschen und gestaltet sich die Welt. Hier wird der organische Zusammenhang von Vorstellung und Denken noch einmal deutlich. Das freie Denken ist das hervorbringende Denken. Deshalb weiß schon die denkende Intelligenz, anders als die vorstellende, „daß, was gedacht ist,
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ist; und daß, was ist, nur ist, insofern es Gedanke ist“.211 Das Denken, von dem hier die Rede ist, ist jedoch das konkrete Denken einer Person, noch nicht das spekulative Denken, das dem Begriff des Denkens entspricht. Das Denken der Intelligenz, ihre Freiheit und ihr Wissen von der Einheit des Subjektiven und Objektiven ist noch nicht das vollständig entwickelte Denken und begreifendes Erkennen.212 Es ist vielmehr das noch „formelle Denken“. Dazu heißt es: „Freilich darf aber das Denken nicht abstraktes, formelles Denken bleiben – denn dieses zerreißt den Inhalt der Wahrheit –, sondern es muß sich zum konkreten Denken, zum begreifenden Erkennen entwickeln.“213 Die Befreiungsbewegung des Denkens ist mit dem freien, aber formellen Denken noch nicht zu Ende. Hegel unterscheidet in der Enzyklopädie somit drei Formen des Denkens: das vorstellende Denken des subjektiven und objektiven Geistes, das die Einbildungskraft, die Erinnerung und das Gedächtnis, den Verstand aber auch den Willen umfasst und das als das formelle Denken bezeichnet werden kann, ferner das reine Denken der Logik und das spekulative begreifende Erkennen, das am Ende der Enzyklopädie mit dem Begriff des absoluten Geistes zu seinem voll entwickelten Begriff kommt. Der unscharfe Ausdruck „Spekulation“ wird sowohl für das reine aber abstrakte Denken der Logik als auch für das begreifende Erkennen der Philosophie als der voll entwickelten Gestalt des absoluten Geistes verwendet. Die denkende Intelligenz, so wie sie sich am Ende des Kapitels über den theoretischen Geist zeigt, ist die Vorwegnahme des vollen, realisierten Begriffs des freien, begreifenden Erkennens der Philosophie. Da Hegels Vorgehensweise in der Enzyklopädie als die Befreiungsbewegung des Denkens aus der Verwicklung in Machtbeziehungen zu verstehen ist, wird der am Ende des Psychologie-Kapitels im § 482 gewonnene Begriff des absoluten Geistes erst im Durchgang durch Kunst, Religion und Philosophie seine volle Realisierung finden. Der im Paragraphen 481 über den freien Geist erreichte Begriff des Geistes muss zuerst in der „Sphäre der weltlichen Existenz“ verwirklicht werden, d.h. es muss realisiert werden „als die Substanz des Staates, der Familie usf.“214 Mit der Sphäre des objektiven Geistes wird gezeigt, dass die auf Macht und Gewalt aufgebaute Selbst- und Objektbeziehung zu einer Gefahr wird. Die Tragik des objektiven Geistes und des in ihm herrschenden vorstellenden Denkens zeigt sich deutlich in der Unabwendbarkeit des Krieges. Der Krieg, hier als der Krieg zwischen den Staaten betrachtet, enthüllt eine tiefe Wahrheit. Er ist der Zustand, „in welchem mit der Eitel-
211 212 213 214
G.W.F. Hegel: Enz. TW 10, § 465. G.W.F. Hegel: Vgl. Enz § 466 Z. G.W.F. Hegel: Enz. TW 10, § 465 Z. G.W.F. Hegel: Enz. TW 10, § 482 A.
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keit der zeitlichen Güter und Dinge [...] Ernst gemacht“ wird.215 Der im Denken herrschende Krieg des Menschen mit sich und mit der Welt in der er lebt wird auf der großen Bühne der Geschichte zu der das Ganze bedrohenden Katastrophe. Das Bewusstsein von der Eitelkeit der zeitlichen Güter und Dinge kommt zwar oft in erbaulichen Reden vor, es erweist sich aber als nichtig und hohl wenn der Krieg, wie Hegel trocken anmerkt, „in Form von Husaren mit blanken Säbeln“ kommt. Die erbaulichen Reden über die Unsicherheit und Unstetigkeit der zeitlichen Dinge werden durch den Krieg auf ihren wahren Kern zurückgeführt: In dem Angegebenen liegt das sittliche Moment des Krieges, der nicht als absolutes Übel und als eine bloß äußerliche Zufälligkeit zu betrachten ist […]. Was von der Natur des Zufälligen ist, dem widerfährt das Zufällige, und dieses Schicksal eben ist somit die Notwendigkeit […]. Es ist notwendig, daß das Endliche, Besitz und Leben, als Zufälliges gesetzt werde, weil dies der Begriff des Endlichen ist.216
Vordergründig betrachtet entstehen Kriege aus zwei Gründen: zum einen weil Staaten ihren Willen gegeneinander behaupten und, da sie keine Übereinkunft (keinen „Prätor“) finden, ihren Streit durch den Krieg zu entscheiden versuchen. Zum anderen, wie Hegel in Anlehnung an Kant schreibt, werden Kriege geführt, weil sich in Friedenszeiten das bürgerliche Leben „mehr ausdehnt“: „alle Sphären hausen sich ein, es ist auf die Länge ein Versumpfen der Menschen, [so daß] ihre Partikularitäten immer fester werden und verknöchern“.217 Diese beiden Gründe sind für das vorstellende Bewusstsein hinreichende Erklärungen, warum es Kriege gibt. Der eigentliche Grund für die Kriege ist jedoch ein tieferliegender. Die Kriege werden, so Hegel, gewollt. Sie brechen nicht wie Naturgewalten über ein friedliebendes Volk ein. Im Krieg wird nicht nur einzelnes Endliches als nichtig erfahren, sondern in ihm wird „das sittliche Ganze selbst, die Selbständigkeit des Staats, der Zufälligkeit ausgesetzt“.218 Genau das wird, so Hegel, gewollt, und zwar, so können wir hinzufügen, von ‚uns allen‘. Von ‚uns allen‘ gewollt wird nicht dieser oder jener bestimmte Krieg, sondern dass das Ganze der menschlichen Existenz zur Disposition steht, und das nicht nur als eine theoretische Gedankenfigur, sondern so, dass wir in unserer ganzen Existenz tatsächlich erschüttert werden. Dieser Gedanke führt zu einer tiefergehenden Betrachtung des Krieges, einer Betrachtung, die das Scheitern aller Anstrengungen, Kriege endgültig zu überwinden, zu erklären versucht. In diesem – unbewusst 215 216 217 218
200
G.W.F. Hegel: RPh TW 7, § 324. G.W.F. Hegel: RPh TW 7, § 324. G.W.F. Hegel: RPh TW 7, § 324 Z. G.W.F. Hegel: RPh TW 7, § 324.
kollektiven – Wollen, dass die Selbstzerstörungswut des Endlichen offenbar wird, ist Hegels Skepsis gegenüber den Konzepten eines ewigen Friedens begründet. Dieser auf den ersten Blick irritierende Befund über unser eigentliches, aber uns meistens unbewusstes Wollen, dass es Kriege geben soll und somit „das sittliche Ganze selbst“ in Frage gestellt werde, weist darauf hin, dass sich dieses Wollen nicht durch die Sitten der Nationen, einen Völkerbund oder Friedensinitiativen einhegen lässt. Auf die Frage, welches Wissen sich im Zustand des Krieges als dasjenige zeigt, das dem bloß vorstellenden Denken verborgen ist, können wir antworten: Es ist das Wissen, dass der Krieg das Offenbarwerden der Nichtigkeit des Endlichen ist.219 Zum Standpunkt des vorstellenden sittlichen Bewusstseins gehört zwar die humane, aber auf lange Sicht erfolglose Hoffnung, der Krieg sei ein Vorübergehensollendes, er sei menschlich zu führen, er dürfe sich nicht gegen Privatpersonen richten und die Institutionen des Staates gefährden. In ihm sind die völkerrechtlichen Bestimmungen zu beachten. Doch die eigentliche Einsicht der Philosophie besteht nicht in diesen tugendhaften Einstellungen zum Krieg, sondern im Verstehen der Gründe für seine Unvermeidbarkeit. Diese Einsicht schließt nicht die tugendhaften Handlungen aus, auf deren Bedeutung Hegel erinnert und durch die die Folgen des Krieges gemildert werden sollen. Sie sind die Weisen, wie sich das vorstellende sittliche Bewusstsein dem Krieg nähert: durch Friedensbemühungen und Linderung der Kriegsfolgen. Hegel ist weit davon entfernt, diese Einstellung zum Krieg zu kritisieren oder zu relativieren. Im Gegenteil, er zeigt ihre Vernünftigkeit. Die eigentlich ‚therapeutische‘, philosophische Weise der Betrachtung des Krieges ist jedoch die illusionslose Erkenntnis, dass die nächste Katastrophe, in der das Ganze erneut zur Disposition stehen wird, unvermeidbar ist aus Gründen, die nicht in der Macht der Menschen, sondern in der Natur des Endlichen liegen. Im Hinblick auf den objektiven Geist, so wie er in der Enzyklopädie skizziert und in der Rechtsphilosophie ausgeführt wird, muss Folgendes festgehalten werden: Seine Darstellung ist die Darstellung des Scheiterns aller menschlichen Bemühungen: im abstrakten Recht durch das Verbrechen und die Rache, in der Moralität durch die äußerste Subjektivität der Ironie, in der bürgerlichen Gesellschaft durch Luxus und Elend, und im Staat durch den Krieg. Im Zentrum dieses Scheiterns steht die „Vorstellung“ als der Ort der schlechten Unendlichkeit. In der Sphäre des objektiven Geistes gibt es keinen Schutz gegen das Selbstzerstörerische der Vorstellung. Erst die Sphäre des absoluten Geistes wird die Möglichkeiten der Rettung aufzeigen. Sie wird es tun, indem die auf Macht und Gewalt ausgerichtete Energie der Vorstellung in produktive Energie des Denkens 219
G.W.F. Hegel: RPh TW 7, § 324.
201
umgewandelt, als das Innerste des Subjekts begriffen und im Vollzug des Denkens und Lebens verwirklicht wird. 3.6.4 Philosophie als Therapie? Vor dem dramatisch anmutenden Hintergrund von Hegels Philosophie, in der es um Zerstörung und Erhaltung des Lebens geht, ist es auf den ersten Blick überraschend, dass in den aktuell geführten Debatten über Hegels ‚philosophische Therapie‘ die Fragen nach der Rehabilitierung des Common Sense, nach Hegels möglicher Nähe zum Pragmatismus oder zu Ludwig Wittgenstein im Mittelpunkt der Untersuchungen stehen – also eher ‚weiche‘ Themen. Das Bedürfnis, das diesen Interpretationen zu Grunde liegt, besteht darin die Schwierigkeiten, die Hegels Philosophie als System und Letztbegründung mit sich bringt zu umgehen und doch die Substanz der Hegelschen Theorie des spekulativen Denkens zu bewahren. Diese Substanz, die noch aktuell sein soll, im Gegensatz zum Letztbegründungsanspruch des „Systems“, ist eben ihr „therapeutisches“ Potential. Hegels Philosophie ist in dieser Lesart eine Kritik der alltäglichen und philosophischen (vor allem skeptischen) Irrtümer und eine Anleitung zur Wiederherstellung des Einklangs des alltäglichen Bewusstseins mit der Lebenswelt und mit sich selbst. Sie wird gelesen in dem Kontext des von Wittgenstein inspirierten Versuchs der philosophiekritischen Rehabilitation eines natürlichen Realismus und des gesunden Menschenverstandes. In der Tat handelt es sich bei diesen Versuchen jedoch manchmal um eine ‚Verflachung‘ von Hegels Philosophie und der Aufgabe, vor der er, zusammen mit Fichte und Schelling, stand. Hier sind nur wenige dieser Interpretationsansätze kurz zu skizzieren. Der interessanteste Beitrag zum Thema stammt von Axel Honneth.220 Honneth liest Hegels Philosophie als eine Therapie der Pathologien der modernen individuellen Freiheit, vor allem der Individualisierung der Moral und der Beschränkung des Freiheitsbegriffs auf die nur rechtlich gefassten Freiheiten. Durch die abstrakten Freiheitsgestalten der Moralität und des Rechts wird soziales Leiden bewirkt, das sich als das quälende Gefühl des Unausgefülltseins und der Unbestimmtheit äußert. Die Lebenspraxis der Individuen, die sich an den abstrakten Freiheitsgestalten der Moralität und des Rechts orientiert und zum sozialen Leid führt, muss, um geändert zu werden, von der philosophischen Therapie zuerst diagnostisch „auf eine konzeptuelle, eine begriffliche Verwirrung“ zurückgeführt werden, um dann, in einem nächsten Schritt, die Individuen
220
202
Axel Honneth, Leiden an Unbestimmtheit. Eine Reaktualisierung der Hegelschen Rechtsphilosophie, Stuttgart 2001.
zu der „befreienden Selbstreflexion“ anzuregen.221 In der Sphäre der Sittlichkeit müssen, soll sie die Möglichkeiten der individuellen Selbstverwirklichung bereitstellen und somit das soziale Leiden therapieren können, die anderen Subjekte als Bedingung der Freiheit des einzelnen Subjekts gesehen werden und nicht als Beschränkung seiner Freiheit. Hier kommen die Begriffe der „Anerkennung“ und des Beisichseins im Anderen ins Spiel. Die höchste Form der Freiheit sei für Hegel (und das ist auch die Freiheitsbestimmung, an der sich Honneth orientiert) eben das Beisichsein im Anderen. Dieses Beisichsein ist in einer sittlichen Kommunikationsgemeinschaft und den in ihr praktizierten reziproken Anerkennungspraktiken verwirklicht. Honneths Kritik richtet sich an Hegels Überzeugung von der Notwendigkeit der positiv-rechtlichen Institutionalisierung der Sittlichkeit. Statt sich an dem aristotelischen Interaktionsmuster der Freundschaft zu orientieren, lässt Hegel nur die Familie und den Staat als gelungene Verwirklichungen der gegenseitigen Anerkennungsverhältnisse gelten. Diese beiden Institutionen sind jedoch, aus Gründen die Honneth anführt, nicht in der Lage das Beisichsein im Anderen, also die sittliche Kommunikationsgemeinschaft, als Alternative zu den modernen Pathologien der individuellen Freiheit nachzuweisen. Gegen Honneths Interpretation ist unter anderem kritisch anzumerken, dass „das Andere“, in dem das Subjekt „bei sich“ ist, für Hegel nicht in erster Linie die anderen Teilnehmer einer Kommunikationsgemeinschaft sind. Es ist vor allem dasjenige Andere, das Hegel „das Absolute“ nennt. So ist für Hegel das Beisichsein im Absoluten die höchste Lebensform, und sie ist nicht mehr in der Sphäre des objektiven Geistes thematisiert, sondern auf dem Gebiet des absoluten Geistes, also in den Gestalten der Kunst, der Religion und der Philosophie. Das bedeutet, dass der Weg zum guten Leben und zur Überwindung des Leidens an den Pathologien des modernen Freiheitsbewusstseins zwar auch in die Sphäre der Sittlichkeit führt, aber ebenso darüber hinaus (wenn auch auf dem Boden der Sittlichkeit) zu der „Wirklichkeit der Idee“. Nicht der in sittlichen Verhältnissen lebende Bürger, sondern der philosophisch Begreifende führt das eigentlich gute Leben, in dem er die Notwendigkeit sowohl des Bestehens als auch der Überwindung der Gegensätze erkennt und rechtfertigt. Natürlich kann und muss man das, so wie Honneth es tut, kritisch hinterfragen. Die Vergeblichkeit der Versuche, im sittlichen Leben ein gutes Leben zu führen, ist jedoch der ‚sittlichen Kommunikationsgemeinschaft‘ aus Gründen, die Hegel immer wieder betont, unaustilgbar eingezeichnet – auch das gilt es zu betonen.
221
Axel Honneth 2001, S. 72f.
203
Michael Quante unterscheidet zwischen der Philosophie als Therapie in einem engen und in einem weiten Sinne.222 Philosophie ist Therapie im engen Sinne wenn ihre einzige Aufgabe darin besteht, „Missverständnisse zu kurieren, die durch philosophische Irrtümer hervorgerufen worden sind“.223 Ein Vertreter dieser Therapieart ist z.B. der späte Ludwig Wittgenstein. Hegels Philosophie ist in dieser Lesart vor allem eine Kritik der schädlichen Auswirkungen der philosophischen Irrtümer der Tradition, vor allem der neuzeitlichen Subjektphilosophie, die es eben durch den Rückgang auf das alltägliche, natürliche Bewusstsein zu therapieren gilt. Diese schädlichen Auswirkungen erstrecken sich auf nichtphilosophische Wissensbereiche und auf die alltäglichen Vorstellungen. Philosophie ist Therapie im weiten Sinne, wenn sie die Aufgabe hat, „solche Überzeugungen des Common Sense (oder auch anderer Überzeugungssysteme) philosophisch zu therapieren, die denjenigen, die diese Überzeugungen haben, Leid verursachen. Das Ziel der Philosophie, die in Analogie zur Medizin gedacht wird, besteht darin, einen Beitrag zum guten Leben zu leisten.“224 Für diese ‚Therapieart‘ stehen unter anderem antike Vorbilder zur Verfügung. Therapie im weiten Sinne umfasst die Therapie im engen Sinne, die sich auf spezifische durch Philosophie verursachte Irrtümer richtet, geht aber auch über sie hinaus, indem sie annimmt, dass Philosophie auch für die Überwindung der nicht durch sie verursachten Probleme, die Leid hervorrufen, zuständig ist, so z.B. für die Überwindung der Angst vor dem Tod. So wie z.B. Erzsébet Rózsa225 betrachtet auch Quante die Vorrede zur Rechtsphilosophie als den Ort, an dem Hegels weiter Therapiebegriff besonders deutlich sichtbar wird. Bei Hegel lassen sich, so Quante, Beispiele für beide Therapiekonzepte finden. Für das enge Therapiekonzept wenn er traditionelle Probleme der Philosophie wie die Immaterialität der Seele und die Freiheit des Willens als durch die Verstandesmetaphysik verursachte Scheinprobleme entlarvt, für das weite Therapiekonzept vor allem im Zusammenhang mit dem Begriff der „Versöhnung“. Für Quante scheitert jedoch Hegels Konzept einer konstruktiven und zugleich therapeutischen Philosophie aus folgendem Grund: Seine Annahme, dass die Philosophie ihr therapeutisches Ziel nur erreichen kann, wenn sie den philosophisch motivierten Zweifel an der Vernünftigkeit der Wirklichkeit und spezieller der sittlichen Institutionen letztbegründend ausräumt, beruht auf einer doppelten Überschätzung 222 223 224 225
204
Michael Quante: „Spekulative Philosophie als Therapie?“, in: Hegels Erbe, Hg. Christoph Halbig et al., Frankfurt am Main 2004, S. 324–350. Michael Quante 2004, S. 329. Michael Quante 2004, S. 329. Erzsébet Rózsa: Versöhnung und System. Zu Grundmotiven von Hegels praktischer Philosophie, München 2005.
der Philosophie, sowohl was die Genese der Entfremdungserfahrungen angeht als auch hinsichtlich der Begründungsmacht der Philosophie.226
Da die skeptische Position des gesunden Menschenverstandes nicht in das System integriert werden kann, die Therapie jedoch auf eben dieser Integration beruht, sei eine therapeutische Philosophie in Hegels Sinne – als Verankerung der Systemphilosophie im natürlichen Bewusstsein – nicht möglich. Der skeptische gesunde Menschenverstand ist, so Quante, mit Hegelschen Mitteln einer Systemphilosophie nicht therapierbar. Für die meisten Hegel-Interpreten, die sich dem Thema ‚philosophische Therapie‘ widmen, besteht somit im Hinblick auf die Frage nach der therapeutischen Seite von Hegels Philosophie folgende Alternative: Hegels Philosophie ist entweder System (Letztbegründung) oder Therapie zum guten Leben – beides zugleich kann sie nicht sein. So verknüpfen auch Terry Pinkard und Michael Forster227 die Möglichkeit der Therapie zum guten bzw. zum glücklichen Leben mit der Möglichkeit einer „antisystematischen“ und „pragmatistischen“ Lesart von Hegels Philosophie. Da sie diese Lesart mit Hegels eigener Intention nicht übereinstimmen sehen, verwerfen sie mit ihr auch die Möglichkeit einer therapeutischen Anwendbarkeit von Hegels Philosophie. Auch Christoph Halbig teilt diese Einschätzung.228 Er zeigt, dass das Bedürfnis, Hegels Philosophie als Therapie zu verstehen, von der Voraussetzung ausgeht, sie sei nicht mehr als ein auf Letztbegründung ausgerichtetes System zu lesen und müsse deshalb von ihren ontologischen und metaphysischen Voraussetzungen abgelöst sowie in die neopragmatische Tradition eingeordnet werden. Hegel soll „in der Nachfolge von Wittgensteins Quietismus“ von den spezifischen Begründungsansprüchen des absoluten Idealismus befreit werden. Halbig stellt zurecht fest, dass diese Ablösung nicht möglich ist und dass für Hegel […] der Common Sense, ob nun als erkennender oder wollender, sich selbst eben doch nur im Medium des philosophischen Systems richtig versteht – so sehr seine zeitgenössischen philosophischen Verteidiger auch geneigt sein mögen, eben dieses Medium vergessen zu lassen oder sich seiner therapeutisch zu entledigen.229
Mit der Unmöglichkeit einer Ablösung der spekulativen Philosophie aus dem ihr zugrundeliegenden System verschwindet aber, so Halbig, auch die 226 227
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Michael Quante 2004, S. 347f. Terry Pinkard: „Innen, Außen und Lebensformen: Hegel und Wittgenstein“, in: Hegels Erbe, hrsg.v. Ch. Halbig, M. Quante und L. Siep, Frankfurt am Main 2004, S. 254–294; Michael Forster: Hegel’s Idea of a Phenomenology of Spirit, Chicago 1998. Christoph Halbig: „Das ‚Erkennen als solches‘“, in: Hegels Erbe, 2004, S. 138–163. Christoph Halbig 2004, S. 162.
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Möglichkeit, Hegels Philosophie als Therapie im Sinne von Wittgenstein zu lesen. System und Therapie schließen sich aus – und da Hegels Philosophie wesentlich „System“ ist, scheidet somit, so Halbig, eine therapeutische Lesart aus. Alle hier angeführten Interpreten sind sich einig, dass die therapeutische Funktion der Philosophie in der Überwindung von Gegensätzen besteht, die sich in der Moderne sowohl im sozialen Leben als auch in der Philosophie zu unversöhnlichen Entgegensetzungen fixiert haben. Festzuhalten ist jedoch, dass damit nur eine Seite von Hegels Anliegen bezeichnet ist. Die andere Seite lautet: die Gegensätze sind auch aufrechtzuerhalten, denn sie gehören zum Leben selbst, ja noch mehr – sie machen das Leben aus. In dieser Erkenntnis besteht die ‚therapeutische‘ Seite der Lehre von der Einheit von Vorstellung und Spekulation.230 Die höchste Stufe der Verwirklichung der Freiheit ist eben nicht in der Sphäre des objektiven Geistes, sondern des absoluten Geistes erreicht, in Kunst, Religion und Philosophie. Diese dürfen wir nicht als das bloß theoretische Wissen missverstehen, denn es ist das Anliegen Hegels zu zeigen, dass es keine Trennung von theoretischem und praktischem Geist gibt, sondern dass es der erst noch vorstellende Geist ist, der diese Trennung aufrechterhält. Die am Ende des Enzyklopädie Kapitels über den subjektiven Geist gegebene Vorschau auf die höchste Existenzweise, die zugleich die höchste Erkenntnisweise ist, also auf die spekulative, philosophische Erkenntnis des Philosophie-Kapitels (§§ 572–577) deutet die Möglichkeit der Überwindung der Vorstellung an: Das Zur-Wirklichkeit-der-Idee-Werden des Subjekts. Die Wirklichkeit der Freiheit ist eine, die schon immer „ist“ und nicht nur „sein soll“. Die „Wirklichkeit“, die das Denken in Philosophie erreicht, ist die seiner Freiheit. Sie ist im Verhältnis zu den anderen in der Enzyklopädie dargestellten Freiheitsgestalten nicht als die oberste, sozusagen ‚dritte Etage‘ (nach dem subjektiven und dem objektiven Geist) des 230
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Zu den interessantesten Beiträgen zu ‚therapeutischen‘ Potentialen von Hegels Philosophie gehört immer noch die 1953 erschienene Arbeit von Johannes Flügge: Die sittlichen Grundlagen des Denkens. Hegels existentielle Erkenntnisgesinnung, Hamburg 1953. Die Selbstvollendung des wissenschaftlichen Denkens in der Philosophie Hegels wird von ihm als eine Verwandlung gedacht, die den ganzen Menschen, seinen gesamten Lebensvollzug umfasst. Die spekulative Wahrheit ist nur als existentielles Wahrwerden möglich, das theoretische Erkennen muss sich, um vollständig zu werden, mit dem Lebensvollzug des Philosophierenden vereinigen. Die Selbstaufopferung des Endlichen, die zur Einheit mit dem Unendlichen und zum lebendigen Verstehen der Idee führt, ist laut Flügge in der existentiellen Entscheidung des Interpreten begründet. Diese existentielle Entscheidung zum Wahrwerden und nicht nur zum theoretischen Erkennen der Wahrheit können wir (was Flügge nicht ausdrücklich tut) als das therapeutische Moment der Spekulation erkennen.
Systemgebäudes zu verstehen, aus der die anderen, möglicherweise tieferen Etagen ausgeschlossen sind. Vielmehr sind auch das vorstellende rechtliche, das vorstellende moralische, das vorstellende sittliche, das vorstellende künstlerische und das vorstellende religiöse Denken Wirklichkeiten des Geistes, die ihr Recht haben und in die wissenschaftliche Wirklichkeit der Philosophie eingehen. Der mit dem freien Geist erreichte Begriff des absoluten Geistes muss in seinem Gang durch Recht, Moralität und Sittlichkeit, durch Staat und Geschichte erst noch voll realisiert werden. 3.7 „Das Reich der Schatten“ Welchen Stellenwert hat die Spekulation, deren Eigentümlichkeit im Verhältnis zur Vorstellung in der Enzyklopädie skizziert wurde, in der Wissenschaft der Logik, also dort, wo sie in ihrer ‚Reinheit‘ anzutreffen wäre? Die Logik ist jedoch, so Hegel, noch nicht „die Wissenschaft überhaupt“231, sondern zum einen „das Reich der Schatten“, befreit „von aller sinnlichen Konkretion“,232 zum anderen Teil eines Ganzen, die Einheit von Logik, Natur und Geist, so wie der § 79 der Enzyklopädie es betont. Beachtet werden muss jedoch, dass die beiden anderen Teile der Philosophie, die Wissenschaften der Natur und des Geistes, also die „konkreten“ Wissenschaften, nicht auf dem Standpunkt einer möglicherweise noch vorlogischen Betrachtungsweise stehen. Sie haben vielmehr, nachdem der Begriff ihr „Vorbildner“ war, mit dessen Hilfe sie sich weiterentwickelt und von den Reflexionsbestimmungen befreit haben, nun „das Logische oder den Begriff zum inneren Bildner“.233 Ein Bildner entfernt das Überflüssige, damit die wahre Gestalt der Sache um die es geht zum Vorschein kommt. Die spekulative Philosophie der Logik ist somit die Reduktion auf das Wesentliche.234 Die Reduktion auf das Wesentliche bedeutet aber nicht, dass man sich philosophierend ausschließlich „im Wesentlichen“ halten könnte, d.h. sich nur in einer auf das „Wesentliche“ reduzierten Sprache bewegen könnte oder sollte. Eine solche ausschließlich wesentliche Sprache gibt es nicht; das Wesentliche muss vielmehr im Unwesentlichen festgehalten werden: Das ist die Pointe der philosophischen Reduktion, das ist das Ziel, auf das hin die Logik ausgerichtet ist. Gilt diese Ausrichtung auf das im Zusammenspiel von Spekulation und Vorstellung aufscheinende Wesentliche aber tatsächlich für die Logik? Das scheint zweifelhaft, denn auf welche Weise sollte die Vorstellung in die Wissenschaft der reinen Denkbestimmungen kommen? Es ist jedoch 231 232 233 234
G.W.F. Hegel: WL GW 12, S. 25. G.W.F. Hegel: WL GW 11, S. 29. G.W.F. Hegel: WL GW 12, S. 25. G.W.F. Hegel: WL GW 12, S. 21.
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zu bedenken: Logik ist zwar die Wissenschaft des reinen Denkens, aber sie ist auch die Wissenschaft des ansichseienden und abstrakten Denkens, die ihre volle Kraft erst dann entfaltet, wenn sie nicht als ein abstrakt Allgemeines aufgefasst wird, sondern als das Allgemeine, das den Reichtum der Welt in sich fasst.235 Für das Individuum, das sich der Logik nähert, erscheint diese auf zwei verschiedenen Arten. Ihr Verstehen ist vergleichbar mit dem Erlernen der Grammatik einer neuen, noch unbekannten Sprache. Man müsse nämlich schon die Grammatik einer Sprache kennen, um eine neue zu erlernen; dieser Hinweis bezieht sich auf die Logik, die nicht in ihrem vollen philosophisch relevanten Umfang verstanden werden kann ohne die ihr vorausgehende und sie ergänzende ‚Grammatik‘ der Vorstellung. Festzuhalten ist Folgendes: Hegel unterscheidet eine erste und eine zweite Logik-Lektüre. Damit ist gemeint: Nicht nur in der Enzyklopädie, sondern auch in der Wissenschaft der Logik, wenn wir sie aus der Perspektive der Enzyklopädie lesen, spielt das Zusammenspiel von Spekulation und Vorstellung eine zentrale Rolle. Spekulative Philosophie besteht zwar zunächst in der Befreiung des Denkens von der Herrschaft der Bilder und Metaphern mit den Mitteln des reinen Denkens, und das schon am Anfang der Logik, also beim Eintritt in die Wissenschaft: „Die erste Bekanntschaft mit der Logik schränkt ihre Bedeutung auf sie selbst ein“.236 Mit dieser Einschränkung auf das reine Denken ist jedoch die Aufgabe der Logik noch nicht erschöpft. Ihre volle Bedeutung entfaltet sie erst durch ihr Bezogenwerden auf die Welt der Vorstellung. Diesen Bezug herzustellen ist die Aufgabe einer zweiten Logik-Lektüre: So muß denn allerdings die Logik zuerst gelernt werden als etwas, das man wohl versteht und einsieht, aber woran Umfang, Tiefe und weitere Bedeutung anfangs vermißt wird. Erst aus der tieferen Kenntnis der anderen Wissenschaften erhebt sich für den subjektiven Geist das Logische als ein nicht nur abtstrakt Allgemeines, sondern als das den Reichtum des Besonderen in sich fassende Allgemeine; – wie derselbe Sittenspruch in dem Munde des Jünglings, der ihn ganz richtig versteht, nicht die Bedeutung und den Umfang besitzt, welchen er im Geiste eines lebenserfahrenen Mannes hat, dem sich damit die ganze Kraft des darin enthaltenen Gehaltes ausdrückt.237
In der zweiten Lektüre wird der Bezug zur Vorstellungswelt jedoch – und das ist entscheidend – nicht erst am Ende der Logik hergestellt, sozusagen nachdem das Denken seine „reine“ Tätigkeit abgeschlossen hat, sondern schon während ihres ganzen Verlaufs. Das wird deutlich in dem schon 235 236 237
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G.W.F. Hegel: WL GW 11, S. 28. G.W.F. Hegel: WL GW 11, S. 28. G.W.F. Hegel: WL GW 11, S. 28.
erwähnten § 18 der Enzyklopädie, wo es ausdrücklich heißt, dass Logik, Naturphilosophie und Philosophie des Geistes nicht als nacheinander auftretende Teile oder Wissenschaften vorgestellt werden dürfen. Man muss sie vielmehr in ihrer Einheit verstehen, und d.h. in ihrer ständigen gegenseitigen Bezogenheit. Es ist vor diesem Hintergrund plausibel anzunehmen, dass auch in der Logik, so wie in dem enzyklopädischen System insgesamt, das Zusammenspiel zwischen der befreienden Tätigkeit der Spekulation und ihrem ständigen Bezogensein auf die Welt der Vorstellung am Werk ist. Sichtbar ist diese für das Verstehen der Logik konstitutive Funktion der Vorstellung auch in deren äußeren Form. Auch die Logik besteht aus einem esoterischen und einem exoterischen Teil: zu diesem gehören die Vorreden, Einleitungen, der enzyklopädische Vorbegriff und die Anmerkungen. Ihr Zweck ist es, die Vorstellung im abstrakten Denken zu üben, damit sie sich besser in ihm bewegen kann. Logik ist daher kein Selbstzweck, sie ist auf den Reichtum der Vorstellungswelt bezogen. Deutlich wird das sowohl in der Seinslogik als auch in der Wesenslogik. So werden in den „Anmerkungen“ laufend Bezüge zu den mangelhaften Vorstellungweisen hergestellt. Besonders eindringlich wird in der Seinslogik die Einheit des Endlichen und Unendlichen, in der Wesenslogik die Bedeutung des „Widerspruchs“ erläutert: Für die Spekulation ist das Unendliche nicht etwas, das, so wie für die Vorstellung, vom Endlichen getrennt ist, sondern das Unendliche selbst ist ebenso endlich wie unendlich. Es ist die Vorstellung, die sich auf dem Niveau der schlechten Unendlichkeit, der Trennung des Unendlichen vom Endlichen, bewegt. Spekulation ist die Sphäre der wahrhaften Unendlichkeit und der Erkenntnis, dass das Unendliche immer schon in das Endliche übergegangen ist, dieses somit selbst das Anderssein des Unendlichen ist. Der Widerspruch wiederum, das Prinzip aller Lebendigkeit, ist auszuhalten. Für die Vorstellung bedeutet er aber Gefahr, denn für sie ist er etwas, das die Vorstellungsinhalte beherrschen und „in nichts auflösen“ will.238 Die Vorstellung kann höchstens zu einer äußeren Vergleichung der im Widerspruch stehenden Momente kommen, nicht aber die Notwendigkeit der Verwandlung der sich widersprechenden Momente, wie z.B das Positive und das Negative es sind, begreifen. Von dem anderen unterschieden zu sein verwandelt das Positive selbst in ein Negatives; mit sich identisch zu sein heißt, dass das Negative das ist, was das Positive ist. Das Ineinanderfließen der Momente festzuhalten, ohne ihre Differenz zu leugnen ist für das Entweder-Oder der Vorstellung unmöglich. Dort, wo die Vorstellung den Untergang oder bestenfalls „sowohl als auch“ (das sie
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„verwirrt“239) sieht, erkennt die Spekulation das Hervorgehen und SichErhalten des Endlichen im Unendlichen. Interessanterweise finden sich in dem Begriffskapitel der Logik keine Anmerkungen mehr. Ob diese Tatsache als ein Hinweis auf die am Ende der Logik stattzufindende Verinnerlichung des Zusammenspiels von Spekulation und Vorstellung durch den Leser zu verstehen ist, so dass dieser dann nicht mehr über die Idee nachzudenken hat, sondern jetzt, am Ende, aus ihrer Perspektive? Das würde bedeuten, dass der Leser auf der Stufe der Begriffslogik ein so freies Verhältnis zu der Sprache der Vorstellung gefunden hat, dass diese nicht mehr in den Anmerkungen von dem Haupttext geschieden zu werden braucht, sondern von spekulativem Denken immer schon mitbedacht werden soll (ohne aber dessen Reinheit zu gefährden). Neben der doppelten Aufgabe des Fernhaltens der endlichen, zufälligen Vorstellungen aus dem Bereich des reinen Denkens und der gleichzeitigen Einbeziehung der Vorstellung in die Darstellung hat die Logik auch noch die Aufgabe, den Gedanken durch „Bildung und Zucht“ zur Selbständigkeit und Unabhängigkeit zu führen.240 Bildung und Zucht des Bewusstseins haben sich allerdings dann auch in der Welt der Vorstellungen zu bewähren. Das Schattenreich der Logik braucht, um seine volle Bedeutung zu entfalten, den ständigen Bezug auf die Welt der konkreten geschichtlichen Gestalten, deren Abstraktion es ist. Die wichtigste Aufgabe der Logik wird in der Rechtsphilosophie formuliert als der „Erweis und die nähere Erörterung“ des „Innersten der Spekulation, der Unendlichkeit als sich auf sich beziehender Negativität, dieses letzten Quellpunktes aller Tätigkeit, Lebens und Bewußtseins“.241 Das, was wir bisher als absolute, in sich spannungsreiche Tätigkeit und Einheit von zwei entgegengesetzten Bewegungen bezeichnet haben, erhält bei Hegel seit 1804 den Ausdruck „die selbstbezügliche Negation“. HegelInterpreten betonen zurecht, dass die Selbstbezüglichkeit der Negation zu unterscheiden ist von den Ausdrücken „doppelte Negation“ und „Negation der Negation“. Das Problem dieses Ausdrucks besteht darin, dass gezeigt werden muss, wie die selbstbezügliche Negation des Begriffs zu seiner Selbstentfaltung führt. Vor allem die Studie von Christian Georg Martin widmet sich gründlich der Beantwortung dieser Frage.242 Für uns ist es
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G.W.F. Hegel: WL GW 11, S. 283. G.W.F. Hegel: WL GW 11, S. 29. G.W.F. Hegel: Rph TW 7, § 7, S. 55. Christian Georg Martin: Ontologie der Selbstbestimmung. Eine operationale Rekonstruktion von Hegels „Wissenschaft der Logik“, Tübingen 2012, S. 46ff.; außerdem Dieter Henrich: „Hegels Grundoperation“, in: Der Idealismus und seine Gegenwart, herausgegeben von Ute Guzzoni et al., Hamburg1976, S. 208–230 und
jedoch wichtig auf die Gleichzeitigkeit der sich selbst widersprechenden Momente, die mit dem Ausdruck „Selbstbezüglichkeit“ benannt ist hinzuweisen und damit die auf den Grund für den nie endgültig aufzuhebenden Widerspruch. Michael Theunissen sieht die Selbstbezüglichkeit der Negation in ihrer höchsten, begriffslogischen Form als die ursprüngliche Gleichheit von „Im-Anderen-bei-sich-selbst-sein“ und „Bei-sich-selbst-im-Anderen-Sein“, die er mit dem Titel „kommunikative Freiheit“ bezeichnet.243 Darunter versteht er die Freiheit, bei der der „eine den anderen nicht als Grenze, sondern als die Bedingung der Möglichkeit seiner eigenen Selbstverwirklichung erfährt“. Hegel denke dabei an die im Christentum geschichtlich aufkommende Idee der Freiheit aller, die als der Maßstab der Kritik an der Gleichgültigkeit und Herrschaft des „Besitzindividualismus“ dient.244 Für die vorliegende Arbeit ist es jedoch wichtig, die Gleichgültigkeit und Herrschaft als integrale Teile einer Bewegung zu verstehen, die nicht in einer universalen Kommunikationstheorie, die Theunissen in Hegels Logik angelegt aber nicht ausgeführt sieht, überwunden werden, sondern die sich durch das Denken aus dem Prozess der als selbstbezügliche Negation bestimmten absoluten Tätigkeit nur punktuell überwinden lassen. Deshalb ist auch Theunissens Interpretation des Begriffs im christologischen Sinne als die freie Macht der Liebe dahingehend zu ergänzen, das erst mit dem Moment der absoluten Tätigkeit in die „Liebe“ diejenige Differenz kommt, durch die allein die Liebe, als selbstbezügliche Negation verstanden, mit allen sie gefährdenden Elementen als das wahrhafte, unendliche Allgemeine zu verstehen ist. Theunissens Fazit, die kommunikative Freiheit, an deren Maßstab seiner Meinung nach Hegels subjektive Logik scheitert, bestehe darin, „die Verwirklichung der Freiheit jedes Menschen aus seinem Zusammengehen mit anderen Menschen begreiflich zu machen“245 ist deshalb entgegenzuhalten: Nicht aus dem Zusammengehen mit anderen Menschen, sondern aus dem Zusammengehen mit der absoluten Bewegung des Begriffs ist die Freiheit, die keine „kommunikative“, sondern eine schöpferisch tätige ist, zu begreifen. Was aber Theunissen als einer der wenigen Interpreten zurecht betont ist, dass sich die logische Reduktion auf das Wesentliche im Unwesentlichen der Vorstellungswelt bewähren soll.246 Nur in dem Zusammen-
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Michael Theunissen: Sein und Schein. Die kritische Funktion der Hegelschen Logik, Frankfurt am Main 1980, S. 154ff. Michael Theunissen: Sein und Schein 1980, S. 161. Michael Theunissen: Sein und Schein 1980, S. 46. Michael Theunissen: Sein und Schein 1980, S. 486. So auch Christian Georg Martin: Ontologie der Selbstbestimmung, S. 630ff., der die Logik als eine philosophische Disziplin von dem Logischen als der in der Logik thematischen Gesamtheit der empiriefreien Gestalten des reinen Sichbestimmens
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spiel mit der realen Welt der endlichen vorstellenden Subjekte ist die volle Aufgabe der Logik verwirklicht. Diese Aufgabe besteht darin, der von der Vernunft stammenden Anforderung nach der Selbständigkeit und der Unabhängigkeit des Gedankens gerecht zu werden.247 Schließlich ist die Selbstbewegung der Idee in der Logik nicht nur eine reine, sondern auch eine erfahrungsgesättigte.248
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(der absoluten Idee) unterscheidet: „Damit erhebt die Logik auch nicht den Anspruch, einem vermeintlich weltjenseitigen, reinen, göttlichen Denken in die Karten blicken zu können. Vielmehr hat das Logische, weil es sich immer schon zeitlos zur Realität ausgelegt hat, seinen Ort als solches allein im natürlich verwurzelten Geist und, rein für sich herausgestellt, in einer philosophischen Logik, verstanden als Disziplin des welthaften, falliblen Geistes, der versucht, rein zu denken, ohne dabei guten Gewissens behaupten zu können, sich vollständig von den empirischen Voraussetzungen, in die er verstrickt ist, und der Fallibilität, die zu seiner Realität gehört, frei gemacht zu haben.“ Vgl. Hans Friedrich Fulda: „Vorbegriff und Begriff der Philosophie bei Hegel“, in: Hegels Logik der Philosophie: Religion und Philosophie in der Theorie des absoluten Geistes, Hg. Dieter Henrich und Rolf - Peter Horstmann, Stuttgart 1984, S. 13–34; hier S. 31f. Fulda stellt zutreffend fest, dass „wir als Philosophierende niemals nur spekulatives Begreifen sind, daß sich das nichtspekulative philosophische Denken im Medium spekulativen Begreifens nicht restlos auflöst und daß seine Berücksichtigung nicht nur im Interesse des (zunächst nichtspekulativ) philosophierenden Subjekts erfolgt, sondern auch im Interesse des spekulativen Begreifens, sofern dieses – in einer Encyklopädie jedenfalls – nur zu sich selbst und der Totalität seines Inhalts kommt, wenn es von einem sich an ihm ausrichtenden und Schritt für Schritt korrigierenden nichtspekulativen Verständnis der Philosophie begleitet wird.“247 Auf der Stufe des spekulativen Denkens müsse das endliche Subjekt „nicht mehr auf sich Verzicht tun, sich nicht ‚à corps perdu‘ ins reine Denken der Wissenschaft stürzen und ist in der Wissenschaft auch nicht mehr ‚untergegangen‘, sondern sich selbst zurückgegeben, indem sein spekulatives Begreifen und sein nichtspekulatives Denken einander versöhnt begegnen.“ Siehe auch Fulda 1991 b, S. 81 („Philosophisches Denken in einer spekulativen Metaphysik“): „Wir erheben im philosophischen Denken uns zur absoluten Idee, indem wir uns mit deren Dasein und als es identifizieren […]“. Siehe dazu Andreas Arndt: „Warum heute noch Hegel?“: „Was den Abschluss der Philosophie in einem absoluten Wissen betrifft, so ist dieser Hegelsche Gedanke immer wieder, und zum Teil äußerst heftig, bestritten worden. Ich bin mir allerdings nicht sicher, dass dieser Kritik in der Regel auch ein angemessenes Verständnis Hegels zugrunde liegt. Absolut ist das Wissen in dem Sinne, dass es seine interne Struktur – das kategoriale Netz der reinen Denkbestimmungen – vollständig geklärt hat. Dies geschieht in der Wissenschaft der Logik, aber auch hier weiß Hegel selbst, dass dieses kategoriale Netz sich in den Realwissenschaften „bewähren“ muss.“ (Warum Heute Noch Hegel?, S. 2) „Hegel kritisiert, daß Kant gleichwohl die Methode als ein (äußerliches) Instrument des Erkennens verstehe. Ihm zufolge müssen Methode und Inhalt identisch sein, weil die Struktur der Vernunft – letztlich der Begriff – zugleich die Struktur der Realität sei. Die Wissenschaft der Logik ist die Selbstentfaltung der inneren Systematik der Vernunft; sie kulminiert in der absoluten Idee als absolute Methode, wobei unter Methode
Die Selbstbeschränkung der Philosophie – und darin besteht ihre Reduktion auf das Wesentliche – zeigt sich vor allem in ihrem Verhältnis zu Religion als für beide Seiten vorteilhaft. Um das zu verdeutlichen nehmen wir als Beispiel das christliche Credo, das Glaubensbekenntnis. Für Hegel bildet es bekanntlich den Inhalt der geoffenbarten Religion. Er unterzieht jedoch nicht jede einzelne inhaltliche Bestimmung des Bekenntnisses einer spekulativen Überprüfung, um sie in die Sprache der Philosophie (in den Begriff) zu übersetzen; er weist sie aber auch nicht als unangemessen oder unwahr zurück. So wird z.B. die Bekenntnisformel „der kommen wird zu richten die Lebenden und die Toten“ (also Christus) nicht in eine spekulative Form übertragen, relativiert oder zurückgewiesen als ‚nur für die Vorstellung geeignet‘. Die Aufgabe der Philosophie besteht nicht darin, die Glaubenssätze als unwahr zu kritisieren und sie auf die vermeintlich spekulative Formel „der Begriff kehrt zu sich zurück“ zu überführen, sondern den philosophischen Anspruch dieser Aussagen zu überprüfen: Die Frage der Philosophie lautet also: Ist das im Glaubensbekenntnis Vorgestellte geeignet, das Problem der dynamischen spannungsreichen Einheit von Form und Inhalt, von Subjekt und Objekt, Freiheit und Notwendigkeit theoretisch zu lösen oder nicht? Besitzt das vorstellende Denken genug ‚Disziplin‘, um sich vom Wesentlichen des Glaubens nicht ablenken zu lassen? Philosophie ist der schützende Raum, in den die religiöse Vorstellung, von ihren inneren Widersprüchen und von der Verstandesaufklärung gefährdet, in Krisenzeiten „flüchten“ kann. Die vielfach gescheiterten Versuche, Spekulation (als nur abstraktes Denken missverstanden) und Vorstellung, Logik und Realphilosophie miteinander in Bezug zu setzen bestehen im Wollen, etwas Unmögliches zu schaffen: Die beiden Sphären irgendwie nachträglich miteinander zu verknüpfen oder aufeinander zu beziehen. Abstraktes und Konkretes lässt sich jedoch nicht miteinander so in Verbindung bringen, dass dadurch das reine Denken erst nachträglich, in einer Art der Anwendung, seine inhaltliche, vorstellungsbedingte oder realphilosophische Fülle bekommt. Diese wäre ihm nur äußerlich. Ihr Verhältnis muss in einer tieferen Einheit der beiden bestehen, in einer Tätigkeit, die in beiden wirkt.
„das Bewußtsein über die Form der inneren Selbstbewegung ihres Inhalts“ verstanden wird. Die Methode ist, Hegel zufolge, nichts anderes als die Sache selbst, um die es zu tun ist, und nicht ein Instrument, um die Sache überhaupt erst erfassen zu können.“ (Warum Heute Noch Hegel?, S. 12) Arndt bringt hier die Methode und den Anspruch der Wissenschaft der Logik auf den Punkt. Allerdings sollte Folgendes ergänzt und betont werden: Die Selbstbewegung der Idee ist zugleich die Erfahrung ihrer dynamischen Anwesenheit als absolute Tätigkeit. Das Denken (das dialektisch und spekulativ ist) ist das Leben der Idee in ihren beiden, spannungsreichen Momenten der Schöpfung und der Vernichtung.
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Enzyklopädie zeigt einen Weg, wie Vorstellung und Spekulation als aufeinander bezogen gedacht werden können. Der Vorbegriff der enzyklopädischen Wissenschaft der Logik (§§ 19–83) lenkt den Blick auf das Wesentliche: Logik ist aus der Perspektive des in ihm Entwickelten zu lesen, so wie der Vorbegriff nur aus und nach der ganzen Logik zu verstehen sei. Die Perspektive, aus der der Vorbegriff und das Ganze der Logik zu lesen ist, ist folgende: „Die Idee ist das Denken nicht als formales, sondern als die sich entwickelnde Totalität seiner eigentümlichen Bestimmungen und Gesetze, die es sich selbst gibt, nicht schon hat und in sich vorfindet.“249 Die schöpferische Tätigkeit der Idee muss während der ganzen Logik-Lektüre bedacht werden. In ihren Fluss ‚einzutauchen‘ und aus ihm zu denken bzw. sich in ihm zu ‚bewegen‘ macht, so Hegel, das Spekulative in seiner vollen Bedeutung aus und die Logik zu der schwersten Wissenschaft. Der Hinweis, dass das Logische (die in der Logik entwickelte Selbstbewegung der Idee) „die absolute Form der Wahrheit“ und, noch mehr als das, „die reine Wahrheit selbst ist“, schließt schon, obwohl unausdrücklich, den Bezug auf die Vorstellungen ein. Allerdings nicht das, was zu dem üblichen Kreis der Vorstellung gehört, so dass man meinen könnte, wenn das Denken über diesen Kreis hinausgehe, „gehe es zu bösen Häusern“.250 Das Besondere der Logik als einer Wissenschaft des Denkens ist ja, dass sie die Vorstellungen von besonderen Interessen und Neigungen befreit, von ihrer bloß zufälligen, sinnlichen Form also, dabei aber nicht selbst zu einer Gefahr für die Interessen der Religion, des Staates, des Rechts oder der Sittlichkeit wird.251 Nicht der Umsturz, nicht die Vernichtung der Welt, die „ein Fallendes, Erscheinendes, an und für sich Nichtiges ist“ ist das Ziel des Denkens, sondern ihre spekulative Umwandlung.252 Das Endliche ist zum Untergang bestimmt. Die Logik zeigt aber, wie die rettende Umwandlung des Endlichen zu denken ist. Da das Endliche vor dem Untergang gerettet werden soll, und zwar wirklich und konkret als das in der Welt existierende Endliche und nicht nur als der abstrakte, nur im Denken existierende Begriff des Endlichen, kann und muss die Logik, um diese ‚heroische‘ Aufgabe lösen zu können, weltbezogen sein und darf nicht bloßes „Schattenreich“ bleiben. ‚Weltbezogen‘ bedeutet aber nicht die Welt bloß interpretierend oder sie verändernd, sondern sie durch das Eingehen in die hervorbringende Kraft des Absoluten, so wie es in sittlichen Lebensformen, vor allem aber in den drei Formen des absoluten Geistes gedacht und gelebt wird, vor der Selbstzerstörung rettend.
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G.W.F. Hegel: Enz. TW 8, § 19 A. G.W.F. Hegel: Enz. TW 8, § 19 Z 1. G.W.F. Hegel: Enz. TW 8, § 19, Z 3. G.W.F. Hegel: Enz. TW 8, § 50 A.
Als ein Beispiel für den Bezug der Logik auf die Vorstellungswelt soll hier exemplarisch aus der Begriffslogik das Kapitel „Mechanismus“ skizziert werden. Schon im Zusammenhang mit der Vorstellungsgestalt „Gedächtnis“ wurde die destruktive Seite des Mechanismus gezeigt. So ist der materielle und der geistige Mechanismus ein Beispiel für die noch nicht hergestellte Freiheit, für das noch nicht spekulative, sondern bloß vorstellende Verhältnis zur Objektivität. Seinen Charakter macht es aus, dass die Beziehung zwischen den Objekten „ihnen eine fremde ist, welche ihre Natur nichts angeht“ und nichts weiter ist als ihre zufällige Zusammensetzung und Vermischung. Hegel bezieht nun die Denkbestimmungen der Logik auf das Gebiet der Philosophie des Geistes, nicht als eine Art der äußeren Anwendung, sondern als deren Vertiefung und Veranschaulichung: Wie der materielle Mechanismus, so besteht auch der geistige darin, daß die im Geiste Bezogenen sich einander und ihm selbst äußerlich bleiben. Eine mechanische Vorstellungsweise, ein mechanisches Gedächtnis, die Gewohnheit, eine mechanische Handlungsweise bedeuten, daß die eigentümliche Durchdringung und Gegenwart des Geistes bei demjenigen fehlt, was er auffaßt oder tut. Ob zwar sein theoretischer oder praktischer Mechanismus nicht ohne seine Selbsttätigkeit, einen Trieb und Bewußtsein stattfinden kann, so fehlt darin doch die Freiheit der Individualität, und weil sie nicht darin erscheint, erscheint solches Tun als ein bloß äußerliches.253
Die Grundbestimmung des Mechanismus ist Determinismus, sein wichtigstes Merkmal ist die Gleichgültigkeit der Objekte in ihrem Kausalitätsverhältnis zueinander. Mechanismus ist somit eine Form der endlichen, erst noch vorstellenden Beziehung der Objekte aufeinander. In ihm ist die Ursache eines Objekts ein anderes Objekt, aber dieses andere, verursachende Objekt ist gleichgültig sowohl gegen seine Bestimmung (Verursachung) eines anderen Objekts als auch gegen sein eigenes Bestimmtsein (Verursachtsein) durch ein weiteres Objekt. Gleichgültigkeit, Indifferenz ist die wesentliche Charakteristik des Mechanischen. Sie ist aber auch die Wurzel der Gewalt, die Objekte aneinander ausüben. Denn in dieser gleichgültigen gegenseitigen Bestimmung sind die Objekte auch miteinander identisch. Hegels Formulierung lautet: Die Objekte sind sich gleichgültig und einander äußerlich, aber das sind sie „in der Identität ihrer Bestimmtheit“. Darin besteht der Widerspruch des mechanischen Verhältnisses: Die Objekte sind fremdbestimmte Teile eines mechanischen Prozesses und sind doch auch selbständig. Aus diesem Widerspruch entstehen die Verhältnisse von Macht und Gewalt. Denn ein Teil des Prozesses zu sein – damit ist der mechanische Kausalitätsprozess gemeint – bedeutet für das Objekt, von einer fremden Macht bestimmt zu sein. 253
G.W.F. Hegel: WL GW 12, S. 133.
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Prozess als Totalität vorgestellt ist kein Garant der Selbständigkeit und Freiheit der in ihm sich befindenden Objekte, die jedoch selbst Totalitäten („Monaden“) sind.254 Zwei „Totalitäten“ stoßen aufeinander: die Selbstbeziehung des Objekts und die Fremdbestimmung durch ein anderes Objekts. Die Selbständigkeit ist der Grund für die Widerständigkeit des Objekts. Aus dem Widerspruch selbständig und unselbständig, also ein selbständiges Teil eines fremden, mechanischen Prozesses zu sein, entsteht der Widerstand der Objekte.255 Dieser wird, so die auf Gewalt beruhende Konsequenz, durch die „Überwältigung des einen Objekts durch das andere“ gebrochen.256 Die Überwältigung kann nur dann abgewehrt werden – hier zeigt sich wieder der ‚mimetische‘ Ausweg, der für Hegel so wichtig ist – wenn das überwältigte Objekt selbst zum Subjekt der Überwältigung wird und so das Allgemeine als etwas Eigenes verinnerlicht. Die fremde Macht wird scheinbar durch ein mimetisches Verhältnis zu ihr überwunden: sie wird zu der eigenen Macht des Unterlegenen. Widersteht das Objekt aber der fremden Macht, verinnerlicht es sie nicht so, dass sie sich als „dessen eigene negative Reflexion in sich“ erweist, wird das Verhältnis zu einem der Gewalt, die zum Untergang führt.257 Hegels Beispiel ist auch hier die fremde Macht des Schicksals, die auf der Stufe des vorstellenden mechanischen Verhältnisses nicht als die eigene Natur erkannt wird. Es ist jedoch zu betonen, dass es letztendlich nicht um die Angleichung an etwas Fremdes geht, sondern um die Einheit mit der eigenen, in sich spannungsreichen geistigen Natur, mit dem „Begriff“ also.258 Das nicht mehr mechanische und gleichgültige, sondern begreifende Durchdrungensein der Objektivität durch den Begriff führt als Idee ausdrücklich aus dem Bereich des Schattenteichs der Logik in die Welt. Diesen großen interpretatorischen Rahmen zu beachten ist nötig, um zu einem angemessenen Verständnis des begreifenden spekulativen Erkennens zu kommen, eines Erkennens, das von sich aus auf die Fülle der Erscheinungen, dessen „Quellpunkt“ es ist, ausgerichtet ist, und durch den die Macht- und Gewaltbeziehungen einzig zu überwinden wären. Zu den mangelhaften mechanischen Freiheitsgestalten gehört auch der Chemismus, der bestimmt wird als das Streben des Objekts, die Einseitigkeit der eigenen Existenz aufzuheben und in den Prozess des Aus254 255 256 257 258
216
G.W.F. Hegel: Enz.TW 8, § 193 A, § 194. G.W.F. Hegel: TW 8, § 195, S. 352. G.W.F. Hegel: WL GW 12, S.141. G.W.F. Hegel: WL GW 12, S.141. Adorno betont einen weiteren wichtigen Aspekt des mimetischen Charakters der Hegelschen Dialektik: Durch die Mimesis erhofft sich die Vernunft „den Sieg über die Übergewalt der Welt, die es ohne Illusion durchschaut, davon, daß es diese Übergewalt gegen sie selber wendet, bis sie ins Andere umschlägt“. In: Drei Studien zu Hegel, S. 287.
gleichs mit dem anderen Objekt einzutreten. Das neutrale Medium, in dem sich Objekte miteinander verbinden, ist im Körperlichen das Wasser, im Geistigen das Zeichen bzw. die Sprache. Das Wesen des Chemismus kann man jedoch vor allem an Beispielen des Geschlechtsverhältnisses und des Triebes zu Freundschaft und Liebe plausibel machen.259 In der Liebe wird das Andere geradezu als das Andere begehrt; zugleich geht der „absolute Trieb“ darauf, dieses Andere „zu integrieren“, ohne es – oder sich selbst – verschwinden zu lassen oder zu überwältigen. Das Medium der Vereinigung der entgegengesetzten Objekte – sei es das Wasser, die Sprache oder die Liebe – ist das „neutrale Produkt“, in dem die Extreme aufgehoben sind und das immer schon in einem Spannungsverhältnis steht zu der Machtbeziehung in der sich Objekte befinden.260 An der gegenseitigen Angewiesenheit dieser beiden Prozesse – Ruhe und Ausgleich der Objekte in der Unmittelbarkeit, d.h. in dem neutralen und indifferenten Produkt der Vereinigung (z.B. der Liebe) einerseits, Selbständigkeit und Differenz der Objekte andererseits – wird offenbar, dass die Unmittelbarkeit das notwendige Moment eines übergreifenden Prozesses ist, der auch die Differenz einschließt. In dem übergreifenden chemischen Prozess wird die Unmittelbarkeit als das gesetzt, was sie in Wahrheit ist, als die „Vermittlung des Begriffs durch sich selbst“ und nicht als ein dem Begriff äußerliches Moment.261 Obwohl auch der Chemismus noch nicht „für sich“ die Totalität der Selbstbestimmung ist und der Sphäre der Vorstellung gehört, so wird doch an seinem Streben zur Integration eines anderen Selbständigen in das Fürsichsein der Begriff des Zwecks, der über die bloß mechanischen, vorstellenden Beziehungen der Objekte zueinander hinausführt, offenbar. Die Objektivität, die sich auf ihre Unmittelbarkeit, Äußerlichkeit und Gleichgültigkeit als auf die zwar eigene, aber „unwesentliche Realität“ bezieht, hat sich mit dem Zweckbegriff zu ihrem wahren Begriff erhoben. Die Objektivität, und damit die Sphäre der Vorstellung, hat sich durch den Zweckbegriff zu sich selbst befreit. Wie das Eingehen einer zunächst noch mechanischen Vorstellungsund Verhältnisweise in das Zugrundeliegende, in die absolute Tätigkeit zu verstehen ist, lässt sich durch den Übergang von der äußeren in die innere Zweckmäßigkeit nachvollziehen. Die Überwindung der gleichgültigen und auf Macht beruhenden mechanischen Verhältnisse, deren Gleichgültigkeit sich auf den Zwecken gründet, die dem Verstand und dem Willen äußerlich sind, also auf Zwecken, die willkürlich und austauschbar sind, kann, so Hegel, nur durch die geänderte Einstellung zu den Zwecken gewährleistet sein. Die Zweckbeziehung ist somit die Wahrheit des Me-
259 260 261
G.W.F. Hegel: WL GW 12, S.149. G.W.F. Hegel: Enz. TW 8, §§ 200–203. G.W.F. Hegel: WL GW 12, S.153.
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chanismus. Sie ist seine Wahrheit, weil in ihr das Subjekt entweder von der ihm fremden und gleichgültigen Äußerlichkeit bedroht ist („Wahrheit“ bedeutet hier die Wahrheit über seinen Mangel, den ständigen Drang zum Überwältigenmüssen des ihm fremden Objekts), oder von ihr befreit ist und sich auf sie als auf eine unwesentliche Realität bezieht, gegen die es nicht mehr ankämpfen muss (hier ist seine „Wahrheit“ seine Rettung vor dem Gefangensein in der Dramatik des Kampfes). In diesem zweiten Fall ist der Zweck die freie Existenz, die weder in der Äußerlichkeit verloren noch sich aus ihr in die Innerlichkeit flüchtend ist. Der Unterschied zwischen Mechanismus und Teleologie besteht in der Durchdringung der Objektivität mit der wissenden Selbstbeziehung des Subjekts. Wir können festhalten: Die Freiheit, die im Kapitel über die Teleologie dargestellt wird, ist zum einen die Freiheit des Begriffs von der Gleichgültigkeit und der Macht einer bloß mechanischen, vorstellenden Verbindung von Objekten und zum anderen die Freiheit des Subjekts, sich zu der wissenden Integration des Anderen in die eigene Selbstbeziehung zu bestimmen: Freiheit ist – auf dieser Entwicklungsstufe, die noch nicht die letzte und höchste ist – das Beisichsein im Anderen. Die freie, schöpferische Macht des Begriffs entlässt sich in das Andere, ohne es zu vereinnahmen oder von ihm vereinnahmt zu werden. Was unter der inneren Zweckmäßigkeit zu verstehen ist wird deutlicher, wenn man das Entscheidende mit Hilfe der drei von Hegel selbst gebrauchten Beispiele verdeutlicht: Der Zweck ist a) der Trieb (der subjektive Zweck), b) das Mittel und c) der ausgeführte Zweck.262 Die zentrale Rolle spielt dabei der ausgeführte Zweck als „Mittel“ vorgestellt. Während sich der subjektive Zweck auf eine ihm gleichgütige Objektivität bezieht und ihr fremd bleibt, schließt er sich als Mittel mir ihr zusammen. In der äußeren Zweckmäßigkeit ist es dem Objekt „gleichgültig“, ob es zum Mittel für die Triebbefriedigung des Subjekts herabgesetzt wird oder nicht. Es ist der Gewalt des Subjekts anheimgegeben, das es nach Belieben umformen und benutzen kann. Dann aber, wenn nicht mehr das Objekt der Begierde zum Zweck des Willens erhoben wird, sondern ein Mittel zur Erreichung dieses Zweckes ‚dazwischengeschoben‘ wird, ändert sich auch der Zweckbegriff. Das Mittel, mit dem das begehrte Objekt bearbeitet wird, ist der auf das Objekt sich richtende Gewalt enthoben. Das Objekt als Mittel zur Triebbefriedigung vergeht; das Mittel des Bearbeitens und Formens des Objekts erhält sich. Indem ein Objekt zum Mittel der Zweckerfüllung wird, ist es zugleich Objekt des Willens (vom Willen getrennt) und vom Willen durchdrungen (mit dem Willen vereint). So übt z.B. ein Werkzeug diese Doppelfunktion aus: es verwirklicht die unmittelbaren Zwecke der Person, es 262
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G.W.F. Hegel: Enz. TW 8, § 204 A.
überdauert sie aber auch und ist von den einzelnen willkürlichen Zwecken unabhängig. Es vereint in sich die verschwindende Einzelheit des zu befriedigenden Genusses und die Dauer der Objektivität. In Hegels Worten heißt es: […] der Pflug ist ehrenvoller, als unmittelbar die Genüsse sind, welche durch ihn bereitet werden und die Zwecke sind. Das Werkzeug erhält sich, während die unmittelbaren Genüsse vergehen und vergessen werden. An seinen Werkzeugen besitzt der Mensch die Macht über die äußerliche Natur, wenn er auch nach seinen Zwecken ihr vielmehr unterworfen ist.263
„Genüsse“ vergehen und werden vergessen; die Genussbefriedigung ist daher eine mangelhafte Freiheitsgestalt, es fehlt ihr die Beständigkeit des Objektiven. Ein Werkzeug herzustellen und zu benutzen ist dagegen eine höhere, eben „ehrenvollere“ Freiheitsform als unmittelbare Genussbefriedigung, weil sie dem Subjektiven Dauer und Stabilität verleiht. Ein Werkzeug ist ein Objekt in der Welt, das von dem Wissen und Wollen des Subjekts durchdrungen ist. Dieses übt Macht über das Objekt aus, aber eine Macht, die nicht vernichtet, sondern das Objekt als zu formendes bewahrt. Indem das Subjekt das Werkzeug benutzt um andere Objekte zu bearbeiten, verlässt es die mechanische Beziehung zu Objekten. Das Werkzeug wird zu dem Vermittelnden zwischen dem subjektiven Zweck und der Befriedigung durch das Objekt, wobei sich der Objektbegriff ändert. Das Objekt wird von einem äußeren, vom Subjekt getrennten Objekt zu dem vom Subjekt und seinem Willen durchdrungenen Objekt. Dieser ‚Tausch‘ im Verständnis des „Objekts“ hat zur Folge, dass auf die Stelle der unmittelbaren, mechanischen Gewaltausübung auf ein Objekt der Begierde die freie Macht des Begriffs tritt. Damit ist Folgendes gemeint: Die freie Macht des Begriffs über das Objekt besteht nicht in dessen Unterwerfung unter einem dem Objekt äußerlichen Zweck, sondern in der Macht, das Objekt zu seiner wahren Bestimmung zu führen. Diese lautet: Vom Begriff, d.h. von der absoluten Tätigkeit durchdrungen zu sein, so wie es eben beim Werkzeug der Fall ist bedeutet, dass das Werkzeug ein Objekt in der Welt und zugleich der Ausdruck der Subjektivität ist. Das Innere (der Zweck) ist im Äußeren (dem Werkzeug als dem Mittel der Zweckbefriedigung), also als das Innere im Äußeren anwesend und erhält sich in ihm auch nachdem das vom Werkzeug zu bearbeitende Objekt verschwunden ist. Die Dauer und die Beständigkeit des Sich-Erhaltens liegen im Mittel, in der vermittelnden Mitte. Die Objektivität (das Mittel) ist so „durch sich selbst“ aufgehoben, sie ist eine Objektivität nämlich, die zugleich Subjektivität ist. Entsprechend heißt es zur inneren Zweckmäßigkeit: Sie ist, „daß etwas an ihm 263
G.W.F. Hegel: WL GW 12, S. 197.
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selbst Zweck und Mittel ist. Es ist der aristotelische Begriff; es ist Unendliches, das in sich selbst zurückgeht, die Idee.“264 3.8 Die Selbstbeschränkung des spekulativen Denkens Der spekulativen, begreifenden Philosophie ist auf ihrer höchsten Stufe die Selbstbeschränkung eigen, das Sich-Zurücknehmen, damit das dem Endlichen Zugrundeliegende zum Vorschein kommen kann. In Philosophie kommt nämlich nichts Neues zum Vorschein; es kommt „das schon Existierende in die Existenz“.265 Was Philosophie in ihrer höchsten Bestimmung ist erkennen wir nicht, indem wir uns mit den Gegenständen der Metaphysik beschäftigen, sondern nur indem wir begreifen, was das „schon Existierende“ eigentlich ist. Philosophie, sich selbst oft als mit einer besonderen eigenständigen wissenschaftlichen „Methode“ ausgestattet betrachtet und dabei verkennend, dass es sich dabei nur um „die Methode der begrifflosen Endlichkeit“ handelt,266 muss sich, um wahrhaft zu sein, selbst zurücknehmen, damit die den Sachen selbst innewohnende „Methode“ 264
265 266
220
G.W.F. Hegel: Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie (=VGPh) TW 20, S. 379. Der Hinweis auf Aristoteles bezieht sich auf das in den Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie Gesagte. Hegel sieht die Einheit des Subjektiven und des Objektiven bei Aristoteles „in der höchsten Bestimmtheit ausgesprochen“; Aristotelische Metaphysik ist „das Spekulativste, was es geben kann“ (VGPh TW 19, S. 219). Der Nous ist „das Tätige, das Denken und Gedachtwerdende“, „das Absolute“, „das Denken des Gedankens“. Das, was Hegel als den absoluten Geist denkt, denkt Aristoteles als den Nous: „dies ist ebenso auch im Aristoteles enthalten“ (VGPh TW 19, S. 218). Hegels Interpretation nach ist für Aristoteles die denkende Seele „der Ort der Ideen“; diese sind jedoch „nur erst ruhende Formen, nicht als Tätigkeiten“ zu denken; sie brauchen einen Anstoß (VGPh TW 19, S. 217). Der Nous „macht sich“ Empfindungen und Vorstellungen, so wie auch die äußere Natur, „zum Gegenstande, zum Gedachtwerden, zur dynamis. Die endlichen Dinge, Zustände des Geistes sind diese, wo nicht diese Identität des Subjektiven und Objektiven vorhanden ist. Es ist da außereinander; da ist der Nous nur dynamei, nicht als Entelechie“ (ebd.). Der passive Nous (Empfindungen und Vorstellungen) ist das Ansichsein des aktiven Nous (Denken) (GPh TW 19, S. 216); wie kann dieser in jenem wirken? Die Pointe ist für Hegel nun folgende: Der Nous „denkt sich selbst durch Aufnahme des Denkbaren; dies Denkbare wird erst erzeugt, indem es berührt, – es ist so erst im Denken, in der Tätigkeit des Denkens“ (VGPh TW 19, S. 218). Durch die aufnehmende „Berührung“ des Gegenstandes geschieht die Erzeugung des „Denkbaren“, aber so – und das ist für Hegel das Entscheidende – dass durch diese Erzeugung auch der Nous wirklich wird. Für Hegel ist das ein weittragender Gedanke: „Der Nous „bringt das hervor, was als Aufgenommenwerdendes erscheint, – er wird, sofern er hat“. Diese – nennen wir sie „dialektische“ – Beziehung vom passiven und aktiven „Nous“ ist für Hegels Bestimmung des Verhältnisses vom vorstellenden und philosophischen Denken in der Enzyklopädie beispielhaft. G.W.F. Hegel: WL GW 12, S. 167. G.W.F. Hegel: WL GW 12, S. 229.
sichtbar wird. In diesem Sich-Zurücknehmen ist Philosophie als „spekulative Methode“ betrachtet die Einheit der analytischen und der synthetischen philosophischen Methode. Folgende Textstelle bringt es folgendermaßen auf den Punkt: Die philosophische Methode ist sowohl analytisch als auch synthetisch, jedoch nicht in dem Sinn eines bloßen Nebeneinander oder einer bloßen Abwechslung dieser beiden Methoden des endlichen Erkennens, sondern vielmehr so, daß sie dieselben als aufgehoben in sich enthält und demgemäß in einer jeden ihrer Bewegungen sich als analytisch und synthetisch zugleich verhält. Analytisch verfährt das philosophische Denken, insofern dasselbe seinen Gegenstand, die Idee, nur aufnimmt, dieselbe gewähren lässt und der Bewegung und Entwicklung derselben gleichsam nur zusieht. Das Philosophieren ist insofern ganz passiv. Ebenso ist dann aber das philosophischen Denken synthetisch und erweist sich als die Tätigkeit des Begriffs selbst. Dazu gehört die Anstrengung, die eigenen Einfälle und besonderen Meinungen, welche sich immer hervortun wollen, von sich abzuhalten.267
Die „Anstrengung“, die eigenen Einfälle fernzuhalten, erfordert vom Philosophierenden den Perspektivwechsel in die „allgemeine absolute Tätigkeit“268, die sich in der dreifachen Form – als Erschaffende, Zerstörende und Rettende – selbst bestimmt, realisiert und bewegt. Im Durchdringen des Objekts der Erkenntnis mit ihrer „unendlichen Kraft“ ist die Negation des Objekts begründet, das Brechen seines Widerstandes. Da sie zugleich jedoch „Seele und Substanz“ des Objekts ist, gäbe es dieses nicht ohne sie. Das Durchdringen der Widerständigkeit des Endlichen durch die Methode verliert seinen ‚Schrecken‘, wenn es begriffen wird in seiner spannungsvollen Einheit: ohne die absolute Tätigkeit gäbe es nichts zu durchdringen, es gäbe keine Welt des Endlichen. Werfen wir nun einen Blick auf Jacobi, den Verteidiger der Widerständigkeit des Endlichen. Im Gegensatz zu Hegel ist die Widerständigkeit der Dinge für Jacobi nicht zu brechen, sie ist der Grund ihres Bestehens, aber auch der Grund ihrer beständigen Verwicklung in den Kampf mit anderem Endlichen. So heißt es in Von den Göttlichen Dingen: Was nicht widersteht, besteht auch nicht: jedes Widerstehen aber ist zugleich ein Angreifen. Was widerstehend besteht, schließet aus. Ausschließend ist jedes Leben, jedes individuelle Daseyn, jedes Eigenthum; und für alles dieses darf und soll man wider den Angreifenden feindlich streiten, weil es seiner Natur nach nur ausschließend und kriegerisch besessen werden kann.269 267 268 269
G.W.F. Hegel: Enz. TW 8, § 238 Z., S. 390. G.W.F. Hegel: WL GW 12, S. 238. Friedrich Jacobi: Von den Göttlichen Dingen und ihrer Offenbarung, in: Religionsphilosophie und spekulative Theologie. Der Streit um die Göttlichen Dinge (1799–
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Widerstand, der nicht nur Verteidigung, sondern zugleich Gegenangriff ist, gehört zum Sein von allem, was lebt. Die sinnlich-vernünftige Natur des Menschen ist in diesem ursprünglichen und nie ganz zu überwindenden Antagonismus gefangen.270 Er steigert sich zum Krieg, der als eine unaufhebbare Bedrohung des Lebens betrachtet wird. Jacobi verdeutlicht das auch an der Ablehnung einer falsch verstandenen Toleranz. Wenn Toleranz Gleichgültigkeit ist, so ist sie „die schrecklichste Entartung menschlicher Natur“. Nicht auf das Nachgeben in der Auseinandersetzung mit einer anderen Meinung kommt es an, sondern auf das Widerstehen. Gegengewalt ist bei der Auseinandersetzung von Meinungen, die genauso bedrohlich sein können wie ein Angriff auf das Leben, unverzichtbar. Wahrhafte Toleranz kann daher nur im Zugestehen der „Befugnis der Intoleranz“ bestehen. Ohne die Bereitschaft zum Kampf um das Bestehen der eigenen, als wahr erkannten Meinung, die sich aber zum Kampf um die Selbsterhaltung des Lebens steigern kann, wird das Individuum zum nichtigen Gespenst. Die Widerständigkeit der Dinge, von der in Jacobis David Hume im Zusammenhang mit der Erfahrung der Kausalität die Rede ist, ist als Widerständigkeit der Meinungen das Merkmal des Lebens der Individuen. Auch für Hegel ist Widerständigkeit der Dinge ein Merkmal der Endlichkeit, ebenso wie der Fluch des Krieges (nicht nur der Meinungen), der daraus entsteht. Sie kann jedoch durch das spekulative Denken überwunden werden, das dem Endlichen nicht etwas Fremdes, sondern sein Eigenstes ist. Diese der Philosophie und ihrer „Methode“ eigentümliche höchste und alles durchdringende Kraft darf aber nicht missverstanden werden als die auftrumpfende und niederwälzende Macht des Systems, so wie das Hegel oft unterstellt wird. Mit der Macht der spekulativen Methode ist nämlich – wesentlich – das Sich-Zurücknehmen der Philosophie verbunden. Philosophie verzichtet auf experimentierende und willkürliche Methoden der Erkenntnis, um die dem Existierenden innewohnende Macht seiner eigenen „Methode“ zu begreifen und hervortreten zu lassen. Dem Vorwurf der Machtausübung und des Nicht-Wahrhabenwollens der Dignität des Endlichen, der gegenüber Hegels Philosophie erhoben wird, ist energisch entgegenzutreten. Das Aufzeigen der Möglichkeiten der Rettung des Endlichen und das Gerechtwerden-Wollen den Belangen des Endlichen ist gerade das Ziel von Hegels Philosophie. Es wäre deshalb nicht nur von der schlechten und wahrhaften Unendlichkeit zu reden, sondern, mit derselben Berechtigung, auch von der schlechten und wahrhaften Endlichkeit. Dass „das Nichtsein des Endlichen das Sein des Abso-
270
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1812), Quellenband, Hg. Walter Jaeschke, Band 3.1, Hamburg 1994, S. 157–241; hier S. 192. Friedrich Jacobi: Von den Göttlichen Dingen, S. 225.
luten“271 ist bedeutet, spekulativ betrachtet: das Endliche geht wörtlich „zu Grunde“,272 in seinen absoluten Grund also, als dessen Endliches es sich begreift und in diesem Wissen ‚wahrhaftes‘ Endliches wird. Auch in ihrer Selbstbeschränkung273 bleibt Philosophie zwar die Bändigung des vorstellenden Denkens durch das spekulative, aber sie ist auch die Wiederherstellung des vorstellenden Denkens „in dem eigentümlichsten, freisten Elemente des Geistes“.274 Hegel spricht auch von der „Wiedergeburt des Geistes“ in der Philosophie, die jedoch zugleich eine „Wiedergeburt des Herzens aus der Eitelkeit des einseitigen Verstandes“ ist,275 wobei unter „Herz“ die Vorstellung zu verstehen ist. Philosophie ist schließlich der Gedanke und der Begriff „oder die freie, schöpferische Tätigkeit, welche nicht eines außerhalb ihrer vorhandenen Stoffs bedarf, um sich zu realisieren“.276 Das bedeutet, spekulative Philosophie denkt nicht über die freie, schöpferische Tätigkeit nach, sondern sie ist es. Man könnte ferner meinen, Philosophie auf ihrer höchsten Stufe zeichne sich durch Klarheit aus. Das ist aber nicht der Fall, zumindest 271 272 273
274 275 276
G.W.F. Hegel: WL GW 12, S. 290. G.W.F. Hegel: Enz. TW 8, § 120. Eine weiterführende Perspektive für das Verstehen der Selbstbeschränkung von Hegels Philosophie bieten Überlegungen von Markus Gabriel: „Hegels Begriff der Vorstellung und das Form-Inhalt Problem“, in: Spekulation und Vorstellung in Hegels enzyklopädischem System, Hg. Kazimir Drilo und Axel Hutter, Tübingen 2015, S. 7–28. In dem Kapitel über den absoluten Geist werden, so Gabriel, nicht die Philosophie der Kunst und die Philosophie der Religion dargestellt, sondern Formen der Selbstbezüglichkeit des Denkens „im Lichte der Frage, ob sie für eine Bestimmung des Philosophiebegriffs hinreichend sind“. „Kunst“ und Religion“ sind somit nicht vorgegebene Gegenstände der Philosophie, sondern Namen für die Philosophie in der Form der Vorstellung. In der Philosophie des Geistes wird von Hegel dargestellt, wie sich der Geist zunehmend durchsichtig wird, und zwar so, dass vorausgesetzt wird, es handelt sich um den Geist eines genitivus obiectivus, um schließlich zu der Erkenntnis zu kommen, das es sich um den Geist handelt, der sich selbst untersucht, um einen genitivus subiectivus, also um Philosophie (S. 10). Die Aufgabe der Enzyklopädie und der spekulativen Philosophie ist es somit nicht, die Kunst und die Religion zu überbieten und sie vollständig in die begriffliche Form der Philosophie zu überführen. Ihre Aufgabe ist vielmehr die „metatheoretische Untersuchung gegebener Theorien der Totalität“. Die Interpretation des Kapitels der Enzyklopädie über die geoffenbarte Religion darf somit nicht zu einem „hypostasierenden Vulgärhegelianismus“ (S. 23) werden, in der die „Natur“ als eine Emanation des Geistes missverstanden wird, „der sich aus freien Stücken in die Natur begibt, um sich am Ende wiederzugewinnen usw“. Hegel kommt es darauf an zu zeigen, „dass es verschiedene Formen des Nachdenkens gibt, die er untersucht, und nicht darum, welche Instanz diese Formen vertritt.“ (S. 24). G.W.F. Hegel: Enz. TW 8, S. 14f. G.W.F. Hegel: Enz. TW 8, S. 25. G.W.F. Hegel: Enz. TW 8, § 163 Z.
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nicht so, wie man sich „Klarheit“ üblicherweise vorstellt. Sie zeichnet sich nämlich nicht durch die Klarheit ihrer Definitionen und der intersubjektiven Mitteilung aus, sondern dadurch, dass sie in die Entwicklung und den notwendigen Zusammenhang der Denkbestimmungen eingeht und dort „das Leben der Sache“, wie Adorno es ausdrückt, begreift.277 Philosophie ist die sich selbst zurücknehmende und sich bescheidende, weil nicht auf sich selbst, sondern auf die „Sache“ um die es geht blickende spekulative Wissenschaft.278 Die Selbstbeschränkung der Philosophie in ihrem Verhältnis zu Religion und Kunst richtet sich, wie wir sehen werden, gegen die Versuchung, gegenüber der Kunst und der Religion allmächtig aufzutreten. Sie richtet sich aber auch auf die Kunst und die Religion indem sie diese von der Last befreit, mit der Philosophie konkurrieren zu müssen. Begrenzt wird der Totalitätsanspruch der Philosophie, insofern sie nicht alle religiösen Inhalte und jede in der Geschichte auftretende religiöse oder philosophische Gestalt „kreuzigen und segnen“279, also auf die spekulative Form zurückführen muss, sondern nur zu fragen hat, in welchen von diesen Gestalten der spekulative Anspruch auf die vollständig entwickelte Wahrheit schon implizit verwirklicht ist. Dieser spekulative Teil der Religion und der Kunst ist ihr schlagendes philosophisches Herz, das von der Philosophie freigelegt und beschützt wird. Philosophie weiß aber auch: Ihre geschichtliche Entwicklung und ihre inhaltliche Tiefe verdankt sie der Kunst und der Religion. Spekulative Philosophie ist auch nicht der Bereich der „Versöhnung“. Die lauwarme und unscharfe Rede von der „Versöhnung“ oder der „Versöhnung im Streit“ wird der Dramatik des von Hegel Gedachten nicht gerecht. Die Erschütterung durch den „ewig“ erzeugten „härtesten Gegensatz“ ist dem zur Wirklichkeit der Idee „verklärten“ Gedanken eingeschrieben als der Grund seiner ständigen Unruhe.280 Philosophie hat es mit der Wirklichkeit der Idee zu tun, denn ihre Aufgabe ist es, in dem „unendlichen Reichtum von Formen, Erscheinungen und Gestaltungen“ den „Kern“, den „inneren Puls“ der äußeren Existenz zu finden „und ihn ebenso in den äußeren Gestaltungen noch schlagend zu fühlen“.281 In 277
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Zum Stellenwert der „Klarheit“ bei Hegel sagt Adorno Erhellendes: Hegel will die Begriffe so bilden, „daß in ihnen das Leben der Sache selbst erscheint, und nicht nach dem abstrakten Erkenntnisideal von Klarheit“. Weiter: „Am ehesten würde der Not eine philosophische Sprache gerecht, die auf Verständlichkeit dringt, ohne mit Klarheit sie zu verwechseln. Sprache, als Ausdruck der Sache, geht nicht in der Kommunikation, der Mitteilung an andere auf.“ In: Drei Studien zu Hegel, S. 338f. G.W.F. Hegel: Enz. TW 8, S. 31. G.W.F. Hegel: GPh, TW 18, S. 61. G.W.F. Hegel: WL GW 12, S. 177. G.W.F. Hegel: RPh TW 7, S. 25.
dieser Rückbesinnung auf das Wesentliche, auf den „inneren Puls“ der äußeren Existenz, besteht, so können wir folgern, das ‚therapeutische‘ Geschäft der Philosophie, und nicht in der Beschäftigung mit Dingen, die sie nichts angehen. Darunter fällt das „unendliche Material und seine Regulierung“. Im Umgang mit diesem unendlichen Material kann sich Philosophie Hegels Meinung nach „am liberalsten“ zeigen und das, was sie nicht angeht, einfach beiseitelassen. Dabei muss sie sich von der „Eitelkeit des Besserwissens“ befreien.282 Philosophie soll auch nicht belehrend auftreten, denn sie könnte, wenn es um tagessaktuelle Dinge geht, nur Banalitäten von sich geben. Diese Entlastung der Philosophie von dem Ballast der praktischen und jeweils aktuellen Aufgaben (das wäre ein überzeugendes Argument gegen alle „Ethikkommissionen“) steht im Gegensatz zum Vorgehen von z.B. Fichte, der, so Hegel, der Philosophie unter anderem die Aufgabe der „Vervollkommnung der Paßpolizei“ aufgebürdet hat – und nicht nur Fichte, sondern z.B. auch Platon konnte es nicht unterlassen, sich mit Dingen zu beschäftigen, die nicht das Geschäft der Philosophie sind. An das freie Denken ergeht „die innere Anforderung [...] zu begreifen und in dem, was substantiell ist, ebenso die subjektive Freiheit zu erhalten sowie mit der subjektiven Freiheit nicht in einem Besonderen und Zufälligen, sondern in dem, was an und für sich ist, zu stehen“.283 Das, was „an und für sich“ ist, ist aber nicht die Kommunikationsgemeinschaft der freien Individuen oder der gesunde Menschenverstand, sondern die „Idee“ als die Einheit von absoluter Tätigkeit und der Welt des Endlichen begriffen. Die Befriedung des Subjekts kann nur in der Übernahme der erzeugenden, schöpferischen Kraft der Idee geschehen. Aber auch in den drei Gestalten des absoluten Geistes, die dies leisten können, ist sie nur im aktuellen Vollzug der erzeugenden Tätigkeit zu erreichen, als künstlerisches Schaffen, kultische Andacht und begreifendes Erkennen. Spekulative Philosophie, als die dritte und höchste Gestalt des absoluten Geistes, wird an dem gemessen, was für die absolute Idee, deren denkende Bewegung sie ist, gilt: Sie ist nicht aufzufassen nur als das Ziel der Bewegung der Idee durch die verschiedenen Denkbestimmungen hindurch, sondern als die ganze Bewegung selbst: „Das Letzte ist die Einsicht, daß die ganze Entfaltung den Inhalt und das Interesse ausmacht“.284 So ist auch Philosophie „das Ganze“, wobei – das gilt es zu betonen – dieses Ganze nicht nur der inhaltliche Umfang des Geschriebenen und Vorgetragenen ist, son-
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G.W.F. Hegel: RPh TW 7, S. 26. G.W.F. Hegel: RPh TW 7, S. 27. G.W.F. Hegel: Enz. TW 8, § 237 Z.
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dern vor allem das begreifende Nachvollziehen der ganzen Bewegung der absoluten Tätigkeit. 3.9 Die Kunst und der „stete Krieg“ Spekulatives Denken unterscheidet sich zwar vom vorstellenden Denken, negiert es jedoch nicht nur, sondern verwandelt es auch, indem es dieses in die ganze spannungsreiche Bewegung des Geistes integriert. Es befindet sich somit in einem produktiven Spannungsverhältnis zur Vorstellung. Als reines Denken schließt es die Vorstellung aus sich aus, als gleichzeitig abstraktes bedarf es jedoch der inhaltlichen Fülle, die es selbst nicht besitzt und auf die es sich unausdrücklich bezieht, so wie der Schatten auf den Körper, dessen Schatten er ist. Diese inhaltliche Fülle wird durch die Tätigkeit der Vorstellung bereitgestellt. Spekulation muss mit Anschauung, Erinnerung und Einbildungskraft verbunden werden, denn der Philosophie geht es um das endliche Subjekt, das sich befreien, erkennen und vor den Gefahren der in ihm wirkenden Kräfte retten will. Es geht ihr nicht allein um das Aufstellen eines für sich bestehenden „Schattenreichs“ der Logik. Die drei Gestalten des absoluten Geistes – Kunst, Religion und Philosophie – sind drei Arten, den Kampf des Bewusstseins so auszutragen, dass er nicht zum Untergang des Subjekts führt bzw. so, dass in dem Untergang das Wahre – das Rettende – sichtbar wird. Die erste dieser Gestalten – die Kunst – wird im Folgenden in der Gestalt der Poesie das Thema sein. An ihrem Beispiel soll der Zusammenhang von Gefährdung und Rettung des Denkens, so wie Hegel ihn in der Philosophie der Kunst auf den Punkt bringt, gezeigt werden. Wenn es zur Bestimmung der Kunst heißt, die Schönheit sei das Zeichen der Idee (Enz. § 556), bedeutet das, dass das Zeichen, so wie wir es als das Charakteristische der Vorstellung kennen, in eine neue Form verwandelt wird. Nicht mehr die Macht, die an einem Äußerlichen, von dem Subjekt Getrennten ausgeübt wird ist jetzt das Charakteristische des Zeichens, sondern die Macht, sich selbst im geistigen Mittelpunkt des Bewusstseins zu sammeln und aus ihm schöpferisch tätig zu sein, also aus der eigenen Fülle und nicht aus der Abhängigkeit von der äußeren Natur. Dieser innere Einheitspunkt, der von dem schöpferisch tätigen Künstler während seiner Schaffenstätigkeit zusammengehalten und zum Zeichen seiner gestalterischen Macht wird, wird durch das Kunstwerk „sichtbar und erfaßbar“.285 Ohne diese Tätigkeit und ohne die Existenz aus der Mitte, was wiederum nichts Statisches ist, sondern die Bewegung des schöpferischen, auf der absoluten Tätigkeit beruhenden Prozesses, bliebe der Mensch im Widerspruch zwischen der Selbstbeziehung und der Abhän285
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G.W.F. Hegel: Ästhetik TW 13, S. 195.
gigkeit von andren stehen, er bliebe in der „Prosa der Welt“ und dem in ihr herrschenden „steten Krieg“ gefangen: Dies ist die Prosa der Welt, wie dieselbe sowohl dem eigenen als auch dem Bewußtsein der anderen erscheint, eine Welt der Endlichkeit und Veränderlichkeit, der Verflechtung in Relatives und des Drucks der Notwendigkeit, dem sich der Einzelne nicht zu entziehen im Stande ist. Denn jedes vereinzelte Lebendige bleibt in dem Widerspruche stehen, sich für sich selbst als dieses abgeschlossene Eins zu sein, doch ebensosehr von anderem abzuhängen, und der Kampf um die Lösung des Widerspruchs kommt nicht über den Versuch und die Fortdauer des steten Krieges hinaus.286
Der Krieg dauert fort; das ist das Schicksal der „Prosa der Welt“. Doch welchen Ausdruck findet er in der Kunst? Es ist ja die Kunst, die die Mannigfaltigkeit der prosaischen Erscheinungen der Welt zu einer Gestalt formt, sie in einem inneren Mittelpunkt sammelt und ihnen Ausdruck gibt.287 So verrichtet die Kunst erfolgreich, woran die prosaische Arbeit der Vorstellung scheitert: Sie formt das gegebene Material zu einem Ganzen als dem Ausdruck der Innerlichkeit des Subjekts. Doch ihre Formung ist, im Unterschied zu derjenigen der bloßen Vorstellung, eine, in der „Druck der Notwendigkeit“ nicht mehr zerstörerisch ist, sondern zum künstlerischen Ausdruck geworden ist. Der „stete Krieg“ wird in der schöpferischen Kraft des Künstlers und in seinem Produkt aufgehoben, und zwar in dem wohlbekannten dreifachen Hegelschen Sinne. Hegels Pointe im Hinblick auf das Kunstwerk ist, dass sich dieses aus der Mangelhaftigkeit der Welt, in der wir leben, herausarbeitet. Der im Kampf und Streit verwickelten Prosa der Welt wird durch das Kunstwerk ein befriedetes Dasein verliehen, „befriedet“ nicht im Sinne des Aufhörens, sondern in ein organisches Ganzes integriert. Das heißt dann auch, dass der Vorstellung ein angemessener Ort im Ganzen des Kunstwerks verliehen wird. Die Vorstellung ist das Wesen der prosaischen Welt; sie zeigt sich im Kunstwerk so wie sie ist, mit dem ihr immanenten Moment des Kampfes. Dieser ist jedoch jetzt nicht mehr die Welt gefährdend, sondern sie verwandelnd. Die Kunst überwindet die Gefährdung des Geistes, von der sie gleichwohl, als dasjenige, das sie in sich trägt, abhängig bleibt. Hegel zeigt das exemplarisch am Beispiel der tragischen Heroen: Diese Kraft der Individualität, dieser Triumph der in sich konzentrierten konkreten Freiheit ist es, den wir besonders in antiken Kunstwerken in der heiteren Ruhe ihrer Gestalten erkennen. Und dies ist nicht etwa bei kampfloser Befriedigung allein der Fall, sondern dann selbst, wenn ein tiefer Bruch das Subjekt in sich selbst wie dessen ganze Exis286 287
G.W.F. Hegel: Ästhetik TW 13, 199. G.W.F. Hegel: Ästhetik TW 13, 201.
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tenz zerrissen hat. Denn wenn die tragischen Heroen z.B. auch so dargestellt sind, daß sie dem Schicksale unterliegen, so zieht sich dennoch das Gemüt, indem es sagt: Es ist so!, in das einfache Beisichsein zurück. Das Subjekt bleibt dann noch immer sich selber getreu; es gibt das auf, was ihm geraubt wird, doch die Zwecke, welche es verfolgte, werden ihm nicht nur genommen, sondern es läßt sie fallen und verliert damit sich selber nicht. Der Mensch, vom Geschick unterjocht, kann sein Leben verlieren, die Freiheit nicht. Dies Beruhen auf sich ist es, welches im Schmerze selbst noch die Heiterkeit der Ruhe zu bewahren und erscheinen zu lassen vermag.288
„Es ist so!“: Der Kampf, die Zerrissenheit und das Leid werden durch den tragischen Heroen angenommen und beispielhaft überwunden. In der heroischen Haltung des Freiseins auch im Untergang und in dem „Beruhigtsein in sich bei Qual und Leiden“ zeigt sich die rettende Gegenwart des Geistes im Schmerz und im Leid. Das dargestellte Beruhigtsein bei Qual und Leiden ist die Vorwegnahme des in sich beruhigten Denkens der Spekulation, das eben mehr ist als das reine Denken der Logik. Das in sich beruhigte Denken ist die wahre Macht, die darin besteht, aus den „zerreißenden Widersprüchen“ des Lebens „fest in sich selber zu bleiben“ und „sich im Negativen seiner selbst zu erhalten“.289 Die heroische Haltung der in sich gesammelten, selbständigen und aus sich heraus die Welt gestaltenden Kraft ist jedoch unter den Bedingungen der geordneten Welt, der Welt des Bürgers und des Politischen, nicht mehr notwendig. Was in der bürgerlichen Welt aber bestehen bleibt ist das Interesse und vor allem das Bedürfnis nach der nicht politischen, nicht bürgerlichen Zeit der Heroen.290 Das Substantielle dieser heroischen Zeit kann aber – und darauf kommt es an – in der Philosophie entdeckt und gelebt werden. Es braucht keine tragischen Heroen mehr, denn die Sehnsucht nach ihnen verkennt, dass das Denken selbst das Tragisch-Heroische ist. In der Poesie wird das Gewalttätige der Welt in den schöpferischen Vollzug umgewandelt. Zu betonen ist aber, dass Poesie – die Kunst – keine mehr oder weniger naive Anleitung zum moralischen, sittlichen oder religiösen Leben ist. Das, worauf es Hegel ankommt ist zu zeigen, wie das Drama der Welt in der Aktualität des Schaffens und der Rezeption objektiviert, gestaltet und so ‚versöhnt‘ wird. Von dieser Seite aus gesehen kann die Kunst als Einübung in das spekulative Denken betrachtet werden. Poesie ist nicht nur ein für sich abgesonderter Bereich, sie übt auf die prosaische Welt, aber auch auf Philosophie, eine heilende Wirkung aus. Diese ist aber nur als Ergebnis eines Prozesses zu verstehen, in dem Kampf, Schmerz, Tod und „die Qual des Geistes und der Leiblichkeit als 288 289 290
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G.W.F. Hegel: Ästhetik TW 13, S. 208f. G.W.F. Hegel: Ästhetik TW 13, S. 234. G.W.F. Hegel: Ästhetik TW 13, S. 255.
wesentliches Moment“ hervortreten.291 Die romantische Kunst ist so die Sphäre der geistigen Subjektivität, die sich selbst unendlich wichtig wird. In der Formulierung „Wenn sich aber die Subjektivität in ihrem geistigen Insichsein von unendlicher Wichtigkeit wird, dann ist die Negation, welche der Tod in sich trägt, eine Negation dieses Hohen und Wichtigen selber und deswegen furchtbar […]“292 ist das zentrale Thema nicht nur der romantischen Kunst, sondern auch der Philosophie und des Zeitalters der Moderne auf den Punkt gebracht. Die Furcht vor dem Tod ist der Impuls zur Selbstvernichtung durch das Bewusstsein der eigenen Nichtigkeit, aber auch zu der Rückkehr zu sich und zu der Auferstehung des Geistes aus seiner ihm „unangemessenen Endlichkeit“.293 Gehört die Furcht vor dem Tod auch zu der spekulativen Philosophie? In seinen Ausführungen zum Verhältnis von Philosophie und Poesie benennt Hegel einen substantiellen Mangel des philosophischen Denkens, der durch die Poesie behoben werden kann. Dieser Mangel besteht in der Abstraktheit der Spekulation und in ihrer Unfähigkeit, die Totalität des Inneren des Menschen auszudrücken. So gibt es zwar „eine Form des Geistes“, die höher steht als Poesie, weil sie den Inhalt in seinem notwendigen Zusammenhang auf eine Weise präsent macht, die der Kunst nicht möglich wird. Das ist das philosophische Denken. Hegel betont aber: Umgekehrt jedoch ist diese Form andererseits mit der Abstraktion behaftet, sich nur in dem Elemente des Denkens als der bloß ideellen Allgemeinheit zu entwickeln, so daß der konkrete Mensch sich nun auch gedrungen finden kann, den Inhalt und die Resultate seines philosophischen Bewußtseins in konkreter Weise, als durchdrungen von Gemüt und Anschauung, Phantasie und Empfindung, auszusprechen, um darin einen totalen Ausdruck des ganzen Inneren zu haben und zu geben.294
Das philosophische, spekulative Denken ist daher nicht nur, als das Denken der durchgreifenden Allgemeinheit und der Notwendigkeit sowie des freien Selbstbewusstseins, höherstehend als Phantasie und Anschauung der Poesie, es ist auch, wegen seiner bloß ideellen Allgemeinheit und Abstraktheit, der Ergänzung durch diese bedürftig. Diese Gelassenheit im Umgang mit Poesie ist dem philosophischen Denken nur deshalb möglich, weil es im Durchgang durch die verschiedenen Gestalten des Geistes eine Sicherheit und Festigkeit gewonnen hat, die es ihm ermöglichen, die Auseinandersetzung mit der Poesie (und mit der Kunst überhaupt) so zu führen, dass es durch diese Auseinandersetzung zur vertieften Selbsterkenntnis gelangt. So ist 291 292 293 294
G.W.F. Hegel: Ästhetik TW 14, S. 133f. G.W.F. Hegel: Ästhetik TW 14, S. 134. G.W.F. Hegel: Ästhetik TW 14, S. 135. G.W.F. Hegel: Ästhetik TW 15, S. 437.
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das in sich als Denken beruhigte Philosophieren imstande, seine klar gefaßten und systematisch durchgeführten Gedanken mit Empfindung zu beseelen, durch Anschauung zu versinnlichen und den wissenschaftlich in seiner Notwendigkeit offenbaren Gang und Zusammenhang, wie dies z.B. Schiller in manchen Gedichten tut, gegen jenes freie Spiel der besonderen Seiten einzutauschen.295
Es ist das endliche Subjekt, dem das Interesse einer systematisch durchgeführten und im Denken beruhigten Philosophie gilt. Sie kann sich, ihrer selbst sicher und daher frei und ohne Angst etwas Wesentliches zu verlieren, der Frage nach der Ergänzung und Bereicherung des Denkens durch Empfindung und Anschauung, Vorstellung und Phantasie, also nach dem, was die Endlichkeit des Lebens ausmacht, widmen. Das spekulative Denken ist sogar in der Lage, die wissenschaftliche Notwendigkeit, die sein eigentliches Element bildet, gegen das freie Spiel der Phantasie einzutauschen. Dieser Tausch kann jedoch nur temporär sein und vor dem Hintergrund der Sicherheit und der Festigkeit des vollständig ausgebildeten Denkens erfolgen.296 Jedoch: Die Furcht vor dem Tod zu nehmen ist nicht die Aufgabe der Philosophie. Das in sich beruhigte spekulative Denken zeigt sich hier als einseitig und um eine grundlegende Dimension des Menschseins ärmer als die Kunst (und die Religion). Das ist aber nicht ein Argument gegen das spekulative Denken, sondern gegen seine einseitige Auslegung. Das Spekulative besteht nämlich gerade darin, dass man die ganze Tiefe des Menschlichen in sich aufnimmt und sich selbst dadurch relativiert. Nur die Selbstrelativierung der Philosophie durch Kunst und Religion zeigt ihren spekulativen Charakter. Was sind aber die Merkmale des „in sich als Denken beruhigten spekulativen Philosophierens“? Es lassen sich folgende unterscheiden: 1. Das in sich (also nicht in einem anderen Individuum, im Staat oder in Religion, sondern in der absoluten Tätigkeit der Idee) beruhigte spekulative Denken der Philosophie überblickt den systematisch durchgeführten Befreiungsweg von seinen abstraktesten Gestalten zu sich selbst; die Phänomenologie des Geistes und die Wissenschaft der Logik sind zwei Beispiele für diesen Weg zur Selbsterkenntnis; 2. Es erkennt in diesen Gestalten sich selbst in noch unvollendeter Form, ist also zugleich kritisch und affirmativ diesen noch unvollkommenen Gestalten seiner selbst gegenüber. Es erkennt aber auch die Notwendigkeit der Entwicklung zu immer komplexeren und angemesseneren Formen der Freiheit und der Selbsterkenntnis; 3. Am Ende der Entwicklung ist es bei sich im Sinne der Integration der vorangegangenen Gestalten in ein Ganzes, das es selbst ist. Es ist ein Denken aus der „Sache“ und somit – da die Sache des Denkens das in ihm 295 296
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G.W.F. Hegel: Ästhetik TW 15, S. 437. Ähnliches gilt auch für das Verhältnis des spekulativen Denkens zur Religion.
tätige Absolute ist – aus seinem Wesentlichen heraus. Es ist nicht ein Denken über etwas von ihm Getrennten. In diesem Sinne ist es frei, denn es ist bei sich „im Anderen“, wobei dieses Andere zunächst nicht ein anderes Subjekt ist, sondern das Andere in seinem Denken, sein Eigenstes und zugleich Unverfügbarstes: die in sich widersprüchliche Kraft der absoluten Tätigkeit. Dieses „Andere“ ermöglicht somit die eigentliche Freiheit – und nicht „der Andere“, das andere Subjekt. „Intersubjektivität“ ist für Hegel ein untergeordneter Freiheitsbegriff, der seine Bedeutung vor allem in der Sphäre des objektiven Geistes hat. Die im reinen Denken vollzogene Selbsterkenntnis ist abstrakt; deshalb ist der Rückgang zum Konkreten nötig, vor allem durch Poesie. Die Totalität des Inneren, um die es bei dem durch die Poesie vermittelten Rückgang in die Fülle des Lebens (zu der auch die Furcht vor dem Tod gehört) geht, entzieht sich dem abstrakten philosophischen Denken. Das Element des reinen Denkens verliert im Element der Poesie seine Reinheit und gewinnt die Gestalt des begreifenden spekulativen Erkennens. Um der vollständigen Selbsterkenntnis und der vollständigen Freiheit willen muss das spekulative Denken den Bereich der hellen aber abstrakten Selbsterkenntnis verlassen und in das Halbdunkel des „Inneren“ hinabsteigen, dort, wo es nicht mehr, so wie das in der Logik der Fall ist, durchgehend der Herr des Verfahrens ist, sondern wo es sich dem Spiel der Kräfte des Zufälligen, der Vorstellung und der Phantasie ausliefern darf, ohne sich selbst dabei zu verlieren. Die Einheit von Nähe und Distanz ist das Charakteristische der spekulativen Philosophie. Wenn sie sich dem Spiel der Kunst überlässt, dann nicht wie ein ‚steifer Herr‘, der sich auch mal ‚gehen lässt‘, sondern um das Erschütternde der Kunsterfahrung zu verstehen und festzuhalten. 3.9.1 Poetische Vorstellung zwischen dem Prosaischen und der Philosophie Im Hinausgehen über sich selbst und in der Rückkehr „zu ihrem neuen Heiligen“, dem „Humanus“,297 wird die Bedeutung der romantischen Kunst für Philosophie trotz ihrer Mängel (die Rückkehr zum „Humanus“ bedeutet für Hegel die Verarmung der Poesie) in besonderer Weise sichtbar. Sie verbleibt nämlich nicht nur in dem Bereich des Menschlichen und Endlichen, sie bereitet auch den Übergang in die Philosophie vor, die das Absolute – die absolute Tätigkeit der Idee – zum Gegenstand hat. Die Vollendung der romantischen Kunst und der Poesie besteht in ihrem Drang, in die Objektivität und den notwendigen Begriffszusammenhang des absoluten Geistes überzugehen und dabei das „Allgemeinmenschliche“ nicht abzustreifen, sondern zu verwandeln. Durch diesen Drang in 297
G.W.F. Hegel: Ästhetik TW 14, S. 237.
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die begriffene Objektivität treffen sich Poesie und Philosophie: Die innere Totalität des Menschen, seine konkrete Geistigkeit, berührt das sich selbst durchsichtige abstrakte Denken der Philosophie. In dieser Berührung, die keine Vermischung ist, sondern der schöpferische Funke, aus dem das voll inhaltlich bestimmte Wissen der Philosophie entsteht, wird das abstrakte philosophische Denken konkret und die Poesie wird Gedanke. Das Verhältnis von Poesie und Philosophie ist jedoch nicht so zu verstehen wie dasjenige von Religion und Philosophie. Während Religion im Glauben an den einen dreifaltigen, also in sich ausdifferenzierten absoluten Geist und durch die Andacht im Kultus die Umkehr in das inhaltlich voll bestimmte philosophische Erkennen initiiert, sieht Hegel das Verhältnis der poetischen Vorstellung zu Philosophie als vom anmaßenden Scheitern bedroht an. Zu der Klarheit und Festigkeit der Philosophie kann die Poesie von sich aus nicht durchdringen. Durch den Versuch sich der Philosophie anzunähern gerät sie in die Gefahr ihre Eigentümlichkeit zu verlieren und zum „Erguß einer in sich kämpfenden und ringenden Seele, die in ihrem Gären sowohl der Kunst als dem Denken Gewalt antut, indem sie das eine Gebiet überschreitet, ohne in dem anderen zu Hause zu sein oder heimisch werden zu können“ zu werden.298 Poesie ist in der Lebenswelt und im „Inneren“ des Menschen verankert, auf diesem Spielfeld muss sie bleiben, um von diesem Boden aus über sich hinauszuwachsen. Die Annäherung und das produktive Treffen der beiden Sphären des absoluten Geistes muss aber, um erfolgreich zu sein, von Philosophie ausgehen. Nur in ihr erfasst sich der Mensch in völliger Durchsichtigkeit. Beim Versuch einer Annäherung an die Kunst trifft Philosophie auf das vorstellende Denken in seiner prosaischen und poetischen Form. Die Vorstellung ist der Boden, auf dem beide, das Prosaische und die Poesie, stehen.299 Ihr Kampf, den sie miteinander austragen, kann nur durch „die höchste Genialität“ des Künstlers geschlichtet werden. Worin besteht aber der Kampf der beiden Weisen der Vorstellung? Der grundlegende Unterschied zwischen der prosaischen und der poetischen Vorstellung ist der zwischen der abstrakten, aus Einzelteilen zusammengesetzten prosaischen Sprache und dem gestalteten künstlerischen Ausdruck, der den Inhalt aus der „Abstraktion des Vorstellens“ in die „konkrete Lebendigkeit“ überführt.300 Aus dem Widerstand des Prosaischen gegen seine Befreiung durch das Poetische entsteht der Kampf, denn als ein Abstraktes bleibt die prosaische Sprache an das Zufällige und Einzelne gebunden und ist nicht willig, hinter der Erscheinung des Einzelnen dessen tieferen Sinn, die zugrundeliegende Einheit der sich bekämpfenden Mächte, zu erkennen.301 298 299 300 301
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G.W.F. Hegel: Ästhetik TW 15, S. 437. G.W.F. Hegel: Ästhetik TW 15, S. 236. G.W.F. Hegel: Ästhetik TW 15, S. 282. G.W.F. Hegel: Ästhetik TW 15, S. 243.
Das Ausgesprochene – ein prosaischer Inhalt, z.B. der Bericht über den Ausgang einer Schlacht – wird erst durch den poetischen Ausdruck zur Kunst. Darin besteht die Leistung der Poesie: das Prosaische der verständigen Vorstellung so umzuschmelzen und umzuprägen,302 dass der tiefere Sinn, das Wesentliche und Innere der Dinge, sichtbar wird. Hegels Pointe ist jedoch folgende: In ihrem angestrebten Ziel der Verwandlung des Prosaischen in das Geistige ist die Poesie mit dem Denken der Philosophie verwandt. Auf diese innere Verwandtschaft von Poesie und Philosophie im Hinblick auf den Umgang mit der verständigen Vorstellung kommt es bei der Bestimmung der Philosophie an: Diese Mängel des verständigen Vorstellens und gewöhnlichen Anschauens tilgt nun drittens das spekulative Denken und steht dadurch von der einen Seite her mit der poetischen Phantasie in Verwandtschaft. […] Das Denken ist nur eine Versöhnung des Wahren und der Realität im Denken, das poetische Schaffen und Bilden aber eine Versöhnung in der wenn auch nur geistig vorgestellten Form realer Erscheinung selber.303
Obwohl das philosophische Denken das „Reich der Wahrheit“ ist, ist es die Poesie, die das Wahrhafte des Denkens, also dessen gestalterische Macht, in der Menschenwelt verwirklicht. Die poetische Vorstellung ist dadurch nicht nur der prosaischen Vorstellung überlegen, sondern sie ist auch dem philosophischen Denken von Nutzen, sie kann dieses „verleiblichen“,304 somit auch konkretisieren und in diesem Sinne umwandeln, was sie ja auch, auf andere Weise, mit der prosaischen Verständigkeit tut. Ihre Fähigkeit zur doppelten Umwandlung – des Prosaischen durch dessen Vergeistigung und des Spekulativen durch dessen Konkretisierung – macht den hohen systematischen Stellenwert der Poesie im System des absoluten Geistes aus. Das bedeutet: Eine poetische Umwandlung des Prosaischen kann ein Gewinn auch für Philosophie sein. Philosophisch gebildetes Denken bezieht sich dann auf die von der Poesie schon bildungsmäßig ‚zubereitete‘ prosaische Welt, auf die es dann, diese noch tiefergehend umbildend, leichter einwirken kann. Die Verwandtschaft der poetischen Vorstellung mit der Philosophie und ihr Unterschied zur prosaischen Vorstellung wird auch am Beispiel des Verhältnisses von Teilen und ihrer Einheit in dem organischen Ganzen des Kunstwerks sichtbar. Während die prosaische Darstellung, zu der z.B. Geschichtsschreibung und Redekunst gehören, den Inhalt unter einem besonderen, ihm äußerlichen Zweck in eine Einheit zusammenfügt und ihn bloß als Mittel zur Erreichung eines ihm fremden Zwecks betrachtet,
302 303 304
G.W.F. Hegel: Ästhetik TW 15, S. 244. G.W.F. Hegel: Ästhetik TW 15, 243f. G.W.F. Hegel: Ästhetik TW 15, S. 245.
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ist die Einheit des poetischen Kunstwerks als das innere Band zu verstehen, welches die Teile zu einer organischen Totalität vereint. Das poetische Kunstwerk darf nicht unter der Herrschaft der Verstandeskategorien wie Ursache und Wirkung oder Zweckmäßigkeit stehen, sondern muss als ein freier Organismus gestaltet sein.305 „Unterwerfung“ und „Herrschaft“ sind Vokabeln, mit denen Hegel die der Poesie verwandte, aber in ihrem bloßen Machtcharakter doch grundverschiedene prosaische Darstellungsform beschreibt. Poesie darf sich aber keinem besonderen Zweck unterordnen, nicht dem des Staates, der Religion, der Moral oder der Unterhaltung. Sie überlässt sich nicht der Macht des Gegebenen, sondern nimmt dieses auf und gestaltet es so um, dass das ihm zugrundeliegende Substantielle zum Vorschein kommt. Dadurch übt sie eine poetische Macht über den Inhalt aus, denn sie bringt ans Licht und bändigt durch die Form, was ohne sie verborgen bliebe: die Struktur der Welt. Sie ist kein ‚Bericht‘, sondern der Vollzug einer Handlung.306 Poetische Vorstellung ist eine des Wortes. Sie hält die Mitte zwischen dem Prosaischen und der Philosophie, aber auch zwischen Anschauung und Denken, ganz gemäß der Bestimmung der Vorstellung in der enzyklopädischen Philosophie des subjektiven Geistes. Diese Mittelstellung erlaubt es ihr, eine Einheit von Allgemeinheit und Besonderheit, aber auch von Bild und Wort herzustellen, die sie von der äußeren Zweckmäßigkeit des Prosaischen, aber auch von der Abstraktheit des philosophischen Denkens unterscheidet. Das Zurückgreifen auf das Bild, also auf die Anschauung, die sie mit dem Wort verbindet, macht die Poesie der bloßen Anschauung überlegen. Sie kann, in ihrem ursprünglichen Ausdruck, durch diese Verbindung das Allgemeine als Besonderes darstellen. Denn, so lautet Hegels Beispiel für die poetische Vorstellung, ähnlich wie ein im Lesen Ungeübter beim Betrachten der Buchstaben von den Sprachlauten nicht abstrahieren kann und die einzelnen Laute erst nacheinander aussprechen muss, um die Wörter zu verstehen, begnügt sich auch die Poesie – und das ist bei ihr gerade „das Schöne und Vortreffliche“ – nicht mit einem abstrakten Verstehen, sondern zeigt zusammen mit dem Allgemeinen auch das Besondere und Individuelle.307 Hegel zeigt, dass die Poesie sozusagen eine Sache der Ungeübten im Lesen ist, die über das Gelesene nicht einfach hinweggleiten, sondern beim Lesen ‚stocken‘ und so ihre Auf305 306
307
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G.W.F. Hegel: Ästhetik TW 15, S. 255. Zum Zusammenhang von Kunstwerk und Handlung bei Hegel vgl. Marita Tatari, Kunstwerk als Handlung. Transformationen von Ausstellung und Teilnahme, Paderborn 2017. „Handlung“ sei nicht das Werk von Individuen (Künstler, Zuschauer) sondern „das Erscheinen eines aktuell Unendlichen im jeweiligen Kunstwerk, das die das Kunstwerk überschreitende Zweckmäßigkeit als nicht zur Verwirklichung eines Zwecks stehende ist“. S. 10ff. G.W.F. Hegel: Ästhetik TW 15, 277.
merksamkeit auf das Wesentliche richten. Der poetischen Vorstellung ist durch die Verbindung von Anschauung und Wort eine Umständlichkeit eigen, ein aus der Sicht der prosaischen Vorstellung „Umweg und nutzloser Überfluß“,308 die aber erst ihre Schönheit ausmacht. So heißt es: Sagen wir z.B. ‚die Sonne‘ oder ‚morgens‘, so ist uns klar, was damit gemeint sei, die Frühe und die Sonne selbst aber wird uns nicht veranschaulicht. Wenn es dagegen im Dichter heißt: ‚Als nun die dämmernde Eos mit Rosenfingern emporstieg‘, so ist hier zwar der Sache nach dasselbe ausgesprochen; der poetische Ausdruck gibt uns aber mehr, da er dem Verstehen auch noch eine Anschauung von dem verstandenen Objekte hinzufügt oder vielmehr das bloße abstrakte Verstehen entfernt und die reale Bestimmtheit an die Stelle setzt.309
„Die Fülle der realen Erscheinung“ (der Sonnenaufgang) wird von der poetischen Vorstellung aufgenommen und zu einem Bild des individuellen Daseins („die dämmernde Eos mit Rosenfingern“) umgestaltet. Das abstrakte Allgemeine wird so zu einem Bild verdichtet, in dem das Wesentliche des Allgemeinen konkret im Individuellen erfahren wird. Wir werden so auf das Ereignis der anbrechenden Morgenröte anders aufmerksam als in einer Prosa, die den Vorgang nur beschreibt. Je sperriger ein Kunstwerk ist, je weniger wir es problemlos konsumieren können, desto mehr werden wir – so können wir Hegels Ausführungen verstehen – auf die instabile, in sich spannungsreiche Einheit von Allgemeinheit und Besonderheit aufmerksam werden. Nicht die Bewunderung eines schönen poetischen Bildes ist hier das Entscheidende, sondern das Mehr des poetischen Ausdrucks, wodurch aus der Spannung von Abstraktem und Realem die Einsicht in die Tiefendimension des Realen entspringt. Die plötzliche Erkenntnis, die aus dem Zusammenstoß von abstrakt Verstandenem und real Angeschautem entspringt, ist mit derjenigen zu vergleichen, die sich bei dem Zusammenspiel von Logik und Realphilosophie einstellt. Im poetischen Kunstwerk empfängt das Besondere des Inhalts durch die Gestaltung einerseits seine Freiheit und Selbständigkeit, andererseits die Form einer ihm entsprechenden, also ihm nicht äußerlichen oder zufällig zugefallenen Realität. Das erinnert, so Hegel, „an das Geschäft des spekulativen Denkens“.310 In ihm wird das Besondere ebenfalls zur Selbständigkeit entwickelt und es wird gezeigt, was das Allgemeine in ihm ist – eben die absolute Tätigkeit der Idee. Es verwundert nicht, dass der Höhepunkt der poetischen Kunst die Tragödie ist, denn in ihr wird auf exemplarische Weise beides gezeigt: Freiheit und Selbständigkeit der handelnden Individuen und das ihnen zugrundeliegende substantielle Allgemeine, zu 308 309 310
G.W.F. Hegel: Ästhetik TW 15, S. 278. G.W.F. Hegel: Ästhetik TW 15, S. 277. G.W.F. Hegel: Ästhetik TW 15, S. 254f.
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dem sie sich im Widerspruch befinden. Die Tragödie des poetischen Kunstwerks ist das Spiegelbild der Tragödie des Denkens, in dem dieser Widerspruch immerwährend wirksam ist. Philosophie ist trotzdem der wahre Raum der Freiheit, weil sie die konkrete – d.h. aber immer auch: die spannungsreiche – Einheit von Besonderem und Allgemeinem begreiflich macht. Hier sieht man auch worin sich Hegels Bestimmung des Verhältnisses von Philosophie und Poesie von derjenigen Schellings unterscheidet, trotz der Verwandtschaft einiger Grundbestimmungen, z.B. im Bestehen darauf, dass das Besondere das Allgemeine ist und es nicht nur „bedeutet“, aber auch im GeschehenLassen des Substantiellen im Wissen, dass man ‚nicht besitzen kann was einen besitzt‘. Während Schelling zuerst Philosophie nur in der Einheit mit der Poesie als ganz zu sich selbst gekommen versteht und ihr später eine erst in der zukünftigen Gestalt einer „neuen Mythologie“ voll ausgebildete wirklichkeitsbildende Kraft zuspricht, wobei er die „Kunst“ als den Gegenstand der Philosophie aufgibt,311 übernimmt für Hegel Philosophie die Aufgabe das Wesentliche der Kunst zu erkennen und dieses die Kunst Transzendierende auch nach dem sogenannten „Ende der Kunst“ zu bewahren. Philosophie hat für Hegel auch im Hinblick auf die Kunst eine rettende Aufgabe, so wie ein Anker, der das Schiff vor dem Wegdriften ins Gefährliche, wo es dem willkürlichen Spiel der Gezeiten ausgesetzt ist, auf dem Grund des Wesentlichen festhält. Der poetischen Vorstellung, zum Kunstwerk gestaltet, fehlt nicht das Spekulative der Philosophie, sie bedarf es nicht. Es ist gerade umgekehrt: Um nicht bloß abstrakt, nur Schattenreich zu bleiben, sondern die Totalität des Inneren in sich aufzunehmen, bedarf die Spekulation der Bereicherung durch die poetische Vorstellung. Es ist hier festzuhalten: Die Selbständigkeit der Poesie auch im Verhältnis zur Philosophie ist nicht eine von Künstlern oder Kunstbegeisterten geäußerte, mehr oder weniger gut begründete Meinung, sondern das Ergebnis des durch Philosophie sich selbst durchsichtig gewordenen und erfassten Geistes. Neben dem Kunstwerk nimmt auch die „dichtende Subjektivität“ des Künstlers die Mitte zwischen Prosa und Philosophie ein. Gegenüber der prosaischen Vorstellung erfordert die künstlerische, dass der dargestellte 311
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Vgl. Tonino Griffero zu Schellings Abschiednahme von einer Kunstphilosophie: „Schelling und ein andersgeartetes Ende der Kunst“, in: Das Ende der Kunst als Anfang freier Kunst, Hg. Klaus Vieweg et al., Padeborn 2015, S. 163–179. Griffero betont zurecht die Bedeutung des ästhetisch-ekstatischen „Blicks“ der Philosophie, der beim späten Schelling an die Stelle der Kunst tritt. Ästhetik als Ekstatik sucht „nach einem absoluten Subjekt, das in der Lage wäre, sich zu manifestieren, ohne sich zu objektivieren; und die Realität dazu in der Lage, sich zu entfalten, ohne sich im Logischen zu erschöpfen.“, S. 178f.
Inhalt von ihr innerlich „durchlebt“ wird. Auch die Kenntnis der „Breite der Welt und ihrer Erscheinungen“ ist nötig, um sie in einem Kunstwerk gestalten zu können.312 Die menschliche Reife, die sich mit dem Alter einstellt, ist ein wichtiges Merkmal des schöpferisch tätigen Künstlers und des Philosophen. Fähigkeit zur produktiven Gestaltung erfordert Lebenserfahrung, die für das tiefere Verstehen sowohl der Poesie als auch der Philosophie nötig ist. Poesie ist für Hegel „ein Verhältnis des Geistes zu den Dingen dieser Welt, das dem Alter näherliegt als der Jugend“.313 Dieser, angeblich mit dem Alter wachsende souveräne Umgang mit Kämpfen und Leidenschaften der Welt, ist auch der spekulativen Philosophie eigen. Hegel gebraucht in diesem Zusammenhang die Redewendung, gegen das Dumme, Ärgerliche und die „gründliche Verflachung“ der Zeit in der man lebt solle man nicht kämpfen. Diese sei vielmehr „ihrem Schicksal, dem Glücke ihrer Eitelkeit, zu überlassen“.314
312 313 314
G.W.F. Hegel: Ästhetik TW 15, 273. G.W.F. Hegel: Ästhetik TW 15, 274. Vgl. G.W.F. Hegel: Berliner Schriften 1818–1831 TW 11, S. 264f. Die vollständige Textstelle, in der es um Solgers Kritik an der geistigen Situation in Berlin geht, die ein „stehender Sumpf“ sei (dazu siehe Otto Pöggeler: Hegels Idee einer Phänomenologie des Geistes, S. 171f.) und die bis heute immer wieder aktuell (natürlich nicht nur in Bezug auf die schöne Stadt Berlin) ist, lautet: „Was es auch mit dem eigentümlichen Geist der Stadt, in dessen Anschauung Solger lebte, für eine Bewandtnis habe, so möchte man Solgern gewünscht haben, daß die Erscheinungen des Umganges und des gesellschaftlichen Treibens und Redens ihn weniger frappiert, und daß er sie von seiner Phantasie und Empfindung mehr abgehalten hätte, wenn es freilich nicht angeht, alle Verhältnisse und Begegnungen zu vermeiden, in welchen die Plattheit oder Rohheit solcher Erscheinungen sich zuträgt oder plump aufdringt. Zur Verminderung der Reizbarkeit dagegen mußte die Betrachtung beitragen, daß die Weise der äußerlichen Geselligkeit und des literarischen Treibens, das sich am lautesten macht, für sich nicht nur, sondern oft auch in Beziehung auf die Individuen selbst, die sich darin bewegen, eine Oberfläche ist, innerhalb deren sie wohl noch einen nicht erscheinenden Ernst und das Bedürfnis, denselben, aber ohne ihn auszustellen oder auszusetzen, unbeschrieen und gründlich zu befriedigen, haben können. Wo aber solches Bedürfnis nicht vorhanden, und der ganze Zustand des wissenschaftlichen und überhaupt des geistigen Interesses durch und durch zu einer gleitenden Oberfläche geworden, wie Solger solche Anschauung vor sich hat, da ist solche gründliche Verflachung ihrem Schicksal, dem Glücke ihrer Eitelkeit, zu überlassen. Indem Solger dieses Bild seiner Erfahrung zu mächtig in sich sein läßt, mußte er das tiefere Bedürfnis, das in seiner und jeder Zeit vorhanden ist, verkennen, und sich abhalten lassen, seine Tätigkeit und Arbeit nach der Stätte, die derselben würdig ist, zu richten, daselbst seine Wirkung zu suchen und zu erwarten“. Vgl. auch Hegels Bemerkung über das „Dumme“ und den Umgang damit (Begriffslogik, GW 12, S. 141): „[…] wenn man sich ein ganz Dummes, Unedles vorstellen will, so kann auf dasselbe hoher Verstand, kann das Edle keinen Eindruck machen; das einzig konsequente Mittel gegen die Vernunft ist, sich mit ihr gar nicht einzulassen.“
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3.9.2 Rettung vor dem Untergang: Ironie oder Komödie? Am Unterschied von Ironie und „dem Komischen“ lässt sich das Besondere einer poetischen Lebensart, die in der Dichtung, aber auch außerhalb von ihr existiert, gut veranschaulichen. Der Unterschied zwischen beiden besteht in dem „Gehalt dessen, was zerstört wird“.315 Der Grund der Fehlentwicklung der Ironie ist für Hegel die Anwendung des Prinzips von Fichtes Philosophie (dieses sei das alles Endliche vernichtende absolute Ich) auf die Kunst. Um Hegels Ironie-Kritik darzustellen soll hier exemplarisch auf Friedrich Schlegel und Karl Wilhelm Ferdinand Solger eingegangen werden. Zu erinnern ist, dass für Hegel die spekulative Erkenntnis der poetischen Erfahrung überlegen ist durch ihre Fähigkeit, begreifend und fest im Wesentlichen zu verbleiben. Den unmittelbaren Zugang zum Kunstwerk, den die klassische Epoche noch hatte, gibt es, so Hegel, in der Moderne nicht mehr. Deshalb ist die Reflexion ein wichtiges, obwohl zu überwindendes Moment der Erkenntnis. Die kritische Reflexion des Zuschauers, des Lesers und überhaupt des Konsumenten von Kunstwerken muss befriedigt werden, obwohl sie nicht das letzte Wort behalten darf. Die Überwindung der Reflexion geschieht für Hegel zugleich mit ihrem Vollzug, indem das der Reflexion Zugrundeliegende als dasjenige erkannt und festgehalten wird, das die Reflexion ermöglicht und das als ihr Wesentliches von ihrer ‚Kritik‘ unberührt bleibt. Für Friedrich Schlegel ist die Überwindung der Reflexion und mit ihr die Überwindung der Negativität jedoch nicht möglich, sondern nur als Ironie auszuhalten und produktiv umzuformen, ohne dass das Denken jemals zur Ruhe kommen könnte. Ironie ist, und in dieser Bestimmung erkennen wir nicht nur das zentrale Thema der Romantik, sondern auch das zentrale Motiv der Philosophie von Fichte, Schelling und Hegel, der stete „Wechsel von Selbstschöpfung und Selbstvernichtung“.316 Dass der „stete sich selbst erzeugende Wechsel zwey streitender Gedanken“ eine „Idee“ ist und sie von Schlegel als „ein bis zur Ironie vollendeter Begriff“317 bezeichnet wird setzt ein Ganzes voraus, das aus einer Vielzahl von Gedanken und Personen besteht und die Möglichkeit eröffnet, sich mit einem Teil der eigenen Persönlichkeit zu identifizieren und die anderen Teile zu vergessen (oder vergessen zu wollen). Der zwischen den Polen Identifikation mit nur einer poetischen Existenzmöglichkeit und Negation der anderen Lebensmöglichkeiten schwebende Charakter der Ironie bleibt gegenüber den Extremen nur im Sinne eines ‚nicht mehr‘ und ‚noch nicht‘, d.h. im Hinblick auf eine Vergangenheit und auf eine 315 316 317
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G.W.F. Hegel: Ästhetik TW 13, S. 97. Friedrich Schlegel: Athenaeum-Fragmente, Nr. 51, KFSA 2. Friedrich Schlegel: Athenaeum-Fragmente, Nr. 121 KFSA 2.
Zukunft frei. Er lässt keine Aufmerksamkeit auf das Gegenwärtige zu, sondern nur auf Existenzmöglichkeiten, mit denen er sich dann ganz identifiziert und dadurch das Besondere zum Allgemeinen erhebt.318 Das Leben im Angesicht des sich ständig Entziehenden will den inneren Streit von Suche und Entzug des Gesuchten nicht auflösen, sondern aushalten. Es ist das Leben im Paradoxen, das die Ironie kennzeichnet – Hegels „schlechte Unendlichkeit“. Schlegels „progressive Universalpoesie“319 ist deshalb in Hegels Augen die Entgrenzung des vorstellenden Denkens, das sich in Widersprüchen verfängt und vor ihnen – und sich selbst – kapituliert. Schlegel geht von einer anzustrebenden Mischung von Philosophie und Poesie aus. Das „bald mischen, bald verschmelzen“320 der Poesie mit Philosophie verleiht jedoch nicht Stabilität und Sicherheit der Selbsterkenntnis, sondern wird mit der Verstetigung des Kampfes der entgegengesetzten Lebensentwürfe kontaminiert. 318
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Peter Szondi bringt die „Gefahr“ des Schlegelschen Konzeptes der romantischen Ironie folgendermaßen (unausdrücklich auch im Sinne Hegels) auf den Punkt: „So ist das Subjekt der romantischen Ironie der isolierte, sich gegenständlich gewordene Mensch, dem das Bewußtsein die Fähigkeit zur Tat genommen hat. Er sehnt sich nach Einheit und Unendlichkeit, die Welt erscheint ihm zerklüftet und endlich. Was als Ironie bezeichnet wird, ist sein Versuch, seine kritische Abstandnahme und Umwertung auszuhalten. In immer weiter potenzierter Reflexion trachtet er, einen Standpunkt außer ihm zu gewinnen und die Spaltung zwischen seinem Ich und der Welt auf der Ebene des Scheins aufzuheben. Das Negative seiner Situation kann er nicht durch die Tat, in der die Versöhnung des Bedingten und Unbedingten Ereignis würde, überwinden; durch Vorwegnahme der künftigen Einheit, wird das Negative für vorläufig erklärt, damit zugleich festgehalten und umgewertet. Die Umwertung läßt dieses Dasein annehmbar erscheinen und verführt zum Verweilen im Bereich des Subjektiven und Virtuellen. Indem die Ironie das Negative festhält, wird sie, obwohl als dessen Überwindung gedacht, selber zur Negativität. Sie duldet Vollendung nur in Vergangenheit und Zukunft, alles, was ihr aus ihrer Gegenwart begegnet, wird mit dem Maßstab der Unendlichkeit gemessen und so zerstört. Die Annahme der eigenen Unfähigkeit verbietet dem Ironiker die Achtung vor dem dennoch Vollbrachten: darin liegt seine Gefahr. Daß er durch diese Annahme den Weg der Vollendung sich selber verbaut, daß sie sich immer wieder ihrerseits als untragbar erweist und schließlich ins Leere führt, bildet seine Tragik.“ In: „Friedrich Schlegel und die romantische Ironie“, Schriften Band II, S. 24f. Friedrich Schlegel: Athenäum-Fragmente Nr. 116, KFSA 2. Zu den Anfängen der frühromantischen Umwandlung von Fichtes Konzept einer produktiven Einbildungskraft, die ihren Ort innerhalb des Selbstvollzugs der Subjektivität hat und in Funktion der Einheit von theoretischer und praktischer Vernunft steht, und ihrer Ausdehnung auf die Lebenswirklichkeit des Menschen bei Novalis, vgl. Lore Hühn: „Das Schweben der Einbildungskraft. Eine frühromantische Metapher in Rücksicht auf Fichte“, in: Fichte-Studien 12, herausgegeben von Wolfgang H. Schrader: Fichte und die Romantik. Hölderlin, Schelling, Hegel und die späte Wissenschaftslehre., S. 127–151, Amsterdam-Atlanta 1997. Friedrich Schlegel: Athenäum-Fragmente Nr. 116, KFSA 2.
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Tiefsinnig und doch gleichzeitig die Absicht der spekulativen Philosophie Fichtes und Hegels verkennend beharrt Friedrich Schlegel auf der Dramatik des inneren Zwiespalts des Menschen mit sich und der Welt. Spekulation sei vom Leben geschieden und so nur ein täuschender Ruhepunkt für den Menschen. Nur eine „Philosophie des Lebens“, die aus der „liebenden Seele“, dem Mittelpunkt und der Quelle des Lebens denkt, kann hoffen, das vielfach zerrissene Bewusstsein wieder zu harmonisieren.321 Die immer aktuell herzustellende Ruhe im Streit, den Fichte und Hegel mit Spekulation meinen, und ihre Lebendigkeit, die in der Gegenwärtigkeit des Absoluten besteht, kennt Schlegel nicht. Trotzdem ist festzuhalten, dass der späte Schlegel die (Sokratische) Ironie und den staunend-lächelnden Ernst des Lebens so zusammendenkt, dass er, auf einem anderen Weg, fast in die Nähe von Hegels Bestimmung des wahren Humors kommt. Ironie sei, so Schlegel, das Erstaunen des Geistes über sich selbst, das sich in ein leises, heiteres Lächeln auflöst und „nicht selten auch den erhabensten Ernst unter der heitern Oberfläche verbirgt, und in sich einschließt.“322 Das dieser unter der Oberfläche des Bewusstseins wirkende „Ernst“ derjenige des Denkens selbst sein könnte, wird von Schlegel zugunsten der „Seele“ verneint. Das göttliche Leben haust in der Seele, nicht in der Vernunft. Das Verhältnis von Seele und Vernunft, von Vorstellung und Spekulation, wird von ihm nicht eingehend untersucht. Bei Karl Wilhelm Ferdinand Solger wiederum heißt es: Die Poesie stellt die Idee in ihrer reinen Tätigkeit dar; diese Tätigkeit besteht in der Vernichtung des Endlichen, damit sich das ihm zugrundeliegende Unendliche zeigt. Die Vernichtung des Endlichen, damit sich das Unendliche offenbare sei der Mittelpunkt alles menschlichen Bewusstseins und auch der Mittelpunkt der Poesie. Die tragische „Ironie der Welt“323 besteht in der Verbindung der Selbstvernichtung des Endlichen durch die Gegenwart der Idee in ihm,324 mit dem Komischen als der „Kehrseite“325 des Tragi321
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Friedrich Schlegel: Philosophie des Lebens. Vorlesungen aus den Jahren 1827– 1829/Robert Josef Kozljanič: Schlegel und die Lebensphilosophie des 21. Jahrhunderts. Eine Manifestation, München 2018, S. 41ff. Friedrich Schlegel: Philosophie des Lebens. S. 53. So formuliert es treffend Giovanna Pinna: „Solgers Konzeption der Ironie“, in: Die geschichtliche Bedeutung der Kunst und die Bestimmung der Künste, Hg. Annemarie Gethmann-Siefert, et al., Bonn 2005, S. 325–336; hier S. 334. Vgl. Mildred Galland-Szymkowiak: „Philosophie und Religion bei K.W.F. Solger: Ein Beitrag zur nachkantischen Frage nach dem Prinzip der Philosophie“, in: Der Eine oder der Andere. „Gott“ in der klassischen deutschen Philosophie und im Denken der Gegenwart, Hg. Christoph Asmuth und Kazimir Drilo, Tübingen 2010, S. 191– 206; hier S. 199f.: „Die Gegenwart der Idee in unserer Existenz zu erkennen, kann nur bedeuten, dass wir die Nichtigkeit unserer Existenz verstehen, d.h. dass wir verstehen, dass diese Existenz von selbst kein Sein weder enthält noch hervorbringt.“
schen. Das Komische zeigt das Beste der menschlichen Natur, die Fähigkeit auch in der Nichtigkeit des Lebens mit dem Göttlichen vertraut zu bleiben. So sind die tragische Ironie und das Komische für Solger zwei Seiten eines Ganzen, in dem die Trauer über die Zerstörung des Endlichen vereint ist mit der Freude über die bleibende Gegenwart des Göttlichen auch in der Vernichtung. In seiner Solger-Rezension stellt Hegel die Gegenwart des Göttlichen im untergehenden Endlichen so dar, dass bei Solger nur subjektive Empfindung und religiöse Andacht für diese Erkenntnis zuständig ist, nicht Philosophie. Solger habe nicht erkannt, dass die Erfahrung des Göttlichen in der Philosophie als ihr Resultat, ihre Grundlage und – was besonders zu betonen ist – in der Immanenz ihres Fortgangs anwesend ist.326 Das Denken ist nicht vom Leben getrennt, vielmehr ist es selbst Leben. Wenn Solger Novalis und Kleist als Beispiele für die Lebendigkeit des Denkens anführt, so bezeichnet Hegel diese Lebendigkeit als die „Schwindsucht des Geistes“ und als eine Energie der Zerrissenheit, die, als Ironie verkleidet, absichtlich das Leben zerstört, und setzt ihr Aristoteles entgegen. Dieser – hier wird das Ende der Enzyklopädie thematisch aufgenommen – bezeichnet die Tätigkeit des Denkens als den Genuss des vollkommenen und ewigen Lebens.327 Worauf es Hegel ankommt ist zu zeigen, dass das Leben des Denkens auf die Zeitinteressen, den Lärm oder das Geschwätz „des Tages“ keine Rücksicht nimmt, sondern „die Teilnahme an der leidenschaftslosen Stille der nur denkenden Erkenntnis“ ist.328 Diese denkende Erkenntnis ist aber sowohl bevor sie das Schattenreich der Logik betritt, als auch während des Verbleibs in ihm und auch wenn sie es verlässt, eine mit der Welt und ihrer Fülle gesättigte. Solgers Ironiekonzept ist in diesem Zusammenhang auch deshalb interessant, weil es eine bezeichnende Eigentümlichkeit von Hegels Philosophieverständnis, die sich an dem Begriff der „Stimmung“ festmachen lässt, sichtbar macht. Die Stimmung, der sich die Gegenwart des Göttlichen im Vernichten der Wirklichkeit zeigt, ist, so Solger, diejenige der tragischen Ironie.329 Am Beispiel der sich zeigenden Gegenwart des Göttlichen im Verschwinden des Endlichen zeigt sich der Unterschied des Sol325
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Vgl. Giovanna Pinna: „Kann Ironie tragisch sein? Anmerkungen zur Theorie des Tragischen in Hegels Solger-Rezension“, in: Die „Jahrbücher für wissenschaftliche Kritik“. Hegels Berliner Gegenakademie, Hg. Christoph Jamme, Stuttgart-Bad Canstatt 1994, S. 280–300; hier S. 296. G.W.F. Hegel: Berliner Schriften TW 11, S. 261f. G.W.F. Hegel: Berliner Schriften TW 11, S. 267f. G.W.F. Hegel: „Vorrede zur zweiten Ausgabe“ der Wissenschaft der Logik, TW 5, S. 34. K.W.F. Solger, „Über dramatische Kunst und Literatur“, in: Nachgelassene Schriften und Briefwechsel II, Heidelberg 1973, S. 515.
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gerschen Ironiebegriffs von demjenigen (des frühen, von Hegel kritisierten) ‚gegenwartslosen‘ Ironiebegriff Schlegels.330 „Gegenwart“, Aktualität des Absoluten in der Welt ist ein Grund für Solgers Nähe zu Hegels spekulativer Philosophie im Hinblick auf das Verhältnis des Unendlichen zum Endlichen. Hegel nennt dieses Verhältnis einen „Fundamentalpunkt“. Allerdings ist der zweite Fundamentalpunkt bei Solger die Trennung von Erfahrung und Denken des Göttlichen, für Hegel ein Zeichen einer mangelhaften Spekulation.331 Die aufleuchtende Gegenwart des Absoluten in der Negation des Endlichen: in diesem Gedanken besteht die tiefere Verwandtschaft der beiden Denker. Allerdings mit unterschiedlichen Folgen für die „Stimmung“, die darauf fußt.332 Denn, falls es überhaupt angemessen ist im Hinblick auf Hegels Philosophie von einer „Stimmung“ zu sprechen, dann ist der Genuss der unzerstörbaren Göttlichkeit des Endlichen die vorherrschende Stimmung, und nicht das Tragische, vor allem nicht in der Gestalt der Ironie.333 Negativität ist für Hegel nicht nur ein Zeichen der Trauer und der Ironie, sondern der Weg des Zusichkommens des Geistes, damit in der Vernichtung des Endlichen das Unzerstörbare als dessen Rettung erscheint. Solgers Augenmerk richtet sich auf das Bleiben des Göttlichen in der Vernichtung des Endlichen. Dieses zu erkennen ist für ihn der Gegenstand der wahren Philosophie. Der dahinterstehende Gedanke ist der sich selbst negierenden Negation, ohne dass Solger dessen Potential, so Hegel, voll ausgeschöpft hätte.334 Denn für Hegel kommt es nicht auf die bloße Gegenwart des Unendlichen im untergehenden Endlichen an und so auf das Unendliche im Endlichen (so wie bei Solger335), auch nicht auf die wenig aussagekräftige Rede 330 331 332
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Mildred Galland-Szymkowiak zeigt, auf welche Weise „gegenwärtig“ ein „wichtiger Terminus bei Solger“ ist, vgl: „Philosophie und Religion bei K.W.F. Solger“, S. 197. G.W.F. Hegel: Berliner Schriften TW 11, S. 248. Die Bedeutung von „Gegenwart“ wird von Valerio Verra bezeichnet als der Zentralpunkt, in dem sich bei Solger tragische und künstlerische Ironie in ihrem spannungsreichen Verhältnis gegenseitig durchdringen. Vgl.: „Tragische und künstlerische Ironie bei K.W.F. Solger“, in: Philosophie und Poesie. Otto Pöggeler zum 60. Geburtstag, Hg. Annemarie Gethmann-Siefert, Stuttgart-Bad Cannstatt 1988, S. 235–254; hier S. 253. „Ironie“ hält Hegel für einen willkürlichen Namen, auf den man verzichten könnte, weil er in der konkreten Ausführung einer Theorie nicht hält, was er verspricht RPh TW 7, § 140 A, und im Hinblick auf Solger: Berliner Schriften TW 11, S. 259f. G.W.F. Hegel: Berliner Schriften TW 11, S. 254. Vgl. K.W.F. Solger: „Über die wahre Bedeutung und Bestimmung der Philosophie, besonders in unserer Zeit“ (=UWB), in: Nachgelassene Schriften und Briefwechsel II, Heidelberg 1973, S. 80: Vereinigung des Allgemeinen (des Begriffs) mit dem Besonderen (dem „Ding“) besteht darin, dass der Begriff in seiner „ganzen Fülle, die seine Einheit umfaßt, in diesem Dinge gegenwärtig sey, dasselbe mit seinem Wesen anfülle und ihm alle die Bestimmungen und Äußerungen mittheile, die überhaupt mit dem Gedanken eines solchen Wesens vereinbar sind.“
von deren „ineinander übergehen“, sondern auf das Unendliche als Endliches. Der Trost der Philosophie besteht nicht darin, auch im Untergang das in uns unzerstörbare Göttliche zu erkennen, sondern zu begreifen, dass das Endliche selbst das Unendliche in seiner Andersheit ist.336 Zu dieser spekulativen Erkenntnis hinzuführen ist die Pointe der spekulativen Formel „Negation der Negation“.337 „Ironie“ hat für Hegel ihre Berechtigung vor allem in der Form, die er bei Homer findet. Sie betrifft die menschliche Seite der Göttergestalten, die auch „für sich selbst“ ironisch sind, sich also über sich selbst erheitern. Diese menschliche Seite der Götter übergibt Homer der Ironie, die sich jedoch selbst auflöst und so das Substantielle, den zugrundeliegenden Ernst des menschlichen Daseins, wofür die Götter vor allem stehen, erkennen lässt.338 Das wäre für Hegel die einzig akzeptable Form der Ironie: Diejenige, die sich selbst „auflöst“339 (so wie die Negativität sich selbst negiert) und dadurch das Wesentliche, Unvergängliche in ihr zum Vorschein bringt. Die Götter negieren sich selbst und bleiben doch Götter – so wie sich das Unendliche selbst negiert und zugleich setzt. Dieses lebendig Tätige sollte man, auch im Elend der Welt, nicht aus den Augen verlieren.340 Was dieses lebendig Tätige im Leben und Denken, in der Welt und im Inneren des Menschen ist, kann man nur durch sein Wie verstehen, durch das Eingehen in seinen schöpferischen Vollzug in Kunst, Religion und Philosophie. Hegels Philosophie, in ihrem spekulativen und ihrem vorstellenden Teil, ist eine Antwort auf dieses Wie.
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Tiefgreifend hat Falk Wagner diesen Gedanken am Beispiel der Wissenschaft der Logik durchgespielt. Siehe dazu Kazimir Drilo: „Kritik des religiösen Bewusstseins. Falk Wagners theologische Interpretation von Hegels ‚Wissenschaft der Logik‘“, in: Der Eine oder der Andere. ‚Gott‘ in der Philosophie des Deutschen Idealismus und im Denken der Gegenwart, Hg. Christoph Asmuth und Kazimir Drilo, Tübingen 2010, S. 141–155. Dagegen heißt es bei Solger: Im Ewigen sind das göttliche Dasein und menschliche Existenz „beides auf eine uns unbegreifliche Weise dasselbe.“ In: K.W.F. Solger: UWB, S. 125. G.W.F. Hegel: Ästhetik TW15, S. 368f. G.W.F. Hegel: Ästhetik TW15, S. 540. Otto Pöggeler bringt Hegels Kritik an der Verstimmung und dem Überdruss, die Solgers Ironie-Bestimmung nach sich zieht folgendermaßen auf den Punkt: „Von der vielleicht oberflächlichen Form der äußeren Geselligkeit aus nicht gleich den tieferen Kern der Menschen zu leugnen, die nicht zuträglichen Verhältnisse zu meiden, aber an würdiger Stätte für das tiefere Bedürfnis der Zeit zu wirken, so mahnt Hegel gegenüber einer Haltung, die sich zu sehr von den Schattenseiten der Zeit beeindrucken läßt und vielleicht gerade durch ihr nur kritisierendes Verhalten das Walten des Geistes in der Zeit verfehlt.“ In: Hegels Kritik der Romantik, München 1999, S. 172.
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Die Tragödie ist zwar das „Prinzip des Kunstwerks“,341 aber die in ihr gezeigte Versöhnung, die sich auch und gerade im Scheitern der im tragischen Konflikt verfangenen Individuen offenbart, ist der Boden für das Aufkommen einer höheren, in sich gefestigten Subjektivität, die sich zu der Wesenlosigkeit und zu den Kämpfen der Welt gelassen und heiter verhält. Es ist deshalb nicht die Tragödie, sondern die Komödie, in der sich die größte Nähe zu der Freiheit einer philosophischen Existenz zeigt. Die Komödie ist in diesem Sinne die Beschreibung eines Lebens, in dem das Unbedeutende dem Untergang anheimgegeben wird, während das Subjekt dabei im Wesentlichen „ruhig“ und seiner selbst „gewiß“ sowie in sich versöhnt und heiteren Gemüts bleibt, seine „Wohlgemuthheit“ und „Sicherheit“ auch im Untergang nicht verliert und überhaupt in dem Untergang des Nichtigen und Gleichgültigen „ungestört und aufrecht stehenbleibt.“342 Nicht die Welt der tragischen Helden, nicht Ödipus und Antigone, sondern die „Welt der subjektiven Heiterkeit“, in der der Mensch in allen seinen Tätigkeiten „von Anfang an getröstet ist“ – die Welt des Aristophanes also – ist für Hegel diejenige der absoluten Freiheit des Geistes.343 Der „von Anfang an“ Getröstete steht, so wie auch das zum Begreifen aufgeforderte Subjekt, wie es in der Vorrede der Philosophie des Rechts heißt, „nicht in einem Besonderen und Zufälligen, sondern in dem, was an und für sich ist“.344 Dass in der klassischen Komödie die handelnden Personen im Untergang des Unwesentlichen „für sich selbst“ und nicht für die Zuschauer „komisch sind“,345 ist auf den ersten Blick eine merkwürdige Feststellung. Worauf es Hegel ankommt ist zu zeigen, dass sich (beim „echten Komiker“ Aristophanes) die Sicherheit und die Festigkeit des Handelnden, seine „höhere Natur“, die ihn auch im Untergang des Unwesentlichen und Eitlen heiter bleibt lässt, auf den Zuschauer überträgt – so dass es diesem, in dieser Erkenntnis, ebenso „sauwohl“ sein kann.346 Der Handelnde ist das Beispiel, dem die Zuschauer nacheifern sollen, anders als in modernen Komödien (mit wenigen Ausnahmen), in denen die Individuen ihre prosaischen Zwecke mit bitterem Ernst verfolgen und beim Scheitern „nicht frei und befriedigt mitlachen“, sondern „bloß die geprellten Gegenstände eines fremden, meist mit Schaden gemischten Gelächters“ sind.347 Die Sicherheit und das Wohlsein im Untergang können auch ein Zeichen 341 342 343 344 345 346 347
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G.W.F. Hegel: Ästhetik TW15, S. 526f. Vgl. dazu Jure Zovko: Friedrich Schlegel als Philosoph, Paderborn 2010, S. 89ff. G.W.F. Hegel: Ästhetik TW15, S, 552. G.W.F. Hegel: Ästhetik TW15, S. 553. G.W.F. Hegel: RPh TW 7, S. 27. G.W.F. Hegel: Ästhetik TW15, S. 552. G.W.F. Hegel: Ästhetik TW15, S. 553, 569. G.W.F. Hegel: Ästhetik TW15, S. 570.
der Torheit und der gescheiterten Komik sein. Der ‚göttliche‘ Gleichmut, der „mit allem fertig ist“,348 ist ohne das ‚Stehen im Substantiellen‘ nur ein Beispiel für das Fehlende, ein Beispiel, das sich nah am Lächerlichen bewegt. Es ist ein schmaler Grat zwischen der lächerlichen Unbeirrbarkeit des Unempfindsamen oder Eitlen und einem in sich ruhenden und das Wesentliche kennenden Selbstbewusstsein. Die „stete Versöhnung“349 der Aristophanischen Komödie ist die vorphilosophisch bestmögliche Rettung vor dem „steten Krieg“ des Lebens. Die Komödie zeigt die Selbstbehauptung der ihrer selbst sicheren Subjektivität, die sich auch im Untergang des Endlichen als das Wesentliche behauptet. Komik ist für Hegel die befreiende Heiterkeit des Subjekts, das über das Unwichtige, Vergängliche, über den Kampf des Lebens nur lachen kann.350 Der „wahre Humor“ erfordert die Tiefe des Geistes, er muss aus dem Zufälligen das Substantielle und die in ihm verwurzelte Subjektivität der handelnden Person hervorgehen lassen.351 So ist der „objektive“ Humor die Weise, die Endlichkeit nicht zu negieren, sondern sie zu etwas Neuem, Schönem und Wertvollem zu verwandeln.352 Nicht Zerstörung also, sondern die Umgestaltung der Welt durch den Künstler ist das letzte Wort, das Hegel im Hinblick auf das Ende der Kunst zu sagen hat. Diese Lehre der Kunst, des objektiven Humors, so wie Hegel es in Goethes „West-östlichem Divan“ verwirklicht gesehen hat, ist etwas, das von der Philosophie nicht vergessen, sondern begreifend aufbewahrt werden soll. Die Lehre lautet: Kunst ist von der Philosophie zu verinnerlichen als „eine Innigkeit und Froheit des sich in sich selber bewegenden Gemütes, 348 349 350
351 352
G.W.F. Hegel: Ästhetik TW15, S. 554. G.W.F. Hegel: Ästhetik TW15, S. 571. Humor hat eben nicht nur, wie es bei Annemarie Gethmann-Siefert heißt, die Funktion der „Relativierung der Unbedingtheit des eigenen Lebensentwurfs“ (Einführung in Hegels Ästhetik, München 2005, S. 339f.), sondern er basiert vor allem auf dem Erkennen der Unbedingtheit des den endlichen Lebensentwürfen Zugrundeliegenden. Erst vor diesem Hintergrund hat Humor eine auch philosophisch relevante Bedeutung. G.W.F. Hegel: Ästhetik TW 14, S. 231. G.W.F. Hegel: Ästhetik TW 14, S. 241. Es ist zu bezweifeln, ob Annemarie Gethmann-Siefert recht hat, wenn sie den objektiven Humor im Anschluss an Hegels Lob von Goethes Divan als ein Beispiel für Hegels „Kosmopolitismus“ sieht, wo die Heiterkeit des Humors ein Beispiel ist für die „Infragestellung der eigenen Grenze und die Integration der eigenen, beschränkten Lebenswelt durch andere Möglichkeiten“, wobei die „westliche Kultur“ (!) infrage gestellt wird. Dagegen ist zu sagen, dass Hegel vielmehr das Stehen im Substantiellen im Blick hat und nicht „die Welt der großen Kulturen“, in der sich das Individuum auf ein „Vollglück in der Endlichkeit“ einlässt. Vgl. Annemarie Gethmann-Siefert: „Hegels Konzeption des Komischen und des Humors“, in: Die geschichtliche Bedeutung der Kunst und die Bestimmung der Künste, herausgegeben von Annemarie Gethmann-Siefert, et al., Bonn 2005, S. 175–187, hier S. 184f.
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welche durch die Heiterkeit des Gestaltens die Seele hoch über alle peinliche Verflechtung in die Beschränkung der Wirklichkeit“ hinaushebt.353 In der produktiven Distanz des Subjekts zur Welt ist tatsächlich die „Auflösung der Kunst überhaupt“ am Werk, wenn „Kunst“ den Zweck hat, das an und für sich Wahre im Endlichen zu zeigen.354 In der Form des objektiven Humors, die sich, so Hegel, nur im Kleinen darstellen lässt, bleibt das Wahre nur „partiell“, nicht mehr als Ganzes erfahrbar.355 Das Wahre zeigt sich aber auch in der Einstellung des Künstlers, dessen Grundsatz man wie folgt zusammenfassen kann: ‚Auch im Untergang des Endlichen stehe ich im Substantiellen und bin an das Endliche und an die Widersprüche des Lebens, die ich schöpferisch verwandeln kann, nicht gebunden‘. Die Umwendung des Blicks vom Untergehenden auf dasjenige, das uns retten kann – auf uns selbst also, die wir ‚mehr sind als nur wir selbst‘, wobei dieses ‚Mehr‘ nicht die anderen Subjekte meint, sondern die absolute Tätigkeit des in uns wirkenden Geistes oder „das Göttliche“ in uns. Dieses „Wahrhafte“ in der Kunst zu erkennen und aufzubewahren ist für Hegel die Aufgabe der Philosophie. Die Souveränität des Subjekts auch im ‚Schrecken‘ der Welt und seine Fähigkeit die Welt schöpferisch zu verwandeln findet jedoch nicht den vollständigen Ausdruck auf dem Gebiet der Kunst. Diese Souveränität und die Macht der Verwandlung müssen vollständig in den Vollzug des absoluten Geistes eingegliedert sein. Religion hat dazu noch mehr zu sagen als Kunst, denn sie verbindet das Substantielle mit dem Endlichen auf eine tiefere Weise als Kunst und macht diese Verbindung für das spekulative Begreifen zugänglicher.356 Kunst leistet zwar, wie es in der Enzyklopädie heißt, „dasselbe“ das auch Philosophie leistet, nämlich die Befreiung des Geistes, aber sie ist trotzdem noch nicht die höchste Befreiungsstufe des Geistes. Der Zusatz, auf den es Hegel ankommt, ist folgender: Die vollständige Befreiung geschieht nur im Element des philosophischen Gedankens, in dem sich ‚der Philosophierende‘ der Kunst zuwendet – aber nicht so, wie ein Kunstliebhaber, Kunstkritiker oder Kunsthistoriker es tun, 353 354 355 356
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G.W.F. Hegel: Ästhetik TW 14, S. 142. G.W.F. Hegel: Ästhetik TW 15, S. 572f. G.W.F. Hegel: Ästhetik TW 14, S. 237. Dieter Henrich schreibt dazu: „Aber die Idee verwirklicht sich in der Moderne über Prozesse, für die es wesentlich ist, daß sie sich über Veränderungen im Selbstverhältnis und in der Einstellung der Subjekte vollziehen. Deren Vergegenwärtigung im Zusammenhang mit ihrem Grund läßt sich nicht in eine Anschauung einbringen, die für jegliches Kunstwerk konstitutiv bleiben muß. Dazu bedarf es der Auffassung in einem Denken, das die Gestalt des spekulativen Erkennens annimmt. Mit ihm vermag nur die Symbolsprache der Religion in einer Korrespondenz zu bleiben.“ In: „Zerfall und Zukunft. Hegels Theoreme über das Ende der Kunst“, in: Fixpunkte. Abhandlungen und Essays zur Theorie der Kunst, Frankfurt am Main 2003, S. 65–125; hier S. 70.
sondern wie einer, der das Wesentliche der Kunst, die in ihr wirkende absolute Tätigkeit, erkennt. 3.10 Religion und das Sich-Bewirken des Unendlichen als Endliches So wie es auf dem Gebiet der Kunst zwischen der prosaischen und der poetischen Vorstellung einen Unterschied gibt mit dessen Hilfe gezeigt werden kann, warum die poetische Vorstellung ein notwendiger Gesprächspartner der spekulativen Philosophie ist, damit diese ihre weltverändernden und welterhaltenden Potentiale entfalten kann, so besteht auch auf dem Gebiet der Religion ein Unterschied von zwei Vorstellungsarten. Das ist der Unterschied zwischen der Verstandesvorstellung der Aufklärung, die man mit der prosaischen Vorstellung der Kunst vergleichen kann, und der religiösen Vorstellung, die die Rolle der poetischen Vorstellung einnimmt. Der prosaischen Vorstellung in der Kunst, für die Trennung des Inhalts von ihrem absoluten Grund bestimmend bleibt, entspricht in der Sphäre der Religion die Verstandesreflexion der Aufklärung. Sie ist in den Kampf mit der religiösen Vorstellung verwickelt, so wie es auch zwischen der prosaischen und der poetischen Vorstellung der Fall ist. Die mangelnde Differenzierung zwischen diesen beiden Vorstellungsarten – der religiösen und der Verstandesvorstellung der Aufklärung – ist immer noch ein Hindernis für das Erkennen der Bedeutung, die Philosophie für die Religion hat: die Rettung der Religion vor der Gefährdung durch die Aufklärung. Die religiöse Vorstellung wird, wie es in den Vorlesungen über die Philosophie der Religion heißt, von dem Verstand für einen Irrtum gehalten. Ihr Bestreben, in allem Endlichen auch das Allgemeine und Substantielle zu erfassen und so über das Endliche hinauszutreiben wird von dem auf die Sinnlichkeit und Endlichkeit fixierten Verstand, die ihm als der einzige Maßstab der Wahrheit gelten, kritisiert. Der Verstand wird aber von der „Dialektik der Vorstellung“ über sich hinaus getrieben und erlangt durch dieses Über-sich-Hinausgehen die Fähigkeit zur Selbstaufklärung. Diesen Gedanken können wir wie folgt interpretieren: Die Bedingung für die Aufklärung des Verstandes ist in seiner Fähigkeit zur Selbstüberschreitung, die durch den religiösen Drang das Endliche zu überschreiten initiiert ist, begründet.357 Ohne die Transzendenz des Endlichen gibt es keine Kritik – und somit ohne Religion keine Aufklärung. Ohne das Über-dasEndliche-Hinausstreben der religiösen Vorstellung ist die religionskritische Distanz der Verstandesaufklärung nicht möglich. Letztendlich ist
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G.W.F. Hegel: Vorlesungen über die Philosophie der Religion, Teil 1: Einleitung. Der Begriff der Religion (=Begriff der Religion), herausgegeben von Walter Jaeschke, Hamburg 1993, S 161f.
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also Kritik der religiösen Vorstellung durch die Aufklärung durch eben diese religiöse Vorstellung und ihre Suche nach Transzendentem, das das Endliche übersteigt, ermöglicht. Die Überschreitung der Endlichkeit, die der religiösen Vorstellung immanent ist, führt sie jedoch nicht zwangsläufig zu dem philosophisch ausgewiesenen Begriff der wahren Unendlichkeit. Sie kann auch zu einer Verbindung mit der Verstandesvorstellung führen und so zu der nur abstrakten Negation des Endlichen. Wahre Freiheit muss aber einen anderen, nicht nur negierenden Bezug zur Endlichkeit haben. Die irrige Vorstellung, Gott hätte sich offenbaren können oder auch nicht, diese Entscheidung läge in seiner Willkür, ist z.B. ein Irrtum, der aus der Verbindung der religiösen Vorstellung mit der aufklärerischen Verstandesvorstellung resultiert. Auch bei der religiösen Vorstellung der Dreieinigkeit hält der Verstand nur die Äußerlichkeit der Zahl „drei“ fest und bleibt beim Nacheinander der Zählung stehen, indem er die drei Personen des einen göttlichen Ganzen in ein äußerliches Verhältnis zueinander setzt und „Dreieinigkeit“ schließlich als unverständlich und überflüssig verwirft. Der religiösen Vorstellung geht es um die den drei Personen der Trinität zugrundeliegende Einheit. Dass die „einander vollkommen Äußerlichen doch zugleich Eins sein sollen“ ist jedoch mit den Mitteln des Verstandes nicht zu erkennen.358 Deshalb muss die Vorstellung, die im Unterschied zu dem Verstand auf die innere Einheit der Denkbestimmungen ausgerichtet ist und sich gegen die Anfechtungen des Verstandes wehren muss, auf einen anderen, besseren Verbündeten als es die Aufklärung ist warten, den sie in der spekulativen Philosophie dann auch findet. Allerdings: Auch die Aufklärung wird durch die Philosophie gerettet, denn ihr Substantielles, der kritische Impuls, wird in der Philosophie in die ganze Bewegung des Denkens integriert. Zunächst ist es aber wichtig genauer zu bestimmen, was Hegel unter der Verstandesaufklärung versteht. In der Phänomenologie des Geistes wird ihr Eigenstes, nämlich ihre Bestimmung als „reine Einsicht“, an den Kampf gegen den Glauben, den sie als Aberglauben missversteht, gebunden. Aufklärung wird in diesem Sinne als Religionskritik verstanden. Nur indem sie gegen den Glauben auftritt, befindet sich die Aufklärung in ihrem wahren Element. Die reine Einsicht und der Glaube sind aber zwei Momente des einen Bewusstseins, das in dieser Spannung zu einem gedoppelten Bewusstsein wird. In diesem „Zwist“ stehen sich kritische Reflexion und Religion als verfeindete Mächte gegenüber.359 Aufklärung und Religion, Einsicht und Glaube sind jedoch nur zwei Seiten des einen von der Welt und sich selbst entfremdeten Bewusstseins. Der Kampf gegen die 358 359
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G.W.F. Hegel: Begriff der Religion, S. 162. G.W.F. Hegel: Begriff der Religion, S. 25f.
Religion oder gegen die Aufklärung ist aussichtslos. In diesem Kampf wendet der Geist Gewalt gegen sich selbst an. Die reine Einsicht der Aufklärung ist, so Hegel, wie eine ansteckende Krankheit, die sich unbemerkt ausbreitet und alle Organe des geistigen Lebens durchdringt und das dem Glauben Heilige „besudelt“, bevor sie den abgestorbenen Inhalt der Religion mit einem Stoß umstürzt.360 Religion kann zwar das ihr Wichtige im Gedächtnis bewahren und so zu retten versuchen, aber sie hat keinen Bezug mehr zum menschlichen Leben und muss, als wirklichkeitsbildende Macht, untergehen. Ihr verzweifelter Versuch der Aufklärung entgegenzukommen und den Glauben aus vorhandenen geschichtlichen Zeugnissen zu begründen, statt aus dem in Subjekten wirkenden lebendigen Geist, zeigt nur das Ausmaß der schon geschehenen Verführung und Ansteckung durch die Aufklärung. Der Gedanke der Nützlichkeit, mit dem die Aufklärung die Religion doch noch ‚retten‘ will indem sie ihr eine eigene Zweckmäßigkeit einräumt, versetzt dieser den endgültigen Todesstoß. Die Bedrohung des Glaubens äußert sich als die Erschütterung eines beruhigten und sicheren Gemüts. Hier wird die rettende Aufgabe der Spekulation deutlich. Ruhe und Sicherheit des Glaubens sind, so Hegel, durch dessen „Unterwerfung“ unter das Heilige entstanden. Die Gefährdung dieser Sicherheit durch die Aufklärung zeigt, dass die religiöse Vorstellung nicht auf festem Fundament beruht hatte. Dem von der Aufklärung bedrängten religiösen Glauben fehlt es an Festigkeit, die er zwar nicht durch den Verstand, aber doch durch die Spekulation bekommen kann. Die Religionskritik der Aufklärung rettet somit unbeabsichtigt die Religion, indem sie diese an die Philosophie verweist. Die durch Philosophie erlangte Ruhe und Sicherheit des Glaubens hat aber ihren Preis. Der Glaube muss sich von bestimmten Vorstellungsweisen verabschieden, wie z.B. dass seine Vollendung in einer paradiesischen Vergangenheit oder in einer paradiesischen Zukunft zu suchen sei. Es gibt aber für Hegel keinen endgültigen „Zustand“ der Erlösung von dem Bösen, weder in der Vergangenheit noch in der Zukunft. Das Innere des Glaubens ist die Vernunft als Tätigkeit und Begriff, das Zurückkommen in die Einheit aus dem „steten Krieg“. ‚Spekulativ erlöste‘ Menschen könnte man dann vielleicht, Hegels Gedanken aufnehmend, als ‚Kriegsheimkehrer‘ bezeichnen, nicht als ‚Pazifisten‘. Die in der Philosophie erkannte Lebendigkeit und Prozessualität des Geistes bringt Bewegung in den starren Gottesbegriff der Verstandesaufklärung. Die sich an den Verstand bindende Vorstellung kann diese Prozessualität des Gottesbegriffs nicht erfassen, da sie das Unendliche in Opposition zum Endlichen festhält. Es fehlt ihr die Erkenntnis der Not360
G.W.F. Hegel: PhG GW 9, S. 300.
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wendigkeit der Beziehung unterschiedener Momente aufeinander, es fehlt ihr also die Fähigkeit, das Absolute als das „Sein für das Andere“ zu erkennen. Während das Spekulative für den Verstand und die sich an ihn bindende Vorstellung ein „Mysterium“ bleibt, kann sich die Vorstellung, die sich von dem abstrakten Verstand befreit und zum Begriff erhoben hat, zur wahrhaften Erkenntnis erheben.361 Nicht die religiöse Vorstellung, sondern der Verstand mit seinen Einwänden gegen das „erkennende Christentum“ ist der ‚Übeltäter‘, der dem Übergang in Philosophie im Wege steht. Seine Einwände gegen diesen Übergang beruhen auf einer missverstandenen Aufklärung, die sich selbst nicht zur Vernunft erhoben hat und durch ihre Einseitigkeit die eigentlich vernünftige religiöse Vorstellung bedroht. Die Aufklärung richtet sich jedoch nicht nur gegen die religiöse Vorstellung, sondern auch gegen das religiöse Gewissen. Sie setzt ihm die abstrakte Gesinnung der subjektiven Tugend entgegen. Die der Intelligenz immanente Macht der Abstraktion, d.h. des Herauslösens eines Besonderen aus dem Ganzen, äußert sich im Falle der Verstandesaufklärung als Verdacht und Fanatismus. Die Tyrannei der Französischen Revolution gründet sich in der Herrschaft der abstrakten Prinzipien der Freiheit und der Tugend: „Es herrschen jetzt die Tugend und der Schrecken; denn die subjektive Tugend, die bloß von der Gesinnung aus regiert, bringt die fürchterlichste Tyrannei mit sich. Sie übt ihre Macht ohne gerichtliche Formen, und ihre Strafe ist ebenso nur einfach – der Tod.“362 Die Abstraktheit der Gedanken, Gesinnungen und Weltanschauungen ist für Hegel die Quelle der Gewalt. Sie ist der außer Kontrolle geratene und dann vom Verstand im Gegensatz zur Vielfalt des Lebens fixierte Drang der Intelligenz nach Ausdehnung ihrer Macht. Dass es eine Hierarchie der Vorstellungsweisen gibt und nicht nur eine zu kritisierende Vorstellungsart, wird außerdem deutlich auch an Hegels Unterscheidung von „dreierlei Vorstellungen“ des Abendmahls, die den Mittelpunkt des Christentums ausmachen. Die auf der Verstandesvorstellung beruhende „Religion der Aufklärung“ steht für Hegel in enger Verwandtschaft mit der „mohammedanischen Religion“.363 Beide verstehen „Gott“ als das Allgemeine und Abstrakte, aus dem die Konkretion, die dem Konzept des dreieinigen Gottes eigen ist, ausgeschlossen ist. Das abstrakte Gottesbild hat das abstrakte Menschenbild zur Folge – darin besteht die eigentliche Gefahr der Verstandesaufklärung. In der „mohammedanischen Religion“ hat das abstrakte Gottesbild zur Folge, dass kein von Menschen gesetzter Zweck als wesentlich gilt und dadurch alle Individualität gleichgültig wird. In der „Re361 362 363
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G.W.F. Hegel: Vorlesungen über die Philosophie der Religion, Teil 3: Die vollendete Religion, herausgegeben von Walter Jaeschke, Hamburg 1995, S. 207. G.W.F. Hegel: Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte, TW 12, S. 533. G.W.F. Hegel: Die Vollendete Religion, S. 173.
ligion der Aufklärung“ führt diese Abstraktheit der Gottesvorstellung und des Menschenbildes zu entgegengesetztem Ergebnis: die zufällige Meinung des Subjekts, sein Belieben und Willkür werden zum Maßstab der Wahrheit. Dass Gott nicht als in sich differenziert gedacht ist – also als der dreieinige Gott – führt somit zu einem abstrakten Menschenbild, in dem die endlichen menschlichen Zwecke entweder keine Rolle spielen oder zur höchsten Instanz erhoben werden. Beides ist für Hegel Fanatismus des abstrakten Verstandes und der Vorstellung, die sich an ihn bindet statt an die Vernunft. Hier wird die herausragende Bedeutung des Konzepts der Dreieinigkeit deutlich. Nicht die religiöse Erfahrung bildet das Zentrum des Christentums, sondern ein Vernunftbegriff, der nur gedacht, aber nicht ‚erfahren‘ werden kann. Wenn das Christentum auf diesen Begriff zu verzichten glaubt, liefert es sich schutzlos dem abstrakten Verstand, dem Gefühl und schließlich der Gleichgültigkeit oder dem Fanatismus aus. Die Anbindung der religiösen Vorstellung an die Vernunft, an die ‚dreieinige‘ Tätigkeit des Begriffs, wäre aber der Fluchtweg aus der Abstraktheit und dem Fanatismus der Verstandesreflexion: Indem die Reflexion in die Religion eingebrochen ist, so hat das Denken, die Reflexion, eine feindliche Stellung zur Form der Vorstellung in der Religion und zum konkreten Inhalt. Das Denken, das so begonnen hat, hat dann keinen Aufenthalt mehr, führt sich durch, macht das Gemüt und den Himmel leer, und der erkennende Geist und der religiöse Inhalt flüchtet sich dann in den Begriff. Hier muß er seine Rechtfertigung erhalten, das Denken sich als konkretes und freies fassen, die Unterschiede nicht als nur gesetzt behaltend, sondern sie als frei entlassend und damit den Inhalt als objektiv anerkennend.364
Die Flucht in den Begriff ist die Rettung der Vernünftigkeit der religiösen Vorstellung, so wie sie sich in der Lehre der Kirche von der Dreieinigkeit, der Taufe, des Sakraments des Abendmahls, der Menschwerdung und der Auferstehung äußert. Philosophie zeigt zwar, dass der Begriff „das Höhere“ ist als die religiöse Vorstellung, aber auch, dass er diese vor der Verstandesaufklärung beschützt. Aufklärung ist die Eitelkeit des Verstandes und „die heftigste Gegnerin der Philosophie“, sie ist die „Verzweiflung“, gegen die sich Philosophie wendet.365 Die zwischen beiden Polen stehende religiöse Vorstellung muss den Sprung in die Vernunft wagen, um von dem Verstand nicht in den Abgrund der Bedeutungslosigkeit gestoßen zu werden. Die wahre „Priesterschaft“ ist für Hegel deshalb nicht diejenige, die sich der religiösen Vorstellung verschrieben hat, sondern die der Philosophen, der wahren „Diener“ der Wahrheit. Sie „bilden einen isolierten 364 365
G.W.F. Hegel: Die Vollendete Religion, S. 174. G.W.F. Hegel: Die Vollendete Religion, S. 175.
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Priesterstand, der mit der Welt nicht zusammengehen darf und das Besitztum der Wahrheit zu hüten hat.“ Mit der Welt nicht zusammenzugehen bedeutet sich ihr nicht anzugleichen, aber doch in ihr, sie verwandelnd, tätig zu sein.366 Auch die religiöse Vorstellung bewegt sich in der Spannung von Zerstörung und Rettung, den beiden dem Denken immanenten gegenläufigen Bewegungen. Das tut sie aber nicht auf dieselbe Art wie die Kunst, also indem sie diese Spannung in einen objektivierten Inhalt, in das Kunstwerk, verlegt und so schöpferisch befriedet, sondern sie macht das Subjekt selbst zum Spielplatz des Kampfes. Das schöpferische Moment des Denkens wird in der religiösen Vorstellung, so wie es der Natur der Vorstellung eigentümlich ist, zu einem nacheinander der endlichen Reflexionsbestimmungen, in denen Gott zum Schöpfer der Welt wird. Die Welt wird so zu einer von dem Schöpfer abgefallenen, obwohl von ihm hervorgebrachten Erscheinung. Der immanente Kampf der gegenläufigen absoluten Tätigkeit wird dabei nicht im schöpferischen Akt es Künstlers und auch nicht in der Geschichte aufgelöst, sondern in einer konkreten geschichtlichen Person, die zugleich selbst göttlich ist: in der Person Christi. Hegels Philosophie der Religion vereinigt in der Gestalt des „Sohnes“, in der Christusgestalt, die ganze Widersprüchlichkeit der zugrundeliegenden absoluten Tätigkeit – Gott und Mensch, in den Kämpfen der Welt verwickelt und die Welt erlösend zu sein. Der Sohn, das Bindeglied zwischen Gott und der Welt, übernimmt die Kraft des Vaters, die Schaffung und Erhaltung, die Erlösung der Welt. Der Sohn ist der mit Liebe zum Vater Zurückkehrende und der von ihm Hervorgebrachte.367 Als „Logos“, so das Johannesevangelium, ist er ursprünglich mit dem Vater, als „Sohn“ ist er, so wie es im Glaubensbekenntnis heißt, der Gezeugte, nicht der Erschaffene. In der Einzelheit des Sohnes ist das Heraustreten aus der Fülle des Göttlichen in die Welt und die zugleich mit ihm stattfindende Rückkehr aus der Welt in die Einheit mit dem Schöpfergott in einem geschichtlichen Ereignis versammelt. Auf diese der Welt zugrundeliegende Bewegung kommt es beim Christentum in erster Linie an, nicht auf den Inhalt der christlichen Lehre, deren Elemente auch in anderen Religionen zu finden sind. Für philosophische Erkenntnis ist, so Hegel, nicht der Inhalt wichtig, sondern die göttliche Idee, in der allein Wahrheit zu finden ist. Deutlich wird dieser Unterschied in der Vorstellung von der Gegenwart Gottes im Menschen. Für die Vorstellung und das religiöse Gefühl ist die Gegenwart Gottes vermittelt durch den Glauben an Christus und den Inhalt seiner 366 367
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G.W.F. Hegel: Die Vollendete Religion, S. 97. Vgl. dazu Jan Rohls: „Christentum und Philosophie beim späten Hegel“, in Spekulation und Vorstellung in Hegels enzyklopädischem System, Hg. Kazimir Drilo u. Axel Hutter, Tübingen 2015, S. 231–256; hier S. 242.
Lehre. Für die philosophische Erkenntnis ist die Gegenwart der göttlichen Idee in der unendlichen Form des „Ist“ enthalten: „für die Idee allein ist dies Ist die Form der Wahrheit – nicht als ob das Ist einen Inhalt, besondere Wahrheit gebe“.368 Dieses „Ist“ ist die Totalität der Entwicklung der Idee, die Unmittelbarkeit der Einzelheit, in der „alle Spur der Vermittlung“ „vertilgt“ ist. Damit ist gemeint: Das „Ist“ ist die sich in der Person Christi vermittelnde Fülle der unendlichen Form. So ist Gott der ewige Schöpfer der Welt, das ewige Sich-Offenbaren. Die Ewigkeit des Schöpfungsaktes im „Ist“ ist zugleich die Verzeitlichung der Welt: dieses „Zugleich“ von ewigem Schöpfungsakt und der zeitlichen Weltentfaltung zu verstehen ist eine Zumutung für die Vorstellung. Die Vorstellung selbst gehört zwar zu der Weltentfaltung, sie muss sich jedoch zu dem schöpferischen Akt selbst erheben und so ihre Zeitlichkeit zugleich „vertilgen“: „Daß er Schöpfer ist, ist nicht ein actus, der einmal vorgekommen wäre; was in der Idee ist, ist ewiges Moment, ewiges Bestimmen derselben“.369 Hegel betont: „Ohne Welt ist Gott nicht Gott“:370 Der Schöpfungsakt ist die außerzeitliche absolute Tätigkeit, durch die die Weltzeit entsteht. Christus ist somit beides: Er ist „das Ist“, die Fülle der unendlichen Form und des unendlichen Inhalts, jedoch im Element der Vorstellung. In ihm ist die absolute Tätigkeit der Idee in die Vorstellung „hinübergetreten“. Die Macht des Schöpfungsaktes misst sich für Hegel jedoch nicht an ihrem Erfolg und dem Nutzen für den Menschen. Zwar missversteht die religiöse Vorstellung die Auferstehung und die Wunder als Beweise für die Macht Gottes, doch das ist, so Hegel, nur die Macht über die endlichen Geister, so wie sie z.B. auch die Kirche gegen die Ketzer ausübt. Dabei handelt es sich um eine „äußere Macht“, nicht um „eine Macht nach geistiger Weise, so daß dem Geiste seine ganze Freiheit gelassen wird“. Das Christentum bedarf keiner Beglaubigung durch den Erfolg in der Welt. Dieser Satz bedeutet aber, übertragen auf das Gebiet der Philosophie der Geschichte, dass nicht der Sieg des Stärkeren der Maßstab der Vernünftigkeit und der Macht des Begriffs ist, sondern dass es auf die geistige Macht ankommt, die eine Beglaubigung durch den Erfolg in der Welt nicht nötig hat. Deshalb ist es für Hegel nicht sinnvoll zu verlangen, die Göttlichkeit Christi „wie so ein Faktum“ zu beglaubigen. Die empirische, geschichtliche Seite der Person Jesu ist die Verwirklichung seiner göttlichen Geschichte, die sich dem Augenschein entzieht und nur denkend zu begrei-
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G.W.F. Hegel: Die Vollendete Religion, S. 47. G.W.F. Hegel: Die Vollendete Religion, S. 200. G.W.F. Hegel: Begriff der Religion, S. 213.
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fen ist. Nicht die Negation des geschichtlichen Inhalts der religiösen Vorstellung ist das Ergebnis der philosophischen Umwandlung, sondern dessen Zurückführung auf sein Inneres.371 Hegels Warnung, auch die Rede von der „Tätigkeit, aus der die Welt hervorging“ gehöre in den Bereich der Vorstellung, gibt einen in seiner Bedeutung für das Verstehen seiner gesamten Philosophie nicht zu unterschätzenden Hinweis. Spekulative Philosophie ist in ihrer vollen Bedeutung nicht die Rede von der Tätigkeit des Hervorbringens, von der Idee, dem Begriff, von Gott oder Geist. Auch bei diesen ‚spekulativen‘ Wörtern handelt es sich immer noch um Vorstellungen, ihr Verständnis ist abhängig vom Verknüpfen ihrer voneinander isolierten Bestimmungen „und“ und „auch“.372 Wie spricht man aber über den nichtsinnlichen, aber trotzdem noch vorgestellten religiösen Inhalt, ohne ihn in der Form der Vorstellung zu gebrauchen? Die Antwort auf diese immer wieder zu stellende Frage führt in eine Richtung, die Hegel in die Nähe von Schelling bringt.373 Es handelt sich um Folgendes: Der Mittelpunkt der Religion besteht für die Vorstellung in der Rückkehr des endlichen Geistes in die Einheit mit dem Vater. Die Rückkehr kann nur durch den Sohn erfolgen, denn er ist, was für die Vorstellung noch nicht erkennbar ist, die Verkörperung der zugrundeliegenden absoluten Tätigkeit. Das Leben in der Nachfolge Christi, das für das religiöse Bewusstsein ein Leben in der Befolgung der Ideale wie Armut und Gehorsam sein mag, ist für das begreifende Erkennen das Leben aus der schöpferischen Kraft des Absoluten. Das Ziel der Rückkehr zu Gott ist die Überwindung der Trennung, denn diese Trennung bedeutet für das Endliche den „Schmerz der Negativität“.374 Die Trennung, der Schmerz also, der zu überwinden ist, ist für die Vorstellung durch die Sünde entstanden und ist eine Strafe. Für das philosophische Erkennen ist die Trennung jedoch durch das Setzen der Differenz zwischen Gott und Welt „bewirkt“. Das, was den Schmerz verursacht ist für das philosophische Begreifen zugleich das, was ihn lindert. Die „Schuld“ für die Trennung liegt nicht beim einzelnen Menschen und seinen Verfehlungen, sie ist die 371 372 373
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G.W.F. Hegel: Begriff der Religion, S. 294. G.W.F. Hegel: Begriff der Religion, S. 296. Vgl. dazu Thomas Oehl, der am Beispiel des Begriffs der „Sünde“ eine Nähe Hegels zu Schelling sieht: „Absoluter Geist ist in der Religion im Modus der Vorstellung, in der Philosophie im Modus des Begreifens realisiert. Philosophie hängt von der Religion dabei nicht ab – es ist lediglich so, dass sie eine Voraussetzung mit ihr teilt, die sie – qua reinem Denken – nicht selbst aus sich hervorbringen kann.“, In: „Selbstbewusstsein und absoluter Geist“, in: Objektiver und absoluter Geist nach Hegel. Kunst, Religion und Philosophie innerhalb und außerhalb von Gesellschaft und Geschichte, herausgegeben von Thomas Oehl und Arthur Kok, Leiden/Boston 2018, S. 355–389; hier S. 388. G.W.F. Hegel: Enz. TW 10, § 569.
innerste Bewegung des aus sich Herausgehens, „das Tun“ des Geistes, das selbst die Entzweiung ist und „sich für sich, und diesem gegenüber eine fremde äußerliche Wirklichkeit“ hervorbringt.375 Nichts ist schuldlos, was Geist ist. Der Schmerz der Trennung ist auch der Grund für die empfundene Notwendigkeit der Umkehr in die Einheit. Nur aus der als Widerspruch und Schmerz empfundenen Trennung von Gott und dem inneren Drang sie aufzuheben entsteht, „bewirkt“ sich, so die wichtige Formulierung des § 570 der Enzyklopädie, die absolute Tätigkeit („das Wesen“) „als inwohnend im Selbstbewußtsein“. Sie wird so zu der wirklichen Gegenwart des an und für sich seienden Geistes im Endlichen. Die Gegenwart des Göttlichen wird somit nicht vom endlichen Subjekt hergestellt, sondern sie wird, durch seinen Schmerz und das Bedürfnis nach Erlösung, in ihm „bewirkt“. Ob der Impuls des Sich-Bewirkens aus einem „dunklen Grund“ wie bei Schelling oder aus der Durchsichtigkeit der spannungsreichen absoluten Tätigkeit stammt wie bei Hegel scheint mir in diesem Fall nicht das Entscheidende zu sein. Entscheidend ist die Unverfügbarkeit des Sich-Bewirkens des Absoluten im Endlichen. In diesem Punkt stimmen Schelling und Hegel überein. Die philosophische Erkenntnis umfasst somit die immanente Einfachheit des Geistes und die konkreten Gestalten der Vorstellung. Die „immanente Einfachheit“ ist das Beisichsein des Geistes; das Beisichsein ist die Sphäre der immanenten Trinität. Diese Doppelbewegung – immanente Einfachheit in den konkreten Vorstellungsgestalten – muss von der philosophischen Erkenntnis begreifend nachvollzogen werden. Und das ist ein wichtiger Punkt: Durch die Erkenntnis der ganzen Bewegung des Geistes (d.h. der immanenten und der geschichtlichen Offenbarung) soll das philosophische Erkennen selbst zu dieser Doppelbewegung werden. Oder, wie es bei Hegel heißt: Der Standpunkt des philosophischen Erkennens erfordert, dass ich „mein Bewußtsein ausgleichen“ muss „mit dem, was ich als Geist an und für mich selbst bin“. Und das ist, natürlich, ein Problem: Während das Sich- Erheben des Endlichen zum Wissen von „Gott in mir“ zu der religiösen Praxis gehört (Hegel verweist auf Mystik), bleibt es unklar, wie die Erkenntnis der immanenten Trinität anders als etwas Gegebenes, Offenbartes, dem endlichen Denken Äußeres verstanden werden kann. Der Übergang von dem „Ich“, das „dieses besondere Subjekt“ ist zu Gott bedeutet, dass „ich“ die Bewegung des Übergangs vom Wissen von Gott als einem mir äußeren Gegenstand zum Wissen von Gott „in mir“ vollziehe. Schon das ist, wie Hegel immer wieder betont, für den Verstand eine Zumutung: „den Gott in sich“ zu erkennen. Und doch ist diese Zu375
G.W.F. Hegel: PhG GW 9, S. 254.
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mutung für die religiöse Vorstellung, die als ihren Inhalt die zentralen Lehren des Christentums verinnerlicht hat (Dreieinigkeit, Menschwerdung Gottes, Tod und Auferstehung) leichter zu überwinden als für den sogenannten gesunden Menschenverstand. Das Ziel der religiösen Vorstellung wäre aber die philosophische Erkenntnis des Übergangs innerhalb des Gottesbegriffs: Von der Einheit Gottes in sein Anderssein. Und hier scheint Hegel von der religiösen Vorstellung etwas Unmögliches zu erwarten: sich selbst an die Stelle Gottes zu setzen. Festzuhalten ist jedoch: Es werden zwei Momente voneinander unterschieden, wenn von dem Übergang der religiösen Vorstellung in das philosophische Erkennen die Rede ist: Der Übergang von endlichem, vorstellendem Ich zu dem Wissen von „Gott in mir“ und der Übergang der Objektivierung des Absoluten innerhalb des Gottesbegriffes. Hier stellt sich die Frage: Bewegt sich das philosophische Erkennen in beiden „Sphären“, oder in nur einer von den beiden? Die verschiedenen Konzepte der Vorlesungen über die Religion von 1824 (wo der erste Übergang thematisiert wird) und von 1827 und 1831 (mit dem Ausgang von dem zweiten Übergang) zeigen an, dass Hegel selbst um die Beantwortung dieser Frage gerungen hat.376 In dem § 554 der Enzyklopädie werden diese beiden Sphären unterschieden und aufeinander bezogen: Der absolute Geist teilt sich in die eine und allgemeine Substanz und in das Wissen von ihr. Dieses Wissen, „für welches“ die allgemeine Substanz „als solche ist“, ist das Wissen des endlichen Subjekts: „Die Religion, wie diese höchste Sphäre im allgemeinen bezeichnet werden kann, ist ebensosehr als vom Subjekte ausgehend und in demselben sich befindend als objektiv von dem absoluten Geiste ausgehend zu betrachten, der als Geist in seiner Gemeinde ist“, heißt es an dieser Stelle weiter. Beides also: Gott als „Urteil in sich“ und Gott als Wissen für mich muss in dieser gegenseitigen Bezogenheit gedacht werden. Dass Gottes „Urteil in sich“ ein Wissen „für mich“ ist, bedeutet nicht sagen zu müssen, „Ich bin Gott“, wie Jacobi in seiner Kritik des idealistischen Gottesbegriffs unterstellt hat. Dieses Wissen wird ja erst durch Gottes „Urteil in sich“ bewirkt. Darüber kann das endliche vorstellende Selbstbewusstsein nicht verfügen. Und genau dieses „Sich-Bewirken“ Gottes im Selbstbewusstsein ist auch der Schlüssel für das spekulative Verstehen der Doppelbewegung. Das Moment der innertrinitarischen Bewegung wird von der philosophischen Erkenntnis nicht in der Weise begriffen, dass sie selbst „göttliche“ Fähigkeiten entwickelt. Die Manifestation Gottes wird in ihrer Wirkung sichtbar, in der Erhebung des Vorstellungswissens zu Gott. Das Eigentümliche der philosophischen Erkenntnis 376
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Vgl. dazu Walter Jaeschke: Die Vernunft in der Religion. Studien zur Grundlegung der Religionsphilosophie Hegels, Stuttgart-Bad Canstatt 1986.
kann folgendermaßen wiedergegeben werden: Das Moment des „Sichbewirkens“ Gottes im Selbstbewusstsein ist in und während der Erhebung des Endlichen enthalten. Ohne das Sichbewirken Gottes ist das SichErheben zu der philosophischen Erkenntnis nicht möglich. Der Augenblick, in dem sich das Sichbewirken des Unendlichen und das SichErheben des Endlichen treffen, kann deshalb mit gutem Grund als ‚das Verborgene‘ in Hegels spekulativem Erkennen bezeichnet werden. Dieses Verborgene versteckt sich im Vollzug einer Doppelbewegung, die nur im Nacheinander ihrer Momente beschrieben werden kann. Aus diesem Grund ist es für das nicht-spekulative Denken so schwer, den verborgenen Sinn der Doppelbewegung des Absoluten zu verstehen. Zu dem „Verborgenen“ des begreifenden spekulativen Erkennens sagt Hegel Erhellendes in den Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie: Denn bei Gedanken, besonders bei spekulativen, heißt Verstehen ganz etwas anderes als nur den grammatischen Sinn der Worte fassen und sie in sich zwar hinein-, aber nur bis in die Region des Vorstellens aufnehmen. Man kann daher eine Kenntnis von den Behauptungen, Sätzen oder, wenn man will, von den Meinungen der Philosophen besitzen, sich mit den Gründen und Ausführungen solcher Meinungen viel zu tun gemacht haben, und die Hauptsache kann bei allen diesen Bemühungen gefehlt haben, nämlich das Verstehen der Sätze. Es fehlt daher nicht an bändereichen, wenn man will gelehrten Geschichten der Philosophie, welchen die Erkenntnis des Stoffes selbst, mit welchem sie sich so viel zu tun gemacht haben, abgeht. Die Verfasser solcher Geschichten lassen sich mit Tieren vergleichen, welche alle Töne einer Musik mit durchgehört haben, an deren Sinn aber das Eine, die Harmonie dieser Töne, nicht gekommen ist.377
Der Akt des Sich-Bewirkens des Wesens im Selbstbewusstsein ist, in der Sprache der Vorstellung gesprochen, Gottes Hervorgehen aus der Einheit in die Differenz, und zwar aus seiner ewigen, innertrinitarischen Einheit in die geschichtliche Wirklichkeit. Das „Sich-bewirken“ im Selbstbewusstsein ist somit beides: Die ‚Herablassung‘ Gottes in die Endlichkeit und die Erhebung des Endlichen zu Gott. Das Leben des Geistes ist nicht nur in einer vom geschichtlichen Dasein unterschiedenen Sphäre des Innertrinitarischen tätig, sondern auch „in dem Kreislauf konkreter Gestalten der Vorstellung“ (Enz. § 571), die seine Entfaltung sind und sein Leben in der Geschichte und als Geschichte.378 So wie das Kunstwerk vom Künstler 377 378
G.W.F. Hegel: Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie, TW 18, S. 17. Michael Theunissen wertet den Paragraphen 571 der Enzyklopädie als eine „Verbeugung“ des Begriffs vor der Vorstellung. Zu „Vorstellung“ und „Offenbarung“ heißt es: die Vorstellung ist einerseits auf die Offenbarung des absoluten Begriffs angewiesen; andererseits ist der Begriff ebenso auf die Vorstellung angewiesen, denn es ist „die als souveräne Selbstmanifestation Gottes unverfügbare Offenbarung, auf die
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„empfangen“ wird379 hat auch Philosophie „ihren Punkt, der nicht erlernt, nicht äußerlich aufgenötigt, von einem Menschen nicht in den anderen übertragen werden kann“, ihren „Lebenspunkt“, um den sie sich dreht und der das „Pfingsten“ des Denkens ist.380 Kunst, Religion und Philosophie stehen nicht in der Macht der Menschen. Sie werden ihm gegeben, eben in ihm „bewirkt“. Das zu begreifen ist für das an der Wahrheit interessierte Denken nötig, aber es ist keine dem Denken äußere, ihm fremde Nötigung: Eben weil die Wahrheit ihre Nötigung in sich selbst hat, eben darum kann sie nicht in dem Beweise als einem von der Wahrheit selbst verschiedenen Beweise liegen, – weil sie Geist ist, ist sie dem isolierten Verstande und dessen Beweisen unzugänglich, kann sie nicht dem isolierten, verfallenen Verstande des Menschen zukommen; […] So ist auch alles spekulative Wissen durch Verstandesbeweis positiv nicht zu erzwingen […].381
Auch Philosophie muss, um ihre vollständige Kraft zu entfalten, in der geistigen Erfahrung des Philosophierenden verankert sein. Dieser ‚Fichtesche‘ Gedanke orientiert sich an der Metapher des Einleuchtens der Wahrheit. Hinzuzufügen ist aber, was sowohl bei Fichte als auch bei Hegel der zentrale Punkt ist, dass es sich um ein Einleuchten handelt, das nicht zufällig eintritt, sondern sich nur als das Ergebnis der strengen genetischen bzw. logischen Gedankenentwicklung einstellt. Dazu ist der Perspektivwechsel nötig, analog zu dem Perspektivwechsel des Glaubens, in dem ja auch die Gegenwart Gottes erfahren werden soll. Aus dem ‚Eingeleuchteten‘ zu denken bedeutet, dass das Beobachten und das Beobachtete „für den Denkenden“ übereinstimmen müssen: Will die Beobachtung das Unendliche seiner wahren Natur nach beobachten, so muß sie selbst unendliche, d.h. nicht mehr Beobachtung der Sache, sondern die Sache selbst sein. Auch das spekulative Denken kann man beobachten, aber es ist nur für den Denkenden selbst wirk-
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es auf dem Wege über die Vorstellung zurückzugehen hat“; der Weg über die Vorstellung sei „unumgänglich“. Die Vorstellung müsse „erst nachgemacht haben, was der Inhalt [die unverfügbare Offenbarung Gottes, KD] ihr vorgemacht hat, damit der Begriff sein Werk in einer der Form des Inhalts angemessenen Gestaltung beginnen kann.“ Es bestehe somit „eine „primäre Abhängigkeit [des Begriffs] von der Offenbarung und eine sekundäre Abhängigkeit von der Vorstellung.“ In: Michael Theunissen: „Lehre vom absoluten Geist als theologisch-politischer Traktat“, Berlin 1970, S. 293ff. G.W.F. Hegel: Begriff der Religion, S. 145. G.W.F. Hegel: Berliner Schriften TW 11, S. 387. G.W.F. Hegel: Berliner Schriften TW 11, S. 387f.
lich; ebenso ist die Frömmigkeit nur für den Frommen, d.h. der zugleich das ist, was er beobachtet.382
Aus der in sich spannungsreichen Tätigkeit des Absoluten zu denken ist nur durch die schöpferische Kraft in Kunst, Religion und Philosophie möglich – nicht aber für Philosophie, die sich nur mit dem abstrakten Denken der Logik identifiziert. Die spekulative Philosophie ist diejenige, in der die Welt mit ihren konkreten Kämpfen umfasst ist.383 So heißt es für den Menschen: „Ich bin der Kampf selbst“ und die „Einheit dessen, was sich schlechthin flieht“, ich bin nicht nur endlich oder nur unendlich.384 Der einzige Ausweg – nicht aus dem Kampf, sondern aus der Verfallenheit an ihn – besteht darin, die zerstörerische Kraft des Denkens, die durch die fixierte Trennung vom Absoluten entsteht und die der Preis der Freiheit ist, künstlerisch, in Andachtsformen des Kultus und schließlich durch das philosophische Begreifen in einen schöpferischen Prozess umzuwandeln. Die Rettung der Welt vor dem Untergang ist als die fortwährende hervorbringende Tätigkeit des Absoluten zu begreifen. Dabei muss immer wieder betont werden: „das Absolute“ ist kein Wesen und keine Person, sondern eine Bewegung, eine „Tatsache“ des Bewusstseins, die von diesem nicht eingeholt werden kann. Diese Voraussetzung teilen, trotz aller Unterschiede in der Ausformulierung, Fichte, Schelling und Hegel miteinander. Diese schöpferische Tätigkeit zu erkennen, sich mit ihr zu identifizieren und aus ihr zu denken und zu handeln ist Hegels Antwort auf die Frage nach dem Ausweg aus dem ‚Bürgerkrieg‘ der Welt. Für die religiöse Vorstellung und die Gemeinde ist der Kultus der Ort, an dem diese lebenspendende Tätigkeit erfahren wird. Dass sie im Hinblick auf die Sakramente im Glauben verwirklicht wird schließt nicht aus, dass sie sich auf die Welt ausbreiten und in ihr realisieren kann und soll. Der Lebenspunkt, die Achse der Welt und so auch der Sittlichkeit als der Verwirklichung und Schutz der Freiheit ist die Einheit des Hervorbringens des Endlichen und dessen Rückkehr zum Unendlichen: das SichErheben des Selbstbewusstseins zur Einheit mit Gott, das zugleich stattfindet mit dem Sich-Bewirken Gottes im Selbstbewusstsein.385 So heißt es 382 383 384 385
G.W.F. Hegel: Begriff der Religion, S. 217. G.W.F. Hegel: Begriff der Religion, S. 159. G.W.F. Hegel: Begriff der Religion, S. 121. Das „Sich-Bewirken“ des Absoluten ist eben nicht als ein Kausalitätsverhältnis zu verstehen, denn Kausalität ist eine Reflexionsbestimmung. Das Sich-Bewirken wird von Hegel an mehreren Stellen und in unterschiedlichem Kontext mit der Metapher des „Blitzes“ angezeigt. So z.B.: der Blitz des Lebendigen, der in die Materie einschlägt (Entstehung des Lebens, Enz. § 339 Z, S. 349); der Blitz des Aufgangs, der „in einem Male das Gebilde der neuen Welt hinstellt“ (PhG GW 9, S. 14f.); der Blitz der Erkenntnis, der in die absolute Substanz einschlägt und das Selbstbewusstsein
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in den Vorlesungen über die Philosophie der Religion, Gott ist die Bewegung zum Endlichen und dadurch „die Aufhebung desselben zu sich selbst“. Im Menschen kehrt Gott zu sich zurück. Er ist „nur Gott als diese Rückkehr. Ohne Welt ist Gott nicht Gott.“386 Es ist aber auch wahr: die Welt ist ohne Gott nicht Welt. Deshalb kann Philosophie berechtigterweise sagen: Ohne das Sich-Bewirken des Absoluten als Welt gibt es keine Rückkehr, kein Sich-Erheben der Welt zum Absoluten. Die beiden entgegengesetzten Bewegungen bilden eine Einheit. Ein Beispiel für die in der Sprache der Vorstellung wiedergegebene Einheit vom Sich-Erheben des Selbstbewusstseins zum Wesen und SichBewirken des Wesens im Selbstbewusstsein sind die im § 564 der Enzyklopädie angeführten Sätze, Gott ist nur Gott, insofern er sich selber weiß, sein Sichwissen ist sein Selbstbewusstsein im Menschen, und „das Wissen des Menschen von Gott“ geht fort „zum Wissen des Menschen in Gott.“ Diese Formulierung – das Sichwissen Gottes ist sein Selbstbewußtsein im Menschen – deutet an, wie man sich das Zusammenspiel der religiösen Vorstellung mit der Spekulation denken soll. Hegel verweist im § 564 der Enzyklopädie ausdrücklich auf die „gründliche Erläuterung“ dieser Sätze in seiner Rezension von Carl Friedrich Göschels Schrift Aphorismen über Nichtwissen und absolutes Wissen im Verhältnis zur christlichen Glaubenserkenntnis. Dabei kommt es ihm auf die folgende Feststellung an: Die erlangte größere Festigkeit in der Bewegung des Begriffs wird es erlauben, gegen die Verführung der Vorstellung unbesorgter zu sein und sie unter der Herrschaft des Begriffes freier gewähren zu lassen; wie die Sicherheit, die im göttlichen Glauben schon vorhanden ist, von Haus aus gestattet, ruhig gegen den Begriff zu sein und sich in denselben sowohl furchtlos über seine Konsequenzen als auch unbekümmerter über seine Konsequenz, welche bei vorausgesetztem Glauben sich nicht selbst als frei zu erweisen hat, einzulassen.387
386 387
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konstituiert (GPh, TW 20, S. 458f.). Das durch den „Blitz“ Bewirkte ist plötzlich als Ganzes „da“, es initiiert zwar eine Entwicklung, ist selbst aber nicht das Resultat einer Entwicklung. Thomas Oehl entwickelt dieses Moment der grundlegenden Unverfügbarkeit des Ganzen am Beispiel des Einleuchtens als eines sich-geltendMachens („Offenbarens“) in der Selbsterkenntnis des endlichen Subjekts. In: Die Aktivität der Wahrnehmung und die Metaphysik des Geistes, Tübingen 2021, S. 273f. und 290. Oehl kritisiert – in diesem Zusammenhang völlig zurecht – die „unkritische Hochschätzung“ des intersubjektiven Austauschs von Gründen für den Erkenntnisgewinn und den vermeintlich zwanglosen Zwang der Argumentation, dem selbst gewaltvolle Züge eingeschrieben sind. G.W.F. Hegel, Der Begriff der Religion, S. 213. G.W.F. Hegel: „Göschel-Rezension“ in Berliner Schriften TW 11, S. 379; Vgl. dazu auch Kazimir Drilo: „Religiöse Vorstellung und philosophische Erkenntnis“, in: Spekulation und Vorstellung in Hegels enzyklopädischem System, Tübingen 2015, S. 211–231.
Nachdem es die Vorstellung über das sie Bedrohende aufgeklärt hatte muss es für das spekulative Denken möglich sein zu ihr zurückzukehren, mit einer neuen Einstellung ihr gegenüber, nämlich einer der „unbesorgten“ Freiheit und dem „Herüber- und Hinübergehen“ von der Vorstellung zum Begriff und von dem Begriff zur Vorstellung. Ein durch Philosophie in sich gefestigter Glaube wird sich durch die Verstandesaufklärung nicht bedroht fühlen, sondern frei und sicher ihr gegenüber bleiben. Weder „Zweideutigkeit“ noch „Zweischneidigkeit“ sind daher die passenden Ausdrücke für das Verhältnis von Religion und Philosophie.388 Hegel spricht vielmehr von Freiheit und Furchtlosigkeit, die für beide gelten. Das gilt dann natürlich auch für Philosophie, die sich unbesorgt den Vorstellungsinhalten wie z.B. dem Inhalt des Glaubensbekenntnisses sowie christlichen Traditionen hingeben kann. Das „Hinübergehen“ zur Vorstellung und die Rückkehr in den Begriff gehören ja, wie Hegel betont, zur wissenschaftlichen Meditation.389 Die Aufklärung durch Philosophie führt den Glauben einerseits nicht zur Selbstaufgabe, so wie das in der Verstandesaufklärung noch der Fall gewesen ist, sondern zu einer neuen Haltung der Festigkeit und der Selbstdisziplin, die nötig ist, um sich in willkürlichen Vorstellungsinhalten nicht zu verlieren. So kann der Glaube dem Unvernünftigkeitsverdacht der Verstandesphilosophie und einer auf ihr basierenden Aufklärung widerstehen. Das philosophische Erkennen führt andererseits nicht zu dem Verwerfen der Erfahrungen des religiösen Bewusstseins, sondern zu einer gelassenen Annahme dieser Erfahrungen. So ist gegen die mystische Erfahrung der Einheit von Gott und Mensch auch für Philosophie nichts einzuwenden, wenn der vernünftige Grund dieser Erfahrung, der in der Natur der Vernunft selbst zu finden ist, erkannt wird. „Sicherheit“ im Glauben entsteht daher durch die Erkenntnis des religiösen Inhalts als eines vernünftigen; „Sicherheit“ der Philosophie entsteht durch den erfahrungsgesättigten religiösen Inhalt, der ihr Wirklichkeit und geschichtliche Tiefe verleiht und aus dem Schattenreich der Abstraktion herausführt. Dadurch profitieren beide: Religion und Philosophie. Und vor allem: der vorstellende philosophisch durchgebildete Glaube ist Philosophie – in gelassenem Umgang mit religiösen Inhalten. 388
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Für Walter Jaeschke handelt es sich um das Verhältnis der „Zweischneidigkeit“ von Vorstellung und Begriff (Hegel-Handbuch S. 475). Es ist merkwürdig, wie Jaeschke den metaphysischen Charakter von Hegels Philosophie ausblendet und auf dem transzendentalphilosophischen besteht, so z.B. mit der Bemerkung, dass „alle Wahrheit nur im Bewußtsein zugänglich sei“. Auch wenn der Seinsbegriff für Hegel tatsächlich nicht einfach nur „jenseits des Bewußtseins“ ist, wie Jaeschke zurecht anmerkt, so ist er doch zugleich innerhalb und außerhalb des Bewusstseins. Diese innere Spannung der Denkbestimmungen, die zugleich Seinsbestimmungen sind, geht in Jaeschkes Interpretation jedoch unter. Vgl. Walter Jaeschke: Hegels Philosophie, Hamburg 2020, S. 131ff. G.W.F. Hegel: Berliner Schriften TW 11, S. 378.
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Worauf es ankommt ist Folgendes: Spekulation und Vorstellung sollen von Anfang an in einem großen Wurf als „Teile eines lebendigen Ganzen gedacht werden“, die ohne einander nicht bestehen können und zu „Zerrbildern des Heiligsten sich verkehren“, wenn sie voneinander getrennt werden.390 Sie sind nicht ‚vorstellungsmäßig‘ aufzufassen indem man sie zuerst trennt und dann, von der Vorstellung ausgehend sich fragt, ob Philosophie zum Glauben zurückkehren soll und was für die religiöse Vorstellung daraus folgt. Diejenige Vorstellung, in der das Sich-selbst-Überschreiten des Selbstbewusstseins und das Sich-Bewirken des Geistes im Selbstbewusstsein in ihrer Einheit gedacht werden, nennt Hegel im § 573 der Enzyklopädie die „absolute Vorstellung“. Der eigentümliche und doch für Fichte, Schelling und Hegel so wichtige Gedanke lautet, dass der mit der absoluten Form (das Sich-selbst-Überschreiten des Selbstbewusstseins und das Sich-Bewirken des Geistes im Selbstbewusstsein) in Einheit stehende Inhalt „nicht in Sätzen“ zu fassen ist. In Sätzen sei vielmehr, wie Hegel in seiner Replik auf Kollmanns Schrift Über die Hegelsche Lehre oder absolutes Wissen aus dem Jahr 1829 mit dem Hinweis auf den § 571 der Enzyklopädie ausführt, aufzufassen nur das Leben des Geistes, das sich „in dem Kreislaufe konkreter Gestalten der Vorstellung expliziert“.391 Das Zugrundeliegende dieser Explikation des Geistes in seinen konkreten Vorstellungsgestalten im zeitlichen Nacheinander seiner Teile ist den „Sätzen“ unzugänglich. Dieses Zugrundeliegende nennt Hegel die „göttliche Aktuosität“, in der „es keine Sätze mehr“ gibt.392 Dem philosophischen Erkennen ist es somit zuzumuten, sich der schöpferischen Bewegung des „göttlichen Lebens“ zu überlassen, ohne sie in Sätzen vollständig explizieren zu können. Das Denken begreift das in der Welt ausgebreitete Leben des Geistes als den nicht trennbaren Zusammenhang des einen allgemeinen und einfachen Geistes.393 Das Unvermögen des diskursiven Denkens, das den konkreten Vorstellungsgestalten Zugrundeliegende ungekürzt wiederzugeben, ist begründet in der Unverfügbarkeit des Denkvollzugs, der identisch ist mit der Tätigkeit des Absoluten. Diese äußert sich in der Zerstörung der Ur390 391
392 393
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G.W.F. Hegel: Berliner Schriften TW 11, S. 388. Michael Theunissen spricht von dem Ineinandergreifen von Begriff und Vorstellung, vor allem im Hinblick auf die geschichtliche Zeit: 1970, S. 291–297. Die rettende Funktion des den beiden Zugrundeliegenden wird jedoch von ihm nicht thematisiert, sondern in die Sphäre des objektiven Geistes verlagert und gegen Hegel gewendet. Ähnlich auch Jan Rohls 2015, der eine „systematische Unstimmigkeit“ darin sieht, dass der Kultus als religiöse Praxis und somit die Sphäre des absoluten Geistes, im sittlichen Staat, also der Sphäre des objektiven Geistes, aufgehoben ist. S. 255. G.W.F. Hegel: Berliner Schriften TW 11, S. 412. G.W.F. Hegel: Enz. TW 10, § 571.
teilsform des Satzes durch die, wie es in der Vorrede der Phänomenologie heißt, sich selbst erzeugende, fortgehende und in sich zurückkehrende dialektische Bewegung. Das In sich Zurückkehren des Denkens bei dem Verstehenwollen des unausdrücklich in Sätzen Ausgedrückten, die „innere Hemmung“ der Bewegung, der „Gegenstoß“, der den Leser und Hörer der philosophischen Abhandlungen und Vorlesungen auf das Subjekt der Bewegung zurückwirft – das nicht er selbst ist – erweist sich als der notwendige, das Spekulative ausmachende Kern des wahren Verstehens.394 Der Glaubensakt ist somit in seinem Wesen der Denkprozess, die Bewegung der Freiheit. Im Kultus erfährt der Mensch, dass er nicht Freiheit hat, sondern dass er Freiheit ist: ein Besonderes, das am Allgemeinen teilhat, wobei dieses Allgemeine nicht nur die Gemeinschaft der Gläubigen ist, sondern vor allem die Tätigkeit des Geistes, oder die Affirmation, die zugleich „die unendliche Negation in sich ist“.395 So ist das Gebet nicht das Ansprechen eines vom Subjekts getrennten Gegenstandes (Gott als der Andere), sondern das Eingehen in die Bewegung des Geistes, durch die der Beter ‚das Feuer‘ und ‚die Wärme‘ der Lebendigkeit erfährt, aber vor allem das, worauf es ankommt: Ruhe, Gelassenheit und Besonnenheit eines philosophisch gefestigten Glaubens. Hegel zeigt, worin das Wesentliche der Andacht und des Kultus besteht: „Andacht ist der sich bewegende Geist, in dieser Bewegung, diesem Gegenstand sich zu erhalten.“ Der entscheidende Zusatz lautet jedoch: „Aber das Subjekt erhält sich in der Andacht nicht in seiner Partikularität, sondern nur in seiner Bewegung im Gegenstand und nur als dieser sich bewegende Geist.“396 Das rettende Sichversenken in den Gegenstand der Andacht, der eigentlich keiner ist, sondern die Denkbewegung selbst, ist das Opfer der eigenen „Partikularität“ und so „dieselbe Negation wie 394
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Eine Entsprechung findet diese, in theologischer Sprache ausgedrückt „heilbringende“ Gegenwart Gottes im Abendmahl. Hegel denkt dabei an die Abendmahlslehre Luthers. In diesem Zusammenhang ist zu verweisen auf die gründliche Untersuchung von Luthers Abendmahlslehre von Martin Wendte: Die Gabe und das Gestell. Luthers Metaphysik des Abendmahls im technischen Zeitalter, Tübingen 2013. Das Abendmahl ist die heilbringende Gabe und als solche ein die ganze Wirklichkeit umfassendes Geschehen. Die Momente des Heils und der gesamten Wirklichkeit als „Gabegeschehen“ hat auch Hegel im Blick, wenn er vom Abendmahl spricht. Wendt betont den Ereignischarakter von Luthers Abendmahlverständnis, bei dem Inhalt (konkrete materiale Gabe für den einzelnen Menschen und auch für die ganze Wirklichkeit) und Form (Brot und Wein) einander entsprechen. Luther denke (auch das ist eine Parallele zu Hegel) die Dreieinigkeit Gottes von Anfang an als auf den Menschen bezogen und die Schöpfung „als gute Gabeordnung, die auf den Menschen hingeordnet ist und die dieser genießen soll“. S. 461. G.W.F. Hegel: Begriff der Religion, S. 238. G.W.F. Hegel: Begriff der Religion, S. 333.
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beim theoretischen Bewußtsein“, jedoch als äußeres Zeichen gesetzt.397 Dieses Sichversenken ist für Religion und Philosophie, beide als Kultus gedacht, das Aufgeben und die Rettung des Endlichen durch das Eingehen in die Bewegung des Geistes. Am Kultus teilzunehmen ist für Hegel keine Passivität, sondern das Bewusstwerden und die Wiederholung des Gegenwärtigwerdens des Absoluten. Im Kultus erschafft der Mensch zwar kein künstlerisches Werk, aber er geht in die schöpferische, die wirklichkeitverleihende Kraft des Gottes ein. Kultus ist Praxis. In der Glaubensandacht des Kultus, der eine Form des reinen Denkens ist, wird die göttliche Gegenwart erfahren und vorgestellt, in der Philosophie wird sie erfahren und als die absolute Tätigkeit gedacht. Philosophisch verwandelte religiöse Offenbarung ist die Erkenntnis, dass Gott der Geist ist, der das Sich-Erheben zu ihm im Menschen erweckt, und dass diese Erweckung und das Aufkommen des Glaubens nicht in der Macht des Menschen stehen. Auch der philosophisch, spekulativ Begreifende weiß daher, dass ihm die absolute Tätigkeit, durch die er ist, unverfügbar bleibt. Die für die religiöse Vorstellung unverzichtbare und im Kultus erfahrene Unverfügbarkeit Gottes bleibt auch im philosophischen Erkennen enthalten – als die Unverfügbarkeit der in sich spannungsreichen absoluten Tätigkeit, in der Sprache der Logik ausgedrückt, der selbstbezüglichen Negation des Begriffs. So kann die religiöse Vorstellung ihr Wichtigstes, die Freiheit Gottes gegenüber der Welt, auch in der Philosophie wiederfinden. Auch „die Offenbarung“ wird als „das Offenbaren“ zu einer zeitlich nicht beschränkten, sondern dauernden Tätigkeit des Geistes. Und sie – die religiöse Vorstellung – kann, zur Spekulation erhoben, in Christus jene Verwirklichung der absoluten Tätigkeit sehen, von der es in der Begriffslogik heißt, sie sei als die „reine Persönlichkeit“ zu verstehen, „die allein durch die absolute Dialektik, die ihre Natur ist, ebensosehr alles in sich befaßt und hält, weil sie sich zum Freisten macht – zur Einfachheit, welche die erste Unmittelbarkeit und Allgemeinheit ist.“398 Die reine Persönlichkeit der Begriffslogik ist als die noch ‚leere Hülle‘ der Form zu verstehen, die erst durch Religion den ihr angemessenen spekulativen Inhalt bekommt. Der Schatten braucht den Körper dessen Schatten er ist, und dieser Körper ist Christus, die in ihrer Fülle verwirklichte Idee. Hegels Religionsphilosophie zeigt nicht nur die Anfechtung und die Gefährdung der religiösen Vorstellung sowie die Gründe für ihre Flucht in den Begriff, sondern auch – und das ist ihr eigentliches Ziel – die Angewiesenheit der Philosophie auf den im Kultus lebendig vollzogenen religiö397 398
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G.W.F. Hegel: Begriff der Religion, S. 334. G.W.F. Hegel: Begriffslogik, GW 12, S. 251.
sen Glauben. Dass die Enzyklopädie mit den Metaphern der Erzeugung und des Genusses endet, und das heißt in der Sprache, die der Kunst und dem religiösen Kultus und somit der Vorstellung eigen ist, ist vielleicht überraschend, aber nicht unverständlich. Denn jetzt, am Ende der Enzyklopädie, ist die Sprache der Vorstellung nicht mehr von ihrem Wesen, der Lebendigkeit des Geistes, getrennt, sondern ihr notwendiger Ausdruck. Deswegen ist sie, auf dem festen Boden der philosophischen Erkenntnis stehend, vor der Bedrohung durch den Verstand geschützt und kann zu den in der spekulativen Sprache des Begriffs gedachten Bestimmungen des Sich-Urteilens und Sich-Schließens in ein sinnvolles Verhältnis gebracht werden. Der letzte Satz der Enzyklopädie endet mit dem Zusammenspiel von Spekulation (Sich-Urteilen der Idee) und Vorstellung (Metaphern der Erzeugung und des Genusses)399 und dem Satz des Aristoteles, der in Hegels Übersetzung lautet: „die Spekulation ist das Angenehmste und Beste“. Auf die naheliegende Frage ‚Wie kommt der Genuss in die Spekulation?‘ kann man dann antworten: Er war schon immer da als eine Folge der Rettung des Denkens und der Welt: In der schöpferischen Tätigkeit der Kunst, in der Einheit mit dem Absoluten im des Kultus und im begreifenden, die Vorstellung in sich aufhebenden Erkennen der Philosophie, die selbst „ein beständiger Kultus“ und Gottesdienst ist.400 In einem Brief vom 13. Dezember 1830 schreibt Hegel an Göschel: Doch hat gegenwärtig das ungeheure politische Interesse alle anderen verschlungen, – eine Krise, in der alles, was sonst gegolten, problematisch gemacht zu werden scheint. So wenig sich die Philosophie der Unwissenheit, der Gewalttätigkeit und den bösen Leidenschaften dieses lauten Lärms entgegenstellen kann, so glaube ich kaum, daß sie in jene Kreise, die sich so bequem gebettet, eindringen könne. Sie darf es sich – auch zum Behufe der Beruhigung – bewußt werden, daß sie nur für wenige sei.401
Diese Gedanken sind nicht als Resignation vor der Gewalttätigkeit, dem Lärm der Welt und den bösen Leidenschaften misszuverstehen, sondern geben Hegels tiefstes Verständnis von dem Charakter und der Aufgabe der Philosophie in den Zeiten der Krise wieder. Die Krise – politische, religiöse, wissenschaftliche – ist der Dauerzustand der Welt, mit seltenen, kurzen Perioden von Ruhe und Stabilität. Nicht der sittliche Staat, der selbst ein ständig bedrohtes Gebilde ist, sondern Kunst, Kultus und Philosophie ermöglichen die Rettung vor dem Untergang des Innersten der Welt. Der im Zusammenhang mit der Religion geäußerte Satz in der An399 400 401
G.W.F. Hegel: Enz. TW 10, § 577. G.W.F. Hegel: Begriff der Religion, S. 334f. Briefe von und an Hegel, Band 3, herausgegeben von Johannes Hoffmeister, Hamburg 1952, S. 323.
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merkung des § 573 der Enzyklopädie, der Glaube beruhe „auf dem Zeugnis des Geistes, der als zeugend der Geist im Menschen ist“, lässt sich auf alle drei Gestalten des absoluten Geistes übertragen: Der absolute Geist ist „zeugend“ im Geist des Menschen tätig und – die philosophisch relevante Wendung – er ist „getrieben“, sich „zu explizieren“. Die Bewegung der Philosophie ist daher die der absoluten Form, d.h. der absoluten Tätigkeit in ihrer spannungsreichen Einheit der beiden gegenläufigen Bewegungen. Sie bestimmt sich selbst zu ihrem eigenen Inhalt und bleibt auch in der Trennung von ihm mit ihm identisch. Dieser Inhalt, der von der absoluten Form erzeugt ist, muss daher als der Inhalt der „absoluten Vorstellung“402 betrachtet werden, einer Vorstellung also, die sich aus den mangelhaften Formen der Poesie und der Religion zum Erkennen ihres Wesens erhoben hat. Die absolute Vorstellung ist der Name des mit der absoluten Form identischen notwendigen – weil von der Form erzeugten – Inhalts. Die absolute Vorstellung ist somit der mit der zeugenden absoluten Form identische Inhalt. Das bedeutet: Sie ist der in dem schöpferischen Prozess entstehende, sich von ihm trennende, aber in dieser Trennung mit ihm identische Kreislauf konkreter Vorstellungsgestalten des Geistes, somit Differenz, die Identität bleibt und sich nicht im zeitlichen Auseinander verliert. Das Eingehen in die Bewegung des Begriffs ist eine Sache der Philosophie, nicht des Glaubens. So wie ein Dichter aufhört Dichter zu sein, wenn er auf sein Tun reflektiert, so hört der religiöse Glaube auf religiös zu sein, wenn er sich, reflektierend, kritisch auf sich bezieht. Diese Position, die Hegel mit Schelling teilt, wird jedoch durch die Flexibilität der poetischen und religiösen Erfahrungen der Moderne durchaus fraglich. Die kritische Reflexion auf das eigene Tun kann durchaus ein wichtiger Bestandteil der Kunst und der Religion sein. Allerdings – und hier hat Hegel wieder einen überzeugenden Punkt – bleibt die selbstzerstörerische Tendenz des Denkens durch die ‚moderne‘ kritische Reflexion in der Kunst zwar innerhalb des absoluten Geistes, aber noch unterhalb der spekulativen Erkenntnis. Der Verfall der Kunst wird durch die Reflexion nur verlangsamt, sie wird aber nicht als ein notwendiger Teil der ganzen Bewegung des Geistes eingesehen und ist ihrer gestalterischen Kraft beraubt. Die wahre Kunst, der wahre Glaube und die wahre Philosophie – ‚wahr‘ immer im Sinne von ‚aus der spannungsreichen absoluten Tätigkeit des Geistes erfolgend‘ – sind nicht nur theoretisches Wissen, dass etwas der Fall ist, sondern sie sind selbst „der Fall“: die fallende Welt des Geistes, wie es im § 50 der Enzyklopädie heißt, die aber im Fallen erhalten bleibt
402
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G.W.F. Hegel: Enz. TW 10, § 573. Eine eingehende Interpretation dieses Paragraphen im Hinblick auf den für Religion und Philosophie zentralen Begriff der Offenbarung unternimmt Thomas Oehl 2020, S. 378ff.
und „den unendlichen Schmerz“ erträgt.403 Hier kommen wir wieder zu dem Punkt, der für Fichte, Schelling und Hegel so entscheidend war: Was das alles bedeutet zeigt sich nur im spekulativen Denkvollzug selbst, im Erschaffen und Erleben der Kunst und im glaubenden Vollzug des Kultus und kann nicht diskursiv in seiner Vollständigkeit dargestellt werden. Hegel bindet jedoch Kunst und Religion konsequent und überzeugend, und das ist die Stärke seiner Philosophie auch im Vergleich zu Fichte und Schelling, an den Vollzug des spekulativen Denkens und an die in ihm stattfindenden Vollzugserfahrungen, die das Wesentliche, das erst durch Philosophie in seiner ganzen Bedeutung begriffen wird, ‚aufleuchten‘ lassen. Hegel macht deutlich, dass über die Philosophie, so wie sie sich als das Ergebnis einer Entwicklung durch verschiedene Stationen des Geistes darstellt, keine „exoterische Betrachtung“ mehr möglich ist und auch kein Wort mehr darüber zu verlieren ist, „was Begreifen heiße“.404 Das Eingehen in die Bewegung der Philosophie ist die „esoterische Betrachtung“ ihrer Inhalte; keine andere Wissenschaft ist ihr gleich an Erkenntnis. Diese esoterische Betrachtung ist aber grundsätzlich nachvollziehbar. Hegels Philosophie geht es nicht nur um die Beantwortung der Frage wie die Vorstellung zum spekulativen Denken wird, sondern auch wie und warum das spekulative Denken zum vorstellenden Denken zurückkehren soll und was sich dadurch für beide ändert. Was aber festgehalten werden kann ist Folgendes: Das spekulative philosophische Denken ist, zusammen mit Kunst und Religion, das Halten des Untergehenden im Sein.
403 404
G.W.F. Hegel: Enz. TW 10, § 382. G.W.F. Hegel: Enz. TW 10, § 573 A.
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Siglen Georg Wilhelm Friedrich Hegel GW
Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Gesammelte Werke, Hg. RheinischWestfälische Akademie der Wissenschaften, Hamburg 1968ff.
TW
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Briefe
Briefe von und an Hegel, Hg. Johannes Hofmeister, Hamburg 1952 (andere Textausgaben sind in den Fußnoten angeführt) Johann Gottlieb Fichte
GA
Johann Gottlieb Fichte-Gesamtausgabe der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Hg.) Reinhard Lauth u.a., Stuttgart/Bad Canstatt 1978-2012. (andere Textausgaben sind in den Fußnoten angeführt) Friedrich Wilhelm Joseph Schelling
SW
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AA
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Danksagung Das vorliegende Buch geht zurück auf ein von der Fritz Thyssen Stiftung finanziertes Projekt mit dem Titel „Das Zusammenspiel von Spekulation und Vorstellung in Hegels enzyklopädischem System“. Der Autor dankt der Fritz Thyssen Stiftung für die großzügige und geduldige Unterstützung bei der Durchführung und der Veröffentlichung des Projekts. Diese Arbeit wäre nicht entstanden ohne Prof. Dr. Axel Hutter vom Lehrstuhl für Philosophie II der Ludwig-Maximilians-Universität München, der den institutionellen Rahmen für die Durchführung des Projekts geschaffen hat. Auch ihm gilt der Dank, sowie dem Verlag Königshausen und Neumann für die gewohnt professionelle und angenehme Begleitung bei der Drucklegung des Buches.
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