Hegel über Leben und Natur: Sinn und Aktualität 3826085620, 9783826085628

›Leben‹ und ›Natur‹ sind zwei Begriffe, die in Hegels System auf den ersten Blick nicht so deutlich miteinander zusammen

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German Pages 254 Year 2024

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Table of contents :
Frontmatter
Klaus Vieweg Die Wahlverwandtschaft
Arata Nakashima Zum Materiebegriff in Hegels Naturphilosophie
Christian Illies Von Kühen lernen
Taiju Okochi Normale Abnormität
Young Woo Kwon Life as a Contradiction between Nature and Spirit
Ryosuke Ohashi Das Problem des „Lebens“ in der Hegelschen Logik
Shuhei Kimoto Duality of Life in Hegel’s Logic
Weimin Shi Die Wahrheit und der Weg zu der Wahrheit in der »Phänomenologie des Geistes«: Realismus oder Idealismus?
Shunsuke Kudomi „Die Zeiten des Bunds unserer Geister“
Chong-Fuk Lau Sprache als Leben in der Natur
Hao Chen Beyond Nature and Contract
KiHo Nahm Das teleologische Verhältnis zwischen Natur und Leben in Hegels Philosophie der Religion
Ralf Beuthan Durch Philosophie interkulturell leben lernen?
Yuka Okazaki Sex Difference in Hegel’s Logic
Backmatter
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Hegel über Leben und Natur: Sinn und Aktualität
 3826085620, 9783826085628

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Taiju Okochi (Hrsg.)

Hegel über Leben und Natur Sinn und Aktualität

Königshausen & Neumann

Taiju Okochi (Hrsg.) — Hegel über Leben und Natur

Hegel über Leben und Natur Sinn und Aktualität

Herausgegeben von Taiju Okochi

Königshausen & Neumann

Gedruckt mit Unterstützung der Kyoto University.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

© Verlag Königshausen & Neumann GmbH, Würzburg 2024 Gedruckt auf säurefreiem, alterungsbeständigem Papier Umschlag: skh-softics / coverart Umschlagabbildung: LiliiaRudchenko: Abstrakte Wasserblasen © envato.com Alle Rechte vorbehalten Dieses Werk, einschließlich aller seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Printed in Germany ISBN 978-3-8260-8562-8 eISBN 978-3-8260-8563-5 www.koenigshausen-neumann.de www.ebook.de www.buchhandel.de www.buchkatalog.de

Vorwort

In diesem Band werden Arbeiten vorgelegt, die im Zusammenhang mit der vierten Tagung des ostasiatischen Hegel-Netzwerks in Kyoto entstanden sind. Die Tagung fand vom 21. bis zum 23. September 2022 an der Kyoto-Universität in Japan statt. Dort haben sich 15 Referent:innen aus Deutschland sowie aus Korea, China, Taiwan, Hong Kong und Japan versammelt und drei Tage lang über das Thema „Leben und Natur bei Hegel“ diskutiert. Die meisten Aufsätze in diesem Band stammen aus den Vorträgen, die auf der genannten Tagung gehalten wurden. Als Organisator der Tagung danke ich der Japan Society for the Promotion of Science für die finanzielle Förderung (KAKENHI: 18K00009) sowie der Japanischen Hegel-Gesellschaft für die organisatorische Unterstützung. Das ostasiatische Hegel-Netzwerk wurde von den HegelForschern aus Ostasien gegründet, auf Vorschlag von Prof. Dr. Klaus Vieweg (Universität Jena). Die erste Tagung fand an der Tunghai Universität in Taichung (Taiwan) im September 2013 statt. Dem folgte eine zweite Tagung an der Yonsei Universität in Seoul 2015, und eine dritte an der Fudan Universität in Shanghai (VR China) im Dezember, 2018. Der vorliegende Band stellt die erste umfangreiche Buchveröffentlichung des ostasiatischen Hegel-Netzwerks dar. Die nächste, fünfte Tagung ist für den Herbst 2025 in Hong Kong geplant. Als Thema der vierten Tagung, damit zugleich dieses Bandes, wurden die für die heutige internationale Hegel-Forschung durchaus zentrale Begriffe „Leben“ und „Natur“ gewählt. Die Beiträger:innen beschäftigen sich mit verschiedenen philosophischen Aspekten dieser beiden Begriffe, gemeinsam ist das Interesse an ihrer philosophischen Relevanz und im Blick auf die Aktualität von Hegels Denken. „Leben“ ist für Hegel an erster Stelle eine logische Kategorie, die zwar zur Idee als der höchsten logischen Kategorie gehört, die aber dennoch ihre unmittelbare, damit erste Stufe ausmacht. Der Ursprung dieses Konzepts vom Leben als Idee lässt sich bis zum jungen Hegel zurückverfolgen. Es war die höchste Idee, wo die Gegensätze versöhnt

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werden sollten. Der Lebensbegriff spielt ebenfalls eine wichtige Rolle für die Konstruktion des Selbstbewusstseins in der Phänomenologie des Geistes und nicht zuletzt beim Begriff des Organismus als realisierte Idee in der Naturphilosophie der Enzyklopädie. Der Gedanke des Lebens kann in Hegels systematischer Philosophie als ein Model seiner Dialektik gelten: Das Leben ist das Ganze, das sich selbst einerseits spaltet und negiert, aber auch als solches sich selbst erhält und vereinheitlicht. Die Natur wird systematisch gesehen erst im zweiten Teil des Systems thematisch. Sie ist die äußerlich gewordene Idee, die wieder in den Geist zurückkommen muss. Aber wenn man in diesem systematischen Konzept von der Degradierung der Natur bei Hegel spricht, verfehlt man den Kerngedanken. Die Idee, die sich nicht verwirklichen kann, ist für Hegel keine. Das Leben als Idee hat in der Naturphilosophie in der Form des Organismus seinen Platz. Hier sieht er den Selbstformierungs- und Idealisierungsprozess in der Natur selbst: Natur ist eine Art ‚Genealogie des Geistes‘. Es ist entscheidend, dass sich Hegel viele damalige naturwissenschaftliche Kenntnisse aneignet und in sein philosophisches System integriert hat. Leben und Natur sind aber nicht nur logische oder naturphilosophische Themen, sondern sie werden auch in der Philosophie des Geistes thematisch. Dies gilt sowohl für die Behandlung des subjektiven, objektiven und absoluten Geistes, u. a. für die Anthropologie, die Philosophie des Rechts, für die Philosophien der Religion und der Kunst. Die Texte versuchen auch den produktiven Dialog zwischen der ostasiatischen Philosophie und einem der größten westlichen Denker fortzusetzen. Die ostasiatische Hegel-Forschung kann schon auf gut 140 Jahre Geschichte zurückschauen und hat in jedem Land auf je eigene Sprache je eigene Entwicklungen erfahren. Von erheblicher Bedeutung bleibt die Intensivierung der philosophischen Kooperation. Wir freuen uns, dass wir in diesem Band, nicht nur unter den ostasiatischen Dialog, sondern auch den Austausch mit deutschen Hegel-Forschern fortgeführt haben.

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Traurigerweise können wir aber diese Publikation nicht mehr mit einem der Beiträger dieses Bandes, Herrn Professor KiHo Nahm, mitfeiern. Am 3. September, 2023, in mitten der Vorbereitung dieses Bandes, ist er plötzlich verstorben. Sein Denken bleibt mit seinem Text präsent in diesem Band, der ihm gewidmet ist. Der Heraugeber Kyoto, 23. Nov. 2023

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Abkürzungen

AA : Br. :

Immanuel Kant, Gesammelte Schriften, Berlin 1900ff. Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Briefe von und an Hegel, Hamburg: Felix Meiner, 1969. EL : Georg Wilhelm Friedrich Hegel, The Encyclopedia Logic, with the Zusätze. Part I of the Encyclopedia of Philosophical Sciences with the Zusätze, T.F. Geraets, W.A. Suchting and H.S. Harris, Indianapolis 1991. Enz : Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften im Grundrisse 1830 I-III. Mit den mündlichen Zusätzen, in: TWA 8-10. (Mit Paragraphnummer nach § angegeben). Enz (1817) : Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften im Grundrisse (1817), in: GW 13. Enz (1827) : Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften im Grundrisse (1827), in: GW 19. GA : Johann Gottlieb Fichte, Gesamtausgabe der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Stuttgart-Bad Cannstatt 1962ff. GW : Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Gesammelte Werke, Hamburg 1968ff. HKA : Friedrich Wilhelm Joseph Schelling, Historisch-Kritische Ausgabe, Stuttgart 1976ff. KrV : Immanuel Kant, Kritik der reinen Vernunft. (Erste Ausgabe: A/Zweite Ausgabe: B). PN : Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Philosophy of Nature. Part Two of the Encyclopedia of the Philosophical Sciences (1830), A.V. Miller (trans), Oxford 2004[1970]. PR : Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Elements of the Philosophy of Right, Allen W. Wood (eds.), H. B. Nisbet (trans.), Cambridge 1991.

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SL :

Georg Wilhelm Friedrich Hegel, The Science of Logic, Translated by George di Giovanni, Cambridge University Press 2010. StA : Friedrich Hölderlin, Sämtliche Werke. Stuttgarter HölderlinAusgabe, (Hrsg.) Beissner, Friedrich und Beck, Adolf, Stuttgart 1943ff. SW : Friedrich Wilhelm Joseph Schelling, Sämtliche Werke, Stuttgart u. Augsburg 1856ff. TWA : Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Werke in zwanzig Bänden, Frankfurt am Main 1969ff. Vorl. : Georg Wilhelm Friedrich Hegel. Vorlesungen. Ausgewählte Nachschriften und Manuskripte, Hamburg, 1983ff.

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Inhaltsverzeichnis

Vorwort ..................................................................................................... 5 Abkürzungen ........................................................................................... 9 Natur Klaus Vieweg Die Wahlverwandtschaft – Hegels Philosophie der Natur und essentielle philosophische Kategorien ........................................... 15 Arata Nakashima Zum Materiebegriff in Hegels Naturphilosophie. Warum sind der Raum und die Zeit vor der Materie da? ........................ 27 Christian Illies Von Kühen lernen. Mit Hegel zur Naturphilosophie und einer Sittlichkeit des Naturumgangs ................................................. 41 Leben Taiju Okochi Normale Abnormität. Die Krankheit zum Tode in Hegels Lehre über den Organismus ......................................................... 67 Young Woo Kwon Life as a Contradiction between Nature and Spirit ................................. 83 Ryosuke Ohashi Das Problem des „Lebens“ in der Hegelschen Logik (Die überarbeitete Fassung) ...................................................................... 97 Shuhei Kimoto Duality of Life in Hegel’s Logic: Proto-conceptual Agency and Its Conceptual Articulation ............................................................. 113

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Auf dem Weg zum System Weimin Shi Die Wahrheit und der Weg zu der Wahrheit in der Phänomenologie des Geistes: Realismus oder Idealismus? .............. 129 Shunsuke Kudomi „Die Zeiten des Bunds unserer Geister.“ Leben als Schlüsselbegriff der Frankfurt-Homburger Konstellation .. 147 Geist und Leben/Natur Chong-Fuk Lau Sprache als Leben in der Natur................................................................ 171 Hao Chen Beyond Nature and Contract: Hegel’s Property Theory based on “Personality” ............................................................................. 181 KiHo Nahm Das teleologische Verhältnis zwischen Natur und Leben in Hegels Philosophie der Religion......................................................... 195 Kultur und Leben/Natur Ralf Beuthan Durch Philosophie interkulturell leben lernen? Perspektiven interkultureller Philosophie nach Hegel, Husserl und Heidegger ................................................................ 211 Yuka Okazaki Sex Difference in Hegel’s Logic............................................................... 233 Die Beitragenden ...................................................................................... 251

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Natur

Klaus Vieweg Die Wahlverwandtschaft Hegels Philosophie der Natur und essentielle philosophische Kategorien

Der Abschnitt zur Philosophie der Natur erfährt in der zweiten und dritten Ausgabe von Hegels Enzyklopädie beträchtliche Erweiterungen und integriert wichtige Darstellungen aus den Berliner Kollegs, die insgesamt sechsmal stattfanden – den Semestern 1819/20, 1821/22, 1823/24 und 1825/26 lag die Enzyklopädie I zugrunde, 1828 die Enzyklopädie II und 1830 die III. Wie es die drei Ausgaben und auch die Vorlesungsnachschriften belegen, erfolgt eine beständige Umarbeitung: Schon die Nachschrift Ringiers von 1819/20 zeigt, dass hier nicht nur die Haupteinteilung von Mechanik, Physik und Organik, sondern auch wesentliche Punkte die Gliederung der Berliner Enzyklopädie vorweggenommen sind. 1 Zur Vorlesung 1823/24 wird eine neue Einleitung konzipiert und zusammen mit dem Kolleg von 1825/26 die direkte Brücke zur Enzyklopädie von 1827 geschaffen. Gleich in seiner Einleitung von 1827 insistiert Hegel darauf, die differenten Perspektiven der Naturwissenschaft und der Naturphilosophie nicht einzuebnen. Wie im Falle von Rechtwissenschaft und Rechtsphilosophie oder von Geschichtswissenschaft und Geschichtsphilosophie ist eine präzise Unterscheidung vonnöten, etwa zwischen dem positiven Recht und dem Vernunftrecht. Hegel spricht von Verhaltungsweisen zur Natur, Betrachtungsweisen der natürlichen, der wissenschaftlich-physikalischen und der philosophischen Perspektive. Letztere respektiert den Inhalt der ‚sinnigen Betrachtungen‘ der Naturforschung, speziell das in diesen 1

Die Überlegungen folgen in wesentlichen Teilen dem Abschnitt über Hegels Naturphilosophie in: Klaus Vieweg: Hegel. Der Philosoph der Freiheit, München 2019. Vgl. auch Hegel: Ringier-Nachschrift Naturphilosophie, 199. Dort finden sich weitere Informationen zu dieser ersten Vorlesung Hegels über Naturphilosophie, 197f.

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Wissenschaften generierte Allgemeine der Naturgesetze. Hegels bereits aus Stuttgart und Tübingen bekanntes Faible für die Naturwissenschaften offenbart sich in dem bemerkenswerten Fundus des rezipierten Gedankengutes – die Spannbreite reicht von Kepler und Newton über Lamarck und Cuvier, Laplace, Volta und Berthollet bis hin zu den Berliner Kollegen wie dem Physikprofessor Tralles, mit dem der Philosoph über Newtons Optik kommuniziert, Alexander von Humboldt und dem Physiologen Carl Heinrich Schultz-Schultzenstein, dessen Physiologie der Pflanze Aufnahme findet. 2 Bereits die Griesheim-Nachschrift von 1824/1825 attestiert, dass der Forscher „ebenso gründlich experimentirt, als auch mit philosophischem Sinn das Ganze darstell[e]“. 3 In der Dove-Nachschrift bescheinigt Hegel Schultz, dass er „die Physiologie der Pflanzen auf einen höheren Standpunkt gestellt“ hat 4 und nimmt eine an Schultz’ Theorie orientierte essentielle Umarbeitung der entsprechenden Darstellungen vor – ein Musterfall für Hegels work in progress. Zugleich prüft und verändert die Naturphilosophie den Gehalt der im Spiel befindlichen Kategorien wie Raum und Zeit, Materie, Kraft, Licht, Leben etc. und justiert diese Kategorien aus philosophischer Sicht, vor allem aus dem Blickwinkel der Einheit von Objektivität und Subjektivität, was im Falle der Farbenlehre hervortritt: Newtons Position bleibt im Kern eine naturwissenschaftliche, Goethes und Hegels Sicht eine naturphilosophische. Dies fällt bei Vergleichen oder Bewertungen oft unter den Tisch. Das philosophische Begreifen kann nicht bei den Reflexionsformen von Kraft oder Licht stehenbleiben. Der philosophische Begriff der Kraft muss wie der Begriff schlechthin die konkreten Momente unterscheiden und zugleich dieses in ihrer Identität, in ihrer Einheit nehmen (GW 19, 247). Mit Goethe metaphorisch gesprochen: ‚Körper‘ (Objektivität) und ‚Auge‘ (Subjek2

Ausführlich dazu Wolfgang Neuser, „Die naturphilosophische und naturwissenschaftliche Literatur aus Hegels privater Bibliothek“, in: Hegel und die Naturwissenschaften. Hrsg. v. Michael John Petry. Stuttgart-Bad Cannstatt 1987.

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G.W.F. Hegel: Vorlesung über Naturphilosophie. Berlin 1823/24. Nachschrift von K.G.J. v. Griesheim. Hrsg. v. Gilles Marmasse. Frankfurt a.M. 2000, 234 (Hegel: Griesheim-Nachschrift Naturphilosophie).

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G.W.F. Hegel: Vorlesungen über die Philosophie der Natur. Berlin 1825/26. Nachgeschrieben von Heinrich Wilhelm Dove. Hrsg. v. Klaus Vieweg u.a. Hamburg 2007 (Hegel: Dove-Nachschrift Naturphilosophie), 179.

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tivität‘) müssen in ihren vielfältigen Bestimmungen und in ihrer Identität gedacht werden. Natur bleibt in Hegels Naturphilosophie nicht als bloßer Kosmos thematisiert, im begreifenden Denken muss sie in einem als bestehend und als konstituiert verstanden werden. Das Denken ist tätig in Bezug auf die Gegenstände, deren eigentliche Natur so in der Veränderung des scheinbar Gegebenen hervortritt, diese wahrhafte Natur ist ‚ebensosehr das Erzeugnis meines Geistes als des denkenden Subjekts‘ (GW 20, 66). Die Resultate der Naturwissenschaften sind sowohl akribisch aufzunehmen als auch kritisch zu durchdenken, in beidem besteht das Geschäft der Philosophie, das Denken der Vielfalt des Erfahrungswissens sub specie Vernunft. Sie hat die Natur auf den Begriff zu bringen, was in den Grundbestimmungen auf einen weit gefächerten logischen Background verweist. Dazu einige wesentliche Punkte: Natur gilt als die Idee in der Form ihres Andersseins, ihres Äusserlichseins, als die erste Besonderung der Idee, die unmittelbare, seiende Idee, als bloße Objektivität und für sich selbst ohne Subjektivität seiende Äusserlichkeit des natürlichen Raums und der natürlichen Zeit, als Spannung zwischen Naturgesetzen und der Zufälligkeit der Formen. Der Terminus Objektivität rekurriert direkt auf die Lehre vom Begriff in der Wissenschaft der Logik, auf Mechanismus, Chemismus und Teleologie als Grundcharakteristika der logischen Objektivität. Im Prozess dieser Natur-Objektivität wird zwingend Subjektivität generiert. Das Anliegen von Hegels naturphilosophischem Ansatz lässt sich auch anhand der forcierten Absetzung von anderen Konzeptionen des Natürlichen verdeutlichen: a) Fortgeführt wird die Auseinandersetzung mit dem doppelten Gesicht des modernen Standpunkts des Cartesianismus, dessen hochmütiger Herrschaftsattitüde gegenüber der Natur, der mit seinem Dualismus allerdings auch den Weg für die moderne Naturforschung mit geöffnet hat; b) die bereits vom frühen Hegel unter Berufung auf Schiller begonnene und in der Differenzschrift niedergeschriebene Kritik an der Misshandlung der Natur in den Philosophien von Kant und Fichte erhält eine tiefere Begründung, dies gilt ebenso für c) die Abwehr der Manie der Phantasterei, besonders durch die Verwässerung der Schellingschen Naturphilosophie, die klare Abweisung alles Obskurantismus, wo die roheste Empirie mit vernunftlosen Analogien und besoffenen Gedankenblitzen verbunden wird. Dies hat Gewicht, insofern solche Positionen wesentlich zur Diskreditierung der Disziplin

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Naturphilosophie beitrugen, schließlich wird d) eine ausgewogene Bewertung des Empirismus und seines Prinzips der Erfahrung in die zweite Enzyklopädie eingebaut, besonders die Auseinandersetzung mit dem konsequenten, radikalen Empirismus – dem Naturalismus oder Materialismus. Ein reiner Realismus oder Materialismus erfüllt nicht die Bedingungen von Philosophie, der ‚metaphysizierende‘ Materialismus hingegen fixiert in seinen Prinzipien wie Wasser, Atome oder Materie Gedanken, Allgemeines, nicht Dinge, wie sie sich unmittelbar vorfinden. (GW 21, 142f.) In ‚neueren Zeiten will man das Innere, die Seele mit dem Mikroskop erforschen‘ 5, die heutigen naturalistischen Neurowissenschaftler versuchen mit ihren mikroskopischen Instrumenten das Ich aufzuspüren. Wie im Mikrokosmos des Inneren so im Makrokosmos des Äußeren: der Astronom Lalande konnte mit seinem Fernrohr Gott nicht sehen. Daraus ‚schliesst‘ er dann, dass Unendliches, Gott oder Ich nur Einbildungen, Fiktionen sind und so der Mensch eine Maschine und ein bloß vom ‚Feuern‘ der Neuronen abhängiges Wesen. Hinsichtlich allgemeiner Bestimmungen wie Kraft oder Leben soll nur der aus Wahrnehmung gewonnene, der in der Erscheinung nachzuweisende Zusammenhang Berechtigung haben. 6 Die Natur ist nicht frei oder göttlich, sie ist weder Herr noch Knecht. Solche ‚Ohnmacht der Natur‘, dass sie ihren Begriffsbestimmungen nicht getreu bleiben kann, setzt dem philosophischen Zugriff Grenzen in seiner Reichweite. Dem Begriff kann nicht zugemutet werden, all die Zufälligkeiten, Abweichungen, Mutationen zu erfassen, dies bleibt die Domäne der empirischen Naturforschung. Selbst der vor der Metaphysik warnende Musterknabe der Naturwissenschaft Newton nimmt, weil er den Impuls der Bewegung nicht aus dem naturwissenschaftlichen Kontext erklären kann, Gott als Urbeweger an und avanciert somit völlig überraschend zum deistischen Theologen. ,Die Physik enthält selbst eine Metaphysik‘, 7 zumeist die ihr angemessene Position des naiven philosophischen Realismus oder Objektivismus, der puren Annahme der Gegebenheit der Natur unabhän-

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Vgl. TWA 18, 358f.

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Hegel rekurriert wohl auf Humes Treatise, worin nicht nur der Mangel der Induktion artikuliert ist, sondern auch die Notwendigkeit nur der Vorstellung zugemessen wird.

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Vgl. Hegel: Dove-Nachschrift Naturphilosophie, 9.

gig und außerhalb von jeglicher Ichheit. Zudem respektiert die Naturwissenschaft meist implizit den Standpunkt des Endlichen, Relativen und erklärt es als Vermessenheit und Verrücktheit, darüber hinausgehen zu wollen. Ganz dogmatisch wird das Endliche zum Absoluten postuliert. Wenn jedoch ihre unbewiesene, dogmatisch-metaphysische Hintergrundannahme offengelegt wird, sind die Physiker wie die Naturalisten konsterniert. Die begriffliche Entfaltung kulminiert in der Subjektivität, die jetzt Objektivität in konkreter Allgemeinheit darstellt, von Hegel kategorial als Geist gefasst, das Nervenzentrum von Hegels Philosophie. Allerdings entsteht durch diese Stufenfolge der Schein, als ob der Geist durch Anderes vermittelt werde. Die Natur könne aber, so Hegel, nicht kausal als das Ursprüngliche und der Geist bloß als Wirkung oder Resultat verstanden werden. Geist ist nicht bloßes Resultat, sondern in Wahrheit sein eigenes Resultat – er bringt sich selbst hervor. Der Fortgang von der Natur zum Geist bedeutet das ‚Zu-sich-selbst-Kommen‘ des in der Natur ‚außer sich seienden‘ Geistes. Dies dementiert nicht die notwendige Unterscheidung von naturwissenschaftlicher und naturphilosophischer Perspektive, dementiert keineswegs die für die Philosophie der Natur unverzichtbare Einheit des Konstruktiven (Apriorischen) und des Erfahrungsmäßigen (Aposteriorischen).

Die Grundlegung essentieller Kategorien in der Philosophie der Natur Die Naturphilosophie als erster Teil der ‚Realphilosophie‘, als erste Manifestation der Idee, situiert in der ‚Mitte‘ von Logik und Geistphilosophie, bietet die Chance, den tief durchdachten kompositorischen Aufbau des enzyklopädischen Entwurfs anhand einiger roter Fäden oder durchgängiger Grundmuster anzudeuten. Dabei kann sowohl der Rückgang auf die Logik als auch die Antizipation von Sachverhalten der Geistphilosophie belegen, dass Hegel seine Philosophie in vielen Hinsichten ‚durchkomponiert‘ hat. Zunächst erfahren die zunächst unterbestimmten, unterdefinierten Begriffe ihre Fortbestimmung, werden verdichtet und gewinnen dadurch an Komplexität. Dadurch vermag die Relevanz der kategorialen Arbeit der Naturphilosophie erhärtet sein. Hierfür sollen drei exemplarische Fälle vorgestellt werden:

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Natürlicher Raum und natürliche Zeit Die erste unmittelbare Bestimmtheit des Natürlichen haben wir mit dem Raum als abstrakte Allgemeinheit des Äußerlichseins, des gleichgültigen Nebeneinanders im ruhigen Bestehen. Gestartet wird mit der logischen Kategorie der Quantität, somit mit einer Umkehrung des eigentlichen Ganges der Wissenschaft der Logik. Dies zeigt, dass Hegels Logik nicht einfach dem jeweiligen Gegenstand der philosophischen Untersuchung als Begriffsschema aufgedrückt wird, dass keineswegs das ‚diamantene Netz‘ der logischen Kategorien über die Gegenstände geworfen wird, die Sachverhalte nicht in ein Prokrustesbett eingezwängt sind, sondern stets die Logik der betreffenden Sache im Fokus steht. Insofern die Natur eben das schlechthin Vermittelte, das Äußerlichsein darstellt, muss mit der logischen Bestimmung der Quantität begonnen werden, nicht mit der in der Wissenschaft der Logik ihr vorausgehenden Qualität. Mit Blick auf Kant exponiert Hegel den Raum als Form der sinnlichen Anschauung, als abstrakte Form der unmittelbaren Äußerlichkeit, allerdings eben nicht nur als etwas Subjektives in der Vorstellung. Zusammen mit der Behandlung der drei Dimensionen des Raumes kann die These vom leeren Raum, vom leeren Behälter, zurückgewiesen werden unter Rekurs auf den in der Logik traktierten horror vacui. Die Welt ist ‚nirgends mit Brettern zugenagelt‘, sondern in sich diskret und schlechthin kontinuierlich. Mit der Dreidimensionalität von Linie, Fläche und umschließender Oberfläche erscheint der Vorgriff auf die weiteren Systemteile, auf das sinnliche Sehen, Anschauen und auf das Zeichen (subjektiver Geist), auf den Raum als geographische Bedingung der Weltgeschichte sowie auf die ‚äußerlichen‘ Werke, als gegenständliches Material der Kunst (Zweidimensionalität der Malerei, Dreidimensionalität der Architektur und Skulptur). Aus der abstrakten Objektivität des Raumes geht die abstrakte Subjektivität der Zeit hervor, das Moment der Negativität. Die natürliche, unterbestimmte Zeit stellt das schlechthin abstrakte Sein dar, das indem es ist, zugleich nicht ist – der daseiende Widerspruch. Entstehen und Werden vollziehen sich nicht in der Zeit, sondern die Zeit selbst repräsentiert das Werden, logisch gesprochen: es geht um die Einheit von Sein und Nichts. Jedoch verbleibt diese Natur-Zeit unterdefiniert, hier als die bloße Negativität, als Äußerliches. Um diese Unterbestimmtheit zu explizieren, spannt Hegel antizipativ den Bogen zur Lehre vom subjektiven, objektiven und abso-

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luten Geist. Dort wird ein fortentwickelter Zeitbegriff im Spiel sein. Erstens findet sich der Hinweis auf das Ich=Ich des reinen Selbstbewusstseins (subjektiver Geist, Phänomenologie), hier noch in der ‚gänzlichen Äußerlichkeit‘ des Selbstbewusstseins, zweitens gebraucht Hegel die mythologische Figur des Kronos, der mit dem Zeitgott Chronos identifiziert wird. Diesem Mythos fehlte es nicht an Sinn, denn „das Naturleben ist in der Tat der Zeit unterworfen und bringt nur Vergängliches zur Existenz.“ 8 Erst durch Zeus’ geistige List gegen die Naturgewalt wurde deren Herrschaft über die Zeit gebrochen. Erinnerung, Gedächtnis und Muse geben dem Vergänglichen ‚Dauer und Befestigung, was als natürliches Leben und wirkliche Handlung nur vergänglich wäre.‘ 9 Zeus als Gott des Geistes symbolisiert die Unterwerfung der Naturmächte. Jene behalten jedoch auch Rechte, die exakt im Hegelschen Sinn aufgehoben sind. Zeus selbst stellt dieses in-sichAufbewahren dar, wenn er mit Wolken und Blitzen agiert. Am Geistigen macht das Natürliche eine wesentliche Bestimmung aus, ist als natürliches Moment unabdingbar enthalten als eine Seite der geistigen Mächte. Hegels metaphorische Rede von der ‚ersten‘ und ‚zweiten‘ Natur hat auch hiermit einen Hintergrund. Schließlich wird im Kontext der Behandlung der Zeit betont, dass aber der Begriff frei für sich, als existierende Identität mit sich die an und für sich seiende, absolute Negativität, die Freiheit als Macht über die Zeit repräsentiert, die Idee, der Geist ewig gegenwärtig und nur das Natürliche in der ersten Form der Zeit untertan ist. Die Unterbestimmtheit der Natur-Zeit findet sich ebenfalls hinsichtlich der drei Dimensionen der Zeit herausgestellt. Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft sind in der Natur noch nicht zum Unterschied der Dimensionalität entfaltet: Notwendigkeit erhält diese Unterscheidung der Zeit-Dimensionen erst mittels der im Rahmen des theoretischen Geistes entwickelten Kategorien der Vorstellung, des Erinnerns und des Gedächtnisses sowie im praktischen Gefühl von Hoffnung auf Künftiges, Reue über Vergangenes etc. Erst damit, mit der Mnemosyne, kann eine Fortbestimmung des Begriffs der Zeit gelingen. In einem aus Vorlesungen über den subjektiven Geist stammenden Zusatz zur Kategorie der Anschauung erfolgt ein klarer Rückverweis auf 8

TWA 14, 54.

9

Vgl. ebd.

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die entsprechenden Passagen der Philosophie der Natur, auf die abstrakte Äußerlichkeit in der doppelten Form von Raum und Zeit. 10 Hier verdeutlicht Hegel seine Position gegenüber Kants Raum- und Zeitauffassung. Raum und Zeit sind im Hegelschen Horizont subjektive Formen der Anschauung, zugleich sind die Dinge ‚selber räumlich und zeitlich‘, beide Perspektiven sind identisch zu nehmen, eine doch erhebliche Differenz zu der oft als sakrosankt geltenden Kantischen Sicht. Dies entspricht Hegels Kritik am Prinzip des subjektiven Idealismus überhaupt, in welchem nur die subjektive Weise unseres Bestimmens und eben nicht die dem Objekt selber eigenen Bestimmtheiten Berücksichtigung finden – wiederum Hegels Grundeinsicht: Das bei Kant zurecht formulierte ‚Sich-geltend-Machen der Subjektivität‘ muss mit dem ‚SichHingeben an die Sache‘, an die Objektivität identisch gesetzt werden. Auch hier wird angemerkt: Raum und Zeit sind höchst dürftige, unterbestimmte Kategorien, das erkennende Denken erfasst die Gegenstände im Begriff, in welchem beide Bestimmtheiten als Aufgehobene enthalten sind. 11 Die erwähnten Tatbestände des subjektiven Geistes bieten wiederum die Grundlage der Kategorien des Geschehens, der Geschichte und der Weltgeschichte (objektiver Geist) sowie der poetischen und religiösen Erzählungen und Geschichten, wobei in all diesen Werken Raum und Zeit in differenter Weise ‚aufgehoben‘ sind als räumliche und zeitliche Dimensionen an ihnen. Dies betrifft auch die Geschichte von Kunst, Religion und Philosophie. Signifikant ist auch Hegels Auflösung der Verstandeslogik des Chrono-Logischen, das Brechen der üblichen Reihenfolge Vergangenheit – Gegenwart – Zukunft. Für die Vergangenheit (in mythologischer Sprache das Reich des Toten, der Hades) gilt die Dominanz des Seins. Sie ist als Weltgeschichte wirklich gewesen und vermag im Jetzt vergegenwärtigt, repräsentiert zu werden. Für die Zukunft gilt das Nicht-Sein, das Noch-Nicht-Sein. Nur die Gegenwart, gedacht als die Einheit und Mitte beider, ist, das Vor und Nach nicht. 10

Vgl. GW 20, 444f. und TWA 10, 252f. Ein kleiner Beleg für die Verlässlichkeit der Zusätze. Wenn manchmal suggeriert wurde, dass Hegel zufolge Raum und Zeit der realen Welt angehören oder ‚Realitäten der Natur‘ seien und deshalb in der Naturphilosophie abgehandelt werden, so steht dies gegen Hegels Text und verkürzt diesen. Vgl. hierzu Hegels „Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften“ (1830). Ein Kommentar zum Grundriß. Hrsg. v. Wolfgang Neuser u.a. Frankfurt a.M. 2000, 157f.

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Vgl. TWA 10, 252.

Diese wahrhafte Gegenwart beschreibt Hegel als die Ewigkeit. Die ‚himmlische‘ Zeit ist gegenwärtig, nicht vorher oder nachher – heaven could be the place and the time on earth. So vermag die Kategorie der natürlichen Zeit auf die Logik gegründet werden. Sie liefert den abstrakten ‚Kern‘ für substantielle Bestimmungen des subjektiven, objektiven und absoluten Geistes, worin Raum und Zeit aufgehoben werden.

Die Wahlverwandtschaft Ein weiteres durchgängiges Muster zeigt die naturphilosophische Kategorie des chemischen Prozesses an. In der Logik findet sich ein gesonderter Abschnitt zur Wahlverwandtschaft (affinitas electiva), worin das chemische Verhältnis sofort antizipiert wird (GW 21, 351ff.). Da in der 2. Auflage der Seinslogik (1832) die Überlegungen zu Berthollets epochemachenden Werk Statique chemique erweitert sind, könnten Gespräche des Philosophen mit dem ebenfalls im Kupfergaben 4a wohnenden Chemiker und Berthollet-Übersetzer Friedrich Wöhler Pate gestanden haben. 12 Weitere Rückgriffe betreffen die Behandlung des Schlusses der Analogie, der Ähnlichkeit und der Vergleichung sowie das LogikKapitel Chemismus. Mit der Argumentation zum prinzipiellen Defizit von Analogieschlüssen, worin nicht bewiesen wird, kann implizit die oft gepriesene Verwandtschaft per Familienähnlichkeit als völlig unzulänglich vorgeführt werden – der Verstand bleibt per se defizient. Grundsätzlich geht es beim ‚Chemischen‘ um die Verbindung verschiedener Besonderer und um ihre mögliche Trennung (‚Scheidung‘), um die Tendenz zwei ‚affine‘ Teile (attractio electiva) in einem Amalgam zu integrieren, eine Einheit der Besonderen zu konstituieren, was für Hegel den Übergang zum Lebendigen, zum Organismus öffnet, den Weg von der ‚Prosa‘ des Nicht-Lebendigen zur ‚Poesie‘ der lebendigen Natur. Dieses Thema nimmt Hegel in der Lehre vom subjektiven Geist wieder auf, theoretisch-epistemisch in der Behandlung der Vorstellung der chemischen Verbindung: die verbindende Assoziation, Metapher und Gleichnis sowie ‚praktisch‘ in Form der verbindenden Gefühle von Sympathie, Freundschaft oder Liebe in ihrer Wechselseitigkeit. In der Sphäre des objektiven Geistes bildet das ‚Chemische‘ ein konstitutives Moment der 12

Vgl. GW 21, 355f. Wöhlers deutsche Fassung des Berthollet-Buches findet hier Erwähnung.

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Familie, die als selbst gewählte Integration Differenter in einer Einheit eine Wahlverwandtschaft verkörpert. Die geläufige Redewendung, dass die ‚Chemie stimmen muss‘ spricht eine der Bedingungen des Gelingens einer solchen Verbindung an, der jedoch auch die Möglichkeit des Misslingens, die Scheidung inhärent bleibt. Auch die noch zu streifende Behandlung von Gleichnissen und Metaphern in Religion (‚Sprache der Vorstellung‘) und Philosophie (Gleichnisse bei Platon) steht in der Reihe der sie aufhebenden Fortbestimmung der Wahlverwandtschaft. 13 Interessant hierfür ist Hegels Anmerkung zum mit Vergleichung überschriebenen Jean Paul-Abschnitts im West-Östlichen Divan. Jean Paul folge der ‚eigentlich orientalischen Weise‘ im ‚Erschaffen der seltsamsten Bezüge‘, im ‚Verknüpfen des Unverträglichen‘. Daraus kann wahrer Humor entstehen, aber auch sein Gegenstück – die willkürliche Abenteuerlichkeit. Es wird nicht überraschen, dass Hegel auch Goethes Roman Die Wahlverwandtschaften in signifikanter Weise im Rahmen seiner Ästhetik-Vorlesungen erwähnt. Der Dichter versuchte, das aufgrund magischer Anziehungskraft mögliche Verbinden wie auch das Auseinanderbrechen poetisch darzustellen: „in einem sittlichen Falle eine chemische Gleichnisrede zu ihrem geistigen Ursprunge zurückzuführen.“ 14 Hegel identifiziert das Prinzip der Ähnlichkeiten, die aus dem Inhalte nicht hervorgehen und „das ganze aus der Chemie entlehnte Bild der chemischen Verwandtschaft“. 15

Der Klang oder der Ton Neben dem Weg des Sehens von Farben von der Naturphilosophie zur Philosophie des subjektiven Geistes (Sehen, Anschauen) bis hin zur Malerei (Kolorit) bietet der Klang, der Ton, ein eindrucksvolles Beispiel des ‚Aufsteigens‘ von Bestimmungen, ausgehend von der Philosophie 13

Herder verwendet in der zweiten Auflage von Gott (1800) die Bezeichnung WahlAnziehung.

14

Goethe: Selbstanzeige für seinen Roman Die Wahlverwandtschaften im Morgenblatt für die gebildeten Stände vom 4. September 1809, in: Goethes Werke. Hamburger Ausgabe. Bd. 6. Hamburg 1968, 621. Vgl. auch das Gespräch mit Riemer vom 24. Juli 1809. In: ebd.: „die sittlichen Symbole in den Naturwissenschaften sind geistreicher und lassen sich eher mit Poesie, ja mit Sozietät verbinden“.

15

24

TWA 13, 384.

der Natur bis zu den verschiedenen Stufen der Philosophie des Geistes – vom einfachen Schall, dem mechanischen Oszillieren als ‚Stimme der natürlichen Dinge‘ über den Ton der Sprache bis zu den Tönen und Stimmen der Musik. 16 Bereits in der Abhandlung des Tons im naturphilosophischen Kontext werden die Erkenntnisse der Akustik mit musiktheoretischen Gedanken verknüpft, wobei das Thema der Mitteilbarkeit fortbestimmt wird, vom Oszillieren physikalischer Gegenstände über Sprechen/Hören bis zum Singen und Musikhören. Hegel greift dabei auf das Lehrbuch der Akustik von Ernst Florens Friedrich Chladni sowie auf die musiktheoretischen Arbeiten von Giuseppe Tartini und Georg Joseph Vogler zurück. 17 Auch erinnert Hegel an den Zusammenhang von Mathematik und Harmonie und spannt den Bogen bis hin zum ästhetischen Wohlgefallen, worin Klingen und Hören eine Einheit bilden. ** Natürlich können weitere solche durchgängigen, aufsteigenden ‚Linien‘ der Fortbestimmung von Begriffen identifiziert sein. Hier war es nur darum zu tun, exemplarisch die ungebrochene Fortwirkung des Natürlichen in der Lehre vom Geist herauszustellen, ohne die Hegels Philosophieren nicht angemessen zu erschließen ist. Die Idee als Natur, die Naturbetrachtung vom Standpunkt des Begriffs, durchläuft laut der Enzyklopädie von 1830 folgende Stufen: I) Die Mechanik – die unendliche Vereinzelung, die Materie und deren ideelles System; II) Die Physik – die Besonderheit des Natürlichen und die natürliche Individualität und III) Die Organik, die Unterschiede des Natürlichen in ihrer ideellen Einheit, somit einen verschlungenen Weg von natürlichem Raum 16

Hegel rezipiert in diesem Kontext Ernst Florens Friedrich Chladnis Schriften Entdeckungen über die Theorie des Klangs (1787) und Die Akustik (1802) sowie die musiktheoretische Abhandlung Trattato di musica secondo la vera scienza dell’Armonia (1754) von Giuseppe Tartini.

17

Vgl. zu Ernst Florens Friedrich Chladni Lehrbuch der Akustik (1802): Hegel: Ringier-Nachschrift Naturphilosophie, 93, 223f.; zu Giuseppe Tartini: Trattato di musica secondo la vera scienza dell’armonia (1754): Hegel: Dove-Nachschrift Naturphilosophie, 124f., 211. Zu Georg Joseph Vogler: Tonwissenschaft und Tonsetzkunst (1776) vgl. Hegel: Ringier-Nachschrift Naturphilosophie, 92, 223. Vogler wirkte auch als Lehrer von Giacomo Meyerbeer und Carl Maria von Weber.

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und natürlicher Zeit bis hin zum Lebendigen und schließlich zum tierischen Organismus. Die erste und einfachste Bestimmung der Subjektivität, des Geistes als der zu ihrem Für-sich-Sein gelangten Idee haben wir im Ich, in der Ichheit, worin das Reich der Natur ins Reich des Geistes übergegangen ist, in den Begriff des Geistes, dem Nervenzentrum Hegelschen Philosophierens. Der Hegel-Hörer Johannes Gaye hat die Herausforderung für dies gesamte Hegelsche Realphilosophie auf den Punkt gebracht: „in der Hineinbildung aber der Logik in die anderen Sphären ist noch entsetzlich viel zu tun. 18

18

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Glockner: Erdmann, 10.

Arata Nakashima Zum Materiebegriff in Hegels Naturphilosophie Warum sind der Raum und die Zeit vor der Materie da?

Einleitung Bis heute wird ‚Materie‘ als eine philosophische Kategorie vieldiskutiert. Besonders die beiden nachkantischen Philosophen Schelling und Hegel stellten den Materiebegriff in den Mittelpunkt ihrer eigenen naturphilosophischen Systeme in Auseinandersetzung mit der kantischen Auffassung der Materie. Kants Materiekonzept hat Schellings und Hegels Auffassung der Materie maßgeblich beeinflusst. Kants dynamische Auffassung der Materie hat diese als eine ‚Raumerfüllung‘ aus zwei Grundkräften, nämlich aus Anziehungskraft und Zurückstoßungskraft, angesehen. Schelling und Hegel übernahmen anfangs ein solch dynamisches Materiekonzept. Für beide bedeutet die Materie nicht mehr statische Naturdinge, sondern den dynamischen Ausdruck der Natur selbst. Trotz des früheren Einflusses des kantischen Materiekonzepts unterscheiden sich die Philosophien Schellings und Hegels in der naturphilosophischen Reihenfolge und vor allem dem Stellenwert der Materie in dieser. In Schellings später Naturphilosophie wird der Materiebegriff als eine Grundlage des Naturprozesses dargestellt, aus dem erst die Raumund Zeitbegriffe abgeleitet werden. In seiner Darstellung des Naturprocesses (1843/44) hält er den Raum für die Negation der Materie, durch die erst die Zeit als ein folgendes Moment der naturphilosophischen Reihenfolge entstehen kann. Dagegen hat Hegel im zweiten Teil seiner Enzyklopädie (1817; 1827; 1830), der Naturphilosophie, die Materie aus Raum und Zeit abgeleitet. Deshalb sind für Hegel Raum und Zeit, zumindest in der Naturphilosophie der Enzyklopädie, der Materie vorhergehend. In diesem Punkt unterscheiden sich die Naturphilosophien von Schelling und Hegel. Dies bedeutet auch, dass die Reihenfolge von Raum, Zeit und Materie in Hegels Naturphilosophie nicht unbedingt

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eine einzige naturphilosophische Reihenfolge ist. Dies wirft die Frage danach auf, warum in Hegels Naturphilosophie der Raum und die Zeit vor der Materie da sein muss. 1 In diesem Beitrag versuche ich erstens, die Entwicklung von Hegels Konzeption der Naturphilosophie selbst kurz zusammenzufassen. Zweitens präzisiere ich den Stellenwert von Raum, Zeit und Materie in der Entwicklung von Hegels Naturphilosophie. Dabei konzentriere ich mich vor allem auf Hegels Auffassung von Raum, Zeit und Materie in seiner Jenaer- und Nürnberger Zeit, weil sich in dieser Zeit ein Wendel in der Beziehung zwischen diesen drei Begriffen in Hegels Naturphilosophie vollzog. Erst zum Schluss greife ich die Frage danach auf, warum der Raum und die Zeit vor der Materie da sind.

1. Kurzer chronologischer Überblick: Zur Begründung Hegels eigener Naturphilosophie In den Jenaer Systementwürfen (1803–1806) lässt sich Hegels erster Versuch einer eigenen Naturphilosophie erkennen. 2 In den drei Versionen, die als Vorlesungsmanuskripte in Jena abgefasst wurden, formulierte Hegel nicht bloß einen Entwurf seiner Naturphilosophie, er rückte sogar die Naturphilosophie selbst ins konzeptionelle Zentrum seines philosophischen Systems.

1

In den letzten Jahren hat Takashi Nagashima diese Problematik aufgegriffen. Takashi Nagashima, „Hegels Zeit-Raum-Lehre in seiner Naturphilosophie der „Enzyklopädie“ (1830)“, in: Yoichi Kubo/Seiichi Yamaguchi/Lothar Knatz (Hg.), Hegel in Japan. Studien zur Philosophie Hegels, Wien 2015, 121–137. Nagashima liefert auch eine Zusammenfassung der Forschungsgeschichte zu Hegels Naturphilosophie in Japan.

2

Man kann natürlich auch Hegels Habilitationsschrift Dissertatio philosophica de orbitis planetarum (1801) als eine naturphilosophische Schrift ansehen. In der Tat liefert diese eine Grundlage für die weitere Entwicklung von Hegels Naturphilosophie. Dabei ist aber zu beachten, dass Hegel in dieser Schrift nicht die organische Natur thematisiert hat. Daher kann man die Jenaer Systementwürfe (1803-1806) als seinen ersten Entwurf zum System der Naturphilosophie ansehen. Seine Phänomenologie des Geistes (1807) enthält verschiedene naturphilosophische Themen, die ich aber in diesem Beitrag nicht aufgreifen kann.

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Anschließend thematisierte Hegel in Vorlesungen seiner Nürnberger Zeit (1808–16) die Naturwissenschaft bzw. die Wissenschaft der Natur, die er hier als einen Teil im System der besonderen Wissenschaften bzw. in der Enzyklopädie betrachtete. Daher hatte er zu dieser Zeit bereits nicht nur ein enzyklopädisches System entworfen, sondern auch den Stellenwert der Naturphilosophie in diesem System bestimmt, obwohl er das Wort Naturphilosophie nicht ausdrücklich verwendete. Zur Entwicklung von Hegels philosophischem System ist bemerkenswert, dass Hegel in dieser Zeit auch die Wissenschaft der Logik (Das Sein [1812], Die Lehre vom Wesen [1813] und Die Lehre vom Begriff [1816]) publizierte; erst in dieser ging es um den Übergang der logischen Idee in die Natur. In den Jenaer Systementwürfen und gymnasialen Vorlesungen der Nürnberger Zeit kommt diese Übergangsproblematik noch nicht vor, denn Hegels eigene Logik war immer noch unentfaltet geblieben: dort hatte Hegel also „die Lehre von der Idee“ noch nicht begründet. Nach der Darstellung in den Jenaer Systementwürfen schließt der absolute Geist die Idee und Natur ein, sodass es sich dabei nicht um den Übergang der Idee in die Natur handeln kann, weil der Übergang wie in der Wissenschaft der Logik, nämlich der Entschluss bzw. die Entlassung der logischen Idee, hier nicht vorkommt. In den gymnasialen Vorlesungen der Nürnberger Zeit kann man gleichfalls keine ausreichende Begründung dafür finden, dass die Idee zur Natur übergehen muss. Nach einem Schülerheft der Vorlesung der philosophischen Enzyklopädie im Wintersemester (1812/13) beginnt ihr zweiter Teil, die Naturwissenschaft, mit den folgenden Sätzen: Die Natur ist reale Idee. Die Realität der Idee ist in die Form des Daseyns übergegangen. Sie zerspaltet sich und stellt sich andern gegenüber: der Natur und [dem] Geist. (GW 10, 683)

Hier lässt sich eine Entwicklung der Lehre von der Idee sehen: der Geist schließt die Idee und die Natur nicht mehr ein, vielmehr zerspaltet sich die Idee in die Natur und den Geist. Die Idee erhält folglich ihren eigenen Stellenwert und tritt an die Stelle des absoluten Geistes. Aber hier werden nur Einteilungen aufgezeigt, und zwar die Einteilung der Enzyklopädie selbst in die Logik und die Realität und ebenso die Einteilung der Realität in die Natur und den Geist. Der innere Grund des Übergangs der Idee in die Natur wird immer noch nicht präzisiert. Daraus ergibt sich, dass die Übergangsproblematik erst durch die Entfal-

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tung Hegels eigener Logik, und zwar in der Begründung der absoluten Idee in der Wissenschaft der Logik, in den Vordergrund getreten ist. Hegels enzyklopädischer Entwurf wurde in seiner Heidelberger Zeit (1816–18) als sogenannte Heidelberger Enzyklopädie (1817) realisiert. Hegels Naturphilosophie (oder „Philosophie der Natur“) besteht dort als ein Bestandteil der Enzyklopädie neben der „Wissenschaft der Logik“ und „Philosophie des Geistes.“ Auch in der zweiten und dritten Ausgabe der Enzyklopädie (1827–1830) bildet die Naturphilosophie den zweiten Teil, dessen Gliederungen aber von der der ersten Ausgabe mehr oder minder abweichen. Folglich gibt es zumindest strukturelle Unterschiede zwischen der ersten und den zwei späteren Ausgaben. Eine Erörterung von Hegels Auffassung der Materie und seiner RaumZeit-Lehre muss also auch die Entwicklungsgeschichte seiner Naturphilosophie in Betracht ziehen, da Hegel selbst im Laufe der Entwicklung seiner Naturphilosophie jeweils Raum, Zeit und Materie neu ordnet.

2. Raum, Zeit und Materie in der Entwicklung Hegels Naturphilosophie Hegels Auffassung der Materie und seine Raum-Zeit-Lehre waren nicht von Anfang an vollkommen, vielmehr veränderten sie sich jeweils entsprechend der Entfaltung seiner Naturphilosophie (und der Logik). Im Jenaer Systementwurf I (1803/04) nehmen Raum und Zeit immer noch keinen bestimmten Stellenwert in der Naturphilosophie ein, vielmehr spielen sie eine Rolle in der Philosophie des Geistes, und zwar im Zusammenhang mit der Anschauung als einer bestimmten Bewusstseinsform. Erst im Jenaer Systementwurf II (1804/05) erhalten der Raum und die Zeit ihren eigenen Stellenwert in der Naturphilosophie: Der Raum und die Zeit bedeuten hier „[d]ie Momente des unmittelbar als wahrhafft unendlich sich aufschliessenden Äthers“ (GW 7, 192), den Hegel auch „die absolute Materie“ nennt. 3 Hegel expliziert hier am En3

Zur terminologischen Herkunft des Äthers weist Stefan Büttner auf Hegels Auseinandersetzung mit Platons Timaios und Chora-Begriff hin. Dabei unterscheidet er zwischen Äther und absoluter Materie und stellt fest, dass Hegels Verwendung der absoluten Materie sich an Schelling und Giordano Bruno anlehnt. Vgl. Stefan Büttner, „Von den ‚Chora‘ zum Äther. Rezeption und Transformation des platonischen Chorakonzepts in Hegels Jenaer Naturphilosophie“, in: Klaus Vieweg (Hg.), Hegels Jenaer Naturphilosophie, München 1998, 107–127, bes. 122. Christian Schall

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de der Metaphysik und am Anfang der Naturphilosophie, des Systems der Sonne, den ‚Äther‘ und die absolute Materie. Der Äther und die absolute Materie bedeuten dort zuerst „der einfache absolute sich auf sich selbstbeziehende Geist“ (GW 7, 178). Diese Sichselbstbezogenheit hat wiederum zwei Bestimmtheiten: Unendlichkeit und Sichselbstgleichheit. Daher bezeichnet Hegel den Äther und die absolute Materie als „diese Einheit des sichselbstgleichen und des Unendlichen“ (GW 7, 189). Ich möchte zunächst dazu bemerken, dass der Äther bzw. die absolute Materie in struktureller Hinsicht vor dem Raum und der Zeit erörtert wird. In dem Darstellungsprozess wird einerseits der Raum als das sichselbstgleiche Moment des Äthers, andererseits die Zeit als das unendliche Moment desselben aufgefasst. Darüber hinaus ist bemerkenswert, dass der Zeitbegriff hier vor dem Raumbegriff entfaltet wird. Es ist also die Zeit als das Unendliche, „das in den Raum als sein Gegentheil übergeht“, während der „Raum […] das sichselbstgleiche, in der Bestimmtheit des Sichselbstgleichen gegen die Bestimmtheit des Unendlichen“ (GW 7, 197) ist. Diese strukturelle Priorität der Zeit wird aber bereits im nächsten Entwurf, dem Jenaer Systementwurf III (1805/06) revidiert. Erst hier werden Raum und Zeit als naturphilosophische Kategorien im Kapitel „Mechanik“ verortet. Hegel bezeichnet hier ebenfalls Raum und Zeit als Momente des Äthers bzw. der absoluten Materie, nämlich den Raum als Sichselbstgleichheit (oder Gleichgültigkeit) und die Zeit als Unendlichkeit, obwohl der Raumbegriff nicht mehr nach, sondern vor dem Zeitbegriff erörtert wird. Die Materie geht folglich immer noch Raum und Zeit voran. Der Äther und die absolute Materie werden hier als „[d]ie Idee als das in seinen Begriff zurükgegangne Daseyn“ (GW 8, 3) bezeichnet. 4

zeigt auf, dass Hegel bereits in seiner Habilitationsschrift und dem Naturrechtsaufsatz den Äther verwendet hat. Vgl. Christian Schall, „Hegels Begriff des Äthers und seine philosophischen Implikationen“, in: Klaus Vieweg (Hg.), Hegels Jenaer Naturphilosophie, München 1998, 129–150. 4

Es ist noch umstritten, ob Hegel hier den Äther für Da-sein im strengen Sinne hielt oder nicht. Nach einigen folgenden Zeilen schrieb Hegel wie folgt: „Der Äther durchdringt also nicht Alles, sondern er ist selbst Alles, denn er ist das Seyn“ (GW 8, 3).

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In den Vorlesungen der Nürnberger Zeit beginnt Hegels Naturphilosophie (oder „Naturwissenschaft“) überraschenderweise mit Mathematik, innerhalb der auch Raum und Zeit behandelt werden. So ist beispielweise laut Diktaten der Vorlesungen (1808/09 und 1810) schon die Naturwissenschaft (Naturphilosophie) in Mathematik, Physik (Wissenschaft der unorganischen Natur) und Wissenschaft der organischen Natur gegliedert. Diese drei naturwissenschaftlichen Bereiche beziehen sich auf ihre jeweils eigenen Gegenstände: Die Idee, die als Natur in der Form der nicht reflektirten Unmittelbarkeit oder des Außersichseyns ist, ist zuerst in der Form des abstrakten, reinen Außersichseyns als Raum und Zeit; zweitens in der Form des Fürsichseyns, im Außereinanderseyn, als System der unorganischen Natur; drittens, in der Form des An- und Fürsichseyns, als System der organischen Natur. (GW 10, 86)

Die Idee als Natur, wie Hegel sagt, lasse sich in unterschiedlichen Formen darstellen. Die Mathematik stellt also die Idee als Natur in der ersten Form dar, und zwar die Idee in der Form des abstrakten, reinen Außereinanderseins, welche sich allererst als Raum und Zeit bildet. Daher bezieht die Mathematik sich auf Raum und Zeit. In diesem Punkt rezipierte Hegel mehr oder minder eine kantische Idee: die reinen Anschauungsformen (Raum und Zeit) lieferten die Grundlage für Mathematik, mithin gehe es bei der Gründung der Mathematik notwendigerweise um Raum und Zeit. Zu Beginn des Mathematik-Kapitels bezeichnet Hegel ebendeswegen Raum und Zeit als „das abstrakte Daseyn, reine sinnliche Form, oder reines Anschauen“ (GW 10, 87). Der Raum und die Zeit bedeuten nun nicht mehr Momente des Äthers bzw. der absoluten Materie, sondern Bestimmtheiten (nämlich Formen) für die Existenz der Dinge (das Dasein). Hegel vermeidet es hier sogar, den Äther bzw. die absolute Materie zu behandeln, weil die Materie für Hegel schon nicht absolut, sondern als ein Dasein mit Quantum bestimmt ist, das überhaupt ein Gegenstand der Physik sein soll. Die Materie wird tatsächlich nicht in der Mathematik, sondern erst im ersten Teil des Physik-Kapitels, der Mechanik, erörtert. Deshalb wird der Materiebegriff nun vielmehr aus Raum und Zeit abgeleitet. „Das Außereinander des Raums und das Insichseyn der Zeit, absolut in Eins gesezt, giebt den Begriff der Materie überhaupt.“ (GW 10, 89) Hegel bezeichnete hier die Materie als die synthetische Einheit von Raum und Zeit, die ebenfalls eine Form der Idee in der Natur, aber ein konkreteres Da32

sein als Raum und Zeit ist. Diese Reihenfolge der Formen (aus Raum und Zeit zur Materie), an der Hegel in seiner Naturphilosophie festhält, wurde also erst zu seiner Nürnberger Zeit festgelegt. In der Heidelberger Enzyklopädie (1817) beginnt der erste Teil der Naturphilosophie zwar mit der Mathematik, aber dort wird kaum mehr die Mathematik im allgemeinen Sinne (Geometrie, Arithmetik usw.), sondern nur der Raum- und Zeitbegriff behandelt. Daraus ergibt sich, dass Hegel schon allmählich darauf verzichtet hat, Mathematik in die Naturphilosophie einzubeziehen. Dafür ist in der Logik die Mathematik in den Vordergrund getreten. In der Tat hatte Hegel bereits z.B. in seiner Lehre vom Sein (1812) die mathematische Problematik im Zusammenhang mit Raum und Zeit thematisiert und auch im dritten Abschnitt der Lehre vom Begriff (1816), das heißt im Idee-Abschnitt, solche Probleme aufgegriffen. Zusammengefasst heißt das, dass Hegel zu Beginn der Nürnberger Zeit, als sein enzyklopädisches System überhaupt konzipiert wurde, die Naturphilosophie mit Mathematik anfangen wollte. Aber entsprechend der Entwicklung von Hegels Logik verlor die Mathematik an ihrer Bedeutung in der Naturphilosophie, stattdessen erhielt sie vielmehr in der Logik ihren eigenen Stellenwert. 5 Dies brachte eine Veränderung der Reihenfolge von Materie, Raum und Zeit mit sich. In den Jenaer Systementwürfen hatten der Raum und die Zeit zuerst die Momente bedeutet, die aus dem Äther oder der absoluten Materie abgeleitet werden. Außerdem waren Raum und Zeit zusammen mit Materie in die Gegenstände der Mechanik einbezogen worden. Aber in seiner Nürnberger Zeit verordnete Hegel die Mechanik als einen Unterpunkt des Physik-Kapitels, vor dem noch die Mathematik liegt. Während die Materie selbst weiterhin in der Mechanik behandelt wurde, wurden der Raum und die Zeit hier in die Mathematik verlegt. So ist die Umkehrung der Reihenfolge von Materie, Raum und Zeit entstanden. Danach hielt Hegel an dieser „umgekehrten“ Reihenfolge fest, obwohl die Mathematik dort schon an Bedeutung in der Naturphilosophie zu verlieren begonnen hatte.

5

Die Unterschiede zwischen den naturphilosophischen Texten der Vorlesungen in der Nürnberger und Heidelberger Zeit, und zwar zur Veränderung des Stellenwertes der Mathematik in Hegels Naturphilosophie, fasst Taiju Okochi präzise zusammen. Vgl. Taiju Okochi, „Shizen Tetsugaku Kōgi“, in: Joji Yorikawa (Hg.) Einführung in die Nachschriften von Hegels Vorlesungen, Tokyo 2016, 61–77, bes. 69ff. [Japanisch].

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Was Hegels Auffassung von Materie und seine Raum-Zeit-Lehre betrifft, lassen sich kaum entscheidende Unterschiede zwischen der Heidelberger und der Berliner Enzyklopädie (1827 und 1830) erkennen, abgesehen davon, dass die Mathematik mittlerweile durch die Mechanik ersetzt wurde. In der ersten Ausgabe ist die Mechanik bloß eine Untergliederung der Physik, aber in den zwei nachfolgenden wird die Mechanik wiederum als ein Kapitel neben der Physik aufgeführt und die Mathematik aus der Naturphilosophie gestrichen. Im Einzelnen bestehen noch einige kleine, weitere Unterschiede zwischen der Wissenschaft der Logik und der Enzyklopädie. Am Ende der Wissenschaft der Logik deutet Hegel an, dass die Idee zur Natur übergeht und die Naturphilosophie mit Raum und Zeit beginnt. Dabei bestimmt er Raum und Zeit als „die absolut für sich selbst ohne Subjectivität seyende Aeusserlichkeit“ (GW 12, 253). Aber im Gegensatz dazu sagt Hegel am Ende des Kapitels Logik in der Enzyklopädie nicht, dass der Raum und die Zeit die ersten Momente der Naturphilosophie sind, obwohl er hier doch den Übergang von der Logik zur Naturphilosophie erklärt. In der ersten Abteilung der Naturphilosophie, der Mechanik (oder Mathematik in der Heidelberger Enzyklopädie), werden Raum und Zeit erst thematisiert und als „[d]as ganz abstracte Außereinander“ (GW 20, 243) bestimmt. 6 Die Materie wird, wie in seiner Nürnberger Zeit, aus Raum und Zeit abgeleitet. Daher bezeichnet Hegel die Materie hier als „[d]as vereinzelte Außereinander“ (GW 20, 243) bzw. „die unmittelbar identische daseyende Einheit beider“ (GW 20, 252). 7 Diese Entwicklung aus Raum und Zeit zur Materie drückt er als den „Über6

In der ersten Ausgabe der Enzyklopädie (1817) findet sich die Einteilung von Raum und Zeit nicht. Stattdessen lassen sich Raum und Zeit als Momente der Natur in der folgenden Einteilung der Naturphilosophie selbst sehen. „Die Idee als Natur ist 1) als das allgemeine, ideelle Aussersichseyn, als Raum und Zeit; 2) als das reelle Aussereinander, das besondere oder materielle Daseyn, – unorganische Natur; 3) als lebendige Wirklichkeit; organische Natur. Die drey Wissenschaften können daher Mathematik, Physik und Physiologie genannt werden.“ (GW 13, 115).

7

Carl Ludwig Michelet, der Hegels Vorlesungen über die Naturphilosophie herausgegeben hat, fasst im Zusatz von § 253 diese Entwicklung von Raum und Zeit zur Materie wie folgt kurz zusammen: „Das Außersichseyn zerfällt sogleich in zwei Formen, einmal als positiv, der Raum, dann als negativ, die Zeit. Das erste Concrete, die Einheit und Negation dieser abstracten Momente, ist die Materie.“ (GW 24, 1198).

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gang von der Idealität zur Realität, von der Abstraction zum concreten Daseyn“ (GW 20, 252) aus. Mithin bedeutet die Materie ein konkretisiertes Dasein als Einheit von Raum und Zeit. Aber zugleich wird auch die Materie selbst in zwei Momente entzweit und durch diese Momente wieder vereinigt. So wird die Materie durch Repulsion der Materie (Moment der Vereinzelung) und Attraktion derselben (Moment der Kontinuität) als Schwere präzisiert, die „die Substantialität der Materie“ aus[macht]“ (GW 20, 255). Seitdem, zumindest bis zum Ende der Physik, spielt die Materie also eine tragende Rolle für Bestimmtheiten.

3. Was war zuerst da: die Materie oder der Raum und die Zeit? Die bisherigen Ausführungen haben einen chronologischen Überblick zu Raum, Zeit und Materie in Hegels Naturphilosophie gegeben. Aus diesen hat sich ergeben, dass Hegel nicht von Anfang an die Reihenfolge von Raum, Zeit und Materie festgelegt hatte, vielmehr hatte er entsprechend der Entfaltung seines enzyklopädischen Systems und seiner eigenen Logik eine solche neue Ordnung der naturphilosophischen Darstellung konzipiert. Letztlich legte sich Hegels Naturphilosophie dennoch auf diese Reihenfolge fest und stellte die Entwicklung zur Materie aus Raum und Zeit dar. Deshalb besteht die Materie als die Einheit von Raum und Zeit nur dadurch, dass der Raum durch die Zeit negiert wird. F.W. J. Schelling betont dagegen vielmehr die Ursprünglichkeit der Materie in seiner Naturphilosophie, vor allem in seinem Vorlesungsmanuskript Darstellung des Naturprocesses (1843/44). Er beginnt diese Darstellung mit Ausführungen über den Materiebegriff, woraus dann der Raumbegriff abgeleitet wird. Schließlich geht es um den Zeitbegriff, indem der Raum die Materie negiert und sozusagen zur Vergangenheit macht. In diesem Punkt unterscheidet sich Schellings naturphilosophische Reihenfolge von der Hegels. Aber diese Verschiedenheit ist vielmehr hilfreich, um die Eigentümlichkeit von Hegels naturphilosophischer Reihenfolge herauszustellen. Schellings Darstellung des Naturprozesses beginnt mit dem Auseinandertreten der Idee in ihre einzelnen Momente. Das erste Moment, welches durch dieses Auseinandertreten aus der Idee entsteht, bezeichnet Schelling als das „blind“, oder „ausschließlich Seyende“ bzw. „ausschließliches Subjekt“ (SW 10, 308). Es ist aber notwendig, dass dieses

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Subjekt „sich ihm als Materie seiner Verwirklichung unterordnen, sich gegen +A materialisiren“ (SW 10, 310) muss, 8 weil die Idee in ihre Momente auseinandergetreten war, um ihre Einheit eigentlich wiederzustellen. Auf diesen Prozess selbst deutet für Schelling eben die Materie bzw. Materialisierung hin. Deshalb bedeutet die Materie nicht einen physischen Körper im allgemeinen Sinne, sondern einen Ausdruck der Dynamik, durch welche das eine unmittelbar das andere verwirklicht und gleichzeitig sich selbst erhält, und zwar sich selbst verinnerlicht. Auf diese Dynamik stützt sich die weitere Stufenfolge des Naturprozesses grundsätzlich. 9 Den Raumbegriff leitet Schelling aus dieser Auffassung der Materie ab. Für Schelling spielte der Raum einerseits eine Rolle als Negation der Materie (des Subjektes). Daher bezeichnet Schelling den Raum auch als „absolut Subjektloses“, weil der Raum die Raumerfüllung, nämlich die Materie als Subjekt, ausschließt. Aber andererseits liefert der Raum eine Grundlage für alle einzelnen Subjekte außer dem ausschließlichen Subjekt (Materie), weil er einzelnen Subjekten eben Raum geben kann, indem der Raum die Materie als Raumerfüllung selbst negiert. So entsteht eine zeitliche Reihenfolge zwischen Materie und Raum, indem der Raum die Materie durch Negation zur Vergangenheit gemacht hat. Damit beginnt Schellings Erörterung des Zeitbegriffs und dessen Momente. Schellings naturphilosophische Reihenfolge beginnt also mit der Materie, aus der dann Raum und Zeit abgeleitet werden. Dies bedeutet zuerst, dass die Darstellung der Naturphilosophie nicht unbedingt mit Raum und Zeit beginnen muss. In diesem Zusammenhang nehme ich nun auf die im Beitragstitel angegeben Frage Rekurs: Warum sind der Raum und die Zeit in Hegels Naturphilosophie vor der Materie da? Diese Frage lässt sich zuerst wie folgt präzisieren: Warum sind Raum und Zeit die ersten Momente der Naturphilosophie? Aufgrund der oben dargestellten chronologischen Zusammenfassung ergibt sich eine erste mögliche Antwort auf diese Frage: weil für Hegels Naturphilosophie ein ideelles Moment nicht mehr der Materie

8

Das +A deutet hier auf das hin, was „als nicht seyend gesetzt ist“ (SW 10, 309). In

9

Vgl. SW 10, 363ff. Dieser Prozess lässt sich noch in drei Sphären gliedern, nämlich

diesem Sinne bedeutet die Materialisierung auch eine sich-als-seiend-Setzung. in Quantität, Qualität und Relation.

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zukommt, obwohl Hegel in seiner Jenaer Zeit die Materie als ein ideelles Moment (wie Äther oder absolute Materie) betrachtet hatte. Hegel hatte zwar in seinem früheren naturphilosophischen Entwurf den Äther und die absolute Materie thematisiert, welche auf das erste Moment der Idee in der Natur hindeuten sollten. Hegels enzyklopädischer Systementwurf und seine eigene Logik waren wiederum noch nicht fortgeschritten genug, um die Idee selbst in sich einzugliedern. Doch in seiner Nürnberger Zeit rückte die Materie als das erste Moment der Idee in Natur in den Hintergrund, indem Hegel selbst seine Lehre von Idee entfaltete und deshalb nicht mehr unbedingt in seiner Naturphilosophie die ideelle Seite der Materie behandeln musste. Seitdem wurde die ideelle Seite der Materie stellenweise in die Wissenschaft der Logik eingegliedert, 10 so dass die Naturphilosophie nur die reale Seite der Materie erörtern musste. So traten Raum und Zeit an die Stelle der ideellen Materie und wurden zu konstitutiven Momenten der realen Materie. Dies ist ein erster Grund dafür, dass Raum und Zeit die ersten Momente in Hegels Naturphilosophie sind. Aber es lässt sich noch ein weiterer Grund angeben. 11 In seiner Nürnberger und Heidelberger Zeit entwickelte Hegel seinen enzyklopädischen Systementwurf, in den die Wissenschaft der Logik, Naturphilosophie und Geistesphilosophie eingegliedert werden. Nach diesem Schema sollte die Wissenschaft der Logik also im Zusammenhang mit der Naturphilosophie stehen. Deshalb musste Hegel zugleich das „freie Sich-Entlassen der logischen Idee in die Natur“ 12 erläutern, was in der 10

Man kann z.B. die Materie als Gegenstück zur Form in der Lehre vom Wesen sehen. Aber in der Wissenschaft der Logik der Enzyklopädie sind die entsprechenden Darlegungen ausgelassen.

11

Dafür kann man auch noch mehrere Gründe angeben. So wird z.B. auch häufig die strukturelle Parallelität zwischen der Lehre vom Sein der Wissenshaft der Logik und Mechanik-Kapitel der Naturphilosophie angegeben. Brigitte Falkenburg stellt fest, dass die Begriffe „Raum, Zeit, Ort, Bewegung und Materie“ im Mechanik-Kapitel der Naturphilosophie je „Sein, Werden, Dasein, Unendlichkeit, Fürsichsein“ in der Lehre vom Sein entsprechen könnten. Vgl. Brigitte Falkenburg, Die Form der Materie. Zur Metaphysik der Natur bei Kant und Hegel, Frankfurt am Main 1987, 185.

12

In den letzten Jahren hat Georg Oswald diese Übergangsproblematik aufgegriffen. Vgl. Georg Oswald, Das freie Sich-Entlassen der logischen Idee in die Natur in Hegels Wissenschaft der Logik, Hamburg 2020. Er selbst hielt den Ausdruck „Übergang“ in diesem Kontext für unzutreffend: „Von einem Übergang der logischen Idee in die

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Hegelforschung oft als „Übergangsproblematik“ bezeichnet wird. Im Schlusskapitel der Lehre vom Begriff, d. h. in der absoluten Idee, erläutert Hegel selbst wie folgt den „Übergang“ der logischen Idee in die Natur: Indem die Idee sich nemlich als absolute Einheit des reinen Begriffs und seiner Realität setzt, somit in die Unmittelbarkeit des Seyns zusammennimmt, so ist sie als die Totalität in dieser Form [in der Unmittelbarkeit des Seyns: A.N.], – Natur. – Diese Bestimmung ist aber nicht ein Gewordenseyn und Uebergang […]. Die reine Idee […] ist vielmehr absolute Befreyung […]; in dieser Freyheit findet daher kein Uebergang Statt, das einfache Seyn, zu dem sich die Idee bestimmt, bleibt ihr vollkommen durchsichtig, und ist der in seiner Bestimmung bey sich selbst bleibende Begriff. Das Uebergehen ist also hier vielmehr so zu fassen, daß die Idee sich selbst frey entläßt, ihrer absolut sicher und in sich ruhend. Um dieser Freyheit willen ist die Form ihrer Bestimmtheit eben so schlechthin frey, – die absolut für sich selbst ohne Subjectivität seyende Aeusserlichkeit des Raums und der Zeit. (GW 12, 253)

In diesem Zitat lässt sich der zweite Grund dafür erkennen, dass Raum und Zeit für Hegel die ersten Momente der Naturphilosophie sein müssen. In der Naturphilosophie der Jenaer Zeit wurde die ideelle Seite der Materie, also Äther oder absolute Materie, herausgestellt, die dort sogar als „[d]ie Idee als das in seinen Begriff zurükgegangne Daseyn“ (GW 8, 3) bezeichnet wurden. Dementsprechend begriff Hegel Raum und Zeit als „[d]ie Momente des unmittelbar als wahrhafft unendlich sich aufschliessenden Äthers“ (GW 7, 192). In diesem Sinne wurden Raum und Zeit zu den realen Momenten der Idee in der Natur, weil beide aus der Idee als Äther oder absoluter Materie ableitbar sind. In der Wissenschaft der Logik zwar wird die ideelle Seite der Materie nicht mehr als Äther oder absolute Materie bezeichnet. Aber wenn man hier, wie in der Naturphilosophie der Jenaer Zeit, die Natur (die Idee als die Totalität in der Unmittelbarkeit des Seins) strukturell mit einem derartigen Materiebegriff identifiziert, führt dies zu Folgendem: Raum Natur zu sprechen, ist ebenfalls problematisch, weil Hegel zwar im letzten Satz des vorletzten Absatzes der WDL [Wissenschaft der Logik: A.N.] von einem »Übergang« spricht, […] aber im zweiten sich daran anschließenden Satz sogleich bemerkt, dass dieser Übergang nicht seinslogisch zu interpretieren ist und somit keinen Übergang im strengen Sinn darstellt. Der Übergang ist vielmehr ein freier und notwendiger.“ (ebd., 10).

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und Zeit sind die ersten realen Momente der ideellen Natur, weil beide eigentlich als die reale Seite der Idee bezeichnet wurden. Somit unterscheidet sich die naturphilosophische Reihenfolge bei Hegel und Schelling, obwohl beide versuchten, die Entfaltung der sich verwirklichenden Idee in der Natur darzustellen. Hegels Naturphilosophie hat schließlich zur Reihenfolge von Raum, Zeit und Materie als Vermittlungsprozess geführt. Dort lässt sich die Materie als Einheit der ersten beiden Momente der Natur bezeichnen und deshalb nicht mehr ihre ideelle Seite betonen. Dagegen beginnt Schelling die Darstellung des Naturprozesses von Anfang an mit der Materie und entfaltet diesen ganzen Prozess als Materialisierungsprozess der sich verwirklichenden Idee. In einem Punkt steht Schelling Hegels früherer Naturphilosophie näher, weil Hegel in seiner Jenaer Zeit immer noch die Idee der Natur für den Äther bzw. die absolute Materie gehalten hatte: Zumindest für den späten Schelling ist die Idee zugleich die Materie, da er Wert auf die ideelle Seite der Materie als sich verwirklichende Idee legt. Folglich entsteht in seinem philosophischen System kein Übergangsproblem der logischen Idee in die Natur. 13 Dagegen hat Hegel später vielmehr versucht, die logische Struktur in die Natur einzuführen. Deshalb legt er Wert auf die Betrachtungsweisen der Natur, durch die die Natur sich eben mit dem Geist in Zusammenhang bringen lässt. Dementsprechend thematisiert Hegel in der Naturphilosophie der Enzyklopädie nicht mehr explizit die Materie als die Idee der Natur. Dies bedeutet aber, dass Hegel in der Naturphilosophie nicht mehr unbedingt die ideelle Seite 13

Schelling selbst hat in seinem Vorlesungsmanuskript Zur Geschichte der neueren Philosophie die Kritik an Hegels Übergangsproblematik entwickelt. Vgl. zu einer genaueren Zusammenfassung von Schellings Kritik Rolf-Peter Horstmann, „Logifizierte Natur oder naturalisierte Logik? Bemerkungen zu Schellings Hegel-Kritik“, in: Rolf-Peter Horstmann/Michael John Petry (Hg.), Hegels Philosophie der Natur. Beziehungen zwischen empirischer und spekulativer Naturkenntnis, Stuttgart 1986, 290–308. Ich füge dazu hinzu, dass Schelling später Hegel nicht nur die Übergangsproblematik, sondern auch die Mangelhaftigkeit von Hegels Dreidimensionalitätsbeweises des Raumes vorgeworfen hat. Vgl. dazu Paul Ziche, „Raumdimensionen und Prinzipiendeduktion. Beweis für die Dreidimensionalität des Raumes bei Schelling und Hegel“, in: Wolfgang Neuser/Vittorio Hösle (Hg.), Logik, Mathematik und Natur im objektiven Idealismus. Festschrift für Dieter Wandschneider zum 65. Geburtstag, Würzburg 2004, 157–173, bes. 169f.

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der Materie, sondern vielmehr darin die reale Seite der Materie darstellen musste, weil die ideelle Seite der Materie sich in die Wissenschaft der Logik eingegliedert und ihren eigenen Stellenwert erhalten hatte. Somit hat Hegel erst in seiner enzyklopädischen Naturphilosophie hauptsächlich den erweiterten Materiebegriff als „die unmittelbar identische daseyende Einheit beider“ (GW 20, 252), und zwar die Materie als Schwere – die Kritik an der kantischen Theorie der Materiekonstruktion eingeschlossen – thematisieren können.

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Christian Illies Von Kühen lernen Mit Hegel zur Naturphilosophie und einer Sittlichkeit des Naturumgangs

Für Dieter Wandschneider in Hochschätzung 1

1. Warum noch Naturphilosophie? Eine Vorbemerkung. Es gibt kaum einen dem Hegelschen vergleichbaren umfassenden Versuch der Weltdeutung und nur wenige philosophische Systeme, die ebenso mannigfache Bereiche menschlichen Nachdenkens tiefgreifend bestimmt haben. 2 Allein die Hegelsche Naturphilosophie wird nur wenig rezipiert und noch weniger weitergedacht, ja sie fand schon bald nach Hegels Tod kaum mehr Beachtung. 3 Dafür gibt es verschiedene Gründe: Hegel hatte zu seiner Zeit zwar ein souveränes Wissen der Naturwissenschaften besessen, aber durch die dynamische Ausweitung naturwissenschaftlichen Wissens schienen manche seiner Beispiele und Verweise veraltet. Wichtiger noch, diese so erfolgreiche Naturwissen1

Dieser Aufsatz basiert auf einer früheren Arbeit, von der sich aber nur noch wenige Passagen unverändert in dem Text finden; Abschnitte 3 und 4 sind ganz neu. (Vergl. Illies, „Philosophische Meisterstücke: Georg Wilhelm Hegel, Einleitung in die Naturphilosophie (mündliche Zusätze)“, in: E. Martens (Hrsg.), Philosophische Meisterstücke II, Stuttgart 2001, S. 86–102.) Für sehr hilfreiche Anmerkungen und Korrekturen bin ich Martin Barnickel, Gabriele De Anna und Klaus Vieweg dankbar.

2

Für die gegenwärtig umfassendste und überaus klare Darstellung von Hegels Systems siehe: Vittorio Hösle, Hegels System, Hamburg 1988.

3

„Bis 1970 gab es kaum jemanden unter den Hegelianern, geschweige denn unter den Philosophen der Naturwissenschaften, der bereit war, Hegels Naturphilosophie als ein ernstzunehmendes Forschungsgebiet anzuerkennen.“ (Petry, M.J., „Hegels Naturphilosophie – Die Notwendigkeit einer Neubewertung“, in: Zeitschrift für philosophische Forschung, Bd. 35/1981, S. 618).

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schaft fußte ganz auf kausalen Erklärungen, deren Kraft sich besonders zeigte, als knapp drei Jahrzehnte später mit Charles Darwin auch die Biologie beanspruchen konnte, ohne teleologische Erklärungen auszukommen. All das schien eine idealistische Naturphilosophie, die in der Naturentwicklung eine große Bewegung auf ein Ziel hin sieht, überflüssig zu machen. Fragen nach dem Ziel oder Wesen der Natur hielt man zunehmend für fruchtlose Spekulationen im Vergleich zu den Fragen nach dem Mechanismus der Natur, vor allem weil die naturwissenschaftlichen Einsichten einerseits einen ungeheuren Grad an objektiver Geltung beanspruchen konnten und andererseits unmittelbar technisch verwertbar waren, also ihre Richtigkeit nicht nur in der Praxis bewiesen, sondern sich auch ökonomisch lohnten. Diese Perspektive lässt die uns umgebende Welt als Instrument erscheinen, oder in den Worten des gegenwarts- und technikkritischen Martin Heidegger als verwertbares „Gestell“ ohne Eigenwert. Und das ist keine zufällige Folge der Naturwissenschaft, sondern gehört zu ihrem methodischen Vorgehen. Wenn die Naturwelt restlos durch quantitative Zusammenhänge erklärbar ist, keine Ziele oder Zwecke mehr hat, dann können Naturdinge auch keine Selbstzwecke mehr sein – und sind folgerichtig wertfrei. 4 Aber die Umweltkrise zeigt in bedrückender Form, wie verheerend sich ein rein instrumenteller Zugang auf die Natur auswirkt. Es verwundert daher nicht, dass seit einigen Jahren Ansätze einer Rehabilitation naturontologischer Fragestellungen zu finden sind, die angesichts der ökologischen Krise wieder nach dem Wert der Natur fragen. Ganz offensichtlich ist das beim neuen Holismus, sowohl in seiner eher aufklärerischen Tradition (wie bei Martin Gorke) als auch in seinen romantischen Varianten (wie in Lynn Margulis oder James Lovelocks GaiaHypothese), die zunächst ethische Theorien sind. Aber nicht nur: Hans Jonas wurde zwar durch seine Naturethik Das Prinzip Verantwortung. Versuch einer Ethik für die technologische Zivilisation (1979) bekannt, aber diese gründet doch auf einer grundlegenderen Philosophie der Natur, die er bereits in den 40er Jahren in Briefen an seine Frau entwarf und schließlich in dem Buch Phenomenon of Life (1966) vorlegte. Noch früher versuchte die Philosophische Anthropologie, etwa bei Helmuth Plessner oder Max Scheler, in dem ersten Drittel des 20. Jahrhunderts 4

Man sehe mir nach, eine komplexe Argumentation hier sehr stark verkürzt zu haben.

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eine Deutung des Menschen im Rahmen einer allgemeinen Naturphilosophie. 5 Die genannten Ansätze entstanden meist ohne Bezug zu Hegel. Doch es lohnt, sich auf ihn zu besinnen, vor allem weil er eine synthetische Naturphilosophie entwirft, welche mehreres versucht: Einerseits verknüpft er eine normativ-teleologische Herangehensweise mit der modernen Naturwissenschaft (wenigstens die seiner Zeit). In beeindruckende Weise greift Dieter Wandschneider diesen Impuls auf und führte ihn zu einer objektiv-idealistischen Naturphilosophie weiter, die den gegenwärtigen Stand der Naturwissenschaft berücksichtigt und mit einer idealistisch-teleologischen Deutung des Naturgeschehens verbindet. 6 Andererseits ist Hegels Naturphilosophie aber auch Teil eines umfassenden philosophischen Systems, welches die Naturphilosophie mit allen anderen Systemteilen in einen Zusammenhang stellt – also auch mit der Ethik, der philosophischen Anthropologie, der politischen Philosophie und Rechtsphilosophie. Hegels Naturphilosophie versucht mehrfache Brückenschläge – und könnte so in besonderer Weise für unsere Zeit Hinweise geben, den Herausforderungen der Gegenwart zu begegnen. Denn wir brauchen vor allem konstruktive Brückenschläge von Ethik, Politik und Recht zu den neuen Herausforderungen durch die ökologische Krise. Das Thema meiner Überlegungen ist genau dies: Den Impuls Hegels für eine Naturphilosophie aufzugreifen, die für die Gegenwart fruchtbar sein könnte. Dabei gehe ich wie folgt vor. Zunächst wird die Grundeinsicht von Hegels Naturphilosophie skizziert, die darauf zielt, in der Natur nicht nur einen Gegenstand naturwissenschaftlicher Forschung zu sehen, sondern zugleich einen Eigenwert (Abschnitt 2). Anschließend will ich die Bedeutung der Einsichten Hegels für unseren Naturzugang zeigen (Abschnitt 3), bevor ich versuche, den Ansatz „hegelisch“ weiterzudenken, indem ich ihn mit einer zentralen Einsicht aus Hegels Rechtsphilosophie verbinde (Abschnitt 4). Hegel Naturphilosophie, so meine These, kann zu einer neuen Natur-Sittlichkeit weitergedacht werden.

5

Zu denken ist an Max Schelers Die Stellung des Menschen im Kosmos (1928) und Helmuth Plessners Die Stufen des Organischen und der Mensch. Einleitung in die philosophische Anthropologie (1928).

6

Siehe vor allem ders., Naturphilosophie, Bamberg 2009.

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2. Aus Hegels Vorlesungen zur Naturphilosophie: Ein Interpretationsversuch Um die Kernidee der Hegelschen Naturphilosophie zu erfassen, bietet sich nicht nur ein Blick in die „Einleitung zur Naturphilosophie“ in der Enzyklopädie der Wissenschaften an, sondern vor allem auch in die Erläuterungen Hegels dazu aus seinen Vorlesungen. Denn die Dunkelheit, welche auf vielen Passagen der Enzyklopädie liegt, wird durch die kommentierenden Ausführungen Hegels erhellt, welche seine Schüler eifrig mitschrieben. Hier tritt er ausführlicher, anschaulicher, freier aus der fernen Vergangenheit auf uns zu als in den doch manchmal kryptisch verdichteten Paragraphen der veröffentlichten Enzyklopädie. Die nur in Form von Mitschriften überlieferten Vorlesungen mögen nicht immer den exakten Wortlaut Hegels wiedergeben, aber sie bieten Meisterstücke der Argumentation, welche die Kernidee seines Systems und seiner Naturphilosophie verdeutlichen. Und um die soll es hier allein gehen. Am Anfang von Hegels Erörterungen des Wesens der Natur (die von Raum und Zeit bis zum Organischen reichen) stehen grundsätzliche Ausführungen. Hier geht es um die rechte Art und Weise, mit der wir uns der Natur nähern sollen. Hören wir die Erklärungen, die ich gekürzt zitiere: 7 Was ist die Natur? Diese Frage überhaupt wollen wir uns durch die Naturerkenntnis und Naturphilosophie beantworten. Wir finden die Natur als ein Rätsel und Problem vor uns, das wir ebenso aufzulösen uns getrieben fühlen, als wir davon abgestoßen werden: angezogen, [denn] der Geist ahnt sich darin; abgestoßen von einem Fremden, in welchem er sich nicht findet. (…) Was ist die Natur? Sie bleibt ein Problem. (…) Wir könnten sogleich den Flug in die philosophische Idee nehmen, sagend, die Philosophie der Natur soll uns die Idee der Natur geben. Fingen wir so an, so könnte dies undeutlich werden. Denn wir müssen die Idee selbst als konkret auffassen und so ihre verschiedenen Bestimmungen erkennen und dann zusammenfassen. (…) Nehmen wir nun diese Bestimmungen in

7

Aus: Enz (TWA 9), Zusätze. Die im folgenden zitierten Passagen sind von S. 12–14, 16, 18–19, 23. (Die „Zusätze“ sind aus Hegels Vorlesungen mitgeschriebene Anmerkungen zu den einzelnen Paragraphen der Enzyklopädie, die nach seinem Tode von seinen Schülern zusammengestellt und der Enzyklopädie-Ausgabe beigefügt wurden).

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Formen auf, die uns bekannt sind, und sagen, wir wollen uns denkend zur Natur verhalten, so gibt es zunächst noch andere Weisen, sich zu ihr zu verhalten, die ich nicht um der Vollständigkeit willen anführen will, sondern weil wir darin die Bausteine und Momente finden werden, die zur Erkenntnis der Natur notwendig gehören und uns vereinzelt in anderen Naturbetrachtungsweisen eher zum Bewusstsein kommen. Dadurch werden wir den Punkt herbeiführen, an dem das Eigentümliche unseres Unternehmens sich heraushebt. Wir verhalten uns zur Natur teils praktisch, teils theoretisch. 8

Hegel geht also zunächst von einer Einsicht aus, welche in der Gegenwart seit Nietzsche, Wittgenstein oder der Phänomenologischen Tradition Husserls zu umfassender Bedeutung gelangen sollte: Unsere jeweilige Fragestellung, Forschungsinteresse oder Annäherungsweise, also wie wir uns zu etwas „verhalten“, sind entscheidend für die Antwort, welche wir über einen Gegenstand erwarten können. Hegels Naturphilosophie beginnt als Methodenreflexion. Dabei wird die empirische Naturwissenschaft als „theoretische Betrachtungsweise“ von anderen abgegrenzt und in ein Verhältnis gesetzt (das selbst wieder dialektisch ist, wie wir sehen werden). Insgesamt kennt er drei Annäherungen, von denen die praktische die erste und ursprüngliche ist:

Praktische Annäherung Zu dieser Annäherung sagt Hegel: Das praktische Verhalten zur Natur ist durch die Begierde, welche selbstsüchtig ist, überhaupt bestimmt; das Bedürfnis geht darauf, die Natur zu unserem Nutzen zu verwenden, sie abzureiben, aufzureiben, kurz sie zu vernichten. Hier treten näher sogleich zwei Bestimmungen hervor. a) Das praktische Verhalten hat es nur mit einzelnen Produkten der Natur oder mit einzelnen Seiten dieser Produkte zu tun. Die Not und der Witz des Menschen hat unendlich mannigfaltige Weisen der Verwendung und Bemeisterung der Natur erfunden. [...] Aber der Natur selbst, des Allgemeinen derselben, kann er auf diese Weise nicht sich bemeistern, noch es zu seinen Zwecken abrichten.

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b) Das andere im praktischen Verhalten ist, dass, da unser Zweck das Letzte ist, nicht die natürlichen Dinge selbst, wir sie uns zu Mitteln machen, deren Bestimmung nicht in ihnen selbst, sondern in uns liegt, wie wenn wir z.B. die Speisen zu Blut machen. 9

Praktisch nähern wir uns der Natur also, wenn wir einen Apfel vom Baum pflücken, einen ganz individuellen in seinem leuchtenden, grünroten Farbenspiel, und ihn genussvoll verspeisen. In dieser Weise nähert sich auch die Kuh praktisch den Gräsern auf der Weide, wie Hegel sagt: „die Tiere … gehen auf die Dinge zu, greifen, erfassen, verzehren sie.“ 10 Diese Annäherung ist die ursprüngliche Begegnung mit der Natur, sie findet vor aller theoretischen Erfassung statt. Diese Aneignung der Natur ist der Grund, warum Hegel provozierend von einem gewissen „idealistischen“ Moment des praktischen Umgangs spricht: das Einzelne Naturding ist hier ja tatsächlich nur ein uns Unterworfenes und Veränderbares, es wird durch unser Wollen bestimmt. Wie wir sahen, unterscheidet dabei Hegel zweierlei: Einerseits wird die praktische Aneignung dadurch charakterisiert, dass bei ihr einzelne Produkte der Natur als solche ernst genommen werden. Zweitens gehört dazu, dass diese unseren Zwecken untergeordnet werden, also ihnen kein Selbstzweck zuerkannt wird.

Theoretische Annäherung Was ist die reflektierte, theoretische Herangehensweise? Hegel erklärt sie den Zuhörern wie folgt: Beim theoretischen Verhalten ist a) das erste, dass wir von den natürlichen Dingen zurücktreten, sie lassen wie sie sind, und uns nach ihnen richten. Wir fangen hierbei von sinnlichen Kenntnissen der Natur an. Wenn die Physik indessen nur auf Wahrnehmungen beruhte und die Wahrnehmungen nichts wären als das Zeugnis der Sinne, so bestände das physikalische Tun nur im Sehen, Hören, Riechen usw., und die Tiere wären auf diese Weise auch Physiker. Es ist aber der Geist, ein Denkendes, welches sieht, hört usw. Sagten wir nun, im Theoretischen entlassen wir die Dinge frei, so bezieht sich dies nur zum Teil auf

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die äußeren Sinne, da diese selbst teils theoretisch, teils praktisch sind (§ 358); nur das Vorstellen, die Intelligenz hat dies freie Verhalten zu den Dingen. [...] b) Die zweite Beziehung der Dinge auf uns ist, dass sie die Bestimmung der Allgemeinheit für uns bekommen oder dass wir sie in etwas Allgemeines verwandeln. Je mehr des Denkens in der Vorstellung wird, desto mehr verschwindet von der Natürlichkeit, Einzelheit und Unmittelbarkeit der Dinge: durch den sich eindrängenden Gedanken verarmt der Reichtum der unendlich vielgestalteten Natur, ihre Frühlinge ersterben, ihre Farbenspiele erblassen. Was in der Natur von Leben rauscht, verstummt in der Stille des Gedankens; ihre warme Fülle, die in tausendfältig anziehenden Wundern sich gestaltet, verdorrt in trockene Formen und zu gestaltlosen Allgemeinheiten, die einem trüben nördlichen Nebel gleichen. 11

Die theoretische Herangehensweise ist also zunächst eine sinnliche Erfassung, auf die eine allgemeine begriffliche Zuordnung folgt. Dabei kommt es aber zu einem Verlust der Lebendigkeit der Naturphänomene, die dadurch in abstrakter, allgemeiner Weise erfasst werden und die konkrete Besonderheit verlieren, wie Hegel fast poetisch sagt. Wenn wir etwas denken, etwa dass dies ein Apfel sei, so geben wir der individuellen Frucht eine allgemeine Form, nämlich „ein Apfel“ zu sein. Wir affirmieren also gleichsam, dass sie zu einer Idee gehört. Mit Hegels Worten: Die Intelligenz familiarisiert sich mit den Dingen freilich nicht in ihrer sinnlichen Existenz; aber dadurch, dass sie dieselben denkt, setzt sie deren Inhalt in sich, und indem sie der praktischen Idealität, die für sich nur Negativität ist, sozusagen die Form hinzufügt, die Allgemeinheit, gibt sie dem Negativen der Einzelheit eine affirmative Bestimmung. Dieses Allgemeine der Natur ist nicht ein Subjektives, das uns zukäme, sondern vielmehr, als ein dem transitorischen Phänomen entgegengesetztes Noumen, das Wahre, Objektive, Wirkliche der Dinge selbst, wie die Platonischen Ideen, die nicht irgendwo in der Ferne, sondern als die substantiellen Gattungen in den einzelnen Dingen existieren. 12

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Aber hier sieht Hegel zugleich eine Spannung, ja einen inneren Widerspruch: Dadurch, dass wir beim Erkennen den Phänomenen allgemeine Begriffe zuordnen, verlieren wir gerade die Besonderheit des Realen vor uns. Wie er schreibt: [W]ir finden das theoretische Verhalten innerhalb seiner selbst widersprechend, indem es unmittelbar das Gegenteil von dem zu bewirken scheint, was es beabsichtigt. Nämlich wir wollen die Natur erkennen, die wirklich ist, nicht etwas, das nicht ist; statt sie wahrzunehmen, machen wir etwas ganz anderes daraus. Dadurch, dass wir die Dinge denken, machen wir sie zu etwas Allgemeinem; die Dinge sind aber einzelne, und der Löwe überhaupt existiert nicht. Wir machen sie zu einem Subjektiven, von uns Produzierten, uns Angehörigen, und zwar uns als Menschen Eigentümlichen; denn die Naturdinge denken nicht und sind keine Vorstellungen oder Gedanken. 13

Es besteht bei der theoretischen Annäherung also ein Widerspruch zwischen dem Versuch, das einzelne zu erfassen – ich sehe einen Apfel – und dem, was wir erreichen – wir ordnen diesen runden Gegenstand vor uns dem Allgemeinbegriff Apfel unter und verlieren damit zugleich wieder all das Individuelle des Apfels. Der allgemeine Begriff kann den konkreten Apfel nicht ganz fassen. Aber auch die ursprünglichere praktische Herangehensweise trägt in sich einen Widerspruch. Wir vermögen zwar bei der praktischen Annäherung, im Unterschied zur theoretischen, das konkrete Naturphänomen zu bewahren und verlieren dieses nicht durch irgendeine Verallgemeinerung. Aber zugleich machen wir diesen konkreten Apfel unseren Zwecken dienstbar, instrumentalisieren ihn, indem wir in ihn beißen, ihn zerkauen, schlucken und metabolisch-praktisch einverleiben. Der Apfel geht nicht in sein Allgemeines auf, in „den Apfel“ (gleichsam die Platonische Idee, wie Hegel hinzufügt), sondern löst sich bloß in meiner Magensäure auf. Aber auch damit verschwindet er, obgleich in einer anderen Weise. Wir nehmen ihn in seiner individuellen Konkretheit ernst, geben ihm Bedeutung, aber vernichten ihn dabei zugleich. Die praktische Herangehensweise ist also gerade an der Stelle stark, wo die theoretische schwach ist – sie nimmt das konkrete Individuelle ernst – und umgekehrt dort schwach, wo die theoretische Heran-

13

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gehensweise stark ist: Die praktische Herangehensweise löst das Individuelle schließlich auf, während die theoretische es zwar nicht wirklich erfasst, aber doch in ein Überzeitlich-Ideenhaftes, eben den Begriff, überführt. Beide Herangehensweisen sind also einander „entgegengesetzt“.

Naturphilosophische Annäherung Entgegensetzungen lassen natürlich das Herz Hegels (und jedes Hegelianers) höherschlagen, denn sie sehnen sich nach einer dialektischen Auflösung. Hegel erbarmt sich ihrer und hebt alles in einer dritten, synthetischen Herangehensweise auf: 14 Dem thetisch-unmittelbaren Annähern, wie es in der unreflektierten Praxis geschieht, wurde zunächst antithetisch die naturwissenschaftliche Betrachtung entgegengesetzt. Jetzt folgt die Naturphilosophie. Die Synthese vermeidet als Verbindung beider Momente die jeweiligen Unzulänglichkeiten der erstgenannten Annäherungen, sie greift das Richtige von ihnen auf und ist so die tiefere Form der Erkenntnis. Hegel charakterisiert sie wie folgt: Dies ist nun die Bestimmung und der Zweck der Naturphilosophie, dass der Geist sein eigenes Wesen, d.i. den Begriff in der Natur, sein Gegenbild in ihr findet. So ist das Naturstudium die Befreiung seiner in ihr; denn er wird darin, insofern er nicht auf ein Anderes sich bezieht, sondern auf sich selbst. Es ist dies ebenso die Befreiung der Natur; sie ist an sich die Vernunft, aber erst durch den Geist tritt diese als solche an ihr heraus in die Existenz. Der Geist hat die Gewißheit, die Adam hatte, als er Eva erblickte: „Dies ist Fleisch von meinem Fleisch; dies ist Gebein von meinem Gebein. 15

Die Naturphilosophie hat eine „Bestimmung und Zweck“, nämlich den wirklichen Begriff der Natur zu finden, bei dem das jeweils Falsche der einseitigen Herangehensweisen abgelegt, das Richtige von ihnen aber bewahrt wird. So soll sie zum einen von der praktischen Annäherung übernehmen, dass die Dinge nicht neutral, sondern zweckgerichtet und so auch normativ zu nehmen sind. Allerdings soll sie nicht den Fehler

14

Sehr klärend zum Dialektikbegriff Hegels ist: D. Wandschneider, Grundzüge einer Theorie der Dialektik, Stuttgart 1996.

15

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der praktischen Annäherung wiederholen, die Naturdinge für das Eigeninteresse zu instrumentalisieren, also ihren Wert vom eigenen Subjekt abhängig zu machen. Die Bestimmung der Naturphilosophie ist es stattdessen zu erkennen, dass sich ein Ideelles, damit objektiv Ideales in den Naturdingen verwirklicht. Hegel spricht daher davon, dass „der Geist sein eigenes Wesen […] sein Gegenbild“ in der Natur findet. 16 Das „Gegenbild“, also diese geistige begriffliche Grundlage der Natur, die sich in den Einzeldingen manifestiert, ist immer auch werthaft. Damit bekommen die einzelnen Phänomene als Manifestationen eines werthaft Allgemeinen einen Eigenwert, der unabhängig ist von dem Wert, den wir ihnen subjektiv geben. Das zu erkennen ist die Aufgabe der Naturphilosophie. Mit diesem Erkennen oder besser Anerkennen zeigt sich die Naturphilosophie aber auch als Aufhebung der theoretischen Annäherung: Durch diese Anerkennung eines objektiv Werthaften übersteigt die Naturphilosophie das Einzelne hin zu einem Allgemeinen – was aber hier kein theoretischer Begriff ist (wie „Löwe“ oder „Apfel“). Damit bewahrt die Naturphilosophie im Unterschied zur theoretischen Annäherung das konkrete Einzelne: Sie erkennt, dass das Einzelne Erscheinung eines allgemeinen Zweckes ist, welcher sich in dem individuellen Naturding ausdrückt und ihm dadurch wieder eine „affirmative Bestimmung“, eine ganz konkrete Bedeutsamkeit bzw. eine (Selbst)Zweckhaftigkeit gibt. So lässt sich Hegels Verweis auf Adam verstehen. Denn wenn der sagt: „Dies ist Fleisch von meinem Fleisch“, dann ordnet er Eva nicht nur unter den neutralen Allgemeinbegriff „Fleisch“, sondern Adam anerkennt, dass auch sie einen Eigenwert hat. Evas organische Gestalt ist wie die seine gottgewollt, in ihrer Individualität wie in seiner manifestiert sich ein Ideales. Und dieses Ideale ist eines, das sie zugleich verbindet – es ist eben Fleisch von seinem Fleisch. Damit reicht die Bestimmung bzw. Aufgabe der Naturphilosophie ins Grundsätzliche. Denn für sich betrachtet stehen sich Natur und Ideen zunächst als entgegengesetzte Seinsbereiche gegenüber, die Natur ist die „Idee im Abfall“ (Enz, § 248). Aber Natur ist auch nicht etwas Wider-Ideenhaftes, sie bleibt auch im Abfall eine Idee, da sie weiterhin von dem Logischen als normativer Vernunftstruktur bestimmt wird. Das zu erkennen, ist die Bestimmung der Naturphilosophie. Und es ist

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TWA 9, 23.

zugleich die Bestimmung der Natur, durch die Naturphilosophie erkannt zu werden. Darum kann Hegel seinen Studenten sagen: „Es ist dies ebenso die Befreiung der Natur; sie ist an sich die Vernunft, aber erst durch den Geist tritt diese als solche an ihr heraus in die Existenz.“ Die Pointe ist dabei, dass diese Einsicht, also die rechte (Natur-) Philosophie, zugleich selbst der Zweck der normativen Vernunftstruktur ist, welche der ganzen Wirklichkeit (Natur und Geist) zugrunde liegt. Hier schließt sich Hegels System und die Triade Idee-Natur-Geist kommt zu ihrer Vollendung: Die rechte Erkenntnis der Natur besteht darin zu verstehen, dass sie von einer Vernunftstruktur (Idee) konstituiert wird, deren Ziel es ist, sich selbst in genau dieser Vernunfterkenntnis zu erkennen, also wenn im Naturwesen Mensch der Geist erwacht und Naturphilosophie betreibt. Denn der menschliche Geist (sein Denken, Bewusstsein, Erkennen) ist einerseits naturhaft, da er sich auf organischer Grundlage entwickelt, evolutionär entsteht, können wir hinzufügen. Deswegen hat der Geist des Menschen wie die Natur Zeitlichkeit, ist nur zeitlich denkbar (was Kant so betonte). Andererseits aber kann der menschliche Geist (oder der allgemeine Geist in seiner Manifestation, also dem fleischgewordenen Einzelnen) die Ideen erkennen und hat insofern an ihrem idealen Sein teil. 17 Die Naturphilosophie als Synthese vollendet die Bewegung, der Geist wird sich seiner bewusst und ist damit zu sich selbst gekommen. Er ist an und für sich.

3. Zur Aktualität der Naturphilosophie Hegels Was lässt sich von alledem lernen? Für unsere Annäherung an die Natur sind es vor allem zwei wichtige Anstöße Hegels, die ernst genommen werden sollten:

17

Geist und Natur, obgleich beide von einer Sphäre konstituiert, sind also nicht symmetrisch, denn der Geist kann die Natur erfassen, diese aber nicht ihn – und doch ist der Geist gerade wegen dieses sie beide konstituierenden Prinzips in der Lage, sich in dem „Fremden“ der Natur zu „finden“.

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Naturwissenschaft und Naturphilosophie bedürfen einander wechsel-seitig. Dass die Naturwissenschaft sehr wichtig, ja entscheidend ist, bestreitet Hegel keinesfalls. Nur wenn wir diesen „Reichtum der Erkenntnis“ besitzen, und er meint damit den der empirischen Erkenntnis, könne die Frage nach dem Wesen der Natur „von neuem kommen oder erst entstehen“. 18 Eine umfassende (naturphilosophische) Erkenntnis der Natur setzt also die Naturwissenschaft voraus. Aber die Naturwissenschaft muss ihr eigenes Tun auch recht verstehen – und dazu gehört, dass sie keineswegs eine materialistisch-reduktionistische Sicht der Wirklichkeit impliziert. Das ist der erste wichtige Anstoß Hegels: Naturwissenschaft ist ohne Anerkenntnis einer eigenständigen Vernunft bzw. der Wirklichkeit geistiger Phänomene gar nicht konsistent denk- oder verstehbar. Denn sie bedarf einerseits der fragenden und ordnenden Vernunft des Naturwissenschaftlers, anderseits setzen ihre Einsichten eine Vernunftstruktur der Wirklichkeit voraus, die allein erklärt, warum wir mathematisch beschreibbare Regelmäßigkeiten und Abläufe finden. Das bedeutet Hegels Verweis auf die besondere ontologische Struktur des Allgemeinen („der Löwe“) – es zeigt sich aber auch in den Naturgesetzen, könnte man hinzufügen. Denn diese liegen wie die allgemeinen Ordnungskategorien der Natur zugrunde, ohne selbst ein sinnlichwahrnehmbares oder messbares Naturseiendes zu sein (wie ein Apfel oder eine Ortsveränderung pro Zeiteinheit). Die Zusammenhänge sind nur dem Denken über die Natur, also unserer Vernunft zugänglich, sind aber keine subjektiven Konstruktionen, sondern bilden den als objektiv anzunehmenden strukturellen Rahmen, durch den alles Einzelne notwendig gelenkt wird. Dieser immaterielle Rahmen besitzt einen anderen ontologischen Status als die „Produkte der Natur“; nach Hegel gehören sie zum Bereich des Logischen.

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Dem entspricht auch, dass, wie wir durch intensive Forschung der letzten Jahre wissen, Hegels Kenntnis der Naturwissenschaften nicht nur umfassend war, sondern auf der Höhe ihrer Zeit stand. Siehe etwa den Sammelband: M.J. Perry (Hrsg.), Hegel und die Naturwissenschaften. Stuttgart 1987; D.v. Engelhardt, „Grundzüge der wissenschaftlichen Naturforschung um 1800 und Hegels spekulative Naturerkenntnis“, in: Philosophia Naturalis, Bd. 13/1972.

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Und wie Hegel in seinen Reflexionen zur theoretischen Annäherung sagt, übersteigen sie daher jede naturhafte Partikularität. Das Forschen des Naturwissenschaftlers muss also in der Tat von jeder Besonderheit, den „tausendfältig anziehenden Wundern“ der einzelnen Dinge absehen und sie paradoxerweise – oder „widersprechend“, wie Hegel sagt – lediglich als Beispiele für das Allgemeine betrachten. Jede theoretische Annäherung basiert also einerseits auf der Vernunft und fragt andererseits nach der Vernunftstruktur in und hinter den Erscheinungen. (Und es liegt nahe, mit Hegel gerade darin die Intelligibilität der Natur begründet zu sehen.) Dies anzuerkennen wäre ein wichtiger Schritt, um den szientistischen Reduktionismus hinter sich zu lassen und wieder die Frage nach Werthaftem in der Natur zu stellen. Die Erscheinungen der Natur haben einen Eigenwert. Was ist der zweite wichtige Anstoß? Mit Hegel können wir vielleicht eine Wertschätzung der Natur grundlegen. Eine instrumentelle Wertzuschreibung der Natur und ihrer Produkte vollziehen wir selbstverständlich. Denn wir Menschen nähern uns fortwährend praktisch der Natur, indem wir von ihr Gebrauch machen. Das verbindet sich heute in besonderer Weise mit der theoretischen Annäherung, indem wir die Einsichten der Naturwissenschaft fruchtbar machen, um die Natur für uns zu nutzen. Die enge Verbindung zwischen moderner Naturwissenschaft und Technik ist ein Ausdruck dieser systematischen Anwendung allen Wissens. Nun ahnte Hegel noch nicht, wie weit die menschlichen Fähigkeiten zur Umgestaltung (und leider auch Zerstörung) durch die Technik einmal reichen würden. Wenn Hegel bei der praktischen Annäherung von einer Form der „Vernichtung“ spricht, dann meint er das wörtlich – wenn etwas vernichtet wird, dann ist es danach nicht mehr das Ursprüngliche –, aber doch sieht er die Vernichtung als Teil eines Kreislaufes der Natur. Jedes Eingreifen und Verändern ist notwendigerweise auch das Beenden eines vorhergehenden Zustandes, da nur so ein neuer hervorgebracht werden kann. Die Figur der Dialektik als Grundprinzip der Entwicklung enthält dies ja im antithetischen Infragestellen des zunächst in der These gesetzten, bevor es in der Synthese teilweise aufgehoben werden kann. Vernichtung ist damit die Voraussetzung jedes neuen Aufbaus und Weiterschreitens, also Teil eines schöpferischen Prozesses. Einseitige Gedanken müssen in ihrem Geltungsanspruch

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verworfen werden, bevor die in ihnen auch vorhandene Wahrheit in einer vertieften Einsicht, der Synthese, aufgehoben werden kann. Und ebenso zerlegen wir in der Verdauung zwar die uns äußerliche, fremde Ganzheit der Speise zunächst in ihre molekularen Bestandteile und Energie, vernichten sie also, um dann aus diesen Bausteinen und mit der so gewonnenen Energie unseren Körper aufzubauen. Die vernichtete, uns fremde Ganzheit wird in einer neuen, uns einschließenden Ganzheit aufgehoben. Gegenwärtig zeigt uns die Umweltkrise jedoch, wie schwierig die Synthese ist, weil unsere Annäherung an die Natur instrumentell und damit defizitär bleibt. Schon deswegen folgt auf die Vernichtung der Natur keineswegs die Konstruktion einer neuen Ganzheit, sondern in der Regel ein schlechterer Zustand. Das hat viele Gründe, die zunächst von unserer Unwissenheit über ökologische Zusammenhänge und unserer Unbedarftheit, über rücksichtlose Gier und Gewinnstreben bis zu den ungeheuren Fernwirkungen moderner Technik reichen, wie sie Hans Jonas warnend betont hat. 19 Ein entscheidender, oft eher unterschwelliger Grund für die Unfähigkeit zur Synthese liegt aber auch in unserer Einstellung zur Natur: Anders als bei Hegel wird die Natur primär als Mittel unserer Bedürfnisbefriedigung gesehen und ihr dabei jeder Eigenwert abgesprochen. Ideengeschichtlich liegt das in der Logik der Moderne, in der uns die Welt und Natur „entzaubert“ begegnet, um Max Webers bekannte Formulierung zu gebrauchen. 20 Dieser Prozess 19

Offensichtlich ist der Zusammenhang zwischen Moderne und instrumenteller Natursicht noch komplexer. Evelyn Hantzig-Bätzing und Werner Bätzing argumentieren etwa, dass die Entgrenzung ein entscheidender Faktor ist: Weil wir in der Gegenwart alle Phänomene und uns selbst zunehmend als entgrenzt verstehen, können wir die konstruktive Notwendigkeit der Anerkennung von Begrenzungen nicht mehr begreifen. Und einem grenzenlosen Phänomen kann nicht mehr sinnvoll ein Eigenwart zugesprochen werden. Siehe dieselben, Entgrenzte Welten. Die Verdrängung des Menschen durch Globalisierung von Fortschritt und Freiheit, Zürich 2005. Werner Bätzing hat gerade in einer interessanten Analyse gezeigt, wie diese Entgrenzung speziell auf das Naturverhältnis wirkt (Homo destructor – Eine MenschUmwelt-Geschichte, München 2023).

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Auch wenn Max Weber damit unterstellt, die qualitativ-normative Dimension der Natur sei nicht mit der Vernunft zu erkennen und anzuerkennen, sondern eben nur irrationale Zauberei bzw. eine Gefühlswirklichkeit. Insofern müsste man im Sinne Hegels sagen, dass die Welt nicht entzaubert, sondern der Vernunft beraubt wurde.

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hat viele Väter und Mütter, aber ein besonders wichtiger ist Rene Descartes, der die res cogitans ganz von der res extensa absonderte, also die Wirklichkeit des Denkens von der Wirklichkeit der physischen Welt. Damit verschwand jedes Bewusstseins eines möglichen Selbstzwecks bzw. eines zu schützenden Eigenwertes der Natur. Für dieses Bewusstsein reicht eben die funktionale Nutzung, die wir alle ständig vollziehen, gerade nicht. Es sei daran erinnert, was Hegel zu seinen Studenten sagte: Die unmittelbare praktische Annäherung, die wir alle ständig vollziehen, zeigt nur den instrumentellen Wert der Natur für mich. Damit ist dieser Wert subjektiv und spiegelt lediglich den Nutzen, den der Handelnde von diesen Produkten hat. Die meisten Versuche einer rationalen Moralbegründung, die in der Tradition Kants von der Vernunftfähigkeit des Menschen ausgehen, sind nicht nur anthropozentrisch, sondern implizieren eine Wertlosigkeit der Natur. 21 Sie gehen in der Regel von dem alleinigen Wert des Vernunftwesens Mensch aus. Sollte sich nun im Sinne Hegels zeigen lassen, dass auch die menschliche Vernunft nur die Verkörperung eines umfassenderen Allgemeinen ist, welches auch in der Natur im verschiedenen Grade manifestiert ist, und das je nach dem Grade der Manifestation normativ ausgezeichnet werden kann, 22 so wäre hier ein Brückenschlag von der Vernunftethik zur Naturethik vollzogen. Die Natur wäre kein bloß neutraler, unseren subjektiven Zwecken unterworfener Bereich, noch ginge es in ihr allein um das Sich-selbst-Erkennen der Vernunft im menschengetragenen Geist, sondern es wäre die Aufgabe unserer Vernunft, die Natur als vielfältige, jeweils individuell-konkrete Verwirklichung bzw. Manifestation eines ihr und damit uns zugrundeliegenden ideellen Grundes nicht nur (theoretisch) zu erkennen, sondern praktisch handelnd anzuerkennen.

21

Was aber nicht sein muss: Auch eine Kantische Ethik der Menschenwürde ist kompatibel mit gestuften moralischen Ansprüchen anderer Lebewesen. (Siehe: C. Illies, „The threefold challenge of Darwinism to the ethics of human dignity“, in: M. Duewell, J. Braarvig, R. Brownsword, D. Mieth (Hrsg.), The Cambridge Handbook of Human Dignity: Inter-Disciplinary Perspectives, Cambridge: Cambridge University Press 2014, 518–525.)

22

Etwa durch transzendentale Argumente. Siehe dazu V. Hösle, Die Krise der Gegenwart und die Verantwortung der Philosophie. Transzendentalpragmatik, Letztbegründung, Ethik, München 1990.

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Instrumentalisierung der Natur muss der Natur dienen. In seiner Vorlesung kritisiert Hegel einige Metaphysiker seiner Zeit und empfiehlt ihnen den Blick auf die Tiere, die nicht „so dumm sind als diese Metaphysiker; denn sie gehen auf die Dinge zu, greifen, erfassen, verzehren sie.“ 23 In dem schmatzenden Kauen der Kuh liegt also bereits die Botschaft, dass die Natur Bedeutung hat. Wenn wir diese Einsicht damit verbinden, dass der Natur eine Vernunftstruktur zukommt, so ist zumindest eine Richtung gewiesen, in der wir in der Natur nicht nur Bedeutung für uns, sondern einen Selbstzweck bzw. Eigenwert finden. Aber hinsichtlich unserer Annäherung an die Natur können wir noch mehr von Kühen lernen: Wenn Tiere (oder auch Pflanzen) Naturdinge vernichten, so um damit etwas Neues aufzubauen. Die Vernichtung ist Teil eines schöpferischen Kreislaufs: „Leben ist ihre [der Natur] schönste Erfindung, und der Tod ist ihr Kunstgriff viel Leben zu haben.“ 24 So zu wirken wäre ein überaus fruchtbarer naturphilosophischer Leitfaden für unseren Naturumgang, ein weiterer wichtiger Anstoß von Hegel für die Gegenwart. Es würde sich lohnen, wenn wir in der Natur nur soweit zerstören, wie es einem Neugestalten dient: Das Vernichten des Unkrauts führt zu reicher Ernte und die Rodung der dunklen Urwälder Mitteleuropas brachte Kulturlandschaften mit ihrem besonderen Artenreichtum hervor. Die Natur anders zu sehen, sich ihr auch praktisch anders zu nähern, setzt ein anderes Verständnis, ein anderes Denken über die Natur und uns als Naturwesen voraus. 25 Denn wenig spricht für die Annahme von Marx, die Produktionsbedingungen bestimmten das Denken, viel für Hegels Annahme, dass das Denken unser Handeln, unseren Naturumgang, unser Sozialleben wie unser Wirtschaften grundlegt. Mit einer besonders schönen Formulierung bringt er das auch später in seiner Vorlesung zur Naturphilosophie auf den Punkt:

23

TWA 9, 19.

24

Der Goethe-Tobler-Hymnus „Die Natur. Fragment“ findet sich in: J.W. v. Goethe, Werke. Hamburger Ausgabe, Vol. 13, München 1982, hier 46.

25

Siehe dazu Illies, „Der Mensch und seine Stellung in der Natur. Anthropologische Gedanken zur Umweltethik“, in: P. Thapa, C. Baatz, M. Düchs (Hrsg.), Umwelt – Gründe – Werte, Bamberg 2019, 17–38.

56

Alle Revolutionen, in den Wissenschaften nicht weniger als in der Weltgeschichte, kommen nur daher, dass der Geist jetzt zum Verstehen und Vernehmen seiner, um sich zu besitzen, seine Kategorien geändert hat, sich wahrhafter, tiefer, inniger und einiger mit sich erfassend. 26

4. Von der Naturphilosophie zu einer Sittlichkeit des Naturumgangs. 4.1 Hegels Aufhebung der Moral in der Sittlichkeit Eine neue Denkungsart muss Gestalt annehmen, um dauerhaft zu wirken, um Wirklichkeit zu werden. Erst so, als eine historische Institution oder verfasstes Recht, als Lebensform oder verstetigte Praxis, also als objektiver Geist, gewinnt sie Stabilität und langfristige Wirksamkeit. Und darum geht es ja in der Moralität: Sie ist die praktische Aufforderung, einen Teil der Wirklichkeit zu bewahren oder zu verbessern, sie positiv zu gestalten. Es gehört zu den tiefen Einsichten Hegels, dass die Moral zu kurz griffe, wenn es bei ihr lediglich um das richtige Wollen ginge. Das moralisch Richtige muss den Launen des Moments und des menschlichen Wollens entzogen werden. Bei Hegel geht diese Kritik so weit, dass er die bloße Moralität des individuellen Wollens nicht nur als „abstrakt“, also unkonkret, und damit defizitär betrachtet, sondern sogar einen besonders verwerflichen Grad des Bösen dort wittert, wo jemand meint „das Wollen des abstrakt Guten soll hinreichen“. 27 Unabhängig von einer möglichen Graduierung des Bösen ist es schlüssig, dass das Gute, insofern es schon im Begriff mit dem Anspruch verbunden ist, sein zu sollen, auch notwendig den Anspruch erhebt, dauerhaft sein zu sollen. Das scheint eine analytische, also selbstevidente Wahrheit zu sein, die sich aus dem Begriff des Guten ergibt: Wenn ein Zustand, eine Handlung, eine Annäherungsweise an die Natur (oder irgendein anderer Teil der Wirklichkeit) gut ist, also wenn etwas sein soll, dann gilt das zeitlos, jedenfalls solange der Kontext sich nicht verändert. 28 Es soll grundsätzlich sein, weil es ja besser ist als mögliche Alternativen. In einer zeitlichen Ausdehnung verwirklicht es aber dieses

26

TWA 9, 20f.

27

Grundlinien der Philosophie des Rechts, TWA 7, 269.

28

Siehe dazu etwa die Begründung im 8. Kapitel von C. Illies, Philosophische Anthropologie im biologischen Zeitalter, Frankfurt: Suhrkamp 2006.

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Sein-Sollen effektiver als in einer kurzfristigen Verwirklichung. 29 Darum muss das moralisch Geforderte letztlich institutionalisiert, in eine Form der Sittlichkeit aufgehoben werden, sagt Hegel, und wir können hier an jede Verankerung in Normen und Regelwerken, überindividuellen Praktiken oder Diskursen denken, die eine subjektunabhängige Stabilität und Dauer geben. In ihnen hat das moralisch geforderte Tun und Lassen eine in die Zukunft weiterwirkende Gestalt angenommen; es ist wetterfest gegenüber den Launen oder Zufälligkeiten des Individuums und seiner Zeit. Deswegen bezeichnet Hegel die Formen der Sittlichkeit auch als das „lebendige Gute“. 30 Hegel unterscheidet in seiner Philosophie des Rechts drei Sittlichkeitsformen, nämlich die Familie, die Bürgerliche Gesellschaft als Zwischensphäre, in der alle Individuen in Freiheit wirtschaftlich, sozial und politisch interagieren, und schließlich der Staat. Diese Sittlichkeitsformen stellen selbst eine dialektische Stufenreihe dar: In der Familie wird die naturhafte Verbindung zu einzelnen Menschen, die Liebe, die etwas moralisch Gutes ist, in die dauerhafte Institution einer Ehe überführt und damit den Launen des Gefühls entzogen. Ähnlich schafft die bürgerliche Gesellschaft einen Ordnungsbereich wechselseitiger Anerkennung und geregelter Stabilität der Interaktionen aller Menschen. Auch wenn dies aus Selbstinteresse geschieht, ist es etwas moralisch Gutes, denn die Anerkennung der Autonomie und der Rechte anderer werden hier verfestigt. Damit werden Gerechtigkeit und eine soziale Ordnung erreicht und auch eine Bildung von moralischem Bewusstsein und sozialer Verantwortung findet statt. Zur Moralität der Bürgerlichen Gesellschaft gehört schließlich, dass sie alle Menschen wenigstens potentiell einschließt, und in diesem Punkte übertrifft sie die Familie (die ja auf den engen Kreis der Familienmitglieder begrenzt bleibt). Aber doch bleibt ein starkes Defizit, weil die Bürgerliche Gesellschaft letztlich auf wechselseitigem Egoismus beruht, das erst im Staat wieder aufgehoben wird. Denn der Staat fördert vor allem das Gemeinwohl; in ihm werden die individuellen Interessen gebahnt und in eine größere ethische Ord-

29

Offensichtlich gilt das nur kontextuell, denn es gibt richtige Handlungen für einen Moment: Wenn das sprichwörtliche Kind ins Wasser gefallen ist, soll ich ihm nachspringen, um es zu retten. Aber das bedeutet nicht, dass es eine moralische Pflicht für mich gäbe, mich dauerhaft im Wasser aufzuhalten.

30

58

TWA 7, 292.

nung integriert. Der Staat gewährleistet die individuelle Freiheit durch die Anerkennung der Rechte und Pflichten jedes Bürgers. Aber der Staat gipfelt in der Idee des Höchsten Gutes, dem Ideal eines Allen förderlichen, sich selbst in der Zeit dauerhaft erhaltenden Zusammenlebens. Sittlichkeitsformen geben also der Moralität Dauer: Die Ehe bzw. Familie lässt die Launen der Gefühle hinter sich, die Regeln der bürgerlichen Gesellschaft dämpfen die Gefahren eines überbordenden Egoismus durch klare Regeln und Grenzen, und der Staat überragt geschichtlich nicht nur das individuelle Leben aller Staatsbürger, sondern sorgt sogar für die Bedingungen eigenen steten Erneuerung (etwa in dem er Familien, Bildung, und die Politik fördert). Im Staat werden damit die positiven Errungenschaften der beiden anderen Sittlichkeitsformen bewahrt und zugleich deren Defizite vermieden: wie in der Familie geht es um die Anerkennung und Wertschätzung der Menschen – aber es werden dabei nicht nur die Familienangehörigen, sondern alle Menschen, soweit sie der Staatsgewalt unterworfen sind, eingeschlossen. Diese Universalität der Adressaten ist das Positive, das der Staat von der Bürgerlichen Gesellschaft übernimmt.

4.2 Braucht es eine erweiterte Sittlichkeit des Naturumgangs? Wenn wir nun Hegel folgend die Naturphilosophie für eine Aufgabe halten, dann bedarf auch die Naturphilosophie eine Form der Verstetigung, die dauerhaft befestigt, dass wir der Natur mit Achtung begegnen, sie respektieren und befördern. Denn auch hier gilt: Wenn es gut ist, der Natur sich so anzunähern, dann ist es besser, das langfristig statt kurzfristig zu tun. Kurzum: Der philosophische Naturumgang bedarf einer Institutionalisierung, einer Form der Sittlichkeit. Eine Sittlichkeit des Naturumgangs wäre ein „lebendiges Gutes“. Es ist dabei zunächst wichtig, dass eine solche Sittlichkeit des Naturumgangs nicht neben den anderen Sittlichkeitsformen gedacht werden kann. Denn voneinander unabhängige, also auch nicht einander über- oder untergeordnete Institutionen stehen nicht friedlich nebeneinander, sondern potentiell in einer Konkurrenz zueinander. Wenn die Regeln und Ordnungsmuster solcher Institutionen nicht koordiniert sind, können sie inkompatible Forderungen stellen oder auch schon zeitlich um die Adressaten konkurrieren. Ein Beispiel ist die Konkur-

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renz zwischen Staat- und Religionsgemeinschaften oder Kirche. (Man denke an die Scharia, deren Forderungen oft nicht im Einklang mit dem Rechtssystem liberaler Staaten steht.) Im Vernünftigen kann aber letztlich kein innerer Widerspruch sein. Deswegen sieht Hegel die drei Sittlichkeitsformen in der Philosophie des Rechts nicht als völlig getrennt, sondern einander bedingend und in der Form des Staates dann harmonisch verbunden. Eine vernünftige Sittlichkeit des Naturumgangs müsste entsprechend als eine Erweiterung der Hegelschen Sittlichkeitsformen konzipiert werden, nicht als eine völlig neue und unabhängige Form. Wie könnte das aussehen? 31 Ohne unsere Natur, unsere eigene in Form der Leiblichkeit, sind wir nicht frei. Denn der Mensch kann sich nicht als „wirksames Individuum setzen, ohne sich einen materiellen Leib zuzuschreiben, und denselben dadurch zu bestimmen“, 32 stellt bereits Fichte in der Grundlage des Naturrechts fest. Aber ganz in diesem Sinne gilt auch für Hegel, dass wir nur als animalische Wesen handeln und unsere Freiheit bestimmen können. Doch es braucht mehr: Es bedarf einer Natur über den Leib hinaus, um als freie Wesen bestehen und handeln zu können. Dabei verweist Hegel darauf, dass diese Leiblichkeit vorgegeben ist, wie Klaus Vieweg herausstellt: 33 „Die Person als natürliches Wesen gehört zum Lebendigen, näher zum Animalischen und hat so die Individuation an sich, sie wird als solches Einzelnes (ohne ihr Wollen) geboren.“ (Woraus dann auch folge, dass das Recht auf Leben bei Hegel das ursprünglichste Recht sei.) Aber es geht nicht nur um unseren eigenen Leib, wir brauchen die anderen freien Willen ebenfalls in ihrer Leiblichkeit, um mit ihnen interagieren zu können. Mehr noch, wir sind auf die uns tragende, versorgende, ernährende Natur um uns angewiesen, ohne die wir als freies Wesen nicht bestehen könnten. Zugleich ist diese Natur keineswegs einfach wohlwollend, sondern kann uns bedrohen und vernichten, weswegen wir mit ihr richtig umgehen, sie auch zurichten müssen. Die uns ermöglichende Natur ist also eine Aufgabe und Herausforderung, 31

Es ist offensichtlich, dass es sich hier nur um eine pragmatische Erweiterung handelt. Aber sie müsste eigentlich aus dem Begriff entwickelt, also apriorisch konzipiert werden. Das kann diese Skizze hier freilich nicht leisten.

32

Fichte, Grundlage des Naturrechts nach Prinzipien der Wissenschaftslehre (1796), § 5 (GA 1/3, 361).

33

In „Sorge und Vorsorge – Der Gedanke der Nachhaltigkeit in Hegels Philosophie“ (unveröffentlichtes Manuskript, S.7)

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mit der wir richtig umgehen müssen – wobei es in der Gegenwart vor allem darauf ankommt, Sorge dafür zu tragen, die Gleichgewichte der Natur langfristig und nachhaltig zu erhalten, weil ihre Existenz gefährdet ist. Meine eigene Leiblichkeit ist mir daher eine Sorge, wie Hegel schon vor Heidegger sah, wie aber auch die Natur um uns, wie wir gerade bitter erleben. 34 Das aber legt nahe, zunächst die Sittlichkeitsform der Familie um eine Dimension des Naturumgangs zu erweitern; denn ihr Thema sind ja gerade naturhaft vorgegebene Verhältnisse: Man wird in sie ungefragt hineingeboren, die Kinder werden einem geschenkt, denn selbst wenn man sie sich wünscht, kann man sie nicht machen. Nur die Ehepartner wählt man in vielen Kulturen frei oder meint es wenigstens zu tun. Wie nun die Ehe dieses Geflecht verstetigt, so ließe sich auch eine Verstätigung des Naturverhältnisses denken. Einerseits indem zur wechselseitigen Achtung und Liebe auch die Sorge und Fürsorge für die eigene Leiblichkeit und die der Familie gehören muss, andererseits indem man die Familie als eingebettet in eine natürliche Lebenswelt denkt. Es bietet sich an, die Familie im Sinne des antiken Oikos-Gedankens zu erweitern. Dann gehört „Haus und Hof“ dazu, um es traditionell zu sagen, also die natürlichen Lebensbedingungen der Familie von der gesunden Raumluft über die Gegenstände des Alltags, die man nicht als Wegwerfprodukte sehen sollte, vom Hausmüll bis hin zum Spazierweg, auf dem man abends wandelt, oder dem Schutz seiner Stadt vor Hochwasser. Eine Nachhaltigkeitssorge für das natürliche Lebensumfeld der Familie trägt zu deren stabilem Erhalt bei und wäre zugleich ein wichtiger Baustein für eine umweltfreundliche Politik. In diesem Sinne hat Roger Scruton argumentiert, dass die Oikophilia, die Liebe zu dem engeren Lebensumfeld der Familie, entscheidend dafür ist, Menschen zum nachhaltigen Handeln zu motivieren. 35 Und was hieß es, das zu institutionalisieren? Da die Familie immer auch ein Schutzraum vor staatlichen Eingriffen bleiben muss, sollte man das Rechtsinstitut der Ehe (oder andere Gesetze der Familienbildung) nicht mit gesetzlichen Auflagen überfrachten. Denkbar ist jedoch, eine Kultur der Oikophilia zu beför34

K. Vieweg, The Idealism of Freedom. For a Hegelian Turn in Philosophy. Leiden/ Boston 2020, S. 84ff.

35

R. Scruton, Green Philosophy. How to Think Seriously About the Planet, Atlantic Books, 2011.

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dern. Dazu müsste beispielsweise gehören, in der Architektur für Naturbezüge zu sensibilisieren oder durch die Wahl der Materialien oder die Schaffung von Lebensräumen, die weniger anonym und austauschbar sind, sondern ein individuelles Gesicht haben, zu einer Identifikation und Liebe zur Natur und Umwelt der Familie zu ermutigen. Einfacher dürften gesetzliche Regelungen auf einer um den Naturumgang erweiterten Bürgerlichen Gesellschaft sein, nach Hegel die zweite Form der Sittlichkeit. Denn die Bürgerliche Gesellschaft, vor allem der Handel, ist ohnehin in großen Teilen ein Bereich gesetzlicher Regelungen. Hier bietet sich an, etwa den Naturverbrauch strenger ökonomisch zu regeln. Ernst Ulrich v. Weizäcker neben anderen hat betont, wie wichtig es ist, den Naturverbrauch oder die ökologischen Folgen in einer angemessenen Weise bei den Preisen berücksichtigt. 36 Wären der Verbrauch von Wasser oder Sauerstoff, von Land und anderen Ressourcen fair im Preis gespiegelt, wie es ja unterdessen mit dem Emissionsrechtehandel als einer Form der CO2-Bepreisung versucht wird, würde die Wirtschaft zu einem ressourcenschonenden Umgang geführt werden. Dafür müssten solche Preise freilich universal für alle Menschen in allen Ländern gelten, was ja ganz im Sinne der Bürgerlichen Gesellschaft ist, die in dieser Universalität ihre Stärke hat. Es ging dabei auch nicht nur um den Umgang mit der nahen Natur unseres unmittelbaren Lebensumfeldes wie er bei der Oikophilia, sondern um die globalen Gefährdungen der Natur, denen nur durch ein weltweites Handeln begegnet werden kann. (Und wie bei allem Handeln und Interagieren im Rahmen der Bürgerlichen Gesellschaft bliebe dabei das Motiv durchaus das ökonomische Eigeninteresse.) Wenn wir unseren Blick auf den Staat richten, begegnen wir hier fundamentalen Anforderungen, die die Natur und ihren Erhalt als integralen Bestandteil des „Common good“ – des Gemeinwohls – betreffen. Diese Perspektive verleiht unserer ethischen Ausrichtung eine zeitübergreifende Dimension, die weit über unsere gegenwärtige Existenz hinausreicht. Wie bereits in der Rechtslehre hervorgehoben wurde, fungiert der Staat als Bindeglied, das die positiven Aspekte der vorangegangenen Sittlichkeitsformen vereint und zu einem höheren Zweck führt. Seine 36

E.U. v Weizäcker, K. Hargroves, M. Smith, Faktor Fünf. Die Formel für nachhaltiges Wachstum, München 2010.

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Motivation entspringt nicht egoistischen Zielen, sondern basiert auf dem Respekt einerseits, der Ähnlichkeit mit der familiären Sphäre aufweist, andererseits auf den Rechten der politischen Subjekte, also der Bürger wie in der zweiten Sittlichkeitsform. So setzt er sich für die allgemeine Anerkennung der Natur als wertvolles Gut, als „common good“ ein, was sich in konkreten Maßnahmen und einem umfassenden Engagement für den Schutz und Erhalt der Natur ausdrücken würde. (In dieser Weise hat etwa Melissa Lane für eine Erweiterung des liberalen Staates argumentiert. 37) Damit verbände sich auch hier das Positive der ersten Sittlichkeitsform, nämlich ein Handeln aus genuiner Wertschätzung und nicht aus Egoismus, mit dem Vorteil der zweiten Sittlichkeit, nämlich der Berücksichtigung aller (wenigstens aller Staatsbürger). In vieler Hinsicht scheint die Sittlichkeitsform Staat dafür geeignet zu sein, den dauerhaften Erhalt der Natur als solches Ziel zu integrieren, da er ja grundsätzlich auf sein langfristiges Fortbestehen ausgerichtet ist und damit auf die naturhaften Lebensumstände auch künftiger Generationen, ohne die der Staat selbst nicht fortbestehen könnte. Der Staat spielt somit eine entscheidende Rolle bei der Verbindung der Sittlichkeitsform der Familie und der Bürgerlichen Gesellschaft mit einem langfristigen, generationenübergreifenden Blick auf den dauerhaften Erhalt der Natur als Teil des Gemeinwohls. Man könnte also von einer um den Naturumgang erweiterten Sittlichkeit sprechen, zu der uns ein Weiterdenken der Hegelschen Naturphilosophie führt. Eine Erweiterung, die selbst sittlich gefordert wäre, wenn wir es ernstnehmen, dass das Gute sein soll. Das zeigt einmal mehr die Kraft des Hegelschen Systemansatzes. Gerade weil es darum geht, das Ganze vernünftig zu denken, kann er auch angesichts der Bedrohung der Gegenwart Denkmöglichkeiten eröffnen. Aus Hegel lässt sich ein Impuls ableiten, wie wir eine rechte Naturphilosophie mit einer familiären Lebensweise, einer klugen Ökonomie und weisen Politik des Staates verbinden könnten, ja müssten.

37

Eco-Republic: What the Ancients Can Teach Us about Ethics, Virtue, and Sustainable Living, Princeton University Press 2011.

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Leben

Taiju Okochi Normale Abnormität Die Krankheit zum Tode in Hegels Lehre über den Organismus

Einleitung: Krankheit und Norm Der Titel „Normale Abnormität“ scheint einen Widerspruch in sich zu enthalten, weil er diejenige Abweichung von der Normalität bedeuten soll, die normal ist. Aber diese Formulierung drückt Hegels Konzept der Krankheit adäquat aus. Denn der Begriff der Krankheit bezeichnet gerade den abnormalen Zustand des Organischen, der innerhalb des Konzepts des Lebens notwendig ist. Die Krankheit stellt Hegel zufolge – wie im Folgenden klar gemacht werden sollte – einen notwendigen Bestandteil des Gattungsprozesses des Organismus dar, was er an der populären Krankheitstheorie seiner Zeit hervorhebt. Insofern ist die Krankheit „normal“, also die normale Abnormität. 1 Bei der Wortnutzung von Normalität und Abnormität soll der Begriff der Norm vorausgesetzt sein. 2 Die Norm unterscheidet sich vom 1

Hegels Metakategorie für die Abnormität wäre die „Zufälligkeit“. Aber diese Zufälligkeit ist für das Organische notwendig. Die spezifische Modalität der Krankheit kann dabei als notwendige Zufälligkeit ausgedrückt werden. Auf den Zusammenhang zwischen der Krankheit und der Zufälligkeit hat schon Engelhardt hingewiesen, allerdings hat er ihn nicht näher entwickelt. Vgl. dafür: Dietrich v. Engelhardt, Hegels philosophisches Verständnis der Krankheit, in: Olaf Breidbach/Dietrich von Engelhardt (Hrsg.), Hegel und die Lebenswissenschaften, Berlin 2002. Zur Thematik des Zufalls bei Hegel siehe immer noch: Dieter Henrich, „Hegels Theorie über den Zufall“, in: derselbe, Hegel im Kontext, 5. Auflage, Frankfurt am Main 2010.

2

Das Wort „Abnormität“ habe ich dabei aus Michelets Zusatz zu §372 der Enzyklopädie aufgenommen. Es stellt dort den krankhaften Zustand des Organismus als eine Abweichung von der Normalität dar. „Der Schweiß ist die kritische Ausscheidung; der Organismus kommt darin zu einer Excretion seiner selbst, wodurch er

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nomologischen Gesetz, indem bei der Norm die Abweichung von ihr möglich ist, während sie bei einem nomologischen Gesetz unmöglich ist. Wenn ich jetzt einen Ball aus meiner Hand loslasse, fällt er auf den Boden. Dieses Fallen ist notwendig: Es gibt keine Ausnahme. Aber bei der deontologischen Norm, über die in der normativen Moraltheorie oder in der Sprachpragmatik diskutiert wird, sind Ausnahmen möglich. Wir dürfen zwar aus moralischen Gründen nicht lügen, sind aber dazu in der Lage. Wenn ich zu jemanden gesagt habe: „Ich komme Dich um 12 Uhr besuchen“, dann soll ich um 12 Uhr bei ihm sein, ich kann aber auch nicht kommen. 3 Es gibt aber noch eine andere Art von Norm als diese deontologische Norm. 4 Diese toleriert zwar auch die Ausnahme, ist aber nicht deontologisch. Ein derartiges Konzept von Norm drückt der Satz aus, den Thompson ein ‚naturhistorisches Urteil‘ genannt hat. 5 In dem Satz „Ein Hund hat vier Beine“ wird nicht gesagt, dass alle Hunde vier Beine haben, sondern, dass Hunde vier Beine haben sollten oder ein Hund normalerweise vier Beine hat, aber einige Hunde hätten keine vier Beine: Es gibt Ausnahmen. Diese Sorte von Norm kann als „Normalität“ bezeichnet werden, wohingegen die erste Sorte „Normativität“ genannt werden kann. 6 seine Abnormität aus sich herausbringt, seine krankhafte Tätigkeit excerniert.“ [Hervorhebung von T.O.] (GW 24/3, 1604). 3

Zu dieser Unterscheidung der „Notwendigkeit“, siehe insbesondere: Robert Brandom, Reason in Philosophy. Animating Ideas, Cambridge Mass./London: The Belknap Press of Harvard University Press, 2009.

4

An dieser Stelle gehe ich nicht auf die Etymologie und die genaueren Bestimmungen der historisch verwickelten Begriffe von Norm in den europäischen Sprachen ein, wie z.B. nomos, norma, abnormis, abnormitas, anormal, Anormität/abnormity, anomie, normativ/normatif/normative, usw. Siehe dazu: Georges Canguilhem, Le normal et le pathologique, Paris: PUF, 2017, 107–108. Vegl. Auch: Canguilhem, La connaissance de la vie, Paris : J. Vrin 1992, 166.

5

Michael Thompson, Life and Action. Elementary Structure of Practice and Practical Thought, Harvard University Press: Cambridge, Mass./London 2008, 64.

6

Diesen Begriff der Normativität müssen wir auch von der „normativité“ bei Canguilhem unterscheiden. Dieser gibt dem Wort einen sehr eigentümlichen Sinn, sodass es die Fähigkeit des Lebendigen enthält, seine eigene Norm (im Sinne der Normalität) selbst zu erschaffen, bedeutet. Siehe: Canguilhem, Le normal et le pathologique, 102–103; Canguilhem, La connaissance de la vie, 162.

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Es gibt also in der Natur Normen, die sowohl von den nomologischen Gesetzen als auch von den moralischen, deontologischen Normen unterschieden sind. Die Normmäßigkeit (und nicht Gesetzmäßigkeit) charakterisiert dabei die organische gegenüber der mechanischen Natur. Umgekehrt ausgedrückt: Die Allgemeinheiten bestimmen die mechanische Natur ohne Ausnahme, während die Variationen oder Abweichungen von dem Allgemeinen, d.h. dem Modell, aus der organischen Natur nicht ausgeschlossen sind. Die organische Natur ist zu Abweichungen fähig, was der Grund dafür ist, dass die verschiedenen neuzeitlichen Physiologen (also nicht nur die Vitalisten) die lebendige Natur gegenüber der nicht-lebendigen Natur hervorgehoben und sich dabei zugleich von der mechanischen Fassung des Organismus distanziert haben. Beispielsweise sagt Xavier Bichat: „Les lois physiques sont constantes, invariables ; elles ne sont sujettes ni à augmenter ni à diminuer.“ 7 Im Gegenteil : „à chaque instant la sensibilité, la contractilité s’exaltent, s’abaissent et s’altèrent : elles ne sont presque jamais le mêmes.“ 8 Deswegen gibt es für Bichat keine Disziplin neben der Physik, die der Pathologie für die Physiologie entspricht. Die Pathologie, die Wissenschaft der Krankheit, ist nur möglich, wenn der darin behandelte Körper zur Abweichung von der Norm fähig ist. Die Physiologie behandelt die „Bewegungen der lebenden Körper“, während „die Astronomie, die Dynamik, die Hydraulik, die Hydrostatik usw.“ die Wissenschaften über „die Bewegungen der trägen Körper“ sind. 9 Während die

7

„Die physischen Gesetze sind konstant und unveränderlich. Sie unterliegen weder einer Zunahme noch einer Abnahme.“ (Xavier Bichat, Anatomie générale, appliquée la physiologie et à la médecine. Tome 1, Nouvelle Édition, Paris, 1812 lii).

8

„[D]ie Sensibilität, die Kontractilität [die das Organische charakterisieren sollen, T.O.], erhöhen, setzen sich herab, und ändern sich in jedem Moment.“ (Bichat, Anatomie générale., lii).

9

« Or, dans les sciences physiques il n’y a que la première histoire ; jamais la seconde ne se trouve. La physiologie est aux mouvemens des corps vivans, ce que l’astronomie, la dynamique, l’hydraulique, l’hydrostatique, etc., sont à ceux des corps inertes : or, ces dernières n’ont point de sciences qui leur correspondent comme la pathologie correspond à la première … » Bichat, Anatomie générale., liii, « Rien dans les sciences physiques ne correspond à ce qu’est la thérapeutique dans les physiologique » ebd., liv.

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Trägheit Ausnahmen ausschließt, ist das Leben etwas, das Abweichungen jederzeit zulässt. Im Folgenden möchte ich deutlich zu machen, dass die Krankheit als Abweichung von der Norm bei Hegel wesentlich sowohl für das Organismuskonzept, als auch damit für den Übergang von der Natur zum Geist ist. Erstens behaupte ich, dass Hegels Begriffsrealismus den Realismus der Norm impliziert und er damit im Organismus den Begriff in der Natur findet. Zweitens argumentiere ich durch die Prüfung seiner Kritik an den Krankheitslehren von Brownianismus und Schelling, dass und wie Hegels Krankheitslehre von diesen Beiden unterschieden ist. 10 Für Hegel ist es die Krankheit zum Tod, die einerseits die Unzulänglichkeit des Organismus, und sogar der Natur selbst, deutlich macht und den Übergang zum Geist ermöglicht. Damit ziehe ich die Konsequenz, dass der Geist vom Anfang an durch den Tod geprägt sei.

1. Begriff als Norm Die Norm im Sinne der genannten Normalität wird zwar nicht nur, aber vor allem in den biologischen Gegenständen beobachtet. Was erkennen wir aber genau, wenn wir diese Normalität in der Natur finden? Die empirische Induktion taugt dabei nicht zu einer Erkenntnis, weil die Vierbeinigkeit nicht für alle Hunde gilt und wir trotzdem finden, dass gerade die Vierbeinigkeit und nicht die Dreibeinigkeit „normal“ bei Hund ist. Es scheint mir, dass Hegel im folgenden Passus für diese Frage eine Antwort gibt, nämlich den Begriff: In einer schlechten Pflanze, einer schlechten Tiergattung, einen verächtlichen Menschen, einen schlechten Staate sind Seiten der Existenz mangelhaft oder ganz obliteriert, welche sonst für die Definition als Unterscheidende und die wesentliche Bestimmtheit in der Existenz eines solchen Konkreten genommen werden konnten. Eine schlechte Pflanze, Tier usf. bleibt aber immer noch eine Pflanze, Tier usf. Soll daher auch das Schlechte 10

Hier beschränke ich mich aber auf die körperliche und behandle nicht die seelische Krankheit. Jacobs früheste Beschäftigung mit dem Thema der Krankheit thematisiert schon bereits die seelische Krankheit. (Wolfgang Jacob, „Der Krankheitsbegriff in der Dialektik von Natur und Geist bei Hegel“, in: Stuttgarter Hegel-Tage 1970. Vorträge und Kolloquien des Internationalen Hegel-Jubiläumskongresses, hrsg. v. Hans-Georg Gadamer, Hegel-Studien Beiheft 11, Bonn, 1974, 165–172).

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in die Definition aufgenommen sein, so entgehen dem empirischen Herumsuchen alle Eigenschaften, welche es als wesentlich ansehen wollte, durch die Instanzen von Mißgeburten, denen dieselbe[n] fehlen, z.B. die Wesentlichkeit des Gehirns für den physischen Menschen durch die Instanz der Akephalen, die Wesentlichkeit des Schutzes von Leben und Eigentum für den Staat durch die Instanz despotischer Staaten und Tyrannischer Regierungen. – Wenn gegen die Instanz der Begriff behauptet und sie an demselben gemessen für ein schlechtes Exemplar ausgegeben wird, so hat er seine Beglaubigung nicht mehr an der Erscheinung. [Hervorhebung v. T.O.] (GW 12, 214)

Die Definition, von der hier die Rede ist, ist nicht logisch oder mathematisch gemeint, sondern bezeichnet die empirische Klassifikation der natürlichen Gegenstände durch das empirisch-induktive Vorgehen, welches auch bei Linné zu finden ist. 11 Ist der dreibeinige Hund aber kein Hund, wenn die Vierbeinigkeit zur Definition des Hundes gehört? Die Antwort soll sein: „Doch ist er ein Hund.“ Entsprechens ist eine Definition nicht nur durch dieses empirisch-induktive Vorgehen möglich. „Ob ihr [der Definition, T.O.] Inhalt an und für sich Wahrheit oder Zufälligkeit sei, dies liegt aber außer ihrer Sphäre.“ (GW 12, 214) 12 Unter „Schlecht“ versteht Hegel hier, was ich oben als Abnormität bezeichnet habe. 13 Sie bedeutet die Abweichung von der Norm, und zwar in dem Sinn, dass etwas Wesentliches für die Definition der angetroffenen Sache an dem Exemplar, das zu dieser Art klassifiziert wird, fehlt. Das heißt: A wird als X klassifiziert, obwohl die wesentliche Beschaffenheit, um X zu sein, an A fehlt. Wie ist dies möglich? Hegels Antwort besteht darin, dass es darum möglich ist, weil wir es dort mit dem Begriff zu tun haben. In der Erscheinung gibt es nichts, was A zu X macht. Aber der Begriff X ist im A enthalten. Daraus ergibt sich, dass 11

Siehe Hegels Kritik an dieses Vorgehen in der Phänomenologie, in: GW 9, 140f.

12

Ich habe diesen Passus im Zusammenhang mit Thompsons Konzept des naturhistorischen Urteils und Canguilhems Normkonzept analysiert. (Taiju Okochi, „Seimei niokeru gainen to kihan. Kannenron no hankei toshiteno seimeininshiki“ (Begriff und Norm im Leben. Erkenntnis des Lebens als Paradigma für den Idealismus), Heidegger-Forum, vol. 18, 2018 (Japanisch)).

13

Dass Hegel hier auch einen schlechten Staat als Beispiel für das Schlechtes nennt, scheint die Nähe zwischen dem Organischen und dem Geistlichen bei Hegel zu zeigen. Aber wie wir im Folgenden sehen werden, sieht Hegel auch eine Spaltung zwischen ihnen.

71

dieses Vorgehen nicht rein (formal-)logisch sei. Um etwas Schlechtes oder Abnormales zu erkennen, müssen wir den Begriff schon kennen. Es ist Georges Canguilhem, der sowohl den normativen Charakter des Organismus behauptet 14 als auch bei Hegel das Konzept des Lebens gefunden hat, das mit dem „Begriff“ sehr eng verbunden ist. 15 Seine These, dass das Leben oder das Lebendige die Norm in sich hat, muss nicht so verstanden werden, dass alles Lebendige normgemäß ist, sondern, dass die Norm im Leben, sogar auch im schlechten Leben, besteht, damit etwas als Abnormales (oder Schlechtes im Hegelschen Sinn) erkannt werden kann. Normal bzw. pathologisch sind nicht die Werte, die wir subjektiv Etwas zuschreiben, sondern objektiv im Leben selbst liegen 16 oder im Verhalten des ganzen Organismus zu seiner Umwelt bestimmt werden. 17 Dieser Begriff der Norm im Sinne von Normalität muss dabei dasjenige sein, was Hegel meint, wenn er in der Naturphilosophie sagt, dass die Naturphilosophie „die Betrachtungsweise des Begriffs, der seiner Natur nach überhaupt und damit der Natur als solcher immanent ist.“ (Enz, § 245) In der enzyklopädischen Naturphilosophie findet sich dieselbe Behauptung vor, allerdings steht sie dort in dem Kontext des Konzepts der Ohnmacht der Natur. 18 In der Ohnmacht der Natur, den Begriff in seiner Ausführung festzuhalten, liegt die Schwierigkeit und in vielen Kreisen die Unmöglichkeit, aus der empirischen Betrachtung feste Unterschiede für Klassen und Ordnungen zu finden. Die Natur vermischt allenthalben die wesentlichen Grenzen

14

Insbesondere: Canguilhem, Le normal et le pathologique a.a.O. ; Canguilhem, La connaissance de la vie, a.a.O.

15

Canguilhem, Études d’histoire et de philosophie des sciences, Paris : J. Vrin 1994, 246, 362.

16

Canguilhem, Le normal et le pathologique, 107. Canguilhem unterscheidet das Pathologische vom Anomalen, indem er jenem „eine andere Norm des Lebens“ zuschreibt. (Canguilhem, Le normal et le pathologique, 117–121, bes.121) Für Hegel ist die Krankheit aber die notwendige Anomalie in der Normalität.

17

Canguilhem, La connaissance de la vie, 163–164.

18

Siehe dazu auch die Phänomenologie. (GW 9, 165) Hier wird diese Ungemäße der Natur mit der Kategorie nicht als Ohnmacht, sondern als „die Gewalt“ der Natur, nämlich als die die idealistischen Formen zerstörende materiale Macht „der Erde“ dargestellt.

72

durch mittlere und schlechte Gebilde, welche immer Instanzen gegen jede feste Unterscheidung abgeben. (Enz, § 250, Anm.)

Anschließend erwähnt er auch hier „Mißgeburten, die man einerseits dieser Gattung zuzählen muß, denen andererseits aber Bestimmungen fehlen, welche als wesentliche Eigentümlichkeit der Gattung anzusehen wären.“ (Enz, § 250, Anm.) Es ist gerade der Ausdruck der Ohnmacht der Natur, dass die Natur nicht immer dem Begriff gemäß ist und der kategorialen Klassifikation widersteht. 19

2. Hegels gedoppelte Stellung zum Brownianismus Soweit die Krankheit eine Abnormität und nicht dem Begriff gemäß sein soll, scheint sie ein weiteres und anderes Beispiel für die Ohnmacht der Natur zu sein. Aber anders ist, dass die Krankheit für Hegel zum 19

Dabei darf nicht übersehen werden, dass Hegel hier von der Ohnmacht der Natur, aber nicht von derjenigen des Lebens oder des Organismus spricht. Was bleibt aber als anorganisches in der Natur, wenn die geologische Natur „als unlebendig existierendes“ bei Hegel auch in die organische Welt integriert wird? Dieses Problem führt zu zwei Thesen, die ich aber hier nicht weiter ausführen kann: 1. Die Mechanik und die (anorganische) Physik im ersten und zweiten Teil der Naturphilosophie gehören nicht zu den je eigenen Gegenständen in der Natur. Es kommt vielmehr auf unsere Betrachtungsweise an, ob die Natur als mechanische, physische oder organische behandelt wird. Soweit die organische Natur als die Wahrheit der anderen beiden angesehen wird, ist die ganze Natur organisch. Treviranus sagt dazu auch: „Unorganisch ist nichts in der ganzen Natur. Nur unsern eingeschränkten Blicken verdankt dieser Name sein Entstehen“ (Treviranus, ebd., S. 41), was gut mit Hegels Konzept der Natur zusammenpasst. Dies erklärt, dass Hegel den Organismus vom mechanischen und chemischen Prozess streng unterscheiden kann, obwohl damals über die biochemischen Erscheinungen diskutiert wurde: Hegel sagt in der Begriffslehre der Wissenschaft der Logik: „[W]enn das Lebendige, als ein Ganzes, das aus Theilen besteht, als ein solches, auf welches mechanische oder chemische Ursachen einwirken, als mechanisches oder chemisches Product, es sey bloß als solches oder auch durch einen äusserlichen Zweck bestimmtes genommen wird, so wird der Begriff ihm als äusserlich, es wird als ein Todtes genommen.“ (GW 12, 183f.); 2. „Anorganisch“ ist ein relatives Konzept, das erst gegenüber dem organischen Sinn ergibt. Z.B. ist der Gegenstand der Assimilation, wie ein Apfel, anorganisch in Bezug auf den Organismus, der ihn zu essen beabsichtigt. Aber der Apfel selbst ist seinerseits eigentlich ein Produkt des organischen Prozesses.

73

normalen Prozess der Gattung gehören soll. 20 Was macht diesen Unterschied aus? Um Hegels Krankheitsbegriff deutlich zu machen, müssen wir auf die damalige Diskussion um den Brownianismus eingehen, von dem Hegel sich in seiner Krankheitslehre distanziert. Browns sogenannte „Erregungstheorie“ setzt bereits eine ähnliche Unterscheidung wie die von Bichat und Hegel, nämlich die zwischen der anorganischen und der organischen Natur voraus. Die Erregung (excitement) ist für das Organische spezifisch, indem sie von der kausal-mechanischen Einwirkung unterschieden wird. Der Organismus wird dabei nicht von der äußerlichen Ursache bewegt, sondern von der „erregenden Potenz“ (exciting power) erregt. Damit findet Brown das Prinzip des Lebens in der „Erregbarkeit“ (excitability). 21 Diese Erregbarkeit ist nicht nur die Fähigkeit des Organismus, von der äußeren erregenden Kraft affiziert zu werden, sondern hat auch eine Quantität. Sie kann sich vermehren oder verringern. So erklärt Brown die Zustände des Organismus aus dem quantitativen Verhältnis zwischen der Erregbarkeit im Inneren des (organischen) Körpers und den Erregungen, die ihm von den erregenden Potenzen oder Kräften von außen gegeben werden. Im gesunden Organismus steht die Erregbarkeit innerhalb des Körpers und die Erregungen von außen in einem Gleichgewicht. Das heißt, dass das Lebendige in einem mäßigen Grad erregt oder gereizt werden muss, um gesund zu sein, wogegen der vollständige Mangel an Erregungen seinen Tod bedeutet. Deswegen ist das Leben für Brown „der gezwungene oder gespannte Zustand.“ 22 Die Krankheit ist für Brown der Zustand des Organismus, in dem die Erregbarkeit und die Erregung das Gleichgewicht verlieren, das hier die Norm ausmacht. Wenn das Organische zu viel gereizt wird, wird es seine Erregbarkeit verlieren. Das Übermaß der Erregung gegenüber der 20

Entsprechend unterscheidet er streng zwischen dem „Missgebilde“ oder der „Monstrosität“ und der Krankheit, auch wenn beide zur Abnormität der Natur gehören. Zur damaligen Diskussion um die Monstrositäten siehe Michael Hagner, „Cerebrale Asymmetrie, Monstrositäten und Hegel. Zu den Wissenschaften vom Leben um 1800“, in: Breidbach/Engelhardt, Hegel und die Lebenswissenschaften. Hagner nimmt in dieser Abhandlung jedoch lediglich am Rande Bezug auf Hegel.

21

John Brown’s System der Heilkunde, übersetzt von C.H. Pfaff, Kopenhagen, 1798, 5.

22

„[V]itam coactum statum esse.“ (Brown, John, Elementa Medicinae, Edinburgh 1784, 32).

74

Erregbarkeit bringt die Krankheit hervor, die er die „sthenische“ nennt. Wenn die erregenden Potenzen fehlen, vermehrt und akkumuliert sich die Erregbarkeit. Je weniger Erregungen, desto mehr Erregbarkeit. Die Krankheit, die aus dem letzten Ungleichgewicht entstehen soll, wird dann die „Asthenie“ genannt. Diese Lehre der Krankheit, die der Brownianismus genannt wird, erklärt die Krankheit erstens als das Verhältnis zwischen dem Inneren und dem Äußeren des Organismus, zweitens ist dieses Verhältnis das Quantitative und Umgekehrte. Damit werden drittens die Gesundheit und die Krankheit kontinuierlich gefasst und haben keinen prinzipiellen, sondern nur einen relativen und quantitativen Unterschied. Die Krankheit ist zwar die Abweichung von der Normalität (oder von der Gesundheit als dem mäßigen Verhältnis der Erregbarkeit und Erregung), aber die Krankheit und die Gesundheit, die Abnormität und die Normalität, sind dabei voneinander nur quantitativ unterschieden. „Es ist – so äußert sich Hegel ironisch – kein Wunder“, dass der Brownianismus „eine schnelle Ausbreitung und viele Anhänger fand.“ (Enz, § 359, Zusatz) Demgegenüber kritisiert Hegel am Brownianismus den „Formalismus bloß quantitativer Verschiedenheit“, der „auf diese dürren Verstandesbestimmungen gebaut“ ist. (ebd.) Der Brownianismus wurde mehr begeistert in Italien und in Deutschland als in seiner Heimat Großbritannien und in Frankreich empfangen. Nach Hegel aber habe der Brownianismus seine Popularität also nur genossen, weil er „mit einem halben Dutzend Sätze vollendet“ ist. (ebd.) Trotz dieser scharfen Kritik an Brownianismus äußert Hegel auch positiv über den Brownianismus, 23 was sehr oft in der Literatur ignoriert wurde: Daß für den Organismus die Bestimmung von Erregtwerden durch äußerliche Potenzen an die Stelle des Einwirkens äußerlicher Ursachen gekommen ist, ist ein wichtiger Schritt in der wahrhaften Vorstellung desselben. (Enz, § 359, Anm.)

23

Z.B. Engelhardt, „Hegels philosophisches Verständnis der Krankheit“, a.a.O.; Takashi Nagashima, „Buraunsetsu to Sheringu, Hegeru. Sheringu to Hegeru no buraunsetsu nitaisuru hyoka to sai nituite“(Brownianismus, Schelling und Hegel. Schellings und Hegels Beurteilung und ihre Differenz), The Bulletin of Liberal Arts and Sciences. Nippon Medical School, vol. 10, 1989.

75

Hegel spricht hier offensichtlich positiv von Browns Erregungstheorie und er sieht genau, worauf wir oben hingewiesen haben: Die Differenz der Erregung im Organismus von der kausalen Einwirkung in der anorganischen Natur. Hegel fährt fort: Es beginnt darin der Idealismus, daß überhaupt nichts eine positive Beziehung zum Lebendigen haben kann, deren Möglichkeit dieses nicht an und für sich selbst, d.h. die nicht durch den Begriff bestimmt, somit [nicht] dem Subjekte schlechthin immanent wäre. (Enz, § 359, Anm.)

Für Hegel ist Browns Erregungstheorie nicht mehr die Theorie über Krankheit und Gesundheit, sondern sie stellt einen Assimilationsprozess dar. Hegel spricht Brown eine wissenschaftliche, oder sogar philosophische Leistung zu, nämlich die spezifische Beziehung des Organismus zwischen dem Inneren und Äußeren deutlich gemacht zu haben. Assimilation ist keine positive Beziehung zum Lebendigen, sondern eine negative, die die anorganische Umwelt negiert und idealisiert. Andererseits wird die Krankheit aber von Hegel nicht, wie bei Brown, aufgrund der Beziehung zwischen dem Inneren und Äußeren, sondern aus dem Gattungsprozess verstanden, der nach der Assimilation die Rückkehr zum Subjekt darstellt. So verstanden ist der Brownianismus der Beginn des Idealismus.

3. Erregbarkeit und Irritabilität Die Naturphilosophie Hegels ist die philosophische Behandlung von der Materie. Der Organismus ist die spezifische Materie, die sich formiert: Der Organismus organisiert und bildet sich selbst aus. Deswegen wird die erste Stufe des tierischen Organismus „die Gestalt“ genannt. Das lebendige Individuum ist gestaltet, und es hat eine Gestalt, die es aber selbst hervorbringt. 24 Diese Selbstorganisation braucht nach Hegels Auffassung den Begriff. Was die organische gegenüber den anderen Naturen auszeichnet, ist dabei eben diese Begrifflichkeit, die bei der Mechanik und der (anorganischen) Physik noch bloßes potential bleibt.

24

Deswegen ist die Reproduktion ein wesentliches Moment des lebendigen (animalen) Individuums, neben der Sensibilität und der Irritabilität als den anderen beiden Momenten. (GW 12, 185f.; Enz § 353).

76

Diese Begrifflichkeit nennt Hegel in der Naturphilosophie auch die „Subjektivität“: „Die organische Individualität existiert als Subjektivität“, welche nicht aus Teilen, sondern aus Gliedern besteht, indem sie diese „idealisiert“. (Enz, § 350) Aber die Begrifflichkeit des Organismus ist bis hierhin noch nicht in ihrer vollständigen Form. „Der Begriff ist“ im Leben „als eine Seele, die noch nicht seelenvoll ist.“ (GW 12, 177) Auch im tierischen oder „animalischen Organismus“ (Enz, § 337) ist die Seele (anima) noch nicht verwirklicht. Der Begriff, die Norm, existiert an sich in der Natur, aber er ist noch nicht realisiert. In den naturphilosophischen Schritten von (a.) der Gestalt über (b.) die Assimilation zu (c.) der Gattungsprozess, welche parallel zu dem Gang der Idee des Lebens in der Logik angeordnet sind und dort über (a.) das lebendige Individuum, (b.) der Lebensprozess und (c.) die Gattung, fortgeht, ist Hegels Aneignung der physiologischen oder biologischen Diskussion um 1800 erkennbar. Die Kräfte der Sensibilität, Irritabilität, und Reproduktion waren diejenigen, über die in der Diskussion um die Lebenskräfte, neben anderen, wie beispielsweise Sekretionskraft und Propulsionskraft (Kielmeyer), oder wie Bildungstrieb (Blumenbach) usw., diskutiert wurde. 25 Hegel hat die wesentlichen Funktionen des Lebens auf drei beschränkt und lässt sie seiner begrifflichen Triade von der Allgemeinheit, der Besonderheit und der Einzelheit entsprechen. Damit hat Hegel eine Lösung für die damaligen begrifflichen Verwicklungen von der Erregbarkeit und der Irritabilität gefunden. Brown hat unter dem Einfluss von William Cullens Lehre über die Irritabilität 26 seinen Begriff von Erregbarkeit (excitability) entwickelt. Dagegen wurden allerdings sowohl die Irritabilität als auch die Sensibilität in der Diskussion um die wesentlichen Lebenskräfte um 1800 einer besonderen Entwicklung untergezogen. Diese Situation verursacht m.E. das begriffliche Durcheinander, und Erregbarkeit und Irritabilität werden mitunter synonym verstanden.

25

Zur Diskussion über die Lebenskräfte um 1800, siehe auch: Jörg Jantzen, „Physiologische Theorien“, in: Schelling HKA, Ergänzungsband zu Werke Band 5 bis 9, Stuttgart, 1994.

26

Das Wort Irritabilität (irritabilitas) stammt aus Glissons Schrift Anatomia hepatis (1654). Zur Geschichte dieses Begriffs siehe: Janzen, Physiologische Theorien, 375ff.

77

Hegel bietet dagegen mit der systematischen Einordnung eine deutliche Unterscheidung beider. Die Irritabilität ist ein Faktor innerhalb des Organismus, der mit einem anderen, das heißt, mit dem der Sensibilität, sehr eng verbunden ist. Die Irritabilität ermöglicht „die Rückwirkung nach außen“ und ist als Muskel und vor allem als Blutsystem in den Körper eingegliedert, während die Sensibilität trotz äußerlicher Reizungen in sich bleibt und insbesondere als Nervensystem existiert. Wichtig dabei ist, dass die Irritabilität, wie auch die Sensibilität und die Reproduktion zur inneren Struktur des organischen Körpers gehören, und in keiner Beziehung zur äußerlichen Erregung stehen. Es war Schelling, der diese Unterscheidung von Erregbarkeit und Irritabilität schon vor Hegel gemacht hat. Er unterscheidet sie dadurch, dass er die Erregbarkeit in den Zusammenhang zu äußeren Reizungen stellt und die Irritabilität auf das innere Konstrukt des Körpers zurückführt, wodurch er die Brownianistische Krankheitslehre zu korrigieren sucht. 27 Die Krankheit wird nun nicht länger durch die Disproportion zwischen der dem Körper äußerlichen Erregung und der ihm innerlichen Erregbarkeit erklärt, sondern durch das Ungleichgewicht zwischen Sensibilität und Irritabilität, wobei beide innerhalb eines organischen Körpers bestehen. Allerdings wird auch bei dieser neuen Krankheitsfassung Schellings das Verhältnis zwischen Sensibilität und Irritabilität wieder quantitativ gefasst. Die oben erwähnte Kritik von Hegel an Brownianismus zielt entsprechend nicht nur auf Browns, sondern auch auf Schellings Version der quantitativen Krankheitslehre. Hegel hat also von Brown zwar die Erregungstheorie aufgenommen, jedoch nicht als Krankheitslehre, sondern als eine Assimilationstheorie. Zugleich hat Hegel auch von Schellings Krankheitslehre gelernt, die Krankheit als den immanenten Zustand des Organismus zu verstehen, sodass Hegels Krankheitstheorie sowohl von derjenigen Browns als auch von derjenigen Schellings zu unterscheiden ist.

27

Siehe Schellings Erster Entwurf, in: HKA 1/7, 230ff. Meine Interpretation von Schellings Krankheitslehre kann ich an dieser Stelle nicht weiter ausführen.

78

4. Krankheit zum Tode In der Geschichte der Physiologie gab es nach Canguilhem den Streit zwischen zwei Theorien: Erstens die ontologische Theorie und zweitens die dynamische oder funktionale Theorie. Hegel, der selbst ein Opfer der Cholera wurde, kannte noch nicht die Bakterien als Ursache dieser Krankheit. Die Theorie, die den pathologischen Zustand, so wie der Brownianismus, als das kontinuierliche quantitative Verhältnis versteht, kann man als eine moderne Version der dynamischen bzw. der funktionalen Theorie verstehen. 28 Indem Hegel die quantitative Theorie ablehnt, und die Ursache der Krankheit im Körper selbst findet, lässt er sich vielmehr der alten Version der zweiten Theorie zuordnen. Hegels Krankheitslehre steht der holistischen Theorie der Humorallehre Hippokrates‘ insofern nah, als er die Krankheit vermittelst der Störung der Einheit des Körpers durch die Verselbständigung seiner Teile erklärt. Die Störung wird nun jedoch nicht länger durch das Ungleichgewicht der vier Säften, sondern durch die Verselbständigung der Körperteile erklärt, welche je zu den Lebensprinzipien wie Sensibilität, Irritabilität, und Reproduktion gehören. Hegel sagt zum Beispiel: „Er [der einzelne Organismus, T.O.] befindet sich im Zustande der Krankheit, insofern eines seiner Systeme oder Organe, im Konflikt mit der unorganischen Potenz erregt, sich für sich festsetzt und in seiner besonderen Tätigkeit gegen die Tätigkeit des Ganzen beharrt, dessen Flüssigkeit und durch alle Momente hindurchgehender Prozeß hiermit gehemmt ist.“ (Enz, § 371) Auch wenn sich Hegel hier auf einen Brownianistischen Begriff von Potenz und Erregung beruft und die Ursache der Krankheit in der Erregung durch den „Konflikt mit der unorganischen Potenz“ findet, ist seine Fassung der Krankheit von derjenigen des Brownianismus ganz verschieden. 29 Denn die Krankheit selbst ist nicht der Zustand des Ungleichgewichts der inneren Erregbarkeit und der äußeren Erregungen, sondern der innerkörperliche Zustand, dessen organische Einheit gestört ist. Bei dieser Erklärung Hegels über den anormalen Zustand des Organismus kann man erkennen, wo er das Wesen des Organismus sieht. 28

Damit distanziere ich mich von Canguilhem, der Browns Theorie als eine dritte Art

29

„Die Krankheit liegt nicht darin, daß ein Reiz zu groß oder zu klein für die Reiz-

zu klassifizieren scheint. (Canguilhem, Le normal et le pathologique, a.a.O., 13–17) empfänglichkeit des Organismus ist.“ (Enz, § 317, Zusatz).

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Der Organismus ist eine flüssige Einheit, in der ihre Momente flüssig, das heißt ausdrücklich nicht fest, bleiben sollen: Er ist einheitlich, indem er flüssig ist. Für Hegel ist es die Einheit, die den organischen Köper von der anorganischen Welt unterscheidet und seine Auflösung in den mechanischen oder chemischen Prozess hemmt. Aber die Verselbständigung der Teile, die selbst von der Erregung durch die äußere Ursache bewirkt werden kann, hemmt die Flüssigkeit und zerstört die Einheit. Diese Verselbständigung bedeutet jedoch nicht den Konflikt zwischen Körperteilen. Die Krankheit ist „eine Disproportion seines [des Organismus, T.O.] Seins und seines Selbsts“, (Enz, § 371, Zusatz) das ist die Unangemessenheit des ganzen Körpers mit dem Begriff, die durch die Partikularisation eines Teils entsteht. Diese „Partikularisation“ muss „aufgehoben“ werden. (Enz, § 371, Zusatz) Bei Hegel gehört die Krankheit zum Gattungsprozess, weil sie grundsätzlich zum Tod führt. Er spricht zwar auch über die Genesung von der Krankheit. 30 Wenn aber sich die Gattung realisieren soll, kann das Individuum nicht selbständig bleiben. So wie die Momente im Körper nicht festbleiben sollen, so müssen sich auch die Individuen auflösen und in die Gattung fließen. Wenn die Individuen dagegen selbständig bleiben, dann wird die Gattung sozusagen krank. Deswegen ist die Krankheit, d.h. Abnormität, des Individuums, die zu seinem Tod führt, zugleich die Normalität der Gattung. Die Zeugung ist ein Akt, in welchem sich zwei Individuen in eine Einheit auflösen und dadurch das Kind, als ihre Einheit, hervorbringen, damit sich die Gattung verflüssigt. Deswegen sterben nach Hegel die Individuen mancher Tierarten direkt nach der Zeugung. Sowohl Zeugung als auch der Tod bilden die Auflösung der Individuen, die für die Gattung notwendig ist. Die Krankheit zum Tode ist der normale Vorgang der Gattung selbst, nämlich die normale Abnormität.

30

Er lobt dabei sogar Brown, weil dieser „dazu beigetragen [hat], die Ansicht des bloß Partikularen und Spezifischen sowohl der Krankheiten als der Mittel zu erweitern und in beiden vielmehr das Allgemeine als das Wesentliche zu erkennen“ (Enz § 373, Anm.).

80

Bichats Satz „la vie est l’emsemble des fonctions qui résistent à la mort“ 31 ist wohl bekannt. Für Hegel ist das Leben dagegen bereits von Anfang an als eine Tendenz zum Tod bestimmt. Im Organismus sind „sein Sein und sein Selbst“ bzw. sein Begriff nicht vereinigt. Wenn Hegel sagt, dass die „Unangemessenheit [des Tieres, T.O.] mit der Allgemeinheit [...] seine ursprüngliche Krankheit und [der] angeborne Keim des Todes“ ist, dann ist die Krankheit mehr als ein bestimmter Zustand des organischen Individuums. Auch wenn der Organismus die Subjektivität oder den Begriff in sich hat, kann er doch nicht seinem Begriff gemäß werden (dies ist die Ohnmacht der Natur). Deswegen gründet „die Nothwendigkeit des Todes“ im Organismus. (Enz, § 375, Zusatz) Das Individuum muss sogar krank werden und sterben, damit es sich als Begriff selbst verwirklichen kann. Aber diese Vollendung des Lebens in der Gattung ist zugleich die Entstehung des Geistes. Der Geist entsteht genau dadurch, dass die Idee vom Tod in sich zurückgeht, damit er „diese Bestimmtheit [als Lebendiges, T.O.], in welcher sie nur Leben ist, aufhebe.“ (Enz, § 251) In diesem Sinn hat Hegel bereits in der Wissenschaft der Logik gesagt: „In der Begattung erstirbt die Unmittelbarkeit der lebendigen Individualität; der Tod dieses Lebens ist das Hervorgehen des Geistes.“ (GW 12, 191) Systematisch verstanden überlebt der Geist also den Tod des organischen Lebens, verlässt damit das Leben und stirbt dabei dennoch nicht.

31

„Das Leben ist die Zusammensetzung der Funktionen, die dem Tod widerstehen.“ (Bichat, Anatomie générale, a.a.O., 1).

81

Young Woo Kwon Life as a Contradiction between Nature and Spirit

1. On the origin of life Life appears as a living being in Nature. The living thing always shows itself as the organic. At the beginning of Nature there was no living thing. Therefore, Nature can be divided into two phases in its whole development. The first phase is without life and the second is accompanied by life. Life arises in Nature, which always seems to be dominated by necessity. There is no freedom in Nature that is without life (Enz, §248: TWA 9, 27). According to Hegel, life emerges not only by necessity of logical movement of the Idea, but also through chemical process that belongs to the physical processes. 1 It already shows itself as a selfdistinction of Nature because the living being moves with its purpose as if it were free from causal necessity of Nature. Of course, it surely belongs to Nature. As a result, Nature begins to appear in a split or selfopposite way, after life has arisen. So, living beings emerge through the self-negation of Nature. The living is considered as the other of the natural. One exists everywhere only as organic, but the other has presence as both organic and inorganic. Together they comprise all of Nature. For this reason, there seem to be two opposites in Nature, which are the organic and the inorganic. Life therefore arises in Nature and through its self-negation, since both, as self-distinctions of Nature, in no way fall its boundaries. The origin of life signifies that Nature endures its contradiction which comprises these opposites. This contradiction is produced by Nature and remains within it in an endlessly dissolving manner, just as the contradiction of the Idea (TWA 6, 67). The two

1

Stephen Houlgate, An Introduction to Hegel: Freedom, Truth and History, Oxford: Blackwell, 2005, 164.

83

appearances of the Idea are Nature and Spirit. Nature is the other and the opposite of Spirit and vice versa. The immanent contradiction of the Idea consists of Nature and Spirit. Its contradiction occurs through both the externality and the return of the Idea in and by itself (Enz §247; §250). The Idea dissolves its endless contradiction by itself. At the same time, its contradiction arises perpetually in and by the Idea. For, according to Hegel, the Idea becomes Nature in the way that the Idea “is external to itself or to itself as the negative [als das Negative ihrer selbst oder sich äußerlich ist]” (Enz §247, §250). Despite its externality, Nature is never outside the Idea, but is itself the Idea or a phenomenon of the Idea (Enz §§575–577). The self-referential negativity of Nature alone enables life to emerge within Nature and as a natural feature. For life appears to be free from the causal necessity of Nature and the origin of life refers to the beginning of Nature’s contradiction. Furthermore, Spirit only begins to appear in and with life as an individual. That is why life sees itself as the access to the appearance of Spirit, since the Idea firstly appears as natural Spirit on the feature of life. Spirit is the other of Nature. Life as such is neither as Nature because it already sets itself a concept of purpose, nor as Spirit, because not all living things are spiritual. So, life can be understood as a medium between Nature and Spirit. Nonetheless, the means can never be indifferent to Nature and Spirit. Rather, it can be seen as a battleground of Nature and Spirit that should ultimately be dissolved. Therefore, life is never stagnant. Nature draws life to death through illness, but life always strives to maintain its vitality (Enz, §§374–375). In its pursuit, life as a feature of Nature becomes or animates the subjective form of Spirit. Finally, one can say that life arises at the juncture between Nature and Spirit.

2. The natural and the living in viewpoint of being-for-itself Prima facie, Nature consists of the organic and the inorganic. Both can be viewed as the two different features of Nature. The organic is considered as the physical conditions necessary for the first appearance of Spirit. On the other hand, no Spirit appears from the inorganic elements which are not at all mediated by Spirit. In any case, the two features of Nature are dominated by causal necessity. The initial Nature comprised

84

only elementary particles. There was no organism at the beginning of Nature. The organism appeared in Nature and as a natural feature. It is a very comprehensive account that Nature has so far developed by itself from the elementary particles or the inorganic to the organic which gives rise to the emergence of life. The development of Nature is only realized through its selfnegation and Nature does not yet allow the elementary particles or inorganic to become Spirit as its other. In this phase, the immediate identity of Nature is determined and sustained by just the natural with neither the organic nor the Spirit. As soon as life appears as the organic feature, Nature is divided into its two parts which are the inorganic and the organism. Both build the immanent difference of Nature. Eventually, the difference becomes contradiction because of conflict between the inorganic and the living organism, since the living organism as a natural feature brings about the appearance of Spirit which is not natural. And the contradiction of Nature is dissolved in and by Nature through death of living being, but its contradiction arises ceaselessly through selfpropagation of the organism by reproduction. The transition from the merely natural to the living is therefore a reflection of Nature in itself. Because the living is a self-negation of Nature, and because, as something natural that is however negated by Nature itself, the living falls in no way outside of Nature. The living relates to the natural only in the negative self-relationship of Nature. Due to the negative self-relationship of Nature, the biological phenomenon can be explained by the way of the physical, chemical, electronic, and even inorganic. 2 The transition from the natural to living beings can be articulated through Hegel’s idea of being-for-itself by which Hegel defines ontological-logical principles in which oneness [Eins] can become the many [Vieles]. Moreover, an important determination of being-for-itself is “the interaction of repulsion and attraction [die Wechselwirkung der Repulsion und Attraktion]” (TWA 5, 174). According to Hegel, the many is posited by repulsion and oneness is posited by attraction (TWA 5, 196). I think that the relationship between the natural and the living

2

Wolfgang Neuser, Hegels Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften (1830): Ein Kommentar zum Systemgrundriß, H. Drüe u.a. (Hg.), Frankfurt a.M. 2000, 187– 188; Houlgate, An Introduction to Hegel: Freedom, Truth and History, 163–164.

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as the negative self-relationship of Nature can be articulated by the determination of being-for-itself, i.e., repulsion and attraction. The appearance of living things in Nature consists in the selfrepelling movement of Nature in itself. In this sense, this movement is considered as repulsion of the physical beings. One thing produces through the repulsion many things (TWA 5, 186–189). Likewise, because of this movement of Nature, many living individuals are reproduced. The living individual is unique, and life is never at rest, but always moving. In order that life preserves itself, the living being must take the other into itself and let itself become the other. Otherwise, life would disappear instantly, as if a strong flame is instantly extinguished (Enz, §335: TWA 9, 333). Therefore, life is based on its tense relationship with its other or the inorganic natural. Nature seems to have a kind of will, as if it would take back to itself its other that is the living being that it has produced in and by itself. Its withdrawal can be construed as the attraction of being-for-itself. This withdrawal of Nature refers to the death of the living being (TWA 5, 186–189). By self-repelling of Nature within itself, Nature produces life. For this reason, this movement of Nature seems to be directed outwards from it. 3 The living being ultimately dies. Due to its death, it becomes a lifeless natural thing. In other words, it returns to Nature when it dies. Death implies that the other movement of Nature is directed inward to Nature. So long as life is ongoing, it can be viewed as the point of equilibrium between the outward direction of Nature's movement and the retreating or inward direction of Nature's movement, or the perpetual conflict between their two directions. The former consists in the repulsion of Nature’s being-for-itself and the latter in the attraction of it (TWA 5, 186–200). Therefore, life is nothing but the infinite succession of the momentariness as the point of equilibrium that occurs, and then perishes permanently and continuously.

3

Cf. Ng, Hegel’s Concept of Life: Self-Consciousness, Freedom, Logic, New York: Oxford Univ. Press, 2020, 267–271. She explains both inward and outward directions between the living individual and the objective world. The former direction is to see as “a process of internal self-production” and the latter as “a process of selfproduction directed outside itself.” In her explanation, the living individual is centered, but in my case, Nature is centered.

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A. Sell has clarified Hegel’s concept of life and characterized it as “the movement expresses itself by division and return into unity.” 4 The dividing movement of life presents itself as excretion, outbreathing, reproduction etc. These consist in form of repulsion by which living beings draw themselves to others, or other natural things. The selfretreat of living beings from others should be regarded as a self-negating activity of life. This activity of repulsion or division can sustain life. It shows the negative self-relationship of life because life can only be maintained by its negation. If the only activity of life were the selfnegation, then life could not be sustained. The reason why living beings persist is that the other activity of life is integration by which they can preserve their biological unity. This integration presents itself as eating, breathing, self-organizing etc. Its movement can be understood as the activity through which living beings attract others into themselves. This activity consists in form of attraction. The two activities of life are therefore alike to repulsion and attraction. In general, the natural can be divided into the organic and the inorganic. Living beings are organic. Life is the first step of the Idea in which the Idea transforms itself from its objectivity to its subjectivity. 5 Its objectivity can be understood as the natural-objective world in that no living being emerges yet. There are just matter, particles etc., but no organism in the natural-objective world. Components of the world are not only inorganic but also organic. By the attracting or self-forming activity, living beings are organized out of the organic, as well as inorganic matter. There are two processes in the becoming of organism. The first process is the transformation of the inorganic to the organic. The other is the transformation of the organic to the organic. Organic matter is an essential physical prerequisite for becoming and emergence of organism in the natural-objective world. By the self-repulsion activity, living beings repel itself into others. All, that comes from organism, is the organic which plays the role of condition for birth of many other living beings. Becoming of the inorganic to the organic and of the organic to the organic is a chemical process. Nevertheless, Hegel does not

4

Annete Sell, „Leben,“ in: Paul Cobben, Paul Cruysberghs, Peter Jonkers, and Lu De

5

Sell, „Leben,“ 302.

Vos (Hg.) Hegel-Lexikon, Darmstadt 2006, 305.

87

describe truly or scientifically the way in which the transition from the inorganic to the organic occurs through chemical processes. If we compare his explanation with contemporary natural science, then we know it is not proper. 6 His explanation is rather metaphysical. Nonetheless, it is sure that Hegel studied scientific theories at that time, and that he was profoundly aware of the latest physics, chemistry, and biology knowledge of that time. 7 Nevertheless, I think that Hegel understood the chemical process as the medium stage of the development of Nature. Hegel explains the chemical process as a process “to put the different same, to make it indifferent and to separate the same, to animate it, and to divide it [das Unterschiedene identisch zu setzen, es zu indifferenzieren, und das Identische zu differenzieren, es zu begeisten und zu scheiden]” (Enz, §326: TWA 9, 288). “To put the different same” can be considered as the attraction. “To separate the same” as the repulsion. The mechanical or inanimate world is the first stage in which no organism yet exists. The material components just move according to physical mechanisms in that world. The physical world is the second stage in which individual things are formed as corpuses and their various physical properties appear as mass, cohesion, sound, temperature. In the physical world, the chemical process arises as a different process from the mechanical movement. Through the chemical process, organisms emerge in the organic physical world, that is the third stage. Therefore, the chemical process plays a crucial role in the appearance of organism. Before A. Oparin wrote The origin of life in 1924, no one could scientifically explain how the organic is formed from inorganic chemical matter. However, several scholars have attempted to clarify the origin of the organic and to define what is the organic. 8 Hegel was one of them; however, he tried to explain it not in a physical manner,

6

Cinzia Ferrini, “The Transition to Organics: Hegel’s Idea of Life,” in Stephan Houlgate and Michael Bauer (ed.) A Companion to Hegel, West Sussex: Wiley Blackwell, 2016, 210; Terry Pinkard, German Philosophy 1760–1860: The Legacy of Idealism, Cambridge: Cambridge Univ. Press, 2002, 271.

7 8

Pinkard, German Philosophy 1760–1860: The Legacy of Idealism, 267–268, 275. Neuser, Hegels Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften (1830): Ein Kommentar zum Systemgrundriß, 190–193.

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but rather in a natural-philosophical way. He was unable to overcome the limitation of natural science in those days. 9 In the first stage of the development of Nature, there is no organism. Living beings appear as organism in the third stage. If there were just elementary physical processes in the second stage, then no organism could be formed. Through the chemical process, the inorganic transforms to the organic and life appears as living beings in the organic. So, the chemical process is the medium stage of the development of Nature and the crucial condition for appearance of organism. By virtue of the chemical process, the natural, which is only mechanical, becomes the living and life appears as the living individuals 10 within the natural. And the natural must be also within the living. The natural tends to draw the living into itself. It means aging, illness and death. Living individuals strive to maintain its life by becoming and self-forming something different from the natural. It means whole activities of life. The natural and the living are others reciprocally. Moreover, the natural is severe negation to the living. If living beings cannot overcome the natural by attracting the natural into themselves, i.e., taking nutrients, they would not exist as the living. However, every living being must live in the natural. Both of these, i.e., the natural and the living, of which relationship seems to be incompatible and oppositive, must exist at the same time and clash in an organic individual in order that life appears and is sustained. 11 This shows a contradiction between the natural and the living because, according to Hegel, nature is not only inorganic but also living. 12 He regards Nature as the external appearance of the absolute Idea (Enz, §247: TWA 9, 24; Enz, §§575–576). The self-determining activity of the Idea is to express as the self-judging activity of the Idea (Enz, §377: TWA 10, 394). 13 Therefore, Nature divides itself into the natural and the living through the self-determining and judging activity of Nature. 9

Neuser, Hegels Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften (1830): Ein Kommentar zum Systemgrundriß, 190.

10

“Living individual” can differ from “living being” that is empirical instance (Ng, Hegel’s Concept of Life, 263–264). Nevertheless, I use the term “living individual” as “living being” or “living thing”.

11

It can be also clarified by the relationship between the living and externality. Ng, Hegel’s Concept of Life, 267–271.

12

Ferrini, “The Transition to Organics: Hegel’s Idea of Life,” 210.

13

Cf. Ng, Hegel’s Concept of Life, 243–247.

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3. Life and Spirit Life is considered as a crucial condition for the first appearance of Spirit. In the development of Spirit, the first step is subjective Spirit. And its first form is soul, which Hegel called “natural Spirit [Naturgeist]” (Enz, §387: TWA 10, 40). Hegel said oddly that “the Spirit that has become [der gewordene Geist]” is “soul, not yet Spirit [Seele, noch nicht Geist]” (Enz, §388: TWA 10, 43). This implies firstly that soul is a form of Spirit, but not real Spirit and, secondly, that there is a medium between Nature and Spirit. The medium is already a spiritual form, but not a Spirit, i.e., soul. His expression as such is contradictory because, according to him, soul must be Spirit, but not Spirit. In my opinion, his expression does not classify as a bad contradiction that cannot be dissolved in any case. Rather, he clearly shows the essential principle of his philosophy, that contradiction causes all movements and living things. The following expression clearly shows the necessary relationship between life and contradiction. Therefore, something is alive only insofar as it contains contradiction within itself, namely this power to contain and endure the contradiction within itself. (TWA 6, 76).

The power that can make Nature come to life is only contradiction. In this sense, we can understand Hegel’s expression, which means, “soul is Spirit, but not yet Spirit.” Soul as Spirit is no longer material. It appears as something natural, but as the immateriality of Nature (Enz, §389). In other words, Immaterial Nature is Nature, but no longer Nature. So, soul could be understood as the unsteady, twinkling-blinking appearance that is based on the contradiction of Spirit and Nature. Soul as this appearance is not just the immaterial appearance of Nature, but also the natural appearance of the Spirit. In any case, soul shows itself as a living individual. Their change as “the natural process of life [der natürliche Verlauf der Lebensalter]” can be seen as their return to lifeless Nature. Life strives to focus on becoming Spirit. However, it is finally in Nature. So eventually it dies. In other words, Spirit seems to draw life to itself, as if Nature were transforming to Spirit. But the death of the living being means its return to Nature, as if Spirit were perishing in Nature. Life is found at the junction of Nature and Spirit (Enz, §389). Nature draws life to itself or the lifeless natural. That is why life tends

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towards death through its aging and illness (Enz, §§374–375), because, according to Hegel, illness is the “seed of death [Keim des Todes]” and “the first origin of death [der erste Ursprung des Todes]” (Enz, §375: TWA 9, 535). Of course, life overcomes illness by virtue of healing etc. (Enz, §§372–373). This process is considered as life’s effort for selfpreservation. Despite its arduous work against disease, life will eventually culminate in death. This inclination of life towards death is considered as life’s movement returning to Nature. On the other hand, life continually strives for its own vitality. In this way, it can maintain itself against others that exist within itself. Its others always push life towards lifeless Nature. In life, there is self-division. A part of life is that part that wants to maintain its vitality. The other part is the natural, which makes life return to lifeless Nature. Life therefore, is always strenuously working against itself in order to preserve itself. On the occasion of life’s arduous work against itself and at the same time for its self-preservation, Spirit first appears as a living individual. It seems that life moves to Spirit. This movement shows itself as the movement of life from Nature to Spirit. 14 As long as life is natural, it will eventually return to Nature, i.e., to his death. While a living being is alive, it is always in conflict between these two parts. Life itself is not always to be viewed as Spirit. Nevertheless, Spirit cannot appear if life does not appear. For this reason, life is considered as a preparation for Spirit or to gain access to Spirit. Nature opens this preparation for and this access toward, by negating itself. Nature prepares for its access to Spirit by allowing life to arise within itself through its self-negation. So, Spirit does not appear outside of Nature at all, but only in Nature. In this sense, life is based, first, on the contradiction of Nature itself and, second, on the contradiction between Nature and Spirit. Furthermore, life maintains itself by means of its conflicting activity between the direction towards Nature and the alternative direction towards its vitality and therefore consequently towards Spirit. The first direction can be understood as an intricacy (Enz, §374) or a regression of life and the second as a development of it. This clearly shows why Spirit initially appears as natural Spirit that is soul [Seele].

14

Thomas Sören Hoffmann, G. W. F. Hegel: Eine Propädeutik, Wiesbaden 2004, 402– 403.

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Spirit that is only in and with the living, is subjective Spirit. Insofar as subjective Spirit appears in life, it must disappear with the end of life, i.e., by death. For its ground is nothing other than Nature, which is its opposition. Spirit only appears with life in Nature as natural Spirit that is soul. Life is based on natural condition. And it appears to be natural, yet immaterial. In this respect, subjective Spirit is still limited to life, which, however, causes the existence of Spirit within Nature. Subjective Spirit is only one of Spirit’s forms. Objective and absolute Spirit no longer appear as a single living thing. This development of Spirit consists in the movement of the Concept, which develops itself from singularity (Einzelheit) through particularity (Besonderheit) to universality (Allgemeinheit). Hegel also explained this development of life in the logic of the Concept as the living individual (S) – the life process (P) – the species (U) (TWA 6, 469–487). By virtue of the movement of the Concept, Spirit also develops itself as the movement of subjective Spirit – objective Spirit – absolute Spirit. Life can only be regarded as a decisive moment or as a necessary cause for the first appearance of Spirit. Without life, Spirit could not begin to appear. Objective and absolute Spirit do not develop as individual life forms, but as general forms that are independent of the death of the individual living being. The further development of Spirit therefore continues through its self-separation from the individual life, although it only began to appear in life. In this sense, Hegel claimed that “the death of the only immediate individual vitality is the emergence of Spirit [der Tod der nur unmittelbaren einzelnen Lebendigkeit ist das Hervorgehen des Geistes]” (Enz, §222: TWA 8, 377) und “the death of life is the emergence of Spirit [der Tod des Lebens ist das Hervorgehen des Geistes]” (TWA 6, 486). The death of a living being and the reproduction of each living being constitute an infinite process as the genus of which process is in fact presupposed on “the life-process of the individuals.” 15 This allows the development of Spirit to be free from the individual or singular living being. Nevertheless, objective and absolute Spirit can by no means appear or develop without subjective Spirit. So,

15

92

Ng, Hegel’s Concept of Life, 271.

life is undoubtedly the decisive moment for both, i.e., subjective Spirit and the other two Spirits.

4. Life in the development of the Idea According to Hegel, there is nothing but the Idea. Everything is the Idea itself or its appearances. Life is a form of the Idea. According to him, life should be viewed as the immediate Idea (TWA 6, 470; Enz, §216). 16 By realizing of the Idea as the living, the Idea transforms itself as Nature to Spirit. The becoming of the Idea into Nature is based on the contradiction of the Idea because Nature as the Idea is “in the form of otherness [in der Form des Andersseins]” (Enz, §247) and because the Idea is “external to itself as Nature [als Natur sich selbst äußerlich]” (Enz, §250). The external being of the Idea constitutes the contradiction of the Idea. For externality consists in necessity, which is generated by the Concept (Enz, §250). The contradiction of the Idea as Nature is therefore the contradiction between necessity and rational determination in organic totality (Enz, §250). The inorganic is based on necessity and the organic on rational determination. As mentioned, life also arises in contradiction to Nature. Since life always maintains itself in the point of equilibrium between its movement towards Nature and its movement towards Spirit, its sustainability relies on the contradiction between Nature and Spirit, or is even the contradiction itself because it appears as a beautifully flashing successive momentariness or as a miracle that occurs always in the confluence between Nature and Spirit, and because the confluence is the only place in which life appears as their contradiction. The reason that life appears as such a contradiction can be found in the characteristic of the negative self-relating development of the Idea. At this point, the development of the Idea tends to return from Nature to itself by means of Spirit. Were it not for the self-negating movement of Nature, the confluence of Nature and Spirit could not arise. Their confluence manifests itself as their contradiction that means

16

Ng, Hegel’s Concept of Life, Ch. 7.

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life. Life as such a confluence is considered as a summit as well as a watershed in the development of the Idea itself because the Idea begins to return to itself by its self-manifestation as Spirit via life. Water streams down and in other directions on the apex of a mountain because the force of gravity effects water on the point in which two mountain slopes meet. The apex can be regarded as the place in that life is formed and the mountain as the whole development of the Idea. The structure of Hegel’s contradiction is defined as a specific opposition between two incompatible aspects, such as +A and -A, within the same field that encompasses both as its own aspects. If these opposing aspects were not within the same field, contradiction would not arise. The opposition must dissolve itself by itself. The first aspect is +A, the second is -A, and the third is A itself (TWA 6, 73–74) or |A|. 17 The conflict between the two aspects is resolved within and by the third aspect, where the two conflicting aspects engage with each other, and the opposition recedes into reflection as the ground. The third aspect represents the unity of the reflection (TWA 6, 74). Consequently, the contradiction dissolves itself (TWA 6, 67–68). Therefore, Hegelian contradiction should be understood as three-dimensional. 18 The structure of contradiction of Nature consists of the opposition between the inorganic and the organic. The natural is the third aspect where the spark of life ignites due to its contradiction. The movement of life paves the way for the emergence of Spirit. Nature is the Idee and Spirit is also the Idee. However, Nature is other of Spirit and Spirit is other of Nature. Thus, both constitute the immanent opposition of the Idea. The structure of contradiction of the Idea comprises the opposition between Nature and Spirit. In this case, the third is the Idea itself. Life initially appears as the contradiction of the natural. This contradiction is not the turning point in the development of the Idea, but rather the pre-phase immediately preceding the turning point in its development because life itself is not Spirit. The turning point is nothing but the beginning of the appearance of Spirit, which must be impossible

17

M. Wolff, Der Begriff des Widerspruchs: Eine Studie zur Dialektik Kants and Hegels, Königstein 1981, 114ff.

18

Y.W. Kwon, Über den Reflexionsbegriff und die Funktion der Reflexion in der Moralität und Sittlichkeit, Berlin 2013, 201, 194–202; Christian Iber, Metaphysik absoluter Relationalität, Berlin 1990, 433–440.

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without the emergence of life. The Idea begins to manifest as Spirit, initially appearing in living individuals. The appearance of Spirit already implies the inherent contradiction of the Idea. Life mediates the transition from Nature to Spirit and the appearance of Spirit. Life persists between Nature and Spirit. Therefore, it can be understood as the medium in which the contradiction between Nature and Spirit arises, or as the contradiction itself.

95

Ryosuke Ohashi Das Problem des „Lebens“ in der Hegelschen Logik (Die überarbeitete Fassung)

(Vorbericht) Die folgende Abhandlung ist die überarbeitete Fassung des früheren Aufsatzes des Verfassers: Das Problem des „Lebens“ in der Logik, in: Hegel-Jahrbuch. Hegel gegen Hegel II, Januar 2015, S. 519–526. Zur Rechtfertigung der Überarbeitung möchte ich ein Wort von Hegel im „Vorbericht“ seiner Wissenschaft der Logik heranziehen, in dem Hegel die „Entschuldigung“ für die Unreife seiner Schrift vorbringt. Sie lautet, „dass meine Amtsverhältnisse und andere persönliche Umstände mir nur eine zerstreute Arbeit in einer Wissenschaft gestatteten, welche einer unzerstreuten und ungeteilten Arbeit bedarf und würdig ist“. (TWA 6, 244) Es wäre allerdings frech, wenn ich bei der Überarbeitung meines eigenen Aufsatzes die Selbstkritik Hegels zur Rechtfertigung nutze. Was der Verfasser beabsichtige, ist in Wahrheit nur, die Neufassung des Aufsatzes vorzulegen, um mich von den verehrten Kolleg:innen mit offenen Kritiken belehren zu lassen.

I Hegel hatte seine Wissenschaft der Logik für überarbeitungsbedürftig befunden. Er hat sie allerdings nur bis zur „Lehre des Seins“ überarbeitet, da sein Leben zu früh endete, um auch die „Lehre des Wesens“ und die „Lehre des Begriffs“ überarbeiten zu können. In der zweiten Ausgabe der Wissenschaft der Logik, die mit der Überarbeitung der „Seinslehre“ endete, verrät er wieder die „Unvollständigkeit“ der ersten Ausgabe. Da Hegel die genannte „Entschuldigung“ unmittelbar vor die „Lehre des Begriffs“ stellte, ist zu vermuten, dass diese Begriffslehre, somit die 97

Betrachtung des „Lebens“, in den Augen Hegels besonders einer Verbesserung bedürftig gewesen war. Hegel beginnt das erste Kapitel „Das Leben“ im dritten Abschnitt der Wissenschaft der Logik, „Die Idee“, mit dem folgenden Satz: „Die Idee des Lebens betrifft einen so konkreten und, wenn man will, reellen Gegenstand, daß mit derselben nach der gewöhnlichen Vorstellung der Logik ihr Gebiet überschritten zu werden scheinen kann.“ (TWA 6, 469) Aus diesem Satz wird noch nicht klar, wo und welches Problem Hegel in der bisherigen Darstellung des Lebens in der Logik sieht. Es bedarf weiterhin einer Überlegung zu verstehen, welche Notwendigkeit es gibt, das „Leben“ eigens in der „Logik“ darzustellen. Als Vorbereitung für diese Überlegung ist zuerst kurz zu überblicken, wo Hegel außer in der Wissenschaft der Logik das „Leben“ zum philosophischen Thema gemacht hatte. Durch diesen Überblick werden die Notwendigkeit und die Problematik, das Leben eigens in der Logik zu behandeln, einigermaßen sichtbar. Der Reihe nach taucht zunächst eine seiner Jugendschriften, Der Geist des Christentums und sein Schicksal (1798–1800) auf. Es handelt sich dort nicht um das Leben im biologisch-organischen Sinne, auch nicht um das gesellschaftliche Leben, sondern um die Idee des „Reinen Lebens“ als der höchsten Vereinigung des endlichen und des unendlichen Lebens. „Reines Leben ist Sein. Die Vielheit ist nichts Absolutes. – Dieses Reine ist die Quelle aller vereinzelten Leben, der Triebe und aller Tat“. (TWA 1, 371) Mit der Sicht auf die spätere philosophische „Spekulation“ Hegels ist hier schon darauf aufmerksam zu machen, dass das Verhältnis des einzelnen Lebens des Menschen zum reinen Leben eingesehen wird. Die spätere trinitarische Artikulation des Geistes wird nämlich hier vorweggenommen: „Weil das Göttliche reines Leben ist, so muß notwendig, wenn von ihm und was von ihm gesprochen wird, nichts Entgegengesetztes in sich enthalten; (...) denn die Wirkung des Göttlichen ist nur eine Vereinigung der Geister; nur der Geist faßt und schließt den Geist in sich ein.“ (TWA 1, 372) Dieses reine und göttliche Leben wird aber in der genannten Jugendschrift Hegels in einer theologischen Vorstellung, und noch nicht spekulativ-philosophisch, aufgefasst. Denn für Hegel war damals, d.h. in

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seiner Frankfurter Zeit, die Religion das erste Anliegen, und nicht die Philosophie. Der „Vorstellungscharakter“ der Auffassung des Lebens kommt am bemerkenswertesten im Versuch Hegels zum Vorschein, das trinitarische Verhältnis von Vater, Sohn, Geist, mit dem „göttlichen Dreieck“ zu erklären. 1 Es handelt sich um die vom jungen Hegel bearbeitete Zeichnung des „Dreiecks der Dreiecke“. Mit dem zentralen Dreieck wird das Verhältnis von Vater, Sohn, Gott ausgedrückt, und mit den drei kleinen Dreiecken an den Extremen des mittleren Dreiecks werden das Ineinanderspiegeln der drei göttlichen Personen sowie der Naturelemente als Schöpfung Gottes angedeutet. Die Vorstellung der Trinitätslehre mit dem göttlichen Dreieck ist zwar leicht verständlich, aber sie bringt für das philosophische Denken eine Verlegenheit mit sich, wenn eine von Hegel damals vorgelegte Habilitationsthese herangezogen wird: „Quadratum est lex naturae, triangulum mentis.“ Die im Viereck vorgestellte Natur und der ebenfalls schematisch mit Dreieck vorgestellte Geist stehen nämlich getrennt voneinander, ohne spekulativ miteinander zu einer systematischen Einheit vermittelt zu werden. 2

1

Rosenkranz’ Bericht über das Fragment vom göttlichen Dreieck (1804) (TWA 2, 535). Dieses Bild wurde von Karl Rosenkranz zuerst in „Hegels ursprüngliches System. 1798 bis 1806“ besprochen. (Karl Rosenkranz, „Literaturhistorisches Taschenbuch“, hrsg. von R.E., 2. Jg. 1844, 153ff.). Das Manuskript, das Rosenkranz von der Familie Hegels zur Verfügung gestellt worden war, ist verloren gegangen. (Vgl. Helmut Schneider, „Anfänge der systematischen Entwicklung Hegels in Jena“, in: Hegel-Studien 10, 1975, 133–171).

2

Karl Rosenkranz behauptet, dass Hegel die Totalität des Ganzen als Viereck über den Dreiecken ausgedrückt hat, was allerdings aus dem vorhandenen Material nicht zu belegen ist. Das Viereck ist nach seiner Auffassung das Gesetz der Natur, und das Dreieck das des Geistes. Das gemeinte Viereck ist dadurch zu verstehen, dass die Natur seit alters her als eine Komposition von vier Elementen aufgefasst wurde. Rosenkranz behauptet, dass Hegel den platonischen Gedanken der Analogie der Naturelemente festzuhalten suchte. (Vgl. Rosenkranz, Georg Wilhelm Friedrich Hegels Leben. Mit einer Nachbemerkung zum Nachdruck 1977 von Otto Pöggeler, Darmstadt 1977, 158)Seitdem gibt es zwar verschiedene Diskurse über dieses Thema, aber im vorliegenden Problemzusammenhang darf die Verfolgung dieser Diskurse erspart werden.

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Die nächste Stelle, in der das Leben in philosophischer Reflexion auftaucht, ist das Kapitel „Selbstbewusstsein“ in der Phänomenologie des Geistes. Ein Zitat ist vorauszuschicken. „Der Gegenstand, welcher für das Selbstbewußtsein das Negative ist, ist aber seinerseits für uns oder an sich ebenso in sich zurückgegangen als das Bewußtsein andererseits. Er ist durch diese Reflexion-in-sich Leben geworden. Was das Selbstbewußtsein als seiend von sich unterscheidet, hat auch insofern, als es seiend gesetzt ist, nicht bloß die Weise der sinnlichen Gewißheit und der Wahrnehmung an ihm, sondern es ist in sich reflektiertes Sein, und der Gegenstand der unmittelbaren Begierde ist ein Lebendiges.“ (TWA 3, 139) Das Selbstbewusstsein hat wie jede Bewusstseinsform in der Phänomenologie des Geistes seinen eigenen Gegenstand. Der Gegenstand für das Selbstbewusstsein ist ein Selbstbewusstsein selbst, das ebenfalls selbständig ist und die Seinsweise der Begierde hat. Als solches steht es dem ersten selbständigen Selbstbewusstsein gegenüber, was das Negative für es bedeutet. Aber dieses zweite Selbstbewusstsein ist ebenfalls das in sich reflektierte Sein. Es ist als der Gegenstand der Begierde auch ein Lebendiges. Eine typische Weise der zueinander sich negativ verhaltenden Beziehung ist der Kampf auf Leben und Tod zwischen dem „Herrn“ als einem lebendigen Selbstbewusstsein und dem „Knecht“ als einem anderen lebendigen Selbstbewusstsein. Um ein Missverständnis im Voraus zu vermeiden, ist zu bemerken, dass mit diesem Kampf nicht der reale Kampf in der Wirklichkeit gemeint, wie er später im Kapitel „Geist“ als der Kampf zwischen den Personen, die je das göttliche und das menschliche Gesetzt verkörpern, oder der Kampf zwischen der Aufklärung und des Aberglaubens. Der Kampf, um den es sich im „Selbstbewusstsein“ handelt, ist derjenige zwischen den zwei Formen des Selbstbewusstseins. Es handelt sich dort also nicht um das konkrete „Leben“, das diese Bewusstseinsformen trägt. Die dritte Schrift, in der das Leben thematisiert wird, ist die „Naturphilosophie“, die Hegel als einen Teil seiner Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften (1817, 1827, 1830) darlegt. Es handelt sich dort um das Naturleben im Unterschied zur „Idee“ des Lebens. Hegel sagt ausdrücklich, dass, „das logische Leben als reine Idee von dem Naturleben, das in der Naturphilosophie betrachtet wird, und von dem Leben, insofern es mit dem Geiste in Verbindung steht, zu unterscheiden ist“. (TWA 6, 470)

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Die vierte und reife Schrift, genauer ein Konvolut der zusammengestellten Manuskripte, ist die Vorlesungen über die Philosophie der Religion, die Hegel in Berlin von 1821 bis 1831 gehalten hat. „In der Religionsphilosophie aber betrachten wir die an sich seiende, logische Idee nicht bloß, wie sie als reiner Gedanke bestimmt [ist], [...] sondern wie sie an sich ist im Gedanken und zugleich wie sie erscheint, sich manifestiert, aber in der unendlichen Erscheinung, als Geist, der sich in sich selbst reflektiert.“ (TWA 16, 34) Diese an sich seiende, logische Idee ist dem Inhalt nach das göttliche Leben, das aber jetzt nicht wie einst in der Schrift der Frankfurter Zeit, Der Geist des Christentums, theologisch vorgestellt, sondern spekulativ in dessen Trinitätsstruktur begriffen wird. „Das Leben erhält sich; sich erhalten heißt in den Unterschied gehen, in den Kampf mit der Besonderheit, sich unterschieden finden gegen eine unorganische Natur. Das Leben ist so nur Resultat, indem es sich erzeugt hat, ist Produkt, indem es sich erzeugt hat, ist Produkt, das zweitens wieder produziert; dies Produzierte ist das Lebendige selbst, d.h. es ist die Voraussetzung seiner, es geht durch seinen Prozeß hindurch, und aus diesem kommt nicht Neues hervor: das Hervorgebrachte ist schon von Anfang.“ (TWA 2, 538) Weiterhin: „Der Unterschied, durch den das göttliche Leben hindurchgeht, ist nicht ein äußerlicher, sondern muß nur als innerlich bestimmt werden, so daß das Erste, der Vater, wie das Letzte zu fassen ist.“ (Ebd.) In diesen Vorlesungen wird der Standpunkt der Theologie ausdrücklich kritisiert, weil diese in der Vorstellung Gottes bleibt, somit der Gott noch „gegenständlich“ aufgefasst wird, ohne spekulativ begriffen zu werden. Was dort ausgesprochen wird, ist die Idee des göttlichen Lebens. Für Hegel steht Gott als die Idee nicht als Jenseits des menschlichen Geistes. Das Selbstbewusstsein des Menschen ist zugleich das des Gottes. Dies bedeutet einerseits, dass nicht nur der Mensch, sondern auch Gott sterben muss, und zwar am Kreuz. Dieser „Tod Gottes“ muss allerdings auch der Tod des Todes sein, was der Sinn der Auferstehung ist. Der Tod Gottes muss somit die „Liebe“ sein, in der die Einheit der Menschennatur und der Gottesnatur erreicht wird. „Diese ewige Idee ist denn in der christlichen Religion ausgesprochen als das, was die heilige Dreieinigkeit heißt; das ist Gott selbst, der ewig dreieinige.“ (TWA 17, 222)

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Diese religionsphilosophische Auffassung der Idee des Lebens setzt von der Wissenschaft der Logik her gesehen eine logische Idee voraus. Hegel selbst sagt in der Tat in diesen Vorlesungen über die Religion: „Die Philosophie betrachtet also das Absolute erstlich als logische Idee, wie sie im Gedanken ist, wie ihr Inhalt selbst die Gedankenbestimmungen sind.“ (TWA 16, 34) Die „logische Idee“ des Lebens muss also dargelegt werden, und diese Aufgabe ist das, was in der Wissenschaft der Logik zu vollziehen ist.

II Gehen wir also zu diesem Werk. Der dritte Abschnitt der „subjektiven Logik“ in der Wissenschaft der Logik wird, wie schon erwähnt, betitelt: „Die Idee“, und sein erstes Kapitel trägt den Titel „Das Leben“. Wenn man hier das Wort „Idee“ im Kantischen Sinne versteht, so geht man in einer für Hegel unberechtigten Richtung. Die Idee bei Kant ist das, was als das Unbedingte in Ansehung der Erscheinungen transzendent ist, somit das, von dem kein empirischer Gebrauch gemacht werden kann. Die Idee im Kantischen Sinne ist reiner subjektiver Vernunftbegriff, und betrifft nicht das konkret reale Leben, das Hegel in der Wissenschaft der Logik logisch zu begreifen versucht. Um den Sinn der „Idee“ im Hegelschen Sinne etwas eingehender zu verstehen, ist zunächst dem Wort Hegels selbst zuzuhören: „Die Idee ist [...] das objektive Wahre oder das Wahre als solches. Wenn irgend etwas Wahrheit hat, hat es sie durch seine Idee, oder etwas hat nur Wahrheit, insofern es Idee ist.“ (TWA 6, 462) Die Idee ist „die Einheit des Begriffs und der Realität.“ (TWA 6, 465ff.) Die Hegelsche Wendung des deutschen Wortes „Idee“ ist von der geläufigen Wendung nur dem äußerlichen Anschein nach verschieden. Denn sachlich kann gesagt werden, dass etwas dann wahrlich als dieses Etwas zu erkennen ist, wenn es seiner Idee gemäß ist. Ein Tisch ist dann wahrlich der Tisch, wenn er das Tischsein vollständig verwirklicht, somit die Einheit des Begriffs und der Realität ausdrückt. Hegel entfaltet allerdings diese Idee logisch weiter: „Sie ist erstlich die einfache Wahrheit, die Identität des Begriffes und der Objektivität als Allgemeines, […]. Zweitens ist sie die Beziehung der fürsichseienden Subjektivität des

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einfachen Begriffs und seiner davon unterschiedenen Objektivität.“ (TWA 6, 467) Die hier gesagte „Beziehung“ ist keine statisch bestehende, sondern bewegliches Geschehen des logischen Prozesses. Die sonst als voneinander unterschieden vorgestellte Subjektivität und Objektivität werden hier aufeinander bezogen und bilden den lebendigen Prozess, und diese Bewegung ist das, was den ganzen dritten Abschnitt der „subjektiven Logik“ ausmacht. Dieser Zusammenhang soll ins Auge gefasst werden, damit die „Idee des Lebens“ im Hegelschen Sinne besser verstanden werden kann. Denn man würde meinen, dass die Idee des Lebens den Rahmen der Logik nicht so sehr überschreiten würde, wenn sie in der „objektiven Logik“ behandelt wird, d.h. in den zwei ersten Büchern, „die Lehre des Seins“ und die „Lehre des Wesens“, zumal da diese objektive Logik nach Hegel an die Stelle der Ontologie tritt, die „die Natur des Ens überhaupt erforschen sollte.“ (TWA 5, 61) Man würde geneigt sein, zu sagen, das Leben sei doch ein Ens. Was ist aber das „Logische“ überhaupt? Die fundamentale Ansicht Hegels ist, dass das Logische „seine [des Menschen] eigentümliche Natur selbst“ (TWA 5, 20) ist. Weder in der Aristotelischen noch in der Kantischen Logik wurde das „Logische“ als solches so radikal nachgedacht. Das Logische ist für Hegel das, „welches sich in alles Naturverhalten des Menschen, in sein Empfinden, Anschauen, Begehren, Bedürfnis, Trieb eindrängt und es dadurch überhaupt zu einem Menschlichen, wenn auch nur formell, zu Vorstellungen und Zwecken macht“. (TWA 5, 20) Aus diesem Wort versteht sich, dass Hegels Logik als die Selbstentwicklung des Logischen die Sache ist, die nicht nur in der „Seinslehre“ oder „Wesenslehre“, sondern auch in der „Begriffslehre“ als der Lehre der Subjektivität existenziell-metaphysisch behandelt werden soll. Die Metaphysik ist seit alters her die Ontologie. Dies wird von Hegel in seiner fundamentalen Ansicht der Logik übernommen, die „die Darstellung Gottes ist, wie er in seinem ewigen Wesen vor der Erschaffung der Natur und eines endlichen Geistes ist.“ (TWA 5, 44) Aber wenn dies auch in der Auffassung des „Lebens“ geltend gemacht wird, sollte sich nicht eine Frage erheben? Die Frage wird lauten: Kommt es nicht vor, dass bei einer metaphysischen Auffassung des ewigen Wesens nicht ein Spalt zwischen dem „ewigen Wesen“ des Lebens und dessen „Faktizität“ entsteht?

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Es ist aber nicht die Denkweise Hegels, die metaphysische Dimension und die Faktizitätsdimension des Lebens als voneinander getrennt zu betrachten. Denn das Logische selbst soll als das die Menschennatur Durchziehende auch in ein faktisches Leben hineindringen. Wiederholen wir die letzte Hälfte des obigen Zitates, dass das Logische „sich in alles Naturverhalten des Menschen, in sein Empfinden, Anschauen, Begehren, Bedürfnis, Trieb eindrängt und es dadurch überhaupt zu einem Menschlichen, wenn auch nur formell, zu Vorstellungen und Zwecken macht“. Im Hinblick auf das Wesen des Logischen ist zu sagen, dass die Logik im Ganzen notwendigerweise die begriffliche Darstellung der „Idee des Lebens“ ist. Aber wie weit steht diese „Notwendigkeit“ im Einklang mit der faktischen Entwicklung der Logik? Wie schon gesehen, wird im Abschnitt der „objektiven Logik“ als der Ontologie das Ens behandelt, wobei die dialektische Bewegung ihrer Bestimmungen als die „genetische Exposition des Begriffes“ gilt. (TWA 6, 245) Dadurch wird die Substanz nicht nur objektiv, sondern auch subjektiv, d.h. als die das denkende Subjekt selbst betreffende Sache, begriffen. Ein für unseren Problemzusammenhang entscheidendes Wort Hegels ist zu zitieren: „Das Begreifen eines Gegenstandes besteht in der Tat in nichts anderem, als daß Ich denselben sich zu eigen macht.“ (TWA 6, 255) Wenn das Leben in der „objektiven Logik“ dargestellt wird, wird es noch Gegenstand bleiben, somit noch nicht als das zu eigen gemachte, gelebte Leben aufgefasst. Die Frage ist dann, ob und inwieweit es Hegel gelang, dieses gelebte und reale Leben in der subjektiven Logik darzustellen.

III Verfolgen wir also, wie das Leben im Abschnitt „Die Idee“ erörtert wird, wobei ein Wort Hegels nicht zu vergessen ist, das im „Vorbericht“ zur Lehre vom Begriff ausgesprochen wurde, nämlich, dass seine Logik eine zerstreute Arbeit blieb. Da Hegel nicht sagt, in welchem Teil und inwieweit sein Werk ungenügend blieb, müssen wir „mit Hegel anders als Hegel“ vorgehen. Das Kapitel „Das Leben“ gliedert sich wie immer in drei kleinere Abschnitte: A. Das lebendige Individuum, B. Der Lebensprozess, C.

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Die Gattung. An dieser Gliederung sieht man, dass die Schlussform des Allgemeinen, des Besonderen und des Einzelnen ihr zugrunde gelegt ist. Es handelt sich aber nicht um die Schlussformel, die ein Logiker vor sich stellt und betrachtet, sondern die Formel der Selbstbestimmung des Lebens selbst. Das Leben vollzieht diese Formel, indem es seine vorreflexive Unmittelbarkeit negiert, und durch diese Negativität hindurch die Positivität des einzelnen, von der Allgemeinheit begründeten negative Einheit mit sich erreicht. Hegel nennt diese Einheitsform „das lebendige Individuum“ (TWA 6, 275). So wird gesagt: „Durch dies Selbstbestimmen ist das allgemeine Leben ein Besonderes; es hat sich damit in die beiden Extreme des Urteils, das unmittelbar Schluß wird, entzweit.“ (TWA 6, 474) Um zu sagen, wie das Leben mit dieser Schlussform als „konkretes und reeles Leben“, als „lebendiges Individuum“ lebt und sich betätigt, nutzt Hegel das Wort „Seele“. Diese im lebendigen Individuum ist „der Begriff seiner selbst, der in sich vollkommen bestimmt ist, das anfangende, sich selbst bewegende Prinzip“ (TWA 6, 475). Die so ausgesagte „Seele“ ist das Leben selbst, die den lebendigen Körper bewegende Kraft. Sie ist kein „Teil“ des lebendigen Körpers, sondern die diesen Körper bewegende „Kraft“. Selbst die moderne Medizin bzw. Biologie ist noch nicht ganz imstande, diese Kraft als solche in ihrem materiellen Mechanismus zu klären. Die „Seele“ ist der klassische Name für diese immer noch ungeklärte Kraft, die den lebenden Körper bewegt. Der Leib ist das Phänomen dieses „Lebens“. Es ist sehr selten, dass Hegel vom „Leib“ redet. Eine der seltenen Stelle kommt im Kapitel des „Lebens“ in der Wissenschaft der Logik vor: „Die Leiblichkeit hat das Lebendige zunächst als die unmittelbar mit dem Begriff identische Realität; sie hat dieselbe insofern überhaupt von Natur.“ (TWA 6, 475) Hegel betrachtet diese Leiblichkeit im Hinblick auf den Trieb, die Sensibilität, Irritabilität usw., also als objektive Phänomene des organischen Körpers, aber nicht im Hinblick auf dessen subjektive Innerlichkeit. Die Darstellung Hegels von der „Leiblichkeit“ findet sich nur an dieser Stelle. Danach entfaltet sie sich zur Darstellung der logischen Bestimmung der „Idee des Lebens“, zum „Lebensprozess“, zur „Gattung“ als dessen Endpunkt. Diese logischen Bestimmungen werden dann als Formen des „Lehrsatzes“ aufgezeigt, der die „Schluss-Struktur“ hat, bis die Darstellung der „absoluten Idee“ sichtbar wird, in der dieser

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Schluss-Struktur abgerundet wird. Dies ist die letzte Stufe der Wissenschaft der Logik. Der epochale Versuch Hegels, in der „Logik“ das „Leben“ zu thematisieren, was weder bei Aristoteles noch bei Kant entworfen wurde, könnte sich wie oben grob zusammenfassen lassen. Eine noch präzisere Zusammenfassung mag zwar möglich sein, aber für den vorliegenden Problemzusammenhang genügt sie. Gerade an diesem Punkt beginnt meine „Überarbeitung“ bzw. die Korrektur. In meiner ersten Fassung hatte ich einen „kleinen Spalt“ in der grandiosen „Logik des Lebens“ bei Hegel gesehen zu haben geglaubt. Es sollte sich um den Spalt zwischen der „metaphysisch-logischen Auffassung des Lebens“ einerseits und der „realen Faktizität des gelebten Lebens“ andererseits. Die von Hegel um der letzteren willen ausgesagte „Seele“ ist die Mittelachse des faktischen Lebens selbst, das, solange es objektiv beschrieben wird, von seiner Faktizität weggenommen wird. Die objektive Beschreibung des Lebens selbst sollte zwar ontologisch in der „Seinslehre“ und der „Wesenslehre“ vollzogen werden. Was in der Begriffslehre dargestellt wird, sollte das sein, was als die zu eigen gemachte, gelebte und faktische Sache jeder Objektivierung widersteht. In meiner ersten Fassung wollte ich also einen kleinen „Spalt“ zwischen der logisch-objektiven Darstellung des Lebens und dem faktisch gelebten Leben sehen. Ein Beleg dafür wäre, so dachte ich, darin zu sehen, dass zwar in der Begriffslogik das Problem der „Leiblichkeit“ nur vorübergehend berührt wurde, um die Darstellung des Lebensprozesses im Ganzen zu vollziehen. Aber diese meine frühere Ansicht in der ersten Fassung behauptet letztlich nur, dass überhaupt die „logische“ Behandlung des faktischen Lebens die Abkehr von diesem ist. Zwar hat Hegel selbst diese Abkehr erwähnt. Aber dieses Geständnis besagt völlig anderes als die Ansicht, dass die logische Behandlung des Lebens steril ist. Die Behandlung des Lebens in der Logik selbst für steril zu halten, ist nichts anderes als die philosophische Sterilität. Wird ein Stück weiter über das Wesen der logischen Spekulation als solcher nachgedacht, ergibt sich die „Überarbeitung“ bzw. die Korrektur dieser früheren Fassung als notwendig. Hegels Selbstkritik war nicht gegen die wesentliche Tragweite der logischen Spekulation, sondern gegen die gewisse Unreife ihrer Entwicklung, gegen den Punkt gewendet, dass die vorliegende Darstellung eine „zerstreute Arbeit“ blieb. In der Tat ist diese Zerstreutheit an der

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Intensität der Darstellung zu erblicken. Um nur ein Beispiel dafür anzugeben, ist sie darin zu beobachten, dass die Darstellung des Lebens etwas eilig zu der des „Lebensprozesses“, dann zu der der „Gattung“ fortging, um schließlich zur „absoluten Idee“ zu gelangen, wo ziemlich unmittelbar behauptet wird, dass diese absolute Idee das unvergängliche Leben ist, das verschiedene Gestaltungen hat. Als diese werden Natur, Geist, Kunst, Religion, usw. gezählt. (Vgl. TWA 6, 549) Aber diese Gestaltungen werden nicht systematisch erörtert, sondern bloß aufgezählt. Die Aufzählung solcher Art ist nicht-spekulativ, und wird eigentlich von Hegel als Denkweise des gemeinen Menschenverstandes zurückgewiesen. Wie würde es dann aussehen, wenn Hegel in Ruhe alles systematisch und spekulativ dargestellt hätte? Bevor wir zu dieser Frage übergehen, ist festzustellen: Der eigentliche Zweck Hegels in der Begriffslehre war, das „Leben“ durch die Spekulation logisch zu bestimmen. Die fundamentale Ansicht der vorliegenden Abhandlung ist, das Verhältnis des faktisch gelebten Lebens und des spekulativ begriffenen Lebens als das Selbsterwachen des Verhältnisses vom „gegenseitigen Hineingehen von Faktum und Logos“ zu verstehen. Um einen mahayana-buddhistischen Ausdruck heranzuziehen, handelt es sich hier um das Verhältnis vom „ji-ri-muge“ (事理無礙), das Verhältnis von Faktum und Logos im ungestörten Ineinander-Eintreten in der gegenseitigen Beziehung aufeinander. Wenn gefragt wird, ob Hegelsche „Spekulation“ eine solch „buddhistische“ Bedeutung hat, könnte vorläufig mit der Hegelschen Bestimmung seiner „Spekulation“ geantwortet werden. Die Spekulation bei ihm war nämlich, dass sie erstens die endgültige Gestalt des „Logischen ist, (Vgl. Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaft, Dritter Teil, §79. (TWA 8, 168)) und zweitens bzw. vor allem die philosophische Reflexion, die „sich selbst zum Objekt“ macht. (Differenz des Fichte’schen und Schelling’schen Systems der Philosophie (TWA 2, 114/115)) Nicht der Gegenstand des lebenden Ich, sondern das Leben des Ich selbst sollte als solches durch sie begriffen werden. Allerdings kann diese Formulierung des jungen Hegels insofern noch in Zweifel gezogen werden, als das so reflektierte Ich nach wie vor als das „gesehene Ich“ gesehen werden kann. Um diesen Zweifel aufzulösen, ist die reife Ansicht Hegels in der Enzyklopädie zu zitieren, in der Hegel den aristotelischen Terminus „noêsis noêseôs“ heranzieht. (TWA 8, 388) Es ist bekannt, dass Hegel zum Schuss seiner Enzyklopädie die

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Stelle zu „nous“ und „noêsis“ in der aristotelischen Metaphysik ohne Übersetzung einfach stehen ließ. Der Sinn dieses Zitates sollte jetzt als der direkte Aufweis verstanden werden, dass das Ganze der Enzyklopädie der Entwurf der „noêsis noêseôs“ ist. Dann sollte das in der Logik logisch begriffene Leben der noetische Selbstausdruck des „gelebten Lebens“ sein. Es handelt sich nicht um das gegenständlich gesehene Leben, sondern um das „Selbstgewahren“ des Lebens selbst. Dies stimmt überein mit der Einsicht Hegels, dass die „absolute Idee“ die „Rückkehr zum Leben“ ist. (TWA 6, 549) Die hier gemeinte Rückkehr ist nicht der bloße Rückgang des Logischen zu seinem Ausgangspunkt auf der gleichen Ebene, sondern die Heimkehr zum „Leben selbst“ als seinem Ursprung. Um zuerst das schon Gesagte zu wiederholen, liegt der Kernpunkt der Überarbeitung des Aufsatzes vom Verfasser in der Ansicht, die logische Spekulation des „Lebens“ in der Begriffslehre als „das ungestörte Ineinander-Eintreten von Faktum und Logos in der gegenseitigen Beziehung aufeinander“, als „Logik des Selbsterwachens des Lebens“, aufzufassen. Dies heißt die Ansicht, dass es im Wesentlichen keinen „Spalt“ zwischen dem Faktum des Lebens und der Logik des Lebens gibt. Jedoch besagt diese Ansicht nur, dass es „im Wesentlichen“ keinen Spalt gibt. Sie will keineswegs behaupten, dass die „Begriffslehre“ in der gegenwärtigen Fassung der hegelschen Logik perfekt ist. Hegel wird dazu zustimmen, da er selber die Notwendigkeit einer Überarbeitung der Begriffslehre zugesteht. Ob und in welcher Weise würde dann Hegel, wenn er die Zeit gehabt hätte, die „Lehre des Begriffs“ in der Wissenschaft der Logik überarbeiten? Kein Nachlass wird bis jetzt hinterlassen, mit dem man sehen kann, in welcher Weise Hegel die „Lehre des Begriffs“ zu überarbeiten geplant hatte. Nennen wir Hegel als Verfasser der gegenwärtigen Fassung der Wissenschaft der Logik den „Hegel A“, und Hegel als Verfasser der nicht wirklich vollzogenen Überarbeitung dieses Werkes den „Hegel B“, so existiert das letzte Hegel B nur virtuell. Hegel A und Hegel B sind zwar die „selbigen“, nicht aber die „gleichen“ Hegel-Figuren. Wir können die Doppelheit von Hegel A und Hegel B in allen Berliner Vorlesungen Hegels feststellen, wenn wir wollen. Der Versuch, ein Gespräch mit Hegel durchzuführen, ist der Versuch, „mit Hegel B anders als Hegel A“ zu denken. Aus dieser Perspektive können wir einige Hinweise machen.

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Zunächst hätte Hegel in einer reiferen Weise logisch darstellen können, dass und wie die „absolute Idee“ die „Rückkehr zum Leben“ ist. Dadurch wäre das Ende der Wissenschaft der Logik angesichts der vernichtenden Kritik Schellings als des schärfsten Antagonisten Hegels noch haltbarer gemacht worden. In der gegenwärtigen Fassung erreicht die Logik in ihrer letzten Stufe die Bestimmung der „absoluten Idee“, die „sich selbst frei entläßt“, um zur „Natur“ zu übergehen. (TWA 6, 573) Dieses freie Entlassen der Idee als der Übergang von der Logik zur Naturphilosophie ist der Schlussteil der hegelschen Logik. Aber in den Augen Schellings gehört dieses Sich-entlassen der Idee „zu den seltsamsten, zweideutigsten und darum auch zaghaftesten Ausdrücken, hinter die sich diese Philosophie bei schwierigen Punkten zurückzieht“. 3 Aber von uns her gesehen sollte dieser Übergang als Folge der Erfüllung der logischen Bestimmungen geschehen, durch die das logisch dargestellte Leben sich als die lebendige Natur in der realen Welt zeigt. Anders gesagt: Dieser Übergang sollte das Erscheinen der „Natur“ auf der logischen Ebene. Wenn dieser Übergang von der Logik zur Naturphilosophie in noch reiferer und systematischer Weise dargestellt worden wäre, hätte die Kritik Schellings, auch wenn dieser nach wie vor mit der Darstellung nicht einverstanden sein konnte, nicht so schroff und eilig zu sein gebraucht. Zwar gibt es in der Hegel-Forschung ab und zu die Verteidigung der gegenwärtigen Darstellung Hegels. Hegel A würde sich dafür bedanken, aber Hegel B wird diese Verteidigung höflich abdanken. Der Dialog mit Hegel B bleibt als Aufgabe für uns bestehen. Als Ansatz zu einem solchen Dialog ist das Wort in der zweiten Ausgabe der „Wissenschaft der Logik“, in der nur die „Lehre des Seins“ überarbeitet wurde, heranzuziehen, obwohl das Wort etwas lang ist: Bei der Erwähnung Platonischer Darstellung kann, wer ein selbständiges Gebäude philosophischer Wissenschaft in modernen Zeiten neu aufzuführen arbeitet, an die Erzählung erinnert werden, daß Platon seine Bücher über den Staat siebenmal umgearbeitet habe. Die Erinnerung hieran, eine Vergleichung, insofern sie eine solche in sich zu schließen schiene, dürfte nur um so mehr bis zu dem Wunsche treiben, daß für ein Werk, das, als der modernen Welt angehörig, ein tieferes Prinzip, einen schwereren Gegenstand und ein Material von reicherem Umfang zur Verarbeitung vor sich

3

F.WJ. Schelling, Sämtliche Werke, 10, 153.

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hat, die freie Muße, es siebenundsiebzigmal durchzuarbeiten, gewährt gewesen wäre. (TWA 5, 33)

ZUSATZ: „Das Leere und das ‚soku‘“ Die „spekulative Logik“, mit der das faktische Leben begriffen werden soll, kann als eine Form des „jikaku“ (自覚, Selbstgewahren) angesehen werden um ein japanisches Wort heranzuziehen. Die so verstandene spekulative Logik steht, um mit einem buddhistischen Wort zu sagen, eine Form des „ji-ri-muge“ (事理無礙, „dem ungestörten IneinanderEintreten von Faktum und Logos in der gegenseitigen Beziehung aufeinander“) sehr nahe. Dieser letztere Terminus steht im untrennbaren Zusammenhang mit einem anderen buddhistischen Terminus „ji-jimuge“ (事々無礙, „dem ungestörten Ineinander-Eintreten von Faktum und Faktum in der gegenseitigen Beziehung aufeinander“). Der bisher oben vorgelegte Gedanke wird bewusst unmittelbar vor dem Eingang zum letzteren Bereich, „ji-ji-muge“ stehen gelassen. Im Hinblick auf diesen Bereich ist ein anderer Aufsatz des Verfassers anzugeben, der bereits letztes Jahr in Hegel-Studien erschien. 4 So möchte ich hier meinen Versuch in Form einer Zusammenfassung vorlegen, um die Richtung des Weitergehens anzudeuten. Es geht um einen Terminus in der Wissenschaft der Logik, der, soweit ich sehe, bisher in der Hegel-Forschung nicht bemerkt wurde: Die „Durchsichtigkeit“ (durchsichtig). Dieses Wort kommt vorläufig am Ende der „Lehre des Wesens“ vor, und dann in der „Lehre des Begriffs“ immer häufiger. Was sie besagt, kann an einer der ersten Stellen, wo dieses Wort vorkommt, einigermaßen sichtbar gemacht werden. Sie lautet: „Die Identität des Absoluten ist somit dadurch die absolute, daß jeder seiner Teile selbst das Ganze oder jede Bestimmtheit die Totalität ist, d.h. daß die Bestimmtheit überhaupt ein schlechthin durchsichtiger Schein, ein in seinem Gesetztsein verschwundener Unterschied geworden ist.“ (TWA 6, 188) Diese „Durchsichtigkeit“ ist wie jene drei Termini in der Hegelschen Logik: „Negation, Übergang, Vermittlung“, die einst Kierkegaard

4

Dieser Aufsatz erschien unter dem Titel „Die Logik des Absoluten und die Logik des Leeren – oder: die ‚Durchsichtigkeit‘ bei Hegel und das ‚soku‘ bei Nishitani,“ in: Hegel-Studien 56, 2022, 117–131.

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den „Schleier der Geheimnisse“ in der Hegelschen Logik nannte, 5 ohne logische Bestimmung in der „Lehre des Begriffs“ häufig verwendet. Es funktioniert sogar als ein logisches Element, in dem die Lehre des Begriffs besteht. Um es konkret zu sagen, handelt es sich darum, dass die verschiedenen logischen Bestimmungen je als die Bestimmungen des Absoluten „durchsichtig“ werden, da sie alle sich als die logischen Kategorien ergeben, in denen je das Ganze des Absoluten durchgesehen wird. Um mit dem Thema des vorliegenden Manuskriptes zu sagen, geht es um das „gegenseitige einander Durchdringen“ von Faktum und Logos. In der mahayana-buddhistischen Logik wird es mit Formulierungen wie „u-soku-mu“ (有即無, Sein-ist-zugleich-Nichts), „shiki-sokuze-kû“ (色即是空, Die-Erscheinung-ist-zugleich-die-Leere) zum Ausdruck gebracht. Das in diesen Formulierungen vorkommendes Wörtchen „soku“ (zugleich) entspricht der „Durchsichtigkeit“ in der Begriffslogik Hegels. Es kommt der Sache als solcher nach auf das Verhältnis der „Ferne und Nähe“ zwischen der Hegelschen Spekulation des „Absoluten“ und der mahayana-buddhistischen „Leere“ an, das des Weiterdenkens bedarf. Ein neues Themengebiet für die Hegel-Forschung ist darin vorauszusehen. Das Durchblicken dieses Themengebietes setzt einen intensiveren Dialog mit der Hegelschen Logik voraus, der seinerseits auch „einen schwereren Gegenstand und ein Material von reicherem Umfang zur Verarbeitung vor sich hat.“ (TWA 5, 33) Dazu sind die über die Grenze der immanent in sich geschlossenen Hegel-Forschung hinausgehenden interkulturellen Dialoge benötigt. Wenn der oben genannte Aufsatz des Verfassers gegebenenfalls bei einem solchen interdisziplinären Dialog berücksichtigt werden kann, ist der Verfasser „mehr als glücklich (more than happy)“.

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S. Kierkegaard, Der Begriff Angst. Vorworte. Sören Kierkegaard, Gesammelte Schriften, übersetzt von Emanuel Hirsch, Abt. 11/12, Düsseldorf 1955, 83.

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Shuhei Kimoto Duality of Life in Hegel’s Logic Proto-conceptual Agency and Its Conceptual Articulation

1. Introduction The subject of this paper is Hegel’s logical conception of life in The Science of Logic. However, my interest here is not in what kind of philosophical theory of life it is. Thus, I will not address to such issues as the relationship between Kant’s theory of organism and Hegel’s theory of life, or which is superior. While they are, of course, important for Hegelian scholarship, I am concerned in this paper with a more fundamental question: what does it mean to take the concept of life as logical? If the discussion of life in Logic is concerned with descriptive issues, then the reader is required to confirm whether the ideas presented there apply to the phenomena of life. Then the criteria for the validity of a series of discussions would be descriptive rather than logical. Taking life as logical means that Hegel approaches to life in a way that is quite different from description. In what follows, I will focus on the duality implied by the logical conception of life in order to get to its core. Hegel mentions life at various points in his Logic. For the moment, I will simplify them and divide them into two broad groups, which I will present as the two logical aspects of the concept of life. Roughly speaking, its logical nature seems to consists of the following considerations; 1. Conceptual relationships that living individual’s behaviors express 2. Logical structures specific to our judgments and reasoning about life

The former is an inherent logical property that can be attributed to living things themselves, while the latter belongs to the way we understand life. The former corresponds to the chapter “Life”, and the latter is part of the chapters “Judgment” and “Idea of Cognition”. In Logic, the rela-

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tionship between them is not so obvious and they look like two separate topics on life. I don’t think this is a good starting point. To approach Hegel’s thought on logical life, we need a different perspective. So, I refer to the arguments of Charles Taylor. He provides a framework for understanding the duality that the chapter “Life” contains. It is (i) proto-conceptual agency and (ii) the articulation of rules that make the behavior of such an agency intelligible as an action. He published several essays on transcendental arguments, mainly in the 1970s, and developed a rather original position in the philosophy of action. His well-known works on Hegel can be regarded as part of such considerations, but here I focus not on his remarks on Hegel but his thought up to recent years. He says the transcendental argument is a special kind of argument from self-evidence to self-evidence, providing a transition from the still unaware normative subject to the conceptually aware agent. Although Taylor’s arguments have the human subject in mind, and are not simply comparable to the theory of life in Logic, I believe that they nevertheless help us to understand the relationship between the two aspects that are the subject of this paper. I shall outline this paper. In section 2, I will examine the relationship between life and judgment in Logic and confirm the textual difficulty in characterizing life as judgment. In section 3, I will introduce Taylor’s theory of transcendental argument and present it as giving an inseparable relationship between the two moments of ‘embodiment’ and ‘articulation.’ In section 4, I will return to Hegel again and show that the argument of “Life” itself contains these two moments. This means that the development of the logical concept of life exhibits the dimension of judgment.

2. Hegel: Life and Judgment, or Life as Judgment ? Since Michael Thompson’s work, 1 many Hegel scholars have discussed the possible connection between Thompson’s theory of naturalhistorical judgments and life in Hegel’s Logic. He says that our judgments on life have irreducible logical characteristics and that life corresponds to a category in Kantian sense. He begins his discussion by 1

Michael Thompson, Life and Action. The Elementary Structures of Practice and Practical Thought, Harvard University Press 2008.

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quoting the opening sentences of the chapter “Life” in Logic (Thompson Life and Action, 25). 2 Bernstein even calls Thompson’s argument “the commencement of an analytic rewriting of Hegel’s Logic.” 3 Let us leave aside here whether this “rewriting” is Hegelian or not. This is an interpretive controversy because the relationship between life and judgment is not so obvious in Hegel’s Logic. While Hegel explicitly states that life is “[t]he originative judgment” (SL, 678), the discussion in the chapter “Life” does not refer to the logical distinctiveness of judgments about living things, such as “dogs are four-legged.” In order to see the relationship between life and judgment, let us look at the idea of judgment as the “originative division” below. This idea may involve at least the following two claims: J1: Universal concept (genus) contains its particularizing principle. That is, universal concepts divide themselves into particulars. J2: Concepts intrinsically contain normativity. And the judgments that express agreement or disagreement with that normativity presuppose a fundamental division between existence and normativity. One can find such a view of concepts in “Disjunctive Judgment” and “Judgment of Concept”. The discussions in the chapters “Judgment” present the framework, so to speak, of conceptual relationships. Chapter “Idea of cognition” develops them again in a more concrete way. The concept of life is a typical example that satisfies the conceptual relation required by the idea of originative division.

2

Thompson quotes the following sentences; The idea of life is concerned with a subject matter so concrete, and if you will so real, that with it we may seem to have overstepped the domain of logic as it is commonly conceived. Certainly, if logic were to contain nothing but empty, dead forms of thought, there could be no mention in it at all of such a content as the idea of life. [translated by Miller; corresponding to (SL, 676)] His concern is not in interpreting Hegel’s text, and he does not mention Logic after the short remark following above citation. I believe that Thompson’s argument reveals an important point of issue in Hegel’s conception of logical life, but I will not discuss the relationship between them here.

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J.M. Bernstein, “To Be Is to Live, To Be is to Be Recognized: On Michael Thompson’s Life and Action,” Graduate Faculty Philosophy Journal 30 (2) 2009, 358.

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In the “Definition” section, Hegel discusses the normativity of concepts regarding their allowance of exceptions (SL, 712). He suggests that any definitional conceptualization involves possible deviations. For example, if we interpret “a dog has four legs” as a necessary and sufficient conditional proposition, there is logically no possibility that a three-legged being is a dog. However, it is usually understood that a three-legged individual is also a dog and that such an individual is defective in that it has only three legs 4. Hegel calls an entity “bad” that deviates from the essential determination of a concept 5. The possibility of 4

Here is the most salient similarity between Hegel and Thompson. Rand formulates Thompson’s idea on natural-historical judgment on such defects of living things as inference “scheme D” in the following way; [D1] The S is F. [D2] This S is F. [D3] This S is defective in that it is not F. (Sebastian Rand, “What’s Wrong with Rex? Hegel on Animal Defect and Individuality,” European Journal of Philosophy 23 (1) 2015, 68–86.) The passages in the next footnote show that Hegel follows the similar inferential steps as schema D. In contrast, one can see from the discussion in “judgment of concept” that he considers not only negative evaluative judgments but also positive, which have such predicates as good, right, true, and so on, asserting the subject’s conforming to the conceptual norm. One can find as positive examples “this house is good” or “his action is right.” From these examples, he seems to think of evaluative judgments in a broader framework than Thompson, while he also understands life has central importance for such judgmental form. However, I am not sure if he can give any positive evaluative judgment on living things though life is central to his thought.

5

One can find such Hegel’s idea in the following passages; […] although an actual thing will indeed manifest in itself what it ought to be, yet, in accordance with the negative judgment of the concept, it may equally also show that its actuality only imperfectly corresponds with this concept, that it is bad. (SL, 712.) In a bad plant, a bad animal type, a contemptible human individual, a bad state, there are aspects of their concrete existence that are defective or entirely missing but that might otherwise be picked out for the definition as the distinctive mark and essential determinateness in the existence of any such concrete entity. A bad plant, a bad animal, etc., remains a plant, an animal just the same. If, therefore, the bad specimens are also to be covered by the definition, then the empirical search for essential properties is ultimately frustrated, because of

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evaluating such deviations implies that the concept of life has a normative element that entities either conform to or deviate from. As Inwood points out, the arguments in “Disjunctive Judgment” is revisited in “Synthetic Cognition” 6. The concern here is how concepts are articulated in the activity of classification. It can generally be viewed as an empirical investigation. For example, consider comparing dogs, cats, and chairs. By scrutinizing and recognizing of differences and similarities among them, dogs and cats may be grouped similarly, while chairs belong to a different one. Nonetheless, Hegel criticizes the view that classification results from a simple empirical search. One reason for this is that in empirical inquiry that relies on perceptual information, non-essential features of classified objects may be used as criteria for classification because they are perceptually salient. Hegel gives the example of Blumenbach, who considered earlobes a distinctive feature that separates humans from other animals. For example, as Blumenbach observes, the lobe of the ear is something lacking to all other animals and is therefore perfectly entitled, in accordance with ordinary ways of speaking about common and distinguishing markers, to be used as the distinctive characteristic in the definition of the physical human being. But how disproportionate such a totally external determination at once appears when measured against the representation of the total habitus of the physical human being, and against the demand that the concept determination shall be something essential! It is entirely accidental whether the markers taken up into the definition are pure makeshifts like this one or approximate the nature of a principle instead. From their externality one can also see that the cognition based on concepts did not begin with them. (SL, 711)

Even if empirical evidence were to show that only humans possess earlobes, it cannot be concluded that such a feature distinguishes among organisms. Indeed, we would not equate defects in earlobes with defects in organs such as the mouth or eyes, or with deficiencies in social skills

the instances of malformation in which they are missing; for instance, in the case of the physical human being, the essentiality of the brain is missing in the instance of acephalous individuals; or, in the case of the state, the essentiality of the protection of life and of property is missing in the instance of despotic states and tyrannical governments (ibid). 6

Michael Inwood, A Hegel Dictionary, Blackwell 1992, 56.

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such as language. On the contrary, the way a species uses its bodily organs to interact with its environment and with other individuals of the same species is an important aspect of understanding how it differs from other animals. In other words, a view of similarity and difference is needed before one can describe and classify the similarities and differences of various things. Hegel asserts that classification is a theoretical activity that relies on the principles of the genus concept. If we adopt the classification of animals based on variations in migration, respiration, and reproduction, we can categorize all known animals according to their biological characteristics. The absence of consideration of earlobes as a distinguishing factor for humans suggests that our implicit classification principle does not view their presence or absence as significant. 7 We now have seen that the idea of judgment as originative division is explored further in the “Idea of cognition”. Although Hegel believes 7

Hegel’s theory of concepts contains a critique of the empiricist model of concepts. Empiricism holds that a general concept is acquired by extracting similarities from a manifold of empirical material and eliminating differences (for example, the general concept “dog” is acquired by removing the particularities of the individual dogs d1, d2, d3, ...). I call this view conceptual abstractionism. In contrast to empiricism, which regards concepts as abstract, Hegel claims that concepts are concrete. One argument for the concreteness of concepts is that conceptual universals (genera) contain their particularizing principles. Hegel characterizes conceptual relations as a transition from the universal to the particular (and also to the individual), as opposed to empiricism’s transition from the particular to the universal by abstraction. This view was carried on into the philosophy of logic in the 19th century as the idea of ‘concrete universals.’ Among them, Lotze and Drobisch were the most important, and Cassirer’s Substance and Function finally succeeded in their theory of concept formation. The case study introduced in this paper, in which animals are classified according to differences in migration, respiration, and reproduction, is based on Lotze’s example (Hermann Lotze, Logik. Drei Bücher vom Denken, vom Untersuchen und vom Erkennen: mit der Übersetzung des Aufsatzes, Philosophy in the last forty years, einem Namen- und Sachregister. Herausgegeben und eingeleitet von Georg Misch, Meiner 1912, 40–41). The criticism that earlobes do not have the significance that characterizes humans is also found in him (Lotze Logik, 52). I have given a more detailed account of the influence of the ‘concrete universal’ on the philosophy of concept formation in the 19th century (Shuhei Kimoto, “‘Concrete Universals’ in the Theoretical History of Concept Formation,” HISTORIA PHILOSOPHIAE (63) 2021, 29–55. (written in Japanese)).

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that it is not unique to life that conceptual relationships acquire such articulation, life is still the essential subject of consideration. However, it would be rash to conclude that life and judgment are intrinsically linked in Logic based on such correspondences. The argument presented in the chapter “Life” requires further examination. Here we will only review in outline the arguments of the chapter “Life”. It shows that the living individual is also a conceptual entity as such; Lindquist states that Hegel’s argument for the connection between the three divisions in life, “structure process”, “assimilation process”, and “genus process” is constituted by only one argument 8. It is impossible to describe an individual as an organic entity (structure processes) without characterizing its parts as functional entities that perform specific functions in response to inducements in the environment (assimilation processes). And the latter is also impossible without representing it as an agent of life activity (genus processes). Therefore, these three moments are in the order of necessary conditions from the former to the latter. In this sense, conceptual moments in life are logical, implying that life is a logical category. But does the life as logical concept imply that it is also a judgment? This is the interpretive predicament. While Hegel examines judgments about life, he focuses on their normative aspects of life or their role in organizing classifications. Conversely, the chapter on “Life” deals with the logical determination of life as embodied in individual creatures. It is often the case that a judgment has such behavior of life as its content, but the logical nature of life is independent of being the object of such a judgment, making them indifferent. Thus, the above framework does not capture life as a judgment, and a reset is necessary.

3. Taylor on Transcendental Arguments So much for textual interpretation. To simplify matters, let us start fresh. I believe Charles Taylor offers the foundation for this task. As we saw above, Hegel’s reference to life had two dimensions: the dimension of the living individual as a concept in itself and the conceptual articulation of our understanding of life. These dimensions will be referred to 8

Daniel Lindquist, “Hegel’s ‘Idea of Life’ and Internal Purposiveness,” HOPOS 8 (2) 2020, 376–408.

119

as the ‘embodiment’ and ‘articulation’ of life concepts. Taylor has consistently incorporated both concepts into his philosophical framework, spanning from his initial works on transcendental arguments to his more recent publications. 9 This essay will examine the interrelation between these concepts and provide potential solutions to the interpretive challenges found in Hegel’s philosophy. Taylor’s transcendental argument (which I will call TTA) 10 is formulated as a generalization of Kant’s original version. It is an argument that grounds an activity by providing the indispensable and self-evident conditions (rules) that bound it and enable it. The steps in this argument take the form of regress that starts from the obvious fact of engaging in some activity and goes back to the self-evident conditions that support it. Since it is the self-evident conditions that ground an activity, empirical facts obtained through scientific inquiry cannot provide such justification. Even if, for example, the physiological structure of our brain were to give biological validity to the forms of judgment contained in Kant’s tables of judgment, this would not be a justification transcendental arguments give. It is in this sense that TTA attempts to identify an a priori concept, which is implicitly self-evident within that

9

Taylor’s work on transcendental arguments includes the well-known and often criticized paper “The Opening Arguments of the Phenomenology” (Charles Taylor, “The Opening Arguments of the Phenomenology,” in Alasdair MacIntyre (ed.) Hegel: A Collection of Critical Essays, Notre Dame University Press 1972, 151–188). However, since my current interest is not in his interpretation of Hegel, I will not discuss the validity of his interpretation. For the same reason, the commentary on chapter “Life” is not the subject of my consideration. (Taylor, Hegel, Cambridge University Press 1975) Stern states that despite the various criticisms against Taylor’s view, it can be defended in terms of a Transcendental interpretation. (Robert Stern, “Taylor, Transcendental Arguments, and Hegel on Consciousness,” in Hegel Bulletin 34 (1), 2013, 79–97.) I agree with him, but I believe that interpreting “Sense Certainty” as a transcendental argument requires a unique reconstruction that differs from Taylor’s version.

10

My reconstruction below relies mainly on Taylor’s work on transcendental arguments. (Taylor, “The Validity of Transcendental Arguments,” in Philosophical Arguments, Harvard University Press 1975, 20–33.) Although there is no reference to Hegel in this paper, this is not a serious problem. His ideas on transcendental arguments can be traced back to his essay on Hegel. (See also Stern “Taylor, Transcendental Arguments, and Hegel on Consciousness,” 80).

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practice. The implicit rule of being self-evident does not necessarily mean that an agent in the activity grasps it consciously. The shift from self-evidence to self-evidence is not senseless; rather, it is a necessary step in making such a presumption clear. As a result of a series of arguments, we establish (i) entitlement of the agents who engage in the activity, that is, clarify who they are. And we recognize (ii) their behavior as an action within the rule-governed activity in question. For example, it would be suggestive to present Frege’s Begriffsschrifts as an example of TTA. In this view, the significance of Frege is not that he created modern logic from scratch. Rather, it is that he formalized the multiple quantification implicit in mathematicians’ proof practice as predicate logic (explicit rules), making their behavior intelligible as “proof activity by mathematician” rather than something magical. 11 An important distinction in TTA is between the two dimensions of engagement with the practice and manifestation of the rules that constitute the practice that underpins the process of arguments. Taylor’s terminology is not always uniform, and he sometimes uses the terms “enactment” and “manifestation”, respectively, but his framework has not changed significantly in recent years. At first glance, the TTA framework seems like a straightforward developmental step, but it is not so simple. While any practice can be grounded by making explicit the conditions that make it possible, such a clarification of rules must presuppose the actual practice. This creates a dual relationship between the two aspects, and TTA cannot be an unconditional top-down argument. 12. 11

I am greatly inspired by Mikami for the idea of interpreting Frege’s work as a transcendental philosophy. (Mikami Onyu, “Transcendental Philosophy and Frege’s Theory of Semantics,” presented at the 53rd Philosophy Science Society, Tokyo, Japan, November 2020. (Presented in Japanese))

12

TTA can be seen as presenting a non-Kantian transcendental argument model in that it takes the presence of practical activity as its starting point (although Taylor himself looks indifferent to this point). It is contrasted with Kant’s original version of “metaphysical deduction”, which is the justification of experience by rules given independently of practice. Beginning a Transcendental Argument with the existence of practical activity is a tendency that is not unique to TTA but is often found in the Wittgensteinian interpretation of Kant. For example, Schwyzer criticizes Kant’s metaphysical deduction as resulting in the inevitable failure of schematism. (Hubert Schwyzer, The Unity of Understanding. A Study in Kantian Problems, Clarendon

121

Is it possible to recognize in Hegel’s conception of life a process that is an example of TTA? And if so, what insights can we gain regarding Hegel's theory of logical life? Some might argue that one cannot apply it to Hegel’s concept of life since TTA is a model of the reflective and self-aware process of human action. It is true that in TTA, there is no fundamental difference between the subject who engages in practice and the subject who articulates it (and at the same time, the two need not be the same person), whereas there is no possibility in principle for the subjects of noncognitive life activities in chapter “Life” to become aware of the rules they implicitly follow. But does such a difference imply that the process of articulation is absent from Hegel’s theory of life? In the following, we will return to Hegel.

4. Hegel Again In section 2, we saw two aspects of the concept of life in Logic. On the one hand, as an immediate idea, it reveals the conceptual linkage that makes an object a living individual. On the other hand, it is a conceptual structure (judgment) that can be typically found in the cognition of life. The transition from the former to the latter is not obvious, and there seems to be a severe gap (in more Hegelian terminology, the problem is, “how is it possible to move from the immediate idea to the idea of cognition?”). In section 3, I attempt to reconstruct TTA and model it as an argumentative process that moves from engagement in practice to the articulation of conceptual rules that make that practice possible. In Logic, however, such a transition seems impossible in principle since the living subject is presumed to be at a level that does not involve any mental cognitive process. Let us now look at the development of the chapter “Life”. Hegel begins with a careful characterization of life, which must be thought of Press 1990) If we derive from the abstract framework of the judgments table universal categories that are valid for all experiences, it is almost impossible to give a priori rules for local application in actual practice. He then proposes to set participation in language-games as a starting point for transcendental arguments (Schwyzer, The Unity of Understanding, 40–48). His argument can also be placed as an attempt to justify the idea of TTA (or rather assumption of language-games) in the context of Kant’s critique.

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as “natural life” in the sense that it does not include any relation to the spirit. In spirit, however, life appears both as opposed to it and as posited as at one with it, in a unity reborn as the pure product of spirit. For life is here to be taken generally in its proper sense as natural life, for what is called the life of spirit as spirit, is spirit’s own peculiar nature that stands opposed to mere life; just as we speak of the nature of spirit, even though spirit is nothing natural but stands rather in opposition to nature. Thus life as such is for spirit in one respect a means, and then spirit holds it over against itself; in another respect, spirit is an individual, and then life is its body; in yet another respect, this unity of spirit and its living corporeality is born of spirit into ideality. None of these connections of life to spirit concerns logical life, and life is to be considered here neither as the instrument of a spirit, nor as a living body, nor again as a moment of the ideal and of beauty (SL, 677).

Although many life phenomena exhibit teleological structure, they are not activities that living organisms do or do not with specific ends in mind. In this sense, most physiological phenomena in humans and the behavior of animals and plants in their life processes can be regarded as activities in the dimension of “natural life” without differentiation. The characterization of the subject of “natural life” as a proto-conceptual agent implies that its behavior is conceptual while it lacks an understanding of its own conceptual nature. Due to the arrangement of characters in the “Life” chapter, the arguments do not appear to develop in the same way as TTA. Nevertheless, the chapter takes a significant turn in its final phase. According to Hegel, “In copulation, the immediacy of living individuality perishes; the death of this life is the coming to be of spirit” (SL, 688). Hegel identifies the death of a living individual as a deviation from the genus process and “the coming to be of spirit.” Why does the death of a living individual bring about spirit? Of course, he is not saying that living individuals move into the spiritual world after death. How is it possible for a “natural life,” which he determines as unspiritual, to move into the dimension of spiritual cognition? Who are in the spiritual cognition? What did he show us in the chapter “Life”? We turn to these questions finally. To address the issue, it is necessary to consider the two distinct dimensions outlined by the TTA. The first is the embodiment of activity, and the second is the articulation of the rules that enable such activity.

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The behavior of natural life as described by Hegel seems to belong in this sense to the former. It is an unaware normative subject that acts in a law-like way without being aware of the rules. We should ask here for whom and at what level the content developed in the chapter “Life” is implemented? The answer is, first of all, in the life phenomena exhibited by all living things. The “Life” chapter reveals the logical relationship living individuals exhibit. In this sense, the content of the chapter “Life” belongs to the level of embodiment in the sense of TTA. But this answer is not entirely satisfactory. The presentation of the logical concept of life does not merely describe the behaviors peculiar to living individuals but presents them in a unified manner as determinations that are logically related to each other. However, no living thing fails to comprehend these logical determinations of life. Thus, the above answer raises a further question: If the concept of life is logical, then who is in charge of grasping it? Hegel’s response to this question would be that it is a cognitive subject, as the end of this chapter shows. Then, where does this subject come from? The idea of the death of a living individual plays a crucial role in suggesting to the reader that we are in the cognitive dimension in “Life”. For death is not a purely natural phenomenon but rather includes a judgmental dimension, or more precisely, belongs to evaluative judgment according to Hegel. Evaluation is treated by Hegel in “Judgment of concept”. It is characterized as an expression of the agreement (good) or disagreement (bad) between the genus (universal) and the individual (SL, 585–586). The idea is further elucidated in the following passage (as cited in the footnote 6); […] although an actual thing will indeed manifest in itself what it ought to be, yet, in accordance with the negative judgment of the concept, it may equally also show that its actuality only imperfectly corresponds with this concept, that it is bad (SL, 712).

Thus, according to Hegel, death is a deviation of an individual from the genus process, and therefore, “bad” in this sense. From this point of view, the life processes of decline into death are not positive embodiments of genus process, as opposed to other life phenomena, such as growth, consumption, and reproduction. Still, they embody the genus process or the concept imperfectly, as Hegel suggests. Characterizing or describing something as in the course of decline implies evaluating it as

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imperfect agreement with the genus process, which is mediated by the negative judgment of concept. As death is an inevitable moment of life and negative evaluation is necessary to understand it, and so is the negative judgment of concept. Therefore, at the end of its argument, the chapter “Life” appears to deal with death, a seemingly purely life event, but it is not. Instead, it makes us aware that we are already in the cognitive dimension of life by taking up a life phenomenon that would lose even the possibility of description if it were not intrinsically judgment, namely death. This is a typically dialectical step in that it exposes the fact that we are already in the cognitive dimension without assuming the concept of cognition. What lesson can we learn from TTA? It is that the chapter “Life” itself contains both moments of embodiment and articulation: in TTA, the relationship between the two appears as the development in argument, whereas in “Life”, the relationship is more direct. It is not a transition from the former to the latter but highlights their inseparable nature. Now we can see that Hegel identifies life as the immediate unity of subjectivity and objectivity in this sense. The unity, inherent in life, makes it difficult to see on which dimension the arguments of “Life” are situated. For Hegel, death has a crucial role in revealing the duality of life as a split between living beings and concept. Through idea of death as judgment, we finally arrive at Hegel’s thought of life as judgment.

5. Conclusion In this paper, I discussed logical life in Hegel’s Logic, that is, life as judgment. The attempt to relate the two aspects, “the logical nature of living things themselves” and “of our judgments about them,” seemed to leave a serious gap between life and judgment (section 2). In contrast, Taylor’s idea of transcendental argument finds a developing and inseparable relationship between the embodiment of an action and its manifestation dimension, in which we have sought a clue for our consideration (section 3). Returning again to Hegel, I tried to detect a duality in the sense of TTA based on my consideration of the question of at what level the development of logical life takes place. It was at the end of the chapter “Life” that Hegel’s thought of logical life was best expressed, where the death of a living thing appears as a judgment, i.e., as the separation

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of concept (genus) and being. In other words, our cognitive dimension is involved in the logic of the living things themselves, and we no longer have to struggle with the gap between life and judgment.

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Auf dem Weg zum System

Weimin Shi Die Wahrheit und der Weg zu der Wahrheit in der »Phänomenologie des Geistes«: Realismus oder Idealismus?

1. Die realistischen Interpretationen der Philosophie Hegels Walter Jaeschke bestreitet, dass der Deutsche Idealismus idealistisch ist. Mit Bezug auf Hegel meint er damit, dass Hegel sowohl die idealistische als auch die realistische Position zuzuschreiben sind. Hegels Philosophie sei realistisch, weil er die Existenz einer vom Bewusstsein unabhängigen Welt anerkenne. Sie sei idealistisch, weil er der Auffassung sei, dass die Welt uns im Bewusstsein als bewusstseinstranszendent gegeben sei. 1 Es ist schwer zu sehen, inwiefern die These, dass die Welt uns im Bewusstsein als bewusstseinstranszendent gegeben ist, eine Position als idealistisch gelten lässt. Realisten kennen die Existenz einer bewusstseinsunabhängigen Welt an. Wie können sie so was anerkennen, ohne dass sie zugeben, dass die Welt im Bewusstsein gegeben ist? Jaeschke unterscheidet Hegels Position sowohl von der repräsentationalistischen Theorie als auch von der transzendentalphilosophischen Theorie der Gegenstandskonstitution. 2 Die Unterscheidung macht Hegels Philosophie jedoch zu einer realistischen Position. Die Unterscheidung deutet auch hin, dass Jaeschke Hegels Erkenntnistheorie im Kontext der Wahrnehmungstheorie versteht. Denn offensichtlich gehört die repräsentationalistische Theorie in den Kontext. Im Kontext der Wahrnehmungstheorie ist aber eine Position entweder idealistisch oder realistisch. Entweder erkennt man eine bewusstseinsunabhängige Welt an, oder man erkennt sie nicht an. Eine 1

Walter Jaeschke, „Zum Begriff des Idealismus“, in: Christoph Halbig, Michael Quante und Ludwig Siep (Hg.) Hegels Erbe, Frankfurt a.M. 2004, 180–181.

2

Jaeschke, „Zum Begriff des Idealismus“, 181.

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Zwischenposition ist unmöglich. Die These des „epistemologischen Zusammenfalls von Idealismus und Realismus“, die Jaeschke Hegel zuschreibt, 3 ist also kaum zu verstehen. Jaeschke macht geltend, dass die These des epistemologischen Zusammenfalls von Idealismus und Realismus Hegels Lehre von der Identität von Begriff und Gegenstand als das ontologische Korrelat hat. Für ihn ist diese ontologische Position weder idealistisch noch realistisch. 4 Es ist zu fragen, wie eine epistemologische Position, die mit einer weder idealistischen noch realistischen ontologischen Auffassung in Beziehung steht, selber jedoch sowohl idealistisch als auch realistisch ist. Anders als Jaeschke behauptet Christoph Halbig, dass Hegel einen antirepräsentationalistischen, direkten Realismus vertritt. 5 Halbig macht es dennoch klar, dass diese erkenntnistheoretische Position Hegels nicht von seiner Metaphysik des absoluten Idealismus abzulösen ist. 6 Des Weiteren schreibt er Hegel eine normative Ontologie zu, gemäß der jede endliche Entität qua endlich nicht wahr, d.h. falsch ist. 7 Daraus muss doch geschlossen werden, dass Hegels direkter Realismus besagt, dass die Welt nur dann erkannt wird, wenn endliche Entitäten in der Welt als falsch erkannt werden. Mir scheint aber ausgeschlossen zu sein, dass eine solche Position überhaupt in die zeitgenössische Debatte der Erkenntnistheorie vertretbar ist. Zum einen ist schon fragwürdig, ob Aussagen, in denen Gegenständen Prädikate „wahr“ oder „falsch“ im Sinn der normativen Ontologie Hegels zugeschrieben sind, von zeitgenössischen Philosophen überhaupt als Kandidaten der Erkenntnis zugelassen werden. Zum anderen ist zu fragen, ob eine Theorie, die die Erkenntnis inhaltlich bestimmt, heutzutage immer noch als vertretbare Erkenntnistheorie gelten kann. Während die Grundlage der Interpretation Halbigs Hegels Logik ist, bezieht sich Jaeschke in seiner Charakterisierung der erkenntnistheoretischen Position Hegels als sowohl idealistisch als auch realistisch auf den Satz des Bewusstseins in der Phänomenologie des Geistes. 8 Es ist 3

Jaeschke, „Zum Begriff des Idealismus“, 182.

4

Jaeschke, „Zum Begriff des Idealismus“, 182.

5

Christoph Halbig, „Das Erkennen als solches“, in: Christoph Halbig, Michael Quante und Ludwig Siep (Hg.) Hegels Erbe, Frankfurt a.M. 2004, 160.

6

Halbig, „Das Erkennen als solches“, 161.

7

Halbig, „Das Erkennen als solches“, 140, 141.

8

Halbig, „Das Erkennen als solches“, 179–180.

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außer Zweifel, dass die sittliche Welt auch ein Thema ist, das in der Phänomenologie des Geistes behandelt wird. Ist Hegel dann auch eine realistische Position mit Bezug auf die sittliche Welt zuzuschreiben? Wie ist dann die Realität des Sittlichen einer solchen Position zufolge vorzustellen? Da das Sittliche offensichtlich nicht durch sinnliche Organe wahrzunehmen ist, ist noch zu fragen, was für Vermögen Hegel angenommen hat, um Gewahren der Sittlichen zu erklären. Darüber hinaus ist zu beachten, dass Hegel den Gegenstand des Bewusstseins als die Wahrheit charakterisiert, die ihm zufolge mit dem Absoluten identifiziert ist. Es ist durchaus fragwürdig, ob das Bewusstsein, von dem Hegel in der Phänomenologie spricht, als einen Akt der Wahrnehmung des Gegenstands zu deuten ist. Eine Gestalt des Bewusstseins ist eher als eine gedankliche Position zu verstehen, die das erkennende Subjekt, das zu erkennende Objekt und die Erkenntnis (nämlich das Wissen) als eine Ganzheit bestimmt. Ludwig Siep z.B. hält den dialektischen Vorgang des Bewusstseins, den Hegel in der Phänomenologie des Geistes beschreibt, für eine Serie des Paradigmenwechsels, wobei Paradigmen von der Wissenschaft, Moralität, 9 Rechtsordnung und Religion involviert sind. Es geht demgemäß bei einer Gestalt des Bewusstseins nicht um die Wahrnehmung des Gegenstands, sondern um eine theoretische Position, die angibt, was der Gegenstand überhaupt ist und was infolgedessen überhaupt zu erkennen ist. Sieps Gebrauch der Idee des Paradigmenwechsels ist aber m.E. durchaus halbherzig. Bekannterweise behauptet Thomas Kuhn, von dem die Idee des Paradigmenwechsels stammte, dass der Übergang von einem Paradigma zu einem anderen nicht logisch zu erzwingen ist. 11 Offensichtlich vertritt Hegel die These, dass der Vorgang des Bewusstseins nicht willkürlich ist. Siep führt den Unterschied beider darauf zurück, dass für Hegel gilt, dass die neue Gegenstandsauffassung die Auflösung der Differenz beinhaltet, die entweder dem alten Paradigma intern oder zwischen der alten Gegenstandsauffassung und dem Gegen10

9

Ludwig Siep, Der Weg der Phänomenologie des Geistes. Ein einführender Kommentar zu Hegels Differenzschrift und zur Phänomenologie des Geistes, Frankfurt a.M. 2000, 77.

10

Siep, Der Weg der Phänomenologie des Geistes, 79.

11

Thomas Kuhn, The Structure of Scientific Revolutions, Chicago 1970, 150.

131

stand, d.h. „der vorausgesetzten eigentlichen Realität“, ist. 12 Wenn man aber schon von der Differenz zwischen einer Gegenstandsauffassung und der Realität spricht, scheint die Rede vom Paradigma überflüssig zu sein. Zumindest kann man nicht von der Version des Paradigmenwechsels sprechen, in der der Paradigmenwechsel derart gedeutet wird, dass er mit dem Wechsel der Welt einhergeht. 13 Im Gegensatz verpflichtet Siep der Auffassung zu, Hegel eine realistische Position zuzuschreiben. Ein anderes Problem mit Sieps Interpretation der Phänomenologie des Geistes besteht darin, dass er zugibt, dass nicht nur Revolutionen in der Wissenschaft, sondern auch die in der Rechtsordnung und Religion in der Phänomenologie behandelt werden. Wenn aber einer Revolution die Differenz zwischen der Gegenstandsauffassung und der Realität zugrunde liegen mag, muss man doch auch von der Realität der Rechtsordnung und Religion sprechen können. Wie ist das zu verstehen? Ist es plausibel, Unterschiede unter Religionen als unterschiedliche Auffassungen ein und derselben religiösen Realität und die unter Rechtsordnungen als unterschiedliche Ansichten ein und derselben Realität des Rechts zu deuten?

2. Einwände gegen die realistischen Interpretationen Jaeschke und Halbig sind der Ansicht, dass Hegels Philosophie dabei in die gegenwärtige Debatte der Erkenntnistheorie einbezogen werden kann, während Siep ähnlicherweise glaubt, dass Hegel zumindest in der Phänomenologie die Umwälzungen der Grundgedanken der Wissenschaft behandelt hat. Jaeschke, Halbig und Siep einigen sich darin, Hegel eine realistische Position zuzuschreiben. Oben wurden die Einwände aufgeführt: (1) Hegel beschäftigt sich mit einer Metaphysik des absoluten Idealismus, dessen Ziel es ist, das Absolute zu erkennen. Es darf nicht übersehen werden, dass ausschließlich die Erkenntnis des Absoluten von Hegel behandelt wird. Die Frage, vor der Hegel steht, lautet: Was ist das Absolute? Ein solcher metaphysischer Bezug ist dem theoretischen Unternehmen namens Epistemologie aber 12

Siep, Der Weg der Phänomenologie des Geistes, 77.

13

Kuhn, The Structure of Scientific Revolutions, 112.

132

durchaus irrelevant, welches die Frage aufstellt, was Wissen ist, gleichgültig, wovon das Wissen ist. (2) Es ist nicht zu leugnen, dass Hegel nicht bloß in der Phänomenologie des Geistes, sondern auch in anderen Teilen seines philosophischen Systems kulturelle Phänomene bzw. Phänomene des objektiven oder absoluten Geistes behandelt. Mit Bezug auf solche Phänomene sind viele Aussagen in Hegels System getroffen, die zweifelsohne mit der Erkenntnis des Absoluten zusammenhängen. Hegel macht z.B. geltend: Der Staat beruht […] auf der sittlichen Gesinnung und diese auf der religiösen. Indem die Religion das Bewusstsein der absoluten Wahrheit ist, so kann das, was als Recht und Gerechtigkeit, als Pflicht und Gesetz, d.h. als wahr in der Welt des freien Willens gelten soll, nur insofern gelten, als es Teil an jener Wahrheit hat, unter sie subsumiert ist und aus ihr folgt. (Enz, §552, Anm.)

Hegel lässt keinen Zweifel daran, dass „der Inhalt der Philosophie und der Religion derselbe ist“ (Enz, §572, Anm.). Setzt man diese Aussagen und die auch von Hegel anerkannte Tatsache, dass es verschiedene Religionen und Formen des Staats gibt, und Hegels angeblichen Realismus in Verbindung, ergibt sich zunächst die These, dass die Erkenntnis ein und derselben Realität, die das Absolute ist, die Grundlage der Religion, Sittlichkeit und der Form des Staats ist, so dass verschiedene Religionen, sittliche Ansichten und Formen des Staats unterschiedlichen Wissensansprüchen des Absoluten entsprechen und die Entwicklung der Formen der Religion, Sittlichkeit und des Staats die fortschreitende Erkenntnis ein und derselben Realität darstellt. Wenn man weiterhin in Betracht zieht, dass die Religion Hegel zufolge „dem Inhalt nach der an und für sich seiende Geist der Natur und des Geistes“ ist (Enz, §569), muss man den Schluss ziehen, dass die Erkenntnis der Natur Hegel zufolge auch mit der Religion, Sittlichkeit und dem Staat „begrifflich“ zusammenhängt. Aus dem Einwand (1) folgt, dass es fragwürdig ist, ob Hegels Philosophie in die zeitgenössische erkenntnistheoretische Debatte überhaupt einpasst. Aus dem Einwand (2) folgt, dass Hegel seinem eigenen Systemanliegen zufolge tatsächlich eine Position vertritt, die als realistisch in dem Sinn gilt, dass eine von der Erkenntnis des Menschen un-

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abhängig bestehende Realität das Ziel der dialektischen Entwicklung bestimmt und die Entwicklung in Gang setzt. Die Interpretationen der Philosophie Hegels, welche sie für eine Art metaphysischen Monismus halten, schreiben Hegel eine realistische Position zu. Das Absolute bzw. die Vernunft oder der absolute Geist ist demzufolge „eine von der Erkenntnis des Menschen unabhängig bestehende Realität“, wie oben betont wurde. Der Charakterisierung wird möglicherweise entgegengesetzt, dass Hegel doch der Auffassung ist, dass das Absolute selber etwas Gewordenes ist und als das Resultat des Werdens zu begreifen ist. Das trifft zwar zu, widerspricht der obigen Charakterisierung aber nicht, da die Charakterisierung meint, dass das Wassein (whatness) des Absoluten dem Erkennen des Menschen gegeben ist, aber nicht vom Erkennen des Menschen konstituiert wird. Hegelianer, die Hegels Philosophie als einen metaphysischen Monismus lesen, rekurrieren häufig auf die Metapher der Pflanze, um sein System darzustellen. Dabei wird betont, dass sich eine Pflanze erst durch einen Prozess des Werdens verwirklicht. Im Fall der Pflanze gilt es jedoch ebenfalls, dass das Wassein der Pflanze dem Prozess, durch den sich die Pflanze verwirklicht, vorgegeben ist und den Prozess in dem Sinn leitet, dass es ihn bestimmt. Die Pflanze selber ist etwas Gewordenes, ihr Wassein aber nicht. Dass Hegel die Naturphilosophie als einen Bestandteil in sein System eingebracht hat, zeigt schon, dass er mit dem Begriff des Absoluten die Welt als eine Ganzheit begreifen will. Indem die Natur dieser Ganzheit gehört, muss die Ganzheit selber als vom Erkennen des Menschen unabhängig gedacht werden. Folglich wird der Fortgang des Bewusstseins in der Phänomenologie des Geistes so gedacht, dass es sich um einen Prozess der Aufdeckung der Ganzheit des Gegenstands handelt. Reinhold Aschenberg z.B. behauptet, dass der Fortgang des Bewusstseins das Ziel hat, dass „das Ansich restlos vom Wissen resorbiert, in es eingearbeitet ist“. 14 Ähnlicherweise unterscheidet L. Bruno Puntel das Für-das-Bewusstsein-Sein des Ansich als „das thematische Wissen“ des Bewusstseins vom Ansich und das Ansich selbst. Er macht geltend, dass die Thematisierung der beiden Momente das Bewusstsein in die Bewe-

14

Reinhold Aschenberg, „Der Wahrheitsbegriff in Hegels Phänomenologie des Geistes“, in: Klaus Hartmann (Hg.) Die ontologische Option, Berlin 1976, 235.

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gung setzt. 15 Kenneth Westphal spricht explizit von Hegels epistemologischem Realismus und behauptet, dass die Bewegung des Bewusstseins durch gescheiterte Erwartungen einer Gestalt des Bewusstseins in Gang gesetzt wird, welche aufkommen, wenn die Auffassung der Welt, die das Bewusstsein hegt, der Welt nicht entspricht. 16 Auch wenn das Systemanliegen Hegels es unvermeidbar erscheinen lässt, der Phänomenologie des Geistes eine realistische Auffassung des Gegenstands als des Ziels des Fortgangs des Bewusstseins zuzuschreiben, ist einiges m. E. noch zu bedenken. (3) In der Einleitung zur Phänomenologie befasst sich Hegel mit der Frage des Maßstabs des Wissens. Unter einer realistischen Interpretation der Wahrheit ist es kaum zu verstehen, warum der Maßstab des Wissens ein Problem sein soll. Der realistischen Interpretation der Wahrheit zufolge ist der Gegenstand selber der Maßstab. Dass unterschiedliche Ansichten des Gegenstands vorhanden sind, ist ein trivialer Sachverhalt ohne jegliche philosophische Relevanz. Es mag in manchen Fällen schwierig sein, unter unterschiedlichen Ansichten die wahre zu identifizieren. Die technische Schwierigkeit ändert aber nichts daran, dass der Gegenstand selber der Maßstab ist. (4) Generell ist Hegel die These zugeschrieben, dass das Defizit einer Gestalt des Bewusstseins durch eine immanente Kritik aufgezeigt wird. Die realistische Interpretation vom Gegenstand des Bewusstseins als dem Ziel des Fortgangs des Bewusstseins macht diese These unverständlich. Denn unter dieser Interpretation ist eine Gestalt des Bewusstseins defizitär dann und nur dann, wenn der Wissensanspruch des Bewusstseins dem Gegenstand nicht entspricht. Das ist offensichtlich keine immanente Kritik. (5) Hegel fasst den Übergang des Bewusstseins von einer Gestalt zu einer anderen als den von einem Gegenstand zu einem anderen auf (TWA 3, 79), welcher ihm zufolge „der neue wahre Gegenstand“ ist (TWA 3, 78). Die Idee der Mehrheit der Gegenstände des Bewusst15

L. Bruno Puntel, Darstellung, Methode und Struktur. Untersuchungen zur Einheit der systematischen Philosophie G.W.F. Hegels, Bonn 1973, 288–289.

16

Kenneth R. Westphal, „Hegel’s Solution to the Dilemma of the Criterion“, History of Philosophy Quarterly 5 (2) (1988), 182.

135

seins ist inkompatibel mit der realistischen Interpretation, so dass Hegelianer der realistischen Interpretation generell dazu gezwungen sind, den anderen Gegenstand, von dem Hegel spricht, einfach als die neue Ansicht des Gegenstands zu deuten. Als ein Beispiel ist Siep zu zitieren: Was den klassischen Wahrheits- und Erkenntnistheorien nicht bewusst war, ist die Tatsache, dass sich in dem Prozess der Annäherung nicht nur das Wissen ändert, sondern auch der Maßstab, dem es sich angleichen soll. Nicht nur die Differenz als solche, sondern auch bestimmte Vorstellungen vom „Wesen“ des Gegenstandes bzw. des Intellekts sind in den Standpunkten des Bewusstseins impliziert. Der Gegenstand wird als bleibender, vom Wissen unabhängiger, Veränderungen zugrundeliegender usw. angenommen. Wenn daher das Wissen den Anforderungen der Entsprechung nicht genügt, kommt es zum „Paradigmenwechsel“ auch hinsichtlich des Maßstabes: ein grundsätzlich andres Wissen verlangt eine andere Ontologie. Die Ansicht der Realität ändert sich […]. 17

Ich bitte um Verzeihung für das lange Zitat. Aber nur die ganze Passage zeigt, dass Siep die Änderung des Maßstabs ohne weiteres mit der Änderung der Ontologie identifiziert, welche „die Ansicht der Realität“ ist. 18 Die Annahme, dass der Gegenstand „als bleibender, vom Wissen unabhängiger, Veränderungen zugrundeliegender usw.“ anzunehmen ist, ist also Siep selber zuzuschreiben. Die Ansicht der Realität ist nicht die Realität selber, es sei denn, die erstere bestimmt die letztere.

3. Eine idealistische Interpretation des Fortgangs des Bewusstseins Angesicht der Schwierigkeiten mit der realistischen Interpretation des Fortgangs des Bewusstseins in der Phänomenologie, möchte ich etwas anderes versuchen. Mit dem Einwand (5) ist anzufangen. Zunächst wiederum ein langes Zitat: In der Tat aber, wenn in der politischen Geschichte Rom oder das deutsche Reich usf. ein wirklicher und wahrhafter Gegenstand und der Zweck sind, auf welchen die Erscheinungen zu beziehen und nach dem sie zu beurtei-

17

Siep, Der Weg der Phänomenologie des Geistes, 76–77.

18

Siep identifiziert Ontologie auch als Gegenstandsauffassung. Siehe: Siep, Der Weg der Phänomenologie des Geistes, 78.

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len sind, so ist noch mehr in der allgemeinen Geschichte der allgemeine Geist selbst, das Bewusstsein seiner und seines Wesens ein wahrhafter und wirklicher Gegenstand, Inhalt und ein Zweck, dem an und für sich alle anderen Erscheinungen dienen, so dass sie durch das Verhältnis zu ihm, d. h. das Urteil, in welchem sie unter ihn subsumiert sind und er ihnen inhäriert, allein ihren Wert sowie sogar ihre Existenz haben (Enz, §549 Anm.).

Der Passage ist klar zu entnehmen, wie die Idee des wahren Gegenstands Hegel zufolge zu deuten ist. Es handelt sich wirklich um einen Gegenstand unter mehreren Gegenständen, aber nicht um eine Auffassung des Gegenstands, auf den andere Auffassungen auch bezogen sind. Hegel macht geltend, dass ein Staat in der politischen Geschichte in dem Sinn als der wirkliche und wahrhafte, bzw. der wahre Gegenstand zu betrachten ist, dass ein solcher Staat den Maßstab für die Bewertung anderer Staaten liefert. Der Ausdruck „wahrer Gegenstand“ geht also mit der Vergleichung mehrerer Gegenstände im Sinn ihrer Bewertung einher. Dabei bezeichnet Hegel die zu bewertenden Staaten als Erscheinungen. Dieser Sprachgebrauch ist auch in der Phänomenologie zu finden, in der Hegel unwahres Wissen als die Erscheinung von der Wissenschaft betrachtet (TWA 3, 71). Hegel deutet darauf hin, dass die übliche Auffassung ist, dass „wir die Erfahrung von der Unwahrheit unseres ersten Begriffs an einem andern Gegenstande machen, den wir zufälligerweise und äußerlich etwa finden, so dass überhaupt nur das reine Auffassen dessen, was an und für sich ist, in uns falle“ (TWA 3, 79). Die Anhänger der realistischen Interpretation haben große Schwierigkeiten, diese Aussagen Hegels verständlich zu machen. Da der neue Gegenstand der Interpretation zufolge auf die neue Auffassung des Gegenstands hinweist, wie ist es dann möglich, dass man der Meinung ist, dass man an dem neuen Gegenstand die Erfahrung der Unwahrheit der ersten Auffassung macht? Geht man aber davon aus, dass Hegel in der Phänomenologie mit der Prüfung des Bewusstseins eigentlich so was wie die Bewertung eines Staats meint, ist die oben zitierte Passage ganz verständlich. Es ist tatsächlich die übliche Ansicht, dass Menschen, die anfangs eine Form des Staats als die wahre Form kannten, erst durch die zufällige Begegnung mit dem Staat einer anderen Form zu der Einsicht gelangen, dass der erstere defizitär ist. Ohne den Zufall der Begegnung mit den Schwarzen Schiffen des amerikanischen Commodores M.C. Perry wäre die Meiji-

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Restauration in Japan nicht geschehen. Ohne die zufällige Begegnung mit dem Westen hätten Chinesen unter der Hegemonie der konfuzianistischen Ideologie höchstwahrscheinlich bis heute immer noch geglaubt, dass das Chinesische Kaiserreich das höchst entwickelte politische System sei. Zu dem Einwand (3): Die Annahme, dass es bei der Prüfung des Bewusstseins in der Phänomenologie des Geistes um die Bewertung des Gegenstands geht, wirft ein neues Licht auf die Frage des Kriteriums, mit der Hegel sich ernsthaft beschäftigt. Sowohl die Sittlichkeit als auch die Religion gehören unter anderen zum Inhalt der Phänomenologie. Obwohl Hegel fest davon überzeugt ist, dass das Bewusstsein der Freiheit die wahre Sittlichkeit und Religion auszeichnet, stellt er die Frage des Kriteriums auf und entscheidet sich gegen die Vorgehensweise, von dem Standpunkt der Freiheit aus Formen der Sittlichkeit und Religionen zu kritisieren. Warum die Entscheidung? Hegel sieht ein, dass sich die Wissenschaft, d.h. Hegels eigene Position, gegenüber anderen Ansichten rechtfertigen muss. Diese eigentlich triviale Einsicht soll niemanden beeindrucken. Er führt aus, wie sich die Wissenschaft nicht benehmen soll: Die Wissenschaft muss sich aber von diesem Scheine befreien; und sie kann dies nur dadurch, dass sie sich gegen ihn wendet. Denn sie kann ein Wissen, welches nicht wahrhaft ist, weder als eine gemeine Ansicht der Dinge nur verwerfen, und versichern, dass sie eine ganz andere Erkenntnis und jenes Wissen für sie gar nichts ist; noch sich auf die Ahndung eines bessern in ihm selbst berufen. (TWA 3, 71)

Die Ausführung ist jedoch ungewöhnlich, nicht weil die Warnung Hegels nicht berechtigt ist, sondern weil Hegel es ernsthaft für nötig hält, vor solche Vorgehensweisen zu warnen. Hegels Behauptung ist, dass sich die Wissenschaft nicht auf ihr Sein berufen darf, um andere Positionen zu widerlegen. „Ein trockenes Versichern gilt aber gerade soviel als ein anderes“, wie er sagt. Das ist sehr wahr. Man muss jedoch fragen, wer in der Geschichte der Philosophie so was je getan und nur trockene Versicherungen aufgebracht hat? Unzählige philosophische Aufsätze und Bücher sind über unzählige Themen schon geschrieben. Es mag sehr wohl sein, dass einige Aufsätze und Bücher nur trockenes Versichern beinhalten. Trotzdem hat es der allgemeinen Ansicht nach unzählige Aufsätze und Bücher von Philosophen gegeben, die nicht nur trockenes Versichern, sondern subtile Ar138

gumente beinhalten. Es wäre unfair, die Kritik der reinen Vernunft für ein trockenes Versichern Kants zu halten. Aus seiner Warnung, dass sich die Wissenschaft bei der Widerlegung anderer Positionen nicht auf ihr Sein berufen darf, zieht Hegel den Schluss: „Aus diesem Grunde soll hier die Darstellung des erscheinenden Wissens vorgenommen werden.“ Der Schluss ist erstaunlich, denn man würde eher eine Anweisung erwarten wie die, dass die Wissenschaft dabei gute Argumente aufbringen soll. Die Schlussfolgerung deutet darauf hin, dass Hegel der Auffassung ist, dass die Auseinandersetzung von philosophischen Positionen nichts anders ist, als ein trockenes Versichern gegen ein anderes aufzustellen. Wäre dies nicht der Fall, hätte er einfach Argumente gegen andere Positionen aufgebracht. Dass Hegel die Auseinandersetzung von philosophischen Positionen als die Aufstellung eines trockenen Versicherns gegen ein anderes versteht, bedeutet keinesfalls, dass er Philosophen als solche bezichtigt, dass sie nicht in der Lage sind, miteinander zu argumentieren. Es muss eher der Fall sein, dass Hegel denkt, dass die Konkurrenz unter philosophischen Positionen überhaupt nicht durch Argumente zu entscheiden ist. Hegel war nicht der erste Philosoph, der dieser Ansicht war. Fichte zufolge gibt es nur zwei mögliche philosophische Systeme, den Idealismus und den Dogmatismus. Keines von den beiden, so sagt Fichte, könne das andere direkt widerlegen (GA 1/4, 191). Aus der spekulativen Perspektive seien die beiden Systeme von gleichem Wert (GA 1/ 4, 193). Ein Entscheidungsgrund zwischen beiden sei in der Vernunft nicht zu finden, da es sich um die Wahl des ersten Prinzips handele, welches außerhalb der Erfahrung liege (GA 1/4, 187). Die Entscheidung für das eine oder das andere System werde „durch Neigung und Interesse“ bestimmt (GA I/4, 194). M.E. liegt eine ähnliche Idee der Philosophie Hegels Auffassung zugrunde, dass philosophische Positionen in ihrer Auseinandersetzung bloß ein trockenes Versichern gegen ein anderes aufstellen. Dass sich eine philosophische Position auf ihr Sein beruft, um sich zu vindizieren, ist nach Hegels Auffassung kein defizitäres Benehmen einzelner Philosophen oder philosophischer Schulen, sondern auf die Natur der Philosophie zurückzuführen. Denn es gibt nichts, welches allen philosophischen Positionen gemeinsam gültig ist und infolgedessen eine Entscheidung unter ihnen ermöglicht.

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Nun ist es verständlich, warum Hegel die Frage des Maßstabs ernst nimmt. Man sieht auch, dass das Modell der Bewertung des Staats mit dieser Betrachtung übereinstimmt. Wenn man, wie Hegel behauptet, in der politischen Geschichte das Deutsche Reich als den wahren Gegenstand betrachtet und andere Staaten nach dem Vorbild vom Deutschen Reich beurteilt, drängt sich die Frage auf, warum das Deutsche Reich als das Vorbild zu nehmen ist. Es würde eher so aussehen, dass derjenige, der das Deutsche Reich als das Vorbild nimmt, hat schon diejenige Vorstellung bezüglich dessen, was ein Staat sein soll, angenommen, welche das Deutsche Reich mit sich bringt. Wenn man diese Schlussfolgerung vermeiden will, muss man geltend machen, dass sowohl dem Befürworter als auch dem Gegner des Vorbilds des Deutschen Reichs eine gemeinsame Grundlage unmittelbar zugänglich ist, anhand derer das Vorbild gerechtfertigt ist. Mit seiner These, dass alles vermittelt ist, lehnt Hegel diese Möglichkeit gerade ab. Es gibt weder den gesunden Menschenverstand noch gewisse Tatsachen des Bewusstseins oder sonstiges unmittelbares, welches sich einander entgegensetzenden Ansichten, sei es theoretisch oder praktisch, als eine gemeinsame Grundlage gelten könnte. Die realistische Interpretation des Wahrheitsbegriffs kommt der Anerkennung einer solchen Grundlage gleich. Zu dem Einwand (4): Angesichts der theoretischen Unentscheidbarkeit zwischen dem Idealismus und dem Dogmatismus greift Fichte auf eine praktische Lösung zurück: „Was für eine Philosophie man wähle, hängt sonach davon ab, was man für ein Mensch ist.“ (GA 1/4, 195) Diese Lösung ist Hegel schon insofern unakzeptabel, als sie das Sein eines Menschen für eine unmittelbare Tatsache hält. Darüber hinaus gibt es noch einige Überlegungen, die Hegel von Fichte unterscheiden. Zunächst ist zu erwähnen, dass Hegel der Philosophie eine Funktion zuschreibt, die Fichte offensichtlich nicht vor Augen hat, nämlich die den Volksgeist konstituierende Funktion. Hegel zufolge gehört eine bestimmte Philosophie einem Volk, und die Philosophie „alle geschichtlichen Seiten des Volksgeistes durchdringt“ (TWA 18, 73). Für Fichte ist die Wahl einer Philosophie aber die Angelegenheit eines Individuums. Zweitens gilt für Hegel, dass einem Menschen als Menschen immer eine Form der Sittlichkeit eignet, die als „die zweite Natur“ zu nennen ist, während die erste Natur des Menschen „sein unmittelbares, tierisches Sein“ ist (TWA 12, 57). Das bedeutet aber, dass ein Mensch erst durch

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seine zweite Natur ein wirklicher Mensch wird, aber nicht nur ein Tier. Aufgrund der den Volksgeist konstituierende Funktion der Philosophie ist dann zu schließen, dass eine Philosophie die Menschheit des Menschen bestimmt, der einem Volksgeist gehört. Tatsächlich wendet sich Hegel in der Phänomenologie des Geistes gegen die Annahme des Unterschieds „unserer selbst von diesem Erkennen [nämlich dem Erkennen des Absoluten]“ (TWA 3, 70). Zusammen mit seiner Ablehnung der Unterscheidung des Erkennens von dem Absoluten will Hegel m.E. zum Ausdruck bringen, dass der Mensch und das, was ihm wahrhaft ist (d.h. das Absolute), und sein Erkennen des letzteren von einander nicht zu trennen sind. Was für ein Mensch man ist, hängt von der sittlichen Welt ab, in der man existiert. Die Sittlichkeit hängt ihrerseits davon ab, was man dafür hält, wahr zu sein. So sagt Hegel: „Die Religion ist der Ort, wo ein Volk sich die Definition dessen gibt, was es für das Wahre hält. […] Die Vorstellung von Gott macht somit die allgemeine Grundlage eines Volks aus“ (TWA 12, 70). Trotz seiner Konzeption der Philosophie, welche sehr verschieden von der Fichtes ist, stimmt Hegel Fichtes Idee zu, dass die Entscheidung unter philosophischen Positionen nur aus einem praktischen Grund erfolgt. Hegels eigene Konzeption der Philosophie erzwingt sogar die Zustimmung. Denn die Entscheidung unter unterschiedlichen philosophischen Positionen ist ihm zufolge die unter unterschiedlichen Formen der Sittlichkeit. Hegels praktische Deutung der Wahrheit ist noch zwei weiteren Sachverhalten zu entnehmen. Erstens identifiziert Hegel das unwahre mit dem schlechten. (Enz, §213, Zusatz) 19 Zweitens definiert er die Wahrheit als „sich im Gegenständlichen nicht verhalten als zu einem Fremden“ und erklärt, dass die Freiheit dasselbe wie die Wahrheit ausdrückt. (TWA 17, 203) Wenn Hegel nach der wahren Gestalt des Bewusstseins fragt, ist er in der Suche nach einer Gestalt des Bewusstseins, die frei ist. Anders als Fichte, der einzelnen Menschen die Entscheidung darüber überlässt, welche Philosophie sie wählen, glaubt Hegel, dass eine Darstellung des erscheinenden Wissens zeigen wird, dass sich die Menschheit auf eine nicht zufällige Weise für eine Gestalt des Bewusstseins entschieden hat, die frei ist und in der erkannt wird, dass, das, was 19

Halbig behauptet daher, dass Hegels Wahrheitsbegriff eine normative Dimension hat. Siehe: Halbig, „Das Erkennen als solches“, 141.

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ist, dem erkennenden Subjekt nicht fremd, sondern von ihm gesetzt ist. Fichte ist der Auffassung, dass derjenige, dem die Freiheit wichtig ist, den Idealismus wählt. Dagegen ist es Hegels Strategie, durch die Darstellung des erscheinenden Wissens zu zeigen, dass die Freiheit für die Menschheit auf eine nicht zufällige Weise von Belang ist. Das soll dadurch geschehen, dass aufgezeigt wird: (A) Menschen stehen einer Wirklichkeit gegenüber, welche sie zunächst als etwas Vorgefundenes betrachten und vor welcher sie die Erkenntnis erhalten, was wahr ist. (B) Menschen, die in einer Wirklichkeit existieren, geben diese Wirklichkeit zugunsten einer zweiten auf, von welcher sie zunächst glauben, dass sie ihr zufällig begegnen und dadurch die Falschheit ihrer vorherigen Ansicht dessen erfahren, was wahr ist. (C) Der Prozess iteriert, bis Menschen schließlich einer Wirklichkeit begegnen, in der sie zu der Einsicht gelangen, dass die Wirklichkeit von ihnen selber durch ihre Freiheit gesetzt ist. (D) Der Prozess und sein Endpunkt sind nicht zufällig, weil die an dem Endpunkt errungene Erkenntnis aufhellt, warum Menschen eine Wirklichkeit zugunsten einer anderen aufgeben. Menschen geben eine Wirklichkeit zugunsten einer anderen auf und betrachten die letztere als den wahren Gegenstand. Da „unwahr“ für Hegel „schlecht“ bedeutet (Enz, §213, Zusatz), ist zu schließen, dass das Wahre mit dem Guten zu identifizieren ist. Die Erkenntnis am Endpunkt besagt, dass die Wirklichkeit von Menschen selber gesetzt ist. Entscheidend ist die Einsicht, dass mehr als eine Wirklichkeit von Menschen gesetzt werden können und auch gesetzt sind, was aber keinesfalls bedeutet, dass alle Wirklichkeiten den Menschen gleich sind. Es gibt bessere und schlechtere Wirklichkeiten. Sonst wäre die Aufgabe einer Wirklichkeit zugunsten einer anderen nur zufällig. Die Erkenntnis am Endpunkt ermöglicht aber die Betrachtung, dass Menschen nur dann eine Wirklichkeit zugunsten einer anderen aufgeben, wenn dem Sachverhalt, dass die Wirklichkeit der Freiheit der Menschen nicht fremd ist, die letztere als die erstere mehr gerecht ist. Die letztere Wirklichkeit ist daher besser als die erstere, weil sie Menschen größere Freiheit als die erstere ermöglicht.

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Die Idee der immanenten Kritik, die man Hegel zuschreibt, bezieht sich demgemäß darauf, dass eine Wirklichkeit aufgrund ihres Defizits aufgegeben wird, welches jedoch darin besteht, dass sie auf der einen Seite von Menschen gesetzt, auf der anderen Seite jedoch nicht so gesetzt ist, dass an ihr erkannt wird, dass sie gesetzt ist. Der Aspekt, dass die Wirklichkeit von Menschen gesetzt ist, ist ihr Ansichsein, während die Art und Weise, wie sie von Menschen gesetzt ist, ihr Fürsichsein ist. Die Divergenz des Ansichseins vom Fürsichsein macht also das Defizit einer Wirklichkeit aus, welches der Wirklichkeit durchaus intern ist.

4. Schlussbetrachtung In diesem Beitrag stelle ich mich der Interpretation des Vorgangs des Bewusstseins in der Phänomenologie des Geistes entgegen, die deswegen realistisch zu nennen ist, weil in ihr angenommen ist, dass sich alle Gestalten des Bewusstseins auf ein und denselben Gegenstand (welcher das Ansich, das Absolute, die Wahrheit oder die Welt usw. genannt wird) beziehen und ihre Wissensansprüche dann daraufhin geprüft werden, ob sie dem Gegenstand entsprechen. Mir scheint, dass diese realistische Interpretation sowohl theoretisch als auch hermeneutisch unzureichend ist. Sie ist theoretisch unzureichend, weil Hegel in der Phänomenologie auch die Religion und Sittlichkeit zu Themen hat. Die realistische Interpretation erzwingt die Annahme, dass sich alle Ansichten der Sittlichkeit oder Religion auf ein und denselben Gegenstand beziehen, anhand dessen ihre jeweilige Angemessenheit zu evaluieren ist. Phänomenologisch ist die Annahme m.E. nicht haltbar. Die Idee z.B., dass sich zwei Religionen als verschiedenes Auffassen von ein und demselben Gegenstand voneinander unterscheiden, ist nicht einmal verständlich. Die Interpretation ist hermeneutisch unzureichend, weil sie (1) sowohl die in der Phänomenologie aufgetretenen Ideen der immanenten Kritik und der Pluralität der Gegenstände des Bewusstseins als auch die Frage des Kriteriums nicht ernst nimmt, und (2) Hegels Konzeption der Philosophie und seiner praktisch-philosophischen Gleichsetzung der Wahrheit mit der Freiheit nicht in Betracht zieht. Der realistischen Interpretation zufolge läuft das Bewusstsein in seinem Fortgang von einer Ansicht des Gegenstands zu einer anderen

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desselben Gegenstands durch. Stattdessen wird in der hier vorgeschlagenen Interpretation behauptet, dass das Bewusstsein von einem Gegenstand zu einem anderen fortgeht, während jeder Gegenstand von der jeweiligen Gestalt des Bewusstseins als die Wahrheit gesetzt ist. Mit anderen Worten: Jede Gestalt des Bewusstseins gilt als eine Lebensform des Menschen, welche sie sich geben. So gelesen zielt Hegels phänomenologisches Projekt darauf, ohne das Postulat einer metaphysischen Realität der Sittlichkeit die Freiheit als das Ziel der Entwicklung der Lebensformen des Menschen zu vindizieren. Weder ist das Ziel von einer metaphysischen Realität festgesetzt. Noch ist der Weg dazu von der metaphysischen Realität geleitet. Im Gegenteil sind beide erklärbar, indem man die Common-sense-Einsicht von heutzutage annimmt, dass sich Menschen eine sittliche Welt konstituieren und sie verbessern, wenn ein besseres Konzept verfügbar ist. Angesicht dessen, dass die sittliche Welt als von Menschen selber erbaut gedacht wird, ist diese Common-sense-Einsicht idealistisch. Zugegebenerweise hat die hier vorgeschlagene Lesart die Schwäche, Hegels metaphysischem Projekt nicht gerecht sein zu können, dessen Ziel es ist, die apriorische Struktur der Wirklichkeit aufzudecken, zu der die Natur auch gehört. Denn ein solches Projekt setzt voraus, dass es die Wirklichkeit gibt, deren apriorische Struktur aufzudecken ist. Und es macht doch keinen Sinn, von mehr als einer natürlichen Welt zu sprechen. Es ist auch nicht zu leugnen, dass die Philosophie der Natur einen Bestandteil des Systems Hegels ist. Robert B. Pippin sagt aber dazu: There is, of course, a Philosophy of Nature in his Encyclopedia, but as anyone who has slogged through it knows, there is a lot there that seems to turn no other wheel elsewhere in what Hegel says, and very little in the Philosophy of Spirit seems to depend on it or refer back to it. 20

Es ist also zu bedenken, ob Hegels System wirklich ein System ist, wie er selber beansprucht. Das heißt: Die Möglichkeit ist vielleicht in Betracht zu ziehen, dass Hegels System nicht eine kohärente Ganzheit ist. Würde man das Wissen der Natur als das Wissen des Bewusstseins gelten lassen, wäre die Annahme unvermeidbar, dass sich alle Gestalten des Bewusstseins als auf ein und denselben Gegenstand beziehen. So würde man gezwungen, die Pluralität des Gegenstands, von der Hegel in der Phänomenologie spricht, weg zu interpretieren. Wenn man aber die Idee 20

144

Robert B. Pippin, The Persistence of Subjectivity, Cambridge 2005, 189.

der Pluralität des Gegenstands ernst nehmen würde, wäre es dann unvermeidlich, das Wissen des Bewusstseins nicht als das Wissen der Wirklichkeit zu deuten, in der die natürliche Welt ein Moment ist. Ob es eine Möglichkeit gibt, beide Optionen zu vereinigen, weiß ich nicht, aber möchte die Möglichkeit nicht von vornherein verneinen.

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Shunsuke Kudomi „Die Zeiten des Bunds unserer Geister“ Leben als Schlüsselbegriff der Frankfurt-Homburger Konstellation

Einleitung Bekanntlich bezeichnete der Frankfurter Hegel „Leben“ als „die Verbindung der Verbindung und der Nichtverbindung“ (GW 2, 344) und bald danach, in der Differenzschrift (Juli, 1801), wurde diese Formulierung auf die geläufige Formel des Absoluten als „die Identität der Identität und der Nichtidentität“ (GW 4, 64) übertragen. Als Bezeichnung des Absoluten sind „Identität“ und „Nichtidentität“ für Hegel deshalb geeignet, weil die wahre Vereinigung („das Ganze“) das ihr Entgegengesetzte ihrerseits umfassen muss. Mit anderen Worten, die beiden Seiten – Vereinigung und Trennung – müssen gleichzeitig gefasst werden, um das Absolute zu begreifen. Das Auffassen des Absoluten war für den Frankfurter Hegel die Aufgabe der Religion, das heißt, er hielt den Glauben für den einzig möglichen Zugang zum Absoluten. In der Differenzschrift jedoch hat Hegel folgende Ansicht vertreten: die „Aufgabe der Philosophie besteht aber darinn, diese Voraussetzungen zu vereinen, das Seyn in das Nichtseyn – als Werden, die Entzweyung in das Absolute – als seine Erscheinung, – das Endliche in das Unendliche – als Leben zu setzen.“ (GW 4, 16) Auffallend ist, dass die Struktur des Absoluten selbst als holistische Beziehung oder Relation betrachtet wird und er sie als „Leben“ bezeichnet. 1 Obwohl das philosophische Denken Hegels 1

Die Wendung Hegels von Religion zur Philosophie (Spekulation) lässt sich nicht nur aus rein innerphilosophischen Gründen erklären, auch wenn er selbst schrieb, dass eine Untersuchung der Religion durch Begriffe „am Ende in eine metaphysische Betrachtung des Verhältnisses des Endlichen zum Unendlichen übergehen“ (GW 2, 361) müsse. Besonders nimmt der Begriff der Kunst in den frühen Schriften Hegels noch keine vergleichbar prominente Stellung wie in der Differenzschrift ein.

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hier noch um den Begriff des „Lebens“ kreiste, reifte die Einsicht, dass das Absolute alles Entgegengesetzte in sich enthalten solle, sicher in seinen späteren Frankfurter Jahren. Doch wieso kommt Hegel denn auf die Idee, das Absolute als holistische Relation zu konzipieren? Denn diese Idee findet sich überhaupt nicht in seinen früheren Frankfurter Schriften und lässt sich deshalb nicht aus seiner eigenen Denkart erklären. Allerdings wissen wir, dass solch eine relationale Denkweise für das Denkmodell Hegels typisch ist, das er in seinen Jenaer Jahren (1801–1807) entwickelt hat. Will man dem Denken des Frankfurt- und Jenaer Hegels gerecht werden, muss man es nicht nur anhand der überlieferten Texte, sondern auch unter Berücksichtigung seines Freundeskreises und seines damaligen Umfeldes untersuchen. Im Januar 1797 trat Hegel eine neue Hauslehrstelle in Frankfurt am Main an, die ihm sein vertrauter Freund Friedrich Hölderlin (1770– 1843) vermittelt hatte. Die Übersiedlung nach Frankfurt rückte sein Denken in eine neue Konstellation: in den „Frankfurt-Homburger Freundeskreis“ mit Hölderlin, Isaac von Sinclair (1775–1815) 2 und Jacob Zwilling (1776–1809). Sinclair sollte sich rund ein Jahrzehnt später an den Freundeskreis als „die Zeiten des Bunds unserer Geister“ (Br. 1, 395) 3 erinnern. Zwar sind nur wenige Aufzeichnungen der Gespräche Hegels mit den Angehörigen des Freundeskreises auf uns gekommen, 4 jedoch ist aus den vom Frankfurter Hegel überlieferten Texten ersichtlich, dass er viele Ausdrucksweisen von den Anderen übernommen hat. Aus diesem Grund sollte man den Einfluss des „Bundes der Geister“ nicht unterschätzen, insbesondere im Bereich Vgl. dazu Shunsuke Kudomi, „Hegels Kunstbegriff in den Jenaer Jahren: Zur Differenzierung von Kunst und Religion“, in: Tetsugaku vol. 5, 2021, 91–100. 2

Vgl. Otto Pöggeler, „Sinclair – Hölderlin – Hegel: Ein Brief von Karl Rosenkranz an Christoph Th. Schwab“, in: Hegel-Studien 8, 1973, 9–53; Christoph Jamme, „Sinclairs Briefe an Hegel 1806/07“, in: Hegel-Studien 13, 1978, 17–52; derselbe, Isaak von Sinclair: Politiker, Philosoph und Dichter zwischen Revolution und Restauration, Bonn 1988.

3

Im Brief von Sinclair an Hegel (05.02.1812). Dies ist eine Anspielung auf eine Passage aus Hölderlins Roman Hyperion, in dem sich die Phrase „der alte Bund der Geister […]“ (StA 3, 90) findet.

4

Vgl. Dieter Henrich, Der Grund im Bewusstsein: Untersuchungen zu Hölderlins Denken (1794/95), 2. Aufl., Stuttgart 2004, 735.

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der Kryptoebene von Hegels Denken. Für den Frankfurter Hegel waren vor allem Hölderlin und Zwilling ein bedeutsamer Einfluss. Es stellt sich dabei die Frage, worüber die Mitglieder des Freundeskreises diskutiert haben. Im weiteren Verlauf meines Beitrags möchte ich folgende These präsentieren: Dank des „Frankfurt-Homburger Freundeskreises“ würde Hegel seine Philosophie unabhängig von Schelling entwickeln. Zuerst betrachte ich Hölderlins Philosophie (1). Dann gehe ich auf Zwillings Auseinandersetzung mit Hölderlin und Sinclair ein, die beide eine jeweils eigene Ästhetik geprägt haben (2). Zum Schluss fasse ich Hegels Übergang zur Philosophie aus der Perspektive des Homburger Freundeskreises zusammen (3).

1. Der Kontext des „Bundes der Geister“: Hölderlins philosophisches Denken Bereits in den 60er Jahren hat Dieter Henrich völlig zu Recht betont, dass die Gespräche mit dem Homburger-Kreis von Freunden für Hegel bedeutsam gewesen sein müssten. 5 Die zentrale Gestalt, um die sich die Frankfurt-Homburger Konstellation bewegte, war ohne Zweifel Hölderlin. 6 Hölderlin hatte bei seinem Aufenthalt in Jena (von Nov. 1794 bis zum Mai. 1795) Vorlesungen Fichtes besucht, und dabei hatte er nicht nur Fichtes fundamentalphilosophische These 7 angenommen, sondern daraus auch seine eigene Philosophie geprägt. So Henrich: „Mit Hölderlins Jenaer Konzeption ist in der nachkantischen Philosophie zum ersten Mal eine Denkform ausgebildet worden, die sich selbst als Alternative zu Fichtes Wissenschaftslehre verstand, obwohl sie Fichtes

5

Vgl. Dieter Henrich, Hegel im Kontext, Frankfurt am Main 1971, 24.

6

Vgl. Henrich, Grund, a.a.O., 34; Christoph Jamme/Frank Völkel (hrsg.), Hölderlin und der deutsche Idealismus: Dokumente und Kommentare zu Hölderlins philosophischer Entwicklung und den philosophisch-kulturellen Kontexten seiner Zeit, Band 2: Jenaer Gespräche (1794–95), Stuttgart-Bad Cannstatt 2003, 359; Thomas Hanke, Bewusste Religion: Eine Konstellationsskizze zum jungen Hegel, Rosenburg 2012, 102.

7

Ich verstehe hier unter dem Begriff „Fundamentalphilosophie“ die Frage nach Grundlegung der Grundsatz- und Systemphilosophie im Sinne C.L. Reinholds und Fichtes.

149

Standpunkt gerecht zu werden, ihn also nicht in Richtung auf die Position Kants abzuschwächen versuchte.“ 8 Im berühmten Brief an Hegel vom 26. Januar 1795 formuliert Hölderlin seine erste Kritik an Fichte. Der Brief und das Fragment „Urtheil und Seyn“ (wahrscheinlich vom April 1795 9) sind „in der Sache so eng miteinander verbunden“, in denen „fundamentalphilosophische Probleme behandelt sind“. 10 Hier wird das philosophische Argument Hölderlins behandelt: […] Anfangs hatt’ ich ihn [=Fichte] sehr in Verdacht des Dogmatismus; er scheint, wenn ich mutmaßen darf, auch wirklich auf dem Scheidewege gestanden zu sein oder noch zu stehen, – er möchte über das Faktum des Bewußtseins in der Theorie hinaus. Das zeigen sehr viele seiner Aeußerungen, und das ist ebenso gewiß und noch auffallender transzendent, als wenn die bisherigen Metaphysiker über das Dasein der Welt hinauswollten. Sein absolutes Ich (= Spinozas Substanz) enthält alle Realität; es ist alles und außer ihm ist nichts. Es gibt also für dieses absolute Ich kein Objekt, denn sonst wäre nicht alle Realität in ihm; ein Bewußtsein ohne Objekt ist aber nicht denkbar, und wenn ich selbst dieses Objekt bin, so bin ich als solches notwendig beschränkt, sollte es auch nur in der Zeit sein, also nicht absolut. Also ist in dem absoluten Ich kein Bewußtsein denkbar, als absolutes Ich habe ich kein Bewußtsein, und insofern bin ich (für mich) nichts, also das absolute Ich ist (für mich) Nicht. [/] So schrieb ich noch in Waltershausen, als ich seine ersten Blätter las, unmittelbar nach der Lektüre des Spinoza, meine Gedanken nieder […] (Br.1, 19–20).

Die Passage legt auf den ersten Blick die Interpretation nahe, dass Hölderlin nun Fichtes Fundamentalphilosophie auf Basis des „Missverständnisses“ kritisiert, Fichtes absolutes Ich sei mit der Substanz Spinozas gleichsetzbar – doch geht es hier um Hölderlins Interpretation von

8

Henrich, Grund, a.a.O., 431–432.

9

Henrich, Grund, S. 29, a.a.O., 781–783. Friedrich Strack vermutet gegenüber Henrich folgendermaßen: „Hölderlin hat es frühestens Ende Dezember 1795, wahrscheinlich aber erst in der Frankfurter Zeit (Januar/Februar, vielleicht noch etwas später) niedergeschrieben, in der er intensive Kontakte mit Sinclair und dann auch mit Zwilling pflegte.“ (Friedrich Strack, Über Geist und Buchstabe in den frühen Schriften Hölderlins, Heidelberg 2013, 17) Ich gehe hier auf das Problem der Datierung nicht weiter ein.

10

150

Henrich, Grund, a.a.O., 377.

Fichte. 11 Bemerkenswert ist, dass er dabei Fichte auf Spinoza bezieht. Warum Spinoza? Zur Beantwortung dieser Frage müssen wir auf seine Spinoza-Jacobi Rezeption eingehen. Für den jungen Hölderlin, wie M. Wegenast zutreffend zeigt, war Spinoza ein Muster der transzendentalphilosophischen Argumentation. 12 Hölderlin hatte am Ende 1790 oder Anfang 1791 Jacobis Briefe über die Lehre des Spinoza in die Hände bekommen 13 und Notizen dazu („Zu Jakobis Briefen über die Lehre des Spinoza“) niedergeschrieben.

11

Fichte schrieb folgendes in einem Teil der Wissenschaftslehre, den Hölderlin damals nicht gelesen hatte: Das Ich fordert, daß es alle Realität in sich fasse, und die Unendlichkeit erfülle. Dieser Forderung liegt nothwendig zum Grunde die Idee des schlechthin gesezten, unendlichen Ich; und dieses ist das absolute Ich, von welchem wir geredet haben. (Hier erst wird der Sinn des Satzes: das Ich sezt sich selbst schlechthin, völlig klar. Es ist in demselben gar nicht die Rede von dem im wirklichen Bewußtseyn gegebnen Ich; denn dieses ist nie schlechthin, sondern sein Zustand ist immer, entweder unmittelbar, oder mittelbar durch etwas ausser dem Ich begründet; sondern von einer Idee des Ich, die seiner praktischen unendlichen Forderung nothwendig zu Grunde gelegt werden muß, die aber für unser Bewußtseyn unerreichbar ist, und daher in demselben nie unmittelbar, [wohl aber mittelbar in der philosophischen Reflexion] vorkommen kann). (GA 1/2, 409) Dennoch ist Hölderlins Fichte-Kritik bestenfalls teilweise zutreffend. Zu seinem „Missverständnis“ von Fichte: Petter Reisinger, „Hölderlin zwischen Fichte und Spinoza: Der Weg zu Hegel“, in Helmut Bachmaier und Thomas Rentsch (Hrsg.), Poetische Autonomie? Zur Wechselwirkung von Dichtung und Philosophie in der Epoche Goethes und Hölderlins, Stuttgart 1987, 20–25; bes. 22; Christoph Jamme, „Ein ungelehrtes Buch“: Die philosophische Gemeinschaft zwischen Hölderlin und Hegel in Frankfurt 1797–1800 (Hegel-Studien Beiheft 23), Bonn 1983, 80–81; Ursula Brauer, Isaac von Sinclair: Eine Biographie, Stuttgart 1993, 140–164; Margarethe Wegenast, Hölderlins Spinoza-Rezeption und ihre Bedeutung für die Konzeption des „Hyperion“, Tübingen 1990, 56–57; Yoichi Kubo, Sei to ninshiki. Choetsuronteki kannenron no tenkai (Leben und Erkennen: Entwicklung des transzendentalen Idealismus), Tokyo 2010 [Japanisch], 126-130; Nobuhiro Tabata,Tetsugakuteki shii to shiteki shii no intafeisu (Interface between philosophical thinking and poetical thinking: Fichte vs Hölderlin, Novalis and Fr. Schlegel), Kyoto 2022 [Japanisch], 47–53.

12

Vgl. Wegenast, Hölderlins Spinoza-Rezeption, 40.

13

Vgl. Brief an Mutter (wahrscheinlich 14.02.1791) StA 6.1, 64; StA 4. 1, 398.

151

Ihnen zufolge hatte Hölderlin Jacobis Auslegung von Spinozas Phrase „a nihilo nihil fit“ „im abstraktesten Sinne“ 14 verstanden. Die Aktualität, die der Spinozismus im 18. Jahrhundert durch das Erscheinen der Spinoza-Briefe gewinnt, liegt in der darin von Jacobi wahrgenommenen Möglichkeit seiner transzendentalphilosophischen Deutung [Herv. SK]. Jacobi macht diese wiederum zum Maßstab einer „spinozistischen“ Kantinterpretation, um aus dem Wechselbezug beider die Unzulänglichkeit des rationalistischen Ansatzes überhaupt und damit die Notwendigkeit seiner Glaubensphilosophie zu erweisen […]. 15

So kann man sagen, dass die Einheit dieser beiden Ansätze, Rationalismus und Glaubensphilosophie, in dem spinozistischen, alles übergreifenden Konzeption des „hen kai pan“ fundiert sei. 16 Dabei wird das Motto „hen kai pan“ als das Prinzip des „causa immanens“ 17 interpretiert. Es ist 14

StA 4. 1, 207. Vgl. auch „Nach diesem abgezogenern Begriffen […]“ (Friedrich Heinrich Jacobi, Über die Lehre des Spinoza in Briefen an den Herrn Moses Mendelssohn, Auf Grundlage der Ausgabe von Klaus Hammacher und Irmgard Maria Piske, bearbeitet von Marion Lauschke, Hamburg 2000, 24).

15

Wegenast, Hölderlins Spinoza-Rezeption, 40.

16

Die Formel „hen kai pan“ wird „als spinozistisch qualifiziert und als Widerlegung der „orthodoxen“ creatio-ex-nihilo-Auffassung interpretiert. Dabei akzentuiert er [=Hölderlin] hier ihre Bedeutung als ontologisches Fundament, indem er den spinozistischen Substanzbegriff in die Tradition des jüdisch-kabbalistischen „immanenten Ensoph“ einordnet: „... eine innewohnende, ewig in sich unveränderliche Ursache der Welt, welche mit allen ihren Folgen zusammengenommen–eins und dasselbe wäre“ (Wegenast, Hölderlins Spinoza-Rezeption, 37).

17

Jacobi selber bezeichnet dies als „Ensoph“. (Jacobi, a.a.O., 24) „Die abstrakte Alleinheit „hen kai pan“ realisiert sich in der universalen Dynamik des Lebens, die hier in ihrer Grundgesetzlichkeit von Expansion und Kontraktion metonymisch angesprochen ist. Diese Auffassung der spinozistischen Substanz knüpft an die Tradition christlicher Mystik, insbesondere die „theologia revelata“ Jakob Böhmes an“ (Wegenast, Hölderlins Spinoza-Rezeption, 46). Wegenast betont ebenso Fichtes Einfluss auf Hölderlins „Lebensbegriff“. Bereits aus den der ‚Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre‘ vorausgehenden Schriften – so vor allem den im Herbst 1794 erschienenen Vorlesungen über die Bestimmung des Gelehrten – geht die Rückbindung der Philosophie an die Unmittelbarkeit des Lebens als Fichtes zentrales Anliegen hervor. Daß er dies in der Tat im Sinne der – für Hölderlins spinozistischen Gesichtspunkt leitenden! – Forderung Jacobis verstanden wissen will, entwickelt er in seiner Korrespondenz mit diesem: Philosophie habe we-

152

also nicht erstaunlich, dass Hölderlin Fichte sowie Spinoza für „noch auffallender transzendent [Herv. SK]“ als „die bisherigen Metaphysiker“ gehalten hatte. In dem Exzerpt [= „Zu Jakobis Briefen über die Lehre des Spinoza“: SK] aus den Spinoza-Briefen ist zwar noch nicht abzusehen, „daß diese Schlußfolgerung einmal für Hölderlins eigenes Denken von Relevanz ist“. 18 Durch Spinoza-Jacobi war dem jungen Hölderlin jedoch das Raster seiner transzendentalen Philosophie überliefert. In obigem Brief an Hegel hatte Hölderlin noch mit Spinoza-Jacobis Augen die Wissenschaftslehre akzeptiert. Das Gleichheitszeichen in der Klammer „(= Spinozas Substanz)“ muss nicht bedeuten, dass Hölderlin Fichtes Prinzip mit dem von Spinoza schlichtweg identifiziert. Im Kontext kann es gelesen werden als: dass es insofern der Substanz Spinozas gleich ist. 19 Dabei enthalte das absolute Ich Fichtes „alle Realität“ und sei alles, und nichts sei außer ihm. Und insofern hatte Hölderlin die Wissenschaftslehre „in Verdacht des Dogmatismus“. Wichtig ist, dass Hölderlins Fichte-Kritik zwar durch seine Lektüre Spinozas vorgeprägt ist, und er zur Zeit des Verfassens des Fragments „Urtheil und Seyn“ sein Verständnis von Fichte teilweise modifiziert hat. 20 Hölderlin muss zu diesem Zeitpunkt das Kernstück der Wissenschaftslehre viel besser als früher verstanden haben, weil er inzwischen die Vorlesungen Fichtes besucht hatte. 21 Wegen des skizzenhaften Duktus ist der Inhalt des Textes nicht leicht auszulegen, jedoch fällt deutlich auf, dass im „Urtheil und Seyn“ die spinozistische Terminologie gar nicht zum Vorschein kommt, die er sich in Tübingen und Waltershausen angeeignet hatte: weder „Substanz“, „Grund“, „Einheit“, noch „hen kai pan“. 22 Anders als der Brief an Hegel behandelt „Urtheil und Seyn“ explizit weder die (spinozistische) „Substanz“ noch „das absolute Ich“. Stattdessen handelt es sich um das quasi-pure Ganze, welches ein „Seyn schlechthin“ oder das „absolute Seyn“ genannt wird. Genau genommen sentlich die unmittelbare Lebenspraxis zu legitimieren. (Wegenast, Hölderlins Spinoza-Rezeption, 58). 18

Henrich, Grund, a.a.O., 166.

19

Vgl. Henrich, Grund, 383.

20

Hölderlin selbst hatte bereits in dem Brief an Hegel vom 26.01.1795 folgendes geschrieben: „Ich muß abbrechen und muß Dich bitten, all das so gut als nicht geschrieben anzusehen.“ (Br.1, 20).

21

Siehe Brief an Bruder vom 13. April 1795 (StA 6.1, 164).

22

Tabata, Interface, 61.

153

ist das „Seyn schlechthin“ diejenige „Vereinigung des Objects und Subjects“, welche „mithin so vereiniget, daß gar keine Theilung vorgenommen werden kan, ohne das Wesen desjenigen, was getrennt werden soll, zu verlezen, da und sonst nirgends kann von einem Seyn schlechthin die Rede seyn, wie es bei der intellectualen Anschauung der Fall ist“ (StA 4.1, 216). Noch wichtiger ist, wie S. Jürgensen mit Recht betont, dass das „Seyn schlechthin“ nicht gerade die spinozistische „Substanz“ noch den „Grund“ aufweist: Gegen die vorherrschende Auffassung in der Hölderlin-Forschung, die das „Seyn schlechthin“ als dem Ich vorausgesetzt ansieht und daraufhin dieses Fragment als Wendung gegen Fichte interpretiert, muß […] dieses Sein […] ausgelegt werden. Anders müßte man bei Hölderlin eben denselben Dogmatismus annehmen, den er in einem, nicht lange vor „Urtheil und Seyn“ geschriebenen Brief an Hegel vom 26. 1. 1795 bei Fichte vermutet. 23

Wenn Hölderlin etwa ein transzendentales Prinzip (sei es „Seyn schlechthin“ oder „absolutes Seyn“) dem Subjekt und Objekt schlechthin voraussetzen sollte, dann kann das nichts anderes bedeuten, als dass er das „Seyn schlechthin“ dogmatisch „über das Faktum des Bewußtseins 23

Sven Jürgensen, „Hölderlins Trennung von Fichte“, in: Fichte-Studien 12, 1997, 72, Anm. 13. Laut Henrich habe Hölderlin hier den Substanzbegriff Spinozas zur Geltung gebracht: „Hölderlin spricht auch von „dem absoluten Seyn“, womit eine Beziehung auf Spinoza hergestellt wird, dessen Substanz die einzige und die einzig denkbare ist.“ (Dieter Henrich, „Eine philosophische Konzeption entsteht: Hölderlins Denken in Jena“, in: Hölderlin-Jahrbuch 28 (1992–93), 1993, 11; Ders. Grund, a.a.O., 42–43, 264, 379, 796; vgl. auch Wegenast, Hölderlins Spinoza-Rezeption, 56– 60; Jamme, „Ein ungelehrtes Buch,“ a.a.O., 80–81; Manfred Frank, ›Unendliche Annäherung‹: Die Anfänge der philosophischen Frühromantik, Frankfurt am Main 1997, 717–718; Brauer, Isaac von Sinclair, 142–143) Die Lesart des Fragments Urtheil und Seyn ist kontrovers. „Hölderlin kehrt nicht zu einer alten Ontologie zurück (denn das Sein ist intellektuale Anschauung), ebensowenig spricht er der Transzendentalphilosophie das Wort. Der Text läßt beide Lesarten zu“ (Jamme/Völkel, Hölderlin und der deutsche Idealismus, 357). Hucke sortiert diese Lesarten in grob zwei Type; nämlich „pro Sein“ und „pro Urteil“ (Patrizia Hucke, „„Sein schlechthin“ und εἕ ν διαφεέ ρον ἑ αυτῷ: Zur Beziehung von Einheit und Differenz in Jenaer

Texten Friedrich Hölderlins“, in: Markus Hattstein u. a. (Hrsg.) Erfahrungen der Negativität: Festschrift für Michael Theunissen zum 60. Geburtstag, Zürich, New York, Hildesheim1992, 98–102; Jamme/Völkel, Hölderlin und der deutsche Idealismus, 357–358).

154

in der Theorie hinaus“ setzen wollte. 24 Die Erläuterung des Terminus ist deshalb problematisch. Er versteht unter dem Begriff des „Seyns schlechthin“ nicht mehr und nicht weniger als was das von allem getrennten Seiende ist, zu welchem die „intellectuale Anschauung“ die einzig mögliche Zugangsart sei. Hölderlin betrachtet Fichtes Identitätsurteil „Ich bin Ich“, welches die Philosophie als Wissenschaft fundieren sollte, als eine „ursprüngliche Trennung“. „Ur-theil“ („Ur-theilung“) ist dabei pseudo-etymologisch. 25 Laut Hölderlin wird in dem Grundsatz Fichtes, in dem sich die Struktur des Selbstbewusstseins widerspiegelt, „Ich als Subjekt“ und „Ich als Objekt“ unterschieden. Dieses Identitätsurteil „Ich bin Ich“ selbst gehe also immer noch nachträglich von einer Unterscheidung von Subjekt und Objekt aus. Die präreflexive Einheit müsse durch „Ur-theilung“ in die Relate Subjekt (Ich) und Objekt (Ich) geteilt werden. Auch wenn ich im Selbstbewusstsein bin, bekomme ich schließlich nur einen Teil von dem, was ich bin, zu greifen. Dies ist kein Ganzes, kein „Seyn schlechthin“. Das Identitätsurteil „Ich bin Ich“ muss das Ziel des „Seyns schlechthin“ verfehlen. Das unteilbare „Seyn schlechthin“ muss, so Hölderlin, aller Teilung, also auch allem Erkennen und Denken, vorausliegen. Dennoch wird das „Seyn schlechthin“, „das (als deren Voraussetzung) doch eigentlich den Hauptakzent tragen sollte, nur peripher behandelt“. 26 Es ist zugleich nicht zu übersehen, dass das „Seyn schlechthin“ bzw. das „absolute Seyn“ keine etwa ontologische Substanz im starken Sinne ist, welche „alle Realität enthalten“ sollte, sondern nur eine monolithische Ganzheit, wobei Subjekt und Objekt immerhin innig vereinigt werden. 27 Im Fragment bleibt noch unklar, auf welche Weise die pure Ganzheit und ihre Teile miteinander vermitteln, ohne

24

Ebenso: Friedrich Strack, Über Geist und Buchstabe in den frühen Schriften Hölder-

25

Diese Etymologie hatte Fichte in seiner Vorlesung zu Platners Philosophischen Apho-

lins, Heidelberg 2013, 21; Tabata, Interface, 48–49. rismen im Wintersemester 1794/1795 präsentiert. (vgl. GA 2/4, 182). 26

Strack, Über Geist und Buchstabe, a.a.O., 22.

27

Diese Argumentation muss in eine petitio principii geraten. Denn ohne Trennung gibt es ebenso auch keine Verbindung. Dazu auch Hucke, „Sein schlechthin“, 108.

155

dass ihre Einfachheit kontaminiert wird. Es gibt keinen Begriff für etwas Drittes jenseits der Dichotomie von Ganzen und Teilen. 28 Dies ist ein Hauptproblem des Homburger Hölderlin: In den philosophischen Briefen will ich das Prinzip finden, das mir die Trennungen, in denen wir denken und existiren, erklärt, das aber auch vermögend ist, den Widerstreit verschwinden zu machen, den Widerstreit zwischen dem Subject und dem Object, […] theoretisch, in intellectualer Anschauung, ohne daß unsere praktische Vernunft zu Hilfe kommen müßte. (StA 6.1, 203)

Er kommt allerdings nicht zur Abfassung der hier geplanten philosophischen Briefe, und später richtet sein Interesse sich immer mehr auf den Begriff „Leben“. Im Frankfurter Fragment „Über Religion“ ringt er mit „ein menschlich höheres Leben“, in welchem wir „alles, was sie [=die Menschen] haben und seien, vereiniget fühlen [Herv. SK]“ (StA 4.1, 275). Ohne diese Zugangsweise explizit als „intellectuale Anschauung“ zu bezeichnen, konzipiert er sie in diesem Fragment nach wie vor als eine Vereinigung auf einer quasi Metaebene des philosophischen Denkens. Das Auffassen des „Seyns schlechthin“ ist für Hölderlin keine Aufgabe der Philosophie als wissenschaftliches System, sondern die der Kunst, Ästhetik, besonders der Dichtung. So vertrat er die Ansicht, dass „die Vereinigung des Subjects und Objects in einem absoluten […] zwar ästhetisch, in der intellectualen Anschauung, theoretisch aber nur durch eine unendliche Annäherung möglich ist“. 29 28

Jamme bezeichnet Hölderlin/Hegel als „Monismus“ und Zwilling demgegenüber als „Dualismus“ (Jamme, „Ein ungelehrtes Buch“, a.a.O., 334–335). Diese Charakterisierung scheint diskutabel zu sein.

29

Brief an Schiller von 04.09.1795 (StA 6. 1, 181). Auch Schelling hat den Begriff der „intellectualer Anschauung“ in seiner Schrift Vom Ich als Prinzip der Philosophie oder über das Unbedingte im menschlichen Wissen, die im Frühjahr 1795 veröffentlicht wurde, benutzt. Dabei ist die „intellectuale Anschauung“ eine Zugangsart zum „absoluten Ich“ als das „Unbedingte“, welches unserem Wissen den letzten Grund garantiert. (vgl. HKA I/2, 106) Vgl. auch: „Eine angemessene philosophische Ausdrucksmöglichkeit für die zusammenwirkende Gesamtheit innerer menschlicher Kräfte hat Hölderlin wohl erst später im Dialog mit Schelling im Begriff der „intellectualen Anschauung“ gefunden und nach und nach modifiziert, vor allem erweitert. Es sei daran erinnert, daß bei der ersten sicher datierbaren Verwendung des Ausdrucks „intellectuale Anschauung“ durch Hölderlin im Brief an Schiller vom 4. September 1795 mit der Kennzeichnung „ästhetisch“ schon jene umfassende ästhe-

156

2. Zwilling gegen Sinclair: Quelle des relationalen Denkens von Hegel Mit Hölderlin hatte Sinclair wohl sehr intensiv diskutiert, 30 wie auch Henrich herausstellte: Auch die Gespräche mit ihnen müssen für Hegel Bedeutung gehabt haben, – besonders die [Gespräche] mit Sinclair, der sich Hölderlins Ideen ganz zu eigen gemacht und in eigener Terminologie und näher an Fichte angelehnten Schlußfolgerungen ausgeführt hatte. 31

Er steht deshalb ganz in Nähe zu Hölderlin, und Sinclairs Fichte-Kritik ist von Hölderlin beeinflusst zu sehen. Hölderlin bildet zweifellos das begriffliche Gerüst Sinclairs. 32 Dennoch ist der Unterschied der philosophischen Position zwischen Hölderlin und Sinclair in den Dokumenten „Urtheil und Seyn“ und „Philosophische Raisonnements“ 33 von 1795/96 erkennbar. Ihre philosophischen Positionen unterscheiden sich voneinander in der Bewertung dessen, was Ästhetik leisten soll. Sinclair versteht Ästhetik im besonderen Sinne: Er schreibt der „Aesthetik“ ein „unendliches Setzen“

tische Rezeptionskraft gemeint ist, die einmal das Innewerden des Göttlichen einbezieht, zum anderen ihre Vereinigungskraft (zur „Vereinigung des Subjects und Objects in einem absoluten – Ich oder wie man es nennen will –“) aus einem integrativen Zusammenwirken verschiedener durchaus widerstreitender Kräfte, Antagonisten, bezieht“ (Gottfried Meinhold, „Die Deutung des Schönen: Zur Genese der intellectualen Anschauung bei Hölderlin“, in: Friedrich Strack (Hrsg.) Evolution des Geistes: Jena um 1800: Natur und Kunst, Philosophie und Wissenschaft im Spannungsfeld der Geschichte, Stuttgart 1994, 388). 30

Vgl. dazu StA 6. 2, 833; Jamme, Isaak von Sinclair, 23–35.

31

Henrich, Hegel im Kontext, 24. Hegel hatte an Sinclair folgendermaßen geschrieben. „ich sehe ihm sehr erwartungsvoll entgegen – ob Du noch der hartnäckige Fichteaner [Herv. SK] bist […].“ (Br. 1, 322) Dazu auch Henrich, Kontext, 35. Tatsächlich ist Sinclairs Fichte-Lektüre ganz „argumentativ liebevoller“ als Hölderlins (Frank, ›Unendliche Annäherung‹, 762).

32

Vgl. Frank, ›Unendliche Annäherung‹, 761–2.

33

„Die sogenannten Philosophische Raisonnements können als konzeptionelle Weiterentwicklung von Urtheil und Seyn gelten.“ (Jamme/Völkel, Hölderlin und der deutsche Idealismus, 360; Wegenast, Hölderlins Spinoza-Rezeption, 56, Anm 5).

157

zu, dessen zufolge man „immer-sich Setzen“ 34 oder „fortwährende Setzung, fortwährendes Sich-selbst-Setzen“ 35 leisten könne. Wie H. Hegel und M. Frank gezeigt haben, hatte Sinclair eine solche „abenteuerliche“ 36 Umarbeitung der „Aesthetik“ dadurch geleistet, dass er sie pseudo-etymologisch als ein „a- privativum (Α Εις (εαυτον) Θεσις)“, nämlich als „A-eis-thesis“ verstand. 37 Sinclair zufolge bleibt die ursprüngliche Ganzheit, welche aller „Theilung“ und Reflexion vorausliegt und die er „Einigkeit“ 38 bzw. „das aesthetische Ideal“ 39 nannte, auf immer verloren. Die Einigkeit ist nur gefordert, aber nie gegeben. Sie muss deshalb für ihn ein „Sollen“ (ebd.), eine „Utopie“ 40 sein, zu welchem nur eine unendliche Annäherung möglich ist. Hier ist kein Ausweg aus der philosophischen „Ur-theilung“ zu finden, und ebenso bleibt es unklar, wie sich seine Idee der Ästhetik als „A-eis-thesis“ konkret ausdrücken sollte: 41 denn für ihn bringen weder Kunst, noch Dichtung, nicht einmal Poesie diese Ästhetik (als „A-eis-thesis“) zur Geltung. Im Freundeskreis muss nicht nur Wissenschaftslehre, sondern auch das Thema der Ästhetik, Schönheit, ein Thema gewesen sein. 42 Bemerkenswert ist, dass Hegel zu dieser Zeit in Bezug auf Ästhetik und Kunst näher zu Sinclair als zu Hölderlin stand. 43 Denn Hegel maß, ebenso wenig wie Sinclair, weder der „ästhetischen=intellectualen Anschauung“ 34

Hannelore Hegel, Isaak von Sinclair zwischen Fichte, Hölderlin und Hegel: Ein Beitrag zur Entstehungsgeschichte der idealistischen Philosophie, Frankfurt am. Main 1971, 152.

35

Frank, ›Unendliche Annäherung‹, 765.

36

Ebd.

37

H. Hegel, Isaak von Sinclair, 152, 254; Frank, ›Unendliche Annäherung‹, 765.

38

H. Hegel, Isaak von Sinclair, 246.

39

H. Hegel, Isaak von Sinclair, 269.

40

Frank, ›Unendliche Annäherung‹, 765.

41

Thomas Hanke, „Im Bunde der Dritte von vieren und Schelling außer vor: Hegels Konsequenzen aus seinem Wechsel nach Frankfurt“, in: Thomas Hanke und Thomas M. Schmidt (Hrsg.), Der Frankfurter Hegel in seinem Kontext, Frankfurt an Main: Vittorio Klostermann, 2015, 104; Tabata, Interface, 90.

42

Frank, ›Unendliche Annäherung‹, 774.

43

H. Hegel, „Reflexion und Einheit: Sinclair und der „Bund der Geister“ – Frankfurt 1795–1800“, in: Rüdiger Bubner (Hrsg.) Das älteste Systemprogramm: Studien zur Frühgeschichte des deutschen Idealismus (Hegel-Studien Beiheft 9), Bonn 1973, 101; Hanke, Bewusste Religion, a.a.O., 94.

158

noch der „Dichtung“ eine entscheidende Rolle bei. Die genuine Aufgabe Hegels war immer noch eine Anwendung der kantischen Religionsbegriffe auf die Gemeinschaft, und es geht ihm weder um Ästhetik noch um die Fundamentalphilosophie von Fichte und Schelling. Und Zwilling, der der Jüngste im Freundeskreis war und in Jena immatrikuliert hatte, hatte wie auch Hölderlin und Sinclair Abstand von Fichte genommen. Aber daraus hatte er andere Konsequenzen als die beiden Älteren gezogen. Er hatte zwei wichtige Dokumente hinterlassen. Das eine ist ein Briefkonzept an einen nicht namentlich genannten Jenenser Professor 44 vom 26.04.1796, das andere eine mit „Über das Alles“ betitelte Skizze (das Original des Briefes ist verloren). Ihr Inhalt ist nur in Paraphrase von Ludwig Strauß (1892–1953) überliefert. Daraus zeigt sich, dass Zwilling den beiden gegenüberstand. Strauß‘ Zusammenfassung lautet wie folgt: Die Zwillingschen Entwürfe vom 26. April 1796 berühren […] Gedanken, die gerade damals Hölderlin wie Schelling besonders beschäftigten: so die Abschlußstellung der Ästhetik innerhalb der Philosophie […] dort [ist] der ästhetische Gesichtspunkt der höchste. Das „Eins“, das nur der „Empfindung“ gegeben ist, und die „Trennung“, welche die „Reflexion“ vollzieht, treffen in ihm zusammen. 45

44

Es bleibt immer noch unklar, an wem der Brief adressiert ist. Henrich vermutet, dass der Professor „etwa Niethammer? Schmid? Paulus?“ sein kann (Dieter Henrich, „Jacob Zwillings Nachlaß: Gedanken, Nachrichten und Dokumente aus Anlaß seines Verlustes“, in: Christoph Jamme und Otto Pöggeler (Hrsg.), Homburg vor der Höhe in der deutschen Geistesgeschichte, Stuttgart 1981, 261. Nach Jamme/Völkel ist es „vielleicht der Historiker Woltmann“ (Jamme/Völkel, Hölderlin und der deutsche Idealismus, 376). Zusätzlich zu Niethammer und Schmid gibt Frank noch „oder gar Fichte?“ an (Frank, ›Unendliche Annäherung‹, 772). Noch dazu nennt Brauer Schmidt, weil er nicht nur Kritiker Reinholds, sondern auch „als Gegner Fichtes bekannt wurde“ (Brauer, Isaac von Sinclair, 149). Die Sache ist aber immer noch streitig.

45

Christoph Jamme/Dieter Henrich (Hrsg. und erläutert), Jacob Zwillings Nachlaß. Eine Rekonstruktion. Mit Beiträgen zur Geschichte des spekulativen Denkens, HegelStudien Beiheft 28, 1986, 42.

159

Hier ist dasselbe Motiv erkennbar, das wir von Hölderlin kennen: Reflexion und Urteil bedeuten einen Akt des Trennens der Einheit, 46 und das Eins wird nie durch das Denken erkennbar gemacht, sondern nur gefühlt und empfangen. Diese Einordnung der Ästhetik muss auf die Gespräche mit Sinclair zurückgehen. Doch wie auch schon bei Sinclair ist der Stellenwert der Ästhetik in Zwillings Philosophie nicht angemessen ausgeführt. Strauß fährt fort: „Gleichzeitig ist aber eine sehr merkwürdige kritische Abgrenzung der Ästhetik gegeben.“ 47 Das bedeutet, dass er weder eine ästhetische „Theorie des Gefühls“ noch „eine Logische Zergliederung“ 48 vertritt. Zwilling zielt hier darauf, „ob es möglich sei, das Sein der Urteilung einfach unvermittelt voraussetzen bzw. wie der Übergang von jenem zu dieser geschehe“. 49 Am Wichtigsten ist dabei Zwillings Theorie der „Beziehung“, durch die er von Hölderlin und Sinclair zu unterscheiden ist. Strauß berichtet: Diese Entwürfe polemisieren gegen Fichtes Wissenschaftslehre, vor allem gegen den Begriff des absoluten Ich. Der Primat der Beziehung [Herv. SK], die Ablehnung der Isolierung eines Begriffs aus der Beziehung zu seinem Gegenbegriff, die Tendenz zum Ebenmaß sind hier schon ausgeprägt. Mit der Setzung der Beziehung Ich-Nichtich als unauflösbar vollzieht Zwilling – vor Schellings Naturphilosophie – eine neue Wendung vom subjektivistischen Denken Fichtes nicht zu einem objektivistischen, sondern zu einem synthetischen hin, wie Hölderlin es seit dem Weggang aus Jena suchte, aber später erst formulierte. 50

Anders als noch im Briefkonzept nimmt im „Über das Alles“ die Ästhetik keine Abschlussstellung mehr ein. Denn Einheit und Differenz innerhalb der Vereinigung beider sind gleichursprünglich auf derselben Ebene miteinander zu beziehen. Die Ganzheit nennt Zwilling das „Alles“:

46

Masakatsu Fujita, Philosophie und Religion beim jungen Hegel: Unter besonderer Berücksichtigung seiner Auseinandersetzung mit Schelling (Hegel-Studien Beiheft 26), 1985, 82.

47

Jamme/Henrich, Jacob Zwillings Nachlaß, 43.

48

Ebd.

49

Hanke, Bewusste Religion, 94.

50

Jamme/Henrich, Jacob Zwillings Nachlaß, 42.

160

Der Anfang ist der erste Moment, den die Reflexion der Unendlichkeit abgerungen und etwas Endliches, Correlates dargestellt hat. In dieser ersten Trennung liegt das Alles als eine Idee der Imagination, als ein vollkommenes Ganze dargestellt, welches in seiner folgenden Analyse bis zur Vollendung wieder vorkommt, dessen Begriffes sich zu bemeistern wir den Weg betrachten als einen progressiven Wechsel der Reflexionen, die alle nur verschiedene Modifikationen der ersten Reflexion sind und deren Auflösung in der Unendlichkeit liegt [Herv. SK], nach deren Vollendung wir sagen könnten, daß wir durch Reflexion es unendlich unterscheiden und durch Imagination es unendlich aneinander gereihet wäre, und so den Begriff des Alles in seiner größten Vollkommenheit besitzen könnten. 51

Bei diesem Reflexionsmodell 52 ist die „Reflexion“ keinesfalls negativ konnotiert. Zudem geht es ihm nicht um Trichotomie: Soll die Zugangsart zu „Sein“ theoretisch, praktisch, oder ästhetisch möglich sein? Zwillings These ist es, dass die Reflexion an den Anfang gesetzt werden muss, um das Ganze und dessen Teile nicht auseinanderfallen zu lassen und um die Vereinigung aufzufassen. Der Zusammenhang zwischen dem Ganzen und den Teilen, dem Anfang und dem Ende soll als eine prozessuale, bewegliche, und zirkuläre Totalität verstanden werden, welche sich theoretisch formulieren lässt. Dies wird mehr und mehr klar, wenn er im „Über das Alles“ die Totalität als „Wiedervereinigung“ bezeichnet: Und so liegt in der immerwährenden Trennung aus der Vereinigung die Wiedervereingung aus der Trennung, da explicite immer die erste Idee wieder darinnen liegt und die Vereinigung als etwas Notwendiges, jedoch aber immer Correlates mit der Trennung, betrachtet werden muß […]. 53

51

Jamme/Henrich, Jacob Zwillings Nachlaß, 63.

52

Hanke bringt zu Recht Zwillings Denken auch als Alternative zu den Philosophischen Briefen (1795/96) Schellings an: Schon dieser Anfang über den Anfang und das Ziel ist sehr aufschlussreich. Denn Zwilling bietet hier Alternativen sowohl zu Schelling als auch zu Hölderlin und Sinclair an. Ihnen allen ist gemeinsam, dass sie in der Reflexion etwas Trennendes sehen und somit den Austritt aus dem einigen Absoluten. Für Sinclair und für Hölderlin – zumindest den Hölderlin im Umkreis des ersten Hyperion-Bandes – handelt es sich um einen tragischen und beklagenswerten Verlust. (Hanke, Im Bunde der Dritte von vieren, 114).

53

Jamme/Henrich, Jacob Zwillings Nachlaß, 64.

161

Als Henrichs Fazit kann festgehalten werden: So verhielt es sich auch in den Entwurfsmustern der kleinen Systeme von Hölderlin, Sinclair und Zwilling. Gegen den Primat des Einen mußte sich aber auch die Gleichursprünglichkeit der mit dem Einen [Herv. SK] stets zusammen zu denkenden Differenz geltend machen. 54

Zwillings Antwort auf die Frage nach der Möglichkeit eines Übergangs vom Sein zum Urteil sollte, wie bereits gesehen, klar sein. Kurz gesagt radikalisiert er die Beziehung von Urteil und Sein und vermeidet damit den Dualismus, mit dem „Urtheil und Seyn“ behaftet war. Henrich bezeichnet diese monistische Gesamtheit als „Beziehungssystem“. 55 Daraus zieht Zwilling die Konsequenz, dass „die Betrachtung der Beziehung auf ihrer höchsten Stufe Beziehung mit der Nichtbeziehung ist und daher die allgemeinste Beziehung oder Kategorie der Beziehung überhaupt, genau betrachtet, die Unendlichkeit [Herv. SK] selbsten ist“. 56 Die „Unendlichkeit“ ist, anders ausgedrückt, eine „Auf-einanderBeziehung des Etwas und des Nichts“. Solch relationales Denken Zwillings scheint in Hegels Fahrwasser zu schwimmen. Aber besser gesagt ist umgekehrt die hegelische Logik der „Unendlichkeit“ eigentlich eine Zwilling-Reminiszenz. 57 Vor Hegel verstand niemand außer Zwilling das Wort „Unendlichkeit“ in diesem Sinne. Beispielsweise besagt Text 63 (das von Nohl mit „Systemfragment 1800“ betitelte Fragment): 54

Henrich, Konstellationen, 93.

55

„Damit ist auch schon ein Ganzes gesetzt – für die Theorie als Perspektive, in der Wirklichkeit als „Beziehungssystem“–, das die Totalität alles Wirklichen einbegreift und das als „Alles“ bezeichnet werden darf – das Ἓν-πάντα ohne eine in ihm oder in Beziehung auf es abzuhebende und so vorausliegende Einheit. Insofern ist dies Eine also das πάν. Der Jüngling Zwilling folgt dem Gedanken, daß mit dem ersten Endlichen jegliches Endliche und damit alles überhaupt gesetzt ist, indem er die relationale Natur aller der Gedanken aufzeigt, von denen die Meinung sein könnte, sie eigneten sich dazu, im System als relationsenthobene Absoluta zu fungieren.“ (Henrich, Konstellationen, S. 97f.).

56

Jamme/Henrich, Jacob Zwillings Nachlaß, 65.

57

Dazu auch Hanke, Im Bunde der Dritte von vieren, 95; Tabata, Interface, 103f. Zhang sieht im Frankfurter Systemfragment eine Unterscheidung zwischen die „schlechte Unendlichkeit“ und die „wahre Unendlichkeit“ (Shen Zhang, Hegels Übergang zum System: Eine Untersuchung zum sogenannten „Systemfragment von 1800“ (Hegel Studien Beiheft 32), 1991, 169).

162

[…] wenn das Mannichfaltige nur als Organ, in Beziehung gesezt wird, so ist die Entgegensezung selbst ausgeschlossen, aber das Leben kan eben nicht als Vereinigung, Beziehung allein, sondern muß zugleich als Entgegensezung betrachtet [werden]; wenn ich sage es ist die Verbindung der Entgegensezung und Beziehung, so kan diese Verbindung selbst wieder isolirt und eingewendet werden, das [sie] der Nichtverbindung entgegenstunde; ich müßte mich ausdrükken, das Leben sey die Verbindung der Verbindung und der Nichtverbindung [Herv. SK], das heißt, jeder Ausdruk ist Produkt der Reflexion, und sonach kan von jedem als einem gesezten aufgezeigt werden, das damit, daß etwas gesezt wird, zugleich ein anderes nicht gesezt, ausgeschlossen ist […]. (GW 2, 343f.)

Und deutlicher setzt Hegel in der Differenzschrift von 1801 ohne Erklärung die „Unendlichkeit“ mit der „Identität“ gleich: So wie aber die Spekulation, aus dem Begriff, den sie von sich selbst aufstellt, heraustritt, und sich zum System bildet, so verläßt sie sich und ihr Princip und kommt nicht in dasselbe zurück; sie übergibt [im fichteschen System: SK] die Vernunft dem Verstand, und geht in die Kette der Endlichkeiten des Bewußtseyns über, aus welchen sie sich zur Identität und zur wahren Unendlichkeit nicht wieder rekonstruirt. (GW 4, 6, Herv. SK)

Hegels Frankfurter Entwicklung ist zwar nicht verlässlich dokumentiert, aber in seinen Frankfurter Texten haben die Gespräche innerhalb des Freundeskreises ihre Spuren hinterlassen. 58 Ohne sie ist Hegels Übergang von Religion zur Philosophie undenkbar. Unter seinen drei Gesprächspartnern spielte der Jüngste, Zwilling, eine besondere Rolle. Hölderlin hatte nach dem „Weggang aus Jena“ seine Vereinigung „später erst formuliert“. 59 Möglicherweise ist dies auch als ein Ergebnis 58

Henrich, Grund, 734f. „Zwillings Abhandlung Über das Alles gibt diesem logischen Zwang zum Denken eines rein nur intern wirkenden Einheitsgrundes in einem Ausmaß nach, das in den anderen frühen Texten des Homburger Kreises nicht zu finden ist. Sie setzt also zu erstaunlich früher Zeit Denkmotive frei, die auf Hegels philosophischem Weg entscheidende Bedeutung gewonnen haben.“ (Henrich, Konstellationen, 97) Die Datierungen der Gesammelten Werke im 2. Band Hegels (bes. Text. 40, 41 und 42) sind sehr fragwürdig (Walter Jaeschke, „Hegels Frankfurter Schriften: Zum jüngst erschienenen Band 2 der Gesammelte Werke Hegels“, in: Thomas Hanke und Thomas, M. Schmidt (Hrsg.), Der Frankfurter Hegel in seinem Kontext, Frankfurt an Main 2015, 31–50; Hanke, „Im Bunde der Dritte von vieren“, 111ff.; Tabata, Interface, 99–101).

59

Siehe Fußnote 50.

163

des Freundeskreises zu sehen. Aus dieser Perspektive ist des Jenaer Hölderlins Schlagwort „ἕν διαφέρον ἑαυτῷ“ auszulegen: Das große Wort, das εν διαφερον εαυτω (das Eine in sich selber unterschiedne) des Heraklit, das konnte nur ein Grieche finden, denn es ist das Wesen der Schönheit, und ehe das gefunden war, gab’s keine Philosophie. (Hyperion: StA 3, 81)

Hier wird über die Bedingung der Möglichkeit der Philosophie (d.h. unseres Wissens) sinniert. Im Gegensatz zum „Seyn schlechthin“ im „Urtheil und Seyn“ liegen Trennung und Identität nicht auseinander, sondern aufgrund einer Neuinterpretation von Platons Symposion ist die Trennung der Vereinigung (= „ἕν“) immanent. Und zwar hat Hölderlin „das Zitat in der griechischen Wiedergabe abgewandelt […]: Er verwendet das aktivische διαφέρον statt des passivischen [/medialen: SK] διαφερόμενον; genauer wäre seine Wiedergabe also mit „das Eine sich (von sich) selber unterscheidende“ zu übersetzen.“ 60 Mit dieser Übersetzung der heraklitischen Formel setzt er einen Akzent auf den selbstbeweglichen Charakter der Vereinigung, mit anderen Worten, das frühere „Seyn schlechthin“ wird nun als eine Harmonie des Gegensätzlichen hergestellt. Diese Harmonie sei das Wesen der Schönheit, und sie müsse der Philosophie vorausgehen. Aus einer strukturellen, logischen Perspektive ist das ἕν διαφέρον ἑαυτῷ etwas ganz anderes als das „Seyn schlechthin“, denn dieses besteht darin, unterschiedslos und differenzlos, und deshalb rein zu sein. 61 Es ist zu sehen, wie das frühere „Seyn 60

Hucke, „Sein schlechthin“, 103; Friedrich Jürg, Dichtung als Gesang Hölderlins Wie wenn am Feiertage ... im Kontext der Schriften zur Philosophie und Poetik 1795 – 1802, München 2007, 67; Tabata, Interface, 80–83. Die entsprechende Passage lautet in Übersetzung folgendermaßen: „Das Eine, sagt er nämlich, das in sich entzweit ist, versöhnt sich mit sich selbst wie die Harmonie eines Bogens und auch einer Leier“ (Platon, Symposion/Gastmahl, Übersetzt und herausgegeben von Zehnpfennig, Barbara, (Griechisch-Deutsch), Hamburg 2012, 39); „das Eins, in sich entzweit, sich mit sich einige wie die Stimmung einer Lyra oder eines Bogens“ (Platon, Phaidon, Symposion (Das Gastmahl), Kratylos: WBG Platon Werke in 8 Bänden, Griechisch-Deutsch, Bd. 3, 7. Auflage, hrsg. v. Gunther Eigler, Darmstadt 2016, 259). Hucke legt ganz treffend das „Seyn schlechthin“ und „ἕν διαφέρον ἑαυτῷ“ aus Sicht des platonischen Liebesbegriffs aus (Hucke, „Sein schlechthin“, 102–110).

61

Es scheint, dass Henrich auf der entscheidenden Funktion von Urtheil und Seyn beharrt. Vgl. auch: Friedrich Strack, „Das Systemprogramm und kein Ende: Zu Hölderlins philosophischer Entwicklung in den Jahren 1795/96 und zu seiner Schel-

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schlechthin“ durch die intensive Diskussion über „Reflexion“ präziser konzipiert wurde, denn es ist nicht völlig nur durch Hölderlins Auseinandersetzung mit Platon, Fichte und Spinoza-Jacobi zu erklären, warum Hölderlin die Synthese der Vereinigung und Trennung strukturell rekapitulieren kann und beide sich verzahnen lässt.

3. Der Weg zur Philosophie Im Systemfragment schreibt Hegel der Philosophie folgende Aufgabe zu: Die Philosophie muß eben darum mit der Religion aufhören, weil jene ein Denken ist, also einen Gegensaz theils des Nichtdenkens hat, theils des Denkenden und des Gedachten; sie hat in allem Endlichen die Endlichkeit lingkontroverse“, in: Das älteste Systemprogramm: Studien zur Frühgeschichte des deutschen Idealismus (Hegel-Studien Beiheft 9), 1973; derselbe, „Das Ärgernis des Schönen: Anmerkungen zu Dieter Henrichs Hölderlindeutung“, in: Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte, vol. 68, 1994. Michael Franz kritisiert auch Henrichs Interpretation, und legt das Fragment aus anderer Perspektive aus (Michael Franz, „Hölderlins Logik. Zum Grundriß von „Seyn Urtheil Möglichkeit“, in: Hölderlin-Jahrbuch 25 (1986-1987), Tübingen 1987, 93–124). Gegen Franz erhebt Lypp wiederum einen Einwand: Franz will einen nun aber zwingen, den ganzen Text in der Folge ‚SeynUrtheil-Möglichkeit‘ zu lesen und er meint, nur diese Folge bringe Hölderlins ‚Logik‘ angemessen zur Geltung. Warum nimmt er diese Rearrangierung des Hölderlinschen Textes vor? In der Insistenz auf Hölderlins ‚Logik‘ muß unbedingt herauskommen, daß die Passage des Textes aus den Bemerkungen zum ‚Urtheil‘, in der von den Modalitätskategorien die Rede ist, als Synthese aus der Kontraposition von ‚Sein‘ und ‚Urteil‘ zu betrachten ist. […] Man muß nicht erst nach einer ‚Logik‘ Hölderlins suchen, um dann festzustellen, daß sie in seiner Dichtung kollabiert. – Obgleich Franz an Henrichs Interpretation des Fragmentes ‚Urtheil und Seyn‘ Modifikationen anbringt, ist er doch mit ihm in der Meinung verbunden, dieses Fragment enthalte Hölderlins Fundamentalphilosophie, oder eben seine ‚Logik‘, welche dann in seinem dichterischen Werk ihre Anwendung findet. Das Verhältnis von Philosophie und Dichtung läßt sich aber grundsätzlich nicht nach diesem fundamentalphilosophischen Schematismus verstehen. (Bernhard Lypp, Poetische Religion, in: Walter Jaeschke und Helmut Holzhey (Hrsg.) Früher Idealismus und Frühromantik: Der Streit um die Grundlagen der Ästhetik (1795–1805), Hamburg 1990, 103, Anm. 48).

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aufzuzeigen, und [muß] durch Vernunft die Vervollständigung desselben fodern, besonders die Taüschungen durch ihr eignes Unendliche erkennen, und so das wahre Unendliche ausserhalb ihres Umkreises sezzen. (GW 2, 344)

Aus dieser Auffassung der Vernunft tritt die eigene Aufgabe der Philosophie hervor: Die Philosophie sei zuerst eine vernünftige, eingeschränkte Denkform, welche einfach ein Endliches oder Teile produzieren und uns darüber hinaus die Unvollkommenheit aufzeigen sollte. Nach ihrer Natur gelangt die Vernunft aber nicht zur Vollkommenheit, wahre Unendlichkeit. Insofern kommt zur damaligen Zeit (im Sept. 1800) keine Akzentverschiebung hin zur Philosophie in Betracht. Es besteht noch eine Kluft zwischen der philosophischen Erkenntnis und der wahren Unendlichkeit. Darum müsse Philosophie „mit der Religion aufhören“ (ebd.). Erst in dem Brief an Schelling vom 02. November 1800 kommt Hegel zu der Einsicht, dass er „zur Wissenschaft vorgetrieben werden“ und „das Ideal des Jünglingsalters“ „sich zur Reflexionsform, in ein System zugleich verwandeln“ muss (Br.1, 59). Dabei folgt er, ohne sich namentlich auf ihn beziehen, Schellings System, 62 der eine gemeinsame Grundlage sowohl der Transzendental- als auch der Naturphilosophie zu bilden suchte. Die Vernunft ist nunmehr kein begrenztes Vermögen des Menschen mehr, vielmehr können wir mit ihrer Hilfe die Entzwei-

62

Laut Sans findet sich im Systemfragment ein realphilosophisches Konzept: Außerdem fügte sich eine Beschäftigung Hegels mit Fragen der Philosophie sowohl der Natur als auch des Geistes gut zu der Auffassung Schellings von den zwei sich wechselseitig suchenden und ergänzenden Grundwissenschaften. Hegel hätte also in seinem letzten Frankfurter Jahr mit der Ausarbeitung eines Systems begonnen, das um den Begriff des Lebens kreiste und auf die Weise das Denken des Absoluten mit gewissen realphilosophischen Zügen verband. Die genauere Analyse zeigt allerdings, dass es sich bei dem überlieferten Text weder um ein Systemprogramm noch um Teile eines Systementwurfs handeln kann. (Georg Sans, „Wie ist Philosophie als Wissenschaft möglich? Und wie viel Religion ist dafür nötig? Über Hegel und Schelling um 1800“, in: Thomas Hanke und Thomas, M. Schmidt (Hrsg.), Der Frankfurter Hegel in seinem Kontext, Frankfurt an Main 2015, 282f.). Sans übersieht aber den Einfluss des Homburg-Frankfurter Freundkreises („Wie ist Philosophie als Wissenschaft möglich?“, 279).

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ung aufheben. 63 Demzufolge tritt das spekulative Wissen in der Differenzschrift an die Stelle der Religion. Hegel bezeichnet die Spekulation als das „transcendentale Wissen“ (GW 4, 28), in dem die Reflexion mit der intellektuellen Anschauung vereinigt ist. Das transzendentale Wissen halte alle Entgegengesetzte (Begriff und Sein, Idealität und Realität, Subjekt und Objekt) zusammen. Das absolute Princip […] ist […] die intellektuelle Anschauung; – für die Reflexion ausgedrükt, Identität des Subjekts und Objekts. Sie wird in der Wissenschaft Gegenstand der Reflexion; und darum ist die philosophische Reflexion selbst transcendentale Anschauung, sie macht sich selbst zum Objekt, und ist eins mit ihm; hiedurch ist sie Spekulation. (GW 4, 76–77)

Nur in dieser Anschauung gelinge die Identität der Entgegengesetzten, „nur [erblickt] die Vernunft in diesem absoluten Widerspruche die Wahrheit, durch welchen beydes gesetzt und beydes vernichtet ist, weder beyde, und beyde zugleich sind.“ (ebd.) Hier bleibt das Verhältnis der Anschauung zur Reflexion noch unklar, denn die Systemskizze ist noch in der ersten Übergangsphase seiner philosophischen Entwicklung. 64 Dass Hegel das Absolute als ein lebendig in sich differenziertes, sich von sich selbst unterscheidendes Ganze auffasst, ist dennoch bemerkenswert. Noch bemerkenswerter allerdings ist, dass die Spekulation (Philosophie) als Erkennen des Absoluten „die in Frankfurt als „Le-

63

„[…] [I]ndem es [=Leben] als Vernunft in die Ferne tritt, ist die Totalität der Beschränkungen zugleich vernichtet, in diesem Vernichten auf das Absolute bezogen, und zugleich hiemit als blosse Erscheinung begriffen und gesetzt; die Entzweiung zwischen dem Absoluten und der Totalität der Beschränkungen ist verschwunden.“ (GW 4, 13) Und auch: „Solche festgewordene Gegensätze aufzuheben, ist das einzige Interesse der Vernunft; diß ihr Interesse hat nicht den Sinn, als ob sie sich gegen die Entgegensetzung und Beschränkung überhaupt setzte, denn die nothwendige Entzweyung ist Ein Faktor des Lebens, das ewig entgegensetzend sich bildet, und die Totalität ist, in der höchsten Lebendigkeit, nur durch Wiederherstellung aus der höchsten Trennung möglich. Sondern die Vernunft setzt sich gegen das absolute fixiren der Entzweyung durch den Verstand, und um so mehr, wenn die absolut entgegengesetzten selbst aus der Vernunft entsprungen sind.“ (GW 4, 13f.).

64

Vgl. Manfred Baum, Die Entstehung der Hegelschen Dialektik, Bonn 1986, 125–6; Kudomi, Hegels Kunstbegriff, a.a.O., 96–98.

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ben“ gedachte Einheit des Endlichen und Unendlichen bewahrt“. 65 Oder anders gesagt, Hegel war in seiner neuen systemphilosophischen Option durch religionstheoretische Überlegungen motiviert. 66 Das heißt, der Jenaer Hegel optiert die erkenntnistheoretische, metaphysische Erkennbarkeit des Absoluten. Dabei muss er sich Schelling zum Vorbild nehmen. Zugleich unterscheidet sich seine Philosophie aber von der Schellings darin, dass er das Wesen des Absoluten lebendig findet. Für Hegel ist das Absolute ein alle Entgegengesetzte in sich umfassendes Ganze. Dies nennt man „Vereinigungsphilosophie“. In Schellings System findet er wohl dieses Motiv nicht. Die Argumente des Homburger Freundeskreises ermöglichten es Hegel, Abstand von Schelling zu nehmen. Aber zur Zeit der Differenzschrift fehlen Methodologie und Architektonik, um ein holistisches philosophisches System aufzubauen. Deshalb sucht er noch einen Anhaltspunkt seines Systems für die „intellektuelle Anschauung“, welche im Jenaer System keine entscheidende Rolle mehr spielt. Dazu braucht er seine ausreichend entwickelte Logik-Metaphysik von 1804/05 und die Phänomenologie. Sinclair schreibt im eingangs zitierten Brief an Hegel vom Februar 1812 folgendes: „In dem Stil und der Darstellung habe ich Dich und Deinen Eifer, dem ein flammendes Schwert zu Gebot steht, sehr erkannt und an die Zeiten des Bunds unserer Geister gedacht, aus dessen Mitte das Schicksal uns die andern entrissen hat.“ (Br.1, 394: Herv. SK) Was Sinclair damals an die Zeiten des Bunds der Geister erinnert, ist nichts anders als die Phänomenologie des Geistes (!), obwohl Hegel in Frankfurt ausschließlich Religion und Christentum thematisiert hat. Möglicherweise richtete sich seine Aussage nicht nur an den schriftlichen Stil, sondern auch an das Paradigma, an die Idee der „Reflexion“ und das Absolute als holistische Relation, welche von diesen Vier in Homburg diskutiert worden war. 67

65

Manfred Baum, „Zur Vorgeschichte des hegelischen Unendlichkeitsbegriffs“, in: Hegel-Studien 11, 1976, 115.

66

Hanke, Bewusste Religion, a.a.O., 126.

67

Brauer relativiert die allzu überspitzte Bewertung vom „Bund der Geister“ (Brauer, Isaac von Sinclair, 140–164, bes. 155–156).

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Geist und Leben/Natur

Chong-Fuk Lau Sprache als Leben in der Natur

Hegel hat zwar keine systematische Sprachphilosophie entwickelt, die mit seinen ausführlichen Vorlesungen über Rechts-, Geschichts-, Kunstoder Religionsphilosophie gleichzusetzen wäre, doch lassen sich in seinen Schriften zahlreiche Anmerkungen zur Sprache finden. Diese deuten unmissverständlich darauf hin, dass er sich der nuancierten Rolle der Sprache in seinem philosophischen Gefüge sehr wohl bewusst war. Bruno Liebrucks unterstreicht zutreffend, „daß die Sprache in der Hegelschen Philosophie einen sehr viel breiteren Raum einnimmt als bei ihm ausdrücklich gesagt wird.“ 1 Der vorliegende Aufsatz zielt darauf ab, die spezifische Funktion der Sprache in Bezug auf ihre gedankentragenden Eigenschaften durch ihre natürliche Existenz zu beleuchten. Sprache manifestiert sich einerseits durch ihre äußere, physikalische Form, andererseits offenbart sie ihr wahres Wesen in den Gedanken und Bedeutungen, die sich als lebendige Elemente in ihrem natürlichen Dasein konkretisieren. Mit der Sprache tritt das geistige Leben in die physische Welt ein. Dabei handelt es sich nicht bloß um ein individuelles Leben, sondern grundlegend um ein gemeinschaftliches, intersubjektives Dasein. In dieser Hinsicht ist die Sprache, wie Hegel treffend festgestellt hat, untrennbar mit der Intersubjektivität verknüpft — eine Erkenntnis, die als eine der wesentlichen Entdeckungen der Hegelschen Philosophie gelten kann.

1

Bruno Liebrucks, „Zur Theorie des Weltgeistes in Theodor Litts Hegelbuch“, in: Kant-Studien 46 (1954/55), 240.

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I „Die Sprache ist“, so Hegel in der Einleitung der Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte, „die Tat der theoretischen Intelligenz im eigentlichen Sinne, denn sie ist die äußerliche Äußerung derselben.“ (TWA 12, 85) Bei Hegel findet die thematische Behandlung der Sprache im dritten Teil der Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften statt, wo sie als eine Gestalt des subjektiven Geistes im Kontext der Psychologie diskutiert wird. Innerhalb des theoretischen Geistes wird die Sprache unter dem Aspekt der „Vorstellung“ als „Produkt der Intelligenz“ (TWA 10, 271 [§459 A]) charakterisiert, insbesondere in Bezug auf ihren zeichenhaften Charakter. Für die äußerliche Manifestation der Sprache sind nach Hegel diverse, der Vorstellung untergeordnete, theoretische Fähigkeiten des Geistes aktiv. Diese stützen sich zeichengenetisch auf die Einbildungskraft oder präziser auf deren finale Form, die „Zeichen machende Phantasie“ (TWA 10, 268 [§457]). Zur Konsolidierung und zum Gebrauch der generierten Zeichen werden verschiedene Entwicklungsstufen des Gedächtnisses herangezogen. Die Vorstellung selbst ist eine der drei Ebenen des theoretischen Geistes, die als „Mitte in dem Schlusse der Erhebung der Intelligenz“ (TWA 10, 263 [§455 A]) fungiert und sich zwischen Anschauung und Denken positioniert. Während die Anschauung sinnlich und unmittelbar auf individuelle Objekte ausgerichtet ist und das Denken sich begrifflich auf deren konkrete Allgemeinheit bezieht, nimmt die Vorstellung eine vermittelnde Rolle ein. Sie zieht sich aus dem Verhältnis zur Einzelheit der Gegenstände zurück und bezieht diese auf ein Allgemeines. Laut Hegel lässt sich der zeichenhafte Charakter der Sprache vor allem durch diese mediate Position der Vorstellung erhellen, da ein Zeichen – sei es in Form von Ton oder Schrift – einerseits eine sinnliche Anschauung darstellt, andererseits jedoch allgemeine Bedeutungen in sich trägt. Auf die vermittelnde Rolle der Sprache zwischen Anschauung und Denken weist zunächst Johann Georg Hamann in seiner scharfsinnigen Kritik gegen Kant, der Metakritik über den Purismum der Vernunft (1784). Im Kontext seiner Auseinandersetzung mit der Kantischen Transzendentalphilosophie, speziell mit der Theorie der zwei nichtreduzierbaren Erkenntnisstämme, unterstreicht Hamann die „genealo-

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gische Priorität der Sprache“. 2 Er hebt hervor, dass die Sprache sowohl Elemente der Sinnlichkeit als auch des Verstandes in sich vereint und dadurch eine verbindende Position zwischen den beiden einnimmt. Jedes Zeichen kann als eine sinnlich wahrnehmbare Anschauung betrachtet werden. Sobald es jedoch als Zeichen fungiert, tritt seine sinnliche Wahrnehmbarkeit hinter seiner Bedeutung zurück. Denn wie Hegel feststellt: „Die Anschauung, als unmittelbar zunächst ein Gegebenes und Räumliches, erhält, insofern sie zu einem Zeichen gebraucht wird, die wesentliche Bestimmung, nur als aufgehobene zu sein die Anschauung als unmittelbare erhält, insofern sie zu einem Zeichen gebraucht wird, die wesentliche Bestimmung, nur als aufgehobene zu sein.“ (TWA 10, 271 [Enz, §459]) Das Zeichen hat die Fähigkeit, seine äußere Erscheinungsform – sei es als Ton oder Schrift – „aufzuheben“ und auf eine andere, über die unmittelbare Sinnlichkeit hinausgehende Bedeutung zu verweisen. Diese Eigenschaft der Negation, oder besser der Idealisierung des Natürlichen, verdankt das Zeichen der Intelligenz. Sie extrahiert das Zeichen aus seiner bloßen sinnlichen Existenz und verleiht ihm ein übergeordnetes, geistiges Leben. Das Wesen des Zeichens offenbart sich in seiner einfachsten und primitivsten Form im Namen. Hegel bemerkt, dass der Name „das einfache Zeichen für die eigentliche, d.i. einfache, nicht in ihre Bestimmungen aufgelöste und aus ihnen zusammengesetzte Vorstellung“ (TWA 10, 275 [Enz, §459 A]) ist. Diese Einfachheit ergibt sich aus einer unmittelbaren Vorstellung, die mit dem Namen assoziiert ist. Nach Hegel erfolgt die Assoziation eines Namens mit einer Bedeutung in zwei Stufen und ist das Produkt der Intelligenz. Zunächst entsteht diese Verbindung als „eine einzelne vorübergehende Produktion“ (TWA 10, 277 [Enz, §460]), bei der die Intelligenz durch die Einbildungskraft ein Zeichen mit einer ihm fremden Bedeutung koppelt. Diese anfangs externe Verbindung wird anschließend durch das Gedächtnis internalisiert, wodurch das Zeichen eine allgemein anerkannte Bedeutung erhält. In den Worten Hegels:

2

Johann Georg Hamann, Metakritik über den Purismum der Vernunft, in: ders.: Schriften über Sprache / Mysterien / Vernunft (1772–1788) [Sämtliche Werke, Bd. 3], hrsg. v. J. Nadler, Wien 1951, 286.

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Jene Verknüpfung, die das Zeichen ist, zu dem Ihrigen machend, erhebt sie durch diese Erinnerung die einzelne Verknüpfung zu einer allgemeinen, d.i. bleibenden Verknüpfung, in welcher Name und Bedeutung objektiv für sie verbunden sind, und macht die Anschauung, welche der Name zunächst ist, zu einer Vorstellung, so daß der Inhalt, die Bedeutung, und das Zeichen identifiziert, eine Vorstellung sind und das Vorstellen in seiner Innerlichkeit konkret, der Inhalt als dessen Dasein ist; – das Namen behaltende Gedächtnis. (TWA 10, 277–8 [Enz, §461])

Das Resultat ist, dass Anschauung, Inhalt und Zeichen in einer konkreten inneren Vorstellung identifiziert und verschmolzen werden. Die Frage der Bedeutungszuschreibung in Zeichen ist nicht nur eine Frage der subjektiven Interpretation. Vielmehr muss jede individuelle, subjektiv gemachte Verknüpfung zwischen einem Zeichen und seiner Bedeutung zu einer allgemeingültigen erhoben werden. Das ist notwendig, um der Bedeutung objektive Gültigkeit zu verleihen. Erst durch wiederholte Anwendung und Objektivierung werden aus losen Verknüpfungen von Anschauungen und Bedeutungen eine kohärente Sprache. Hier kommt das Gedächtnis ins Spiel, das Hegel als die Funktion der Intelligenz betrachtet, die objektiv anerkannte Bedeutungen von Zeichen speichert und reproduziert. Wenn die erste Stufe der Bedeutungszuschreibung als subjektiv bezeichnet werden kann, erlangt sie in der zweiten Stufe durch das Gedächtnis Objektivität oder Intersubjektivität. Denn die Sprache „gibt den Empfindungen, Anschauungen, Vorstellungen ein zweites, höheres als ihr unmittelbares Dasein, überhaupt eine Existenz, die im Reiche des Vorstellens gilt“ (TWA 10, 271 [Enz, §459]). Dieses ‚höhere Dasein‘ des Zeichens ist nicht nur individuell, sondern besitzt intersubjektive Geltung innerhalb einer Zeichen- oder Sprachgemeinschaft. Die Sprache erlaubt somit dem Geist, sich aus den Fesseln der sinnlichanschaulichen Welt zu befreien. Sie führt in ein Reich, in dem sich der Geist durch die Idealisierung des Natürlichen frei zu sich selbst verhält. Dies markiert den Übergang zum Denken. Für Hegel nimmt die Sprache in der Psychologie eine spezielle, vermittelnde Rolle ein, die sich insbesondere zwischen der Anschauung und dem Denken entfaltet. Andere Aspekte – etwa die Bedeutung der Sprache für die Logik – bleiben in dieser Betrachtung allerdings marginal. Zu berücksichtigen ist hier, dass die Sprache aus einem spezifischen Blickwinkel heraus, nämlich in Bezug auf ihren Charakter als Zeichen

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bzw. ihre Funktion als Bezeichner, als Produkt der Intelligenz untersucht wird. Daher wird sie in diesem Kontext nicht in ihrem vollständigen Umfang behandelt. Doch hat Hegel tatsächlich den genauen Ort der Sprache im System des theoretischen Geistes festgelegt? Zur Beantwortung dieser Frage erweist sich folgende Anmerkung als ausschlaggebend: Gewöhnlich wird das Zeichen und die Sprache irgendwo als Anhang in der Psychologie oder auch in der Logik eingeschoben, ohne daß an ihre Notwendigkeit und Zusammenhang in dem Systeme der Tätigkeit der Intelligenz gedacht würde. Die wahrhafte Stelle des Zeichens ist die aufgezeigte, daß die Intelligenz, welche als anschauend die Form der Zeit und des Raums erzeugt, aber den sinnlichen Inhalt als aufnehmend und aus diesem Stoffe sich Vorstellungen bildend erscheint, nun ihren selbstständigen Vorstellungen ein bestimmtes Dasein aus sich gibt, den erfüllten Raum und Zeit, die Anschauung als die ihrige gebraucht, deren unmittelbaren und eigentümlichen Inhalt tilgt und ihr einen anderen Inhalt zur Bedeutung und Seele gibt. (TWA 10, 270 [Enz, §458A])

Hier wäre es jedoch nützlich, diese Ansicht kritisch zu betrachten, da die Rolle der Sprache im Gesamtkontext der Hegelschen Philosophie weitaus komplexer ist als häufig angenommen. Hegel scheint zunächst, der Sprache ihren festen Platz innerhalb der Psychologie zuweisen zu wollen. Bei genauerem Hinsehen zeigt sich jedoch die nuancierte und zurückhaltende Weise, wie er sich positioniert. Er spricht in erster Linie vom „Zeichen“, weniger von der Sprache als solcher. Theodor Bodammer weist treffend darauf hin, dass Hegel sich lediglich auf „die wahrhafte Stelle des Zeichens“ bezieht, während die Sprache deutlich mehr ist als nur ein System von Zeichen. 3 Hegel selbst hebt in einem nachfolgenden Paragraphen hervor: „Die Sprache kommt hier nur nach der eigentümlichen Bestimmtheit als das Produkt der Intelligenz, ihre Vorstellungen in einem äußerlichen Elemente zu manifestieren, in Betracht.“ (TWA 10, 271 [Enz, §459 A]) Er beschränkt sich also ausdrücklich auf einen bestimmten Aspekt der Sprache, ohne ihren vollen Umfang zu erfassen. In derselben Fußnote deutet Hegel zwei weitere Aspekte an: den materiellen (lexikalischen) und den formellen (grammatischen). „Wenn 3

Theodor Bodammer, Hegels Deutung der Sprache: Interpretationen zu Hegels Äußerungen über die Sprache, Hamburg 1969, 24ff.

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von der Sprache auf konkrete Weise gehandelt werden sollte, so wäre für das Material (das Lexikalische) derselben der anthropologische, näher der psychisch-physiologische (§401) Standpunkt zurückzurufen, für die Form (die Grammatik) der des Verstandes zu antizipieren.“ (TWA 10, 271 [Enz, §459A]) Diese mehrdimensionale Betrachtung spiegelt sich auch in anderen Teilen seines Werks wider; beispielsweise in der Phänomenologie des Geistes, wo die Sprache im Kapitel über die erste Erscheinungsform des Geistes eine zentrale Rolle spielt. Diese komplexen Überlegungen sind eine Einladung, die Rolle der Sprache in Hegels Philosophie unter diversen Gesichtspunkten zu betrachten. In verschiedenen Kontexten – etwa in seiner Philosophie der Intersubjektivität – nimmt die Sprache jeweils unterschiedliche, jedoch stets signifikante Funktionen ein.

II Man könnte Vittorio Hösle zustimmen, „daß die Hegelsche Philosophie innerhalb der neueren Philosophie eine entscheidende Zäsur darstellt.“ 4 Diese Zäsur manifestiert sich insbesondere in der Unterscheidung zwischen „neuzeitlicher“ und „zeitgenössischer“ Philosophie, die Hösle hauptsächlich auf die divergierenden Prinzipien von Subjektivität und Intersubjektivität zurückführt. In dieser Hinsicht kann Hegels System nicht nur als Kulmination, sondern auch als Transformation der vorhergehenden philosophischen Traditionen betrachtet werden. Diese Transformation eröffnet neue Sichtweisen, die den bisherigen Horizonten der Philosophie verschlossen blieben. Es ist daher nicht überraschend, dass in Hegels komplexem System eine Spannung existiert, die sich aus diesen dualen Anfangspunkten ergibt. Während die intersubjektive Dimension im Rahmen der Philosophie des Geistes — vor allem in den Bereichen des objektiven und des absoluten Geistes — eine zentrale Rolle spielt, stellt Hösle fest, dass eine theoretische Grundlage für die Intersubjektivität in der Wissenschaft der Logik fehlt. 5 Diese Spannung wird besonders deutlich im Kontext der Sprache, ein Feld, in dem sich

4

Vittorio Hösle, Hegels System: der Idealismus der Subjektivität und das Problem der Intersubjektivität, Hamburg 1998, 7.

5

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Hösle, Hegels System, bes. 7–11, 263–275.

die moderne Betonung der Intersubjektivität als besonders fruchtbar erweist. In der Hegelschen Philosophie ist die Dimension der Intersubjektivität, wenngleich subtil, zweifellos im Verständnis der Sprache eingebettet. Dies tritt jedoch in der Enzyklopädie in den Hintergrund, wo die Sprache primär hinsichtlich ihrer Bezeichnungsfunktion erläutert wird. Ein tieferer Einblick in Hegels Auffassung der Sprache als intersubjektives Phänomen ist in seinen früheren Schriften zu finden. Im Fragment 20 der Vorlesungsmanuskripte zur Philosophie der Natur und des Geistes (1803/04) betont Hegel die Bedeutung der Sprache als „Werk eines Volks“: Nur als Werk eines Volks ist die Sprache die ideale Existenz des Geistes, in welcher er sich ausspricht, was er seinem Wesen [nach] und in seinem Seyn ist; sie ist ein allgemeines an sich anerkanntes im Bewußtseyn aller auf dieselbe Weise widerhallendes; jedes sprechende Bewußtseyn wird unmittelbar darin zu einem andern Bewußtseyn. (GW 6, 318)

Diese Betonung der Intersubjektivität erfährt weitere Tiefendimensionen, wenn man sie im Kontext des umfassenden Themas über den Kampf um Anerkennung betrachtet, welches diese Manuskripte prägt (GW 6, 307–326). In der Berücksichtigung der Intersubjektivität der Sprache distanziert sich Hegel markant von der neuzeitlichen, subjektivistischen Sprachauffassung. Diese versteht Sprache primär als äußerliches Instrument, das dazu dient, bereits vollständig gebildete Gedanken nachträglich zu bezeichnen. Diese Sichtweise ist tief in der neuzeitlichen Bewusstseinsphilosophie verwurzelt, die dem logisch-ontologischen Primat des Bewusstseinsinhalts folgt. In dieser Perspektive gewinnt die allgemein in einer Sprachgemeinschaft anerkannte Bedeutung eines Wortes lediglich insofern Bedeutung, als sie sich den individuellen Gedanken des Subjekts angleicht, die als im Bewusstsein bereits existent angesehen und nur nachträglich durch Sprache manifestiert werden. John Locke, als exemplarischer Vertreter der neuzeitlichen, instrumentalistischen Sprachauffassung, legt den Fokus auf die individuelle Bedeutung der Wörter. Für ihn sind sie in erster Linie Werkzeuge, mit denen das Subjekt seine eigenen Ideen ausdrückt und kommuniziert. So schreibt er in An Essay Concerning Human Understanding (1690):

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Der Wert, den diese Kennzeichen für die Menschen besitzen, besteht entweder darin, daß sie sich ihre eigenen Gedanken zur Unterstützung ihres Gedächtnisses einprägen, oder daß sie ihre Ideen gleichsam zutage fördern und den Blicken anderer unterbreiten. Die Wörter vertreten also ihrer ursprünglichen oder unmittelbaren Bedeutung nach nur die Ideen im Geistes dessen, der sie benutzt; dabei ist es belanglos, wie unvollkommen oder sorglos auch immer diese Ideen den Dingen, die sie darstellen sollen, entnommen sein mögen. Wenn jemand zu einem andern spricht, so will er verstanden werden; die Absicht seiner Rede ist, daß bestimmte als Kennzeichen dienende Laute dem Hörer seine Ideen kundtun sollen. Demnach sind es die Ideen des Sprechenden, als deren Kennzeichen die Wörter dienen wollen. In dieser Eigenschaft kann sie niemand unmittelbar für etwas anderes verwenden als für seine eigenen Ideen. 6

Dies kontrastiert mit Hegels vermittelnder und intersubjektiver Sicht auf Sprache, die sie als kollektive geistige Leistung sieht. Während Locke die Worte als bloße Repräsentanten der Ideen des Sprechers betrachtet, versteht Hegel sie als Produkte einer kollektiven Intelligenz, die die Bedeutung und Interpretation von Begriffen über individuelle Absichten hinaus beeinflussen. In dieser Hinsicht könnte man argumentieren, dass Hegels Perspektive eine Antwort oder gar eine Überwindung der bei Locke vorgefundenen Beschränkungen darstellt. Für Hegel erwächst die Gültigkeit einer Sprache nicht aus der Willkür eines Einzelnen, sondern aus der intersubjektiven Anerkennung, die zwischen den Subjekten vermittelt ist. Obgleich ein Individuum ein Wort nach eigenem Ermessen mit einer beliebigen Bedeutung belegen könnte, erlangt diese Bedeutung erst Gültigkeit, wenn sie im kollektiven Gedächtnis der Sprachgemeinschaft verankert ist. Im Fragment 20 der oben genannten Vorlesungsmanuskripte, das die transformative Kraft der Sprache thematisiert, beschreibt Hegel die Bedeutung, die lediglich auf ein einzelnes Subjekt zurückgeht, als „stumme Bezeichnung“. Diese muss in einer gemeinschaftlichen Sprache aufgelöst und überwunden werden. Diese stumme Bezeichnung muß die Indifferenz des Bestehens der idealen Glieder absolut aufheben; die Bedeutung muß für sich seyn; entgegengesetzt dem, das bedeutet, und dem, für welches es die Bedeutung hat; das Zeichen als ein wirkliches ebenso unmittelbar verschwinden. Die Idee die6

John Locke, Versuch über den menschlichen Verstand, Nachdruck der Neubearbeitung der C. Wincklerschen Ausgabe (1911–13), Bd. 2, Hamburg 1988, 5f.

178

ser Existenz des Bewußtseyns ist das Gedächtniß, und seine Existenz selbst, die Sprache. (GW 6, 287)

Die Sprache vollzieht durch die Namensgebung eine Idealisierung der natürlichen Objekte und manifestiert gleichzeitig eine auf gegenseitiger Anerkennung basierende Herrschaft über die Welt. In dieser Welt werden natürliche Objekte durch sprachliche Kennzeichnung zum persönlichen Eigentum. „Der erste Act, wodurch Adam seine Herrschafft über die Thiere constituirt hat, ist, daß er ihnen Nahmen gab, d.h. sie als seyende vernichtete, und sie zu für sich ideellen machte.“ (GW 6, 288) Es lässt sich treffend kritisieren, dass die intersubjektiven Aspekte der Sprache — die sich in der zeitgenössischen Philosophie als zentral und fruchtbar herausgestellt haben — trotz Hegels sorgfältiger Betrachtungen in seinen Jenaer Systementwürfen in der endgültigen Fassung der Enzyklopädie vernachlässigt werden. Diese Vernachlässigung lässt sich einerseits dadurch erklären, dass die Sprache in der Enzyklopädie nur unter einem spezifischen Blickwinkel behandelt wird. Andererseits führt Hegel die logische Struktur der Sprache nicht primär auf die Basis der Intersubjektivität zurück, sondern verortet sie vielmehr in seiner Theorie der absoluten Subjektivität, die jedoch bereits die Intersubjektivität in sich aufnimmt. Zwar beinhaltet Hegels Sprachphilosophie manifest eine intersubjektive Dimension, die insbesondere die wechselseitige Anerkennung der Bedeutung von Zeichen betrifft. Doch diese intersubjektive Ebene steht nicht in direkter Beziehung zur logischen Struktur der Satzform. Hegel zufolge kann das Logische allein im Kontext seiner Theorie der absoluten Subjektivität verstanden werden, die sich letztendlich in einem holistischen Begriffssystem manifestiert. Gleichwohl legt Hegels Sprachphilosophie bereits einen bedeutsamen Grundstein für den Übergang zur zeitgenössischen Philosophie der Intersubjektivität. 7

7

Die Arbeit an diesem Aufsatz wurde durch eine Förderung des Research Grants Council in Hongkong unterstützt (Projektnummer: HSSPFS 34000122).

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Hao Chen Beyond Nature and Contract Hegel’s Property Theory based on “Personality”

Introduction An ideal property theory should not only be able to protect private property, so as to protect individual freedom but also be capable of taking into account the relative re-distribution of property among members of society, thus maintaining social equality. John Locke’s labor property theory effectively excludes the social infringement of private property by regarding the property as a person’s natural right, which is very conducive to the protection of individual freedom, but its exclusion of the inter-subjective dimension makes it difficult to execute the redistribution of property among different individuals, and response to the voices of social equality. In contrast, J.G. Fichte’s contractual property theory emphasizes the significance of mutual recognition between different individuals and takes “the possibility to survive on each person’s own labor” as the first principle of property contract. It is true that social equality can be effectively maintained within Fichte’s theory, but its advocating for over-adjustment and arbitrary redistribution of property makes the individual freedom based on private property unable to get its necessary protection. In response to the above difficulties, based on the conception of “personality” (Persönlichkeit), through regarding “self-determining ability” and “inter-subjective recognition” as two intrinsic constitutive elements of “personality”, Hegel’s property theory can protect private property on the one hand, via respecting each individual’s “personality and what ensues from personality,” namely, respecting each one’s relative exclusive private sphere determined by their autonomous personality, and regulate the distribution of property among different individuals on the other, with the help of each personality’s ability to recognize

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each other as communal beings. In sum, differing from Locke and Fichte, Hegel’s property theory based on “personality” could keep a better balance between “individual freedom” and “social equality”. We might say that beyond natural right and contractual right, it has opened up a third way for property theory. With this consideration, in part 1 of this paper, I present Locke and Fichte as two representatives of two different types of property theory, of which Locke tends to argue property as a natural right of man, while Fichte regards it as an acquired right through agreement and contract. In part 2, I introduce Hegel’s property theory based on the concept of “personality” as an alternative option, which could to some extent integrate Locke and Fichte together with its two components of selfdetermining ability (2.1) and intersubjective recognition (2.2).

1. Two Theories of Property Based on Nature and Contract Property (Eigentum) is a keyword in modern social and political theory. To a large extent, the attitude towards property constitutes the basis for dividing one academic school from another. In general, we could find at least two main schools concerning the concept of property in modern times. One of which tends to argue that property is an undeniable natural right of man, a right that a man has established before he enters society. The society is no more than a means to confirm and protect this right. Among others, John Locke and Robert Nozick can be regarded as the most typical advocators of this view. For example, according to Locke, each man naturally has his own person/body, so has the natural capacity of labor based on his person/ body. An individual’s claim for the ownership of an object is based on mixing his labor into it. Labor thus is the keyword of the Lockean argument for property, and there is no need to take the compact or others into consideration. Just as Locke says in Chapter VI of Second Treatise of Government, I shall endeavor to shew how men might come to have a property in several parts of that which God gave to mankind in common, and that without any express compact of all the commoners. 1

1

182

John Locke, Second Treaties of Government, Indianapolis/ Cambridge 1980, 18.

Every man has a property in his own person: this nobody has any right to but himself. The labors of his body, and the work of his hands, we may say, are properly his. 2 Whatsoever then he removes out of the state that nature hath provided, and left it in, he hath mixed his labor with, and joined to it something that is his own, and thereby makes it his property. 3

In contrast to Locke and Nozick, another school denies property as a man’s innate natural right, and tends to regard it as an acquired or positive right only through agreement and contract. According to this view, a natural man has no property. He can only get his property by signing a contract with others and entering society. Kant and Fichte generally tend to hold this position. As we know, in his Foundations of Natural Right, Fichte points out, It is possible to talk about rights only under the condition that a person is thought of as a person, that is, as an individual, and thus as standing in relation to other individuals; only under the condition that there is a community between this person and others. 4 There is no condition in which original rights exist; and no original rights of human beings. The human being has actual rights only in community with others. 5

2

Locke, Second Treatises, 19.

3

Locke, Second Treatises, 19.

4

J.G. Fichte, Foundations of Natural Right, Frederick Neuhouser (eds.), Michael Bauer (trans.), Cambridge 2000, 101.

5

Fichte, Foundations, 102. It is controversial about whether Fichte regards property as a natural right. This paper argues that Fichte does not treat property rights in the sense of natural rights for three reasons: (1) Although Fichte constructs an original right to property, he repeatedly says that this right is only a theoretical hypothesis, which does not exist in reality; (2) Fichte several times clearly states that only with the contract, in the community, can the so-called property exist; (3) even if the existence of original rights is recognized, it is meaningless, since this is an absolute right, which Fichte defines as “the absolute right of the person to be only a cause in the sensible world (and purely and simply never something cased)” (Fichte, Foundations, 103), in this sense the person “has the right to take possession of the entire sensible world. His right is actually infinite (if original right can be an actual right at all), for the condition under which such a right would have to be limited is absent” (Fichte, Foundations, 111), based on this right we cannot unable to conceive a so-

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All property rights are ground in the contract of all with all, which states: ‘We are all entitled to keep this, on the condition that we let you have what is yours.’ 6

In theory, the concept of property involves the relationship between a person and a thing (“Person” und Sache) on the one hand, and the relationship between different persons on the other. Thus, a successful theory of property should not only be able to justify the possession of a person to a thing, that is, to justify the exclusive ownership of a person to a thing, but also deal with the relationship between different persons, that is, to avoid the potential conflict on property among different persons. By focusing on a person’s capacity to mix his labor with a thing, and regarding the process of labor as the process of embodying the person’s purpose into the thing, Locke's natural (labor) property theory is supposed to be able to justify the exclusive possession of “person” to a thing, thus be capable of protecting the individual freedom. However, only appealing to the concept of labor, Lock cannot deal with the potential conflicts between different individuals concerning property. 7 By contrast, due to taking mutual recognition among different persons as its fundamental principle and its solution to the potential conflicts among peoples, Fichte’s property theory of contract seems to have succeeded in bringing the intersubjective relationships into consideration and avoiding the potential conflict among different persons. But Fichciety. In other words, the reason why Fichte conceives the original right as infinite is to introduce the necessity of contracts and communities for the establishment of property rights. A detailed discussion concerning this aspect of Fichte can be found in Wayne Martin, “Fichte’s Transcendental Deduction of Private Property,” in Fichte’s Foundations of Natural Right: A Critical Guide, Gabriel Gottlieb (ed.), Cambridge 2016, 157–176. David James, Fichte’s Social and Political Philosophy, Cambridge 2011, 21–55. 6

Fichte, Foundations, 185.

7

Although fairly speaking, we cannot assert that Locke completely ignores the intersubjective relationship involved in the property theory. For example, he proposes the famous principle that “don’t waste any resources and leave enough good resources for others.” I should note that this principle is only an external complement to Lockean labor property theory. It is neither a direct deducing from its labor principle nor a fundamental revising of his property theory which takes the subjectobject relationship as its core.

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te’s resolution downplays the significance of a relatively exclusive private sphere for each person.

2. Hegel and Property Based on Personality According to Hegel, it is the concept of “Personality” (Persönlichkeit), rather than Locke’s “labor” or Fichte’s “contract” can guard the individual freedom by justifying the individual’s relative excluding ownership of the object on the one hand, since “personality” is capable of executing self-determining (2.1), and give consideration to social equality via claiming the redistribution of property among social members on the other, because “personality” can take intersubjective recognition as its constitutive element (2.2).

2.1 Personality and Self-Determining Generally speaking, we could say that Hegel considers “Person’s” capacity of being free, being self-determining, or being autonomous as the foundation of his property theory. Hegel asserts “a thing [Sache]” is “something unfree, impersonal, and without rights” (PR, 73). By contrast, “person” 8 is “infinite, universal, and free” (PR, 67–68). Therefore, “a person has the right to place his will in any thing [Sache]” (PR, 75). This is “the absolute right of appropriation which human beings have over all things [Sachen]” (PR, 75). Specifically, according to Hegel, the concept of “person” represents the first dialectical moment of his Philosophy of Right. 9 “Person” con8

A good discussion on the Hegelian concept of “person”, see Michael Quante, “‘Die Persönlichkeit des Willens’ als Prinzip des abstrakten Rechts,” in Ludwig Siep (ed.), G.W.F. Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, Berlin 2017, 43–60.

9

For a long time the significance of “Abstract Right” theory in Hegel’s Philosophy of Right has been overlooked, since we tend to regard this book as a complete theoretical system, and refuse to analyze or explain the chapter of abstract right on condition that other chapters do not also be taken into consideration meanwhile. With this consideration in mind we simply see abstract right as the starting point of the whole system, and used to focus on its shortcomings and deficiencies, for example, if the whole Philosophy of Right could be regarded as the process of the unfolding and development of the concept of freedom and right, we would say, at the stage of

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sists of two components or moments — “Personality” and “Particularity”. The moment of “Personality” refers to the universality of the will, the infiniteness of person, that is, the person’s ability to be free, selfdetermining and autonomous in virtue of abstracting from all given determinations, to keep the self-awareness and self-identity of the will in its singularity (Einzelheit) (PR, 67). In contrast to “personality”, the moment of “Particularity” means a person’s finiteness and contingency, for within the stage of “abstract right”, the person has not yet got rid of his natural contents and given determinations, and is “completely determined in all respects (in my inner arbitrary will, drive, and desire, as well as in relation to my immediate external existence [Dasein])” (PR, 67–68). In this sense, “person” is not able to be selfdetermining, and thus is not free. According to Hegel’s account, the moment of “particularity”, in terms of its particular contents and given determinations, can be further subdivided into two levels, one of which concerns purely external factors, such as height, weight, birth background, social environment, political status and religious beliefs of “person”, which for the person are purely natural given factors, not the results of people’s freely cho-

“Abstract Right”, we could only see this concept in its potential condition or abstract state, which has not yet actualize and develop itself. Only in its following stages, such as the stages of “Morality” and “Ethical Life”, can this concept receive its necessary content and achieve its real unfolding and development. In short, the significance of abstract right relies only on its function for the following development. Moreover, because it is simply the starting point of the whole system, abstract right is bound to be transcended. However, it is in the very chapter of Abstract Right, Hegel presents us with one of his essential concepts of the whole system of right, namely, the concept of “Person”, and equates it with “free will”. Before pointing out the deficiencies of “person” in comparison with the subject of morality, Bürger of civil society and Staatsbürger of the state, we should not forget that as the starting point, “Person” is not something which could be simply abandoned. Rather, if the Philosophy of Right could be seen as a developing system, “Person” should and will be kept (or in Hegel’s words, be sublated) in the following stages. In other words, the starting point constitutes the essence of the whole system, it has not yet actualized itself, but it has contained the essential element which could and will be enriched, developed and actualized in the following stages. In this sense, the significance of abstract right should not be downplayed. As the starting point of the whole system, abstract right deserves our more attention.

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sen. Therefore, for the Hegelian concept of “person”, these factors just constitute determinations and restrictions. In contrast to external factors, the other level of a person’s moment of particularity refers to one’s internal determinations, such as people’s “desire, need, drives, contingent preference, etc.” (PR, 69). In Hegel's view, these internal factors, although as the inner attributes of a “person”, still appear as restrictions on the moment of “personality”, since they are only given factors rather than the results of free choice. The natural person, “who is determined only by his urges, is not at home with himself. However self-willed he may be, the content of his willing and believing is still not his own and his freedom is merely a formal one.” 10 Due to the restrictions of internal and external factors, for Hegel, the moment of particularity of a person is unable to execute a true selfdetermining action, unable to embody her own freedom in the object, and thus cannot rely on her own freedom to justify her appropriation of the object. According to Hegel, although Locke has correctly anticipated the importance of the relationship between “person” and external objects for justifying property, Fichte has successfully noticed that true property cannot be truly established unless potential conflicts between different individuals are considered, both Locke and Fichte fail to distinguish “personality”—the universal and infinite moment of the person from “particularity”—the finite and contingent moment of the person, and mistake the moment of “personality” for “particularity”, thus mistakenly treat the moment of “particularity” as the basis of their property theories. Locke’s labor property theory relies on one certain particular capacity of “person”, 11 while Fichte’s contract property is based on 10

G.W.F. Hegel, Encyclopedia of the Philosophical Sciences in Basic Outline Part I: Science of Logic, Klaus Brinkmann and Daniel O. Dahlstorm (eds.), Cambridge 2010, 60.

11

At first glance, since Locke treats labor as a special capacity of “person”, to some extent taking labor as the foundation of property amounts to taking “person” as its foundation, and as noted, the person’s primary feature is to be autonomous, to be self-determining, we may argue that Locke’s justification of property via labor means Hegel’s justification via the person’s capacity of self-determining. But in fact, this is just an illusion. The reason is that Locke has overlooked the difference between the moment of “personality” and the moment of “particularity”. The capacity of labor to which Locke resorts, in Hegel’s eyes, is only the moment of “particularity”, which means that as a capacity, labor is only the particular element of a

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common will among different peoples, which for Hegel, is still particular will, not universal will. In this sense, Hegel would assert that Locke’s and Fichte’s attempts at justifying are doomed to fail. Fortunately, the moment of particularity is only one aspect of Hegel’s discussion of the concept of “person”. In addition to particularity, “person” has another universal component, that is, the moment of “personality”. According to Hegel, unlike the moment of “particularity”, the moment of “personality” is something “infinite, universal, free” (PR, 67–68), which is “the will’s self-conscious and simple reference to itself ”, “knowledge of the self as an object [Gegenstand]”, and the “pure thought and knowledge of themselves” (PR, 68). In other words, due to its implication of universality, the moment of “personality” can not only abstract from all external determinations, realize pure thinking about one’s own identity, but also be a pure personality that can make selfdetermining according to its own content and purpose. In a word, the moment of “personality” is freedom, thus being able to justify the person’s appropriation of the unfree object. Specifically, for Hegel, the moment of “personality” first has a relatively negative ability: it can abstract from the moment of particularity (all given determinations, no matter external or internal) and keep itself from being affected by them. “The particularity of the will is indeed a moment within the entire consciousness of the will, but it is not contained in the abstract personality as such” (PR, 69). In response to external given determinations, Hegel points out, “a person counts as such because he is a person, not because he is Jewish, Catholic, Christian, German, Italian, etc.” (PR, 204). Against internal given determinations, Hegel asserts that “although it is present—as desire, need, drives, contingent preference, etc.—it is still different from personality, from the determination of freedom” (PR, 69). In other words, Hegel believes that the moment of “personality” has the capacity to suspend the influence and restriction of particular determinations by abstracting from person. It cannot determine itself. So according to Hegel, Locke’s concept of labor cannot truly justify the appropriation of the person to a thing. Besides, Locke’s theory of property faces another difficulty, that is, it only discusses the relationship between “person” and a thing, but fails to deal with the relationship among different persons concerning property. In this regard, Locke’s attempt to prove property via labor is unsuccessful. For a similar judgement of Lockean property theory, see Jeremy Waldron, The Right to Private Property, Oxford 1988, 137–252.

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them and to realize self-identity and pure self-reference. As Hegel himself says, the moment of my “personality” is “able to free myself from everything, to renounce all ends, and to abstract from everything” (PR, 38), even one’s own “character, temperament, knowledge and age” (PR, 35). “As this person, I know that I am free in myself and can abstract from everything, because nothing exists in front of me except pure personality” (PR, 68). In addition to being able to abstract from all determinations or particularity and maintain an abstract state of self-reflection, the moment of “personality” has another relatively positive function, that is, it has the capacity to execute determining action. After having abstracted from every given determination, being with itself, the personality can strive to set and determine everything in itself again. (PR, 36–37) As has been noted, it is this self-determining ability of “personality” that constitutes the core of Hegel's justification for property, since a thing is unfree, unable to be self-determining, can “thereby become mine and acquires my will as its substantial end, its determination, and its soul” (PR, 75). In contrast, “personality” is freedom, and is able to justify its appropriation of the unfree object. It is worth noting that for Hegel, the main point of property is not the satisfaction of human needs, but the objective existence (Dasein) of “personality”, that is, people’s internal personality could transcend its merely subjective existence, gain the chance to exist in external objects via appropriating them. To be able to embody itself in objects, “personality” must have the self-determining ability, the ability to be free. Only through self-determining action, can the personality embody itself, such as its subjective purpose, etc., into objects, and therefore achieve an exclusive possession of the external objects.

2.2 Personality and Inter-Subjective Recognition As mentioned above, concerning the conception of property, a successful theory should be able to deal with two different types of relationships at the same time. One is the relationship between a person and an object, the other is the relationship between different persons. The very reason why the moment of “personality” is crucial for Hegelian property theory is that it is not only able to justify a person’s appropriation of

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objects via its self-determining ability, but also able to regulate the potential balance among different persons through its inherent intersubjective elements. In short, besides the capacity of self-determining, the other constitutive element of “personality” is its capacity to promote intersubjective recognition among different persons. Considering Hegel’s discussion in “Abstract Right”, we seem to have reason to generalize the intersubjective element of the moment of “personality” into the following two points: First, for Hegel, the moment of personality with its intersubjective element could claim a “normative” prescription. When Fichte conceives his property theory, he clearly underlines the importance of dealing with intersubjective relations, and asserts that property can be truly justified only by mutual recognition between different persons. This is undoubtedly correct, since without mutual recognition, no property will be respected as a true legal right. The problem is that Fichte considers that like a tower built on quicksand, direct mutual recognition would be fragile and unreliable, if different persons do not sign property contracts and do not enter countries or communities based on compulsory legal laws. This is because Fichte believes that outside the state or the community, the effectiveness of mutual recognition can only be dependent on people’s mutual trust and mutual loyalty, which according to Fichte are as unreliable as Kantian good will. Therefore, fundamentally speaking, at least in terms of Fichte’s legal doctrine, it is positive legal laws, not intersubjective recognition which could really regulate the potential conflicts among different property owners, since for Fichte the element of intersubjective recognition cannot constitute a normative, valid binding for different persons. However, for Hegel, the moment of “personality” inherently contains a “normative” binding due to taking intersubjective recognition as its constitutive element. Just as Hegel says, “Personality contains in general the capacity for right [...]. The commandment of right is therefore: be a person and respect others as persons” (PR, 69). Different persons “know that they are directly the same and recognize each other as persons.” 12 What Hegel refers here to is obviously the moment of “personality”, and Hegel believes that when an individual is conscious 12

G.W.F. Hegel, Vorlesungen über Naturrecht und Staatswissenschaft, Heidelberg 1817/18, Hamburg 1983, 59.

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of his or her universal personality, that is, his or her self-determining ability, the individual is simultaneously conscious of the normative requirement requested by the universal personalities, that is, individuals should recognize themselves as universal personality while acknowledging that others are the same universal personalities as themselves. The significance of this for Hegel’s property theory is that individuals have the right to possess property because they realize their universal personalities, but they must simultaneously recognize and respect the same rights of other persons, because others are also personalities. In this regard, we could say that the recognition of property among different persons is justified by the introduction of mutual recognition between different persons, but this introduction of mutual recognition does not necessarily imply the introduction of a property contract in the sense of Fichte which is guaranteed by an external state. Second, Hegel treats intersubjective normative binding as an inherent constitutive element of the moment of personality. Still using Fichte’s conceiving of inter-subjectivity as a reference. As noted, Fichte believes that mutual recognition and respect for property among different persons can be only effective under the guarantee of civil contracts and compulsory laws, without which mutual recognition could not be possible. Since according to Fichte, the motivation promotes different persons to recognize each other is not out of their consciousness of and respect for each other’s capacity of self-determining, freedom, but only out of their instrumental considerations to maximize their own selfinterests. As Fichte points out, “everyone determines to do or not to do something for others, just for the sake of doing or not doing something for themselves, no one is really acting for others, but for themselves, even if they act for others, It is just because if you don’t act for others, you cannot act for yourself ” (GA 2, 519). In other words, Fichte believes that the deterrent effect of compulsory laws can force each person to realize that his complete self-interest orientating actions could only bring the opposite side of self-interest, thus effectively restraining his desire to infringe on the property of others. 13

13

Because Fichte is famous for his discussion of the concept of inter-subjectivity, and many scholars believe that Hegel’s theory of recognition inherits directly from Fichte, it is necessary to add some words to the special role of the concept of intersubjectivity in Fichte's legal theory. In general, this paper agrees with Neuhouser’s

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Like Fichte, Hegel at times seems to interpret the right of persons also as a “ban” guaranteed by positive laws, for example, he indicates that the negative aspect of abstract right requires each person “not to violate personality and what ensues from personality” (PR, 70). However, for Hegel the basis for such a ban is not an external coercion, but an inherent respect for rights. In other words, unlike Fichte, Hegel believes that for the moment of “personality”, the intersubjective element is not a result brought about by the external contract or coercion, but a constitutive element inherent in the universal personality. According to this intrinsic inter-subjective element, the self-determining action individual executes to appropriate objects is not an arbitrary “deed” of isolated person, but a rational “action” 14 of communal being, which has judgment that in Foundations of Natural Right, Fichte also mentions intersubjective recognition, but the concrete perspective is different from what he adopts in Doctrine of Knowledge, where Fichte posits mutual recognition as the foundation of self-consciousness. In contrast, in the Foundations of Natural Right Fichte only takes mutual recognition as a regulative state reached by consent and contract. In other words, although Fichte sets a strict inter-subjective interpretation framework when discussing the conditions of self-consciousness, he seems to give up this interpretation framework when discussing the basis of rights, the concept of person. By Foundations of Natural Right, the constitutive intersubjective factor presented in Doctrine of Knowledge is reduced to some kind of external regulative mutual recognition. See Frederick Neuhouser, “Introduction”, in Fichte’s Foundations of Natural Right, Cambridge 2000, xxxvi. 14

I borrowed the distinguishing of “deed” and “action” from Michael Quante. Generally, I agree with Quante, but there are some differences between us that should be noted. For Quante, if an “act”(Tun) is described from the perspective of legality, namely just portraying what externally happening, without taking the agent’s inner intention or disposition into consideration, then the act could be called a “deed”, and the agent could be considered as ‘Person’, a rights-bearing person. In contrast, if an act “is described from the perspective of the agent himself, then it is an ‘action’ (Handlung) and the agent is considered a ‘subject.’ This description conceives of the agent as a moral person, and describes the event as the result of his choice and of his particular perspective.” In other words, whether the agent’s choice of intention is taken into account or not, is the key potion to distinguish “person-deed” from “subject-action”. Further, for Quante, only as “subject” can the agent determines itself to will the universal will, can be called having “subjective freedom”, and can be autonomous in the Kantian sense, while as “person” the freedom of the agent is merely abstract freedom, negative freedom, which could not be self-determining.

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already taken into account the implication that one's own actions may have on others. Moreover, different from Fichte, for Hegel this is not simply a contractual and utilitarian consideration based on the maximization of one’s interests, but a rational consideration based on the respect for personality of others. In other words, according to Hegel’s concept of “personality”, for me the dimension of others is not an alien element based on the consent or contract, but is a constitutive factor inherently contained in the concept. Only by this understanding can Hegel claim that to be a person also means an obligation: “my right to a thing is not merely possession, but as possession by a person it is property, lawful possession, and it is a duty to possess things as property, i.e. to be a person.” 15 The reason is that it is not just any person can serve as the basis for property, but only the person who is conscious of her own personality and respects others’ personality, who can execute selfdetermining action and inherently contain inter-subjective element can do this. In sum, through conceiving two constitutive elements for the moment of “personality” of “person”, Hegel has succeeded in not only justifying each individual’s relative exclusive private property via the personality’s capacity to execute self-determining action on the one hand, but also taking into account the regulation of property distribution and justice of social equality with the aid of universal personality’s inherent mutual recognition on the other. In this sense, concerning However, for me, the concept of “self-determining” could be considered in two different senses, of which one means the agent’s capacity of being autonomous, following the universal laws which he posited for himself, this is self-determining in the narrow sense, in the Kantian sense; the other refers to the agent’s ability of being spontaneous, not determined by the external given determinations. In this wide sense, when the agent acts, the particular will also play a role, although compared to the case of autonomy, it functions in a relatively negative way, for example, choosing to violate or not violate the law laid by the universal will. However, we may not say that particular will has been completely excluded from the case of “deed”. In such a sense, the person’s freedom of choice could also be accepted as one type of selfdetermining action. An example of this self-determining in the wide sense could be found in Hegel’s discussion of Hellenic “Ethical Action” in Phenomenology. See Michael Quante, Hegel’s Concept of Action, Cambridge 2004, 16, 35. 15

G.W.F. Hegel, Hegel’s Philosophy of Mind, trans. William Wallace, revised with an Introduction by M.J. Inwood, Oxford 2007, 218.

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property theory the dilemma set by Locke and Fichte has been resolved by Hegel.

3. Beyond Nature and Contract The balance and tension between freedom and equality is the first catalyst for the evolution of Western social and political theory in modern times. The tug-of-war between the labor property and the contract property is located at the center of this evolutionary picture, and can specifically reflect the growth and decline of the relative strength of the two sides. The appeal of labor property theory to natural rights and its strict resistance to arbitrary redistribution have indeed helped to maintain the spiritual light of modern society — individual freedom, and constructed a modern spiritual map that is different from classical ancient times in Western society. However, when facing many problems and various difficulties caused by the serious differentiation of property, labor property seems to gradually deviate from its original intention of maintaining individual freedom, and become a conservative voice to defend the status quo. At this time, the call for redistribution based on the contractual property theory will be increasingly high. To achieve social equality, some people will even appeal for a radical revolution. Although labor property theory has its problems, its basic principle of protecting individual freedom is not outdated. If a reasonable redistribution could be deduced from labor property theory, it may not be conservative. Similarly, contractual property theory has its radical point, but its concern for social equality is not radical. The problem is its insistence on an external redistribution project, which may invade the boundaries of individual freedom. Therefore, if individual freedom could be incorporated into contractual property theory, it could become more acceptable and flexible. It may be based on this consideration that Hegel not only regards the self-determining ability as the core feature of the universal personality, so as to justify the relative exclusive individual possession of things, but also integrates inter-subjective recognition as the personality’s constitutive element, thus letting the redistribution option always keep open. In a word, by trying to keep a balance between individual freedom and social equality, Hegel’s property theory based on the concept of “personality” still deserves our attention.

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KiHo Nahm Das teleologische Verhältnis zwischen Natur und Leben in Hegels Philosophie der Religion

1. Hegels Philosophie der Religion Anders als in seinen anderen Werken, befasst sich Hegel in der Religionsphilosophie direkt mit dem Verhältnis zwischen Natur und Leben. Hier tritt das Leben weder als Idee auf, wie in der Wissenschaft der Logik, noch allein in der Gestalt des Lebendigen ohne Geist, wie in Hegels Naturphilosophie. Zudem betrachtet Hegel das Leben hier nicht, wie auch in seiner Frankfurter Zeit, noch als ein objektives Prinzip der Vereinigung betrachtet, das zusammen mit dem subjektiven Prinzip der Liebe die menschliche Gemeinschaft ausbildet. Die Religionsphilosophie bei Hegel ist sogar, wie die Geschichts- und Kunstphilosophie, als ein solcher Teil des Systems seiner Philosophie anzusehen, den er erst sehr viel später vollendet hat. Die Konzeption der Volksreligion oder die Kritik an der Positivität der christlichen Region in Hegels Theologischen Jugendschriften, wie sie im Jahr 1907 von Hermann Nohl betitelten wurden, wirkt nicht wie ein theologischer oder religionsphilosophischer Ansatz, sondern eher wie, das, was heute als Sozialphilosophie oder politische Philosophie bezeichnet wird, weil der junge Hegel damit eben eine eigene Modernisierung des Deutschlands sucht, indem er die Idee der französischen Revolution auf die Tradition der deutschen Reformation aufpfropft. Die Religion, die in der Phänomenologie des Geistes (1807) zuerst in einem eigenständigen Kapitel dargestellt wird, wird lediglich als eine letzte Stufe in Betracht gezogen, die der sich selbst gewisse Geist durchlaufen muss, um den Standpunkt der Wissenschaft, d.i. des absoluten Wissens, zu erreichen. Die Religion selbst taucht bei Hegel als ein wichtiger Gegenstand der philosophischen Untersuchung zwar bereits in der ersten Enzyklopädie (1817) auf, aber intensive Aufmerksamkeit als Stufe des absoluten

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Geistes erhält sie erst in seiner Vorlesung über die Religionsphilosophie, die er 1821 plötzlich zuerst hält. 1 Danach hält er insgesamt drei weitere Vorlesungen über dieses Thema, und zwar 1824, 1827 und 1831, und fügt 1829 eine Vorlesung über den Beweis des Daseins Gottes hinzu. Das Problem liegt aber darin, dass er in diesen Vorlesungen sehr unterschiedliche Inhalte seiner Religionsphilosophie vermittelt. Das heute einzige erhaltene, handschriftliche Manuskript Hegels bezüglich des Kollegs von 1821 ist inhaltlich am unreifsten. Der Text über den Gottesbeweis von 1829, der nur mittelbar überliefert ist, jedoch höchstwahrscheinlich von Hegel selbst verfasst wurde, geht weder auf den teleologischen noch auf den ontologischen Beweis ein. Glücklicherweise sind jedoch insgesamt 11 Nachschriften von Schülern in Bezug auf die Kollegien von 1824, 1827 und 1831 erhalten geblieben, die in den 1980er Jahren von Walter Jaeschke nach Jahrgängen getrennt rekonstruiert und herausgegeben wurden. Im Jahr 1832 vermengte dagegen Philip Marheineke mehrere derartige Nachschriften auf eine solche Weise, dass daraus ein eigenständiger Text von Hegels Vorlesungen über Religionsphilosophie entstand, und deswegen ließ sich endlich die Entwicklungsgeschichte der Hegelschen Religionsphilosophie überhaupt nicht aufspüren. Mit der zweiten Auflage von Bruno Bauer 1832 und der von Georg Lasson in den späten 1920er Jahren verhielt es sich nicht anders. 2 Seit kurzem wird allerdings jede einzelne Nachschrift jeweils separat veröffentlicht. Aber hierbei kann diese Ausgabe, die noch nicht vollendet war, nicht zugrunde gelegt werden, sondern die von Jaeschke. Demzufolge wird das teleologische Verhältnis zwischen Natur und Leben vor allem im Zusammenhang mit dem teleologischen bzw. physikotheologischen Gottesbeweis ausgeführt. Hier kann die Natur unlebendig oder lebendig sein, und das Lebendige als Träger des Lebens ungeistig oder geistig. Hegel zufolge ist das Leben jedoch nicht auf diese Seienden beschränkt. Gehen wir nun auf die verschiedenen Aspekte einzeln ein.

1

Pöggeler zufolge wurde er dazu vor allem durch den „Kampf um die dogmatische Ausrichtung der erstrebten Union der protestantischen Kirchen“ veranlasst. Otto Pöggeler, „Nachschriften von Hegels Vorlesungen“, in: Hegel Studien, Bd. 26, 1991, 154. Siehe auch Walter Jaeschke, Hegel-Handbuch, Stuttgart/Weimar, 2016, 451.

2

Walter Jaeschke, Vorwort des Herausgebers zu Hegels Vorlesungen über die Philosophie der Religion Teil 1, Vorl. 3, XXX–LVII.

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2. Zweckmäßigkeit des Verstandes Der Wind weht. Blätter fallen. Aber der Wind wehte weder, damit die Blätter fallen, noch ist das Fallen in der Wesensbestimmung des Windes enthalten. Hier treffen lediglich zwei gleichgültig vorhandene Naturdinge zufällig aufeinander und treten als Beziehung von Ursache und Wirkung auf. Diese Beziehung kann daher überhaupt keine Zweckbeziehung sein. Der Zweck besagt erstens, dass sich die Bestimmung der Wirkung auf die gesamte Beziehung von der Ursache bis zu deren letzter Wirkung auswirkt. Auf etwas zu zielen bedeutet, dass die schon im Anfang gesetzte Bestimmung der Wirkung die ganze Bewegung bis zu deren realer Hervorbringung steuert. D.h., der Zweck „erhält sich“ im ganzen Prozess und „bewirkt nur sich selbst“ (Vorl. 4, 304; Enz (1827), GW 19, §204). Damit lässt sich zweitens mit Ausnahme der hervorgebrachten Wirkung alles, wie der Anfang der Bewegung, die Bewegung selbst, deren Elemente, u.a., als Mittel zum Zweck ansehen. Der Zweck benötigt immer Mittel und durchdringt seinerseits die Mittel. 3 Seit jeher wurde es versucht, das Dasein Gottes unter Berufung auf die Zweckbeziehung zu beweisen. Nach dem Manuskript zur Religionsphilosophie von 1821 lautet die Formel wie folgt: „Zweckmäßige Einrichtungen in der Natur ist Factum.“ Aber dieses Faktum bzw. die so eingerichtete Natur „kommt diesen Dingen selbst zu“. Also gibt es „ein Anderes“ als die Natur. (Vorl. 4, 109. GW 17, 177) Laut dem Kolleg über Religionsphilosophie vom 1824 gilt dieser Beweis als ein typischer „verständiger Schluss“. Zuerst besagt die Voraussetzung des Beweises lediglich eine solche Tatsache, die durch „Beobachtungen“ oder „Wahrnehmungen“ der Erscheinungen „nur überhaupt“ bestätigt werden kann. (Vorl. 4, 319) Es gibt zwei Arten von der in der Natur beobachtbaren Zweckbeziehungen, deren eine die Zwecktätigkeit des Menschen und deren andere die Lebenstätigkeit des Lebendigen überhaupt ist. (Vorl. 4, 306f.) Die Ansicht, dass die zweckmäßigen Einrichtungen in der Natur der menschlichen Zweckhandlung dienen, ist in Wahrheit als anthropozentrische Weltanschauung zu betrachten. Diese Weltanschauung übersieht jedoch zwei Aspekte. Erstens beachtet sie nicht, dass der vom endlichen Menschen gesetzte Zweck selbst ebenfalls „endlich“ ist, und damit auch die Realisierung des Zwecks. Endlich zu sein heißt, ein Ende 3

Siehe: Vorl. 4, 306f.

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zu haben, und ein endlicher Zweck impliziert, dass der Zweck am Ende seiner Realisierung in ein Mittel oder ein zufälliges Seiendes umschlägt und dann nicht mehr als Zweck besteht. Und sogar die Annahme, die ganze Natur sei für den Menschen als endlichen Zweck eingerichtet, bedeutet nichts anderes, als dass die Naturdinge für mannigfaltige Tätigkeiten des Menschen zur Zweckrealisierung eingerichtet worden sind. Wenn man sich die niedrige oder kleinliche Zweckhandlung des Menschen vor Augen führt, tritt sogleich die Unsinnigkeit dieser Weltanschauung zutage. Nach dieser Weltanschauung würde z.B. das Schwein vom Gott nur zu dem Zweck geschaffen, den menschlichen Hunger zu stillen, oder der Korkbaum nur dazu, Wein frisch zu halten. In der Vorlesung von 1827 übt Hegel mit der Anführung einer Xenie von Goethe Kritik an dieser Weltanschauung aus, weil sie Gottes „unwürdig“ ist. 4 Zweitens bleiben dieser Sichtweise zufolge Zweck und Mittel immer in einer äußeren Beziehung miteinander verbunden. Ich möchte beispielsweise einen Stuhl bauen. Der Zweck als Stuhl wird dann während des ganzen Herstellungsprozesses als „ein Selbständiges“ beibehalten und durchgesetzt. Hingegen wird eine zu diesem Zweck gefällte und zurechtgesägte Eiche durchgängig als ein „unselbständiges“ Holz betrachtet. Die Eiche ist jedoch nicht zu diesem Zweck gewachsen, zu einem Stuhl zu werden. Dieser Zweck ist von mir „von außen“ in den Baum „eingebildet“ worden. Somit ist der Zweck mit dem Mittel immer äußerlich verbunden. Umgekehrt heißt dies, dass der selbständige Zweck stets „die unselbständige Objektivität“ außerhalb seiner selbst zum Mittel der Verwirklichung hat. Außerdem ist dieses Mittel sogar willkürlich, weil z. B. statt des Baums auch ein zufällig vorgefundener Stein benutzt werden kann, um darauf zu sitzen. Der Gedanke, dass die Natur im Ganzen lediglich als das unselbständige und willkürliche Mittel für den selbstständigen Zweck des Menschen geschaffen sei, zeigt überhaupt keine Zweckmäßigkeit in der Natur selbst, sondern nur vielfältige Spielzeuge für das menschliche Spiel. In dieser Beziehung, die Hegel „äußerliche“ oder „äußere Zweckmäßig-

4

Vorl. 3, 319f. auch 413. Goethes Xenie, Der Teleolog, lautet: Welcher Verehrung verdient der Weltenschöpfer, der gnädig, Als er den Korkbaum schuf, gleich auch die Stöpsel erfand!

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keit“ nennt, besteht die Natur immerdar in der „Trennung vom Subjekt“ der Handlung. 5 Aber auch in der Natur gibt es ein Phänomen der „inneren Zweckmäßigkeit“, bei der Zweck und Mittel einander immanent sind. Das ist eben die Lebenstätigkeit. Der Zweck des Lebendigen ist das Leben, das – oder dessen Tätigkeit – aber zugleich auch Mittel zur Lebenserhaltung ist. Ein Lebendiges ist ein innerlich gegliederter Organismus. Seine Teile sind nicht lediglich Mittel zur Lebenserhaltung des ganzen Organismus, sondern haben zugleich den Zweck, zusammen die Identität des Ganzen zu bilden. Der amputierte Arm gehört nicht mehr mir, sondern nur solange, wie er mit meinem ganzen Körper organisch verbunden ist. Jedem Teil wohnt das Verhältnis zum Ganzen inne, und im vollständigen Bestehen der Teile als Mittel und zugleich als Zweck erhält sich das Ganze. Das ist es, was als das Lebendige bezeichnet wird. Laut dieser organischen Weltanschauung ist die ganze Natur für die selbstzweckhafte Tätigkeit alles Lebendigen, inklusiv des Menschen, bestens ausgerüstet. Aber auch diese Weltanschauung weist drei Mängel auf. Erstens wird die selbstzweckhafte Tätigkeit immer nur als ausschließende Lebenstätigkeit eines lebendigen Individuums ausgeübt. Die innere Zweckmäßigkeit des Lebendigen ist lediglich „ihrem Inhalt nach eine endliche Zweckmäßigkeit“ (Vorl. 4, 306). Die Lebenstätigkeit dieses speziellen Eichhörnchens als ein Individuum besteht darin, vor jenem anderen Eichhörnchen eine Eichel zu ergreifen. Aber gleichzeitig ist es auch Zufall, dass die Eicheln gerade in diesem Augenblick vorhanden sind. Das heißt, zweitens wird die innere, aber endliche Zweckmäßigkeit des Lebendigen in Bezug auf zu assimilierende Naturdinge in die äußere Zweckmäßigkeit umgewandelt. Die Mittel, die immer außerhalb des Lebendigen gegebenen sind, „erscheinen als gleichgültig gegeneinander“ (Vorl. 4, 308f.). Und zwar sind die Mittel nicht vom Lebendigen selbst hergestellt. Drittens gilt diese Weltanschauung, die auf „jedes einzelne Lebendige und seine Gattung“ achtet, trotzdem für nur einen „sehr engen Kreis“ in der ganzen Natur, während die lebensindifferente Natur übergroß ist. Daher scheint der Gottesbeweis unter Berufung auf die empirischen Tatsachen der „vorhandenen, weltlichen Lebendigkeit“, von Anfang an von einem zu engen Bereich auszugehen. (Vorl. 3, 320)

5

Vorl. 4, 306f. Siehe auch: GW 12, 156.

199

Nehmen wir dennoch die Gültigkeit dieser teleologischen Weltanschauungen an, d.i., dass die Welt im Ganzen mit gut aufeinander abgestimmten Zwecken und Mitteln vorgeht. Dann ist die Frage zu stellen, ob sich daraus das Dasein Gottes ableiten lässt. Eine zufällig vorgefundene Eiche ist robust genug, um daraus einen Stuhl herzustellen. Ein zufällig angetroffener Hirsch enthält nützlichen Nährstoff für den Löwen, der gerade unterwegs ist. Der Grund aber dafür, dass zwei gleichgültige Seiende in der Natur einander als Zweck und Mittel begegnen können, wenn auch zufällig, liegt jedoch darin, dass irgendwie zwischen beiden ein notwendiger, „innerer Zusammenhang“ besteht. Der Zusammenhang der Robustheit zwischen Holz und Stuhl oder derjenige der Ernährung zwischen Hirsch und Löwen, nämlich dieser innere Zusammenhang selbst, ist jedoch weder „als solcher“ da, noch durch die bezogenen Gegenstände oder von dem beziehenden Individuum gemacht. Die Welt ist durch unzählige Beziehungen der äußeren oder inneren Zweckmäßigkeit harmonisiert. Und wenn das Subjekt dieser harmonischen Beziehungen nicht die Relata sind, muss es Gott sein. An dieser Stelle der Nachschrift von 1831 erwähnt Hegel die Kritik Kants, demzufolge der teleologische Beweis nur „eine formierende Ursache“ des inneren zweckmäßigen Zusammenhangs bewährt, gar nicht aber eine hervorbringende Ursache der materiellen Existenz der Relata, (Vorl. 4,595) d.i. lediglich einen kunstvollen „Weltbaumeister“, nicht aber „einen Weltschöpfer“, einschließlich der Baumaterialien. 6 Die Harmonie der so ausgestatteten Welt wäre zwar sehr wunderbar, allein ihre Fähigkeit impliziert weder die „absolute Weisheit“, noch die „Allmacht“ Gottes. (Vorl. 4, 597) 7 Daher ist Kants Hinweis, dass in diesem Beweis ein „Sprung“ verborgen ist, „richtig“. 8 Hierzu ergänzt die Nachschrift von 1824 noch einen weiteren Gedanken. Das, was auf diese 6

Kant, KrV, A627/B655.

7

Siehe: Kant, KrV, A628/B656.

8

Vorl. 4, 597; Vorl. 4, 108; GW 17, 176. Siehe auch: Vorl. 4, 314–317. Sonst würde der wissenschaftliche Gottesbeweis die endliche Welt als Ausgangspunkt heranziehen, um auf dieser Grundlage die Existenz Gottes abzuleiten, wie schon Jacobi kritisiert hat. Vorl. 4, 597. Vorl. 4, 634; GW 23/2, 473–474, 563, 691. Jacobi: Über die Lehre des Spinoza, Erweiterungen der zweiten Auflage, in: Friedrich Heinrich Jacobi, Werke. Gesamtausgabe hrsg. von Klaus Hammacher und Walter Jaeschke, Band 1/1, Schriften zum Spinozastreit, hrsg. von Klaus Hammacher und Irmgard-Maria Piske, Hamburg/Stuttgart-Bad Cannstatt, 1998, 260f.

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Weise bewiesen ist, ist der Gott als „eine nach Zwecken tätige Macht“, die aber in sich durchaus nichts enthält, was man die „Persönlichkeit Gottes“ oder den „Geist“ nennt. Denn eine solche Macht ermöglicht zwar „die Lebendigkeit der Natur“ für sich selbst, zeigt aber keine Veranlassung vom Geist her. (Vorl. 4, 319) Ein zweckmäßiges Phänomen ohne Geist oder Persönlichkeit belegt kein Subjekt der zweckmäßigen Handlung. Die teleologische Formel von 1821 lässt sich folgendermaßen abändern: Die zweckmäßigen Einrichtungen in der Natur sind Naturdinge in der „zweckmäßigen Ordnung“. Wenn es solche Dinge gibt, muss Gott zumindest als deren Entwerfer sein, weil sie selbst die zweckmäßige Ordnung nicht gemacht haben. Nun bestehen solche Dinge. Daher existiert auch Gott. Laut der Nachschrift von 1824 bedeutet die Voraussetzung dieses Schlusses nur, dass es eine zweckmäßige Ordnung gibt, und dass die Dinge, die diese Ordnung als Zweck und Mittel ausmachen, „zufällig“ da sind, denn in der zweckmäßigen Ordnung begegnen sich gleichgültig nebeneinander bestehende Dinge zufällig als Zweck und Mittel. In dem Schlusssatz, der das Dasein Gottes als die formierende Macht der zweckmäßigen Ordnung ausspricht, sind die Dinge hingegen durchaus „nicht zufällig“, weil sie immer in einem vom Gott gesetzten Verhältnis als Zweck und Mittel bestehen. (Ebd.) Der Verstand, der diese Differenz nicht erkennt, ist verwirrt von den empirischen Tatsachen, die sich schwer in eine zweckmäßige Ordnung verallgemeinern lassen, wenn er seine Aufmerksamkeit auf die Zufälligkeit der Dinge in der Voraussetzung richtet, und skeptisch über den Mangel der materiellen Schöpfung, wenn er das innere Verhältnis der Zweckmäßigkeit im Schlusssatz betrachtet. Sollte also der Beweis vom Dasein Gottes auf der Basis des zweckmäßigen Verhältnisses zwischen Natur und Leben aufgegeben werden?

3. Spekulative Bedeutung der inneren Zweckmäßigkeit Der Grund, warum Hegel den Gottesbeweis in der Religionsphilosophie häufig behandelt, liegt nicht darin, dass er dessen traditionelle Formel als solche wiederherstellen möchte, sondern vielmehr in der Zielsetzung, die „Erhebung des [menschlichen] Geistes“ zur Gotteserkenntnis, wie sie im Beweis auftritt, richtig zu erfassen. Das ist nur von

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einem spekulativen Standpunkt aus möglich. 9 Nun gehen wir ausführlicher auf die spekulative Bedeutung des teleologischen Beweises ein. Erstens betrachtet die teleologische Weltanschauung auf die realen teleologischen Zusammenhänge zwischen Zweck und Mittel. Da die empirisch bestätigbaren Zwecke an sich nur Lebendiges sind, einschließlich der Menschen, ergibt sich eine unvermeidliche Einschränkung daraus, dass der teleologische Beweis von einem engen Bereich des Lebens ausgeht. Draußen sind zahlreiche unorganische Naturdinge gleichgültig, „unmittelbar für sich“ angeordnet und bilden ihre eigene Einheit. Dieses Für-sich-Sein ist aber nur ein „abstraktes und materielles Für-sich-Sein“. Da ein Kieselstein nicht über die Fähigkeit verfügt, seine eigene Einheit als Kiesel zu formen und zu behalten, kann er jederzeit von anderen durchdrungen und zerbrochen werden. Dagegen kann etwas Lebendiges, das ein „subjektives Fürsichsein“ besitzt, andere Dinge aktiv ergreifen und einsaugen, um seine Einheit zu bewahren. (Vorl. 4, 313) Gerade weil das Lebendige eine asymmetrische Überlegenheit besitzt, lassen sich Naturdinge, die gleichgültig und zufällig bestehen, jederzeit in den selbstzweckhaften Zusammenhang seiner Tätigkeit setzen und subsumieren. Das heißt, die Zufälligkeit und Gleichgültigkeit der Naturdinge können jederzeit negiert werden. Die jederzeit negierbare Zufälligkeit und Gleichgültigkeit wiederum bedeutet, dass die Umwandelbarkeit in die zweckmäßige Notwendigkeit immer gemäß der zweckhaften Tätigkeit existiert. Die „Gleichgültigkeit“ der Dinge in der teleologischen Weltanschauung ist de facto „nur Schein“, an dem zwar der Verstand festhält, aber über den hinaus die Vernunft Einsicht in „das wahrhafte Verhältnis“ der teleologischen Weltanschauung bekommt. Der bis zu dieser Ebene hinaufgehobene Geist des Menschen erfasst eher die „Nichtgleichgültigkeit“ der Dinge, die jederzeit als Mittel zu einer zweckhaften Tätigkeit dienen können. (Vorl. 4, 316) Zweitens: Was ist eigentlich der Zweck, der mit Hilfe dieses Verhältnisses durchgesetzt wird? Er ist gerade das Leben der Lebendigen als solches, also kein bloßes Leben, sondern „die lebendige Einheit“ durch die Lebenstätigkeit selbst, die Hegel häufig auch „Seele“ nennt. Hier ist vor allem zu beachten, dass diese Einheit über die ausschließende Lebendigkeit eines lebendigen Individuums hinausgeht. Dieses Eichhörnchen als Individuum führt zwar durch mannigfaltige Tätigkeiten ein 9

202

GW 18, 234. GW 23/2, 691.

kurzes Leben und stirbt, hinterlässt jedoch ein anderes Individuum, das solche Tätigkeiten fortwährend durchführt. Durch unzählige individuelle Leben wird das Leben des Eichhörnchens als solches als Gattung aufrechterhalten, d.i. die lebendige Einheit selbst wird als Gattung aufrechterhalten. Hier muss sich der Geist des Menschen über die Erfahrung hinaus auf den Standpunkt der allgemeinen Lebendigkeit erheben. Von diesem Standpunkt aus ist auch das individuelle Leben dieses Subjekts als ein Moment zum Erhalt des Gattungslebens gesetzt. Die lebendige Einheit als Gattung, die sich durch das endliche Leben der unzähligen Individuen hindurchzieht, ist „das Allgemeine, das Ganze“ mit der „inneren Selbständigkeit“ (Vorl. 4, 309). Laut der Nachschrift von 1827 muss sich der Geist des Menschen vom engen Bereich der existierenden Lebendigkeit auf den der „allgemeinen“ bzw. „absoluten Lebendigkeit“ erheben. „Absolut“ bedeutet das Ganze, das alles in sich erfasst und zugleich differenziert ist. Sogar die allgemeine Lebendigkeit, die dem Leben aller Gattungen gilt, ist nichts anderes als das lebendige Ganze anzusehen, das sich selbst und die gesamte unorganische Natur als Momente hat. Dieses Ganze ist der in sich harmonisch eingerichtete „Kosmos“ (Vorl. 3, 320). Nun gehen wir zu jenem verständigen Schluss zurück. Naturdinge, die gleichgültig nebeneinander bestehen, begegnen sich in der zweckmäßigen Ordnung zufällig als Zweck und Mittel. Dieses Dasein ist sehr natürlich und als solches „das Affirmative“. Wenn sie sich jedoch als Zweck und Mittel begegnen, liegt der Grund für ihr Zusammentreffen darin, dass sie gesetzt und negiert werden können. Da das Unlebendige dem Zweck nicht gleichgültig sein, und seine Zufälligkeit leicht negiert, also „als negativ gesetzt“ werden kann, stellt es ein Mittel dar. Der Zweck des Lebendigen besteht auch nicht in dessen endlichen Tätigkeiten, sondern in der allgemeinen Lebendigkeit, die durch die Negation der Endlichkeit aufbewahrt wird. D.h., das einzelne Lebendige mit dem endlichen Zweck realisiert nur insofern das Allgemeine als die lebendige Einheit, als es als das Negative seiner selbst gesetzt wird. Ebendieses negative Moment muss erfasst werden, um zu dem spekulativen Standpunkt zu gelangen. Denn ebendieses Moment, d.i. das Gesetztsein als das Negative seiner selbst macht den wahrhaften „Übergang“ in jenem Schluss aus. (Vorl. 4, 320) Demzufolge lässt sich der verständige Schluss nun folgendermaßen verändern: Die Naturdinge in der zweckmäßigen Ordnung sind als das Negative ihrer selbst gesetzt. Daher ist Gott. Den

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Übergang, der als Daher ausgedrückt wird, kann nicht der analytisch fixierende Verstand vollziehen, sondern nur die spekulative Vernunft, die „das negative Moment“ erfasst und aufhebt. Also ist der Übergang zugleich „eine Erhebung“ (Vorl. 3, 321). 10 Der erhobene Geist begreift dies nicht nur einfach, sondern geht darüber hinaus. Zunächst ist darauf zu achten, dass der Grund für die Tätigkeit des Lebendigen, bei der das Mittel äußerlich, jedoch zweckmäßig ist, darin liegt, dass der jederzeit als Mittel verwendbare Gegenstand schon in sich Eigenschaften enthält, die dem Zweck entsprechen. Dieses innere Verhältnis wird weder vom Lebendigen noch von dessen Gegenstand hergestellt. Ein Lebendiges kann „relativ“ Mittel für ein anderes sein. Das zweckmäßige Verhältnis existiert in diese Weise „nicht als Macht“, sondern vielmehr als „eine höhere“, d.i. „die zweckmäßig Macht überhaupt“, die beim Zusammentreffen beider die Zweckmäßigkeit des einzelnen Mittels für den besonderen Zweck ermöglicht. Der Geist begreift diese Macht sogar als „die absolut allgemeine Macht“. Denn die Welt, in der sich die zweckhafte Tätigkeit immer entfaltet, ist nichts anderes als die „Manifestation“ dieser Macht. (Vorl. 4, 310) Darüber hinaus muss diese Macht eine „Weisheit“ sein, die verschiedene Mittel zur Verwirklichung des Zwecks als der allgemeinen Lebendigkeit bereitstellen kann. Die „weise Macht“ (Vorl. 4, 312) kann nichts anderes sein als eine subjektive Seele, die die ganze Welt formt, und die Hegel also den „Nous der einen Lebendigkeit“ bzw. „die allgemeine Seele“ nennt. Wenn gemäß dem Nous die Welt als Ganzes aus Teilen besteht, die eine allgemeine Lebendigkeit realisieren, wird auf ebendiesem spekulativen Standpunkt das zweckmäßige Verhältnis der endlichen Individuen im Zusammenhang mit dem Verhältnis der inneren Zweckmäßigkeit der allgemeinen Lebendigkeit erkennbar. In diesem Verhältnis wird das Leben des Endlichen als negativ gesetzt, aber durch die Negation dieser Negation zu der unendlichen allgemeinen Lebendigkeit eines solchen Subjekts vereint, das in der Beziehung des Selbstzwecks tätig ist. Dieses Subjekt ist drittens vor allem „der Geist“ als das Subjekt, das in der Beziehung auf andere stets bei sich und für sich bleibt und tätig ist. 10

Jacobis Kritik am Gottesbeweis, der lediglich das vom Endlichen abhängige Unendliche beweise, ergibt sich daraus, dass er, ohne dieses negative Moment zu erfassen, am Schluss beim falschen Schein des „subjektiven Erkennens“ stehenbleibt. (Vorl. 4, 634) Siehe auch: Enz (1827), §50; GW 23/2, 689.

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(Vorl. 3, 321f.) „Gott wird nur als Geist gewußt.“ (GW 23/2, 708) Die „Persönlichkeit Gottes“, an der es jenem Schluss mangelt, wird lediglich in diesem spekulativen Sinn begriffen. (Vorl. 4, 319) Unter den Lebenstätigkeiten im Allgemeinen ist es dann gerade die Tätigkeit des menschlichen Geistes, die das unmittelbarste Zeugnis für den spekulativ betrachteten teleologischen Beweis ablegt. Denn der Geist des Menschen ist das Subjekt, das in der Beziehung auf anderes sich selbst als den „Mittelpunkt“ setzt und bewusst durchsetzt. (Vorl. 4, 315; GW 23/2, 693) Eben sein endlicher Geist ist das natürlichste und richtigste Zeugnis für Gott als das Subjekt der unendlichen zweckmäßigen Tätigkeit, d.i. Geist. Demzufolge schlägt Hegel in der Vorlesung von 1827 vor, den Beweis folgendermaßen zu verändern: Weil es „endliche Geister“ gibt, die in der Welt zweckmäßig tätig sind, existiert auch „der absolute, unendliche Geist“. Allerdings ist auch hier zu beachten, dass die Konjunktion, ,weil‘, keineswegs nur als ein „affirmatives Verhältnis“ zu verstehen ist. Wenn der Gott existieren würde, weil der endliche Geist da ist, wäre dieses Dasein „die Grundlage“ des Schlusses, und der Gott deren „Folge“. Daraus ergibt sich die irrige anthropozentrische Weltanschauung, der zufolge der Plan Gottes um menschlicher Zwecke willen gemacht ist. Der Zweck des endlichen Menschen impliziert immer die Endlichkeit des Zwecks. Deshalb muss im Nebensatz zugleich die Negation des endlichen Daseins erfasst werden. Der entsprechend veränderte Schluss lautet wie folgt: Es gibt zweckmäßig tätige, aber endliche Geister. „Aber das Endliche hat keine Wahrheit, sondern die Wahrheit des endlichen Geistes und seine Wirklichkeit ist nur der absolute Geist.“ (Vorl. 3, 322) Der Gott als der absolute Geist, zu dem sich der menschliche Geist erhebt, kann letztlich nicht als „Bildner der Materie“, also „Demiurg“ bleiben. Kants Kritik, der Schöpfer der Materie selbst werde nicht bewiesen, setzt vor allem die „Trennung zwischen Form und Materie“ voraus. Diese Voraussetzung ist jedoch nur eine reine Abstraktion des alles abtrennenden und festhaltenden Verstandes und „bloß Produkt der Reflexion“ im Horizont des Endlichen. Wenn Form und Materie getrennt werden könnten, wo können wir jedes davon positionieren? Wer einen guten Stuhl bauen will, muss der vorgestellten Form des Stuhls, ein „von außen“ genommenes Material hinzufügen. Ist das Holz, das noch keine Stuhlform angenommen hat, aber nur Material an sich, ohne Form? Ihm mangelt lediglich die Form des Stuhls, aber es hat eine vom

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Tischler bearbeitete Form. Was war es, bevor es diese Form erhält? Worauf noch immer zurückzuführen sein mag, lässt sich keine Materie ohne Form entdecken. Freilich ist das Holz für den Menschen zunächst nur Material ohne bezweckte Form. Aber eben darum sind Form und Materie lediglich im Hinblick auf die endliche Zwecktätigkeit relativ mangelhaft, und daher ist auch „die formlose Materie ein Unding“. Traditionell versteht man unter dem Prinzip der Form die Identität bzw. Einheit von etwas Unterschiedenem. Hingegen müsste „die Materie, die man Gott entgegenstellt als ein Unveränderliches“, als „Formlosigkeit“ existieren. Aber ebendiese Identität der Materie als Formlosigkeit, „diese kontinuierliche Einheit der Materie“ ohne Form gehört schon selber zu den „Formbestimmungen.“ (Vorl. 4, 596) Die Existenz von Materie als Formlosigkeit ist schon ein Anderes ihrer selbst, indem sie die Identität als Formlosigkeit behält. Die in diese Weise existierende Materie ist „sowohl die Reflexion-in-Anderes, als das In-sich-seyn.“ 11 Und was sich in anderem reflektiert und zugleich in sich identisch bleibt, ist nichts anderes als das Prinzip der Form. Die auf einer Seite getrennt gestellte Materie gehört auf der anderen Seite selbst schon zur Form. Weil die Selbstidentität immer in der Beziehung auf anderes besteht, schließt die Form außerdem schon in sich das selbst ein, „was als Materie unterschieden wird“. Daher kann die absolute zweckmäßige Tätigkeit Gottes als „die einfache Einheit mit sich“ nichts anderes sein als die materielle Formierung, d.i. die Formtätigkeit mit allerlei Materie. 12

Zum Schluss Hegel zufolge tritt der teleologische Beweis „geschichtlich mit der Entwickelung der Freiheit“ des Menschen auf. Der kosmologische Gottesbeweis, der Aufmerksamkeit auf das Dasein Gottes in der Natur richtet, kann nicht über die Notwendigkeit der natürlichen Existenz hinausgehen und nur das absolut Notwendige als die Ursache des Zufälligen erreichen. Hingegen ist die Freiheit das „sich selbst Bestimmen“ ohne Zwang, und der Freie setzt diese „Selbstbestimmung als Zweck“ in die 11 12

Enz (1827), §129. Siehe auch: GW 11, 297–301. Vorl. 4, 596; Vorl. 4, 633. „Man muß wissen, daß absolute Form etwas Reales ist, daß also Form etwas ist und ohne Materie nichts ist.“ (Vorl. 4, 316).

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Wirklichkeit um. (Vorl. 4, 593f.) Damit veranlasst der teleologische Beweis die Erklärung über die Schöpfung Gottes vom „Begriff der weisen Macht“ durch deren Selbstdiskriminierung bis zur konkret daseienden Welt. (Vorl. 4, 311) Eben hieraus entwickelt sich auch der ontologische Beweis vom Begriff Gottes bis zu seinem Dasein. Was für eine Weltanschauung hat nun der Mensch, dessen Geist vom Lebendigen überhaupt und vom Menschen selbst zum absoluten Geist erhoben wird? Hierzu sind kurz zwei Charakteristika zu erwähnen. Erstens tritt ihm die ganze Welt als eine organische Kombination von Zwecken und Mitteln entgegen. In dieser Welt der allgemeinen Lebendigkeit bestehen das Ganze und sein Teil jedes für sich und zugleich jenes in diesem, dieser in jenem. So ist das Ganze für den Teil so viel wie der Teil für den Ganze, das heißt, alles in der Welt ist ein integraler Bestandteil der allgemeinen Lebendigkeit. Hier ist überhaupt kein Totalitarismus möglich, sondern nur Holismus. Zweitens wird der Mensch Naturdinge nicht als beliebige Mittel seiner Begierde missbrauchen oder beschädigen. Alles in der Natur beteiligt sich mit eigenem Wert an der allgemeinen Lebendigkeit. Für das Subjekt, das seinen endlichen Zweck aufheben und sich erheben kann, ist die Welt das Ganze, das mit Unus Versus der Lebendigkeit werklich verwoben ist. Hieraus eröffnet sich in der heutigen Zeit die Möglichkeit des ökologischen Gesichtspunkts.

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Kultur und Leben/Natur

Ralf Beuthan Durch Philosophie interkulturell leben lernen? Perspektiven interkultureller Philosophie nach Hegel, Husserl und Heidegger

Vorbemerkung Man kann sich heute, in Abwandlung einer Formulierung des jungen Hegels, die Frage stellen, ob wir ‚durch Philosophie interkulturell leben lernen‘ können. Dass unsere Zeit im Zeichen moderner Medien 1 in besonderer Weise eine Aufmerksamkeit für interkulturelles Leben – inkl. der Probleme kultureller Hegemonien – entwickelt hat, ist offenkundig, aber auch dringend geboten. Weniger offenkundig ist jedoch die Antwort auf die Frage, wie man sich unter diesen Bedingungen verhalten soll. Dies ist freilich nicht nur eine allgemein lebenspraktische Frage, etwa für global player, sondern vielmehr auch eine grundsätzliche Frage für Intellektuelle und nicht zuletzt auch für Philosophierende geworden, auch dann und gerade dann, wenn man selbst ganz im Zeichen eines sich scheinbar selbstgenügenden Kulturparadigmas intellektuell sozialisiert wurde. 2 Nun ist man sicher nicht schlecht beraten, wenn man sich zunächst, wie auch im interkulturellen Alltag, so auch im philosophischen Diskurs, an eine allgemein-bekannte Verhaltensmaxime erinnert, mit der wir zwar nicht alle Probleme lösen, aber ohne die wir gewiss gravierende Probleme, wie z.B. eine lebensweltlich und intellektuelle Kultur der Ignoranz erzeugen werden. Ich möchte diese Verhaltensregel bzw. Lebensmaxime kurz so formulieren: Kultiviere ein Verhalten, das Dialogbereitschaft signalisiert und Dialogfähigkeit befördert!

1

Hierbei ist freilich zunächst an digitale Medien, aber auch an Medien im weitesten, McLuhanschen Sinne zu denken, d.h. einschließlich moderner Verkehrsmittel.

2

Zu letzterem würde ich mich selbst wie viele meiner mir bekannten westlichen Kollegen zählen. Es gilt auch hier: Ausnahmen bestätigen die Regel.

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Interkulturelles Leben, auch interkulturelles philosophisches Leben, verlangt ohne Zweifel eine gesteigerte Dialogfähigkeit. Doch man muss wohl einräumen, dass die großen philosophischen Kulturen sowohl der westlichen als auch der östlichen Philosophie in der Regel eine interkulturelle Dialogfähigkeit kaum bis gar nicht kultiviert haben. 3 Pointierter, und dabei meine eigene Ausgangssituation markierend: Nicht zuletzt die europäische Philosophiegeschichte zeigte eine starke Tendenz, sich gegen andere – in diesem Fall: nicht-europäische, nicht-westliche Traditionen (oft nolens volens) abzuschließen und sie scheint uns im Großen und Ganzen eben nicht zum Dialog zu motivieren bzw. zu befähigen. 4 Man kann die bekannte, ebenso wirkmächtige wie umstrittene These des Eurozentrismus auch als eine These der Dialogunfähigkeit europäischwestlicher Philosophietradition lesen. Hegels Versprechen, ‚durch Philosophie leben zu lernen‘ möchte ich deshalb vor diesem thematischen Hintergrund einmal zur Frage umformulieren, ob wir ‚durch Philosophie einen interkulturellen Dialog lernen‘ können? Damit betreten wir das Terrain der interkulturellen Philosophie.

1. Einleitung: Zum Projekt der interkulturellen Philosophie Das Projekt der interkulturellen Philosophie zeichnet sich zunächst einmal dadurch aus, dass es nicht einfach auf die jeweils aktuellen Probleme innerhalb der schulphilosophischen Debatten der scientific communities fokussiert, sondern vielmehr auf eine grundlegende Veränderung in unserer modernen Welt reagiert, nämlich auf die Öffnung und Verbindung von kulturellen und philosophischen Horizonten, die bis weit ins 20. Jahrhundert hinein primär als getrennt und isoliert wahrgenommen wurden. Angesichts solcher Veränderungen stellen sich nicht

3

Der Mangel an interkultureller Dialogkultur schließt freilich nicht aus, wie die vielen historischen Verflechtungen zeigen, dass die jeweiligen Kulturen nicht trotzdem in Austauschverhältnissen standen (und stehen) und sich mithin trotz exkludierender Kanonbildung maßgeblich beeinflusst haben.

4

Es versteht sich von selbst, dass die Belehrung und Anleitung zur Teilnahme an einer Expertenkultur – etwa der Kantforschung oder Konfuziusforschung – kein hinreichendes interkulturelles Dialogmodell sein kann, auch wenn es auf dieser Ebene sicher fruchtbare Austauschprozesse geben mag.

212

nur die scheinbar ‚konstanten‘ schulphilosophischen Probleme (z.B. „Leib/Seele-Problem“), sondern andere, ja in gewisser Weise: neue Fragen. Wir haben es dabei auch mit Problemen anderen Typs zu tun, die im üblichen philosophischen Betrieb, der sich jeweils entlang bestimmter methodischer Prämissen und für einen bestimmten Theoriehorizont weitgehend verbindlicher Grundüberzeugungen bewegt, mitunter marginal oder irrelevant zu sein scheinen. Ein solches Problem deutet sich, wie gerade angedeutet, in der oft hörbaren und in der Tat wichtigen Forderung nach einem interkulturellen „Dialog“ 5 an, bei dem die Dialogpartner bzw. deren jeweiligen Traditionszusammenhänge gerade nicht über einen gemeinsamen, ‚gewachsenen‘ Horizont methodischer Prämissen und Grundüberzeugungen verfügen. Damit steht zugleich die Frage im Raum, auf welcher philosophischen Grundlage man einen interkulturellen philosophischen Dialog führen kann und will. Gibt es eine paradigmatische, klassische philosophische Theorie, die hierfür als Modell dienen könnte? Soweit ich sehe, wird man nach einer solchen Theorie wohl vergeblich suchen. – Doch was ist in einer solchen beispiellosen Situation der Philosophie zu tun, in der einerseits ein interkultureller Dialog geboten ist, es aber kein philosophisches Vorbild, keinen konkreten Anknüpfungspunkt gibt, von dem her sich ein Weg in einen interkulturellen Dialog der Philosophie bahnen ließe? Es mag verschiedene Antworten auf diese Frage geben. Eine Antwort können wir finden, wenn wir weder an der Vorstellung hängen bleiben, dass eine einzelne historische Gestalt der Philosophie hier als Modell dienen könnte, noch uns an der gegenläufigen Vorstellung orientieren, dass wir historische Traditionen generell und vor allem: unsere jeweils eigene einfach abschneiden müssten, um uns „frei“ (befreit von unserem jeweiligen Traditionszusammenhang) auf einen interkulturellen Dialog einlassen zu können. Verzichtet man sowohl auf jenen Traditionsfetischismus (Verabsolutierung einer historischen Theorie oder eines Traditionszusammenhangs) als auch auf diese Traditionsignoranz

5

Vgl. Raul Fornet-Betancourt, „Philosophische Voraussetzungen des interkulturellen Dialogs“, in: Polylog. Zeitschrift für interkulturelles Philosophieren, 1998, 38–53 [http://them.polylog.org./1/ffr-de.htm ].

213

(Eliminierung von Traditionszusammenhängen), dann wird man gerade in Traditionszusammenhängen Wege, d.h. Konzeptionen finden können, die uns interkulturelle Dialoge ermöglichen und suchen lassen. Ich werde anhand von wenigen Beispielen für die These argumentieren, dass selbst ein Traditionszusammenhang, der in mancher (nicht in jeder!) Hinsicht für interkulturelle Ignoranz und fehlende Dialogbereitschaft steht, zwar nicht unbedingt in seinen einzelnen Positionen, aber sehr wohl als Traditionszusammenhang wegweisend für den interkulturellen Dialog sein kann. Kurz: Meine folgenden Überlegungen verstehen sich als Plädoyer für einen interkulturellen Dialog, getragen nicht von einer Geschichtsvergessenheit, sondern von einer Geschichtsreflexion.

2. Die „drei großen H“ Schaut man einmal aus der Distanz auf den philosophiegeschichtlichen Horizont, der durch die „drei großen H“ – Hegel, Husserl und Heidegger – aufgespannt wird, dann kann man Erstaunliches finden. So zunächst, dass die moderne europäische Philosophie durch grundstürzende Umbrüche geprägt ist, so dass man in manchen Fällen glauben könnte, dass die philosophischen Positionen kaum noch etwas gemeinsam hätten. Tatsächlich markieren gerade die „drei großen H“ in vielerlei Hinsicht so verschiedenartige Philosophien, dass die jeweiligen Experten und Gesellschaften, die sich jeweils um diese Philosophien gruppieren, selten bis gar nicht Anlass haben, sich um die jeweils anderen Philosophien weitergehend zu kümmern. Zum Beispiel könnte ein Hegelianer wohl nur schwer auf seine Kantkenntnis verzichten, aber – zumal heutzutage – ohne weiteres auf Husserl und Heidegger. (Dass sich dabei Husserl und sein Schüler Heidegger systematisch näherstehen als z.B. Hegel und Husserl, steht hier außer Frage; was aber nicht daran hindert, dass nicht nur Husserl und Heidegger geschichtlich und gedanklich deutlich von Hegel entfernt sind, sondern sogar ihrerseits gravierende Unterschiede markieren, so dass die jeweiligen Experten oft eher Unterschiede als Kontinuitäten sehen.) Die „drei großen H“, die, wie man weiß, innerhalb der französischen Philosophie des 20. Jahrhunderts einmal zur Grundlage modernen Philosophierens avancierten (besonders bei Sartre) und ein andermal zum Stein des Anstoßes herab-

214

gestuft wurden (so besonders bei Foucault und Deleuze), scheinen heute ihre gemeinsame Strahlkraft verloren zu haben. Geblieben sind Expertenkulturen, die sehr gut ohne einander auskommen und dabei etwas entscheidendes zeigen: Dialoge, die, wie oben gesagt, interkulturell geboten sind, sind de facto schon intrakulturell schwer zu realisieren. Zu gravierend scheinen die Differenzen. Aber umso erstaunlicher ist dann eine Gemeinsamkeit, auf die man innerhalb des Horizontes der „drei großen H“ kaum aufmerksam geworden ist: Die (mehr oder weniger) weitgehende Ausblendung anderer Traditionszusammenhänge. Ein besonders exemplarischer Fall der ‚interkulturellen Ignoranz‘ ist meins Erachtens mit dem Namen Zhu Xi verbunden. Zhu Xi (1130–1200) ist zweifelsohne ein Meilenstein der chinesischen und ostasiatischen Philosophie. Gesehen auf den Umfang, aber auch auf die integrative Kraft (bezogen auf die vorangehenden Traditionen des Konfuzianismus und Daoismus) sowie gesehen auf die Bedeutung und den Einfluss auf spätere Traditionen ist sein Werk sicherlich der Philosophie des Thomas von Aquin (1225–1272) – um einen zeitnahen europäischen Autor zu nennen – vergleichbar. 6 Auch wenn man also – zumal bei Hegel und Heidegger 7 – Bezugnahmen auf philosophischen Traditionen Ostasiens findet, so handelt es sich dennoch um ein bemerkenswert verkürztes und einseitiges Bild, dass schwerlich repräsentativ sein kann, wenn bereits eine derart zentrale Gestalt dieser Tradition wie Zhu Xi gänzlich ignoriert wird. 8 6

Siehe dazu die Geschichtsphilosophie von Plott (John C. Plott, Global History of

7

Und auch Husserl ist kaum eine völlige interkulturelle Ignoranz nachzusagen. So

Philosophy [1989]. Delhi, 2000, ix). hat er immerhin schon in den 20er Jahren in japanischen Journals publiziert. 8

Könnte es ‚philosophische‘ Gründe geben, dass einer der einflussreichsten Gestalten des Neokonfuzianismus in dem europäischen Horizont letztlich bis heute kein Interesse gefunden hat? Ist es nur historisch kontingentes Unwissen, oder gibt es hier einen systematisch versperrten Blick? – Fragen dieser Art wird man im Rahmen des Projektes interkultureller Philosophie nachgehen müssen, müssen aber an dieser Stelle unbeantwortet bleiben. Vgl. dazu die Untersuchung von Jeonseok Na (Jeongseok Na, „Ambivalente Moderne: Wie Hegels Parteinahme für den Westen seine Fehleinschätzung Ostasiens erklärt“, in: Allgemeine Zeitschrift für Philosophie 2015, Heft 1. 29–60), der Hegels Ausblendung bzw. Geringschätzung der konfuzianischen und neokonfuzianischen Tradition zu recht kritisch beleuchtet und dabei die These vertritt, dass Hegel nicht aus kontingenten, sondern systematischen

215

Im Sinne des Projekts interkultureller Philosophie möchte ich hier – entgegen der Tendenz zur Ignoranz – Wege zu einem Dialog zwischen verschiedenen philosophischen Kulturen suchen. Dabei werde ich mich mit Hegel, Husserl und Heidegger auf drei wirkmächtige europäische Autoren konzentrieren, die – so meine allgemeine These – ungeachtet ihrer teils erheblichen Differenzen und trotz der Kritikpunkte in der Perspektive interkultureller Philosophie 9 einen geschichtlichen Denkraum entwickelt haben, in denen Grundlagen für einen interkulturellen Dialog zu entdecken sind. Was also gezeigt werden soll, ist, dass der durch die „drei großen H“ umrissene philosophische Traditionszusammenhang, in dem die ostasiatische Philosophie teils marginalisiert oder gar ausgeblendet wurde und eine interkulturelle Perspektive nur unzureichend zu finden ist, dass eben dieser Traditionszusammenhang im Ganzen zugleich Grundgedanken und Argumentationen entwickelt hat, um eine interkulturelle Perspektive einnehmen und einen interkulturellen Dialog führen zu können. Ausblickhaft wird am Ende versucht, eine offene Frage zu exemplifizieren, mit der ein interkultureller Dialog mit Blick auf Zhu Xi einsetzen könnte. (Um Missverständnisse zu vermeiden: Es wird also am Ende ‚nur‘ um die Erläuterung einiger Aspekte und Bedingungen eines „interkulturellen Dialogs“ und eine Exemplifikation eines Dialogangebots gehen – nicht aber um eine Exegese der Philosophie Zhu Xi’s.)

Gründen zu einer Fehleinschätzung kommen musste. Dass allerdings schon die dialektische und teleologische Form der Hegelschen Theorie, näher: seiner Geschichtsphilosophie ein hinreichender Grund dafür ist, die ostasiatische Tradition geringzuschätzen, scheint mir zuletzt nicht plausibel (vgl. Ralf Beuthan, „Ein Hegelianisches Modell interkultureller Philosophie“, in: Das Beste von Hegel – The Best of Hegel, hrsg. von K. Vieweg. Berlin). 9

Vgl. Heinz Kimmerle, Interkulturelle Philosophie. Eine Einführung, Hamburg, 2002; derselbe, Georg Wilhelm Friedrich Hegel interkulturell gelesen, Nordhausen, 2005; vgl. dazu auch die Kritik an Kimmerle in: Beuthan, „Ein Hegelianisches Modell interkultureller Philosophie“, a.a.O.

216

3. Eurozentrismus und Wege zum interkulturellen Dialog Die „drei großen H“ stehen für eine Theorietradition, die man mit gewissem Recht unter „Eurozentrismus“ verbucht. Damit ist freilich nicht gemeint, dass diese Theorien „in Europa“ entstanden sind, sondern zunächst einmal, dass sie allesamt selbst Europa in der einen oder anderen Weise ins Zentrum stellen, sprich: zum Maß aller Kulturen oder zumindest zum Maß philosophischer Kultur und Geschichte erheben. Diese Einschätzung wird man nicht leicht von der Hand weisen können. Es ist gerade dieser Eurozentrismus, der im Kontext der interkulturellen Philosophie zum Gegenstand der Kritik wird, insofern interkulturelle Philosophie generell versucht, den Eurozentrismus – und ferner jeglichen ethnisch-kulturellen Zentrismus – als solchen erkennbar zu machen und zu überwinden. Genauer betrachtet haben wir es mindestens in zweifacher Weise mit einem Eurozentrismus zu tun, nämlich einmal in expliziter Form, und einmal in impliziter (verdeckter, subkutaner) Form. Die explizite Form des Eurozentrismus begegnet dort, wo die Autoren ihre Thesen und Argumentationen ausdrücklich am ‚geschichtlichen Stand‘ der europäischen Geschichte ausrichten, so dass die philosophische Geschichte insgesamt so rekonstruiert wird, als ob sie im Kern europäisch und ihre Geschichte am Ende maßgeblich in Europa zur ‚Erfüllung‘ (im Guten oder im Schlechten) käme. Dafür gibt es bei Hegel (siehe die weltgeschichtliche Stufenfolge ‚Orient – griechisch-römische Antike – christliches Europa‘), Husserl (siehe Krisis der „europäischen“ (!) Wissenschaften) und Heidegger (europäische Philosophie als eigentliche Philosophie und europäische Metaphysikgeschichte als die weltgeschichtlich relevante Verfallsgeschichte) zahlreiche Belege. – In impliziter Form finden wir Anzeichen für einen Eurozentrismus dort, wo zwar nicht eigens für eine Priorität der europäischen Philosophie argumentiert wird, aber gleichwohl fast ausschließlich auf Denker und Denktraditionen der europäischen Philosophie referiert wird. D.h. der Maßstab, an dem sich der jeweilige Gedanke misst und bewährt, ist zuletzt faktisch immer ein europäischer Maßstab. Dies spielt auch eine nicht unerhebliche Rolle für den hermeneutischen Zugang zu diesen Autoren, da ihr ‚adäquates‘ Verständnis geradezu fordert, den europäischen Kontext, die europäische Tradition zum Maßstab ihrer Beurteilung zu erheben. So ist beispielsweise die Hegelsche Philosophie und Argumentation

217

genealogisch nicht zu trennen von einer seit Aristoteles maßgebenden Urteilstheorie und Schlusslogik. Und nicht minder ‚europäisch‘ sind die logischen Prämissen der Philosophie Husserls und Heideggers, deren Theorien ohne die von Frege entfaltete moderne logische Form von Funktion und Argument – f(x) – kaum verständlich sind. 10 Es kommt jedoch inzwischen nicht mehr darauf an, die „üblichen Verdächtigen“ einfach unter dem inzwischen gängigen Label des „Eurozentrismus“ zu subsummieren. Es ist vielmehr an der Zeit, die jeweils eigene Tradition – hier: die der „drei großen H“ – als philosophische Tradition wiederzuentdecken und die erbrachten Theorien im Sinne der interkulturellen Philosophie nach Wegen zu befragen, wie kulturelle Differenzen philosophischer Traditionen nicht zu unpassierbaren Schranken werden. Mit anderen Worten: Wie kann man sich in einer Situation kultureller Differenz philosophisch frei bewegen? Und es ist vielleicht angebracht dazu zu sagen, dass hier danach gefragt wird, wie man sich philosophisch frei bewegen kann, ohne kulturelle Differenz und Geschichtlichkeit im Stil analytischer Philosophie schlicht auszublenden. Ich werde also kurz die genannten historischen Stationen erneut durchlaufen und dabei von Heidegger über Husserl zu Hegel zurückgehen. Dabei möchte ich Ansätze markieren, mit denen kulturelle Differenz nicht geleugnet, aber doch philosophisch durchquert (durchschritten) werden kann. Beginnen wir mit Heidegger. Wir können hier in geradezu exemplarischer Weise eine Gedankenfigur studieren, in der sich das Denken immer tiefer in die eigene, d.h. hier europäische Tradition hinein zu arbeiten scheint, und sich gleichzeitig – scheinbar paradox – immer weiter aus ihr herauswindet. 11 In dieser doppelten Bewegung gewinnt der

10

Zur logikgeschichtlichen Dimension siehe: Claus-Artur Scheier, Luhmanns Schatten: Zur Funktion der Philosophie in der medialen Moderne, Hamburg, 2016, insbes. 17–24.

11

Eine schöne künstlerische Darstellung dieser einen, spiralförmigen Bewegung, die zugleich eine Bewegung nach unten und nach oben bzw. nach hinten und vorne ist, findet sich in Hitchcocks „Vertigo“, der mit der Darstellung einer rotierenden Spirale und ihren Entsprechungen innerhalb der „erzählten Welt“ des Films ein geradezu emblematisches Bild für die moderne Grundbefindlichkeit des ‚schwindelerregenden‘ Verlustes des Grundes gibt. Siehe dazu: Robert B. Pippin, The Philo-

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Heideggersche Gedanke jene wegweisenden begrifflich-ontologischen Distinktionen, die in der Tat genealogisch an die europäische Tradition gebunden sind, aber eben auch darüber hinaus weisen. – Ich möchte hier drei Punkte hervorheben: (i) Hier sei zunächst an seine „Fundamentalontologie“ 12 erinnert, die in kritischer Distanz zur eigenen Tradition den Gedanken des Seins von den Bestimmungen der sogenannten „Vorhandenheitsontologie“ ablöst. Damit markiert Heidegger vor dem Hintergrund der europäischen Geschichte, näher: ihrer metaphysischen Philosophietradition einen entscheidenden Unterschied zwischen (a) einem Denken, das Sein substanz- oder dingontologisch begreift und so den Weg bereitet für die moderne techno-wissenschaftliche Methodik der Quantifizierung und Instrumentalisierung der Welt und (b) einem anderen Denken, das versucht das Sein nicht unter der Maßgabe eines instrumentell zugeschnittenen Seienden wiederzuentdecken, also versucht das „Sein als Sein“ und nicht als „Seiendes“ zu denken. 13 (ii) Die kritische Analyse der Vorhandenheitsontologie erweist sich im weiteren zugleich als radikale Form der Gegenwartskritik, die den Mangel der Gegenwart – wie Heidegger später sagen wird: die „Seinsvergessenheit“ – nicht etwa als einen temporären Fehler der modernen Menschen betrachtet, sondern eben als einen Effekt der ganzen europäischen, und d.h. vor allem: der metaphysischen Denkgeschichte. Damit bricht er nicht zuletzt mit dem Geschichtsmodell der Aufklärung, die zumal die europäische Geschichte als eine Fortschrittsgeschichte begriff. In der Heideggerschen Perspektive erscheint sie vielmehr als eine Verfallsgeschichte, genauer: eine Geschichte des Vergessens, 14 was zur Konsequenz

sophical Hitchcock: Vertigo and the Anxieties of Unknowingness, Chicago, London 2017, insbes. 24–33. 12

Martin Heidegger, Sein und Zeit [1927] Tübingen, 1993, 13.

13

Siehe: Martin Heidegger, Was ist Metaphysik? [1943] Frankfurt am Main, 2017, 9: „Die Metaphysik denkt, insofern sie stets nur das Seiende als das Seiende vorstellt, nicht das Sein selbst.“

14

Siehe Heideggers „Spruch des Anaximander“ (Martin Heidegger, Holzwege [1950], Frankfurt am Main 1980, 367): „Das Einfache des Seins ist in einer einzigen Verges-

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hat, dass sich das Heideggersche Denken entschieden gegen ein Selbstverständnis der Moderne stellt, der der letzte Stand der Wissenschaft und Technik als das Maß des Denkens gilt. 15 Stattdessen versucht er in ein geschichtlich früheres Denken einzudringen, um einem anderen Seinsverständnis auf die Spur zu kommen. (iii) Die Verabschiedung des Fortschrittsmodells der europäischen Geschichte und die Suche nach einem ursprünglichen, sprich: vormetaphysischen Denken, markiert zugleich einen weiteren signifikanten Unterschied, der vielleicht am deutlichsten über ein eurozentristisches Denken hinausweist. Ich möchte diesen Unterschied anhand der Opposition zwischen ‚geschlossen‘ und ‚offen‘ beschreiben. Heidegger wendet sich von einem metaphysischen Denktypus 16 ab, der das Sein in eine geregelte und zentrierte Systemarchitektur einzuschließen sucht, so dass es scheinbar insgesamt systematisch erfasst und identifiziert werden kann. Im Unterschied zum Primat der Urteilswahrheit und dem systematischen Zusammenschluss von Aussagen, geht es Heidegger darum, das Denken für eine Dimension vor und jenseits der Urteilswahrheit zu öffnen. Die besonders für den späten Heidegger zentralen Begriffe „Ereig-

senheit verschüttet.“ Und zuvor (ebd., 360): „Die Geschichte des Seins beginnt mit der Seinsvergessenheit.“ 15

Dieser modernekritische Befund, wonach letztlich eine technikaffine Form der Wissenschaft und die damit korrelierenden Techniken zum Maß des Denkens aufgestiegen sind, ist heute vielleicht mehr denn je gültig. Daran hat sich trotz der Heideggerschen, und man darf ergänzen: auch trotz der analogen Adornoschen Intervention wenig geändert.

16

Vgl. Heidegger (Martin Heidegger, Holzwege [1950], Frankfurt am Main, 1980, 376): „Das Ganze des Seienden ist der eine Gegenstand eines einzigen Willens zur Eroberung.“ – Damit könnte man mit Heidegger argumentieren, dass zum Beispiel nicht erst ein teleologisches Denken wie bei Hegel, zu einem kolonialen Gestus europäischer Philosophie führen mag, sondern bereits jedes Denken, das Systemform annimmt (die Kritik der Systemform ist freilich auch von Adorno, und dem zuvor ohnehin schon von Nietzsche formuliert wurden). Damit würde sich in der Perspektive der interkulturellen Philosophie z.B. die Frage stellen, ob die Systematizität philosophischen Denkens in der ostasiatischen Philosophie von grundsätzlich anderer Art ist, so dass z.B. die Heideggersche Kritik hier nicht greifen würde.

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nis“, „Lichtung“ und „Gabe“ 17 weisen genau in jene Dimension, die den wissenschaftlichen Urteilswahrheiten und dem Primat der Anwesenheit gewissermaßen vorausgehen und in ihnen kaum mehr artikulierbar sind. Damit ebnet Heidegger den Weg, um sowohl die Engführung von Philosophie und Wissenschaft als auch aus der Gleichsetzung von philosophischem Denken und Wissen im Sinne von Urteilswahrheiten (Verifikation am Maßstab der „Anwesenheit“) zu verwinden. – Denken anderen Typs muss jetzt nicht mehr kategorisch ausgeschlossen werden, sondern wird geradezu gesucht. Dies ist für das Projekt der interkulturellen Philosophie eine nicht unerhebliche Weichenstellung. Heideggers Lehrer Husserl – obwohl von Heidegger allein schon wegen des philosophischen Szientismus und dem Festhalten am Gedanken der Philosophie als Erster Philosophie deutlich unterschieden 18 – hat seinerseits dazu beigetragen den Eurozentrismus zu überwinden. Zwei Aspekte seien hier kurz benannt. (i) Zum einen hat Husserl selbst den Grundstein zur Überwindung des philosophischen Szientismus gelegt. 19 Letzterer ist, wie wir 17

Während das Thema von „Ereignis“ und „Lichtung“ schon beim frühen Heidegger eine Rolle spielt, gehört das Thema der „Gabe“ genuin zum späten Heidegger, der dem ‚Ungedachten‘ „aller Metaphysik“ (Martin Heidegger, Wegmarken [1967]. Frankfurt am Main, 1978, 473) nachzudenken bemüht ist, und dabei den Gedanken der logischen Copula „ist“ auf die Frage der „Gabe“ bzw. auf ein „Es gibt“ (ebd., 472) hin fortbestimmt.

18

Während, wie angedeutet, Heidegger zusehends radikaler gegen die für den europäischen Traditionszusammenhang klassischen Gedanken der Systematizität andenkt, will sein Lehrer Husserl explizit an diese anschließen. Dabei greift Husserl noch mal in einer für das 20. Jahrhundert einzigartigen Weise den Gedanken der „Ersten Philosophie“ auf. In dieser nehmen nach Husserl „alle einzelnen Wahrheiten und d.i. eine ihnen aufgeprägte teleologische Gestalt an.“ (Edmund Husserl, Erste Philosophie [1923/24], in: Husserliana Bd. VII, hrsg. von R. Boehm. Haag 1956, 4) Und er fährt in einer geradezu militärisch anmutenden Weise fort (ebd.): „In festen Ordnungen treten Einzelwahrheiten in Wahrheitsverbände niederer und höherer Zweckform.“

19

Die Überwindung des Szientismus wurde in mancher Hinsicht bereits von Heidegger, aber in noch entschiedenerer Weise von Levinas vollzogen, der ganz auf den Primat der Ethik fokussiert und unter anderem auch gegen Heidegger einwendet, dass „das Gute jenseits des Seins“ (Emmanuel Levinas, Totalität und Unendlichkeit

221

heute sehr gut beobachten können, eine Ursache für die Ausblendung kultureller Differenz und die Ignoranz philosophischer Traditionen. Doch schon Husserl weist in seiner Krisis-Schrift darauf hin, dass die theoretischen Operationen noch in ihren abstraktesten Formen in einem lebensweltlichen Boden menschlicher Praxis verwurzelt sind. 20 Damit lenkt er bereits die Aufmerksamkeit auf die konstitutive Funktion kulturell geprägter Lebenswelten (ohne jedoch die kulturelle Differenz eigens zum Thema zu machen – darin bleibt er Eurozentriker). (ii) Zum anderen hat Husserl die Vorstellung der „Überlappung“ von verschiedenen Sinnfeldern geprägt und damit eine Denkfigur ins Spiel gebracht, wie man jenseits der strikten Distinktion zwischen Identität und Differenz einen Typus von Unterschied begreifen kann, der Übergänge zulässt. Es ist gerade die Denkfigur der „Überlappung“, die von einem der führenden Vertreter der interkulturellen Philosophie – R.A. Mall (Indien/Deutschland) – zum methodischen Leitbegriff weiterentwickelt wurde. 21 Dabei geht es darum zu betonen, dass Kulturen nicht schlechthin verschiedenartig sind. Vielmehr zeigten die verschiedenen kulturell geprägten philosophischen Gehalte auch Gemeinsamkeiten, ohne allerdings eine allen gemeinsame, invariante philosophische Idee voraussetzen zu müssen. (Wie Mall hervorhebt, ist dieser Gedanke dem Wittgensteinschen Theorem der „Familienähnlichkeit“ analog.) Die mit dem Gedanken der „Überlappung“ verbundene Anerkennung einer kulturellen Differenz ist für die interkulturelle Philosophie grund[1980], Freiburg/München, 1993, 12) ist und noch die Heideggersche Ontologie „eine Philosophie der Ungerechtigkeit“ (ebd. 56) sei. Der durch diese Argumentation anvisierte Grundgedanke Levinas’ des Primat des „Anderen“ ist ohne Zweifel eine weitere Quelle für die interkulturelle Philosophie, der aber aus Platzgründen hier nicht weiter nachgegangen werden kann. 20

So exemplifiziert Husserl an Kant, wie dieser versäumt habe, seine Voraussetzungen aufzuhellen, nämlich „die selbstverständlich geltende Lebensumwelt“ (Husserl, Edmund, Die Krisis der Europäischen Wissenschaften und die transzendentale Phaenomenologie, in: Husserliana Bd. VI, hrsg. von W. Biemel. Haag, 1962, 105) bzw. „alltägliche Umwelt“ (ebd., 106).

21

Ram Adhar Mall, „Hermeneutik der Überlappung“, in: Interculture Jounal 12/21, 2013, 11–32.

222

legend. Die damit zugleich verbundene Aufmerksamkeit auf Bereiche, in den sich trotz und in der Partikularität ein ‚common ground‘ abzeichnet, bleibt wegweisend. Gegenüber Heidegger und Husserl – deren Bedeutung für die interkulturelle Philosophie in der einen oder anderen Weise bekannt ist – erscheint manchen Hegel geradezu als Antipode der interkulturellen Philosophie. Er steht unter dem Generalverdacht, nicht nur, wie erwähnt, ein „Eurozentriker“, sondern auch noch ein „Logozentriker“ in seiner reinsten Gestalt zu sein. 22 Hegels Theorie scheint einen spezifisch europäischen Typus der Philosophie zu verkörpern, der alles in eine am Modell des Selbstbewusstseins orientierte begriffliche Logik auflöst. Verbindungen zu nicht-europäischen Philosophien, näher: Beziehungen zu anderen Kulturen, die von Hegel selbst nicht bereits in seine begriffliche Logik ‚aufgehoben‘ sind (d.h. zugleich: Beziehungen, die nicht bereits von seiner Theorie ‚dominiert‘ sind), kurz: interkulturelle Relationen ohne hegemoniale Theorieansprüche sind von hier aus nicht leicht denkbar. 23 Doch der Verdacht des Logozentrismus lenkt auch von dem theoretischen Potential ab. Tatsächlich enthält die Hegelsche Theorie nicht weniger als die Theorien von Husserl und Heidegger wegweisende Gedanken für ein Projekt, das gleichermaßen kulturelle Differenz als auch philosophische Verbindungslinien begreifen will. Drei Aspekte der Hegelschen Philosophie seien hier kurz benannt: (i) Das Anerkennungstheorem, (ii) das Konzept begrifflicher Übergänge, (iii) die Vermeidung eines Sprachrelativismus. (i) Das Hegelsche Anerkennungstheorem – unter anderem von Taylor zur Verteidigung der „Multikulturalismus“ verwendet 24 – stellt zugleich und unstrittig eine zentrale These interkultureller Philo22

Vgl. dazu: Heinz Kimmerle, Georg Wilhelm Friedrich Hegel interkulturell gelesen. Nordhausen, 2005.

23

Dass sie für und mit Hegel gar nicht mehr möglich sind, dafür argumentiert Na (Jeongseok Na, „Ambivalente Moderne: Wie Hegels Parteinahme für den Westen seine Fehleinschätzung Ostasiens erklärt“, in: Allgemeine Zeitschrift für Philosophie 2015, Heft 1. 29–60). Mir scheint hingegen die Hegelsche Philosophie in Sachen Interkulturalität, wie angedeutet, nicht so aporetisch (Beuthan, „Ein Hegelianisches Modell interkultureller Philosophie“, a.a.O.).

24

Siehe: Charles Taylor, Multikulturalismus und die Politik der Anerkennung. Fischer, 1993.

223

sophie dar. Es gehört ja gerade zum Kern des Projektes der interkulturellen Philosophie, die Differenz kulturell divergenter Philosophien nicht nur nicht zu leugnen, sondern mehr noch: die Eigenständigkeit der differenten Philosophiekulturen zu respektieren und die Philosophien trotz ihrer Verschiedenheit als Philosophien anzuerkennen. Ohne Anerkennung differenter Kulturen der Philosophie keine interkulturelle Philosophie. Das Hegelsche Theorem, das die Konstitution einer Identität von einer intersubjektiven Differenz her denkt und von der Erzeugung eines symmetrischen Verhältnisses abhängig macht – dieses Theorem kann zurecht als ein Grundmodell interkultureller Relationen in Anspruch genommen werden. Den Anerkennungsbegriff als Modell interkultureller Philosophie zu verstehen, bedeutet, die Differenz kulturell differenter Philosophien nicht nach dem Muster von Ignoranz oder Dominanz zugunsten der ‚eigenen Identität‘ aufzulösen, sondern die ‚kulturell differente Philosophie‘ als Philosophie – mit Kant gesprochen: auch die „fremde Vernunft“ 25 als Vernunft – anzuerkennen und damit auch: die ‚eigene Vernunft‘ durch die „fremde Vernunft“ in Frage stellen zu lassen. Die ‚eigene Vernunft‘, wenn man so will: die eigene philosophische Identität, ist in der Folge auch nicht mehr umstandslos als ‚gegeben‘ zu betrachten, sondern konstituiert sich vielmehr auch im Verhältnis zur „fremden Vernunft“. Um es zuzuspitzen: Das was sich in einem Traditionszusammenhang als ‚eigene Philosophie‘ ankündigt, konstituiert sich auf einer bestimmten Ebene erst als Philosophie, wenn sie in die wechselseitige Beziehung zur „fremden Vernunft“ eintritt. (ii) Doch auch Hegels Begriffsdialektik und Prozesslogik – wegen ihrer teleologischen Struktur viel kritisiert – enthält einen wichtigen Gedanken für das Projekt der interkulturellen Philosophie. Hegel steht wie kaum ein anderer dafür, unterschiedliche Gedankensysteme als differente zu analysieren und dabei nicht nur Unterschiede sichtbar zu machen, sondern auch begriffliche (nicht einfach nur historische, rezeptionsgeschichtliche) Übergänge zu entdecken. Insofern es interkultureller Philosophie (anders als komparativer Philosophie) nicht einfach darum gehen kann, historische Unterschiede festzustellen, sondern verschiedene Gedanken innerhalb systemati25

224

Kant, KrV, B 864.

scher Zusammenhänge zu begreifen und in ein begriffliches Verhältnis zueinander zu setzen, bietet Hegel hier ein wegweisendes Modell an: Unterschiede können (a) als philosophische Differenzen rekonstruiert und (b) als Differenzen anerkannt werden; und Differenzen können zugleich (c) als durchquerbar erkannt werden, so dass die Vorstellung einer radikalen, unüberbrückbaren Kluft überwunden werden kann. (iii) Anders als der übliche Vorwurf des Logozentrismus vermuten lässt, ist es gerade Hegels besondere Aufmerksamkeit für begriffliche Zusammenhänge, die uns zu einem Weg interkulturellen Philosophierens führen kann. Denn eine hegelianische Fokussierung von Begriffsverhältnissen bedeutet zugleich, dass man dem zügellosen Sprachrelativismus entgegentritt. D.h. die kulturelle Differenz wird weder auf sprachliche Differenz reduziert, noch wird die Klärung philosophischer Differenz auf das Feld der Linguistik verschoben und dort als sprachliche Differenz gleichsam hypostasiert. Mit Hegel wird man hingegen seine Aufmerksamkeit auf die Logotektonik von Gedanken und Argumentationen lenken und auf keinem Fall seinen Gedanken hinter Sprachbarrieren (die es freilich gibt!) verschanzen wollen. In dieser Perspektive müssen wir in der interkulturellen Philosophie dem Sprachrelativismus nicht das letzte Wort überlassen. Wir können uns vielmehr einem philosophischen Gedankenaustausch zuwenden.

4. „Ein Angebot, das man ablehnen kann“ – Reflexionen zum interkulturellen Dialog Ich habe bisher versucht, mit den „drei großen H“ – den drei verdächtig ‚eurozentristischen H‘ – Ansätze für das Projekt der interkulturellen Philosophie zu finden. Mein strategisches Ziel war es, mit ihnen über sie hinaus zu führen. Wohin? In einen Dialog bzw. zunächst: in die Möglichkeit überhaupt in einen Dialog mit anderen philosophischen Kulturen treten zu können, ohne bereits im Vorfeld – verdeckt oder offen – jeden Weg abgeschnitten zu haben, auf dem man einer anderen, in meinem Fall: nicht-europäischen Philosophie wahrhaft begegnen könnte. Man könnte nun die Frage stellen, wie man einen solchen Dialog konkret eröffnen kann. Und um diese Frage zuzuspitzen: Wie könnte man

225

aus dem genannten Traditionszusammenhang heraus mit einem Philosophen einen Dialog suchen, den die „drei H“ vermutlich niemals adressiert hätten, d.h. zum Beispiel: Zhu Xi. – Wie also einen Dialog eröffnen, den es historisch nie gegeben hat, der sich mithin ohne Vorbild, ohne ‚Drehbuch‘ ereignen würde? Wie Zhu Xi adressieren? Zwei Voraussetzungen des anvisierten Dialogs mit Zhu Xi seien benannt: (i) Es kann natürlich weder darum gehen, die Person Zhu Xi als solche noch seine Theorie als einen historischen Monolith zu adressieren. Auch wenn es eine monolithische Theorie gegeben haben sollte, dann wäre sie als solche nur Gegenstand eines historischen Diskurses. Philosophisch interessiert nicht der Monolith, sondern Theorieentscheidungen (u.U. sogar Lebensentscheidungen), die zu denken uns und d.h. zunächst einmal: der an Zhu Xi anschließenden Philosophietradition heute aufgegeben ist. Mit anderen Worten: Ich schlage vor, nicht Zhu Xi im strikten Sinne (als der mit diesem Eigennamen bezeichneten historischen Person) zu adressieren, sondern ein Denken, dass sich bis in unsere Zeit kontinuiert – und das sich durchaus vielstimmig artikuliert. (ii) Es wäre ein Irrtum zu glauben, ein Dialog würde rein um des Dialogs willen angestrebt. Ein Dialog entspringt einem jeweils spezifischen Interesse. Es geht hier keineswegs ‚romantischästhetizistisch‘ um ein „interesseloses Wohlgefallen“. Weder ist man „interesselos“ in Hinsicht auf den Dialog noch in Hinsicht auf den anderen Dialogpartner. Beides muss im Kräftefeld von Interessen gedacht werden. Die Vorstellung einer ‚unbedingten‘ Aufmerksamkeit, eines gänzlich ‚interesselose‘ Eintritts in einen Dialog, ist als Voraussetzung für einen Dialog ist zurückzuweisen. Eine solche Vorstellung verstellt und erschwert die Möglichkeit eines gelingenden Dialogs, weil sie – analog zu überzogenen und de facto kontraproduktiven Vorstellungen der ‚romantischen Liebe‘ – jeden Dialog mit überzogenen, puristischen Fantasievorstellungen belastet. Ein Interesse als Europäer, einen Dialog mit dem Denken Zhu Xi’s zu suchen, kann zunächst durchaus als ein typisch europäisches Interesse beschrieben werden (damit ist nicht gesagt, dass es nur ein Interesse der Europäer ist, sondern nur, dass es ein für Europa typisches Interesse

226

ist): Es entspringt der für die europäische Denkgeschichte wichtigen Idee der Freiheit. 26 Das „Interesse der Vernunft“ (Hegel) an der „Idee der Freiheit“ (Kant) kann zumal im Kontext des Deutschen Idealismus als das genuin philosophische Interesse beschrieben werden, so dass sich von diesem Kontext her sogar die Auffassung herleiten lässt, dass Philosophie im Kern ein Denken der Freiheit ist. Diese These kann ich hier jedoch ‚epochalisieren‘, d.h. ihre Geltung einklammern. Es reicht hier das theoretische Interesse an einen Dialog durch folgende Fragen anzuzeigen: Wie wird Freiheit gedacht? Und näher: Wie wird der Zusammenhang von Freiheit und Normativität, und ferner von Normativität und Natur gedacht? Diese Fragen führen – das lässt sich allein schon im Kontext des Deutschen Idealismus sehen – zu erheblichen systematischen Herausforderungen, die ihrerseits sehr verschiedene Antworten ermöglichen. 27 Doch diese Fragen aus dem Horizont der „drei großen H“ heraus an die durch den Namen Zhu Xi bezeichnete Denktradition zu adressieren, bedeutet, wie gesagt, einen Dialog zu suchen, den weder Hegel, noch Husserl noch Heidegger gesucht hätten. Und obwohl kein einzelner dieser Denker diesen Schritt gegangen ist, kann der Schritt gerade ausgehend von dem geschichtlichen Denkhorizont der „drei großen H“ gemacht werden. D.h. erst nach ihnen, aber eben auch durch sie emergieren die begrifflichen Möglichkeiten, um etwas zu versuchen, was ihnen jeweils selbst an ihrem geschichtlichen Ort unmöglich war. Um es etwas schematisch zusammenzufassen: Mit Hegel und der Aufklärungstradition können wir die Frage der Freiheit als solche fokussieren, mit Hegel insbesondere sind wir für die Diversität der Freiheitsbegriffe sensibilisiert und auf deren begrifflichen Konnex aufmerksam, aber mit Heidegger lernen wir auch unser Fragen über den eigenen (europäi26

Man denke hierbei etwa an die griechische Polis-Demokratie, die römischen Rechtsverhältnisse, die christliche Bedeutung des Individuums, die Aufklärung usw.

27

Wie divers und kontrovers die Interpretationen ausfallen können, lässt sich leicht erahnen, wenn man z.B. im Hegelkontext nur an die völlig gegenläufigen Hegelinterpretationen von Pippin (Robert Pippin, Hegel’s Idealism. The Satisfaction of SelfConsciousness, Cambridge 2001 [1989]) und Halbig (Christoph Halbig, Objektives Denken: Erkenntnistheorie und Philosophy of Mind in Hegels System, Stuttgart-Bad Cannstatt 2002) erinnert: Auf der einen Seite ein anti-metaphysischer Pragmatismus, auf der anderen Seite eine Ontologie des Normativen mit starken metaphysischen Annahmen.

227

schen) metaphysischen Horizont herausgehen zu lassen, und mit Husserl öffnen wir unseren Blick für Gemeinsamkeiten („Überlappungen“), ohne dabei eine vorgängige oder übergreifende Identität in Anspruch zu nehmen. – Damit komme ich nun abschließend zu einem Gesprächsangebot, einem Angebot, das man – im Unterschied zu den legendären Angeboten des „Godfather“ (1977, Francis Ford Coppola) – „ablehnen kann“. Und ich füge hier an: Es gehört eben zu den Bedingungen eines Dialogs, auch eines philosophischen, das man das jeweilige Dialogangebot nicht annehmen muss. Anders als die Verknüpfungen innerhalb einer Kette von Schlussfolgerungen, anders als ein gutes Argument ist ein Dialogangebot nicht ‚zwingend‘ bzw. ist die Aufnahme eines Dialogangebots (und auch nicht der Verlauf eines Dialogs) keinesfalls ‚notwendig‘. Dies mag auch ein Grund dafür sein, dass gerade Experten für Schlussfolgerungen und zwingende Argumente (also auch Philosophen) sich oft so schlecht auf Dialoge verstehen, weil sie ‚geeicht auf zwingende Argumente‘ allzu schnell vom Glanz der jeweiligen, meist eigenen Argumentationsketten bezaubert keinen Sinn mehr für eine offene, und d.h. auch ungewisse Situation mehr haben. Doch gerade das heißt, einen Dialog zu beginnen und zu führen: eine offene Situation zu erzeugen, in der Gedanken entstehen können. Salopp gesagt: Dialoge sind keine Stellungskriege mit bestehenden Gedankenformationen. Ich adressiere also eine systematische Frage an Zhu Xi (im genannten Sinne): Wie Freiheit denken? – Diese Frage verstehe ich als eine offene Frage, d.h. ich gehe bis auf weiteres nicht davon aus, dass es hier nur eine Antwort gibt. Und ich adressiere die Frage an einen Denker (oder eine Denktradition), der (die) im europäischen Kontext der Philosophie weitgehend ausgeblendet wird. Zhu Xi hat bekanntermaßen den ‚daoistischen‘ qi-Monismus im Rahmen seiner Ontologie (ein zulässiger Ausdruck? 28) zugunsten des ‚konfuzianischen‘ li-Prinzips gewissermaßen transzendiert und damit einen Freiheitsgedanken entwickelt, 29 wonach wir auch als ‚passive‘ Naturwesen unser Handeln ‚aktiv‘

28

Zur Frage, ob der Ausdruck „Ontologie“ überhaupt zulässig ist vgl. Halla Kim, „Ostasiatische Ontologie“, in: Handbuch Ontologie, hrsg. von J. Urbich und J. Zimmer, Stuttgart 2020, 287).

29

Vgl. dazu: Hansang A. Kim, “Freedom, Agency and the Primacy of Li in Zhu Xi’s Neo-Confucianism (Seongnihak)”, in: The Review of Korean Studies, Vol. 16, 1, 2013.

228

an einem allgemeinen normativen Prinzip ausrichten können. Ich adressiere mithin meine Frage an eine Theorie, von der bekannt ist, dass sie innerhalb der asiatischen Tradition eine Ontologie – oder darf man sagen: eine Metaphysik? – entwickelt hat, in der eine bestimmte Auffassung von Freiheit eine zentrale Rolle spielt. Ich möchte meine Frage im Sinne einer gegenwärtigen Problemstellung zuspitzen: Können wir den Gedanken der Freiheit in einer Weise fassen, dass wir weder den Menschen theoretisch aus seiner Naturverankerung herauslösen noch die Natur zum bloßen Objekt menschlicher Freiheit herabzustufen? 30 Diese Problematik rührt an einer grundsätzlichen ontologischen Frage: Wie überhaupt heute, in einer weitgehend ‚nach-metaphysischen Moderne‘ eine Ontologie denken, in der Normativität einen genuinen Platz hat? Es scheint mir ein Grundzug der ‚metaphysischen‘ Traditionen – nicht nur der europäischen! – zu sein, eben diesen Zusammenhang von Ontologie und Normativität gedacht zu haben. Nebenbei bemerkt: Es scheint mir ferner gerade auch die sehr starke Tendenz der (postmetaphysischen) modernen westlichen Philosophie, ontologische Fragen von ethischen (normativen) Fragen dogmatisch zu trennen, ein nicht unerheblicher Grund zu sein, warum ein Dialog mit Philosophien der klassischen ostasiatischen Traditionen gar nicht erst gesucht wird. Wenn Freiheit – wie ich anzunehmen geneigt bin – eine Kernfrage der Philosophie und ein fundamentales Interesse der Menschen ist, dann ist es geboten, diese Fragen transkulturell zu diskutieren und systematisch orientierte Dialogangebote zu machen. Das bedeutet in methodischer Hinsicht: (i) Im Sinne der interkulturellen Philosophie sollen wir die kulturelle Signatur unseres Zugangs zu den jeweiligen Fragen reflektieren (hier z.B. der Kontext der „drei großen H“) und explizieren; (ii) und im Sinne der interkulturellen Philosophie werden wir unsere Fragen als Sachfragen systematisch präzisieren und nach Antworten suchen (hier die Frage nach der Freiheit und das Problem einer Ontologie des Normativen);

30

Für die Gefahr der instrumentellen Objektivierung von Natur sind wir besonders von Heidegger sensibilisiert worden.

229

(iii) und im Sinne der interkulturellen Philosophie werden wir Fragen und Antworten als Dialogangebote formulieren – welche im Fall des Gelingens eines Dialogs zu ganz neuen Fragen und Antworten führen können. Ich beende also meine allgemeinen Überlegungen zur interkulturellen Philosophie mit einer offenen Frage im Sinne eines Dialogangebots: Wie Freiheit denken? – Eine dialogorientierte Frage, die für einen Europäer erst nach Hegel, Husserl und Heidegger gestellt werden kann, aber auch nicht ohne sie; und eine Frage, die hier eine Denktradition adressiert (Zhu Xi), deren Antworten in historischer Perspektive der einen (europäischen) Seite nahezu unbekannt, der anderen (ostasiatischen) Seite bekannt waren, und deren Antworten in philosophischer Perspektive dialogisch zu suchen und zu bewähren sind. Die Antworten, also systematische Entscheidungen mit Geltungsansprüchen, werden nicht ausgeklammert, aber sollen hier nicht ‚unmittelbar‘, also ‚ohne Dialog‘ gegeben werden. ‚Unmittelbar‘ ging es nur darum, die ‚Selbstverständlichkeit‘ eines solchen Dialogs bezüglich seiner Möglichkeit und Notwendigkeit aufzuklären.

Schluss Die Ausgangsfrage war, ob sich mit Hegel, Husserl und Heidegger Wege zur interkulturellen Philosophie, genauer: zu einem interkulturellen Dialog finden lassen. Die Frage mochte angesichts des Umstandes, dass alle drei Autoren unter dem Verdacht stehen, in der einen oder anderen Weise nicht nur klassisch ‚europäisch‘, sondern eben auch ‚Klassiker des Eurozentrismus‘ zu sein, befremdlich anmuten. Obwohl der Verdacht nicht in jeder Hinsicht zurückgewiesen wird, habe ich dennoch zu zeigen versucht, wie die Frage klarerweise mit „Ja“ zu beantworten ist. Denn ungeachtet des einen oder anderen ‚eurozentristischen‘ Aspektes dieser Theorien (siehe dazu auch die Unterscheidung zwischen explizitem und implizitem Eurozentrismus in Abschnitt 3) generieren diese Theorien entscheidende Gedanken, die zusammengenommen tatsächlich wegführend für das Projekt der interkulturellen Philosophie sind und die mithin Dialogbereitschaft und -fähigkeit befördern können. Dazu gehören vor allem Heideggers entschiedenes Nachdenken über die Grenzen eines westlichen Denktypus (von Heidegger unter dem

230

Titelwort „Metaphysik“ subsummiert) hinaus, ferner Husserls Einsicht in die „Überlappung“ von Sinnfeldern und Hegels Theorem der „Anerkennung“ sowie seine historisch-logische Begrifflichkeit, die es erlaubt Übergänge zwischen historisch Differentem mit philosophischen Mitteln (sprich: begrifflich) zu analysieren. Dies macht es in der Folge auch möglich – wie ich in (Abschnitt 4) den Reflexionen zu einem interkulturellen Dialog skizziert habe –, nicht unter Verzicht, sondern gerade im Anschluss an den Traditionszusammenhang der „drei großen H“ einen Dialog, genauer: einen Dialoganfang zu suchen, um mit einer Denktradition (hier: Zhu Xi) ins Gespräch kommen zu können, die von allen drei Autoren erstaunlicher Weise komplett ignoriert wurde. Ein möglicher Anfang wurde markiert. Und so zeichnet sich pars pro toto gegen den Anschein einer eurozentristischen Dialogunfähigkeit eine realistische Möglichkeit ab, dass wir ‚durch Philosophie einen interkulturellen Dialog lernen‘ können.

231

Yuka Okazaki Sex Difference in Hegel’s Logic

Introduction—Why the Logic? Although Hegel’s Logic is the core of his mature system as distilled in his Encyclopedia of the Philosophical Sciences, it has received the least attention in feminist interpretations of his account of sexual difference. 1 Most feminist scholars have explored Hegel’s accounts of sex and gender in his interpretation of Sophocles’ Antigone 2 in the Phenomenology of Spirit or his theory of marriage in the Elements of the Philosophy of Right. This tendency is also the case for the recent Hegel scholarship. For one, based on a comprehensive reading of Hegel’s philosophy of right and philosophy of nature, Brauer critically examines Hegel’s justification of gender relation based on the natural determination of sexes, which he provides in his philosophy of nature. 3 Although Bockenheimer’s concern extends to Hegel’s Logic as well as his philosophy of right and philosophy of nature to offer a detailed, critical commentary of Hegel’s theory of Geschlecht, Bockenheimer’s examina-

1

This dismissal of Logic may be the case for the prominent collections of essays on Hegel’s philosophy; Patricia Jagentowiez Milles (ed.), Feminist Interpretations of G.W.F. Hegel, University Park 1996; Kimberly Hutchings, Tuija Pulkkinen (ed.), Hegel’s Philosophy and Feminist Thought. Beyond Antigone? New York 2010.

2

Tracing the Aristophanian subtext of Hegel’s account of the Greek ethical world in the Phenomenology, Karin de Boer argues that most feminist interpretations of the section of the Phenomenology as Hegel’s interpretation of Antigone are mistaken. (Karin de Boer, “Beyond Tragedy, Tracing the Aristophanian Subtext of Hegel’s Phenomenology of Spirit,” in Hutchings and Pulkkinen, Hegel’s Philosophy and Feminist Thought, 133–151).

3

Susanne Brauer, Natur und Sittlichkeit. Die Familie in Hegels Rechtsphilosophie, Freiburg 2007, 127ff.

233

tion of Logic is limited to the section on Life. 4 Stone offers not only a brilliant interpretation of Hegel’s discussions of sex difference and reproduction, the “genus process [Gattungsprozess]”, in his philosophy of nature and philosophy of right but also considers what “the Concept”, a technical term in Hegel’s Logic, implies in the context of his philosophy of nature. 5 However, Stone is not devoted to a more comprehensive examination of the section on Concept, especially Judgment—this is what I will examine in this study. The two latter parts of Hegel’s philosophical system: the philosophy of nature and philosophy of mind, have been significantly researched; however, his Logic continues to be ignored or marginalized in previous studies on his treatments of Geschlecht. Although it is reasonable to focus on the sections on Life of Logic and Organic of Philosophy of Nature, given that Hegel refers us to his discussion of the genus-process in §167ff. and 288ff. of the Heidelberg Encyclopedia, how Hegel defines the sex difference in his Logic remains noteworthy. I intend to investigate the significance of Geschlechtsdifferenz in his Logic, especially in the section on Judgment. Indeed, Hegel does not explicitly discuss sex difference in the section on Judgment, but this does not imply that for Hegel, sex difference is not related to the judgment. First, the 1818/19 and 1819/20 lecture notes on the philosophy of right show that Hegel defines sex difference as not reduced to the socalled biological sex, as he argues that “their differences [the differences of sexes Y.O.] are posited by the concept” (GW 26/1, 291) and “the difference [the difference of sexes Y.O.] is the difference of concept” (GW 26/1, 441). This suggests that Hegel defines sex-difference in terms of the concept. Second, the Heidelberg Encyclopedia Logic defines the judgments as sex difference, stating that “the judgment of this concept is the relation of the subject to another subject, the sex difference [Geschlechtsdifferenz]” (GW 13, 102). The second and third versions of Encyclopedia Logic also articulate that “[t]he particularization of this [the genus Y.O.] is the relation of the subject to another subject of the same genus, and the judgment is the relationship of the genus to these 4

Eva Bockenheimer, Hegels Familien- und Geschlechtertheorie, Hamburg 2013, 140ff. and 205ff.

5

Alison Stone, Nature, Ethics and Gender in German Romanticism and Idealism, Lanham 2018, 173ff.

234

determinate individuals standing opposite one another: the difference of the sexes [Geschlechtsdifferenz]” (GW 20, 220; EL 293, translation modified, cf. GW 19, 170). Third, the Heidelberg Encyclopedia and the 1827 version of the Encyclopedia Naturphilosophie link the disjunction with sex difference, maintaining that “the disjunction of the singularity that finds itself in the genus is the sex-difference [Geschlechts-Differenz], the relation of the subject to an object, which itself is such a subject” (GW 13, 169; cf. GW 19, 277). Based on these statements, it can be concluded that for Hegel, sex difference is related to judgments in general, or more precisely, to disjunctive judgments.

1. Hegel’s Critique of the Traditional Account of the Genus Then, why does Hegel relate sex difference to disjunctive judgments? The reason is related to the fact that Hegel attempts in his discussion of disjunctive judgments to criticize the classical account of the logical relation of the genus and species. Hegel’s central concern here is to object to the traditional account of the genus [Gattung] as the abstract universal. 6 We can find this account in, for one, Kant’s Jäsche Logik. In §6, he describes concept formation as follows: 7 To make concepts out of representations one must thus be able to compare, to reflect, and to abstract, for these three logical operations of the understanding are the essential and universal conditions for generation of every concept whatsoever. I see, e.g., a spruce, a willow, and a linden. By first comparing these objects with one another I note that they are different from one another in regard to the trunk, the branches, the leaves, etc.; but next I reflect on that which they have in common among themselves,

6

Cf. Reiner Schäfer, „Hegels identitätstheoretische Deutung des Urteils“, in Andreas Arndt, Christian Iber, Günter Kruck (Hg), Hegels Lehre vom Begriff, Urteil und Schluss, Berlin 2006, 58ff; Myriam Gerhard, Hegel und die logische Frage, Berlin/ Boston 2015, 50f.

7

Cf. Béatrice Longuenesse, Kant and the Capacity to Judge. Sensibility and Discursivity in the Transcendental Analytic of the Critique of Pure Reason, Princeton and Oxford 2001, 115f.; Jeremy Heis, “The Fact of Modern Mathematics. Geometry, Logic, and Concept Formation in Kant and Cassirer,” PhD dissertation, University of Pittsburgh, 134ff.

235

trunk, branches, and leaves themselves, and I abstract from the quantity, the figure, etc., of these; thus I acquire a concept of tree. 8

Kant further concludes that by comparison, reflection, and abstraction, we must finally attain the most abstract concept, arguing that “the most abstract concept is the one that has nothing in common with any distinct from itself. This is the concept of something [Etwas], for that which is different from it is nothing [Nichts], and it thus has nothing in common with something.” 9 Ralph Eaton, in his 1931 book, citing several passages from the beginning of the section on the Concept of the 1892 English-translated version of the Encyclopedia Logic, 10 demonstrates that Hegel had objected to concept formation by abstraction. Hegel and his followers thought that “the more general the universal, and the wider its extension, the ‘richer and fuller’ will be its intension. The Hegelian theory of the concrete universal lies behind this objection.” 11 In fact, Hegel offers a more explicit criticism of the account of the genus as the abstract universals in the section on Judgment in his 1816 Science of Logic than the Encyclopedia Logic. In his discussion of disjunctive judgments, Hegel states as follows: If the genus were an abstract universality, as in the judgments of existence, then the species would also have to be taken as diverse and mutually indifferent; this universality, however, is not the external one that arises only through comparison and abstraction but is, on the contrary, the universality which is immanent to the genus and concrete. (GW 12, 81; SL, 578– 579).

In this passage, distinguishing disjunctive judgments from the earlier two forms of judgments, namely, the “judgments of existence” and “judgments of reflection”, Hegel rejects the view of the genus as an abstract universality as well as the account of the theory of concept formation that Kant gave in his Jäsche Logik. Regarding the genus, Hegel writes: 8

AA 9, 94–95; Immanuel Kant, Lectures on Logic, J. Michael Young (trans. and ed.), Cambridge 2004 [1992], 592.

9

AA 9, 95; Kant, Lectures on Logic, 593.

10

William Wallace (trans.), The Logic of Hegel, translated from the Encyclopedia of the Philosophical Sciences, with Prolegomena, Oxford 1892, 287ff.

11

236

Ralph M. Eaton, General Logic. An Introductory Survey, New York 1959[1931], 270.

The universality that has thereby arisen is the genus, or the universality which is concrete in its universality. The genus does not inhere in the subject; it is not one property of it or a property at all; it contains all singular determinacies dissolved into its substantial purity. – Because it is thus posited as this negative self-identity, it is for that reason essentially subject, but one that is no longer subsumed under its predicate. (GW 12, 76; SL, 574)

Hegel highlights the difference between the forms of universality in the predicate of judgments, arguing that one must identify the universality of the genus neither with the abstract universality found in the predicate of the judgments of inherence, nor with the external or empirical universality found in the predicate of the judgments of subsumption. Thus, as Ng argues, “[n]either inherence nor subsumption can capture the relationship or ‘negative self-identity’ of the genus.” 12 This section has shown that Hegel’s discussion of disjunctive judgment is a critical response to the classical view of the genus as an abstract universal. The following section, focusing on Hegel’s analysis of empirical disjunctive judgments, will examine why Hegel rejects such a view.

2. Lack of Necessity of Empirical Disjunctive Judgments Under the title of the Judgment of Necessity, Hegel analyzes the three forms of judgments: categorical, hypothetical, and disjunctive judgments. Although what Hegel calls the judgments of necessity correspond to the three kinds of “relations” of judgments in Kant’s table of judgments, Hegel recasts these three types of judgments in terms of the “logical relation between the genus and species.” 13 He argues that despite its title, the realization of “the necessity of the concept in which, first, the self-identity of the two extremes is of the same extent, content, and universality” (GW 12, 80; SL, 578) has to wait until the final form of the judgment of necessity, that is, disjunctive judgment. However, the main

12

Karen Ng, Hegel’s Concept of Life. Self-Consciousness, Freedom, Logic, New York 2020, 192.

13

Noriaki Akaishi, “Hegel no Hitsuzensei no Handan nitsuite. Kagenhandan no Gutaireimondai tono Kankei kara,” Hegel Tetsugaku Kenkyu, 2003, 82.

237

concern of Hegel’s discussion of disjunctive judgment is to reveal the lack of necessity of the empirical version of disjunctive judgment. An empirical disjunctive judgment is without necessity; A is either B or C or D, etc., because the species B, C, D, etc., are found beforehand; strictly speaking, therefore, there is no question here of an “either or”, for the completeness of these species is only a subjective one; of course, one species excludes the other, but the “either-or” excludes every other species and completes [abschließen] an entire sphere within itself. (...) The empirical species have their differences in some accidentality or other which is a principle external to them and is not, therefore, their principle, and consequently also not the immanent determinateness of the genus; for this reason, they are also not reciprocally connected according to their determinateness. (GW 12, 81; SL, 579) [translation modified]

What is at issue here is the validity of a disjunctive proposition. To be valid, a disjunctive proposition should satisfy the following two conditions. First, the alternatives stated in it must be mutually exclusive— that is, there must be no middle ground or overlap between alternatives. Second, the alternatives stated in it must exhaust or complete all the possibilities about a subject. In other words, one should omit no alternative. The lack of necessity of empirical disjunctive judgments derives from a breach of the latter condition and leads to a fallacy of imperfect disjunction because of non-exhaustive members. According to Hegel, it should be required to “exclude every other species and complete an entire sphere within itself.” By contrast, the “etc.” in the predicate of empirical disjunctive judgment implies that species B, C, and D in the predicate are not exhaustive collectively and that one omits any other species contained in genus A in the subject. Accordingly, Hegel concludes that no empirical disjunctive judgment expresses the necessary identity between a subject and its predicate. 14 Another criticism in the passage quoted earlier is directed toward the externality of the principle and ground found in empirical disjunctive judgments. According to Hegel, empirical disjunctive judgments lack necessity because the “principle of division [Princip des Unter14

Ng cites as an example of Hegel’s disjunctive judgments, “an individual of the genus Homo is either a Homo habilis, a Homo erectus, a Homo neanderthalensis, or a Homo sapiens, etc.” (Ng, Hegel’s Concept of Life, 200). This example, however, belongs among empirical disjunctive judgments—what Hegel criticizes here.

238

schieds] by which the species are determined and connected” is neither immanent to them nor the “immanent determinateness of the genus” (GW 12, 81; SL, translation modified). In the subchapter on “Division [Einteilung]”, Hegel further reveals the externality of the principle for the upward or compositional classification by empirical grouping, arguing that “the genus would receive its determination from what we group together on the basis of some standpoint or other that we choose to assume as a principle of unity; this standpoint thus becomes itself the ground of division [Einteilungsgrund]” (GW 12, 218; SL, 716). Insofar as it is we who adopt “some standpoint” as the “principle of unity” and “the ground of division”, the principle and ground are not internal or immanent to the genus and species.

3. Species Constructivism and the Self-dividing of the Genus into Species For Hegel, why must the principle or ground of division be internal or immanent to the genus and species? Hegel’s discussion of what he often calls “weapons” provides clues. In the context of a critical examination of downward classification by division based on “marks [Merkmale]”, Hegel writes as follows: For example, in the case of animals, the weapons [Waffen], the instruments for eating, the teeth and the claws, are used in the systems as a far-reaching criterion of division [Einteilungsgrund]. They may be taken at first only as features in which it is easier, for the subjective purpose of cognition, to detect distinguishing marks. But in fact the differentiation embodied in those organs is not one that pertains just to external reflection; such organs are rather the vital point of animal individuality, where the latter posits itself as self-referring singularity by cutting itself loose from the otherness of its external nature and from continuity with the other. (GW 12, 219; SL, 717– 718) [translation modified]

Here, Hegel explains why the principle or ground of division must be immanent to animals, not us. What he criticizes is our ordinal way of the downward classification by division. We can divide a class into several subclasses that compose it: for example, Ungulate into Artiodactyla, the even-toed ungulates; Perissodactyla, the odd-toed ungulates; and Uranotheria, by using the structure of their hooves as the feature that

239

consists of the principle of division. However, as emphasized in the 1828 lecture notes on the philosophy of nature, their hooves have distinctive marks based on which we distinguish between the animals but are also used by them for their nutrition and protection from predators, and through which they distinguish themselves from each other (GW 24/2, 1160). Thus, Hegel focuses on the “weapons” by which animals distinguish themselves from one another. It is, therefore, safe to interpret, following Lindquist, that, “Hegel is properly thought of as a sort of ‘species constructivist’” 15 in that animals construct the division rather than being passively or externally divided in the taxonomic system. For Hegel, the principle or ground of division is not only a distinguishing mark arbitrarily chosen by us for our purposes, which are external or unrelated to the animals, but is also a weapon by which animals contribute to drawing the boundaries between them. In what sense are the principle and ground of division internal or immanent to animals? To understand this, this section examines the accounts of the genus and species given by Hegel in his discussion on what he calls the judgments of necessity. He begins his discussion of the categorical judgment—the first form of the judgments of necessity—by stating that “the genus essentially divides or repels itself into species; it is genus only in so far as it comprehends the species under it; the species is a species only in so far as, on the one side, it exists in singulars, and, on the other side, it possesses in the genus a higher universality” (GW 12, 77–78; SL, 575). What Hegel attempts to describe here is “a selfdividing process of the genus into its species,” 16 in which a genus divides itself into its various species. He further emphasizes in his discussion of the final of judgments of necessity, namely, disjunctive judgments, the internal or immanent principle of division, arguing that the genus “possess, immanent in it, the simple principle of division [Princip des Unterschieds] by which the species are determined and connected” (GW 12, 81; SL, 579) and that the genus “has within it the determinateness that constitutes the principle of its particularization into species” (GW 12, 83; SL, 581).

15

Daniel Lindquist, “On Origins and Species: Hegel on the Genus-Process,” Hegel Bulletin, 41/3, 2020, 439.

16

240

Schäfer, “Hegels identitätstheoretische Deutung des Urteils,” 60.

Regarding this particularization of the genus into its species, Hegel further argues as follows: Upon closer consideration of this particularization, it is the genus that constitutes first of all the substantial universality of the species; the subject is thus B as well as C; this “as well as” indicates the positive identity of the particular with the universal; this objective universal maintains itself fully in its particularity. Secondly, the species mutually exclude one another, “A is either B or C”; for they are the specific difference of the universal sphere. This “either or” is their negative connection. In this negative connection they are just as identical as in the positive; the genus is their unity as a unity of determinate particulars. (GW 12, 80–81; SL, 578)

The “or [oder]” stated in a disjunctive proposition has two meanings: the inclusive-or and the exclusive-or. Focusing on these two meanings of “or”, Hegel discusses the two kinds of the identity of the particular (the predicate) with the universal (the subject). He takes the inclusiveor to be their “positive identity” of the “their [species’ Y.O.] totality” and “the universality of the genus” (GW 12, 80; SL, 578), whereas he regards the exclusive-or as “the negative unity in the particularization of the genus into its species.” 17 As Schäfer argues, what Hegel attempts to express with the exclusive-or is that “the process of division occurred in the concept of the genus itself.” 18 Again, Hegel considers the validity of the disjunctive proposition when discussing the negative unity and argues that species are mutually exclusive and negatively connected. As previously seen, a valid disjunctive proposition has mutually exclusive alternatives. This implies that the species as alternatives in the predicate of disjunctive judgments are related as contradictories and that there exists no middle ground or overlap between them. Thus, Hegel defines species as contradictory concepts, arguing that species are “contradictory, inasmuch as they exclude one another” (GW 12, 81; SL, 579). To better understand what Hegel calls the negative unity, let us recall the figure called “the duck-rabbit”, which Wittgenstein derives from Jastrow. 19 Wittgenstein writes that “[i]t can be seen as a rabbit’s head or 17

Schäfer, “Hegels identitätstheoretische Deutung des Urteils,” 66.

18

Schäfer, “Hegels identitätstheoretische Deutung des Urteils,” 66.

19

I owe my interpretation of Hegel’s negative unity to Georg Sans. Georg Sans, Die Realisierung des Begriffs. Eine Untersuchung zu Hegels Schlusslehre, Berlin 2004, 197

241

as a duck’s.” 20 However, one cannot see this figure as both a rabbit and a duck at the same time. If it can be seen as a rabbit, then it cannot be seen as a duck, and vice versa. Thus, a rabbit and a duck are mutually exclusive, but connected negatively to as a single figure of “the duckrabbit”. Similar to the duck and rabbit, species stated in the disjunctive proposition are mutually exclusive and are related as contradictories by uniting to form a single genus. It is noteworthy, however, that Hegel highlights the fact that “the species comes up for consideration here only under the aspect of its simple conceptual determinateness, not according to the shape [Gestalt] in which, proceeding from the idea, it steps into a further self-subsistent reality” (GW 12, 82; SL, 580). This remark suggests that the negative unity, namely, the particularization of the genus into its species, occurs at the levels of concept and its external actuality. Therefore, the next and final section examines the chapter on Life, where he treats the negative unity in the context of the living process of animal organisms. This examination will clarify why and how Hegel defines the genus in relation to the sex difference.

4. Life Hegel begins his discussion of the negative unity with a focus on “the germ of a living individual.” At first, it is itself only the concept that still has to objectify itself, but a concept which is actual [wirklich] – the germ of a living individual. To ordinary perception what the concept is, and that the subjective concept has external actuality [Wirklichkeit], are visibly present in it. For the germ of the living being is the complete concretion of individuality: it is where all the living being’s diverse sides, its properties and articulated differences, are contained in their entire determinateness; where the at first immaterial, subjective totality is present undeveloped, simple and non-sensuous. Thus the germ is the whole living being in the inner form of the concept. (GW 12, 190–191; SL, 687–688)

and 213; Ludwig Wittgenstein, Philosophical Investigations, fourth edition, G.E.M. Anscombe, P.M.S. Hacker, Joachim Schulte (trans.), West Sussex 2009, 204. 20

242

Wittgenstein, Philosophical Investigations, 204.

The background of this passage is “the controversy between the theories of preformation and epigenesis.” 21 Hegel’s position is ambiguous, for he declares both the fallacy and correctness of the preformation theory. According to Hegel, “the correctness of this hypothesis [the preformism Y.O.] 22 is that the concept remains under itself in the process, and the process does not establish anything new in content but only causes a change of form” (GW 23/3, 930). Hegel’s favorite example is “the germ of a tree”. According to him, it contains “the whole of the tree, all the properties of the roots and trunk, the determinateness of the bark, etc.” (GW 23/2, 774), which are immaterial but fated to be externalized as one tree. Thus, for Hegel, the self-determination of the concept is that all the determinacies of the organism are latent in the germ. How does the germ of an animal organism unfold? According to Hegel, all animals are subject to the following three processes: the “shape”, “assimilation”, and “genus process [Gattungsprozess]”. Regarding the process of the shape or formation, Hegel states as follows: The whole, as structure completely developed into a self-subsistent individual, is, in this self-related universality, at the same time particularized into the sex-relation, into a relation outwards with another individual. Structure, being self-enclosed, points within itself to its two directions outward. (GW 20, 356; PN 373)

In this passage, Hegel describes the process of shape or formation as the one by which the embryo of a living individual develops into a male or female, namely, sexual differentiation. Accordingly, it is safe to say that Hegel assumes the determinacies of sexes to be latent in the embryo of a living individual, which manifest themselves outwardly in the process of shape or formation. A similar view is found in the text by Jacob Ackermann, who influenced Hegel’s treatment of sex differences. 23 In his 1805 study, Ackermann maintains that all human individuals poten21

Kawase Kazuya, Zentairon to Ichigenron. Hegel Tetsugakutaikei no Kakushin, Kyoto 2021, 240.

22

More precisely, “Einschachtelungshypothese”, which is proposed by Jan Swammerdam (1637–1630), and that pioneered the preformism of the 18th century (GW 23/3, 1114).

23

Heinz-Jürgen Voß, Making Sex Revisited. Dekonstruktion des Geschlechts aus biologisch-medizinischer Perspektive, Bielefeld 2010, 140.

243

tially contain genital organs of both sexes and that only one of the sexes becomes manifest as the individual develops. 24 Ackermann also emphasizes that sexual differentiation begins at the earliest stage of embryonic development, but even at birth, it does not become a distinguishing sign for sex identification. 25 Hegel’s writing in the Jena period and the student manuscripts in the Berlin period reveal that he investigated Ackermann’s 1805 study. Indeed, Hegel consistently adopted the view in which animal life, including human life, begins as “non-sex [geschlechtslos]” (ex. GW 8, 301; GW 24/1, 173), while in the 1819/20 lectures on the philosophy of nature, he states that “the human being is primordially hermaphroditic, the same is formed only in a different way” (GW 24/1, 173). With Hegel’s treatment of the problem of sexual difference in plants, Lindquist is correct in arguing that “Hegel (unlike Schelling) does not take sexual differentiation to be fundamental to organic nature as such.” 26 However, Hegel’s argument here is that sexual differentiation only constitutes the shape process of animal individuals. This implies that Hegel purports to take sexual differentiation to be only essential to animal organisms. As Bockenheimer suggests, the process of shape is intended to be the third process of animal individuals, namely, the process of genus. 27 According to Hegel, the process of genus constitutes “the propagation of the living sexes [Geschlechter]” (GW 12, 191; SL, 688, translation modified). Through the propagation, “the genus obtains actuality” and “the moment of negative unity and individuality is thereby posited in it” (GW 12, 191; SL, 688). As seen in the previous section, the negative unity discussed in the chapter on Judgment implies that two species particularized according to the principle of division immanent to the genus itself, mutually exclude each other and unite to form a single genus. Here, negative unity is actualized as “the propagation of the living sexes”—more specifically, the “copulation” [Begattung] (GW 12, 191; 24

Jacob Fidele Ackermann, Infantis androgyni historia et ichonographia accedunt de sexu et generatione disquisitiones physiologicae et tabulae V. aeri incisae, Jenae 1805, 90. Cf. Voß, Making Sex Revisited, 136ff.

25

Ackermann, Infantis androgyni historia, 92. Cf. Yuka Okazaki, “Challenging the Sex Binary in Hegel’s Philosophy,” in Revista Eletrônica Estudos Hegelianos, 19/33, 2022, 208f.

26

Lindquist, “On Origins and Species,” 432.

27

Bockenheimer, Hegels Familien- und Geschlechtertheorie, 145.

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SL, 688). As Sans argues, “with the reproduction, the division of the genus into two sexes occurs.” 28 Hegel offers the following explanation of “copulation” under the title The Sex-Relation in his philosophy of nature: But the genus is also an essentially affirmative relation of the singularity to itself in it; so that while the latter, as an individual, excludes another individual, it continues itself in this other and in this other feels its own self. This relationship is a process which begins with a need; for the individual as a singular does not accord with the genus immanent in it, and yet at the same time is the identical self-relation of the genus in one unity; it thus has the feeling of this defect. The genus is therefore present in the individual as a straining against the inadequacy of its single actuality, as the urge to obtain its self-feeling in the other of its genus, to integrate itself through union with it and through this mediation to close the genus itself and bring it into existence – copulation. (GW 20, 369–370; PN, 411)

Here, Hegel argues that “negative unity” is driven or motivated by the feeling of defect, namely the lack of correspondence of the individual with its genus. This feeling engenders within an individual the urge to unify with another individual of its genus, and, thereby, realize the genus. However, it is noteworthy that, according to Hegel, the negative unity or copulation is “on the one side the generation of singularity just as it is also, on the other side, the sublation of it” (GW 12, 191; SL, 688). This sublation literally implies death, especially for “lower animals”, such as butterflies. 29 In the case of butterflies, “the act of reproduction is at the same time an act of death” (GW 24/1, 173). Through copula28

Sans, Die Realisierung des Begriffs, 193.

29

However, Lewis’s alternative remark must be noted: “Unlike almost all other animals, hundreds of thousands of humans die because of their pregnancy every year, making a mockery of UN millennium goals to stop the carnage. In the United States, almost 1,000 people die while doing childbirth each year and another 65,000 ‘nearly die.’ This situation is social, not simply ‘natural’” (Sophie Lewis, Full Surrogacy Now, London/Brooklyn 2019, 1). As Altman argues, Kant also notes that “sexual intercourse may literally consume the person. Pregnancy places a great demand on the woman’s body and may even result in death, and frequent sex may ‘exhaust’ the man’s ‘sexual capacity’” (Matthew C. Altman, “Kant on Sex and Marriage: The Implication for the Same-Sex Marriage Debate”, Kant-Studien, 2010, 311; Kant, AA 6, 359–360).

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tion, they produce their offspring at the expense of their lives. Hence, Hegel argues that in the case of animal organisms, the genus functions as a “negative power”. From this power, an animal individual “suffers violence and perishes” (GW 20, 374; PN, 440). Thus, the genus is the negative, heteronormative power to compel the individuals to sacrifice themselves for its own realization. More importantly, Hegel argues that when animal organisms are urged to copulate by the negative power of the genus, they avoid a state of disease. Hegel writes: It [The organism Y.O.] finds itself in a state of disease when one of its systems or organs, stimulated into conflict with the inorganic power (Potenz), establishes itself in isolation and persists in its particular activity against the activity of the whole, the fluidity and all-pervading process of which is thus obstructed. (GW 20, 371: PN, 428)

He argues that an animal organism is in a state of disease when it is isolated from the process of the genus, that is, when it adheres to its particular activity against the genus process and neglects contributing to the negative unity, that is, copulation and reproduction. Thus, Hegel defines the state of disease as hindering the genus process, against the violence of compulsive heterosexuality.

Conclusion Finally, following Stamos and Krahn, 30 I attempt to situate Hegel’s discussion of the genus and species within the debate on the species problem. The species problem, which remains unanswered, is related to the question of how to define a species. As Hey argues, the species problem

30

Based on Eaton’s 1931 interpretation of Hegel’s Logic, Stamos situates Hegel and Mayr as precursors in the history of views of the ontological status of species as individuals (David N. Stamos, The Species Problem. Biological Species, Ontology, and the Metaphysics of Biology, Lanham 2003, chapter 4, especially 184ff.). Based on a close reading of Hegel’s Philosophy of Nature, Krahn convincingly argues that “Hegel’s biological theory can be read consistently as rejecting species fixism” (Martin Krahn, “The Species Problem in Hegel’s Philosophy of Nature,” The Owl of Minerva, 50/1–2, 2019, 64).

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is “the long-standing failure of biologists to agree on how we should identify species.” 31 Although biologists continue to give new species definitions of the term “species”, and there coexist at least 20 recognized species concepts, 32 according to Ereshefsky, the most common species concept in the biological literature is Mayr’s Biological Species Concept (BSC). 33 In his 1942 book, Mayr defines species as “groups of actually or potentially interbreeding natural populations, which are reproductively isolated from other such groups.” 34 Recently, elaborating his definition, he states that “species form a reproductive community. Members of different species, even when they coexist at the same locality, do not ordinarily interbreed with each other. They are isolated by an invisible into reproductive communities.” 35 The BSC dates to the 17th century and Hegel’s concept of the genus can be placed within the history of the BSC. According to Mayr, John Ray, a leading 17th-century English naturalist and botanist, had advocated the criterion that “had demonstrated that exceedingly different-appearing organisms could belong to the same species if sharing a common descent.” 36 Sloan argues that although the BSC has its roots in Buffon’s 1749 view of the unity of species in terms of fertile reproduction, Buffon did not bequeath his species concept to 18th-century German biological circles, and most prominent scientists, except Kant and Christoph Girtnanner, followed a taxonomic system based on morphology. 37 However, the previous sections lead us to conclude that He31

Jody Hey, “The mind of the species problem,” Trends in Ecology and Evolution, 16/7, 2001, 326.

32

Hey, “The mind of the species problem,” 327.

33

Marc Ereshefsky, “Species, Taxonomy, and Systematics,” in Handbook of the Philosophy of Science. Philosophy of Biology, Mohan Matthen and Christopher Stephens (ed.), Amsterdam 2007, 412.

34

Ernst Mayr, Systematics and the Origin of Species, New York 1942, 120.

35

Ernst Mayr, What Makes Biology Unique? Considerations on the Autonomy of Scien-

36

Ernst Mayr, The Growth of Biological Thought. Diversity, Evolution and Inheritance,

tific Discipline, Cambridge 2004, 177. Cambridge 1982, 261. 37

Phillip R. Sloan, “Buffon, German Biology, and the Historical Interpretation of Biological Species,” The British Journal for the History of Science, 12/2, 1979, 109– 153, especially 121ff.

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gel advocated the taxonomic system based on genealogy and reproduction, not the morphological criterion as Hegel redefined the genus in terms of sexual differentiation, procreation, and production of offspring. In this respect, we can identify another similarity between Mayr and Hegel. Regarding the nature of the BSC, Mayr writes as follows: The BSC, thus defined, plays a concrete role in nature and differs in this respect from all those other so-called species concepts that are nothing but instructions, based on human judgment, on how to delimit species taxa. Every proposed so-called new species concept must be tested to see whether it really embodies a new meaning of the species in nature or is simply a new set of instructions for the delimitation of species taxa on the basis of a particular species concept. 38

Mayr’s statement here is compatible with Hegel’s discussion of taxonomy or classification. As already seen, Hegel argues that the “principle of division” to delimit animal species taxa must be immanent to animals, not “our standpoints” that are external to them. Therefore, we can conclude that Mayr and Hegel’s standpoints can be interpreted as the “species constructivist”. However, it is noteworthy that despite its widespread support, the BSC has a significant limitation. This is because “adopting only an interbreeding approach to species has its costs: it would exclude all asexual organisms from forming species. Interbreeding requires the genetic contributions of two sexual organisms. Asexual organisms reproduce by themselves, either through cloning, vegetative means, or selffertilization.” 39 This limitation is the case for Hegel’s concept of the genus. In his lectures on the philosophy of nature during his Jena and Berlin periods, Hegel, following Ackermann’s 1805 study, highlights the human “hermaphrodite [Hermaphrodite]” (GW 8, 173; GW 24/2, 1158) and stresses the “transitional sex [Uebergangsgeschlecht]”—the phenomena located in-between the classes of sexes—as the embodiment of “the impotence of nature [Ohnmacht der Natur]” to correspond to its own concept owing to its vulnerability to the external or environmental con38

Mayr, What Makes Biology Unique? 178.

39

Marc Ereshefsky, “Species,” The Stanford Encyclopedia of Philosophy (Summer 2022 Edition), Edward N. Zalta (ed.), 20, (https://plato.stanford.edu/archives/ sum2022/en tries/species/)

248

ditions (GW 24/2, 975). Hegel supplements this argument in his discussion of the genus in the Logic. Defining the male and female as contradictory concepts, he argues that sexes, thus defined, are mutually exclusive, and logically, there neither exists the middle term nor the third sex. Based on such concepts of the genus and sex difference, he denies the following two cases: the overlap between male and female—that is, being male as well as female, simultaneously; and the outside of or beyond the sex binary—that is, being without sex. Furthermore, he argues that animal organisms lack correspondence between themselves and their genus; they are urged to unite and complement each other to realize a concrete genus. Thus, he assumes that animal organisms are diseased when they impede the genus process. His treatment of disease reinforces his heteronormative concept of sex difference. 40

40

This work was supported by JSPS KAKENHI Grant Number JP23KJ1670.

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Die Beitragenden

Vieweg, Klaus, geb. 1953. Professor für Philosophie an der Friedrich-SchillerUniversität Jena (im Ruhestand). Mitgründer des Ostasiatischen HegelNetzwerks und des europäischen Hegel-Netzwerks „Hegels Relevanz“. Forschungsschwerpunkte: Deutscher Idealismus, Hegel, praktische Philosophie, Geschichte und Theorie des Skeptizismus, Biographie von G.W.F. Hegel. Wichtige Veröffentlichungen: Anfänge. Eine andere Geschichte der Philosophie, München 2023; Kant und der Deutsche Idealismus (Hg.) Darmstadt 2021; The Idealism of Freedom: For a Hegelian Turn in Philosophy. Boston, Leiden 2020; Hegel. Der Philosoph der Freiheit. Biographie. München 2019 (4 editions; in English: Stanford UP 2023); Das Denken der Freiheit – Hegels Grundlinien der Philosophie des Rechts, München 2012. Nakashima, Arata, geb. 1988 in Niigata, Japan. Doktorand an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn. Forschungsschwerpunkte: Schellings Naturphilosophie und gegenwärtiger Realismus, insbesondere im Zusammenhang mit dem Materiebegriff. Veröffentlichungen: „Anthropozän und Rehabilitation der Naturphilosophie Schellings“ (Schelling-Jahrbuch, Bd. 28, 2020, Japanisch); „Matter Conceiving the Future: A Study of E. Bloch’s Reception of Schelling“ (A Quarterly Report of Materialism Studies, No. 163, 2023, Japanisch) Illies, Christian, geb. 1963 in Kiel, Deutschland. Studium der Biologie in Konstanz (Diplom 1989). Promotion zu Kants Ethik (Oxford University/Magdalen College) 1995. Habilitation an der RWTH Aachen zu Transzendentalen Argumenten 2002. Ass.-Prof. Univ. Essen (bei V. Hösle), TU Eindhoven, Professur TU Delft 2006, seit 2008 Lehrstuhl Philosophie an der Universität Bamberg. Seit 2023 Gründungs-Co-Direktor Institut Mensch & Ästhetik (Universität Bamberg/Hochschule Coburg). Wichtige Veröffentlichungen: The Grounds of Ethical Judgement, Oxford University Press 2003; Philosophische Anthropologie im biologischen Zeitalter 2006; Philosophy of Architecture, Cambridge: Cambridge Architectural Press 2014 (mit Nicholas Ray).

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Okochi, Taiju, geb. 1973 in Fukuoka, Japan, Promotion 2007 an der RuhrUniversität Bochum mit der Dissertation zu Hegels Logik. Professor für Geschichte der westlichen Philosophie (Neuzeit) an der Kyoto Universität seit 2019. Wichtige Veröffentlichungen: Ontologie und Reflexionsbestimmungen. Zur Genealogie der Wesenslogik Hegels, Würzburg 2008; Die japanischsprachige Hegel-Rezeption von 1878 bis 2001: Eine Bibliographie, Frankfurt am Main 2013 (hrsg. mit Seiichi Yamaguchi) . Kwon, Young Woo, geb. 1974 in Seoul, Südkorea, Promotion 2012 an der Universität Heidelberg mit der Dissertation zu Hegels Philosophie. Associate Professor, Department of Philosophy an der Korea University seit 2022. Wichtige Veröffentlichungen: Über den Reflexionsbegriff und die Funktion der Reflexion in der Moralität und Sittlichkeit bei Hegel, Berlin 2013; „Vom Verhältnis zwischen dem Sein und Wesen in der Hegelschen Logik“, in: Hegel-Jahrbuch Vol. 2019; „Myth of Given and the Hegelian Turn“, in: Hegel-Yeongu Vol. 47, Seoul 2020. Ohashi, Ryosuke, geb. 1944 in Kyoto, Japan, Promotion 1974 an der LudwigMaximilians-Universität München mit der Dissertation über Schelling und Heidegger; Habilitation 1983 an der Julius-Maximillians-Universität Würzburg zu Hegels Logik. Nach der Emeritierung Gastprofessur an den Universitäten Köln, Tübingen, Wien, Hildesheim, etc. Seit 2015 Direktor des DeutschJapanischen Kulturinstituts in Kyoto. Wichtige Veröffentlichungen: Phänomenologie der Compassion. Pathos des Mitseins mit den Anderen, 2018; Kire. Das Schöne in Japan. 2. und erweiterte Aufl., 2014; Die „Phänomenologie des Geistes“ als Sinneslehre, 2009, etc. Kimoto, Shuhei, born 1982 in Tokyo, Japan, received a master’s degree in philosophy from Tokyo Metropolitan University in 2011. Researcher at Tokyo Metropolitan University. His research interests include Hegel’s logic, theoretical history of concept formation, and transcendental arguments. Shi, Weimin. Promotion an der Georg-August Universität Göttingen. Professor an Tunghai Universität in Taichung, Taiwan, ROC. Seine Untersuchungsgebiete sind u.a. Hegels Philosophie, Deutscher Idealismus, R.G. Collingwoods Philosophie und Moderner neu-Konfuzianismus. Kudomi, Shunsuke, geb. 1990 in Fukuoka, Japan, Doktorand an der Kyoto Universität. Untersuchungsgebiet ist die klassische deutsche Philosophie. Wichtige Veröffentlichungen: „Hegels Kunstbegriff in den Jenaer Jahren: Zur Differenzierung von Kunst und Religion“ in: Tetsugaku 2021.

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Lau, Chong-Fuk, Promotion an der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg mit einer Dissertation über Hegel. Professor für Philosophy an der Chinesischen Universität Hongkong. Wichtige Veröffentlichungen: Hegels Urteilskritik (München 2004) und Aufsätze über Kant und Hegel in Zeitschriften wie KantStudien, Kantian-Review, Kant-Yearbook, Hegel-Jahrbuch, The Owl of Minerva, The Review of Metaphysics, Idealistic Studies, Perspektiven der Philosophie. Hao Chen is an associate professor of philosophy at Tsinghua University, Beijing. He obtained a Ph.D. in philosophy from Tsinghua University and a Ph.D. in law from Tohoku University, Sendai, in 2011. His current research interests focus on German philosophy, particularly the social and political theories of Hegel and Marx. In addition to some Chinese and Japanese papers and edited works, his English papers include “Producing for Oneself or for Others: Labor and the Actualization of Human Nature” (Studies in Marxism, 2013) and “The Significance of the Concept of Individual for Young Marx’s Civil Society Theory” (GEMC Journal, 2013), etc. Nahm, Ki Ho †, geb. 1970 in Gapyeong, Südkorea, gest. 2023, Promotion 2008 an der Ruhr-Universität Bochum mit der Dissertation zu Hegels Rechtsphilosophie. Professor, Department of Philosophy an der Yonsei University seit 2018. Wichtige Veröffentlichungen: Hegels Begriff der Sittlichkeit in dessen Genese und in den Jenaer Systementwürfen (Dissertation 2008); „Burschenschaft und Hegels Politische Stellung – Ist Hegel Eigentlich Preußischer Staatsphilosoph? –“, in: EPOCH AND PHILOSOPHY – A Journal of Philosophical Thought in Korea, Vol. 23–1, 2012; „Hegels Option bei der Todesstrafe“, in: Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie, Vol. 100, 2014 issue 4; „Hegels Theorie des Krieges“, in: Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie, Vol. 106, 2020 issue 3, 야코비와 독일 고전철학 [Jacobi und Deutscher Idealismus], Seoul 2023 (Koreanisch). Beuthan, Ralf, Promotion an der Otto-von-Guericke Universität in Magdeburg. Professor an der „Myongji Universität“ in Seoul, Südkorea. Aktuelle Forschungsschwerpunkte: Deutscher Idealismus und Philosophie der Moderne, Medienphilosophie (Film, Video Games, Digitalität, KI). Okazaki, Yuka, geb. 1982 in Aichi, Japan. Promotion 2023 an der Universität Kyoto mit der Dissertation zu Hegels Geschlechtertheorie. Postdoctoral Research Fellow der Japan Society for the Promotion of Science (JSPS)/ Postdoctoral Research Fellow an der Universität Tokyo seit 2023.

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