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German Pages [117] Year 2005
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Joji Yorikawa
Das System der Philosophie und das Nichts Studien zu Hegel, Schelling und Heidegger
ALBER PHILOSOPHIE
https://doi.org/10.5771/9783495997017
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Joji Yorikawa Das System der Philosophie und das Nichts
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ber dieses Buch: Was bedeutet es, dass die Philosophie ein System konstruiert und sich als Wissenschaft vollendet? Dieser Frage wird im Hinblick auf die Konstruktion des Systems des Deutschen Idealismus und die daraus folgende Dekonstruktion nachgegangen. Der Deutsche Idealismus erstrebt die Wissenschaftlichkeit der Philosophie und die Begrndung des Wissens. Dies bedeutet die Befestigung der Grundlage und den Aufbau des Systems. Im Gegensatz dazu zerstrt die Dekonstruktion die Grundlage und bewirkt den Zusammenbruch des Systems. Die kritische Auseinandersetzung mit dem Deutschen Idealismus beginnt mit der Untersuchung des Wegs zum System. Eine besondere Bedeutung kommt dabei den Beziehungen zwischen Hegel, Hlderlin und Schelling zu. Die Schritte zum System knnen in diesen Konstellationen rekonstruiert werden. So wird deutlich, in welche Richtung sich der Deutsche Idealismus wendet und was vom ursprnglichen Projekt entfllt. Anhand des Zusammenhangs von System und Freiheit bei Schelling ist die Dimension der Fragestellung, »warum ist nicht nichts?«, auszuloten. Dabei interpretiert der Autor die Frage nach dem Absoluten zur Frage nach dem Nichts um. Dann fhrt die Untersuchung von Schelling zu Heidegger weiter und vertieft die Problemstellung durch die Unterscheidung von Grund und Ungrund. Darber hinaus wird Hegels Nichts mit Heideggers Sein in der Auseinandersetzung Heideggers mit Hegel konfrontiert. Auf diese Weise kann der Sinn der Vollendung der Metaphysik erneut problematisiert werden. ber den Autor: Professor Dr. Joji Yorikawa, geboren 1961, lehrt Philosophie und Kulturwissenschaft an der Aichi-Universitt in Nagoya (Japan). Promotion in Philosophie an der Universitt Bochum (1995). Gastwissenschaftler an der Universitt Freiburg (2002/03). Forschungsschwerpunkte: Deutscher Idealismus, Phnomenologie, Hermeneutik und interkulturelle Philosophie. Verffentlichung: »Hegels Weg zum System. Die Entwicklung der Philosophie Hegels 1797–1803« (1996).
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Joji Yorikawa
Das System der Philosophie und das Nichts Studien zu Hegel, Schelling und Heidegger
Verlag Karl Alber Freiburg / Mnchen https://doi.org/10.5771/9783495997017 .
MacIntyre, Alasdair C.: Die religise Kraft des Atheismus / Alasdair MacIntyre ; Paul Ricœur. – Freiburg (Breisgau) ; Mnchen : Alber, 2002 Einheitssacht.: The religious significance of atheism hdt.i ISBN 3-495-48066-2
Gedruckt auf alterungsbestndigem Papier (surefrei) Printed on acid-free paper Alle Rechte vorbehalten – Printed in Germany Verlag Karl Alber GmbH Freiburg/Mnchen 2005 www.verlag-alber.de Satz und Einbandgestaltung: SatzWeise, Fhren Einband gesetzt in der Rotis SemiSerif von Otl Aicher Inhalt gesetzt in der Aldus und Gill Sans Druck und Bindung: Difo-Druck, Bamberg 2005 ISBN 3-495-48159-1
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Fr Mayumi, Mari und Rika
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Inhalt
Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
8
Abkrzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
9
Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
11
I. Hegel, Hlderlin und Schelling. Der Verfasser des ltesten Systemprogramms des deutschen Idealismus . . . . . . . . . . . . . . . . . .
18
II. Die Schritte des Denkens. Zur Entwicklung der Philosophie Hegels . . . . . . .
29
III. System und Freiheit. Schelling und der Deutsche Idealismus . . . . . . . .
46
IV. Die Frage nach dem Absoluten und nach dem Nichts. Zur Entwicklung und Wende der Philosophie Schellings . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 V. Vom Grund zum Ungrund. Zu Heidegger und Schelling . . . . . . . . . . . . . .
67
VI. Vom Sein zum Nichts. Zu Hegels Auffassung vom Nichts . . . . . . . . . .
82
VII. Negativitt und Sein. Zu Hegel und Heidegger . . . . . . . . . . . . . . . .
97
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 Textnachweise
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Vorwort
Das Buch entstand whrend meines Forschungsaufenthalts 2002/03 an der Universitt Freiburg. Fr Anregungen und hilfreiche Kritik bin ich meinem Gastgeber, Herrn Prof. Dr. Gnter Figal, besonders dankbar. Mein langjhriger Freund, Herr Dr. Gerhard Pfulb, sei fr seine große Hilfe bei der stilistischen berarbeitung des Manuskripts bedankt. Fr die Aufnahme der Arbeit in die Alber-Reihe Philosophie danke ich schließlich dem Verlagsleiter, Herrn Lukas Trabert. Freiburg, im Sommer 2004 Joji Yorikawa
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Abkrzungen
Die Schriften von Hegel, Hlderlin, Schelling und Heidegger werden unter der Sigle mit Angabe der Band- und Seitenzahl im Text zitiert. GW = Hegel, Georg Wilhelm Friedrich: Gesammelte Werke. Hrsg. von der Rheinisch-Westflischen Akademie der Wissenschaften. Hamburg 1968 ff. StA = Hlderlin, Friedrich: Smtliche Werke. Große Stuttgarter Ausgabe. Hrsg. von Friedrich Beißner und Adolf Beck. Stuttgart 1943–1985. SW = Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph: Smtliche Werke. Hrsg. von Karl Friedrich August Schelling. Stuttgart/ Augsburg 1856–1861. GA = Heidegger, Martin: Gesamtausgabe. Frankfurt a. M. 1975 ff.
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Einleitung
Der Deutsche Idealismus kann zusammenfassend als die Philosophie verstanden werden, die ein System zu konstruieren sucht. Das System beinhaltet das Ganze des Wissens, das nach einem Prinzip organisiert ist. In der abendlndischen Tradition bedeutet »Gott« dieses Ganze. Dem entspricht in der Neuzeit der Begriff des »Absoluten«. Das einheitliche Ganze, das von einem Prinzip getragen wird, vollendet sich als Abschluss einer mehr als zwei Jahrtausende whrenden Geschichte als das System der Wissenschaften. Aus dem vollendeten System soll nichts herausfallen; alles soll in diesem System ohne Rest eingeschlossen sein. Es stellt sich die Frage, was in diesem Augenblick geschehen ist. Zunchst mchte ich dieses Geschehen berprfen. Erst dadurch kann man darber hinaus thematisieren, was dadurch nicht geschehen ist. Dies mchte ich ans Licht bringen. Diese Arbeit stellt sich also die Erhellung eines Nicht-Geschehens als Thema. Ich ziele letztlich darauf ab, nicht nur auf die zentrale Intention des Deutschen Idealismus hinzuweisen, sondern auch zum Kern dieses nicht gestellten Problems vorzudringen. Somit handelt es sich in dieser Einleitung nicht nur darum, zu verdeutlichen, was fr eine Philosophie der Deutsche Idealismus eigentlich ist, sondern auch was fr eine Philosophie er nicht ist.
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Einleitung
1.
Die Konstruktion des Systems
Der Weg der Philosophie Hegels zur Systematisierung kann nur durch die Auseinandersetzung mit dem Deutschen Idealismus rekonstruiert werden. Darum sollen die Entstehung und die Entwicklung der Philosophie Hegels im Kontext des Deutschen Idealismus untersucht werden. Der vorliegende Versuch stellt diese Entwicklung chronologisch dar. Dadurch kann man die Art und Weise erlutern, wie Hegel sich auf die Entstehung des Deutschen Idealismus bezieht und zu seiner Entwicklung beitrgt. Hierfr kommt den Beziehungen zwischen Hegel und seinen Freunden, besonders den Einflssen sowohl von Hlderlin als auch von Schelling auf Hegel eine besondere Bedeutung zu. Durch die Diskussionen mit seinen Freunden in Frankfurt und in Jena konzipiert Hegel sein eigenes System der Philosophie. Die Ausgangspunkte der Entwicklungsschritte der Philosophie Hegels knnen nur in diesen Konstellationen verstanden werden. Darum bildet die Rekonstruktion des Bildungsprozesses des philosophischen Systems die Hauptaufgabe fr die Erforschung des Deutschen Idealismus. Anschließend mchte ich den Arbeitsgang der Rekonstruktion erlutern. Die entwicklungsgeschichtliche Untersuchung der Konstruktion des Systems macht deutlich, dass Hegel zunchst den Rahmen des gesamten Systems als System der spekulativen Philosophie darstellt und dann die Phnomenologie des Geistes als Einleitung in das System konzipiert. Whrend der Ausarbeitung des Systems verwandelt sich die Einleitung in das System nach und nach zur spekulativen Philosophie selbst. Obwohl Hegel zunchst die Einleitung als Erfahrung des Bewusstseins konzipiert, gelangt er zur neuen Konzeption der Phnomenologie des Geistes. Dadurch verndert sich die Wissenschaft der Erfahrung des Bewusstseins zur Phnomenologie des Geistes. Auf diese Weise vereinen sich die Wissenschaft 12
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Einleitung
der Erfahrung des Bewusstseins und die Phnomenologie des Geistes, und das Bewusstsein wird zum Geist. Der Geist bildet sich in dem Prozess, in dem das Bewusstsein sich erfhrt. Das Ergebnis dieser Erfahrung macht das System der Wissenschaft als Gesamtheit des Wissens aus. Aus diesen Grnden verndert das System der Philosophie seine Hauptidee vom Bewusstsein zum Geist. Die Ideen zur Konstruktion des philosophischen Systems bernimmt Hegel in die Einleitung in das gesamte System, d. h. in die Phnomenologie des Geistes. Dies bedeutet allerdings weder, dass die Entwicklung des philosophischen Systems auf die Phnomenologie des Geistes abzielt, noch, dass das System der Philosophie Hegels sich in der Phnomenologie des Geistes von 1807 vollendet, allerdings ebenso wenig, dass es erst in der Enzyklopdie der philosophischen Wissenschaften von 1830 sich vollenden wird. Sondern es bedeutet lediglich, dass das System immer auf dem Weg zum System bleibt. Die Gedankenentwicklung Hegels in den spteren Jenaer Jahren von 1804–06 macht deutlich, dass die Erfahrung des Bewusstseins von der Entwicklung der Spekulation ausgeht, sich ber die Phnomenologie des Geistes hinaus entwickelt und das System der Wissenschaft durch die Vereinigung von Geist und Bewusstsein zu Stande kommt. Durch die Dekonstruktion dieses Prozesses erffnet sich ein neuer Ausblick.
2.
Die Dekonstruktion des Systems
Nun stellt sich die Frage, was es bedeutet, das System zu vollenden, und was geschieht, wenn das System vervollstndigt ist. In dieser Einleitung mchte ich die Konstruktion des Systems und die daraus folgende Dekonstruktion des Systems als Hauptthema behandeln. Zu diesem Zweck ist es unentbehrA
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Einleitung
lich, das System von innen her zu durchbrechen und nach außen vorzudringen. Das System ffnet sich aus eigener Kraft nach außen und ordnet sich durch die Entfaltung nach außen zu einer Organisation. Dann entscheidet es sich aus eigenem Antrieb ber die Richtung seiner Entwicklung. Das bedeutet, dass das System sich aus sich selbst generiert. Dies ist das Merkmal des organischen Systems: Es ist einerseits in sich geschlossen, andererseits ffnet es sich nach außen. Die Organisation schließt das Andere nach außen aus, ffnet sich aber zugleich nach außen zum Anderen und schließt das Andere in sich selbst ein. Dadurch erhlt sich das System am Leben. Wenn der Zugang des Systems nach außen unterbrochen wird, bricht die Organisation zusammen und stirbt. Dies ist eine notwendige Bedingung der Abgeschlossenheit der Organisation. Im Gegensatz dazu transformiert das System das ußere zum Inneren und erhlt sich selbst durch interne Entwicklungen. Auf diese Weise hat das System keinen anderen Zweck als die Selbstentfaltung. Es entwickelt sich zur Vergewisserung seiner selbst, und die Geschichte des Systems ist nichts anderes als seine Selbstdarstellung. Die Philosophie als Wissenschaft organisiert sich zum System der Wissenschaften, indem sie alles Wissen in sich einschließt. Dadurch ffnet sich die Philosophie fr die Konstruktion des Systems der Wissenschaften und vollendet sich durch den Prozess der geschichtlichen Entwicklung. In diesem Sinne kann man ohne Vorbehalt vertreten, dass die Philosophie Hegels Philosophie des Systems ist und bleibt, und dass die Systemabsicht weder in der Phnomenologie des Geistes noch in der Wissenschaft der Logik und auch nicht in der Enzyklopdie der philosophischen Wissenschaften, sondern schon in den frhen Schriften Hegels entstanden ist. Das Absolute ist das System, das die Beziehung mit dem Anderen aufhebt und das Andere in sich einschließt. Das Ab14
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Einleitung
solute macht die Gesamtheit des Wissens aus, das nach einem Prinzip organisiert ist, wie »das absolute Wissen« in der Phnomenologie des Geistes, »die absolute Idee« in der Wissenschaft der Logik, »der absolute Geist« in der Enzyklopdie der philosophischen Wissenschaften. Indem das Absolute alles in sich einschließt, bildet es ein Ganzes, und dieses hat kein Außen. Das Ganze ist in sich abgeschlossen, indem es sich in sich einschließt und sich dadurch vollendet. Darum beinhaltet das Absolute das Ganze, das alles Seiende in sich umfasst. Insofern das Ganze das Wissen berhaupt ist, ist es die Wissenschaft und bildet ein System. Dieses System der Wissenschaft ist die Philosophie des Deutschen Idealismus. Aber die Abgeschlossenheit des Systems bedeutet auch, dass es außer dem Absoluten nichts gibt. Außerhalb des Absoluten ist es nicht mglich, von etwas oder von Seiendem zu sprechen. Dies bedeutet, dass das Absolute das Ganze ist. Doch damit entsteht das Problem, was es eigentlich bedeutet, dass es außer dem Absoluten nichts gibt. Wenn es mglich ist, nichts positiv aufzufassen und es zu thematisieren, zu welchem positiven Ergebnis kann man dadurch kommen? Die Konstruktion des Systems beinhaltet die Wissenschaftlichkeit der Philosophie, die der Deutsche Idealismus erstrebt, und die Begrndung des Wissens. Dies bedeutet die Befestigung der Grundlage und den Aufbau des Systems auf dieser Grundlage. Im Gegensatz hierzu zerstrt die Dekonstruktion die Grundlage des Deutschen Idealismus und bewirkt den Zusammenbruch seines Ganzen. Dieses Problem entsteht, wenn man thematisiert, dass es außer dem Ganzen nichts gibt. Dieses Problem ergibt sich im gegenwrtigen Kontext als Nihilismus. Der Nihilismus behauptet die Abwesenheit des Absoluten und den Tod Gottes. Aber dieses Problem wird bereits im Deutschen Idealismus thematisiert in Form der Frage: »Warum ist nicht Nichts?« Wenn man diese Frage im affirmativen Satz positiv auffasst, kann man sie umformulieA
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Einleitung
ren und mit den Worten des Deutschen Idealismus als »das absolute Nichts« oder »der Ungrund« bezeichnen. Das absolute Nichts und der Ungrund liegen im Grund des Grundes und zerstren diesen Urgrund. Nicht nur der Begriff »Grund«, sondern auch der Begriff »Ungrund« sind im Deutschen Idealismus entstanden. Somit hat der Deutsche Idealismus durch die Frage: »Warum ist nicht Nichts?«, den Sinn des Philosophierens auch der heutigen, gottlosen Zeit vorweggenommen. Der Deutsche Idealismus versucht, die Philosophie als Wissenschaft zu betrachten und das Ganze des Wissens zu einem System zu organisieren. Dieser Versuch soll im Rahmen der Konstruktion des Absoluten durch das Bewusstsein als System der Wissenschaft vervollstndigt werden. Und damit beginnt seine Dekonstruktion. Dies zeichnet den Deutschen Idealismus aus, dass seine Gesamtheit eine Geschichte durchmisst, in der das System der Wissenschaft konstruiert und dann dekonstruiert wird. Erst an dieser Stelle kann man nach dem Sinn des Systems der Philosophie im Ganzen fragen: was es bedeutet, dass die Philosophie ein System konstruiert und eine Organisation bildet, oder mit anderen Worten, was dies fr eine Philosophie ist, die die Gesamtheit des Wissens ausmacht und als Wissenschaft sich vollendet. Wenn die Philosophie das System der Wissenschaft konstruiert und alles in sich einschließt, dann wird sie zum Ganzen ohne außen. Die Konstruktion des Systems und seine Vollendung beabsichtigen, alles in dieses System zu integrieren. Aber dass die Vollendung des Systems kein ußeres mehr zulsst, gerade dies weist auf das ußere hin, das es eigentlich nicht geben soll. Und dann kann man rekonstruieren, was aus dem System herausfllt, und dadurch dieses Ganze dekonstruieren. Die Metaphysik, die nach dem Sinn des Seins fragt, nimmt in der Geschichte der Philosophie seit mehr als zwei16
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Einleitung
tausend Jahren eine zentrale Position ein. In der Moderne ist sie eine notwendige Bedingung fr die Philosophie des Systems. In diesem Kontext kann man die Philosophie als die Gesamtheit des organisierten Wissens verstehen. Dies bedeutet, dass die Philosophie im Deutschen Idealismus im Begriff der Wissenschaft aufgeht. Aber schon seit langem wird positiv von der Dekonstruktion des Systems als Gegentendenz zur Konstruktion des Systems gesprochen. Es ist eine große Frage, welchen Sinn die Versuche systematischer Philosophie als modernes Prinzip in der Neuzeit gehabt haben. Unter dieser Fragestellung mssen Themen wie Selbstreflexion, die Verdeutlichung des Gegenstandes der Kritik und damit auch die Grundlage, auf der die Kritik selbst beruht, behandelt werden.
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I.
Hegel, Hlderlin und Schelling. Der Verfasser des ltesten Systemprogramms des deutschen Idealismus
Einleitung Seit langem wird gertselt, wer der eigentliche Verfasser des so genannten ltesten Systemprogramms des deutschen Idealismus ist, obgleich das einzige berlieferte Manuskript von Hegel niedergeschrieben wurde. Bis heute ist dieses Problem nicht endgltig gelst. Die vorliegende Untersuchung unterbreitet einen Lsungsansatz, der auf einem Vergleich der Gedankeninhalte und der Diktion des ltesten Systemprogramms mit den Werken und Briefen Hegels, Hlderlins und Schellings beruht, die im zeitlichen Umfeld des ltesten Systemprogramms entstanden. Im folgenden untersuche ich alle drei Philosophen auf ihre mgliche Verfasserschaft hin. Wenn ich im folgenden aus ihren Werken und Briefen zitiere, dann nicht, um darin Hinweise auf den Verfasser des ltesten Systemprogramms zu entdecken, sondern um die These zu begrnden: Hegel bringt die gemeinsamen Gedanken der Freunde in schriftliche Form.
1.
Hegel
Zunchst untersuche ich den Zusammenhang zwischen Hegel und dem ersten Teil des ltesten Systemprogramms anhand speziell jener Wrter und Wendungen aus Hegels Werken und Briefen, auf denen die These von Hegels Verfasserschaft aufbaut. 18
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Der Verfasser des ltesten Systemprogramms des deutschen Idealismus
Hegel teilt in einem Brief an Schelling vom Januar 1795 mit: »Seit einiger Zeit habe ich das Studium der Kantischen Philosophie wieder hervorgenommen, um seine wichtigen Resultate auf manche uns noch gang und gbe Idee anwenden zu lernen oder diese nach jenen zu bearbeiten«. Außerdem erwhnt er einen Studienplan bezglich der Fragestellung, inwieweit man nach Festigung des moralischen Glaubens die legitimierte – philosophisch vertretbare, rational mgliche – Idee von Gott fr die Erklrung der Zweckbeziehung gebrauchen drfe. Zustzlich untersucht er, ob man diese Idee von Gott von der »Ethikotheologie« auf die »Physikotheologie« bertragen und dort mit ihr arbeiten drfe. Der erste Teil des ltesten Systemprogramms betrachtet die Metaphysik der Zukunft als eine Ethik, die alle praktischen Postulate systematisiert. Hegel versteht die Ethik in seiner Berner Zeit als ein System der Moral, das von der Vernunft untersttzt werden muss. Man knnte dies auch als ein neu zu konstruierendes System der Ethik bezeichnen. Hegel formuliert schon in der Studie Ein positiver Glauben (1795/96), dass »die Vernunft im Stande ist, … ein reines System der Moral zu erbauen« (GW 1. 353). In diesem Punkt besteht offensichtlich ein Zusammenhang zwischen den Gedanken Hegels in seiner Berner Zeit – dem reinen System der Moral, begrndet durch die Vernunft – und dem ersten Teil des ltesten Systemprogramms – dem System der Ethik, begrndet durch die praktischen Postulate. Hegel versucht, das kantische System der Ethik, das auf der Vernunft basiert, als ein System aller praktischen Postulate neu zu entwickeln. Schon whrend seiner Berner Zeit versucht Hegel bei der erneuten sorgfltigen Lektre der Kritik der praktischen Vernunft (1788) sowie der Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft (1793), die Lehren von der berlegenheit und den Postulaten der praktischen Vernunft, der Menschenwrde und dem moralischen Endzweck neu zu konA
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struieren. Hegel stellt in einem Brief an Schelling vom 16. April 1795 fest: »Vom Kantischen System und dessen hchster Vollendung erwarte ich eine Revolution in Deutschland«. Hegel sieht seine Hauptaufgabe darin, die kantische Ethik neu zu ordnen und zu vervollstndigen. Insofern steht die Systematisierung der kantischen Ethik in enger Beziehung zum ersten Teil des ltesten Systemprogramms. Hegel erwhnt im Brief an Schelling vom 30. August 1795, erst mit Schellings Schrift Vom Ich als Princip der Philosophie (1795) habe in ihm ein Glaube konkrete Gestalt angenommen, der auf dem Boden der praktischen Vernunft stehe und Gott als absolutes Ich betrachte. Hegel schreibt: »Ich war einmal im Begriff, es mir in einem Aufsatz deutlich zu machen, was es heißen knne, sich Gott zu nhern«. Außerdem glaubt er, »eine Befriedigung des Postulats zu finden, dass die praktische Vernunft der Welt der Erscheinungen gebiete, und der brigen Postulate«. Freilich bleibt Hegel hiermit noch innerhalb der Grenzen der kantischen Ethik. Er unternimmt den Versuch, das kantische System vom Standpunkt des selbstbewussten Wesens oder des Ich her zu rekonstruieren. Dies weist darauf hin, was in diesem Brief unter »sich Gott nhern« zu verstehen ist. So lsst sich ein enger Zusammenhang zwischen der durch Schelling vermittelten Annherung Hegels an Kant whrend seiner Berner Zeit und der Konzeption der Ethik aufgrund der kantischen Postulatenlehre im ersten Teil des ltesten Systemprogramms ersehen.
2.
Hlderlin
Nun soll der Zusammenhang zwischen Hlderlin und dem zweiten Teil des ltesten Systemprogramms betrachtet werden. Hlderlin schreibt im Brief an Schiller vom 4. September 1795, dass die Vereinigung von Subjekt und Objekt in einem 20
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absoluten Ich »sthetisch, in der intellectualen Anschauung« erfasst werden knne (StA 6. 181). Ferner behauptet er im Brief an Niethammer vom 24. Februar 1796, diese Vereinigung knne ohne Hilfe der praktischen Vernunft in der »intellectualen Anschauung« erlangt werden, die mit dem »sthetischen Sinn« in Verbindung stehen msse. Hlderlin plant auf Niethammers Wunsch, seine philosophischen Briefe im Philosophischen Journal zu verffentlichen: »Ich werde meine philosophischen Briefe ›Neue Briefe ber die sthetische Erziehung des Menschen‹ nennen. Auch werde ich darin von der Philosophie auf Posie und Religion kommen« (StA 6. 203). Diese Anlage entspricht der Konzeption des sthetischen Idealismus im ltesten Systemprogramm, die sich in dessen zweitem Teil zur Poesie und im dritten Teil weiter zur Religion entfaltet. Den Gedanken ber die Schnheit entwickelt Hlderlin ausfhrlicher im Brief an seinen Bruder vom 2. Juni 1796. Der »Widerstreit« zwischen dem Streben nach dem Absoluten und dem Streben nach Beschrnkung entstehe durch Einbeziehung der »Vernunft«. Doch sollten beide Tendenzen mittels der Vernunft auf ein Ideal bezogen werden, da sie eben in dieser selbst begrndet seien. Die Wirkung der Vernunft als »Sollen« jedoch sei abhngig vom »(idealischen) Seyn« qua »Ideal der Schnheit«, in dem der Gegensatz der kontrren Bestrebungen aufgehoben werden solle (StA 6. 208). Hier entfaltet Hlderlin jenen sthetischen Idealismus, der die Schnheit als ein reines Ideal allen Denkens und Handelns betrachtet. Dieser sthetische Idealismus trgt Frchte im ersten Band des Hyperion, der von Mai bis Dezember 1796 verfasst und im Jahre 1797 verffentlicht wurde. Im ersten Buch des ersten Bandes artikuliert Hlderlin erneut deutlich den Gedanken des »n ka½ p”n«, der bereits in der Vorrede zur vorletzten Fassung des Hyperion (Manuskript vom Herbst 1795) zu finden ist. Im zweiten Buch stellt er dann fest: »Der Nahme A
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deß, das Eins ist und Alles? / Sein Nahme ist Schnheit« (StA 3. 53). Im weiteren Verlauf heißt es: »Das erste Kind der menschlichen, der gttlichen Schnheit ist die Kunst. … Der Schnheit zweite Tochter ist Religion« (StA 3. 79). Hier greift Hlderlin den Begriff »Eins und Alles« wieder auf, mit dem er sich schon in seiner Tbinger Zeit gemeinsam mit seinen Freunden beschftigt hatte. Er bringt ihn nun in Zusammenhang mit dem von Heraklit stammenden Begriff »n diayffron aut† (das Eine in sich selber unterschiedne)« (StA 3. 81). Hlderlin verndert freilich die ursprngliche passive Form »diayermenon« in die aktive »diayffron«. Diese Modifikation ist wichtig, markiert diese Wendung doch die beginnende Dynamisierung des spinozistischen einen Seins. Die Selbstunterscheidung der ursprnglich ungeschiedenen Schnheit kennzeichnet den Beginn der Reflexionsphilosophie: Schnheit bezeichnet keine einfache Einheit, sondern die Verbundenheit von Einheit und Trennung. Dies, meint Hlderlin, ist das Wesen des Schnen, das »Ideal der Schnheit« (StA 3. 83). Es sei die Totalitt, die in sich selbst Eins sei, das wahre Sein. So schließt der erste Band mit den Worten: »Es wird nur Eine Schnheit seyn; und Menschheit und Natur wird sich vereinen in Eine allumfassende Gottheit« (StA 3. 90). Dieser Auffassung Hlderlins ber die Schnheit entsprechen die Gedanken im zweiten Teil des ltesten Systemprogramms. Vor allem stimmen die Gedanken in den Neuen Briefen ber die sthetische Erziehung des Menschen und im Hyperion mit denen des sthetischen Idealismus im ltesten Systemprogramm berein. Fr den zweiten Teil des ltesten Systemprogramms ist demnach zumindest ein bedeutender Einfluss Hlderlins anzuerkennen, selbst wenn sich am Ende die Verfasserschaft Hegels oder Schellings beweisen lassen sollte. 22
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3.
Schelling
Abschließend soll der Zusammenhang zwischen Schelling und dem dritten Teil des ltesten Systemprogramms bedacht werden. Whrend seines Studiums philosophischer Werke – insbesondere von Platon, Kant, Lessing, Herder und Schiller – widmet sich Schelling mit ebenso großem Interesse den griechischen Mythen. Man kann sogar sagen, das Interesse am Mythos stehe am Anfang seines Studiums der Philosophie. Schelling sammelt griechische Mythen, Sagen und Legenden und versucht in seiner Magisterdissertation Antiquissimi de prima Malorum Humanorum Origine (1792), den Mythos vom ersten Ursprung der menschlichen Bosheit mit seiner Philosophie in Einklang zu bringen (SW 1. 20 f.). Da Schelling Mythos und Philosophie in einen Zusammenhang stellt, wird seine Philosophie als »mythische Philosophie« oder »Mythologie« bezeichnet. Fr die mythische Philosophie sind die Vernunft einerseits und die Sinnlichkeit andererseits notwendige Voraussetzungen. Der eine Faktor bewirkt eine Rationalisierung der Mythen, der andere eine Mythologisierung der Vernunft. Schelling versteht die Mythen als Bindeglied zwischen Sinnlichkeit und Vernunft und stellt in ber Mythen, historische Sagen und Philosopheme der ltesten Welt (1793) fest: »Der allgemeine Zweck mythischer Philosopheme war immer Versinnlichung einer Idee« (SW 1. 57). Dies impliziert zugleich die Bemhung, das Sinnliche ideell werden zu lassen. Folglich besteht in der »mythischen Philosophie« die Absicht, das Vernnftige mit dem Sinnlichen zu verbinden. Diese Auffassung entspricht den Gedanken im dritten Teil des ltesten Systemprogramms, der Mythologie der Vernunft. Schelling vertritt ferner im Brief an Obereit vom 12. Mrz 1796 eine »neue Philosophie«, die sich den »MysteA
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Hegel, Hlderlin und Schelling
rien« anschließt: »Ihr Wunsch, die neue Philosophie nur nicht zur Sprachmode werden zu lassen, ist vllig gegrndet. Ich glaube, daß zu einer Nationalerziehung Mysterien gehren, in welche der Jngling stufenweise eingeweiht wird. In diesen sollte die neue Philosophie gelehrt werden«. Indem er die »Mysterien« mit der »neuen Philosophie« in einen Zusammenhang stellt, entwickelt er die Religion weiter. In der Allgemeinen bersicht der neuesten philosophischen Literatur (1797) ußert sich Schelling zum Zusammenhang zwischen Mythologie und Religion. Dieser bestehe in der »poetischen Wahrheit«. Die eigentliche Aussage des Mythos ist weder theoretische noch praktische Wahrheit im engeren Sinne, sondern lediglich poetische Wahrheit. Der Mythos enthlt die Mglichkeit einer Darstellung fr unendlich viele Ideen, als wren diese Ideen in ihm angelegt. Darum ist der Mythos bloß die Andeutung der eigentlichen Wahrheit. In der Form des Mythos stellt die Vorstellungskraft das Ideelle sinnlich dar. Der Mythos ist die Idee, die von der Einbildungskraft erfasst und als Reales angesehen wird. In dieser Hinsicht steht der Mythos in Verbindung zur Religion. Hierzu bemerkt Schelling: »Jede Religion, die theoretisch ist, geht in Mythologie ber und wird und soll immer Mythologie seyn und nie etwas anderes werden (denn sie kann berhaupt nur poetische Wahrheit haben, und nur als Mythologie ist sie wahr)« (SW 1. 472). In diesem Zusammenhang widerspricht Schelling der Annahme, mythische Religion msse polytheistisch und geoffenbarte Religion monotheistisch sein. Zwar ist mythische Religion polytheistisch, indem sie der Versinnlichung durch die Kunst bedarf; allerdings hat sie insofern auch einen monotheistischen Charakter, als sie die Ideen der einen reinen Vernunft zu verwirklichen sucht. Diese Vermittlung entspricht dem bergang von der »Poesie« im zweiten Teil des ltesten Systemprogramms zur »neuen Religion« und zur »Mythologie 24
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Der Verfasser des ltesten Systemprogramms des deutschen Idealismus
der Vernunft« in dessen drittem Teil, der einerseits vom »Monotheismus der Vernunft und des Herzens« und andererseits vom »Polytheismus der Einbildungskraft und der Kunst« spricht. Außerdem behauptet Schelling in seiner Allgemeinen bersicht die Vereinbarkeit von Mythologie und Religion. Von daher kann man die These vertreten, dass der bergang vom zweiten zum dritten Teil des ltesten Systemprogramms sowie der Gedanke der »Mythologie der Vernunft« dem Denken Schellings zu diesem Zeitpunkt entsprechen.
4.
Hegel, Hlderlin und Schelling
Es ist bekannt, dass Hegel, Hlderlin und Schelling von der Franzsischen Revolution stark beeinflusst wurden. Die Franzsische Revolution prgt in den verschiedenen Phasen ihres Verlaufs das Denken des jungen Hegel. In seiner Tbinger und Berner Zeit glaubt er noch, eine an der griechischen Polis orientierte Republik knne durch die Franzsische Revolution wiedergeboren werden. Angesichts des gewaltsamen Verlaufes der Revolution schwindet indessen Hegels Begeisterung. Er kommt zu dem Schluss, ein politischer Umsturz msse stets von einer Revolution des Denkens getragen sein. So ist der Begriff »Revolution« im kantischen Sinne zu begreifen, als Revolution der Denkungsart. Hegel selbst nennt in seinem Brief an Schelling vom 16. April 1795 die Philosophie die Grundlage der Revolution, und zwar sowohl im religisen als auch im politischen Bereich. Hegel fragt in der Auseinandersetzung mit der englischen Nationalkonomie, wie die Revolution unter den Bedingungen der modernen Welt durchgefhrt werden knne. Er fragt aber auch, wie ihr Umschlagen in Gewalt zu vermeiden sei. Hegel, Hlderlin und Schelling waren leidenschaftliche Liberale, als sie im Tbinger Stift zusammen studierten. A
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Hegel, Hlderlin und Schelling
Gewissen Quellen zufolge haben einige Studenten, unter ihnen Hegel, Hlderlin und Schelling, am 14. Juli 1793 auf einer Wiese unweit von Tbingen einen »Freiheitsbaum« aufgerichtet. berdies sollen diese Studenten einen politischen Club gegrndet haben, dessen Losung »Vernunft und Freiheit« lautete. Die Erzhlung ber den Freiheitsbaum ist wohl als Legende zu betrachten und wahrscheinlich aus der Vermischung eines Berichtes ber ein spteres Ereignis mit der gewiss richtigen berlieferung von Hegels, Hlderlins und Schellings Parteinahme fr die Revolution entstanden. Sie zhlten sicher zu den Parteigngern der Revolution. Ob es allerdings im Tbinger Stift einen politischen Geheimbund um die drei Freunde gegeben hat, ist weiterhin ungeklrt. Mit den Schlagworten »Vernunft und Freiheit« bten sie jedenfalls Kritik an der Tbinger Orthodoxie. Im Jahre 1791 kam es zur Eintragung der Losung »n ka½ p”n« (Eins und Alles) in das Stammbuch Hegels. Diese Losung wurde lange Zeit Hlderlin zugeschrieben. Wahrscheinlich fgte Hegel aber selbst diesen Eintrag hinzu. Betrachtet man den philosophischen Werdegang der drei Freunde, fllt auf, dass jeder von ihnen die Idee des »n ka½ p”n« eigenstndig aufgreift. Hlderlin thematisiert in der Vorrede zur vorletzten Fassung des Hyperion (im Herbst 1795) die verlorene Einigkeit: »Wir reißen uns los vom friedlichen n ka½ p”n der Welt, um es herzustellen, durch uns Selbst« (StA 3. 236). Den Gedanken des »n ka½ p”n« entwickelt Schelling in der Schrift Vom Ich als Princip der Philosophie (1795) weiter: »Alles ist nur im Ich und fr das Ich. Im Ich hat die Philosophie ihr 4En ka½ p”n gefunden, nach dem sie bisher als dem hchsten Preise des Siegs gerungen hat« (SW 1. 193). Auch Hegel bernimmt diesen Gedanken des »n ka½ p”n« in Eleusis (im August 1796) und widmet ihn Hlderlin: »ich gebe mich dem unermeslichen dahin, / ich bin in ihm bin alles, bin nur es« (GW 1. 400). Hegels Gedicht Eleusis verarbeitet Schellings 26
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Der Verfasser des ltesten Systemprogramms des deutschen Idealismus
Spinozismus ebenso wie Hlderlins sthetischen Platonismus. Die inhaltliche Verflechtung des Gedankens des »¥n ka½ p”n« mit Gedanken aller drei Freunde macht freilich eine definitive Klrung der Verfasserfrage auch in diesem Falle kaum mglich. Die Tbinger Freunde knpfen spter jeweils an ihre frhere Zusammenarbeit an. Sie unterwerfen dann allerdings die kantischen Ideen einer vehementen Kritik. Die schon in Tbingen vertretene These von der Gttlichkeit der menschlichen Natur und der Herrschaftslosigkeit der Gesellschaft wird unabhngig von Kant gerechtfertigt. Hegel, Hlderlin und Schelling waren mit der dem Sprachgebrauch des Pantheismus entliehenen Ausdrucksweise durch Jacobis Schrift ber die Lehre des Spinoza (1785) in Berhrung gekommen. Gemeint sind dabei die Begriffe »Seyn« oder »Urseyn«, welche bei Jacobi die ursprngliche Einheit im Sinne der spinozistischen »Substanz« ausdrcken. Hegel hatte Jacobis ber die Lehre des Spinoza in einem Freundeskreis im Tbinger Stift gelesen, zu dem auch Hlderlin gehrte und zu dem im Herbst 1790 Schelling stieß. Die Verwendung des Begriffs »reines unwandelbares Urseyn« (SW 1. 194) in Schellings Schrift Vom Ich als Princip der Philosophie (1795), der Begriffe »Seyn«, »Vereinigung« und »Verbindung« (StA 4. 216 f.) in Hlderlins Fragment Urtheil und Seyn (1795) und der Begriffe »Vereinigung« und »Sein« in Hegels Fragment Glauben und Sein (1798) ist erst aus dieser Konstellation heraus zu verstehen.
Schluss Nach den vorstehenden Ausfhrungen verbietet die enge Wechselbeziehung der drei Philosophen, den Ursprung der Gedanken zum ltesten Systemprogramm einem von ihnen exklusiv zuzuschreiben. Es wird deutlich, dass auch die VerA
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Hegel, Hlderlin und Schelling
fasserschaft des Textes selbst aufgrund der inhaltlichen Verflechtung mit den Gedanken aller drei Philosophen unklar bleiben muss. Im ltesten Systemprogramm sind die Einflsse Hlderlins und Schellings auf Hegel besonders ausgeprgt. Genauer gesagt, kann man im ersten Teil des ltesten Systemprogramms aus Hegels Rezeption der »Kantischen Postulatenlehre« die Vermittlung durch Schelling verspren, im zweiten Teil den Einfluss des »sthetischen Idealismus« Hlderlins und im dritten Teil den der »Mythologie der Vernunft« Schellings. Auch wenn die Gedanken des ltesten Systemprogramms keine originren Errungenschaften Hegels sein sollten, so nehmen sie doch eine wichtige Stellung in der Entwicklungsgeschichte des jungen Hegel ein. Folglich stellt das lteste Systemprogramm, dessen Originalmanuskript weder von Hlderlin noch von Schelling, sondern eben von Hegel stammt, eine wichtige Station auf dem Gedankenweg dar, der den jungen Hegel zu seinem System fhrt.
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II. Die Schritte des Denkens. Zur Entwicklung der Philosophie Hegels
Einleitung In dieser Arbeit verfolge ich die Schritte des hegelschen Denkens. Die Rekonstruktion verfhrt geschichtlich. Sie beginnt mit den frhen Schriften Hegels; im Anschluss hieran untersuche ich weitere Schriften auf ihre Relevanz fr die Schritte seines Denkens.
1.
Der Ausgangspunkt zum System. Zum ltesten Systemprogramm des deutschen Idealismus (1797)
Der junge Hegel wird durch die Diskussionen des Frankfurter Freundeskreises angeregt, in dem Hlderlins philosophische Entwrfe starke Resonanz finden. In diesen Zusammenhang gehrt das lteste Systemprogramm des deutschen Idealismus (1797). Die Entwicklung zwischen seinem ersten ethischen Teil und dem zweiten sthetischen Teil wird als Wendung weg von Kant und hin zu Hlderlin verstanden. Hegel setzt zunchst unter dem Einfluss Kants die Postulatenlehre als leitenden Ansatz voraus. Schellings Kant-Kritik und Hlderlins Fichte-Kritik veranlassen ihn jedoch, seine Einstellung gegenber Kant zu revidieren. Der endgltige Umbruch findet in den Frankfurter Fragmenten statt, in denen Hegel sich von seinem Kantianismus abwendet. Unter dem Einfluss Hlderlins und seiner Freunde bereitet sich eine grundlegende Wende in seinem Denken vor. A
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Die Schritte des Denkens
Im ltesten Systemprogramm erscheint erstmals die Idee der Schnheit als bergreifende Idee. Sie liegt allen anderen Ideen zugrunde und schließt sie im Sinne des sthetischen Idealismus zugleich ein. Sie wird im ontologischen Sinne als absolutes einziges Sein bezeichnet. Sie ist ein Prinzip der Vereinigung, das weder durch theoretische Erkenntnis noch durch praktisches Handeln vollkommen verwirklicht werden kann. Doch darf die Vereinigung nicht zum Ausschluss jeglicher Differenzierung fhren. Die Beziehung zwischen der universalen Vereinigung und den dieser Vereinigung immanenten Unterschieden wird in den spteren Fragmenten aus der Frankfurter Zeit durch den neuen Begriff des Lebens bestimmt. Unter dem Einfluss Hlderlins ffnet sich Hegel der Vereinigungsphilosophie. Demzufolge beginnt die vorliegende Untersuchung mit der Analyse des Begriffs »Leben« und orientiert sich zunchst an den Gemeinsamkeiten Hegels und Hlderlins.
2.
Die Ideen des Systems. Zu den Frankfurter Fragmenten (1798/99)
Die Frankfurter Fragmente setzen sich mit geistigen und politischen Phnomenen auseinander. Aus den theologischen und politischen Fragmenten entsteht die sptere Systemkonzeption. Der Begriff »Leben« steht als metaphysisches Prinzip mit dem Begriff »Geist« im Zusammenhang. Das Wesen dieser Begriffe bestimmt Hegel von der logischen Kategorie des Ganzen her. Er entfaltet den Begriff des Lebens durch die metaphysische Auslegung der Vereinigung. Unter dem Einfluss Hlderlins gelangt er zu einem Verstndnis des sich trennenden und wieder vereinigenden Ganzen, das so die Gesamtheit des Fortbildungspotentials ausschpft. In diesem Zusammenhang ist in den Fragmenten gegen Ende der Frankfurter Zeit eine Zsur in Hegels Entwicklung zu erkennen. Die dreistufige 30
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Zur Entwicklung der Philosophie Hegels
Entwicklung des Lebens – Vereinigung, Trennung und Wiedervereinigung – lsst sich seit der zweiten Fassung der Fragmente Die Liebe (1798/99) und Der Geist des Christentums (1799/1800) nachweisen. Die Fassung des Begriffs »Geist« legt eine ausfhrlichere vergleichende Untersuchung der Konzeptionen der Freunde Hlderlin und Hegel nahe. Der Schwerpunkt liegt auf dem Versuch, einen philosophischen Neubeginn um 1799 auf der Basis einer Analyse der Entwicklung des jungen Hegel herauszuarbeiten. Seit Glauben und Sein (1798) beherrscht der Begriff »Antinomie« bzw. »Widerspruch« Hegels Denken. Aber erst am Ende der Jenaer Zeit entwickelt Hegel Antinomie, Widerspruch und die dreiphasige, in sich zurckkehrende Entwicklung zur endgltigen Form der Dialektik. Auf dieser Grundlage baut er dann sein System der spekulativen Philosophie als Wissenschaft aus. Zwar kann die Entstehung der Dialektik in seinen Ausfhrungen nachgewiesen werden, doch drfen seine Frankfurter Fragmente nicht vorschnell unter diesem Begriff zusammengefasst werden. Hegel versteht Dialektik zunchst nur als negative Dialektik, welche die Einheit der Gegenstze, die auf den Verstandesformen beruht, zerstrt und die metaphysische Unendlichkeit des Geistes als das dieser Dialektik Enthobene erscheinen lsst. Aus den Frankfurter Fragmenten zum Verhltnis von Antinomie und Vereinigung entsteht in der frhen Jenaer Zeit die Konzeption einer in der Negation verharrenden Dialektik. Die positiv oder spekulativ erkannte Einheit der Gegenstze bezieht Hegel erst spter in die Dialektik ein. Die Entstehungsgeschichte seiner Philosophie zeigt vielfltige Wendungen auf dem Weg zu seiner ausgeformten Dialektik. Die theologisch und politisch ausgerichteten Entwrfe aus Hegels Jugendzeit enthalten bereits die Grundlage einer metaphysischen Logik, die als Vorform der spter in Jena entwickelten Dialektik verstanden werden kann. In dieser Hinsicht sind auch die Fragmente aus der A
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Die Schritte des Denkens
bergangszeit von Frankfurt nach Jena von großer Bedeutung.
3.
Der Versuch der Systematisierung. Zum Systemfragment von 1800
Das Systemfragment von 1800 zeigt die sptere Entwicklung des Lebensbegriffs. Der Begriff des Lebens meint einerseits einen Teil des Ganzen, andererseits ist er aber eins mit dem Ganzen. Hegel fasst das Leben als lebendiges Ganzes auf, in dem das Ganze und die Teile organisch verbunden sind. Nicht das Ganze des Lebens, sondern nur das getrennte Leben wird Gegenstand der Philosophie, da das Wesen der Philosophie in der Reflexion besteht. Zwar versteht das philosophische Denken das Leben als »Verbindung der Entgegensezung und Beziehung«, stellt es aber als Verbindung der Nichtverbindung gegenber. Im nchsten Schritt formuliert Hegel, »das Leben sey die Verbindung der Verbindung und Nichtverbindung«. Das in der Philosophie als endlich gedachte Leben wird in der Religion aufgehoben und zum Unendlichen erhoben. Auf diese Weise grenzt Hegel die Religion von der Philosophie ab. Das Systemfragment von 1800 enthlt sowohl philosophische als auch theologisch-religise Aspekte. Es trennt zwischen Religion und Philosophie und lsst die Philosophie in die Religion berleiten. Der Philosophie weist Hegel die Aufgabe zu, die Endlichkeit der Bestimmungen der Reflexion aufzuzeigen und das wahre Unendliche außerhalb der Reflexion zu setzen. In diesem Sinne hat die Philosophie die Bedeutung einer Hinfhrung zur Religion. Das Leben ist sowohl endlich als auch unendlich, wird allerdings nur von der Religion als unendlich verstanden. Aber auch die Religion muss die Spaltung aufheben, die durch die ußerungen des Lebens entsteht; sie muss diese Vereinigung objektiv ausdrcken. Die Objektivitt 32
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Zur Entwicklung der Philosophie Hegels
erkennt Hegel bereits als ein Moment der Religion, aber er zeigt noch keine Methode zur Entfaltung aller Komponenten auf. Hegel versucht schon hier, eine Metaphysik zu entwickeln. Auf dieser Grundlage konzipiert er die Erhebung vom endlichen zum unendlichen Leben. Hinsichtlich der Entwicklung des Lebensbegriffs zeigen sich strukturelle hnlichkeiten zwischen Hegel und Schelling. In Schellings Naturphilosophie erlangt der Begriff »Leben« besondere Bedeutung. Das Neue an seinem Ansatz liegt in der Zusammenschau zweier Perspektiven, nmlich der Betrachtung des Lebens einerseits als Einheit, andererseits in seinem Facettenreichtum. Hegel analysiert das Leben als organisches Ganzes und betont die Zusammengehrigkeit von Vereinigung und Mannigfaltigkeit in diesem Ganzen. Anders als Schelling legt er das Leben als das wahre Unendliche aus, das nicht nur die Einheit von Vereinigung und Mannigfaltigkeit ist, sondern auch deren Entgegensetzung in sich birgt. Da ein großer Teil des Manuskriptes als verschollen gilt, gibt es keine letzte Klarheit ber Hegels Position zum Zeitpunkt seiner bersiedlung nach Jena. Seine Auseinandersetzung mit Schellings Philosophie ist nicht erst in der Jenaer Zeit, sondern whrend seiner gesamten Jugendzeit von großer Bedeutung. Beide entwerfen gemeinsam eine Metaphysik. Aus ihrer Zusammenarbeit darf jedoch nicht auf vllige bereinstimmung ihrer Intentionen geschlossen werden. Im Systemfragment von 1800 bezieht Hegel sich auf Schellings naturphilosophisch begrndeten Lebensbegriff und vertieft in der Auseinandersetzung mit ihm seinen eigenen Begriff des Lebens. Hegels Kenntnis der spinozistisch motivierten FichteKritik Hlderlins sowie weiterer Frankfurter Freunde bildet eine Grundlage fr seine Beschftigung mit Schellings auf Spinoza beruhender Naturphilosophie. In Frankfurt entwickelt Hegel jedoch eine eigenstndige, von Schelling unabhngige Naturphilosophie, die bereits bei seinem Wechsel nach Jena A
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Die Schritte des Denkens
ausgebildet ist und die er vermutlich in seinen als verschollen geltenden Abhandlungen ber Kepler und Newton festgehalten hat. Diese Manuskripte drften den Umfang des Systems der Sittlichkeit (1803) erreicht haben. Hegel hat aus diesem Material seine Habilitationsschrift geschrieben. Er versucht, die Einheit in dynamisch geordnete Relationen aufzulsen, in die Einheitsstruktur des Lebens und des Geistes. Hegels Systemkonzeption ist zu dieser Zeit zwar noch nicht klar gegliedert, ihre Grundgedanken sind aber bereits sichtbar. Das Systemfragment von 1800 trgt deutliche Zge der Systembildung und bildet die Vorstufe zu Hegels erster Systemskizze in Jena. Bereits gegen Ende der Frankfurter Zeit gibt er den Versuch auf, ein System auf der Grundlage der Religion zu konzipieren; statt dessen geht er zum System der Philosophie ber. Das Systemfragment von 1800 schließt die Bemhungen des jungen Hegel ab; es enthlt zugleich schon Gedanken der Jenaer Arbeiten. Es verdeutlicht den Weg, auf dem Hegel von der praktischen Intention, die politisch-sozialen Widersprche zu vereinigen, zur metaphysischen Konzeption einer Einheit der Philosophie gelangt.
4.
Der bergang zum System. Von Frankfurt nach Jena (1800/01)
Um die Zeit von Hegels Umzug von Frankfurt nach Jena Anfang Januar 1801 wird der Prozess des Wandels vom »Ideal des Jnglingsalters« zum wissenschaftlichen System sichtbar. Im Brief an Schelling vom 2. November 1800 deutet Hegel die Mglichkeit an, die Beziehung des Endlichen zum Unendlichen nicht mehr unter Rckgriff auf Religion, sondern philosophisch aufzufassen. Um die Beziehung zwischen dem Endlichen und dem Unendlichen sowie das wahre Unendliche zu klren, entwickelt er die »Wissenschaft«. Der Begriff der Wis34
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Zur Entwicklung der Philosophie Hegels
senschaft steht bei Hegel fr das System als Gesamtheit. Er spricht von der »Reflexionsform«. Damit ist nicht ein Denken gemeint, welches das Unendliche dem Endlichen gegenberstellt, sondern die Form eines wissenschaftlichen Systems, die den Gegensatz zwischen den beiden aufhebt und vermittelt. Hierdurch tritt mit der Reflexionsform die Vernunft zutage. Die berwindung der dem Verstand anhaftenden Gegenstze und Trennungen durch die Vernunft stellt die Identitt wieder her. Gegen Ende der Frankfurter Zeit vollzieht sich die Aufwertung der Reflexion; damit einher geht die Entzweiung als notwendige Erscheinungsform der Vernunft. Die Verwandlung des »Ideals des Jnglingsalters« in ein System bedeutet allerdings nicht die vllige Abwendung von der frheren Position. Die berlegungen der Frankfurter und der ersten Jenaer Zeit zeigen vielmehr eine kontinuierliche Entwicklung. Bereits in der berarbeitung des Anfangs einer Arbeit ber die Positivitt der Religion (1800) konzipiert Hegel seine Metaphysik als begriffliche Untersuchung des Verhltnisses von Endlichem und Unendlichem. In Jena verlsst er endgltig die Frankfurter Position. Die Philosophie bedeutet nun nicht mehr nur das reflexive Denken als Hinfhrung zur Religion, sondern sie gilt als die vollstndige Erkenntnis des Absoluten. Die theologischen Untersuchungen der Frankfurter Zeit enthalten aber die gedanklichen Voraussetzungen fr die weitere Entwicklung des Systems. Die Vorstudien zur Verfassungsschrift (1799–1801) lassen die Voraussetzungen fr die Entwicklung eines Systems der Philosophie erkennen. Die theologischen und politischen Arbeiten gehen im ersten Jenaer Jahr in eine philosophisch-systematische Behandlung der in ihnen enthaltenen Probleme ber. Die Wende fllt mit seinem Weggang nach Jena 1801 und dem Beginn der Universittslaufbahn zusammen. Die praktischen Intentionen der Frankfurter Zeit werden in Jena von der Idee des Systems verdrngt. Der Bezug auf Politik und Religion reduziert sich auf deren A
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Die Schritte des Denkens
Verankerung im Rahmen dieses Systems. Die bersiedlung nach Jena und die Wiederbegegnung mit Schelling bedeuten ebenso einen Einschnitt in Hegels Denken wie das Zusammentreffen mit Hlderlin in seiner Frankfurter Zeit.
5.
Die Metaphysik des Absoluten. Zu den Jenaer Kritischen Schriften (1801/02)
Hegels Frankfurter Ansatz spricht dem philosophischen Denken eine eingeschrnkte Erkenntnisfhigkeit zu. Er misst der Philosophie die Aufgabe bei, die Endlichkeit der Reflexion aufzuzeigen und ihre Bestimmungen aufzuheben. Das Unendliche sowie die Erhhung vom endlichen zum unendlichen Leben ist Gegenstand nur der Religion. Die Philosophie fhrt zur Religion hin. In Jena gibt Hegel diese Auffassung auf. Der Philosophie kommt jetzt die vollstndige Erkenntnis des Absoluten zu. Hegel begreift die Erkenntnis der Spekulation als Synthese von Reflexion und Anschauung. Das Verhltnis von Philosophie und Religion aus der Frankfurter Zeit behlt Hegel in Jena bei als Verhltnis von Religion, die sich selbst vernichtet und sich zur Vernunft erhebt, und Spekulation, die das Absolute vollstndig erkennt. Das Absolute bedeutet nicht wie bei Schelling die reine Indifferenz, sondern enthlt auch den Gegensatz als einen notwendigen Faktor der Vernunft. Die Vernunft wird durch Gegenstze gebildet, die hchste Stufe der Identitt wird nur aus den hchsten Gegensatzstufen erreicht. Die Identitt der Vernunft entsteht durch Ergnzung der relativen Identitt des Verstandes. Sie fordert ihren Gegensatz, die Nichtidentitt und die Vereinigung beider. Die so vermittelte Identitt, die »Identitt der Identitt und der Nichtidentitt« (GW 4. 64), ist die Vernunft. Da die Vernunft in allem Endlichen enthalten ist, steht alles in Zusammenhang. Die endlichen Formen, in 36
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Zur Entwicklung der Philosophie Hegels
denen sich die Vernunft in Gestalt der Reflexion zeigt, bilden die Kette der Selbstentfaltung der Vernunft. Die Vernunft setzt die Produktion dieser Reihe bis zur Selbstvollendung fort. Da alle Produkte der Reflexion mit dieser Kette in Beziehung stehen, bildet die Gesamtheit dieser Produkte eine Totalitt, die aus vielen Teilen besteht. Die Wissenschaft geht von der Identitt der Vernunft aus, der gesamte Weg ihrer Entfaltung bildet die Totalitt der Vernunft. Das System der Wissenschaft wird von der Vernunft getragen und als Gebilde der Vernunft betrachtet. In Jena rumt Hegel der Philosophie einen hohen Stellenwert in seinem System ein. Ihre Bedeutung lsst sich daran ermessen, wie sie sich im ltesten Systemprogramm (1797) durch Hlderlins Bestimmung der Schnheit und dann im Systemfragment von 1800 durch Schellings Bestimmung des Lebens entwickelt. Ein wichtiges Problem liegt in der Bedeutung des Begriffs »Identitt« fr das System. Schelling und Hegel konzipieren einen neuen Anspruch der Philosophie. Schelling weitet das Prinzip der intellektuellen Anschauung aus; Hegel verfolgt dieses Prinzip weiter. Obwohl er in der Differenzschrift (1801) die Einteilung des Systems der Philosophie Schellings affirmativ wiedergibt, entwirft er ein eigenes System der Philosophie, wenn auch auf der Basis des schellingschen Ansatzes. Hegel bemht sich in der Auseinandersetzung mit Schellings Identittsphilosophie um das Prinzip der Identitt, das bei ihm einen systematischen Charakter gewinnt. Die wechselseitige Beeinflussung von Hegel und Schelling ist bei der Ausbildung der Metaphysik des Absoluten von großer Bedeutung. Schelling versteht gemß Spinozas monistischer Substanzmetaphysik das Absolute als die eine Substanz. Trotz des Einflusses Schellings behauptet Hegel unter Rckgriff auf seinen Frankfurter Lebensbegriff die Entzweiung in den Reflexionsbestimmungen als Erscheinung des Absoluten. Die ErA
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Die Schritte des Denkens
scheinung ist dem Absoluten wesentlich, und das Absolute gestaltet sich in der Erscheinung. Hegel entwickelt auch eine eigenstndige Methode. Er fasst die Spekulation nicht als intuitive Erkenntnis, sondern als Synthese von Anschauung und Reflexion auf. Er stellt die Anschauung des Absoluten durch die Reflexion dar und konstruiert in der Antinomie das Absolute im Bewusstsein. Die Spekulation unterscheidet dichotom zwischen endlicher Reflexion und intellektueller Anschauung. Hegel konzipiert zu Beginn der Jenaer Zeit eine vernnftige Erkenntnis des Unendlichen, der eine Logik der Reflexion als systematische Einleitung vorangeht. Am Ende der Logik erfasst die Reflexion den ihr immanenten Widerspruch. Hierauf folgt der bergang zum Unendlichen. Der Widerspruch vernichtet die Selbstndigkeit des Endlichen, verweist aber zugleich auf das Hhere. Die Reflexion erhebt sich durch ihre Selbstvernichtung zum hheren Standpunkt der Spekulation. Das Unendliche prsentiert sich in der intellektuellen Anschauung als absolut Identisches. Schließlich kommt die metaphysische Erkenntnis des Unendlichen durch die Synthese von Reflexion und Anschauung zustande. Nach Hegels Auffassung entsteht die Vernunft folgerichtig aus der Verknpfung von Verstand und Antinomie.
6.
Der Rahmen des Systems. Zu den Jenaer Vorlesungen (1802/03)
Hegel kann in Jena nicht sofort ein vollstndiges System vorweisen. Er hlt zunchst seit dem Wintersemester 1801/02 die Vorlesung ber Logik und Metaphysik, seit dem Sommersemester 1802 die ber das Naturrecht. Ab 1803 erarbeitet er sich alle weiteren Teile seines Systems. In diesem Zeitraum gibt es keinen Bruch. Entsprechend den Vorlesungen der frhen Jenaer Zeit gliedert Hegel sein System der Philosophie in 38
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Zur Entwicklung der Philosophie Hegels
vier Teile: 1) Logik und Metaphysik, 2) Philosophie der Natur (bzw. physische Natur), 3) Philosophie des Geistes (bzw. sittliche Natur), 4) Philosophie des Absoluten (bzw. Kunst und Religion). Die Formulierungen in der Vorlesung von 1802/03 veranschaulichen, dass er zu dieser Zeit Logik und Metaphysik mit theoretischer Philosophie, Naturrecht mit praktischer Philosophie gleichsetzt. Das Naturrecht vollzieht die Vereinigung des sittlichen Geistes, auf dem die praktische Philosophie beruht. 1802/03 steht das Naturrecht als ein Teil des Systems neben dem Komplex aus Logik und Metaphysik. Spter, im vollendeten System der Philosophie, unterscheidet Hegel die spekulative Philosophie (Logik und Metaphysik) und die Realphilosophie (Natur- und Geistesphilosophie). Whrend der Jenaer Jahre arbeitet er die praktische Philosophie, d. h. seine Frankfurter Fragmente, in die Vorlesung ber das Naturrecht ein. Seine Grundthesen zur praktischen Philosophie in Frankfurt, deren Kern in der Erhebung des endlichen Lebens zum unendlichen liegt, unterscheiden sich nicht von denen der Naturrechtsschriften in Jena. Die frhen Jenaer Schriften behandeln die absolute Sittlichkeit, die aus der Wirklichkeit der modernen Staaten hervorgeht. In der Verfassungsschrift (1799–1803) vertritt Hegel die Position, die modernen Staaten mit ihrer Pluralitt von Sprache, Bildung und Sitte bedrften keiner einheitlichen religisen Grundlage. In seiner spten Jenaer Zeit vertritt er die entgegengesetzte Auffassung. Dabei gilt seine Aufmerksamkeit durchgngig den aktuellen Problemen Deutschlands zu Beginn des 19. Jahrhunderts, dem Untergang des alten Reiches mit seinen vielen souvernen Lndern. Hegel geht zunchst auf das Verhltnis von Staat und Religion ein, wendet sich aber bald den aktuellen Problemen der modernen Staaten zu. Die politische Philosophie lsst einen weiteren Schritt hin zum System der Sittlichkeit erkennen. In der Entwicklung von Hegels philosophischer Systematik bilden die Schriften zum A
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Naturrecht eine wichtige Stufe. In ihnen wird das System der Philosophie der Sittlichkeit konzipiert. Bereits in seiner frhen Jenaer Zeit betrachtet Hegel das Naturrecht nicht mehr unter dem Einfluss der damals von Schelling noch betriebenen Identittsphilosophie, sondern in durchaus eigenstndiger Weise. Der Naturrechtsaufsatz, den er im November 1802 abschließt, geht von dem das Einzelne umfassenden Phnomen des Sittlichen aus. Hierin entwirft Hegel die Grundzge seines philosophischen Systems. Das System der Sittlichkeit, das als Reinschriftfassung der Vorlesungsmanuskripte gilt, zeigt die Geschlossenheit des Endlichen im Unendlichen mit der Methode der gegenseitigen Subsumtion von Anschauung und Begriff auf. In den Vorlesungen ber Naturrecht, die in der Zeit von 1802 bis 1805 ausgearbeitet werden, entwickelt Hegel seine Philosophie der Sittlichkeit sowohl in Hinsicht des Konkreten als auch des Systematischen weiter.
7.
Die Metaphysik der Substanz. Zu den Jenaer Systementwrfen I (1803/04)
In den Jenaer Systementwrfen I (1803/04) hlt Hegel noch an der spinozistischen Auffassung des Absoluten fest. Er versteht den Geist als Substanz, der aus dem Gegensatz heraus entsteht und zur Einheit mit sich selbst gelangt. Hierdurch fhrt er die Philosophie der Natur und des Geistes in den zweiten und dritten Teil des Systems ein. Darber hinaus baut er auf der Grundlage einer neuen Konzeption des Bewusstseins seinen Systemansatz aus. Das Bewusstsein ist Voraussetzung fr die Einheit des Geistes, der in der Natur vielfach gespalten erscheint. Das Bewusstsein ist zunchst das empirische, welches das Andere als außerhalb seiner selbst ansieht. Die Philosophie des Geistes stellt die Geschichte des Bewusstseins dar, in der das empirische Bewusst40
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Zur Entwicklung der Philosophie Hegels
sein sich selbst vereint, indem es den Gegensatz aufhebt und zum absoluten Bewusstsein als Substanz gelangt. Hegels System geht davon aus, dass die endlichen Erscheinungen aus der indifferenten Einheit des unendlichen Geistes hervorgehen und sich nach dem Durchlaufen einer Stufenfolge zur absoluten Identitt aller endlichen Widersprche zusammenschließen. Hegels gedanklicher Weg fhrt ber die endlichen Gegenstze zur unendlichen Einheit des Endlichen und Unendlichen, indem er die Trennungen der Reflexion nicht der Einheit entgegensetzt, sondern in ihr begrndet. Indem er den unendlichen Geist auf den endlichen bezieht, verwendet er die Reflexionsbestimmungen zur Darstellung des unendlichen Geistes.
8.
Die Metaphysik der Subjektivitt. Zu den Jenaer Systementwrfen II (1804/05)
Die Jenaer Systementwrfe II (1804/05) lassen gegenber dem Systemaufbau von 1797 bis 1803 eine entscheidende Wendung zu einem Systemansatz erkennen, der im weiteren Fortgang zur Konzeption des »Systems der Wissenschaft« fhrt. Der Unterschied gegenber der Systemkonzeption von 1797 bis 1803 besteht im Prinzip der Erfahrung des Bewusstseins. Dies ist fr die Entwicklung des hegelschen Denkens in der zweiten Hlfte seiner Jenaer Zeit (1804–06) entscheidend. Die Zuordnung von Logik und Metaphysik fhrt er als phnomenologische Prinzipienproblematik durch. Die berlegungen zur Metaphysik veranlassen ihn dazu, die Logik als Metaphysik des Absoluten zu konzipieren und der Phnomenologie des Geistes die Funktion einer Einleitung zu bertragen, welche die Geschichte des Selbstbewusstseins darstellt. Die Logik als Metaphysik liegt der Theorie der absoluten Subjektivitt zugrunde. Diese Theorie setzt voraus, dass die Logik als Explikation A
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der endlichen Subjektivitt und die Metaphysik als Darstellung des Absoluten nicht mehr getrennt sind. Hegel entwickelt die auf Schellings Identittssystem basierende Substanzmetaphysik zur Metaphysik der absoluten Subjektivitt. In den Jenaer Systementwrfen II zeichnet sich der entscheidende Umbruch ab, der in der Phnomenologie des Geistes (1807) deutlichere Gestalt annimmt. Durch diese fundamentale Wende geht Hegel von seiner frhen Jenaer Metaphysik der Substanz zur Metaphysik der Subjektivitt ber, in der die Trennung von Logik und Metaphysik aufgehoben ist. Die absolute Subjektivitt erweist sich als spekulativ-dialektische Philosophie. Whrend seiner frhen Jenaer Jahre ist die Logik noch als Hinfhrung zur Metaphysik zu verstehen. Erst 1804 fasst er Logik und Metaphysik zur spekulativen Philosophie zusammen und entfaltet im Rahmen der Einleitung zur Logik und Metaphysik die Erfahrung des Bewusstseins. Daraus entsteht eine neue Einfhrung in die Logik. Auf der Basis der neuzeitlichen Selbstbewusstseinsphilosophie entwickelt Hegel eine neue Logik und Metaphysik. In den ersten Jenaer Jahren bildet die Logik als Selbstdarstellung und Selbstvernichtung der Reflexion die Einleitung zur Metaphysik. Erst in der Metaphysik wird die Notwendigkeit deutlich, die in der Logik herrscht und zur Metaphysik hinfhrt. Logik und Metaphysik verschmelzen zu der einen Logik als der Darstellung der Definition des Absoluten. Hegel erhebt das Denken zum spekulativen Standpunkt der Logik. In der Logik herrscht verborgen schon die Notwendigkeit der Spekulation. Im Wintersemester 1803/04 kndigt Hegel die Vorlesung Logicam et Metaphysicam sive Idealismum transscendentalem an und identifiziert damit Logik und Metaphysik mit dem transzendentalen Idealismus. Im Wintersemester 1804/05 verklammert Hegel Logik und Metaphysik im spekulativen Denken. Die Logik beginnt als spekulative Philosophie mit dem Erkennen des Absoluten. 42
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Zur Entwicklung der Philosophie Hegels
9.
Der Weg zur Phnomenologie des Geistes. Zu den Jenaer Systementwrfen III (1805/06)
Als neue Propdeutik fgt Hegel die Phnomenologie ins System ein. Die Phnomenologie wird zum ersten Systemteil. Die Erfahrung des Bewusstseins lutert sich, ehe die Logik entfaltet wird. Die eine spekulative Philosophie spaltet sich in Phnomenologie und Logik. Hegel stellt das Bewusstsein dar, das auf verschiedenen Stufen die Bestimmungen der spekulativen Philosophie erfasst, und stellt diese Geschichte des Bewusstseins als Einleitung der Wissenschaft der Logik voran. Die Wissenschaft der Erfahrung des Bewusstseins oder Phnomenologie des Geistes wird zu einem eigenstndigen Teil des Systems. Die Phnomenologie ist als Weg zur Wissenschaft schon Wissenschaft, und zwar deren erster Teil. Hegel wendet sich nur gegen Einleitungen, die von außen in die Philosophie einfhren. Der Plan, eine Einleitung zum System zu schreiben, reift langsam in seinen Jenaer Jahren. Am Ende der Jenaer Systementwrfe III (1805/06) trennt Hegel zwischen spekulativer Philosophie und Philosophie der Natur und des Geistes. Die Phnomenologie des Geistes verdeutlicht diese Einteilung, konzipiert aber die spekulative Philosophie als Summe von Phnomenologie und Logik. Somit erscheint Hegels Umbruch 1804 als Abschluss einer Entwicklung, die sich aus seiner frhen Konzeption bruchlos herleiten lsst. Von diesem Zeitpunkt an schlgt Hegel neue Wege ein.
Schluss In den Systementwrfen der Philosophie whrend der Jenaer Zeit nehmen Logik und Metaphysik zusammen als spekulative Philosophie die zentrale Position ein. Ihr enger Zusammenhang bildet einen Kreislauf, der durch die Erhebung des EndA
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Die Schritte des Denkens
lichen zum Unendlichen sowie die Rckkehr des Unendlichen zum Endlichen in Gang gesetzt wird. Die Logik beschrnkt ihre Gegenstnde weitgehend auf die Formen der Endlichkeit, da in der Logik der Verstand die Hauptrolle spielt. Ihre Aufgabe besteht darin, die endlichen Formen zu vollenden, aber mehr als dies vermag der Verstand im Gegensatz zur Vernunft nicht zu leisten. Hierdurch beschrnkt Hegel die Erkenntnis nicht auf das Endliche. Vielmehr schafft erst die Vollendung der endlichen Form die Verbindung der Endlichkeit mit der Unendlichkeit. Dadurch kann das Endliche seine Endlichkeit berwinden. Das Unendliche wird zum Gegenstand der Metaphysik. Schon in der endlichen Form ist das Unendliche angelegt. Die Unendlichkeit realisiert sich in der Metaphysik, die den Prozess bis hin zur Unendlichkeit behandelt. Der Geist durchluft dieses System in Kreislaufbewegungen. Die Entwicklung des Systems vollzieht sich als Prozess des Geistes, der im Anderen sich selbst findet. Sie bildet ein Ganzes, zu dem hin sich der Geist verwirklicht. Im Kreislauf des Geistes verknpfen sich Logik und Metaphysik. Das Ende der Metaphysik kehrt zum Anfang der Logik zurck; dadurch vereinigen sie sich. Da das Wesen des Geistes im Prozess liegt, ja, mit diesem identisch ist, bildet er ein System, in dem jedes Moment ein Schritt des Geistes ist. Der Prozess seiner Selbstentfaltung entspricht dem Prozess der Entfaltung des Systems. Insofern dient das gesamte System der Reproduktion des Geistes. Also beinhaltet seine Reproduktion die Bildung eines Systems. Hegel bezeichnet diesen Prozess als »absoluten Kraislauff des absoluten Geistes« (GW 7. 173). Der Geist geht von einer mit sich selbst identischen Idee aus, verwirklicht sich durch das Andere und kehrt zu sich selbst zurck. Das System der Philosophie wird hierdurch zu einem geschlossenen System, das im Kreislauf seine Ganzheit in sich einschließt. Da Hegel die Selbstentfaltung des Geistes als geschlossenes System der Philosophie betrachtet, fhrt er das Bewusst44
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Zur Entwicklung der Philosophie Hegels
sein, d. h. das Dasein des Geistes, als Einleitung zum System ein. Das Bewusstsein hebt den Gegensatz von Wissendem und Gewusstem in eine Einheit auf. Das Bewusstsein, das außer sich das Andere findet, muss durch seine Erfahrung zeigen, dass das Andere es selbst ist. Dann lsst es vom Gegenstand ab, durchwandert den Bereich des Anderen und gelangt zum Geist, der im Anderen sich selbst gefunden hat. Insofern liegt im Bewusstsein die Mglichkeit sowohl des sich entwickelnden als auch des in sich zurckkehrenden Geistes. Dies entspricht der zu ihrem Ausgangspunkt zurckkehrenden Selbstentfaltung des Geistes und der Bewusstwerdung des Geistes. Daraus lsst sich ableiten, dass Hegels System der Philosophie sich notwendigerweise zum System der Wissenschaft und zur Phnomenologie des Geistes weiterentwickeln muss.
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III. System und Freiheit. Schelling und der Deutsche Idealismus
Einleitung Mein Thema besteht darin, die Entwicklung des philosophischen Denkens bei Schelling auf der Grundlage der bisherigen Studien ber den Deutschen Idealismus zu untersuchen. Insofern sind zwei Themenfelder relevant: 1. die Erforschung der Philosophie Schellings, insbesondere seiner Freiheitslehre; 2. die Konfrontation der Philosophie Schellings mit dem Deutschen Idealismus. Im ersten Themenfeld vertiefe ich die bisherigen Studien, indem ich den grundlegenden Rahmen des Systems im Deutschen Idealismus verdeutliche und den Entwurf und die Bildung dieses Systems mit philosophischen Methoden untersuche. Dadurch versuche ich, die Grundlage der Philosophie Schellings sowie die Idee herauszuarbeiten, die sich durch seine gesamte Philosophie zieht. Im zweiten Themenfeld ordne ich die bisherigen Forschungen in einen grßeren Zusammenhang ein. Dieses Themenfeld behandelt die Kritik an der Philosophie Schellings. Damit will ich mich aus der Perspektive der Philosophie mit dem Deutschen Idealismus auseinandersetzen. Das Ziel meiner Untersuchung besteht darin, durch die Frage nach System und Freiheit auf eine Konfrontation zwischen der Philosophie Schellings und dem Deutschen Idealismus hin zu argumentieren.
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Schelling und der Deutsche Idealismus
1.
Das Grundproblem der Philosophie Schellings
In den Ideen zu einer Philosophie der Natur (1797) besteht das Grundproblem der Philosophie Schellings in der Einheit der Gegenstze von Subjektivitt und Objektivitt, von Idealismus und Realismus, von Geist und Natur. »Die Natur soll der sichtbare Geist, der Geist die unsichtbare Natur seyn. Hier also in der absoluten Identitt des Geistes in uns und der Natur außer uns, muss sich das Problem, wie eine Natur außer uns mglich sey, auflsen« (SW. 2. 56). Im System des transzendentalen Idealismus (1800), das zum ersten Mal die Idee des Systems im Deutschen Idealismus zu verwirklichen sucht, betrachtet Schelling das Selbstbewusstsein als hchstes Prinzip des Wissens. Dieses Selbstbewusstsein produziert sowohl sich selbst als auch durch unbewusste Produktion die Objekte. Das Ich als Subjekt wird mit dem Ich als Objekt identifiziert, indem es sich zum Objekt macht. »Das Ich ist nichts anderes als ein sich selbst zum Objekt werdendes Produciren« (SW 3. 370). In der Naturphilosophie Schellings ist die Natur als Subjekt Produktivitt, die Natur als Objekt ist Produkt. Gbe es nur Produktivitt, entstnde nichts. Darum muss es eine hemmende Gegenwirkung geben. Die Hemmung liegt in der Natur selbst, indem sie sich selbst zum Objekt wird. Diese gegenstzlichen Krfte bewirken, dass die Natur stets im Werden ist. Das kontinuierliche Bestehen der Produkte ist eine bestndige Reproduktion, ein Strom von Schaffen und Vernichten. Durch den Widerstand bildet der Strom in sich Wirbel. Die Gegenstrmung der Wirbel entsteht aus der Kraft des Stromes selbst. Die gesamte Natur ist von diesem produktiven Leben beseelt. Auch das Anorganische ist im System der gesamten Philosophie und der Naturphilosophie insbesondere (1804) Leben, aber Leben, das noch schlft. »Auch die sogenannte todte Materie ist nur eine schlafende, gleichsam vor Endlichkeit trunkene Thier- und Pflanzenwelt« (SW 6. 390). In der Natur findet A
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System und Freiheit
eine Evolution statt, in der die niedrigeren Formen sich zu hheren Formen entwickeln, whrend alles in die Substanz (als Absolutes) eingelassen ist. Das Grundproblem der Einheit der Gegenstze fhrt zu der Frage nach dem Prinzip, das der Einheit zugrunde liegt. Schelling konzipiert daher in der Darstellung meines Systems der Philosophie (1801) seine Identittsphilosophie, als deren Grundlage gilt: »Alles, was ist, ist an sich Eines« (SW 4. 119). Die absolute Identitt wird als der Indifferenzpunkt begriffen, in dem sich alle Gegenstze auflsen. Da somit alles Eines ist, erklrt Schelling die Differenzierung im Entwicklungsprozess des Universums damit, dass eine Seite der Gegenstze, die aus dem absoluten Einen auseinander getreten sind, quantitativ berwiegt. Was Schelling sucht, ist ein System allen Seins in Natur und Geist. Aber es ist fr ihn nicht selbstverstndlich, dass die Philosophie ein System sein msse. Sein Denken zielt nie auf ein abgeschlossenes System; er hlt sich in seinem Denken offen. Ist Schellings Philosophie somit unsystematisch?
2.
Schellings Freiheitslehre
Schellings Schrift Philosophische Untersuchungen ber das Wesen der menschlichen Freiheit und die damit zusammenhngenden Gegenstnde (1809) markiert den bergang von seinem Identittssystem zu seiner Freiheitslehre. Menschliche Freiheit ist das Vermgen von Gut und Bse. Die Mglichkeit des Bsen besteht darin, dass die Entzweiung von Grund und Existenz in Gott selbst liegt. »Da nichts vor oder außer Gott ist, so muss er den Grund seiner Existenz in sich selbst haben. … Dieser Grund seiner Existenz, den Gott in sich hat, ist nicht Gott absolut betrachtet, d. h. sofern er existirt; denn er ist ja nur der Grund seiner Existenz, Er ist die 48
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Schelling und der Deutsche Idealismus
Natur – in Gott; ein von ihm zwar unabtrennliches, aber doch unterschiedenes Wesen« (SW 7. 357 f.). Da alles von Gott herkommt, zugleich aber von Gott verschieden ist, muss es seinen Ursprung in dem haben, was in Gott nicht er selbst ist, d. h. im Grund Gottes. Der Grund wird als dunkle Finsternis (Eigenwille) begriffen; diese verwandelt sich zur Existenz als Licht (Universalwillen). Whrend in Gott beide Momente untrennbar sind, treten sie beim Menschen auseinander. Hierin liegt die Mglichkeit von Gut und Bse. Da der Mensch ein von Gott unabhngiges Prinzip in sich trgt, hat er die Freiheit zum Guten oder Bsen. Das Bse entsteht nicht auf der Ebene des Grundes, sondern wenn der Wille des Menschen sich vom Licht abwendet. Um aber den Dualismus von Grund und Existenz zu transzendieren, muss es eine Voraussetzung geben, die Schelling vor allem in den philosophischen Untersuchungen ber das Wesen der menschlichen Freiheit als das Nichts des Grundes, als »Urgrund« oder vielmehr »Ungrund« bezeichnet (SW 7. 406). Dieser ist in Bezug auf alle Gegenstze indifferent und verhindert somit auch nicht, dass die Gegenstze in Erscheinung treten. Dies ist die Konzeption des internen Dualismus in Gott, der nicht nur er selbst ist, sondern in sich zugleich ein Anderes als er selbst ist. Dieses Andere ist als die sich offenbarende Einheit gedacht, die nicht durch Entußerung der Indifferenz (als Absolutes) erreicht werden kann, sondern ihr bereits vorhergeht und sich in allen Erscheinungen des Wesens fortsetzt. Diese Integration ursprnglicher Andersheit in der Einheit eines Selbst ist das Grundproblem, das Schellings Philosophie kontinuierlich thematisiert. Daher liegt der Kern der Freiheitsschrift im Versuch, das Verhltnis von Absolutem und Endlichem zur Entwicklung der absoluten Identitt zu transformieren. Sie ist die Selbstentfremdung Gottes in der Schpfung, und so wird Schellings Frage nach dem Endlichen zur Frage nach der Herkunft des A
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System und Freiheit
Bsen, das den Abfall des Menschen von Gott ausdrckt. Diese Frage ist verknpft mit der Frage Kants nach der Herkunft des moralisch Bsen, die das Bse radikal an die Existenz bindet. In diesem Sinne schließt Schellings Freiheitslehre an Kants Philosophie an. Doch dies bedeutet nicht, dass Schelling mit Kant vllig bereinstimmt.
3.
Schelling und Kant
Die systematische Problematik der Freiheitsschrift wird besonders durch die Auseinandersetzung mit dem Begriff des Bsen deutlich. Schellings Untersuchungen des Bsen bernehmen in der Freiheitsschrift eine entscheidende systematische Funktion. Die theoretische Entwicklungsrichtung ist dabei die Transformation von einem moralphilosophischen zu einem ontologischen Begriff des Bsen. Damit nimmt Schelling die fr die Freiheitsschrift charakteristischen Vernderungen im idealistischen Systemgedanken vor. Dabei dient die Kant-Interpretation der Freiheitsschrift nicht nur dazu, Kants und Schellings Freiheitslehre zu kontrastieren, sondern auch die systematische Bedeutung des Begriffs des Bsen im Rahmen der Freiheitsproblematik zu verdeutlichen. Whrend es bei Kant um den moralphilosophischen Begriff des Bsen geht, bezieht Schelling die Probleme der Theodizee und der Freiheit Gottes in diesen Zusammenhang mit ein. Schelling betrachtet die menschliche Freiheit nicht nur als Bedingung der Mglichkeit des Bsen, sondern er macht sie auch fr die Wirklichkeit des Bsen verantwortlich. Durch diese Argumentation transformiert er die transzendentale in eine metaphysische, die moralische in eine theologische Deutung des Bsen. Das Bse, das zur Wirklichkeit gehrt, ist nicht mehr ein moralisches Problem der menschlichen Freiheit, sondern vielmehr eine fr die Entfaltung des 50
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Schelling und der Deutsche Idealismus
geschichtlichen Seins, fr die Geschichte konstitutive Form der Freiheit. Somit ergibt sich die Frage, ob Schellings Freiheitslehre nur im Zusammenhang mit seinem Verhltnis zu Kant errtert werden kann. Schellings philosophische Ausdeutung des Bsen steht im Zentrum seiner Freiheitsschrift. Alle Perspektiven fr die Entfaltung des positiven Begriffs der Freiheit haben ihre Grundlage in der Theorie des Bsen. Der explizite Schritt von der Theorie des Bsen in die Freiheitslehre steht im Zentrum der Freiheitsschrift, die sowohl bereinstimmungen als auch Differenzen zwischen Schelling und Kant enthlt. Dabei gewinnt Schelling eine geschichtliche Perspektive auf Kant und geht auch ber Kant hinaus. Schellings Freiheitslehre geht vom Begriff der formellen Freiheit zum Begriff der positiven Freiheit ber. Schellings Freiheitslehre und ihr positiver Begriff der Freiheit knnen nur in diesem geschichtlichen Kontext verstanden werden. Aus dieser Perspektive ist Schellings Freiheitsschrift als Gegenargument zum Deutschen Idealismus zu verstehen. In dieser Schrift wird das fr den Deutschen Idealismus entscheidende Spannungsverhltnis von Freiheit und System revidiert. Diese Begriffe sind von den Philosophien bis einschließlich Kant als Gegensatz dargestellt worden: Wo System sei, sei keine Freiheit. Genau dieser These widerspricht Schelling in seiner Freiheitsschrift. Schelling entwirft ein nicht-gegenstzliches Verhltnis zwischen Freiheit und System, indem er die Freiheit mit einer Metaphysik des Bsen verbindet und den Gegensatz von System und Freiheit abmildert. Gerade dies macht es problematisch, Schellings Philosophie allein dem Deutschen Idealismus zuzurechnen. Darum mchte ich zeigen, entgegen der in der bisherigen Literatur vertretenen Auffassung, wie sich Schellings Philosophie im Deutschen Idealismus entwickelt und vom Deutschen Idealismus absetzt. A
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System und Freiheit
4.
Schelling und der Deutsche Idealismus
Die Philosophie des Deutschen Idealismus ist ein Versuch, die Philosophie als das Ganze des Wissens, d. h. als System der Wissenschaft zu formieren. Die spteren Philosophien distanzieren sich kritisch von diesem spekulativen Anspruch. Die gegenwrtigen Philosophien leugnen sogar jede Mglichkeit, die Philosophie als System zu konzipieren. In diesem geschichtlichen Kontext ist die Philosophie Schellings situiert. Schellings Freiheitsschrift stellt die Frage, ob sich die Philosophie als System konstituieren knne. Diese Fragestellung sprengt die ursprngliche Absicht des Deutschen Idealismus. Auf dieser Weise lst Schelling das Ziel des geschlossenen Systems auf, das den Anspruch des Deutschen Idealismus eingelst htte. Diese Auflsung weist den »Grund« des Deutschen Idealismus als »Urgrund« oder vielmehr als »Ungrund« auf, so dass sein gesamtes Unternehmen von vornherein zum Scheitern verurteilt ist. Dieses Scheitern bedeutet aber nicht bloß das Negativum, dass der Systemanspruch uneinlsbar ist und das System unvollstndig bleiben muss, sondern auch ein Positivum, welches das System erneuern kann. Heidegger sieht in der Freiheitsschrift Schellings grßte Leistung und bezeichnet sie in Schelling: ber das Wesen der menschlichen Freiheit (1809) als »eines der tiefsten Werke der Deutschen und damit der abendlndischen Philosophie« (GA 42. 3). Zwar sei Schelling gescheitert, aber Heidegger sieht darin nichts Negatives, sondern im Gegenteil das »Anzeichen des Heraufkommens eines ganz Anderen«, »des neuen Anfangs der abendlndischen Philosophie« (GA 42. 5). Doch Schellings Freiheitsschrift ist nicht aus diesem Grund hoch einzuschtzen. Zwar ist beim spteren Schelling ein hherer Standpunkt als bei Hegel erreicht, aber dies kann nicht als Vollendung des Deutschen Idealismus interpretiert werden. Denn Schelling 52
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vollendet – ber Hegel hinaus – nicht den Deutschen Idealismus, sondern ffnet das System zu seiner Unvollendetheit hin. Diese ffnung ist im Begriff »Ungrund« angedeutet, dem Schelling den hchsten Stellenwert in der gesamten Freiheitsschrift beimisst.
Schluss Wenn man Schellings Philosophie trotz dieses Nichts des Grundes dennoch weiterhin als Konstruktion des Systems interpretiert, wird seine eigentliche Absicht nicht verstanden, sondern seine Philosophie nur weiterhin in die Systemprogrammatik des Deutschen Idealismus eingeordnet. Darum muss der Begriff »Ungrund« neu interpretiert und dann der Hauptbegriff »Freiheit« mit dem System in Zusammenhang gebracht werden.
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IV. Die Frage nach dem Absoluten und nach dem Nichts. Zur Entwicklung und Wende der Philosophie Schellings Einleitung In dieser Arbeit mchte ich mich mit der Frage Schellings nach dem Absoluten und nach dem Nichts auseinandersetzen, um die Entwicklung und die Wende in der Philosophie Schellings zu rekonstruieren. Dadurch mchte ich nicht nur seine Frage nach dem Absoluten und nach dem Nichts klren, sondern auch die Grundlage ausfindig machen, auf der seine gesamte Philosophie beruht. Im folgenden soll die Frage nach dem Absoluten und nach dem Nichts schrittweise herausgearbeitet werden. Zunchst mchte ich anhand dieser Fragestellung Schellings die Entwicklung seines Denkens nachvollziehen, um die Grundstruktur seiner gesamten Philosophie zu rekonstruieren und zu erlutern. Anschließend mchte ich die prinzipielle Frage nach dem Nichts rekapitulieren, die das gesamte Denken Schellings durchzieht. Aus diesem Grund geht die Untersuchung von der Frage aus: »Warum ist berhaupt etwas?«, und geht weiter zur Frage nach der Gesamtheit des Seins: »Warum ist denn nicht Nichts?« Durch die Frage nach dem Sein kann die Frage nach dem Nichts erst gestellt werden. In dieser Frage wurzelt das grundlegende Problem, das die gesamte Philosophie Schellings durchzieht. Anhand dieser Problemstellung mchte ich die Grundproblematik der Philosophie Schellings aufzeigen. Darber hinaus mchte ich, von der Frage Schellings ausgehend, die Frage nach dem Nichts schlechthin noch einmal 54
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Zur Entwicklung und Wende der Philosophie Schellings
berprfen. Damit kann man die Tiefe der Fragestellung Schellings erst richtig ermessen. ber die Erluterung der Frage Schellings hinaus zielt dieser Versuch im Ganzen darauf ab, ihren Grund zu zerstren. Erst dadurch kann man nach dem Ort fragen, wo der Grund des Seins abstrzt. Nur dadurch wird das Nichts als Nicht-Sein des Grundes denkbar. Von hier aus soll der Ort des Nichts untersucht werden. Auf diese Weise soll der vorliegende Versuch ber die Philosophie Schellings hinausgehen und die Grenzen ihrer Tragweite aufzeigen. 1.
Die Frage nach dem Absoluten
1.1. Das Absolute und seine Außenwelt Schelling stellt in den philosophischen Briefen (1795) die prinzipielle Frage der Philosophie folgendermaßen: »Wie das Absolute aus sich selbst herausgehen und eine Welt sich entgegensetzen knne?« (SW 1. 310). Diese fundamentalste Frage thematisiert den Zusammenhang zwischen dem Absoluten als Gesamtheit des Seins und der Welt, die außer dem Absoluten besteht. Diese Frage kann so verstanden werden, dass es sich um den ußeren Zusammenhang zwischen dem Sein des Absoluten und dem Sein der Welt handelt. Das Absolute ist definiert als die einheitliche Gesamtheit, die alles Seiende in sich enthlt. Da alle Gegenstnde darin als Gegenstand aufgelst sind, ist das Wissen um die Gesamtheit unmittelbar. Darum ist es im alles umfassenden Absoluten mglich, die Gesamtheit des Seienden nur nach innen zu analysieren (SW 1. 308). Dadurch aber entsteht die Frage, wie das Absolute aus sich selbst herausgehen und sich eine Welt entgegensetzen kann. Schelling zufolge ist es in jedem System unmglich, vom Unendlichen zu Endlichen berzugehen und die Kluft zwischen den beiden zu berbrcken (SW 1. 314). Weil der Gegensatz nicht A
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Die Frage nach dem Absoluten und nach dem Nichts
aufgehoben werden kann, bleibt nur ein Entweder-oder zwischen dem Endlichen und dem Unendlichen. Wenn das Absolute alles in sich umfassen kann, muss es allerdings das Entweder-oder zwischen dem Endlichen und dem Unendlichen berschreiten und zum unmittelbaren Wissen beider im Ganzen bergehen. 1.2. Das Absolute und das Entgegengesetzte Schelling trennt in der Darstellung meines Systems der Philosophie (1801) das Einheitliche und das Entgegengesetzte voneinander und stellt das Absolute als Einheitliches außerhalb des Entgegengesetzten. Das Entgegengesetzte ist das Endliche, whrend das Absolute das Unendliche, das Identische ist. Dies fhrt zu dem Problem, wie sich das Absolute und das Entgegengesetzte aufeinander beziehen knnen. Schelling unterscheidet das Absolute und das Entgegengesetzte voneinander und sagt ber diesen Unterschied, dass »die absolute Identitt (das Unendliche) nicht aus sich selbst herausgetreten, und alles, was ist, insofern es ist, die Unendlichkeit selbst sey« (SW 4. 120). In diesem Kontext bedeutet die absolute Identitt, dass das Identische identisch ist, d. h. »die Identitt der Identitt«. Dies weist auf die Seinsweise des Absoluten hin, das von allen Seienden nicht getrennt gedacht werden kann. Hierdurch entsteht die Frage, wie das Absolute zum Endlichen bergehen kann. Der Gegensatz von Endlichem und Unendlichem msste eigentlich im Absoluten selbst geklrt und aufgelst werden. Dennoch ist das Endliche vom Absoluten getrennt und aus dem ihm Entgegengesetzten ausgeschlossen. Somit muss der Zusammenhang zwischen dem Absoluten und dem Endlichen erneut thematisiert und rekonstruiert werden. Dieses Problem beschftigt Schelling weiterhin. 56
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Zur Entwicklung und Wende der Philosophie Schellings
1.3. Die Selbstaffirmation des Absoluten und die absolute Negation des Nichts Im System der gesamten Philosophie (1804) findet Schelling das Wesen des Absoluten in der Selbstaffirmation, d. h. in der Affirmation seiner selbst durch sich selbst. Das Absolute erscheint sich und stellt sich dar, um sich selbst zu affirmieren. Das Absolute ist insofern absolut, als es sich in dieser Affirmation seiner selbst vergewissert. Von diesem Punkt aus geht Schelling einen Schritt weiter und sagt, dass das Absolute etwas Seiendes ist und nicht Nichts sein kann. In diesem Kontext wird die tiefste Frage fr alle Philosophien gestellt: »Warum ist nicht nichts, warum ist etwas berhaupt?« (SW 6. 155). Schelling formuliert seine Position zu dieser Frage unmissverstndlich und antwortet definitiv: Etwas ist. Schelling affirmiert, dass etwas ist, indem er definiert, dass nichts ist. Er definiert, dass das Absolute nichts ist, und affirmiert, dass es etwas Seiendes ist. Aus der Affirmation des Seins des Absoluten ergibt sich die Negation des Nichts. Die absolute Affirmation des Seins fordert die absolute Negation des Nichts. Dies ist nach dem Verstndnis Schellings »die absolute Position der Idee Gottes« (SW 6. 155). Das Absolute wird hier »Gott« genannt. Beide, das Absolute und Gott, sind das Identische und Einzige. Daraus zieht Schelling die entscheidende Folgerung: »außer Gott ist nichts« (SW 6. 169). Dadurch ergibt sich aber ein freier Raum, den das Nichts außer Gott fr sein Sein einnehmen kann. 1.4. Das Sein des Absoluten und das Nichtsein des Nichts In den Aphorismen zur Einleitung in die Naturphilosophie (1806) stellt Schelling dieselbe Frage erneut: »Warum ist nicht nichts, warum ist berhaupt etwas?« (SW 7. 174). Wichtig ist hier nicht nur, wonach gefragt wird, sondern auch woA
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Die Frage nach dem Absoluten und nach dem Nichts
nach nicht gefragt wird. Wenn das, was ist, nicht nichts, sondern etwas ist, was bedeutet es dann, dass etwas ist? Die Antwort auf diese Frage ist die Gesamtheit des Seienden. Diese Gesamtheit ist nach dem Verstndnis Schellings »Gott«. Denn das Sein entspricht nur Gott als dem Absoluten. Im Gegensatz dazu kann das Nicht-Sein dem Absoluten nicht entsprechen. Das Nicht-Sein ist nur fr das Nichts mglich. Darum ist das Sein des Nichts, d. h. dass das Nichts ist, fr das Absolute nicht mglich. Umgekehrt ist fr das Nichts nur das Nicht-Sein mglich. Hier bedeutet das Nichts die Unvollkommenheit des Seins. Denn alles, was ist, kann, insofern es ist, zum Absoluten zurckgefhrt werden und dazu gehren (SW 7. 189). Hierdurch begegnet das Absolute dem Nichts, oder vielmehr wird es vom Nichts umfasst. Denn das Absolute schließt das Nichts als denjenigen Ort außer sich selbst aus, zu dem alle Seienden zurckgefhrt werden knnen. Insofern wird das Absolute umgekehrt vom Nichts umschlossen. Wenn das Absolute darin dem Nichts begegnen und mit ihm konfrontiert werden kann, dann ist es doch noch mglich, dass es das Nichts gibt. 2.
Die Wende zur Frage nach dem Nichts
2.1. Das Gute und das Bse im Menschen Wenn alles, was ist, schließlich zum Absoluten zurckgefhrt wird, woraus entsteht dann das Endliche? Diese Frage formuliert Schelling in der Schrift Philosophische Untersuchungen ber das Wesen der menschlichen Freiheit (1809) folgendermaßen: Wenn alles zu Gott gehrt, dann stellt sich die Frage, woraus das Endliche entstehen kann und woraus das Bse entstehen kann. Wenn Gott das Bse erschaffen hat, ist Gott selbst kein Absolutes. Wenn Gott umgekehrt das Bse nicht erschaffen hat, dann ist nicht mehr zu erklren, woraus das 58
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Zur Entwicklung und Wende der Philosophie Schellings
Bse hervorgeht. Diese Probleme ziehen den Grund alles Seienden in Zweifel. Dieser Zweifel berhrt die Grundlage des Systems, das alles Seiende in sich einschließt. Hierber sagt Schelling, dass das in Gott Einheitliche durch die Trennung von Gott zum Endlichen wird. Darum schafft die Trennung das Bse. Mit anderen Worten: die Trennung vom Absoluten ist der Seinsgrund des Endlichen und des Bsen. Das Problem verschrft sich radikal, wenn das Bse als menschliche Freiheit verstanden wird. Denn das Bse ist eine positive Mglichkeit des Menschen, sich Gott zu widersetzen und sich der Notwendigkeit entgegenzusetzen. Das Bse ist die Freiheit, die von Anfang an auf den Menschen zurckgefhrt und von der Notwendigkeit nicht mehr begrndet werden kann. Dieses Nichts des Grundes gibt dem Menschen die Mglichkeit, sich dem Befehl Gottes zu widersetzen. Die Notwendigkeit bildet die Totalitt und schließt sich selbst nach innen ein. Im Gegensatz dazu ffnet die Freiheit die Totalitt. Auf diese Weise durchdringen die menschliche Freiheit und das radikal Bse das vollendete System. Da die Freiheit die Erschaffung des Bsen ermglicht, bedeutet die menschliche Freiheit die Mglichkeit des Menschen, das Bse zu erschaffen. Aber die Erschaffung des Bsen durch die Menschen widersetzt sich allem, was Gott erschaffen hat, d. h. dem System als Totalitt des Seienden. Dadurch wird Gott zum Grund fr das, »was in Gott selbst nicht Er Selbst ist« (SW 7. 359). Dies ist der Widerspruch, der Gott selbst innewohnt. Dadurch, dass das System als Totalitt in sich selbst das Bse und auch die Freiheit enthlt, wird es zum Werdenden und zum Leben. Das System ist die Entstehung und Entwicklung Gottes als Grund. Dazu sagt Schelling: »In dem gttlichen Verstande ist ein System, aber Gott selbst ist kein System, sondern ein Leben« (SW 7. 399).
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Die Frage nach dem Absoluten und nach dem Nichts
2.2. Grund, Urgrund und Ungrund Die Frage nach dem »Grund«, der von unten das System sttzt, richtet sich darauf, was diesen Grund selbst sttzt. Das ist der noch tiefere ursprngliche Grund, der »Urgrund« genannt werden kann. Dieser Urgrund fr das Seiende, der im Menschen erscheint, ist das Bse. Wenn man auf diese Weise das Fragen fortsetzt, dann kann der Grund nicht mehr begrndet werden. Der Grund strzt ab, und das Nichts des Grundes sprengt das System. Man stßt auf den »Ungrund« und findet, dass der Grund in Wirklichkeit der Ungrund ist. Die gemeinsame Wurzel von Grund und Sein ist durch nichts zu erfassen. Diese »von nichts ergriffene Einheit« ist der Ungrund (SW 7. 408). Der Ungrund ist der unfassbare Grund des Seins. Der Grund ist fr den Verstand eine Finsternis, aus der erst das Licht des Verstandes erwchst. Dieses Dunkel ist vom Verstand nicht einzusehen. Es wird vom Verstand nur vorausgesetzt und bleibt immer außerhalb des Systems. Der Ungrund wird dadurch aus dem System ausgeschlossen. Der Ungrund ist das sowohl vor dem Grund als auch vor dem Sein Seiende. Insofern ist der Ungrund das schlechthin Absolute. Er geht allen Grnden voraus und ist die Indifferenz, die allen Gegenstzen vorausgeht. Die Indifferenz ist von allen Gegenberstehenden getrennt, so dass sie als Gegensatz aufgelst werden. Dies ist das Nichts des Gegensatzes. Aber dies bedeutet doch nicht, dass es das Nichts gibt. Dies ist außer allen Gegenberstehenden das Seiende, das ber die Gegenberstehenden hinaus besteht. Zum Beispiel ist Gott der Anfang alles Seienden, aber wenn Gott keine Voraussetzung hat, ist das Sein Gottes nicht zu begrnden. Dies ist nur folgendermaßen auszudrcken: Gott ist, weil Gott ist. Außer Gott gibt es nichts. Dies bedeutet aber auch, dass es außer Gott das Nichts gibt. Dann aber ist das, was es außer Gott gibt, nicht negiert, sondern das Nichts gehrt zu Gott selbst. Da das 60
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Zur Entwicklung und Wende der Philosophie Schellings
Nichts von Gott ausgeschlossen ist, wird Gott vom Nichts umschlossen. 2.3. Vom Sein zum Nichts schlechthin Durch die Negation des Nichts wird die Gesamtheit des Seins affirmiert. Aber die affirmierte Gesamtheit des Seins wird dadurch vom Nichts begrndet. Durch die Frage nach dem Grund des Seins scheitert das Vollendete, das in sich selbst abgeschlossen ist. Dies bedeutet eine Wendung vom Sein zum Nichts schlechthin. Die Frage nach dem Grund zielt auf die Frage nach dem Grund des Seins, d. h. nach dem Grund alles Seienden. Hier kehrt das Absolute die Konstruktion des Systems von innen zu seiner Destruktion nach außen um. Die Konstruktion des Systems verwandelt sich in seiner Vollendung zu seiner Destruktion. Indem das System sich vollendet, destruiert es sich vollstndig und ffnet sich nach außen. Mit anderen Worten, indem sich das System in sich einschließt, ffnet es sich nach außen. Diese Wende ereignet sich durch die kontinuierliche Vertiefung der Frage nach dem Grund. Die Entwicklung der Frage Schellings zeigt die Konsequenz seiner Philosophie. Die Frage nach dem Grund des Seins bleibt trotz ihrer stndigen Umwandlung beibehalten. Im Grunde ndert sich Schellings Fragestellung nicht. In diesem Sinne geht Schellings Frage vom Sein auf das Nichts zu und verwandelt sich von der Frage nach dem Absoluten als Gesamtheit des Seins zur Frage nach dem Nichts schlechthin.
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Die Frage nach dem Absoluten und nach dem Nichts
3.
Die Frage nach dem Nichts
3.1. Das relative Nichts und das absolute Nichts In der Darstellung des philosophischen Empirismus (1830) formuliert Schelling die grundlegende Frage fr alle Philosophien in modifizierter Form: »warum ist denn Vernunft, warum ist nicht Unvernunft?« (SW 10. 252). Dabei tritt etwas als Vernunft auf. Und zwar wird es durch die Negation der Unvernunft zum Seienden. Doch Schelling verharrt nicht bei der Frage nach diesem Seienden, sondern fragt vielmehr, ob das Umgekehrte mglich ist, d. h. ob es Unvernunft geben kann. Das Nichtsein ist ein relatives Nichts, das die Abwesenheit des Seins bedeutet, es ist kein absolutes Nichts. Zwar ist das Nichtsein von etwas zu unterscheiden, das nicht ist, aber das Nichtsein bedeutet kein absolutes Nichts schlechthin. In diesem Sinne ist es mglich zu sagen, »dass auch das nicht Seyende sey« (SW 10. 235). Das Seiende ist in diesem Fall etwas, das ist. Im Gegensatz dazu bedeutet das absolute Nichts, dass es berhaupt nichts gibt. Dies ist das Nichts berhaupt, das von nichts beschrnkt werden kann (SW 10. 257). Was das Sein beschrnkt und beherrscht, ist nach Schellings Verstndnis Gott. Gott ist insofern etwas ber das Sein hinaus, als er sich in Beziehung zum Sein setzt. Er ist in diesem Sinne »der Herr des Seyns«, und zwar das Sein selbst (SW 10. 262). Er herrscht ber das Sein, doch er ist frei von diesem Sein. Vielmehr ist das Sein von Gott abhngig. Darum ist die Frage, »Warum ist nicht nichts, warum ist berhaupt etwas?«, nur vermittels Gottes zu klren. Das Sein ist nur durch Gott mglich, aber wenn Gott das Sein ist, ist es nicht mglich, dass Gott nicht ist. Eben darum ist Gott das Seiende. Er ist der Kern, um den sich alles Seiende dreht. Er ist zwar insofern das »wahre Nichts«, als es vom Seienden unterschieden wird, aber etwas, das nicht ist, ist weder das Nichts noch etwas, das eigent62
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Zur Entwicklung und Wende der Philosophie Schellings
lich nicht sein kann. Es ist kein wahres Nichts im eigentlichen Sinne, sondern lediglich das Nichtseiende. Zwar ist das Nichts als Negation des Seins zu verstehen, aber indem das Nichts als Nicht-Sein verstanden wird, wird das Nichts im Sein aufgelst. Denn das Sein und das Nichts treten in einen Zusammenhang. Der weitere Schritt von diesem Zusammenhang zum absoluten Nichts ist gezielt. Das absolute Nichts ist der Ursprung, aus dem das Sein entspringen kann. Es ist der Ort, wo das Sein sich ereignet und zugleich als Sein nicht mehr sein kann. Das Sein ist auf eine positive Weise da, aber ebenso kann es auf eine negative Weise nicht da sein. In diesem Kontext sind das Sein und das Nicht-Sein als zwei Seinsweisen des ursprnglichen Seins zu betrachten. Im absoluten Nichts werden beide in einen Zusammenhang eingebunden. Aber das absolute Nichts ist weder das Sein noch das Nicht-Sein, sondern ergibt sich an der Grenze der beiden. An dieser Grenze ergibt sich das Nichts als Ort, wo die beiden abstrzen. 3.2. Die Geschichte des Seins und die Frage nach dem Nichts In der Philosophie der Offenbarung (Urfassung 1831/32) stellt Schelling erneut die Frage nach dem Sein der Vernunft: »Warum ist denn Vernunft und nicht Unvernunft?« (Urfassung 69). Die Vernunft ist von dem ihr Vorhergehenden begrndet. Diesem geht nichts vorher; es ist immer ohne Grund. Dieses Sein ist der »wahre Anfang«. Der wahre Anfang schließt sich in sich selbst ein. Dies ist die Totalitt, die nur sich selbst braucht, d. h. das Absolute. Darum verhilft nicht die Vernunft etwas zum Sein, sondern umgekehrt etwas ermglicht das Sein der Vernunft. Insofern ist es ebenso mglich, »dass keine Vernunft ist, als [dass] eine« ist (Urfassung 71). Damit die Vernunft entsteht, bedarf es einer Voraussetzung. Aber diese Voraussetzung ist durch nichts zu begrnden. A
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Die Frage nach dem Absoluten und nach dem Nichts
ber das ohne Voraussetzung Seiende ist es nur mglich zu sagen, dass es ist, weil es ist. Dies bedeutet aber nicht, dass es nicht zu beweisen ist. Die Existenz des ohne Voraussetzung Seienden kann oder knnte bewiesen werden, sie braucht aber nicht bewiesen zu werden. Dabei handelt es sich weder um die Begrndung des Seins der Vernunft noch um den Beweis des dafr bentigten Seins Gottes. Fr den Beweis des Daseins Gottes muss etwas, das vor Gott sein kann und das Sein Gottes ermglicht, gesucht werden. Gott ist der Anfang, mit dem das Sein anfangen kann. In diesem Sinne ist Gott das nicht zu Begrndende, »das absolute Prius«. »Daß außer ihm nichts ist heißt: Außer ihm ist kein Seiendes« (Urfassung 112). Denn Gott ist die Transzendenz, die nicht in Bezug mit dem Sein gesetzt werden kann. Nur so kann das Sein als Seiendes existieren. Das Sein ist vielfltig zu interpretieren. Es ist einerseits, dass es ist, und andererseits etwas, was ist. Etwas, was ist, beinhaltet das Wesen des Seienden und des Seins. Es ist das Wirkliche und etwas Seiendes. Doch was bedeutet das Sein dann? Diese Frage kehrt zu der Frage zurck: »Wie ursprnglich ein Sein entstehen knne?« (Urfassung 24). Was ist das vor dem Sein Seiende, das vor dem Sein Entstandene? Was ist zwischen dem Sein und dem Nichtsein? Auf diese Problematik richtet sich Schellings Frage nach dem Sein. Das Sein ist nicht etwas Seiendes, sondern das zum Sein Werdende. Diese Frage richtet sich auf die Voraussetzung dafr, dass das Sein ist, und hinterfragt diese Voraussetzung zugleich, nmlich ob nichts ist. Im Seienden gibt es eigentlich kein Sein berhaupt. Somit kann die prinzipielle Frage erneut gestellt werden: »Warum ist denn nicht Nichts?« (Urfassung 65). Diese Frage ist mehr als eine allgemeine Frage und erreicht die abgrndige Tiefe des Nichts des Seienden.
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3.3. Der Grund des Seins und die Frage nach dem Nichts Wenn nicht nichts, sondern etwas Seiendes ist, stellt sich die Frage, welcher Grund fr das Sein des Seienden angegeben werden kann. In der Philosophie der Offenbarung (1841 ff.) formuliert Schelling die Frage noch einmal folgendermaßen: »Warum berhaupt gibt es solche Wesen?« (SW 13. 5). Und seine Antwort lautet: Alles ist im Grunde abgrndig und durch nichts begrndet. Alles, was ist, beruht auf diesem Nichts. Das Sein des Seienden ist insgesamt abgrndig. Diese Abgrndigkeit fhrt zur ursprnglichen Frage zurck: »Warum ist berhaupt etwas? warum ist nicht nichts?« (SW 13. 7). Diese Frage entsteht nicht durch die Negation des Seienden, sondern wird angestoßen durch die Frage nach dem Grund des Seienden. Das Sein des Seienden ist in sich selbst nicht notwendig. Darum wre es mglich zu denken, »dass berall nichts wre« (SW 13. 242). Und die weitere Mglichkeit ist: »alles ist eitel« (SW 13. 7). Hierdurch wird die Frage nach dem Sein am radikalsten zu einer Problematik der Grundlosigkeit verschrft. Die Frage, »Warum ist berhaupt etwas? warum ist nicht nichts?« (SW 13. 242), bringt jeden Versuch der Letztbegrndung zum Scheitern. Die Frage, warum etwas ist, ist nicht die Frage, ob es Gott gibt, sondern die Frage, ob Gott das Sein ist, noch prziser, ob das Sein Gott ist. Hiermit wird weder nach dem Sein Gottes noch nach einem logischen Beweis des Daseins Gottes gefragt, sondern nach etwas, was ist. Die Frage richtet sich auf das Problem, warum es sein muss. Die Frage, warum hier nicht nach dem Nichts gefragt werden kann, bleibt bei Schelling als Frage stehen, obwohl die Frage, »warum ist nicht nichts«, eine neue Mglichkeit der Frage nach dem Nichts ffnen knnte.
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Die Frage nach dem Absoluten und nach dem Nichts
Schluss Schelling stellt zwar die Frage: »Warum ist nicht nichts?«, aber dies kann nicht als Frage nach dem Nichts verstanden werden, denn sie bleibt vor der Frage nach dem Nichts stehen und dringt nicht bis zur Frage nach dem Nichts vor. Selbstverstndlich handelt es sich hier weder um den Unterschied zwischen etwas und seinem Sein, d. h. um den Unterschied zwischen dem Seienden und seinem Sein, noch um den Unterschied zwischen einem großen und einem kleinen Buchstaben: »Nichts« und »nichts« – zwischen denen es berhaupt keinen Unterschied gibt. Es handelt sich hier vielmehr um das Problem, ob entweder etwas oder nichts als Prdikat des Seins das logische, grammatikalische Subjekt des Seins werden kann. Es geht hauptschlich um den Gegensatz zwischen etwas und nichts. Schellings Antwort auf diese Frage ist von Anfang an klar formuliert: Nur etwas ist. Aber die Frage, die gestellt werden muss, ist die folgende: Ob es das Nichts berhaupt gibt. Schellings Frage dringt nicht bis zu dieser Frage nach dem Nichts durch. Dies markiert die Grenze seiner Philosophie. Wenn man die Frage: »Warum ist nicht nichts?«, positiv beantworten kann, kann man ber die Frage Schellings hinaus eine neue Mglichkeit der Frage erffnen: Ob es berhaupt das Nichts gibt. Alles geht entscheidend um diese Frage. Denn nur durch diese Frage kann man den tiefen Grund und abgrndigen Ungrund, auf dem Schellings Philosophie basiert, durchbrechen und berwinden.
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V. Vom Grund zum Ungrund. Zu Heidegger und Schelling
Einleitung Heidegger behandelt in seinen Vorlesungen Schellings Abhandlung Philosophische Untersuchungen ber das Wesen der menschlichen Freiheit und die damit zusammenhngenden Gegenstnde (1809) zweimal, zum ersten Mal in der Freiburger Vorlesung im Sommersemester 1936 Schelling: Vom Wesen der menschlichen Freiheit (1809), zum zweiten Mal in der Freiburger Vorlesung im 1. Trimester 1941 und im Seminar im Sommersemester 1941 Die Metaphysik des deutschen Idealismus. Zur erneuten Auslegung von Schelling: Philosophische Untersuchungen ber das Wesen der menschlichen Freiheit und die damit zusammenhngenden Gegenstnde (1809). Die erste Vorlesung kommentiert den Text von Schellings Freiheitsschrift, whrend die zweite Vorlesung anhand der Freiheitsschrift den Deutschen Idealismus im Ganzen interpretiert. So unterschiedlich die beiden Vorlesungen sind, Heideggers Schelling-Interpretation bleibt grundstzlich unverndert. In beiden Vorlesungen legt Heidegger die Freiheitsschrift auf der Grundlage der Unterscheidung von »Grund« und »Existenz« aus. Heidegger sieht das »Kernstck« der Freiheitsschrift in der »Unterscheidung« von Grund und Existenz (GA 49. 11). Nach der Absicht Schellings allerdings besteht das Hauptthema der Freiheitsschrift nicht in dieser Unterscheidung. Denn Schelling erreicht »auf dem hchsten Punkt der ganzen UnterA
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Vom Grund zum Ungrund
suchung« der Freiheitsschrift nicht die »Unterscheidung«, sondern den »Ungrund« von Grund und Existenz (SW 7. 406). In dieser grundlegenden Hinsicht weicht Heideggers Auslegung von der Absicht Schellings ab, und zwar in gleicher Weise sowohl in der ersten Vorlesung von 1936 als auch in der zweiten Vorlesung von 1941. In dieser Arbeit soll die Vertiefung vom Grund zum Ungrund anhand der Freiheitsschrift Schellings und den zwei Vorlesungen Heideggers ber die Freiheitsschrift nachvollzogen werden. Diese Untersuchung zielt nicht darauf ab, die »Unterscheidung« von Grund und Existenz zu erfassen, die Heidegger als »Kernstck« der Freiheitsschrift versteht, sondern vielmehr darauf, sich ausgehend von dieser Unterscheidung dem »Ungrund« zuzuwenden, in dem Schelling selbst »den hchsten Punkt« der Freiheitsschrift sieht. In diesem Sinne besteht die Aufgabe dieser Arbeit in der Rckverschiebung des Hauptthemas von der »Unterscheidung« zum »Ungrund« von Grund und Existenz.
1.
Der Grund
Schelling fhrt in der Freiheitsschrift die Unterscheidung von Grund und Existenz in alles Seiende ein und erklrt den Unterschied der beiden Begriffe folgendermaßen (SW 7. 357, 373, 377, 406): Der Grund ist das Prinzip der »Finsternis«, die sich selbst einschließt, whrend die Existenz das Prinzip des »Lichtes« ist, das sich selbst ffnet. Erst durch diese »Entzweiung von Licht und Finsternis« kann alles Seiende sein. Insofern gehrt die Unterscheidung von Grund und Existenz zu allem Seienden. Damit stellt sich die Frage, was der Grund und die Existenz eigentlich sind. Heidegger erlutert anhand des Wortes »grundlos« den Begriff »Grund« in dreierlei Weise (GA 49. 76). 68
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Zu Heidegger und Schelling
1. Wenn man »grundlos« sagt, ist damit z. B. ein Weg gemeint, auf dem man nicht gehen kann, weil es keine feste Unterlage oder keinen sicheren Boden gibt. Der Grund ist in diesem Sinne die »Unterlage«, der »Boden«, auf dem man gehen kann. Er bedeutet als Unterlage die Grundlage, bzw. das Fundament. 2. Wenn man »grundlos« sagt, ist gemeint, dass etwas ohne Anlass ber uns hereinbricht. Weil man keinen Anlass weiß, sagt man, man kenne die »Ursache« nicht. Man setzt voraus, dass die Erscheinung auf eine wirkende Ursache zurckzufhren ist. Der Grund beinhaltet in diesem Sinne das vor der Sache Seiende, das der Wirklichkeit Vorangehende und das die Wirkung Auslsende. Er ist der »An-laß«. 3. Wenn man »grundlos« sagt, ist ein »Verlangen« gemeint, das ohne »Recht« und »Anspruch« auftritt. Damit ist implizit gemeint, dass es eigentlich nicht verlangt werden drfe. Wenn man im Gegensatz dazu mit Grund einen Anspruch erhebt, ist ein berechtigtes Verlangen gemeint. Der Grund ist in diesem Fall der berechtigte Anspruch. Fr Heideggers Schelling-Interpretation sind nur der erste Grund als »Boden« oder »Grundlage« und der zweite Grund als »Anlaß« oder »Ursache« von Bedeutung. Die »Ursache«, da sie eine Sache hervorbringt bzw. eine Erscheinung bewirkt, geht einer Sache oder einer Erscheinung voraus. Dies gilt sowohl fr die zeitliche Abfolge als auch fr die logische Folge. Im Gegensatz dazu ist das Nachfolgende die »Wirkung«. Die Beziehung von Ursache und Wirkung ist die Kausalitt. Aber dies ist als »Sache« nur eine Analyse der Erscheinung, indem das eine als Ursache, das andere als Wirkung bezeichnet wird. Als Erscheinung geschehen Ursache und Wirkung nicht voneinander getrennt, sondern in ein und demselben Prozess. Die »Grundlage« ist im Gegensatz hierzu keine Ursache, die das Seiende bewirkt, sondern etwas, das das Seiende sein A
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Vom Grund zum Ungrund
lsst. Sie ist die Unterlage, die das Sein des Seienden von unten sttzt. In diesem Sinne liegt sie unter dem Seienden. Hierbei geht es weder um die zeitliche noch um die logische Reihenfolge, sondern nur darum, das Seiende sein zu lassen. Die Grundlage und Unterlage fr das Seiende ist insofern vom Seienden selbst klar zu unterscheiden. Vom Grund als Unterlage her wird auch der Sinn der »Existenz« deutlich. Im Gegensatz zum Grund ist das Untersttzte »Existenz« zu nennen. Dabei handelt es sich um den Unterschied zwischen der Unterlage fr das Sein des Seienden und dem von unten gesttzten Seienden. Die Existenz ist weder Form noch Weise des Seins, sondern das Seiende, das erst durch den Grund sein kann, das Untersttzte. Somit kann das Seiende nicht nur als Existenz, sondern auch als Grund sein. Der Grund bildet die Unterlage, die Grundlage, den Boden. Darum ist er weder die Ursache, die der Wirkung vorangeht, noch die Ursache, die zu einer logischen Folge fhrt. Aber dies bedeutet nicht, dass der Grund etwas Unlogisches ist. Heidegger wendet sich dagegen, den Grund in den »Ur-sumpf« des Irrationalen zu werfen (GA 42. 187).
2.
Der Urgrund
Schelling unterscheidet zwar Grund und Existenz, aber seine Unterscheidung verdeutlicht, dass die beiden ursprnglich zum Gleichen gehren, d. h. dass nicht nur der Grund, sondern auch die Existenz auf dasselbe »Wesen« des Seienden zurckgefhrt werden kann. In Bezug hierauf stellt Heidegger die Frage: »Worin hat die Unterscheidung in Grund und Existenz ihre Wurzel?« (GA 49. 82). Nach dem Verstndnis Schellings geht die Einheit von Grund und Existenz ihrem Unterschied voraus. In dieser Ein70
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heit sind Grund und Existenz noch nicht unterschieden; sie entstehen aus dieser Einheit. Darum ist diese Einheit nicht etwas »Gleiches« im Sinne der Zusammengehrigkeit von Grund und Existenz. Dieser Einheit kann man noch nicht entnehmen, dass der Grund und die Existenz zum Gleichen gehren. Die beiden scheinen nur insofern gleich, als man denkt, sie seien aus dem Gleichen entstanden, weil man sie auf das Gleiche zurckfhrt. Schelling nennt in der Freiheitsschrift diese den Unterschied transzendierende und ihm vorausgehende Einheit die »absolute Indifferenz« (SW 7. 406). Indem die absolute Indifferenz alle Unterschiede transzendiert, kann sie nicht mehr unterschieden werden. Diese absolute Identitt beinhaltet das »Nichts« in dem Sinne, dass man darber nichts mehr sagen kann. Das einzige Prdikat, das ihr zugesprochen werden kann, ist die »Prdikatlosigkeit«. Heidegger weist darauf hin, dass dieses Nichts des Prdikates weder »Nichtiges« noch »Nichtsnutziges« ist (GA 42. 280). Wenn der Grund das Sein des Seienden von unten sttzt, dann stellt sich als nchstes die Frage, was den Grund von unten als Grund sttzen kann; oder anders formuliert: Was den Grund als Grund sein lassen kann, oder vielmehr wie der Grund zum Grund werden kann. Mit einem Wort, was ist das – der Grund des Grundes. Der Grund des Grundes ist der Ursprung, der den Grund und die Existenz sein lsst. Das ursprngliche Sein muss ein noch tieferer Grund sein, und dieser Grund kann im Gegensatz zur Existenz stehen. Nach dem Verstndnis Heideggers ist der Grund das Anfngliche und das lteste, auch die Herrschaft (GA 49. 77). Bei Schelling ist der Grund das allem Vorangehende, der erste Anfang. In diesem Sinne ist der Grund etwas, das das Sein zum Seienden werden lsst. Schelling nennt diesen Anfang den »Herrn des Seins«, der ber das Seiende herrscht. Dieser Gedanke entsteht im Kontext des Deutschen IdeaA
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Vom Grund zum Ungrund
lismus, der zum Ursprung zurckzukehren und an diesem Anfang den Grund zu legen sucht. Darin liegt die Bedeutung des Wortes »Ur«, wie z. B. Ur-Grund, Ur-Sein und Ur-Ich. Der Urgrund beinhaltet das der Unterscheidung Vorangehende. Aus diesem Urgrund gehen alle Unterscheidungen hervor, z. B. Licht und Dunkel, Himmel und Abgrund, Existenz und Grund, Gut und Bse, Sein und Nichts. Dies bedeutet, dass alles in einer gegenstzlichen Beziehung zum anderen durchlssig und transparent wird. Diese Durchlssigkeit kann man als »dialektisch« bezeichnen, wobei das eine in sein Gegenteil verkehrt wird (SW 7. 400). Die Dialektik drckt grundlos (ohne Grund) aus, dass der Unterschied und die Einheit im Grunde eins sind, indem sie beide in den Abgrund strzen lsst. Das Gute und das Bse sind eins, lediglich aus verschiedenen Perspektiven betrachtet. Wenn das Bse vom Guten getrennt gedacht wird, dann ist es kein Bses mehr. Dasselbe gilt fr die Unterscheidung von Grund und Existenz.
3.
Der Abgrund
Wenn der Grund grundlos (ohne Grund) abstrzt, strzt er in den Abgrund. Oder vielmehr der Absturz selbst ist der Abgrund. Von hier aus ist die Grundlosigkeit als Tiefe des Grundes erffnet. Diese Grundlosigkeit in dem Sinne, dass es im Grunde nichts gibt, ist allerdings nichts Nichtiges, sondern kann vielmehr als etwas Positives verstanden werden, das noch bleibt, nachdem der Grund abgestrzt ist. Nachdem der sttzende Boden weggebrochen ist, bleibt keine Unterlage und keine Sttze mehr. Dies verdeutlicht aber andererseits, dass es nichts gibt, das sein sollte. Dies ist allerdings nach dem Verstndnis Heideggers nichts »Nichtiges«, sondern etwas »Ungeheures« im Wesen des Seins (GA 42. 177): die Grundlosigkeit. 72
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Was bedeutet es, dass der Abgrund das Wesen des Seins ist? Der Abgrund ist weder das Wesen des Seienden noch das Absolute als Gesamtheit des Seienden, ebenso wenig ist er Gott oder die Indifferenz im Sinne der absoluten Identitt. Der Abgrund ist weder das absolute Seiende noch das Seiende berhaupt. Er ist kein Nichtseiendes, sondern nach Heideggers Verstndnis »das berseiende« (GA 49. 89). Das berseiende ist kein Nichtiges, weder Seiendes noch Nichtseiendes. Das berseiende ist fr Schelling etwas, das nichts zugesprochen werden kann. Doch man kann natrlich sagen, dass nichts zugesprochen werden kann. In diesem Sinne ist das berseiende das Unsagbare. Das Problem liegt nicht im Nichts, sondern es entsteht erst als Problem, wenn man darber sagt, dass das Nichts ist. Denn das Nichts wird dadurch mit dem Sein verbunden. Heidegger bersieht dieses Problem nicht. Das Sein wird wie von einem »Schatten« stndig vom Nichts verfolgt. Das Nichts luft dem Sein nach, da das Sein und das Nichts zusammengehren. Die beiden sind im Wesen verwandt. Das Sein des Seienden kann zwar nur im Seienden erfasst werden, aber hierdurch wird das Sein zum Ungreifbaren, d. h. zum Nichtseienden. Es ist zwar mglich, das Seiende vorzufinden und es vorzuzeigen, aber wenn man das Sein des Seienden zu fassen sucht, ergreift man kein »Sein« mehr, sondern es ist schon zur »Leere« geworden. Heidegger bezeichnet dieses Nichts als »was nicht ein Seiendes ist« (GA 49. 58). Das Seiende ist wie das Nicht-Sein, aber dieses »Nicht« ist kein Negatives. Es handelt sich dabei fr Schelling nicht darum, aus dem Nichts das Seiende zu schaffen, sondern vielmehr darum, das »Nicht« des Nichtseienden zu negieren und dieses »Nicht« im Seienden verborgen zu halten. Was im Seienden erscheint, ist das nur Seiende, von dem das »Nicht« abgezogen ist. Dies bedeutet aber weder, dass das Seiende aus dem Nichts entstanden ist, noch, dass das Sein aus dem Nichts entstanden ist. Das A
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Vom Grund zum Ungrund
Problem liegt nicht im Nichts. Vielmehr entsteht das Nichts erst, wenn man sagt, dass das Nichts ist. Dies ist das Nichts, das den Grund des Seins abstrzen lsst, und die Grundlosigkeit, in die der Grund abstrzt, wenn man den Grund von unten zu sttzen sucht. Eben dies bezeichnet Schelling als »Ungrund«. 4.
Der Ungrund
4.1. Die Indifferenz Heidegger erwhnt in seiner Vorlesung von 1936 Schelling: Vom Wesen der menschlichen Freiheit (1809) zweimal den Begriff »Ungrund« (GA 42. 213). Dies entkrftet die Kritik, Heidegger habe in seiner Vorlesung von 1936 nur die Unterscheidung von Grund und Existenz beachtet und erst in seiner Vorlesung von 1941 bemerkt, dass auch diese Unterscheidung letzten Endes in den Ungrund zurckgefhrt werden msse. Insofern soll der Begriff »Ungrund« in Schellings Freiheitsschrift zunchst anhand der Vorlesung Heideggers von 1936 verdeutlicht werden. In der Freiheitsschrift scheint Gott zwar der Grund zu sein, aber Gott ist nicht nur mit dem Grund, sondern auch mit der Existenz verknpft. Gott geht als »Ur-Sein« sowohl dem Grund als auch der Existenz voraus. Darum geht Gott allen Unterschieden voraus. Dies ist das Wesen Gottes. Schelling nennt dieses vor-dem-Grund-Sein zwar zunchst »Urgrund«, fgt aber sogleich hinzu »oder vielmehr Ungrund« (SW 7. 406). Das »vielmehr« verrckt den Grund vom Urgrund zum Ungrund. Nach Schellings Verstndnis bedeutet der Ungrund das Nichts des Grundes, und dieses Nichts wird in seiner Freiheitsschrift verstanden als »Indifferenz«. Aber der Ungrund ist keine Indifferenz im Sinne von allem mglichen Seienden, auch 74
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Zu Heidegger und Schelling
keine »Identitt« von Grund und Existenz. Er ist nach den Worten Schellings die »von nichts ergriffene Einheit« (SW 7. 408). Da diese Einheit die »absolute Indifferenz« ohne Unterschied ist, kann man ihr nichts zusprechen. Das ist ihre »Prdikatlosigkeit«. ber das Absolute kann man nichts sagen, aber dies bedeutet nicht, dass das Absolute dadurch zum Nichtigen wird. Es bedeutet auch nicht, dass Schelling die Indifferenz als gemeinsame Wurzel von Grund und Existenz konzipieren muss, da der Unterschied von Grund und Existenz sonst zum Dualismus geriete. Darum entsteht hier nicht das Problem, wie aus der Indifferenz der Unterschied entstehen kann. Dieses Problem rhrt von dem Missverstndnis her, das den »Urgrund« als Grund des Grundes und den »Ungrund« als Nichts des Grundes nicht genau abgrenzt und sie miteinander verwechselt. Wenn zwei gegenstzliche Elemente, Grund und Existenz, in Gott gesetzt werden, scheint dies auf den ersten Blick widersprchlich und die Einheit zu zerstren. Wenn es keine einheitliche Wurzel der beiden gibt, dann fhrt dies in den Dualismus. Dies bemerkt schon Schelling. Die Indifferenz wird zwar als Ungrund aufgefasst, aber nicht, um den Dualismus zu vermeiden. Wenn es so wre, geriete die Unterscheidung von Grund und Existenz ins Nichts. Somit stellt sich die Frage, wie das Nichts des Grundes als Ungrund entstehen kann. Im folgenden soll der Begriff »Ungrund« anhand der Vorlesung Heideggers von 1941 behandelt werden. 4.2. Das Nichts In seiner Vorlesung von 1941 Die Metaphysik des deutschen Idealismus. Zur erneuten Auslegung von Schelling: Philosophische Untersuchungen ber das Wesen der menschlichen Freiheit und die damit zusammenhngenden Gegenstnde A
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Vom Grund zum Ungrund
(1809) erwhnt Heidegger Schellings Begriff »Ungrund« dreimal. Zunchst sollen diese Stellen untersucht werden. 1. Heidegger versteht den Ungrund folgendermaßen (GA 49. 84 f.). Das »Sein« hat den Charakter von Grund, indem es das Grundgebende ist. Weil das Sein der Grund ist und den Grund abgibt, bedarf es selbst keines Grundes. In diesem Sinne bedeutet der Ungrund die Grundlosigkeit. Es ist also nicht mglich, den Grund noch weiter zurckzufhren, noch tiefer zurckzudenken, sondern er kann nur rein anwesend sein. Diese reine Anwesenheit ist der Ungrund als Sein. 2. Heidegger unterscheidet den Ungrund vom »nichtigen Nichts« (GA 49. 89). Da der Ungrund die absolute Indifferenz ist, kann darber nichts gesagt werden. Das einzige Prdikat ist die Prdikatlosigkeit. Aber man kann darber sagen, dass ber den Ungrund nichts gesagt werden kann. Doch dies bedeutet nicht, dass der Ungrund das Nichts oder das Nichtige beinhaltet. Darum bedeutet der Ungrund weder das »nichtige Nichts« noch das »Leere«. 3. Heidegger stellt die »Figuration« der Einheit des Ungrundes folgendermaßen dar (GA 49. 93). Da das »berseyende« nicht darstellbar ist, hat der Ungrund keine Figuration, keine Gestalt. Der Ungrund kann nur so dargestellt werden, wie er nicht dargestellt werden kann. Dieses »Nicht« der Einheit des Ungrundes ist das Sagbare ber das Unsagbare. Das Nichts der Figuration stellt die Gestalt des Ungrundes dar. Dieses Nichts darf aber nicht zum Positiven gewendet werden, sondern muss als solches belassen werden. Das so existierende Nichts provoziert die Konsequenz, dass das Nichts ist. Erst dann kommt die Frage auf, was es bedeutet, dass das Nichts ist. 4.3. Das System Der Ungrund geht insofern weder aus einem Gegensatz hervor, noch enthlt er potentiell den Gegensatz, als er die abso76
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Zu Heidegger und Schelling
lute Indifferenz ist. Er berwindet vielmehr alle Gegenstze in jedem Sinn. Wenn der Ungrund sich zu Grund und Existenz trennt, schließt er doch aus, dass ihr Verhltnis zu einem Gegensatz wird. Der Ungrund kann keine Relation sein, da die Gesamtheit des Seienden mit dem Anderen in keiner Beziehung steht. In diesem Sinne ist der Ungrund von allen getrennt. Heidegger zufolge ist »das schlechthin Abgelste« ohne Verhltnis zu anderem »das Ab-solute« (GA 42. 75). Nach dem Verstndnis Heideggers besteht das Wesen der Metaphysik im Begreifen (logos) des Seienden im Ganzen. Dies beinhaltet die Frage nach der »Ur-sache« als »Grund des Seins« (GA 42. 87). Die Metaphysik nennt diesen Grund des Seins »Gott«, der Deutsche Idealismus »das Absolute«. Da in Gott Grund und Existenz nicht unterschieden werden knnen, sind die beiden ohne Trennung wesentlich vereint. Gott ist Grund und Existenz. Diese Untrennbarkeit gehrt wesentlich zur Einheit des Ursprungs. Der Grund ist nicht unabhngig von Gott, sondern Gott selbst ist der Grund. Darum bedeutet die Einheit zwischen dem Grund und der Existenz die Einheit des Ursprungs, die wesentlich zu Gott gehrt. Der Grund, der Gott innewohnt, sttzt von innen die Existenz Gottes. Insofern geht der Grund als Existenz dem Sein Gottes voraus. Andererseits ist Gott nach Auffassung Schellings zugleich »das Prius des Grundes« (SW 7. 358). Wenn Gott nicht existiert, kann der Grund auch nicht als Grund sein. Und umgekehrt braucht Gott selbst den Grund, damit Gott sein kann. Der Grund ist allerdings nicht außer Gott, sondern in Gott. Mit anderen Worten hat Gott den Grund inne, der seine eigene Existenz trgt. Auf diese Weise schließt Gott sich in sich selbst ein und begrndet dadurch sich selbst. Dies ist die Einheit, die das Seiende im Ganzen in sich umfasst, d. h. das »System«. Dieses »schlechthin Abgelste« ohne Verhltnis zu anderem bezeichnet Heidegger als »das Ab-solute«. Im Absoluten ist die Trennung aber nicht im Inneren aufgelst, sondern A
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nach außen ausgeschlossen. Darum ergibt sich »der schrfste Riß«, der das System gefhrdet, wenn die Trennung von außen nach innen eindringt (GA 49. 171). Dann kann der Grund zwar zum noch tieferen Grund zurckweichen, aber wenn der Grund des Systems der Ungrund ist, muss das System im Ganzen schließlich das unvollendete System sein. Der Ungrund zerreißt das Seiende im Ganzen. Dadurch bricht ein Riss im System auf. Hierzu sagt Schelling: »Gott selbst ist kein System, sondern ein Leben« (SW 7. 399). Denn Gott muss einerseits der Grund sein, der alles Seiende im Ganzen untersttzt, aber es muss andererseits einen Grund geben, der von Gott unabhngig ist und nicht auf Gott zurckgefhrt werden kann. Dieser Grund kann nur in Gott selbst sein. Dies bedeutet, dass etwas, was nicht Gott ist, in Gott selbst sein muss. Auf diese Weise wird das System nach außen geffnet, indem es die Totalitt des Seienden in sich einschließt und dadurch sich vollendet. Dadurch dass das System sich vollendet, ffnet es sich von innen nach außen und bricht dadurch insgesamt zusammen.
5.
Das Scheitern
Der Deutsche Idealismus versucht, die Philosophie als System der Wissenschaften, d. h. als Totalitt des Wissens, zu konstruieren und das Seiende im Ganzen als das Absolute zu vollenden. Die spteren Philosophien erheben erbitterten Widerspruch dagegen, das System der Philosophien abzuschließen. Die gegenwrtigen Philosophien widersetzen sich sogar jedem Versuch, die Philosophie als System zu konzipieren. In diesem geschichtlichen Kontext kann Schellings Philosophie einen neuen Platz finden. Schellings Freiheitsschrift beginnt mit der Frage, ob die Philosophie sich als System vollenden knne. Diese Fragestel78
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Zu Heidegger und Schelling
lung berschreitet den Rahmen des Deutschen Idealismus und kann nicht mehr in dessen Rahmen zurckgefhrt werden. Zwar fragt Schelling nach dem Grund des Systems, aber diese Fragestellung richtet sich darauf, ob die Philosophie als System in sich abgeschlossen sein knne. Schellings Frage ffnet den Grund des Systems, das sich zu vollenden scheint, und leitet damit die Vollendung des Deutschen Idealismus ein. Diese ffnung zielt nicht darauf ab, das System der Wissenschaften zu vollenden, sondern weist vielmehr darauf hin, dass ein solcher Versuch misslingen muss, und lsst den Anspruch des Deutschen Idealismus insgesamt scheitern. Dieses »Scheitern« ist, wie Heidegger bemerkt, nichts Negatives, es ist weder Versagen noch Misslingen (GA 42. 5), sondern im Gegenteil ein positives Scheitern: die Erkenntnis, dass das System letztlich notwendigerweise unvollendet bleiben muss. Doch Schellings Freiheitsschrift darf nicht aus diesem positiven Grund hoch eingeschtzt werden. Wenn man den spteren Schelling noch hher als Hegel bewertet, ist dies zwar nicht falsch. Gnzlich abwegig aber ist es, Schellings sptere Philosophie als die Vollendung des Deutschen Idealismus ber Hegel hinaus und als die Vollendung der abendlndischen Metaphysik zu verstehen. Schelling vollendet nicht den Deutschen Idealismus, sondern ffnet ihn zur Unvollendbarkeit hin. Die Mglichkeit der ffnung liegt bereits in Schellings Begriff »Ungrund«. Schelling setzt diesen Begriff »auf den hchsten Punkt der ganzen Untersuchung« in der Freiheitsschrift (SW 7. 406). Schelling-Interpretationen, die dem »Nichts« des Grundes ausweichen und weiter auf die Konstruktion des Systems zielen, werden der ursprnglichen Absicht Schellings nicht gerecht, indem sie nicht nur den Ungrund in das System integrieren, sondern auch Schelling im Rahmen des Deutschen Idealismus interpretieren. Darum muss der Ungrund anhand der Freiheitsschrift Schellings aus dem System herausgelst werden. A
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Vom Grund zum Ungrund
Schluss Das »Nichts« des Grundes ist das Hauptthema, das die Philosophie Schellings konsequent durchzieht. Schelling fragt immer: »Warum ist nicht nichts, warum ist berhaupt etwas?« Hierbei richtet sich die Frage hauptschlich auf »etwas«, das ist. Warum aber nicht auf das »Nichts« des Grundes? Diese Frage nach dem »Nichts« knnte einen neuen Horizont der Frage ber die Metaphysik hinaus ffnen, whrend jeder Versuch der Begrndung an ihr scheitert. Schelling stellt zwar die Frage nach dem Nichts, aber er beantwortet sie nicht positiv. Er bleibt vor der Frage stehen und geht nicht weiter. Auf diese Weise kehrt Schelling in den Deutschen Idealismus und auch in die abendlndische Metaphysik zurck. Nur in diesem Sinne trifft das Verstndnis Heideggers von Schelling zu. Heidegger versteht die philosophische Tradition als Metaphysik und die Metaphysik als offenes Problem auf die Frage: »Warum ist berhaupt etwas und nicht vielmehr Nichts?« Diese Frage jedoch darf nicht als identisch mit der Frage Schellings verstanden werden. Heidegger zielt ab auf die folgenden Fragen: Warum drngt sich das Seiende fr das Denken vor, whrend das Nichts als Auflsung der Selbstverstndlichkeit des Seienden nicht zum Thema des Denkens wird. Mit anderen Worten: Warum wird nur nach dem »Seienden« gefragt, aber nicht nach dem »Sein« selbst. Aber die Unterscheidung von Seiendem und Sein stellt bei Schelling berhaupt kein Problem dar. Schelling wirft die Frage auf, ob es berhaupt mglich ist, dass das Nichts ist. Seine Antwort fllt allerdings nur negativ aus. Hierin zeigt sich die Grenze der Philosophie Schellings. Doch dies erffnet die Mglichkeit, ber Schellings Philosophie hinaus einen neuen Horizont zu erschließen. Alles hngt davon ab, ob die Frage, warum nicht nichts ist, positiv beantwortet werden kann. Denn der Grund, auf dem Schelling be80
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Zu Heidegger und Schelling
ruht, d. h. der Ungrund, kann nur dadurch durchbrochen werden. Der Grund ist zwar nicht hell, sondern das Dunkel, aber man braucht nicht Licht ins Dunkel zu werfen und das Dunkel zu erhellen. Wichtig ist, wie Heidegger sagt, ob das Dunkel als Dunkel im Licht erscheinen kann (GA 49. 126). Dies bedeutet, dass das Tiefste bis zum Hchsten gebracht werden kann. Denn der Absturz in den Ungrund beinhaltet nach Schellings Auffassung zugleich den Aufstieg bis zur hchsten Hhe.
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VI. Vom Sein zum Nichts. Zu Hegels Auffassung vom Nichts
Einleitung Die Frage nach dem Nichts zieht die Vorfrage nach sich, ob diese Frage berhaupt im Bereich des Mglichen liegt und welche Bedeutung diese Fragestellung fr das Nichts eigentlich hat. Die Frage nach der Auffassung vom Nichts richtet sich an das von allem Sein befreite Nichts, das vom Sein nicht mehr erreicht werden kann. Das Nichts an sich darf nicht als Negation des Seins verstanden werden. Wenn es so verstanden wird, ist es nicht mehr das Nichts, sondern missrt nur zu einer bloßen Negation des Seins, d. h. zu einem Nicht-Sein. In dieser Arbeit geht es nicht um das Nicht-Sein als Negation des Seins, sondern um das Nichts, das nur fr sich gedacht werden kann. Die Fragestellung richtet sich nicht auf das Nichts in dem negativen Sinne, dass etwas nicht existiert, sondern vielmehr auf das Nichts in dem positiven Sinne, dass das Nichts existiert. Im folgenden soll Hegels Auffassung vom Nichts im einzelnen untersucht und schrfer herausgearbeitet werden. Dabei wird weder darauf abgezielt, den negativen Charakter der Dialektik positiv aufzufassen, noch darauf, sich kritisch mit ihm auseinanderzusetzen. Ebenso unwichtig ist die Kritik daran, dass die Negation im System der Philosophie zum Positiven vermittelt wird und deshalb schließlich als Positives bejaht wird. Auch die positive Integration dieser Negation ins Ganze des Systems ist fr die Fragestellung dieser Arbeit unwichtig. Dagegen ist die Frage unentbehrlich, ob Hegel das Nichts ber82
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Zu Hegels Auffassung vom Nichts
haupt behandelt hat, ob in der Philosophie Hegels das Nichts zum eigentlichen Thema werden konnte. Hegel erwhnt das Nichts an einigen Stellen. Indem seine Bemerkungen nacheinander und im einzelnen untersucht werden, soll das Verhltnis Hegels zum Nichts thematisiert werden. Zu diesem Zweck sollen die einschlgigen Stellen zunchst in der Reihenfolge von den frheren zu den spteren Schriften Hegels behandelt werden. In dieser Untersuchung wird zunchst gefragt, was Hegels Verstndnis des Nichts bedeutet. Dann soll auch das bei Hegel Nichtverstandene durch eine alternative Auffassung des Nichts sichtbar gemacht und interpretiert werden. Selbstverstndlich mchte ich weder aufzuzeigen suchen, dass Hegel etwas missversteht, noch dass er das Nichts nicht richtig versteht. Vielmehr wird in dieser Arbeit versucht, anhand von Hegels Verstndnis fr das Nichts zu klren, was eigentlich gefragt wird, wenn man das Nichts versteht, und auch herauszufinden, was dabei nicht gefragt werden kann.
1.
Das Nichts als Voraussetzung fr das Sein. Zur Differenz des Fichteschen und Schellingschen Systems der Philosophie (1801)
Hegel sucht in der Differenz des Fichteschen und Schellingschen Systems der Philosophie (1801) die Substanz durch das Subjekt und das Absolute durch das Bewusstsein zu konstruieren. Zu diesem Zweck wird »das Bedrfniß der Philosophie« postuliert, gegen die vom Bewusstsein vorgenommene Trennung das Absolute ins Ganze aufzunehmen. Diese Forderung hat »zwey Voraussetzungen«, die Hegel als »die Aufgabe der Philosophie« bezeichnet: zum einen, dass das Absolute schon anwesend ist, zum anderen, dass das Sein und das Nicht-Sein sich trennen (GW 4. 15 f.). ber diese beiden Voraussetzungen sagt Hegel: »Die Eine ist das Absolute selbst; es ist das Ziel, das A
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Vom Sein zum Nichts
gesucht wird; es ist schon vorhanden, wie knnte es sonst gesucht werden?« (GW 4. 15). Das Absolute wird aber erst dann zum Wirklichen, wenn das Bewusstsein von seiner Bedingtheit befreit wird, d. h. wenn die Bedingtheit des Bewusstseins aufgehoben wird. Allerdings ist dies auch durch die Unbedingtheit des Bewusstseins beschrnkt, da die Aufhebung seiner Bedingtheit seine Unbedingtheit voraussetzt. Auf diese Weise wird das Dasein des Absoluten ohne Wirklichkeit gedacht und nur im logischen Sinne aufgefasst. »Die andere Voraussetzung wrde das Herausgetretenseyn des Bewußtseyns aus der Totalitt seyn, die Entzweyung in Seyn und Nicht-Seyn, in Begriff und Seyn, in Endlichkeit und Unendlichkeit« (GW 4. 15). Hegel setzt also voraus, dass das Bewusstsein außerhalb des Ganzen steht und sich in Sein und Nicht-Sein, in Begriff und Sein und in Endliches und Unendliches trennt. Im Zustand der Trennung existiert die Einheit des Absoluten nicht in Wirklichkeit, sondern ist nur logisch vorausgesetzt. Das Sein des Absoluten kann unter dieser Bedingung keine konkrete Gestalt haben. Damit aber stellt sich die Frage, wie das Absolute und das Sein zusammenhngen und wie das Absolute existieren kann. Hegel erklrt den Zusammenhang zwischen dem Absoluten und dem daseienden Endlichen so: »Das Absolute ist die Nacht, und das Licht jnger als sie, und der Unterschied beyder, so wie das Heraustreten des Lichts aus der Nacht, eine absolute Differenz; – das Nichts das Erste, woraus alles Seyn, alle Mannichfaltigkeit des Endlichen hervorgegangen ist« (GW 4. 16). Auf diese Weise sind das Absolute und das Endliche absolut unterschieden. Das Nichts ist das erste, aus dem alles Seiende, alle Mannigfaltigkeit des Endlichen entsteht. Wie das Licht aus der Nacht des Absoluten entsteht, so entsteht das Sein durch die Trennung aus dem Nichts. Das Absolute wird verstanden als Ursprung des Seins. 84
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Zu Hegels Auffassung vom Nichts
Die Einheit dieser beiden Voraussetzungen bezeichnet Hegel als »die Aufgabe der Philosophie«: »Die Aufgabe der Philosophie besteht aber darinn, diese Voraussetzungen zu vereinen, das Seyn in das Nichtseyn – als Werden, die Entzweyung in das Absolute – als seine Erscheinung, – das Endliche in das Unendliche – als Leben zu setzen« (GW 4. 16). Die Aufgabe der Philosophie ist die Verbindung von Sein und Nichtsein als Werden, von Entzweiung und Absolutem als seine Erscheinung sowie von Endlichem und Unendlichem als Leben. Dadurch negiert Hegel dialektisch eine Bestimmung durch eine gegenstzliche Bestimmung und vereinigt durch diese Negation die beiden Bestimmungen. Hier darf man nicht bersehen, dass Hegel den Zusammenhang zwischen dem Sein und dem Nichts als Zusammenhang zwischen dem Sein und dem Nicht-Sein versteht. Aber man kann in diesem Kontext nicht das Nichts, das vom Sein unterschieden ist und das Sein negiert, als Nicht-Sein interpretieren. Wenn das Sein aus dem Nichts entsteht, ist das Nichts als Absolutes das erste, aus dem alles Seiende hervorgeht. Hierdurch wird der Unterschied der beiden verabsolutiert. Wenn aber das Nichts dem Sein nur logisch vorhergeht, dann wird dieser Unterschied nur als Reihenfolge fr die logische Erklrung verstanden: Das Licht entsteht aus der Nacht, die Bedingtheit aus der Unbedingtheit und die Trennung aus der Einheit des Absoluten. Auf diese Weise ergibt sich das Nichts aus dem Sein, und zwar als logischer Rckschritt aus der Negation des Seins. Das Nichts bedeutet, dass das Sein negiert und als Nicht-Sein verstanden wird. Ebenso ist die Trennung von Sein und Nicht-Sein als Voraussetzung der Philosophie bloß eine logische »Voraussetzung«.
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Vom Sein zum Nichts
2.
Das Nichts als Abgrund, in den das Sein versinkt. Zu Glauben und Wissen (1802)
In Glauben und Wissen (1802) sucht Hegel das Unendliche als Gegenstand des Glaubens und das Endliche als Gegenstand des Wissens zu vereinigen. Wenn die beiden unvereinigt einander gegenberstehen, geraten sie jeweils zum »Nichts«, weil dann das eine einerseits vom anderen beschrnkt wird und andererseits doch zugleich mit dem anderen besteht. Indem die beiden ihr Sein durch ihr Entgegengesetztes erhalten, sind sie an sich »die Leere«. In diesem Sinne sind sie beide nichts anderes als das Nichts. Das Nichts bedeutet in diesem Kontext etwas, das in sich selbst keinen Seinsgrund hat, da das Nichts als das Sein in einem gegenstzlichen Zusammenhang verstanden wird. Auch was den Gegensatz berwindet, ist an sich »das Nichtzuberechnende, Unbegreiffliche, Leere«. Das »Nichtzuberechnende« ist unmessbar, da es nicht unterschieden werden kann, das »Unbegreiffliche« bersteigt den Verstand. Dies ist Hegel zufolge das »Leere« (GW 4. 319). Hierdurch bzw. in diesem Raum wird der Gegensatz berwunden, aber dies geschieht in einer »Sphre von nichts« jenseits der »Grntzpfhle der Vernunft«, und dieser Raum ist nirgendwo. Darum kann das Unendliche weder dem Endlichen gegenberstehen noch den Gegensatz mit dem Endlichen berwinden, wenn es berhaupt existieren soll. Vielmehr ist das wahre Unendliche die reine Identitt, als die sich das Unendliche und das Endliche vereinigen knnen. Diese Identitt ist allerdings nichts anderes als die Indifferenz, die nirgendwo existieren kann. Formal gesehen kommt auch dem Unendlichen, das dem Endlichen gegenbersteht, an sich die reine Identitt zu. Aber wenn das Unendliche dem Endlichen entgegengesetzt wird, wird es fr das Endliche zum »absoluten Nichts« (GW 4. 359). Die Erkenntnis des absoluten Nichts ist Hegel zufolge die wichtigste Aufgabe der Philosophie. »Das erste der Philo86
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sophie aber ist, das absolute Nichts zu erkennen« (GW 4. 398). Hegel fasst das Nichts auf zweierlei Weise auf: zum einen als das »der Philosophie entgegengesetzte Nichts«, zum anderen als das »wahre Nichts« als vollstndiges Nichts (GW 4. 398). Das »der Philosophie entgegengesetzte Nichts« bedeutet, dass das Endliche weder das Absolute noch das Ewige erkennen kann. In diesem Sinne sind sie dem Nichts gleich. Aber das dem Endlichen entgegengesetzte Unendliche ist nicht das »wahre Nichts«. Da die Philosophie in der Erkenntnis des absoluten Nichts ihre erste Aufgabe hat, ist es vielmehr das »der Philosophie entgegengesetzte Nichts«. Aber die Philosophie, die sich auf das Endliche richtet, kann das ihr gegenberstehende Nichts nicht begreifen. Deshalb ist das im Gegensatz zur Philosophie stehende Nichts kein Unendliches. Und es ist auch kein Nichts als solches. Im Gegensatz dazu versteht Hegel das »wahre Nichts« folgendermaßen: Wenn das Unendliche das Endliche negiert, wird das Unendliche zum »Quell« des Endlichen. Somit entsteht das Endliche aus dem Nichts, das die Grundlage der Negation bildet. An dieser Stelle nennt Hegel das Nichts, aus dem das Endliche entsteht, die »reine Nacht« des Unendlichen (GW 4. 413). Das »wahre Nichts« vernichtet in dieser »Nacht« als Grund das Endliche vollstndig und macht es damit zum Unendlichen. Dies ist »der Abgrund des Nichts«, »worinn alles Seyn versinkt«. Mit anderen Worten, die Tiefe, in der das Sein des Endlichen versinkt, ist das Nichts des Unendlichen.
3.
Nichts und Nicht – Die Doppeldeutigkeit der Negation. Zu Logik, Metaphysik, Naturphilosophie (1804/05)
In Logik, Metaphysik, Naturphilosophie (1804/05) sucht Hegel die Logik, die das Endliche zum Gegenstand hat, und die Metaphysik, die das Unendliche zum Gegenstand hat, zu verA
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Vom Sein zum Nichts
einen. Das Endliche und das Unendliche existieren durch die Negation des jeweils anderen, aber sie vereinen sich auf diese negative Weise. In diesem Kontext unterscheidet Hegel »das Negative« auf zweierlei Weise: »Das negative ist das doppelsinnige, das Nicht berhaupt, das reine Nichts oder Seyn, oder das Nicht dieses bestimmten A; wodurch es selbst ein bestimmtes Nicht, das dem A entgegengesetzte als positives ist« (GW 7. 87 f.). Somit ist das Negative doppeldeutig: auf der einen Seite die Negation berhaupt wie das reine Nichts und das reine Sein, auf der anderen Seite die Negation des bestimmten A, wodurch das Negative selbst zur bestimmten Negation, zum dem A entgegengesetzten Positiven wird. Es gibt also zweierlei Negationen, die bestimmte und die unbestimmte Negation. Die unbestimmte Negation ist wie das »Seyn« und »das reine Nichts« »das Nicht berhaupt«. Im Gegensatz hierzu ist die bestimmte Negation als ein bestimmtes Nichtsein ein Bestimmtes, da sie die Negation des bestimmten Seins ist. Insofern kann man die unbestimmte Negation als das »Nichts« klar von der bestimmten Negation als das »Nicht« unterscheiden. Wenn man die bestimmte Negation des »Nicht« als Prdikat in einem Satz behandelt, wird dieser Satz zu einem bestimmten Urteil. Mit anderen Worten, der Satz »A ist nicht B« kann durch den Satz »A ist Nicht-B« ersetzt werden. In diesem Fall ist A als etwas anderes als B bestimmt. Hierdurch erhlt A eine positive Bestimmung. Somit ist der Satz der Nichtidentitt, A ist nicht B, mit dem Satz der Identitt, A ist Nicht-B, verbunden. Auf diese Weise entsteht ein dialektischer Satz im hegelschen Sinne: die »Identitt der Identitt und der Nichtidentitt«. Anders ausgedrckt kann man diesen Satz als »Verbindung der Verbindung mit der Nichtverbindung« auffassen. Dann kommt die Frage auf, was das erste Negative bedeu88
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tet, was fr eine Negation das »Nichts« ist. Ein Satz mit der unbestimmten Negation des »Nichts« als Prdikat ist kein Urteil und kann nicht als Satz anerkannt werden. Hegel zufolge ist z. B. der Satz »es gibt nichts außer dem Absoluten« ein solches Urteil, »da Nichts ausser dem Absoluten ist« (GW 7. 16). Man kann durch die unbestimmte Negation des »Nichts« den Satz »es gibt nichts außer dem Absoluten« nicht mit dem Satz »es gibt das Nichts außer dem Absoluten« inhaltlich gleichsetzen. Insofern ist es unmglich, etwas außer dem Absoluten als etwas Seiendes zu bestimmen. Wenn man sagt, dass es nichts außer dem Absoluten gibt, bedeutet dies weder die Negation des Satzes, dass es etwas außer dem Absoluten gibt, noch die Behauptung des Satzes, dass es das Nichts außer dem Absoluten gibt. Vielmehr ist mit diesem Satz gemeint: wenn das Absolute ber die Negation des Bestimmten hinaus das Ganze sein kann, bedeutet die Negation, dass etwas außer dem Absoluten fr unmglich erklrt wird. Oder anders ausgedrckt: Der Satz, dass es außer dem Absoluten nichts gibt, ist ein positiver Ausdruck dafr, dass das Absolute von der bestimmten Negation des Außen befreit ist. Denn wenn man sich etwas außer dem Absoluten rumlich vorstellt, wird dies ebenfalls zum Seienden. Dies wrde bedeuten, dass es außer dem Absoluten nicht das Nichts, sondern das Sein gibt. Darum bedeutet der Satz, dass es nichts außer dem Absoluten gibt, dass die Existenz von etwas außer dem Absoluten berhaupt bestritten wird. Wenn das Absolute als dasjenige Ganze angenommen wird, das durch die Negation von Endlichem und Unendlichem gebildet wird, kann es ber die Seinsweise der bestimmten Negation hinausgehen. Insofern kann das Absolute, das durch die Negation konstruiert ist, nicht vom Endlichen bestimmt werden, kann also im Ganzen als Bestimmtes nicht negiert werden. Dann aber stellt sich die Frage, was das Absolute ohne Bestimmung eigentlich ist. A
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Vom Sein zum Nichts
4.
Das Nichts als Abgrund des Leeren, in den der Unterschied abstrzt. Zur Phnomenologie des Geistes (1807)
In der Vorrede der Phnomenologie des Geistes (1807) fasst Hegel das unbestimmbare Absolute als inhaltlos und formal auf und kritisiert es als abstrakten »Formalismus« (GW 9. 17). Der Formalismus ist der abstrakte Gedanke, der das Absolute weder als Endliches noch als Unendliches bestimmt und das Endliche und das Unendliche nicht unterscheidet. Er wirft sowohl das Unterschiedene als auch das Bestimmte »in den Abgrund des Leeren«. Er glaubt, im unbestimmbaren Absoluten durch die Negation des Unterschiedenen zur Identitt und durch die Negation des Bestimmten zur Allgemeinheit zu finden. Wenn das Absolute die abstrakte Allgemeinheit ist, die das Endliche vernichtet und auflst, ist dieses Absolute nichts anderes als die Indifferenz, die im Satz der Identitt »A = A« ausgedrckt werden kann. Im Absoluten als Abgrund des Leeren ist alles gleich. Wenn man darum auch in der abstrakten Indifferenz »A = A« eine konkrete Gestalt findet und diese als etwas Seiendes bezeichnet, wird dieses zum berhaupt NichtSeienden. Durch den abstrakten Formalismus wird das Absolute als Indifferenz zum Ununterschiedenen. Der Formalismus, der nach Hegels Auffassung wahrscheinlich von Schelling vertreten wird, worauf oft hingewiesen wird, verwandelt das Absolute zur Nacht, in der »alle Khe schwarz sind« (GW 9. 17). Dies resultiert nach Hegels Verstndnis aus der »Leere« des Formalismus, der das Unterschiedene und Bestimmte im Absoluten auflst. Insofern ist der Abgrund des Leeren die grundlose Leere, die weder als etwas bestimmt noch als etwas Seiendes aufgefasst werden kann. Die grundlose Leere ist der Ort, wo das Sein versinkt, und weist auf den Ort hin, wo der Unterschied 90
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Zu Hegels Auffassung vom Nichts
verloren geht. Darum knnen sowohl der leere Abgrund als auch die grundlose Leere am Ort der Indifferenz lediglich als der Ort verstanden werden, wo alles sich auflst. Dies ist das im negativen Sinne verstandene Absolute, das das Bestimmte versinken lsst. Die Auffassung des leeren Abgrundes weist auf das Absolute hin, das der Ursprung alles Seienden ist und zugleich alle Unterschiede zur Indifferenz auflst. Aber dieses Verstndnis provoziert auf der anderen Seite die Kritik am Formalismus, der das Absolute als Indifferenz versteht. Die Kritik zielt auf das Absolute, da die Einheit des Absoluten die inhaltlose Leere ist. Wenn das Absolute die Indifferenz ist, die alle Unterschiede einebnet, werden die Unterschiede und die Gegenstze zum Nichts, und es bleibt nur noch die formale Einfachheit brig. Wenn die Einheit des Absoluten als Satz der Identitt »A = A« ausgedrckt werden kann, dann wird dieser Satz selbst inhaltlos und unbestimmbar. Alle Unterschiede werden zum Einfachen aufgelst, und jegliche inhaltliche Mannigfaltigkeit geht verloren. Somit ist das unbestimmbare Absolute das Nichts als der leere Abgrund, in dem alle Unterschiede versinken.
5.
Das Nichts als leeres Anschauen und Denken. Zur Wissenschaft der Logik (1812/13)
Auch in der Wissenschaft der Logik (18012/13) behandelt Hegel das Nichts. Im ersten Kapitel »Seyn« des ersten Buchs »Das Seyn« schreibt er (GW 11. 44): Was man im reinen Sinne »Seyn« nennt, ist in Wirklichkeit das Unmittelbare, das keine Bestimmung hat. Dies aber ist das Nichts, da es nur »reine Unbestimmtheit und Leere« ist. Dies wirft die Frage auf, was es bedeutet, wenn das Sein im reinen Sinne die Leere und das Nichts ist. A
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Vom Sein, das als leeres Sein gedacht wird, sagt Hegel: Das Nichts als reines Sein ist die »einfache Gleichheit mit sich selbst«. Dies ist der Satz der Identitt, aber dieser Ausdruck ist als Satz gnzlich inhaltslos und leer. Die reine Identitt mit sich selbst beinhaltet die »vollkommene Leerheit«, denn diese einfache Identitt hat keinen Inhalt, der bestimmt werden kann. Das Nichts als reines Sein ist weder als etwas zu bestimmen noch als etwas zu definieren, darum kann man nicht sagen, was es ist und wie es ist. Da die Leere sowohl in sich selbst als auch im Zusammenhang mit anderen keinen Unterschied kennt, kann man sie nicht anschauen und nicht denken. Aber etwas anzuschauen und zu denken und das Nichts anzuschauen und zu denken ist nicht dasselbe. Das Nichts anzuschauen bedeutet nicht, dass man nicht anschaut. Das Nichts zu denken bedeutet nicht, dass man nicht denkt. Das Anschauen des Nichts und das Denken des Nichts haben im Gegensatz zu Anschauen und Denken von etwas jeweils einen Sinn. Insofern besteht das Nichts im Anschauen und im Denken. Somit stellt sich die Frage, was fr einen Sinn das Nichts im Anschauen und im Denken hat. Hegel zufolge ist das Nichts wie das reine Sein »das leere Anschauen und Denken« (GW 11. 44). Dies bedeutet allerdings nicht, dass das Nichts wie das reine Sein bestimmt ist, sondern vielmehr, dass das Nichts wie das reine Sein nicht bestimmt ist. Nur in diesem Sinne der Unbestimmtheit ist das Nichts mit dem reinen Sein zu identifizieren. Wenn Hegel sagt, »das reine Seyn und das reine Nichts ist dasselbe« (GW 11. 44), weist dies weder auf das Sein noch auf das Nichts hin, da dies weder als Sein noch als Nichts bestimmbar ist. Wenn man sagt, dass das Sein das Nichts ist, dann wird das Sein zum Nichts und gleichzeitig das Nichts zum Sein. Aber weder negieren sich das Sein und das Nichts in diesem Fall gegenseitig noch vereinigen sie sich zu einem Dritten. Wenn das Sein das Nichts ist, sind das Sein und das 92
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Nichts vielmehr bereits miteinander vertauscht. Denn das Sein und das Nichts sind dabei nicht identisch, sondern voneinander so unterschieden, dass sie unmittelbar in ihrem Gegenteil verschwinden. Wenn die beiden auf der einen Seite als Unterschiedene sind, auf der anderen Seite in ihrem Gegenteil verschwinden, kann man sowohl das reine Sein als auch das reine Nichts denken.
6.
Das Nichts als das mit dem Sein unmittelbar Identische. Zur Enzyklopdie der philosophischen Wissenschaften (1830)
Im ersten Teil »die Wissenschaft der Logik« der Enzyklopdie der philosophischen Wissenschaften (1830) betrachtet Hegel den Zusammenhang zwischen dem Sein des Absoluten und dem Nichts, indem er das Absolute definiert: »Das Absolute ist das Seyn« (GW 20. 123). Zunchst wird das Absolute in diesem Satz als etwas Seiendes ausgesagt, indem Hegel das Absolute mit dem Prdikat »Seyn« versieht. Dies ist die erste Definition des Absoluten. Aber dieser Satz mit dem Prdikat des Seins ist nur die abstrakteste, rmste Definition des Absoluten, da er keinen anderen Inhalt als das Sein des Absoluten hat. Aus der ersten Definition: das Absolute ist das Sein, entsteht somit die zweite Definition: das Absolute ist das Nichts. Wie die erste Definition des Absoluten ist auch dieser Satz mit dem Prdikat des Nichts nicht mehr als die abstrakteste, rmste Definition des Absoluten, da er keinen anderen Inhalt als das Nichts des Absoluten hat. An dieser Stelle gibt Hegel ein konkretes Beispiel. Wenn man z. B. im Christentum sagt, »daß Gott nur das hchste Wesen und sonst weiter nichts ist« (GW 20. 123), beinhaltet dieser Satz ein Unbestimmtes. Darum ist dieser Satz unbestimmt. Denn wenn man sagt, dass Gott »das hchste Wesen« ist, ist A
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Vom Sein zum Nichts
Gott nur als »Negativitt« beschrieben, ohne bestimmt zu werden, d. h. ohne Seinsbestimmung. Wenn der christliche Gott als »das hchste Wesen« die inhaltslose Leere ist, beinhaltet das Nichts nach Hegels Verstndnis das Abstrakte ohne konkrete Gestalt. Auf diese Weise herausgenommen und an sich betrachtet, ist das Sein das reine Abstrakte, das Negative, das keine Bestimmungen hat. Wenn man dies als »Unmittelbarkeit« auffasst, wird es zum mit sich selbst identischen Sein und dadurch zum Inhaltslosen. Dies bedeutet das Sein auf dieselbe Weise, wie sich die Negation auf sich selbst bezieht. Das Nichts ist hier wie in der Wissenschaft der Logik (1812/13) das Unmittelbare, das nicht durch anderes vermittelt wird und im Satz der Identitt als das unmittelbar mit sich selbst Identische formuliert wird. Eben darum ist es mit dem Sein identisch. Damit entsteht allerdings das Problem, ob man die Wahrheit von Sein und Nichts als »Einheit« der beiden und diese Einheit von Sein und Nichts als »das Werden« bezeichnen kann (GW 20. 124). In diesem Zusammenhang scheint Hegels eigentmliche Logik zu entstehen, die das Sein und das Nichts durch das Werden dialektisch vereinigt. Aber das Sein und das Nichts werden dadurch an sich als Unbestimmbares betrachtet und als solches bestimmt. Mit anderen Worten, sie werden in der Form der Unbestimmtheit bestimmt, d. h. sie werden bestimmt, ohne bestimmt zu werden. Wenn man ber das Sein und das Nichts spricht, formuliert diese Aussage einen widersprchlichen Satz, in dem die beiden als Unbestimmbares bestimmt werden.
Schluss Denken und Sprechen ber das Nichts beschrnken sich nicht darauf, auf logische Widersprche hinzuweisen. Sowohl das 94
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Zu Hegels Auffassung vom Nichts
Denken als auch das Sprechen beziehen sich immer auf das Seiende. Wie aber kann man ber das Nichts denken und sprechen, ohne dass dies ein Nicht-Denken und ein Nicht-Sagen bedeutet? Im Unterschied zum Sein kann das Nichts nicht positiv als etwas Seiendes ausgedrckt werden. Denn das Unmittelbare, das an den Anfang der Logik gestellt werden kann, ist das Unbestimmbare und Inhaltslose. Dieses kann nur negativ als Unsagbares ausgedrckt werden. Aber das Nichts ist nach der Art seiner Negation zu unterscheiden. Das eine ist das Nichts, das das Sein negiert. Die Negation des Seins bedeutet den leeren Ort, wo etwas Seiendes nicht existiert. Dies bedeutet allerdings nicht, dass es nichts gibt, sondern lediglich, dass etwas keine Gestalt annimmt. Das andere ist das Nichts, das den Grund des Seins negiert. Dies bedeutet das »absolute Nichts«, wo das Ganze des Seienden als Nichts verstanden werden kann. Dabei werden das Sein und das Nichts von ihrem gemeinsamen Grund her gedacht. Hier darf man das Nichts nicht als bloßen Mangel des Seins auffassen. Denn das Sein wird gerade da zum Seienden, wo das Sein fehlt. Darum ist das Sein selbst in Gestalt der Abwesenheit bereits an diesem Ort anwesend. Insofern kann man den Grund des Seins als das Nichts definieren, das das Sein berwindet. Somit existiert das Nichts des Seins, da das Nichts das Sein bewirkt und als Seiendes sein lsst. Dadurch dass das Nichts den Gegensatz zwischen dem Sein und dem Nichts berbrckt und beide in sich einschließt, berwindet es die Negation. Das Nichts steht nicht im Gegensatz zum Sein, sondern dient vielmehr als Sttze des Seins, wo die Bestimmungen von Sein und Nichts aufgehoben sind. Das Nichts negiert nicht nur das Seiende, sondern negiert auch die Negation und vereinigt dadurch alles. Es bersteigt sowohl das Denken als auch das Sprechen und wird zum Etwas, damit das A
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Vom Sein zum Nichts
Sein das Sein sein kann. Insofern ist das Nichts weder die Negation des Seins noch das Fehlen von Gestalt noch die Abwesenheit des Seins. Das Nichts sttzt das Sein, wo die Eigenschaft des Seins verloren gegangen ist, und lsst damit das Sein zum Seienden und das Ganze des Seienden zum Absoluten werden. Wenn das Sein von selbst entsteht, braucht es keinen Grund fr seine Existenz. Aber das Nichts zeigt als leerer Grund deutlich, dass es einen solchen Grund nicht geben kann. Das Sein wird zwar als Absolutes vollendet, aber es kann aus dem Grund abgeleitet werden. ber den Gegensatz hinaus weist das Sein auf das Nichts hin, und das Nichts weist umgekehrt auf das Sein hin. Das Nichts kann nicht als etwas Seiendes formuliert werden, aber es weist auf das Sein hin und berwindet das Sein immer in Richtung auf den Grund hin.
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VII. Negativitt und Sein. Zu Hegel und Heidegger
Einleitung In Martin Heideggers Gesamtausgabe Bd. 68 Hegel sind Heideggers zwei Abhandlungen ber Hegel zusammengestellt. Die erste Abhandlung ist von 1938 bis 1939 verfasst und trgt den Titel Die Negativitt. Eine Auseinandersetzung mit Hegel aus dem Ansatz in der Negativitt (1938/39, 1941). Diese Abhandlung ist das Manuskript, das Heidegger in einem kleineren Kreis fr die Lektre von Hegels Wissenschaft der Logik vorgetragen hat. Eine Randbemerkung macht deutlich, dass dieses Manuskript 1941 berarbeitet wurde. Dem Nachwort der Herausgeberin zufolge ist unklar, aus welchem Anlass und fr welchen Hrerkreis Heidegger den Text berarbeitet hat, aber die Aufzeichnungen zur Negativitt mgen vor einem kleineren Kreis von Kollegen vorgetragen worden sein. Die zweite Abhandlung ist das Manuskript fr einen Vortrag von 1942 mit dem Titel Erluterung der »Einleitung« zu Hegels »Phnomenologie des Geistes« (1942). Diese Abhandlung wurde ebenfalls in einem kleineren Kreis vorgetragen und spter unter dem Titel Hegels Begriff der Erfahrung (1942/43) in Holzwege (1950) aufgenommen. In dieser zweiten Abhandlung wird Heideggers Auffassung der Philosophie Hegels zwar deutlich, doch unter der Fragestellung der Negativitt ist die erste Abhandlung von grßerer Bedeutung, vor allem weil Heidegger hier anhand des Begriffs »Negativitt« seine »grundstzliche Auseinandersetzung mit Hegel« vortrgt. Den fnf Kapiteln von A
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Negativitt und Sein
Heideggers Text folgend, soll seine Kritik an Hegel eingehend untersucht werden.
1.
Standpunkt und Prinzip
Im ersten Kapitel »Die Negativitt. Das Nichts – der Abgrund – das Seyn«, das einen berblick ber den gesamten Text gibt, fasst Heidegger den wesentlichen Charakter der Philosophie Hegels in den folgenden zwei Essenzen zusammen: (1) Es gibt keinen noch hheren »Standpunkt« als den Hegels, da Hegels Philosophie bereits den »Standpunkt« des »Selbstbewußtseins des Geistes« erreicht. (2) Hegel konstruiert seinen eigenen Standpunkt, arbeitet ihn in den Bereichen von Natur, Kunst, Recht, Staat und Religion durch und stellt in allen Bereichen das »Prinzip« der Philosophie dar. Zunchst stellt sich die Frage, was der »Standpunkt« der Philosophie Hegels eigentlich ist. Nach der Auffassung Heideggers gibt es keinen noch hheren Standpunkt, der den von Hegel erreichten Standpunkt noch einmal aufheben und dadurch berwinden kann, da Hegels Philosophie alle Standpunkte in sich einschließt. Insofern kann keine Philosophie mit der Hegels konkurrieren. Somit kann auch die Sptphilosophie Schellings nicht als ein »Standpunkt« verstanden werden, der den Standpunkt der Philosophie Hegels aufhebt und berwindet (GA 68. 4). Als man die Philosophie des spteren Schelling als Aufhebung der Philosophie Hegels auffasste, wurde sie zwar im Kontext der Aufhebung der abendlndischen Metaphysik verstanden. Aber es wurde bersehen, dass es schon eigentlich metaphysisch ist, einen Standpunkt zu vertreten. Hegels so genannter »absoluter Idealismus« steht nach Heideggers Verstndnis auf dem Standpunkt des »Bewusstseins« im Sinne des Denkens, das die Idee durch den Begriff 98
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Zu Hegel und Heidegger
zu erfassen sucht. Der Standpunkt des »Bewusstseins« ist nichts anderes als der Standpunkt des Wissens in der Neuzeit, wonach man etwas durch das Bewusstsein wissen will. Dies zielt auf die Gewissheit des unbedingten Bewusstseins, d. h. auf den Standpunkt des Absoluten ab. Somit nimmt die Philosophie Hegels den Standpunkt des Bewusstseins ein, das sich etwas vorstellt, und den der »Subjektivitt«, die an sich keine Beschrnkung hat (GA 68. 12). Das »Prinzip«, die zweite Essenz der Philosophie Hegels, kann verstanden werden einerseits als der Anfang, womit die Philosophie beginnt, andererseits als der Grund, der das Denken von unten sttzt. Das Prinzip der gesamten Philosophie Hegels im Sinne von Anfang und Grund fasst Heidegger im folgenden Grundsatz zusammen: »Substanz ist Subjekt«, oder »Sein ist Werden« (GA 68. 61). Hegel legt den Ausgangspunkt ins »Werden«. Das Werden ist eine Vorstellung von sich selbst und eine Darstellung von sich selbst. Da Hegel, wie Heidegger betont, die Geltung des Prinzips seiner Philosophie in allen Bereichen der Philosophie beweist, kann seine Philosophie als eine Philosophie des Systems charakterisiert werden. In der Neuzeit tritt das Prinzip der Geometrie in die Bereiche der Ideen ein, und dies ermglicht eine systematische Philosophie. Auf diese Weise entsteht die Philosophie als ein System der Wissenschaften. Fr diese Systemkonstruktion ist das Ganze notwendig, das ber alle Bereiche herrschen und sich zugleich von allen Bereichen distanzieren kann. Dieses Ganze ist »das Absolute«. Dadurch dass das Werden den Anfang bildet, entfaltet sich das »Prinzip« und prsentiert sich als Erscheinung. Indem die Erscheinung durch die Erfahrung des Bewusstseins das letztendliche Ziel erreicht, wird dieser »Standpunkt« zum so genannten »absoluten Idealismus«. Dieser Weg bedeutet nach Heideggers Auffassung die Vollendung des Bewusstseins in der Neuzeit, das sich selbst vorstellt, wo alles voll zum BeA
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Negativitt und Sein
wusstsein kommt. Die Vollendung des Bewusstseins in der Neuzeit ist der »Standpunkt« Hegels, der keinen Standpunkt mehr bentigt (GA 68. 32). Da der Standpunkt des absoluten Idealismus das unbedingte Denken ist, beruht dieses Denken auf etwas, was keinen Standpunkt braucht. Somit muss sein Prinzip als »Negation« des Standpunktes verstanden werden. Zwar bedarf der Standpunkt Hegels keines Standpunktes mehr, aber dies bedeutet nicht, dass es bei Hegel keinen Standpunkt gibt. Hegel braucht keinen Standpunkt, da sein Standpunkt schon das Ganze des Seins, d. h. das Absolute erreicht. Allerdings weist die Verzichtbarkeit eines Standpunktes andererseits auf eine Destruktion hin, die die Konstruktion des Standpunktes grundstzlich ablehnt. An dieser Stelle findet Heidegger den Zusammenhang zwischen der »Vorrede« und der »Einleitung« der Phnomenologie des Geistes Hegels. Als Hegel die Logik oder die spekulative Philosophie ursprnglich konzipiert, stellt er ihr die Phnomenologie des Geistes als »Einleitung« voran, die als »Wissenschaft der Erfahrung des Bewusstseins« in die eigentliche Philosophie einfhren soll. Als die Phnomenologie des Geistes erscheint, fgt er die »Vorrede« noch hinzu. Diese »Vorrede« ist einerseits die Voraussetzung fr die »Einleitung« zur Phnomenologie des Geistes, fhrt aber andererseits im großen Rahmen zum »System der Wissenschaft« hin, das von Anfang an geplant ist. Aus diesen Grnden sind Logik und Metaphysik in der spekulativen Philosophie zusammengefasst, die aus Logik und Phnomenologie besteht, und die Metaphysik gehrt dadurch zur Logik, die die Scheidungen des Denkens aufhebt. Auf diese Weise sucht Hegel die Philosophie insgesamt als System der Wissenschaft aufzubauen. In diesem Kontext betont Hegel die Bedeutung der »Negativitt« als Scheidung. Er bezeichnet die Ttigkeit des Scheidens als »die Krafft und Arbeit des Verstandes«, »die un100
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geheure Macht des Negativen«, »die absolute Macht« und »die Energie des Denkens« (GW 9. 18). Nach seiner Auffassung mssen der Ernst, der Schmerz, die Geduld und die Arbeit des Negativen aber zum »Leben des Geistes« weiter gefhrt werden: »nicht das Leben, das sich vor dem Tode scheut und von der Verwstung rein bewahrt, sondern das ihn ertrgt, und in ihm sich erhlt, ist das Leben des Geistes« (GW 9. 27). Das Leben des Geistes gewinnt dadurch seine Wahrheit, dass es im Schmerz der vlligen Scheidung sich selbst wieder findet. Das Leben des Geistes ist nicht die »absolute Macht« in dem Sinne, dass es das Positive ist, das das Negative meidet. Sondern es muss sich vielmehr dem Negativen aussetzen, damit sich das Negative ins Positive verkehrt. Die Negativitt bedeutet ein Auseinanderreißen, die Trennung verdeutlicht den Tod. Aber das Leben des Geistes hlt den Tod aus und geht nicht zu Grunde. Nach Heideggers Auffassung kann ein solcher Tod nicht ernst genommen werden (GA 68. 24), wenn allem Negativen letztendlich die Verwandlung ins Positive garantiert ist. Indem das Leben des Geistes als unbegrenztes die Negativitt in sich enthlt und sich in allen Endlichen auflst, kann es sich selbst beibehalten und alles ausgleichen. Hier scheint das Negative in neutralisierter Form vorzuliegen, aber es ist fraglich, ob dies noch als Negativitt bezeichnet werden kann. Heidegger verbindet den Gedanken ber Tod und Negativitt mit der Phnomenologie des Selbstbewusstseins Hegels. Angesichts des Todes erreicht das Selbstbewusstsein bereits in der Phnomenologie des Geistes die Negativitt. Aber die Erfahrung von Schicksal und Macht wird in der Bewegung des Lebens zum Absoluten aufgehoben. Spter, in der »absoluten Beziehung« der Wissenschaft der Logik, wandelt sich die Scheidung, die als »absolute Macht« angreift, zur »Negativitt«, die sich auf sich selbst bezieht, und entwickelt sich zur »absoluten Negativitt«. Hier sieht Heidegger den »innersten A
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Quell aller Ttigkeit« (GA 68. 27). Das Ende der Wissenschaft der Logik verdeutlicht zwar das Unmittelbare, aber dieses Unmittelbare geht ber in die Negativitt und erreicht schließlich die Negativitt der Negativitt. Damit kann der Begriff der »Negativitt« als »innerster Quell aller Thtigkeit, lebendiger und geistiger Selbstbewegung« in der Wissenschaft der Logik als einfacher Punkt der negativen Beziehung auf sich selbst verstanden werden (GW 12. 246). Hegel bezeichnet in diesem Sinne den Begriff der »Negativitt« als »dialektische Seele«.
2.
Unterschied und Bewusstsein
Im zweiten Kapitel »Der Fragebereich der Negativitt« betrachtet Heidegger den Begriff der Negativitt Hegels, indem er seine Aufmerksamkeit auf die Ttigkeit des Bewusstseins richtet, das das eine bestimmt und das andere negiert. Zunchst unterscheidet Heidegger drei Bedeutungen des Begriffs der Negativitt bei Hegel (GA 68. 17 f.): Die erste Negativitt ist die unmittelbare, unbestimmte, abstrakte Negativitt. Sie bedeutet »das reine Nichts«, das weder bestimmt noch negiert wird. Da hier weder etwas unterschieden noch entgegengesetzt wird, ist es nicht beschrnkt. Die zweite Negation ist die mittelbare, vermittelte Negation. Sie ist wie z. B. die »Subjekt-Objekt-Beziehung« die Beziehung, in der das eine vom anderen und das andere vom einen wechselseitig abhngig ist. Wenn das eine als Subjekt betrachtet wird und vom anderen als Objekt unterschieden wird, dann entsteht dadurch eine gegenseitige Bedingtheit, und die beiden werden durch diese Beziehung festgelegt. Die dritte Negativitt ist die konkrete, unbedingte, absolute Negativitt, d. h. »die Negation der Negation«. Sie ist wie z. B. das Selbstbewusstsein und das absolute Wissen die Negativitt, die die Negativitt negiert und dadurch jede Bedingung auflst. 102
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Diesen drei Bedeutungen der Negativitt ordnet Heidegger die dreifachen Formen »des unmittelbaren, mittelbaren, unbedingten Bewußtseins« als Entsprechungen zu (GA 68. 37). Entsprechend den drei Formen der Negativitt entwickelt sich das Bewusstsein vom unmittelbaren ber das mittelbare zum absoluten Bewusstsein. Das unmittelbare Bewusstsein verndert sich durch die Negativitt zum Bewusstsein von etwas. Dadurch wird es zum mittelbaren Bewusstsein. Das Bewusstsein wird zum Subjekt und trennt sich dadurch vom Objekt. Dabei ergibt sich zuerst ein Unterschied, und die Unterschiedenen sind gegeneinander beschrnkt und werden im Unbedingten wieder zurckgewonnen. Dieser Prozess ist der Weg des Bewusstseins, das zum absoluten Bewusstsein fortschreitet. Die Vorstellung von etwas kehrt zur Vorstellung von sich selbst zurck. Das absolute Bewusstsein ist die unbedingte, absolute Negativitt, indem sie sich durch den Unterschied auf sich selbst bezieht. Auf diese Weise geht der Unterschied durch die Negativitt der Negativitt zum Absoluten ber. Hegels Begriff der Negativitt ist durch die Unterscheidung von Subjekt und Objekt durch das Bewusstsein bestimmt. Das Bewusstsein, wie ich mir etwas vorstelle, ist als Unterscheidung zu betrachten. Die Unterscheidung charakterisiert die Seinsweise des Bewusstseins, das sich etwas vorstellt. Der wesentliche Charakter des Bewusstseins liegt in der Trennung von Subjekt und Objekt, das Bewusstsein beinhaltet die Unterscheidung selbst. Dann aber stellt sich die Frage, wo der Grund der Negativitt liegt, in dem Subjekt und Objekt getrennt werden knnen. Zwar kann das Nichts, das das Sein negiert, nicht vom Sein unterschieden werden, da das Sein nach Hegels Auffassung an sich das Nichts ist. Wenn das Sein als das Seiende verstanden wird, kann es weder Unterschied noch Negativitt geben. Aber wenn das Sein vom Nichts nicht unterschieden A
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werden kann, dann ist der Begriff der Negativitt nach der Auffassung Heideggers nicht als dasjenige Nichts zu verstehen, das vom Sein nicht unterschieden werden kann (GA 68. 19). Somit stellt Heidegger die Frage, ob der Unterschied nicht in der Negativitt des Bewusstseins besteht, wie Hegel behauptet, sondern ob er vielmehr darin besteht, dass das Sein als das Seiende verstanden wird.
3.
Das Sein und das Seiende
Im dritten Kapitel »Die Unterscheidung von Sein und Seiendem« macht Heidegger »das Zwischen« von Sein und Seiendem zum Thema (GA 68. 43 f.). Wenn man zwar im Sein seinen Grund findet, aber das Sein ablehnt und nicht im Sein, sondern im Seienden seinen Grund zu finden sucht, lst sich das Sein auf. Heidegger sieht bereits im Begriff der Negativitt Hegels solche Anzeichen der Auflsung. Wenn das Sein als Seiendes und dadurch als getrennt vom Nichts entstanden aufgefasst wird, lst sich das Sein auf. Gerade in diesem Augenblick treten sowohl das Unmittelbare als auch das Unbestimmbare hervor und erscheinen als Entgegengesetztes. Die unbedingte, absolute Negativitt im Sinne Hegels ist weder die abstrakte Negativitt noch die bloße Hinzufgung der Negativitt. Weil nicht die absolute Negativitt durch die abstrakte Negativitt, sondern umgekehrt weil die abstrakte Negativitt durch die absolute Negativitt wirklich wird, ist die absolute Negativitt nichts anderes als die Produktivkraft der Wirklichkeit. Aber es ist ein Problem, woraus die absolute Negativitt im Sinne Hegels entsteht. Denn im Unbedingten als absoluter Anfang entsteht der Unterschied noch nicht. Obwohl das Absolute nicht bedingt ist, richtet sich das Sein im weiteren Sinne auf das Seiende. Die Unterscheidung 104
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von Sein und Seiendem bezeichnet Heidegger in einer Randbemerkung von 1941 »nur als vordergrndliche, in Wahrheit verderbliche Fassung des Verhltnisses von Sein und Seiendem« (GA 68. 43). Das Sein selbst ist die Unterscheidung, whrend Unterscheidungen wie z. B. Vorstellung, Hinzufgung, Vergegenstndlichung, Ausgleichung usw. nicht vom Seienden unterschieden sind. Die Unterscheidung von Sein und Seiendem ist »noch metaphysisch«, da die Unterscheidung in den Vordergrund rckt. Denn die Unterscheidung gleicht die Unterschiedenen aus und lsst das Sein zum Seienden werden. Somit zeigt sich das, was Heidegger »das Sein« nennt, bei Hegel als »Wirklichkeit«. Die Wirklichkeit umfasst die Gesamtheit des Seienden als Vorgestelltes. Die Wirklichkeit ist die Vernunft, die sich selbst als unbedingt vorstellt und dadurch sich selbst als das Absolute erkennt. Von hier aus knnen die oft missverstandenen Worte Hegels in den Grundlinien der Philosophie des Rechts: »Was vernnftig ist, das ist wirklich; und was wirklich ist, das ist vernnftig«, neu interpretiert werden (GA 68. 10). Dieser Satz besagt nicht, dass die Wirklichkeit den Ansprchen gengt, die vernnftige Menschen an sie stellen. Vielmehr formuliert dieser Satz den Grundsatz, der das Wesen des Seins bestimmt. Mit anderen Worten ist das Sein von der Vorstellung geprgt, die unbedingt sich selbst darbieten kann. Da dies die Ttigkeit der Vernunft ist, bedeutet dieser Satz Hegels keine praktische Regel fr das Seiende, sondern drckt lediglich aus, dass das Seiende das Seiende ist. Insofern hat das, was Hegel als »Sein« versteht, Heidegger zufolge lediglich den »Gegenstand« zum Inhalt. Der Begriff des Seins ist dadurch bestimmt, dass es unbestimmbar ist. An diesem Ort, wo das Negative als Unterschied dominiert, beinhaltet Hegels Logik, die eigentlich das Sein thematisiert, lediglich die Metaphysik, die das Sein als das Seiende artikuliert. A
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Damit fragt Heidegger ber den Begriff der Negativitt Hegels hinaus nach dem »Grund« der Negativitt. Dann geht er bis in die Tiefe, die sich hieraus offenbart, verbindet sie mit der Erfahrung des Nichts beim Tod und fordert die Auflsung der Metaphysik. Die Erfahrung des Nichts und die Ablehnung des Seins radikalisiert Heidegger zur Auflsung der Metaphysik, die das Seiende im Sein begrndet und im Grunde das Sein selbst sttzt. Was nicht das Seiende ist, bedeutet weder das Sein noch das Nichts. Im Gegensatz dazu hat das Nicht-Sein die Bedeutung, zum »Nichts« des Grundes zu gelangen. An diesem Ort ist das Sein selbst ebenso wie das Nichts vorhanden und umfasst das Nichts in sich selbst. »Warum ist berhaupt Seiendes und nicht vielmehr nichts?« (GA 68. 30). Diese Frage Heideggers wurzelt ber den Grund der Negativitt hinaus tief im Nichts des Grundes.
4.
Grund und Abgrund
Im vierten Kapitel »Lichtung – Abgrund – Nichts« fragt Heidegger ber den Grund der Negativitt hinaus nach dem Nichts des Grundes, indem er den neuen Begriff »Lichtung« einfhrt. Ursprnglich bedeutet die Lichtung das Licht, das bei schlechter Sicht entsteht. Heidegger versteht unter Lichtung etwas Seiendes, das mit Licht angestrahlt wird. Dies bedeutet, bei Licht etwas vorzustellen und es zum Seienden zu machen. Mit anderen Worten beinhaltet eine Vorstellung die Vernderung von etwas zum Seienden. Aber wenn man etwas als Seiendes vorstellt, dann muss schon im voraus ein Gefge, ein Mechanismus, eine Struktur vorhanden sein, um eine Vorstellung zu ermglichen. Bei Licht wird etwas als Seiendes verstanden. Im Licht allerdings steckt der Abgrund, der die Sttze des Seienden ablehnt. Dies bedeutet, dass das Nichts als Ablehnung im Seien106
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den steckt. Die Lichtung ist das Licht, das vom Abgrund her erscheint und daher durch das Seiende nicht aufzuklren ist. Die Lichtung besteht im »Zwischen« von Sein und Seiendem und ist »der Ab-grund als Grund«, der alles Seiende insgesamt negiert (GA 68. 45). Sie ist nicht das Daseiende, sondern der »Grund«, der durch die Negativitt sich selbst verneint. Im Abgrund verliert die Negativitt den Grund, der alles Seiende sttzt. Dies ist eine Negativitt, wie sie z. B. beim Tod erfahren wird. Hegel spricht zwar vom Leben des Geistes, das den Tod ertrgt. Doch Heidegger hlt diese Negativitt fr unzureichend, da sie durch das Leben des Geistes berwunden wird. »Hegels Negativitt ist keine, weil sie mit dem Nicht und Nichten nie ernst macht, – das Nicht schon in das ›Ja‹ aufgehoben hat« (GA 68. 47). Dann aber stellt sich die Frage, warum der Gegensatz von Ja und Nein, Leben und Tod, Sein und Nichts berwunden und aufgehoben ist. Die Affirmation ist die Negativitt, das Leben ist der Tod, und das Sein ist das Nichts, nicht weil die Gegenstze ununterschieden sind, sondern weil sie unterschieden und zugleich im Grunde vereint sind. Auf der Grundlage des Urteilens, das das Seiende affirmiert oder negiert, versteht Hegel die Negativitt und erfhrt dadurch den Tod. Aber dies ist nach der Auffassung Heideggers so metaphysisch, dass das Seiende vorgestellt und zum Bewusstsein zurckgefhrt wird. Von hier aus kann man erkennen, dass die Negativitt bei Hegel im Absoluten affirmiert und aufgelst wird. Da aber die Negativitt fr das unbedingte Denken der Menschen das Leben ist, muss das Ganze der Negativitt von Anfang an fr das Denken gegeben sein. Somit ist die Frage nach dem Grund der Negativitt im Sinne der Grundlosigkeit »sinnlos«. Da die Negativitt wesentlich zur Ttigkeit des Subjektes gehrt, kann die Frage nach der Negativitt selbst nicht gestellt werden – nicht weil sie »nicht fragwrdig« ist, sondern weil sie »nicht fragbar« ist (GA 68. 37). Weder im System, das die MetaA
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physik vollendet, noch in der Geschichte der Metaphysik fragt Hegel nach der Negativitt. Dies bedeutet, dass er nicht nach dem Denken als prinzipielle Kraft fragt, die das Wesen der Menschen bestimmt. Der metaphysische Gedanke bei Hegel spricht vom Seienden und hlt dadurch die stndige Beziehung mit dem Seienden aufrecht. Dies bedeutet nicht nur, dass das Seiende vorgestellt und bestimmt wird, sondern auch, dass das Sein zum Seienden wird und als Seiendes festgelegt wird. Ob das Denken sich auf das Seiende bezieht, kann die Negativitt nicht fragen. Vielmehr wird die Negativitt als Negation der Negation im Positiven begrndet und wird durch das unbedingte Wissen von sich selbst zum Selbstbewusstsein. Diese absolute Gewissheit durch die Selbstaffirmation bezeichnet Hegel als Wahrheit. Infolge der Unmglichkeit, nach der Negativitt zu fragen, ist es ihm unmglich, nach dem Wesen des Denkens zu fragen. Somit bedeuten »Lichtung – Abgrund – Nichts« bei Heidegger nicht etwas Leeres, sondern im eigentlichen Sinne das Sein selbst. Die Negativitt wird im metaphysischen Denken zum Positiven zurckgefhrt und als Positives begriffen. Das Nichts ist zwar fr das Sein der Abgrund, aber es macht das Wesen des Seins aus. Das Denken ber das Nichts bedeutet die Frage nach der Wahrheit des Seins und die Erfahrung des Nichts des Seienden. Insofern verfllt das Denken des Nichts keineswegs in den Nihilismus. Der Nihilismus besteht vielmehr darin, das Nichts zu vergessen, das Seiende zu verlieren. Der Nihilismus vergisst die Erfahrung des Nichts und der Ablehnung und verdeckt dadurch die Negativitt des Grundes. Im Unterschied hierzu ist der Abgrund, der den Grund zum Scheitern bringt, fr das Nichts die erforderliche Sttze und der notwendige Grund. Das Nichts des Abgrundes ist der Verzicht auf den Grund und die Absage an die Sttze, die im Seienden besteht. Dies ist die hchste Aufrechterhaltung des 108
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Unterschiedes von Leben und Tod, Positivitt und Negativitt, Ja und Nein, Sein und Nichts, Sein und Seiendem. Das Nichts bedeutet das Wesen des Seins nicht im Sinne von bloßem Nicht-Sein, sondern im Sinne der Abtrennung des Grundes. Dies drckt Heidegger folgendermaßen aus: »Das Seyn als Abgrund ist das Nichts« (GA 68. 48). In der Metaphysik, in der das Sein als Seiendes verstanden wird, bedeutet das Nichts lediglich das zum Seienden Hinzugefgte. Wenn Hegel das Nichts und das Sein zu verknpfen sucht, kann das Nichts nach der Auffassung Heideggers nur abstrakt und einseitig erfasst werden. Denn Hegel stellt das Sein als Gegenstand und als Seiendes vor, whrend Heidegger zufolge das Nichts nur als das Unbedingte, Unvermittelte und Undenkbare aufgefasst werden kann.
5.
Hegel
Im fnften Kapitel »Hegel« fragt Heidegger nach dem Anfang, mit dem die Philosophie beginnt, und nach dem Ende, auf das sie abzielt. Dann stellt er die Frage, worin der Anfang und das Ende der Philosophie Hegels besteht. Hegel bestimmt in der Phnomenologie des Geistes das absolute Wissen als das hchste Ziel des Bewusstseins. Die Erfahrung des Bewusstseins beginnt mit der Unmittelbarkeit des Wissens, und ihr Endziel besteht im absoluten Wissen. Aber nach der Auffassung Heideggers bedeutet der »Anfang« der Philosophie nicht den Ort, an dem die Philosophie beginnt, sondern den Ort, an dem sie stehen bleibt, oder vielmehr den Ort, der noch vor dem Beginn der Philosophie liegt. Somit ist das reine Wissen bei Heidegger das Ende der Erfahrung des Bewusstseins, dagegen bei Hegel der Anfang der Philosophie. Wenn dieser Anfang alles in sich enthlt, kann es hier keinen Unterschied geben. Da das Selbstbewusstsein des Geistes hier A
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Negativitt und Sein
seinen Anfang hat, zielt die Logik auf die Gewissheit des Selbstbewusstseins und strebt nach einem hheren Standpunkt als dem Selbstbewusstsein des Geistes. Obwohl bei Hegel das Ziel der Philosophie in der Gewissheit des Selbstbewusstseins liegt, bleibt er nach der Auffassung Heideggers auf der Stufe der »Christlichkeit« stehen. Nicht nur Hegel und der Deutsche Idealismus, sondern alle Philosophien grnden, ohne diese grundlegende Seinsweise der Gewissheit des Selbstbewusstseins zur Diskussion zu stellen, in dieser »Christlichkeit«, die dem Seienden Sinn und Ziel vorgibt (GA 68. 53). Diese christliche Zielsetzung kann bis zu Platon zurckverfolgt werden, der im Licht der Idee das Sein als Seiendes betrachtet und dadurch das Sein aus dem Blick verliert. Auch Nietzsche entdeckt verborgene christliche Elemente bei Hegel. Darber hinaus unterstellt Nietzsche durch die Umkehrung der Metaphysik das Denken dem »Leben« und berwindet hierdurch den Historismus des Wissens. Aus diesen Grnden kann Nietzsche nach der Ansicht Heideggers »eine andere Geschichtlichkeit des Denkens« beginnen (GA 68. 53 f.). Diese andere Geschichte des Denkens besagt, dass das Wissen durch die Negation seiner selbst dialektisch hhere Wissensformen hervorbringt. Heidegger weist allerdings den Gedanken Hegels zurck, dass das Endliche dialektisch auf das Unendliche hinweist. Hegels Dialektik nimmt die geschichtliche Entwicklung als Entfaltung der Substanz auf. Die Bestimmung des Endlichen verkehrt sich ins Gegenteil. Die Negativitt behlt der Bestimmung gegenber die berlegene Position bei, indem sie weder in der Negativitt verharrt noch vom Positiven abhngt, sondern indem sie sich entwickelt. In der Geschichte verknpft Hegel die Negativitt und die Dialektik. Damit vereinigen sich in der Geschichte die Negativitt und die Erfahrung des Todes. Nicht die absolute Affirmation, sondern die absolute Negativitt, damit das Positive wieder rck110
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gngig gemacht werden kann, verknpft sich mit der Erfahrung des Todes. An dieser Stelle vollzieht Hegel die entscheidende Wende. Denn die Dialektik verschiebt die Substanz zum Subjekt. Die Negativitt des Absoluten fhrt sich selbst zur Vollendung, aber der Geist wird dadurch vom Schmerz des Schicksals als Negatives befreit und schließt als vollendeter sich selbst ein.
Schluss Trotz der Auffassung Heideggers bleibt es doch fraglich, ob das Prinzip der Philosophie Hegels als »Negativitt« bezeichnet werden kann, denn Hegel fasst das Negative immer sowohl am Anfang als auch am Ende als das Positive auf. Da Hegel das Leben des Geistes als Negativitt versteht, kann er mit dem einheitlichen Leben anfangen und dann zur Trennung weiterschreiten. Die Negativitt besteht nicht nur darin, durch die Bestimmung eine Unterscheidung vorzunehmen, sondern auch darin, zum Positiven in hherer Gestalt zu gelangen. Insofern versteht Hegel den Tod notwendigerweise als »Begriff«. Der Tod ist kein Einfaches, sondern ein Getrenntes. Aber er wird mit dem Leben des Geistes verbunden. Er versteckt sich im Abgrund des Lebens. Eben an diesem Ort findet Heidegger die aufgehobene Negativitt, die Hegel in den Abgrund hineinverlegt.
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ALBER PHILOSOPHIE
Joji Yorikawa https://doi.org/10.5771/9783495997017 .
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A
Das System der Philosophie und das Nichts https://doi.org/10.5771/9783495997017 .
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Textnachweise
Einleitung. – Erstverffentlichung. I.
Hegel, Hlderlin und Schelling. Der Verfasser des ltesten Systemprogramms des deutschen Idealismus. – In: Hegel-Jahrbuch 1999 (2000).
II.
Die Schritte des Denkens. Zur Entwicklung der Philosophie Hegels. – In: Hegel-Jahrbuch 1997 (1998).
III. System und Freiheit. Schelling und der Deutsche Idealismus. – In: HegelJahrbuch 2005 (2005). IV. Die Frage nach dem Absoluten und nach dem Nichts. Zur Entwicklung und Wende der Philosophie Schellings. – In: Journal of International Affairs No. 120 (2003). Institute of International Affairs, Aichi University. V.
Vom Grund zum Ungrund. Zu Heidegger und Schelling. – In: Journal of International Affairs No. 123 (2004). Institute of International Affairs, Aichi University.
VI. Vom Sein zum Nichts. Zu Hegels Auffassung vom Nichts. – In: Journal of International Affairs No. 124 (2004). Institute of International Affairs, Aichi University. VII. Negativitt und Sein. Zu Hegel und Heidegger. – In: Journal of International Affairs No. 125 (2005). Institute of International Affairs, Aichi University. Die bereits publizierten Texte wurden fr die Verffentlichung in diesem Band berarbeitet.
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Joji Yorikawa https://doi.org/10.5771/9783495997017 .